PRIMS Full-text transcription (HTML)
A. E. Brehm’s Jlluſtrirtes Thierleben.
Zweiter Band.
Jlluſtrirtes Thierleben.
Eine allgemeine Kunde des Thierreichs
Mit Abbildungen, ausgeführt unter Leitung von R. Kretſchmer.
Zweiter Band.
Hildburghauſen,Verlag des Bibliographiſchen Jnſtituts. 1865.

Erſte Abtheilung. Die Säugethiere.

Zweite Hälfte. Beutelthiere und Nager. Zahnarme, Hufthiere und Seeſäugethiere.

[1]

Zweite Reihe. Krallenthiere (Unguiculata).

Sechſte Ordnung. Die Beutelthiere (Marsupialia).

Ein eigenthümlich abgeſchloſſener Kreis von merkwürdigen Thieren tritt in der Ordnung der Beutelthiere vor uns. Jhr Name bezeichnet ſie; denn der Beutel allein iſt es, welcher ſie zu einem Ganzen vereinigt. Jn ihrer äußeren Erſcheinung haben ſie kaum Etwas mit einander gemein. Sie wiederholen gleichſam mehrere andere Ordnungen und zeigen nur einige abſon - derliche Geſtalten neben den übrigen, welche ebenſo gut an die Hunde, Marder und Spitz - mäuſe, wie an die Haſen, Springmäuſe und Eichhörnchen erinnern. Manchmal glaubt man wirklich eines dieſer Thiere vor ſich zu haben, und die Aehnlichkeit iſt auch ſo groß, daß man ſie an den betreffenden Stellen ohne weiteres in die Ordnung der Raubthiere oder der Nager ein - reihen könnte, verböte Dies nicht aufs entſchiedenſte die Bildung des Beutels und die damit zu - ſammenhängenden eigenthümlichen Frühgeburten, welche allen den ſo verſchiedenen Thieren gemein - ſam ſind. So ſtehen die Beutelthiere, wenn auch als ſcharf begrenztes Ganze, gleichſam doch als Uebergangsglieder zwiſchen den Raubthieren und Nagern da und vermitteln dieſe beiden in jeder Hinſicht ſcharf von einander geſchiedenen und in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Ordnungen.

Sie ſind aber für uns nicht blos aus dieſem Grunde beſonders merkwürdig, ſondern erſcheinen auch noch in anderer Hinſicht einer regen Theilnahme werth. Nach der allgemeinen Anſicht der Naturforſcher gelten die Beutelthiere als die älteſten Thiere unſerer Erde und ſtellen ſo gleichſam die erſten Verſuche der Natur dar, Säugethiere zu erſchaffen, neben den plumpen Lurchen des Feſt - landes, den Flugechſen der Lüfte, den Seedrachen der Meere und jenen wahrhaft furchtbaren Ge - ſtalten der Krokodile, welche in der Vorzeit das Land und die Waſſer beherrſchten. Die Unvoll - kommenheit jener erſten Verſuchsthiere ſpricht ſich deutlich genug darin aus, daß ſie nur halbreife Junge gebären und dieſe erſt außerhalb des Mutterleibes vollends austragen. Owen glaubt in der Waſſerarmuth Auſtraliens den Grund der Beutelbildung zu erblicken, vergißt aber, daß Beutel - thiere auch in Amerika zu Hauſe ſind, wo es an Waſſer wahrlich nicht fehlt. Seine Worte ſind mehr beſtechend, als beweiſend. Denkt Euch, ſagt er, einen unſerer wilden Vierfüßler mei - netwegen einen Fuchs, eine Wildkatze : ſie machen ihr Reſt; ſie haben ihr Lager. NehmtBrehm, Thierleben. II. 12Die Beutelthiere.an, die ſäugende Mutter müſſe, getrieben von dem furchtbaren Durſt, ein - oder zweihundert (zwanzig bis vierzig) Meilen wandern, um ihre lechzende Zunge zu erfriſchen, müſſe ihre kleine Familie zu Hauſe laſſen: was würde aus der jungen, kleinen, blinden, verwaiſten, armen Ge - ſellſchaft geworden ſein, wenn ſie zurückkehrte von ihrem hundertmeiligen Wege? Nun, ver - ſchmachtet, verkommen. Thiere, welche ein Land wie Auſtralien bewohnen, müſſen im Einklange mit ſeinen klimatiſchen und allen übrigen Verhältniſſen gebaut ſein. Und ſo iſt es; die jenem großen Feſtlande eingeborenen und zur Nothwendigkeit des Wanderns beſtimmten Thiere beſitzen den an - deren überflüſſigen Beutel und die geſchlechtlichen Eigenthümlichkeiten, welche Gaben ſie befähigen, ihre Brut mit ſich zu nehmen, wohin immer ſie gehen.

Was würde der gelehrte Forſcher antworten, wenn wir ihn fragen wollten: Gut, aber was thut unter ſolchen Umſtänden die Dingo mutter? wenn wir ihn erinnern wollten, daß gefangene Springmäuſe Monate lang nicht trinken? Wir grübeln nicht nach dem Unerklärlichen, ſondern nehmen die Beutelthiere, wie ſie ſind.

Jm Allgemeinen läßt ſich die Leibesbildung der gedachten Thiere ſchwer beſchreiben. Die Ord - nung zeigt in ihren verſchiedenen Gliedern ſo erhebliche Unterſchiede, wie ſie die ganze Klaſſe nur aufzuweiſen vermag. Mit dem Raubthier - oder Nagergebiß ſteht natürlich auch der Bau der Ver - danungswerkzeuge und gewiſſermaßen ſelbſt der äußere Gliederbau im Einklange. Wir finden echte Raubthiere und echte Grasfreſſer, wir haben Familien, welche ſogar an die Wiederkäuer erinnern: wie wollte da Gleichmäßigkeit zu bemerken ſein! Ganz im Allgemeinen nur kann man ſagen, daß die Beutelthiere Säugethiere von geringer bis höchſtens mittler Größe ſind, deren Körperbau ge - drungen iſt, während ſich die Pfoten gewöhnlich durch ihre Schwäche oder Zierlichkeit auszeichnen. Der Kopf iſt in den meiſten Fällen verlängert und zugeſpitzt, und die ziemlich großen Ohren ſind aufgerichtet, der Schwanz iſt ſehr lang und der Pelz weich und anliegend. Mehr kann man kaum ſagen; denn im übrigen weichen alle Körperformen weſentlich von einander ab, und der Bau der Füße iſt ebenſo verſchieden, wie der des Gebiſſes. So müſſen wir uns die einzelnen Merkmale der Gruppen, welche man unterſchieden hat, bis zur Beſchreibung dieſer ſelbſt aufſparen. Da - gegen aber können wir ſchon jetzt das allen Gemeinſame, den Beutel, betrachten. Die Sehne des äußeren ſchiefen Bauchmuskels, welche ſich vorn auf dem Schambeine aufſetzt, verknöchert und wird ſomit zu dem ſogenannten Beutelknochen, welcher zur Unterſtützung einer Taſche dient, die ſich vorn, am Bauche befindet. Jn dieſer liegen die Milchzitzen, an welchen die halbgeborenen Jungen ſich anfangen. Die Taſche kann ein vollkommener Beutel ſein, aber auch bis auf zwei Hautfalten verkümmern: unter allen Umſtänden jedoch genügt ſie ihrem Zwecke, indem ſie ſich innig über die an den Zitzen hängenden Jungen hinweglegt. Dieſe kommen in einem Zuſtande zur Welt, wie kein einziges anderes Säugethier. Sie ſind nämlich nicht blos nackt, blind und taub, ſondern haben noch nicht einmal einen After und nur ſtummelartige Gliedmaßen. Nachdem ſie halbgeboren ſind, ſaugen ſie ſich an einer der Zitzen, welche gewöhnlich wie eine lange, keulenförmige Warze ausſieht, feſt und wachſen nun in der nächſten Zeit ganz beträchtlich. Dann bilden ſie ſich raſch aus und verlaſſen zeitweilig den Beutel, welchen ſie ſpäter blos noch bei drohender Gefahr aufſuchen, falls ſie nicht vorziehen, auf den Rücken der Mutter zu flüchten und ſich ſo von ihr wegtragen zu laſſen.

Wir müſſen, um dieſen ohne Beiſpiel daſtehenden Geburtshergang weiter zu verfolgen, vorher nothwendig einen Blick auf den inneren Bau der Fortpflanzungswerkzeuge werfen. Die weiblichen Geſchlechtstheile beſtehen aus zwei Eierſtöcken, zwei Muttertrompeten, zwei Fruchthaltern und zwei Scheiden. Die Eierſtöcke ſind klein und einfach oder groß und traubig; am größten und zuſammen - geſetzteſten von allen Säugethieren überhaupt bei dem Wombat, welchen wir ſpäter kennen lernen werden. Sie ſind in der erweiterten Mündung der Trompeten eingebettet, und jeder Eileiter erweitert ſich zu einem beſonderen Fruchthalter, welcher in ſeine eigne Scheide mündet. Jn dieſem Fruchthalter bildet ſich für das ungeborne Junge kein Mutterkuchen, und hiermit mag die Früh -3Die Raubbeutelthiere.geburt wohl zuſammenhängen. Nach Owen’s, Leining’s und Weinland’s Beobachtungen geht nun die Geburt ungefähr in folgender Weiſe vor ſich:

Nach einer ſehr kurzen Tragzeit im Fruchthalter wirft das Beutelthier ſein Junges, welches noch ganz unausgebildet iſt, nimmt es mit dem Maule auf, bringt es in den Beutel und legt es dort an eine Zitze an, wo es ſich feſtſaugt. Hier bleibt es hängen, bis ſich ſeine Sinneswerkzeuge und Glied - maßen entwickelt haben, und der Beutel iſt ſo lange nicht blos Neſt und Zufluchtsort, ſondern auch gleichſam ein zweiter Fruchthalter: noch einmal der Mutterleib. Von hieraus macht das Thierchen ſpäter größere und immer größere Ausflüge; ſeine ganze Kindheit aber verbringt es in dem Beutel, und bei mehr als einem Mitgliede dieſer merkwürdigen Ordnung, welche blos einen Monat oder etwas darüber in dem wirklichen Fruchthalter ausgetragen wurde, währt die Tragzeit im Beutel ſechs bis acht Monate. Von dem Tage der Empfängniß bis zu dem, wo das Junge ſeinen Kopf aus dem Beutel ſteckt, vergehen bei dem Rieſenkänguru ungefähr ſieben Monate, von dieſer Zeit bis dahin, wo es den Beutel zum erſten Male verläßt, noch etwa neun Wochen, und ebenſo - lange lebt dann das junge Geſchöpf noch theils in dem Beutel, theils außerhalb deſſelben.

Die Zahl der Jungen ſchwankt zwiſchen Eins und Vierzehn.

Jn ihrer Lebensweiſe zeigen die Beutelthiere ſo große Verſchiedenheiten, daß an eine allgemeine Schilderung nicht gedacht werden kann. Man muß nur immer feſthalten, daß ſie ebenſogut Raub - thiere wie Nager ſind, daß ſie ſich ebenſowohl auf dem feſten Boden, als theilweiſe unter dem Waſſer, wie auf den Bäumen herumtreiben, daß ſie ebenſogut bei Nacht, als bei Tage ihren Ge - ſchäften nachgehen. Sie nähren ſich von Blättern, Wurzeln, Früchten, Kerbthieren, Würmern und Wirbelthieren; die raubgierigſten und ſtärkſten wagen ſich ſogar an die Hausthiere, z. B. an die Schafe. Die größere Mehrzahl liebt waldige und buſchige Gegenden und zieht ſie wenigſtens offenen, freien Ebenen vor.

Die Sinnesfähigkeiten der Beutelthiere ſind ſehr ungleich entwickelt. Geſicht und Geruch, ſowie das Gehör ſcheinen auch bei ihnen durchſchnittlich am meiſten ausgebildet zu ſein. Jhr geiſtiges Weſen ſteht mit ihrer Lebensweiſe und mit ihrem Gewerbe im Einklange. Die Raubbeutler ſind liſtig, bösartig und biſſig, die pflanzenfreſſenden Beutler dumm, gutmüthig und ſanft.

Gegenwärtig ſind die Beutelthiere auf Amerika und Neuholland beſchränkt. Auſtralien mit ſeinen Jnſeln iſt das eigentliche Vaterland derſelben, und, wie wir oben ſahen, beſteht bei weitem der größte Theil aller Säugethiere dieſes merkwürdigen Erdtheils aus Beutlern. Jn früheren Schöpfungszeiten bewohnten dieſe Thiere auch unſer Europa, zumal Frankreich und England, aber ſchon in der Diluvialzeit ſind ſie von hier verſchwunden.

Für den menſchlichen Haushalt iſt weder der Nutzen noch der Schaden, den die Beutelthiere gewähren, von erheblichem Belang. Man benutzt das Fleiſch und das Fell, erfreut ſich an der Jagd u. ſ. w. und wird dafür von anderen, welche Herden und Gehöfte beſtehlen, gebrandſchatzt.

Nach ihrer Nahrung theilt man die Ordnung der Beutelthiere in zwei ungefähr gleichwerthige Abtheilungen ein, welche von Einigen in zwei, von Anderen, namentlich von Fitzinger, in ſechs Familien geſchieden werden. Der letzteren Eintheilung können auch wir uns anſchließen.

Die erſte Familie enthält die Raubbeutelthiere oder Beutelmarder (Dasyuri).

Sie haben ganz das Gepräge der Raubthiere, ſowohl was den äußerlichen, wie den innerlichen Bau anlangt. Namentlich ihr Gebiß iſt ſehr vollſtändig und beſitzt in beiden Kiefern lange und ſtarke Reißzähne. Die oberen Backenzähne ſind ſpitzzackig, die unteren ſchneidig. Gegenwärtig ſind ſie blos noch in Auſtralien zu finden. Jn der Vorzeit bewohnten ſie als die erſten Säuge - thiere mehrere Länder Europa’s.

Die Raubbeutelthiere halten ſich ebenſowohl in Wäldern als in felſigen Gegenden oder an den Ufern des Meeres auf und leben hier entweder in tiefen Erdhöhlen und Erdlöchern, unter Baum -1 *4Die Raubbeutelthiere.wurzeln und Steingeklüft der Felſen oder in hohlen Bäumen. Die einen bewegen ſich blos auf dem Boden, die anderen klettern vortrefflich, und einige halten ſich faſt ausſchließlich auf den Bäu - men auf. Jhr Gang iſt ſchleichend und bedächtig, und ſie treten dabei mit ganzer Sohle auf. Doch ſind ihre Bewegungen raſch und gewandt, ganz raubthierartig. Faſt alle ſind nächtliche Thiere welche den Tag in ihren Zufluchtsörtern verſchlafen und mit der Dämmerung auf Raub ausgehen. Bei dieſen Streifzügen ſuchen ſie die Küſten des Meeres ab und verzehren hier alle von der See ausgeworfenen Thiere, dieſelben mögen friſch oder faul ſein; die, welche auf den Bäumen wohnen, nähren ſich hauptſächlich von Kerfen und jagen höchſtens noch kleinen Säugethieren, ſowie deren Eiern nach; die größten Arten beſuchen auch wohl die menſchlichen Wohnungen und erwürgen dort nach Marderart oft in einer einzigen Nacht den ſämmtlichen Hühnerbeſtand, oder plündern, wie die frechen Füchſe des Nordens, Speicher und Vorrathskammern und ſtehlen hier Fleiſch und Speck. Die kleineren Arten zwängen ſich durch die kleinſte Oeffnung und ſind deshalb ebenſo verhaßt, wie Marder und Jltis; die größeren fallen die Schafherden an und holen ſich ab und zu ein Stück aus ihnen. Viele führen die Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Jhre Stimme beſteht in einem eigenthümlichen Knurren und einem hohltönenden Gebell.

Jhre Eigenſchaften ſind höchſt verſchieden. Die größeren ſind ſehr wild, biſſig und unzähm - bar und vertheidigen ſich, wenn ſie angegriffen werden, wüthend mit ihren ſcharfen Zähnen; die kleineren dagegen ſind ſanft und gutmüthig, und einzelne können leicht in der Gefangenſchaft erhalten und ohne große Mühe gezähmt werden, doch zeigen ſie niemals eine größere Anhänglichkeit an ihren Pfleger.

Jm Frühlinge werfen die Mütter vier bis fünf Junge, welche wenigſtens in verhältniß - mäßig vollkommenem Zuſtande zur Welt kommen.

Der Schaden, welchen die Mitglieder dieſer Familie verurſachen, überwiegt den Nutzen, den ſie bringen, bei weitem, und deshalb werden ſie auch aufs eifrigſte verfolgt.

Unter ihnen dürfte der Beutelhund, Zebra - oder Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus) der ausgezeichnetſte ſein. Das Thier iſt der einzige, jetzt lebende Vertreter einer beſonderen Sippe, hatte aber in der Vorzeit einen ihm ziemlich naheſtehenden Verwandten, welcher ſich nur im Gebiß ein wenig von ihm unterſchied. Seinen Namen trägt er, wie ein einziger Blick auf unſere Ab - bildung belehren wird, im vollſten Rechte; denn er ſcheint in der That ein wilder Hund zu ſein. Sein geſtreckter Leib, die Geſtalt des Kopfes, die ſtark abgeſetzte Schnauze, die aufrechtſtehenden Ohren und die Augen, ſowie der aufrecht getragene Schwanz erinnern durchaus an die betreffenden Raubthiere; nur ſind die Glieder verhältnißmäßig kurz, und das Gebiß weicht weſentlich von dem der Hunde ab.

Der Beutelwolf iſt das größte aller fleiſchfreſſenden Beutelthiere. Er kommt etwa dem Scha - kal an Größe gleich. Seine Leibeslänge beträgt gegen drei Fuß, die Länge des Schwanzes Fuß, und die Höhe am Widerriſt ebenſoviel. Manche recht alte Männchen ſollen, wie man behauptet, noch viel größer werden und im Ganzen gegen ſechs Fuß in der Länge meſſen. Der kurze, lockere, anliegende Pelz iſt graubraun, auf dem Rücken zwölf bis vierzehn Mal quergeſtreift. Die Rücken - haare ſind am Grunde dunkelbraun und vor der dunklen Spitze auch gelblichbraun, die Bauchhaare blaßbraun an der Wurzel und bräunlichweiß an der Spitze. Der Kopf iſt hellfarbig, die Augen weißlich; am vorderen Augenwinkel findet ſich ein dunkler Flecken und über dem Auge eine Binde. Die Krallen ſind braun. Nach dem Hintertheil zu verlängern ſich die Rückenhaare und erreichen auf dem Schenkel ihre größte Ausdehnung. Das Fell iſt nicht eben fein, ſondern kurz und mehr wollig. Der Schwanz iſt blos an der Wurzel mit weichen, ſonſt aber mit ſteifen Haaren bedeckt. Der Ge - ſichtsausdruck des Thieres iſt ein ganz anderer, als bei dem Hunde, und namentlich fällt das weiter geſpaltene Maul, ſowie das größere Auge beſonders auf. Die Beutelknochen fehlen, ihre Stelle iſt blos durch ſehnige Knorpel angedeutet.

5Der Beutelhund, Zebra - oder Beutelwolf.

Das Thier bewohnt ausſchließlich Tasmanien oder Vandiemensland, während ſein vor - weltlicher Verwandter auf Neuholland gefunden wurde. Jn den erſten Tagen der europäiſchen An - ſiedlung fand ſich der Beutelwolf ſehr häufig, zum größten Nachtheil und Aerger der Viehzüchter, deren Schafherden und Geflügelbeſtänden er fleißigen Beſuch abſtattete. Jn der Folge vertrieb ihn das Feuergewehr mehr und mehr, und ſo iſt er gegenwärtig ſchon in das Jnnere zurückgedrängt worden. Die Hampſhire - und Woolnorſhberge ſind gegenwärtig ſeine hauptſächlichſten Zufluchtsorte, und hier findet man ihn noch immer in hinreichender Anzahl, am häufigſten in einer Höhe von etwa 3000 Fuß über dem Meere. Felsſpalten in dunklen, dem Menſchen faſt undurchdringlichen Schluchten, natür - liche oder ſelbſt gegrabene tiefe Höhlen bilden ſeine Zufluchtsorte während des Tages, und von hier aus unternimmt er ſeine Raubzüge. Er iſt ein nächtliches Thier und ſcheut das helle Licht im hohen

Der Beutelhund, Zebra - oder Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus).

Grade. Die außerordentliche Empfindlichkeit ſeiner Augen gegen die Tageshelle verräth das unauf - hörliche Zucken der Nickhaut: keine Eule kann das Auge ſorgſamer als er vor dem widerwär - tigen Glanze des Lichtes zu ſchützen ſuchen. Wahrſcheinlich wegen dieſer Empfindlichkeit iſt er bei Tage langſam und ungeſchickt; bei Nacht dagegen zeigt er ſich als ein ganz anderes Thier. Er iſt dann munter, rege und ſogar wild und gefährlich, ſcheut keinen Kampf und geht meiſtens als Sie - ger hervor, weil ſeine einzigen Feinde eben blos Hunde ſein können. Wenn er auch nicht der wil - deſte aller Raubbeutler iſt, übertrifft er doch ſeine ſämmtlichen Familienverwandten an Stärke und Kühnheit und verdient auch aus dieſem Grunde vollkommen ſeinen Namen. Er iſt wirklich ein echter Wolf und richtet in ſeiner Heimat im Verhältniß zu ſeiner bedeutend geringeren Größe ebenſo - viel Schaden an, als ſein nördlicher ſtarker Namensvetter.

6Die Raubbeutelthiere.

Die Nahrung des Zebrawolfs beſteht aus allen kleineren Thieren, welche er erlangen und über - wältigen kann, und zwar aus Wirbelthieren ebenſowohl, als aus niederen Thieren, von den Kerb - thieren und Weichthieren an bis zu den Strahlenthieren herab. Wo die Gebirge bis nahe an die Seeküſten reichen und die Anſiedler noch nicht feſten Fuß gefaßt haben, ſtreift er zur Nacht am Strande umher und ſchnüffelt und ſucht die verſchiedenartigſten Thiere zuſammen, welche die Wellen ausgeworfen haben. Muſchel - und andere Weichthiere, welche ſo häufig gefunden werden, ſcheinen die Hauptmaſſe ſeiner Mahlzeiten zu bilden, falls ihm das Glück nicht wohl will und ihm die See ein Leckergericht bereitet, indem ſie ihm einen halb verfaulten Fiſch oder Seehund an den Strand wirft. Aber der Zebrawolf unternimmt auch ſchwierigere Jagden. Auf den grasreichen Ebenen und in den niedrigen, parkähnlichen Waldungen verfolgt er das ſchnelle Buſchkänguru und in den Flüſſen und Tümpeln das Schnabelthier, trotz deſſen Schwimm - und Tauchfertigkeit. Wenn er beſonders hungrig iſt, verſchmäht er keine Speiſe und läßt ſich nicht einmal von dem ſpitzigen Kleide des Ameiſenigels zurückſchrecken; ſo unglaublich es auch ſcheint, daß ein Raubthier eine Beute verzehren kann, deren Haut mit nadelſcharfen Stacheln beſetzt iſt, ſo gewiß weiß man Dies von dem Beutelwolf; denn man hat Ueberreſte des Stachelfelles von dem Ameiſenigel in ſeinem Magen gefunden.

Man fängt das Thier, wenn es ſeine Raubzüge bis zu den Anſiedlungen ausdehnt, in Fallen oder jagt es mit Hunden. Letzteren gegenüber verſteht es ſich ſehr gut zu vertheidigen und zeigt dabei eine Wildheit und Bösartigkeit, welche zu ſeiner geringen Größe ganz unverhältnißmäßig iſt. Jm Nothfalle kämpft es wahrhaft verzweifelt und macht einer ganzen Hundemente zu ſchaffen. Ja es iſt ſogar vorgekommen, daß es dieſe wirklich verſcheuchte.

Ueber das Gefangenleben des Beutelwolfs iſt noch wenig bekannt. Einige behaupten, daß er ſcheu, dummträge und unzähmbar ſei, ſich auch ſchwer erhalten laſſe ꝛc. Dem widerſprechen, wenig - ſtens theilweiſe, neuere Berichte. Die zoologiſche Geſellſchaft in London beſaß drei Beutelwölfe die einzigen, welche jemals lebend nach Europa kamen im Thiergarten von Regent-Park, und ein Weibchen davon lebt dort ſeit dem Jahre 1849, alſo bereits zwölf Jahre. Dieſes Weibchen wurde etwa 30 engliſche Meilen nordöſtlich von Launigſton am Patrickfluſſe in Schlingen gefangen und zunächſt in einem halb ausgebauten Hauſe untergebracht. Hier war es äußerſt lebhaft, machte Sätze von 6 bis 8 Fuß Höhe und kletterte im Gebälk mit der Behendigkeit einer Katze umher. Man fütterte dieſen und andere Beutelwölfe mit Hammelfleiſch und beobachtete, daß ſie dieſes allem anderen Fleiſche vorzogen. Das Fleiſch des Wombat, welches man friſchgefangenen Beutelwölfen als billigſtes Futter reichen wollte, wurde von ihnen nicht angerührt.

Jn demſelben Lande findet ſich noch ein Familienverwandter des Beutelwolfs, welcher ſeiner äußeren Erſcheinung nach zwiſchen den Bären und Mardern ungefähr in der Mitte ſteht: Der bärenartige Raubbeutler (Diabolus ursinus) oder, wie die Anſiedler ihn nennen: der einge - borne Teufel. Dieſen bedeutungsvollen Namen erhielt das Thier wegen ſeiner unglaublichen Wild - heit und Unzähmbarkeit, und man behauptet, daß ihm mit dieſer Bezeichnung gar nicht zuviel ge - ſchehen wäre. Alle Beobachter ſind einſtimmig, daß man ſich kaum ein ungemüthlicheres, tolleres, unſinnigeres und wüthenderes Geſchöpf denken könne, als dieſen Teufel unter den Beutelthieren, deſſen ſchlechte Laune und Aerger niemals endet und deſſen Zorn bei der geringſten Gelegenheit in hellen Flammen auflodert. Nicht einmal in der Gefangenſchaft und bei der ſorgfältigſten Pflege verliert der Teufel ſeine Eigenſchaften und niemals lernt er Den kennen oder lieben, welcher ihn mit Nahrung verſieht und Pflege angedeihen läßt, ſondern greift auch ſeinen Wärter mit derſelben Ge - häſſigkeit und ſinnloſen Wuth an, wie jedes andere Weſen, welches ſich ihm zu nahen wagt. Bei dieſer widerwärtigen Grimmigkeit fällt die ſeinem Namen allerdings widerſprechende Dummheit und Trägheit unangenehm auf. Der Beutelteufel ſchläft entweder in dem dunkelften Winkel ſeines7Der bärenartige Raubbeutler.Käſigs, oder fletſcht ſein furchtbares Gebiß und beißt raſend um ſich, ſobald er glaubt, den ſich ihm Nähernden Etwas verſetzen zu können: in dieſen Zornesausbrüchen gibt er die einzige geiſtige Thätig - keit kund, deren er fähig zu ſein ſcheint.

Wie der lateiniſche Name zeigt, gilt unſer Thier als Vertreter einer beſonderen Sippe. Er unterſcheidet ſich auch ſo weſentlich von dem Beutelwolf, daß man ihn nicht wohl mit dieſem ver - einigen kann. Ein gedrungener, unterſetzter, bärenartiger Körperbau mit kurzem, breiten Kopf, mittelhohen Beinen, nacktſohligen Füßen und Zehen, welche mit großen Sichelkrallen bewehrt ſind, ein dicker Schwanz von halber Körperlänge mit einem Nagel an der Spitze, kleine, wüthend fun - kelnde Augen, kurze, ſehr breite Ohren und ſtarke Schnurren ſind die Kennzeichen dieſer Sippe. Die Körperlänge des Beutelteufels beträgt zwei Fuß und die des Schwanzes einen Fuß. Der grobe Pelz iſt ſchwarz, am Kopfe, den Untertheilen und dem Schwanze braunſchwarz; auf der Bruſt und den Vorderbeinen ſowie am Kreuze und den Schenkeln treten weiße Binden hervor, welche auffallend von der übrigen Färbung abſtechen. Das Gepräge dieſer Zeichnung iſt überall daſſelbe, obgleich be - merkenswerthe Abänderungen in der Größe und Geſtalt der lichten Flecken beobachtet worden ſind. Das Gebiß zeigt geſchloſſene Zahnreihen ohne Lücken mit ſehr ſtarken Eckzähnen. Der Schädel zeichnet ſich durch Kürze und Breite des Schnauzentheiles aus.

Der bärenartige Raubbeutler (Diabolus ursinus).

Jm Anfange machte der Teufel den Anſiedlern auf Vandiemensland viel zu ſchaffen, weil er ihre Geflügelzucht faſt ganz vereitelte. Nach Marderart brach er allnächtlich in den Hühnerhof ein und wüthete hier mit einer Blutgier, wie ſie eben nur ein Marder zeigen kann. Er wurde daher von allem Anfange an grimmig gehaßt und auf das Rachſüchtigſte verfolgt, zumal nachdem man ſein Fleiſch wohlſchmeckend oder wenigſtens genießbar gefunden hatte. Fallen aller Art wurden gelegt, große Jagden veranſtaltet, und ſo kam es, daß auch dieſer Teufel ſehr bald die Herrſchaft und den Verſtand des Menſchen erkennen und fürchten lernte und ſich in die dickſten, unzugänglichſten Forſten in den Gebirgen zurückzog. Jn vielen Gegenden iſt er bereits vollkommen ausgerottet, und auch da, wo er noch ziemlich häufig vorkommt, wird er jetzt nur ziemlich ſelten bemerkt.

Er iſt ein echtes Nachtthier und ſcheut das Tageslicht im gleichen Grade, wie der Beutelwolf oder wie eine unſerer Eulen. Das Licht ſcheint ihm wirklich Schmerzen zu verurſachen; wenigſtens hat man an Gefangenen beobachtet, daß ſie, wenn man ſie ins Helle brachte, augenblicklich mit einer gewiſſen Haſt oder Aengſtlichkeit die dunkelſte Stelle ihres Käfigs aufſuchten, ſich mit dem lichtabge - wandten Geſicht zuſammenkauerten und auch hier noch durch beſtändiges Bewegen ihrer Nickhaut die Augen gegen die wirklich ſchmerzhaften Einwirkungen des Lichtes zu ſchützen ſuchten. Auch der8Die Raubbeutelthiere.Beutelteufel zieht ſich, ſolange die Sonne am Himmel ſteht, in die dunkelſten und tiefſten Höhlen im Geklüft und unter Baumwurzeln zurück und fällt hier in einen faſt todtenähnlichen Schlaf, aus welchem ihn nicht einmal der Lärm einer Jagd zu erwecken vermag. Nach Einbruch der Nacht ver - läßt er ſein Lager und ſtreift nun nach Raub umher; dabei zeigt er ſich verhältnißmäßig raſch und behend in ſeinen Bewegungen und ausdauernd in ſeinem Laufe, obgleich er an Gewandtheit und Gelenkigkeit noch immer unendlich weit zurückſteht hinter den altweltlichen Schleichkatzen und Mar - dern, die er in Neuholland vertritt. Die Haltung und manche Sitten erinnern an den Bären. Beim Gange tritt er mit voller Sohle auf, im Sitzen ruht er wie ein Hund auf dem Hintertheile. Die Nahrung führt er mit den Vorderfüßen zum Munde.

Mit ſeiner gewöhnlichen Wuth fällt er über alle Thiere her, welche er erwiſchen kann. Er ſucht ſich ſeine Beute ebenſowohl unter den Wirbelthieren wie unter den anderen Thieren. Alles, was das im ganzen arme Land oder das Meer ihm bietet, iſt ihm recht; denn ſeine Gefräßigkeit wetteifert mit ſeiner Wuth. Bei ſeinen Raubzügen läßt er auch ſeine Stimme vernehmen; ſie liegt zwiſchen einem hellen Bellen und Knurren in der Mitte. Seine Gefräßigkeit iſt die Urſache, daß man ſich ſeiner ziemlich leicht bemächtigen kann. Er geht nämlich ohne Beſinnen in jede Falle und nimmt jeden Köder weg, gleichviel ob derſelbe ein Stückchen Fiſch oder anderes Fleiſch von Wirbel - thieren oder aber ein Muſchelthier oder ein anderes niederes Thier iſt. Schwieriger iſt ſeine Jagd mit Hunden; denn er entwickelt, wenn er ſich verfolgt ſieht, im Kampfe eine unglaubliche Wildheit und vertheidigt ſich gegen jede Uebermacht bis zu ſeinem Ende. Die große Kraft ſeiner Kiefern, das furchtbare Gebiß und die raſende Wuth in Verbindung mit der vollkommenen Furchtloſigkeit machen ihn zu einem Feinde, welcher jedem Hunde ſiegreich widerſteht. Und wirklich gibt es kaum einen Jagdhund, welcher ſich mit einem dieſer vierbeinigen Teufel in Kampf einläßt.

Jn der Gefangenſchaft bleibt er ſich beſtändig gleich, d. h. er iſt nach Jahren eben ſo raſend und wüthend, wie am erſten Tage, wo man ihn eingefangen hat. Ohne die geringſte Urſache ſtürzt er zuweilen gegen die Stangen ſeines Käfigs und haut mit den Tatzen um ſich, als wolle er den ſich ihm Nähernden auf der Stelle zerreißen. Seine Zornesausbrüche ſind zuweilen geradezu unbegreiflich, weil ſie auch bei der beſten Pflege oder gegen die wohlwollendſten und unſchuldigſten Thiere erfolgen. Eine Stumpfheit und Dummheit ohne Gleichen gibt ſich in dem ganzen Thiere zu erkennen. Er kann in der Gefangenſchaft mit allerlei Futter erhalten werden, manchmal tagelang blos mit Knochen, die er mit ſeinem wundervollen Gebiß leicht zertrümmert.

Die Zahl ſeiner Jungen ſoll zwiſchen Drei und Fünf ſchwanken. Man behauptet, daß das Weibchen ſie lange mit ſich herumtrage. Weiter weiß man Nichts über die Fortpflanzung. Sein Fleiſch ſoll dem Kalbfleiſche ähneln.

Eine dritte Sippe enthält die eigentlichen Beutelmarder (Dasyurus), von denen man gegen - wärtig vier bis fünf Arten kennt. Sie ſtehen hinſichtlich ihres Leibesbaues ungefähr in der Mitte zwiſchen den Füchſen und Mardern, ohne jedoch mit den einen oder den anderen beſonders auf - fallende Aehnlichkeit zu zeigen. Der Leib iſt etwas ſchmächtig und geſtreckt, der Hals ziemlich lang, der Kopf nach vorn zugeſpitzt. Die Beine ſind niedrig und mittelſtark, die Hinterbeine etwas länger, als die vorderen, und durch den ihnen fehlenden Daumen beſonders ausgezeichnet, die Zehen getrennt und mit ſtarken, ſichelförmig gekrümmten, ſpitzen Krallen bewehrt. Der Schwanz iſt lang, ſchlaff und gleichmäßig buſchig behaart.

Eine der bekannteſten Arten iſt der gefleckte Beutelmarder (D. Maugii). Die allgemeine Färbung deſſelben iſt fahlbraun, zuweilen lichter, unten weiß. Auf der ganzen Oberſeite ſtehen unregelmäßig geſtaltete und vertheilte, weiße Flecken, welche am Kopfe kleiner als am Körper ſind. Die etwas zugeſpitzten Ohren ſind mäßig groß und mit kurzen, ſchwarzen Haaren bekleidet. Die9Der gefleckte Beutelmarder.Schnauzenſpitze iſt fleiſchroth. Ein ausgewachſenes Thier erreicht eine Leibeslänge von 15 Zoll und eine Schwanzlänge von einem Fuß. Die Höhe am Widerriſt beträgt ſechs Zoll.

Man trifft den gefleckten Beutelmarder nur in Neuholland an, wo er faſt noch überall ziemlich häufig iſt. Seinen Lieblingsaufenthalt bilden die Wälder an den Küſten des Meeres. Hier verbirgt er ſich bei Tage in Erdlöchern unter Baumwurzeln und Steinen oder in hohlen Stämmen. Nach Einbruch der Nacht ſtreift er, ſeiner Nahrung nachgehend, weit umher. Er frißt hauptſächlich todte Thiere, welche das Meer ausgeworfen hat, ſtellt aber auch kleineren Säugethieren oder auf der Erde niſtenden Vögeln im Walde nach und frißt im Nothfalle ſelbſt Kerbthiere. Den Hühnerſtällen ſtattet er ebenfalls Beſuche ab und würgt nach Marderart das von ihm ergriffene Geflügel ſchonungslos zu - ſammen, ſtiehlt auch wohl Fleiſch und Fett aus den Wohnungen der Menſchen. Sein Gang iſt ſchleichend und bedächtig, und er tritt dabei mit ganzer Sohle auf. Jm Uebrigen ſind ſeine Bewe - gungen raſch und behend; doch klettert er ſchlecht und hält ſich deshalb auch am liebſten am Boden auf, obwohl er zuweilen ſchiefliegende Stämme zu beſteigen pflegt. Die Zahl ſeiner Jungen ſchwankt zwiſchen Vier und Sechs. Sie werden außerordentlich klein geboren und in dem vollkom - menen Beutel des Weibchens lange Zeit verborgen.

Der gefleckte Beutelmarder (Dasyurus Maugii).

Der Beutelmarder wird mit ebenſo großem Haß verfolgt, wie die bisher genannten Raub - beutler. Man fängt ihn oft in namhafter Anzahl in eiſernen Fallen, welche man mit irgend wel - cher thieriſchen Nahrung ködert. Für die Gefangenſchaft iſt er nicht zu empfehlen; denn er iſt eins der langweiligſten Geſchöpfe, welche ich kenne. Man kann ihn weder boshaft noch gutartig, weder lebhaft noch ruhig nennen: er iſt einfach langweilig. Sein Verſtand ſcheint ſehr gering zu ſein. Dem Pfleger beweiſt er niemals Anhänglichkeit oder Liebe und wird eigentlich niemals zahm. Wenn man ſich ſeinem Käfig nähert, zieht er ſich in eine Ecke zurück, deckt ſich den Rücken und ſperrt ſo weit er kann ſein Maul auf ganz, wie es auch das Opoſſum thut. So gefährlich Dies aber auch ausſieht, ſo wenig hat es zu bedeuten; denn er wagt, wenn man ſich ihm weiter nähert, keinen Widerſtand. Ein heiſeres Blaſen, welches kaum Fauchen genannt werden kann, deutet auf innere Erregung; an eine andere, durch Biſſe etwa bethätigte Abwehr denkt er nicht. Das Licht ſcheut er, wie ſeine übrigen Familienverwandten, und zieht ſich deshalb bei Tage ſtets in den dunkelſten Winkel ſeines Käfigs zurück. Da er gegen Witterungseinflüſſe nicht empfindlich iſt und ſich mit jeder Tiſch - nahrung begnügt, kann er ohne ſonderliche Mühe erhalten werden. Rohes oder gekochtes Fleiſch aller Thierklaſſen iſt ihm eine erwünſchte Nahrung. Er zeigt nicht die Gier wie die Vorhergenann - ten. Wenn man ihm ein Stück Fleiſch gibt, bemächtigt er ſich deſſelben mit einer gewiſſen Haſt, reißt10Die Raubbeutelthiere.ein Stück los, wirft es ſpringend in die Höhe, fängt es dann auf und verſchlingt es. Hat das Stück noch nicht die rechte Lage, ſo hilft er mit den Vorderpfoten nach. Nach vollbrachter Mahlzeit ſetzt er ſich auf den Hintertheil, reibt ſchnell die Vorderpfoten gegen einander und ſtreicht ſich damit die feuchte Schnauze rein oder putzt ſich am ganzen Leibe; denn er iſt ſehr reinlich.

Da man weder ſein Fleiſch genießt, noch das Fell verwendet, gewährt er nicht den geringſten Nutzen.

Jn den Beutelbilchen (Phascologale) ſehen wir kleine, mehr oder weniger den Spitzmäu - ſen ähnliche Raubbeutler vor uns. Die Leibesgröße dieſer Thiere erreicht niemals einen Fuß an Länge; die meiſten Arten ſind nur einige Zoll lang, und ihr am Ende gewöhnlich buſchiger, behaar - ter Schwanz iſt noch kürzer. Der gedrungene Leib ruht auf kurzen Beinen mit kleinen, fünfzehigen Pfoten, welche mit Ausnahme des hinteren, nagelloſen Daumens, durch gekrümmte, ſpitze Krallen

Die Tapoa Tafa (Phascologale penicillata).

bewehrt ſind. Der Kopf iſt ſpitz, die Ohren und Augen ſind ziemlich groß. Jm Gebiß fallen die merkwürdig vergrößerten, oberen Schneidezähne auf. Die ſchlanken Eckzähne ſind nur mäßig groß, die ſpitzkegelförmigen Lückzähne erinnern wegen ihrer Höcker an das Gebiß der Kerffreſſer. Unſere Thiere bewohnen ausſchließlich Auſtralien, leben auf Bäumen und nähren ſich faſt nur von Kerb - thieren. Jhre Lebensweiſe und Gewohnheiten ſind noch nicht gehörig erforſcht worden, und deshalb können wir ſie auch nur ganz flüchtig betrachten. Man unterſcheidet hauptſächlich zwei Gruppen, für welche deutſche Namen fehlen.

Mit der erſten dieſer Gruppen mag uns die Tapoa Tafa, wie die Eingeborenen das Thier - chen nennen (Phascologale penicillata), bekannt machen. Jn der Größe gleicht ſie etwa unſerem Eichhörnchen; ihre Leibeslänge beträgt näm - lich neun Zoll und die des Schwanzes acht Zoll. Der lange, weiche, wollige, nur leicht auf dem Fell liegende Pelz iſt auf der Oberſeite grau, an den unteren Leibestheilen aber weiß oder gelblich - weiß. Ein ſchwarzer Ring umgibt das Auge, ein heller Flecken liegt über ihm. Die Mitte der Stirn und des Scheitels dunkelt und auch die Haare ſind ſchwarzſpitzig. Die Zehen ſind weiß. Eigenthümlich iſt der Schwanz. Jn dem erſten Fünftheile ſeiner Länge iſt er mit glatt anliegenden, denen des Körpers ähnlichen Haaren bedeckt, die übrigen vier Fünftheile aber ſind mit langen, buſchigen, dunklen Haaren beſetzt; und deshalb ſticht der Schwanz von der übrigen Körper - färbung ab.

Die Tapoa Tafa erſcheint als ein ſchmuckes, harmloſes, kleines Geſchöpf, unfähig, irgend wel - chen Schaden zu bringen, und deshalb auch ganz geeignet, ein Liebling des Menſchen zu ſein. Aber kaum ein anderes Thier kann durch ſein Weſen dem erſten Eindruck, welchen es macht, ſo wider - ſprechen, wie dieſer Raubbeutler; denn die Tapoa Tafa iſt eine der größten Plagen der Anſiedler, ein wildes, blutdürſtiges und kühnes Naubthier, welches ſich in dem Blute der von ihm getödteten Thiere förmlich berauſcht und auf ſeinen Ranbzügen bis in den innerſten Theil der menſchlichen Woh -11Die Tapoa Tafa.nungen einzudringen weiß. Jhre geringe Größe und der kleine Kopf befähigen ſie, ſich wie ein Wieſel durch die kleinſte Oeffnung zu drängen, und gelangt ſie wirklich in einen von Hausthieren bewohnten Raum, ſo wüthet ſie hier in kaum zu glaubender Weiſe. Gegen das zudringliche Geſchöpf ſchützt weder Wall noch Graben oder Umplankung. Es zwängt ſich durch den engſten Spalt, es klettert, ſpringt über Mauer und Hage und findet ſo überall einen Zugang, ſei es von unten oder von oben, von dieſer oder jener Seite her. Zum Glück der Anſiedler fehlen der Tapoa Tafa die Nagezähne unſerer Ratte, welche dieſem Ungeziefer ſo oft einen Zugang zu den beſt verſchloſſenen Räumen gewähren, und eine gute Thür iſt hinreichend, jenen kleinen Raubgeſellen abzuhalten. Aber Jedermann muß bedacht ſein, Hühnerſtälle und Taubenſchläge auf das Sorgfältigſte abzu - ſchließen, wenn er ſein Geflügel erhalten will. Hätte die Tapoa Tafa die Größe eines Zebra - wolfs, aber verhältnißmäßig dieſelbe Blutgier: ſie würde ganze Gegenden entvölkern und unbe - dingt das fürchterlichſte aller Raubthiere ſein.

Die Anſiedler behaupten einſtimmig, daß die unabläſſige Verfolgung, welcher die Tapoa Tafa ebenſowohl ſeitens der Weißen als der Eingeborenen ausgeſetzt iſt, nicht blos auf Rechnung ihrer Raubgier und ihres Blutdurſtes zu ſetzen ſei, ſondern daß noch ein ganz anderer, beſonderer Haß gegen das Thierchen hier mitwirke. Eine angegriffene Tapoa Tafa ſoll ſich nämlich mit ſolcher Wuth ſelbſt gegen den Menſchen vertheidigen und ihm ſolche ſchmerzhafte, ja ſogar gefährliche Wunden bei - bringen, daß ihr bloſes Erſcheinen ſchon die Rachſucht des Menſchen heraufbeſchwört. Das Thier iſt wirklich berühmt wegen ſeiner Widerſtandskraft, und nicht einmal der ſcharfſichtige und behende Eingeborne wagt es, ſich in einen Kampf mit dem erboſten Geſchöpfchen einzulaſſen.

Die Nacht iſt die gewöhnliche Zeit, in welcher die Tapoa Tafa ihr Haus verläßt und nach Beute umherſtreift. Dennoch ſieht man ſie auch oft genug im Lichte des Tages und ſcheinbar unbeirrt von der Helligkeit herumlaufen. Jhre Beweglichkeit und Gewandtheit iſt ſehr groß und zeigt ſich hauptſächlich in dem Gezweig der Bäume. Unſer Thier lebt hier mehr, als auf der Erde, und ſpringt und huſcht mit der Schnelligkeit und Gelenkigkeit eines Eichhörnchens von Zweig zu Zweig, von Krone zu Krone. Der lange Schwanz nützt ihm dabei jedenfalls als vortreffliches Steuer oder als Vermittler des Gleichgewichts. Das Lager der Tapoa Tafa findet man gewöhnlich in hohlen Stäm - men; hier ernährt ſie auch ihre Jungen. Etwas Weiteres iſt mit Sicherheit nicht bekannt. Das Thier iſt weit verbreitet über Auſtralien und findet ſich ebenſo häufig in der Ebene wie in dem Ge - birge, ganz im Gegenſatze zu den meiſten anderen auſtraliſchen Thieren, welche gewöhnlich auf einen beſtimmten Höhenkreis beſchränkt ſind.

Die Spitzmäuſe ſcheinen unter den Beutelthieren in den Beutelmäuſen (Antechinus) ihre Vertreter gefunden zu haben; denn die letztgenannten Thiere ähneln ihnen wirklich faſt vollſtändig in der Lebensweiſe und im Betragen. Die Sippe, welche ſie bilden, iſt ziemlich zahlreich. Man kennt jetzt bereits zwölf bis funfzehn Arten. Dieſelben ſind weit verbreitet über das ſüdliche Auſtra - lien, vermehren ſich raſch und werden deshalb auch überall in großer Menge gefunden, ja ſie gehören unbedingt unter die häufigſten aller Säugethiere Neuhollands. Von der vorigen Sippe unterſcheiden ſie ſich hauptſächlich durch ihre geringe Größe, welche bei den meiſten kaum die einer gewöhnlichen Maus übertrifft und ſich nur bei wenigen der Größe einer kleinen Ratte nähert. Außerdem iſt ihr Schwanz gleichmäßig und ſehr kurz behaart. Die mittleren Schneidezähne ſind oft verlängert wie bei den Vorigen. Auch ſie ſind zumeiſt Baumthiere und gehören zu den beweglichſten und gewandteſten aller Kletterer; denn ſie laufen nicht blos auf der Oberſeite eines wagerechten Aſtes hin, ſondern faulthierartig auch auf der Unterſeite, aber mit der Schnelligkeit eines Baum - läufers (Certhia). Sie können ebenſo gut kopfunterſt an einem Aſte hinabſteigen, wie an ihm hin -12Die Raubbeutelthiere.auf, und ſpringen mit bewunderungswürdiger Behendigkeit und Sicherheit von einem Zweige nach dem anderen, dabei über ziemlich weite Entfernungen ſetzend.

Unſer Bild ſtellt den gelbfüßigen Beutelbilch oder die gelbe Beutelmaus (Antechinus fla - vipes) dar, ein Thierchen, welches nur wenig über fünf Zoll lang wird und einen drei Zoll langen Schwanz beſitzt. Der ziemlich reichliche und weiche Pelz iſt im Grunde tiefgrau, außen aber ſchwärz -

Der gelbfüßige Beutelbilch (Antechinus flavipes).

lich mit gelber Sprenkelung, an den Seiten roth - oder ecker -, unten lichter gelb, Kinn und Bruſt ſind weißlich, der Schwanz iſt licht, hier und da aber dunkler geſprenkelt.

An dieſe Sippe können wir noch den Ameiſen - oder Spitzbeutler (Myrmecobius fasciatus) reihen, obwohl dieſer von Manchen zu der folgenden Familie gezählt wird. Er gilt als Vertreter einer eigenen Sippe und ſteht bis jetzt als ſolcher einzig da. Sein Körper iſt lang, der Kopf ſehr ſpitz, die Hinterfüße ſind vierzehig, die Vorderfüße fünfzehig; die Hinterbeine ſind etwas länger, als die Vorderbeine. Die Sohlen ſind behaart, die Zehen getrennt. Der Schwanz iſt ſchlaff, lang und zottig. Das Weibchen hat keine Taſche, aber acht in einen Kreis geordnete Zitzen. Auffallend iſt das reiche Gebiß; denn die Zahl der Zähne beträgt nicht weniger als 52, mehr, als die der übrigen Säugethiere, mit alleiniger Ausnahme des Armadills und einiger Walthiere.

Der geſtreifte Ameiſenbeutler iſt uns erſt ſeit kurzer Zeit bekannt geworden und die Kennt - niß, welche wir über ſein Leben beſitzen, deshalb noch ziemlich gering. Man darf ihn mit Recht als eines der ſchönſten und auffallendſten Beutelthiere betrachten. Jn der Größe ähnelt er ungefähr unſerem gemeinen Eichhörnchen. Seine Geſtalt weiſt ihn der Familie der Raubbeutelthiere zu, ob - gleich das Gebiß dieſer Einordnung widerſpricht. Allein er ſteht überhaupt ſo eigenthümlich und ſelbſtändig da, daß man, wenn man alle ſeine Kennzeichen berückſichtigen wollte, für ihn eine eigene Familie bilden müßte. Die Länge ſeines Leibes beträgt zehn Zoll, die des Schwanzes ſieben Zoll, die Höhe am Widerriſt zehn Zoll. Ein reichlicher Pelz bedeckt den Körper, der Kopf iſt kurz, der Schwanz dagegen lang, ſchwarz und zottig behaart. Unter dem langen, ziemlich rauhen Gren - nenhaar liegt dichtes, kurzes Wollhaar, Schnurren ſtehen an den Seiten der Oberlippen und Borſten - haare unterhalb der Augen. Die Färbung und Zeichnung erinnert entfernt an den Zebrawolf und hat dem Ameiſenbeutler ſeinen lateiniſchen Namen verſchafft. Die Färbung iſt höchſt eigenthümlich. Das Ockergelb des vorderen Oberkörpers, welches durch eingemengte weiße Haare lichter erſcheint, geht nach hinten zu allmählich in ein tiefes Schwarz über, welches den größten Theil der hinteren13Der Ameiſen - oder Spitzbeutler.Körperhälfte einnimmt, aber durch neun weiße oder graulichweiße Querbinden unterbrochen wird. Die erſten beiden dieſer Binden, welche faſt auf der Mitte des Leibes liegen, ſind undeutlich und mit der Grundfarbe vermiſcht; die beiden folgenden ſind rein gefärbt, die vier nächſten wieder durch die Grundfarbe getrübt, die neunte iſt wieder vollſtändig rein; doch trifft man bisweilen auch Abän - derungen in Bezug auf die Anordnung und Färbung der Binden. Die ganze Unterſeite iſt gelblich - weiß, die Weichen ſind blaßfahlgelb, die Beine an der Außenſeite blaßbräunlichgelb, an der Vorder - ſeite weiß. Auf dem Kopfe bringen ſchwarze, fahlgelbe und einige weiße Haare eine bräunliche Färbung zu Stande. Die Schwanzhaare ſind ſchwarz, weiß und ockergelb durch einander, unten an der Wurzel fahlgelb, oben ſchwarz, immer mit weißlicher Spitze. Das Wollhaar iſt weißlichgrau, die Naſe, die Lippen und die Krallen ſind ſchwarz.

Ungeachtet dieſer ziemlich von einander abſtechenden Färbung macht das Thier einen angenehmen

Der Ameiſen - oder Spitzbeutler (Myrmecobius fasciatus).

Eindruck, und dieſer wird noch bedeutend erhöht, wenn man es lebend ſieht. Es iſt ebenſo beweglich, wie die vorhergehenden. Wenn es in die Flucht geſcheucht wird, eilt es mit kleinen Sprüngen ziemlich raſch davon, und trägt dabei den Schwanz ganz nach Art und Weiſe unſeres gewöhnlichen Eichhorns. Die Schnelligkeit ſeines Laufs iſt nicht eben groß, aber die Gewandtheit und Schlauheit des Thieres erſetzt ſolchen Mangel. Jn dem von der Menſchenhand unberührten Walde, ſeinem hauptſächlichſten Aufenthalt, findet ſich überall eine Höhlung, ſei es in einem Stamm oder unter dem Gewurzel oder aber eine Kluft im Geſtein. Und ſolche Zufluchtsorte weiß der Ameiſenbeutler mit der größten Geiſtesgegenwart auch während der tollſten Verfolgung auszuſpähen, und mit ebenſo - viel Geſchick als Ausdauer zu behaupten. Nicht einmal der Rauch, das gewöhnliche Hilfsmittel des tückiſchen Menſchen, um ein verſtecktes Thier an das Tageslicht zu bringen, ſoll auf unſern Ameiſen - beutler die beabſichtigte Wirkung hervorbringen, und jedenfalls ermüdet der Menſch weit eher in der14Die Beutelratten.Mühe, welche die Ausräucherung verurſacht, als jener in ſeiner Ausdauer, den athmungsbeſchweren - den, luftverpeſtenden Rauch zu ertragen. Die Hauptnahrung des Ameiſenbeutlers iſt durch ſeinen Namen ausgedrückt. Man findet ihn auch vorzugsweiſe in ſolchen Waldgegenden, wo es Ameiſen - arten in Menge gibt. Seine Ausrüſtungen, zumal die ſcharfen Krallen und die lange Zunge, ſcheinen ihn beſonders auf ſolches Futter hinzuweiſen. Die Zunge ſtreckt er ganz nach Art des Ameiſen - bären unter die wimmelnde Schaar und zieht ſie dann, wenn ſich eine Maſſe der erboſten Kerfe an ihr feſtgebiſſen, raſch in den Mund zurück. Außerdem ſoll das Thier auch andere Kerbthiere und unter Umſtänden das Manna, welches aus den Zweigen der Eucalypten ſchwitzt, ja ſelbſt Gras verzehren.

Jm Gegenſatz zu den Sippen der erwähnten Raubbeutler iſt unſer Thierchen im höchſten Grade harmlos. Wenn der Ameiſenbeutler gefangen wird, denkt er nicht daran, zu beißen oder zu kratzen, ſondern gibt ſeinen Unmuth einzig und allein durch ſchwaches Grunzen kund. Findet er, daß er nicht entweichen kann, ſo ergibt er ſich ohne Umſtände in das Schickſal ſeiner Gefangenſchaft, ein Schickſal, welches ihm, weil der Menſch das nöthige Futter in hinreichender Menge nicht herbei - ſchaffen kann, gewöhnlich bald verderblich wird.

Jn der Freiheit bewohnt das Thier Höhlungen aller Art, in Bäumen, in der Erde oder zwi - ſchen Felſen, und dort wirft es auch ſeine Jungen, deren Zahl zwiſchen Fünf und Acht ſchwanken ſoll. Am häufigſten hat man ihn bis jetzt in den Wäldern am Schwanenfluſſe gefunden.

Einige Naturforſcher bilden aus verſchiedenen Sippen die Familie der Beutelratten (Di - delphys).

Es ſind dies mittelgroße oder kleine Beutelthiere, welche höchſtens die Größe einer Katze erreichen, aber auch oft die einer Maus nicht übertreffen. Der Leib iſt gedrungen, der Kopf an der Schnauze mehr oder weniger zugeſpitzt. Die Augen und Ohren ſind groß, der Schwanz iſt von ſehr veränderlicher Länge und meiſtens ein an der Spitze nackter Greifſchwanz. Die Hinterbeine ſind etwas länger, als die vorderen Beine, die Pfoten ſind fünfzehig, der Daumen iſt bisweilen gegenſetzbar, und bei einer Sippe ſind die Zehen durch Schwimmhäute verbunden. Den Weibchen einiger Arten fehlt die Taſche, bei anderen iſt ſie vorhanden, und zwar häufiger nach hinten als nach vorn geöffnet. Die Zahl der Zitzen iſt ſehr veränderlich, aber meiſtens bedeutend. Jn der Zahnbildung tritt das Raubthiergepräge entſchieden hervor. Die Eckzähne ſind ziemlich entwickelt, die Backzähne mehr oder weniger ſpitz und ſcharfzackig, die Lückzähne zweiwurzelig mit ſpitzen Hauptzacken, die oberen Back - zähne dreiwurzelig und drei -, ſeltener vierſeitig, die Schneidezähne kleiner oder größer, ſtumpfe roder ſchärfer, oben die beiden mittleren meiſt vergrößert. Die Wirbelſäule enthält ſieben Hals -, drei - zehn rippentragende, fünf bis ſechs rippenloſe, zwei Kreuzbein - und achtzehn bis einunddreißig Schwanzwirbel.

Jn der Vorzeit fanden ſich die Beutelratten auch in Europa; gegenwärtig bewohnen ſie blos Amerika. Sie leben faſt ſämmtlich in Wäldern oder in dichtem Gebüſch und ſuchen ſich hier in hohlen Bäumen, Erdhöhlen, zwiſchen dichten Gräſern und Büſchen einen Aufenthalt. Eine Art bewohnt die Ufer kleiner Flüſſe und Bäche, ſchwimmt vortrefflich und ſucht ſich in Erdlöchern Schutz. Alle ſind Nachtthiere und führen durchgehends ein einſam herumſchweifendes Leben, halten ſich auch blos während der Paarungszeit mit ihrem Weibchen zuſammen. Jhr Gang auf ebenem Voden, wobei ſie mit ganzer Sohle auftreten, iſt ziemlich langſam und unſicher; die meiſten vermögen aber, wenn auch nicht ohne alle Mühe, Bäume zu erklettern; und zwar ſind dies diejenigen, deren Schwanz zum Greifwerkzeug geworden iſt, vermittelſt deſſen ſie ſich an die Aeſte aufhängen und ſtundenlang in ſolcher Stellung verbleiben können. Auf der Flucht eilen ſie in kurzen Sätzen davon. Unter ihren Sinnen ſcheint der Geruch am beſten ausgebildet zu ſein. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ſehr15Die Beutelratten.gering, obgleich ſich eine gewiſſe Schlauheit nicht leugnen läßt; namentlich verſtehen ſie es gut, Fallen aller Art zu vermeiden. Jhre Nahrung beſteht in kleinen Säugethieren, Vögeln und deren Eiern, auch wohl in kleinen Lurchen, in Kerbthieren und deren Larven und in Würmern; im Nothfalle freſſen ſie auch Früchte. Die im Waſſer lebenden Schwimmbeutler verzehren hauptſächlich Fiſche, die größeren Arten beſuchen die Wohngebäude des Menſchen und würgen hier alle Thiere ab, deren ſie habhaft werden können, laben ſich an deren Blute und berauſchen ſich förmlich darin. Jhre Stimme laſſen ſie blos dann ertönen, wann ſie gemißhandelt werden; ſie beſteht in eigenthümlich ziſchenden Lauten. Bei Verfolgung ſetzen ſie ſich niemals zur Wehr, und die meiſten haben die Eigen - thümlichkeit, ſich zu verſtellen, wenn ſie ſich nicht mehr verbergen können. Jn der Angſt verbreiten ſie einen ſtarken, widrigen, faſt knoblauchähnlichen Geruch. Sie ſind ſehr fruchtbar; denn die Zahl ihrer Jungen beträgt zwiſchen Vier und Sechszehn. Dieſe Jungen kommen bei den meiſten in einem Zuſtande zur Welt, welcher ſelbſt unter den Beutelthieren ohne Gleichen dazuſtehen ſcheint. Die Arten, bei denen die Weibchen einen vollkommenen Beutel haben, tragen ihre Jungen in dieſem lange Zeit mit ſich herum; die übrigen nehmen ſie, ſobald ſie einigermaßen erwachſen ſind, auf den Rücken, und die kleine Geſellſchaft befeſtigt ſich hier entweder mit den Krallen im Felle oder, was noch häufiger iſt, mit ihrem Schwanze an den Schwanz der Mutter.

Die großen Arten ſind ſehr ſchädliche Thiere, während die kleineren vollkommen harmlos ſind; gleichwohl werden alle ihres widrigen Ausſehens halber und der Sünden wegen, die ſich die größeren Verwandten zu Schulden kommen laſſen, aufs eifrigſte gehaßt und verfolgt. Nach Burmeiſter fängt man ſie in Braſilien, indem man ihnen an einer geeigneten Stelle Branntwein vorſetzt. Sie trinken denſelben leidenſchaftlich gern und werden bald nach dem Genuſſe trunken und wehrlos. Die Neger eſſen das Fleiſch der Erbeuteten, und von einer einzigen Art ſpinnt man das Haar, da der Pelz ſonſt nicht zu gebrauchen iſt, ſondern vielmehr gewöhnlich ausſieht, als wäre er von den Motten zer - freſſen. An die Gefangenſchaft gewöhnt ſich die größere Mehrzahl leicht und ſchnell, doch erfreuen ſie ihren Beſitzer ſehr wenig. Jhre ganze Thätigkeit beſchränkt ſich auf das Freſſen und Schlafen.

Wir können die eigentlichen Beutelratten (Didelphys) zuerſt betrachten, ſchon aus dem Grunde, weil ſie am bekannteſten geworden ſind. Jn vielen Arten über ganz Amerika verbreitet, haben ſie in tüchtigen Naturforſchern eifrige und ſorgfältige Beobachter gefunden, und das Haupt - ſächlichſte, was wir über die Fortpflanzung der Beutelthiere überhaupt, zumal über die Entwickelung der Jungen wiſſen, beruht auf den Beobachtungen der gedachten Gelehrten. Meine Leſer werden bemerkt und mir Recht gegeben haben, daß ich ſtets mit beſonderer Vorliebe meinen Beſchreibungen die Schilderung Rengger’s zu Grunde gelegt habe. Dieſer ausgezeichnete Naturforſcher nun hat auch über die Beutelratten Beobachtungen gemacht, und deshalb kann man ſicher ſein, daß wir im Folgenden die Lebensgeſchichte der Beutelratten ziemlich erſchöpfend behandelt ſehen werden.

Jn der Mitte des Winters, ſagt Rengger von den in Paraguay lebenden Arten der Beutel - ratten, im Auguſtmonat nämlich, ſcheint bei ihnen die Begattungszeit einzutreten; wenigſtens trifft man in dieſem Monate häufig die beiden Geſchlechter bei einander an und findet im darauffolgenden Monat trächtige Weibchen. Dieſe werfen nur einmal im Jahre. Die Zahl ihrer Jungen iſt weder bei den Arten, noch bei den verſchiedenen Weibchen einer Art dieſelbe. Jch fand bei einer Art bis vierzehn Junge, oft aber nur acht oder vier und einmal blos ein einziges. Die Tragzeit dauert etwas mehr als drei Wochen. Anfang des Weinmonats kommen die Jungen zur Welt und treten ſogleich unter den Beutel oder unter die Hautfalten am Bauche der Mutter, wo ſie ſich an den Zitzen anſaugen und ſo lange in dem Zuſtande bleiben, bis ſie ihre vollkommene Ausbildung erreicht haben. Dies geſchieht nach funfzig und einigen Tagen. Alsdann verlaſſen ſie den Beutel, nicht aber die Mutter, indem ſie ſich, auch wenn ſie ſchon freſſen können, in dem Pelze derſelben feſthalten und ſo von ihr noch einige Zeit herumgetragen werden.

Rengger berichtet nun, daß er blos über eine Art Beobachtungen machen konnte, von dieſer16Die Beutelratten.aber die Weibchen theils während ihrer Tragzeit oder im Augenblicke des Gebärens, theils nach der Geburt unterſucht, und fährt dann fort:

Die Tragzeit der betreffenden Art fällt in den Herbſtmonat und dauert etwa 25 Tage. Wäh - rend dieſer Zeit bemerkt man einen Zufluß der Säfte gegen die Wände des Beutels, ein Anſchwellen ſeiner Ränder und eine Erweiterung deſſelben. Die Embryonen oder Thierkeime liegen zum Theil in den Hörnern, zum Theil in dem Körper der Gebärmutter, nie aber in den henkelförmigen Fort - ſätzen derſelben. Nach den erſten Tagen der Empfängniß erſcheinen ſie blos als gallertartige, runde Körperchen, bei denen man ſelbſt durch das Vergrößerungsglas keine Verbindung mit der Gebär - mutter, wohl aber als erſte Spur der Ausbildung des Leibes einen feinen, blutigen Streifen bemerkt. Gegen das Ende der Tragzeit hingegen, wo die Embryonen eine Länge von beinahe ſechs Linien erreicht haben, findet man ſie von einer Haut umgeben und mit einem Nabelſtrange, welcher ſich vermittelſt mehrerer Faſern an die Gebärmutter anſetzt. An der Frucht ſelbſt nimmt man auch mit unbewaffnetem Auge deutlich den Kopf, die vier Beine und den Schwanz wahr. Uebrigens ſind in dieſem Zeitpunkte nicht alle Jungen gleich ausgebildet, es herrſcht im Gegentheil unter ihnen eine Art von Stufenreihe; und zwar ſind diejenigen, welche den fallopiſchen Röhren am nächſten liegen, in ihrer Organiſation auch am wenigſten vorgerückt.

Ueber die Art, wie der Embryo aus der Gebärmutter in die Scheide gelangt, habe ich Folgendes beobachtet: Bei einem Weibchen, das ich in den erſten Tagen des Weinmonats tödtete, fand ich in ſei - nem verſchloſſenen Beutel zwei ganz kleine Junge, dann aber in dem linken henkelförmigen Fortſatze der Gebärmutter einen ausgewachſenen Embryo, der von keinem Häutchen mehr umgeben war und deſſen Nabelſtrang in keiner Verbindung mit den Wänden des Fortſatzes ſtand. Jn dem Körper der Gebärmutter lagen noch zwei andere Embryonen, deren Nabelſtrang ſich aber von denſelben noch nicht abgelöſt hatte. Uebrigens war die Gebärmutter ſowie ihr Fortſatz außer der gewöhnlichen Ausdeh - nung nicht im geringſten verändert. Die Embryonen treten alſo bei dieſer Beutelratte aus dem Körper der Gebärmutter in die henkelförmigen Fortſätze derſelben und erſt von dieſen in die Scheide.

Wie man ſieht, werden die Jungen nicht alle zugleich geboren. Es verſtreichen vielmehr drei bis vier Tage zwiſchen der Geburt des erſten und des letzten Jungen. Wie ſie in den Beutel gelangen, habe ich nie beobachten können. Möglich iſt, daß der Beutel während der Geburt gegen die Scheide zurückgezogen wird, ſo daß die Jungen durch die Geburtsarbeit ſelbſt in den Beutel ge - ſchoben werden. Die neugeborenen Thierchen ſind und bleiben noch einige Zeit wahre Embryonen. Jhre Größe beträgt höchſtens ſechs Linien, ihr Körper iſt nackt, der Kopf iſt im Verhältniß zu den übrigen Theilen groß, die Augen ſind geſchloſſen, die Naſenlöcher und der Mund hingegen offen, die Ohren in Quer - und Längenfalten zuſammengelegt. Die Vorderbeine ſind über der Bruſt, die hinteren über dem Bauche gekreuzt und der Schwanz iſt nach unten gerollt; ſie zeigen auch auf äußere Reize nicht die geringſte Bewegung. Nichtsdeſtoweniger findet man ſie kurze Zeit, nachdem ſie in den Beutel gelangt ſind, an den Zitzen angeſogen. Es iſt nun kaum denkbar, daß Thiere in einem ſolchen Embryonenzuſtande ohne alle Hilfe eine Zitze aufſuchen und ſich anſaugen können. Jch ver - muthe dagegen, daß ſie von der Mutter an die Zitzen gelegt werden, wozu derſelben ohne Zweifel die entgegenſetzbaren Daumen dienen. Die Jungen bleiben nun beinahe zwei Monate in dem Beutel, ohne die Zitzen zu verlaſſen, ausgenommen in den letzten Tagen. Jn den erſten zwei Mo - naten bemerkt man keine andere Veränderung an ihnen, als daß ſie bedeutend zunehmen und daß ſich die Borſtenhaare am Munde zu zeigen anfangen. Nach vier Wochen werden ſie ungefähr die Größe einer Hausmaus erreicht haben, der Pelz tritt über den ganzen Körper hervor, und ſie können einige Bewegung mit den Vorderfüßen machen. Nach Azara ſollen ſie ſich in dieſem Alter ſchon auf den Füßen halten können. Etwa in der ſiebenten Woche werden ſie faſt ſo groß, wie eine Ratte; dann öffnen ſich die Augen. Von dieſer Zeit an hängen ſie nicht mehr den ganzen Tag an den Zitzen und verlaſſen auch zuweilen den Beutel, kehren aber ſogleich wieder in denſelben zurück, ſowie ihnen17Das Opoſſum.Gefahr droht. Bald aber verſchließt ihnen die Mutter den Beutel, der ſie nicht mehr alle faſſen kann, und trägt ſie dagegen während mehrerer Tage, bis ſie ihren Unterhalt zu finden ſelbſt im Stande ſind, mit ſich auf dem Rücken und den Schenkeln herum, wo ſie ſich an den Haaren feſthalten.

Während der erſten Tage nach der Geburt ſondern die Milchdrüſen blos eine durchſichtige, etwas klebrige Flüſſigkeit ab, die man in den Magen der Jungen findet; ſpäter wird dieſe Flüſſigkeit immer ſtärker und endlich zu wahrer Milch. Haben die Jungen einmal die Zitzen verlaſſen, ſo hören ſie auf, zu ſäugen, und die Mutter theilt ihre Beute mit ihnen, beſonders wenn dieſe in Vögeln oder Eiern beſteht.

Noch will ich einer Beobachtung erwähnen, welche Dr. Parlet bei einem ſäugenden Weibchen gemacht haben wollte. Weder er, noch ich, hatte je erfahren können, wie die Säuglinge ſich ihres Kothes und Harnes entledigen. Nachdem, während meiner Abweſenheit, ein Weibchen, wel - ches daſelbſt geworfen hatte, fünf Wochen lang von demſel - ben beobachtet worden, berichtete er mir bei meiner Rückkehr, daß die Jungen während der erſten Tage nach der Geburt keinen Koth von ſich geben und daß Dies erſt geſchieht, wenn dieſelben wenigſtens 24 Tage alt ſind, und daß dann die Mutter von Zeit zu Zeit zu dieſem Zwecke den Beutel öffnet.

Alle Beutelratten, welche ich in Paraguay angetroffen habe, laſſen ſich einigermaßen zähmen, d. h. ſie gewöhnen ſich an den Menſchen, daß man ſie berühren und herumtragen kann, ohne von ihnen gebiſſen zu werden, nie aber lernen ſie ihren Wärter kennen und zeigen überhaupt nicht den ge - ringſten Verſtand. Jn Paraguay fällt es nicht leicht Je - mandem ein, eine Beutelratte zu zähmen. Jhr Ausſehen iſt zu häßlich und der Geruch, den ſie von ſich geben, zu abſchreckend. Auch werden ſie mit als die gefährlichſten Feinde des zahmen Geflügels angeſehen, ſelbſt wenn ſie ſich in der Gefangenſchaft befinden. Des Schadens wegen, den ſie anrichten, werden ſie überall von den Menſchen verfolgt. Man fängt ſie entweder in Fallen oder lauert ihnen des Nachts auf und tritt, ſowie ſie ſich dem Hühnerhof nähern, ihnen plötzlich mit einem Lichte entgegen. Dadurch geblen - det, wiſſen ſie nicht zu entfliehen und werden leicht todtge - ſchlagen.

Unter dieſen Thieren iſt wohl das Opoſſum (Didel - phys virginiana) das bekannteſte. Das merkwürdige Thier hat, weil es eine der gemeinſten Arten iſt, wegen ſeiner

Das Opoſſum (Didelphys virginiana).

rattenähnlichen Geſtalt ſeiner ganzen Sippſchaft den Namen Beutelratten verliehen. Es iſt von der Größe einer Hauskatze und die größte Art der ganzen Sippe. Weder die Färbung, noch irgend welche Anmuth oder Annehmlichkeit in ſeinen Sitten zeichnen es aus, und ſo gilt es mit Recht als ein höchſt widriges Geſchöpf. Die Leibeslänge des Opoſſums beträgt über Fuß, die des Schwan - zes faſt einen Fuß, die Höhe am Widerriſt acht Zoll. Der Leib iſt nur wenig geſtreckt und ziemlich ſchwerfällig, der Hals kurz und dick, der Kopf lang, an der Stirn abgeflacht und allmählich in eine lange, zugeſpitzte Schnauze übergehend. Die Beine ſind kurz, die Zehen von einander getrennt und faſt von gleicher Länge, die Hinterfüße mit einem den übrigen Zehen entgegenſetzbaren Daumen ver -Brehm, Thierleben. II. 218Die Beutelratten.ſehen. Der ziemlich dicke, runde und ſpitze Schwanz iſt blos an ſeiner Wurzel behaart und von da bis zu ſeinem Ende nackt und von feinen Schuppenhaaren umgeben, zwiſchen denen nur hier und da einige kurze Haare hervortreten. Er iſt ein Rollſchwanz, welcher von dem Thiere nach abwärts ge - rollt getragen wird und ihm beim Klettern weſentliche Dienſte leiſtet. Das Weibchen hat einen voll - kommenen Beutel.

Nordamerika iſt die Heimat des Opoſſums, und es findet ſich dort von Mejiko an bis in die kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennſylvanien und an die großen Seen Canadas. Jn den mittleren Theilen dieſes gewaltigen Landſtrichs wird es überall häufig gefunden und zwar keineswegs zur Freude der Menſchen. Wälder und Gebüſche ſind ſeine Aufenthaltsorte, und je dichter dieſelben ſind, um ſo lieber hält ſich das Opoſſum in ihnen auf.

Bevor ich über die Lebensweiſe und Sitten des ſonderbaren Geſchöpfes ausführlicher berichte, will ich daſſelbe meinen Leſern mit Audubon’s Worten vorſtellen; denn nach ſeiner Anführung bin ich im voraus der Theilnahme für das Opoſſum gewiß, ſo häßlich es auch ſonſt ſein mag.

Mir iſt, ſagt der vortreffliche Beobachter, als ſähe ich noch jetzt eines über den ſchmelzenden Schnee langſam und vorſichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach Dem ſchnuppert, was ſeinem Geſchmack am meiſten zuſagt. Jetzt ſtößt es auf die friſche Fährte eines Huhnes oder Haſens; es erhebt die Schnauze und ſchnüffelt. Endlich hat es ſich entſchieden und eilt auf dem gewählten Wege vorwärts, ſo ſchnell wie ein guter Fußgänger. Nun ſucht es und ſcheint in Verlegenheit, welche Richtung es weiter verfolgen ſoll; denn der Gegenſtand ſeiner Verfolgung hat entweder einen beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geſchlagen, ehe das Opoſſum ſeine Spur aufge - nommen hatte. Es richtet ſich auf, hält ſich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, ſchaut ſich um, ſpürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht’s ent - ſchieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die ſchneebedeckten Wurzeln und findet zwiſchen dieſen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinſchlüpft.

Mehrere Minuten vergehen: da erſcheint’s wieder, ſchleppt ein bereits abgethanes Eich - hörnchen in ſeinem Maule heraus und beginnt, den Baum zu erſteigen. Langſam klimmt es empor Der erſte Zwieſel ſcheint ihm nicht anzuſtehen: es denkt wohl, es möchte hier allzuſehr den Blicken eines böſen Feindes ausgeſetzt ſein, und ſomit ſteigt es höher, bis es die dichteren Zweige bergen können, die mit Weinranken durchflochten ſind. Hier ſetzt es ſich zur Ruhe, ſchlingt ſeinen Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den ſcharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, das es dabei immer mit den Vorderpfoten hält.

Die lieblichen Frühlingstage ſind gekommen; kräftig ſchoſſen die Blätter: das Opoſſum aber muß immer noch Hunger leiden und iſt faſt gänzlich erſchöpft. Es beſucht den Rand der Buchten und freut ſich, einen jungen Froſch zu ſehen, der ihm eine leidliche Mahlzeit gewährt. Nach und nach brechen Moosbeeren und Neſſeln auf, und vergnügt ſchmauſt es die jungen Stengel. Der Morgenruf des wilden Truthahns entzückt das Ohr des liſtigen Geſchöpfes; denn es weiß ſehr wohl, daß es bald auch die Henne hören und ihre Spur bis zu dem Neſte auffindig machen wird; dort wird es dann mit Wonne die Eier ausſchlürfen.

Auf ſeinen Reiſen durch den Wald, bald auf dem Boden, bald in der Höhe von Baum zu Baum, hört es einen Hahn krähen, und ſein Herz ſchwillt bei der Erinnerung an die ſaftige Speiſe, mit welcher es ſich im vorigen Sommer am benachbarten Meierhofe eine Güte that. Höchſt vorſichtig jedoch rückt es vor und birgt ſich endlich im Hühnerhaus ſelbſt.

Biederer Bauer! warum haſt du vorigen Winter ſoviel Krähen weggeſchoſſen und Raben dazu? Nun, du haſt deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verſchaffe dir hinrei - chenden Schießvorrath, putze deinen roſtigen Kuhfuß, ſtelle deine Fallen auf und lehre deine trägen Köter, um dem Opoſſum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne iſt kaum ſchlafen gegangen, aber des Strolches Hunger iſt längſt wach. Hörſt du das Kreiſchen deiner beſten Henne, die es gepackt hat? Das liſtige Thier iſt auf und davon mit ihr. Jetzt iſt Nichts weiter zu thun; höchſtens19Das Opoſſum.kannſt du dich hinſtellen und auch noch auf Füchſe und Eulen anſtehen, welche bei dem Gedanken frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt haſt. Die werth - volle Henne, der du vorher ſo gegen ein Dutzend Eier untergelegt haſt, iſt dieſe jetzt glücklich los - geworden. Trotz all ihres ängſtlichen Geſchreies, trotz ihrer geſträubten Federn hat das Opoſſum die Eier verſpeiſt, eins nach dem andern, und nun ſchau nur, wie der arme Vogel im Hofe herum - läuft und ſelbſt jetzt noch in wahnwitziger Angſt nach ſeinen Jungen ruft!

Das kommt alſo von deinem Krähenſchießen her. Wäreſt du barmherziger und geſcheiter ge - weſen, ſo wäre das Opoſſum wohl im Walde geblieben und hätte ſich mit einem Eichhörnchen be - gnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, die ſo reichlich die Zweige unſerer Waldbäume ſchmücken: Aber ich rede dir vergeblich vor!

Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opoſſum über der That ertappt, dann ſpornt ihn ſein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieſes aber, wohl - bewußt ſeiner Widerſtandsunfähigkeit, rollt ſich zuſammen wie eine Kugel. Jemehr der Bauer raſt, deſtoweniger läßt ſich das Thier etwas von ſeiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht todt, aber erſchöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und ſo würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht ſein Quälgeiſt fortginge. Sicherlich, ſagt der Bauer, das Vieh muß todt ſein. Bewahre, Leſer, es opoſſumt ihm nur Etwas vor. Und kaum iſt ſein Feind davon, ſo macht es ſich auf die Beine und trollt ſich wieder in den Wald.

Jch glaube, daß ich dieſe anmuthige Schilderung blos noch etwas zu vervollſtändigen brauche, um das Leben und Treiben der Beutelratte jedem meiner Leſer hinlänglich kennen zu lehren.

Das Opoſſum iſt ein Baumthier, wie ſeine ganze Ausrüſtung beweiſt. Auf dem Boden iſt es ziemlich langſam und unbehilflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle Bewegungen ſind träg, und ſelbſt der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprün - gen beſteht. Jn den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und auch ziemlich hurtig umher. Dabei kommt ihm der abgeſonderte Daumen ſeiner Hinterhände, mit welchem es die Aeſte umſpannen und feſthalten kann, ſowie der Rollſchwanz gut zuſtatten. Nicht ſelten hängt es ſich an letzterem auf, wie unſere Abbildung es zeigt, und verbleibt ſtundenlang in dieſer Lage. Sein ſchwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derſelben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie die Vierhänder oder Nager es vermögen; doch iſt es auf dem Baum ſo ziemlich vor Feinden geborgen. Am Boden muß es, wenn ihm ſeine Verfolger auf die Näthe gehen, zur Ver - ſtellung greifen, um ſich zu retten. Unter ſeinen Sinnen iſt der Geruch beſonders ausgebildet und das Spurvermögen ſoll ſehr groß ſein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermei - det es deshalb ſorgfältig. Dies genügt alſo, um anzunehmen, daß auch das Geſicht ziemlich gut ſein muß. Die anderen Sinne aber ſtehen unzweifelhaft auf einer ſehr niedrigen Stufe.

Jn den großen, dunklen Wäldern ſchleicht das Opoſſum Tag und Nacht umher, obgleich es die Dunkelheit immer dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja ſchon da, wo ihm die Helle beſchwerlich fällt, erſcheint es blos nachts, verſchläft den ganzen Tag in Erdhöhlen oder Baumhöhlungen. Nur zur Zeit der Paarung lebt es mit ſeinem Weibchen zuſammen; im ganzen übrigen Jahre führt es ein einſames, ungeſelliges Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Thiere. Es hat keine beſtimmte Wohnung, ſondern benutzt jeden Schlupfwinkel, den es nach vollbrachter Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entdeckt. Jſt ihm das Glück beſonders günſtig und findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein ſchwacher Nager wohnt, ſo iſt ihm das natürlich um ſo lieber; denn dann muß der Urbewohner einer ſolchen Behauſung ihm gleich zur Nahrung dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubon’s Schilderung annehmen können, alle kleinen Säugethiere und Vögel, welche es erwiſchen kann, ebenſo auch Eier, mancherlei Lurche, größere Kerfe, deren Larven und ſelbſt Würmer, begnügt ſich aber auch in Ermanglung von thieriſcher Nah - rung mit Baumfrüchten, z. B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen2 *20Die Schupalis.übrigen Speiſen vor, und deshalb wüthet es da, wo es kann, mit unbeſchreiblicher Mordgier. Jn den Hühnerſtällen tödtet es oft ſämmtliche Bewohner und ſaugt dann blos deren Blut aus, ohne ihr Fleiſch anzurühren. Dieſer Blutgenuß berauſcht es derart, daß man es morgens nicht ſelten mitten unter dem todten Geflügel ſchlafend antrifft. Jm Ganzen vorſichtig, wird es, ſo lange es ſeiner Blutgier fröhnen kann, vollkommen blind und taub, vergißt jede Gefahr und läßt ſich, ohne von ſeinem Morden abzuſtehen, von den Hunden widerſtandslos erwürgen oder von dem erboſten Bauer todtſchlagen.

Man hat durch Beobachtung an Gefangenen mit hinlänglicher Sicherheit feſtgeſtellt, daß das Weibchen ungefähr nach vierzehntägiger Tragzeit ſeine Jungen wirft oder, beſſer geſagt, aus dem Mutterleibe in den Beutel befördert. Die Zahl der Jungen ſchwankt zwiſchen Vier und Sechszehn, die Keime ſind anfänglich noch ganz formlos und klein, wie wir oben bemerkten, eher einem gallert - artigen Klümpchen, als einem Säugethiere ähnlich. Sie haben ungefähr die Größe einer Erbſe und wiegen blos fünf Gran. Augen und Ohren fehlen, nicht einmal die Mundſpalte iſt deutlich, ob - wohl ſie natürlich hinlänglich ausgebildet ſein muß, um als Verbindungsmittel zwiſchen den Thier - keimen und ſeiner Mutter zu dienen. Der Mund entwickelt ſich auch viel eher, als alle übrigen Theile des Leibes; denn erſt viel ſpäter bilden ſich die Augen und Ohren einigermaßen aus. Nach etwa vierzehn Tagen öffnet ſich der Beutel, welchen die Mutter durch beſondere Hautmuskeln willkürlich verengern oder erweitern kann, und nach etwa funfzig Tagen ſind die Jungen bereits voll - ſtändig ausgebildet. Sie haben dann die Größe einer Maus, ſind überall behaart und öffnen nun auch die Augen. Nach ſechszig Tagen Saugzeit im Beutel iſt ihr Gewicht auf mehr als das Hun - dertfache des früheren geſtiegen: ſie wiegen jetzt Loth. Die Mutter geſtattet unter keiner Be - dingung, daß ihr Beutel geöffnet werde, um die Jungen zu betrachten. Sie hält jede Marter aus, läßt ſich ſogar über dem Feuer aufhängen, ohne ſich ſolchem Verlangen zu fügen. Erſt wenn die Jungen die Größe einer Ratte erlangt haben, verlaſſen ſie den Beutel, bleiben aber auch, nachdem ſie ſchon laufen können, noch bei der Mutter und laſſen dieſe für ſich jagen und ſorgen.

Wegen des Schadens, den das Opoſſum unter dem Hausgeflügel anrichtet, wenn es einmal in einen Meierhof einbricht, wird es überall gehaßt und ſchonungslos verfolgt. Zumal die Neger ſind eifrige Feinde des Thieres und erlegen es, wo ſie nur können, und zwar weil ſie es am beſten zu be - nutzen vermögen. Das Wildpret des Opoſſums nämlich iſt für europäiſche Gaumen ungenießbar; denn ein äußerſt widriger, ſtark knoblauchartiger Geruch, welcher aus zwei, zu beiden Seiten des Maſt - darms liegenden Drüſen ſtammt, theilt ſich auch dem Fleiſche mit und verdirbt es nach unſerer Anſicht vollſtändig, während die Neger derartige zarte Rückſichten eben nicht hegen.

Das Gefangenleben des Opoſſums entſpricht Vorausſetzungen, zu welchen man ſich durch Au - dubon’s maleriſche Feder etwa veranlaßt ſehen könnte, durchaus nicht. Jch muß nach meinen Er - fahrungen behaupten, daß dieſes Thier noch langweiliger iſt, als der Raubbeutler oder Beutel - marder. Regungslos, in ſich zuſammengerollt, liegt es den ganzen Tag über in ſeinem Käfig, und nur wenn man es reizt, bequemt es ſich wenigſtens zu einer Bewegung: es öſſnet den Rachen ſo weit als möglich und ſolange, als man vor ihm ſteht, gerade, als ob es die Maulſperre hätte. Von dem Verſtand, welchen Audubon am wildlebenden Thiere beobachtete, bemerkt man keine Spur. Es iſt träge, faul, ſchlafſüchtig und erſcheint erſchrecklich dumm: mit dieſen Worten iſt ſein Betragen in der Gefangenſchaft am beſten beſchrieben.

Von den eigentlichen Beutelratten unterſcheiden ſich die Schupatis (Philander) hauptſächlich durch den unvollkommenen Beutel des Weibchens. Dieſer wird nämlich nur durch zwei Hautfalten gebildet, welche ſich über die an den Zitzen hängenden, noch unausgebildeten Jungen hinweglegen.

Die größte Art aller Schupatis und zugleich die größte Beutelratte überhaupt iſt der Krebs - beutler (Philander cancrivorus), ein Thier von ſechszehn Zoll Körperlänge, mit funfzehn Zoll21Der Krebs - oder Krabbenbeutler.angem Schwanze. Er iſt beſonders durch ſein über drei Zoll langes, tiefſchwarzbraunes, an der Wurzel hellſchmuzig, gelblichweißes Stachelhaar von den übrigen Arten der Familie ausgezeichnet. An den Seiten tritt das Gelbe mehr hervor. Der Bauch iſt bräunlichgelb bis gelblichweiß. Das kurze Haupthaar iſt ſchwarzbraun; über den Augen, bis zu den Ohren verläuft eine gelbliche Binde. Die Ohren ſind ſchwarz, wie die Pfoten und die Wurzelhälfte des Schwanzes, während die Endhälfte weißlich iſt.

Der Krebs - oder Krabbenbeutler ſcheint ziemlich weit, vielleicht über das ganze heiße

Der Krebs - oder Krabbenbeutler (Philander cancrivorus).

Amerika verbreitet zu ſein und findet ſich ſehr zahlreich in den Waldungen Braſiliens, am liebſten in der Nähe von Sümpfen, welche ihm Krebſe und Krabben liefern. Er lebt faſt nur auf den Bäu - men und kommt blos dann auf die Erde herab, wenn er unten jagen will. Sein vollkommener Rollſchwanz macht ihm das Klettern leicht; man ſieht ihn in keiner Stellung, ohne daß er ſich durch dieſes Werkzeug feſtgemacht hätte, und ſobald er zur Ruhe kommt, iſt es das Erſte, was er thut, den langen Rattenſchwanz ein paar Mal um den nächſten Zweig zu ringeln und ſich ſo zu verſichern. Auf dem Erdboden geht er langſam und ſchlecht; dennoch weiß er kleinere Säugethiere, Lurche und Kerb - thiere, ſowie namentlich Krebſe, ſein Lieblingsfutter, zu berücken. Jn den Bäumen ſtellt er Vögeln22Die Schupatis.und deren Neſtern nach, doch frißt er auch Früchte, wie das Opoſſum und ſeine anderen Verwandten. Auch er ſoll zuweilen die Hühnerhöfe beſuchen und dort unter Hühnern und Tauben große Ver - wüſtungen anrichten. Die Jungen des Krebsbeutlers ſind während ihrer Kindheit ſehr verſchieden von den Alten gefärbt. Kurz nach ihrer Geburt ſind ſie vollkommen nackt, wenn ſie aber ſoweit erwachſen ſind, daß ſie den Beutel verlaſſen können, bekleidet ein kurzes, ſeidenweiches Haar von glänzendem Nußbraun ihren Körper, und erſt nach und nach nimmt es die dunkle, braunſchwarze Färbung der Alten an. Alle Berichterſtatter ſind einſtimmig, daß die aus dem Beutel geſchlüpften Thierchen, wie ſie ſich um ihre Mutter und auf dieſer herumbewegen, ein allerliebſtes Schauſpiel ge - währen. Jm übrigen ähnelt das Thier in ſeiner Lebensweiſe und in ſeinen Sitten der bekannteren Aeneas-Ratte (Philander dorsiger), welche mehr den Oſten und Norden Braſiliens bewohnt und in niederen, mit Urwäldern bedeckten Ebenen lebt. Sie iſt der eigentliche Bertreter der Schupatis, weil ihr Beutel am unvollkommenſten iſt. Jhre Körperlänge beträgt Zoll, die Länge des Schwanzes ſieben Zoll, die Höhe am Widerriſt Zoll: ſie iſt demnach etwas kleiner, als unſere

Die Aeneas-Ratte (Philander dorsiger).

Hausratte, mit welcher ſie übrigens in der Geſtalt manche Aehnlichkeit hat. Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz und dick, die Beine ſind ziemlich kurz, das Hinterpaar iſt etwas länger, als das vor - dere, die Sohlen ſind nackt, die Zehen getrennt. An den Hinterfüßen befindet ſich ein, den übrigen Zehen entgegenſetzbarer, nagelloſer Daumen, welcher durch eine kurze Spannhaut mit der zweiten Zehe verbunden iſt; die übrigen Zehen haben kurze, weniger gekrümmte, ſpitze Krallen. Der ſehr lange, dünne, runde und ſpitze, an der Wurzel dicht behaarte, dann nackt geringelte und geſchuppte Schwanz iſt ein echtes Greifwerkzeug. Die Behaarung iſt kurz, glatt, dicht, weich und wollig, ohne eigentliches Grannenhaar. Auf der Oberſeite iſt ſie graubraun, auf der Unterſeite weißlichgelb ge - färbt. Das Auge umgibt ein dunkelbrauner Flecken; die Stirn, der Naſenrücken, die Wangen und die Füße ſind gelblichweiß.

Die Aeneas-Ratte iſt auch ein Baumthier, doch keineswegs ein beſonders ſchnelles. Jhr Gang auf ebenem Boden iſt noch ſchlechter und unſicherer, als ihre Bewegungen in den Bäumen. Sie wandert in ihrem laubigen Gebiet von Krone zu Krone, von Baum zu Baum, von einem Theile des Waldes zu dem anderen, ohne ein beſtimmtes Lager zu haben. Den Tag bringt ſie gewöhnlich23Der Schwimmbeutler.im dichteſten Geſträuch oder zwiſchen recht laubigen Aeſten, vielleicht auch in einem hohlen Stamme zu; nachts geht ſie nach Nahrung aus. Nur während der Paarungszeit findet man Männchen und Weibchen zuſammen; den übrigen Theil des Jahres leben die Geſchlechter für ſich. Jhre fünf bis ſechs Jungen kommen noch ſehr unausgebildet zur Welt, ſaugen ſich aber ſogleich an den Zitzen feſt und hängen hier wie Früchte an einem Baume. Wenn ſie Haare bekommen haben, ſetzen ſie ſich der Mutter auf den Rücken und halten ſich mit ihren Schwänzen feſt, indem ſie dieſelben um den Schwanz der Alten ſchlingen. Selbſt wenn ſie ſchon faſt erwachſen ſind und der mütterlichen Pflege oder der Muttermilch kaum mehr bedürfen, bleiben ſie noch immer in der Nähe der Alten, und flüchten bei drohender Gefahr ſchnell auf deren Rücken, klammern ſich an und laſſen ſich von ihr nach einem ſicheren Orte tragen. Hiervon erhielt das Thier ſeinen Namen. Jn der Angſt ſträubt die Alte die Haare ihres Rückens, gibt einen ziſchenden Laut von ſich und verbreitet einen eigenthüm - lichen, unangenehmen, faſt knoblauchartigen Geruch aus ihren Afterdrüſen.

Der Schaden, welchen das Thier verurſacht, iſt ſehr gering, der Nutzen aber eben ſo unbedeu - tend. Die Neger eſſen ihr Fleiſch.

Die letzte Sippe unſerer Familie enthält das einzige, bis jetzt bekannte Beutelthier, welches vor - zugsweiſe im Waſſer lebt, den Schwimmbeutler (Chironectes variegatus) nämlich. Man hat bis jetzt blos dieſe eine Art der Sippe aufgefunden und auch von ihrem Leben und Treiben nur wenig erfahren können. Der Schwimmbeutler iſt ſchon längſt bekannt, jedoch niemals ordentlich beobachtet worden. Buffon nennt ihn den kleinen Otter von Guyana, andere Naturforſcher erwähnen ſeiner unter dem Namen des Demeraraotters. Die Engländer bezeichnen es mit dem Landnamen Yapock.

Jm Ganzen ähnelt der Schwimmbeutler den eigentlichen Beutelratten noch am meiſten; nur der Bau ſeiner Füße iſt es, welcher ihn unterſcheidet. Die Vorder - und Hinterfüße ſind fünfzehig, dieſe aber merklich größer, als jene, und durch große Schwimmhäute, welche die Zehen verbinden, ſowie durch ſtarke, lange und ſichelförmige Krallen vor den Vorderfüßen ausgezeichnet. Die Zehen der letz - teren tragen blos kleine, ſchwache und kurze Krallen, welche ſo in den Ballen eingeſenkt ſind, daß ſie beim Gehen den Boden nicht berühren. Der Daumen iſt verlängert, und hinter ihm befindet ſich noch ein knöcherner Fortſatz, aus einer Verlängerung des Ferſenbeines herrührend, gleichſam als ſechſte Zehe. Der ſehr lange Schwanz iſt blos an der Wurzel kurz und dicht behaart, im übrigen mit ver - ſchoben-vierſeitigen Schüppchen bekleidet. Der Kopf iſt verhältnißmäßig klein, die Schnauze lang und zugeſpitzt; die Sohlen ſind nackt, der Pelz iſt weich. Das Weibchen hat einen vollſtändigen Beutel, das Männchen einen dicht und pelzig behaarten Hodenſack. Jm Zahnbau ähnelt der Schwimmbeutler den eigentlichen Beutelratten faſt vollſtändig. Von ſeinem inneren Leibesbau iſt noch nichts Genügendes bekannt.

Unſer Thier gehört unzweifelhaft zu den merkwürdigſten Mitgliedern der ganzen Ordnung. Jm Allgemeinen hat es ungefähr das Ausſehen einer Ratte. Die Ohren ſind ziemlich groß, eiförmig ge - rundet, häutig und nackt, die Augen klein. Große Backentaſchen, welche ſich weit rückwärts in die Mundhöhle öffnen, laſſen das Geſicht oft dicker erſcheinen, als es wirklich iſt. Der geſtreckte, walzenförmige, aber eher unterſetzte als ſchlanke Leib ruht auf kurzen Beinen mit breiten Füßen, deren Vorderpaar vollkommen getrennte, ſehr lange und dünne Zehen hat, während die Hinterfüße ſich als ſtarke Ruder kennzeichnen. Der Schwanz iſt faſt von gleicher Länge mit dem Körper, und ein Rollſchwanz, obgleich er wohl nicht als Greifwerkzeug benutzt wird. Eigenthümlich iſt die Zeich - nung. Der weiche, glatte, anliegende Pelz, welcher aus zerſtreuteren längeren Grannen und dichtem Wollhaar beſteht, iſt auf dem Rücken ſchön aſchgrau gefärbt und ſticht ſcharf ab von der weißen Un - terſeite. Auf dem grauen Grunde des Rückens liegen ſechs ſchwarze, breite Querbinden und zwar läuft davon eine über das Geſicht, eine über den Scheitel, eine über die Vorderbeine, die vierte über24Der Schwimmbeutler.den Rücken, die fünfte über die Lenden und die ſechſte über das Kreuz. Längs der Rückenlinie ver - läuft ein dunkler Streifen von einer Binde zur anderen. Die Ohren und der Schwanz ſind ſchwarz, die Schwanzſpitze iſt fleiſchfarben. Die Pfoten ſind oben hellbraun, die Sohlen dunkelbraun; die Naſe iſt ſchwarz. Ausgewachſene Thiere ſind etwa 15 Zoll lang und haben einen beinahe eben ſo langen Schwanz. Jhre Höhe am Widerriſt beträgt kaum vier Zoll. Einzelne ſehr alte Männchen ſollen zwei Fuß lang werden.

Der Schwimmbeutler iſt über einen großen Theil von Südamerika verbreitet. Er findet ſich von Rio de Janeiro an durch das ganze Küſtenland Südamerikas bis nach Honduras; aber er ſcheint überall ſelten vorzukommen oder wenigſtens ſchwer zu erlangen zu ſein und wird daher auch noch in den wenigſten Sammlungen gefunden. Natterer, welcher ſiebzehn Jahre in Braſilien ſammelte, erhielt das Thier blos dreimal, und auch nur zufällig. So darf es uns nicht Wunder nehmen, daß wir von ſeiner Lebensweiſe noch kaum Etwas wiſſen. Man hat erfahren, daß der Schwimmbeutler haupt - ſächlich in den Wäldern an den Ufern kleiner Flüſſe und Bäche ſich aufhält und nach Art der meiſten

Der Schwimmbeutler (Chironectes variegatus).

Waſſerſäugethiere ſich hauptſächlich in Uferlöchern verſteckt, oder mitten im Strome herumſchwimmt, ſomit aber gewöhnlich der Beobachtung entgeht. Er ſoll mit größter Leichtigkeit ſchwimmen und ſich auch raſch und behend bewegen können, und ſowohl bei Tage als bei Nacht nach Nahrung ausgehen. Dieſe beſteht, wie man angibt, in kleinen Fiſchen oder in anderen kleinen Waſſerthieren und in Fiſch - laich, doch deuten die großen Backentaſchen wohl darauf hin, daß der Schwimmbeutler nebenbei auch Pflanzennahrung nicht verſchmäht. Man ſagt, daß das Thier, wenn es dieſe Vorrathskammern mit Nahrung gefüllt hat, nach dem Lande zurückkehre, um dort zu ſpeiſen. Sicheres hierüber iſt jedoch nicht bekannt.

Das Weibchen wirft etwa fünf Junge, trägt ſie im Beutel aus, führt ſie dann ſchon ziemlich frühzeitig in das Waſſer und unterrichtet ſie hier längere Zeit im Schwimmen, Tauchen und im Er - werb der Nahrung. Ob die Jungen bei Gefahr in den Beutel zurückkehren, an der Mutter ſich feſt - klammern oder in Uferlöcher ſich verſtecken, iſt nicht bekannt.

Die Jagd und der Fang des Schwimmbeutlers ſcheinen ganz dem Zufall unterworfen zu ſein. Nur ſehr ſelten ſoll man eins der Thiere zum Schuß bringen, wenn es in der Mitte des Fluſſes ſich25Der Beuteldachs oder Bandikut.zeigt. Gewöhnlich erhält man die wenigen, welche man überhaupt in ſeine Gewalt bekommt, beim Aufheben der Fiſchreuſen, in denen ſie ſich verwirrt und den Tod durch Erſtickung gefunden hatten.

Mit dieſen merkwürdigen und ſeltenen Thieren verlaſſen wir Amerika und wenden uns wieder nach der eigentlichen Heimat der Beutelthiere, nach Auſtralien zurück; denn von allen übrigen Familien, welche wir noch zu betrachten haben, hat keine einzige mehr einen Vertreter in der neuen Welt.

Auch der Laie wird ohne Bedenken die Familie der Beutelratten von der der Beuteldachſe oder Bandikuts (Perameles) unterſcheiden können. Die anſehnlich verlängerten Hinterbeine und die ganz abweichende Zehenbildung dieſer Thiere ſind Merkmale, welche Jedem in das Auge fallen müſſen. Von den fünf Vorderzehen nämlich iſt die innere und äußere ſo verkümmert, daß ſie eigent - lich blos als eine nach hinten gerichtete nagelloſe oder blos mit flachen Nägeln bedeckte Warze erſcheint; die drei mittleren Zehen dagegen ſind um ſo größer, frei und mit ſtarken, ſichelförmigen und ganzen Nägeln oder vielmehr Krallen beſetzt. An den Hinterfüßen iſt wenigſtens der Daumen verkümmert und die zweite und dritte Zehe ſind mit einander bis zu den Nägeln verwachſen, die Sohlen ſind nackt. Der Leib iſt im Ganzen gedrungen, der Kopf ſehr zugeſpitzt, zumal am Schnauzentheile; die Ohren ſind meiſt mäßig, bei einigen Arten aber auffallend groß; der Schwanz dagegen iſt gewöhnlich ſehr kurz und dünn behaart, nur ausnahmsweiſe lang und buſchig. Der Beutel des Weibchens, in welchem acht Zitzen liegen, iſt nach hinten geöffnet. Jm Gebiß ähneln die Beuteldachſe den Beutelratten bis auf die unterſten Schneidezähne, von denen blos drei Stück vorhanden ſind.

Man kennt gegenwärtig etwa neun verſchiedene Arten unſerer Thiere, welche ſämmtlich Neu - holland bewohnen. Sie leben in höher gelegenen, kühleren Berggegenden, und zwar in Höhlen, welche ſie ſich in den Boden graben und bei der geringſten Gefahr eiligſt aufſuchen. Mitunter trifft man ſie in der Nähe von Pflanzungen oder menſchlichen Anſiedlungen, gewöhnlich aber halten ſie ſich fern von dem Erzfeinde aller Thiere. Die meiſten Arten ſcheinen geſellig mit einander zu leben und nur nächtliche Lebensweiſe zu führen. Jhre Bewegungen ſind ziemlich raſch und eigenthümlich, da ihr Gang aus einer Reihe kürzerer oder weiter Sprungſchritte beſteht. Keine einzige Art kann ordent - lich gehen und keine nur im geringſten klettern. Die Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzen, beſonders aus ſaftigen Wurzeln und Knochen, doch verzehren ſie nebenbei auch Kerbthiere und Wür - mer oder Sämereien. Sie führen die Speiſe mit den Vorderpfoten zum Munde und ſetzen ſich dabei halb aufrecht hin, den Leib auf die Hinterbeine und den Schwanz geſtützt.

Alle Beuteldachſe ſind ſcheue und flüchtige, durchaus gutmüthige, harmloſe und friedliche Thiere, welche in der Freiheit vor jeder Gefahr zurückſchrecken und dem Menſchen ängſtlich zu ent - fliehen ſuchen. Jn der Gefangenſchaft aber fügen ſie ſich ohne Schwierigkeit und ohne Beſinnen in ihr Loos und werden ſchon nach kurzer Zeit zahm und zutraulich, machen daher auch dem Beſitzer viel Freude. Hierin beſteht der einzige Nutzen, welchen ſie den Menſchen bringen können, da von keiner Art das Fleiſch gegeſſen oder das Fell verwendet wird. Der Schaden, welchen ſie anrichten, kann unter Umſtänden ziemlich bedeutend ſein. Sie unterwühlen die Felder und richten deshalb in den Pflanzungen große Verwüſtungen an; andere beſuchen auch wohl die Kornſpeicher und vermin - dern hier die Vorräthe, indem ſie in ziemlicher Anzahl erſcheinen.

Man theilt die Familie in wenige und artenarme Sippen ein. Die nachſtehend beſchriebenen und abgebildeten Arten werden uns hinlänglich mit ihr bekannt machen.

Zu den eigentlichen Beuteldachſen gehört der ſpitznaſige Beuteldachs (Perameles nasuta), ein Thier von eigenthümlicher Geſtalt, welches mit einem Kaninchen faſt ebenſoviel Aehnlichkeit hat, als mit einer Spitzmaus. Er trägt ſeinen Namen inſofern mit Recht, als er die längſte26Die Beuteldachſe.Schnauze unter allen echten Bandikuts beſitzt. Namentlich der obere Theil derſelben iſt verlängert, und die Naſenkuppe ragt weit über die Unterlippe vor. Die ſehr kurzen, behaarten Ohren ſind unten breit, ſpitzen ſich aber raſch zu; die Augen ſind klein. Der geſtreckte Leib trägt einen mittel - langen, ſchlaffen und kurzbehaarten Schwanz und ruht auf ziemlich ſtarken Beinen, von denen die hinteren faſt noch einmal ſo lang als die vorderen ſind. Am vorderen Fußpaar ſind die Jnnen - und Außenzehen blos durch die beſchriebenen Warzen angedeutet und ſoweit nach rückwärts geſtellt und unter den Haaren verſteckt, daß es ſchwierig iſt, ſie aufzufinden. Die übrigen drei Zehen, auf welche das Thier allein auftritt, tragen tüchtige, ſichelförmig gekrümmte Krallen. Der nicht eben dicke, aber ziemlich lange, ſtraffe und rauhe, ja faſt borſtenartige Pelz beſteht aus einem ſpärlichen und kurzen Wollhaar und längeren Grannen. Oben iſt er bräunlichfahlgelb und ſchwarz geſprenkelt, und Dies wird hauptſächlich durch die Doppelfärbung der einzelnen Haare bewirkt, welche unten grau ſind und allmählich in Schwarz übergehen, oft aber noch in bräunlichfahlgelbe Spitzen endigen. Die Unterſeite iſt ſchmuzig gelblichweiß, die Oberſeite der Hinterfüße lichtbräunlichgelb. Der Schwanz iſt oben ſchwarzbraun, unten lichtkaſtanienbraun. Die Ohren ſind an den Rändern bräun - lich behaart, aber die nackte Haut ſchimmert überall zwiſchen den Haaren hindurch. Erwachſene Thiere meſſen gewöhnlich 1 Fuß 10 Zoll, einſchließlich des Schwanzes, deſſen Länge 6 Zoll beträgt, und ſind am Widerriſt etwa 4 Zoll hoch.

Der ſpitznaſige Beuteldachs (Perameles nasuta).

Der ſpitze Bandikut lebt wie ſeine Verwandten in höheren, kühleren Berggegenden Auſtra - liens, zumal in Neuſüdwales. Er fehlt in den heißen Ebenen dieſes Erdtheils, ſteigt jedoch öfters bis zur Seeküſte herab. Jn ſeiner eigentlichen Heimat iſt er überall ſehr häufig, und durchgräbt oft ganze Strecken, theils der Nahrung wegen, theils um ſich eine Wohnung zu gründen. Ein wahres Netz von Furchenwegen, welche von einem Loche zum anderen führen, bedeckt nicht ſelten ganze große Ebenen. Namentlich unter dem Gebüſch ſind jene Löcher zahlreich beiſammen. Die langen und kräf - tigen Krallen machen es ihm ſehr leicht, dieſe halb und halb unterirdiſchen Gänge und Höhlen aus - zugraben, und da gerade Wurzeln und Knollen die hauptſächlichſte Nahrung aller Bandikuts zu bil - den ſcheinen, muß er beſtändig, wie der Maulwurf, neue Gänge ausſcharren, um leben zu können. Der lange Rüſſel dient ihm jedenfalls auch zum Wühlen. Nächſt den Wurzeln frißt er auch Würmer und Kerbthiere. So lange er aber Pflanzennahrung haben kann, ſcheint er dieſe aller übrigen vor - zuziehen. Zuweilen richtet er in Kartoffelfeldern oder in Kornſpeichern ziemlich bedeutende Verhee - rungen an, und wird dort faſt ebenſo läſtig, als die Mäuſe und Ratten. Glücklicherweiſe fehlen ihm die Nagezähne dieſes Ungeziefers, und ſomit iſt der Pflanzer bei einiger Vorſicht im Stande, ihn von ſolchen Beſuchen abzuhalten; gleichwohl muß der Menſch noch immer bedacht ſein, die Mauern27Der ſtreifige Beuteldachs.ſolcher Speicher tief einzuſenken, weil der Bandikut ſonſt, unter ihnen ſich durchgrabend, neue Gänge bahnen würde. Der Gang des Thieres iſt ein eigenthümliches Mittelding zwiſchen Rennen und Springen und ſoll noch am meiſten dem des Kaninchens ähneln. Dabei tritt es abwechſelnd auf die Hinter - und Vorderfüße, alſo nicht wie die Kängurus blos auf die letzteren. Die Nahrung führt der Beuteldachs wie unſere Eichhörnchen mit den Vorderpfoten zum Munde; dabei ruht er auf dem Hintertheile und ſtützt ſich zugleich auch auf den Schwanz. Seine Stimme hört man blos, wenn er verwundet wird; ſie beſteht aus ſcharf pfeifenden Tönen, welche lebhaft an das Gequieke der Ratten erinnern. Jn der Gefangenſchaft beträgt er ſich bald ſehr liebenswürdig und zutraulich. Seine Ernährung macht nicht die geringſten Schwierigkeiten. Er gewöhnt ſich an den Menſchen, iſt gutmüthig, harmlos und verlangt eben keine Abwartung oder Pflege; die Anſiedler ſcheinen ihn und ſeine Verwandten aber mit demſelben Widerwillen anzuſehen, mit welchem wir die Ratten betrachten, und verfolgen alle Bandikuts wo ſie nur können. Hier und da wird behauptet, daß man das Fleiſch dieſer Art eſſen könne, doch widerſprechen dieſer Angabe andere Berichte, und es iſt wohl auch anzunehmen, daß die europäiſchen Pflanzer wenigſtens ein Thier, welches ſie eben Ratte nennen und, wie es ſcheint, von den eigentlichen Ratten gar nicht unterſcheiden, nicht eben ohne Ekel verſpeiſen

Der ſtreifige Beuteldachs (Perameles fasciata).

dürften. Das Weibchen ſoll mehr als einmal im Jahre drei bis ſechs Junge werfen und dieſe lange Zeit in ſeiner nach hinten geöffneten Taſche herumtragen.

Eine zweite Art der echten Beuteldachſe iſt der ſtreifige Beuteldachs (Perameles fasciata), ein Thier von 12 Zoll Leibes - und 4 Zoll Schwanzlänge, mit großen Ohren und dünn behaartem Schwanze. Die allgemeine Färbung ſeines Pelzes iſt ein Gemiſch von Schwarz und Gelb, und zwar herrſcht das Dunkel auf der Oberſeite und dem Rücken, das Gelb an den Seiten vor. Ueber das Hintertheil verlaufen einige, nicht beſonders ſcharfbegrenzte, dunkle Streifen, zwiſchen denen lichtere Binden hervortreten. Eine dunkle Linie zieht ſich auf der Oberſeite des Schwanzes dahin, deſſen Unterſeite die Färbung des übrigen Körpers hat. Die Kopfgegend und der Vorderrücken, ſo - wie die Füße, ſind leicht mit Grau gemiſcht.

Der geſtreifte Bandikut findet ſich in einem großen Theile des Oſtens und Südens von Auſtra - lien, am meiſten im Jnnern, gewöhnlich auf den ſteinigen Höhenzügen, welche ſich in Auſtralien in ſo großer Ausdehnung finden und wenig beſucht werden. Sein Lauf iſt ſehr ſchnell und ähnelt am meiſten dem des Kaninchens. Die Eingeborenen eſſen ſein Fleiſch. Die Aufbewahrung der ge - tödteten Thiere für unſere Sammlungen ſcheint beſondere Schwierigkeiten zu haben, wenigſtens wird28Die Beuteldachſe.erwähnt, daß das zarte Fell außerordentlich feſt auf dem Fleiſche ſitze und gewöhnlich blos in Stücken abgeſtreift werden könne, ein Umſtand, welcher dem ſammelnden Forſcher natürlich ſehr hinderlich iſt.

Der Stutzbeutler (Choeropus ecaudatus oder castanotos) bildet eine zweite Sippe der Beutel - dachſe. Er erinnert lebhaft an die kleinen Rohrrüßler, welche wir auf Seite 666 des erſten Bandes kennen gelernt haben. Der ziemlich ſchlanke Leib ruht auf ſehr dünnen und hohen Beinen, deren Hin - terpaar gegen das vordere bedeutend verlängert iſt. Die Schnauze iſt ſpitzig; die Ohren ſind ſehr lang; der Schwanz iſt mittellang und dünn behaart. An den Vorderfüßen finden ſich blos zwei kurze, gleich lange Zehen mit kurzen, aber ſtarken Nägeln; das Hinterpaar hat nur eine einzige große Zehe, neben welcher die übrigen, ſehr verkümmerten liegen. Man hat dieſes merkwürdigen Fußbaues wegen dem Thiere ſeinen griechiſchen Namen gegeben, welcher ſo viel als ſchweinefüßig bedeutet,

Der Stutzbeutler (Choeropus ecaudatus oder castanotos).

obwohl bei Lichte betrachtet, dieſe Aehnlichkeit nur eine geträumte iſt. Auch mit ſeinem Artnamen hat es eine eigenthümliche Bewandtniß. Der Ent - decker unſeres Thierchens, Thomas Mitchell, zog den erſten und einzigen Stutzbeutler, welchen er erbeutete, lebend aus einem hohlen Baume heraus, in welchen ſich derſelbe geflüchtet hatte, und zwar nicht weniger zu ſeinem Erſtaunen, als zur Ver - wunderung der Eingeborenen, welche erklärten, niemals ein ſolches Geſchöpf geſehen zu haben. Am meiſten fiel dem Naturforſcher der Mangel des Schwanzes auf, und deshalb gab er ihm den Artnamen Schwanzloſer Schweinefuß . Später nach Europa gekommene Stutzbeutler be - ſaßen aber ſämmtlich Schwänze, und zwar recht hübſche Schwänzchen von fünf Zoll Länge, und es zeigte ſich alſo, daß der erſte Mitbruder, wel - cher in die Hand der Forſcher gekommen war, durch einen unglücklichen Zufall ſeines Schwanzes be - raubt worden war. Gray änderte deshalb den Namen um und naunte das Thierchen nach ſeiner Hauptfärbung castanotos oder kaſtanienfarbig. Doch iſt es nun einmal in der Wiſſenſchaft gebräuchlich, den erſt gegebenen Namen ſo viel als möglich feſtzuhalten, und ſo heißt der betreffende Beutler noch heutzutage der ſchwanzloſe Stutz - beutler oder ſchwanzloſe Schweinefuß.

Unſer Thier erreicht etwa die Größe eines kleinen Kaninchens; ſeine Leibeslänge beträgt etwa 11 Zoll und die des rattenähnlichen Schwanzes 5 Zoll. Der lange, lockere, weiche Pelz iſt auf der Oberſeite braungrau, unten weiß oder gelblichweiß; die großen Ohren ſind mit roſtgelben, gegen die Spitze hin mit ſchwarzen Haaren bedeckt, die Vorderpfoten ſind weißlich, die hinteren blaß - roth; ihre große Zehe iſt ſchmuzigweiß. Der Schwanz iſt oben ſchwarz, an der Spitze und Unter - ſeite aber bräunlichweiß.

So viel man bis jetzt erfahren hat, bewohnt der Stutzbeutler hauptſächlich Neuſüdwales, und zwar die Ufer des Murray. Jene mit dürrem, ſchneidigen Graſe bewachſenen Ebenen bilden ſeine Hauptaufenthaltsorte. Jm Allgemeinen lebt er ganz wie der Beuteldachs. Er baut ſich aber ein ziemlich künſtliches Neſt aus trockenem Graſe und Blättern, unter dichten Sträuchern und Gras -29Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.büſcheln, möglichſt verdeckt vor den Blicken, ſo daß ſelbſt ein erfahrener Jäger Mühe hat, es aufzu - finden. Seine Nahrung ſoll ein Gemiſch verſchiedener Pflanzenſtoſſe und Kerbthiere ſein. Genaueres iſt bis jetzt noch nicht über ſeine Lebensweiſe bekannt geworden.

Die vierte Familie enthält eine Reihe merkwürdiger, ſehr verſchieden erſcheinender Thiere, welche man Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus (Phalangista) genannt hat. Der erſte Name dürfte angemeſſener ſein, als die übrigen und die Benennung Beutelbilche , welche Einige auf die ganze Familie angewendet wiſſen wollen, weil nur eine Sippe den Bilchen und Hörn - chen ähnlich fieht, wir auch in der Familie noch andere Erinnerungen an höher - oder tieferſtehende Ordnungen wiederfinden. Die Kletterbeutelthiere ſind im Ganzen kleine Thierchen, da die wenigen Arten, welche zwei Fuß Länge haben, eigentlich als Ausnahmen erſcheinen. Jhre vorderen und hin - teren Gliedmaßen ſind von gleicher Länge und auch ziemlich regelmäßig gebaut, weil die vorderen und hinteren fünf Zehen haben. An der Hinterpfote iſt die innere Zehe vergrößert und zu einem nagel - loſen und gegenſetzbaren Daumen geworden; die zweite und dritte Zehe ſind mit einander verbunden. Der Schwanz iſt gewöhnlich ein Greifſchwanz und als ſolcher oft ſehr lang; bei einer Sippe fehlt er aber gänzlich. Der Kopf iſt kurz und die Oberlippe, wie bei den Nagern, geſpalten. Das Weib - chen hat zwei oder vier Zitzen in einer Taſche. Das Gebiß, auf welches die Vereinigung der ver - ſchiedenen Sippen begründet iſt, zeigt oben ſechs an Größe ſehr verſchiedene, unten dagegen blos zwei ſehr große Schneidezähne; die Eckzähne ſind ſtumpf oder fehlen ſogar; die Lückzähne ſind ſtummelhaft geworden, die Backzähne endlich, von denen ſich drei bis vier in jeder Reihe finden, haben viereckige Kronen mit verſchiedenen Jochen und Hörnern. Zwölf bis dreizehn Rückenwirbel tragen Rippen, ſechs oder ſieben ſind rippenlos. Das Becken beſteht aus zwei kurzen Wirbeln; die Zahl der Schwanzwirbel ſteigt bis dreißig. Der Magen iſt einfach und drüſenreich und der Blinddarm ganz außerordentlich lang. Jm Gehirn fehlen alle oberflächlichen Windungen.

Die Kletterbeutelthiere bewohnen Auſtralien und einige Jnſeln Südaſiens. Sie ſind ſämmtlich Baumthiere und finden ſich deshalb auch nur in Wäldern; blos ausnahmsweiſe ſteigen einige zur Erde herab, die meiſten verbringen ihr ganzes Leben in den Kronen der Bäume. Faſt ſämmtliche Arten ſind Nachtthiere oder ſchlafen wenigſtens den größten Theil des Tages und erwachen nur vom Hunger getrieben auf kurze Zeit. Beim Eintritt der Dunkelheit kommen ſie aus ihren Verſtecken hervor, um zu weiden; denn Früchte, Blätter und Knospen bilden ihre Hauptnahrung: ſelbſt die Arten, welche dem Fuchſe oder entfernt dem Bären ähneln, ſind Pflanzenfreſſer, und wohl nur zu - fällig nehmen Einzelne auch Vögel, Eier und Kerbthiere mit weg. Dagegen freſſen Andere blos die jungen Blätter und Triebe oder graben den Wurzeln im Boden nach. Sie, die letzteren, ſollen ſich unterirdiſche Baue anlegen und in denſelben während der kalten Jahreszeit ſchlafen. Jn ihren Be - wegungen unterſcheiden ſich die Sippen weſentlich von einander. Die Einen ſind langſam und äußerſt vorſichtig und gehen mehr ſchleichend dahin, die Anderen zeichnen ſich durch Lebendigkeit und Behen - digkeit aus. Alle können vortrefflich klettern und Einige auch weite Sprünge ausführen. Der Greif - ſchwanz und die Flughaut deuten ſchon von vornherein auf ſolche Fertigkeiten hin. Beim Gehen treten Alle mit der ganzen Sohle auf; beim Klettern ſuchen ſie ſich ſämmtlich ſoviel als möglich zu ver - ſichern. Die Mehrzahl lebt geſellig oder hält ſich paarweiſe zuſammen. Einige werfen gewöhnlich zwei bis vier Junge, andere ein einziges, welches von der Mutter zärtlich geliebt und gepflegt und lange Zeit auf dem Rücken oder den Schultern getragen wird. Alle Kletterbeutelthiere ſind ſanfte, harmloſe, furchtſame Geſchöpfe. Wenn ſie verfolgt werden, hängen ſich manche mittelſt des Schwanzes an einen Aſt und verharren lange Zeit regungslos in dieſer Stellung, jedenfalls um ſich dadurch zu verbergen. Hierin zeigt ſich die einzige Spur von Verſtand, welche ſie im Freileben offenbaren. Jn der Gefangenſchaft bekunden ſie zwar zuweilen eine gewiſſe Anhänglichkeit an ihren Wärter; doch die30Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.meiſten lernen ihn kaum kennen. Bei einiger Pflege halten faſt alle längere Zeit in der Gefangen - ſchaft aus. Jhre Ernährung verurſacht durchaus keine Schwierigkeiten. Einzelne Arten werden, wenn ſie zahlreich in die Pflanzungen einfallen, oft ziemlich ſchädlich, die Anderen nützen durch ihr Fell und ihr Fleiſch, und ſo gleicht ſich der Schaden, den ſie anrichten, durch den Nutzen ſo ziemlich wieder aus.

Als die bewegungsfähigſten Kletterbeutler müſſen wir wohl die Flugbeutelbilche (Belideus) anſehen. Sie zeigen in ihrer Geſtalt eine ſo täuſchende Aehnlichkeit mit den bekannteren Flug - eichhörnchen, daß ſie mit dieſen verwechſelt werden könnten, wenn nicht das Gebiß ſie weſentlich von den Nagern unterſchiede. Die behaarte Flug - oder Flatterhaut an den Seiten des Rumpfes zwiſchen den vorderen und hinteren Gliedmaßen iſt jedenfalls ihr Hauptkennzeichen. Der Körper iſt geſtreckt, der Kopf klein, die Schnauze zugeſpitzt. Die Augen ſind groß und vorſtehend, die auf - rechtgeſtellten Ohren zugeſpitzt. Der ſehr lange Schwanz iſt buſchig, zuweilen auch zweizeilig behaart;

Das Zuckereichhorn oder das fliegende Eichhorn (Belideus seiureus).

der Pelz iſt weich und fein. Keine Art erreicht zwei Fuß Leibeslänge; die meiſten werden kaum einen Fuß lang. Der Bau des Gebiſſes, der Ohren, der Flughäute und des Schwanzes ordnen ſie noch in kleinere Gruppen.

Als den bekannteſten Flugbeutelbilch darf man wohl das Zuckereichhorn oder das fliegende Eichhorn in Norfolk (Belideus seiureus) betrachten; denn aus dem Namen ſchon geht hervor, daß dieſe Art ein volksthümliches Thier geworden iſt. Man kann nicht leugnen, daß der Name, welchen ihm die erſten Einſiedler gaben, paſſend gewählt iſt, und auch die Wiſſenſchaft hat Dies anerkannt, wie die lateiniſche Benennung beweiſt. Nicht blos in der Geſtalt, ſondern auch in der Größe ähnelt das Thier unſeren Eichkätzchen, noch mehr dem Taguan oder dem ſibiriſchen Flugeichhorn. Der geſtreckte und ſchlanke Leib erſcheint durch die Flughaut, welche ſich zwiſchen beiden Beinen ausſpannt, breiter, als er iſt. Der Hals iſt kurz und ziemlich dick, der flache Kopf endet in eine kurze und ziemlich ſpitze Schnauze; der Schwanz iſt ſehr lang, rundlich und ſchlaff und dabei ſehr buſchig. Die aufrecht -31Das Zuckereichhorn oder das fliegende Eichhorn.ſtehenden Ohren ſind lang, aber ſtumpfſpitzig, die Augen groß und halbkugelförmig vorſtehend. Die Beine ſind kurz, die Zehen des Vorderfußes getrennt, die des Hinterfußes durch faſt vollſtändige Verwachſung der zweiten und dritten Zehe und einen den übrigen Zehen entgegenſetzbaren Daumen aus - gezeichnet. Dieſer Daumen iſt nagellos; alle übrigen Zehen dagegen ſind mit ſichelförmig gekrümmten Krallen verſehen. Das Weibchen beſitzt einen vollſtändigen Beutel. Der Pelz iſt ſehr dicht, außer - ordentlich fein und weich, die Flatterhaut iſt behaart, und nur die Ohren ſind auf der Jnnenſeite nackt, auf der Außenſeite dagegen wenigſtens gegen die Wurzel mit Haaren bedeckt. Die ganze Oberſeite des Leibes iſt aſchgrau, die Flatterhaut außen dunkelnußbraun und weiß eingefaßt, die Unterſeite iſt weiß mit ſchwachgelblichem Anfluge, gegen den Rand der Flatterhaut hin aber bräunlich. Ein roſtbrauner Streifen zieht ſich durch die Augen und verläuft gegen die Ohren hin, ein anderer Streifen läuft über den Naſenrücken, die Stirn und die Mitteklinie des Rückens. Er iſt vorn roſt - braun, auf der Stirn aber lebhaft kaſtanienbraun. Der Schwanz iſt an der Wurzel lichtaſchgrau, an der Spitze aber ſchwarz. Zoll Leibeslänge, 9 Zoll Schwanzlänge und Zoll Höhe am Widerriſt ſind die wichtigſten Größen des Thieres.

Man findet das Zuckereichhorn hauptſächlich in Neuſüdwales, auf Neu-Guinea, Norfolk und einigen anderen Eilanden. Es iſt ein echtes Baumthier und, wie die meiſten der ihm ähnlich ge - ſtalteten Geſchöpfe, bei Nacht lebendig. Den ganzen Tag über verbirgt es ſich in den dichteſten Baumkronen, wo es ſich entweder eine Höhlung oder einen Gabelaſt ausſucht und, zu einer Kugel zuſammengerollt und gleichſam in ſeine Flatterhaut eingewickelt, dem Schlafe hingibt. Mit der Nacht beginnt ſeine Thätigkeit. Dann klettert es ganz mit der Gewandtheit eines Eichhorns auf den Bäu - men umher und zwar immer von unten nach oben; denn von oben nach unten zu ſpringt es mit Hilfe ſeiner Flatterhaut, welche es wie einen Fallſchirm ausbreitet. Bei Tage erkennt man das Thier, wel - ches man während der Nacht beobachtete, nicht wieder. Es ſcheint eher ein lebloſes Weſen zu ſein, als der behende Baumbewohner. Mürriſch und lichtſcheu ſchläft es faſt den ganzen Tag; nur gelegent - lich wacht es auf, um Etwas zu freſſen; wankend, unſicher bewegt es die Glieder, und ängſtlich meidet es die Strahlen des ihm verhaßten, allbelebenden Lichts. Ganz anders zeigt es ſich in einer jener klaren, zaubervollen Mondnächte ſeiner Heimat. Das Auge folgt überraſcht ſeinem Treiben. Alle Bewe - gungen ſind jetzt ebenſo lebhaft, behend und gewandt, wie die des übermüthigſten Affen, wie die des erregteſten Eichhorns. Nur auf dem Boden iſt es ziemlich tölpiſch und ſchwankt hier unſicheren Schrittes dahin: aber es betritt die ihm faſt feindliche Erde auch nur in der höchſten Noth, blos dann, wenn die Bäume gar zu weit von einander ſtehen, ſo weit, daß nicht einmal ſeine Flughaut die Brücke bilden kann. Es iſt im Stande, außerordentlich weite Sprünge auszuführen und dabei die Richtung beliebig zu ändern. Schon wenn es aus einer Höhe von dreißig Fuß abſpringen kann, iſt es fähig, einen achtzig bis neunzig Fuß von ihm entfernten Baum zu erreichen. Aber es leiſtet noch ganz andere Proben ſeiner Geſchicklichkeit. Am Bord eines an der Küſte Neuhollands ſegelnden Schiffes befand ſich ein Flugbeutler, welcher bereits ſo gezähmt war, daß man ihm geſtatten durfte, frei auf dem Schiffe herum zu laufen. Das muntere Geſchöpf, die Freude der ganzen Schiffsmann - ſchaft, war hier ſo vertraut geworden, daß es bald auf den höchſten Maſtſpitzen, bald unten im Raum geſehen werden konnte. Eines Tages kletterte es bei heftigem Wehen nach ſeinem Lieblingsplatze, der Maſtſpitze, empor; aber man beſorgte, daß es während eines ſeiner Sprünge vom Sturme erfaßt und in das Meer geſchleudert werden möchte, und einer der Matroſen entſchloß ſich, ſeinen Liebling da oben herunter zu holen. Als er dem Thiere nahe auf den Leib rückte, ſuchte ſich dieſes der ihm widrigen Gefangennahme zu entziehen und vermittelſt eines ſeiner herrlichen Luftſprünge das Deck zu erreichen. Jn demſelben Augenblicke legte ſich das Schiff, von einem heftigen Windſtoß erfaßt, derart auf die Seite, daß aller menſchlichen Berechnung nach der Flugbeutler in die Wellen geſchleu - dert werden mußte. Man gab ihn bereits verloren: er aber wußte ſich zu helfen. Mit einem Male änderte er durch eine geſchickte Wendung ſeines vortrefflichen Steuerruders die Richtung ſeines Fluges und ſchoß, in großen Bogen ſich drehend, weit aus nach vorn, glücklich das ſichere Deck erreichend. Alle32Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.Beobachter ſind einſtimmig in der Bewunderung dieſer Flugbewegung und verſichern, daß ſie mit eben - ſoviel Zierlichkeit als Anmuth ausgeführt würde, und ſchwerlich ihres Gleichen haben könne. Ueber - haupt iſt der Flugbeutler ein ſehr nettes Thier; er iſt durchaus harmlos, gutmüthig und ſehr leicht zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und luſtig, nur leider immer etwas furcht - ſam. Während ſeines Schlafes bei Tage kann er von einem geſchickten Kletterer leicht gefangen werden, zumal wenn ſich Mehrere zu ſolcher Jagd verbinden; denn das Licht blendet ihn ſo, daß er, auch wenn er von ſeiner Flugesgabe Gebrauch macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt, und anſtatt auf dem ſicheren Baume, auf der Erde anlangt, wo ihn der Menſch ſehr bald erreicht. Man findet ihn gar nicht ſelten in den Häuſern der Anſiedler, welche ihn mit großer Sorgfalt pflegen. Er iſt auch ſchon mehrere Male lebend nach Europa gebracht worden und hat dort viel Freude erregt. Sein Verſtand iſt gering, aber er erſetzt durch ſeine Luſtigkeit und Heiterkeit, durch Sanftmuth und Zierlichkeit den Mangel an geiſtigen Fähigkeiten hinlänglich. Jm Käfig ſpringt er während der ganzen Nacht ohne Unterlaß umher und nimmt dabei oft die wunderlichſten Stellungen ein. Ohne große Mühe gewöhnt er ſich an allerlei Koſt, wenn ihm auch Früchte, Blätter, Knospen und Kerbthiere das Liebſte bleiben, ſchon weil dieſe Dinge ſeiner natürlichen Nahrung entſprechen. Be - ſonders gern frißt er den Honig der Eucalypten oder Gummibäume, und ſicherlich bilden auch die Kerbthiere einen nicht unbedeutenden Theil ſeines Futters. Bei Gefangenen im Londoner Thiergarten hat man beobachtet, daß ſie todte Sperlinge und Fleiſchſtücken, die man ihnen brachte, ſehr gern ver - zehrten, und deshalb glaubt man mit Recht, daß ſie in der Nacht geräuſchlos nach Art der Faul - affen an ſchlafende Vögel und andere kleine Thiere ſich anſchleichen und ſie umbringen. Jn manchen Gegenden thun ſie unter den Pfirſichen und Apfelſinen großen Schaden.

Die Geſelligkeit iſt bei dem Zuckereichhorn ſehr ausgeprägt. Man findet in den Wäldern immer mehrere derſelben Art vereinigt, obgleich es nicht ſcheint, als ob Eins das Andere beſon - ders freundſchaftlich und liebevoll behandle. Jn der Gefangenſchaft befreundet es ſich wohl auch mit anderen kleineren Thieren und zeigt ſelbſt gegen den Menſchen eine gewiſſe Anhänglichkeit. Ueber das Gefangenleben der Flugbeutler theilt uns Bennett Einiges mit. Er erhielt ein junges Weib - chen des gelbbauchigen Beutelbilchs und brachte es mit ſich nach Europa. Obgleich noch jung, ſagt er, fand ich es doch ſehr wild und garſtig. Es ſpuckte, knurrte und ſchrie, wenn man es nahm und begleitete dabei jeden Ton mit Kratzen und Beißen. Die Nägel waren ſcharf und verurſachten Wunden, wie die, welche Einem die Katzen beizubringen pflegen. Die kleinen Zähne dagegen waren nicht hinreichend, Etwas auszurichten. So viel iſt ſicher, daß ein Thier, welches in ſeiner frühen Jugend ſich ſo wüthend geberdet, im Alter ein ſchlimmer Beißer ſein muß. Nach und nach wurde mein Gefangener zahmer und litt, daß man ihn in die Hand nahm, ohne daß er kratzte und zubiß, wie erſt. Auch leckte er die Hand, wenn man in ihr ihm Süßigkeiten reichte, welche er außerordent - lich liebte, und erlaubte, daß man ſeine kleine Naſe berührte und ſein Fell unterſuchte. Aber ſowie es ſich Jemand herausnahm, ihn beim Körper zu erfaſſen, wurde er außerordentlich wüthend und biß und kratzte in wildem Zorn, dabei ſein ſchnurrendes, ſchnaubendes und ſpuckendes Knurren aus - ſtoßend. Ruhiger war er, wenn man ihn beim Schwanze packte und ihn nicht zu lange hielt. Dabei breitete er ſeine Fallhaut aus, als wolle er ſich vor einem Sturze ſichern. Jn dieſer Lage konnte man ſein wundervolles Fell oben und unten viel beſſer als je in einer anderen Stellung ſehen. Obgleich er zahm geworden war, ſchien er doch nicht die geringſte Zuneigung gegen Die zu zeigen, welche ihn fütterten; denn er benahm ſich gegen Fremde oder gegen die ihm bekannten Perſonen gleich gut oder gleich ſchlecht.

Während des Tages lag er zu einem Ball zuſammengerollt, ſeinen buſchigen Schwanz über ſich gedeckt, ſtill und ruhig. Nur zuweilen wachte er auf und fraß ein wenig. Bei ſolchen Gelegen - heiten erſchien er halb blind oder bewies wenigſtens deutlich, daß ihm das helle Tageslicht höchſt unangenehm war. Aber in der Dämmerung des Abends und in der Nacht begann ſein volles Leben und ſeine Thätigkeit. Dann war er ein ganz anderes Geſchöpf. Jn ſeinem Käfig lief er oben und33Das Beuteleichhorn oder der Taguan.unten herum, ruh - und raſtlos klimmte er an den Stäben in die Höhe, ohne nur einen Augenblick ſtillzuhalten. Jm Zimmer frei gelaſſen, kletterte er ſofort auf die höchſten Stellen der Einrich - tungsgegenſtände, und je mehr er ſich bewegen konnte, um ſo zufriedener und behaglicher ſchien er ſich zu fühlen. Er erſchien als das gerade Gegentheil des hilfloſen Weſens, welches es bei Tage war. Nur einmal habe ich ihn auch während des Tages lebendig geſehen. Das war im Thiergarten zu London, wo ihm der düſtere Himmel Londons wohl glauben laſſen mochte, daß bereits die Nacht her - eingebrochen wäre.

Wir fütterten ihn mit Milch, Roſinen und Mandeln. Süßigkeiten aller Art, eingemachte Früchte ſowohl als Zucker zog er allem Uebrigen vor. Die Früchte ſog er aus, daß blos noch die Schale übrig blieb. Er bedurfte ſehr wenig, wurde aber fett und befand ſich ſehr wohl.

Eine Nacht entkam er ſeinem Gefängniſſe, wurde aber am nächſten Tage in den höchſten Zweigen eines luſtigen Weidenbaums geſehen, wo er ſich in einer der Gabeln gemüthlich ausruhte. Ein Knabe mußte ihm nachklettern und fand ihn oben im tiefen Schlafe. Er näherte ſich ihm, ohne gehört oder geſehen zu werden, ergriff ihn beim Schwanze und warf ihn etwa 60 Fuß tief von oben herab. Der Bilch breitete ſofort ſeinen Fallſchirm aus und kam wohlbehalten und geſund unten an, wo er augenblicklich wieder gefangen wurde. Oft ſieht man ihn in ſeinem Käfig auf dem Rücken liegen, wenn er frißt, beim Trinken aber hält er das kleine Gefäß zwiſchen ſeinen Vorderfüßen und leckt wie eine junge Katze. Auf der Reiſe nach London konnten wir ihm glücklicherweiſe fortwährend Milch ver - ſchaffen, und ſo befand er ſich ſtets wohl. Nach und nach war er ſo zahm geworden, daß ich ihn ge - legentlich abends auf dem Deck herumlaufen laſſen konnte. Dort ſpielte er mit ſich ſelbſt wie eine junge Katze und ſchien ſich ſehr zu freuen, wenn man ihn krante. Doch auch jetzt noch ließ er ſich ungern gefangen nehmen und ſpuckte und ſchnurrte augenblicklich nach der Hand, welche ihn aufnahm.

Ueber ſeine Fortpflanzung ſcheint noch Nichts bekannt zu ſein, wenigſtens finde ich in keinem der mir zugänglichen Werke darüber etwas Sicheres mitgetheilt.

Von den übrigen Flugbeutlern können wir uns noch zwei Arten zu genauerer Betrachtung aus - wählen, die größte und die kleinſte. Erſtere, das Beuteleichhorn oder der Taguan der Anſiedler (Petaurus taguanoides), wird gegenwärtig als Vertreter einer eigenen Sippe angeſehen; doch begrün - den ſich die Unterſchiede blos auf die geringen Abweichungen im Gebiß und im Bau der Flughäute. Es finden ſich oben ſieben und unten ſechs Backzähne in ununterbrochener Reihe, und die Flughaut reicht vorn bis zum Ellbogen, hinten bis an die Wurzel des Daumens. Der Taguan erreicht bis 20 Zoll Leibeslänge. Der Schwanz iſt etwa körperlang, der Kopf iſt klein, die Schnauze kurz und zugeſpitzt. Die Augen ſind ſehr groß und die Ohren breit und dicht, faſt buſchig behaart. An den Füßen finden ſich ſtarke, gekrümmte und ſcharfe Nägel. Der Pelz iſt ſehr lang und weich und am Schwanze buſchig. Jn ſeiner Färbung ändert der Taguan vielfach ab. Gewöhnlich iſt die Oberſeite bräunlichſchwarz gefärbt, der Kopf mehr bräunlich, die Flughaut weißlich geſprenkelt. Schnauze, Kinn und Pfoten ſind ſchwarz, der Schwanz ſchwarz oder bräunlichſchwarz, bläſſer an der Wurzel und gelblich an der Unterſeite. Kinn, Kehle, Bruſt und Bauch ſind weiß. Es gibt aber ſo viele Abän - derungen in der Färbung, daß man kaum zwei Stück findet, welche vollkommen gleich gefärbt ſind. Die braune Farbe des Felles geht bei dem einen in das dunkelſte Braunſchwarz über; bei dem anderen iſt der ganze Pelz grau, ebenſowohl auf der Oberſeite als auf der Flughaut, und nicht ſelten findet man auch ſehr ſchöne Weißlinge. Unter allen Umſtänden bleiben die Unterſeite und die Jnnenſeite der Glieder reinweiß.

Der Taguan bewohnt Neuholland, zumal die großen Wälder zwiſchen Port Philipp und Moreton-Bay und ſoll dort häufig ſein, obgleich man ihn nur ſehr ſelten in der Gefangenſchaft oder getödtet in den Händen der Eingeborenen ſieht. Er iſt, wie alle ſeine Verwandten, ein Nacht -Brehm, Thierleben. II. 334Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.geiſt, welcher ſich bei Tage in die Höhlungen der großen, abgeſtorbenen Bäume verbirgt und dort ſchlafend den Tag verbringt. Hier iſt er geſichert vor jedem ſeiner Feinde, mit alleiniger Ausnahme des immer hungrigen und immer wachſamen Eingeborenen von Neuſüdwales, deſſen Auge ohne Un - terlaß umherſchweift, um etwas Eßbares zu finden, und deſſen Verſtand gerade hinreicht, um nach den geringfügigen Spuren, die der Taguan hinterläßt, ſeinen Schlafplatz aufzufinden. Ein leichter Ritz in der Rinde des Baums, einige Haare am Rande der Oeffnung, in welche das Thier einge - treten iſt, berichten den dunklen Mann mit derſelben Sicherheit über die ihm willkommene Beute, als wenn er ſie ſelbſt in ihre Wohnung hätte treten ſehen. Er iſt geübt genug, um aus den Anzeigen zu erkennen, ob die Höhlung im Baume friſch beſucht oder ſchon vor längerer Zeit be - nutzt wurde. Sobald die Anzeigen verſprechend ſind, erſteigt er den Baum faſt mit derſelben Schnelligkeit, mit welcher ein Affe klettert, unterſucht durch Klopfen, deſſen Schall die Tiefe der Höhlung verkündet, wo das Thier liegt, und arbeitet ſich auf eine oder die andere Weiſe bis zu dem ſchlafenden Taguan durch, faßt ihn am Schwanze, zieht ihn ſo ſchnell hervor, daß er nicht Zeit

Das Beuteleichhorn oder der Taguan (Petaurus taguanoides).

findet, von ſeinen Krallen oder Zähnen Gebrauch zu machen, ſchwingt ihn einmal im Kreiſe herum, zerſchmettert ihm die Hirnſchale durch einen kräftigen Schlag gegen den Stamm und wirft ihn als Leiche auf den Boden. Es iſt beſonders auffallend, daß der Taguan ſeine Höhle auch dann nicht verläßt, wenn er durch den Schall der Arthiebe erweckt wird, welche zu ſeinem Schlafplatze den Weg bahnen ſollen. Wahrſcheinlich iſt der Schreck über den ungewünſchten Beſuch ſo groß, daß er dem Thiere alle Beſinnung raubt. Dagegen vertheidigt er ſich, falls er geſaßt wird, mit ſeinen ſtarken, ſcharfen und gekrümmten Nägeln ſo vortrefflich, daß es unbedingt nöthig iſt, ihn in der angegebenen Weiſe zu packen und ſchnell zu tödten, um bedeutenderen Verletzungen zu entgehen. Man verſichert, daß der Taguan gereizt ein verzweifelter Kämpfer ſei und ſeine Zähne faſt eben - ſogut zu gebrauchen verſtände, wie ſeine Klauen. Das Fleiſch gilt als ein Leckerbiſſen, und da das Thier eine ziemliche Größe erreicht, jagt man ihm des Bratens wegen eifrig nach, und zwar be - theiligen ſich an dieſer Jagd die Weißen ebenſowohl, als die ſchwarzen Ureinwohner des Landes. Ohne Hilfe der Letzteren dürfte jedoch der Weiße ſelbſt nicht in die Lage kommen, das geſchätzte Fleiſch zu verſpeiſen; denn zu der Jagd des Thieres gehört eben die von Kindheit an ausgebildete Jagdfertig -35Die fliegende Maus.keit der Schwarzen, ihr ſcharfes Auge und ihre geſchickte Hand. Und deshalb ſind auch alle Jäger oder Reiſenden ſtets von einer Bande jener Naturmenſchen begleitet.

Wenn der Taguan vollſtändig erwacht iſt, zeichnet er ſich durch Gewandtheit, Behendigkeit und Sicherheit der Bewegung vor allen übrigen Gattungsverwandten aus. Er fliegt förmlich von einem Zweig zum anderen, ſpringt über bedeutende Entfernungen weg, klettert ungemein raſch wieder zu einem neuen Wipfel empor und geht ſo weiter von Baum zu Baum, von Krone zu Krone. Sein langes, weiches und ſeidenglänzendes Haar wellt bei dieſen Sprüngen, und das blaſſe Mondlicht legt ſich wahrhaft zauberhaft auf das Fell, deſſen Glätte den Schimmer in eigenthümlicher Weiſe wiederſpiegelt.

Die Nahrung des Taguan beſteht in Blättern, Knospen, jungen Zweigen und vielleicht auch Wurzeln. Selten ſteigt unſer Flugbeutler zur Erde nieder, um da zu weiden; gewöhnlich betritt er den Boden blos dann, wenn er von einem ſehr entfernten Baume zu einem anderen wandern will. Die Gefangenſchaft ſoll er ohne Schwierigkeiten längere Zeit aushalten; doch glückt es nur äußerſt ſelten, ihn zu erlangen, und europäiſche Reiſende haben ſchon vergeblich ziemlich bedeutende Summen geboten, um ſeiner habhaft zu werden.

Auch der Zwerg unter den Flugbeutlern, die fliegende Maus (Acrobates pygmaeus) wird als

Die fliegende Maus (Aerobates pygmacus)

Vertreter einer beſonderen Sippe betrachtet. Sein Zahnbau iſt gewiſſermaßen umgekehrt der des vorhergehenden. Er hat oben ſechs und unten ſieben Backzähne. Die Ohren ſind mäßig behaart, die breite Flughaut reicht bis zur Handwurzel herab, der Schwanz iſt zweizeilig. Das niedliche Thierchen hat ungefähr die Größe unſerer gemeinen Maus, und wenn es ſo auf einem Aſte ſitzt, die dehnbare Flughaut an den Leib gelegt, ſieht es unſeren niedlichen und verhaßten Nagern täuſchend ähnlich. Seine ganze Länge übertrifft kaum ſechs Zoll, davon kommt ein wenig mehr als die Hälfte auf die Leibeslänge und das Uebrige auf den Schwanz. Der kurze, weiche Pelz iſt oben graubraun, unten gelblichweiß gefärbt; die Augen ſind ſchwarz umringelt, die Ohren vorn dunkel, hinten weiß - lich; der Schwanz iſt oben braungrau, unten lichter. Beide Hauptfarben des Leibes ſind ſcharf von einander geſchieden, wie es auch auf unſerer Abbildung ſich zeigt. Jm Sitzen legt ſich die Flughaut faltig an den Leib an und wird ſo zu einem ganz beſonderen Schmucke der Opoſſummaus . Das zarte Weiß am unteren Rande erſcheint dann wie ein geſchmackvoller Spitzenſaum an dem Mantel, welcher auf den Schultern des Thieres liegt. Der Schwanz zeichnet ſich durch zweizeilige, feder -3 *36Die Kuſus oder Kuskuten.bartartige Behaarung aus, wie wir Dies bei tiefer ſtehenden Thieren noch öfters zu bemerken haben werden.

Der Zwergflugbeutler nährt ſich, wie ſeine übrigen Verwandten, von Blättern, Früchten, Knospen und anderen zarten Pflanzentheilen, verſchmäht aber auch ein kleines Kerbthier nicht, falls er dieſes zufällig entdeckt. An Lebendigkeit und Beweglichkeit ſteht er ſeinen übrigen Verwandten kaum nach, und in der Fähigkeit, große Entfernungen mit Hilfe der ausgebreiteten Flughäute zu über - ſpringen oder zu überfliegen, wird er nur von wenigen übertroffen.

Man ſagt, daß das Thierchen ſehr beliebt ſowohl bei den Eingeborenen, als bei den Eingewan - derten in der Nähe von Port Jackſon ſei und häufig zahm im Bauer gehalten werde; doch fehlen zur Zeit leider noch genauere Berichte ebenſowohl über das Leben und Weſen der Gefangenen, als über das Freileben, die Fortpflanzung und Kinderzucht dieſes ſchmucken Geſchöpfes.

Jn den Wäldern von Amboina, Banda und Neu-Guinea, vielleicht auch auf Timor und Neu - Jrland hauſt eine ganz eigenthümliche Sippe unſerer Familie, deren uralten Landesnamen auch wir zu ihrer Bezeichnung angenommen haben. Es ſind dies die Kuſus oder Kuskuten (Cuscus), große Kletterbeutelthiere von ziemlich plumper Geſtalt, deren Schwanz nur an der Wurzelgegend behaart, an der Endhälfte aber nackt und warzig iſt, mit kurzen Ohren, ſenkrecht geſtellten Augenſternen und dichtem, mehr oder weniger wolligem Pelz, in ihren Bewegungen wie in ihrem geiſtigen Weſen lang - ſame und träge Geſchöpfe. Die Mitglieder der kleinen Gruppe ſind aus ſchon ſeit längerer Zeit bekannt geworden, ohne daß wir in der Neuzeit ſicherere und ausführlichere Nachrichten über ſie erhal - ten konnten. Unſer Bild ſtellt den gefleckten Kuskus (Cuscus maculatus) dar, ein Thier von Katzengröße, d. h. von 2 Fuß Leibeslänge und etwas über Fuß Schwanzlänge, mit dichtem, wolligen Pelz, welcher in der Färbung vielfach abändert. Jm Alter iſt er gewöhnlich weiß mit gelblichem oder graulichem Anfluge und durch große, unregelmäßige, tiefbraune oder ſchwarze Flecken aus - gezeichnet, welche auf der Außenſeite der Beine verſchwimmen; in der Jugend ſind die Flecken lichter und in der Kindheit grau. Die Unterſeite iſt immer ungefleckt und reinweiß; die Füße ſind roſtfarben, der Schwanz iſt weiß und nur ſeltener gefleckt. Geſicht und Stirn ſind bei alten Thieren lebhaft gelb, bei jüngeren roſtgelb. Die Ohren ſind oft weiß und die nackten Theile röthlich. Jn der Färbung kommen große Abweichungen vor. Das Fell iſt weich und ſeidenartig und trotz ſeiner Zartheit ein geſuchter Stoff zur Ausfütterung von Kleidern und Mänteln.

Wir verdanken die erſten Nachrichten über das Leben des Thieres dem Holländer Valentyn. Er erzählt, daß auf Amboina unter dem Geſchlecht der Wieſel der Kuskus oder Kuſu, wie ihn die Malaien nannten, eines der ſeltſamſten wäre. Der Kopf hat viel Aehnlichkeit mit einer Ratte oder mit einem Fuchſe. Der Pelz iſt feindicht, wie bei einer Katze, doch wolliger und von Farbe roth und grau, faſt wie beim Haſen. Einige ſind röthlich, einige auch weiß. Die Weibchen ſind meiſtentheils grau, die großen haben rothe Augen u. ſ. w. Die großen Arten ſind ſehr bös und gefährlich; ſie ſind im Stande, wenn ſie auf einem Baume ſitzend von Jemand am Schwanze gehalten werden, den Mann in die Höhe zu ziehen und dann auch gehörig fallen zu laſſen. Auch wehren ſie ſich mit ihren ſcharfen Klauen, welche unten nackt ſind, faſt wie bei einer Kinderhand, und bedienen ſich der - ſelben wie ein Affe; dagegen vertheidigen ſie ſich nicht mit den Zähnen, obſchon ſie recht gut mit den - ſelben verſehen ſind. Das Ende des Schwanzes iſt nackt und krumm, damit halten ſie ſich ſo feſt an den Zweigen, daß man ſie nur mit genauer Noth abziehen kann. Sie wohnen auch auf den Molukken, nicht in Gängen, wie die weſtindiſchen Wieſel, ſondern in Wäldern, auf Bäumen, beſonders wo es Holzſamen gibt. Auf Ceram und Bulo gibt es mehr, als auf Amboina, weil ſie hier die Men - ſchen ſcheuen, welche ſie in eigenthümlicher Weiſe fangen, um ſie zu eſſen; denn ſie ſind ein Leckerbiſſen für die Eingeborenen und ſchmecken gebraten wie die Kaninchen. Aber die Holländer mögen ſie doch nicht. Man muß die am Schwanze Aufgehangenen ſtarr anſehen, da laſſen ſie aus Furcht den37Der gefleckte Kuskus.Schwanz los und ſtürzen vom Baume. Aber nur gewiſſe Leute beſitzen die Eigenſchaft, die Kuskus von den Bäumen herabzuſehen . Die Thiere ſpringen von einem Baume zum anderen, wie die Eichhörnchen, und machen dann den Schwanz krumm wie einen Haken. Sie hängen ſich an Zweige an, damit ſie um ſo beſſer die Früchte erreichen können, welche ſie freſſen. Grüne Blätter, die äußere Schale der Canari-Nüſſe, Piſang und andere ſaftige Früchte werden von ihnen gefreſſen. Dabei ſetzen ſie ſich wie die Eichhörnchen. Wenn ſie auf der Erde herumgehen und überraſcht werden, ſind ſie in einem Augenblicke auf dem Baume. Aengſtigt man ſie, ſo harnen ſie vor Schrecken. Zwiſchen den Hinterfüßen befindet ſich ein Beutel, worin zwei bis vier Junge aufbewahrt werden, welche ſo feſt an den Saugwarzen hängen, daß beim Abreißen Blut fließt. Faſt jedes Weibchen, welches man findet, hat Junge im Sacke; ſie müſſen mithin immer trächtig gehen.

Später berichten uns Leſſon und Garnot, welche die Kuſus in Neu-Jrland trafen: Die Eingeborenen brachten täglich eine ganze Menge lebendig aus Schiff. Sie hatten ihnen die Beine ge - brochen und ein Stück Holz ins Maul geſteckt, wahrſcheinlich um das Beißen zu verhindern. Jhren

Der gefleckte Kuskus (Cuscus maculatus).

Erzählungen nach verriethen ſich die Thiere durch ihren Geſtank und würden dann durch Anſtarren mit den Augen gebannt, und wenn ſie aus Ermüdung den Schwanz losließen und herunterfielen, ge - fangen. Die Eingeborenen ſollen das fette Fleiſch ungemein lieben; ſie weiden die Gefangenen aus und braten ſie mit Haut und Haaren auf Kohlen. Halsſchnüre, Gürtel und Verzierungen der Waffen, oft von Klafterlänge, werden aus den Zähnen des Kuskus bereitet.

Quoy und Gaimard erzählen, daß der gefleckte Kuskus, welchen unſere Abbildung darſtellt, in Jndien die Faulthiere Amerikas vorzuſtellen ſcheine. Er ſei eben ſo ſtumpf und bringe den größten Theil ſeines Lebens in der Dunkelheit zu. Von dem Lichte beläſtigt, ſteckt er den Kopf zwiſchen die Beine und verändert dieſe Lage blos dann, wenn er freſſen will; dabei beweiſt er eine große Begierde, ſo ſtumpf er ſonſt auch iſt. Jn den Wäldern nähren ſie ſich von würzigen Früchten; in der Gefangenſchaft freſſen ſie, wenn ihnen Pflanzennahrung mangelt, auch rohes Fleiſch. Das Betragen in der Gefangenſchaft iſt ebenſowenig angenehm, wie ihr Anſehen. Sie ſind langſam und ſtill, ſchläfrig und grämlich, freſſen gierig und ſaufen ſehr viel. Sie vertragen ſich ſchlecht mit ihres Gleichen, wenigſtens wenn man mehr als zwei in einen Käfig thut, hauen oft unter38Die Kuſus oder Kuskuten.Knurren und gellenden Schreien auf einander los, pfauchen wie die Katzen, ziſchen, zwicken und reißen einander große Stücken ihrer dünnen und zarten Haut aus, während ſie ſich balgen. Die Haut iſt allerdings ſo dünn, daß ſie losgeht, wenn man ſie mit Gewalt am Pelze wegziehen will, während ſie ſich an ihren ſcharfen Krallen feſthalten, und bei ihrer Störrigkeit laſſen ſie auch dann nicht los, wenn ihnen der Pelz in Fetzen vom Leibe geriſſen wird. Während des Tages ſehen die großen, car - minrothen Augen, deren Stern auf einen ſchmalen Spalt zuſammengezogen iſt, eigenthümlich dumm und blöde aus; in der Nacht leuchten ſie wie die anderer echter Nachtthiere: dann erinnern ſie in vieler Hinſicht an die Faulaffen oder Loris Oſtindiens. Wenn ſie nicht freſſen oder ſchlafen, lecken ſie ſich an den Pfoten oder am Schwanze; einen anderen Zeitvertreib ſcheinen ſie nicht zu kennen. Die Thiere heißen übrigens blos auf Amboina Kuskus; in Neuholland nennt man ſie Gebun, auf Waigin Rambawe oder Schamſcham, und wahrſcheinlich führen ſie auf jeder Jnſel einen beſonderen Namen.

Auf dieſe Angaben ſcheinen ſich die Nachrichten über dieſe Thiere zu beſchränken. Es ſind wiederum einmal die Alten, von denen wir etwas Genaueres wiſſen; die neuzeitlichen Forſcher achten leider gewöhnlich eine genaue Beſchreibung der Zähne, Krallen und Haare, welche ebenſogut in Europa gemacht werden kann, als in der Heimat eines Thieres, für viel wichtiger, als eine Schilderung des Lebens. Wir finden bei faſt ſämmtlichen neueren Reiſenden, daß ſich der Menſch immer mehr und mehr von der Natur entfremdet!

Unter den Uebrigen unſerer Familie dürften die eigentlichen Kuſus (Phalangista) die beachtens - wertheſten ſein. Einen deutſchen Namen haben wir für dieſe Thiere nicht, die einheimiſchen Namen ſind ſo ungefüge, daß wir ſie auch nicht brauchen können, und ſo müſſen wir ſchon mit der wiſſenſchaft - lichen Benennung, welche ſo viel als geſchloſſene Zehe bedeutet, vorliebnehmen.

Die Phalangiſten erſcheinen gleichſam als Mittelglieder zwiſchen gewiſſen Raubthieren und gewiſſen Nagern; die Einen ähneln den Mardern, die Anderen den Füchſen und doch auch wieder den Eichhörnchen in gleichem Maße. Man würde in Verlegenheit kommen, ſie unterzubringen, wenn nicht der Beutel ihre Einreihung in unſere Ordnung beſtimmte. Als ihr wiſſenſchaftliches Kenn - zeichen gilt, daß die zweite und dritte Zehe der Hinterfüße bis zum Nagelglied mit einander verwachſen ſind. Die Vorder - und Hinterfüße ſind fünfzehig; der Daumen der letzteren iſt den übrigen Zehen gegenſetzbar; der Schwanz iſt ein langer und buſchiger Greifſchwanz, welcher, wie bei einigen Affen, nur am unteren Ende kahl iſt. Das Gebiß erſcheint als ein echtes Mittelding zwiſchen dem eines Raubthieres und dem eines Nagers. Die Schneidezähne ſind nagerartig verlängert; aber es finden ſich auch Eck - und Lückzähne, ſowie mehrere Mahlzähne in jeder Reihe. Die wenigen Arten leben in Neuholland und den benachbarten Jnſeln, auch auf den Molukken und ſind träge und nächtliche, ruhige und ſtumpfe Geſchöpfe, welche die Waldungen bewohnen und ein Baumleben führen. Eine der be - kannteſten Arten iſt der Fuchskuſu (Phalangista vulpina), ein Thier von Wildkatzengröße, welches den zierlichen Bau unſeres Eichhörnchens mit der Geſtalt des Fuchſes zu vereinigen ſcheint. Die Leibeslänge beträgt 2 Fuß und die des Schwanzes 17 Zoll. Bennet gibt Fuß für die Geſammtlänge an. Der Leib iſt lang und geſtreckt, der Hals kurz und dünn, der Kopf verlängert, die Schnauze kurz und zugeſpitzt, die Oberlippe tief geſpalten. Aufrechtſtehende, mittellange und zu - geſpitzte Ohren, ſeitig geſtellte Augen mit länglichem Stern, nackte Sohlen, platte Nägel an den hinteren Daumen und ſtark zuſammengedrückte ſichelförmige Krallen an den übrigen Zehen, ein un - vollkommener, nur durch eine flache Hautfalte gebildeter Beutel beim Weibchen und ein dichter und weicher Pelz aus ſeidenartigem Wollhaar und ziemlich kurzem, ſteifen Grannenhaar beſtehend, kenn - zeichnen das Thier noch außerdem. Die Farbe der Oberſeite iſt bräunlichgrau mit röthlich fahlem Anfluge, welcher hier und da ſtark hervortritt, die Unterſeite iſt lichtockergelb, am Unterhals und der Bruſt meiſt roſtroth; der Schwanzrücken und die Schnurren ſind ſchwarz, die innen nackten Ohren39Der Fuchskuſu.ſind auf der Außenſeite lichtockergelb, am inneren Rande ſchwarzbraun behaart. Der Schwanz iſt größtentheils ſchwarz. Junge Thiere ſind lichtaſchgrau mit Schwarz gemiſcht, unten aber wie die Alten gefärbt. Außerdem kommen viele Abänderungen vor.

Der Fuchskuſu bewohnt Neuholland und Vandiemensland und iſt eines der häufigſten aller auſtraliſchen Beutelthiere. Wie die Vorigen lebt er ausſchließlich in Wäldern auf Bäumen und führt eine durchaus nächtliche Lebensweiſe; er kommt ſogar erſt eine oder zwei Stunden nach Sonnenunter - gang aus ſeinen Verſtecken hervor. So ausgezeichnet er auch klettern kann und ſo vortrefflich er zu ſolcher Bewegung ausgerüſtet iſt, ſo träge und langſam erſcheint er im Vergleich zu anderen ähnlich gebauten Thieren, zumal zu den Eichhörnchen. Der Greifſchwanz muß tüchtig herhalten; denn das Thier macht eigentlich keine einzige Bewegung, ohne ſich vermittelſt dieſes ihm unentbehrlichen Werkzeugs vorher gehörig zu verſichern. Auf ebenem Boden ſoll er noch viel langſamer ſein, als auf den Bäumen. Die Nahrung des im ganzen ſehr harmloſen Thieres beſteht größtentheils aus Pflan - zenſtoffen; jedoch verſchmäht es ein kleines Vögelchen oder ein anderes ſchwaches Wirbelthier keines - wegs. Seine Beute quält der ungeſchickte Räuber nach Marderart erſt längere Zeit, reibt und dreht

Der Fuchskuſu (Phalangista vulplna).

ſie wiederholt zwiſchen ſeinen Vorderpfoten herum und hebt ſie endlich mit denſelben zum Munde, öffnet mit dem ſcharfen Gebiß die Hirnſchale und frißt zunächſt das Gehirn aus. Dann erſt macht er ſich über das Uebrige her. Wie der Fuchskuſu im Freien Thiere überrumpelt, hat man nicht beob - achten können; man nimmt aber an, daß er durch dieſelbe Vorſicht und die Lautloſigkeit der Bewe - gung, welche die Lemuren oder Faulaffen auszeichnet, zum Ziele kommt. Seine Trägheit ſoll ſo groß ſein, daß er ohne beſondere Schwierigkeiten von einem einigermaßen geübten Kletterer gefangen werden kann. Sobald er Gefahr merkt, hängt er ſich mit ſeinem Schwanze an einen Aſt oder Zweig auf und verharrt, um nicht entdeckt zu werden, lange Zeit in dieſer Stellung, hierdurch oft genug den Blicken ſeiner Verfolger entgehend. Wird er aber aufgefunden, ſo weiß er kaum der ihm drohenden Gefahr zu entrinnen, und auch bei ihm gilt dann das Vom-Baume-Sehen .

Die Eingeborenen ſtellen ihm eifrig nach und betrachten ſein Fleiſch, trotz des üblen kampfer - artigen Geruches, welchen es von ſich gibt, als einen vorzüglichen Leckerbiſſen. Sie wiſſen auch ſein Fell vielfach zu verwenden. Einen aus demſelben gefertigten Ueberwurf tragen ſie mit der -40Die Kuſus oder Kuskuten.ſelben Befriedigung, wie wir einen Zobel - oder Edelmarderpelz. Jn der That gibt das weiche, wollige Fell ein vortreffliches Pelzwerk; Sachkenner haben ſich anerkennend darüber ausgeſprochen, ſo daß es nicht unwahrſcheinlich iſt, den Fuchskuſu ſpäter mit unter den Pelzthieren aufgeführt zu finden. Die Eingeborenen kennen bis jetzt nur eine ſehr einfache Zubereitungsart dieſer Felle. Sie breiten den Balg, nachdem ſie ihn abgezogen haben, mit der Haarſeite nach unten auf dem Boden aus, pflöcken ihn ringsum feſt und bearbeiten ihn mit einer Muſchelſchale, bis er ihnen den nöthigen Grad von Geſchmeidigkeit erlangt zu haben ſcheint; dann heften ſie ihn vermittelſt eines zugeſpitzten Knochens, in welchen ſie die zerſpaltene Sehne eines Eichhorns eingefädelt haben, zuſammen und bereiten ſich ſo eine Art von Mantel, in welchem ſie gar ſtolz einhergehen. Es iſt durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß ſie, wie die Jnnerafrikaner es auch thun, gewiſſe gerbſtoffhaltige Pflanzen, Rinden oder Schoten anwenden, um die Felle noch beſonders zu gerben. Jedenfalls iſt dieſer Nutzen, welchen das Thier gewährt, die Haupturſache ſeiner eifrigen Verfolgung; denn der Schaden, welchen es in ſeiner Heimat anrichtet, iſt natürlich nicht von Belang.

Das Weibchen bringt blos zwei Junge zur Welt und trägt dieſe längere Zeit mit ſich im Beutel und ſpäter wohl auch auf dem Rücken herum, bis die Kleinen der mütterlichen Pflege entbehren können. Man zähmt ſie ohne Mühe. Jn neuerer Zeit kommen ſehr viele lebende Fuchskuſus nach Europa. Jeder Thiergarten beſitzt einige. Die Gefangenen zeigen ſich ſanft und friedlich d. h. verſuchen nicht, zu beißen, ſind aber ſo dumm, theilnahmslos und träge, daß ſie nur wenig Vergnügen gewähren. So lange es hell iſt, ſuchen ſie ſich den Blicken ſoviel als möglich zu entziehen, vergraben ſich tief in das Heu und verbergen ſich in anderen Schlupfwinkeln, rollen ſich zuſammen, legen den Kopf zwiſchen die Beine, ſchmiegen das Geſicht an den Bauch und verſchlafen ſo den ganzen Tag, wie die Faulaffen. Stört man ſie in ihrem Schlafe, ſo ſind ſie äußerſt mürriſch und übellaunig und ziehen ſich baldmöglichſt wieder in ihr Verſteck zurück. Erſt nach völlig eingetretener Nacht, im Sommer ſelten vor elf Uhr abends, werden ſie munter, und dann ſind ſie ſehr lebendig. Man ernährt ſie ohne Mühe mit Milchbrot, Fleiſch, Früchten und Wurzeln, hält ſie auch leicht in einem nicht allzu - kleinen Käfig, doch darf derſelbe nicht zu ſchwach ſein; denn ſie nagen ſich ziemlich leicht durch. Zwei gefangene Fuchskuſus unſeres Thiergartens zerbiſſen zolldicke Gitterſtäbe, zwei andere die Breter - wand ihres Käfigs und entflohen. Ein großer Reiſighaufen in der Nähe ihres früheren Aufenthaltes bot ihnen Zuflucht. Nachts liefen ſie im Garten und dem zu dieſem gehörigen Gehöft umher oder kletterten auf dem Gehege und naheſtehenden Bäumen auf und nieder. Der eine der Entflohenen wurde wieder eingefangen und rief nun allabendlich mit lautem Kuk, kuk, kuk nach ſeinem Gefährten. Dieſer pflegte dem Rufe zu folgen, vermied aber ſehr vorſichtig die ihm geſtellten Fallen. So trieb er ſich vierzehn Tage lang im Garten umher, holte ſich jede Nacht das für ihn bereitgeſtellte Futter und verſchwand wieder. Endlich verſah er ſich und büßte Dies mit der Freiheit.

Ein Weibchen, welches unterwegs ein Junges erhalten hatte und in unſeren Beſitz kam, behan - delte dieſes mit großer Zärtlichkeit, hielt es Tag und Nacht in ſeinen Armen und lebt noch jetzt, während ich dieſe Zeilen ſchreibe, mit dem inzwiſchen erwachſenen Sproß im tiefſten Frieden.

Höchſt wahrſcheinlich werden ſich Fuchskuſus bei uns fortpflanzen; doch fehlen mir hierüber noch Beobachtungen.

Unangenehm werden die Gefangenen dadurch, daß ſie einen kampferähnlichen Geruch verbreiten, welcher im geſchloſſenen Raume ſehr empfindlich ſein kann.

Die letzte Sippe macht uns mit einem der merkwürdigſten aller Beutelthiere bekannt, mit dem Koala oder Auſtraliſchen Bären (Phascolarctus cinereus), der einzigen Art ſeines Geſchlechts. Das Thier iſt in mehrfacher Hinſicht ſehr ausgezeichnet. Sein Leib iſt gedrungen, der Kopf ſehr dick, kurzſchnauzig, mit großen, buſchig behaarten Ohren; der Schwanz fehlt; die Pfoten ſind vorn und hinten fünfzehig und wahre Greiffüße. An den vorderen ſind die beiden inneren Zehen den drei41Der Koala oder Auſtraliſche Bär.anderen entgegenſetzbar; die Hinterfüße haben einen ſtarken, nagelloſen, aber ebenfalls gegenſetzbaren Daumen und in der Größe ſehr ungleiche Zehen, welche mit ſcharfen, langen und gekrümmten Nägeln bewaffnet und ſomit zum Klettern ganz geeignet ſind. Jm Gebiß fallen die ſehr ungleichen, oberen Schneidezähne, unter denen der erſte der größte und ſtärkſte iſt, die kleinen Eckzähne und die vier Mahlzähne mit mehreren Höckern auf.

Der wiſſenſchaftliche Name, welcher Beutelbär bedeutet, iſt bezeichnend; denn wirklich hat der Koala in der Geſtalt wie in ſeinem Gange und in der ganzen Haltung große Aehnlichkeit mit einem jungen Bären. Er iſt ungefähr ſo groß, wie ein Vielfraß, 2 Fuß lang und am Widerriſt einen Fuß hoch. Der Geſammteindruck iſt ein eigenthümlicher, hauptſächlich wegen des dicken Kopfes mit den merkwürdigen, rauch behaarten, weit aus einander ſtehenden, kleinen Ohren, den lebhaften Augen und der breiten und ſtumpfen Schnauze. Aber auch der übrige Leibesbau bietet viel Auf - fälliges dar. Vor allem iſt es der Fußbau, welcher Beachtung verdient. Die Zehen der Vorderfüße ſind nämlich wie bei dem Chamäleon in zwei Bündel getheilt, und die Hinterfüße durch die Ver -

Der Koala oder Auſtraliſche Bär (Phascolarctus einorous).

wachſung der zweiten und dritten Zehe ſehr merkwürdig. Der Schwanz beſteht aus einem warzen - artigen Höcker, welcher leicht überſehen werden kann. Die Behaarung iſt ſehr lang, faſt zottig und dicht, dabei aber fein, weich und wollig. Das Geſicht iſt längs des Naſenrückens und von der Schnauze bis zu den Augen beinahe nackt; um ſo dichter iſt die Behaarung der Außen - und Jnnen - ſeite der Ohren und die des übrigen Leibes. Die Färbung der Oberſeite iſt röthlichaſchgrau, die der Unterſeite gelblichweiß; die Außenſeite der Ohren iſt ſchwarzgrau.

Neuſüdwales und zwar die ſüdweſtlich von Port Jackſon gelegenen Wälder ſind die Heimat des Beutelbären. Er iſt nirgends häufig und deshalb auch noch ziemlich unbekannt. Paarweiſe, mit ſeinem Weibchen, klettert er auf den höchſten Bäumen herum mit einer Langſamkeit, welche ihm auch ſchon den Namen auſtraliſches Faulthier eingetragen hat. Was ihm aber an Schnelligkeit abgeht, erſetzt er reichlich durch die unglaubliche Sorgſamkeit und Sicherheit, mit welcher er klettert, und ſo iſt er fähig, ſelbſt auf den äußerſten Aeſten herumzuſchleichen. Nur höchſt ſelten und jedenfalls blos gezwungen durch den Mangel an Weide, verläßt er die Baumkronen und wandert über dem Boden womöglich noch langſamer, träger und unbehilflicher zu einem anderen Baume, der ihm neue Nah -42Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.rung verſpricht. Er iſt ein halb nächtliches Thier, wenigſtens verſchläft er die größte Helle und Hitze des Tages tief verſteckt in den Kronen der Gummibäume, welche ſeinen bevorzugten Aufenthalt bilden. Gegen Abend beginnt er ſeine Mahlzeit. Ruhig und unbehelligt von den übrigen Geſchöpfen der Wildniß, weidet er äußerſt ruhig und gemächlich die jungen Blätter und Schößlinge der Aeſte ab, indem er ſie mit den Vorderpfoten feſthält und mit ſeinen Schneidezähnen abbeißt. Jn der Däm - merung ſteigt er wohl auch zuweilen auf die Erde herab und wühlt dann im Boden nach Wurzeln herum, welche ein bevorzugter Leckerbiſſen für ihn zu ſein ſcheinen. Jn ſeinem ganzen Weſen und Treiben offenbart er eine ſeltene, würdige Ruhe oder, um richtiger zu ſagen, eine mehr als gewöhnliche Stumpfheit. Man nennt ihn ein überaus gutmüthiges und friedliches Thier im vollſten Gegenſatz zu ſeinem faſt Furcht einflößenden Ausſehen. Er iſt nicht ſo leicht in den Harniſch zu bringen und geht ſchweigſam ſeinen Geſchäften nach, unbekümmert um das Treiben der böſen Welt. Höchſtens dann und wann läßt er ſeine Stimme vernehmen, ein dumpfes Gebell, welches blos, wenn er ſehr hungrig iſt oder hartnäckig gereizt wird, in ein gellendes, ſchrillendes Geſchrei übergeht. Bei großem Zorne kann es wohl auch vorkommen, daß er eine wilddrohende Miene annimmt, und dann funkeln auch die lebhaften Augen böswillig dem Störenfried entgegen. Aber es iſt nicht ſo ſchlimm gemeint: er denkt kaum daran, zu beißen oder zu kratzen.

Stumpfſinnig wie er iſt, läßt er ſich ohne große Mühe fangen und fügt ſich gelaſſen in das Unvermeidliche, ſomit auch in die Gefangenſchaft. Hier wird er nicht nur bald ſehr zahm, ſondern lernt auffallender Weiſe auch raſch ſeinen Pfleger kennen und gewinnt ſogar eine gewiſſe Anhänglichkeit an ihn. Man füttert das Thier mit Blättern, Wurzeln u. dgl. Seine Speiſen führt es mit den Vorderpfoten zum Munde, wobei es ſich auf das Hintertheil ſetzt, während es ſonſt die Stellung eines ſitzenden Hundes annimmt.

So viel man weiß, wirft das Weibchen blos ein Junges. Es ſchleppt dieſes, nachdem es dem Beutel entwachſen, noch lange Zeit mit ſich auf dem Rücken oder den Schultern herum und behandelt es mit großer Sorgfalt und Liebe. Das Junge klammert ſich feſt an den Hals der Mutter an und ſieht theilnahmlos in die Welt hinaus, wenn die Alte mit anerkennenswerther Vorſicht in den Kro - nen der Bäume umherklettert.

Die Europäer kennen den Koala erſt ſeit dem Jahre 1803. Die Eingeborenen, welche ihn Goribun nennen, haben ihn von jeher als ein geſchätztes Jagdthier betrachtet. Sie verfolgen ihn ſeines Fleiſches wegen mit großem Eifer und zwar kletternd, wie er, auf den Bäumen. Einen Koala jagend, laſſen ſie es ſich nicht verdrießen, an den ſchlanken, 40 bis 50 Fuß hohen Stämmen emporzu - klimmen und in der Krone des Baumes eine Verfolgung zu beginnen, welche einem kletternden Affen Ehre machen könnte. So treiben ſie das Thier bis zu dem höchſten Aſte hinauf und werfen es von dort aus ihren Gefährten herab oder ſchlagen es mit Keulen todt.

Die Rieſen unſerer Ordnung ſind die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen (Halmaturi). Sie ſind durchſchnittlich höchſt auffallende Geſchöpfe; ihre Geſtalt iſt eine ganz abſon - derliche. Der Leib nimmt vom Kopfe an ungemein ſchnell an Dicke und Umfang zu; denn der ent - wickeltſte Theil des Körpers iſt die Lendengegend, wegen der in merkwürdigem Grade verſtärkten Hinterglieder. Jhnen gegenüber erſcheinen Kopf und Bruſt verkümmert. Der Hintertheil des Leibes vermittelt faſt ausſchließlich die Bewegung der Springbeutelthiere, und ſomit iſt ſeine Ent - wickelung erklärlich. Das Känguru vermag ſeine ſchwachen Vorderbeine nur in ſehr untergeordneter Weiſe zum Fortbewegen und zum Ergreifen der Nahrung zu benutzen, während die ſehr verlängerten Hinterläufe und der mächtige Schwanz ihm eine ſatzweiſe Bewegung möglich machen, welche an Schnelligkeit mit dem Laufe eines Hirſches wetteifern kann. Hinterbeine und Schwanz ſind unbe -43Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhafen.dingt das Bezeichnendſte am ganzen Thiere. Die Läufe haben ſtarke Schenkel, lange Schienbeine, unverhältnißmäßig verlängerte Fußwurzeln mit ſtarken und langen Zehen, von denen die mittelſte einen gewaltigen hufartigen Nagel trägt. Die Zahl der Zehen beträgt hier, weil der Daumen fehlt, nur vier. Der Schwanz iſt verhältnißmäßig dicker und länger, als bei jedem andern Säugethiere, und äußerſt muskelkräftig. Jm Vergleich zu dieſen Gliedern ſinken die vorderen zu ſtummelhaften Greifwerkzeugen herab, obwohl hiermit keineswegs geſagt ſein ſoll, daß ſie auch hinſichtlich ihrer Beweglichkeit verkümmert wären. Die Vorderfüße des Känguru, welche gewöhnlich fünf, mit runden Nägeln bekrallte Zehen haben, ſind gewiſſermaßen zu Händen geworden und werden von dem Thiere auch handartig gebraucht. Der Kopf erſcheint als ein Mittelding zwiſchen dem eines Hirſches und dem eines Haſen. Mit dieſen Worten ſind die Springbeutelthiere beſchrieben; ein einziger Blick auf irgend eine unſerer Abbildungen ergänzt das Fehlende vollſtändiger, als die ausführlichſte Schil - derung es zu thun vermag.

Auſtralien iſt die Heimat der Springbeutelthiere. Die weiten, grasreichen Ebenen inmitten des Erdtheils bilden ihre bevorzugten Aufenthaltsorte. Einige Arten ziehen buſchreiche Gegenden, andere felſige Gebirge den parkähnlichen Grasflächen vor; noch andere haben ſich zu ihrem Aufenthalte un - durchdringliche Buſchwerke erkoren, in denen ſie ſich erſt durch Abbrechen von Aeſten und Zweigen Laufgänge bereiten müſſen, oder leben, ſo unglaublich Dies auch ſcheinen mag, auf den Felſen und Bäumen ſelbſt. Die meiſten halten ſich einzeln und kommen blos zufällig auf futterreichen Plätzen in größerer Anzahl zuſammen, ohne jedoch jemals einen wirklich geſchloſſenen Verband zu bilden. Die achtzig und mehr Stücke einer Känguruherde, welche der Reiſende mit einem Blicke überſchauen kann, zertheilen ſich vielleicht ſchon wenige Stunden ſpäter in alle Richtungen der Windroſe und vereinigen ſich gelegentlich wieder mit anderen ihrer Art oder mit Verwandten, ohne nach ihren früheren Genoſſen zu verlangen. Die meiſten Arten treiben bei Tage ihr Weſen; die kleineren dagegen ſind Nacht - thiere, welche ſich bei Tage in ſeichten Vertiefungen verbergen und zu ihnen zurückzukehren pflegen. Einzelne bewohnen auch Felſenklüfte, zu denen ſie ſich regelmäßig wiederfinden, wenn ſie auf Aaſung ausgegangen waren.

Leibliche und geiſtige Begabungen der Käugurus verdienen eine ausführliche Beſchreibung. Die Springbeutelthiere gehören unbedingt zu den beachtungswertheſten Säugethieren. An ihnen iſt eigentlich Alles merkwürdig: ihre Bewegungen und ihr Ruhen, die Art und Weiſe ihres Nahrungs - erwerbs, ihre Fortpflanzung, ihre Entwickelung und ihr geiſtiges Weſen. Der Gang, welchen man namentlich beim Weiden beobachten kann, iſt ein ſchwerfälliges, unbehilfliches Forthumpeln. Das Thier ſtemmt ſeine Handflächen auf und ſchiebt die Hinterbeine dann an den Vordergliedern vorbei, ſo daß ſie zwiſchen dieſe zu ſtehen kommen. Dabei muß es ſich hinten auf den Schwanz ſtützen, weil es ſonſt die langen Hinterläufe nicht ſo hoch heben könnte, daß ſolche Bewegungen möglich wären. Aber das Kängurn verweilt in dieſer, ihm höchſt unbequemen Stellung auch niemals länger, als un - umgänglich nothwendig. Selbſt beim Abbeißen ſitzt es regelmäßig auf Hinterbeinen und Schwanz, und läßt die Vorderarme ſchlaff herabhängen. Sobald es irgend eine Lieblingspflanze abgerupft hat, ſteht es auf, um ſie in der gewöhnlichen Stellung zu verzehren. Bei dieſer ſtützt es den Leib auf die Sohle und gleichzeitig auf den nach hinten feſt angeſtemmten Schwanz, wodurch der Körper ſicher und beqnem wie auf einem Dreifuß ruht. Seltener ſteht es auf drei Beinen und dem Schwanze: dann hat es mit der einen Hand irgend Etwas am Boden zu thun. Halb geſättigt, legt es ſich der Länge nach auf den Boden, die Hinterläufe weit von ſich geſtreckt. Fällt es ihm in dieſer Stellung ein, zu weiden, ſo bleibt es hinten ruhig liegen und ſtützt ſich vorn höchſtens mit den kurzen Armen auf. Zum Schlafen nehmen die kleineren Arten eine ähnliche Stellung an, wie der Haſe im Lager. Sie ſetzen ſich, dicht auf den Boden gedrückt, auf alle vier Beine und den der Länge nach unter den Leib geſchlagenen Schwanz; dieſe Stellung befähigt ſie, jederzeit ſofort die Flucht zu ergreifen. Das geringſte Geräuſch ſchreckt ein ruhendes Känguru augenblicklich auf, und44Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.namentlich die alten Männchen ſchnellen ſich dann, um ſich zu ſichern, ſo hoch als möglich empor, in - dem ſie auf die Zehenſpitzen treten und ſich mehr auf die Spitze des Schwanzes ſtützen.

Wenn ein Känguru irgend etwas Verdächtiges bemerkt, denkt es zunächſt an die Flucht. Hier - bei zeigt es ſich in ſeiner ganzen Beweglichkeit. Es ſpringt, wie bei jeder Beſchleunigung ſeines Ganges, ausſchließlich mit den Hinterbeinen, macht aber Sätze, welche die aller übrigen Thiere in jeder Hinſicht übertreffen. Es legt ſeine Vorderfüße dicht an die Bruſt, ſtreckt den Schwanz gerade und nach rückwärts aus, ſchnellt mit aller Kraft der gewaltigen Schenkelmuskeln ſeine langen, ſchlanken und federnden Hinterbeine gegen den Boden, wirft ſich hoch empor und ſchießt nun in einem flachen Bogen wie ein Pfeil durch die Luft. Einzelne Arten halten im Springen den Körper wagerecht, andere mehr ſteil, die Ohren in einer Ebene mit dem Widerriſt, während ſie bei ruhigem Lauf ge - ſteift werden. Ungeſchreckt macht das Thier nur kleine Sprünge von höchſtens acht Fuß Weite; ſo - bald es aber ängſtlich wird, verdoppelt und verdreifacht es ſeine Anſtrengungen. Es ſpringt mit dem rechten Fuße ein klein wenig eher, als mit dem linken ab und auf, ebenſo tritt es mit jenem etwas weiter vor. Bei jedem Satze ſchwingt der gewichtige Schwanz auf und nieder, und zwar um ſo heftiger, je größer die Sprünge ſind. Drehungen aller Art führt das Känguru mit zwei bis drei kleinen Sätzen aus, ohne dabei erſichtlich mit dem Schwanze zu ſteuern. Jmmer tritt es nur mit den Zehen auf, und niemals fällt es auf die Vorderarme nieder. Dieſe werden von ver - ſchiedenen Arten verſchieden getragen, bei den einen vom Leib abgehalten, bei den anderen mehr ange - zogen und gekreuzt. Ein Sprung folgt unmittelbar dem andern und jeder iſt mindeſtens 10 Fuß, bei den größeren Arten nicht ſelten aber auch 20, 25 und ſelbſt 30 Fuß weit und dabei 6 bis 9 Fuß hoch. Schon Gefangene ſpringen, wenn man ſie in einer größeren Umhegung hin - und herjagt, bis 26 Fuß weit. Es iſt erklärlich, daß ein ganz vortrefflicher Hund dazu gehört, einem Känguru zu folgen, und in der That gibt es nur wenige Jagdhunde, welche Dies vermögen. Auf bedecktem Boden hört die Verfolgung ſehr bald auf; denn das flüchtige Känguru ſchnellt leicht über die im Wege liegenden Büſche weg, während der Hund dieſelben umgehen muß. Auf unebenem Boden bewegt es ſich langſamer; namentlich wird es ihm ſchwer, an Abhängen hinunterzueilen, weil es ſich hier bei der Heftigkeit des Sprunges leicht überſchlägt. Uebrigens hält das laufende Thier ſtunden - lang aus, ohne zu ermüden.

Unter den Sinnen der Springbeutelthiere dürfte das Gehör obenan ſtehen; wenigſtens bemerkt man an Gefangenen ein fortwährendes Bewegen der Ohren nach Art unſeres Hochwildes. Das Geſicht iſt ſchwächer und der Geruch wahrſcheinlich ziemlich unentwickelt. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind gering. Das Känguru iſt ſehr unklug; es iſt ſchen, nicht aber vorſichtig, iſt vergeßlich, neugierig, furchtſam bis zum Aengſtlichwerden, leicht erregt und auch bald wieder beſänftigt, entweder gleich - giltig oder unverträglich gegen Andere ſeiner Art, der Zähmung nur im geringen Grade zugänglich, ohne Anhänglichkeit gegen ſeinen Wärter und Pfleger, kurz, ſein Verſtand iſt entſchieden ein ſehr untergeordneter. Große Erregung jeder Art bekundet es durch ſchnelles Athemholen und ein ſo hef - tiges Geifern, daß von dem ausfließenden Speichel bald die ganze Vorderſeite durchnäßt wird. Allein auch bei der größten Angſt, im tollſten Jagen z. B., wenn ihm die Hunde dicht auf den Ferſen ſind, kann es ſich nicht enthalten, ſeiner Neugier Genüge zu leiſten. Es dreht ſich ſcheinbar ängſtlich nach ſeinen Verfolgern um und rennt dabei nicht ſelten ſo heftig gegen einen Baum oder Felſen, daß es beſinnungslos zu Boden ſtürzt.

Die Nahrung iſt gemiſchter Art. Gras und Baumblätter bleiben die bevorzugteſte Speiſe, außerdem verzehren die Thiere aber auch Wurzeln, Baumrinde und Baumknospen, Früchte und mancherlei Kräuter. Einzelne Naturforſcher haben geglaubt, daß die Kängurus Wiederkäuer wären; ich habe jedoch trotz ſorgfältiger Beobachtung das Wiederkäuen noch bei keinem Känguru bemerken können. Sie kauen allerdings oft lange an gewiſſen Pflanzenſtoffen, ſtoßen den bereits hinabgewürgten Biſſen aber nicht wieder nach dem Munde herauf.

45Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Höchſt eigenthümlich iſt die Fortpflanzung und Entwickelung aller Springbeutelthiere. Die Zeit der Brunſt ſcheint an keinen beſtimmten Jahresabſchnitt gebunden zu ſein; Dies gilt wenigſtens für Gefangene. Das verliebte Männchen macht dem Weibchen in der ſonderbarſten Weiſe den Hof. Es umgeht oder umhüpft den Gegenſtand ſeiner Liebe mit verſchiedenen Sprüngen, ſchüttelt dabei wiederholt mit dem Kopfe, läßt ein ſonderbares heiſeres Meckern vernehmen, welches man am beſten mit unterdrücktem Huſten vergleichen könnte, und folgt dann der ſehr gleichgiltig ſich geberdenden Schönen auf Schritt und Tritt, beriecht ſie von allen Seiten und beginnt dann, den Schwanz, dieſes wichtige Werkzeug eines Känguru, zu krabblen und zu ſtreichen. Eine große Theilnahme ſchenkt es auch der Taſche des Weibchens; es befühlt oder beriecht ſie wenigſtens, ſo oft es Solches thun kann. Wenn Dies eine geraume Zeit gewährt hat, pflegt ſich das Weibchen ſpröde umzudrehen und vor dem zudringlichen Männchen aufzurichten. Das hüpft augenblicklich herbei und erwartet, ſcheinbar ge - laſſen, eine verdiente Züchtigung, benutzt aber den günſtigen Augenblick, um das Weibchen zu um - armen. Letzteres nimmt dieſe Gelegenheit wahr, um dem Zudringlichen mit den Hinterbeinen einen Schlag zu verſetzen, findet aber, nachdem es wiederholt umarmt worden iſt, daß es wohl auch nichts Beſſeres thun könne, und ſo ſtehen denn die beiden Thiere innig umſchlungen neben einander, ſchütteln und wackeln mit dem Kopfe, beſchnoppern ſich und wiegen ſich, auf den Schwanz geſtützt, behaglich hin und her. Sobald die Umarmung beendet iſt, beginnt die alte Geſchichte von neuem, und eine zweite Umarmung endet ſie wieder. Das ganze Liebesſpiel ſieht im höchſten Grade komiſch aus und erregt, wie billig, die Lachluſt eines jeden Beſchauers.

Etwas anders geſtaltet ſich die Sache, wenn mehrere verliebte Männchen um ein Weibchen werben. Dann kommt es ſelbſtverſtändlich zu Kampf und Streit. Die zarten Liebesbeweiſe, welche dem Schwanz geſpendet werden, bleiben weg. Beide Gegner umhüpfen ſich drohend und ſuchen, ſich ſobald als möglich zu umarmen. Jſt Dies ihnen geglückt, ſo ſtemmen ſie ſich beide zugleich auf den Schwanz und ſchlagen mit den hierdurch freigewordenen Hinterbeinen in gefährlicher Weiſe auf ein - ander los, verſuchen, ſich gegenſeitig mit den ſcharfen Nägeln den Bauch aufzuritzen, und prügeln ſich dabei mit den Vorderhänden ſoviel als möglich ab. Einige Beobachter haben angegeben, daß ſie hauptſächlich mit dem ſtarken Schwanze kämpften: ich habe Dies zwar niemals geſehen, halte es aber für möglich, weil einer der Wärter unſeres Thiergartens von einem Bennett’ſchen Känguru wiederholt mit dem Schwanze geſchlagen wurde.

Beſonders unverträglich ſcheinen die kleineren Arten zu ſein. Sie liegen ſich beſtändig in den Haaren und kratzen ſich gegenſeitig halb oder ganz kahl.

Ueber die Begattung ſelbſt weiß ich noch nichts Sicheres: doch glaube ich nach meinen Beob - achtungen annehmen zu können, daß ſie in ſitzender Stellung geſchieht. Als auffallend muß ich her - vorheben, daß verſchiedene Arten beiderlei Geſchlechts ſich genau in derſelben Weiſe betragen, wie rechtmäßige d. h. gleichartige Gatten. Die Brunſt ſcheint ſehr heftig zu ſein.

Die Vermehrung aller Springbeutelthiere iſt ſchwach. Die großen Arten werfen ſelten mehr als ein Junges. Trotz der bedeutenden Größe einiger Kängurus tragen die Weibchen erſtaunlich kurze Zeit, die weiblichen Rieſenkänguru z. B. nur 39 Tage. Nach Ablauf dieſer Zeit wird das Junge im eigentlichen Sinne des Wortes geboren. Die Mutter nimmt es mit dem Munde ab, öffnet mit beiden Händen den Beutel und ſetzt das kleine, unſcheinbare Weſen an einer der Zitzen feſt. Zwölf Stunden nach der Geburt hat das junge Rieſenkänguru eine Länge von 14 Linien. Es kann nur mit den Keimen anderer Thiere verglichen werden; denn es iſt vollkommen unreif, durchſcheinend, weich, wurmartig; ſeine Augen ſind geſchloſſen, die Ohren und Naſenlöcher erſt angedeutet, die Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Zwiſchen ihm und der Mutter ſcheint nicht die geringſte Aehnlich - keit zu beſtehen. Gerade die Vorderglieder ſind um ein Drittheil länger, als die hinteren. Jn ſtark gekrümmter Lage, den kurzen Schwanz zwiſchen den Hinterbeinen nach aufwärts gebogen, hängt es an der Zitze, ohne wahrnehmbare Bewegung, unfähig, ſelbſt zu ſaugen. Sobald es an die Zitze angeheftet worden iſt, ſchwillt dieſe ſo bedeutend an, daß die großen Lippen ſie genau um -46Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.ſchließen und der angeſchwollene Theil der Saugwarzen wiederum den Mund. So viel man bis jetzt weiß, ſaugt das junge Känguru gar nicht, ſondern wird ohne eigene Anſtrengung mit Milch ver - ſorgt, indem ihm dieſe aus den Zitzen geradezu in den Hals ſpritzt. Faſt acht Monate lang ernährt ſich das junge Thier von der Muttermilch im Beutel; doch ſchon etwas eher ſtreckt es ab und zu ein - mal den Kopf hervor, iſt aber auch dann noch immer nicht im Stande, ſelbſtändig ſich zu bewegen. Owen beobachtete am ſehr jungen Rieſenkänguru, daß es eifrig, aber langſam athmete und die Vorderfüße nur bewegte, wenn ſie berührt wurden. Vier Tage nach der Geburt ließ der gedachte Naturforſcher das Junge von der Zitze entfernen, um zu beſtimmen, wieweit es mit der Mutter zuſammenhänge, um die Milch kennen zu lernen und um zu ſehen, ob ein ſo unvollkommenes Thier eigene Kraft entwickelt, wenn es ſich darum handelt, die verlorene Zitze wieder zu erlangen, oder ob es von der Alten wiederum an die Zitze angeheftet werden müſſe. Das Ergebniß war Fol - gendes. Als die Frucht abgenommen worden war, erſchien ein Tropfen weißlicher Flüſſigkeit vorn an der Zitze. Das Junge bewegte die Glieder heftig, nachdem es entfernt war, machte aber keine erſichtliche Anſtrengung, um ſeine Füße an die Haut der Mutter zu heften oder um fortzukriechen, ſondern zeigte ſich vollkommen hilflos. Es wurde nun auf den Grund der Taſche gelegt und die Mutter freigegeben. Sie zeigte großes Mißbehagen, bückte ſich, kratzte an den Außenwänden des Beutels, öffnete denſelben mit den Pfoten, ſteckte den Kopf hinein und bewegte ihn darin nach verſchiedenen Richtungen mit Leichtigkeit. Hieraus folgerte Owen, daß die Mutter ihr Junges nach der Geburt mit dem Munde wegnimmt und ſolange an der Zitze am Beutel hält, bis es fühlt, daß das Junge angeſogen iſt. Doch muß bemerkt werden, daß das künſtlich entfernte Junge ſtarb, weil weder die Mutter es wieder anſetzte, noch ein Wärter Dies zu thun vermochte.

Jnzwiſchen iſt aber bekannt geworden, daß ſich ein junges Känguru, welches gewaltſam von der Zitze abgeriſſen wurde oder zufällig abfiel, nach längerer Zwiſchenzeit wieder anſaugte. Leisler erzählt, daß er ein etwas mehr entwickeltes Känguru, welches beinahe kalt ſchon auf der Streu ge - funden wurde, an die Zitze anſetzte, und daß es weiter wuchs. Das Gleiche geſchah bei ſpäteren Verſuchen Owen’s. Geoffroy St. Hilaire hat auch einen Muskel nachgewieſen, welcher über dem Euter liegt und dem noch kraftloſen Jungen die Milch in den Mund preßt oder wenigſtens preſſen kann; denn eigentlich fehlt die Beſtätigung dieſer Angabe. Aus den übrigen und neueſten Beobach - tungen geht hervor, daß das Känguru, wenn es einmal eine gewiſſe Größe erreicht hat, ſehr ſchnell wächſt, namentlich von der Zeit an, wo es Haare bekommt. Es iſt dann im Stande, ſeine langen Ohren, welche bis dahin ſchlaff am Köpfchen herabhingen, aufzurichten. Von nun an zeigt es ſich ſehr häufig, wenn die Mutter ruhig daſitzt. Der ganze Kopf wird vorgeſtreckt und die hellen Augen blicken lebhaft um ſich, ja, die Aermchen ſtöbern auch ſchon im Heu herum und das Thierchen beginnt bereits zu freſſen. Die Alte zeigt ſich noch äußerſt vorſorglich gegen das Junge, jedoch nicht mehr ſo ängſtlich, als früher. Anfangs geſtattet ſie nur mit dem größten Widerſtreben irgendwelche Verſuche, das Junge im Beutel zu ſehen oder zu berühren. Selbſt gegen das Männchen, welches eine lebhafte Neugierde an den Tag legt und ſich beſtändig herbeidrängt, um ſeinen Sprößling zu ſehen, benimmt ſie ſich nicht anders, als gegen den Menſchen. Sie beantwortet Zudringlichkeiten dadurch, daß ſie ſich abwendet, weiſt fortgeſetzte Verſuche durch ein ärgerliches, heiſeres Knurren zu - rück und verſucht wohl auch, ſich durch Schlagen derſelben zu entwehren. Von dem Augenblicke an, wo das Junge den Kopf zum Beutel herausſtreckt, ſucht ſie es weniger zu verbergen. Das Kleine iſt auch ſelbſt äußerſt furchtſam und zieht ſich bei der geringſten Störung in den Beutel zurück. Hier ſitzt es übrigens keineswegs immer aufrecht, ſondern nimmt alle möglichen Lagen an. Man ſieht es mit dem Kopfe herausſchauen und gar nicht ſelten neben dieſem die beiden Hinterbeine und den Schwanz hervorſtrecken, bemerkt aber auch dieſe Glieder allein, ohne vom Kopf Etwas zu ſehen. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn die Mutter, welche weiter zu hüpfen wünſcht, das aus dem Beutel herausſchauende Junge zurücktreibt. Sie gibt dem kleinen Dinge, wenn es nicht ohne weiteres ge - horcht, einen gelinden Schlag mit den Händen. Geraume Zeit nach dem erſten Ausſchauen verläßt47Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.das Junge ab und zu ſeinen Schutzort und treibt ſich neben der Alten im Freien umher, noch lange Zeit flüchtet es aber, ſobald es Gefahr fürchtet, in den Beutel zurück. Es kommt mit gewaltigen Sätzen einhergerannt und ſtürzt ſich, ohne auch nur einen Augenblick anzuhalten, kopfüber in den halbgeöffneten Beutel der ruhig auf ihren Hinterläufen ſitzenden Mutter, kehrt ſich im Nu um und ſchaut dann mit einem unendlich komiſchen Ausdruck des beneidenswertheſten Sicherheitsbewußt - ſeins aus der Beutelöffnung hervor.

Ende Septembers, ſagt Weinland, welchem ich Vorſtehendes nacherzählt habe, bemerkten wir das im Januar geborene, weibliche Junge des Bennett’ſchen Känguru zum letzten Male in dem Beutel; aber wenn die Tochter nunmehr auch auf den Schutz der Mutter verzichtete, hörte ſie doch nicht auf, Nahrung von ihr zu fordern. Noch am 22. Oktober ſahen wir das Junge an der Mutter ſaugen, und zu unſerer nicht geringen Ueberraſchung beobachteten wir an demſelben Tage jenes eigen - thümliche Zittern und Zucken in ſeinem Beutel, das uns über den eigenen Zuſtand keinen Zweifel ließ. Der ſonderbare, unſeres Wiſſens noch nie beobachtete Fall ſteht feſt: ſelbſt ſchon Mutter, ja bereits ein Junges im Beutel ſäugend, verlangt dieſes Thier noch immer die nährende Milch ſeiner Alten! Aber noch mehr Enthüllungen lieferte die leider nothwendig gewordene Zergliederung des Mutterthieres, welches ſich durch Anrennen an das Gitter den Tod zugezogen hatte. Es fand ſich in dem Beutel ein bereits todtes, noch nacktes Junge von drei Zoll Länge, welches alſo mindeſtens vor zwei Monaten ſchon geboren worden war, und ſomit ſtellte ſich heraus, daß das Känguruweibchen unter Umſtänden zugleich die Kinder zweier Würfe und mittelbar noch ſein Enkelchen ſäugte: das erwähnte herangewachſene, ſelbſt ſchon tragende und ſäugende, und deſſen Kind, ſowie das kleine Nackte im Beutel.

Reiſende in Auſtralien berichten, daß Kängurumütter ihr Junges bei großer Gefahr in eigenthüm - licher Weiſe zu retten ſuchen, namentlich, wenn ſie ſich verwundet fühlen. Falls ſie ſich nicht mehr im Stande ſehen, dem drohenden Verderben zu entrinnen, heben ſie das Junge ſchnell aus dem Beutel, ſetzen es auf den Boden und fliehen, beſtändig traurig nach ihrem Sprößlinge ſich umſehend, weiter, ſolange ſie können: ſie geben ſich alſo gern zu Gunſten ihrer Jungen preis und erreichen wirklich nicht ſelten ihren Zweck, indem die hitzig gewordenen Verfolger ihr Augenmerk ausſchließlich auf die Alte richten und an den Jungen vorbeiſtürmen.

Die Springbeutelthiere vertreten in ihrer Heimat gewiſſermaßen das dort fehlende Wild, und werden auch, wie dieſes, leidenſchaftlich gejagt, von den Raubthieren, wie von den Menſchen, von den Eingeborenen, wie von den Weißen. Die Schwarzen ſuchen ſich ſo unbemerkt als möglich an eine Geſellſchaft weidender Kängurus heranzuſchleichen und verſtehen es meiſterhaft, ſie derart zu umſtellen, daß wenigſtens einige des Trupps ihnen zum Opfer fallen. Bei Hauptjagden legen ſich die Einen in den Hinterhalt, und die Anderen treiben dieſen das Wild zu, indem ſie erſt ſo nahe als möglich an die weidenden Herden herankriechen, dann aber plötzlich mit Geſchrei aufſpringen. Schreck - erfüllt wenden ſich die Thiere nach der ihnen offen erſcheinenden Seite hin und fallen ſomit ziemlich ſicher in die Gewalt der verſteckten Jäger. Außerdem verſtehen es die Auſtralier, Schlingen aller Art und Fangnetze anzufertigen und geſchickt zu ſtellen. Die engliſchen Anſiedler bedienen ſich einer beſondern Raſſe von Hunden, welche durch Kreuzung des engliſchen Schweißhundes mit dem Bullenbeißer entſtanden ſind, ſich durch Muth, Stärke und Ausdauer auszeichnen und deshalb für dieſe Jagd beſonders abgerichtet werden. Drei bis vier Hunde ſind in den meiſten Fällen aus - reichend, ein aufgetriebenes Känguru zu ſtellen oder es dem Jäger zum Schuß zuzutreiben. Doch iſt die Jagd keineswegs ohne alle Gefahr; denn das Känguru weiß ſeine ſtarken, kralligen Hinter - füße in der bereits angegebenen Weiſe auch gegen Hunde oder Menſchen zu gebrauchen, und die größeren Arten leiſten oft einen hartnäckigen Widerſtand. Befindet ſich in der Nähe des Weidegrun - des ein Fluß oder See, ſo eilen die Kängurus regelmäßig dem Waſſer zu und ſtellen ſich darin ruhig auf, die ankommenden Hunde erwartend. Jhre große Leibeshöhe erlaubt ihnen, zu ſtehen, wenn die Hunde bereits ſchwimmen müſſen, und gerade hierdurch erlangen ſie Vortheile. Der erſte Hund48Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.welcher ankommt, wird augenblicklich von dem Känguru gepackt und zunächſt mit den Vorderfüßen, dann aber mit den Hinterfüßen unter das Waſſer gedrückt und dort ſolange feſtgehalten, bis er ertränkt iſt. Ein ſtarkes Männchen der größeren Arten kann ſelbſt einer zahlreichen Meute zu ſchaffen machen. Es läßt mit der größten Seelenruhe einen der Feinde nach dem andern ſchwimmend an ſich kommen und nimmt geſchickt den günſtigen Augenblick wahr, um ſich der Angreifer zu entledigen. Der einmal angepackte Hund iſt regelmäßig verloren, wenn ihm nicht ein zweiter zu Hilfe kommt, und derjenige, welcher wirklich gerettet wird, eilt nach dem ſo wider Willen genommenen Bade ſo ſchnell, als er kann, dem Ufer zu, iſt auch durch kein Mittel zu bewegen, den mißlungenen Angriff zu erneuern. Selbſt auf dem Feſtlande iſt ein altes Kängurumännchen immer noch ein zu beachtender Gegner. Es ſucht ſich durch den erſten beſten Baum den Rücken zu decken, und benutzt dann ſeine vier Beine mit großem Geſchick. Die eigentlichen Känguruhunde ſind für dieſe Jagd ſo vortrefflich eingeſchult, daß ſie einzeln niemals ein geſtelltes Känguru angreifen. Sie ſtürmen in Menge herbei, umſtellen das Thier von allen Seiten, ſtürzen plötzlich vereint auf daſſelbe los, packen es an der Kehle, reißen es zu Boden, ſchleppen es immer nach vorwärts, ſo daß es ſeine gefährlichen Waffen kaum brauchen kann, und würgen es entweder ab oder halten es ſolange feſt, bis die Jäger herbei - kommen.

Das Fleiſch der Kängurus gilt als eine vortreffliche Speiſe, und auch das Fell einzelner Arten findet Verwendung. Sie bringen alſo manchen Nutzen, und über Schaden kann in ihrer Heimat ge - wiß Niemand klagen.

Die Gefangenſchaft ertragen alle Arten leicht. Sie ſind mit grünem Futter, Blättern, Rüben, Körnern, Brod und dergleichen ohne Mühe zu erhalten, bedürfen im Winter keinen ſonderlich warmen Stall und pflanzen ſich auch bei geeigneter Pflege ohne viel Umſtände fort. Gegenwärtig werden in den europäiſchen Thiergärten alljährlich viele von ihnen gezüchtet.

Sämmtliche Springbeutelthiere ähneln ſich in hohem Grade. Man hat auch ſie in viele Sippen zerfällt; doch ſind von dieſen eigentlich nur drei augenſcheinlich begründet. Für die anderen ſind Unterſcheidungsmerkmale als maßgebend aufgeſtellt worden, deren Erkennung eine ſehr ſorgfältige Unterſuchung erfordert, und welche demungeachtet nicht allgemein giltig ſind. Die nachſtehend be - ſchriebenen Arten mögen als Vertreter der Geſammtheit gelten.

Das eigentliche Känguru (Macropus major), der Boomer der Anſiedler, gehört zu den größten Arten der Familie. Sehr alte Männchen haben in ſitzender Stellung faſt Mannshöhe. Jhre Länge beträgt gegen 8 Fuß, wovon Fuß auf den Schwanz gerechnet werden müſſen, ihr Gewicht zwiſchen 150 220 Pfund. Das Weibchen iſt durchſchnittlich um ein Drittheil kleiner, als das Männchen.

Der Leibesbau zeigt im weſentlichen ganz das Gepräge der Familie. Die Behaarung iſt reich - lich, dicht, glatt und weich, faſt wollig, die Färbung ein ſchwer zu beſtimmendes Braun, gemiſcht mit Grau. Die Vorderarme, Schienbeine und die Fußwurzeln ſind hellgelblichbraun, die Zehen ſchwärzlich; der Kopf iſt auf dem Naſenrücken lichter, als auf den Seiten, an den Oberlippen aber weißlich. Die Außenſeite der Ohren iſt nußbraun, die Jnnenſeite weiß; der Schwanz zeigt an ſeiner Wurzel die Färbung des Rückens, wird dann grau und an der Spitze ſchwarz.

Cook entdeckte das Känguru 1770 an der Küſte von Neuſüdwales und gab ihm nach einer Benennung der dortigen Eingeborenen den Namen, welcher ſpäter zur Bezeichnung der ganzen Familie gebraucht wurde. Das Thier lebt in grasbewachſenen Triften oder ſpärlich bedeckten, offenen Buſchwaldungen, wie ſolche in Auſtralien ſo häufig gefunden werden. Jn das Gebüſch zieht es ſich namentlich im Sommer zurück, um ſich vor der heißen Mittagsſonne zu ſchützen. Gegenwärtig iſt es durch die fortwährende Verfolgung weit in das Jnnere gedrängt worden, und auch hier beginnt es

Kängurus.

49Das Pademelon.ſeltener zu werden. Es lebt in Trupps, iſt jedoch nicht ſo geſellig, als man anfangs glaubte, getäuſcht durch die Vereinigung verſchiedener Familien. Gewöhnlich ſieht man nur ihrer drei oder vier zuſammen, und dieſe in ſo loſem Verbande, daß ſich eigentlich Keines um das Andere kümmert, ſondern Jedes unabhängig ſeinen eigenen Weg geht. Beſonders gute Weide vereinigt eine größere Anzahl, welche ſich wieder trennt, wenn eine Oertlichkeit ausgenutzt iſt. Früher glaubte man, in den Männchen die Leitthiere eines Trupps annehmen zu dürfen, wahrſcheinlich, weil ſie ihrer bedeu - tenden Größe wegen zu ſolchem Amte geeignet erſcheinen mochten; aber auch dieſe Annahme hat ſich als unrichtig herausgeſtellt. Alle Beobachter ſtimmen darin überein, daß das Känguru im hohen Grade ſcheu und furchtſam iſt und dem Menſchen nur ſelten erlaubt, ſich ihm in erwünſchter Weiſe zu nähern. Gould, welcher ein vortreffliches Werk über dieſe Familie geſchrieben hat, ſagt über die flüchtigen Kängurus Folgendes: Jch erinnere mich mit beſonderer Vorliebe eines ſchönen Boo - mers, welcher ſich in der offenen Ebene zwiſchen den Hunden plötzlich aufrichtete und dann dahin jagte. Zuerſt warf er ſeinen Kopf empor, um nach ſeinen Verfolgern zu ſchielen, und zugleich um zu ſehen, welche Seite des Wegs ihm offen war; dann aber jagte er, ohne einen Augenblick zu - gern, vorwärts und gab uns Gelegenheit, das tollſte Rennen zu beobachten, welches ein Thier jemals vor unſeren Augen ausgeführt hat. Vierzehn (engliſche) Meilen in einem Zuge rannte der vogelſchnelle Läufer, und da er vollen Spielraum hatte, zweifelte ich nicht im geringſten, daß er uns entkommen würde. Zu ſeinem Unglück aber hatte er ſeinen Weg nach einer Landzunge gerichtet, welche ungefähr zwei Meilen weit in die See hinauslief. Dort wurde ihm der Weg abgeſchnitten und er gezwungen, ſchwimmend ſeine Rettung zu ſuchen. Der Meeresarm, welcher ihn vom feſten Lande trennte, mochte ungefähr zwei Meilen breit ſein, und eine friſche Briſe trieb die Wellen hart gegen ihn. Aber es blieb ihm keine andere Wahl, als entweder den Kampf mit den Hunden aufzu - nehmen oder ſeine Rettung in der See zu ſuchen. Ohne Beſinnen ſtürzte er ſich in die Wogen und durchſchwamm ſie muthig, obgleich die Wellen halb über ihn hinweggingen. Schließlich jedoch wurde er genöthigt, umzukehren, und abgemattet und entkräftet, wie er war, erlag er ſeinen Verfolgern bald nach ſeiner Rückkehr. Die Entfernung, welche er auf ſeiner Flucht durchjagt hatte, konnte, wenn man die verſchiedenen Krümmungen hinzurechnen wollte, nicht unter 18 Meilen be - tragen haben; ſicherlich durchſchwamm er deren zwei. Jch bin nicht im Stande, die Zeit zu beſtim - men, in welcher er dieſe Strecke durchrannte, ich glaube blos, daß es ungefähr zwei Stunden waren, als er am Ende der betreffenden Landzunge ankam. Dort aber rannte er noch ebenſo ſchnell, wie im Anfang.

Jm übrigen habe ich über das Leben des Thieres nach dem bereits Mitgetheilten Nichts weiter zu bemerken; denn gerade an dieſer Art der Familie hat man die meiſten Beobachtungen gemacht. Gegenwärtig ſieht man das Känguru ſeltener bei uns in der Gefangenſchaft, als früher, wo es in ſeiner Heimat weit häufiger war. Bei guter Pflege dauert es bei uns lange aus; Einzelne lebten 10 bis 15 Jahre in Europa. Auch dieſe Art wird eigentlich nicht zahm. Sie legt ihre angeborene Scheu niemals gänzlich ab und befreundet ſich mit ihren Wärtern nicht mehr, als mit anderen Leuten. Selbſt Vögel können das Känguru in Todesangſt verſetzen.

Eine der kleineren und hübſcheſten Arten der Familie iſt das Pademelon (Halmaturus Theti - dis). Es erreicht noch nicht den dritten Theil der Größe des Känguru. Seine Länge beträgt nur Fuß, wovon Fuß auf den Schwanz zu rechnen ſind. Das Fell iſt ziemlich lang und weich, die Färbung der oberen Theile ein angenehmes Braungrau, welches im Nacken in Roſtroth übergeht. Die Unterſeite iſt weiß oder gelblichweiß, die Seiten ſind röthlich, die Füße gleichmäßig braun, die Vorderfüße grau, der mit kurzen, barſchen Haaren bedeckte Schwanz iſt oben grau, unten bräun - lichweiß.

Brehm, Thierleben. II. 450Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Nach Gould bewohnt das nette Geſchöpf buſchreiche Gegenden in der Nähe der Moritonbai und lebt hier einzeln und in kleinen Trupps, wegen ſeines zarten, höchſt wohlſchmeckenden Fleiſches, welches dem Wildpret unſeres Haſen ähnelt, eifrig verfolgt von Eingeborenen und von den Anſied - lern. Jn ſeiner Lebensweiſe ähnelt es ganz ſeinen Verwandten.

An Gefangenen iſt mir aufgefallen, daß ſie ihre Vorderhände beim Springen ziemlich ausge - breitet, ſeitlich vom Leibe ab tragen, während andere Arten ſie zuſammenhalten. Durch dieſe Eigen - thümlichkeit unterſcheidet man das Pademelon auf den erſten Blick von anderen, ihm ſehr nahe ver - wandten Arten.

Ein Pärchen, welches der hamburger Thiergarten beſitzt, verträgt ſich, wie die meiſten Spring - beutler, ausgezeichnet, nicht aber mit verwandten Arten. Ein männliches Wallaby (Halmaturus Billardierii), welches gelegentlich in ſein Gehege kam, mochte vom männlichen Pademelon aus Eifer -

Das Pademelon (Halmaturus Thelidis).

ſucht angegriffen worden ſein und hatte den Kampf erfolgreich aufgenommen. Das Ergebniß war, daß unſer Pademelon im eigentlichen Sinne des Wortes viel Haare laſſen mußte. Sein Hinterrücken war, als wir von dem ausgefochtenen Streit Kenntniß erhielten, faſt gänzlich kahl gekratzt und hier und da nicht unbeträchtlich geſchrammt. Man erſah aus den Verletzungen, daß es vom Wallaby zu Boden geworfen und mit den Hinterfüßen mißhandelt ſein mußte. Das weibliche Pademelon war auch etwas zerkratzt, wahrſcheinlich, weil es ſich geweigert hatte, den ſtürmiſchen Bewerbungen des bisher unbeweibten Wallabys Gewähr zu ſchenken.

Gould trennt von den wahren Kängurus eine kleinere Art, den Haſenſpringer (Lagor - chestes leporoides), ſo genannt, weil es in Weſen und Färbung vielfach an einen wirklichen Haſen erinnert. Seine Länge beträgt 2 Fuß, wovon etwa 13 Zoll auf den Schwanz kommen. Sein Leibesbau iſt geſtreckt, die Läufe und Klauen ſind ſchlank, die kleinen Vorderpfoten mit ſcharfen,51Der Haſenſpringer.ſpitzigen Nägeln bewehrt. Die Schnauze iſt ſammetartig behaart, die Ohren, welche innen mit langen, weißen Haaren, außen mit kurzen, ſchwarzen und weißen bekleidet ſind, laufen ſpitz zu. Der übrige Pelz zeigt das ſo ſchwer zu beſchreibende Farbengemiſch der Haſen; die Haare der Ober - ſeite ſind am Grunde ſchwarz, ſodann röthlichbraun, hierauf roſtweiß und endlich ſchwarz gefärbt, an Bruſt und Bauch ſind ſie grau und roſtweiß. Ein dunkler Flecken ſteht auf dem Unterſchenkel; die Läufe ſind grau geſprenkelt, die Schnauzenhaare ſchwarz und weiß.

Der Haſenſpringer bewohnt den größten Theil des Jnneren von Auſtralien; in der Nähe der Küſte iſt er ſelten geſehen worden. Er erinnert auch in ſeiner Lebensweiſe vielfach an unſern ge - meinen Haſen. Wie dieſer, iſt er ein Nachtthier, welches ſich bei Tage in ein tief ausgegrabenes Lager drückt und Jäger und Hunde nahe auf den Leib kommen läßt, bevor er aufſpringt, in der Hoffnung, daß ſein mit dem Boden gleichgefärbtes Kleid ihn verbergen müſſe. Wirklich täuſcht er

Der Haſenſpringer (Lagorchestes loporoides).

die Hunde oft, und auch, wenn er vor ihnen flüchtet, wendet er gewiſſe Liſten an, wie unſer Freund Lampe, indem er plötzlich Haken ſchlägt und ſo eilig als möglich rückwärts flüchtet. Eine Beobachtung, welche Gould machte, verdient erwähnt zu werden.

Jn einer der Ebenen Südauſtraliens, erzählt er, jagte ich ein Haſenkänguru mit zwei flinken Hunden. Nachdem es ungefähr eine Viertelmeile laufend zurückgelegt hatte, wandte es ſich plötzlich, und kam gegen mich zurück. Die Hunde folgten ihm hart hinter den Ferſen. Jch ſtand vollkommen ſtill, und ſo kam das Thier bis gegen zwanzig Fuß an mich heran, bevor es mich bemerkte. Zu meinem großen Erſtaunen bog es jedoch weder zur Rechten, noch zur Linken aus, ſondern ſetzte mit einem gewaltigen Sprunge über meinen Kopf weg. Jch war nicht im Stande, ihm einen Schuß nachzuſenden.

Nach Europa ſcheint das anziehende Thier lebend noch nicht gekommen zu ſein; wenigſtens iſt mir hierüber Nichts bekannt geworden.

4 *52Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Abweichend von den Genannten lebt das Felſenkänguru (Petrogale penieillata) nur in gebirgigen und zumal in felſigen Gegenden. Es iſt ein ſchmuckes Geſchöpf von ungefähr 4 Fuß Länge, wovon der Schwanz faſt die Hälfte wegnimmt, der beſonders dadurch auffällt, daß er gegen das Ende hin mit langen, ſteifen, buſchigen, ſchwarz gefärbten Haaren bekleidet iſt. Die Färbung des Pelzes ſcheint manchfachem Wechſel unterworfen zu ſein. Gewöhnlich iſt ſie eine Miſchung von Purpurroth und Grau. Erſteres tritt namentlich auf dem Hintertheile des Leibes und dem Schwanze hervor. Das Kinn iſt weiß, die Bruſt grau, mit weiß gefleckt; eine ſcharf begrenzte, weiße Binde läuft vom Kinn über die Bruſt herab. Die Ohren ſind innen blaßgelb, äußerlich ſchwarz mit gelbem Rande, die Füße ſind ſchwarz. Das Fell iſt zwar lang, aber rauh und hart und ſteht deshalb bei den Pelzhändlern nicht eben in großem Anſehen.

Die Gebirge von Neuſüdwales beherbergen das Felſenkänguru in ziemlicher Anzahl, doch wird es nicht häufig bemerkt, denn es iſt ein Nachtfreund, welcher nur äußerſt ſelten vor Sonnenunter -

Das Felſenkänguru (Petrogale penicillata).

gang aus dunkeln Höhlen und Gängen zwiſchen den Felſen hervorkommt. Die Behendigkeit, mit welcher es auf den gefährlichen Abhängen und Felſenwänden umherklettert, würde einem Affen alle Ehre machen, und wirklich glaubt der Europäer, welcher dieſes Thier zum erſtenmale im dämmerigen Halbdunkel des Abends erblickt, einen Pavian vor ſich zu ſehen. Seine Kletterfertigkeit ſchützt es weit mehr, als die übrigen Verwandten, vor den Nachſtellungen des Menſchen und anderer Feinde. Das Felſenkänguru verlangt einen ſehr geübten Jäger und fällt auch dieſem nur dann zur Beute, wenn er den von ſeinem Wild ſtreng eingehaltenen Wechſel ausgeſpürt hat. Die Eingeborenen folgen der deutlich wahrnehmbaren Fährte wohl auch bis zu dem Geklüft, in dem ſich das Thier bei Tage verborgen hat; zu ſolcher Jagd aber gehört die bewunderungswürdige Geduld des Wilden: der Europäer unterläßt ſie weislich. Ein ſchlimmerer Feind, als der Menſch, ſoll der Dingo ſein, weil er häufig genug in denſelben Höhlen wohnt, in welche das Felſenkänguru ſich bei Tage zurückzieht. Doch gelingt es auch ihm nur durch Ueberrumpelung, ſich des ſehr vorſichtigen Thieres zu bemäch -53Das Felſenkänguru. Der Kängurubär.tigen; denn wenn dieſes ſeinen Feind bemerkt, iſt es mit wenigen Sätzen außer aller Gefahr. Seine Gewandtheit läßt es die höchſten und unzugänglichſten Stellen ohne Mühe erreichen. Nach Ver - ſicherung der Eingeborenen ſoll übrigens das Felſenkänguru vorzugsweiſe ſolche Klüfte bewohnen, welche mehrere Ausgänge haben. Verwundete Thiere dieſer Art gehen dem Jäger gewöhnlich ver - loren: ſie ſchlüpfen wenige Augenblicke vor ihrem Tode noch in eine Höhle und verenden dort.

Die Kletterfertigkeit der Springbeutelthiere gipfelt ſich im Kängurubär (Dendrolagus ursi - nus), einem der auffallendſten und von dem Geſammtgepräge am meiſten abweichenden Mitgliede der Familie, von welcher man bis jetzt nur noch einen Verwandten kennt, beide aus Neu-Guinea. Die großen und kräftigen Vorderarme, welche gegen die Hinterbeine nur wenig zurückſtehen, ſind ein

Der Kängurubär (Dandrolagus ursinus).

ſehr bezeichnendes Merkmal dieſer Sippe. Der Kängurubär iſt ein ziemlich großes Thier von 4 Fuß Leibeslänge, wovon etwas mehr als die Hälfte auf den Schwanz gerechnet werden muß. Der Leib iſt gedrungen und kräftig, der Kopf kurz, die Ohren ſind verhältnißmäßig. Der Pelz beſteht aus ſtraffen, ſchwarzen, an der Wurzel bräunlichen Haaren, die Ohrenſpitzen, das Geſicht und die Untertheile ſind braun, die Wangen gelblich, ein Ring um das Auge iſt dunkler.

Alle Beobachter ſtimmen darin überein, daß man ſich keine merkwürdigere Erſcheinung denken könne, als einen Kängurubär, welcher ſich luſtig auf den Zweigen bewegt und faſt alle Kletterkünſte zeigt, welche in der Klaſſe der Säugethiere überhaupt beobachtet werden. Mit der größten Leichtig - keit klimmt das Thier an den Baumſtämmen empor, mit der Sicherheit eines Eichhorns ſteigt es auf - und abwärts; aber gleichwohl erſcheint das Springbeutelthier ſo fremd da oben, daß jeder Beſchauer geradezu verblüfft iſt, wenn das dunkelhaarige, langgliedrige Geſchöpf unverſehens von dem Boden54Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.auf einen Baum hinaufhüpft und dort im ſchwankenden Gezweig ſich bewegt. Dem Aufenthalt ent - ſprechend äßt ſich der Kängurubär vorzugsweiſe von Blättern, Knospen und Sprößlingen der Bäume; wahrſcheinlich verzehrt er auch Früchte.

Jn der Gefangenſchaft ſieht man ihn ſelten. Mir iſt ein einziger zu Geſicht gekommen, welcher im Thiergarten zu Rotterdam lebte, aber in einem ſo unpaſſenden Käfig eingeſperrt war, daß er ſeine Fähigkeiten nicht an den Tag legen konnte. Leider ſcheiterten meine Bemühungen, ihn für unſern Garten zu erwerben. Mein Herr Kollege in Rotterdam, ein alter Thierſchauſteller, kannte das ſeltene Geſchöpf ſelbſtverſtändlich nicht, wußte aber doch ſoviel, daß er es mit einem ungewöhn - lichen Känguru zu thun hatte, und ließ ſich durch keine Bitte bewegen, es mir abzulaſſen.

Die kleinen Springbeutelthiere nennt man Kängururatten (Hypsiprymnus). Sie ähneln den größeren Verwandten noch ſehr, unterſcheiden ſich aber außer der geringen Größe durch verhältniß -

Die quaſtenſchwänzige Kängururatte (Bettongia penicillata).

mäßig kürzeren Schwanz, durch die kurzen Vorderglieder mit langen Nägeln an den Mittelzehen, die geſpaltene Oberlippe, die kleinen, runden Ohren, welche wirklich an Mäuſeohren erinnern, und hauptſächlich endlich durch das Gebiß, welches im Oberkiefer beſtimmt vorhandene Eckzähne beſitzt. Man hat auch dieſe Sippe wieder getrennt, weil man beobachtet hat, daß Einige ihren Schwanz, wenn auch in beſchränkter Weiſe, als Greifwerkzeuge benutzen können.

Als größte Art kennen wir bis jetzt die quaſtenſchwänzige Kängururatte (Bettongia peni - cillata), ein Thier von Kaninchengröße mit ziemlich langen Haaren, graubrauner Färbung, ſchwarzer und weißer Sprenkelung auf der Oberſeite und ſchmuzig weißer oder gelblicher Färbung auf der Unterſeite. Es iſt durch eine Quaſte langer, ſchwarzer, buſchiger Haare am Enddrittel des Schwan - zes beſonders ausgezeichnet, und im ganzen 2 Fuß lang, wovon auf den Schwanz 11 Zoll gerechnet werden müſſen. Seine Heimat iſt Neuſüdwales. Ueber Lebensweiſe und Betragen theilt Gould etwa Folgendes mit:

55Die quaſtenſchwänzige und die eigentliche Kängururatte.

Gleich den übrigen Arten der Sippe gräbt ſich die Kängururatte eine Höhlung im Boden zur Aufnahme ihres dickwandigen Grasneſtes aus, deſſen Ausſehen mit der Umgebung ſo vollkommen im Einklang ſteht, daß es ohne die ſorgfältigſte Prüfung ſicher überſehen wird. Der Platz wird regel - mäßig zwiſchen Grasbüſcheln oder in der Nähe eines Buſches gewählt. Bei Tage liegt eins oder ein Paar der Thiere in ſolchem Neſte, den Blicken gänzlich entzogen, weil die durch das Einkriechen ent - ſtehende Oeffnung immer ſorgfältig bedeckt oder geſchloſſen wird. Die Eingeborenen freilich laſſen ſich nicht täuſchen. Sie entdecken faſt jedes Neſt und tödten dann beinahe immer die Schläfer innerhalb deſſelben durch einen Schlag mit ihren Keulen.

Sehr merkwürdig iſt es, wie dieſe Kängururatten das dürre Gras zu ihrem Neſte herbei - ſchaffen. Es geſchieht Dies nämlich mit Hilfe des Schwanzes, welcher ſehr greiffähig iſt. Das Thier faßt mit ihm einen Büſchel und ſchleppt denſelben zum beſtimmten Ort: wie ſonderbar und beluſti - gend Dies ausſieht, kann man ſich denken. Auch im Gefangenleben ſchleppen ſie ſich in gleicher Weiſe die Stoffe zu ihrem Lager herbei; wenigſtens thaten es einige, welche der Earl von Derby in ſeinem Thierpark zu Knowſely hielt, und zwar unter möglichſter Berückſichtigung ihrer Lebens - erforderniſſe.

Jn Auſtralien beherbergen die trockenen Ebenen und Hügel, welche ſpärlich mit Bäumen und Büſchen beſtanden ſind, unſere Thiere. Sie leben zwar nicht in Herden, aber doch in ziemlicher An - zahl zuſammen. Erſt nach Einbruch der Nacht gehen ſie nach Futter aus. Sie äßen ſich von Gras und Wurzeln, welch letztere ſie durch Ausgraben gewinnen und zwar, Dank ihrer Geſchicklichkeit, ohne Beſchwerde. Dem Jäger verrathen die ausgeſcharrten Löcher unter den Büſchen ihr Vorhanden - ſein. Wenn ſie bei Tage geſtört werden, eilen ſie mit überraſchender Schnelligkeit irgend einer ſchützenden Erd -, Fels - oder Baumhöhle zu und bergen ſich hier gewöhnlich in erwünſchter Weiſe.

Die eigentliche Kängururatte (Hypsiprymnus murinus) iſt an ihrem länglichen Kopfe, den kurzen Läufen und dem echten Rattenſchwanze zu erkennen. Jhre Leibeslänge beträgt 15 Zoll, die Länge des Schwanzes gegen 10 Zoll, die Höhe am Widerriſt 5 Zoll. Der Leib iſt kurz und unter - ſetzt, der Hals dick, die Vorderfüße haben getrennte Zehen, während an den Hinterfüßen die zweite und dritte Zehe bis zum letzten Glied mit einander verwachſen ſind. Alle ſind mit langen, ſichel - förmigen Krallen bewaffnet. Der lange, flache, ziemlich ſtarke Schwanz iſt geringelt und ge - ſchuppt und noch ſpärlich mit einigen kurzen, ſteifen Haaren bedeckt. Ein Theil deſſelben iſt ganz nackt, ebenſo die Oberlippe. Der lange, lockere, ſchwach glänzende Pelz iſt oben dunkelbraun, mit ſchwarzer und blaßbrauner Miſchung, auf der Unterſeite ſchmuzig - oder gelblichweiß. Die Haare haben dunkle Wurzeln und die der Oberſeite ſchwarze Spitzen, zwiſchen dieſen ſtehen aber kürzere, gelbſpitzige. Der Schwanz iſt an der Wurzel und oben bräunlich, längs der Seiten und unten ſchwarz.

Neuſüdwales und Vandiemensland ſind die Heimat der Kängururatte; bei Port Jackſon iſt ſie häufig. Sie liebt dünn mit Büſchen beſtandene Gegenden und meidet offene Triften. Auf ihren Wohnplätzen gräbt ſie ſich zwiſchen Grasbüſcheln eine Vertiefung in den Boden, kleidet dieſe mit trockenem Gras und Heu ſorgfältig aus und verſchläft in ihr, gewöhnlich in Geſellſchaft mit anderen ihrer Art, den Tag; denn auch ſie iſt ein echtes Nachtthier, welches erſt gegen Sonnenuntergang zum Vorſchein kommt. Das Lager wird ſo geſchickt angelegt, daß es der Aufmerkſamkeit des unge - übten Europäers regelmäßig entgeht, auch wenn dieſer dicht vor ihm ſteht. Der Eingeborene freilich, deſſen wachſames und ſcharfes Auge jede Unregelmäßigkeit des Bodens wahrnimmt, geht ſelten an einem ſolchen Neſte vorüber, ohne es zu ſehen, zu unterſuchen und den ruhig darin ſchlummernden Bewohner zu tödten.

Jn ihren Bewegungen unterſcheidet ſich die Kängururatte nach meinen Beobachtungen auffallend genug von den Springbeutelthieren. Sie läuft ganz anders und weit leichter, als dieſe,56Die Kängurus, Springbeuller oder Beutelhaſen.mehr nach Art der Springmäuſe, d. h. indem ſie einen der Hinterfüße nach dem andern, nicht aber beide zu gleicher Zeit bewegt. Dieſes Trippeln, wie man es wohl nennen kann, geſchieht aber unge - mein raſch und geſtattet zugleich dem Thiere eine viel größere Gewandtheit, als die ſatzweis ſprin - genden Kängurus ſie an den Tag legen. Die Kängururatte iſt ſchnell, lebendig und ſehr behend, ſie gleitet und huſcht wie ein Schatten über den Boden dahin. Ein geübter Hund fängt ſie ohne beſon - dere Mühe, der ungeübte Jäger bedroht ſie vergeblich, wenn ſie einmal ihr Lager verlaſſen hat. Jn dieſem wird ſie auch von den Menſchen leicht gefangen, da ſie ziemlich feſt ſchläft oder ihren ärgſten Feind ſehr nahe an ſich herankommen läßt, ehe ſie aufſpringt. Hinſichtlich der Nahrung unterſcheidet ſich die Kängururatte von den bisher Genannten. Sie gräbt hauptſächlich nach Knollen, Gewächſen und Wurzeln und richtet deshalb in den Feldern manchmal bedeutenden Schaden an.

Das Weibchen bringt bis zwei Junge zur Welt und trägt dieſe lange Zeit mit ſich im Beutel herum, bewacht auch die bereits ſelbſtändig gewordenen noch mit großer Zärtlichkeit.

Seit dem Beſtehen der Thiergärten kommt die Kängururatte häufig nach Europa. Sie hält ſich vortrefflich bei ſehr einfacher Nahrung und bedarf durchaus keines beſonderen Schutzes. Eine mit Heu ausgepolſterte Kiſte oder ein kleines Crdhäuschen genügt ihr vollkommen; gibt man ihr keine

Die eigentliche Kängururatte (Hypsiprymnus murinus).

Behauſung, ſo gräbt ſie ſich ſelbſt ein Lager und füttert dieſes, wie in ihrer Heimat, ſorgfältig mit Blättern und Heu aus. Das Lager iſt faſt kugelrund, oben enger, als in der Mitte, ſehr glatt ausgekleidet und oben ſo geſchickt bedeckt, daß man unter dem Bündel trockenen Graſes ſchwer - lich eine Thierwohnung vermuthen würde. Erſt wenn man die obere Decke weghebt, ſieht man die Kängururatte in ſich zuſammengerollt oder mit anderen ihrer Art verſchlungen liegen, doch nur einen Augenblick lang, denn ſobald das eindringende Licht die Thiere erweckt, ſtürmen ſie mit einem Satze ins Freie und eilen dann ſo ſchnell als möglich davon.

Die Gefangenen unſeres Thiergartens erſcheinen in den Sommermonaten oder 2 Stunden vor Sonnenuntergang und huſchen und ſpringen dann äußerſt luſtig in ihrem Gehege umher. So unwillig ſie bei Tage über jede Störung ſind, ſo neugierig kommen ſie abends herbei, um Den zu betrachten, welcher an das Gitter ihres Wohnplatzes herantritt. Sie laſſen ſich dann gern berühren, während ſie bei Tage jede derartige Freundſchaftsbezeugung durch ein unwilliges Knurren, plötzliches Entgegenſpringen und im Nothfall durch Biſſe zurückweiſen. Die engliſchen Berichterſtatter, welche die Kängururatten in Auſtralien beobachteten, behaupten, daß ſie ſehr furchtſam wären, ich kann nach meinen Beobachtungen Dies nicht beſtätigen, ſondern finde eher, daß ſie muthiger ſind, als die57Die Beutelmäuſe oder Wombats.großen Springbeutelthiere. Namentlich die Männchen können geradezu kühn genannt werden und ſind zu gleicher Zeit ſehr bösartig. Sie fürchten ſich gar nicht vor dem Menſchen, ſondern gehen ihm mit der Unverſchämtheit der Nager zu Leibe, wenn er ſich ihnen in unerwünſchter Weiſe aufdrängt. Gegen die eigenen Jungen zeigt ſich das Männchen oft ſehr boshaft, es plagt namentlich die jungen Männchen aus Eiferſucht auf alle Weiſe und zuweilen ſo arg, daß ſie der ewigen Quälerei erliegen.

Die Brunſt ſcheint bei den Kängururatten ſehr heftig zu ſein. Das Männchen jagt dann das ihm beigegebene Weibchen die ganze Nacht hindurch im Gehege umher, wirft es über den Haufen, beißt es und mißhandelt es, wenn es ſich nicht gutwillig fügen will. Eins unſerer Weibchen wurde mitſammt ſeinen ſchon ziemlich großen Jungen im Beutel bei ſolcher Gelegenheit von dem erhitzten Männchen getödtet, wahrſcheinlich, weil es dieſes nicht zulaſſen wollte.

Es würde ſich jedenfalls belohnen, wenn man den Verſuch machen wollte, dieſes ſonderbare und anziehende Thier bei uns einzubürgern. Jn einem großen umhegten Garten könnte man ſich einen Stamm heranziehen, den man dann ausſetzte und einige Zeit ſich ſelbſt überließe. Man würde ſich in dieſer Weiſe ein ſehr harmloſes und wenig ſchädliches Wild heranziehen, deſſen Jagd unzwei - felhaft alle Verehrer Dianens ſchon aus dem Grunde aufs höchſte begeiſtern müßte, weil Sonntags - ſchützen ſicherlich Gelegenheit fänden, viel Pulver und Blei loszuwerden.

Die letzte Familie der Beutelthiere zeigt uns echte Nagergeſtalten, die ſogenannten Beutel - mäuſe oder Wombats (Phascolomys). Man kennt zur Zeit erſt zwei Arten dieſer merkwürdigen Geſchöpfe, welche beide in ihrem Leben und Weſen ſich ungemein ähnlich ſind. Jhre Geſtalt iſt im hohen Grade plump, der Leib ſchwer und dick, der Hals ſtark und kurz, der Kopf ungeſchlacht, die Gliedmaßen ſind kurz, krumm, die Füße fünfzehig, bewehrt mit langen, ſtarken Sichelkrallen, welche blos an den Hinterdaumen fehlen, die Sohlen breit und nackt, die Zehen zum großen Theil mit einander verwachſen. Der Schwanz iſt nur ein kleiner, faſt nackter Stummel. Sehr auffallend iſt das Gebiß, weil die vorderen breiten Schneidezähne, von denen zwei in jedem Kiefer ſtehen, den eigentlichen Nagezähnen vollſtändig entſprechen. Außer ihnen finden ſich fünf lange, gekrümmte Backzähne in jeder Reihe. Funfzehn Wirbel tragen Rippen, vierzehn ſind rippenlos; das Kreuzbein zählt ſieben (nach Anderen nur drei), der Schwanz neun (nach Anderen zwölf) Wirbel. Die Weich - theile ähneln auffallend denen des Bibers.

Der Wombat oder die gemeine Beutelmaus (Phascolomys fossor), welcher auch auſtra - liſcher Dachs genannt wird, iſt ein Thier, welches weder einer Maus, noch einem Dachs auch nur im geringſten ähnelt. Auf den erſten Anblick glaubt man zwar einen Nager vor ſich zu ſehen, die ganze Geſtalt und das Weſen erinnert aber nur an die plumpſten und trägſten Mitglieder dieſer Ordnung. Bei genauerer Beobachtung bemerkt man ſofort, daß man ein ganz eigenthümliches Geſchöpf vor ſich hat. Der Wombat erreicht mindeſtens die Größe eines Dachſes, d. h. ungefähr bis 3 Fuß Länge und am Widerriſt 1 Fuß Höhe. Er wird aber viel ſchwerer, denn ſein Ge - wicht beträgt ſelten unter 60 Pfund. Der dichte und ziemlich weiche Pelz iſt oben bräunlich, bald mehr ins Gelbliche, bald mehr ins Granliche fallend, an der Unterſeite dagegen weißlich. Die kleinen, breiten Ohren ſind außen roſtbraun, innen weißlich, die Zehen ſind roſtbraun, die Schnur - ren ſchwarz.

Vandiemensland und die Südküſte von Neuſüdwales iſt die Heimat dieſes unſchönen und ſchwerfälligen Geſchöpfes, dem man es ſogleich aufieht, daß es ein vollendetes Nachtthier iſt. Es lebt in dichten Wäldern, gräbt ſich hier weite Höhlen und ſehr tiefe Gänge in den Boden und verbringt in ihnen ſchlafend den ganzen Tag. Erſt nachdem die Nacht vollſtändig eingetreten iſt, humpelt der Wombat ins Freie, um Nahrung zu ſuchen. Dieſe beſteht zumeiſt aus einem harten, binſenartigen58Die Beutelmäuſe oder Wombats.Graſe, welches weite Strecken ſeiner Heimat überzieht, ſonſt aber auch in allerlei Kräutern und Wurzeln, welch letztere er durch kraftvolles Graben ſich erwirbt.

Der Wombat iſt ein unbehilfliches Thier und ſieht noch weit unbehilflicher aus, als er iſt. Seine Bewegungen ſind langſam, aber ſicher, d. h. ſtätig und kräftig. Ein ſo ſtumpfſinniger und gleichgiltiger Geſell, wie er iſt, läßt ſich ſo leicht nicht aus ſeiner Ruhe bringen. Er geht ſeinen Weg gerade und unaufhaltſam fort, ohne vor irgend einem Hinderniſſe zurückzuſchrecken. Die Ein - geborenen erzählen, daß er bei ſeinen nächtlichen Streifereien oft wie ein rollender Stein in Flüſſe falle, an deren Ufern er trabt, dann aber, ohne ſich beirren zu laſſen, in der einmal begonnenen Richtung auf dem Boden des Flußbettes fortlaufe, bis er irgendwo wieder freies Land gewinne, auf dem er dann mit einer Gleichgiltigkeit ſeinen Weg fortſetze, als hätte es niemals ein Hinderniß für ihn gegeben. Gefangene, welche ich beobachtete, laſſen mir ſolche Erzählungen durchaus nicht ſo unglaublich erſcheinen, als man meinen möchte. Es hält wirklich ſchwer, einen Wombat irgendwie zu erregen, obgleich man ihn unter Umſtänden erzürnen kann. So viel iſt ſicher, daß man ihn einen Trotzkopf ohne Gleichen nennen muß, falls man es nicht vorziehen will, ſeine Beharrlichkeit zu rühmen. Was er ſich einmal vorgenommen hat, verſucht er, aller Schwierigkeit ungeachtet, auszu -

Der Wombat oder die gemeine Beutelmaus (Phascolomys fossor).

führen. Die Höhle, welche er einmal begonnen, gräbt er mit der Ruhe eines Weltweiſen hundert - mal wieder aus, wenn man ſie ihm verſtopft. Die auſtraliſchen Anſiedler ſagen, daß er höchſt friedlich wäre und ſich, ohne Unruhe oder Aerger zu verrathen, vom Boden aufnehmen und weg - tragen ließe, dagegen zu einem ſehr beachtenswerthen Gegner würde, wenn ihm plötzlich einmal der Gedanke zu Abwehr durch ſeinen Querkopf ſchöſſe, denn dann beiße er wüthend und in gefährlicher Weiſe um ſich. Jch kann dieſe Angabe durchaus beſtätigen. Der Gefangene des hamburger Thier - gartens benimmt ſich nicht anders. Namentlich wenn man ihm die Füße zuſammenſchnürt oder ihn auch nur an den Füßen packt, zeigt er ſich ſehr erboſt, gibt ſeinen Zorn zunächſt durch ein drohendes Ziſchen zu erkennen und beißt dann ſehr ärgerlich zu, wenn ihm die Sache zu arg wird.

Wie die meiſten auſtraliſchen Thiere, hält auch der Wombat bei uns die Gefangenſchaft vor - trefflich aus. Bei guter Pflege und geeigneter Nahrung ſcheint er ſich ſehr wohl zu befinden, und wird dann auch leidlich zahm, d. h. er gewöhnt ſich inſofern an den Menſchen, daß man ihn ungeſtört59Die Nager.frei im Hauſe umherlaufen laſſen kann. Seine Gleichmüthigkeit läßt ihn die Gefangenſchaft vergeſſen und macht ihn mit ſeinem Looſe bald zufrieden, wenigſtens kommt er nie auf den Gedanken, zu ent - fliehen. Auf Vandiemensland ſoll er der gewöhnliche Genoſſe der Fiſcher ſein und an den Hütten umherlaufen, frei wie ein Hund. Doch darf man deshalb nicht glauben, daß er ſich jemals mit ſeinem Pfleger befreunde. Der Menſch iſt ihm vielmehr eben ſo gleichgiltig, als die ganze übrige Welt. Wenn er zu freſſen hat, kümmert er ſich um Nichts, was um ihn her vorgeht; jeder Ort iſt ihm dann recht und jede Gegend genehm.

Bei uns zu Lande ernährt man den ſtummen, geiſtig theilnahmloſen Geſellen mit grünem Futter, Möhren, Rüben, Früchten, Körnern und Getreide ohne Mühe, und wenn man ihm etwas Milch geben will, verſchafft man ihm noch einen beſonderen Genuß. Zu viel von dieſer, den meiſten Thieren höchſt angenehmen Flüſſigkeit darf man ihm freilich nicht vorſetzen, denn ſonſt kommt er, wie engliſche Naturforſcher erfahren mußten, einmal auch wohl auf den Gedanken, gleich in den Milch - napf ſich zu legen und hier ein Bad zu nehmen. Jn England hat man die Thiere bereits zur Fort - pflanzung gebracht und dabei beobachten können, daß das Weibchen drei bis vier Junge wirft und ſie, wenigſtens ſolange ſie noch im Beutel ſich befinden, mit großer Sorgfalt und Liebe pflegt und erzieht. Ob dieſe Verſuche berechtigen, den Wombat auf die Liſte der bei uns einzubürgernden Thiere zu ſetzen, wie die Franzoſen es gethan haben, überlaſſe ich dem Urtheil meiner Leſer. Jn Auſtralien hält man allerdings das Fleiſch des Wombat für wohlſchmeckend und benutzt auch ſein Fell, bei uns zu Lande dürfte aber weder das Eine noch das Andere gerade als beſonders werthvoll betrachtet werden.

Siebente Ordnung. Die Rager (Rodentia).

Jn der dritten großen Gruppe der Krallenthiere ſehen wir wieder ein durchaus in ſich abge - ſchloſſenes Ganze vor uns. Die Nager tragen ihren Namen faſt noch mit größerem Rechte, als die Raubthiere den ihrigen; denn man braucht ihnen blos in den Mund zu ſehen, um ſie ſofort und unzweifelhaft als Das zu erkennen, was ſie ſind. Zwei große Nagezähne in beiden Kiefern, welche nicht blos die Schneidezähne vertreten, ſondern auch die Eck -, und oft ſogar die Lückzähne zu erſetzen ſcheinen, ſind das Allen gemeinſame Merkmal, und dieſe Nagezähne ſind ſo hervorragend, daß ſie unmöglich überſehen werden können.

Ueber die äußere Leibesgeſtalt der Nager läßt ſich im allgemeinen nicht viel ſagen; denn die Ordnung, welche ſehr zahlreich iſt an Familien und Arten, zeigt die allerverſchiedenſten Körper - formen. Der Leib iſt bald ſchlank und geſtreckt, bald kurz und gedrungen, bald mit weichem Fell, bald mit Stacheln bekleidet; er trägt bei Dieſen einen längeren Schwanz, bei Jenen blos einen Schwanzſtummel; die Ohren zeigen alle Formen und Größen; die Gliedmaßen ſind entweder Gang -, oder Flatter - oder Springbeine; es finden ſich Pinſel an den Ohren oder Haarzeilen am Schwanze: kurz, der Unterſchiede zwiſchen den verſchiedenen Thieren gibt es gar mancherlei. Als allgemeingiltige Kennzeichen der ganzen Ordnung kann man aber doch etwa folgende annehmen. Der Körper iſt in den meiſten Fällen walzig und ruht auf niederen Beinen von gewöhnlich gleicher Länge, der Kopf60Die Nager.ſitzt auf einem kurzen, dicken Halſe; die Augen ſind groß und treten gewöhnlich ſtark hervor; die Lippen ſind fleiſchig, mit Schnurren beſetzt, ſehr beweglich und vorn geſpalten; die Vorderfüße, welche zuweilen hinter den Hinterfüßen zurücktreten, haben in der Regel vier, die hinteren fünf Zehen, und dieſe Zehen ſind mit mehr oder weniger ſtarken Krallen und Nägeln bewaffnet, auch zu - weilen durch Schwimmhäute verbunden. Das Haarkleid iſt faſt immer von gleicher Länge und höchſtens an den Ohrſpitzen pinſelartig verlängert oder am Schwanze buſchig geworden. Jedenfalls aber ſind die Verſchiedenheiten innerhalb der Ordnung ſo große, daß man billig Anſtand nehmen würde, die Nager zu einem Ganzen zu vereinigen, wenn nicht eben alle hierhergehörigen Thiere ein unverkennbares gemeinſchaftliches Kennzeichen in ihren Nagezähnen hätten. Dieſe zeichnen das Gebiß noch weit mehr aus, als die Reißzähne das Gebiß der Raubthiere.

Die Nagezähne ſind bedeutend größer, als alle übrigen Zähne des ganzen Gebiſſes, bogenförmig gekrümmt, die oberen immer ſtärker, als die unteren, an der Schneide breit oder ſpitzmeiſelartig, an der Wurzel drei - oder vierkantig, bald flach, bald gewölbt, glatt oder gefurcht, weiß oder gelblich und roth gefärbt. Jhre äußere oder vordere Fläche iſt mit ſtahlhartem Schmelz belegt, und dieſer bildet auch die ſcharfe Spitze oder den breiten, ſchneidenden Meiſelrand. Der übrige Zahn beſteht aus der gewöhnlichen Zahnmaſſe. Bei der ausgedehnten Benutzung dieſer Hauptzähne würden ſie ſich in kurzer Zeit abſtumpfen oder abnutzen, hätte die Natur hier nicht in ſehr eigenthümlicher Weiſe für ihre Unterhaltung geſorgt. Die Nagezähne haben nämlich einen großen Vorzug vor allen übrigen Zähnen des Säugethiergebiſſes: ſie ſind nicht nur weit feſter als dieſe, ſondern ihr Wachs - thum iſt auch unbeſchränkt. Die Zahnwurzel liegt in einer Alveole oder Zahnhöhle, welche ſich weit in dem Kiefer einbohrt, und enthält an dem hinteren, offenen Ende in einer trichterförmigen Einbuchtung einen bleibenden Keim, welcher ununterbrochen den Zahn in demſelben Grade ergänzt, wie er ſich vorn abnutzt. Die feine Schärfe der Schneide wird durch gegenſeitiges Aufeinander - reiben und dadurch bewirktes Abſchleifen der Zähne erhalten; beide Kiefern können auch blos ſenkrecht von vorn nach hinten wirken. So vereinigen dieſe Zähne alles Erforderliche, um dem ungeheuren Kraftaufwande, welchen das Nagen beanſprucht, gewachſen zu ſein. Von dem beſtändigen Wachs - thume der Nagezähne überzeugt man ſich leicht, wenn man einem Nager, einem Kaninchen z. B., einen ſeiner Nagezähne gewaltſam abbricht. Dann wächſt der gegenſtändige, weil er nun nicht mehr abge - nutzt wird, raſch weiter, tritt in einem engen Bogen aus dem Maule hervor und rollt ſich gehörn - artig ein, hierdurch das ganze Gebiß verſtümmelnd und die Ernährung des Thieres im höchſten Grade erſchwerend.

Die Lippen der Nager ſind mit Schnurren beſetzt und meiſt ſehr beweglich. Bei vielen öffnen ſich an der Jnnenſeite Backentaſchen, welche ſich bis an die Schultergegend ausdehnen und bei der Einſammlung der Nahrung als Vorrathsſäcke dienen. Ein beſonderer Muskel zieht dieſe Taſchen zurück, wenn ſie gefüllt werden ſollen. Die Ausleerung derſelben geſchieht durch den Druck der Vorderpfoten.

Von den inneren Theilen ſind die Speicheldrüſen gewöhnlich ſehr ſtark entwickelt. Der Magen iſt einfach, doch bisweilen durch Einſchnürung in zwei Abſchnitte getheilt. Die Länge des Darm - ſchlauches beträgt die fünf - bis ſiebzehnfache Leibeslänge. Die Eileiter der Weibchen gehen jeder für ſich in einen Fruchthalter von darmförmiger Geſtalt über, welcher dann in der langen Scheide mündet. Das Gehirn deutet auf geringe geiſtige Fähigkeiten. Die Halbkugeln des großen Gehirnes ſind klein und die Windungen ſchwach; dagegen ſind die Sinneswerkzeuge gleichmäßig und ziemlich vollkommen entwickelt.

Die Nager erſchienen mit dem Anfange der tertiären Schöpfungszeit einzeln und während der Diluvialzeit bereits in Menge auf unſerer Erde. Gegenwärtig ſind ſie über alle Erdtheile verbreitet. Sie finden ſich in allen Klimaten der Breite und Höhe, ſoweit die Pflanzenwelt reicht. Mitten in ewigem Schnee und Eiſe, ſagt Blaſius, wo ſtellenweiſe noch ein warmer Sonnenſtrahl nur auf wenige Wochen ein kurzes und kümmerliches Pflanzenleben hervorlockt, auf den ſtillen, einſamen61Die Nager.Schneehöhen der Alpen, in den weiten, öden Flächen des Nordens findet man noch Nager, die ſich nicht nach einer ſchöneren Sonne ſehnen. Aber je reicher und üppiger die Pflanzenwelt, deſto bunter, manchfaltiger wird das Leben dieſer Thierordnung, die kaum ein Fleckchen Erde unbewohnt läßt.

Höchſt verſchiedenartig iſt die Lebensweiſe dieſer Allverbreiteten. Die einen ſind Baum -, die an - deren Erdthiere; dieſe leben im Waſſer, jene in unterirdiſchen, ſelbſt gegrabenen Höhlen; die einen im Gebüſch, die anderen im freien Felde. Alle ſind mehr oder weniger bewegliche Geſchöpfe, welche, je nach der Verſchiedenheit ihrer Wohnorte, entweder vortrefflich laufen oder klettern oder graben oder ſchwimmen. Dabei ſind ſie meiſtens ſcharfſinnig, munter und lebhaft, nicht aber auch klug oder beſonders geiſtig befähigt. Die große Mehrzahl Aller iſt ein geiſtarmes oder wenigſtens ſehr unbedeu - tendes Geſindel, welches wohl ſcheu, nicht aber vorſichtig oder liſtig iſt und ſich auch ſonſt niemals durch irgendwelche hervorragende geiſtige Thätigkeiten auszeichnet. Manche leben paarweiſe, andere in Familien und nicht wenige ſcharenweiſe zuſammen, vertragen ſich gut auch mit anderen Thieren, ohne ſich jedoch mit dieſen zu befaſſen, und einzelne ſpielen unter ſich recht luſtig. Bosheit und Tücke, Wildheit und Unverſchämtheit, hervorgegangen aus Ueberlegung, äußern nur wenige, z. B. die Ratten. Bei Gefahr ziehen ſich alle ſo ſchleunig als möglich nach ihren Verſtecken zurück; aber nur die allerwenigſten ſind klug genug, Verfolgungen auf liſtige Weiſe zu vereiteln. Alle Nager nähren ſich hauptſächlich von pflanzlichen Stoffen. Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüthen, Früchte aller Art, Kraut, Gras, mehlige Knollen, ja ſelbſt Holzfaſern werden von ihnen verzehrt. Ein - zelne aber nehmen auch thieriſche Stoffe zu ſich und ſind wirkliche Allesfreſſer. Eigenthümlich iſt, daß viele, welche zu ſchwach ſind, größere Wanderungen zu unternehmen oder der Strenge des Winters zu widerſtehen, Vorräthe einſammeln und dieſe in unterirdiſchen Kammern aufſpeichern. Ueberhaupt ſind die Nager die Baumeiſter unter den Säugethieren, und einzelne von ihnen errichten ſich wahrhaft künſtliche Wohnungen, welche ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Bewunderung der Menſchen erregt haben. Hierbei ſcheint jedoch weit weniger ihr Verſtand, als ein unbewußter Trieb maßgebend zu ſein, wie es bei den Vögeln eben auch der Fall iſt. Nicht wenige verbringen den Winter in einem todtenähnlichen Schlafe, ſie verfallen in Erſtarrung und erhalten ſich von ihrem im Sommer reichlich aufgeſpeicherten Fette, welches bei den in jeder Hinſicht herabgeſtimmten Lebens - thätigkeiten nun gemachſam verzehrt wird.

Jm Verhältniß zu der geringen Größe der Nager iſt ihre Bedeutung für die Natur eine ſehr erhebliche. Sie würden die ganze Erde beherrſchen und verwüſten, hätten ſie nicht ein in Wirklichkeit ungezähltes Heer von Feinden gegen ſich und wären ſie nicht Seuchen und Krankheiten mancherlei Art in hohem Grade unterworfen. Der ununterbrochene Vertilgungskrieg, welcher gegen ſie geführt wird, erhält in ihrer erſtaunlichen Fruchtbarkeit und Vermehrungsfähigkeit ein Gegengewicht, welches nur zu oft zum überwiegenden wird. Es klingt überraſchend und iſt dennoch wahr, wenn angegeben wird, daß ein Nagerpärchen binnen Jahresfriſt ſeine Nachkommenſchaft auf Tauſend bringen kann. Solche erzeugungstüchtige Arten werden oft zu furchtbaren Feinden des menſchlichen Beſitzthums. Jhre Wühlerei in Feld und Garten, ihr Zernagen und Abbeißen von allerlei nütz - lichen Gegenſtänden und Pflanzen, ihre Räubereien im Speicher und Wohnhauſe verurſachen einen Schaden, welcher von dem Nutzen nicht entfernt erreicht werden kann. Der Menſch iſt alſo gezwungen, ſich dem Heer der Feinde unſerer Thiere anzuſchließen, und er übt nur das Recht des ſelbſtſüchtigen Stärkeren, wenn er alle Mittel in Anwendung bringt, um ſich ſolches Ungeziefers zu entwehren.

Eigentlich befreunden kann ſich der Menſch nur mit höchſt wenigen Gliedern dieſer zahlreichen Ordnung, und von dieſen wenigen ſind nur Einzelne der Zähmung würdig. Sie gewähren hier - durch einen geringen Nutzen; von anderen verwendet man Fleiſch und Fell.

Ueber die Eintheilung der Nagethiere ſind die Forſcher noch nicht ganz einig. Die Einen bilden mehr, die Anderen weniger Familien. Uns werden die von mir erwählten Nager einen genügenden Ueberblick der Ordnung verſchaffen.

62Die Höruchen.

Als edelſte, weil munterſte, lebhafteſte und klügſte Nager haben wir die Hörnchen (Seiurinae) anzuſehen. Viele Naturforſcher ziehen zu ihnen auch die Zieſel und Murmelthiere, welche wir in einer beſonderen Familie zuſammenfaſſen, und erweitern dadurch die ohnehin artenreiche Zunft der Hörnchen noch mehr. Aber auch wir hätten, ſelbſt wenn wir blos die hervorragendſten Mitglieder der Sippen ausführlich betrachten wollten, es noch immer mit einer hinreichenden Menge zu thun; denn von den eigentlichen Eichkätzchen allein kennt man jetzt bereits über ſiebenzig Arten, und die ganze Familie in unſerem Sinne mag wohl über neunzig Arten zählen, obwohl viele Forſcher gegen ein Drittel der in den verſchiedenen Lehrbüchern aufgeführten Arten als mit den übrigen, länger bekannten zuſammen - fallend, ſtreichen wollen.

Die Eichhörnchen und die Murmelthiere haben viele Kennzeichen mit einander gemein, nament - lich im Bau des Schädels und des Gebiſſes; beide laſſen ſich aber leicht kennzeichnen. Die Murmel - thiere ſind plump und ruhig, die Eichhörnchen zierlich und lebendig, und hiermit ſteht denn auch der geſammte Leibesbau im Einklang. Unſere Familie zeigt eine ſehr große Manchfaltigkeit, ſowohl in der äußeren Geſtaltung ihrer Glieder, wie in ihrer Lebensweiſe. Der Leib iſt immer geſtreckt und trägt einen mehr oder weniger langen, oft zweizeilig behaarten Schwanz. Die Augen ſind groß und hervorſtehend, die Ohren bald klein, bald groß, bald dünn behaart, bald noch mit Pinſeln ver - ſehen. Die Vorderpfoten haben vier Zehen und einen Daumſtummel, die hinteren fünf Zehen. Das vordere Beinpaar iſt merklich kürzer, als das hintere. Mit wenigen Ausnahmen finden ſich im Oberkiefer fünf, im Unterkiefer vier Backzähne, meiſt von ziemlich einfacher Geſtalt; unter ihnen iſt der erſte Oberkieferzahn der kleinſte und einfachſte. Die vier folgenden ſind ziemlich übereinſtimmend geſtaltet. Am Schädel fällt eine breite, flache Stirn auf. Die Wirbelſäule beſteht meiſtens aus zwölf rippentragenden und ſieben rippenloſen Wirbeln. Außerdem finden ſich drei Kreuz - und ſech - zehn bis fünfundzwanzig Schwanzwirbel. Der Magen iſt einfach, der Darm von ſehr verſchiedener Länge. Ausführlicheres läßt ſich hier nicht ſagen.

Die Hörnchen bewohnen die ganze Erde, mit Ausnahme von Neuholland. Sie gehen ziemlich weit nach Norden hinauf und finden ſich im heißeſten Süden; ſie leben in der Tiefe, wie in der Höhe, manche Arten ebenſogut im Gebirge, wie in der Ebene. Waldungen oder wenigſtens Baum - pflanzungen ſind ihre bevorzugten Aufenthaltsorte, und bei weitem die größere Anzahl führt ein echtes Baumleben, während einige in unterirdiſchen, ſelbſtgegrabenen Bauen Herberge nehmen. Gewöhnlich lebt jedes Hörnchen für ſich, doch halten ſich unter Umſtänden größere und kleinere Geſell - ſchaften, oder wenigſtens Paare längere Zeit zuſammen, und einzelne Arten unternehmen wohl auch, getrieben von Nahrungsmangel, Wanderungen, während derer ſie ſich zu ungeheuren, heerartigen Scharen vereinigen. Die eigentlichen Hörnchen ſind Tagthiere, die Arten aber, welche Flatter - häute beſitzen, Nachtthiere.

Jn der Nahrung ähneln ſich alle Glieder der Familie. Sie freſſen faſt ausſchließlich Pflanzen - ſtoffe, und zwar die verſchiedenartigſten Früchte, oder Sämereien, Sprößlinge, Blätter und Knospen, im Nothfalle ſogar Rinden oder Schwämme. Während des Freſſens ſetzen ſie ſich auf das Hintertheil und führen das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Jhren Durſt ſtillen ſie mit Waſſer, mit dem Schnee, den ſie auflecken, oder mit der Milch mancher Pflanzennüſſe.

Jhre Bewegungen ſind durchgehends äußerſt lebhaft, ſchnell und behend und zwar ebenſowohl auf den Bäumen, als auf dem Boden. Auf letzterem ſind blos die Flatterhörnchen fremd; ſie beſitzen dagegen die Fähigkeit, außerordentlich weite Sprünge auszuführen, wenn auch immer nur von oben nach unten. Die Mehrzahl läuft ſatzweiſe und tritt dabei mit ganzer Sohle auf. Faſt alle klettern vorzüglich und ſpringen über große Zwiſchenräume weg von einem Baume zum andern. Beim Schlafen nehmen ſie eine zuſammengerollte Stellung an und ſuchen ſich auch gern bequeme Lager - plätze aus, entweder in einem unterirdiſchen Bau oder in Baumhöhlen oder endlich in Neſtern, welche ſie ſich wenigſtens theilweiſe vorgerichtet, wo nicht ganz erbaut haben. Die in kalten Ländern wohnenden wandern, wenn der Winter herannaht, oder fallen in einen unterbrochenen Winterſchlaf63Die Nachthörnchen.und ſammeln ſich deshalb größere oder kleinere Mengen von Vorräthen ein, zu denen ſie dann im Nothfalle ihre Zuflucht nehmen. Jhre Stimme beſteht in Pfeifen und einem eigenthümlichen, nicht zu beſchreibenden Brummen, Knurren und Ziſchen. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ziemlich gering, für die Ordnung der Nager aber verhältnißmäßig bedeutend. Unter ihren Sinnen ſind das Geſicht, das Gehör und der Geruch am meiſten ausgebildet, und einzelne bekunden auch ein ſehr feines Gefühl, indem ſie ein gewiſſes Ahnungsvermögen beſitzen, welches ſich bei Veränderung der Wit - terung offenbart. Sie ſind aufmerkſam und ſcheu oder furchtſam und flüchten bei der geringſten Gefahr, welche ihnen zu drohen ſcheint. Jm ganzen äußerſt harmlos, wehren ſie ſich doch nach Mög - lichkeit, wenn ſie ergriffen werden, und können mit ihren ſcharfen Zähnen auch ziemlich tiefe Ver - wundungen beibringen.

Die meiſten Arten ſcheinen jährlich mehr als einmal Junge zu werfen. Um die Zeit der Paarung lebt oft ein Männchen lange Zeit mit dem Weibchen und hilft ihm wohl auch an dem Ausbau der mehr oder weniger künſtlichen Wohnung, in welcher es ſpäter ſeine Jungen beherbergen will. Die Zahl der Jungen eines Wurfes ſchwankt zwiſchen Zwei und Sieben. Die Jungen kommen faſt nackt und blind zur Welt und bedürfen deshalb eines recht warmen Lagers und ſorgfältiger Pflege und Liebe von Seiten ihrer Mütter. Jung aus dem Neſte genommene Eichhörnchen laſſen ſich ohne beſondere Mühe zähmen und halten auch die Gefangenſchaft lange Zeit ohne Beſchwerde aus, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Flatterhörnchen. Manche gewöhnen ſich ſehr an ihre Pfleger und hängen mit einer gewiſſen Zärtlichkeit an ihnen; doch auch bei längerem Umgange mit dem Menſchen erreicht ihr Verſtand eben keine beſonders große Ausbildung, und faſt regelmäßig bricht bei höherem Alter das trotzige und mürriſche Weſen durch, welches vielen Nagern gemein zu ſein ſcheint, und ſie werden böſe und biſſig, ſo gutmüthig und harmlos ſie früher auch waren.

Jm ganzen genommen, dürfte die Familie mehr nützlich ſein, als ſchädlich. Das Pelzwerk von faſt allen nördlich wohnenden Arten findet Verwerthung, obgleich es eben nicht zu dem beſten gehört, und das Fleiſch iſt ſelbſt ziemlich verwöhnten Gaumen nicht widerlich. Dagegen ſchaden die Thiere manchmal den Forſten oder den Pflanzungen und den Feldern, wenn ſie ſich zufällig auf ein und derſelben Stelle in größerer Menge verſammeln, als gewöhnlich.

Gewöhnlich haben wir uns zuerſt immer mit denjenigen Arten einer Familie beſchäftigt, welche im Licht der Sonne thätig und lebendig ſind, und die nächtlichen Glieder einer Gruppe an das Ende derſelben geſtellt. Diesmal verfahren wir umgekehrt; denn wir beginnen mit den Nachthörnchen (Pteromys). Dieſe Sippe (oder, wie Andere wollen, die beiden Sippen Pteromys und Scin - ropterus) können nämlich als die höchſtſtehenden Eichkätzchen angeſehen werden; denn ſie erinnern lebhaft an die uns bekannten Geſtalten höherer Ordnungen (Flugbeutler), weil ſich zwi - ſchen ihren Füßen eine ziemlich breite Flatterhaut zu einem Fallſchirm ſpannt. Dieſer Fallſchirm, welcher die Flughörnchen befähigt, mit Leichtigkeit ſehr bedeutende Sprünge, wenn auch immer in etwas ſchiefer Richtung von oben nach unten auszuführen, beſteht aus einer derben Haut, welche an den vorderen und hinteren Gliedmaßen und zu beiden Seiten des Leibes befeſtigt und auf der Rückenſeite dicht, auf der Bauchſeite aber dünn und ſpärlich behaart iſt. Ein knöcherner Sporn an der Handwurzel ſtützt das vordere Ende der Flatterhaut noch beſonders. Der Schwanz dient als kräftiges Steuerruder und iſt immer ſtark behaart, aber bei den verſchiedenen Arten nicht in derſelben Weiſe. Bei der einen Gruppe nämlich iſt er einfach buſchig, bei der anderen aber zweizeilig behaart. Hierzu kommen geringe Unterſchiede im Zahnbaue. Die rundſchwänzigen Flugeichhörnchen, welche Einige als beſondere Sippe anſehen, zeichnen ſich durch den eigenthümlichen Bau ihrer kleinen, ab - gerundeten und verſchmälerten Backenzähne aus, während die Arten mit zweizeiligem Schwanze das Gebiß der echten Eichhörnchen beſitzen. Bei den einen wie bei den anderen finden ſich aber zwölf rip - pentragende, ſieben rippenloſe, drei Kreuz - und achtzehn bis neunzehn Schwanzwirbel.

64Die Nachthörnchen.

Beide Gruppen, welche man, ohne der Wiſſenſchaftlichkeit zu nahe zu treten, unter eine Sippe vereinigen kann, ſind über die nördliche Erdhälfte verbreitet. Jhre Arten führen eine durchaus nächtliche Lebensweiſe. Bei Tage liegen ſie ſtill in ihren Neſtern, welche ſie meiſt in hohlen Bäumen anlegen, mit Beginn der Dämmerung kommen ſie hervor und treiben ſich nun luſtig und behend auf den Bäumen umher, um ihrer Nahrung nachzugehen. Die nördlichen Arten verbringen im Winter auch viele Nächte in ihren geſchützten Bauen, ohne jedoch einen wirklichen Winterſchlaf zu halten. Jm Vergleich zu den übrigen Eichhornſippen iſt dieſe Gruppe arm an Mitgliedern, und viele Natur - forſcher wollen von den achtzehn Arten, welche einige aufführen, nur acht gelten laſſen.

Eins der bekannteſten Flugeichhörnchen iſt der Taguan (Pteromys Petaurista), das größte Mitglied der ganzen Familie, einer Hauskatze in ſeinen Körperverhältniſſen faſt gleichkommend. Seine Leibeslänge beträgt nämlich faſt zwei Fuß und die des Schwanzes wenigſtens einen Fuß neun Zoll, die Höhe am Widerriſt acht Zoll. Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz. Der Kopf iſt ver - hältnißmäßig klein und die Schnauze zugeſpitzt. Die Ohren ſind kurz und breit, aufrechtſtehend und

Der Taguan (Pteromys Petaurista).

oft in eine Spitze auslaufend, die weit vortretenden Augen ſind groß. Die hinteren Beine ſind deutlich länger, als die vorderen; jene haben fünf, dieſe vier Zehen, welche mit kurzen, krummen und ſpitzen Krallen verſehen ſind, mit Ausnahme der Daumenwarze, die einen platten Nagel trägt. Die Flatterhaut beginnt an den Vorderbeinen, zieht ſich an den Seiten des Leibes hinab und heftet ſich an den Hinterbeinen an, von wo aus ſie ſich noch in einer kleinen Hautfalte gegen den Schwanz hin verlängert. Jn der Ruhe wird ſie, wie unſere Abbildung ſehr hübſch zeigt, an den Leib ange - zogen und tritt blos da lappenähnlich hervor, wo ſie durch den ſpornartigen Knochen an der Hand - wurzel geſtützt wird. Der lange und ſchlaffe Schwanz iſt ſehr dick und buſchig behaart, während der Pelz auf dem Körper und den Gliedmaßen dicht, kurz und anliegend, auf der Rückenſeite aber rauher, als auf der Unterſeite und am Schwanze iſt. Die Flatterhaut erſcheint wegen der kurzen, feinen Härchen an ihrem Rande wie mit Franſen beſetzt. Hinter den Ohren verlängern ſich einzelne Haare zu einem Buſche, und auf der Wange befindet ſich eine mit Borſten beſetzte Warze. Die übrigen Schnurrhaare ſind mäßig lang, aber ſteif. Wie bei allen nächtlich lebenden Thieren, ſtehen65Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.einige dieſer Fühlhörner über den Augen, um das wichtige Werkzeug zu ſchützen. Auf der Oberſeite des Kopfes, dem Rücken und an der Schwanzwurzel iſt die Färbung des Pelzes, ein Gemiſch von Grau und Schwarz, dadurch hervorgebracht, daß einzelne Haare ganz ſchwarz, andere an der Spitze weiß - grau ſind. Die Seiten des Kopfes und der Streifen, welcher ſich vom Nacken gegen die Vorderbeine zieht, ſind entweder ebenſo gefärbt, als die Oberſeite, oder röthlichkaſtanienbraun. Das Geſicht iſt vorn ſchwarz, das Ohr hellbraun, und der Hauptbuſch hinter demſelben dunkelbraun. Auf der ganzen Unterſeite hat der Pelz eine ſchmuzig weißgraue Färbung, welche in der Mitte des Leibes etwas heller wird. Die Flatterhaut iſt oben ſchwarzbraun bis kaſtanienbraun, lichtaſchgrau geran - det, die Unterſeite iſt grau, etwas ins Gelbliche fallend. Die Beine ſind röthlichkaſtanienbraun oder röthlichſchwarz. Der Schwanz iſt gewöhnlich ſchwarz.

Das Feſtland von Oſtindien, und zwar Malabar und Malacca, ſowie Siam ſind die aus - ſchließliche Heimat des Taguans; denn die auf den Sundainſeln vorkommenden Flugeichhörner ſind zwar ihm ſehr verwandte, aber doch hinreichend von ihm unterſchiedene Arten. Der Taguan lebt nur in den dichteſten Wäldern und beſtändig auf Bäumen, einzeln oder paarweiſe mit ſeinem Weibchen. Bei Tage ſchläft er in hohlen Bäumen, nachts kommt er hervor und klettert und ſpringt mit außerordentlicher Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit in den Baumkronen umher, oder in ſehr weiten Sätzen nach benachbarten Bäumen, immer von oben nach unten. Dabei breitet er ſeine Füße wagrecht und ſpannt hierdurch die Flatterhaut zu einem weiten Fallſchirm aus. Der Schwanz wird als Steuerruder benutzt, und das Thier iſt, wie die Affen, fähig, durch plötzliches Wen - den die Richtung ſeines Fluges mitten im Sprunge zu verändern. Man verſichert, daß die Schnelligkeit ſeiner Sprünge, wie überhaupt ſeiner Bewegungen, außerordentlich groß ſei, und daß ihm das Auge kaum folgen könne. Unter ſeinen Sinnen ſind Gehör und Geſicht ziemlich ausgebildet, die übrigen aber weit unvollkommener entwickelt. Jn ſeinem geiſtigen Weſen unterſcheidet er ſich weſentlich von den eigentlichen Eichhörnchen. Er hat weit weniger Verſtand und iſt noch viel furcht - ſamer und ſcheuer, als ſeine den Tag liebenden Verwandten. Das geringſte Geräuſch erfüllt ihn mit Entſetzen und bewegt ihn zur eiligſten Flucht. Jn Folge dieſer Vorſicht und Scheu ſichert er ſich ſo ziemlich vor den Angriffen der kletternden Raubthiere aus unſerer Klaſſe; den größeren Eulen aber mag er oft genug zum Opfer fallen, ſie fangen ihn, trotz ſeines raſchen Fluges, mitten im Sprunge, und ihnen gegenüber iſt das überhaupt ſehr harmloſe und ſchwache Thier vollkommen wehrlos.

Bei der Seltenheit des Taguan fehlen noch genauere Beobachtungen über ſein Leben. Die wenigſten Reiſenden thun ſeiner Erwähnung, und auch die Eingeborenen wiſſen nur ſehr kärglich über ihn zu erzählen. Jn der Gefangenſchaft iſt er langweilig. Er fordert eine ſorgfältige Pflege, iſt ſchüchtern, ſchläft bei Tage und lärmt bei Nacht um ſo ärger in ſeinem Käfig umher, zernagt alles Holzwerk, welches ihm den Ausgang hindert, und geht nach wenigen Tagen oder Wochen regel - mäßig zu Grunde, ſelbſt, wenn man ihm ſoviel als möglich die paſſendſte Nahrung reicht. So iſt es erklärlich, daß er noch niemals lebend nach Europa gekommen iſt.

Jn den benachbarten Ländern wohnen dem Taguan ähnliche Arten, der Norden dagegen be - herbergt die eigentlichen Flattereichhörnchen (Sciuropterus) mit zweizeiligem, behaarten, langen, buſchigen Schwanze. Von ihnen beſitzen auch wir eine Art, das gemeine Flattereich - hörnchen oder die Ljutaga der Ruſſen (Sciuropterus sibiricus). Es bewohnt noch gegenwärtig den nördlichen Theil von Oſteuropa und faſt ganz Sibirien, war aber früher auch in Polen, Li - thauen, Liefland, Finnland und Lappland zu finden. Das Thier iſt bedeutend kleiner, als unſer echtes Eichhörnchen. Sein Leib mißt blos ſechs Zoll in die Länge, der Schwanz nur drei Zoll zehn Linien, oder mit den Haaren fünf Zoll. Die Höhe am Widerriſt beträgt blos zwei Zoll, und das Gewicht eines erwachſenen Thieres überſteigt ſelten elf Loth.

Brehm, Thierleben. II. 566Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.

Jn der Geſtalt kommt das Flattereichhorn ganz mit ſeinen großen indiſchen Verwandten überein, und, wie ſchon oben bemerkt, unterſcheidet es weſentlich nur die Behaarung ſeines Schwanzes und die Bildung der Backenzähne. Der Pelz iſt dicht und weichhaarig, im Sommer auf der Oberſeite fahlbraun, auf der Flughaut und der Außenſeite der Beine dunkler graubraun, unten weiß und am Schwanze oben fahlgrau, unten lichtroſtfarbig. Alle Haare der Oberſeite ſind im Grunde ſchwarz - grau und an der Spitze fahlgelblich, die der Unterſeite dagegen ſind einfarbig weiß. Jm Winter ver - längert und verdichtet ſich der Pelz, und die Oberſeite wird dann lichter.

Die Ljutaga bewohnt die größeren Birkenwälder oder gemiſchte Waldungen, in denen Fichten, Föhren und Birken mit einander abwechſeln. Letztere Bäume ſcheinen dem Thierchen jedoch Lebensbedürfniß zu ſein, und hierauf deutet auch die Färbung ſeines Pelzes, welche im ganzen eben - ſoſehr der Birkenrinde gleicht, wie die Färbung unſeres Hörnchens der Rinde der Föhren und Fichten. Es wird immer ſeltener und iſt ſchon aus vielen Gegenden, in denen es früher recht häufig war, faſt ganz oder gänzlich verdrängt. Wie der Taguan lebt es einzeln oder paarweiſe und zwar beſtändig

Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga (Sciuropterus sibiricus).

auf Bäumen. Jn hohlen Stämmen, wie eine Haſelmaus zuſammengerollt und den Schwanz um ſich geſchlagen, verſchläft es den Tag. Mit Eintritt der Dämmerung kommt es hervor und beginnt nun ein reges Leben. Es iſt in ſeinen Bewegungen ebenſo gewandt, als die Taghörnchen, klettert vor - trefflich, ſpringt behend von Aſt zu Aſt und ſetzt mit Hilfe ſeiner ausgeſpannten Flatterhaut über Entfernungen von ſechszig bis achtzig Fuß. Es ſteigt, um ſolche Entfernungen zu durchmeſſen, bis zur höchſten Spitze des Wipfels empor und ſpringt von dort aus auf niedere Aeſte der Bäume, die es ſich auserwählt hat. Man hat dieſe Sprünge mit allem Rechte mit dem Fluge verglichen. Auf dem Boden iſt es eben ſo unbehilflich und unſicher, als auf den Bäumen gewandt und ſchnell. Sein Gang iſt ſchwankend, und die weite Flughaut, welche faltig zu beiden Seiten des Leibes herab - hängt, macht ihm im Laufen viel zu ſchaffen.

Die Nahrung der Ljutaga beſteht aus den Knospen, Sprößlingen und Kätzchen der Birken; im Nothfalle begnügt ſie ſich aber auch mit den jungen Trieben und Knospen der Fichten. Beim Freſſen ſitzt ſie, wie unſer Eichhörnchen, aufrecht und bringt das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Ueberhaupt ähnelt das Flatterhörnchen in allen ſeinen Eigenſchaften unſerm Eich -67Die eigentlichen Hörnchen.kätzchen, nur, daß es ein Nachtthier iſt. Es iſt ſehr reinlich, putzt ſich beſtändig und legt auch ſeinen Unrath blos am Boden ab. Mit Eintritt der Kälte verfällt es in einen unterbrochenen Winterſchlaf, indem es bei kalten Tagen ſchläft, bei milderen aber wenigſtens ein paar Stunden umherläuft und Nahrung ſucht. Es hat ſich dann gewöhnlich eins ſeiner alten Neſter zurechtgemacht oder den Horſt eines Vogels zur Schlafſtätte hergerichtet. Sein eigenes Neſt legt es in hohlen Bäumen an, ſo hoch als möglich über dem Boden. Die ganze Höhlung füllt es mit zartem Moſe aus, und mit dem - ſelben Stoffe verwahrt und verſtopft es auch den Eingang. Jn ſolchem Neſte bringt es im Sommer ſeine zwei bis drei Jungen zur Welt. Dieſe werden nackt und blind geboren und bleiben ziemlich lange Zeit unbehilflich und pflegebedürftig im hohen Grade. Während des Tages hüllt ſie die Mutter in ihre Flatterhaut ein, um ſie zu erwärmen und zugleich bequem ſäugen zu können; bei ihren nächt - lichen Ausgängen bedeckt ſie die Brut ſorgſam mit Mos. Etwa ſechs Tage nach ihrer Geburt brechen ihnen die Nagezähne hervor, doch erſt zehn Tage ſpäter öffnen ſie die bisher geſchloſſenen Aeuglein, und dann beginnt auch das Haar auf ihrem Leibe zu ſproſſen. Später nimmt ſie die Alte mit ſich in den Wald, kehrt aber nach langer Zeit zu demſelben Neſte zurück, um während des Tages dort Ruhe und Schutz zu ſuchen. Jm Herbſt bauen oft viele ein einziges großes Neſt, in welchem ſie gemeinſchaftlich wohnen.

Obgleich das dünnhäutige, weichhaarige Fell blos ein ſchlechtes Pelzwerk liefert, welches nur die Chineſen verwerthen, ſtellt man dem Thiere nach und tödtet es jeden Winter in Menge. Es geht ziemlich leicht in Schlingen und zur Winterzeit in Fallen, welche man mit ſeiner Lieb - lingsnahrung geködert hat. Sein am Fuße der Bäume oft in großer Menge angehäufter, dem Mäuſemiſt ähnlicher Unrath verräth es leicht ſeinen Verfolgern; denn außerdem iſt es ſchwer, das rin - denfarbige Thier auf den Bäumen zu entdecken.

Die Gefangenſchaft hält das Flattereichhörnchen immer blos kurze Zeit aus. Man kann ihm ſeine eigentliche Nahrung doch nicht ſo erſetzen, als man möchte, und die Zartheit des Thieres tritt hin - dernd in den Weg. Doch hat man an einigen, die längere Zeit am Leben blieben, beobachtet, daß ſie ſich einigermaßen zähmen laſſen.

Der amerikaniſche Vertreter dieſes Thieres iſt der Aſſapan (Sciuropterus volucella), eine der kleinſten Arten, von fünf Zoll Leibeslänge mit vierzölligem Schwanze, ausgezeichnet durch den ſehr dicken Kopf und die auffallend großen, ſchwarzen und vorſtehenden Augen. Der weiche und feine Pelz iſt oben gelb bräunlich mit grau, an den Seiten des Halſes lichter, auf den Pfoten ſilberweiß und an der ganzen Unterſeite weiß. Der Schwanz iſt aſchgrau mit bräunlichem An - fluge, die Flughaut ſchwarz und weiß gerandet, das Auge mit einem ſchwärzlichgrauen Ringe um - geben. Das Thier lebt geſellig in den Wäldern des gemäßigten und warmen Nordamerika, ganz in der Weiſe der Ljutaga, legt ſich aber oft große Neſter aus Blättern in hohlen Bäumen an, in denen ganze Geſellſchaften ſchlafen und ſich wärmen. Jung eingefangen läßt es ſich leichter und beſſer zähmen, als das vorhergehende.

Die wahren Eichhörnchen, deren deutſches Urbild wohl allgemein bekannt ſein dürſte, zerfallen nun auch wieder in verſchiedene Sippen, welche mehr oder weniger von einander abweichen, hauptſächlich im Gebiß und in der Behaarung; die Lebensweiſe dagegen iſt ſo ziemlich dieſelbe, wenig - ſtens ähneln ſich hierin alle Arten, welche auf Bäumen leben, außerordentlich. Die erſte Gruppe, welche wir zu beobachten haben, begreift die eigentlichen Hörnchen (Sciurus) in ſich. Jhre Kennzeichen ſind der lange Leib und der noch längere, meiſt buſchig, oft zweizeilig behaarte Schwanz, die ziemlich langen Ohren, die mit einem Nagel bedeckte Daumenwarze der Vorderfüße und die vier Backenzähne in jeder Reihe, wenigſtens im Alter (da in der Jugend noch ein fünfter dazukommt). Unter ihnen iſt natürlich der liebe Bekannte aus dem Walde, den wir ſo oft auch an unſer Zimmer5 *68Die eigentlichen Hörnchen.feſſeln, unſer Eichhörnchen (Sciurus vulgaris), der wichtigſte, und man kann auch wirklich ſagen, daß er das Gepräge ſeiner ganzen Genoſſenſchaft vollſtändig bekundet.

Das Eichhörnchen iſt einer von den wenigen Nagern, mit denen ſich der Menſch ſo recht innig befreundet hat. Es iſt des Kindes und des Mannes Freude im friſchen, grünen Walde, und trotz mancher unangenehmen Eigenſchaften ein gern geſehener Genoſſe im Zimmer; es iſt ſogar dem Dichter eine befreundete Geſtalt. Dies fühlten ſchon die Griechen heraus, denen wir den ſchönen Namen zu danken haben, welcher jetzt in der Wiſſenſchaft die Gruppe der wahren Eichhörnchen im engeren, und die ganze Familie im weiteren Sinne bezeichnet. Der mit dem Schwanze ſich Schattende bedeutet jener griechiſche Name, und unwillkürlich muß Jeder, welcher die Bedeutung des Wortes Sciurus kennt, an das muntere, bewegliche Thierchen denken, wie es da oben ſitzt, hoch auf den oberſten Kronen und ſich ſeine Nüſſe aufknackt. Aber nicht blos die Griechen haben in dem Eichhörnchen eine dichteriſche Geſtalt erblickt: wir Deutſchen haben noch weit mehr gethan; denn unſer Rückert hat das freundliche Thier in einer Weiſe beſungen, daß ſich der Forſcher faſt ſcheuen muß, nach ſolchen köſtlichen Worten ſeine eigenen zur Beſchreibung hinzuzufügen:

Jch bin in einem früheren Sein
Einmal ein Eichhorn geweſen;
Und bin ich’s erſt wieder in Edens Hain,
So bin ich vom Kummer geneſen.
Falb-feurig-gemantelter Königsſohn
Jm blühenden, grünenden Reiche!
Du ſitzeſt auf ewig wankendem Thron
Der niemals wankenden Eiche
Und kröneſt dich ſelber wie machſt du es doch?
Anſtatt mit goldenem Reife,
Mit majeſtätiſch geringeltem, hoch
Emporgetragenem Schweife.
Die Sproſſen des Frühlings benagt dein Zahn,
Die noch in der Knospe ſich ducken;
Dann klimmeſt du laubige Kronen hinan,
Dem Vogel ins Neſt zu gucken.
Du läſſeſt hören nicht einen Ton,
Und doch, es regt ſich die ganze
Kapelle gefiederter Muſiker ſchon,
Dir aufzuſpielen zum Tanze.
Dann ſpieleſt du froh zum herbſtlichen Feſt
Mit Nüſſen, Bücheln und Eicheln,
Und läſſeſt den letzten ſchmeichelnden Weſt
Den weichen Rücken dir ſtreicheln.
Die Blätter haften am Baum nicht feſt,
Den fallenden folgſt du hernieder
Und trägſt ſie, ſie ſtaunen, zu beinem Neſt,
Jn ihre Höhen ſie wieder.
Du haſt den ſchwebenden Winterpalaſt
Dir künſtlich zuſammengeſtoppelt,
Dein wärmſtoffhaltendes Pelzwerk haſt
Du um dich genommen gedoppelt.
Dir ſagt’s der Geiſt, wie der Wind ſich dreht,
Du ſtopfeſt zuvor ihm die Klinzen,
Und lauſcheſt behaglich, wie’s draußen weht,
Du frohſter verzauberter Prinzen!
Mich faßt im Herbſte, wie dich, ein Trieb,
Zu ſammeln und einzutragen,
Doch hab ich, wie warm es im Neſt mir blieb,
Nicht dort dein freies Behagen.

Jch habe ſchwerlich zu viel geſagt, wenn ich behaupte, daß die nun folgende Beſchreibung nach ſolchem Vorgänger ſchwer iſt.

Unſer Eichhörnchen iſt ſelbſt für Den, welcher es wirklich noch nicht geſehen oder nur in der Ferne geſehen hat, bald beſchrieben. Seine Leibeslänge beträgt gegen neun Zoll und die Schwanzes - länge etwa einen Zoll weniger, die Höhe am Widerriſt gegen vier Zoll und das Gewicht des erwach - ſenen Thieres etwas über ein halbes Pfund. Der Pelz ändert vielfach ab, im Sommer und im Winter, im Norden und im Süden, und außerdem gibt es noch zufällige Ausartungen. Jm Som - mer iſt der Pelz oben bräunlichroth, an den Kopfſeiten grau gemiſcht, auf der Unterſeite vom Kinn an weiß; im Winter iſt bei unſerem die Oberſeite braunroth mit grauweißem Haar untermiſcht, die Unterſeite weiß, in Sibirien und Nordeuropa aber häufig weißgrau, ohne jede Spur von rothem Anfluge, während der Sommerpelz dem unſeres Hörnchens ähnelt. Häufig ſieht man auch in den deutſchen Wäldern eine ſchwarze Abart, welche manche Naturforſcher ſchon für eine beſondere Art erklären wollten, während wir mit aller Beſtimmtheit ſagen können, daß oft unter den Jungen eines69Unſer Eichhörnchen.Wurfes ſich rothe und ſchwarze Hörnchen befinden. Sehr ſelten ſind weiße oder gefleckte Spiel - arten, ſolche mit halb oder ganz weißem Schwanze und dergleichen. Der Schwanz iſt ſehr buſchig und zweizeilig, das Ohr ziert ein Büſchel langer Haare, die Fußſohlen ſind nackt.

Unſer Eichhörnchen iſt den Griechen und Spaniern ebenſogut bekannt, als den Sibiriern und Lappländern. Es reicht durch ganz Europa und geht noch über den Kaukaſus und Ural hinweg durch das ſüdlichere Sibirien bis zum Altai und nach Hinteraſien. Der Baumwuchs bezeichnet ſeine Hei - mat. Wo ſich Bäume finden, und zumal wo ſich die Bäume zum Walde einen, fehlt unſer Thier - chen ſicher nicht; aber es iſt nicht überall und auch nicht in allen Jahren gleichhäufig und, wenn es auch nicht gerade wandern mag, große Streifzüge dürfte es jedenfalls unternehmen. Hochſtämmige, trockene und ſchattige Wälder, namentlich von Schwarzhölzern, bilden wohl ſeine bevorzugteſten Aufenthaltsplätze. Näſſe und Sonnenſchein ſind ihm gleichzuwider. Während der Reife des Obſtes und der Nüſſe beſucht das Eichhörnchen auch die Gärten des Dorfes, doch nur dann, wenn ſich vom Walde aus eine Verbindung durch Feldhölzchen oder wenigſtens Gebüſche findet. Da, wo recht viele

Unſer Eichhörnchen (Sciurus vulgaris).

Fichten - und Kiefernzapfen reifen, ſetzt es ſich feſt und erbaut ſich eine oder mehrere Wohnungen, gewöhnlich in alten Krähenhorſten, welche es recht künſtlich herrichtet. Zu kürzerem Aufenthalte benutzt es verlaſſene Elſter -, Krähen - und Raubvögelhorſte, wie ſie ſind, die Wohnungen aber, welche zur Nachtherberge, zum Schutze gegen üble Witterung und zum Wochenbette des Weibchens dienen, werden ganz neu erbaut, obwohl oft aus den von Vögeln zuſammengetragenen Stoffen. Man will bemerkt haben, daß jedes Hörnchen wenigſtens vier Neſter habe, doch iſt mit Sicherheit hierüber wohl noch Nichts feſtgeſtellt worden, und ich glaube, beobachtet zu haben, daß Laune und Bedürfniß des Thieres außerordentlich wechſeln. Höhlungen in Bäumen, am liebſten die in hohlen Stämmen, werden ebenfalls von ihm beſucht und unter Umſtänden auch ausgebaut. Die freien Neſter ſind gewöhnlich in einen Zwieſel dicht an den Hauptſtamm des Baumes geſtellt. Der Boden der Hütte iſt gebaut, wie der eines größeren Vogelneſtes, oben aber iſt ſie nach Art der Elſterneſter mit einem flachen, kegelförmigen Dache überdeckt, dicht genug, um dem Eindringen des Regens voll - ſtändig zu widerſtehen. Der Haupteingang iſt abwärts gerichtet, gewöhnlich nach Morgen hin, ein etwas kleineres Fluchtloch befindet ſich dicht am Schafte. Zartes Mos bildet im Jnnern ringsum70Die eigentlichen Hörnchen.ein weiches Polſter. Der Außentheil beſteht aus dünneren und dickeren Reiſern, welche durchein - andergeſchränkt wurden. Den feſten, mit Erde und Lehm ausgekleibten Boden eines verlaſſenen Krähenneſtes benutzt das Hörnchen unter allen Umſtänden gern zur Grundlage ſeiner Hütte.

Das muntere Thierchen iſt unſtreitig eine der Hauptzierden unſerer Wälder. Bei ruhigem, hei - teren Wetter befindet es ſich in ununterbrochener Bewegung, ſoviel als möglich auf den Bäumen, welche ihm zu allen Zeiten Nahrung und Obdach bieten. Nur gelegentlich ſteigt es gemächlich an einem Stamme herab, läuft bis zu einem zweiten Baum und klettert, oft nur zum Spaß, wieder an dieſem empor; denn wenn es will, braucht es den Boden gar nicht zu berühren. Es iſt der Affe unſerer Wälder und beſitzt eine Menge Eigenſchaften, welche an die jener launiſchen Südländer erinnern. Es iſt ein ungemein lebhaftes Thier und überaus raſch und behend. Nur höchſt wenige Säugethiere dürfte es geben, welche immerwährend ſo munter wären und ſo kurze Zeit auf ein und derſelben Stelle blieben, wie das gemeine Eichhorn bei leidlicher Witterung. Das geht beſtändig von Baum zu Baum, von Krone zu Krone, von Zweig zu Zweig; ſelbſt auf der ihm fremden Erde iſt es nichts weniger als langſam. Es läuft niemals im Schritte oder Trabe, ſondern hüpft immer in größeren oder kleineren Sprüngen vorwärts, und zwar ſo ſchnell, daß ein Hund Mühe hat, es einzuholen und ein Mann ſchon nach kurzem Laufe ſeine Verfolgung aufgeben muß. Allein ſeine wahre Gewandtheit zeigt ſich doch erſt im Klettern. Mit unglaublicher Sicherheit und Schnelligkeit rutſcht es an den Baumſtämmen empor, auch an den glätteſten. Die langen, ſcharfen Krallen an den fingerartigen Zehen leiſten ihm dabei vortreffliche Dienſte. Es häkelt ſich in die Baumrinde ein, und zwar immer mit allen vier Füßen zugleich. Dann nimmt es einen neuen An - lauf zum Sprunge und ſchießt weiter nach oben; aber ein Sprung folgt ſo ſchnell auf den andern, daß das ganze Emporſteigen in ununterbrochener Folge vor ſich geht und ausſieht, als gleite das Thier an dem Stamme in die Höhe. Die Kletterbewegung verurſacht ein weit hörbares Raſſeln, in welchem man die einzelnen An - und Abſätze nicht unterſcheiden kann. Gewöhnlich ſteigt es, ohne abzuſetzen, bis in die Krone des Baumes, nicht ſelten bis zum Wipfel empor; dort läuft es dann auf irgend einem der wagrechten Aeſte hinaus und ſpringt gewöhnlich nach der Spitze des Aſtes eines andern Baumes hinüber, über Entfernungen von zwölf bis ſechszehn Fuß, immer von oben nach unten. Wie nothwendig die zweizeilig behaarte Fahne dem Thiere zum Springen iſt, hat man durch grauſame Verſuche erprobt, indem man gefangenen Eichhörnchen den Schwanz abſchlug. Man bemerkte dann, daß das verſtümmelte Geſchöpf nicht halbſoweit mehr ſpringen konnte. Obgleich die Hände des Eichhorns nicht Daſſelbe leiſten können, wie die Affenhände, ſind ſie doch immer noch hinlänglich geeignet, das Thier auch auf dem ſchwankendſten Zweige zu befeſtigen, und dieſes iſt viel zu geſchickt, als daß es jemals einen Fehlſprung thäte oder von einem Aſte, den es ſich auserwählt, herab - fiele. Sobald es die äußerſte Spitze des Zweiges erreicht, faßt es ſie ſo ſchnell und feſt, daß ihm das Schwanken des Zweiges gar nicht beſchwerlich fällt, und läuft nun mit ſeiner anmuthigen Gewandt - heit äußerſt raſch wieder dem Stamme des zweiten Baumes zu. Auch das Schwimmen verſteht der muntere Geſell vortrefflich, obgleich er nicht gern ins Waſſer geht. Man hat ſich bemüht, die ein - fache Handlung des Schwimmens bei ihm ſo unnatürlich als möglich zu erklären, und behauptet, daß ſich das Hörnchen erſt ein Stück Baumrinde ins Waſſer trage zum Boote, welches es dann durch den emporgehobenen Schwanz mit Maſt und Segel verſähe ꝛc. : derartige Schwätzereien naturfremder Stubenhocker können höchſtens belächelt werden. Das Eichhorn ſchwimmt eben auch nicht anders, als die übrigen landbewohnenden Säugethiere und die Nager insbeſondere.

Wenn das Hörnchen ganz in Ruhe iſt, ſucht es bei ſeinen Streifereien beſtändig nach Aeßung. Je nach der Jahreszeit genießt es Früchte oder Sämereien, Knospen, Zweige, Schalen, Beeren, Körner und Pilze. Tannen -, Kiefern - und Fichtenſamen, Knospen und junge Triebe bleiben wohl immer der Haupttheil ſeiner Nahrung. Es beißt die Zapfen unſerer Nadelholzbäume am Stiele ab, ſetzt ſich behäbig auf die Hinterläufe, erhebt den Zapfen mit den Vorderfüßen zum Munde, dreht ihn ununter - brochen herum und beißt nun mit ſeinen vortrefflichen Zähnen ein Blättchen nach dem andern ab,71Unſer Eichhörnchen.bis der Kern zum Vorſchein kommt, welchen es dann mit der Zunge aufnimmt und in den Mund führt. Beſonders hübſch ſieht es aus, wenn es ſeine Lieblingsſpeiſe, die Haſelnüſſe nämlich, in reichlicher Menge haben kann. Schon während der Reife beſucht es die Nußſtauden ſehr eifrig und wählt ſich da die verſprechendſten Früchte aus. Am liebſten aber verzehrt es die Nüſſe, wenn ſie ganz gereift ſind. Es ergreift eine ganze Traube, enthülſt eine Nuß, faßt ſie mit den Vorder - füßen und ſchabt nun an der Naht der beiden Schalen mit wenigen Biſſen ein Loch durch die Schale, die Nuß dabei mit unglaublicher Schnelligkeit hin - und herdrehend, bis ſie in zwei Hälften oder in mehrere Stücke zerſpringt; dann wird der Kern herausgeſchält und, wie alle Speiſe, welche das Thier zu ſich nimmt, gehörig mit den Backzähnen zermalmt: denn das Eichhorn kaut alle ſeine Nahrung ordentlich durch und ſammelt ſie nicht, wie viele andere Nager es thun, erſt in einiger Menge in ſeinen Backen auf. Außer den Samen und Kernen frißt unſer Hörnchen auch Heidel - und Preißelbeerblätter, Ahorn - und Masholderſamen, Schwämme (nach Tſchudi auch Trüffeln) leidenſchaftlich gern. Aus Früchten macht es ſich gar Nichts; es ſchält das ganze Fleiſch von Birnen und Aepfeln ab, um zu den Kernen zu gelangen. Dagegen iſt es ein großer Freund von den Eiern aller Neſter, welche es bei ſeinen Streifereien auffindet, und verſchont auch ſelbſt junge Neſt - vögel nicht, ja, es wagt ſich ſogar an alte. Lenz hat einem Eichhorn einmal eine alte Droſſel ab - gejagt, die nicht etwa lahm, ſondern ſo kräftig war, daß ſie ſogleich nach ihrer Befreiung weit weg - flog. Bittere Kerne, wie z. B. Mandeln, ſind ihm tödlich. Bei Gefangenen reichen zwei bittere Mandeln hin, um es umzubringen.

Sobald das Thier einigermaßen reichliche Nahrung hat, beginnt es, ſich Vorräthe für ſpätere, traurigere Zeiten einzutragen. Jn den Spalten und Löchern hohler Bäume und Baumwurzeln, in ſelbſtgegrabenen Löchern, unter Gebüſch und Steinen, in einem ſeiner Neſter und an andern ähn - lichen Orten legt es ſeine Speicher an und ſchleppt oft durch weite Strecken die betreffenden Körner nach ſolchen Plätzen. Mit dieſem Naturtrieb bezeichnen die Hörnchen ſelbſt, wie empfindlich ſie gegen die Einflüſſe der Witterung ſind. Schon bei gutem Wetter halten ſie ihr Mittagsſchläfchen in ihrem Neſte, ſobald die Sonne etwas wärmer ſtrahlt, als gewöhnlich, und treiben ſich dann blos früh und abends im Walde umher; noch vielmehr aber ſcheuen ſie Regengüſſe, heftige Gewitter, Stürme und vor allem Schneegeſtöber. Jhr eigenthümliches Vorgefühl der kommenden Witterung iſt dabei gar nicht zu verkennen. Schon einen halben Tag, ehe das gefürchtete Wetter eintritt, zeigen ſie ihre Unruhe durch beſtändiges Umherſpringen auf den Bäumen und ein ganz eigenthüm - liches Pfeifen und Klatſchen, welches man ſonſt blos bei größerer Erregung von ihnen vernimmt. Sobald ſich nun die erſten Vorboten des ſchlechten Wetters zeigen, zieht ſich jedes Hörnchen nach ſeinem Neſte zurück, oft auch mehrere in ein und daſſelbe. Das Ausgangsloch an der Wetter - ſeite wird ſorgfältig verſtopft: behaglich in ſich zuſammengerollt, läßt das zärtliche Geſchöpf das Wetter vorübertoben. So liegt es oft tagelang ruhig im Neſte; ſchließlich treibt es der Hunger aber doch heraus und dann zunächſt ſeinen Vorrathskammern zu, in denen es Schätze für den Winter aufſpeicherte. Ein ſchlechter Herbſt wird für unſer Hörnchen gewöhnlich verderblich, eben weil es die Wintervorräthe aufbraucht. Folgt dann ein nur einigermaßen ſtrenger Winter, ſo bringt er einer Unzahl der munteren Thiere den Tod. Manche Speicher werden vergeſſen, zu anderen verwehrt der hohe Schnee den Zugang, und ſo kommt es, daß die munteren Thiere geradezu verhungern. Da liegt dann hier eins und dort eins todt im Neſte oder fällt entkräftet vom Baumwipfel herunter, und der Edelmarder hat es noch leichter als ſonſt, ſeine Hauptnahrung zu erlangen. Jn Buchen - und Eichenwäldern ſind die Hörnchen immer noch am glücklichſten daran; denn außer den noch an den Bäumen hängenden Bücheln und Zapfen, welche ſie abpflücken, graben ſie deren in Menge aus dem Schnee heraus und nähren ſich dann recht gut.

Auch bei Einbruch der Nacht zieht ſich jedes Hörnchen nach ſeinem Neſte zurück und ſchläft dort, ſolange es dunkel iſt; aber es weiß ſich, wie Lenz beobachtete, auch im Dunkeln zu helfen. Dieſer Forſcher ließ ſich einmal in ſchwarzer Nacht von zwei Tagelöhnern eine hohe Leiter in den72Die eigentlichen Hörnchen.Wald tragen und an einen Baum lehnen, auf welchem ſich ein Neſt mit jungen Eichhörnchen befand. Alles geſchah ſo leiſe, als möglich. Die Laterne blieb unten bei den Leuten, und Lenz ſtieg hin - auf. Sobald er aber das Neſt mit der Hand berührte, fuhren die Thierchen mit Windeseile heraus, etwa zwei am Baume in die Höhe, eins am Stamme hinunter, eins durch die Luft zu Boden, und im Nu war Alles um ihn her wieder ganz ſtill.

Die Stimme des Eichhorns iſt im Schreck ein lautes Duck, Duck , bei Wohlbehagen und bei gelindem Aerger ein merkwürdiges, nicht gut durch Silben auszudrückendes Murren, oder, wie Dietrich aus dem Winckell und Lenz noch beſſer ſagen, ein Murren. Beſondere Freude oder Erregung drückt es durch ein gewiſſes Pfeifen aus.

Die geiſtigen Fähigkeiten des Hörnchens ſind größer, als die der meiſten übrigen Nager. Alle Sinne ſind ſcharf, zumal Geſicht, Gehör und Geruch; doch muß auch das Gefühl ſehr fein ſein, weil ſich ſonſt die Vorempfindung des Wetters nicht erklären ließe; der Geſchmack iſt ebenfalls entſchieden ausgebildet, wie man an zahmen leicht beobachten kann. Für die höhere geiſtige Begabung ſprechen das gute Gedächtniß, welches das Thier beſitzt, und die Liſt und Ver - ſchlagenheit, mit denen es ſich ſeinen Feinden zu entziehen weiß. Blitzſchnell eilt es dem höchſten der umſtehenden Bäume zu, fährt faſt immer auf der entgegengeſetzten Seite des Stammes bis in den erſten Zwieſel hinan, kommt höchſtens mit dem Köpfchen zum Vorſchein, drückt und verbirgt ſich ſoviel als thunlich, und ſucht ſo unbemerkt als möglich ſeine Rettung auszuführen, dabei eine große Berechnung offenbarend.

Aeltere Eichhörnchen begatten ſich zum erſten Male im März, die jüngeren etwas ſpäter. Ein Weibchen verſammelt um dieſe Zeit oft zehn oder mehr Männchen um ſich, und dieſe beſtehen dann blutige Kämpfe mit einander in Sachen der Liebe. Wahrſcheinlich wird auch hier dem Tapferſten der Minne Sold: das Weibchen ergibt ſich dem ſtärkeren und hängt ihm wenigſtens eine Zeit lang mit treuer Liebe an. Vier Wochen nach der Begattung wirft es in dem beſtgelegenſten und am weichſten ausgefütterten Neſte drei bis ſieben Junge, welche ungefähr neun Tage lang blind bleiben und von der Mutter zärtlich geliebt werden. Baumhöhlen ſcheinen die bevorzugteſten Wochenbetten abzugeben; nach Lenz niſten die Weibchen auch in Staarkübeln, welche nahe am Walde auf Bäumen hängen und vorher ordentlich ausgepolſtert und mit einem bequemen Eingange verſehen werden, indem die Mutter das enge Flugloch durch Nagen hinlänglich für ſich erweitert. Ehe die Jungen geboren ſind und während ſie geſäugt werden, ſagt Lenz, ſpielen die Alten luſtig und niedlich um das Neſt herum. Schlüpfen die Jungen aus dem Neſte hervor, ſo wird etwa fünf Tage lang, wenn das Wetter gut iſt, geſpielt, gehuſcht, geneckt, gejagt, gemurrt, gequiekſt: dann iſt plötzlich die ganze Familie verſchwunden und in den benachbarten Fichtenwald gezogen. Bei Be - unruhigung trägt ſie die Alte, wie die Knaben recht gut wiſſen, in ein anderes Neſt, und zwar oft ziemlich weit davon. Man muß daher vorſichtig ſein, wenn man Junge ausnehmen will, und darf ſich nie beikommen laſſen, ein Neſt, in denen man ein Wochenbett vermuthet, zu unterſuchen, ehe man die Jungen ausnehmen kann. Wenn dieſelben entwöhnt worden ſind, trägt ihnen die Mutter (oder auch der Vater mit) noch einige Tage lang Nahrung zu, dann überläßt das Eltern - paar die junge Familie ihrem eigenen Schickſale und ſchreitet zur zweiten Paarung. Die Jungen bleiben noch eine Zeitlang zuſammen, ſpielen hübſch mit einander und gewöhnen ſich ſchnell an die Sitten und Gebräuche der Eltern. Jm Juni hat die Alte bereits zum zweiten Male Junge, gewöhnlich einige weniger, als das erſte Mal; und wenn auch dieſe ſoweit ſind, daß ſie mit ihr her - umſchweifen können, ſchlägt ſie ſich oft mit dem früheren Gehecke zuſammen, und man ſieht jetzt die ganze Bande, oft zwölf bis ſechszehn Stück, in ein und demſelben Waldestheile ihr luſtiges, ge - müthliches Weſen treiben.

Ausgezeichnet iſt die Reinlichkeit des Hörnchens. Sobald das Thier ruhig und ungeſtört iſt, leckt und putzt es ſich ohne Unterlaß. Jm Ruhelager oder im Reſte findet man weder ſeine noch ſeiner Jungen Loſung abgelegt, die liegt immer unten am Stamme des Baumes. Aus dieſem73Unſer Eichhörnchen.Grunde eignet ſich das Eichhorn beſonders zum Halten im Zimmer, und wir finden es ja auch häufig genug als gerngeſehenen Genoſſen des Menſchen. Man nimmt zu dieſem Zweck die Jungen aus, wenn ſie halb erwachſen ſind, und füttert ſie mit Milch und Semmel groß, bis man zu ihrer Kern - nahrung übergehen kann. Hat man jedoch eine ſäugende Katze von gutmüthigem Charakter, ſo läßt man durch dieſe das junge Hörnchen groß ſängen, und dann erhält es eine Pflege, wie man ſie ſelbſt ihm niemals gewähren kann. Jch habe bereits auf Seite 288 des erſten Bandes mitgetheilt, wie gern ſich die gutgeartete Katze ſolcher Pflege unterzieht, und wiederhole, daß man nichts Schöneres ſehen kann, als die zwei ſo verſchiedenen Thiere in ſolch innigem Zuſammenleben.

Jn der Jugend ſind alle Hörnchen muntere, luſtige und durchaus harmloſe Thierchen, welche ſich recht gern von den Menſchen hätſcheln und ſchmeicheln laſſen. Sie erkennen und lieben ihren Pfleger und zeigen ſogar eine gewiſſe Gelehrigkeit, indem ſie dem Rufe folgen. Leider werden faſt alle, auch die zahmſten, mit zunehmendem Alter tückiſch oder wenigſtens biſſig, und ihre Nage - zähne ſind hinlänglich ſcharf, um ſehr ſchmerzhafte und ſogar gefährliche Biſſe beizubringen. Zumal im Frühjahre, während der Zeit der Paarung, iſt ſolchen eingeſperrten nie recht zu trauen.

Man darf dem Thiere leider das freie Umherlaufen im Hauſe und Hofe nicht geſtatten, weil es alles Mögliche beſchnuppert, unterſucht, benagt und verſchleppt. Deshalb hält man es in einem Käfig, welcher innen mit Blech ausgeſchlagen iſt, damit er nicht allzuſchnell ein Opfer der Nage - zähne wird. Dagegen muß man dann auch ſorgen, daß die Hörnchen ihre Nagezähne an anderen Stoſſen abſtumpfen können, weil ihnen ſonſt die Zähne nicht ſelten einen Zoll weit über einander wegwachſen und es ihnen ganz unmöglich machen, ihre Nahrung zu zerkleinern oder überhaupt zu freſſen. Man gibt ihnen deshalb unter ihr Futter viele harte Dinge, namentlich Nüſſe und Tannen - zapfen oder auch Holzkugeln und Holzſtückchen; denn gerade die Art und Weiſe, wie ſie freſſen, gewährt mit das Hauptvergnügen, welches die gefangenen überhaupt bereiten. Zierlich ergreifen ſie die ihnen vorgehaltene Nahrung mit den beiden Vorderhänden, ſuchen ſich ſchnell den ſicherſten Platz aus, ſetzen ſich dort hübſch nieder, ſchlagen den Schwanz über ſich, ſehen ſich, während ſie nagen, ſchlau und munter immer um, putzen Schnauze und Schwanz nach gehaltener Mahlzeit und hüpfen luſtig und hübſch in affenartigen Sätzen hin und her. Dieſes muntere Treiben und die außerordent - liche Reinlichkeit laſſen ſie mit Recht zu den angenehmſten Nagern in der Gefangenſchaft rechnen.

Außer dem Menſchen hat das Eichhorn in dem Edelmarder ſeinen furchtbarſten Feind. Dem Fuchſe gelingt es nur ſelten, ein Hörnchen zu erſchleichen, wenn es ſich eben am Boden befindet, und den Milanen, Habichten und großen Eulen entgeht das Thier dadurch leicht, daß es, wenn ihm die Vögel zu Leibe wollen, raſch in Schraubenlinien um den Stamm herumſteigt, während die Vögel im Fluge natürlich weit größere Bogen machen müſſen; endlich erreicht es doch eine Höhlung, einen dichten Wipfel, wo es geſchützt iſt. Anders iſt es, wenn es vor dem Edelmarder flüchten muß. Dieſer fürchterliche Feind klettert genau ebenſogut, als ſein Opfer, und verfolgt dieſes auf Schritt und Tritt, in den Kronen der Bäume ebenſowohl, wie auf der Erde; er folgt ihm ſogar in die Höhlungen, in welche es flüchtet, oder in das dickwandige Neſt. Unter ängſtlichem Klatſchen und Pfeifen flieht das Eichhorn vor ihm her, von Aſt zu Aſt: der gewandte Räuber jagt hinter ihm drein, und beide überbieten ſich förmlich in prachtvollen Sprüngen. Die einzige Möglichkeit der Rettung für das Eich - hörnchen liegt in ſeiner Fähigkeit, ohne Schaden vom höchſten Wipfel der Bäume herab auf die Erde zu ſpringen und dann ſchnell ein Stück unten fortzueilen, einen neuen Baum zu gewinnen und unter Umſtänden das alte Spiel nochmals zu wiederholen. Man ſieht es daher, wenn es der Edelmarder verfolgt, ſo eifrig als möglich nach der Höhe ſtreben und zwar regelmäßig in den gewandten Schrau - benlinien, bei denen ihm der Stamm doch mehr oder weniger zur Deckung dient. Der Edelmarder klimmt natürlich eifrig hinter ihm drein, und beide ſteigen wirklich unglaublich ſchnell zur höchſten Krone empor. Jetzt ſcheint es der Marder bereits am Kragen zu haben da ſpringt es in gewal - tigem Bogenſatz von hohem Wipfel weg in die Luft, ſtreckt alle Gliedmaßen wagrecht von ſich ab und ſauſt ſo zum Boden nieder, kommt dort wohlbehalten an und eilt nun ängſtlich, ſo raſch als es kann,74Die eigentlichen Hörnchen.davon, um ſich wo möglich ein beſſeres Verſteck auszuſuchen. Das vermag ihm der Edelmarder doch nicht nachzuthun; demungeachtet bleibt dieſer ſein furchtbarſter Feind und das Hörnchen die Hauptnahrung des in allen Leibeskünſten ſo wohlerfahrenen Raubgeſellen: er jagt dem Wehrloſen nach, bis dieſer ſich ihm aus Erſchöpfung geradezu preisgibt. Junge Eichhörnchen ſind natürlich weit mehr Gefahren ausgeſetzt, als die alten. Eben ausgeſchlüpfte kann ſogar ein behender Menſch klet - ternd einholen, wie ich aus eigener Erfahrung verſichern darf. Wir ſuchten als Knaben ſolche Junge auf und ſtiegen ihnen auf die Bäume nach, und mehr als einmal wurde die Gleichgiltigkeit, mit welcher ſie uns nahekommen ließen, ihr Verderben. Sobald wir nämlich den Aſt erreichen konnten, auf welchem ſie ſaßen, waren ſie verloren. Wir ſchüttelten den Aſt mit Macht hin und her, und das erſchreckte Hörnchen dachte gewöhnlich blos daran, ſich recht feſt zu halten, um nicht herabzuſtürzen. Nun ging es weiter und weiter nach außen, immer ſchüttelnd, bis wir mit raſchem Griffe das Thierchen faſſen konnten. Auf einen Biß mehr oder weniger kam es uns damals nicht an, weil uns unſere gezähmten ohnehin genugſam damit begabten. Dieſe fing ich immer auf dieſelbe Weiſe wieder ein, wenn ſie ſich freigemacht hatten und entflohen waren.

Am Lenafluſſe leben die Bauern vom Anfang März bis Mitte April ganz für den Eichhorns - fang, und mancher ſtellt dort über tauſend Fallen. Dieſe beſtehen aus zwei Bretern, zwiſchen denen ein Stellholz ſich befindet, an dem ein Stückchen gedörrter Fiſch befeſtigt iſt. Berührt das Eichhorn dieſe Lockſpeiſe, ſo wird es von dem oberen Bret erſchlagen. Die Tunguſen ſchießen es mit ſtumpfen Pfeilen, um das Fell nicht zu verderben. Wir erlegen es meiſt mit dem Gewehr, wenn wir überhaupt Jagd auf dieſe Zierde unſerer Wälder machen, angelockt von dem Wunſche, den treff - lichen Pelz zu verwerthen. Jm hohen Norden, wo die Hörnchen weit regelmäßigere und auch aus - gedehntere Wanderungen unternehmen, als bei uns, zumal in ſtrengen Wintern, maſſenhaft aus den höher gelegenen Gegenden in die milderen Ebenen herabwandern, um dort den Winter zu ver - bringen, iſt die Jagd ergiebiger und auch gerechtfertigter, da das Pelzwerk dort von höherem Werth iſt.

Die ſchönſten Felle kommen aus Sibirien und Lappland und ſind im Handel unter dem Namen Grauwerk bekannt. Der Bauchtheil heißt gewöhnlich Veh - oder Feh-Wamme und gilt für eine koſtbare Pelzwaare, mit deren Handel ſich eine große Zahl von Menſchen beſchäftigt. Aus Rußland allein werden jährlich über zwei Millionen Grauwerkfelle ausgeführt; die meiſten gehen nach China. Außer dem Felle verwendet man auch noch die Schwanzhaare zu guten Malerpinſeln, und das weiße, zarte, wohlſchmeckende Fleiſch wird von den Sachkennern überall gern gegeſſen.

Die Alten glaubten, im Gehirn und Fleiſch kräftige Heilmittel zu beſitzen, und unter dem Landvolke beſteht noch heutzutage hier und da der Glaube, daß ein zu Pulver gebranntes männliches Eichhorn das beſte Heilmittel für kranke Hengſte, ein weibliches für kranke Stuten gäbe. Manche Gankler und Seiltänzer ſollen in dem Wahne leben, durch den Genuß des gepulverten Gehirns vor Schwindel ſicher zu ſein, und deshalb dem Hörnchen oft nachſtellen, um ſich bei ihren gefährlichen Sprüngen zu ſichern. Doch iſt die Verfolgung, welche das Thier bei uns ſeitens des Menſchen erleidet, kaum in Anſchlag zu bringen. Die Liebe zu unſerm muntern, nordiſchen Affen iſt ſein beſter Schutz. Schädlich wird das gemeine Eichhorn blos an Orten, wo es in großer Menge vorkommt, durch das Plündern der Obſtbäume und das Abfreſſen junger Triebe und Knospen. Jn Deutſchland dürfte ſich dieſer Schaden aber nirgends beſonders bemerklich machen.

Von den übrigen zahlreichen Arten der Hörnchen, welche in Amerika, Aſien und Afrika leben, verdienen noch einige beſondere Erwähnung. Jn Nordamerika vertreten das graue (Sciurus cine - reus) und das ſchwarze Eichhorn (Sciurus niger) das unſrige. Beide treten aber nicht in der geringen Zahl auf, wie dieſes, ſondern vermehren ſich zuweilen in ſo unglaublicher Menge, daß förmliche Kriegszüge gegen ſie unternommen werden können und unternommen werden müſſen. Jm Jahre 1749 hatte die Anpflanzung von Mais eine ſo außerordentliche Vermehrung des grauen und ſchwar -75Das ſchwarze Eichhorn.zen Hörnchens in Pennſylvanien bewirkt, daß die Regierung ſich genöthigt ſah, ein Schußgeld von drei Pence für das Stück auszuſetzen. Jn dieſem Jahre allein wurden dann eine Million und zweimalhundertachtzigtauſend Stück der Thiere abgeliefert. James Hall erzählt, daß ſich im ganzen Weſten Nordamerikas die Eichkätzchen binnen weniger Jahre oft ganz ungeheuer vermehren und dann nothwendiger Weiſe auswandern müſſen. Heuſchreckenartigen Schwärmen vergleichbar ſammeln ſich die Thiere im ſpäten Jahre in größere und immer größer werdende Scharen und rücken, Felder und Gärten plündernd, Wald und Hain verwüſtend, in ſüdöſtlicher Richtung vor, über Gebirge und Flüſſe hinwegſetzend, verfolgt von einem ganzen Heere von Feinden, ohne daß eine weſentliche Ab - nahme der Schar bemerkbar würde. Füchſe, Jltiſſe, Falken und Eulen wetteifern mit den Menſchen, das wandernde Heer anzugreifen. Längs der Ufer der größeren Flüſſe ſammeln ſich die Knaben und erſchlagen die Thiere, wenn ſie vom jenſeitigen Ufer herübergeſchwommen kommen, hun - dertweiſe. Jeder Bauer ermordet ſo viele von ihnen, als er kann, und dennoch lichten ſich ihre Reihen nicht. Beim Anfang ihrer Wanderung ſind alle fett und glänzend, je weiter ſie aber ziehen, umſomehr kommt das allgemeine Elend, welches ſolche Nager höher betrifft, über ſie; ſie erkranken, magern ab und fallen hundertweiſe der Seuche zum Opfer. Die Natur ſelbſt übernimmt die beſte Verminderung der Thiere, der Menſch würde ihnen gegenüber auch geradezu ohnmächtig ſein.

Das ſchwarze Eichhorn (Sciurus niger).

Unſere Abbildung zeigt uns das ſchwarze Hörnchen, ein ziemlich anſehnliches Thier von drei - zehn Zoll Körperlänge mit ebenſo langem Schwanze. Der weiche und geſchätzte Pelz iſt im Sommer glänzend ſchwarz; blos an der Unterſeite finden ſich einzelne weiße Haare. Der erſte obere Backzahn fällt regelmäßig aus, ſo daß das Thier im Alter deren blos vier beſitzt. Der buſchige Schwanz iſt ſo lang behaart, daß das Thier mit ihm ein fünf Zoll breites Steuer bilden kann.

Es iſt merkwürdig, daß dieſes Thier vor dem grauen nordiſchen Hörnchen Amerikas flieht oder von dieſem förmlich ausgetrieben wird; wenigſtens bildet es immer den Vortrab jener ungeheuren Heere, und erſt wenn die allgemeine Ermattung eintritt, vermiſcht es ſich mit dieſen. Jn ſeiner eigentlichen Heimat ſoll es, ſolange es die Nahrungsſorge nicht zur Wanderung treibt, ein außer - ordentlich thätiges und lebendiges Thier ſein, welches mit ſeines Gleichen luſtig in den Kronen der Bäume ſpielt und häufig zahlreich zu den Flüſſen herabkommt, um ſich dort zu erfriſchen. Dabei hat man beobachtet, daß es gewöhnlich einen Zweig wählt, welcher bis dicht ans Waſſer reicht. Dort hängt es ſich auf, biegt ſich herab bis zum Spiegel, trinkt in einem langen Zuge und wäſcht ſich, wenn es ſeinen Durſt gelöſcht hat, ſorgſam ſein Geſicht mit den Vorderfüßen, dabei gelegentlich noch die eine oder die andere Pfote ins Waſſer tauchend, um ſeinen Zweck beſſer zu erreichen.

Jn Jndien oder Südaſien überhaupt gibt es ſehr große und ſehr kleine Hörnchen. Aus erſteren hat man eine beſondere Sippe gebildet, obgleich dieſe nur geringe Unterſchiede von der vorigen zeigt. 76Die eigentlichen Hörnchen.Das große Kletter - oder Königseichhorn (Funambulus maximus) mag uns mit den Rieſen der ganzen Familie bekannt machen. Es iſt ein Bewohner des Feſtlandes von Oſtindien; beſonders häufig kommt es an der Küſte Malabars und auf der Halbinſel Malacca vor; doch hat man es auch auf Ceylon und Java gefunden. Die Cardamomenberge, ein Theil des Rhatgebirges, ſcheinen es vorzugsweiſe zu beherbergen. Es iſt ein echtes Baumthier und, wie das unſrige, bei Tage thätig. Seine Nahrung beſteht in allerlei Baumfrüchten, und ſeine Stärke erlaubt ihm auch, die Kokospflanzungen zu plündern. Man verſichert ſogar, daß es die Milch der Kokosnüſſe aller übrigen Nahrung vorziehe. Mit der größten Fertigkeit ſoll es die ſtarke Schale durchnagen, und zwar ohne die Nuß ſelbſt abzureißen. Dann trinkt es die aus dem kleinen, von ihm gearbeiteten Loche aus - tretende Milch und läßt die Nuß zum größten Aerger der Leute ruhig hängen! Die Gefangenſchaft erträgt es leicht und bei gehöriger Pflege ſelbſt bei uns. Es wird bald leidlich zahm und gewöhnt ſich an den Menſchen; doch hat man ſich immer mit ihm in Acht zu nehmen, weil es bei gelegener Zeit von ſeinem furchtbaren Gebiſſe Gebrauch macht. Ein ſchönes Männchen, welches der ham -

Das Königseichhorn (Funambulus maximus).

burger Thiergarten beſaß, lebte leider nur kurze Zeit; wahrſcheinlich war die Kälte des Sommers 1863 die Urſache zu ſeinem Tode. Es zeigte alle Sitten und Gewohnheiten unſeres Eichhorns, richtete auch zuweilen ſeinen Schwanz auf, während ich Dies von einem anderen indiſchen Eichhorn, dem Jeralang (Funambulus bicolor), niemals geſehen habe. Wie alle größeren Arten der Familie ſchien es verhältnißmäßig gutmüthig zu ſein, und während ſeiner länger währenden Krankheit be - freundete es ſich förmlich mit ſeinem Pfleger. Auch mit anderen Eichhörnchen vertrug es ſich recht gut.

Jn der Färbung ändert das Königseichhorn ſo vielfach ab, daß noch großer Streit unter den Naturforſchern herrſcht, ob die Farbenverſchiedenheiten, welche man findet, als ſelbſtändige Arten angeſehen werden ſollen oder blos als Abarten des Königseichhorns zu betrachten ſind. Der Leib des erwachſenen Thieres wird gegen anderthalb Fuß lang, der Schwanz ohne Haare ſechszehn Zoll, und mit den Haaren noch anderthalb Zoll mehr; die Höhe am Widerriſt beträgt fünf Zoll. Es hat alſo beinahe die Größe unſerer Hauskatze. Sein Leib iſt ebenſo zierlich gebaut, wie der unſeres77Das Königseichhorn und das Zwergeichhörnchen.Hörnchens. Aber es iſt nicht nur die größte, ſondern auch eine der ſchönſten Arten der ganzen Familie. Die Behaarung des Körpers iſt lang, reichlich, anliegend und weich. Der Schwanz iſt gleichmäßig dicht und buſchig behaart, die ziemlich kurzen, oben abgerundeten Ohren ziert ein Büſchel langer Haare. Unter den Farbenabänderungen iſt die gewöhnlichſte und ſchönſte die, bei der die ganze Oberſeite, mit Ausnahme der Pfoten, von tief glänzendfchwarzer Farbe iſt, die Mitte des Rückens aber und die Leibesſeiten nach und nach in das Roſtrothe oder Dunkelkirſchrothe über - gehen. Der obere Theil des Kopfes und Halſes, die Ohrenbüſchel und der Streifen vom Ohr aus zu beiden Seiten des Halſes herab ſind ebenſo lebhaft roth gefärbt, die Unterſeite dagegen und die Außenſeite der Füße ſammt dem Naſenrücken iſt fahl ockergelb; eine noch heller gefärbte gelbe Binde zieht ſich wohl auch quer zwiſchen den Ohren weg. Bei der anderen Abart, welche von vielen Naturforſchern für eine beſondere Art gehalten wird, iſt die ganze Oberſeite des Körpers lebhaft kaſtanienbraun, die Unterſeite dagegen röthlichweiß, und dieſe beiden Farben ſind ziemlich ſcharf von einander abgegrenzt.

Dieſem Rieſen gegenüber verdient das Zwergeichhörnchen (Sciurus exilis) noch kurzer Erwähnung. Seine Leibeslänge beträgt nämlich blos zwei und einen halben Zoll und die des Schwan -

Das Zwergeichhörnchen (Sciurus exilis).

zes zwei und einen viertel Zoll: unſere Hausmaus übertrifft es alſo an Größe. Der Pelz iſt noch ziemlich reichlich und der Schwanz buſchig und unregelmäßig zweizeilig. Die Färbung iſt oben bräunlich, unten weißgrau, am Schwanze ſchwarz. Das Thierchen lebt ganz in der Nähe ſeiner rieſigen Verwandten, in bergigen Gegenden Borneo’s und Sumatra’s, wo auch noch ähnliche Zwerge derſelben Familie vorkommen.

Nun gibt es noch Arten, bei denen die einzelnen Haare farbig geringelt ſind, andere, bei denen ſich Längsſtreifen an den Leibesſeiten hinabziehen, und noch andere mehr oder weniger aus - gezeichnete; doch ähneln ſich alle in ihrer Lebensweiſe.

Eine erwähnenswerthe Gruppe umfaßt die Erd - oder Backenhörnchen (Tamias). Sie ſind, wie ihr Name ſagt, mehr auf den Boden gebannt und klettern blos hin und wieder oder gar nicht auf ſchiefſtehende Bäume. Der Beſitz von Backentaſchen und die mehr oder weniger unterirdiſche Lebensweiſe ſtellen ſie als Mittelglieder zwiſchen Hörnchen und Zieſeln hin; doch ähneln ſie noch mehr78Die Erd - oder Backenhörnchen.den echten Hörnchen, als letzteren. Der dünn behaarte Schwanz iſt etwas kürzer, als der Körper, die Füße ſind fünfzehig, der Pelz iſt kurz und nicht ſehr weich, auf dem Rücken gewöhnlich durch ſcharfe Längsſtreifen ausgezeichnet. Man kennt nur wenige Arten, welche Oſteuropa, Sibirien und Nordamerika bewohnen.

Unter ihnen iſt der Burunduk oder das geſtreifte ſibiriſche Backenhörnchen (Tamias striata) unzweifelhaft eins der merkwürdigſten, ſchon aus dem Grunde, weil es in Amerika einen ihm ſo täuſchend ähnlichen Vertreter hat, daß beider Arttrennung heute noch in Frage ſteht. Unſere Abbildung zeigt uns letztgenannte Art (Tamias Lysteri); ſie kann aber, unbeſchadet ihrer Richtig - keit, auch zur bildlichen Erläuterung der erſteren dienen. Der Burunduk iſt kleiner, als das ge - meine Eichhorn, ohne den faſt vier Zoll langen Schwanz blos fünf und einen halben Zoll lang, und am Widerriſt nicht über zwei Zoll hoch. Er iſt etwas plumper und kräftiger gebaut, als unſer Hörnchen; ähnelt dieſem hinſichtlich des Gebiſſes faſt vollſtändig. Der Kopf iſt länglich, mit wenig vorſtehender, rundlicher und feinbehaarter Naſe, großen, ſchwarzen Augen und kurzen, kleinen Ohren; die Gliedmaßen ſind ziemlich ſtark, und die Daumenwarze der Vorderfüße mit einem kleinen Hornplättchen an der Stelle des Nagels bedeckt; die Sohlen ſind nackt; der Schwanz iſt

Das amerikaniſche Erdeichhorn (Tamias Lysteri).

lang, auf der Haut geringelt und ringsum ſchwach buſchig behaart. Der Pelz iſt kurz und rauh, aber dicht anliegend, die Schnurren ſind fein, kürzer, als der Kopf, und in fünf Reihen an der Oberlippe vertheilt. Einige Borſtenhaare befinden ſich an den Wangen und über den Augen. Die Färbung iſt am Kopf, Hals und den Leibesſeiten gelblich untermiſcht mit langen, weißſpitzigen Haaren, an den Seiten des Kopfes abwechſelnd mit helleren, graulichgelben und dunklerbraunen Streifen gezeichnet. Ueber den Rücken verlaufen der Länge nach in ungleichen Zwiſchenräumen fünf ſchwarze Binden, deren mittelſte die Rückgratslinie bezeichnet; die nächſten beiden ziehen ſich von den Schultern zu den Hinterſchenkeln und ſchließen ein blaßgelbes oder auch weißgelbliches Band zwiſchen ſich ein. An der ganzen Unterſeite iſt der Burunduk graulichweiß gefärbt, der Schwanz iſt oben ſchwärzlich, unten gelblich, die Schnurren ſind ſchwarz, die Krallen braun.

Ein großer Theil des nördlichen Aſien und ein kleines Stück Oſteuropa’s ſind die Heimat unſeres Thierchens. Der Wohnkreis wird etwa von den Flüſſen Dwina und Kana und öſtlich von dem ochotzkiſchen Meerbuſen und dem Golf von Anadyr begrenzt. Das Erdeichhorn lebt blos in Wäldern, und zwar ebenſowohl im Schwarzwald, als in Birkengehölzen, am häufigſten in Zirbel - kieferbeſtänden. Unter den Wurzeln dieſer Bäume legt es ſich eine ziemlich kunſtloſe, einfache Höhle an, welche mit zwei bis drei ſeitwärts liegenden Vorrathskammern in Verbindung ſteht und durch79Das amerikaniſche Erdeichhorn.einen langen, winkeligen Gang nach außen mündet. Selten ſind dieſe Baue tief, weil die Feuchtig - keit des Bodens Dies nicht geſtattet. Sie dienen dem Thiere ebenſowohl zur Wohnung, als zu Speichern für die Vorräthe, welche es für den Winter einträgt. Seine Nahrung beſteht aus Pflan - zenſamen und Beeren; vorzugsweiſe aber aus den Nüſſen der Zirbelkiefer, von denen es für manchen Winter zehn bis funfzehn Pfund in ſeinen Backentaſchen nach Hauſe ſchleppt und in den Vorraths - kammern aufbewahrt.

Der Burunduk iſt ein echtes Tagthier, nachts ſchläft er in ſeiner Höhle. Er iſt raſch und behend auf dem Boden und klettert noch ganz leidlich, meiſtens aber nur an niederen Bäumen hin - auf, am liebſten an ſchiefſtehenden. Von den Amerikanern wird die Lebendigkeit und Raſchheit der Hacki, wie das geſtreifte Hörnchen von ihnen genannt wird, ſogar mit dem Zaunkönig verglichen; denn wie dieſer ſoll es durch die Zweige huſchen oder zwiſchen den dicht verwachſenen Büſchen dahin - rennen, unter beſtändigem Ausſtoßen ſeiner ſeltſamen, angenehmen, etwas gluckſenden Stimme. Jm Herbſt, wo das gefallene Laub die Eingänge verdeckt, iſt es ein wahres Vergnügen, dieſe Thiere ihren Höhlen zuzutreiben, ſie huſchen dann ängſtlich umher, um ſich zu bergen, und entwickeln dabei all ihre Gewandtheit im reichſten Maße.

Gegen den Spätſommer hin trägt der Hacki eifrig Vorräthe ein für den Winter. Man ſieht ihn mit vollgepfropften Backentaſchen höchſt eilig dahinlaufen und glaubt die Befriedigung, welche der Reichthum gewährt, ihm geradezu an den Augen abſehen zu können. Nach den verſchiedenen Monaten ſchleppt das Thier ſich ſeine manchfaltigen Vorräthe zuſammen, am meiſten Buchweizen, Haſelnüſſe, Ahornkörner und Mais. Wenn es der Winter in ſeinem Baue feſtbannt, dienen ihm die ſorgſam aufgeſpeicherten Vorräthe zur Nahrung. Es hält einen Winterſchlaf, doch blos einen ſehr unterbrochenen, und ſcheint den ganzen Winter hindurch der Nahrung bedürftig zu ſein. Au - dubon, welcher im Januar einen der Baue ausgrub, fand in der Tiefe von vier bis fünf Fuß ein großes Neſt aus Blättern und Gras, in welchem drei Erdeichhörnchen verborgen lagen; andere ſchienen ſich in die Seitengänge geflüchtet zu haben, als ihnen die Gräber nahegekommen waren. Die Thiere waren zwar ſchlaftrunken und nicht gerade ſehr lebendig, ſchliefen aber keineswegs nach Art unſerer Winterſchläfer, ſondern biſſen ganz tüchtig um ſich, als die Naturforſcher ſie ergriffen. Vor dem November bezieht das Eichhorn ſeinen unterirdiſchen Bau gar nicht, und die erſten warmen Tage des Frühlings locken es bereits wieder hervor. Die Jungen werden im Mai geboren; ein zweites Gehecke findet man gewöhnlich im Auguſt. Der Paarung gehen ſehr heftige Kämpfe unter den betreffenden Männchen voraus, und man verſichert, daß es ſchwerlich ein raufluſtigeres Thierchen geben könne, als dieſes kleine, behende Hörnchen.

Jn Sibirien bringt der Burunduk gar keinen Schaden, wohl aber in Nordamerika der Hacki. Er geht hier nämlich nach Mäuſeart in die Scheunen, und wenn er, was häufig geſchieht, in großer Menge auftritt, richtet er da arge Verwüſtungen an. Dem Menſchen nützt das Thier, wie bei uns zu Lande der Hamſter, durch das Füllen ſeiner Speicher, welche man ausbeutet. Die Si - birier verwerthen auch die Bälge und ſenden ſie nach China, wo man die Felle hauptſächlich zu Ver - brämungen wärmerer Pelze benutzt und tauſend Stück gern mit acht bis zehn Rubeln bezahlt. Jn Nordamerika verwendet man den Hacki ſelbſt gar nicht; gleichwohl wird er dort eifriger verfolgt, als ſein Bruder in Sibirien. Ein ganzes Heer von Feinden ſtellt ihm nach. Die Buben üben ſich an dem Chipmuck , wie ſie den Hacki nennen, in dem edlen Waidwerk und verfolgen ihn mit weit größerem Eifer, als die Knaben der Jakuten den Burunduk, welchem dieſe während der Ranzzeit hinter Bäumen auflauern und ihn herbeilocken, indem ſie vermittelſt eines Pfeifchens aus Birkenrinde den Lockton des Weibchens nachahmen. Das Thier hat aber noch viel ſchlimmere Feinde. Die Wieſel verfolgen es auf der Erde und unter ihr; die Beutelratten ſtreben ihm eifrig nach; die Hauskatzen erklären es für eine ebenſo gute Beute, als die Ratten und Mäuſe, und alle größeren Raubvögel nehmen es von der Erde weg, wo ſie nur können. Zumal ein amerikaniſcher Rauch - fußbuſſard (Archibuteo ſerrugineus) gilt als ſein eifriger Verfolger und heißt deshalb geradezu80Die Zieſelhörnchen. Eichhornfalke (Squirrel-Hawk). Auch die Klapperſchlange folgt, nach Geyer’s Beobachtungen, dem armen Schelme, und zwar mit ebenſo großer Ausdauer, als Schnelligkeit. Gewöhnlich , erzählt mein Gewährsmann, hatte das Grundeichhorn alle Schlupfwinkel ſeines Baues aufgeſucht: die Schlange folgte ihm zu allen Löchern hinein und heraus und überholte es, als es zuletzt, das Weite ſuchend, unglücklicherweiſe einen Abhang hinabrannte, ergriff es und ſchoß raſſelnd, ohne in ihrer Schnelligkeit zu ſtocken, mit ihrem Opfer in ein nahes Dickicht hinein . Der Winter iſt ebenfalls ein böſer Geſell und vermindert die während des Sommers erzeugte, bedeutende Nachkom - menſchaft der alten Hackis oft in unglaublicher Weiſe. Trotz alledem aber iſt das Thierchen, in geſegneten Jahren wenigſtens, überall außerordentlich häufig; die große Fruchtbarkeit des Weibchens erſetzt alle Verluſte bald genug.

Die hübſche Färbung, die Zierlichkeit und Lebendigkeit der Bewegungen würden das Grund - eichhörnchen ſehr für die Gefangenſchaft empfehlen, wenn es dieſelbe ertrüge. Einige Wochen lang dauert es wohl aus; dann aber kränkelt es und welkt dahin, auch wird es niemals ganz ſo zahm, wie das gemeine Eichhorn, ſondern bleibt immer furchtſam und biſſig. Dazu kommt ſeine Luſt, Alles zu zernagen. Es übt dieſes Vergnügen mit der Befähigung einer Ratte aus, läßt alſo ſo leicht Nichts ganz im Käfig oder im Zimmer. Mit anderen ſeiner Art verträgt es ſich durchaus nicht im Käfig; zumal mehrere Männchen beginnen augenblicklich Streit unter einander und zwar ſo heftig, daß eines dem anderen in der Hitze des Gefechtes ſogar den Schwanz abbeißen ſoll. Die Ernährung hat gar keine Schwierigkeiten; denn die einfachſten Körner genügen zu ſeinem Futter.

Ungleich häßlicher, als alle vorhergehenden, ſind die Zieſelhörnchen (Spermosciurus oder Xerus), welche in Afrika leben. Faſt alle Arten dieſer Gruppe ſcheinen ſich ebenſowohl in ihrer Farbe, als auch in der Lebensweiſe zu ähneln. Sie bewohnen dürre Steppenwaldungen des Jnneren, die waldloſe Ebene ſelbſt, gebirgige, hügelige Gegenden mit ſpärlichem Pflanzenwuchs und andere ähnliche Orte, graben ſich geſchickt und raſch unter dichten Büſchen, zwiſchen dem Ge - wurzel der Bäume und unter größeren Felsblöcken tiefe und künſtliche Baue und ſtreifen von dieſen aus bei Tage umher. Wie Rüppell angibt, klettern ſie auch im niederen Gebüſch herum; bei Gefahr flüchten ſie aber ſchleunigſt wieder nach ihren unterirdiſchen Schlupfwinkeln. Es ſind ſehr garſtige Nager, welche blos dann anmuthig erſcheinen, wenn man ſie aus einiger Entfernung betrachtet. Jhr Leib iſt geſtreckt, und der zweizeilig behaarte Schwanz faſt von der Länge des Körpers. Der Kopf iſt ſpitz, die Ohren ſind klein, die Beine verhältnißmäßig ſehr lang, die Füße mit ſtarken, zuſammengedrückten Krallen bewehrt. Jn doppelter Hinſicht merkwürdig iſt die Behaarung: ſie ſteht ſo ſpärlich auf dem Leibe, daß ſie die Haut kaum deckt und die ſehr ſtarren Haare ſind an der Wurzel platt, von da an der Länge nach gefurcht und breit zugeſpitzt. Der ganze Pelz ſieht aus, als wären blos einzelne Haare auf den Balg geklebt. Außerdem beſitzen wenigſtens die Männchen noch andere Eigenthümlichkeiten, welche ſie verhäßlichen, in einem volksthümlichen Buche aber nicht wohl beſchrieben werden können.

Der Schilu der Abiſſinier (Xerus rutilus) wird im ganzen über Fuß lang, wovon etwa Zoll auf den Schwanz kommen. Die Färbung iſt oben röthlichgelb, an den Seiten und unten licht, faſt weißlich. Der zweizeilig behaarte Schwanz iſt ſeitlich und am Ende weiß, in der Mitte roth, hier und da weiß gefleckt, weil viele ſeiner Haare in weiße Spitzen enden. Daſſelbe iſt auch bei den Rückenhaaren der Fall. Jn den Steppenländern kommt eine andere Art, die Sabera der Araber (Xerus leucoumbrinus), und zwar ſehr häufig vor, während der Schilu immer nur einzeln auftritt.

Beide Thiere ähneln ſich in ihrem Leben vollſtändig. Man ſieht ſie bei Tage einzeln oder paar - weiſe umherſtreichen, auch in unmittelbarer Nähe der Dörfer, und wenn man ſie aufſcheucht, nach81Der Schilu.einem ihrer Baue flüchten. Wo die Gegend nicht felſig iſt, graben ſie ſich unter ſtarken Bäumen Röhren von großer Ausdehnung, wenigſtens muß man Dies aus den hohen Haufen ſchließen, welche vor ihren Fluchtröhren aufgeworfen werden. Die Baue näher zu unterſuchen, hat ſeine große Schwierigkeit, weil ſie regelmäßig zwiſchen dem Wurzelwerk der Bäume verlaufen. Jſt die Woh - nung unter Felsblöcken angelegt, ſo iſt es nicht beſſer; denn das Zieſelhörnchen hat ſich ſicher den unzugänglichſten Platz ausgeſucht.

Jm Dorfe Menſa hatte ſich ein Pärchen des Schilu die Kirche und den Friedhof zu ſeinen Wohnſitzen erkoren, und trieb ſich luſtig und furchtlos vor Aller Augen umher. Die hohen Kegel, welche man über den Gräbern aufthürmt und mit blendendweißen Quarzſtücken belegt, mochten ihm paſſende Zufluchtsorte bieten; denn das eine oder das andere Mitglied des Pärchens verſchwand hier oft vor unſeren Augen. Allerliebſt ſah es aus, wenn eins der Thiere ſich auf die Spitze eines jener Grabhügel ſetzte: es nahm dann ganz die bezeichnende Stellung unſeres Eichhörnchens an. Jch habe den Schilu wie die Sabera nur auf dem Boden bemerkt, niemals auf Bäumen oder Sträuchern. Hier ſind ſie ebenſo gewandt, als unſer Eichhörnchen in ſeinem Wohngebiet. Der Gang iſt leicht

Der Schilu (Xerus rutilus).

und wegen der hohen Läuſe ziemlich ſchnell, doch gehen beide mehr ſchrittweiſe, als die wahren Eich - hörnchen. Jn ihrem Weſen zeigen ſie viel Leben und Raſtloſigkeit. Jede Ritze, jedes Loch wird geprüft, unterſucht und womöglich durchkrochen. Die hellen Augen ſind ohne Unterlaß in Be - wegung, um irgend etwas Genießbares auszuſpähen. Knospen und Blätter ſcheinen die Haupt - nahrung zu bilden; aber auch kleine Vögel, Eier und Kerbthiere werden nicht verſchmäht. Selbſt unter den Nagern dürfte es wenig biſſigere Thiere geben, als die Zieſelhörnchen es ſind. Streitluſtig ſieht man ſie umherſchauen, angegriffen, muthvoll ſich vertheidigen. Abgeſchloſſene oder gefangene beißen fürchterlich. Sie werden auch niemals zahm, ſondern bezeigen beſtändig eine namenloſe Wuth und beißen grimmig nach Jedem, der ſich ihnen nähert. Guter Behandlung ſcheinen ſie vollkommen unzugänglich zu ſein: kurz, ihr geiſtiges Weſen ſteht entſchieden auf niederer Stufe.

Ueber die Fortpflanzung habe ich nichts Genaueres erfahren können. Jch ſah nur ein Mal eine Familie von vier Stück und vermuthe deshalb, daß die Zieſelhörnchen blos zwei Junge werfen. Hiermit ſteht auch die gleiche Zitzenzahl des Weibchens vollſtändig im Einklang.

Brehm, Thierleben. II. 682Die Murmelthiere.

Jhr Hauptfeind iſt der Schopfadler (Spizaëtos occipitalis), ein ebenſo kühner, als ge - fährlicher Räuber jener Gegenden; dagegen ſcheinen ſie mit dem Singhabicht (Melierax poly - zonus) im beſten Einverſtän dniß zu leben, wenigſtens ſieht man ſie unter Bäumen, auf welchen dieſer Raubvogel ſitzt, ſich unbeſorgt umhertreiben. Unter den Säugethieren ſtellen die großen Wildhunde dem ſchmackhaften Nager eifrig nach. Die Mahammedaner und chriſtlichen Bewohner Jnnerafrikas laſſen die Zieſelhörnchen unbehelligt, weil ſie dieſelben für unrein in Glaubensſachen erkennen; die freien Neger aber ſollen das höchſt wahrſcheinlich gar nicht unſchmackhafte Fleiſch genießen.

Die Murmelthiere (Arctomys), welche nach unſerer Eintheilung eine Familie bilden, unterſcheiden ſich von den Hörnchen hauptſächlich durch den plumpen, gedrungenen Leibesbau, den kurzen Schwanz und einige, obwohl ganz unbedeutende, Verſchiedenheiten des Gebiſſes, dagegen aber ganz weſentlich durch eine durchaus andere Lebensweiſe. Jn dieſer ähneln ihnen die Erdeich - hörnchen noch am meiſten; die übrigen Mitglieder der Eichhörnchenfamilie haben ſonſt kaum Et - was mit ihnen gemein.

Man findet die Murmelthiere in Mitteleuropa, Nordaſien und Nordamerika in einer ziemlichen Artenmenge verbreitet. Die meiſten von ihnen bewohnen das Flachland, einige dagegen gerade die höchſten Gebirge ihrer bezüglichen Heimatsländer. Trockene, lehmige, ſandige oder ſteinige Gegen - den, grasreiche Ebenen und Steppen, ſogar Felder und Gärten bilden die hauptſächlichſten Aufent - haltsorte, und nur die Gebirgsmurmelthiere ziehen die Triften und Weiden über die Grenze des Holzwuchſes, oder die einzelnen Schluchten und Felsthäler zwiſchen der Schneegrenze und dem Holz - wuchſe jenen Ebenen vor. Alle Arten haben durchaus feſte Wohnſitze und wandern nicht. Sie legen ſich tiefe, unterirdiſche Baue an und leben hier immer in Geſellſchaft, oft in erſtaunlich großer Anzahl bei einander. Manche haben mehr als einen Bau, je nach der Jahreszeit oder den jeweiligen Geſchäften, welche ſie verrichten. Die anderen halten ſich jahraus jahrein in derſelben Höhlung auf, gar nicht ſelten ſogar familienweiſe. Sie ſind echte Tagthiere, lebhaft und ſchnell in ihren Bewegungen, jedoch weit langſamer, als die Hörnchen; einige Arten ſind geradezu ſchwerfällig. Jm Klettern und Schwimmen ſind ſie ſämmtlich mehr oder weniger ungeſchickt. Gras, Kräuter, zarte Triebe, junge Pflanzen, Sämereien, Feldfrüchte, Beeren, Wurzeln, Knollen und Zwiebeln bilden ihre Nahrung, und nur die wenigen, welche ſich mühſam auf Bäume und Sträucher hinauf - haspeln, freſſen auch junge Baumblätter und Knospen. Wahrſcheinlich nehmen alle neben der Pflanzennahrung thieriſche zu ſich, wenn ihnen dieſelbe in den Wurf kommt. Sie fangen Kerbthiere, kleine Säugethiere, tölpiſche Vögel und plündern deren Neſter aus. Manche werden den Getreide - feldern und Gärten ſchädlich; doch iſt der Nachtheil, welchen ſie den Menſchen zufügen, im Allge - meinen von keinem Belang. Beim Freſſen ſitzen ſie, wie die Hörnchen, auf dem Hintertheile und bringen das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Mit der Fruchtreife beginnen ſie, Schätze einzuſammeln, und füllen ſich, je nach der Oertlichkeit, beſondere Räumlichkeiten ihrer Baue mit Gräſern, Blättern, Sämereien und Körnern an.

Jhre Stimme beſteht in einem ſtärkeren oder ſchwächeren Pfeifen und einer Art von Murren, welches, wenn es leiſe iſt, Behaglichkeit ausdrückt, ſonſt aber auch ihren Zorn bekundet. Unter ihren Sinnen ſind Gefühl und Geſicht am meiſten ausgebildet; namentlich zeigen auch ſie ein ſehr feines Vorgefühl der kommenden Witterung und treffen danach ihre Vorkehrungen. Die höheren geiſtigen Fähigkeiten übertreffen durchſchnittlich die der Hörnchen. Alle Murmelthiere ſind höchſt aufmerkſam, vorſichtig und wachſam und dabei ſcheu und furchtſam. Manche ſtellen beſondere Wachen aus, um die Sicherheit der Geſellſchaft zu erhöhen, und flüchten ſich beim geringſten Verdachte einer nahenden Gefahr ſchleunigſt nach ihren unterirdiſchen Verſtecken. Nur höchſt wenige wagen es, einem heran -83Der gemeine Zieſel.kommenden Feinde Trotz zu bieten, die große Mehrzahl ſetzt ſich, ungeachtet ihres tüchtigen Gebiſſes, niemals zur Wehre, und deshalb ſagt man von ihnen, daß ſie gutmüthig und ſanft, friedlich und harmlos ſeien. Jhr Verſtand bekundet ſich darin, daß ſie ſich ſehr leicht und bis zu einem ziemlich hohen Grade zähmen laſſen. Die meiſten lernen ihren Pfleger kennen und werden ſehr zutraulich, einige zeigen ſich ſogar folgſam, gelehrig und erlernen mancherlei Kunſtſtückchen.

Gegen den Winter hin vergraben ſich alle tief in ihren Bau und verfallen hier in einen un - unterbrochenen, ſo tiefen Winterſchlaf, daß ihre Lebensthätigkeit auf das allergeringſte Maß herab - geſtimmt iſt.

Jhre Vermehrung iſt ſtark. Sie werfen allerdings durchſchnittlich nur ein Mal im Jahre, aber drei bis zehn Junge, und dieſe ſind ſchon im nächſten Frühjahre fortpflanzungsfähig.

Man benutzt von einigen das Fell und ißt von den anderen das Fleiſch, hält ſie auch gern als artige Hausgenoſſen: das echte Murmelthier bildet ja ſogar den einzigen Reichthum mancher armen Gebirgsknaben, welche mit ihm, ihrem Schatze, durch die weite Welt wandern, um ſich und die Jhrigen daheim ernähren zu können.

Der gemeine Zieſel (Spermophilus Citillus).

Die Familie zerfällt in zwei Gruppen, in die Zieſel und die eigentlichen Murmelthiere. Erſtere (Spermophilus) bilden gleichſam ein Mittelglied zwiſchen den Grundeichhörnchen und den Murmelthieren. Jhr Schwanz iſt kurz, etwa dem vierten Theil der Körperlänge gleich; er iſt blos in der Endhälfte buſchig und zweizeilig behaart; der Rumpf iſt ziemlich ſchlank und kurzhaarig; an den Vorderfüßen finden ſich vier Zehen mit kurzer Daumenwarze, an den Hinterfüßen deren fünf; die Backentaſchen ſind ziemlich groß; der Augenſtern iſt länglich.

Man kennt zahlreiche Arten dieſer Sippe, welche ſämmtlich der nördlichen Erdhälfte angehören. Hier wohnen ſie auf offenen und buſchigen Ebenen, einige geſellig, andere einzeln in ſelbſtgegra - benen Höhlen und nähren ſich von verſchiedenen Körnern, Beeren, zarten Kräutern und Wurzeln, verſchmähen auch Mäuſe und kleine Vögel nicht.

Jn Mitteleuropa iſt blos eine Art bekannt, der (oder das) gemeine Zieſel (Spermophilus Citillus), ein äußerſt liebliches Thierchen, faſt von Hamſtergröße, aber mit viel ſchlankerem Leib und hübſcherem Köpfchen, acht bis neun Zoll lang und mit faſt drei Zoll langem Schwanze, der aber durch das Haar noch länger erſcheint, am Widerriſt etwa drei und einen halben Zoll hoch und unge - fähr ein Pfund ſchwer. Das Weibchen iſt in allen Theilen kleiner, ſchwächer und leichter. Der Pelz iſt oben gelbgrau, unregelmäßig mit Roſtgelb, gewollt und fein gefleckt, auf der Unterſeite6 *84Die Murmelthiere.roſtgelb, am Kinn und Vorderhals weiß. Stirn und Scheitel ſind röthlichgelb und braun gemiſcht, die Augenkreiſe licht, die Füße roſtgelb, gegen die Zehen hin heller. Das Wollhaar der Oberſeite iſt ſchwarzgrau, das der Unterſeite heller bräunlichgrau, das des Vorderhalſes einfarbig weiß, die Grannenhaare des Rückens ſind in der Mitte braun geringelt. Die Naſenkuppe iſt ſchwärzlich, die Krallen und die Schnurren ſind ſchwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich, der Augenſtern iſt ſchwarzbraun. Neugeborene Junge ſind lichter, und die bereits herumlaufenden auf dunklerem Grunde ſchärfer und gröber gefleckt, als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Fär - bung kommen vor; am hübſcheſten iſt die Spielart, bei welcher die braunen Wellen des Rückens durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Farbe unterbrochen werden. Wie die meiſten anderen Höhlenthiere hat das Zieſel ſehr kurze Ohren. Sie ſehen faſt wie abgeſchnitten aus, ſind unter dem Pelze verſteckt und beſtehen blos in einem dickbehaarten Hautrande, der flach am Kopfe anliegt. Die Wangenhaut iſt hängend und ſchlaff, die Oberlippe tief geſpalten. Ueber jedem Auge ſtehen vier kurze Borſtenhaare.

Der gemeine Zieſel findet ſich hauptſächlich im Oſten Europas und in einem Theile Aſiens. Albertus Magnus kennt ihn aus der Gegend von Regensburg, und Dies würde der Meinung vieler Gelehrten, welche ſeine urſprüngliche Heimat in Aſien ſuchen, widerſprechen; doch berichtet neuerdings Martin, daß der Zieſel ſich in Schleſien immer weiter in weſtlicher Richtung verbreite. Vor etwa dreißig Jahren kannte man ihn dort gar nicht, ſeit zwanzig Jahren aber iſt er ſchon im weſtlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirk Liegnitz, eingewandert und ſtreift von da aus immer weiter weſtlich. Wie es ſcheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Ver - breitung. Man kennt ihn mit Sicherheit aus dem ganzen ſüdlichen und gemäßigten Rußland, Ga - lizien, Schleſien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnthen, Krain, dem mitt - leren Sibirien und der oberhalb des ſchwarzen Meeres gelegenen ruſſiſchen Provinzen. Daß er in Rußland häufiger iſt, als bei uns, geht aus ſeinem Namen hervor; dieſer iſt eigentlich ruſſiſchen Urſprungs und lautet Suslik . Hieraus entſtand im Polniſchen Suſel , und im Böhmiſchen Siſel , und daraus endlich machten wir Zieſel. Die Alten nannten das Thierchen pontiſche Maus oder Simor . An den meiſten Orten, wo ſich der Zieſel findet, kommt er auch häufig vor und fügt unter Umſtänden dem Ackerbau ziemlichen Schaden zu. Sein Aufenthalt ſind trockene, baum - leere Gegenden, und er liebt vor allem einen bindenden Sand - oder Lehmboden, alſo hauptſächlich Acker - felder und weite Grasflächen. Wälder und Sumpfgegenden meidet er ſorgfältig. Er lebt geſellig, aber jeder einzelne gräbt ſich ſeinen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weib - chen einen tieferen. Der Keſſel liegt vier bis ſechs Fuß unter der Oberfläche des Bodens, iſt von länglichrunder Geſtalt, hat ungefähr einen Fuß Durchmeſſer und wird mit trockenem Graſe ausgefüttert. Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft ſehr flach unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang. Vor ſeiner Mündung liegt ein kleiner Haufen ausge - worfener Erde. Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn ſobald es im Herbſt anfängt, kalt zu werden, verſtopft der Zieſel die Zugangsöffnung, gräbt ſich aber vom Lagerplatz aus eine neue Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, ſobald der Winterſchlaf vorüber, geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Zahl der verſchiedenen Gänge gibt alſo genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres, weil nicht ſelten ein anderer Zieſel eine noch gute Wohnung eines ſeiner Vorfahren benutzt, falls dieſer durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen finden ſich auch im Baue; ſie dienen zur Aufſpeicherung der Wintervorräthe, welche im Herbſt eingetragen werden. Der Bau, in welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, ſeine drei bis acht nackten und blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, iſt immer tiefer, als alle übrigen, um den zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren.

Alle Beobachter nennen den Zieſel ein niedliches, ſchmuckes Geſchöpf, und ſprechen mit einer gewiſſen Liebe von ihm, trotz des Schadens, welcher durch ihn verurſacht wird, während bekanntlich85Der gemeine Zieſel.der Hamſter, der ihm doch ganz ähnlich lebt, kaum einen Freund hat. Bei ſtürmiſchem Wetter oder während der Nacht ſchläft der Zieſel in ſeiner Höhle; an warmen Tagen aber verläßt er dieſe ſchon bei Sonnenaufgang, ſtreift den ganzen Tag umher, macht aber dabei von Zeit zu Zeit ein Männchen und ſpäht aufmerkſam nach allen Seiten hin, um ſich zu ſichern. Seine Bewegungen ſind viel langſamer, als die des Hörnchens, der Lauf iſt hüpfend und nicht eben raſch; aber dafür verſteht es das Thier, durch jede Oeffnung durchzuſchlüpfen, durch welche es ſeinen Kopf zwängen kann. Häufig ſpielt er mit ſeinen Gefährten vor den Mündungen der unterirdiſchen Gänge, und dann hört man oft den pfeifenden Laut, welcher bei den Männchen ſcharf, bei den Weibchen aber ſchwächer und faſt kläglich klingt. Die Männchen ſind übrigens viel ruhiger, als die Weibchen, und rufen blos dann, wenn ſie gereizt oder erſchreckt werden, während die Weibchen ſehr oft ihre Stimme erſchallen laſſen. Hiermit ſteht auch das geiſtige Weſen beider im Einklange: die Männchen ſind ſanft, die Weibchen heftig und biſſig; doch ſtreiten ſich auch jene um die Paarungszeit, zumal alſo in den Monaten März und April, oft recht heftig in Sachen der Liebe.

Zarte Kräuter und Wurzeln, z. B. Vogelwegtritt und Klee, Getreidearten, Hülſenfrüchte und allerhand Beeren und Gemüſe, bilden die gewöhnliche Nahrung des Zieſels. Gegen den Herbſt hin ſammelt er ſich von den genannten Stoffen auch hübſche Vorräthe ein, welche er hamſterartig in den Backentaſchen nach Hauſe ſchleppt. Nebenbei wird der Zieſel übrigens auch Mäuſen und Vögeln, die auf der Erde niſten, gefährlich; denn er raubt ihnen nicht blos die Neſter aus, ſondern überfällt auch ungeſcheut die Alten, wenn ſie nicht vorſichtig ſind, gibt ihnen ein paar Biſſe, frißt ihnen das Ge - hirn aus und verzehrt ſie dann vollends bis auf den Balg. Seine Nahrung hält er ſehr zierlich zwi - ſchen den Vorderpfoten und frißt in halb aufrechter Stellung, auf dem Hintertheile ſitzend. Nach dem Freſſen putzt er ſich Schnauze und Kopf und leckt und wäſcht und kämmt ſich ſein Fell oben und unten. Waſſer trinkt er nur wenig und gewöhnlich nach der Mahlzeit.

Der Schaden, welchen der Zieſel durch ſeine Räubereien verurſacht, iſt durchaus nicht bedeutend und wird nur dann fühlbar, wenn ſich das Thier beſonders ſtark vermehrt. Das Weibchen iſt, wie alle Nager, äußerſt fruchtbar. Es wirft in den Monaten April oder Mai nach fünfundzwanzig - bis dreißigtägiger Tragzeit auf einem weichen Lager ſeines tiefſten Keſſels ein ſtarkes Gehecke. Die Jungen werden zärtlich geliebt, geſäugt, gepflegt und noch, wenn ſie bereits ziemlich groß ſind und Ausflüge machen, bewacht und behütet. Jhr Wachsthum fördert ſchnell, nach Monatsfriſt ſind die Jungen halbwüchſig, im Spätſommer kaum mehr von der Alten zu unterſcheiden, im Herbſte vollkom - men ausgewachſen und im andern Frühjahre fortpflanzungsfähig. Bis gegen den Herbſt hin wohnt die ganze Familie im Bau der Alten; dann aber gräbt ſich jedes Kind eine beſondere Höhle, trägt Winter - vorräthe ein und lebt und treibt es, wie ſeine Vorfahren. Wäre nun der luſtigen Geſellſchaft nicht ein ganzes Heer von Feinden auf dem Nacken, ſo würde ihre Vermehrung, obgleich ſie noch immer weit hinter der Fruchtbarkeit der Ratten oder Mäuſe zurückbleibt, doch recht bedeutend ſein. Aber da ſind das große und kleine Wieſel, der Jltis und Steinmarder, Falken, Krähen, Reiher, ſelbſt Katzen, Rattenpintſcher und andere der bekannten Nagervertilger: ſie ſtellen den netten Thieren ohne Unterlaß nach; und auch der Menſch wird zu ihrem Feinde, theils des Felles wegen, theils des wohlſchmeckenden Fleiſches halber, und verfolgt ſie mittelſt Schlingen und Fallen, gräbt ſie aus oder treibt ſie durch eingegoſſenes Waſſer aus der Höhle hervor u. ſ. w. So kommt es, daß der ſtarken Vermehrung des Zieſels auf hunderterlei Weiſe Einhalt gethan wird. Und der ſchlimmſte Feind iſt immer noch der Winter. Jm Spätherbſt hat das friſchfröhliche Leben der Geſellſchaft geendet; die Männchen haben ausgeſorgt für das Wohl der Geſammtheit, welche nicht nur außerordentlich wohl - beleibt und fett geworden iſt, ſondern ſich auch ihre Speicher tüchtig gefüllt hat. Jeder einzelne Zieſel zieht ſich nun nach dem Bau zurück, verſtopft ſeine Höhlen, gräbt einen neuen Gang und verfällt dann in den Winterſchlaf. Aber gar viele von den Eingeſchlafenen ſchlummern in den ewigen Schlaf hin - über, wenn naßkalte Witterung eintritt, welche die halberſtarrten Thiere auch im Baue zu treffen86Die Murmelthiere.weiß, indem die Näſſe in das Jnnere der Wohnung dringt und mit der Kälte im Verein dann raſch den Tod für die gemüthlichen Geſchöpfe herbeiführt.

Der Zieſel iſt nicht eben ſchwer zu fangen. Die alten Männchen ſind zwar achtſam und warnen ihre ganze Geſellſchaft durch einen lauten Pfiff, ſobald ſich irgend etwas Verdächtiges zeigt, und auf einen einzigen ſolchen Pfiff hin ſtürzt ſich auch ſofort das ganze, luſtig vor dem Eingang ſeiner Woh - nungen ſpielende Rudel in die Tiefe der unterirdiſchen Höhlen: aber der Spaten bringt die Verſteckten leicht an das Tageslicht, oder die tückiſch vor den Eingang geſtellte Falle kerkert ſie beim Wiederheraus - kommen ein. Da benimmt ſich nun der Zieſel höchſt liebenswürdig. Er ergibt ſich gefaßt in ſein Schickſal und befreundet ſich merkwürdig ſchnell mit ſeinem neuen Gewaltherrn. Ein einziger Tag genügt, einen Zieſel, und zwar einen alten ſogut als einen jungen, an die Geſellſchaft des Menſchen zu gewöhnen. Junge Thiere werden ſchon nach wenigen Stunden zahm, und blos die alten Weibchen zeigen manchmal die Tücken der Nager und beißen tüchtig zu. Bei guter Behandlung erträgt der Zieſel mehrere Jahre hindurch die Gefangenſchaft, und nächſt dem Eichhörnchen iſt er wohl eins der lieblichſten Stubenthiere, welches man ſich denken kann. Jeder Beſitzer muß ſeine große Freude haben an dem ſchmucken Geſchöpfe, welches ſich gar zierlich bewegt und bald ſo große Anhänglichkeit an den Wärter zeigt, wenn auch der Verſtand des kleinen Geſchöpfes nicht eben bedeutend genannt werden

Der Leopardenzieſel (Spermophilus Hoodil).

kann. Ganz beſonders empfiehlt den Zieſel aber ſeine große Reinlichkeit. Die Art und Weiſe ſeines beſtändigen Putzens, Waſchens und Kämmens gewährt dem Beobachter ungemeines Vergnügen. Mit Getreide, Obſt und Brod erhält man den Gefangenen leicht, Fleiſch verſchmäht er auch nicht, und Milch iſt ihm ein wahrer Leckerbiſſen.

Außer den Sibiriern und Zigeunern eſſen blos arme Leute das fette Fleiſch des Zieſel, und auch das Fell findet nur eine geringe Benutzung zu Unterfutter, zu Verbrämungen oder zu Geld - und Ta - baksbeuteln. Dagegen werden die Eingeweide als Heilmittel vielfach angewendet, ſelbſtverſtändlich ohne den geringſten Erfolg.

Von den vielen Arten der Sippe will ich noch eines Nordamerikaners Erwähnung thun, des Leopardenzieſels (Spermophilus Hoodii). Das ſchmucke Thier findet ſich hauptſächlich am Miſ - ſouri und St. Peterfluſſe, beſonders in den offenen Ebenen um das Fort Union am Miſſouri, von wo aus es ſich bis gegen Arkanſas verbreitet. Flache, ſandige Gegenden beherbergen ihn in großer Menge. Jn ſeiner Lebensweiſe ähnelt er dem gemeinen Zieſel; doch ſind ſeine Baue weniger aus - gedehnt und flach. Jm Anfang des Herbſtes zieht er ſich in etwas tiefere Höhlen zurück und ſchläft hier, bis ihn die Frühlingswärme wieder erweckt. Jm Mai bringt das Weibchen ſeine fünf bis zehn Junge zur Welt, und während des Sommers herrſcht nun ganz das rege Leben unſeres Zieſels in87Der Leopardenzieſel und der Prairiehund.einer Anſiedlung des Sik-Sik , wie die Amerikaner den Leopardenzieſel, ſeinem Geſchrei ent - ſprechend, zu nennen pflegen.

Die ſchöne Zeichnung des Felles macht den Leopardenzieſel ſehr bemerkenswerth. Seine kurze, dichte, ſtraffe und weiche Behaarung iſt auf der Oberſeite des Rückens dunkelroſtroth oder kaſtanien - braun, mit ſchwarzen Haaren untermengt; acht hellgelbliche Längsbinden auf dunklem Grunde laufen über den Rücken hinweg und ſchließen fünf Längsreihen viereckiger, gelblicher Flecken ein, welche gleich - falls auf dunklem Grunde ſtehen, und ſo trägt der roſtigkaſtanienbraune Rücken dreizehn helle Längs - binden, acht vollſtändige und fünf in einzelne Flecken aufgelöſte. Der Kopf iſt rothbraun und gelblich - weiß gefleckt; ein Kreis um die Augen, die Seiten der Lippen, der Unterkiefer und Vorderhals, die Jnnenſeite der Beine und die Außenſeite der Füße ſind weißlich, die Unterſeite und die vordere Hälfte des äußeren Ober - und Unterſchenkels ockergelb, während der hintere, äußere Rand der Beine roſt - roth iſt. Die einzelnen Haare ſind an der Wurzel bräunlich, in der Mitte ſchwarz und an der Spitze lichtgelblich. Das niedliche, kleine Geſchöpf iſt faſt acht Zoll lang und trägt einen etwa drei, mit den Haaren vier Zoll langen Schwanz; die Höhe am Widerriſt beträgt blos Zoll.

Der Prairiehund (Cynomys Ludovicianus) verbindet gewiſſermaßen die Zieſel mit den

Der Prairiehund (Cynomys Ludovicianus).

eigentlichen Murmelthieren, obwohl er ſtreng genommen zu den letzteren gehört. Die Murmelthiere (Arctomys) unterſcheiden ſich von den Zieſeln hauptſächlich durch ihre Plumpheit. Jhr Leib iſt dick und gedrungen, ihr Kopf groß und abgerundet, der Schwanz verhältnißmäßig ſehr kurz, buſchig und oben und an den Seiten gleichmäßig behaart; der Augenſtern iſt rund; die Backentaſchen fehlen.

Der Name Prairiehund , welcher mehr und mehr giltig geworden iſt, ſtammt von den erſten Entdeckern, den alten kanadiſchen Trappern oder Pelzjägern her, welche unſer Thierchen nach ſeiner bellenden Stimme benannten: in der äußern Geſtalt würde auch die gröbſte Vergleichung keine Aehn - lichkeit mit dem Hunde aufgefunden haben.

Das Thier hat ganz den großen Kopf und die breiten, abgeſtutzten Ohren der anderen Mur - melthiere, aber doch noch kleine Backentaſchen und die Färbung und Lebensweiſe der Zieſel. Seine Geſammtlänge beträgt etwas über einen Fuß und die des Schwanzes gegen vier Zoll. Die Färbung88Die Murmelthiere.der Oberſeite iſt lichtröthlichbraun, grau und ſchwärzlich gemiſcht, die der Unterſeite ſchmuzigweiß. Der kurze Schwanz iſt an der Spitze braun gebändert.

Die ausgedehnten Anſiedelungen des Prairiehundes, welche man ihrer Größe wegen Dörfer nennt, finden ſich regelmäßig in etwas vertieften, fruchtbaren Wieſen, auf denen das niedlichſte Gras Nordamerikas (Sesleria dactyloides) einen wunderſchönen Raſenteppich bildet und ihnen zugleich bequeme Nahrung gewährt. Zu welcher unglaublichen Ausdehnung die Anſiedelungen dieſer fried - lichen Erdbewohner herangewachſen ſind, ſagt Balduin Möllhauſen, davon kann man ſich am beſten überzeugen, wenn man ununterbrochen Tage lang zwiſchen kleinen Hügeln hinzieht, deren jeder eine Wohnung zweier oder mehrerer ſolcher Thiere bezeichnet.

Die einzelnen Wohnungen ſind gewöhnlich 15 bis 20 Fuß von einander entfernt, und jeder kleine Hügel, der ſich vor dem Eingange in derſelben erhebt, mag aus einer guten Wagenladung Erde beſtehen, die allmählich von den Bewohnern aus den unterirdiſchen Gängen ans Tageslicht be - fördert worden iſt. Manche haben einen, andere dagegen zwei Eingänge. Ein feſtgetretener Pfad führt von einer Wohnung zur andern, bei deren Anblick die Vermuthung rege wird, daß eine innige Freundſchaft unter dieſen lebhaften, kleinen Thieren herrſchen muß. Bei der Wahl einer Stelle zur Anlage ihrer Stätte ſcheint ein kurzes, krauſes Gras ſie zu beſtimmen, welches beſonders auf höheren Ebenen gedeiht und nebſt einer Wurzel die einzige Nahrung dieſer Thierchen ausmacht. Sogar auf den Hochebenen von Neu-Mexiko, wo viele Meilen im Umkreiſe kein Tropfen Waſſer zu finden iſt, gibt es ſehr bevölkerte Freiſtaaten dieſer Art, und da in dortiger Gegend mehrere Monate hindurch kein Regen fällt und man, um Grundwaſſer zu erreichen, über 100 Fuß in die Tiefe graben müßte, ſo iſt faſt anzunehmen, daß die Prairiehunde keines Waſſers bedürfen, ſondern ſich mit der Feuchtig - keit begnügen, welche zeitweiſe ein ſtarker Thau auf den feinen Grashalmen zurückläßt. Daß dieſe Thierchen ihren Winterſchlaf halten, iſt wohl nicht zu bezweifeln, denn ſie legen keinen Futtervorrath für den Winter an; das Gras um ihre Höhlen vertrocknet im Herbſte gänzlich, und der Froſt macht den Boden ſo hart, daß es unmöglich für ſie ſein würde, auf gewöhnlichem Wege ſich Nahrung zu verſchaffen. Wenn der Prairiehund die Annäherung ſeiner Schlafzeit fühlt, welches gewöhnlich in den letzten Tagen des Oktobers geſchieht, ſo ſchließt er alle Ausgänge ſeiner Wohnung, um ſich gegen die kalte Winterluft zu ſchützen, und übergibt ſich dann dem Schlafe, um nicht eher wieder auf der Oberwelt zu erſcheinen, als bis die warmen Frühlingstage ihn zu neuem, fröhlichen Leben erwecken. Den Ausſagen der Jndianer gemäß, öffnet der Prairiehund manchmal bei noch kalter Witterung die Thüren ſeiner Behauſung. Dies iſt alsdann aber als ſicheres Zeichen anzuſehen, daß bald warme Tage zu erwarten ſind.

Einen merkwürdigen Anblick gewährt eine ſolche Anſiedlung, wenn es glückt, von den Wachen unbeachtet in ihre Nähe zu gelangen. So weit das Auge nur reicht, herrſcht ein reges Leben und Treiben: faſt auf jedem Hügel ſitzt aufrecht, wie ein Eichhörnchen, das kleine gelbbraune Murmel - thier; das aufwärts ſtehende Schwänzchen iſt in immerwährender Bewegung, und zu einem förmlichen Summen vereinigen ſich die feinen, bellenden Stimmchen der vielen Tauſende. Nähert ſich der Be - ſchauer um einige Schritte, ſo vernimmt und unterſcheidet er die tieferen Stimmen älterer und erfah - rener Häupter, aber bald, wie durch Zauberſchlag, iſt alles Leben von der Oberfläche verſchwunden. Nur hin und wieder ragt aus der Oeffnung einer Höhle der Kopf eines Kundſchafters hervor, der durch anhaltend herausforderndes Bellen ſeine Angehörigen vor der gefährlichen Nähe eines Menſchen warnt. Legt man ſich alsdann nieder und beobachtet bewegungslos und geduldig die nächſte Um - gebung, ſo wird in kurzer Zeit der Wachtpoſten den Platz auf dem Hügel vor ſeiner Thür einnehmen und durch unausgeſetztes Bellen ſeine Gefährten von dem Verſchwinden der Gefahr in Kenntniß ſetzen. Er lockt dadurch einen nach dem andern aus den dunklen Gängen auf die Oberfläche, wo als - bald das harmloſe Treiben dieſer geſelligen Thiere von neuem beginnt. Ein älteres Mitglied von ſehr geſetztem Aeußeren ſtattet dann wohl einen Beſuch bei dem Nachbar ab, der ihn auf ſeinem Hügel in aufrechter Stellung mit wedelndem Schwänzchen erwartet und dem Beſucher an ſeiner Seite Platz89Der Prairiehund.macht. Beide ſcheinen nun durch abwechſelndes Bellen ſich gegenſeitig gleichſam Gedanken und Ge - fühle mittheilen zu wollen; ſich fortwährend eifrig unterhaltend verſchwinden ſie in der Wohnung, erſcheinen nach kurzem Verweilen wieder, um gemeinſchaftlich eine Wanderung zu einem entfernter lebenden Verwandten anzutreten, welcher nach gaſtfreundlicher Aufnahme an dem Spaziergange Theil nimmt; ſie begegnen Anderen, kurze, aber laute Begrüßungen finden ſtatt, die Geſellſchaft trennt ſich, und Jeder ſchlägt die Richtung nach der eigenen Wohnung ein. Stunden lang könnte man, ohne zu ermüden, das immerwährend wechſelnde Schauſpiel betrachten, und es kann nicht wundern, wenn der Wunſch rege wird, die Sprache der Thiere zu verſtehen, um ſich unter ſie miſchen und ihre ge - heimen Unterhaltungen belauſchen zu können.

Furchtlos ſucht ſich der Prairiehund ſeinen Weg zwiſchen den Hufen der wandernden Büſſel hindurch; doch der Jäger im Hinterhalte braucht ſich nur unvorſichtig zu bewegen und ſcheu und furchtſam flieht Alles hinab in dunkle Gänge. Ein leiſes Bellen, welches aus dem Schoſe der Erde dumpf herauf klingt, ſowie die Anzahl kleiner, verlaſſener Hügel verrathen dann allein noch den ſo reich bevölkerten Staat.

Das Fleiſch dieſer Thiere iſt ſchmackhaft, doch die Jagd auf dieſelben ſo ſchwierig und ſo ſelten von Erfolg gekrönt, daß man kaum aus anderer Abſicht den Verſuch macht, eins zu erlegen, als um die Neugierde zu befriedigen. Da der Prairiehund höchſtens die Größe eines guten Eichhörnchens er - reicht, ſo würden auch zuviele Stücke dazu gehören, um für eine kleine Geſellſchaft ein ausreichendes Mahl zu beſchaffen, und manches getödtete Thierchen rollt außerdem noch in die faſt ſenkrechte Höhle tief hinab, ehe es gelingt, daſſelbe zu erhaſchen. Doch der Menſch iſt nicht der furchtbarſte Feind des Prairiehundes; ihn ſuchen in ſeinen Wohnungen weit ſchlimmere Gäſte auf. Mit ihm zugleich bewohnt eine kleine Erdeule und die furchtbare Klapperſchlange die Höhlungen. Die Erdeule, welche wir ſpäter kennen lernen werden, ſcheint auf dem vertraulichſten Fuße mit dem Murmelthiere zu leben und dürfte wohl auch nur ſelten eins oder das andere der täppiſchen Jungen wegnehmen und verzehren; die Klapperſchlange dagegen nährt ſich, ſobald ſie ſich feſt angeſiedelt hat, ausſchließlich von Prairiehunden und macht zahlreiche Dörfer derſelben veröden. Geyer ſagt geradezu, daß die wachhaltenden, alten Männchen nur nach dieſem Erzfeinde ausſchauen: Gar nicht ſelten ſieht man Murmelthiere, Erdeulen und Klapperſchlangen zu ein und demſelben Loche ein - und ausziehen, ja von glaubwürdigen Leuten iſt mir verſichert worden, daß an den oberen Prairien von Arkanſas auch noch der dort ſehr häufig vorkommende gehörnte Froſch ſich dazu geſellt. Man würde ſich irren, wenn man glauben wollte, daß dieſe Thiere friedlich beiſammenwohnen; von der Klapperſchlange wenig - ſtens habe ich mich überzeugt, daß ſie, wenn ſie ſich einmal eingeſtellt hat, nach einigen Sommern der alleinige Bewohner dieſer Baue iſt. Es wurde mir verſichert, daß am Jetonfluſſe, ungefähr 25 engliſche Meilen oberhalb ſeiner Vereinigung mit dem Miſſouri, ein Murmelthierdorf von großem Umfange beſtände, welches ſonſt voll von ſeinen urſprünglichen Bewohnern geweſen, jetzt aber Scha - ren von Klapperſchlangen beherberge. Um mich zu überzeugen, reiſte ich hin und fand es ſo. Es war ein ebener Raſenteppich von bedeutendem Umfang. Schon in einiger Entfernung fanden wir mehr als gewöhnlich Klapperſchlangen am Pfade. Gegen Sonnenuntergang erreichten wir den Ort. Die Häufigkeit der Klapperſchlangen hatte ſtetig zugenommen. Wir hielten es nicht für rathſam, ganz in der Nähe zu übernachten, blieben auch während der Nacht vom Schlangenbeſuch verſchont und konnten demnach ohne Sorge für uns und unſere Thiere ſein. Mit aufgehender Sonne begab ich mich wieder nach dem Dorfe, fand aber, daß wegen der geringen Wärme und eines ſehr ſchweren Thaues noch Nichts ſich rege. Die Niederung glich einem gepflegten Blumengarten. Der ſchöne Teppich der Sesleria war eine Blüthe, und die hellorangefarbenen Blüthen flimmerten herrlich zwiſchen den Thau - tropfen. Jch hatte beim Anblick der Pflanzen faſt alle Schlangen vergeſſen, als auf einmal eine ziemlich ſtarke Klapperſchlange vor mir auf einem flachen Steine ſich hören ließ, eine zweite bald da - neben, eine dritte weiter unten. Jch warf einen Stein nach der erſten, welche augenblicklich auf mich herabſchoß, ſo daß ich nun meinen Weg auf dem Kamme der Hügelreihe fortſetzte. Jmmer mehrte ſich90Die Murmelthiere.die Zahl der Klapperſchlangen: ich mußte zuletzt die Hügel verlaſſen. Noch einmal beſuchte ich die Wohnungen, bemerkte aber außer den Klapperſchlangen kein anderes Thier, der giftige Lurch hatte ſämmtliche Prairiehunde ausgerottet.

Noch will ich einige Beobachtungen erzählen, welche ich in Wood’s Naturgeſchichte fand. Das Thierchen, ſagt dieſer Forſcher, beſitzt hohen Muth und auch eine große Zuneigung gegen andere ſeiner Art, wie man aus folgender Geſchichte erſehen mag. Ein nach den Prairiemurmelthieren jagen - der Trapper hatte glücklich einen der Wächter von dem Hügel vor ſeiner Wohnung herabgeſchoſſen und getödtet. Jn dieſem Augenblicke erſchien ein Gefährte des Verwundeten, welcher bis dahin ge - fürchtet hatte, ſich dem Feuer des Jägers auszuſetzen, packte den Leib ſeines Freundes und ſchleppte ihn nach dem Jnnern der Höhle. Der Jäger war ſo ergriffen von der Kundgebung ſolcher Treue und Liebe des kleinen Geſchöpfes, daß er es niemals wieder über ſich bringen konnte, auf die Jagd der Prairiehunde auszuziehen. Die Lebenszähigkeit dieſes Murme | thieres iſt unglaublich groß; ein nur verwundetes, obſchon tödlich getroffenes, geht regelmäßig verloren, es weiß ſich noch nach ſeiner Höhle zu ſchleppen und verſchwindet. Wirklich komiſch iſt die Art und Weiſe, mit welcher das Thier - chen in ſeine Wohnung eintritt. Es rennt nicht nach dem Eingange derſelben, ſondern macht einen

Der Bobak (Aretomys Bobac).

Sprung in die Luft, ſchießt einen ordentlichen Purzelbaum, ſchwingt kühn ſeine Hinterbeine, fegt mit ſeinem Schwänzchen in der üppigſten Weiſe durch die Luft und verſchwindet wie durch Zauber. Gewöhnlich hat ſich der Beobachter noch gar nicht von ſeinem Erſtaunen über ſolche Künſte des Thier - chens erholt, da erſcheint der Kopf deſſelben bereits wieder in der Mündung der Höhle, und das alte Spiel beginnt, wenn weiter keine Störung eintritt, von neuem. Audubon beſtätigt dieſe Mit - theilungen.

Die Gefangenſchaft erträgt der Prairiehund nur kurze Zeit; doch iſt es fraglich, ob man ſich über - haupt bisher die Mühe gegeben hat, ihn ordentlich abzuwarten und zu pflegen.

Jn Oſteuropa findet ſich ebenfalls ein Murmelthier, welches faſt ausſchließlich in der Ebene lebt, der Bobak (Arctomys Bobac). Die Augenumgebung und Schnauze dieſer Art ſind gleichfarbig braun - gelb, der Nacken, die Ober - und Unterſeite gleichmäßig grauroſtgelb, die Vorderzähne weiß. Der Leib iſt funfzehn, der Schwanz faſt vier Zoll lang. Man hat den Bobak erſt in der neueren Zeit von unſerem Murmelthiere getrennt. Die ganz verſchiedene Verbreitung und die abweichende Färbung ließen vermuthen, daß das Murmelthier der Ebene nicht das unſerer Hochgebirge ſein könne, und91Der Bobak. Das eigentliche Murmelthier.die genauere Beobachtung beſtätigte Dies vollſtändig. Von Galizien, dem ſüdlichen Polen und der Buckowina an wird das Thier in ununterbrochener Verbreitung durch ganz Südrußland und Süd - ſibirien bis nach Aſien hinüber getroffen, doch iſt die Oſtgrenze ſeines Verbreitungskreiſes noch nicht mit Sicherheit beſtimmt. Ganz wie der Prairiehund, bewohnt der Bobak ausgedehnte, baumleere Ebenen und niedrige Hügelgegenden. Hier gräbt er ſich an ſonnigen Stellen im feſten, trocknen Boden Röhren von 12 bis 18 Fuß Tiefe mit vielen Kammern oder Keſſeln, in welchen die Familie beiſammen wohnt. Wie der Prairiehund, erſcheint er ſchon am frühen Morgen vor ſeiner Wohnung. Er freut ſich des Sonnenſcheins und ſpielt und ſcherzt geſellig zuſammen. Bei Gefahr warnt einer den andern durch einen ſchrillend pfeifenden Ton. Wurzeln, Kräuter und Gras bilden ſeine Nahrung. Gegen den Winter hin wird die Höhle mit weichem Heu ausgepolſtert; dort ſchläft die ganze Familie dann ununterbrochen bis zum Frühjahre. Jn dieſe Zeit fällt die Paarung. Mitten im Sommer ſieht man ſchon halberwachſene Junge. Der Bobak vermehrt ſich nicht ſo zahlreich wie die anderen Murmel - thiere; man ſieht die Weibchen immer nur mit wenigen, häufig blos mit einem Jungen umherziehen.

Das Thier erträgt die Gefangenſchaft ſehr gut, gewöhnt ſich bald an den Menſchen und wird ſehr zahm. Sein Fleiſch iſt eßbar, das Fell dient zu Pelzwerk.

Wenig andere Nagethiere unſeres Vaterlandes ſind ſo vielfach und genau beobachtet worden, als das eigentliche Murmelthier (Aretomys Marmota), und dennoch iſt die Lebensgeſchichte dieſes

Das eigentliche Murmelthier (Arctomys Marmota).

höchſt merkwürdigen Bewohners der Hochgebirge noch nicht vollſtändig bekannt. Der Heimats - kreis und Aufenthaltsort des Murmelthieres laſſen Das erklärlich ſcheinen. Oben auf den höchſten Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächſt, wo kein Rind, kaum die Ziege und das Schaf mehr hinkommt, ſelbſt auf den kleinen Felſeninſeln mitten zwiſchen den großen Glet - ſchern, wo höchſtens ſechs Wochen lang im Jahre der Schnee vor den warmen Sonnenſtrahlen ſchwin - det: dort iſt die Heimat des ſchon den Römern bekannten Murmelthieres. Hier lebt es ſein kurzes, friſchfröhliches Sommerleben, und hier verbringt es den zehn Monate langen Winter in todtenähn - lichem Schlafe. Die Jtaliener nennen es Mure montana, die Savoyarden Marmotta, die Engadiner Marmotella; daraus iſt der Name Murmelthier entſtanden. Jn Glarus heißt es Munk, in Bern Murmeli, in Wallis Murmentli und Miſtbelleri, in Graubünden Murbetle oder Murbentle.

Gegenwärtig iſt uns Mitteldeutſchen das ſchmucke Geſchöpf entfremdeter worden, als es früher war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während ſie vormals bis zu uns und noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, und durch die ein - fachen Schauſtellungen, welche ſie mit ihrem Ein und Alles in Dörfern und Städten gaben, einige92Die Murmelthiere.Pfennige zu verdienen. Dem Murmelthiere iſt es ergangen, wie dem Kamele, dem Affen und dem Bären: es hat aufgehört, die Freude der Kinder des Dörflers zu ſein, und man muß jetzt ſchon gar weit wandern, bis in die Alpenthäler hinein, wenn man das niedliche Geſchöpf noch lebend ſehen will.

Das Murmelthier übertrifft unſer Kaninchen etwas an Größe. Seine Leibeslänge beträgt zwei Fuß; davon kommen ungefähr vier Zoll auf den Schwanz, bei einem recht alten Männchen wohl auch noch etwas mehr. Dabei iſt das Thier am Widerriſt ungefähr Zoll hoch. Der Leib iſt ziem - lich plump und ſchwerfällig, der Hals kurz, der Kopf dick und breit, die Schnauze abgeſtumpft; die mittelgroßen Augen haben rundlichen Stern; die Ohren ſind ſehr kurz, oben abgerundet, behaart und ganz im Pelze verſteckt. Auf dem breiten und abgeflachten Rücken hängt die ſchlaffe Haut, die ihn umgibt, ſackförmig gegen die Beine herab. Die Behaarung, welche aus kürzerem Woll - und länge - rem Grannenhaar beſteht, iſt dicht, reichlich und ziemlich lang. Am Kopf liegt das Haar glatt an, an den übrigen Körpertheilen locker, hinter den Wangen iſt es lang, und deshalb erſcheinen dieſe be - ſonders dick, gleichſam wie angeſchwollen. Die Schnurren auf der Oberlippe ſind ziemlich lang, und über den Augen und an den Wangen findet ſich ebenfalls eine mit ſolchen Fühlfäden beſetzte Warze. Die ganze Oberſeite iſt mehr oder weniger braunſchwarz, auf Scheitel und Hinterkopf durch einige weißliche Punkte unterbrochen; die einzelnen Grannenhaare ſind hier ſchwarz und braun geringelt und ſchwarz zugeſpitzt. Der Nacken, die Schwanzwurzel und die ganze Unterſeite ſind dunkelröthlichbraun, und die Untertheile der Beine, ein Flecken an den Leibesſeiten hinter den Gliedmaßen und die Hinter - backen noch heller gefärbt, die Schnauze und die Füße roſtgelblichweiß. Augen und Krallen ſind ſchwarz, die Vorderzähne braungelb. Uebrigens kommen vollkommen ſchwarze oder weiße und perl - artig weiß gefleckte Abarten, wenn auch ſelten, vor.

Alle neueren Unterſuchungen haben ergeben, daß das Murmelthier ein ausſchließlicher Bewohner Europas iſt. Es reicht keineswegs, wie man früher glaubte, bis nach Aſien hinüber, ſondern wird dort von ſeinen Verwandten vertreten; einen derſelben haben wir ja bereits kennen gelernt. Das Hochgebirge der Alpen, Pyrenäen und Karpathen beherbergt das Murmelthier, und zwar bewohnt es die höchſt gelegenen Stellen, die Matten dicht unter dem ewigen Eiſe und Schnee, höchſtens bis zum Holzgürtel herab. Zu ſeinem Aufenthalte wählt es immer freie Plätze, welche ringsum durch ſteile Felſenwände begrenzt ſind, oder die kleinen engen Gebirgsſchluchten zwiſchen den einzelnen auf - ſteigenden Spitzen, am liebſten die Orte, welche ſo fern als möglich dem menſchlichen Treiben ſind. Je einſamer das Gebirge, um ſo häufiger wird es gefunden; da, wo der Menſch ſchon mehr mit ihm verkehrt hat, iſt es bereits ausgerottet. Jn der Regel wohnt es nur auf den nach Süden, Oſten und Weſten zu gelegenen Bergflächen und Abhängen, weil es, wie die meiſten Tagthiere, die Sonnen - ſtrahlen liebt, zumal dort oben in der eiſigen Höhe. Da hat es ſich denn ſeine Höhlen gegraben, kleinere, einfachere, und tiefere, großartig angelegte, die einen für den Sommer beſtimmt, die andern für den Winter, die einen zum Schutz gegen vorübergehende Gefahren oder Witterungseinflüſſe, die andern gegen den furchtbaren, ſtrengen Winter, welcher da oben ſeine Herrſchaft ſechs, acht, ja zehn Monate lang feſthält. Mindeſtens zwei Drittel des Jahres verſchläft das merkwürdige Geſchöpf, oft noch weit mehr; denn an den höchſt gelegenen Stellen, wo es ſich findet, währt ſein eigentliches Leben kaum den ſechſten Theil des Jahres. Das Leben des Murmelthieres iſt jedoch immer merkwürdig, im Sommer wie im Winter.

Das Sommerleben , ſagt Tſchudi, iſt ſehr kurzweilig. Mit Anbruch des Tages kommen zuerſt die Alten aus der Röhre, ſtrecken vorſichtig den Kopf heraus, ſpähen, horchen, wagen ſich dann langſam ganz hervor, laufen etliche Schritte bergan, ſetzen ſich auf die Hinterbeine und weiden dann eine Weile lang mit unglaublicher Schnelligkeit das kürzeſte Gras ab. Bald darauf ſtrecken auch die Jungen ihre Köpfe hervor, huſchen heraus, weiden ein wenig, liegen Stunden lang in der Sonne, machen Männchen und ſpielen artig mit einander. Alle Angenblicke ſehen ſie ſich um und bewachen mit der größten Aufmerkſamkeit die Gegend. Das Erſte, welches etwas Verdächtiges bemerkt, einen Raubvogel oder Fuchs oder Menſchen, pfeift tief und laut durch die Naſe, die Uebrigen wiederholen93Das eigentliche Murmelthier.es theilweiſe, und im Nu ſind alle verſchwunden. Bei mehreren Thierchen hat man ſtatt des Pfeifens ein lautes Kläffen gehört, woher wahrſcheinlich der Name Miſtbelleri kommt. Ob ſie aber über - haupt eigene Wachen ausſtellen, wie die Gemſen, iſt nicht entſchieden. Jhre Kleinheit ſichert ſie mehr vor der Gefahr, bemerkt zu werden, und ihr Auge, beſonders aber ihr Ohr und Geruch, ſind ſehr ſcharf.

Während des Sommers wohnen die Murmelthiere einzeln oder paarweiſe in ihren eignen Sommerwohnungen, zu denen 3 bis 12 Fuß lange Gänge mit Seitengängen und Fluchtlöchern führen. Dieſe ſind oft ſo enge, daß man kaum eine Fauſt glaubt durchzwingen zu können. Die losgegrabene Erde werfen ſie nur zum kleinſten Theile hinaus; das Meiſte treten ſie und ſchlagen ſie in den Gängen feſt, die dadurch hart und glatt werden. Die Ausgänge ſind meiſt unter Steinen angebracht. Jn ihrer Nähe findet man oft eine ganze Anzahl kurzer, blos zum Verſtecken beſtimmter Löcher und Röhren. Der Keſſel iſt wenig geräumig. Hier paaren ſie ſich wahrſcheinlich im April und das Weibchen wirft nach ſechs Wochen 2 bis 4 Junge, die ſehr ſelten vor die Höhle kommen, bis ſie etwas herangewachſen ſind, und bis zum nächſten Sommer mit den Alten den Bau theilen.

Gegen den Herbſt zu graben ſie ſich ihre eigene, tiefer im Gebirge liegende Winterwohnung, die jedoch ſelten tiefer als vier Fuß unter dem Raſen liegt. Sie iſt immer niedriger im Gebirge gelegen, als die Sommerwohnung, welche oft ſogar 8000 Fuß über dem Meere liegt, während die Winter - wohnung (im Kanton Glarus Schübene genanmt) in der Regel in dem Gürtel der oberſten Alpen - weiden, oft aber auch tief unter der Baumgrenze liegt. Dieſe nun iſt für die ganze Familie, die aus 5 bis 15 Stück beſteht, berechnet und daher ſehr geräumig. Der Jäger erkennt die bewohnte Winter - höhle ſowohl an dem Heu, das vor ihr zerſtreut liegt, als auch an der gut mit Heu, Erde und Steinen von innen verſtopften, aber blos fauſtgroßen Mündung der Höhleneingänge, während die Röhren der Sommerwohnungen immer offen ſind. Nimmt man den Bauſtoff aus der Röhrenmün - dung weg, ſo findet man zuerſt einen aus Erde, Sand und Steinen wohlgemauerten, mehrere Fuß langen Eingang. Verfolgt man nun dieſen ſogenannten Zapfen einige Ellen weit, ſo ſtößt man bald auf einen Scheideweg, von dem aus zwei Gänge ſich fortſetzen. Der eine, in dem ſich gewöhnlich Loſung und Haare befinden, führt nicht weit und hat wahrſcheinlich blos den Bauſtoff zur Aus - mauerung des Hauptganges geliefert. Dieſer erhöht ſich jetzt allmählich und nun ſtößt der Jäger an ſeiner Mündung auf einen weiten Keſſel, oft 4 bis 5 Klaftern bergwärts, das geräumige Lager der Winterſchläfer. Es bildet meiſt eine eirunde, backofenförmige Höhle, mit kurzem, weichen, dürren, gewöhnlich röthlichbraunen Heu angefüllt, das zum Theil jährlich erneuert wird. Vom Auguſt an fangen nämlich dieſe klugen Thierchen an, Gras abzubeißen, zu trocknen und mit dem Maule zur Höhle zu ſchaffen und zwar ſo reichlich, daß es oft von einem Manne auf einmal nicht weggetragen werden kann. Man fabelte früher von dieſer Heuernte ſonderbare Sachen. Ein Murmelthier ſollte ſich auf den Rücken legen, mit Heu beladen laſſen und ſo zur Höhle wie ein Schlitten gezogen werden. Zu dieſer Erzählung veranlaßte die Erfahrung, daß man oft Murmelthiere findet, deren Rücken ganz abgerieben iſt, was jedoch blos vom Einſchlüpfen in die engen Höhlengänge herrührt.

Außer dieſen beiden Wohnungen hat das Murmelthier noch beſondere Fluchtröhren, in welche es ſich bei Gefahr verſteckt, oder es eilt unter Steine und in Felſenklüfte, wenn es ſeine Höhle nicht erreichen kann.

Jm Freileben ſcheint es unter den Bewohnern einer Höhle friedlich herzugehen: in der Ge - fangenſchaft iſt Dies nicht immer der Fall. Graf Bräuner, der Gründer des Wiener Thiergartens, erzählte mir, daß dort ein Murmelthier das zweite in der Höhle überfallen, getödtet und nach andrer Nager Art angefreſſen habe. Das plötzliche Fehlen des ſehr munteren und zahmen Thieres hatte zu Nachgrabungen veranlaßt und den Mord ans Licht gebracht.

Die Bewegungen des Murmelthieres ſind ſonderbar. Der Gang namentlich iſt ein höchſt eigen - thümliches, breitſpuriges Watſcheln, wobei der Bauch faſt oder wirklich auf der Erde ſchleift. Eigent - liche Sprünge habe ich unſere Gefangenen wenigſtens niemals ausführen ſehen: ſie ſind zu ſchwer -94Die Murmelthiere.fällig dazu. Sehr ſonderbar ſieht das Thier aus, wenn es einen Kegel macht; es ſitzt dann kerzen - gerade auf dem Hintertheile, ſteif, wie ein Stock, den Schwanz ſenkrecht vom Leibe abgebogen, die Vorderarme ſchlaff herabhängend, und ſchaut aufmerkſam in die Welt hinaus.

Auch beim Graben arbeitet es langſam, gewöhnlich nur mit einer Pfote, bis es einen hübſchen Haufen Erde losgekratzt hat; dann wirft es dieſe durch ſchnellende Bewegungen mit den Hinterfüßen weiter zurück, und endlich ſchiebt es ſie mit dem Hintern vollends zur Höhle hinaus. Während des Grabens erſcheint es häufig vor der Mündung ſeiner Röhre, um ſich den Sand aus dem Felle zu ſchütteln; hierauf gräbt es eifrig weiter.

Friſche und ſaftige Alpenpflanzen, Kräuter und Wurzeln bilden die Nahrung der Murmelthiere. Zu ihrer Lieblingsweide gehören Schafgarbe, Bärenklau, Grindwurzel, Löwenmaul, Klee und Stern - blumen, Alpenwegerich und Waſſerfenchel, doch begnügen ſie ſich auch mit dem grünen, ja ſelbſt mit dem trocknen Graſe, welches ihren Bau zunächſt umgibt. Mit ihren ſcharfen Zähnen beißen ſie das kürzeſte Gras ſchnell ab, dann erheben ſie ſich auf die Hinterbeine und halten die Nahrung mit den Vorderpfoten, bis ſie dieſelbe gehörig zermalmt haben. Zur Tränke gehen ſie ſelten; aber ſie trinken viel auf einmal, ſchmatzen dabei und heben nach jedem Schlucke den Kopf in die Höhe, wie die Hühner oder Gänſe. Jhre ängſtliche Aufmerkſamkeit während ihrer Weide läßt ſie kaum einen Biſſen in Ruhe genießen: fortwährend richten ſie ſich auf und ſchauen ſich um, und niemals wagen ſie, einen Augen - blick zu ruhen, bevor ſie ſich nicht auf das Sorgfältigſte überzeugt haben, daß keine Gefahr ihnen droht.

Manche Naturforſcher glauben, daß die Murmelthiere auch von dem eingetragenen Heu in ihrer Winterhöhle freſſen, wenn ſonnige Frühlingstage ein allzufrühes Erwachen veranlaſſen und draußen noch alles Grün unter Schnee und Eis begraben liegt; doch iſt darüber nichts Sicheres bekannt geworden, und man weiß auch, daß ſie oft kurz nach dem Winterſchlafe weite Wege machen, um ſich Nahrung zu ſuchen, wenn ſie im Frühjahre noch viel Schnee in der Nähe ihrer Höhlen finden.

Nach allen Beobachtungen ſcheint es feſtzuſtehen, daß das Alpenmurmelthier ein Vorgefühl für Witterungsveränderungen beſitze. Die Bergbewohner glauben ſteif und feſt, daß die Murmelthiere durch ihr Pfeifen die Veränderungen des Wetters anzeigen, und ſind überzeugt, daß am nächſten Tage Regen eintritt, wenn ſie trotz des Sonnenſcheins nicht auf dem Berge ſpielen. Jedenfalls wird ihr Leben und Treiben von einem unbewußten Gefühl geleitet. Dafür ſpricht die Sorge, welche ſie antreibt, ſchon im Sommer ſich gegen den Winter zu ſchützen, dafür das gewöhnlich rechtzeitig erfol - gende Zurückziehen in die Tiefe der Erde und das rechtzeitige Wiedererſcheinen im Frühjahr.

Wie die meiſten Schläfer, ſind die Murmelthiere im Spätſommer und Herbſt ungemein fett. Sobald nun der erſte Froſt eintritt, freſſen ſie nicht mehr, trinken aber noch viel und oft, dann ent - leeren ſie ſich faſt vollſtändig und beziehen nun familienweiſe die Winterwohnungen. Der Gefangene unſeres Thiergartens zeigte ſich bereits Ende Septembers ſelten, im Oktober kaum noch außerhalb der von ihm während des Sommers gegrabenen ſehr tiefen Höhle. Vor Beginn des Winterſchlafs wird der enge Zugang zu dem geräumigen Keſſel auf eine Strecke von 2 bis 6 Fuß von innen aus feſt verſtopft und zwar mit Erde und Steinen, zwiſchen welche Lehm, Gras und Heu ſo geſchickt eingeſchoben werden, daß das Ganze einem Gemäuer gleicht, bei welchem das Gras gleichſam den Mörtel abgibt. Durch dieſe Vermauerung wird die äußere Luft abgeſchloſſen und im Jnnern durch die Ausſtrahlung des Körpers ſelbſt eine Wärme hergeſtellt, welche etwa 8 bis R. beträgt. Der mit dürrem, rothen Heu ausgepolſterte und ringsum ausgefütterte Keſſel bildet für die ganze Geſellſchaft das gemeinſame weiche Lager. Hier liegt die Familie dicht bei einander, den Kopf am Schwanze, in todesähnlicher Erſtarrung. Alle Lebensthätigkeit iſt aufs äußerſte herabgeſtimmt, jedes Thier liegt regungslos und kalt in der einmal eingenommenen Lage, keines gibt irgend ein Zeichen des Lebens. Die Blutwärme iſt herabgeſunken auf die Wärme der Luft, welche ſich in der Höhle findet, die Athemzüge erfolgen blos fünfzehn Mal in der Stunde. Nimmt man ein Murmelthier im Winterſchlafe aus ſeiner Höhle und bringt es in größere Wärme, ſo zeigt ſich erſt bei 17 Graden das Athmen deutlicher, bei 20 Graden beginnt es zu ſchnarchen, bei 22 ſtreckt es ſeine Glieder, bei 2595Das eigentliche Murmelthier.Graden erwacht es, bewegt ſich taumelnd hin und her, wird nach und nach munterer und beginnt endlich, zu freſſen. Jm Frühjahre erſcheinen die Murmelthiere in ſehr abgemagertem Zuſtande vor den Oeffnungen ihrer Winterwohnungen und ſehen ſich ſehnſüchtig nach etwas Genießbarem um. Wie ſchon erwähnt, müſſen ſie oft weit wandern, um an den Ecken und Kanten der Berge, da, wo der Wind den Schnee weggetrieben hat, etwas verdorrtes Gras aufzutreiben. Dieſes über - winterte Gras dient ihnen überhaupt im Anfange zur hauptſächlichſten Nahrung, dann aber kommen die jungen, friſchen, ſaftigen Alpenpflanzen, und dieſe verſchaffen ihnen gar bald wieder ihr volles Ausſehen.

Jagd und Fang des Murmelthieres haben ihre großen Schwierigkeiten. Der herannahende Jäger wird faſt regelmäßig von irgend einem Gliede der Geſellſchaft bemerkt und den übrigen durch helles Pfeifen angezeigt. Dann flüchtet natürlich Alles nach dem Bau, und dieſen Tag würde man vergeblich vor der Höhle warten. Man muß alſo vor Sonnenaufgang zur Stelle ſein, wenn man ein ſolches Wild erlegen will. Uebrigens werden die wenigſten Murmelthiere, welche der Menſch er - beutet, mit dem Feuergewehr erlegt. Man ſtellt ihnen Fallen aller Art oder gräbt ſie im Anfange des Winters aus. Dem höheren Alpenbewohner iſt das kleine Thier nicht blos der Nahrung wegen wich - tig, ſondern dient auch als Arzneimittel für allerlei Krankheiten. Das fette, äußerſt wohlſchmeckende Fleiſch gilt als beſonderes Stärkungsmittel für Wöchnerinnen; das Fett ſoll die Geburt erleichtern, Leibſchneiden heilen, dem Huſten abhelfen, Bruſtverhärtungen zertheilen, der friſch abgezogene Balg wird bei gichtiſchen Schmerzen angewandt und dergleichen mehr. Friſchem Fleiſch haftet ein ſo ſtarker erdiger Wildgeſchmack an, daß es dem an dieſe Speiſe nicht Gewöhnten Ekel verurſacht; des - halb werden auch die friſch gefangenen Murmelthiere, nachdem ſie wie ein Schwein gebrüht und ge - ſchabt worden ſind, einige Tage in den Rauch gehängt und dann erſt gekocht oder gebraten. Ein derart vorbereitetes Murmelthierwildpret iſt ſehr ſchmackhaft. Die Mönche im St. Galler Stift hatten ſchon um das Jahr 1000 einen eigenen Segensſpruch für das Gericht: Möge die Benediction es fett machen! Jn damaliger Zeit wurde das Thierchen in den Klöſtern Cassus alpinus genannt, und gelehrte Leute beſchäftigten ſich mit ſeiner Beſchreibung. Der Jeſuit Kircher hielt es nach Tſchudi für einen Blendling von Dachs und Eichhorn; Altmann aber verwahrt ſich gegen ſolche Einbildungen und kennzeichnet das Murmelthier als einen kleinen Dachs, der mit den wahren, echten zu den Schweinen gehöre; er erzählt auch, daß es vierzehn Tage vor dem Winterſchlafe Nichts mehr zu ſich nehme, wohl aber viel Waſſer trinke und dadurch ſeine Eingeweide ansſpüle, damit ſie über Winter nicht verfaulten!

Schon in alten Zeiten wurde dem armen Gebirgskinde eifrig nachgeſtellt, und in der Neuzeit iſt es nicht beſſer geworden. Die Fallen liefern, ſo einfach ſie ſind, immer guten Ertrag und ver - mindern die Murmelthiere um ein Beträchtliches; die Nachgrabungen im Winter rotten ſie familien - weiſe aus. Mit Recht iſt deshalb in vielen Kantonen der Schweiz das Graben auf Murmelthiere verboten; denn dadurch würde in kurzer Zeit ihre vollſtändige Vernichtung herbeigeführt werden, während die einfache Jagd bei der Vorſicht unſerer Thiere ihnen nie ſehr gefährlich wird. Den Fallen entgehen ſie freilich ſchwer. Hier und da ſind, wie Tſchudi berichtet, die Bergbewohner ver - nünftig und beſcheiden genug, ihre Fallen blos für die alten Thiere einzurichten, ſo z. B. an der Gletſcheralp im Walliſer Saaßthale, wo die Thiere in größerer Menge vorhanden ſind, weil die Jungen ſtets geſchont werden.

Jm Sommer hilft das Nachgraben gar Nichts, weil die dann vollſtändig wachen Thiere viel ſchneller tiefer in den Berg hineingraben, als der Menſch ihnen nachkommen kann. Jm äußerſten Nothfalle vertheidigen ſich die Murmelthiere auch noch mit Muth und Entſchloſſenheit gegen ihre Gegner, indem ſie ſtark beißen oder auch ihre ſtarken Krallen anwenden. Wird eine Geſellſchaft gar zu heftig verfolgt, ſo zieht ſie aus und wandert, um ſicher zu ſein, von einem Berge zum andern.

Für die Gefangenſchaft und Zähmung wählt man ſich am liebſten die Jungen, obgleich es ſchwierig iſt, dieſe der Mutter wegzuhaſchen, wenn ſie den erſten Ausgang machen. Sehr jung ein -96Die Erdgräber oder Wurfmäuſe.gefangene und noch ſäugende Murmelthiere ſind ſchwer aufzuziehen und gehen auch bei der beſten Pflege gewöhnlich bald zu Grunde, während die halbwüchſigen ſich leicht auffüttern und lange erhalten laſſen. Jhre Nahrung beſteht in der Gefangenſchaft aus allen möglichen Pflanzenſtoffen; auch trinken ſie ſehr gern Milch. Gibt man ſich Mühe mit ihnen, ſo werden ſie bald und in hohem Grade zahm, zeigen ſich folgſam und gelehrig, lernen ihren Pfleger kennen, auf ſeinen Ruf achten, allerlei poſſirliche Stellungen annehmen, auf den Hinterbeinen aufgerichtet umher - hüpfen, an einem Stocke gehen u. ſ. w. Das harmloſe und zutrauliche Thier iſt dann die Freude von Jung und Alt, und ſeine Reinlichkeitsliebe und Nettigkeit erwirbt ihm viele Freunde. Auch mit anderen Thieren verträgt ſich das Murmelthier gut, wie das unſeres Thiergartens beweiſt. Es erlaubt verſchiedenen Pakas und Agutis, in den von ihm gegrabenen Höhlen zu wohnen, und wenn es auch Zudringlichkeit zurückweiſt, wird es doch nie zum angreifenden Theile. Jm Hauſe kann man die Gezähmten freilich nicht umherlaufen laſſen, weil ſie Alles zernagen, und ihr Käfig muß auch ſtark und innen mit Blech beſchlagen ſein, wenn man das Durchbrechen verhindern will. Jm Hof oder im Garten läßt ſich das Murmelthier nicht gut halten, weil es ſich doch einen Ausweg verſchafft, indem es ſich unter den Mauern durchgräbt. Mit ſeines Gleichen verträgt es ſich nicht immer gut; mehrere zuſammengeſperrte Murmelthiere greifen gar nicht ſelten einander an, und das ſtärkere beißt dann das ſchwächere todt. Jm warmen Zimmer leben die Thiere den ganzen Winter wie im Sommer, im kalten raffen ſie Alles zuſammen, was ſie bekommen können, bauen ſich ein Neſt und ſchlafen, aber mit Unterbrechung. Während des Winterſchlafes kann man ein wohl in Heu eingepacktes Murmelthier in gut verſchloſſenen Kiſten weit verſenden. Mein Vater erhielt von dem Schweizer Naturforſcher Schinz eins zugeſandt, noch ehe die Eiſenbahn eine ſchnelle Beförderung möglich machte; aber das Thier hatte die Reiſe aus der Schweiz bis nach Thüringen ſehr gut vertragen und kam noch im feſten Schlafe an. Uebrigens erhält man ſelbſt bei guter Pflege das gefangene Murmelthier ſelten länger als fünf bis ſechs Jahre am Leben.

Die kleine Familie der Erdgräber oder Wurfmäuſe (Georychi) enthält häßliche, mißge - ſtaltete Geſchöpfe, welche von vornherein auf ihre unterirdiſche Lebensweiſe ſchließen laſſen. Die Thiere bewohnen meiſt trockene, ſandige Ebenen der alten und neuen Welt, mit Ausnahme Auſtra - liens, und durchwühlen nach Art der Maulwürfe den Boden auf weite Strecken hin. Keine Art lebt geſellig; jede wohnt einzeln in ihrem Baue und zeigt auch das mürriſche, einſiedleriſche Weſen des Maulwurfes. Lichtſchen und unempfindlich gegen die Freuden der Oberwelt, verlaſſen die Wurfmäuſe nur höchſt ſelten ihre unterirdiſchen Gänge, ja ſie arbeiten meiſtens auch hier nicht einmal während des Tages, ſondern hauptſächlich zur Nachtzeit. Mit außerordentlicher Schnelligkeit graben ſie, mehrere ſogar ſenkrecht tief in den Boden hinein. Auf der Erde ungemein plump und unbeholfen, bewegen ſie ſich in ihren unterirdiſchen Paläſten vor - und rückwärts mit faſt gleicher Gewandtheit. Jhre Nahrung beſteht nur in Pflanzen, meiſtens in Wurzeln, Knollen und Zwiebeln, welche ſie aus der Erde wühlen; ausnahmsweiſe freſſen einige auch Gras, Rinde, Samen und Nüſſe. Die in kalten Gegenden wohnen, ſammeln ſich zwar Nahrungsvorräthe ein, verfallen aber nicht in einen Winterſchlaf, ſondern arbeiten rüſtig weiter zum Nachtheile der Felder, Gärten und Wieſen. Glück - licherweiſe vermehren ſie ſich nicht ſehr ſtark; ſie werfen blos zwei bis vier Junge, für welche manche Arten ein Neſt herrichten.

Die Erdgräber haben alle unangenehmen Eigenſchaften der Maulwürfe, ohne aber den Nutzen derſelben zu bringen. Es ſind ſchädliche, häßliche Wühler, welche auch äußerlich den Maulwürfen ähneln. Der Leib iſt walzenförmig, die Ohren ſind äußerlich nicht ſichtbar, die Augen verſteckt, die Grabpfoten ganz maulwurfsartig, der Pelz iſt kurz und weich, die Naſe knorpelig. Nur das Gebiß, in97Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer.welchem namentlich die gewaltigen Schneidezähne ſtark hervortreten, unterſcheidet ſie ſcharf von den Mullen. Die Vorder - und Hinterpfoten ſind fünfzehig mit ſtarken Sichelkrallen und nackten Sohlen. Jm innern Leibesbau zeigen ſie viel Eigenthümlichkeiten, doch ſind dieſe alle bei weitem nicht ſo auf - fallend, als die äußere Geſtaltung. Merkwürdig iſt, daß auch in dieſer Familie wieder, wie bei den Maulwürfen, die Arten einer Sippe vollſtändig blind ſind.

Die erſte Sippe, welche Andere als eigene Familie anſehen, enthält die Taſchenratten (Ascomys oder Geomys), Thiere, welche in ihrer ganzen Erſcheinung ebenſoviel Aehnlichkeit mit den Hörnchen, als mit den eigentlichen Urbildern der Sandgräber, nämlich mit den Blindmollen, zeigen. Jhre Backentaſchen ſind ſehr groß. Die Füße ſind fünfzehig, die Krallen an den vorderen ſehr lang und ſtark, an den hinteren aber kurz; der Schwanz iſt an der Wurzel behaart, am Ende dagegen nackt.

Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer , wie er im Lande ſelbſt heißt (Geomys bursarius oder Aseomys canadensis) iſt etwas kleiner, als unſer Hamſter, nämlich ſammt dem 3 Zoll langen Schwanze 11 Zoll lang und am Widerriſt gegen 3 Zoll hoch; er ſteht hinſichtlich ſeiner Geſtalt etwa zwiſchen Hamſter und Maulwurf mitten inne. Der Pelz iſt ungemein dicht

Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer (Geomys bursarius oder Ascomys canadensis).

welch und fein. Die Haare ſind an ihrer Wurzel tief graublau, an ihren Spitzen röthlich auf der Oberſeite und gelbgrau auf der Unterſeite; der Schwanz und die ſpärlich behaarten Füße ſind weißlich.

Lange Zeit haben die Backentaſchen als das Merkwürdigſte am ganzen Thiere gegolten. Die Thierkundigen, welche über den Goffer zuerſt berichten, erhielten ihn nämlich von den Jndianern, und dieſe hatten ſich das Vergnügen gemacht, beide Backentaſchen mit Erde vollzupfropfen und da - durch ſo ungebührlich auszudehnen, daß die Taſchen beim Gehen des Thieres auf der Erde geſchleppt haben würden. Die künſtlich ausgedehnten Taſchen verſchafften dem Goffer ſeinen deutſchen und den erſten lateiniſchen Namen; die Ausſtopfer bemühten ſich nach Kräften, den Scherz der Jndianer nachzuahmen, und die Zeichner endlich hielten ſich nur zu treu an die ihnen zugänglichen Vorlagen. Dieſen Umſtänden haben wir es zuzuſchreiben, daß noch heutigen Tages die Abbildungen uns wahre Scheuſale von Thieren vorführen, wenn ſie uns mit dem Goffer bekannt machen wollen. Lichten - ſtein ſchob die ausgedehnten Taſchen einfach zurück und bewies, daß dieſelben zwar ſehr groß, aber durchaus nicht anders gebaut ſind, als bei den vielen übrigen Thieren, welche Backentaſchen beſitzen. Brehm, Thierleben. II. 798Die Erdgräber oder Wurfmäuſe.So kommt es, daß uns gegenwärtig die weit aus dem Maule hervorragenden gewaltigen Nagezähne viel merkwürdiger erſcheinen, als jene Säcke.

Der Goffer iſt ziemlich weit verbreitet; öſtlich von dem Felſengebirge und weſtlich vom Miſſiſſippi, und zwiſchen dem 34. und 52. Grade nördlicher Breite kommt er überall vor. Er führt ein unterirdiſches Leben, ganz wie der Maulwurf, gräbt zahlreiche und weit verzweigte Gänge in den verſchiedenſten Richtungen und wirft Haufen auf, welche denen unſeres Maulwurfes voll - ſtändig ähneln. Manchmal geben ſeine Wühlereien der Oberfläche beinahe das Ausſehen gepflügter Felder, zu anderen Zeiten, zumal im Winter, bemerkt man ſeine Thätigkeit kaum. Blos während der warmen Jahreszeit kommt er ab und zu einmal auf die Oberfläche der Erde; die kalte Zeit - ſcheint er zu verſchlafen. Erſt in der Neuzeit haben tüchtige Naturforſcher ſchärfere Beobachtungen über die Lebensweiſe des bereits ſeit Ende des vorigen Jahrhunderts bekannten Goffer gemacht, und namentlich Audubon, Bachmann und Gesner beſchreiben das unterirdiſche Leben des Thieres ziemlich genau. Jn einem Garten, in welchem wir mehrere friſch aufgeworfene Hügel bemerkten, erzählen die Erſtgenannten, gruben wir einer Taſchenratte nach und legten dadurch mehrere ihrer unterirdiſchen Gänge in den verſchiedenſten Richtungen hin blos. Einer von den Hauptgängen verlief ungefähr einen Fuß tief unter der Erde, außer wenn er die Gartengänge kreuzte, wo er dann tiefer ſank. Wir verfolgten den ganzen Gang, welcher durch ein breites Gartenbeet und unter zwei Wegen hinweg noch in ein anderes Beet verlief, und fanden, daß viele der beſten Pflanzen durch dieſe Thiere vernichtet worden waren, indem ſie die Wurzeln gerade an der Oberfläche der Erde abge - biſſen und aufgefreſſen hatten. Die Höhle endete in der Nähe der Pflanzung unter einem Roſen - buſch. Hierauf verfolgten wir einen andern Hauptgang, er lief bis in das Gewurzel eines großen Buchenbaums; dort hatte die Ratte die Rinder abgenagt. Weiter und weiter unterſuchend fanden wir, daß viele Höhlen vorhanden waren, und einige davon ganz aus dem Garten hinaus in das Feld, in den nahen Wald liefen, wo wir dann unſere Jagd aufgeben mußten. Die Haufen, welche dieſe Art aufwirft, ſind ungefähr zwölf oder funfzehn Zoll hoch und ſtehen ganz unregelmäßig, manchmal nahe bei einander, gelegentlich auch zehn -, zwanzig -, ja ſogar dreißigmal weiter entfernt. Gewöhnlich aber ſind ſie nach oben, nahe an der Oberfläche, geöffnet, wohlbedeckt mit Gras oder an - deren Pflanzen.

Jm übrigen entnehme ich den Schilderungen Audubon’s und Gesner’s (welcher zwar nicht von der kanadiſchen, aber von der nahe verwandten georgiſchen Taſchenratte ſpricht) das Nach - ſtehende:

Der Goffer pflegt ſeine Höhlen etwa fußtief unter der Erde anzulegen und in Zwiſchenräumen von ungefähr drei Fuß, gewöhnlich im Zickzack, Haufen aufzuwerfen. Aeltere Gänge ſind innen feſtgeſchlagen, die neueren nicht. Hier und da zweigen ſich Nebengänge ab. Die Kammer wird unter Baumwurzeln in einer Tiefe von etwa fünf Fuß angelegt; die Höhle ſenkt ſich ſchraubenförmig zu ihr hinab. Sie iſt groß, ganz mit weichem Gras ausgekleidet, einem Eichhoruneſte nicht unähn - lich und dient dem Thiere zum Ruhen und Schlafen. Das Neſt, in welchem das Weibchen zu Ende März oder im Anfang Aprils ſeine fünf bis ſieben Jungen bringt, iſt der Kammer ähnlich, jedoch innen noch mit den Haaren der Mutter ausgekleidet. Wie das Neſt des Maulwurfs, umgeben es Rundgänge, von welchen aus die Röhren ſich abzweigen. Gesner fand, daß vom Neſt aus ein Gang zu einer größeren Höhlung, der Vorrathskammer, führt. Sie iſt gefüllt mit Wurzeln, Erd - früchten (Kartoffeln), Nüſſen und Sämereien.

Jn den Morgenſtunden von 4 bis 10 Uhr arbeitet die Taſchenratte am eifrigſten am Weiter - oder Ausbau ihrer Wohnung, unzweifelhaft in der Abſicht, ſich mit Speiſe zu verſorgen. Wenn der Ort reich an Nahrung iſt, werden in dieſer Zeit zehn bis funfzehn Fuß Höhlung gebaut und zwei bis fünf Hügel aufgeworfen; im entgegengeſetzten Falle durchwühlt das Thier größere Strecken und arbeitet länger. Zuweilen unterbricht es die Arbeit wochenlang; es ſcheint dann von den aufge - ſpeicherten Vorräthen zu zehren. Beim Aufwerfen der Erde, welches der Goffer ganz nach Art des99Der Strandmoll.Maulwurfs bewerkſtelligt, läßt er ſeinen Leib ſo wenig als möglich ſichtbar werden und zieht ſich augenblicklich wieder in die ſichere Tiefe zurück. Auf dem Boden erſcheint er, um ſich dürres Gras für ſeinen Wohnraum oder das Neſt zu ſammeln und, nach Audubon, um ſich zu ſonnen. Sein vortrefflicher Geruch und das ausgezeichnete Gehör ſichern ihn hier vor Ueberraſchungen; bei ver - meinter Gefahr ſtürzt er ſich augenblicklich in die Tiefe, auch wenn er ſich erſt durch Neugraben eines Schachtes den Eingang erzwingen müßte.

Jm Laufen über der Erde humpelt der Goffer ſchwerfällig dahin, niemals ſprungweiſe, oft mit nach unterwärts eingeſchlagenen Nägeln der Vorderfüße, den Schwanz auf der Erde ſchleifend. Er kann faſt ebenſoſchnell rückwärts laufen, als vorwärts, über dem Boden aber nicht ſchneller, als ein Mann geht. Jn ſeinen Höhlen ſoll er ſich mit der Hurtigkeit des Maulwurfs bewegen. Aeußerſt unbehilflich erſcheint er, wenn man ihn auf den Rücken legt; er bedarf wohl einer Minute, ehe es ihm gelingt, ſich durch Arbeiten und Stampfen mit den Beinen wieder umzuwenden. Beim Freſſen ſetzt er ſich oft auf die Hinterbeine nieder und gebraucht die vorderen nach Eichhörnchenart. Jm Schlafen rollt er ſich zuſammen und birgt den Kopf zwiſchen den Armen an der Bruſt.

Seine ungeheuren Backentaſchen füllt er beim Weiden mit der Zunge an; mit den Vorderfüßen entleert er ſie wieder. Sie ſtülpen ſich, wie bei anderen Nagern auch, mehr und mehr nach außen, je voller ſie werden, und gewinnen dann eine länglich eiförmige Geſtalt, hängen aber niemals ſack - artig zu beiden Seiten der Schnauze herab und erſchweren dem Thiere daher keine ſeiner Bewegungen. Die geſammelten Nahrungsvorräthe ſchüttet es zuweilen gleich von außen her durch einen ſenkrechten, ſpäter zu verſtopfenden Schacht in ſeinen Speicher. Gänzlich aus der Luft gegriffen iſt die Behaup - tung, daß er ſeine Backentaſchen benutze, um die losgewühlte Erde aus ſeinen Bauen herauszu - ſchaffen. Die Laune des Jndianers, welcher den erſten Goffer einem Naturforſcher brachte, erklärt den Urſprung jener Angabe, widerlegt ſie aber auch zugleich.

Der Schaden, welchen der Goffer anrichtet, kann ſehr bedeutend werden. Er vernichtet zu - weilen durch Abnagen der Wurzeln hunderte von werthvollen Bäumen in wenig Tagen und verwüſtet oft ganze Felder durch Anfreſſen der von ihm ſehr geſuchten Knollenfrüchte. Deshalb wird der Menſch auch ihm, welcher ſonſt nur vom Waſſer oder von Schlangen zu leiden hat, zum gefähr - lichſten Feinde. Man ſetzt ihm Maulwurfsfallen aller Art, namentlich auch kleine Tellereiſen. Groß iſt die Anſtrengung Gefangener, ſich zu befreien, und gar nicht ſelten, freilich aber nur nach Verluſt des eingeklemmten Beines, gelingt Solches auch dem erboſten Thiere, zum Aerger des Fängers. Gegen herbeikommende Feinde wehrt ſich der Goffer mit wüthenden Biſſen.

Audubon hat mehrere Taſchenratten wochenlang gefangen gehalten und mit Knollengewächſen leicht ernährt. Sie zeigten ſich überraſchend gefräßig, verſchmähten dagegen zu trinken, obgleich ihnen nicht blos Waſſer, ſondern auch Milch geboten wurde. An ihrer Befreiung arbeiteten ſie ohne Unter - laß, indem ſie Kiſten und Thüren zu durchnagen verſuchten. Kleidungsſtücke und Zeug aller Art ſchleppten ſie zuſammen, um ſich ein Lager davon zu bilden, und zernagten es natürlich. Auch Lederzeug verſchonten ſie nicht. Einmal hatte ſich eine von Audubon’s Gefangenen in einen Stiefel dieſes Forſchers verirrt; anſtatt umzukehren, fraß ſie ſich an der Spitze einfach durch. Wegen die - ſes Nagens und des dadurch hervorgebrachten Geräuſches wurden die Thiere ſelbſt unſerem entſagungs - ſtarken Forſcher unerträglich.

Der afrikaniſche Vertreter der Erdgräber iſt der Strandmoll (Bathyergus maritimus). Er iſt ebenſo unſchön, wie die übrigen hierher gehörigen Thiere: plump gebaut, mit walzigem Rumpfe, breitem, ſtumpfen Kopfe, ohne Ohrmuſcheln, mit ſehr kleinen Augen und breiter, knorpliger Naſen - ſpitze. Die kurzen Beine und die fünfzehigen Pfoten ſind ähnlich gebaut, wie die der übrigen Ver - wandten. Der Pelz iſt dicht, außerordentlich weich und fein; lange, ganz ſteife Schnurren umgeben den Kopf; der ſtummelhafte Schwanz trägt einen Strahlenbüſchel. Auffallend lang find die weit7 *100Die Erdgräber oder Wurfmäuſe.vorragenden, ſchwach gebogenen, weißen Nagezähne, deren oberes Paar durch eine tiefe Rinne förm - lich getheilt iſt. Die allgemeine Färbung des Pelzes iſt weiß, oben gelblich, unten grau überlaufen. Jn der ganzen Geſtalt hat der Strandmoll große Aehnlichkeit mit dem europäiſchen Maulwurfe, und mit dieſem kommt er auch in ſeiner Lebensweiſe und den Sitten am meiſten überein.

Das Thier iſt über einen verhältnißmäßig kleinen Theil Südafrikas verbreitet; am häufigſten findet er ſich am Vorgebirge der guten Hoffnung. Sandige Küſtengegenden bilden ſeinen Aufenthalt, und ſorgfältig vermeidet er jeden feſteren und pflanzenreicheren Boden. Jn den Dünen oder Sand - hügeln längs der Küſte wird er häufig getroffen. Sein Leben iſt unterirdiſch. Er gräbt ſich tief im Sande lange, verzweigte, röhrenartige Gänge, welche von mehreren Mittelpunkten ausſtrahlen und unter einander vielfach verbunden ſind. Reihenweiſe aufgeworfene Haufen bezeichnen ihren Verlauf. Die Gänge ſind weit größer, als die des Maulwurfs, da das faſt hamſtergroße Thier ſelbſtverſtänd - lich Röhren von größerem Durchmeſſer graben muß, als der kleinere Mull. Wie es ſcheint, iſt der Strandmoll emſig bemüht, überall dem Eindringen der äußeren Luft zu wehren, wie er denn über - haupt ein im höchſten Grade lichtſcheues Geſchöpf iſt. Kommt er durch irgend einen Zufall auf die Erde, ſo kann er kaum entfliehen. Er verſucht dann, ſich auf höchſt unbeholfene Art fortzuſchieben

Der Strandmoll (Bathyergus maritimus).

und zeigt ſich ängſtlich bemüht, wieder in die Tiefe zu gelangen. Greift man ihn an, ſo ſchleudert er heftig den Vorderleib umher und beißt wüthend um ſich. Die Bauern haſſen ihn außerordentlich, weil er den Boden ſo unterwühlt, daß häufig die Pferde von oben durchtreten und Gefahr laufen, die Beine zu brechen, ja, daß ſelbſt Menſchen ſich ſchädigen. Gewöhnlich wirft der Strandmoll morgens um ſechs Uhr oder nachts um zwölf Uhr ſeine Haufen auf. Dies benutzen die Bauern, um ihn zu vertilgen. Sie räumen einen Haufen weg, öffnen eins ſeiner Löcher, legen in daſſelbe eine gelbe Rübe oder andere Wurzel und befeſtigen dieſe an einer Schnur, welche den Drücker einer Flinte abzieht, deren Lauf nach dem Loche gerichtet iſt. Sobald der Strandmoll an der Rübe zerrt, entladet er die Flinte und tödtet ſich ſelbſt durch den Schuß. Auch leitet man Waſſer in ſeine Baue, um ihn zu erſäufen. Weiteres ſcheint noch nicht über ihn und ſeine Lebensweiſe bekannt zu ſein. Von der Paarung und Fortpflanzung weiß man Nichts.

Die europäiſche Art dieſer Familie iſt der Blindmoll (Spalax Typhlus), vielleicht die häß - lichſte aller Wurfmäuſe. Der Kopf iſt ſtumpfſchnäuzig, ohne ſichtbare Ohren und Augen, und ſtärker, als der Rumpf. Der kurze Hals iſt ſo dick, als der Leib, und ſcheint ganz unbeweglich zu ſein. Der Schwanz fehlt gänzlich; die kurzen Beine haben breite Pfoten mit ſtarken Zehen und Krallen. 101Der Blindmoll.Die Augen ſind die kleinſten, welche ein Säugethier überhaupt hat; ſie haben kaum die Größe eines Mohnkorns und liegen unter der Haut verborgen, können alſo zum Sehen gar nicht benutzt werden.

Jn ſeiner Geſtalt und Lebensweiſe hat der Blindmoll große Aehnlichkeit mit dem gemeinen Maulwurfe, er iſt aber doch noch viel häßlicher, als dieſer, namentlich ſeines dicken Kopfes wegen. Die Körperlänge beträgt 8 Zoll, das Gewicht eines erwachſenen Thieres ungefähr ſechzehn Loth. Am dicken Kopf iſt der Schädel abgeplattet, die Stirn flach, die Schnauze ſtumpf gerundet, die Naſe dick, breit und knorpelig, mit runden, weit auseinanderſtehenden Löchern. Ein ſcharf vorſpringen - der, dicker Hautrand, welcher ſich von der Naſe nach den Schläfen zieht, umſäumt die Seiten des Kopfes; gewaltige Nagezähne ragen weit aus dem Munde heraus; ſie ſind beſonders ſtark, gleich breit und vorn meiſelartig abgeſchliffen. Backenzähne finden ſich drei in jedem Kiefer. Von Backen - taſchen iſt keine Spur vorhanden. An den Füßen ſind alle Zehen ſtark und mit tüchtigen Scharr - krallen verſehen. An den Vorderfüßen ſtehen die Zehen weit von einander ab und ſind nur im Grunde durch eine kurze Spannhaut verbunden. Der Schwanz wird durch eine ſchwach hervor - ragende Warze angedeutet. Ein dichter, glatt anliegender, weicher Pelz, welcher auf der oberen Seite

Der Blindmoll (Spalax Typhius).

etwas länger, als auf der unteren iſt, bedeckt den Körper. Der dicke Hautrand am Kopfe iſt mit ſteifen, gegeneinanderlaufenden Haaren beſetzt. Die Schnurren ſind kurz und fein. Die Zehen ſind nicht mit Haaren bekleidet, die Sohlen aber ringsum von ſtarren, langen, nach abwärts gerich - teten Haaren eingefaßt. Jm allgemeinen iſt die Färbung gelbbräunlich mit aſchgraulichem Anfluge, der Kopf iſt lichter, nach hinten hin bräunlich. Die Mundgegend, das Kinn und die Pfoten ſind ſchmuzigweiß, die Unterſeite dunkelaſchgrau mit weißen Längsſtreifen an der Hinterſeite des Bauches und weißen Fleckchen zwiſchen den Hinterbeinen.

Der gemeine oder graue Blindmoll findet ſich in einem kleinen Theile des ſüdöſtlichen Europas und des weſtlichen Aſiens, zumal im ſüdlichen Rußland an der Wolga und dem Don, in der Moldau und in einem Theile von Ungarn und Galizien, auch kommt er in der Türkei und Griechenland vor; in Aſien begrenzt der Kaukaſus ſeine Heimat. Beſonders häufig iſt er in der Ukraine und in Klein - aſien. Sein Leben unterſcheidet ſich nicht von dem ſeiner Verwandten. Er wohnt in trockenen Ebenen und fruchtbaren Gegenden und hauſt in unterirdiſchen, ziemlich tiefliegenden Höhlen, von denen Nebengänge auslaufen, welche auf der Erdoberfläche münden. Auch er wirft Haufen auf, und102Die Bilche oder Schlafmäuſe.zwar ganz dicht neben einander. Beim Graben ſoll er die ſtarken, gewaltigen Schneidezähne thätig mit benutzen, indem er das Wurzelwerk durchnagt und auch die Erde, welche zwiſchen den Wurzeln liegt, zerkleinert. Die losgeſcharrte Erde wirft er mit dem Kopfe in die Höhe und ſchleudert ſie dann mit den Vorder - und Hinterbeinen zurück. Er lebt ebenſowenig geſellig, als der Maulwurf, viel häufiger aber in größerer Nähe mit anderen ſeiner Art zuſammen. Um die Zeit der Paarung kommt er manchmal bei Tage auf die Oberfläche und ſonnt ſich dort in Geſellſchaft ſeines Weibchens. Bei drohender Gefahr eilt er ſchleunigſt wieder ſeinem Baue zu oder gräbt ſich, wenn er nicht augenblick - lich die Mündung findet, mit überraſchender Schnelligkeit in die Erde ein, im Nu den Blicken ſich entziehend. Häufiger noch ſoll er am frühen Morgen und in der Nachtzeit aus ſeinen Gängen hervor - kommen.

Alle Bewegungen des merkwürdigen Geſchöpfes ſind auf der Erdoberfläche im höchſten Grade ungeſchickt; unter der Erde dagegen ſchiebt es ſich ſtoßweiſe fort, und zwar mit derſelben Leichtigkeit nach vorn, wie nach hinten. Jedenfalls ſteht er hier an Schnelligkeit dem Maulwurfe nicht nach. Unter ſeinen Sinnen, welche ſämmtlich wenig entwickelt ſein dürften, ſcheint das Gehör eine hervor - ragende Rolle zu ſpielen. Man hat beobachtet, daß der Blindmoll gegen Geräuſch ſehr empfindlich iſt, und durch den Gehörſinn hauptſächlich geleitet wird. Wenn er ſich im Freien befindet, ſitzt er mit emporgerichtetem Kopfe ruhig vor der Mündung eines ſeiner Gänge, und lauſcht höchſt aufmerk - ſam nach allen Seiten hin. Bei dem geringſten Geräuſch hebt er dann den Kopf noch höher und nimmt eine drohende Stellung an oder gräbt ſich ſenkrecht in den Boden ein und verſchwindet. Er iſt ein böſes, biſſiges Thier, welches ſich, plötzlich überraſcht, muthig zur Wehre ſetzt und ſich mit dem kräftigen Gebiſſe entſchloſſen vertheidigt. Jn der Wuth beißt er wie raſend herum und ſchnaubt dabei und knirſcht mit den Zähnen, ſonſt hört man keinen Laut von ihm.

Der Blindmoll frißt Wurzeln und noch mehr Knollen; im Nothfalle benagt er die Rinde von Bäumen und Sträuchen. Gegen den Winter geht er tiefer in die Erde hinab, hält aber wahr - ſcheinlich keinen Winterſchlaf, wenigſtens gräbt er immer fort, ſolange der Boden nicht feſtgefroren iſt. Wintervorräthe hat man in ſeinen Gängen noch nicht aufgefunden, wohl aber Neſter, welche aus den feinſten Wurzeln zuſammengebaut ſind. Jn einem ſolchen Neſte wirft das Weibchen im Som - mer ſeine zwei bis vier Jungen.

Unſer Thier fügt den Menſchen im ganzen geringen Schaden zu, obgleich ihm viel Böſes nach - geſagt wird, ebenſowenig aber bringt es irgend Nutzen. Die abergläubiſchen Ruſſen ſind der feſten Ueberzeugung, daß der Blindmoll dem Menſchen beſondere Heilkräfte verleihen könne. Sie glauben, daß Derjenige, welcher Muth genug hat, das biſſige Vieh auf ſeine bloße Hand zu ſetzen, ſich beißen zu laſſen und hierauf den Blindmoll durch Erdrücken langſam umzubringen, ſpäter befähigt wäre, durch bloſes Auflegen der Hand Drüſengeſchwülſte aller Art zu heilen. Hierauf bezieht ſich auch einer ſeiner Landesnamen, welcher ſoviel als Drüſenarzt bedeutet. Die Ruſſen nennen ihn übrigens Slapetz oder den Blinden, in Galizien heißt er Ziemni-biſak und in Ungarn Földi-kölök .

Eine Gruppe viel anmuthigerer Nager, als die vorſtehend abgehandelten Wühler es ſind, lernen wir in einer anderen Familie kennen. Die Bilche oder Schlafmäuſe (Myoxi) ſind niedliche, eichhornähnliche Geſchöpfe von geringer Größe und angenehmen, in mancher Hinſicht merkwürdigen Sitten. Man würde dieſe Thiere ſicherlich zu den Eichhörnchen ſtellen, zeigte der innere Leibes - bau beider Familien nicht erhebliche Unterſchiede. Die Schläfer haben einen ziemlich ſchmalen, mehr mäuſe - als eichhornähnlichen Kopf mit ſpitzer Schnauze und ſehr großen Ohren, einen dichten und etwas buſchig behaarten, durch die längeren Seitenhaare zweizeilig ſcheinenden Schwanz, vier Zehen und eine kurze Daumenwarze an den Vorderfüßen und fünf Zehen an den Hinterfüßen. Jm allge -103Der Siebenſchläſer.meinen ähnelt ihr Leibesbau denen der Eichhörnchen. Die Wirbelſäule zählt bei ihnen 13 rippen - tragende, 6 wirbelloſe, 3 Kreuz - und 22 bis 25 Schwanzwirbel. Der Blinddarm fehlt.

Man kennt bis jetzt kaum mehr als ein halbes Dutzend ſicher unterſchiedene Arten dieſer Familie, ſämmtlich Bewohner der alten Welt. Hügelige und bergige Gegenden und hier Wälder und Vorwälder, Haine und Gärten ſind ihre Aufenthaltsorte. Sie leben auf und in den Bäumen, ſeltener in ſelbſtgegrabenen Erdhöhlen unter Baumwurzeln oder in Fels - und Mauerſpalten, unter allen Umſtänden möglichſt verborgen. Bei weitem die meiſten durchſchlafen den ganzen Tag und gehen nur während des Morgen - und Abenddunkels ihrer Nahrung nach. Aus dieſem Grunde be - kommt man ſie auch ſelten und blos zufällig zu ſehen. Wenn ſie einmal ausgeſchlafen haben, ſind ſie höchſt bewegliche Thiere. Sie können vortrefflich laufen und noch beſſer klettern, nicht aber auch, wie die Hörnchen, beſonders große Sprünge ausführen.

Jn gemäßigten Gegenden verfallen ſie mit Eintritt der kälteren Jahreszeit in Erſtarrung, und verbringen ſchlafend den ganzen Winter in ihren Neſtern. Manche häufen ſich für dieſe Zeit Nah - rungsvorräthe auf und zehren von ihnen, wenn ſie zeitweilig erwachen; andere bedürfen Dies nicht einmal, da ſie vorher ſich ſo gemäſtet haben, daß ſie von ihrem Fette leben können. Jhre Nahrung

Der Siebenſchläfer (Glis vulgaris).

beſteht in Früchten und Sämereien aller Art; die meiſten nehmen auch Kerbthiere, Eier und junge Vögel zu ſich. Beim Freſſen ſitzen ſie, wie die Eichhörnchen, auf dem Hintern und führen die Speiſe mit den Vorderfüßen zum Munde.

Die meiſten lieben die Geſelligkeit und halten ſich deshalb paarweiſe zuſammen; andere ſind ziemlich unverträglich. Das Weibchen wirft während des Sommers in ein zierliches Neſt ihre Jungen, gewöhnlich vier bis fünf, und erzieht ſie mit großer Liebe. Jung eingefangen werden alle Schläfer leidlich zahm; doch dulden ſie es nicht gern, daß man ſie berührt, und alt eingefangene laſſen ſich Dies nie gefallen.

Der Nutzen, welchen dieſe Familie liefert, iſt gering, der Schaden aber auch unbeträchtlich.

Man theilt gegenwärtig die Schläfer in vier Sippen ein, von denen drei auch bei uns Vertreter haben; die vierte gehört Afrika an. Alle dieſe Sippen ſind arm an Arten; doch iſt es wahrſcheinlich, daß man hier noch Entdeckungen machen wird.

Die erſte Sippe wird von dem großen Bilch oder Siebenſchläfer (Glis vulgaris oder Myoxus Glis) gebildet. Er gehört zu den Thieren, welche dem Namen nach weit beſſer bekannt ſind, als von Geſtalt und Anſehen. Jeder, welcher ſich mit der alten Geſchichte beſchäftigt hat, kennt104Die Bilche oder Schlafmäuſe.dieſe Schlafmaus, den beſondern Liebling der Römer, zu deſſen Hegung und Pflegung eigene An - ſtalten getroffen wurden. Eichen - und Buchenhaine umgab man mit glatten Mauern, an denen die Siebenſchläfer nicht emporklettern konnten; innerhalb der Umgebung legte man verſchiedene Höhlen an zum Niſten und Schlafen; man fütterte die Siebenſchläfer mit Eicheln und Kaſtanien und nahm ſie zuletzt aus dem Gehege, um ſie in irdene Gefäße oder Fäſſer zu bringen und ſie hier noch beſon - ders zu mäſten. Die größeren wie die kleineren dieſer Maſtanſtalten hießen Glirarien . Letztere ſind uns durch die Ausgrabung in Herculanum bekannt geworden. Es waren kleine, halbkugelige Schalen, an den innern Wänden terraſſenförmig abgeſtuft und oben mit einem engen Gitter ge - ſchloſſen. Hier ſperrte man ſtets mehrere Siebenſchläfer zuſammen und verſah ſie mit Nahrung im Ueberfluſſe, wodurch ſie auch bald ſehr fett wurden. Dann kamen die Braten als eines der leckerſten Gerichte auf die Tafeln der reichen Schlemmer. Martial verſchmäht nicht, dieſe kleinen Thiere zu beſingen; er läßt ſie ſagen:

Winter, dich ſchlafen wir durch, und wir ſtrotzen von blühendem Fette Juſt in den Monden, wo uns Nichts, als der Schlummer ernährt.

Den Siebenſchläfer oder Bilch kennzeichnet hauptſächlich die Geſtalt ſeiner Backzähne. Er trägt in jedem Kiefer deren vier, zwei größere in der Mitte und kleinere vorn und hinten. Die Kaufläche iſt rundlich, aber ſehr gefaltet und durch eigene Querwülſte ausgezeichnet. Die Ohren ſind mittel - groß, der lange Schwanz iſt buſchig und zweizeilig. Die Länge des Thieres beträgt elf Zoll; hier - von kommen fünf auf den Schwanz. Der weiche, ziemlich dichte Pelz iſt auf der Oberſeite einfarbig aſchgrau, bald heller, bald dunkler, ſchwärzlichbraun überflogen, an den Seiten des Leibes etwas lichter und da, wo ſich die Rückenfarbe von der der Unterſeite abgrenzt, bräunlichgrau; die Unter - ſeite und die Jnnenſeite der Beine iſt milchweiß, ſilberglänzend; Ober - und Unterſeite ſind ziemlich ſcharf getrennt. Der Naſenrücken und ein Theil der Oberlippe zwiſchen den Schnurren ſind graulich - braun, der untere Theil der Schnauze, die Backen und die Kehle bis hinter die Ohren hin weiß, die Schnurren ſchwarz. Um die Augen zieht ſich ein dunkelbrauner Ring. Die Ohren ſind außen dunkelgraubraun, gegen den Rand zu lichter, der Schwanz iſt bräunlichgrau, unten mit einem weiß - lichen Längsſtreifen. Verſchiedene Abweichungen kommen übrigens vor.

Süd - und Oſteuropa iſt das eigentliche Vaterland des Siebenſchläfers; er findet ſich von Spa - nien, Griechenland und Jtalien an bis nach Süddeutſchland. Hier trifft man ihn in Oeſtreich, Steiermark, Kärnthen, Mähren, Schleſien und Böhmen, Bayern u. ſ. w. Häufiger aber iſt er in Kroatien, Ungarn, dem ſüdlichen Rußland. Jn Aſien ſoll er am Kankaſus vorkommen. Jm Norden Europas, ſchon in England, Dänemark, im nördlichen Deutſchland fehlt er. Er bewohnt hauptſächlich das Mittelgebirge, und zwar die Laubwälder lieber, als die Radelwälder, am liebſten trockene Eichen - und Buchenwaldungen. Den Tag über hält er ſich verborgen, bald in hohlen Bäumen, Baumlöchern und Felsklüften, bald in Erdlöchern unter Baumwurzeln, in verlaſſenen Hamſterhöhlen, Elſtern - und Krähenneſtern u. ſ. w. Gegen Abend kommt er aus ſeinem Verſteck hervor, ſtreift in der Nacht umher, ſucht ſich ſeine Nahrung, kehrt ab und zu in ſeinen Schlupfwinkel zurück, um zu verdauen und auszuruhen, frißt wieder und ſucht endlich gegen Morgen, gewöhnlich mit ſeinem Weibchen oder einem anderen Gefährten vereinigt, den alten Schlupfwinkel zum Schlafen auf. Nur in der Nacht lernt man ihn wirklich kennen, nur dann erfährt man, daß er ein raſcher und lebhafter, behender Geſell iſt, welcher mit Eichhorngewandtheit auf den Bäumen oder an Felſen - wänden umherklettert, ſicher von Zweig zu Zweig oder auch aus der Höhe zur Tiefe ſpringt und mit kurzen Sätzen, aber raſch umherläuft, wenn er auf die Erde gelangt. Freilich gewahrt man ſein Treiben blos an Orten, welche man von vornherein als ſeine Wohnplätze kennt; denn ſonſt verbirgt ihn ſein eigentlicher Beſchützer und liebſter Freund, die Nacht, vor den Blicken des Menſchen noch viel beſſer, als ſie ihn vor den Augen ſeiner Feinde deckt.

105Der Siebenſchläfer.

Nur wenige Nager dürften es dem großen Bilch an Gefräßigkeit zuvorthun. Er frißt, ſolange er freſſen kann. Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe bilden wohl ſeine Hauptnahrung; Wallnüſſe, Ka - ſtanien, ſüßes und ſaftiges Obſt werden aber auch nicht verſchmäht, ja, er verachtet nicht einmal thieriſche Koſt und raubt deshalb die Neſter aus, wo er ſie nur haben kann. Waſſer trinkt er da - gegen nur wenig, und wenn er ſaftige Früchte hat, gar nicht.

Solange nun der Sommer währt, treibt er ſich allnächtlich, falls die Witterung nicht gar zu ſchlimm iſt, in ſeinem Gebiet umher und mäſtet ſich auf den Winter hin. Auf ſeinen Weidezügen ſetzt er ſich faſt alle Minuten einmal, wie ein Eichhörnchen, auf das Hintertheil und führt etwas mit den Vorderpfoten zum Munde. Beſtändig hört man das Knacken von Nüſſen, die er zerbricht, oder das Fallen von ausgefreſſenen Früchten, die er herabwirft. Gegen den Herbſt nun ſammelt er ſich Nahrungsvorräthe ein und ſpeichert dieſe in ſeinen Höhlen auf. Um dieſe Zeit ſtrotzt er bereits von blühendem Fette , er frißt aber noch ſolange, als möglich; dann denkt er daran, ſich Herberge für den Winter zu bereiten. Jetzt macht er ſich ein Neſt von zartem Moſe in tiefen Erdlöchern, Riſſen und Spalten, in Felſen und altem Gemäner, wohl auch in tiefen Baumhöhlungen, zurecht, rollt ſich zuſammen, gewöhnlich in Gemeinſchaft mit mehreren ſeiner Genoſſen, und fällt in Schlaf, ſchon lange vorher, ehe der Wärmemeſſer auf dem Nullpunkt ſteht, in rauheren Gebirgsgegenden bereits im Auguſt, in der wärmeren Ebene erſt gegen den Oktober hin. Er zeigt dann die uns bekannte Gefühlsloſigkeit aller Winterſchläfer, ja, er iſt vielleicht Derjenige, welcher am tiefſten ſchläft. Man kann ihn ruhig aus ſeinem Lager nehmen und weit wegtragen: er bleibt kalt und regungslos. Jm warmen Zimmer erwacht er nach und nach, bewegt anfänglich die Gliedmaßen ein wenig, läßt einige Tropfen ſeines hellen, goldgelben Harnes von ſich und regt ſich dann mehr und mehr, ſieht aber auch jetzt noch immer ſehr verſchlafen aus. Jm Freien wacht er zeitweilig von ſelbſt auf und zehrt ein wenig von ſeinen Nahrungsvorräthen, gleichſam ohne eigentlich zu wiſſen, was er thut. Siebenſchläfer, welche Lenz überwinterte und in kühlem Raume hielt, wachten etwa alle vier Wochen auf, fraßen und ſchliefen dann wieder ſo feſt, daß ſie ganz todt ſchienen. Andere, die Gal - vagni beherbergte, wachten nur alle zwei Monate auf und fraßen.

Jm Freien erwacht der Siebenſchläfer erſt ſehr ſpät im Frühjahr, ſelten vor Ende des April. Somit beträgt die Dauer ſeines Winterſchlafes volle ſieben Monate, und er führt demnach ſeinen Namen mit Fug und Recht.

Bald nach dem Erwachen paaren ſich die Geſchlechter, und nach ungefähr ſechswöcheutlicher Tragzeit wirft das Weibchen auf einem weichen Lager im hohlen Baume oder in anderen Höhlungen in der Nähe von Altenburg ſehr häufig in den Niſtkäſtchen der Staare, welche man vermittelſt hoher Stangen über und auf Obſtbäumen aufzuſtellen pflegt drei bis ſechs nackte, blinde Junge, welche außerordentlich ſchnell heranwachſen, nur kurze Zeit an der Mutter ſaugen und ſich dann ſelbſt ihre Nahrung aufſuchen. Niemals ſteht das Neſt des Bilch frei auf Bäumen, wie das unſeres Eichhörnchens; es wird vielmehr ſtets nach Möglichkeit verborgen. Jn Gegenden, wo es viele Buchen gibt, vermehrt ſich das Thier ſehr ſtark; überhaupt richtet ſich die größere oder geringere Vermehrung hauptſächlich nach dem Gedeihen der Früchte. Viele Feinde thun ihr übrigens bedeu - tend Abbruch. Baummarder und Jltis, Wildkatze und Wieſel, Uhu und Eule ſind wohl die ſchlimmſten Verfolger unſeres Schläfers, und wenn er ſich auch ſelbſt gegen die ſtärkſten Feinde mit vielem Muthe wehrt, wenn er ſie auch anſchnaubt, wüthend nach ihnen beißt und ſelbſt die ſchwachen Krallen bei der Vertheidigung zu Hilfe nimmt: er muß ihnen ja doch jedesmal erliegen. Auch der Menſch ſtellt ihm noch immer da, wo er häufig iſt, eifrig nach, theils des Fleiſches, theils des Felles wegen, am liebſten, wenn er ſich ſett gemäſtet hat. Man lockt ihn in künſtliche Winter - wohnungen d. h. Gruben, welche man in Wäldern unter Gebüſch und Felsabhängen, an trockenen, gegen Mittag gelegenen Orten für ihn herrichtete, recht verrätheriſch mit Mos ausbettete, mit Stroh und dürrem Laub überdeckte und reichlich mit Bücheln beſtreute. Die Bilche, angelockt durch den willkommenen Köder, verſammeln ſich in großer Menge an jenen Orten, freſſen ſich ordentlich106Die Bilche oder Schlafmäuſe.ſatt und ſchlagen dann gleich ihr Winterlager an den vielverſprechenden Orten auf, erſtarren und werden nun ruhig ausgenommen. Jn Unterkrain fangen die Bauern, wie Fitzinger angibt, unſer Thier in Schnellfallen, die ſie entweder an den Aeſten aufhängen oder vor den ihnen genau be - kannten Schlupfwinkel des Siebenſchläfers aufſtellen; eine ſaftige Birne oder Pflaume muß das Thier herbeilocken. Der Fang oder das Ausnehmen aus den Fallen geſchieht zur Nachtzeit. Die Bauern ziehen mit brennenden Fackeln in den Wald hinaus, heben ihre Beute auf und ſtellen die Fallen von neuem. Außerdem gräbt man ihnen Fäſſer in die Erde, ködert ſie mit Obſt und läßt oben nur einen Zugang, ein Rohr nämlich, in welchem Eiſendrähte ſo befeſtigt werden, daß ſie wohl das Hineinſchlüpfen, nicht aber auch das Herauskommen des Bilches geſtatten. Hier fangen ſich die Thiere oft in ſo großer Menge, daß mancher Jäger während eines Herbſtes zwei - bis vier - hundert Stück erbeuten kann.

Der Siebenſchläfer wird verhältnißmäßig ſelten in der Gefangenſchaft gehalten. Sein Weſen iſt nicht gerade angenehm. Es läßt ſich von vornherein erwarten, daß ein ſo großer Freſſer geiſtig nicht ſehr befähigt ſein, ja, daß er überhaupt nicht viele gute Eigenſchaften haben kann. Seine größte Tugend iſt die Reinlichkeit; er putzt ſich beſtändig ſehr ſorgfältig. Jm übrigen wird er lang - weilig. Er befindet ſich fortwährend in gereizter Stimmung, befreundet ſich durchaus nicht mit ſei - nem Pfleger und knurrt in eigenthümlich ſchnarchender Weiſe Jeden wüthend an, welcher ſich erfrecht, ihm nahe zu kommen. Dem, welcher ihn ungeſchickt angreift, beweiſt er durch raſch aufeinander - folgende Biſſe in ſehr empfindlicher Weiſe, daß er keineswegs geneigt ſei, ſich irgendwie behelligen zu laſſen. Nachts ſpringt er wie raſend im Käfig umher und wird ſchon deshalb ſeinem Beſitzer bald ſehr läſtig. Er muß auf das Sorgfältigſte gepflegt, namentlich gefüttert werden, damit er ſich nicht aus dem Käfig nagt oder einem und dem andern ſeiner Gefährten den Schwanz abfrißt; denn ſobald der Bilch nicht genug Nahrung hat, geht er ohne weiteres andere ſeiner Art an, und einer würde den andern wahrſcheinlich gänzlich auffreſſen, wenn ihn der Hunger triebe.

Die Sippe der Gartenbilche (Eliomys) unterſcheidet ſich nur ſehr wenig von der vorher - gehenden, hauptſächlich durch ihr Gebiß. Bei dem Siebenſchläfer ſchleifen ſich die Zähne auf der Krone flach ab, bei den Gartenſchläfern dagegen ſchleifen ſie ſich hohl. Dort hat der erſte Backenzahn im Ober - und Unterkiefer ſechs, die drei folgenden ſieben, der letzte im Oberkiefer acht Querleiſten; hier deren nur fünf. Aeußerlich kennzeichnet die Gartenſchläfer ihr an der Wurzel kurz und anlie - gend, an der Spitze lang behaarter, buſchiger, zweifarbiger Schwanz. Die Ober - und Unterſeite des Körpers ſind verſchiedenfarbig.

Jn Europa leben zwei Arten dieſer Sippe, der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus (Eliomys Nitela) und der Baumſchläfer (Eliomys dryas), welcher letztere von Rußland aus ſich bis Ungarn verbreitet. Beide Arten ähneln dem Siebenſchläfer in der Lebens - weiſe; es genügt daher eine flüchtige Beſchreibung der einen Art zu ihrer Kennzeichnung.

Der Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus erreicht eine Körperlänge von 6 Zoll; die Schwanz - länge beträgt Zoll, die Höhe am Widerriſt Zoll. Jn den meiſten Fällen wird das Thier aber blos 8 Zoll lang; davon kommen ungefähr fünf Zoll auf den Leib. Der Kopf und die Oberſeite ſind röthlichgraubraun, die Unterſeite weiß. Um das Auge läuft ein glänzend ſchwarzer Ring, welcher ſich unter dem Ohr bis an die Halsſeiten fortſetzt. Vor und hinter dem Ohre befindet ſich ein weiß - licher, über demſelben ein ſchwärzlicher Fleck. Der Schwanz iſt in der Wurzelhälfte anliegend be - haart und graubraun, in der Endhälfte buſchig-zweizeilig und zweifarbig, oben ſchwarz und unten weiß. Die Haare der Unterſeite ſind auch zweifarbig, ihre Wurzel iſt grau und blos ihre Spitze weiß, bisweilen ſchwachgelblich oder graulich angeflogen. Beide Hauptfarben ſind ſcharf von ein - ander abgeſchnitten. Die Ohren ſind fleiſchfarbig, die Schnurren ſchwarz, weißſpitzig, die Krallen107Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus.lichthornfarben, die oberen Vorderzähne lichtbraun, die unteren lichtgelb. Schön dunkelſchwarz - braune Augen verleihen dem Gartenſchläfer ein kluges, gewecktes Anſehen.

Unſer Thierchen, welches ſchon den alten Römern unter dem Namen Nitela bekannt war, gehört hauptſächlich den gemäßigten Gegenden des mittleren und weſtlichen Europa an und wird in Oſteuropa durch den Baumſchläfer vertreten. Frankreich, Belgien, die Schweiz, Jtalien, Deutſch - land, Ungarn, Galizien, Siebenbürgen und die ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen ſind ſeine Heimat. Jn Deutſchland iſt der Gartenſchläfer an manchen Orten, z. B. am Harz, recht häufig. Er bewohnt die Ebene, wie das Hügelland, lieber aber doch Berggegenden, und hier vorzugsweiſe Laubwaldungen, obgleich er auch im Schwarzwalde vorkommt. Jn der Schweiz ſteigt er bis in die Nähe der Glet - ſcher im Gebirge empor. Nicht ſelten findet man ihn auch in niederen Büſchen oder in Gärten und Häuſern.

Seine Nahrung iſt die des Siebenſchläfers; doch holt er ſich aus den Häuſern der Bergbewohner auch Fett und Butter, Speck und Schinken, und junge Vögel und Eier frißt er vielleicht noch lieber und noch mehr, als ſein langſamerer Verwandter. Das Klettern und Springen verſteht er meiſter - haft, und ſo erſetzt er in der Nacht das Eichhorn faſt vollſtändig. Sein Neſt unterſcheidet ſich von dem des Siebenſchläfers dadurch, daß es frei ſteht: doch bezieht er unter Umſtänden auch Schlupf -

Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus (Eliomya Nitela).

winkel in Gemäuer, alte Rattenlöcher, Maulwurfgänge und andere Höhlungen im Geſtein und in der Erde, bettet ſie mit weichem Moſe aus und macht ſie ſich ſo behaglich als möglich. Alte Eich - hornneſter werden von ihm ſehr gern als Wohnung benutzt; im Nothfalle baut er ſich auch ſelbſt ein Neſt und häugt dieſes frei zwiſchen Baumzweige.

Jn der erſten Hälfte des Mai paaren ſich die Geſchlechter. Mehrere Männchen ſtreiten oft leb - haft um ein Weibchen, verfolgen ſich gegenſeitig unter fortwährendem Ziſchen und Schnauben und raſen förmlich auf den Bäumen umher. So friedlich ſie ſonſt ſind, ſo zänkiſch, boshaft, biſſig, mit einem Worte ſtreitluſtig zeigen ſie ſich jetzt, und die ernſthafteſten Gefechte werden mit einer Wuth ausgefochten, die man kaum von ihnen erwarten ſollte; ja es kommt häufig genug vor, daß einer der Gegner von dem andern todtgebiſſen und dann ſofort aufgefreſſen wird. Nach vierundzwanzigtägiger bis monatlicher Tragzeit wirft das Weibchen vier bis ſechs nackte, blinde Junge, meiſtens in einem hübſch zubereiteten, freiſtehenden Neſte, gern in einem alten Eich - hörnchen - oder Rabenneſte -, ſonſt auch in einem Amſel - oder Droſſelneſte, welche letzteren unter Umſtänden gewaltſam in Beſitz genommen werden. Das Neſt wird mit Mos und Haaren108Die Bilche oder Schlafmäuſe.ausgepolſtert und bis auf eine kleine Oeffnung ringsum geſchloſſen. Die Mutter ſängt die Jungen lange Zeit, und trägt ihnen, auch wenn ſie ſchon freſſen können, eine hinreichende Menge Nahrungs - mittel zu. Kommt man zufällig an das Neſt und will verſuchen, die Jungen auszunehmen, ſo ſchnaubt die ſorgende Alte Einem mit funkelnden Augen entgegen, fletſcht die Zähne, ſpringt nach Geſicht und Händen und macht von ihrem gar nicht unbedeutenden Gebiß den allerausgedehnteſten Gebrauch. Merkwürdig iſt, daß der ſonſt ſo reinliche Gartenſchläfer ſein Neſt im höchſten Grade ſchmuzig hält. Der ſtinkende Unrath, welcher ſich in demſelben anhäuft, bleibt liegen und verbreitet mit der Zeit einen ſo heftigen Geruch, daß nicht blos die Hunde, ſondern auch geübte Menſchen ſchon aus ziemlicher Entfernung ein ſolches Neſt wahrzunehmen im Stande ſind. Nach wenigen Wochen haben die Jungen bereits die Größe der Mutter erreicht und ſtreifen noch eine Zeit lang in der Nähe ihres Lagers umher, um unter der Obhut und Leitung der Alten ihrer Nahrung nachzugehen; erſt ſpäter beziehen ſie ihre eigene Wohnung. Jm nächſten Jahre ſind ſie fortpflanzungsfähig. Bei be - ſonders günſtigem Wetter wirft das Weibchen auch wohl zum zweiten Male in demſelben Jahre.

Zum Abhalten des Winterſchlafes ſucht ſich der Gartenſchläfer trockene und geſchützte Baum - und Mauerlöcher, auch Maulwurfshöhlen auf oder kommt an die in einem Walde ſtehenden Gehöfte, in Gartenhäuſer, Scheuern, Heuböden, Köhlerhütten und andere Wohngebäude, um ſich dort zu ver - bergen. Gewöhnlich finden ſich ihrer mehrere ſchlafend in einem Neſte, die ganze Geſellſchaft dicht zuſammengerollt, faſt in einen Knäuel verſchlungen. Sie ſchlafen ununterbrochen, doch nicht ſo feſt, als andere Winterſchläfer; denn ſo oft milde Witterung eintritt, erwachen ſie, zehren etwas von ihren Nahrungsvorräthen und verfallen erſt bei erneuerter Kälte wieder in Schlaf. Abweichend von den übrigen Winterſchläfern zeigen ſie während ihres bewußtloſen Zuſtandes eine große Empfindlichkeit gegen äußere Reize. Wenn man einen Gartenſchläfer berührt oder mit einer Nadel ſticht, gibt er augenblicklich durch ſchwache Zuckungen und dumpfe Laute ſeine Empfindung zu erkennen. Selten erſcheint der Gartenſchläfer vor Ende April wieder im Freien. Dann frißt er ſeine Nahrungsvorräthe vollends auf, und nun beginnt ſein eigentliches Sommerleben.

Der Gartenſchläfer iſt ein recht verhaßter Gaſt in Gärten, wo feinere Obſtſorten gezogen werden. Ein einziges dieſer Thiere reicht hin, eine ganze Pfirſich - oder Aprikoſenernte zu vernichten. Bei ſeinen Näſchereien zeigt er einen Geſchmack, der ihm alle Ehre macht. Er ſucht ſich nur die beſten und ſaftigſten Früchte aus, benagt aber oft auch andere, um ſie zu erproben, und vernichtet ſo noch mehr, als er eigentlich frißt. Es gibt kein Schutzmittel, ihn von den Früchten abzuhalten. Jedes Hinder - niß weiß der kleine Dieb zu überwinden; er klettert an den Spalieren und Bäumen hinan, ſchlüpft durch die Maſchen der Netze, welche über ſie geſpannt ſind, oder durchnagt ſie, wenn ſie zu eng ge - macht wurden; ja er weiß ſich ſelbſt durch Drahtgeflechte zu ſtehlen. Blos dasjenige Obſt, welches ſpät reift, iſt vor ihm geſichert; denn um dieſe Zeit liegt er ſchon ſchlafend in ſeinem Lager. Da er nun den Menſchen blos Schaden zufügt und nicht den geringſten Nutzen bringt, weder durch ſein Fleiſch, noch durch ſein Fell, wird er von Gartenbeſitzern, welche am empfindlichſten von ihm ge - brandſchatzt werden, ſehr eifrig verfolgt und auf alle mögliche Arten vernichtet. Die beſten Fallen, welche man ihm ſtellen kann, ſind wohl Drahtſchlingen, die man vor den Spalieren aufhängt, oder kleine Tellereiſen, welche man dort paſſend auſſtellt. Beſſer aber, als ſolche Fallen, ſchützt eine gute Katze den Garten vor dieſem zudringlichen Gaudiebe. Sie und Marder, Wieſel und Uhu ſind ſeine ärgſten Feinde, und wenn er ſich auch mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln nach Kräften zu wehren ſucht, ſobald ihm einer der Räuber auf den Leib rückt: er muß ja doch dieſen großen Herrn unterliegen und ſein junges Leben laſſen. Gutsbeſitzer alſo, welche dem Walde nahe wohnen, thun entſchieden wohl, wenn ſie alle dieſe natürlichen Feinde des ſchädlichen Thierchens nach Möglichkeit ſchonen.

Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Gartenſchläfer nicht. Selten gewöhnt er ſich an den Menſchen, und bei jeder Ueberraſchung bedient er ſich ſofort ſeiner ſcharfen Zähne, oft in recht em - pfindlicher Weiſe. Dabei hat er die unangenehmen Eigenſchaften des Siebenſchläfers, verhält ſich109Die Haſelmaus.ſtill bei Tage und tobt bei Nacht wie unſinnig in ſeinem Käfig umher, verſucht, die Stäbe und das Gitter durchzunagen und durchzubrechen, und raſt dann im Zimmer herum, daß man meint, es wären wohl ihrer zehn, die einander umherjagten. Was im Wege ſteht, wird natürlich umgeworfen und zertrümmert, und ſo leicht gelingt es nicht, den einmal Freigekommenen wieder einzufangen. Am beſten iſt immer noch das alte, bewährte Mittel, ihm allerlei hohle Gegenſtände an die Wand zu legen, namentlich Stiefeln und Kaſten, welche auf der einen Seite geſchloſſen ſind; da hinein rennt er bei ſeinem eilfertigen Jagen und wird dann natürlich leicht gefangen.

Von dem räuberiſchen Weſen des Gartenſchläfers kann man ſich an den Gefangenen leicht über - zeugen. Sie ſtürzen ſich mit wahrer Wuth auf jedes kleinere Wirbelthier, welches man zu ihnen bringt. Einen Vogel erwürgen ſie im Nu, eine biſſige Maus nach wenig Minuten, trotz aller Ge - genwehr. Sie zeigen die Blutgier des Wieſels neben der Gefräßigkeit anderer Bilche.

Die dritte Sippe der Schläfer (Muscardinus) un - terſcheidet ſich ebenfalls hauptſächlich durch das Gebiß von den vorigen. Der erſte obere Backenzahn hat zwei, der zweite fünf, der dritte ſieben, der vierte ſechs, der erſte untere drei, und die drei folgenden ſechs Quer - leiſten. Auch ſind die Ohren kleiner, als bei dem vo - rigen. Der Schwanz iſt ſeiner ganzen Länge nach gleich - mäßig und ziemlich kurz behaart; die Ober - und Unter - ſeite ſind gleichfarbig. Jn Europa lebt nur eine einzige Art dieſer Sippe, die Haſelmaus (Muscardinus avellanarius), eines der niedlichſten, anmuthigſten und luſtigſten Geſchöpfe unter allen europäiſchen Nagethieren, ebenſo ausgezeichnet durch zierliche Geſtalt und Schön - heit der Färbung, wie durch Reinlichkeit, Nettigkeit und Sanftheit des Weſens. Kaum ein anderes Thier iſt ſo zum Stubengenoſſen des Menſchen geeignet, wie dieſer kleine Nager, der ſich unbedingt Jeden zum Freunde er - wirbt, welcher ſich mit ihm beſchäftigen will. Das Thierchen iſt ungefähr ſo groß, wie unſere Haus - maus; ſeine Geſammtlänge beträgt höchſtens ſechs Zoll, und davon kommt faſt die Hälfte auf den Schwanz. Gewöhnlich bleibt die Haſelmaus aber hin - ter den angegebenen Maßen zurück; die meiſten werden etwa fünf Zoll lang. Der Pelz iſt gleichmäßig gelblich - roth, unten etwas heller, an der Bruſt und der Kehle weiß. Der Haargrund iſt aſchgrau, mit Ausnahme der weißen Stellen, deren Haare gleichfarbig ſind. Die Augengegend und die Ohren ſind hellröthlich, die

Die Haſelmaus (Muscardinus avellanarius).

Oberſeite des Schwanzes iſt etwas dunkler bräunlichroth, die Füße ſind roth, die Zehen weißlich. Jm Winter erhält die Oberſeite einen ſchwachen, ſchwärzlichen Anflug, namentlich die letzte Hälfte des Schwanzes. Dies kommt daher, weil das friſche Grannenhaar ſchwärzliche Spitzen hat, welche ſich ſpäter abnutzen und abſchleifen. Junge Thiere ſind lebhaft gelblichroth. Der Pelz iſt dicht und glatt anliegend, das Haar mittellang, glänzend und weich.

Unſer Mitteleuropa iſt die Heimat der kleinen Haſelmaus; Schweden und England ſcheinen ihre nördlichſte, Toskana und die nördliche Türkei ihre ſüdlichſte Grenze zu bilden; oſtwärts geht ſie nicht110Die Bilche oder Schlafmäuſe.über Galizien, Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Beſonders häufig iſt ſie in Tirol, Kärnthen, Steiermark, Böhmen, Schleſien, Slavonien und in dem nördlichen Jtalien, wie ſie überhaupt den Süden in größerer Anzahl bewohnt, als den Norden. Jhre Aufenthaltsorte ſind faſt dieſelben, wie die ihrer Verwandten, und auch ihre Lebensweiſe erinnert lebhaft an die beſchriebenen Schläfer. Sie gehört ebenſogut der Ebene, als dem Gebirge an, geht aber in letzterem nicht über den Laubholz - gürtel nach oben, ſteigt alſo höchſtens zwei bis drei Tauſend Fuß über das Meer empor. Niederes Gebüſch und Hecken, am allerliebſten Haſelnußdickichte und Gebüſche ſind ihre wahren Wohnſitze.

Auch die Haſelmaus iſt ein Nachtthier. Bei Tage liegt ſie irgendwo verborgen und ſchläft, nachts geht ſie ihrer Nahrung nach. Nüſſe, Eicheln, harte Samen, ſaftige Früchte, Beeren und Baumknoſpen bilden dieſe; am liebſten aber verzehrt ſie Haſelnüſſe, welche ſie, ohne ſie abzupflücken, recht kunſtreich öffnet und entleert, ohne ſie aus der Hülſe zu ſprengen. Auch den Beeren der Ebereſche geht ſie nach und wird deshalb nicht ſelten in Dohnen gefangen. Das Thierchen lebt in kleinen Geſellſchaften, obgleich dieſe nicht gerade innig verbunden ſind. Jede einzelne Haſelmaus oder ihrer zwei zuſammen bauen ſich in recht dichten Gebüſchen ein weiches, warmes, ziemlich künſtliches Neſt aus Gras, Blättern, Mos, Würzelchen und Haaren und durchſtreifen von hier aus nächtlich ihr Gebiet, faſt immer gemeinſchaftlich mit anderen, welche in der Nähe wohnen. Es ſind echte Baum - thiere, ſie klettern wundervoll, auch im dünnſten Gezweige herum, nicht blos nach Art der Eichhörn - chen und anderer Schläfer, ſondern auch nach Art der Affen; denn oft kommt es vor, daß ſich die Haſelmaus mit ihren Hinterbeinen an einem Zweige aufhängt, um eine tiefer hängende Nuß zu erlangen und zu bearbeiten, und ebenſo häufig ſieht man ſie auch an der Unterſeite der Aeſte hin - laufen, gerade ſo ſicher, als auf der oberen, ganz in der Weiſe jener Waldſeiltänzer des Südens. Selbſt auf ebenem Boden iſt die Haſelmaus noch recht hurtig, wenn ſie auch ſobald als möglich ihr luftiges Gebiet wieder aufſucht.

Jhre Fortpflanzungszeit fällt erſt in den Hochſommer; ſelten paaren ſich die Geſchlechter vor Juli. Nach ungefähr vierwöchentlicher Tragzeit, alſo im Auguſt, wirft das Weibchen drei bis vier nackte, blinde Junge in daſſelbe Neſt, welches es im Sommer zu bewohnen pflegte. Die Kinderchen wachſen außerordentlich ſchnell, ſaugen aber doch einen vollen Monat an ihrer Mutter, wenn ſie auch inzwiſchen ſchon ſo groß geworden ſind, daß ſie ab und zu das Neſt verlaſſen können. Anfangs treibt ſich die Familie auf den nächſten Haſelſträuchen umher, ſpielt mit einander und ſucht dabei Nüſſe. Bei dem geringſten Geräuſch eilt Alles nach dem Neſte zurück, dort Schutz zu ſuchen. Noch ehe die Zeit kommt, wo ſie Abſchied nehmen von den Freuden des Lichtes, um ſich in ihre Winterlöcher zu - rückzuziehen, ſind die Kleinen bereits faſt ſo fett geworden, wie ihre Eltern, und haben ſich auch hübſche Vorräthe eingetragen. Um die Mitte des Oktobers zieht ſich jede Haſelmaus nun in den Schlupfwinkel zurück, wo ſie den Wintervorrath eingeſammelt, und bereitet ſich aus Reiſern, Laub, Nadeln, Mos und Gras eine kugelige Hülle, in welche ſie ſich gänzlich einwickelt; dann rollt ſie ſich zur Kugel zuſammen und fällt in Schlaf, tiefer noch, als ihre Verwandten, denn man kann ſie in die Hand nehmen und in derſelben herumkugeln, ohne daß ſie irgend ein Zeichen des Lebens von ſich gibt. Je nach der Milde oder Strenge des Winters durchſchläft ſie nun ihre ſechs bis ſieben Monate, mehr oder weniger unterbrochen, bis die ſchöne warme Frühlingsſonne ſie zu neuem Leben wach ruft.

Es hält ſehr ſchwer, eine Haſelmaus zu bekommen, ſo lange ſie vollkommen munter iſt, und wohl nur zufällig erlangt man ſie in dieſer oder jener Falle, welche man an ihren Lieblingsorten auf - ſtellte und mit Nüſſen oder anderer Nahrung köderte. Hat man ſie einmal in der Hand, ſo hat man ſie auch ſchon ſo gut, als gezähmt. Niemals wagt ſie, ſich gegen ihren Bewältiger zur Wehre zu ſetzen, niemals verſucht ſie, zu beißen; in der höchſten Angſt gibt ſie blos einen quietſchenden oder hell - ziſchenden Laut von ſich. Bald aber fügt ſie ſich in das Unvermeidliche, läßt ſich ruhig in das Haus tragen und ordnet ſich ganz und gar dem Willen des Menſchen unter. Sie verliert bald ihre Scheu, doch nicht ihre angeborne Schüchternheit und Furchtſamkeit, ſelbſt, wenn ſie ſich gewöhnt hat, daß man mit ihr ſpielt, ſie ſtreichelt, ſie ſich auf die Hand ſetzt u. ſ. w. Man ernährt ſie mit Nüſſen, Obſt -111Die Haſelmaus.kernen, Obſt und Brod, auch wohl Weizenkörnern. Sie frißt ſparſam und beſcheiden, und anfangs blos des Nachts. Waſſer oder Milch trinkt ſie nicht. Jhre überaus große Reinlichkeit und die Lie - benswürdigkeit und Verträglichkeit, welche ſie gegen ihres Gleichen zeigt, die hübſchen Bewe - gungen und luſtigen Geberden machen ſie immer zum wahren Liebling des Menſchen. Jn England wird ſie als Stubenthier in gewöhnlichen Vogelbauern gehalten und ebenſo wie Stubenvögel zum Markte gebracht. Man kann ſie auch in dem feinſten Zimmer halten; denn ſie verbreitet durchaus keinen üblen Geruch, weder durch ihren Harn, noch durch ihren Unrath. Nur im Sommer gibt ſie einen biſamähnlichen Geruch von ſich, der aber auch ſo ſchwach iſt, daß er nicht läſtig fällt. Recht ſchade iſt, daß erſt mit der Dämmerung das Leben dieſes prächtigen Thieres beginnt und man ſo nur wenig von ihm genießt.

Auch in der Gefangenſchaft hält die Haſelmaus ihren Winterſchlaf, wenn die Oertlichkeit eine ſolche iſt, die nicht immer gleichmäßig warm gehalten werden kann. Sie verſucht dann, ſich ein Neſt - chen zu bauen, und hüllt ſich da hinein oder ſchläft in irgend einer Ecke ihres Käfigs. Bringt man ſie wieder in die Wärme, z. B. zwiſchen die warme Hand, ſo erwacht ſie, bald aber ſchläft ſie wieder ein. Mein Freund, Dr. F. Schlegel, hat längere Zeit Haſelmäuſe beobachtet, um den Winterſchlaf zu ſtudiren, und hatte die Güte, mir Nachſtehendes zur Benutzung zu überlaſſen. Er pflegte das ſchla - fende Thierchen oft auf einen kleinen, eigens gebauten Lehnſtuhl zu ſetzen, in welchem es ſich dann überaus komiſch ausnahm. Da ſitzt ſie, ſagt er, gemächlich in den Armſtuhl gelehnt, eine Pelzkugel, den Kopf auf die Hinterfüße geſtützt, den Schwanz ſeitwärts über das Geſicht gekrümmt, mit dem Ausdruck des tiefſten Schlafes im Geſicht, die Mundwinkel krampfhaft auf - und eingezogen, ſo daß die langen Bartborſten, ſonſt fächerförmig ausſtrahlend, wie ein langhaariger Pinſel über die Wangen hinauf - und hinausragen. Zwiſchen den feſtgeſchloſſenen Augen und dem Mundwinkel wölbt ſich die eingeklemmte Wange hervor; die zur Fauſt geballten Zehen der Hinterfüße drücken im tiefſten Schlaf ſo feſt auf die Wange, daß die Stelle mit der Zeit zum kahlen Fleck wird. Ebenſo drollig, als dieſes Bild des Schlafes, erſcheint das erwachende Thier. Nimmt man es in die hohle Hand, ſo macht ſich die von da überſtrömende Wärme gar bald bemerklich. Die Pelzkugel regt ſich, beginnt merklich zu athmen, reckt und ſtreckt ſich; die Hinterfüße rutſchen von der Wange herunter; die Zehen der einge - zogenen Vorderfüße kommen unter dem Kinn tief aus dem Pelz heraus zum Vorſchein und der Schwanz gleitet langſam über den Leib herab. Und dabei läßt ſie Töne hören, wie Pfeifen oder Piepen, feiner noch und durchdringender, als die der Spitzmäuſe. Sie zwinkert und blinzelt mit den Augen, das eine thut ſich auf; aber wie geblendet kneift es der Langſchläfer ſchnell wieder zu. Das Leben kämpft mit dem Schlafe, doch Licht und Wärme ſiegen. Noch einmal lugt das eine der ſchwarzen Perlenaugen ſcheu und vorſichtig aus der ſchmalen Spalte der kaum geöffneten und nach den Winkeln hin geradezu verklebten Lider hervor. Der Tag lächelt ihm freundlich zu. Das Athmen wird immer ſchneller und immer tiefer. Noch iſt das Geſichtchen in verdrießliche Falten gelegt; doch mehr und mehr macht ſich das behagliche Gefühl der Wärme und des rückkehrenden Lebens geltend. Die Furchen glätten ſich, die Wange verſtreicht, die Schnurren ſenken ſich und ſtrahlen aus einander. Da auf einmal, nach langem Zwinkern und Blinzeln, entwindet ſich auch das andere Auge dem Todtenſchlafe, der es umnachtete, und trunken noch ſtaunt das Thierchen behaglich in den Tag hinaus. Endlich ermannt es ſich und ſucht ein Nüßchen zur Entſchädigung für die lange Faſtenzeit. Bald iſt das Verſäumte nachgeholt, und die Haſelmaus iſt munter? nein, immer noch wie träumend mit den Freuden des nahenden Frühlings beſchäftigt, und bald genug gewahrt ſie ihren Jrrthum, ſucht ihr Lager wieder auf und ſchläft ein von neuem, feſter und feſter zur Kugel ſich zuſammenrollend.

Schlegel ſcheint die Fettbildung, welche ſich bei den Winterſchläfern in ſo auffallender Weiſe zeigt, einzig und allein auf Rechnung der verringerten Athmung und bezüglich der Zufuhr des die Ver - brennung befördernden Sauerſtoffes zu ſchieben, und nimmt deshalb an, daß die Haſelmäuſe und alle übrigen Schläfer erſt dann die größte Maſſe von Fett erlangen, wenn ſie ſchon eine geraume Zeit geſchlafen haben. Das Fett , ſagt er, weit entfernt, Urſache des Schlafes zu ſein, ſcheint112Die eigentlichen Mäuſe.vielmehr erſt in Folge des Winterſchlafes zu entſtehen, und zwar ganz nach Art der eigentlichen Fettſucht beim Menſchen. Letztere wird bedingt durch mangelhafte Verwendung des im Blute ent - haltenen Fettes zum Neubau (Stoffwechſel) des Körpers und mangelhafte Entfernung (Verbrennung) deſſelben mittels der Lungen, von denen es, mit dem eingeathmeten Sauerſtoff der Luft chemiſch ver - bunden, als Kohlenſäure und Waſſer ausgeſchieden werden ſoll. Dieſer Fall tritt ein bei phlegma - tiſchem Temperament, Mangel der Bewegung, übertriebener Schlaf - und verminderter Athmungs - thätigkeit, und denſelben Fall haben wir bei winterſchlafenden Thieren. Der Stoffwechſel iſt vermin - dert, vor allem aber die Sauerſtoffaufnahme durch Athmen zuweilen ganz unmerklich. Dies ſcheint die einfachſte wiſſenſchaftliche Erklärung des Fettwerdens der Winterſchläfer. Die Wägung winter - ſchlafender Thiere zeigt allerdings eine allmähliche Gewichtsabnahme, merkwürdigerweiſe aber fanden Profeſſor Saci und Valentin an ſchlafenden Murmelthieren gerade zur Zeit des tiefſten Schlafes eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme, während, wenn das Thier, wie man von allen Winterſchläfern glaubt, von ſeinem Fette zehrte, gerade im tiefſten Schlafe, beim vollſtändigſten Mangel an Nahrungs - zufuhr alſo, die merkwürdigſte Gewichtsabnahme zu erwarten ſein ſollte.

Keine andere Familie der ganzen Ordnung verſteht es, ſo gründlich uns zu belehren, was Nager ſind, als die, welche die eigentlichen Mäuſe (Mures) umfaßt. Dieſe Familie iſt nicht blos die an Sippen und Arten reichſte, ſondern auch bei weitem die verbreitetſte, und Dank ihrer Anhäng - lichkeit an den Menſchen noch in ſteter Verbreitung begriffen, wenigſtens was einzelne ihrer Arten anlangt. Jhre Mitglieder ſind durchgängig kleine Geſellen; aber ſie erſetzen durch ihre Zahl, was den einzelnen an Größe abgeht, mehr als vollſtändig. Will man ein allgemeines Bild von der Ge - ſammtheit geben, ſo kann man ſagen, daß die ſpitze Schnauze, die großen, ſchwarzen Augen, die breiten und hohlen, ſehr ſpärlich behaarten Ohren, der lange, behaarte oder faſt noch öfter nackt - ſchuppige Schwanz und die zierlichen Beine mit ſchmalen, feinen fünfzehigen Pfoten, ſowie ein kurzer, weicher Pelz unſere Familie kennzeichnet. Doch müſſen dieſe Merkmale eben blos als ganz allgemeine gelten; denn viele eigentliche Mäuſe nähern ſich in ihrer Geſammtgeſtaltung anderen Familien unſerer Ordnung: Stachliches Grannenhaar erinnert an die eigentlichen Stachelmäuſe oder Stachel - ſchweine, echte Schwimmfüße, kurze Ohren und Beine an die Biber, dick behaarter Schwanz an die Eichhörnchen u. ſ. w. Mit ſolchen äußerlichen Abänderungen der allgemeinen Grundform ſteht natürlich auch der Bau des Gebiſſes mehr oder weniger im Einklang. Gewöhnlich ſind die Nage - zähne ſchmal und mehr dick als breit, mit ſcharfmeißlicher Schneide oder ſcharfer Spitze, an der Vorder - ſeite glatt oder gewölbt, weiß oder gefärbt, auch wohl durch eine Längsrinne getheilt. Drei Back - zähne in jeder Reihe, welche von vorn nach hinten an Größe abnehmen, bilden regelmäßig das übrige Gebiß; ihre Zahl ſinkt aber auch wohl auf zwei herab oder ſteigt bis auf vier. Sie ſind entweder ſchmelzhöckerig, mit getrennten Wurzeln, oder quergefaltet, oder ſeitlich eingekerbt. Viele ſchleifen ſich durch das Kauen ab, und dann erſcheint die Fläche eben oder mit Faltenzeichnung. Zwölf oder drei - zehn Wirbel tragen Rippen, drei bis vier bilden das Kreuzbein, und zehn bis ſechsunddreißig den Schwanz. Bei einigen Arten kommen wohl auch Backentaſchen vor, bei andern fehlen ſie gänzlich; bei dieſen iſt der Magen einfach, bei jenen ſtark eingeſchnürt u. ſ. w.

Die Mäuſe ſind Weltbürger, aber leider nicht im guten Sinne. Alle Erdtheile weiſen Mit - glieder aus dieſer Familie auf, und jene glücklichen Jnſeln, welche bis jetzt noch von ihnen verſchont blieben, werden ſicher im Laufe der Zeit noch wenigſtens von einer Art bevölkert werden, deren Wanderluſt ſchon wahrhaft gewaltige Erfolge erzielt hat. Die Mäuſe bewohnen alle Gegenden und Klimate, wenn ſie auch die Ebenen gemäßigter und wärmerer Länder dem rauhen Hochgebirge oder dem kalten Norden vorziehen; aber ſie finden ſich ſo weit, als die Grenze des Pflanzenwuchſes reicht, demzufolge auch noch in unmittelbarer Nähe des ewigen Schnees der Gebirge. Wohlbebaute Gegenden,113Die eigentlichen Mäuſe.Fruchtfelder, Pflanzungen ſind unbedingt ihre Lieblingsorte; ſumpfige Strecken, Flußufer und Bäche bieten ihnen aber ebenfalls genug, und ſelbſt dürre, trockene, mit wenig Gras und Buſchwerk be - wachſene Ebenen gewähren ihnen noch die Möglichkeit, zu leben. Einige meiden die Nähe menſchlicher Anſiedelungen, andere drängen ſich dem Menſchen als ungebetene Gäſte auf und folgen ihm überall hin, wo er neue Wohnorte gründet, ſelbſt über das Meer. Sie bevölkern Haus und Hof, Scheuer und Stall, Garten und Feld, Wieſe und Wald, überall mit gefräßigem Zahne Schaden und Unheil anrich - tend. Nur die wenigſten leben einzeln oder paarweiſe, die meiſten lieben die Geſelligkeit, und manche Arten wachſen zuweilen zu ungeheuren Scharen an, obgleich ſich einzelne immer mehr oder weniger ab - geſondert halten. Bei faſt allen iſt die Vermehrung eine ganz außerordentliche; denn die Zahl der Jungen eines einzigen Wurfs ſchwankt zwiſchen ſechs und einundzwanzig, und die allermeiſten pflanzen ſich mehrmals im Jahre, ja ſelbſt im Winter fort.

Die Mäuſe ſind in jeder Weiſe geeignet, den Menſchen zu plagen und zu quälen. Alle ihre Eigenſchaften ſcheinen ſie beſonders hierzu zu befähigen. Sie ſind gewandt und behend in ihren Be - wegungen, können vortrefflich laufen, ſpringen, klettern, ſchwimmen; ſie verſtehen es, ſich durch die engſten Oeffnungen zu zwängen, oder, wenn ſie keine Zugänge finden, ſich mit ihrem ſcharfen Gebiß Wege zu eröffnen. Sie treiben ihr Weſen am liebſten bei Nacht und vereiteln dadurch Verfol - gungen, denen Tagthiere ausgeſetzt ſein würden; ſie ſind ziemlich klug und vorſichtig, aber ebenſo auch dreiſt, frech, unverſchämt, liſtig und muthig. Jhre Sinne ſind durchgehends fein, wenn auch der Geruch und das Gehör die übrigen bei weitem übertreffen. Jhre Nahrung beſteht aus allen eßbaren Stoffen des Pflanzen - und Thierreichs. Samen, Früchte, Wurzeln, Rinde, Kräuter, Gras, Blüthen, welche ihre natürliche Nahrung bilden, werden nicht minder gern von ihnen verzehrt, als Kerbthiere, Fleiſch, Fett, Blut und Milch, Butter und Käſe, Haut und Knochen; und was ſie nicht freſſen können, zernagen und zerbeißen ſie wenigſtens, ſo Papier und Holz. Waſſer trinken ſie im Allge - meinen nur ſelten; dagegen ſind ſie äußerſt lüſtern auf alle nahrungsreicheren Flüſſigkeiten und ver - ſtehen es, ſich derſelben in der liſtigſten Weiſe zu bemächtigen. Die meiſten zwar führen ihre Speiſe mit den Vorderpfoten zum Munde, wie die übrigen Nager; aber manche, wie die Ratten, benutzen unter Umſtänden auch ihren Schwanz, um zu Nahrungsvorräthen zu gelangen, welche ihnen ſonſt un - zugänglich wären. Sie tauchen ihn z. B. in Gefäße ein, welche mit Oel oder Milch gefüllt ſind, und lecken ihn dann ab. Dabei verwüſten ſie regelmäßig weit mehr, als ſie verzehren, und werden hier - durch zu den allerunangenehmſten Feinden des Menſchen, welche nothwendigerweiſe deſſen ganzen Haß heraufbeſchwören und ſogar die vielfachen Grauſamkeiten, welche er ſich bei ihrer Vertilgung zu Schul - den kommen läßt, wenn auch nicht verzeihlich, ſo doch erklärlich machen. Nur ſehr wenige ſind harm - loſe, unſchädliche Thiere, und haben wegen ihrer zierlichen Geſtalt, der Anmuth ihrer Bewegungen und ihres anſprechenden Weſens Gnade vor den Augen des Menſchen gefunden. Hierher gehören namentlich auch die Baukünſtler unter dieſer Familie, welche die kunſtreichſten Neſter unter allen Säugethieren überhaupt anlegen und durch ihre geringe Zahl und den geringen Nahrungsverbrauch wenig läſtig werden, während andere, die in ihrer Weiſe auch Baukünſtler ſind und ſich größere oder kleinere Höhlen anlegen, gerade hierdurch ſich verhaßt machen. Einige Arten, welche die kälteren und gemäßigten Gegenden bewohnen, halten einen Winterſchlaf und tragen ſich vorher Nahrungsvorräthe ein, manche in bedeutender Menge; andere unternehmen zeitweilig in ungeheuren Scharen Wande - rungen, welche ihnen aber gewöhnlich ſehr verderblich werden.

Für die Gefangenſchaft eignen ſich nur wenige Arten, denn blos der geringſte Theil aller Mäuſe erfreut durch ſeine leichte Zähmbarkeit und die Verträglichkeit mit anderen ſeiner Art. Die übrigen bleiben auch im Käfig unangenehme, unverträgliche, biſſige Geſchöpfe, welche die ihnen gewidmete Freundſchaft und Pflege ſchlecht vergelten. Eigentlichen Nutzen gewähren die Mäuſe nie, denn, wenn man auch von dieſer oder jener Art das Fell benutzt oder ſelbſt das Fleiſch ißt, ſo kommt doch beides gar nicht in Betracht gegen den außerordentlichen Schaden, welchen die Geſammtheit der Familie anrichtet.

Brehm, Thierleben. II. 8114Die eigentlichen Mäuſe.

Fitzinger betrachtet die Rennmäuſe (Meriones) als eine Sippe unſerer Familie; andere Naturforſcher ſehen ſie als beſondere Familie an, obwohl ſie zugeſtehen, daß ſie ſich den echten Mäuſen in jeder Hinſicht innig anſchließen. Jhr Leib iſt eher unterſetzt, als geſtreckt, der Hals iſt kurz und dick, ihr Kopf ziemlich kurz, hinten breit, nach vorn zu verſchmälert, die Schnauze zugeſpitzt, der Schwanz faſt von Körperlänge, regelmäßig dicht behaart, zuweilen ſogar gepinſelt, niemals nackt. Die hinteren Glieder ſind etwas länger, als die vorderen, die Füße ſind fünfzehig, doch iſt der vordere Daumen eigentlich nur eine Warze mit glattem Nagel. Die Krallen der übrigen Zehen ſind kurz, ſchwach gekrümmt und zugeſpitzt. Die Ohren und Augen ſind ſehr groß, der Pelz iſt dicht, glatt an - liegend und weich, auf der Oberſeite regelmäßig roſtigbraun oder fahl, auf der Unterſeite heller oder weiß, ohne daß ſich jedoch dieſe Färbung ſcharf von der oberen abſetzte. Jm Uebrigen ähneln die Renn - mäuſe ihren Familienverwandten. Sie vertreten im Süden der alten Welt manche andere Sippen der Familie, welche dort nur in untergeordneter Weiſe vorkommen. Jhre Heimat beſchränkt ſich auf Afrika, das ſüdliche Aſien und das ſüdöſtliche Europa. Jn ihrer Lebensweiſe und dem Betragen zei - gen ſie ſich als echte Mäuſe. Sie leben am liebſten in den angebauten Gegenden, finden ſich aber auch in den dürrſten Ebenen und Steppen oft in außerordentlicher Menge. Manche Arten ſind geſellig und vereinigen ſich zu Schaaren, welche dann eben ſo ſchädlich werden, als unſere Feldmäuſe. Die meiſten graben ſich ziemlich ſeichte, unterirdiſche Gänge, in welchen ſie den Tag verbringen. Mit Einbruch der Dämmerung kommen ſie hervor, um nach Nahrung auszugehen. Jhre Bewegungen ſind außerordentlich raſch und lebhaft; Dies gilt zumal von ihrem Laufe, wie ſchon der Name andeutet. Einzelne ſind im Stande, bedeutende Sätze zu machen: manche Berichterſtatter behaupten, daß ſie ſolche von 12 bis 15 Fuß ausführen könnten. Sie ſind ſcheu und furchtſam, wie die übrigen Mäuſe, und flüchten ſich ſchon beim geringſten Geräuſch eiligſt nach ihren Löchern. Jhre Nahrung beſteht in allerlei Samen und Wurzeln, namentlich auch in Getreide. Auf bebauten Feldern richten ſie große Ver - wüſtungen an; ſie beißen dort die Aehren ab und ſchleppen ſie nach ihrer Wohnung, wo ſie dieſelben ungeſtört und gemächlich abfreſſen oder ausdreſchen, um die Körner für ungünſtige Zeiten aufzuſpeichern. Die Vorräthe, welche ſie ſich eintragen, ſind ſo bedeutend, daß arme Leute durch Ausgraben derſelben eine ziemlich reiche Ernte halten können; denn man findet oft in einem Umkreiſe von zwanzig Schritten mehr als einen Scheffel der ſchönſten Aehren unter der Erde verborgen. Wie unſeren Ratten, iſt den Rennmäuſen aber auch thieriſche Nahrung willkommen; vorzüglich die Kerbthiere haben in ihnen arge Feinde. Es ſcheint, daß ſie das Waſſer ganz zu entbehren im Stande ſind, wenigſtens findet man ſie nicht ſelten in dürren Ebenen, meilenweit von Bächen oder Brunnen entfernt, ohne daß man ihnen einen Mangel anmerken könnte.

Wegen der großen Verwüſtungen, welche die Rennmäuſe in den Feldern anrichten, werden ſie von den Einwohnern ihrer Heimat ebenſo gehaßt und verfolgt, wie unſere Ratten. Sie zu vertreiben, iſt nicht möglich, ſo eifrig man ihnen auch nachſtellen mag; denn ihre Vermehrung iſt ſo bedeutend, daß alle Niederlagen, welche der Menſch etwa einer Art beibringen kann, ſehr bald durch deren Fruchtbarkeit wieder ausgeglichen ſind. Genaueres über ihre Fortpflanzung im Freien iſt nicht be - kannt; man weiß nur, daß die Weibchen mehrmals im Jahre ziemlich zahlreiche Nachkommenſchaft zur Welt bringen.

Von einigen Arten rühmt man ihr angenehmes Betragen in der Gefangenſchaft. Sie ſollen ſich ebenſo durch ihre große Beweglichkeit, als durch ihre Reinlichkeit, durch ihre Sanftmuth und Ver - träglichkeit auszeichnen, d. h. natürlich, ſo lange ihnen Nichts abgeht; denn, wenn mehrere beiſammen ſind und auch nur auf kurze Zeit Mangel leiden, ſtreiten ſie ſich und beißen ohne Umſtände einander die Schwänze ab.

Die feiſte Rennmaus (Meriones-Psammomys-obesus) hat etwa die Größe unſerer Wan - derratte, ſie wird 12 Zoll lang, wovon der Schwanz 5 Zoll wegnimmt. Oben iſt ſie röthlich ſand - farben, ſchwarz geſprenkelt, an den Seiten und unten lichtgelb. Die Wangen ſind gelblich weiß, fein115Die feiſte Rennmaus.ſchwarz geſtrichelt, die Ohren hellgelb, die Pfoten licht ockerfarben. Von den Schnurren ſind einige ſchwarz, andere weiß, und einige endlich an der Wurzel ſchwarz und an der Spitze licht.

Jn Egypten ſieht man dieſe Maus oft genug. Sie bewohnt ſandige Stellen der Wüſte, beſon - ders häufig auch jene Schuttberge, welche alle Städte des Pharaonenlandes umgeben. Hier legt ſie ſich verzweigte, ziemlich tiefe Röhren und Gänge an, am liebſten unter und zwiſchen dem niederen Geſtrüpp und den wenigen kriechenden Pflanzen, welche ihre Wohnorte ſpärlich genug bedecken und ihr zugleich das tägliche Brod ſind. Da dieſe Rennmaus auch am Tage vor dem Baue erſcheint, kann man ſie leicht beobachten. Oft ſieht man ihrer zehn bis funfzehn umherrennen, mit einander ſpielend verkehren, von dieſer und jener Pflanze naſchen ꝛc. Ein herannahender Menſch oder einer jener herrenloſen Hunde verſcheucht die ganze Geſellſchaft augenblicklich; aber es dauert gar nicht lange, und hier und da guckt wieder ein Köpfchen aus den Löchern hervor, und wenn Alles ruhig bleibt, iſt die ganze Geſellſchaft in kurzem wieder außerhalb der ſicheren Baue. Ob ſie ihrem Namen beſondere Ehre machen, laſſe ich dahingeſtellt ſein; ich habe nicht wahrgenommen, daß ſie durch beſondere Schnellläufigkeit ſich aus - zeichnen ſollten. Ueber ihr Familienleben habe ich keine Beobachtungen gemacht, weil derartige Thiere mich früher weit weniger anzogen, als das leichte, bewegliche Volk der Vögel.

Die feiſte Rennmaus (Meriones-Psammomys-obesus).

Die Araber ſehen in den Rennmäuſen unreine Thiere und verfolgen ſie nicht. Um ſo eifriger beſchäftigen ſich die Straßenhunde mit der Jagd ſolch leckeren Wildes, und oft ſieht man einen dieſer Köter mit der innigſten Theilnahme und lebhafteſten Spannung vor einem der Ausgänge ſtehen.

Das Gefangenleben der feiſten Renumaus hat Dehne am beſten und ausführlichſten beſchrieben. Jch will ihn ſelbſt reden laſſen. Jm Käfig, ſagt er, muß man dieſe Thiere ſehr warm halten, weil ſie gegen die Kälte im hohen Grade empfindlich ſind. An mehreren Orten, z. B. im Berliner Thier - garten, hat man ſie zur Fortpflanzung gebracht; ſie ſind aber noch immer ſelten in den Sammlungen der Liebhaber oder in den Muſeen. Jch erhielt ein Männchen ohne Angabe des Alters aus Berlin; es ſtarb aber ſehr bald, weil es zu fett geworden war. Es fraß Pflaumen, Aepfel, Kirſchen, Birnen, Himbeeren, Erdbeeren, Mais, Hafer, Hanfſamen, Brod, Milch, Semmel, Zwieback u. ſ. w. An gekochten Kartoffeln, Runkelrüben, Möhren nagte es nur dann und wann aus langer Weile; aber Pflaumenkerne wurden begierig von ihm geöffnet, um zu deren Jnhalte zu gelangen, welcher ihm zur Arznei, vielleicht zur Beförderung der Verdanung zu dienen ſchien. Es war ſehr reinlich und hatte im Käfig ein beſonderes Fleckchen für ſeinen Unrath, welcher im Verhältniß zu ſeiner Größe ſehr klein, kaum etwas größer, wie der von der Hausmaus war. Einen üblen Geruch verbreitete das Thier8 *116Die eigentlichen Mäuſe.nicht; es harnte überhaupt ſo wenig, daß die untergeſtreuten Sägeſpähne ſtets trocken blieben. An den Drähten des Käfigs nagte es ſtundenlang, verſuchte aber nie, eine Oeffnung zu machen. Wenn es ſich auf die Hinterfüße ſetzte, erinnerte es ſehr an die bekannten Stellungen der Springmäuſe. Die Vorderfüße waren beinahe unter dem langen, ſeidenartigen Pelze verſteckt. Eine eigentliche Stimme habe ich nie von ihm gehört, ſondern nur manchmal einen in Zwiſchenräumen von mehreren Sekunden wiederholten Ton, welcher wie unterdrücktes Huſten klang.

Später bekam ich ein junges, halb ausgewachſenes Weibchen. Es iſt weit lebhafter, als das ernſtere Männchen. Die ganze Nacht läuft es im Käfig hin und her; den Tag verbringt es mit Schlafen. Jm Schlafe ſitzt es auf den Hinterfüßen, den Kopf zwiſchen die Schenkel geſteckt und den Schwanz kreisförmig unter den Kopf gelegt.

Am 1. September warf bei mir eine ungefähr ein Jahr alte Sandrenumaus ſechs Junge. Jch entfernte ſogleich das Männchen aus dem Käfig und gab der Mutter friſches Heu, woraus ſie ſich als - bald ein bequemes Neſt verfertigte.

Die neugeborenen Jungen hatten das Ausſehen junger Wanderratten, ſchienen mir aber um ein wenig größer zu ſein. Sie gaben einen piependen Ton von ſich, auch noch im Alter von einigen Wochen. Die Mutter war ſehr beſorgt um ihre Kleinen und verdeckte ſie, wenn ſie das Lager verließ, mit Heu. Manchmal, vorzüglich in der ihr ſehr wohlthuenden Mittagshitze, legte ſie ſich beim Säugen auf die Seite, ſo daß man die Jungen ſehr gut beobachten konnte. Dieſe waren ſehr lebhaft und ſaugten mit Begierde. Vier Tage nach ihrer Geburt waren ſie ſchon ganz grau, am ſechſten Tage ihres Lebens hatten ſie die Größe der Zwergmäuſe, und der ganze Oberkörper war mit einem außer - ordentlich feinen Flaum von ſchieferblauer Farbe bedeckt. Jhr Wachsthum ging ſehr raſch von ſtatten. Am dreizehnten Tage waren ſie überall mit kurzen Haaren bedeckt, der Oberkörper hatte ſchon die eigen - thümliche, rehfahle Farbe der Alten, und die ſchwarze Schwanzſpitze konnte man bereits recht deutlich er - kennen. Sie liefen manchmal, wenn auch noch etwas unbeholfen und ſchwerfällig, um ihr Lager und machten, obgleich noch blind, öfters Männchen und putzten ſich. Die Mutter verſuchte ſie aber immer der Beobachtung zu entziehen, nahm eine nach der andern ins Maul, brachte ſie eiligſt nach dem Neſte zurück und verbarg ſie dort ſorgfältig. Wenn man längere Zeit in ihrer Nähe verweilte, wurde ſie ſehr ängſtlich und lief mit der größten Schnelligkeit im Käfig herum, eines oder das andere der Jungen im Maule tragend. Man glaubte, befürchten zu müſſen, daß ſie die zarten Thierchen verletzen möchte; doch war Dies nie der Fall, und die Jungen gaben auch kein Zeichen des Schmerzes oder Unbehagens. Am ſechzehnten Tage ihres Lebens wurden ſie ſehend. Nun benagten ſie ſchon Hafer, Gerſte, Mais, und man konnte nach einigen weiteren Tagen ſich auch durchs Gehör von der Thätigkeit ihrer Nage - zähne überzeugen. Am 21. Tage hatten ſie die Größe der Hausmäuſe, am 25. die der Waldmäuſe. Jetzt ſaugten ſie nur ſelten, doch bemerkte ich Dies von einigen noch, nachdem ſie über einen Monat alt geworden waren. Sie fraßen ſchon von allem, was ihre Mutter zur Nahrung bekam: in Waſſer gequellte Semmel, Zwieback, Brod, Hafer, Gerſte, Mais. Der letztere behagte ihnen vorzüglich, wenn er friſch abgenommen und noch etwas weich war. Hanfſamen, Kürbißkörner liebten ſie ſehr; aus Birnen, Aepfeln und anderem Obſt ſchienen ſie ſich wenig zu machen: ſie koſteten nur zuweilen etwas davon.

Am 5. Oktober gab das ſeit dem 1. September abgeſperrte Männchen zum erſten Male deutlich wahrnehmbare Töne von ſich. Sie beſtanden aus girrenden, trillernden Strophen, in denen zum Theil etwas Melodie lag, ähnlich denen des Meerſchweinchens, nur ſchwächer. Dieſer Geſang dauerte wohl eine Viertelſtunde; früher hatte ich nie etwas Aehnliches von meinem Gefangenen ver - nommen. Am 6. Oktober bemerkte ich zu meinem großen Erſtaunen, daß die Mutter der zur Welt gekommenen Jungen ſchon wieder fünf Kleine geboren hatte. Sie war demnach 36 Tage trächtig gegangen und hatte ſich alſo gleich nach ihrer Entbindung wieder mit ihrem Männchen begattet. Hier - aus läßt ſich die ungeheuere Vermehrung der Nager erklären.

117Die Ratten.

Man kann die Sandmaus den hübſcheſten Thieren beizählen, die man aus der Ordnung der Nager zum Vergnügen hält. Sie wird ungemein zahm, verläßt den Kaſig, läuft ſorglos auf dem Tiſch umher und läßt ſich ergreifen und nehmen, ohne Miene zum Beißen zu machen. Dabei iſt ſie ſehr reinlich und verbreitet gar keinen unangenehmen Geruch; namentlich die Jungen ſind allerliebſt. Jhre großen, nicht ſehr vorſtehenden Augen und ihr ſchöner Pelz tragen viel zum angenehmen Ein - drucke bei, welchen dieſe netten Thierchen auf den Beſchauer machen; ſelbſt ihre dichtbehaarten Schwänze mit ſchwarzen Endquaſten gereichen ihnen ſehr zur Zierde.

Da die Wüſtenſandmaus, als Nachtthier, vorzugsweiſe von der Abend - bis zur Mor - gendämmerung ihr Weſen treibt, ihrer Nahrung nachgeht und unter Hüpfen, Laufen und Spie - len die Zeit hinbringt, ſo bietet ihr natürlich der enge Käfig zu wenig Raum dar, um unbe - ſchadet des Neſtes die manchfaltigen Körperübungen vorzunehmen. Daher ſah man auch von dem Neſte, ſolange die Jungen blind waren, in der Nacht faſt keine Spur, und Alles war gleichförmig zuſammengetreten. Die Jungen waren zugedeckt, und, wenn ſie nicht zuweilen ſich durch eine Be - wegung bemerklich gemacht hätten, man würde kaum geglaubt haben, daß außer der Mutter noch lebende Junge im Käfig waren.

Die eigentlichen Ur - und Vorbilder der ganzen Familie, die Ratten und Mäuſe, ſind Dank ihrer Zudringlichkeit als Gäſte des Menſchen in ihrem Treiben und Weſen nur zu bekannt. Unter ihnen finden ſich jene Arten, welche mit den Menſchen über die ganze Erde gezogen ſind und ſich gegen - wärtig auch auf den ödeſten Jnſeln angeſiedelt haben. Es iſt noch nicht ſo lange her, daß dieſe Welt - verbreitung der Thiere ſtattfand; ja, man kennt an vielen Orten noch genau die Jahreszahl, in welcher ſie zuerſt auftraten: gegenwärtig aber haben ſie ihre Rundreiſe um den Erdball vollendet. Nirgends dankt ihnen der Menſch die unverwüſtliche Anhänglichkeit, welche ſie an ſeine Perſon, an ſein Haus und ſeinen Hof an den Tag legen; überall verfolgt und haßt er ſie auf das ſchonungsloſeſte; alle Mittel ſetzt er in Bewegung, um ſich von ihnen zu befreien: und dennoch bleiben ſie ihm zugethan, treuer noch, als der Hund, treuer, als irgend ein anderes Thier. Leider hat dieſe Anhänglichkeit nur einen unedlen Grund: die Mäuſe folgen dem Menſchen blos um deshalb, weil ſie in ihm ihren Ernährer und Verſorger erblicken; die anhänglichen Hausfreunde ſind zugleich die ſchändlichſten, abſcheulichſten Hausdiebe, welche mit ihren ſpitzbübiſchen Werkzeugen ſich überall einzuniſten wiſſen, und ihrem Gaſt - freunde Schaden auf Schaden, Verluſt auf Verluſt bereiten. Hierin iſt es zu ſuchen, daß alle wahren Mäuſe ſchlechtweg für häßliche, garſtige Thiere erklärt werden, obgleich ſie Dies in Wahrheit durchaus nicht alle ſind. Manche müſſen im Gegentheil höchſt ſchmucke, anmuthige, nette Geſellen genannt werden, und wir würden ihnen unbedingt unſere Zuneigung ſchenken, wollten ſie uns weniger mit ihren Beſuchen beehren, als ſie Dies gewöhnlich zu thun pflegen.

Alle wahren Mäuſe zeigen die Geſammtkennzeichen ihrer Familie am vollſtändigſten. Man hat ſie in der Neuzeit in viele größere oder kleinere Gruppen getheilt, ohne für dieſe ſtichhaltige Unter - ſcheidungsmerkmale aufſtellen zu können. Der längere oder kürzere Schwanz und die Beſchaffenheit des Gebiſſes bilden die hauptſächlichſten Grundlagen zur Trennung in Abtheilungen; doch ſind alle Unterſchiede ſehr oberflächlich. Jm allgemeinen kennzeichnen die Mäuſe die ſpitze, behaarte Schnauze, die breite, geſpaltene Oberlippe, die in fünf Reihen geordneten, langen und ſtarken Schnurren, die großen, runden, tiefſchwarzen Augen, die frei aus dem Pelze hervorragenden Ohren und vor allem der lange, nackte, blos ſpärlich mit ſteifen Härchen bekleidete, anſtatt der Behaarung mit viereckigen und verſchobenviereckigen Schuppen bedeckte Schwanz. Die Vorderfüße haben vier Zehen und eine Daumenwarze; die Hinterfüße ſind fünfzehig. Jm Gebiß finden ſich drei Backenzähne in jedem Kiefer, welche von vorn nach hinten zu an Größe abnehmen. Jhre Kaufläche iſt höckerig, ſchleift ſich aber mit der Zeit mehr und mehr ab, und dann entſtehen quere Schmelzbänder, welche in hohem Alter ebenfalls verſchwinden können. Der Pelz beſteht aus kurzem, wolligen Grundhaar und längeren,118Die eigentlichen Mäuſe.ſteifen Grannen, welche abgeplattet erſcheinen. Jn der Pelzfärbung ſind Schwarzbraun und Weißgelb vorwiegend.

Schon im gewöhnlichen Leben unterſcheidet man zwei Hauptgruppen, die Ratten und Mäuſe, und dieſe Unterſcheidung nimmt auch die Wiſſenſchaft an. Die Ratten ſind die plumperen und häß - licheren, die Mäuſe die leichteren und zierlicheren Geſtalten. Bei jenen hat der Schwanz zwiſchen 200 und 260 Schuppenringe, bei dieſen nur zwiſchen 120 und 180; dort ſind die Füße dick und plump, hier ſchlank und fein; die Ratten werden im ausgewachſenen Zuſtande über zwölf Zoll, die Mäuſe nur gegen neun Zoll lang; jene haben getheilte Querfalten im Gaumen, bei dieſen ſind die Querfalten erſt von der zweiten an in der Mitte getheilt. Man ſieht daraus, daß dieſe Unterſchei - dungsmerkmale immerhin einer ziemlich ſorgfältigen Prüfung bedürfen und eigentlich nur für den Forſcher von Fach beſonderen Werth haben. Jn ihrem Leben dagegen unterſcheiden ſich die eigentlichen Ratten von den wahren Mäuſen auffallend genug.

Die hohen Würdenträger der chriſtlichen Kirche haben ſchon im funfzehnten Jahrhundert von den Ratten eine gewaltige Niederlage erlitten; denn dieſe Thiere fürchteten ſich bereits zu jener Zeit nicht im geringſten vor den Schreckmitteln, durch deren Hilfe dieſe irdiſchen Himmelskönige zu herr - ſchen ſuchten. Der Biſchof von Autun erklärte nämlich unſere Hausratte, die zu ſeiner Zeit ganz die Rolle ſpielte, welche die Wanderratte in unſeren Tagen übernommen hat, feierlichſt in den Kirchenbann, ohne daß dieſe Handlung irgendwelche Wirkung hervorgebracht hätte; denn die Ratten vermehrten ſich nach wie vor, und bewieſen auf das ſchlagendſte, daß die Bannblitze nur dem gläu - bigen Menſchengeſchlecht ſchädlich werden konnten. Die proteſtantiſchen Geiſtlichen Sondershauſens ſuchten ſich auf andere Weiſe der Ratten zu entledigen, welche ihnen als eine von Gott zur Strafe der ſündigen Menſchheit verhängte Landplage erſchienen. Wahrſcheinlich hatten die Thiere dem aufge - ſpeicherten Zehntel der frommen Herren empfindlichen Schaden zugefügt und ſie deshalb zum Nach - denken darüber veranlaßt, wie jener Plage zu ſteuern: kurz und gut, man verordnete einen feierlichen Buß - und Bettag im ganzen Lande. Die Gläubigen wallten zerknirſcht in die Kirchen und erbaten von dem Höchſten Abhilfe von aller Noth und allem Elend, ſo die Ratten ihren treuen Hirten zuge - fügt; aber obgleich der ſündige Menſch das ihm von Adams Zeiten her anererbte Böſe frommen Her - zens anerkannte und nach Kräften Leib und Seele zu kaſteien verſuchte: die erwünſchte Wirkung blieb aus. Auch der Buß - und Bettag war vergebeus angeſetzt worden; nach wie vor vermehrten ſich die Ratten, und bis zum heutigen Tage hat man noch kein Mittel gefunden, ihrer Verbreitung zu ſteuern, obgleich man ſeitdem viel vernünftiger geworden iſt und ganz andere Geſchoſſe gegen ſie an - wendet, obgleich man ſchon ſeit langer Zeit anſtatt mit leerem Wortſchwall, mit allen nur erdenkbaren Mitteln gegen ſie zu Felde zieht. Die egyptiſche Plage währt nicht nur fort, ſondern nimmt ſogar überhand; denn die eine, und zwar die ſchlimmere, der Rattenarten verbreitet ſich von Tag zu Tag mehr über das Erdeurund.

Jn unſerem Vaterlande wohnen noch immer beide Rattenarten hier und da neben einander, wenn auch gegenwärtig die ſtärkere Art ſich bereits an vielen Orten der unbeſchränkten Herrſchaft des menſch - lichen Eigenthums bemächtigt hat. Dieſe beiden Arten ſind die gewöhnliche Hausratte und die Wanderratte. Erſtere (Mus Rattus) iſt ziemlich einfarbig. Die Oberſeite ihres Körpers und des Schwanzes iſt dunkelbraunſchwarz. Dieſe Färbung geht ganz allmählich in die nur wenig hellere, grauſchwarze der Unterſeite über. Der Schwanz, welcher etwas länger als der Körper iſt, hat 250 bis 260 Schuppenringe, die Gaumenfalten ſind glatt. Alte, ausgewachſene Männchen werden unge - fähr 13 Zoll lang; hiervon kommen 6 Zoll auf den Leib.

Wann dieſe Art eigentlich zuerſt in Europa erſchienen iſt, läßt ſich mit Gewißheit nicht be - ſtimmen. Jn den Schriften der Alten hat man bis jetzt noch keine Stelle aufgefunden, welche auf die Hausratte bezogen werden könnte. Albertus Magnus iſt der erſte Thierkundige, welcher ſie als deutſches Thier aufführt; demnach war ſie alſo im zwölften Jahrhundert bereits bei uns heimiſch. Möglicherweiſe ſtammt ſie, wie ihre ſtärkere Schweſter, aus Perſien, wo ſie noch gegenwärtig in119Die gewöhnliche Hausratte.unglaublicher Anzahl vorkommt. Bis in die erſte Hälfte des vorigen Jahrhunderts genoß ſie in Europa die Alleinherrſchaft; von dieſer Zeit an hat ihr die Wanderratte das Gebiet ſtreitig gemacht, und damit iſt ſie auch mehr und mehr zurückgedrängt und ausgerottet worden. Anfangs haben beide eine Zeitlang neben einander gewohnt; aber bald iſt jene überwiegend geworden, und ſie iſt in dem - ſelben Maße verſchwunden, wie die Wanderratte vordrang. Doch iſt ſie auch zur Zeit noch ſo ziemlich über alle Theile der Erde verbreitet, vielleicht mit Ausnahme der kälteſten Länder; aber ſie kommt nicht mehr in geſchloſſenen Maſſen, ſondern überall nur einzeln vor. Auch ſie folgte dem Menſchen durch alle Klimate der Erde, ſie wanderte mit ihm zu Land und zu Meer durch die Welt. Unzweifel - haft war ſie früher in Amerika, Auſtralien und Afrika nicht heimiſch, aber die Schiffe brachten ſie an alle Küſten, und von den Küſten aus wanderte ſie weiter und weiter in die Länder hinein. Gegenwärtig findet man ſie noch in den ſüdlichen Theilen von Aſien, zumal in Perſien und Jndien, in Afrika, vor -

Die gewöhnliche Hausratte (Mus Rattus).

züglich in Egypten und der Berberei, ſowie im Kap der guten Hoffnung, in Amerika aller Orten und in Auſtralien nicht nur in jeder europäiſchen Anſiedlung, ſondern auch auf den fernſten Jn - ſeln des ſtillen Weltmeeres.

Die Wanderratte (Mus decumanus) iſt um ein Beträchtliches größer, nämlich gegen 16 Zoll lang, wovon auf den Schwanz nur ſieben Zoll kommen. Jhre Färbung iſt auf der Ober - und Unterſeite des Leibes verſchieden; ſie iſt zweifarbig. Der ganze Obertheil des Körpers und Schwan - zes iſt bräunlichgrau, die Unterſeite ſcharf abgeſetzt grauweiß; der Schwanz hat ungefähr 210 Schup - penringe, die Gaumenfalten ſind gekörnt. Gewöhnlich iſt die Mittellinie des Rückens etwas dunkler, als die Seite des Leibes, welche mehr ins Gelblichgraue ſpielt. Der Haargrund iſt oben braungrau, unten lichter, meiſt blaßgrau. Zuweilen finden ſich auf der Oberſeite der Vorderfüße eigentlich bräunliche Härchen, auch kommen ganz weiße Thiere mit rothen Augen vor.

120Die eigentlichen Mäuſe.

Mit großer Wahrſcheinlichkeit läßt ſich annehmen, daß das urſprüngliche Vaterland der Wander - ratte Mittelaſien, und zwar Jndien oder Perſien, geweſen iſt. Man kennt auch ganz genau die Zeit, in welcher ſie in Europa erſchien. Zwar iſt es möglich, daß bereits Aelian ihrer gedacht hat; aber die Sache iſt doch nicht ausgemacht, und namentlich die angegebene Größe des Thieres will nicht ſtimmen. Jener Schriftſteller ſagt, daß ſie unter dem Namen der kaſpiſchen Maus zu gewiſſen Zeiten in unendlicher Menge einwandert, ohne Furcht über die Flüſſe ſchwimmt und ſich dabei mit dem Maule an den Schwanz des Vordermannes hält. Kommen ſie auf die Felder, fährt jener alte Schriftſteller fort, ſo fällen ſie das Getreide und klettern auf die Bäume nach den Früchten, werden aber häufig von Raubvögeln, die wie Wolken herbeifliegen, und von der Menge der dortigen Füchſe vertilgt. Sie geben in der Größe dem Jchneumon Nichts nach, ſind ſehr wild und biſſig und haben ſo ſtarke Zähne, daß ſie damit ſelbſt Eiſen zernagen können, wie die Mäuſe Canautanes bei Babylon, deren zarte Felle nach Perſien geführt werden und zum Füttern der Kleider dienen. Erſt Pallas beſchreibt die Wanderratte mit Sicherheit als europäiſches Thier. Er berichtet, daß ſie im Herbſt 1727 nach einem Erdbeben in großen Maſſen aus den kaſpiſchen Ländern und von der kumäni - ſchen Steppe aus in Europa eingerückt ſei. Sie ſetzte bei Aſtrachan in großen Haufen über die Wolga und verbreitete ſich von hier raſch nach Weſten hin. Faſt zu derſelben Zeit, im Jahre 1732 nämlich, wurde ſie auf Schiffen von Oſtindien aus nach England herüber verſchleppt, und nunmehr begann ſie auch von hier aus ihre Weltwanderung. Jn Oſtpreußen erſchien ſie im Jahre 1750, in Paris be - reits 1753, in Deutſchland war ſie ſchon 1780 überall häufig; in Dänemark kennt man ſie erſt ſeit ungefähr ſechzig Jahren, und in der Schweiz erſt ſeit dem Jahre 1809 als einheimiſches Thier. Jm Jahre 1775 wurde ſie nach Nordamerika verſchleppt und erlangte hier ebenfalls in kürzeſter Zeit eine unglaublich große Verbreitung; doch war ſie im Jahre 1825 noch nicht weit über Kingſton hinaus in Oberkanada vorgedrungen, und noch vor wenigen Jahren hatte ſie den oberen Miſſouri noch nicht erreicht. Wann ſie in Spanien, in Marokko, in Algerien, Tunis, Egypten, am Kap der guten Hoffnung und in anderen Häfen Afrikas erſchien, iſt nicht zu beſtimmen; ſoviel ſteht aber feſt, daß ſie gegenwärtig auch über alle Theile des großen Weltmeeres verbreitet und ſelbſt auf den ödeſten und einſamſten Jnſeln zu finden iſt. Größer und ſtärker, als die Hausratte, bemächtigt ſie ſich überall der Orte, wo dieſe früher ruhig lebte, und nimmt in demſelben Grade zu, wie jene abnimmt.

Jn der Lebensweiſe, in den Sitten und Gewohnheiten, im Vorkommen u. ſ. w. ähneln ſich beide Ratten ſo außerordentlich, daß man ganz wohl ihre Beſchreibung in Einem vereinigen kann. Wenn man feſthalten will, daß die Wanderratte mehr die unteren Räumlichkeiten der Gebäude und namentlich feuchte Keller und Gewölbe ꝛc., ſowie Abzugsgräben, Schleußen, Senkgruben, Flethe und Flußufer bewohnt, während die Hausratte den oberen Theil des Hauſes, die Kornböden, Dach - kammern ꝛc. vorzieht, wird nicht viel mehr übrig bleiben, was beiden Arten nicht gemeinſam wäre. Die eine wie die andere Art dieſes Ungeziefers bewohnt alle nur möglichen Räumlichkeiten der menſchlichen Wohnungen und alle nur denkbaren Orte, welche Nahrung verſprechen. Vom Keller an bis zum Dachboden hinauf, vom Prunkzimmer an bis zum Abtritt, vom Palaſt an bis zur Hütte, überall ſind ſie zu finden. An den unſauberſten Orten niſten ſie ſich ebenſogern ein, als da, wo ſie ſich erſt durch ihren eigenen Schmuz einen ihnen zuſagenden Wohnort ſchaffen müſſen. Sie leben im Stall, in der Scheuer, im Hof, im Garten, an Flußufern, an der Meeresküſte, in Kanälen, den unterirdiſchen Ableitungsgräben größerer Städte ꝛc., kurz überall, wo ſie nur leben können, wenn auch die Haus - ratte ihrem Namen immer Ehre zu machen ſucht und ſich möglichſt wenig von der eigentlichen Woh - nung der Menſchen entfernt. Ausgerüſtet mit allen Begabungen in leiblicher und geiſtiger Hinſicht, welche ſie zu Feinden des Menſchen machen können, ſind ſie unabläffig bemüht, dieſen zu quälen, zu plagen, zu peinigen, und fügen ihm ohne Unterbrechung den empfindlichſten Schaden zu. Gegen ſie ſchützt weder Hag noch Mauer, weder Thür noch Schloß. Wo ſie keinen Weg haben, bahnen ſie ſich einen; durch die ſtärkſten Eichenbohlen und durch dicke Mauern nagen und wühlen ſie ſich hin - durch. Nur, wenn man die Grundmauern tief einſenkt in die Erde, mit feſtem Zement alle Fugen121Die Wanderratte.zwiſchen den Steinen ausſtreicht und vielleicht zur Vorſorge noch zwiſchen dem Gemäuer eine Schicht von Glasſcherben einfügt, iſt man vor ihnen ſicher. Aber wehe dem vorher geſchützten Raume, wenn ein Stein in der Mauer locker wird! Von nun an geht das Beſtreben dieſer abſcheulichen Thiere ſicher dahin, nach dem bisher verbotenen Paradieſe zu gelangen.

Und dieſes Zerſtören der Wohnungen, dieſes abſcheuliche Zernagen und Durchwühlen der Wände iſt doch das geringſte Unheil, welches die Ratten anrichten. Noch weit größeren Schaden bringen ſie durch ihre Nahrung. Jhnen iſt alles Genießbare recht. Der Menſch ißt Nichts, was die Ratten nicht auch fräßen, und nicht beim Eſſen bleibt es, ſondern es geht auch an Das, was der Menſch trinkt. Es fehlt blos noch, daß ſie ſich in Schnaps berauſchten: dann würden ſie ſämmtliche Nahrungsmittel, welche das menſchliche Geſchlecht bis jetzt angewandt hat, treulich mitvertilgen helfen. Nicht zufrieden mit dem ſchon ſo reichhaltigen Speiſezettel, fallen die Ratten auch noch gierig über andere Stoffe her, unter

Die Wanderratte (Mus documanus).

Umſtänden ſelbſt über lebende Weſen. Die ſchmuzigſten Abfälle des menſchlichen Haushaltes ſind den Ratten unter Umſtänden noch immer recht. Das verfaulende Aas findet an ihnen Liebhaber. Sie freſſen Leder und Horn, Körner und Baumrinde, oder beſſer geſagt, alle nur denkbaren Pflan - zenſtoffe, und was ſie nicht freſſen können, das zernagen ſie wenigſtens. Es ſind verbürgte Bei - ſpiele bekannt, daß ſie kleine Kinder bei lebendigem Leibe angefreſſen haben, und jeder größere Guts - beſitzer hat erfahren, wie arg ſie ſeinen Hofthieren nachſtellen. Recht fetten Schweinen freſſen ſie Löcher in den Leib, dicht zuſammengeſchichteten Gänſen die Schwimmhäute zwiſchen den Zehen weg, auf den Eiern brütenden Truthennen Löcher in die Schenkel und auf den Rücken; junge Enten ziehen ſie ins Waſſer, erſäufen ſie dort und holen ſie dann ganz ruhig, unbekümmert um die Anſtrengung der Alten, an das Land, dort behaglich ſie verſpeiſend. Wenn ſie ſich mehr als gewöhnlich an einem Orte vermehren, iſt es wahrhaftig kaum zum Aushalten. Und es gibt ſolche Orte, wo ſie in einer Menge auftreten, von welcher wir uns glücklicherweiſe keinen Begriff machen können. Jn122Die eigentlichen Mäuſe.Paris erſchlug man während vier Wochen in einem einzigen Schlachthauſe 16,000 Stück, und in einer Abdeckerei in der Nähe dieſer Hauptſtadt verzehrten ſie binnen einer einzigen Nacht 35 Pferde - leichen bis auf die Knochen. Sobald ſie merken, daß der Menſch ihnen gegenüber ohnmächtig iſt, nimmt ihre Frechheit in wahrhaft erſtaunlicher Weiſe zu; und wenn man ſich nicht halb zu Tode ärgern möchte über die nichtswürdigen Thiere: man könnte verſucht ſein, über ihre alles Maß über - ſchreitende Frechheit zu lachen. Während meiner Knabenzeit hatten wir in unſerer baufälligen Pfarr - wohnung einmal einige Jahre lang keine Katzen, welche auf Ratten gingen, ſondern nur ſchlechte, verwöhnte, welche höchſtens einer Maus den Garaus zu machen wagten. Da vermehrten ſich die Ratten derart, daß wir nirgends mehr Ruhe und Raſt vor ihnen hatten. Wenn wir mittags auf dem Vorſale ſpeiſten, kamen ſie ganz luſtig die Treppe herabſpaziert bis dicht an unſeren Tiſch heran und ſahen, ob ſie nicht Etwas wegnehmen könnten. Standen wir auf, um ſie zu vertreiben, ſo rannten ſie zwar weg, waren aber im Augenblick wieder da und begannen das alte Spiel von neuem. Rachts raſſelte es unter allen Dächern und unterm Fußboden, als ob ein wildes Heer in Bewegung wäre. Jm ganzen Hauſe ſpukte es. Das waren Hausratten, alſo noch immer die beſte Sorte dieſes Ungeziefers; denn die Wanderratten treiben’s noch viel ſchlimmer. Las Caſes erzählt, daß Na - poleon am 27. Juni 1816 nebſt ſeinen Gefährten ohne Frühſtück bleiben mußte, weil die Ratten in der vergangenen Nacht in die Küche eingedrungen waren und Alles fortgeſchleppt hatten. Sie waren dort in großer Menge vorhanden, ſehr böſe und außerordentlich unverſchämt. Gewöhnlich brauchten ſie nur wenige Tage, um die Mauern und Breterwände der armſeligen Wohnung des großen Kaiſers zu durchnagen. Während der Mahlzeit Napoleons kamen ſie in den Saal, und nach dem Eſſen wurde förmlich Krieg mit ihnen geführt. Als der Kaiſer einſt abends ſeinen Hut wegnehmen wollte, ſprang eine große Ratte aus dieſem heraus. Die Stallleute wollten gern Federvieh halten, mußten aber darauf verzichten, weil die Ratten es wegfraßen. Sie holten das Geflügel ohne weiteres nachts ſogar von den Bäumen herunter, auf welchen es ſchlief.

Namentlich die Seeleute ſind oft recht übel daran. Es gibt kein größeres Schiff ohne Ratten. Auf den alten Fahrzeugen ſind ſie nicht auszurotten, und die neuen beſetzen ſie augenblicklich, ſobald dieſelben ihre erſte Ladung einnehmen. Auf langen Seereiſen nun vermehren ſich die Ratten, zumal, wenn ſie genug zu freſſen haben, in bedeutender Menge, und dann iſt kaum auf dem Schiffe zu bleiben. Als Kane’s Schiff bei ſeiner Polarreiſe in der Nähe des achtzigſten Breitengrades feſtgefroren war, hatten ſich die Ratten ſo vermehrt, daß ſie fürchterlichen Schaden thaten. Endlich beſchloß man, ſie zu Tode zu räuchern. Man ſchloß alle Luken und brannte ein Gemiſch von Schwefel, Leder und Arſenik unten im Schiffe an. Die Mannſchaft brachte, um ſich von dieſer Plage zu befreien, die kalte Nacht des letzten Septembers auf dem Deck zu. Am nächſten Morgen ſah man, daß dieſes furchtbare Mittel gar Nichts geholfen hatte. Die Ratten waren noch munter. Jetzt brannte man eine Menge von Holz - kohlen an und gedachte, die Thiere durch das ſich entwickelnde Gas zu vergiften. Jn kurzer Zeit war auch der geſchloſſene Raum ſo ſtark mit Gas erfüllt, daß zwei Leute, welche ſich unvorſichtiger Weiſe hinabgewagt hatten, ſofort beſinnungslos zu Boden fielen und nur mit großer Mühe aufs Deck gebracht werden konnten. Eine hinabgeſenkte Laterne verloſch augenblicklich; allein plötzlich gerieth an einer an - deren Stelle des Fahrzeugs ein Kohlenvorrath und mit ihm ein Theil des Schiffes in Glühen, und nur mit der größten Anſtrengung, ja mit wirklicher Lebensgefahr des Schiffsführers, gelang es, das Feuer zu löſchen. Am folgenden Tage fand man blos 28 Rattenleichen, und die Ueberlebenden vermehrten ſich bis zum nächſten Winter in ſo großer Menge, daß man Nichts mehr vor ihnen retten konnte. Sie zerfraßen die Pelze, die Kleider, die Schuhe; ſie niſteten ſich in die Betten, zwiſchen die Decken und Handſchuhe ein, nahmen Herberge in Mützen und Vorrathskiſten, verzehrten die Vorräthe und wichen allen Nachſtellungen mit großer Liſt und Schlauheit aus. Man verfiel auf ein neues Mittel. Der klügſte und tapferſte Hund wurde in ihre eigentliche Herberge, in den Schiffsraum hinabgelaſſen, um dort Ordnung zu ſtiften; aber bald verrieth das jämmerliche Heulen des Thieres, daß nicht er über die Ratten, ſondern ſie über ihn Herr wurden. Man zog ihn heraus und fand, daß die Ratten ihm die123Die Wanderratte.Haut von den Fußſohlen abgefreſſen hatten. Später erbot ſich ein Eskimo, die Ratten allmählich mit Pfeilen zu erſchießen, und dieſer Jäger war auch ſo glücklich, daß Kane, welcher ſich die Ratten kochen ließ, während des langen Winters beſtändig friſche Fleiſchbrühe hatte. Endlich fing man einen Fuchs und ſperrte ihn in den Schiffsraum, und Meiſter Reinecke ſchien ſich hier auch recht wohl zu befinden; denn er lebte ſehr vergnügt von den Ratten, welche er ſich hier in beliebiger Menge fing.

Jn allen Leibesübungen ſind die Ratten Meiſter. Sie laufen raſch und geſchickt, klettern vor - trefflich, ſogar an ziemlich glatten Wänden empor, ſchwimmen meiſterhaft, führen mit Sicherheit ziemlich weite Sprünge aus und graben recht leidlich, wenn auch nicht gern ausdauernd nach einander. Die ſtärkere Wanderratte ſcheint noch geſchickter zu ſein, als die Hausratte; wenigſtens ſchwimmt ſie bei weitem beſſer und ſcheint ihrer Verwandten auch im Klettern überlegen zu ſein. Jhre Tauchfähigkeit iſt beinahe eben ſo groß, wie die echter Waſſerthiere. Sie darf dreiſt auf den Fiſchfang ausgehen; denn ſie iſt im Waſſer behend genug, den eigentlichen Bewohnern der feuchten Tiefe nachzuſtellen. Manch - mal thut ſie gerade, als ob das Waſſer ihre wahre Heimat wäre. Erſchreckt, flüchtet ſie ſich augen - blicklich in einen Fluß, Teich oder Graben, und, wenn es ſein muß, ſchwimmt ſie in einem Zuge über die breiteſte Waſſerfläche hinweg, oder läuft minutenlang auf dem Grunde des Beckens dahin. Die Hausratte thut Dies blos im größten Rothfalle, doch verſteht ſie die Kunſt des Schwimmens ebenfalls recht gut.

Unter ihren Sinnen ſtehen Gehör und Geruch obenan, namentlich das erſtere iſt vortrefflich; aber auch das Geſicht iſt nicht ſchlecht, und den Geſchmack bethätigen die Ratten nur allzu oft in Vorraths - kammern, wo ſie ſich ſicher immer die leckerſten Speiſen auszuſuchen wiſſen. Ueber ihre geiſtigen Fähig - keiten brauche ich nach dem Angegebenen nicht mehr viel zu ſagen. Verſtand kann man ihnen wahrlich nicht abſprechen und noch viel weniger eine berechnende Liſt und eine gewiſſe Schlauheit, mit welcher ſie ſich den Gefahren der verſchiedenſten Art zu entziehen wiſſen.

Wie bereits bemerkt, herrſcht zwiſchen den beiden Rattenarten ein ewiger Streit, welcher regel - mäßig mit dem Untergange der ſchwächeren Art endet; aber auch die einzelnen Ratten unter ſich kämpfen und ſtreiten beſtändig. Nachts hört da, wo ſie häufig ſind, das Poltern und Lärmen keinen Augenblick auf; denn der Kampf währt auch dann noch fort, wenn ein Theil bereits die Flucht ergreift. Recht alte, biſſige Männchen werden zuweilen von der übrigen Geſellſchaft verbannt und ſuchen ſich dann einen ſtillen, einſamen Ort auf, wo ſie mürriſch und griesgrämig ihr Leben verbringen.

Die Paarung geht unter lautem Lärmen und Quieken und Schreien vor ſich; denn die verliebten Männchen kämpfen eifrig um die Weibchen. Ungefähr einen Monat nach der Begattung werfen die letzteren 5 bis 21 Junge, kleine, allerliebſte Thierchen, welche Jedermann gefallen würden, wenn ſie nicht Ratten wären. Dehne, welcher Albinos der Wanderratte lebend hielt, ſagt über die erſte Jugend - zeit der Jungen und über das Betragen der Alten Folgendes: Am 1. März 1852 bekam ich von einer weißen Ratte ſieben Junge. Sie hatte ſich in ihrem Drahtkäfig ein dichtes Neſt von Stroh gemacht. Die Jungen hatten die Größe der Maikäfer und ſahen blutroth aus. Bei jeder Bewegung der Mutter ließen ſie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietſchen hören. Am 8. waren ſie ſchon ziemlich weiß. Vom 13. bis 16. wurden ſie ſehend. Am 18. abends kamen ſie zum erſten Male zum Vor - ſchein; als aber die Mutter bemerkte, daß ſie beobachtet wurden, nahm ſie eine nach der andern ins Maul und ſchleppte ſie in das Neſt. Einzelne kamen jedoch wieder aus einem andern Loche hervor. Allerliebſte Thierchen von der Größe der Zwergmäuſe mit ungefähr drei Zoll langen Schwänzen! Am 21. hatten ſie ſchon die Größe gewöhnlicher Hausmäuſe, am 28. die der Waldmäuſe. Sie ſaugten noch dann und wann (ich ſah ſie ſogar noch am 2. April ſaugen), ſpielten mit einander, jagten und balgten ſich auf die gewandteſte und unterhaltendſte Weiſe, ſetzten ſich auch wohl zur Abwechſelung auf den Rücken der Mutter und ließen ſich von derſelben herumtragen. Sie übertrafen an Poſſirlichkeit bei weitem die weißen Hausmänſe.

Am 9. April trennte ich die Mutter von ihren Jungen und ſetzte ſie wieder zum Männchen. Am 11. Mai warf ſie abermals eine Anzahl Junge.

124Die eigentlichen Mäuſe.

Von den am 1. März zur Welt gekommenen hatte ich ſeit Anfang April ein Pärchen in einem großen Glaſe mit achtzölliger Mündung abgeſondert gehalten, und ſchon am 11. Juni Nachmittags, alſo im Alter von 103 Tagen, erhielt ich ſechs Junge von ihnen. Trotz der Weite des Glaſes ſchien der Mutter doch der Raum für ihre Jungen zu eng zu ſein. Sie bemühte ſich vergebens, ein weiteres Neſt zu machen, wobei ſie öfters die armen Kleinen ſo verſcharrte, daß man Nichts mehr von ihnen ſah; doch fand ſie dieſelben immer bald wieder zuſammen. Sie ſäugte ihre Jungen bis zum 23. ganz gut, und ſie wurden bereits etwas weiß; auf einmal aber waren ſie alle verſchwunden. Die Mutter hatte ſie ſämmtlich gefreſſen!

Reichenbach erfuhr Daſſelbe und mehrere Male nach einander. Mit meinen weißen Ratten, ſagt er, habe ich mancherlei Schickſale gehabt. Sie haben ſchon viermal Junge geboren, vier bis ſieben Stück, und jedesmal haben die Alten ſie wieder gefreſſen. Das letzte Mal bemerkte ich, daß vorzüglich der Vater die Jungen packte und herumzauſte, wobei ſie jämmerlich quiekten. Jch ſonderte alſo das Männchen ab; aber hierbei entkam es endlich, tobte drei Wochen lang in der Stube umher und ließ ſich in keiner Falle oder auf ſonſtige Weiſe fangen, da ich die vielen Schränke nicht rücken konnte; endlich ſcheint es in der Nacht durch das offene Oberfenſter entkommen zu ſein; denn es lief mit der größten Behendigkeit an ſenkrechten Wänden empor.

Jch will nun aus den übrigen vortrefflichen Beobachtungen, welche Dehne mittheilt, noch Einiges entnehmen, um das Gefangenleben der Ratten genügend zu beſchreiben: Am Tage und nach Mitter - nacht , ſagt mein Gewährsmann, ſchlafen die Wanderratten; früh und abends ſieht man ſie in größter Thätigkeit. Sehr gern trinken ſie Milch; Kürbißkörner und Hanf gehören zu ihren Leckerbiſſen. Für gewöhnlich bekommen ſie Brod, welches mit Waſſer oder Milch oberflächlich angefeuchtet wurde; dann und wann erhalten ſie auch gekochte Kartoffeln: letztere freſſen ſie ſehr gern. Fleiſch und Fett, Lieblingsgerichte für ſie, entziehe ich ihnen, ſowie allen anderen Nagern, welche ich in der Gefangenſchaft ernähre, gänzlich, da nach ſolchen Speiſen ihr Harn und ſelbſt ihre Ausdünſtung ſtets einen widrigen, durchdringenden Geruch bekommt. Der eigenthümliche, ſo höchſt unangenehme Geruch, welchen die gewöhnlichen Mäuſe verbreiten und allen Gegenſtänden, die damit in Berührung kommen, dauernd mittheilen, fehlt den weißen Wanderratten gänzlich, wenn man ſie in der angegebenen Weiſe hält.

Die Wanderratten verrathen viel Liſt. Wenn ihre hölzernen Käfige von außen mit Blech be - ſchlagen ſind, verſuchen ſie das Holz durchzunagen, und wenn ſie eine Zeit lang genagt haben, greifen ſie mit den Pfoten durch das Gitter, um die Stärke des Holzes zu unterſuchen und zu ſehen, ob ſie bald durch ſind. Beim Reinmachen der Käfige wühlen ſie mit Rüſſel und Pfoten den Unrath an die Oeff - nung, um auf dieſe Weiſe deſſelben ſich zu entledigen.

Sie lieben die Geſellſchaft ihres Gleichen. Oft machen ſie ſich ein gemeinſchaftliches Neſt und erwärmen ſich gegenſeitig, indem ſie darin dicht zuſammenkriechen; ſtirbt aber eine von ihnen, dann machen ſich die übrigen gleich über ſie her, beißen ihr erſt den Hirnſchädel auf, freſſen den Jnhalt und verzehren dann nach und nach die ganze Leiche mit Zurücklaſſung der Knochen und des Felles. Die Männchen muß man ſogleich, wenn die Weibchen trächtig ſind, abſperren; denn ſie laſſen dieſen keine Ruhe und freſſen auch die Jungen am erſten. Die Mutter hat übrigens viel Liebe zu ihren Kindern; ſie bewacht dieſelben ſorgfältig und dieſe erwidern ihr die erwieſene Zärtlichkeit auf alle nur mög - liche Weiſe.

Außerordentlich groß iſt die Lebenszähigkeit dieſer Thiere. Einſt wollte ich eine ungefähr ein Jahr alte Albinowanderratte durch Erſäufen tödten, um ſie von ihren Leiden zu befreien. Sie hatte nämlich ſeit vier Monaten im Nacken ein erbſengroßes Loch im Felle, durch welches die Halsmuskeln deutlich ſichtbar waren. Jch hatte noch kein Anzeichen bemerkt, daß die Wunde heilen würde; die kranke Stelle ſchien im Gegentheil größer zu werden. Die Umgebung der Wunde war ſtark entzündet und im Umfange von einem Zoll gänzlich von Haaren entblößt. Nachdem ich die Kranke bereits ein halbes Dutzend Mal in eiskaltes Waſſer mehrere Minuten lang getaucht hatte, lebte ſie noch und putzte ſich mit ihren Pfötchen, um das Waſſer aus ihren Augen zu entfernen. Endlich ſprang ſie, indem ich125Der Rattenkönig.den Topf öffnete, in den Schnee und ſuchte zu entfliehen. Nun ſetzte ich ſie in einen Käfig auf eine Unterlage von Stroh und Heu und brachte ſie in die warme Stube. Sie erholte ſich bald ſoweit, daß man ſah, das kalte Bad habe ihr Nichts geſchadet. Jhre Freßluſt hatte gegen früher eher zu -, als ab - genommen. Nach einigen Tagen ſetzte ich ſie wieder aus der warmen Stube in ein ungeheiztes Zimmer, gab ihr aber Heu, und ſie bereitete ſich daraus auch alsbald ein bequemes Lager. Zu meinem Erſtaunen bemerkte ich nun, daß der offene Schaden von Tag zu Tag kleiner wurde; die Entzündung ſchwand immer mehr, und nach ungefähr 14 Tagen war die Heilung vollſtändig erfolgt. Hier hatte alſo offen - bar das eiskalte Bad die Entzündung gehoben und dadurch die Geneſung bewerkſtelligt. Kaum glaube ich, daß ein anderer verwandter Nager ein ſolches wiederholtes Bad ohne tödlichen Ausgang über - ſtanden haben würde, und nur aus der Lebensweiſe und Lebenszähigkeit der Wanderratten, deren zweites Element das Waſſer iſt, läßt ſich ein ſo glücklicher Erfolg erklären.

Die unteren Nagezähne wachſen den zahmen Ratten oft bis zu einer unglaublichen Länge und ſind dann ſchraubenförmig gewunden. Jch habe auch geſehen, daß ſie durch das Backenfell gewachſen waren und die Ratten derart am Freſſen verhinderten, daß dieſe endlich verhungern mußten.

Jm Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine ganz eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere von ihnen verwachſen unter einander mit den Schwänzen und bilden dann den ſogenannten Ratten - könig, den man ſich in früheren Zeiten freilich ganz anders vorſtellte, als gegenwärtig, wo man ihn in dieſem oder jenem Muſeum ſehen kann. Früher glaubte man, daß der Rattenkönig geſchmückt mit goldner Krone auf einer Gruppe innig verwachſener Ratten throne und von hier aus den ganzen Ratten - ſtaat regiere! Soviel iſt ſicher, daß zuweilen eine ganze Anzahl feſt mit den Schwänzen verwickelter Ratten gefunden wird, welche, weil ſie ſich nicht bewegen können, von Mitleidigen ihrer Art ernährt werden müſſen. Die eigentliche Urſache dieſer Erſcheinung iſt bis jetzt noch nicht genügend bekannt geworden. Man glaubt, daß eine eigenthümliche Ausſchwitzung der Rattenſchwänze ein Aufein - anderkleben derſelben zur Folge habe, iſt aber nicht im Stande, etwas Sicheres darüber zu ſagen. Jn Altenburg bewahrt man einen Rattenkönig auf, welcher aus 27 Stück Ratten gebildet wird; in Bonn, bei Schnepfenthal, in Frankfurt, in Erfurt und in Lindenau bei Leipzig hat man andere aufgefunden. Der letztgenannte iſt von Amtswegen genau beſchrieben worden, und ich glaube manchem meiner Leſer einen Dienſt zu erzeigen, wenn ich hier den Jnhalt der betreffenden Akten folgen laſſe.

Am 17. Januar 1774 erſcheint bei der Landſtube zu Leipzig

Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau,

und bringt an:

Was maaßen er an vergangenem Mittwoche frühe einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten, welche mit den Schwänzen in einander verflochten in der Mühle zu Lindenau gefangen habe, welchen er, weil dieſer auf ihn losſpringen wollen, ſofort todtgeſchmiſſen. Dieſen Ratten - könig habe

Johann Adam Faßhauer zu Lindenau von ſeinem Herrn, Tobias Jägern, Müllern zu Lindenau unter dem Vorwande: daß er ſolchen abmalen wolle, abgeholt, und nun - mehr wolle er den Rattenkönig nicht wieder hergeben, habe auch ſeit der Zeit viel Geld damit verdient; er wolle daher gehorſamſt bitten, Faßhauern cum expensis anzudeuten, daß er ihm ſofort ſeinen Rattenkönig wiedergeben und das damit verdiente Geld bezahlen ſolle u. ſ. w.

Am 22. Februar 1774 erſcheint bei der Landſtube

Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau, und ſagt aus:

Es ſei wirklich der Wahrheit gemäß, daß er am 12. Januar einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten in der Mühle zu Lindenau gefangen habe. Beſagten Tages habe er in der Mühle und zwar bei einer Treppe in einem Unterzuge ein Geräuſch gehört, worauf er da die Treppe hinauf - gegangen, einige Ratten bei ſothanem Unterzuge gucken ſehen, welche er mit einem Stück Holz todtgeſchlagen. Hierauf hätte er eine Leiter an gedachten Ort angelegt, um zu ſehen, ob noch mehr Ratten wären, und dieſen Rattenkönig mit Beihilfe einer Art auf den Platz geſchmiſſen,126Die eigentlichen Mäuſe.und hätten viele noch gelebt, weil ſie heruntergefallen, welche er aber nach einiger Zeit auch todt - geſchmiſſen. Sechzehn Stück Ratten wären an einander feſte geflochten geweſen und zwar 15 Stück mit den Schwänzen, die 16. aber mit einer anderen auf dem Rücken mit dem Schwanze in ihren Haaren eingeflochten geweſen. Durch das Herunterfallen von dem berührten Unterzuge wäre keine von der andern abgelöſt geweſen, auch hätten nachher noch viele einige Zeit gelebt und geſprungen, ſich aber nicht von einander durch das Springen losmachen können. So feſte wären ſie in einander geflochten geweſen, daß er nicht glaubte, daß es möglich geweſen, we - nigſtens mit ſchwerer Mühe, ſie von einander zu reißen u. ſ. w.

Nun folgen noch einige andere Zeugenberichte, welche weſentlich Daſſelbe feſtſtellen. Und endlich findet ſich die Beſchreibung des Arztes und Wundarztes, welche auf Wunſch der Landſtube die Sache genauer unterſuchten. Der betreffende Arzt theilt darüber Folgendes mit:

Um zu unterſuchen, was von der von Vielen ſehr fabelhaft erzählten Geſchichte des Ratten - königs zu halten ſei, habe ich mich am 16. Januarii nach Lindenau begeben und daſelbſt gefunden,

daß in der Schenke zum Poſthorn in einem kühlen Zimmer auf einem Tiſche eine Anzahl von 16 todten Ratten gelegen, davon 15 Stück mit den Schwänzen, gleich als ein aus vielen Enden beſtehender Strick, in einen großen Knoten in einander ſo verwickelt, daß einige dieſer Schwänze ganz in den Knoten bis ungefähr 1 bis 2 Zoll von dem Rumpfe an verknüpft geweſen. Jhre Köpfe waren nach der Peripherie, die Schwänze nach dem Centro, ſo der aus ihnen beſtehende Knoten ausmachte, gerichtet. Neben dieſen an einander hangenden Ratten lag die 16., die nach Vorgeben des dabei ſtehenden Malers Faßhauer’s von einem Studioſo von der Verwicklung mit denen übrigen losgeriſſen worden.

Meine Neugierde beſchäftigte ſich am allerwenigſten mit Fragen, beſonders, da denen nach uns häufig beikommenden Bewunderern auf vielerlei Fragen die ungereimteſten und lächerlichſten Antworten gegeben wurden, ſondern ich unterſuchte blos die Körper und Schwänze der Ratten und fand 1) daß alle dieſe Ratten an ihrem Kopfe, Rumpf und vier Füßen ihre natürliche Geſtalt hatten; 2) daß ſie ihrer Farbe nach einige aſchgrau, andere etwas dunkler und wieder andere faſt ganz ſchwarz waren; 3) daß einige ihrer Größe nach einer guten Spanne, 4) daß ihre Dicke und Breite nach ihrer Länge proportionirt war, doch ſo, daß ſie mehr abgehungert, als gemäſtet zu ſein ſchienen; 5) daß ihre Schwänze von ¼ bis ½ leipziger Elle lang, wenig darüber oder darunter gerechnet werden konnten, an welchen etwas Unreinigkeit und Feuchtig - keit anzutreffen war.

Als ich vermittelſt eines Stückchen Holzes den Knoten und die an demſelben hängenden Ratten in die Höhe heben wollte: ſo bemerkte ich gar deutlich, daß es mir nicht ſchwer fallen würde, einige der verwickelten Schwänze aus einander zu zerren, wovon ich aber von dem dabei - ſtehenden Maler mit einigem Unwillen abgehalten wurde. An der oben erwähnten 16. Ratte habe ich deutlich wahrgenommen, daß ihr Schwanz, ohne die geringſte Verletzung erlitten zu haben, noch an ihr befindlich und ſie alſo mit leichter Mühe von dem Knoten der übrigen los - gelöſt worden. Nachdem ich nun alle dieſe Umſtände mit vielem Fleiß erwogen, ſo bin ich vollkommen überzeugt worden, daß beſagte 16 Ratten kein aus einem Stück beſtehender Rattenkönig, ſondern daß es eine Anzahl von Ratten, ſo von verſchiedener Größe, Stärke und Farbe und (nach meiner Meinung) auch von verſchiedenem Alter und Geſchlecht geweſen. Die Art und Weiſe, wie oft gedachte Ratten ſich mit einander ſo verwickelt haben, ſtelle ich mir alſo vor. Jn der wenig Tage vor der Entdeckung dieſer häßlichen Verſammlung eingefallenen ſehr ſtrengen Kälte haben dieſe Thiere ſich in einem Winkel zuſammenrottirt, um durch ihr Neben - und Uebereinanderliegen ſich zu erwärmen; ohnfehlbar haben ſie eine ſolche Richtung genommen, daß ſie die Schwänze mehr nach einer freien Gegend und die Köpfe nach einer vor Kälte mehr geſchützten Gegend zugewendet haben. Sollten nicht die Excrementa der oben geſeſſenen Ratten, welche nothwendig auf die Schwänze der unteren gefallen, Gelegenheit ge -127Der Rattenkönig.geben haben, daß die Schwänze haben zuſammenfrieren müſſen? Jſt es auf dieſe Art nicht möglich, daß die an den Schwänzen an einandergefrorenen Ratten, ſobald ſie nach ihrer Nah - rung gehen wollen und mit ihren angefrorenen Schwänzen nicht loskommen können, eine ſo feſte Verwickelung bewerkſtelligt haben müſſen, daß ſie auch bei bevorſtehender Lebensgefahr ſich nicht mehr losreißen können?

Auf Verlangen der Hochlöblichen Landſtube E. E. Hochweiſen Rathes allhier habe dieſe meine Gedanken nebſt Dem, was ich laut dieſes Berichts zugleich mit Herrn Eckolden bei der Unterſuchung angetroffen, hiermit aufrichtigſt anzuzeigen nicht anſtehen wollen, ſo ich mit ihm eigenhändig unterſchrieben habe.

Es iſt möglich, daß derartige Verbindungen öfter vorkommen, als man annimmt, die wenig - ſten aber werden geſunden, und an den meiſten Orten iſt der Aberglaube noch ſo groß, daß man einen etwa entdeckten Rattenkönig gewöhnlich ſobald als möglich vernichtet.

Hierzu gibt Lenz einen für ſich ſelbſt redenden Beleg. Jn Döllſtedt, einem zwei Meilen von Gotha gelegenen Dorfe, wurden im Dezember des Jahres 1822 zwei Rattenkönige zu gleicher Zeit gefangen. Drei Dreſcher, welche in der Scheuer des Forſthauſes ein lautes Quieken vernahmen, ſuchten mit Hilfe des Knechtes nach und fanden, daß der ſtarke Tragbalken des Stalles von oben ausgehöhlt war. Jn dieſer Höhle ſahen ſie eine Menge lebender Ratten, wie ſich nachher heraus - ſtellte, ihrer 42 Stück. Das Loch im Balken war offenbar von den Ratten hineingenagt worden. Es hatte ungefähr einen halben Fuß an Tiefe, war reinlich gehalten und auch nicht von Ueberbleib - ſeln der Nahrung und dergleichen umgeben. Der Zugang war für die alten Ratten, welche dort ihre Brut gefüttert haben mußten, ganz bequem, weil das ganze Jahr hindurch über dem Stall und ſeinem Tragbalken eine große Maſſe Stroh gelegen hatte. Der Knecht übernahm das Geſchäft, die Ratten, welche ihren Wohnſitz nicht verlaſſen wollten oder nicht verlaſſen konnten, hervorzuholen und auf die Scheuertenne hinabzubringen. Dort ſahen dann die vier Leute mit Staunen, daß 28 Ratten mit ihren Schwänzen feſt verwachſen und um dieſen Schwanzknäuel regelmäßig vertheilt im Kreiſe waren. Die übrigen 14 Ratten waren genau ebenſo verwachſen und vertheilt. Alle 42 ſchienen von großem Hunger geplagt zu ſein und quiekten fortwährend, ſahen aber durchaus geſund aus; alle waren von gleicher und zwar ſo bedeutender Größe, daß ſie jedenfalls vom letzten Frühjahre ſein mußten. Jhrer Färbung nach zu ſchließen, waren es Hausratten. Sie ſahen ganz rein und glatt aus, und man konnte kein Anzeichen bemerken, daß etwa vorher welche geſtorben waren. Jhrer Geſinnung nach waren ſie vollkommen friedlich und gemüthlich, ließen Alles über ſich ergehen, was das vierköpfige Gericht über ſie beſchloß, und muſicirten bei jeder über ſie verhängten Handlung in gleicher Melodie. Der Vierzehnender ward lebend in die Stube des Forſtaufſehers getragen, und da - hin kamen dann unaufhörlich Leute, um das wunderbare Ungeheuer zu beſchauen. Nachdem die Schauluſt der Dorfbewohner befriedigt war, endete das Schauſpiel damit, daß die Dreſcher ihren Gefangenen im Triumph auf die Miſtſtätte trugen und ihn dort unter dem Beifall der Menge ſolange draſchen, bis er ſeine vierzehn Geiſter aufgab. Sie packten ihn nun noch mit zwei Miſtgabeln, ſtachen feſt ein und zerrten mit großer Gewalt nach zwei Seiten, bis ſie drei Ratten von den übrigen los - geriſſen. Die drei Schwänze zerriſſen dabei nicht, hatten auch Haut und Haare noch; ſie zeigten aber die Eindrücke, welche ſie von den anderen Schwänzen bekommen hatten, ganz wie Riemen, welche lange mit einander verflochten geweſen ſind. Den Achtundzwanzigender trugen die Leute in den Gaſt - hof und ſtellten ihn dort den immer friſch eindringenden Neu - und Wißbegierigen zur Schau aus. Zum Beſchluß des Feſtes wurde auch dieſer Rattenkönig jämmerlich gedroſchen, todt auf den Dünger - haufen geworfen und nicht weiter beachtet.

Hätten die guten Leute gewußt, daß dieſe Rattenkönige ſie ſammt und ſonders zu reichen Leuten hätten machen können: ſie würden ſicherlich ängſtlich über das Leben der ſo eigenthümlich Verbundenen gewacht und ſie in allen Städten Deutſchlands zur Schau geſtellt haben!

128Die eigentlichen Mäuſe.

Unzählbar ſind die Mittel, welche man ſchon angewandt hat, um die Ratten zu vertilgen. Fallen aller Art werden gegen ſie aufgeſtellt mit mehr oder weniger gutem Erfolge, und eine Zeitlang hilft auch die eine und die andere Art der Rattenjagd wenigſtens in Etwas. Merken die Thiere, daß ſie ſehr heftig verfolgt werden, ſo wandern ſie nicht ſelten aus, aber ſie kommen wieder, wenn die Ver - folgung nachläßt. Und wenn ſie ſich einmal von neuem eingefunden haben, vermehren ſie ſich in kurzer Zeit ſo ſtark, daß die alte Plage wieder in ganzer Stärke auftritt. Die gewöhnlichſten Mittel zur Vertilgung der Ratten bleiben Gifte verſchiedener Art, welche man an ihren Lieblingsorten auf - ſtellt; aber ganz abgeſehen davon, daß man die vergifteten Thiere auf eine greuliche Weiſe zu Tode martert, bleibt dieſes Mittel immer gefährlich; denn die Ratten brechen gern einen Theil des Gefreſ - ſenen wieder aus, vergiften unter Umſtänden das Getreide oder Kartoffeln und können dadurch anderen Thieren und auch den Menſchen ſehr gefährlich werden. Beſſer iſt es, ihnen ein Gemiſch von Malz und ungelöſchtem Kalk vorzuſetzen, welches, wenn ſie es gefreſſen haben, ihren Durſt erregt und den Tod herbeiführt, ſobald ſie das zum Löſchen des Kalkes erforderliche Waſſer einge - nommen haben.

Jn vielen Gegenden herrſcht der Wahn, daß man die Ratten vertreiben könne, wenn man einen ſchwarzen oder weißen Kaulhahn auf dem Hofe halte. Lenz, welcher dieſe Sache unterſuchte, fand Folgendes: Ein neuer Wirth, welcher das Schnepfenthaler Gaſthaus gekauft und zu dem bewußten Zwecke einen ſchwarzen Kaulhahn nebſt Hühnern mitgebracht hatte, reinigte ſein Haus augenblicklich von den ſeit Menſchengedenken hier einheimiſchen Ratten. Unſer Forſcher bemerkte aber auch, daß die Ratten vor einem ſchwarzen Kaulhahn, den er in einen Käfig geſperrt und in den Keller geſetzt hatte, ohne die geringſte Scheu Aepfel, Speck und Runkeln wegfraßen, und erfuhr von einem Freunde, welcher auf ſeinen Wunſch mit einem weißen Kaulhahn Verſuche anſtellte, daß der Verſuchshahn von den Ratten, bei denen er auf Beſuch war, faſt todgebiſſen wurde. Andere Leute ſeiner Bekanntſchaft hatten viele bunte Kaulhühner, zugleich aber auch immer Ratten, und wieder andere, denen Lenz Kaulhähne ſchenkte, wurden von Ratten theils befreit, theils weniger ſtark heimgeſucht. Ein befrie - digendes Ergebniß dieſer Unterſuchungen iſt alſo noch nicht gewonnen worden.

Die beſten Vertilger der Ratten bleiben unter allen Umſtänden ihre natürlichen Feinde, vor allen die Buſſarde, Eulen, Raben, Wieſel, Katzen und Pintſcher, obgleich es oft vorkommt, daß die Katzen ſich nicht an die Ratten wagen, zumal an Wanderratten. Dehne ſah in Hamburg vor den Flethen Hunde, Katzen und Ratten ganz luſtig unter einander herumſpazieren, ohne daß eines der betreffenden Thiere daran gedacht hätte, dem andern den Krieg zu erklären, und mir ſelbſt ſind viele Beiſpiele bekannt, daß die Katzen ſich gar nicht um die Ratten bekümmern. Es gibt, wie unter allen Hausthieren, auch unter den Katzen gute Familien, deren Glieder mit wahrer Leidenſchaft der Rattenjagd obliegen, obgleich ſie anfangs viel Mühe haben, die biſſigen Nager zu überwältigen. Eine unſerer Katzen fing bereits Ratten, als ſie kaum den dritten Theil ihrer Größe erreicht hatte, und verfolgte dieſelben mit ſolchem Eifer, daß ſie ſich einſtmals von einer ſtarken Ratte über den gan - zen Hof weg und an einer Mauer emporſchleppen ließ, ohne ihren Feind loszulaſſen, bis ſie endlich mit einem geſchickten Biſſe denſelben kampfunfähig machte. Von jenem Tage an iſt die Katze der uner - bittlichſte Feind der Ratten geblieben und hat den ganzen Hof von ihnen faſt gereinigt. Uebrigens iſt es gar nicht ſo nothwendig, daß eine Katze wirklich eifrig Ratten fängt; ſie vertreibt dieſelben ſchon durch ihr Umherſchleichen in Stall und Scheuer, Keller und Kammer. Es iſt ſicherlich höchſt unge - müthlich für die Ratten, dieſen Erzfeind in der Nähe zu haben. Man iſt da keinen Augenblick lang ſicher. Unhörbar ſchleicht er herbei im Dunkel der Nacht, kein Laut, kaum eine Bewegung verräth ſein Nahen, in alle Löcher ſchauen die unheimlich leuchtenden, grünlichen Augen hinein, neben den bequemſten Gangſtraßen ſitzt und lauert er, und ehe man es ſich recht verſieht, fällt er über einen her und packt mit den ſpitzen Klauen und den ſcharfen Zähnen ſo feſt zu, daß ſelten Rettung möglich. Das erträgt ſelbſt eine Ratte nicht. Sie wandert lieber aus an Orte, wo ſie unbehelligter wohnen kann, und ſomit bleibt die Katze immer der beſte Gehilfe des Menſchen, wenn es gilt, ſo läſtige129Die Wanderratte.Gäſte zu vertreiben. Kaum geringere Dienſte leiſten Jltis und Wieſel, erſterer im Hauſe, letz - teres im Garten und an den hinteren Seiten der Ställe. Gegen dieſe Geſellen, welche ſich ab und zu auch ein Ei, ein Küchlein, eine Taube oder auch wohl eine Henne holen, kann man ſich ſchützen, wenn man den Stall nur gut verſchließt, gegen die Ratten aber iſt jeder Schutz umſonſt, und des - halb ſollte man jene ſchlanken Räuber ſchützen und ſchirmen, wo man nur immer kann.

An einzelnen Ratten hat man bei großer Gefahr eine beſondere Liſt beobachtet. Sie ſtellen ſich todt, wie das Opoſſum. Mein Vater hatte einſt eine Ratte gefangen, welche, ohne ſich zu rühren, in der Falle lag und ſich in derſelben hin - und herwerfen ließ. Das noch glänzende Auge war aber zu auffallend, als daß ſolch ein Meiſter in der Beobachtung ſich hätte täuſchen ſollen! Mein Vater ſchüttete die Künſtlerin auf dem Hoſe aus, aber in Gegenwart ihrer ſchlimmen Feindin, der Katze, und ſiehe da die ſcheinbar Tode bekam ſofort Leben und Beſinnung und wollte ſo ſchnell als möglich davon, freilich vergeblich: denn Miez ſaß ihr auf dem Nacken, noch ehe ſie zwei Ellen durchlaufen hatte.

Schließlich will ich zu Nutz und Frommen mancher meiner Leſer eine vortreffliche Falle anführen, obgleich ſie dem menſchlichen Herzen nicht eben Ehre macht, ſondern eher von der Tücke des Erz - feindes der Thiere beredtes Zeugniß gibt. An recht beſuchten Gangſtraßen der Ratten, etwa zwi - ſchen Ställen, in der Nähe von Abtritten, Schleußen und an ähnlichen Orten legt man eine vier Fuß tiefe Grube an und kleidet ſie innen mit glatten Steinplatten aus. Eine viereckige Platte von drei Fuß im Geviert bildet den Grund, vier andere, oben ſchmälere, die Seiten. Die ganze Grube muß vier Fuß tief und oben halbſoweit ſein, als unten, ſo daß alſo die Wände nach allen Seiten hin überhangen und demnach ein Heraufklettern der in dieſe Grube gegangenen Ratten unmöglich machen. Nun gießt man auf dem Boden geſchmolzenes Fett, mit Waſſer verdünnten Honig und andere wohlriechende Stoffe aus, ſetzt ein thönernes, etwa zwei Zoll hohes Gefäß, welches oben eine ganz enge Oeffnung hat, da hinein, tränkt es mit Honig und füllt es mit Mais, Weizen, Hanf, Hafer, etwas gebratenem Speck und anderen Leckerbiſſen an. Dann kommt etwas Heckerling auf den Boden der Grube und endlich ein Gitter über den Eingang, damit nicht zufällig ein Huhn oder ein junges ungeſchicktes Hausthier da hineinfällt. Nunmehr kann man das Ganze ſich ſelbſt überlaſſen. Der liebliche Duft und der warme Heckerling, ſagt Lenz, verleiten den böſen Feind, luſtig und erwartungsvoll in den Abgrund zu ſpringen. Dort riecht Alles gar ſchön nach Speck, Honig, Käſe, Körnern; man muß ſich aber mit dem bloſen Geruche begnügen, weil das Jnnere nicht zugänglich iſt, und ſo bleibt nichts Anderes übrig, als daß ein Gefangener immer den andern auffrißt. Die erſte Ratte, welche da hinabfällt, bekommt ſelbſtverſtändlich bald einen fürchterlichen Hunger und müht und mattet ſich vergeblich ab, dem entſetzlichen Geſängniß zu entgehen. Da ſtürzt eine zweite von oben hernieder. Hei, welch eine willkommene Erſcheinung iſt Das! Man beſchnoppert ſich gegenſeitig; man berathet wohl auch gemeinſchaftlich, was da zu thun iſt; aber der erſte Gefangene iſt viel zu hungrig, als daß er ſich auf lange Verhandlungen einlaſſen könnte. Der Hunger verführt ihn zu Streit und Kampf, ein furchtbares Balgen, ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, und einer der Gefangenen mordet den andern. Blieb der Erſte Sieger, ſo macht er ſich augenblicklich über die Leiche des Gefährten her, um ihn aufzufreſſen; ſiegte der Zweite, ſo geſchieht Daſſelbe wenige Stunden ſpäter. Nur höchſt ſelten findet man drei Ratten zu gleicher Zeit in dieſer Falle, am folgenden Tage aber ſicherlich immer eine weniger. Kurz, ein Gefangener frißt den andern auf, die Grube bleibt ziemlich reinlich; aber ſie iſt eine Mordhöhle in des Wortes furchtbarſter Bedeutung.

Weit lieblicher, anmuthiger und zierlicher, als dieſe häßlichen, langgeſchwänzten Hausdiebe, ſind die Mäuſe, obwohl auch ſie trotz ihrer ſchmucken Geſtalt, ihres heitern und netten Weſens gar arge Feinde des Menſchen ſind und von dieſem verfolgt werden, faſt mit demſelben Jngrimm, wie ihre größeren und häßlicheren Verwandten. Man darf wohl ſagen, daß Jedermann eine im KäfigBrehm, Thierleben. II. 9130Die eigentlichen Mäuſe.eingeſperrte Maus für ein reizendes Säugethier erklären wird, und ſelbſt die Frauen, welche ge - wöhnlich einen zwar vollkommen ungerechtfertigten, aber dennoch gewaltigen Schrecken empfinden, wenn in der Küche oder im Keller eine Maus ihnen über den Weg läuft, müſſen eine gefangene Maus für ein hübſches Geſchöpfchen erklären. Aber freilich, die ſpitzen Ragezähne und die Lecker - haftigkeit der Mäuſe ſind zwei Dinge, welche auch ein zartes Frauenherz mit Jngrimm und Zorn erfüllen können. Es iſt gar zu unangenehm, für Alles, was der Menſch bedarf, beſtändig fürchten zu müſſen, ſelbſt, wenn es unter Schloß und Riegel liegt; es iſt gar zu empörend, eigentlich keinen Ort im Hauſe zu haben, wo man allein Herr ſein darf, wo man von den zudringlichen, kleinen Gäſten nicht beläſtigt wird. Und weil nun die Mäuſe ſich überall einzudrängen wiſſen und ſich ſelbſt an Orten einfinden, die den Ratten unzugänglich ſind, haben ſie gegen ſich einen Verfolgungskrieg heraufbeſchworen, welcher ſchwerlich jemals enden wird.

Die Hausmaus (Mus Musculus).

Jn Deutſchland leben vier echte Mäuſe; es ſind dies die Haus -, Wald -, Feld - und Zwergmaus. Namentlich die erſtere und die letztere verdienen eine ausführlichere Beſchreibung, obgleich die Feldmaus und auch die Waldmaus nur zu oft dem Menſchen ins Gehege kommen, und ihre Kenntniß für dieſen deshalb nothwendig iſt. Die drei erſteren werden überall ziemlich ſchonungs - los verfolgt; die letzte aber hat, ſolange ſie ſich nicht unmittelbar dem Menſchen aufdrängt, wegen ihrer ungemein zierlichen Geſtalt, ihrer Anmuth und ihrer eigenthümlichen Lebensweiſe Gnade vor ſeinen Augen gefunden.

Die Hausmaus (Mus Musculus) hat in ihrer Geſtalt noch immer einige Aehnlichkeit mit der Hausratte, obgleich ſie weit zarter und ebenmäßiger gebaut iſt und dieſer auch an Größe bedeutend nachſteht. Jhre Geſammtlänge beträgt ungefähr 7 Zoll, davon kommen Zoll auf den Körper. Der Schwanz hat 180 Schuppenringe. Sie iſt einfarbig: die gelblichgrauſchwarze Oberſeite des131Die Hausmaus, die Wald - und Brandmaus.Körpers und des Schwanzes geht ganz allmählich in die etwas hellere Unterſeite über; Füße und Zehen ſind gelblichgrau.

Die Waldmaus (Mus sylvaticus) wird faſt 9 Zoll lang, der Schwanz gegen Zoll. Er hat ungefähr 150 Schuppenringe. Sie iſt zweifarbig. Die Oberſeite des Körpers und Schwanzes iſt braungelblichgrau, die Unterſeite ſcharf abgeſetzt weiß, ebenſo die Füße und Zehen. Beide Arten kann man wegen ihrer längeren Ohren von den folgenden trennen. Bei dieſen erreicht das Ohr nur ungefähr den dritten Theil der Kopfeslänge und ragt, an die Kopfſeiten angedrückt, nicht bis zum Auge hervor, während es bei jenen die halbe Kopfeslänge erreicht und, an die Kopfſeiten angedrückt, bis zum Auge vorragt.

Die Waldmaus (Mus sylvatlcus). Die Brandmaus (Mus agrarius).

Die Brandmaus (Mus agrarius) wird ungefähr Zoll lang, hiervon kommen Zoll auf den Schwanz. Die Oberſeite des Körpers iſt braunroth mit ſchwarzen Längsſtreiſen über den Rücken, die Unterſeite und die Füße ſind ſcharf abgeſetzt weiß; das Thier iſt alſo dreifarbig. Der Schwanz hat ungefähr 120 Schuppenringe.

Ueber die Zwergmaus (Mus minutus) werde ich weiter unten ausführlich ſprechen.

Alle dieſe Mäuſe ähneln ſich in ihrem Aufenthalt, in ihrem Weſen und Betragen unge - mein, obgleich die eine oder die andere darin ihr Eigenthümliches hat. Jn Einem ſtimmen alle vier überein: ſie zeigen, wenigſtens zeitweilig, große Vorliebe für den Menſchen; denn alle vier finden ſich, zumal im Winter, recht häufig in den Häuſern, vom Keller an bis zum Boden hinauf, wenn auch die Hausmaus regelmäßiger, als die übrigen. Keine einzige iſt ausſchließlich an die Orte gebunden, auf welche ihr Name hindeutet: die Waldmaus lebt ebenſowohl zeitweilig in der Scheuer oder im Hauſe, wie auf dem Felde, und die Feldmaus iſt ebenſowenig allein aufs Feld9 *132Die eigentlichen Mäuſe.beſchränkt, wie die Hausmaus auf die Wohnung des Menſchen. Die Namen ſind alſo nur be - ziehentlich anzuwenden. Jm allgemeinen läßt ſich Folgendes ſagen. Die Hausmaus ſoll ſchon ſeit den älteſten Zeiten der treueſte Genoſſe des Menſchen geweſen ſein. Bereits Ariſtoteles und Pli - nius thun ihrer Erwähnung, und Albertus Magnus kennt ſie ganz genau. Gegenwärtig iſt ſie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menſchen, ſie folgte ihm bis in den höch - ſten Norden und bis in die höchſtgelegenen Alphütten. Wahrſcheinlich gibt es gegenwärtig nur we - nige Orte, wo ſie fehlt, und jedenfalls hat man ſie da blos noch nicht beobachtet. Auf den Sundainſeln z. B. ſoll ſie nicht vorkommen. Jhre Aufenthaltsorte ſind alle Theile der menſchlichen Wohnungen. Auf dem Lande hauſt ſie zeitweilig auch im Freien d. h. im Garten oder den nächſten Feldern und Wäldchen, in der Stadt beſchränkt ſie ſich auf das Wohnhaus und ſeine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Nitze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo ſie ſich verſtecken kann, genügendes Obdach, und vonhieraus unternimmt ſie ihre Streifzüge.

Die Hausmaus iſt ein anmuthiges, überaus behendes und bewegliches Thier. Mit größter Schnelligkeit rennt ſie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, ſpringt ziemlich weit und hüpft oft längere Zeit nach einander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man recht deutlich beobachten, wie geſchickt ſie alle Bewegungen unternimmt. Läßt man ſie auf einem ſchief aufwärts geſpannten Bindfaden oder einem Stöckchen gehen, ſo ſchlingt ſie ihren Schwanz, ſobald ſie aus dem Gleichgewicht kommt, ſchnell um das Seil nach Art der echten Wickelſchwänzler, bringt ſich wieder in das Gleich - gewicht und klettert weiter. Setzt man ſie auf einen ſehr biegſamen Halmen, ſo ſteigt ſie auf demſelben bis zur Spitze empor, und wenn der Halmen ſich dann niederbiegt, hängt ſie ſich auf der untern Seite an und ſteigt hier langſam herunter, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen. Beim Klettern leiſtet ihr der Schwanz ganz weſentliche Dienſte; denn diejenigen zahmen Mäuſe, denen man, um ihnen ein drolliges Ausſehen zu geben, die Schwänze kurz geſchnitten hatte, waren nicht mehr im Stande, es ihren beſchwänzten Mitſchweſtern gleich zu thun. Ganz allerliebſt ſind auch die verſchiedenen Stellungen, welche ſie einnehmen kann. Jede Biegung, jede Bewegung iſt nett. Schon wenn ſie ruhig ſitzt, macht ſie einen ganz hübſchen Eindruck, erhebt ſie ſich aber nach Nagerart auf dem Hinter - theil und putzt und wäſcht ſich, dann iſt ſie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Aber ſie kann noch andere Kunſtſtücke aufführen; ſie kann ſich ganz auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Menſch, und ſogar einige Schritte gehen. Dabei ſtützt ſie ſich nur dann und wann ein klein wenig mit dem Schwanze. Das Schwimmen verſteht ſie auch, obwohl ſie nur im höchſten Nothfalle in das Waſſer geht. Wirft man ſie in einen Teich oder Bach, ſo ſieht man, daß ſie faſt mit der Schnelligkeit der Zwergmaus oder der Waſſerratte, welche beide wir ſpäter kennen lernen werden, die Wellen durch - ſchneidet und dem erſten trocknen Orte zuſtrebt, um an ihm empor zu klettern und das Land wieder - zugewinnen. Jhre Sinne ſind vortrefflich: ſie hört das feinſte Geräuſch, riecht ſehr ſcharf und auf weite Entfernungen hin und ſieht auch recht leidlich, vielleicht noch beſſer bei Nacht, als bei Tage. Jhr geiſtiges Weſen macht ſie Dem, welcher das Lebens des Thieres zu erkennen trachtet, zum wahren Liebling. Sie iſt gutmüthig und harmlos und ähnelt nicht im geringſten ihren boshaften, tückiſchen und biſſigen Verwandten, den Ratten; ſie iſt höchſt neugierig und unterſucht Alles mit der größten Sorgfalt; ſie iſt luſtig und klug, ſie merkt bald, wo ſie geſchont wird, und gewöhnt ſich hier mit der Zeit ſo an den Menſchen, daß ſie vor ſeinen Augen hin - und herläuft und ihre Hausgeſchäfte be - treibt, als gäbe es gar keine Störung für ſie. Jm Käfig benimmt ſie ſich ſchon nach wenigen Tagen ganz liebenswürdig; ſelbſt alte Mäuſe werden noch leidlich zahm, und jung eingefangene übertreffen wegen ihrer Gutmüthigkeit und Harmloſigkeit die meiſten anderen Nager, welche man gefangen halten kann. Ganz eigenthümlich iſt ihre Liebe zur Muſik. Wohllautende Töne locken ſie aus ihrem Verſteck hervor und laſſen ſie alle Furchtſamkeit vergeſſen. Sie erſcheint bei hellem Tage in den Zim - mern, in welchen geſpielt wird, und Orte, in denen regelmäßig Muſik ertönt, werden zuletzt ihre Lieblingsaufenthaltsorte. Man ſagt ihr nach, daß ſie nachts, wenn ſie zufällig in eine Stube kommt, wo ein offener Flügel ſteht, ſich gefällt, auf den Taſten und Saiten herumzulaufen, um ihrer Lieb -133Die Hausmaus.haberei fröhnen zu können. Mehrere glaubwürdige Leute haben auch wiederholt von Mäuſen be - richtet, welche förmlich ſingen lernten, d. h. ihr bekanntes Gezwitſcher in einer Weiſe hören ließen, welche an den leiſen Geſang von Kanarien - oder andern Stubenvögeln erinnert. Einige Forſcher haben behauptet, daß dieſer Geſang nichts Anderes ſei, als ein Klagegeſchrei bei großer Noth oder bei heftigen Schmerzen, während Andere Dem widerſprechen und behaupten, daß die Mäuſe auch in ganz geſunden Tagen, ja gerade, wenn ſie recht luſtig wären, dieſen Geſang hören ließen. Wood theilt in ſeiner Jlluſtrated Natural Hiſtory eine ſehr anziehende Beobachtung mit, welche von einem gewiſſen Bampfield herrührt: Einige Mäuſe hatten ihre Wohnung hinter dem Getäfel meiner Küche aufgeſchlagen. Jch erlaubte ihnen aus Gründen, welche ſchwerlich andere Leute anerkennen werden, dort ungeſtört ihr Weſen zu treiben, und wahrhaftig! prächtige, liebenswürdige kleine Thierchen waren es! Es ſchien uns, daß eine junge Brut beſonders ſorgfältig erzogen war; dennoch lernten ſie nicht alle Eigenthümlichkeiten von ihren Eltern. Jn der Küche hing nämlich ein gut ſingender Kanarienvogel, und wir beobachteten bald, daß das Zwitſchern der Mäuſe im Verlauf der Zeit in eine vollſtändige Nachahmung des Kanariengeſanges überging. Anfangs war es nur wenig, zuletzt wurde es immer beſſer. Jch weiß nicht, ob die Bewunderung der Muſik Dies hervorrief; es ſchien mir, des heiteren Weſens halber, mehr Spott oder Nachahmung zu ſein; aber das Ergebniß war höchſt erfreulich, und wenn auch der Mäuſegeſang nicht die Stärke, Fülle und Lieblichkeit des Kanarienſchlags bekam, ſo ſtand er doch vielleicht über dieſem hinſichtlich der Sanftheit und Zartheit. Oft habe ich ihnen abends mit dem größten Vergnügen zugehört, wenn der Kanarienvogel ſchlief, das Haupt unter die Schwingen verborgen, und mehr als einmal habe ich beobachtet, daß ein Küchen - gaſt auf den Kanarienvogel ſchaute, dann mit einigem Erſtaunen ſich umblickte und ſagte: Jſt das der Vogel, Herr, welcher ſo ſingt? Ein glaubwürdiger Mann verſicherte mich, daß er in ſeinem Hauſe auch eine ähnliche Singmaus hätte, und ich habe wahrhaftig wenig Zweifel, daß junge Mäuſe, wenn ſie ſobald als möglich mit dem Kanarienvogel zuſammen gebracht werden, von ihm einigermaßen ſingen lernen. Obgleich mir, bis die Sache von Kundigen geprüft worden iſt, dieſer Mäuſegeſang noch nicht recht glaubwürdig erſcheinen will, mag ich doch nicht unerwähnt laſſen, daß auch andere Nachrichten von ſingenden Mäuſen berichtet haben. So erzählt ein chineſiſcher Reiſender, daß die Langzöpfe des himmliſchen Reiches der Mitte anſtatt der Kanarienvögel oft Mäuſe in feinen Käfigen hielten, deren lieblicher Geſang jeden Europäer anfangs mit dem größten Erſtaunen erfülle. Dr. Eichelberg theilt ganz neuerdings in der Gartenlaube ganz ähnliche Beobachtungen mit, welche er während ſeiner Haft zu machen Gelegenheit hatte. Er vernahm im November 1846 in der Dämmerung mit einem Male den hellen Schlag eines Kanarienvogels, wie er meinte, welcher im Kamin zu ſitzen ſchien. Er glaubte, daß ſich der Vogel dahin verirrt und ſpäter wieder zurecht ge - funden hätte, erfuhr aber zu ſeinem Erſtaunen einige Tage ſpäter, daß zu derſelben Zeit und von der - ſelben Stelle her das gleiche Schlagen ertönte. Später vernahm er die Muſik unter dem Fußboden, und ſchließlich wurde er nachts durch das Schlagen aus dem Schlafe erweckt. Die Töne, ſagt er, dem Schlage des Kanarienvogels faſt ganz ähnlich, hatten einen ſanften und wundervollen, melodiſchen Klang und rollten, ohne irgend etwa abzuſetzen, weiter. Der Gefangene zündete Licht an und unter - ſuchte ſein Zimmer. Dem Klange nachgehend, fand er endlich ein Mäuschen, deſſen Mäulchen ſicht - bar die noch fortgehenden Töne entquollen. Von dieſer Nacht an kam die Sängerin immer häufiger zum Vorſchein, nicht blos am Abend, ſondern auch bei Tage. Zu letzterer Zeit ſchlug es ſelten lange, höchſtens 10 bis 15 Minuten, abends dagegen manchmal eine Viertelſtunde lang. Der Aufſeher des Gefangenhauſes und der Kommandant überzeugten ſich ſpäter von der Wahrheit der Beobachtung unſeres Gewährsmannes, und derſelbe führt die Genannten ausdrücklich als Zeugen auf. Zugleich erzählt er, daß in der Geſchäftsſtube der Kaufleute Grundlach in Kaſſel ebenfalls ein Singmäuschen gefangen wurde. Und endlich haben auch gewiegte Naturforſcher von einem Mäuſegeſang in be - ſchränkter Weiſe geſprochen. Jedenfalls verdient die Sache Beachtung, und wäre es auch nur, um hier einen möglichen Jrrthum aufzuklären.

134Die eigentlichen Mäuſe.

Alle angenehmen Eigenſchaften, welche die Hausmaus beſitzt, werden leider durch ihre große Lüſternheit und Genäſchigkeit ſehr beeinträchtigt. Man kann ſich ſchwerlich ein naſchhafteres Geſchöpf denken, als eine Hausmaus, welche über eine gut geſpickte Speiſekammer verfügen kann! Sie ſucht ſich ſicher immer die beſten Biſſen aus und beweiſt dadurch auch auf das ſchlagendſte, daß bei ihr der Sinn des Geſchmackes recht gut entwickelt iſt. Süßigkeiten aller Art, Milch, gute Fleiſchſpeiſen, Käſe, Fette, Früchte und Körner werden von ihr vor allen übrigen Speiſen bevorzugt, und wo ſie Wahl hat, kürt ſie ſich unter dem Guten immer das Beſte. Da kommen nun die ſpitzen Nage - zähne hinzu, um ſie verhaßt zu machen. Wo ſie etwas Genießbares wittert; weiß ſie ſich einen Zu - gang zu verſchaffen, und da kommt es ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angeſtrengt zu arbeiten und ſelbſt feſte, ſtarke Thüren zu durchnagen. Findet ſie viel Nahrung, welche ihr be - ſonders mundet, ſo trägt ſie ſich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und ſammelt mit der Haſt eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze. An Orten, wo ſie wenig Störung erleidet, ſagt Fitzinger, findet man zuweilen ganze Haufen von Wall - oder Haſelnüſſen bis zu einer halben Elle hoch in Winkeln aufgethürmt und ſo regelmäßig und zierlich feſt an einander ge - ſchloſſen und mit allerlei Abfällen von Papier oder Kleiderſtoffen überdeckt, daß man hierin kaum ein Werk der Hausmaus vermuthen möchte. Waſſer ſäuft ſie, wenn ſie andere ſaftige Stoffe haben kann, gar nicht und auch bei trockenem Futter nur ſelten. Dagegen ſchlürft ſie mit echtem Menſchen - verſtand ſüße Getränke aller Art mit Wolluſt aus. Daß ſie ſich, wie die Waldmaus es zuweilen thut, auch über geiſtige Getränke hermacht, beweiſt eine Beobachtung, welche mir erſt vor wenig Tagen mitgetheilt wurde. Etwa im Jahre 1843, ſo ſchreibt mir der Förſter Herr Block, wurde ich einmal beim Schreiben durch ein Geräuſch geſtört und erblickte eine Maus, welche an den glatten Füßen eines Tiſchchens emporkletterte. Bald war ſie oben und ſuchte emſig nach den Broſamen, welche auf dem Frühſtücksteller lagen. Jn der Mitte des Tellers ſtand ein ganz leichtes, glockenförmiges Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprung ſaß das Mäuschen oben auf dem Glaſe, bog ſich vorn über und leckte eifrig und ſprang herunter; nahm aber noch eine Gabe von dem ſüßen Gifte zu ſich. Durch ein Geräuſch meinerſeits geſtört, ſprang ſie mit einem Satz vom Tiſche herab und verſchwand hinter einem Glasſchrank. Jetzt mochte der Geiſt über ſie kommen; denn gleich darauf war ſie wieder da und führte die ſpaßhafteſten Bewegungen aus, verſuchte auch, obwohl vergeblich, den Tiſch nochmals zu erſteigen. Jch ſtand auf und ging auf ſie zu ich behelligte ſie nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber gleich wieder da. Von meinem Arme herab ſprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing an den Krallen ihrer Tatze.

Der Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfreſſen verſchiedener Speiſevorräthe anrichtet, iſt im ganzen gering: ihre hauptſächliche Schädlichkeit beruht in dem abſcheulichen Zernagen werth - voller Gegenſtände. Jn Bücher - und Naturalienſammlungen hauſen die Mäuſe auf die verderblichſte Weiſe und können, wenn ihrer Zerſtörungsluſt nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, ganz unſchätzbaren Schaden anrichten. Es ſcheint, daß ſie manchmal aus bloſem Uebermuth Etwas bena - gen, und ſoviel iſt ſicher, daß eine Maus mehr nagt, wenn ſie durſtig iſt, als wenn ſie immer zu trinken bekommen kann. Deshalb pflegt man ihr in Bibliotheken außer Körnern, die man für ſie auf - ſpeichert, auch Gefäße mit Waſſer hinzuſtellen und ſie ſo gradezu zu ſpeiſen und zu tränken.

Die Hausmaus vermehrt ſich außerordentlich ſtark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der Paarung vier bis ſechs, nicht ſelten aber auch acht Junge und in Jahresfriſt ſicherlich fünf bis ſechs Mal, ſo daß die unmittelbare Nachkommenſchaft eines Jahres mindeſtens 30 Köpfe beträgt. Eine weiße Maus, welche Struve in der Gefangenſchaft hielt, warf am 17. Mai ſechs, den 6. Juni ſechs, den 3. Juli acht Junge. Sie wurde am 3. Juli vom Männchen getrennt und am 28. Juli wieder mit ihm zuſammen gethan. Nun warf ſie am 21. Auguſt wieder ſechs Junge, am 1. Oktober eben - falls ſechs und am 24. Oktober fünf. Während des Winters ging ſie gelte. Am 17. März kamen wieder zwei Junge zur Welt. Eins von den am 6. Juni gebornen Weibchen bekam die erſten135Die Wald - und Feldmaus.Jungen, und zwar gleich vier, am 18. Juni. Hieraus erklärt ſich die maſſenhafte Vermehrung des Thieres trotz ſeiner Unzahl von Feinden. Die Mutter ſchlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht ſelten findet man ihr Neſt in ausgehöhltem Brod, Kohlrüben, in Taſchen, in Todtenköpfen, ja ſelbſt in Mauſe - fallen. Gewöhnlich iſt es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen ſorgfältig zuſammengeſchleppt, doch kommt es auch vor, daß blos Holzſpäne oder ſelbſt Nußſchalen die Unter - lage abgeben müſſen. Die Jungen ſind, wenn ſie zur Welt kommen, außerordentlich klein und förm - lich durchſichtig, namentlich die von Weißlingen; ſie wachſen aber ſehr raſch heran, bekommen zwiſchen dem ſiebenten und achten Tag Haare, öffnen aber erſt am 13. Tage die Augen. Nun bleiben ſie nur noch ein paar Tage im Neſte; dann gehen ſie ſelbſtändig auf Nahrungserwerb aus. Die Alte behan - delt ſie mit großer Zärtlichkeit und gibt ſich ihrethalber ſelbſt Gefahren preis. Weinland erzählt ein rührendes Beiſpiel ihrer Mutterliebe. Jn dem weichen Bette, welches eine Hausmaus ihren Jungen bereitet hatte, entdeckte man ſie und ihre neun Kinder. Die Alte konnte entrinnen, aber ſie macht keine Bewegung zur Flucht! Man ſchiebt die Jungen auf eine Schaufel und die Alte mit ihnen ſie rührt ſich nicht. Man trägt ſie frei auf der Schaufel fort, mehrere Treppen hinunter, bis in den Hof, und ſie harrt bei ihren Kindern aus zu ihrem Verderben!

Der ſchlimmſte aller Feinde der Hausmaus iſt und bleibt die Katze. Jn alten Gebäuden hilft die Eule dem Vierfüßler treulich mit, und auf dem Lande leiſten Jltis und Wieſel, Jgel und Spitzmaus recht gute Dienſte; denn ſo klein auch die letztere iſt, ſo eifrig liegt ſie der Jagd auf die ihr gegenüber weit ſchwächeren Nager ob.

Wald - und Feldmaus theilen die meiſten Eigenſchaften der Hausmaus. Erſtgenannte iſt durch ganz Europa verbreitet, etwa mit Ausnahme der hochnordiſchen Gegenden; im Gebirge ſteigt ſie bis 6000 Fuß über das Meer empor. Sie lebt in Wäldern, an Waldrändern, in Gärten, ſeltener auch in weiten, baumleeren Feldern und kommt im Winter gern in Häuſer, Keller und Speiſekammern, ſteigt aber baldmöglichſt nach oben hinauf und treibt ſich in Bodenkammern und unter den Dächern herum. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ebenſo gewandt, wie die Hausmaus, und die Nahrung theilt ſie ſo ziemlich auch mit ihr. Jm Freien frißt ſie gern Kerbthiere und Würmer, ſelbſt kleine Vögel oder Obſt, Kirſchkerne, Nüſſe, Eicheln, Bucheckern und in der Noth wohl auch die Rinde junger Bäume. Sie trägt ſich ebenfalls einen Wintervorrath ein, hält aber keinen Winterſchlaf und naſcht blos an trüben Tagen von ihren aufgeſpeicherten Schätzen. Jm Hauſe bringt ſie oft recht empfindlichen Schaden und hat ganz eigene Gelüſte. Sie dringt in der Nacht in Käfige und tödtet in ihnen Kanarienvögel, Lerchen, Finken u. ſ. w. Häuſchen von Leckerbiſſen, welche ſie nicht gut weg - ſchleppen kann, bedeckt ſie mit Hälmchen, Papierſtückchen und dgl. Von ihrem guten Geſchmack erzählt Lenz ein hübſches Beiſpiel. Eine ſeiner Schweſtern hörte abends im Keller ein ganz eigenes, fingendes Piepen, ſuchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, welche neben einer Flaſche Malaga ſaß, der Hereinkommenden freundlich und ohne Scheu ins Geſicht ſah und ſich in ihrem Geſang dabei gar nicht ſtören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe; es wurde mit Heeres - macht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig ſitzen und war ſehr verwundert, als ſie mit einer eiſernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer Unterſuchung fand ſich nun, daß die Flaſche etwas auslief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen herumliefen, ein ganzer Kranz von Mäuſemiſt lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier als Trunkenbold verhaftete Maus hier ſchon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte.

Die Waldmaus wirft jährlich zwei oder drei Mal vier bis ſechs, ſeltener auch acht nackte Junge, welche ziemlich langſam wachſen und den ſchönen, rein rothgelben Anflug des Pelzes erſt im zweiten Jahre erhalten.

Die Brandmaus iſt auf einen geringeren Verbreitungskreis beſchränkt, als die verwandten136Die eigentlichen Mäuſe.Arten; ſie lebt zwiſchen dem Rhein und Weſtſibirien, Nord-Holſtein und der Lombardei. Jn Mittel - deutſchland iſt ſie überall gemein; im Hochgebirge fehlt ſie. Jhre Aufenthaltsorte ſind Ackerfelder, Waldränder, lichte Gebüſche und im Winter die Getreidefeime oder die Scheuern und Ställe; auch lebt ſie in Erdlöchern. Beim Mähen des Getreides ſieht man ſie im Herbſte ſcharenweiſe über die Stoppeln flüchten. Pallas erzählt, daß ſie in Sibirien zuweilen regelloſe Wanderungen anſtellen. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ungeſchickter, in ihrem Weſen weit gutmüthiger oder dümmer, als ihre Verwandten. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen, Kerbthieren und Würmern. Sie trägt ſich ebenfalls Vorräthe ein. Jm Sommer wirft ſie drei bis vier Mal zwiſchen vier und acht Junge, welche, wie die der Waldmaus, erſt im folgenden Jahre voll - ſtändig ausgefärbt ſind. Ueber ihre Fortpflanzung erzählt Lenz Folgendes: Vor nicht langer Zeit nahm ich ein Brandmausweibchen nebſt ſeinen Jungen, die eben zu ſehen begannen, in die Stube, that die Familie ganz allein in ein wohl verwahrtes Behältniß und fütterte ſie gut. Die Alte machte ſich ein Neſtchen und ſäugte darin ihre Jungen ſehr eifrig. Funfzehn Tage nach dem, wo die Familie eingefangen und eingeſperrt worden war, als eben die Jungen ſelbſtändig zu werden be - gannen, heckte die Alte unvermuthet wieder ſieben Junge, mußte ſich alſo ſchon im Freien, nachdem ſie die vorigen geheckt, wieder gepaart haben. Luſtig war es mit anzuſehen, wenn ich die alte Brand - maus, während ſie die Jungen ſäugte, ſo ſtörte, daß ſie weglief. Die Jungen, welche gerade an ihren Zitzen hingen, blieben dann daran, ſie mochte ſo ſchnell laufen, wie ſie wollte, und ſie kam mit der immer bedeutenden Laſt doch immer ſchnell vom Flecke. Jch habe auch im Freien Mäuſe geſehen, welche ihre Jungen, wenn ich ſie ſtörte, ſo wegſchafften.

Die Feinde der beiden genannten Mäuſearten ſind dieſelben, welche die Hausmaus hat. Ueber ihre Vertilgung will ich hier nicht weiter reden, ſondern die hierauf bezüglichen Angaben mir bis zur Feldmaus aufſparen.

So ſchmuck und nett alle kleinen Mäuſe ſind, ſo allerliebſt ſie ſich in der Gefangenſchaft be - tragen: das kleinſte Mitglied der Familie, die Zwergmaus (Mus minutus) übertrifft jene doch in jeder Hinſicht. Sie iſt beweglicher, geſchickter, munterer, kurz ein viel anmuthigeres Thierchen, als alle übrigen. Jhre Länge beträgt blos fünf Zoll und davon kommen auch noch 2⅓ Zoll auf das Schwänzchen, ſo daß der eigentliche Körper nur 2⅔ Zoll lang iſt. Die Höhe am Widerriſt beträgt nur einen Zoll; das Gewicht ſchwankt zwiſchen ein und zwei Quentchen. Die Zwergmaus verdient alſo ihren Namen; es gibt ja auch nur ein einziges Sängethier, die uns ſchon bekannte Zwergſpitz - maus, welche noch kleiner iſt, als ſie ſelbſt.

Ganz wunderbar im Verhältniß zu dieſer geringen Größe iſt die auffallende Verbreitung des lieblichen Thierchens. Von jeher hat die Zwergmaus den Thierkundigen viel Kopfzerbrechen gemacht. Pallas entdeckte ſie in Sibirien, beſchrieb ſie genau und bildete ſie auch ganz gut ab; aber faſt jeder Forſcher nach ihm, dem ſie in die Hände kam, ſtellte ſie als eine neue Art auf, und jeder glaubte in ſeinem Rechte zu ſein. Allerdings wechſelt die Pelzfärbung der Zwergmaus nicht unbe - trächtlich ab. Gewöhnlich iſt ſie zweifarbig, die Oberſeite des Körpers und der Schwanz gelblich - braunroth, die Unterſeite und die Füße ſcharf abgeſetzt weiß; nun aber kommen dunklere und hellere, röthlichere und bräunlichere, grauere und gelbere vor; die Unterſeite ſteht nicht ſo ſcharf im Gegenſatz mit der oberen; junge Thiere haben andere Körperverhältniſſe, als die alten, und noch eine ganz andere Leibesfärbung, nämlich viel mehr grau auf der Oberſeite: kurz, dieſe Verſchiedenheit kann den nicht ſehr ſorgfältig prüfenden Forſcher ſchon verwirren. Außerdem erſchien es ja auch zu wun - derbar, daß ein Thier, welches in Sibirien entdeckt wurde, in Deutſchland leben ſollte! Aber die fortgeſetzte Beobachtung ergab als unumſtößliche Wahrheit, daß unſer Zwerglein wirklich von Sibi - rien an durch ganz Rußland, Ungarn, Polen und Deutſchland bis nach Frankreich, England und Jtalien reicht, und jetzt wird allgemein angenommen, daß ſie nur ausnahmsweiſe in manchen Ge - genden nicht vorkommt. Sie findet ſich eigentlich in allen Ebenen, wo der Ackerbau blüht, und

Zwergmäuſe.

137Die Zwergmaus.keineswegs immer auf den Feldern, ſondern vorzugsweiſe im Schilf und im Rohr, in Sümpfen und in Binſen ꝛc. Jn Sibirien und in den Steppen am Fuße des Kaukaſus iſt ſie gemein, in Rußland und England, in Schleswig und Holſtein wenigſtens nicht ſelten. Aber auch in den übrigen Ländern Europas kann ſie zuweilen häufig werden.

Während des Sommers findet man das niedliche Geſchöpfchen in Geſellſchaft der Wald - und gemeinen Feldmaus in Getreidefeldern, im Winter maſſenweiſe unter Feimen oder auch in Scheuern, in welche ſie mit der Frucht eingeführt wird. Wenn ſie im freien Felde überwintert, bringt ſie einen großen Theil der kalten Zeit zwar ſchlafend zu, fällt aber niemals in völlige Erſtar - rung, und trägt deshalb während des Sommers auch recht hübſche Vorräthe in ihre Höhlen ein, um davon leben zu können, wenn die Noth an die Pforte klopft. Jhre Nahrung iſt die aller übrigen Mäuſe: Getreide und Sämereien von verſchiedenen Gräſern, Kräutern und Bäumen, na - mentlich aber auch kleine Kerbthiere aller Art.

Jn ihren Bewegungen zeichnet ſich die Zwergmaus vor allen anderen Arten der Familie aus. Sie läuft, ungeachtet ihrer geringen Größe, ungemein ſchnell und klettert mit größter Fertigkeit, Gewandtheit und Zierlichkeit. An den dünnſten Aeſten der Gebüſche, an Grashalmen, die ſo ſchwach ſind, daß ſie ſich mit ihr zur Erde beugen, ſchwebend und hängend, läuft ſie empor, faſt ebenſo - ſchnell an Bäumen, und der zierliche kleine Schwanz wird dabei ſo recht geſchickt als Wickelſchwanz benutzt, gerade als hätte der kleine Nager ſolche Kunſt dem Brüllaffen abgeſtohlen. Auch im Schwimmen iſt die Zwergmaus wohlerfahren und im Tauchen ſehr geſchickt. So kommt es, daß ſie überall wohnen und leben kann.

Jhre größte Fertigkeit entfaltet die Zwergmaus aber doch noch in etwas Anderem. Sie iſt eine Künſtlerin, wie es wenige gibt unter den Säugethieren, eine Künſtlerin, die mit den begabteſten Vögeln zu wetteifern verſucht. Sie baut ein Neſt, das an Schönheit alle anderen Säugethierneſter weit übertrifft. Als hätte ſie es einem Rohrſänger oder Stufenſchwanz abgeſehen, ſo eigen - thümlich wird der niedliche Bau angelegt. Das kugelrunde Neſt, welches ungefähr fauſtgroß iſt, ſteht nämlich, je nach des Orts Beſchaffenheit, entweder auf zwanzig bis dreißig Riedgrasblättern, deren Spitzen zerſchliſſen und ſo durcheinandergeflochten ſind, daß ſie das eigentliche Neſt von allen Seiten umſchließen, oder es hängt zwiſchen zwei oder drei Fuß hoch über der Erde frei an den Zweigen eines Buſches, an einem Schilfftengel und dergleichen, ſo daß es ausſieht, als ſchwebe es in der Luft. Jn ſeiner Geſtalt ähnelt es am meiſten einem ſtumpfen Ei, einem beſonders rundlichen Gänſeei z. B., dem es auch in der Größe ungefähr gleichkommt. Die äußere Umhüllung beſteht immer aus gänzlich zerſchlitzten Bläktern des Rohrs oder Riedgraſes, deren Stengel die Grundlage des ganzen Baues bilden. Der kleine Künſtler nimmt jedes Blättchen hübſch mit den Zähnen in den Mund und zieht es mehrere Male zwiſchen den nadelſcharfen Spitzen durch, bis jedes einzelne Blatt ſechs -, acht - oder zehufach getheilt, gleichſam in mehrere beſondere Faden getrennt worden iſt; dann wird das Ganze außerordentlich ſorgfältig durcheinandergeſchlungen, verwebt und ge - flochten. Das Jnnere iſt mit Rohrähren, mit Kolbenwolle, mit Kätzchen und Blüthenrispen aller Art ausgefüttert. Eine kleine Oeffnung führt von einer Seite hinein, und wenn man da hindurch in das Jnnere greift, fühlt ſich das Ganze, oben wie unten gleichmäßig geglättet und überaus weich und zart an. Die einzelnen Beſtandtheile ſind ſo dicht mit einander verfitzt und verwebt, daß das Neſt einen wirklich feſten Halt bekommt. Wenn man die viel weniger brauchbaren Werkzeuge dieſer Mäuſe mit dem geſchickten Schnabel der Künſtlervögel vergleicht, wird man jenen Bau nicht ohne hohe Bewunderung betrachten und muß die Arbeit der Zwergmaus gewiß über die Baukunſt manches Vogels ſtellen, der weit beſſer ausgerüſtet iſt.

Jedes dieſer Neſtchen wird immer zum Haupttheile aus den Blättern derſelben Pflanzen gebil - det, welche den netten Ball tragen. Eine nothwendige Folge hiervon iſt, daß das Aeußere auch faſt oder ganz dieſelbe Farbe hat, wie der Strauch ſelber, an dem es hängt. Nun benutzt die Zwerg - maus jeden einzelnen ihrer Paläſte blos zu ihrem Wochenbette, und das dauert nur ganz kurze Zeit:138Die eigentlichen Mäuſe.ſo ſind die Jungen regelmäßig ausgeſchlüpft, ehe das Blätterwerk um das Neſt verwelken und hier - durch eine auffällige Farbe annehmen konnte.

Man glaubt, daß jede Zwergmaus jährlich zwei bis drei Mal Junge wirft, jedes Mal ihrer fünf bis neun. Aeltere Mütter bauen immer künſtlichere und vollkommenere Neſter, als die jün - geren, aber auch in dieſen zeigt ſich ſchon der Trieb, die Kunſt der alten ausznüben; denn bereits im erſten Jahre bauen ſich die kleinen Dinger ziemlich vollkommene Neſter, um darin zu ruhen. Gewöhnlich verweilen die Jungen ſolange in ihrer prächtigen Wiege, bis ſie ſehen können. Die Alte hat ſie jedesmal warm zugedeckt oder vielmehr die Thür zum Neſte verſchloſſen, wenn ſie das Neſt - chen verlaſſen muß, um ſich Nahrung zu holen. Sie iſt inzwiſchen wieder mit dem Männchen ihrer Art zuſammengekommen und gewöhnlich bereits von neuem trächtig, während ſie ihre Kinder noch ſäugen muß. Kaum ſind dann dieſe ſoweit, daß ſie zur Noth ſich ernähren können, ſo überläßt ſie die Alte ſich ſelbſt, nachdem ſie höchſtens ein paar Tage lang ihnen Führer und Rathgeber ge - weſen iſt.

Falls das Glück Einem wohl will und man gerade dazukommt, wenn die Alte ihre Brut zum erſten Male ausführt, hat man Gelegenheit, ſich an einem der anziehendſten Familienbilder aus dem Säugethierleben zu erfreuen. So geſchickt die junge Schar auch iſt: etwas Unterricht muß ihr doch werden, und ſie hängt auch noch viel zu ſehr an der Mutter, als daß ſie gleich ſelbſtändig ſein und in die weite, gefährliche Welt hinausſtürmen möchte. Da hängt nun ein Junges an dieſem, das andere an jenem Halme; das zirpt zu der Mutter auf, jenes verlangt noch die Mutterbruſt; dieſes wäſcht und putzt ſich, jenes hat ein Körnchen gefunden, welches es hübſch mit den Vorderfüßen hält und aufknackt, das Neſthäkchen macht ſich noch im Jnnern des Baues zu ſchaffen, das beherzteſte und muthigſte Männchen hat ſich ſchon am weiteſten entfernt und ſchwimmt vielleicht bereits unten in dem Waſſer herum, aus dem das Riedgras ſich erhebt: kurz, die ganze Familie iſt in der lebhafteſten Bewegung und die Alte gar gemüthlich da mittendrin, hier helfend, dort rufend, führend, leitend, die ganze Geſellſchaft beſchützend.

Man kann dieſes anmuthige Treiben ſo recht gemächlich betrachten, wenn man das ganze Neſt mit nach Hauſe nimmt und in einen enggeflochtenen Drahtbauer bringt. Mit Hanf, Hafer, Birnen, füßen Aepfeln, Fleiſch und Stubenfliegen ſind die Zwergmäuſe leicht zu erhalten, und ſie vergelten jede Mühe, welche man ſich mit ihnen gibt, durch ihr angenehmes Weſen tauſendfach. Ganz allerliebſt ſieht es aus, wenn man eine Fliege hinhält. Da fahren alle mit großen Sprüngen auf ſie los, packen ſie mit den Füßchen, führen ſie zum Munde und tödten ſie mit einer Haſt und Gier, als ob ein Löwe ein Rind erwürgen wolle; dann halten ſie ihre Beute allerliebſt mit den Vorderpfoten und führen ſie damit zum Munde. Die Jungen werden ſehr bald zahm, aber mit zunehmendem Alter wieder ſcheuer, falls man ſich nicht ganz beſonders oft und fleißig mit ihnen abgibt. Um die Zeit, wo ſie ſich im Freien in ihre Schlupfwinkel zurückziehen, werden ſie immer ſehr unruhig und ſuchen mit Gewalt zu entfliehen, gerade ſo, wie die im Käfig gehaltenen Zugvögel zu thun pflegen, wenn die Zeit der Wanderung herannaht. Auch im März zeigen ſie daſſelbe Ge - lüſte, ſich aus dem Käfig zu entfernen. Sonſt gewöhnen ſie bald ein und bauen ganz luſtig an ihren Kunſtneſtern, nehmen Blätter und ziehen ſie mit den Pfoten durch den Mund, um ſie zu ſpal - ten, ordnen und verweben ſie, tragen allerhand Stoff zuſammen, kurz, ſuchen ſich ſogut als möglich einzurichten.

Eine der ſchönſten Arten der ganzen Mausfamilie iſt die berberiſche Maus (Mus barbarus), ein Thierchen, welches einen etwa 4 Zoll langen Körper und einen noch etwas längeren Schwanz be - ſitzt und am Widerriſt über Zoll hoch iſt. Ein ſchönes Gelblichbraun oder Röthlichlehmgelb iſt die Grundfarbe des Körpers. Vom Kopfe, welcher ſchwarz geſprenkelt iſt, zieht ſich ein ſchwarzbrauner Längsſtreif bis zur Schwanzwurzel herab, und viele ähnliche Streifen verlaufen längs der Seiten, aber in etwas ungerader Richtung. Die Unterſeite iſt rein weiß. Die Ohren ſind röthlichgelb be -139Die berberiſche Maus.haart, die ſchwarzen Schnurren endigen größtentheils in eine weiße Spitze. Der Schwanz iſt oben ſchwarzbraun, unten gelblichbraun.

Dieſe Maus lebt in Nord - und Mittelafrika, beſonders häufig in den Atlasländern; doch auch in den inneren Steppen kommt ſie nicht ſelten vor. Jch beobachtete ſie mehrmals in Kordofahn, ſah ſie jedoch immer nur auf Augenblicke, wenn ſie zwiſchen dem hohen Gras der Steppe dahin - huſchte. Jn Egypten findet ſie ſich nicht. Mein Freund Buvry theilt mir über ihre Lebensweiſe Folgendes mit:

Wie alle übrigen Verwandten, welche die Steppe bewohnen, wird die berberiſche Maus von den Arabern ſchlechtweg als Maus der Wildniß bezeichnet, verachtet und daher wenig beobachtet. Die Eingeborenen wiſſen deshalb Nichts von ihr zu berichten. Man trifft ſie längs der ganzen Küſte Algeriens, vorzugsweiſe in ſteinigen Gegenden, zumal da, wo dürre Höhenzüge fruchtbare Ebenen begrenzen. Jn den Gehängen der Hügel gräbt ſie ſich Röhren, welche zu einer tiefer liegenden Kammer führen. Jn dieſer ſpeichert ſich das Thier im Herbſt ſeine Vorräthe, Kornähren und Gräſer, auf und zehrt von ihnen je nach Bedürfniß, bei kaltem oder naſſem Wetter. Die beim Zernagen der Aehren abfallende Spreu wird zur Ausfütterung der Kammer benutzt. Je nach der Jahreszeit beſteht die Nahrung in Ge - treide und Sämereien oder in anderen Pflanzenſtoffen. Früchte, namentlich Obſtſorten, ſind ihnen ein geſuchter Lecker - biſſen: in den Fallen, welche ich auf - ſtellte und mit einem Stück Waſſermelone köderte, fing ich viele. Ob ſie auch Kerbthiere fängt und verzehrt, weiß ich nicht.

Jn ihrem Weſen erinnert die Streifmaus vielfach an die Ratten. Sie iſt gefräßig, aber auch biſſig und ſcheut ſich, wenn die Liebe zu Gatten oder Kind ins Spiel kommt, auf den über - legenen Feind loszugehen, in der Abſicht, ihn zurückzuſchrecken. Jm übrigen iſt ſie

Die berberiſche Maus (Mus barbarus).

eine echte Maus; ſie zeigt dieſelbe Gelenkigkeit, Zierlichkeit und Gewandtheit in ihren Bewegungen wie andere Verwandte.

Ueber ihre Fortpflanzung iſt mir Nichts bekannt geworden.

Jhrer ſchmucken Geſtalt wegen hat man die berberiſche Maus öfters nach Europa gebracht. Sie verträgt unſer Klima recht gut, da ſie in ihrem Vaterlande ja auch, wenigſtens zeitweilig, ziemlich bedeutende Kälte ertragen muß. Nur wenn man ſie reichlich mit Futter verſieht, darf man ſie ohne Scheu mit anderen ihrer Art zuſammenlaſſen; im entgegengeſetzten Falle greift die ſtärkere die ſchwächere an und frißt ſie auf.

Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die im Jnnern Afrikas vorkommenden geſtreiften Mäuſe ſich von der berberiſchen unterſcheiden; denn die Verbreitung dieſer Streifmäuſe reicht über ganz Afrika hinweg, und da hier andere Verhältniſſe obwalten, als bei unſeren Ratten und Mäuſen, welche, wie wir ſahen, hauptſächlich durch die Schifffahrt von einem Erdtheile zum andern verſchleppt wurden und werden, ſo darf man wohl annehmen, daß hier artliche Berſchiedenheiten zu Grunde liegen. Jn der Neuzeit hat man verſucht, auch dieſe Streifmäuſe in einer eigenen Sippe zu vereinigen und von den eigentlichen Mäuſen zu trennen, die Unterſchiede ſind aber ſo gering, daß Dies als unſtatt - haft angeſehen werden mußte.

140Der Hamſter.

Wenn wir in gleicher Vollſtändigkeit, wie bisher, die Familie der Mäuſe behandeln woll - ten, müßten wir noch eine große Anzahl derſelben beſchreiben, ſelbſt, wenn wir blos die Vertreter der wichtigeren Sippen ſchildern wollten. Der große Reichthum der Familie macht eine genaue Be - ſtimmung bei einigen Arten überaus ſchwierig oder, falls nicht genaue Abbildungen zu Hilfe kommen, geradezu unmöglich. Für uns würde es keinen großen Nutzen haben, wenn wir ausführlicher ſein wollten: ich würde eben Bälge beſchreiben müſſen; denn über das Leben und Treiben der meiſten Mäuſe fehlen uns ſogut wie alle Nachrichten. So mag es mir denn nachgeſehen werden, wenn ich unter der großen Menge noch eine höchſt beſchränkte Auswahl treffe. Eines Mitgliedes der Familie müſſen wir vor allen andern gedenken, des Hamſters nämlich, dieſes ſprichwörtlich gewordenen, habſüchtigen Geſchöpfes, welches ſich auf Koſten des Menſchen zu ernähren und dieſen ganz gehörig zu brandſchatzen weiß. Der Hamſter trägt Wintervorräthe ein, wie ſoviele andere ſeiner Familie, aber er iſt dabei unbeſcheidener, als alle übrigen Winterſchläfer; denn ein einziger dieſer unverſchäm - ten Geſellen ſchleppt, wenn er kann, bis zu einem Centner an Körnern in ſeinen Bau. Wenn man nun von Lenz erfährt, daß in der etwas über zwölftauſend Acker großen Stadtflur von Gotha im Jahre 1817 allein 111,817 und von 1818 bis 1828 129,754, in zwölf Jahren alſo faſt eine Vier - telmillion Hamſter gefangen, an die Stadtbehörden abgeliefert und von dieſen bezahlt wurden; wenn man dabei bedenken will, daß ſicherlich noch halb ſoviel erſchlagen wurden, ohne daß man Lohn für ihre Tödtung begehrte, und wenn man dieſer außerordentlichen Summe fernerhin die Hamſter und Hämſterchen hinzurechnen will, welche von den vielen und ſehr thätigen Feinden des Thieres erlegt wur - den: wird man mir glauben, wenn ich den Hamſter ein ſehr wichtiges Thier nenne und behaupte, daß Jedermann dieſe Geſellen kennen lernen muß.

Unſer Hamſter bildet mit noch etwa einem Dutzend gleichgeſtalteten und gleichgeſinnten Thieren eine eigene Sippe (Cricctus), deren hauptſächlichſtes Kennzeichen in dem plumpen, dicken Leibe mit dem ſehr kurzen, dünnhaarigen Schwanze, den kurzen Gliedmaßen, von denen die Hinterfüße fünf, deren Vorderfüße vier Zehen und eine Daumenwarze beſitzen, ſowie in den ſehr großen inneren Backen - taſchen liegt. Das Gebiß beſteht aus ſechzehn Zähnen, zwei Paar auffallend großen Nagezähnen und drei Backenzähnen in jeder Reihe, welche einfach ſind und eine höckerige Kaufläche haben. Ge - treidefelder in fruchtbaren Gegenden des gemäßigten Europas und Aſiens bilden die Aufenthaltsorte dieſer Thiere. Hier graben ſie ſich tiefe Baue mit mehreren Kammern, in denen ſie im Herbſt Nah - rungsvorräthe aufſpeichern, und in dieſen Bauen bringen ſie ihr Leben hin, deſſen Luſt und Leid wir kennen lernen, wenn wir das unſeres Hamſters (Cricetus frumentarius) erforſchen.

Dieſes leiblich recht hübſche, geiſtig aber um ſo häßlichere, boshafte und biffige Geſchöpf erreicht eine Geſammtlänge von ungefähr einem Fuß, wovon auf den Schwanz kaum zwei Zoll kommen. Der Leib iſt unterſetzt, der Hals dick, der Kopf ziemlich zugeſpitzt; die häutigen Ohren ſind mittel - lang, die Augen groß und hell, die Beine kurz, die Füße und Zehen recht zierlich, die lichten Krallen kurz; der Schwanz iſt kegelförmig zugeſpitzt, aber etwas abgeſtutzt. Die dichte, glatt anliegende und etwas glänzende Behaarung beſteht aus kürzerem und weichen Wollhaar und längerem und ſtei - feren, auch dünnerſtehenden Grannenhaar. Gewöhnlich iſt die Färbung des Oberkörpers ein lichtes Braungelb, welches wegen der ſchwarzſpitzigen Grannen in das Grauliche ſpielt. Die Oberſeite der Schnauze und die Augengegend, ſowie ein Halsband ſind gewöhnlich rothbraun, ein Fleck auf den Backen iſt gelb, der Mund weißlich, die Unterſeite, auch die Beine mit bis zu den Füßen herab und die Hinterbeine wenigſtens innen, ſowie ein Streifen über der Stirn ſind ſchwarz, die Füße dagegen weiß. Gewöhnlich ſtehen auch noch gelbe Flecken hinter den Ohren und vor und hinter den Vorder - beinen. Dieſe Färbung ändert aber ſehr bedeutend ab; es gibt die verſchiedenſten Spielarten. Manche ſind ganz ſchwarz, andere ſchwarz mit weißer Kehle, mit grauem Scheitel u. ſ. w., die hellen Spielarten ſind blaßgraugelb mit dunkelgrauer Unterſeite und blaßgelbem Schulterfleck, andere oben matt fahl, unten lichtgrau, an den Schultern weißlich; auch vollſtändige Weißlinge werden zu - weilen gefunden.

141Der Hamſter.

Fruchtbare Getreidefelder vom Rhein bis an den Ob in Sibirien ſind der Aufenthalt unſeres Hamſters. Gebirge meidet er. Jn Deutſchland fehlt er in den ſüdlich und weſtlich gelegenen Län - dern, ſowie in Oſt - und Weſtpreußen; dagegen iſt er häufig in Thüringen und Sachſen. Ein Bo - den, welcher mäßig feſt und trocken, dabei aber fruchtbar iſt, ſcheint die Hauptbedingung für den Hamſter zu ſein, wenn er ſich wohlbefinden ſoll. Er verlangt, daß die Baue, welche er gräbt, dauerhaft ſind, und meidet aus dieſem Grunde alle ſandigen Gegenden; aber er will ſich auch nicht ſehr anſtrengen beim Graben und verſchont deshalb ſehr feſten, ſteinigen Boden oder Wälder mit ſeinen Anſiedelungen. Das Waſſer kann er nicht vertragen und weicht ihm ängſtlich aus. An ſeinen

Hamſter (Cricetus frumentarius).

Lieblingsorten iſt er immer häufig, allein manchmal tritt er in ganz unglaublichen Scharen auf: die vorhin angegebenen Zahlen mögen Dies am beſten beweiſen.

Seine Baue ſind ziemlich kunſtreich. Sie beſtehen zunächſt aus einer großen Wohnkammer, welche in einer Tiefe von 3 bis 6 Fuß liegt, aus einer ſchrägen Ausgangs - und einer ſenkrechten Ein - gangsröhre. Durch Röhren ſteht dieſe Wohnkammer mit der Vorrathskammer in Verbindung. Je nach Geſchlecht und Alter des Thieres ſind die Baue verſchieden angelegt, die junger Hamſter ſind die flach - ſten und kürzeſten, die des Weibchens bedeutend größer; die größten aber baut ſich der alte Rammler. Man erkennt den Hamſterbau leicht an dem Erdhaufen, welcher vor der Ausgangsröhre liegt und ge - wöhnlich mit Spreu und Hülſen beſtreut iſt. Das Fallloch geht immer ganz ſenkrecht in die Erde hinein, bisweilen ſo gerade, daß man einen 3 bis 6 Fuß langen Stock in daſſelbe ſtecken kann, doch142Der Hamſter.fällt es nicht in die Kammer ein, ſondern biegt ſich unten bald wagrechter, bald ſchiefer nach der - ſelben hin. Das Schlupfloch dagegen geht ſelten in gerader Richtung, ſondern mehr gebogen nach der Kammer zu; beide Löcher ſind wenigſtens vier, oft aber auch 5 bis 12 Fuß von einander ent - fernt. An den Gängen kann man ſehr leicht erſehen, ob ein Bau bewohnt iſt oder nicht. Findet ſich in ihnen Mos, Schimmel oder Gras, oder ſind ſie auch nur rauh, ſo ſind es entſchieden ver - laſſene; denn jeder Hamſter hält ſein Haus und ſeine Hausthür außerordentlich rein und in Ordnung. Länger bewohnte Gänge werden beim Aus - und Einfahren ſo durch das Haar geglättet, daß ihre Wände manchmal glänzen. Außen ſind die Löcher etwas weiter, als in ihrem Fortgange; dort haben ſie meiſtens 2 bis 3 Zoll im Durchmeſſer. Die Kammern ſind verſchieden in ihrer Größe; die Wohnkammer iſt die kleinere. Sie iſt mit ſehr feinem Stroh, meiſtens mit den Scheiden der Halme angefüllt, welche eine weiche Unterlage bilden; ihre Wände ſind glatt und eben. Drei Gänge mün - den in ſie ein, der eine vom Schlupf -, der andere vom Fallloche und der dritte von der Vorraths - kammer kommend. Dieſe ähnelt der erſten Kammer vollſtändig. Sie iſt rundlich oder eiförmig, oben gewölbt, inwendig glatt und gegen den Herbſt hin ganz mit Getreide ausgefüllt. Junge Ham - ſter legen blos eine an, die Alten aber, namentlich die Rammler, welche den ganzen Sommer hin - durch nur einſchleppen, graben ſich 3 bis 5 ſolche Speicher, und hier findet man denn auch 3 bis 6 Metzen Frucht. Manchmal verſtopft der Hamſter den Gang vom Wohnzimmer aus zur Vorraths - kammer mit Erde, zuweilen füllt er ihn auch mit Körnern an. Dieſe werden ſo feſt zuſammen - gedrückt, daß der Hamſtergräber ſie gewöhnlich erſt mit einem eiſernen Werkzeug auseinanderkratzen muß, wenn er die Kammern ausbeuten will. Früher behauptete man, daß der Hamſter jede Ge - treideart beſonders aufſchichte; Dies iſt aber ein Jrrthum, ſoweit geht ſein Ordnungsſinn nicht. Er trägt die Körner ein, wie er ſie findet, und hebt ſie unter der Erde auf. Selten ſind ſie auch ganz rein von Aehrenhülſen oder Schalen. Wenn man in einem Bau die verſchiedenen Getreidearten wirklich getrennt findet, rührt Das nicht von dem Ordnungsſinn des Thieres her, ſondern weil es eben zur betreffenden Zeit nur dieſe und dann nur jene Getreideart fand. Jn dem Gange, welcher nach dem Schlupfloche führt, zeigt ſich oft kurz vor der Kammer eine erweiterte Stelle, wo der Hamſter ſeinen Miſt abzulegen pflegt.

Der Neſtbau des Weibchens weicht in mancher Hinſicht von dem beſchriebenen ab; er hat nur ein Schlupfloch, aber 2 bis 8 Falllöcher, obgleich von dieſen, ſolange die Jungen noch klein ſind, gewöhnlich nur eins recht begangen wird, bis ſpäter die Jungen auch die anderen benutzen. Das Wochenbett iſt rundlich, hat ungefähr einen Fuß im Durchmeſſer, iſt 3 bis 5 Zoll hoch und beſteht aus ſehr weichem Stroh. Von der Neſtkammer aus gehen zu allen Falllöchern beſondere Röhren, manchmal verbinden auch wieder Gänge dieſe unter ſich. Vorrathskammern finden ſich ſehr ſelten im Neſtbau; denn das Weibchen trägt, ſolange ſie Junge hat, für ſich Nichts ein.

Die Hamſter ſind trotz ihrer ſcheinbaren Plumpheit ziemlich gewandte Thiere. Jhr Gang iſt kriechend, dem des Jgels ziemlich ähnlich, der Unterleib ſchleppt faſt auf der Erde. Dabei machen ſie ganz kleine Schritte, ſcheinbar mit viel Bedacht. Jm Zorn bewegt der Hamſter ſich heftiger und vermag dann auch ziemlich große Sprünge und hohe Sätze auszuführen. Wo er Wider - halt findet, klettert er recht leidlich in die Höhe, namentlich an ſolchen Stellen zeigt er ſich ſehr ge - ſchickt, wo er ſich auf beiden Seiten anſtemmen kann. Jn den Ecken von Kiſten z. B. oder zwiſchen Schränken und der Wand, auch in Vorhängen klimmt er ſehr raſch empor. Mit einem ſeiner Beine vermag er ſich an einer Kante feſtzuhalten, und er iſt geſchickt genug, ſich zu drehen und die Höhe, von welcher er herunterhängt, wiederzugewinnen, ſelbſt wenn er blos mit einem Hinterbeine ſich aufgehangen hatte. Meiſterhaft verſteht er das Graben. Wenn man ihn in ein Faß mit Erde ſteckt, geht er augenblicklich ans Werk. Er ſcharrt mit den Vorderfüßen die Erde los, nimmt aber auch die Zähne mit zu Hilfe, wenn der Grund zu hart iſt. Die losgegrabene Erde wirft er zuerſt unter den Bauch, holt ſie dann mit den Hinterbeinen hervor und ſchleudert ſie hinter ſich. Kommt er in die Tiefe, ſo ſchiebt er rückwärtsgehend ganze Haufen auf einmal heraus. Die Backentaſchen füllt er ſich143Der Hamſter.aber niemals mit Erde, wie fälſchlich oft behauptet wurde. Jm Waſſer bewegt er ſich nicht ungeſchickt, obwohl er daſſelbe ängſtlich meidet. Wirft man ihn in ein damit gefülltes Gefäß, ſo ſchwimmt er raſch umher, knurrt aber wüthend dabei und beweiſt überhaupt, daß er ſich höchſt ungemüthlich fühlt. Das Bad ſtrengt ihn auch derart an, daß er alle ihm ſonſt eigene Bosheit und Wuth gänzlich ver - gißt und froh iſt, wenn er ſich wieder auf dem Trockenen fühlt. Sogleich nach dem Bade beginnt ein höchſt ſorgfältiges Putzen. Der Hamſter iſt mit ſeinen Vorderfüßen ungemein geſchickt; er verſteht ſie ganz wie Hände zu benutzen. Mit ihnen führt er die Nahrung zum Munde, mit ihnen hält und dreht er die Aehren, welche er enthülſen will, um die Körner in ſeinen Backentaſchen aufzuſpeichern, und mit ihrer Hilfe bringt er auch ſeinen Pelz in Ordnung. Sobald er aus dem Waſſer kommt, ſchüttelt er ſich erſt tüchtig ab; dann ſetzt er ſich auf die Hinterbeine und beginnt nun eifrig, zu lecken und zu putzen. Zuerſt kommt der Kopf daran. Er legt beide Hände bis an die Ohren und zieht ſie nach vorwärts über das Geſicht, wie er thut, wenn er ſich ſonſt wäſcht; dann nimmt er einen Haarbüſchel nach dem andern und reibt ihn ſolange zwiſchen den Händen, bis er den erforder - lichen Grad von Trockenheit zu haben ſcheint. Die Haare der Schenkel und des Rückens weiß er auf ſehr ſinnreiche Art wieder zu ordnen. Er ſetzt ſich dabei auf die Schenkel und den Hinteren und leckt und kämmt mit den Zähnen und Pfoten gemeinſchaftlich, wobei er letztere außerordentlich raſch von oben nach unten bewegt; die Hauptarbeit ſcheint hier aber mit der Zunge zu geſchehen. Eine derartige Reinigung dauert immer eine ziemlich lange Zeit und ſcheint gleichſam mit ſichtlichem Wi - derſtreben ausgeführt zu werden.

Wenn der Hamſter überraſcht wird, erhebt er ſich augenblicklich auf die Hinterbeine und läßt dabei die Vorderbeine herabhängen, eine Hand gewöhnlich etwas tiefer, als die andere. So ſtarrt er den Gegenſtand, welcher ihn in Aufregung verſetzte, ſcharf an, augenſcheinlich bereit, bei einer ſich bietenden Gelegenheit auf ihn loszufahren und von ſeinen Zähnen Gebrauch zu machen.

Die höheren Sinne des Hamſters ſcheinen ziemlich gleich ausgebildet zu ſein, wenigſtens be - merkt man nicht, daß der eine vor dem andern beſonders entwickelt wäre. Die geiſtigen Eigen - ſchaften des Thieres ſind nicht gerade geeignet, ihn zu einem Liebling des Menſchen zu machen. Der Zorn beherrſcht ſein ganzes Weſen in einem Grade, wie bei kaum einem anderen Nager von ſo ge - ringer Größe, Ratten oder Lemminge etwa ausgenommen. Bei der geringſten Urſache ſtellt ſich der Hamſter trotzig zur Wehr, knurrt tief und hohl im Jnnern, knirſcht mit den Zähnen und ſchlägt ſie ungemein ſchnell und heftig auf einander. Ebenſogroß als ſein Zorn, iſt auch ſein Muth. Er wehrt ſich gegen jedes Thier, welches ihn angreift, und ſolange, als er kann. Ungeſchickten Hunden gegen - über bleibt er faſt regelmäßig Sieger; nur die klugen Pintſcher wiſſen ihn zu packen und ſchütteln ihn, wenn Dies geſchehen iſt, faſt augenblicklich zu Tode. Alle Hunde haſſen den Hamſter faſt ebenſo, wie den Jgel, weil ſie ſich ärgern, ihre Herrſchaft einem ſo kleinen Thiere nicht immer aufzwingen zu können. Sie verfolgen ihn mit großem Eifer und beſtehen dann die drolligſten Kämpfe mit dem erboſten Gegner. Es dauert immer einige Zeit, ehe der Hamſter überwunden wird, und ſehr oft verkauft er ſeine Haut theuer genug. Sobald er merkt, ſagt Sulzer, welcher ein ganzes Buch über den Hamſter geſchrieben hat, daß es ein Hund mit ihm zu thun haben will, leert er, wenn ſeine Backen mit Getreide vollgeſtopft ſind, ſolche erſtlich aus, alsdann wetzt er die Zähne, indem er ſie ſehr geſchwind auf einander reibt, athmet ſchnell und laut mit einem zornigen Aechzen, das ſich mit dem Schnurren eines Schlafenden vergleichen läßt, und bläſt zugleich die Backentaſchen dergeſtalt auf, daß der Kopf und Hals viel dicker aufſchwellen, als der hintere Theil des Leibes. Dabei richtet er ſich auf und ſpringt in dieſer Stellung wohl zwei Fuß gegen ſeinen Feind in die Höhe, und wenn dieſer weicht, iſt er kühn genug, ihn zu verfolgen, indem er ihm wie ein Froſch nachhüpft. Die Plumpheit und Heftigkeit ſeiner Bewegungen ſehen dabei ſo luſtig aus, daß man ſich des Lachens kaum erwehren kann. Der Hund wird ſeiner nicht eher Mei - ſter, als bis er ihm von hinten beikommen kann. Dann faßt er ihn ſogleich bei dem Genick oder im Rücken und ſchüttelt ihn zu Tode.

144Der Hamſter.

Aber nicht allein gegen Hunde wehrt ſich der Hamſter; er greift auch kühn den Menſchen an, ſelbſt Den, welcher gar Nichts mit ihm zu ſchaffen haben mag. Es kommt nicht ſelten vor, daß man ruhig an einem Hamſterbau vorübergeht und plötzlich das wüthende Thier in ſeinen Kleidern hängen hat. An Pferden beißt er ſich ebenfalls feſt, und gegen Raubvögel, die ihn vom Boden er - hoben, wehrt er ſich noch in der Luft. Wenn er ſich einmal eingebiſſen hat, hält er ſo feſt, daß man ihn todtſchlagen kann, ehe er nachläßt.

Daß ein ſo wüthendes Thier nicht verträglich ſein kann, iſt erklärlich. Die eigenen Kinder mögen nicht mehr bei der Mutter bleiben, ſobald ſie größer geworden ſind; der männliche Hamſter beißt den weiblichen todt, wenn er außer der Paarungszeit mit ihm zuſammenkommt. Jn der Ge - fangenſchaft leben die Hamſter nur ſelten mit einander in Frieden, alte wahrſcheinlich niemals. Junge, welche noch nicht ein Jahr alt ſind, vertragen ſich beſſer. Jch habe ſelbſt längere Zeit in einer Kiſte drei Stück gehabt, welche ſich niemals zankten, ſondern im Gegentheil recht verträglich bei einander hockten, meiſtens einer noch auf dem andern. Junge Hamſter aus verſchiedenen Neſtern fallen aber augenblicklich über einander her und beginnen den Kampf auf Leben und Tod. Aeußerſt luſtig iſt es, wenn man ihm einen Jgel zur Geſellſchaft gibt. Zuerſt betrachtet er neugierig den ſonderbaren Kauz, welcher ſeinerſeits ſich nicht groß um ihn kümmert und ruhig ſeines Weges geht. Doch die Ruhe wird bald geſtört. Der Jgel kommt zufällig in die Nähe ſeines Mitgefangenen, ein ärgerliches Grunzen begrüßt ihn, und erſchreckt rollt er ſich zur Kugel ein. Jetzt geht der Hamſter auf Erforſchungsreiſen aus. Der Stachelballen wird berochen und ſeine blutige Naſe belehrt ihn gründlich von der Vielſeitigkeit der Horngebilde. Wüthend ſtößt er die Kugel von ſich o weh, auch die Hand iſt verwundet! Jetzt wetzt er die Zähne, quiekt, faucht, ſpringt auf den Ball, ſpringt entſetzt wieder herab, verſucht, ihn mit dem Rücken wegzuſchieben, ſticht ſich in die Schulter, wird immer wüthender, macht neue vergebliche Anſtrengungen, ſich des Ungeheuers zu entledigen, holt ſich neue Stiche in Hände und Lippen und ſtellt ſich endlich mehr erſtaunt als erboſt vor dem Stachelhelden auf die Hinterbeine und betrachtet ihn mit unendlich komiſcher Scheu und mit ver - biſſener Wuth, oder läßt dieſe an irgendwelchem Dinge aus, auch an einem ganz unſchuldigen mit - gefangenen Hamſter, welchem er die dem Jgel zugedachten Biſſe beizubringen ſucht. So oft der Jgel ſich rührt, geht der Tanz von neuem an: der Beſchauer möchte berſten vor Lachen.

Mit anderen kleineren Thieren verträgt er ſich natürlich noch weniger, als mit ſeines Gleichen, ja, er macht förmlich Jagd auf ſolche; denn ſeine Nahrung beſteht zum guten Theil auch aus lebenden Thieren. Kleine Vögel, Mäuſe, Eidechſen, Blindſchleichen, Ringelnattern und Kerbthiere frißt er noch lieber, als Pflanzenſtoffe, und wenn man ihm einen lebenden Vogel in ſeinen Käfig wirft, ſpringt er blitzſchnell zu, zerbeißt ihm zuerſt die Flügel, tödtet ihn dann mit einem einzigen Biß in den Kopf und frißt ihn nun ruhig auf. Das Pflanzenreich muß ihm Alles, was irgendwie genießbar iſt, zur Nahrung liefern. Er verzehrt grüne Saat - und andere Kräuter, Hülſenfrüchte, Möhren, Kartoffeln und dergleichen, auch Wurzeln von manchen Kräutern, ſowie Obſt, es mag unreif oder reif ſein. Jn der Gefangenſchaft nährt er ſich auch von allerlei Gebackenem, wie Kuchen und Brod, von Butter, Käſe u. ſ. w., kurz, das Thier iſt ein wahrer Allesfreſſer.

Auch der Hamſter iſt ein Winterſchläfer. Er erwacht, ſobald die Erde aufgethaut iſt, oft ſchon im Februar, ſicher im März. Anfangs öffnet er ſeine verſtopften Löcher noch nicht, ſondern hält ſich ſtill unten im Bau und zehrt von ſeinen eingetragenen Vorräthen. Gegen die Mitte des März erſchließen die alten Männchen, anfangs April die alten Weibchen das Fallloch. Jetzt ſuchen ſie ſich bereits außen Nahrung, junge Klatſchroſen, friſche Saat, die Körner von Sommergetreide und dergleichen, tragen wohl auch von friſchbeſäten Ackerſtücken, wo ſie die Körner ſorgfältig aufleſen, einige Pfund Getreide in ihren Bau ein. Die jungen Pflanzen aber behagen ihnen bald mehr, als die Körner, und dann gehen ſie dieſer Nahrung nach oder nehmen ab und zu auch wohl ein unge - ſchicktes Vögelchen oder eine Maus, einen Käfer, eine Raupe als willkommene Beute mit hinweg. Zu derſelben Zeit pflegen ſie ſich einen neuen Bau zu graben, in welchem ſie den Sommer zu ver -145Der Hamſter.leben gedenken, und ſobald dieſer fertig iſt, paaren ſich die Geſchlechter. Der Sommerbau iſt ge - wöhnlich nur einen, höchſtens zwei Fuß tief, und der Keſſel mit einem Wochenneſt ausgefüttert, neben welchem dann eine einzige Kammer angelegt wird, falls es viel Saatgetreide in der Umgegend gibt. Ende April begeben ſich die Männchen in die Behauſung der Weibchen und leben, wie es ſcheint, friedlich einige Tage beiſammen; ja, ſie zeigen ſogar inſofern eine große Anhänglichkeit an einander, als ſie ſich gegenſeitig beiſtehen, wenn es gilt, eines oder das andere zu vertheidigen. Kommen zwei Männchen zu einem Weibchen, ſo beginnt augenblicklich ein heftiger Zweikampf, bis der ſchwächere der Gegner unterliegt oder entweicht: man findet oft genug Rammler, welche auf ihrem Leibe tiefe Narben tragen, die Zeichen von ſolchem Strauß in Liebesſache. Jn welcher Weiſe die Begattung vor ſich geht, iſt nicht bekannt. Man hat ſich vergeblich bemüht, Dies an zahmen zu erforſchen, und weiß nur, daß das unartige Weibchen, ſobald es ſich befruchtet fühlt, den Ramm - ler ſofort wieder aus ihrem Baue entfernt durch Güte oder durch Gewalt. Von dieſem Augenblicke an herrſcht unter den vor kurzem ſo zärtlichen Liebesleuten eine Erbitterung, wie gegen jedes an - dere fremde Geſchöpf. Etwa vier bis fünf Wochen nach der Begattung, zum erſten Male gegen Ende des Mai, wirft das Weibchen in ſeinem weich und warm ausgefütterten Neſte 6 bis 18 Junge, und jedes Weibchen heckt in einem Sommer wenigſtens zwei Mal. Die Jungen kommen nackt und blind zur Welt, bringen aber ihre Zähne ſchon mit. Bei ihrer Geburt wiegen ſie ein wenig über ein Quentchen; ſie wachſen jedoch außerordentlich ſchnell, denn ſie haben die Augen noch nicht offen, wenn ſie bereits zwölf Mal ſoviel wiegen. Ungefähr mit dem achten oder neunten Tage ihres Lebens öffnen ſie die Augen und beginnen nun auch im Neſte herumzukriechen. Die Alte behandelt ihre Brut mit viel Liebe und duldet es auch, daß man ihr andere Junge zum Säugen anlegt, ſelbſt wenn dieſe nicht die gleiche Größe wie ihre Kinder haben. Am vierzehnten Tage ihres Alters fangen die jungen Hamſter ſchon zu wühlen an, und ſobald ſie Dies können, denkt die unfreundliche Alte daran, ſie ſelbſtändig zu machen, d. h. ſie jagt ſie einfach aus dem Bau hinaus und zwingt ſie, auf eigene Fauſt für ihren Unterhalt zu ſorgen. Dies ſcheint den Hämſterchen nicht eben ſchwer zu wer - den, denn bereits mit dem fünften oder ſechſten Tage, wo ſie kaum behaart und noch vollſtändig blind ſind, wiſſen ſie recht hübſch ein Weizenkorn zwiſchen ihre Vorderpfötchen zu faſſen und verſtehen ganz prächtig, die ſcharfen Zähnchen zu benutzen. Bei Gefahr huſchen die kleinen Thierchen, ſo erbärmlich ſie ausſehen, recht behend im Bau herum, und das eine hat ſich bald aufs geſchickteſte in dieſen, das andere in jenen Winkel zu verbergen gewußt, wenn auch die meiſten der Alten nach - gefolgt ſind. Dieſe, ſonſt ſo wüthend und boshaft, ſo muthig und tapfer, zeigt ſich feig, wenn es gelten ſollte, ihre Brut zu vertheidigen; ſie entflieht auf erbärmliche Weiſe, ſobald ſie ſpürt, daß man ihr oder ihnen nahe kommt, und verkriecht ſich mit ihrer Brut in das blinde Ende eines Ganges, welchen ſie ſo ſchnell als möglich nach dem Neſte zu mit Erde zu verſtopfen ſucht, oder mit erſtaun - licher Geſchicklichkeit und Schnelligkeit weitergräbt. Die Jungen folgen ihr durch Dick und Dünn, durch den Hagel von Erde und Sand, den ſie hinter ſich wirft. Neugeborene Junge ſehen, nach - dem ſie abgetrocknet ſind, faſt blutroth aus und laſſen ein Gewimmer vernehmen, wie es kleine Hunde auszuſtoßen pflegen. Sie erhalten mit dem zweiten oder dritten Tage ein feines Flaumen - haar, welches ſich aber bald verdichtet und den ganzen Körper einhüllt. Doch brauchen ſie immer ein ganzes Jahr, ehe ſie ihre vollſtändige Größe erreichen; aber es ſcheint faſt, daß im Mai geborene Weibchen im Herbſt bereits zur Fortpflanzung geſchickt ſind.

Sobald die Felder ſich gilben und die Körner reifen, haben die Hamſter viel zu thun mit der Ernte. Leinknoten, große Puffbohnen und Erbſen ſcheinen von ihnen allen übrigen Früchten vor - gezogen zu werden. Ein Hamſter, der in einem Flachsſtücke liegt, wird nicht leicht etwas anderes einernten, als die Knollen davon, ebenſo iſt es im Erbſenfelde; doch wiſſen ſich die Thiere recht wohl in andere Arten von Feldfrüchten zu ſchicken. Man hat beobachtet, daß die alten Rammler, welche Zeit genug haben, das Getreide ausleſen und viel ſorgfältiger aufſchichten, als die Hamſterweibchen, welche nach der letzten Brut noch raſch einen Bau graben und hier die Speicher füllen müſſen. NurBrehm, Thierleben. II. 10146Der Hamſter.wo der Hamſter ganz ungeſtört iſt, verrichtet er ſeine Ernte bei Tage; gewöhnlich iſt die erſte Hälfte der Nacht und der Morgen vor Sonnenaufgang ſeine Arbeitszeit. Er biegt mit den Vorderhänden die hohen Halme ſehr geſchickt um, ſchneidet mit einem Biſſe die Aehre ab, faßt ſie mit den Pfoten, dreht ſie ein paarmal hin und her und hat ſie nun nicht blos entkörnt, ſondern die Körner auch gleich in den Backentaſchen verborgen. So werden die weiten Schleppſäcke gefüllt bis zum Uebermaß; manchmal ſchafft einer ſeine ſechs Loth Körner auf einem Gange nach Hauſe. Ein ſo beladener Hamſter ſieht höchſt ſpaßhaft aus und iſt das ungeſchickteſte Thier der Welt. Man kann ihn mit den Händen ohne Furcht anfaſſen; denn die vollgepfropften Taſchen hindern ihn am Beißen; nur darf man ihm nicht Zeit laſſen, ſonſt ſtreicht er augenblicklich die Körner heraus und ſetzt ſich in Ver - theidigungszuſtand.

Anfangs Oktober, wenn es kalt wird und die Felder leer ſind, denkt der Hamſter ernſtlich daran, ſich ſeine Winterwohnung herzurichten. Zuerſt verſtopft er das Schlupfloch von der Kammer an bis oben hinauf ſo dicht als möglich mit Erde, dann vermauert er ſein Fallloch und zwar von innen heraus, manchmal nicht ganz bis zur Oberfläche der Erde. Hat er noch Zeit oder