PRIMS Full-text transcription (HTML)
A. E. Brehm’s Jlluſtrirtes Thierleben.
Zweiter Band.
Jlluſtrirtes Thierleben.
Eine allgemeine Kunde des Thierreichs
Mit Abbildungen, ausgeführt unter Leitung von R. Kretſchmer.
Zweiter Band.
Hildburghauſen,Verlag des Bibliographiſchen Jnſtituts. 1865.

Erſte Abtheilung. Die Säugethiere.

Zweite Hälfte. Beutelthiere und Nager. Zahnarme, Hufthiere und Seeſäugethiere.

[1]

Zweite Reihe. Krallenthiere (Unguiculata).

Sechſte Ordnung. Die Beutelthiere (Marsupialia).

Ein eigenthümlich abgeſchloſſener Kreis von merkwürdigen Thieren tritt in der Ordnung der Beutelthiere vor uns. Jhr Name bezeichnet ſie; denn der Beutel allein iſt es, welcher ſie zu einem Ganzen vereinigt. Jn ihrer äußeren Erſcheinung haben ſie kaum Etwas mit einander gemein. Sie wiederholen gleichſam mehrere andere Ordnungen und zeigen nur einige abſon - derliche Geſtalten neben den übrigen, welche ebenſo gut an die Hunde, Marder und Spitz - mäuſe, wie an die Haſen, Springmäuſe und Eichhörnchen erinnern. Manchmal glaubt man wirklich eines dieſer Thiere vor ſich zu haben, und die Aehnlichkeit iſt auch ſo groß, daß man ſie an den betreffenden Stellen ohne weiteres in die Ordnung der Raubthiere oder der Nager ein - reihen könnte, verböte Dies nicht aufs entſchiedenſte die Bildung des Beutels und die damit zu - ſammenhängenden eigenthümlichen Frühgeburten, welche allen den ſo verſchiedenen Thieren gemein - ſam ſind. So ſtehen die Beutelthiere, wenn auch als ſcharf begrenztes Ganze, gleichſam doch als Uebergangsglieder zwiſchen den Raubthieren und Nagern da und vermitteln dieſe beiden in jeder Hinſicht ſcharf von einander geſchiedenen und in ſich ſelbſt abgeſchloſſenen Ordnungen.

Sie ſind aber für uns nicht blos aus dieſem Grunde beſonders merkwürdig, ſondern erſcheinen auch noch in anderer Hinſicht einer regen Theilnahme werth. Nach der allgemeinen Anſicht der Naturforſcher gelten die Beutelthiere als die älteſten Thiere unſerer Erde und ſtellen ſo gleichſam die erſten Verſuche der Natur dar, Säugethiere zu erſchaffen, neben den plumpen Lurchen des Feſt - landes, den Flugechſen der Lüfte, den Seedrachen der Meere und jenen wahrhaft furchtbaren Ge - ſtalten der Krokodile, welche in der Vorzeit das Land und die Waſſer beherrſchten. Die Unvoll - kommenheit jener erſten Verſuchsthiere ſpricht ſich deutlich genug darin aus, daß ſie nur halbreife Junge gebären und dieſe erſt außerhalb des Mutterleibes vollends austragen. Owen glaubt in der Waſſerarmuth Auſtraliens den Grund der Beutelbildung zu erblicken, vergißt aber, daß Beutel - thiere auch in Amerika zu Hauſe ſind, wo es an Waſſer wahrlich nicht fehlt. Seine Worte ſind mehr beſtechend, als beweiſend. Denkt Euch, ſagt er, einen unſerer wilden Vierfüßler mei - netwegen einen Fuchs, eine Wildkatze : ſie machen ihr Reſt; ſie haben ihr Lager. NehmtBrehm, Thierleben. II. 12Die Beutelthiere.an, die ſäugende Mutter müſſe, getrieben von dem furchtbaren Durſt, ein - oder zweihundert (zwanzig bis vierzig) Meilen wandern, um ihre lechzende Zunge zu erfriſchen, müſſe ihre kleine Familie zu Hauſe laſſen: was würde aus der jungen, kleinen, blinden, verwaiſten, armen Ge - ſellſchaft geworden ſein, wenn ſie zurückkehrte von ihrem hundertmeiligen Wege? Nun, ver - ſchmachtet, verkommen. Thiere, welche ein Land wie Auſtralien bewohnen, müſſen im Einklange mit ſeinen klimatiſchen und allen übrigen Verhältniſſen gebaut ſein. Und ſo iſt es; die jenem großen Feſtlande eingeborenen und zur Nothwendigkeit des Wanderns beſtimmten Thiere beſitzen den an - deren überflüſſigen Beutel und die geſchlechtlichen Eigenthümlichkeiten, welche Gaben ſie befähigen, ihre Brut mit ſich zu nehmen, wohin immer ſie gehen.

Was würde der gelehrte Forſcher antworten, wenn wir ihn fragen wollten: Gut, aber was thut unter ſolchen Umſtänden die Dingo mutter? wenn wir ihn erinnern wollten, daß gefangene Springmäuſe Monate lang nicht trinken? Wir grübeln nicht nach dem Unerklärlichen, ſondern nehmen die Beutelthiere, wie ſie ſind.

Jm Allgemeinen läßt ſich die Leibesbildung der gedachten Thiere ſchwer beſchreiben. Die Ord - nung zeigt in ihren verſchiedenen Gliedern ſo erhebliche Unterſchiede, wie ſie die ganze Klaſſe nur aufzuweiſen vermag. Mit dem Raubthier - oder Nagergebiß ſteht natürlich auch der Bau der Ver - danungswerkzeuge und gewiſſermaßen ſelbſt der äußere Gliederbau im Einklange. Wir finden echte Raubthiere und echte Grasfreſſer, wir haben Familien, welche ſogar an die Wiederkäuer erinnern: wie wollte da Gleichmäßigkeit zu bemerken ſein! Ganz im Allgemeinen nur kann man ſagen, daß die Beutelthiere Säugethiere von geringer bis höchſtens mittler Größe ſind, deren Körperbau ge - drungen iſt, während ſich die Pfoten gewöhnlich durch ihre Schwäche oder Zierlichkeit auszeichnen. Der Kopf iſt in den meiſten Fällen verlängert und zugeſpitzt, und die ziemlich großen Ohren ſind aufgerichtet, der Schwanz iſt ſehr lang und der Pelz weich und anliegend. Mehr kann man kaum ſagen; denn im übrigen weichen alle Körperformen weſentlich von einander ab, und der Bau der Füße iſt ebenſo verſchieden, wie der des Gebiſſes. So müſſen wir uns die einzelnen Merkmale der Gruppen, welche man unterſchieden hat, bis zur Beſchreibung dieſer ſelbſt aufſparen. Da - gegen aber können wir ſchon jetzt das allen Gemeinſame, den Beutel, betrachten. Die Sehne des äußeren ſchiefen Bauchmuskels, welche ſich vorn auf dem Schambeine aufſetzt, verknöchert und wird ſomit zu dem ſogenannten Beutelknochen, welcher zur Unterſtützung einer Taſche dient, die ſich vorn, am Bauche befindet. Jn dieſer liegen die Milchzitzen, an welchen die halbgeborenen Jungen ſich anfangen. Die Taſche kann ein vollkommener Beutel ſein, aber auch bis auf zwei Hautfalten verkümmern: unter allen Umſtänden jedoch genügt ſie ihrem Zwecke, indem ſie ſich innig über die an den Zitzen hängenden Jungen hinweglegt. Dieſe kommen in einem Zuſtande zur Welt, wie kein einziges anderes Säugethier. Sie ſind nämlich nicht blos nackt, blind und taub, ſondern haben noch nicht einmal einen After und nur ſtummelartige Gliedmaßen. Nachdem ſie halbgeboren ſind, ſaugen ſie ſich an einer der Zitzen, welche gewöhnlich wie eine lange, keulenförmige Warze ausſieht, feſt und wachſen nun in der nächſten Zeit ganz beträchtlich. Dann bilden ſie ſich raſch aus und verlaſſen zeitweilig den Beutel, welchen ſie ſpäter blos noch bei drohender Gefahr aufſuchen, falls ſie nicht vorziehen, auf den Rücken der Mutter zu flüchten und ſich ſo von ihr wegtragen zu laſſen.

Wir müſſen, um dieſen ohne Beiſpiel daſtehenden Geburtshergang weiter zu verfolgen, vorher nothwendig einen Blick auf den inneren Bau der Fortpflanzungswerkzeuge werfen. Die weiblichen Geſchlechtstheile beſtehen aus zwei Eierſtöcken, zwei Muttertrompeten, zwei Fruchthaltern und zwei Scheiden. Die Eierſtöcke ſind klein und einfach oder groß und traubig; am größten und zuſammen - geſetzteſten von allen Säugethieren überhaupt bei dem Wombat, welchen wir ſpäter kennen lernen werden. Sie ſind in der erweiterten Mündung der Trompeten eingebettet, und jeder Eileiter erweitert ſich zu einem beſonderen Fruchthalter, welcher in ſeine eigne Scheide mündet. Jn dieſem Fruchthalter bildet ſich für das ungeborne Junge kein Mutterkuchen, und hiermit mag die Früh -3Die Raubbeutelthiere.geburt wohl zuſammenhängen. Nach Owen’s, Leining’s und Weinland’s Beobachtungen geht nun die Geburt ungefähr in folgender Weiſe vor ſich:

Nach einer ſehr kurzen Tragzeit im Fruchthalter wirft das Beutelthier ſein Junges, welches noch ganz unausgebildet iſt, nimmt es mit dem Maule auf, bringt es in den Beutel und legt es dort an eine Zitze an, wo es ſich feſtſaugt. Hier bleibt es hängen, bis ſich ſeine Sinneswerkzeuge und Glied - maßen entwickelt haben, und der Beutel iſt ſo lange nicht blos Neſt und Zufluchtsort, ſondern auch gleichſam ein zweiter Fruchthalter: noch einmal der Mutterleib. Von hieraus macht das Thierchen ſpäter größere und immer größere Ausflüge; ſeine ganze Kindheit aber verbringt es in dem Beutel, und bei mehr als einem Mitgliede dieſer merkwürdigen Ordnung, welche blos einen Monat oder etwas darüber in dem wirklichen Fruchthalter ausgetragen wurde, währt die Tragzeit im Beutel ſechs bis acht Monate. Von dem Tage der Empfängniß bis zu dem, wo das Junge ſeinen Kopf aus dem Beutel ſteckt, vergehen bei dem Rieſenkänguru ungefähr ſieben Monate, von dieſer Zeit bis dahin, wo es den Beutel zum erſten Male verläßt, noch etwa neun Wochen, und ebenſo - lange lebt dann das junge Geſchöpf noch theils in dem Beutel, theils außerhalb deſſelben.

Die Zahl der Jungen ſchwankt zwiſchen Eins und Vierzehn.

Jn ihrer Lebensweiſe zeigen die Beutelthiere ſo große Verſchiedenheiten, daß an eine allgemeine Schilderung nicht gedacht werden kann. Man muß nur immer feſthalten, daß ſie ebenſogut Raub - thiere wie Nager ſind, daß ſie ſich ebenſowohl auf dem feſten Boden, als theilweiſe unter dem Waſſer, wie auf den Bäumen herumtreiben, daß ſie ebenſogut bei Nacht, als bei Tage ihren Ge - ſchäften nachgehen. Sie nähren ſich von Blättern, Wurzeln, Früchten, Kerbthieren, Würmern und Wirbelthieren; die raubgierigſten und ſtärkſten wagen ſich ſogar an die Hausthiere, z. B. an die Schafe. Die größere Mehrzahl liebt waldige und buſchige Gegenden und zieht ſie wenigſtens offenen, freien Ebenen vor.

Die Sinnesfähigkeiten der Beutelthiere ſind ſehr ungleich entwickelt. Geſicht und Geruch, ſowie das Gehör ſcheinen auch bei ihnen durchſchnittlich am meiſten ausgebildet zu ſein. Jhr geiſtiges Weſen ſteht mit ihrer Lebensweiſe und mit ihrem Gewerbe im Einklange. Die Raubbeutler ſind liſtig, bösartig und biſſig, die pflanzenfreſſenden Beutler dumm, gutmüthig und ſanft.

Gegenwärtig ſind die Beutelthiere auf Amerika und Neuholland beſchränkt. Auſtralien mit ſeinen Jnſeln iſt das eigentliche Vaterland derſelben, und, wie wir oben ſahen, beſteht bei weitem der größte Theil aller Säugethiere dieſes merkwürdigen Erdtheils aus Beutlern. Jn früheren Schöpfungszeiten bewohnten dieſe Thiere auch unſer Europa, zumal Frankreich und England, aber ſchon in der Diluvialzeit ſind ſie von hier verſchwunden.

Für den menſchlichen Haushalt iſt weder der Nutzen noch der Schaden, den die Beutelthiere gewähren, von erheblichem Belang. Man benutzt das Fleiſch und das Fell, erfreut ſich an der Jagd u. ſ. w. und wird dafür von anderen, welche Herden und Gehöfte beſtehlen, gebrandſchatzt.

Nach ihrer Nahrung theilt man die Ordnung der Beutelthiere in zwei ungefähr gleichwerthige Abtheilungen ein, welche von Einigen in zwei, von Anderen, namentlich von Fitzinger, in ſechs Familien geſchieden werden. Der letzteren Eintheilung können auch wir uns anſchließen.

Die erſte Familie enthält die Raubbeutelthiere oder Beutelmarder (Dasyuri).

Sie haben ganz das Gepräge der Raubthiere, ſowohl was den äußerlichen, wie den innerlichen Bau anlangt. Namentlich ihr Gebiß iſt ſehr vollſtändig und beſitzt in beiden Kiefern lange und ſtarke Reißzähne. Die oberen Backenzähne ſind ſpitzzackig, die unteren ſchneidig. Gegenwärtig ſind ſie blos noch in Auſtralien zu finden. Jn der Vorzeit bewohnten ſie als die erſten Säuge - thiere mehrere Länder Europa’s.

Die Raubbeutelthiere halten ſich ebenſowohl in Wäldern als in felſigen Gegenden oder an den Ufern des Meeres auf und leben hier entweder in tiefen Erdhöhlen und Erdlöchern, unter Baum -1 *4Die Raubbeutelthiere.wurzeln und Steingeklüft der Felſen oder in hohlen Bäumen. Die einen bewegen ſich blos auf dem Boden, die anderen klettern vortrefflich, und einige halten ſich faſt ausſchließlich auf den Bäu - men auf. Jhr Gang iſt ſchleichend und bedächtig, und ſie treten dabei mit ganzer Sohle auf. Doch ſind ihre Bewegungen raſch und gewandt, ganz raubthierartig. Faſt alle ſind nächtliche Thiere welche den Tag in ihren Zufluchtsörtern verſchlafen und mit der Dämmerung auf Raub ausgehen. Bei dieſen Streifzügen ſuchen ſie die Küſten des Meeres ab und verzehren hier alle von der See ausgeworfenen Thiere, dieſelben mögen friſch oder faul ſein; die, welche auf den Bäumen wohnen, nähren ſich hauptſächlich von Kerfen und jagen höchſtens noch kleinen Säugethieren, ſowie deren Eiern nach; die größten Arten beſuchen auch wohl die menſchlichen Wohnungen und erwürgen dort nach Marderart oft in einer einzigen Nacht den ſämmtlichen Hühnerbeſtand, oder plündern, wie die frechen Füchſe des Nordens, Speicher und Vorrathskammern und ſtehlen hier Fleiſch und Speck. Die kleineren Arten zwängen ſich durch die kleinſte Oeffnung und ſind deshalb ebenſo verhaßt, wie Marder und Jltis; die größeren fallen die Schafherden an und holen ſich ab und zu ein Stück aus ihnen. Viele führen die Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Jhre Stimme beſteht in einem eigenthümlichen Knurren und einem hohltönenden Gebell.

Jhre Eigenſchaften ſind höchſt verſchieden. Die größeren ſind ſehr wild, biſſig und unzähm - bar und vertheidigen ſich, wenn ſie angegriffen werden, wüthend mit ihren ſcharfen Zähnen; die kleineren dagegen ſind ſanft und gutmüthig, und einzelne können leicht in der Gefangenſchaft erhalten und ohne große Mühe gezähmt werden, doch zeigen ſie niemals eine größere Anhänglichkeit an ihren Pfleger.

Jm Frühlinge werfen die Mütter vier bis fünf Junge, welche wenigſtens in verhältniß - mäßig vollkommenem Zuſtande zur Welt kommen.

Der Schaden, welchen die Mitglieder dieſer Familie verurſachen, überwiegt den Nutzen, den ſie bringen, bei weitem, und deshalb werden ſie auch aufs eifrigſte verfolgt.

Unter ihnen dürfte der Beutelhund, Zebra - oder Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus) der ausgezeichnetſte ſein. Das Thier iſt der einzige, jetzt lebende Vertreter einer beſonderen Sippe, hatte aber in der Vorzeit einen ihm ziemlich naheſtehenden Verwandten, welcher ſich nur im Gebiß ein wenig von ihm unterſchied. Seinen Namen trägt er, wie ein einziger Blick auf unſere Ab - bildung belehren wird, im vollſten Rechte; denn er ſcheint in der That ein wilder Hund zu ſein. Sein geſtreckter Leib, die Geſtalt des Kopfes, die ſtark abgeſetzte Schnauze, die aufrechtſtehenden Ohren und die Augen, ſowie der aufrecht getragene Schwanz erinnern durchaus an die betreffenden Raubthiere; nur ſind die Glieder verhältnißmäßig kurz, und das Gebiß weicht weſentlich von dem der Hunde ab.

Der Beutelwolf iſt das größte aller fleiſchfreſſenden Beutelthiere. Er kommt etwa dem Scha - kal an Größe gleich. Seine Leibeslänge beträgt gegen drei Fuß, die Länge des Schwanzes Fuß, und die Höhe am Widerriſt ebenſoviel. Manche recht alte Männchen ſollen, wie man behauptet, noch viel größer werden und im Ganzen gegen ſechs Fuß in der Länge meſſen. Der kurze, lockere, anliegende Pelz iſt graubraun, auf dem Rücken zwölf bis vierzehn Mal quergeſtreift. Die Rücken - haare ſind am Grunde dunkelbraun und vor der dunklen Spitze auch gelblichbraun, die Bauchhaare blaßbraun an der Wurzel und bräunlichweiß an der Spitze. Der Kopf iſt hellfarbig, die Augen weißlich; am vorderen Augenwinkel findet ſich ein dunkler Flecken und über dem Auge eine Binde. Die Krallen ſind braun. Nach dem Hintertheil zu verlängern ſich die Rückenhaare und erreichen auf dem Schenkel ihre größte Ausdehnung. Das Fell iſt nicht eben fein, ſondern kurz und mehr wollig. Der Schwanz iſt blos an der Wurzel mit weichen, ſonſt aber mit ſteifen Haaren bedeckt. Der Ge - ſichtsausdruck des Thieres iſt ein ganz anderer, als bei dem Hunde, und namentlich fällt das weiter geſpaltene Maul, ſowie das größere Auge beſonders auf. Die Beutelknochen fehlen, ihre Stelle iſt blos durch ſehnige Knorpel angedeutet.

5Der Beutelhund, Zebra - oder Beutelwolf.

Das Thier bewohnt ausſchließlich Tasmanien oder Vandiemensland, während ſein vor - weltlicher Verwandter auf Neuholland gefunden wurde. Jn den erſten Tagen der europäiſchen An - ſiedlung fand ſich der Beutelwolf ſehr häufig, zum größten Nachtheil und Aerger der Viehzüchter, deren Schafherden und Geflügelbeſtänden er fleißigen Beſuch abſtattete. Jn der Folge vertrieb ihn das Feuergewehr mehr und mehr, und ſo iſt er gegenwärtig ſchon in das Jnnere zurückgedrängt worden. Die Hampſhire - und Woolnorſhberge ſind gegenwärtig ſeine hauptſächlichſten Zufluchtsorte, und hier findet man ihn noch immer in hinreichender Anzahl, am häufigſten in einer Höhe von etwa 3000 Fuß über dem Meere. Felsſpalten in dunklen, dem Menſchen faſt undurchdringlichen Schluchten, natür - liche oder ſelbſt gegrabene tiefe Höhlen bilden ſeine Zufluchtsorte während des Tages, und von hier aus unternimmt er ſeine Raubzüge. Er iſt ein nächtliches Thier und ſcheut das helle Licht im hohen

Der Beutelhund, Zebra - oder Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus).

Grade. Die außerordentliche Empfindlichkeit ſeiner Augen gegen die Tageshelle verräth das unauf - hörliche Zucken der Nickhaut: keine Eule kann das Auge ſorgſamer als er vor dem widerwär - tigen Glanze des Lichtes zu ſchützen ſuchen. Wahrſcheinlich wegen dieſer Empfindlichkeit iſt er bei Tage langſam und ungeſchickt; bei Nacht dagegen zeigt er ſich als ein ganz anderes Thier. Er iſt dann munter, rege und ſogar wild und gefährlich, ſcheut keinen Kampf und geht meiſtens als Sie - ger hervor, weil ſeine einzigen Feinde eben blos Hunde ſein können. Wenn er auch nicht der wil - deſte aller Raubbeutler iſt, übertrifft er doch ſeine ſämmtlichen Familienverwandten an Stärke und Kühnheit und verdient auch aus dieſem Grunde vollkommen ſeinen Namen. Er iſt wirklich ein echter Wolf und richtet in ſeiner Heimat im Verhältniß zu ſeiner bedeutend geringeren Größe ebenſo - viel Schaden an, als ſein nördlicher ſtarker Namensvetter.

6Die Raubbeutelthiere.

Die Nahrung des Zebrawolfs beſteht aus allen kleineren Thieren, welche er erlangen und über - wältigen kann, und zwar aus Wirbelthieren ebenſowohl, als aus niederen Thieren, von den Kerb - thieren und Weichthieren an bis zu den Strahlenthieren herab. Wo die Gebirge bis nahe an die Seeküſten reichen und die Anſiedler noch nicht feſten Fuß gefaßt haben, ſtreift er zur Nacht am Strande umher und ſchnüffelt und ſucht die verſchiedenartigſten Thiere zuſammen, welche die Wellen ausgeworfen haben. Muſchel - und andere Weichthiere, welche ſo häufig gefunden werden, ſcheinen die Hauptmaſſe ſeiner Mahlzeiten zu bilden, falls ihm das Glück nicht wohl will und ihm die See ein Leckergericht bereitet, indem ſie ihm einen halb verfaulten Fiſch oder Seehund an den Strand wirft. Aber der Zebrawolf unternimmt auch ſchwierigere Jagden. Auf den grasreichen Ebenen und in den niedrigen, parkähnlichen Waldungen verfolgt er das ſchnelle Buſchkänguru und in den Flüſſen und Tümpeln das Schnabelthier, trotz deſſen Schwimm - und Tauchfertigkeit. Wenn er beſonders hungrig iſt, verſchmäht er keine Speiſe und läßt ſich nicht einmal von dem ſpitzigen Kleide des Ameiſenigels zurückſchrecken; ſo unglaublich es auch ſcheint, daß ein Raubthier eine Beute verzehren kann, deren Haut mit nadelſcharfen Stacheln beſetzt iſt, ſo gewiß weiß man Dies von dem Beutelwolf; denn man hat Ueberreſte des Stachelfelles von dem Ameiſenigel in ſeinem Magen gefunden.

Man fängt das Thier, wenn es ſeine Raubzüge bis zu den Anſiedlungen ausdehnt, in Fallen oder jagt es mit Hunden. Letzteren gegenüber verſteht es ſich ſehr gut zu vertheidigen und zeigt dabei eine Wildheit und Bösartigkeit, welche zu ſeiner geringen Größe ganz unverhältnißmäßig iſt. Jm Nothfalle kämpft es wahrhaft verzweifelt und macht einer ganzen Hundemente zu ſchaffen. Ja es iſt ſogar vorgekommen, daß es dieſe wirklich verſcheuchte.

Ueber das Gefangenleben des Beutelwolfs iſt noch wenig bekannt. Einige behaupten, daß er ſcheu, dummträge und unzähmbar ſei, ſich auch ſchwer erhalten laſſe ꝛc. Dem widerſprechen, wenig - ſtens theilweiſe, neuere Berichte. Die zoologiſche Geſellſchaft in London beſaß drei Beutelwölfe die einzigen, welche jemals lebend nach Europa kamen im Thiergarten von Regent-Park, und ein Weibchen davon lebt dort ſeit dem Jahre 1849, alſo bereits zwölf Jahre. Dieſes Weibchen wurde etwa 30 engliſche Meilen nordöſtlich von Launigſton am Patrickfluſſe in Schlingen gefangen und zunächſt in einem halb ausgebauten Hauſe untergebracht. Hier war es äußerſt lebhaft, machte Sätze von 6 bis 8 Fuß Höhe und kletterte im Gebälk mit der Behendigkeit einer Katze umher. Man fütterte dieſen und andere Beutelwölfe mit Hammelfleiſch und beobachtete, daß ſie dieſes allem anderen Fleiſche vorzogen. Das Fleiſch des Wombat, welches man friſchgefangenen Beutelwölfen als billigſtes Futter reichen wollte, wurde von ihnen nicht angerührt.

Jn demſelben Lande findet ſich noch ein Familienverwandter des Beutelwolfs, welcher ſeiner äußeren Erſcheinung nach zwiſchen den Bären und Mardern ungefähr in der Mitte ſteht: Der bärenartige Raubbeutler (Diabolus ursinus) oder, wie die Anſiedler ihn nennen: der einge - borne Teufel. Dieſen bedeutungsvollen Namen erhielt das Thier wegen ſeiner unglaublichen Wild - heit und Unzähmbarkeit, und man behauptet, daß ihm mit dieſer Bezeichnung gar nicht zuviel ge - ſchehen wäre. Alle Beobachter ſind einſtimmig, daß man ſich kaum ein ungemüthlicheres, tolleres, unſinnigeres und wüthenderes Geſchöpf denken könne, als dieſen Teufel unter den Beutelthieren, deſſen ſchlechte Laune und Aerger niemals endet und deſſen Zorn bei der geringſten Gelegenheit in hellen Flammen auflodert. Nicht einmal in der Gefangenſchaft und bei der ſorgfältigſten Pflege verliert der Teufel ſeine Eigenſchaften und niemals lernt er Den kennen oder lieben, welcher ihn mit Nahrung verſieht und Pflege angedeihen läßt, ſondern greift auch ſeinen Wärter mit derſelben Ge - häſſigkeit und ſinnloſen Wuth an, wie jedes andere Weſen, welches ſich ihm zu nahen wagt. Bei dieſer widerwärtigen Grimmigkeit fällt die ſeinem Namen allerdings widerſprechende Dummheit und Trägheit unangenehm auf. Der Beutelteufel ſchläft entweder in dem dunkelften Winkel ſeines7Der bärenartige Raubbeutler.Käſigs, oder fletſcht ſein furchtbares Gebiß und beißt raſend um ſich, ſobald er glaubt, den ſich ihm Nähernden Etwas verſetzen zu können: in dieſen Zornesausbrüchen gibt er die einzige geiſtige Thätig - keit kund, deren er fähig zu ſein ſcheint.

Wie der lateiniſche Name zeigt, gilt unſer Thier als Vertreter einer beſonderen Sippe. Er unterſcheidet ſich auch ſo weſentlich von dem Beutelwolf, daß man ihn nicht wohl mit dieſem ver - einigen kann. Ein gedrungener, unterſetzter, bärenartiger Körperbau mit kurzem, breiten Kopf, mittelhohen Beinen, nacktſohligen Füßen und Zehen, welche mit großen Sichelkrallen bewehrt ſind, ein dicker Schwanz von halber Körperlänge mit einem Nagel an der Spitze, kleine, wüthend fun - kelnde Augen, kurze, ſehr breite Ohren und ſtarke Schnurren ſind die Kennzeichen dieſer Sippe. Die Körperlänge des Beutelteufels beträgt zwei Fuß und die des Schwanzes einen Fuß. Der grobe Pelz iſt ſchwarz, am Kopfe, den Untertheilen und dem Schwanze braunſchwarz; auf der Bruſt und den Vorderbeinen ſowie am Kreuze und den Schenkeln treten weiße Binden hervor, welche auffallend von der übrigen Färbung abſtechen. Das Gepräge dieſer Zeichnung iſt überall daſſelbe, obgleich be - merkenswerthe Abänderungen in der Größe und Geſtalt der lichten Flecken beobachtet worden ſind. Das Gebiß zeigt geſchloſſene Zahnreihen ohne Lücken mit ſehr ſtarken Eckzähnen. Der Schädel zeichnet ſich durch Kürze und Breite des Schnauzentheiles aus.

Der bärenartige Raubbeutler (Diabolus ursinus).

Jm Anfange machte der Teufel den Anſiedlern auf Vandiemensland viel zu ſchaffen, weil er ihre Geflügelzucht faſt ganz vereitelte. Nach Marderart brach er allnächtlich in den Hühnerhof ein und wüthete hier mit einer Blutgier, wie ſie eben nur ein Marder zeigen kann. Er wurde daher von allem Anfange an grimmig gehaßt und auf das Rachſüchtigſte verfolgt, zumal nachdem man ſein Fleiſch wohlſchmeckend oder wenigſtens genießbar gefunden hatte. Fallen aller Art wurden gelegt, große Jagden veranſtaltet, und ſo kam es, daß auch dieſer Teufel ſehr bald die Herrſchaft und den Verſtand des Menſchen erkennen und fürchten lernte und ſich in die dickſten, unzugänglichſten Forſten in den Gebirgen zurückzog. Jn vielen Gegenden iſt er bereits vollkommen ausgerottet, und auch da, wo er noch ziemlich häufig vorkommt, wird er jetzt nur ziemlich ſelten bemerkt.

Er iſt ein echtes Nachtthier und ſcheut das Tageslicht im gleichen Grade, wie der Beutelwolf oder wie eine unſerer Eulen. Das Licht ſcheint ihm wirklich Schmerzen zu verurſachen; wenigſtens hat man an Gefangenen beobachtet, daß ſie, wenn man ſie ins Helle brachte, augenblicklich mit einer gewiſſen Haſt oder Aengſtlichkeit die dunkelſte Stelle ihres Käfigs aufſuchten, ſich mit dem lichtabge - wandten Geſicht zuſammenkauerten und auch hier noch durch beſtändiges Bewegen ihrer Nickhaut die Augen gegen die wirklich ſchmerzhaften Einwirkungen des Lichtes zu ſchützen ſuchten. Auch der8Die Raubbeutelthiere.Beutelteufel zieht ſich, ſolange die Sonne am Himmel ſteht, in die dunkelſten und tiefſten Höhlen im Geklüft und unter Baumwurzeln zurück und fällt hier in einen faſt todtenähnlichen Schlaf, aus welchem ihn nicht einmal der Lärm einer Jagd zu erwecken vermag. Nach Einbruch der Nacht ver - läßt er ſein Lager und ſtreift nun nach Raub umher; dabei zeigt er ſich verhältnißmäßig raſch und behend in ſeinen Bewegungen und ausdauernd in ſeinem Laufe, obgleich er an Gewandtheit und Gelenkigkeit noch immer unendlich weit zurückſteht hinter den altweltlichen Schleichkatzen und Mar - dern, die er in Neuholland vertritt. Die Haltung und manche Sitten erinnern an den Bären. Beim Gange tritt er mit voller Sohle auf, im Sitzen ruht er wie ein Hund auf dem Hintertheile. Die Nahrung führt er mit den Vorderfüßen zum Munde.

Mit ſeiner gewöhnlichen Wuth fällt er über alle Thiere her, welche er erwiſchen kann. Er ſucht ſich ſeine Beute ebenſowohl unter den Wirbelthieren wie unter den anderen Thieren. Alles, was das im ganzen arme Land oder das Meer ihm bietet, iſt ihm recht; denn ſeine Gefräßigkeit wetteifert mit ſeiner Wuth. Bei ſeinen Raubzügen läßt er auch ſeine Stimme vernehmen; ſie liegt zwiſchen einem hellen Bellen und Knurren in der Mitte. Seine Gefräßigkeit iſt die Urſache, daß man ſich ſeiner ziemlich leicht bemächtigen kann. Er geht nämlich ohne Beſinnen in jede Falle und nimmt jeden Köder weg, gleichviel ob derſelbe ein Stückchen Fiſch oder anderes Fleiſch von Wirbel - thieren oder aber ein Muſchelthier oder ein anderes niederes Thier iſt. Schwieriger iſt ſeine Jagd mit Hunden; denn er entwickelt, wenn er ſich verfolgt ſieht, im Kampfe eine unglaubliche Wildheit und vertheidigt ſich gegen jede Uebermacht bis zu ſeinem Ende. Die große Kraft ſeiner Kiefern, das furchtbare Gebiß und die raſende Wuth in Verbindung mit der vollkommenen Furchtloſigkeit machen ihn zu einem Feinde, welcher jedem Hunde ſiegreich widerſteht. Und wirklich gibt es kaum einen Jagdhund, welcher ſich mit einem dieſer vierbeinigen Teufel in Kampf einläßt.

Jn der Gefangenſchaft bleibt er ſich beſtändig gleich, d. h. er iſt nach Jahren eben ſo raſend und wüthend, wie am erſten Tage, wo man ihn eingefangen hat. Ohne die geringſte Urſache ſtürzt er zuweilen gegen die Stangen ſeines Käfigs und haut mit den Tatzen um ſich, als wolle er den ſich ihm Nähernden auf der Stelle zerreißen. Seine Zornesausbrüche ſind zuweilen geradezu unbegreiflich, weil ſie auch bei der beſten Pflege oder gegen die wohlwollendſten und unſchuldigſten Thiere erfolgen. Eine Stumpfheit und Dummheit ohne Gleichen gibt ſich in dem ganzen Thiere zu erkennen. Er kann in der Gefangenſchaft mit allerlei Futter erhalten werden, manchmal tagelang blos mit Knochen, die er mit ſeinem wundervollen Gebiß leicht zertrümmert.

Die Zahl ſeiner Jungen ſoll zwiſchen Drei und Fünf ſchwanken. Man behauptet, daß das Weibchen ſie lange mit ſich herumtrage. Weiter weiß man Nichts über die Fortpflanzung. Sein Fleiſch ſoll dem Kalbfleiſche ähneln.

Eine dritte Sippe enthält die eigentlichen Beutelmarder (Dasyurus), von denen man gegen - wärtig vier bis fünf Arten kennt. Sie ſtehen hinſichtlich ihres Leibesbaues ungefähr in der Mitte zwiſchen den Füchſen und Mardern, ohne jedoch mit den einen oder den anderen beſonders auf - fallende Aehnlichkeit zu zeigen. Der Leib iſt etwas ſchmächtig und geſtreckt, der Hals ziemlich lang, der Kopf nach vorn zugeſpitzt. Die Beine ſind niedrig und mittelſtark, die Hinterbeine etwas länger, als die vorderen, und durch den ihnen fehlenden Daumen beſonders ausgezeichnet, die Zehen getrennt und mit ſtarken, ſichelförmig gekrümmten, ſpitzen Krallen bewehrt. Der Schwanz iſt lang, ſchlaff und gleichmäßig buſchig behaart.

Eine der bekannteſten Arten iſt der gefleckte Beutelmarder (D. Maugii). Die allgemeine Färbung deſſelben iſt fahlbraun, zuweilen lichter, unten weiß. Auf der ganzen Oberſeite ſtehen unregelmäßig geſtaltete und vertheilte, weiße Flecken, welche am Kopfe kleiner als am Körper ſind. Die etwas zugeſpitzten Ohren ſind mäßig groß und mit kurzen, ſchwarzen Haaren bekleidet. Die9Der gefleckte Beutelmarder.Schnauzenſpitze iſt fleiſchroth. Ein ausgewachſenes Thier erreicht eine Leibeslänge von 15 Zoll und eine Schwanzlänge von einem Fuß. Die Höhe am Widerriſt beträgt ſechs Zoll.

Man trifft den gefleckten Beutelmarder nur in Neuholland an, wo er faſt noch überall ziemlich häufig iſt. Seinen Lieblingsaufenthalt bilden die Wälder an den Küſten des Meeres. Hier verbirgt er ſich bei Tage in Erdlöchern unter Baumwurzeln und Steinen oder in hohlen Stämmen. Nach Einbruch der Nacht ſtreift er, ſeiner Nahrung nachgehend, weit umher. Er frißt hauptſächlich todte Thiere, welche das Meer ausgeworfen hat, ſtellt aber auch kleineren Säugethieren oder auf der Erde niſtenden Vögeln im Walde nach und frißt im Nothfalle ſelbſt Kerbthiere. Den Hühnerſtällen ſtattet er ebenfalls Beſuche ab und würgt nach Marderart das von ihm ergriffene Geflügel ſchonungslos zu - ſammen, ſtiehlt auch wohl Fleiſch und Fett aus den Wohnungen der Menſchen. Sein Gang iſt ſchleichend und bedächtig, und er tritt dabei mit ganzer Sohle auf. Jm Uebrigen ſind ſeine Bewe - gungen raſch und behend; doch klettert er ſchlecht und hält ſich deshalb auch am liebſten am Boden auf, obwohl er zuweilen ſchiefliegende Stämme zu beſteigen pflegt. Die Zahl ſeiner Jungen ſchwankt zwiſchen Vier und Sechs. Sie werden außerordentlich klein geboren und in dem vollkom - menen Beutel des Weibchens lange Zeit verborgen.

Der gefleckte Beutelmarder (Dasyurus Maugii).

Der Beutelmarder wird mit ebenſo großem Haß verfolgt, wie die bisher genannten Raub - beutler. Man fängt ihn oft in namhafter Anzahl in eiſernen Fallen, welche man mit irgend wel - cher thieriſchen Nahrung ködert. Für die Gefangenſchaft iſt er nicht zu empfehlen; denn er iſt eins der langweiligſten Geſchöpfe, welche ich kenne. Man kann ihn weder boshaft noch gutartig, weder lebhaft noch ruhig nennen: er iſt einfach langweilig. Sein Verſtand ſcheint ſehr gering zu ſein. Dem Pfleger beweiſt er niemals Anhänglichkeit oder Liebe und wird eigentlich niemals zahm. Wenn man ſich ſeinem Käfig nähert, zieht er ſich in eine Ecke zurück, deckt ſich den Rücken und ſperrt ſo weit er kann ſein Maul auf ganz, wie es auch das Opoſſum thut. So gefährlich Dies aber auch ausſieht, ſo wenig hat es zu bedeuten; denn er wagt, wenn man ſich ihm weiter nähert, keinen Widerſtand. Ein heiſeres Blaſen, welches kaum Fauchen genannt werden kann, deutet auf innere Erregung; an eine andere, durch Biſſe etwa bethätigte Abwehr denkt er nicht. Das Licht ſcheut er, wie ſeine übrigen Familienverwandten, und zieht ſich deshalb bei Tage ſtets in den dunkelſten Winkel ſeines Käfigs zurück. Da er gegen Witterungseinflüſſe nicht empfindlich iſt und ſich mit jeder Tiſch - nahrung begnügt, kann er ohne ſonderliche Mühe erhalten werden. Rohes oder gekochtes Fleiſch aller Thierklaſſen iſt ihm eine erwünſchte Nahrung. Er zeigt nicht die Gier wie die Vorhergenann - ten. Wenn man ihm ein Stück Fleiſch gibt, bemächtigt er ſich deſſelben mit einer gewiſſen Haſt, reißt10Die Raubbeutelthiere.ein Stück los, wirft es ſpringend in die Höhe, fängt es dann auf und verſchlingt es. Hat das Stück noch nicht die rechte Lage, ſo hilft er mit den Vorderpfoten nach. Nach vollbrachter Mahlzeit ſetzt er ſich auf den Hintertheil, reibt ſchnell die Vorderpfoten gegen einander und ſtreicht ſich damit die feuchte Schnauze rein oder putzt ſich am ganzen Leibe; denn er iſt ſehr reinlich.

Da man weder ſein Fleiſch genießt, noch das Fell verwendet, gewährt er nicht den geringſten Nutzen.

Jn den Beutelbilchen (Phascologale) ſehen wir kleine, mehr oder weniger den Spitzmäu - ſen ähnliche Raubbeutler vor uns. Die Leibesgröße dieſer Thiere erreicht niemals einen Fuß an Länge; die meiſten Arten ſind nur einige Zoll lang, und ihr am Ende gewöhnlich buſchiger, behaar - ter Schwanz iſt noch kürzer. Der gedrungene Leib ruht auf kurzen Beinen mit kleinen, fünfzehigen Pfoten, welche mit Ausnahme des hinteren, nagelloſen Daumens, durch gekrümmte, ſpitze Krallen

Die Tapoa Tafa (Phascologale penicillata).

bewehrt ſind. Der Kopf iſt ſpitz, die Ohren und Augen ſind ziemlich groß. Jm Gebiß fallen die merkwürdig vergrößerten, oberen Schneidezähne auf. Die ſchlanken Eckzähne ſind nur mäßig groß, die ſpitzkegelförmigen Lückzähne erinnern wegen ihrer Höcker an das Gebiß der Kerffreſſer. Unſere Thiere bewohnen ausſchließlich Auſtralien, leben auf Bäumen und nähren ſich faſt nur von Kerb - thieren. Jhre Lebensweiſe und Gewohnheiten ſind noch nicht gehörig erforſcht worden, und deshalb können wir ſie auch nur ganz flüchtig betrachten. Man unterſcheidet hauptſächlich zwei Gruppen, für welche deutſche Namen fehlen.

Mit der erſten dieſer Gruppen mag uns die Tapoa Tafa, wie die Eingeborenen das Thier - chen nennen (Phascologale penicillata), bekannt machen. Jn der Größe gleicht ſie etwa unſerem Eichhörnchen; ihre Leibeslänge beträgt näm - lich neun Zoll und die des Schwanzes acht Zoll. Der lange, weiche, wollige, nur leicht auf dem Fell liegende Pelz iſt auf der Oberſeite grau, an den unteren Leibestheilen aber weiß oder gelblich - weiß. Ein ſchwarzer Ring umgibt das Auge, ein heller Flecken liegt über ihm. Die Mitte der Stirn und des Scheitels dunkelt und auch die Haare ſind ſchwarzſpitzig. Die Zehen ſind weiß. Eigenthümlich iſt der Schwanz. Jn dem erſten Fünftheile ſeiner Länge iſt er mit glatt anliegenden, denen des Körpers ähnlichen Haaren bedeckt, die übrigen vier Fünftheile aber ſind mit langen, buſchigen, dunklen Haaren beſetzt; und deshalb ſticht der Schwanz von der übrigen Körper - färbung ab.

Die Tapoa Tafa erſcheint als ein ſchmuckes, harmloſes, kleines Geſchöpf, unfähig, irgend wel - chen Schaden zu bringen, und deshalb auch ganz geeignet, ein Liebling des Menſchen zu ſein. Aber kaum ein anderes Thier kann durch ſein Weſen dem erſten Eindruck, welchen es macht, ſo wider - ſprechen, wie dieſer Raubbeutler; denn die Tapoa Tafa iſt eine der größten Plagen der Anſiedler, ein wildes, blutdürſtiges und kühnes Naubthier, welches ſich in dem Blute der von ihm getödteten Thiere förmlich berauſcht und auf ſeinen Ranbzügen bis in den innerſten Theil der menſchlichen Woh -11Die Tapoa Tafa.nungen einzudringen weiß. Jhre geringe Größe und der kleine Kopf befähigen ſie, ſich wie ein Wieſel durch die kleinſte Oeffnung zu drängen, und gelangt ſie wirklich in einen von Hausthieren bewohnten Raum, ſo wüthet ſie hier in kaum zu glaubender Weiſe. Gegen das zudringliche Geſchöpf ſchützt weder Wall noch Graben oder Umplankung. Es zwängt ſich durch den engſten Spalt, es klettert, ſpringt über Mauer und Hage und findet ſo überall einen Zugang, ſei es von unten oder von oben, von dieſer oder jener Seite her. Zum Glück der Anſiedler fehlen der Tapoa Tafa die Nagezähne unſerer Ratte, welche dieſem Ungeziefer ſo oft einen Zugang zu den beſt verſchloſſenen Räumen gewähren, und eine gute Thür iſt hinreichend, jenen kleinen Raubgeſellen abzuhalten. Aber Jedermann muß bedacht ſein, Hühnerſtälle und Taubenſchläge auf das Sorgfältigſte abzu - ſchließen, wenn er ſein Geflügel erhalten will. Hätte die Tapoa Tafa die Größe eines Zebra - wolfs, aber verhältnißmäßig dieſelbe Blutgier: ſie würde ganze Gegenden entvölkern und unbe - dingt das fürchterlichſte aller Raubthiere ſein.

Die Anſiedler behaupten einſtimmig, daß die unabläſſige Verfolgung, welcher die Tapoa Tafa ebenſowohl ſeitens der Weißen als der Eingeborenen ausgeſetzt iſt, nicht blos auf Rechnung ihrer Raubgier und ihres Blutdurſtes zu ſetzen ſei, ſondern daß noch ein ganz anderer, beſonderer Haß gegen das Thierchen hier mitwirke. Eine angegriffene Tapoa Tafa ſoll ſich nämlich mit ſolcher Wuth ſelbſt gegen den Menſchen vertheidigen und ihm ſolche ſchmerzhafte, ja ſogar gefährliche Wunden bei - bringen, daß ihr bloſes Erſcheinen ſchon die Rachſucht des Menſchen heraufbeſchwört. Das Thier iſt wirklich berühmt wegen ſeiner Widerſtandskraft, und nicht einmal der ſcharfſichtige und behende Eingeborne wagt es, ſich in einen Kampf mit dem erboſten Geſchöpfchen einzulaſſen.

Die Nacht iſt die gewöhnliche Zeit, in welcher die Tapoa Tafa ihr Haus verläßt und nach Beute umherſtreift. Dennoch ſieht man ſie auch oft genug im Lichte des Tages und ſcheinbar unbeirrt von der Helligkeit herumlaufen. Jhre Beweglichkeit und Gewandtheit iſt ſehr groß und zeigt ſich hauptſächlich in dem Gezweig der Bäume. Unſer Thier lebt hier mehr, als auf der Erde, und ſpringt und huſcht mit der Schnelligkeit und Gelenkigkeit eines Eichhörnchens von Zweig zu Zweig, von Krone zu Krone. Der lange Schwanz nützt ihm dabei jedenfalls als vortreffliches Steuer oder als Vermittler des Gleichgewichts. Das Lager der Tapoa Tafa findet man gewöhnlich in hohlen Stäm - men; hier ernährt ſie auch ihre Jungen. Etwas Weiteres iſt mit Sicherheit nicht bekannt. Das Thier iſt weit verbreitet über Auſtralien und findet ſich ebenſo häufig in der Ebene wie in dem Ge - birge, ganz im Gegenſatze zu den meiſten anderen auſtraliſchen Thieren, welche gewöhnlich auf einen beſtimmten Höhenkreis beſchränkt ſind.

Die Spitzmäuſe ſcheinen unter den Beutelthieren in den Beutelmäuſen (Antechinus) ihre Vertreter gefunden zu haben; denn die letztgenannten Thiere ähneln ihnen wirklich faſt vollſtändig in der Lebensweiſe und im Betragen. Die Sippe, welche ſie bilden, iſt ziemlich zahlreich. Man kennt jetzt bereits zwölf bis funfzehn Arten. Dieſelben ſind weit verbreitet über das ſüdliche Auſtra - lien, vermehren ſich raſch und werden deshalb auch überall in großer Menge gefunden, ja ſie gehören unbedingt unter die häufigſten aller Säugethiere Neuhollands. Von der vorigen Sippe unterſcheiden ſie ſich hauptſächlich durch ihre geringe Größe, welche bei den meiſten kaum die einer gewöhnlichen Maus übertrifft und ſich nur bei wenigen der Größe einer kleinen Ratte nähert. Außerdem iſt ihr Schwanz gleichmäßig und ſehr kurz behaart. Die mittleren Schneidezähne ſind oft verlängert wie bei den Vorigen. Auch ſie ſind zumeiſt Baumthiere und gehören zu den beweglichſten und gewandteſten aller Kletterer; denn ſie laufen nicht blos auf der Oberſeite eines wagerechten Aſtes hin, ſondern faulthierartig auch auf der Unterſeite, aber mit der Schnelligkeit eines Baum - läufers (Certhia). Sie können ebenſo gut kopfunterſt an einem Aſte hinabſteigen, wie an ihm hin -12Die Raubbeutelthiere.auf, und ſpringen mit bewunderungswürdiger Behendigkeit und Sicherheit von einem Zweige nach dem anderen, dabei über ziemlich weite Entfernungen ſetzend.

Unſer Bild ſtellt den gelbfüßigen Beutelbilch oder die gelbe Beutelmaus (Antechinus fla - vipes) dar, ein Thierchen, welches nur wenig über fünf Zoll lang wird und einen drei Zoll langen Schwanz beſitzt. Der ziemlich reichliche und weiche Pelz iſt im Grunde tiefgrau, außen aber ſchwärz -

Der gelbfüßige Beutelbilch (Antechinus flavipes).

lich mit gelber Sprenkelung, an den Seiten roth - oder ecker -, unten lichter gelb, Kinn und Bruſt ſind weißlich, der Schwanz iſt licht, hier und da aber dunkler geſprenkelt.

An dieſe Sippe können wir noch den Ameiſen - oder Spitzbeutler (Myrmecobius fasciatus) reihen, obwohl dieſer von Manchen zu der folgenden Familie gezählt wird. Er gilt als Vertreter einer eigenen Sippe und ſteht bis jetzt als ſolcher einzig da. Sein Körper iſt lang, der Kopf ſehr ſpitz, die Hinterfüße ſind vierzehig, die Vorderfüße fünfzehig; die Hinterbeine ſind etwas länger, als die Vorderbeine. Die Sohlen ſind behaart, die Zehen getrennt. Der Schwanz iſt ſchlaff, lang und zottig. Das Weibchen hat keine Taſche, aber acht in einen Kreis geordnete Zitzen. Auffallend iſt das reiche Gebiß; denn die Zahl der Zähne beträgt nicht weniger als 52, mehr, als die der übrigen Säugethiere, mit alleiniger Ausnahme des Armadills und einiger Walthiere.

Der geſtreifte Ameiſenbeutler iſt uns erſt ſeit kurzer Zeit bekannt geworden und die Kennt - niß, welche wir über ſein Leben beſitzen, deshalb noch ziemlich gering. Man darf ihn mit Recht als eines der ſchönſten und auffallendſten Beutelthiere betrachten. Jn der Größe ähnelt er ungefähr unſerem gemeinen Eichhörnchen. Seine Geſtalt weiſt ihn der Familie der Raubbeutelthiere zu, ob - gleich das Gebiß dieſer Einordnung widerſpricht. Allein er ſteht überhaupt ſo eigenthümlich und ſelbſtändig da, daß man, wenn man alle ſeine Kennzeichen berückſichtigen wollte, für ihn eine eigene Familie bilden müßte. Die Länge ſeines Leibes beträgt zehn Zoll, die des Schwanzes ſieben Zoll, die Höhe am Widerriſt zehn Zoll. Ein reichlicher Pelz bedeckt den Körper, der Kopf iſt kurz, der Schwanz dagegen lang, ſchwarz und zottig behaart. Unter dem langen, ziemlich rauhen Gren - nenhaar liegt dichtes, kurzes Wollhaar, Schnurren ſtehen an den Seiten der Oberlippen und Borſten - haare unterhalb der Augen. Die Färbung und Zeichnung erinnert entfernt an den Zebrawolf und hat dem Ameiſenbeutler ſeinen lateiniſchen Namen verſchafft. Die Färbung iſt höchſt eigenthümlich. Das Ockergelb des vorderen Oberkörpers, welches durch eingemengte weiße Haare lichter erſcheint, geht nach hinten zu allmählich in ein tiefes Schwarz über, welches den größten Theil der hinteren13Der Ameiſen - oder Spitzbeutler.Körperhälfte einnimmt, aber durch neun weiße oder graulichweiße Querbinden unterbrochen wird. Die erſten beiden dieſer Binden, welche faſt auf der Mitte des Leibes liegen, ſind undeutlich und mit der Grundfarbe vermiſcht; die beiden folgenden ſind rein gefärbt, die vier nächſten wieder durch die Grundfarbe getrübt, die neunte iſt wieder vollſtändig rein; doch trifft man bisweilen auch Abän - derungen in Bezug auf die Anordnung und Färbung der Binden. Die ganze Unterſeite iſt gelblich - weiß, die Weichen ſind blaßfahlgelb, die Beine an der Außenſeite blaßbräunlichgelb, an der Vorder - ſeite weiß. Auf dem Kopfe bringen ſchwarze, fahlgelbe und einige weiße Haare eine bräunliche Färbung zu Stande. Die Schwanzhaare ſind ſchwarz, weiß und ockergelb durch einander, unten an der Wurzel fahlgelb, oben ſchwarz, immer mit weißlicher Spitze. Das Wollhaar iſt weißlichgrau, die Naſe, die Lippen und die Krallen ſind ſchwarz.

Ungeachtet dieſer ziemlich von einander abſtechenden Färbung macht das Thier einen angenehmen

Der Ameiſen - oder Spitzbeutler (Myrmecobius fasciatus).

Eindruck, und dieſer wird noch bedeutend erhöht, wenn man es lebend ſieht. Es iſt ebenſo beweglich, wie die vorhergehenden. Wenn es in die Flucht geſcheucht wird, eilt es mit kleinen Sprüngen ziemlich raſch davon, und trägt dabei den Schwanz ganz nach Art und Weiſe unſeres gewöhnlichen Eichhorns. Die Schnelligkeit ſeines Laufs iſt nicht eben groß, aber die Gewandtheit und Schlauheit des Thieres erſetzt ſolchen Mangel. Jn dem von der Menſchenhand unberührten Walde, ſeinem hauptſächlichſten Aufenthalt, findet ſich überall eine Höhlung, ſei es in einem Stamm oder unter dem Gewurzel oder aber eine Kluft im Geſtein. Und ſolche Zufluchtsorte weiß der Ameiſenbeutler mit der größten Geiſtesgegenwart auch während der tollſten Verfolgung auszuſpähen, und mit ebenſo - viel Geſchick als Ausdauer zu behaupten. Nicht einmal der Rauch, das gewöhnliche Hilfsmittel des tückiſchen Menſchen, um ein verſtecktes Thier an das Tageslicht zu bringen, ſoll auf unſern Ameiſen - beutler die beabſichtigte Wirkung hervorbringen, und jedenfalls ermüdet der Menſch weit eher in der14Die Beutelratten.Mühe, welche die Ausräucherung verurſacht, als jener in ſeiner Ausdauer, den athmungsbeſchweren - den, luftverpeſtenden Rauch zu ertragen. Die Hauptnahrung des Ameiſenbeutlers iſt durch ſeinen Namen ausgedrückt. Man findet ihn auch vorzugsweiſe in ſolchen Waldgegenden, wo es Ameiſen - arten in Menge gibt. Seine Ausrüſtungen, zumal die ſcharfen Krallen und die lange Zunge, ſcheinen ihn beſonders auf ſolches Futter hinzuweiſen. Die Zunge ſtreckt er ganz nach Art des Ameiſen - bären unter die wimmelnde Schaar und zieht ſie dann, wenn ſich eine Maſſe der erboſten Kerfe an ihr feſtgebiſſen, raſch in den Mund zurück. Außerdem ſoll das Thier auch andere Kerbthiere und unter Umſtänden das Manna, welches aus den Zweigen der Eucalypten ſchwitzt, ja ſelbſt Gras verzehren.

Jm Gegenſatz zu den Sippen der erwähnten Raubbeutler iſt unſer Thierchen im höchſten Grade harmlos. Wenn der Ameiſenbeutler gefangen wird, denkt er nicht daran, zu beißen oder zu kratzen, ſondern gibt ſeinen Unmuth einzig und allein durch ſchwaches Grunzen kund. Findet er, daß er nicht entweichen kann, ſo ergibt er ſich ohne Umſtände in das Schickſal ſeiner Gefangenſchaft, ein Schickſal, welches ihm, weil der Menſch das nöthige Futter in hinreichender Menge nicht herbei - ſchaffen kann, gewöhnlich bald verderblich wird.

Jn der Freiheit bewohnt das Thier Höhlungen aller Art, in Bäumen, in der Erde oder zwi - ſchen Felſen, und dort wirft es auch ſeine Jungen, deren Zahl zwiſchen Fünf und Acht ſchwanken ſoll. Am häufigſten hat man ihn bis jetzt in den Wäldern am Schwanenfluſſe gefunden.

Einige Naturforſcher bilden aus verſchiedenen Sippen die Familie der Beutelratten (Di - delphys).

Es ſind dies mittelgroße oder kleine Beutelthiere, welche höchſtens die Größe einer Katze erreichen, aber auch oft die einer Maus nicht übertreffen. Der Leib iſt gedrungen, der Kopf an der Schnauze mehr oder weniger zugeſpitzt. Die Augen und Ohren ſind groß, der Schwanz iſt von ſehr veränderlicher Länge und meiſtens ein an der Spitze nackter Greifſchwanz. Die Hinterbeine ſind etwas länger, als die vorderen Beine, die Pfoten ſind fünfzehig, der Daumen iſt bisweilen gegenſetzbar, und bei einer Sippe ſind die Zehen durch Schwimmhäute verbunden. Den Weibchen einiger Arten fehlt die Taſche, bei anderen iſt ſie vorhanden, und zwar häufiger nach hinten als nach vorn geöffnet. Die Zahl der Zitzen iſt ſehr veränderlich, aber meiſtens bedeutend. Jn der Zahnbildung tritt das Raubthiergepräge entſchieden hervor. Die Eckzähne ſind ziemlich entwickelt, die Backzähne mehr oder weniger ſpitz und ſcharfzackig, die Lückzähne zweiwurzelig mit ſpitzen Hauptzacken, die oberen Back - zähne dreiwurzelig und drei -, ſeltener vierſeitig, die Schneidezähne kleiner oder größer, ſtumpfe roder ſchärfer, oben die beiden mittleren meiſt vergrößert. Die Wirbelſäule enthält ſieben Hals -, drei - zehn rippentragende, fünf bis ſechs rippenloſe, zwei Kreuzbein - und achtzehn bis einunddreißig Schwanzwirbel.

Jn der Vorzeit fanden ſich die Beutelratten auch in Europa; gegenwärtig bewohnen ſie blos Amerika. Sie leben faſt ſämmtlich in Wäldern oder in dichtem Gebüſch und ſuchen ſich hier in hohlen Bäumen, Erdhöhlen, zwiſchen dichten Gräſern und Büſchen einen Aufenthalt. Eine Art bewohnt die Ufer kleiner Flüſſe und Bäche, ſchwimmt vortrefflich und ſucht ſich in Erdlöchern Schutz. Alle ſind Nachtthiere und führen durchgehends ein einſam herumſchweifendes Leben, halten ſich auch blos während der Paarungszeit mit ihrem Weibchen zuſammen. Jhr Gang auf ebenem Voden, wobei ſie mit ganzer Sohle auftreten, iſt ziemlich langſam und unſicher; die meiſten vermögen aber, wenn auch nicht ohne alle Mühe, Bäume zu erklettern; und zwar ſind dies diejenigen, deren Schwanz zum Greifwerkzeug geworden iſt, vermittelſt deſſen ſie ſich an die Aeſte aufhängen und ſtundenlang in ſolcher Stellung verbleiben können. Auf der Flucht eilen ſie in kurzen Sätzen davon. Unter ihren Sinnen ſcheint der Geruch am beſten ausgebildet zu ſein. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ſehr15Die Beutelratten.gering, obgleich ſich eine gewiſſe Schlauheit nicht leugnen läßt; namentlich verſtehen ſie es gut, Fallen aller Art zu vermeiden. Jhre Nahrung beſteht in kleinen Säugethieren, Vögeln und deren Eiern, auch wohl in kleinen Lurchen, in Kerbthieren und deren Larven und in Würmern; im Nothfalle freſſen ſie auch Früchte. Die im Waſſer lebenden Schwimmbeutler verzehren hauptſächlich Fiſche, die größeren Arten beſuchen die Wohngebäude des Menſchen und würgen hier alle Thiere ab, deren ſie habhaft werden können, laben ſich an deren Blute und berauſchen ſich förmlich darin. Jhre Stimme laſſen ſie blos dann ertönen, wann ſie gemißhandelt werden; ſie beſteht in eigenthümlich ziſchenden Lauten. Bei Verfolgung ſetzen ſie ſich niemals zur Wehr, und die meiſten haben die Eigen - thümlichkeit, ſich zu verſtellen, wenn ſie ſich nicht mehr verbergen können. Jn der Angſt verbreiten ſie einen ſtarken, widrigen, faſt knoblauchähnlichen Geruch. Sie ſind ſehr fruchtbar; denn die Zahl ihrer Jungen beträgt zwiſchen Vier und Sechszehn. Dieſe Jungen kommen bei den meiſten in einem Zuſtande zur Welt, welcher ſelbſt unter den Beutelthieren ohne Gleichen dazuſtehen ſcheint. Die Arten, bei denen die Weibchen einen vollkommenen Beutel haben, tragen ihre Jungen in dieſem lange Zeit mit ſich herum; die übrigen nehmen ſie, ſobald ſie einigermaßen erwachſen ſind, auf den Rücken, und die kleine Geſellſchaft befeſtigt ſich hier entweder mit den Krallen im Felle oder, was noch häufiger iſt, mit ihrem Schwanze an den Schwanz der Mutter.

Die großen Arten ſind ſehr ſchädliche Thiere, während die kleineren vollkommen harmlos ſind; gleichwohl werden alle ihres widrigen Ausſehens halber und der Sünden wegen, die ſich die größeren Verwandten zu Schulden kommen laſſen, aufs eifrigſte gehaßt und verfolgt. Nach Burmeiſter fängt man ſie in Braſilien, indem man ihnen an einer geeigneten Stelle Branntwein vorſetzt. Sie trinken denſelben leidenſchaftlich gern und werden bald nach dem Genuſſe trunken und wehrlos. Die Neger eſſen das Fleiſch der Erbeuteten, und von einer einzigen Art ſpinnt man das Haar, da der Pelz ſonſt nicht zu gebrauchen iſt, ſondern vielmehr gewöhnlich ausſieht, als wäre er von den Motten zer - freſſen. An die Gefangenſchaft gewöhnt ſich die größere Mehrzahl leicht und ſchnell, doch erfreuen ſie ihren Beſitzer ſehr wenig. Jhre ganze Thätigkeit beſchränkt ſich auf das Freſſen und Schlafen.

Wir können die eigentlichen Beutelratten (Didelphys) zuerſt betrachten, ſchon aus dem Grunde, weil ſie am bekannteſten geworden ſind. Jn vielen Arten über ganz Amerika verbreitet, haben ſie in tüchtigen Naturforſchern eifrige und ſorgfältige Beobachter gefunden, und das Haupt - ſächlichſte, was wir über die Fortpflanzung der Beutelthiere überhaupt, zumal über die Entwickelung der Jungen wiſſen, beruht auf den Beobachtungen der gedachten Gelehrten. Meine Leſer werden bemerkt und mir Recht gegeben haben, daß ich ſtets mit beſonderer Vorliebe meinen Beſchreibungen die Schilderung Rengger’s zu Grunde gelegt habe. Dieſer ausgezeichnete Naturforſcher nun hat auch über die Beutelratten Beobachtungen gemacht, und deshalb kann man ſicher ſein, daß wir im Folgenden die Lebensgeſchichte der Beutelratten ziemlich erſchöpfend behandelt ſehen werden.

Jn der Mitte des Winters, ſagt Rengger von den in Paraguay lebenden Arten der Beutel - ratten, im Auguſtmonat nämlich, ſcheint bei ihnen die Begattungszeit einzutreten; wenigſtens trifft man in dieſem Monate häufig die beiden Geſchlechter bei einander an und findet im darauffolgenden Monat trächtige Weibchen. Dieſe werfen nur einmal im Jahre. Die Zahl ihrer Jungen iſt weder bei den Arten, noch bei den verſchiedenen Weibchen einer Art dieſelbe. Jch fand bei einer Art bis vierzehn Junge, oft aber nur acht oder vier und einmal blos ein einziges. Die Tragzeit dauert etwas mehr als drei Wochen. Anfang des Weinmonats kommen die Jungen zur Welt und treten ſogleich unter den Beutel oder unter die Hautfalten am Bauche der Mutter, wo ſie ſich an den Zitzen anſaugen und ſo lange in dem Zuſtande bleiben, bis ſie ihre vollkommene Ausbildung erreicht haben. Dies geſchieht nach funfzig und einigen Tagen. Alsdann verlaſſen ſie den Beutel, nicht aber die Mutter, indem ſie ſich, auch wenn ſie ſchon freſſen können, in dem Pelze derſelben feſthalten und ſo von ihr noch einige Zeit herumgetragen werden.

Rengger berichtet nun, daß er blos über eine Art Beobachtungen machen konnte, von dieſer16Die Beutelratten.aber die Weibchen theils während ihrer Tragzeit oder im Augenblicke des Gebärens, theils nach der Geburt unterſucht, und fährt dann fort:

Die Tragzeit der betreffenden Art fällt in den Herbſtmonat und dauert etwa 25 Tage. Wäh - rend dieſer Zeit bemerkt man einen Zufluß der Säfte gegen die Wände des Beutels, ein Anſchwellen ſeiner Ränder und eine Erweiterung deſſelben. Die Embryonen oder Thierkeime liegen zum Theil in den Hörnern, zum Theil in dem Körper der Gebärmutter, nie aber in den henkelförmigen Fort - ſätzen derſelben. Nach den erſten Tagen der Empfängniß erſcheinen ſie blos als gallertartige, runde Körperchen, bei denen man ſelbſt durch das Vergrößerungsglas keine Verbindung mit der Gebär - mutter, wohl aber als erſte Spur der Ausbildung des Leibes einen feinen, blutigen Streifen bemerkt. Gegen das Ende der Tragzeit hingegen, wo die Embryonen eine Länge von beinahe ſechs Linien erreicht haben, findet man ſie von einer Haut umgeben und mit einem Nabelſtrange, welcher ſich vermittelſt mehrerer Faſern an die Gebärmutter anſetzt. An der Frucht ſelbſt nimmt man auch mit unbewaffnetem Auge deutlich den Kopf, die vier Beine und den Schwanz wahr. Uebrigens ſind in dieſem Zeitpunkte nicht alle Jungen gleich ausgebildet, es herrſcht im Gegentheil unter ihnen eine Art von Stufenreihe; und zwar ſind diejenigen, welche den fallopiſchen Röhren am nächſten liegen, in ihrer Organiſation auch am wenigſten vorgerückt.

Ueber die Art, wie der Embryo aus der Gebärmutter in die Scheide gelangt, habe ich Folgendes beobachtet: Bei einem Weibchen, das ich in den erſten Tagen des Weinmonats tödtete, fand ich in ſei - nem verſchloſſenen Beutel zwei ganz kleine Junge, dann aber in dem linken henkelförmigen Fortſatze der Gebärmutter einen ausgewachſenen Embryo, der von keinem Häutchen mehr umgeben war und deſſen Nabelſtrang in keiner Verbindung mit den Wänden des Fortſatzes ſtand. Jn dem Körper der Gebärmutter lagen noch zwei andere Embryonen, deren Nabelſtrang ſich aber von denſelben noch nicht abgelöſt hatte. Uebrigens war die Gebärmutter ſowie ihr Fortſatz außer der gewöhnlichen Ausdeh - nung nicht im geringſten verändert. Die Embryonen treten alſo bei dieſer Beutelratte aus dem Körper der Gebärmutter in die henkelförmigen Fortſätze derſelben und erſt von dieſen in die Scheide.

Wie man ſieht, werden die Jungen nicht alle zugleich geboren. Es verſtreichen vielmehr drei bis vier Tage zwiſchen der Geburt des erſten und des letzten Jungen. Wie ſie in den Beutel gelangen, habe ich nie beobachten können. Möglich iſt, daß der Beutel während der Geburt gegen die Scheide zurückgezogen wird, ſo daß die Jungen durch die Geburtsarbeit ſelbſt in den Beutel ge - ſchoben werden. Die neugeborenen Thierchen ſind und bleiben noch einige Zeit wahre Embryonen. Jhre Größe beträgt höchſtens ſechs Linien, ihr Körper iſt nackt, der Kopf iſt im Verhältniß zu den übrigen Theilen groß, die Augen ſind geſchloſſen, die Naſenlöcher und der Mund hingegen offen, die Ohren in Quer - und Längenfalten zuſammengelegt. Die Vorderbeine ſind über der Bruſt, die hinteren über dem Bauche gekreuzt und der Schwanz iſt nach unten gerollt; ſie zeigen auch auf äußere Reize nicht die geringſte Bewegung. Nichtsdeſtoweniger findet man ſie kurze Zeit, nachdem ſie in den Beutel gelangt ſind, an den Zitzen angeſogen. Es iſt nun kaum denkbar, daß Thiere in einem ſolchen Embryonenzuſtande ohne alle Hilfe eine Zitze aufſuchen und ſich anſaugen können. Jch ver - muthe dagegen, daß ſie von der Mutter an die Zitzen gelegt werden, wozu derſelben ohne Zweifel die entgegenſetzbaren Daumen dienen. Die Jungen bleiben nun beinahe zwei Monate in dem Beutel, ohne die Zitzen zu verlaſſen, ausgenommen in den letzten Tagen. Jn den erſten zwei Mo - naten bemerkt man keine andere Veränderung an ihnen, als daß ſie bedeutend zunehmen und daß ſich die Borſtenhaare am Munde zu zeigen anfangen. Nach vier Wochen werden ſie ungefähr die Größe einer Hausmaus erreicht haben, der Pelz tritt über den ganzen Körper hervor, und ſie können einige Bewegung mit den Vorderfüßen machen. Nach Azara ſollen ſie ſich in dieſem Alter ſchon auf den Füßen halten können. Etwa in der ſiebenten Woche werden ſie faſt ſo groß, wie eine Ratte; dann öffnen ſich die Augen. Von dieſer Zeit an hängen ſie nicht mehr den ganzen Tag an den Zitzen und verlaſſen auch zuweilen den Beutel, kehren aber ſogleich wieder in denſelben zurück, ſowie ihnen17Das Opoſſum.Gefahr droht. Bald aber verſchließt ihnen die Mutter den Beutel, der ſie nicht mehr alle faſſen kann, und trägt ſie dagegen während mehrerer Tage, bis ſie ihren Unterhalt zu finden ſelbſt im Stande ſind, mit ſich auf dem Rücken und den Schenkeln herum, wo ſie ſich an den Haaren feſthalten.

Während der erſten Tage nach der Geburt ſondern die Milchdrüſen blos eine durchſichtige, etwas klebrige Flüſſigkeit ab, die man in den Magen der Jungen findet; ſpäter wird dieſe Flüſſigkeit immer ſtärker und endlich zu wahrer Milch. Haben die Jungen einmal die Zitzen verlaſſen, ſo hören ſie auf, zu ſäugen, und die Mutter theilt ihre Beute mit ihnen, beſonders wenn dieſe in Vögeln oder Eiern beſteht.

Noch will ich einer Beobachtung erwähnen, welche Dr. Parlet bei einem ſäugenden Weibchen gemacht haben wollte. Weder er, noch ich, hatte je erfahren können, wie die Säuglinge ſich ihres Kothes und Harnes entledigen. Nachdem, während meiner Abweſenheit, ein Weibchen, wel - ches daſelbſt geworfen hatte, fünf Wochen lang von demſel - ben beobachtet worden, berichtete er mir bei meiner Rückkehr, daß die Jungen während der erſten Tage nach der Geburt keinen Koth von ſich geben und daß Dies erſt geſchieht, wenn dieſelben wenigſtens 24 Tage alt ſind, und daß dann die Mutter von Zeit zu Zeit zu dieſem Zwecke den Beutel öffnet.

Alle Beutelratten, welche ich in Paraguay angetroffen habe, laſſen ſich einigermaßen zähmen, d. h. ſie gewöhnen ſich an den Menſchen, daß man ſie berühren und herumtragen kann, ohne von ihnen gebiſſen zu werden, nie aber lernen ſie ihren Wärter kennen und zeigen überhaupt nicht den ge - ringſten Verſtand. Jn Paraguay fällt es nicht leicht Je - mandem ein, eine Beutelratte zu zähmen. Jhr Ausſehen iſt zu häßlich und der Geruch, den ſie von ſich geben, zu abſchreckend. Auch werden ſie mit als die gefährlichſten Feinde des zahmen Geflügels angeſehen, ſelbſt wenn ſie ſich in der Gefangenſchaft befinden. Des Schadens wegen, den ſie anrichten, werden ſie überall von den Menſchen verfolgt. Man fängt ſie entweder in Fallen oder lauert ihnen des Nachts auf und tritt, ſowie ſie ſich dem Hühnerhof nähern, ihnen plötzlich mit einem Lichte entgegen. Dadurch geblen - det, wiſſen ſie nicht zu entfliehen und werden leicht todtge - ſchlagen.

Unter dieſen Thieren iſt wohl das Opoſſum (Didel - phys virginiana) das bekannteſte. Das merkwürdige Thier hat, weil es eine der gemeinſten Arten iſt, wegen ſeiner

Das Opoſſum (Didelphys virginiana).

rattenähnlichen Geſtalt ſeiner ganzen Sippſchaft den Namen Beutelratten verliehen. Es iſt von der Größe einer Hauskatze und die größte Art der ganzen Sippe. Weder die Färbung, noch irgend welche Anmuth oder Annehmlichkeit in ſeinen Sitten zeichnen es aus, und ſo gilt es mit Recht als ein höchſt widriges Geſchöpf. Die Leibeslänge des Opoſſums beträgt über Fuß, die des Schwan - zes faſt einen Fuß, die Höhe am Widerriſt acht Zoll. Der Leib iſt nur wenig geſtreckt und ziemlich ſchwerfällig, der Hals kurz und dick, der Kopf lang, an der Stirn abgeflacht und allmählich in eine lange, zugeſpitzte Schnauze übergehend. Die Beine ſind kurz, die Zehen von einander getrennt und faſt von gleicher Länge, die Hinterfüße mit einem den übrigen Zehen entgegenſetzbaren Daumen ver -Brehm, Thierleben. II. 218Die Beutelratten.ſehen. Der ziemlich dicke, runde und ſpitze Schwanz iſt blos an ſeiner Wurzel behaart und von da bis zu ſeinem Ende nackt und von feinen Schuppenhaaren umgeben, zwiſchen denen nur hier und da einige kurze Haare hervortreten. Er iſt ein Rollſchwanz, welcher von dem Thiere nach abwärts ge - rollt getragen wird und ihm beim Klettern weſentliche Dienſte leiſtet. Das Weibchen hat einen voll - kommenen Beutel.

Nordamerika iſt die Heimat des Opoſſums, und es findet ſich dort von Mejiko an bis in die kälteren Gegenden der nördlichen Vereinigten Staaten, bis Pennſylvanien und an die großen Seen Canadas. Jn den mittleren Theilen dieſes gewaltigen Landſtrichs wird es überall häufig gefunden und zwar keineswegs zur Freude der Menſchen. Wälder und Gebüſche ſind ſeine Aufenthaltsorte, und je dichter dieſelben ſind, um ſo lieber hält ſich das Opoſſum in ihnen auf.

Bevor ich über die Lebensweiſe und Sitten des ſonderbaren Geſchöpfes ausführlicher berichte, will ich daſſelbe meinen Leſern mit Audubon’s Worten vorſtellen; denn nach ſeiner Anführung bin ich im voraus der Theilnahme für das Opoſſum gewiß, ſo häßlich es auch ſonſt ſein mag.

Mir iſt, ſagt der vortreffliche Beobachter, als ſähe ich noch jetzt eines über den ſchmelzenden Schnee langſam und vorſichtig dahintrippeln, indem es am Boden hin nach Dem ſchnuppert, was ſeinem Geſchmack am meiſten zuſagt. Jetzt ſtößt es auf die friſche Fährte eines Huhnes oder Haſens; es erhebt die Schnauze und ſchnüffelt. Endlich hat es ſich entſchieden und eilt auf dem gewählten Wege vorwärts, ſo ſchnell wie ein guter Fußgänger. Nun ſucht es und ſcheint in Verlegenheit, welche Richtung es weiter verfolgen ſoll; denn der Gegenſtand ſeiner Verfolgung hat entweder einen beträchtlichen Satz gemacht oder wohl einen Haken geſchlagen, ehe das Opoſſum ſeine Spur aufge - nommen hatte. Es richtet ſich auf, hält ſich ein Weilchen auf den Hinterbeinen, ſchaut ſich um, ſpürt aufs neue und trabt dann weiter. Aber jetzt, am Fuße eines alten Baumes, macht’s ent - ſchieden Halt. Es geht rund um den gewaltigen Stamm über die ſchneebedeckten Wurzeln und findet zwiſchen dieſen eine Oeffnung, in welche es im Nu hineinſchlüpft.

Mehrere Minuten vergehen: da erſcheint’s wieder, ſchleppt ein bereits abgethanes Eich - hörnchen in ſeinem Maule heraus und beginnt, den Baum zu erſteigen. Langſam klimmt es empor Der erſte Zwieſel ſcheint ihm nicht anzuſtehen: es denkt wohl, es möchte hier allzuſehr den Blicken eines böſen Feindes ausgeſetzt ſein, und ſomit ſteigt es höher, bis es die dichteren Zweige bergen können, die mit Weinranken durchflochten ſind. Hier ſetzt es ſich zur Ruhe, ſchlingt ſeinen Schwanz um einen Zweig und zerreißt mit den ſcharfen Zähnen das unglückliche Eichhörnchen, das es dabei immer mit den Vorderpfoten hält.

Die lieblichen Frühlingstage ſind gekommen; kräftig ſchoſſen die Blätter: das Opoſſum aber muß immer noch Hunger leiden und iſt faſt gänzlich erſchöpft. Es beſucht den Rand der Buchten und freut ſich, einen jungen Froſch zu ſehen, der ihm eine leidliche Mahlzeit gewährt. Nach und nach brechen Moosbeeren und Neſſeln auf, und vergnügt ſchmauſt es die jungen Stengel. Der Morgenruf des wilden Truthahns entzückt das Ohr des liſtigen Geſchöpfes; denn es weiß ſehr wohl, daß es bald auch die Henne hören und ihre Spur bis zu dem Neſte auffindig machen wird; dort wird es dann mit Wonne die Eier ausſchlürfen.

Auf ſeinen Reiſen durch den Wald, bald auf dem Boden, bald in der Höhe von Baum zu Baum, hört es einen Hahn krähen, und ſein Herz ſchwillt bei der Erinnerung an die ſaftige Speiſe, mit welcher es ſich im vorigen Sommer am benachbarten Meierhofe eine Güte that. Höchſt vorſichtig jedoch rückt es vor und birgt ſich endlich im Hühnerhaus ſelbſt.

Biederer Bauer! warum haſt du vorigen Winter ſoviel Krähen weggeſchoſſen und Raben dazu? Nun, du haſt deinen Spaß gehabt: jetzt aber eile ins nahe Dorf und verſchaffe dir hinrei - chenden Schießvorrath, putze deinen roſtigen Kuhfuß, ſtelle deine Fallen auf und lehre deine trägen Köter, um dem Opoſſum aufzulauern. Dort kommt es! Die Sonne iſt kaum ſchlafen gegangen, aber des Strolches Hunger iſt längſt wach. Hörſt du das Kreiſchen deiner beſten Henne, die es gepackt hat? Das liſtige Thier iſt auf und davon mit ihr. Jetzt iſt Nichts weiter zu thun; höchſtens19Das Opoſſum.kannſt du dich hinſtellen und auch noch auf Füchſe und Eulen anſtehen, welche bei dem Gedanken frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt haſt. Die werth - volle Henne, der du vorher ſo gegen ein Dutzend Eier untergelegt haſt, iſt dieſe jetzt glücklich los - geworden. Trotz all ihres ängſtlichen Geſchreies, trotz ihrer geſträubten Federn hat das Opoſſum die Eier verſpeiſt, eins nach dem andern, und nun ſchau nur, wie der arme Vogel im Hofe herum - läuft und ſelbſt jetzt noch in wahnwitziger Angſt nach ſeinen Jungen ruft!

Das kommt alſo von deinem Krähenſchießen her. Wäreſt du barmherziger und geſcheiter ge - weſen, ſo wäre das Opoſſum wohl im Walde geblieben und hätte ſich mit einem Eichhörnchen be - gnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, die ſo reichlich die Zweige unſerer Waldbäume ſchmücken: Aber ich rede dir vergeblich vor!

Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opoſſum über der That ertappt, dann ſpornt ihn ſein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieſes aber, wohl - bewußt ſeiner Widerſtandsunfähigkeit, rollt ſich zuſammen wie eine Kugel. Jemehr der Bauer raſt, deſtoweniger läßt ſich das Thier etwas von ſeiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht todt, aber erſchöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und ſo würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht ſein Quälgeiſt fortginge. Sicherlich, ſagt der Bauer, das Vieh muß todt ſein. Bewahre, Leſer, es opoſſumt ihm nur Etwas vor. Und kaum iſt ſein Feind davon, ſo macht es ſich auf die Beine und trollt ſich wieder in den Wald.

Jch glaube, daß ich dieſe anmuthige Schilderung blos noch etwas zu vervollſtändigen brauche, um das Leben und Treiben der Beutelratte jedem meiner Leſer hinlänglich kennen zu lehren.

Das Opoſſum iſt ein Baumthier, wie ſeine ganze Ausrüſtung beweiſt. Auf dem Boden iſt es ziemlich langſam und unbehilflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle Bewegungen ſind träg, und ſelbſt der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprün - gen beſteht. Jn den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und auch ziemlich hurtig umher. Dabei kommt ihm der abgeſonderte Daumen ſeiner Hinterhände, mit welchem es die Aeſte umſpannen und feſthalten kann, ſowie der Rollſchwanz gut zuſtatten. Nicht ſelten hängt es ſich an letzterem auf, wie unſere Abbildung es zeigt, und verbleibt ſtundenlang in dieſer Lage. Sein ſchwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derſelben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie die Vierhänder oder Nager es vermögen; doch iſt es auf dem Baum ſo ziemlich vor Feinden geborgen. Am Boden muß es, wenn ihm ſeine Verfolger auf die Näthe gehen, zur Ver - ſtellung greifen, um ſich zu retten. Unter ſeinen Sinnen iſt der Geruch beſonders ausgebildet und das Spurvermögen ſoll ſehr groß ſein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermei - det es deshalb ſorgfältig. Dies genügt alſo, um anzunehmen, daß auch das Geſicht ziemlich gut ſein muß. Die anderen Sinne aber ſtehen unzweifelhaft auf einer ſehr niedrigen Stufe.

Jn den großen, dunklen Wäldern ſchleicht das Opoſſum Tag und Nacht umher, obgleich es die Dunkelheit immer dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja ſchon da, wo ihm die Helle beſchwerlich fällt, erſcheint es blos nachts, verſchläft den ganzen Tag in Erdhöhlen oder Baumhöhlungen. Nur zur Zeit der Paarung lebt es mit ſeinem Weibchen zuſammen; im ganzen übrigen Jahre führt es ein einſames, ungeſelliges Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Thiere. Es hat keine beſtimmte Wohnung, ſondern benutzt jeden Schlupfwinkel, den es nach vollbrachter Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entdeckt. Jſt ihm das Glück beſonders günſtig und findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein ſchwacher Nager wohnt, ſo iſt ihm das natürlich um ſo lieber; denn dann muß der Urbewohner einer ſolchen Behauſung ihm gleich zur Nahrung dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubon’s Schilderung annehmen können, alle kleinen Säugethiere und Vögel, welche es erwiſchen kann, ebenſo auch Eier, mancherlei Lurche, größere Kerfe, deren Larven und ſelbſt Würmer, begnügt ſich aber auch in Ermanglung von thieriſcher Nah - rung mit Baumfrüchten, z. B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen2 *20Die Schupalis.übrigen Speiſen vor, und deshalb wüthet es da, wo es kann, mit unbeſchreiblicher Mordgier. Jn den Hühnerſtällen tödtet es oft ſämmtliche Bewohner und ſaugt dann blos deren Blut aus, ohne ihr Fleiſch anzurühren. Dieſer Blutgenuß berauſcht es derart, daß man es morgens nicht ſelten mitten unter dem todten Geflügel ſchlafend antrifft. Jm Ganzen vorſichtig, wird es, ſo lange es ſeiner Blutgier fröhnen kann, vollkommen blind und taub, vergißt jede Gefahr und läßt ſich, ohne von ſeinem Morden abzuſtehen, von den Hunden widerſtandslos erwürgen oder von dem erboſten Bauer todtſchlagen.

Man hat durch Beobachtung an Gefangenen mit hinlänglicher Sicherheit feſtgeſtellt, daß das Weibchen ungefähr nach vierzehntägiger Tragzeit ſeine Jungen wirft oder, beſſer geſagt, aus dem Mutterleibe in den Beutel befördert. Die Zahl der Jungen ſchwankt zwiſchen Vier und Sechszehn, die Keime ſind anfänglich noch ganz formlos und klein, wie wir oben bemerkten, eher einem gallert - artigen Klümpchen, als einem Säugethiere ähnlich. Sie haben ungefähr die Größe einer Erbſe und wiegen blos fünf Gran. Augen und Ohren fehlen, nicht einmal die Mundſpalte iſt deutlich, ob - wohl ſie natürlich hinlänglich ausgebildet ſein muß, um als Verbindungsmittel zwiſchen den Thier - keimen und ſeiner Mutter zu dienen. Der Mund entwickelt ſich auch viel eher, als alle übrigen Theile des Leibes; denn erſt viel ſpäter bilden ſich die Augen und Ohren einigermaßen aus. Nach etwa vierzehn Tagen öffnet ſich der Beutel, welchen die Mutter durch beſondere Hautmuskeln willkürlich verengern oder erweitern kann, und nach etwa funfzig Tagen ſind die Jungen bereits voll - ſtändig ausgebildet. Sie haben dann die Größe einer Maus, ſind überall behaart und öffnen nun auch die Augen. Nach ſechszig Tagen Saugzeit im Beutel iſt ihr Gewicht auf mehr als das Hun - dertfache des früheren geſtiegen: ſie wiegen jetzt Loth. Die Mutter geſtattet unter keiner Be - dingung, daß ihr Beutel geöffnet werde, um die Jungen zu betrachten. Sie hält jede Marter aus, läßt ſich ſogar über dem Feuer aufhängen, ohne ſich ſolchem Verlangen zu fügen. Erſt wenn die Jungen die Größe einer Ratte erlangt haben, verlaſſen ſie den Beutel, bleiben aber auch, nachdem ſie ſchon laufen können, noch bei der Mutter und laſſen dieſe für ſich jagen und ſorgen.

Wegen des Schadens, den das Opoſſum unter dem Hausgeflügel anrichtet, wenn es einmal in einen Meierhof einbricht, wird es überall gehaßt und ſchonungslos verfolgt. Zumal die Neger ſind eifrige Feinde des Thieres und erlegen es, wo ſie nur können, und zwar weil ſie es am beſten zu be - nutzen vermögen. Das Wildpret des Opoſſums nämlich iſt für europäiſche Gaumen ungenießbar; denn ein äußerſt widriger, ſtark knoblauchartiger Geruch, welcher aus zwei, zu beiden Seiten des Maſt - darms liegenden Drüſen ſtammt, theilt ſich auch dem Fleiſche mit und verdirbt es nach unſerer Anſicht vollſtändig, während die Neger derartige zarte Rückſichten eben nicht hegen.

Das Gefangenleben des Opoſſums entſpricht Vorausſetzungen, zu welchen man ſich durch Au - dubon’s maleriſche Feder etwa veranlaßt ſehen könnte, durchaus nicht. Jch muß nach meinen Er - fahrungen behaupten, daß dieſes Thier noch langweiliger iſt, als der Raubbeutler oder Beutel - marder. Regungslos, in ſich zuſammengerollt, liegt es den ganzen Tag über in ſeinem Käfig, und nur wenn man es reizt, bequemt es ſich wenigſtens zu einer Bewegung: es öſſnet den Rachen ſo weit als möglich und ſolange, als man vor ihm ſteht, gerade, als ob es die Maulſperre hätte. Von dem Verſtand, welchen Audubon am wildlebenden Thiere beobachtete, bemerkt man keine Spur. Es iſt träge, faul, ſchlafſüchtig und erſcheint erſchrecklich dumm: mit dieſen Worten iſt ſein Betragen in der Gefangenſchaft am beſten beſchrieben.

Von den eigentlichen Beutelratten unterſcheiden ſich die Schupatis (Philander) hauptſächlich durch den unvollkommenen Beutel des Weibchens. Dieſer wird nämlich nur durch zwei Hautfalten gebildet, welche ſich über die an den Zitzen hängenden, noch unausgebildeten Jungen hinweglegen.

Die größte Art aller Schupatis und zugleich die größte Beutelratte überhaupt iſt der Krebs - beutler (Philander cancrivorus), ein Thier von ſechszehn Zoll Körperlänge, mit funfzehn Zoll21Der Krebs - oder Krabbenbeutler.angem Schwanze. Er iſt beſonders durch ſein über drei Zoll langes, tiefſchwarzbraunes, an der Wurzel hellſchmuzig, gelblichweißes Stachelhaar von den übrigen Arten der Familie ausgezeichnet. An den Seiten tritt das Gelbe mehr hervor. Der Bauch iſt bräunlichgelb bis gelblichweiß. Das kurze Haupthaar iſt ſchwarzbraun; über den Augen, bis zu den Ohren verläuft eine gelbliche Binde. Die Ohren ſind ſchwarz, wie die Pfoten und die Wurzelhälfte des Schwanzes, während die Endhälfte weißlich iſt.

Der Krebs - oder Krabbenbeutler ſcheint ziemlich weit, vielleicht über das ganze heiße

Der Krebs - oder Krabbenbeutler (Philander cancrivorus).

Amerika verbreitet zu ſein und findet ſich ſehr zahlreich in den Waldungen Braſiliens, am liebſten in der Nähe von Sümpfen, welche ihm Krebſe und Krabben liefern. Er lebt faſt nur auf den Bäu - men und kommt blos dann auf die Erde herab, wenn er unten jagen will. Sein vollkommener Rollſchwanz macht ihm das Klettern leicht; man ſieht ihn in keiner Stellung, ohne daß er ſich durch dieſes Werkzeug feſtgemacht hätte, und ſobald er zur Ruhe kommt, iſt es das Erſte, was er thut, den langen Rattenſchwanz ein paar Mal um den nächſten Zweig zu ringeln und ſich ſo zu verſichern. Auf dem Erdboden geht er langſam und ſchlecht; dennoch weiß er kleinere Säugethiere, Lurche und Kerb - thiere, ſowie namentlich Krebſe, ſein Lieblingsfutter, zu berücken. Jn den Bäumen ſtellt er Vögeln22Die Schupatis.und deren Neſtern nach, doch frißt er auch Früchte, wie das Opoſſum und ſeine anderen Verwandten. Auch er ſoll zuweilen die Hühnerhöfe beſuchen und dort unter Hühnern und Tauben große Ver - wüſtungen anrichten. Die Jungen des Krebsbeutlers ſind während ihrer Kindheit ſehr verſchieden von den Alten gefärbt. Kurz nach ihrer Geburt ſind ſie vollkommen nackt, wenn ſie aber ſoweit erwachſen ſind, daß ſie den Beutel verlaſſen können, bekleidet ein kurzes, ſeidenweiches Haar von glänzendem Nußbraun ihren Körper, und erſt nach und nach nimmt es die dunkle, braunſchwarze Färbung der Alten an. Alle Berichterſtatter ſind einſtimmig, daß die aus dem Beutel geſchlüpften Thierchen, wie ſie ſich um ihre Mutter und auf dieſer herumbewegen, ein allerliebſtes Schauſpiel ge - währen. Jm übrigen ähnelt das Thier in ſeiner Lebensweiſe und in ſeinen Sitten der bekannteren Aeneas-Ratte (Philander dorsiger), welche mehr den Oſten und Norden Braſiliens bewohnt und in niederen, mit Urwäldern bedeckten Ebenen lebt. Sie iſt der eigentliche Bertreter der Schupatis, weil ihr Beutel am unvollkommenſten iſt. Jhre Körperlänge beträgt Zoll, die Länge des Schwanzes ſieben Zoll, die Höhe am Widerriſt Zoll: ſie iſt demnach etwas kleiner, als unſere

Die Aeneas-Ratte (Philander dorsiger).

Hausratte, mit welcher ſie übrigens in der Geſtalt manche Aehnlichkeit hat. Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz und dick, die Beine ſind ziemlich kurz, das Hinterpaar iſt etwas länger, als das vor - dere, die Sohlen ſind nackt, die Zehen getrennt. An den Hinterfüßen befindet ſich ein, den übrigen Zehen entgegenſetzbarer, nagelloſer Daumen, welcher durch eine kurze Spannhaut mit der zweiten Zehe verbunden iſt; die übrigen Zehen haben kurze, weniger gekrümmte, ſpitze Krallen. Der ſehr lange, dünne, runde und ſpitze, an der Wurzel dicht behaarte, dann nackt geringelte und geſchuppte Schwanz iſt ein echtes Greifwerkzeug. Die Behaarung iſt kurz, glatt, dicht, weich und wollig, ohne eigentliches Grannenhaar. Auf der Oberſeite iſt ſie graubraun, auf der Unterſeite weißlichgelb ge - färbt. Das Auge umgibt ein dunkelbrauner Flecken; die Stirn, der Naſenrücken, die Wangen und die Füße ſind gelblichweiß.

Die Aeneas-Ratte iſt auch ein Baumthier, doch keineswegs ein beſonders ſchnelles. Jhr Gang auf ebenem Boden iſt noch ſchlechter und unſicherer, als ihre Bewegungen in den Bäumen. Sie wandert in ihrem laubigen Gebiet von Krone zu Krone, von Baum zu Baum, von einem Theile des Waldes zu dem anderen, ohne ein beſtimmtes Lager zu haben. Den Tag bringt ſie gewöhnlich23Der Schwimmbeutler.im dichteſten Geſträuch oder zwiſchen recht laubigen Aeſten, vielleicht auch in einem hohlen Stamme zu; nachts geht ſie nach Nahrung aus. Nur während der Paarungszeit findet man Männchen und Weibchen zuſammen; den übrigen Theil des Jahres leben die Geſchlechter für ſich. Jhre fünf bis ſechs Jungen kommen noch ſehr unausgebildet zur Welt, ſaugen ſich aber ſogleich an den Zitzen feſt und hängen hier wie Früchte an einem Baume. Wenn ſie Haare bekommen haben, ſetzen ſie ſich der Mutter auf den Rücken und halten ſich mit ihren Schwänzen feſt, indem ſie dieſelben um den Schwanz der Alten ſchlingen. Selbſt wenn ſie ſchon faſt erwachſen ſind und der mütterlichen Pflege oder der Muttermilch kaum mehr bedürfen, bleiben ſie noch immer in der Nähe der Alten, und flüchten bei drohender Gefahr ſchnell auf deren Rücken, klammern ſich an und laſſen ſich von ihr nach einem ſicheren Orte tragen. Hiervon erhielt das Thier ſeinen Namen. Jn der Angſt ſträubt die Alte die Haare ihres Rückens, gibt einen ziſchenden Laut von ſich und verbreitet einen eigenthüm - lichen, unangenehmen, faſt knoblauchartigen Geruch aus ihren Afterdrüſen.

Der Schaden, welchen das Thier verurſacht, iſt ſehr gering, der Nutzen aber eben ſo unbedeu - tend. Die Neger eſſen ihr Fleiſch.

Die letzte Sippe unſerer Familie enthält das einzige, bis jetzt bekannte Beutelthier, welches vor - zugsweiſe im Waſſer lebt, den Schwimmbeutler (Chironectes variegatus) nämlich. Man hat bis jetzt blos dieſe eine Art der Sippe aufgefunden und auch von ihrem Leben und Treiben nur wenig erfahren können. Der Schwimmbeutler iſt ſchon längſt bekannt, jedoch niemals ordentlich beobachtet worden. Buffon nennt ihn den kleinen Otter von Guyana, andere Naturforſcher erwähnen ſeiner unter dem Namen des Demeraraotters. Die Engländer bezeichnen es mit dem Landnamen Yapock.

Jm Ganzen ähnelt der Schwimmbeutler den eigentlichen Beutelratten noch am meiſten; nur der Bau ſeiner Füße iſt es, welcher ihn unterſcheidet. Die Vorder - und Hinterfüße ſind fünfzehig, dieſe aber merklich größer, als jene, und durch große Schwimmhäute, welche die Zehen verbinden, ſowie durch ſtarke, lange und ſichelförmige Krallen vor den Vorderfüßen ausgezeichnet. Die Zehen der letz - teren tragen blos kleine, ſchwache und kurze Krallen, welche ſo in den Ballen eingeſenkt ſind, daß ſie beim Gehen den Boden nicht berühren. Der Daumen iſt verlängert, und hinter ihm befindet ſich noch ein knöcherner Fortſatz, aus einer Verlängerung des Ferſenbeines herrührend, gleichſam als ſechſte Zehe. Der ſehr lange Schwanz iſt blos an der Wurzel kurz und dicht behaart, im übrigen mit ver - ſchoben-vierſeitigen Schüppchen bekleidet. Der Kopf iſt verhältnißmäßig klein, die Schnauze lang und zugeſpitzt; die Sohlen ſind nackt, der Pelz iſt weich. Das Weibchen hat einen vollſtändigen Beutel, das Männchen einen dicht und pelzig behaarten Hodenſack. Jm Zahnbau ähnelt der Schwimmbeutler den eigentlichen Beutelratten faſt vollſtändig. Von ſeinem inneren Leibesbau iſt noch nichts Genügendes bekannt.

Unſer Thier gehört unzweifelhaft zu den merkwürdigſten Mitgliedern der ganzen Ordnung. Jm Allgemeinen hat es ungefähr das Ausſehen einer Ratte. Die Ohren ſind ziemlich groß, eiförmig ge - rundet, häutig und nackt, die Augen klein. Große Backentaſchen, welche ſich weit rückwärts in die Mundhöhle öffnen, laſſen das Geſicht oft dicker erſcheinen, als es wirklich iſt. Der geſtreckte, walzenförmige, aber eher unterſetzte als ſchlanke Leib ruht auf kurzen Beinen mit breiten Füßen, deren Vorderpaar vollkommen getrennte, ſehr lange und dünne Zehen hat, während die Hinterfüße ſich als ſtarke Ruder kennzeichnen. Der Schwanz iſt faſt von gleicher Länge mit dem Körper, und ein Rollſchwanz, obgleich er wohl nicht als Greifwerkzeug benutzt wird. Eigenthümlich iſt die Zeich - nung. Der weiche, glatte, anliegende Pelz, welcher aus zerſtreuteren längeren Grannen und dichtem Wollhaar beſteht, iſt auf dem Rücken ſchön aſchgrau gefärbt und ſticht ſcharf ab von der weißen Un - terſeite. Auf dem grauen Grunde des Rückens liegen ſechs ſchwarze, breite Querbinden und zwar läuft davon eine über das Geſicht, eine über den Scheitel, eine über die Vorderbeine, die vierte über24Der Schwimmbeutler.den Rücken, die fünfte über die Lenden und die ſechſte über das Kreuz. Längs der Rückenlinie ver - läuft ein dunkler Streifen von einer Binde zur anderen. Die Ohren und der Schwanz ſind ſchwarz, die Schwanzſpitze iſt fleiſchfarben. Die Pfoten ſind oben hellbraun, die Sohlen dunkelbraun; die Naſe iſt ſchwarz. Ausgewachſene Thiere ſind etwa 15 Zoll lang und haben einen beinahe eben ſo langen Schwanz. Jhre Höhe am Widerriſt beträgt kaum vier Zoll. Einzelne ſehr alte Männchen ſollen zwei Fuß lang werden.

Der Schwimmbeutler iſt über einen großen Theil von Südamerika verbreitet. Er findet ſich von Rio de Janeiro an durch das ganze Küſtenland Südamerikas bis nach Honduras; aber er ſcheint überall ſelten vorzukommen oder wenigſtens ſchwer zu erlangen zu ſein und wird daher auch noch in den wenigſten Sammlungen gefunden. Natterer, welcher ſiebzehn Jahre in Braſilien ſammelte, erhielt das Thier blos dreimal, und auch nur zufällig. So darf es uns nicht Wunder nehmen, daß wir von ſeiner Lebensweiſe noch kaum Etwas wiſſen. Man hat erfahren, daß der Schwimmbeutler haupt - ſächlich in den Wäldern an den Ufern kleiner Flüſſe und Bäche ſich aufhält und nach Art der meiſten

Der Schwimmbeutler (Chironectes variegatus).

Waſſerſäugethiere ſich hauptſächlich in Uferlöchern verſteckt, oder mitten im Strome herumſchwimmt, ſomit aber gewöhnlich der Beobachtung entgeht. Er ſoll mit größter Leichtigkeit ſchwimmen und ſich auch raſch und behend bewegen können, und ſowohl bei Tage als bei Nacht nach Nahrung ausgehen. Dieſe beſteht, wie man angibt, in kleinen Fiſchen oder in anderen kleinen Waſſerthieren und in Fiſch - laich, doch deuten die großen Backentaſchen wohl darauf hin, daß der Schwimmbeutler nebenbei auch Pflanzennahrung nicht verſchmäht. Man ſagt, daß das Thier, wenn es dieſe Vorrathskammern mit Nahrung gefüllt hat, nach dem Lande zurückkehre, um dort zu ſpeiſen. Sicheres hierüber iſt jedoch nicht bekannt.

Das Weibchen wirft etwa fünf Junge, trägt ſie im Beutel aus, führt ſie dann ſchon ziemlich frühzeitig in das Waſſer und unterrichtet ſie hier längere Zeit im Schwimmen, Tauchen und im Er - werb der Nahrung. Ob die Jungen bei Gefahr in den Beutel zurückkehren, an der Mutter ſich feſt - klammern oder in Uferlöcher ſich verſtecken, iſt nicht bekannt.

Die Jagd und der Fang des Schwimmbeutlers ſcheinen ganz dem Zufall unterworfen zu ſein. Nur ſehr ſelten ſoll man eins der Thiere zum Schuß bringen, wenn es in der Mitte des Fluſſes ſich25Der Beuteldachs oder Bandikut.zeigt. Gewöhnlich erhält man die wenigen, welche man überhaupt in ſeine Gewalt bekommt, beim Aufheben der Fiſchreuſen, in denen ſie ſich verwirrt und den Tod durch Erſtickung gefunden hatten.

Mit dieſen merkwürdigen und ſeltenen Thieren verlaſſen wir Amerika und wenden uns wieder nach der eigentlichen Heimat der Beutelthiere, nach Auſtralien zurück; denn von allen übrigen Familien, welche wir noch zu betrachten haben, hat keine einzige mehr einen Vertreter in der neuen Welt.

Auch der Laie wird ohne Bedenken die Familie der Beutelratten von der der Beuteldachſe oder Bandikuts (Perameles) unterſcheiden können. Die anſehnlich verlängerten Hinterbeine und die ganz abweichende Zehenbildung dieſer Thiere ſind Merkmale, welche Jedem in das Auge fallen müſſen. Von den fünf Vorderzehen nämlich iſt die innere und äußere ſo verkümmert, daß ſie eigent - lich blos als eine nach hinten gerichtete nagelloſe oder blos mit flachen Nägeln bedeckte Warze erſcheint; die drei mittleren Zehen dagegen ſind um ſo größer, frei und mit ſtarken, ſichelförmigen und ganzen Nägeln oder vielmehr Krallen beſetzt. An den Hinterfüßen iſt wenigſtens der Daumen verkümmert und die zweite und dritte Zehe ſind mit einander bis zu den Nägeln verwachſen, die Sohlen ſind nackt. Der Leib iſt im Ganzen gedrungen, der Kopf ſehr zugeſpitzt, zumal am Schnauzentheile; die Ohren ſind meiſt mäßig, bei einigen Arten aber auffallend groß; der Schwanz dagegen iſt gewöhnlich ſehr kurz und dünn behaart, nur ausnahmsweiſe lang und buſchig. Der Beutel des Weibchens, in welchem acht Zitzen liegen, iſt nach hinten geöffnet. Jm Gebiß ähneln die Beuteldachſe den Beutelratten bis auf die unterſten Schneidezähne, von denen blos drei Stück vorhanden ſind.

Man kennt gegenwärtig etwa neun verſchiedene Arten unſerer Thiere, welche ſämmtlich Neu - holland bewohnen. Sie leben in höher gelegenen, kühleren Berggegenden, und zwar in Höhlen, welche ſie ſich in den Boden graben und bei der geringſten Gefahr eiligſt aufſuchen. Mitunter trifft man ſie in der Nähe von Pflanzungen oder menſchlichen Anſiedlungen, gewöhnlich aber halten ſie ſich fern von dem Erzfeinde aller Thiere. Die meiſten Arten ſcheinen geſellig mit einander zu leben und nur nächtliche Lebensweiſe zu führen. Jhre Bewegungen ſind ziemlich raſch und eigenthümlich, da ihr Gang aus einer Reihe kürzerer oder weiter Sprungſchritte beſteht. Keine einzige Art kann ordent - lich gehen und keine nur im geringſten klettern. Die Nahrung beſteht hauptſächlich aus Pflanzen, beſonders aus ſaftigen Wurzeln und Knochen, doch verzehren ſie nebenbei auch Kerbthiere und Wür - mer oder Sämereien. Sie führen die Speiſe mit den Vorderpfoten zum Munde und ſetzen ſich dabei halb aufrecht hin, den Leib auf die Hinterbeine und den Schwanz geſtützt.

Alle Beuteldachſe ſind ſcheue und flüchtige, durchaus gutmüthige, harmloſe und friedliche Thiere, welche in der Freiheit vor jeder Gefahr zurückſchrecken und dem Menſchen ängſtlich zu ent - fliehen ſuchen. Jn der Gefangenſchaft aber fügen ſie ſich ohne Schwierigkeit und ohne Beſinnen in ihr Loos und werden ſchon nach kurzer Zeit zahm und zutraulich, machen daher auch dem Beſitzer viel Freude. Hierin beſteht der einzige Nutzen, welchen ſie den Menſchen bringen können, da von keiner Art das Fleiſch gegeſſen oder das Fell verwendet wird. Der Schaden, welchen ſie anrichten, kann unter Umſtänden ziemlich bedeutend ſein. Sie unterwühlen die Felder und richten deshalb in den Pflanzungen große Verwüſtungen an; andere beſuchen auch wohl die Kornſpeicher und vermin - dern hier die Vorräthe, indem ſie in ziemlicher Anzahl erſcheinen.

Man theilt die Familie in wenige und artenarme Sippen ein. Die nachſtehend beſchriebenen und abgebildeten Arten werden uns hinlänglich mit ihr bekannt machen.

Zu den eigentlichen Beuteldachſen gehört der ſpitznaſige Beuteldachs (Perameles nasuta), ein Thier von eigenthümlicher Geſtalt, welches mit einem Kaninchen faſt ebenſoviel Aehnlichkeit hat, als mit einer Spitzmaus. Er trägt ſeinen Namen inſofern mit Recht, als er die längſte26Die Beuteldachſe.Schnauze unter allen echten Bandikuts beſitzt. Namentlich der obere Theil derſelben iſt verlängert, und die Naſenkuppe ragt weit über die Unterlippe vor. Die ſehr kurzen, behaarten Ohren ſind unten breit, ſpitzen ſich aber raſch zu; die Augen ſind klein. Der geſtreckte Leib trägt einen mittel - langen, ſchlaffen und kurzbehaarten Schwanz und ruht auf ziemlich ſtarken Beinen, von denen die hinteren faſt noch einmal ſo lang als die vorderen ſind. Am vorderen Fußpaar ſind die Jnnen - und Außenzehen blos durch die beſchriebenen Warzen angedeutet und ſoweit nach rückwärts geſtellt und unter den Haaren verſteckt, daß es ſchwierig iſt, ſie aufzufinden. Die übrigen drei Zehen, auf welche das Thier allein auftritt, tragen tüchtige, ſichelförmig gekrümmte Krallen. Der nicht eben dicke, aber ziemlich lange, ſtraffe und rauhe, ja faſt borſtenartige Pelz beſteht aus einem ſpärlichen und kurzen Wollhaar und längeren Grannen. Oben iſt er bräunlichfahlgelb und ſchwarz geſprenkelt, und Dies wird hauptſächlich durch die Doppelfärbung der einzelnen Haare bewirkt, welche unten grau ſind und allmählich in Schwarz übergehen, oft aber noch in bräunlichfahlgelbe Spitzen endigen. Die Unterſeite iſt ſchmuzig gelblichweiß, die Oberſeite der Hinterfüße lichtbräunlichgelb. Der Schwanz iſt oben ſchwarzbraun, unten lichtkaſtanienbraun. Die Ohren ſind an den Rändern bräun - lich behaart, aber die nackte Haut ſchimmert überall zwiſchen den Haaren hindurch. Erwachſene Thiere meſſen gewöhnlich 1 Fuß 10 Zoll, einſchließlich des Schwanzes, deſſen Länge 6 Zoll beträgt, und ſind am Widerriſt etwa 4 Zoll hoch.

Der ſpitznaſige Beuteldachs (Perameles nasuta).

Der ſpitze Bandikut lebt wie ſeine Verwandten in höheren, kühleren Berggegenden Auſtra - liens, zumal in Neuſüdwales. Er fehlt in den heißen Ebenen dieſes Erdtheils, ſteigt jedoch öfters bis zur Seeküſte herab. Jn ſeiner eigentlichen Heimat iſt er überall ſehr häufig, und durchgräbt oft ganze Strecken, theils der Nahrung wegen, theils um ſich eine Wohnung zu gründen. Ein wahres Netz von Furchenwegen, welche von einem Loche zum anderen führen, bedeckt nicht ſelten ganze große Ebenen. Namentlich unter dem Gebüſch ſind jene Löcher zahlreich beiſammen. Die langen und kräf - tigen Krallen machen es ihm ſehr leicht, dieſe halb und halb unterirdiſchen Gänge und Höhlen aus - zugraben, und da gerade Wurzeln und Knollen die hauptſächlichſte Nahrung aller Bandikuts zu bil - den ſcheinen, muß er beſtändig, wie der Maulwurf, neue Gänge ausſcharren, um leben zu können. Der lange Rüſſel dient ihm jedenfalls auch zum Wühlen. Nächſt den Wurzeln frißt er auch Würmer und Kerbthiere. So lange er aber Pflanzennahrung haben kann, ſcheint er dieſe aller übrigen vor - zuziehen. Zuweilen richtet er in Kartoffelfeldern oder in Kornſpeichern ziemlich bedeutende Verhee - rungen an, und wird dort faſt ebenſo läſtig, als die Mäuſe und Ratten. Glücklicherweiſe fehlen ihm die Nagezähne dieſes Ungeziefers, und ſomit iſt der Pflanzer bei einiger Vorſicht im Stande, ihn von ſolchen Beſuchen abzuhalten; gleichwohl muß der Menſch noch immer bedacht ſein, die Mauern27Der ſtreifige Beuteldachs.ſolcher Speicher tief einzuſenken, weil der Bandikut ſonſt, unter ihnen ſich durchgrabend, neue Gänge bahnen würde. Der Gang des Thieres iſt ein eigenthümliches Mittelding zwiſchen Rennen und Springen und ſoll noch am meiſten dem des Kaninchens ähneln. Dabei tritt es abwechſelnd auf die Hinter - und Vorderfüße, alſo nicht wie die Kängurus blos auf die letzteren. Die Nahrung führt der Beuteldachs wie unſere Eichhörnchen mit den Vorderpfoten zum Munde; dabei ruht er auf dem Hintertheile und ſtützt ſich zugleich auch auf den Schwanz. Seine Stimme hört man blos, wenn er verwundet wird; ſie beſteht aus ſcharf pfeifenden Tönen, welche lebhaft an das Gequieke der Ratten erinnern. Jn der Gefangenſchaft beträgt er ſich bald ſehr liebenswürdig und zutraulich. Seine Ernährung macht nicht die geringſten Schwierigkeiten. Er gewöhnt ſich an den Menſchen, iſt gutmüthig, harmlos und verlangt eben keine Abwartung oder Pflege; die Anſiedler ſcheinen ihn und ſeine Verwandten aber mit demſelben Widerwillen anzuſehen, mit welchem wir die Ratten betrachten, und verfolgen alle Bandikuts wo ſie nur können. Hier und da wird behauptet, daß man das Fleiſch dieſer Art eſſen könne, doch widerſprechen dieſer Angabe andere Berichte, und es iſt wohl auch anzunehmen, daß die europäiſchen Pflanzer wenigſtens ein Thier, welches ſie eben Ratte nennen und, wie es ſcheint, von den eigentlichen Ratten gar nicht unterſcheiden, nicht eben ohne Ekel verſpeiſen

Der ſtreifige Beuteldachs (Perameles fasciata).

dürften. Das Weibchen ſoll mehr als einmal im Jahre drei bis ſechs Junge werfen und dieſe lange Zeit in ſeiner nach hinten geöffneten Taſche herumtragen.

Eine zweite Art der echten Beuteldachſe iſt der ſtreifige Beuteldachs (Perameles fasciata), ein Thier von 12 Zoll Leibes - und 4 Zoll Schwanzlänge, mit großen Ohren und dünn behaartem Schwanze. Die allgemeine Färbung ſeines Pelzes iſt ein Gemiſch von Schwarz und Gelb, und zwar herrſcht das Dunkel auf der Oberſeite und dem Rücken, das Gelb an den Seiten vor. Ueber das Hintertheil verlaufen einige, nicht beſonders ſcharfbegrenzte, dunkle Streifen, zwiſchen denen lichtere Binden hervortreten. Eine dunkle Linie zieht ſich auf der Oberſeite des Schwanzes dahin, deſſen Unterſeite die Färbung des übrigen Körpers hat. Die Kopfgegend und der Vorderrücken, ſo - wie die Füße, ſind leicht mit Grau gemiſcht.

Der geſtreifte Bandikut findet ſich in einem großen Theile des Oſtens und Südens von Auſtra - lien, am meiſten im Jnnern, gewöhnlich auf den ſteinigen Höhenzügen, welche ſich in Auſtralien in ſo großer Ausdehnung finden und wenig beſucht werden. Sein Lauf iſt ſehr ſchnell und ähnelt am meiſten dem des Kaninchens. Die Eingeborenen eſſen ſein Fleiſch. Die Aufbewahrung der ge - tödteten Thiere für unſere Sammlungen ſcheint beſondere Schwierigkeiten zu haben, wenigſtens wird28Die Beuteldachſe.erwähnt, daß das zarte Fell außerordentlich feſt auf dem Fleiſche ſitze und gewöhnlich blos in Stücken abgeſtreift werden könne, ein Umſtand, welcher dem ſammelnden Forſcher natürlich ſehr hinderlich iſt.

Der Stutzbeutler (Choeropus ecaudatus oder castanotos) bildet eine zweite Sippe der Beutel - dachſe. Er erinnert lebhaft an die kleinen Rohrrüßler, welche wir auf Seite 666 des erſten Bandes kennen gelernt haben. Der ziemlich ſchlanke Leib ruht auf ſehr dünnen und hohen Beinen, deren Hin - terpaar gegen das vordere bedeutend verlängert iſt. Die Schnauze iſt ſpitzig; die Ohren ſind ſehr lang; der Schwanz iſt mittellang und dünn behaart. An den Vorderfüßen finden ſich blos zwei kurze, gleich lange Zehen mit kurzen, aber ſtarken Nägeln; das Hinterpaar hat nur eine einzige große Zehe, neben welcher die übrigen, ſehr verkümmerten liegen. Man hat dieſes merkwürdigen Fußbaues wegen dem Thiere ſeinen griechiſchen Namen gegeben, welcher ſo viel als ſchweinefüßig bedeutet,

Der Stutzbeutler (Choeropus ecaudatus oder castanotos).

obwohl bei Lichte betrachtet, dieſe Aehnlichkeit nur eine geträumte iſt. Auch mit ſeinem Artnamen hat es eine eigenthümliche Bewandtniß. Der Ent - decker unſeres Thierchens, Thomas Mitchell, zog den erſten und einzigen Stutzbeutler, welchen er erbeutete, lebend aus einem hohlen Baume heraus, in welchen ſich derſelbe geflüchtet hatte, und zwar nicht weniger zu ſeinem Erſtaunen, als zur Ver - wunderung der Eingeborenen, welche erklärten, niemals ein ſolches Geſchöpf geſehen zu haben. Am meiſten fiel dem Naturforſcher der Mangel des Schwanzes auf, und deshalb gab er ihm den Artnamen Schwanzloſer Schweinefuß . Später nach Europa gekommene Stutzbeutler be - ſaßen aber ſämmtlich Schwänze, und zwar recht hübſche Schwänzchen von fünf Zoll Länge, und es zeigte ſich alſo, daß der erſte Mitbruder, wel - cher in die Hand der Forſcher gekommen war, durch einen unglücklichen Zufall ſeines Schwanzes be - raubt worden war. Gray änderte deshalb den Namen um und naunte das Thierchen nach ſeiner Hauptfärbung castanotos oder kaſtanienfarbig. Doch iſt es nun einmal in der Wiſſenſchaft gebräuchlich, den erſt gegebenen Namen ſo viel als möglich feſtzuhalten, und ſo heißt der betreffende Beutler noch heutzutage der ſchwanzloſe Stutz - beutler oder ſchwanzloſe Schweinefuß.

Unſer Thier erreicht etwa die Größe eines kleinen Kaninchens; ſeine Leibeslänge beträgt etwa 11 Zoll und die des rattenähnlichen Schwanzes 5 Zoll. Der lange, lockere, weiche Pelz iſt auf der Oberſeite braungrau, unten weiß oder gelblichweiß; die großen Ohren ſind mit roſtgelben, gegen die Spitze hin mit ſchwarzen Haaren bedeckt, die Vorderpfoten ſind weißlich, die hinteren blaß - roth; ihre große Zehe iſt ſchmuzigweiß. Der Schwanz iſt oben ſchwarz, an der Spitze und Unter - ſeite aber bräunlichweiß.

So viel man bis jetzt erfahren hat, bewohnt der Stutzbeutler hauptſächlich Neuſüdwales, und zwar die Ufer des Murray. Jene mit dürrem, ſchneidigen Graſe bewachſenen Ebenen bilden ſeine Hauptaufenthaltsorte. Jm Allgemeinen lebt er ganz wie der Beuteldachs. Er baut ſich aber ein ziemlich künſtliches Neſt aus trockenem Graſe und Blättern, unter dichten Sträuchern und Gras -29Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.büſcheln, möglichſt verdeckt vor den Blicken, ſo daß ſelbſt ein erfahrener Jäger Mühe hat, es aufzu - finden. Seine Nahrung ſoll ein Gemiſch verſchiedener Pflanzenſtoſſe und Kerbthiere ſein. Genaueres iſt bis jetzt noch nicht über ſeine Lebensweiſe bekannt geworden.

Die vierte Familie enthält eine Reihe merkwürdiger, ſehr verſchieden erſcheinender Thiere, welche man Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus (Phalangista) genannt hat. Der erſte Name dürfte angemeſſener ſein, als die übrigen und die Benennung Beutelbilche , welche Einige auf die ganze Familie angewendet wiſſen wollen, weil nur eine Sippe den Bilchen und Hörn - chen ähnlich fieht, wir auch in der Familie noch andere Erinnerungen an höher - oder tieferſtehende Ordnungen wiederfinden. Die Kletterbeutelthiere ſind im Ganzen kleine Thierchen, da die wenigen Arten, welche zwei Fuß Länge haben, eigentlich als Ausnahmen erſcheinen. Jhre vorderen und hin - teren Gliedmaßen ſind von gleicher Länge und auch ziemlich regelmäßig gebaut, weil die vorderen und hinteren fünf Zehen haben. An der Hinterpfote iſt die innere Zehe vergrößert und zu einem nagel - loſen und gegenſetzbaren Daumen geworden; die zweite und dritte Zehe ſind mit einander verbunden. Der Schwanz iſt gewöhnlich ein Greifſchwanz und als ſolcher oft ſehr lang; bei einer Sippe fehlt er aber gänzlich. Der Kopf iſt kurz und die Oberlippe, wie bei den Nagern, geſpalten. Das Weib - chen hat zwei oder vier Zitzen in einer Taſche. Das Gebiß, auf welches die Vereinigung der ver - ſchiedenen Sippen begründet iſt, zeigt oben ſechs an Größe ſehr verſchiedene, unten dagegen blos zwei ſehr große Schneidezähne; die Eckzähne ſind ſtumpf oder fehlen ſogar; die Lückzähne ſind ſtummelhaft geworden, die Backzähne endlich, von denen ſich drei bis vier in jeder Reihe finden, haben viereckige Kronen mit verſchiedenen Jochen und Hörnern. Zwölf bis dreizehn Rückenwirbel tragen Rippen, ſechs oder ſieben ſind rippenlos. Das Becken beſteht aus zwei kurzen Wirbeln; die Zahl der Schwanzwirbel ſteigt bis dreißig. Der Magen iſt einfach und drüſenreich und der Blinddarm ganz außerordentlich lang. Jm Gehirn fehlen alle oberflächlichen Windungen.

Die Kletterbeutelthiere bewohnen Auſtralien und einige Jnſeln Südaſiens. Sie ſind ſämmtlich Baumthiere und finden ſich deshalb auch nur in Wäldern; blos ausnahmsweiſe ſteigen einige zur Erde herab, die meiſten verbringen ihr ganzes Leben in den Kronen der Bäume. Faſt ſämmtliche Arten ſind Nachtthiere oder ſchlafen wenigſtens den größten Theil des Tages und erwachen nur vom Hunger getrieben auf kurze Zeit. Beim Eintritt der Dunkelheit kommen ſie aus ihren Verſtecken hervor, um zu weiden; denn Früchte, Blätter und Knospen bilden ihre Hauptnahrung: ſelbſt die Arten, welche dem Fuchſe oder entfernt dem Bären ähneln, ſind Pflanzenfreſſer, und wohl nur zu - fällig nehmen Einzelne auch Vögel, Eier und Kerbthiere mit weg. Dagegen freſſen Andere blos die jungen Blätter und Triebe oder graben den Wurzeln im Boden nach. Sie, die letzteren, ſollen ſich unterirdiſche Baue anlegen und in denſelben während der kalten Jahreszeit ſchlafen. Jn ihren Be - wegungen unterſcheiden ſich die Sippen weſentlich von einander. Die Einen ſind langſam und äußerſt vorſichtig und gehen mehr ſchleichend dahin, die Anderen zeichnen ſich durch Lebendigkeit und Behen - digkeit aus. Alle können vortrefflich klettern und Einige auch weite Sprünge ausführen. Der Greif - ſchwanz und die Flughaut deuten ſchon von vornherein auf ſolche Fertigkeiten hin. Beim Gehen treten Alle mit der ganzen Sohle auf; beim Klettern ſuchen ſie ſich ſämmtlich ſoviel als möglich zu ver - ſichern. Die Mehrzahl lebt geſellig oder hält ſich paarweiſe zuſammen. Einige werfen gewöhnlich zwei bis vier Junge, andere ein einziges, welches von der Mutter zärtlich geliebt und gepflegt und lange Zeit auf dem Rücken oder den Schultern getragen wird. Alle Kletterbeutelthiere ſind ſanfte, harmloſe, furchtſame Geſchöpfe. Wenn ſie verfolgt werden, hängen ſich manche mittelſt des Schwanzes an einen Aſt und verharren lange Zeit regungslos in dieſer Stellung, jedenfalls um ſich dadurch zu verbergen. Hierin zeigt ſich die einzige Spur von Verſtand, welche ſie im Freileben offenbaren. Jn der Gefangenſchaft bekunden ſie zwar zuweilen eine gewiſſe Anhänglichkeit an ihren Wärter; doch die30Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.meiſten lernen ihn kaum kennen. Bei einiger Pflege halten faſt alle längere Zeit in der Gefangen - ſchaft aus. Jhre Ernährung verurſacht durchaus keine Schwierigkeiten. Einzelne Arten werden, wenn ſie zahlreich in die Pflanzungen einfallen, oft ziemlich ſchädlich, die Anderen nützen durch ihr Fell und ihr Fleiſch, und ſo gleicht ſich der Schaden, den ſie anrichten, durch den Nutzen ſo ziemlich wieder aus.

Als die bewegungsfähigſten Kletterbeutler müſſen wir wohl die Flugbeutelbilche (Belideus) anſehen. Sie zeigen in ihrer Geſtalt eine ſo täuſchende Aehnlichkeit mit den bekannteren Flug - eichhörnchen, daß ſie mit dieſen verwechſelt werden könnten, wenn nicht das Gebiß ſie weſentlich von den Nagern unterſchiede. Die behaarte Flug - oder Flatterhaut an den Seiten des Rumpfes zwiſchen den vorderen und hinteren Gliedmaßen iſt jedenfalls ihr Hauptkennzeichen. Der Körper iſt geſtreckt, der Kopf klein, die Schnauze zugeſpitzt. Die Augen ſind groß und vorſtehend, die auf - rechtgeſtellten Ohren zugeſpitzt. Der ſehr lange Schwanz iſt buſchig, zuweilen auch zweizeilig behaart;

Das Zuckereichhorn oder das fliegende Eichhorn (Belideus seiureus).

der Pelz iſt weich und fein. Keine Art erreicht zwei Fuß Leibeslänge; die meiſten werden kaum einen Fuß lang. Der Bau des Gebiſſes, der Ohren, der Flughäute und des Schwanzes ordnen ſie noch in kleinere Gruppen.

Als den bekannteſten Flugbeutelbilch darf man wohl das Zuckereichhorn oder das fliegende Eichhorn in Norfolk (Belideus seiureus) betrachten; denn aus dem Namen ſchon geht hervor, daß dieſe Art ein volksthümliches Thier geworden iſt. Man kann nicht leugnen, daß der Name, welchen ihm die erſten Einſiedler gaben, paſſend gewählt iſt, und auch die Wiſſenſchaft hat Dies anerkannt, wie die lateiniſche Benennung beweiſt. Nicht blos in der Geſtalt, ſondern auch in der Größe ähnelt das Thier unſeren Eichkätzchen, noch mehr dem Taguan oder dem ſibiriſchen Flugeichhorn. Der geſtreckte und ſchlanke Leib erſcheint durch die Flughaut, welche ſich zwiſchen beiden Beinen ausſpannt, breiter, als er iſt. Der Hals iſt kurz und ziemlich dick, der flache Kopf endet in eine kurze und ziemlich ſpitze Schnauze; der Schwanz iſt ſehr lang, rundlich und ſchlaff und dabei ſehr buſchig. Die aufrecht -31Das Zuckereichhorn oder das fliegende Eichhorn.ſtehenden Ohren ſind lang, aber ſtumpfſpitzig, die Augen groß und halbkugelförmig vorſtehend. Die Beine ſind kurz, die Zehen des Vorderfußes getrennt, die des Hinterfußes durch faſt vollſtändige Verwachſung der zweiten und dritten Zehe und einen den übrigen Zehen entgegenſetzbaren Daumen aus - gezeichnet. Dieſer Daumen iſt nagellos; alle übrigen Zehen dagegen ſind mit ſichelförmig gekrümmten Krallen verſehen. Das Weibchen beſitzt einen vollſtändigen Beutel. Der Pelz iſt ſehr dicht, außer - ordentlich fein und weich, die Flatterhaut iſt behaart, und nur die Ohren ſind auf der Jnnenſeite nackt, auf der Außenſeite dagegen wenigſtens gegen die Wurzel mit Haaren bedeckt. Die ganze Oberſeite des Leibes iſt aſchgrau, die Flatterhaut außen dunkelnußbraun und weiß eingefaßt, die Unterſeite iſt weiß mit ſchwachgelblichem Anfluge, gegen den Rand der Flatterhaut hin aber bräunlich. Ein roſtbrauner Streifen zieht ſich durch die Augen und verläuft gegen die Ohren hin, ein anderer Streifen läuft über den Naſenrücken, die Stirn und die Mitteklinie des Rückens. Er iſt vorn roſt - braun, auf der Stirn aber lebhaft kaſtanienbraun. Der Schwanz iſt an der Wurzel lichtaſchgrau, an der Spitze aber ſchwarz. Zoll Leibeslänge, 9 Zoll Schwanzlänge und Zoll Höhe am Widerriſt ſind die wichtigſten Größen des Thieres.

Man findet das Zuckereichhorn hauptſächlich in Neuſüdwales, auf Neu-Guinea, Norfolk und einigen anderen Eilanden. Es iſt ein echtes Baumthier und, wie die meiſten der ihm ähnlich ge - ſtalteten Geſchöpfe, bei Nacht lebendig. Den ganzen Tag über verbirgt es ſich in den dichteſten Baumkronen, wo es ſich entweder eine Höhlung oder einen Gabelaſt ausſucht und, zu einer Kugel zuſammengerollt und gleichſam in ſeine Flatterhaut eingewickelt, dem Schlafe hingibt. Mit der Nacht beginnt ſeine Thätigkeit. Dann klettert es ganz mit der Gewandtheit eines Eichhorns auf den Bäu - men umher und zwar immer von unten nach oben; denn von oben nach unten zu ſpringt es mit Hilfe ſeiner Flatterhaut, welche es wie einen Fallſchirm ausbreitet. Bei Tage erkennt man das Thier, wel - ches man während der Nacht beobachtete, nicht wieder. Es ſcheint eher ein lebloſes Weſen zu ſein, als der behende Baumbewohner. Mürriſch und lichtſcheu ſchläft es faſt den ganzen Tag; nur gelegent - lich wacht es auf, um Etwas zu freſſen; wankend, unſicher bewegt es die Glieder, und ängſtlich meidet es die Strahlen des ihm verhaßten, allbelebenden Lichts. Ganz anders zeigt es ſich in einer jener klaren, zaubervollen Mondnächte ſeiner Heimat. Das Auge folgt überraſcht ſeinem Treiben. Alle Bewe - gungen ſind jetzt ebenſo lebhaft, behend und gewandt, wie die des übermüthigſten Affen, wie die des erregteſten Eichhorns. Nur auf dem Boden iſt es ziemlich tölpiſch und ſchwankt hier unſicheren Schrittes dahin: aber es betritt die ihm faſt feindliche Erde auch nur in der höchſten Noth, blos dann, wenn die Bäume gar zu weit von einander ſtehen, ſo weit, daß nicht einmal ſeine Flughaut die Brücke bilden kann. Es iſt im Stande, außerordentlich weite Sprünge auszuführen und dabei die Richtung beliebig zu ändern. Schon wenn es aus einer Höhe von dreißig Fuß abſpringen kann, iſt es fähig, einen achtzig bis neunzig Fuß von ihm entfernten Baum zu erreichen. Aber es leiſtet noch ganz andere Proben ſeiner Geſchicklichkeit. Am Bord eines an der Küſte Neuhollands ſegelnden Schiffes befand ſich ein Flugbeutler, welcher bereits ſo gezähmt war, daß man ihm geſtatten durfte, frei auf dem Schiffe herum zu laufen. Das muntere Geſchöpf, die Freude der ganzen Schiffsmann - ſchaft, war hier ſo vertraut geworden, daß es bald auf den höchſten Maſtſpitzen, bald unten im Raum geſehen werden konnte. Eines Tages kletterte es bei heftigem Wehen nach ſeinem Lieblingsplatze, der Maſtſpitze, empor; aber man beſorgte, daß es während eines ſeiner Sprünge vom Sturme erfaßt und in das Meer geſchleudert werden möchte, und einer der Matroſen entſchloß ſich, ſeinen Liebling da oben herunter zu holen. Als er dem Thiere nahe auf den Leib rückte, ſuchte ſich dieſes der ihm widrigen Gefangennahme zu entziehen und vermittelſt eines ſeiner herrlichen Luftſprünge das Deck zu erreichen. Jn demſelben Augenblicke legte ſich das Schiff, von einem heftigen Windſtoß erfaßt, derart auf die Seite, daß aller menſchlichen Berechnung nach der Flugbeutler in die Wellen geſchleu - dert werden mußte. Man gab ihn bereits verloren: er aber wußte ſich zu helfen. Mit einem Male änderte er durch eine geſchickte Wendung ſeines vortrefflichen Steuerruders die Richtung ſeines Fluges und ſchoß, in großen Bogen ſich drehend, weit aus nach vorn, glücklich das ſichere Deck erreichend. Alle32Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.Beobachter ſind einſtimmig in der Bewunderung dieſer Flugbewegung und verſichern, daß ſie mit eben - ſoviel Zierlichkeit als Anmuth ausgeführt würde, und ſchwerlich ihres Gleichen haben könne. Ueber - haupt iſt der Flugbeutler ein ſehr nettes Thier; er iſt durchaus harmlos, gutmüthig und ſehr leicht zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und luſtig, nur leider immer etwas furcht - ſam. Während ſeines Schlafes bei Tage kann er von einem geſchickten Kletterer leicht gefangen werden, zumal wenn ſich Mehrere zu ſolcher Jagd verbinden; denn das Licht blendet ihn ſo, daß er, auch wenn er von ſeiner Flugesgabe Gebrauch macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt, und anſtatt auf dem ſicheren Baume, auf der Erde anlangt, wo ihn der Menſch ſehr bald erreicht. Man findet ihn gar nicht ſelten in den Häuſern der Anſiedler, welche ihn mit großer Sorgfalt pflegen. Er iſt auch ſchon mehrere Male lebend nach Europa gebracht worden und hat dort viel Freude erregt. Sein Verſtand iſt gering, aber er erſetzt durch ſeine Luſtigkeit und Heiterkeit, durch Sanftmuth und Zierlichkeit den Mangel an geiſtigen Fähigkeiten hinlänglich. Jm Käfig ſpringt er während der ganzen Nacht ohne Unterlaß umher und nimmt dabei oft die wunderlichſten Stellungen ein. Ohne große Mühe gewöhnt er ſich an allerlei Koſt, wenn ihm auch Früchte, Blätter, Knospen und Kerbthiere das Liebſte bleiben, ſchon weil dieſe Dinge ſeiner natürlichen Nahrung entſprechen. Be - ſonders gern frißt er den Honig der Eucalypten oder Gummibäume, und ſicherlich bilden auch die Kerbthiere einen nicht unbedeutenden Theil ſeines Futters. Bei Gefangenen im Londoner Thiergarten hat man beobachtet, daß ſie todte Sperlinge und Fleiſchſtücken, die man ihnen brachte, ſehr gern ver - zehrten, und deshalb glaubt man mit Recht, daß ſie in der Nacht geräuſchlos nach Art der Faul - affen an ſchlafende Vögel und andere kleine Thiere ſich anſchleichen und ſie umbringen. Jn manchen Gegenden thun ſie unter den Pfirſichen und Apfelſinen großen Schaden.

Die Geſelligkeit iſt bei dem Zuckereichhorn ſehr ausgeprägt. Man findet in den Wäldern immer mehrere derſelben Art vereinigt, obgleich es nicht ſcheint, als ob Eins das Andere beſon - ders freundſchaftlich und liebevoll behandle. Jn der Gefangenſchaft befreundet es ſich wohl auch mit anderen kleineren Thieren und zeigt ſelbſt gegen den Menſchen eine gewiſſe Anhänglichkeit. Ueber das Gefangenleben der Flugbeutler theilt uns Bennett Einiges mit. Er erhielt ein junges Weib - chen des gelbbauchigen Beutelbilchs und brachte es mit ſich nach Europa. Obgleich noch jung, ſagt er, fand ich es doch ſehr wild und garſtig. Es ſpuckte, knurrte und ſchrie, wenn man es nahm und begleitete dabei jeden Ton mit Kratzen und Beißen. Die Nägel waren ſcharf und verurſachten Wunden, wie die, welche Einem die Katzen beizubringen pflegen. Die kleinen Zähne dagegen waren nicht hinreichend, Etwas auszurichten. So viel iſt ſicher, daß ein Thier, welches in ſeiner frühen Jugend ſich ſo wüthend geberdet, im Alter ein ſchlimmer Beißer ſein muß. Nach und nach wurde mein Gefangener zahmer und litt, daß man ihn in die Hand nahm, ohne daß er kratzte und zubiß, wie erſt. Auch leckte er die Hand, wenn man in ihr ihm Süßigkeiten reichte, welche er außerordent - lich liebte, und erlaubte, daß man ſeine kleine Naſe berührte und ſein Fell unterſuchte. Aber ſowie es ſich Jemand herausnahm, ihn beim Körper zu erfaſſen, wurde er außerordentlich wüthend und biß und kratzte in wildem Zorn, dabei ſein ſchnurrendes, ſchnaubendes und ſpuckendes Knurren aus - ſtoßend. Ruhiger war er, wenn man ihn beim Schwanze packte und ihn nicht zu lange hielt. Dabei breitete er ſeine Fallhaut aus, als wolle er ſich vor einem Sturze ſichern. Jn dieſer Lage konnte man ſein wundervolles Fell oben und unten viel beſſer als je in einer anderen Stellung ſehen. Obgleich er zahm geworden war, ſchien er doch nicht die geringſte Zuneigung gegen Die zu zeigen, welche ihn fütterten; denn er benahm ſich gegen Fremde oder gegen die ihm bekannten Perſonen gleich gut oder gleich ſchlecht.

Während des Tages lag er zu einem Ball zuſammengerollt, ſeinen buſchigen Schwanz über ſich gedeckt, ſtill und ruhig. Nur zuweilen wachte er auf und fraß ein wenig. Bei ſolchen Gelegen - heiten erſchien er halb blind oder bewies wenigſtens deutlich, daß ihm das helle Tageslicht höchſt unangenehm war. Aber in der Dämmerung des Abends und in der Nacht begann ſein volles Leben und ſeine Thätigkeit. Dann war er ein ganz anderes Geſchöpf. Jn ſeinem Käfig lief er oben und33Das Beuteleichhorn oder der Taguan.unten herum, ruh - und raſtlos klimmte er an den Stäben in die Höhe, ohne nur einen Augenblick ſtillzuhalten. Jm Zimmer frei gelaſſen, kletterte er ſofort auf die höchſten Stellen der Einrich - tungsgegenſtände, und je mehr er ſich bewegen konnte, um ſo zufriedener und behaglicher ſchien er ſich zu fühlen. Er erſchien als das gerade Gegentheil des hilfloſen Weſens, welches es bei Tage war. Nur einmal habe ich ihn auch während des Tages lebendig geſehen. Das war im Thiergarten zu London, wo ihm der düſtere Himmel Londons wohl glauben laſſen mochte, daß bereits die Nacht her - eingebrochen wäre.

Wir fütterten ihn mit Milch, Roſinen und Mandeln. Süßigkeiten aller Art, eingemachte Früchte ſowohl als Zucker zog er allem Uebrigen vor. Die Früchte ſog er aus, daß blos noch die Schale übrig blieb. Er bedurfte ſehr wenig, wurde aber fett und befand ſich ſehr wohl.

Eine Nacht entkam er ſeinem Gefängniſſe, wurde aber am nächſten Tage in den höchſten Zweigen eines luſtigen Weidenbaums geſehen, wo er ſich in einer der Gabeln gemüthlich ausruhte. Ein Knabe mußte ihm nachklettern und fand ihn oben im tiefen Schlafe. Er näherte ſich ihm, ohne gehört oder geſehen zu werden, ergriff ihn beim Schwanze und warf ihn etwa 60 Fuß tief von oben herab. Der Bilch breitete ſofort ſeinen Fallſchirm aus und kam wohlbehalten und geſund unten an, wo er augenblicklich wieder gefangen wurde. Oft ſieht man ihn in ſeinem Käfig auf dem Rücken liegen, wenn er frißt, beim Trinken aber hält er das kleine Gefäß zwiſchen ſeinen Vorderfüßen und leckt wie eine junge Katze. Auf der Reiſe nach London konnten wir ihm glücklicherweiſe fortwährend Milch ver - ſchaffen, und ſo befand er ſich ſtets wohl. Nach und nach war er ſo zahm geworden, daß ich ihn ge - legentlich abends auf dem Deck herumlaufen laſſen konnte. Dort ſpielte er mit ſich ſelbſt wie eine junge Katze und ſchien ſich ſehr zu freuen, wenn man ihn krante. Doch auch jetzt noch ließ er ſich ungern gefangen nehmen und ſpuckte und ſchnurrte augenblicklich nach der Hand, welche ihn aufnahm.

Ueber ſeine Fortpflanzung ſcheint noch Nichts bekannt zu ſein, wenigſtens finde ich in keinem der mir zugänglichen Werke darüber etwas Sicheres mitgetheilt.

Von den übrigen Flugbeutlern können wir uns noch zwei Arten zu genauerer Betrachtung aus - wählen, die größte und die kleinſte. Erſtere, das Beuteleichhorn oder der Taguan der Anſiedler (Petaurus taguanoides), wird gegenwärtig als Vertreter einer eigenen Sippe angeſehen; doch begrün - den ſich die Unterſchiede blos auf die geringen Abweichungen im Gebiß und im Bau der Flughäute. Es finden ſich oben ſieben und unten ſechs Backzähne in ununterbrochener Reihe, und die Flughaut reicht vorn bis zum Ellbogen, hinten bis an die Wurzel des Daumens. Der Taguan erreicht bis 20 Zoll Leibeslänge. Der Schwanz iſt etwa körperlang, der Kopf iſt klein, die Schnauze kurz und zugeſpitzt. Die Augen ſind ſehr groß und die Ohren breit und dicht, faſt buſchig behaart. An den Füßen finden ſich ſtarke, gekrümmte und ſcharfe Nägel. Der Pelz iſt ſehr lang und weich und am Schwanze buſchig. Jn ſeiner Färbung ändert der Taguan vielfach ab. Gewöhnlich iſt die Oberſeite bräunlichſchwarz gefärbt, der Kopf mehr bräunlich, die Flughaut weißlich geſprenkelt. Schnauze, Kinn und Pfoten ſind ſchwarz, der Schwanz ſchwarz oder bräunlichſchwarz, bläſſer an der Wurzel und gelblich an der Unterſeite. Kinn, Kehle, Bruſt und Bauch ſind weiß. Es gibt aber ſo viele Abän - derungen in der Färbung, daß man kaum zwei Stück findet, welche vollkommen gleich gefärbt ſind. Die braune Farbe des Felles geht bei dem einen in das dunkelſte Braunſchwarz über; bei dem anderen iſt der ganze Pelz grau, ebenſowohl auf der Oberſeite als auf der Flughaut, und nicht ſelten findet man auch ſehr ſchöne Weißlinge. Unter allen Umſtänden bleiben die Unterſeite und die Jnnenſeite der Glieder reinweiß.

Der Taguan bewohnt Neuholland, zumal die großen Wälder zwiſchen Port Philipp und Moreton-Bay und ſoll dort häufig ſein, obgleich man ihn nur ſehr ſelten in der Gefangenſchaft oder getödtet in den Händen der Eingeborenen ſieht. Er iſt, wie alle ſeine Verwandten, ein Nacht -Brehm, Thierleben. II. 334Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.geiſt, welcher ſich bei Tage in die Höhlungen der großen, abgeſtorbenen Bäume verbirgt und dort ſchlafend den Tag verbringt. Hier iſt er geſichert vor jedem ſeiner Feinde, mit alleiniger Ausnahme des immer hungrigen und immer wachſamen Eingeborenen von Neuſüdwales, deſſen Auge ohne Un - terlaß umherſchweift, um etwas Eßbares zu finden, und deſſen Verſtand gerade hinreicht, um nach den geringfügigen Spuren, die der Taguan hinterläßt, ſeinen Schlafplatz aufzufinden. Ein leichter Ritz in der Rinde des Baums, einige Haare am Rande der Oeffnung, in welche das Thier einge - treten iſt, berichten den dunklen Mann mit derſelben Sicherheit über die ihm willkommene Beute, als wenn er ſie ſelbſt in ihre Wohnung hätte treten ſehen. Er iſt geübt genug, um aus den Anzeigen zu erkennen, ob die Höhlung im Baume friſch beſucht oder ſchon vor längerer Zeit be - nutzt wurde. Sobald die Anzeigen verſprechend ſind, erſteigt er den Baum faſt mit derſelben Schnelligkeit, mit welcher ein Affe klettert, unterſucht durch Klopfen, deſſen Schall die Tiefe der Höhlung verkündet, wo das Thier liegt, und arbeitet ſich auf eine oder die andere Weiſe bis zu dem ſchlafenden Taguan durch, faßt ihn am Schwanze, zieht ihn ſo ſchnell hervor, daß er nicht Zeit

Das Beuteleichhorn oder der Taguan (Petaurus taguanoides).

findet, von ſeinen Krallen oder Zähnen Gebrauch zu machen, ſchwingt ihn einmal im Kreiſe herum, zerſchmettert ihm die Hirnſchale durch einen kräftigen Schlag gegen den Stamm und wirft ihn als Leiche auf den Boden. Es iſt beſonders auffallend, daß der Taguan ſeine Höhle auch dann nicht verläßt, wenn er durch den Schall der Arthiebe erweckt wird, welche zu ſeinem Schlafplatze den Weg bahnen ſollen. Wahrſcheinlich iſt der Schreck über den ungewünſchten Beſuch ſo groß, daß er dem Thiere alle Beſinnung raubt. Dagegen vertheidigt er ſich, falls er geſaßt wird, mit ſeinen ſtarken, ſcharfen und gekrümmten Nägeln ſo vortrefflich, daß es unbedingt nöthig iſt, ihn in der angegebenen Weiſe zu packen und ſchnell zu tödten, um bedeutenderen Verletzungen zu entgehen. Man verſichert, daß der Taguan gereizt ein verzweifelter Kämpfer ſei und ſeine Zähne faſt eben - ſogut zu gebrauchen verſtände, wie ſeine Klauen. Das Fleiſch gilt als ein Leckerbiſſen, und da das Thier eine ziemliche Größe erreicht, jagt man ihm des Bratens wegen eifrig nach, und zwar be - theiligen ſich an dieſer Jagd die Weißen ebenſowohl, als die ſchwarzen Ureinwohner des Landes. Ohne Hilfe der Letzteren dürfte jedoch der Weiße ſelbſt nicht in die Lage kommen, das geſchätzte Fleiſch zu verſpeiſen; denn zu der Jagd des Thieres gehört eben die von Kindheit an ausgebildete Jagdfertig -35Die fliegende Maus.keit der Schwarzen, ihr ſcharfes Auge und ihre geſchickte Hand. Und deshalb ſind auch alle Jäger oder Reiſenden ſtets von einer Bande jener Naturmenſchen begleitet.

Wenn der Taguan vollſtändig erwacht iſt, zeichnet er ſich durch Gewandtheit, Behendigkeit und Sicherheit der Bewegung vor allen übrigen Gattungsverwandten aus. Er fliegt förmlich von einem Zweig zum anderen, ſpringt über bedeutende Entfernungen weg, klettert ungemein raſch wieder zu einem neuen Wipfel empor und geht ſo weiter von Baum zu Baum, von Krone zu Krone. Sein langes, weiches und ſeidenglänzendes Haar wellt bei dieſen Sprüngen, und das blaſſe Mondlicht legt ſich wahrhaft zauberhaft auf das Fell, deſſen Glätte den Schimmer in eigenthümlicher Weiſe wiederſpiegelt.

Die Nahrung des Taguan beſteht in Blättern, Knospen, jungen Zweigen und vielleicht auch Wurzeln. Selten ſteigt unſer Flugbeutler zur Erde nieder, um da zu weiden; gewöhnlich betritt er den Boden blos dann, wenn er von einem ſehr entfernten Baume zu einem anderen wandern will. Die Gefangenſchaft ſoll er ohne Schwierigkeiten längere Zeit aushalten; doch glückt es nur äußerſt ſelten, ihn zu erlangen, und europäiſche Reiſende haben ſchon vergeblich ziemlich bedeutende Summen geboten, um ſeiner habhaft zu werden.

Auch der Zwerg unter den Flugbeutlern, die fliegende Maus (Acrobates pygmaeus) wird als

Die fliegende Maus (Aerobates pygmacus)

Vertreter einer beſonderen Sippe betrachtet. Sein Zahnbau iſt gewiſſermaßen umgekehrt der des vorhergehenden. Er hat oben ſechs und unten ſieben Backzähne. Die Ohren ſind mäßig behaart, die breite Flughaut reicht bis zur Handwurzel herab, der Schwanz iſt zweizeilig. Das niedliche Thierchen hat ungefähr die Größe unſerer gemeinen Maus, und wenn es ſo auf einem Aſte ſitzt, die dehnbare Flughaut an den Leib gelegt, ſieht es unſeren niedlichen und verhaßten Nagern täuſchend ähnlich. Seine ganze Länge übertrifft kaum ſechs Zoll, davon kommt ein wenig mehr als die Hälfte auf die Leibeslänge und das Uebrige auf den Schwanz. Der kurze, weiche Pelz iſt oben graubraun, unten gelblichweiß gefärbt; die Augen ſind ſchwarz umringelt, die Ohren vorn dunkel, hinten weiß - lich; der Schwanz iſt oben braungrau, unten lichter. Beide Hauptfarben des Leibes ſind ſcharf von einander geſchieden, wie es auch auf unſerer Abbildung ſich zeigt. Jm Sitzen legt ſich die Flughaut faltig an den Leib an und wird ſo zu einem ganz beſonderen Schmucke der Opoſſummaus . Das zarte Weiß am unteren Rande erſcheint dann wie ein geſchmackvoller Spitzenſaum an dem Mantel, welcher auf den Schultern des Thieres liegt. Der Schwanz zeichnet ſich durch zweizeilige, feder -3 *36Die Kuſus oder Kuskuten.bartartige Behaarung aus, wie wir Dies bei tiefer ſtehenden Thieren noch öfters zu bemerken haben werden.

Der Zwergflugbeutler nährt ſich, wie ſeine übrigen Verwandten, von Blättern, Früchten, Knospen und anderen zarten Pflanzentheilen, verſchmäht aber auch ein kleines Kerbthier nicht, falls er dieſes zufällig entdeckt. An Lebendigkeit und Beweglichkeit ſteht er ſeinen übrigen Verwandten kaum nach, und in der Fähigkeit, große Entfernungen mit Hilfe der ausgebreiteten Flughäute zu über - ſpringen oder zu überfliegen, wird er nur von wenigen übertroffen.

Man ſagt, daß das Thierchen ſehr beliebt ſowohl bei den Eingeborenen, als bei den Eingewan - derten in der Nähe von Port Jackſon ſei und häufig zahm im Bauer gehalten werde; doch fehlen zur Zeit leider noch genauere Berichte ebenſowohl über das Leben und Weſen der Gefangenen, als über das Freileben, die Fortpflanzung und Kinderzucht dieſes ſchmucken Geſchöpfes.

Jn den Wäldern von Amboina, Banda und Neu-Guinea, vielleicht auch auf Timor und Neu - Jrland hauſt eine ganz eigenthümliche Sippe unſerer Familie, deren uralten Landesnamen auch wir zu ihrer Bezeichnung angenommen haben. Es ſind dies die Kuſus oder Kuskuten (Cuscus), große Kletterbeutelthiere von ziemlich plumper Geſtalt, deren Schwanz nur an der Wurzelgegend behaart, an der Endhälfte aber nackt und warzig iſt, mit kurzen Ohren, ſenkrecht geſtellten Augenſternen und dichtem, mehr oder weniger wolligem Pelz, in ihren Bewegungen wie in ihrem geiſtigen Weſen lang - ſame und träge Geſchöpfe. Die Mitglieder der kleinen Gruppe ſind aus ſchon ſeit längerer Zeit bekannt geworden, ohne daß wir in der Neuzeit ſicherere und ausführlichere Nachrichten über ſie erhal - ten konnten. Unſer Bild ſtellt den gefleckten Kuskus (Cuscus maculatus) dar, ein Thier von Katzengröße, d. h. von 2 Fuß Leibeslänge und etwas über Fuß Schwanzlänge, mit dichtem, wolligen Pelz, welcher in der Färbung vielfach abändert. Jm Alter iſt er gewöhnlich weiß mit gelblichem oder graulichem Anfluge und durch große, unregelmäßige, tiefbraune oder ſchwarze Flecken aus - gezeichnet, welche auf der Außenſeite der Beine verſchwimmen; in der Jugend ſind die Flecken lichter und in der Kindheit grau. Die Unterſeite iſt immer ungefleckt und reinweiß; die Füße ſind roſtfarben, der Schwanz iſt weiß und nur ſeltener gefleckt. Geſicht und Stirn ſind bei alten Thieren lebhaft gelb, bei jüngeren roſtgelb. Die Ohren ſind oft weiß und die nackten Theile röthlich. Jn der Färbung kommen große Abweichungen vor. Das Fell iſt weich und ſeidenartig und trotz ſeiner Zartheit ein geſuchter Stoff zur Ausfütterung von Kleidern und Mänteln.

Wir verdanken die erſten Nachrichten über das Leben des Thieres dem Holländer Valentyn. Er erzählt, daß auf Amboina unter dem Geſchlecht der Wieſel der Kuskus oder Kuſu, wie ihn die Malaien nannten, eines der ſeltſamſten wäre. Der Kopf hat viel Aehnlichkeit mit einer Ratte oder mit einem Fuchſe. Der Pelz iſt feindicht, wie bei einer Katze, doch wolliger und von Farbe roth und grau, faſt wie beim Haſen. Einige ſind röthlich, einige auch weiß. Die Weibchen ſind meiſtentheils grau, die großen haben rothe Augen u. ſ. w. Die großen Arten ſind ſehr bös und gefährlich; ſie ſind im Stande, wenn ſie auf einem Baume ſitzend von Jemand am Schwanze gehalten werden, den Mann in die Höhe zu ziehen und dann auch gehörig fallen zu laſſen. Auch wehren ſie ſich mit ihren ſcharfen Klauen, welche unten nackt ſind, faſt wie bei einer Kinderhand, und bedienen ſich der - ſelben wie ein Affe; dagegen vertheidigen ſie ſich nicht mit den Zähnen, obſchon ſie recht gut mit den - ſelben verſehen ſind. Das Ende des Schwanzes iſt nackt und krumm, damit halten ſie ſich ſo feſt an den Zweigen, daß man ſie nur mit genauer Noth abziehen kann. Sie wohnen auch auf den Molukken, nicht in Gängen, wie die weſtindiſchen Wieſel, ſondern in Wäldern, auf Bäumen, beſonders wo es Holzſamen gibt. Auf Ceram und Bulo gibt es mehr, als auf Amboina, weil ſie hier die Men - ſchen ſcheuen, welche ſie in eigenthümlicher Weiſe fangen, um ſie zu eſſen; denn ſie ſind ein Leckerbiſſen für die Eingeborenen und ſchmecken gebraten wie die Kaninchen. Aber die Holländer mögen ſie doch nicht. Man muß die am Schwanze Aufgehangenen ſtarr anſehen, da laſſen ſie aus Furcht den37Der gefleckte Kuskus.Schwanz los und ſtürzen vom Baume. Aber nur gewiſſe Leute beſitzen die Eigenſchaft, die Kuskus von den Bäumen herabzuſehen . Die Thiere ſpringen von einem Baume zum anderen, wie die Eichhörnchen, und machen dann den Schwanz krumm wie einen Haken. Sie hängen ſich an Zweige an, damit ſie um ſo beſſer die Früchte erreichen können, welche ſie freſſen. Grüne Blätter, die äußere Schale der Canari-Nüſſe, Piſang und andere ſaftige Früchte werden von ihnen gefreſſen. Dabei ſetzen ſie ſich wie die Eichhörnchen. Wenn ſie auf der Erde herumgehen und überraſcht werden, ſind ſie in einem Augenblicke auf dem Baume. Aengſtigt man ſie, ſo harnen ſie vor Schrecken. Zwiſchen den Hinterfüßen befindet ſich ein Beutel, worin zwei bis vier Junge aufbewahrt werden, welche ſo feſt an den Saugwarzen hängen, daß beim Abreißen Blut fließt. Faſt jedes Weibchen, welches man findet, hat Junge im Sacke; ſie müſſen mithin immer trächtig gehen.

Später berichten uns Leſſon und Garnot, welche die Kuſus in Neu-Jrland trafen: Die Eingeborenen brachten täglich eine ganze Menge lebendig aus Schiff. Sie hatten ihnen die Beine ge - brochen und ein Stück Holz ins Maul geſteckt, wahrſcheinlich um das Beißen zu verhindern. Jhren

Der gefleckte Kuskus (Cuscus maculatus).

Erzählungen nach verriethen ſich die Thiere durch ihren Geſtank und würden dann durch Anſtarren mit den Augen gebannt, und wenn ſie aus Ermüdung den Schwanz losließen und herunterfielen, ge - fangen. Die Eingeborenen ſollen das fette Fleiſch ungemein lieben; ſie weiden die Gefangenen aus und braten ſie mit Haut und Haaren auf Kohlen. Halsſchnüre, Gürtel und Verzierungen der Waffen, oft von Klafterlänge, werden aus den Zähnen des Kuskus bereitet.

Quoy und Gaimard erzählen, daß der gefleckte Kuskus, welchen unſere Abbildung darſtellt, in Jndien die Faulthiere Amerikas vorzuſtellen ſcheine. Er ſei eben ſo ſtumpf und bringe den größten Theil ſeines Lebens in der Dunkelheit zu. Von dem Lichte beläſtigt, ſteckt er den Kopf zwiſchen die Beine und verändert dieſe Lage blos dann, wenn er freſſen will; dabei beweiſt er eine große Begierde, ſo ſtumpf er ſonſt auch iſt. Jn den Wäldern nähren ſie ſich von würzigen Früchten; in der Gefangenſchaft freſſen ſie, wenn ihnen Pflanzennahrung mangelt, auch rohes Fleiſch. Das Betragen in der Gefangenſchaft iſt ebenſowenig angenehm, wie ihr Anſehen. Sie ſind langſam und ſtill, ſchläfrig und grämlich, freſſen gierig und ſaufen ſehr viel. Sie vertragen ſich ſchlecht mit ihres Gleichen, wenigſtens wenn man mehr als zwei in einen Käfig thut, hauen oft unter38Die Kuſus oder Kuskuten.Knurren und gellenden Schreien auf einander los, pfauchen wie die Katzen, ziſchen, zwicken und reißen einander große Stücken ihrer dünnen und zarten Haut aus, während ſie ſich balgen. Die Haut iſt allerdings ſo dünn, daß ſie losgeht, wenn man ſie mit Gewalt am Pelze wegziehen will, während ſie ſich an ihren ſcharfen Krallen feſthalten, und bei ihrer Störrigkeit laſſen ſie auch dann nicht los, wenn ihnen der Pelz in Fetzen vom Leibe geriſſen wird. Während des Tages ſehen die großen, car - minrothen Augen, deren Stern auf einen ſchmalen Spalt zuſammengezogen iſt, eigenthümlich dumm und blöde aus; in der Nacht leuchten ſie wie die anderer echter Nachtthiere: dann erinnern ſie in vieler Hinſicht an die Faulaffen oder Loris Oſtindiens. Wenn ſie nicht freſſen oder ſchlafen, lecken ſie ſich an den Pfoten oder am Schwanze; einen anderen Zeitvertreib ſcheinen ſie nicht zu kennen. Die Thiere heißen übrigens blos auf Amboina Kuskus; in Neuholland nennt man ſie Gebun, auf Waigin Rambawe oder Schamſcham, und wahrſcheinlich führen ſie auf jeder Jnſel einen beſonderen Namen.

Auf dieſe Angaben ſcheinen ſich die Nachrichten über dieſe Thiere zu beſchränken. Es ſind wiederum einmal die Alten, von denen wir etwas Genaueres wiſſen; die neuzeitlichen Forſcher achten leider gewöhnlich eine genaue Beſchreibung der Zähne, Krallen und Haare, welche ebenſogut in Europa gemacht werden kann, als in der Heimat eines Thieres, für viel wichtiger, als eine Schilderung des Lebens. Wir finden bei faſt ſämmtlichen neueren Reiſenden, daß ſich der Menſch immer mehr und mehr von der Natur entfremdet!

Unter den Uebrigen unſerer Familie dürften die eigentlichen Kuſus (Phalangista) die beachtens - wertheſten ſein. Einen deutſchen Namen haben wir für dieſe Thiere nicht, die einheimiſchen Namen ſind ſo ungefüge, daß wir ſie auch nicht brauchen können, und ſo müſſen wir ſchon mit der wiſſenſchaft - lichen Benennung, welche ſo viel als geſchloſſene Zehe bedeutet, vorliebnehmen.

Die Phalangiſten erſcheinen gleichſam als Mittelglieder zwiſchen gewiſſen Raubthieren und gewiſſen Nagern; die Einen ähneln den Mardern, die Anderen den Füchſen und doch auch wieder den Eichhörnchen in gleichem Maße. Man würde in Verlegenheit kommen, ſie unterzubringen, wenn nicht der Beutel ihre Einreihung in unſere Ordnung beſtimmte. Als ihr wiſſenſchaftliches Kenn - zeichen gilt, daß die zweite und dritte Zehe der Hinterfüße bis zum Nagelglied mit einander verwachſen ſind. Die Vorder - und Hinterfüße ſind fünfzehig; der Daumen der letzteren iſt den übrigen Zehen gegenſetzbar; der Schwanz iſt ein langer und buſchiger Greifſchwanz, welcher, wie bei einigen Affen, nur am unteren Ende kahl iſt. Das Gebiß erſcheint als ein echtes Mittelding zwiſchen dem eines Raubthieres und dem eines Nagers. Die Schneidezähne ſind nagerartig verlängert; aber es finden ſich auch Eck - und Lückzähne, ſowie mehrere Mahlzähne in jeder Reihe. Die wenigen Arten leben in Neuholland und den benachbarten Jnſeln, auch auf den Molukken und ſind träge und nächtliche, ruhige und ſtumpfe Geſchöpfe, welche die Waldungen bewohnen und ein Baumleben führen. Eine der be - kannteſten Arten iſt der Fuchskuſu (Phalangista vulpina), ein Thier von Wildkatzengröße, welches den zierlichen Bau unſeres Eichhörnchens mit der Geſtalt des Fuchſes zu vereinigen ſcheint. Die Leibeslänge beträgt 2 Fuß und die des Schwanzes 17 Zoll. Bennet gibt Fuß für die Geſammtlänge an. Der Leib iſt lang und geſtreckt, der Hals kurz und dünn, der Kopf verlängert, die Schnauze kurz und zugeſpitzt, die Oberlippe tief geſpalten. Aufrechtſtehende, mittellange und zu - geſpitzte Ohren, ſeitig geſtellte Augen mit länglichem Stern, nackte Sohlen, platte Nägel an den hinteren Daumen und ſtark zuſammengedrückte ſichelförmige Krallen an den übrigen Zehen, ein un - vollkommener, nur durch eine flache Hautfalte gebildeter Beutel beim Weibchen und ein dichter und weicher Pelz aus ſeidenartigem Wollhaar und ziemlich kurzem, ſteifen Grannenhaar beſtehend, kenn - zeichnen das Thier noch außerdem. Die Farbe der Oberſeite iſt bräunlichgrau mit röthlich fahlem Anfluge, welcher hier und da ſtark hervortritt, die Unterſeite iſt lichtockergelb, am Unterhals und der Bruſt meiſt roſtroth; der Schwanzrücken und die Schnurren ſind ſchwarz, die innen nackten Ohren39Der Fuchskuſu.ſind auf der Außenſeite lichtockergelb, am inneren Rande ſchwarzbraun behaart. Der Schwanz iſt größtentheils ſchwarz. Junge Thiere ſind lichtaſchgrau mit Schwarz gemiſcht, unten aber wie die Alten gefärbt. Außerdem kommen viele Abänderungen vor.

Der Fuchskuſu bewohnt Neuholland und Vandiemensland und iſt eines der häufigſten aller auſtraliſchen Beutelthiere. Wie die Vorigen lebt er ausſchließlich in Wäldern auf Bäumen und führt eine durchaus nächtliche Lebensweiſe; er kommt ſogar erſt eine oder zwei Stunden nach Sonnenunter - gang aus ſeinen Verſtecken hervor. So ausgezeichnet er auch klettern kann und ſo vortrefflich er zu ſolcher Bewegung ausgerüſtet iſt, ſo träge und langſam erſcheint er im Vergleich zu anderen ähnlich gebauten Thieren, zumal zu den Eichhörnchen. Der Greifſchwanz muß tüchtig herhalten; denn das Thier macht eigentlich keine einzige Bewegung, ohne ſich vermittelſt dieſes ihm unentbehrlichen Werkzeugs vorher gehörig zu verſichern. Auf ebenem Boden ſoll er noch viel langſamer ſein, als auf den Bäumen. Die Nahrung des im ganzen ſehr harmloſen Thieres beſteht größtentheils aus Pflan - zenſtoffen; jedoch verſchmäht es ein kleines Vögelchen oder ein anderes ſchwaches Wirbelthier keines - wegs. Seine Beute quält der ungeſchickte Räuber nach Marderart erſt längere Zeit, reibt und dreht

Der Fuchskuſu (Phalangista vulplna).

ſie wiederholt zwiſchen ſeinen Vorderpfoten herum und hebt ſie endlich mit denſelben zum Munde, öffnet mit dem ſcharfen Gebiß die Hirnſchale und frißt zunächſt das Gehirn aus. Dann erſt macht er ſich über das Uebrige her. Wie der Fuchskuſu im Freien Thiere überrumpelt, hat man nicht beob - achten können; man nimmt aber an, daß er durch dieſelbe Vorſicht und die Lautloſigkeit der Bewe - gung, welche die Lemuren oder Faulaffen auszeichnet, zum Ziele kommt. Seine Trägheit ſoll ſo groß ſein, daß er ohne beſondere Schwierigkeiten von einem einigermaßen geübten Kletterer gefangen werden kann. Sobald er Gefahr merkt, hängt er ſich mit ſeinem Schwanze an einen Aſt oder Zweig auf und verharrt, um nicht entdeckt zu werden, lange Zeit in dieſer Stellung, hierdurch oft genug den Blicken ſeiner Verfolger entgehend. Wird er aber aufgefunden, ſo weiß er kaum der ihm drohenden Gefahr zu entrinnen, und auch bei ihm gilt dann das Vom-Baume-Sehen .

Die Eingeborenen ſtellen ihm eifrig nach und betrachten ſein Fleiſch, trotz des üblen kampfer - artigen Geruches, welchen es von ſich gibt, als einen vorzüglichen Leckerbiſſen. Sie wiſſen auch ſein Fell vielfach zu verwenden. Einen aus demſelben gefertigten Ueberwurf tragen ſie mit der -40Die Kuſus oder Kuskuten.ſelben Befriedigung, wie wir einen Zobel - oder Edelmarderpelz. Jn der That gibt das weiche, wollige Fell ein vortreffliches Pelzwerk; Sachkenner haben ſich anerkennend darüber ausgeſprochen, ſo daß es nicht unwahrſcheinlich iſt, den Fuchskuſu ſpäter mit unter den Pelzthieren aufgeführt zu finden. Die Eingeborenen kennen bis jetzt nur eine ſehr einfache Zubereitungsart dieſer Felle. Sie breiten den Balg, nachdem ſie ihn abgezogen haben, mit der Haarſeite nach unten auf dem Boden aus, pflöcken ihn ringsum feſt und bearbeiten ihn mit einer Muſchelſchale, bis er ihnen den nöthigen Grad von Geſchmeidigkeit erlangt zu haben ſcheint; dann heften ſie ihn vermittelſt eines zugeſpitzten Knochens, in welchen ſie die zerſpaltene Sehne eines Eichhorns eingefädelt haben, zuſammen und bereiten ſich ſo eine Art von Mantel, in welchem ſie gar ſtolz einhergehen. Es iſt durchaus nicht unwahrſcheinlich, daß ſie, wie die Jnnerafrikaner es auch thun, gewiſſe gerbſtoffhaltige Pflanzen, Rinden oder Schoten anwenden, um die Felle noch beſonders zu gerben. Jedenfalls iſt dieſer Nutzen, welchen das Thier gewährt, die Haupturſache ſeiner eifrigen Verfolgung; denn der Schaden, welchen es in ſeiner Heimat anrichtet, iſt natürlich nicht von Belang.

Das Weibchen bringt blos zwei Junge zur Welt und trägt dieſe längere Zeit mit ſich im Beutel und ſpäter wohl auch auf dem Rücken herum, bis die Kleinen der mütterlichen Pflege entbehren können. Man zähmt ſie ohne Mühe. Jn neuerer Zeit kommen ſehr viele lebende Fuchskuſus nach Europa. Jeder Thiergarten beſitzt einige. Die Gefangenen zeigen ſich ſanft und friedlich d. h. verſuchen nicht, zu beißen, ſind aber ſo dumm, theilnahmslos und träge, daß ſie nur wenig Vergnügen gewähren. So lange es hell iſt, ſuchen ſie ſich den Blicken ſoviel als möglich zu entziehen, vergraben ſich tief in das Heu und verbergen ſich in anderen Schlupfwinkeln, rollen ſich zuſammen, legen den Kopf zwiſchen die Beine, ſchmiegen das Geſicht an den Bauch und verſchlafen ſo den ganzen Tag, wie die Faulaffen. Stört man ſie in ihrem Schlafe, ſo ſind ſie äußerſt mürriſch und übellaunig und ziehen ſich baldmöglichſt wieder in ihr Verſteck zurück. Erſt nach völlig eingetretener Nacht, im Sommer ſelten vor elf Uhr abends, werden ſie munter, und dann ſind ſie ſehr lebendig. Man ernährt ſie ohne Mühe mit Milchbrot, Fleiſch, Früchten und Wurzeln, hält ſie auch leicht in einem nicht allzu - kleinen Käfig, doch darf derſelbe nicht zu ſchwach ſein; denn ſie nagen ſich ziemlich leicht durch. Zwei gefangene Fuchskuſus unſeres Thiergartens zerbiſſen zolldicke Gitterſtäbe, zwei andere die Breter - wand ihres Käfigs und entflohen. Ein großer Reiſighaufen in der Nähe ihres früheren Aufenthaltes bot ihnen Zuflucht. Nachts liefen ſie im Garten und dem zu dieſem gehörigen Gehöft umher oder kletterten auf dem Gehege und naheſtehenden Bäumen auf und nieder. Der eine der Entflohenen wurde wieder eingefangen und rief nun allabendlich mit lautem Kuk, kuk, kuk nach ſeinem Gefährten. Dieſer pflegte dem Rufe zu folgen, vermied aber ſehr vorſichtig die ihm geſtellten Fallen. So trieb er ſich vierzehn Tage lang im Garten umher, holte ſich jede Nacht das für ihn bereitgeſtellte Futter und verſchwand wieder. Endlich verſah er ſich und büßte Dies mit der Freiheit.

Ein Weibchen, welches unterwegs ein Junges erhalten hatte und in unſeren Beſitz kam, behan - delte dieſes mit großer Zärtlichkeit, hielt es Tag und Nacht in ſeinen Armen und lebt noch jetzt, während ich dieſe Zeilen ſchreibe, mit dem inzwiſchen erwachſenen Sproß im tiefſten Frieden.

Höchſt wahrſcheinlich werden ſich Fuchskuſus bei uns fortpflanzen; doch fehlen mir hierüber noch Beobachtungen.

Unangenehm werden die Gefangenen dadurch, daß ſie einen kampferähnlichen Geruch verbreiten, welcher im geſchloſſenen Raume ſehr empfindlich ſein kann.

Die letzte Sippe macht uns mit einem der merkwürdigſten aller Beutelthiere bekannt, mit dem Koala oder Auſtraliſchen Bären (Phascolarctus cinereus), der einzigen Art ſeines Geſchlechts. Das Thier iſt in mehrfacher Hinſicht ſehr ausgezeichnet. Sein Leib iſt gedrungen, der Kopf ſehr dick, kurzſchnauzig, mit großen, buſchig behaarten Ohren; der Schwanz fehlt; die Pfoten ſind vorn und hinten fünfzehig und wahre Greiffüße. An den vorderen ſind die beiden inneren Zehen den drei41Der Koala oder Auſtraliſche Bär.anderen entgegenſetzbar; die Hinterfüße haben einen ſtarken, nagelloſen, aber ebenfalls gegenſetzbaren Daumen und in der Größe ſehr ungleiche Zehen, welche mit ſcharfen, langen und gekrümmten Nägeln bewaffnet und ſomit zum Klettern ganz geeignet ſind. Jm Gebiß fallen die ſehr ungleichen, oberen Schneidezähne, unter denen der erſte der größte und ſtärkſte iſt, die kleinen Eckzähne und die vier Mahlzähne mit mehreren Höckern auf.

Der wiſſenſchaftliche Name, welcher Beutelbär bedeutet, iſt bezeichnend; denn wirklich hat der Koala in der Geſtalt wie in ſeinem Gange und in der ganzen Haltung große Aehnlichkeit mit einem jungen Bären. Er iſt ungefähr ſo groß, wie ein Vielfraß, 2 Fuß lang und am Widerriſt einen Fuß hoch. Der Geſammteindruck iſt ein eigenthümlicher, hauptſächlich wegen des dicken Kopfes mit den merkwürdigen, rauch behaarten, weit aus einander ſtehenden, kleinen Ohren, den lebhaften Augen und der breiten und ſtumpfen Schnauze. Aber auch der übrige Leibesbau bietet viel Auf - fälliges dar. Vor allem iſt es der Fußbau, welcher Beachtung verdient. Die Zehen der Vorderfüße ſind nämlich wie bei dem Chamäleon in zwei Bündel getheilt, und die Hinterfüße durch die Ver -

Der Koala oder Auſtraliſche Bär (Phascolarctus einorous).

wachſung der zweiten und dritten Zehe ſehr merkwürdig. Der Schwanz beſteht aus einem warzen - artigen Höcker, welcher leicht überſehen werden kann. Die Behaarung iſt ſehr lang, faſt zottig und dicht, dabei aber fein, weich und wollig. Das Geſicht iſt längs des Naſenrückens und von der Schnauze bis zu den Augen beinahe nackt; um ſo dichter iſt die Behaarung der Außen - und Jnnen - ſeite der Ohren und die des übrigen Leibes. Die Färbung der Oberſeite iſt röthlichaſchgrau, die der Unterſeite gelblichweiß; die Außenſeite der Ohren iſt ſchwarzgrau.

Neuſüdwales und zwar die ſüdweſtlich von Port Jackſon gelegenen Wälder ſind die Heimat des Beutelbären. Er iſt nirgends häufig und deshalb auch noch ziemlich unbekannt. Paarweiſe, mit ſeinem Weibchen, klettert er auf den höchſten Bäumen herum mit einer Langſamkeit, welche ihm auch ſchon den Namen auſtraliſches Faulthier eingetragen hat. Was ihm aber an Schnelligkeit abgeht, erſetzt er reichlich durch die unglaubliche Sorgſamkeit und Sicherheit, mit welcher er klettert, und ſo iſt er fähig, ſelbſt auf den äußerſten Aeſten herumzuſchleichen. Nur höchſt ſelten und jedenfalls blos gezwungen durch den Mangel an Weide, verläßt er die Baumkronen und wandert über dem Boden womöglich noch langſamer, träger und unbehilflicher zu einem anderen Baume, der ihm neue Nah -42Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.rung verſpricht. Er iſt ein halb nächtliches Thier, wenigſtens verſchläft er die größte Helle und Hitze des Tages tief verſteckt in den Kronen der Gummibäume, welche ſeinen bevorzugten Aufenthalt bilden. Gegen Abend beginnt er ſeine Mahlzeit. Ruhig und unbehelligt von den übrigen Geſchöpfen der Wildniß, weidet er äußerſt ruhig und gemächlich die jungen Blätter und Schößlinge der Aeſte ab, indem er ſie mit den Vorderpfoten feſthält und mit ſeinen Schneidezähnen abbeißt. Jn der Däm - merung ſteigt er wohl auch zuweilen auf die Erde herab und wühlt dann im Boden nach Wurzeln herum, welche ein bevorzugter Leckerbiſſen für ihn zu ſein ſcheinen. Jn ſeinem ganzen Weſen und Treiben offenbart er eine ſeltene, würdige Ruhe oder, um richtiger zu ſagen, eine mehr als gewöhnliche Stumpfheit. Man nennt ihn ein überaus gutmüthiges und friedliches Thier im vollſten Gegenſatz zu ſeinem faſt Furcht einflößenden Ausſehen. Er iſt nicht ſo leicht in den Harniſch zu bringen und geht ſchweigſam ſeinen Geſchäften nach, unbekümmert um das Treiben der böſen Welt. Höchſtens dann und wann läßt er ſeine Stimme vernehmen, ein dumpfes Gebell, welches blos, wenn er ſehr hungrig iſt oder hartnäckig gereizt wird, in ein gellendes, ſchrillendes Geſchrei übergeht. Bei großem Zorne kann es wohl auch vorkommen, daß er eine wilddrohende Miene annimmt, und dann funkeln auch die lebhaften Augen böswillig dem Störenfried entgegen. Aber es iſt nicht ſo ſchlimm gemeint: er denkt kaum daran, zu beißen oder zu kratzen.

Stumpfſinnig wie er iſt, läßt er ſich ohne große Mühe fangen und fügt ſich gelaſſen in das Unvermeidliche, ſomit auch in die Gefangenſchaft. Hier wird er nicht nur bald ſehr zahm, ſondern lernt auffallender Weiſe auch raſch ſeinen Pfleger kennen und gewinnt ſogar eine gewiſſe Anhänglichkeit an ihn. Man füttert das Thier mit Blättern, Wurzeln u. dgl. Seine Speiſen führt es mit den Vorderpfoten zum Munde, wobei es ſich auf das Hintertheil ſetzt, während es ſonſt die Stellung eines ſitzenden Hundes annimmt.

So viel man weiß, wirft das Weibchen blos ein Junges. Es ſchleppt dieſes, nachdem es dem Beutel entwachſen, noch lange Zeit mit ſich auf dem Rücken oder den Schultern herum und behandelt es mit großer Sorgfalt und Liebe. Das Junge klammert ſich feſt an den Hals der Mutter an und ſieht theilnahmlos in die Welt hinaus, wenn die Alte mit anerkennenswerther Vorſicht in den Kro - nen der Bäume umherklettert.

Die Europäer kennen den Koala erſt ſeit dem Jahre 1803. Die Eingeborenen, welche ihn Goribun nennen, haben ihn von jeher als ein geſchätztes Jagdthier betrachtet. Sie verfolgen ihn ſeines Fleiſches wegen mit großem Eifer und zwar kletternd, wie er, auf den Bäumen. Einen Koala jagend, laſſen ſie es ſich nicht verdrießen, an den ſchlanken, 40 bis 50 Fuß hohen Stämmen emporzu - klimmen und in der Krone des Baumes eine Verfolgung zu beginnen, welche einem kletternden Affen Ehre machen könnte. So treiben ſie das Thier bis zu dem höchſten Aſte hinauf und werfen es von dort aus ihren Gefährten herab oder ſchlagen es mit Keulen todt.

Die Rieſen unſerer Ordnung ſind die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen (Halmaturi). Sie ſind durchſchnittlich höchſt auffallende Geſchöpfe; ihre Geſtalt iſt eine ganz abſon - derliche. Der Leib nimmt vom Kopfe an ungemein ſchnell an Dicke und Umfang zu; denn der ent - wickeltſte Theil des Körpers iſt die Lendengegend, wegen der in merkwürdigem Grade verſtärkten Hinterglieder. Jhnen gegenüber erſcheinen Kopf und Bruſt verkümmert. Der Hintertheil des Leibes vermittelt faſt ausſchließlich die Bewegung der Springbeutelthiere, und ſomit iſt ſeine Ent - wickelung erklärlich. Das Känguru vermag ſeine ſchwachen Vorderbeine nur in ſehr untergeordneter Weiſe zum Fortbewegen und zum Ergreifen der Nahrung zu benutzen, während die ſehr verlängerten Hinterläufe und der mächtige Schwanz ihm eine ſatzweiſe Bewegung möglich machen, welche an Schnelligkeit mit dem Laufe eines Hirſches wetteifern kann. Hinterbeine und Schwanz ſind unbe -43Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhafen.dingt das Bezeichnendſte am ganzen Thiere. Die Läufe haben ſtarke Schenkel, lange Schienbeine, unverhältnißmäßig verlängerte Fußwurzeln mit ſtarken und langen Zehen, von denen die mittelſte einen gewaltigen hufartigen Nagel trägt. Die Zahl der Zehen beträgt hier, weil der Daumen fehlt, nur vier. Der Schwanz iſt verhältnißmäßig dicker und länger, als bei jedem andern Säugethiere, und äußerſt muskelkräftig. Jm Vergleich zu dieſen Gliedern ſinken die vorderen zu ſtummelhaften Greifwerkzeugen herab, obwohl hiermit keineswegs geſagt ſein ſoll, daß ſie auch hinſichtlich ihrer Beweglichkeit verkümmert wären. Die Vorderfüße des Känguru, welche gewöhnlich fünf, mit runden Nägeln bekrallte Zehen haben, ſind gewiſſermaßen zu Händen geworden und werden von dem Thiere auch handartig gebraucht. Der Kopf erſcheint als ein Mittelding zwiſchen dem eines Hirſches und dem eines Haſen. Mit dieſen Worten ſind die Springbeutelthiere beſchrieben; ein einziger Blick auf irgend eine unſerer Abbildungen ergänzt das Fehlende vollſtändiger, als die ausführlichſte Schil - derung es zu thun vermag.

Auſtralien iſt die Heimat der Springbeutelthiere. Die weiten, grasreichen Ebenen inmitten des Erdtheils bilden ihre bevorzugten Aufenthaltsorte. Einige Arten ziehen buſchreiche Gegenden, andere felſige Gebirge den parkähnlichen Grasflächen vor; noch andere haben ſich zu ihrem Aufenthalte un - durchdringliche Buſchwerke erkoren, in denen ſie ſich erſt durch Abbrechen von Aeſten und Zweigen Laufgänge bereiten müſſen, oder leben, ſo unglaublich Dies auch ſcheinen mag, auf den Felſen und Bäumen ſelbſt. Die meiſten halten ſich einzeln und kommen blos zufällig auf futterreichen Plätzen in größerer Anzahl zuſammen, ohne jedoch jemals einen wirklich geſchloſſenen Verband zu bilden. Die achtzig und mehr Stücke einer Känguruherde, welche der Reiſende mit einem Blicke überſchauen kann, zertheilen ſich vielleicht ſchon wenige Stunden ſpäter in alle Richtungen der Windroſe und vereinigen ſich gelegentlich wieder mit anderen ihrer Art oder mit Verwandten, ohne nach ihren früheren Genoſſen zu verlangen. Die meiſten Arten treiben bei Tage ihr Weſen; die kleineren dagegen ſind Nacht - thiere, welche ſich bei Tage in ſeichten Vertiefungen verbergen und zu ihnen zurückzukehren pflegen. Einzelne bewohnen auch Felſenklüfte, zu denen ſie ſich regelmäßig wiederfinden, wenn ſie auf Aaſung ausgegangen waren.

Leibliche und geiſtige Begabungen der Käugurus verdienen eine ausführliche Beſchreibung. Die Springbeutelthiere gehören unbedingt zu den beachtungswertheſten Säugethieren. An ihnen iſt eigentlich Alles merkwürdig: ihre Bewegungen und ihr Ruhen, die Art und Weiſe ihres Nahrungs - erwerbs, ihre Fortpflanzung, ihre Entwickelung und ihr geiſtiges Weſen. Der Gang, welchen man namentlich beim Weiden beobachten kann, iſt ein ſchwerfälliges, unbehilfliches Forthumpeln. Das Thier ſtemmt ſeine Handflächen auf und ſchiebt die Hinterbeine dann an den Vordergliedern vorbei, ſo daß ſie zwiſchen dieſe zu ſtehen kommen. Dabei muß es ſich hinten auf den Schwanz ſtützen, weil es ſonſt die langen Hinterläufe nicht ſo hoch heben könnte, daß ſolche Bewegungen möglich wären. Aber das Kängurn verweilt in dieſer, ihm höchſt unbequemen Stellung auch niemals länger, als un - umgänglich nothwendig. Selbſt beim Abbeißen ſitzt es regelmäßig auf Hinterbeinen und Schwanz, und läßt die Vorderarme ſchlaff herabhängen. Sobald es irgend eine Lieblingspflanze abgerupft hat, ſteht es auf, um ſie in der gewöhnlichen Stellung zu verzehren. Bei dieſer ſtützt es den Leib auf die Sohle und gleichzeitig auf den nach hinten feſt angeſtemmten Schwanz, wodurch der Körper ſicher und beqnem wie auf einem Dreifuß ruht. Seltener ſteht es auf drei Beinen und dem Schwanze: dann hat es mit der einen Hand irgend Etwas am Boden zu thun. Halb geſättigt, legt es ſich der Länge nach auf den Boden, die Hinterläufe weit von ſich geſtreckt. Fällt es ihm in dieſer Stellung ein, zu weiden, ſo bleibt es hinten ruhig liegen und ſtützt ſich vorn höchſtens mit den kurzen Armen auf. Zum Schlafen nehmen die kleineren Arten eine ähnliche Stellung an, wie der Haſe im Lager. Sie ſetzen ſich, dicht auf den Boden gedrückt, auf alle vier Beine und den der Länge nach unter den Leib geſchlagenen Schwanz; dieſe Stellung befähigt ſie, jederzeit ſofort die Flucht zu ergreifen. Das geringſte Geräuſch ſchreckt ein ruhendes Känguru augenblicklich auf, und44Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.namentlich die alten Männchen ſchnellen ſich dann, um ſich zu ſichern, ſo hoch als möglich empor, in - dem ſie auf die Zehenſpitzen treten und ſich mehr auf die Spitze des Schwanzes ſtützen.

Wenn ein Känguru irgend etwas Verdächtiges bemerkt, denkt es zunächſt an die Flucht. Hier - bei zeigt es ſich in ſeiner ganzen Beweglichkeit. Es ſpringt, wie bei jeder Beſchleunigung ſeines Ganges, ausſchließlich mit den Hinterbeinen, macht aber Sätze, welche die aller übrigen Thiere in jeder Hinſicht übertreffen. Es legt ſeine Vorderfüße dicht an die Bruſt, ſtreckt den Schwanz gerade und nach rückwärts aus, ſchnellt mit aller Kraft der gewaltigen Schenkelmuskeln ſeine langen, ſchlanken und federnden Hinterbeine gegen den Boden, wirft ſich hoch empor und ſchießt nun in einem flachen Bogen wie ein Pfeil durch die Luft. Einzelne Arten halten im Springen den Körper wagerecht, andere mehr ſteil, die Ohren in einer Ebene mit dem Widerriſt, während ſie bei ruhigem Lauf ge - ſteift werden. Ungeſchreckt macht das Thier nur kleine Sprünge von höchſtens acht Fuß Weite; ſo - bald es aber ängſtlich wird, verdoppelt und verdreifacht es ſeine Anſtrengungen. Es ſpringt mit dem rechten Fuße ein klein wenig eher, als mit dem linken ab und auf, ebenſo tritt es mit jenem etwas weiter vor. Bei jedem Satze ſchwingt der gewichtige Schwanz auf und nieder, und zwar um ſo heftiger, je größer die Sprünge ſind. Drehungen aller Art führt das Känguru mit zwei bis drei kleinen Sätzen aus, ohne dabei erſichtlich mit dem Schwanze zu ſteuern. Jmmer tritt es nur mit den Zehen auf, und niemals fällt es auf die Vorderarme nieder. Dieſe werden von ver - ſchiedenen Arten verſchieden getragen, bei den einen vom Leib abgehalten, bei den anderen mehr ange - zogen und gekreuzt. Ein Sprung folgt unmittelbar dem andern und jeder iſt mindeſtens 10 Fuß, bei den größeren Arten nicht ſelten aber auch 20, 25 und ſelbſt 30 Fuß weit und dabei 6 bis 9 Fuß hoch. Schon Gefangene ſpringen, wenn man ſie in einer größeren Umhegung hin - und herjagt, bis 26 Fuß weit. Es iſt erklärlich, daß ein ganz vortrefflicher Hund dazu gehört, einem Känguru zu folgen, und in der That gibt es nur wenige Jagdhunde, welche Dies vermögen. Auf bedecktem Boden hört die Verfolgung ſehr bald auf; denn das flüchtige Känguru ſchnellt leicht über die im Wege liegenden Büſche weg, während der Hund dieſelben umgehen muß. Auf unebenem Boden bewegt es ſich langſamer; namentlich wird es ihm ſchwer, an Abhängen hinunterzueilen, weil es ſich hier bei der Heftigkeit des Sprunges leicht überſchlägt. Uebrigens hält das laufende Thier ſtunden - lang aus, ohne zu ermüden.

Unter den Sinnen der Springbeutelthiere dürfte das Gehör obenan ſtehen; wenigſtens bemerkt man an Gefangenen ein fortwährendes Bewegen der Ohren nach Art unſeres Hochwildes. Das Geſicht iſt ſchwächer und der Geruch wahrſcheinlich ziemlich unentwickelt. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind gering. Das Känguru iſt ſehr unklug; es iſt ſchen, nicht aber vorſichtig, iſt vergeßlich, neugierig, furchtſam bis zum Aengſtlichwerden, leicht erregt und auch bald wieder beſänftigt, entweder gleich - giltig oder unverträglich gegen Andere ſeiner Art, der Zähmung nur im geringen Grade zugänglich, ohne Anhänglichkeit gegen ſeinen Wärter und Pfleger, kurz, ſein Verſtand iſt entſchieden ein ſehr untergeordneter. Große Erregung jeder Art bekundet es durch ſchnelles Athemholen und ein ſo hef - tiges Geifern, daß von dem ausfließenden Speichel bald die ganze Vorderſeite durchnäßt wird. Allein auch bei der größten Angſt, im tollſten Jagen z. B., wenn ihm die Hunde dicht auf den Ferſen ſind, kann es ſich nicht enthalten, ſeiner Neugier Genüge zu leiſten. Es dreht ſich ſcheinbar ängſtlich nach ſeinen Verfolgern um und rennt dabei nicht ſelten ſo heftig gegen einen Baum oder Felſen, daß es beſinnungslos zu Boden ſtürzt.

Die Nahrung iſt gemiſchter Art. Gras und Baumblätter bleiben die bevorzugteſte Speiſe, außerdem verzehren die Thiere aber auch Wurzeln, Baumrinde und Baumknospen, Früchte und mancherlei Kräuter. Einzelne Naturforſcher haben geglaubt, daß die Kängurus Wiederkäuer wären; ich habe jedoch trotz ſorgfältiger Beobachtung das Wiederkäuen noch bei keinem Känguru bemerken können. Sie kauen allerdings oft lange an gewiſſen Pflanzenſtoffen, ſtoßen den bereits hinabgewürgten Biſſen aber nicht wieder nach dem Munde herauf.

45Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Höchſt eigenthümlich iſt die Fortpflanzung und Entwickelung aller Springbeutelthiere. Die Zeit der Brunſt ſcheint an keinen beſtimmten Jahresabſchnitt gebunden zu ſein; Dies gilt wenigſtens für Gefangene. Das verliebte Männchen macht dem Weibchen in der ſonderbarſten Weiſe den Hof. Es umgeht oder umhüpft den Gegenſtand ſeiner Liebe mit verſchiedenen Sprüngen, ſchüttelt dabei wiederholt mit dem Kopfe, läßt ein ſonderbares heiſeres Meckern vernehmen, welches man am beſten mit unterdrücktem Huſten vergleichen könnte, und folgt dann der ſehr gleichgiltig ſich geberdenden Schönen auf Schritt und Tritt, beriecht ſie von allen Seiten und beginnt dann, den Schwanz, dieſes wichtige Werkzeug eines Känguru, zu krabblen und zu ſtreichen. Eine große Theilnahme ſchenkt es auch der Taſche des Weibchens; es befühlt oder beriecht ſie wenigſtens, ſo oft es Solches thun kann. Wenn Dies eine geraume Zeit gewährt hat, pflegt ſich das Weibchen ſpröde umzudrehen und vor dem zudringlichen Männchen aufzurichten. Das hüpft augenblicklich herbei und erwartet, ſcheinbar ge - laſſen, eine verdiente Züchtigung, benutzt aber den günſtigen Augenblick, um das Weibchen zu um - armen. Letzteres nimmt dieſe Gelegenheit wahr, um dem Zudringlichen mit den Hinterbeinen einen Schlag zu verſetzen, findet aber, nachdem es wiederholt umarmt worden iſt, daß es wohl auch nichts Beſſeres thun könne, und ſo ſtehen denn die beiden Thiere innig umſchlungen neben einander, ſchütteln und wackeln mit dem Kopfe, beſchnoppern ſich und wiegen ſich, auf den Schwanz geſtützt, behaglich hin und her. Sobald die Umarmung beendet iſt, beginnt die alte Geſchichte von neuem, und eine zweite Umarmung endet ſie wieder. Das ganze Liebesſpiel ſieht im höchſten Grade komiſch aus und erregt, wie billig, die Lachluſt eines jeden Beſchauers.

Etwas anders geſtaltet ſich die Sache, wenn mehrere verliebte Männchen um ein Weibchen werben. Dann kommt es ſelbſtverſtändlich zu Kampf und Streit. Die zarten Liebesbeweiſe, welche dem Schwanz geſpendet werden, bleiben weg. Beide Gegner umhüpfen ſich drohend und ſuchen, ſich ſobald als möglich zu umarmen. Jſt Dies ihnen geglückt, ſo ſtemmen ſie ſich beide zugleich auf den Schwanz und ſchlagen mit den hierdurch freigewordenen Hinterbeinen in gefährlicher Weiſe auf ein - ander los, verſuchen, ſich gegenſeitig mit den ſcharfen Nägeln den Bauch aufzuritzen, und prügeln ſich dabei mit den Vorderhänden ſoviel als möglich ab. Einige Beobachter haben angegeben, daß ſie hauptſächlich mit dem ſtarken Schwanze kämpften: ich habe Dies zwar niemals geſehen, halte es aber für möglich, weil einer der Wärter unſeres Thiergartens von einem Bennett’ſchen Känguru wiederholt mit dem Schwanze geſchlagen wurde.

Beſonders unverträglich ſcheinen die kleineren Arten zu ſein. Sie liegen ſich beſtändig in den Haaren und kratzen ſich gegenſeitig halb oder ganz kahl.

Ueber die Begattung ſelbſt weiß ich noch nichts Sicheres: doch glaube ich nach meinen Beob - achtungen annehmen zu können, daß ſie in ſitzender Stellung geſchieht. Als auffallend muß ich her - vorheben, daß verſchiedene Arten beiderlei Geſchlechts ſich genau in derſelben Weiſe betragen, wie rechtmäßige d. h. gleichartige Gatten. Die Brunſt ſcheint ſehr heftig zu ſein.

Die Vermehrung aller Springbeutelthiere iſt ſchwach. Die großen Arten werfen ſelten mehr als ein Junges. Trotz der bedeutenden Größe einiger Kängurus tragen die Weibchen erſtaunlich kurze Zeit, die weiblichen Rieſenkänguru z. B. nur 39 Tage. Nach Ablauf dieſer Zeit wird das Junge im eigentlichen Sinne des Wortes geboren. Die Mutter nimmt es mit dem Munde ab, öffnet mit beiden Händen den Beutel und ſetzt das kleine, unſcheinbare Weſen an einer der Zitzen feſt. Zwölf Stunden nach der Geburt hat das junge Rieſenkänguru eine Länge von 14 Linien. Es kann nur mit den Keimen anderer Thiere verglichen werden; denn es iſt vollkommen unreif, durchſcheinend, weich, wurmartig; ſeine Augen ſind geſchloſſen, die Ohren und Naſenlöcher erſt angedeutet, die Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Zwiſchen ihm und der Mutter ſcheint nicht die geringſte Aehnlich - keit zu beſtehen. Gerade die Vorderglieder ſind um ein Drittheil länger, als die hinteren. Jn ſtark gekrümmter Lage, den kurzen Schwanz zwiſchen den Hinterbeinen nach aufwärts gebogen, hängt es an der Zitze, ohne wahrnehmbare Bewegung, unfähig, ſelbſt zu ſaugen. Sobald es an die Zitze angeheftet worden iſt, ſchwillt dieſe ſo bedeutend an, daß die großen Lippen ſie genau um -46Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.ſchließen und der angeſchwollene Theil der Saugwarzen wiederum den Mund. So viel man bis jetzt weiß, ſaugt das junge Känguru gar nicht, ſondern wird ohne eigene Anſtrengung mit Milch ver - ſorgt, indem ihm dieſe aus den Zitzen geradezu in den Hals ſpritzt. Faſt acht Monate lang ernährt ſich das junge Thier von der Muttermilch im Beutel; doch ſchon etwas eher ſtreckt es ab und zu ein - mal den Kopf hervor, iſt aber auch dann noch immer nicht im Stande, ſelbſtändig ſich zu bewegen. Owen beobachtete am ſehr jungen Rieſenkänguru, daß es eifrig, aber langſam athmete und die Vorderfüße nur bewegte, wenn ſie berührt wurden. Vier Tage nach der Geburt ließ der gedachte Naturforſcher das Junge von der Zitze entfernen, um zu beſtimmen, wieweit es mit der Mutter zuſammenhänge, um die Milch kennen zu lernen und um zu ſehen, ob ein ſo unvollkommenes Thier eigene Kraft entwickelt, wenn es ſich darum handelt, die verlorene Zitze wieder zu erlangen, oder ob es von der Alten wiederum an die Zitze angeheftet werden müſſe. Das Ergebniß war Fol - gendes. Als die Frucht abgenommen worden war, erſchien ein Tropfen weißlicher Flüſſigkeit vorn an der Zitze. Das Junge bewegte die Glieder heftig, nachdem es entfernt war, machte aber keine erſichtliche Anſtrengung, um ſeine Füße an die Haut der Mutter zu heften oder um fortzukriechen, ſondern zeigte ſich vollkommen hilflos. Es wurde nun auf den Grund der Taſche gelegt und die Mutter freigegeben. Sie zeigte großes Mißbehagen, bückte ſich, kratzte an den Außenwänden des Beutels, öffnete denſelben mit den Pfoten, ſteckte den Kopf hinein und bewegte ihn darin nach verſchiedenen Richtungen mit Leichtigkeit. Hieraus folgerte Owen, daß die Mutter ihr Junges nach der Geburt mit dem Munde wegnimmt und ſolange an der Zitze am Beutel hält, bis es fühlt, daß das Junge angeſogen iſt. Doch muß bemerkt werden, daß das künſtlich entfernte Junge ſtarb, weil weder die Mutter es wieder anſetzte, noch ein Wärter Dies zu thun vermochte.

Jnzwiſchen iſt aber bekannt geworden, daß ſich ein junges Känguru, welches gewaltſam von der Zitze abgeriſſen wurde oder zufällig abfiel, nach längerer Zwiſchenzeit wieder anſaugte. Leisler erzählt, daß er ein etwas mehr entwickeltes Känguru, welches beinahe kalt ſchon auf der Streu ge - funden wurde, an die Zitze anſetzte, und daß es weiter wuchs. Das Gleiche geſchah bei ſpäteren Verſuchen Owen’s. Geoffroy St. Hilaire hat auch einen Muskel nachgewieſen, welcher über dem Euter liegt und dem noch kraftloſen Jungen die Milch in den Mund preßt oder wenigſtens preſſen kann; denn eigentlich fehlt die Beſtätigung dieſer Angabe. Aus den übrigen und neueſten Beobach - tungen geht hervor, daß das Känguru, wenn es einmal eine gewiſſe Größe erreicht hat, ſehr ſchnell wächſt, namentlich von der Zeit an, wo es Haare bekommt. Es iſt dann im Stande, ſeine langen Ohren, welche bis dahin ſchlaff am Köpfchen herabhingen, aufzurichten. Von nun an zeigt es ſich ſehr häufig, wenn die Mutter ruhig daſitzt. Der ganze Kopf wird vorgeſtreckt und die hellen Augen blicken lebhaft um ſich, ja, die Aermchen ſtöbern auch ſchon im Heu herum und das Thierchen beginnt bereits zu freſſen. Die Alte zeigt ſich noch äußerſt vorſorglich gegen das Junge, jedoch nicht mehr ſo ängſtlich, als früher. Anfangs geſtattet ſie nur mit dem größten Widerſtreben irgendwelche Verſuche, das Junge im Beutel zu ſehen oder zu berühren. Selbſt gegen das Männchen, welches eine lebhafte Neugierde an den Tag legt und ſich beſtändig herbeidrängt, um ſeinen Sprößling zu ſehen, benimmt ſie ſich nicht anders, als gegen den Menſchen. Sie beantwortet Zudringlichkeiten dadurch, daß ſie ſich abwendet, weiſt fortgeſetzte Verſuche durch ein ärgerliches, heiſeres Knurren zu - rück und verſucht wohl auch, ſich durch Schlagen derſelben zu entwehren. Von dem Augenblicke an, wo das Junge den Kopf zum Beutel herausſtreckt, ſucht ſie es weniger zu verbergen. Das Kleine iſt auch ſelbſt äußerſt furchtſam und zieht ſich bei der geringſten Störung in den Beutel zurück. Hier ſitzt es übrigens keineswegs immer aufrecht, ſondern nimmt alle möglichen Lagen an. Man ſieht es mit dem Kopfe herausſchauen und gar nicht ſelten neben dieſem die beiden Hinterbeine und den Schwanz hervorſtrecken, bemerkt aber auch dieſe Glieder allein, ohne vom Kopf Etwas zu ſehen. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn die Mutter, welche weiter zu hüpfen wünſcht, das aus dem Beutel herausſchauende Junge zurücktreibt. Sie gibt dem kleinen Dinge, wenn es nicht ohne weiteres ge - horcht, einen gelinden Schlag mit den Händen. Geraume Zeit nach dem erſten Ausſchauen verläßt47Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.das Junge ab und zu ſeinen Schutzort und treibt ſich neben der Alten im Freien umher, noch lange Zeit flüchtet es aber, ſobald es Gefahr fürchtet, in den Beutel zurück. Es kommt mit gewaltigen Sätzen einhergerannt und ſtürzt ſich, ohne auch nur einen Augenblick anzuhalten, kopfüber in den halbgeöffneten Beutel der ruhig auf ihren Hinterläufen ſitzenden Mutter, kehrt ſich im Nu um und ſchaut dann mit einem unendlich komiſchen Ausdruck des beneidenswertheſten Sicherheitsbewußt - ſeins aus der Beutelöffnung hervor.

Ende Septembers, ſagt Weinland, welchem ich Vorſtehendes nacherzählt habe, bemerkten wir das im Januar geborene, weibliche Junge des Bennett’ſchen Känguru zum letzten Male in dem Beutel; aber wenn die Tochter nunmehr auch auf den Schutz der Mutter verzichtete, hörte ſie doch nicht auf, Nahrung von ihr zu fordern. Noch am 22. Oktober ſahen wir das Junge an der Mutter ſaugen, und zu unſerer nicht geringen Ueberraſchung beobachteten wir an demſelben Tage jenes eigen - thümliche Zittern und Zucken in ſeinem Beutel, das uns über den eigenen Zuſtand keinen Zweifel ließ. Der ſonderbare, unſeres Wiſſens noch nie beobachtete Fall ſteht feſt: ſelbſt ſchon Mutter, ja bereits ein Junges im Beutel ſäugend, verlangt dieſes Thier noch immer die nährende Milch ſeiner Alten! Aber noch mehr Enthüllungen lieferte die leider nothwendig gewordene Zergliederung des Mutterthieres, welches ſich durch Anrennen an das Gitter den Tod zugezogen hatte. Es fand ſich in dem Beutel ein bereits todtes, noch nacktes Junge von drei Zoll Länge, welches alſo mindeſtens vor zwei Monaten ſchon geboren worden war, und ſomit ſtellte ſich heraus, daß das Känguruweibchen unter Umſtänden zugleich die Kinder zweier Würfe und mittelbar noch ſein Enkelchen ſäugte: das erwähnte herangewachſene, ſelbſt ſchon tragende und ſäugende, und deſſen Kind, ſowie das kleine Nackte im Beutel.

Reiſende in Auſtralien berichten, daß Kängurumütter ihr Junges bei großer Gefahr in eigenthüm - licher Weiſe zu retten ſuchen, namentlich, wenn ſie ſich verwundet fühlen. Falls ſie ſich nicht mehr im Stande ſehen, dem drohenden Verderben zu entrinnen, heben ſie das Junge ſchnell aus dem Beutel, ſetzen es auf den Boden und fliehen, beſtändig traurig nach ihrem Sprößlinge ſich umſehend, weiter, ſolange ſie können: ſie geben ſich alſo gern zu Gunſten ihrer Jungen preis und erreichen wirklich nicht ſelten ihren Zweck, indem die hitzig gewordenen Verfolger ihr Augenmerk ausſchließlich auf die Alte richten und an den Jungen vorbeiſtürmen.

Die Springbeutelthiere vertreten in ihrer Heimat gewiſſermaßen das dort fehlende Wild, und werden auch, wie dieſes, leidenſchaftlich gejagt, von den Raubthieren, wie von den Menſchen, von den Eingeborenen, wie von den Weißen. Die Schwarzen ſuchen ſich ſo unbemerkt als möglich an eine Geſellſchaft weidender Kängurus heranzuſchleichen und verſtehen es meiſterhaft, ſie derart zu umſtellen, daß wenigſtens einige des Trupps ihnen zum Opfer fallen. Bei Hauptjagden legen ſich die Einen in den Hinterhalt, und die Anderen treiben dieſen das Wild zu, indem ſie erſt ſo nahe als möglich an die weidenden Herden herankriechen, dann aber plötzlich mit Geſchrei aufſpringen. Schreck - erfüllt wenden ſich die Thiere nach der ihnen offen erſcheinenden Seite hin und fallen ſomit ziemlich ſicher in die Gewalt der verſteckten Jäger. Außerdem verſtehen es die Auſtralier, Schlingen aller Art und Fangnetze anzufertigen und geſchickt zu ſtellen. Die engliſchen Anſiedler bedienen ſich einer beſondern Raſſe von Hunden, welche durch Kreuzung des engliſchen Schweißhundes mit dem Bullenbeißer entſtanden ſind, ſich durch Muth, Stärke und Ausdauer auszeichnen und deshalb für dieſe Jagd beſonders abgerichtet werden. Drei bis vier Hunde ſind in den meiſten Fällen aus - reichend, ein aufgetriebenes Känguru zu ſtellen oder es dem Jäger zum Schuß zuzutreiben. Doch iſt die Jagd keineswegs ohne alle Gefahr; denn das Känguru weiß ſeine ſtarken, kralligen Hinter - füße in der bereits angegebenen Weiſe auch gegen Hunde oder Menſchen zu gebrauchen, und die größeren Arten leiſten oft einen hartnäckigen Widerſtand. Befindet ſich in der Nähe des Weidegrun - des ein Fluß oder See, ſo eilen die Kängurus regelmäßig dem Waſſer zu und ſtellen ſich darin ruhig auf, die ankommenden Hunde erwartend. Jhre große Leibeshöhe erlaubt ihnen, zu ſtehen, wenn die Hunde bereits ſchwimmen müſſen, und gerade hierdurch erlangen ſie Vortheile. Der erſte Hund48Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.welcher ankommt, wird augenblicklich von dem Känguru gepackt und zunächſt mit den Vorderfüßen, dann aber mit den Hinterfüßen unter das Waſſer gedrückt und dort ſolange feſtgehalten, bis er ertränkt iſt. Ein ſtarkes Männchen der größeren Arten kann ſelbſt einer zahlreichen Meute zu ſchaffen machen. Es läßt mit der größten Seelenruhe einen der Feinde nach dem andern ſchwimmend an ſich kommen und nimmt geſchickt den günſtigen Augenblick wahr, um ſich der Angreifer zu entledigen. Der einmal angepackte Hund iſt regelmäßig verloren, wenn ihm nicht ein zweiter zu Hilfe kommt, und derjenige, welcher wirklich gerettet wird, eilt nach dem ſo wider Willen genommenen Bade ſo ſchnell, als er kann, dem Ufer zu, iſt auch durch kein Mittel zu bewegen, den mißlungenen Angriff zu erneuern. Selbſt auf dem Feſtlande iſt ein altes Kängurumännchen immer noch ein zu beachtender Gegner. Es ſucht ſich durch den erſten beſten Baum den Rücken zu decken, und benutzt dann ſeine vier Beine mit großem Geſchick. Die eigentlichen Känguruhunde ſind für dieſe Jagd ſo vortrefflich eingeſchult, daß ſie einzeln niemals ein geſtelltes Känguru angreifen. Sie ſtürmen in Menge herbei, umſtellen das Thier von allen Seiten, ſtürzen plötzlich vereint auf daſſelbe los, packen es an der Kehle, reißen es zu Boden, ſchleppen es immer nach vorwärts, ſo daß es ſeine gefährlichen Waffen kaum brauchen kann, und würgen es entweder ab oder halten es ſolange feſt, bis die Jäger herbei - kommen.

Das Fleiſch der Kängurus gilt als eine vortreffliche Speiſe, und auch das Fell einzelner Arten findet Verwendung. Sie bringen alſo manchen Nutzen, und über Schaden kann in ihrer Heimat ge - wiß Niemand klagen.

Die Gefangenſchaft ertragen alle Arten leicht. Sie ſind mit grünem Futter, Blättern, Rüben, Körnern, Brod und dergleichen ohne Mühe zu erhalten, bedürfen im Winter keinen ſonderlich warmen Stall und pflanzen ſich auch bei geeigneter Pflege ohne viel Umſtände fort. Gegenwärtig werden in den europäiſchen Thiergärten alljährlich viele von ihnen gezüchtet.

Sämmtliche Springbeutelthiere ähneln ſich in hohem Grade. Man hat auch ſie in viele Sippen zerfällt; doch ſind von dieſen eigentlich nur drei augenſcheinlich begründet. Für die anderen ſind Unterſcheidungsmerkmale als maßgebend aufgeſtellt worden, deren Erkennung eine ſehr ſorgfältige Unterſuchung erfordert, und welche demungeachtet nicht allgemein giltig ſind. Die nachſtehend be - ſchriebenen Arten mögen als Vertreter der Geſammtheit gelten.

Das eigentliche Känguru (Macropus major), der Boomer der Anſiedler, gehört zu den größten Arten der Familie. Sehr alte Männchen haben in ſitzender Stellung faſt Mannshöhe. Jhre Länge beträgt gegen 8 Fuß, wovon Fuß auf den Schwanz gerechnet werden müſſen, ihr Gewicht zwiſchen 150 220 Pfund. Das Weibchen iſt durchſchnittlich um ein Drittheil kleiner, als das Männchen.

Der Leibesbau zeigt im weſentlichen ganz das Gepräge der Familie. Die Behaarung iſt reich - lich, dicht, glatt und weich, faſt wollig, die Färbung ein ſchwer zu beſtimmendes Braun, gemiſcht mit Grau. Die Vorderarme, Schienbeine und die Fußwurzeln ſind hellgelblichbraun, die Zehen ſchwärzlich; der Kopf iſt auf dem Naſenrücken lichter, als auf den Seiten, an den Oberlippen aber weißlich. Die Außenſeite der Ohren iſt nußbraun, die Jnnenſeite weiß; der Schwanz zeigt an ſeiner Wurzel die Färbung des Rückens, wird dann grau und an der Spitze ſchwarz.

Cook entdeckte das Känguru 1770 an der Küſte von Neuſüdwales und gab ihm nach einer Benennung der dortigen Eingeborenen den Namen, welcher ſpäter zur Bezeichnung der ganzen Familie gebraucht wurde. Das Thier lebt in grasbewachſenen Triften oder ſpärlich bedeckten, offenen Buſchwaldungen, wie ſolche in Auſtralien ſo häufig gefunden werden. Jn das Gebüſch zieht es ſich namentlich im Sommer zurück, um ſich vor der heißen Mittagsſonne zu ſchützen. Gegenwärtig iſt es durch die fortwährende Verfolgung weit in das Jnnere gedrängt worden, und auch hier beginnt es

Kängurus.

49Das Pademelon.ſeltener zu werden. Es lebt in Trupps, iſt jedoch nicht ſo geſellig, als man anfangs glaubte, getäuſcht durch die Vereinigung verſchiedener Familien. Gewöhnlich ſieht man nur ihrer drei oder vier zuſammen, und dieſe in ſo loſem Verbande, daß ſich eigentlich Keines um das Andere kümmert, ſondern Jedes unabhängig ſeinen eigenen Weg geht. Beſonders gute Weide vereinigt eine größere Anzahl, welche ſich wieder trennt, wenn eine Oertlichkeit ausgenutzt iſt. Früher glaubte man, in den Männchen die Leitthiere eines Trupps annehmen zu dürfen, wahrſcheinlich, weil ſie ihrer bedeu - tenden Größe wegen zu ſolchem Amte geeignet erſcheinen mochten; aber auch dieſe Annahme hat ſich als unrichtig herausgeſtellt. Alle Beobachter ſtimmen darin überein, daß das Känguru im hohen Grade ſcheu und furchtſam iſt und dem Menſchen nur ſelten erlaubt, ſich ihm in erwünſchter Weiſe zu nähern. Gould, welcher ein vortreffliches Werk über dieſe Familie geſchrieben hat, ſagt über die flüchtigen Kängurus Folgendes: Jch erinnere mich mit beſonderer Vorliebe eines ſchönen Boo - mers, welcher ſich in der offenen Ebene zwiſchen den Hunden plötzlich aufrichtete und dann dahin jagte. Zuerſt warf er ſeinen Kopf empor, um nach ſeinen Verfolgern zu ſchielen, und zugleich um zu ſehen, welche Seite des Wegs ihm offen war; dann aber jagte er, ohne einen Augenblick zu - gern, vorwärts und gab uns Gelegenheit, das tollſte Rennen zu beobachten, welches ein Thier jemals vor unſeren Augen ausgeführt hat. Vierzehn (engliſche) Meilen in einem Zuge rannte der vogelſchnelle Läufer, und da er vollen Spielraum hatte, zweifelte ich nicht im geringſten, daß er uns entkommen würde. Zu ſeinem Unglück aber hatte er ſeinen Weg nach einer Landzunge gerichtet, welche ungefähr zwei Meilen weit in die See hinauslief. Dort wurde ihm der Weg abgeſchnitten und er gezwungen, ſchwimmend ſeine Rettung zu ſuchen. Der Meeresarm, welcher ihn vom feſten Lande trennte, mochte ungefähr zwei Meilen breit ſein, und eine friſche Briſe trieb die Wellen hart gegen ihn. Aber es blieb ihm keine andere Wahl, als entweder den Kampf mit den Hunden aufzu - nehmen oder ſeine Rettung in der See zu ſuchen. Ohne Beſinnen ſtürzte er ſich in die Wogen und durchſchwamm ſie muthig, obgleich die Wellen halb über ihn hinweggingen. Schließlich jedoch wurde er genöthigt, umzukehren, und abgemattet und entkräftet, wie er war, erlag er ſeinen Verfolgern bald nach ſeiner Rückkehr. Die Entfernung, welche er auf ſeiner Flucht durchjagt hatte, konnte, wenn man die verſchiedenen Krümmungen hinzurechnen wollte, nicht unter 18 Meilen be - tragen haben; ſicherlich durchſchwamm er deren zwei. Jch bin nicht im Stande, die Zeit zu beſtim - men, in welcher er dieſe Strecke durchrannte, ich glaube blos, daß es ungefähr zwei Stunden waren, als er am Ende der betreffenden Landzunge ankam. Dort aber rannte er noch ebenſo ſchnell, wie im Anfang.

Jm übrigen habe ich über das Leben des Thieres nach dem bereits Mitgetheilten Nichts weiter zu bemerken; denn gerade an dieſer Art der Familie hat man die meiſten Beobachtungen gemacht. Gegenwärtig ſieht man das Känguru ſeltener bei uns in der Gefangenſchaft, als früher, wo es in ſeiner Heimat weit häufiger war. Bei guter Pflege dauert es bei uns lange aus; Einzelne lebten 10 bis 15 Jahre in Europa. Auch dieſe Art wird eigentlich nicht zahm. Sie legt ihre angeborene Scheu niemals gänzlich ab und befreundet ſich mit ihren Wärtern nicht mehr, als mit anderen Leuten. Selbſt Vögel können das Känguru in Todesangſt verſetzen.

Eine der kleineren und hübſcheſten Arten der Familie iſt das Pademelon (Halmaturus Theti - dis). Es erreicht noch nicht den dritten Theil der Größe des Känguru. Seine Länge beträgt nur Fuß, wovon Fuß auf den Schwanz zu rechnen ſind. Das Fell iſt ziemlich lang und weich, die Färbung der oberen Theile ein angenehmes Braungrau, welches im Nacken in Roſtroth übergeht. Die Unterſeite iſt weiß oder gelblichweiß, die Seiten ſind röthlich, die Füße gleichmäßig braun, die Vorderfüße grau, der mit kurzen, barſchen Haaren bedeckte Schwanz iſt oben grau, unten bräun - lichweiß.

Brehm, Thierleben. II. 450Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Nach Gould bewohnt das nette Geſchöpf buſchreiche Gegenden in der Nähe der Moritonbai und lebt hier einzeln und in kleinen Trupps, wegen ſeines zarten, höchſt wohlſchmeckenden Fleiſches, welches dem Wildpret unſeres Haſen ähnelt, eifrig verfolgt von Eingeborenen und von den Anſied - lern. Jn ſeiner Lebensweiſe ähnelt es ganz ſeinen Verwandten.

An Gefangenen iſt mir aufgefallen, daß ſie ihre Vorderhände beim Springen ziemlich ausge - breitet, ſeitlich vom Leibe ab tragen, während andere Arten ſie zuſammenhalten. Durch dieſe Eigen - thümlichkeit unterſcheidet man das Pademelon auf den erſten Blick von anderen, ihm ſehr nahe ver - wandten Arten.

Ein Pärchen, welches der hamburger Thiergarten beſitzt, verträgt ſich, wie die meiſten Spring - beutler, ausgezeichnet, nicht aber mit verwandten Arten. Ein männliches Wallaby (Halmaturus Billardierii), welches gelegentlich in ſein Gehege kam, mochte vom männlichen Pademelon aus Eifer -

Das Pademelon (Halmaturus Thelidis).

ſucht angegriffen worden ſein und hatte den Kampf erfolgreich aufgenommen. Das Ergebniß war, daß unſer Pademelon im eigentlichen Sinne des Wortes viel Haare laſſen mußte. Sein Hinterrücken war, als wir von dem ausgefochtenen Streit Kenntniß erhielten, faſt gänzlich kahl gekratzt und hier und da nicht unbeträchtlich geſchrammt. Man erſah aus den Verletzungen, daß es vom Wallaby zu Boden geworfen und mit den Hinterfüßen mißhandelt ſein mußte. Das weibliche Pademelon war auch etwas zerkratzt, wahrſcheinlich, weil es ſich geweigert hatte, den ſtürmiſchen Bewerbungen des bisher unbeweibten Wallabys Gewähr zu ſchenken.

Gould trennt von den wahren Kängurus eine kleinere Art, den Haſenſpringer (Lagor - chestes leporoides), ſo genannt, weil es in Weſen und Färbung vielfach an einen wirklichen Haſen erinnert. Seine Länge beträgt 2 Fuß, wovon etwa 13 Zoll auf den Schwanz kommen. Sein Leibesbau iſt geſtreckt, die Läufe und Klauen ſind ſchlank, die kleinen Vorderpfoten mit ſcharfen,51Der Haſenſpringer.ſpitzigen Nägeln bewehrt. Die Schnauze iſt ſammetartig behaart, die Ohren, welche innen mit langen, weißen Haaren, außen mit kurzen, ſchwarzen und weißen bekleidet ſind, laufen ſpitz zu. Der übrige Pelz zeigt das ſo ſchwer zu beſchreibende Farbengemiſch der Haſen; die Haare der Ober - ſeite ſind am Grunde ſchwarz, ſodann röthlichbraun, hierauf roſtweiß und endlich ſchwarz gefärbt, an Bruſt und Bauch ſind ſie grau und roſtweiß. Ein dunkler Flecken ſteht auf dem Unterſchenkel; die Läufe ſind grau geſprenkelt, die Schnauzenhaare ſchwarz und weiß.

Der Haſenſpringer bewohnt den größten Theil des Jnneren von Auſtralien; in der Nähe der Küſte iſt er ſelten geſehen worden. Er erinnert auch in ſeiner Lebensweiſe vielfach an unſern ge - meinen Haſen. Wie dieſer, iſt er ein Nachtthier, welches ſich bei Tage in ein tief ausgegrabenes Lager drückt und Jäger und Hunde nahe auf den Leib kommen läßt, bevor er aufſpringt, in der Hoffnung, daß ſein mit dem Boden gleichgefärbtes Kleid ihn verbergen müſſe. Wirklich täuſcht er

Der Haſenſpringer (Lagorchestes loporoides).

die Hunde oft, und auch, wenn er vor ihnen flüchtet, wendet er gewiſſe Liſten an, wie unſer Freund Lampe, indem er plötzlich Haken ſchlägt und ſo eilig als möglich rückwärts flüchtet. Eine Beobachtung, welche Gould machte, verdient erwähnt zu werden.

Jn einer der Ebenen Südauſtraliens, erzählt er, jagte ich ein Haſenkänguru mit zwei flinken Hunden. Nachdem es ungefähr eine Viertelmeile laufend zurückgelegt hatte, wandte es ſich plötzlich, und kam gegen mich zurück. Die Hunde folgten ihm hart hinter den Ferſen. Jch ſtand vollkommen ſtill, und ſo kam das Thier bis gegen zwanzig Fuß an mich heran, bevor es mich bemerkte. Zu meinem großen Erſtaunen bog es jedoch weder zur Rechten, noch zur Linken aus, ſondern ſetzte mit einem gewaltigen Sprunge über meinen Kopf weg. Jch war nicht im Stande, ihm einen Schuß nachzuſenden.

Nach Europa ſcheint das anziehende Thier lebend noch nicht gekommen zu ſein; wenigſtens iſt mir hierüber Nichts bekannt geworden.

4 *52Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.

Abweichend von den Genannten lebt das Felſenkänguru (Petrogale penieillata) nur in gebirgigen und zumal in felſigen Gegenden. Es iſt ein ſchmuckes Geſchöpf von ungefähr 4 Fuß Länge, wovon der Schwanz faſt die Hälfte wegnimmt, der beſonders dadurch auffällt, daß er gegen das Ende hin mit langen, ſteifen, buſchigen, ſchwarz gefärbten Haaren bekleidet iſt. Die Färbung des Pelzes ſcheint manchfachem Wechſel unterworfen zu ſein. Gewöhnlich iſt ſie eine Miſchung von Purpurroth und Grau. Erſteres tritt namentlich auf dem Hintertheile des Leibes und dem Schwanze hervor. Das Kinn iſt weiß, die Bruſt grau, mit weiß gefleckt; eine ſcharf begrenzte, weiße Binde läuft vom Kinn über die Bruſt herab. Die Ohren ſind innen blaßgelb, äußerlich ſchwarz mit gelbem Rande, die Füße ſind ſchwarz. Das Fell iſt zwar lang, aber rauh und hart und ſteht deshalb bei den Pelzhändlern nicht eben in großem Anſehen.

Die Gebirge von Neuſüdwales beherbergen das Felſenkänguru in ziemlicher Anzahl, doch wird es nicht häufig bemerkt, denn es iſt ein Nachtfreund, welcher nur äußerſt ſelten vor Sonnenunter -

Das Felſenkänguru (Petrogale penicillata).

gang aus dunkeln Höhlen und Gängen zwiſchen den Felſen hervorkommt. Die Behendigkeit, mit welcher es auf den gefährlichen Abhängen und Felſenwänden umherklettert, würde einem Affen alle Ehre machen, und wirklich glaubt der Europäer, welcher dieſes Thier zum erſtenmale im dämmerigen Halbdunkel des Abends erblickt, einen Pavian vor ſich zu ſehen. Seine Kletterfertigkeit ſchützt es weit mehr, als die übrigen Verwandten, vor den Nachſtellungen des Menſchen und anderer Feinde. Das Felſenkänguru verlangt einen ſehr geübten Jäger und fällt auch dieſem nur dann zur Beute, wenn er den von ſeinem Wild ſtreng eingehaltenen Wechſel ausgeſpürt hat. Die Eingeborenen folgen der deutlich wahrnehmbaren Fährte wohl auch bis zu dem Geklüft, in dem ſich das Thier bei Tage verborgen hat; zu ſolcher Jagd aber gehört die bewunderungswürdige Geduld des Wilden: der Europäer unterläßt ſie weislich. Ein ſchlimmerer Feind, als der Menſch, ſoll der Dingo ſein, weil er häufig genug in denſelben Höhlen wohnt, in welche das Felſenkänguru ſich bei Tage zurückzieht. Doch gelingt es auch ihm nur durch Ueberrumpelung, ſich des ſehr vorſichtigen Thieres zu bemäch -53Das Felſenkänguru. Der Kängurubär.tigen; denn wenn dieſes ſeinen Feind bemerkt, iſt es mit wenigen Sätzen außer aller Gefahr. Seine Gewandtheit läßt es die höchſten und unzugänglichſten Stellen ohne Mühe erreichen. Nach Ver - ſicherung der Eingeborenen ſoll übrigens das Felſenkänguru vorzugsweiſe ſolche Klüfte bewohnen, welche mehrere Ausgänge haben. Verwundete Thiere dieſer Art gehen dem Jäger gewöhnlich ver - loren: ſie ſchlüpfen wenige Augenblicke vor ihrem Tode noch in eine Höhle und verenden dort.

Die Kletterfertigkeit der Springbeutelthiere gipfelt ſich im Kängurubär (Dendrolagus ursi - nus), einem der auffallendſten und von dem Geſammtgepräge am meiſten abweichenden Mitgliede der Familie, von welcher man bis jetzt nur noch einen Verwandten kennt, beide aus Neu-Guinea. Die großen und kräftigen Vorderarme, welche gegen die Hinterbeine nur wenig zurückſtehen, ſind ein

Der Kängurubär (Dandrolagus ursinus).

ſehr bezeichnendes Merkmal dieſer Sippe. Der Kängurubär iſt ein ziemlich großes Thier von 4 Fuß Leibeslänge, wovon etwas mehr als die Hälfte auf den Schwanz gerechnet werden muß. Der Leib iſt gedrungen und kräftig, der Kopf kurz, die Ohren ſind verhältnißmäßig. Der Pelz beſteht aus ſtraffen, ſchwarzen, an der Wurzel bräunlichen Haaren, die Ohrenſpitzen, das Geſicht und die Untertheile ſind braun, die Wangen gelblich, ein Ring um das Auge iſt dunkler.

Alle Beobachter ſtimmen darin überein, daß man ſich keine merkwürdigere Erſcheinung denken könne, als einen Kängurubär, welcher ſich luſtig auf den Zweigen bewegt und faſt alle Kletterkünſte zeigt, welche in der Klaſſe der Säugethiere überhaupt beobachtet werden. Mit der größten Leichtig - keit klimmt das Thier an den Baumſtämmen empor, mit der Sicherheit eines Eichhorns ſteigt es auf - und abwärts; aber gleichwohl erſcheint das Springbeutelthier ſo fremd da oben, daß jeder Beſchauer geradezu verblüfft iſt, wenn das dunkelhaarige, langgliedrige Geſchöpf unverſehens von dem Boden54Die Kängurus, Springbeutler oder Beutelhaſen.auf einen Baum hinaufhüpft und dort im ſchwankenden Gezweig ſich bewegt. Dem Aufenthalt ent - ſprechend äßt ſich der Kängurubär vorzugsweiſe von Blättern, Knospen und Sprößlingen der Bäume; wahrſcheinlich verzehrt er auch Früchte.

Jn der Gefangenſchaft ſieht man ihn ſelten. Mir iſt ein einziger zu Geſicht gekommen, welcher im Thiergarten zu Rotterdam lebte, aber in einem ſo unpaſſenden Käfig eingeſperrt war, daß er ſeine Fähigkeiten nicht an den Tag legen konnte. Leider ſcheiterten meine Bemühungen, ihn für unſern Garten zu erwerben. Mein Herr Kollege in Rotterdam, ein alter Thierſchauſteller, kannte das ſeltene Geſchöpf ſelbſtverſtändlich nicht, wußte aber doch ſoviel, daß er es mit einem ungewöhn - lichen Känguru zu thun hatte, und ließ ſich durch keine Bitte bewegen, es mir abzulaſſen.

Die kleinen Springbeutelthiere nennt man Kängururatten (Hypsiprymnus). Sie ähneln den größeren Verwandten noch ſehr, unterſcheiden ſich aber außer der geringen Größe durch verhältniß -

Die quaſtenſchwänzige Kängururatte (Bettongia penicillata).

mäßig kürzeren Schwanz, durch die kurzen Vorderglieder mit langen Nägeln an den Mittelzehen, die geſpaltene Oberlippe, die kleinen, runden Ohren, welche wirklich an Mäuſeohren erinnern, und hauptſächlich endlich durch das Gebiß, welches im Oberkiefer beſtimmt vorhandene Eckzähne beſitzt. Man hat auch dieſe Sippe wieder getrennt, weil man beobachtet hat, daß Einige ihren Schwanz, wenn auch in beſchränkter Weiſe, als Greifwerkzeuge benutzen können.

Als größte Art kennen wir bis jetzt die quaſtenſchwänzige Kängururatte (Bettongia peni - cillata), ein Thier von Kaninchengröße mit ziemlich langen Haaren, graubrauner Färbung, ſchwarzer und weißer Sprenkelung auf der Oberſeite und ſchmuzig weißer oder gelblicher Färbung auf der Unterſeite. Es iſt durch eine Quaſte langer, ſchwarzer, buſchiger Haare am Enddrittel des Schwan - zes beſonders ausgezeichnet, und im ganzen 2 Fuß lang, wovon auf den Schwanz 11 Zoll gerechnet werden müſſen. Seine Heimat iſt Neuſüdwales. Ueber Lebensweiſe und Betragen theilt Gould etwa Folgendes mit:

55Die quaſtenſchwänzige und die eigentliche Kängururatte.

Gleich den übrigen Arten der Sippe gräbt ſich die Kängururatte eine Höhlung im Boden zur Aufnahme ihres dickwandigen Grasneſtes aus, deſſen Ausſehen mit der Umgebung ſo vollkommen im Einklang ſteht, daß es ohne die ſorgfältigſte Prüfung ſicher überſehen wird. Der Platz wird regel - mäßig zwiſchen Grasbüſcheln oder in der Nähe eines Buſches gewählt. Bei Tage liegt eins oder ein Paar der Thiere in ſolchem Neſte, den Blicken gänzlich entzogen, weil die durch das Einkriechen ent - ſtehende Oeffnung immer ſorgfältig bedeckt oder geſchloſſen wird. Die Eingeborenen freilich laſſen ſich nicht täuſchen. Sie entdecken faſt jedes Neſt und tödten dann beinahe immer die Schläfer innerhalb deſſelben durch einen Schlag mit ihren Keulen.

Sehr merkwürdig iſt es, wie dieſe Kängururatten das dürre Gras zu ihrem Neſte herbei - ſchaffen. Es geſchieht Dies nämlich mit Hilfe des Schwanzes, welcher ſehr greiffähig iſt. Das Thier faßt mit ihm einen Büſchel und ſchleppt denſelben zum beſtimmten Ort: wie ſonderbar und beluſti - gend Dies ausſieht, kann man ſich denken. Auch im Gefangenleben ſchleppen ſie ſich in gleicher Weiſe die Stoffe zu ihrem Lager herbei; wenigſtens thaten es einige, welche der Earl von Derby in ſeinem Thierpark zu Knowſely hielt, und zwar unter möglichſter Berückſichtigung ihrer Lebens - erforderniſſe.

Jn Auſtralien beherbergen die trockenen Ebenen und Hügel, welche ſpärlich mit Bäumen und Büſchen beſtanden ſind, unſere Thiere. Sie leben zwar nicht in Herden, aber doch in ziemlicher An - zahl zuſammen. Erſt nach Einbruch der Nacht gehen ſie nach Futter aus. Sie äßen ſich von Gras und Wurzeln, welch letztere ſie durch Ausgraben gewinnen und zwar, Dank ihrer Geſchicklichkeit, ohne Beſchwerde. Dem Jäger verrathen die ausgeſcharrten Löcher unter den Büſchen ihr Vorhanden - ſein. Wenn ſie bei Tage geſtört werden, eilen ſie mit überraſchender Schnelligkeit irgend einer ſchützenden Erd -, Fels - oder Baumhöhle zu und bergen ſich hier gewöhnlich in erwünſchter Weiſe.

Die eigentliche Kängururatte (Hypsiprymnus murinus) iſt an ihrem länglichen Kopfe, den kurzen Läufen und dem echten Rattenſchwanze zu erkennen. Jhre Leibeslänge beträgt 15 Zoll, die Länge des Schwanzes gegen 10 Zoll, die Höhe am Widerriſt 5 Zoll. Der Leib iſt kurz und unter - ſetzt, der Hals dick, die Vorderfüße haben getrennte Zehen, während an den Hinterfüßen die zweite und dritte Zehe bis zum letzten Glied mit einander verwachſen ſind. Alle ſind mit langen, ſichel - förmigen Krallen bewaffnet. Der lange, flache, ziemlich ſtarke Schwanz iſt geringelt und ge - ſchuppt und noch ſpärlich mit einigen kurzen, ſteifen Haaren bedeckt. Ein Theil deſſelben iſt ganz nackt, ebenſo die Oberlippe. Der lange, lockere, ſchwach glänzende Pelz iſt oben dunkelbraun, mit ſchwarzer und blaßbrauner Miſchung, auf der Unterſeite ſchmuzig - oder gelblichweiß. Die Haare haben dunkle Wurzeln und die der Oberſeite ſchwarze Spitzen, zwiſchen dieſen ſtehen aber kürzere, gelbſpitzige. Der Schwanz iſt an der Wurzel und oben bräunlich, längs der Seiten und unten ſchwarz.

Neuſüdwales und Vandiemensland ſind die Heimat der Kängururatte; bei Port Jackſon iſt ſie häufig. Sie liebt dünn mit Büſchen beſtandene Gegenden und meidet offene Triften. Auf ihren Wohnplätzen gräbt ſie ſich zwiſchen Grasbüſcheln eine Vertiefung in den Boden, kleidet dieſe mit trockenem Gras und Heu ſorgfältig aus und verſchläft in ihr, gewöhnlich in Geſellſchaft mit anderen ihrer Art, den Tag; denn auch ſie iſt ein echtes Nachtthier, welches erſt gegen Sonnenuntergang zum Vorſchein kommt. Das Lager wird ſo geſchickt angelegt, daß es der Aufmerkſamkeit des unge - übten Europäers regelmäßig entgeht, auch wenn dieſer dicht vor ihm ſteht. Der Eingeborene freilich, deſſen wachſames und ſcharfes Auge jede Unregelmäßigkeit des Bodens wahrnimmt, geht ſelten an einem ſolchen Neſte vorüber, ohne es zu ſehen, zu unterſuchen und den ruhig darin ſchlummernden Bewohner zu tödten.

Jn ihren Bewegungen unterſcheidet ſich die Kängururatte nach meinen Beobachtungen auffallend genug von den Springbeutelthieren. Sie läuft ganz anders und weit leichter, als dieſe,56Die Kängurus, Springbeuller oder Beutelhaſen.mehr nach Art der Springmäuſe, d. h. indem ſie einen der Hinterfüße nach dem andern, nicht aber beide zu gleicher Zeit bewegt. Dieſes Trippeln, wie man es wohl nennen kann, geſchieht aber unge - mein raſch und geſtattet zugleich dem Thiere eine viel größere Gewandtheit, als die ſatzweis ſprin - genden Kängurus ſie an den Tag legen. Die Kängururatte iſt ſchnell, lebendig und ſehr behend, ſie gleitet und huſcht wie ein Schatten über den Boden dahin. Ein geübter Hund fängt ſie ohne beſon - dere Mühe, der ungeübte Jäger bedroht ſie vergeblich, wenn ſie einmal ihr Lager verlaſſen hat. Jn dieſem wird ſie auch von den Menſchen leicht gefangen, da ſie ziemlich feſt ſchläft oder ihren ärgſten Feind ſehr nahe an ſich herankommen läßt, ehe ſie aufſpringt. Hinſichtlich der Nahrung unterſcheidet ſich die Kängururatte von den bisher Genannten. Sie gräbt hauptſächlich nach Knollen, Gewächſen und Wurzeln und richtet deshalb in den Feldern manchmal bedeutenden Schaden an.

Das Weibchen bringt bis zwei Junge zur Welt und trägt dieſe lange Zeit mit ſich im Beutel herum, bewacht auch die bereits ſelbſtändig gewordenen noch mit großer Zärtlichkeit.

Seit dem Beſtehen der Thiergärten kommt die Kängururatte häufig nach Europa. Sie hält ſich vortrefflich bei ſehr einfacher Nahrung und bedarf durchaus keines beſonderen Schutzes. Eine mit Heu ausgepolſterte Kiſte oder ein kleines Crdhäuschen genügt ihr vollkommen; gibt man ihr keine

Die eigentliche Kängururatte (Hypsiprymnus murinus).

Behauſung, ſo gräbt ſie ſich ſelbſt ein Lager und füttert dieſes, wie in ihrer Heimat, ſorgfältig mit Blättern und Heu aus. Das Lager iſt faſt kugelrund, oben enger, als in der Mitte, ſehr glatt ausgekleidet und oben ſo geſchickt bedeckt, daß man unter dem Bündel trockenen Graſes ſchwer - lich eine Thierwohnung vermuthen würde. Erſt wenn man die obere Decke weghebt, ſieht man die Kängururatte in ſich zuſammengerollt oder mit anderen ihrer Art verſchlungen liegen, doch nur einen Augenblick lang, denn ſobald das eindringende Licht die Thiere erweckt, ſtürmen ſie mit einem Satze ins Freie und eilen dann ſo ſchnell als möglich davon.

Die Gefangenen unſeres Thiergartens erſcheinen in den Sommermonaten oder 2 Stunden vor Sonnenuntergang und huſchen und ſpringen dann äußerſt luſtig in ihrem Gehege umher. So unwillig ſie bei Tage über jede Störung ſind, ſo neugierig kommen ſie abends herbei, um Den zu betrachten, welcher an das Gitter ihres Wohnplatzes herantritt. Sie laſſen ſich dann gern berühren, während ſie bei Tage jede derartige Freundſchaftsbezeugung durch ein unwilliges Knurren, plötzliches Entgegenſpringen und im Nothfall durch Biſſe zurückweiſen. Die engliſchen Berichterſtatter, welche die Kängururatten in Auſtralien beobachteten, behaupten, daß ſie ſehr furchtſam wären, ich kann nach meinen Beobachtungen Dies nicht beſtätigen, ſondern finde eher, daß ſie muthiger ſind, als die57Die Beutelmäuſe oder Wombats.großen Springbeutelthiere. Namentlich die Männchen können geradezu kühn genannt werden und ſind zu gleicher Zeit ſehr bösartig. Sie fürchten ſich gar nicht vor dem Menſchen, ſondern gehen ihm mit der Unverſchämtheit der Nager zu Leibe, wenn er ſich ihnen in unerwünſchter Weiſe aufdrängt. Gegen die eigenen Jungen zeigt ſich das Männchen oft ſehr boshaft, es plagt namentlich die jungen Männchen aus Eiferſucht auf alle Weiſe und zuweilen ſo arg, daß ſie der ewigen Quälerei erliegen.

Die Brunſt ſcheint bei den Kängururatten ſehr heftig zu ſein. Das Männchen jagt dann das ihm beigegebene Weibchen die ganze Nacht hindurch im Gehege umher, wirft es über den Haufen, beißt es und mißhandelt es, wenn es ſich nicht gutwillig fügen will. Eins unſerer Weibchen wurde mitſammt ſeinen ſchon ziemlich großen Jungen im Beutel bei ſolcher Gelegenheit von dem erhitzten Männchen getödtet, wahrſcheinlich, weil es dieſes nicht zulaſſen wollte.

Es würde ſich jedenfalls belohnen, wenn man den Verſuch machen wollte, dieſes ſonderbare und anziehende Thier bei uns einzubürgern. Jn einem großen umhegten Garten könnte man ſich einen Stamm heranziehen, den man dann ausſetzte und einige Zeit ſich ſelbſt überließe. Man würde ſich in dieſer Weiſe ein ſehr harmloſes und wenig ſchädliches Wild heranziehen, deſſen Jagd unzwei - felhaft alle Verehrer Dianens ſchon aus dem Grunde aufs höchſte begeiſtern müßte, weil Sonntags - ſchützen ſicherlich Gelegenheit fänden, viel Pulver und Blei loszuwerden.

Die letzte Familie der Beutelthiere zeigt uns echte Nagergeſtalten, die ſogenannten Beutel - mäuſe oder Wombats (Phascolomys). Man kennt zur Zeit erſt zwei Arten dieſer merkwürdigen Geſchöpfe, welche beide in ihrem Leben und Weſen ſich ungemein ähnlich ſind. Jhre Geſtalt iſt im hohen Grade plump, der Leib ſchwer und dick, der Hals ſtark und kurz, der Kopf ungeſchlacht, die Gliedmaßen ſind kurz, krumm, die Füße fünfzehig, bewehrt mit langen, ſtarken Sichelkrallen, welche blos an den Hinterdaumen fehlen, die Sohlen breit und nackt, die Zehen zum großen Theil mit einander verwachſen. Der Schwanz iſt nur ein kleiner, faſt nackter Stummel. Sehr auffallend iſt das Gebiß, weil die vorderen breiten Schneidezähne, von denen zwei in jedem Kiefer ſtehen, den eigentlichen Nagezähnen vollſtändig entſprechen. Außer ihnen finden ſich fünf lange, gekrümmte Backzähne in jeder Reihe. Funfzehn Wirbel tragen Rippen, vierzehn ſind rippenlos; das Kreuzbein zählt ſieben (nach Anderen nur drei), der Schwanz neun (nach Anderen zwölf) Wirbel. Die Weich - theile ähneln auffallend denen des Bibers.

Der Wombat oder die gemeine Beutelmaus (Phascolomys fossor), welcher auch auſtra - liſcher Dachs genannt wird, iſt ein Thier, welches weder einer Maus, noch einem Dachs auch nur im geringſten ähnelt. Auf den erſten Anblick glaubt man zwar einen Nager vor ſich zu ſehen, die ganze Geſtalt und das Weſen erinnert aber nur an die plumpſten und trägſten Mitglieder dieſer Ordnung. Bei genauerer Beobachtung bemerkt man ſofort, daß man ein ganz eigenthümliches Geſchöpf vor ſich hat. Der Wombat erreicht mindeſtens die Größe eines Dachſes, d. h. ungefähr bis 3 Fuß Länge und am Widerriſt 1 Fuß Höhe. Er wird aber viel ſchwerer, denn ſein Ge - wicht beträgt ſelten unter 60 Pfund. Der dichte und ziemlich weiche Pelz iſt oben bräunlich, bald mehr ins Gelbliche, bald mehr ins Granliche fallend, an der Unterſeite dagegen weißlich. Die kleinen, breiten Ohren ſind außen roſtbraun, innen weißlich, die Zehen ſind roſtbraun, die Schnur - ren ſchwarz.

Vandiemensland und die Südküſte von Neuſüdwales iſt die Heimat dieſes unſchönen und ſchwerfälligen Geſchöpfes, dem man es ſogleich aufieht, daß es ein vollendetes Nachtthier iſt. Es lebt in dichten Wäldern, gräbt ſich hier weite Höhlen und ſehr tiefe Gänge in den Boden und verbringt in ihnen ſchlafend den ganzen Tag. Erſt nachdem die Nacht vollſtändig eingetreten iſt, humpelt der Wombat ins Freie, um Nahrung zu ſuchen. Dieſe beſteht zumeiſt aus einem harten, binſenartigen58Die Beutelmäuſe oder Wombats.Graſe, welches weite Strecken ſeiner Heimat überzieht, ſonſt aber auch in allerlei Kräutern und Wurzeln, welch letztere er durch kraftvolles Graben ſich erwirbt.

Der Wombat iſt ein unbehilfliches Thier und ſieht noch weit unbehilflicher aus, als er iſt. Seine Bewegungen ſind langſam, aber ſicher, d. h. ſtätig und kräftig. Ein ſo ſtumpfſinniger und gleichgiltiger Geſell, wie er iſt, läßt ſich ſo leicht nicht aus ſeiner Ruhe bringen. Er geht ſeinen Weg gerade und unaufhaltſam fort, ohne vor irgend einem Hinderniſſe zurückzuſchrecken. Die Ein - geborenen erzählen, daß er bei ſeinen nächtlichen Streifereien oft wie ein rollender Stein in Flüſſe falle, an deren Ufern er trabt, dann aber, ohne ſich beirren zu laſſen, in der einmal begonnenen Richtung auf dem Boden des Flußbettes fortlaufe, bis er irgendwo wieder freies Land gewinne, auf dem er dann mit einer Gleichgiltigkeit ſeinen Weg fortſetze, als hätte es niemals ein Hinderniß für ihn gegeben. Gefangene, welche ich beobachtete, laſſen mir ſolche Erzählungen durchaus nicht ſo unglaublich erſcheinen, als man meinen möchte. Es hält wirklich ſchwer, einen Wombat irgendwie zu erregen, obgleich man ihn unter Umſtänden erzürnen kann. So viel iſt ſicher, daß man ihn einen Trotzkopf ohne Gleichen nennen muß, falls man es nicht vorziehen will, ſeine Beharrlichkeit zu rühmen. Was er ſich einmal vorgenommen hat, verſucht er, aller Schwierigkeit ungeachtet, auszu -

Der Wombat oder die gemeine Beutelmaus (Phascolomys fossor).

führen. Die Höhle, welche er einmal begonnen, gräbt er mit der Ruhe eines Weltweiſen hundert - mal wieder aus, wenn man ſie ihm verſtopft. Die auſtraliſchen Anſiedler ſagen, daß er höchſt friedlich wäre und ſich, ohne Unruhe oder Aerger zu verrathen, vom Boden aufnehmen und weg - tragen ließe, dagegen zu einem ſehr beachtenswerthen Gegner würde, wenn ihm plötzlich einmal der Gedanke zu Abwehr durch ſeinen Querkopf ſchöſſe, denn dann beiße er wüthend und in gefährlicher Weiſe um ſich. Jch kann dieſe Angabe durchaus beſtätigen. Der Gefangene des hamburger Thier - gartens benimmt ſich nicht anders. Namentlich wenn man ihm die Füße zuſammenſchnürt oder ihn auch nur an den Füßen packt, zeigt er ſich ſehr erboſt, gibt ſeinen Zorn zunächſt durch ein drohendes Ziſchen zu erkennen und beißt dann ſehr ärgerlich zu, wenn ihm die Sache zu arg wird.

Wie die meiſten auſtraliſchen Thiere, hält auch der Wombat bei uns die Gefangenſchaft vor - trefflich aus. Bei guter Pflege und geeigneter Nahrung ſcheint er ſich ſehr wohl zu befinden, und wird dann auch leidlich zahm, d. h. er gewöhnt ſich inſofern an den Menſchen, daß man ihn ungeſtört59Die Nager.frei im Hauſe umherlaufen laſſen kann. Seine Gleichmüthigkeit läßt ihn die Gefangenſchaft vergeſſen und macht ihn mit ſeinem Looſe bald zufrieden, wenigſtens kommt er nie auf den Gedanken, zu ent - fliehen. Auf Vandiemensland ſoll er der gewöhnliche Genoſſe der Fiſcher ſein und an den Hütten umherlaufen, frei wie ein Hund. Doch darf man deshalb nicht glauben, daß er ſich jemals mit ſeinem Pfleger befreunde. Der Menſch iſt ihm vielmehr eben ſo gleichgiltig, als die ganze übrige Welt. Wenn er zu freſſen hat, kümmert er ſich um Nichts, was um ihn her vorgeht; jeder Ort iſt ihm dann recht und jede Gegend genehm.

Bei uns zu Lande ernährt man den ſtummen, geiſtig theilnahmloſen Geſellen mit grünem Futter, Möhren, Rüben, Früchten, Körnern und Getreide ohne Mühe, und wenn man ihm etwas Milch geben will, verſchafft man ihm noch einen beſonderen Genuß. Zu viel von dieſer, den meiſten Thieren höchſt angenehmen Flüſſigkeit darf man ihm freilich nicht vorſetzen, denn ſonſt kommt er, wie engliſche Naturforſcher erfahren mußten, einmal auch wohl auf den Gedanken, gleich in den Milch - napf ſich zu legen und hier ein Bad zu nehmen. Jn England hat man die Thiere bereits zur Fort - pflanzung gebracht und dabei beobachten können, daß das Weibchen drei bis vier Junge wirft und ſie, wenigſtens ſolange ſie noch im Beutel ſich befinden, mit großer Sorgfalt und Liebe pflegt und erzieht. Ob dieſe Verſuche berechtigen, den Wombat auf die Liſte der bei uns einzubürgernden Thiere zu ſetzen, wie die Franzoſen es gethan haben, überlaſſe ich dem Urtheil meiner Leſer. Jn Auſtralien hält man allerdings das Fleiſch des Wombat für wohlſchmeckend und benutzt auch ſein Fell, bei uns zu Lande dürfte aber weder das Eine noch das Andere gerade als beſonders werthvoll betrachtet werden.

Siebente Ordnung. Die Rager (Rodentia).

Jn der dritten großen Gruppe der Krallenthiere ſehen wir wieder ein durchaus in ſich abge - ſchloſſenes Ganze vor uns. Die Nager tragen ihren Namen faſt noch mit größerem Rechte, als die Raubthiere den ihrigen; denn man braucht ihnen blos in den Mund zu ſehen, um ſie ſofort und unzweifelhaft als Das zu erkennen, was ſie ſind. Zwei große Nagezähne in beiden Kiefern, welche nicht blos die Schneidezähne vertreten, ſondern auch die Eck -, und oft ſogar die Lückzähne zu erſetzen ſcheinen, ſind das Allen gemeinſame Merkmal, und dieſe Nagezähne ſind ſo hervorragend, daß ſie unmöglich überſehen werden können.

Ueber die äußere Leibesgeſtalt der Nager läßt ſich im allgemeinen nicht viel ſagen; denn die Ordnung, welche ſehr zahlreich iſt an Familien und Arten, zeigt die allerverſchiedenſten Körper - formen. Der Leib iſt bald ſchlank und geſtreckt, bald kurz und gedrungen, bald mit weichem Fell, bald mit Stacheln bekleidet; er trägt bei Dieſen einen längeren Schwanz, bei Jenen blos einen Schwanzſtummel; die Ohren zeigen alle Formen und Größen; die Gliedmaßen ſind entweder Gang -, oder Flatter - oder Springbeine; es finden ſich Pinſel an den Ohren oder Haarzeilen am Schwanze: kurz, der Unterſchiede zwiſchen den verſchiedenen Thieren gibt es gar mancherlei. Als allgemeingiltige Kennzeichen der ganzen Ordnung kann man aber doch etwa folgende annehmen. Der Körper iſt in den meiſten Fällen walzig und ruht auf niederen Beinen von gewöhnlich gleicher Länge, der Kopf60Die Nager.ſitzt auf einem kurzen, dicken Halſe; die Augen ſind groß und treten gewöhnlich ſtark hervor; die Lippen ſind fleiſchig, mit Schnurren beſetzt, ſehr beweglich und vorn geſpalten; die Vorderfüße, welche zuweilen hinter den Hinterfüßen zurücktreten, haben in der Regel vier, die hinteren fünf Zehen, und dieſe Zehen ſind mit mehr oder weniger ſtarken Krallen und Nägeln bewaffnet, auch zu - weilen durch Schwimmhäute verbunden. Das Haarkleid iſt faſt immer von gleicher Länge und höchſtens an den Ohrſpitzen pinſelartig verlängert oder am Schwanze buſchig geworden. Jedenfalls aber ſind die Verſchiedenheiten innerhalb der Ordnung ſo große, daß man billig Anſtand nehmen würde, die Nager zu einem Ganzen zu vereinigen, wenn nicht eben alle hierhergehörigen Thiere ein unverkennbares gemeinſchaftliches Kennzeichen in ihren Nagezähnen hätten. Dieſe zeichnen das Gebiß noch weit mehr aus, als die Reißzähne das Gebiß der Raubthiere.

Die Nagezähne ſind bedeutend größer, als alle übrigen Zähne des ganzen Gebiſſes, bogenförmig gekrümmt, die oberen immer ſtärker, als die unteren, an der Schneide breit oder ſpitzmeiſelartig, an der Wurzel drei - oder vierkantig, bald flach, bald gewölbt, glatt oder gefurcht, weiß oder gelblich und roth gefärbt. Jhre äußere oder vordere Fläche iſt mit ſtahlhartem Schmelz belegt, und dieſer bildet auch die ſcharfe Spitze oder den breiten, ſchneidenden Meiſelrand. Der übrige Zahn beſteht aus der gewöhnlichen Zahnmaſſe. Bei der ausgedehnten Benutzung dieſer Hauptzähne würden ſie ſich in kurzer Zeit abſtumpfen oder abnutzen, hätte die Natur hier nicht in ſehr eigenthümlicher Weiſe für ihre Unterhaltung geſorgt. Die Nagezähne haben nämlich einen großen Vorzug vor allen übrigen Zähnen des Säugethiergebiſſes: ſie ſind nicht nur weit feſter als dieſe, ſondern ihr Wachs - thum iſt auch unbeſchränkt. Die Zahnwurzel liegt in einer Alveole oder Zahnhöhle, welche ſich weit in dem Kiefer einbohrt, und enthält an dem hinteren, offenen Ende in einer trichterförmigen Einbuchtung einen bleibenden Keim, welcher ununterbrochen den Zahn in demſelben Grade ergänzt, wie er ſich vorn abnutzt. Die feine Schärfe der Schneide wird durch gegenſeitiges Aufeinander - reiben und dadurch bewirktes Abſchleifen der Zähne erhalten; beide Kiefern können auch blos ſenkrecht von vorn nach hinten wirken. So vereinigen dieſe Zähne alles Erforderliche, um dem ungeheuren Kraftaufwande, welchen das Nagen beanſprucht, gewachſen zu ſein. Von dem beſtändigen Wachs - thume der Nagezähne überzeugt man ſich leicht, wenn man einem Nager, einem Kaninchen z. B., einen ſeiner Nagezähne gewaltſam abbricht. Dann wächſt der gegenſtändige, weil er nun nicht mehr abge - nutzt wird, raſch weiter, tritt in einem engen Bogen aus dem Maule hervor und rollt ſich gehörn - artig ein, hierdurch das ganze Gebiß verſtümmelnd und die Ernährung des Thieres im höchſten Grade erſchwerend.

Die Lippen der Nager ſind mit Schnurren beſetzt und meiſt ſehr beweglich. Bei vielen öffnen ſich an der Jnnenſeite Backentaſchen, welche ſich bis an die Schultergegend ausdehnen und bei der Einſammlung der Nahrung als Vorrathsſäcke dienen. Ein beſonderer Muskel zieht dieſe Taſchen zurück, wenn ſie gefüllt werden ſollen. Die Ausleerung derſelben geſchieht durch den Druck der Vorderpfoten.

Von den inneren Theilen ſind die Speicheldrüſen gewöhnlich ſehr ſtark entwickelt. Der Magen iſt einfach, doch bisweilen durch Einſchnürung in zwei Abſchnitte getheilt. Die Länge des Darm - ſchlauches beträgt die fünf - bis ſiebzehnfache Leibeslänge. Die Eileiter der Weibchen gehen jeder für ſich in einen Fruchthalter von darmförmiger Geſtalt über, welcher dann in der langen Scheide mündet. Das Gehirn deutet auf geringe geiſtige Fähigkeiten. Die Halbkugeln des großen Gehirnes ſind klein und die Windungen ſchwach; dagegen ſind die Sinneswerkzeuge gleichmäßig und ziemlich vollkommen entwickelt.

Die Nager erſchienen mit dem Anfange der tertiären Schöpfungszeit einzeln und während der Diluvialzeit bereits in Menge auf unſerer Erde. Gegenwärtig ſind ſie über alle Erdtheile verbreitet. Sie finden ſich in allen Klimaten der Breite und Höhe, ſoweit die Pflanzenwelt reicht. Mitten in ewigem Schnee und Eiſe, ſagt Blaſius, wo ſtellenweiſe noch ein warmer Sonnenſtrahl nur auf wenige Wochen ein kurzes und kümmerliches Pflanzenleben hervorlockt, auf den ſtillen, einſamen61Die Nager.Schneehöhen der Alpen, in den weiten, öden Flächen des Nordens findet man noch Nager, die ſich nicht nach einer ſchöneren Sonne ſehnen. Aber je reicher und üppiger die Pflanzenwelt, deſto bunter, manchfaltiger wird das Leben dieſer Thierordnung, die kaum ein Fleckchen Erde unbewohnt läßt.

Höchſt verſchiedenartig iſt die Lebensweiſe dieſer Allverbreiteten. Die einen ſind Baum -, die an - deren Erdthiere; dieſe leben im Waſſer, jene in unterirdiſchen, ſelbſt gegrabenen Höhlen; die einen im Gebüſch, die anderen im freien Felde. Alle ſind mehr oder weniger bewegliche Geſchöpfe, welche, je nach der Verſchiedenheit ihrer Wohnorte, entweder vortrefflich laufen oder klettern oder graben oder ſchwimmen. Dabei ſind ſie meiſtens ſcharfſinnig, munter und lebhaft, nicht aber auch klug oder beſonders geiſtig befähigt. Die große Mehrzahl Aller iſt ein geiſtarmes oder wenigſtens ſehr unbedeu - tendes Geſindel, welches wohl ſcheu, nicht aber vorſichtig oder liſtig iſt und ſich auch ſonſt niemals durch irgendwelche hervorragende geiſtige Thätigkeiten auszeichnet. Manche leben paarweiſe, andere in Familien und nicht wenige ſcharenweiſe zuſammen, vertragen ſich gut auch mit anderen Thieren, ohne ſich jedoch mit dieſen zu befaſſen, und einzelne ſpielen unter ſich recht luſtig. Bosheit und Tücke, Wildheit und Unverſchämtheit, hervorgegangen aus Ueberlegung, äußern nur wenige, z. B. die Ratten. Bei Gefahr ziehen ſich alle ſo ſchleunig als möglich nach ihren Verſtecken zurück; aber nur die allerwenigſten ſind klug genug, Verfolgungen auf liſtige Weiſe zu vereiteln. Alle Nager nähren ſich hauptſächlich von pflanzlichen Stoffen. Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüthen, Früchte aller Art, Kraut, Gras, mehlige Knollen, ja ſelbſt Holzfaſern werden von ihnen verzehrt. Ein - zelne aber nehmen auch thieriſche Stoffe zu ſich und ſind wirkliche Allesfreſſer. Eigenthümlich iſt, daß viele, welche zu ſchwach ſind, größere Wanderungen zu unternehmen oder der Strenge des Winters zu widerſtehen, Vorräthe einſammeln und dieſe in unterirdiſchen Kammern aufſpeichern. Ueberhaupt ſind die Nager die Baumeiſter unter den Säugethieren, und einzelne von ihnen errichten ſich wahrhaft künſtliche Wohnungen, welche ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Bewunderung der Menſchen erregt haben. Hierbei ſcheint jedoch weit weniger ihr Verſtand, als ein unbewußter Trieb maßgebend zu ſein, wie es bei den Vögeln eben auch der Fall iſt. Nicht wenige verbringen den Winter in einem todtenähnlichen Schlafe, ſie verfallen in Erſtarrung und erhalten ſich von ihrem im Sommer reichlich aufgeſpeicherten Fette, welches bei den in jeder Hinſicht herabgeſtimmten Lebens - thätigkeiten nun gemachſam verzehrt wird.

Jm Verhältniß zu der geringen Größe der Nager iſt ihre Bedeutung für die Natur eine ſehr erhebliche. Sie würden die ganze Erde beherrſchen und verwüſten, hätten ſie nicht ein in Wirklichkeit ungezähltes Heer von Feinden gegen ſich und wären ſie nicht Seuchen und Krankheiten mancherlei Art in hohem Grade unterworfen. Der ununterbrochene Vertilgungskrieg, welcher gegen ſie geführt wird, erhält in ihrer erſtaunlichen Fruchtbarkeit und Vermehrungsfähigkeit ein Gegengewicht, welches nur zu oft zum überwiegenden wird. Es klingt überraſchend und iſt dennoch wahr, wenn angegeben wird, daß ein Nagerpärchen binnen Jahresfriſt ſeine Nachkommenſchaft auf Tauſend bringen kann. Solche erzeugungstüchtige Arten werden oft zu furchtbaren Feinden des menſchlichen Beſitzthums. Jhre Wühlerei in Feld und Garten, ihr Zernagen und Abbeißen von allerlei nütz - lichen Gegenſtänden und Pflanzen, ihre Räubereien im Speicher und Wohnhauſe verurſachen einen Schaden, welcher von dem Nutzen nicht entfernt erreicht werden kann. Der Menſch iſt alſo gezwungen, ſich dem Heer der Feinde unſerer Thiere anzuſchließen, und er übt nur das Recht des ſelbſtſüchtigen Stärkeren, wenn er alle Mittel in Anwendung bringt, um ſich ſolches Ungeziefers zu entwehren.

Eigentlich befreunden kann ſich der Menſch nur mit höchſt wenigen Gliedern dieſer zahlreichen Ordnung, und von dieſen wenigen ſind nur Einzelne der Zähmung würdig. Sie gewähren hier - durch einen geringen Nutzen; von anderen verwendet man Fleiſch und Fell.

Ueber die Eintheilung der Nagethiere ſind die Forſcher noch nicht ganz einig. Die Einen bilden mehr, die Anderen weniger Familien. Uns werden die von mir erwählten Nager einen genügenden Ueberblick der Ordnung verſchaffen.

62Die Höruchen.

Als edelſte, weil munterſte, lebhafteſte und klügſte Nager haben wir die Hörnchen (Seiurinae) anzuſehen. Viele Naturforſcher ziehen zu ihnen auch die Zieſel und Murmelthiere, welche wir in einer beſonderen Familie zuſammenfaſſen, und erweitern dadurch die ohnehin artenreiche Zunft der Hörnchen noch mehr. Aber auch wir hätten, ſelbſt wenn wir blos die hervorragendſten Mitglieder der Sippen ausführlich betrachten wollten, es noch immer mit einer hinreichenden Menge zu thun; denn von den eigentlichen Eichkätzchen allein kennt man jetzt bereits über ſiebenzig Arten, und die ganze Familie in unſerem Sinne mag wohl über neunzig Arten zählen, obwohl viele Forſcher gegen ein Drittel der in den verſchiedenen Lehrbüchern aufgeführten Arten als mit den übrigen, länger bekannten zuſammen - fallend, ſtreichen wollen.

Die Eichhörnchen und die Murmelthiere haben viele Kennzeichen mit einander gemein, nament - lich im Bau des Schädels und des Gebiſſes; beide laſſen ſich aber leicht kennzeichnen. Die Murmel - thiere ſind plump und ruhig, die Eichhörnchen zierlich und lebendig, und hiermit ſteht denn auch der geſammte Leibesbau im Einklang. Unſere Familie zeigt eine ſehr große Manchfaltigkeit, ſowohl in der äußeren Geſtaltung ihrer Glieder, wie in ihrer Lebensweiſe. Der Leib iſt immer geſtreckt und trägt einen mehr oder weniger langen, oft zweizeilig behaarten Schwanz. Die Augen ſind groß und hervorſtehend, die Ohren bald klein, bald groß, bald dünn behaart, bald noch mit Pinſeln ver - ſehen. Die Vorderpfoten haben vier Zehen und einen Daumſtummel, die hinteren fünf Zehen. Das vordere Beinpaar iſt merklich kürzer, als das hintere. Mit wenigen Ausnahmen finden ſich im Oberkiefer fünf, im Unterkiefer vier Backzähne, meiſt von ziemlich einfacher Geſtalt; unter ihnen iſt der erſte Oberkieferzahn der kleinſte und einfachſte. Die vier folgenden ſind ziemlich übereinſtimmend geſtaltet. Am Schädel fällt eine breite, flache Stirn auf. Die Wirbelſäule beſteht meiſtens aus zwölf rippentragenden und ſieben rippenloſen Wirbeln. Außerdem finden ſich drei Kreuz - und ſech - zehn bis fünfundzwanzig Schwanzwirbel. Der Magen iſt einfach, der Darm von ſehr verſchiedener Länge. Ausführlicheres läßt ſich hier nicht ſagen.

Die Hörnchen bewohnen die ganze Erde, mit Ausnahme von Neuholland. Sie gehen ziemlich weit nach Norden hinauf und finden ſich im heißeſten Süden; ſie leben in der Tiefe, wie in der Höhe, manche Arten ebenſogut im Gebirge, wie in der Ebene. Waldungen oder wenigſtens Baum - pflanzungen ſind ihre bevorzugten Aufenthaltsorte, und bei weitem die größere Anzahl führt ein echtes Baumleben, während einige in unterirdiſchen, ſelbſtgegrabenen Bauen Herberge nehmen. Gewöhnlich lebt jedes Hörnchen für ſich, doch halten ſich unter Umſtänden größere und kleinere Geſell - ſchaften, oder wenigſtens Paare längere Zeit zuſammen, und einzelne Arten unternehmen wohl auch, getrieben von Nahrungsmangel, Wanderungen, während derer ſie ſich zu ungeheuren, heerartigen Scharen vereinigen. Die eigentlichen Hörnchen ſind Tagthiere, die Arten aber, welche Flatter - häute beſitzen, Nachtthiere.

Jn der Nahrung ähneln ſich alle Glieder der Familie. Sie freſſen faſt ausſchließlich Pflanzen - ſtoffe, und zwar die verſchiedenartigſten Früchte, oder Sämereien, Sprößlinge, Blätter und Knospen, im Nothfalle ſogar Rinden oder Schwämme. Während des Freſſens ſetzen ſie ſich auf das Hintertheil und führen das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Jhren Durſt ſtillen ſie mit Waſſer, mit dem Schnee, den ſie auflecken, oder mit der Milch mancher Pflanzennüſſe.

Jhre Bewegungen ſind durchgehends äußerſt lebhaft, ſchnell und behend und zwar ebenſowohl auf den Bäumen, als auf dem Boden. Auf letzterem ſind blos die Flatterhörnchen fremd; ſie beſitzen dagegen die Fähigkeit, außerordentlich weite Sprünge auszuführen, wenn auch immer nur von oben nach unten. Die Mehrzahl läuft ſatzweiſe und tritt dabei mit ganzer Sohle auf. Faſt alle klettern vorzüglich und ſpringen über große Zwiſchenräume weg von einem Baume zum andern. Beim Schlafen nehmen ſie eine zuſammengerollte Stellung an und ſuchen ſich auch gern bequeme Lager - plätze aus, entweder in einem unterirdiſchen Bau oder in Baumhöhlen oder endlich in Neſtern, welche ſie ſich wenigſtens theilweiſe vorgerichtet, wo nicht ganz erbaut haben. Die in kalten Ländern wohnenden wandern, wenn der Winter herannaht, oder fallen in einen unterbrochenen Winterſchlaf63Die Nachthörnchen.und ſammeln ſich deshalb größere oder kleinere Mengen von Vorräthen ein, zu denen ſie dann im Nothfalle ihre Zuflucht nehmen. Jhre Stimme beſteht in Pfeifen und einem eigenthümlichen, nicht zu beſchreibenden Brummen, Knurren und Ziſchen. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ziemlich gering, für die Ordnung der Nager aber verhältnißmäßig bedeutend. Unter ihren Sinnen ſind das Geſicht, das Gehör und der Geruch am meiſten ausgebildet, und einzelne bekunden auch ein ſehr feines Gefühl, indem ſie ein gewiſſes Ahnungsvermögen beſitzen, welches ſich bei Veränderung der Wit - terung offenbart. Sie ſind aufmerkſam und ſcheu oder furchtſam und flüchten bei der geringſten Gefahr, welche ihnen zu drohen ſcheint. Jm ganzen äußerſt harmlos, wehren ſie ſich doch nach Mög - lichkeit, wenn ſie ergriffen werden, und können mit ihren ſcharfen Zähnen auch ziemlich tiefe Ver - wundungen beibringen.

Die meiſten Arten ſcheinen jährlich mehr als einmal Junge zu werfen. Um die Zeit der Paarung lebt oft ein Männchen lange Zeit mit dem Weibchen und hilft ihm wohl auch an dem Ausbau der mehr oder weniger künſtlichen Wohnung, in welcher es ſpäter ſeine Jungen beherbergen will. Die Zahl der Jungen eines Wurfes ſchwankt zwiſchen Zwei und Sieben. Die Jungen kommen faſt nackt und blind zur Welt und bedürfen deshalb eines recht warmen Lagers und ſorgfältiger Pflege und Liebe von Seiten ihrer Mütter. Jung aus dem Neſte genommene Eichhörnchen laſſen ſich ohne beſondere Mühe zähmen und halten auch die Gefangenſchaft lange Zeit ohne Beſchwerde aus, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Flatterhörnchen. Manche gewöhnen ſich ſehr an ihre Pfleger und hängen mit einer gewiſſen Zärtlichkeit an ihnen; doch auch bei längerem Umgange mit dem Menſchen erreicht ihr Verſtand eben keine beſonders große Ausbildung, und faſt regelmäßig bricht bei höherem Alter das trotzige und mürriſche Weſen durch, welches vielen Nagern gemein zu ſein ſcheint, und ſie werden böſe und biſſig, ſo gutmüthig und harmlos ſie früher auch waren.

Jm ganzen genommen, dürfte die Familie mehr nützlich ſein, als ſchädlich. Das Pelzwerk von faſt allen nördlich wohnenden Arten findet Verwerthung, obgleich es eben nicht zu dem beſten gehört, und das Fleiſch iſt ſelbſt ziemlich verwöhnten Gaumen nicht widerlich. Dagegen ſchaden die Thiere manchmal den Forſten oder den Pflanzungen und den Feldern, wenn ſie ſich zufällig auf ein und derſelben Stelle in größerer Menge verſammeln, als gewöhnlich.

Gewöhnlich haben wir uns zuerſt immer mit denjenigen Arten einer Familie beſchäftigt, welche im Licht der Sonne thätig und lebendig ſind, und die nächtlichen Glieder einer Gruppe an das Ende derſelben geſtellt. Diesmal verfahren wir umgekehrt; denn wir beginnen mit den Nachthörnchen (Pteromys). Dieſe Sippe (oder, wie Andere wollen, die beiden Sippen Pteromys und Scin - ropterus) können nämlich als die höchſtſtehenden Eichkätzchen angeſehen werden; denn ſie erinnern lebhaft an die uns bekannten Geſtalten höherer Ordnungen (Flugbeutler), weil ſich zwi - ſchen ihren Füßen eine ziemlich breite Flatterhaut zu einem Fallſchirm ſpannt. Dieſer Fallſchirm, welcher die Flughörnchen befähigt, mit Leichtigkeit ſehr bedeutende Sprünge, wenn auch immer in etwas ſchiefer Richtung von oben nach unten auszuführen, beſteht aus einer derben Haut, welche an den vorderen und hinteren Gliedmaßen und zu beiden Seiten des Leibes befeſtigt und auf der Rückenſeite dicht, auf der Bauchſeite aber dünn und ſpärlich behaart iſt. Ein knöcherner Sporn an der Handwurzel ſtützt das vordere Ende der Flatterhaut noch beſonders. Der Schwanz dient als kräftiges Steuerruder und iſt immer ſtark behaart, aber bei den verſchiedenen Arten nicht in derſelben Weiſe. Bei der einen Gruppe nämlich iſt er einfach buſchig, bei der anderen aber zweizeilig behaart. Hierzu kommen geringe Unterſchiede im Zahnbaue. Die rundſchwänzigen Flugeichhörnchen, welche Einige als beſondere Sippe anſehen, zeichnen ſich durch den eigenthümlichen Bau ihrer kleinen, ab - gerundeten und verſchmälerten Backenzähne aus, während die Arten mit zweizeiligem Schwanze das Gebiß der echten Eichhörnchen beſitzen. Bei den einen wie bei den anderen finden ſich aber zwölf rip - pentragende, ſieben rippenloſe, drei Kreuz - und achtzehn bis neunzehn Schwanzwirbel.

64Die Nachthörnchen.

Beide Gruppen, welche man, ohne der Wiſſenſchaftlichkeit zu nahe zu treten, unter eine Sippe vereinigen kann, ſind über die nördliche Erdhälfte verbreitet. Jhre Arten führen eine durchaus nächtliche Lebensweiſe. Bei Tage liegen ſie ſtill in ihren Neſtern, welche ſie meiſt in hohlen Bäumen anlegen, mit Beginn der Dämmerung kommen ſie hervor und treiben ſich nun luſtig und behend auf den Bäumen umher, um ihrer Nahrung nachzugehen. Die nördlichen Arten verbringen im Winter auch viele Nächte in ihren geſchützten Bauen, ohne jedoch einen wirklichen Winterſchlaf zu halten. Jm Vergleich zu den übrigen Eichhornſippen iſt dieſe Gruppe arm an Mitgliedern, und viele Natur - forſcher wollen von den achtzehn Arten, welche einige aufführen, nur acht gelten laſſen.

Eins der bekannteſten Flugeichhörnchen iſt der Taguan (Pteromys Petaurista), das größte Mitglied der ganzen Familie, einer Hauskatze in ſeinen Körperverhältniſſen faſt gleichkommend. Seine Leibeslänge beträgt nämlich faſt zwei Fuß und die des Schwanzes wenigſtens einen Fuß neun Zoll, die Höhe am Widerriſt acht Zoll. Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz. Der Kopf iſt ver - hältnißmäßig klein und die Schnauze zugeſpitzt. Die Ohren ſind kurz und breit, aufrechtſtehend und

Der Taguan (Pteromys Petaurista).

oft in eine Spitze auslaufend, die weit vortretenden Augen ſind groß. Die hinteren Beine ſind deutlich länger, als die vorderen; jene haben fünf, dieſe vier Zehen, welche mit kurzen, krummen und ſpitzen Krallen verſehen ſind, mit Ausnahme der Daumenwarze, die einen platten Nagel trägt. Die Flatterhaut beginnt an den Vorderbeinen, zieht ſich an den Seiten des Leibes hinab und heftet ſich an den Hinterbeinen an, von wo aus ſie ſich noch in einer kleinen Hautfalte gegen den Schwanz hin verlängert. Jn der Ruhe wird ſie, wie unſere Abbildung ſehr hübſch zeigt, an den Leib ange - zogen und tritt blos da lappenähnlich hervor, wo ſie durch den ſpornartigen Knochen an der Hand - wurzel geſtützt wird. Der lange und ſchlaffe Schwanz iſt ſehr dick und buſchig behaart, während der Pelz auf dem Körper und den Gliedmaßen dicht, kurz und anliegend, auf der Rückenſeite aber rauher, als auf der Unterſeite und am Schwanze iſt. Die Flatterhaut erſcheint wegen der kurzen, feinen Härchen an ihrem Rande wie mit Franſen beſetzt. Hinter den Ohren verlängern ſich einzelne Haare zu einem Buſche, und auf der Wange befindet ſich eine mit Borſten beſetzte Warze. Die übrigen Schnurrhaare ſind mäßig lang, aber ſteif. Wie bei allen nächtlich lebenden Thieren, ſtehen65Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.einige dieſer Fühlhörner über den Augen, um das wichtige Werkzeug zu ſchützen. Auf der Oberſeite des Kopfes, dem Rücken und an der Schwanzwurzel iſt die Färbung des Pelzes, ein Gemiſch von Grau und Schwarz, dadurch hervorgebracht, daß einzelne Haare ganz ſchwarz, andere an der Spitze weiß - grau ſind. Die Seiten des Kopfes und der Streifen, welcher ſich vom Nacken gegen die Vorderbeine zieht, ſind entweder ebenſo gefärbt, als die Oberſeite, oder röthlichkaſtanienbraun. Das Geſicht iſt vorn ſchwarz, das Ohr hellbraun, und der Hauptbuſch hinter demſelben dunkelbraun. Auf der ganzen Unterſeite hat der Pelz eine ſchmuzig weißgraue Färbung, welche in der Mitte des Leibes etwas heller wird. Die Flatterhaut iſt oben ſchwarzbraun bis kaſtanienbraun, lichtaſchgrau geran - det, die Unterſeite iſt grau, etwas ins Gelbliche fallend. Die Beine ſind röthlichkaſtanienbraun oder röthlichſchwarz. Der Schwanz iſt gewöhnlich ſchwarz.

Das Feſtland von Oſtindien, und zwar Malabar und Malacca, ſowie Siam ſind die aus - ſchließliche Heimat des Taguans; denn die auf den Sundainſeln vorkommenden Flugeichhörner ſind zwar ihm ſehr verwandte, aber doch hinreichend von ihm unterſchiedene Arten. Der Taguan lebt nur in den dichteſten Wäldern und beſtändig auf Bäumen, einzeln oder paarweiſe mit ſeinem Weibchen. Bei Tage ſchläft er in hohlen Bäumen, nachts kommt er hervor und klettert und ſpringt mit außerordentlicher Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit in den Baumkronen umher, oder in ſehr weiten Sätzen nach benachbarten Bäumen, immer von oben nach unten. Dabei breitet er ſeine Füße wagrecht und ſpannt hierdurch die Flatterhaut zu einem weiten Fallſchirm aus. Der Schwanz wird als Steuerruder benutzt, und das Thier iſt, wie die Affen, fähig, durch plötzliches Wen - den die Richtung ſeines Fluges mitten im Sprunge zu verändern. Man verſichert, daß die Schnelligkeit ſeiner Sprünge, wie überhaupt ſeiner Bewegungen, außerordentlich groß ſei, und daß ihm das Auge kaum folgen könne. Unter ſeinen Sinnen ſind Gehör und Geſicht ziemlich ausgebildet, die übrigen aber weit unvollkommener entwickelt. Jn ſeinem geiſtigen Weſen unterſcheidet er ſich weſentlich von den eigentlichen Eichhörnchen. Er hat weit weniger Verſtand und iſt noch viel furcht - ſamer und ſcheuer, als ſeine den Tag liebenden Verwandten. Das geringſte Geräuſch erfüllt ihn mit Entſetzen und bewegt ihn zur eiligſten Flucht. Jn Folge dieſer Vorſicht und Scheu ſichert er ſich ſo ziemlich vor den Angriffen der kletternden Raubthiere aus unſerer Klaſſe; den größeren Eulen aber mag er oft genug zum Opfer fallen, ſie fangen ihn, trotz ſeines raſchen Fluges, mitten im Sprunge, und ihnen gegenüber iſt das überhaupt ſehr harmloſe und ſchwache Thier vollkommen wehrlos.

Bei der Seltenheit des Taguan fehlen noch genauere Beobachtungen über ſein Leben. Die wenigſten Reiſenden thun ſeiner Erwähnung, und auch die Eingeborenen wiſſen nur ſehr kärglich über ihn zu erzählen. Jn der Gefangenſchaft iſt er langweilig. Er fordert eine ſorgfältige Pflege, iſt ſchüchtern, ſchläft bei Tage und lärmt bei Nacht um ſo ärger in ſeinem Käfig umher, zernagt alles Holzwerk, welches ihm den Ausgang hindert, und geht nach wenigen Tagen oder Wochen regel - mäßig zu Grunde, ſelbſt, wenn man ihm ſoviel als möglich die paſſendſte Nahrung reicht. So iſt es erklärlich, daß er noch niemals lebend nach Europa gekommen iſt.

Jn den benachbarten Ländern wohnen dem Taguan ähnliche Arten, der Norden dagegen be - herbergt die eigentlichen Flattereichhörnchen (Sciuropterus) mit zweizeiligem, behaarten, langen, buſchigen Schwanze. Von ihnen beſitzen auch wir eine Art, das gemeine Flattereich - hörnchen oder die Ljutaga der Ruſſen (Sciuropterus sibiricus). Es bewohnt noch gegenwärtig den nördlichen Theil von Oſteuropa und faſt ganz Sibirien, war aber früher auch in Polen, Li - thauen, Liefland, Finnland und Lappland zu finden. Das Thier iſt bedeutend kleiner, als unſer echtes Eichhörnchen. Sein Leib mißt blos ſechs Zoll in die Länge, der Schwanz nur drei Zoll zehn Linien, oder mit den Haaren fünf Zoll. Die Höhe am Widerriſt beträgt blos zwei Zoll, und das Gewicht eines erwachſenen Thieres überſteigt ſelten elf Loth.

Brehm, Thierleben. II. 566Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.

Jn der Geſtalt kommt das Flattereichhorn ganz mit ſeinen großen indiſchen Verwandten überein, und, wie ſchon oben bemerkt, unterſcheidet es weſentlich nur die Behaarung ſeines Schwanzes und die Bildung der Backenzähne. Der Pelz iſt dicht und weichhaarig, im Sommer auf der Oberſeite fahlbraun, auf der Flughaut und der Außenſeite der Beine dunkler graubraun, unten weiß und am Schwanze oben fahlgrau, unten lichtroſtfarbig. Alle Haare der Oberſeite ſind im Grunde ſchwarz - grau und an der Spitze fahlgelblich, die der Unterſeite dagegen ſind einfarbig weiß. Jm Winter ver - längert und verdichtet ſich der Pelz, und die Oberſeite wird dann lichter.

Die Ljutaga bewohnt die größeren Birkenwälder oder gemiſchte Waldungen, in denen Fichten, Föhren und Birken mit einander abwechſeln. Letztere Bäume ſcheinen dem Thierchen jedoch Lebensbedürfniß zu ſein, und hierauf deutet auch die Färbung ſeines Pelzes, welche im ganzen eben - ſoſehr der Birkenrinde gleicht, wie die Färbung unſeres Hörnchens der Rinde der Föhren und Fichten. Es wird immer ſeltener und iſt ſchon aus vielen Gegenden, in denen es früher recht häufig war, faſt ganz oder gänzlich verdrängt. Wie der Taguan lebt es einzeln oder paarweiſe und zwar beſtändig

Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga (Sciuropterus sibiricus).

auf Bäumen. Jn hohlen Stämmen, wie eine Haſelmaus zuſammengerollt und den Schwanz um ſich geſchlagen, verſchläft es den Tag. Mit Eintritt der Dämmerung kommt es hervor und beginnt nun ein reges Leben. Es iſt in ſeinen Bewegungen ebenſo gewandt, als die Taghörnchen, klettert vor - trefflich, ſpringt behend von Aſt zu Aſt und ſetzt mit Hilfe ſeiner ausgeſpannten Flatterhaut über Entfernungen von ſechszig bis achtzig Fuß. Es ſteigt, um ſolche Entfernungen zu durchmeſſen, bis zur höchſten Spitze des Wipfels empor und ſpringt von dort aus auf niedere Aeſte der Bäume, die es ſich auserwählt hat. Man hat dieſe Sprünge mit allem Rechte mit dem Fluge verglichen. Auf dem Boden iſt es eben ſo unbehilflich und unſicher, als auf den Bäumen gewandt und ſchnell. Sein Gang iſt ſchwankend, und die weite Flughaut, welche faltig zu beiden Seiten des Leibes herab - hängt, macht ihm im Laufen viel zu ſchaffen.

Die Nahrung der Ljutaga beſteht aus den Knospen, Sprößlingen und Kätzchen der Birken; im Nothfalle begnügt ſie ſich aber auch mit den jungen Trieben und Knospen der Fichten. Beim Freſſen ſitzt ſie, wie unſer Eichhörnchen, aufrecht und bringt das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Ueberhaupt ähnelt das Flatterhörnchen in allen ſeinen Eigenſchaften unſerm Eich -67Die eigentlichen Hörnchen.kätzchen, nur, daß es ein Nachtthier iſt. Es iſt ſehr reinlich, putzt ſich beſtändig und legt auch ſeinen Unrath blos am Boden ab. Mit Eintritt der Kälte verfällt es in einen unterbrochenen Winterſchlaf, indem es bei kalten Tagen ſchläft, bei milderen aber wenigſtens ein paar Stunden umherläuft und Nahrung ſucht. Es hat ſich dann gewöhnlich eins ſeiner alten Neſter zurechtgemacht oder den Horſt eines Vogels zur Schlafſtätte hergerichtet. Sein eigenes Neſt legt es in hohlen Bäumen an, ſo hoch als möglich über dem Boden. Die ganze Höhlung füllt es mit zartem Moſe aus, und mit dem - ſelben Stoffe verwahrt und verſtopft es auch den Eingang. Jn ſolchem Neſte bringt es im Sommer ſeine zwei bis drei Jungen zur Welt. Dieſe werden nackt und blind geboren und bleiben ziemlich lange Zeit unbehilflich und pflegebedürftig im hohen Grade. Während des Tages hüllt ſie die Mutter in ihre Flatterhaut ein, um ſie zu erwärmen und zugleich bequem ſäugen zu können; bei ihren nächt - lichen Ausgängen bedeckt ſie die Brut ſorgſam mit Mos. Etwa ſechs Tage nach ihrer Geburt brechen ihnen die Nagezähne hervor, doch erſt zehn Tage ſpäter öffnen ſie die bisher geſchloſſenen Aeuglein, und dann beginnt auch das Haar auf ihrem Leibe zu ſproſſen. Später nimmt ſie die Alte mit ſich in den Wald, kehrt aber nach langer Zeit zu demſelben Neſte zurück, um während des Tages dort Ruhe und Schutz zu ſuchen. Jm Herbſt bauen oft viele ein einziges großes Neſt, in welchem ſie gemeinſchaftlich wohnen.

Obgleich das dünnhäutige, weichhaarige Fell blos ein ſchlechtes Pelzwerk liefert, welches nur die Chineſen verwerthen, ſtellt man dem Thiere nach und tödtet es jeden Winter in Menge. Es geht ziemlich leicht in Schlingen und zur Winterzeit in Fallen, welche man mit ſeiner Lieb - lingsnahrung geködert hat. Sein am Fuße der Bäume oft in großer Menge angehäufter, dem Mäuſemiſt ähnlicher Unrath verräth es leicht ſeinen Verfolgern; denn außerdem iſt es ſchwer, das rin - denfarbige Thier auf den Bäumen zu entdecken.

Die Gefangenſchaft hält das Flattereichhörnchen immer blos kurze Zeit aus. Man kann ihm ſeine eigentliche Nahrung doch nicht ſo erſetzen, als man möchte, und die Zartheit des Thieres tritt hin - dernd in den Weg. Doch hat man an einigen, die längere Zeit am Leben blieben, beobachtet, daß ſie ſich einigermaßen zähmen laſſen.

Der amerikaniſche Vertreter dieſes Thieres iſt der Aſſapan (Sciuropterus volucella), eine der kleinſten Arten, von fünf Zoll Leibeslänge mit vierzölligem Schwanze, ausgezeichnet durch den ſehr dicken Kopf und die auffallend großen, ſchwarzen und vorſtehenden Augen. Der weiche und feine Pelz iſt oben gelb bräunlich mit grau, an den Seiten des Halſes lichter, auf den Pfoten ſilberweiß und an der ganzen Unterſeite weiß. Der Schwanz iſt aſchgrau mit bräunlichem An - fluge, die Flughaut ſchwarz und weiß gerandet, das Auge mit einem ſchwärzlichgrauen Ringe um - geben. Das Thier lebt geſellig in den Wäldern des gemäßigten und warmen Nordamerika, ganz in der Weiſe der Ljutaga, legt ſich aber oft große Neſter aus Blättern in hohlen Bäumen an, in denen ganze Geſellſchaften ſchlafen und ſich wärmen. Jung eingefangen läßt es ſich leichter und beſſer zähmen, als das vorhergehende.

Die wahren Eichhörnchen, deren deutſches Urbild wohl allgemein bekannt ſein dürſte, zerfallen nun auch wieder in verſchiedene Sippen, welche mehr oder weniger von einander abweichen, hauptſächlich im Gebiß und in der Behaarung; die Lebensweiſe dagegen iſt ſo ziemlich dieſelbe, wenig - ſtens ähneln ſich hierin alle Arten, welche auf Bäumen leben, außerordentlich. Die erſte Gruppe, welche wir zu beobachten haben, begreift die eigentlichen Hörnchen (Sciurus) in ſich. Jhre Kennzeichen ſind der lange Leib und der noch längere, meiſt buſchig, oft zweizeilig behaarte Schwanz, die ziemlich langen Ohren, die mit einem Nagel bedeckte Daumenwarze der Vorderfüße und die vier Backenzähne in jeder Reihe, wenigſtens im Alter (da in der Jugend noch ein fünfter dazukommt). Unter ihnen iſt natürlich der liebe Bekannte aus dem Walde, den wir ſo oft auch an unſer Zimmer5 *68Die eigentlichen Hörnchen.feſſeln, unſer Eichhörnchen (Sciurus vulgaris), der wichtigſte, und man kann auch wirklich ſagen, daß er das Gepräge ſeiner ganzen Genoſſenſchaft vollſtändig bekundet.

Das Eichhörnchen iſt einer von den wenigen Nagern, mit denen ſich der Menſch ſo recht innig befreundet hat. Es iſt des Kindes und des Mannes Freude im friſchen, grünen Walde, und trotz mancher unangenehmen Eigenſchaften ein gern geſehener Genoſſe im Zimmer; es iſt ſogar dem Dichter eine befreundete Geſtalt. Dies fühlten ſchon die Griechen heraus, denen wir den ſchönen Namen zu danken haben, welcher jetzt in der Wiſſenſchaft die Gruppe der wahren Eichhörnchen im engeren, und die ganze Familie im weiteren Sinne bezeichnet. Der mit dem Schwanze ſich Schattende bedeutet jener griechiſche Name, und unwillkürlich muß Jeder, welcher die Bedeutung des Wortes Sciurus kennt, an das muntere, bewegliche Thierchen denken, wie es da oben ſitzt, hoch auf den oberſten Kronen und ſich ſeine Nüſſe aufknackt. Aber nicht blos die Griechen haben in dem Eichhörnchen eine dichteriſche Geſtalt erblickt: wir Deutſchen haben noch weit mehr gethan; denn unſer Rückert hat das freundliche Thier in einer Weiſe beſungen, daß ſich der Forſcher faſt ſcheuen muß, nach ſolchen köſtlichen Worten ſeine eigenen zur Beſchreibung hinzuzufügen:

Jch bin in einem früheren Sein
Einmal ein Eichhorn geweſen;
Und bin ich’s erſt wieder in Edens Hain,
So bin ich vom Kummer geneſen.
Falb-feurig-gemantelter Königsſohn
Jm blühenden, grünenden Reiche!
Du ſitzeſt auf ewig wankendem Thron
Der niemals wankenden Eiche
Und kröneſt dich ſelber wie machſt du es doch?
Anſtatt mit goldenem Reife,
Mit majeſtätiſch geringeltem, hoch
Emporgetragenem Schweife.
Die Sproſſen des Frühlings benagt dein Zahn,
Die noch in der Knospe ſich ducken;
Dann klimmeſt du laubige Kronen hinan,
Dem Vogel ins Neſt zu gucken.
Du läſſeſt hören nicht einen Ton,
Und doch, es regt ſich die ganze
Kapelle gefiederter Muſiker ſchon,
Dir aufzuſpielen zum Tanze.
Dann ſpieleſt du froh zum herbſtlichen Feſt
Mit Nüſſen, Bücheln und Eicheln,
Und läſſeſt den letzten ſchmeichelnden Weſt
Den weichen Rücken dir ſtreicheln.
Die Blätter haften am Baum nicht feſt,
Den fallenden folgſt du hernieder
Und trägſt ſie, ſie ſtaunen, zu beinem Neſt,
Jn ihre Höhen ſie wieder.
Du haſt den ſchwebenden Winterpalaſt
Dir künſtlich zuſammengeſtoppelt,
Dein wärmſtoffhaltendes Pelzwerk haſt
Du um dich genommen gedoppelt.
Dir ſagt’s der Geiſt, wie der Wind ſich dreht,
Du ſtopfeſt zuvor ihm die Klinzen,
Und lauſcheſt behaglich, wie’s draußen weht,
Du frohſter verzauberter Prinzen!
Mich faßt im Herbſte, wie dich, ein Trieb,
Zu ſammeln und einzutragen,
Doch hab ich, wie warm es im Neſt mir blieb,
Nicht dort dein freies Behagen.

Jch habe ſchwerlich zu viel geſagt, wenn ich behaupte, daß die nun folgende Beſchreibung nach ſolchem Vorgänger ſchwer iſt.

Unſer Eichhörnchen iſt ſelbſt für Den, welcher es wirklich noch nicht geſehen oder nur in der Ferne geſehen hat, bald beſchrieben. Seine Leibeslänge beträgt gegen neun Zoll und die Schwanzes - länge etwa einen Zoll weniger, die Höhe am Widerriſt gegen vier Zoll und das Gewicht des erwach - ſenen Thieres etwas über ein halbes Pfund. Der Pelz ändert vielfach ab, im Sommer und im Winter, im Norden und im Süden, und außerdem gibt es noch zufällige Ausartungen. Jm Som - mer iſt der Pelz oben bräunlichroth, an den Kopfſeiten grau gemiſcht, auf der Unterſeite vom Kinn an weiß; im Winter iſt bei unſerem die Oberſeite braunroth mit grauweißem Haar untermiſcht, die Unterſeite weiß, in Sibirien und Nordeuropa aber häufig weißgrau, ohne jede Spur von rothem Anfluge, während der Sommerpelz dem unſeres Hörnchens ähnelt. Häufig ſieht man auch in den deutſchen Wäldern eine ſchwarze Abart, welche manche Naturforſcher ſchon für eine beſondere Art erklären wollten, während wir mit aller Beſtimmtheit ſagen können, daß oft unter den Jungen eines69Unſer Eichhörnchen.Wurfes ſich rothe und ſchwarze Hörnchen befinden. Sehr ſelten ſind weiße oder gefleckte Spiel - arten, ſolche mit halb oder ganz weißem Schwanze und dergleichen. Der Schwanz iſt ſehr buſchig und zweizeilig, das Ohr ziert ein Büſchel langer Haare, die Fußſohlen ſind nackt.

Unſer Eichhörnchen iſt den Griechen und Spaniern ebenſogut bekannt, als den Sibiriern und Lappländern. Es reicht durch ganz Europa und geht noch über den Kaukaſus und Ural hinweg durch das ſüdlichere Sibirien bis zum Altai und nach Hinteraſien. Der Baumwuchs bezeichnet ſeine Hei - mat. Wo ſich Bäume finden, und zumal wo ſich die Bäume zum Walde einen, fehlt unſer Thier - chen ſicher nicht; aber es iſt nicht überall und auch nicht in allen Jahren gleichhäufig und, wenn es auch nicht gerade wandern mag, große Streifzüge dürfte es jedenfalls unternehmen. Hochſtämmige, trockene und ſchattige Wälder, namentlich von Schwarzhölzern, bilden wohl ſeine bevorzugteſten Aufenthaltsplätze. Näſſe und Sonnenſchein ſind ihm gleichzuwider. Während der Reife des Obſtes und der Nüſſe beſucht das Eichhörnchen auch die Gärten des Dorfes, doch nur dann, wenn ſich vom Walde aus eine Verbindung durch Feldhölzchen oder wenigſtens Gebüſche findet. Da, wo recht viele

Unſer Eichhörnchen (Sciurus vulgaris).

Fichten - und Kiefernzapfen reifen, ſetzt es ſich feſt und erbaut ſich eine oder mehrere Wohnungen, gewöhnlich in alten Krähenhorſten, welche es recht künſtlich herrichtet. Zu kürzerem Aufenthalte benutzt es verlaſſene Elſter -, Krähen - und Raubvögelhorſte, wie ſie ſind, die Wohnungen aber, welche zur Nachtherberge, zum Schutze gegen üble Witterung und zum Wochenbette des Weibchens dienen, werden ganz neu erbaut, obwohl oft aus den von Vögeln zuſammengetragenen Stoffen. Man will bemerkt haben, daß jedes Hörnchen wenigſtens vier Neſter habe, doch iſt mit Sicherheit hierüber wohl noch Nichts feſtgeſtellt worden, und ich glaube, beobachtet zu haben, daß Laune und Bedürfniß des Thieres außerordentlich wechſeln. Höhlungen in Bäumen, am liebſten die in hohlen Stämmen, werden ebenfalls von ihm beſucht und unter Umſtänden auch ausgebaut. Die freien Neſter ſind gewöhnlich in einen Zwieſel dicht an den Hauptſtamm des Baumes geſtellt. Der Boden der Hütte iſt gebaut, wie der eines größeren Vogelneſtes, oben aber iſt ſie nach Art der Elſterneſter mit einem flachen, kegelförmigen Dache überdeckt, dicht genug, um dem Eindringen des Regens voll - ſtändig zu widerſtehen. Der Haupteingang iſt abwärts gerichtet, gewöhnlich nach Morgen hin, ein etwas kleineres Fluchtloch befindet ſich dicht am Schafte. Zartes Mos bildet im Jnnern ringsum70Die eigentlichen Hörnchen.ein weiches Polſter. Der Außentheil beſteht aus dünneren und dickeren Reiſern, welche durchein - andergeſchränkt wurden. Den feſten, mit Erde und Lehm ausgekleibten Boden eines verlaſſenen Krähenneſtes benutzt das Hörnchen unter allen Umſtänden gern zur Grundlage ſeiner Hütte.

Das muntere Thierchen iſt unſtreitig eine der Hauptzierden unſerer Wälder. Bei ruhigem, hei - teren Wetter befindet es ſich in ununterbrochener Bewegung, ſoviel als möglich auf den Bäumen, welche ihm zu allen Zeiten Nahrung und Obdach bieten. Nur gelegentlich ſteigt es gemächlich an einem Stamme herab, läuft bis zu einem zweiten Baum und klettert, oft nur zum Spaß, wieder an dieſem empor; denn wenn es will, braucht es den Boden gar nicht zu berühren. Es iſt der Affe unſerer Wälder und beſitzt eine Menge Eigenſchaften, welche an die jener launiſchen Südländer erinnern. Es iſt ein ungemein lebhaftes Thier und überaus raſch und behend. Nur höchſt wenige Säugethiere dürfte es geben, welche immerwährend ſo munter wären und ſo kurze Zeit auf ein und derſelben Stelle blieben, wie das gemeine Eichhorn bei leidlicher Witterung. Das geht beſtändig von Baum zu Baum, von Krone zu Krone, von Zweig zu Zweig; ſelbſt auf der ihm fremden Erde iſt es nichts weniger als langſam. Es läuft niemals im Schritte oder Trabe, ſondern hüpft immer in größeren oder kleineren Sprüngen vorwärts, und zwar ſo ſchnell, daß ein Hund Mühe hat, es einzuholen und ein Mann ſchon nach kurzem Laufe ſeine Verfolgung aufgeben muß. Allein ſeine wahre Gewandtheit zeigt ſich doch erſt im Klettern. Mit unglaublicher Sicherheit und Schnelligkeit rutſcht es an den Baumſtämmen empor, auch an den glätteſten. Die langen, ſcharfen Krallen an den fingerartigen Zehen leiſten ihm dabei vortreffliche Dienſte. Es häkelt ſich in die Baumrinde ein, und zwar immer mit allen vier Füßen zugleich. Dann nimmt es einen neuen An - lauf zum Sprunge und ſchießt weiter nach oben; aber ein Sprung folgt ſo ſchnell auf den andern, daß das ganze Emporſteigen in ununterbrochener Folge vor ſich geht und ausſieht, als gleite das Thier an dem Stamme in die Höhe. Die Kletterbewegung verurſacht ein weit hörbares Raſſeln, in welchem man die einzelnen An - und Abſätze nicht unterſcheiden kann. Gewöhnlich ſteigt es, ohne abzuſetzen, bis in die Krone des Baumes, nicht ſelten bis zum Wipfel empor; dort läuft es dann auf irgend einem der wagrechten Aeſte hinaus und ſpringt gewöhnlich nach der Spitze des Aſtes eines andern Baumes hinüber, über Entfernungen von zwölf bis ſechszehn Fuß, immer von oben nach unten. Wie nothwendig die zweizeilig behaarte Fahne dem Thiere zum Springen iſt, hat man durch grauſame Verſuche erprobt, indem man gefangenen Eichhörnchen den Schwanz abſchlug. Man bemerkte dann, daß das verſtümmelte Geſchöpf nicht halbſoweit mehr ſpringen konnte. Obgleich die Hände des Eichhorns nicht Daſſelbe leiſten können, wie die Affenhände, ſind ſie doch immer noch hinlänglich geeignet, das Thier auch auf dem ſchwankendſten Zweige zu befeſtigen, und dieſes iſt viel zu geſchickt, als daß es jemals einen Fehlſprung thäte oder von einem Aſte, den es ſich auserwählt, herab - fiele. Sobald es die äußerſte Spitze des Zweiges erreicht, faßt es ſie ſo ſchnell und feſt, daß ihm das Schwanken des Zweiges gar nicht beſchwerlich fällt, und läuft nun mit ſeiner anmuthigen Gewandt - heit äußerſt raſch wieder dem Stamme des zweiten Baumes zu. Auch das Schwimmen verſteht der muntere Geſell vortrefflich, obgleich er nicht gern ins Waſſer geht. Man hat ſich bemüht, die ein - fache Handlung des Schwimmens bei ihm ſo unnatürlich als möglich zu erklären, und behauptet, daß ſich das Hörnchen erſt ein Stück Baumrinde ins Waſſer trage zum Boote, welches es dann durch den emporgehobenen Schwanz mit Maſt und Segel verſähe ꝛc. : derartige Schwätzereien naturfremder Stubenhocker können höchſtens belächelt werden. Das Eichhorn ſchwimmt eben auch nicht anders, als die übrigen landbewohnenden Säugethiere und die Nager insbeſondere.

Wenn das Hörnchen ganz in Ruhe iſt, ſucht es bei ſeinen Streifereien beſtändig nach Aeßung. Je nach der Jahreszeit genießt es Früchte oder Sämereien, Knospen, Zweige, Schalen, Beeren, Körner und Pilze. Tannen -, Kiefern - und Fichtenſamen, Knospen und junge Triebe bleiben wohl immer der Haupttheil ſeiner Nahrung. Es beißt die Zapfen unſerer Nadelholzbäume am Stiele ab, ſetzt ſich behäbig auf die Hinterläufe, erhebt den Zapfen mit den Vorderfüßen zum Munde, dreht ihn ununter - brochen herum und beißt nun mit ſeinen vortrefflichen Zähnen ein Blättchen nach dem andern ab,71Unſer Eichhörnchen.bis der Kern zum Vorſchein kommt, welchen es dann mit der Zunge aufnimmt und in den Mund führt. Beſonders hübſch ſieht es aus, wenn es ſeine Lieblingsſpeiſe, die Haſelnüſſe nämlich, in reichlicher Menge haben kann. Schon während der Reife beſucht es die Nußſtauden ſehr eifrig und wählt ſich da die verſprechendſten Früchte aus. Am liebſten aber verzehrt es die Nüſſe, wenn ſie ganz gereift ſind. Es ergreift eine ganze Traube, enthülſt eine Nuß, faßt ſie mit den Vorder - füßen und ſchabt nun an der Naht der beiden Schalen mit wenigen Biſſen ein Loch durch die Schale, die Nuß dabei mit unglaublicher Schnelligkeit hin - und herdrehend, bis ſie in zwei Hälften oder in mehrere Stücke zerſpringt; dann wird der Kern herausgeſchält und, wie alle Speiſe, welche das Thier zu ſich nimmt, gehörig mit den Backzähnen zermalmt: denn das Eichhorn kaut alle ſeine Nahrung ordentlich durch und ſammelt ſie nicht, wie viele andere Nager es thun, erſt in einiger Menge in ſeinen Backen auf. Außer den Samen und Kernen frißt unſer Hörnchen auch Heidel - und Preißelbeerblätter, Ahorn - und Masholderſamen, Schwämme (nach Tſchudi auch Trüffeln) leidenſchaftlich gern. Aus Früchten macht es ſich gar Nichts; es ſchält das ganze Fleiſch von Birnen und Aepfeln ab, um zu den Kernen zu gelangen. Dagegen iſt es ein großer Freund von den Eiern aller Neſter, welche es bei ſeinen Streifereien auffindet, und verſchont auch ſelbſt junge Neſt - vögel nicht, ja, es wagt ſich ſogar an alte. Lenz hat einem Eichhorn einmal eine alte Droſſel ab - gejagt, die nicht etwa lahm, ſondern ſo kräftig war, daß ſie ſogleich nach ihrer Befreiung weit weg - flog. Bittere Kerne, wie z. B. Mandeln, ſind ihm tödlich. Bei Gefangenen reichen zwei bittere Mandeln hin, um es umzubringen.

Sobald das Thier einigermaßen reichliche Nahrung hat, beginnt es, ſich Vorräthe für ſpätere, traurigere Zeiten einzutragen. Jn den Spalten und Löchern hohler Bäume und Baumwurzeln, in ſelbſtgegrabenen Löchern, unter Gebüſch und Steinen, in einem ſeiner Neſter und an andern ähn - lichen Orten legt es ſeine Speicher an und ſchleppt oft durch weite Strecken die betreffenden Körner nach ſolchen Plätzen. Mit dieſem Naturtrieb bezeichnen die Hörnchen ſelbſt, wie empfindlich ſie gegen die Einflüſſe der Witterung ſind. Schon bei gutem Wetter halten ſie ihr Mittagsſchläfchen in ihrem Neſte, ſobald die Sonne etwas wärmer ſtrahlt, als gewöhnlich, und treiben ſich dann blos früh und abends im Walde umher; noch vielmehr aber ſcheuen ſie Regengüſſe, heftige Gewitter, Stürme und vor allem Schneegeſtöber. Jhr eigenthümliches Vorgefühl der kommenden Witterung iſt dabei gar nicht zu verkennen. Schon einen halben Tag, ehe das gefürchtete Wetter eintritt, zeigen ſie ihre Unruhe durch beſtändiges Umherſpringen auf den Bäumen und ein ganz eigenthüm - liches Pfeifen und Klatſchen, welches man ſonſt blos bei größerer Erregung von ihnen vernimmt. Sobald ſich nun die erſten Vorboten des ſchlechten Wetters zeigen, zieht ſich jedes Hörnchen nach ſeinem Neſte zurück, oft auch mehrere in ein und daſſelbe. Das Ausgangsloch an der Wetter - ſeite wird ſorgfältig verſtopft: behaglich in ſich zuſammengerollt, läßt das zärtliche Geſchöpf das Wetter vorübertoben. So liegt es oft tagelang ruhig im Neſte; ſchließlich treibt es der Hunger aber doch heraus und dann zunächſt ſeinen Vorrathskammern zu, in denen es Schätze für den Winter aufſpeicherte. Ein ſchlechter Herbſt wird für unſer Hörnchen gewöhnlich verderblich, eben weil es die Wintervorräthe aufbraucht. Folgt dann ein nur einigermaßen ſtrenger Winter, ſo bringt er einer Unzahl der munteren Thiere den Tod. Manche Speicher werden vergeſſen, zu anderen verwehrt der hohe Schnee den Zugang, und ſo kommt es, daß die munteren Thiere geradezu verhungern. Da liegt dann hier eins und dort eins todt im Neſte oder fällt entkräftet vom Baumwipfel herunter, und der Edelmarder hat es noch leichter als ſonſt, ſeine Hauptnahrung zu erlangen. Jn Buchen - und Eichenwäldern ſind die Hörnchen immer noch am glücklichſten daran; denn außer den noch an den Bäumen hängenden Bücheln und Zapfen, welche ſie abpflücken, graben ſie deren in Menge aus dem Schnee heraus und nähren ſich dann recht gut.

Auch bei Einbruch der Nacht zieht ſich jedes Hörnchen nach ſeinem Neſte zurück und ſchläft dort, ſolange es dunkel iſt; aber es weiß ſich, wie Lenz beobachtete, auch im Dunkeln zu helfen. Dieſer Forſcher ließ ſich einmal in ſchwarzer Nacht von zwei Tagelöhnern eine hohe Leiter in den72Die eigentlichen Hörnchen.Wald tragen und an einen Baum lehnen, auf welchem ſich ein Neſt mit jungen Eichhörnchen befand. Alles geſchah ſo leiſe, als möglich. Die Laterne blieb unten bei den Leuten, und Lenz ſtieg hin - auf. Sobald er aber das Neſt mit der Hand berührte, fuhren die Thierchen mit Windeseile heraus, etwa zwei am Baume in die Höhe, eins am Stamme hinunter, eins durch die Luft zu Boden, und im Nu war Alles um ihn her wieder ganz ſtill.

Die Stimme des Eichhorns iſt im Schreck ein lautes Duck, Duck , bei Wohlbehagen und bei gelindem Aerger ein merkwürdiges, nicht gut durch Silben auszudrückendes Murren, oder, wie Dietrich aus dem Winckell und Lenz noch beſſer ſagen, ein Murren. Beſondere Freude oder Erregung drückt es durch ein gewiſſes Pfeifen aus.

Die geiſtigen Fähigkeiten des Hörnchens ſind größer, als die der meiſten übrigen Nager. Alle Sinne ſind ſcharf, zumal Geſicht, Gehör und Geruch; doch muß auch das Gefühl ſehr fein ſein, weil ſich ſonſt die Vorempfindung des Wetters nicht erklären ließe; der Geſchmack iſt ebenfalls entſchieden ausgebildet, wie man an zahmen leicht beobachten kann. Für die höhere geiſtige Begabung ſprechen das gute Gedächtniß, welches das Thier beſitzt, und die Liſt und Ver - ſchlagenheit, mit denen es ſich ſeinen Feinden zu entziehen weiß. Blitzſchnell eilt es dem höchſten der umſtehenden Bäume zu, fährt faſt immer auf der entgegengeſetzten Seite des Stammes bis in den erſten Zwieſel hinan, kommt höchſtens mit dem Köpfchen zum Vorſchein, drückt und verbirgt ſich ſoviel als thunlich, und ſucht ſo unbemerkt als möglich ſeine Rettung auszuführen, dabei eine große Berechnung offenbarend.

Aeltere Eichhörnchen begatten ſich zum erſten Male im März, die jüngeren etwas ſpäter. Ein Weibchen verſammelt um dieſe Zeit oft zehn oder mehr Männchen um ſich, und dieſe beſtehen dann blutige Kämpfe mit einander in Sachen der Liebe. Wahrſcheinlich wird auch hier dem Tapferſten der Minne Sold: das Weibchen ergibt ſich dem ſtärkeren und hängt ihm wenigſtens eine Zeit lang mit treuer Liebe an. Vier Wochen nach der Begattung wirft es in dem beſtgelegenſten und am weichſten ausgefütterten Neſte drei bis ſieben Junge, welche ungefähr neun Tage lang blind bleiben und von der Mutter zärtlich geliebt werden. Baumhöhlen ſcheinen die bevorzugteſten Wochenbetten abzugeben; nach Lenz niſten die Weibchen auch in Staarkübeln, welche nahe am Walde auf Bäumen hängen und vorher ordentlich ausgepolſtert und mit einem bequemen Eingange verſehen werden, indem die Mutter das enge Flugloch durch Nagen hinlänglich für ſich erweitert. Ehe die Jungen geboren ſind und während ſie geſäugt werden, ſagt Lenz, ſpielen die Alten luſtig und niedlich um das Neſt herum. Schlüpfen die Jungen aus dem Neſte hervor, ſo wird etwa fünf Tage lang, wenn das Wetter gut iſt, geſpielt, gehuſcht, geneckt, gejagt, gemurrt, gequiekſt: dann iſt plötzlich die ganze Familie verſchwunden und in den benachbarten Fichtenwald gezogen. Bei Be - unruhigung trägt ſie die Alte, wie die Knaben recht gut wiſſen, in ein anderes Neſt, und zwar oft ziemlich weit davon. Man muß daher vorſichtig ſein, wenn man Junge ausnehmen will, und darf ſich nie beikommen laſſen, ein Neſt, in denen man ein Wochenbett vermuthet, zu unterſuchen, ehe man die Jungen ausnehmen kann. Wenn dieſelben entwöhnt worden ſind, trägt ihnen die Mutter (oder auch der Vater mit) noch einige Tage lang Nahrung zu, dann überläßt das Eltern - paar die junge Familie ihrem eigenen Schickſale und ſchreitet zur zweiten Paarung. Die Jungen bleiben noch eine Zeitlang zuſammen, ſpielen hübſch mit einander und gewöhnen ſich ſchnell an die Sitten und Gebräuche der Eltern. Jm Juni hat die Alte bereits zum zweiten Male Junge, gewöhnlich einige weniger, als das erſte Mal; und wenn auch dieſe ſoweit ſind, daß ſie mit ihr her - umſchweifen können, ſchlägt ſie ſich oft mit dem früheren Gehecke zuſammen, und man ſieht jetzt die ganze Bande, oft zwölf bis ſechszehn Stück, in ein und demſelben Waldestheile ihr luſtiges, ge - müthliches Weſen treiben.

Ausgezeichnet iſt die Reinlichkeit des Hörnchens. Sobald das Thier ruhig und ungeſtört iſt, leckt und putzt es ſich ohne Unterlaß. Jm Ruhelager oder im Reſte findet man weder ſeine noch ſeiner Jungen Loſung abgelegt, die liegt immer unten am Stamme des Baumes. Aus dieſem73Unſer Eichhörnchen.Grunde eignet ſich das Eichhorn beſonders zum Halten im Zimmer, und wir finden es ja auch häufig genug als gerngeſehenen Genoſſen des Menſchen. Man nimmt zu dieſem Zweck die Jungen aus, wenn ſie halb erwachſen ſind, und füttert ſie mit Milch und Semmel groß, bis man zu ihrer Kern - nahrung übergehen kann. Hat man jedoch eine ſäugende Katze von gutmüthigem Charakter, ſo läßt man durch dieſe das junge Hörnchen groß ſängen, und dann erhält es eine Pflege, wie man ſie ſelbſt ihm niemals gewähren kann. Jch habe bereits auf Seite 288 des erſten Bandes mitgetheilt, wie gern ſich die gutgeartete Katze ſolcher Pflege unterzieht, und wiederhole, daß man nichts Schöneres ſehen kann, als die zwei ſo verſchiedenen Thiere in ſolch innigem Zuſammenleben.

Jn der Jugend ſind alle Hörnchen muntere, luſtige und durchaus harmloſe Thierchen, welche ſich recht gern von den Menſchen hätſcheln und ſchmeicheln laſſen. Sie erkennen und lieben ihren Pfleger und zeigen ſogar eine gewiſſe Gelehrigkeit, indem ſie dem Rufe folgen. Leider werden faſt alle, auch die zahmſten, mit zunehmendem Alter tückiſch oder wenigſtens biſſig, und ihre Nage - zähne ſind hinlänglich ſcharf, um ſehr ſchmerzhafte und ſogar gefährliche Biſſe beizubringen. Zumal im Frühjahre, während der Zeit der Paarung, iſt ſolchen eingeſperrten nie recht zu trauen.

Man darf dem Thiere leider das freie Umherlaufen im Hauſe und Hofe nicht geſtatten, weil es alles Mögliche beſchnuppert, unterſucht, benagt und verſchleppt. Deshalb hält man es in einem Käfig, welcher innen mit Blech ausgeſchlagen iſt, damit er nicht allzuſchnell ein Opfer der Nage - zähne wird. Dagegen muß man dann auch ſorgen, daß die Hörnchen ihre Nagezähne an anderen Stoſſen abſtumpfen können, weil ihnen ſonſt die Zähne nicht ſelten einen Zoll weit über einander wegwachſen und es ihnen ganz unmöglich machen, ihre Nahrung zu zerkleinern oder überhaupt zu freſſen. Man gibt ihnen deshalb unter ihr Futter viele harte Dinge, namentlich Nüſſe und Tannen - zapfen oder auch Holzkugeln und Holzſtückchen; denn gerade die Art und Weiſe, wie ſie freſſen, gewährt mit das Hauptvergnügen, welches die gefangenen überhaupt bereiten. Zierlich ergreifen ſie die ihnen vorgehaltene Nahrung mit den beiden Vorderhänden, ſuchen ſich ſchnell den ſicherſten Platz aus, ſetzen ſich dort hübſch nieder, ſchlagen den Schwanz über ſich, ſehen ſich, während ſie nagen, ſchlau und munter immer um, putzen Schnauze und Schwanz nach gehaltener Mahlzeit und hüpfen luſtig und hübſch in affenartigen Sätzen hin und her. Dieſes muntere Treiben und die außerordent - liche Reinlichkeit laſſen ſie mit Recht zu den angenehmſten Nagern in der Gefangenſchaft rechnen.

Außer dem Menſchen hat das Eichhorn in dem Edelmarder ſeinen furchtbarſten Feind. Dem Fuchſe gelingt es nur ſelten, ein Hörnchen zu erſchleichen, wenn es ſich eben am Boden befindet, und den Milanen, Habichten und großen Eulen entgeht das Thier dadurch leicht, daß es, wenn ihm die Vögel zu Leibe wollen, raſch in Schraubenlinien um den Stamm herumſteigt, während die Vögel im Fluge natürlich weit größere Bogen machen müſſen; endlich erreicht es doch eine Höhlung, einen dichten Wipfel, wo es geſchützt iſt. Anders iſt es, wenn es vor dem Edelmarder flüchten muß. Dieſer fürchterliche Feind klettert genau ebenſogut, als ſein Opfer, und verfolgt dieſes auf Schritt und Tritt, in den Kronen der Bäume ebenſowohl, wie auf der Erde; er folgt ihm ſogar in die Höhlungen, in welche es flüchtet, oder in das dickwandige Neſt. Unter ängſtlichem Klatſchen und Pfeifen flieht das Eichhorn vor ihm her, von Aſt zu Aſt: der gewandte Räuber jagt hinter ihm drein, und beide überbieten ſich förmlich in prachtvollen Sprüngen. Die einzige Möglichkeit der Rettung für das Eich - hörnchen liegt in ſeiner Fähigkeit, ohne Schaden vom höchſten Wipfel der Bäume herab auf die Erde zu ſpringen und dann ſchnell ein Stück unten fortzueilen, einen neuen Baum zu gewinnen und unter Umſtänden das alte Spiel nochmals zu wiederholen. Man ſieht es daher, wenn es der Edelmarder verfolgt, ſo eifrig als möglich nach der Höhe ſtreben und zwar regelmäßig in den gewandten Schrau - benlinien, bei denen ihm der Stamm doch mehr oder weniger zur Deckung dient. Der Edelmarder klimmt natürlich eifrig hinter ihm drein, und beide ſteigen wirklich unglaublich ſchnell zur höchſten Krone empor. Jetzt ſcheint es der Marder bereits am Kragen zu haben da ſpringt es in gewal - tigem Bogenſatz von hohem Wipfel weg in die Luft, ſtreckt alle Gliedmaßen wagrecht von ſich ab und ſauſt ſo zum Boden nieder, kommt dort wohlbehalten an und eilt nun ängſtlich, ſo raſch als es kann,74Die eigentlichen Hörnchen.davon, um ſich wo möglich ein beſſeres Verſteck auszuſuchen. Das vermag ihm der Edelmarder doch nicht nachzuthun; demungeachtet bleibt dieſer ſein furchtbarſter Feind und das Hörnchen die Hauptnahrung des in allen Leibeskünſten ſo wohlerfahrenen Raubgeſellen: er jagt dem Wehrloſen nach, bis dieſer ſich ihm aus Erſchöpfung geradezu preisgibt. Junge Eichhörnchen ſind natürlich weit mehr Gefahren ausgeſetzt, als die alten. Eben ausgeſchlüpfte kann ſogar ein behender Menſch klet - ternd einholen, wie ich aus eigener Erfahrung verſichern darf. Wir ſuchten als Knaben ſolche Junge auf und ſtiegen ihnen auf die Bäume nach, und mehr als einmal wurde die Gleichgiltigkeit, mit welcher ſie uns nahekommen ließen, ihr Verderben. Sobald wir nämlich den Aſt erreichen konnten, auf welchem ſie ſaßen, waren ſie verloren. Wir ſchüttelten den Aſt mit Macht hin und her, und das erſchreckte Hörnchen dachte gewöhnlich blos daran, ſich recht feſt zu halten, um nicht herabzuſtürzen. Nun ging es weiter und weiter nach außen, immer ſchüttelnd, bis wir mit raſchem Griffe das Thierchen faſſen konnten. Auf einen Biß mehr oder weniger kam es uns damals nicht an, weil uns unſere gezähmten ohnehin genugſam damit begabten. Dieſe fing ich immer auf dieſelbe Weiſe wieder ein, wenn ſie ſich freigemacht hatten und entflohen waren.

Am Lenafluſſe leben die Bauern vom Anfang März bis Mitte April ganz für den Eichhorns - fang, und mancher ſtellt dort über tauſend Fallen. Dieſe beſtehen aus zwei Bretern, zwiſchen denen ein Stellholz ſich befindet, an dem ein Stückchen gedörrter Fiſch befeſtigt iſt. Berührt das Eichhorn dieſe Lockſpeiſe, ſo wird es von dem oberen Bret erſchlagen. Die Tunguſen ſchießen es mit ſtumpfen Pfeilen, um das Fell nicht zu verderben. Wir erlegen es meiſt mit dem Gewehr, wenn wir überhaupt Jagd auf dieſe Zierde unſerer Wälder machen, angelockt von dem Wunſche, den treff - lichen Pelz zu verwerthen. Jm hohen Norden, wo die Hörnchen weit regelmäßigere und auch aus - gedehntere Wanderungen unternehmen, als bei uns, zumal in ſtrengen Wintern, maſſenhaft aus den höher gelegenen Gegenden in die milderen Ebenen herabwandern, um dort den Winter zu ver - bringen, iſt die Jagd ergiebiger und auch gerechtfertigter, da das Pelzwerk dort von höherem Werth iſt.

Die ſchönſten Felle kommen aus Sibirien und Lappland und ſind im Handel unter dem Namen Grauwerk bekannt. Der Bauchtheil heißt gewöhnlich Veh - oder Feh-Wamme und gilt für eine koſtbare Pelzwaare, mit deren Handel ſich eine große Zahl von Menſchen beſchäftigt. Aus Rußland allein werden jährlich über zwei Millionen Grauwerkfelle ausgeführt; die meiſten gehen nach China. Außer dem Felle verwendet man auch noch die Schwanzhaare zu guten Malerpinſeln, und das weiße, zarte, wohlſchmeckende Fleiſch wird von den Sachkennern überall gern gegeſſen.

Die Alten glaubten, im Gehirn und Fleiſch kräftige Heilmittel zu beſitzen, und unter dem Landvolke beſteht noch heutzutage hier und da der Glaube, daß ein zu Pulver gebranntes männliches Eichhorn das beſte Heilmittel für kranke Hengſte, ein weibliches für kranke Stuten gäbe. Manche Gankler und Seiltänzer ſollen in dem Wahne leben, durch den Genuß des gepulverten Gehirns vor Schwindel ſicher zu ſein, und deshalb dem Hörnchen oft nachſtellen, um ſich bei ihren gefährlichen Sprüngen zu ſichern. Doch iſt die Verfolgung, welche das Thier bei uns ſeitens des Menſchen erleidet, kaum in Anſchlag zu bringen. Die Liebe zu unſerm muntern, nordiſchen Affen iſt ſein beſter Schutz. Schädlich wird das gemeine Eichhorn blos an Orten, wo es in großer Menge vorkommt, durch das Plündern der Obſtbäume und das Abfreſſen junger Triebe und Knospen. Jn Deutſchland dürfte ſich dieſer Schaden aber nirgends beſonders bemerklich machen.

Von den übrigen zahlreichen Arten der Hörnchen, welche in Amerika, Aſien und Afrika leben, verdienen noch einige beſondere Erwähnung. Jn Nordamerika vertreten das graue (Sciurus cine - reus) und das ſchwarze Eichhorn (Sciurus niger) das unſrige. Beide treten aber nicht in der geringen Zahl auf, wie dieſes, ſondern vermehren ſich zuweilen in ſo unglaublicher Menge, daß förmliche Kriegszüge gegen ſie unternommen werden können und unternommen werden müſſen. Jm Jahre 1749 hatte die Anpflanzung von Mais eine ſo außerordentliche Vermehrung des grauen und ſchwar -75Das ſchwarze Eichhorn.zen Hörnchens in Pennſylvanien bewirkt, daß die Regierung ſich genöthigt ſah, ein Schußgeld von drei Pence für das Stück auszuſetzen. Jn dieſem Jahre allein wurden dann eine Million und zweimalhundertachtzigtauſend Stück der Thiere abgeliefert. James Hall erzählt, daß ſich im ganzen Weſten Nordamerikas die Eichkätzchen binnen weniger Jahre oft ganz ungeheuer vermehren und dann nothwendiger Weiſe auswandern müſſen. Heuſchreckenartigen Schwärmen vergleichbar ſammeln ſich die Thiere im ſpäten Jahre in größere und immer größer werdende Scharen und rücken, Felder und Gärten plündernd, Wald und Hain verwüſtend, in ſüdöſtlicher Richtung vor, über Gebirge und Flüſſe hinwegſetzend, verfolgt von einem ganzen Heere von Feinden, ohne daß eine weſentliche Ab - nahme der Schar bemerkbar würde. Füchſe, Jltiſſe, Falken und Eulen wetteifern mit den Menſchen, das wandernde Heer anzugreifen. Längs der Ufer der größeren Flüſſe ſammeln ſich die Knaben und erſchlagen die Thiere, wenn ſie vom jenſeitigen Ufer herübergeſchwommen kommen, hun - dertweiſe. Jeder Bauer ermordet ſo viele von ihnen, als er kann, und dennoch lichten ſich ihre Reihen nicht. Beim Anfang ihrer Wanderung ſind alle fett und glänzend, je weiter ſie aber ziehen, umſomehr kommt das allgemeine Elend, welches ſolche Nager höher betrifft, über ſie; ſie erkranken, magern ab und fallen hundertweiſe der Seuche zum Opfer. Die Natur ſelbſt übernimmt die beſte Verminderung der Thiere, der Menſch würde ihnen gegenüber auch geradezu ohnmächtig ſein.

Das ſchwarze Eichhorn (Sciurus niger).

Unſere Abbildung zeigt uns das ſchwarze Hörnchen, ein ziemlich anſehnliches Thier von drei - zehn Zoll Körperlänge mit ebenſo langem Schwanze. Der weiche und geſchätzte Pelz iſt im Sommer glänzend ſchwarz; blos an der Unterſeite finden ſich einzelne weiße Haare. Der erſte obere Backzahn fällt regelmäßig aus, ſo daß das Thier im Alter deren blos vier beſitzt. Der buſchige Schwanz iſt ſo lang behaart, daß das Thier mit ihm ein fünf Zoll breites Steuer bilden kann.

Es iſt merkwürdig, daß dieſes Thier vor dem grauen nordiſchen Hörnchen Amerikas flieht oder von dieſem förmlich ausgetrieben wird; wenigſtens bildet es immer den Vortrab jener ungeheuren Heere, und erſt wenn die allgemeine Ermattung eintritt, vermiſcht es ſich mit dieſen. Jn ſeiner eigentlichen Heimat ſoll es, ſolange es die Nahrungsſorge nicht zur Wanderung treibt, ein außer - ordentlich thätiges und lebendiges Thier ſein, welches mit ſeines Gleichen luſtig in den Kronen der Bäume ſpielt und häufig zahlreich zu den Flüſſen herabkommt, um ſich dort zu erfriſchen. Dabei hat man beobachtet, daß es gewöhnlich einen Zweig wählt, welcher bis dicht ans Waſſer reicht. Dort hängt es ſich auf, biegt ſich herab bis zum Spiegel, trinkt in einem langen Zuge und wäſcht ſich, wenn es ſeinen Durſt gelöſcht hat, ſorgſam ſein Geſicht mit den Vorderfüßen, dabei gelegentlich noch die eine oder die andere Pfote ins Waſſer tauchend, um ſeinen Zweck beſſer zu erreichen.

Jn Jndien oder Südaſien überhaupt gibt es ſehr große und ſehr kleine Hörnchen. Aus erſteren hat man eine beſondere Sippe gebildet, obgleich dieſe nur geringe Unterſchiede von der vorigen zeigt. 76Die eigentlichen Hörnchen.Das große Kletter - oder Königseichhorn (Funambulus maximus) mag uns mit den Rieſen der ganzen Familie bekannt machen. Es iſt ein Bewohner des Feſtlandes von Oſtindien; beſonders häufig kommt es an der Küſte Malabars und auf der Halbinſel Malacca vor; doch hat man es auch auf Ceylon und Java gefunden. Die Cardamomenberge, ein Theil des Rhatgebirges, ſcheinen es vorzugsweiſe zu beherbergen. Es iſt ein echtes Baumthier und, wie das unſrige, bei Tage thätig. Seine Nahrung beſteht in allerlei Baumfrüchten, und ſeine Stärke erlaubt ihm auch, die Kokospflanzungen zu plündern. Man verſichert ſogar, daß es die Milch der Kokosnüſſe aller übrigen Nahrung vorziehe. Mit der größten Fertigkeit ſoll es die ſtarke Schale durchnagen, und zwar ohne die Nuß ſelbſt abzureißen. Dann trinkt es die aus dem kleinen, von ihm gearbeiteten Loche aus - tretende Milch und läßt die Nuß zum größten Aerger der Leute ruhig hängen! Die Gefangenſchaft erträgt es leicht und bei gehöriger Pflege ſelbſt bei uns. Es wird bald leidlich zahm und gewöhnt ſich an den Menſchen; doch hat man ſich immer mit ihm in Acht zu nehmen, weil es bei gelegener Zeit von ſeinem furchtbaren Gebiſſe Gebrauch macht. Ein ſchönes Männchen, welches der ham -

Das Königseichhorn (Funambulus maximus).

burger Thiergarten beſaß, lebte leider nur kurze Zeit; wahrſcheinlich war die Kälte des Sommers 1863 die Urſache zu ſeinem Tode. Es zeigte alle Sitten und Gewohnheiten unſeres Eichhorns, richtete auch zuweilen ſeinen Schwanz auf, während ich Dies von einem anderen indiſchen Eichhorn, dem Jeralang (Funambulus bicolor), niemals geſehen habe. Wie alle größeren Arten der Familie ſchien es verhältnißmäßig gutmüthig zu ſein, und während ſeiner länger währenden Krankheit be - freundete es ſich förmlich mit ſeinem Pfleger. Auch mit anderen Eichhörnchen vertrug es ſich recht gut.

Jn der Färbung ändert das Königseichhorn ſo vielfach ab, daß noch großer Streit unter den Naturforſchern herrſcht, ob die Farbenverſchiedenheiten, welche man findet, als ſelbſtändige Arten angeſehen werden ſollen oder blos als Abarten des Königseichhorns zu betrachten ſind. Der Leib des erwachſenen Thieres wird gegen anderthalb Fuß lang, der Schwanz ohne Haare ſechszehn Zoll, und mit den Haaren noch anderthalb Zoll mehr; die Höhe am Widerriſt beträgt fünf Zoll. Es hat alſo beinahe die Größe unſerer Hauskatze. Sein Leib iſt ebenſo zierlich gebaut, wie der unſeres77Das Königseichhorn und das Zwergeichhörnchen.Hörnchens. Aber es iſt nicht nur die größte, ſondern auch eine der ſchönſten Arten der ganzen Familie. Die Behaarung des Körpers iſt lang, reichlich, anliegend und weich. Der Schwanz iſt gleichmäßig dicht und buſchig behaart, die ziemlich kurzen, oben abgerundeten Ohren ziert ein Büſchel langer Haare. Unter den Farbenabänderungen iſt die gewöhnlichſte und ſchönſte die, bei der die ganze Oberſeite, mit Ausnahme der Pfoten, von tief glänzendfchwarzer Farbe iſt, die Mitte des Rückens aber und die Leibesſeiten nach und nach in das Roſtrothe oder Dunkelkirſchrothe über - gehen. Der obere Theil des Kopfes und Halſes, die Ohrenbüſchel und der Streifen vom Ohr aus zu beiden Seiten des Halſes herab ſind ebenſo lebhaft roth gefärbt, die Unterſeite dagegen und die Außenſeite der Füße ſammt dem Naſenrücken iſt fahl ockergelb; eine noch heller gefärbte gelbe Binde zieht ſich wohl auch quer zwiſchen den Ohren weg. Bei der anderen Abart, welche von vielen Naturforſchern für eine beſondere Art gehalten wird, iſt die ganze Oberſeite des Körpers lebhaft kaſtanienbraun, die Unterſeite dagegen röthlichweiß, und dieſe beiden Farben ſind ziemlich ſcharf von einander abgegrenzt.

Dieſem Rieſen gegenüber verdient das Zwergeichhörnchen (Sciurus exilis) noch kurzer Erwähnung. Seine Leibeslänge beträgt nämlich blos zwei und einen halben Zoll und die des Schwan -

Das Zwergeichhörnchen (Sciurus exilis).

zes zwei und einen viertel Zoll: unſere Hausmaus übertrifft es alſo an Größe. Der Pelz iſt noch ziemlich reichlich und der Schwanz buſchig und unregelmäßig zweizeilig. Die Färbung iſt oben bräunlich, unten weißgrau, am Schwanze ſchwarz. Das Thierchen lebt ganz in der Nähe ſeiner rieſigen Verwandten, in bergigen Gegenden Borneo’s und Sumatra’s, wo auch noch ähnliche Zwerge derſelben Familie vorkommen.

Nun gibt es noch Arten, bei denen die einzelnen Haare farbig geringelt ſind, andere, bei denen ſich Längsſtreifen an den Leibesſeiten hinabziehen, und noch andere mehr oder weniger aus - gezeichnete; doch ähneln ſich alle in ihrer Lebensweiſe.

Eine erwähnenswerthe Gruppe umfaßt die Erd - oder Backenhörnchen (Tamias). Sie ſind, wie ihr Name ſagt, mehr auf den Boden gebannt und klettern blos hin und wieder oder gar nicht auf ſchiefſtehende Bäume. Der Beſitz von Backentaſchen und die mehr oder weniger unterirdiſche Lebensweiſe ſtellen ſie als Mittelglieder zwiſchen Hörnchen und Zieſeln hin; doch ähneln ſie noch mehr78Die Erd - oder Backenhörnchen.den echten Hörnchen, als letzteren. Der dünn behaarte Schwanz iſt etwas kürzer, als der Körper, die Füße ſind fünfzehig, der Pelz iſt kurz und nicht ſehr weich, auf dem Rücken gewöhnlich durch ſcharfe Längsſtreifen ausgezeichnet. Man kennt nur wenige Arten, welche Oſteuropa, Sibirien und Nordamerika bewohnen.

Unter ihnen iſt der Burunduk oder das geſtreifte ſibiriſche Backenhörnchen (Tamias striata) unzweifelhaft eins der merkwürdigſten, ſchon aus dem Grunde, weil es in Amerika einen ihm ſo täuſchend ähnlichen Vertreter hat, daß beider Arttrennung heute noch in Frage ſteht. Unſere Abbildung zeigt uns letztgenannte Art (Tamias Lysteri); ſie kann aber, unbeſchadet ihrer Richtig - keit, auch zur bildlichen Erläuterung der erſteren dienen. Der Burunduk iſt kleiner, als das ge - meine Eichhorn, ohne den faſt vier Zoll langen Schwanz blos fünf und einen halben Zoll lang, und am Widerriſt nicht über zwei Zoll hoch. Er iſt etwas plumper und kräftiger gebaut, als unſer Hörnchen; ähnelt dieſem hinſichtlich des Gebiſſes faſt vollſtändig. Der Kopf iſt länglich, mit wenig vorſtehender, rundlicher und feinbehaarter Naſe, großen, ſchwarzen Augen und kurzen, kleinen Ohren; die Gliedmaßen ſind ziemlich ſtark, und die Daumenwarze der Vorderfüße mit einem kleinen Hornplättchen an der Stelle des Nagels bedeckt; die Sohlen ſind nackt; der Schwanz iſt

Das amerikaniſche Erdeichhorn (Tamias Lysteri).

lang, auf der Haut geringelt und ringsum ſchwach buſchig behaart. Der Pelz iſt kurz und rauh, aber dicht anliegend, die Schnurren ſind fein, kürzer, als der Kopf, und in fünf Reihen an der Oberlippe vertheilt. Einige Borſtenhaare befinden ſich an den Wangen und über den Augen. Die Färbung iſt am Kopf, Hals und den Leibesſeiten gelblich untermiſcht mit langen, weißſpitzigen Haaren, an den Seiten des Kopfes abwechſelnd mit helleren, graulichgelben und dunklerbraunen Streifen gezeichnet. Ueber den Rücken verlaufen der Länge nach in ungleichen Zwiſchenräumen fünf ſchwarze Binden, deren mittelſte die Rückgratslinie bezeichnet; die nächſten beiden ziehen ſich von den Schultern zu den Hinterſchenkeln und ſchließen ein blaßgelbes oder auch weißgelbliches Band zwiſchen ſich ein. An der ganzen Unterſeite iſt der Burunduk graulichweiß gefärbt, der Schwanz iſt oben ſchwärzlich, unten gelblich, die Schnurren ſind ſchwarz, die Krallen braun.

Ein großer Theil des nördlichen Aſien und ein kleines Stück Oſteuropa’s ſind die Heimat unſeres Thierchens. Der Wohnkreis wird etwa von den Flüſſen Dwina und Kana und öſtlich von dem ochotzkiſchen Meerbuſen und dem Golf von Anadyr begrenzt. Das Erdeichhorn lebt blos in Wäldern, und zwar ebenſowohl im Schwarzwald, als in Birkengehölzen, am häufigſten in Zirbel - kieferbeſtänden. Unter den Wurzeln dieſer Bäume legt es ſich eine ziemlich kunſtloſe, einfache Höhle an, welche mit zwei bis drei ſeitwärts liegenden Vorrathskammern in Verbindung ſteht und durch79Das amerikaniſche Erdeichhorn.einen langen, winkeligen Gang nach außen mündet. Selten ſind dieſe Baue tief, weil die Feuchtig - keit des Bodens Dies nicht geſtattet. Sie dienen dem Thiere ebenſowohl zur Wohnung, als zu Speichern für die Vorräthe, welche es für den Winter einträgt. Seine Nahrung beſteht aus Pflan - zenſamen und Beeren; vorzugsweiſe aber aus den Nüſſen der Zirbelkiefer, von denen es für manchen Winter zehn bis funfzehn Pfund in ſeinen Backentaſchen nach Hauſe ſchleppt und in den Vorraths - kammern aufbewahrt.

Der Burunduk iſt ein echtes Tagthier, nachts ſchläft er in ſeiner Höhle. Er iſt raſch und behend auf dem Boden und klettert noch ganz leidlich, meiſtens aber nur an niederen Bäumen hin - auf, am liebſten an ſchiefſtehenden. Von den Amerikanern wird die Lebendigkeit und Raſchheit der Hacki, wie das geſtreifte Hörnchen von ihnen genannt wird, ſogar mit dem Zaunkönig verglichen; denn wie dieſer ſoll es durch die Zweige huſchen oder zwiſchen den dicht verwachſenen Büſchen dahin - rennen, unter beſtändigem Ausſtoßen ſeiner ſeltſamen, angenehmen, etwas gluckſenden Stimme. Jm Herbſt, wo das gefallene Laub die Eingänge verdeckt, iſt es ein wahres Vergnügen, dieſe Thiere ihren Höhlen zuzutreiben, ſie huſchen dann ängſtlich umher, um ſich zu bergen, und entwickeln dabei all ihre Gewandtheit im reichſten Maße.

Gegen den Spätſommer hin trägt der Hacki eifrig Vorräthe ein für den Winter. Man ſieht ihn mit vollgepfropften Backentaſchen höchſt eilig dahinlaufen und glaubt die Befriedigung, welche der Reichthum gewährt, ihm geradezu an den Augen abſehen zu können. Nach den verſchiedenen Monaten ſchleppt das Thier ſich ſeine manchfaltigen Vorräthe zuſammen, am meiſten Buchweizen, Haſelnüſſe, Ahornkörner und Mais. Wenn es der Winter in ſeinem Baue feſtbannt, dienen ihm die ſorgſam aufgeſpeicherten Vorräthe zur Nahrung. Es hält einen Winterſchlaf, doch blos einen ſehr unterbrochenen, und ſcheint den ganzen Winter hindurch der Nahrung bedürftig zu ſein. Au - dubon, welcher im Januar einen der Baue ausgrub, fand in der Tiefe von vier bis fünf Fuß ein großes Neſt aus Blättern und Gras, in welchem drei Erdeichhörnchen verborgen lagen; andere ſchienen ſich in die Seitengänge geflüchtet zu haben, als ihnen die Gräber nahegekommen waren. Die Thiere waren zwar ſchlaftrunken und nicht gerade ſehr lebendig, ſchliefen aber keineswegs nach Art unſerer Winterſchläfer, ſondern biſſen ganz tüchtig um ſich, als die Naturforſcher ſie ergriffen. Vor dem November bezieht das Eichhorn ſeinen unterirdiſchen Bau gar nicht, und die erſten warmen Tage des Frühlings locken es bereits wieder hervor. Die Jungen werden im Mai geboren; ein zweites Gehecke findet man gewöhnlich im Auguſt. Der Paarung gehen ſehr heftige Kämpfe unter den betreffenden Männchen voraus, und man verſichert, daß es ſchwerlich ein raufluſtigeres Thierchen geben könne, als dieſes kleine, behende Hörnchen.

Jn Sibirien bringt der Burunduk gar keinen Schaden, wohl aber in Nordamerika der Hacki. Er geht hier nämlich nach Mäuſeart in die Scheunen, und wenn er, was häufig geſchieht, in großer Menge auftritt, richtet er da arge Verwüſtungen an. Dem Menſchen nützt das Thier, wie bei uns zu Lande der Hamſter, durch das Füllen ſeiner Speicher, welche man ausbeutet. Die Si - birier verwerthen auch die Bälge und ſenden ſie nach China, wo man die Felle hauptſächlich zu Ver - brämungen wärmerer Pelze benutzt und tauſend Stück gern mit acht bis zehn Rubeln bezahlt. Jn Nordamerika verwendet man den Hacki ſelbſt gar nicht; gleichwohl wird er dort eifriger verfolgt, als ſein Bruder in Sibirien. Ein ganzes Heer von Feinden ſtellt ihm nach. Die Buben üben ſich an dem Chipmuck , wie ſie den Hacki nennen, in dem edlen Waidwerk und verfolgen ihn mit weit größerem Eifer, als die Knaben der Jakuten den Burunduk, welchem dieſe während der Ranzzeit hinter Bäumen auflauern und ihn herbeilocken, indem ſie vermittelſt eines Pfeifchens aus Birkenrinde den Lockton des Weibchens nachahmen. Das Thier hat aber noch viel ſchlimmere Feinde. Die Wieſel verfolgen es auf der Erde und unter ihr; die Beutelratten ſtreben ihm eifrig nach; die Hauskatzen erklären es für eine ebenſo gute Beute, als die Ratten und Mäuſe, und alle größeren Raubvögel nehmen es von der Erde weg, wo ſie nur können. Zumal ein amerikaniſcher Rauch - fußbuſſard (Archibuteo ſerrugineus) gilt als ſein eifriger Verfolger und heißt deshalb geradezu80Die Zieſelhörnchen. Eichhornfalke (Squirrel-Hawk). Auch die Klapperſchlange folgt, nach Geyer’s Beobachtungen, dem armen Schelme, und zwar mit ebenſo großer Ausdauer, als Schnelligkeit. Gewöhnlich , erzählt mein Gewährsmann, hatte das Grundeichhorn alle Schlupfwinkel ſeines Baues aufgeſucht: die Schlange folgte ihm zu allen Löchern hinein und heraus und überholte es, als es zuletzt, das Weite ſuchend, unglücklicherweiſe einen Abhang hinabrannte, ergriff es und ſchoß raſſelnd, ohne in ihrer Schnelligkeit zu ſtocken, mit ihrem Opfer in ein nahes Dickicht hinein . Der Winter iſt ebenfalls ein böſer Geſell und vermindert die während des Sommers erzeugte, bedeutende Nachkom - menſchaft der alten Hackis oft in unglaublicher Weiſe. Trotz alledem aber iſt das Thierchen, in geſegneten Jahren wenigſtens, überall außerordentlich häufig; die große Fruchtbarkeit des Weibchens erſetzt alle Verluſte bald genug.

Die hübſche Färbung, die Zierlichkeit und Lebendigkeit der Bewegungen würden das Grund - eichhörnchen ſehr für die Gefangenſchaft empfehlen, wenn es dieſelbe ertrüge. Einige Wochen lang dauert es wohl aus; dann aber kränkelt es und welkt dahin, auch wird es niemals ganz ſo zahm, wie das gemeine Eichhorn, ſondern bleibt immer furchtſam und biſſig. Dazu kommt ſeine Luſt, Alles zu zernagen. Es übt dieſes Vergnügen mit der Befähigung einer Ratte aus, läßt alſo ſo leicht Nichts ganz im Käfig oder im Zimmer. Mit anderen ſeiner Art verträgt es ſich durchaus nicht im Käfig; zumal mehrere Männchen beginnen augenblicklich Streit unter einander und zwar ſo heftig, daß eines dem anderen in der Hitze des Gefechtes ſogar den Schwanz abbeißen ſoll. Die Ernährung hat gar keine Schwierigkeiten; denn die einfachſten Körner genügen zu ſeinem Futter.

Ungleich häßlicher, als alle vorhergehenden, ſind die Zieſelhörnchen (Spermosciurus oder Xerus), welche in Afrika leben. Faſt alle Arten dieſer Gruppe ſcheinen ſich ebenſowohl in ihrer Farbe, als auch in der Lebensweiſe zu ähneln. Sie bewohnen dürre Steppenwaldungen des Jnneren, die waldloſe Ebene ſelbſt, gebirgige, hügelige Gegenden mit ſpärlichem Pflanzenwuchs und andere ähnliche Orte, graben ſich geſchickt und raſch unter dichten Büſchen, zwiſchen dem Ge - wurzel der Bäume und unter größeren Felsblöcken tiefe und künſtliche Baue und ſtreifen von dieſen aus bei Tage umher. Wie Rüppell angibt, klettern ſie auch im niederen Gebüſch herum; bei Gefahr flüchten ſie aber ſchleunigſt wieder nach ihren unterirdiſchen Schlupfwinkeln. Es ſind ſehr garſtige Nager, welche blos dann anmuthig erſcheinen, wenn man ſie aus einiger Entfernung betrachtet. Jhr Leib iſt geſtreckt, und der zweizeilig behaarte Schwanz faſt von der Länge des Körpers. Der Kopf iſt ſpitz, die Ohren ſind klein, die Beine verhältnißmäßig ſehr lang, die Füße mit ſtarken, zuſammengedrückten Krallen bewehrt. Jn doppelter Hinſicht merkwürdig iſt die Behaarung: ſie ſteht ſo ſpärlich auf dem Leibe, daß ſie die Haut kaum deckt und die ſehr ſtarren Haare ſind an der Wurzel platt, von da an der Länge nach gefurcht und breit zugeſpitzt. Der ganze Pelz ſieht aus, als wären blos einzelne Haare auf den Balg geklebt. Außerdem beſitzen wenigſtens die Männchen noch andere Eigenthümlichkeiten, welche ſie verhäßlichen, in einem volksthümlichen Buche aber nicht wohl beſchrieben werden können.

Der Schilu der Abiſſinier (Xerus rutilus) wird im ganzen über Fuß lang, wovon etwa Zoll auf den Schwanz kommen. Die Färbung iſt oben röthlichgelb, an den Seiten und unten licht, faſt weißlich. Der zweizeilig behaarte Schwanz iſt ſeitlich und am Ende weiß, in der Mitte roth, hier und da weiß gefleckt, weil viele ſeiner Haare in weiße Spitzen enden. Daſſelbe iſt auch bei den Rückenhaaren der Fall. Jn den Steppenländern kommt eine andere Art, die Sabera der Araber (Xerus leucoumbrinus), und zwar ſehr häufig vor, während der Schilu immer nur einzeln auftritt.

Beide Thiere ähneln ſich in ihrem Leben vollſtändig. Man ſieht ſie bei Tage einzeln oder paar - weiſe umherſtreichen, auch in unmittelbarer Nähe der Dörfer, und wenn man ſie aufſcheucht, nach81Der Schilu.einem ihrer Baue flüchten. Wo die Gegend nicht felſig iſt, graben ſie ſich unter ſtarken Bäumen Röhren von großer Ausdehnung, wenigſtens muß man Dies aus den hohen Haufen ſchließen, welche vor ihren Fluchtröhren aufgeworfen werden. Die Baue näher zu unterſuchen, hat ſeine große Schwierigkeit, weil ſie regelmäßig zwiſchen dem Wurzelwerk der Bäume verlaufen. Jſt die Woh - nung unter Felsblöcken angelegt, ſo iſt es nicht beſſer; denn das Zieſelhörnchen hat ſich ſicher den unzugänglichſten Platz ausgeſucht.

Jm Dorfe Menſa hatte ſich ein Pärchen des Schilu die Kirche und den Friedhof zu ſeinen Wohnſitzen erkoren, und trieb ſich luſtig und furchtlos vor Aller Augen umher. Die hohen Kegel, welche man über den Gräbern aufthürmt und mit blendendweißen Quarzſtücken belegt, mochten ihm paſſende Zufluchtsorte bieten; denn das eine oder das andere Mitglied des Pärchens verſchwand hier oft vor unſeren Augen. Allerliebſt ſah es aus, wenn eins der Thiere ſich auf die Spitze eines jener Grabhügel ſetzte: es nahm dann ganz die bezeichnende Stellung unſeres Eichhörnchens an. Jch habe den Schilu wie die Sabera nur auf dem Boden bemerkt, niemals auf Bäumen oder Sträuchern. Hier ſind ſie ebenſo gewandt, als unſer Eichhörnchen in ſeinem Wohngebiet. Der Gang iſt leicht

Der Schilu (Xerus rutilus).

und wegen der hohen Läuſe ziemlich ſchnell, doch gehen beide mehr ſchrittweiſe, als die wahren Eich - hörnchen. Jn ihrem Weſen zeigen ſie viel Leben und Raſtloſigkeit. Jede Ritze, jedes Loch wird geprüft, unterſucht und womöglich durchkrochen. Die hellen Augen ſind ohne Unterlaß in Be - wegung, um irgend etwas Genießbares auszuſpähen. Knospen und Blätter ſcheinen die Haupt - nahrung zu bilden; aber auch kleine Vögel, Eier und Kerbthiere werden nicht verſchmäht. Selbſt unter den Nagern dürfte es wenig biſſigere Thiere geben, als die Zieſelhörnchen es ſind. Streitluſtig ſieht man ſie umherſchauen, angegriffen, muthvoll ſich vertheidigen. Abgeſchloſſene oder gefangene beißen fürchterlich. Sie werden auch niemals zahm, ſondern bezeigen beſtändig eine namenloſe Wuth und beißen grimmig nach Jedem, der ſich ihnen nähert. Guter Behandlung ſcheinen ſie vollkommen unzugänglich zu ſein: kurz, ihr geiſtiges Weſen ſteht entſchieden auf niederer Stufe.

Ueber die Fortpflanzung habe ich nichts Genaueres erfahren können. Jch ſah nur ein Mal eine Familie von vier Stück und vermuthe deshalb, daß die Zieſelhörnchen blos zwei Junge werfen. Hiermit ſteht auch die gleiche Zitzenzahl des Weibchens vollſtändig im Einklang.

Brehm, Thierleben. II. 682Die Murmelthiere.

Jhr Hauptfeind iſt der Schopfadler (Spizaëtos occipitalis), ein ebenſo kühner, als ge - fährlicher Räuber jener Gegenden; dagegen ſcheinen ſie mit dem Singhabicht (Melierax poly - zonus) im beſten Einverſtän dniß zu leben, wenigſtens ſieht man ſie unter Bäumen, auf welchen dieſer Raubvogel ſitzt, ſich unbeſorgt umhertreiben. Unter den Säugethieren ſtellen die großen Wildhunde dem ſchmackhaften Nager eifrig nach. Die Mahammedaner und chriſtlichen Bewohner Jnnerafrikas laſſen die Zieſelhörnchen unbehelligt, weil ſie dieſelben für unrein in Glaubensſachen erkennen; die freien Neger aber ſollen das höchſt wahrſcheinlich gar nicht unſchmackhafte Fleiſch genießen.

Die Murmelthiere (Arctomys), welche nach unſerer Eintheilung eine Familie bilden, unterſcheiden ſich von den Hörnchen hauptſächlich durch den plumpen, gedrungenen Leibesbau, den kurzen Schwanz und einige, obwohl ganz unbedeutende, Verſchiedenheiten des Gebiſſes, dagegen aber ganz weſentlich durch eine durchaus andere Lebensweiſe. Jn dieſer ähneln ihnen die Erdeich - hörnchen noch am meiſten; die übrigen Mitglieder der Eichhörnchenfamilie haben ſonſt kaum Et - was mit ihnen gemein.

Man findet die Murmelthiere in Mitteleuropa, Nordaſien und Nordamerika in einer ziemlichen Artenmenge verbreitet. Die meiſten von ihnen bewohnen das Flachland, einige dagegen gerade die höchſten Gebirge ihrer bezüglichen Heimatsländer. Trockene, lehmige, ſandige oder ſteinige Gegen - den, grasreiche Ebenen und Steppen, ſogar Felder und Gärten bilden die hauptſächlichſten Aufent - haltsorte, und nur die Gebirgsmurmelthiere ziehen die Triften und Weiden über die Grenze des Holzwuchſes, oder die einzelnen Schluchten und Felsthäler zwiſchen der Schneegrenze und dem Holz - wuchſe jenen Ebenen vor. Alle Arten haben durchaus feſte Wohnſitze und wandern nicht. Sie legen ſich tiefe, unterirdiſche Baue an und leben hier immer in Geſellſchaft, oft in erſtaunlich großer Anzahl bei einander. Manche haben mehr als einen Bau, je nach der Jahreszeit oder den jeweiligen Geſchäften, welche ſie verrichten. Die anderen halten ſich jahraus jahrein in derſelben Höhlung auf, gar nicht ſelten ſogar familienweiſe. Sie ſind echte Tagthiere, lebhaft und ſchnell in ihren Bewegungen, jedoch weit langſamer, als die Hörnchen; einige Arten ſind geradezu ſchwerfällig. Jm Klettern und Schwimmen ſind ſie ſämmtlich mehr oder weniger ungeſchickt. Gras, Kräuter, zarte Triebe, junge Pflanzen, Sämereien, Feldfrüchte, Beeren, Wurzeln, Knollen und Zwiebeln bilden ihre Nahrung, und nur die wenigen, welche ſich mühſam auf Bäume und Sträucher hinauf - haspeln, freſſen auch junge Baumblätter und Knospen. Wahrſcheinlich nehmen alle neben der Pflanzennahrung thieriſche zu ſich, wenn ihnen dieſelbe in den Wurf kommt. Sie fangen Kerbthiere, kleine Säugethiere, tölpiſche Vögel und plündern deren Neſter aus. Manche werden den Getreide - feldern und Gärten ſchädlich; doch iſt der Nachtheil, welchen ſie den Menſchen zufügen, im Allge - meinen von keinem Belang. Beim Freſſen ſitzen ſie, wie die Hörnchen, auf dem Hintertheile und bringen das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Mit der Fruchtreife beginnen ſie, Schätze einzuſammeln, und füllen ſich, je nach der Oertlichkeit, beſondere Räumlichkeiten ihrer Baue mit Gräſern, Blättern, Sämereien und Körnern an.

Jhre Stimme beſteht in einem ſtärkeren oder ſchwächeren Pfeifen und einer Art von Murren, welches, wenn es leiſe iſt, Behaglichkeit ausdrückt, ſonſt aber auch ihren Zorn bekundet. Unter ihren Sinnen ſind Gefühl und Geſicht am meiſten ausgebildet; namentlich zeigen auch ſie ein ſehr feines Vorgefühl der kommenden Witterung und treffen danach ihre Vorkehrungen. Die höheren geiſtigen Fähigkeiten übertreffen durchſchnittlich die der Hörnchen. Alle Murmelthiere ſind höchſt aufmerkſam, vorſichtig und wachſam und dabei ſcheu und furchtſam. Manche ſtellen beſondere Wachen aus, um die Sicherheit der Geſellſchaft zu erhöhen, und flüchten ſich beim geringſten Verdachte einer nahenden Gefahr ſchleunigſt nach ihren unterirdiſchen Verſtecken. Nur höchſt wenige wagen es, einem heran -83Der gemeine Zieſel.kommenden Feinde Trotz zu bieten, die große Mehrzahl ſetzt ſich, ungeachtet ihres tüchtigen Gebiſſes, niemals zur Wehre, und deshalb ſagt man von ihnen, daß ſie gutmüthig und ſanft, friedlich und harmlos ſeien. Jhr Verſtand bekundet ſich darin, daß ſie ſich ſehr leicht und bis zu einem ziemlich hohen Grade zähmen laſſen. Die meiſten lernen ihren Pfleger kennen und werden ſehr zutraulich, einige zeigen ſich ſogar folgſam, gelehrig und erlernen mancherlei Kunſtſtückchen.

Gegen den Winter hin vergraben ſich alle tief in ihren Bau und verfallen hier in einen un - unterbrochenen, ſo tiefen Winterſchlaf, daß ihre Lebensthätigkeit auf das allergeringſte Maß herab - geſtimmt iſt.

Jhre Vermehrung iſt ſtark. Sie werfen allerdings durchſchnittlich nur ein Mal im Jahre, aber drei bis zehn Junge, und dieſe ſind ſchon im nächſten Frühjahre fortpflanzungsfähig.

Man benutzt von einigen das Fell und ißt von den anderen das Fleiſch, hält ſie auch gern als artige Hausgenoſſen: das echte Murmelthier bildet ja ſogar den einzigen Reichthum mancher armen Gebirgsknaben, welche mit ihm, ihrem Schatze, durch die weite Welt wandern, um ſich und die Jhrigen daheim ernähren zu können.

Der gemeine Zieſel (Spermophilus Citillus).

Die Familie zerfällt in zwei Gruppen, in die Zieſel und die eigentlichen Murmelthiere. Erſtere (Spermophilus) bilden gleichſam ein Mittelglied zwiſchen den Grundeichhörnchen und den Murmelthieren. Jhr Schwanz iſt kurz, etwa dem vierten Theil der Körperlänge gleich; er iſt blos in der Endhälfte buſchig und zweizeilig behaart; der Rumpf iſt ziemlich ſchlank und kurzhaarig; an den Vorderfüßen finden ſich vier Zehen mit kurzer Daumenwarze, an den Hinterfüßen deren fünf; die Backentaſchen ſind ziemlich groß; der Augenſtern iſt länglich.

Man kennt zahlreiche Arten dieſer Sippe, welche ſämmtlich der nördlichen Erdhälfte angehören. Hier wohnen ſie auf offenen und buſchigen Ebenen, einige geſellig, andere einzeln in ſelbſtgegra - benen Höhlen und nähren ſich von verſchiedenen Körnern, Beeren, zarten Kräutern und Wurzeln, verſchmähen auch Mäuſe und kleine Vögel nicht.

Jn Mitteleuropa iſt blos eine Art bekannt, der (oder das) gemeine Zieſel (Spermophilus Citillus), ein äußerſt liebliches Thierchen, faſt von Hamſtergröße, aber mit viel ſchlankerem Leib und hübſcherem Köpfchen, acht bis neun Zoll lang und mit faſt drei Zoll langem Schwanze, der aber durch das Haar noch länger erſcheint, am Widerriſt etwa drei und einen halben Zoll hoch und unge - fähr ein Pfund ſchwer. Das Weibchen iſt in allen Theilen kleiner, ſchwächer und leichter. Der Pelz iſt oben gelbgrau, unregelmäßig mit Roſtgelb, gewollt und fein gefleckt, auf der Unterſeite6 *84Die Murmelthiere.roſtgelb, am Kinn und Vorderhals weiß. Stirn und Scheitel ſind röthlichgelb und braun gemiſcht, die Augenkreiſe licht, die Füße roſtgelb, gegen die Zehen hin heller. Das Wollhaar der Oberſeite iſt ſchwarzgrau, das der Unterſeite heller bräunlichgrau, das des Vorderhalſes einfarbig weiß, die Grannenhaare des Rückens ſind in der Mitte braun geringelt. Die Naſenkuppe iſt ſchwärzlich, die Krallen und die Schnurren ſind ſchwarz, die oberen Vorderzähne gelblich, die unteren weißlich, der Augenſtern iſt ſchwarzbraun. Neugeborene Junge ſind lichter, und die bereits herumlaufenden auf dunklerem Grunde ſchärfer und gröber gefleckt, als die Alten. Mancherlei Abänderungen der Fär - bung kommen vor; am hübſcheſten iſt die Spielart, bei welcher die braunen Wellen des Rückens durch eine große Anzahl kleiner rundlicher Flecken von weißlicher Farbe unterbrochen werden. Wie die meiſten anderen Höhlenthiere hat das Zieſel ſehr kurze Ohren. Sie ſehen faſt wie abgeſchnitten aus, ſind unter dem Pelze verſteckt und beſtehen blos in einem dickbehaarten Hautrande, der flach am Kopfe anliegt. Die Wangenhaut iſt hängend und ſchlaff, die Oberlippe tief geſpalten. Ueber jedem Auge ſtehen vier kurze Borſtenhaare.

Der gemeine Zieſel findet ſich hauptſächlich im Oſten Europas und in einem Theile Aſiens. Albertus Magnus kennt ihn aus der Gegend von Regensburg, und Dies würde der Meinung vieler Gelehrten, welche ſeine urſprüngliche Heimat in Aſien ſuchen, widerſprechen; doch berichtet neuerdings Martin, daß der Zieſel ſich in Schleſien immer weiter in weſtlicher Richtung verbreite. Vor etwa dreißig Jahren kannte man ihn dort gar nicht, ſeit zwanzig Jahren aber iſt er ſchon im weſtlichen Theile der Provinz, und zwar im Regierungsbezirk Liegnitz, eingewandert und ſtreift von da aus immer weiter weſtlich. Wie es ſcheint, hat er von allen verwandten Arten die größte Ver - breitung. Man kennt ihn mit Sicherheit aus dem ganzen ſüdlichen und gemäßigten Rußland, Ga - lizien, Schleſien und Ungarn, Steiermark, Mähren und Böhmen, Kärnthen, Krain, dem mitt - leren Sibirien und der oberhalb des ſchwarzen Meeres gelegenen ruſſiſchen Provinzen. Daß er in Rußland häufiger iſt, als bei uns, geht aus ſeinem Namen hervor; dieſer iſt eigentlich ruſſiſchen Urſprungs und lautet Suslik . Hieraus entſtand im Polniſchen Suſel , und im Böhmiſchen Siſel , und daraus endlich machten wir Zieſel. Die Alten nannten das Thierchen pontiſche Maus oder Simor . An den meiſten Orten, wo ſich der Zieſel findet, kommt er auch häufig vor und fügt unter Umſtänden dem Ackerbau ziemlichen Schaden zu. Sein Aufenthalt ſind trockene, baum - leere Gegenden, und er liebt vor allem einen bindenden Sand - oder Lehmboden, alſo hauptſächlich Acker - felder und weite Grasflächen. Wälder und Sumpfgegenden meidet er ſorgfältig. Er lebt geſellig, aber jeder einzelne gräbt ſich ſeinen eigenen Bau in die Erde, das Männchen einen flacheren, das Weib - chen einen tieferen. Der Keſſel liegt vier bis ſechs Fuß unter der Oberfläche des Bodens, iſt von länglichrunder Geſtalt, hat ungefähr einen Fuß Durchmeſſer und wird mit trockenem Graſe ausgefüttert. Nach oben führt immer nur ein einziger, ziemlich enger und in mancherlei Krümmungen oft ſehr flach unter der Erdoberfläche hinlaufender Gang. Vor ſeiner Mündung liegt ein kleiner Haufen ausge - worfener Erde. Der Gang wird nur ein Jahr lang benutzt; denn ſobald es im Herbſt anfängt, kalt zu werden, verſtopft der Zieſel die Zugangsöffnung, gräbt ſich aber vom Lagerplatz aus eine neue Röhre bis dicht unter die Oberfläche, welche dann im Frühjahre, ſobald der Winterſchlaf vorüber, geöffnet und für das laufende Jahr als Zugang benutzt wird. Die Zahl der verſchiedenen Gänge gibt alſo genau das Alter der Wohnung an, nicht aber auch das Alter des in ihr wohnenden Thieres, weil nicht ſelten ein anderer Zieſel eine noch gute Wohnung eines ſeiner Vorfahren benutzt, falls dieſer durch irgend einen Zufall zu Grunde ging. Nebenhöhlen finden ſich auch im Baue; ſie dienen zur Aufſpeicherung der Wintervorräthe, welche im Herbſt eingetragen werden. Der Bau, in welchem das Weibchen im Frühjahre, gewöhnlich im April oder Mai, ſeine drei bis acht nackten und blinden, anfangs ziemlich unförmlichen Jungen wirft, iſt immer tiefer, als alle übrigen, um den zärtlich geliebten Kleinen hinlänglichen Schutz zu gewähren.

Alle Beobachter nennen den Zieſel ein niedliches, ſchmuckes Geſchöpf, und ſprechen mit einer gewiſſen Liebe von ihm, trotz des Schadens, welcher durch ihn verurſacht wird, während bekanntlich85Der gemeine Zieſel.der Hamſter, der ihm doch ganz ähnlich lebt, kaum einen Freund hat. Bei ſtürmiſchem Wetter oder während der Nacht ſchläft der Zieſel in ſeiner Höhle; an warmen Tagen aber verläßt er dieſe ſchon bei Sonnenaufgang, ſtreift den ganzen Tag umher, macht aber dabei von Zeit zu Zeit ein Männchen und ſpäht aufmerkſam nach allen Seiten hin, um ſich zu ſichern. Seine Bewegungen ſind viel langſamer, als die des Hörnchens, der Lauf iſt hüpfend und nicht eben raſch; aber dafür verſteht es das Thier, durch jede Oeffnung durchzuſchlüpfen, durch welche es ſeinen Kopf zwängen kann. Häufig ſpielt er mit ſeinen Gefährten vor den Mündungen der unterirdiſchen Gänge, und dann hört man oft den pfeifenden Laut, welcher bei den Männchen ſcharf, bei den Weibchen aber ſchwächer und faſt kläglich klingt. Die Männchen ſind übrigens viel ruhiger, als die Weibchen, und rufen blos dann, wenn ſie gereizt oder erſchreckt werden, während die Weibchen ſehr oft ihre Stimme erſchallen laſſen. Hiermit ſteht auch das geiſtige Weſen beider im Einklange: die Männchen ſind ſanft, die Weibchen heftig und biſſig; doch ſtreiten ſich auch jene um die Paarungszeit, zumal alſo in den Monaten März und April, oft recht heftig in Sachen der Liebe.

Zarte Kräuter und Wurzeln, z. B. Vogelwegtritt und Klee, Getreidearten, Hülſenfrüchte und allerhand Beeren und Gemüſe, bilden die gewöhnliche Nahrung des Zieſels. Gegen den Herbſt hin ſammelt er ſich von den genannten Stoffen auch hübſche Vorräthe ein, welche er hamſterartig in den Backentaſchen nach Hauſe ſchleppt. Nebenbei wird der Zieſel übrigens auch Mäuſen und Vögeln, die auf der Erde niſten, gefährlich; denn er raubt ihnen nicht blos die Neſter aus, ſondern überfällt auch ungeſcheut die Alten, wenn ſie nicht vorſichtig ſind, gibt ihnen ein paar Biſſe, frißt ihnen das Ge - hirn aus und verzehrt ſie dann vollends bis auf den Balg. Seine Nahrung hält er ſehr zierlich zwi - ſchen den Vorderpfoten und frißt in halb aufrechter Stellung, auf dem Hintertheile ſitzend. Nach dem Freſſen putzt er ſich Schnauze und Kopf und leckt und wäſcht und kämmt ſich ſein Fell oben und unten. Waſſer trinkt er nur wenig und gewöhnlich nach der Mahlzeit.

Der Schaden, welchen der Zieſel durch ſeine Räubereien verurſacht, iſt durchaus nicht bedeutend und wird nur dann fühlbar, wenn ſich das Thier beſonders ſtark vermehrt. Das Weibchen iſt, wie alle Nager, äußerſt fruchtbar. Es wirft in den Monaten April oder Mai nach fünfundzwanzig - bis dreißigtägiger Tragzeit auf einem weichen Lager ſeines tiefſten Keſſels ein ſtarkes Gehecke. Die Jungen werden zärtlich geliebt, geſäugt, gepflegt und noch, wenn ſie bereits ziemlich groß ſind und Ausflüge machen, bewacht und behütet. Jhr Wachsthum fördert ſchnell, nach Monatsfriſt ſind die Jungen halbwüchſig, im Spätſommer kaum mehr von der Alten zu unterſcheiden, im Herbſte vollkom - men ausgewachſen und im andern Frühjahre fortpflanzungsfähig. Bis gegen den Herbſt hin wohnt die ganze Familie im Bau der Alten; dann aber gräbt ſich jedes Kind eine beſondere Höhle, trägt Winter - vorräthe ein und lebt und treibt es, wie ſeine Vorfahren. Wäre nun der luſtigen Geſellſchaft nicht ein ganzes Heer von Feinden auf dem Nacken, ſo würde ihre Vermehrung, obgleich ſie noch immer weit hinter der Fruchtbarkeit der Ratten oder Mäuſe zurückbleibt, doch recht bedeutend ſein. Aber da ſind das große und kleine Wieſel, der Jltis und Steinmarder, Falken, Krähen, Reiher, ſelbſt Katzen, Rattenpintſcher und andere der bekannten Nagervertilger: ſie ſtellen den netten Thieren ohne Unterlaß nach; und auch der Menſch wird zu ihrem Feinde, theils des Felles wegen, theils des wohlſchmeckenden Fleiſches halber, und verfolgt ſie mittelſt Schlingen und Fallen, gräbt ſie aus oder treibt ſie durch eingegoſſenes Waſſer aus der Höhle hervor u. ſ. w. So kommt es, daß der ſtarken Vermehrung des Zieſels auf hunderterlei Weiſe Einhalt gethan wird. Und der ſchlimmſte Feind iſt immer noch der Winter. Jm Spätherbſt hat das friſchfröhliche Leben der Geſellſchaft geendet; die Männchen haben ausgeſorgt für das Wohl der Geſammtheit, welche nicht nur außerordentlich wohl - beleibt und fett geworden iſt, ſondern ſich auch ihre Speicher tüchtig gefüllt hat. Jeder einzelne Zieſel zieht ſich nun nach dem Bau zurück, verſtopft ſeine Höhlen, gräbt einen neuen Gang und verfällt dann in den Winterſchlaf. Aber gar viele von den Eingeſchlafenen ſchlummern in den ewigen Schlaf hin - über, wenn naßkalte Witterung eintritt, welche die halberſtarrten Thiere auch im Baue zu treffen86Die Murmelthiere.weiß, indem die Näſſe in das Jnnere der Wohnung dringt und mit der Kälte im Verein dann raſch den Tod für die gemüthlichen Geſchöpfe herbeiführt.

Der Zieſel iſt nicht eben ſchwer zu fangen. Die alten Männchen ſind zwar achtſam und warnen ihre ganze Geſellſchaft durch einen lauten Pfiff, ſobald ſich irgend etwas Verdächtiges zeigt, und auf einen einzigen ſolchen Pfiff hin ſtürzt ſich auch ſofort das ganze, luſtig vor dem Eingang ſeiner Woh - nungen ſpielende Rudel in die Tiefe der unterirdiſchen Höhlen: aber der Spaten bringt die Verſteckten leicht an das Tageslicht, oder die tückiſch vor den Eingang geſtellte Falle kerkert ſie beim Wiederheraus - kommen ein. Da benimmt ſich nun der Zieſel höchſt liebenswürdig. Er ergibt ſich gefaßt in ſein Schickſal und befreundet ſich merkwürdig ſchnell mit ſeinem neuen Gewaltherrn. Ein einziger Tag genügt, einen Zieſel, und zwar einen alten ſogut als einen jungen, an die Geſellſchaft des Menſchen zu gewöhnen. Junge Thiere werden ſchon nach wenigen Stunden zahm, und blos die alten Weibchen zeigen manchmal die Tücken der Nager und beißen tüchtig zu. Bei guter Behandlung erträgt der Zieſel mehrere Jahre hindurch die Gefangenſchaft, und nächſt dem Eichhörnchen iſt er wohl eins der lieblichſten Stubenthiere, welches man ſich denken kann. Jeder Beſitzer muß ſeine große Freude haben an dem ſchmucken Geſchöpfe, welches ſich gar zierlich bewegt und bald ſo große Anhänglichkeit an den Wärter zeigt, wenn auch der Verſtand des kleinen Geſchöpfes nicht eben bedeutend genannt werden

Der Leopardenzieſel (Spermophilus Hoodil).

kann. Ganz beſonders empfiehlt den Zieſel aber ſeine große Reinlichkeit. Die Art und Weiſe ſeines beſtändigen Putzens, Waſchens und Kämmens gewährt dem Beobachter ungemeines Vergnügen. Mit Getreide, Obſt und Brod erhält man den Gefangenen leicht, Fleiſch verſchmäht er auch nicht, und Milch iſt ihm ein wahrer Leckerbiſſen.

Außer den Sibiriern und Zigeunern eſſen blos arme Leute das fette Fleiſch des Zieſel, und auch das Fell findet nur eine geringe Benutzung zu Unterfutter, zu Verbrämungen oder zu Geld - und Ta - baksbeuteln. Dagegen werden die Eingeweide als Heilmittel vielfach angewendet, ſelbſtverſtändlich ohne den geringſten Erfolg.

Von den vielen Arten der Sippe will ich noch eines Nordamerikaners Erwähnung thun, des Leopardenzieſels (Spermophilus Hoodii). Das ſchmucke Thier findet ſich hauptſächlich am Miſ - ſouri und St. Peterfluſſe, beſonders in den offenen Ebenen um das Fort Union am Miſſouri, von wo aus es ſich bis gegen Arkanſas verbreitet. Flache, ſandige Gegenden beherbergen ihn in großer Menge. Jn ſeiner Lebensweiſe ähnelt er dem gemeinen Zieſel; doch ſind ſeine Baue weniger aus - gedehnt und flach. Jm Anfang des Herbſtes zieht er ſich in etwas tiefere Höhlen zurück und ſchläft hier, bis ihn die Frühlingswärme wieder erweckt. Jm Mai bringt das Weibchen ſeine fünf bis zehn Junge zur Welt, und während des Sommers herrſcht nun ganz das rege Leben unſeres Zieſels in87Der Leopardenzieſel und der Prairiehund.einer Anſiedlung des Sik-Sik , wie die Amerikaner den Leopardenzieſel, ſeinem Geſchrei ent - ſprechend, zu nennen pflegen.

Die ſchöne Zeichnung des Felles macht den Leopardenzieſel ſehr bemerkenswerth. Seine kurze, dichte, ſtraffe und weiche Behaarung iſt auf der Oberſeite des Rückens dunkelroſtroth oder kaſtanien - braun, mit ſchwarzen Haaren untermengt; acht hellgelbliche Längsbinden auf dunklem Grunde laufen über den Rücken hinweg und ſchließen fünf Längsreihen viereckiger, gelblicher Flecken ein, welche gleich - falls auf dunklem Grunde ſtehen, und ſo trägt der roſtigkaſtanienbraune Rücken dreizehn helle Längs - binden, acht vollſtändige und fünf in einzelne Flecken aufgelöſte. Der Kopf iſt rothbraun und gelblich - weiß gefleckt; ein Kreis um die Augen, die Seiten der Lippen, der Unterkiefer und Vorderhals, die Jnnenſeite der Beine und die Außenſeite der Füße ſind weißlich, die Unterſeite und die vordere Hälfte des äußeren Ober - und Unterſchenkels ockergelb, während der hintere, äußere Rand der Beine roſt - roth iſt. Die einzelnen Haare ſind an der Wurzel bräunlich, in der Mitte ſchwarz und an der Spitze lichtgelblich. Das niedliche, kleine Geſchöpf iſt faſt acht Zoll lang und trägt einen etwa drei, mit den Haaren vier Zoll langen Schwanz; die Höhe am Widerriſt beträgt blos Zoll.

Der Prairiehund (Cynomys Ludovicianus) verbindet gewiſſermaßen die Zieſel mit den

Der Prairiehund (Cynomys Ludovicianus).

eigentlichen Murmelthieren, obwohl er ſtreng genommen zu den letzteren gehört. Die Murmelthiere (Arctomys) unterſcheiden ſich von den Zieſeln hauptſächlich durch ihre Plumpheit. Jhr Leib iſt dick und gedrungen, ihr Kopf groß und abgerundet, der Schwanz verhältnißmäßig ſehr kurz, buſchig und oben und an den Seiten gleichmäßig behaart; der Augenſtern iſt rund; die Backentaſchen fehlen.

Der Name Prairiehund , welcher mehr und mehr giltig geworden iſt, ſtammt von den erſten Entdeckern, den alten kanadiſchen Trappern oder Pelzjägern her, welche unſer Thierchen nach ſeiner bellenden Stimme benannten: in der äußern Geſtalt würde auch die gröbſte Vergleichung keine Aehn - lichkeit mit dem Hunde aufgefunden haben.

Das Thier hat ganz den großen Kopf und die breiten, abgeſtutzten Ohren der anderen Mur - melthiere, aber doch noch kleine Backentaſchen und die Färbung und Lebensweiſe der Zieſel. Seine Geſammtlänge beträgt etwas über einen Fuß und die des Schwanzes gegen vier Zoll. Die Färbung88Die Murmelthiere.der Oberſeite iſt lichtröthlichbraun, grau und ſchwärzlich gemiſcht, die der Unterſeite ſchmuzigweiß. Der kurze Schwanz iſt an der Spitze braun gebändert.

Die ausgedehnten Anſiedelungen des Prairiehundes, welche man ihrer Größe wegen Dörfer nennt, finden ſich regelmäßig in etwas vertieften, fruchtbaren Wieſen, auf denen das niedlichſte Gras Nordamerikas (Sesleria dactyloides) einen wunderſchönen Raſenteppich bildet und ihnen zugleich bequeme Nahrung gewährt. Zu welcher unglaublichen Ausdehnung die Anſiedelungen dieſer fried - lichen Erdbewohner herangewachſen ſind, ſagt Balduin Möllhauſen, davon kann man ſich am beſten überzeugen, wenn man ununterbrochen Tage lang zwiſchen kleinen Hügeln hinzieht, deren jeder eine Wohnung zweier oder mehrerer ſolcher Thiere bezeichnet.

Die einzelnen Wohnungen ſind gewöhnlich 15 bis 20 Fuß von einander entfernt, und jeder kleine Hügel, der ſich vor dem Eingange in derſelben erhebt, mag aus einer guten Wagenladung Erde beſtehen, die allmählich von den Bewohnern aus den unterirdiſchen Gängen ans Tageslicht be - fördert worden iſt. Manche haben einen, andere dagegen zwei Eingänge. Ein feſtgetretener Pfad führt von einer Wohnung zur andern, bei deren Anblick die Vermuthung rege wird, daß eine innige Freundſchaft unter dieſen lebhaften, kleinen Thieren herrſchen muß. Bei der Wahl einer Stelle zur Anlage ihrer Stätte ſcheint ein kurzes, krauſes Gras ſie zu beſtimmen, welches beſonders auf höheren Ebenen gedeiht und nebſt einer Wurzel die einzige Nahrung dieſer Thierchen ausmacht. Sogar auf den Hochebenen von Neu-Mexiko, wo viele Meilen im Umkreiſe kein Tropfen Waſſer zu finden iſt, gibt es ſehr bevölkerte Freiſtaaten dieſer Art, und da in dortiger Gegend mehrere Monate hindurch kein Regen fällt und man, um Grundwaſſer zu erreichen, über 100 Fuß in die Tiefe graben müßte, ſo iſt faſt anzunehmen, daß die Prairiehunde keines Waſſers bedürfen, ſondern ſich mit der Feuchtig - keit begnügen, welche zeitweiſe ein ſtarker Thau auf den feinen Grashalmen zurückläßt. Daß dieſe Thierchen ihren Winterſchlaf halten, iſt wohl nicht zu bezweifeln, denn ſie legen keinen Futtervorrath für den Winter an; das Gras um ihre Höhlen vertrocknet im Herbſte gänzlich, und der Froſt macht den Boden ſo hart, daß es unmöglich für ſie ſein würde, auf gewöhnlichem Wege ſich Nahrung zu verſchaffen. Wenn der Prairiehund die Annäherung ſeiner Schlafzeit fühlt, welches gewöhnlich in den letzten Tagen des Oktobers geſchieht, ſo ſchließt er alle Ausgänge ſeiner Wohnung, um ſich gegen die kalte Winterluft zu ſchützen, und übergibt ſich dann dem Schlafe, um nicht eher wieder auf der Oberwelt zu erſcheinen, als bis die warmen Frühlingstage ihn zu neuem, fröhlichen Leben erwecken. Den Ausſagen der Jndianer gemäß, öffnet der Prairiehund manchmal bei noch kalter Witterung die Thüren ſeiner Behauſung. Dies iſt alsdann aber als ſicheres Zeichen anzuſehen, daß bald warme Tage zu erwarten ſind.

Einen merkwürdigen Anblick gewährt eine ſolche Anſiedlung, wenn es glückt, von den Wachen unbeachtet in ihre Nähe zu gelangen. So weit das Auge nur reicht, herrſcht ein reges Leben und Treiben: faſt auf jedem Hügel ſitzt aufrecht, wie ein Eichhörnchen, das kleine gelbbraune Murmel - thier; das aufwärts ſtehende Schwänzchen iſt in immerwährender Bewegung, und zu einem förmlichen Summen vereinigen ſich die feinen, bellenden Stimmchen der vielen Tauſende. Nähert ſich der Be - ſchauer um einige Schritte, ſo vernimmt und unterſcheidet er die tieferen Stimmen älterer und erfah - rener Häupter, aber bald, wie durch Zauberſchlag, iſt alles Leben von der Oberfläche verſchwunden. Nur hin und wieder ragt aus der Oeffnung einer Höhle der Kopf eines Kundſchafters hervor, der durch anhaltend herausforderndes Bellen ſeine Angehörigen vor der gefährlichen Nähe eines Menſchen warnt. Legt man ſich alsdann nieder und beobachtet bewegungslos und geduldig die nächſte Um - gebung, ſo wird in kurzer Zeit der Wachtpoſten den Platz auf dem Hügel vor ſeiner Thür einnehmen und durch unausgeſetztes Bellen ſeine Gefährten von dem Verſchwinden der Gefahr in Kenntniß ſetzen. Er lockt dadurch einen nach dem andern aus den dunklen Gängen auf die Oberfläche, wo als - bald das harmloſe Treiben dieſer geſelligen Thiere von neuem beginnt. Ein älteres Mitglied von ſehr geſetztem Aeußeren ſtattet dann wohl einen Beſuch bei dem Nachbar ab, der ihn auf ſeinem Hügel in aufrechter Stellung mit wedelndem Schwänzchen erwartet und dem Beſucher an ſeiner Seite Platz89Der Prairiehund.macht. Beide ſcheinen nun durch abwechſelndes Bellen ſich gegenſeitig gleichſam Gedanken und Ge - fühle mittheilen zu wollen; ſich fortwährend eifrig unterhaltend verſchwinden ſie in der Wohnung, erſcheinen nach kurzem Verweilen wieder, um gemeinſchaftlich eine Wanderung zu einem entfernter lebenden Verwandten anzutreten, welcher nach gaſtfreundlicher Aufnahme an dem Spaziergange Theil nimmt; ſie begegnen Anderen, kurze, aber laute Begrüßungen finden ſtatt, die Geſellſchaft trennt ſich, und Jeder ſchlägt die Richtung nach der eigenen Wohnung ein. Stunden lang könnte man, ohne zu ermüden, das immerwährend wechſelnde Schauſpiel betrachten, und es kann nicht wundern, wenn der Wunſch rege wird, die Sprache der Thiere zu verſtehen, um ſich unter ſie miſchen und ihre ge - heimen Unterhaltungen belauſchen zu können.

Furchtlos ſucht ſich der Prairiehund ſeinen Weg zwiſchen den Hufen der wandernden Büſſel hindurch; doch der Jäger im Hinterhalte braucht ſich nur unvorſichtig zu bewegen und ſcheu und furchtſam flieht Alles hinab in dunkle Gänge. Ein leiſes Bellen, welches aus dem Schoſe der Erde dumpf herauf klingt, ſowie die Anzahl kleiner, verlaſſener Hügel verrathen dann allein noch den ſo reich bevölkerten Staat.

Das Fleiſch dieſer Thiere iſt ſchmackhaft, doch die Jagd auf dieſelben ſo ſchwierig und ſo ſelten von Erfolg gekrönt, daß man kaum aus anderer Abſicht den Verſuch macht, eins zu erlegen, als um die Neugierde zu befriedigen. Da der Prairiehund höchſtens die Größe eines guten Eichhörnchens er - reicht, ſo würden auch zuviele Stücke dazu gehören, um für eine kleine Geſellſchaft ein ausreichendes Mahl zu beſchaffen, und manches getödtete Thierchen rollt außerdem noch in die faſt ſenkrechte Höhle tief hinab, ehe es gelingt, daſſelbe zu erhaſchen. Doch der Menſch iſt nicht der furchtbarſte Feind des Prairiehundes; ihn ſuchen in ſeinen Wohnungen weit ſchlimmere Gäſte auf. Mit ihm zugleich bewohnt eine kleine Erdeule und die furchtbare Klapperſchlange die Höhlungen. Die Erdeule, welche wir ſpäter kennen lernen werden, ſcheint auf dem vertraulichſten Fuße mit dem Murmelthiere zu leben und dürfte wohl auch nur ſelten eins oder das andere der täppiſchen Jungen wegnehmen und verzehren; die Klapperſchlange dagegen nährt ſich, ſobald ſie ſich feſt angeſiedelt hat, ausſchließlich von Prairiehunden und macht zahlreiche Dörfer derſelben veröden. Geyer ſagt geradezu, daß die wachhaltenden, alten Männchen nur nach dieſem Erzfeinde ausſchauen: Gar nicht ſelten ſieht man Murmelthiere, Erdeulen und Klapperſchlangen zu ein und demſelben Loche ein - und ausziehen, ja von glaubwürdigen Leuten iſt mir verſichert worden, daß an den oberen Prairien von Arkanſas auch noch der dort ſehr häufig vorkommende gehörnte Froſch ſich dazu geſellt. Man würde ſich irren, wenn man glauben wollte, daß dieſe Thiere friedlich beiſammenwohnen; von der Klapperſchlange wenig - ſtens habe ich mich überzeugt, daß ſie, wenn ſie ſich einmal eingeſtellt hat, nach einigen Sommern der alleinige Bewohner dieſer Baue iſt. Es wurde mir verſichert, daß am Jetonfluſſe, ungefähr 25 engliſche Meilen oberhalb ſeiner Vereinigung mit dem Miſſouri, ein Murmelthierdorf von großem Umfange beſtände, welches ſonſt voll von ſeinen urſprünglichen Bewohnern geweſen, jetzt aber Scha - ren von Klapperſchlangen beherberge. Um mich zu überzeugen, reiſte ich hin und fand es ſo. Es war ein ebener Raſenteppich von bedeutendem Umfang. Schon in einiger Entfernung fanden wir mehr als gewöhnlich Klapperſchlangen am Pfade. Gegen Sonnenuntergang erreichten wir den Ort. Die Häufigkeit der Klapperſchlangen hatte ſtetig zugenommen. Wir hielten es nicht für rathſam, ganz in der Nähe zu übernachten, blieben auch während der Nacht vom Schlangenbeſuch verſchont und konnten demnach ohne Sorge für uns und unſere Thiere ſein. Mit aufgehender Sonne begab ich mich wieder nach dem Dorfe, fand aber, daß wegen der geringen Wärme und eines ſehr ſchweren Thaues noch Nichts ſich rege. Die Niederung glich einem gepflegten Blumengarten. Der ſchöne Teppich der Sesleria war eine Blüthe, und die hellorangefarbenen Blüthen flimmerten herrlich zwiſchen den Thau - tropfen. Jch hatte beim Anblick der Pflanzen faſt alle Schlangen vergeſſen, als auf einmal eine ziemlich ſtarke Klapperſchlange vor mir auf einem flachen Steine ſich hören ließ, eine zweite bald da - neben, eine dritte weiter unten. Jch warf einen Stein nach der erſten, welche augenblicklich auf mich herabſchoß, ſo daß ich nun meinen Weg auf dem Kamme der Hügelreihe fortſetzte. Jmmer mehrte ſich90Die Murmelthiere.die Zahl der Klapperſchlangen: ich mußte zuletzt die Hügel verlaſſen. Noch einmal beſuchte ich die Wohnungen, bemerkte aber außer den Klapperſchlangen kein anderes Thier, der giftige Lurch hatte ſämmtliche Prairiehunde ausgerottet.

Noch will ich einige Beobachtungen erzählen, welche ich in Wood’s Naturgeſchichte fand. Das Thierchen, ſagt dieſer Forſcher, beſitzt hohen Muth und auch eine große Zuneigung gegen andere ſeiner Art, wie man aus folgender Geſchichte erſehen mag. Ein nach den Prairiemurmelthieren jagen - der Trapper hatte glücklich einen der Wächter von dem Hügel vor ſeiner Wohnung herabgeſchoſſen und getödtet. Jn dieſem Augenblicke erſchien ein Gefährte des Verwundeten, welcher bis dahin ge - fürchtet hatte, ſich dem Feuer des Jägers auszuſetzen, packte den Leib ſeines Freundes und ſchleppte ihn nach dem Jnnern der Höhle. Der Jäger war ſo ergriffen von der Kundgebung ſolcher Treue und Liebe des kleinen Geſchöpfes, daß er es niemals wieder über ſich bringen konnte, auf die Jagd der Prairiehunde auszuziehen. Die Lebenszähigkeit dieſes Murme | thieres iſt unglaublich groß; ein nur verwundetes, obſchon tödlich getroffenes, geht regelmäßig verloren, es weiß ſich noch nach ſeiner Höhle zu ſchleppen und verſchwindet. Wirklich komiſch iſt die Art und Weiſe, mit welcher das Thier - chen in ſeine Wohnung eintritt. Es rennt nicht nach dem Eingange derſelben, ſondern macht einen

Der Bobak (Aretomys Bobac).

Sprung in die Luft, ſchießt einen ordentlichen Purzelbaum, ſchwingt kühn ſeine Hinterbeine, fegt mit ſeinem Schwänzchen in der üppigſten Weiſe durch die Luft und verſchwindet wie durch Zauber. Gewöhnlich hat ſich der Beobachter noch gar nicht von ſeinem Erſtaunen über ſolche Künſte des Thier - chens erholt, da erſcheint der Kopf deſſelben bereits wieder in der Mündung der Höhle, und das alte Spiel beginnt, wenn weiter keine Störung eintritt, von neuem. Audubon beſtätigt dieſe Mit - theilungen.

Die Gefangenſchaft erträgt der Prairiehund nur kurze Zeit; doch iſt es fraglich, ob man ſich über - haupt bisher die Mühe gegeben hat, ihn ordentlich abzuwarten und zu pflegen.

Jn Oſteuropa findet ſich ebenfalls ein Murmelthier, welches faſt ausſchließlich in der Ebene lebt, der Bobak (Arctomys Bobac). Die Augenumgebung und Schnauze dieſer Art ſind gleichfarbig braun - gelb, der Nacken, die Ober - und Unterſeite gleichmäßig grauroſtgelb, die Vorderzähne weiß. Der Leib iſt funfzehn, der Schwanz faſt vier Zoll lang. Man hat den Bobak erſt in der neueren Zeit von unſerem Murmelthiere getrennt. Die ganz verſchiedene Verbreitung und die abweichende Färbung ließen vermuthen, daß das Murmelthier der Ebene nicht das unſerer Hochgebirge ſein könne, und91Der Bobak. Das eigentliche Murmelthier.die genauere Beobachtung beſtätigte Dies vollſtändig. Von Galizien, dem ſüdlichen Polen und der Buckowina an wird das Thier in ununterbrochener Verbreitung durch ganz Südrußland und Süd - ſibirien bis nach Aſien hinüber getroffen, doch iſt die Oſtgrenze ſeines Verbreitungskreiſes noch nicht mit Sicherheit beſtimmt. Ganz wie der Prairiehund, bewohnt der Bobak ausgedehnte, baumleere Ebenen und niedrige Hügelgegenden. Hier gräbt er ſich an ſonnigen Stellen im feſten, trocknen Boden Röhren von 12 bis 18 Fuß Tiefe mit vielen Kammern oder Keſſeln, in welchen die Familie beiſammen wohnt. Wie der Prairiehund, erſcheint er ſchon am frühen Morgen vor ſeiner Wohnung. Er freut ſich des Sonnenſcheins und ſpielt und ſcherzt geſellig zuſammen. Bei Gefahr warnt einer den andern durch einen ſchrillend pfeifenden Ton. Wurzeln, Kräuter und Gras bilden ſeine Nahrung. Gegen den Winter hin wird die Höhle mit weichem Heu ausgepolſtert; dort ſchläft die ganze Familie dann ununterbrochen bis zum Frühjahre. Jn dieſe Zeit fällt die Paarung. Mitten im Sommer ſieht man ſchon halberwachſene Junge. Der Bobak vermehrt ſich nicht ſo zahlreich wie die anderen Murmel - thiere; man ſieht die Weibchen immer nur mit wenigen, häufig blos mit einem Jungen umherziehen.

Das Thier erträgt die Gefangenſchaft ſehr gut, gewöhnt ſich bald an den Menſchen und wird ſehr zahm. Sein Fleiſch iſt eßbar, das Fell dient zu Pelzwerk.

Wenig andere Nagethiere unſeres Vaterlandes ſind ſo vielfach und genau beobachtet worden, als das eigentliche Murmelthier (Aretomys Marmota), und dennoch iſt die Lebensgeſchichte dieſes

Das eigentliche Murmelthier (Arctomys Marmota).

höchſt merkwürdigen Bewohners der Hochgebirge noch nicht vollſtändig bekannt. Der Heimats - kreis und Aufenthaltsort des Murmelthieres laſſen Das erklärlich ſcheinen. Oben auf den höchſten Steinhalden der Alpen, wo kein Baum, kein Strauch mehr wächſt, wo kein Rind, kaum die Ziege und das Schaf mehr hinkommt, ſelbſt auf den kleinen Felſeninſeln mitten zwiſchen den großen Glet - ſchern, wo höchſtens ſechs Wochen lang im Jahre der Schnee vor den warmen Sonnenſtrahlen ſchwin - det: dort iſt die Heimat des ſchon den Römern bekannten Murmelthieres. Hier lebt es ſein kurzes, friſchfröhliches Sommerleben, und hier verbringt es den zehn Monate langen Winter in todtenähn - lichem Schlafe. Die Jtaliener nennen es Mure montana, die Savoyarden Marmotta, die Engadiner Marmotella; daraus iſt der Name Murmelthier entſtanden. Jn Glarus heißt es Munk, in Bern Murmeli, in Wallis Murmentli und Miſtbelleri, in Graubünden Murbetle oder Murbentle.

Gegenwärtig iſt uns Mitteldeutſchen das ſchmucke Geſchöpf entfremdeter worden, als es früher war. Die armen Savoyardenknaben dürfen nicht mehr wandern, während ſie vormals bis zu uns und noch weiter nördlich pilgerten mit ihrem zahmen Murmelthiere auf dem Rücken, und durch die ein - fachen Schauſtellungen, welche ſie mit ihrem Ein und Alles in Dörfern und Städten gaben, einige92Die Murmelthiere.Pfennige zu verdienen. Dem Murmelthiere iſt es ergangen, wie dem Kamele, dem Affen und dem Bären: es hat aufgehört, die Freude der Kinder des Dörflers zu ſein, und man muß jetzt ſchon gar weit wandern, bis in die Alpenthäler hinein, wenn man das niedliche Geſchöpf noch lebend ſehen will.

Das Murmelthier übertrifft unſer Kaninchen etwas an Größe. Seine Leibeslänge beträgt zwei Fuß; davon kommen ungefähr vier Zoll auf den Schwanz, bei einem recht alten Männchen wohl auch noch etwas mehr. Dabei iſt das Thier am Widerriſt ungefähr Zoll hoch. Der Leib iſt ziem - lich plump und ſchwerfällig, der Hals kurz, der Kopf dick und breit, die Schnauze abgeſtumpft; die mittelgroßen Augen haben rundlichen Stern; die Ohren ſind ſehr kurz, oben abgerundet, behaart und ganz im Pelze verſteckt. Auf dem breiten und abgeflachten Rücken hängt die ſchlaffe Haut, die ihn umgibt, ſackförmig gegen die Beine herab. Die Behaarung, welche aus kürzerem Woll - und länge - rem Grannenhaar beſteht, iſt dicht, reichlich und ziemlich lang. Am Kopf liegt das Haar glatt an, an den übrigen Körpertheilen locker, hinter den Wangen iſt es lang, und deshalb erſcheinen dieſe be - ſonders dick, gleichſam wie angeſchwollen. Die Schnurren auf der Oberlippe ſind ziemlich lang, und über den Augen und an den Wangen findet ſich ebenfalls eine mit ſolchen Fühlfäden beſetzte Warze. Die ganze Oberſeite iſt mehr oder weniger braunſchwarz, auf Scheitel und Hinterkopf durch einige weißliche Punkte unterbrochen; die einzelnen Grannenhaare ſind hier ſchwarz und braun geringelt und ſchwarz zugeſpitzt. Der Nacken, die Schwanzwurzel und die ganze Unterſeite ſind dunkelröthlichbraun, und die Untertheile der Beine, ein Flecken an den Leibesſeiten hinter den Gliedmaßen und die Hinter - backen noch heller gefärbt, die Schnauze und die Füße roſtgelblichweiß. Augen und Krallen ſind ſchwarz, die Vorderzähne braungelb. Uebrigens kommen vollkommen ſchwarze oder weiße und perl - artig weiß gefleckte Abarten, wenn auch ſelten, vor.

Alle neueren Unterſuchungen haben ergeben, daß das Murmelthier ein ausſchließlicher Bewohner Europas iſt. Es reicht keineswegs, wie man früher glaubte, bis nach Aſien hinüber, ſondern wird dort von ſeinen Verwandten vertreten; einen derſelben haben wir ja bereits kennen gelernt. Das Hochgebirge der Alpen, Pyrenäen und Karpathen beherbergt das Murmelthier, und zwar bewohnt es die höchſt gelegenen Stellen, die Matten dicht unter dem ewigen Eiſe und Schnee, höchſtens bis zum Holzgürtel herab. Zu ſeinem Aufenthalte wählt es immer freie Plätze, welche ringsum durch ſteile Felſenwände begrenzt ſind, oder die kleinen engen Gebirgsſchluchten zwiſchen den einzelnen auf - ſteigenden Spitzen, am liebſten die Orte, welche ſo fern als möglich dem menſchlichen Treiben ſind. Je einſamer das Gebirge, um ſo häufiger wird es gefunden; da, wo der Menſch ſchon mehr mit ihm verkehrt hat, iſt es bereits ausgerottet. Jn der Regel wohnt es nur auf den nach Süden, Oſten und Weſten zu gelegenen Bergflächen und Abhängen, weil es, wie die meiſten Tagthiere, die Sonnen - ſtrahlen liebt, zumal dort oben in der eiſigen Höhe. Da hat es ſich denn ſeine Höhlen gegraben, kleinere, einfachere, und tiefere, großartig angelegte, die einen für den Sommer beſtimmt, die andern für den Winter, die einen zum Schutz gegen vorübergehende Gefahren oder Witterungseinflüſſe, die andern gegen den furchtbaren, ſtrengen Winter, welcher da oben ſeine Herrſchaft ſechs, acht, ja zehn Monate lang feſthält. Mindeſtens zwei Drittel des Jahres verſchläft das merkwürdige Geſchöpf, oft noch weit mehr; denn an den höchſt gelegenen Stellen, wo es ſich findet, währt ſein eigentliches Leben kaum den ſechſten Theil des Jahres. Das Leben des Murmelthieres iſt jedoch immer merkwürdig, im Sommer wie im Winter.

Das Sommerleben , ſagt Tſchudi, iſt ſehr kurzweilig. Mit Anbruch des Tages kommen zuerſt die Alten aus der Röhre, ſtrecken vorſichtig den Kopf heraus, ſpähen, horchen, wagen ſich dann langſam ganz hervor, laufen etliche Schritte bergan, ſetzen ſich auf die Hinterbeine und weiden dann eine Weile lang mit unglaublicher Schnelligkeit das kürzeſte Gras ab. Bald darauf ſtrecken auch die Jungen ihre Köpfe hervor, huſchen heraus, weiden ein wenig, liegen Stunden lang in der Sonne, machen Männchen und ſpielen artig mit einander. Alle Angenblicke ſehen ſie ſich um und bewachen mit der größten Aufmerkſamkeit die Gegend. Das Erſte, welches etwas Verdächtiges bemerkt, einen Raubvogel oder Fuchs oder Menſchen, pfeift tief und laut durch die Naſe, die Uebrigen wiederholen93Das eigentliche Murmelthier.es theilweiſe, und im Nu ſind alle verſchwunden. Bei mehreren Thierchen hat man ſtatt des Pfeifens ein lautes Kläffen gehört, woher wahrſcheinlich der Name Miſtbelleri kommt. Ob ſie aber über - haupt eigene Wachen ausſtellen, wie die Gemſen, iſt nicht entſchieden. Jhre Kleinheit ſichert ſie mehr vor der Gefahr, bemerkt zu werden, und ihr Auge, beſonders aber ihr Ohr und Geruch, ſind ſehr ſcharf.

Während des Sommers wohnen die Murmelthiere einzeln oder paarweiſe in ihren eignen Sommerwohnungen, zu denen 3 bis 12 Fuß lange Gänge mit Seitengängen und Fluchtlöchern führen. Dieſe ſind oft ſo enge, daß man kaum eine Fauſt glaubt durchzwingen zu können. Die losgegrabene Erde werfen ſie nur zum kleinſten Theile hinaus; das Meiſte treten ſie und ſchlagen ſie in den Gängen feſt, die dadurch hart und glatt werden. Die Ausgänge ſind meiſt unter Steinen angebracht. Jn ihrer Nähe findet man oft eine ganze Anzahl kurzer, blos zum Verſtecken beſtimmter Löcher und Röhren. Der Keſſel iſt wenig geräumig. Hier paaren ſie ſich wahrſcheinlich im April und das Weibchen wirft nach ſechs Wochen 2 bis 4 Junge, die ſehr ſelten vor die Höhle kommen, bis ſie etwas herangewachſen ſind, und bis zum nächſten Sommer mit den Alten den Bau theilen.

Gegen den Herbſt zu graben ſie ſich ihre eigene, tiefer im Gebirge liegende Winterwohnung, die jedoch ſelten tiefer als vier Fuß unter dem Raſen liegt. Sie iſt immer niedriger im Gebirge gelegen, als die Sommerwohnung, welche oft ſogar 8000 Fuß über dem Meere liegt, während die Winter - wohnung (im Kanton Glarus Schübene genanmt) in der Regel in dem Gürtel der oberſten Alpen - weiden, oft aber auch tief unter der Baumgrenze liegt. Dieſe nun iſt für die ganze Familie, die aus 5 bis 15 Stück beſteht, berechnet und daher ſehr geräumig. Der Jäger erkennt die bewohnte Winter - höhle ſowohl an dem Heu, das vor ihr zerſtreut liegt, als auch an der gut mit Heu, Erde und Steinen von innen verſtopften, aber blos fauſtgroßen Mündung der Höhleneingänge, während die Röhren der Sommerwohnungen immer offen ſind. Nimmt man den Bauſtoff aus der Röhrenmün - dung weg, ſo findet man zuerſt einen aus Erde, Sand und Steinen wohlgemauerten, mehrere Fuß langen Eingang. Verfolgt man nun dieſen ſogenannten Zapfen einige Ellen weit, ſo ſtößt man bald auf einen Scheideweg, von dem aus zwei Gänge ſich fortſetzen. Der eine, in dem ſich gewöhnlich Loſung und Haare befinden, führt nicht weit und hat wahrſcheinlich blos den Bauſtoff zur Aus - mauerung des Hauptganges geliefert. Dieſer erhöht ſich jetzt allmählich und nun ſtößt der Jäger an ſeiner Mündung auf einen weiten Keſſel, oft 4 bis 5 Klaftern bergwärts, das geräumige Lager der Winterſchläfer. Es bildet meiſt eine eirunde, backofenförmige Höhle, mit kurzem, weichen, dürren, gewöhnlich röthlichbraunen Heu angefüllt, das zum Theil jährlich erneuert wird. Vom Auguſt an fangen nämlich dieſe klugen Thierchen an, Gras abzubeißen, zu trocknen und mit dem Maule zur Höhle zu ſchaffen und zwar ſo reichlich, daß es oft von einem Manne auf einmal nicht weggetragen werden kann. Man fabelte früher von dieſer Heuernte ſonderbare Sachen. Ein Murmelthier ſollte ſich auf den Rücken legen, mit Heu beladen laſſen und ſo zur Höhle wie ein Schlitten gezogen werden. Zu dieſer Erzählung veranlaßte die Erfahrung, daß man oft Murmelthiere findet, deren Rücken ganz abgerieben iſt, was jedoch blos vom Einſchlüpfen in die engen Höhlengänge herrührt.

Außer dieſen beiden Wohnungen hat das Murmelthier noch beſondere Fluchtröhren, in welche es ſich bei Gefahr verſteckt, oder es eilt unter Steine und in Felſenklüfte, wenn es ſeine Höhle nicht erreichen kann.

Jm Freileben ſcheint es unter den Bewohnern einer Höhle friedlich herzugehen: in der Ge - fangenſchaft iſt Dies nicht immer der Fall. Graf Bräuner, der Gründer des Wiener Thiergartens, erzählte mir, daß dort ein Murmelthier das zweite in der Höhle überfallen, getödtet und nach andrer Nager Art angefreſſen habe. Das plötzliche Fehlen des ſehr munteren und zahmen Thieres hatte zu Nachgrabungen veranlaßt und den Mord ans Licht gebracht.

Die Bewegungen des Murmelthieres ſind ſonderbar. Der Gang namentlich iſt ein höchſt eigen - thümliches, breitſpuriges Watſcheln, wobei der Bauch faſt oder wirklich auf der Erde ſchleift. Eigent - liche Sprünge habe ich unſere Gefangenen wenigſtens niemals ausführen ſehen: ſie ſind zu ſchwer -94Die Murmelthiere.fällig dazu. Sehr ſonderbar ſieht das Thier aus, wenn es einen Kegel macht; es ſitzt dann kerzen - gerade auf dem Hintertheile, ſteif, wie ein Stock, den Schwanz ſenkrecht vom Leibe abgebogen, die Vorderarme ſchlaff herabhängend, und ſchaut aufmerkſam in die Welt hinaus.

Auch beim Graben arbeitet es langſam, gewöhnlich nur mit einer Pfote, bis es einen hübſchen Haufen Erde losgekratzt hat; dann wirft es dieſe durch ſchnellende Bewegungen mit den Hinterfüßen weiter zurück, und endlich ſchiebt es ſie mit dem Hintern vollends zur Höhle hinaus. Während des Grabens erſcheint es häufig vor der Mündung ſeiner Röhre, um ſich den Sand aus dem Felle zu ſchütteln; hierauf gräbt es eifrig weiter.

Friſche und ſaftige Alpenpflanzen, Kräuter und Wurzeln bilden die Nahrung der Murmelthiere. Zu ihrer Lieblingsweide gehören Schafgarbe, Bärenklau, Grindwurzel, Löwenmaul, Klee und Stern - blumen, Alpenwegerich und Waſſerfenchel, doch begnügen ſie ſich auch mit dem grünen, ja ſelbſt mit dem trocknen Graſe, welches ihren Bau zunächſt umgibt. Mit ihren ſcharfen Zähnen beißen ſie das kürzeſte Gras ſchnell ab, dann erheben ſie ſich auf die Hinterbeine und halten die Nahrung mit den Vorderpfoten, bis ſie dieſelbe gehörig zermalmt haben. Zur Tränke gehen ſie ſelten; aber ſie trinken viel auf einmal, ſchmatzen dabei und heben nach jedem Schlucke den Kopf in die Höhe, wie die Hühner oder Gänſe. Jhre ängſtliche Aufmerkſamkeit während ihrer Weide läßt ſie kaum einen Biſſen in Ruhe genießen: fortwährend richten ſie ſich auf und ſchauen ſich um, und niemals wagen ſie, einen Augen - blick zu ruhen, bevor ſie ſich nicht auf das Sorgfältigſte überzeugt haben, daß keine Gefahr ihnen droht.

Manche Naturforſcher glauben, daß die Murmelthiere auch von dem eingetragenen Heu in ihrer Winterhöhle freſſen, wenn ſonnige Frühlingstage ein allzufrühes Erwachen veranlaſſen und draußen noch alles Grün unter Schnee und Eis begraben liegt; doch iſt darüber nichts Sicheres bekannt geworden, und man weiß auch, daß ſie oft kurz nach dem Winterſchlafe weite Wege machen, um ſich Nahrung zu ſuchen, wenn ſie im Frühjahre noch viel Schnee in der Nähe ihrer Höhlen finden.

Nach allen Beobachtungen ſcheint es feſtzuſtehen, daß das Alpenmurmelthier ein Vorgefühl für Witterungsveränderungen beſitze. Die Bergbewohner glauben ſteif und feſt, daß die Murmelthiere durch ihr Pfeifen die Veränderungen des Wetters anzeigen, und ſind überzeugt, daß am nächſten Tage Regen eintritt, wenn ſie trotz des Sonnenſcheins nicht auf dem Berge ſpielen. Jedenfalls wird ihr Leben und Treiben von einem unbewußten Gefühl geleitet. Dafür ſpricht die Sorge, welche ſie antreibt, ſchon im Sommer ſich gegen den Winter zu ſchützen, dafür das gewöhnlich rechtzeitig erfol - gende Zurückziehen in die Tiefe der Erde und das rechtzeitige Wiedererſcheinen im Frühjahr.

Wie die meiſten Schläfer, ſind die Murmelthiere im Spätſommer und Herbſt ungemein fett. Sobald nun der erſte Froſt eintritt, freſſen ſie nicht mehr, trinken aber noch viel und oft, dann ent - leeren ſie ſich faſt vollſtändig und beziehen nun familienweiſe die Winterwohnungen. Der Gefangene unſeres Thiergartens zeigte ſich bereits Ende Septembers ſelten, im Oktober kaum noch außerhalb der von ihm während des Sommers gegrabenen ſehr tiefen Höhle. Vor Beginn des Winterſchlafs wird der enge Zugang zu dem geräumigen Keſſel auf eine Strecke von 2 bis 6 Fuß von innen aus feſt verſtopft und zwar mit Erde und Steinen, zwiſchen welche Lehm, Gras und Heu ſo geſchickt eingeſchoben werden, daß das Ganze einem Gemäuer gleicht, bei welchem das Gras gleichſam den Mörtel abgibt. Durch dieſe Vermauerung wird die äußere Luft abgeſchloſſen und im Jnnern durch die Ausſtrahlung des Körpers ſelbſt eine Wärme hergeſtellt, welche etwa 8 bis R. beträgt. Der mit dürrem, rothen Heu ausgepolſterte und ringsum ausgefütterte Keſſel bildet für die ganze Geſellſchaft das gemeinſame weiche Lager. Hier liegt die Familie dicht bei einander, den Kopf am Schwanze, in todesähnlicher Erſtarrung. Alle Lebensthätigkeit iſt aufs äußerſte herabgeſtimmt, jedes Thier liegt regungslos und kalt in der einmal eingenommenen Lage, keines gibt irgend ein Zeichen des Lebens. Die Blutwärme iſt herabgeſunken auf die Wärme der Luft, welche ſich in der Höhle findet, die Athemzüge erfolgen blos fünfzehn Mal in der Stunde. Nimmt man ein Murmelthier im Winterſchlafe aus ſeiner Höhle und bringt es in größere Wärme, ſo zeigt ſich erſt bei 17 Graden das Athmen deutlicher, bei 20 Graden beginnt es zu ſchnarchen, bei 22 ſtreckt es ſeine Glieder, bei 2595Das eigentliche Murmelthier.Graden erwacht es, bewegt ſich taumelnd hin und her, wird nach und nach munterer und beginnt endlich, zu freſſen. Jm Frühjahre erſcheinen die Murmelthiere in ſehr abgemagertem Zuſtande vor den Oeffnungen ihrer Winterwohnungen und ſehen ſich ſehnſüchtig nach etwas Genießbarem um. Wie ſchon erwähnt, müſſen ſie oft weit wandern, um an den Ecken und Kanten der Berge, da, wo der Wind den Schnee weggetrieben hat, etwas verdorrtes Gras aufzutreiben. Dieſes über - winterte Gras dient ihnen überhaupt im Anfange zur hauptſächlichſten Nahrung, dann aber kommen die jungen, friſchen, ſaftigen Alpenpflanzen, und dieſe verſchaffen ihnen gar bald wieder ihr volles Ausſehen.

Jagd und Fang des Murmelthieres haben ihre großen Schwierigkeiten. Der herannahende Jäger wird faſt regelmäßig von irgend einem Gliede der Geſellſchaft bemerkt und den übrigen durch helles Pfeifen angezeigt. Dann flüchtet natürlich Alles nach dem Bau, und dieſen Tag würde man vergeblich vor der Höhle warten. Man muß alſo vor Sonnenaufgang zur Stelle ſein, wenn man ein ſolches Wild erlegen will. Uebrigens werden die wenigſten Murmelthiere, welche der Menſch er - beutet, mit dem Feuergewehr erlegt. Man ſtellt ihnen Fallen aller Art oder gräbt ſie im Anfange des Winters aus. Dem höheren Alpenbewohner iſt das kleine Thier nicht blos der Nahrung wegen wich - tig, ſondern dient auch als Arzneimittel für allerlei Krankheiten. Das fette, äußerſt wohlſchmeckende Fleiſch gilt als beſonderes Stärkungsmittel für Wöchnerinnen; das Fett ſoll die Geburt erleichtern, Leibſchneiden heilen, dem Huſten abhelfen, Bruſtverhärtungen zertheilen, der friſch abgezogene Balg wird bei gichtiſchen Schmerzen angewandt und dergleichen mehr. Friſchem Fleiſch haftet ein ſo ſtarker erdiger Wildgeſchmack an, daß es dem an dieſe Speiſe nicht Gewöhnten Ekel verurſacht; des - halb werden auch die friſch gefangenen Murmelthiere, nachdem ſie wie ein Schwein gebrüht und ge - ſchabt worden ſind, einige Tage in den Rauch gehängt und dann erſt gekocht oder gebraten. Ein derart vorbereitetes Murmelthierwildpret iſt ſehr ſchmackhaft. Die Mönche im St. Galler Stift hatten ſchon um das Jahr 1000 einen eigenen Segensſpruch für das Gericht: Möge die Benediction es fett machen! Jn damaliger Zeit wurde das Thierchen in den Klöſtern Cassus alpinus genannt, und gelehrte Leute beſchäftigten ſich mit ſeiner Beſchreibung. Der Jeſuit Kircher hielt es nach Tſchudi für einen Blendling von Dachs und Eichhorn; Altmann aber verwahrt ſich gegen ſolche Einbildungen und kennzeichnet das Murmelthier als einen kleinen Dachs, der mit den wahren, echten zu den Schweinen gehöre; er erzählt auch, daß es vierzehn Tage vor dem Winterſchlafe Nichts mehr zu ſich nehme, wohl aber viel Waſſer trinke und dadurch ſeine Eingeweide ansſpüle, damit ſie über Winter nicht verfaulten!

Schon in alten Zeiten wurde dem armen Gebirgskinde eifrig nachgeſtellt, und in der Neuzeit iſt es nicht beſſer geworden. Die Fallen liefern, ſo einfach ſie ſind, immer guten Ertrag und ver - mindern die Murmelthiere um ein Beträchtliches; die Nachgrabungen im Winter rotten ſie familien - weiſe aus. Mit Recht iſt deshalb in vielen Kantonen der Schweiz das Graben auf Murmelthiere verboten; denn dadurch würde in kurzer Zeit ihre vollſtändige Vernichtung herbeigeführt werden, während die einfache Jagd bei der Vorſicht unſerer Thiere ihnen nie ſehr gefährlich wird. Den Fallen entgehen ſie freilich ſchwer. Hier und da ſind, wie Tſchudi berichtet, die Bergbewohner ver - nünftig und beſcheiden genug, ihre Fallen blos für die alten Thiere einzurichten, ſo z. B. an der Gletſcheralp im Walliſer Saaßthale, wo die Thiere in größerer Menge vorhanden ſind, weil die Jungen ſtets geſchont werden.

Jm Sommer hilft das Nachgraben gar Nichts, weil die dann vollſtändig wachen Thiere viel ſchneller tiefer in den Berg hineingraben, als der Menſch ihnen nachkommen kann. Jm äußerſten Nothfalle vertheidigen ſich die Murmelthiere auch noch mit Muth und Entſchloſſenheit gegen ihre Gegner, indem ſie ſtark beißen oder auch ihre ſtarken Krallen anwenden. Wird eine Geſellſchaft gar zu heftig verfolgt, ſo zieht ſie aus und wandert, um ſicher zu ſein, von einem Berge zum andern.

Für die Gefangenſchaft und Zähmung wählt man ſich am liebſten die Jungen, obgleich es ſchwierig iſt, dieſe der Mutter wegzuhaſchen, wenn ſie den erſten Ausgang machen. Sehr jung ein -96Die Erdgräber oder Wurfmäuſe.gefangene und noch ſäugende Murmelthiere ſind ſchwer aufzuziehen und gehen auch bei der beſten Pflege gewöhnlich bald zu Grunde, während die halbwüchſigen ſich leicht auffüttern und lange erhalten laſſen. Jhre Nahrung beſteht in der Gefangenſchaft aus allen möglichen Pflanzenſtoffen; auch trinken ſie ſehr gern Milch. Gibt man ſich Mühe mit ihnen, ſo werden ſie bald und in hohem Grade zahm, zeigen ſich folgſam und gelehrig, lernen ihren Pfleger kennen, auf ſeinen Ruf achten, allerlei poſſirliche Stellungen annehmen, auf den Hinterbeinen aufgerichtet umher - hüpfen, an einem Stocke gehen u. ſ. w. Das harmloſe und zutrauliche Thier iſt dann die Freude von Jung und Alt, und ſeine Reinlichkeitsliebe und Nettigkeit erwirbt ihm viele Freunde. Auch mit anderen Thieren verträgt ſich das Murmelthier gut, wie das unſeres Thiergartens beweiſt. Es erlaubt verſchiedenen Pakas und Agutis, in den von ihm gegrabenen Höhlen zu wohnen, und wenn es auch Zudringlichkeit zurückweiſt, wird es doch nie zum angreifenden Theile. Jm Hauſe kann man die Gezähmten freilich nicht umherlaufen laſſen, weil ſie Alles zernagen, und ihr Käfig muß auch ſtark und innen mit Blech beſchlagen ſein, wenn man das Durchbrechen verhindern will. Jm Hof oder im Garten läßt ſich das Murmelthier nicht gut halten, weil es ſich doch einen Ausweg verſchafft, indem es ſich unter den Mauern durchgräbt. Mit ſeines Gleichen verträgt es ſich nicht immer gut; mehrere zuſammengeſperrte Murmelthiere greifen gar nicht ſelten einander an, und das ſtärkere beißt dann das ſchwächere todt. Jm warmen Zimmer leben die Thiere den ganzen Winter wie im Sommer, im kalten raffen ſie Alles zuſammen, was ſie bekommen können, bauen ſich ein Neſt und ſchlafen, aber mit Unterbrechung. Während des Winterſchlafes kann man ein wohl in Heu eingepacktes Murmelthier in gut verſchloſſenen Kiſten weit verſenden. Mein Vater erhielt von dem Schweizer Naturforſcher Schinz eins zugeſandt, noch ehe die Eiſenbahn eine ſchnelle Beförderung möglich machte; aber das Thier hatte die Reiſe aus der Schweiz bis nach Thüringen ſehr gut vertragen und kam noch im feſten Schlafe an. Uebrigens erhält man ſelbſt bei guter Pflege das gefangene Murmelthier ſelten länger als fünf bis ſechs Jahre am Leben.

Die kleine Familie der Erdgräber oder Wurfmäuſe (Georychi) enthält häßliche, mißge - ſtaltete Geſchöpfe, welche von vornherein auf ihre unterirdiſche Lebensweiſe ſchließen laſſen. Die Thiere bewohnen meiſt trockene, ſandige Ebenen der alten und neuen Welt, mit Ausnahme Auſtra - liens, und durchwühlen nach Art der Maulwürfe den Boden auf weite Strecken hin. Keine Art lebt geſellig; jede wohnt einzeln in ihrem Baue und zeigt auch das mürriſche, einſiedleriſche Weſen des Maulwurfes. Lichtſchen und unempfindlich gegen die Freuden der Oberwelt, verlaſſen die Wurfmäuſe nur höchſt ſelten ihre unterirdiſchen Gänge, ja ſie arbeiten meiſtens auch hier nicht einmal während des Tages, ſondern hauptſächlich zur Nachtzeit. Mit außerordentlicher Schnelligkeit graben ſie, mehrere ſogar ſenkrecht tief in den Boden hinein. Auf der Erde ungemein plump und unbeholfen, bewegen ſie ſich in ihren unterirdiſchen Paläſten vor - und rückwärts mit faſt gleicher Gewandtheit. Jhre Nahrung beſteht nur in Pflanzen, meiſtens in Wurzeln, Knollen und Zwiebeln, welche ſie aus der Erde wühlen; ausnahmsweiſe freſſen einige auch Gras, Rinde, Samen und Nüſſe. Die in kalten Gegenden wohnen, ſammeln ſich zwar Nahrungsvorräthe ein, verfallen aber nicht in einen Winterſchlaf, ſondern arbeiten rüſtig weiter zum Nachtheile der Felder, Gärten und Wieſen. Glück - licherweiſe vermehren ſie ſich nicht ſehr ſtark; ſie werfen blos zwei bis vier Junge, für welche manche Arten ein Neſt herrichten.

Die Erdgräber haben alle unangenehmen Eigenſchaften der Maulwürfe, ohne aber den Nutzen derſelben zu bringen. Es ſind ſchädliche, häßliche Wühler, welche auch äußerlich den Maulwürfen ähneln. Der Leib iſt walzenförmig, die Ohren ſind äußerlich nicht ſichtbar, die Augen verſteckt, die Grabpfoten ganz maulwurfsartig, der Pelz iſt kurz und weich, die Naſe knorpelig. Nur das Gebiß, in97Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer.welchem namentlich die gewaltigen Schneidezähne ſtark hervortreten, unterſcheidet ſie ſcharf von den Mullen. Die Vorder - und Hinterpfoten ſind fünfzehig mit ſtarken Sichelkrallen und nackten Sohlen. Jm innern Leibesbau zeigen ſie viel Eigenthümlichkeiten, doch ſind dieſe alle bei weitem nicht ſo auf - fallend, als die äußere Geſtaltung. Merkwürdig iſt, daß auch in dieſer Familie wieder, wie bei den Maulwürfen, die Arten einer Sippe vollſtändig blind ſind.

Die erſte Sippe, welche Andere als eigene Familie anſehen, enthält die Taſchenratten (Ascomys oder Geomys), Thiere, welche in ihrer ganzen Erſcheinung ebenſoviel Aehnlichkeit mit den Hörnchen, als mit den eigentlichen Urbildern der Sandgräber, nämlich mit den Blindmollen, zeigen. Jhre Backentaſchen ſind ſehr groß. Die Füße ſind fünfzehig, die Krallen an den vorderen ſehr lang und ſtark, an den hinteren aber kurz; der Schwanz iſt an der Wurzel behaart, am Ende dagegen nackt.

Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer , wie er im Lande ſelbſt heißt (Geomys bursarius oder Aseomys canadensis) iſt etwas kleiner, als unſer Hamſter, nämlich ſammt dem 3 Zoll langen Schwanze 11 Zoll lang und am Widerriſt gegen 3 Zoll hoch; er ſteht hinſichtlich ſeiner Geſtalt etwa zwiſchen Hamſter und Maulwurf mitten inne. Der Pelz iſt ungemein dicht

Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer (Geomys bursarius oder Ascomys canadensis).

welch und fein. Die Haare ſind an ihrer Wurzel tief graublau, an ihren Spitzen röthlich auf der Oberſeite und gelbgrau auf der Unterſeite; der Schwanz und die ſpärlich behaarten Füße ſind weißlich.

Lange Zeit haben die Backentaſchen als das Merkwürdigſte am ganzen Thiere gegolten. Die Thierkundigen, welche über den Goffer zuerſt berichten, erhielten ihn nämlich von den Jndianern, und dieſe hatten ſich das Vergnügen gemacht, beide Backentaſchen mit Erde vollzupfropfen und da - durch ſo ungebührlich auszudehnen, daß die Taſchen beim Gehen des Thieres auf der Erde geſchleppt haben würden. Die künſtlich ausgedehnten Taſchen verſchafften dem Goffer ſeinen deutſchen und den erſten lateiniſchen Namen; die Ausſtopfer bemühten ſich nach Kräften, den Scherz der Jndianer nachzuahmen, und die Zeichner endlich hielten ſich nur zu treu an die ihnen zugänglichen Vorlagen. Dieſen Umſtänden haben wir es zuzuſchreiben, daß noch heutigen Tages die Abbildungen uns wahre Scheuſale von Thieren vorführen, wenn ſie uns mit dem Goffer bekannt machen wollen. Lichten - ſtein ſchob die ausgedehnten Taſchen einfach zurück und bewies, daß dieſelben zwar ſehr groß, aber durchaus nicht anders gebaut ſind, als bei den vielen übrigen Thieren, welche Backentaſchen beſitzen. Brehm, Thierleben. II. 798Die Erdgräber oder Wurfmäuſe.So kommt es, daß uns gegenwärtig die weit aus dem Maule hervorragenden gewaltigen Nagezähne viel merkwürdiger erſcheinen, als jene Säcke.

Der Goffer iſt ziemlich weit verbreitet; öſtlich von dem Felſengebirge und weſtlich vom Miſſiſſippi, und zwiſchen dem 34. und 52. Grade nördlicher Breite kommt er überall vor. Er führt ein unterirdiſches Leben, ganz wie der Maulwurf, gräbt zahlreiche und weit verzweigte Gänge in den verſchiedenſten Richtungen und wirft Haufen auf, welche denen unſeres Maulwurfes voll - ſtändig ähneln. Manchmal geben ſeine Wühlereien der Oberfläche beinahe das Ausſehen gepflügter Felder, zu anderen Zeiten, zumal im Winter, bemerkt man ſeine Thätigkeit kaum. Blos während der warmen Jahreszeit kommt er ab und zu einmal auf die Oberfläche der Erde; die kalte Zeit - ſcheint er zu verſchlafen. Erſt in der Neuzeit haben tüchtige Naturforſcher ſchärfere Beobachtungen über die Lebensweiſe des bereits ſeit Ende des vorigen Jahrhunderts bekannten Goffer gemacht, und namentlich Audubon, Bachmann und Gesner beſchreiben das unterirdiſche Leben des Thieres ziemlich genau. Jn einem Garten, in welchem wir mehrere friſch aufgeworfene Hügel bemerkten, erzählen die Erſtgenannten, gruben wir einer Taſchenratte nach und legten dadurch mehrere ihrer unterirdiſchen Gänge in den verſchiedenſten Richtungen hin blos. Einer von den Hauptgängen verlief ungefähr einen Fuß tief unter der Erde, außer wenn er die Gartengänge kreuzte, wo er dann tiefer ſank. Wir verfolgten den ganzen Gang, welcher durch ein breites Gartenbeet und unter zwei Wegen hinweg noch in ein anderes Beet verlief, und fanden, daß viele der beſten Pflanzen durch dieſe Thiere vernichtet worden waren, indem ſie die Wurzeln gerade an der Oberfläche der Erde abge - biſſen und aufgefreſſen hatten. Die Höhle endete in der Nähe der Pflanzung unter einem Roſen - buſch. Hierauf verfolgten wir einen andern Hauptgang, er lief bis in das Gewurzel eines großen Buchenbaums; dort hatte die Ratte die Rinder abgenagt. Weiter und weiter unterſuchend fanden wir, daß viele Höhlen vorhanden waren, und einige davon ganz aus dem Garten hinaus in das Feld, in den nahen Wald liefen, wo wir dann unſere Jagd aufgeben mußten. Die Haufen, welche dieſe Art aufwirft, ſind ungefähr zwölf oder funfzehn Zoll hoch und ſtehen ganz unregelmäßig, manchmal nahe bei einander, gelegentlich auch zehn -, zwanzig -, ja ſogar dreißigmal weiter entfernt. Gewöhnlich aber ſind ſie nach oben, nahe an der Oberfläche, geöffnet, wohlbedeckt mit Gras oder an - deren Pflanzen.

Jm übrigen entnehme ich den Schilderungen Audubon’s und Gesner’s (welcher zwar nicht von der kanadiſchen, aber von der nahe verwandten georgiſchen Taſchenratte ſpricht) das Nach - ſtehende:

Der Goffer pflegt ſeine Höhlen etwa fußtief unter der Erde anzulegen und in Zwiſchenräumen von ungefähr drei Fuß, gewöhnlich im Zickzack, Haufen aufzuwerfen. Aeltere Gänge ſind innen feſtgeſchlagen, die neueren nicht. Hier und da zweigen ſich Nebengänge ab. Die Kammer wird unter Baumwurzeln in einer Tiefe von etwa fünf Fuß angelegt; die Höhle ſenkt ſich ſchraubenförmig zu ihr hinab. Sie iſt groß, ganz mit weichem Gras ausgekleidet, einem Eichhoruneſte nicht unähn - lich und dient dem Thiere zum Ruhen und Schlafen. Das Neſt, in welchem das Weibchen zu Ende März oder im Anfang Aprils ſeine fünf bis ſieben Jungen bringt, iſt der Kammer ähnlich, jedoch innen noch mit den Haaren der Mutter ausgekleidet. Wie das Neſt des Maulwurfs, umgeben es Rundgänge, von welchen aus die Röhren ſich abzweigen. Gesner fand, daß vom Neſt aus ein Gang zu einer größeren Höhlung, der Vorrathskammer, führt. Sie iſt gefüllt mit Wurzeln, Erd - früchten (Kartoffeln), Nüſſen und Sämereien.

Jn den Morgenſtunden von 4 bis 10 Uhr arbeitet die Taſchenratte am eifrigſten am Weiter - oder Ausbau ihrer Wohnung, unzweifelhaft in der Abſicht, ſich mit Speiſe zu verſorgen. Wenn der Ort reich an Nahrung iſt, werden in dieſer Zeit zehn bis funfzehn Fuß Höhlung gebaut und zwei bis fünf Hügel aufgeworfen; im entgegengeſetzten Falle durchwühlt das Thier größere Strecken und arbeitet länger. Zuweilen unterbricht es die Arbeit wochenlang; es ſcheint dann von den aufge - ſpeicherten Vorräthen zu zehren. Beim Aufwerfen der Erde, welches der Goffer ganz nach Art des99Der Strandmoll.Maulwurfs bewerkſtelligt, läßt er ſeinen Leib ſo wenig als möglich ſichtbar werden und zieht ſich augenblicklich wieder in die ſichere Tiefe zurück. Auf dem Boden erſcheint er, um ſich dürres Gras für ſeinen Wohnraum oder das Neſt zu ſammeln und, nach Audubon, um ſich zu ſonnen. Sein vortrefflicher Geruch und das ausgezeichnete Gehör ſichern ihn hier vor Ueberraſchungen; bei ver - meinter Gefahr ſtürzt er ſich augenblicklich in die Tiefe, auch wenn er ſich erſt durch Neugraben eines Schachtes den Eingang erzwingen müßte.

Jm Laufen über der Erde humpelt der Goffer ſchwerfällig dahin, niemals ſprungweiſe, oft mit nach unterwärts eingeſchlagenen Nägeln der Vorderfüße, den Schwanz auf der Erde ſchleifend. Er kann faſt ebenſoſchnell rückwärts laufen, als vorwärts, über dem Boden aber nicht ſchneller, als ein Mann geht. Jn ſeinen Höhlen ſoll er ſich mit der Hurtigkeit des Maulwurfs bewegen. Aeußerſt unbehilflich erſcheint er, wenn man ihn auf den Rücken legt; er bedarf wohl einer Minute, ehe es ihm gelingt, ſich durch Arbeiten und Stampfen mit den Beinen wieder umzuwenden. Beim Freſſen ſetzt er ſich oft auf die Hinterbeine nieder und gebraucht die vorderen nach Eichhörnchenart. Jm Schlafen rollt er ſich zuſammen und birgt den Kopf zwiſchen den Armen an der Bruſt.

Seine ungeheuren Backentaſchen füllt er beim Weiden mit der Zunge an; mit den Vorderfüßen entleert er ſie wieder. Sie ſtülpen ſich, wie bei anderen Nagern auch, mehr und mehr nach außen, je voller ſie werden, und gewinnen dann eine länglich eiförmige Geſtalt, hängen aber niemals ſack - artig zu beiden Seiten der Schnauze herab und erſchweren dem Thiere daher keine ſeiner Bewegungen. Die geſammelten Nahrungsvorräthe ſchüttet es zuweilen gleich von außen her durch einen ſenkrechten, ſpäter zu verſtopfenden Schacht in ſeinen Speicher. Gänzlich aus der Luft gegriffen iſt die Behaup - tung, daß er ſeine Backentaſchen benutze, um die losgewühlte Erde aus ſeinen Bauen herauszu - ſchaffen. Die Laune des Jndianers, welcher den erſten Goffer einem Naturforſcher brachte, erklärt den Urſprung jener Angabe, widerlegt ſie aber auch zugleich.

Der Schaden, welchen der Goffer anrichtet, kann ſehr bedeutend werden. Er vernichtet zu - weilen durch Abnagen der Wurzeln hunderte von werthvollen Bäumen in wenig Tagen und verwüſtet oft ganze Felder durch Anfreſſen der von ihm ſehr geſuchten Knollenfrüchte. Deshalb wird der Menſch auch ihm, welcher ſonſt nur vom Waſſer oder von Schlangen zu leiden hat, zum gefähr - lichſten Feinde. Man ſetzt ihm Maulwurfsfallen aller Art, namentlich auch kleine Tellereiſen. Groß iſt die Anſtrengung Gefangener, ſich zu befreien, und gar nicht ſelten, freilich aber nur nach Verluſt des eingeklemmten Beines, gelingt Solches auch dem erboſten Thiere, zum Aerger des Fängers. Gegen herbeikommende Feinde wehrt ſich der Goffer mit wüthenden Biſſen.

Audubon hat mehrere Taſchenratten wochenlang gefangen gehalten und mit Knollengewächſen leicht ernährt. Sie zeigten ſich überraſchend gefräßig, verſchmähten dagegen zu trinken, obgleich ihnen nicht blos Waſſer, ſondern auch Milch geboten wurde. An ihrer Befreiung arbeiteten ſie ohne Unter - laß, indem ſie Kiſten und Thüren zu durchnagen verſuchten. Kleidungsſtücke und Zeug aller Art ſchleppten ſie zuſammen, um ſich ein Lager davon zu bilden, und zernagten es natürlich. Auch Lederzeug verſchonten ſie nicht. Einmal hatte ſich eine von Audubon’s Gefangenen in einen Stiefel dieſes Forſchers verirrt; anſtatt umzukehren, fraß ſie ſich an der Spitze einfach durch. Wegen die - ſes Nagens und des dadurch hervorgebrachten Geräuſches wurden die Thiere ſelbſt unſerem entſagungs - ſtarken Forſcher unerträglich.

Der afrikaniſche Vertreter der Erdgräber iſt der Strandmoll (Bathyergus maritimus). Er iſt ebenſo unſchön, wie die übrigen hierher gehörigen Thiere: plump gebaut, mit walzigem Rumpfe, breitem, ſtumpfen Kopfe, ohne Ohrmuſcheln, mit ſehr kleinen Augen und breiter, knorpliger Naſen - ſpitze. Die kurzen Beine und die fünfzehigen Pfoten ſind ähnlich gebaut, wie die der übrigen Ver - wandten. Der Pelz iſt dicht, außerordentlich weich und fein; lange, ganz ſteife Schnurren umgeben den Kopf; der ſtummelhafte Schwanz trägt einen Strahlenbüſchel. Auffallend lang find die weit7 *100Die Erdgräber oder Wurfmäuſe.vorragenden, ſchwach gebogenen, weißen Nagezähne, deren oberes Paar durch eine tiefe Rinne förm - lich getheilt iſt. Die allgemeine Färbung des Pelzes iſt weiß, oben gelblich, unten grau überlaufen. Jn der ganzen Geſtalt hat der Strandmoll große Aehnlichkeit mit dem europäiſchen Maulwurfe, und mit dieſem kommt er auch in ſeiner Lebensweiſe und den Sitten am meiſten überein.

Das Thier iſt über einen verhältnißmäßig kleinen Theil Südafrikas verbreitet; am häufigſten findet er ſich am Vorgebirge der guten Hoffnung. Sandige Küſtengegenden bilden ſeinen Aufenthalt, und ſorgfältig vermeidet er jeden feſteren und pflanzenreicheren Boden. Jn den Dünen oder Sand - hügeln längs der Küſte wird er häufig getroffen. Sein Leben iſt unterirdiſch. Er gräbt ſich tief im Sande lange, verzweigte, röhrenartige Gänge, welche von mehreren Mittelpunkten ausſtrahlen und unter einander vielfach verbunden ſind. Reihenweiſe aufgeworfene Haufen bezeichnen ihren Verlauf. Die Gänge ſind weit größer, als die des Maulwurfs, da das faſt hamſtergroße Thier ſelbſtverſtänd - lich Röhren von größerem Durchmeſſer graben muß, als der kleinere Mull. Wie es ſcheint, iſt der Strandmoll emſig bemüht, überall dem Eindringen der äußeren Luft zu wehren, wie er denn über - haupt ein im höchſten Grade lichtſcheues Geſchöpf iſt. Kommt er durch irgend einen Zufall auf die Erde, ſo kann er kaum entfliehen. Er verſucht dann, ſich auf höchſt unbeholfene Art fortzuſchieben

Der Strandmoll (Bathyergus maritimus).

und zeigt ſich ängſtlich bemüht, wieder in die Tiefe zu gelangen. Greift man ihn an, ſo ſchleudert er heftig den Vorderleib umher und beißt wüthend um ſich. Die Bauern haſſen ihn außerordentlich, weil er den Boden ſo unterwühlt, daß häufig die Pferde von oben durchtreten und Gefahr laufen, die Beine zu brechen, ja, daß ſelbſt Menſchen ſich ſchädigen. Gewöhnlich wirft der Strandmoll morgens um ſechs Uhr oder nachts um zwölf Uhr ſeine Haufen auf. Dies benutzen die Bauern, um ihn zu vertilgen. Sie räumen einen Haufen weg, öffnen eins ſeiner Löcher, legen in daſſelbe eine gelbe Rübe oder andere Wurzel und befeſtigen dieſe an einer Schnur, welche den Drücker einer Flinte abzieht, deren Lauf nach dem Loche gerichtet iſt. Sobald der Strandmoll an der Rübe zerrt, entladet er die Flinte und tödtet ſich ſelbſt durch den Schuß. Auch leitet man Waſſer in ſeine Baue, um ihn zu erſäufen. Weiteres ſcheint noch nicht über ihn und ſeine Lebensweiſe bekannt zu ſein. Von der Paarung und Fortpflanzung weiß man Nichts.

Die europäiſche Art dieſer Familie iſt der Blindmoll (Spalax Typhlus), vielleicht die häß - lichſte aller Wurfmäuſe. Der Kopf iſt ſtumpfſchnäuzig, ohne ſichtbare Ohren und Augen, und ſtärker, als der Rumpf. Der kurze Hals iſt ſo dick, als der Leib, und ſcheint ganz unbeweglich zu ſein. Der Schwanz fehlt gänzlich; die kurzen Beine haben breite Pfoten mit ſtarken Zehen und Krallen. 101Der Blindmoll.Die Augen ſind die kleinſten, welche ein Säugethier überhaupt hat; ſie haben kaum die Größe eines Mohnkorns und liegen unter der Haut verborgen, können alſo zum Sehen gar nicht benutzt werden.

Jn ſeiner Geſtalt und Lebensweiſe hat der Blindmoll große Aehnlichkeit mit dem gemeinen Maulwurfe, er iſt aber doch noch viel häßlicher, als dieſer, namentlich ſeines dicken Kopfes wegen. Die Körperlänge beträgt 8 Zoll, das Gewicht eines erwachſenen Thieres ungefähr ſechzehn Loth. Am dicken Kopf iſt der Schädel abgeplattet, die Stirn flach, die Schnauze ſtumpf gerundet, die Naſe dick, breit und knorpelig, mit runden, weit auseinanderſtehenden Löchern. Ein ſcharf vorſpringen - der, dicker Hautrand, welcher ſich von der Naſe nach den Schläfen zieht, umſäumt die Seiten des Kopfes; gewaltige Nagezähne ragen weit aus dem Munde heraus; ſie ſind beſonders ſtark, gleich breit und vorn meiſelartig abgeſchliffen. Backenzähne finden ſich drei in jedem Kiefer. Von Backen - taſchen iſt keine Spur vorhanden. An den Füßen ſind alle Zehen ſtark und mit tüchtigen Scharr - krallen verſehen. An den Vorderfüßen ſtehen die Zehen weit von einander ab und ſind nur im Grunde durch eine kurze Spannhaut verbunden. Der Schwanz wird durch eine ſchwach hervor - ragende Warze angedeutet. Ein dichter, glatt anliegender, weicher Pelz, welcher auf der oberen Seite

Der Blindmoll (Spalax Typhius).

etwas länger, als auf der unteren iſt, bedeckt den Körper. Der dicke Hautrand am Kopfe iſt mit ſteifen, gegeneinanderlaufenden Haaren beſetzt. Die Schnurren ſind kurz und fein. Die Zehen ſind nicht mit Haaren bekleidet, die Sohlen aber ringsum von ſtarren, langen, nach abwärts gerich - teten Haaren eingefaßt. Jm allgemeinen iſt die Färbung gelbbräunlich mit aſchgraulichem Anfluge, der Kopf iſt lichter, nach hinten hin bräunlich. Die Mundgegend, das Kinn und die Pfoten ſind ſchmuzigweiß, die Unterſeite dunkelaſchgrau mit weißen Längsſtreifen an der Hinterſeite des Bauches und weißen Fleckchen zwiſchen den Hinterbeinen.

Der gemeine oder graue Blindmoll findet ſich in einem kleinen Theile des ſüdöſtlichen Europas und des weſtlichen Aſiens, zumal im ſüdlichen Rußland an der Wolga und dem Don, in der Moldau und in einem Theile von Ungarn und Galizien, auch kommt er in der Türkei und Griechenland vor; in Aſien begrenzt der Kaukaſus ſeine Heimat. Beſonders häufig iſt er in der Ukraine und in Klein - aſien. Sein Leben unterſcheidet ſich nicht von dem ſeiner Verwandten. Er wohnt in trockenen Ebenen und fruchtbaren Gegenden und hauſt in unterirdiſchen, ziemlich tiefliegenden Höhlen, von denen Nebengänge auslaufen, welche auf der Erdoberfläche münden. Auch er wirft Haufen auf, und102Die Bilche oder Schlafmäuſe.zwar ganz dicht neben einander. Beim Graben ſoll er die ſtarken, gewaltigen Schneidezähne thätig mit benutzen, indem er das Wurzelwerk durchnagt und auch die Erde, welche zwiſchen den Wurzeln liegt, zerkleinert. Die losgeſcharrte Erde wirft er mit dem Kopfe in die Höhe und ſchleudert ſie dann mit den Vorder - und Hinterbeinen zurück. Er lebt ebenſowenig geſellig, als der Maulwurf, viel häufiger aber in größerer Nähe mit anderen ſeiner Art zuſammen. Um die Zeit der Paarung kommt er manchmal bei Tage auf die Oberfläche und ſonnt ſich dort in Geſellſchaft ſeines Weibchens. Bei drohender Gefahr eilt er ſchleunigſt wieder ſeinem Baue zu oder gräbt ſich, wenn er nicht augenblick - lich die Mündung findet, mit überraſchender Schnelligkeit in die Erde ein, im Nu den Blicken ſich entziehend. Häufiger noch ſoll er am frühen Morgen und in der Nachtzeit aus ſeinen Gängen hervor - kommen.

Alle Bewegungen des merkwürdigen Geſchöpfes ſind auf der Erdoberfläche im höchſten Grade ungeſchickt; unter der Erde dagegen ſchiebt es ſich ſtoßweiſe fort, und zwar mit derſelben Leichtigkeit nach vorn, wie nach hinten. Jedenfalls ſteht er hier an Schnelligkeit dem Maulwurfe nicht nach. Unter ſeinen Sinnen, welche ſämmtlich wenig entwickelt ſein dürften, ſcheint das Gehör eine hervor - ragende Rolle zu ſpielen. Man hat beobachtet, daß der Blindmoll gegen Geräuſch ſehr empfindlich iſt, und durch den Gehörſinn hauptſächlich geleitet wird. Wenn er ſich im Freien befindet, ſitzt er mit emporgerichtetem Kopfe ruhig vor der Mündung eines ſeiner Gänge, und lauſcht höchſt aufmerk - ſam nach allen Seiten hin. Bei dem geringſten Geräuſch hebt er dann den Kopf noch höher und nimmt eine drohende Stellung an oder gräbt ſich ſenkrecht in den Boden ein und verſchwindet. Er iſt ein böſes, biſſiges Thier, welches ſich, plötzlich überraſcht, muthig zur Wehre ſetzt und ſich mit dem kräftigen Gebiſſe entſchloſſen vertheidigt. Jn der Wuth beißt er wie raſend herum und ſchnaubt dabei und knirſcht mit den Zähnen, ſonſt hört man keinen Laut von ihm.

Der Blindmoll frißt Wurzeln und noch mehr Knollen; im Nothfalle benagt er die Rinde von Bäumen und Sträuchen. Gegen den Winter geht er tiefer in die Erde hinab, hält aber wahr - ſcheinlich keinen Winterſchlaf, wenigſtens gräbt er immer fort, ſolange der Boden nicht feſtgefroren iſt. Wintervorräthe hat man in ſeinen Gängen noch nicht aufgefunden, wohl aber Neſter, welche aus den feinſten Wurzeln zuſammengebaut ſind. Jn einem ſolchen Neſte wirft das Weibchen im Som - mer ſeine zwei bis vier Jungen.

Unſer Thier fügt den Menſchen im ganzen geringen Schaden zu, obgleich ihm viel Böſes nach - geſagt wird, ebenſowenig aber bringt es irgend Nutzen. Die abergläubiſchen Ruſſen ſind der feſten Ueberzeugung, daß der Blindmoll dem Menſchen beſondere Heilkräfte verleihen könne. Sie glauben, daß Derjenige, welcher Muth genug hat, das biſſige Vieh auf ſeine bloße Hand zu ſetzen, ſich beißen zu laſſen und hierauf den Blindmoll durch Erdrücken langſam umzubringen, ſpäter befähigt wäre, durch bloſes Auflegen der Hand Drüſengeſchwülſte aller Art zu heilen. Hierauf bezieht ſich auch einer ſeiner Landesnamen, welcher ſoviel als Drüſenarzt bedeutet. Die Ruſſen nennen ihn übrigens Slapetz oder den Blinden, in Galizien heißt er Ziemni-biſak und in Ungarn Földi-kölök .

Eine Gruppe viel anmuthigerer Nager, als die vorſtehend abgehandelten Wühler es ſind, lernen wir in einer anderen Familie kennen. Die Bilche oder Schlafmäuſe (Myoxi) ſind niedliche, eichhornähnliche Geſchöpfe von geringer Größe und angenehmen, in mancher Hinſicht merkwürdigen Sitten. Man würde dieſe Thiere ſicherlich zu den Eichhörnchen ſtellen, zeigte der innere Leibes - bau beider Familien nicht erhebliche Unterſchiede. Die Schläfer haben einen ziemlich ſchmalen, mehr mäuſe - als eichhornähnlichen Kopf mit ſpitzer Schnauze und ſehr großen Ohren, einen dichten und etwas buſchig behaarten, durch die längeren Seitenhaare zweizeilig ſcheinenden Schwanz, vier Zehen und eine kurze Daumenwarze an den Vorderfüßen und fünf Zehen an den Hinterfüßen. Jm allge -103Der Siebenſchläſer.meinen ähnelt ihr Leibesbau denen der Eichhörnchen. Die Wirbelſäule zählt bei ihnen 13 rippen - tragende, 6 wirbelloſe, 3 Kreuz - und 22 bis 25 Schwanzwirbel. Der Blinddarm fehlt.

Man kennt bis jetzt kaum mehr als ein halbes Dutzend ſicher unterſchiedene Arten dieſer Familie, ſämmtlich Bewohner der alten Welt. Hügelige und bergige Gegenden und hier Wälder und Vorwälder, Haine und Gärten ſind ihre Aufenthaltsorte. Sie leben auf und in den Bäumen, ſeltener in ſelbſtgegrabenen Erdhöhlen unter Baumwurzeln oder in Fels - und Mauerſpalten, unter allen Umſtänden möglichſt verborgen. Bei weitem die meiſten durchſchlafen den ganzen Tag und gehen nur während des Morgen - und Abenddunkels ihrer Nahrung nach. Aus dieſem Grunde be - kommt man ſie auch ſelten und blos zufällig zu ſehen. Wenn ſie einmal ausgeſchlafen haben, ſind ſie höchſt bewegliche Thiere. Sie können vortrefflich laufen und noch beſſer klettern, nicht aber auch, wie die Hörnchen, beſonders große Sprünge ausführen.

Jn gemäßigten Gegenden verfallen ſie mit Eintritt der kälteren Jahreszeit in Erſtarrung, und verbringen ſchlafend den ganzen Winter in ihren Neſtern. Manche häufen ſich für dieſe Zeit Nah - rungsvorräthe auf und zehren von ihnen, wenn ſie zeitweilig erwachen; andere bedürfen Dies nicht einmal, da ſie vorher ſich ſo gemäſtet haben, daß ſie von ihrem Fette leben können. Jhre Nahrung

Der Siebenſchläfer (Glis vulgaris).

beſteht in Früchten und Sämereien aller Art; die meiſten nehmen auch Kerbthiere, Eier und junge Vögel zu ſich. Beim Freſſen ſitzen ſie, wie die Eichhörnchen, auf dem Hintern und führen die Speiſe mit den Vorderfüßen zum Munde.

Die meiſten lieben die Geſelligkeit und halten ſich deshalb paarweiſe zuſammen; andere ſind ziemlich unverträglich. Das Weibchen wirft während des Sommers in ein zierliches Neſt ihre Jungen, gewöhnlich vier bis fünf, und erzieht ſie mit großer Liebe. Jung eingefangen werden alle Schläfer leidlich zahm; doch dulden ſie es nicht gern, daß man ſie berührt, und alt eingefangene laſſen ſich Dies nie gefallen.

Der Nutzen, welchen dieſe Familie liefert, iſt gering, der Schaden aber auch unbeträchtlich.

Man theilt gegenwärtig die Schläfer in vier Sippen ein, von denen drei auch bei uns Vertreter haben; die vierte gehört Afrika an. Alle dieſe Sippen ſind arm an Arten; doch iſt es wahrſcheinlich, daß man hier noch Entdeckungen machen wird.

Die erſte Sippe wird von dem großen Bilch oder Siebenſchläfer (Glis vulgaris oder Myoxus Glis) gebildet. Er gehört zu den Thieren, welche dem Namen nach weit beſſer bekannt ſind, als von Geſtalt und Anſehen. Jeder, welcher ſich mit der alten Geſchichte beſchäftigt hat, kennt104Die Bilche oder Schlafmäuſe.dieſe Schlafmaus, den beſondern Liebling der Römer, zu deſſen Hegung und Pflegung eigene An - ſtalten getroffen wurden. Eichen - und Buchenhaine umgab man mit glatten Mauern, an denen die Siebenſchläfer nicht emporklettern konnten; innerhalb der Umgebung legte man verſchiedene Höhlen an zum Niſten und Schlafen; man fütterte die Siebenſchläfer mit Eicheln und Kaſtanien und nahm ſie zuletzt aus dem Gehege, um ſie in irdene Gefäße oder Fäſſer zu bringen und ſie hier noch beſon - ders zu mäſten. Die größeren wie die kleineren dieſer Maſtanſtalten hießen Glirarien . Letztere ſind uns durch die Ausgrabung in Herculanum bekannt geworden. Es waren kleine, halbkugelige Schalen, an den innern Wänden terraſſenförmig abgeſtuft und oben mit einem engen Gitter ge - ſchloſſen. Hier ſperrte man ſtets mehrere Siebenſchläfer zuſammen und verſah ſie mit Nahrung im Ueberfluſſe, wodurch ſie auch bald ſehr fett wurden. Dann kamen die Braten als eines der leckerſten Gerichte auf die Tafeln der reichen Schlemmer. Martial verſchmäht nicht, dieſe kleinen Thiere zu beſingen; er läßt ſie ſagen:

Winter, dich ſchlafen wir durch, und wir ſtrotzen von blühendem Fette Juſt in den Monden, wo uns Nichts, als der Schlummer ernährt.

Den Siebenſchläfer oder Bilch kennzeichnet hauptſächlich die Geſtalt ſeiner Backzähne. Er trägt in jedem Kiefer deren vier, zwei größere in der Mitte und kleinere vorn und hinten. Die Kaufläche iſt rundlich, aber ſehr gefaltet und durch eigene Querwülſte ausgezeichnet. Die Ohren ſind mittel - groß, der lange Schwanz iſt buſchig und zweizeilig. Die Länge des Thieres beträgt elf Zoll; hier - von kommen fünf auf den Schwanz. Der weiche, ziemlich dichte Pelz iſt auf der Oberſeite einfarbig aſchgrau, bald heller, bald dunkler, ſchwärzlichbraun überflogen, an den Seiten des Leibes etwas lichter und da, wo ſich die Rückenfarbe von der der Unterſeite abgrenzt, bräunlichgrau; die Unter - ſeite und die Jnnenſeite der Beine iſt milchweiß, ſilberglänzend; Ober - und Unterſeite ſind ziemlich ſcharf getrennt. Der Naſenrücken und ein Theil der Oberlippe zwiſchen den Schnurren ſind graulich - braun, der untere Theil der Schnauze, die Backen und die Kehle bis hinter die Ohren hin weiß, die Schnurren ſchwarz. Um die Augen zieht ſich ein dunkelbrauner Ring. Die Ohren ſind außen dunkelgraubraun, gegen den Rand zu lichter, der Schwanz iſt bräunlichgrau, unten mit einem weiß - lichen Längsſtreifen. Verſchiedene Abweichungen kommen übrigens vor.

Süd - und Oſteuropa iſt das eigentliche Vaterland des Siebenſchläfers; er findet ſich von Spa - nien, Griechenland und Jtalien an bis nach Süddeutſchland. Hier trifft man ihn in Oeſtreich, Steiermark, Kärnthen, Mähren, Schleſien und Böhmen, Bayern u. ſ. w. Häufiger aber iſt er in Kroatien, Ungarn, dem ſüdlichen Rußland. Jn Aſien ſoll er am Kankaſus vorkommen. Jm Norden Europas, ſchon in England, Dänemark, im nördlichen Deutſchland fehlt er. Er bewohnt hauptſächlich das Mittelgebirge, und zwar die Laubwälder lieber, als die Radelwälder, am liebſten trockene Eichen - und Buchenwaldungen. Den Tag über hält er ſich verborgen, bald in hohlen Bäumen, Baumlöchern und Felsklüften, bald in Erdlöchern unter Baumwurzeln, in verlaſſenen Hamſterhöhlen, Elſtern - und Krähenneſtern u. ſ. w. Gegen Abend kommt er aus ſeinem Verſteck hervor, ſtreift in der Nacht umher, ſucht ſich ſeine Nahrung, kehrt ab und zu in ſeinen Schlupfwinkel zurück, um zu verdauen und auszuruhen, frißt wieder und ſucht endlich gegen Morgen, gewöhnlich mit ſeinem Weibchen oder einem anderen Gefährten vereinigt, den alten Schlupfwinkel zum Schlafen auf. Nur in der Nacht lernt man ihn wirklich kennen, nur dann erfährt man, daß er ein raſcher und lebhafter, behender Geſell iſt, welcher mit Eichhorngewandtheit auf den Bäumen oder an Felſen - wänden umherklettert, ſicher von Zweig zu Zweig oder auch aus der Höhe zur Tiefe ſpringt und mit kurzen Sätzen, aber raſch umherläuft, wenn er auf die Erde gelangt. Freilich gewahrt man ſein Treiben blos an Orten, welche man von vornherein als ſeine Wohnplätze kennt; denn ſonſt verbirgt ihn ſein eigentlicher Beſchützer und liebſter Freund, die Nacht, vor den Blicken des Menſchen noch viel beſſer, als ſie ihn vor den Augen ſeiner Feinde deckt.

105Der Siebenſchläfer.

Nur wenige Nager dürften es dem großen Bilch an Gefräßigkeit zuvorthun. Er frißt, ſolange er freſſen kann. Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe bilden wohl ſeine Hauptnahrung; Wallnüſſe, Ka - ſtanien, ſüßes und ſaftiges Obſt werden aber auch nicht verſchmäht, ja, er verachtet nicht einmal thieriſche Koſt und raubt deshalb die Neſter aus, wo er ſie nur haben kann. Waſſer trinkt er da - gegen nur wenig, und wenn er ſaftige Früchte hat, gar nicht.

Solange nun der Sommer währt, treibt er ſich allnächtlich, falls die Witterung nicht gar zu ſchlimm iſt, in ſeinem Gebiet umher und mäſtet ſich auf den Winter hin. Auf ſeinen Weidezügen ſetzt er ſich faſt alle Minuten einmal, wie ein Eichhörnchen, auf das Hintertheil und führt etwas mit den Vorderpfoten zum Munde. Beſtändig hört man das Knacken von Nüſſen, die er zerbricht, oder das Fallen von ausgefreſſenen Früchten, die er herabwirft. Gegen den Herbſt nun ſammelt er ſich Nahrungsvorräthe ein und ſpeichert dieſe in ſeinen Höhlen auf. Um dieſe Zeit ſtrotzt er bereits von blühendem Fette , er frißt aber noch ſolange, als möglich; dann denkt er daran, ſich Herberge für den Winter zu bereiten. Jetzt macht er ſich ein Neſt von zartem Moſe in tiefen Erdlöchern, Riſſen und Spalten, in Felſen und altem Gemäner, wohl auch in tiefen Baumhöhlungen, zurecht, rollt ſich zuſammen, gewöhnlich in Gemeinſchaft mit mehreren ſeiner Genoſſen, und fällt in Schlaf, ſchon lange vorher, ehe der Wärmemeſſer auf dem Nullpunkt ſteht, in rauheren Gebirgsgegenden bereits im Auguſt, in der wärmeren Ebene erſt gegen den Oktober hin. Er zeigt dann die uns bekannte Gefühlsloſigkeit aller Winterſchläfer, ja, er iſt vielleicht Derjenige, welcher am tiefſten ſchläft. Man kann ihn ruhig aus ſeinem Lager nehmen und weit wegtragen: er bleibt kalt und regungslos. Jm warmen Zimmer erwacht er nach und nach, bewegt anfänglich die Gliedmaßen ein wenig, läßt einige Tropfen ſeines hellen, goldgelben Harnes von ſich und regt ſich dann mehr und mehr, ſieht aber auch jetzt noch immer ſehr verſchlafen aus. Jm Freien wacht er zeitweilig von ſelbſt auf und zehrt ein wenig von ſeinen Nahrungsvorräthen, gleichſam ohne eigentlich zu wiſſen, was er thut. Siebenſchläfer, welche Lenz überwinterte und in kühlem Raume hielt, wachten etwa alle vier Wochen auf, fraßen und ſchliefen dann wieder ſo feſt, daß ſie ganz todt ſchienen. Andere, die Gal - vagni beherbergte, wachten nur alle zwei Monate auf und fraßen.

Jm Freien erwacht der Siebenſchläfer erſt ſehr ſpät im Frühjahr, ſelten vor Ende des April. Somit beträgt die Dauer ſeines Winterſchlafes volle ſieben Monate, und er führt demnach ſeinen Namen mit Fug und Recht.

Bald nach dem Erwachen paaren ſich die Geſchlechter, und nach ungefähr ſechswöcheutlicher Tragzeit wirft das Weibchen auf einem weichen Lager im hohlen Baume oder in anderen Höhlungen in der Nähe von Altenburg ſehr häufig in den Niſtkäſtchen der Staare, welche man vermittelſt hoher Stangen über und auf Obſtbäumen aufzuſtellen pflegt drei bis ſechs nackte, blinde Junge, welche außerordentlich ſchnell heranwachſen, nur kurze Zeit an der Mutter ſaugen und ſich dann ſelbſt ihre Nahrung aufſuchen. Niemals ſteht das Neſt des Bilch frei auf Bäumen, wie das unſeres Eichhörnchens; es wird vielmehr ſtets nach Möglichkeit verborgen. Jn Gegenden, wo es viele Buchen gibt, vermehrt ſich das Thier ſehr ſtark; überhaupt richtet ſich die größere oder geringere Vermehrung hauptſächlich nach dem Gedeihen der Früchte. Viele Feinde thun ihr übrigens bedeu - tend Abbruch. Baummarder und Jltis, Wildkatze und Wieſel, Uhu und Eule ſind wohl die ſchlimmſten Verfolger unſeres Schläfers, und wenn er ſich auch ſelbſt gegen die ſtärkſten Feinde mit vielem Muthe wehrt, wenn er ſie auch anſchnaubt, wüthend nach ihnen beißt und ſelbſt die ſchwachen Krallen bei der Vertheidigung zu Hilfe nimmt: er muß ihnen ja doch jedesmal erliegen. Auch der Menſch ſtellt ihm noch immer da, wo er häufig iſt, eifrig nach, theils des Fleiſches, theils des Felles wegen, am liebſten, wenn er ſich ſett gemäſtet hat. Man lockt ihn in künſtliche Winter - wohnungen d. h. Gruben, welche man in Wäldern unter Gebüſch und Felsabhängen, an trockenen, gegen Mittag gelegenen Orten für ihn herrichtete, recht verrätheriſch mit Mos ausbettete, mit Stroh und dürrem Laub überdeckte und reichlich mit Bücheln beſtreute. Die Bilche, angelockt durch den willkommenen Köder, verſammeln ſich in großer Menge an jenen Orten, freſſen ſich ordentlich106Die Bilche oder Schlafmäuſe.ſatt und ſchlagen dann gleich ihr Winterlager an den vielverſprechenden Orten auf, erſtarren und werden nun ruhig ausgenommen. Jn Unterkrain fangen die Bauern, wie Fitzinger angibt, unſer Thier in Schnellfallen, die ſie entweder an den Aeſten aufhängen oder vor den ihnen genau be - kannten Schlupfwinkel des Siebenſchläfers aufſtellen; eine ſaftige Birne oder Pflaume muß das Thier herbeilocken. Der Fang oder das Ausnehmen aus den Fallen geſchieht zur Nachtzeit. Die Bauern ziehen mit brennenden Fackeln in den Wald hinaus, heben ihre Beute auf und ſtellen die Fallen von neuem. Außerdem gräbt man ihnen Fäſſer in die Erde, ködert ſie mit Obſt und läßt oben nur einen Zugang, ein Rohr nämlich, in welchem Eiſendrähte ſo befeſtigt werden, daß ſie wohl das Hineinſchlüpfen, nicht aber auch das Herauskommen des Bilches geſtatten. Hier fangen ſich die Thiere oft in ſo großer Menge, daß mancher Jäger während eines Herbſtes zwei - bis vier - hundert Stück erbeuten kann.

Der Siebenſchläfer wird verhältnißmäßig ſelten in der Gefangenſchaft gehalten. Sein Weſen iſt nicht gerade angenehm. Es läßt ſich von vornherein erwarten, daß ein ſo großer Freſſer geiſtig nicht ſehr befähigt ſein, ja, daß er überhaupt nicht viele gute Eigenſchaften haben kann. Seine größte Tugend iſt die Reinlichkeit; er putzt ſich beſtändig ſehr ſorgfältig. Jm übrigen wird er lang - weilig. Er befindet ſich fortwährend in gereizter Stimmung, befreundet ſich durchaus nicht mit ſei - nem Pfleger und knurrt in eigenthümlich ſchnarchender Weiſe Jeden wüthend an, welcher ſich erfrecht, ihm nahe zu kommen. Dem, welcher ihn ungeſchickt angreift, beweiſt er durch raſch aufeinander - folgende Biſſe in ſehr empfindlicher Weiſe, daß er keineswegs geneigt ſei, ſich irgendwie behelligen zu laſſen. Nachts ſpringt er wie raſend im Käfig umher und wird ſchon deshalb ſeinem Beſitzer bald ſehr läſtig. Er muß auf das Sorgfältigſte gepflegt, namentlich gefüttert werden, damit er ſich nicht aus dem Käfig nagt oder einem und dem andern ſeiner Gefährten den Schwanz abfrißt; denn ſobald der Bilch nicht genug Nahrung hat, geht er ohne weiteres andere ſeiner Art an, und einer würde den andern wahrſcheinlich gänzlich auffreſſen, wenn ihn der Hunger triebe.

Die Sippe der Gartenbilche (Eliomys) unterſcheidet ſich nur ſehr wenig von der vorher - gehenden, hauptſächlich durch ihr Gebiß. Bei dem Siebenſchläfer ſchleifen ſich die Zähne auf der Krone flach ab, bei den Gartenſchläfern dagegen ſchleifen ſie ſich hohl. Dort hat der erſte Backenzahn im Ober - und Unterkiefer ſechs, die drei folgenden ſieben, der letzte im Oberkiefer acht Querleiſten; hier deren nur fünf. Aeußerlich kennzeichnet die Gartenſchläfer ihr an der Wurzel kurz und anlie - gend, an der Spitze lang behaarter, buſchiger, zweifarbiger Schwanz. Die Ober - und Unterſeite des Körpers ſind verſchiedenfarbig.

Jn Europa leben zwei Arten dieſer Sippe, der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus (Eliomys Nitela) und der Baumſchläfer (Eliomys dryas), welcher letztere von Rußland aus ſich bis Ungarn verbreitet. Beide Arten ähneln dem Siebenſchläfer in der Lebens - weiſe; es genügt daher eine flüchtige Beſchreibung der einen Art zu ihrer Kennzeichnung.

Der Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus erreicht eine Körperlänge von 6 Zoll; die Schwanz - länge beträgt Zoll, die Höhe am Widerriſt Zoll. Jn den meiſten Fällen wird das Thier aber blos 8 Zoll lang; davon kommen ungefähr fünf Zoll auf den Leib. Der Kopf und die Oberſeite ſind röthlichgraubraun, die Unterſeite weiß. Um das Auge läuft ein glänzend ſchwarzer Ring, welcher ſich unter dem Ohr bis an die Halsſeiten fortſetzt. Vor und hinter dem Ohre befindet ſich ein weiß - licher, über demſelben ein ſchwärzlicher Fleck. Der Schwanz iſt in der Wurzelhälfte anliegend be - haart und graubraun, in der Endhälfte buſchig-zweizeilig und zweifarbig, oben ſchwarz und unten weiß. Die Haare der Unterſeite ſind auch zweifarbig, ihre Wurzel iſt grau und blos ihre Spitze weiß, bisweilen ſchwachgelblich oder graulich angeflogen. Beide Hauptfarben ſind ſcharf von ein - ander abgeſchnitten. Die Ohren ſind fleiſchfarbig, die Schnurren ſchwarz, weißſpitzig, die Krallen107Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus.lichthornfarben, die oberen Vorderzähne lichtbraun, die unteren lichtgelb. Schön dunkelſchwarz - braune Augen verleihen dem Gartenſchläfer ein kluges, gewecktes Anſehen.

Unſer Thierchen, welches ſchon den alten Römern unter dem Namen Nitela bekannt war, gehört hauptſächlich den gemäßigten Gegenden des mittleren und weſtlichen Europa an und wird in Oſteuropa durch den Baumſchläfer vertreten. Frankreich, Belgien, die Schweiz, Jtalien, Deutſch - land, Ungarn, Galizien, Siebenbürgen und die ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen ſind ſeine Heimat. Jn Deutſchland iſt der Gartenſchläfer an manchen Orten, z. B. am Harz, recht häufig. Er bewohnt die Ebene, wie das Hügelland, lieber aber doch Berggegenden, und hier vorzugsweiſe Laubwaldungen, obgleich er auch im Schwarzwalde vorkommt. Jn der Schweiz ſteigt er bis in die Nähe der Glet - ſcher im Gebirge empor. Nicht ſelten findet man ihn auch in niederen Büſchen oder in Gärten und Häuſern.

Seine Nahrung iſt die des Siebenſchläfers; doch holt er ſich aus den Häuſern der Bergbewohner auch Fett und Butter, Speck und Schinken, und junge Vögel und Eier frißt er vielleicht noch lieber und noch mehr, als ſein langſamerer Verwandter. Das Klettern und Springen verſteht er meiſter - haft, und ſo erſetzt er in der Nacht das Eichhorn faſt vollſtändig. Sein Neſt unterſcheidet ſich von dem des Siebenſchläfers dadurch, daß es frei ſteht: doch bezieht er unter Umſtänden auch Schlupf -

Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus (Eliomya Nitela).

winkel in Gemäuer, alte Rattenlöcher, Maulwurfgänge und andere Höhlungen im Geſtein und in der Erde, bettet ſie mit weichem Moſe aus und macht ſie ſich ſo behaglich als möglich. Alte Eich - hornneſter werden von ihm ſehr gern als Wohnung benutzt; im Nothfalle baut er ſich auch ſelbſt ein Neſt und häugt dieſes frei zwiſchen Baumzweige.

Jn der erſten Hälfte des Mai paaren ſich die Geſchlechter. Mehrere Männchen ſtreiten oft leb - haft um ein Weibchen, verfolgen ſich gegenſeitig unter fortwährendem Ziſchen und Schnauben und raſen förmlich auf den Bäumen umher. So friedlich ſie ſonſt ſind, ſo zänkiſch, boshaft, biſſig, mit einem Worte ſtreitluſtig zeigen ſie ſich jetzt, und die ernſthafteſten Gefechte werden mit einer Wuth ausgefochten, die man kaum von ihnen erwarten ſollte; ja es kommt häufig genug vor, daß einer der Gegner von dem andern todtgebiſſen und dann ſofort aufgefreſſen wird. Nach vierundzwanzigtägiger bis monatlicher Tragzeit wirft das Weibchen vier bis ſechs nackte, blinde Junge, meiſtens in einem hübſch zubereiteten, freiſtehenden Neſte, gern in einem alten Eich - hörnchen - oder Rabenneſte -, ſonſt auch in einem Amſel - oder Droſſelneſte, welche letzteren unter Umſtänden gewaltſam in Beſitz genommen werden. Das Neſt wird mit Mos und Haaren108Die Bilche oder Schlafmäuſe.ausgepolſtert und bis auf eine kleine Oeffnung ringsum geſchloſſen. Die Mutter ſängt die Jungen lange Zeit, und trägt ihnen, auch wenn ſie ſchon freſſen können, eine hinreichende Menge Nahrungs - mittel zu. Kommt man zufällig an das Neſt und will verſuchen, die Jungen auszunehmen, ſo ſchnaubt die ſorgende Alte Einem mit funkelnden Augen entgegen, fletſcht die Zähne, ſpringt nach Geſicht und Händen und macht von ihrem gar nicht unbedeutenden Gebiß den allerausgedehnteſten Gebrauch. Merkwürdig iſt, daß der ſonſt ſo reinliche Gartenſchläfer ſein Neſt im höchſten Grade ſchmuzig hält. Der ſtinkende Unrath, welcher ſich in demſelben anhäuft, bleibt liegen und verbreitet mit der Zeit einen ſo heftigen Geruch, daß nicht blos die Hunde, ſondern auch geübte Menſchen ſchon aus ziemlicher Entfernung ein ſolches Neſt wahrzunehmen im Stande ſind. Nach wenigen Wochen haben die Jungen bereits die Größe der Mutter erreicht und ſtreifen noch eine Zeit lang in der Nähe ihres Lagers umher, um unter der Obhut und Leitung der Alten ihrer Nahrung nachzugehen; erſt ſpäter beziehen ſie ihre eigene Wohnung. Jm nächſten Jahre ſind ſie fortpflanzungsfähig. Bei be - ſonders günſtigem Wetter wirft das Weibchen auch wohl zum zweiten Male in demſelben Jahre.

Zum Abhalten des Winterſchlafes ſucht ſich der Gartenſchläfer trockene und geſchützte Baum - und Mauerlöcher, auch Maulwurfshöhlen auf oder kommt an die in einem Walde ſtehenden Gehöfte, in Gartenhäuſer, Scheuern, Heuböden, Köhlerhütten und andere Wohngebäude, um ſich dort zu ver - bergen. Gewöhnlich finden ſich ihrer mehrere ſchlafend in einem Neſte, die ganze Geſellſchaft dicht zuſammengerollt, faſt in einen Knäuel verſchlungen. Sie ſchlafen ununterbrochen, doch nicht ſo feſt, als andere Winterſchläfer; denn ſo oft milde Witterung eintritt, erwachen ſie, zehren etwas von ihren Nahrungsvorräthen und verfallen erſt bei erneuerter Kälte wieder in Schlaf. Abweichend von den übrigen Winterſchläfern zeigen ſie während ihres bewußtloſen Zuſtandes eine große Empfindlichkeit gegen äußere Reize. Wenn man einen Gartenſchläfer berührt oder mit einer Nadel ſticht, gibt er augenblicklich durch ſchwache Zuckungen und dumpfe Laute ſeine Empfindung zu erkennen. Selten erſcheint der Gartenſchläfer vor Ende April wieder im Freien. Dann frißt er ſeine Nahrungsvorräthe vollends auf, und nun beginnt ſein eigentliches Sommerleben.

Der Gartenſchläfer iſt ein recht verhaßter Gaſt in Gärten, wo feinere Obſtſorten gezogen werden. Ein einziges dieſer Thiere reicht hin, eine ganze Pfirſich - oder Aprikoſenernte zu vernichten. Bei ſeinen Näſchereien zeigt er einen Geſchmack, der ihm alle Ehre macht. Er ſucht ſich nur die beſten und ſaftigſten Früchte aus, benagt aber oft auch andere, um ſie zu erproben, und vernichtet ſo noch mehr, als er eigentlich frißt. Es gibt kein Schutzmittel, ihn von den Früchten abzuhalten. Jedes Hinder - niß weiß der kleine Dieb zu überwinden; er klettert an den Spalieren und Bäumen hinan, ſchlüpft durch die Maſchen der Netze, welche über ſie geſpannt ſind, oder durchnagt ſie, wenn ſie zu eng ge - macht wurden; ja er weiß ſich ſelbſt durch Drahtgeflechte zu ſtehlen. Blos dasjenige Obſt, welches ſpät reift, iſt vor ihm geſichert; denn um dieſe Zeit liegt er ſchon ſchlafend in ſeinem Lager. Da er nun den Menſchen blos Schaden zufügt und nicht den geringſten Nutzen bringt, weder durch ſein Fleiſch, noch durch ſein Fell, wird er von Gartenbeſitzern, welche am empfindlichſten von ihm ge - brandſchatzt werden, ſehr eifrig verfolgt und auf alle mögliche Arten vernichtet. Die beſten Fallen, welche man ihm ſtellen kann, ſind wohl Drahtſchlingen, die man vor den Spalieren aufhängt, oder kleine Tellereiſen, welche man dort paſſend auſſtellt. Beſſer aber, als ſolche Fallen, ſchützt eine gute Katze den Garten vor dieſem zudringlichen Gaudiebe. Sie und Marder, Wieſel und Uhu ſind ſeine ärgſten Feinde, und wenn er ſich auch mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln nach Kräften zu wehren ſucht, ſobald ihm einer der Räuber auf den Leib rückt: er muß ja doch dieſen großen Herrn unterliegen und ſein junges Leben laſſen. Gutsbeſitzer alſo, welche dem Walde nahe wohnen, thun entſchieden wohl, wenn ſie alle dieſe natürlichen Feinde des ſchädlichen Thierchens nach Möglichkeit ſchonen.

Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Gartenſchläfer nicht. Selten gewöhnt er ſich an den Menſchen, und bei jeder Ueberraſchung bedient er ſich ſofort ſeiner ſcharfen Zähne, oft in recht em - pfindlicher Weiſe. Dabei hat er die unangenehmen Eigenſchaften des Siebenſchläfers, verhält ſich109Die Haſelmaus.ſtill bei Tage und tobt bei Nacht wie unſinnig in ſeinem Käfig umher, verſucht, die Stäbe und das Gitter durchzunagen und durchzubrechen, und raſt dann im Zimmer herum, daß man meint, es wären wohl ihrer zehn, die einander umherjagten. Was im Wege ſteht, wird natürlich umgeworfen und zertrümmert, und ſo leicht gelingt es nicht, den einmal Freigekommenen wieder einzufangen. Am beſten iſt immer noch das alte, bewährte Mittel, ihm allerlei hohle Gegenſtände an die Wand zu legen, namentlich Stiefeln und Kaſten, welche auf der einen Seite geſchloſſen ſind; da hinein rennt er bei ſeinem eilfertigen Jagen und wird dann natürlich leicht gefangen.

Von dem räuberiſchen Weſen des Gartenſchläfers kann man ſich an den Gefangenen leicht über - zeugen. Sie ſtürzen ſich mit wahrer Wuth auf jedes kleinere Wirbelthier, welches man zu ihnen bringt. Einen Vogel erwürgen ſie im Nu, eine biſſige Maus nach wenig Minuten, trotz aller Ge - genwehr. Sie zeigen die Blutgier des Wieſels neben der Gefräßigkeit anderer Bilche.

Die dritte Sippe der Schläfer (Muscardinus) un - terſcheidet ſich ebenfalls hauptſächlich durch das Gebiß von den vorigen. Der erſte obere Backenzahn hat zwei, der zweite fünf, der dritte ſieben, der vierte ſechs, der erſte untere drei, und die drei folgenden ſechs Quer - leiſten. Auch ſind die Ohren kleiner, als bei dem vo - rigen. Der Schwanz iſt ſeiner ganzen Länge nach gleich - mäßig und ziemlich kurz behaart; die Ober - und Unter - ſeite ſind gleichfarbig. Jn Europa lebt nur eine einzige Art dieſer Sippe, die Haſelmaus (Muscardinus avellanarius), eines der niedlichſten, anmuthigſten und luſtigſten Geſchöpfe unter allen europäiſchen Nagethieren, ebenſo ausgezeichnet durch zierliche Geſtalt und Schön - heit der Färbung, wie durch Reinlichkeit, Nettigkeit und Sanftheit des Weſens. Kaum ein anderes Thier iſt ſo zum Stubengenoſſen des Menſchen geeignet, wie dieſer kleine Nager, der ſich unbedingt Jeden zum Freunde er - wirbt, welcher ſich mit ihm beſchäftigen will. Das Thierchen iſt ungefähr ſo groß, wie unſere Haus - maus; ſeine Geſammtlänge beträgt höchſtens ſechs Zoll, und davon kommt faſt die Hälfte auf den Schwanz. Gewöhnlich bleibt die Haſelmaus aber hin - ter den angegebenen Maßen zurück; die meiſten werden etwa fünf Zoll lang. Der Pelz iſt gleichmäßig gelblich - roth, unten etwas heller, an der Bruſt und der Kehle weiß. Der Haargrund iſt aſchgrau, mit Ausnahme der weißen Stellen, deren Haare gleichfarbig ſind. Die Augengegend und die Ohren ſind hellröthlich, die

Die Haſelmaus (Muscardinus avellanarius).

Oberſeite des Schwanzes iſt etwas dunkler bräunlichroth, die Füße ſind roth, die Zehen weißlich. Jm Winter erhält die Oberſeite einen ſchwachen, ſchwärzlichen Anflug, namentlich die letzte Hälfte des Schwanzes. Dies kommt daher, weil das friſche Grannenhaar ſchwärzliche Spitzen hat, welche ſich ſpäter abnutzen und abſchleifen. Junge Thiere ſind lebhaft gelblichroth. Der Pelz iſt dicht und glatt anliegend, das Haar mittellang, glänzend und weich.

Unſer Mitteleuropa iſt die Heimat der kleinen Haſelmaus; Schweden und England ſcheinen ihre nördlichſte, Toskana und die nördliche Türkei ihre ſüdlichſte Grenze zu bilden; oſtwärts geht ſie nicht110Die Bilche oder Schlafmäuſe.über Galizien, Ungarn und Siebenbürgen hinaus. Beſonders häufig iſt ſie in Tirol, Kärnthen, Steiermark, Böhmen, Schleſien, Slavonien und in dem nördlichen Jtalien, wie ſie überhaupt den Süden in größerer Anzahl bewohnt, als den Norden. Jhre Aufenthaltsorte ſind faſt dieſelben, wie die ihrer Verwandten, und auch ihre Lebensweiſe erinnert lebhaft an die beſchriebenen Schläfer. Sie gehört ebenſogut der Ebene, als dem Gebirge an, geht aber in letzterem nicht über den Laubholz - gürtel nach oben, ſteigt alſo höchſtens zwei bis drei Tauſend Fuß über das Meer empor. Niederes Gebüſch und Hecken, am allerliebſten Haſelnußdickichte und Gebüſche ſind ihre wahren Wohnſitze.

Auch die Haſelmaus iſt ein Nachtthier. Bei Tage liegt ſie irgendwo verborgen und ſchläft, nachts geht ſie ihrer Nahrung nach. Nüſſe, Eicheln, harte Samen, ſaftige Früchte, Beeren und Baumknoſpen bilden dieſe; am liebſten aber verzehrt ſie Haſelnüſſe, welche ſie, ohne ſie abzupflücken, recht kunſtreich öffnet und entleert, ohne ſie aus der Hülſe zu ſprengen. Auch den Beeren der Ebereſche geht ſie nach und wird deshalb nicht ſelten in Dohnen gefangen. Das Thierchen lebt in kleinen Geſellſchaften, obgleich dieſe nicht gerade innig verbunden ſind. Jede einzelne Haſelmaus oder ihrer zwei zuſammen bauen ſich in recht dichten Gebüſchen ein weiches, warmes, ziemlich künſtliches Neſt aus Gras, Blättern, Mos, Würzelchen und Haaren und durchſtreifen von hier aus nächtlich ihr Gebiet, faſt immer gemeinſchaftlich mit anderen, welche in der Nähe wohnen. Es ſind echte Baum - thiere, ſie klettern wundervoll, auch im dünnſten Gezweige herum, nicht blos nach Art der Eichhörn - chen und anderer Schläfer, ſondern auch nach Art der Affen; denn oft kommt es vor, daß ſich die Haſelmaus mit ihren Hinterbeinen an einem Zweige aufhängt, um eine tiefer hängende Nuß zu erlangen und zu bearbeiten, und ebenſo häufig ſieht man ſie auch an der Unterſeite der Aeſte hin - laufen, gerade ſo ſicher, als auf der oberen, ganz in der Weiſe jener Waldſeiltänzer des Südens. Selbſt auf ebenem Boden iſt die Haſelmaus noch recht hurtig, wenn ſie auch ſobald als möglich ihr luftiges Gebiet wieder aufſucht.

Jhre Fortpflanzungszeit fällt erſt in den Hochſommer; ſelten paaren ſich die Geſchlechter vor Juli. Nach ungefähr vierwöchentlicher Tragzeit, alſo im Auguſt, wirft das Weibchen drei bis vier nackte, blinde Junge in daſſelbe Neſt, welches es im Sommer zu bewohnen pflegte. Die Kinderchen wachſen außerordentlich ſchnell, ſaugen aber doch einen vollen Monat an ihrer Mutter, wenn ſie auch inzwiſchen ſchon ſo groß geworden ſind, daß ſie ab und zu das Neſt verlaſſen können. Anfangs treibt ſich die Familie auf den nächſten Haſelſträuchen umher, ſpielt mit einander und ſucht dabei Nüſſe. Bei dem geringſten Geräuſch eilt Alles nach dem Neſte zurück, dort Schutz zu ſuchen. Noch ehe die Zeit kommt, wo ſie Abſchied nehmen von den Freuden des Lichtes, um ſich in ihre Winterlöcher zu - rückzuziehen, ſind die Kleinen bereits faſt ſo fett geworden, wie ihre Eltern, und haben ſich auch hübſche Vorräthe eingetragen. Um die Mitte des Oktobers zieht ſich jede Haſelmaus nun in den Schlupfwinkel zurück, wo ſie den Wintervorrath eingeſammelt, und bereitet ſich aus Reiſern, Laub, Nadeln, Mos und Gras eine kugelige Hülle, in welche ſie ſich gänzlich einwickelt; dann rollt ſie ſich zur Kugel zuſammen und fällt in Schlaf, tiefer noch, als ihre Verwandten, denn man kann ſie in die Hand nehmen und in derſelben herumkugeln, ohne daß ſie irgend ein Zeichen des Lebens von ſich gibt. Je nach der Milde oder Strenge des Winters durchſchläft ſie nun ihre ſechs bis ſieben Monate, mehr oder weniger unterbrochen, bis die ſchöne warme Frühlingsſonne ſie zu neuem Leben wach ruft.

Es hält ſehr ſchwer, eine Haſelmaus zu bekommen, ſo lange ſie vollkommen munter iſt, und wohl nur zufällig erlangt man ſie in dieſer oder jener Falle, welche man an ihren Lieblingsorten auf - ſtellte und mit Nüſſen oder anderer Nahrung köderte. Hat man ſie einmal in der Hand, ſo hat man ſie auch ſchon ſo gut, als gezähmt. Niemals wagt ſie, ſich gegen ihren Bewältiger zur Wehre zu ſetzen, niemals verſucht ſie, zu beißen; in der höchſten Angſt gibt ſie blos einen quietſchenden oder hell - ziſchenden Laut von ſich. Bald aber fügt ſie ſich in das Unvermeidliche, läßt ſich ruhig in das Haus tragen und ordnet ſich ganz und gar dem Willen des Menſchen unter. Sie verliert bald ihre Scheu, doch nicht ihre angeborne Schüchternheit und Furchtſamkeit, ſelbſt, wenn ſie ſich gewöhnt hat, daß man mit ihr ſpielt, ſie ſtreichelt, ſie ſich auf die Hand ſetzt u. ſ. w. Man ernährt ſie mit Nüſſen, Obſt -111Die Haſelmaus.kernen, Obſt und Brod, auch wohl Weizenkörnern. Sie frißt ſparſam und beſcheiden, und anfangs blos des Nachts. Waſſer oder Milch trinkt ſie nicht. Jhre überaus große Reinlichkeit und die Lie - benswürdigkeit und Verträglichkeit, welche ſie gegen ihres Gleichen zeigt, die hübſchen Bewe - gungen und luſtigen Geberden machen ſie immer zum wahren Liebling des Menſchen. Jn England wird ſie als Stubenthier in gewöhnlichen Vogelbauern gehalten und ebenſo wie Stubenvögel zum Markte gebracht. Man kann ſie auch in dem feinſten Zimmer halten; denn ſie verbreitet durchaus keinen üblen Geruch, weder durch ihren Harn, noch durch ihren Unrath. Nur im Sommer gibt ſie einen biſamähnlichen Geruch von ſich, der aber auch ſo ſchwach iſt, daß er nicht läſtig fällt. Recht ſchade iſt, daß erſt mit der Dämmerung das Leben dieſes prächtigen Thieres beginnt und man ſo nur wenig von ihm genießt.

Auch in der Gefangenſchaft hält die Haſelmaus ihren Winterſchlaf, wenn die Oertlichkeit eine ſolche iſt, die nicht immer gleichmäßig warm gehalten werden kann. Sie verſucht dann, ſich ein Neſt - chen zu bauen, und hüllt ſich da hinein oder ſchläft in irgend einer Ecke ihres Käfigs. Bringt man ſie wieder in die Wärme, z. B. zwiſchen die warme Hand, ſo erwacht ſie, bald aber ſchläft ſie wieder ein. Mein Freund, Dr. F. Schlegel, hat längere Zeit Haſelmäuſe beobachtet, um den Winterſchlaf zu ſtudiren, und hatte die Güte, mir Nachſtehendes zur Benutzung zu überlaſſen. Er pflegte das ſchla - fende Thierchen oft auf einen kleinen, eigens gebauten Lehnſtuhl zu ſetzen, in welchem es ſich dann überaus komiſch ausnahm. Da ſitzt ſie, ſagt er, gemächlich in den Armſtuhl gelehnt, eine Pelzkugel, den Kopf auf die Hinterfüße geſtützt, den Schwanz ſeitwärts über das Geſicht gekrümmt, mit dem Ausdruck des tiefſten Schlafes im Geſicht, die Mundwinkel krampfhaft auf - und eingezogen, ſo daß die langen Bartborſten, ſonſt fächerförmig ausſtrahlend, wie ein langhaariger Pinſel über die Wangen hinauf - und hinausragen. Zwiſchen den feſtgeſchloſſenen Augen und dem Mundwinkel wölbt ſich die eingeklemmte Wange hervor; die zur Fauſt geballten Zehen der Hinterfüße drücken im tiefſten Schlaf ſo feſt auf die Wange, daß die Stelle mit der Zeit zum kahlen Fleck wird. Ebenſo drollig, als dieſes Bild des Schlafes, erſcheint das erwachende Thier. Nimmt man es in die hohle Hand, ſo macht ſich die von da überſtrömende Wärme gar bald bemerklich. Die Pelzkugel regt ſich, beginnt merklich zu athmen, reckt und ſtreckt ſich; die Hinterfüße rutſchen von der Wange herunter; die Zehen der einge - zogenen Vorderfüße kommen unter dem Kinn tief aus dem Pelz heraus zum Vorſchein und der Schwanz gleitet langſam über den Leib herab. Und dabei läßt ſie Töne hören, wie Pfeifen oder Piepen, feiner noch und durchdringender, als die der Spitzmäuſe. Sie zwinkert und blinzelt mit den Augen, das eine thut ſich auf; aber wie geblendet kneift es der Langſchläfer ſchnell wieder zu. Das Leben kämpft mit dem Schlafe, doch Licht und Wärme ſiegen. Noch einmal lugt das eine der ſchwarzen Perlenaugen ſcheu und vorſichtig aus der ſchmalen Spalte der kaum geöffneten und nach den Winkeln hin geradezu verklebten Lider hervor. Der Tag lächelt ihm freundlich zu. Das Athmen wird immer ſchneller und immer tiefer. Noch iſt das Geſichtchen in verdrießliche Falten gelegt; doch mehr und mehr macht ſich das behagliche Gefühl der Wärme und des rückkehrenden Lebens geltend. Die Furchen glätten ſich, die Wange verſtreicht, die Schnurren ſenken ſich und ſtrahlen aus einander. Da auf einmal, nach langem Zwinkern und Blinzeln, entwindet ſich auch das andere Auge dem Todtenſchlafe, der es umnachtete, und trunken noch ſtaunt das Thierchen behaglich in den Tag hinaus. Endlich ermannt es ſich und ſucht ein Nüßchen zur Entſchädigung für die lange Faſtenzeit. Bald iſt das Verſäumte nachgeholt, und die Haſelmaus iſt munter? nein, immer noch wie träumend mit den Freuden des nahenden Frühlings beſchäftigt, und bald genug gewahrt ſie ihren Jrrthum, ſucht ihr Lager wieder auf und ſchläft ein von neuem, feſter und feſter zur Kugel ſich zuſammenrollend.

Schlegel ſcheint die Fettbildung, welche ſich bei den Winterſchläfern in ſo auffallender Weiſe zeigt, einzig und allein auf Rechnung der verringerten Athmung und bezüglich der Zufuhr des die Ver - brennung befördernden Sauerſtoffes zu ſchieben, und nimmt deshalb an, daß die Haſelmäuſe und alle übrigen Schläfer erſt dann die größte Maſſe von Fett erlangen, wenn ſie ſchon eine geraume Zeit geſchlafen haben. Das Fett , ſagt er, weit entfernt, Urſache des Schlafes zu ſein, ſcheint112Die eigentlichen Mäuſe.vielmehr erſt in Folge des Winterſchlafes zu entſtehen, und zwar ganz nach Art der eigentlichen Fettſucht beim Menſchen. Letztere wird bedingt durch mangelhafte Verwendung des im Blute ent - haltenen Fettes zum Neubau (Stoffwechſel) des Körpers und mangelhafte Entfernung (Verbrennung) deſſelben mittels der Lungen, von denen es, mit dem eingeathmeten Sauerſtoff der Luft chemiſch ver - bunden, als Kohlenſäure und Waſſer ausgeſchieden werden ſoll. Dieſer Fall tritt ein bei phlegma - tiſchem Temperament, Mangel der Bewegung, übertriebener Schlaf - und verminderter Athmungs - thätigkeit, und denſelben Fall haben wir bei winterſchlafenden Thieren. Der Stoffwechſel iſt vermin - dert, vor allem aber die Sauerſtoffaufnahme durch Athmen zuweilen ganz unmerklich. Dies ſcheint die einfachſte wiſſenſchaftliche Erklärung des Fettwerdens der Winterſchläfer. Die Wägung winter - ſchlafender Thiere zeigt allerdings eine allmähliche Gewichtsabnahme, merkwürdigerweiſe aber fanden Profeſſor Saci und Valentin an ſchlafenden Murmelthieren gerade zur Zeit des tiefſten Schlafes eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme, während, wenn das Thier, wie man von allen Winterſchläfern glaubt, von ſeinem Fette zehrte, gerade im tiefſten Schlafe, beim vollſtändigſten Mangel an Nahrungs - zufuhr alſo, die merkwürdigſte Gewichtsabnahme zu erwarten ſein ſollte.

Keine andere Familie der ganzen Ordnung verſteht es, ſo gründlich uns zu belehren, was Nager ſind, als die, welche die eigentlichen Mäuſe (Mures) umfaßt. Dieſe Familie iſt nicht blos die an Sippen und Arten reichſte, ſondern auch bei weitem die verbreitetſte, und Dank ihrer Anhäng - lichkeit an den Menſchen noch in ſteter Verbreitung begriffen, wenigſtens was einzelne ihrer Arten anlangt. Jhre Mitglieder ſind durchgängig kleine Geſellen; aber ſie erſetzen durch ihre Zahl, was den einzelnen an Größe abgeht, mehr als vollſtändig. Will man ein allgemeines Bild von der Ge - ſammtheit geben, ſo kann man ſagen, daß die ſpitze Schnauze, die großen, ſchwarzen Augen, die breiten und hohlen, ſehr ſpärlich behaarten Ohren, der lange, behaarte oder faſt noch öfter nackt - ſchuppige Schwanz und die zierlichen Beine mit ſchmalen, feinen fünfzehigen Pfoten, ſowie ein kurzer, weicher Pelz unſere Familie kennzeichnet. Doch müſſen dieſe Merkmale eben blos als ganz allgemeine gelten; denn viele eigentliche Mäuſe nähern ſich in ihrer Geſammtgeſtaltung anderen Familien unſerer Ordnung: Stachliches Grannenhaar erinnert an die eigentlichen Stachelmäuſe oder Stachel - ſchweine, echte Schwimmfüße, kurze Ohren und Beine an die Biber, dick behaarter Schwanz an die Eichhörnchen u. ſ. w. Mit ſolchen äußerlichen Abänderungen der allgemeinen Grundform ſteht natürlich auch der Bau des Gebiſſes mehr oder weniger im Einklang. Gewöhnlich ſind die Nage - zähne ſchmal und mehr dick als breit, mit ſcharfmeißlicher Schneide oder ſcharfer Spitze, an der Vorder - ſeite glatt oder gewölbt, weiß oder gefärbt, auch wohl durch eine Längsrinne getheilt. Drei Back - zähne in jeder Reihe, welche von vorn nach hinten an Größe abnehmen, bilden regelmäßig das übrige Gebiß; ihre Zahl ſinkt aber auch wohl auf zwei herab oder ſteigt bis auf vier. Sie ſind entweder ſchmelzhöckerig, mit getrennten Wurzeln, oder quergefaltet, oder ſeitlich eingekerbt. Viele ſchleifen ſich durch das Kauen ab, und dann erſcheint die Fläche eben oder mit Faltenzeichnung. Zwölf oder drei - zehn Wirbel tragen Rippen, drei bis vier bilden das Kreuzbein, und zehn bis ſechsunddreißig den Schwanz. Bei einigen Arten kommen wohl auch Backentaſchen vor, bei andern fehlen ſie gänzlich; bei dieſen iſt der Magen einfach, bei jenen ſtark eingeſchnürt u. ſ. w.

Die Mäuſe ſind Weltbürger, aber leider nicht im guten Sinne. Alle Erdtheile weiſen Mit - glieder aus dieſer Familie auf, und jene glücklichen Jnſeln, welche bis jetzt noch von ihnen verſchont blieben, werden ſicher im Laufe der Zeit noch wenigſtens von einer Art bevölkert werden, deren Wanderluſt ſchon wahrhaft gewaltige Erfolge erzielt hat. Die Mäuſe bewohnen alle Gegenden und Klimate, wenn ſie auch die Ebenen gemäßigter und wärmerer Länder dem rauhen Hochgebirge oder dem kalten Norden vorziehen; aber ſie finden ſich ſo weit, als die Grenze des Pflanzenwuchſes reicht, demzufolge auch noch in unmittelbarer Nähe des ewigen Schnees der Gebirge. Wohlbebaute Gegenden,113Die eigentlichen Mäuſe.Fruchtfelder, Pflanzungen ſind unbedingt ihre Lieblingsorte; ſumpfige Strecken, Flußufer und Bäche bieten ihnen aber ebenfalls genug, und ſelbſt dürre, trockene, mit wenig Gras und Buſchwerk be - wachſene Ebenen gewähren ihnen noch die Möglichkeit, zu leben. Einige meiden die Nähe menſchlicher Anſiedelungen, andere drängen ſich dem Menſchen als ungebetene Gäſte auf und folgen ihm überall hin, wo er neue Wohnorte gründet, ſelbſt über das Meer. Sie bevölkern Haus und Hof, Scheuer und Stall, Garten und Feld, Wieſe und Wald, überall mit gefräßigem Zahne Schaden und Unheil anrich - tend. Nur die wenigſten leben einzeln oder paarweiſe, die meiſten lieben die Geſelligkeit, und manche Arten wachſen zuweilen zu ungeheuren Scharen an, obgleich ſich einzelne immer mehr oder weniger ab - geſondert halten. Bei faſt allen iſt die Vermehrung eine ganz außerordentliche; denn die Zahl der Jungen eines einzigen Wurfs ſchwankt zwiſchen ſechs und einundzwanzig, und die allermeiſten pflanzen ſich mehrmals im Jahre, ja ſelbſt im Winter fort.

Die Mäuſe ſind in jeder Weiſe geeignet, den Menſchen zu plagen und zu quälen. Alle ihre Eigenſchaften ſcheinen ſie beſonders hierzu zu befähigen. Sie ſind gewandt und behend in ihren Be - wegungen, können vortrefflich laufen, ſpringen, klettern, ſchwimmen; ſie verſtehen es, ſich durch die engſten Oeffnungen zu zwängen, oder, wenn ſie keine Zugänge finden, ſich mit ihrem ſcharfen Gebiß Wege zu eröffnen. Sie treiben ihr Weſen am liebſten bei Nacht und vereiteln dadurch Verfol - gungen, denen Tagthiere ausgeſetzt ſein würden; ſie ſind ziemlich klug und vorſichtig, aber ebenſo auch dreiſt, frech, unverſchämt, liſtig und muthig. Jhre Sinne ſind durchgehends fein, wenn auch der Geruch und das Gehör die übrigen bei weitem übertreffen. Jhre Nahrung beſteht aus allen eßbaren Stoffen des Pflanzen - und Thierreichs. Samen, Früchte, Wurzeln, Rinde, Kräuter, Gras, Blüthen, welche ihre natürliche Nahrung bilden, werden nicht minder gern von ihnen verzehrt, als Kerbthiere, Fleiſch, Fett, Blut und Milch, Butter und Käſe, Haut und Knochen; und was ſie nicht freſſen können, zernagen und zerbeißen ſie wenigſtens, ſo Papier und Holz. Waſſer trinken ſie im Allge - meinen nur ſelten; dagegen ſind ſie äußerſt lüſtern auf alle nahrungsreicheren Flüſſigkeiten und ver - ſtehen es, ſich derſelben in der liſtigſten Weiſe zu bemächtigen. Die meiſten zwar führen ihre Speiſe mit den Vorderpfoten zum Munde, wie die übrigen Nager; aber manche, wie die Ratten, benutzen unter Umſtänden auch ihren Schwanz, um zu Nahrungsvorräthen zu gelangen, welche ihnen ſonſt un - zugänglich wären. Sie tauchen ihn z. B. in Gefäße ein, welche mit Oel oder Milch gefüllt ſind, und lecken ihn dann ab. Dabei verwüſten ſie regelmäßig weit mehr, als ſie verzehren, und werden hier - durch zu den allerunangenehmſten Feinden des Menſchen, welche nothwendigerweiſe deſſen ganzen Haß heraufbeſchwören und ſogar die vielfachen Grauſamkeiten, welche er ſich bei ihrer Vertilgung zu Schul - den kommen läßt, wenn auch nicht verzeihlich, ſo doch erklärlich machen. Nur ſehr wenige ſind harm - loſe, unſchädliche Thiere, und haben wegen ihrer zierlichen Geſtalt, der Anmuth ihrer Bewegungen und ihres anſprechenden Weſens Gnade vor den Augen des Menſchen gefunden. Hierher gehören namentlich auch die Baukünſtler unter dieſer Familie, welche die kunſtreichſten Neſter unter allen Säugethieren überhaupt anlegen und durch ihre geringe Zahl und den geringen Nahrungsverbrauch wenig läſtig werden, während andere, die in ihrer Weiſe auch Baukünſtler ſind und ſich größere oder kleinere Höhlen anlegen, gerade hierdurch ſich verhaßt machen. Einige Arten, welche die kälteren und gemäßigten Gegenden bewohnen, halten einen Winterſchlaf und tragen ſich vorher Nahrungsvorräthe ein, manche in bedeutender Menge; andere unternehmen zeitweilig in ungeheuren Scharen Wande - rungen, welche ihnen aber gewöhnlich ſehr verderblich werden.

Für die Gefangenſchaft eignen ſich nur wenige Arten, denn blos der geringſte Theil aller Mäuſe erfreut durch ſeine leichte Zähmbarkeit und die Verträglichkeit mit anderen ſeiner Art. Die übrigen bleiben auch im Käfig unangenehme, unverträgliche, biſſige Geſchöpfe, welche die ihnen gewidmete Freundſchaft und Pflege ſchlecht vergelten. Eigentlichen Nutzen gewähren die Mäuſe nie, denn, wenn man auch von dieſer oder jener Art das Fell benutzt oder ſelbſt das Fleiſch ißt, ſo kommt doch beides gar nicht in Betracht gegen den außerordentlichen Schaden, welchen die Geſammtheit der Familie anrichtet.

Brehm, Thierleben. II. 8114Die eigentlichen Mäuſe.

Fitzinger betrachtet die Rennmäuſe (Meriones) als eine Sippe unſerer Familie; andere Naturforſcher ſehen ſie als beſondere Familie an, obwohl ſie zugeſtehen, daß ſie ſich den echten Mäuſen in jeder Hinſicht innig anſchließen. Jhr Leib iſt eher unterſetzt, als geſtreckt, der Hals iſt kurz und dick, ihr Kopf ziemlich kurz, hinten breit, nach vorn zu verſchmälert, die Schnauze zugeſpitzt, der Schwanz faſt von Körperlänge, regelmäßig dicht behaart, zuweilen ſogar gepinſelt, niemals nackt. Die hinteren Glieder ſind etwas länger, als die vorderen, die Füße ſind fünfzehig, doch iſt der vordere Daumen eigentlich nur eine Warze mit glattem Nagel. Die Krallen der übrigen Zehen ſind kurz, ſchwach gekrümmt und zugeſpitzt. Die Ohren und Augen ſind ſehr groß, der Pelz iſt dicht, glatt an - liegend und weich, auf der Oberſeite regelmäßig roſtigbraun oder fahl, auf der Unterſeite heller oder weiß, ohne daß ſich jedoch dieſe Färbung ſcharf von der oberen abſetzte. Jm Uebrigen ähneln die Renn - mäuſe ihren Familienverwandten. Sie vertreten im Süden der alten Welt manche andere Sippen der Familie, welche dort nur in untergeordneter Weiſe vorkommen. Jhre Heimat beſchränkt ſich auf Afrika, das ſüdliche Aſien und das ſüdöſtliche Europa. Jn ihrer Lebensweiſe und dem Betragen zei - gen ſie ſich als echte Mäuſe. Sie leben am liebſten in den angebauten Gegenden, finden ſich aber auch in den dürrſten Ebenen und Steppen oft in außerordentlicher Menge. Manche Arten ſind geſellig und vereinigen ſich zu Schaaren, welche dann eben ſo ſchädlich werden, als unſere Feldmäuſe. Die meiſten graben ſich ziemlich ſeichte, unterirdiſche Gänge, in welchen ſie den Tag verbringen. Mit Einbruch der Dämmerung kommen ſie hervor, um nach Nahrung auszugehen. Jhre Bewegungen ſind außerordentlich raſch und lebhaft; Dies gilt zumal von ihrem Laufe, wie ſchon der Name andeutet. Einzelne ſind im Stande, bedeutende Sätze zu machen: manche Berichterſtatter behaupten, daß ſie ſolche von 12 bis 15 Fuß ausführen könnten. Sie ſind ſcheu und furchtſam, wie die übrigen Mäuſe, und flüchten ſich ſchon beim geringſten Geräuſch eiligſt nach ihren Löchern. Jhre Nahrung beſteht in allerlei Samen und Wurzeln, namentlich auch in Getreide. Auf bebauten Feldern richten ſie große Ver - wüſtungen an; ſie beißen dort die Aehren ab und ſchleppen ſie nach ihrer Wohnung, wo ſie dieſelben ungeſtört und gemächlich abfreſſen oder ausdreſchen, um die Körner für ungünſtige Zeiten aufzuſpeichern. Die Vorräthe, welche ſie ſich eintragen, ſind ſo bedeutend, daß arme Leute durch Ausgraben derſelben eine ziemlich reiche Ernte halten können; denn man findet oft in einem Umkreiſe von zwanzig Schritten mehr als einen Scheffel der ſchönſten Aehren unter der Erde verborgen. Wie unſeren Ratten, iſt den Rennmäuſen aber auch thieriſche Nahrung willkommen; vorzüglich die Kerbthiere haben in ihnen arge Feinde. Es ſcheint, daß ſie das Waſſer ganz zu entbehren im Stande ſind, wenigſtens findet man ſie nicht ſelten in dürren Ebenen, meilenweit von Bächen oder Brunnen entfernt, ohne daß man ihnen einen Mangel anmerken könnte.

Wegen der großen Verwüſtungen, welche die Rennmäuſe in den Feldern anrichten, werden ſie von den Einwohnern ihrer Heimat ebenſo gehaßt und verfolgt, wie unſere Ratten. Sie zu vertreiben, iſt nicht möglich, ſo eifrig man ihnen auch nachſtellen mag; denn ihre Vermehrung iſt ſo bedeutend, daß alle Niederlagen, welche der Menſch etwa einer Art beibringen kann, ſehr bald durch deren Fruchtbarkeit wieder ausgeglichen ſind. Genaueres über ihre Fortpflanzung im Freien iſt nicht be - kannt; man weiß nur, daß die Weibchen mehrmals im Jahre ziemlich zahlreiche Nachkommenſchaft zur Welt bringen.

Von einigen Arten rühmt man ihr angenehmes Betragen in der Gefangenſchaft. Sie ſollen ſich ebenſo durch ihre große Beweglichkeit, als durch ihre Reinlichkeit, durch ihre Sanftmuth und Ver - träglichkeit auszeichnen, d. h. natürlich, ſo lange ihnen Nichts abgeht; denn, wenn mehrere beiſammen ſind und auch nur auf kurze Zeit Mangel leiden, ſtreiten ſie ſich und beißen ohne Umſtände einander die Schwänze ab.

Die feiſte Rennmaus (Meriones-Psammomys-obesus) hat etwa die Größe unſerer Wan - derratte, ſie wird 12 Zoll lang, wovon der Schwanz 5 Zoll wegnimmt. Oben iſt ſie röthlich ſand - farben, ſchwarz geſprenkelt, an den Seiten und unten lichtgelb. Die Wangen ſind gelblich weiß, fein115Die feiſte Rennmaus.ſchwarz geſtrichelt, die Ohren hellgelb, die Pfoten licht ockerfarben. Von den Schnurren ſind einige ſchwarz, andere weiß, und einige endlich an der Wurzel ſchwarz und an der Spitze licht.

Jn Egypten ſieht man dieſe Maus oft genug. Sie bewohnt ſandige Stellen der Wüſte, beſon - ders häufig auch jene Schuttberge, welche alle Städte des Pharaonenlandes umgeben. Hier legt ſie ſich verzweigte, ziemlich tiefe Röhren und Gänge an, am liebſten unter und zwiſchen dem niederen Geſtrüpp und den wenigen kriechenden Pflanzen, welche ihre Wohnorte ſpärlich genug bedecken und ihr zugleich das tägliche Brod ſind. Da dieſe Rennmaus auch am Tage vor dem Baue erſcheint, kann man ſie leicht beobachten. Oft ſieht man ihrer zehn bis funfzehn umherrennen, mit einander ſpielend verkehren, von dieſer und jener Pflanze naſchen ꝛc. Ein herannahender Menſch oder einer jener herrenloſen Hunde verſcheucht die ganze Geſellſchaft augenblicklich; aber es dauert gar nicht lange, und hier und da guckt wieder ein Köpfchen aus den Löchern hervor, und wenn Alles ruhig bleibt, iſt die ganze Geſellſchaft in kurzem wieder außerhalb der ſicheren Baue. Ob ſie ihrem Namen beſondere Ehre machen, laſſe ich dahingeſtellt ſein; ich habe nicht wahrgenommen, daß ſie durch beſondere Schnellläufigkeit ſich aus - zeichnen ſollten. Ueber ihr Familienleben habe ich keine Beobachtungen gemacht, weil derartige Thiere mich früher weit weniger anzogen, als das leichte, bewegliche Volk der Vögel.

Die feiſte Rennmaus (Meriones-Psammomys-obesus).

Die Araber ſehen in den Rennmäuſen unreine Thiere und verfolgen ſie nicht. Um ſo eifriger beſchäftigen ſich die Straßenhunde mit der Jagd ſolch leckeren Wildes, und oft ſieht man einen dieſer Köter mit der innigſten Theilnahme und lebhafteſten Spannung vor einem der Ausgänge ſtehen.

Das Gefangenleben der feiſten Renumaus hat Dehne am beſten und ausführlichſten beſchrieben. Jch will ihn ſelbſt reden laſſen. Jm Käfig, ſagt er, muß man dieſe Thiere ſehr warm halten, weil ſie gegen die Kälte im hohen Grade empfindlich ſind. An mehreren Orten, z. B. im Berliner Thier - garten, hat man ſie zur Fortpflanzung gebracht; ſie ſind aber noch immer ſelten in den Sammlungen der Liebhaber oder in den Muſeen. Jch erhielt ein Männchen ohne Angabe des Alters aus Berlin; es ſtarb aber ſehr bald, weil es zu fett geworden war. Es fraß Pflaumen, Aepfel, Kirſchen, Birnen, Himbeeren, Erdbeeren, Mais, Hafer, Hanfſamen, Brod, Milch, Semmel, Zwieback u. ſ. w. An gekochten Kartoffeln, Runkelrüben, Möhren nagte es nur dann und wann aus langer Weile; aber Pflaumenkerne wurden begierig von ihm geöffnet, um zu deren Jnhalte zu gelangen, welcher ihm zur Arznei, vielleicht zur Beförderung der Verdanung zu dienen ſchien. Es war ſehr reinlich und hatte im Käfig ein beſonderes Fleckchen für ſeinen Unrath, welcher im Verhältniß zu ſeiner Größe ſehr klein, kaum etwas größer, wie der von der Hausmaus war. Einen üblen Geruch verbreitete das Thier8 *116Die eigentlichen Mäuſe.nicht; es harnte überhaupt ſo wenig, daß die untergeſtreuten Sägeſpähne ſtets trocken blieben. An den Drähten des Käfigs nagte es ſtundenlang, verſuchte aber nie, eine Oeffnung zu machen. Wenn es ſich auf die Hinterfüße ſetzte, erinnerte es ſehr an die bekannten Stellungen der Springmäuſe. Die Vorderfüße waren beinahe unter dem langen, ſeidenartigen Pelze verſteckt. Eine eigentliche Stimme habe ich nie von ihm gehört, ſondern nur manchmal einen in Zwiſchenräumen von mehreren Sekunden wiederholten Ton, welcher wie unterdrücktes Huſten klang.

Später bekam ich ein junges, halb ausgewachſenes Weibchen. Es iſt weit lebhafter, als das ernſtere Männchen. Die ganze Nacht läuft es im Käfig hin und her; den Tag verbringt es mit Schlafen. Jm Schlafe ſitzt es auf den Hinterfüßen, den Kopf zwiſchen die Schenkel geſteckt und den Schwanz kreisförmig unter den Kopf gelegt.

Am 1. September warf bei mir eine ungefähr ein Jahr alte Sandrenumaus ſechs Junge. Jch entfernte ſogleich das Männchen aus dem Käfig und gab der Mutter friſches Heu, woraus ſie ſich als - bald ein bequemes Neſt verfertigte.

Die neugeborenen Jungen hatten das Ausſehen junger Wanderratten, ſchienen mir aber um ein wenig größer zu ſein. Sie gaben einen piependen Ton von ſich, auch noch im Alter von einigen Wochen. Die Mutter war ſehr beſorgt um ihre Kleinen und verdeckte ſie, wenn ſie das Lager verließ, mit Heu. Manchmal, vorzüglich in der ihr ſehr wohlthuenden Mittagshitze, legte ſie ſich beim Säugen auf die Seite, ſo daß man die Jungen ſehr gut beobachten konnte. Dieſe waren ſehr lebhaft und ſaugten mit Begierde. Vier Tage nach ihrer Geburt waren ſie ſchon ganz grau, am ſechſten Tage ihres Lebens hatten ſie die Größe der Zwergmäuſe, und der ganze Oberkörper war mit einem außer - ordentlich feinen Flaum von ſchieferblauer Farbe bedeckt. Jhr Wachsthum ging ſehr raſch von ſtatten. Am dreizehnten Tage waren ſie überall mit kurzen Haaren bedeckt, der Oberkörper hatte ſchon die eigen - thümliche, rehfahle Farbe der Alten, und die ſchwarze Schwanzſpitze konnte man bereits recht deutlich er - kennen. Sie liefen manchmal, wenn auch noch etwas unbeholfen und ſchwerfällig, um ihr Lager und machten, obgleich noch blind, öfters Männchen und putzten ſich. Die Mutter verſuchte ſie aber immer der Beobachtung zu entziehen, nahm eine nach der andern ins Maul, brachte ſie eiligſt nach dem Neſte zurück und verbarg ſie dort ſorgfältig. Wenn man längere Zeit in ihrer Nähe verweilte, wurde ſie ſehr ängſtlich und lief mit der größten Schnelligkeit im Käfig herum, eines oder das andere der Jungen im Maule tragend. Man glaubte, befürchten zu müſſen, daß ſie die zarten Thierchen verletzen möchte; doch war Dies nie der Fall, und die Jungen gaben auch kein Zeichen des Schmerzes oder Unbehagens. Am ſechzehnten Tage ihres Lebens wurden ſie ſehend. Nun benagten ſie ſchon Hafer, Gerſte, Mais, und man konnte nach einigen weiteren Tagen ſich auch durchs Gehör von der Thätigkeit ihrer Nage - zähne überzeugen. Am 21. Tage hatten ſie die Größe der Hausmäuſe, am 25. die der Waldmäuſe. Jetzt ſaugten ſie nur ſelten, doch bemerkte ich Dies von einigen noch, nachdem ſie über einen Monat alt geworden waren. Sie fraßen ſchon von allem, was ihre Mutter zur Nahrung bekam: in Waſſer gequellte Semmel, Zwieback, Brod, Hafer, Gerſte, Mais. Der letztere behagte ihnen vorzüglich, wenn er friſch abgenommen und noch etwas weich war. Hanfſamen, Kürbißkörner liebten ſie ſehr; aus Birnen, Aepfeln und anderem Obſt ſchienen ſie ſich wenig zu machen: ſie koſteten nur zuweilen etwas davon.

Am 5. Oktober gab das ſeit dem 1. September abgeſperrte Männchen zum erſten Male deutlich wahrnehmbare Töne von ſich. Sie beſtanden aus girrenden, trillernden Strophen, in denen zum Theil etwas Melodie lag, ähnlich denen des Meerſchweinchens, nur ſchwächer. Dieſer Geſang dauerte wohl eine Viertelſtunde; früher hatte ich nie etwas Aehnliches von meinem Gefangenen ver - nommen. Am 6. Oktober bemerkte ich zu meinem großen Erſtaunen, daß die Mutter der zur Welt gekommenen Jungen ſchon wieder fünf Kleine geboren hatte. Sie war demnach 36 Tage trächtig gegangen und hatte ſich alſo gleich nach ihrer Entbindung wieder mit ihrem Männchen begattet. Hier - aus läßt ſich die ungeheuere Vermehrung der Nager erklären.

117Die Ratten.

Man kann die Sandmaus den hübſcheſten Thieren beizählen, die man aus der Ordnung der Nager zum Vergnügen hält. Sie wird ungemein zahm, verläßt den Kaſig, läuft ſorglos auf dem Tiſch umher und läßt ſich ergreifen und nehmen, ohne Miene zum Beißen zu machen. Dabei iſt ſie ſehr reinlich und verbreitet gar keinen unangenehmen Geruch; namentlich die Jungen ſind allerliebſt. Jhre großen, nicht ſehr vorſtehenden Augen und ihr ſchöner Pelz tragen viel zum angenehmen Ein - drucke bei, welchen dieſe netten Thierchen auf den Beſchauer machen; ſelbſt ihre dichtbehaarten Schwänze mit ſchwarzen Endquaſten gereichen ihnen ſehr zur Zierde.

Da die Wüſtenſandmaus, als Nachtthier, vorzugsweiſe von der Abend - bis zur Mor - gendämmerung ihr Weſen treibt, ihrer Nahrung nachgeht und unter Hüpfen, Laufen und Spie - len die Zeit hinbringt, ſo bietet ihr natürlich der enge Käfig zu wenig Raum dar, um unbe - ſchadet des Neſtes die manchfaltigen Körperübungen vorzunehmen. Daher ſah man auch von dem Neſte, ſolange die Jungen blind waren, in der Nacht faſt keine Spur, und Alles war gleichförmig zuſammengetreten. Die Jungen waren zugedeckt, und, wenn ſie nicht zuweilen ſich durch eine Be - wegung bemerklich gemacht hätten, man würde kaum geglaubt haben, daß außer der Mutter noch lebende Junge im Käfig waren.

Die eigentlichen Ur - und Vorbilder der ganzen Familie, die Ratten und Mäuſe, ſind Dank ihrer Zudringlichkeit als Gäſte des Menſchen in ihrem Treiben und Weſen nur zu bekannt. Unter ihnen finden ſich jene Arten, welche mit den Menſchen über die ganze Erde gezogen ſind und ſich gegen - wärtig auch auf den ödeſten Jnſeln angeſiedelt haben. Es iſt noch nicht ſo lange her, daß dieſe Welt - verbreitung der Thiere ſtattfand; ja, man kennt an vielen Orten noch genau die Jahreszahl, in welcher ſie zuerſt auftraten: gegenwärtig aber haben ſie ihre Rundreiſe um den Erdball vollendet. Nirgends dankt ihnen der Menſch die unverwüſtliche Anhänglichkeit, welche ſie an ſeine Perſon, an ſein Haus und ſeinen Hof an den Tag legen; überall verfolgt und haßt er ſie auf das ſchonungsloſeſte; alle Mittel ſetzt er in Bewegung, um ſich von ihnen zu befreien: und dennoch bleiben ſie ihm zugethan, treuer noch, als der Hund, treuer, als irgend ein anderes Thier. Leider hat dieſe Anhänglichkeit nur einen unedlen Grund: die Mäuſe folgen dem Menſchen blos um deshalb, weil ſie in ihm ihren Ernährer und Verſorger erblicken; die anhänglichen Hausfreunde ſind zugleich die ſchändlichſten, abſcheulichſten Hausdiebe, welche mit ihren ſpitzbübiſchen Werkzeugen ſich überall einzuniſten wiſſen, und ihrem Gaſt - freunde Schaden auf Schaden, Verluſt auf Verluſt bereiten. Hierin iſt es zu ſuchen, daß alle wahren Mäuſe ſchlechtweg für häßliche, garſtige Thiere erklärt werden, obgleich ſie Dies in Wahrheit durchaus nicht alle ſind. Manche müſſen im Gegentheil höchſt ſchmucke, anmuthige, nette Geſellen genannt werden, und wir würden ihnen unbedingt unſere Zuneigung ſchenken, wollten ſie uns weniger mit ihren Beſuchen beehren, als ſie Dies gewöhnlich zu thun pflegen.

Alle wahren Mäuſe zeigen die Geſammtkennzeichen ihrer Familie am vollſtändigſten. Man hat ſie in der Neuzeit in viele größere oder kleinere Gruppen getheilt, ohne für dieſe ſtichhaltige Unter - ſcheidungsmerkmale aufſtellen zu können. Der längere oder kürzere Schwanz und die Beſchaffenheit des Gebiſſes bilden die hauptſächlichſten Grundlagen zur Trennung in Abtheilungen; doch ſind alle Unterſchiede ſehr oberflächlich. Jm allgemeinen kennzeichnen die Mäuſe die ſpitze, behaarte Schnauze, die breite, geſpaltene Oberlippe, die in fünf Reihen geordneten, langen und ſtarken Schnurren, die großen, runden, tiefſchwarzen Augen, die frei aus dem Pelze hervorragenden Ohren und vor allem der lange, nackte, blos ſpärlich mit ſteifen Härchen bekleidete, anſtatt der Behaarung mit viereckigen und verſchobenviereckigen Schuppen bedeckte Schwanz. Die Vorderfüße haben vier Zehen und eine Daumenwarze; die Hinterfüße ſind fünfzehig. Jm Gebiß finden ſich drei Backenzähne in jedem Kiefer, welche von vorn nach hinten zu an Größe abnehmen. Jhre Kaufläche iſt höckerig, ſchleift ſich aber mit der Zeit mehr und mehr ab, und dann entſtehen quere Schmelzbänder, welche in hohem Alter ebenfalls verſchwinden können. Der Pelz beſteht aus kurzem, wolligen Grundhaar und längeren,118Die eigentlichen Mäuſe.ſteifen Grannen, welche abgeplattet erſcheinen. Jn der Pelzfärbung ſind Schwarzbraun und Weißgelb vorwiegend.

Schon im gewöhnlichen Leben unterſcheidet man zwei Hauptgruppen, die Ratten und Mäuſe, und dieſe Unterſcheidung nimmt auch die Wiſſenſchaft an. Die Ratten ſind die plumperen und häß - licheren, die Mäuſe die leichteren und zierlicheren Geſtalten. Bei jenen hat der Schwanz zwiſchen 200 und 260 Schuppenringe, bei dieſen nur zwiſchen 120 und 180; dort ſind die Füße dick und plump, hier ſchlank und fein; die Ratten werden im ausgewachſenen Zuſtande über zwölf Zoll, die Mäuſe nur gegen neun Zoll lang; jene haben getheilte Querfalten im Gaumen, bei dieſen ſind die Querfalten erſt von der zweiten an in der Mitte getheilt. Man ſieht daraus, daß dieſe Unterſchei - dungsmerkmale immerhin einer ziemlich ſorgfältigen Prüfung bedürfen und eigentlich nur für den Forſcher von Fach beſonderen Werth haben. Jn ihrem Leben dagegen unterſcheiden ſich die eigentlichen Ratten von den wahren Mäuſen auffallend genug.

Die hohen Würdenträger der chriſtlichen Kirche haben ſchon im funfzehnten Jahrhundert von den Ratten eine gewaltige Niederlage erlitten; denn dieſe Thiere fürchteten ſich bereits zu jener Zeit nicht im geringſten vor den Schreckmitteln, durch deren Hilfe dieſe irdiſchen Himmelskönige zu herr - ſchen ſuchten. Der Biſchof von Autun erklärte nämlich unſere Hausratte, die zu ſeiner Zeit ganz die Rolle ſpielte, welche die Wanderratte in unſeren Tagen übernommen hat, feierlichſt in den Kirchenbann, ohne daß dieſe Handlung irgendwelche Wirkung hervorgebracht hätte; denn die Ratten vermehrten ſich nach wie vor, und bewieſen auf das ſchlagendſte, daß die Bannblitze nur dem gläu - bigen Menſchengeſchlecht ſchädlich werden konnten. Die proteſtantiſchen Geiſtlichen Sondershauſens ſuchten ſich auf andere Weiſe der Ratten zu entledigen, welche ihnen als eine von Gott zur Strafe der ſündigen Menſchheit verhängte Landplage erſchienen. Wahrſcheinlich hatten die Thiere dem aufge - ſpeicherten Zehntel der frommen Herren empfindlichen Schaden zugefügt und ſie deshalb zum Nach - denken darüber veranlaßt, wie jener Plage zu ſteuern: kurz und gut, man verordnete einen feierlichen Buß - und Bettag im ganzen Lande. Die Gläubigen wallten zerknirſcht in die Kirchen und erbaten von dem Höchſten Abhilfe von aller Noth und allem Elend, ſo die Ratten ihren treuen Hirten zuge - fügt; aber obgleich der ſündige Menſch das ihm von Adams Zeiten her anererbte Böſe frommen Her - zens anerkannte und nach Kräften Leib und Seele zu kaſteien verſuchte: die erwünſchte Wirkung blieb aus. Auch der Buß - und Bettag war vergebeus angeſetzt worden; nach wie vor vermehrten ſich die Ratten, und bis zum heutigen Tage hat man noch kein Mittel gefunden, ihrer Verbreitung zu ſteuern, obgleich man ſeitdem viel vernünftiger geworden iſt und ganz andere Geſchoſſe gegen ſie an - wendet, obgleich man ſchon ſeit langer Zeit anſtatt mit leerem Wortſchwall, mit allen nur erdenkbaren Mitteln gegen ſie zu Felde zieht. Die egyptiſche Plage währt nicht nur fort, ſondern nimmt ſogar überhand; denn die eine, und zwar die ſchlimmere, der Rattenarten verbreitet ſich von Tag zu Tag mehr über das Erdeurund.

Jn unſerem Vaterlande wohnen noch immer beide Rattenarten hier und da neben einander, wenn auch gegenwärtig die ſtärkere Art ſich bereits an vielen Orten der unbeſchränkten Herrſchaft des menſch - lichen Eigenthums bemächtigt hat. Dieſe beiden Arten ſind die gewöhnliche Hausratte und die Wanderratte. Erſtere (Mus Rattus) iſt ziemlich einfarbig. Die Oberſeite ihres Körpers und des Schwanzes iſt dunkelbraunſchwarz. Dieſe Färbung geht ganz allmählich in die nur wenig hellere, grauſchwarze der Unterſeite über. Der Schwanz, welcher etwas länger als der Körper iſt, hat 250 bis 260 Schuppenringe, die Gaumenfalten ſind glatt. Alte, ausgewachſene Männchen werden unge - fähr 13 Zoll lang; hiervon kommen 6 Zoll auf den Leib.

Wann dieſe Art eigentlich zuerſt in Europa erſchienen iſt, läßt ſich mit Gewißheit nicht be - ſtimmen. Jn den Schriften der Alten hat man bis jetzt noch keine Stelle aufgefunden, welche auf die Hausratte bezogen werden könnte. Albertus Magnus iſt der erſte Thierkundige, welcher ſie als deutſches Thier aufführt; demnach war ſie alſo im zwölften Jahrhundert bereits bei uns heimiſch. Möglicherweiſe ſtammt ſie, wie ihre ſtärkere Schweſter, aus Perſien, wo ſie noch gegenwärtig in119Die gewöhnliche Hausratte.unglaublicher Anzahl vorkommt. Bis in die erſte Hälfte des vorigen Jahrhunderts genoß ſie in Europa die Alleinherrſchaft; von dieſer Zeit an hat ihr die Wanderratte das Gebiet ſtreitig gemacht, und damit iſt ſie auch mehr und mehr zurückgedrängt und ausgerottet worden. Anfangs haben beide eine Zeitlang neben einander gewohnt; aber bald iſt jene überwiegend geworden, und ſie iſt in dem - ſelben Maße verſchwunden, wie die Wanderratte vordrang. Doch iſt ſie auch zur Zeit noch ſo ziemlich über alle Theile der Erde verbreitet, vielleicht mit Ausnahme der kälteſten Länder; aber ſie kommt nicht mehr in geſchloſſenen Maſſen, ſondern überall nur einzeln vor. Auch ſie folgte dem Menſchen durch alle Klimate der Erde, ſie wanderte mit ihm zu Land und zu Meer durch die Welt. Unzweifel - haft war ſie früher in Amerika, Auſtralien und Afrika nicht heimiſch, aber die Schiffe brachten ſie an alle Küſten, und von den Küſten aus wanderte ſie weiter und weiter in die Länder hinein. Gegenwärtig findet man ſie noch in den ſüdlichen Theilen von Aſien, zumal in Perſien und Jndien, in Afrika, vor -

Die gewöhnliche Hausratte (Mus Rattus).

züglich in Egypten und der Berberei, ſowie im Kap der guten Hoffnung, in Amerika aller Orten und in Auſtralien nicht nur in jeder europäiſchen Anſiedlung, ſondern auch auf den fernſten Jn - ſeln des ſtillen Weltmeeres.

Die Wanderratte (Mus decumanus) iſt um ein Beträchtliches größer, nämlich gegen 16 Zoll lang, wovon auf den Schwanz nur ſieben Zoll kommen. Jhre Färbung iſt auf der Ober - und Unterſeite des Leibes verſchieden; ſie iſt zweifarbig. Der ganze Obertheil des Körpers und Schwan - zes iſt bräunlichgrau, die Unterſeite ſcharf abgeſetzt grauweiß; der Schwanz hat ungefähr 210 Schup - penringe, die Gaumenfalten ſind gekörnt. Gewöhnlich iſt die Mittellinie des Rückens etwas dunkler, als die Seite des Leibes, welche mehr ins Gelblichgraue ſpielt. Der Haargrund iſt oben braungrau, unten lichter, meiſt blaßgrau. Zuweilen finden ſich auf der Oberſeite der Vorderfüße eigentlich bräunliche Härchen, auch kommen ganz weiße Thiere mit rothen Augen vor.

120Die eigentlichen Mäuſe.

Mit großer Wahrſcheinlichkeit läßt ſich annehmen, daß das urſprüngliche Vaterland der Wander - ratte Mittelaſien, und zwar Jndien oder Perſien, geweſen iſt. Man kennt auch ganz genau die Zeit, in welcher ſie in Europa erſchien. Zwar iſt es möglich, daß bereits Aelian ihrer gedacht hat; aber die Sache iſt doch nicht ausgemacht, und namentlich die angegebene Größe des Thieres will nicht ſtimmen. Jener Schriftſteller ſagt, daß ſie unter dem Namen der kaſpiſchen Maus zu gewiſſen Zeiten in unendlicher Menge einwandert, ohne Furcht über die Flüſſe ſchwimmt und ſich dabei mit dem Maule an den Schwanz des Vordermannes hält. Kommen ſie auf die Felder, fährt jener alte Schriftſteller fort, ſo fällen ſie das Getreide und klettern auf die Bäume nach den Früchten, werden aber häufig von Raubvögeln, die wie Wolken herbeifliegen, und von der Menge der dortigen Füchſe vertilgt. Sie geben in der Größe dem Jchneumon Nichts nach, ſind ſehr wild und biſſig und haben ſo ſtarke Zähne, daß ſie damit ſelbſt Eiſen zernagen können, wie die Mäuſe Canautanes bei Babylon, deren zarte Felle nach Perſien geführt werden und zum Füttern der Kleider dienen. Erſt Pallas beſchreibt die Wanderratte mit Sicherheit als europäiſches Thier. Er berichtet, daß ſie im Herbſt 1727 nach einem Erdbeben in großen Maſſen aus den kaſpiſchen Ländern und von der kumäni - ſchen Steppe aus in Europa eingerückt ſei. Sie ſetzte bei Aſtrachan in großen Haufen über die Wolga und verbreitete ſich von hier raſch nach Weſten hin. Faſt zu derſelben Zeit, im Jahre 1732 nämlich, wurde ſie auf Schiffen von Oſtindien aus nach England herüber verſchleppt, und nunmehr begann ſie auch von hier aus ihre Weltwanderung. Jn Oſtpreußen erſchien ſie im Jahre 1750, in Paris be - reits 1753, in Deutſchland war ſie ſchon 1780 überall häufig; in Dänemark kennt man ſie erſt ſeit ungefähr ſechzig Jahren, und in der Schweiz erſt ſeit dem Jahre 1809 als einheimiſches Thier. Jm Jahre 1775 wurde ſie nach Nordamerika verſchleppt und erlangte hier ebenfalls in kürzeſter Zeit eine unglaublich große Verbreitung; doch war ſie im Jahre 1825 noch nicht weit über Kingſton hinaus in Oberkanada vorgedrungen, und noch vor wenigen Jahren hatte ſie den oberen Miſſouri noch nicht erreicht. Wann ſie in Spanien, in Marokko, in Algerien, Tunis, Egypten, am Kap der guten Hoffnung und in anderen Häfen Afrikas erſchien, iſt nicht zu beſtimmen; ſoviel ſteht aber feſt, daß ſie gegenwärtig auch über alle Theile des großen Weltmeeres verbreitet und ſelbſt auf den ödeſten und einſamſten Jnſeln zu finden iſt. Größer und ſtärker, als die Hausratte, bemächtigt ſie ſich überall der Orte, wo dieſe früher ruhig lebte, und nimmt in demſelben Grade zu, wie jene abnimmt.

Jn der Lebensweiſe, in den Sitten und Gewohnheiten, im Vorkommen u. ſ. w. ähneln ſich beide Ratten ſo außerordentlich, daß man ganz wohl ihre Beſchreibung in Einem vereinigen kann. Wenn man feſthalten will, daß die Wanderratte mehr die unteren Räumlichkeiten der Gebäude und namentlich feuchte Keller und Gewölbe ꝛc., ſowie Abzugsgräben, Schleußen, Senkgruben, Flethe und Flußufer bewohnt, während die Hausratte den oberen Theil des Hauſes, die Kornböden, Dach - kammern ꝛc. vorzieht, wird nicht viel mehr übrig bleiben, was beiden Arten nicht gemeinſam wäre. Die eine wie die andere Art dieſes Ungeziefers bewohnt alle nur möglichen Räumlichkeiten der menſchlichen Wohnungen und alle nur denkbaren Orte, welche Nahrung verſprechen. Vom Keller an bis zum Dachboden hinauf, vom Prunkzimmer an bis zum Abtritt, vom Palaſt an bis zur Hütte, überall ſind ſie zu finden. An den unſauberſten Orten niſten ſie ſich ebenſogern ein, als da, wo ſie ſich erſt durch ihren eigenen Schmuz einen ihnen zuſagenden Wohnort ſchaffen müſſen. Sie leben im Stall, in der Scheuer, im Hof, im Garten, an Flußufern, an der Meeresküſte, in Kanälen, den unterirdiſchen Ableitungsgräben größerer Städte ꝛc., kurz überall, wo ſie nur leben können, wenn auch die Haus - ratte ihrem Namen immer Ehre zu machen ſucht und ſich möglichſt wenig von der eigentlichen Woh - nung der Menſchen entfernt. Ausgerüſtet mit allen Begabungen in leiblicher und geiſtiger Hinſicht, welche ſie zu Feinden des Menſchen machen können, ſind ſie unabläffig bemüht, dieſen zu quälen, zu plagen, zu peinigen, und fügen ihm ohne Unterbrechung den empfindlichſten Schaden zu. Gegen ſie ſchützt weder Hag noch Mauer, weder Thür noch Schloß. Wo ſie keinen Weg haben, bahnen ſie ſich einen; durch die ſtärkſten Eichenbohlen und durch dicke Mauern nagen und wühlen ſie ſich hin - durch. Nur, wenn man die Grundmauern tief einſenkt in die Erde, mit feſtem Zement alle Fugen121Die Wanderratte.zwiſchen den Steinen ausſtreicht und vielleicht zur Vorſorge noch zwiſchen dem Gemäuer eine Schicht von Glasſcherben einfügt, iſt man vor ihnen ſicher. Aber wehe dem vorher geſchützten Raume, wenn ein Stein in der Mauer locker wird! Von nun an geht das Beſtreben dieſer abſcheulichen Thiere ſicher dahin, nach dem bisher verbotenen Paradieſe zu gelangen.

Und dieſes Zerſtören der Wohnungen, dieſes abſcheuliche Zernagen und Durchwühlen der Wände iſt doch das geringſte Unheil, welches die Ratten anrichten. Noch weit größeren Schaden bringen ſie durch ihre Nahrung. Jhnen iſt alles Genießbare recht. Der Menſch ißt Nichts, was die Ratten nicht auch fräßen, und nicht beim Eſſen bleibt es, ſondern es geht auch an Das, was der Menſch trinkt. Es fehlt blos noch, daß ſie ſich in Schnaps berauſchten: dann würden ſie ſämmtliche Nahrungsmittel, welche das menſchliche Geſchlecht bis jetzt angewandt hat, treulich mitvertilgen helfen. Nicht zufrieden mit dem ſchon ſo reichhaltigen Speiſezettel, fallen die Ratten auch noch gierig über andere Stoffe her, unter

Die Wanderratte (Mus documanus).

Umſtänden ſelbſt über lebende Weſen. Die ſchmuzigſten Abfälle des menſchlichen Haushaltes ſind den Ratten unter Umſtänden noch immer recht. Das verfaulende Aas findet an ihnen Liebhaber. Sie freſſen Leder und Horn, Körner und Baumrinde, oder beſſer geſagt, alle nur denkbaren Pflan - zenſtoffe, und was ſie nicht freſſen können, das zernagen ſie wenigſtens. Es ſind verbürgte Bei - ſpiele bekannt, daß ſie kleine Kinder bei lebendigem Leibe angefreſſen haben, und jeder größere Guts - beſitzer hat erfahren, wie arg ſie ſeinen Hofthieren nachſtellen. Recht fetten Schweinen freſſen ſie Löcher in den Leib, dicht zuſammengeſchichteten Gänſen die Schwimmhäute zwiſchen den Zehen weg, auf den Eiern brütenden Truthennen Löcher in die Schenkel und auf den Rücken; junge Enten ziehen ſie ins Waſſer, erſäufen ſie dort und holen ſie dann ganz ruhig, unbekümmert um die Anſtrengung der Alten, an das Land, dort behaglich ſie verſpeiſend. Wenn ſie ſich mehr als gewöhnlich an einem Orte vermehren, iſt es wahrhaftig kaum zum Aushalten. Und es gibt ſolche Orte, wo ſie in einer Menge auftreten, von welcher wir uns glücklicherweiſe keinen Begriff machen können. Jn122Die eigentlichen Mäuſe.Paris erſchlug man während vier Wochen in einem einzigen Schlachthauſe 16,000 Stück, und in einer Abdeckerei in der Nähe dieſer Hauptſtadt verzehrten ſie binnen einer einzigen Nacht 35 Pferde - leichen bis auf die Knochen. Sobald ſie merken, daß der Menſch ihnen gegenüber ohnmächtig iſt, nimmt ihre Frechheit in wahrhaft erſtaunlicher Weiſe zu; und wenn man ſich nicht halb zu Tode ärgern möchte über die nichtswürdigen Thiere: man könnte verſucht ſein, über ihre alles Maß über - ſchreitende Frechheit zu lachen. Während meiner Knabenzeit hatten wir in unſerer baufälligen Pfarr - wohnung einmal einige Jahre lang keine Katzen, welche auf Ratten gingen, ſondern nur ſchlechte, verwöhnte, welche höchſtens einer Maus den Garaus zu machen wagten. Da vermehrten ſich die Ratten derart, daß wir nirgends mehr Ruhe und Raſt vor ihnen hatten. Wenn wir mittags auf dem Vorſale ſpeiſten, kamen ſie ganz luſtig die Treppe herabſpaziert bis dicht an unſeren Tiſch heran und ſahen, ob ſie nicht Etwas wegnehmen könnten. Standen wir auf, um ſie zu vertreiben, ſo rannten ſie zwar weg, waren aber im Augenblick wieder da und begannen das alte Spiel von neuem. Rachts raſſelte es unter allen Dächern und unterm Fußboden, als ob ein wildes Heer in Bewegung wäre. Jm ganzen Hauſe ſpukte es. Das waren Hausratten, alſo noch immer die beſte Sorte dieſes Ungeziefers; denn die Wanderratten treiben’s noch viel ſchlimmer. Las Caſes erzählt, daß Na - poleon am 27. Juni 1816 nebſt ſeinen Gefährten ohne Frühſtück bleiben mußte, weil die Ratten in der vergangenen Nacht in die Küche eingedrungen waren und Alles fortgeſchleppt hatten. Sie waren dort in großer Menge vorhanden, ſehr böſe und außerordentlich unverſchämt. Gewöhnlich brauchten ſie nur wenige Tage, um die Mauern und Breterwände der armſeligen Wohnung des großen Kaiſers zu durchnagen. Während der Mahlzeit Napoleons kamen ſie in den Saal, und nach dem Eſſen wurde förmlich Krieg mit ihnen geführt. Als der Kaiſer einſt abends ſeinen Hut wegnehmen wollte, ſprang eine große Ratte aus dieſem heraus. Die Stallleute wollten gern Federvieh halten, mußten aber darauf verzichten, weil die Ratten es wegfraßen. Sie holten das Geflügel ohne weiteres nachts ſogar von den Bäumen herunter, auf welchen es ſchlief.

Namentlich die Seeleute ſind oft recht übel daran. Es gibt kein größeres Schiff ohne Ratten. Auf den alten Fahrzeugen ſind ſie nicht auszurotten, und die neuen beſetzen ſie augenblicklich, ſobald dieſelben ihre erſte Ladung einnehmen. Auf langen Seereiſen nun vermehren ſich die Ratten, zumal, wenn ſie genug zu freſſen haben, in bedeutender Menge, und dann iſt kaum auf dem Schiffe zu bleiben. Als Kane’s Schiff bei ſeiner Polarreiſe in der Nähe des achtzigſten Breitengrades feſtgefroren war, hatten ſich die Ratten ſo vermehrt, daß ſie fürchterlichen Schaden thaten. Endlich beſchloß man, ſie zu Tode zu räuchern. Man ſchloß alle Luken und brannte ein Gemiſch von Schwefel, Leder und Arſenik unten im Schiffe an. Die Mannſchaft brachte, um ſich von dieſer Plage zu befreien, die kalte Nacht des letzten Septembers auf dem Deck zu. Am nächſten Morgen ſah man, daß dieſes furchtbare Mittel gar Nichts geholfen hatte. Die Ratten waren noch munter. Jetzt brannte man eine Menge von Holz - kohlen an und gedachte, die Thiere durch das ſich entwickelnde Gas zu vergiften. Jn kurzer Zeit war auch der geſchloſſene Raum ſo ſtark mit Gas erfüllt, daß zwei Leute, welche ſich unvorſichtiger Weiſe hinabgewagt hatten, ſofort beſinnungslos zu Boden fielen und nur mit großer Mühe aufs Deck gebracht werden konnten. Eine hinabgeſenkte Laterne verloſch augenblicklich; allein plötzlich gerieth an einer an - deren Stelle des Fahrzeugs ein Kohlenvorrath und mit ihm ein Theil des Schiffes in Glühen, und nur mit der größten Anſtrengung, ja mit wirklicher Lebensgefahr des Schiffsführers, gelang es, das Feuer zu löſchen. Am folgenden Tage fand man blos 28 Rattenleichen, und die Ueberlebenden vermehrten ſich bis zum nächſten Winter in ſo großer Menge, daß man Nichts mehr vor ihnen retten konnte. Sie zerfraßen die Pelze, die Kleider, die Schuhe; ſie niſteten ſich in die Betten, zwiſchen die Decken und Handſchuhe ein, nahmen Herberge in Mützen und Vorrathskiſten, verzehrten die Vorräthe und wichen allen Nachſtellungen mit großer Liſt und Schlauheit aus. Man verfiel auf ein neues Mittel. Der klügſte und tapferſte Hund wurde in ihre eigentliche Herberge, in den Schiffsraum hinabgelaſſen, um dort Ordnung zu ſtiften; aber bald verrieth das jämmerliche Heulen des Thieres, daß nicht er über die Ratten, ſondern ſie über ihn Herr wurden. Man zog ihn heraus und fand, daß die Ratten ihm die123Die Wanderratte.Haut von den Fußſohlen abgefreſſen hatten. Später erbot ſich ein Eskimo, die Ratten allmählich mit Pfeilen zu erſchießen, und dieſer Jäger war auch ſo glücklich, daß Kane, welcher ſich die Ratten kochen ließ, während des langen Winters beſtändig friſche Fleiſchbrühe hatte. Endlich fing man einen Fuchs und ſperrte ihn in den Schiffsraum, und Meiſter Reinecke ſchien ſich hier auch recht wohl zu befinden; denn er lebte ſehr vergnügt von den Ratten, welche er ſich hier in beliebiger Menge fing.

Jn allen Leibesübungen ſind die Ratten Meiſter. Sie laufen raſch und geſchickt, klettern vor - trefflich, ſogar an ziemlich glatten Wänden empor, ſchwimmen meiſterhaft, führen mit Sicherheit ziemlich weite Sprünge aus und graben recht leidlich, wenn auch nicht gern ausdauernd nach einander. Die ſtärkere Wanderratte ſcheint noch geſchickter zu ſein, als die Hausratte; wenigſtens ſchwimmt ſie bei weitem beſſer und ſcheint ihrer Verwandten auch im Klettern überlegen zu ſein. Jhre Tauchfähigkeit iſt beinahe eben ſo groß, wie die echter Waſſerthiere. Sie darf dreiſt auf den Fiſchfang ausgehen; denn ſie iſt im Waſſer behend genug, den eigentlichen Bewohnern der feuchten Tiefe nachzuſtellen. Manch - mal thut ſie gerade, als ob das Waſſer ihre wahre Heimat wäre. Erſchreckt, flüchtet ſie ſich augen - blicklich in einen Fluß, Teich oder Graben, und, wenn es ſein muß, ſchwimmt ſie in einem Zuge über die breiteſte Waſſerfläche hinweg, oder läuft minutenlang auf dem Grunde des Beckens dahin. Die Hausratte thut Dies blos im größten Rothfalle, doch verſteht ſie die Kunſt des Schwimmens ebenfalls recht gut.

Unter ihren Sinnen ſtehen Gehör und Geruch obenan, namentlich das erſtere iſt vortrefflich; aber auch das Geſicht iſt nicht ſchlecht, und den Geſchmack bethätigen die Ratten nur allzu oft in Vorraths - kammern, wo ſie ſich ſicher immer die leckerſten Speiſen auszuſuchen wiſſen. Ueber ihre geiſtigen Fähig - keiten brauche ich nach dem Angegebenen nicht mehr viel zu ſagen. Verſtand kann man ihnen wahrlich nicht abſprechen und noch viel weniger eine berechnende Liſt und eine gewiſſe Schlauheit, mit welcher ſie ſich den Gefahren der verſchiedenſten Art zu entziehen wiſſen.

Wie bereits bemerkt, herrſcht zwiſchen den beiden Rattenarten ein ewiger Streit, welcher regel - mäßig mit dem Untergange der ſchwächeren Art endet; aber auch die einzelnen Ratten unter ſich kämpfen und ſtreiten beſtändig. Nachts hört da, wo ſie häufig ſind, das Poltern und Lärmen keinen Augenblick auf; denn der Kampf währt auch dann noch fort, wenn ein Theil bereits die Flucht ergreift. Recht alte, biſſige Männchen werden zuweilen von der übrigen Geſellſchaft verbannt und ſuchen ſich dann einen ſtillen, einſamen Ort auf, wo ſie mürriſch und griesgrämig ihr Leben verbringen.

Die Paarung geht unter lautem Lärmen und Quieken und Schreien vor ſich; denn die verliebten Männchen kämpfen eifrig um die Weibchen. Ungefähr einen Monat nach der Begattung werfen die letzteren 5 bis 21 Junge, kleine, allerliebſte Thierchen, welche Jedermann gefallen würden, wenn ſie nicht Ratten wären. Dehne, welcher Albinos der Wanderratte lebend hielt, ſagt über die erſte Jugend - zeit der Jungen und über das Betragen der Alten Folgendes: Am 1. März 1852 bekam ich von einer weißen Ratte ſieben Junge. Sie hatte ſich in ihrem Drahtkäfig ein dichtes Neſt von Stroh gemacht. Die Jungen hatten die Größe der Maikäfer und ſahen blutroth aus. Bei jeder Bewegung der Mutter ließen ſie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietſchen hören. Am 8. waren ſie ſchon ziemlich weiß. Vom 13. bis 16. wurden ſie ſehend. Am 18. abends kamen ſie zum erſten Male zum Vor - ſchein; als aber die Mutter bemerkte, daß ſie beobachtet wurden, nahm ſie eine nach der andern ins Maul und ſchleppte ſie in das Neſt. Einzelne kamen jedoch wieder aus einem andern Loche hervor. Allerliebſte Thierchen von der Größe der Zwergmäuſe mit ungefähr drei Zoll langen Schwänzen! Am 21. hatten ſie ſchon die Größe gewöhnlicher Hausmäuſe, am 28. die der Waldmäuſe. Sie ſaugten noch dann und wann (ich ſah ſie ſogar noch am 2. April ſaugen), ſpielten mit einander, jagten und balgten ſich auf die gewandteſte und unterhaltendſte Weiſe, ſetzten ſich auch wohl zur Abwechſelung auf den Rücken der Mutter und ließen ſich von derſelben herumtragen. Sie übertrafen an Poſſirlichkeit bei weitem die weißen Hausmänſe.

Am 9. April trennte ich die Mutter von ihren Jungen und ſetzte ſie wieder zum Männchen. Am 11. Mai warf ſie abermals eine Anzahl Junge.

124Die eigentlichen Mäuſe.

Von den am 1. März zur Welt gekommenen hatte ich ſeit Anfang April ein Pärchen in einem großen Glaſe mit achtzölliger Mündung abgeſondert gehalten, und ſchon am 11. Juni Nachmittags, alſo im Alter von 103 Tagen, erhielt ich ſechs Junge von ihnen. Trotz der Weite des Glaſes ſchien der Mutter doch der Raum für ihre Jungen zu eng zu ſein. Sie bemühte ſich vergebens, ein weiteres Neſt zu machen, wobei ſie öfters die armen Kleinen ſo verſcharrte, daß man Nichts mehr von ihnen ſah; doch fand ſie dieſelben immer bald wieder zuſammen. Sie ſäugte ihre Jungen bis zum 23. ganz gut, und ſie wurden bereits etwas weiß; auf einmal aber waren ſie alle verſchwunden. Die Mutter hatte ſie ſämmtlich gefreſſen!

Reichenbach erfuhr Daſſelbe und mehrere Male nach einander. Mit meinen weißen Ratten, ſagt er, habe ich mancherlei Schickſale gehabt. Sie haben ſchon viermal Junge geboren, vier bis ſieben Stück, und jedesmal haben die Alten ſie wieder gefreſſen. Das letzte Mal bemerkte ich, daß vorzüglich der Vater die Jungen packte und herumzauſte, wobei ſie jämmerlich quiekten. Jch ſonderte alſo das Männchen ab; aber hierbei entkam es endlich, tobte drei Wochen lang in der Stube umher und ließ ſich in keiner Falle oder auf ſonſtige Weiſe fangen, da ich die vielen Schränke nicht rücken konnte; endlich ſcheint es in der Nacht durch das offene Oberfenſter entkommen zu ſein; denn es lief mit der größten Behendigkeit an ſenkrechten Wänden empor.

Jch will nun aus den übrigen vortrefflichen Beobachtungen, welche Dehne mittheilt, noch Einiges entnehmen, um das Gefangenleben der Ratten genügend zu beſchreiben: Am Tage und nach Mitter - nacht , ſagt mein Gewährsmann, ſchlafen die Wanderratten; früh und abends ſieht man ſie in größter Thätigkeit. Sehr gern trinken ſie Milch; Kürbißkörner und Hanf gehören zu ihren Leckerbiſſen. Für gewöhnlich bekommen ſie Brod, welches mit Waſſer oder Milch oberflächlich angefeuchtet wurde; dann und wann erhalten ſie auch gekochte Kartoffeln: letztere freſſen ſie ſehr gern. Fleiſch und Fett, Lieblingsgerichte für ſie, entziehe ich ihnen, ſowie allen anderen Nagern, welche ich in der Gefangenſchaft ernähre, gänzlich, da nach ſolchen Speiſen ihr Harn und ſelbſt ihre Ausdünſtung ſtets einen widrigen, durchdringenden Geruch bekommt. Der eigenthümliche, ſo höchſt unangenehme Geruch, welchen die gewöhnlichen Mäuſe verbreiten und allen Gegenſtänden, die damit in Berührung kommen, dauernd mittheilen, fehlt den weißen Wanderratten gänzlich, wenn man ſie in der angegebenen Weiſe hält.

Die Wanderratten verrathen viel Liſt. Wenn ihre hölzernen Käfige von außen mit Blech be - ſchlagen ſind, verſuchen ſie das Holz durchzunagen, und wenn ſie eine Zeit lang genagt haben, greifen ſie mit den Pfoten durch das Gitter, um die Stärke des Holzes zu unterſuchen und zu ſehen, ob ſie bald durch ſind. Beim Reinmachen der Käfige wühlen ſie mit Rüſſel und Pfoten den Unrath an die Oeff - nung, um auf dieſe Weiſe deſſelben ſich zu entledigen.

Sie lieben die Geſellſchaft ihres Gleichen. Oft machen ſie ſich ein gemeinſchaftliches Neſt und erwärmen ſich gegenſeitig, indem ſie darin dicht zuſammenkriechen; ſtirbt aber eine von ihnen, dann machen ſich die übrigen gleich über ſie her, beißen ihr erſt den Hirnſchädel auf, freſſen den Jnhalt und verzehren dann nach und nach die ganze Leiche mit Zurücklaſſung der Knochen und des Felles. Die Männchen muß man ſogleich, wenn die Weibchen trächtig ſind, abſperren; denn ſie laſſen dieſen keine Ruhe und freſſen auch die Jungen am erſten. Die Mutter hat übrigens viel Liebe zu ihren Kindern; ſie bewacht dieſelben ſorgfältig und dieſe erwidern ihr die erwieſene Zärtlichkeit auf alle nur mög - liche Weiſe.

Außerordentlich groß iſt die Lebenszähigkeit dieſer Thiere. Einſt wollte ich eine ungefähr ein Jahr alte Albinowanderratte durch Erſäufen tödten, um ſie von ihren Leiden zu befreien. Sie hatte nämlich ſeit vier Monaten im Nacken ein erbſengroßes Loch im Felle, durch welches die Halsmuskeln deutlich ſichtbar waren. Jch hatte noch kein Anzeichen bemerkt, daß die Wunde heilen würde; die kranke Stelle ſchien im Gegentheil größer zu werden. Die Umgebung der Wunde war ſtark entzündet und im Umfange von einem Zoll gänzlich von Haaren entblößt. Nachdem ich die Kranke bereits ein halbes Dutzend Mal in eiskaltes Waſſer mehrere Minuten lang getaucht hatte, lebte ſie noch und putzte ſich mit ihren Pfötchen, um das Waſſer aus ihren Augen zu entfernen. Endlich ſprang ſie, indem ich125Der Rattenkönig.den Topf öffnete, in den Schnee und ſuchte zu entfliehen. Nun ſetzte ich ſie in einen Käfig auf eine Unterlage von Stroh und Heu und brachte ſie in die warme Stube. Sie erholte ſich bald ſoweit, daß man ſah, das kalte Bad habe ihr Nichts geſchadet. Jhre Freßluſt hatte gegen früher eher zu -, als ab - genommen. Nach einigen Tagen ſetzte ich ſie wieder aus der warmen Stube in ein ungeheiztes Zimmer, gab ihr aber Heu, und ſie bereitete ſich daraus auch alsbald ein bequemes Lager. Zu meinem Erſtaunen bemerkte ich nun, daß der offene Schaden von Tag zu Tag kleiner wurde; die Entzündung ſchwand immer mehr, und nach ungefähr 14 Tagen war die Heilung vollſtändig erfolgt. Hier hatte alſo offen - bar das eiskalte Bad die Entzündung gehoben und dadurch die Geneſung bewerkſtelligt. Kaum glaube ich, daß ein anderer verwandter Nager ein ſolches wiederholtes Bad ohne tödlichen Ausgang über - ſtanden haben würde, und nur aus der Lebensweiſe und Lebenszähigkeit der Wanderratten, deren zweites Element das Waſſer iſt, läßt ſich ein ſo glücklicher Erfolg erklären.

Die unteren Nagezähne wachſen den zahmen Ratten oft bis zu einer unglaublichen Länge und ſind dann ſchraubenförmig gewunden. Jch habe auch geſehen, daß ſie durch das Backenfell gewachſen waren und die Ratten derart am Freſſen verhinderten, daß dieſe endlich verhungern mußten.

Jm Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine ganz eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere von ihnen verwachſen unter einander mit den Schwänzen und bilden dann den ſogenannten Ratten - könig, den man ſich in früheren Zeiten freilich ganz anders vorſtellte, als gegenwärtig, wo man ihn in dieſem oder jenem Muſeum ſehen kann. Früher glaubte man, daß der Rattenkönig geſchmückt mit goldner Krone auf einer Gruppe innig verwachſener Ratten throne und von hier aus den ganzen Ratten - ſtaat regiere! Soviel iſt ſicher, daß zuweilen eine ganze Anzahl feſt mit den Schwänzen verwickelter Ratten gefunden wird, welche, weil ſie ſich nicht bewegen können, von Mitleidigen ihrer Art ernährt werden müſſen. Die eigentliche Urſache dieſer Erſcheinung iſt bis jetzt noch nicht genügend bekannt geworden. Man glaubt, daß eine eigenthümliche Ausſchwitzung der Rattenſchwänze ein Aufein - anderkleben derſelben zur Folge habe, iſt aber nicht im Stande, etwas Sicheres darüber zu ſagen. Jn Altenburg bewahrt man einen Rattenkönig auf, welcher aus 27 Stück Ratten gebildet wird; in Bonn, bei Schnepfenthal, in Frankfurt, in Erfurt und in Lindenau bei Leipzig hat man andere aufgefunden. Der letztgenannte iſt von Amtswegen genau beſchrieben worden, und ich glaube manchem meiner Leſer einen Dienſt zu erzeigen, wenn ich hier den Jnhalt der betreffenden Akten folgen laſſe.

Am 17. Januar 1774 erſcheint bei der Landſtube zu Leipzig

Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau,

und bringt an:

Was maaßen er an vergangenem Mittwoche frühe einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten, welche mit den Schwänzen in einander verflochten in der Mühle zu Lindenau gefangen habe, welchen er, weil dieſer auf ihn losſpringen wollen, ſofort todtgeſchmiſſen. Dieſen Ratten - könig habe

Johann Adam Faßhauer zu Lindenau von ſeinem Herrn, Tobias Jägern, Müllern zu Lindenau unter dem Vorwande: daß er ſolchen abmalen wolle, abgeholt, und nun - mehr wolle er den Rattenkönig nicht wieder hergeben, habe auch ſeit der Zeit viel Geld damit verdient; er wolle daher gehorſamſt bitten, Faßhauern cum expensis anzudeuten, daß er ihm ſofort ſeinen Rattenkönig wiedergeben und das damit verdiente Geld bezahlen ſolle u. ſ. w.

Am 22. Februar 1774 erſcheint bei der Landſtube

Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau, und ſagt aus:

Es ſei wirklich der Wahrheit gemäß, daß er am 12. Januar einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten in der Mühle zu Lindenau gefangen habe. Beſagten Tages habe er in der Mühle und zwar bei einer Treppe in einem Unterzuge ein Geräuſch gehört, worauf er da die Treppe hinauf - gegangen, einige Ratten bei ſothanem Unterzuge gucken ſehen, welche er mit einem Stück Holz todtgeſchlagen. Hierauf hätte er eine Leiter an gedachten Ort angelegt, um zu ſehen, ob noch mehr Ratten wären, und dieſen Rattenkönig mit Beihilfe einer Art auf den Platz geſchmiſſen,126Die eigentlichen Mäuſe.und hätten viele noch gelebt, weil ſie heruntergefallen, welche er aber nach einiger Zeit auch todt - geſchmiſſen. Sechzehn Stück Ratten wären an einander feſte geflochten geweſen und zwar 15 Stück mit den Schwänzen, die 16. aber mit einer anderen auf dem Rücken mit dem Schwanze in ihren Haaren eingeflochten geweſen. Durch das Herunterfallen von dem berührten Unterzuge wäre keine von der andern abgelöſt geweſen, auch hätten nachher noch viele einige Zeit gelebt und geſprungen, ſich aber nicht von einander durch das Springen losmachen können. So feſte wären ſie in einander geflochten geweſen, daß er nicht glaubte, daß es möglich geweſen, we - nigſtens mit ſchwerer Mühe, ſie von einander zu reißen u. ſ. w.

Nun folgen noch einige andere Zeugenberichte, welche weſentlich Daſſelbe feſtſtellen. Und endlich findet ſich die Beſchreibung des Arztes und Wundarztes, welche auf Wunſch der Landſtube die Sache genauer unterſuchten. Der betreffende Arzt theilt darüber Folgendes mit:

Um zu unterſuchen, was von der von Vielen ſehr fabelhaft erzählten Geſchichte des Ratten - königs zu halten ſei, habe ich mich am 16. Januarii nach Lindenau begeben und daſelbſt gefunden,

daß in der Schenke zum Poſthorn in einem kühlen Zimmer auf einem Tiſche eine Anzahl von 16 todten Ratten gelegen, davon 15 Stück mit den Schwänzen, gleich als ein aus vielen Enden beſtehender Strick, in einen großen Knoten in einander ſo verwickelt, daß einige dieſer Schwänze ganz in den Knoten bis ungefähr 1 bis 2 Zoll von dem Rumpfe an verknüpft geweſen. Jhre Köpfe waren nach der Peripherie, die Schwänze nach dem Centro, ſo der aus ihnen beſtehende Knoten ausmachte, gerichtet. Neben dieſen an einander hangenden Ratten lag die 16., die nach Vorgeben des dabei ſtehenden Malers Faßhauer’s von einem Studioſo von der Verwicklung mit denen übrigen losgeriſſen worden.

Meine Neugierde beſchäftigte ſich am allerwenigſten mit Fragen, beſonders, da denen nach uns häufig beikommenden Bewunderern auf vielerlei Fragen die ungereimteſten und lächerlichſten Antworten gegeben wurden, ſondern ich unterſuchte blos die Körper und Schwänze der Ratten und fand 1) daß alle dieſe Ratten an ihrem Kopfe, Rumpf und vier Füßen ihre natürliche Geſtalt hatten; 2) daß ſie ihrer Farbe nach einige aſchgrau, andere etwas dunkler und wieder andere faſt ganz ſchwarz waren; 3) daß einige ihrer Größe nach einer guten Spanne, 4) daß ihre Dicke und Breite nach ihrer Länge proportionirt war, doch ſo, daß ſie mehr abgehungert, als gemäſtet zu ſein ſchienen; 5) daß ihre Schwänze von ¼ bis ½ leipziger Elle lang, wenig darüber oder darunter gerechnet werden konnten, an welchen etwas Unreinigkeit und Feuchtig - keit anzutreffen war.

Als ich vermittelſt eines Stückchen Holzes den Knoten und die an demſelben hängenden Ratten in die Höhe heben wollte: ſo bemerkte ich gar deutlich, daß es mir nicht ſchwer fallen würde, einige der verwickelten Schwänze aus einander zu zerren, wovon ich aber von dem dabei - ſtehenden Maler mit einigem Unwillen abgehalten wurde. An der oben erwähnten 16. Ratte habe ich deutlich wahrgenommen, daß ihr Schwanz, ohne die geringſte Verletzung erlitten zu haben, noch an ihr befindlich und ſie alſo mit leichter Mühe von dem Knoten der übrigen los - gelöſt worden. Nachdem ich nun alle dieſe Umſtände mit vielem Fleiß erwogen, ſo bin ich vollkommen überzeugt worden, daß beſagte 16 Ratten kein aus einem Stück beſtehender Rattenkönig, ſondern daß es eine Anzahl von Ratten, ſo von verſchiedener Größe, Stärke und Farbe und (nach meiner Meinung) auch von verſchiedenem Alter und Geſchlecht geweſen. Die Art und Weiſe, wie oft gedachte Ratten ſich mit einander ſo verwickelt haben, ſtelle ich mir alſo vor. Jn der wenig Tage vor der Entdeckung dieſer häßlichen Verſammlung eingefallenen ſehr ſtrengen Kälte haben dieſe Thiere ſich in einem Winkel zuſammenrottirt, um durch ihr Neben - und Uebereinanderliegen ſich zu erwärmen; ohnfehlbar haben ſie eine ſolche Richtung genommen, daß ſie die Schwänze mehr nach einer freien Gegend und die Köpfe nach einer vor Kälte mehr geſchützten Gegend zugewendet haben. Sollten nicht die Excrementa der oben geſeſſenen Ratten, welche nothwendig auf die Schwänze der unteren gefallen, Gelegenheit ge -127Der Rattenkönig.geben haben, daß die Schwänze haben zuſammenfrieren müſſen? Jſt es auf dieſe Art nicht möglich, daß die an den Schwänzen an einandergefrorenen Ratten, ſobald ſie nach ihrer Nah - rung gehen wollen und mit ihren angefrorenen Schwänzen nicht loskommen können, eine ſo feſte Verwickelung bewerkſtelligt haben müſſen, daß ſie auch bei bevorſtehender Lebensgefahr ſich nicht mehr losreißen können?

Auf Verlangen der Hochlöblichen Landſtube E. E. Hochweiſen Rathes allhier habe dieſe meine Gedanken nebſt Dem, was ich laut dieſes Berichts zugleich mit Herrn Eckolden bei der Unterſuchung angetroffen, hiermit aufrichtigſt anzuzeigen nicht anſtehen wollen, ſo ich mit ihm eigenhändig unterſchrieben habe.

Es iſt möglich, daß derartige Verbindungen öfter vorkommen, als man annimmt, die wenig - ſten aber werden geſunden, und an den meiſten Orten iſt der Aberglaube noch ſo groß, daß man einen etwa entdeckten Rattenkönig gewöhnlich ſobald als möglich vernichtet.

Hierzu gibt Lenz einen für ſich ſelbſt redenden Beleg. Jn Döllſtedt, einem zwei Meilen von Gotha gelegenen Dorfe, wurden im Dezember des Jahres 1822 zwei Rattenkönige zu gleicher Zeit gefangen. Drei Dreſcher, welche in der Scheuer des Forſthauſes ein lautes Quieken vernahmen, ſuchten mit Hilfe des Knechtes nach und fanden, daß der ſtarke Tragbalken des Stalles von oben ausgehöhlt war. Jn dieſer Höhle ſahen ſie eine Menge lebender Ratten, wie ſich nachher heraus - ſtellte, ihrer 42 Stück. Das Loch im Balken war offenbar von den Ratten hineingenagt worden. Es hatte ungefähr einen halben Fuß an Tiefe, war reinlich gehalten und auch nicht von Ueberbleib - ſeln der Nahrung und dergleichen umgeben. Der Zugang war für die alten Ratten, welche dort ihre Brut gefüttert haben mußten, ganz bequem, weil das ganze Jahr hindurch über dem Stall und ſeinem Tragbalken eine große Maſſe Stroh gelegen hatte. Der Knecht übernahm das Geſchäft, die Ratten, welche ihren Wohnſitz nicht verlaſſen wollten oder nicht verlaſſen konnten, hervorzuholen und auf die Scheuertenne hinabzubringen. Dort ſahen dann die vier Leute mit Staunen, daß 28 Ratten mit ihren Schwänzen feſt verwachſen und um dieſen Schwanzknäuel regelmäßig vertheilt im Kreiſe waren. Die übrigen 14 Ratten waren genau ebenſo verwachſen und vertheilt. Alle 42 ſchienen von großem Hunger geplagt zu ſein und quiekten fortwährend, ſahen aber durchaus geſund aus; alle waren von gleicher und zwar ſo bedeutender Größe, daß ſie jedenfalls vom letzten Frühjahre ſein mußten. Jhrer Färbung nach zu ſchließen, waren es Hausratten. Sie ſahen ganz rein und glatt aus, und man konnte kein Anzeichen bemerken, daß etwa vorher welche geſtorben waren. Jhrer Geſinnung nach waren ſie vollkommen friedlich und gemüthlich, ließen Alles über ſich ergehen, was das vierköpfige Gericht über ſie beſchloß, und muſicirten bei jeder über ſie verhängten Handlung in gleicher Melodie. Der Vierzehnender ward lebend in die Stube des Forſtaufſehers getragen, und da - hin kamen dann unaufhörlich Leute, um das wunderbare Ungeheuer zu beſchauen. Nachdem die Schauluſt der Dorfbewohner befriedigt war, endete das Schauſpiel damit, daß die Dreſcher ihren Gefangenen im Triumph auf die Miſtſtätte trugen und ihn dort unter dem Beifall der Menge ſolange draſchen, bis er ſeine vierzehn Geiſter aufgab. Sie packten ihn nun noch mit zwei Miſtgabeln, ſtachen feſt ein und zerrten mit großer Gewalt nach zwei Seiten, bis ſie drei Ratten von den übrigen los - geriſſen. Die drei Schwänze zerriſſen dabei nicht, hatten auch Haut und Haare noch; ſie zeigten aber die Eindrücke, welche ſie von den anderen Schwänzen bekommen hatten, ganz wie Riemen, welche lange mit einander verflochten geweſen ſind. Den Achtundzwanzigender trugen die Leute in den Gaſt - hof und ſtellten ihn dort den immer friſch eindringenden Neu - und Wißbegierigen zur Schau aus. Zum Beſchluß des Feſtes wurde auch dieſer Rattenkönig jämmerlich gedroſchen, todt auf den Dünger - haufen geworfen und nicht weiter beachtet.

Hätten die guten Leute gewußt, daß dieſe Rattenkönige ſie ſammt und ſonders zu reichen Leuten hätten machen können: ſie würden ſicherlich ängſtlich über das Leben der ſo eigenthümlich Verbundenen gewacht und ſie in allen Städten Deutſchlands zur Schau geſtellt haben!

128Die eigentlichen Mäuſe.

Unzählbar ſind die Mittel, welche man ſchon angewandt hat, um die Ratten zu vertilgen. Fallen aller Art werden gegen ſie aufgeſtellt mit mehr oder weniger gutem Erfolge, und eine Zeitlang hilft auch die eine und die andere Art der Rattenjagd wenigſtens in Etwas. Merken die Thiere, daß ſie ſehr heftig verfolgt werden, ſo wandern ſie nicht ſelten aus, aber ſie kommen wieder, wenn die Ver - folgung nachläßt. Und wenn ſie ſich einmal von neuem eingefunden haben, vermehren ſie ſich in kurzer Zeit ſo ſtark, daß die alte Plage wieder in ganzer Stärke auftritt. Die gewöhnlichſten Mittel zur Vertilgung der Ratten bleiben Gifte verſchiedener Art, welche man an ihren Lieblingsorten auf - ſtellt; aber ganz abgeſehen davon, daß man die vergifteten Thiere auf eine greuliche Weiſe zu Tode martert, bleibt dieſes Mittel immer gefährlich; denn die Ratten brechen gern einen Theil des Gefreſ - ſenen wieder aus, vergiften unter Umſtänden das Getreide oder Kartoffeln und können dadurch anderen Thieren und auch den Menſchen ſehr gefährlich werden. Beſſer iſt es, ihnen ein Gemiſch von Malz und ungelöſchtem Kalk vorzuſetzen, welches, wenn ſie es gefreſſen haben, ihren Durſt erregt und den Tod herbeiführt, ſobald ſie das zum Löſchen des Kalkes erforderliche Waſſer einge - nommen haben.

Jn vielen Gegenden herrſcht der Wahn, daß man die Ratten vertreiben könne, wenn man einen ſchwarzen oder weißen Kaulhahn auf dem Hofe halte. Lenz, welcher dieſe Sache unterſuchte, fand Folgendes: Ein neuer Wirth, welcher das Schnepfenthaler Gaſthaus gekauft und zu dem bewußten Zwecke einen ſchwarzen Kaulhahn nebſt Hühnern mitgebracht hatte, reinigte ſein Haus augenblicklich von den ſeit Menſchengedenken hier einheimiſchen Ratten. Unſer Forſcher bemerkte aber auch, daß die Ratten vor einem ſchwarzen Kaulhahn, den er in einen Käfig geſperrt und in den Keller geſetzt hatte, ohne die geringſte Scheu Aepfel, Speck und Runkeln wegfraßen, und erfuhr von einem Freunde, welcher auf ſeinen Wunſch mit einem weißen Kaulhahn Verſuche anſtellte, daß der Verſuchshahn von den Ratten, bei denen er auf Beſuch war, faſt todgebiſſen wurde. Andere Leute ſeiner Bekanntſchaft hatten viele bunte Kaulhühner, zugleich aber auch immer Ratten, und wieder andere, denen Lenz Kaulhähne ſchenkte, wurden von Ratten theils befreit, theils weniger ſtark heimgeſucht. Ein befrie - digendes Ergebniß dieſer Unterſuchungen iſt alſo noch nicht gewonnen worden.

Die beſten Vertilger der Ratten bleiben unter allen Umſtänden ihre natürlichen Feinde, vor allen die Buſſarde, Eulen, Raben, Wieſel, Katzen und Pintſcher, obgleich es oft vorkommt, daß die Katzen ſich nicht an die Ratten wagen, zumal an Wanderratten. Dehne ſah in Hamburg vor den Flethen Hunde, Katzen und Ratten ganz luſtig unter einander herumſpazieren, ohne daß eines der betreffenden Thiere daran gedacht hätte, dem andern den Krieg zu erklären, und mir ſelbſt ſind viele Beiſpiele bekannt, daß die Katzen ſich gar nicht um die Ratten bekümmern. Es gibt, wie unter allen Hausthieren, auch unter den Katzen gute Familien, deren Glieder mit wahrer Leidenſchaft der Rattenjagd obliegen, obgleich ſie anfangs viel Mühe haben, die biſſigen Nager zu überwältigen. Eine unſerer Katzen fing bereits Ratten, als ſie kaum den dritten Theil ihrer Größe erreicht hatte, und verfolgte dieſelben mit ſolchem Eifer, daß ſie ſich einſtmals von einer ſtarken Ratte über den gan - zen Hof weg und an einer Mauer emporſchleppen ließ, ohne ihren Feind loszulaſſen, bis ſie endlich mit einem geſchickten Biſſe denſelben kampfunfähig machte. Von jenem Tage an iſt die Katze der uner - bittlichſte Feind der Ratten geblieben und hat den ganzen Hof von ihnen faſt gereinigt. Uebrigens iſt es gar nicht ſo nothwendig, daß eine Katze wirklich eifrig Ratten fängt; ſie vertreibt dieſelben ſchon durch ihr Umherſchleichen in Stall und Scheuer, Keller und Kammer. Es iſt ſicherlich höchſt unge - müthlich für die Ratten, dieſen Erzfeind in der Nähe zu haben. Man iſt da keinen Augenblick lang ſicher. Unhörbar ſchleicht er herbei im Dunkel der Nacht, kein Laut, kaum eine Bewegung verräth ſein Nahen, in alle Löcher ſchauen die unheimlich leuchtenden, grünlichen Augen hinein, neben den bequemſten Gangſtraßen ſitzt und lauert er, und ehe man es ſich recht verſieht, fällt er über einen her und packt mit den ſpitzen Klauen und den ſcharfen Zähnen ſo feſt zu, daß ſelten Rettung möglich. Das erträgt ſelbſt eine Ratte nicht. Sie wandert lieber aus an Orte, wo ſie unbehelligter wohnen kann, und ſomit bleibt die Katze immer der beſte Gehilfe des Menſchen, wenn es gilt, ſo läſtige129Die Wanderratte.Gäſte zu vertreiben. Kaum geringere Dienſte leiſten Jltis und Wieſel, erſterer im Hauſe, letz - teres im Garten und an den hinteren Seiten der Ställe. Gegen dieſe Geſellen, welche ſich ab und zu auch ein Ei, ein Küchlein, eine Taube oder auch wohl eine Henne holen, kann man ſich ſchützen, wenn man den Stall nur gut verſchließt, gegen die Ratten aber iſt jeder Schutz umſonſt, und des - halb ſollte man jene ſchlanken Räuber ſchützen und ſchirmen, wo man nur immer kann.

An einzelnen Ratten hat man bei großer Gefahr eine beſondere Liſt beobachtet. Sie ſtellen ſich todt, wie das Opoſſum. Mein Vater hatte einſt eine Ratte gefangen, welche, ohne ſich zu rühren, in der Falle lag und ſich in derſelben hin - und herwerfen ließ. Das noch glänzende Auge war aber zu auffallend, als daß ſolch ein Meiſter in der Beobachtung ſich hätte täuſchen ſollen! Mein Vater ſchüttete die Künſtlerin auf dem Hoſe aus, aber in Gegenwart ihrer ſchlimmen Feindin, der Katze, und ſiehe da die ſcheinbar Tode bekam ſofort Leben und Beſinnung und wollte ſo ſchnell als möglich davon, freilich vergeblich: denn Miez ſaß ihr auf dem Nacken, noch ehe ſie zwei Ellen durchlaufen hatte.

Schließlich will ich zu Nutz und Frommen mancher meiner Leſer eine vortreffliche Falle anführen, obgleich ſie dem menſchlichen Herzen nicht eben Ehre macht, ſondern eher von der Tücke des Erz - feindes der Thiere beredtes Zeugniß gibt. An recht beſuchten Gangſtraßen der Ratten, etwa zwi - ſchen Ställen, in der Nähe von Abtritten, Schleußen und an ähnlichen Orten legt man eine vier Fuß tiefe Grube an und kleidet ſie innen mit glatten Steinplatten aus. Eine viereckige Platte von drei Fuß im Geviert bildet den Grund, vier andere, oben ſchmälere, die Seiten. Die ganze Grube muß vier Fuß tief und oben halbſoweit ſein, als unten, ſo daß alſo die Wände nach allen Seiten hin überhangen und demnach ein Heraufklettern der in dieſe Grube gegangenen Ratten unmöglich machen. Nun gießt man auf dem Boden geſchmolzenes Fett, mit Waſſer verdünnten Honig und andere wohlriechende Stoffe aus, ſetzt ein thönernes, etwa zwei Zoll hohes Gefäß, welches oben eine ganz enge Oeffnung hat, da hinein, tränkt es mit Honig und füllt es mit Mais, Weizen, Hanf, Hafer, etwas gebratenem Speck und anderen Leckerbiſſen an. Dann kommt etwas Heckerling auf den Boden der Grube und endlich ein Gitter über den Eingang, damit nicht zufällig ein Huhn oder ein junges ungeſchicktes Hausthier da hineinfällt. Nunmehr kann man das Ganze ſich ſelbſt überlaſſen. Der liebliche Duft und der warme Heckerling, ſagt Lenz, verleiten den böſen Feind, luſtig und erwartungsvoll in den Abgrund zu ſpringen. Dort riecht Alles gar ſchön nach Speck, Honig, Käſe, Körnern; man muß ſich aber mit dem bloſen Geruche begnügen, weil das Jnnere nicht zugänglich iſt, und ſo bleibt nichts Anderes übrig, als daß ein Gefangener immer den andern auffrißt. Die erſte Ratte, welche da hinabfällt, bekommt ſelbſtverſtändlich bald einen fürchterlichen Hunger und müht und mattet ſich vergeblich ab, dem entſetzlichen Geſängniß zu entgehen. Da ſtürzt eine zweite von oben hernieder. Hei, welch eine willkommene Erſcheinung iſt Das! Man beſchnoppert ſich gegenſeitig; man berathet wohl auch gemeinſchaftlich, was da zu thun iſt; aber der erſte Gefangene iſt viel zu hungrig, als daß er ſich auf lange Verhandlungen einlaſſen könnte. Der Hunger verführt ihn zu Streit und Kampf, ein furchtbares Balgen, ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, und einer der Gefangenen mordet den andern. Blieb der Erſte Sieger, ſo macht er ſich augenblicklich über die Leiche des Gefährten her, um ihn aufzufreſſen; ſiegte der Zweite, ſo geſchieht Daſſelbe wenige Stunden ſpäter. Nur höchſt ſelten findet man drei Ratten zu gleicher Zeit in dieſer Falle, am folgenden Tage aber ſicherlich immer eine weniger. Kurz, ein Gefangener frißt den andern auf, die Grube bleibt ziemlich reinlich; aber ſie iſt eine Mordhöhle in des Wortes furchtbarſter Bedeutung.

Weit lieblicher, anmuthiger und zierlicher, als dieſe häßlichen, langgeſchwänzten Hausdiebe, ſind die Mäuſe, obwohl auch ſie trotz ihrer ſchmucken Geſtalt, ihres heitern und netten Weſens gar arge Feinde des Menſchen ſind und von dieſem verfolgt werden, faſt mit demſelben Jngrimm, wie ihre größeren und häßlicheren Verwandten. Man darf wohl ſagen, daß Jedermann eine im KäfigBrehm, Thierleben. II. 9130Die eigentlichen Mäuſe.eingeſperrte Maus für ein reizendes Säugethier erklären wird, und ſelbſt die Frauen, welche ge - wöhnlich einen zwar vollkommen ungerechtfertigten, aber dennoch gewaltigen Schrecken empfinden, wenn in der Küche oder im Keller eine Maus ihnen über den Weg läuft, müſſen eine gefangene Maus für ein hübſches Geſchöpfchen erklären. Aber freilich, die ſpitzen Ragezähne und die Lecker - haftigkeit der Mäuſe ſind zwei Dinge, welche auch ein zartes Frauenherz mit Jngrimm und Zorn erfüllen können. Es iſt gar zu unangenehm, für Alles, was der Menſch bedarf, beſtändig fürchten zu müſſen, ſelbſt, wenn es unter Schloß und Riegel liegt; es iſt gar zu empörend, eigentlich keinen Ort im Hauſe zu haben, wo man allein Herr ſein darf, wo man von den zudringlichen, kleinen Gäſten nicht beläſtigt wird. Und weil nun die Mäuſe ſich überall einzudrängen wiſſen und ſich ſelbſt an Orten einfinden, die den Ratten unzugänglich ſind, haben ſie gegen ſich einen Verfolgungskrieg heraufbeſchworen, welcher ſchwerlich jemals enden wird.

Die Hausmaus (Mus Musculus).

Jn Deutſchland leben vier echte Mäuſe; es ſind dies die Haus -, Wald -, Feld - und Zwergmaus. Namentlich die erſtere und die letztere verdienen eine ausführlichere Beſchreibung, obgleich die Feldmaus und auch die Waldmaus nur zu oft dem Menſchen ins Gehege kommen, und ihre Kenntniß für dieſen deshalb nothwendig iſt. Die drei erſteren werden überall ziemlich ſchonungs - los verfolgt; die letzte aber hat, ſolange ſie ſich nicht unmittelbar dem Menſchen aufdrängt, wegen ihrer ungemein zierlichen Geſtalt, ihrer Anmuth und ihrer eigenthümlichen Lebensweiſe Gnade vor ſeinen Augen gefunden.

Die Hausmaus (Mus Musculus) hat in ihrer Geſtalt noch immer einige Aehnlichkeit mit der Hausratte, obgleich ſie weit zarter und ebenmäßiger gebaut iſt und dieſer auch an Größe bedeutend nachſteht. Jhre Geſammtlänge beträgt ungefähr 7 Zoll, davon kommen Zoll auf den Körper. Der Schwanz hat 180 Schuppenringe. Sie iſt einfarbig: die gelblichgrauſchwarze Oberſeite des131Die Hausmaus, die Wald - und Brandmaus.Körpers und des Schwanzes geht ganz allmählich in die etwas hellere Unterſeite über; Füße und Zehen ſind gelblichgrau.

Die Waldmaus (Mus sylvaticus) wird faſt 9 Zoll lang, der Schwanz gegen Zoll. Er hat ungefähr 150 Schuppenringe. Sie iſt zweifarbig. Die Oberſeite des Körpers und Schwanzes iſt braungelblichgrau, die Unterſeite ſcharf abgeſetzt weiß, ebenſo die Füße und Zehen. Beide Arten kann man wegen ihrer längeren Ohren von den folgenden trennen. Bei dieſen erreicht das Ohr nur ungefähr den dritten Theil der Kopfeslänge und ragt, an die Kopfſeiten angedrückt, nicht bis zum Auge hervor, während es bei jenen die halbe Kopfeslänge erreicht und, an die Kopfſeiten angedrückt, bis zum Auge vorragt.

Die Waldmaus (Mus sylvatlcus). Die Brandmaus (Mus agrarius).

Die Brandmaus (Mus agrarius) wird ungefähr Zoll lang, hiervon kommen Zoll auf den Schwanz. Die Oberſeite des Körpers iſt braunroth mit ſchwarzen Längsſtreiſen über den Rücken, die Unterſeite und die Füße ſind ſcharf abgeſetzt weiß; das Thier iſt alſo dreifarbig. Der Schwanz hat ungefähr 120 Schuppenringe.

Ueber die Zwergmaus (Mus minutus) werde ich weiter unten ausführlich ſprechen.

Alle dieſe Mäuſe ähneln ſich in ihrem Aufenthalt, in ihrem Weſen und Betragen unge - mein, obgleich die eine oder die andere darin ihr Eigenthümliches hat. Jn Einem ſtimmen alle vier überein: ſie zeigen, wenigſtens zeitweilig, große Vorliebe für den Menſchen; denn alle vier finden ſich, zumal im Winter, recht häufig in den Häuſern, vom Keller an bis zum Boden hinauf, wenn auch die Hausmaus regelmäßiger, als die übrigen. Keine einzige iſt ausſchließlich an die Orte gebunden, auf welche ihr Name hindeutet: die Waldmaus lebt ebenſowohl zeitweilig in der Scheuer oder im Hauſe, wie auf dem Felde, und die Feldmaus iſt ebenſowenig allein aufs Feld9 *132Die eigentlichen Mäuſe.beſchränkt, wie die Hausmaus auf die Wohnung des Menſchen. Die Namen ſind alſo nur be - ziehentlich anzuwenden. Jm allgemeinen läßt ſich Folgendes ſagen. Die Hausmaus ſoll ſchon ſeit den älteſten Zeiten der treueſte Genoſſe des Menſchen geweſen ſein. Bereits Ariſtoteles und Pli - nius thun ihrer Erwähnung, und Albertus Magnus kennt ſie ganz genau. Gegenwärtig iſt ſie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menſchen, ſie folgte ihm bis in den höch - ſten Norden und bis in die höchſtgelegenen Alphütten. Wahrſcheinlich gibt es gegenwärtig nur we - nige Orte, wo ſie fehlt, und jedenfalls hat man ſie da blos noch nicht beobachtet. Auf den Sundainſeln z. B. ſoll ſie nicht vorkommen. Jhre Aufenthaltsorte ſind alle Theile der menſchlichen Wohnungen. Auf dem Lande hauſt ſie zeitweilig auch im Freien d. h. im Garten oder den nächſten Feldern und Wäldchen, in der Stadt beſchränkt ſie ſich auf das Wohnhaus und ſeine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Nitze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo ſie ſich verſtecken kann, genügendes Obdach, und vonhieraus unternimmt ſie ihre Streifzüge.

Die Hausmaus iſt ein anmuthiges, überaus behendes und bewegliches Thier. Mit größter Schnelligkeit rennt ſie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, ſpringt ziemlich weit und hüpft oft längere Zeit nach einander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man recht deutlich beobachten, wie geſchickt ſie alle Bewegungen unternimmt. Läßt man ſie auf einem ſchief aufwärts geſpannten Bindfaden oder einem Stöckchen gehen, ſo ſchlingt ſie ihren Schwanz, ſobald ſie aus dem Gleichgewicht kommt, ſchnell um das Seil nach Art der echten Wickelſchwänzler, bringt ſich wieder in das Gleich - gewicht und klettert weiter. Setzt man ſie auf einen ſehr biegſamen Halmen, ſo ſteigt ſie auf demſelben bis zur Spitze empor, und wenn der Halmen ſich dann niederbiegt, hängt ſie ſich auf der untern Seite an und ſteigt hier langſam herunter, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen. Beim Klettern leiſtet ihr der Schwanz ganz weſentliche Dienſte; denn diejenigen zahmen Mäuſe, denen man, um ihnen ein drolliges Ausſehen zu geben, die Schwänze kurz geſchnitten hatte, waren nicht mehr im Stande, es ihren beſchwänzten Mitſchweſtern gleich zu thun. Ganz allerliebſt ſind auch die verſchiedenen Stellungen, welche ſie einnehmen kann. Jede Biegung, jede Bewegung iſt nett. Schon wenn ſie ruhig ſitzt, macht ſie einen ganz hübſchen Eindruck, erhebt ſie ſich aber nach Nagerart auf dem Hinter - theil und putzt und wäſcht ſich, dann iſt ſie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Aber ſie kann noch andere Kunſtſtücke aufführen; ſie kann ſich ganz auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Menſch, und ſogar einige Schritte gehen. Dabei ſtützt ſie ſich nur dann und wann ein klein wenig mit dem Schwanze. Das Schwimmen verſteht ſie auch, obwohl ſie nur im höchſten Nothfalle in das Waſſer geht. Wirft man ſie in einen Teich oder Bach, ſo ſieht man, daß ſie faſt mit der Schnelligkeit der Zwergmaus oder der Waſſerratte, welche beide wir ſpäter kennen lernen werden, die Wellen durch - ſchneidet und dem erſten trocknen Orte zuſtrebt, um an ihm empor zu klettern und das Land wieder - zugewinnen. Jhre Sinne ſind vortrefflich: ſie hört das feinſte Geräuſch, riecht ſehr ſcharf und auf weite Entfernungen hin und ſieht auch recht leidlich, vielleicht noch beſſer bei Nacht, als bei Tage. Jhr geiſtiges Weſen macht ſie Dem, welcher das Lebens des Thieres zu erkennen trachtet, zum wahren Liebling. Sie iſt gutmüthig und harmlos und ähnelt nicht im geringſten ihren boshaften, tückiſchen und biſſigen Verwandten, den Ratten; ſie iſt höchſt neugierig und unterſucht Alles mit der größten Sorgfalt; ſie iſt luſtig und klug, ſie merkt bald, wo ſie geſchont wird, und gewöhnt ſich hier mit der Zeit ſo an den Menſchen, daß ſie vor ſeinen Augen hin - und herläuft und ihre Hausgeſchäfte be - treibt, als gäbe es gar keine Störung für ſie. Jm Käfig benimmt ſie ſich ſchon nach wenigen Tagen ganz liebenswürdig; ſelbſt alte Mäuſe werden noch leidlich zahm, und jung eingefangene übertreffen wegen ihrer Gutmüthigkeit und Harmloſigkeit die meiſten anderen Nager, welche man gefangen halten kann. Ganz eigenthümlich iſt ihre Liebe zur Muſik. Wohllautende Töne locken ſie aus ihrem Verſteck hervor und laſſen ſie alle Furchtſamkeit vergeſſen. Sie erſcheint bei hellem Tage in den Zim - mern, in welchen geſpielt wird, und Orte, in denen regelmäßig Muſik ertönt, werden zuletzt ihre Lieblingsaufenthaltsorte. Man ſagt ihr nach, daß ſie nachts, wenn ſie zufällig in eine Stube kommt, wo ein offener Flügel ſteht, ſich gefällt, auf den Taſten und Saiten herumzulaufen, um ihrer Lieb -133Die Hausmaus.haberei fröhnen zu können. Mehrere glaubwürdige Leute haben auch wiederholt von Mäuſen be - richtet, welche förmlich ſingen lernten, d. h. ihr bekanntes Gezwitſcher in einer Weiſe hören ließen, welche an den leiſen Geſang von Kanarien - oder andern Stubenvögeln erinnert. Einige Forſcher haben behauptet, daß dieſer Geſang nichts Anderes ſei, als ein Klagegeſchrei bei großer Noth oder bei heftigen Schmerzen, während Andere Dem widerſprechen und behaupten, daß die Mäuſe auch in ganz geſunden Tagen, ja gerade, wenn ſie recht luſtig wären, dieſen Geſang hören ließen. Wood theilt in ſeiner Jlluſtrated Natural Hiſtory eine ſehr anziehende Beobachtung mit, welche von einem gewiſſen Bampfield herrührt: Einige Mäuſe hatten ihre Wohnung hinter dem Getäfel meiner Küche aufgeſchlagen. Jch erlaubte ihnen aus Gründen, welche ſchwerlich andere Leute anerkennen werden, dort ungeſtört ihr Weſen zu treiben, und wahrhaftig! prächtige, liebenswürdige kleine Thierchen waren es! Es ſchien uns, daß eine junge Brut beſonders ſorgfältig erzogen war; dennoch lernten ſie nicht alle Eigenthümlichkeiten von ihren Eltern. Jn der Küche hing nämlich ein gut ſingender Kanarienvogel, und wir beobachteten bald, daß das Zwitſchern der Mäuſe im Verlauf der Zeit in eine vollſtändige Nachahmung des Kanariengeſanges überging. Anfangs war es nur wenig, zuletzt wurde es immer beſſer. Jch weiß nicht, ob die Bewunderung der Muſik Dies hervorrief; es ſchien mir, des heiteren Weſens halber, mehr Spott oder Nachahmung zu ſein; aber das Ergebniß war höchſt erfreulich, und wenn auch der Mäuſegeſang nicht die Stärke, Fülle und Lieblichkeit des Kanarienſchlags bekam, ſo ſtand er doch vielleicht über dieſem hinſichtlich der Sanftheit und Zartheit. Oft habe ich ihnen abends mit dem größten Vergnügen zugehört, wenn der Kanarienvogel ſchlief, das Haupt unter die Schwingen verborgen, und mehr als einmal habe ich beobachtet, daß ein Küchen - gaſt auf den Kanarienvogel ſchaute, dann mit einigem Erſtaunen ſich umblickte und ſagte: Jſt das der Vogel, Herr, welcher ſo ſingt? Ein glaubwürdiger Mann verſicherte mich, daß er in ſeinem Hauſe auch eine ähnliche Singmaus hätte, und ich habe wahrhaftig wenig Zweifel, daß junge Mäuſe, wenn ſie ſobald als möglich mit dem Kanarienvogel zuſammen gebracht werden, von ihm einigermaßen ſingen lernen. Obgleich mir, bis die Sache von Kundigen geprüft worden iſt, dieſer Mäuſegeſang noch nicht recht glaubwürdig erſcheinen will, mag ich doch nicht unerwähnt laſſen, daß auch andere Nachrichten von ſingenden Mäuſen berichtet haben. So erzählt ein chineſiſcher Reiſender, daß die Langzöpfe des himmliſchen Reiches der Mitte anſtatt der Kanarienvögel oft Mäuſe in feinen Käfigen hielten, deren lieblicher Geſang jeden Europäer anfangs mit dem größten Erſtaunen erfülle. Dr. Eichelberg theilt ganz neuerdings in der Gartenlaube ganz ähnliche Beobachtungen mit, welche er während ſeiner Haft zu machen Gelegenheit hatte. Er vernahm im November 1846 in der Dämmerung mit einem Male den hellen Schlag eines Kanarienvogels, wie er meinte, welcher im Kamin zu ſitzen ſchien. Er glaubte, daß ſich der Vogel dahin verirrt und ſpäter wieder zurecht ge - funden hätte, erfuhr aber zu ſeinem Erſtaunen einige Tage ſpäter, daß zu derſelben Zeit und von der - ſelben Stelle her das gleiche Schlagen ertönte. Später vernahm er die Muſik unter dem Fußboden, und ſchließlich wurde er nachts durch das Schlagen aus dem Schlafe erweckt. Die Töne, ſagt er, dem Schlage des Kanarienvogels faſt ganz ähnlich, hatten einen ſanften und wundervollen, melodiſchen Klang und rollten, ohne irgend etwa abzuſetzen, weiter. Der Gefangene zündete Licht an und unter - ſuchte ſein Zimmer. Dem Klange nachgehend, fand er endlich ein Mäuschen, deſſen Mäulchen ſicht - bar die noch fortgehenden Töne entquollen. Von dieſer Nacht an kam die Sängerin immer häufiger zum Vorſchein, nicht blos am Abend, ſondern auch bei Tage. Zu letzterer Zeit ſchlug es ſelten lange, höchſtens 10 bis 15 Minuten, abends dagegen manchmal eine Viertelſtunde lang. Der Aufſeher des Gefangenhauſes und der Kommandant überzeugten ſich ſpäter von der Wahrheit der Beobachtung unſeres Gewährsmannes, und derſelbe führt die Genannten ausdrücklich als Zeugen auf. Zugleich erzählt er, daß in der Geſchäftsſtube der Kaufleute Grundlach in Kaſſel ebenfalls ein Singmäuschen gefangen wurde. Und endlich haben auch gewiegte Naturforſcher von einem Mäuſegeſang in be - ſchränkter Weiſe geſprochen. Jedenfalls verdient die Sache Beachtung, und wäre es auch nur, um hier einen möglichen Jrrthum aufzuklären.

134Die eigentlichen Mäuſe.

Alle angenehmen Eigenſchaften, welche die Hausmaus beſitzt, werden leider durch ihre große Lüſternheit und Genäſchigkeit ſehr beeinträchtigt. Man kann ſich ſchwerlich ein naſchhafteres Geſchöpf denken, als eine Hausmaus, welche über eine gut geſpickte Speiſekammer verfügen kann! Sie ſucht ſich ſicher immer die beſten Biſſen aus und beweiſt dadurch auch auf das ſchlagendſte, daß bei ihr der Sinn des Geſchmackes recht gut entwickelt iſt. Süßigkeiten aller Art, Milch, gute Fleiſchſpeiſen, Käſe, Fette, Früchte und Körner werden von ihr vor allen übrigen Speiſen bevorzugt, und wo ſie Wahl hat, kürt ſie ſich unter dem Guten immer das Beſte. Da kommen nun die ſpitzen Nage - zähne hinzu, um ſie verhaßt zu machen. Wo ſie etwas Genießbares wittert; weiß ſie ſich einen Zu - gang zu verſchaffen, und da kommt es ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angeſtrengt zu arbeiten und ſelbſt feſte, ſtarke Thüren zu durchnagen. Findet ſie viel Nahrung, welche ihr be - ſonders mundet, ſo trägt ſie ſich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und ſammelt mit der Haſt eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze. An Orten, wo ſie wenig Störung erleidet, ſagt Fitzinger, findet man zuweilen ganze Haufen von Wall - oder Haſelnüſſen bis zu einer halben Elle hoch in Winkeln aufgethürmt und ſo regelmäßig und zierlich feſt an einander ge - ſchloſſen und mit allerlei Abfällen von Papier oder Kleiderſtoffen überdeckt, daß man hierin kaum ein Werk der Hausmaus vermuthen möchte. Waſſer ſäuft ſie, wenn ſie andere ſaftige Stoffe haben kann, gar nicht und auch bei trockenem Futter nur ſelten. Dagegen ſchlürft ſie mit echtem Menſchen - verſtand ſüße Getränke aller Art mit Wolluſt aus. Daß ſie ſich, wie die Waldmaus es zuweilen thut, auch über geiſtige Getränke hermacht, beweiſt eine Beobachtung, welche mir erſt vor wenig Tagen mitgetheilt wurde. Etwa im Jahre 1843, ſo ſchreibt mir der Förſter Herr Block, wurde ich einmal beim Schreiben durch ein Geräuſch geſtört und erblickte eine Maus, welche an den glatten Füßen eines Tiſchchens emporkletterte. Bald war ſie oben und ſuchte emſig nach den Broſamen, welche auf dem Frühſtücksteller lagen. Jn der Mitte des Tellers ſtand ein ganz leichtes, glockenförmiges Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprung ſaß das Mäuschen oben auf dem Glaſe, bog ſich vorn über und leckte eifrig und ſprang herunter; nahm aber noch eine Gabe von dem ſüßen Gifte zu ſich. Durch ein Geräuſch meinerſeits geſtört, ſprang ſie mit einem Satz vom Tiſche herab und verſchwand hinter einem Glasſchrank. Jetzt mochte der Geiſt über ſie kommen; denn gleich darauf war ſie wieder da und führte die ſpaßhafteſten Bewegungen aus, verſuchte auch, obwohl vergeblich, den Tiſch nochmals zu erſteigen. Jch ſtand auf und ging auf ſie zu ich behelligte ſie nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber gleich wieder da. Von meinem Arme herab ſprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing an den Krallen ihrer Tatze.

Der Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfreſſen verſchiedener Speiſevorräthe anrichtet, iſt im ganzen gering: ihre hauptſächliche Schädlichkeit beruht in dem abſcheulichen Zernagen werth - voller Gegenſtände. Jn Bücher - und Naturalienſammlungen hauſen die Mäuſe auf die verderblichſte Weiſe und können, wenn ihrer Zerſtörungsluſt nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, ganz unſchätzbaren Schaden anrichten. Es ſcheint, daß ſie manchmal aus bloſem Uebermuth Etwas bena - gen, und ſoviel iſt ſicher, daß eine Maus mehr nagt, wenn ſie durſtig iſt, als wenn ſie immer zu trinken bekommen kann. Deshalb pflegt man ihr in Bibliotheken außer Körnern, die man für ſie auf - ſpeichert, auch Gefäße mit Waſſer hinzuſtellen und ſie ſo gradezu zu ſpeiſen und zu tränken.

Die Hausmaus vermehrt ſich außerordentlich ſtark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der Paarung vier bis ſechs, nicht ſelten aber auch acht Junge und in Jahresfriſt ſicherlich fünf bis ſechs Mal, ſo daß die unmittelbare Nachkommenſchaft eines Jahres mindeſtens 30 Köpfe beträgt. Eine weiße Maus, welche Struve in der Gefangenſchaft hielt, warf am 17. Mai ſechs, den 6. Juni ſechs, den 3. Juli acht Junge. Sie wurde am 3. Juli vom Männchen getrennt und am 28. Juli wieder mit ihm zuſammen gethan. Nun warf ſie am 21. Auguſt wieder ſechs Junge, am 1. Oktober eben - falls ſechs und am 24. Oktober fünf. Während des Winters ging ſie gelte. Am 17. März kamen wieder zwei Junge zur Welt. Eins von den am 6. Juni gebornen Weibchen bekam die erſten135Die Wald - und Feldmaus.Jungen, und zwar gleich vier, am 18. Juni. Hieraus erklärt ſich die maſſenhafte Vermehrung des Thieres trotz ſeiner Unzahl von Feinden. Die Mutter ſchlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht ſelten findet man ihr Neſt in ausgehöhltem Brod, Kohlrüben, in Taſchen, in Todtenköpfen, ja ſelbſt in Mauſe - fallen. Gewöhnlich iſt es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen ſorgfältig zuſammengeſchleppt, doch kommt es auch vor, daß blos Holzſpäne oder ſelbſt Nußſchalen die Unter - lage abgeben müſſen. Die Jungen ſind, wenn ſie zur Welt kommen, außerordentlich klein und förm - lich durchſichtig, namentlich die von Weißlingen; ſie wachſen aber ſehr raſch heran, bekommen zwiſchen dem ſiebenten und achten Tag Haare, öffnen aber erſt am 13. Tage die Augen. Nun bleiben ſie nur noch ein paar Tage im Neſte; dann gehen ſie ſelbſtändig auf Nahrungserwerb aus. Die Alte behan - delt ſie mit großer Zärtlichkeit und gibt ſich ihrethalber ſelbſt Gefahren preis. Weinland erzählt ein rührendes Beiſpiel ihrer Mutterliebe. Jn dem weichen Bette, welches eine Hausmaus ihren Jungen bereitet hatte, entdeckte man ſie und ihre neun Kinder. Die Alte konnte entrinnen, aber ſie macht keine Bewegung zur Flucht! Man ſchiebt die Jungen auf eine Schaufel und die Alte mit ihnen ſie rührt ſich nicht. Man trägt ſie frei auf der Schaufel fort, mehrere Treppen hinunter, bis in den Hof, und ſie harrt bei ihren Kindern aus zu ihrem Verderben!

Der ſchlimmſte aller Feinde der Hausmaus iſt und bleibt die Katze. Jn alten Gebäuden hilft die Eule dem Vierfüßler treulich mit, und auf dem Lande leiſten Jltis und Wieſel, Jgel und Spitzmaus recht gute Dienſte; denn ſo klein auch die letztere iſt, ſo eifrig liegt ſie der Jagd auf die ihr gegenüber weit ſchwächeren Nager ob.

Wald - und Feldmaus theilen die meiſten Eigenſchaften der Hausmaus. Erſtgenannte iſt durch ganz Europa verbreitet, etwa mit Ausnahme der hochnordiſchen Gegenden; im Gebirge ſteigt ſie bis 6000 Fuß über das Meer empor. Sie lebt in Wäldern, an Waldrändern, in Gärten, ſeltener auch in weiten, baumleeren Feldern und kommt im Winter gern in Häuſer, Keller und Speiſekammern, ſteigt aber baldmöglichſt nach oben hinauf und treibt ſich in Bodenkammern und unter den Dächern herum. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ebenſo gewandt, wie die Hausmaus, und die Nahrung theilt ſie ſo ziemlich auch mit ihr. Jm Freien frißt ſie gern Kerbthiere und Würmer, ſelbſt kleine Vögel oder Obſt, Kirſchkerne, Nüſſe, Eicheln, Bucheckern und in der Noth wohl auch die Rinde junger Bäume. Sie trägt ſich ebenfalls einen Wintervorrath ein, hält aber keinen Winterſchlaf und naſcht blos an trüben Tagen von ihren aufgeſpeicherten Schätzen. Jm Hauſe bringt ſie oft recht empfindlichen Schaden und hat ganz eigene Gelüſte. Sie dringt in der Nacht in Käfige und tödtet in ihnen Kanarienvögel, Lerchen, Finken u. ſ. w. Häuſchen von Leckerbiſſen, welche ſie nicht gut weg - ſchleppen kann, bedeckt ſie mit Hälmchen, Papierſtückchen und dgl. Von ihrem guten Geſchmack erzählt Lenz ein hübſches Beiſpiel. Eine ſeiner Schweſtern hörte abends im Keller ein ganz eigenes, fingendes Piepen, ſuchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, welche neben einer Flaſche Malaga ſaß, der Hereinkommenden freundlich und ohne Scheu ins Geſicht ſah und ſich in ihrem Geſang dabei gar nicht ſtören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hilfe; es wurde mit Heeres - macht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig ſitzen und war ſehr verwundert, als ſie mit einer eiſernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer Unterſuchung fand ſich nun, daß die Flaſche etwas auslief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen herumliefen, ein ganzer Kranz von Mäuſemiſt lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier als Trunkenbold verhaftete Maus hier ſchon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte.

Die Waldmaus wirft jährlich zwei oder drei Mal vier bis ſechs, ſeltener auch acht nackte Junge, welche ziemlich langſam wachſen und den ſchönen, rein rothgelben Anflug des Pelzes erſt im zweiten Jahre erhalten.

Die Brandmaus iſt auf einen geringeren Verbreitungskreis beſchränkt, als die verwandten136Die eigentlichen Mäuſe.Arten; ſie lebt zwiſchen dem Rhein und Weſtſibirien, Nord-Holſtein und der Lombardei. Jn Mittel - deutſchland iſt ſie überall gemein; im Hochgebirge fehlt ſie. Jhre Aufenthaltsorte ſind Ackerfelder, Waldränder, lichte Gebüſche und im Winter die Getreidefeime oder die Scheuern und Ställe; auch lebt ſie in Erdlöchern. Beim Mähen des Getreides ſieht man ſie im Herbſte ſcharenweiſe über die Stoppeln flüchten. Pallas erzählt, daß ſie in Sibirien zuweilen regelloſe Wanderungen anſtellen. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ungeſchickter, in ihrem Weſen weit gutmüthiger oder dümmer, als ihre Verwandten. Jhre Nahrung beſteht hauptſächlich aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen, Kerbthieren und Würmern. Sie trägt ſich ebenfalls Vorräthe ein. Jm Sommer wirft ſie drei bis vier Mal zwiſchen vier und acht Junge, welche, wie die der Waldmaus, erſt im folgenden Jahre voll - ſtändig ausgefärbt ſind. Ueber ihre Fortpflanzung erzählt Lenz Folgendes: Vor nicht langer Zeit nahm ich ein Brandmausweibchen nebſt ſeinen Jungen, die eben zu ſehen begannen, in die Stube, that die Familie ganz allein in ein wohl verwahrtes Behältniß und fütterte ſie gut. Die Alte machte ſich ein Neſtchen und ſäugte darin ihre Jungen ſehr eifrig. Funfzehn Tage nach dem, wo die Familie eingefangen und eingeſperrt worden war, als eben die Jungen ſelbſtändig zu werden be - gannen, heckte die Alte unvermuthet wieder ſieben Junge, mußte ſich alſo ſchon im Freien, nachdem ſie die vorigen geheckt, wieder gepaart haben. Luſtig war es mit anzuſehen, wenn ich die alte Brand - maus, während ſie die Jungen ſäugte, ſo ſtörte, daß ſie weglief. Die Jungen, welche gerade an ihren Zitzen hingen, blieben dann daran, ſie mochte ſo ſchnell laufen, wie ſie wollte, und ſie kam mit der immer bedeutenden Laſt doch immer ſchnell vom Flecke. Jch habe auch im Freien Mäuſe geſehen, welche ihre Jungen, wenn ich ſie ſtörte, ſo wegſchafften.

Die Feinde der beiden genannten Mäuſearten ſind dieſelben, welche die Hausmaus hat. Ueber ihre Vertilgung will ich hier nicht weiter reden, ſondern die hierauf bezüglichen Angaben mir bis zur Feldmaus aufſparen.

So ſchmuck und nett alle kleinen Mäuſe ſind, ſo allerliebſt ſie ſich in der Gefangenſchaft be - tragen: das kleinſte Mitglied der Familie, die Zwergmaus (Mus minutus) übertrifft jene doch in jeder Hinſicht. Sie iſt beweglicher, geſchickter, munterer, kurz ein viel anmuthigeres Thierchen, als alle übrigen. Jhre Länge beträgt blos fünf Zoll und davon kommen auch noch 2⅓ Zoll auf das Schwänzchen, ſo daß der eigentliche Körper nur 2⅔ Zoll lang iſt. Die Höhe am Widerriſt beträgt nur einen Zoll; das Gewicht ſchwankt zwiſchen ein und zwei Quentchen. Die Zwergmaus verdient alſo ihren Namen; es gibt ja auch nur ein einziges Sängethier, die uns ſchon bekannte Zwergſpitz - maus, welche noch kleiner iſt, als ſie ſelbſt.

Ganz wunderbar im Verhältniß zu dieſer geringen Größe iſt die auffallende Verbreitung des lieblichen Thierchens. Von jeher hat die Zwergmaus den Thierkundigen viel Kopfzerbrechen gemacht. Pallas entdeckte ſie in Sibirien, beſchrieb ſie genau und bildete ſie auch ganz gut ab; aber faſt jeder Forſcher nach ihm, dem ſie in die Hände kam, ſtellte ſie als eine neue Art auf, und jeder glaubte in ſeinem Rechte zu ſein. Allerdings wechſelt die Pelzfärbung der Zwergmaus nicht unbe - trächtlich ab. Gewöhnlich iſt ſie zweifarbig, die Oberſeite des Körpers und der Schwanz gelblich - braunroth, die Unterſeite und die Füße ſcharf abgeſetzt weiß; nun aber kommen dunklere und hellere, röthlichere und bräunlichere, grauere und gelbere vor; die Unterſeite ſteht nicht ſo ſcharf im Gegenſatz mit der oberen; junge Thiere haben andere Körperverhältniſſe, als die alten, und noch eine ganz andere Leibesfärbung, nämlich viel mehr grau auf der Oberſeite: kurz, dieſe Verſchiedenheit kann den nicht ſehr ſorgfältig prüfenden Forſcher ſchon verwirren. Außerdem erſchien es ja auch zu wun - derbar, daß ein Thier, welches in Sibirien entdeckt wurde, in Deutſchland leben ſollte! Aber die fortgeſetzte Beobachtung ergab als unumſtößliche Wahrheit, daß unſer Zwerglein wirklich von Sibi - rien an durch ganz Rußland, Ungarn, Polen und Deutſchland bis nach Frankreich, England und Jtalien reicht, und jetzt wird allgemein angenommen, daß ſie nur ausnahmsweiſe in manchen Ge - genden nicht vorkommt. Sie findet ſich eigentlich in allen Ebenen, wo der Ackerbau blüht, und

Zwergmäuſe.

137Die Zwergmaus.keineswegs immer auf den Feldern, ſondern vorzugsweiſe im Schilf und im Rohr, in Sümpfen und in Binſen ꝛc. Jn Sibirien und in den Steppen am Fuße des Kaukaſus iſt ſie gemein, in Rußland und England, in Schleswig und Holſtein wenigſtens nicht ſelten. Aber auch in den übrigen Ländern Europas kann ſie zuweilen häufig werden.

Während des Sommers findet man das niedliche Geſchöpfchen in Geſellſchaft der Wald - und gemeinen Feldmaus in Getreidefeldern, im Winter maſſenweiſe unter Feimen oder auch in Scheuern, in welche ſie mit der Frucht eingeführt wird. Wenn ſie im freien Felde überwintert, bringt ſie einen großen Theil der kalten Zeit zwar ſchlafend zu, fällt aber niemals in völlige Erſtar - rung, und trägt deshalb während des Sommers auch recht hübſche Vorräthe in ihre Höhlen ein, um davon leben zu können, wenn die Noth an die Pforte klopft. Jhre Nahrung iſt die aller übrigen Mäuſe: Getreide und Sämereien von verſchiedenen Gräſern, Kräutern und Bäumen, na - mentlich aber auch kleine Kerbthiere aller Art.

Jn ihren Bewegungen zeichnet ſich die Zwergmaus vor allen anderen Arten der Familie aus. Sie läuft, ungeachtet ihrer geringen Größe, ungemein ſchnell und klettert mit größter Fertigkeit, Gewandtheit und Zierlichkeit. An den dünnſten Aeſten der Gebüſche, an Grashalmen, die ſo ſchwach ſind, daß ſie ſich mit ihr zur Erde beugen, ſchwebend und hängend, läuft ſie empor, faſt ebenſo - ſchnell an Bäumen, und der zierliche kleine Schwanz wird dabei ſo recht geſchickt als Wickelſchwanz benutzt, gerade als hätte der kleine Nager ſolche Kunſt dem Brüllaffen abgeſtohlen. Auch im Schwimmen iſt die Zwergmaus wohlerfahren und im Tauchen ſehr geſchickt. So kommt es, daß ſie überall wohnen und leben kann.

Jhre größte Fertigkeit entfaltet die Zwergmaus aber doch noch in etwas Anderem. Sie iſt eine Künſtlerin, wie es wenige gibt unter den Säugethieren, eine Künſtlerin, die mit den begabteſten Vögeln zu wetteifern verſucht. Sie baut ein Neſt, das an Schönheit alle anderen Säugethierneſter weit übertrifft. Als hätte ſie es einem Rohrſänger oder Stufenſchwanz abgeſehen, ſo eigen - thümlich wird der niedliche Bau angelegt. Das kugelrunde Neſt, welches ungefähr fauſtgroß iſt, ſteht nämlich, je nach des Orts Beſchaffenheit, entweder auf zwanzig bis dreißig Riedgrasblättern, deren Spitzen zerſchliſſen und ſo durcheinandergeflochten ſind, daß ſie das eigentliche Neſt von allen Seiten umſchließen, oder es hängt zwiſchen zwei oder drei Fuß hoch über der Erde frei an den Zweigen eines Buſches, an einem Schilfftengel und dergleichen, ſo daß es ausſieht, als ſchwebe es in der Luft. Jn ſeiner Geſtalt ähnelt es am meiſten einem ſtumpfen Ei, einem beſonders rundlichen Gänſeei z. B., dem es auch in der Größe ungefähr gleichkommt. Die äußere Umhüllung beſteht immer aus gänzlich zerſchlitzten Bläktern des Rohrs oder Riedgraſes, deren Stengel die Grundlage des ganzen Baues bilden. Der kleine Künſtler nimmt jedes Blättchen hübſch mit den Zähnen in den Mund und zieht es mehrere Male zwiſchen den nadelſcharfen Spitzen durch, bis jedes einzelne Blatt ſechs -, acht - oder zehufach getheilt, gleichſam in mehrere beſondere Faden getrennt worden iſt; dann wird das Ganze außerordentlich ſorgfältig durcheinandergeſchlungen, verwebt und ge - flochten. Das Jnnere iſt mit Rohrähren, mit Kolbenwolle, mit Kätzchen und Blüthenrispen aller Art ausgefüttert. Eine kleine Oeffnung führt von einer Seite hinein, und wenn man da hindurch in das Jnnere greift, fühlt ſich das Ganze, oben wie unten gleichmäßig geglättet und überaus weich und zart an. Die einzelnen Beſtandtheile ſind ſo dicht mit einander verfitzt und verwebt, daß das Neſt einen wirklich feſten Halt bekommt. Wenn man die viel weniger brauchbaren Werkzeuge dieſer Mäuſe mit dem geſchickten Schnabel der Künſtlervögel vergleicht, wird man jenen Bau nicht ohne hohe Bewunderung betrachten und muß die Arbeit der Zwergmaus gewiß über die Baukunſt manches Vogels ſtellen, der weit beſſer ausgerüſtet iſt.

Jedes dieſer Neſtchen wird immer zum Haupttheile aus den Blättern derſelben Pflanzen gebil - det, welche den netten Ball tragen. Eine nothwendige Folge hiervon iſt, daß das Aeußere auch faſt oder ganz dieſelbe Farbe hat, wie der Strauch ſelber, an dem es hängt. Nun benutzt die Zwerg - maus jeden einzelnen ihrer Paläſte blos zu ihrem Wochenbette, und das dauert nur ganz kurze Zeit:138Die eigentlichen Mäuſe.ſo ſind die Jungen regelmäßig ausgeſchlüpft, ehe das Blätterwerk um das Neſt verwelken und hier - durch eine auffällige Farbe annehmen konnte.

Man glaubt, daß jede Zwergmaus jährlich zwei bis drei Mal Junge wirft, jedes Mal ihrer fünf bis neun. Aeltere Mütter bauen immer künſtlichere und vollkommenere Neſter, als die jün - geren, aber auch in dieſen zeigt ſich ſchon der Trieb, die Kunſt der alten ausznüben; denn bereits im erſten Jahre bauen ſich die kleinen Dinger ziemlich vollkommene Neſter, um darin zu ruhen. Gewöhnlich verweilen die Jungen ſolange in ihrer prächtigen Wiege, bis ſie ſehen können. Die Alte hat ſie jedesmal warm zugedeckt oder vielmehr die Thür zum Neſte verſchloſſen, wenn ſie das Neſt - chen verlaſſen muß, um ſich Nahrung zu holen. Sie iſt inzwiſchen wieder mit dem Männchen ihrer Art zuſammengekommen und gewöhnlich bereits von neuem trächtig, während ſie ihre Kinder noch ſäugen muß. Kaum ſind dann dieſe ſoweit, daß ſie zur Noth ſich ernähren können, ſo überläßt ſie die Alte ſich ſelbſt, nachdem ſie höchſtens ein paar Tage lang ihnen Führer und Rathgeber ge - weſen iſt.

Falls das Glück Einem wohl will und man gerade dazukommt, wenn die Alte ihre Brut zum erſten Male ausführt, hat man Gelegenheit, ſich an einem der anziehendſten Familienbilder aus dem Säugethierleben zu erfreuen. So geſchickt die junge Schar auch iſt: etwas Unterricht muß ihr doch werden, und ſie hängt auch noch viel zu ſehr an der Mutter, als daß ſie gleich ſelbſtändig ſein und in die weite, gefährliche Welt hinausſtürmen möchte. Da hängt nun ein Junges an dieſem, das andere an jenem Halme; das zirpt zu der Mutter auf, jenes verlangt noch die Mutterbruſt; dieſes wäſcht und putzt ſich, jenes hat ein Körnchen gefunden, welches es hübſch mit den Vorderfüßen hält und aufknackt, das Neſthäkchen macht ſich noch im Jnnern des Baues zu ſchaffen, das beherzteſte und muthigſte Männchen hat ſich ſchon am weiteſten entfernt und ſchwimmt vielleicht bereits unten in dem Waſſer herum, aus dem das Riedgras ſich erhebt: kurz, die ganze Familie iſt in der lebhafteſten Bewegung und die Alte gar gemüthlich da mittendrin, hier helfend, dort rufend, führend, leitend, die ganze Geſellſchaft beſchützend.

Man kann dieſes anmuthige Treiben ſo recht gemächlich betrachten, wenn man das ganze Neſt mit nach Hauſe nimmt und in einen enggeflochtenen Drahtbauer bringt. Mit Hanf, Hafer, Birnen, füßen Aepfeln, Fleiſch und Stubenfliegen ſind die Zwergmäuſe leicht zu erhalten, und ſie vergelten jede Mühe, welche man ſich mit ihnen gibt, durch ihr angenehmes Weſen tauſendfach. Ganz allerliebſt ſieht es aus, wenn man eine Fliege hinhält. Da fahren alle mit großen Sprüngen auf ſie los, packen ſie mit den Füßchen, führen ſie zum Munde und tödten ſie mit einer Haſt und Gier, als ob ein Löwe ein Rind erwürgen wolle; dann halten ſie ihre Beute allerliebſt mit den Vorderpfoten und führen ſie damit zum Munde. Die Jungen werden ſehr bald zahm, aber mit zunehmendem Alter wieder ſcheuer, falls man ſich nicht ganz beſonders oft und fleißig mit ihnen abgibt. Um die Zeit, wo ſie ſich im Freien in ihre Schlupfwinkel zurückziehen, werden ſie immer ſehr unruhig und ſuchen mit Gewalt zu entfliehen, gerade ſo, wie die im Käfig gehaltenen Zugvögel zu thun pflegen, wenn die Zeit der Wanderung herannaht. Auch im März zeigen ſie daſſelbe Ge - lüſte, ſich aus dem Käfig zu entfernen. Sonſt gewöhnen ſie bald ein und bauen ganz luſtig an ihren Kunſtneſtern, nehmen Blätter und ziehen ſie mit den Pfoten durch den Mund, um ſie zu ſpal - ten, ordnen und verweben ſie, tragen allerhand Stoff zuſammen, kurz, ſuchen ſich ſogut als möglich einzurichten.

Eine der ſchönſten Arten der ganzen Mausfamilie iſt die berberiſche Maus (Mus barbarus), ein Thierchen, welches einen etwa 4 Zoll langen Körper und einen noch etwas längeren Schwanz be - ſitzt und am Widerriſt über Zoll hoch iſt. Ein ſchönes Gelblichbraun oder Röthlichlehmgelb iſt die Grundfarbe des Körpers. Vom Kopfe, welcher ſchwarz geſprenkelt iſt, zieht ſich ein ſchwarzbrauner Längsſtreif bis zur Schwanzwurzel herab, und viele ähnliche Streifen verlaufen längs der Seiten, aber in etwas ungerader Richtung. Die Unterſeite iſt rein weiß. Die Ohren ſind röthlichgelb be -139Die berberiſche Maus.haart, die ſchwarzen Schnurren endigen größtentheils in eine weiße Spitze. Der Schwanz iſt oben ſchwarzbraun, unten gelblichbraun.

Dieſe Maus lebt in Nord - und Mittelafrika, beſonders häufig in den Atlasländern; doch auch in den inneren Steppen kommt ſie nicht ſelten vor. Jch beobachtete ſie mehrmals in Kordofahn, ſah ſie jedoch immer nur auf Augenblicke, wenn ſie zwiſchen dem hohen Gras der Steppe dahin - huſchte. Jn Egypten findet ſie ſich nicht. Mein Freund Buvry theilt mir über ihre Lebensweiſe Folgendes mit:

Wie alle übrigen Verwandten, welche die Steppe bewohnen, wird die berberiſche Maus von den Arabern ſchlechtweg als Maus der Wildniß bezeichnet, verachtet und daher wenig beobachtet. Die Eingeborenen wiſſen deshalb Nichts von ihr zu berichten. Man trifft ſie längs der ganzen Küſte Algeriens, vorzugsweiſe in ſteinigen Gegenden, zumal da, wo dürre Höhenzüge fruchtbare Ebenen begrenzen. Jn den Gehängen der Hügel gräbt ſie ſich Röhren, welche zu einer tiefer liegenden Kammer führen. Jn dieſer ſpeichert ſich das Thier im Herbſt ſeine Vorräthe, Kornähren und Gräſer, auf und zehrt von ihnen je nach Bedürfniß, bei kaltem oder naſſem Wetter. Die beim Zernagen der Aehren abfallende Spreu wird zur Ausfütterung der Kammer benutzt. Je nach der Jahreszeit beſteht die Nahrung in Ge - treide und Sämereien oder in anderen Pflanzenſtoffen. Früchte, namentlich Obſtſorten, ſind ihnen ein geſuchter Lecker - biſſen: in den Fallen, welche ich auf - ſtellte und mit einem Stück Waſſermelone köderte, fing ich viele. Ob ſie auch Kerbthiere fängt und verzehrt, weiß ich nicht.

Jn ihrem Weſen erinnert die Streifmaus vielfach an die Ratten. Sie iſt gefräßig, aber auch biſſig und ſcheut ſich, wenn die Liebe zu Gatten oder Kind ins Spiel kommt, auf den über - legenen Feind loszugehen, in der Abſicht, ihn zurückzuſchrecken. Jm übrigen iſt ſie

Die berberiſche Maus (Mus barbarus).

eine echte Maus; ſie zeigt dieſelbe Gelenkigkeit, Zierlichkeit und Gewandtheit in ihren Bewegungen wie andere Verwandte.

Ueber ihre Fortpflanzung iſt mir Nichts bekannt geworden.

Jhrer ſchmucken Geſtalt wegen hat man die berberiſche Maus öfters nach Europa gebracht. Sie verträgt unſer Klima recht gut, da ſie in ihrem Vaterlande ja auch, wenigſtens zeitweilig, ziemlich bedeutende Kälte ertragen muß. Nur wenn man ſie reichlich mit Futter verſieht, darf man ſie ohne Scheu mit anderen ihrer Art zuſammenlaſſen; im entgegengeſetzten Falle greift die ſtärkere die ſchwächere an und frißt ſie auf.

Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die im Jnnern Afrikas vorkommenden geſtreiften Mäuſe ſich von der berberiſchen unterſcheiden; denn die Verbreitung dieſer Streifmäuſe reicht über ganz Afrika hinweg, und da hier andere Verhältniſſe obwalten, als bei unſeren Ratten und Mäuſen, welche, wie wir ſahen, hauptſächlich durch die Schifffahrt von einem Erdtheile zum andern verſchleppt wurden und werden, ſo darf man wohl annehmen, daß hier artliche Berſchiedenheiten zu Grunde liegen. Jn der Neuzeit hat man verſucht, auch dieſe Streifmäuſe in einer eigenen Sippe zu vereinigen und von den eigentlichen Mäuſen zu trennen, die Unterſchiede ſind aber ſo gering, daß Dies als unſtatt - haft angeſehen werden mußte.

140Der Hamſter.

Wenn wir in gleicher Vollſtändigkeit, wie bisher, die Familie der Mäuſe behandeln woll - ten, müßten wir noch eine große Anzahl derſelben beſchreiben, ſelbſt, wenn wir blos die Vertreter der wichtigeren Sippen ſchildern wollten. Der große Reichthum der Familie macht eine genaue Be - ſtimmung bei einigen Arten überaus ſchwierig oder, falls nicht genaue Abbildungen zu Hilfe kommen, geradezu unmöglich. Für uns würde es keinen großen Nutzen haben, wenn wir ausführlicher ſein wollten: ich würde eben Bälge beſchreiben müſſen; denn über das Leben und Treiben der meiſten Mäuſe fehlen uns ſogut wie alle Nachrichten. So mag es mir denn nachgeſehen werden, wenn ich unter der großen Menge noch eine höchſt beſchränkte Auswahl treffe. Eines Mitgliedes der Familie müſſen wir vor allen andern gedenken, des Hamſters nämlich, dieſes ſprichwörtlich gewordenen, habſüchtigen Geſchöpfes, welches ſich auf Koſten des Menſchen zu ernähren und dieſen ganz gehörig zu brandſchatzen weiß. Der Hamſter trägt Wintervorräthe ein, wie ſoviele andere ſeiner Familie, aber er iſt dabei unbeſcheidener, als alle übrigen Winterſchläfer; denn ein einziger dieſer unverſchäm - ten Geſellen ſchleppt, wenn er kann, bis zu einem Centner an Körnern in ſeinen Bau. Wenn man nun von Lenz erfährt, daß in der etwas über zwölftauſend Acker großen Stadtflur von Gotha im Jahre 1817 allein 111,817 und von 1818 bis 1828 129,754, in zwölf Jahren alſo faſt eine Vier - telmillion Hamſter gefangen, an die Stadtbehörden abgeliefert und von dieſen bezahlt wurden; wenn man dabei bedenken will, daß ſicherlich noch halb ſoviel erſchlagen wurden, ohne daß man Lohn für ihre Tödtung begehrte, und wenn man dieſer außerordentlichen Summe fernerhin die Hamſter und Hämſterchen hinzurechnen will, welche von den vielen und ſehr thätigen Feinden des Thieres erlegt wur - den: wird man mir glauben, wenn ich den Hamſter ein ſehr wichtiges Thier nenne und behaupte, daß Jedermann dieſe Geſellen kennen lernen muß.

Unſer Hamſter bildet mit noch etwa einem Dutzend gleichgeſtalteten und gleichgeſinnten Thieren eine eigene Sippe (Cricctus), deren hauptſächlichſtes Kennzeichen in dem plumpen, dicken Leibe mit dem ſehr kurzen, dünnhaarigen Schwanze, den kurzen Gliedmaßen, von denen die Hinterfüße fünf, deren Vorderfüße vier Zehen und eine Daumenwarze beſitzen, ſowie in den ſehr großen inneren Backen - taſchen liegt. Das Gebiß beſteht aus ſechzehn Zähnen, zwei Paar auffallend großen Nagezähnen und drei Backenzähnen in jeder Reihe, welche einfach ſind und eine höckerige Kaufläche haben. Ge - treidefelder in fruchtbaren Gegenden des gemäßigten Europas und Aſiens bilden die Aufenthaltsorte dieſer Thiere. Hier graben ſie ſich tiefe Baue mit mehreren Kammern, in denen ſie im Herbſt Nah - rungsvorräthe aufſpeichern, und in dieſen Bauen bringen ſie ihr Leben hin, deſſen Luſt und Leid wir kennen lernen, wenn wir das unſeres Hamſters (Cricetus frumentarius) erforſchen.

Dieſes leiblich recht hübſche, geiſtig aber um ſo häßlichere, boshafte und biffige Geſchöpf erreicht eine Geſammtlänge von ungefähr einem Fuß, wovon auf den Schwanz kaum zwei Zoll kommen. Der Leib iſt unterſetzt, der Hals dick, der Kopf ziemlich zugeſpitzt; die häutigen Ohren ſind mittel - lang, die Augen groß und hell, die Beine kurz, die Füße und Zehen recht zierlich, die lichten Krallen kurz; der Schwanz iſt kegelförmig zugeſpitzt, aber etwas abgeſtutzt. Die dichte, glatt anliegende und etwas glänzende Behaarung beſteht aus kürzerem und weichen Wollhaar und längerem und ſtei - feren, auch dünnerſtehenden Grannenhaar. Gewöhnlich iſt die Färbung des Oberkörpers ein lichtes Braungelb, welches wegen der ſchwarzſpitzigen Grannen in das Grauliche ſpielt. Die Oberſeite der Schnauze und die Augengegend, ſowie ein Halsband ſind gewöhnlich rothbraun, ein Fleck auf den Backen iſt gelb, der Mund weißlich, die Unterſeite, auch die Beine mit bis zu den Füßen herab und die Hinterbeine wenigſtens innen, ſowie ein Streifen über der Stirn ſind ſchwarz, die Füße dagegen weiß. Gewöhnlich ſtehen auch noch gelbe Flecken hinter den Ohren und vor und hinter den Vorder - beinen. Dieſe Färbung ändert aber ſehr bedeutend ab; es gibt die verſchiedenſten Spielarten. Manche ſind ganz ſchwarz, andere ſchwarz mit weißer Kehle, mit grauem Scheitel u. ſ. w., die hellen Spielarten ſind blaßgraugelb mit dunkelgrauer Unterſeite und blaßgelbem Schulterfleck, andere oben matt fahl, unten lichtgrau, an den Schultern weißlich; auch vollſtändige Weißlinge werden zu - weilen gefunden.

141Der Hamſter.

Fruchtbare Getreidefelder vom Rhein bis an den Ob in Sibirien ſind der Aufenthalt unſeres Hamſters. Gebirge meidet er. Jn Deutſchland fehlt er in den ſüdlich und weſtlich gelegenen Län - dern, ſowie in Oſt - und Weſtpreußen; dagegen iſt er häufig in Thüringen und Sachſen. Ein Bo - den, welcher mäßig feſt und trocken, dabei aber fruchtbar iſt, ſcheint die Hauptbedingung für den Hamſter zu ſein, wenn er ſich wohlbefinden ſoll. Er verlangt, daß die Baue, welche er gräbt, dauerhaft ſind, und meidet aus dieſem Grunde alle ſandigen Gegenden; aber er will ſich auch nicht ſehr anſtrengen beim Graben und verſchont deshalb ſehr feſten, ſteinigen Boden oder Wälder mit ſeinen Anſiedelungen. Das Waſſer kann er nicht vertragen und weicht ihm ängſtlich aus. An ſeinen

Hamſter (Cricetus frumentarius).

Lieblingsorten iſt er immer häufig, allein manchmal tritt er in ganz unglaublichen Scharen auf: die vorhin angegebenen Zahlen mögen Dies am beſten beweiſen.

Seine Baue ſind ziemlich kunſtreich. Sie beſtehen zunächſt aus einer großen Wohnkammer, welche in einer Tiefe von 3 bis 6 Fuß liegt, aus einer ſchrägen Ausgangs - und einer ſenkrechten Ein - gangsröhre. Durch Röhren ſteht dieſe Wohnkammer mit der Vorrathskammer in Verbindung. Je nach Geſchlecht und Alter des Thieres ſind die Baue verſchieden angelegt, die junger Hamſter ſind die flach - ſten und kürzeſten, die des Weibchens bedeutend größer; die größten aber baut ſich der alte Rammler. Man erkennt den Hamſterbau leicht an dem Erdhaufen, welcher vor der Ausgangsröhre liegt und ge - wöhnlich mit Spreu und Hülſen beſtreut iſt. Das Fallloch geht immer ganz ſenkrecht in die Erde hinein, bisweilen ſo gerade, daß man einen 3 bis 6 Fuß langen Stock in daſſelbe ſtecken kann, doch142Der Hamſter.fällt es nicht in die Kammer ein, ſondern biegt ſich unten bald wagrechter, bald ſchiefer nach der - ſelben hin. Das Schlupfloch dagegen geht ſelten in gerader Richtung, ſondern mehr gebogen nach der Kammer zu; beide Löcher ſind wenigſtens vier, oft aber auch 5 bis 12 Fuß von einander ent - fernt. An den Gängen kann man ſehr leicht erſehen, ob ein Bau bewohnt iſt oder nicht. Findet ſich in ihnen Mos, Schimmel oder Gras, oder ſind ſie auch nur rauh, ſo ſind es entſchieden ver - laſſene; denn jeder Hamſter hält ſein Haus und ſeine Hausthür außerordentlich rein und in Ordnung. Länger bewohnte Gänge werden beim Aus - und Einfahren ſo durch das Haar geglättet, daß ihre Wände manchmal glänzen. Außen ſind die Löcher etwas weiter, als in ihrem Fortgange; dort haben ſie meiſtens 2 bis 3 Zoll im Durchmeſſer. Die Kammern ſind verſchieden in ihrer Größe; die Wohnkammer iſt die kleinere. Sie iſt mit ſehr feinem Stroh, meiſtens mit den Scheiden der Halme angefüllt, welche eine weiche Unterlage bilden; ihre Wände ſind glatt und eben. Drei Gänge mün - den in ſie ein, der eine vom Schlupf -, der andere vom Fallloche und der dritte von der Vorraths - kammer kommend. Dieſe ähnelt der erſten Kammer vollſtändig. Sie iſt rundlich oder eiförmig, oben gewölbt, inwendig glatt und gegen den Herbſt hin ganz mit Getreide ausgefüllt. Junge Ham - ſter legen blos eine an, die Alten aber, namentlich die Rammler, welche den ganzen Sommer hin - durch nur einſchleppen, graben ſich 3 bis 5 ſolche Speicher, und hier findet man denn auch 3 bis 6 Metzen Frucht. Manchmal verſtopft der Hamſter den Gang vom Wohnzimmer aus zur Vorraths - kammer mit Erde, zuweilen füllt er ihn auch mit Körnern an. Dieſe werden ſo feſt zuſammen - gedrückt, daß der Hamſtergräber ſie gewöhnlich erſt mit einem eiſernen Werkzeug auseinanderkratzen muß, wenn er die Kammern ausbeuten will. Früher behauptete man, daß der Hamſter jede Ge - treideart beſonders aufſchichte; Dies iſt aber ein Jrrthum, ſoweit geht ſein Ordnungsſinn nicht. Er trägt die Körner ein, wie er ſie findet, und hebt ſie unter der Erde auf. Selten ſind ſie auch ganz rein von Aehrenhülſen oder Schalen. Wenn man in einem Bau die verſchiedenen Getreidearten wirklich getrennt findet, rührt Das nicht von dem Ordnungsſinn des Thieres her, ſondern weil es eben zur betreffenden Zeit nur dieſe und dann nur jene Getreideart fand. Jn dem Gange, welcher nach dem Schlupfloche führt, zeigt ſich oft kurz vor der Kammer eine erweiterte Stelle, wo der Hamſter ſeinen Miſt abzulegen pflegt.

Der Neſtbau des Weibchens weicht in mancher Hinſicht von dem beſchriebenen ab; er hat nur ein Schlupfloch, aber 2 bis 8 Falllöcher, obgleich von dieſen, ſolange die Jungen noch klein ſind, gewöhnlich nur eins recht begangen wird, bis ſpäter die Jungen auch die anderen benutzen. Das Wochenbett iſt rundlich, hat ungefähr einen Fuß im Durchmeſſer, iſt 3 bis 5 Zoll hoch und beſteht aus ſehr weichem Stroh. Von der Neſtkammer aus gehen zu allen Falllöchern beſondere Röhren, manchmal verbinden auch wieder Gänge dieſe unter ſich. Vorrathskammern finden ſich ſehr ſelten im Neſtbau; denn das Weibchen trägt, ſolange ſie Junge hat, für ſich Nichts ein.

Die Hamſter ſind trotz ihrer ſcheinbaren Plumpheit ziemlich gewandte Thiere. Jhr Gang iſt kriechend, dem des Jgels ziemlich ähnlich, der Unterleib ſchleppt faſt auf der Erde. Dabei machen ſie ganz kleine Schritte, ſcheinbar mit viel Bedacht. Jm Zorn bewegt der Hamſter ſich heftiger und vermag dann auch ziemlich große Sprünge und hohe Sätze auszuführen. Wo er Wider - halt findet, klettert er recht leidlich in die Höhe, namentlich an ſolchen Stellen zeigt er ſich ſehr ge - ſchickt, wo er ſich auf beiden Seiten anſtemmen kann. Jn den Ecken von Kiſten z. B. oder zwiſchen Schränken und der Wand, auch in Vorhängen klimmt er ſehr raſch empor. Mit einem ſeiner Beine vermag er ſich an einer Kante feſtzuhalten, und er iſt geſchickt genug, ſich zu drehen und die Höhe, von welcher er herunterhängt, wiederzugewinnen, ſelbſt wenn er blos mit einem Hinterbeine ſich aufgehangen hatte. Meiſterhaft verſteht er das Graben. Wenn man ihn in ein Faß mit Erde ſteckt, geht er augenblicklich ans Werk. Er ſcharrt mit den Vorderfüßen die Erde los, nimmt aber auch die Zähne mit zu Hilfe, wenn der Grund zu hart iſt. Die losgegrabene Erde wirft er zuerſt unter den Bauch, holt ſie dann mit den Hinterbeinen hervor und ſchleudert ſie hinter ſich. Kommt er in die Tiefe, ſo ſchiebt er rückwärtsgehend ganze Haufen auf einmal heraus. Die Backentaſchen füllt er ſich143Der Hamſter.aber niemals mit Erde, wie fälſchlich oft behauptet wurde. Jm Waſſer bewegt er ſich nicht ungeſchickt, obwohl er daſſelbe ängſtlich meidet. Wirft man ihn in ein damit gefülltes Gefäß, ſo ſchwimmt er raſch umher, knurrt aber wüthend dabei und beweiſt überhaupt, daß er ſich höchſt ungemüthlich fühlt. Das Bad ſtrengt ihn auch derart an, daß er alle ihm ſonſt eigene Bosheit und Wuth gänzlich ver - gißt und froh iſt, wenn er ſich wieder auf dem Trockenen fühlt. Sogleich nach dem Bade beginnt ein höchſt ſorgfältiges Putzen. Der Hamſter iſt mit ſeinen Vorderfüßen ungemein geſchickt; er verſteht ſie ganz wie Hände zu benutzen. Mit ihnen führt er die Nahrung zum Munde, mit ihnen hält und dreht er die Aehren, welche er enthülſen will, um die Körner in ſeinen Backentaſchen aufzuſpeichern, und mit ihrer Hilfe bringt er auch ſeinen Pelz in Ordnung. Sobald er aus dem Waſſer kommt, ſchüttelt er ſich erſt tüchtig ab; dann ſetzt er ſich auf die Hinterbeine und beginnt nun eifrig, zu lecken und zu putzen. Zuerſt kommt der Kopf daran. Er legt beide Hände bis an die Ohren und zieht ſie nach vorwärts über das Geſicht, wie er thut, wenn er ſich ſonſt wäſcht; dann nimmt er einen Haarbüſchel nach dem andern und reibt ihn ſolange zwiſchen den Händen, bis er den erforder - lichen Grad von Trockenheit zu haben ſcheint. Die Haare der Schenkel und des Rückens weiß er auf ſehr ſinnreiche Art wieder zu ordnen. Er ſetzt ſich dabei auf die Schenkel und den Hinteren und leckt und kämmt mit den Zähnen und Pfoten gemeinſchaftlich, wobei er letztere außerordentlich raſch von oben nach unten bewegt; die Hauptarbeit ſcheint hier aber mit der Zunge zu geſchehen. Eine derartige Reinigung dauert immer eine ziemlich lange Zeit und ſcheint gleichſam mit ſichtlichem Wi - derſtreben ausgeführt zu werden.

Wenn der Hamſter überraſcht wird, erhebt er ſich augenblicklich auf die Hinterbeine und läßt dabei die Vorderbeine herabhängen, eine Hand gewöhnlich etwas tiefer, als die andere. So ſtarrt er den Gegenſtand, welcher ihn in Aufregung verſetzte, ſcharf an, augenſcheinlich bereit, bei einer ſich bietenden Gelegenheit auf ihn loszufahren und von ſeinen Zähnen Gebrauch zu machen.

Die höheren Sinne des Hamſters ſcheinen ziemlich gleich ausgebildet zu ſein, wenigſtens be - merkt man nicht, daß der eine vor dem andern beſonders entwickelt wäre. Die geiſtigen Eigen - ſchaften des Thieres ſind nicht gerade geeignet, ihn zu einem Liebling des Menſchen zu machen. Der Zorn beherrſcht ſein ganzes Weſen in einem Grade, wie bei kaum einem anderen Nager von ſo ge - ringer Größe, Ratten oder Lemminge etwa ausgenommen. Bei der geringſten Urſache ſtellt ſich der Hamſter trotzig zur Wehr, knurrt tief und hohl im Jnnern, knirſcht mit den Zähnen und ſchlägt ſie ungemein ſchnell und heftig auf einander. Ebenſogroß als ſein Zorn, iſt auch ſein Muth. Er wehrt ſich gegen jedes Thier, welches ihn angreift, und ſolange, als er kann. Ungeſchickten Hunden gegen - über bleibt er faſt regelmäßig Sieger; nur die klugen Pintſcher wiſſen ihn zu packen und ſchütteln ihn, wenn Dies geſchehen iſt, faſt augenblicklich zu Tode. Alle Hunde haſſen den Hamſter faſt ebenſo, wie den Jgel, weil ſie ſich ärgern, ihre Herrſchaft einem ſo kleinen Thiere nicht immer aufzwingen zu können. Sie verfolgen ihn mit großem Eifer und beſtehen dann die drolligſten Kämpfe mit dem erboſten Gegner. Es dauert immer einige Zeit, ehe der Hamſter überwunden wird, und ſehr oft verkauft er ſeine Haut theuer genug. Sobald er merkt, ſagt Sulzer, welcher ein ganzes Buch über den Hamſter geſchrieben hat, daß es ein Hund mit ihm zu thun haben will, leert er, wenn ſeine Backen mit Getreide vollgeſtopft ſind, ſolche erſtlich aus, alsdann wetzt er die Zähne, indem er ſie ſehr geſchwind auf einander reibt, athmet ſchnell und laut mit einem zornigen Aechzen, das ſich mit dem Schnurren eines Schlafenden vergleichen läßt, und bläſt zugleich die Backentaſchen dergeſtalt auf, daß der Kopf und Hals viel dicker aufſchwellen, als der hintere Theil des Leibes. Dabei richtet er ſich auf und ſpringt in dieſer Stellung wohl zwei Fuß gegen ſeinen Feind in die Höhe, und wenn dieſer weicht, iſt er kühn genug, ihn zu verfolgen, indem er ihm wie ein Froſch nachhüpft. Die Plumpheit und Heftigkeit ſeiner Bewegungen ſehen dabei ſo luſtig aus, daß man ſich des Lachens kaum erwehren kann. Der Hund wird ſeiner nicht eher Mei - ſter, als bis er ihm von hinten beikommen kann. Dann faßt er ihn ſogleich bei dem Genick oder im Rücken und ſchüttelt ihn zu Tode.

144Der Hamſter.

Aber nicht allein gegen Hunde wehrt ſich der Hamſter; er greift auch kühn den Menſchen an, ſelbſt Den, welcher gar Nichts mit ihm zu ſchaffen haben mag. Es kommt nicht ſelten vor, daß man ruhig an einem Hamſterbau vorübergeht und plötzlich das wüthende Thier in ſeinen Kleidern hängen hat. An Pferden beißt er ſich ebenfalls feſt, und gegen Raubvögel, die ihn vom Boden er - hoben, wehrt er ſich noch in der Luft. Wenn er ſich einmal eingebiſſen hat, hält er ſo feſt, daß man ihn todtſchlagen kann, ehe er nachläßt.

Daß ein ſo wüthendes Thier nicht verträglich ſein kann, iſt erklärlich. Die eigenen Kinder mögen nicht mehr bei der Mutter bleiben, ſobald ſie größer geworden ſind; der männliche Hamſter beißt den weiblichen todt, wenn er außer der Paarungszeit mit ihm zuſammenkommt. Jn der Ge - fangenſchaft leben die Hamſter nur ſelten mit einander in Frieden, alte wahrſcheinlich niemals. Junge, welche noch nicht ein Jahr alt ſind, vertragen ſich beſſer. Jch habe ſelbſt längere Zeit in einer Kiſte drei Stück gehabt, welche ſich niemals zankten, ſondern im Gegentheil recht verträglich bei einander hockten, meiſtens einer noch auf dem andern. Junge Hamſter aus verſchiedenen Neſtern fallen aber augenblicklich über einander her und beginnen den Kampf auf Leben und Tod. Aeußerſt luſtig iſt es, wenn man ihm einen Jgel zur Geſellſchaft gibt. Zuerſt betrachtet er neugierig den ſonderbaren Kauz, welcher ſeinerſeits ſich nicht groß um ihn kümmert und ruhig ſeines Weges geht. Doch die Ruhe wird bald geſtört. Der Jgel kommt zufällig in die Nähe ſeines Mitgefangenen, ein ärgerliches Grunzen begrüßt ihn, und erſchreckt rollt er ſich zur Kugel ein. Jetzt geht der Hamſter auf Erforſchungsreiſen aus. Der Stachelballen wird berochen und ſeine blutige Naſe belehrt ihn gründlich von der Vielſeitigkeit der Horngebilde. Wüthend ſtößt er die Kugel von ſich o weh, auch die Hand iſt verwundet! Jetzt wetzt er die Zähne, quiekt, faucht, ſpringt auf den Ball, ſpringt entſetzt wieder herab, verſucht, ihn mit dem Rücken wegzuſchieben, ſticht ſich in die Schulter, wird immer wüthender, macht neue vergebliche Anſtrengungen, ſich des Ungeheuers zu entledigen, holt ſich neue Stiche in Hände und Lippen und ſtellt ſich endlich mehr erſtaunt als erboſt vor dem Stachelhelden auf die Hinterbeine und betrachtet ihn mit unendlich komiſcher Scheu und mit ver - biſſener Wuth, oder läßt dieſe an irgendwelchem Dinge aus, auch an einem ganz unſchuldigen mit - gefangenen Hamſter, welchem er die dem Jgel zugedachten Biſſe beizubringen ſucht. So oft der Jgel ſich rührt, geht der Tanz von neuem an: der Beſchauer möchte berſten vor Lachen.

Mit anderen kleineren Thieren verträgt er ſich natürlich noch weniger, als mit ſeines Gleichen, ja, er macht förmlich Jagd auf ſolche; denn ſeine Nahrung beſteht zum guten Theil auch aus lebenden Thieren. Kleine Vögel, Mäuſe, Eidechſen, Blindſchleichen, Ringelnattern und Kerbthiere frißt er noch lieber, als Pflanzenſtoffe, und wenn man ihm einen lebenden Vogel in ſeinen Käfig wirft, ſpringt er blitzſchnell zu, zerbeißt ihm zuerſt die Flügel, tödtet ihn dann mit einem einzigen Biß in den Kopf und frißt ihn nun ruhig auf. Das Pflanzenreich muß ihm Alles, was irgendwie genießbar iſt, zur Nahrung liefern. Er verzehrt grüne Saat - und andere Kräuter, Hülſenfrüchte, Möhren, Kartoffeln und dergleichen, auch Wurzeln von manchen Kräutern, ſowie Obſt, es mag unreif oder reif ſein. Jn der Gefangenſchaft nährt er ſich auch von allerlei Gebackenem, wie Kuchen und Brod, von Butter, Käſe u. ſ. w., kurz, das Thier iſt ein wahrer Allesfreſſer.

Auch der Hamſter iſt ein Winterſchläfer. Er erwacht, ſobald die Erde aufgethaut iſt, oft ſchon im Februar, ſicher im März. Anfangs öffnet er ſeine verſtopften Löcher noch nicht, ſondern hält ſich ſtill unten im Bau und zehrt von ſeinen eingetragenen Vorräthen. Gegen die Mitte des März erſchließen die alten Männchen, anfangs April die alten Weibchen das Fallloch. Jetzt ſuchen ſie ſich bereits außen Nahrung, junge Klatſchroſen, friſche Saat, die Körner von Sommergetreide und dergleichen, tragen wohl auch von friſchbeſäten Ackerſtücken, wo ſie die Körner ſorgfältig aufleſen, einige Pfund Getreide in ihren Bau ein. Die jungen Pflanzen aber behagen ihnen bald mehr, als die Körner, und dann gehen ſie dieſer Nahrung nach oder nehmen ab und zu auch wohl ein unge - ſchicktes Vögelchen oder eine Maus, einen Käfer, eine Raupe als willkommene Beute mit hinweg. Zu derſelben Zeit pflegen ſie ſich einen neuen Bau zu graben, in welchem ſie den Sommer zu ver -145Der Hamſter.leben gedenken, und ſobald dieſer fertig iſt, paaren ſich die Geſchlechter. Der Sommerbau iſt ge - wöhnlich nur einen, höchſtens zwei Fuß tief, und der Keſſel mit einem Wochenneſt ausgefüttert, neben welchem dann eine einzige Kammer angelegt wird, falls es viel Saatgetreide in der Umgegend gibt. Ende April begeben ſich die Männchen in die Behauſung der Weibchen und leben, wie es ſcheint, friedlich einige Tage beiſammen; ja, ſie zeigen ſogar inſofern eine große Anhänglichkeit an einander, als ſie ſich gegenſeitig beiſtehen, wenn es gilt, eines oder das andere zu vertheidigen. Kommen zwei Männchen zu einem Weibchen, ſo beginnt augenblicklich ein heftiger Zweikampf, bis der ſchwächere der Gegner unterliegt oder entweicht: man findet oft genug Rammler, welche auf ihrem Leibe tiefe Narben tragen, die Zeichen von ſolchem Strauß in Liebesſache. Jn welcher Weiſe die Begattung vor ſich geht, iſt nicht bekannt. Man hat ſich vergeblich bemüht, Dies an zahmen zu erforſchen, und weiß nur, daß das unartige Weibchen, ſobald es ſich befruchtet fühlt, den Ramm - ler ſofort wieder aus ihrem Baue entfernt durch Güte oder durch Gewalt. Von dieſem Augenblicke an herrſcht unter den vor kurzem ſo zärtlichen Liebesleuten eine Erbitterung, wie gegen jedes an - dere fremde Geſchöpf. Etwa vier bis fünf Wochen nach der Begattung, zum erſten Male gegen Ende des Mai, wirft das Weibchen in ſeinem weich und warm ausgefütterten Neſte 6 bis 18 Junge, und jedes Weibchen heckt in einem Sommer wenigſtens zwei Mal. Die Jungen kommen nackt und blind zur Welt, bringen aber ihre Zähne ſchon mit. Bei ihrer Geburt wiegen ſie ein wenig über ein Quentchen; ſie wachſen jedoch außerordentlich ſchnell, denn ſie haben die Augen noch nicht offen, wenn ſie bereits zwölf Mal ſoviel wiegen. Ungefähr mit dem achten oder neunten Tage ihres Lebens öffnen ſie die Augen und beginnen nun auch im Neſte herumzukriechen. Die Alte behandelt ihre Brut mit viel Liebe und duldet es auch, daß man ihr andere Junge zum Säugen anlegt, ſelbſt wenn dieſe nicht die gleiche Größe wie ihre Kinder haben. Am vierzehnten Tage ihres Alters fangen die jungen Hamſter ſchon zu wühlen an, und ſobald ſie Dies können, denkt die unfreundliche Alte daran, ſie ſelbſtändig zu machen, d. h. ſie jagt ſie einfach aus dem Bau hinaus und zwingt ſie, auf eigene Fauſt für ihren Unterhalt zu ſorgen. Dies ſcheint den Hämſterchen nicht eben ſchwer zu wer - den, denn bereits mit dem fünften oder ſechſten Tage, wo ſie kaum behaart und noch vollſtändig blind ſind, wiſſen ſie recht hübſch ein Weizenkorn zwiſchen ihre Vorderpfötchen zu faſſen und verſtehen ganz prächtig, die ſcharfen Zähnchen zu benutzen. Bei Gefahr huſchen die kleinen Thierchen, ſo erbärmlich ſie ausſehen, recht behend im Bau herum, und das eine hat ſich bald aufs geſchickteſte in dieſen, das andere in jenen Winkel zu verbergen gewußt, wenn auch die meiſten der Alten nach - gefolgt ſind. Dieſe, ſonſt ſo wüthend und boshaft, ſo muthig und tapfer, zeigt ſich feig, wenn es gelten ſollte, ihre Brut zu vertheidigen; ſie entflieht auf erbärmliche Weiſe, ſobald ſie ſpürt, daß man ihr oder ihnen nahe kommt, und verkriecht ſich mit ihrer Brut in das blinde Ende eines Ganges, welchen ſie ſo ſchnell als möglich nach dem Neſte zu mit Erde zu verſtopfen ſucht, oder mit erſtaun - licher Geſchicklichkeit und Schnelligkeit weitergräbt. Die Jungen folgen ihr durch Dick und Dünn, durch den Hagel von Erde und Sand, den ſie hinter ſich wirft. Neugeborene Junge ſehen, nach - dem ſie abgetrocknet ſind, faſt blutroth aus und laſſen ein Gewimmer vernehmen, wie es kleine Hunde auszuſtoßen pflegen. Sie erhalten mit dem zweiten oder dritten Tage ein feines Flaumen - haar, welches ſich aber bald verdichtet und den ganzen Körper einhüllt. Doch brauchen ſie immer ein ganzes Jahr, ehe ſie ihre vollſtändige Größe erreichen; aber es ſcheint faſt, daß im Mai geborene Weibchen im Herbſt bereits zur Fortpflanzung geſchickt ſind.

Sobald die Felder ſich gilben und die Körner reifen, haben die Hamſter viel zu thun mit der Ernte. Leinknoten, große Puffbohnen und Erbſen ſcheinen von ihnen allen übrigen Früchten vor - gezogen zu werden. Ein Hamſter, der in einem Flachsſtücke liegt, wird nicht leicht etwas anderes einernten, als die Knollen davon, ebenſo iſt es im Erbſenfelde; doch wiſſen ſich die Thiere recht wohl in andere Arten von Feldfrüchten zu ſchicken. Man hat beobachtet, daß die alten Rammler, welche Zeit genug haben, das Getreide ausleſen und viel ſorgfältiger aufſchichten, als die Hamſterweibchen, welche nach der letzten Brut noch raſch einen Bau graben und hier die Speicher füllen müſſen. NurBrehm, Thierleben. II. 10146Der Hamſter.wo der Hamſter ganz ungeſtört iſt, verrichtet er ſeine Ernte bei Tage; gewöhnlich iſt die erſte Hälfte der Nacht und der Morgen vor Sonnenaufgang ſeine Arbeitszeit. Er biegt mit den Vorderhänden die hohen Halme ſehr geſchickt um, ſchneidet mit einem Biſſe die Aehre ab, faßt ſie mit den Pfoten, dreht ſie ein paarmal hin und her und hat ſie nun nicht blos entkörnt, ſondern die Körner auch gleich in den Backentaſchen verborgen. So werden die weiten Schleppſäcke gefüllt bis zum Uebermaß; manchmal ſchafft einer ſeine ſechs Loth Körner auf einem Gange nach Hauſe. Ein ſo beladener Hamſter ſieht höchſt ſpaßhaft aus und iſt das ungeſchickteſte Thier der Welt. Man kann ihn mit den Händen ohne Furcht anfaſſen; denn die vollgepfropften Taſchen hindern ihn am Beißen; nur darf man ihm nicht Zeit laſſen, ſonſt ſtreicht er augenblicklich die Körner heraus und ſetzt ſich in Ver - theidigungszuſtand.

Anfangs Oktober, wenn es kalt wird und die Felder leer ſind, denkt der Hamſter ernſtlich daran, ſich ſeine Winterwohnung herzurichten. Zuerſt verſtopft er das Schlupfloch von der Kammer an bis oben hinauf ſo dicht als möglich mit Erde, dann vermauert er ſein Fallloch und zwar von innen heraus, manchmal nicht ganz bis zur Oberfläche der Erde. Hat er noch Zeit oder fürchtet er den Froſt, ſo gräbt er ſich ein tieferes Neſt und tiefere Kornkammern, als bisher, und ſpeichert hier ſeine Vorräthe auf. Das Lager iſt ſehr klein und mit dem feinſten Stroh dicht ausgepolſtert. Nun - mehr frißt ſich der faule Gauch gehörig an und legt ſich endlich zuſammengerollt zum Schlafen nieder. Gewöhnlich liegt er auf der Seite, den Kopf an den Bauch gezogen zwiſchen den Hinterbeinen. Alle Haare befinden ſich in der ſchönſten Ordnung, ſtehen aber etwas ſteif vom Körper ab. Die Glieder ſind eiskalt anzufühlen und ſehr ſchwer zu beugen, ſie ſchnellen auch, wie bei todten Thieren, wenn man ſie gewaltſam gebogen hat, ſofort wieder in die frühere Lage zurück. Die Augen ſind geſchloſſen, ſehen aber hell und klar aus, wie beim lebenden, und ſchließen ſich auch von ſelbſt wieder. Ein Athem - holen oder ein Herzpochen fühlt man nicht. Das ganze Thier ſtellt ein lebendes Bild des Todes dar. Gewöhnlich ſchlägt das Herz in der Minute 14 bis 15 Mal. Vor dem Aufwachen bemerkt man zu - nächſt, daß die Steifigkeit nachläßt. Dann fängt der Athem an, es folgen einige Bewegungen, der Schläfer gähnt und gibt einen röchelnden Laut von ſich, ſtreckt ſich, öffnet die Augen, taumelt wie betrunken umher, verſucht, ſich zu ſetzen, fällt aber um, richtet ſich von neuem auf, beſinnt ſich und läuft endlich langſam umher, frißt auch ſofort, wenn man ihm Etwas vorwirft, putzt und ſtreichelt ſich und iſt endlich ganz munter. Uebrigens muß man ſich immer vorſehen, wenn man einen ſolchen Erweckungsverſuch mit einem Hamſter macht; denn auch der ſcheinbar ganz lebloſe belehrt Einen manch - mal in der allerempfindlichſten Weiſe, daß er nicht todt iſt. Auch im Freien müſſen die Hamſter mitten im Winter aufwachen; denn manchmal öffnen ſie ihre Löcher im Dezember bei einer Kälte von mehreren Graden unter Null und laufen ein wenig auf den Feldern umher. Jn einer Stube, welche beſtändig geheizt wird, kann man ſie das ganze Jahr hindurch wach erhalten, ſie befinden ſich aber doch nicht wohl und ſterben bald.

Es iſt ein wahres Glück, daß der Hamſter, welcher ſich zuweilen wahrhaft furchterweckend ver - mehrt und dann ungeheuren Schaden anrichtet, ſoviele Feinde hat. Die Buſſarde und die Eu - len, die Naben und manche andere Vögel, vor allem aber Jltis und Wieſel ſind ununter - brochen auf ſeiner Fährte und tödten ihn, wo ſie nur können Der Jltis und das große Wieſel folgen ihm auch in ſeine unterirdiſchen Wohnungen und müſſen deshalb als die wichtigſten aller ſeiner Feinde angeſehen werden. Dieſen gewandten Räubern muß der biſſige Nager regelmäßig erliegen, obgleich es ohne heftige Kämpfe nicht abgeht. Jeder Landwirth müßte dieſe beiden nützlichen Raubthiere, wenn er ſeinen Vortheil erkennen wollte, nach allen Kräften ſchonen und hegen und pflegen; ſtatt deſſen aber ſchlägt der unwiſſende Bauer jeden Jltis und jeden Wieſel ohne Gnade und Barmherzigkeit nie - der, gewöhnlich ohne zu wiſſen, warum.

Jn einigen Gegenden zieht der Menſch regelrecht gegen den Hamſter zu Felde. Jn Thüringen z. B. gibt es Leute, welche ſich ein wirkliches Geſchäft daraus machen, die Hamſter auszugraben und umzubringen. Die Gemeindekaſſen pflegen für jeden erlegten Hamſter eine Kleinigkeit zu zahlen,147Die Sumpfratte.für einen Rammler und einen Jungen weniger, für ein Weibchen mehr. Den Hauptgewinn der Jagd aber bilden die Vorräthe, welche dieſes eigenthümliche Wild ſich eingetragen hat; die Leute waſchen die Körner einfach ab, trocknen ſie wieder und vermahlen ſie dann wie anderes Getreide. Auch die Felle werden benutzt, obgleich noch nicht in der Ausdehnung, als ſie es verdienen, denn nach allen Erfahrungen geben ſie ein ganz vortreffliches, leichtes und dauerhaftes Pelzwerk. Jn manchen Gegenden wird auch das Fleiſch der Hamſter verzehrt, und es iſt auch wirklich nicht der ge - ringſte Grund vorhanden, gegen ſolche Nahrung Etwas einzuwenden; denn das Fleiſch iſt jedenfalls ebenſogut, als das des Eichhörnchens oder anderer Nager, deren Wildpret man mit Bergnügen ver - zehrt. Somit iſt der Nutzen, welchen der Hamſter ſtiftet, immerhin nicht ganz unbeträchtlich; freilich aber wiegt er den großen Schaden nicht zum hundertſten Theile auf.

Unter den übrigen Mäuſen dürfte noch die Sumpfratte (Hydromys ehrysogaster) für uns bemerkenswerth ſein, hauptſächlich ihrer Größe wegen. Sie wird nämlich beinahe zwei Fuß lang, wovon etwa zwei Fünftel auf den Leib kommen. Jhre Heimat iſt Vandiemensland, wo ſie haupt -

Die Sumpfratte (Hydromys ehrysogaster).

ſächlich an Flußufern und an der Meeresküſte lebt. Sie geht ebenſowohl in das friſche, als in das geſalzene Waſſer, ſchwimmt und taucht vortrefflich und erinnert in vieler Hinſicht an unſere Waſſer - ratte. Jm übrigen iſt ihre Lebensweiſe noch nicht bekannt. Von den eigentlichen Ratten unterſcheidet ſie ſich durch das Gebiß, den geſtreckten Leibesbau und die ſehr niederen Füße. Die Schnauze iſt ſtumpf, die Ohren ſind abgerundet, die Füße fünfzehig, die hinteren durch Schwimmhäute ver - bunden. Der Schwanz ſpitzt ſich ſtark zu. Jm Geſicht fallen die kopflangen Grannen beſonders auf. Bis jetzt kennt man nur eine einzige Art dieſer Sippe. Sie iſt oben glänzend ſchwarzbraun mit fahler Sprenkelung, an den Seiten und unten ſchön falbgrau mit orangegelbem Schimmer; die Wollhaare ſind lichtgrau, die oberen Grannen theils ganz ſchwarz, theils in der Oberhälfte goldgelb, mit ſchwarzer Spitze oder auch ohne ſolche. Die Füße ſind mit dicht anliegenden, dunklen Haaren be - kleidet, der Schwanz am Ende mit lichteren und ſteifen.

10 *148Die Wühlmäuſe. Die Biſamratte oder Ondatra.

Die Familie der Wühlmäuſe (Arvicolini oder Hypudaei) umfaßt eine ziemliche Anzahl von kleinen, einander ſehr ähnlichen Nagethieren, welche noch vielfach an die Mäuſe erinnern und des - halb ihnen früher auch untergeordnet wurden. Aeußerlich unterſcheiden ſie hauptſächlich der plumpe Körperbau, der dicke Kopf, die ganz verſteckten oder nur wenig aus dem Kopfe hervorragenden Ohren und der kurze Schwanz, welcher höchſtens zwei Drittel der Körperlänge erreicht. Jm Ge - biß finden ſich drei Backzähne, welche aus mehreren in der Mitte ſchwach geknickten Platten beſtehen und keine eigentlichen Wurzeln haben. Jhre Kaufläche erſcheint zickzackförmig, weil an den Seiten tiefe Furchen zwiſchen den einzelnen Platten herablaufen. Je nach der größeren oder geringeren Ein - buchtung der Zähne und der Verhältniſſe zu einander ordnen ſich nun die verſchiedenen Sippen; für uns aber würde es zu weit führen, wenn wir dieſe ſpitzfindigen Unterſcheidungsmerkmale genauer prüfen wollten.

Die Wühlmäuſe bewohnen den Norden der alten und neuen Welt. Sie leben in Erdröhren und Erdlöchern, welche ſie ſelbſt graben, ſowohl in Ebenen, als im Gebirge, auf bebautem Lande, wie auf ziemlich wüſtem, auf Feldern, Wieſen, in Gärten, an den Ufern von Flüſſen, Bächen, Seen, Teichen. Faſt alle meiden die Nähe des Menſchen, und nur wenige kommen zuweilen in ſeine Ställe und Scheuern oder in ſeine Gärten herein. Jhre Baue beſtehen aus längeren oder kürzeren, einfacheren oder verzweigteren Röhren, welche ſich vor anderen oft durch große Flachheit auszeichnen. Manche bauen aber hüttenförmige Keſſel und andere mehr oder minder künſtliche Wohnungen. Die meiſten wohnen einzeln oder paarweiſe zuſammen; doch ſcheinen ſie die Geſelligkeit zu lieben und vereinigen ſich zuweilen in bedeutenden Scharen. Jhre Nahrung nehmen ſie vorzugsweiſe aus dem Pflanzenreiche, und viele tragen ſich Wintervorräthe ein, obgleich ſie keinen Winterſchlaf abhalten. Manche verſchmähen aber auch thieriſche Stoffe nicht. Jm übrigen ähneln ſie den wirklichen Mäu - ſen faſt in jeder Hinſicht. Jhre Lebensweiſe iſt ebenſogut eine nächtliche, als tägliche, wie bei jenen; ihre Bewegungen ſind ziemlich raſch, jedoch nicht ſo behend und gewandt, wie die echter Mäuſe. Wenige Arten können klettern; aber faſt alle verſtehen das Schwimmen meiſterhaft, einige leben ja ganz und gar im Waſſer, andere monatelang wenigſtens im Schnee, wo ſie ſich lange Gänge ausgraben und ſelbſt künſtliche Neſter bauen. Einzelne Arten unternehmen, wahrſcheinlich vom Nahrungsmangel getrieben, große Wanderungen, und dieſen Wanderungen haben wir es zuzu - ſchreiben, daß gegenwärtig mehrere Arten in Europa heimiſch geworden ſind, welche früher nur in Aſien lebten. Unter ihren Sinnen ſtehen Geruch und Geſicht obenan. Das Gehör iſt gewöhnlich nicht beſonders entwickelt. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering. Alle vermehren ſich ſtark, manche Arten geradezu in unglaublicher Weiſe. Dem Menſchen nützt nur eine einzige Art; die meiſten der übrigen bringen ihm Schaden und werden deshalb von ihm gehaßt und auf jede Weiſe verfolgt.

Die verſchiedenen Wühlmäuſe ſtimmen im allgemeinen ſehr überein und ſind ſchwieriger zu unter - ſcheiden, als die meiſten übrigen Säugethiere. Durch Verſchiedenheit in der Lebensweiſe, in Aufent - halt und Verbreitung unterſcheiden ſich manche ſehr auffallend, während ſie in der Geſtalt und Fär - bung einander außerordentlich nahe ſtehen. Deshalb ſind bis heutigen Tag noch die Unterſuchungen über ſie keineswegs geſchloſſen und viele Forſcher noch ſehr im Unklaren. Als die ſicherſten Anhalts - punkte dieſer Beſtimmung der Arten gilt die Bildung der Backzähne, welcher ſich einige Eigenthüm - lichkeiten des Schädels anſchließen; auch die bezügliche Größe der Ohren iſt von Bedeutung. Die Färbung dagegen zeigt vielfache Schwankungen; junge Thiere ſind durchgängig trüber gefärbt, als die Alten, und dieſe in Gebirgsgegenden wieder dunkler und trüber, als in der Ebene. Wir be - ſchränken uns hier auf die wichtigſten Arten der Gruppe.

Jn der Biſamratte oder Ondatra (Fiber zibethicus), der einzigen nützlichen Art dieſer Fa - milie, ſehen wir den Vertreter der erſten Sippe vor uns. Sie bildet gleichſam einen Uebergang von der Familie der Biber zu den Wühlmäuſen, gehört aber doch ganz unzweifelhaft den letzteren zu. 149Die Biſamratte oder Ondatra.Man kann ſie als eine große Waſſerratte mit langem Schwanze, breiten Hinterfüßen, ſtumpfer Schnauze und kurz behaarten und verſchließbaren Ohren betrachten. Die Vorderfüße haben vier Zehen und eine Daumenwarze, die Hinterfüße fünf Zehen, welche ſeitlich, wie der Mittelfuß, mit langen Schwimmhaaren beſetzt ſind und ziemlich ſtarke Krallen tragen. Der Schwanz iſt nur hinten gerundet, übrigens ſeitlich zuſammengedrückt, gegen das Ende zweiſchneidig und mit kleinen Schup - pen beſetzt, zwiſchen denen an den Seiten kurze, ziemlich dünnſtehende, aber glatt anliegende Härchen hervortreten, welche auch die beiden Seiten beſäumen. Jn der Nähe der Geſchlechtstheile befindet ſich eine Drüſe von der Größe einer kleinen Birne, welche nach außen mündet und eine weiße, ölige, ſehr ſtark nach Zibet riechende Flüſſigkeit abſondert. Der Kopf iſt rundlich, ziemlich kurz und breit, die Schnauze iſt dick und abgeſtumpft, die Ohren ſind faſt unter dem Pelze verſteckt, die Augen klein, die Oberlippe iſt geſpalten und ſeitlich mit langen Schnurren beſetzt. Der Leib iſt unterſetzt und der Hals kurz und dick. Die Hinterbeine ſind entſchieden länger, als die vorderen. Das Fell ähnelt dem des Bibers: es iſt dicht, glatt anliegend, weich und glänzend. Sein Wollhaar iſt außerordent - lich zart, fein und kurz, das Grannenhaar ſtark glänzend und doppelt ſo lang, als jenes. Auf

Die Biſamratte (Fiber zibethicus).

der Oberſeite iſt es braun, auf der Unterſeite grau, hier und da röthlich angeflogen. Bisweilen ſpielt auch die Oberſeite mehr oder weniger ins Gelbliche. Die Schwimmhaare an den Zehen ſind weiß, der Schwanz iſt ſchwarz, die Krallen ſind röthlichhornfarben. Selten finden ſich ganz dunkle Abarten, häufiger kommen Weißlinge vor. Erwachſene Männchen werden faſt zwei Fuß lang, wobei auf den Schwanz ungefähr zwei Fünftheile kommen.

Die Ondatra bewohnt die zwiſchen dem 30. und 69. Grade nördlicher Breite gelegenen Länder Nordamerikas. Man glaubte früher, noch andere Arten dieſer Sippe vermuthen zu dürfen: die ge - naueren Unterſuchungen haben jedoch ergeben, daß nur die eine Art vorkommt. Am häufigſten findet ſich das Thier in dem waſſerreichen Kanada, und von dort aus werden noch jetzt jährlich Hundert - tauſende von Fellen nach Europa geſandt. Die graſigen Ufer größerer Seen oder breiter, langſam - ſtrömender Flüſſe, ſtiller Bäche und Sümpfe, am liebſten aber nicht allzugroße, mit Schilf und Waſſerpflanzen bedeckte Teiche bilden die Aufenthaltsorte der nützlichen Ratte. Hier bewohnt ſie familien - oder volkweiſe eine beſtimmte Stelle und bildet mit anderen ihrer Art ziemlich feſte Ver -150Die Wühlmäuſe. Die Biſamratte oder Ondatra.bindungen. Jn ihrer Lebensweiſe ähnelt ſie in vielen Stücken dem Biber. Dies haben ſchon die Wilden herausgefunden, welche beide Thiere Brüder nennen, und behaupten, daß der Biber der ältere und geſcheitere, die Biſamratte aber der dümmere ſei. Die Baue ſind, wie bei dem Biber, von zweierlei Art: einfache Keſſel unter der Erde mit mehreren Ausgangsröhren, welche ſämmtlich unter Waſſer münden, und Burgen über der Erde. Letztere werden vorzüglich im Norden ange - legt, wo die Teiche feſt zufrieren. Sie ſind rund und kugelförmig oder kuppelartig und ſtehen auf einem Schlammhaufen, ſo daß ſie über den Waſſerſpiegel emporragen. Jhre Wandungen wer - den aus Schilf, Riedgräſern und Binſen hergeſtellt und mit Schlamm gekittet; doch behaupten einige Beobachter, daß die ganze Hütte nur aus Schlamm beſtände und nach und nach ſich mit einer dünnen Schicht von angetriebenem Gras und Binſen bedecke. Jm Jnnern enthält die Burg nur eine einzige Kammer von bis 2 Fuß Durchmeſſer. Zu ihr führt durch den Unterſchlamm eine Röhre, welche auf dem Boden des Waſſers mündet. Andere, blinde Röhren laufen von ihr aus und gehen ein Stück unter der Erde fort. Sie werden nach Umſtänden mehr oder weniger verlängert; denn ſie dienen eigentlich blos dazu, um die Wurzeln der Waſſergewächſe, von denen ſich die Ondatra im Winter ernährt, einernten zu können. Jm Winter füttert ſie ihre Kammern mit Wafferlilien, Blättern, Gräſern und Schilf weich aus und ſorgt, nach Audubon, dadurch für Luftwechſel, daß ſie die Kuppelmitte ihrer Hütte mit loſe zuſammengeſchichteten Pflanzen bedeckt, welche eben genug friſche Luft zu -, oder die verbrauchte ablaſſen. Solange der Sumpf oder Teich nicht bis auf den Grund ausfriert, lebt ſie dann dort ſehr behaglich in der warmen, durch die dicke, über ihr lie - gende Schneedecke noch beſonders geſchützten Wohnung. Dringt die Kälte freilich ſo tief ein, daß der Biſamratte freier Ausgang verwehrt wird, ſo leidet ſie erheblich von dem Ungemach der Verhält - niſſe, und manchmal gehen viele Hunderte einer Anſiedelung zu Grunde, weil es ihnen nicht gelingt, Athmungslöcher durch die Eisdecke zu brechen und dieſe durch Auskleidung von Schlamm für längere Zeit offen zu erhalten. Richardſon, welcher dieſe Angaben über die Baue macht, fügt hinzu, daß nur in ſehr ſtrengen Wintern die Thiere in wirkliche Noth gerathen; denn ſie bauen nur in tiefere Sümpfe und Teiche oder in die Nähe von Quellen, wo das Waſſer nicht zufriert. Jſt der Grund, auf welchem der Bau errichtet werden ſoll, zu tief, ſo wird er durch Anhäufung von Schlamm und Erde erhöht; iſt er zu ſeicht, ſo wird er beſonders ausgegraben. Dabei hält die Ondatra aber immer darauf, daß ſie auch zu Zeiten der Ueberſchwemmung geſichert iſt und in der Nähe Etwas zu freſſen hat. Deshalb wählt ſie am liebſten Gewäſſer, welche einen möglichſt gleichmäßigen Stand haben und reich an Gewächſen ſind.

Die Nahrung der Ondatra beſteht faſt ausſchließlich in Waſſerpflanzen, obgleich man in den Bauen von mehreren auch ausgefreſſene Muſchelſchalen gefunden hat. An gefangenen hat Audubon beobachtet, daß ſie Muſcheln ſehr gern verzehrten; die weichſchaligen wußten ſie mit ſcharfen Biſſen zu öffnen, bei den hartſchaligen warteten ſie, bis ſie ſich ſelbſt aufſchloſſen, dann fuhren ſie ſchnell zu und tödteten durch Biſſe den Bewohner des feſten Gehäuſes. Wenn in der Nähe von einer An - ſiedelung der Biberratten Gärten und andere Pflanzungen liegen, erhalten dieſe oft Beſuch von den Nagern und werden dann in ganz empfindlicher Weiſe gebrandſchatzt. Dabei verwüſten die Ratten noch weit mehr, als ſie verzehren, weil ſie zwiſchen den Wurzeln tiefe Höhlen graben und außer den Pflanzen, welche ſie abbeißen, noch viele entwurzeln und umwerfen.

Audubon und Bachmann haben die Sitten und Gebräuche des Thieres ſehr gut beſchrieben. Biberratten, heißt es in ihrem Werk, ſind ſehr lebendige, ſpielluſtige Geſchöpfe, wenn ſie in ihrem eigenen Element, im Waſſer, ſich befinden. Jn einer ruhigen Nacht kann man in einem Mühlteich oder tiefen, abgelegenen Gewäſſer viele von ihnen ſehen, wie ſie ſich beluſtigen und nach allen Richtungen hin und wieder ſchwimmen, lange, glänzende Streifen im Waſſer hinterlaſſend, während andere einige Augenblicke lang bei Büſcheln von Gras oder an Steinen oder Blöcken ver - weilen, von wo aus ſie die auf dem Waſſer ſchwimmende Nahrung erreichen können, und andere an den Ufern des Teiches ſitzen, von wo aus ſie dann eine nach der anderen, wie die Fröſche, in das151Die Biſamratte oder Ondatra.Waſſer ſpringen. Zuweilen ſieht man eine vollkommen ruhig auf der Oberfläche des Teiches oder Stromes liegen, ihren Leib weit ausgebreitet und ſo flach als möglich gehalten. Ab und zu gibt dieſe dem Waſſer einen kurzen Schlag mit dem Schwanze, faſt wie es der Biber thut, und ver - ſchwindet dann blitzſchnell unter der Oberfläche des Waſſers, an die Geſchwindigkeit und Gewandtheit erinnernd, mit welcher manche Enten oder Steißfüße ſich in die Wellentiefe zu ſtürzen pflegen, wenn man einen Schuß nach ihnen abfeuerte. Jn einer Entfernung von zehn oder zwanzig Ellen kommt das Thier ſpäter wieder zur Oberfläche empor und vereinigt ſich vielleicht mit ſeinen Kamera - den zur Jagd oder ſetzt das alte Spiel fort. Zu derſelben Zeit beſchäftigen ſich andere mit Einſam - meln des Futters an den graſigen Ufern, indem ſie die verſchiedenſten Arten von Pflanzenwurzeln ausgraben und dann ruhigeren Plätzen zuführen. Es ſcheint, daß dieſe Thiere eine kleine, ſtille Gemeinde bilden, welche weiter Nichts verlangt, um glücklich zu ſein, als ruhig und unbehelligt von dem Menſchen zu bleiben.

Wenn man ſein Gewehr abſchießt, während die Biſamratten ſo beſchäftigt ſind, beginnt eine entſetzliche Flucht und Verwirrung. Dutzende von ihnen tauchen auf den Knall des Gewehres oder verſchwinden in ihren Höhlen und zwar mit einer Geſchwindigkeit ohne Gleichen. Selbſt bei Tage, wo ſie nur unvollkommen ſehen, iſt es außerordentlich ſchwer, eine im Schwimmen zu erlegen, weil ſie, auch wenn man die beſten Gewehre führt, in das Waſſer getaucht ſind, ehe der Hagel ſie noch erreicht.

Ueber die Fortpflanzung der Ondatra wiſſen wir noch ſehr wenig. Jm April und Mai, nach - dem die Thiere ihre Winterbaue verlaſſen haben, paaren ſich die Geſchlechter, und das Weibchen wirft in ſeinem Bau oder in einer Erdhöhle drei bis ſechs Junge, wie Einige behaupten, nur ein Mal im Jahre, nach Anderen drei bis vier Mal. Wie lange dieſe Jungen bei der Alten bleiben, wie lange ihr Wachsthum dauert u. ſ. w., iſt unbekannt. Jung eingefangene werden leicht zahm, wie überhaupt dieſe Maus ſich durch ein auffallend mildes Weſen auszeichnet; Audubon ſagt, daß man auch die größeren Jungen ohne Furcht, gebiſſen zu werden, mit der Hand fangen könne. Alte Thiere dagegen bleiben biſſig und unzugänglich, ſie ſind auch nur in Kiſten zu halten, welche voll - ſtändig mit Blech ausgeſchlagen wurden. Eine Biſamratte, welche Sarrazin hatte, nagte in einer einzigen Nacht durch hartes Holz ein Loch von drei Zoll Weite und einen Fuß Länge und ent - wiſchte; ſie verrückte mit ihren Kiefern einen großen Klotz, welcher ihr im Wege lag. Auch das Wühlen verſtehen ſie vortrefflich und wenden es oft zum Schaden der Mühlenteichbeſitzer an oder graben Löcher durch Flußdämme und ſetzen die anliegenden Wieſen dadurch der Ueberſchwemmung aus. Doch verfolgt man ſie weniger des Schadens wegen, den ſie anrichten, als des Nutzens halber, den ſie bringen. Jhr Fleiſch wird von den Jndianern ſehr gern gegeſſen, und das Fell findet eine große Verbreitung, obwohl manche Menſchen es wegen des ihm lange anhaftenden Zibet - geruches nicht gern haben. Dieſer Zibet - oder Moſchusgeruch durchdringt auch das Fleiſch ſo ſtark, daß es Europäern vollſtändig ungenießbar wird, ja, er kann ſo heftig werden, daß er manche Leute geradezu betäubt. Sarrazin wurde beim Zergliedern alter Männchen in Folge des unerträglichen Geruchs mehrere Male ohnmächtig und verſiel endlich darauf, die Leichname vorher zu röſten, um nur ſeine nothwendigſten Arbeiten ausführen zu können. Dagegen verſichert Audubon, daß der Biſamgeruch gar nicht ſo ſchlimm und nach ſeiner Meinung weit beſſer zu ertragen ſei, als der Ge - ſtank des Mink oder Rothfuchſes, vom Stinkthier gar nicht zu reden.

Man lockt die Biberratte in Fallen, welche man mit Aepfeln ködert, ſtellt ihr Schlageiſen vor ihre Bane oder tödtet ſie in ihren Hütten. Die Jndianer wiſſen ſehr genau, welche Hütten bewohnt ſind, nahen ſich unhörbar und ſtoßen dann einen ſcharfen Sper mit aller Kraft durch die Wände der Burg, die innenſitzenden Zibetratten gewöhnlich anſpießend. Die Fallen ſtellt man ſo, daß ſie ins Waſſer ſtürzen müſſen und den armen durch ſie Bethörten gleich erſäufen. Unterläßt man Dies, ſo wird der Gefangene von ſeinen Kameraden augenblicklich umringt und nach Rattenart behandelt d. h. in Stücke zerriſſen und aufgefreſſen. Wenn eine Biſamratte geſchoſſen und nicht augenblicklich152Die Wühlratten. Die Waſſerratte.aufgenommen worden iſt, umgeben ſofort die überlebenden den Leichnam ihres Gefährten und tragen ihn nach ihren Höhlen, um ihn ſeinem Mörder zu entziehen und ihn dann natürlich zu freſſen. Hier und da wendet man wohl auch Schwefel an und räuchert die Ratten aus ihren Banen, oder man lauert an ihren Luftlöchern auf ſie und ſpießt ſie an, wenn ſie dort erſcheinen; kurz, es werden auch hier alle Mittel und Wege in Anwendung gebracht, um der Selbſtſucht des Menſchen Genüge zu leiſten. Außerdem ſtellen dem Thiere noch Luchs und Fuchs, Mink und Marder, Adler, Uhn und Schneeeule nach.

An die Zibetratten können wir die Wühlratten (Hypudaeus) anreihen. Sie unterſcheiden ſich von den eigentlichen Wühlmäuſen durch ihre bedeutende Größe und durch Eigenthümlichkeiten des Gebiſſes und Schädelbaues. Jn ihrer Lebensweiſe ſtehen ſie einander ſehr nahe; doch zeigen die ein - zelnen Arten gerade hierin wieder viel Selbſtändiges. Man kennt gegenwärtig nur drei Arten dieſer kleinen Gruppe; unter ihnen aber befinden ſich zwei ſehr merkwürdige Thiere. Das erſte iſt die Waſſerratte (Hypudaeus amphibius), ein ſchon ſeit Jahrhunderten den Naturforſchern bekanntes

Die Waſſerratte (Hypudaeus amphibius).

Thier und noch heute der Zankapfel zwiſchen ihnen. Die Einen behaupten nämlich, daß es nur eine Art von Waſſerratten gäbe, die Anderen nehmen an, daß die ſogenannten Scher - und Reut - mäuſe, welche allen Gartenbeſitzern nur zu bekannt zu ſein pflegen, wegen ihrer durchaus verſchie - denen Lebensweiſe, trotz ihrer großen Aehnlichkeit mit den Waſſerratten, als ſelbſtändige Thiere be - trachtet werden müſſen. Auffallend bleibt die große Verſchiedenheit in der Lebensweiſe ein - und deſſelben Thieres immerhin. Die Waſſerratte lebt, wie ihr Name ſagt, am und im Waſſer, na - mentlich an ſtillſtehenden. Dort wohnt ſie in ſelbſtgegrabenen unterirdiſchen Bauen, welche vom Waſſerſpiegel aus ſchief nach oben anſteigen und in einen weiten Keſſel münden, der ihr eigentliches Wohnzimmer bildet. Vonhieraus geht ſie gewöhnlich nach dem Waſſer hinab, treibt ſich in dem Teiche umher, ſucht ſich ihre Nahrung und denkt nicht daran, größere Reiſen zu unternehmen. Die Reutmaus dagegen lebt oft fern vom Waſſer, in den Blumen - und Gemüſegärten und gräbt ſich hier lange, flache Gänge nach Maulwurfsart, wirft dabei die Pflanzen um, welche über den Gängen ſtehen, verzehrt die Wurzeln und ſchadet dadurch weit mehr, als der Maulwurf jemals durch ſeine Wühlereien ſchaden kann. Sie lebt unter Umſtänden wochen - und monatelang fern vom Waſſer und ſcheint ſich eigentlich gar nicht um daſſelbe zu bekümmern. Es iſt erklärlich, daß viele Forſcher geglaubt haben, dieſe abweichende Lebensweiſe müſſe auch mit einer Artverſchiedenheit der betreffenden Thiere zuſammenhängen, und bisjetzt iſt dieſer Streit noch keineswegs entſchieden. 153Die Waſſerratte.Ueberhaupt hat ſelten ein Thier ſoviel Schreiberei und zugleich ſoviel Zank hervorgerufen, als unſere Waſſerratte. Schon ſeit alten Zeiten herrſcht eine große Verwirrung in den Anſichten. Blaſius führt nicht weniger als dreizehn verſchiedene lateiniſche Namen der Waſſerratte auf, welche alle ge - wiſſe Abweichungen oder Abarten bezeichnen ſollen! Er behauptet, daß nach ſeinen Unterſuchungen alle dieſe verſchiedenen Formen nur unweſentliche Abänderungen ein - und derſelben Art ſind, ob - wohl er nicht leugnen kann, daß ſtändige Verſchiedenheiten vorkommen. Wir denken nicht daran, etwas zur Schlichtung dieſes Streites beitragen zu wollen, ſondern betrachten einfach das Leben un - ſerer Thiere, gleichviel, ob wir eine Waſſerratte als Schermaus oder eine Schermaus als ſelb - ſtändige Art vor uns haben.

Der Gegenſtand des Streites iſt Zoll lang, wovon auf den Schwanz etwa Zoll kom - men. Der Pelz kann einfarbig genannt werden; denn die graubraune oder braunſchwarze Ober - ſeite geht ganz allmählich in die etwas hellere, weißliche oder graue, bis ſchwarze oder ſchwarz - graue Unterſeite über. Von der Hausratte unterſcheidet die Waſſerratte ſofort der dicke, runde, kurze Kopf und der kurze Schwanz, welcher zwiſchen 130 und 140 Schuppenringe trägt, die ringsum gleichmäßig und ziemlich dicht mit kurzen, ſteifen Haaren beſetzt ſind. Die Naſenkuppe iſt fleiſch - farben; die Schnurren ſind ſchwarz, zuweilen weißſpitzig; die Jris iſt ſchwarzbraun; die Vorder - zähne ſind braungelb. Mancherlei Abweichungen in der Färbung kommen vor. Jn Sibirien erreicht das Thier eine bedeutendere Größe als in dem mittleren Europa; in Jtalien iſt es kleiner, oben ſchwärzlich, unten kaſtanienbraun; in England kommt eine ganz ſchwarze Abart mit faſt blendend - weißer Kehle vor; am Ob und Jeniſei leben andere, welche blaßgelblich ſind, und alle dieſe Ab - weichungen ſcheinen ſtändig zu ſein. Wollte man nach den gewöhnlich geltenden Grundſätzen ver - fahren, ſo müßte man ſie alle als eigene Arten anſehen. Selbſt Blaſius geſteht zu, daß namentlich drei verſchiedene Ausprägungen ein und derſelben Grundform ſich bemerklich machen; die eine iſt unſere echte Waſſerratte, die zweite die italieniſche Schermaus und die dritte unſere Reutmaus.

Die Waſſerratte iſt ſehr weit verbreitet. Sie reicht vom atlantiſchen bis zum ochotzkiſchen, vom weißen bis zum mittelländiſchen Meere. Eigentlich iſt ſie nirgends ſelten; denn ſie findet ſich eben - ſowohl in der Ebene, als in gebirgigen Gegenden; ja ſie kommt ſelbſt im Hochgebirge vor. Wollten wir die drei Abänderungen zu Arten erheben, ſo würden wir die erſtere als die weiteſt verbreitete anſehen und ihr namentlich die naſſen und feuchten Gegenden zur Wohnung anweiſen müſſen, während die zweite Form, welche hauptſächlich in der Provence, in Jtalien und Dalmatien lebt, mehr trockne Oertlichkeiten aufſucht, und die dritte, unſere Schermaus, faſt einzig und allein im bebauten Lande auf Wieſen noch regelmäßig bis zu diertauſend Fuß über dem Meere vorkommt.

Waſſerratten und Schermäuſe erinnern in ihrer Lebensweiſe vielfach an die Maulwürfe, aber auch an die Biſamratten und andere im Waſſer lebende Nager. Die Baue in der Nähe der Gewäſſer ſind regelmäßig einfacher, als die in trockneren Gärten und Feldern. Dort führt, wie be - merkt, ein ſchiefer Gang zu der Kammer, welche zu Zeiten ſehr weich ausgefüttert wird; hier aber legen ſich die Thiere Gänge an, welche viele hundert Schritte lang ſein können, werfen Haufen auf, wie die Maulwürfe, und bauen die Kammer in einem der größeren Hügel. Meiſt ziehen ſich die langen Gänge ganz dicht unter der Oberfläche des Bodens hin, niemals tiefer als die Pflanzenwurzeln hinabreichen, oft ſo flach, daß die Bodendecke beim Wühlen förmlich emporgehoben wird und die Be - deckung des Ganges nur aus einer kaum mehr als zollſtarken Erdſchicht beſteht. Solche Gänge werden natürlich ſehr oft zerſtört und unfahrbar gemacht; aber die Schermaus iſt unermüdlich, ſie auszubeſſern, ſelbſt wenn ſie die gleiche Arbeit an einem Tage mehrere Male verrichten müßte. Manchmal laufen ihre Gänge unter einem Fahrwege hin und dauern eben nur ſo lange aus, als der Weg nicht benutzt wird; gleichwohl ändert das Thier die einmal gewählte Richtung nicht, ſondern verrichtet lieber ununterbrochen dieſelbe Arbeit. Man kann die Gänge von denen des Maulwurfs leicht dadurch unterſcheiden, daß die Haufen viel ungleichmäßiger ſind, größere Erdbrocken haben, nicht in einer geraden Reihe fortlaufen und oben niemals offen gelaſſen werden. Jn dieſen Bauen lebt die154Die Wühlratten. Die Waſſerratte.Schermaus paarweiſe; aber ein Paar wohnt gern dicht neben dem andern. Das Thier läuft nicht beſonders, gräbt aber vorzüglich und ſchwimmt mit großer Meiſterſchaft, wenn auch nicht ſo ausge - zeichnet, wie die Waſſerſpitzmaus. An ſtillen Orten ſieht man ſie ebenſowohl bei Tage, als bei Nacht in Thätigkeit; doch iſt ſie vorſichtig und entflieht, ſowie ſie ſich beobachtet ſieht, in ihren Bau. Nur wenn ſie ſich zwiſchen dem Schilf umhertreibt, läßt ſie ſich beſſer beobachten.

Unter ihren Sinnen ſcheinen namentlich Geſicht und Gehör vortrefflich ausgebildet zu ſein. Jhr geiſtiges Weſen unterſcheidet ſie zu ihrem Vortheil von den Ratten. Sie iſt ſehr neugierig, ſonſt aber beſchränkt und ziemlich gutmüthig. Jhre Nahrung wählt ſie vorzugsweiſe aus dem Pflanzenreiche, und dadurch wird ſie oft recht ſchädlich, zumal die Schermaus, alſo die, welche in Gärten und auf Feldern ihren Wohnſitz aufſchlägt. Ungeachtet ihrer Neugierde iſt ſie nicht ſo leicht zu vertreiben, und wenn ſie ſich einmal eingeniſtet hat, geht ſie aus freien Stücken nicht eher weg, als bis ſie alles Genießbare aufgefreſſen hat.

Einſt hatte ſich eine Schermaus, erzählt mein Vater, in dem hieſigen Pfarrgarten ange - ſiedelt. Jhre Wohnung lag in einem Wirſingbeet, aber ſo tief, daß man das ganze Beet hätte zer - ſtören müſſen, wenn man ſie dort hätte ausgraben wollen. Mehrere Gänge führten von der Kammer aus in den Garten. Wenn es beſonders ſtill war, kam ſie hervor, biß ein Kohlblatt ab, faßte es mit dem Rachen, zog es zum Loche hinein und verzehrte es in ihrer Höhle. Den Bäumen fraß ſie die Wurzeln ab, ſelbſt ſolche, welche bereits eine ziemliche Größe erlangt hatten. Jch hatte auf einem Feldroſenſtamme weiße Roſen oculiren laſſen und zu meiner Freude in dem einen Jahre 153 Stück Roſen an dem Stamme erblühen ſehen. Plötzlich verdorrte er, und als ich nachgrub, fand ich, daß alle Wurzeln nicht nur ihrer Schale beraubt, ſondern faſt ganz durchgefreſſen waren. Man kann ſich leicht denken, wie ſehr dieſe Verwüſtungen meinen Haß gegen das böſe Thier vermehrten. Aber es war ſehr ſchwer, die Maus zu erlegen. Jch ſah ſie täglich vom Fenſter aus meine Kohlſtöcke brandſchatzen; allein von dort aus war es zu weit, um ſie zu erſchießen, und ſobald ſich Jemand ſehen ließ, ver - ſchwand ſie in die Erde. Erſt nach 14 Tagen gelang es, ſie zu erlegen und zwar von einem ihret - wegen angelegten Hinterhalte aus. Sie hatte mir aber bis dahin faſt den ganzen Garten verwüſtet.

An Teichen thut die Waſſerratte verhältnißmäßig viel weniger Schaden, den einen freilich abge - rechnet, daß ſie die Dämme durchwühlt und ſo dem Waſſer einen unerwünſchten Ausfluß verſchafft. Dort beſteht ihre Nahrung vorzugsweiſe aus Rohrſtengeln und dieſe verzehrt ſie auf ganz eigenthüm - liche Weiſe. Sie baut ſich nämlich einen förmlichen Eßtiſch. Dieſe Eßtiſche, ſagt mein Vater, welcher die Waſſerratte vielfach beobachtete, ſind auf umgeknickten Rohrſtengeln angebracht, einige Zoll über dem Waſſerſpiegel, und beſtehen aus grünem Seggengras. Jhr Durchmeſſer beträgt 9 bis 12 Zoll. Sie ſind aus einer feſten, dichten Maſſe aufgebaut und oben ganz platt; denn ſie dienen den Waſſerratten nur als Ruheplätze und Speiſetafeln. Jn unſeren Renthendorfer Teichen leben die Thiere im Sommer beinahe nur von Rohrſtengeln. Dieſe beißen ſie an der Oberfläche des Waſſers ab und tragen ſie im Rachen nach dem nächſten Eßtiſche. Auf ihm angekommen, richten ſie ſich ſenk - recht auf, faſſen den Rohrſtengel mit den Vorderfüßen und ſchieben ihn ſolange fort, bis ſie an den oberen, markigen Theil kommen; jetzt halten ſie ihn feſt und verzehren die ganze Spitze. Sind ſie mit einem Rohrſtengel fertig, dann holen ſie ſich einen andern herbei, behandeln ihn auf ähnliche Weiſe und ſetzen, wenn ſie nicht geſtört werden, dieſe Arbeit ſolange fort, bis ſie völlig geſättigt ſind. Aber ſie laſſen ſich bei ihren Mahlzeiten nicht gern beobachten und ſtürzen ſich bei dem geringſten Geräuſch oder beim Erblicken eines auch in ziemlicher Ferne vorbeigehenden Menſchen ſogleich in das Waſſer, tauchen unter und ſchwimmen einem ſichern Verſtecke zu. Haben ſie aber ihre Mahlzeit ungeſtört vollendet, dann legen ſie ſich zuſammengekauert auf den Eßtiſch und ruhen aus. Neben dem Rohr verzehren die an Teichen wohnenden Waſſerratten auch noch allerlei Pflanzenwurzeln, ſaftige Gräſer, unter Umſtänden auch Früchte; die Reut - und Schermäuſe aber gehen alle Gemüſe ohne Unterſchied an und vernichten weit mehr, als ſie wirklich brauchen. Es ſind Beiſpiele bekannt , ſagt Blaſius, daß durch dieſes Thier in einzelnen Feldern oder Feldmarken über die Hälfte der155Die Waſſerratte.Getreideernte umgekommen iſt. Sie freſſen die Halme über der Wurzel ab, um die Aehre zum Falle zu bringen; doch holen ſie auch als geſchickte Kletterer die Maiskörner aus den Aehren oder reifes Obſt vom Spalier und den Bäumen herab. Thieriſche Nahrung verſchmähen unſere Mäuſe auch nicht. Jm Waſſer müſſen Kerbthiere und deren Larven, kleine Fröſche, Fiſche und Krebſe ihnen zur Mahl - zeit dienen, den Gerbern freſſen ſie ganze Stücke von den eingeweichten Thierhäuten ab, den im Graſe brütenden Vögeln nehmen ſie die Eier weg u. ſ. w. Jm Herbſte erweitern ſie ihren Bau, indem ſie eine Vorrathskammer anlegen und dieſe durch Gänge mit ihrem alten Neſte verbinden. Dieſe Kammer füllen ſie aus nahe gelegenen Gärten und Feldern mit Erbſen, Bohnen, Zwiebeln und Kartoffeln an und leben hiervon während des Spätherbſtes und Frühjahrs, oder ſolange das Wetter noch gelinde iſt.

Erſt bei ſtarkem Froſt verfallen ſie in Schlaf, ohne jedoch dabei zu erſtarren. Nur ſehr ſelten gewahrt man die Fährte einer Waſſerratte oder Schermaus auf dem Schnee; in der Regel verläßt ſie den Bau während der kälteren Jahreszeit gar nicht. Bei ſtrengem Froſte gehen zum Glück ſehr viele dieſer ſchädlichen Thiere zu Grunde.

Die Vermehrung der Waſſerratten und Schermäuſe iſt bedeutend. Drei bis vier Mal im Jahre findet man in dem warmen, weich ausgefütterten Neſte 2 bis 7 Junge, oft in einem Neſte ſolche von verſchiedener Färbung zuſammen. Zuweilen findet man die Neſter auch in dichtem Ge - ſtrüpp unmittelbar über der Erde und höchſt ſelten im Rohr. Ein ſolches Neſt beſchreibt Bla - ſius. Es ſtand drei Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel, wie ein Rohrſängerneſt zwiſchen drei Schilfſtengel eingeflochten, etwa dreißig Schritt vom trockenen Ufer ab, war kugelrund, aus feinen, weichen Grasblättern gebaut, am Eingange zugeſtopft, hatte außen etwa vier, inwendig wenig über zwei Zoll im Durchmeſſer und enthielt zwei halberwachſene Junge von kohlſchwarzer Färbung. Eines der alten Thiere, das bei meiner Annäherung ſich vom Neſte entfernte und ins Waſſer ſprang, war ebenfalls ſchwarz von Farbe. Es ſchwamm und tauchte mit großer Geſchicklichkeit. Die Alten konnten nur ſchwimmend zum Neſte gelangen, indem der Teich vom Ufer an bis zum Neſte durchgängig 2 bis Fuß Tiefe beſaß, und waren dann gezwungen, an einem einzigen Schilf - ſtengel in die Höhe zu klettern. Der gewöhnliche Neſtbau der Waſſerratten iſt ſo abweichend, und die Gelegenheit, ein unterirdiſches Neſt in einem naheliegenden Felde und Garten oder in der an den Teich angrenzenden Wieſe, oder ein Neſt auf der Erde in dichtem Gebüſch auf den Teichdamm zu bauen, war ſo günſtig, daß ſich keine Erklärungsgründe für dieſes abweichende Verhalten zu finden vermögen. Hätte ich das Neſt beim Aufſuchen von Rohrſänger - und Krontaucherneſtern nicht zufällig gefunden: es würde mir nie eingefallen ſein, an ähnlichen Orten nach Waſſerratten - neſtern zu ſuchen.

Der Begattung gehen lang anhaltende Geſpiele beider Geſchlechter voraus. Namentlich das Männchen benimmt ſich ſehr eigenthümlich. Es dreht ſich manchmal ſo ſchnell auf dem Waſſer herum, daß es ausſieht, als ob es von einer ſtarken Strömung bald im Wirbel bewegt, bald herum - gewälzt würde. Das Weibchen ſcheint ziemlich gleichgiltig zuzuſehen, erfreut ſich aber doch wohl ſehr an dieſen Spielen, denn ſobald das liebestolle Männchen mit ſeinem Reigen zu Ende iſt, ſchwimmen beide gewöhnlich gemüthlich neben einander, und dann erfolgt faſt regelmäßig die Begattung. Die Mutter pflegt ihre Kinder mit großer Liebe und vertheidigt ſie bei Gefahr. Wenn ſie die Kleinen in dem einen Neſte nicht für ſicher hält, ſchleppt ſie dieſelben im Maule nach einer andern Höhle und ſchwimmt dabei mit ihnen über breite Flüſſe und Ströme. Die eigene Gefahr vergeſſend, läßt ſie ſich zuweilen mit der Hand erhaſchen; aber nur mit Mühe kann man dann das Junge, welches ſie trägt, ihren Zähnen entwinden. Werden die Jungen, ſagt Fitzinger, zufällig mit der Pflugſchar aus - geackert und nicht ſogleich getödtet, ſo eilt die Mutter ſchnell herbei und ſucht, ſie raſch in einer anderen Höhle zu verbergen, oder trägt ſie, wenn eine ſolche in der Nähe nicht gleich aufzufinden iſt, unter das nächſte Buſchwerk, um ſie einſtweilen dort zu ſchützen. Gerathen die Jungen durch einen plötzlichen Angriff in Gefahr, ſo vertheidigt ſie die Mutter mit Kühnheit und Geſchick, ſpringt Hun -156Die Wühlratten. Die Schneemaus.den, Katzen, ja ſelbſt dem Menſchen entgegen und verſetzt den Verfolgern oft heftige Biſſe mit ihren ſcharfen Zähnen. Nach drei Wochen führt ſie ihre Kleinen aus der Höhle und trägt, während dieſe auf dem Raſen oder auf Pflanzenbeeten freſſen, die zarten Sprößlinge von anderen Gräſern, beſonders aber Erbſen, die Lieblingsnahrung der Jungen, in ihre Höhle ein. Die Kleinen beginnen nun auch bald ihre Grabverſuche und werden ſchon in zarter Jugend auf Wieſen und Ackerfeldern und noch mehr in Gärten ſehr ſchädlich.

Für die Gefangenſchaft eignet ſich die Waſſerratte nicht. Sie iſt ziemlich weichlich, verlangt deshalb gute Pflege und wird auch niemals ordentlich zahm.

Die Familie der Wühlmäuſe iſt ſo reich an merkwürdigen Thieren, daß ich hier ausführ - licher als bisher ſein muß. Mehr als bei den übrigen Nagern unterſcheiden ſich die einzelnen Wühlmäuſe hinſichtlich ihres Lebens. Man kann behaupten, daß jede ihre durchaus eigenthümliche Lebensweiſe habe; aber eben deshalb iſt es nothwendig, mehrere Arten der Familie umſtändlicher zu beſprechen. Zu der Gruppe der Wühlratten gehört noch einer der merkwürdigſten aller Nager: die Schneemaus (Hypudaeus nivalis). Hoch oben auf den Alpen, da, wo das übrige thieriſche

Die Schneemaus (Hypudaeus nivalis).

Leben ſchon längſt aufgehört hat, wohnt das kleine Geſchöpf, ohne daran zu denken, im Winter nach Art anderer Nager Schutz im Jnnern der Erde zu ſuchen, jeder Jahreszeit muthigen Herzens Trotz bietend. Jn ſo großer Höhe lebt ſie, daß wir noch heute nichts Ausführliches über ſie wiſſen, ob - gleich die tüchtigſten Thierkundigen ſich mit der Erforſchung ihres Lebens beſchäftigt haben: die Un - wirthlichkeit ihrer Heimat wirft der Beobachtung zu große Schwierigkeiten in den Weg.

Die Schneemaus iſt eine ziemlich kleine Wühlratte von 7 bis Zoll Geſammtlänge oder faſt 5 Zoll Leibes - und Zoll Schwanzlänge. Jhr Pelz iſt zweifarbig, auf der Oberſeite hellbräun - lichgrau, in der Mitte des Rückens dunkler, als an den Seiten, auf der Unterſeite ziemlich deutlich abgeſetzt grauweiß. Einige ſtändige Verſchiedenheiten kommen vor. Die wahre Schneemaus hat derbes Haar, roſtgrauen Pelz und weißlichroſtgrauen Schwanz; eine andere Form, die weißſchwän - zige Wühlmaus, hat weiches Haar, weißgrauen Pelz und weißen Schwanz; die Alpenratte endlich hat weiches Haar, ſchwachroſtfarbig überflogenen Pelz und einen weißgrauen, verhältnißmäßig langen Schwanz. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß dieſe drei Formen nur verſchiedene Ausprägungen ein und derſelben Grundform ſind; doch iſt es ebenſogut möglich, daß jede eine eigene, ſelbſtändige157Die Schneemaus.Art darſtellt; wir haben ja noch nicht genug Beobachtungen gemacht, um uns mit Sicherheit zu ent - ſcheiden!

Jn der Lebensweiſe findet ſich, ſoviel wir wiſſen, kein Unterſchied. Die Schneemaus, ſagt Blaſius, hat unter allen Mäuſen den kleinſten, aber eigenthümlichſten Verbreitungskreis. Sie gehört der Alpenkette ihrer ganzen Ausdehnung nach an. Außerdem erhielt Selys ſie aus den Pyrenäen. Es iſt mir kein Beiſpiel bekannt, daß ſie in den Alpen regelmäßig unter 3000 Fuß Meereshöhe gefunden wäre; auch bei 4000 Fuß ſcheint ſie in der Regel nicht häufig vorzukommen. Vonhieraus aber findet ſie ſich in allen Höhen bis zu den letzten Grenzpunkten des Pflanzenlebens. Jn der Nähe der Schneegrenze erſcheint ſie am häufigſten, aber ſogar über die Schneegrenze geht ſie hinaus und bewohnt die kleinſten Pflanzeninſeln, die mit ihren kümmerlichen Alpenkräutern ſpärlich bewachſenen Blößen auf der Südſeite der hohen Alpenſpitzen, mitten zwiſchen den Schneefeldern, wo die warmen Sonnenſtrahlen oft kaum 2 bis 3 Monate lang die wöchentlich ſich erneuernden Schnee - decken überwinden und die Erde auf wenige Schritte hin freilegen können. Jn dieſer großartigen Gebirgseinſamkeit verlebt ſie aber nicht blos einen ſchönen, kurzen Alpenſommer, ſondern, unter einer unverwüſtlichen Schneedecke begraben, einen 9 bis 10 Monate langen, harten Alpenwinter; denn ſie wandert nicht, obwohl ſie ſich im Winter Röhren unter dem Schnee anlegt, um Pflanzen - wurzeln zu ſammeln, wenn die geſammelten Vorräthe nicht ausreichen. Kein anderes Säugethier begleitet die Schneemaus ausdauernd über die Welt des Lebendigen hinaus bis zu dieſen luftigen, ſtarren Alpenhöhen; nur einzeln folgt vorübergehend als unerbittlicher Feind ein Wieſel oder Hermelin ihren Spuren.

Die Schneemaus iſt den Naturforſchern erſt ſeit wenig Jahren bekannt geworden. Nager entdeckte ſie im Jahre 1841 in Andermatt am Gotthard, Martins fand ſie am Faulhorn, Hugi ſie auf dem höchſten Kamme der Strahleck über 10,000 Fuß hoch und am Finſterarhorn bei einer Meereshöhe von 12,000 Fuß mitten im Winter in einer Alphütte. Wir ſuchten, erzählt er, die Hütte der Stieregg - alp auf, welche endlich eine etwas erhöhte Schneeſtelle verrieth, und arbeiteten in die Tiefe. Längſt war es Nacht, als wir das Dach fanden, nun aber ging es an der Hütte ſchnell abwärts in die Tiefe. Wir machten die Thüre frei, kehrten ein mit hoher Freude und erſchlugen ſieben Alpen - mäuſe, während wohl über zwanzig die Flucht ergriffen und nicht geneigt ſchienen, ihren unter - irdiſchen Palaſt uns ſtreitig zu machen. Blaſius beobachtete die Schneemaus auf den Bergen von Chambery, am Montblanc und am Bernina bei 12,000 Fuß Höhe, auf der oberſten, nur wenige Geviertfuß vom Schnee entblößten Spitze des Piz Linguard im oberen Etzthal. Jn den Mittelalpen, ſagt er, habe ich nur die grobhaarige, graue Form gefunden. Die weichhaarige, weißliche kenne ich aus der Umgegend von Jnterlaken, und die fahlgelbe bisjetzt nur aus den nord - öſtlichen Kalkalpen von den bairiſchen Hochalpen an bis ins nördliche Tirol, bis ans Salz - burgiſche.

Das Leben, welches die Schneemaus in ihrer unwirthlichen, traurigarmen Heimat führt, iſt bisjetzt noch räthſelhaft. Man weiß, daß ſie Pflanzen frißt, hauptſächlich Wurzeln und Alpen - kräuter, Gras und Heu, und daß ſie von dieſen Stoffen auch Vorräthe im Winter einſammelt; aber man begreift kaum, daß ſie an vielen Orten, wo ſie lebt, noch Nahrung genug findet. An vielen Stellen iſt es blos eine einzige Pflanzenart, welche ihr Nahrung bieten kann, aber an anderen Orten iſt nicht einzuſehen, wovon ſie leben mag. Jm Sommer freilich hat es keine Noth. Sie beſucht dann die Sennhütten der Kuh - und Schafalpen und naſcht von allem Eßbaren, was ſie in den Hütten findet, nur nicht vom Fleiſch. Jhre Wohnung ſchlägt ſie dann bald in Erdlöchern, bald in Geröll und Gemäuer auf. Jn der Nähe ihrer Höhle ſieht man ſie auch bei Tage umher - laufen, und ſie iſt ſo harmlos, daß man ſie dann leicht erſchlagen oder wenigſtens erſchießen kann. Selbſt bei hellem Tage geht ſie in die Fallen. Erſchreckt, verſchwindet ſie raſch zwiſchen Felsblöcken; doch dauert es ſelten lange, bis ſie wieder zum Vorſchein kommt. Jn ihren Bauen findet man zernagtes Heu und Halme, oft auch Wurzeln von Bibernell, Genzian und anderen Alpenkräutern. Das158Die Wühlmäuſe. Waldwühlmans und Erdmaus.Neſt enthält wahrſcheinlich zwei Mal im Sommer 4 bis 7 Junge. Blaſius hat ſolche noch gegen Ende September gefunden. Kommt nun der Winter heran, ſo zieht ſie ſich wohl ein wenig weiter an den Bergen herab; doch bis in die wohnliche Tiefe gelangt ſie nicht. Sie zehrt jetzt von ihren geſammelten Vorräthen, und wenn dieſe nicht mehr ausreichen, ſchürft ſie ſich lange Gänge in dem Schnee von Pflänzchen zu Pflänzchen, von Wurzel zu Wurzel, um ſich mühſelig genug ihr tägliches Brod zu erwerben.

Außer der Schneemaus kommt, ſoviel bisjetzt bekannt, nur noch eine einzige Wühlmaus vor, welche zu der erſten Gruppe der Wühlratten gerechnet werden könnte. Dieſes Thier bewohnt die ſumpfigen nordiſchen Wälder, iſt aber noch zu wenig bekannt, als daß wir viel über daſſelbe ſagen könnten. Weitmehr wiſſen wir von einigen bei uns nur zu oft häufigen Wühlmäuſen (Arvicola), vor allen von der allbekannten Feldmaus, der Verwüſterin ganzer Gegenden.

Mehrere Arten ſehr ähnlicher Wühlmäuſe bewohnen unſere Waldungen und Feldmarken, und faſt alle können unter Umſtänden ſehr ſchädlich werden. Die Waldwühlmaus (Arvicola glareolus), ein kleines Thier von nur Zoll Geſammtlänge oder 3⅔ Zoll Körperlänge, iſt zweifarbig, oben braunroth, nach den Weichen hin graulich, unten und an den Füßen ſcharf abgeſetzt weiß. Sie findet ſich gewöhnlich in den Wäldern und an Waldrändern, auch in Gebüſchen und parkähnlichen Gärten, lebt in Erdlöchern und baut ſich ein Neſt aus weichem Graſe, aus Haaren und Wolle. Man kennt ſie auch aus Ungarn, Kroatien, der Moldau und Rußland, und wahrſcheinlich iſt ſie noch viel weiter verbreitet, als man jetzt weiß. Jhre Nahrung nimmt ſie auffallender Weiſe mehr aus dem Thier -, als aus dem Pflanzenreiche, und deshalb kann man ſie wohl als die nützlichſte ihrer Familie anſehen. Sie verzehrt vorzüglich Kerbthiere und Würmer; im Freien mag ſie wohl auch ein oder das andere Vögelchen wegnehmen, und im Käfig gefällt ihr die Fleiſchnahrung; doch verſchmäht ſie auch Getreide, Sämereien und knollige Wurzeln nicht, und bei ſtrengem Winter begnügt ſie ſich mit Baumrinde. Einzeln ſieht man ſie in den Wäldern auch bei Tage umherlaufen; die Hauptmaſſe erſcheint jedoch erſt gegen Abend. Weniger behend, als die anderen Mäuſe, läuft ſie dann mit anderen ihrer Art umher, ſpielt und balgt ſich wohl ein wenig oder klettert mit Geſchicklichkeit an Baum - ſtämmen bis zu ziemlichen Höhen hinauf, dabei der Nahrung nachgehend. Selten iſt ſie ſehr ſcheu, und Junge kann man oft mit den Händen fangen. Drei bis vier Mal im Jahre wirft das Weibchen 4 bis 8 nackte und blinde Junge, welche in ungefähr ſechs Wochen ſchon die Größe der Alten faſt erreicht haben. Die Gefangenſchaft hält ſie ſehr leicht aus. Sie wird bald recht zahm, läßt ſich in die Hand nehmen und berühren, beißt aber doch ab und zu einmal ihren Wärter in die Finger. Mit anderen ihrer Art oder mit Verwandten verträgt ſie ſich vortrefflich.

Die Erdmaus (Arvicola agrestis) iſt faſt ebenſogroß, als jene, auch Zoll lang, wovon kaum Zoll auf den Schwanz kommen. Der Pelz iſt auch zweifarbig, oben dunkelſchwärzlichbraungrau, nach den Weichen etwas heller, unten und an den Füßen grauweiß. Der Schwanz iſt zweifarbig, oben dunkelbraun und unten grauweiß. Die Erdmaus bewohnt den Norden der alten Welt: Skan - dinavien, Dänemark, Britannien, Norddeutſchland und Frankreich, lebt gewöhnlich im Gebüſch, in Wäldern, an Waldrändern, an Gräben und auf Dämmen ꝛc., aber nur in waſſerreichen Gegen - den, manchmal mit ihren Verwandten zuſammen. Blaſius fand ſie zuweilen in Geſellſchaft der Waſſerſpitzmaus in den Neſtern des großen Waſſerhuhns angeſiedelt. Jhre Nahrung nimmt ſie vor - zugsweiſe aus dem Pflanzenreiche. Sie verzehrt Wurzeln, Rinden, Früchte, aber auch Kerbthiere und Fleiſch. Jn ihren Bewegungen iſt ſie ſo unbeholfen, daß man ſie ohne große Mühe mit der Hand fangen kann. Dabei iſt ſie gar nicht ſcheu und erſcheint auch meiſtens am hellen Tage vor dem Eingange ihrer Erdhöhlen. Das runde Neſt ſteht dicht unter der Oberfläche der Erde, iſt aber durch dichte Grasbüſchel und dergleichen ſehr geſchützt von obenher. Drei bis vier Mal im Jahre fin -159Die gemeine Feldmaus.det man in ſolchen Neſtern 4 bis 7 Junge, welche bald groß werden und von Anfang an den Alten ähneln. Jn der Gefangenſchaft kann man ſie leicht erhalten. Sie lebt auch hier friedlich mit anderen Artverwandten zuſammen. Jch hielt, ſagt Blaſius, eine Erdmaus in demſelben Behälter mit einer Waldwühlmaus und einer Feldmaus zuſammen. Jede grub ſich in der Erde des Behälters eine beſondere Röhre aus, veränderte dieſelbe aber tagtäglich. Jn dieſe Röhren legten ſich die Mäuſe zum Schlafen oder flüchteten dahinein, wenn ſie erſchreckt wurden. Um zu freſſen und ſich zu putzen, ſaßen ſie draußen und liebten es auch, ganz beſchaulich die warme Sonne zu genießen. Am meiſten nächtlicher Natur ſchien die Feldmaus zu ſein. Sie trieb ſich noch beweglich umher, wenn die anderen lange ruhten. Doch kamen auch dieſe in der Nacht von Zeit zu Zeit wieder zum Vorſchein. Einen mehr als etliche Stunden langen, ununterbrochenen Schlaf habe ich bei keiner beobachtet.

Von den genannten Mäuſen unterſcheiden ſich die eigentlichen Feldmäuſe, welche in Europa und dem nördlichen Aſien in mehreren Arten vorkommen, hauptſächlich durch das Gebiß. Bei uns

Die gemeine Feldmaus (Arvicola arvalis).

finden ſich zwei wahre Feldmäuſe und zwei Wieſenmäuſe, von denen je eine ausführlicher beſchrieben zu werden verdient.

Die gemeine Feldmaus (Arvicola arvalis) wird bis Zoll lang; hiervon nimmt der Schwanz bis Zoll weg. Der Pelz iſt undeutlich zweifarbig, auf der Oberſeite gelblichgrau, an den Seiten heller, die Unterſeite iſt ſchmuzig roſtweißlich; die Füße ſind reiner weiß.

Ganz Mittel - und ein Theil Nordeuropas, ſowie der weſtliche Theil von Mittel - und Nord - aſien ſind die Heimat dieſes kleinen und für den menſchlichen Haushalt ſo überaus bedeutſamen Geſchöpfes. Jn Europa reicht die Feldmaus bis in die nördlichen Provinzen Rußlands, in Aſien ſüdlich bis nach Perſien, weſtlich bis jenſeits des Ob. Jn Jrland, auf Jsland, Korſika, Sardi - nien und Sicilien fehlt ſie ganz. Sie gehört ebenſowohl der Ebene, wie dem Gebirge an, obgleich160Die Wühlmäuſe. Die gemeine Feldmaus.ſie im Flachlande häufiger auftritt. Jn den Alpen ſteigt ſie bis 6000 Fuß über dem Meere empor. Baumleere Gegenden, Felder und Wieſen, ſeltener Waldränder und Waldblößen ſind ihre bevor - zugten Wohnplätze, und nicht allein das trockene, bebaute Land, ſondern auch die feuchten Sumpf - niederungen müſſen ihr Herberge geben. Hier legt ſie ſich in den trockenen Bülten ihre Gänge und Neſter an, dort baut ſie ſich ſeichte Gänge mit 4 bis 6 verſchiedenen Eingangslöchern, welche außen durch niedergetretene, vertiefte Wege verbunden ſind. Jm Herbſt zieht ſie ſich unter Getreidehaufen zuſammen oder kommt in die Wohnungen, in Scheuern, Ställe und Keller. Jn den Häuſern lebt ſie vorzugsweiſe in den Kellern, nicht auf dem Boden, wie die eigentlichen Mäuſe. Jm Winter gräbt ſie wohl auch lange Gänge unter dem Schnee. Sie ſammelt, wo ſie kann, Vorräthe ein, namentlich Getreide und andere Sämereien; bei eintretendem Mangel aber wandert ſie geſellig aus, gewöhnlich blos nach einem benachbarten Felde, zuweilen aber auch ſcharenweiſe aus einer Gegend in die andere, und ſetzt dabei über Bergrücken und ſchwimmend über breite Flüſſe. Sie läuft gut, ſchwimmt ganz vortrefflich, klettert aber wenig und unbeholfen. Das Graben verſteht ſie meiſterhaft. Sie wühlt ſchneller, als irgend eine andere Maus, und iſt im Höhlenbauen uner - müdlich. Jhrer Lebensweiſe nach iſt ſie faſt ebenſoſehr Tag - als Nachtthier. Man ſieht ſie auch während des heißeſten Sonnenbrandes außerhalb ihrer Baue, wenn ſie gleich die Morgen - und Abendzeit dem heißen Mittag vorzuziehen ſcheint. Wärme und Trockenheit ſind für ſie Lebensbe - dingungen; bei anhaltender Feuchtigkeit geht ſie zu Grunde.

Jhre Nahrung beſteht aus allen möglichen Pflanzenſtoffen. Wenn ſie Sämereien hat, wählt ſie nur dieſe, ſonſt begnügt ſie ſich auch mit friſchen Gräſern und Kräutern, mit Wurzeln und Blät - tern, mit Klee, Früchten und Beeren. Bucheckern und Nüſſe, Getreidekörner, Rüben und Kar - toffeln werden oft arg von ihr heimgeſucht. Wenn das Getreide zu reifen beginnt, ſammelt ſie ſich in Scharen auf den Feldern, beißt die Halme unten ab, bis ſie umſtürzen, nagt ſie dann oben durch und ſchleppt die Aehren in ihre Baue. Während der Ernte folgt ſie den Schnittern auf dem Fuße von den Winter - zu den Sommerfeldern nach, frißt die ausgefallenen Körner zwiſchen den Stoppeln auf, trägt ſich die beim Binden der Garben verlorenen Aehren zuſammen und findet ſich zuletzt noch auf den Hagefeldern ein, auch dort noch Vorräthe für den Winter einſammelnd. Jn den Wäldern ſchleppt ſie die abgefallenen Hagebutten und Wachholderbeeren, Bucheckern, Eicheln und Nüſſe nach ihrem Baue. Während der rauheſten Jahreszeit verfällt ſie in einen unterbrochenen Winterſchlaf. Bei gelinder Witterung erwacht ſie wieder und zehrt dann von ihren Vorräthen. Sie iſt unglaublich gefräßig und bedarf ſehr viel, um ſich zu ſättigen, kann auch das Waſſer nicht entbehren.

Jm hohen Grade geſellig, lebt die Feldmaus ziemlich einträchtig mit ihres Gleichen, min - deſtens paarweiſe zuſammen, häuſiger aber in großen Scharen, und deshalb ſieht man Bau an Bau gereiht. Jhre Vermehrung iſt außerordeutlich ſtark. Schon im April findet man in ihren warmen Neſtern, welche bis 2 Fuß tief unter dem Boden liegen und mit zerbiſſenem Gras, fein zermalmten Halmen oder auch mit Mos weich ausgekleidet ſind, 4 bis 8 Junge, und im Ver - lauf der warmen Jahreszeit wirft ein Weibchen noch vier bis ſechs Mal. Höchſt wahrſcheinlich ſind die Jungen des erſten Wurfes im Herbſt ſchon wieder fortpflanzungsfähig, und daher nur läßt ſich die zuweilen ſtattfindende erſtannliche Vermehrung erklären.

Unter günſtigen Umſtänden, ſagt Blaſius, vermehren ſich die Feldmäuſe in unglaublicher Weiſe. Es ſind viele Beiſpiele bekannt, daß durch ihre übermäßige Vermehrung auf weite Länder - ſtrecken hin ein großer Theil der Ernte vernichtet worden iſt, und mehr als tauſend Morgen junge Buchenſchonungen durch Abnagen der Rinde zerſtört worden ſind. Wer ſolche mäuſereiche Jahre nicht erlebt hat, vermag ſich ſchwerlich eine Vorſtellung von dem faſt unheimlichen, buntbeweglichen Treiben der Mäuſe in Feld und Wald zu machen. Oft erſcheinen ſie in einer beſtimmten Gegend, ohne daß man einen allmählichen Zuwachs hätte wahrnehmen können, wie plötzlich aus der Erde gezaubert. Es iſt möglich, daß ſie auch ſtellenweiſe plötzlich einwandern. Aber gewöhnlich iſt ihre ſehr große Vermehrung an der Zunahme der Mäuſebuſſarde ſchon wochenlang voraus zu161Die gemeine Feldmaus.vermuthen. Jn den zwanziger Jahren trat am Niederrhein wiederholt dieſe Landplage ein. Der Boden in den Feldern war ſtellenweiſe ſo durchlöchert, daß man kaum einen Fuß auf die Erde ſtellen konnte, ohne eine Mäuſeröhre zu berühren, und zwiſchen dieſen Oeffnungen waren zahlloſe Wege tief ausgetreten. Auch am hellen Tage wimmelte es von Mäuſen, die frei und ungeſtört umherliefen. Näherte man ſich ihnen, ſo kamen ſie zu ſechs bis zehn auf einmal vor einem und demſelben Loche an, um hineinzuſchlüpfen, und verrammelten einander unfreiwillig ihre Zugänge. Es war nicht ſchwer, bei dieſem Zuſammendrängen an den Röhren ein halbes Dutzend mit einem Stockſchlage zu erlegen. Alle ſchienen kräftig und geſund, doch meiſtens ziemlich klein, indem es großentheils Junge ſein mochten. Drei Wochen ſpäter beſuchte ich dieſelben Punkte. Die Zahl der Mäuſe hatte noch zuge - nommen, aber die Thiere waren offenbar in krankhaftem Zuſtande. Viele hatten ſchorfige Stellen oder Geſchwüre, oft über den ganzen Körper, und auch bei ganz unverſehrten war die Haut ſo locker und zerreißbar, daß man ſie nicht derb anfaſſen durfte, ohne ſie zu zerſtören. Als ich vier Wochen ſpäter zum dritten Male dieſelben Gegenden beſuchte, war jede Spur von Mäuſen verſchwunden. Doch erregten die leeren Gänge und Wohnungen einen noch viel unheimlicheren Eindruck, als die früher ſo lebendig bewegten. Man ſagte, plötzlich ſei die ganze Generation wie durch einen Zauber von der Erde verſchwunden geweſen. Viele mochten an einer verheerenden Seuche umgekommen ſein, viele einander gegenſeitig aufgefreſſen haben, wie ſie es auch in der Gefangenſchaft thun; aber man ſprach auch von unzählbaren Scharen, die am hellen Tage an verſchiedenen Punkten über den Rhein ge - ſchwommen ſeien. Doch hatte man nirgends in der weiten Umgegend einen ungewöhnlichen Zuwachs geſehen; ſie ſcheinen im Gegentheil überall gleichzeitig verſchwunden zu ſein, ohne irgendwo wieder aufzutauchen. Die Natur mußte in ihrer übermäßigen Entwickelung auch gleichzeitig ein Werkzeug zu ihrer Vernichtung geſchaffen haben. Die Witterung, ein ſchöner warmer Spätſommer, ſchien ſie bis zum letzten Augenblick begünſtigt zu haben. Um über die Maſſen der Mäuſe, welche manchmal in gewiſſen Gegenden auftreten, Genaueres anzugeben, will ich bemerken, daß in dem einzigen Be - zirk von Zabern im Jahre 1822 binnen 14 Tagen 1,570,000, im Landrathsamt Nidda 590,327 und im Landrathsamt Putzbach 271,941 Stück Mäuſe gefangen worden ſind. Jm Herbſt des Jahres 1856, ſagt Lenz, gab es ſoviel Mäuſe, daß in einem Umkreis von vier Stunden zwiſchen Erfurt und Gotha etwa 12,000 Acker Land umgepflügt werden mußten. Die Ausſicht von jedem Acker hatte nach damaligem Preiſe einen Werth von 2 Thalern; das Umackern ſelbſt war auf einen halben Thaler anzuſchlagen, und ſo betrug der Verluſt mindeſtens 20 bis 30,000 Thaler, aber wahr - ſcheinlich weit mehr. Auf einem großen Gute bei Breslau wurden binnen ſieben Wochen 200,000 Stück gefangen und an die Breslauer Düngerfabrik abgeliefert, welche damals für’s Dutzend einen Pfennig bezahlte. Einzelne Mäuſefänger konnten der Fabrik täglich 1400 bis 1500 Stück liefern. Jm Sommer des Jahres 1861 wurden in der Gegend von Alsheim in Rheinheſſen 409,523 Mäuſe und 4707 Hamſter eingefangen und abgeliefert. Die Gemeindekaſſe hat dafür 2593 Gulden ver - ausgabt. Manche Familien haben bei dieſer Mäuſeverfolgung 50, 60 und mehr Gulden durch die Thätigkeit ihrer Kinder erworben; ja, einem beſonders glücklichen Vater haben ſeine wackeren Buben 142 Gulden heimgebracht. Er kaufte für dieſes Geld ein kleines Grundſtück, welches den Namen Mäuſeäckerchen für alle Zeiten tragen ſoll. Jn den Jahren 1813 und 14 richtete die Feldmaus in den Wäldern Englands unter der ein - bis zweijährigen Baumſaat ſo große Verwüſtungen an, daß ernſtliche Beſorgniſſe dadurch rege wurden. Auf weite Strecken hin hatten die Thiere nicht allein von allen Setzlingen die Rinde abgefreſſen, ſondern auch die Wurzeln vieler ſchon großen Eichen und Kaſtanien abgeſchält und die Bäume dadurch zu Grunde gerichtet. Von Seiten der Regierungen mußten die umfaſſendſten Vorrichtungen getroffen werden, um dem ungeheuren Schaden zu ſteuern; man verfolgte die Mäuſe im großartigſten Maßſtabe.

Leider iſt der Menſch allein dieſen Mäuſen gegenüber geradezu ohnmächtig. Alle Vertilgungs - mittel, welche man bisher erſonnen hat, erſcheinen ungenügend der maſſenhaften Vermehrung jener gefräßigen Scharen gegenüber: nur der Himmel und die den Menſchen ſo befreundeten und gleich -Brehm, Thierleben. II. 11162Die Wühlmäuſe. Die Wurzelmäuſe.wohl von ihm ſo befeindeten Raubthiere vermögen zu helfen. Man wendet mit gutem Erfolg Mäuſebohrer an, mit denen man da, wo es der Boden erlaubt, Löcher von 4 bis 6 Zoll Durchmeſſer etwa 2 Fuß tief in die Erde gräbt, und erzielt damit, daß die hineinfallenden Mäuſe, ohne daran zu denken, ſich Fluchtröhren zu graben, einander auffreſſen und ſich ſo gegenſeitig vernichten. Man läßt beim Umackern der Felder Kinder mit Stöcken hinter dem Pfluge hergehen und ſoviel Mäuſe als möglich erſchlagen; man treibt Rauch in ihre Höhlen, wirft vergiftete Körner hinein, über - gießt ſogar ganze Felder mit einem Abſud von Brechnuß oder Wolfsmilch, kurz, man wendet Alles an, um dieſe greuliche Plage los zu werden; aber gewöhnlich ſind ſämmtliche Mittel ſogut wie ver - geblich. Weit mehr leiſten Thiere in Vertilgung der Mäuſe. Schon wenn man nach der Ernte die Schweineherden auf die Felder treibt, verſpürt man bald einen ſehr guten Erfolg; denn die Schweine nähren ſich dann faſt ausſchließlich von Mäuſen und zerſtören ihnen zu gleicher Zeit ihre Wohnungen. Auch abgerichtete Pintſcherhunde leiſten Unglaubliches. Sie jagen ſie zu ihrem Vergnügen mit wirklich beiſpielloſem Eifer, wühlen ihr Wild aus der Erde, faſſen es im Genick, ſchütteln es zu Tode und werfen es weg, ohne ſich weiter an ihm zu vergreifen. Doch auch ſie ſind noch nicht die eigentlichen Feinde. Dieſe ſind der Jltis, die beiden Wieſelarten, die Haus - katzen, die Eulen und vor allen die Buſſarde. Wenn wir die erſtgenannten Thiere als nützliche Geſchöpfe anſehen müſſen, ſind wir geradezu gezwungen, die Buſſarde als heilige Vögel zu erklären. Was ein Buſſard in Vertilgung der Mäuſe leiſten kann, iſt ſchwer zu glauben. Blaſius fand Mäuſebuſſarde, welche einige dreißig Feldmäuſe im Magen hatten: und ſolche Mahlzeit iſt für die ſchnellverdauenden Räuber nur ein Frühſtück; denn ſchon nach einigen Stunden iſt der toll und voll gefreſſene Buſſard wieder im Stande, ſeine Jagd von neuem zu beginnen. Vernünftige Landwirthe ſchonen deshalb dieſe vortrefflichen Vögel ſoviel als möglich und erleichtern ihnen ihre Jagd auf jede Weiſe. Der reichbegüterte Graf Paleske hat auf allen ſeinen Feldern hohe Stangen aufgerichtet und oben mit einem Querholz verſehen. Ein ſolches Beiſpiel verdient Nachahmung; wir können es gar nicht dringend genug allen vernünftigen Menſchen empfehlen. Solche Stangen ſind herrliche Warten für Raubvögel, und man ſieht ſie auch faſt immer beſetzt. Wer auf das Treiben der Buſſarde achten will, wird bald bemerken, daß dem ſcharfen Falkenauge ſo leicht keine Maus entgeht, und daß die ſicher verloren iſt, welche ſich aus ihrem Loche herauswagt.

Die Liſte der beachtenswerthen Wühlmäuſe iſt jedoch noch nicht geſchloſſen. Zwei von ihnen verlangen noch eine ausführlichere Beſprechung: die Wurzelmäuſe, von denen die eine (Arvicola oeconomus) in Sibirien, die andere (Arvicola subterraneus) in Nord - und Mitteldeutſchland vor - kommt. Die erſtere iſt etwas größer, als unſere Feldmaus, Zoll lang, wovon etwas über einen Zoll auf den Schwanz kommt. Oben iſt ſie hellgelblichgrau, unten grau. Der Schwanz iſt oben braun, unten weiß. Von der Feldmaus unterſcheidet ſie ſich durch den kürzeren Kopf, die kleineren Augen und die kurzen, faſt verſteckten Ohren.

Pallas und Steller haben uns ſehr anziehende Schilderungen von dem Leben dieſes Thieres hinterlaſſen. Die Wurzelmaus findet ſich von dem Obi bis nach Kamtſchatka in allen Ebenen, oft in großer Menge, und wird von den armen Einwohnern jener traurigöden Gegenden geradezu als Wohlthäterin betrachtet. Sie iſt das Gegentheil von der Feldmaus: ſie arbeitet zum Beſten des Menſchen, anſtatt ihm zu ſchaden. Unter dem Raſen macht ſich das Thier lange Gänge, welche zu einem in geringer Tiefe liegenden, großen, runden Neſte von einem Fuß Durchmeſſer führen, das ſeinerſeits mit einigen ſehr geräumigen Vorrathskammern in Verbindung ſteht. Das Neſt ſelbſt iſt mit allerhand Pflanzenſtoffen weich ausgefüttert und dient der Maus zum Lager und zum Wochen - bette; die Vorrathskammern aber füllt ſie mit allerhand Wurzeln an.

Man vermag kaum zu begreifen, ſagt Pallas, wie ein Paar ſo kleiner Thiere eine ſo große Menge Wurzeln aus dem zähen Raſen hervorgraben und zuſammentragen können. Man findet oft 8 bis 10 Pfund in einer Kammer und manchmal deren 3 bis 4 in der Nähe eines Neſtes. Die163Die Wurzelmäuſe.Mäuſe holen ſich ihre Vorräthe oft aus weiten Entfernungen, ſcharren Grübchen in den Raſen, reißen die Wurzeln heraus, reinigen ſie auf der Stelle und ziehen ſie auf ſehr ausgetretenen, förmlich ge - bahnten Wegen rücklings nach dem Neſte. Gewöhnlich nehmen ſie den gemeinen Wieſenknopf, den Knollenknöterich, den betäubenden Kälberkropf und den Sturmhut. Letzterer gilt ihnen, wie die Tunguſen ſagen, als Feſtgericht; ſie berauſchen ſich damit. Alle Wurzeln werden ſorgfältig gereinigt, dann in drei Zoll lange Stücke zerbiſſen und nun aufgehäuft. Nirgends wird das Gewerbe dieſer Thiere dem Menſchen ſo nützlich, als in Dawurien und in anderen Gegenden des öſt - lichen Sibiriens. Die heidniſchen Völker, welche keinen Ackerbau haben, verfahren dort mit ihnen, wie unbillige Edelleute mit ihren Bauern. Sie heben die Schätze im Herbſt, wenn die Vorraths - kammern gefüllt ſind, mit einer Schaufel aus, leſen die betäubenden weißen Wurzeln aus und behalten die ſchwarzen des Wieſenknopfes, welche ſie dann nicht blos als Speiſe, ſondern auch als Thee gebrauchen. Die armſeligen Landſaſſen haben an dieſen Vorräthen, welche ſie den Mäuſen abnehmen, oft den ganzen Winter zu eſſen; was übrig bleibt, wühlen die wilden Schweine aus, und wenn ihnen dabei eine Maus in die Quere kommt, wird dieſe natürlich auch mit verzehrt.

Merkwürdig iſt die große Wanderluſt dieſer Wühlmäuſe. Zum Kummer der Eingebornen machen ſie ſich in manchen Frühjahren auf und ziehen heerweiſe nach Weſten, immer geraden Weges

Die Wurzelmäuſe (Arvicola oeconomus und subterraneus).

fort über die Flüſſe weg und auch über die Berge. Tauſende ertrinken und werden von Fiſchen und Enten verſchlungen, andere Tauſende von Zobeln und Füchſen gefreſſen, welche dieſe Züge begleiten. Nach der Ankunft am andern Ufer eines Fluſſes, den ſie durchſchwammen, liegen ſie oft zu großen Haufen ermattet am Strande, um auszuruhen. Dann ſetzen ſie ihre Reiſe mit friſchen Kräften fort. Ein Zug währt manchmal zwei Stunden in Einem fort. So wandern ſie bis in die Gegend von Penſchina, dann wenden ſie ſich ſüdlich und kommen in der Mitte Juli am Ochota an. Nach Kamtſchatka kommen ſie gewöhnlich im Oktober zurück, und dann haben ſie eine für ihre Größe wahrhaft ungeheure Wanderung vollbracht. Die Kamtſchadalen prophezeihen, wenn die Mäuſe wandern, ein naſſes Jahr und ſehen ſie nur ungern ſcheiden. Bei der Rückkehr begrüßen ſie dieſelben mit Freuden.

Ueber die Fortpflanzung fehlen uns Berichte; doch geht aus dem Vorſtehenden hervor, daß die Vermehrung ebenfalls eine ſehr ſtarke iſt.

Die bei uns vorkommende Wurzelmaus iſt Zoll lang, wovon auf den Schwanz Zoll kommen. Der Pelz iſt oben roſtgrau, unten weißlich; beide Farben ſind ſcharf von einander getrennt,11 *164Die Wühlmäuſe. Der Lemming.auch der Schwanz zeigt dieſe beiden Farben. Selys entdeckte dieſe Maus im Jahre 1831 in Frank - reich auf feuchten Wieſen und in Gemüſegärten in der Nähe der Flüſſe; Blaſius fand ſie auch auf Feldern und Bergwieſen am Niederrhein und in Braunſchweig auf; andere Naturforſcher lernten ſie als Bewohner Sachſens und des Vogtlandes kennen. Sie lebt mehr unterirdiſch, als ihre Gattungs - verwandten, und es ſcheint faſt, daß ihre ſehr kleinen Ohren und Augen auf dieſe Lebensweiſe hin - deuten. Jhre Höhlen ſind weit verzweigter und zahlreicher, als die der anderen Wühlmäuſe, und jedes Pärchen lebt für ſich. Jn den Vorrathskammern fand Dehne im Dezember 18 Unzen Wurzeln, jede Art geſondert und gereinigt. Sie beſtanden in Löwenzahn, Quecke, Hainane - mone, Sauerampher, in dem Knöllchen der gemeinen Butterblume, einigen Zwiebeln, Möhren und der Vogelmilch. Die Niederlagen waren etwa fußtief unter dem Raſen der niedrigen Wieſen des Lößnitzer Grundes angebracht und hatten 6 bis 8 Zoll im Durchmeſſer. Mehrere zick - zackförmige, ganz flach unter dem Raſen fortlaufende Gänge führten zu ihnen und verbanden ſie.

Nur ſelten vermehrt ſich dieſe Maus ſo ſtark wie ihre Verwandten. Jn ihren weich ausge - polſterten Neſtern findet man allerdings 5 bis 6 Mal im Jahr 3 bis 5 Junge, aber von dieſen gehen, weil die Niederungen oft überſchwemmt werden, regelmäßig ſehr viele zu Grunde. Man kann die Jungen mit Runkelrüben, Möhren, Sellerie, Paſtinaken, Kartoffeln, Aepfeln und Kürbiskörnern ſehr leicht großziehen und lange erhalten; bei Brod und Getreidekörnern verhungern ſie aber in wenigen Tagen. Dehne hatte ein Junges ſo gezähmt, daß er es in die Hand nehmen und mit ſich herum - tragen konnte, obgleich er ihm nicht ganz trauen durfte, weil es zuweilen ſcheinbar unwiſſentlich zu beißen verſuchte. Mit anderen Wühlmäuſen verträgt ſich die Wurzelmaus nicht. Sobald man zwei zuſammenſteckt, entſteht ein wüthender Kampf, und die Schwächere muß, wenn ſie nicht baldigſt abge - trennt wird, der Stärkeren regelmäßig unterliegen.

Die Lemminge (Myodes) ſind unter den Wühlmäuſen in Geſtalt und Weſen daſſelbe, was die Hamſter unter den eigentlichen Mäuſen ſind. Man kennt bisjetzt etwa ein halbes Dutzend Arten dieſer merkwürdigen Geſchöpfe, unter denen uns ſelbſtverſtändlich der norwegiſche Lemming (Myodes Lemmus) am nächſten angeht. Er iſt eine mittelgroße Wühlmaus von ſehr gedrungenem Körperbau mit ganz kleinem Stutzſchwänzchen. Seine Geſammtlänge beträgt 6 Zoll; der Schwanz iſt blos ¾ Zoll lang. Die Naſe iſt behaart, die Oberlippe tief geſpalten und mit kurzen Schnurren beſetzt; die Ohren ſind klein rundlich und ganz im Pelze verſteckt; an den fünfzehigen Füßen ſitzen große Scharrkrallen, namentlich an dem Vorderpaare, und dieſe ſind beim Männ - chen gewöhnlich größer, als beim Weibchen. Der reiche und lange Pelz iſt ſehr anſprechend gezeichnet. Von der braungelben, im Nacken gewäſſerten Grundfärbung heben ſich dunkle Flecken ab. Der Schwanz und die Pfoten ſind gelb; von den Augen laufen zwei gelbe Streifen nach dem Hinterkopf; die Unterſeite iſt einfach gelb, faſt ſandfarbig.

Der Lemming iſt unbedingt das räthſelhafteſte Thier ganz Skandinaviens. Noch heute glauben die Bauern der Gebirgsgegenden, daß er von dem Himmel herabgeregnet werde und deshalb in ſo ungeheuerer Menge auftrete, ſpäter aber wegen ſeiner Freßgier ſich den Magen ver - derbe und zu Grunde gehen müſſe. Olaus Magnus, der bekannte Biſchof von Upſala, erwähnt des Thieres zuerſt. Er ſagt, daß er im Jahre 1518 durch einen Wald geritten ſei und dort eine ſo große Anzahl Hermeline geſehen habe, daß ſie den ganzen Wald mit ihrem Geſtank erfüllt hätten. Hieran wären kleine vierfüßige Thiere mit Namen Lemar Schuld ge - weſen, welche zuweilen bei plötzlichem Gewitter und Regen vom Himmel fielen: man wiſſe nicht, ob aus entfernten Jnſeln hergetrieben oder in den Wolken erzeugt. Dieſe Thiere, welche wie die Heuſchrecken in ungeheuren Schwärmen auftreten, zerſtören alles Grüne, und was ſie einmal angebiſſen haben, ſtirbt ab, wie vergiftet. Sie leben, ſolange ſie nicht friſch -165Der norwegiſche Lemming.gewachſenes Gras zu freſſen bekommen. Wenn ſie abziehen wollen, ſammeln ſie ſich, wie die Schwalben; manchmal aber ſterben ſie haufenweiſe und verpeſten die Luft, wovon die Men - ſchen Schwindel oder Gelbſucht bekommen, oder werden von den Hermelinen aufgefreſſen, welche letztere ſich förmlich mit ihnen mäſten.

Andere Berichterſtatter ſchreiben dem Biſchof ſeine Erzählung nach, und Olaus Wornius gibt im Jahre 1633 ein ganzes Buch heraus, in welchem er ſich zu erklären bemüht, daß Thiere in den Wolken entſtehen und herunterfallen können. Er fügt auch hinzu, daß man vergeblich verſucht habe, die Lemminge durch Beſchwörungen zu vertreiben. Erſt Linné ſchildert in den ſchwediſchen Ab - handlungen vom Jahre 1740 die Lemminge der Natur gemäß und ſo ausführlich, daß man ſeiner Beſchreibung nicht viel hinzufügen kann. Jch ſelbſt habe die Thiere im Jahre 1860 namentlich auf dem Dovrefjeld zu meiner Freude in großer Menge angetroffen und mich durch eigene Anſchauungen

Der norwegiſche Lemming (Myodes Lemmus).

über ſie unterrichten können. Wie ich in Norwegen erfuhr, finden ſie ſich auf allen höheren Gebirgen des Landes und auch auf den benachbarten Jnſeln, falls dieſe bergig ſind. Weiter oben im Norden gehen ſie bis in die Tundra herab. Jn den ungeheuren Moräſten zwiſchen dem Altenfjord und dem Tanafluſſe fand ich ihre Loſung auf allen trockenen Stellen in unglaublicher Menge, ſah aber nicht einen einzigen Lemming mehr. Auf dem Dovrefjeld waren ſie im Mai überall ſehr gemein, am häufigſten im höchſten Gürtel zwiſchen 4 und 6000 Fuß über dem Meere, oder von der Grenze der Fichtenwälder an bis zur Grenze des ewigen Schnees hinauf. Einige fand ich aber auch in Gul - brandsdalen nur wenige Hundert Fuß über dem Meere, in den waſſerreichen Gegenden in der Nähe des Laugen. Auf dem Dovrefjeld wohnte einer neben dem andern, und man ſah und hörte oft acht bis zehn zu gleicher Zeit.

166Die Wühlmäuſe. Der Lemming.

Die Thiere ſind ganz allerliebſt. Sie ſehen aus wie kleine Murmelthiere oder wie Hamſter und ähneln namentlich den letzteren vielfach in ihrem Weſen. Jhr Aufenthalt ſind die verhältniß - mäßig trockenen Stellen des Moraſtes, welcher einen ſo großen Theil von Norwegen bedeckt. Sie bewohnen hier kleine Höhlungen unter Steinen oder im Mos; doch trifft man ſie auch oft umher - ſchweifend zwiſchen den kleinen Hügeln an, welche ſich aus dem Sumpfe erheben. Selten bemerkt man ausgetretene Gänge, welche von einer Höhle zu der anderen führen. Größere Gänge ſchürfen ſie ſich nur im Schnee. Sie ſind bei Tag und Nacht munter und in Bewegung. Jhr Gang iſt trippelnd, aber raſch, wenn auch der Menſch ſie leicht einzuholen vermag. Auf der Flucht zeigen ſie ſich über - aus geſchickt, indem ſie jede trockne Stelle, auch in dem ärgſten Sumpf, herauszuſuchen und als Brücke zu benutzen wiſſen. Das Waſſer meiden ſie mit einer gewiſſen Scheu, und wenn man ſie in ein größeres Waſſerbecken oder in ein Flüßchen wirft, quieken und knurren ſie ſehr ärgerlich und ſuchen, ſo ſchnell als möglich das trockene Land wieder zu gewinnen. Gewöhnlich verrathen ſie ſich ſelbſt. Sie ſitzen oft ganz ruhig und wohlverſteckt in ihren Löchern und würden ſicherlich nicht von den Vorübergehenden bemerkt werden; aber die Erſcheinung eines Menſchen erregt ſie viel zu ſehr, als daß ſie ſchweigen könnten. Sie begrüßen deshalb mit lautem Quieken und Grunzen nach Meer - ſchweinchenart den Eindringling in ihr Gehege, gleichſam, als wollten ſie ihm das Betreten ihres Gebietes verwehren. Nur während ſie umherlaufen, nehmen ſie die Flucht, wenn man auf ſie zu - geht. Sie eilen dann nach irgend einem der unzähligen Löcher und ſetzen ſich dort feſt. Dann gehen ſie nicht mehr zurück, ſondern laſſen es darauf ankommen, todtgeſchlagen oder weggenommen zu werden. Mir machten die muthigen Kerlchen unglaublichen Spaß; ich konnte nie unterlaſſen, ſie zum Kampfe herauszufordern. Sobald man in nächſte Nähe ihrer Höhle gelangt, ſpringen ſie aus derſelben hervor, quieken, grunzen, richten ſich auf, beugen den Kopf zurück, ſo daß er feſt auf dem Rücken zu liegen kommt und ſchauen nun mit den kleinen Augen ſo grimmig auf den Gegner, daß man wirklich unſchlüſſig wird, ob man ſie aufnehmen ſoll oder nicht. Wenn ſie einmal geſtellt ſind, denken ſie gar nicht daran, wieder zurückzuweichen. Hält man ihnen den Stiefel vor, ſo beißen ſie in denſelben; ja, ſie beißen ſelbſt in den Stock oder in die Gewehrläufe, wenn ſie auch merken, daß ſie hier Nichts ausrichten können. Manche biſſen ſich ſo feſt in meine Beinkleider ein, daß ich ſie kaum wieder abſchütteln konnte. Bei ſolchen Kämpfen gerathen ſie in große Wuth und ähneln dann ganz den bösartigen Hamſtern. Wenn man ihnen recht raſch auf den Leib kommt, laufen ſie rückwärts mit aufgerichtetem Kopfe, ſolange der Weg glatt iſt, und quieken und grunzen dabei nach Leibeskräften; ſtoßen ſie aber auf ein Hinderniß, ſo halten ſie wieder tapfer und muthig Stand und laſſen ſich lieber fangen, als daß ſie durch einen kleinen Umweg ſich freizumachen ſuchten. Zuweilen ſpringen ſie auch mit kleinen Sätzen auf ihren Gegner los. Sie ſcheinen ſich überhaupt vor keinem Thiere zu fürchten, weil ſie ſo gar tolldreiſt auf jedes Geſchöpf losgehen. Jn den Straßen werden viele überfahren, weil ſie ſich trotzig mitten in den Weg ſtellen und nicht weichen wollen. Die Hunde auf den Höfen beißen eine Menge todt, und die Katzen verzehren wahrſcheinlich ſoviele, daß ſie immer ſatt ſind; wenigſtens könnte ich mir ſonſt nicht erklären, daß die Katzen der Poſtwechſelſtelle Fogstuen auf dem Dovre ganz ruhig neben den Lemmingen vorübergehen, ohne ſich um ſie zu bekümmern. Jm Winter ſchürfen ſie ſich, wie bemerkt, lange Gänge in den Schnee, und in dieſen hinein bauen ſie ſich auch, wie ich bei der Schneeſchmelze bemerkte, große dickwandige Neſter aus zerbiſſenem Graſe. Die Neſter ſtehen etwa acht bis zehn Zoll über dem Boden, und von ihnen aus führen lange Gänge nach mehreren Seiten hin durch den Schnee, von denen die meiſten bald bis auf die Mosdecke ſich herabſenken und dann, wie die Gänge unſerer Wühlmäuſe, halb zwiſchen dem Mos und halb im Schnee weiter geführt werden. Aber die Lemminge laufen auch auf dem Schnee herum oder ſetzen wenigſtens über die großen Schnee - felder in der Höhe des Gebirges.

Jhre Jungen werden nach Verſicherung meines alten Jägers in den Neſtern geworfen, welche ſie bewohnen. Mir ſelbſt glückte es nicht, eines dieſer Neſter aufzufinden, und faſt wollte es mir ſcheinen, als gäbe es zur Zeit meines Aufenthaltes auf dem Dovrefjeld noch gar keine Junge. Linné ſagt,167Der norwegiſche Lemming.daß die Thiere meiſtens 5 bis 6 Junge hätten, und Scheffer fügt hinzu, daß ſie mehrere Male im Jahre werfen. Weiteres iſt über die Fortpflanzung der Thiere nicht bekannt.

Die Hauptnahrung der Lemminge beſteht aus den wenigen Alpenpflanzen, welche in ihrer armen Heimat gedeihen, namentlich aus Gräſern, Renthierflechten, aus dem Kätzchen der Zwergbirke und wahrſcheinlich auch aus allerlei Wurzeln. Die Thiere finden ſich eben ſo hoch, als die Flechten - decke reicht, und nirgends da, wo ſie fehlt. Dies deutet darauf hin, daß dieſe Pflanzen wohl den Haupttheil ihrer Mahlzeiten bilden dürften. Soviel ich erfuhr, tragen ſie ſich im Winter nicht ein, ſondern leben auch dann von Dem, was ſie unter der hohen Schneedecke finden, zumal von den Knospen der bedeckten Geſträuche. Großen Schaden bringen ſie nur ſelten; denn da, wo ſie wohnen, gibt es keine Felder, und in die Häuſer kommen ſie auch nicht herein. Wenn ſie ſich wirklich einmal in den Höfen ſehen laſſen, ſo iſt das wohl nur Zufall; ſie haben ſich bei einer ihrer Luſtwandelungen verirrt. Doch ſagte mir ein Bewohner der Lofoten, daß die Kartoffelfelder in manchen Jahren von den Lemmingen arg gebrandſchatzt würden. Die Thiere wühlen ſich lange Gänge in den Feldern und bauen ſich ihre Höhlen unmittelbar zwiſchen die Wurzelknollen jener Früchte, von denen ſie dann in aller Gemächlichkeit leben. Jhre Heimat iſt übrigens, ſo arm ſie auch ſcheinen mag, reich genug für ihre Anſprüche und bietet ihnen Alles, was ſie bedürfen. Nur in manchen Jahren ſcheint Dies nicht der Fall zu ſein; dann ſehen ſich die Lemminge genöthigt, große Wanderungen anzuſtellen. Jch muß bei Erwähnung dieſer allbekannten Thatſache hinzufügen, daß die Leute auf dem Dovrefjeld nicht das Geringſte von den Wanderungen wußten, und daß die Bewohner Lapplands mir ebenſowenig darüber ſagen konnten. Auch Finnländer, welche ich danach fragte, wußten Nichts, und wäre nicht Linné der Gewährsmann für die bezüglichen Angaben: ich würde ſie gar nicht der Erwähnung werth halten. Aus dem Linné’ſchen Berichte ſcheint übrigens hervorzugehen, daß der große Naturforſcher die Lem - minge auch nicht auf der Wanderſchaft geſehen, ſondern nur das Gehörte wieder erzählt hat. Einige neuere Reiſende haben der wandernden Lemminge Erwähnung gethan und dabei geſagt, daß der Zug der Thiere einem wogenden Meere gliche; aber nirgends finden wir, meines Wiſſens wenigſtens, eine genaue Beſchreibung der Wanderungen ſelbſt. Linné ſagt Folgendes: Das Allermerkwürdigſte bei dieſen Thieren iſt ihre Wanderung; denn zu gewiſſen Zeiten, gewöhnlich binnen zehn und zwanzig Jahren, ziehen ſie in ſolcher Menge fort, daß man darüber erſtaunen muß, bei Tauſenden hinter ein - ander. Sie graben zuletzt förmliche Pfade in den Boden ein, ein Paar Finger tief und einen halben breit. Dieſe Pfade liegen mehrere Ellen von einander entfernt und gehen ſämmtlich ſchnurgerade fort. Unterwegs freſſen die Lemminge das Gras und die Wurzeln ab, welche hervorragen; wie man ſagt, werfen ſie oft unterwegs und tragen ein Junges im Maul und das andere auf dem Rücken fort. Auf unſerer Seite (auf der ſchwediſchen alſo) gehen ſie vom Gebirge herunter nach dem botniſchen Meerbuſen, kommen aber ſelten ſo weit, ſondern werden zerſtreut und gehen unterwegs zu Grunde. Kommt ihnen ein Menſch in den Strich, ſo weichen ſie nicht, ſondern ſuchen ihm zwiſchen den Beinen durchzukommen oder ſetzen ſich auf die Hinterfüße und beißen in den Stock, wenn er ihnen denſelben vorhält. Um einen Heuſchober gehen ſie nicht herum, ſondern graben und freſſen ſich durch; um einen großen Stein laufen ſie im Kreiſe und gehen dann wieder in gerader Linie fort. Sie ſchwimmen über die größten Teiche, und wenn ſie an einen Nachen kommen, ſpringen ſie hinein und werfen ſich auf der anderen Seite wieder in das Waſſer. Vor einem brauſenden Strom ſcheuen ſie ſich nicht, ſondern ſtürzen ſich hinein und wenn auch alle dabei ihr Leben zuſetzen ſollten. Scheffer erwähnt in ſeiner Beſchreibung von Lappland die alte Erzählung des Biſchofs Pontoppidan, nach welcher die Lemminge in ſolchen Haufen vom Gebirge herunterrücken, ſowohl weſtlich als öſtlich gegen das Nordmeer oder den botniſchen Meerbuſen hin, daß die Fiſcher oft von dieſen Thieren umringt und ihre Boote bis zum Unterſinken mit ihnen gefüllt werden. Das Meer ſchwimmt von Erſoffenen und lange Strecken der Küſten ſind von ihnen bedeckt.

Nach allen Nachrichten, welche ich erhielt, iſt es ſicher, daß die Lemminge zuweilen verſuchen, von einer Jnſel zur andern zu ſchwimmen; doch hat man auch dieſe Wanderungen ſehr übertrieben. 168Der Biber.Oft vergehen viele Jahre, ehe ſich einmal Lemminge in großen Haufen zeigen. So waren ſie auf dem Dovrefjeld ſeit funfzehn Jahren nicht ſo häufig geweſen, als im Sommer des Jahres 1860, und dieſes plötzliche Erſcheinen gibt eben dem Aberglauben und der Fabelei ſo vielen Anlaß. Man kann ſich nicht erklären, daß auf einer einſamen Jnſel mit einem Male Tauſende von Thieren erſcheinen und ſich Jedermanns Blicken aufdrängen, welche früher nicht geſehen wurden, vergißt aber dabei die ein - zelnen wenigen, welche ſicherlich jahraus, jahrein auf der Jnſel ihr Weſen treiben und unter günſtigen Umſtänden ſich, Dank ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit, in das Unglaubliche vermehren können.

Ein Glück iſt es immerhin, daß die Lemminge ſo viele Feinde haben; denn ſonſt würden ſie bei ihrer ungeheuren Häufigkeit das ganze Land überſchwemmen und alles Genießbare auffreſſen. Jeden - falls iſt das Klima ſelbſt der beſte Vertilger der Thiere. Ein naſſer Sommer, ein kalter, frühzeitiger, ſchneeloſer Herbſt tödtet ſie millionenweiſe, und dann bedarf es natürlich längerer Jahre, bis die Ver - mehrung jenes peſtartige Hinſterben wieder einigermaßen ausgleicht. Außerdem aber verfolgt die Lemminge eine Unzahl von lebenden Feinden. Man darf wohl ſagen, daß ſich alle Raubthiere ganz Skandinaviens von ihnen mäſten, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Bären und des Jgels. Wölfe und Füchſe folgen ihnen meilenweit und freſſen, wenn es Lemminge gibt, nichts Anderes. Der Vielfraß ſtellt, wie ich ſelbſt beobachtete, unſeren Thieren eifrig nach; die Marder, Jltiſſe und Hermeline freſſen zur Lemmingszeit nur ſie, die Hunde der Lappen ſehen in einem Lemmingsjahre Feſttage, wie ſie ihnen, den ewig Hungrigen, nur ſelten wieder kommen. Die Eulen folgen den Zügen; die Schneeeule findet ſich faſt ausſchließlich an Orten, wo es Lemminge gibt; die Buſſarde, namentlich der Rauchfußbuſſard, ſind ohne Unterlaß bemüht, die armen Schelme zu vertilgen; die Raben füttern mit ihnen ihre Jungen groß, und Krähen und Elſtern ſuchen die biſſigen Geſchöpfe, ſo gut es gehen will, auch zu vernichten; ſelbſt die Renthiere ſollen, wie vielfach behauptet wird, zuweilen Lemminge freſſen oder ſie wenigſtens, wahrſcheinlich erzürnt durch die Kampfluſt der kleinen Kerle, mit den Vorderhufen todtſchlagen.

Höchſt ſpaßhaft ſieht es aus, wenn eine Krähe ſich an ein Lemmingsmännchen wagt, welches ſich nicht ſo gutwillig ſeiner Feindin überliefern will. Jch hatte das Glück, einen ſolchen Zweikampf mit anzuſehen. Eine Nebelkrähe, welche lange ernſthaft auf einem Felsblock geſeſſen, ſtieß plötzlich auf das Mos herab und verſuchte dort Etwas aufzunehmen; doch war die Sache nicht ſo leicht, denn dieſes Etwas, ein Lemming, wehrte ſich nach beſten Kräften, fauchte, knurrte, grunzte, quiekte, warf ſich in Kampfſtellung, machte Sätze gegen den Vogel und bedrohte dieſen ſo ernſthaft, daß er mehr - mals zurückſprang, gleichſam als ob er ſich fürchte. Aber der muthige Rabe gab ſeine Jagd nicht auf, ſondern ging immer und immer wieder auf den Lemming los, bis dieſer ſchließlich ermattet es verſah, und nun einen wohlgezielten Schnabelhieb empfing, welcher ihm das junge Leben raubte.

Der Menſch wird nur, wenn er ſelbſt in größter Noth ſich befindet, zum Feinde der Lemminge. Jn allen glücklicheren Gegenden Skandinaviens läßt er die Thiere ſchalten und walten, wie ſie wollen. Er weiß ſie auch nicht zu benutzen. Das Fell iſt nicht viel werth, und vor dem Fleiſch hat der Nor - mann, wie leicht begreiflich, ungefähr denſelben Abſcheu, welchen wir vor dem Rattenfleiſche haben. Die armen Lappen aber, gegen deren Leben das mancher Hunde noch beneidenswerth erſcheinen muß, werden oft von dem Hunger getrieben, die Lemminge zu verfolgen. Wenn ihnen alles Wildpret mangelt und die von ihnen ſo ſicher gehandhabte Büchſe Nichts mehr bringen will, müſſen ſie zum Hirtenſtock greifen und Lemminge erſchlagen und braten, um ihr Leben zu friſten. So dient auch dieſe Wühlmaus zuweilen dem Menſchen.

Unter allen Nagern ſteht der Biber (Castor Fiber) wegen ſeiner Eigenthümlichkeiten einzig da. Er ſelbſt iſt nicht allein der Vertreter einer beſonderen Sippe, ſondern er bildet eine eigne Familie. Man hat oft verſucht, die Ondatra oder den Sumpfbiber, welchen wir ſpäter kennen lernen werden,169Der Biber.mit ihm zu vereinigen, beide Thiere aber ihrer größeren Verwandtſchaft zu den Wühl - und bezüglich Schrotmäuſen oder Trugratten halber immer wieder von dem Biber trennen müſſen. So iſt er unter den Nagern eine ganz vereinzelte und deshalb höchſt merkwürdige Erſcheinung. Einige Forſcher glauben, daß der amerikaniſche Biber von dem europäiſchen getrennt werden müſſe und haben erſteren deshalb Castor americanus genannt; doch iſt die Verſchiedenheit beider Thiere ſehr gering, und deshalb glauben andere, alle Biber, gleichviel ob ſie in Amerika, Aſien oder Europa wohnen, ein und der - ſelben Art zuzählen zu müſſen. Zwei vorweltliche Arten gingen dieſer jetzt lebenden voraus. Die eine erreichte kaum die halbe Größe unſeres Bibers, die andere näherte ſich ihm darin, unterſchied ſich aber hauptſächlich durch den Zahnbau hinreichend von ihrem übrig gebliebenen Sippſchafts - verwandten.

Unſer Biber iſt ſchon ſeit den älteſten Zeiten bekannt. Aelian nennt ihn Caſtor , Plinius Fiber ; beide Benennungen vereinigt Linné zu dem jetzt giltigen, wiſſenſchaftlichen Namen des Thieres. Von den alten Schriftſtellern erfahren wir nicht viel. Ariſtoteles ſagt blos,

Der Biber (Castor Fiber).

daß er unter die vierfüßigen Thiere gehöre, welche an Seen und Flüſſen ihre Nahrung ſuchten, wie der Fiſchotter. Plinius ſpricht von den Wirkungen des Bibergeils. Auch ſagt er, daß der Biber ſtark beiße, die von ihm gefaßten Menſchen nicht loslaſſe, bis er ihre Knochen zerbrochen hätte, daß er Bäume fälle wie mit der Art und einen Schwanz habe, wie die Fiſche, übrigens dem Fiſchotter gleiche. Nun kommt die berühmte Beſchreibung des Olaus Magnus, Biſchofs von Upſala, welcher unge - fähr im Jahre 1520 ſein merkwürdiges Werk herausgab. Hier finden ſich bereits die verſchieden - artigſten Jrrthümer und Fabeln über unſer Thier. Der gelehrte Prieſter berichtet uns, daß der Biber, obgleich Solinis nur die Waſſer im ſchwarzen Meere für den Wohn - und Fortpflanzungsort des Thieres halte, in Menge am Rhein, an der Donau, in den Sümpfen in Mähren und, Dank der mütterlichen Vorſehung, noch mehr im Norden vorkomme, weil hier an den Flüſſen nicht ſoviel Geräuſch durch die beſtändige Schifffahrt wäre, wie am Rhein und an der Donau. Jm Norden ver - fertige er mit wunderbarer Kunſt, blos von der Natur unterrichtet, auf unzähligen Flüſſen aus Bäumen ſeine Häuſer. Die Biber gingen geſellig zum Fällen der Stämme, hieben ſie mit ihren Zähnen ab und trügen ſie auf eine wunderbare Art zu ihren Lagern. Ein alter, träger Biber,170Der Biber.welcher ſich immer von der Geſellſchaft entfernt halte, müſſe herhalten. Jhn würfen ſie rücklings auf den Boden, legten ihn zwiſchen die Vorder - und Hinterfüße wie auf einen Wagen das Holz, zögen ihn zu ihren Hütten, lüden es ab und ſchleppten dieſen lebendigen Schlitten ſolange hin und her, bis ihr Häuslein fertig wäre. Die Zähne der Thiere ſeien ſo ſcharf, daß ſie die Bäume wie mit einem Schermeſſer abſchneiden könnten, und wehe dem Menſchen, der von ihm erfaßt würde; der Biber ließe nicht eher los, als bis die Knochen des zerbiſſenen Theils entzwei ſeien. Das Haus beſtünde aus zwei bis drei Kammern über einander und wäre ſo eingerichtet, daß der Leib aus dem Waſſer hervor - rage, der Schwanz aber darauf ruhe. Letzterer ſei ſchuppig wie der der Fiſche, habe lederartiges Fell und gäbe ein ſchmackhaftes Eſſen und ein Arzneimittel für Diejenigen, deren Darmſchlauch ſchwach ſei. Er werde auch nebſt den Hinterfüßen anſtatt der Fiſche gegeſſen. Unwahr ſei die Behauptung der Solinis, daß ſich der Biber, wenn er verfolgt werde, ſelbſt ſeinen Beutel mit dem Geile abbeiße und den Jägern hinwerfe, um ſich zu retten; denn alle Gefangenen hätten dieſen Beutel noch und er könne ihnen nur mit Verluſt ihres Lebens genommen werden. Der Geil ſei das vortrefflichſte Gegengift in der Peſt, bei Fieber und helfe für alle möglichen Krankheiten, aber auch außerdem ſei der Biber noch ſehr nützlich. Nach der größeren oder geringeren Höhe der Hütten erlaube er, auf den ſpäteren Stand des Waſſers zu ſchließen, und die Bauern könnten, wenn ſie den Biber beobachteten, ihre Felder bis an den Rand des Fluſſes beſtellen oder müßten ſie dort liegen laſſen, weil ſie ſicher überſchwemmt werden würden, wenn der Biber beſonders hohe Häuſer gebaut habe. Die Felle ſeien ſo weich und zart wie Dunen und ſchützten wunderbar gegen die rauhe Kälte; ſie ſeien auch eine koſt - bare Kleidung der Großen und Reichen.

Die übrigen Schriftſteller der ſpäteren Zeit glauben dieſe Märchen alle und vermehren ſie mit Zuſätzen. Marius, ein Arzt in Ulm und Augsburg, ſchrieb im Jahre 1640 ein eigenes Büchlein über die arzneiliche Benutzung des Bibers, welches faſt ganz aus Recepten beſteht. Johann Frank vermehrte es 1685 noch bedeutend. Haut und Fett, Blut und Haare, die Zähne und hauptſächlich der Bibergeil ſind vortreffliche Heilmittel; namentlich das letztere iſt ausgezeichnet. Aus den Haaren macht man Hüte, welche gegen Krankheit ſchützen; die Zähne hängt man den Kindern um den Hals, weil ſie das Zahnen erleichtern; das Blut wird auf manchfaltige Art verwendet. Dieſe alten Schriften haben das Gute, daß ſie uns über das frühere Vorkommen der Biber Aufſchluß geben. Wir erſehen daraus, daß ſich kaum ein anderes Thier ſo raſch vermindert hat, als dieſer geſchätzte Nager.

Noch heutigen Tages iſt der Wohnkreis des Bibers ein ſehr ausgedehnter; denn er reicht durch drei Erdtheile hindurch und erſtreckt ſich über alle zwiſchen dem 33. und 68. u. Br. liegenden Grade. Jn früheren Zeiten muß aber die Heimal eine weit ausgedehntere geweſen ſein. Man hat geglaubt, ihn in der egyptiſchen Bilderſchrift wiederzufinden und hieraus würde hervorgehen, daß er in Afrika vorgekommen iſt. Die Religion der indiſchen Magier verbot, den Biber zu tödten, folglich muß er auch dort gewohnt haben. Geßner ſagt, nach der Forer’ſchen Ueberſetzung (1583): Wiewol in allen Landen diß ein gemein thier, ſo ſind ſy doch zum liebſten, wo groſſe waſſerflüſß rünnen; die Ar, Reiiß, Lemmat im Schweyzerland, auch die Byrß umb Baſel hat dern vil, Hiſpanien, vaſt bey allen waßeren, wie Strabo ſagt, in Jtalien, da der Paw ins meer laufft. Jn Frankreich und Deutſchland kam er faſt überall vor. Jn England wurde er zuerſt ausgerottet. Gegenwärtig findet man ihn in Deutſchland nur ſehr einzeln, hauptſächlich an der Donau, der Nab, der Moſel, der Maas, der Lippe, Weſer, Aller, Riß, dem Bober und anderen Flüſſen; doch geht er überall ſeinem Untergange entgegen. An der Elbe und Havel lebte er noch vor dem Jahre 1848, geſchützt von den Jagdgeſetzen, in ziemlicher Anzahl; ſeitdem aber jeder Bauer dem edlen Thiere auf den Pelz brennen darf, nimmt er außerordentlich raſch ab. Doch haben ſich neuerdings wieder einige bei Wörlitz an - geſiedelt und leben hier ungeſtört unter beſonderem Schutze des Herzogs von Anhalt. Jn Europa überhaupt trifft man ihn noch am häufigſten in Oeſterreich, Polen, Rußland, Schweden und Nor - wegen. Bei Arendal hatte er vor drei Jahren Baue errichtet, freilich unter dem Schutze eines reichen Guts - und Grubenbeſitzers, des Herrn Aal, welcher ihn nach Möglichkeit hegte. Die Wildwaſſer171Der Biber.hatten jedoch den Bau bald wieder zerſtört und die Biber vereinzelt; doch hofft ihr Schutzherr, daß ſie ſich wieder ſammeln würden.

Weit häufiger als in Europa findet ſich unſer Nager in Aſien. Die großen Ströme Sibiriens beherbergen ihn noch in Menge, und auch in den größeren und kleineren Flüſſen, welche in das kas - piſche Meer ſich ergießen, iſt er noch ziemlich häufig. Jn Amerika war er gemein, iſt aber durch die unabläſſige Verfolgung auch ſchon ſehr zuſammen geſchmolzen. La Hontan, welcher vor etwa 180 Jahren Amerika bereiſte, erzählt, daß man in den Wäldern von Canada nicht 4 bis 5 Stunden gehen könne, ohne auf einen Biberteich zu ſtoßen. Die eigentlichen Jagdplätze ſind viele Teiche, z. B. am Fluſſe der Puants, weſtlich von dem See Jllinois, liegen in einer Strecke von 20 Stunden mehr als 60 Biberteiche, wo die Jäger den ganzen Winter zu thun haben. Da nun ſchon ſeit mehreren hundert Jahren aus Canada allein jährlich über 4000 Biberfelle ausgeführt worden ſind, hat die Anzahl der Thiere, wie leicht erklärlich, ungemein abgenommen. Audubon gibt (1849) blos noch Labrador, Neufundland, Kanada und einzelne Gegenden der Staaten Maine und Maſſachuſſets als Heimatsländer des Thieres an, fügt jedoch hinzu, daß er in verſchiedenen wenig bebauten Gegenden der vereinigten Staaten einzeln noch gefunden werde. So muß man ſchon gegenwärtig Tau - ſende von Meilen durchreiſen, ehe man das eigentliche Leben und Treiben des Bibers kennen lernen kann.

Der Biber iſt einer der größten Nager. Bei erwachſenen Männchen beträgt die Leibeslänge bis 3 Fuß, die Länge des Schwanzes 1 Fuß, die Höhe am Widerriſt 11 Zoll, das Gewicht 40 bis 50 Pfund. Zwiſchen dem Biber, welcher Amerika, und dem, welcher die alte Welt be - wohnt, beſteht der einzige Unterſchied darin, daß jener eine gewölbtere Geſichtslinie und einen dunk - leren Pelz hat, als dieſer. Der Leib iſt plump und ſtark, hinten bedeutend dicker als vorn. Der Rücken iſt gewölbt, der Bauch hängend, der Hals kurz und dick, der Kopf hinten breit, nach vorn ver - ſchmälert, plattſcheitelig, kurz - und ſtumpfſchnäuzig; die Beine ſind kurz und ſehr kräftig, die hinteren etwas länger als die vorderen, die Füße fünfzehig und die hinteren bis an die Krallen durch eine breite Schwimmhaut mit einander verbunden. Der Schwanz, welcher ſich nicht deutlich vom Rumpfe ſcheidet, iſt an der Wurzel rund, in der Mitte oben und unten platt gedrückt, bis fünf Zoll breit, an der Spitze ſtumpf abgerundet, an den Rändern faſt ſchneidig, von oben geſehen eirund geſtaltet. Die länglich runden Ohren ſind klein und kurz, faſt unter dem Pelz verſteckt, innen und außen behaart und können ſo an den Kopf angelegt werden, daß ſie den Gehörgang faſt vollſtändig ver - ſchließen. Die Augen ſind klein und durch eine Nickhaut ausgezeichnet. Jhr Stern ſteht ſenkrecht. Die Naſenlöcher ſind mit wulſtigen Flügeln verſehen und können ebenfalls geſchloſſen werden. Die Mundſpalte iſt klein, die Oberlippe breit, in der Mitte gefurcht und nach abwärts geſpalten. Mit Ausnahme der Sohlen und Schwimmhäute, ſowie der letzten Zweidrittel des Schwanzes iſt der Biber überall behaart, und zwar beſteht das Fell aus einem außerordentlichen, dichten, flockigen, ſeiden - artigen Wollhaar und dünnerſtehenden, langen, ſtarken, ſteifen und glänzenden Grannen, welche am Kopf und Unterrücken kurz, an dem übrigen Körper aber 2 Zoll lang ſind. Auf den Oberlippen ſitzen einige Reihen dicker und ſteifer, nicht eben langer Borſten. Die Färbung der Oberſeite iſt ein dunkles Kaſtanienbraun, welches mehr oder weniger ins Grauliche zieht. Die Unterſeite iſt heller, das Wollhaar an der Wurzel ſilbergrau, gegen die Spitze gelblichbraun. Die Füße ſind dunkler gefärbt als der Körper, der Schwanz iſt an der Wurzel im erſten Drittel ſehr lang behaart, im übrigen aber nackt und mit kleinen, länglichen, runden, faſt ſechseckigen, platten Hautgruben bedeckt, zwiſchen denen einzelne kurze, ſteife, nach rückwärts gerichtete Haare hervortreten. Die Färbung dieſer nackten Theile iſt ein blaſſes, ſchwärzliches Grau mit bläulichem Anfluge. Hinſichtlich der allgemeinen Färbung des Felles kommen Abweichungen vor, indem ſie bald mehr in das Schwarze, bald mehr in das Graue, zuweilen auch in das Röthlichweiße zieht. Sehr ſelten findet man auch weiße und gefleckte Biber.

Der innere Leibesbau zeigt manche Eigenthümlichkeit. Die ſafrangelben Nagezähne ſind ſehr groß und ſtark, vorn flach, glatt, im Querſchnitt faſt dreiſchneidig, an der Seite meiſelförmig. Sie172Der Biber.ragen weit aus dem Kiefer hervor. Vier Backzähne von faſt gleicher Größe in jeder Reihe bilden das übrige Gebiß. Zehn Wirbel umſchließen die Bruſt, 9 bilden den Lendentheil, 4 das Kreuz und 24 den Schwanz. Alle Knochen ſind kräftig und breit und dienen ſehr ſtarken Muskeln zum Anſatz. Die Speicheldrüſen ſind auffallend entwickelt, namentlich die Ohrſpeicheldrüſe, und auch der lange, eingeſchnürte Magen iſt ſehr drüſenreich. Die Harn - und Geſchlechtstheile münden in den Maſtdarm. Bei beiden Geſchlechtern finden ſich im Untertheile der Bauchhöhle, nahe am After und den Geſchlechts - theilen, zwei eigenthümliche, gewöhnlich von einander getrennte Abſonderungsdrüſen, welche in die Ge - ſchlechtstheile münden und als Caſtorſäcke bekannt ſind. Die inneren Wandungen dieſer Drüſen ſind mit einer Schleimhaut überzogen, welche in ſchuppenähnliche Säckchen und Falten getheilt iſt. Hier ſondert ſich das ſogenannte Bibergeil oder Gail (Caſtoreum) ab, eine dunkle rothbraune, gelbbraune oder ſchwarzbraune, ziemlich weiche, ſalbenartige Maſſe von eigenthümlich durchdringendem ſtarken, nur wenig Leuten angenehmen Geruch und lange anthaltendem, bitterlichen, balſamiſchen Geſchmack, welcher in früheren Zeiten als krampfſtillendes und beruhigendes Mittel vielfach angewandt wurde, gegenwärtig aber wegen ſeiner ſehr wechſelnden Stärke und weil die Händler ihn vielfach verfälſchen, mehr und mehr in Vergeſſenheit kommt. Auf die übrigen Merkmale brauchen wir hier nicht weiter einzugehen.

Verſucht man die Naturgeſchichte des Bibers von allen Fabeln und Märchen zu entkleiden, welche noch bis in die neuere Zeit ihr beigefügt wurden, ſo ergibt ſich ungefähr Folgendes:

Der Biber lebt an den genannten Orten gegenwärtig meiſt paarweiſe und nur in den ſtillſten Gegenden zu größeren oder kleineren Familien vereinigt. Jn allen bevölkerten Ländern findet man ihn jetzt nur ſehr einzeln, und dann lebt er, wie der Fiſchotter, in einfach unterirdiſchen Röhren, ohne daran zu denken, ſich Burgen zu bauen. Solche fand man aber noch im Sommer 1822 an der Nuthe, unweit der Stadt Barby, in einer einſamen, mit Weiden bewachſenen Gegend, welche von einem nur 6 bis 8 Schritte breiten Flüßchen durchſtrömt wird und ſchon ſeit den älteſten Zeiten den Namen Biberlache führt. Der Forſtmeiſter von Meyerinck, welcher viele Jahre dort die Biberanſiedelungen beobachtete, ſagt Folgendes darüber: Es wohnen jetzt (alſo im Jahre 1822) dort noch mehrere Biberpaare in Gruben, welche, einem Dachsbau ähnlich, 30 bis 40 Schritt lang und mit dem Waſſerſpiegel gleichhochlaufend ſind und auf dem Lande Ausführungsgänge haben. Jn der Nähe der Gruben errichten die Biber ſogenannte Burgen. Sie ſind 8 bis 10 Fuß hohe, von ſtarken Knüppeln kunſtlos zuſammengetragene Haufen, welche ſie an den benachbarten Bäumen ab - beißen und ſchälen, weil ſie ſich davon äßen. Jm Herbſt befahren die Biber die Haufen mit Schlamm und Erde vom Ufer des Fluſſes, indem ſie dieſe mit der Bruſt und den Vorderfüßen nach dem Baue ſchieben. Die Haufen haben das Anſehen eines Backofens und dienen den Bibern nicht zur Wohnung, ſondern nur zum Zufluchtsorte, wenn hoher Waſſerſtand ſie aus den Gruben treibt. Jm Sommer des genannten Jahres, wo die Anſiedlung aus 15 bis 20 Jungen und Alten beſtand, bemerkte man, daß ſie Dämme warfen. Die Nuthe war zu dieſer Zeit ſo ſeicht, daß die Ausgänge der Röhren am Ufer überall ſichtbar wurden und unterhalb derſelben nur noch einige Zoll tief Waſſer ſtand. Die Biber hatten eine Stelle geſucht, wo in der Mitte des Fluſſes ein kleiner Heger war, von welchem ſie zu beiden Seiten ſtarke Reiſer ins Waſſer warfen und die Zwiſchenräume mit Schlamm und Schilf ſo ausfüllten, daß dadurch der Waſſerſpiegel oberhalb des Dammes um einen Fuß höher ſtand als unterhalb deſſelben. Der Damm wurde mehrere Mal weggeriſſen, in der Regel aber die folgende Nacht wieder hergeſtellt. Wenn das Hochwaſſer der Elbe in die Nuthe hinauf drang und die Wohnungen der Biber überſtieg, waren ſie auch am Tage zu ſehen. Sie lagen als - dann meiſt auf der Burg oder auf den nahe ſtehenden Kopfweiden.

Zu dieſen wahrheitstreuen Angaben kommen die Beobachtungen des Arztes Sarrazin, welcher mehr als zwanzig Jahre in Canada gelebt hat, die Hearne’s, welcher drei Jahre an der Hudſonsbai zubrachte, die Cartwright’s, welcher zehn bis zwölf Jahre in Labrador ſich aufhielt, die Audubon’s, welcher übrigens nur einem Jäger nacherzählt, und endlich die Mittheilungen des Prinzen von Wied,173Der Biber.um uns ein vollſtändiges Bild der Biberbaue zu geben. Aus den Angaben genannter Beobachter ent - nehme ich Folgendes: Die Biber wählen zu ihren Wohnungen einen Bach, deſſen Ufer ihnen zum Bau ihrer Burgen geeignet ſcheinen, und einen Platz, an welchem es viel Lebensmittel in der Nähe gibt. Zuerſt bauen ſie einen Damm, um das Waſſer ſo hoch zu ſtauen, daß es bis zum Boden ihrer Hütten reicht. Ein ſolcher Damm iſt unten 10 bis 12 Schuh dick und verjüngt ſich nach oben bis zu 2 Fuß Dicke. Das Holz dazu wählen ſie gewöhnlich armes - und ſchenkeldick, zwei, vier bis ſechs Fuß lang, ſenken ein Ende tief in den Boden, alle dicht neben einander, ſchieben dann kleinere und biegſamere Stücke dazwiſchen und füllen die leeren Räume mit Lehm aus. Sie arbeiten in demſelben Maße fort wie das Waſſer wächſt und hören erſt auf, wenn es die Höhe ihres Hausbodens erreicht hat. Die Seite des Dammes gegen das Waſſer hin iſt abfällig, die andere ſteil. Der Damm iſt ſo feſt, daß man ſicher darauf gehen kann, und die Biber füllen ſogleich jedes entſtehende Loch mit Lehm aus. Jmmer wird das Waſſer ſo hoch geſtaut, daß es mindeſtens 4 Fuß über den Eingängen ihrer Röhren ſteht, damit die Eisdecke im Winter nicht ſo tief hinabreichen kann, um jene Ausgänge zu verſchließen. Wenn das Waſſer nur wenig Strömung hat, iſt der Damm faſt gerade; ſonſt bekommt er einen Bogen gegen den Strom hin.

Oberhalb dieſes Dammes, am liebſten auf der Südſeite der Jnſeln, oft aber auch mitten im Strom, auf einer roſtartigen Unterlage bauen ſich die Biber nun ihre ſogenannten Burgen. Sie graben ſchief vom Ufer aus nach oben ihren Gang und ſchichten auf der Höhe des Ufers einen 4 bis 7 Schuh hohen, 10 bis 12 Fuß im Durchmeſſer haltenden, backofenartigen Hügel mit ſehr dicken Wän - den auf. Dieſe beſtehen aus abgeſchälten Holzſtückchen, welche wirr durch einander geworfen und vermittelſt dazwiſchengebrachten Sand und Schlamm feſtgehalten werden. Eine ſolche Wohnung hat eine Kammer, gewölbt wie ein Backofen, am Boden mit kleinen Spänen beſtreut. Neben dem Mundloch liegt noch eine Vorrathskammer, in welcher Nahrungsvorräthe aufgeſpeichert werden, Wurzeln von der Seeroſe und Aeſte, von denen man oft einen ganzen Karren voll findet. Die Biber arbeiten unaufhörlich an der Wohnung und ſammeln Vorräthe, bis ſie das Eis hindert. Steigt das Waſſer einmal zu hoch und dringt es ins Jnnere ihrer Burg, ſo machen ſie durch die Kuppel ein Loch und entfliehen. Manchmal bleiben die Thiere 3 bis 4 Jahre in demſelben Bau; manchmal bauen ſie ſich neue oder beſſern einen alten aus; auch kommt es vor, daß ſie eine neue Burg neben die alte ſetzen und mit ihr in Verbindung bringen. Die früheren Naturforſcher wollten beobachtet haben, daß der Biber ſeinen Schwanz hauptſächlich als Arbeitswerkzeug beim Bau ſeiner Wohnung benutze und damit wie mit einer Kelle die Wandungen glätte; Cartwright, wohl der treuſte und ſicherſte Beobachter aber, glaubt Dies nicht, ſondern meint, daß der Biber die Wände mit den Füßen ebene.

Unter allen Umſtänden bauen nur Geſellſchaften von Bibern größere Dämme und Burgen; die einzelnen leben immer in einfachen Bauen, wie der Fiſchotter. Deshalb kann man allerdings von ſtaatlichen Verhältniſſen bei dieſen Thieren reden, und ſo roh und ungeſchickt auch ihre Dämme und Burgen erſcheinen müſſen, ſo groß iſt doch für Säugethiere die Kunſtfertigkeit, mit welcher ſie ange - legt wurden. Der Biber fällt ſich ſeinen Bauſtoff mit ſeinem Gebiß. Zweige von der Dicke eines Zolls beißt er ohne weiteres ab, Stämme bringt er zu Fall, indem er den Stamm ringsum und dann beſonders auf der einen Seite nach dem Fluſſe zu benagt, bis er dahin ſich neigt und in das Waſſer ſtürzt. Die Spur ſeiner Arbeiten beſteht in unzähligen, ſchuppenförmigen Einſchnitten, welche ſo glatt und ſcharf ausgemeiſelt erſcheinen, als ob ſie mit einem ſtählernen Werkzeug gemacht worden wären. Es kommt vor, daß der Biber ſelbſt Stämme von mehr als fußdickem Durchmeſſer abhaut und zum Falle bringt. Unſere Forſtleute, ſagt Prinz Max von Wied, würden mit den Zerſtörungen, welche die Biber in den Wäldern anrichten, ſchwerlich zufrieden ſein. Wir haben Pappeln von Fuß Durchmeſſer geſehen, welche ſie abgenagt hatten. Kreuz und quer lagen die Stämme durch einander. Die Bäume werden von der Geſellſchaft zuerſt ihrer Aeſte beraubt, dann in beliebig große Stücke zerſchnitten und dieſe als Pfähle verwandt, während die Aeſte und Zweige174Der Biber.mehr zum Bau der Wandungen einer Burg benutzt werden. Die Rinde der Zweige frißt die Geſell - ſchaft gleich ab oder ſpeichert ſie auf den Winter auf. Dietrich aus dem Winkell hat das Glück gehabt, einmal einen Biber mit ſeinen Jungen unweit Deſſau zu beobachten. Jn der Dämme - rung, ſagt er, kam die Familie raſch im Waſſer herangezogen und ſchwamm bis zum An - ſtieg. Hier trat die Mutter zuerſt allein an das Land und ging, nachdem ſie, den Schwanz noch im Waſſer hängend, einen Augenblick geſichert hatte, in das Weidicht. Eilig in ihrer Art, folgten ihr die drei Jungen, welche ungefähr die Größe einer halbwüchſigen Katze haben mochten. Kaum waren auch ſie im Holze, als das durch ſchnelles Schneiden veranlaßte, ſchnarrende Getöſe hörbar wurde, und nach Verlauf einiger Minuten fiel die Stange. Noch eiliger und vollſtändiger wurde nun der erwähnte Laut, weil die ganze Familie in Thätigkeit war, um die Zweige abzuſondern, vielleicht auch, um gleich auf der Stelle Schale davon zu äßen. Nach einiger Zeit kam die Alte, das Ende einer Wei - denſtange mit der Schnauze erfaßt, jedoch auf allen vier Läufen gehend, zum Vorſchein. Gleichmäßig waren ſämmtliche Junge hinter ihr zu beiden Seiten des Stabes vertheilt und emſig beſchäftigt, ihn an und in das Waſſer zu ſchaffen. Nach einer kurzen Ruhe wurde er dann von der ganzen Geſell - ſchaft wieder mit der Schnauze gefaßt und höchſt eilig und ohne auszuruhen, ſchwammen ſie mit ihrer Beute denſelben Weg zurück, auf welchem ſie gekommen waren. Auch Meyerinck gibt an, daß mehrere Biber einen dickeren Stamm mit den Zähnen in das Waſſer ziehen, fügt aber hinzu, daß ſie denſelben vorher gewöhnlich in 3 bis 6 Fuß lange Stücken ſchneiden.

Am liebſten wählen die Thiere Weiden, Pappeln, Erlen, Eſchen und Birken zu ihrer Nahrung und bezüglich zu ihren Bauen; ſeltener nehmen ſie auch Rüſtern und Eichen, deren Härte ihnen mehr Arbeit macht.

Der Biber iſt, wie die meiſten Nager, mehr während der Nacht als bei Tage thätig. Nur in ganz abgelegenen Gegenden, wo ſie lange Zeit keinen Menſchen zu ſehen bekommen, treiben ſie ſich auch während des Tages umher. Kurz nach Sonnenuntergang, ſagt Meyerinck, verlaſſen ſie die Gruben, pfeifen laut und fallen mit Geräuſch ins Waſſer. Sie ſchwimmen eine Zeit lang in der Nähe der Burg, gegen den Strom ſo ſchnell, als abwärts, und, je nachdem ſie ſich ſicher glauben, kom - men ſie entweder mit Naſe und Stirn oder mit Kopf und Rücken über das Waſſer empor. Haben ſie ſich geſichert, ſo ſteigen ſie ans Land und gehen funfzig Schritt und noch weiter vom Fluſſe ab, um Bäume zur Aeßung oder zu ihren Bauten abzuſchneiden. Sie entfernen ſich von der Burg ſchwimmend bis eine halbe Meile, kehren aber immer in derſelben Nacht zurück. Auch im Winter gehen ſie des Nachts ihrer Nahrung nach, verlaſſen jedoch zuweilen 8 bis 14 Tage die Wohnung nicht und äßen ſich mit der Rinde der Weidenknüppel, welche im Herbſt in die Gruben getragen und mit denen die Ausgänge nach der Landſeite zu verſtopft werden.

Das Eis zernagen ſie ſich, wie Prinz Max von Wied angibt, nach Bedürfniß; und da, wo das Waſſer bis auf den Grund gefriert, graben ſie ſich Röhren im Schlamme unter dem Eiſe.

Der Biber iſt durchaus nicht ſo plump und unbeholfen als er ausſieht. Jm Waſſer ſind ſeine Bewegungen ſehr geſchickt, raſch und ſicher. Er ſchwimmt mit den Hinterbeinen und ſteuert mit dem Schwanze; die Vorderglieder gebraucht er faſt nie zum Rudern, ſondern legt ſie vorgeſtreckt unter das Kinn. Auf dem Lande läuft er einen unbeholfenen Trab. Sein Gang und ſeine Bewegungen erinnern lebhaft an die des Hamſters. Zum Sichern richtet er ſich auf den Hinterfüßen hoch empor und beim Aeßen ſitzt er aufrecht, faßt die Zweige mit den Vorderbeinen, dreht ſie beſtändig ſchnell herum und nagt die Rinde ab. Die Beweglichkeit der Kinnladen iſt dabei aber ſchneller als beim Eichhörnchen und Hamſter. Gern ſitzt er während des Aeßens nahe dem tiefen Waſſer, mit dem Geſicht dahin gekehrt, um bei Gefahr augenblicklich flüchten zu können. Von noch ſtehenden Bäumen und Sträuchern äßt er niemals die Rinde ab, wie andere Nager es zu thun pflegen; das Abſchneiden der Zweige iſt ihm ein Bedürfniß. Gewöhnlich fällt er mehr als er zu ſeiner Nahrung und zu ſeinen Bauen braucht.

175Der Biber.

Der freilebende Biber iſt ein äußerſt vorſichtiges und ſcheues Thier. Er ſucht bei der geringſten Gefahr das ſichere Waſſer auf. Wo er in großer Menge wohnt, ſtellt er des Abends Wachen aus, welche durch ein eigenthümliches Klatſchen ihre Gefährten aufmerkſam machen. Da alle Sinne des Bibers, vornehmlich aber Geſicht, Geruch und Gehör gut ausgebildet ſind, merkt er auch faſt immer rechtzeitig jede Gefahr und weiß dieſer dann, Dank ſeiner außerordentlichen Geſchicklichkeit im Schwim - men, leicht zu entgehen. Auch braucht er ſich nicht eben vor vielen Thieren zu fürchten; denn ſelbſt die größeren Landraubthiere haben einen ſchweren Stand, mit ihm fertig zu werden. Sein Gebiß iſt eine ſo furchtbare Waffe, daß er es ſchon mit manchem anderen Thiere aufnehmen kann. Alle Beobachter ſind darin einſtimmig, daß der Biber mit einem einzigen Biß dem ihn verfolgenden Hunde ein Bein geradezu abbeißen könne, und daſſelbe würde er jedenfalls auch einer größeren Katze thun, wenn dieſe ihn angreifen wollte. So hat er eigentlich unter den freilebenden Thieren keinen Feind, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Fiſchotters, welcher ſeine Jungen bedroht. Da dieſes Raubthier im Schwimmen und Tauchen noch viel gewandter iſt, als der Biber, kann es ſelbſtverſtändlich leicht ſeine Wohnung vom Waſſer aus beſuchen, und da wohl einen günſtigen Augenblick benutzen, um einem der noch wehrloſen Nager den Garaus zu machen. Die große Mord - gier und Raubluſt des Fiſchotters läßt wenigſtens ein ſolches Vorkommen glaublich erſcheinen. Der Hauptfeind des Bibers iſt und bleibt aber der Menſch, und dieſem muß er freilich unter allen Um - ſtänden erliegen.

Je nach dem Wohnort des Bibers fällt die Paarung in verſchiedene Monate, Einige ſagen zu Anfang des Winters, Andere im Februar und März. Bei dieſer Gelegenheit ſoll das Geil zur Gel - tung kommen; es dient, um andere Biber anzulocken. Audubon erfuhr von einem Jäger, daß ein Biber ſeine Afterdrüſen an einem beſtimmten Orte entleere, daß hierdurch ein zweiter herbeigelockt werde, das abgeſetzte Geil mit Erde überdecke, auf dieſe wieder das ſeinige ablege u. ſ. f., ſo daß oft hohe, ſtark nach dem gedachten Stoffe riechende Hügel gebildet würden. Die Fallen werden allgemein mit Geil gewittert: dieſes dient alſo jedenfalls den Thieren, ſich gegenſeitig aufzufinden. Nach zwei bis vier Monaten denn genau iſt Dies nicht beobachtet worden wirft das Weibchen 2 bis 4 blinde Junge, ſäugt dieſe etwa einen Monat lang und pflegt ſie mit großer Sorgfalt. Das Männchen, welches einem Weibchen treu bleiben, alſo mit ihm in ſtrenger Ehe leben ſoll, verläßt die Wochen - ſtube und ſchlägt ſeine Wohnungen entweder in einem einfachen Gange auf, oder ſtreift umher, ohne ſich an ein und denſelben Ort zu binden. Bereits nach vier Wochen ſchleppt die Mutter ihren Jungen zarte Zweige herbei, und nach ſechs Wochen etwa folgen dieſe der Alten bei ihren Weide - gängen. Zu Ende des zweiten Jahres ſind ſie fortpflanzungsfähig, im dritten Jahre vollkommen erwachſen. Sie behalten gewöhnlich die Wohnungen ihrer Eltern und dieſe errichten ſich in der Nähe eine neue.

Jung eingefangene Biber können ſehr zahm werden. Die Schriftſteller, welche über Ame - rika berichten, erzählen Manches von Bibern, welche ſie in den Dörfern der Jndianer gewiſſer - maßen als Hausthiere fanden oder ſelbſt zahm hielten. Jch ſah in dieſen Dörfern, ſagt La Hon - tan, nichts Merkwürdigeres, als Biber ſo zahm wie Hunde, ſowohl im Bach, als in den Hecken, wo ſie ungeſtört hin - und herliefen. Sie gehen bisweilen ein ganzes Jahr lang nicht in das Waſſer, obſchon ſie keine ſogenannten Grubenbiber ſind, welche blos um zu ſaufen an den Bach kommen und, nach der Meinung der Wilden, ihrer Faulheit halber von den anderen weggejagt wurden. Hearne hatte mehrere Biber ſo gezähmt, daß ſie auf ſeinen Ruf kamen, ihm wie ein Hund nachliefen und ſich über Liebkoſungen freuten. Jn Geſellſchaft der indianiſchen Weiber und Kinder ſchienen ſie ſich ſehr wohl zu befinden. Sie zeigten Unruhe, wenn dieſe lange wegblieben, und Freude, wenn ſie wiederkehrten, krochen ihnen auf den Schos, legten ſich auf den Rücken, machten Männchen, kurz, ſie betrugen ſich faſt wie Hunde, welche ihre Freude ausdrücken wollten, wenn ihre Herren lange abweſend waren. Dabei hielten ſie das Zimmer ſehr reinlich und gingen immer auf das Waſſer, im Winter auf das Eis, um ihre Nothdurft zu verrichten. Sie lebten von den Speiſen der Leute und176Der Biber.fraßen namentlich Reis - und Roſinenpudding ſehr gern, nebenbei aber auch Fiſche und Fleiſch, ob - wohl ihnen dieſe Nahrung ebenſo unnatürlich ſcheinen mochte, als den Pferden und Rindern, welche im höheren Norden von Amerika und Europa ja auch mit Fiſchköpfen und anderen ähnlichen Dingen gefüttert werden. Auch Klein hatte einen Biber ſo gezähmt, daß er ihm wie ein Hund nachlief und ihn aufſuchte, wenn er abweſend war. Buffon bekam einen aus Canada und hielt ihn jahrelang, aufangs ganz im Trocknen. Dieſer ſchloß ſich zwar Niemand an, war aber ſanft und ließ ſich auf - nehmen und herumtragen. Bei Tiſche verlangte er mit einem ſchwachen, kläglichen Tone und mit einem Zeichen ſeiner Hand auch Etwas zu freſſen, das trug er dann fort und verzehrte es im Ver - borgenen.

Prinz Mar von Wied fand einen zahmen Biber auf Fort Union, ſo groß, wie ein zwei - jähriges Schwein, gewiß vier Fuß lang, aber blind. Er ging im ganzen Hauſe herum und war gegen bekannte Perſonen ſehr zutraulich, verſuchte aber, alle ihm unbekannten Leute zu beißen.

Hier und da hat man daran gedacht, der gänzlichen Ausrottung des merkwürdigen Thieres vor - zubeugen und deshalb in mehreren Flüſſen und Teichen beſondere Biberzuchten angelegt. Eine ſolche Biberhege befindet ſich jetzt noch bei Rothenhof in Böhmen, auf den Beſitzungen des Fürſten Schwarzenberg an der Moldau, andere in den großen Teichen der Luſtſchlöſſer Hallbrunn in Salz - burg und Schönau in Oeſterreich. Jn Nymphenburg in Baiern hat man auch ſeit langem Biber gehalten. Hier ſah Lenz noch im Jahre 1837 mehrere Biber. Sie bewohnten einen kleinen Teich mit feſten Mauern, an deren Seiten ſie ſich trockene Hüttchen gebaut hatten. Der eine lebt bereits ſeit 33, der andere ſeit 35 Jahren in der Gefangenſchaft, und der Wärter erzählte dem genannten, berühmten Forſcher, daß man früher einen 50 Jahre lang gehabt hätte. Dieſe Biber, ſagt Lenz, hatten ein ſehr nettes Neſtchen, welches aus lauter ſchmalen, langen Spänen von Weidenbäumen beſtand, die ſie mit ihren Zähnen geſchnitten, als ob es mit einem Meſſer oder mit einem Hobel ge - ſchehen wäre. Die Salweide, wovon ſie Blätter und Rinde genießen, ziehen ſie allen anderen Holz - arten vor, freſſen aber auch ziemlich gern von Haſelbuſch, Brod und Obſt. Das eine Weibchen warf vier Mal zwei und ein Mal ein Junges. Leider ſind aber dieſe Anſtalten ihrem Verfall ziemlich nahe gekommen, und ebendeshalb iſt es ſchwer, das ſo merkwürdige Thier für unſere Thiergärten zu erhalten.

Jn bevölkerten Gegenden wird es wohl unmöglich ſein, die Biberzuchten mit größerem Erfolge anzulegen, da kaum ein anderes Thier den Wilddieben ſoviel Gewinn verſpricht, als dieſer Nager. Man jagt die Biber überall mit großem Eifer. Jn Amerika erlegt man ſie mit dem Feuergewehr und fängt ſie in Fallen und Wuhnen. Das Schießen iſt langweilig und unſicher; die Fallen der ver - ſchiedenſten Art, welche man durch friſche Zweige ködert, verſprechen mehr. Jm Winter haut man Wuhnen in das Eis und ſchlägt die Biber todt, wenn ſie dahin kommen, um zu athmen. Auch eiſt man wohl in der Nähe ihrer Hütten ein Stück des Fluſſes oder Baches auf, ſpannt ein ſtarkes Netz darüber, bricht dann die Burgen auf und jagt die erſchreckten Nager da hinein. Vernünftige Jäger laſſen immer einige Biber übrig und begnügen ſich mit einer gewiſſen Anzahl: an den Grenzorten aber, wo mehrere Stämme ſich in das Gebiet theilen, iſt Dies nicht der Fall, dort nimmt Jeder ſo - viel, als er kann. Dieſer Jagd halber entſtehen oft große Streitigkeiten unter den verſchiedenen Stämmen, welche zuweilen in blutigen Fehden enden und auf beiden Seiten viele Opfer fordern. Die Jagd und noch mehr der Fang haben übrigens ihre Gefahren; denn der Biber wehrt ſich ver - zweifelt und bringt ſeinen Verfolgern oft außerordentlich bösartige Wunden bei.

Der große Nutzen, welchen der Biber gewährt, gleicht den Schaden, welchen er anrichtet, faſt aus. Man muß dabei feſthalten, daß der Biber vorzugsweiſe unbevölkerte Gegenden bewohnt und am liebſten nur dünne Schößlinge von Holzarten fällt, welche raſch wieder nachwachſen. Da - gegen bezahlt er mit Fell und Fleiſch und mit dem Bibergeil nicht blos den angerichteten Schaden, ſondern auch alle Mühe und Beſchwerden der Jagd ſehr reichlich. Noch immer bildet der Bibergeil einen bedeutenden Handelsgegenſtand. Vor 40 Jahren bezahlte man ein Loth deſſelben mit einem177Die Springmäuſe.Gulden; gegenwärtig koſtet es bereits 10 Gulden und darüber. Das Fell iſt überall hochgeſchätzt und zwar bereits ſeit alten Zeiten. Man rupft es vor dem Gebrauch d. h. zieht alle Grannenhaare aus und läßt blos das Wollhaar übrig. Die Grannen werden zu Hüten verarbeitet oder geſponnen und zu Handſchuhen, Streifen und Tüchern verwebt. Ein Fell liefert bis Pfund ſolcher Haare, welche ungefähr 18 Thaler werth ſind. Das ganze Fell koſtet in erſter Hand 8 bis 20 Thaler, das Fleiſch gilt als beſonders gut, wenn ſich der Biber mit Seeroſen geäßt hat; das des Schwanzes betrachtet man als vorzüglichen Leckerbiſſen, für welchen man in früheren Zeiten die ſehr bedeutende Summe von 6 Gulden zahlte. Die Pfaffen erklärten den Biber als ein fiſchähnliches Thier und deshalb geeig - net, während der Faſten genoſſen zu werden, bezahlten daher auch in der fleiſcharmen Zeit einen Biber - braten um ſo beſſer. Von den vielerlei Verwendungen des Biberkörpers iſt man mehr und mehr zurückgekommen, wenn auch der Aberglaube noch ſeine Rolle ſpielt. Hier und da werden noch immer Fett und Blut des Bibers als Heilmittel benutzt. Die ſibiriſchen Weiber betrachten die Knochen als Schutzmittel gegen den Fußſchmerz, die Zähne als ein Halsgeſchmeide, welches das Zahnen der Kin - der erleichtert, die Zahnſchmerzen benimmt u. ſ. w.

Bei den amerikaniſchen Wilden ſteht der Biber in ſehr hohem Anſehen. Sie ſchreiben ihm faſt ebenſoviel Verſtand zu, als dem Menſchen, und behaupten, daß das vorzügliche Thier unbedingt auch eine unſterbliche Seele haben müſſe, der übrigen Märchen gar nicht zu gedenken, welche ſie ſich über unſer Thier zuſammengedacht haben.

Die Springmäuſe (Dipodes), welche nach unſerer Eintheilung die neunte Familie bilden, erinnern in ihrem ganzen Bau lebhaft an die Kängurus. Daſſelbe Mißverhältniß des Leibes, wel - ches wir bei dieſen kennen lernten, zeigt ſich auch bei ihnen. Der hintere Theil des Körpers iſt verſtärkt, und die Hinterbeine überragen die vorderen wohl drei Mal an Länge. Auch der Schwanz ähnelt denen der Kängurus. Er iſt verhältnißmäßig ebenſolang, aber gewöhnlich am hinteren Ende zweizeilig bequaſtet. Dagegen unterſcheidet die Springmäuſe ihr Kopf weſentlich von den Spring - beutelthieren. Er iſt ſehr dick und trägt die verhältnißmäßig längſten Schnurren aller Säugethiere überhaupt: Schnurren, welche oft ebenſo lang ſind, als der Körper ſelbſt. Große Augen deuten auf das nächtliche Leben der Thiere; ſie ſind aber lebhaft und anmuthig wie bei wenig anderen nächt - lich lebenden Geſchöpfen. Die mittelgroßen, aufrechtſtehenden Ohren ſind löffelförmig von ein Drittel bis zu ganzer Kopflänge, der Hals iſt ſehr dick und unbeweglich. An den kleinen Vorderpfoten finden ſich gewöhnlich fünf Zehen, an den hinteren drei, zuweilen mit einer oder zwei Afterzehen. Der Pelz iſt dicht und weich, bei den verſchiedenen Arten und Sippen ſehr übereinſtimmend, nämlich dem Sande ähnlich gefärbt. Auch der innere Leibesbau hat manches ganz Eigenthümliche. Den Schädel kennzeichnet der breite Hirnkaſten und die ungeheuren Gehörblaſen. Die Halswirbel ver - wachſen, mit Ausnahme des Atlas, oft in ein einziges Knochenſtück. Die Wirbelſäule beſteht aus elf bis zwölf Rückenwirbeln, ſieben bis acht Lendenwirbeln und drei bis vier Krenzwirbeln; die Zahl der Schwanzwirbel ſteigt bis auf dreißig. Jm übrigen Gerippe iſt der Mittelfuß der merkwürdigſte Theil. Die verſchiedenen, neben einanderliegenden Knochen verſchmelzen nämlich in einen einzigen, ſehr langen, an deſſen Ende die Gelenkköpfe für die einzelnen Zehen ſtehen. Dieſe Bildung iſt wohl der Klaſſe der Vögel eigenthümlich, in der Klaſſe der Säugethiere aber eine ganz vereinzelte. Das Gebiß iſt durchaus nicht auffällig gebildet und ähnelt dem der übrigen Nager. Die Nagezähne ſind bei einigen glatt, bei anderen gefurcht; die gewöhnliche Zahl der Backenzähne beträgt drei für jede Reihe, doch findet man zuweilen noch einen ſtummelhaften Zahn vor den eigentlichen Backzähnen.

Brehm, Thierleben. II. 12178Die Springmäuſe.

Die Springmäuſe bewohnen vorzugsweiſe Afrika und Aſien; einige Arten reichen aber auch nach Südoſteuropa herüber und zwei Sippen ſind Nordamerika eigen. Sie ſind Bewohner des trockenen, freien Feldes, der grasreichen Steppe und der dürren Sandwüſten, alſo eigentliche - ſtenthiere, wie auch die Färbung augenblicklich erkennen läßt. Auf lehmigem oder ſandigen Boden, in den Niederungen, nur ſelten auf Anhöhen oder an dichten, buſchigen Wieſenſäumen und in der Nähe von Feldern ſchlagen ſie ihre Wohnſitze auf. Eine einzige Art findet ſich auch im Gebirge. Sie hauſen in ſelbſtgegrabenen, unterirdiſchen Höhlen, mit vielen verzweigten, aber meiſt ſehr ſeichten Gängen, welche immer in zahlreiche Ausgänge münden. Stets leben ſie geſellig und ſind deshalb regelmäßig zu größeren Trupps vereinigt. Bei Tage in ihren Bauen verborgen, erſcheinen ſie nach Sonnenuntergang und führen dann ein gar luſtiges Leben; nur wenige ſind auch im Sonnen - ſchein thätig.

Jhre Nahrung beſteht aus Wurzeln, Zwiebeln, mancherlei Körnern und Samen, Früchten, Blättern, Gras und Kräutern. Einige benagen auch die Rinde der niederen Sträucher und manche verzehren auch Kerbthiere, ja ſelbſt kleine Vögel, gehen ſogar das Aas an und freſſen unter Um - ſtänden einander auf. Die Nahrung nehmen ſie in halb aufrechter Stellung zu ſich, ſitzend auf das Hintertheil und den Schwanz geſtützt; das Futter führen ſie mit den Vorderpfoten zum Munde.

Jhre Bewegungen ſind eigenthümlicher Art. Der ruhige Gang unterſcheidet ſich von dem des Känguru inſofern, als ſie in raſcher Folge ein Bein vor das andere ſetzen; auf der Flucht aber för - dern ſie ſich ſprungweiſe allein auf den Hinterbeinen. Sie ſchnellen ſich dann mit den kräftigen Hinterfüßen hoch auf in die Luft, mit dem zweizeiligen Schwanze regeln ſie die Richtung und erhalten ſich das Gleichgewicht des Körpers. Dabei legen ſie die Vorderbeine entweder an das Kinn oder gekreuzt, wie ein ſchnelllaufender Menſch an die Bruſt, und deshalb führen ſie eben den Namen Dipus oder zweifüßig; denn wirklich ſcheint es, als beſäßen ſie blos die Hinterfüße, während ſie ſpringen. Die größeren Arten vermögen ganz gewaltige Sätze auszuführen; und man kann von allen ſagen, daß die weiteren Sätze das Zwanzigfache ihrer Leibeslänge betragen. So iſt die größte Art im Stande, Entfernungen von 20 Fuß zu überſpringen. Ein Sprung folgt unmittelbar auf den andern und wenn ſie in voller Flucht ſind, ſieht man eigentlich blos einen gelben Gegenſtand, welcher in ſeichten Bogen wie ein Pfeil die Luft durchſchießt. Mit ebenſogroßer Behendigkeit graben ſie auch im Boden, trotz der ſchwachen Vorderfüße, welche dieſe Arbeit hauptſächlich verrichten müſſen. Während ſie weiden, gehen ſie, ebenfalls wieder wie das Känguru, auf vier Beinen, ſehr langſam und immer nur auf kurze Zeit. Jm Sitzen ruhen ſie immer auf den Sohlen der Hinterfüße.

Alle Arten ſind ſcharfſinnig, namentlich feinhörig und fernſichtig und wiſſen daher drohenden Gefahren leicht zu entgehen. Sie ſind äußerſt furchtſam, ſcheu und flüchtig, und ſuchen ſich bei jeder Störung ſo eilig als möglich nach ihrem Bau zu retten, oder ergreifen, wenn ihnen Dies nicht möglich wird, mit raſender Schnelligkeit die Flucht. Die größte Art vertheidigt ſich im allerhöchſten Nothfalle nach Känguruart auch mit den Hinterbeinen; die Kleineren machen, wenn ſie ergriffen wer - den, nie von ihrer natürlichen Waffe Gebrauch.

Jhre Stimme beſteht in einer Art von Winſeln, welches dem Geſchrei junger Katzen ähnlich iſt, bei anderen wohl auch in einem dumpfen Grunzen. Aber man hört nur ſelten überhaupt einen Ton von ihnen. Bei geringer Wärme verfallen ſie in eine Art von Winterſchlaf oder erſtarren wenig - ſtens auf kurze Zeit; niemals aber tragen ſie ſich, wie andere Nager, Vorräthe für den Winter ein.

Für die Gefangenſchaft ſind leider wenige zu gebrauchen; denn die meiſten Arten ſind überaus zart und gehen, ſelbſt bei der beſten Pflege, leicht zu Grunde, wahrſcheinlich weil man ihnen die natürliche Nahrung doch nicht erſetzen kann. Aber für die kurze Zeit, welche man ſie erhalten kann, ſind ſie, wie ich aus eigener Erfahrung beſtätigen kann, überaus angenehme und anmuthige Geſellſchafter des Menſchen; namentlich ihre große Gutmüthigkeit, Sanftmuth und Harmloſigkeit erwirbt ihren Gewalt - herrn bald zum Freunde. Nur wenige können lebend nach anderen Erdtheilen geführt werden, halten aber dort leider nie lange aus.

179Die Hüpfmaus.

Faſt alle Arten ſind durchaus unſchädlich. Die freie Wüſte bietet ihnen ſoviel, daß ſie nicht nöthig haben, den Menſchen zu plündern. Nur eine einzige Art ſoll auch die Pflanzungen und Fel - der beſuchen und Schaden anrichten; der Nutzen, den ſie durchſchnittlich leiſten, wiegt den geringen Schaden aber vollſtändig auf. Sie liefern nämlich ein ſchmackhaftes Wildpret und auch ihre Felle wer - den ab und zu benutzt.

Man theilt die Familie gegenwärtig in ſechs Sippen ein, welche ſich aber ſämmtlich ſehr nahe ſtehen. Die Hüpfmaus (Jaculus labradorius) aus Nordamerika, Vertreter einer eigenen Sippe mag die Reihe der von mir erwählten Springmäuſe eröffnen. Sie ſchließt ſich durch ihren Leibesbau innig an die eigentlichen Springmäuſe an; die Geſtaltung und Behaarung ihres Schwanzes erinnert aber noch lebhaft an die Mäuſe. Jn ihrer Größe kommt ſie ungefähr mit der Waldmaus (Mus sylvaticus) überein; denn ſie iſt eine der kleinſten Arten der ganzen Familie. Der Leib iſt geſtreckt nach hinten etwas dicker, der Hals mäßig lang und dick, der Kopf lang und ſchmal, die Schnauze mittellang und zugeſpitzt. Die Naſenkuppe iſt behaart, der Mund klein und zurückgeſtellt, die Ohren ſind mäßig und eiförmig geſtaltet, hoch und ſchmal und an der Spitze abgerundet; die Augen ſind

Die Hüpfmaus (Jaculus labradorius).

ziemlich klein, die Schnurren mäßig, aber doch nicht über Kopfeslänge. Die ſehr kurzen, dünnen Vorderbeine tragen vier Zehen und eine Daumenwarze, die wohl drei Mal längeren, verhältnißmäßig aber ſchmächtigeren Hinterbeine dagegen fünf Zehen, von denen die beiden äußeren beträchtlich kürzer als die drei mittleren ſind. Alle Zehen, mit Ausnahme der Daumenwarze an den Vorderfüßen, welche einen Plattnagel trägt, haben kurze, gekrümmte, ſchmale und zuſammengedrückte Krallen. Der ſehr lange, runde Schwanz iſt ſchon an der Wurzel dünn, verſchmächtigt ſich aber immer mehr und endet in eine feine Spitze. Er iſt geringelt und geſchuppt und nur ſpärlich mit kurzen Haaren bedeckt. Die glatte, anliegende und dichte Behaarung gleicht im allgemeinen der unſerer Feldmaus, nur iſt ſie etwas kürzer und weniger fein. Der Pelz iſt auf der Oberſeite dunkelleberbraun mit braungelber Miſchung, an den Seiten braungelb mit ſchwacher, ſchwarzer Sprenkelung, an der Unter - ſeite weiß gefärbt; die Ohren ſind an der Außenſeite braun. Zuweilen nimmt die bräunlichgelbe Färbung der Seiten einen ebenſogroßen Raum ein, als die Rückenfarbe, im Winterkleide wird ſie dagegen gänzlich verdrängt, und das Dunkelbraun des Rückens verbreitet ſich bis zur Unterſeite. Die Ohren ſind ſchwarz und gelb behaart, die Mundränder weiß. Die Hinterfüße ſind oben graulich, die Vorderfüße weißlich. Die Leibeslänge beträgt Zoll, die des Schwanzes Zoll, die Höhe am Widerriſt kaum 2 Zoll.

12*180Die Wüſtenſpringmäuſe.

Der höhere Norden von Amerika iſt die Heimat der Hüpfmaus. Sie findet ſich von Labrador an, durch Canada hindurch, in allen Pelzgegenden bis zu dem großen Sklavenſee und vielleicht noch weiter nach Norden. Hier lebt ſie an dicht bebuſchten Wieſenrändern und in der Nähe von Wäldern, bei Tage verborgen, bei Nacht geſellig umherſchweifend. Jhre Höhlen ſind ungefähr 20 Zoll tief, in der kälteren Jahreszeit auch noch tiefer. Vor Beginn des Winters baut ſie einen Ballen aus Lehm um ſich herum, rollt ſich zuſammen, ſchlingt den Schwanz um den Leib und liegt hier in vollkommner Erſtarrung bis zum Eintritt des Frühlings. Es wird erzählt, daß ein Gärtner im Mai zwanzig Zoll tief in der Erde einen Erdballen von der Größe eines Spielballes fand, welcher durch ſeine regel - mäßige Form die Verwunderung des Mannes erregte. Als er ihn mit dem Spaten in zwei Stücke zerſchlug, fand er ein Thierchen darin zuſammengerollt, faſt wie ein Küchlein im Ei. Es war unſere Hüpfmaus, welche hier ihre Winterherberge aufgeſchlagen hatte. Jm Sommer iſt ſie außerordentlich hurtig und hüpft ungemein gewandt und ſchnell auf den Hinterbeinen herum. Davis konnte eine Hüpf - maus, welche in der Nachbarſchaft von Quebek aus dem Walde in ein weites Feld gerathen war, erſt in der Zeit von einer Stunde fangen, obſchon ihm noch drei Männer jagen halfen. Sie machte fußhohe Sprünge von drei bis fünf Fuß Weite und ließ ſich erſt ergreifen, nachdem ſie vollſtändig abgehetzt und ermattet war; dabei war ſie aber immer noch hurtig und lebendig. Jm Walde ſoll die Hüpf - maus gar nicht zu fangen ſein. Sie ſetzt hier mit Leichtigkeit über niedere Büſche weg, über welche ein Mann nicht ſo leicht ſpringen kann, und weiß dann immer ein ſicheres Plätzchen zu finden. Au - dubon bezweifelt, daß es noch ein Säugethier gäbe, welches ihr an Gewandtheit gleichkommt.

Nach den Berichten deſſelben Forſchers läßt ſich das ſchmucke Thierchen leicht fangen und ohne Beſchwerde erhalten. Jch beſaß ein Weibchen, ſagt er, vom Frühling bis zum Herbſt. Wenige Tage nach ſeiner Einkerkerung warf es zwei Junge, welche prächtig gediehen und im Herbſt faſt aus - gewachſen waren. Wir ſchütteten ihnen einen Fuß hoch Erde in ihren Käfig; hier gruben ſie ſich einen Bau mit zwei Ausgängen. Gewöhnlich verhielten ſie ſich ſchweigſam; brachten wir aber eine andere Maus zu ihnen in den Käfig, ſo ſchrieen ſie laut auf, wie ein junger Vogel aus Angſt, zeigten ſich überhaupt ſehr furchtſam. Bei Tage zeigten ſie ſich niemals außerhalb ihrer Baue; nachts aber lärmten ſie viel im Käfig herum. Alles, was wir in ihr Gefängniß legten, war am nächſten Mor - gen verſchwunden, in die Höhlen geſchleppt worden. Sie fraßen Weizen, Mais, am liebſten Buch - weizen. Hatten ſie mit dieſem eine ihrer Kammern gefüllt, ſo gruben ſie ſich ſofort eine neue. Sie entkamen durch einen unglücklichen Zufall.

Ueber die Zeit der Paarung und die Fortpflanzung berichtet Audubon, daß er in allen Som - mermonaten Junge gefunden habe, gewöhnlich drei, in einem aus feinem Gras erbauten, mit Federn, Haaren und Wolle ausgefütterten Neſte. Er beſtätigt die Angabe älterer Forſcher, daß die Jungen an den Zitzen ihrer Mutter ſich feſt anſaugen und von dieſer allenthalben herumgetragen werden.

Die Hauptfeinde der Hüpfmaus ſind die verſchiedenen Raubthiere des Nordens, namentlich die Eulen, welche ſie ſelbſtverſtändlich am leichteſten erwiſchen können. Die Jndianer, welche ſie Katſe nennen, ſcheinen weder ihr Fleiſch zu eſſen, noch ihr Fell zu benutzen.

Ueber die Wüſtenſpringmäuſe (Haltomys) ſind wir beſſer unterrichtet. Sie ſind gleichſam die Urbilder der ganzen Familie, denn ſie zeigen alle Eigenthümlichkeiten derſelben am vollſtändigſten. Haſſelquiſt bemerkt nicht mit Unrecht, daß ſie ausſähen, als wären ſie aus verſchiedenen Thieren zuſammengeſetzt. Man könnte ſagen, das Thierchen habe den Kopf des Haſen, den Schnurrbart des Eichhörnchens, den Rüſſel des Schweines, den Leib und die Vorderfüße der Maus, die Hinter - füße des Vogels und den Schwanz des Löwen. Vor Allem fällt der Kopf auf, er kennzeichnet die Springmäuſe ſogleich als echte Wüſtenbewohner. Für alle Sinneswerkzeuge iſt Raum geſchafft. Die Ohrmuſcheln ſind groß und häutig, wenigſtens nur außerordentlich dünn behaart und der Ohrgang181Die egyptiſche Springmaus.iſt wegen der ungeheuer aufgetriebenen Backenknochen einer der eigenthümlichſten in der ganzen Klaſſe der Säugethiere. Die Augen ſind groß und lebhaft, dabei aber mild im Ausdruck wie bei allen Wüſtenthieren, die Naſenlöcher ſind weit und umfänglich, und damit auch der Sinn des Gefühls gehörig vertreten ſei, umgeben ungeheuer lange Schnurren den Kopf zu beiden Seiten. Der Hals iſt außerordentlich kurz und wenig beweglich, der Schwanz dagegen ſehr lang, meiſt um etwas, zuweilen um vieles länger als der Leib, vorn rund behaart, hinten aber mit einer ausgeprägten zweizeiligen Bürſte beſetzt, welche aus ſteifen, regelmäßig anders gefärbten Haaren beſteht und dem Schwanze die größte Aehnlichkeit mit einem Pfeile verleiht. Die Vorderfüße ſind ganz verkürzt und werden beim Springen ſo an den Leib herangezogen und theilweiſe im Pelz verſteckt, daß die alte Benennung Zwei - fuß wohl gerechtfertigt erſcheint. Und dieſe kleinen Füßchen haben blos vier Zehen mit Krallen, eine benagelte oder nagelloſe Daumwarze. Alle Krallen ſind mäßig lang, gekrümmt und ſcharf; ſie dienen zum Aufgraben der Erde, wenn ſich das Thier Nahrung ſchaffen oder Höhlen anlegen will. Die Hinterfüße ſind wohl ſechsfach länger als die vorderen und zwar, weil ſich ebenſowohl der Unter - ſchenkel als auch der Mittelfußknochen geſtreckt hat. Dieſer iſt in der Regel einfach, während andere ähnliche Mäuſe ſo viele Mittelknochen haben als Zehen. An dieſen langen Knochengelenken ſind unten drei Zehen eingefügt, von denen die mittlere etwas länger als die ſeitliche iſt. Jede Zehe hat eine pfriemenförmige Kralle, welche rechtwinkelig zum Nagelglied ſteht und dadurch beim Springen nicht hinderlich wird. Ein ſteifes Vorſtenhaar, welches nach unten zu immer länger wird, bekleidet die Zehen. Der Pelz iſt weich, ſeidenartig und auf dem Rücken am Grunde blaugrau, dann ſand - farbig, an den Spitzen aber ſchwarz oder dunkelbraun, unten immer weiß mit ſeitlichen Längsſtreifen. Die Schwanzwurzel iſt ebenfalls weiß behaart, dann folgt eine dunklere Stelle vor der weißen Spitze.

Mit dieſer äußeren Leibesbeſchaffenheit ſteht die innere Bildung vollſtändig im Einklange. Die Springmäuſe zeigen nicht blos in der Geſtalt ihres langen Mittelfußknochens Aehnlichkeit mit den Vögeln, ſondern auch noch darin, daß alle die großen Knochen der hinteren Hälfte des Leibes bei den erwachſenen Thieren hohl und dabei ſpröde und hart ſind, wie Vögelknochen. Ganz gewaltige Muskeln bewegen dieſe feſten Knochen, und hierdurch eben erſcheint der hintere Theil des Leibes ſo auffällig gegen den vorderen verdickt. Die Halswirbel ſind bei einigen Arten ganz, bei den anderen größten Theils unter einander feſt verwachſen, dabei nach vorn anſehnlich gekrümmt, und hierdurch erhält der Hals hauptſächlich ſeine Verkürzung. Der Kopf aber wird ohne Anſtrengung von dem Thiere bei der pfeilſchnellen Bewegung feſtgehalten. Merkwürdig iſt die Erſcheinung, welche wir bei allen Thieren, welche ſchnell laufen, und ſomit auch bei den Springmäuſen finden, daß nämlich die Füße ſo einfach wie möglich gebildet und nur äußerſt wenig beweglich ſind. Die drei Zehen der Spring - füße haben in der Regel nur zwei Glieder und ſind ungemein kurz. Sie haben gar keine Seiten - bewegung und können ſich blos gleichzeitig etwas von oben nach unten biegen. Beim Laufen berührt nur die äußerſte Spitze des Nagelgliedes den Boden, ſie iſt aber durch eine federnde Knorpelmaſſe noch beſonders geſchützt. Das lange, ſteife Borſtenhaar an den unteren Zehen dient augenſcheinlich dazu, den Fuß beim Aufſetzen vor dem Ausgleiten zu bewahren und ihm ſomit einen viel ſicherern Stand zu geben. Einige Arten der Springmäuſe überhaupt haben am Mittelfußknochen noch eine oder zwei Afterzehen, welche aber ganz unweſentlich ſind und niemals den Boden berühren.

Gewöhnlich finden ſich vier Zitzenpaare. Zwei Paare davon liegen auf der Bruſt, ein Paar am Bauche und ein Paar in den Weichen. Die Zähne ſind gefurcht.

Von den fünf bis ſechs Arten, welche dieſe Sippe enthält, betrachten wir die egyptiſche Springmaus (Haltomys aegyptiacus), ein wirklich reizendes Thierchen von Zoll Leibeslänge mit 8 Zoll langem Schwanze, der durch ſeine Behaarung noch um Zoll länger erſcheint. Die Ohren haben ungefähr zwei Drittel Kopfeslänge; ſie ſind einfarben, außen mit zarten, fahlen Härchen, innen mit noch kürzeren, feineren, dünnen bedeckt. Der Schwanz hat deutliche Pfeilzeichnung. Der182Die Wüſtenſpringmäuſe. Die egyptiſche Springmaus.kurzbehaarte Theil iſt auf der Oberſeite blaßfahlgelb, auf der Unterſeite weißlich, die Quaſte ungefähr einen Zoll lang, weiß, an ihrer weit größeren Hälfte aber ſchwarz und pfeilartig gezeichnet. Die ganze Oberſeite iſt graulich ſandfarben mit ſchwarzer Sprenkelung, die Unterſeite und ein breiter Streifen, der ſich von rückwärts quer über die Schenkel zieht, ſind weiß.

Die Springmäuſe, und wahrſcheinlich gerade die egyptiſchen, waren ſchon den Alten wohl be - kannt. Wir finden ſie häufig bei griechiſchen und römiſchen Schriftſtellern erwähnt, immer unter dem Namen der zweibeinigen Mäuſe, welche Benennung deshalb auch jetzt noch zur Bezeichnung der Sippe angewandt wird. Plinius ſagt blos, daß es in Egypten Mäuſe gäbe, welche auf zwei

Die Springmaus (Haltomys acgyptiacus).

Beinen gingen. Theophraſt und Aelian erwähnen, daß die großen zweibeinigen Mäuſe die kürzeren Vorderfüße wie Hände gebrauchen, auf den Hinterfüßen aber aufrecht gehen und hüpfen, wenn ſie verfolgt werden. Einen noch höheren Werth als dieſe Angaben haben die bildlichen Darſtellungen auf Münzen und Tempelverzierungen, obwohl ſie nicht treu genug ſind. Auch in der Bibel ſind ſie erwähnt, und Jeſaias droht Denjenigen, welche ſie genießen, Strafe an. Die Araber ſind natür - lich vernünftiger, als die Hebräer und betrachten ſie nicht nur als reine Thiere, ſondern beſchreiben ſie ihrem Werthe nach und erzählen viele hübſche Dinge von ihrer Lebensweiſe. Dieſe iſt aber doch erſt in der Neuzeit bekannt geworden.

Die egyptiſche Wüſtenmaus iſt ein ſehr verbreitetes Thier. Man findet ſie in dem größten Theile Nordoſtafrikas, und auch hier und da in dem angrenzenden weſtlichen Aſien. Nach Süden hin183Die egyptiſche Springmaus.reicht ſie bis Mittelnubien, woſelbſt der Verbreitungskreis einer andern ähnlichen Art beginnt. Oſſene, trockene Ebenen, Steppen und Sandwüſten ſind ihre Wohnplätze; ſie bevölkert die dürrſten und traurigſten Landſchaften, ſie bewohnt Orte, welche kaum die Möglichkeit zum Leben zu bieten ſcheinen.

Auf jenen traurigen Flächen, welche mit dem ſcharfſchneidigen Riedgraſe, der Halfa (Poa cynosuroides) bedeckt ſind, findet man ſie zuweilen in größeren Geſellſchaften. Sie theilt dieſe Orte mit dem Wüſtenhuhn, der kleinen Wüſtenlerche und dem iſabellfarbenen Läufer, und man begreift kaum, daß auch ſie dort Nahrung findet, wo jene, die neben dem Geſäme doch auch viele Kerbthiere freſſen, ſich nur dürftig ernähren. Jn dem harten Kiesboden gräbt ſie ſich viel verzweigte, aber ziemlich ſeichte Gänge, in welche ſie ſich bei der geringſten Gefahr zurückzieht. Nach den Ver - ſicherungen der Araber arbeitet der ganze Trupp an dieſer unterirdiſchen Wohnung. Die Thiere graben mit den ſcharfen Nägeln ihrer Vorderfüße und benutzen wohl auch die Nagezähne, wenn es gilt, den harten Kiesboden zu durchbrechen. Sie ſollen hier und da ſelbſt in dem Lehmgemäuer alter verlaſſener Gebäude ihre Wohnungen aufſchlagen.

Trotz ihrer Häufigkeit gewahrt man die ſchmucken Geſchöpfe ziemlich ſelten. Man kann nicht gerade ſagen, daß ſie ſehr ſcheu wären, aber ſie ſind unruhig und furchtſam und eilen bei dem geringſten Geräuſch und beim Anblick eines fremden Gegenſtandes ſchleunigſt nach ihren Löchern. Auch werden ſie nur in geringer Entfernung wahrgenommen, weil ihre Färbung der des Sandes vollſtändig gleicht und man ſchon ziemlich nahe herankommen muß, ehe man ſie bemerkt, während ihre ſcharfen Sinne ihnen die Ankunft des Menſchen ſchon auf große Entfernungen hin wahrnehmen laſſen. Man darf wohl ſagen, daß es ſchwerlich ein anmuthigeres Geſchöpf geben kann, als dieſe Springmaus. So ſonderbar und ſcheinbar mißgeſtaltet ſie ausſehen, wenn man ſie todt in der Hand hat oder regungslos ſitzen ſieht, ſo zierlich nehmen ſie ſich aus, wenn ſie in Bewegung kommen. Erſt dann zeigen ſie ſich als echte Kinder der Wüſte; erſt dann laſſen ſie ihre herrlichen Fähigkeiten erkennen. Sie ſcheinen förmlich zu Vögeln zu werden. Jhre Bewegungen erfolgen mit einer Schnelligkeit, die geradezu ans Unglaubliche grenzt. Bei ruhigem Gange ſetzen ſie ein Bein vor das andere und laufen ſehr raſch dahin; bei großer Eile jagen ſie in Sprungſchritten davon, welche ſie ſo ſchnell fördern, daß ihre Bewegung dann dem Fluge eines Vogels gleicht; denn ein Sprung folgt ſo raſch auf den andern, daß man kaum den neuen Anſatz wahrnimmt. Dabei tragen die Spring - mäuſe ihren Leib weniger nach vorn übergebogen, als ſonſt, die Hände mit den Krallen gegen ein - ander gelegt nach vorn vorgeſtreckt, den Schwanz aber zur Erhaltung des Gleichgewichts gerade nach hinten gerichtet. Sobald man das Thier aus einiger Entfernung laufen ſieht, glaubt man einen pfeilartig durch die Luft ſchießenden Gegenſtand zu gewahren. Kein Menſch iſt im Stande, einer im vollen Laufe begriffenen Springmaus nachzukommen, ja, der ſicherſte Schütz muß ſich gewaltig zuſammennehmen, will er ſie im Laufe erlegen. Sogar in einem eingeſchloſſenen Raume bewegt ſich das zierliche Thierchen noch ſo ſchnell, daß ein Jagdhund es kaum einholen kann. Bruce erzählt, daß ſein Windhund ſich eine Viertelſtunde abhetzen mußte, ehe er Herr über ſeinen gewandten und ſchnellen Gegner wurde.

Fühlt ſich die Springmaus ungeſtört und ſicher, ſo ſitzt ſie aufrecht auf dem Hintertheile wie ein Kängurn, oft auf den Schwanz geſtützt, die Vorderpfoten an die Bruſt gelegt, ganz wie die Springbentelthiere es auch zu thun pflegen. Sie weidet in ähnlicher Weiſe wie die Kängurus; doch gräbt ſie mehr nach Knollen und Wurzeln, welche wohl ihre Hauptnahrung zu bilden ſcheinen. Außerdem verzehrt ſie mancherlei Blätter, Früchte und Samen, ja ſie ſoll ſelbſt Aas angehen oder wenigſtens den Kerbthieren gierig nachſtellen. Das behauptet ganz neuerdings wieder Heuglin, welcher als trefflicher Beobachter bekannt iſt.

Obgleich die Wüſtenmaus ein echtes Nachtthier iſt und ihre Wanderung erſt nach Sonnen - untergang beginnt, ſieht man ſie doch auch zuweilen im hellſten Sonnenſchein, ja, ſelbſt während der größten Hitze vor ihren Bauen ſitzen und ſpielen. Sie zeigt dann eine Gleichgiltigkeit gegen die184Die Wüſtenſpringmäuſe. Die egyptiſche Springmaus.Mittagsglut der afrikaniſchen Sonne, die wahrhaft bewunderungswürdig iſt; denn man muß wiſſen, daß kaum ein einziges anderes Thier um dieſe Zeit in der Wüſte ſich bewegt, weil die Glut auch den eingeborenen Kindern jener erhabenen Landſchaft geradezu unerträglich wird. Gegen die Kälte und Näſſe iſt unſer Thierchen im höchſten Grade empfindlich; es bleibt dann ſtets in ſeinem Baue ver - borgen und verfällt wohl auch zeitweilig in eine Erſtarrung, welche an den Winterſchlaf der nördlichen Thiere erinnert.

Ueber die Fortpflanzung der Wüſtenmaus iſt nichts Sicheres bekannt. Die Araber erzählten mir, ſie baue ſich in einem tieferen Keſſel ihrer Höhle ein Neſt und kleide daſſelbe wie die Kaninchen mit Haaren ihres Unterleibes aus, und darin finde man zwei bis vier Junge: ob Dies richtig iſt, wage ich nicht zu behaupten; doch muß ich bemerken, daß jedenfalls die Araber diejenigen Leute ſind, welche das Thier noch am beſten kennen. Sie ſtellen ihm, weil ſie das Fleiſch genießen und ziemlich hoch ſchätzen, eifrig nach und fangen es ohne ſonderliche Mühe lebendig, oder erſchlagen es beim Herauskommen aus den Bauen. Die Jagdweiſe jener Leute iſt ſehr einfach. Sie begeben ſich mit einem langen und ſtarken Stock nach einer Anſiedelung der Springmäuſe, verſtopfen den größten Theil der Röhren und graben nun einen Gang nach dem anderen auf, indem ſie ihren ſtarken Stock in den Gang ſtecken und deſſen Decke aufbrechen. Die geängſtigten Wüſtenmäuſe drängen ſich nach dem innerſten Keſſel zurück oder fahren durch eine Fluchtröhre nach außen und dann in ein vorgeſtelltes Netz oder ſelbſt einfach in den Aermel des Obergewandes, welches die Araber vorgelegt haben. So können zuweilen zehn bis zwanzig Stück auf ein Mal gefangen werden; wenigſtens macht es gar keine Mühe, eine ſolche Anzahl lebend zu erhalten. Die Araber bringen auf Verlangen ſoviel Spring - mäuſe, als man haben will.

Außer dem Menſchen haben die Thiere wenig andere Feinde. Der Fennek und der Karakal ſind vielleicht die ſchlimmſten Räuber, welche dem harmloſen Geſchöpfe auflauern. Wahrſcheinlich iſt der ärgſte und furchtbarſte Feind der Springmäuſe die egyptiſche Brillenſchlange (Uraeus Haye), die bekannte Giftſchlange Afrikas, welche auf allen egyptiſchen Tempeln ſich zeigt, welche ſchon Moſes zu ſeinen Gaukeleien gebrauchte, wie ſie die heutigen egyptiſchen Gaukler noch zu allerlei Kunſtſtückchen benutzen, neben der Puffotter (Echidna arietans) die furchtbarſte Schlange ganz Afrikas. Jene Giftnatter lebt ganz an ähnlichen Orten wie die Springmäuſe und iſt keines - wegs ſelten, ſondern in manchen Gegenden geradezu furchterweckend häufig. Sie dringt mit Leichtig - keit in die Gänge ein, welche die Springmäuſe ſich graben, und tödtet natürlich mit einem einzigen Biſſe die wehrloſen Jnwohner der Höhlen. Es iſt gar nicht unwahrſcheinlich, daß dieſes Thier, wie die Klapperſchlange in Nordamerika die Anſiedelungen des Prairiehundes, die Baue der Spring - mäuſe gänzlich entvölkert, ſo daß ſie zuletzt alleiniger Bewohner derſelben bleibt.

Die naturkundigen Europäer, welche in Egypten und Algerien wohnen, halten die Spring - maus oft in der Gefangenſchaft. Jch kann aus eigener Erfahrung verſichern, daß das Thier im Käfig oder im Zimmer viel Freude mache. Während meines Aufenthaltes in Afrika brachte man mir oft 10 bis 12 Springmäuſe auf ein Mal. Jch räumte ſolchen Geſellſchaften dann eine große Kammer ein, um ihre Bewegungen beobachten zu können. Vom erſten Augenblick an zeigten ſich die Springmäuſe harmlos und zutraulich. Ohne Umſtände ließen ſie ſich berühren; ſie machten gar nicht Miene, dem Menſchen auszuweichen. Wenn man in ihrem Zimmer umherging, mußte man ſich in Acht nehmen, ſie nicht zu treten, ſo ruhig blieben ſie ſitzen, wenn man auf ſie zukam.

Unter ſich ſind die Springmäuſe auch in der Gefangenſchaft bewunderungswürdig friedlich und geſellig. Sie ſchmiegen ſich dicht an einander an und verſchlingen ſich förmlich zuweilen in einander, namentlich wenn es am Morgen kühl iſt; denn ſchon die geringſte Abnahme der Wärme wird ihnen auffallend und läſtig. Trockne Körner, Reis, Möhren, Rüben, andere Wurzeln und manche Früchte ſcheinen ihnen beſonders zu behagen. Auch Kohl und Kraut, ſelbſt Blumen -, z. B. Roſenblätter, freſſen ſie gern; allein man kann ſie mit ausſchließlich ſaftigen Pflanzen nicht erhalten. Sie ſind an dürftige und dürre Koſt gewöhnt. Wenn ihnen trockne Nahrung gänzlich fehlt, werden ſie traurig185Die egyptiſche Springmaus.und immer trauriger und ſterben endlich dahin. Gibt man ihnen aber Weizen, Reis, etwas Milch und dann und wann eine Weinbeere, ein Stückchen Apfel, eine Möhre oder ſonſt eine andere Frucht, ſo befinden ſie ſich ſehr wohl.

Nach Europa kommen die zarten Thiere äußerſt ſelten, und ich darf es wohl als ein beſonderes Glück betrachten, daß eben jetzt, wo ich dieſe Zeilen ſchreibe, eine Wüſtenſpringmaus in einem Käfig neben mir ſitzt oder vielmehr ſchläft; denn es iſt früher Morgen und ſie iſt vor wenigen Minuten eben zu Bette gegangen. Jch will verſuchen, das Betragen dieſes höchſt liebenswürdigen und an - muthigen Geſchöpfes ſo genau als möglich zu ſchildern, weil in den meiſten Werken die Bewegung und das Weſen der Springmäuſe ganz falſch beſchrieben ſind.

Die Springmäuſe, welche Sonini in Egypten hielt, waren am luſtigſten, wenn die Sonne durchs Fenſter ſchien und ſprangen dann oft an allen Wänden in die Höhe, als wenn ſie Gummi elaſticum im Leibe hätten ; ſie übten auch alle andern Bewegungen mit dem größten Vergnügen aus. Die, welche ich in ihrem Vaterlande zahm hielt, waren allerdings auch zuweilen bei Tage in Bewegung, bewieſen aber ſchlagend genug, daß die Nacht die wahre Zeit ihres munteren Treibens iſt. Genau ſo beträgt ſich mein jetziger liebwerther Stubengenoſſe. Er ſchläft den ganzen Tag vom frühen Morgen an bis zum ſpäten Abend und wenn man ihn nicht ſtört, kommt er auch nicht einen Augenblick aus ſeinem Neſte hervor. Gegenwärtig (November) begibt er ſich Morgens um ¼7 Uhr zur Ruhe und nun ſchläft er ſeine guten zwölf Stunden in einem Zuge fort. Aber auch während der Nacht ruht er noch mehrere Male halbe Stündchen aus. Wenn man ihn bei Tage aus ſeinem Neſte nimmt, zeigt er ſich ſehr ſchläfrig. Er fällt in der Hand hin und her und kann ſich lange Zeit gar nicht ermuntern. Seine Stellung beim Schlafen iſt recht eigenthümlich. Gewöhnlich ſitzt er in ſeinem Neſte auf den ziemlich eng zuſammengeſtellten Ferſen ſo, daß die weiter aus einanderſtehenden Fußſpitzen in der Luft ſchweben. Den Kopf biegt er ganz herab, ſo daß die Stirn unten auf dem Boden aufliegt und die Schnauze an den Unterleib angedrückt wird. Der Schwanz liegt in großem Bogen über die Fußſpitzen weg. So gleicht das Thier einem Balle, über deſſen Oberfläche blos die übermäßig langen Beine hervorragen. Manchmal legt ſich die Springmaus aber auch auf die Seite oder ſelbſt auf den Rücken und ſtreckt dann die Beine ſonderbar nach oben; immer aber bleibt ſie in dieſer zuſammengerollten Stellung. Die Ohren werden beim Schlafen dicht an den Kopf gedrückt und an ihrer Spitze theilweiſe eingerollt, ſo daß ſie ganz faltig ſind und gleichſam wie zerknittert ausſehen. Bewegungslos liegt das Thier in dem warmen Neſtchen, bis der Abend ordentlich herein - gebrochen iſt. Nunmehr macht ſich ein leiſes Raſcheln und Sichrühren im Neſte bemerklich. Der Langſchläfer putzt ſich; er glättet die Ohren, er läßt einen leiſen, wie ſchwacher Huſten klingenden Ton vernehmen, und plötzlich ſpringt er mit einem einzigen Satze durch die Neſtöffnung hervor und beginnt nun ſein eigenthümliches Nachtleben. Das erſte Geſchäft, welches er jetzt beſorgt, iſt das Putzen. Jn der Reinlichkeit übertrifft die Springmaus kein einziger anderer Nager. Faſt alle ihre freie Zeit wird verwandt, um das ſeidenweiche Fell in Ordnung zu halten. Härchen für Härchen wird durchgekämmt und durchgeleckt, jeder Theil des Körpers, ſelbſt der Schwanz, gehörig beſorgt. Einen weſentlichen Dienſt leiſtet ihr dabei feiner Sand; dieſer iſt ihr überhaupt ganz unentbehrlich. Als ich ſie erhielt, mochte ſie lange des Sandes entbehrt haben; denn ſie wälzte ſich, ſobald ich ihr denſelben gab, mit förmlicher Wolluſt in dem ihr ſo nothwendigen Stoffe umher, kratzte und wühlte und konnte ſich gar nicht von ihm trennen. Beim Putzen nimmt ſie die verſchiedenſten Stellungen an. Gewöhnlich ſitzt ſie nur auf den Zehenſpitzen und gewiſſermaßen auf dem Schwanze. Sie hebt nämlich die Ferſen etwa Zoll vom Boden auf, bildet mit dem Schwanze einen großen Bogen und ſtemmt ihn, mit dem letzten Viertel etwa, auf den Boden auf; den Leib trägt ſie dabei vorn nur ein wenig erhöht; die Hände legt ſie mit den Handflächen gegen einander, daß die Fingerſpitzen oder beſſer die Krallen ſich berühren. Dabei hält ſie dieſe kurzen, ſtummelartigen Glieder gerade nach vorn und geſtreckt, ſo daß ſie auf den erſten Blick hin als Zubehör zu ihrem Maule erſcheinen. Wenn ſie ſich aber putzt, weiß ſie die zierlichen Gliedmaßen ganz vortrefflich zu gebrauchen. Ehe ſie186Die Wüſtenſpringmäuſe. Die egyptiſche Springmaus.an das Glätten des Felles geht, ſcharrt und wühlt ſie ſich eine paſſende Vertiefung im Sande aus. Zu dieſem Ende biegt ſie ſich vorn hernieder und ſchiebt nun mit vorgeſtreckten, aus einandergehaltenen Händen und der rüſſelartigen Schnauze den Sand nach vorn, große Mengen auf einmal und ſcharrt ihn da, wo er ſich nicht ſchieben läßt, durch raſche Bewegungen der Hände los. So geht’s fort, bis ſie ſich endlich ihr Lager zurecht gemacht hat. Jetzt legt ſie zuerſt den Kopf in die entſtandene Vertiefung und ſchiebt ihn vorwärts ſich ſtreckend auf dem Sande dahin, den oberen Theil ſowohl als den unteren, die rechte wie die linke Seite, jedenfalls in der Abſicht, um das Fell zu glätten. Wenn Dies beſorgt iſt, wirft ſie ſich plötzlich der ganzen Länge nach in die Mulde und ſtreckt und dehnt ſich dabei äußerſt behaglich, die langen Sprungbeine bald gerade nach hinten, bald ſenkrecht vom Leibe ab oder endlich gerade nach vorne und zuletzt ſo ausſtreckend, daß die Läufe hart an die Schnauze zu liegen kommen. Wenn ſie ſich in dieſer Lage ordentlich eingewühlt hat, bleibt ſie oft mehrere Minuten lang ganz ruhig und zufrieden liegen, ſchließt die Augen halb, legt die Ohren an und ſtreicht ſich nur dann und wann einmal, als wolle ſie ſich dehnen, mit einem der kleinen Pfötchen über das Geſicht.

Nach dieſer Streckung und Dehnung beginnt das eigentliche Putzen. Sehr viel Mühe und Arbeit macht ihr das Reinigen des Mundes und der Wangen, namentlich des Theils, wo die langen Schnurrenhaare ſitzen. Dazu braucht ſie immer mehrere Minuten. Dann ſetzt ſie ſich vollends auf und nimmt nun auch das übrige Fell ihres Leibes vor. Sie packt ein Stückchen Fell mit beiden Händen, kämmt es mit den Zähnen des Unterkiefers durch und leckt es dann mit der Zunge gehörig glatt. Recht nett ſieht es aus, wenn ſie den Unterleib putzt. Dann ſtellt ſie die Fußwurzeln ſehr breit von einander und biegt den Leib kugelrund zuſammen. Die ſonderbarſte Stellung aber nimmt ſie an, wenn ſie ſich in der Beugung zwiſchen Mittelfußknochen und Unterſchenkel lecken oder über - haupt das lange Unterbein putzen will. Sie läßt dann das eine Bein wie gewöhnlich beim Sitzen auf den Fußwurzeln ſtehen und ſchiebt das andere um die ganze Länge des Mittelfußknochens vor. Der Schwanz wird immer gebraucht, um der Stellung Sicherheit zu geben. Das Kratzen beſorgt ſie mit den Hinterfüßen, und dabei bewegt ſie die langen Beine ſo außerordentlich ſchnell, daß man blos einen Schatten des Fußes wahrnimmt. Weil ſie ſich aber dabei ſehr auf die Seite biegen muß, ſtemmt ſie ſich, um das Gleichgewicht zu erhalten, auch vorn mit einer ihrer Hände auf. Am Vorderkopf kratzt ſie ſich auch mit den Händen; dieſe bewegt ſie aber weit langſamer, als die Hinterbeine.

Der ruhige Gang des Thieres iſt ein ſchneller Schritt. Die Beine werden beim Gehen am Ferſengelenk faſt gerade ausgeſtreckt und ſo geſtellt, daß ſie unter das dritte Fünftel oder unter die Hälfte des vorn etwas erhobenen Leibes zu ſtehen kommen. Die Haltung wird weſentlich unterſtützt durch den Schwanz, welcher den Körper im Gleichgewicht halten muß. Nun ſetzt die Springmaus in raſcher Folge ein Bein um das andere vor. Die Vorderhände werden in der gewöhnlichen Weiſe zuſammengelegt unter dem Kinne getragen. Da ſich meine Gefangene ganz an den Menſchen gewöhnt hat, macht ſie nur höchſt ſelten einen größeren Sprung, hauptſächlich dann, wenn es gilt, ein Hinderniß zu überwinden z. B. über ein großes ihr vorgehaltenes Buch zu ſpringen. Dabei ſchwingt ſie ſich ohne den geringſten Anſatz durch bloſes Aufſchnellen ihrer Hinterbeine fußhoch und noch mehr empor. Als ich ſie einmal bei ihren Nachtwandelungen durch eine plötzliche Bewegung erſchreckte, ſprang ſie ſenkrecht über drei Fuß hoch empor. Wenn man ſie auf den Tiſch ſetzt, läuft ſie raſtlos umher und ſieht ſorgſam prüfend in die Tiefe hinab, um ſich die beſte Stelle zum Herunterſpringen auszuwählen. Kommt ſie ganz an die Kante, ſo ſtemmt ſie ſich mit ihren beiden Vorderarmen auf, ſonſt aber nie. Es iſt ganz falſch, wenn behauptet worden iſt, daß ſie bei jedem Sprunge einen Augenblick auf die Vorderfüße niederfalle und ſich dann ſchnell wieder aufrichte. Sie kommt ſelbſt, wenn ſie aus Höhen von drei, vier und fünf Fuß zu Boden ſpringt, immer auf die Hinterfüße zu ſtehen und läuft dann, ohne ſich nur nach vorn zu bücken, ſo ruhig weiter, als habe ſie blos einen gewöhnlichen Schritt gemacht. Stehend kann ſie, Dank der ſtarken Hinterläufe und des ſtützenden Schwanzes, ihren Leib ebenſowohl wagrecht als ſenkrecht halten; ſie vermag ſich auch vorn bis auf die Erde niederzubeugen. 187Die egyptiſche Springmaus.Wie wichtig ihr der Schwanz zur Erhaltung des Gleichgewichts iſt, ſieht man deutlich, wenn man ſie in der Hand hält und raſch herumdreht, ſo daß ſie mit dem Rücken nach unten zu liegen kommt. Dann beſchreibt ſie ſofort Kreiſe mit dem Schwanze, ſicher in der Abſicht, ihren Leib wieder herumzu - werfen.

Beim Freſſen ſetzt ſie ſich auf die ganzen Fußſohlen nieder, biegt aber den Leib vorn weit herab und nimmt nun die Nahrung mit einem raſchen Griff vom Boden auf. Aus einem Näpfchen mit Weizenkörnern holt ſie ſich in jeder Minute mehrere Körner. Sie verzehrt die erhobenen aber nicht ganz, ſondern beißt blos ein kleines Stückchen von ihnen ab und läßt ſie dann wieder fallen. Jn einer Nacht hat ſie manchmal 50, 60, ja 100 und mehr Körner angebiſſen. Allerliebſt ſieht es aus, wenn man ihr eine Weinbeere oder ein Stückchen fein geſchnittene Möhre, Apfel und dergl. Früchte hingibt. Sie packt dann ſolche Nahrung ſehr zierlich mit den Händen, dreht ſie beſtändig hin und her und frißt ſie auf, ohne ſie fallen zu laſſen. Bei weichen, ſaftigen Früchten, wie z. B. bei Wein - beeren, braucht ſie ſehr lange Zeit, ehe ſie zum Ende ihrer Mahlzeit kommt. An einer Weinbeere fraß ſie 7 Minuten lang. Sie öffnet die Beere nämlich blos mit einem einzigen Biß und taucht in dieſe Oeffnung nun fort und fort ihre unteren Nagezähne ein, welche ſie dann wieder ableckt. So fährt ſie fort, bis der größte Theil des Jnhalts entleert iſt. Ein Kohlblatt nimmt ſie mit beiden Händen, dreht es hin und her und ſchneidet dann am Rande in zierlicher Weiſe Stückchen nach Stückchen ab. Ganz beſonders hübſch iſt ihre Weiſe, Milch zu trinken. Sie bedarf nur höchſt wenig Getränk; täglich ein halber Theelöffel voll Milch genügt ihr. Auch Flüſſigkeiten muß ſie mit den Händen zu ſich nehmen. Sie taucht in raſcher Folge ihre Hände ein und leckt die Milch dann ab. Uebrigens kann ſie Getränke, falls man ihr nebenbei ſaftige Wurzeln reicht, monatelang entbehren.

Es ſcheint, daß alle Sinne des Thieres ſehr hoch entwickelt ſind. Welchen Sinn unter den drei edleren ich als den höchſten anſehen ſoll, weiß ich nicht. Die Springmaus ſieht und hört, wie die großen Augen und Ohren bekunden, ſehr gut; aber ſie riecht auch vortrefflich. Denn wenn ſie ein Korn oder ein Stückchen Möhre oder andere Nahrung zu Boden fallen läßt, ſucht ſie es immer ver - mittelſt des Geruchs und nimmt es dann mit größter Sicherheit wieder auf. Meine Gefangene iſt ein kleines Leckermaul. Süße Früchte verzehrt ſie mit ſo viel Vergnügen, daß man gar nicht in Zwei - fel bleiben kann, wie angenehm ihr Geſchmackſinn gekitzelt wird. Das Gefühl offenbart ſich als Empfindung und Taſtſinn in jeder Weiſe. Die Springmaus taſtet ſehr fein mit den Schnurren auf den Lippen und dann noch mit ihren Vorderhänden, hauptſächlich wohl mit Hilfe der Fingerkrallen.

Die geiſtigen Fähigkeiten der Springmaus will ich nicht eben hoch ſtellen; ſo viel iſt aber ſicher, daß ſie ſehr bald ſich an einen beſtimmten Ort eingewöhnt, Leute, die ſich mit ihr abgeben, gut kennen lernt und eine gewiſſe berechnende Kunſtfertigkeit an den Tag legt. Der Bau ihres Neſtes beſchäf - tigt ſie an jedem Morgen längere Zeit. Jch habe ihr Heu, Baumwolle und Haare gegeben und den Grundbau des Neſtes vorgezeichnet. Da arbeitet ſie denn nun ganz verſtändig weiter, holt ſich die Baumwollenklumpen herbei, zieht ſie mit den Vorderhänden aus einander und legt ſie ſich zurecht, ſchiebt Haare an den betreffenden Stellen ein und putzt und glättet die runde Neſthöhle bis ſie ihr den erforderlichen Grad von Ordnung und Sauberkeit zu haben ſcheint. Hervorſpringende Halme werden dann auch wohl noch ausgezogen oder abgebiſſen; kurz, das Ganze wird in einen möglichſt behaglichen Zuſtand verſetzt.

Unter allen Nagern, welche ich bisjetzt in der Gefangenſchaft hielt, hat mir die Springmaus das meiſte Vergnügen gewährt. Jhrer Eigenſchaften wegen muß ſich Jedermann mit ihr befreun - den. Und wirklich entzückt meine Gefangene alle Leute, welche ſie ſehen. Sie iſt ſo außerordentlich harmlos, ſo freundlich, zahm, reinlich und, wenn ſie einmal vom Schlafe erwacht iſt, ſo munter und ſo luſtig; jede ihrer Stellungen iſt ſo eigenthümlich, und ſie weiß ſoviel Abwechſelung in die - ſelben zu bringen, daß man ſich ſtundenlang mit ihr beſchäftigen kann. Sonini beobachtete, daß ſeine gefangenen Springmäuſe eifrig nagten, um ſich aus ihrem Käſig zu befreien: ich habe Dies nur dann bemerkt, wenn ich meine Gefangenen frei im Zimmer herumlaufen ließ. Hier verſuchte mein188Die Sandſpringer. Der Pferdeſpringer.jetziger Stubengenoſſe ſich ein Loch durch die Dielen zu ſchneiden; im Käfige aber hat er nie daran gedacht, ſeine ſcharfen Nagezähne zu etwas Anderem, als zum Freſſen zu gebrauchen.

Gegen ihren Pfleger benimmt ſich die Springmaus ſehr liebenswürdig. Niemals fällt es ihr ein, Den zu beißen, welcher ſie aufhebt. Man darf ſie berühren, ſtreicheln, umhertragen: ſie läßt ſich Alles gefallen. Nur wenn man ihr abends den Finger durch das Gitter hält, faßt ſie denſelben zu - weilen und ſchabt mit den Zähnen ein wenig an der Spitze, wahrſcheinlich weil ſie glaubt, daß man ihr irgend Etwas zum Freſſen reichen wolle. Zu einem ernſtlichen Beißen aber kommt es auch dann nicht. Man könnte, glaube ich, die Springmaus in jedem Putzzimmer halten, ſo groß iſt ihre Gutmüthigkeit, Harmloſigkeit und Reinlichkeit. Ob ſie ihren Pfleger von anderen Leuten unterſcheiden lernt, ſteht dahin. Faſt ſcheint es mir, als ob meine letzte Gefangene mich vor Anderen bevorzuge. Eins iſt ſicher: gegen Liebkoſungen iſt ſie ſehr empfänglich. Nichts iſt ihr unangenehmer, als wenn ich ſie in der Luſt ihrer abendlichen Luſtwandlungen außerhalb des Käfigs ſtöre, und nur höchſt ungern bleibt ſie dann in meiner Hand. Setze ich ſie aber auf die eine Hand, und ſtreichle ich ſie ſanft mit dem Finger: ſo ſchließt ſie entzückt die Augen zur Hälfte, rührt minutenlang kein Glied und vergißt Freiheit und alles Andere.

Sie iſt mäßig, braucht aber viel Nahrung, weil ſie von jedem Nährſtoffe nur ein kleines Wenig frißt. Jhre Loſung ähnelt der mancher Mäuſe. Jhr Harn hinterläßt gar keinen üblen Geruch; ſeine Menge iſt dazu auch viel zu gering. Jm Sande bemerkt man überhaupt Nichts von den natürlichen Ausleerungen des Thieres.

Der Nutzen, welchen die Springmäuſe bringen, iſt nicht unbedeutend. Die Araber eſſen ihr ziemlich ſchmackloſes Fleiſch ſehr gern und bereiten ſich wohl auch aus den glänzenden Fellen kleine Pelze für Kinder und Frauen oder verwenden ſie ſonſt zur Verzierung von Sätteln, zum Beſatz von Decken ꝛc. Die Felle werden, je länger ſie getragen werden, um ſo ſchöner und glänzender; doch nutzen ſich die Haare ſehr bald ab, und auch die Häute zerreißen nach kurzem Gebrauch an vielen Stellen. Schaden bringen die Springmäuſe natürlich nicht, ſie nutzen höchſtens diejenige Stelle der Wüſte aus, welche ſonſt von keinem anderen Geſchöpfe beſucht wird.

Der Bau des Schädels, der Zähne und hauptſächlich der Hinterfüße unterſcheiden die Sand - ſpringer (Scirtetes) von den eigentlichen Springmäuſen. Noch iſt ein langer und ſtarker Mittel - fußknochen vorhanden; aber zu ſeinen beiden Seiten liegen kleinere, welche Afterzehen tragen. Hierdurch wird der Hinterfuß eigentlich fünfzehig: der große Knochen trägt drei Zehen und die beiden je eine. Der Schädel iſt hinten ſchmäler und etwas gerundeter, als bei den wahren Springmäuſen. An den Nagezähnen fehlt die Rinne an der Vorderfläche; die Backzähne ſind tiefer und vielfacher gefaltet. Jm übrigen ähneln die Sandſpringer ihren Verwandten vollſtändig; theilweiſe bewohnen ſie mit ihnen auch daſſelbe Vaterland.

Durch die vorzüglichen Beſchreibungen von Pallas, Brandt und Anderen iſt uns namentlich der Pferdeſpringer (Scirtetes Jaculus) bekannt geworden. Das Thier hat ungefähr Eichhörnchengröße, ſein Leib iſt 7 Zoll, der Schwanz 10 Zoll lang; die Ohren haben Kopfeslänge. Die Pelzfärbung des Pferdeſpringers iſt im allgemeinen die ſeiner übrigen Verwandten. Die Oberſeite iſt röthlich gelb mit ſchwach graulichem Anfluge; die Seiten - und Oberſchenkel ſind etwas heller; die Unterſeite und die Beine innen weiß. Ein länglicher, faſt ſtreifenähnlicher weißer Flecken, welcher ſcharf von der Grundfarbe abſticht, zieht ſich von den oberen Schenkeln bis zum Schwanz; ein ähnlicher verläuft vorn über die Hinterbeine. Der Schwanz iſt röthlich gelb bis zur Quaſte; dieſe iſt in der erſten Hälfte ſchwarz, in der zweiten Spitze weiß, deutlich pfeilartig gezeichnet.

Der Pferdeſpringer oder Alakdaga gehört unbedingt zu den zierlichſten Thieren aus der ganzen Familie. Die eigenthümlichen Formen derſelben treten bei ihm in beſonderer Zartheit her -189Der Pferdeſpringer.vor. Sein Kopf iſt wahrhaft ſchön, wenn auch eigenthümlich; er iſt rund und trägt lebhafte, hervor - ragende Augen mit kreisrunden Sternen, große lange und ſchmale Ohren von mehr als Kopfeslänge und ſehr lange, ſchwarzgraugeſpitzte Schnurren, welche ſich zu beiden Seiten der Oberlippe in acht Längsreihen ordnen. Die Hinterbeine ſind faſt vier Mal ſo lang als die Vorderbeine. Die Mittel - zehe iſt am längſten; denn die beiden ſeitlichen reichen nur bis zum erſten Glied derſelben, und die noch übrigen kommen beim wirklichen Fuße kaum in Betracht, weil ſie ſo hochgeſtellt und ſo kurz ſind, daß ſie beim Gehen nie den Boden berühren: ſie können mit Fug und Recht Afterzehen genannt werden. An den Hinterfüßen ſind die Krallen kurz, ſtumpf und faſt hufartig geſtaltet, an den Vor - derfüßen lang, gekrümmt und ſpitzig. Jm allgemeinen ähneln die Sandſpringer den eigentlichen Springmäuſen in jeder Hinſicht.

Man kennt gegenwärtig etwa ein halbes Dutzend ſicher unterſchiedene Arten dieſer Sippe, von denen jedoch einige nach den Unterſuchungen Brandt’s in mehrere Unter - oder Spielarten zerfallen. Jmmerhin bleibt es merkwürdig, daß dieſe ſogenannten Spielarten ſtändig ſind, und deshalb dürfte

Der Pferdeſpringer (Scirtetes Jaculus).

die Vermuthung, daß man es hier mit mehreren wirklichen Arten zu thun habe, nicht ſo ganz ungerechtfertigt ſein.

Die Sandſpringer bewohnen faſt denſelben Heimatkreis wie die Wüſtenmäuſe; die kirgiſiſche Steppe beherbergt aber die meiſten Arten. Der Pferdeſpringer findet ſich auch im ſüdöſtlichen Europa, namentlich zwiſchen der Donau und dem Don, ſowie in der Krim; doch bleibt für ihn Aſien ebenfalls die wahre Heimat. Hier iſt er namentlich zwiſchen dem Jaik und Jrtiſch, ſowie an der Wolga, häufig. Nach Norden hin geht er nicht über den zweiundfunfzigſten Grad der nördlichen Breite hinaus; dagegen erſtreckt ſich ſein Verbreitungskreis weit nach Oſten hin, und es iſt gar nicht unwahr - ſcheinlich, daß er auch in China vorkommt. Jn Aſien iſt er überall ſehr bekannt. Bei den Ruſſen heißt er Semljanoi-Saez oder Erdhaſe, am Jaik Tuſchkantſchick oder Häschen; die Mongolen geben ihm den Namen, welchen Cuvier zum Sippennamen machte, Alakdaga, zu deutſch etwa buntes Füllen; die Kalmücken nennen ihn Morin-Jalma oder Pferdeſpringer und die Tartaren endlich Tya-Jelman oder Kamelhaſe.

190Die Sandſpringer. Der Pferdeſpringer.

Wie der Jerboa die Wüſten Afrikas bewohnt, findet ſich der Alakdaga in den offenen Ebenen der Steppen Südeuropas und Aſiens, namentlich auf lehmigem Boden. Den eigentlichen Nollſand ſcheint er zu vermeiden, jedenfalls, weil dieſer nicht hinlängliche Feſtigkeit für ſeine Gänge und Höhlen bietet. Er lebt geſellig, wie ſeine Verwandten, doch nicht in ſo großen Scharen. Bei Tage ruht er verborgen in ſeinem künſtlichen Bau; die Nacht ſtreift er umher. Jm Gegenſatz zur Wüſtenſpring - mans ſcheint er die Kühle gut vertragen zu können; denn man begegnet ihm noch in ſehr kalten Nächten. Jn ſeinen Bewegungen ähnelt er den bereits beſchriebenen Familiengenoſſen. Wenn er ruhig weidet, läuft er auf allen Vieren wie ein Känguru; in der Flucht ſpringt er nur auf den beiden Hinter - füßen davon. Die Sätze, welche er ausführt, ſollen noch größer ſein, als die der Wüſtenſpringmäuſe, weil er ſich auch mit dem Schwanze vom Boden abſchnellen hilft. Der Pferdeſpringer iſt im Stande, ſo ſchnell zu laufen, daß das beſte Roß ihn nicht einholen kann. Er iſt ſehr ſcheu und furchtſam und ergreift bei der geringſten Gefahr die Flucht; ſelbſt wenn er ruhig weidet, richtet er ſich beſtändig auf, um zu ſichern. Wenn er verfolgt wird, hüpft er nicht in gerader Richtung fort, ſondern läuft ſo viel als möglich im Zickzack davon bis er ſeinen Verfolger ermüdet oder irgend eine ihm paſſende Höhle gefunden hat, in welche er ſich augenblicklich verbirgt. Dieſe Höhlen rühren meiſtens von an - deren ſeiner Art her und können ziemlich künſtliche Baue genannt werden. Meiſt einfache, obwohl hin und her gekrümmte Röhren führen von außen ſchief nach dem Hauptgange, welcher nicht ſelten in mehrere Aeſte getheilt iſt und zu dem geräumigen Keſſel, der ſeinerſeits wieder mit einigen Neben - kammern in Verbindung ſteht. Vom Keſſel aus führt ein anderer Gang in ganz entgegengeſetzter Richtung nach oben bis dicht unter die Oberfläche des Bodens. Dies iſt die Fluchtröhre; ſie wird bei Gefahr vollends durchbrochen und rettet das geängſtete Thier auch faſt regelmäßig, da keiner der verfolgenden Feinde es wiſſen kann, in welcher Richtung ſie mündet. Eigenthümlich iſt die Gewohnheit des Pferdeſpringers, alle Gänge des Baues zu verſtopfen, ſobald er denſelben betreten hat; aber grade hierdurch gibt er ein ſicheres Merkzeichen ſeines Vorhandenſeins. Denn niemals findet man in einem Bau, deſſen Röhren unverſchloſſen ſind, einen Bewohner. Vor der Mündung, der Haupt - röhre, liegt regelmäßig ein größerer oder kleinerer Erdhaufen aufgeſchichtet, wie wir Dies ja auch bei den meiſten Bauen unſerer unterirdiſch lebenden Thiere ſehen. Gewöhnlich bewohnen zwei bis drei Paare einen und denſelben Bau, und deshalb finden ſich wohl auch die verſchiedenen Nebenkammern im Keſſel.

Der Alakdaga frißt Pflanzen aller Art und alle Pflanzentheile. Zwiebeln bilden wohl ſeine Hauptnahrung, Kerbthiere verſchmäht er übrigens auch nicht, und ab und zu mag er wohl auch eine der Steppenlerchen oder wenigſtens ihre Eier und Jungen verzehren. Am Geſträuch nagt er die Rinden ab; von den ſaftigen Steppenpflanzen aber frißt er nur die zarteſten Triebe.

Das Weibchen wirft im Sommer (wahrſcheinlich mehrere Mal) bis acht Junge, gewöhnlich aber nur fünf bis ſechs auf das warme, mit den eigenen Haaren ausgefütterte Lager im Bau. Wie lange dieſe Jungen bei der Mutter bleiben, weiß man nicht; es iſt wahrſcheinlich, daß ſie bis gegen den Winter hin dieſelbe Wohnung mit ihr theilen.

Beim Eintritt großer Kälte fällt der Pferdeſpringer in Schlaf. Ein nicht abzuleugnendes Vor - gefühl kündet ihm ſchon im voraus die kommende Witterung an; denn man bemerkt, daß er auch bei Regen und Kälte ſich in ſeinem Neſte einzuhüllen und zu verbergen ſucht. Gegen den Winter hin ſchließt er nach außen ſeine Röhren ſorgfältiger als gewöhnlich und rollt ſich mit anderen ſeiner Art auf dem weich ausgepolſterten Keſſel in einen Knäuel zuſammen. Nahrungsvorräthe ſcheint er ſich nicht einzutragen.

Der Alakdaga wird ziemlich lebhaft verfolgt, da die Steppenbewohner ſein Fleiſch beſonders lieben. Am eifrigſten ſcheinen ihm die mongoliſchen Knaben nachzuſtellen. Sie unterſcheiden die verlaſſenen und bewohnten Höhlen ſehr genau und verſtehen es vortrefflich, das behende Thier zu fangen. Zu dieſem Ende umzäunen ſie den ganzen Bau auf das engſte und gießen dann Waſſer in die Fallröhren oder brechen mit einem Pfahl die Gänge auf. Schon beim Beginn der Verfol -191Der Springhaſe.gung verläßt der Alakdaga ſeinen Bau und ſucht ſich durch den verdeckten Gang ins Freie zu retten. Unterläßt man es alſo, das Ganze mit einem Zaune zu umgeben, ſo iſt er gerettet. Ja ſelbſt dann, wenn man ihn ſchon in der Hand zu haben meint, entwiſcht er noch öfters.

Jn manchen Gegenden glaubt man auch in dem getrockneten und gepulverten Thiere ein wich - tiges Heilmittel bei gewiſſen körperlichen Leiden zu finden; im allgemeinen aber ſcheint man mit dem anmuthigen Geſchöpfe eben nicht auf dem beſten Fuße zu ſtehen. Man behauptet, daß der Pferdeſpringer den ſchlafenden Ziegen und Schafen nachts die Milch aus dem Euter ſauge; man beſchuldigt ihn der Feindſchaft gegen die Schafe und verſichert, daß er nachts die Herden aufſuche, um ſie durch tolle Sprünge zu erſchrecken, anderer Verleumdungen, die man ihm aufbürdet, nicht zu gedenken. Nur höchſt ſelten halten die Nomaden jener Steppen einen Alakdaga in der Gefangen - ſchaft, obgleich er dieſe recht gut erträgt. Man hat ihn ſchon mehrmals lebend in Europa gehabt und zwar nicht blos des Vergnügens halber. Sonderbarer Weiſe verdanken wir die beſten Schilderungen des Gefangenlebens unſres Thierchens nicht einem Naturfreund, ſondern dem Alterthumsforſcher Haym. Dieſer hatte eine Goldmünze aus Cyrene, welche auf der einen Seite einen Reiter, auf der Rückſeite aber das berühmte Kraut Sylphium und darunter einen Sandſpringer zeigte. Um dieſe Münze zu erklären, verſchaffte ſich Haym unſer Thierchen und behielt es über ein Jahr lang lebend in der Gefangenſchaft. Er beobachtete es ſorgfältig und theilte ſeine hübſchen Beobach - tungen mit:

Das ſchwarze Auge, ſagt er, ſteht weit vor und iſt lebhafter, als ich es bei irgend einem anderen Thiere geſehen habe. Sein Haar iſt feiner, als das Biberhaar, und ſehr lang; die Vorder - füße ſind ſehr kurz und haben fünf Finger, faſt wie die Hand des Menſchen; die Hinterfüße ſind ſo lang, als der ganze Leib. Bald ſetzt er alle vier Füße auf den Boden, bald ſteht er nur auf den hinteren, immer aber geht er blos auf den letzteren. Er richtet ſich hoch auf, wenn er erſchreckt wird, und läuft ſehr ſchnell, faſt geradeaus und hüpfend, wie die kleinen Vögel.

Jch habe verſucht, ihm verſchiedene Speiſen zu geben; die erſten drei oder vier Monate fraß er aber Nichts als Mandeln, Piſtacien und geſchrotenes Korn, ohne jemals zu ſaufen. Man hatte mir nämlich geſagt, daß er Dies nicht thue, und deshalb gab ich ihm auch kein Waſſer. Nichts - deſtoweniger ließ er viel Harn. Später fand ich, daß er auch Aepfel, Möhren und noch lieber Kräuter fraß, jedoch blos ſolche, welche wenig Geruch haben, wie Spinat, Salat, Neſſeln u. ſ. w., niemals Rauten, Krauſemünzen, Thymian u. dgl., ja, er trank auch gern Waſſer, obgleich nicht immer. Als er einmal unwohl war, wollte ich ihm Waſſer mit Safran geben; das nahm er aber nicht an, obgleich ich ihn ſehr nöthigte. Brod, Zucker und ähnliche Dinge fraß er gern, Käſe und alle anderen Milchſpeiſen verſchmähte er hartnäckig. Einmal ſtellte ich ihn auf den rothen Sand, und davon verſchluckte er ſoviel, daß ich ihn wirklich ſchwerer fand, als ich ihn in die Hände nahm. Schließlich zog er allem übrigen Futter Hanfſamen vor. Er verbreitete gar keinen üblen Geruch, wie ähnliche Thiere, als Mäuſe, Eichhörnchen und Kaninchen, dabei war er ſo ſanft, daß man ihn mit aller Sicherheit in die Hände nehmen konnte; denn er biß niemals. Furchtſam wie ein Haſe, ſcheute er ſich ſelbſt vor kleineren, unſchuldigen Thieren. Jn der kalten Jahreszeit litt er viel; des - halb mußte ich ihn im Winter immer in der Nähe des Feuers halten. Jedoch glaube ich, daß mein Thierchen lange gelebt haben würde, wäre es nicht zufällig getödtet worden.

Unter den übrigen Springmäuſen iſt der Springhaſe (Pedetes caffer) die wichtigſte Art, ſchon weil ſie eine beſondere Sippe begründet. Der Springhaſe bewohnt das ſüdliche Afrika, vorzüglich das Kapland, und erhielt ſeinen Namen von den holländiſchen Anſiedlern. Einige pflegen ihn wohl auch mit dem Namen Erdmänuchen zu bezeichnen. Er erſcheint als ein Mittelthier zwiſchen den Kängurus und den eigentlichen Springhaſen. An erſtere erinnert er vornehmlich durch den Hinter -192Der Springhaſe.theil ſeines Leibes, der ſich bedeutend verdickt und, wie bei den Kängurus, in einen ſtarken, kräf - tigen Schwanz endet; im inneren Leibesbau aber ähnelt er doch den Springmäuſen weit mehr, als den Beutelthieren, und der Beutel fehlt ihm auch. Doch erinnert an dieſen wiederum eine Haut - taſche des Weibchens in der Weichengegend, wenn dieſelbe auch Nichts mit dem Saugen und Aus - tragen der Jungen zu thun haben mag. Von den eigentlichen Springmäuſen unterſcheidet ſich der Berg - oder Springhaſe äußerlich ſchon hinlänglich. Der geſtreckte Leib wird nach hinten allmählich dick, der Hals iſt ziemlich dick, jedoch abgeſetzt vom Leibe und viel beweglicher, als bei den Springmäuſen. Die Vorderbeine ſind noch ſehr kurz, aber viel kräftiger, als bei den Familienverwandten. Jhre fünf Zehen tragen ſtarke, lange, ſtarkgekrümmte Krallen. Die Hinterbeine ſind ſehr lange, kräf - tige Springbeine mit vier Zehen, von denen jede an einem beſonderen Mittelfußknochen ſitzt. Sie ſind mit ſtarken, breiten, aber ziemlich kurzen, faſt hufartigen Krallen bewaffnet. Die Mittelzehe iſt hier die längſte, die Außenzehe ſehr kurz und ſo hoch geſtellt, daß ſie kaum den Boden berührt. Der ſehr lange, kräftige und dichtbuſchige Schwanz iſt an der Wurzel noch dünn, wird aber

Der Springhaſe (Pedetes caffer).

durch die reichliche Behaarung bald dicker und mündet in einem ſtumpfſpitzigen Haarbüſchel. Der Kopf iſt noch ziemlich groß, breit am Hinterkopf, an den Seiten zuſammengedrückt, die Schnauze iſt mäßig lang, ziemlich ſtumpf, die Mundſpalte iſt klein, die Oberlippe nicht geſpalten. Große, hochgewölbte und deshalb hervortretende Augen, mittellange, ſchmale und ſpitze Ohren erinnern noch an die übrigen Familienglieder. Die Schnurren dagegen ſind verhältnißmäßig kurz. Der Zahnbau hat noch Vieles mit den übrigen Verwandten gemein; doch unterſcheiden ſich die Back - zähne durch ihre Faltung ganz ſicher von denen anderer Springmäuſe. Das Weibchen trägt vier Zitzen auf der Bruſt.

Die Behaarung des Springhaſen iſt lang, dicht, reichlich und weich, ihre Färbung ähnelt der unſeres Haſen auffallend. Sie iſt auf der Oberſeite roſtbräunlichfahlgelb mit ſchwarzer Beimiſchung, weil viele Haare mit ſchwarzen Spitzen endigen. Die Unterſeite iſt weiß. Jn der Größe ähnelt das Thier ungefähr unſerm Haſen: die Länge ſeines Leibes beträgt gegen Fuß und gerade die des Schwanzes noch etwas mehr.

193Der Springhaſe.

Am Kap der guten Hoffnung findet man den Springhaſen oft recht häufig, ebenſowohl in gebir - gigen Gegenden, wie in offenen Ebenen, manchmal in ſo großen Mengen, daß er förmliche Anſied - lungen bildet. Nach Art ſeiner Verwandten gräbt auch er ſich unterirdiſche Baue mit langen, ge - wöhnlich ſeicht verlaufenden und vielfach verzweigten, nach einem tieferen Keſſel führenden Gängen. Meiſt bewohnen mehrere Paare, ja ganze Familien einen ſolchen Bau, und oft ſiedeln ſich in man - chen Gängen des bewohnten Baues wilde Bienen an, welche alſo friedlich mit dem Baubeſitzer die Wohnung theilen. Die Hottentotten ſagen, daß der Springhaſe beim Graben ebenſowohl ſein Ge - biß, als die Vorderfüße brauche, und Lichtenſtein erfuhr, daß es nicht ſo leicht iſt, einen Spring - haſen aus der Erde zu graben. Seine Bemühung, das Thier zu erhalten, war erfolglos, obgleich er unzählige Löcher am Fuße des Berges entdeckte und eine Menge von Hottentotten anſtellte, die mit Schaufeln und Hacken helfen mußten, die ſeichten Gänge zu durchwühlen. Das Netz, welches dieſe Gänge bilden, war ſo vollſtändig, daß es ganz unmöglich wurde, dem Springhaſen alle Wege abzu - ſchneiden, und die Erzählung der Hottentotten, daß der Springhaſe ſchneller grübe, als man ihm mit dem Spaten folgen könne, erhielt wenigſtens viel Wahrſcheinlichkeit.

Wie ſeine Familienverwandten iſt auch der Springhaſe vorzugsweiſe ein Nachtthier. Erſt mit der Abenddämmerung beginnt ſein wahres Leben. Er kommt langſam aus ſeinem Baue hervor, kriecht mehr, als er geht, auf allen vier Füßen dahin und ſucht ſich Wurzeln, Blätter und Sämereien, welche ſeine Nahrung bilden. Faſt jede Minute richtet er ſich auf und lauſcht; denn er iſt beſtändig höchſt unruhig. Wenn er nicht frißt, putzt er ſich, und wenn er ſich nicht putzt, zeigt er ſich beſorgt für ſeine Sicherheit. Bisweilen läßt er ein Grunzen oder Meckern hören, wahrſcheinlich um ſeine verſchiedenen Gefährten zuſammenzurufen. Die Nahrung führt er mit den kurzen Vorderfüßen zum Munde, ganz wie die Springmäuſe. So langſam das Thier iſt, wenn es auf allen vier Füßen da - hinläuft, ſo ſchnell iſt ſein Lauf. Er beſteht, wie beim Känguru oder den Springmäuſen, aus raſch aufeinanderfolgenden Sätzen. Mit den langen Hinterbeinen und mit dem Schwanz ſchnellt ſich der Springhaſe vom Boden in die Höhe und tritt mit den Hinterfüßen wieder auf, ohne ſich nach vorn zu überſtürzen. Die Vorderbeine bleiben, ganz wie beim Känguru, über der Bruſt gefaltet. Ge - wöhnlich beträgt die Weite ſeiner Sprünge bis 10 Fuß; wird er aber verfolgt, ſo ſteigert er ſeinen Lauf derartig, daß dann die durchſchnittliche Weite zwiſchen 20 und 30 Fuß beträgt: ſo geben übereinſtimmend Forſter und Sparrmann an. Dabei legt der Springhaſe eine Leichtigkeit an den Tag, daß es ausſieht, als wäre er gar nicht im Stande, zu ermüden, und ſo entkommt er denn auch regelmäßig ſeinen Feinden. Nur die Näſſe lähmt ſeine Behendigkeit. Die Hottentotten verſicherten Lichtenſtein, daß der Springhaſe bei Regenwetter niemals aus ſeinem Bau komme, und daß es bei heftigem Platzregen leicht wäre, ihn mit den Händen zu ergreifen, ſo matt würde er durch die Näſſe. Und wenn man nun gar Waſſer in die Baue leite, könne man ſoviele Springhaſen fangen, als man wolle. Demungeachtet ſei es noch immer nicht ſo leicht, ſich des Thieres zu bemächtigen; denn es vertheidige ſich tüchtig mit den Hinterbeinen, indem es damit nach vorn ausſchlage und mit den lan - gen, ſcharfen Zehen oft recht heftige Verwundungen beibringe.

Ueber die Fortpflanzung weiß man noch ſehr wenig. Das Weibchen wirft im Sommer drei bis vier Junge, welche längere Zeit von der Mutter geſäugt werden und dann mit ihr ausgehen, auch lange denſelben Bau bewohnen. Beim Eintritt der Regenzeit ſoll die ganze Familie oft tagelang im Jnnern des Baues verweilen, in zuſammengerollter Stellung, eng an einander gerückt, ohne jedoch einen förmlichen Winterſchlaf zu halten.

Die Gefangenſchaft hält der Springhaſe bei guter Pflege leicht und dauernd aus; er wird auch bald zahm und zutraulich gegen ſeinen Pfleger. Blos wenn er arg gequält wird, verſucht er es, die Unbill mit einem Biß zu rächen. Seine Reinlichkeit macht ihn beliebt und ſeine Fütterung verurſacht eben keine Mühe: Weizen, Brod, Salat und Kohl genügen ihm vollſtändig. Jn der Gefangen - ſchaft ſchläft er ſitzend und verbirgt den Kopf zwiſchen den Schenkeln und drückt mit den gekreuzten Vorderpfoten die Ohren über die Augen weg.

Brehm, Thierleben. II. 13194Die Haſenmäuſe oder Cchinchillen.

Bei den holländiſchen Anſiedlern iſt die Jagd des Thieres ſehr beliebt; denn das Fleiſch wird geſchätzt und der Balg in ähnlicher Weiſe verwandt, wie der unſeres Haſen. Jm Bergleich zu dieſem Nutzen iſt der Schaden, den der Springhaſe durch Unterwühlen mancher Felder und Gärten anrichtet, ein ſehr geringer; es ſteht ja auch in Jedes Hand, das Thier zu vertreiben, ſobald es läſtig wird.

Erſt in der Neuzeit iſt man bekannter geworden mit den Mitgliedern einer kleinen Familie ame - rikaniſcher Thiere, deren Felle ſchon ſeit alten Zeiten von den Ureingeborenen Amerikas vielfach benutzt und auch ſeit Ende vorigen Jahrhunderts in großen Maſſen nach Europa übergeführt wurde. Es ſind dies die Haſenmäuſe oder Chinchillen [ſprich Tſchintſchilljen] (Eriomyes), Thiere, welche Mittelglieder zu ſein ſcheinen zwiſchen den Mäuſen und Haſen. Gegenwärtig kennt man mit Sicherheit nur fünf Arten der ganzen Familie. Sie bilden drei Gruppen, die ſich hauptſächlich durch die verſchiedene Zahl der Zehen an den Vorder - und Hinterfüßen und durch andere, wenig ins Gewicht fallende Eigenthümlichkeiten unterſcheiden. Jm allgemeinen kann man ſagen, daß die Chin - chillen Kaninchen mit langem Buſchſchwanze ſind; mit dieſen Worten hat man ihre kürzeſte und deshalb beſte Beſchreibung gegeben. Der feinſte Pelz, welchen Säugethiere überhaupt tragen, deckt ihren Leib. Seine Färbung iſt ein lichtes Grau mit Weiß und Schwarzbraun oder Gelb. Die Wirbelſäule beſteht aus zwölf Rippen -, acht Lenden -, zwei Kreuz - und zwanzig Schwanzwirbeln; das Gebiß erinnert lebhaft an das der Haſen. Alle Arten bewohnen ausſchließlich Südamerika, und zwar größtentheils das Gebirge noch in bedeutender Höhe zwiſchen den völlig kahlen Felſen unter der Schneegrenze. Eine Art findet ſich aber auch in der Ebene, ebenfalls in Wüſtengegenden. Natür - liche Höhlen im Felsgeſtein oder von den Thieren eigens gegrabene Gänge in den Ebenen bilden ihre Wohnſitze. Alle ſind geſellig, manche bewohnen familienweiſe ein und dieſelbe Höhle. Wie die Haſen, ſind ſie dem Lichte abhold und zeigen ſich am meiſten in der Dämmerung oder in der Nacht. Es ſind ſchnelle, lebhafte, behende Thiere und auch in ihren Bewegungen halb Kaninchen, halb Mäuſe. Wurzeln und Flechten, Zwiebeln und Rinde, auch wohl Früchte bilden ihre Nahrung. Alle Arten ſind ſcheu und furchtſam, dabei harmlos oder feig und blos eine einzige Art vertheidigt ſich in höchſter Noth gegen ihre Feinde. Jhre Vermehrung iſt ungefähr ebenſogroß, wie die der Haſen. Sie ertragen die Gefangenſchaft leicht und erfreuen durch Reinlichkeit und Zahmheit. Das Gehör ſcheint der entwickeltſte Sinn zu ſein. Jhr Verſtand iſt gering. Manche Arten richten Schaden an, oder werden wenigſtens dem Menſchen durch das Unterwühlen des Bodens läſtig, alle aber nützen durch ihr Fleiſch und ihr wahrhaft koſtbares Fell.

Die eigentlichen Chinchillas (Eriomys), welche die erſte Sippe bilden, zeichnen ſich durch dicken Kopf, breite, gerundete Ohren und fünfzehige und vierzehige Hinterfüße, ſowie den langen, außerordeutlich weichen und ſeidenhaarigen Pelz vor ihren Verwandten aus. Man kennt blos zwei Arten dieſer Thiere, die Chinchilla (Eriomys Chinchilla) und die kleine Wollmaus (Eriomys lanigera). Erſtere wird ungefähr einen Fuß lang und trägt einen 5, mit den Haaren aber 8 Zoll langen Schwanz. Der gleichmäßige, feine, überaus weiche Pelz iſt auf dem Rücken und an den Seiten mehr als zolllang; die Haare ſind an der Wurzel tiefblaugrau, ſodann breit weiß geringelt und dunkelgrau endigend. Hierdurch erſcheint die allgemeine Färbung ſilberfarben, dunkel ange - flogen. Die Unterſeite und die Füße ſind reinweiß; der Schwanz hat oben zwei dunkle Binden; die Schnurren ſind an ihrer Wurzel ſchwarzbraun, an der Spitze graubraun. Die großen Augen ſind ſchwarz.

Schon zur Zeit der Jnkas verarbeiteten die Peruaner das feine Seidenhaar der Chinchilla zu Tuch und ſehr geſuchten Stoffen, und die alten Schriftſteller, wie Acoſta und Molina, geben195Die Chinchilla.ziemlich ausführliche, wenn auch nicht eben getreue Schilderungen des wichtigen Thieres. Jm vorigen Jahrhundert erhielt man die erſten Pelze als große Seltenheiten über Spanien; jetzt ſind ſie zu einem gewöhnlichen Handelsartikel geworden. Die Pelzhändler kannten und unterſchieden auch ſchon viel früher als die Thierkundigen zwei Arten von Schengſchellen ; aber letztere waren anfangs nicht im Stande, Sicheres feſtzuſtellen, weil alle Pelze, welche kamen, unvollſtändig waren und die wich - tigſten Unterſcheidungsmerkmale des Thieres, den Schädel mit ſeinem Gebiß und die Füße mit ihren Zehen, natürlich nicht zur Anſchauung bringen konnten. So vermochte erſt im Jahre 1829 Ben - nett etwas Ausführlicheres über das Thier zu berichten, nachdem er es ſich lebend verſchafft und es in England längere Zeit beobachtet hatte. Aber noch immer iſt die Naturgeſchichte der Wollmaus in vielen Punkten ſehr dunkel.

Die Chinchilla (Eriomys Chinchilla).

Der Reiſende, welcher von der weſtlichen Küſte Südamerikas die Cordilleren emporklimmt, gewahrt, wenn er einmal eine Höhe von acht bis elftauſend Fuß erreicht hat, oft meilenweit alle Felſen von die - ſer Chinchilla und zwei Arten einer anderen Sippe derſelben Familie bedeckt. Jn Peru, Bolivia und Chile müſſen dieſe Thiere überaus häufig ſein; denn wir erfahren von Reiſenden, daß ſie während eines Tages an Tauſenden vorübergezogen ſind. Auch bei hellen Tagen ſieht man die Chinchillas vor ihren Höhlen im Gebirge ſitzen, aber nie auf der Sonnenſeite der Felſen, ſondern immer im tiefſten Schatten. Noch häufiger gewahrt man ſie in den Früh - und Abendſtunden. Dann beleben ſie das Gebirge und zumal die Grate in unfruchtbaren, ſteinigen und felſigen Gegenden, wo die Pflanzenwelt nur noch in dürftigſter Weiſe ſich zeigt. Gerade an den ſcheinbar ganz kahlen Felswänden treiben ſie ſich um - her, ungemein ſchnell und lebhaft ſich bewegend. Mit überraſchender Leichtigkeit klettern ſie an den Wänden hin und her, welche ſcheinbar gar keinen Anſatz bieten. Sie ſteigen 20 bis 30 Fuß ſenk - recht empor mit einer Gewandtheit und Schnelligkeit, daß man ihnen mit dem Auge kaum folgen kann. Obwohl ſie nicht gerade ſcheu ſind, laſſen ſie ſich doch nicht nahe auf den Leib rücken und verſchwin -13*196Die Haſenmäuſe oder Chinchillen. Die Chinchilla.den augenblicklich, ſobald man Miene macht, ſie zu verfolgen. Eine Felswand, welche mit Hun - derten bedeckt iſt, erſcheint noch in derſelben Minute todt und leer, in welcher man einen Schuß gegen ſie abfeuert. Jede Chinchilla hat im Nu eine Felſenſpalte betreten und iſt in ihr verſchwunden, als ob ſie durch Zauber dem Auge entrückt wäre. Je zerklüfteter die Wände ſind, um ſo häufiger wer - den ſie von den Chinchillas bewohnt; denn gerade die Ritzen, Spalten und Höhlen zwiſchen dem Geſtein bilden ihre Schlupfwinkel. Manchmal kommt es vor, daß der Reiſende, welcher, ohne den Thieren Etwas zu Leide zu thun, oben in jenen Höhen Naſt hält, geradezu umlagert wird von un - ſeren Felſenbewohnern. Das ganze Geſtein wird nach und nach lebendig; aus jeder Ritze, aus jeder Spalte lugt ein Kopf hervor. Die neugierigſten und vertrauendſten Chinchillas wagen ſich wohl auch noch näher herbei und laufen ſchließlich ungeſcheut unter den Beinen der weidenden Maulthiere herum. Jhr Lauf iſt mehr eine Art von Springen, als von Gehen; er erinnert an die Bewegungen unſerer Mäuſe. Wenn ſie ruhen, ſitzen ſie auf dem Hintertheile, mit an die Bruſt gezogenen Vor - derbeinen, den Schwanz nach hinten geſtreckt. Sie können ſich aber auch ganz frei auf den Hinter - beinen erheben und eine Zeitlang in dieſer Stellung erhalten. Beim Klettern greifen ſie mit allen vier Füßen in die Ritzen des Geſteins ein, und die geringſte Unebenheit genügt ihnen, um mit voll - ſtändiger Sicherheit Fuß zu faſſen. Alle Beobachter ſtimmen in der Angabe überein, daß dieſes Thier es meiſterhaft verſtehe, auch die ödeſte und traurigſte Gebirgsgegend zu beleben, und ſomit dem Men - ſchen, der einſam und verlaſſen dort oben dahinzieht, Unterhaltung und Erheiterung zu bieten.

Ueber die Fortpflanzung der Chinchilla iſt noch nichts Sicheres bekannt. Man hat zu jeder Zeit des Jahres trächtige Weibchen gefunden und von den Eingeborenen erfahren, daß die Zahl der Jungen zwiſchen vier und ſechs ſchwanke; Genaueres weiß man nicht. Die Jungen werden ſelbſtändig, ſo - bald ſie die Felſenritzen verlaſſen können, in denen ſie das Licht der Welt erblickten, und die Alte ſcheint ſich von dem Augenblicke des Auslaufens an nicht mehr um ihre Nachkommenſchaft zu kümmern.

Jn ihrem Vaterlande wird die große Chinchilla ſehr häufig zahm gehalten. Die Anmuth ihrer Bewegungen, ihre Reinlichkeit und die Leichtigkeit, mit welcher ſie ſich in ihr Schickſal findet, erwerben ihr bald die Freundſchaft des Menſchen. Sie zeigt ſich ſo harmlos und zutraulich, daß man ſie frei im Hauſe und in den Zimmern umherlaufen laſſen kann. Nur durch ihre Neugier wird ſie läſtig; denn ſie unterſucht Alles, was ſie in ihrem Wege findet, und ſelbſt die Geräthe, welche höher geſtellt ſind; denn ihr iſt es eine Kleinigkeit, an Tiſch und Schränken emporzuklimmen. Nicht ſelten ſpringt ſie ſogar den Leuten plötzlich auf Kopf und Schultern. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſtehen unge - fähr auf gleicher Stufe, wie die unſeres Kaninchens oder Meerſchweinchens. Man kann auch bei ihr weder Anhänglichkeit an ihren Pfleger, noch Dankbarkeit gewahren. Sie iſt lebhaft, doch bei weitem nicht in dem Grade als im Freien, und niemals legt ſie ihre große Furchtſamkeit ab. Mit trockenen Kräutern, namentlich mit trockenem Klee iſt ſie leicht zu erhalten. Jm Freien frißt ſie Grä - ſer, Wurzeln und Moſe ꝛc. ; dabei ſetzt ſie ſich auf das Hintertheil und bedient ſich gewöhnlich der Vorderpfoten, um ihre Speiſe zum Munde zu führen.

Jn früheren Zeiten ſoll die große Chinchilla bis zum Meere herab auf allen Bergen ebenſohäufig vorgekommen ſein, als in der Höhe; gegenwärtig findet man ſie blos hier und da und immer nur ſehr einzeln in dem tieferen Gebirge. Die unabläſſige Verfolgung, welcher ſie ihres Felles wegen ausgeſetzt iſt, hat ſie in die Höhe getrieben. Man hat ſchon von Alters her ihr eifrig nachgeſtellt und wendet auch jetzt noch faſt ganz dieſelben Jagdweiſen an, als früher. Die Europäer erlegen ſie zwar ab und zu mit dem Feuergewehre oder mit der Armbruſt, doch bleibt dieſe Jagd immer eine mißliche Sache; denn wenn eine Chinchilla nicht ſo getroffen wird, daß ſie augenblicklich verendet, ſchlüpft ſie regel - mäßig noch in eine ihrer Felsritzen und iſt dann für den Jäger natürlich verloren. Weit ſicherer iſt die Jagdart der Jndianer. Dieſe ſtellen gut gearbeitete Schlingen vor allen Felſenſpalten auf, zu denen ſie gelangen können, und löſen am anderen Morgen die Chinchillas, welche ſich in dieſen Schlingen gefangen haben, aus, oft viele Dutzende auf ein Mal. Außerdem betreibt man leidenſchaftlich gern197Die eigentliche Wollmaus.die Jagd, welche wir ebenfalls bei den Kaninchen anwenden. Die Jndianer verſtehen es meiſterhaft, das peruaniſche Wieſel (Mustela agilis) zu zähmen und zur Jagd der Chinchillas abzurichten; dann verfährt man genau ſo, wie unſere Frettchenjäger, oder überläßt es auch dem Wieſel, das von ihm im Jnnern der Höhle getödtete Thier ſelbſt herbeizuſchleppen.

Jn Nord - und Mittelchile wird die große Chinchilla durch die eigentliche Wollmaus erſetzt. Jn der Lebensweiſe ſcheint dieſe Art ganz der vorigen zu ähneln, wie ſie ihr auch in der äußeren Geſtaltung und der Färbung des Pelzes ſehr nahe ſteht. Sie iſt aber viel kleiner; denn ihre geſammte Länge beträgt höchſtens 14 oder 15 Zoll, wovon der Schwanz ungefähr ein Drittel wegnimmt. Das Fell iſt vielleicht noch ſchöner und weicher, als das ihrer Verwandten. Die außer - ordentlich dichtſtehenden, weichen Pelzhaare werden auf dem Rücken ¾ Zoll, an dem Hintertheile und den Seiten aber über 1 Zoll lang. Jhre Färbung iſt ein lichtes Aſchgrau mit dunkler Sprenkelung; der Untertheil und die Füße ſind matt graulich oder gelblich angeflogen. Auf der Oberſeite des

Die eigentliche Wollmaus (Eriomys lanigera).

Schwanzes ſind die Haare am Grunde und an der Spitze ſchmuzig weiß, in der Mitte braunſchwarz die Unterſeite des Schwanzes aber iſt braun.

Auch von dieſer Chinchilla kamen erſt auf vielfache Klagen der Naturforſcher einige Schädel und ſpäter lebendige Thiere nach Europa, obwohl ſchon ſehr alte Reiſende ſie erwähnen. Hawkins, welcher ſeine Reiſebeſchreibung 1622 herausgab, vergleicht die Wollmaus mit dem Eichhörnchen, und Ovalle ſagt, daß ſich dieſe Eichhörnchen nur im Thale Guasco fänden und wegen ihrer feinen Pelze außerordentlich geſchätzt und verfolgt würden. Molina machte ums Ende vorigen Jahrhunderts mit ihr bekannt. Er ſagt, daß die Wolle dieſer Art ſo fein ſei, wie die Fäden, welche die Gatter - ſpinnen machen und dabei ſo lang, daß ſie geſponnen werden kann. Das Thier wohnt unter der Erde in den nördlicheren Gegenden von Chile und hält ſich gern mit anderen Verwandten zuſammen. Seine Nahrung beſteht aus Zwiebeln und Zwiebelgewächſen, welche häufig in jenen Gegenden wachſen. Es wirft zwei Mal jährlich fünf bis ſechs Junge. Gefangene werden ſo zahm, daß ſie nicht beißen oder zu entfliehen ſuchen, wenn man ſie in die Hand nimmt; ſie bleiben ſogar ruhig198Die Haſenmäuſe oder Chinchillen. Die eigentliche Wollmaus.ſitzen, wenn man ſie in den Schos ſetzt, als wären ſie in ihrem eigenen Lager, und ſcheinen es außer - ordentlich gern zu haben, wenn man ſie ſchmeichelt. Da ſie ſehr reinlich ſind, darf man nicht fürch - ten, daß ſie die Kleider beſchmuzen oder ihnen einen üblen Geruch mittheilen; denn ſie haben gar keinen Geſtank wie andere Mäuſe. Man könnte die Wollmäuſe deshalb in den Häuſern halten ohne Beſchwerde und mit wenig Koſten; ſie würden dieſe Koſten durch Abſcheeren der Wolle ſehr reichlich erſetzen. Die alten Peruvianer, welche weit erfinderiſcher waren als die jetzigen, verſtanden aus die - ſer Wolle Bettdecken und andere Stoffe zu machen.

Ein anderer Reiſender erzählt, daß die jungen Leute unſer Thier mit Hunden fangen und ſeinen Balg an die Handelsleute verkaufen, welche ihn nach San Jago und Valparaiſo bringen, von wo er weiter ausgeführt wird. Der ausgebreitete Handel droht eine völlige Zerſtörung der ſchönen Thiere herbeizuführen.

Jm Jahre 1829 kam auch von dieſer Art ein Stück nach London und wurde von Bennett be - ſchrieben. Es war ein ſehr ſanftes Geſchöpf, welches aber doch bisweilen zu beißen verſuchte, wenn es nicht recht bei Laune war. Selten war es ſehr luſtig, und nur zuweilen ſah man ſeine ſonder - baren Sprünge. Es ſetzte ſich gewöhnlich auf die Schenkel, konnte ſich aber auch auf die Hinterbeine ſtellen und erhalten; die Nahrung brachte es mit den Vorderpfoten zum Munde. Jm Winter mußte man es in ein mäßig erwärmtes Zimmer bringen und ſeine Wohnung mit einem Stück Flanell aus - kleiden. Dieſen zog es oft von der Wand ab und zerriß ihn, indem es mit dem Zeuge ſpielte. Bei ungewöhnlichem Lärm verrieth es große Unruhe; ſonſt war es ruhig und ſanft. Körner und ſaftige Pflanzen ſchien es mehr zu lieben, als trockene Kräuter, welche die große Chinchilla ſehr gern fraß. Mit dieſer durfte man die Wollmaus nicht zuſammenbringen; denn als man es einmal that, entſtand ein heftiger Kampf, in welchem die kleine Art unfehlbar getödtet worden ſein würde, wenn man die Streiter nicht wieder getrennt hätte. Aus dieſem Grunde glaubte Bennett das geſellige Leben ver - ſchiedener Arten und Sippen bezweifeln zu müſſen.

Seit wenig Tagen beſitzt auch der hamburger Thiergarten eine Chinchilla die einzig Ueber - lebende von ſieben Stück, welche uns von Balparaiſo geſandt wurden. Die wenigen Beobachtungen, welche ich an ihr bisher machen konnte, ſtimmen im weſentlichen mit Bennett’s Angaben überein; doch glaube ich, Einiges hinzufügen zu müſſen.

Unſere Chinchilla gibt uns hinlängliche Beweiſe, daß ſie mehr Nacht - als Tagthier iſt. Sie zeigt ſich bei Tage zwar ebenfalls munter, jedoch nur, wenn ſie geſtört wird. Als ſie einmal ihrem Käfig entſchlüpft war und ſich nach eigenem Belieben im Hauſe umhertreiben konnte, verbarg ſie ſich hartnäckig bei Tage, trieb es aber dafür nachts um ſo lebhafter. Man fand ihre Spuren überall, in der Höhe, wie in der Tiefe. Sie erkletterte Geſtelle von drei bis ſechs Fuß mit Leichtig - keit, wahrſcheinlich ſpringend; ſie durchkroch Ritzen und Oeffnungen von Zoll Durchmeſſer, Drahtgeflechte z. B., welche wir zu ihrer Abſperrung als genügend erachtet haben würden. Jhr Gang iſt ein eigenthümliches Mittelding zwiſchen dem Lauf eines Kaninchens und dem ſatzweiſen Springen des Eichhorns; der Schwanz, welcher in der Ruhe ſtets nach oben eingerollt getragen wird, ſtreckt ſich, ſobald das Thier den Lauf beſchleunigt. Beim Sitzen oder wenn ſie aufrecht ſteht, ſtützt ſich die Chinchilla leicht auf den Schwanz, außerdem wird er immer frei getragen. Die Vorderfüße werden im Sitzen eingezogen und an die Bruſt gelegt. Die langen Schnurren ſind fortwährend in reger Bewegung; die Ohren, welche in der Ruhe theilweiſe eingerollt werden, richten ſich, ſobald ein ver - dächtiges Geräuſch vernommen wird, ganz nach vorn. Dem Lichte entflieht die Chinchilla faſt ängſtlich; ſie ſucht immer die dunkelſten Stellen. Hier ſetzt ſie ſich mit zuſammengezogenem Leibe feſt. Eine Höhlung wird ſofort als Zufluchtsort benutzt. Jhre Stimme, ein ſcharfes Knurren nach Art des Kaninchens, vernimmt man nur, wenn man ſie berührt. Sie läßt Dies ungern zu, verſucht auch, wenn ſie gepackt wird, ſich durch plötzliche, ſchnellende Bewegungen zu befreien, bedient ſich aber niemals ihres Gebiſſes zur Vertheidigung. So viel wir bisjetzt wiſſen, zieht unſere Gefan - gene Heu und Gras jeder übrigen Nahrung vor. Körner ſcheint ſie zu verſchmähen, ſaftige Wur -199Die Haſenmaus.zeln berührt ſie kaum. Ob ſie trinkt, iſt fraglich; faſt ſcheint es, als ob ſie jedes Getränk ent - behren könne.

Die Südamerikaner eſſen das Fleiſch beider Chinchillas ſehr gern, und auch europäiſche Reiſende ſcheinen ſich mit ihm befreundet zu haben, obwohl ſie ſagen, daß man es mit dem unſeres Haſen nicht vergleichen könne. Uebrigens benutzt man auch das Fleiſch nur nebenbei, den Hauptgrund und Hauptnutzen der Jagd gibt das Fell. Gegenwärtig wird alljährlich eine nicht unbeträchtliche Menge ſolcher Felle ausgeführt. Man verwendet ſie in Europa zu Mützen, Müffen und Berbrämungen und ſchätzt ſie ſehr hoch. Das Dutzend der feinſten und ſchönſten d. h. von der kleinen Chinchilla her - rührenden wird mit 15 und 20 Thlr. bezahlt, während die gleiche Anzahl der großen und gröberen ſelten mehr als 4 bis 6 Thlr. koſtet. Jn Chile verfertigt man jetzt nur noch Hüte aus der Wolle; denn die Kunſtfertigkeit der Ureinwohner iſt mit ihnen ausgeſtorben. Gegenwärtig kommen die meiſten Felle von der Weſtküſte Amerikas.

Bedeutend längere Ohren, der körperlange, auf der ganzen Oberſeite buſchig behaarte Schwanz,

Die Haſenmaus (Lagotis Cuvicri).

die vierzehigen Füße und die ſehr langen Schnurren unterſcheiden die Mitglieder der zweiten Sippe, welche man Haſenmäuſe (Lagotis) genannt hat, von den eigentlichen Wollmäuſen. Jm Gebiß ſtehen ſich beide Sippen ſehr nahe, in der Lebensweiſe ähneln ſie ſich faſt vollſtändig. Man kennt bis - jetzt mit Sicherheit blos zwei Arten, welche beide auf den Hochebenen der Cordilleren und zwar dicht unter der Grenze des ewigen Schnees, in einer Höhe von 12 bis 16 Tauſend Fuß über dem Meere, zwiſchen kahlen Felſen leben. Sie ſind ebenſo geſellig, wie die Wollmäuſe, ebenſo munter und ge - wandt; ſie zeigen dieſelben Eigenſchaften und nähren ſich mehr oder weniger von den gleichen oder mindeſtens ähnlichen Pflanzen. Von den beiden Arten bewohnt die eine die Hochebenen des ſüdlichen200Die Haſenmäuſe oder Chinchillen. Die Viscacha.Peru und Bolivias, die andere den nördlichen Theil Perus und Ecuadors. Unſere Abbildung ſtellt die erſtere (Lagotis Cuvieri) dar.

Das Thier hat ungefähr Kaninchengröße und Geſtalt; nur ſind die Hinterbeine viel mehr ver - längert, als bei den eigentlichen Kaninchen, und der lange Schwanz läßt ſich ja gar nicht mit dem un - ſeres Königshaſen vergleichen. Die Ohren ſind ungefähr drei Zoll lang, an ihrem äußeren Rande etwas eingerollt, an der Spitze gerundet. Sie ſind außen ſpärlich behaart und innen faſt nackt; der Rand aber trägt eine ziemlich dichte Haarbürſte. Der Pelz iſt ſehr weich und lang; die Haare ſind mit Ausnahme einzelner dunkler, an der Wurzel weiß, an der Spitze aber ſchmuzig weiß, gelblich - braun gemiſcht, der Pelz erhält ſomit eine aſchgraue Geſammtfärbung, welche an den Seiten etwas lichter iſt, ſich mehr ins Gelbliche zieht. Der Schwanz iſt unten und an den Seiten kurz, oben lang und ſtruppig behaart. Dort iſt die Färbung der Haare bräunlichſchwarz, hier weiß und ſchwarz, gegen die Spitze hin ganz ſchwarz. Beſonders auffallend ſind die langen, ſchwarzen Schnurren; ſie reichen bis an die Schulter.

Ein anderes Glied unſerer Familie iſt der Vertreter der dritten Sippe, die Viscacha oder Wiskatſcha, wie auch wir ſie nennen (Lagostomus trichodactylus), ähnelt mehr der großen Chinchilla, als den Arten der vorhergehenden Sippe. Der ziemlich kurze Leib hat ſtark gewölbten Rücken, die Vorderbeine ſind kurz und vierzehig, die kräftigen Hinterbeine doppelt ſo lang, als jene, und dreizehig. Der Hals iſt kurz, der Kopf dick, rundlich, oben abgeflacht und an den Seiten auf - getrieben, die Schnauze kurz und ſtumpf. Auf Lippen und Wangen ſitzen Schnurren von ſonder - barer Steifheit. Sie ähneln mehr Stahldraht, als Horngebilden, beſitzen große Federkraft und klin - gen, wenn man über ſie ſtreicht. Mittelgroße, aber ſchmale, ſtumpf zugeſpitzte, häutige, faſt nackte Ohren, weit auseinanderſtehende, mittelgroße Augen, die behaarte Naſe und tief eingeſchnittene Ober - lippen kennzeichnen dieſen Kopf. Die Fußſohlen ſind vorn behaart, in ihrer hinteren Hälfte aber nackt und ſchwielig, die Handſohlen dagegen ganz nackt. Kurze, von weichen Haaren umkleidete Nägel bewaffnen die Vorderfüße, längere und ſtärkere die Hinterfüße. Das Gebiß und der innere Leibesbau bieten nichts Auffallendes. Ein ziemlich dichter Pelz bedeckt den Leib. Die Ober - ſeite des Pelzes beſteht aus gleichmäßig vertheilten grauen und ſchwarzen Haaren, weshalb der Rücken ziemlich dunkel erſcheint. Der Kopf iſt graulicher, als die Seiten des Leibes; eine breite Binde, welche ſich über den oberen Theil der Schnauze und der Wangen zieht, die ganze Unter - und die Jnnenſeite der Beine ſind weiß, der Schwanz iſt ſchmuzig weiß und braun gefleckt. Mehrere Abweichungen ſind bisjetzt bekannt geworden. Die am häufigſten vorkommenden haben mehr röthlich - grauen, ſchwarz gewölkten Rücken, weiße Unterſeite, röthlichbraune Querbinde über die Wangen, ſchwarze Schnauze und ſchmuzig kaſtanienbraunen Schwanz. Die Leibeslänge beträgt 20 Zoll, die des Schwanzes 7 Zoll, die Höhe am Widerriſt 5 Zoll.

Die Viscacha vertritt ihre Familienverwandten im Oſten der Anden; ihr Vaterland ſind gegen - wärtig die Pampas oder Grasſteppen von Buenos Ayres bis Patagonien. Ehe die Anbauung des Bodens ſoweit gediehen war, als gegenwärtig, fand man ſie auch in Paraguay. Das Thier iſt, wo es noch vorkommt, in großer Menge vorhanden. An manchen Orten trifft man es ſo häufig, daß man beſtändig zu beiden Seiten des Weges ganze Rudel ſitzen ſieht, jedoch niemals am Tage. Gerade die einſamſten und wüſteſten Gegenden ſind ſeine Aufenthaltsorte; doch kommt es bis dicht an die angebauten Gegenden heran, ja die Reiſenden wiſſen ſogar, daß die ſpaniſchen Anſiedelungen nicht mehr fern ſind, wenn man eine Menge Viscacheras oder Baue unſeres Thieres findet.

Verſchiedene Reiſende haben uns über das Leben und Treiben der Feldviscacha berichtet. Man hat ſie auch lebend nach Europa gebracht, und ſo iſt es möglich geworden, ein ziemlich genaues Bild von ihr zu entwerfen.

201Die Viscacha oder Wiskatſcha.

Jn den ſpärlich bewachſenen und auf weite Strecken hin kahlen, dürren Ebenen ſchlägt die Vis - cacha ihre Wohnſitze auf und gräbt ſich hier ausgedehnte, unterirdiſche Baue, am liebſten in der Nähe von Gebüſchen und noch lieber nicht weit von Feldern entfernt. Die Baue werden gemeinſchaftlich gegraben und auch gemeinſchaftlich bewohnt. Sie haben eine Unzahl von Gängen und Fluchtröhren, oft 40 bis 50; im Jnnern ſind ſie in mehrer Kammern getheilt, je nach der Anzahl der Familie, welche hier ihre Wohnung aufgeſchlagen hat. Dieſe Anzahl der Familie kann auf acht bis zehn auſteigen, dann aber verläßt ein Theil der Jnwohnerſchaft den alten Bau und legt ſich einen neuen an, gern dicht in der Nähe des alten. Nun geſchieht es außerdem, daß die Höhleneule, welche wir ſchon bei dem Prairiehunde kennen lernten, auch hier ſich einfindet und ohne große Umſtände von einem oder dem andern Baue Beſitz nimmt. Die reinlichen Viscachas dulden niemals einen Mitbewohner, wel - cher nicht eben ſo ſorgfältig auf Ordnung hält, wie ſie, und entfernen ſich augenblicklich, wenn einer

Die Viscacha oder Wiskatſcha (Lagostomus trichodactylus).

der Eindringlinge ſie durch Unreinlichkeit beläſtigt. So kommt es, daß der Boden manchmal in dem Flächenraume von einer Geviertmeile vollſtändig unterwühlt iſt; Dies iſt namentlich in der Provinz Santa Fe im Freiſtaate Argentina der Fall.

Den Tag über liegt die ganze Familie verborgen im Bau, gegen Sonnenuntergang zeigt ſich eins und das andere, und mit Einbruch der Dämmerung hat ſich ſchon eine hübſche Geſellſchaft vor den Löchern verſammelt. Dieſe prüft ſehr ſorgfältig, ob Alles ſicher iſt, und treibt ſich längere Zeit in der Nähe des Baues umher, ehe ſie ſich anſchickt, nach Aeßung auszugehen. Dann kann man Hunderte mit einander ſpielen ſehen und vernimmt ihr ſchweineartiges Grunzen ſchon auf bedeu - tende Entfernungen hin. Wenn Alles vollſtändig ruhig geworden iſt, zieht die Geſellſchaft auf Nah - rung aus, und dann iſt alles Genießbare recht, was ſich findet. Gräſer, Wurzeln und Rinden bilden wohl den Haupttheil ihres Futters; ſind aber Felder in der Nähe, ſo beſuchen unſere Thiere202Die Haſenmäuſe oder Chinchillen. Die Viscacha.auch dieſe und richten hier gewaltige Verheerungen an. Bei ihren Weidegängen ſind ſie ebenfalls höchſt vorſichtig: niemals kommt es dahin, daß ſie einen Augenblick ihre Sicherung vergeſſen. Eines um das andere richtet ſich auf den Hinterbeinen empor und lauſcht und lugt ſorgfältig in die Nacht hinaus. Bei dem geringſten Geräuſch ergreift Alles die Flucht und ſtürzt in wilder Haſt unter lau - tem Geſchrei nach den Höhlen zurück; ja die Angſt iſt ſo groß, daß die Thiere auch dann noch ſchreien und lärmen, wenn ſie bereits die ſichere Wohnung wieder erreicht haben. Anton Göring hörte niemals, daß die Viscachas beim Laufen grunzten; vernahm aber, ſo oft er ſich einer Höhle näherte, ſtets das laute Gebelfer der innen verborgenen Thiere.

Jn ihren Bewegungen haben die Viscachas viel Aehnlichkeit mit den Kaninchen; doch ſtehen ſie denſelben an Schnelligkeit bedeutend nach. Sie ſind aber munter, luſtig und mehr zum Spielen auf - gelegt, als jene. Auf ihren Weidegängen ſcherzen ſie faſt fortwährend mit einander; ſie rennen haſtig umher, ſpringen grunzend über einander weg, ſchnauzen ſich an ꝛc. Höchſt ſonderbar iſt eine Eigen - thümlichkeit dieſer Thiere. Wie der ſüdamerikaniſche Fuchs oder der Schakal tragen ſie nämlich alle möglichen Dinge, die ſie auf ihren Weidegängen finden, nach ihren Höhlen hin und ſchichten ſie vor der Mündung derſelben in wirren Haufen auf, gleichſam zum Spielzeug. So findet man denn dort Knochen und Geniſt, Kuhfladen und durch Zufall in Verluſt gekommene Gegenſtände, welche ihnen ganz entſchieden nicht den geringſten Nutzen gewähren, vor ihren Höhlen aufgeſchichtet, und die Gauchos gehen ſicherlich, ſobald ſie Etwas vermiſſen, zu den nächſten Viscacheras hin, um dort das Verlorene zu ſuchen. Aus dem Jnnern ihrer Wohnungen ſchaffen ſie Alles ſorgfältig weg, was nicht hineingehört, auch die Leichen ihrer eigenen Art. Ob ſie ſich einen Vorrath für den Winter in ihrer Höhle ſammeln, um davon während der rauhen Jahreszeit zu zehren, iſt noch unentſchieden; wenigſtens behauptet es nur einer der älteren Naturforſcher.

Die Stimme iſt laut und widerlich. Sie beſteht in einem ſonderbaren Schnauben oder Grunzen, welches nicht zu beſchreiben iſt.

Ueber die Fortpflanzung iſt bisjetzt Sicheres nicht bekannt. Die Weibchen ſollen zwei bis vier Junge werfen, und dieſe nach zwei bis vier Monaten erwachſen ſein. Göring ſah immer nur ein Junges bei den alten Viscachas. Es hielt ſich ſtets in nächſter Nähe von ſeiner Mutter. Die Alte ſcheint es mit vieler Liebe zu behandeln und vertheidigt es bei Gefahr. Eines Abends verwundete mein Gewährsmann mit einem Schuß eine Mutter und ihr Kind. Letzteres blieb betäubt liegen; die Alte aber war nicht tödtlich getroffen. Als ſich Göring näherte, um ſeine Beute zu ergreifen, machte die Alte alle möglichen Anſtrengungen, um das Junge fortzuſchaffen. Sie umging es wie tanzend und ſchien ſehr betrübt zu ſein, als ſie ſah, daß ihre Anſtrengungen Nichts fruchteten. Beim Näherkommen unſers Jägers erhob ſich die Alte plötzlich auf ihre Hinterbeine, ſprang fußhoch vom Boden auf und fuhr ſchnaubend und grunzend auf ihren Feind los, mit ſolcher Heftigkeit, daß dieſer ſich durch Stöße mit dem Flintenkolben des wüthenden Thieres entwehren mußte. Erſt als die Alte ſah, daß Alles vergeblich und ihr Junges nicht zu retten war, zog ſie ſich nach ihrem nahen Baue zurück, ſchaute aber auch von dort aus noch immer mit ſichtbarer Angſt und grimmigem Zorne nach dem Mörder ihres Kindes. Wenn man dieſe Jungen einfängt und ſich mit ihnen abgibt, wer - den ſie recht zahm und können, wie unſere Kaninchen, mit Leichtigkeit erhalten werden. Nach Eu - ropa hat man die Viscacha, ſoviel uns bekannt, bisjetzt nur ein einziges Mal gebracht, und zwar im Jahre 1814. Sie zeigte ſich ſehr wild und unruhig, biß und kratzte, beſtätigte aber durch ihr Be - tragen faſt alle Eigenſchaften, welche man bei den wilden beobachtet hatte. Jhre Nahrung beſtand in Brod, Möhren und anderen Gemüſen.

Man ſtellt der Viscacha weniger ihres Fleiſches und Felles halber, als wegen ihrer unter - irdiſchen Wühlereien eifrig nach. An den Orten, wo ſie häufig iſt, wird das Reiten wirklich lebens - gefährlich, weil die Pferde oft die Decken der ſeichten Gänge durchtreten und hierdurch wenigſtens außerordentlich aufgeregt werden, wenn ſie nicht ſtürzen oder gar ein Bein brechen, und dabei natür - lich ihren Reiter abwerfen. Der Landeingeborene erkennt die Viscacheras ſchon von weitem an einer

Viscacha.

203Die Viscacha oder Wiskatſcha.kleinen, wilden, bittern Melone, welche vielleicht von den Thieren gern gefreſſen wird. Dieſe Pflanze findet ſich immer da, wo viele Viscacheras ſind, oder umgekehrt, dieſe werden da angelegt, wo die Pflan - zen nach allen Seiten hin ihre grünen Ranken verbreiten. Es iſt mit ihr alſo ein Zeichen gegeben, die gefährlichen Stellen zu vermeiden. Allein die Gauchos lieben es nicht, in ihren Ritten aufgehalten zu werden und haſſen die Viscacha deshalb außerordentlich. Man verſucht, die Thiere mit allen Mitteln aus der Nähe der Anſiedlungen zu vertreiben und wendet buchſtäblich Feuer und Waſſer zu ihrer Ver - nichtung an. Das Gras um ihre Höhlen wird weggebrannt und ihnen ſomit die Nahrung entzogen, ihre Baue werden unter Waſſer geſetzt und ſie gezwungen, ſich ins Freie zu flüchten, wo die außen lauern - den Hunde ſie bald am Kragen haben. Göring wohnte einer ſolchen Viscachajagd bei. Man zog von einem größeren Kanal aus einen Graben bis zu den Viscacheras und ließ nun Waſſer in die Höhlen laufen. Mehrere Stunden vergingen, ehe der Bau gefüllt wurde, und bis dahin vernahm man außer dem gewöhnlichen Schnauben Nichts von den ſo tückiſch verfolgten Thieren Endlich aber zwang ſie die Waſſernoth zur Flucht. Aengſtlich und wüthend zugleich, erſchienen ſie an den Mün - dungen ihrer Höhle, ſchnaubend fuhren ſie wieder zurück, als ſie außen die lauernden Jäger und die furchtbaren Hunde ſtehen ſahen. Aber höher und höher ſtieg das Waſſer, größer und größer wurde die Noth: endlich mußten ſie flüchten. Augenblicklich waren ihnen die wachſamen Hunde auf den Ferſen; eine wüthende Jagd begann; die Viscachas wehrten ſich wie Verzweifelte: doch eine nach der andern mußte erliegen, und reiche Beute belohnte die Jäger. Unſer Gewährsmann beobachtete ſelbſt, daß getödtete Viscachas von ihren Genoſſen nach dem Jnnern der Baue geſchleppt wurden. Er ſchoß Viscachas aus geringer Entfernung; doch ehe er noch zur Stelle kam, waren die durch den Schuß augenblicklich getödteten bereits im Junern ihrer Höhlen verſchwunden. Vor die Höhlen legt man Schlingen, auf ihren Weidegängen lauert man ihnen auf u. ſ. w. Zudem hat das Thier noch eine Unzahl von Feinden. Der Kondor ſoll den Viscachas ebenſo häufig nachgehen, als ihren Verwandten oben auf der Höhe des Gebirges. Die wilden Hunde und Füchſe der Steppe verfolgen ſie leidenſchaftlich, wenn ſie ſich vor ihrer Höhle zeigen, und die Beutelratte dringt ſogar in das Heiligthum dieſer Baue ein, um ſie dort zu bekämpfen. Zwar vertheidigt ſich die Viscacha nach Kräften gegen ihre ſtarken Feinde, ſie balgt ſich mit den Hunden erſt lange herum, ſtreitet tapfer mit der Beutelratte, beißt ſelbſt den Menſchen in die Füße: aber was kann der arme Nager thun gegen die ſtarken Räuber! Er unterliegt denſelben nur allzubald und muß das junge Leben laſſen. Doch würde trotz aller dieſer Verfolgungen die Zahl der Viscachas ſich kaum vermindern, thäte die mehr und mehr ſich verbreitende Anbauung des Bodens ihrem Treiben nicht gar ſo großen Abbruch. Der Menſch iſt es auch hier, welcher durch die Beſitznahme des Bodens zum furchtbarſten Feinde un - ſeres Thieres wird.

Die Jndianer der Steppe glauben, daß eine in ihre Höhle eingeſchloſſene Viscacha nicht fähig iſt, ſich ſelbſt wieder zu befreien und zu Grunde gehen muß, wenn nicht ihre Gefährten ſie ausgraben. Sie verſtopfen deshalb die Hauptausgänge der Viscacheras und binden einen ihrer Hunde dort als Wächter an, damit er die hilffertigen anderen Viscachas abhielte, bis ſie ſelbſt mit Schlingen, Netzen und Frettchen wieder zur Stelle ſind. Die Erklärung dieſer ſonderbaren Meinung iſt leicht zu geben. Die eingeſchloſſenen Viscachas hüten ſich natürlich, ſobald ſie den Hund vor ihren Bauen gewahren, herauszukommen, und der Jndianer erreicht ſomit vollſtändig ſeinen Zweck. Die übrigen Vis - cachas thun gar Nichts bei der Sache.

Die Jndianer eſſen das Fleiſch und benutzen auch wohl das Fell, obgleich dieſes einen weit geringeren Werth hat, als das der früher genannten Arten.

204Die Schrotmäuſe oder die Trugratten. Die Strauchratten.

Eine nicht eben ſehr zahlreiche, aber manchfaltige und eigenthümliche Familie rattenähnlicher Nager bevölkert Südamerika und Afrika. Es ſind Dies die Schrotmäuſe (Psammoryetae), oder, wie Andere ſie nennen, die Trugratten (Muriformes). Die Rattenähnlichkeit dieſer Thiere iſt eine nur äußerliche und wegen der Manchfaltigkeit der Mäuſe ſelbſt ziemlich bedeutungsloſe; mehr aber unterſcheidet der innere Leibesbau beide Familien. Geſtalt und Färbung der Schrotmäuſe erin - nern allerdings an die Ratten. Die Ohren ſind kurz, breit und ſpärlich behaart, die Vorderfüße vierzehig, die Hinterfüße fünfzehig; der Schwanz iſt ebenſolang und ringelartig geſchuppt, wie bei den echten Ratten: hiermit iſt die Rattenähnlichkeit unſerer Thiere aber erſchöpft. Der weiche, feine Pelz erſcheint bei einigen Trugratten ſtraff, borſtig, ja ſogar mit einzelnen platten, der Länge nach geringelten Stacheln untermiſcht, und der Schwanz wird nicht nur haarig, ſondern ſogar buſchig. Das Gebiß zählt vier Backzähne in jeder Reihe, deren Kauflächen drei bis vier Schmelzfalten am Rande haben. Jm Jochfortſatze des Oberſatzes befindet ſich ein geräumiges Loch, durch welches ein Theil des großen Kaumuskels geht, der ſich vorn an den Seiten der Schnauze anſetzt; der übrige Theil iſt wie gewöhnlich angeheftet. Nur bei unſerer Familie und noch einigen anderen Nagern kommt dieſe eigenthümliche Spaltung des Kaumuskels vor. Die Wirbelſäule beſteht außer der ge - wöhnlichen Zahl von Halswirbeln aus 11 Rücken -, 3 bis 4 Kreuz - und aus 24 bis zu 44 Schwanz - wirbeln; die Zahl der Lendenwirbel ſchwankt bedeutend.

Die Schrotmäuſe leben in Wäldern oder in offenen Gegenden, die einen in Hecken und Buſch - werk, die anderen an den Straßenanpflanzungen, zwiſchen Felſen, an den Ufern von Flüſſen und Strömen, ja, ſelbſt an der Küſte des Meeres. Gewöhnlich wohnen ſie geſellſchaftlich in ſelbſtgegra - benen, unterirdiſchen Bauen mit zahlreichen Mündungen. Einige ſind echte Wühler, welche, wie die Maulwürfe, Haufen aufwerfen und faſt beſtändig unter der Erde verweilen, andere halten ſich im Dickicht auf und klettern außerordentlich geſchickt auf den Bäumen umher. Jhre gewöhnliche Ar - beitszeit iſt die Nacht; nur wenige ſind auch bei Tage thätig. Sie ſind im ganzen plump und ſchwer - fällig; doch muß man dagegen bei einigen gerade die große Schnelligkeit bewundern, mit welcher ſie ſich auf den Bäumen oder auch unter der Erde bewegen. Manche Arten ſind wahre Waſſerthiere und verſtehen das Schwimmen und Tauchen ganz vortrefflich. Jhre Nahrung nehmen ſie ſich, wie die meiſten anderen Nager, aus dem Pflanzenreiche; doch ſollen einige auch kleinere Thiere z. B. Eidechſen anfallen oder Muſcheln ausfreſſen und andere Weichthiere verzehren. Soviel man bisjetzt weiß, verfallen ſie nicht in einen wirklichen Winterſchlaf; gleichwohl tragen ſich manche große Nahrungsvor - räthe ein. Unter ihren Sinnen ſtehen Gehör und Geruch obenan; das Geſicht zeigt ſich blos bei we - nigen entwickelt, und bei den unterirdiſchlebenden, wie ſich faſt von ſelbſt verſteht, ſehr verkümmert. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering; blos die größten und vollkommenſten Arten geben von ihrem Verſtande Kunde. Doch zeigen einige ihre Rattenverwandtſchaft in ihrer Schlauheit und in ihrem Muth, wenn auch die Mehrzahl ſchen oder furchtſam, feig und flüchtig iſt. Die Gefangenſchaft ertragen ſie ziemlich leicht; manche machen ſich recht hübſch. Sie ſind neugierig, beweglich, lernen ihre Pfleger kennen und ihnen folgen und erfreuen durch ihr zierliches Weſen. Jhre Vermehrung iſt ziemlich bedeutend; die Zahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen zwei und ſieben; aber ſie werfen, wie die meiſten anderen Nager, mehrmals im Jahre, und können zu Scharen anwachſen, welche in den Pflanzungen und Feldern bedeutenden Schaden anrichten. Der geringe Nutzen, den ſie durch ihr Fleiſch und ihr Fell leiſten, kommt mit jenen Verwüſtungen nicht in Betracht.

Jn Chile, Peru und Bolivia findet die erſte Sippe ihre Vertreter. Die Strauchratten (Oetodon) ſind ſozuſagen Mittelglieder zwiſchen Eichhörnchen und Ratten, und ähneln erſteren faſt noch mehr, als den letzteren. Molina rechnet eine der gemeinſten Arten auch geradezu zu den Eich - hörnchen. Der Leib der Strauchratten iſt gedrungen und kurz, der Hals kurz und dick, der Kopf verhältnißmäßig groß, der ringelſchuppige Schwanz an der Spitze gepinſelt. Die Hinterbeine ſind205Der Degu.deutlich länger, als die Vorderbeine. Alle Füße haben fünf freie, bekrallte Zehen. Mittelgroße, ziemlich breite und aufrechtſtehende, an der Spitze abgerundete, dünn behaarte Ohren, mittelgroße Augen, geſpaltene Oberlippen zeichnen den Kopf aus, glatte, ungefurchte und ſpitze Nagezähne, wurzelloſe Backzähne, deren Kauflächen faſt einer arabiſchen 8 gleichen (daher der Name Octodon) das Gebiß. Die Behaarung des Körpers iſt reichlich, wenn auch kurz; das Haar iſt trocken und rauh.

Der Degu (Octodon Cummingii) ähnelt entfernt unſerer Hafelmaus, zumal was die Färbung anlangt. Oben iſt er bräunlichgrau ungleichmäßig gefleckt, unten graubräunlich, an Bruſt und Nacken dunkler, an der Schwanzwurzel lichter, faſt weiß. Die Ohren ſind außen dunkelgrau, innen weiß, die Schnurren zum Theil weiß, zum Theil ſchwarz, der Schwanz iſt oben und an der Spitze ſchwarz, unten bis zum erſten Drittel ſeiner Länge hellgrau. Die Geſammtlänge beträgt gegen zehn Zoll, wovon etwas mehr als drei Zoll auf den Schwanz kommen. Am Widerriſt iſt das

Der Degu (Octodon Cammingii).

Thierchen drei Zoll hoch. Der Degu, ſagt Pöppig, gehört zu den häufigſten Thieren der mitt - leren Provinz von Chile; Hunderte bevölkern die Hecken und Büſche; ſelbſt in der unmittelbaren Nähe belebter Städte laufen ſie furchtlos an den Heerſtraßen umher und brechen ungeſcheut in Gär - ten und Fruchtfeldern ein, wo ſie durch muthwilliges Zernagen den Pflanzen faſt ebenſoviel Schaden thun, wie durch ihre Gefräßigkeit. Selten entfernen ſie ſich vom Boden, um die unteren Aeſte der Büſche zu erklettern, warten mit herausfordernder Kühnheit die Annäherung ihrer Feinde ab, ſtür - zen aber dann in buntem Gewimmel und den Schwanz aufrecht tragend in die Mündungen ihrer vielverzweigten Baue, um nach wenigen Augenblicken an einer anderen Stelle wieder hervorzu - kommen. Das Thier gleicht in ſeinen Sitten viel mehr einem Eichhörnchen, als einer Ratte. Es ſammelt, ungeachtet des milden Klimas, Vorräthe ein, verfällt aber nicht in einen Winterſchlaf.

206Die Schrotmäuſe oder die Trugratten. Die Kammratten.

Die Zeit der Paarung, die Dauer der Tragzeit, ſowie die Zahl der Jungen ſcheint, trotz der Häuſigkeit des Thieres, bisjetzt noch nicht bekannt zu ſein. Man kann eben blos ſchließen, daß der Degu einer großen Vermehrung fähig iſt. Die Gefangenſchaft erträgt er ſehr leicht; er wird auch bald recht zahm und erfreut durch ſein angenehmes, nettes Weſen ſeinen Beſitzer. Jm übrigen ſtiftet er aber nicht den geringſten Nutzen; denn weder Fell noch Fleiſch wird verwandt.

Jn den höheren Gebirgsgegenden Chiles, und zwar in dem hohen Gürtel von ungefähr 9000 Fuß über dem Meere, lebt eine ganz ähnliche Art der Strauchratten, welche von mehreren Naturforſchern nur als eine durch das Klima bedingte Spielart angeſehen wird. Doch unterſcheidet ſie ſich durch ſtärkeren Körperbau und durch eine andere Färbung ſo bedeutend von dem eigentlichen Degu, daß man wohl an eine Artverſchiedenheit glauben kann.

Von Südbraſilien an bis zur Magellanſtraße hinab dehnen die Mitglieder einer zweiten Sippe unſerer Familie ihre Heimat aus. Es ſind Dies die Kammratten (Ctenomys). Sie ähneln noch entfernt den Strauchratten; die kleinen Augen und die noch viel kleineren, faſt im Pelze ver - ſteckten Ohren aber deuten auf ein unterirdiſches Leben hin. Und wirklich ſind die Thiere echte Wühl - mäuſe, welche ausgedehnte Gänge unter der Oberfläche der Erde anlegen.

Jn ihrer Geſtaltung ſtehen ſie ungefähr zwiſchen den eigentlichen Ratten und den Hamſtern in der Mitte. Manche Arten ähneln den letzteren ſehr. Der Körper iſt gedrungen und walzenförmig, der Hals kurz und dick, der Kopf ebenfalls kurz, ſtumpfſchnauzig. Die Beine ſind kurz und die fünf Zehen der Füße mit tüchtigen Scharrkrallen bewehrt. Der Schwanz iſt kurz, dick und ſtumpf - ſpitzig, das Haarkleid liegt glatt an, iſt kurz an dem Kopfe, an dem Körper etwas länger; feine Grannenhaare treten einzeln aus dem Pelz hervor. Bisjetzt kennt man etwa ſechs Arten. Eine der merkwürdigeren iſt der Tucutuco der Eingeborenen Patagoniens (Ctenomys magellanicus).

Der Reiſende, welcher zum erſten Male jene Länder betritt, vernimmt eigenthümliche, von ein - ander abgeſchiedene, grunzende Laute, welche in regelmäßigen Zwiſchenräumen nach einander gleichſam aus der Erde herausſchallen und ungefähr den Silben Tucutuco entſprechen. Dieſe Töne rühren von der nach ihnen benannten Kammratte her. Der Tucutuco kommt in der Größe ungefähr einem halb - wüchſigen Hamſter gleich. Der Körper mißt Zoll, der Schwanz Zoll und die Höhe am Widerriſt beträgt Zoll. Die Färbung der Oberſeite iſt bräunlichgrau mit gelbem Anfluge und ſchwacher, ſchwarzer Sprenkelung. Die einzelnen Haare ſind bleifarben, gegen die Wurzel und an den Spitzen größtentheils aſchgrau ins Bräunliche ziehend. Einige dünn geſtellte Grannenhaare endigen in ſchwarzen Spitzen; auf der Unterſeite fehlen dieſe Grannenhaare und deshalb erſcheint die Färbung hier viel lichter. Kinn und Vorderhals ſind blaßfahlgelb, die Füße und der Schwanz weiß. Letzterer iſt geringelt und geſchuppt und ziemlich dünn mit feinen Härchen beſetzt.

Wir verdanken die für uns giltige Entdeckung und die erſte Beſchreibung des Tucutuco dem um die Naturgeſchichte der ſüdlichſten Spitze Amerikas hochverdienten Naturforſcher Darwin. Seine Schilderung der Lebensweiſe des Thieres iſt bisjetzt noch nicht vervollſtändigt worden. Der Tucu - tuco wurde am öſtlichen Eingange der Magellanſtraße entdeckt und von dort aus nach Norden und Weſten hin in einem ziemlich großen Theile Patagoniens gefunden. Ausgedehnte, trockene, ſandige und unfruchtbare Ebenen geben ihm Herberge. Hier durchwühlt er nach Maulwurfsart große Flächen, zumal des Nachts; denn bei Tage ſcheint er zu ruhen, obwohl man gerade dann ſeine Stimme oft vernimmt. Der Gang auf ebenem Boden iſt ſehr plump und unbeholfen. Das Thier vermag es nicht, über das geringſte Hinderniß zu ſpringen und iſt ſo ungeſchickt, daß man es außer - halb ſeines Baues leicht ergreifen kann. Unter den Sinnen dürfte Geruch und Gehör am meiſten ausgebildet ſein. Das Geſicht iſt ſehr ſtumpf, ja, viele ſollen völlig blind ſein. Wurzeln der dort207Der Tucutuco. Die Rammsratten.vorkommenden Geſträuche bilden ſeine ausſchließliche Nahrung, und von ihnen ſpeichert er auch hier und da Vorräthe auf, obwohl er vielleicht keinen Winterſchlaf hält. Ueber die Fortpflanzung, die Zeit der Paarung und die Zahl der Jungen fehlen zur Zeit noch genaue Nachrichten.

Die Gefangenen, welche Darwin hielt, wurden bald zahm, waren aber ſtumpfſinnig. Beim Freſſen nahmen ſie die Nahrung nach Nagerart zwiſchen die Vorderbeine und führten ſie ſo zum Munde. Die Patagonier, welche in ihrer armen Heimat eben keine große Auswahl haben, eſſen auch das Fleiſch des Tucutuco und ſtellen ihm deshalb nach. Jn manchen Gegenden ſollen die Rei -

Der Tucutuco (Ctenomys magellanicus).

ſenden wegen der unterirdiſchen Wühlereien zu klagen haben, weil die Pferde bei ſchnellem Reiten oft durch die dünnen Decken ſeiner Gänge brechen. Hierauf beſchränkt ſich gegenwärtig unſere Kenntniß.

Die Rammsratten (Cercomys) bilden eine dritte, die Lauzenratten (Loncheres) eine vierte Sippe unſerer Famile. Von erſteren kennt man nur eine einzige Art (Cercomys cunicularius). Es iſt ein unſerer Wanderratte ziemlich ähnliches Thier mit ſtark gewölbtem Naſenrücken, größeren Ohren, großen Augen, dicken Lippen und langen Schnurren, ſcharfen Krallen und dichtem, weichen Pelz, der oben gelbbraun, unten weißlich iſt, ſowie einem echten Rattenſchwanz und etwas verſchie - denem Gebiß, von 6 Zoll Leibeslänge und ungefähr 7 Zoll Schwanzlänge, über deſſen Leben man bisjetzt noch nicht das Geringſte weiß. Jhr Vaterland iſt Braſilien, namentlich in der Provinz Minas ſoll ſie zu treffen ſein.

Von den Lanzenratten kennt man mehrere Arten, welche ſich ziemlich ähneln. Jm allge - meinen haben auch ſie die Geſtalt der Ratten, der Kopf iſt dick, die Schnauze ſtumpf, die Oberlippe geſpalten. Die Augen ſind klein und die eiförmigen Ohrmuſcheln aufrechtſtehend. Der Hals iſt kurz, der Rumpf dick, die Beine ſind kurz und die Füße klein. Fünf Zehen an den Hinterfüßen und208Die Schrotmäuſe oder die Trugratten. Die Rammsratten.vier Zehen an den Vorderfüßen, welche außerdem noch eine Daumenwarze tragen, ſind mit kleinen, etwas gebogenen Nägeln verſehen. Der Schwanz iſt ſtumpf am Ende und ſeiner ganzen Länge nach fein behaart, der Pelz beſteht aus weichen Haaren, zwiſchen denen an den oberen und äußeren Theilen des Körpers eine Menge ſchmaler, zweiſchneidiger, rückwärts gerichteter Stacheln hervor - treten. Dieſe ſind platt gedrückt, auf der Oberſeite gratartig erhoben, auf der Unterſeite ausge - kerbt. Die Nagezähne ſind ziemlich ſchmal und gewöhnlich gebräunt; in jedem Kiefer finden ſich vier Backzähne. Die Arten unterſcheiden ſich je nachdem das Stachelkleid vorhanden iſt oder fehlt und je nachdem der Schwanz behaart oder beſchuppt iſt.

Rengger gibt von einer den Lanzenratten ſehr naheſtehenden Schrotmaus (Mesomys spinosus) eine kurze Beſchreibung, welche wir wahrſcheinlich auch auf die Mitglieder unſerer Sippe anwenden dürfen. Jch habe dieſe Stachelratte blos im ſüdlichen Theil von Paraguay angetroffen und auch dort kann man ihrer nur ſelten habhaft werden. Sie lebt oft in großen Geſellſchaften an ſanften Ab -

Die Rammsratte (Cercomys cunicularius)

hängen ſandiger Hügel, wo ſie ſich einen unterirdiſchen, ſchlangenförmig ſich windenden Gang von fünf bis ſechs Fuß Länge und einigen Zoll Weite, aber kaum mehr als einen halben Fuß unter der Oberfläche der Erde gräbt. Dieſe Höhlung hat gewöhnlich nur einen Ausgang, zuweilen auch mehrere. Am Ende derſelben findet ſich ein aus dürren Gräſern verfertigtes Lager. Jn einem ſolchen traf ich zwei neugeworfene, blinde Junge an, bei denen die Stacheln auf dem Rücken noch ganz weich ſchienen.

Die Nahrung des Thieres ſcheint aus Wurzeln von Gräfern und aus Samen von Früchten und Geſträuchen zu beſtehen, da, wo es ſich aufhält, keine anderen, für daſſelbe genießbaren Pflanzen vorkommen.

Selten verläßt die Stachelratte bei hellem Tage ihr Lager, hingegen habe ich ſie bei einbrechen - der Dämmerung auf dem Felde oft mehr als 30 Schritte von ihrer Wohnung angetroffen. Man hört ſie zuweilen, wie ſchon Azara bemerkte, wenn man die Nacht im Freien zubringe, die Laute Ku-tu von ſich geben, weshalb ſie hin und wieder ſo genannt werden.

209Die Hutia-Conga.

Etwas mehr wiſſen wir über die Ferkelratten (Capromys). Ziemlich bedeutende Größe, ein kurzer, dicker Leib mit kräftigem Hintertheil, ein kurzer, dicker Hals und ein ziemlich langer und breiter Kopf mit geſtreckter, ſtumpf zugeſpitzter Schnauze, mittelgroßen, breiten, faſt nackten Ohren und ziemlich großen Augen, ſowie geſpaltener Oberlippe, ſtarke Beine und Hinterfüße mit fünf und Vorderfüße mit vier Zehen, welche ſämmtlich mit langen, ſtark gekrümmten, zugeſpitzten, ſcharfen Krallen bewehrt ſind, nebſt einer Daumenwarze, die nur einen Plattnagel trägt, ein mittellanger, beſchuppter und ſpärlich mit Haaren beſetzter Schwanz endlich ſind die Kennzeichen dieſer Sippe. Die Behaarung iſt reichlich, ſchlecht, ziemlich grob, rauh und glänzend. Die eine und zwar die wichtigſte Art, die gemeine Ferkelratte oder die Hutia-Conga (Capromys Fournieri) wird ſchon von den älteſten Schriftſtellern erwähnt, iſt aber doch erſt in der neueſten Zeit bekannt ge - worden. Oviedo gedenkt in ſeinem im Jahre 1525 erſchienenen Werke eines dem Kaninchen ähnlichen Thieres, welches auf San Domingo vorkomme und die Hauptnahrung der Eingeborenen ausmache. Bereits 32 Jahre nach Entdeckung von Amerika war das Thier durch die Jagd der Eingeborenen bedeutend vermindert worden, und gegenwärtig iſt es ausſchließlich auf Cuba beſchränkt, obgleich auch hier in den bewohnteren Theilen ausgerottet.

Die Hutia-Conga (Capromys Fournieri).

Die Hutia-Conga bewohnt die dichteren und größeren Wälder und lebt entweder auf Bäumen oder im dichteſten Gebüſch, nur bei Nacht hervorkommend, um nach Nahrung auszugehen. Jhre Be - wegungen auf den Bäumen ſind nicht eben geſchwind, jedoch geſchickt, während ſie auf der Erde wegen der ſtarken Entwickelung der hinteren Körperhälfte ſich ſchwerfälliger zeigt und deshalb an die Bären erinnert. Beim Klettern gebraucht ſie den Schwanz, um ſich feſtzuhalten, oder um das Gleichgewicht zu vermitteln. Am Boden ſetzt ſie ſich oft aufrecht nach Haſenart, um ſich umzuſchauen; zuweilen macht ſie kurze Sprünge wie die Kaninchen, oder läuft in einem plumpen Galopp wie ein Ferkel da - hin. Unter ihren Sinnen iſt der Geruch am beſten entwickelt; die ſtumpfe Schnauzenſpitze und die weiten, ſchief geſtellten, mit einem erhabenen Rande umgebenen und durch eine tiefe Furche getrennten Naſenlöcher ſind beſtändig in Bewegung, zumal wenn irgend ein neuer, unbekannter Gegenſtand in ihre Nähe kommt. Jhre Geiſtesfähigkeiten ſind gering. Sie iſt im allgemeinen furchtſam und gut - müthig, auch geſellig und freundlich gegen andere ihrer Art, mit denen ſie ſpielt, ohne jemals in Streit zu gerathen. Wird eine von ihren Verwandten getrennt, ſo zeigen beide viel Unruhe, rufen ſich durch ſcharfpfeifende Laute und begrüßen ſich bei der Wiedervereinigung durch dumpfes Grunzen.

Brehm, Thierleben. II. 14210Die Schrotmäuſe oder die Trugratten. Der Schweif - oder Sumpfbiber.

Selbſt beim Freſſen vertragen ſie ſich gut und ſpielen und balgen ſich unter einander, ohne jemals die heitere Laune zu verlieren. Bei Verfolgung zeigt ſich die Ferkelratte muthiger, als man glauben möchte und wie alle Nager beißt ſie heftig um ſich, wenn ſie ergriffen wird.

Ueber die Paarungszeit und die Zahl der Jungen fehlen bisjetzt noch alle Beobachtungen. Die Nahrung beſteht in Früchten, Blättern und Rinden. Gefangene zeigten beſondere Neigung zu ſtark - riechenden Pflanzen, wie Münze, Meliſſe und anderen, welche die übrigen Nager meiſt verſchmähen. Dabei trinken alle nur wenig Waſſer, obwohl ſie es nicht gern entbehren.

Jn manchen Gegenden Cubas verfolgt man die Hutia-Conga des Fleiſches wegen und nament - lich die Neger ſind leidenſchaftlich dieſer Jagd ergeben. Sie ſuchen ihr Wild entweder auf den Bäumen auf und wiſſen es dort auf den Aeſten geſchickt genug zu fangen, oder ſetzen ihm nachts Hunde auf die Fährte, welche es wegen ſeines langſamen Laufes bald einholen und leicht überwälti - gen. Jn früheren Zeiten ſollen ſich die Einwohner zu dieſer Jagd ihrer eingeborenen, wilden Hunde, der ſchakalähnlichen Carraſiſſi, welche heutzutage nur noch in Guyana leben, bedient und anſtatt der Laternen Leuchtkäfer benutzt haben, welche ſie den ſie begleitenden Frauen in das lockige Haar ſetzten.

Die Leibeslänge einer erwachſenen Hutia-Conga beträgt etwas über Fuß, die Schwanz - länge ungefähr 8 Zoll, die Höhe am Widerriſt 6 bis 7 Zoll, das Gewicht ſchwankt zwiſchen 12 bis 16 Pfund. Die Färbung des Pelzes iſt gelbgrau und braun, am Kreuze mehr rothbraun, an der Bruſt und am Bauche ſchmuzig braungrau; die Pfoten ſind ſchwarz, die Ohren dunkel, die Bruſt und ein Längsſtreifen in der Mitte des Bauches grau. Oft iſt die Oberſeite ſehr dunkel; dann ſind die Haare an der Wurzel blaßgrau, hierauf tief ſchwarz, ſodann röthlich gelb und an der Spitze wieder ſchwarz. An den Seiten, namentlich in der Schultergegend, treten einzelne weiße Haare hervor, welche etwas ſtärker ſind. Bei jungen Thieren ſpielt das Braun mehr in das Grünliche und dann tritt eine feine ſchwarze Sprenkelung hervor.

Zu unſerer Familie gehört auch der Schweif - oder Sumpfbiber (Myopotamus Coypu). Sein Name iſt bezeichnend; denn der Coypu erinnert lebhaft an den gemeinen Biber in Geſtalt und Weſen. Der lange, runde Schwanz und Eigenthümlichkeiten des inneren Leibesbaues unterſcheiden aber beide Thiere und rechtfertigen ihre getrennte Stellung in der Reihe der Nager. Der Leib des Sumpfbibers iſt unterſetzt, der Hals kurz und dick, der Kopf dick, kurz und breit, ſtumpfſchnäuzig und platt am Scheitel; die Augen ſind mittelgroß, rund und vorſtehend, die Ohren klein, rund und etwas höher als breit; die Oberlippe iſt ungeſpalten. Die Gliedmaßen ſind kurz und kräftig, die hinteren ein wenig länger, als die vorderen. Beide Füße ſind fünfzehig, die Zehen an den Hinter - füßen aber bedeutend länger, als die der vorderen, durch eine breite Schwimmhaut verbundenen, während jene frei ſind. Alle Zehen ſind mit langen, ſtark gekrümmten und ſpitzen Krallen bewaffnet. Nur die innere Zehe der Vorderfüße hat einen flachen Nagel. Der lange Schwanz iſt an der Wurzel ſehr dick und nimmt gegen das Ende allmählich ab; er iſt drehrund, wirbelartig geſchuppt und ziemlich reichlich mit dichten, anliegenden, ſtarken Borſtenhaaren beſetzt. Die übrige Behaarung iſt dicht, ziemlich lang und weich und beſteht aus einem im Waſſer faſt undurchdringlichen, kurzen, weichen, flaumartigen Wollhaar und längeren, weichen, ſchwachglänzenden Grannen, welche die Färbung be - ſtimmen, weil ſie das Wollhaar vollſtändig bedecken. Jm Gebiß erinnern die ſehr großen, breiten Nagezähne an den Zahnbau des Bibers; die vier Backzähne aber haben im allgemeinen ganz das Ge - präge der vorhergehenden Sippen und Arten.

Der Coypu oder Sumpfbiber erreicht ungefähr die Größe des Fiſchotters. Seine Leibes - länge beträgt über Fuß und die des Schwanzes faſt ebenſoviel, die Höhe am Widerriſt beinahe einen Fuß; doch findet man zuweilen recht alte Männchen, welche 3 Fuß lang werden. Die211Der Schweif - oder Sumpfbiber.Färbung der Haare iſt im allgemeinen trübgrau am Grunde und röthlichbraun oder braungelb an den Spitzen; die langen Grannenhaare ſind dunkler. Gewöhnlich iſt der Rücken kaſtanienbraun und die Unterſeite faſt ſchwarzbraun; die Seiten ſind lebhaft roth. Andere ſind graugelblich, hellbraun geſprenkelt und manche vollkommen roſtroth. Die Naſenſpitze und die Lippen ſind faſt immer weiß oder lichtgrau.

Ein großer Theil des gemäßigten Südamerikas iſt die Heimat dieſes wichtigen Pelzthieres. Man kennt den Coypu beinahe in allen Ländern, welche ſüdlich vom Wendekreis des Steinbocks liegen. Jn den La Plataſtaaten, in Buenos Ayres und Patagonien und in Mittelchile iſt er überall häufig. Sein Verbreitungskreis erſtreckt ſich vom Atlantiſchen bis zum großen Meere über das Hochgebirge hinweg und vom 24. bis zum 43. ° ſ. B. Jm Feuerland und in Peru fehlt er. Er bewohnt nach Rengger paarweiſe die Ufer der Seen und Flüſſe, vorzüglich die ſtillen Waſſer, da wo Waſſerpflanzen in ſolcher Menge vorhanden ſind, daß ſie eine Decke bilden, ſtark genug, ihn zu tragen. Jedes Paar gräbt ſich am Ufer eine 3 bis 4 Fuß tiefe und bis 2 Fuß weite Höhle, wo es die Nacht und zuweilen auch

Der Schweif - oder Sumpfbiber (Myopotamus Coypu).

einen Theil des Tages zubringt. Jn dieſer Wohnung wirft das Weibchen ſpäter vier bis ſechs Junge, welche, wie Azara erzählt, ſchon ſehr frühzeitig ihrer Mutter folgen. Der Coypu iſt ein vortreff - licher Schwimmer, aber ein ſchlechter Taucher. Auf dem Lande ſind ſeine Bewegungen langſam; denn ſeine Beine ſind, wie Azara ſagt, ſo kurz, daß der Leib faſt auf der Erde aufſchleift, und er geht deshalb auch nur über Land, wenn er ſich von einem Gewäſſer zu dem anderen begeben will. Bei Gefahr ſtürzt er ſich augenblicklich ins Waſſer und taucht unter; währt die Verfolgung fort, ſo zieht er ſich ſchließlich in ſeine Höhle zurück, welche er ſonſt nur während der Nacht aufſucht; denn er iſt ein vollkommenes Tagthier.

Seine geiſtigen Fähigkeiten ſind gering. Er iſt ſcheu und furchtſam und behält dieſe Eigen - ſchaften auch in der Gefangenſchaft bei. Klug kann man ihn nicht nennen, obgleich er ſeinen Pfleger nach und nach kennen lernt. Alt eingefangene Thiere beißen wie raſend um ſich und verſchmähen gewöhnlich die Nahrung, ſo daß man ſie ſelten länger als einige Tage hat. Jn der Neuzeit iſt er einige Male nach Europa übergeführt worden; im londoner Thiergarten iſt er ein ſtändiger Be - wohner. Der Sumpfbiber, ſagt Wood, iſt ein ſchneller und lebendiger Burſche, und höchſt14*212Die Schrotmäuſe oder die Trugratten. Der Schweif - oder Sumpfbiber.unterhaltend in ſeinen Sitten. Er ſchwimmt faſt ebenſo gut, als der Biber und gebraucht dabei ſeine hinteren Schwimmfüße ganz in derſelben Weiſe. Mit ſeinen Vorderfüßen iſt er außerordentlich ge - ſchickt, er benutzt ſie, wenn er aufrecht ſitzt, wie Hände. Jch habe den ſpaßhaften Gaukeleien der Sumpfbiber oft zugeſehen und mich im höchſten Grade unterhalten über die Art und Weiſe, mit welcher ſie ihre Beſitzung durchſchwimmen und dabei jedes Ding auf’s Genaueſte prüfen, was ihnen als neu vorkommt. Sobald man ein Häufchen Gras in ihr Becken wirft, nehmen ſie es augenblick - lich in ihre Vorderpfoten, ſchütteln es heftig, um die Wurzeln von aller Erde zu befreien, ſchaffen es dann nach dem Waſſer und waſchen es dort mit einer ſo großen Gewandtheit, daß eine Wäſcherin von Gewerbe es kaum beſſer machen würde.

Ueber die Fortpflanzung iſt noch nicht viel Sicheres bekannt. Das Weibchen wirft ein Mal im Jahre vier bis ſechs Junge in ſeiner Höhle. Dieſe wachſen raſch heran und folgen dann der Alten lange Zeit bei ihren Ausflügen. Ein alter Naturforſcher erzählt, daß man dieſe Jungen, wenn man ſich viel mit ihnen beſchäftige, zum Fiſchfang abrichten könne. Doch ſcheint dieſe Angabe auf einem Jrrthum zu beruhen und eher für den Fiſchotter zu gelten, deſſen Namen Nutria auch der Sumpfbiber bei den ſpaniſchen Einwohnern Amerikas führt.

Seines werthvollen Balges halber wird eifrig auf das Thier Jagd gemacht. Das weiche Haar ſeines Pelzes wird hauptſächlich zu feinen Hüten verwandt und ſehr theuer bezahlt. Bereits zu Ende des vorigen Jahrhunderts verkaufte man zu Buenos Ayres einen Balg mit zwei Realen oder einem Gulden unſeres Geldes. Seitdem iſt aber der Werth dieſes Pelzwerkes noch geſtiegen, obgleich man jährlich Tauſende von Fellen aus Südamerika nach Europa überführt, meiſt unter dem Namen Raconda-Nutria oder amerikaniſcher Otterfelle. Bis zum Jahre 1823 wurden jährlich zwiſchen 15 bis 20,000 Felle auf den europäiſchen Markt gebracht. Jm Jahre 1827 führte die einzige Provinz Entre-Rios nach amtlichen Angaben des Zollhauſes Buenos Ayres 300,000 Stück aus und noch ſteigerte ſich die Ausfuhr; denn zu Anfang der dreißiger Jahre wurden nur aus den Sümpfen von Buenos Ayres und Montevideo gegen 50,000 Felle allein nach England gefandt. So erging es dem Sumpfbiber wie ſeinem Namensvetter. Er wurde mehr und mehr vermindert, und ſchon jetzt ſoll man in Buenos Ayres gewiſſermaßen ihn hegen und ſehr ſchonen, um ſeiner gänzlichen Ausrottung zu ſteuern. Das weiße, wohlſchmeckende Fleiſch wird an vielen Orten von den Ein - geborenen gegeſſen, in anderen Gegenden aber verſchmäht. Die katholiſchen Einwohner benutzen es als Faſtenſpeiſe, da ja, wie bekannt, aller Naturgeſchichte zum Trotz, die im Waſſer lebenden Säugethiere von den Herren Pfaffen als Fiſche betrachtet werden.

Man jagt die Sumpfbiber in Buenos Ayres hauptſächlich mit eigens abgerichteten Hunden, welche jene im Waſſer aufſuchen und dem Jäger zum Schuß treiben oder auch einen Kampf mit ihnen ohne weiteres aufnehmen, obgleich der große Nager ſich muthig und kräftig zu wehren weiß. Auf den ſeichteren Stellen ſeiner Lieblingsorte und vor den Höhlen ſtellt man Schlagfallen auf. Jn Paraguay wird nie anders Jagd auf den Sumpfbiber gemacht, als wenn man ihn zufälliger Weiſe antrifft. Es iſt nicht leicht, an ihn zu kommen, weil er ſich bei dem geringſten Geräuſch ſofort flüchtet und verſteckt, und ebenſowenig gelingt es dem Schützen, das Thier mit einem einzigen Schuß zu tödten, weil das glatte, dicke Fell dem Eindringen der Schrote wehrt und ein nur verwundeter Sumpf - biber ſich noch zu retten weiß. Wird er aber durch den Kopf geſchoſſen, ſo geht er unter wie Blei und iſt dann, wenn nicht ein vortrefflicher Hund dem Jäger zu Dienſten ſteht, ebenfalls verloren.

Die Fiſcher von der Jnſel Chiloe berichten noch von einer zweiten Nutria, welche nicht im Süßwaſſer, ſondern nur in kleinen Meerarmen oder Baien und Kanälen lebt und hauptſächlich zwiſchen den Jnſeln im Süden von Chiloe ſich findet. Das Thier ſoll ausſchließlich im Salzwaſſer leben und ſich auch durch die Nahrung von dem Sumpfbiber unterſcheiden, indem es nicht allein Waſſerpflanzen, ſondern auch allerhand Meerthiere, zumal Weichthiere, frißt. Bisjetzt iſt aber noch kein Fell dieſer Nutria und noch viel weniger ein wiſſenſchaftlich zubereiteter Balg den Naturfor - ſchern zu Händen gekommen, und deshalb entbehrt jene Angabe noch jeder Beſtätigung.

213Das Borſtenferkel. Die Stachelſchweine.

Von den übrigen Mitgliedern unſerer großen und reichhaltigen Familie verdient noch ein Afri - kaner Erwähnung, weil er gleichſam den Uebergang vom Sumpfbiber zum Stachelſchwein bildet. Es iſt dies das Borſtenferkel (Aulacodus Swinderanus), ein Thier von 28 Zoll Geſammtlänge, wovon 8 Zoll auf den Schwanz kommen, mit eigenthümlichem Borſtenpelz, welcher Schwanz und Beine frei läßt, auf dem übrigen Leib, zumal auf der Oberſeite, aber aus glatten, ſtachelähn - lichen, oben geringelten Borſten mit biegſamen Spitzen beſteht und lebhaft an die Bedeckung einiger Stachelſchweine erinnert. Jn ſeiner äußeren Geſtalt hat das Borſtenferkel viel Aehnlichkeit mit dem Sumpfbiber, ſo daß man ſagen kann, es verträte denſelben in der alten Welt. Der Leibesbau iſt kräftig und gedrungen, der Kopf klein, die Schnauze kurz und breit; die Ohren ſind klein, halbkreis - förmig und nackt, die Füße kurz und vierzehig; das Vorderpaar hat eine Daumenwarze, welche einen Plattnagel trägt, während die übrigen Zehen mit ſichelförmigen, ſtarken Krallen verſehen ſind. Bei jungen Thieren ſind die Haare gelblich und dunkelbraun geringelt, bei Alten am Grunde ſchwarzgrau, in der Mitte bräunlich, an der Spitze ſchwarz, meiſt noch mit bräunlich gelben Ringen vor dieſer Spitze verſehen. Kinn und Oberlippe ſind weißlich, die Bruſt iſt ſchmuzig gelb, der Unterleib bräunlich gelb, graubraun geſprenkelt; gelblich weiße Haare bekleiden die Ohren; die Schnurren ſind theils weiß, theils ſchwarz. Jm Zahnbau fallen namentlich die oberen Nagezähne auf, weil ſie auf ihrer

Das Vorſtenferkel (Aulacodus Swinderanus).

inneren Hälfte der Borderſeite drei tiefe Rinnen haben, während die unteren ganz glatt ſind. Die Backenzähne ſind in der Größe ziemlich gleich vierſeitig mit zwei tiefen Falten an der Außenſeite und einer kurzen, breiten Jnnenſeite, während die untere Reihe die entgegengeſetzte Zeichnung hat.

Ueber die Lebensweiſe des Thieres weiß man noch ſehr wenig. Es bewohnt das ſüdliche Afrika und zwar ebene, trockene Gegenden, gräbt keine Höhlen, ſondern macht ſich nur ein Neſt aus Stroh im Grafe oder im Sande, liebt die Bambus - und Zuckerrohrpflanzungen und verurſacht hier oder in den Getreidefeldern bisweilen großen Schaden. Das Fleiſch des Borſtenferkels iſt zart und wohl - ſchmeckend, und deshalb verfolgt man es ſo eifrig als möglich.

Die Familie der Stachelſchweine (Hystrices), welche große und plumpe Nager in ſich vereinigt, bedarf keiner langen Beſchreibung hinſichtlich der äußerlichen Kennzeichen ihrer Mitglieder. Das Stachelkleid läßt ſämmtliche hierher gehörige Thiere ſofort als Verwandte erſcheinen, ſo verſchieden es auch ausgebildet ſein mag. Abgeſehen von ihm haben die verſchiedenen Stachelſchweine nicht eben214Die Stachelſchweine.große Aehnlichkeit mit einander, und es iſt deshalb eigentlich unthunlich, eine allgemeine Beſchreibung der Familie zu geben. Man kann im voraus höchſtens Folgendes ſagen: Der Leib iſt gedrungen, der Hals kurz, der Kopf dick, der Schwanz kurz oder merkwürdig verlängert und dann greiffähig. Die Beine ſind ziemlich gleich lang, die Füße vier-oder fünfzehig, breitſohlig, die Zehen mit ſtark gekrümmten Nägeln bewehrt, die Ohren und Augen klein, die Schnauze iſt kurz, ſtumpf und an der Oberlippe geſpalten. Die Stacheln ſind ſehr verſchieden hinſichtlich ihrer Länge und Stärke. Sie ſtehen in geraden Reihen zwiſchen einem ſpärlichen Unterhaar oder umgekehrt einem längeren Grannenhaar, welches ſo überwiegend werden kann, daß es die Stacheln gänzlich bedeckt. Be - zeichnend für letztere iſt eine verhältnißmäßig lebhafte Färbung. Die Wirbelſäule zählt außer den Halswirbeln zwölf bis dreizehn rippentragende, fünf rippenloſe, drei bis vier Kreuz - und bis zwölf oder dreizehn Schwanzwirbel. Die Nagezähne ſind auf der Vorderſeite glatt oder gerinnelt, die vier Backzähne in jeder Reihe ſind faſt gleich groß und ſchmelzfaltig.

Alle Stachelſchweine bewohnen gemäßigte und warme Länder der alten und neuen Welt. Dort finden ſich die kurzſchwänzigen, auf der Erde lebenden, hier die langſchwänzigen, kletternden Arten. Sie ſind ohne Ausnahme Nachtthiere, träge in ihrem Thun und Weſen, ſtumpfſinnig und ſchwach - geiſtig. Die altweltlichen Arten ſind an den Boden gebunden, die neuweltlichen Baumthiere. Dem entſprechend leben ſie in dünn beſtandenen Wäldern und Steppen oder in großen Waldungen; die Erſteren bei Tage in ſelbſt gegrabenen Gängen und Höhlen verborgen, die Letzteren zuſammengeknäuelt auf einer Aſtgabel dichter Baumwipfel oder in einer Baumhöhlung ſitzend. Ungeſellig wie ſie ſind, vereinigen ſie ſich nur während der Fortpflanzungszeit zu kleinen Trupps, welche mehrere Tage mit einander verbringen können. Den übrigen Theil des Jahres lebt jedes einſam für ſich. Jhre Be - wegungen ſind langſam, gemeſſen, träge, zumal die kletternden Arten leiſten Erſtaunliches in der gewiß ſchweren Kunſt, ſtunden - und tagelang bewegungslos auf ein und derſelben Stelle zu verharren. Jedoch würde man irren, wenn man behaupten wollte, daß die Stachelſchweine raſcher und geſchickter Bewegungen unfähig wären. Wenn einmal die Nacht eingetreten iſt und die Thiere ordentlich munter geworden ſind, laufen die Einen trippelnden Ganges ſehr raſch auf dem Boden hin, und die Anderen klettern, wenn auch nicht mit der Behendigkeit des Eichhorns, ſo doch immer gewandt genug, in dem Gezweige auf und nieder. Die Bodenbewohner verſtehen auch das Graben meiſter - haft und wiſſen allen Schwierigkeiten, welche ihnen harter Boden entgegenſetzt, zu begegnen. Unter den Sinnen ſcheint ausnahmlos der Geruch obenan zu ſtehen und bei den Kletterſtachelſchweinen noch der Taſtſinn einigermaßen ausgebildet zu ſein; Geſicht und Gehör dagegen ſind bei allen ſchwach. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind gering. Jhr Verſtand ſteht auf einer tiefen Stufe. Sie ſind furchtſam jedem anderen Thiere gegenüber, obgleich ſie ſich bei drohender Gefahr durch Sträuben ihres Stachelkleides und ein eigenthümliches Raſſeln mit den Schwanzſtacheln Furcht einzuflößen ſuchen. Sie ſind dumm, vergeßlich, wenig erfinderiſch, boshaft und jähzornig. Mit anderen Geſchöpfen halten ſie ebenſowenig Freundſchaft, als mit ihres Gleichen. Ein beliebter Biſſen kann ſelbſt unter den Gatten eines Paares ernſthaften Streit hervorrufen. Niemals ſieht man zwei Stachel - ſchweine mit einander ſpielen oder auch nur freundſchaftlich zuſammen verkehren. Jedes geht ſeinen eigenen Weg und bekümmert ſich ſo wenig als möglich um das Andere, und höchſtens um zu ſchla - fen, legen ſich ihrer zwei nahe neben einander nieder. Mit dem Menſchen, welcher ſie gefangen hält und pflegt, befreunden ſie ſich nie; ſie lernen auch ihren Wärter von anderen Perſonen nicht unterſcheiden. Jhre Stimme beſteht in grunzenden, dumpfen Lauten, in Schnauben, leiſem Stöhnen und einem ſchwer zu beſchreibenden Quieken; eine Art ſoll auch laut aufſchreien können. Wahrſchein - lich des Grunzens halber iſt ihnen der Name Schwein geworden, welcher im übrigen als gänzlich unpaſſend erſcheinen muß.

Allerhand Pflanzentheile, von der Wurzel an bis zur Frucht, bilden die Nahrung der Stachel - ſchweine. Nach anderer Nager Art führen ſie das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde, oder215Die Kletterſtachelſchweine. Der merikaniſche Greifſtachler.halten es, während ſie freſſen, damit am Boden feſt. Das Waſſer ſcheinen faſt Alle längere Zeit entbehren zu können; wahrſcheinlich genügt ihnen der Thau auf den Blättern, welche ſie verzehren.

Ueber die Fortpflanzung ſind erſt in der Neuzeit Beobachtungen geſammelt worden. Die Be - gattung wird in eigenthümlicher Weiſe vollzogen, die Jungen kommen ungefähr ſieben bis neun Wochen ſpäter zur Welt. Jhre Zahl ſchwankt zwiſchen eins und vier.

Für den Menſchen ſind die Stachelſchweine ziemlich bedeutungsloſe Weſen. Die erdbewohnenden Arten werden zuweilen durch das Graben ihrer Höhlen in Feldſtücken und Gärten läftig, nützen aber dafür durch ihr Fleiſch und durch ihr Stachelkleid, da, wie bekannt, deſſen ſchön gezeichnetes, glattes Horngebilde zu mancherlei Zwecken Benutzung findet. Die kletternden Arten richten als arge Baum - verwüſter oft großen Unfug an und nützen gar Nichts. Jn den reichen Gegenden zwiſchen den Wende - kreiſen können die dort lebenden Arten ebenſo wenig ſchaden, als nützen.

Gegenwärtig ſind etwa ein Dutzend verſchiedene Stachelſchweine bekannt. Die Arten laſſen ſich in zwei größere Gruppen bringen, in dieſelben, welche wir ſchon im Eingange unterſchieden haben. Beide Gruppen zerfallen wieder in verſchiedene Sippen, welche hauptſächlich auf Aeußerlichkeiten begründet ſind.

Obenan ſtellt man die Kletterſtachelſchweine (Cercolabes), die ſchlankeſt gebauten, durch einen langen Greifſchwanz ausgezeichneten Arten, welche ſämmtlich in Süd - und Mittelamerika zu Hauſe ſind. Man könnte ſie recht wohl als beſondere Familie aufführen; wenigſtens zerfallen ſie in mehrere Unterabtheilungen, welche den Werth von Sippen haben.

Diejenigen Arten, bei denen das Haarkleid die Stacheln überwiegt, welche letztere nur ſtellen - weiſe hervorragen und auf Kehle, Bruſt und Bauch gänzlich fehlen, faßt man unter dem Namen Greifſtachler, Sphiggurus, zuſammen. Soweit bisjetzt bekannt, iſt gerade dieſe Gruppe die arten - reichſte. Jch habe Gelegenheit gehabt, eine der ſchönſten Arten, den merikaniſchen Greifſtachler (Sphiggurus novae hispaniae oder mexicanus), lebend zu beobachten, und mein lieber Freund Zimmer - mann hat eine ſo gelungene Zeichnung geliefert, daß ich dieſe Art meiner Beſchreibung zu Grunde legen will. Die Länge des Thieres beträgt ungefähr drei Fuß, wovon der Schwanz etwa einen Fuß hin - wegnimmt. Die glänzenden Haare ſind ſehr dicht und weich, leicht gekräuſelt und ſo lang, daß viele Stacheln von ihnen vollſtändig bedeckt werden. Letztere ſtehen am ganzen Leibe, mit Ausnahme der Unterſeite, der Jnnenſeite der Beine, der Schnauze und der Schwanzſpitzenhälfte, welche oben nackt, unten mit ſchwarzen, ſeitlich mit gelben Vorſten beſetzt iſt. Nur der Unterhals wird noch von einigen Stacheln wie von einem Halsbande umgeben, hinter den Vorderbeinen beſinden ſich keine mehr und auch die Beine ſelbſt ſind vom Ellbogen an nach den Füßen zu frei von ihnen. Das Haarkleid erſcheint ſchwarz, weil die einzelnen Haare, welche an ihrer Wurzel ins Bräunliche und Lichtgraue ſpielen, an der Spitze von glänzender Schwärze ſind. Sehr lange Schnurren ſtehen im Geſicht, einzelne lange, ſteife Haare auf den Oberſchenkeln und Oberarmen. Die Stacheln ſind im allgemeinen von ſchwefelgelber Farbe mit ſchwarzer Spitze. Sie ſind an der Wurzel ſehr verdünnt, hierauf gleich - mäßig ſtark und ſodann plötzlich zugeſpitzt. Jn der Mitte ſind ſie glatt, an der nadelſcharfen Spitze mit abwärts gerichteten Widerhaken verſehen; in der Augen - und Ohrgegend ſtehen ſie ſo dicht, daß die Behaarung nicht zum Vorſchein kommt und auch das Ohr vollſtändig von ihnen verdeckt wird. Sie ſind hier aber weit kürzer, als am übrigen Körper und lichter gefärbt. Die längſten und dunkelſten ſtehen auf dem Rücken. Das Auge iſt auffallend gewölbt, die Jris ſehr lichtbraun, der Stern nicht größer, als der Knopf einer feinen Nadel, aber länglich geſtaltet; das ganze Auge tritt wie eine Glasperle aus dem Kopfe hervor. Solange das Thier ruhig iſt, gewahrt man von der Beſtachelung mit Ausnahme der Stelle um das Auge und Ohr ſehr wenig; das Fell erſcheint verlockend weich und glatt, und nur, wenn das Thier ſich erzürnt, weiſen verſchiedene Rauhheiten auf die verborgenen Spitzen unter den Haaren. Jm Zorn ſtäubt es alle Stacheln, ſo daß ſie die Kreuz und die Quer vom Leib abſtehen, und wenn man dann mit der Hand über das Fell gleitet, ſpürt man ſie allſeitig. 216Die Stachelſchweine. Der merikaniſche Greifſtachler.Sie ſtecken ſo loſe in der Haut, daß ſie bei der geringſten Berührung ausfallen; wenn man mit der Hand einmal über das Fell ſtreicht, reißt man Dutzende aus, von denen regelmäßig einige in der Hand ſtecken bleiben.

Ueber das Freileben der Greifſtachler und aller übrigen Kletterſtachelſchweine ſind die Nach - richten ſehr dürftig. Das Meiſte wiſſen wir noch über eine nah verwandte Art, den Cuiy der Gua - ranis: über ihn haben uns Azara, Rengger, Prinz von Wied und Burmeiſter Mittheilungen gemacht. Er iſt über ganz Braſilien und die ſüdlich davon gelegenen Länder bis Paraguay, verbreitet, aller Orten bekannt, jedoch nirgends gemein. Seinen Aufenthalt wählt er ſich vorzugsweiſe in hohen Waldungen; doch trifft man ihn auch in Gegenden an, welche mit Geſtrüpp bewachſen ſind. Den größten Theil des Jahres lebt er allein und zwar in einem beſtimmten Gebiete, immer auf Bäumen, in deren Gezweig er ſich geſchickt bewegt. Während des Tages ruht er in zuſammenge - kugelter Stellung, in einer Aſtgabel ſitzend, nachts ſchweift er umher, indem er langſam und bedächtig, aber ſicher klettert. Seine Stellung auf dem Baume iſt eigenthümlich; er ſitzt, wie ich an meinem

Der merikaniſche Greifſtachler (Sphiggurus novae hispanise).

Gefangenen ſah, auf den Hinterfüßen, hält die Vorderfüße dicht neben dieſe, manchmal umgebogen, ſo daß er mit den Handrücken ſich ſtützt; der Kopf wird dabei ſenkrecht nach abwärts gerichtet, der Schwanz gerade ausgeſtreckt, nach oben hakig umgebogen. Gewöhnlich verſichert er ſich durch den Greifſchwanz, welchen er um einen Aſt ſchlägt, in ſeiner Lage. Er ſitzt aber auch ohnedies ſehr feſt auf den dünnſten Zweigen, weil die breiten, nach innen gewölbten Hände zu einem ſicheren Anhalt ſehr geeignet ſind. Jm Klettern drückt er die breiten fleiſchigen Sohlen feſt an die Aeſte und um - klammert ſie mit dem Handballen. Bei Tage bewegt er ſich höchſt ungern, ungeſtört wohl nie - mals; bringt man ihn aber ins Freie, ſo läuft er ſchwankenden Ganges dem erſten beſten Baume zu, klettert an dieſem raſch genug in die Höhe und wählt ſich im Gezweig eine ſchattige Stelle aus, um dort ſich zu verbergen, beginnt auch wohl zu freſſen. Wenn er von einem Aſte zu einem zweiten, ent - fernter ſtehenden gelangen will, hält er ſich mit beiden Hinterfüßen und dem Schwanze feſt, ſtreckt den Körper wagrecht vor ſich und verſucht mit den Vorderhänden, den ins Auge gefaßten Zweig zu ergreifen. Jn dieſer Stellung, welche eine große Kraft erfordert, kann er minutenlang verweilen, ſich auch mit ziemlicher Leichtigkeit ſeitlich hin und her bewegen. Sobald er den Aſt mit den Vorder -217Der merikaniſche Greifſtachler.händen gefaßt hat, läßt er zuerſt die beiden Hinterbeine und ſodann den Schwanz los, ſchwingt ſich, durch das eigene Gewicht bewegt, bis unter den Zweig, faßt dieſen mit dem Schwanze und hierauf mit den Hinterbeinen und klettert nunmehr gemächlich nach oben und dann auf dem Zweige weiter. Rengger behauptet, daß er den Schwanz nur bei dem Herunterklettern benutze; dieſe Angabe iſt jedoch falſch, wie ich nach eigenem Beobachten verſichern darf.

Seine Nahrung beſteht hauptſächlich aus Baumfrüchten, Knospen, Blättern, Blüthen und Wurzeln, welche er mit den Händen zum Munde führt. Unſer Gefangener verzehrte ſehr gern auch die Rinde junger Schößlinge, jedoch nur dann, wenn er ſich letztere ſelbſt auswählen konnte. Jm Käfig fütterten wir ihn mit Möhren, Kartoffeln und Reis, auch nahm er Milchbrod an. Jn Amerika ernährt man ihn mit Bananen.

Der Schilderung des Gefangenlebens will ich Azara’s Beobachtungen vorausſchicken. Einen alt Eingefangenen, erzählt er, ließ ich in meinem Zimmer frei und ein Jahr ohne Waſſer; denn er trinkt nicht. Wenn er erſchreckt wurde, lief er mit großer Leichtigkeit; doch erreichte ich ihn immer noch, wenn ich gemächlich nebenher ging. Auch wenn er laufen will, beugt er das Gelenk zwiſchen Schienbein und Knöchel nicht, gerade als ob er keinen Spielraum habe. Alle ſeine Be - wegungen ſind tölpelhaft; doch klettert er mit Leichtigkeit an irgend welchem Stocke auf und nieder und klammert ſich ſo feſt, daß eine ziemliche Kraft erforderlich iſt, um ihn wegzubringen. Eine Stuhllehne, die Spitze eines ſenkrecht eingerammten Pfahles genügen ihm, um ſicher zu ſchlafen und auch wirklich auszuruhen. Er iſt ſtumpfgeiſtig und ſo ruhig oder träge, daß zuweilen 24 bis 48 Stunden vergehen können, ehe er ſeinen Ort verändert oder ſeine Stellung im geringſten wechſelt. Der meinige bewegte ſich nur, wenn er freſſen wollte, und Dies geſchah in der Regel um 9 Uhr Vormittags und 4 Uhr Nachmittags. Ein einziges Mal beobachtete ich, daß er auch in der Nacht umher lief; dem ungeachtet halte ich ihn für ein nächtliches Thier. Der meinige ſetzte ſich in den erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft auf eine Stuhllehne, niemals auf etwas Ebenes; als er aber eines Tages am Fenſter emporgeſtiegen war, und dort die Kante des Fenſterladens aufgefunden hatte, ſuchte er ſpäter keinen andern Ort. Oben auf dem Laden verbrachte er ſeine Zeit; er ſaß ohne die geringſte Bewegung, einer Bildſäule gleich, in einer außergewöhnlichen Stellung. Er hielt ſich, ohne ſich mit der Hand oder dem Schwanze zu verſichern, einzig und allein mit den Füßen feſt, legte die Hände über einander und zwiſchen ſie hinein ſeine Schnauze, als ob er die Hände küſſen wollte. So ſaß er, ohne ſich zu bewegen, ja ohne umherzublicken, bis zur Stunde ſeiner Mahlzeit. Eines Tages legte ich unter ſein Futter eine todte Ratte. Als er dieſe entdeckt hatte, entſetzte er ſich derart, daß er über Hals und Kopf zu ſeinem Ruheſitze emporſtieg; das Gleiche that er, wenn ſich ihm einer von den Vögeln, welche ich frei im Zimmer herumfliegen ließ, näherte, während er fraß. Er nahm von dem ihm vorgeſetzten Brod, Mais, Maniokwurzeln, Kräutern, Blättern und Blumen außerordentlich wenig, liebte es aber, mit der verſchiedenen Koſt abzuwechſeln. Vielmal ſah ich, daß er, die erwähnten Dinge verſchmähend, ſich über dünne Holzſtengel hermachte, ja ſelbſt, daß er gediegenes Wachs anging. Er biß oder kratzte nie und fügte auch Niemand Schaden zu. Seine Nothdurft verrichtete er während des Fraßes, und dabei achtete er nicht darauf, ob ſein Koth und Harn auf die Nahrung fiel.

Der Geruch iſt der ausgebildetſte Sinn. Jch beobachtete, wenn ich Chocolade trank oder mit Blumen in das Zimmer trat, daß mein Gefangener ſeine Schnauze erhob, und durfte mit Sicherheit folgern, daß er den Geruch auf ziemliche Entfernungen wahrnahm. Seine Schwanzſpitze iſt ſo empfindlich, daß er ſich ſogleich aufraſſt und zuſammenſchreckt, wenn man ihn dort ganz leiſe berührt. Jm übrigen nimmt man blos Trägheit und Dummheit von ihm wahr; man darf wohl ſagen, daß er kaum zu freſſen und zu leben verſteht. Niemals konnte ich bei ihm Freude oder Trauer und nie - mals Wohlbehagen bemerken. Manchmal wendete er ſein Haupt, wenn er bei ſeinem Namen genannt wurde. Für gewöhnlich ſah er ſich nicht um, er that gerade, als ob er nicht ſehen könne und218Die Stachelſchweine. Der merikaniſche Greifſtachler.ließ ſich berühren, als ob er von Stein wäre; kam man ihm aber zu derb, ſo ſträubte er ſeine Stacheln, ohne ſich im übrigen zu bewegen.

Man erzählt, daß er die Stacheln fortſchleudert, und daß dieſe, falls ſie die Haut treffen, weiter und weiter ſich bohren, ſo gering auch die Wunden ſind, welche ſie verurſachten, bis ſie auf der entgegengeſetzten Weiche wieder zum Vorſchein kommen. Auch erzählt man von ihm, daß er die Früchte der Bäume abſchüttelt und ſich dann auf ihnen herumwälzt, ſie anſpießt und mit ſich fort - trägt. Das ſind Märchen; wahr iſt blos, daß einige ſeiner Stacheln, wenn er ſie zur Vertheidigung erhebt, wegen ihrer lockeren Einfügung in das Fell, ausfallen; auch kommt es wohl vor, daß die Stacheln, welche in der Schnauze unvorſichtiger Hunde ſtecken blieben, ſpäter tiefer in das Fleiſch eingedrungen zu ſein ſcheinen, einfach deshalb, weil die Wunde inzwiſchen geſchwollen iſt. Jm Kothe des Jaguar habe ich mehrmals dieſe Stacheln gefunden.

Jn der Flohzeit litt mein Gefangener viel und mußte ſich beſtändig kratzen.

Jch habe dieſem Berichte des alten, gediegenen Naturforſchers nur noch wenig hinzu zu fügen. Meine Beobachtungen ſtimmen weſentlich mit den ſeinigen und noch mehr mit der von Burmeiſter gegebenen Schilderung überein. Unſer Gefangener ſaß während des ganzen Tages ruhig in ſeinem Kaſten, in der angegebenen Weiſe zuſammengekauert. Erſt nach Sonnenuntergang begann er lang - ſam umher zu klettern. Wenn man ihn berührte, ließ er auch ſeine Stimme vernehmen; ein ziemlich leiſes Quieken, welches dem Winſeln eines jungen Hundes ſehr ähnlich war. Eine Verührung war ihm entſchieden unangenehm, doch machte er, wie Dies auch Burmeiſter ſehr richtig ſagt, niemals einen Verſuch zur Flucht, ſondern ließ den Feind ruhig herankommen, wo er auch war, duckte ſich nieder, ſträubte die Stacheln und winſelte, wenn er berührt wurde. Der unſrige machte keine Ver - ſuche, ſich aus ſeiner Kiſte zu befreien, Burmeiſter’s Gefangener dagegen arbeitete, wenn man ſeinen Kaſten nachts mit dem Deckel verſchloß, ſich ſchnell und heftig eine Oeffnung, indem er das Holz in großen Fetzen abnagte. Auffallend erſcheint es, daß Azara’s Gefangener kein Waſſer trank, denn der, welchen ich beobachtete, verlangte Dies regelmäßig. Sobald er gefreſſen hatte, nahete er ſich ſeinem Saufnapfe und ſchöpfte ſich hier mit ſeiner breiten Hand einige Tropfen, welche er dann behaglich ableckte. Sehr unangenehm und ganz eigenthümlich war der Geruch, welchen er ver - breitete. Burmeiſter glaubt, daß dieſer Geruch mehr auf Rechnung der faulen Nahrung in der Kiſte und des Unraths, als auf eine Abſonderung des Thieres geſchoben werden müſſe, ich muß ihm jedoch hierin entſchieden widerſprechen, weil ich mich durch wiederholte Verſuche überzeugt habe, daß der Geſtank am Thiere ſelbſt haftet.

Wahrhaft entſetzlich wurde unſer Gefangener von kleinen, braunen Läuſen oder lausähnlichen Thieren geplagt. Dieſe Schmarotzer ſaßen zuweilen zu Hunderten an ein und derſelben Stelle, am dickſten in der Schnauzengegend und ließen ſich durch kein Kratzen vertreiben, nicht einmal durch per - fiſches Jnſektenpulver, zu welchem wir ſchließlich unſere Zuflucht nahmen.

Rengger berichtet, daß ſich beide Geſchlechter der ſonſt einſam lebenden Thiere während des Winters aufſuchen und dann eine Zeitlang paarweiſe leben. Jm Anfange des Winters ihrer Heimat d. h. gegen Anfang des Oktobers, wirft dann das Weibchen ein bis zwei Junge. Azara, welcher ein trächtiges Weibchen unterſuchte, fand nur ein Junges, welches wie ſeine Mutter bereits mit Stacheln bedeckt war. Genaueres über die Fortpflanzungsgeſchichte vermag ich nicht mitzutheilen.

Da das Aeußere des Greifſtachlers wenig Einladendes hat, wird er von den Einwohnern Para - guays nur ſelten eingefangen und aufgezogen; demungeachtet entgeht er den Nachſtellungen nicht. Die Wilden verzehren ſein Fleiſch, welches des unangenehmen Geruchs wegen von den Europäern verſchmäht wird. Gleichwohl ſcheinen auch Dieſe ihm nachzuſtellen, in gleicher Weiſe, wie der unge - bildete Europäer dem Jgel. Burmeiſter erhielt bald nach ſeiner Ankunft in Rio de Janeiro einen lebendigen Greifſtachler, welcher nach dortiger Gewohnheit der Länge nach an einen Knittel gebunden und jämmerlich zerſchlagen war, ſo daß das arme Geſchöpf die erſte Zeit nach dem Ablöſen kaum gehen konnte, und fand ein zweites ſpäter todt neben dem Wege liegen, welches wahrſcheinlich auch der219Das Borſtenſtachelſchwein.ungerechtfertigten Mordluſt zum Opfer gefallen war. Die Jagd des harmloſen und langſamen Ge - ſchöpfes iſt eben kein Heldenſtück: von den Bäumen ſchießt man es herab und auf der Erde ſchlägt man es mit Stöcken todt. Die Hunde beweiſen ihm denſelben Haß, welchen ſie gegen unſere Jgel an den Tag legen, ſie werden aber oft übel von ihm zugerichtet, indem ihnen, wenn ſie nach ihm beißen, mehrere Stacheln im Maule oder in der Zunge ſtecken bleiben und dort ſchmerzhafte Ent - zündungen verurſachen.

Von der zweiten Gruppe der ſüdamerikaniſchen Kletterſtachelſchweine kennt man gegenwärtig nur eine Art, das Borſtenſtachelſchwein (Chaetomys subspinosus). Es unterſcheidet ſich von den Greifſtachlern weſentlich durch den Bau ſeines Schädels und die langen, dünneren, mehrmals wellig geſchlängelten Stacheln. Der Schwanz iſt beſchuppt und mit kurzen Borſten bekleidet, kaum um ein Dritttheil kürzer als der Körper, an der Greifſpitze nackt und nach oben einrollbar. Der Leib iſt ge -

Das Borſtenſtachelſchwein (Chaetomys subspinosus).

drungen, vorn mit kurzen und ſcharfen, hinten aber mit langen, borſtenartigen und weichen Stacheln beſetzt. Die Geſammtlänge des Thieres beträgt Fuß, wovon mehr als ein Fuß auf den Schwanz zu rechnen iſt. Der Kopf, der Hals, die Schulterblätter und der Rücken unmittelbar über den letzteren ſind mit Stacheln beſetzt, welche hier kurz, dick und von blaßgelblicher oder weißlich grauer Färbung ſind. Vom Kopf an nehmen dieſe Stacheln allmählich an Länge zu, erhalten eine wellen - förmig gebogene Geſtalt und eine weißgrau und graugelb abwechſelnde Zeichnung. Von da nach den Seiten, dem Mittel - und Hinterrücken zu werden ſie immer dünner und länger, liegen glatt an und bedecken das Thier ziemlich dicht. Der Schwanz iſt an der Oberſeite und an der Wurzel mit langen, wellenförmigen Borſten bedeckt, der After mit gelblichen Borſten umgeben; die ganze Unterſeite und die inneren Seiten der vier Beine werden von einem dicht anliegenden, glänzend graugelben Borſtenhaar bekleidet. Ein großer Theil Mittel - und Nordbraſiliens ſcheint die Heimat des noch wenig bekannten Thieres zu ſein, über deſſen Leben noch alle Berichte fehlen.

220Die Stachelſchweine. Der Cuandu. Der Urſen.

Etwas mehr, jedoch keineswegs genügend bekannt, iſt der Cuandu (Cercolabes prehensilis). Er bildet eine leicht erkennbare Sippe, welche ſich durch das vollkommene Stachelkleid von den übri - gen unterſcheidet. Jm allgemeinen hat er die Geſtalt der ſchon beſchriebenen; doch iſt er etwas größer und erſcheint kräftiger gebaut als ſie. Seine Länge beträgt Fuß, wovon Fuß auf den Schwanz kommt. Die Stacheln beginnen gleich am Geſicht, ſetzen ſich über den ganzen Ober - leib fort, bekleiden die Beine bis zum Wurzelgelenk hinab, die obere Schwanzhälfte und auch den ganzen Unterleib, liegen jedoch keineswegs glatt am Körper an. Einzelne Haare, welche zwiſchen ihnen hervortreten, werden größtentheils von ihnen überdeckt und erſt ſichtbar, wenn man die Stacheln aus einander nimmt. Letztere ſind alle von gleicher Geſtalt; ſie ſind hart und ſtark, faſt rund, glatt und glänzend, an der Wurzel ſchwach, im übrigen gleichmäßig dick, nadelförmig und gegen die ſehr feine Spitze hin plötzlich ſtark verdünnt. Jhre Wurzeln ſtecken ebenfalls ſehr loſe in der Haut. Auf dem Hinterrücken erreichen ſie eine Länge von ungefähr Zoll, gegen den Unter - leib verkürzen ſie ſich allmählich, und auf dem Bauche gehen ſie nach und nach in wahre Borſten über, welche auf der Unterſeite des Schwanzes wieder ſtachelartig d. h. ſteif und ſtechend werden. Die Farbe der Stacheln iſt ein lichtes Gelblichweiß, unterhalb der Spitze aber tritt eine dunkelbraune Binde lebhaft hervor. Das Haar auf Naſe und Schnauze iſt röthlich, das des übrigen Leibes roth - braun, dazwiſchen ſind einzelne weißliche Borſten eingeſtreut. Die ſehr ſtarken und langen Schnurren, welche ſich in Längsreihen ordnen, ſind von ſchwarzer Farbe.

Ueber das Freileben des Cuandu iſt ſehr wenig bekannt. Das Thier bewohnt einen ziemlich großen Theil von Süd - und Mittelamerika und iſt an manchen Orten keineswegs ſelten. Nach Art ſeiner Verwandten verſchläft es den Tag in der oben angegebenen Stellung in einem Baumwipfel; nachts läuft es langſam, aber geſchickt im Gezweige umher.

Seine Nahrung beſteht in Blättern aller Art. Das Fleiſch wird von den Eingeborenen geſchätzt, und auch die Stacheln finden vielfache Verwendung. Unter den Jndianern laufen über den Cuandu ähnliche Sagen um, wie bei uns über das Stachelſchwein. Bei manchen Jndianerſtämmen werden die Stacheln in der Heilwiſſenſchaft benutzt: man glaubt, daß ſie wie Blutegel wirken, wenn man ſie in die Haut des Kranken einbohrt. Jn den europäiſchen Thierſammlungen iſt der Cuandu ziemlich ſelten; außer dem Gefangenen, welchen der hamburger Thiergarten beſitzt, ſah ich nur noch einen lebenden in London.

Jch habe bisjetzt zwiſchen ihm und dem vorher Beſchriebenen hinſichtlich des Betragens keine weſentlichen Unterſchiede bemerken können. Stellungen und Bewegungen ſind dieſelben, wie bei jenen, und das Einzige, was ich wahrnahm, iſt, daß unſer Gefangener nur höchſt ſelten auf den Baumzweigen ſeines Käfigs ſeine Nacht - oder richtiger Tagruhe hält, ſondern immer auf dem ihm bereiteten Heulager ſich niederſetzt, ja, förmlich in ihm verbirgt, indem er ſich unter das Heu ein - wühlt. Die Stimme iſt etwas ſtärker, als beim Greifſtachler, derſelben aber ganz ähnlich. Berüh - rungen jeder Art ſcheinen unſerem Gefangenen ſehr unaugenehm zu ſein, und er läßt ſich dieſelben auch nicht ſo ruhig gefallen, wie ſeine Verwandten, ſondern verſucht, den ſich ihm Nähernden durch plötzliches Vorwärtsbewegen zu ſchrecken; möglich iſt, daß er dabei beabſichtigt, von ſeinem Gebiß Gebrauch zu machen. Wenn er aber einmal am Schwanz gepackt iſt, läßt er ſich berühren, ohne ſich zu vertheidigen: ſo kann man ihn auf den Arm ſetzen und hin - und hertragen, ohne daß er daran denkt, nach anderer Nager Art um ſich zu beißen. Jm Zorn ſträubt er ſeine Stacheln nach allen Seiten hin und erſcheint dann faſt noch einmal ſo dick, als er wirklich iſt. Seine Färbung wird da - bei eine ganz andere, weil das lebhafte Gelb der Stachelmitte dann zur Geltung kommt.

Jn der nördlichen Hälfte Amerikas werden die Kletterſtachelſchweine durch eine beſondere Sippe (Erethizon) vertreten, von welcher man bisjetzt ebenfalls nur eine einzige Art, den Urſon (Erethi -221Der Urſon.zon dorsatum) kennt. Durch einen plumpen Leibesbau und einen kurzen Schwanz, welchem die Fähigkeit zum Greifen abgeht, zeichnet ſich der Genannte von den Greifſtachlern ſehr aus. Nichts - deſtoweniger iſt auch er ein vortrefflicher Kletterer, welcher den größten Theil ſeines Lebens auf den Bäumen zubringt.

Der Urſon erreicht eine Länge von Fuß, wovon der Schwanz 7 Zoll wegnimmt. Der Kopf iſt kurz, dick und ſtumpf, die Schnauze abgeſtutzt, die kleinen Naſenlöcher ſind durch eine halb - mondartige Klappe mehr oder weniger verſchließbar. Die Vorderfüße ſind vierzehig und daumenlos, die hinteren fünfzehig. Lange und ſtarke Krallen bewehren die Zehen, die Sohlen ſind nackt, mit netzförmig geriefter Haut bekleidet. Ein dicker Pelz, welcher auf dem Nacken bis 4 Zoll lang wird und an der Unterſeite und Schwanzſpitze in ſtechende

Der Urſon (Erothlzon dorsatum).

Borſten ſich verwandelt, bedeckt den Leib. Zwiſchen den Haaren und Borſten ſtehen auf der ganzen Ober - ſeite bis drei Zoll lange Stacheln, welche größten - theils von den Haaren überdeckt werden. Die Fär - bung iſt ein Gemiſch von Braun, Schwarz und Weiß: die Haare der Oberlippe ſind gelblichbraun, die der Wange und Stirn lederbraun, ſchwarz und weiß gemiſcht, die langen Rumpfhaare ganz ſchwarz oder ganz weiß, an der Wurzel weiß, an der Spitze die des Unterleibes braun, die des Schwanzes gegen die Spitze hin ſchmuzig weiß.

Cartwright, Audubon, Bachmann und Prinz Max von Wied haben uns das Leben und Treiben des Urſons ausführlich geſchildert. Das Thier bewohnt die Waldungen Nordamerikas vom 67. Grad nördl. Breite an bis Virginien und Kentucky, und von Labrador bis zu den Felsge - birgen. Jn den Waldgegenden weſtlich von Miſ - ſouri iſt es nicht gerade ſelten, in den öſtlichen Län - dern dagegen faſt ausgerottet. Unter allen nord - amerikaniſchen Säugethieren, ſagt Audubon, zeigt der Urſon die auffallendſten Eigenthümlich - keiten in ſeiner Stellung und in ſeinen Sitten. Jn ſeinen Bewegungen iſt er langſamer, als alle unſere Säugethiere. So ſchlecht zu Fuß das Stinkthier iſt: es kann als ein Läufer betrachtet werden dem Urſon gegenüber, und hätte dieſer nicht den Schutz ſeiner Stacheln, er würde längſt den Angrif - fen des Vielfraßes, des Luchſes, des Wolfes, des Puma erlegen ſein. Wir hielten ein lebendes Stachelſchwein ſechs Monate im Käfig und hatten vielfach Gelegenheit, uns von der Güte ſeiner Waffen zu überzeugen. Unſer Gefangener war nach und nach ſehr zahm geworden und machte ſelten von ſeinen Spitzen Gebrauch, konnte deshalb auch gelegentlich aus ſeinem Käfig befreit und der Wohlthat eines freien Spazierganges im Garten theil - haftig gemacht werden. Er kannte uns; wenn wir ihn riefen und ihm eine ſüße Kartoffel oder einen Apfel vorhielten, drehete er ſein Haupt langſam gegen uns, blickte uns mild und freundlich an, kam dann langſam herheigeſtolpert, nahm die Frucht aus unſerer Hand, richtete ſich auf und führte dieſe Nahrung mit ſeinen Pfoten zum Munde. Oft kam er, wenn er die Thür geöffnet fand, in unſer Zimmer, näherte ſich uns freundlich, rieb ſich an unſeren Beinen und blickte uns bittend an,222Die Stachelſchweine. Der Urſen.in der Abſicht, irgend eine ſeiner Leckereien zu empfangen. Vergeblich bemühten wir uns, ihn zu erzürnen: er gebrauchte ſeine Stacheln niemals gegen uns. Anders war es, wenn ein Hund ſich näherte. Dann hatte er ſich im Augenblick in Vertheidigungszuſtand geſetzt. Die Naſe niederwärts gebogen, alle Stacheln aufgerichtet und den Schwanz hin und her bewegend, zeigte er ſich vollkommen fertig zum Kampfe.

Ein großer, wüthender, im höchſten Grade ſtreitluſtiger Bullenbeißer aus der Nachbarſchaft hatte die Gewohnheit, ſich unter der Umzäunung unſeres Gartens durchzugraben und hier von Zeit zu Zeit ſeine unerwünſchten Beſuche zu machen. Eines Morgens ſahen wir ihn in die Ecke des Gar - tens laufen, einem Gegenſtande zu, welcher ſich als unſer Urſon erwies. Dieſer hatte während der Nacht einen Ausflug aus ſeinem Käfig gemacht und lief noch gemüthlich umher, als der Hund ſich zeigte. Die gewöhnliche Drohung des Stachelſchweines ſchien letzteren nicht abzuhalten; vielleicht glaubte er auch, es mit einem Thiere zu thun zu haben, welches nicht ſtärker als eine Katze ſein könne: kurz, er ſprang mit offenem Maule plötzlich auf den Gewappneten los. Der Urſon ſchien in demſelben Augenblicke auf das Doppelte ſeiner Größe anzuſchwellen, beobachtete den ankommen - den Feind ſcharf und theilte ihm rechtzeitig mit ſeinem Schwanze einen ſo wohlgezielten Schlag zu, daß der Bullenbeißer augenblicklich ſeinen Muth verlor und ſchmerzgepeinigt laut aufſchrie. Sein Mund, die Zunge und Naſe waren bedeckt mit den Stacheln ſeines Gegners; unfähig die Kinnladen zu ſchließen, floh er mit offenem Maule unaufhaltſam über die Grundſtücke. Wie es ſchien, hatte er eine Lehre für ſeine Lebenszeit erhalten; denn Nichts konnte ihn ſpäter zu dem Platze zurückbringen, auf welchem ihm ein ſo ungaſtlicher Empfang bereitet worden war. Obgleich die Leute ihm ſofort die Stacheln aus dem Munde zogen, blieb doch der Kopf mehrere Wochen lang geſchwollen, und Monate vergingen, bevor der Mund geheilt war.

Prinz Mar von Wied fing einen Urſon am oberen Miſſouri. Als wir ihm zunahe kamen, ſagt er, ſträubte das Thier die langen Haare vorwärts, bog ſeinen Kopf unterwärts, um ihn zu verſtecken, und drehte dabei ſich immer im Kreiſe. Wollte man es angreifen, ſo kugelte es ſich mit dem Vorderkopfe zuſammen und war alsdann wegen ſeiner äußerſt ſcharfen, ganz locker in der Haut befeſtigten Stacheln nicht zu berühren. Kam man ihm ſehr nahe, ſo rüttelte es mit dem Schwanze hin und her und rollte ſich zuſammen. Die Haut iſt ſehr weich, dünn und zerbrechlich, und die Stacheln ſind in ihr ſo loſe eingepflanzt, daß man ſie bei der geringſten Berührung in den Händen ſchmerzhaft befeſtigt findet.

Ueber das Freileben des Urſon erzählt Cartwright: Das Stachelſchwein iſt ein fertiger Klet - terer und kommt im Winter wahrſcheinlich nicht zum Boden herab, bevor es den Wipfel eines Baumes entrindet hat. Gewöhnlich bewegt der Urſon ſich im Walde in einer geraden Linie, und ſelten geht er an einem Baume vorüber, es ſei denn, daß derſelbe zu alt ſei. Die jüngſten Bäume liebt er am meiſten: ein einziger Urſon richtet während des Winters wohl ihrer Hunderte zu Grunde. Der mit den Sitten dieſer Thiere Vertraute wird ſelten vergeblich nach ihm ſuchen, die abgeſchälte Rinde weiſt ihm ſicher den Weg. Audubon verſichert, daß er durch Wälder gekommen ſei, in welchen alle Bäume vom Urſon entrindet worden waren, ſo daß der Beſtand ausſah, als ob das Feuer in ihm gewüthet habe. Namentlich die Ulmen, Pappeln und Tannen waren arg mitgenommen worden. Mit ſeinen braunen, glänzenden Zähnen ſchält er die Rinde ſo glatt von den Zweigen ab, als hätte er die Arbeit mit einem Meſſer beſorgt. Man ſagt, daß er regelmäßig auf dem Wipfel der Bäume beginne und niederwärts herabſteige, um die Zweige und zuletzt auch den Stamm abzuſchälen.

Es ſcheint, daß der Urſon an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit feſthält. Man darf mit ziemlicher Sicherheit rechnen, ihn monatelang alltäglich in derſelben Baumhöhlung zu finden, welche er ſich einmal zum Schlafplatze erwählt hat. Einen Winterſchlaf hält er nicht; doch iſt es wahrſcheinlich, daß er ſich während der kälteſten Wintertage in gedachte Schlupfwinkel zurückzieht.

Jn ſolchen Baumlöchern oder in Felſenhöhlen findet man auch das Neſt und in ihm im April oder Mai die Jungen, gewöhnlich zwei an der Zahl, ſeltener drei oder vier. Wie uns Prinz223Die Quaſtenſtachler.Wied mittheilt, glauben die Jndianer, daß die Mutter keine Zitzen habe und deshalb ihre Jungen nicht ſäugen könne. Sie ſei in Folge deſſen genöthigt, die Neugeborenen ſofort nach ihrer Geburt von ſich zu treiben und zwinge ſie hierdurch, vom erſten Tage ihres Lebens an die harte, nagende Arbeit zu beginnen.

Die Jungen, welche aus dem Neſte genommen und in Gefangenſchaft gehalten werden, gewöh - nen ſich bald an ihren Herrn und an die Umgebung. Man ernährt ſie mit allerhand Pflanzenſtoffen, auch verzehren ſie Brod ſehr gern. Wenn man ſie im Garten frei umherlaufen läßt, beſteigen ſie die Bäume und freſſen hier Schale und Blätter. Audubon erzählt, daß ſein Gefangener nur dann ſich erzürnt habe, wenn man ihn von einem Baume des Gartens, den er regelmäßig beſtieg, ent - fernen wollte. Die Haltung des Thieres verurſacht keine Schwierigkeiten; doch verträgt es größere Hitze nicht. Als der Frühling vorſchritt, berichtet Audubon, überzeugten wir uns, daß unſer armes Stachelſchwein nicht für warme Länder geſchaffen war. Wenn es heiß wurde, litt es ſo, daß wir es immer in ſeine canadiſchen Wälder zurückwünſchten. Es lag den ganzen Tag über keuchend in ſeinem Käfig, ſchien bewegungslos und elend, verlor ſeine Eßluſt und verſchmähete alle Nahrung. Schließlich brachten wir es nach ſeinem geliebten Baume und dort begann es auch ſofort, Rinde ab - zunagen. Wir betrachteten Dies als ein günſtiges Zeichen; aber am andern Morgen war es verendet.

Der Urſon wird von Jahr zu Jahr ſeltener. Jm weſtlichen Connecticut, ſo erzählt William Caſe unſerm Audubon, war das Thier noch vor einigen Jahren ſo häufig, daß ein Jäger ſieben oder acht gelegentlich der Eichhornjagd im Laufe eines Nachmittags erlegen konnte, und zwar in einer Entfernung von drei oder vier Meilen von der Stadt, während man jetzt vielleicht nicht ein Einziges dort finden würde. Sie werden mit erſtaunlicher Schnelligkeit ausgerottet, hauptſächlich aus Rache von den Jägern wegen der Verletzungen, welche ſie den Jagdhunden beibringen.

Außer dem Menſchen dürften nur wenige Feinde dem wohlgewaffneten Thiere gefährlich werden. Audubon erheielt einen canadiſchen Luchs, welcher den Angriff auf ein Stachelſchwein hatte ſchwer büßen müſſen. Das Raubthier war dem Tode nahe, ſein Kopf heftig entzündet und der Mund voll von den ſcharfen Stacheln. Derſelbe Naturforſcher hörte wiederholt, daß Hunde, Wölfe, ja ſelbſt Jaguare an ähnlichen Verletzungen zu Grunde gegangen ſind.

Den erlegten Urſon wiſſen nur die Jndianer entſprechend zu benutzen. Das Fleiſch des Thieres wird von ihnen ſehr gern gegeſſen und ſoll auch den Weißen munden. Das Fell iſt, nachdem die Stacheln entfernt ſind, ſeiner angenehmen Weiche halber brauchbar, die Stacheln werden von den Wilden vorzugsweiſe zum Schmuck ihrer Jagdtaſche, Stiefeln u. ſ. w. verwendet.

Die zweite, kaum minder zahlreiche Gruppe der Stachelſchweine enthält die Arten, welche auf den Boden gebannt ſind. Sie unterſcheiden ſich von den bisher Genannten durch den Mangel des Greifſchwanzes, die längeren und ſtärkeren Stacheln und die kräftigen Grabklauen, ſowie durch Eigenthümlichkeiten ihres Gebiſſes. Die verſchiedenen Arten bewohnen die wärmeren Länder der alten Welt.

Wie es ſcheint, hat man die Quaſtenſtachler (Atherura) als die vollkommenſten Erdſtachel - ſchweine zu betrachten. Sie ſind verhältnißmäßig Uein, haben kurze, nackte Ohren, vierzehige Vorderſüße mit kleinerer Daumenwarze, fünfzehige Hinterfüße und einen langen Schwanz, welcher theilweiſe mit Schuppen bekleidet iſt und am Ende eine pinſelförmige Quaſte aus Horngebilde trägt, welche weder Stacheln, noch Haare, noch Borſten ſind, ſondern eher Pergamentſtreifen ähneln, welche von einem launenhaften Menſchen ausgeſchnitten worden. Dieſe Gebilde ſind gleich breit, lanzettartig, bald mehrfach eingeſchnürt und wieder erweitert. Sie ſtehen dicht neben einander und ragen ziemlich weit über das Ende des Schwanzes hinaus. Die Stacheln, welche Rücken und Seiten224Die Stachelſchweine. Der afrikaniſche Quaſtenſtachler.bedecken, ſind kurz, aber ſehr ſcharfſpitzig, bei Einzelnen beachtenswerth wegen einer tiefen Rinne, welche längs der Mitte verläuft. Zwiſchen ihnen treten kurze, ſcharfe Borſten hervor. Die Unter - ſeite des Leibes iſt mit Haaren bekleidet. Bisjetzt kennt man mehrere Arten dieſer Sippe, welche ſich in Fernando Po, Sierra Leona, in Sumatra und auf Java finden.

Eine Art, der afrikaniſche Quaſtenſtachler (Atherura africana) iſt in der letzten Zeit wie - derholt lebend nach Europa gekommen und gegenwärtig in den Thiergärten keine Seltenheit. Er iſt ein verhältnißmäßig ſchlankes Thier von höchſtens zwei Fuß Länge, wovon ein Dritttheil auf den Schwanz zu rechnen iſt. Die Stacheln ſind flach längsgefurcht, ſehr ſcharfſpitzig und an der Spitze widerhakig. Jhre Färbung iſt ein ſchmuziges Weiß an der Wurzel und ein ſchwer zu beſtimmendes Braun im übrigen; einzelne ſeitliche ſind weißſpitzig. Sie nehmen von vorn nach hinten an Länge zu: die auf den Schultern ſtehenden werden etwa Zoll, die auf dem Hinterrücken ſitzenden faſt 4 Zoll lang. Die Hornblättchen der Schwanzquaſte ſind gelblichweiß. Ein bräunlichweißes, ziemlich dichtes und weiches Fell bekleidet die Unterſeite; ſehr lange, braune Schnurren mit weißer Wurzel ſtehen zu beiden Seiten der Schnauze.

Der efrikaniſche Quaſteuſtachler (Atherura africana).

Ueber das Freileben der Quaſtenſtachler iſt noch nicht das Geringſte bekannt; doch darf man von dem Betragen der Gefangenen ſchließen, daß die Sitten denen der eigentlichen Stachelſchweine ähneln. Jch habe das Thier wiederholt lebend geſehen und auch längere Zeit beobachten können. Es macht einen weit günſtigeren Eindruck, als das gemeine Stachelſchwein. Wie Dieſes liegt es bei Tage möglichſt verborgen in dem ihm hergerichteten Schlupfwinkel, am liebſten in ſein Heulager ein - gewühlt; mit Sonnenuntergang wird es lebendig und läuft dann mit großer Behendigkeit, aber trip - pelnden Ganges in ſeinem Gehege umher. Seine Bewegungen ſind gleichmäßig, raſch und durchaus geſchickt. Ueber Steintrümmer und andere erhabene Gegenſtände klettert es mit Leichtigkeit hin - weg, und auf dem Boden huſcht es geſchwind dahin. Der Schwanz wird gewöhnlich aufrecht getra - gen, die Stacheln werden ſo geſträubt, daß man ihre lichten Wurzeln ſehen kann. Letzteres geſchieht namentlich, wenn das Thier erzürnt iſt; dann raſſelt es auch mit der Quaſte, doch weit weniger ge - räuſchvoll, als die übrigen Stachelſchweine.

Gegen den Pfleger beweiſen ſich die Quaſtenſtachler weit zutraulicher, als die gemeinen Stachel - ſchweine. Sie kommen, wenn man ihnen Nahrung vorhält, ohne Bedenken herbei und nehmen die - ſelbe zierlich weg.

225Das javaniſche Stachelſchwein.

Die Gatten eines Paares ſcheinen ſich ſehr zu lieben. Sie liegen bei Tage dicht neben einander, laufen abends zuſammen umher und putzen, kratzen und lecken ſich gegenſeitig auch zwiſchen den Stacheln, welche das Eine dann ſoweit auseinanderſträubt, daß das Andere mit der Klaue der Zunge zwiſchen ihnen hindurchkommen kann. Doch haben wir freilich auch erfahren, daß eine beiden vorgeworfene Leckerei den Frieden ſtören und Streit erregen kann; ja, wir haben in Folge eines ſolchen Streites den Gatten eines Paares verloren; der Andere hatte ihm im Zorn einen Biß in den Kopf verſetzt, welcher ſeinen Tod herbeiführte.

Es ſcheint, als ob die Quaſtenſtachler nicht ſo lichtſchen wären, wie die übrigen Stachelſchweine. Bei Tage freilich wenden ſie ſich immer vom Lichte ab; ihr großes, lebhaftes Auge ſcheint die Helle ſchmerzlich zu empfinden. Sie erſcheinen aber bereits vor der Dämmerung, während andere Arten regelmäßig die dunkle Nacht abwarten, bevor ſie ſich zeigen.

Die echten Stachelſchweine ſind die plumpeſt geſtalteten der ganzen Familie und an ihrem kur - zen, gedrungenen Leibesbau, dem dicken, ſtumpfſchnäuzigen, auf ſtarkem Halſe ſitzenden Kopfe, dem kurzen, mit hohlen, federſpulartigen Stacheln beſetzten Schwanze und dem außer allem Verhältniß entwickelten Stachelkleide leicht zu erkennen. Bezeichnend für ſie ſind außerdem die kleinen, rundlichen Ohren, die breiten Oberlippen und die geſpaltenen Naſenlöcher. Der Fußbau ſtimmt mit dem der Vorigen im weſentlichen überein, das Stachelkleid bedeckt hauptſächlich die letzten zwei Dritttheile oder die Hinterhälfte des Leibes, der Vordertheil pflegt mit Haaren oder Borſten bedeckt zu ſein, welche bei einzelnen Arten eine Mähne bilden. Die Stacheln ſind die größten, welche überhaupt vorkommen; eine genaue Beſchreibung derſelben erſcheint mir aber unnöthig, weil ſie ſo vielfache Ver - wendung finden, daß ſie wohl den meiſten meiner Leſer aus eigener Anſchauung bekannt ſein dürften. Einige Arten haben keine Mähne auf dem Nacken, ſondern nur kurze Borſten, welche erſt allmählich ſich verlängern und dann nach und nach in platte, fein zugeſpitzte, auf der Außenſeite von einer tiefen Rinne durchzogene Stacheln übergehen. Dieſe Stacheln werden nach hinten rundlich, ſehr hart und feſt, erreichen aber niemals eine ſehr große Länge. Dieſes eine Merkmal würde, gemäß des gegenwärtig giltigen Verfahrens, genügend ſein, die betreffenden Arten von den übrigen Stachel - ſchweinen zu trennen und einer beſonderen Sippe einzuverleiben; es kommen aber noch andere Merk - male dazu, um Solches zu rechtfertigen, namentlich die verſchiedene Zahl der Wirbel. Man vereinigt die Thiere alſo unter dem Namen Acanthion in einer beſonderen Sippe.

Das javaniſche Stachelſchwein (Acanthion javanicum), welches Java, Sumatra und Bor - neo bewohnt, kommt von den bisjetzt bekannten hierher zu zählenden Arten am häufigſten zu uns. Es iſt etwas kleiner, als das gemeine Stachelſchwein, immerhin aber noch ein mittelgroßes Glied der Familie von anſcheinend dunkelbrauner Hauptfärbung, hinten weiß geſcheckt, mit ziemlich lan - gen Ohren und dicht behaarter Naſenkuppe und Lippen. Die Stacheln und Borſten ſind einfarbig dunkelkaſtanienbraun, die hinteren weißgeſcheckt.

Ueber das Freileben der Thiere iſt wenig bekannt; doch wiſſen wir wenigſtens ſoviel, daß das javaniſche Stachelſchwein ſich in ſeinem Betragen weſentlich nicht von dem gemeinen unterſcheidet. Jch habe das Thier hauptſächlich deshalb hier aufgeführt, weil es ſich in der Gefangenſchaft, und zwar im Thiergarten zu Köln, fortgepflanzt und hierdurch Gelegenheit zu anziehenden Beobachtungen gegeben hat. Der Vorſteher des gedachten, in jeder Hinſicht rühmenswerthen Thiergartens, mein verehrter Freund, Dr. Bodinus, hat die Güte gehabt, mir hierüber Folgendes mitzutheilen:

Wenn die javaniſchen Stachelſchweine an Schönheit auch lange nicht den gewöhnlichen afrika - niſchen gleichkommen, ſo zeichnen ſie ſich doch durch größere Zutraulichkeit gegen den Menſchen aus. Jhre Haltung ſtößt durchaus nicht auf Schwierigkeiten. Gras, Klee, Wurzeln und Brod ſind dieBrehm, Thierleben. II. 15226Die Stachelſchweine. Das javaniſche Stachelſchwein.Nahrungsſtoffe auch dieſer Thiere in der Gefangenſchaft; ſie verzehren ſolches Futter mit großer - luſt und werden durch daſſelbe bald in einen wohlbeleibten Zuſtand verſetzt. Etwas mehr Mühe ver - urſacht die Herſtellung eines für ſie und alle übrigen Stachelſchweine geeigneten Käfigs. Wegen Mangel einer geeigneten Oertlichkeit wies ich ihnen ihren Aufenthalt in einem gewöhnlichen Käfig an, deſſen Wände mit Blech ausgeſchlagen wurden, da ſie dieſelben ſofort zu benagen begannen. Jch bin überzeugt, daß ſie, ebenſo wie das gemeine Stachelſchwein, mit den ſtarken Nagezähnen gewöhnliches Blech, ſobald ſie es irgend faſſen können, zerbeißen, bei ebener Fläche haben ſie aber keinen Anhaltspunkt zum Einbeißen. Ohne daß ſie es behelligt, beißen und nagen ſie an den eiſernen Stäben des Käfigs, und ſolche werden, wenn ſie nicht genügend ſtark ſind, ebenſoleicht und leichter von ihnen zerbiſſen, als es iſt faſt unglaublich eine ziemlich ſtarke Kette von großen Papageien.

Der immer mehr zunehmende Umfang des Weibchens unſeres Paares erweckte bei mir bald die Hoffnung auf Vermehrung, und eines Tages ward zu meiner Freude ein junges, ſoeben geborenes Thierchen im Käfig gefunden. Daſſelbe hatte etwa die Größe eines ſtarken Maulwurfes, war mit ſparſamen, ſehr kurzen Stacheln bedeckt, kroch mit einiger Mühe, obwohl noch naß und an der Nabel -

Das javaniſche Stachelſchwein (Acanthion Javanicum).

ſchnur hängend, im Käfig umher. Meine Sorge, daß der Vater ſich unnatürlich beweiſen möchte, war unnöthig: er betrachtete den jungen Sprößling zwar neugierig, bekümmerte ſich dann aber nicht beſonders um ihn, während die Mutter ganz unverdroſſen zunächſt den Mutterkuchen und die Nabelſchnur zu verzehren begann. Jch ſtörte ſie nicht im Genuß dieſer widrigen Nahrung und dachte, daß ſie wohl ihrem Naturtrieb folgen würde, und ſo verzehrte ſie denn die ganze Nachgeburt und die Nabelſchnur bis auf die Länge von einem halben Zoll. Damit hatte der Schmaus ein Ende, und nunmehr leckte ſie ihr Junges, welches ſogleich die Bruſtwarze ſuchte. Bekanntlich liegen dieſe vorn an der Seite des Schulterblattes; die ſie umgebenden Stacheln ſind aber durchaus kein Hinderniß für das Säuggeſchäft. Das Junge hat jetzt über die Hälfte der Größe ſeiner Eltern erreicht, faugt aber immer noch mit großem Appetit, während die Eltern ſich bereits wieder begattet haben. Auch dafür ſind die Stacheln kein Hinderniß, wie man wohl vermuthen ſollte: das Weibchen ſchlägt den Schweif mit den Geſchlechtstheilen aufwärts, ſo daß die Schweifſtacheln faſt auf dem Rücken liegen, und nunmehr vollzieht das Männchen die Begattung.

227Das gemeine Stachelſchwein.

Die große und reiche Mähne auf dem Nacken und die ſtarken und langen Stacheln kennzeichnen das gemeine Stachelſchwein (Hystrix eristata) vor den bisjetzt genannten Arten der andern Sippe. Nur wenige nahe Sippſchaftsverwandte ſind ihm ähnlich, und zwar ſo ähnlich, daß erſt die neuzeitlichen Forſchungen ſie von ihm getrennt haben; alle übrigen Arten der Familie unterſcheiden ſich leicht von ihm.

Das Stachelſchwein übertrifft unſern Dachs an Größe, iſt aber kürzer gebaut und erſcheint wegen ſeines Stachelkleides viel dicker und umfangreicher, als es wirklich iſt. Seine Länge beträgt nur zwei Fuß, die des Schwanzes vier Zoll und die Höhe am Widerriſt blos neun Zoll, das Ge - wicht ſchwankt zwiſchen zwanzig bis dreißig Pfund: aber das Stachelſchwein ſieht aus, als wäre es mindeſtens doppelt ſo hoch und ſchwer, als es wirklich iſt. Es iſt ein überaus plumpes Geſchöpf, welches nur langſam und ungeſchickt ſich bewegen kann. Seine ganze Erſcheinung macht einen eigen - thümlichen Eindruck. Blos an der kurzen, ſtumpfen Schnauze und der Naſe ſitzen einige Haare, die dicke Oberlippe iſt mit mehreren Reihen glänzeuder, ſchwarzer Schnurren bedeckt, und ſolche

Das gemeine Stachelſchwein (Hystrix eristata).

Borſten ſtehen auch auf Warzen über und hinter dem Auge. Längs des Halſes erhebt ſich eine Mähne, welche aus ſtarken, nach rückwärts gerichteten, ſehr langen, gebogenen Borſten gebildet wird und willkürlich aufgerichtet und zurückgelegt werden kann. Dieſe Borſten ſind anſehnlich lang, dünn und biegſam, theils weiß, theils grau gefärbt und endigen meiſtens mit weißen Spitzen. Die übrige Oberſeite des Leibes bedecken neben einander geſtellte, lange und kurze, glatte und ſcharf geſpitzte Stacheln, zwiſchen denen überall borſtige Haare eingemengt ſind. An den Seiten des Leibes, an den Schultern und in der Kreuzgegend ſind die Stacheln kürzer und ſtumpfer, als auf der Mitte des Rückens, wo ſie auch in ſcharfe Spitzen enden. Die längſten ſind in der Mitte fein gefurcht, die kürzeren dagegen ungefurcht; die dünnen, biegſamen erreichen eine Länge von funfzehn Linien, die kurzen und ſtarken dagegen werden nur ſechs bis zwölf Linien lang, aber anderthalb Linien dick. Alle ſind im Jnnern hohl oder mit ſchwammigem Mark angefüllt. Jhre Färbung iſt dunkelſchwarzbraun, abwechſelnd mit Weiß. Wurzel und Spitze ſind regelmäßig weiß; die kürzeren ſind ſchwarzbraun und geringelt, aber auch an der Wurzel und Spitze weiß. An der Schwanzſpitze ſtehen durchaus ver - ſchieden gebildete Stacheln von kaum zwei Zoll Länge, aber faſt zwei und ein halb Linien Dicke. Sie15*228Die Stachelſchweine. Das gemeine Stachelſchwein.beſtehen aus abgeſtutzten, dünnwandigen, am Ende offenen Röhren und gleichen am Ende offenen Federkielen, während ihre Wurzeln lange, dünne und biegſame Stiele ſind. Alle Stacheln ſitzen nur loſe im Fell. Sie können mittelſt eines großen, ſtarken Muskels, welcher ſich unter der Haut des Thieres ausbreitet und einer ſtarken Zuſammenziehung fähig iſt, willkürlich aufgerichtet und zurück - gelaſſen werden. Weil ſie aber nur loſe im Fell feſtſitzen, fallen ſie bei häufigeren Bewegungen ſehr leicht aus, und haben ſo Grund zu der Fabel gegeben, daß das Thier ſeine Stacheln nach dem Feinde ſchleudern könne. Die Unterſeite des Leibes iſt mit dunkelbraunen, röthlich geſpitzten Haaren bedeckt. Um die Kehle zieht ſich ein weißes Band. Die Krallen ſind ſchwarz hornfarbig, die Augen ſchwarz. Dieſes mag zur Kennzeichnung unſeres Thieres genügen.

Die in Europa vorkommenden Stachelſchweine ſollen, wie man annimmt, aus Nordafrika, zu - mal aus dem Atlaslande ſtammen, und erſt durch die Römer nach Europa übergeführt worden ſein. Mit welchem Rechte Dies behauptet wird, vermag ich nicht zu ſagen. Mir will es ſonderbar erſchei - nen, daß die Römer gerade dieſe eigenthümlichen Geſchöpfe eingebürgert haben ſollten. Daß unſer Thier den Alten bekannt war, unterliegt gar keinem Zweifel, denn Claudian widmet ihm ein langes Gedicht und Plinius gibt eine ganz ausführliche Beſchreibung mit allen Fabeln von ihm. Gegen - wärtig findet man das Stachelſchwein längs der Küſte des Mittelmeeres, zumal in Algier, Tripolis, Tunis. Jn Unteregypten, wo es vorkommen ſoll, habe ich nie ſeine Spur geſehen. Jn Europa lebt es häufig in der Campagna um Rom herum, in Sicilien, Calabrien und in Griechenland. Ob die vielen Löcher der Stachelſchweine, welche ich in den Urwäldern am weißen Fluß, ſowie in Kordo - fahn auffand, von dem gemeinen oder einem andern Stachelſchweine bewohnt werden, weiß ich nicht. Es glückte uns leider nicht, einen der Höhlenbewohner zu fangen, und ein Nachtanſtand war in jenen Waldungen, wo Löwen und Leoparden herumſtreifen, von uns nicht auszuführen. Jn Afrika iſt das Stachelſchwein wahrſcheinlich häufiger, als in Europa.

Das Thier führt ein trauriges, einſames Leben. Bei Tage ruht es in tief eingegrabenen, ganz niedrigen Gängen, die es ſich ſelbſt in die Erde gräbt. Nachts kommt es heraus und ſtreift nach ſeiner Nahrung umher. Dieſe beſteht aus Pflanzen aller Art, und zwar hauptſächlich aus Diſteln und anderen Kräutern, aus Wurzeln und Früchten, aus der Rinde verſchiedener Bäume und aus manchen Blumenblättern. Das Stachelſchwein beißt die Pflanzen ab, faßt ſie mit den Vorderzähnen und hält ſie mit den Vorderpfoten feſt, ſolange es frißt.

Alle Bewegungen ſind langſam und unbeholfen, der Gang iſt träge, bedächtig, der Lauf nur wenig raſch. Blos im Graben beſitzt das Stachelſchwein einige Fertigkeit, aber keineswegs genug, um einem gewandten und behenden Feinde zu entfliehen. Gegen den Herbſt hin und im Winter ſoll es mehr als gewöhnlich im Baue verweilen und manchmal tagelang dort ſchlafend zubringen. Einen wirklichen Winterſchlaf hält es nicht.

Ueberraſcht man ein Stachelſchwein außerhalb ſeines Baues, ſo richtet es Kopf und Nacken drohend auf, ſträubt plötzlich alle Stacheln ſeines Körpers und klappert in eigenthümlicher Weiſe mit ihnen. Das hauptſächlichſte Geräuſch aber bringt es mit dem hohlen Stachel des Schwanzes hervor. Dieſe weiß es ſo an einander zu reiben, daß ein ganz merkwürdiges Geraſſel entſteht, durchaus ge - eignet, einen unkundigen oder etwas furchtſamen Menſchen in Angſt zu jagen. Bei großer Aufre - gung ſtampft es mit den Hinterſüßen auf den Boden, und wenn man es erfaßt, läßt es wohl auch ein dumpfes, ſchweinartiges Grunzen vernehmen. Dies ſind die einzigen Laute, die es von ſich geben kann. Bei dieſen Bewegungen fallen nun einzelne Stacheln oft aus, und daher rührt die Sage. Trotz des furchtbaren Klapperns und Raſſelns iſt das Thier ein vollkommen ungefährliches, friedliches, harmloſes Geſchöpf, welches leicht erſchreckt, Jedem aus dem Wege geht und niemals daran denkt, von ſeinen ſcharfen Zähnen Gebrauch zu machen. Auch die Stacheln ſind keineswegs Angriffswaffen, ſondern nur das einzige Vertheidigungsmittel, welches der arme Geſell beſitzt. Wer unvorſichtig ſich ihm naht, kann damit allerdings verwundet werden, dem vorſichtigen und gewandten Jäger thun nicht einmal die Stacheln Etwas; er kann das Thier ruhig an der Nackenmähne ergreifen229Das gemeine Stachelſchwein.und es dann mit Leichtigkeit forttragen, wenn er ſich nur einigermaßen vorſieht. Freilich biegt es ſich, wenn man herankommt, mit dem Kopfe zurück, hebt die Stacheln des Rückens vorwärts und rennt auch ein paar Schritte auf den Gegner los, allein ein vorgehaltener Stock wehrt die Lanzen des anrennenden Thieres leicht ab, und ein einziges großes Tuch genügt, um es zu entwaffnen. Jn der äußerſten Noth rollt ſich das Stachelſchwein wie ein Jgel zuſammen, und dann iſt es allerdings ſchwierig, es aufzuheben. Jm allgemeinen aber kann man ſagen, daß es, ſo furchtbar bewehrt es auch ſcheint, jedem geſchickten Feinde erliegt. Die Leoparden z. B. verſtehen es, wie ich oben be - reits mittheilte, meiſterhaft, ohne ſich den geringſten Schaden zuzufügen, mit einem einzigen Tatzen - ſchlag auf den Kopf, den armen Stachelhelden zu tödten.

Die geiſtigen Eigenſchaften unſeres Stachelſchweins ſind ebenſo gering, als die ſeiner Ver - wandten; man kann kaum von Verſtand reden, obgleich gewiſſe Begabung ſich nicht verkennen läßt. Unter den Sinnen dürfte der Geruch der entwickeltſte ſein; Geſicht und Gehör ſind ſtumpf.

Nach dem verſchiedenen Klima der Heimatsorte ändert ſich auch die Zeit der Paarung. Man kann annehmen, daß ſie überall in den Anfang des Frühlings fällt; in Nordafrika in den Januar, in Südeuropa in den April. Um dieſe Zeit ſuchen die Männchen ihre Weibchen auf und beide leben meh - rere Tage zuſammen. Sechzig bis ſiebzig Tage nach der Begattung wirft das Weibchen in ſeiner Höhle zwei bis vier Junge, auf ein ziemlich weiches und mit Blättern, Wurzeln und Kräutern aus - gepolſtertes Neſt. Die Thierchen kommen mit offenen Augen und kurzen, weichen, eng an den Körper anliegenden Stacheln zur Welt. Dieſe erhärten aber ſehr bald und wachſen außerordentlich raſch, wenn ſie auch ihre wahre Größe erſt mit dem höheren Alter erreichen. Sowie die Jungen nur einigermaßen fähig ſind, ſich ihre Nahrung zu erwerben, verlaſſen ſie die Mutter und machen ſich ſelbſtändig.

Man kann eigentlich nicht ſagen, daß das Stachelſchwein dem Menſchen Schaden bringt; denn es iſt nirgends häufig, und die Verwüſtungen, die es zeitweilig in den ſeiner Höhle nahe gelegenen Gärten anrichtet, kommen kaum in Betracht. Da, wo es lebt, hält es ſich ſoviel als möglich fern von den Menſchen, in den Einöden, und ſelten nur wird es deshalb läſtig. Gleichwohl wird es eifrig verfolgt. Die Stacheln finden vielfache Anwendung, und auch das Fleiſch wird hier und da benutzt. Man fängt den ungeſchickten Wanderer entweder in Schlagfallen, die man vor ſeiner Höhle aufſtellt, oder läßt ihn durch eingeübte Hunde bei ſeinen nächtlichen Ausgängen feſt machen und nimmt das verblüffte Thier dann einfach vom Boden auf, oder tödtet es vorher mit einem Schlage auf die Naſe. Jn der römiſchen Campagna gilt die Jagd des Stachelſchweins als ein beſonderes Vergnügen, und es läßt ſich auch gar nicht leugnen, daß die Art und Weiſe, wie man hier dem Thiere nachſtellt, etwas ganz Abſonderliches und Anziehendes hat. Das Stachelſchwein legt dort ſeine Höhlen am liebſten in den tiefen Gräben an, welche die Campagna durchziehen, und wenn es zur Nachtzeit aus - geht, ſtreift es ſelten weiter, als eben in der unmittelbarſten Nähe ſeiner Höhlen umher. Jn dunk - ler Nacht nun zieht man mit gut abgerichteten Hunden zur Jagd hinaus, bringt dieſe auf die Fährte des Thieres und läßt ſie ſuchen. Ein lautes, zorniges Bellen kündet, daß die Hunde einem der Stachelhelden auf den Leib gerückt ſind und zeigt zugleich die Gegend an, in welcher der Kampf zwiſchen beiden ſtattfindet falls man überhaupt von Kampf reden kann. Jetzt zünden alle Jäger bereit gehaltene Fackeln an und nähern ſich damit dem Schauplatz. Sobald die Hunde die Ankunft ihrer Herren bemerken, heulen ſie laut vor Freude und gehen immer wüthender auf ihr Wildpret los. Das Stachelſchwein ſeinerſeits ſucht ſie zurückzutreiben, indem es in allen Tonarten raſſelt, grunzt und knurrt und ſich ſoviel wie möglich durch ſeine, nach allen Seiten abſtehenden Speere zu ſchützen ſucht. Schließlich bildet die Jagdgenoſſenſchaft einen Kreis um das Thier und ſeine Verfol - ger, und bei der grellen Beleuchtung der Fackeln wird es leicht, die Stachelſchweine in der vorher - angegebenen Weiſe zu bewältigen und entweder zu tödten, oder lebend mit nach Hauſe zu nehmen.

Viele Jtaliener ziehen mit ſolchen gezähmten Thieren von Dorf zu Dorf, wie die Savoyarden mit den Murmelthieren, zeigen das auffallende Geſchöpf dort für Geld, ſich hierdurch freilich230Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler.dürftig genug enährrend. Bei nur einiger Pflege iſt es leicht, das Stachelſchwein acht bis zehn Jahre lang in der Gefangenſchaft zu erhalten. Man kann ſogar ein Beiſpiel aufführen, daß es achtzehn Jahre lang aushielt. Wenn man es gut behandelt, wird es auch leicht zahm. Jung Eingefangene lernen ihre Pfleger kennen und folgen ihnen nach wie ein Hund. Die dem Thiere angeborene Furcht - ſamkeit und Scheu kann es jedoch niemals ablegen, und oft geräth es über die unſchädlichſten Dinge in Furcht und Angſt und raſſelt nach Kräften mit dem Pauzer. Mißhandlungen erträgt es nicht, wie es überhaupt ſchon leicht in Zorn geräth. Möhren, Kartoffeln, Salat, Kohl und andere Pflanzen - ſtoffe bilden ſeine Nahrung in der Gefangenſchaft. Am liebſten frißt es Obſt. Waſſer kann es, wenn es ſaftige Früchte oder Blätter hat, ganz entbehren. Bei trockener Nahrung trinkt es, wenn auch nicht oft. Man kann eben nicht behaupten, daß das Thier ein gemüthlicher Geſellſchafter des Menſchen wäre. Jn der Stube iſt es kaum zu halten. Es läuft ohne Verſtand umher und verletzt Einen wohl auch ab und zu mit den Stacheln; es benagt Tiſchbeine, Thüren und anderes Holzwerk, und bleibt immer ein langweiliger Geſell. Am hübſcheſten macht ſich das Thier, wenn man ihm einen eigenen Stall aus Steinen errichtet, wie es gegenwärtig in den Thiergärten geſchieht. Hier baut man ihm eine künſtliche Felſenhöhle, und vor derſelben legt man einen gepflaſterten, mit Gitter umhegten Platz an. Bei Tage ſchläft das Stachelſchwein im Jnnern ſeiner Wohnung, abends kommt es heraus, knurrend, raſſelnd, Nahrung begehrend. Da gewöhnt es ſich bald daran, aus der Hand der Beſuchenden zu freſſen und bildet deshalb einen Gegenſtand der Anziehung für viele Leute, welche ſich gern mit ihm beſchäftigen. Hier kann man auch beobachten, daß es gar nicht ſo plump und un - geſchickt iſt, wie es ausſieht. Es packt alle Nahrung recht hübſch mit den Vorderfüßen und verſteht es ganz gut, ſelbſt eingewickelte Stoffe zu enthülſen und zu verwerthen. Es knackt niedlich Nüſſe auf, nimmt artig ein Stückchen Zucker, kurz, verſteht es wenigſtens, Alles, was das Freſſen anbe - langt, mit der größten Zierlichkeit der Nager zu thun.

Jn alter Zeit ſpielte eine vom Stachelſchwein ſtammende Bezoarkugel in der Arzneiwiſſenſchaft eine große Rolle. Sie galt als ein untrügliches Heilmittel für mancherlei hartnäckige Krankheiten, und wurde oft wegen ihrer Seltenheit mit hundert Kronen für das Stück bezahlt. Dieſe Kugeln, unter dem Namen Piedra del Porco bekannt, kommen aus Oſtindien von dem dort lebenden Stachel - ſchweine. Sie waren ſchmierig anzufühlen und hatten einen außerordentlich bitteren Geſchmack, wel - cher die damaligen Aerzte hinlänglich zu berechtigen ſchien, von ihnen Großes zu erwarten.

Mehrere kleine, große und der größte aller Nager, welche ſich durch kurze, breite, faſt huf - artige Nägel vor den übrigen auszeichnen, bilden die Familie der Ferkelhaſen oder Hufpfötler (Caviae). Unſer Meerſchweinchen gehört zu dieſer Geſellſchaft; doch würde man ſich eine falſche Vorſtellung von der geſammten Familie machen, wenn man dieſes Thierchen als Urbild derſelben anſehen wollte. Als weſentliche Kennzeichen der Geſammtheit gelten große Ohren, ein Stummel - ſchwanz, nackte Sohlen, breite, faſt hufartige Nägel und grobe Behaarung. Vier Backzähne in jeder Reihe von ungefähr gleicher Größe und große, breite, vorn gewöhnlich weiß gefärbte Nagezähne pflegen das Gebiß zu bilden. Die Wirbelſänle zählt gewöhnlich neunzehn rippentragende, vier Kreuz - und ſechs bis zehn Schwanzwirbel. Das ganze Geripp iſt kräftig, zuweilen plump gebaut.

Alle Ferkelhaſen bewohnen ausſchließlich Süd - und Mittelamerika, hier aber die verſchiedenſten Gegenden: die Einen Ebenen, die Anderen Wälder und trockene Strecken, Sümpfe, Felſenwände und ſelbſt das Waſſer. Dieſe verbergen ſich in die Löcher hohler Stämme, Felſenritzen, in Hecken und Gebüſchen, jene in ſelbſt gegrabenen oder verlaſſenen Höhlen anderer Thiere. Faſt Alle leben geſellig und ſind mehr des Nachts als bei Tage rege. Jhre Nahrung beſteht aus Pflanzenſtoffen aller Art: aus Gräſern, Kräutern, Blüthen und Blättern, Wurzeln, Kohl, Samen, Früchten und231Das Meerſchweinchen.Baumrinde. Beim Freſſen ſitzen ſie in aufrechter Stellung auf dem Hintertheile und halten die Nah - rung zwiſchen den Vorderpfoten feſt. Die Bewegungen der Thiere ſind gewandt, wenn auch der gewöhnliche Gang ziemlich langſam iſt. Doch können ſie raſch laufen, wenn es gilt, und manche Arten ſind ſogar ſehr behend. Viele gehen in das Waſſer und ſchwimmen mit großer Geſchicklichkeit und Ausdauer. Alle ſind friedlich und harmlos, ſcheu, die Kleinen ſehr ſchüchtern, ängſtlich und ſanft, die Größeren etwas muthiger; doch flüchten ſie auch bei herannahender Gefahr ſo ſchnell ſie können. Unter ihren Sinnen ſind Geruch und Gehör am beſten ausgebildet; ihre geiſtigen Fähig - keiten ſind gering. Sie laſſen ſich leicht zähmen, gewöhnen ſich an den Menſchen und lernen ihn auch wohl kennen, ohne ſich jedoch mit ihm inniger zu befreunden. Jhre Vermehrung iſt ſehr groß; die Zahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen Eins und Acht, und manche Arten werfen mehrmals im

Das Meerſchweinchen (Cavia Cobaya).

Jahre. Dies iſt ungefähr Alles, was wir über die Familie ſagen können; das übrige ſoll uns die Betrachtung der hervorragendſten Sippen lehren.

Unſer Meerſchweinchen (Cavia Cobaya) mag als Vertreter der erſten Sippe gelten. Wir wiſſen, daß wir es aus Südamerika erhalten haben; die Südamerikaner aber behaupten, daß es von Europa zu ihnen gekommen ſei, und ſomit theilt das Thier das Schickſal der übrigen Hausthiere: es iſt heimatlos. Man hat ſich in der Neuzeit vielfach bemüht, das Meerſchweinchen in ſeiner Heimat aufzuſuchen, allein vergeblich. Manche Naturforſcher haben den Aperea als die eigentliche Stamm - art betrachtet; doch ſind die Unterſchiede zwiſchen ihm und dem Meerſchweinchen ſo erheblich, daß man nicht daran glauben kann. Zudem hat man ſich auch vergeblich bemüht, die beiden Thiere zur Paa - rung zu bringen, und deshalb kann man behaupten, daß man gegenwärtig unſer Meerſchweinchen blos im Hausſtande kennt. Mit Sicherheit iſt anzunehmen, daß es kurz nach der Entdeckung von Amerika zu uns herübergeführt wurde, wahrſcheinlich von den Holländern um die Mitte des ſieb -232Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Das Meerſchweinchen. Der Aperea.zehnten Jahrhunderts. Ein Schriftſteller, welcher um dieſe Zeit ſeine Wanderungen in Südamerika machte, verſichert, daß es in Braſilien im wilden Zuſtande nur in derſelben bunten Färbung vor - komme, wie bei uns. Wenn Dies wahr iſt, kann man nicht einmal annehmen, daß das Meer - ſchweinchen ein durch Zucht und Gefangenſchaft veränderter Aperea iſt. Dieſe Meinung wird auch noch dadurch unterſtützt, daß das Meerſchweinchen überall, wo es in der Gefangenſchaft gehalten wird, dieſelbe Färbung zeigt. Man kennt es als Hausthier ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten auf den Antillen und an der Küſte von Guinea. Aber überall zeigt es genau dieſelbe Lebensweiſe und Färbung, wie bei uns. Nicht unmöglich iſt es, daß das Thierchen erſt von Guinea bei uns einge - führt wurde, wenigſtens ſcheint hierauf der engliſche Name Gninea-Pig zu deuten. Die engliſchen Naturforſcher nehmen freilich den Aperea als Stammart des Thieres an, und es iſt deshalb wohl am Orte, wenn wir, ehe wir unſer Meerſchwein betrachten, mit dem Aperea (Cavia Aperea) uns bekannt machen. Wir bekommen hierdurch wenigſtens Kunde über die Lebensweiſe eines derſelben Sippe ange - hörigen und wildlebenden Thieres. Azara ſagt Folgendes:

Der Aperea (Cavia Aperea).

Der Aperea iſt häufig in Paraguay und ebenſo in den Pampas von Buenos Ayres, ja, wie man ſagt, in ganz Amerika. Er bewohnt die Gräſer und Gebüſche an den Feldern, namentlich ſolche, welche die Meiereien umgeben, ohne in die Wälder einzudringen. Höhlen gräbt er nicht, und von ſeinem Standorte entfernt er ſich nicht gern weit. Jn Gärten richtet er Schaden an, weil er die ver - ſchiedenſten Pflanzen verzehrt. Bei Tage hält er ſich verborgen, mit Sonnenuntergang kommt er heraus. Man kann ihn nicht ſcheu nennen. Wenn man ſich ihm nähert, verſteckt er ſich unter irgend einem Gegenſtand. Gefangen, ſchreit er laut auf. Sein Lauf iſt ziemlich ſchnell; aber er iſt ſo dumm, daß alle Raubvögel und Raubthiere ihn mit Leichtigkeit wegnehmen. Dem ungeachtet iſt er häufig; wahrſcheinlich, weil ſein Weibchen mehrmals im Jahre Junge wirft, wenn auch gewöhnlich nur ein oder höchſtens zwei Stück. Sein Fleiſch wird von den Jndianern gern gegeſſen.

Dieſen Bericht vervollſtändigt Rengger.

Jch habe, ſagt er, den Aperea in ganz Paraguay und ſüdlich von dieſem Lande bis zum 35. Grade, dann auch in Braſilien angetroffen. Jn Paraguay fand ich ihn vorzüglich in feuchten Gegenden,233Das Meerſchweinchen. Der Aperea.wo ſich gewöhnlich 12 bis 15 Stück zuſammenhielten, welche am Saume der Wälder unter niedrigem Geſträuch und längs den Hecken wohnten. Jm Jnnern der Waldungen und auf offenen Feldern kommt der Aperea nicht vor. Man erkennt ſeinen Aufenthalt an den kleinen und ſchmalen, geſchlän - gelten Wegen, die er ſich zwiſchen den Bromelien bahnt, und welche gewöhnlich zwei bis drei Fuß weit ins Freie hinauslaufen. Früh und abends kommt er aus ſeinem Schlupfwinkel hervor, um ſeiner Nahrung, welche aus Gras beſteht, nachzugehen, entfernt ſich aber nie weit, höchſtens zwanzig Fuß von ſeinem Wohnorte. Er iſt ſo wenig ſcheu, daß man ſich ihm leicht auf halbe Schußweite nähern kann. Seine Bewegungen, ſeine Art zu freſſen, die Laute, welche er von ſich gibt, ſind die nämlichen, wie beim Meerſchweinchen. Das Weibchen wirft nur einmal im Jahre und zwar im Frühjahr ein oder zwei ſehende Junge, welche gleich nach der Geburt laufen und ihrer Mutter folgen können. Der Pelz des Thieres kann zu Nichts benutzt werden. Das Fleiſch, welches einen ſüßen Geſchmack hat, wird von den Jndianern gegeſſen. Man fängt dieſes argloſe Thier leicht in Schlingen. Außer den Menſchen hat es noch alle Raubthiere, welche zum Katzen - und Hundegeſchlecht gehören, zu Feinden; beſonders die größeren Schlangen, welche ſich gewöhnlich auch in der Nähe der Bromelien und zwiſchen denſelben aufhalten.

Auf der Neiſe an der Billa Rica ſah ich bei einem Landmanne 14 zahme Aperea, welche in der fünften und ſechſten Linie von einem Paare abſtammten, das er ſieben Jahre vorher zahm einge - fangen hatte. Sie waren ſehr zahm, kannten ihren Herrn, kamen auf ſeinen Ruf aus ihrem Schlupf - winkel hervor, fraßen aus ſeiner Hand und ließen ſich von ihm auf den Arm nehmen. Gegen fremde Perſonen zeigten ſie einige Furcht. Jhre Färbung ſtimmte mit der wildlebender überein, ebenſo ihre Lebensweiſe, indem ſie, wenn ſie nicht gerufen wurden, den Tag hindurch ſich verſteckt hielten und nur morgens und abends ihre Nahrung aufſuchten. Das Weibchen warf nur einmal im Jahre und nie mehr als zwei Junge.

Man kann Rengger nicht Unrecht geben, wenn er nach dieſen Beobachtungen über das Leben den Aperea und das Meerſchweinchen für verſchiedene Thiere erklärt. Seine Meinung gewinnt aber bei Vergleichung der beiden Thiere hinſichtlich ihrer Gebiſſe und Färbung noch bedeutend an Gewicht. Der Aperea wird 10 Zoll lang und Zoll hoch. Der Pelz beſteht aus geraden, harten, glän - zenden, borſtenartigen Haaren, welche ziemlich glatt auf der Haut liegen. Die Ohren, der Rücken, die Füße ſind nur mit einigen Haaren bekleidet; über dem Munde befinden ſich auf jeder Seite einige ſteife, lange Borſten. Jm Winter ſind die Haare der Oberſeite braun und gelb mit röthlichen Spitzen, die der Unterſeite gelblichgrau, die der Füße bräunlichweiß. Jm Sommer wird die Färbung bläſſer, und alle oberen und äußeren Theile erſcheinen graubraun mit einer röthlichen Schattirung. Die Borſten im Geſicht ſind ſchwarz, die Nägel braun. Beide Geſchlechter ähneln einander in der Färbung vollſtändig, und bisjetzt ſind noch niemals Farbenabänderungen bemerkt worden. Der Zahn - bau des Aperea iſt ſo ziemlich derſelbe, wie beim Meerſchweinchen; doch ſind die Schneidezähne mehr gebogen und die Backzähne nicht ſo lang, wie bei unſerem Hausthiere. Auch iſt die Färbung bei jenem bräunlichgelb, bei dieſem gelblichgrau. Das Meerſchweinchen dagegen zeigt immer nur dreierlei Farben in bunter, unregelmäßiger Miſchung Schwarz, Roth, Gelb und Weiß. Dieſe Farben ſind bald in größere, bald in kleinere Flecken vertheilt. Einfarbige ſind weit ſeltener, als bunte. Hierzu kommen aber noch anatomiſche Unterſchiede. Der Schädel des Aperea läuft nach vorn ſpitzer zu, als beim Meerſchweinchen, iſt hinten breiter und an der Hirnſchale gewölbt. Bei jenem laufen die Naſenknochen nach oben in eine Spitze aus, bei dieſem ſind ſie quer abgeſchnitten; bei jenem iſt das Hinterhauptloch kreisförmig, bei dieſem mehr hoch als breit. Der Geſichtswinkel des Aperea beträgt 15°, der des Meerſchweinchens nur 11° u. ſ. w. Dies ſind in der That bedeutende Unter - ſchiede, welche wohl zur Trennung beider Thiere berechtigen dürften.

Unſer Meerſchweinchen gehört zu den beliebteſten Hausthieren aus der ganzen Ordnung der Nager, ebenſowohl ſeiner Genügſamkeit, als ſeiner Harmloſigkeit und Gutmüthigkeit halber. Wenn man ihm einen luftigen und trockenen Stall gibt, iſt es überall leicht zu erhalten. Es frißt alle234Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Das Meerſchweinchen.möglichen Pflanzenſtoffe, von der Wurzel an bis zu den Blättern; Körner ebenſogut, als friſche, ſaftige Pflanzen, ja, es verlangt ſogar etwas Abwechſelung in der Nahrung. Wenn es ſaftiges Futter hat, kann es das Getränk ganz entbehren, obwohl es namentlich Milch recht gern zu ſich nimmt. Wenn man ihm hinreichend zu freſſen gibt, braucht man im übrigen gar keine Umſtände mit ihm zu machen. Es läßt ſich überaus viel gefallen und verträgt ſogar Mißhandlungen mit ziemlichem Gleich - muth. Deshalb iſt es ein höchſt angenehmes Spielzeug für Kinder, welche ſich überhaupt am eifrigſten mit ſeiner Zucht abgeben. Jn ſeinem Weſen erinnert es in mancher Hinſicht an die Kaninchen, in anderer wieder an die Mäuſe. Der Gang iſt eben nicht raſch und beſteht mehr aus Sprungſchritten; doch iſt das Thier nicht tölpelhaft, ſondern ziemlich gewandt. Jn der Ruhe ſitzt es gewöhnlich auf allen vier Füßen, den Leib platt auf den Boden gedrückt; doch kann es ſich auch auf dem Hintertheile aufrichten; beim Freſſen führt es oft ſeine Nahrung mit den Vorderfüßen zum Munde. Es läuft ohne Unterbrechung in ſeinem Stalle umher, am liebſten längs der Mauern hin, wo es ſich bald einen glatt getretenen Weg bahnt. Recht hübſch ſieht es aus, wenn eine ganze Anzahl beiſammen iſt. Dann folgt eins immer dem andern, und die ganze Reihe umkreiſt den Stall wohl hundert Mal ohne Unterbrechung. Die Stimme des Meerſchweinchens beſteht aus einer Art von Grunzen, welches ihm den Namen Schwein verſchafft hat, und aus einem eigenthümlichen Murmeln und Quieken. Das Murmeln ſcheint Behaglichkeit auszudrücken, während das Quieken immer Aufregung anzeigt.

Recht luſtig geht es zu, wenn ihrer mehrere beiſammen ſind. Männchen und Weibchen halten ſich zuſammen und behandeln einander ſehr zärtlich. Reinlich, wie die meiſten Nager es ſind, leckt Eins das Andere und benutzt auch wohl die Vorderfüße, um dem Gatten das Fell glatt zu kämmen. Schläft Eins von dem Paare, ſo wacht das Andere für ſeine Sicherheit; währt es ihm aber zu lange, ſo ſucht es durch Lecken und Kämmen den Schläfer zu ermuntern, und ſobald dieſer die Augen auf - thut, nickt es dafür ein und läßt nun ſich bewachen. Das Männchen treibt oft ſein Weibchen zärtlich vor ſich her und ſucht ihm ſeine Liebe und Anhänglichkeit auf jede Weiſe an den Tag zu legen. Auch die gleichen Geſchlechter vertragen ſich recht gut, ſolange die Freßſucht nicht ins Spiel kommt oder es ſich nicht darum handelt, den beſten Platz beim Freſſen oder Ruhen zu erhalten. Zwei verliebte Männchen, die um eine Gattin ſtreiten, gerathen oft in großen Zorn, knirſchen mit den Zähnen und ſtampfen auf den Boden und treten ſich gegenſeitig mit den Hinterfüßen, packen ſich auch wohl an den Haaren; ja, es kommt ſogar zu Kämpfen, bei denen die Zähne tüchtig gebraucht werden und ganz ernſte Verwundungen vorkommen. Der Streit und jeder Kampf enden erſt dann, wenn ſich ein Männchen ganz entſchieden in den Beſitz eines Weibchens geſetzt hat oder in dem Kampfe Sieger ge - blieben iſt, dann ziehen ſich die übrigen Mitbewerber zurück.

Nur wenige Säugethiere kommen dem Meerſchweinchen an Fruchtbarkeit gleich. Seine Ver - mehrung iſt eine ganz außerordentliche. Bei uns wirft das Weibchen zwei oder drei Mal im Jahre zwei bis drei, oft auch vier bis fünf Junge, in heißen Ländern ſogar deren ſechs bis ſieben. Die Kleinen kommen vollſtändig entwickelt zur Welt; ſie werden mit offenen Augen geboren und ſind ſchon wenige Stunden nach ihrer Geburt im Stande, mit ihrer Mutter umherzulaufen. Am zweiten Tage ihres Lebens ſitzen ſie manchmal bereits mit bei der Mahlzeit und laſſen ſich die grünen Pflan - zen, ja ſogar die Körner faſt ebenſogut ſchmecken, wie jene. Gleichwohl ſäugt ſie die Mutter gegen 10 bis 14 Tage und zeigt während dieſer Zeit viel Liebe und Sorgfalt für ſie, vertheidigt ſie, hält ſie zuſammen und leitet ſie zum Freſſen an u. ſ. w. Sowie die Kleinen verſtändiger werden, erkaltet aber dieſe heiße Liebe, und nach ungefähr drei Wochen, zu welcher Zeit die Alte regelmäßig ſchon wieder ſich gepaart hat, bekümmert ſie ſich gar nicht mehr um die früheren Sprößlinge. Der Vater zeigt ſich von allem Anfang an ſehr gleichgiltig, ſogar feindſelig, und oft kommt es vor, daß er ſie todt beißt und auffrißt. Nach ungefähr fünf bis ſechs Monaten ſind die Jungen ausgewachſen und fortpflanzungsfähig, nach acht bis neun Monaten haben ſie ihre vollkommene Größe erreicht. Bei guter Behandlung können ſie ihr Leben auf ſechs bis acht Jahre bringen.

235Die Mara.

Wenn man ſich viel mit dem Meerſchweinchen beſchäftigt, kann man es ungemein zahm machen, obwohl es ſeine Furchtſamkeit nie ganz ablegt, und bei ſeiner geringen geiſtigen Fähigkeit auch nie - mals dahinkommt, ſeinen Wärter von Anderen zu unterſcheiden. Die Meerſchweinchen ſind gegen alle Menſchen gleich gutmüthig. Niemals verſuchen ſie zu beißen oder ſonſt von ihren natürlichen Waffen Gebrauch zu machen. Das kleinſte Kind kann unbeſorgt mit ihnen ſpielen. Oft legen ſie eine wahrhaft merkwürdige Gleichgiltigkeit gegen äußere Gegenſtände an den Tag. So lieb und angenehm ihnen auch ihr Stall zu ſein ſcheint, ſo wenig ſcheinen ſie nach ihm zu verlangen, wenn ſie wo anders hingebracht werden; ſie laſſen ſich warten und pflegen, auf den Schoß nehmen, mit umher - ſchleppen u. ſ. w., ohne deshalb mißvergnügt zu erſcheinen. Wenn man ihnen Etwas zu freſſen gibt, ſind ſie überall zufrieden. Aber dafür zeigen ſie auch nie wahre Anhänglichkeit, ſondern ſind ſo recht aller Welt Freund. Nur gegen kalte und naſſe Witterung ſind ſie empfindlich; ſie erkranken, wenn man ſie rauhem Wetter ausſetzt und gehen dann leicht zu Grunde.

Eigentlichen Schaden können die Meerſchweinchen nie bringen; es müßte denn ſein, daß man ſie im Zimmer hielte, wo ſie vielleicht manchmal durch Benagen unangenehm werden können. Doch kommt Dies nicht in Betracht gegenüber ihren guten Eigenſchaften, durch welche ſie viel Freude und ſomit auch Nutzen gewähren. Einen beſonderen Nutzen haben ſie, freilich gegen ihren Willen, in der Wiſſenſchaft geleiſtet. Biſchoff hat ſie zu Unterſuchungen über die thieriſche Entwickelung benutzt und ihnen dadurch einen ehrenvollen Platz in unſerem wiſſenſchaftlichen Schriftthum geſichert.

Ein höchſt ſonderbares Wüſtenthier, die Mara (Dolichotis patagonica), iſt der Vertreter einer zweiten Sippe der Hufpfötler. Die Mara ähnelt weniger dem Meerſchweinchen, als den übrigen Mitgliedern ihrer Familie. Jm allgemeinen an die Haſen erinnernd, unterſcheidet ſie ſich von dieſen hinlänglich durch die hohen Beine, durch kürzere und ſtumpfere Ohren. Der Leib iſt ſchwach, geſtreckt und vorn etwas dünner als hinten, die Beine ſind ziemlich lang, die hinteren länger, als die vorderen. Die Hinterfüße ſind drei -, die vorderen vierzehig. Hier ſind die Zehen kurz, dort ſind ſie ziemlich lang; an beiden Füßen aber ſind ſie frei und mit langen, ſtarken Krallen bewehrt. Der etwas ſchmächtige Hals trägt einen zuſammengedrückten, an der Schnauze zugeſpitzten Kopf mit langen, ziemlich ſchmalen, abgerundeten, aufrechtſtehenden Ohren und mittelgroßen, lebhaften Augen und geſpaltener Oberlippe. Der Schwanz iſt kurz und nach aufwärts gekrümmt; die Sohlen ſind bis zur Hülſe behaart. Das Fell iſt weich, dicht und glänzend; die Haare ſind kurz und liegen glatt am Leibe an. Die Färbung iſt auf der Oberſeite ein eigenthümliches Braungrau mit weißer, feiner Sprenkelung. An den Seiten und auf den äußeren Theilen der Füße geht dieſe Färbung in eine hell zimmetfarbene über. Ein ſchwarzer Flecken, welcher ſich über der Schwanzgegend befindet, wird durch ein weißes Band, das ſich oberhalb des Schwanzes hinzieht, ſcharf abgegrenzt. Die ganze Unterſeite iſt weiß, geht aber auf der Bruſt in ein helles Zimmetbraun über, welches auch bis zur Kehle hinſtreckt, während die Gurgel wieder weiß iſt. Glänzend ſchwarze Schnurren ſtechen leb - haft von den übrigen Haaren ab. Bei erwachſenen Thieren beträgt die Länge des Leibes 1 Fuß 6 Zoll, wovon der Stummelſchwanz nur Zoll wegnimmt; die Höhe am Widerriſt aber kann bis 17 Zoll betragen und läßt das Thier auf den erſten Anblick eher einem kleinen Wiederkäuer, als einem Nager ähnlich erſcheinen. Es darf deshalb nicht Wunder nehmen, daß einige frühere See - fahrer, wie Narborough, Wood, Byron u. A., welche die Mara an der unwirthlichen Küſte Patagoniens antrafen, ſie ſo ungenau beſchrieben, daß man unmöglich wiſſen konnte, von welchem Thiere ſie ſprachen. Der gewiſſenhafte Azara war der Erſte, welcher ihr die rechte Stelle unter den Nagern anwies. Sie nennen das Thier Haſe, ſagt er, obgleich es ſehr verſchieden iſt von dem in Spanien lebenden. Es iſt größer und derber, läuft nicht ſo viel und ermüdet eher, derart, daß es ein gut berittener Jäger bald einholen und entweder mit der Lanze oder durch einen Schlag236Die Ferkelhafen oder Hufpfötler. Die Mara.mit den Wurfkugeln erlegen kann. Faſt immer findet man mehrere beiſammen, oder wenigſtens die Männchen in der Nähe der Weibchen. Gewöhnlich erheben ſich beide zugleich und laufen mit einander weg. Oft habe ich in der Nacht ſeine unangenehme, ſcharfe Stimme vernommen, welche ungefähr wie Oovi klingt; wenn man es gefangen hat und in der Hand hält, ſchreit es ebenſo. Die Barbaren und unſere gemeinen Leute eſſen ſein weiches Fleiſch, achten es aber viel weniger, als das der Gürtelthiere. Auch ſoll es einen ganz verſchiedenen Geſchmack von dem unſeres europäiſchen Haſen haben. Jch habe vernommen, daß es ſeine Wohnungen in den Löchern der Viscacha anlegt und daß es, wenn es bedroht wird, ſich in dieſelben flüchtet. Doch alle diejenigen, welche ich ver - folgte, ſuchten immer ihr Heil in den Füßen, obgleich es in der Nähe einige Löcher der Viscacha gab. Niemals fand ich es in ſeinem Lager, ſondern immer aufrechtſtehend nach Art der Hirſche oder Rehe

Die Mara (Dolichotis patagonica).

und gewöhnlich ergriff es augenblicklich die Flucht und lief ein gutes Stück fort. Die Jungeinge - fangenen werden oft zahm gehalten; ſie verlaſſen das Haus und kehren zurück, gehen auf die Weide und freſſen von Allem. Ein Freund ſchickte mir zwei, welche er in ſeinem Hauſe großgezogen hatte. Sie waren außerordentlich zahm und nett; leider aber wurden ſie mir, als ſie mein Haus verließen, von den Hunden der Straße todtgebiſſen.

Später machte Darwin Genaueres über das merkwürdige Thier bekannt. Von ihm erfahren wir, daß die Mara nach Norden nicht über den 37. ° ſ. Br. hinausgeht. Die ſteinige und waſſer - arme Wüſte Patagoniens iſt ihre Heimat. Dort wo die Sierra Talpaquen dieſe Wüſte begrenzt, der Boden feuchter und pflanzenreicher zu werden beginnt, verſchwindet ſie gänzlich. Nach Weſten hin reicht ſie bis in die Nähe von Mendoza und ſomit ſogar bis zum 33. ° ſ. Br. Möglich iſt es auch, daß ſie noch in der Umgegend von Cordova, in der Republik Argentina, vorkommt. Noch vor237Die Mara.ein paar Jahrhunderten war ſie viel gemeiner als gegenwärtig, wo ſie nur in der wahren Wüſte, wo ſie die Unwirthbarkeit und Einöde des Landes am meiſten ſchützt, noch häufig iſt.

Ohngeachtet dieſer Häufigkeit iſt es nicht gerade leicht, das Thier zu erlangen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil man es ziemlich ſchwer zu ſehen bekommt. Entweder liegt es in ſeiner Höhle verborgen oder hat ſich platt auf die Erde gedrückt, und wird dann durch ſein echt erdfarbiges Kleid gar leicht den Blicken entzogen. Dazu kommt noch ſeine Scheu und Furchtſamkeit. Die Mara ergreift bei der geringſten Gefahr ſofort die Flucht. Dabei folgt die Geſellſchaft, welche ſich gerade bei einander befindet, einem Leitthiere in kurzen, aber ununterbrochenen Sätzen, und ohne von der geraden Linie abzuweichen. Alte Reiſebeſchreiber erzählen, daß die Mara ausſchließlich die Löcher bewohne, welche die Viscacha gegraben, falls nicht ſchon ein anderes Erdthier den Bau in Beſchlag genommen habe. Darwin glaubt aber, daß ſie ſich eigene Höhlen grabe. An dieſen ſcheint ſie jedoch nicht mit großer Liebe zu hängen. Darwin ſah ſie mehrmals in ſitzender Stellung vor ihrem Baue, erfuhr jedoch, daß ſie, ganz gegen die Gewohnheit der Nager und anderer Höhlenthiere, häufig von ihrem Wohnort ſich entferne und in Geſellſchaft mit anderen meilenweit umherſtreife, ohne gerade regelmäßig nach ihrem Baue zurückzukehren. Die Mara iſt ein vollkommenes Tagethier, obwohl ſie während der Mittagshitze ihren Bau aufſucht. Jhre Nahrung beſteht in Pflanzen, deren Wurzeln und Rinden, jedenfalls in Stoffen, welche andere Säugethiere verſchmähen. Jn manchen Gegenden Patagoniens, wo auf dem kieſigen Boden nur wenig dürre und dornige Büſche ein erbärmliches Leben friſten können, iſt ſie das einzig lebende Thier, welches man bemerkt. Ueber die Fortpflan - zung weiß man nur, daß das Weibchen zwei Mal im Jahre zwei Junge wirft.

Die Jndianer und die Gauchos ſtellen der Mara eifrig nach, weniger ihres Fleiſches wegen, als um das ſchöne Fell zu erlangen, welches zu Decken und Teppichen verarbeitet wird, die wegen ihrer Weichheit und ihres ſchmucken Aeußeren außerordentlich geſchätzt ſind.

Göring hat die Mara mehrfach beobachtet und die Güte gehabt, mir Nachſtehendes über ſie mitzutheilen. Jn der nächſten Nähe von Mendoza kommt ſie nur noch ſehr ſelten vor, häufiger bemerkt man ſie 10 bis 15 Meilen ſüdlicher. Am häufigſten findet ſie ſich in Einöden, welche nicht vollkommene Wüſten, ſondern buſchreich ſind. Hier ſieht man ſie in Geſellſchaften von 4 bis 8 Stück, zuweilen aber auch in Heerden von 30 bis 40. Ganz dieſelben Gegenden bewohnt mit ihr ein ſehr ſchönes Huhn, die Eudromia elegans, dort Martinette genannt, und man darf mit aller Sicherheit darauf rechnen, daß man da, wo der Vogel gefunden wird, auch die Mara bemerken kann und umgekehrt. Göring ſah dieſe niemals in Höhlen, obwohl ſie unzweifelhaft ſolche bewohnt, da man vor allen Höhlen große Haufen von der eigenthümlich geſtalteten, länglichrunden Loſung findet. Sie iſt ein vollkommenes Tagethier, welches ſich gerade im Sonnenſchein recht behaglich fühlt. Wenn ſie ſich ungeſtört weiß, legt ſie ſich entweder auf die Seite oder platt auf den Bauch und ſchlägt dabei die Handgelenke der Vorderfüße nach innen um, wie kein anderer Nager es thut. Zu - weilen recken und dehnen ſich die Ruhenden recht vergnüglich; beim geringſten Geräuſch aber ſetzen ſie ſich auf, ſtemmen ſich auf die Vorderfüße und hinten auf die Ferſe, ſo daß die Pfoten in der Luft ſchweben, verweilen, ſtarr wie eine Bildſäule, ohne die geringſte Bewegung, in dieſer Stellung und äugen und lauſchen ſcharf nach der Gegend hin, von welcher das Geräuſch kam; währt dieſes fort, dann erheben ſie ſich vollends, bleiben eine Zeit lang ſtehen und fallen endlich, wenn es ihnen ſcheint, daß die Gefahr ihnen näher kommt, in einen ganz eigenthümlichen, ſehr oft unterbrochenen Galopp. Sie laufen blos wenige Schritte weit weg, ſetzen ſich nieder, ſtehen auf, laufen wieder einige Schritte weit weg, ſetzen ſich von neuem, gehen dann vielleicht 50, 60 oder 100 Schritte weiter, ſetzen ſich nochmals und flüchten nun erſt, aber immer noch in gleichen Abſätzen, weiter. Jhr Lauf fördert dennoch ziemlich raſch; denn ſie ſind im Stande, Sätze von 4 bis 6 Fuß zu machen. Ein gutes Windſpiel würde ſie wohl einholen können; ein Reiter aber muß ſie ſchon lange verfolgt und ermüdet haben, wenn er ihnen nach - kommen will. Jhre Nahrung beſteht aus den wenigen Gräſern, welche ihre arme Heimat erzeugt; ſie kommen jedoch auch in die Pflanzungen herein und laſſen es ſich in den Feldern, namentlich in den mit238Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Die Agutis.Klee beſtandenen, vortrefflich ſchmecken. Sie beißen die Gräſer ab, richten ſich dann auf und freſſen in ſitzender Stellung, ohne dabei irgend etwas anderes als die Kiefern zu bewegen. Dabei hört man ein ziemlich lautes Kaugeräuſch, und es ſieht höchſt eigenthümlich aus, die langen Grashalme und Blätter ſo nach und nach verſchwinden zu ſehen, ohne daß man eigentlich etwas von der Mundöffnung wahrnimmt. Saftige Speiſen ſind dem Thiere vollkommen genügend, um ſeinen Durſt zu löſchen. Eine mit Grünzeug gefütterte Mara erhielt während ihrer ganzen Gefangenſchaft nicht einen Tropfen Waſſer.

Die Mara iſt außerordentlich vorſichtig und wählt ſich zum Ruhen oder zum Freſſen immer die buſchloſen, lichteren Stellen aus, gleichſam als wiſſe ſie es, daß ſie von den Büſchen aus beſchlichen werden könnte. Deshalb hat die Jagd ihre großen Schwierigkeiten, und es iſt gar nicht leicht, ihr ſchußrecht auf den Leib zu rücken. Jm Lager läßt ſie ſich nie überraſchen; ihre Sinne ſind ſo ſcharf, daß ſie ſchon aus großer Entfernung die Annäherung eines Feindes wahrnimmt.

Jn Mendoza beobachtete Göring eine erwachſene Mara längere Zeit in der Gefangenſchaft. Sie war ein liebenswürdiges, gutmüthiges, harmloſes Geſchöpf. Gleich vom erſten Tage an zeigte ſie ſich ſehr zutraulich gegen ihren Herrn. Sie nahm dieſem das vorgehaltene Futter ohne Weiteres aus der Hand und ließ ſich, ohne Unruhe zu verrathen, berühren und ſtreicheln. Gegen Liebkoſungen zeigte ſie ſich ſehr empfänglich; wenn man ſie krauete, krümmte ſie den Rücken, bog den Kopf zur Seite, als wolle ſie die ihr wohlthuende Hand ſehen und ließ dabei ein höchſt behagliches, unbeſchreib - liches Quieken oder Grunzen vernehmen. Die Stimme hatte durchaus nichts Unangenehmes, ſondern im Gegentheil etwas Gemüthliches und Anſprechendes. Die Gefangene ſchlief nur des Nachts, aber wenig und war immer ſogleich munter, wenn ſie Geräuſch vernahm. Für gewöhnlich war ſie an eine Schnur angebunden, eines Tags hatte ſie ſich aber doch während der Abweſenheit ihrer Pfleger losgeriſſen, das ganze Zimmer unterſucht und dabei greuliche Verwüſtungen angerichtet.

Die Entdecker Amerikas fanden auf den Perlen des Atlantiſchen Weltmeeres , auf den An - tillen, ein zu unſerer Familie gehöriges Thier in ungeheurer Menge auf. Gegenwärtig iſt daſſelbe dort faſt ganz ausgerottet und nur hier und da findet es ſich noch auf einigen Jnſeln in den dichteſten, unzugänglichſten Wäldern, von wo aus es die Zuckerpflanzungen regelmäßig beſucht und dadurch noch heute denſelben Haß auf ſich ladet, welcher die Urſache ſeiner Vernichtung auf andern Jnſeln wurde. Dies war oder iſt ein Aguti, Mitglied einer eigenen Sippe der Halbhufer (Dasyprocta), welche gegenwärtig auf dem Feſtlande durch einige Arten vertreten wird.

Die Agutis erinnern durch ihre Geſtalt einigermaßen an die Haſen; doch fallen bei genaueren Beobachtungen die Unterſcheidungsmerkmale ſofort ins Auge. Es ſind hochbeinige, unterſetzte Nager mit langem, ſpitzſchnäuzigen Kopfe, kleinen runden Ohren, einem nackten Schwanzſtummel und Hinterbeinen, welche faſt noch einmal ſo lang ſind, als die vorderen. Dieſe haben vier Zehen und eine kleine Daumenwarze, während die Hinterfüße blos drei vollkommen getrennte, ſehr lange Zehen beſitzen. Alle ſind mit ſtarken, breiten, wenig gekrümmten, hufartigen, an den Hinterfüßen beſon - ders entwickelten Krallen bewehrt; nur auf der Daumenwarze ſitzt ein kleiner, platter Nagel. Jm ganzen ſind die Agutis von leichtem, feinen und gefälligen Bau; ſie machten daher einen recht ange - nehmen Eindruck. Das Gebiß iſt ſtark; die flachen, platten Nagezähne treten beſonders hervor, ſchon weil das obere Paar ziemlich lebhaft roth, das untere gelblich gefärbt iſt.

Heutzutage finden ſich die Agutis paarweiſe oder in kleinen Geſellſchaften in waldigen Ebenen, namentlich in den dichteſten Wäldern der Flußniederungen, doch gehen einige auch bis zu 6000 Fuß über dem Meere im Gebirge empor. Wir lernen das Leben Aller kennen, wenn wir die Beſchrei - bungen über die häufigſte Art zuſammenſtellen.

239Der gemeine Aguti oder der Goldhaſe.

Der gemeine Aguti, oder wie er hier und da ſeines hübſchen Felles wegen auch wohl heißt, der Goldhaſe (Dasyprocta Aguti), iſt eines der ſchmuckſten Mitglieder der ganzen Familie. Seine Behaarung iſt dicht und glatt anliegend; das rauhe, harte, faſt borſtenartige Haar beſitzt einen leb - haften Glanz und eine röthlich-zitronengelbe, mit Schwarzbraun untermiſchte Farbe; es iſt drei bis vier Mal dunkelſchwarzbraun und ebenſo oft röthlich-zitronengelb geringelt und endet bald mit einem hellen, bald mit einem dunkeln Ringe, wodurch eben die gemiſchte Färbung vorgerufen wird. An einigen Leibesſtellen waltet aber die gelbe Färbung vor, indem das Schwarz entweder gänzlich verſchwindet, oder nur einen ſchmalen Ring bildet. So kommt es, daß die Geſammtfärbung ſich ver - ändert, je nachdem das Thier ſich bewegt, je nachdem die Beleuchtung des Ganzen eine verſchiedene und endlich je nachdem das Haar hier länger und dort kürzer iſt. Das Geſicht und die Gliedmaßen decken nämlich blos kurze Haare, das Hintertheil längere und das Kreuz, die Schenkel ſolche von faſt drei Zoll Länge; die Kehle iſt nackt. Am Kopf, Nacken, Vorderrücken und der Außenſeite der Glied - maßen herrſcht die röthliche Färbung vor, da auch die Sprenkelung hier ſehr dicht erſcheint; am Hinter -

Der Goldhaſe (Dasyprocta Aguti).

rücken und in der Kreuzgegend aber erſcheint das Thier gelblicher, weil hier die Sprenkelung unter - geordneter iſt. Je nach den Jahreszeiten ändert ſich die allgemeine Färbung ebenfalls. Der Aguti erſcheint im Sommer heller und im Winter dunkler. Die Leibeslänge eines erwachſenen Männchens beträgt etwas über Fuß, die des Schwanzſtummels blos ½ Zoll.

Guyana, Surinam, Nord-Braſilien und das nördliche Peru bilden gegenwärtig die Heimat des Goldhafen. Jn Süd-Braſilien und einem Theile von Paraguay vertreten ihn verwandte Arten. An den meiſten Orten iſt er recht häufig, beſonders an den Flußniederungen Braſiliens. Hier wie überall bewohnt er die Wälder, die feuchten Urwälder ebenſo als die trockeneren des inneren Landes. Er treibt ſich aber auch an den angrenzenden grasreichen Ebenen herum und vertritt dort die Stelle der wirklichen Haſen. Jm freien Felde kommt er nicht vor. Gewöhnlich findet man ihn über der Erde oder in Höhlen, in hohlen Bäumen nahe an der Erde und öfterer allein, als in Geſellſchaft. Er iſt ſo ſcheu und furchtſam, dabei ſo flüchtig, daß Beobachtungen über ſein Freileben faſt unmöglich ſind. Bei Tage liegt er ruhig in ſeinem Lager, denn nur da, wo er ſich vollkommen ſicher glaubt,240Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Der Goldhaſe.ſtreift er umher. Mit Sonnenuntergang geht er auf Nahrung aus und dann verweilt er bei guter Witterung die ganze Nacht auf ſeinen Streifzügen. Er hat, wie Rengger berichtet, die Gewohn - heit, ſeinen Aufenthaltsort mehrmals zu verlaſſen, und wieder dahin zurückzukehren; hierdurch ent - ſteht ein ſchmaler, oft 300 Fuß langer Fußweg, welcher die Lage des Wohnortes verräth, Bringt man einen Hund auf dieſe Fährte, ſo gelingt es, falls das Lager ſich nicht im Dickicht befindet. faſt regelmäßig des Thieres habhaft zu werden. Die Hunde verbellen ihr Wild, und man kann es dann aus ſeiner Höhle vorziehen oder ausgraben. Wird der Aguti aber die Ankunft der Hunde zeitig gewahr, ſo entfernt er ſich augenblicklich, und ſeine Gewandtheit, ſein ſchneller Lauf bringt ihn dann bald aus dem Bereiche ſeiner Verfolger. Das erſte beſte Dickicht nimmt ihn auf und ſchützt ihn ſicher vor dem ihm nachſetzenden Feinde.

Der Aguti iſt ein ganz harmloſes, ängſtliches Thierchen und deshalb vielen Gefahren preisge - geben, ſo daß ihn eigentlich nur die außerordentliche Gewandtheit ſeiner Bewegungen und die ſcharfen Sinne vor dem Untergange retten können. Jm Springen erinnert der Goldhaſe ſehr an ge - wiſſe kleine Antilopen und Moſchusthiere. Sein Lauf beſteht aus Sprungſchritten, welche aber ſo ſchnell auf einander folgen, daß es ausſieht, als laufe das Thier im geſtreckten Galopp dahin. Der ruhige Gang iſt ein ziemlich langſamer Schritt. Unter den Sinnen iſt der Geruch am ſchärfſten entwickelt und auch das Gehör ſehr ausgebildet. Das Geſicht aber ſcheint ziemlich blöde zu ſein, und der Geſchmack iſt keineswegs beſonders gut. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ſehr gering. Nur ein gewiſſer Ortsſinn macht ſich bemerklich.

Die Nahrung beſteht in den verſchiedenartigſten Kräutern und Pflanzen, von den Wurzeln an bis zur Blüthe oder zum Korn hinauf. Seinen ſcharfen Nagezähnen widerſteht ſo leicht kein Pflanzenſtoff; er zerbricht ſelbſt die härteſten Nüſſe. Jn bebauten Gegenden wird er durch ſeine Be - ſuche in den Zuckerrohranpflanzungen und Gemüſegärten ſehr läſtig. Doch nur da, wo er ſehr häufig iſt, richtet er fühlbaren Schaden an.

Ueber die Fortpflanzung der freilebenden Agutis fehlen noch genaue Nachrichten. Man weiß, daß ſich das Thier ziemlich ſtark vermehrt, daß die Weibchen in allen Monaten des Jahres trächtig werden, und eine ziemliche Anzahl von Jungen zur Welt bringen können. Ein und daſſelbe Thier ſoll zweimal im Jahre werfen, gewöhnlich im Oktober, d. h. zu Anfang der Regenzeit oder des Frühjahrs, das zweite Mal einige Monate ſpäter, doch noch vor Eintritt der Dürre. Zu dieſer Zeit ſucht das Männchen ein Weibchen auf und jagt ihm nach unter Pfeifen und Grunzen, bis es die anfänglich ſehr Spröde ſeinem Willen geneigt gemacht hat. Jm entgegengeſetzten Falle verſucht es das Ziel ſeiner Wünſche mit Gewalt zu erreichen; ſo ſchließe ich wenigſtens aus einer Beobachtung, welche ich an Gefangenen machte. Ein Weibchen, welches ich zu zwei Männchen ſetzte, wurde von dieſen ſo abgetrieben und derart zuſammengebiſſen, daß ich es entfernen mußte; es würde ſeinen Peinigern erlegen ſein. Erſt nach Wochen heilten die Wunden, welche die ungeſtümen Liebhaber ihm beigebracht hatten. Bald nach der Begattung lebt jedes Geſchlecht einzeln für ſich. Das Weibchen bezieht ſein altes Lager wieder und richtet es zur Aufnahme der Jungen ein, d. h. polſtert es möglichſt dicht mit Blättern, Wurzeln und Haaren aus, bringt auf dieſem weichen Lager die Jungen zur Welt, ſäugt ſie mehrere Wochen mit großer Zärtlichkeit und führt ſie ſchließlich noch einige Zeit mit herum, um ſie bei den erſten Weidegängen zu unterrichten und zu beſchützen. Gefangene Agutis haben ſich bereits mehrmals fortgepflanzt. Schon Rengger erzählt, daß ein Pärchen, welches Parlet beſaß, nach langem Werben und Verſagen ſich begattete, und daß das Weibchen nach ſechswöchentlicher Trag - zeit zwei, leider todte Junge warf. Jn London und Amſterdam hat man ebenfalls Junge gezüchtet, neuerdings aber auch in Köln: und hierüber kann ich, Dank der Güte des Vorſtehers dieſes Gartens, ausführlicher berichten. Zwei Mal, ſagt Bodinus, haben wir ſchon Junge von unſeren Agutis gezogen: das erſte Mal zwei, das zweite Mal nur eins. Jch hatte dabei Gelegenheit, zu beob - achten, daß das Weibchen kein großes Zutrauen zu der Kinderliebe des Vaters hat. Die kleinen Thierchen liefen, obwohl etwas ſchwach auf den Füßen, bald nach der Geburt umher, ähnlich wie die241Der gemeine Aguti oder der Goldhaſe.neugeborenen Jungen vom Meerſchweinchen. Nahten ſie ſich dem Vater, ſo ſtürzte die Mutter mit geſträub - ten Haaren auf ſie zu, ergriff ſie mit dem Maule und trug ſie in eine Ecke ein Verfahren, welches das beſorgliche Thier mehrere Tage fortſetzte, bis die Kinder die Mutter zu kennen ſchienen und die ge - fährliche Nähe des Herrn Papa vermieden. Nach 4 bis 5 Tagen ſchien der Vater an den Anblick der Kinder gewöhnt und die Gefahr beſeitigt zu ſein. Für gewöhnlich ſuchten ſie ſich in irgend einem Schlupfwinkel aufzuhalten und kamen, ſobald ſich Appetit einſtellte, mit quiekenden Tönen heran, von der Mutter mit zärtlichem Knurren begrüßt, welche, auf den Hinterfüßen ſitzend, ſie ſaugen ließ. Unvermuthetes Geräuſch verjagte ſie in ihren Schlupfwinkel, bis ſie, mehr an die Umgebung gewöhnt, ſich allmählich frei zu bewegen begannen und der Mutter folgten. Wenige Tage nach der Geburt benagten ſie ſchon das Futter der Alten und wuchſen ohne irgend bemerkliche Umſtände allmählich heran. Bei der Geburt tragen die Thierchen gleich das Charakteriſtiſche der Alten und weichen nur unbedeutend in den äußeren Formen ab.

Jm hamburger Thiergarten ſind wir bisjetzt noch nicht ſo glücklich geweſen, Junge zu erziehen. Unſere Agutis haben wohl geboren, die Jungen aber ſofort getödtet, aus welcher Urſache vermag ich nicht zu ſagen. Die Geburt erfolgte, ohne daß wir Etwas ahnten, am 2. Februar bei ziemlich ſtarker Kälte und wahrſcheinlich im Jnnern der ſehr geräumigen Höhle, welche unſere Gefangenen ſich nach eigenem Belieben und Ermeſſen innerhalb ihres Geheges ausgegraben haben. Wir fanden eines Morgens die getödteten Jungen mit zerbiſſenem Kopfe vor dem Eingange der Höhle liegen. Jch vermuthe, daß dieſer Mord von anderen Goldhaſen, welche in demſelben Gehege wohnen, begangen worden iſt.

Der Erwähnung werth ſcheint mir zu ſein, daß unſere Gefangenen alle Leichen aus dem Jnnern des Baues herausſchleppen und vor ihrer Röhre ablegen. Wie die Jungen war auch ein alter Aguti, welcher im Jnnern der Höhle verendet ſein mochte, von den Uebrigen ins Freie gebracht worden. Dieſes Verfahren der Thiere ſteht mit ihrer großen Reinlichkeitsliebe im innigſten Zuſammenhang.

Unter den vielen Feinden, welche den Aguti bedrohen, ſtehen die größeren Katzen und braſilianiſchen Hunde oben an; denn der Menſch thut ihm, ſo eifrig er ihn auch verfolgt, wenig Ab - bruch. Es iſt nicht ſchwer, den Aguti einzufangen: man braucht ihm blos Schlagfallen auf ſeinen Pfad zu legen, um ihn ſicher in ſeine Gewalt zu bringen. Auch mit Hilfe der Hunde fängt man ihn, wie Prinz von Wied berichtet, in der oben angegebenen Weiſe, und auf dem Anſtande kann man ihn ebenfalls leicht erlegen. Azara glaubte, daß ſich der Aguti nicht zähmen laſſe, war aber im Unrecht, wie gegenwärtig Jeder weiß, der einen oder den anderen der größeren Thiergärten beſucht hat.

Rengger erzählt, daß das Thier, jung eingefangen und ſorgſam aufgezogen, faſt zum Haus - thier wird. Jch habe, ſagt er, mehrere Agutis geſehen, die man frei konnte herumlaufen laſſen, ohne daß ſie entwichen wären; ſogar mitten in großen Wäldern, ihrem Aufenthalte im freien Zuſtand, entweichen ſie nicht, wenn ſie einmal gezähmt ſind. So ſah ich in den Waldungen des nördlichen Paraguays in den Hütten einiger Einwohner zwei zahme Agutis, welche den Morgen und Abend im Walde, den Mittag und die Nacht bei den Jndianern zubrachten. Es iſt nicht ſowohl die Anhäng - lichkeit an den Menſchen, ſondern die Angewöhnung an ihren Aufenthaltsort, welche ihnen den Hang zur Freiheit unterdrückt. Sie ſind dem Menſchen nur wenig ergeben, unterſcheiden ihren Wärter keineswegs von anderen Perſonen, gehorchen nur ſelten ſeinem Rufe und ſuchen ihn nur dann auf, wenn ſie der Hunger drängt. Auch laſſen ſie ſich ungern von ihm berühren; ſie dulden keinen Zwang, leben ganz nach ihrem eigenen Willen und können höchſtens dazu abgerichtet werden, ihre Nahrung an einer beſtimmten Stelle aufzuſuchen. Uebrigens verändern ſie im häuslichen Zuſtande ihre Lebens - art in ſoweit, daß ſie mehr bei Tage herumlaufen und bei Nacht ausruhen. Gewöhnlich wählen ſie irgend einen dunkeln Winkel zu ihrem Lager und polſtern daſſelbe mit Stroh und Blättern aus, zu - weilen aber auch mit ſeidenen Frauenſchuhen, Schnupftüchern, Strümpfen u. ſ. w., die ſie in kleine Stücke zernagen. Sonſt richten ſie mit ihren Zähnen nur wenig Schaden an, außer wenn man ſie einſchließt, wo ſie dann aus langer Weile Alles zerſtören, was für ihr Gebiß nicht zu hart iſt. JhreBrehm, Thierleben. II. 16242Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Der Geldhaſe.Bewegungen ſind ſehr leicht. Sie gehen entweder in langſamen Schritten, wobei ſie blos mit den Zehen auftreten und den Rücken ſtark wölben, oder ſie laufen im geſtreckten Galopp, oder machen Sprünge, die an Weite denen unſeres Haſen nichts nachgeben. Laute geben ſie ſelten von ſich, außer wenn ſie gereizt werden; dann laſſen ſie einen pfeifenden Schrei hören, doch knurren ſie zu - weilen, aber nur ganz leiſe, wenn ſie an einem verborgenen Orte irgend Etwas zernagen. Werden ſie in Zorn oder große Furcht geſetzt, ſo ſträuben ſie ihr Rückenhaar, und es fällt ihnen dann oft ein Theil derſelben aus. Man ernährt ſie mit Allem, was im Hauſe gegeſſen wird. Sie lieben aber das Fleiſch lange nicht ſo, wie Azara angibt, ſondern freſſen es blos in Ermangelung geeigneter Nahrung. Eine Lieblingsſpeiſe ſind die Roſen. Sowie eine von dieſen Blumen in ihre Wohnung gebracht wird, wittern ſie dieſe auf der Stelle und ſuchen ſie auf. Die Nahrung ergreifen ſie gewöhnlich mit den Schneidezähnen und nehmen ſie dann zwiſchen beide Daumenwarzen der Vorderfüße, indem ſie ſich wie das Eichhörnchen auf die Hinterſüße ſetzen. Zuweilen freſſen ſie auch in kauernder Stellung, ge - wöhnlich, wenn ſie ganz kleine oder zu kleine Biſſen vor ſich haben. Jch ſah ſie nie trinken, jedoch ſollen ſie nach Dr. Barlets Beobachtungen das Waſſer lappernd zu ſich nehmen.

Bodinus ſagt mit Recht, daß die zierliche Geſtalt, das ſchöne Ausſehen und die Reinlichkeit die Agutis für alle Liebhaber ſehr empfehlenswerth machen, und daß nur ihre große Nageſucht unan - genehm werden kann. Die, welche im kölner Garten gehalten werden, ſind ſo zutraulich geworden, daß ſie dargereichte Leckerbiſſen aus der Hand nehmen und augenblicklich mit wahrhaft dankbarem Blicke auf den Geber verzehren.

Unſere Gefangenen ergötzen hauptſächlich durch eine Eigenthümlichkeit, welche ich noch nir - gends erwähnt gefunden habe. Sie pflegen nämlich einen guten Theil ihres Futters zu vergraben, um ſich für den Nothfall zu ſichern. Sobald ihnen Nahrung gereicht wird, fallen ſie gierig darüber her, nehmen einige Biſſen, wählen ſich dann ein Stückchen Möhre oder eine ihnen gereichte Frucht, tragen ſie im Maule weg, graben an irgend einer Stelle ein kleines Loch, legen ihren Schatz dahinein, ſtreichen Erde darüber und ſchlagen und drücken dieſelbe mit den Vorderpfoten feſt. Dies bewerkſtelligen ſie ſo raſch, geſchickt und ordentlich, daß daran Jedermann ſeine Freude haben muß. Sofort nach beendigtem Geſchäft holen ſie neue Zufuhr und verfahren, wie vorher. Aeußerſt komiſch ſieht es aus, wie ſorgſam ſie dabei ſich umſchauen, und wie ſorgfältig ſie bemüht ſind, ihre Schatzbergerei ungeſehen zu verrichten. Naht ſich ihnen ein anderes Thier, ſo ſträuben ſie ſofort das Haar und gehen zornig auf den Störenfried los. Futterneidiſch ſcheinen ſie überhaupt im höchſten Grade zu ſein; ihre ſchwächeren Mitgefangenen müſſen ſich jeden Biſſen ſtehlen, welchen ſie genießen wollen, und ſelbſt ſtärkeren Wohnungsgenoſſen, z. B. Pakas und Murmelthieren, machen ſie die Nahrung ſtreitig.

Die erwähnte Reinlichkeitsliebe unſerer Gefangenen zeigt ſich bei jeder Gelegenheit. Sie halten ſich ſelbſt fortwährend in Ordnung und ſcheinen ängſtlich beſorgt, ſich irgendwie zu beſchmuzen. Jhre Baue halten ſie vortrefflich im Stande. Sie verdanken dieſelben eigentlich einem Murmelthiere, welches ich in ihr Gehege ſetzte. Bis zur Ankunft dieſes Wohnungsgenoſſen hatten unſere Agutis nicht daran gedacht, ſich eigene Höhlen zu graben, ſondern mit den für ſie hergerichteten Schlupf - winkeln, welche mit Heu und Stroh wohl ausgepolſtert waren, gern fürlieb genommen. Sobald das Murmelthier zu ihnen kam, änderte ſich die Sache. Der Sohn der Alpen fand beſagte Schlupfwinkel durchaus nicht nach ſeinem Geſchmack und machte von ſeiner Kunſtfertigkeit ſofort Gebrauch. Er be - gann zunächſt eine ſchief nach unten führende Röhre zu graben und arbeitete dieſe im Verlauf der Zeit zu einem vielfach verzweigten Bau aus. Jedoch hatte er ſich verrechnet, wenn er glaubte, für ſich allein gearbeitet zu haben: die Goldhaſen fanden den Bau ganz nach ihrem Geſchmack und befuhren ihn gemeinſchaftlich mit dem rechtmäßigen Beſitzer, ja es ſchien, als habe dieſer ihnen erſt das Graben gelehrt; denn fortan arbeiteten auch ſie mit Ausdauer und Eifer an der Vervollkommnung der unter - irdiſchen Wohnung. Das Murmelthier ſetzte ſeine Belehrungen fort, indem es Heu und Stroh nach dem Jnnern der Höhle ſchleppte; die Agutis ahmten auch Dieſes nach, und nach einiger Zeit hatte ſich243Das Waſſerſchwein.die ganze Geſellſchaft beſtmöglichſt eingerichtet. Ende Septembers verſchwand das Murmelthier den Blicken, wahrſcheinlich weil es bereits in Winterſchlaf gefallen war; es blieb ſomit wenigſtens der größte Theil des Baues den Agutis zu unumſchränkter Verfügung. Von nun an ſchleppten ſie ſehr viel Heu und Stroh in das Junere, miſteten aber von Zeit zu Zeit auch wieder ordentlich aus, worauf ſie neue Vorräthe eintrugen. Sie blieben den ganzen Winter hindurch in dieſer angeeigneten Her - berge, weil es uns unmöglich war, ſie zu fangen. Als ſtarke Kälte eintrat, zeigten ſie ſich nur auf Augenblicke, um zu freſſen und zwar bei Tage ebenſogut, als nachts; die Kälte ſchien ihnen zwar läftig, aber nicht ſchädlich zu ſein, wenigſtens hielten ſie bedeutende Kältegrade zu unſerer größten Ueberraſchung vortrefflich aus. Erſt der fallende Schnee wurde ihnen läſtig und einem von ihnen verderblich.

Das Waſſerſchwein (Hydrochoerus Capybara), welches ebenfalls zu unſerer Familie zählt, darf in einer Hinſicht wenigſtens als der merkwürdigſte aller Nager angeſehen werden: es iſt das größte und plumpſte Mitglied der ganzen Ordnung. Seinen deutſchen Namen trägt es mit Recht; denn es erinnert durch ſeine ganze Geſtalt und die borſtengleiche Behaarung ſeines Körpers entſchieden an die Schweine. Seine Kennzeichen ſind kleine Ohren, geſpaltene Oberlippe, Fehlen des Schwanzes, kurze Schwimmhäute an den Zehen und ſtarke Hufnägel, ſowie der höchſt eigenthümliche Zahnbau. Die Schneidezähne ſind wirklich rieſenhaft entwickelt; ſie haben, bei geringer Dicke, faſt Zollbreite und auf der Vorderſeite mehrere flache Rinnen. Vier Backenzähne in jedem Kiefer, welche keine eigentlichen Wurzeln haben und wie aus Blättern zuſammengeſetzt erſcheinen, bilden das übrige Gebiß. Der Leib iſt auffallend plump und dick, der Hals kurz, der Kopf länglich, hoch und breit, ſtumpfſchnäuzig und von eigenthümlichem Ausdruck. Ziemlich große, rundliche Augen ſpringen weit hervor; die Ohren ſind oben abgerundet und am vorderen Rande umgeſtülpt, hinten abgeſchnitten. Die hinteren Beine ſind deutlich länger, als die vorderen, die Vorderfüße ſind vierzehig, die hinteren dreizehig. Ganz eigenthümlich iſt auch eine Hautfalte, welche den After und die Geſchlechtstheile einſchließt, ſo daß beide äußerlich nicht geſehen und Männchen und Weibchen nicht unterſchieden wer - den können. Von einer beſtimmten Färbung des dünnen, aber groben Pelzes kann man eigentlich gar nicht reden. Ein ungewiſſes Braun mit einem Anſtrich von Roth oder Bräunlichgelb vertheilt ſich über den Leib, ohne irgendwo ſcharf hervorzutreten. Nur die Borſten um den Mund herum ſind entſchieden ſchwarz. Ein erwachſener Capybara erreicht ungefähr die Größe eines jährigen Haus - ſchweins und ein Gewicht von beinahe einem Centner. Die Körperlänge beträgt über , die Höhe am Widerriſt Fuß.

Azara iſt auch hier wieder der Erſte, welcher eine genaue Beſchreibung des Waſſerſchweins gibt. Die Gueranis, ſagt er, nennen das Thier Capügua ; der Name bedeutet ungefähr ſo - viel, als Bewohner der Rohrwälder an Flußufern; der ſpaniſche Name Capybara iſt eine Ber - drehung jener Benennung. Die Wilden nennen die Alten Otſchagu und die Jungen Lakai.

Der Capybara bewohnt Paraguay bis zum Rio de la Plata, und namentlich die Ufer aller Flüſſe, Lachen und Seen, ohne ſich weiter als hundert Schritte davon zu entfernen. Wenn er erſchreckt wird, erhebt er einen lauten Schrei, welcher ungefähr wie Ap klingt und wirft ſich augenblicklich ins Waſſer, in welchem er leicht dahin ſchwimmt, blos die Naſenlöcher über den Spie - gel erhebend. Jſt aber die Gefahr größer und das Thier verwundet, ſo taucht es unter und ſchwimmt auf ganz große Strecken unter dem Waſſer weg. Jede einzelne Familie erwählt ſich ge - wöhnlich ihren beſtimmten Platz, welchen man leicht an den Bergen von Koth erkennen kann. Höhlen gräbt der Capybara nicht. Sein Lauf iſt ſchlecht. Er iſt friedlich, ruhig und dumm. Lange Zeit ſitzt er auf ſeinem Hintern, ohne ſich zu rühren. Sein Fleiſch iſt fett, aber geſchätzt von den Wilden. Man glaubt, daß das Weibchen ein Mal im Jahre vier bis acht Junge werfe, gewöhnlich auf etwas zuſammengetretenes Stroh, und ſagt, daß dieſe ſpäter ihrer Mutter folgten. Die Jungen können16*244Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Das Waſſerſchwein.ohne Mühe gezähmt werden. Sie laufen frei umher, gehen und kommen, hören auf den Ruf und freuen ſich, wenn man ſie krauet. Neuere Beobachter haben das Thier ausführlicher beſchrieben; von ihnen erfahren wir ungefähr Folgendes: Das Waſſerſchwein oder der Capybara iſt über ganz Südamerika verbreitet. Er findet ſich vom Orinoko bis zum La Plata oder vom allantiſchen Meer bis zu den Vorbergen der Andes. Niedere, waldige, ſumpfige Gegenden, zumal Flüſſe und die Ränder von Seen und Sümpfe bilden ſeine Aufenthaltsorte; am liebſten lebt er an großen Strömen. Hier und da iſt er ungemein häufig; an bewohnten Stellen begreiflicherweiſe ſeltener, als in der Wildniß. Dort wird er nur des Abends und Morgens geſehen; in menſchenleeren, wenig beſuchten Flußthälern dagegen bemerkt man ihn auch bei Tage in Maſſen, immer in nächſter Nähe des Fluſſes, entweder weidend oder wie ein Hund auf den zuſammengezogenen Hinterbeinen ſitzend. Jn dieſer Stellung ſcheinen dieſe ſonderbaren Zwitter zwiſchen Nagern und Dickhäutern am liebſten auszuruhen; wenigſtens ſieht man ſie nur höchſt ſelten auf dem Bauche liegend.

Der Gang iſt ein langſamer Schritt; im Nothfalle ſpringt unſer Thier aber auch in Sätzen. Der Lauf iſt nicht anhaltend. Dagegen ſchwimmt es vortrefflich und ſetzt mit Leichtigkeit über Gewäſſer. Es ſchwimmt blos dann, wenn es verfolgt oder wenn ihm die Nahrung an der einen Seite des Fluſſes knapp geworden iſt. So feſt es an einem beſtimmten Gebiete hält, ſo regelmäßig verläßt es daſſelbe, wenn es Verfolgungen erleidet. Ein eigentliches Lager hat es nicht, obwohl es ſich an bevorzugten Plätzen des Ufers regelmäßig aufhält. Seine Nahrung beſteht aus Waſſerpflanzen und aus der Rinde junger Bäume, und nur da, wo es ganz nahe an Pflanzungen wohnt, fällt es zu - weilen über die Waſſermelonen und den jungen Mais her.

Das Waſſerſchwein iſt ein ſtilles und ruhiges Thier. Schon auf den erſten Anblick wird es Einem klar, daß man es mit einem höchſt ſtumpfſinnigen und geiſtesarmen Geſchöpf zu thun hat. Der Jäger kann es ſtundenlang beobachten, wenn er will; aber ſein Leben bietet wenig Abwechſelung dar und verleidet ſehr bald die Beobachtungen. Niemals ſieht man es mit an - deren ſeiner Art ſpielen. Entweder gehen die Mitglieder einer Herde langſamen Schrittes ihrer Nahrung nach, oder ruhen in ſitzender Stellung. Von Zeit zu Zeit kehren ſie etwa den Kopf um, um zu ſehen, ob ſich ein Feind zeigt. Begegnen ſie einem ſolchen, ſo eilen ſie nicht, die Flucht zu ergreifen, ſondern gehen ganz langſam dem Waſſer zu. Ein ungeheurer Schrecken ergreift ſie aber, wenn ſich plötzlich ein Feind in ihrer Mitte zeigt. Dann ſtürzen ſie mit einem lauten Schrei ins Waſſer und tauchen unter. Wenn ſie nicht gewohnt ſind, Menſchen zu ſehen, betrachten ſie dieſe oft lange, ehe ſie entfliehen. Man hört ſie keinen anderen Laut von ſich geben, als jenes Nothge - ſchrei, welches Azara durch Ap ausdrückt. Dieſes Geſchrei iſt aber ſo durchdringend, daß man es viertelſtundenweit vernehmen kann.

Das Weibchen wirft nur ein Mal im Jahre zwei bis vier Junge, nicht aber acht, wie man noch heutzutage in Paraguay behaupten hört. Ob dieſes in einem beſonders dazu bereiteten Lager geſchieht, hat man nicht ermitteln können. Die Ferkelchen folgen gleich ihrer Mutter, zeigen jedoch nur wenig Anhänglichkeit. Nach Azara’s Beobachtungen ſoll ein Männchen zwei oder drei Weibchen mit ſich führen, und daher kann wohl der Jrrthum entſtanden ſein, daß das Weibchen acht Junge würfe. Jch habe, ſagt Rengger, in Paraguay mehrere Capybaras, welche man jung eingefangen und aufgezogen hatte, geſehen. Sie waren ſehr zahm, wie ein Hausthier, gingen gleich dieſem aus und ein und ließen ſich von Jedermann berühren. Doch zeigten ſie weder Folgſamkeit noch Anhänglichkeit an den Menſchen. Sie hatten ſich ſo an ihren Aufenthaltsort gewöhnt, daß ſie ſich nie weit davon entfernten. Man braucht ſie nicht zu füttern; ſie ſuchen ſelbſt ihre Nahrung auf, und Das bei Nacht oder bei Tage. Jhre Lieblingsſpeiſe blieben, wie in der Freiheit, Sumpf - und Waſſer - pflanzen, die ſie ſich auch täglich aus den nahe gelegenen Flüſſen, Lachen und Sümpfen holten; doch fraßen ſie auch Maniocwurzeln oder Schalen von Waſſermelonen, die man ihnen vorgeſetzt hatte. Unter ihren Sinnen ſcheint der Geruch am beſten entwickelt zu ſein. Das Gehör und Geſicht ſind245Das Waſſerſchwein.ſchlecht. Was ihnen aber an Schärfe der Sinne abgeht, wird an Muskelkraft erſetzt, ſo daß zwei Männer kaum im Stande ſind, einen Capybara zu bändigen.

Jn der Neuzeit iſt das Thier öfters lebend nach Europa gekommen. Der hamburger Thier - garten beſitzt es; außerdem ſah ich es in Antwerpen und in London. Das unſrige iſt mir in hohem Grade zugethan. Es kennt meine Stimme, kommt herbei, wenn ich es rufe, freut ſich, wenn ich ihm ſchmeichle und folgt mir, wie ein Hund, durch den ganzen Garten. So freundlich iſt es nicht gegen Jedermann: ſeinem Wärter, welcher es zurücktreiben wollte, ſprang es einmal gegen die Bruſt und biß dabei ſofort zu, glücklicherweiſe mehr in den Rock, als in den Körper. Eigentlich folgſam kann ich es überhaupt nicht nennen; es gehorcht nur, wenn es eben will. Sein Gleichmuth iſt mehr ein ſcheinbarer, als wirklich begründeter.

Jch kann ſeine Bewegungen nicht plump oder ſchwerfällig nennen. Es geht ſelten raſch, ſon - dern gewöhnlich gemächlich dahin, mit großen Schritten, ſpringt aber ohne Mühe über drei Fuß hohe Gitter weg. Jm Waſſer bewegt es ſich meiſterhaft. Es ſchwimmt in gleichmäßigem Zuge ſchnur - gerade über breite Gewäſſer, gerade ſo ſchnell, wie ein Mann geht, taucht mit einem Sprung, wie ein Vogel, und verweilt minutenlang unter dem Waſſer, ſchwimmt auch in der Tiefe fort, ohne ſich in der beabſichtigten Richtung zu irren. Sein Stall ſteht nahe am Bache unſeres Gartens; denn Waſſer und Schlamm iſt ihm Bedürfniß. Sobald ich es rufe, ſpringt es unter Ausſtoßen des von den genannten Naturforſchern beſchriebenen Schreies ins Waſſer, taucht unter und ſteigt dann lang - ſam am anderen Ufer in die Höhe, kommt zu mir heran und murmelt oder kichert in höchſt eigenthüm - licher Weiſe vor ſich hin, und zwar durch die Naſe, wie ich mich genau überzeugt habe. Die Töne, welche es auf dieſe Weiſe hervorbringt, laſſen ſich noch am eheſten mit dem Geräuſch vergleichen, welches entſteht, wenn man die Zähne auf einander reibt. Sie ſind abgebrochen-zitternd, unnachahmlich, eigentlich auch nicht zu beſchreiben, ein Ausdruck des entſchiedenſten Wohlbehagens, gewiſſermaßen ein Selbſtgeſpräch des Thieres, welches unterbrochen wird, wenn ſich irgendwelche Aufregung ſeiner bemächtigt.

Seine Erhaltung verurſacht gar keine Mühe. Es frißt allerlei Pflanzenſtoffe, wie ein Schwein; es bedarf viel, aber durchaus kein gutes Futter. Friſches, ſaftiges Gras iſt ihm das Liebſte. Mit ſeinen breiten Schneidezähnen weidet es wie ein Pferd, ganz wie dieſes trinkt es auch, ſchlürfend, mit langen Zügen. Möhren, Rüben und Kleienfutter ſagen ihm ebenfalls ſehr zu.

Die Wärme liebt es, ohne jedoch die Kälte zu fürchten. Noch im November ſtürzte es ſich un - geſcheut und ungefährdet in das eiskalte Waſſer. Bei großer Hitze ſucht es unter dichten Gebüſchen Schatten, gräbt ſich hier wohl auch eine ſeichte Vertiefung aus. Sehr gern wälzt es ſich im Schlamm; es iſt überhaupt unreinlich und liederlich: ſeine Haare liegen kreuz und quer über und durch einander. Es würde ein ganzes Schwein ſein, übernähme das Waſſer nicht die Reinigung ſeines Vorſtenkleides.

Gegen andere Thiere zeigt es ſich theilnahmslos. Es fängt mit keinem Streit an und läßt ſich beſchnuppern, ohne ſich nach dem Neugierigen auch nur umzuſchauen. Doch zweifle ich nicht, daß es ſich zu vertheidigen weiß; denn es iſt durchaus nicht ſo dumm und auch nicht ſo ſanft, als es ausſieht.

Auffallend war mir der Wechſel ſeiner Milchnagezähne; ſie wurden durch die zweiten, welche ungefähr nach Ablauf des erſten Lebensjahres durchbrachen, ganz allmählich abgeſtoßen, ſaßen eine Zeit lang wie eine Scheide auf ihnen auf und fielen ab, noch ehe die nachkommenden ausge - bildet waren. Das Gebiß war eine Zeit lang äußerſt unregelmäßig. Möglicherweiſe wechſeln auch andere Glieder der Ordnung in ähnlicher Weiſe ihre Nagezähne.

Jch habe mich bemüht, noch andere Capybaras zu erhalten, weil ich nach allen Beobachtungen glauben darf, daß dieſe Thiere bei uns zur Fortpflanzung gebracht werden können.

Jn Paraguay benutzt man das Fell des Waſſerſchweins zu Riemen, Fußdecken, Schuhen ꝛc. Es iſt aber dick und ſehr ſchwammig und läßt das Waſſer leicht durchfließen. Das Fleiſch genießen246Die Ferkelhaſen oder Hufpfötler. Der Paka.blos die Jndianer; denn es hat einen eigenen, widrigen Fettgeſchmack, welcher die Europäer anekelt; wird es aber erſt mit Waſſer gekocht und gebeizt, ſo iſt es ſo ſchmackhaft, wie das zarteſte Kalbfleiſch. Die weißen Einwohner Südamerikas jagen unſer Thier zuweilen zu ihrer Beluſtigung, indem ſie es unvermuthet überfallen, ihm den Weg abſchneiden und es mit ihren Wurfſchlingen zu Boden reißen. Häufiger aber jagt man es vom Strome aus. Wird es blos angeſchoſſen, ſo ſtürzt es ſogleich ins Waſſer, ſucht aber bald wieder das Land zu gewinnen, wenn es durch die Verwundung ſich nicht ent - kräftet fühlt. Jm Nothfalle vertheidigt ſich das angeſchoſſene Waſſerſchwein noch kräftig mit den Zähnen und bringt ſeinem Gegner nicht ſelten ſchwere Wunden bei. Auf das im Waſſer ſchwim - mende Thier zu ſchießen, iſt nicht rathſam, weil es, wenn es raſch getödtet wird, unter - und verloren geht. Außer dem Menſchen dürfte der Jaguar der ſchlimmſte Feind des Capybara ſein. Tag und Nacht iſt dieſer ſchlaue Räuber auf ſeiner Fährte, und an den Flußniederungen iſt es wahr - ſcheinlich die häufigſte Beute, welche der Katze überhaupt zum Opfer fällt.

Der Paka (Coelogenys Paca) mag für uns das letzte Mitglied der Hufpfötler ſein. Der eigenthümlich dicke Kopf, die großen Augen und kleinen Ohren, der ſtummelartige Schwanz, die hohen Beine, die fünfzehigen Vorder - und Hinterfüße, das borſtige, dünnanliegende Haarkleid, vier Schneide - und ſechszehn Backenzähne, und beſonders der merkwürdig ausgedehnte, nach innen mit einer Höhle verſehene Jochbogen, ſind die Kennzeichen des Thieres. Dieſer ausgehöhlte Knochen iſt gleichſam als eine Fortſetzung der Backentaſchen zu betrachten. Solche ſind zwar auch vorhanden, haben aber nicht die Größe und Ausdehnung, wie bei anderen Nagern. Sie bilden eigentlich nur eine Hautfalte. Von ihnen aus führt eine enge, nach unten ſich öffnende Spalte in die Höhlung des Jochbogens, welche als die eigentliche Backentaſche betrachtet werden muß. Sie iſt im Jnnern mit einer dünnen Haut ausgekleidet und zur Hälfte verſchloſſen, ſo daß ſie nur durch eine kleine Oeff - nung mit der Mundhöhle in Verbindung ſteht. Jhre eigentliche Beſtimmung iſt mit Sicherheit bis - jetzt noch nicht ermittelt worden; doch haben einige Naturforſcher Nahrung in ihr gefunden. Durch die Ausdehnung des Jochbogens bekommt der Schädel des Thieres ein eigenthümliches Gepräge; er wird auffallend hoch und eckig. Bei keinem anderen Säugethiere wiederholt ſich dieſe auf - fallende Bildung. Das Fell des Paka beſteht aus kurzen, eng am Körper liegenden Haaren, welche oben und an den äußeren Theilen gelbbraun, auf der Unterſeite und an der Jnnenſeite der Beine gelblichweiß ſind. Fünf Reihen von gelblichweißen Flecken von runder oder eiförmiger Geſtalt lau - fen zu beiden Seiten von der Schulter bis zum hinteren Rande des Schenkels. Die untere Reihe ver - miſcht ſich zum Theil mit der Farbe des Körpers. Um den Mund und über den Augen ſtehen einige ſteife, rückwärts gerichtete Fühlborſten. Das Ohr iſt kurz und wenig behaart, die Sohlen und die Fußſpitzen ſind nackt. Ausgewachſene Männchen werden über 2 Fuß lang und etwas über einen Fuß hoch. Das Ausſehen des Paka, ſagt Rengger, iſt dem eines jungen Schweines nicht unähnlich. Sein Kopf iſt breit, die Schnauze ſtumpf, die Oberlippe geſpalten, die Naſenlöcher länglich, die Ohren kurz, oben abgerundet, der Hals kurz, der Rumpf dick, die Beine ſtark gebaut, und die Zehen mit Rägeln verſehen. Der Schwanz zeigt ſich blos als eine haarartige Hervor - ragung.

Der Paka iſt über den größten Theil von Südamerika verbreitet; er reicht von Surinam und durch Braſilien bis Paraguay hinunter; kommt aber auch auf den ſüdlichen Antillen vor. Je ein - ſamer und wilder die Gegend iſt, um ſo häufiger findet man ihn, in den bevölkerten Theilen iſt er überall ſelten geworden. Der Saum der Wälder bildet ſeinen Aufenthaltsort. Hier gräbt er ſich eine Höhle von vier bis fünf Fuß Tiefe in die Erde, und bringt in ihr den ganzen Tag ſchlafend zu. Mit der Dämmerung geht er ſeiner Nahrung nach und beſucht dabei wohl auch die Zuckerrohr - und Melonenpflanzungen, in denen er bedeutenden Schaden anrichtet. Sonſt nährt er ſich von Blättern,247Der Paka.Blumen und Früchten der verſchiedenſten Pflanzen. Er lebt paarweiſe und einzeln. Das Weibchen wirft mitten im Sommer ein einziges Junges, hält es, wie die Wilden behaupten, während des Säugens in der Höhle verſteckt und führt es dann noch mehrere Monate mit ſich umher.

Einer von meinen Bekannten, berichtet Rengger, welcher während drei Jahre einen Paka in ſeinem Hauſe gehalten hatte, erzählt mir von ſeinem Aufenthalte im häuslichen Zuſtande Folgen - des: Mein Gefangener zeigte ſich, obwohl er noch jung war, ſehr ſcheu und unbändig und biß um ſich, wenn man ſich ihm näherte. Den Tag über hielt er ſich verſteckt, bei Nacht lief er umher, ſuchte den Boden aufzukratzen, gab verſchiedene grunzende Töne von ſich und berührte kaum die ihm vorgeſetzte Nahrung. Nach einigen Monaten verlor ſich dieſe Wildheit allmählich, und er fing an, ſich an die Gefangenſchaft zu gewöhnen. Später wurde er noch zahmer. Er ließ ſich berühren und lieb - koſen und näherte ſich ſeinem Herrn und fremden Perſonen. Für Niemand aber zeigte er Anhänglich - keit. Da ihm auch die Kinder im Hauſe wenig Ruhe ließen, veränderte er allmählich ſeine Lage inſo - fern, daß er bei Nacht ruhig war und Nahrung zu ſich nahm. Man ernährte ihn mit Allem, was im Hauſe gegeſſen wurde, nur nicht mit Fleiſch. Die Speiſe ergriff er mit den Schneidezähnen, Flüſſigkeiten nahm er lappend zu ſich. Sein Herr verſicherte mich, daß er ihm öfters mit einem Finger

Der Paka (Coelogenys Paca).

in die Backentaſchen gegriffen und dort Speiſe gefühlt habe. Er war äußerſt reinlich und entledigte ſich ſeines Koths und Harns immer in einiger Entfernung von ſeinem Lager, welches er aus Lappen, Stroh und Stückchen von Leder in einem Winkel ſich bereitete. Sein Gang war ein Schritt oder ein ſchneller Lauf in Sätzen. Das helle Tageslicht ſchien ihn zu blenden; ſeine Augen leuchteten jedoch nicht in der Dunkelheit. Obgleich er ſich an den Menſchen und ſeine Wohnung, wie es ſchien, gut gewöhnt hatte, war ſein Hang zur Freiheit noch immer der nämliche. Er entfloh nach einer Gefan - genſchaft von drei Jahren bei der erſten beſten Gelegenheit, die ſich ihm darbot.

Die Haut des Paka iſt zu dünn und ſein Haar zu grob, als daß ſein Fell benutzt werden könnte. Jn den Monaten Februar und März iſt das Thier außerordentlich fett, und dann iſt ſein Fleiſch ſehr ſchmackhaft und beliebt. Jn Braſilien iſt er nebſt den Agutis und verſchiedenen Arten der Gürtelthiere das gemeine Wildpret in den Waldungen. Prinz von Wied fing ihn in den Ur - wäldern häufig in Schlagfallen. Dort jagt man ihn mit Hunden und bringt ihn als königliches Wild zu Markte. Bisjetzt hat man das Thier nur ſelten lebend nach Europa gebracht. Buffon beſaß ein Weibchen längere Zeit, welches ganz zahm war, ſich unter dem Ofen ein Lager machte, den Tag über ſchlief, des Nachts umherlief und, wenn es in einen Kaſten eingeſchloſſen wurde, zu nagen248Die Haſen.begann. Bekannten Perſonen leckte es die Hand und ließ von ihnen ſich krauen; dabei ſtreckte es ſich aus und gab das Wohlgefallen durch einen ſchwachen Laut zu erkennen. Fremde Perſonen, Kinder und Hunde verſuchte es zu beißen, und im Zorn grunzte und knirſchte es ganz eigenthümlich. Gegen Kälte war es ſo wenig empfindlich, daß Buffon glaubte, man könnte es in Europa einheimiſch machen.

Jch habe den Paka im hamburger Thiergarten mehr als ein Jahr lang beobachtet und als ein träges, wenig anziehendes Thier kennen gelernt. Bei Tage erſcheint es ſelten außerhalb ſeiner Höhlen; gegen Sonnenuntergang kommt es hervor. Es lebt friedlich oder richtiger gleichgiltig mit Agutis und einem Murmelthiere zuſammen, läßt ſich Nichts gefallen, greift aber keinen ſeiner Genoſſen an. Begnügſam wie es iſt, macht es weder an beſonders gute Nahrung, noch an einen wohleingerichteten Stall Anſpruch. Hinſichtlich ſeiner Zähigkeit im Ertragen der Kälte muß ich Buffon beiſtimmen; nur glaube ich nicht, daß eine Einbürgerung in Europa irgend welchen erheblichen Nutzen haben würde.

An das Ende unſerer Ordnung ſtellen wir, dem Vorgange faſt aller Naturforſcher folgend, die Hafen (Lepores). Wer kennt ſie nicht, die langbärtigen, langöhrigen Geſellen, deren Furcht ſchon ſeit alter Zeit ſprichwörtlich und deren wohlſchmeckendes Fleiſch bereits zur Römerzeit Feinſchmecker begeiſterte! Man darf wohl ſagen, daß unter den Nagern nächſt den Ratten und Mäuſen kein Thier volksthümlicher iſt, als der Haſe, der bei uns heimiſche Vertreter einer nicht eben zahlreichen Familie. Jedermann hat ihn in der Hand gehabt; Jeder kennt ihn wenigſtens äußerlich: und dennoch iſt der Haſe weniger bekannt, als viele Thiere, welche manche Menſchen niemals geſehen haben. Denn nur der wahrhaft Eingeweihte kennt ſein Leben und Treiben von Grund aus.

Die Haſen bilden eine ſehr ausgezeichnete Familie. Sie ſind die einzigen Nager, welche mehr als zwei Vorderzähne haben; denn hinter den ſcharfen und breiten Nagezähnen ſtehen zwei wirk - liche Schneidezähne, kleine, ſtumpfe, faſt vierſeitige Stifte. Hierdurch erhält das Gebiß ein ſo eigenthümliches Gepräge, daß die Haſen geradezu einzig daſtehen. Fünf bis ſechs, aus je zwei Platten zuſammengeſetzte Backenzähne finden ſich noch in jedem Kiefer. Das Geripp iſt durch mehr - fache Eigenheiten ausgezeichnet; ich glaube aber genug zu thun, wenn ich, die anatomiſchen Fein - heiten außer Acht laſſend, eben nur anführe, daß 12 rippentragende, 9 Lenden -, 2 bis 4 Kreuz - und 12 bis 20 Schwanzwirbel ſich finden. Die allgemeinen Kennzeichen des Haſen ſind geſtreckter Körper mit hohen Hinterbeinen, langer, geſtreckter Schädel mit großen Ohren und Augen, fünf - zehige Vorder - und vierzehige Hinterfüße, dicke, höchſt bewegliche, tief geſpaltene Lippen mit ſtar - ken Schnurren zu beiden Seiten und eine dichte, faſt wollige Behaarung.

So wenig Arten die Familie auch enthält, über einen um ſo größeren Raum der Erde iſt ſie verbreitet. Alle Theile der Erde, mit alleiniger Ausnahme Neuhollands und ſeiner Jnſeln, beher - bergen Haſen. Sie finden ſich in allen Klimaten, in Ebenen und Gebirgen, in offenen Feldern und Felſenritzen, auf und unter der Erde, kurz überall, und wo die eine Art aufhört, beginnt eine an - dere: die Gegend, welche von dieſer nicht ausgebeutet wird, beſitzt in einer anderen einen zufrie - denen Bewohner. Alle nähren ſich von weichen, ſaftigen Pflanzentheilen; doch kann man ſagen, daß ſie eigentlich Nichts verſchonen, was ſie erlangen können. Sie verzehren die Pflanzen von der Wurzel bis zur Frucht, wenn ſie auch die Blätter niederer Kräuter am liebſten genießen. Die mei - ſten leben in beſchränktem Grade geſellig und halten ſehr treu an dem einmal gewählten oder ihnen zuertheilten Standorte feſt. Hier liegen ſie den Tag über in einer Vertiefung oder Höhle verborgen, bei Nacht ſtreifen ſie umher, um ihrer Nahrung nachzugehen. Man kann aber nicht ſagen, daß ſie eigentliche Nachtthiere wären. Sie ruhen, ſtreng genommen, blos in den Mittagsſtunden und249Die Haſen.laufen, wenn ſie ſich ſicher fühlen, auch morgens und abends bei hellem Sonnenſchein umher. Jhre Bewegungen ſind ganz eigenthümlicher Art. Die bekannte Schnelligkeit der Haſen zeigt ſich blos während des vollen Laufes; beim langſamen Gehen bewegen ſich unſere Thiere im höchſten Grade ungeſchickt und tölpelhaft, jedenfalls der langen Hinterbeine wegen, welche einen gleichmäßigen Gang erſchweren. Doch muß man zugeſtehen, daß ſie mit größtem Geſchicke Wendungen aller Art auch im tollſten Laufe machen können und eine Gewandtheit offenbaren, die man ihnen nicht zutrauen möchte. Alle Arten ſind auf die Erde gebunden und ganz unfähig zu klettern. Sie meiden auch das Waſſer, ob - wohl ſie im Nothfalle über Flüſſe ſetzen. Unter ihren Sinnen ſteht unzweifelhaft das Gehör oben an: es erreicht hier eine Ausbildung, wie bei wenig anderen Thieren, unter den Nagern unzweifelhaft die größte. Der Geruch iſt ſchwach, doch auch nicht übel, und das Geſicht recht leidlich. Jhre geiſtigen Eigenſchaften ſind ziemlich widerſprechender Art. Jm allgemeinen entſprechen die Haſen nicht dem Bilde, welches man ſich von ihnen macht. Man nennt ſie gutmüthig, friedlich, harmlos und feig; ſie beweiſen aber, daß ſie von alledem auch das Gegentheil ſein können, und genaue Beobachter wollen von einer Gutmüthigkeit gar Nichts wiſſen, ſondern nennen die Haſen geradezu boshaft und unfriedlich im höchſten Grade. Allbekannt iſt ihre Furcht, ihre Aufmerkſamkeit und Scheuheit, weniger bekannt die große Liſt, welche ſie ſich aneignen und mit zunehmendem Alter auf eine wirklich bewunderungswür - dige Höhe ſteigern. Auch ihre Feigheit iſt nicht ſo arg, als man glaubt. Man thut ihnen jedenfalls Unrecht, wenn man dieſe Eigenſchaft ſo hervorhebt, wie unſer alter Linné, welcher Freund Lampen mit dem Namen eines Feiglings für ewige Zeiten gebrandmarkt hat. Ein engliſcher Schriftſteller ſagt ſehr treffend, daß es kein Wunder iſt, wenn der Haſe ſich feig zeigt, da jeder Leopard, jeder Tiger und Löwe ſein Heil in der Flucht ſuchen würde, wenn zwanzig, dreißig Hunde und wohlbewaffnete Jäger ſie in ihrer Ruhe aufſuchen und mit ähnlichem Blutdurſt verfolgen wollten, wie wir den armen Schelm.

Die Stimme des Haſen beſteht aus einem dumpfen Knurren, und bei Angſt in einem lauten, kläglichen Schrei. Die zur Familie gehörenden Pfeifhaſen bethätigen ihren Namen. Unter - ſtützt wird die Stimme, welche man übrigens nur ſelten hört, durch ein eigenthümliches Auf - klappen mit den Hinterbeinen, was ebenſowohl Furcht als Zorn ausdrücken und zur Warnung dienen ſoll.

Wenn auch die Vermehrung der Haſen nicht ſo groß, als bei anderen Nagern iſt, bleibt ſie doch immerhin eine ſehr ſtarke, und der alte Ausſpruch der Jäger, daß der Haſe im Frühjahr ſelb - ander zu Felde ziehe und zum Herbſt gegen ſechszehn zurückkehre, hat an Orten, wo das Leben un - ſerem Lampe freundlich lacht und wo die Verfolgung nicht gar zu ſchlimm iſt, ſeinen vollen Werth. Die meiſten Haſen werfen mehrmals im Jahre, manche drei bis ſechs, ja, bis elf Junge. Faſt alle aber behandeln ihre Sprößlinge in einer überaus leichtſinnigen Weiſe, und daher kommt es, daß ſo viele von dieſen zu Grunde gehen. Außerdem ſtellt ein ganzes Heer von Feinden dem ſchmackhaften Wildpret nach, in jedem Erdtheil andere, aber in jedem gleich viele. Für unſer Deutſchland hat Wildungen die Feinde in einem luſtigen Reim zuſammengeſtellt, den ich hiermit als beſten Beweis der Menge anführen will:

Menſchen, Hunde, Wölfe, Lüchſe,
Katzen, Marder, Wieſel, Füchſe,
Adler, Uhn, Raben, Krähen,
Jeder Habicht, den wir ſehen,
Elſtern auch nicht zu vergeſſen,
Alles, Alles will ihn freſſen.

Kein Wunder, daß bei einer ſolchen Maſſe von Feinden die Haſen ſich nicht ſo vermehren, als es ſonſt geſchehen würde, aber ein Glück für uns, daß Dem ſo iſt: denn ſonſt würden die Haſen unſere Feldfrüchte rein auffreſſen; in allen Gegenden, wo ſie ſtark überhand nehmen, werden ſie250Die Haſen.ohnehin zur Landplage. Bei uns iſt ihrer geringen Anzahl wegen der Nutzen, den ſie für die Küche und für das Gewerbe leiſten, größer als der Schaden, den ſie anrichten.

Unſer Lampe (Lepus timidus) iſt der bei uns heimiſche Vertreter der eigentlichen Haſen. Er iſt ein tüchtiger Nager; denn ſeine Geſammtlänge beträgt Fuß, wovon auf den Schwanz etwas über 3 Zoll kommen, die Höhe am Widerriſt 10 Zoll, das Gewicht 8 bis 10 Pfund. Jn der guten Zeit fand man aber Haſen, welche bis achtzehn Pfund ſchwer wurden. Berghaſen ſind regel - mäßig größer, als die in der Ebene wohnenden, wahrſcheinlich weil ſie weniger der Verfolgung aus - geſetzt ſind.

Die Kennzeichen der eigentlichen Haſen liegen in den kopflangen Ohren, den verkürzten Daumen der Vorderpfoten, den ſehr langen Hinterbeinen, dem aufgerichteten Schwanzſtummel und den ſechs Backenzähnen in der Oberkieferreihe. Dieſe Merkmale ſind denn auch Lampes Eigenthum. Die Färbung ſeines Balges iſt mit wenig Worten ſchwer zu beſchreiben. Der Pelz beſteht aus Woll - und langen Grannenhaaren; erſtere ſtehen ſehr dicht und ſind ſtark gekräuſelt; die Grannen ſind ſtark, lang und auch etwas gekräuſelt. Das Unterhaar iſt auf der Unterſeite der Kehle rein weiß, an der Seite weiß, auf der Oberſeite weiß mit ſchwarzbraunen Enden, auf dem Oberhals dunkelroth, im Genick mit weißen Spitzen. Das Oberhaar der Oberſeite iſt grau am Grunde, am Ende braunſchwarz, roſt - gelb geringelt; doch finden ſich auch viele ganz ſchwarze Haare darunter. Hierdurch erhält der Pelz eine echte Erdfarbe. Er iſt auf der Oberſeite braungelb mit ſchwarzer Sprenkelung, am Halſe gelbbraun, weißlich überlaufen, nach hinten weißgrau, an der Unterſeite weiß. Nun ändert die Färbung auch im Sommer und Winter regelmäßig ab, und die Häſin ſieht röther, als der Haſe; es kommen verſchiedene Abänderungen vor, gelbe, geſcheckte, weiße Haſen: kurz, die Färbung kann eine ſehr manchfache ſein. Jmmer aber iſt ſie vortrefflich geeignet, unſeren Nager, wenn er auf der Erde ruht, den Blicken ſeiner Gegner zu entrücken. Schon in einer geringen Entfernung ähnelt die Geſammtfärbung der Umgebung ſo, daß man den Balg nicht von der Erde unterſcheiden kann. Die jungen Haſen zeichnen ſich häufig durch den ſogenannten Stern oder eine Bläſſe auf der Stirn aus, und in ſeltenen Fällen tragen ſie dieſe Färbung auch in ein höheres Alter hinüber. Als Unterſcheidungs - kennzeichen unſeres Lampe und ſeiner Gattungsgenoſſen gelten, daß die Ohren länger, als der Kopf ſind und nach oben angedrückt, über die Schwanzſpitze hinausragen. Die Ohrſpitze iſt ſchwarz, wie bei den übrigen anderen Haſen.

Lampe führt bei dem Jäger mehrere Namen, je nach Geſchlecht und Vorkommen. Man unter - ſcheidet Berg - und Feldhafen, Wald - und Holzhaſen, Grund -, Sumpf - und Moor - haſen, Sandhaſen u. ſ. w. Der alte männliche Haſe heißt Rammler, der weibliche Häſin oder Satzhafe; unter Halbwüchſigen verſteht man die Jungen, unter Dreiläufern Die, welche drei Viertel ihrer vollkommenen Größe erreicht haben. Die Ohren heißen Löffel, die Augen Seher, die Füße Läufe; das Haar heißt Wolle, der Schwanz Blume, die Haut Balg. Jm übrigen wendet man auf ſein Leben noch folgende Ausdrücke an. Der Haſe äßt ſich oder nimmt ſeine Weide, er ſitzt oder drückt ſich, er rückt ins Feld, um Aeßung zu ſuchen, und ins Holz, um zu ruhen; er fährt ins Lager oder in die Vertiefung, in welcher er bei Tage ſchläft, und fährt aus derſelben heraus. Er wird von den Menſchen aufgeſtoßen, von den Hunden aufgeſtochen, er rammelt, die Häſin ſitzt, er iſt gut oder ſchlecht, er verendet, wird ausgeweidet und geſtreift u. ſ. w.

Ganz Mitteleuropa und ein kleiner Theil des weſtlichen Aſiens iſt die Heimat unſeres Haſen. Jm Süden vertritt ihn der Haſe des Mittelmeeres, eine verſchiedene Art von geringer Größe und röthlicher Färbung, auf den Hochgebirgen der veränderliche Haſe, und im hohen Norden der Schnee - oder Eishaſe, der wahrſcheinlich eine von dem Alpenhaſen verſchiedene, wenn auch ſehr ähnliche Art iſt. Seine Nordgrenze erreicht er in Schottland, im ſüdlichen Schweden und in Nord - rußland; die Südgrenze iſt Frankreich und Norditalien. Fruchtbare Ebenen mit Gehölzen, die Vor -251Unſer Haſe.berge der Gebirge mit viel Wald ſind die bevorzugten Aufenthaltsorte; doch ſteigt er in den Alpen bis zu einer Höhe von 5000 Fuß über dem Meere und im Kaukaſus noch um 1000 Fuß weiter em - por. Ob der in China, in der Bucharei und in den kirgiſiſchen Steppen vorkommende Haſe wirklich unſer Lampe iſt, ſteht noch dahin. Er zieht gemäßigte den rauhen Ländern entſchieden vor, und wählt aus Liebe zur Wärme Felder, welche unter dem Winde liegen und gedeckt ſind. Verſuche, die man angeſtellt hat, ihn nach dem Norden zu verpflanzen, ſind fehlgeſchlagen. Alte Rammler ſind weniger wähleriſch in ihrem Aufenthaltsorte, als die Häſin und Jüngere. Sie lagern ſich oft in Büſchen, Rohrdickichten und hochgelegenen Berghölzern, während die Jungen und die Häſinnen immer ſehr ſorgfältig in der Wahl ihrer Lager ſind.

Die Lebensweiſe und die Eigenſchaften des Haſen hat unter allen Schriftſtellern Dietrich aus dem Winckell am beſten beſchrieben, weil er die meiſte Gelegenheit hatte, das Thier in ſeinem na -

Der Haſe (Lopus timidus).

türlichen Treiben zu beobachten. Jch glaube deshalb nichts Beſſeres thun zu können, als ihm zu folgen und ſein Handbuch für Jäger und Jagdberechtigte meiner Beſchreibung zu Grunde zu legen.

Jm allgemeinen, ſagt er, iſt der Haſe mehr Nacht -, als Tagthier, obwohl man ihn in hei - teren Sommertagen auch vor Untergang der Sonne und noch am Morgen im Felde herumſtreifen ſieht. Höchſt ungern verläßt er den Ort, in welchem er aufgewachſen und groß geworden iſt. Findet er aber in demſelben keinen anderen Haſen, mit dem er ſich paaren kann, oder fehlt es ihm an Aeßung, ſo entfernt er ſich weiter, als gewöhnlich. Aber der Satzhaſe kehrt, wenn die Paarungs - zeit herannaht, und der Rammler zur Herbſtzeit wieder dahin zurück. Fortwährende Ruhe hält ihn beſonders feſt; fortgeſetzte Verfolgung vertreibt ihn für immer. Der Feldhaſe bewohnt größtentheils die Felder und verläßt ſie, wenn es regnet. Wird das Stück, in welchem er ſeine Wohnung gebaut hat, abgehauen, ſo geht er an einen andern Ort, in die Rüben -, Saat -, Krautfelder ꝛc. Hier, überall von kräftiger Aeßung umgeben, ſchwelgt er im Genuſſe derſelben. Alle Kohl - und Rübenarten ſind ihm Leckerſpeiſe. Der Peterfilie ſcheint er beſonderen Vorzug zu geben. Jm Spätherbſte wählt252Die Haſen. Unſer Haſe.er nicht zu friſche Sturzäcker, nicht zu feuchte, mit Binſen bewachſene Vertiefungen und Felder mit Oelſaat, welche nächſt dem Wintergetreide den größten Theil ſeiner Weide ausmacht. Solange noch gar kein oder wenig Schnee liegt, verändert er ſeinen Wohnort nicht; nur bei Nacht geht er in die Gärten und ſucht den eingeſchlagenen und aufgeſchichteten Kohl auf. Fällt ſtarker Schnee, ſo läßt er ſich in ſeinem Lager verſchneien, zieht ſich aber, ſobald das Unwetter nachläßt, in die Nähe der Kleefelder. Bekommt der Schnee eine Eisrinde, ſo nimmt der Mangel immer mehr überhand, und je mehr Dies geſchieht, um ſo ſchädlicher wird der Haſe den Gärten und Baumſchulen. Dann iſt ihm die Schale der meiſten jungen Bäume, vorzüglich die der Akazie und ganz junger Lärchen, ſowie der Schwarzdorn ebenſo willkommen, als der Braunkohl. Vermindert ſich durch Thauwetter der Schnee, oder geht er ganz weg, ſo zieht ſich der Haſe wieder zurück, und dann iſt grünes Getreide aller Art ſeine ausſchließliche Weide. Bis die Winterſaat zu ſchoſſen anfängt, äßt er dieſe; hierauf rückt er vor Sonnenuntergang oder nach warmem Regen etwas früher aus und geht ins Sommer - getreide. Auch dieſe Saat nimmt er nicht an, wenn ſie alt wird, bleibt aber in ihr liegen, beſucht abends friſch gepflanzte Krautfelder, Rübenſtücke u. dgl. Der Buſchhaſe rückt nur abends auf die Felder, und morgens mit Tagesanbruch oder bald nach Sonnenaufgang kehrt er wieder ins Holz zurück. Er wechſelt aber während des Sommers ſeinen Aufenthalt am Tage zuweilen mit hochbeſtan - denen Getreidefeldern oder, wenn Regen fällt, mit Brach - und Sturzäckern. Jm Herbſt, wenn die Sträucher ſich entlauben, geht er ganz aus dem Walde heraus; denn das Fallen der Blätter iſt ihm entſetzlich. Jm Winter zieht er ſich in die dichteſten Gehölze, mit eintretendem Thauwetter aber kehrt er wieder in das lichtere Holz zurück. Der eigentliche Waldhaſe zeigt ſich während der milden und frucht - baren Jahreszeit in den Vorhölzern und rückt vonhieraus, wenn ihm die Aeßung auf den Waldwieſen nicht genügt, gegen Abend in die Felder. Bei ſtarken Wintern geht er in die Dickichte und immer tiefer in den Wald hinein. Er läßt ſich auch durch das fallende Laub nicht ſtören. Der Berghaſe befindet ſich beim Genuſſe der in der Nachbarſchaft ſeines Aufenthaltes wachſenden duftigen Kräuter ſo wohl, daß er nur, wenn Felder in der Nähe ſind, dieſelben aus Lüſternheit beſucht.

Außer der Rammelzeit, während welcher Alles, was Haſe heißt, in unaufhörlicher Unruhe iſt, bringt dieſes Wild den ganzen Tag ſchlafend oder ſchlummernd im Lager zu. Nie geht der Haſe gerade auf den Ort los, wo er ein altes Lager weiß, oder ein neues machen will, ſondern läuft erſt ein Stück über den Ort, wo er zu ruhen gedenkt, hinaus, kehrt um, macht wieder einige Sätze vor - wärts, dann wieder einen Sprung ſeitwärts, und verfährt ſo noch einige Male, bis er mit dem wei - teſten Satze an den Platz kommt, wo er bleiben will.

Bei der Zubereitung des Lagers ſcharrt der Haſe im freien Felde eine etwa zwei bis drei Zoll tiefe, am hinteren Ende etwas gewölbte Höhlung in die Erde, welche ſo lang und breit iſt, daß der obere Theil des Nückens nur ſehr wenig ſichtbar bleibt, wenn er in derſelben die Vorderläufe aus - ſtreckt, auf dieſen den Kopf mit angeſchloſſenen Löffeln ruhen läßt und die Hinterbeine unter den Leib zuſammendrückt. Jn dieſem Lager ſchützt er ſich während der milden Jahreszeit leidlich vor Sturm und Regen. Jm Winter höhlt er das Lager gewöhnlich ſo tief aus, daß man von ihm Nichts, als einen kleinen ſchwarzgrauen Punkt gewahrt. Jm Sommer wendet er das Geſicht nach Norden, im Winter nach Süden, bei ſtürmiſchem Wetter aber ſo, daß er unter dem Winde ſitzt.

Faſt möchte es ſcheinen, als habe die Natur den Haſen durch Munterkeit, Schnelligkeit und Schlauheit für die ihm angeborene Furchtſamkeit und Scheu zu entſchädigen geſucht. Hat er irgend eine Gelegenheit gefunden, unter dem Schutze der Dunkelheit ſeinen ſehr guten Appetit zu ſtillen, und iſt die Witterung nicht ganz ungünſtig, ſo wird kaum ein Morgen vergehen, an welchem er ſich nicht gleich nach Sonnenaufgang auf trockenen, zumal ſandigen Plätzen, entweder mit ſeines Gleichen oder allein herumtummelt. Luſtige Sprünge, abwechſelnd mit Kreislaufen und Wälzen, ſind Aeußerung des Wohlbehagens, in welchem er ſich ſo berauſcht, daß er ſeinen ärgſten Feind, den Fuchs, für einen Spielkameraden anſieht und einen kurzen Spaß mit dem Leben bezahlt. Der alte Haſe läßt ſich nicht ſo leicht überliſten und rettet ſich, wenn er geſund und bei Kräften iſt, vor253Unſer Haſe.den Nachſtellungen dieſes Erzfeindes faſt regelmäßig durch die Flucht. Dabei ſucht er durch Wider - haken und Hakenſchlagen, welches er meiſterhaft verſteht, ſeinen Feind zu übertölpeln. Nur wenn er vor raſchen Windhunden dahinläuft, ſucht er einen anderen Haſen vorzuſtoßen und drückt ſich in deſſen Wohnung, den vertriebenen Beſitzer kaltblütig der Verfolgung überlaſſend, oder er geht ge - rade in eine Herde Vieh, fährt in das erſte beſte Nohrdickicht und ſchwimmt im Nothfalle auch über ziemlich breite Gewäſſer. Niemals aber wagt er ſich einem lebenden Geſchöpf anderer Art zu wider - ſetzen, und nur, wenn Eiferſucht ihn reizt, läßt er ſich in einen Kampf mit ſeines Gleichen ein. Zu - weilen kommt es vor, daß ihm eine eingebildete oder wahre Gefahr derart überraſcht und aus der Faſſung bringt, daß er, jedes Rettungsmittel vergeſſend, in der größten Angſt hin - und herlänft, ja wohl gar in ein jämmerliches Klagen ausbricht. Vor allen unbekannten Dingen hat er überhaupt eine außerordentliche Achtung, und deshalb meidet er auch ſorgfältig alle Scheuſale, welche in den Feldern aufgeſtellt werden, um ihn abzuhalten. Dagegen kommt es auch vor, daß alte, ausgelehrte Haſen ſich außerordentlich frech zeigen. Sie laſſen ſich nicht einmal, wie Lenz angibt, durch die Hunde vertreiben, und ſobald ſie merken, daß dieſe eingeſperrt oder angehängt ſind, kommen ſie mit einer Unverſchämtheit ohne Gleichen an die Gärten heran und freſſen, ſo zu ſagen, unter den Augen der Hunde. Lenz hat mehrmals geſehen, daß Hafen ſo nahe unter ſeinem Fenſter und neben den angefeſſelten Hunden hinſchlüpften, daß der Schaum aus dem Rachen der Hunde ihnen auf den Pelz ſpritzte.

Die Schnelligkeit des Haſen im Laufe rührt größtentheils daher, daß er ſtark überbaut iſt d. h. daß ſeine Hinterläufe länger ſind, als die vorderen. Hierin liegt auch der Grund, daß er beſſer bergauf, als bergab rennen kann. Wenn er ruhig iſt, bewegt er ſich in ganz kurzen, langſamen Sprüngen, wenn ihm daran liegt, ſchnell fortzukommen, in ſehr großen Sätzen. Hierbei bemerkt man zuweilen, daß er mit den Vorderläufen ein paar Schritte rückwärts thut. Beim Entfliehen hat er die Eigenthümlichkeit, daß er ohne beſonderen Grund in einiger Entfernung von ſeinem Lager einen Kegel macht d. h. die Stellung eines aufrecht ſitzenden Hundes annimmt; iſt er dem ihm nachjagenden Hunde ein Stück voraus, ſo ſtellt er ſich nicht nur auf die vollſtändig ausgeſtreckten Hinterläufe, ſondern geht auch wohl ſo ein paar Schritte vorwärts und dreht ſich nach allen Seiten um.

Gewöhnlich gibt er nur dann einen Laut von ſich, wenn er ſich in Gefahr ſieht. Dieſes Ge - ſchrei ähnelt dem kleiner Kinder und wird mit Klagen bezeichnet.

Unter den Sinnen des Hafen iſt das Gehör, wie ſchon die großen Löſſel ſchließen laſſen, am beſten ausgebildet. Der Geruch iſt recht leidlich, das Geſicht aber ſehr ſchwach. Unter ſeinen geiſtigen Eigenſchaften ſteht eine außerordentliche Vorſicht und Aufmerkſamkeit oben an. Der leiſeſte Laut, den er vernimmt, der Wind, welcher durch die Blätter ſäuſelt, ein rauſchendes Blatt genügt, um ihn, wenn er ſchläft, zu erwecken und im hohen Grade aufmerkſam zu machen. Eine Eidechſe, ja ſelbſt das Quaken eines Froſches kann ihn von ſeinem Lager ver - ſcheuchen, und ſelbſt wenn er im vollſten Lauf iſt, genügt ein leiſes Pfeifen, um ihn aufzuhalten. Die berühmte Harmloſigkeit des Haſen iſt nicht ſoweit her. Dietrich aus dem Winckell ſagt ge - radezu, daß das größte Laſter des Haſen ſeine Bosheit ſei, nicht weil er dieſelbe durch Kratzen und Beißen äußere, ſondern weil der Satzhaſe durch Verleugnen der elterlichen Liebe, der Rammler aber durch Grauſamkeit gegen junge Häschen, dieſelbe in der empörendſten Weiſe bethätige.

Die Rammelzeit beginnt nach harten Wintern anfangs März, bei gelinderen ſchon Ende Fe - bruars. Jm allgemeinen kann man ſagen, daß ſie um ſo eher eintritt, je mehr der Haſe Nahrung hat. Zu Anfange der Begattungszeit, ſagt unſer Gewährsmann, ſchwärmen unaufhörlich Ramm - ler, Häſinnen ſuchend, umher und folgen der Spur derſelben, gleich den Hunden, mit zur Erde ge - ſenkter Naſe. Sobald ein Paar ſich zuſammenfindet, beginnt die verliebte Neckerei durch Kreis - laufen und Kegelſchlagen, wobei anfangs der Satzhaſe immer der vorderſte iſt. Aber nicht lange dauert es, ſo fährt dieſer von der Seite, und ehe der Rammler es verſieht, gibt ihm die äußerſt254Die Haſen. Unſer Haſe.gefällige Schöne Anleitung, was er thun ſoll. Jn möglichſter Eile bemüht ſich nun der Rammler, ſeine Gelehrigkeit thätig zu beweiſen, iſt aber dabei ſo ungezogen, im Augenblick des höchſten Ent - zückens mit den ſcharfen Nägeln der Geliebten ganz große Klumpen Wolle abzureißen. Kaum erblicken Andere ſeines Geſchlechts den Glücklichen, ſo eilen ſie heran, um ihn zu verdrängen oder wenigſtens ihm die Freude des Genuſſes zu verderben. Anfänglich verſucht es jener, ſeine Schöne zur Flucht zu bewegen; aber aus Gründen, die ſich aus der unerſättlichen Begierde derſelben erklären laſſen, zeigt ſie nur ſelten Luſt dazu, und ſo hebt jetzt ein neues Schauſpiel an, indem die Häſin, von mehreren Bewerbern verfolgt und geneckt, endlich von dem behendeſten, der ſich den Minneſold nicht leicht entgehen läßt, eingeholt wird. Daß unter ſolchen Umſtänden nicht Alles ruhig abgehen kann, verſteht ſich von ſelbſt. Eiferſucht erbittert auch Haſengemüther, und ſo entſteht ein Kampf, zwar nicht auf Leben und Tod, aber höchſt luſtig für den Beobachter. Zwei, drei und mehrere Rammler fahren zuſammen, rennen an einander, entfernen ſich, machen Kegel und Männchen, fah - ren wieder auf einander los und bedienen ſich dabei mit in ihrer Art ganz kräftigen Ohrfeigen, ſo daß die Wolle umherfliegt, bis endlich der Stärkſte ſeinen Lohn empfängt, oder noch öfters ſich betrogen fühlt, indem ſich das Weibchen mit einem der Streitenden oder gar mit einem Ankömmling unbe - merkt entfernt hat, gewiß überzeugt, daß auch die Hintergangenen nicht unterlaſſen werden, fremden Reizen zu huldigen, ſobald ſich Gelegenheit dazu findet.

Glaubwürdige Jäger verſichern, daß dieſe Zweikämpfe zwiſchen verliebten Haſen, ſo unſchul - dig ſie auch ausſehen, zuweilen doch nicht ohne Verletzungen abgehen, weil ſie nicht ſelten auf ihrem Reviere erblindete Haſen angetroffen haben, denen bei ſolchen Kämpfen die Lichter verletzt wurden. Die abgekratzte Wolle, welche auf den Stellen umherliegt, dient dem Jäger als Zeichen, daß die Rammelzeit wirklich angebrochen iſt, und in beſonders milden Jahren wird ſich jeder Thierfreund in Acht nehmen, nunmehr noch auf das Wild zu jagen.

Dreißig Tage etwa geht die Häſin tragend, rammelt aber während ihrer Schwangerſchaft immer - fort. Gewöhnlich ſetzt ſie zwiſchen Mitte und Ende des März das erſte, im Auguſt das vierte und letzte Mal. Der erſte Satz beſteht aus mindeſtens einem oder zwei, der zweite aus drei bis fünf, der dritte aus zwei und der vierte wiederum aus ein bis zwei Jungen. Höchſt ſelten und nur in ſehr günſtigen Jahren geſchieht es, daß eine Häſin fünf Mal ſetzt. Das Wochenbett iſt eine höchſt ein - fache Vertiefung an einem ruhigen Ort des Waldes oder Feldes: ein Miſthaufen, die Höhlung eines alten Stockes, angehäuftes Laub oder auch ein bloſes Lager, eine tiefe Furche, ja endlich der flache Boden an allen Orten. Die Jungen kommen mit offenen Augen und jedenfalls ſchon ſehr ausgebil - det zur Welt. Manche Jäger ſagen, daß ſie ſofort nach der Geburt ſich ſelbſt trocknen und putzen müſſen. Soviel iſt ſicher, daß die Mutter nur während der erſten fünf bis ſechs Tage bei ihren Kin - dern verweilt, dann aber neuer Genüſſe halber ſie dem Schickſal überläßt. Nur von Zeit zu Zeit kommt ſie noch an den Ort zurück, wo ſie die kleine Brut ins Leben ſetzte, lockt ſie durch ein eigenthüm - liches Geklapper mit den Löffeln und läßt ſie ſäugen, wahrſcheinlich nur, um ſich von der letzten Milch zu befreien und nicht etwa aus wirklicher Mutterliebe. Bei Annäherung eines Feindes verläßt ſie ihre Kinder regelmäßig, obwohl auch Fälle bekannt ſind, daß alte Häſinnen die Brut gegen kleine Raubvögel und Raben vertheidigt haben. Jm allgemeinen trägt wohl die Liebloſigkeit der Haſen - mutter die Hauptſchuld, daß ſo wenige von den geſetzten Jungen aufkommen. Von dem erſten Satze gehen die meiſten zu Grunde: der Uebergang aus dem warmen Mutterleib auf die kalte Erde iſt zu grell; das kleine Geſchöpf erſtarrt augenblicklich und geht ein. Und wenn es wirklich auch das ſchwache Leben noch friſtet, drohen ihm Gefahren aller Art, ſelbſt vom eigenen Vater. Der Ramm - ler benimmt ſich wahrhaft abſcheulich gegen die jungen Häschen. Er peinigt ſie, wenn er kann, zu Tode. Jch hörte, ſagt Dietrich aus dem Winckell, einſt einen jungen Haſen klagen, glaubte aber, da es in der Nähe des Dorfes war, ihn in den Klauen einer Katze und eilte dahin, um dieſer den Lohn mit einem Schuſſe zu geben. Statt deſſen aber ſah ich einen Rammler vor dem Häschen ſitzen und ihm mit beiden Vorderläufen von einer Seite zur andern unaufhörlich ſo mauſchelliren, daß255Unſer Haſe.das arme Thierchen ſchon ganz matt geworden war. Dafür mußte aber der alte ſeine Bosheit mit dem Leben bezahlen.

Bei keinem andern wildlebenden Thiere hat man ſoviel Mißgeburten beobachtet, als bei den Haſen. Solche, die zwei Köpfe oder wenigſtens eine doppelte Zunge haben, oder herausſtehende Zähne beſitzen, ſind gar keine Seltenheiten.

Eine junge Haſenfamilie verläßt nur ungern die Gegend, in welcher ſie geboren wurde. Die Geſchwiſter entfernen ſich wenig von einander, wenn auch jedes ſich ein beſonderes Lager gräbt. Abends rücken ſie zuſammen auf Aeßung aus, morgens gehen ſie gemeinſchaftlich nach dem Lager zu - rück: und ſo währt ihr Treiben, welches mit der Zeit ein recht fröhliches und friſches wird, fort, bis ſie halbwüchſig ſind. Dann trennen ſie ſich von einander. Nach funfzehn Monaten ſind ſie erwach - ſen, ſchon im erſten Lebensjahre aber zur Fortpflanzung geeignet. Sieben bis acht Jahre dürfte die höchſte Lebensdauer ſein, welche der Haſe bei uns erreicht; es kommen aber Beiſpiele vor, wo Haſen allen Nachſtellungen noch längere Zeit entgehen und immer noch nicht an Altersſchwäche ſtarben. Jm erſten Viertel dieſes Jahrhunderts war in meiner Heimat ein Rammler berüchtigt unter den Jägern: mein Vater kannte ihn ſeit acht Jahren. Stets war es dem Schlaukopf gelungen, ſich allen Nach - ſtellungen zu entziehen. Erſt während eines ſehr harten Winters wurde er von meinem Vater auf dem Anſtande erlegt. Beim Wiegen ergab ſich, daß er ein Gewicht von achtzehn Pfund erreicht hatte. Solche Beiſpiele ſind aber ſelten; in unſerer glücklichen Zeit, wo die Herren Landwirthe das edle Schießgewehr handhaben, kommen ſie gar nicht mehr vor.

Es würde hier entſchieden zu weit führen, wenn ich alle Arten der Haſenjagd ſchildern wollte. Darüber ſind eigene Bücher geſchrieben worden. Daß man nur in einer waidgerechten Jagd eine würdige Erbeutung des Haſen erblicken kann, verſteht ſich ganz von ſelbſt. Schlingen und andere Kniffe anzuwenden, ſind jedem Thierfreunde aufs äußerſte verhaßt, nebenbei auch unnütz, weil ge - wöhnlich Freund Reineke den Lohn der Jagd davonträgt: dagegen gelten mit Recht die Jagdweiſen, wie ſie von zünftigen Waidmännern ausgeführt werden, als eines rechten Mannes würdiges Ver - gnügen. Es dürfte ſchwer ſein, zu entſcheiden, welche Jagdart die anziehendſte iſt. Jch für meinen Theil möchte mich für das Keſſeltreiben und den Anſtand entſcheiden. Erſtere Jagdweiſe wird auf großen, ebenen Flächen mit Vortheil angewendet und liefert ſehr reichlichen Ertrag, verlangt aber viel Leute und kann deshalb nicht von jedem Beſitzer ausgeführt werden. Der einzelne Theil - nehmer genießt aus dem Grunde ein doppeltes Vergnügen, weil er jeden einzelnen Haſen ſelbſt mit verfolgen kann. Möglichſt ſtill geht der Jagdzug auf einem der Feldwege dahin, plötzlich gebietet der Ordner Halt, und nun zertheilen ſich in gleichen Abſtänden die Jäger und dazwiſchen die Treiber, zunächſt nach zwei Richtungen hin, bis ſich der Kreis zu runden und zu ſchließen anfängt. Sobald Dies geſchehen iſt, beginnt ein gleichmäßiges Vorrücken. Die Treiber lärmen, die Hunde eilen voran, und nun wird es lebendig im Keſſel. Dort erhebt ſich ein Haſe, hier ein anderer, der von drüben ſucht hier zu entſchlüpfen, dieſer iſt ſchlau und drückt ſich wieder, jener eilt wie ver - zweifelt im Kreiſe auf und nieder. Auch verſucht manchmal Freund Reineke, der hier bei einem Spaziergange überraſcht wurde, mit aller Liſt einen Ausweg ſich zu verſchaffen, und prallt entſetzt zurück. Enger und enger wird der Kreis, lauter der Lärm, größer die Angſt der eingeſperrten Haſen. Endlich fällt der erſte Schuß, gut, wenn er getroffen, noch luſtiger, wenn er fehlte. Oft gibt eine ganze Reihe auf den armen Lampe Feuer, und Alle fehlen, bis Einer mit geſchicktem Schuß ihm das Lebenslicht ausbläſt. Mehr und mehr Leichen bedecken das Gefilde; von allen Seiten ſchaf - fen die Hunde die erlegten Haſen herbei, die Stöcke der Treiber werden beſchwert mit der ſüßen Laſt, und ſo geht es fort, bis der Kreis ſo eng wird, daß die Vorſicht es gebietet, nunmehr blos nach außenhin zu feuern. Jetzt werden die noch im Keſſel ſich findenden Haſen geradezu zwiſchen den Leuten hindurch gehetzt und dabei retten ſie noch oft ihr armes bedrohtes Leben. Ja, das iſt ein prächtiges, männliches Vergnügen! aber das Verlappen iſt zuletzt doch noch ſchöner.

256Die Haſen. Unſer Haſe.

Jedenfalls muß ich meinem Leſer hier erſt erklären, was man unter dieſer Jagdweiſe ver - ſteht, zumal ſie nicht in allen Gegenden unſeres Vaterlandes geduldet wird. Freund Lampe, der Furchtſame, ſieht, wie ich ſchon erwähnt habe, in jedem ihm unbekannten Dinge einen fürchterlichen Gegenſtand: und hierauf gründet der tückiſche Menſch ſeine nichtswürdigen Pläne, den Armen zu fangen. Jn ſtiller Mitternachtsſtunde, wo ſich der Haſe aus dem Walde in die Felder gezogen hat zu fröhlicher Aeßung, ſchleicht der Schändliche hinaus, um ihm die Pforten nach ſeiner Tagesherberge zu verſchließen. Drei bis vier Männer tragen große Ballen, die bei genauerer Prüfung ſich als Rollen von ſtarkem Bindfaden ergeben, in welchen in gewiſſen Abſtänden zwei Federn oder min - deſtens weiße Lappen eingeflochten ſind. Das ſind die Lappen, um mit dem Jäger zu ſprechen. Man beginnt nun an einem beſtimmten Orte des Waldrandes mit der Aufrichtung dieſer Scheuſale. Jn kleinen Abſtänden werden ſchwache Pfälchen in die Erde geſteckt und daran die Schnur befeſtigt, ſo daß ſie ungefähr einen Fuß hoch über der Erde ſchwebt; und ſo wird der ganze Kreis, welcher die Fruchtfelder enthält, eingeſchloſſen. Damit iſt für den Haſen jeglicher Zugang zum Walde verſperrt. Die Jagdgenoſſenſchaft macht ſich nun früh auf den Weg, denn ſie muß ſchon ein gutes Stück vor Tagesanbruch zur Stelle ſein. Möglichſt lautlos wandelt der Zug dahin. Der Jagdeigenthümer ſtellt den Einen hier, den Andern dort an die beſten Anlaufsplätze, und immer geringer wird die Zahl der Jäger. Endlich iſt das Ganze umſtellt, jeder einzelne Jäger hat ſich ſeinen Anſtand ſo gut als möglich gewählt und wartet geſpannt der Dinge, die da kommen ſollen.

Mit dem erſten Grauen des Tages rücken die Haſen von den Feldern dem Walde zu; unbeſorgt gehen ſie den allgewöhnten Pfad. Der Eine oder der Andere treibt ſeine ſehr gewöhnlichen Poſſen. Alles iſt todtenſtill ringsum, auch noch im Walde; höchſtens eine Krähe läßt ſich vernehmen. Jm Oſten röthet die aufgehende Sonne den unterſten Rand des Himmelsgewölbes. Näher und näher kommen die Haſen an die gefährliche Linie: da ſchimmert ihnen die weiße Reihe entgegen! Lampe wird bedenklich, erſchrickt; die Löffel werden gehoben, und einer und der andere gedreht und bewegt. Nach allen Seiten hin lauſcht er; Alles bleibt ruhig. Noch ein paar Schritte geht er vorwärts, um ſich das Ding in größter Nähe zu beſchauen, aber je näher er kommt, um ſo bedenklicher wird er. Hier iſt die ſorgfältigſte Prüfung nöthig. Eins und das andere der furchtſamen Thiere prallt ent - ſetzt zurück, ſchlägt einen Haken und kehrt auf demſelben Wege, den es gekommen, feldeinwärts, um an einer anderen Stelle ſein Heil zu verſuchen. Drüben aber geht’s ihm genau ſo, wie auf der eben verlaſſenen Seite. Aber er iſt dort vielleicht nicht ſo vorſichtig geweſen, denn plötzlich zuckt ein Feuerſtrahl aus dem Walde heraus und donnernd unterbricht der erſte Schuß die Morgenſtille. Von allen Bergen pflanzt er ſich fort, und das Echo der Wälder trägt ihn weiter und weiter. Jetzt wird’s lebendig. Hier und dort blitzt es, in der ganzen Linie wird’s laut. Wie verzweifelt rennen die armen Haſen in dem gefeiten Kreiſe umher. Der Eine prallt hier, der Andere dort zurück; aber leider rücken ſie ſoviel als möglich auf dem allbekannten Wege dahin und kommen ſo den im Hinter - halte aufgeſtellten Schützen regelmäßig zum Schuß. So währt das Morden fort, bis der Morgen vollends anbricht. Denn mit dem Erleben des Tages ſind alle Haſen verſchwunden, auch die, welche vom Tode verſchont wurden. Sie haben ſich mitten in den Feldern gedrückt und harren dort auf ruhigere Zeiten, nicht ahnend, daß dem Verlappen in den Mittagsſtunden die Treibjagd folgt. Nunmehr wird es auch lebendig im Walde; jeder der Schützen geht heraus, um das von ihm erlegte Wild zu holen. Aber nur die wenigſten finden ſoviel Haſen, als ſie zu finden glaubten. Es hält ſchwer, das Thier in der Dämmerung gehörig auf das Korn zu nehmen, und in der Regel wird weit mehr gefehlt, als getroffen. Das weiß man aber nicht, und ſo kommt es, daß Jeder ſeine Er - wartungen bedeutend zurückgeführt ſehen muß.

Auch der einfache Anſtand in ſtiller Abendſtunde gewährt ſeine große Freude, namentlich noch für junge, ungeübte Schützen, denen ſich nicht leicht eine bequemere Gelegenheit zum Schießen bietet. Getroſt kommt der Haſe aus dem Walde gehüpft. Er hat denſelben Weg ſchon ſo oft gemacht, daß er ſich ſicher glaubt. Gewöhnlich wird er im Sitzen befördert, und man könnte bei gänzlicher257Unſer Haſe.Unbeweglichkeit des Gegenſtandes, nach welchem man zielt, beide Augen zudrücken und dennoch treffen. Wenn alle Verſuche fruchtlos bleiben, ſo muß zuletzt noch der Anſtand manchem Zögling im Dienſte Dianens Troſt und Begeiſterung gewähren. Man wirft ſich ihm mit einer Art von Sehnſucht in die Arme, und wirklich verſöhnt er Einen nicht ſelten mit der Welt; denn wenn abends ein Lampe aus der Jagdtaſche gezogen und den Hausgenoſſen vorgezeigt wird, dann iſt aller Schmerz rein ver - geſſen.

Außerdem gewährt der Anſtand ganz entſchiedene Vortheile, wenn es gilt, das Raubzeug aller Art zu vertreiben. Wieſel, Füchſe, Marder, die man durch die Nachahmung der Stimme von Mäuſen, kleinen Haſen reizen kann, kommen von Zeit zu Zeit zu Geſicht, auch Raubvögel, welche abends dem Walde als ihrer Nachtherberge zueilen. Für den Naturforſcher iſt der Anſtand weit an - ziehender und belehrender, als jede andere Jagd, indem man, beſonders beim Anbruch des Tages, die Thiere, ſo zu ſagen, noch in ihrem Hausanzug antrifft und ihr Benehmen im Zuſtande gänzlicher Ruhe und Sorgloſigkeit beobachten kann. Mancher Jäger zieht den Waldanſtand jedem anderen vor; denn das Süßeſte, die Hoffnung, iſt dabei des Waidmanns treue, unzertrennliche Gefährtin.

Die Jagd der Haſen mit Windhunden haben wir bereits weiter oben kennen gelernt. Auf die übrigen Jagdweiſen will ich hier nicht eingehen, am allerwenigſten auf die engliſchen Hetzjagden, welche, bei Lichte betrachtet, nichts anderes ſind, als viel Lärm um Nichts. Nur erwähnen will ich, daß die Haſenjagd eigentlich blos in Deutſchland Ertrag liefert, ſogar jetzt noch, wo die neueren Jagdgeſetze geſtatten, daß die Jagd auch von Bauern betrieben werden darf. Schon in Frankreich und in Belgien, noch mehr in Südeuropa ſind die Haſen weit ſeltener, als bei uns. Als die Königin Eleonore von Frankreich den kaiſerlichen Hof zu Brüſſel beſuchte, erhielt ſie täglich für ihre Tafel 128 Pfund Rind - fleiſch, Hammel -, Kalb - und Schweinefleiſch ſoviel als möglich, aber nur zwei Haſen, und bei einem ſechstägigen Treibjagen, welches der König abhielt, wurden 208 Sauen und 960 Stück Enten, aber nur fünf Haſen erlegt.

Jung eingefangene Haſen werden leidlich zahm. Sie gewöhnen ſich ohne große Weigerung an alle Nahrung, welche man den Kaninchen füttert. Sie ſind aber immer ſehr zärtlich und ſterben leicht dahin. Wenn man ihnen nur Heu, Brod, Hafer und Waſſer, aber nie Grünes gibt, leben ſie länger. Bringt man junge Haſen zu alten, ſo werden ſie regelmäßig von dieſen todtgebiſſen. Anderen ſchwachen Thieren ergeht es ſelten beſſer: im Gehege der Haſen unſeres Thiergartens fand ich eine getödtete, halb aufgefreſſene Ratte. Mit Meerſchweinchen allein vertragen ſich die Haſen gut; mit Kaninchen paa - ren ſie ſich ſogar. Die Blendlinge ſind wieder fruchtbar; Dies hat ganz neuerdings wieder Broca bewieſen. Rouy, ein Kaninchenzüchter von Angoulême, liefert ſeit einiger Zeit jährlich über tauſend Haſenkaninchen in den Handel. Dieſe Baſtarde ſind ebenſowohl fruchtbar mit der väterlichen, als mit der mütterlichen Art, als auch unter ſich. Dreiachtels-Baſtarde, d. h. Diejenigen, welche ein Viertel vom Kaninchen und drei Viertel vom Haſen haben, gewähren die meiſten Vortheile. Von dieſen Blendlingen hat man bereits durch dreizehn Geſchlechter Junge erzielt und die Fruchtbarkeit hat noch nicht abgenommen. Das Weibchen bringt 5 bis 6 Junge bei jedem Wurfe zur Welt und wirft jähr - lich ſechs Mal. Broca überzeugte ſich, daß der Beſitzer mit größter Sorgfalt die Ergebniſſe ſeiner Kreuzungen überwachte. Die betreffenden Thiere wurden nach Umſtänden getrennt oder zuſammen - gebracht, mit beſonderen Namen oder Zahlen bezeichnet ꝛc. Somit unterliegt es alſo gar keinem Zweifel, daß auch bei den Nagern verſchiedene Arten ſich fruchtbar vermiſchen können.

Jung eingefangene Hafen gewöhnen ſich ſo an den Menſchen, daß ſie auf deſſen Ruf herbei - kommen, die Nahrung aus den Händen nehmen, und trotz ihrer Dummheit Kunſtſtückchen ausführen lernen. Alte dagegen bleiben immer dumm und gewöhnen ſich kaum an ihren Pfleger. Die Gefan - genen ſind nett und munter, erfreuen durch luſtige Sprünge und werden angenehm wegen ihrer un - verwüſtlichen Gutmüthigkeit. Jhre Furchtſamkeit aber behalten ſie in der Gefangenſchaft bei. Lächer - lich ſieht es aus, ſagt Lenz, wenn man in den Stall eines Haſen mit einem weißen Bogen Papier oder ſonſt einem ähnlichen Dinge eintritt. Der Haſe geräth ganz aus der Faſſung und ſpringt, wieBrehm, Thierleben. II. 17258Die Haſen. Der Schnee - oder Alpenhaſe.verrückt, bis fünf Fuß an den Wänden in die Höhe. Läßt man ſie wieder frei, ſo verwildern ſie in kurzer Zeit, denn ihr Gedächtniß iſt im ganzen doch recht ſchwach.

Der Nutzen, welchen der Haſe uns bringt, übertrifft ſchwerlich den Schaden, welchen er anrichtet. Das wohlſchmeckende Wildpret und der geſuchte Winterbalg bezahlen kaum die Er - haltung des Haſen, der ſich bekanntlich nur auf Koſten des Menſchen erhält. Jn Rußland ver - wendet man ſehr viel Felle, und in Böhmen, welches ſeit alten Zeiten in der Hutmacherei einen großen Ruf ſich erworben hat, werden alljährlich gegen vierzig Tauſend zu dieſem Erwerbs - zweig gebraucht. Von der von Haaren entblößten und gegerbten Haut des Haſen verfertigt man Schuhe und eine Art Pergament, oder benutzt ſie auch zur Leimbereitung. Jn der alten Arznei - kunde ſpielten Haar, Fett, Blut und Gehirn, ſelbſt Knochen, ja ſogar der Koth des Haſen eine be - deutende Rolle, und noch heutigen Tages wenden abergläubiſche Menſchen Lampes Fell und Fett gegen Krankheiten an. Der Haſe genoß denn auch längere Zeit die Ehre, als ein verzau - bertes Weſen zu gelten. Noch im vorigen Jahrhundert glaubte man in ihm einen Zwitter zu ſehen und war feſt überzeugt, daß er willkürlich das Geſchlecht zu ändern im Stande ſei, alſo ebenſowohl als Männchen, wie als Weibchen auftreten könne. Die ſchmalen Streifen, die er ſich im hohen Getreide durchbeißt, werden noch heutzutage für Herenwerk angeſehen und mit dem Namen Hexen - ſtiege belegt.

Noch iſt keineswegs ausgemacht, ob die Schneehaſen der Alpen und des hohen Nordens ein und derſelben Art augehören. Jm allgemeinen erweiſen ſich beide als treue Kinder ihrer Heimat. Sie ſind Thiere, welche ihr Kleid dem Boden nach den Umſtänden anpaſſen; doch kommen hier eigenthüm - liche Abweichungen vor. Die Alpenſchneehaſen ſind im Winter rein weiß, nur an der Spitze der Ohren ſchwarz. Jm Sommer ſind ſie graubraun, aber rein einfarbig, nicht geſprenkelt, wie der gemeine Haſe. Die in Jrland lebenden, dieſem ſehr ähnlichen Thiere werden nie weiß und deshalb von einigen Gelehrten als beſondere Art (Lepus hibernicus) angeſehen. Umgekehrt werden die im höchſten Norden wohnenden Schneehaſen aber im Sommer nicht grau, ſondern bleiben das ganze Jahr hindurch weiß und werden deshalb ebenfalls als eigene Art (Lepus glacialis) betrachtet. Die ſkandinaviſchen Haſen, welche ſämmtlich Schneehaſen ſind, unterſcheiden ſich ebenfalls; die einen werden weiß bis auf die ſchwarze Ohrenſpitze, die anderen graubraun: bei ihnen iſt das Unterhaar ſchiefergrau, die Mitte ſchmuzig rothbraun und die Spitze weiß. Dieſe Färbung ſcheint aber eine rein zufällige zu ſein. Man behauptet, daß oft Haſen ein und deſſelben Satzes beide Färbungen zeigen ſollen. Wir brauchen auf dieſe feinen Unterſcheidungen nicht einzugehen, ſondern beſchäftigen uns lieber mit dem Leben dieſer Thiere, welches von dem unſerer Haſen in vieler Hinſicht ſehr verſchieden iſt. Unter allen Naturforſchern hat Tſchudi den veränderlichen Schnee - oder Alpenhaſen (Le - pus variabilis) am beſten beſchrieben. Seine vortreffliche Schilderung gebe ich hier wieder.

Der Alpenhaſe, oft auch Schneehaſe genannt, unterſcheidet ſich im Körperbau und Weſen ganz beſtimmt vom Feldhaſen. Er iſt munterer, lebhafter, dreiſter, hat einen kürzeren, runderen, gewölbteren Kopf, eine kürzere Naſe, kleine Ohren, breitere Backen. Die Hinterläufe ſind länger, die Sohlen ſtärker behaart, mit tief geſpaltenen, weit ausdehnbaren Zehen, die mit langen, ſpitzen, krummen, leicht zurückziehbaren Nägeln bewaffnet ſind. Die Augen ſind nicht, wie bei den krank - haften Spielarten der weißen Kaninchen, weißen Eichhörnchen und weißen Mäuſe, roth, ſondern dunkler braun, als die der Feldhaſen. Jn der Regel iſt der Alpenhaſe etwas kleiner, als der Berghaſe, doch gibt es auch zwölf Pfund ſchwere Rammler; in Bünden wurde ſogar ein funfzehnpfündiger geſchoffen. Eine genaue Vergleichung eines halb ausgewachſenen veränderlichen und eines gleich alten gemeinen Haſen zeigte, daß der erſtere ein weit feineres, klügeres Ausſehen hatte, in ſeinen Bewegungen leich - ter, weniger dummſchen war. Sein Schienbein war auffallend ſtärker gewölbt, Kopf und Naſe kür - zer, die Löffel kleiner, aber die Hinterläufe länger, als die des braunen Haſen, der furchtſamer war, als ſein alpiner Vetter, und mehr Zeit verſchlief, als dieſer. Die bündener Berghaſenjäger259Der Schnee - oder Alpenhaſe.unterſcheiden zweierlei Haſen, die im Winter weiß werden, und nennen ſie Wald - und Berghaſen, von denen die erſteren größer ſeien und auch im Sommer nicht über die Holzgrenze gingen, während die letzteren kleiner und dickköpfiger wären, als die weißen Waldhaſen.

Wenn im Dezember die Alpen alle in Schnee begraben liegen, iſt dieſer Haſe ſo rein weiß, wie der Schnee; nur die Spitzen der Ohren bleiben ſchwarz. Die Frühlingsſonne erregt vom März an einen ſehr merkwürdigen Farbenwechſel. Er wird zuerſt auf dem Rücken grau, und einzelne graue Haare miſchen ſich immer reichlicher auch auf den Seiten ins Weiße. Jm April ſieht er ſonderbar unregel - mäßig geſcheckt oder beſprengt aus. Von Tag zu Tag nimmt die dunkelbraune Färbung überhand und iſt im Mai ganz vollendet, dann aber rein einfarbig, nicht geſprengt, wie beim gemeinen Haſen, der auch eine derbere Behaarung hat, als der Alpenhaſe. Jm Herbſt fängt er ſchon mit dem erſten Schnee an, einzelne graue Haare zu bekommen; doch geht, wie in den Alpen der Sieg des Winters ſich raſcher entſcheidet, als der des Frühlings, der Farbenwechſel im Spätjahr ſchneller vor ſich und iſt vom Anfang des Oktobers bis Mitte des Novembers vollendet. Wenn die Gemſen ſchwarz werden, wird ihr Nachbar, der Haſe, weiß. Dabei bemerken wir folgende merkwürdige Erſcheinungen. Zu -

Der Schnee - oder Alpenhaſe (Lepus variabilis).

nächſt vollzieht ſich die Umfärbung nicht nach einer feſten Zeit, ſondern richtet ſich nach der jeweiligen Witterung, ſo daß ſie bei früherem Winter früher eintritt, ebenſo bei früherem Frühling, und immer mit dem Farbenwechſel des Hermelins und des Schneehuhns, die den gleichen Geſetzen unterliegen Schritt hält. Ferner geht zwar die Herbſtfärbung in Folge der gewöhnlichen Wintermauſerung vor ſich, der Farbenwechſel im Frühling ſcheint dagegen an der gleichen Behaarung ſich zu vollziehen, indem erſt die längeren Haare an Kopf, Hals und Rücken von ihrer Wurzel an bis zur Spitze ſchwärzlich werden, die unteren weißen Wollhaare dagegen grau. Doch iſt es noch nicht ganz gewiß, ob nicht auch im Frühjahr vielleicht eine theilweiſe Mauſerung vor ſich gehe. Jm Sommerkleid unterſcheidet ſich der Alpenhaſe inſoweit von dem gemeinen, daß jener olivengrauer iſt mit mehr Schwarz, dieſer röthlichbraun mit weniger Schwarz; bei erſterem bleibt der Bauch und ein Theil der Löffel weiß, bei dieſem wird die Unterſeite gelb und weiß.

Der geſchilderte Farbenwechſel wird allgemein als Vorbote der zunächſt eintretenden Witterung angeſehen; ſelbſt der einſichtsvolle Prior Lamont auf dem großen St. Bernhard theilte dieſen Glauben und ſchrieb am 16. Auguſt 1822: Wir werden einen ſehr ſtrengen Winter bekommen; denn ſchon17*260Die Haſen. Der Schnee - oder Alpenhaſe.jetzt bekleidet ſich der Haſe mit ſeinem Winterfell. Wir glauben aber vielmehr, daß der Farben - wechſel nur Folge des bereits eingetretenen Wetters iſt, und das gute Thier kommt mit ſeiner angeb - lichen Prophezeikunſt ſelbſt oft ſchlimm weg, wenn ſeine Winterbehaarung ſich bereits gelichtet hat und abermals Froſt und Schnee eintritt.

Die Verbreitung unſeres Haſen umfaßt außer dem hohen Norden die ganze Alpenkette der Schweiz, von Tyrol, Steyermark und Savoyen. Er iſt in allen Alpenkantonen ſicher in der Höhe zu treffen, und in der Regel wenigſtens ſo zahlreich, als der braune in den unteren Regionen. Am liebſten hält er ſich zwiſchen der Tannengrenze und dem ewigen Schnee auf, ungefähr in gleicher Höhe mit dem Schneehuhn und dem Murmelthier, zwiſchen 5500 und 8000 Fuß über dem Meere; doch ſtreift er oft viel höher. Lehmann ſah einen Haſen dicht unter dem oberſten Gipfel des Wetterhorns bei 11,000 Fuß über dem Meere. Der hohe Winter treibt ihn etwas tiefer den Alpenwäldern zu, die ihm einigen Schutz und freie Stellen zur Aeßung bieten, doch geht er nicht gern unter 3000 Fuß über Meer und zieht ſich ſobald als möglich wieder nach ſeinen lieben Höhen zurück.

Jm Sommer lebt unſer Thierchen ungefähr ſo: Sein Standlager iſt zwiſchen Steinen, in einer Grotte oder unter den Leg - und Zwergföhren. Hier liegt der Rammler gewöhnlich mit aufgerichtetem Kopfe und ſtehenden Ohren im Lager. Die Häſin dagegen pflegt den Kopf auf die Vorderläufe zu legen und die Ohren zurückzuſchlagen. Frühmorgens oder noch öfters ſchon in der Nacht verlaſſen beide das Neſt und weiden auf den ſonnigen Grasſtreifen, wobei die Löffel gewöhnlich in Bewe - gung ſind, und die Naſe herumſchnuppert, ob nicht einer ihrer vielen Feinde in der Nähe ſei, ein Fuchs oder Baummarder, der freilich nur ſelten bis in dieſe Höhe ſtreift, ein Geier, Adler, Falke, Rabe, vielleicht auch ein Wieſel, das dem jungen Haſen wohl Meiſter wird. Seine liebſte Nahrung beſteht in den vielen Kleearten, den bethauten Muttern, Schafgarben und Violen, in den Zwergweiden und in der Rinde des Seidelbaſtes, während er den Eiſenhut und die Gera - nienſtauden, die auch ihm giftig zu ſein ſcheinen, ſelbſt in den nahrungsloſeſten Wintern unberührt läßt. Jſt er geſättigt, ſo legt er ſich der Länge nach ins warme Gras oder auf einen ſonnigen Stein, auf dem er nicht leicht bemerkt wird, da ſeine Farbe mit der des Bodens übereinſtimmt. Waſſer nimmt er nur ſelten zu ſich. Auf den Abend folgt eine weitere Aeßung, wohl auch ein hüpfender Spaziergang an den Felſen hin und durch die Weiden, wobei er ſich oft hoch auf die Hinterbeine ſtellt. Dann kehrt er zu ſeinem Neſte zurück. Des Nachts iſt er der Verfolgung des Fuchſes, der Jltiſſe und Marder ausgeſetzt; der Uhu, der ihn leicht bezwingen würde, geht nie bis in dieſe Höhe. Mancher aber fällt den großen Raubvögeln der Alpen zu. Unlängſt haſchte ein auf einer Tanne lauernder Steinadler in den appenzeller Bergen einen fliehenden Alpenhaſen vor den Augen der Jäger weg und entführte ihn durch die Luft.

Jm Winter geht’s oft nothdürftig her. Ueberraſcht ihn früher Schnee, ehe er ſein dichteres Winterkleid angezogen, ſo geht er oft mehrere Tage lang nicht unter ſeinem Stein oder Buſch hervor und hungert und friert. Ebenſo bleibt er im Felde liegen, wenn ihn ein ſtarker Schneefall über - raſcht. Er läßt ſich, wie die Birk - und Schneehübner, ganz einſchneien, oft zwei Fuß tief, und kommt erſt hervor, wenn ein Froſt den Schnee ſo hart gemacht hat, daß er ihn trägt. Bis da - hin ſcharrt er ſich unter demſelben einen freien Platz und nagt an den Blättern und Wurzeln der Alpenflanzen. Jſt der Winter völlig eingetreten, ſo ſucht er ſich in den dünnnen Alpenwäldern Gras und Rinde. Gar oft gehen die Alpenhaſen auch in dieſen Jahreszeiten zu den oberen Heu - ſtällen. Gelingt es ihnen, durch Hüpfen und Springen zum Heu zu gelangen, ſo ſetzen ſie ſich darin feſt, oft in Geſellſchaft, freſſen einen guten Theil weg und bedecken den Vorrath mit ihrer Loſung. Allein um dieſe Zeit wird gewöhnlich das Heu ins Thal geſchlittet. Dann weiden die Haſen fleißig der Schlittenbahn nach die abgefallenen Halme auf oder ſuchen nachts die Mittagslager der Holz - ſchlitter auf, um den Futterreſt zu holen, den die Pferde zurückgelaſſen haben. Während der Zeit des Heuabholens verſtecken ſie ſich gern in die offenen Hütten oder Ställe und ſind dabei ſo vorſichtig, daß ein Haſe auf der vorderen, der andere auf der hinteren Seite ſein Lager aufſchlägt. Nahen261Der Schnee - oder Alxenhaſe.Menſchen, ſo laufen beide zugleich davon; ja, man hat ſchon öfters beobachtet, wie der zuerſt die Gefahr erkennende, ſtatt das Weite zu ſuchen, erſt um den Stall herumlief, um ſeinen ſchlafenden Kameraden zu wecken, worauf dann beide mit einander flüchteten. Sowie der Wind die ſogenannten Staubecken entblößt hat, kehrt der Haſe wieder auf die Hochalpen zurück.

Ebenſo hitzig in der Fortpflanzung, wie der gemeine Haſe, bringt die Häſin in jedem Wurfe 2 bis 5 Junge, die nicht größer als rechte Mäuſe und mit einem weißen Fleck an der Stirn verſehen ſind, ſchon am zweiten Tage der Mutter nachhüpfen und ſehr bald junge Kräuter freſſen. Der erſte Wurf fällt gewöhnlich auf den April oder Mai, der zweite auf den Juli oder Auguſt; ob ein dritter nachfolge oder ein früherer vorausgehe, wird öfters bezweifelt, während die Jäger behaupten, vom Mai bis zum Oktober in jedem Monat Junge von Viertelsgröße angetroffen zu haben. Der Setzhafe trägt ſeine Frucht 30 bis 31 Tage und ſäugt ſie dann kaum 20 Tage. Der wunderliche Jrrthum, daß es unter dieſen Haſen Zwitter gebe, die ſich ſelbſt befruchten, dürfte den meiſten Bergjägern ſchwer auszureden ſein. Es iſt faſt unmöglich, das Getriebe des Familienlebens zu beobachten, da die Witterung der Thiere ſo ſcharf iſt und die Jungen ſich außerordentlich gut in alle Ritzen und Steinlöcher zu verſtecken verſtehen.

Die Jagd hat ihre Mühen und ihren Lohn. Da ſie gewöhnlich erſt ſtattfinden kann, wenn die Alpenkette in Schnee liegt, iſt ſie beſchwerlich genug. Doch iſt ſie vielleicht weniger unſicher, als auf anderes Wild, da des Haſen friſche Spur ſeinen Stand genau anzeigt. Wenn man die Weid - gänge entdeckt hat, die er oft des Nachts im Schnee aufzuwühlen pflegt, und dann der Spur folgt, die ſich einzeln davon abzweigt, ſo ſtößt man auf viele Widerſpringe kreuz und quer, die das Thier nach beendeter Mahlzeit, von der es ſich nie geraden Wegs in ſein Lager begibt, zu machen pflegt. Vonhieraus geht eine ziemliche Strecke weit eine einzelne Spur ab. Dieſe krümmt ſich zuletzt, zeigt einige wenige Widergänge (in der Regel weniger, als beim braunen Haſen), zuletzt eine ring - oder ſchlingenförmige Spur in der Nähe eines Steines, Buſches oder Walles. Hier wird der Haſe liegen und zwar oben auf dem Schnee der Länge nach ausgeſtreckt, oft mit offenen Augen ſchlafend, wobei er mit den Kinnladen etwas klappert, ſo daß ſeine Löffel beſtändig in zitternder Bewegung ſind. Jſt das Wetter aber rauh, begleitet von eiſigem Winde, der ſo oft in jenen Höhen herrſcht, ſo liegt der Haſe entweder im Schutze eines Steines oder in einem Scharrloche im Schnee feſt. So kann ihn der Jäger leicht ſchießen. Trifft er ihn nicht, ſo flieht zwar der Haſe in gewaltigen Sätzen mit ſtürmi - ſcher Eile, geht aber nicht allzu weit und kommt leicht wieder vor den Schuß. Das Krachen und Knallen ſchreckt ihn nicht; er iſt deſſen im Gebirge gewohnt. Es ſtört auch die anderen nicht auf, und oft bringt ein Jäger drei bis vier Stück heim, die alle am Neſte geſchoſſen wurden. Jn dieſem wird man aber nie zwei zuſammenfinden, ſelbſt in der Brunſtzeit nicht. Die Fährte des Alpenhaſen hat etwas Eigenthümliches; ſie beſteht aus großen Sätzen mit verhältnißmäßig ſehr breitem Auftritte. Aehnlich der der Gemſen iſt die Fußbildung des Alpenhaſen vortrefflich für den Aufenthalt im Schneereiche. Die Sohle iſt ſchon an ſich breiter, die Füße ſind dicker, als beim gemeinen Haſen. Jm Laufe breitet er die Zehen, die ihm dann wie Schneeſchuhe dienen, weit aus und ſinkt nicht leicht ein, auf dem Eiſe leiſten ihm die ausſchiebbaren Krallen vortreffliche Dienſte. Jagt man ihn mit Hunden, ſo bleibt er viel länger vor dem Vorſtehhunde liegen, als ſein Vetter im Tieflande, und ſchlüpft bei der Verfolgung nur ſelten in die engen Röhren der Murmelthierbauten, nie aber in Fuchslöcher.

Auffallenderweiſe iſt der Alpenhaſe leichter zu zähmen, als der gemeine, benimmt ſich ruhiger und zutraulicher, hält aber nicht lange aus und wird ſelbſt bei der reichlichſten Nahrung nicht fett. Die Alpenluft fehlt ihm allzubald im Thale. Jm Winter wird er auch hier weiß. Sein Fell wird nicht hoch gehalten; dagegen iſt ſein Fleiſch ſehr ſchmackhaft. Ein ganzer Haſe gilt je nach der Gegend, in der er verkauft wird, 36 Kreuzer bis 1 Gulden.

Die Vermiſchung des gemeinen Haſen mit dem Alpenhaſen und die Hervorbringung von Ba - ſtarden iſt oft bezweifelt worden. Doch wird ſie durch genaue Nachforſchung beſtätigt. So wurde262Die Haſen. Der Erneb.im Januar im Sernfthale, wo überhaupt die weißen Hafen viel öfter hinabgehen, als irgendwo ſonſt, ein Exemplar geſchoſſen, welches vom Kopf bis zu den Vorderläufen braunroth, am übrigen Körper rein weiß war, in Ammon ob dem Wallenſee vier Exemplare, alle von einer Mutter ſtam - mend, von denen zwei an der vorderen, zwei an der hinteren Körperhälfte rein weiß, im übrigen braungrau waren. Jm bernſchen Emmenthale ſchoß ein Jäger im Winter einen Haſen, der um den Hals einen weißen Ring, weiße Vorderläufe und eine weiße Stirn hatte. Ob ſolche Baſtarde frucht - bar waren, iſt nicht ausgemittelt.

Europa beſitzt außer den beiden genannten noch einen Haſen im gewöhnlichen Sprachſinne, den, welcher in den Mittelmeerländern den unſrigen vertritt und auch nach jenen Gegenden benannt wor - den iſt (Lepus mediterraneus). Einige Naturforſcher wollen ihn nur als eine Abart des unſrigen gelten laſſen; wer ihn aber ſelbſt geſehen und genau unterſucht hat, kann dieſer Anſicht nicht bei - pflichten. Jch führe ihn hauptſächlich deshalb hier auf, weil er als ein Uebergangsglied zu den afri -

Der Erneb (Lepus aethlopicus).

kaniſchen Haſen betrachtet werden kann. Letztere zeichnen ſich ſämmtlich vor den unſrigen durch ihre geringe Größe und zumal durch die ungemein langen Löffel aus. Daß der Wüſtenhaſe rein ſand - farbig iſt, wird uns nicht mehr befremden; um ſo auffallender aber iſt es, daß dieſer Sandhaſe auch wirklich nur in der reinen Wüſte und deren nächſter Nachbarſchaft vorkommt, während die Oſtküſte Afrikas z. B. eine andere, der unſrigen gleichgefärbte, aber langohrige Art beherbergt. Dieſen Haſen, den Erneb der Egypter (Lepus aethiopicus), habe ich auf meiner kurzen Reiſe im Frühjahr 1862 ebenſohäufig in der tiefliegenden Samhara , als auf den Hochebenen der Bogosländer gefunden und als ein ganz eigenthümliches, dummdreiſtes, albernes Geſchöpf kennen gelernt. Es dient zur Kennzeichnung der ganzen Familie, wenn ich namentlich einer ſeiner Eigenſchaften hier Erwähnung thue, welche ſo recht deutlich beweiſt, daß der Haſe eigentlich nur durch den Menſchen zu Dem gewor - den iſt, was er iſt.

Die Gebirgs - und Küſtenbewohner Abyſſiniens, obgleich ſie zum Theil Mahammedaner und zum Theil Chriſten ſind, halten die moſaiſchen Geſetze noch hoch in Ehren und verachten daher auch das Wildpret des Haſen. Unſer Thier wird ſomit von Seiten des Menſchen nicht im geringſten beläſtigt263Der Erneb. Das Kaninchen.und hat in dieſem den Erzfeind aller Geſchöpfe bis heutigen Tages noch nicht kennen gelernt. Nur hiermit kann ich mir die erwähnte Dummdreiſtigkeit des langlöffeligen und langläufigen Geſellen erklären. Fernab von den Orten, wo weniger bedenkliche Europäer wohnen, iſt der Haſe überall außerordentlich häufig. Zuweilen ſpringen gleich vier, ſechs, acht Stück vor dem Jäger auf. Jm Lager, mit deſſen Aufertigung der Erneb ſich gar keine Mühe gibt, gewahrt man ihn, Dank ſeiner Gleichfarbigkeit mit dem Boden, nur ſehr ſelten; er ſteht auch immer ziemlich früh auf, weil er, wenn ein Geräuſch ihn aus dem Schlafe ſchreckt, ſich erſt über daſſelbe Gewißheit verſchaffen will. Gewahrt er nun blos einen herankommenden Menſchen, ſo beeilt er ſich nicht im geringſten wegzu - kommen, ſondern läuft ganz gemächlich langſam weiter, dem erſten beſten Buſche zu, ſetzt ſich unter demſelben in der bezeichneten Stellung nieder und richtet nun einfach ſeine Löffel nach der bedenk - lichen Gegend hin. Die Büſche, welche die ihm ſehr beliebten Ebenen bedecken, ſind ſo dürftig, ſo licht, ſo durchſichtig, daß man ihn auf hundert Schritte immer noch ſehen kann; gleichwohl ſcheint er der Ueberzeugung zu ſein, daß er einen vollkommen genügenden Zufluchtsort unter dem dünnen Gezweige gefunden habe. Er läßt Einen ſorglos bis auf 60, 50, ja ſelbſt bis auf 20 Schritte herankommen; dann geht er weiter und wieder nach einem Buſche zu, wo er genau Daſſelbe wiederholt, wie vorhin. So kann man ihn, wenn man ſonſt Luſt hat, halbe Stunden lang in der Ebene herumjagen. Nicht einmal nach einem Fehlſchuſſe verändert er ſein Weſen; er flüchtet zwar etwas ſchneller dahin und geht wohl auch etwas weiter: aber trotz des erſchreckenden Knalles und des unzweifelhaft vernommenen Pfeifens der Schrotkörner ſchaut er nach einer Raſt von einigen Minuten dem Schützen von Neuem ſo widerwärtig zudringlich in das Rohr, als früher. Wenn man nicht auf ihn ſchießt, kann man ihn aus demſelben Buſch tagelang nach einander herausjagen; denn man wird ihn immer und immer wieder an dem einmal von ihm gewählten Orte finden.

Es iſt gar nicht zu beſchreiben, wie langweilig und abſtoßend die Jagd dieſes Haſen für einen Jäger iſt, welcher früher mit dem nordiſchen Herrn Vetter zu thun gehabt hat. Man wird ange - widert von dem albernen Geſellen und ſchämt ſich förmlich, einem ſo dummen Narren auf das Fell zu brennen.

Ganz anders verhält ſich die Sache, wenn ein Hund, und wie man hieraus mit Recht ſchließen kann, ein Fuchs, Schakal oder Wolf den Erneb aufſcheucht. Da weiß er ſehr genau, daß eine kurze Flucht oder ein Verbergen unter dem Buſche ihn nicht retten kann und gebraucht ſeine Läuſe genau mit derſelben Ausdauer, wie Freund Lampe. Dank ſeiner Behendigkeit, entkommt er auch meiſtens dem vierbeinigen Jäger; aber dafür lauert freilich in der Höhe ein gar ſchlimmer Feind, der Raubadler nämlich, welcher nur auf ſolche Gelegenheit wartet, um auf den über eine kahle Fläche wegeilenden und ſomit einige Augenblicke lang unbeſchützten Nager herabzuſtoßen. Er nimmt ihn ohne weiteres vom Boden auf und erdroſſelt den ihm gegenüber Wehrloſen, noch ehe Dieſer recht weiß, was ihm geſchieht, in ſeinen gewaltigen Fängen.

Von den eigentlichen Haſen unterſcheidet ſich das Kaninchen (Lepus Cuniculus) ebenſowohl in der Geſtalt, wie in ſeiner Lebensweiſe und im Betragen. Die Körperlänge des Thieres beträgt bis 16 Zoll, wovon gegen 3 Zoll auf den Schwanz kommen. Das Ohr iſt kürzer, als der Kopf und ragt, wenn man es niederdrückt, nicht bis zur Schnauze vor. Der Schwanz iſt ein - farbig, oben ſchwarz und unten weiß, der übrige Körper mit einem grauen Pelze bekleidet, welcher oben ins Gelbbraune, vorn ins Rothgelbe, an den Seiten und den Schenkeln ins Lichtroſtfarbene ſpielt und auf der Unterſeite, am Bauche, der Kehle und der Jnnenſeite der Beine in Weiß über - geht. Der Vorderhals iſt roſtgelbgrau, der obere, wie der Nacken einfarbig roſtroth. Jm allge - meinen unterſcheidet ſich das Kaninchen durch weit geringere Größe, durch den ſchlankeren Bau, den kürzeren Kopf, die kürzeren Ohren und die kürzeren Hinterbeine von den Haſen.

Faſt alle Naturforſcher nehmen an, daß die urſprüngliche Heimat des Kaninchens Südeuropa war, und daß es in allen Ländern nördlich von den Alpen erſt eingeführt wurde. Plinius erwähnt264Die Haſen. Das Kaninchen.es unter dem Namen Cuniculus, Ariſtoteles nennt es Dasypus. Alle alten Schriftſteller bezeich - nen Spanien als das eigentliche Vaterland unſeres Kaninchens. Strabo gibt an, daß es von den Balearen aus nach Jtalien gekommen ſei, Plinius verſichert, daß es zuweilen in Spanien ſich ins Zahlloſe vermehrte und auf den Balearen Hungersnoth durch Verwüſtung der Ernte hervorbrächte. Die Jnſelbewohner erbaten ſich vom Kaiſer Auguſtus Soldaten zur Hilfe gegen dieſe Thiere, und Kaninchenfänger waren dort ſehr geſuchte Leute. Nach der Anſicht mancher Alterthumsforſcher hat das Land Spanien geradezu ſeinen Namen von den Kaninchen erhalten, da das phöniziſche Wort Span ſoviel als Kaninchen bedeute.

Gegenwärtig iſt das wilde Kaninchen, Karnikel, Kunelle, Murkchen und wie es ſonſt noch heißt, über ganz Süd - und Mitteleuropa verbreitet und an manchen Orten überaus gemein. Das Land des Mittelmeeres beherbergt es immer noch am zahlreichſten, obgleich man dort keine Schonung kennt und es verfolgt zu jeder Jahreszeit. Jn England wurde es der Jagdluſt zu Liebe in verſchie - dene Gegenden verpflanzt und anfangs ſehr hoch gehalten; noch im Jahre 1309 koſtete ein wildes

Das Kaninchen (Lepus Caniculus).

Kaninchen ebenſoviel, wie ein Ferkel. Jn nördlichen Ländern kommt das Thier nicht fort: man hat vergeblich verſucht, es in Rußland und Schweden einzubürgern.

Das Kaninchen verlangt hügelige und ſandige Gegenden mit viel Schluchten, Felsklüften und niederes Gebüſch, kurz Orte, wo es ſich möglichſt verſtecken und verbergen kann. Hier legt es ſich an geeigneten, am liebſten an ſonnigen Stellen ziemlich einfache Baue an, gern in Geſellſchaft, oft anſiedelungsweiſe. Jeder Bau beſteht aus einer ziemlich tiefliegenden Kammer und in Winkel gebo - genen Röhren, von denen eine jede wiederum mehrere Ausgänge hat. Dieſe ſind durch das häufige Aus - und Einſchlüpfen gewöhnlich ziemlich erweitert. Die eigentliche Röhre aber iſt ſo eng, daß ihr Bewohner gerade durchkriechen kann. Jedes Paar hat ſeine eigene Wohnung und duldet innerhalb derſelben kein anderes Thier; wohl aber verſchlingen ſich oft die Röhren von mehreren Bauen. Jn ſeinen Höhlen lebt das Kaninchen faſt den ganzen Tag verborgen, falls das Buſchwerk um den Bau herum nicht ſo dicht iſt, daß es faſt ungeſehen ſeiner Nahrung nachgehen kann. Sobald der Abend anbricht, rückt es auf Aeßung, aber mit großer Vorſicht, indem es lange ſichert, ehe es den Bau verläßt. Bemerkt es Gefahr, ſo warnt es ſeine Gefährten durch ſtarkes Aufſchlagen mit den Hinter - läufen, und alle eilen ſo ſchnell als möglich in ihre Baue zurück.

265Das Kaninchen.

Die Bewegungen des Kaninchens unterſcheiden ſich weſentlich von denen des Haſen. Jm erſten Augenblicke übertrifft es Freund Lampen an Schnelligkeit, immer an Gewandtheit. Es verſteht das Hakenſchlagen ganz meiſterlich und erfordert einen vortrefflich eingeübten Hetzhund oder bezüglich einen guten Schützen. Ungleich verſchmitzter und ſchlauer als der Haſe, läßt es ſich kaum oder nie auf der Weide beſchleichen und weiß bei Gefahr faſt immer noch ein Schlupfloch zu finden. Wollte es gerade forteilen, ſo würde es von jedem mittelmäßig guten Hunde ſchon nach kurzer Zeit gefangen werden. So ſucht es aber in allerlei Geniſt, in Felſenritzen und Höhlen Schutz und entgeht ſo den Nach - ſtellungen ſeiner Feinde. Die Sinne des Aeugens, Vernehmens und Witterns ſind ebenſo ſcharf, vielleicht noch ſchärfer, als bei den Haſen. Jn ſeinen Sitten hat es manches Angenehme. Es iſt geſellig und vertraulich; die Mütter pflegen ihre Kinder mit warmer Liebe, die Jungen erweiſen den Eltern große Ehre; und namentlich der Stammvater einer ganzen Geſellſchaft wird hoch geachtet. Jn den Monaten Februar und März beginnt die Rammelzeit der Kaninchen. Wie bemerkt, hält das Paar treu zuſammen, wenigſtens viel treuer, als das Haſenpaar; doch kann man nicht behaupten, daß das Kaninchen in wirklicher Einweibigkeit lebe. So viel iſt ausgemacht, ſagt Dietrich aus dem Winckell, daß der Rammler, ſolange das Weibchen bei ihm bleibt, nicht von deſſen Seite weicht und ihm auch oft Zärtlichkeiten erweiſt. Nie iſt er ſo zudringlich, daß er ſein Verfolger werden wollte, wenn es ſich von ihm zurückzieht.

Wie die Häfin geht das Kaninchen 30 31 Tage tragend, es iſt aber geeignet, ſogleich nach dem Wurfe ſich wieder zu begatten und bringt deshalb ſeine Nachkommenſchaft ſchon binnen Jahresfriſt auf eine bedeutende Höhe. Bis zum Oktober ſetzt es alle fünf Wochen vier bis zwölf Junge in einer beſonderen Kammer, welche es vorher mit ſeiner Bauchwolle reichlich ausgefüttert hat. Einige Tage bleiben die Kleinen blind, und bis zum nächſten Satze der Mutter verweilen ſie bei ihr im war - men Neſte und ſäugen. Die Mutter iſt ſehr zärtlich und verläßt die Familie nur ſolange, als ſie braucht, um ſich zu ernähren. Bei dieſer Gelegenheit ſucht ſie den Gatten auf, um mit ihm, wenn auch nur kurze Zeit, ſüßer Vertranlichkeit zu pflegen. Bald aber kehrt ſie zu den früheren Pfändern ihrer Liebe zurück und erfüllt mit Aufopferung alles geſelligen Vergügens die Mutterpflichten treu - lich. Selbſt dem Gatten wird der Zugang zu den geſetzten Jungen nicht geſtattet, weil wahrſcheinlich die ſorgſame Mutter wohl weiß, daß er in einem Anfalle von Raſerei oder aus übertriebener Zärt - lichkeit das Leben derſelben zu rauben fähig iſt. Bosheit treibt ihn dazu gewiß nicht an, denn er empfängt ſeine Kinder, wenn er ſie zum erſten Male erblickt, mit Aeußerung echter Zärtlichkeit, nimmt ſie zwiſchen die Pfoten, leckt ſie und theilt mit der Gattin die Bemühung, ſie Aeßung ſuchen zu lehren.

Jn warmen Ländern ſind die Jungen bereits im fünften, in kalten im achten Monate zeu - gungsfähig, doch erreichen ſie erſt im zwölften Monat ihr völliges Wachsthum. Pennant hat ſich die Mühe gegeben, die mögliche Nachkommenſchaft eines Kaninchenpaares zu berechnen. Wenn man annimmt, daß jedes Weibchen in einem Jahre ſieben Mal ſetzt und bei jedem Satze acht Junge bringt, würde dieſe Nachkommenſchaft binnen vier Jahren die ungeheure Zahl von 1,274,840 Stück erreichen können.

Es iſt mehrfach behauptet worden, daß Kaninchen ſich auch mit anderen ähnlichen Nagern begat - teten und fruchtbare Junge zur Welt brächten. Alle die bezüglichen Angaben entbehren noch voll - ſtändig der Beſtätigung.

Die Aeßung des Kaninchens iſt durchaus die des Haſen. Aber es verurſacht viel größeren Schaden, als dieſer, zumal wegen ſeiner Liebhaberei für Baumrinden, wodurch es oft ganze Pflan - zungen zerſtört. Man kann ſich denken, was für eine Verwüſtung eine Anſiedelung bei einer ſo un - geheuern Fruchtbarkeit ihrer Mitglieder anzurichten vermag, wenn man der Vermehrung nicht hindernd in den Weg tritt. Zudem vertreiben die Kaninchen durch ihr unruhiges Weſen auch das andere Wild, denn ſelten findet man da Haſen, wo die Kaninchen ſich die Herrſchaft errungen haben. Wo ſie ſich ſicher fühlen, werden ſie unglaublich frech. Jm Wiener Prater hauſen ſie zu Tauſenden, laufen266Die Haſen. Das Kaninchen.ungeſcheut auch bei Tage herum und laſſen ſich weder durch Rufen noch durch Steinwürfe im Aeßen ſtören. Man hegt ſie nirgends, ſondern erlegt ſie, wo man nur immer kann, ſelbſt während der allgemeinen Schonzeit. Demungeachtet ſind ſie ohne Hilfe des Frettchens nicht auszurotten; nur wenn ſich in einer Gegend der Jltis, das große Wieſel und der Steinmarder ſtark vermehrt haben, oder wenn es dort große Uhus und andere Eulen gibt, bemerkt man, daß ſie ſich vermindern. Denn die Marderarten verfolgen ſie in ihren Bau, und dann ſind ſie faſt immer verloren, oder die Uhus nehmen ſie bei Nacht von der Weide weg. Jn Frankreich berechnete man, daß ein Kaninchen, welches einen Son werth war, für einen Louisd’or Schaden anrichtet; einige Gutsbeſitzer glaubten deshalb ihre Güter durch ſie um die Hälfte entwerthet zu ſehen. Man verfolgt ſie auf jede nur denk - bare Weiſe, mit jedem zu Gebote ſtehenden Mittel. Bei alledem ſind ſie nirgends ausgerottet worden.

Man erlegt ſie auf dem Anſtande und beim Treiben mit dem Gewehr, fängt ſie in Schlagfallen und läßt ſie durch Frettchen in vor ihren Höhlen aufgeſtellte Netze treiben. Will man eine Anſie - delung wirklich ausrotten, ſo nimmt man oft zu dem grauſamen Mittel ſeine Zuflucht, vergiftete Wurzeln dort zu verſtreuen.

Das Wildpret des Kaninchens iſt weiß und wohlſchmeckend; der Pelz wird wie der des Ha - ſen benutzt.

Unſer zahmes Kaninchen iſt ganz unzweifelhaft ein Abkömmling des wilden, denn dieſes kann man in kurzer Zeit zähmen, jenes verwildert binnen wenigen Monaten vollſtändig und wirft dann auch gleich Junge, welche die Färbung des wilden an ſich tragen. Während unſerer Jugend - zeit erhielten wir manchmal eine bedeutende Anzahl von Kaninchen. Unter dieſen hatten wir einige, welche von ihrem Stalle aus Hof und Garten beſuchten. Dieſe warfen ſtets nur graue Junge, obgleich die Mutter ganz weiß und der Vater geſcheckt war. Das zahme Kaninchen hat ſehr verſchiedene Farben; es iſt ſchwarz, weiß, grau, roth, gelb oder geſcheckt. Es wird regelmäßig größer, als das wilde. Man hält es in einem gepflaſterten oder gedielten Stalle, in dem man ihm künſtliche Schlupfwinkel angelegt hat. Dies ſind entweder lange Käſten mit mehreren Löchern oder künſtliche Baue im Gemäuer. Außerdem gibt man ihnen viel Stroh und trockenes Mos, hält ſie auch im Winter warm und füttert ſie mit Heu, Gras, Blättern, Kohl u. ſ. w. Man kann ſie leicht gewöhnen, ſich die ihnen vorgehaltene Nahrung ſelbſt wegzunehmen; ganz zahm aber werden ſie ſel - ten, denn wenn man ſie angreift, verſuchen ſie gewöhnlich zu kratzen und zu beißen. Sie ſind we - niger verträglich, als die wilden. Zuſammen aufgewachſene leben zwar ſehr gut mit einander, fremde aber werden von der Jnwohnerſchaft eines Stalles oft recht arg gemißhandelt, ja ſogar todtgebiſſen. Jn Sachen der Liebe wird tüchtig gekämpft, und Manche tragen dabei ziemlich bedeutende Wunden davon. Das Weibchen baut in ſeiner Höhlung ein Neſt aus Stroh und Mos und füttert es ſehr ſchön mit ſeinen Bauchhaaren aus. Es wirft gewöhnlich zwiſchen fünf und ſieben, manchmal aber auch mehr Junge. Lenz hat ſich die Zahl der Jungen, die ein Weibchen in einem Jahre geworfen hatte, aufgeſchrieben: Am 9. Januar brachte das Weibchen ſechs, am 25. März neun, am 30. April fünf, am 29. Juni vier, am 29. Juli ſieben, am 1. Auguſt ſechs, am 1. September ſechs, am 7. Oktober neun und am 8. Dezember ſechs Junge, in einem Jahre alſo 58 Junge. Jn demſelben Jahre, ſagt er, bekam ich zwei junge Weibchen, die aus einem Neſt ſtammten, und zwei Männchen, die zwei Tage ſpäter geboren waren, aus einem anderen und that ſie in einen eigenen Stall. Genau an demſelben Tage, wo die Weibchen den fünften Monat vollendet hatten, paarten ſie ſich mit den Männchen und beide gebaren, als ſie den ſechſten Monat vollendet hatten, das eine ſechs, das an - dere vier Junge. Das Weibchen ſäugt ihre Kleinen in der Regel nicht bei Tage, ſelbſt wenn ſie noch ganz klein ſind, ſondern verrammelt, wenn es geht, den Eingang zu ihnen und beſucht ſie oft den Tag über nicht ein Mal, ſondern thut, als ob es von alle dem Richts wüßte. Dabei hat es aber doch ſein Augenmerk auf das Neſt gerichtet. Vor den natürlichen Feinden haben auch die zahmen Kaninchen eine außerordentliche Scheu. Lenz that einmal fünf ſehr zahme Kaninchen zuſammen267Das Kaninchen.in einen Stall, aus dem ſoeben ein Fuchs genommen worden war. Sobald er dieſelben los - ließ, waren alle wie raſend und rannten mit den Köpfen geradezu an die Wand. Erſt allmählich gewöhnten ſie ſich ein. Derſelbe Naturforſcher erzählt eine recht hübſche Geſchichte. Jm Ja - nuar heckte mein kleines Spitzhündchen, und da es nur ein Junges zur Welt brachte und dieſes nicht alle Milch ausſaugen konnte, ſo ging ich in den Stall, holte ein zahmes Kaninchen aus dem Neſte und legte es dem auf meiner Wohnſtube liegenden Hündchen unter, welches ihm auch ohne Weigerung die Erlaubniß ertheilte, ſich an ſeiner Milch zu laben. Am dritten Tage ſchaffte ich das Hündchen ſammt ſeinem Söhnlein und Pflegekind in den Stall. Es blieb da, ohne vom Neſte zu gehen und ohne die dort hauſenden Kaninchen und Ziegen zu ſtören, zwei Tage lang. Am dritten rief es meine Schweſter hinaus, damit es friſche Luft ſchöpfen könnte. Während es draußen iſt, ſchleicht ſich das alte Kaninchen ins Hundeneſt, nimmt ſein Junges und trägt es zu ſeinen Ge - ſchwiſtern zurück. Jch rief nun ſogleich den Hund, um zu ſehen, ob er ſeinerſeits das Kaninchen zurückfordern würde. Er ſchien aber deſſen Verluſt nicht zu beachten. Jch meines Theils habe junge Kaninchen mehrfach unſerer vortrefflichen, oben bereits erwähnten Katze untergelegt und geſehen, daß ſie dieſelben ruhig mit ihren Kätzchen ſäugte.

Bei recht guter Nahrung werden die Kaninchen zuweilen ſehr üppig; ſie kratzen und beißen nicht blos Den, der ſie fangen will, ſondern auch aus freien Stücken andere Thiere, namentlich wenn dieſe ihren Neid erregen. Ein Schwager von Lenz hatte einen alten Kaninchenrammler bei ſeinen Lämmern. Als die Fütterung mit Esparſette begann, behagte dieſe dem alten Herrn ſehr gut, und er hätte gern das ganze Bischen ſelbſt in Beſchlag genommen. Er ſetzte ſich alſo dabei, grunzte, biß nach den Lämmern, ſprang ſogar einem auf den Hals und gab ihm die Zähne tüchtig zu koſten. Zu Hilfe eilende Leute warfen ihn zwar herab, er biß aber immer wieder nach den Lämmern, bis er fort - geſchafft wurde. Ein anderer biß einer jungen Ziege die Beine blutig, ſprang der Alten auf das Genick und biß ſie in die Ohren. Er mußte abgeſchafft werden. Sehr alte Rammler beißen auch zuweilen ihre Jungen und ſelbſt das Weibchen, oder verlocken dieſes, ihre Kinder ſchlecht zu behandeln. Wenn eine Kaninchenmutter ihre Brut nicht gut ſäugt oder gar todt beißt, gibt es nur ein Mittel, dieſe zu retten: Abſperrung des Rammlers.

Die Räute und der Durchfall ſind die gewöhnlichen Krankheiten der Kaninchen; ſie werden in den meiſten Fällen durch den Genuß von zu ſaftigem oder zu naſſem Futter hervorgerufen und folge - recht durch gutes trockenes Futter geheilt, namentlich rühmt man Hafer, welcher mit zerſtoßenem Malz gemengt wird. Gegen die Räute helfen im Anfange Einreibungen mit Fett oder Butter. Jn vielen Gegenden hält man eine bedeutende Kaninchenzucht, um das Fleiſch zu nützen. Belgiſche Bauern betreiben die Zucht in großartigem Maßſtabe und ſenden im Winter Unmaſſen nach England, wie Lenz erfuhr, etwa vierzig Tauſend Stück in jeder Woche. Auch die Felle werden benutzt, ob - gleich ſie nur ein wenig haltbares Pelzwerk geben. Die Haare verarbeitet man zu Hüten.

Hier und da ſieht man auch Abarten des Thieres, welches nach Einigen Erzeugniſſe der Zucht, nach Anderen die Abkömmlinge von uns unbekannten Arten ſein ſollen. Solche Spielarten ſind das ſilber - farbene, das ruſſiſche und das angoriſche oder Seidenkaninchen. Erſteres iſt größer, als das unſerige, gewöhnlich von bläulichgrauer Farbe mit ſilberfarbenem oder dunkelem Anflug. Das ruſſiſche Kaninchen iſt grau, der Kopf und die Ohren ſind braun und zeichnen ſich durch eine weit herabhängende Wamme an der Kehle aus. Das angoriſche oder Seidenkaninchen endlich hat kürzere Ohren und einen ſehr reichlichen, weichen Pelz. Das lange, gewölbte Haar reicht oft bis zu dem Boden herab und hat ſeidenartigen Glanz. Leider iſt es ſehr zärtlich und verlangt deshalb ſorgfältige Pflege. Verſuche, es in Deutſchland heimiſch zu machen, ſchlugen fehl. Sein Haar eignet ſich zu feinen Geſpinnſten und hat deshalb einen ziemlich hohen Werth. Ob das Kaninchen mit hängenden Ohren eine Abart des unſerigen iſt, oder als ſelbſtändige Art angeſehen werden muß, iſt noch nicht ausgemacht. Seine bedeutende Größe, der dicke, große Kopf und die breiten, platten, ſchlaff herabhängenden Ohren268Die Haſen. Der Alpenpfeifhaſe.ſprechen für Letzteres, während die Unſicherheit über das Vaterland und die gänzliche Unkenntniß einer wilden Stammart Erſteres als wahrſcheinlich erſcheinen laſſen.

Zu unſerer Familie gehört auch die eigenthümliche Sippe der Pfeifhaſen (Lagomys). Die zu ihr gehörigen Thiere unterſcheiden ſich von den Haſen durch die kürzeren Ohren, die kaum verlän - gerten Hinterbeine, den nicht ſichtbaren Schwanzſtummel und durch ihr Gebiß, welches nur fünf (anſtatt ſechs) Backenzähne in jeder Reihe enthält. Die oberen Ragezähne haben eine beträchtliche Breite und ſind tief gerinnelt, wodurch ſie in zwei Spitzen getheilt werden. Die unteren Nagezähne ſind klein und ziemlich ſtark gekrümmt. Bisjetzt kennt man ſechs Arten unſerer Sippe. Sie be - wohnen die hohen und kalten Gebirgsgegenden der nördlichen Erdhälfte, leben nach Art der Kaninchen in Höhlen, Felsritzen, liegen bei Tage in ihrem Bau und gehen nachts auf die Weide aus. Jhren Namen erhielten ſie von ihrer eigenthümlichen Stimme, welche oft an die pfeifenden Töne mancher Vögel erinnert. Sie ſind vorſichtig und wachſam, aber ſanft und gutmüthig und gewöhnen ſich des - halb ſehr leicht an die Gefangenſchaft. Für den Winter tragen ſie ſich Vorrath ein, welchen ſie in großen Haufen aufſpeichern.

Der Alpenpfeifhaſe (Lagomys alpinus) iſt eine der bekannteren Arten. Geſtalt und Größe erinnern an das Meerſchweinchen; doch iſt der Kopf länger und ſchmäler und die Schnauze weniger ſtumpf, als bei Dieſem. Der Leibesbau iſt gedrungen; die Beine ſind kurz, die Vorderfüße fünf -, die hinteren vierzehig, der Schwanz äußerlich gänzlich unſichtbar und nur durch einen kleinen Fett - höcker angedeutet; die Behaarung iſt rauh, dicht und kurz. Die mittelgroßen, faſt eirunden Ohren ſind auf der Außenſeite faſt nackt. Auf der Oberſeite zeigt das Thier auf röthlichgelber Grundfarbe eine feine ſchwarze Sprenkelung, dieſe verliert ſich an den Seiten und am Vorderhalſe, welche deshalb nur einfarbig roſtroth erſcheinen; die Unterſeite und die Beine ſind leicht ockergelb; die Kehle iſt grau - lich, die Außenſeite der Ohren ſchwärzlich, die Junenſeite gelblich. Einzelne kommen vor, welche vollkommen einfarbig und tiefſchwarz gefärbt ſind. Erwachſene werden gegen 10 Zoll lang und unge - fähr 3 Zoll hoch.

Pallas hat die erſten Mittheilungen über das Leben der Pfeifhaſen gemacht, und erſt ganz in der Neuzeit iſt der dürftige Bericht durch Radde vervollſtändigt worden. Alle Pfeifhaſen finden ſich auf den hohen Gebirgen Sibiriens zwiſchen fünf - und zwölftanſend Fuß über dem Meere. Nur die rauheſten Gegenden ſind ihre Heimat. Hier leben ſie auf den felſigen, wilden, bergigen und grasreichen Stellen in der Nähe der Alpenbäche bald einzeln, bald paarweiſe, manchmal in größerer Menge. Sie ſind ſtändig hinſichtlich ihres Aufenthaltsortes und durchwandern nur zuweilen klei - nere Strecken. Der Alpenpfeifhaſe gehört der ganzen ungeheuren Gebirgskette des Nordrandes Jnner - und Hinteraſiens an, findet ſich aber auch in Kamtſchatka. Er bevorzugt nach Radde die waldigen Gegenden und meidet die kahlen Hochſteppen, in denen er durch eine zweite Art, die Ogotona (Lagomys Ogotona), erſetzt wird. Sie iſt vornehmlich der waldloſen Mongolei eigen und bewohnt dort hauptſächlich die breiteren Thalmündungen.

Kleine, von den Pfeifhaſen ſelbſt gegrabene Höhlen, natürliche Felſenritzen oder hohle Baum - ſtämme ſind ihre Wohnungen. Bei hellem Wetter liegen ſie bis Sonnenuntergang verſteckt, bei trübem Himmel ſind ſie in voller Thätigkeit. Radde nennt ſie thätige, friedliche und ſehr fleißige Nager, welche nicht nur große Vorräthe von Heu machen, ſondern dieſelben auch in regelrechter Weiſe ſtapeln und zuweilen mit breitblätterigen Pflanzen zudecken, um ſie ſo vor dem Regen zu ſchützen. Die Ogotona beginnt ſchon Mitte Juni die Heuvorräthe für den Winter zu ſammeln und iſt zu Ende des Monats damit aufs eifrigſte beſchäftigt. Jn der Wahl der Kräuter iſt ſie nicht ſehr umſtändlich: ſie nimmt da, wo ſie nicht geſtört wird, gern die ſaftigſten Gräſer an, begnügt ſich aber an Orten, wo269Der Alpenpfeifhaſe.muthwillige Knaben ihre Vorräthe oft zerſtören, mit Gräſern und anderen Pflanzen, welche ſonſt all - gemein von den Thieren verſchmäht werden. Die von ihr zuſammengetragenen Heuhaufen erreichen ¾ bis 1 Fuß Höhe und 1 bis 2 Fuß Durchmeſſer. Gewöhnlich, aber nicht immer, liegen die Kräuter wohlgeordnet, bisweilen ſogar geſchichtet; einige Mal fand Radde, daß die Gräſer der höheren Schicht auf die einer unteren im rechten Winkel gelegt war. Wenn die Felſen zerklüftet ſind, werden die Ritzen als Scheunen benutzt; Radde zog aus einer 2 Fuß langen und ½ Fuß breiten Felſenſpalte eine große Menge geſammelter und ſehr ſchön erhaltener, ſtark duftender Kräuter hervor und fand einen zweiten, etwas geringeren Vorrath in der Nähe des erſteren unterhalb einer überragenden Felskante, welche ihn vor Feuchtigkeit ſchützte. Zu dieſem Bau führen die ſchmalen Pfade, welche ſich die Thiere, dem Felſen abwärts, ausgetreten haben, und zu deren beiden Seiten ſie die kurzen Gräſer abweiden. Stört man die fleißigen Sammler in ihrer Arbeit, ſo beginnen ſie dieſelbe immer wieder auf’s neue, und manchmal ſchleppen ſie noch im September die bereits ganz vergilbten Step - penpflanzen zuſammen. Wenn der Winter eintritt, ziehen ſie von ihren Höhlen Laufgräben unter dem Schnee bis zu den Heuſchobern und ernähren ſich von ihnen in aller Behaglichkeit; denn ſie verfallen

Der Alpenpfeifhaſe (Lagomys alpinus).

nicht in Schlaf. Dieſe Gänge ſind manchfach gekrümmt und gewunden, und jeder einzelne hat ſein Luftloch.

Der Schrei des Alpenpfeifhaſen, welchen man noch um Mitternacht vernimmt, ähnelt dem Ruf unſeres Buntſpechtes und wird ſelten häufiger als drei Mal raſch hinter einander wiederholt. Die Ogotona pfeift heller und ſo oft hinter einander, daß ihr Ruf wie ein ſchrillender, ziſchender Triller klingt. Eine dritte Art der Zwergpfeifhaſen (Lagomys pusillus), welche in den ſüdlich der Wolga gelegenen Gegenden vom Ural bis zum Ob vorkommt, ſoll einen Ruf ausſtoßen, der dem Schlag unſerer Wachtel täuſchend ähnlich iſt.

Zu Anfang des Sommers wirft das Weibchen ſechs nackte Junge und pflegt ſie ſorgfältig. Dies gibt Pallas an; Radde ſcheint keine Beobachtung über das Fortpflanzungsgeſchäft ge - macht zu haben.

Leider haben Alpenpfeifhaſe und Ogotona, namentlich die letztere, viele Feinde. Der erſtere iſt in Folge ſeiner Lebensweiſe und der großen Vorſicht, welche er beobachtet, weniger den Raub - vögeln und Raubthieren ausgeſetzt, als die Ogotona; er wird auch von den Jägern Oſtſibiriens nicht verfolgt, während ſein Verwandter fortwährend von dem Manul, dem Wolf, dem Ko -270Die Haſen. Der Alpenpfeifhaſe.ſack und dem Zobel befehdet wird und im Winter die Schneeeule, ihren gefährlichſten Geg - ner, geradezu herbeizieht. Aber auch der Menſch bedroht ſie, weil er ihr die mühvoll geſam - melten Heuvorräthe wegnimmt. Jn ſchneereichen Wintern treiben die Mongolen ihre Schafe in ſolche Gegenden, wo viele Ogotonen leben oder füttern ihre Pferde mit den Vorräthen des harm - loſen Nagers.

Ueber das Gefangenleben wiſſen wir durch Radde nur das Eine, daß die Pfeifhaſen nicht wild, aber furchtſam ſind. Es ſoll ſchwer halten, ſie zu fangen: ich wüßte kein anderes Thier, ſagt gedachter Naturforſcher, auf welches ich ſoviel Mühe vergeblich verwendete, um mich in ſeinen Beſitz zu bringen, als eben auf dieſen winzigen Felſenbewohner.

[271]

Dritte Reihe. Bahnarme (Edentata).

Wir vereinigen hier in einer beſonderen Reihe eine geringe Anzahl von höchſt merkwürdigen Thieren, welche allen Naturforſchern hinſichtlich der Einreihung im Syſtem große Schwierigkeiten bereitet haben. Man hat ſogar aus einer Gruppe, welcher wir hier den Werth einer Ordnung geben, während Andere ſie als Familie anſehen, eine beſondere fünfte Klaſſe der Wirbelthiere bilden wollen; denn einige Naturforſcher ſind lange zweifelhaft geweſen, ob ſie den betreffenden Säu - gern wirklich den Rang von Säugethieren einräumen dürften oder nicht. Die meiſten Syſtematiker erkennen in unſerer dritten Reihe nur eine Ordnung der Nagelfäugethiere, obwohl ſie die durchgrei - fenden und auffallenden Unterſchiede in der Nagelbildung zwiſchen den eigentlichen Nagelthieren und den Angehörigen unſerer Reihe nicht leugnen. Dieſe Verſchiedenheit der Anſichten kann uns gleichgiltig laſſen, da ſtreng genommen weder wir, noch die übrigen Forſcher vollſtändig Recht haben dürften. Die Zahnarmen ſind eben Geſchöpfe, welche von den übrigen Säugethieren faſt in jeder Hinſicht abweichen und daher nirgendshin recht paſſen wollen.

Es iſt unmöglich, dieſe Geſchöpfe in allgemeinen Zügen zu kennzeichnen, denn die Unterſchiede zwiſchen den verſchiedenen Ordnungen oder, wie Andere wollen, Familien ſind allzugroß. Jeden - falls bleibt der auffallende Zahnmangel, welchen alle hierher zu rechnenden Thiere mit einander thei - len, noch das wichtigſte Kennzeichen, welches ſie vor den übrigen Säugern auszeichnet. Man findet nämlich unter den Zahnloſen Säuger, auf welche der Name in ſeiner vollen Bedeutung paßt, da ſie auch nicht eine Spur von Zähnen zeigen, und alle übrigen, welche wirklich Zähne haben, ent - behren doch immer der Schneide - und Eckzähne: ihr ganzes Gebiß beſteht demnach blos aus einfachen Backzähnen. Es kommen zwar Zähne vor, welche wir Schneidezähne nennen möchten, weil ſie im Zwiſchenkiefer ſtehen, allein ſie ſtimmen in Geſtalt und Bildung ſo vollkommen mit den Backzähnen überein, daß wir den Ausdruck doch nicht in voller Giltigkeit brauchen können. Die Eckzähne, welche ſich äußerſt ſelten finden, unterſcheiden ſich ebenfalls durch Nichts weiter, als durch ihre bedeutende Länge von den Backzähnen, und dieſe ſelbſt haben eine einfache cylindriſche oder prismatiſche Geſtalt und ſind durch Lücken von einander getrennt. Sie beſtehen blos aus Zahnſtoff und Cement ohne allen Schmelz, ja bei einer Familie oder Ordnung blos aus faſeriger, knorplicher Maſſe, welche auf den Kieferknochen aufliegt. Jhre Anzahl ſchwankt zwiſchen zwei bis ſechs und zwanzig in jeder Reihe.

Jm Gegenſatz zu dem Gebiß ſind bei unſeren Thieren die Nägel in eigenthümlicher Weiſe ent - wickelt. Selten ſind die Zehen vollkommen beweglich, aber immer tragen ſie Nägel, welche das Ende der Zehen ganz umfaſſen und ſich ſchon aus dieſem Grunde weſentlich von den Krallen der272Zahnarme.eigentlichen Nagelthiere unterſcheiden; ſie ſind entweder von bedeutender Länge, ſtark gekrümmt und ſeitlich zuſammengedrückt, oder kürzer, breit, faſt ſchaufelförmig: in jenem Falle geeignet zum Klettern, in dieſem zum Graben und Scharren.

Mit dieſen beiden Angaben haben wir die allgemeine Kennzeichnung erſchöpft; denn der übrige Leibesbau zeigt bei den ſo wenigen Mitgliedern unſerer Reihe eine größere Manchfaltigkeit und Verſchiedenheit, als unter allen übrigen Säugethieren zuſammengenommen. Kopf und Schwanz, die Gliedmaßen und der Leib ſpielen zwiſchen den beiden Aeußerſten. Bei den Einen iſt der Kopf ver - kürzt, bei den Anderen verlängert, bei Dieſen ſo hoch, als lang, bei Jenen walzenförmig; der Schwanz iſt bei Manchen ſtummelartig und verlängert ſich bei den Anderen ſo, daß er die meiſten Wirbel in der ganzen Klaſſe (nämlich ſechsundvierzig) zählt. Nicht minder verſchieden iſt das Ge - ripp. Den Kinnladen fehlt der Zwiſchenkiefer vollſtändig, oder ſie bilden ſich zu einem wahren Vogelſchnabel um. Die Kreuzwirbel verwachſen mit dem Becken; am vorderen Eingange des Vruſt - kaſtens finden ſich falſche Rippen, wie überhaupt die Zahl der rippentragenden Wirbel auffallend groß iſt. Das Schlüſſelbein zeigt ſich doppelt, einzelne Leiſten und Fortſetzungen an den Gliedmaßen - knochen entwickeln ſich in außergewöhnlicher Weiſe, die Zehenglieder verringern ſich u. ſ. w. Das ganze Geripp deutet durch ſeine kräftigen, plumpen Theile auf langſame, unbeholfene Bewe - gungen. Die Bekleidung des Leibes ſpielt in den äußerſten Grenzen der Verſchiedenheiten, welche die Säugethierbekleidung überhaupt aufweifen kann. Die Einen tragen einen dichten, weichen Pelz, die Anderen ein ſtruppiges, trockenes Haarkleid; Dieſe ſind mit Stacheln, Jene mit Schuppen bedeckt, und Einige endlich hüllen ſich in große und feſte Panzerſchilder, wie ſie ſonſt in der ganzen erſten Klaſſe nicht wieder vorkommen. Sie erſcheinen hierdurch gleichſam als die Schildkröten unter den Säugethieren. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß an dieſen merkwürdigen Geſchöpfen Alles auffallend iſt: auch die Verdauungswerkzeuge, das ganze Gefäßſyſtem und die Fortpflanzungs - werkzeuge ſind es. Die Speiſedrüſen ſind ſehr entwickelt; es findet ſich ein vogelartiger Kropf in der Speiſeröhre; der Magen iſt ähnlich getheilt, wie der der Wiederkäuer ꝛc. Jn dem Gefäßſyſtem fallen die ſogenannten Wundernetze d. h. die Zerſpaltungen einiger Hauptſchlagaderſtämme beſonders auf; die Fortpflanzungswerkzeuge liegen, bei Einigen wenigſtens, vollkommen verſteckt d. h. wie bei den Vögeln in dem Maſtdarme.

Schon die Größe der jetzt lebenden Zahnarmen ſchwankt bedeutend; rechnet man aber die vor - weltlichen Arten in die Reihe ein, ſo findet man, daß in keiner anderen Reihe die Größenunterſchiede bedeutender ſind. Denn einige der vorweltlichen Zahnarmen ſtanden den Elefanten an Größe kaum nach, und eine Art der jetzt lebenden übertrifft hierin kaum eine Ratte.

Alle zahnarmen Thiere waren und ſind Bewohner der Wendekreisländer; wenigſtens hat man ſie und ihre Knochenreſte nur hier gefunden. Hinſichtlich ihrer Lebensweiſe und ihrer Nahrung unter - ſcheiden ſich die jetzt lebenden unter einander nicht weniger, als ſie ſich von ihren vorweltlichen Vet - tern unterſcheiden, und Dies iſt auch deutlich genug in der großen Verſchiedenheit ihres Leibesbaues ausgeſprochen. Es dürfte deshalb für uns gerathen ſein, das Allgemeine möglichſt kurz zu faſſen, und uns dagegen um ſo ausführlicher mit den einzelnen Ordnungen und Familien zu be - ſchäftigen.

Nach Fitzinger zerfällt die dritte Reihe in drei Ordnungen, welche er mit Anderen Klam - merthiere, Scharrthiere und Kloaken - oder Gabelthiere nennt.

273Die Faulthiere.

Achte Ordnung. Klammerthiere (Tardigrada).

Unter den Zahnarmen ſtellt man die Faulthiere (Bradipodes), welche die einzige Familie dieſer Ordnung bilden, oben an, weil ſie das Gepräge des Säugethiers noch am meiſten feſthalten. Verglichen mit den bisher beſchriebenen und den meiſten der noch zu ſchildernden Säugern ſind alle Faulthiere freilich ſehr niedrigſtehende, ſtumpfe und träge Geſchöpfe, welche einen wahrhaft kläg - lichen Eindruck auf den Menſchen machen. Das ganze Thier erſcheint höchſt unbehilflich, gleich - ſam nur als ein launenhaftes Spiel der Natur oder als ein Zerrbild von dem Vollkommenen, welches ſie erſchuf. Die vorderen Gliedmaßen ſind bedeutend länger, als die hinteren; die Füße ſind mehr oder weniger mißgebildet, aber mit gewaltigen Sichelkrallen bewehrt; der Hals iſt verhältnißmäßig lang und trägt einen runden, kurzen, aſſenähnlichen Kopf mit kleinem Munde, welcher von ziemlich harten, wenig beweglichen Lippen umſchloſſen iſt, und Ohrmuſcheln, welche vollſtändig im Pelze ver - borgen ſind; der Schwanz iſt ein kaum ſichtbarer Stummel; die Haare ſind im Alter lang und grob wie dürres Heu. Noch eigenthümlicher erſcheinen die Faulthiere, wenn man ihren inneren Leibesbau einer Prüfung unterwirft. Ganz auffallend und faſt einzig unter den Säugethieren daſtehend iſt der Bau der Wirbelſäule. Anſtatt der ſieben Wirbel, welche ſonſt den Hals zu bilden pflegen, finden ſich bei den Faulthieren ihrer neun, ausnahmsweiſe ſogar ihrer zehn, und die Zahl der rippen - tragenden Wirbel ſteigt von vierzehn auf vierundzwanzig. Einige vergleichende Anatomen ſprechen den Halswirbeln freilich ihre Bedeutung ab und betrachten ſie blos als verkümmerte Bruſtwirbel, immerhin aber bleibt dieſer Bau im höchſten Grad merkwürdig. Das Gebiß beſteht aus fünf cylin - driſchen Backzähnen in jeder Reihe, von denen der erſte bisweilen eine eckzahnartige Geſtalt annimmt; im Unterkiefer ſtehen meiſtens blos vier Zähne. Die einen wie die anderen ſind eigentlich blos An - fänge von Zähnen; ſie beſtehen aus Knochenmaſſe, welche zwar von einer dünnen Schmelzſchicht um - ſchloſſen, äußerlich aber noch von Cement umgeben iſt: deshalb ſind ſie ihrem Weſen und ihrer Fär - bung nach eher Hornſtifte, als wirkliche Zähne. Nicht minder eigenthümlich iſt der Bau mancher Weichtheile. Der Magen iſt länglich-halbmondförmig und in eine rechte und linke Hälfte zertheilt, zwiſchen denen die Speiſeröhre ſich einſenkt; die rechte und kleinere Hälfte iſt darmähnlich drei Mal gewunden, die linke iſt durch dicke, muskelartige Falten in drei abgeſonderte Kammern geſchieden. Herz, Leber und Milz ſind auffallend klein. Die Arm - und Schenkelſchlagader zertheilen ſich zu den erwähnten Wundernetzen, indem ihr Stamm durch die ihn umgebenden zahlreichen Schlagaderreiſer hindurchtritt oder ſelbſt in Reiſer zerfällt und hierdurch die Wundernetze bildet. Auch die Luftröhre iſt nicht regelmäßig gebaut; ſie erreicht zuweilen eine auffallende Länge und wendet ſich in der Bruſt - höhle. Das Gehirn iſt klein und zeigt nur wenige Wendungen, deutet alſo auf geringe geiſtige Fähig - keiten dieſer Stiefkinder der Natur.

Der Aufenthalt der Faulthiere beſchränkt ſich auf Südamerika. Jene großen Waldungen in den Niederungen, in denen die Pflanzenwelt zur höchſten Entwickelung gelangt, ſind die Wohnorte der merkwürdigen Geſchöpfe. Je öder, je dunkler und ſchattiger der Wald iſt, je undurchdringlicher das Dickicht, je verwachſener die Baumkronen, um ſo geeigneter ſind die Wälder für das Leben der ver - kümmerten Weſen. Auch ſie ſind echte Baumthiere, wie der Affe oder das Eichhorn: aber dieſe glücklichen Geſchöpfe beherrſchen die Baumkronen, während jene ſklaviſch an ſie gebunden ſind und ſich elend abmühen müſſen, um kriechend von einem Zweige zum anderen zu gelangen. Eine Strecke, welche für das leichte und übermüthige Volk der Höhe eine Luſtwandlung iſt, muß dem Faulthiere wie eine weite Reiſe erſcheinen. Jhr Baumleben ſteht mit dem ganzen Leibesbau im innigſten Ein - klang; ihre leibliche Ausrüſtung erlaubt ihnen nicht, ein anderes Reich zu bewohnen.

Brehm, Thierleben. II. 18
Faulthiere.
274Die Faulthiere.

Höchſtens zu einer Familie von wenig Mitgliedern vereinigt, führen die trägen, ſtumpfſinnigen Geſchöpfe ein langweiliges Stillleben und wandern langſam, wenn auch noch viel ſchneller, als man annimmt, von Zweig zu Zweig. Jm Verhältniß zu den Bewegungen auf dem Erdboden beſitzen ſie freilich noch eine ausnehmende Geſchicklichkeit im Klettern. Jhre langen Arme erlauben ihnen weit zu greifen, und die gewaltigen Krallen geſtatten ihnen ein müheloſes Feſthalten an den Zweigen. Sie klettern allerdings ganz anders, als die übrigen Baumthiere; denn bei ihnen iſt Das die Regel, was bei den Anderen als Ausnahme erſcheint. Den Leib nach unten hängend, reichen ſie mit ihren langen Armen nach den Aeſten empor, haken ſich hier mittelſt ihrer Krallen feſt und ſchieben ſich ge - mächlich weiter von Zweig zu Zweig, von Aſt zu Aſt. Oft aber bringen ſie Tage und Nächte zu, ohne ſich zu bewegen, immer in derſelben Stellung, den Leib nach unten hangend. Blos wenn ſie freſſen, zeigen ſie ſich thätiger, als ſonſt, und in der Dämmerung ſind ſie noch am lebendigſten. Sie nähren ſich ausſchließlich von Knospen, jungen Trieben oder auch wohl von Früchten, und fin - den in dem reichlichen Thau, welchen ſie von den Blättern ablecken, hinlänglichen Erſatz für das ihnen fehlende Waſſer. Die große Trägheit, welche ihnen ihren Namen verſchafft hat, bekundet ſich auch beim Erwerb, bei der Aufnahme ihrer Nahrung: ſie ſind nicht nur im höchſten Grade genüg - ſam und anſpruchslos, ſondern auch befähigt, Tage lang, ja, wie Einige behaupten, Wochen lang zu hungern und zu dürſten, ohne irgend welchen Schaden zu nehmen. Solange ihnen ein Baum Nahrung gewährt, verlaſſen ſie denſelben nicht; erſt wenn die Weide knapp wird, denken ſie daran, eine Wanderung anzutreten, und ſteigen dann langſam zwiſchen die tiefen Zweige hernieder, ſuchen ſich eine Stelle aus, wo ſich das Geäſt der benachbarten Bäume mit dem ihres Weidebaumes verbin - det und haken ſich auf der luftigen Brücke zu jenem hinüber. Man hat früher behauptet, daß ſie gewiſſe Baumarten den anderen vorzögen; doch iſt man in der neueren Zeit ganz davon abgekommen, indem man beobachtet hat, daß eigentlich jede Baumart ihnen recht iſt. Uebrigens würden ſie auch wähleriſch mit ihrer Nahrung ſein können; denn der Reichthum ihrer Heimatsorte an den allerver - ſchiedenartigſten Pflanzen iſt ſo groß, daß ſie ohne bedeutende Auſtrengung leicht ſich die ihnen lecker erſcheinende Koſt würden ausſuchen können. Jener üppige Waldſaum, welcher ſich in der Nähe der Ströme dahinzieht und ununterbrochen bis tief in das Jnnere des Waldes reicht, beſteht zumeiſt aus Baumarten, deren Kronen ſich aufs vielfältigſte mit einander verſchlingen und den Faulthieren ge - ſtatten, ſich, ohne jemals den Boden berühren zu müſſen, von einem Punkte auf den anderen zu begeben. Zudem bedürfen ſie blos ein kleines Weidegebiet; denn ihr geringer Verbrauch an Blät - tern ſteht mit der Erzeugungsfähigkeit jener bevorzugten Länderſtriche gar nicht im Verhältniß. Beim Freſſen bedienen ſie ſich gewöhnlich ihrer langen Vorderarme, um entferntere Zweige an ſich zu ziehen und Blätter und Früchte von denſelben mit den Krallen abzureißen; dann führen ſie die Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Außerdem erleichtert ihnen ihr langer Hals das Ab - weiden der Blätter, durch welche ſie ſich hindurchwinden müſſen, ſobald ſie ſich bewegen. Man ſagt, daß ſie auf dicht belaubten Bäumen viel Nahrung und während der Regenzeit auch viel Waſ - ſer zu ſich nehmen können, und Dies würde mit der großen Stumpfheit ihrer Werkzeuge nicht im Widerſpruche ſtehen: denn gerade dieſe Stumpfheit, das mehr pflanzliche als thieriſche Leben ihres Leibes geſtattet ihnen die beiden Aeußerſten des Ueberfluſſes und der Entſagung. Je höher ein Thier ausgebildet iſt, um ſo gleichmäßiger werden alle Verrichtungen des Leibes vor ſich gehen; je tiefer es ſteht, um ſo weniger abhängig iſt es von Dem, was wir Bedürfniſſe des Lebens nennen. So können die Faulthiere ohne Beſchwerde entbehren und ſchwelgen in dem einzigen Genuß, den ſie kennen: in der Aufnahme ihrer Nahrung. Sie, die ſich ſonſt blos mit dem Blätterthau laben, ſollen nach der Ausſage der Jndianer während der Regenzeit ſogar raſch an den Bäumen herabſteigen, um ſich den Flüſſen zu nähern und dort ihren Durſt zu ſtillen: doch bedarf dieſe Angabe noch einer glaubwürdigen Beſtätigung, da alle Forſcher europäiſcher Abkunft darin übereinſtimmen, daß die Faulthiere nur gezwungen d. h. mehr durch Zufall, als aus eigenem Triebe auf den Boden herab - kommen.

275Die Faulthiere.

Auf der Erde ſind die armſeligen Baumſklaven fremd. Jhr Gang iſt ein ſo mühſeliges Fortſchleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beſchauers wach ruft. Der langſamen Landſchildkröte vergleichbar, ſucht das Faulthier die plumpe Leibesmaſſe fortzuſchaffen. Mit weit von ſich geſtreckten Gliedern, auf die Ellbogen geſtützt, die einzelnen Beine langſam im Kreis wei - ter bewegend, ſchiebt es ſich höchſt allmählich vorwärts; der Bauch ſchleppt dabei faſt beſtändig auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen ſich fortwährend langſam von einer Seite zur anderen, als müßten ſie das Gleichgewicht des ſo überaus unbeholfenen Geſchöpfes vermitteln. Die Zehen der Füße werden während des Ganges in die Höhe gezogen und die Krallen nach innen geſchlagen. Der Fuß berührt alſo mit dem Außenrande und faſt nur mit dem Handknochen den Boden. Es leuchtet ein, daß ein ſolches Gehen mit unglaublicher Langſamkeit vor ſich gehen muß. Man iſt durch Nichts, nicht einmal durch Stöße im Stande, dieſe Bewegungsart zu beſchleunigen. Auf der Erde erkennt ſelbſt das Faulthier, ſo ſtumpf und gleichgiltig es ſonſt auch iſt, ſeine traurige, hilf - loſe Lage. Ueberraſcht man es zufällig bei ſeinem Gange oder ſetzt man ein gefangenes auf die flache Erde, ſo ſtreckt es den kleinen Kopf auf ſeinem langen Halſe empor, richtet den Vordertheil des Lei - bes etwas auf und bewegt langſam und mechaniſch einen ſeiner Arme im Halbkreis gegen ſeine Bruſt, als wolle es ſeinen Feind mit den gewaltigen Krallen umklammern. Die Unbeholfenheit und Lang - ſamkeit verleiht ihm einen eigenthümlich kläglichen Ausdruck, welcher ſelbſt den Forſcher ergreift, der doch ein Thier in ſeinem wahren Werthe zu würdigen verſteht. Man ſollte nicht meinen, daß dieſes Geſchöpf, welches ſo traurig dahinhaſpelt, fähig wäre, ſich aus dem Waſſer zu retten, wenn es durch irgend ein Mißgeſchick in daſſelbe geräth. Aber es iſt wirklich ſo; das Faulthier, welches in einen Fluß fällt, ſchwimmt ganz leidlich, indem es ſich raſcher, als beim Klettern ſelbſt bewegt, den Kopf hoch über den Waſſerſpiegel emporhält, die Wellen ziemlich leicht durchſchneidet und wirklich das feſte Land wieder gewinnt. Hieraus geht hervor, daß der Name Faulthier, ſo richtig er im Grunde auch iſt, ſich doch eigentlich blos auf die Gehbewegungen unſeres Thieres bezieht; denn auf den Bäu - men iſt ſeine Trägheit, wie bemerkt, lange nicht ſo groß, als man früher annehmen zu müſſen glaubte, irrgeleitet durch die übertriebenen Schilderungen der erſten Beobachter. Jetzt weiß man, daß das Faulthier eine Höhe von hundert Fuß in weniger als zwanzig Minuten erſteigen kann, alſo in einer Minute ſich doch immer ganze ſechs Fuß weit fortbewegt. Wahrhaft komiſch iſt die außer - ordentliche Vorſicht und ſtaunenswerthe Sicherheit, mit welcher alle Kletterbewegungen ausgeführt werden. Wie erwähnt, ſind die Sichelkrallen des Thieres ganz und gar geeignet, ſein eigenthüm - liches Baumleben möglich zu machen. Aber das Faulthier ſcheint demnach wenig Vertrauen in ſeine ausgezeichneten Werkzeuge zu ſetzen. Wenn es an einem Baume emporklettert, prüft es erſt äußerſt ſorgfältig jeden Aſt oder jede Unebenheit der Rinde und ſcheinbar ſeine Klauen ſelbſt, um ſich ja zu verſichern, daß Alles in Ordnung ſei. Es iſt im Stande, ſich mit einem Fuß an einen höhern Aſt feſtzuhaken und dann ganz ſicher daran frei zu hängen, indem es nicht nur die volle Laſt des Leibes an einem Gliede tragen, ſondern auch bis zum Anhaltepunkt emporziehen kann. Gleichwohl ſtrebt es mit äußerſter Sorgfalt immer darnach, für alle ſeine Glieder ſichere Stützpunkte zu finden, und ſcheut ſich faſt, mit einem Fuße loszulaſſen, bevor es für ihn wieder einen verläßlichen Punkt zum Anhalten gefunden hat.

Außerordentlich ſchwer hält es, ein Faulthier, welches ſich feſt an einen Aſt geklammert hat, von demſelben los zu machen. Ein Jndianer, welcher Schomburgk begleitete, bemerkte ein drei - zehiges Faulthier auf den hervorragenden Wurzeläſten einer Rhizophora, welches dort ausruhte, und als man es ergreifen wollte, nur wehmüthig bittende Blicke zur Abwehr zu haben ſchien. Aber man bemerkte bald, daß die Ergreifung leichter war, als die wirkliche Gefangennahme. Es war faſt unmöglich, das Thier von den Wurzeläſten zu trennen, an welchen es ſich mit einer Kralle feſtge - klammert hatte. Erſt, nachdem ihm die beiden Vorderfüße, ſeine einzige, aber wegen der ſcharf her - vorſtehenden Klauen, höchſt gefährliche Vertheidigungswaffe, gebunden waren, gelang es drei Jndianern, unter Aufbietung aller Kräfte, es von dem Baume los zu reißen.

18*276Die Faulthiere.

Beim Schlafen und Ruhen nimmt das Faulthier eine ganz ähnliche Stellung an, wie gewöhn - lich. Es ſtellt die vier Beine dicht an einander, beugt den Leib faſt kugelförmig zuſammen und ſenkt den Kopf gegen die Bruſt, ohne ihn jedoch auf derſelben ruhen zu laſſen oder ihn darauf zu ſtützen; und in dieſer Lage hängt es wirklich oft ganze Tage und Nächte genau auf derſelben Stelle, ohne zu ermüden. Nur ausnahmsweiſe ſucht es mit den Vorderarmen einen höheren Zweig zu faſſen, hebt den Körper dadurch vorn empor und ſtützt vielleicht ſogar ſeinen Rücken auf einen anderen Aſt. Eine ſo bequeme Lage bereitet es ſich jedoch blos ſehr ſelten.

So unempfindlich das Thier gegen Hunger und Durſt zu ſein ſcheint, ſo empfindlich zeigt es ſich gegen die Näſſe und die damit verbundene Kühle. Bei dem ſchwächſten Regen ſucht es ſich ſo eilig als möglich unter die dichteſte Bedachung der Blätter zu flüchten und macht dann ſogar ver - zweifelte Anſtrengungen, ſeinen Namen zu widerlegen. Jn der Regenzeit hängt es oft Tage lang traurig und kläglich an ein und derſelben Stelle, ſicherlich im höchſten Grade durch das herabſtürzende Waſſer beläſtigt.

Nur höchſt ſelten und gewöhnlich blos des Abends oder bei anbrechendem Morgen, oder auch wenn ſich das Faulthier beunruhigt fühlt, vernimmt man ſeine Stimme. Sie iſt nicht laut und beſteht aus einem kläglichen, geradeaus gehaltenen, feinen, kurzen und ſchneidenden Tone, welcher von Einigen mit einer oftmaligen Wiederholung des Lautes J wiedergegeben wird. Ein Mitglied der Familie führt den Namen Ai, und dieſer ſollte das Geſchrei ausdrücken. Die neueren Beobachter aber haben niemals von einem Faulthiere Töne vernommen, welche Doppel-Lauten gleichen, oder gar, wie frühere Beobachter ebenfalls behaupten, aus einem auf - und abſteigenden Akkord beſtehen. Bei Tage hört man von dem Faulthier höchſtens tiefe Seufzer. Beim Gehen oder Humpeln auf der Erde aber ſchreit es faſt nie, ſelbſt wenn es auf das äußerſte gereizt wird.

Es muß ſchon aus dem bereits Mitgetheilten hervorgehen, daß die geiſtigen Fähigkeiten der Faulthiere außerordentlich gering ſind. Alle Sinne ſcheinen im hohen Grade ſtumpf zu ſein, und unter ihnen iſt vielleicht das Auge noch am wenigſten entwickelt. Es iſt blöde und ausdruckslos wie kein zweites Säugethierauge. Daß das Gehör nicht ausgezeichnet iſt, geht ſchon aus der geringen Größe und verſteckten Lage der Ohrmuſcheln hervor, und von der Stumpfheit des Geſchmacks, ſowie des Gefühls hat man ſich mehr als einmal überzeugen können. So bliebe blos der Geruch noch übrig: über ihn ſcheint man aber auch nichts Rühmliches ſagen zu können. Noch weit trauriger ſieht es mit den höheren geiſtigen Kräften aus. Alle Faulthiere zeigen nicht die geringſte Spur von Ver - ſtand, vielmehr eine Stumpfheit, Dummheit und Gleichgiltigkeit, wie kein einziges anderes Säuge - thier. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen ſich überhaupt auf einen vollkommen unbewußten Natur - trieb zu beſchränken; wenigſtens dürfte hier der ſchwankende Begriff einer niederen Geiſtesregung, den wir mit Naturtrieb (Jnſtinkt) zu bezeichnen pflegen, noch am beſten angewendet werden können. Die Faulthiere erkennen keinen anderen Gegenſtand, als die Blätter, welche ſie freſſen, und bezüg - lich die Bäume, auf denen ſolche freßbare Blätter wachſen. Man nennt ſie harmlos, weil ſie keine Bosheit zeigen; damit will man aber ausdrücken, daß ſie überhaupt keiner geiſtigen Regungen fähig ſind. Sie haben keine Leidenſchaften; ſie fühlen weder Haß noch Liebe, weder Freundſchaft für andere Mitglieder ihrer Art, noch Feindſchaft gegen andere Geſchöpfe; ſie kennen keine Furcht, beſitzen aber auch keinen Muth; ſie ſcheinen keine Freude zu haben, aber auch der Traurigkeit unzugänglich zu ſein. Ohne recht zu wiſſen, was ſie wollen, vertheidigen ſie ſich gegen ihre Feinde, wenn ſie an - gegriffen werden. Von Geiſt iſt bei den Faulthieren kaum zu reden.

Es läßt ſich faſt erwarten, daß ſolche Thiere blos ein einziges Junges werfen. Das Eine ſcheint der Mutter ſchon zu viel zu ſein. Vollkommen behaart, ja ſogar mit bereits ziemlich ent - wickelten Krallen und Zehen kommt das Junge zur Welt und klammert ſich ſofort nach ſeiner Geburt mit dieſen Krallen an den langen Haaren der Mutter feſt, mit den Armen ihren Hals umſchlingend. Nun ſchleppt es die Alte immer in derſelben Weiſe überall mit ſich herum. Anfangs ſcheint es, als betrachte ſie ihr Kind mit großer Zärtlichkeit; doch dieſe Mutterliebe erkaltet gar bald, und die277Die Faulthiere.ſtumpfſinnige Alte gibt ſich kaum die Mühe, das Junge zu füttern und zu reinigen, oder ihm andere Ammendienſte zu leiſten. Gleichgiltig läßt ſie es ſich ſogar von der Bruſt wegreißen, und nur vor - übergehend zeigt ſie eine gewiſſe Unruhe, als vermiſſe ſie Etwas und wolle ſich nun bemühen, es wieder aufzuſuchen. Aber ſie erkennt ihren Sprößling nicht eher, als bis er ſie oder ſie ihn berührt, und wenn derſelbe ſelbſt durch Schreien ſeine Nähe verrathen ſollte. Oft kommt es vor, daß ſie ein paar Tage lang hungert, oder ſich wenigſtens nicht nach Nahrung bemüht; demungeachtet ſäugt ſie ihr Junges ununterbrochen, und dieſes klebt mit derſelben Zähigkeit an ihr, wie ſie an dem Baumaſt.

Die Trägheit des Faulthieres zeigt ſich auch, wenn es gemißhandelt oder verwundet wird. Es iſt eine bekannte Erfahrung, daß die niedrigſten Thiere verhältnißmäßig die größten Mißhandlungen, Verletzungen und Schmerzen erleiden können; bei dem Faulthier nun ſcheint ſich dieſe allgemeine Thatſache ebenfalls zu beſtätigen. Die Berichte lauten allerdings noch nicht ganz übereinſtimmend; doch behaupten anerkannt tüchtige Naturforſcher, daß das Faulthier das unempfindlichſte aller Säuge - thiere wäre. Es kommt gar nicht ſelten vor, daß dieſes Geſchöpf viele Tage und Wochen lang hungert: A. Caffer theilte der Verſammlung der Naturforſcher in Turin mit, daß er ein dreizehiges Faulthier in der Gefangenſchaft gehabt habe, welches einen ganzen Monat laug nicht das Geringſte zu ſich nahm.

Die unglaubliche Lebenszähigkeit des Faulthieres offenbart ſich übrigens auch in anderer Weiſe. Es erträgt fürchterliche Verwundungen mit der Gleichgiltigkeit eines Leichnams. Oft verändert es nach einer tüchtigen Schrotladung, die man ihm in den Leib ſchoß, nicht einmal die Stellung. Nach Schomburgk widerſteht es auch dem furchtbaren Urarigift der Jndianer am längſten. Mag dieſes nun in ſeinem eigenthümlichen Gefäßſyſtem und dem dadurch ſo gehemmten und langſamen Blutumlauf ſeinen Grund haben, kurz, die Wirkungen treten bei ihm am ſpäteſten ein und ſind dabei auch am kürzeſten in ihrer Dauer. Ebenſo werden nur ſehr ſchwache Zuckungen bemerkbar, wie ſie doch bei den übrigen Thieren bei Beginn der Wirkung des Gifts immer ſichtbar ſind. Jch ätzte ein Faulthier in der Oberlippe und rieb ein wenig des Gifts in die Wunde. Als ich es darauf in die Nähe eines Baumes brachte, begann es dieſen zu erklettern. Nachdem es aber zehn bis zwölf Fuß an dem Stamm empor geklettert war, blieb es plötzlich am Baume haften, wandte den Kopf nach dieſer und jener Seite und ſuchte den Gang fortzuſetzen, ohne Dies zu vermögen. Erſt ließ es einen der Vorderfüße los, dann den anderen, blieb aber noch mit den Hinterfüßen am Baumſtamme haften, bis auch dieſe kraftlos wurden und es zur Erde fiel, wo es ohne alle krampfhaften Zuckungen und ohne jenes im allgemeinen immer eintretende ſchwere Athemholen liegen blieb, bis in der dreizehnten Minute ſein Leben entflohen war. Wenn man bedenkt, daß die vergiftete ſchwache Dornſpitze dem Jaguar, welchem ſie der Jndianer auf den Pelz blies, kaum die Haut ritzt und ihn doch in wenigen Minuten zu einem Kind des Todes macht, bekommt man erſt einen Maßſtab zur Beurtheilung der Lebenszähigkeit des Faulthieres.

Man kann nicht eben ſagen, daß das hilfloſe Geſchöpf viel Feinde habe. Durch ſein Baum - leben entgeht es den gefährlichſten, welche es bedrohen, den Säugethieren nämlich, und höchſtens die großen Baumſchlangen mögen ihm zuweilen nachſtellen. Dazu kommt, daß ſein Pelz im allgemeinen ganz die Färbung der ſtärkeren Aeſte zeigt, an denen es unbeweglich hängt, wie die Frucht an einem Baume, und daß ſchon das geübte Falkenauge der Jndianer dazu gehört, um ein bewegungslos ver - harrendes Faulthier aufzufinden. Uebrigens iſt das Thier doch nicht ſo ganz wehrlos, als es auf den erſten Blick hin ſcheinen mag. Auf dem Baume iſt ihm natürlich ſchwer beizukommen, und wenn es auf dem Boden überraſcht und angegriffen wird, wirft es ſich ſchnell genug noch auf den Rücken und faßt ſeinen Angreifer mit den Krallen, ihn in einer Weiſe umarmend, daß ihm, auch wenn er ſtark iſt, Hören und Sehen vergeht. Man kennt ein Beiſpiel, daß ein gefangenes und an einer wag - recht ſtehenden Stange aufgehängtes Faulthier den Hund, welchen man auf daſſelbe gehetzt hatte, plötz - lich mit ſeinen Armen umklammerte, und ihn vier Tage lang feſt hielt, bis er ſtarb, ohne daß es278Die Faulthiere.möglich geweſen wäre, den Hund ihm zu entreißen falls der arme Burſche nicht etwa ein Opfer der Beobachtung geworden ſein dürfte! Soviel ſteht feſt, daß die Kraft der Arme des Faulthieres eine ſehr beträchtliche iſt. Selbſt ein ſtarker Mann hat Mühe, ſich wieder von ihm zu befreien, und drei Männer ſollen nicht im Stande ſein, ein Faulthier von dem Baumaſt los zu reißen, an welchen es ſich angeklammert hat.

Ueber das Gefangenleben der Faulthiere war bisjetzt nur höchſt wenig bekannt. Bisher hat man unwillkürlich glauben müſſen, daß es überaus ſchwer wäre, ein Faulthier längere Zeit am Leben zu erhalten, und bisjetzt hat man immer noch, wenn auch nicht alle, ſo doch ſehr viele von den Fabeln für wahr gehalten, welche über dieſes merkwürdige Geſchöpf im Umlaufe ſind. Eigentlich Zuver - läſſiges über das Gefaugenleben iſt, meines Wiſſens wenigſtens, nicht bekannt geworden. Wir haben erfahren, daß das Faulthier einige Mal lebend nach Europa gebracht worden iſt. Schon Buffon erzählt, daß der Marquis von Montmirail ein Faulthier in Amſterdam kaufte, welches man bisher im Sommer mit zartem Laub und im Winter mit Schiffszwieback ernährt hatte. Der Marquis erhielt das Thier drei Jahre am Leben und fütterte es mit Brod, Aepfeln und Wurzeln, welche Gegenſtände ſein Gefangener mit den Klauen ſeiner Vorderfüße nahm und ſo zum Munde führte. Gegen Abend wurde das Thier munter, ohne übrigens je eine Leidenſchaft zu zeigen, und niemals bewies es, daß es ſeinen Wärter kennen gelernt habe. Von den Reiſenden erfahren wir noch, daß man ſich kaum ein ungemüthlicheres Geſchöpf denken könne, als ein gefangenes Faulthier. Tagelang hänge es an einem Stock oder an einem Strick, ohne auch nur das geringſte Verlangen nach Nahrung auszudrücken. Einer fügt ſogar hinzu, daß es lieber verhungern, als eine einzige Bewegung machen würde, um die vorgehaltene Nahrung zu erlangen. Hierauf ſcheinen ſich die Beobachtungen zu beſchränken.

Man kann ſich nun meine Freude denken, als ich nach allen vergeblichen Verſuchen, mehr über das Faulthier zu erfahren, auf meiner Rundreiſe durch die Thiergärten Englands, Frankreichs, Hol - lands, Belgiens und der Rheinlande, ein lebendes Faulthier und ſomit Gelegenheit fand, eigene Beobachtungen anzuſtellen. Freilich erlaubte mir der große Reichthum des Gartens nicht, meine Aufmerkſamkeit in erwünſchter Weiſe dem Faulthiere ausſchließlich zu widmen, und leider konnte ich nur ein paar Stunden am Käfig des wunderbaren Thieres verweilen. Aber auch dieſer kurze Auf - enthalt genügte, um mir zu beweiſen, daß die bisher gegebenen Beſchreibungen zum großen Theil ſehr übertrieben ſind. Jch will gar nicht ſo kühn ſein, zu behaupten, daß meine Beobachtungen auch für das Freileben entſcheidend ſein ſollen; mit anderen Worten: ich will Das, was ich am Gefangenen ſah, durchaus nicht auf das Freileben der Thiere übertragen; aber ſoviel kann ich behaupten, daß die gefangenen Faulthiere nichts weniger als traurige, langweilige Geſchöpfe, ſondern im Gegentheil ungemein feſſelnde und in jeder Hinſicht würdige Mitglieder eines Thiergartens ſind.

Kees, ſo heißt das jetzt in Amſterdam lebende Faulthier, bewohnt ſeinen Käfig bereits ſeit neun Jahren und befindet ſich jedenfalls ſo wohl in der Gefangenſchaft, als andere Thiere auch. Wer jemals Säugethiere lebend gehalten hat, weiß, daß er ſehr froh ſein kann, wenn ſeine Gefangenen durchſchnittlich neun Jahre am Leben bleiben, und wer noch einigermaßen die zahnarmen Thiere kennt, wird zugeſtehen müſſen, daß ſolche Zeit für ein Mitglied dieſer merkwürdigen Geſellſchaft ſicherlich eine ſehr hohe iſt. Der Käfig, in welchem Kees gehalten wird, hat in der Mitte ein Holzgerüſt, an welchem ſein Bewohner emporklettern kann; unten iſt er dick mit Heu ausgepolſtert; nach den Seiten hin ſchließen ihn ſtarke Glasſcheiben ab; von oben her iſt er offen. Wenn man bei Tage den Thieren einen Beſuch abſtattet, ſieht man in dieſem Glaskaſten nur einen Ballen, welcher lebhaft an einen Hau - fen von trockenem Riedgras erinnert; denn die ſtruppigen, braungrau und ſchwärzlich gefärbten Haare des Faulthieres ſind in der ungewöhnlichſten Weiſe geordnet und laufen von mehreren Haarwirbeln ſo verſchieden aus, daß an einen Strich eigentlich nicht zu denken iſt. Dieſer Ballen erſcheint formlos, weil man von den Gliedmaßen des Thieres eigentlich ſo gut als Nichts ſieht. Bei genauerer Betrachtung ergibt ſich, daß Kees ſeine gewöhnliche Ruhe - oder Schlafſtellung angenommen hat. Der Kopf iſt auf die Bruſt279Die Faulthiere.herabgebogen, ſo daß die Schnauzenſpitze unten am Bauche aufliegt; er wird aber durch die vorge - legten Arme und Beine vollſtändig verdeckt. Die Gliedmaßen nämlich liegen dicht auf einander, ein Bein immer mit dem anderen abwechſelnd, und ſind ſo in einander verſchränkt, daß man zwiſchendurch nicht ſehen kann. Gewöhnlich ſind die Krallen eines oder zweier Füße um eine Stange des Gerüſtes geſchlagen; nicht ſelten aber faßt Kees mit den Krallen des einen Fußes den anderen Oberarm oder Schenkel und verſchlingt ſich hierdurch in eigenthümlicher Weiſe. So ſieht man von den Kopftheilen nicht das Geringſte; man kann nicht einmal unterſcheiden, wo der Rumpf in den Hals und dieſer in den Kopf übergeht: kurz, man hat eben nur einen Haarballen vor ſich, und man muß ſchon recht ſcharf hinſehen, wenn man wegbekommen will, daß dieſer Ballen ſich langſam auf - und niederſenkt. Gegen die Zuſchauer ringsum, welche durch Klopfen, Rufen und ſchnelle Bewegungen mit den Hän - den irgend welche Wirkungen hervorzubringen ſuchen, beweiſt ſich der Ballen vollkommen theilnahm - los; keine Bewegung verräth, daß er lebt, und gewöhnlich gehen die Beſchauer recht mißmuthig von dannen, nachdem ſie verdutzt den Namen des Thieres geleſen und einige, nicht eben ſchmeichelhafte Bemerkungen über dieſes garſtige Vieh gemacht haben.

Aber der Haarballen bekommt, wenn man es recht anfängt, ſehr bald Leben; denn Kees iſt keineswegs ſo ſtumpffinnig, als man behauptet, ſondern ein gar netter, braver Geſell, welcher nur richtig behandelt ſein will. Der Vorſteher des Gartens, Herr Weſtermann, ein Thierfreund und Thierkenner, wie man wenige finden dürfte, oder auch einer der Wärter braucht blos an den Käfig zu treten und ein paarmal Kees, Kees! zu rufen: da ſieht man, wie der Haarballen nach und nach Leben bekommt. Bedächtig, oder wie man auch wohl ſagen kann, langſam und etwas ſchwerfällig entwirrt ſich der Knäuel und nach und nach entwickelt ſich aus ihm ein, wenn auch nicht gerade wohl - gebildetes Thier, ſo doch keineswegs eine Mißgeſtalt, wie man geſagt hat, keineswegs ein aller höheren Fähigkeiten und Gefühle bares Weſen. Langſam und gleichmäßig erhebt das Thier einen ſeiner langen Arme und hängt die ſcharfen Krallen an eine der Querleiſten des Gerüſtes. Dabei iſt es ihm voll - kommen gleich, welches von ſeinen Beinen es zuerſt aufhob, ob das hintere oder das vordere; es iſt ihm auch gleich, ob es die Krallen in der natürlichen Lage des Vorderarmes anhängen, oder ob es den Arm herumdrehen muß; denn alle ſeine Glieder erſcheinen wie Stricke, welche kein Gelenk haben, ſondern ihrer ganzen Länge nach beweglich ſind. Jedenfalls iſt die Beweglichkeit der Speiche und Elle eine ſo große, wie wir ſie vielleicht bei keinem Geſchöpfe wieder finden. Das Faulthier vermag es mit allen ſeinen vier Beinen ſich derart feſt zu hängen, daß die Krallen von jedem einzelnen in einer von den anderen abweichenden Richtung geſtellt ſind. Der eine Hinterfuß richtet ſich vielleicht nach außen, der eine Vorderfuß nach innen, der entgegen geſetzte Vorderfuß nach vorn und der letzte Hinterfuß nach hinten, oder umgekehrt: man kann ſich die verſchiedenen Möglichkeiten der Stellung ausmalen, wie man will, das Faulthier verwirklicht alle. Es kann ſeine Beine gerade um ſich herumdrehen, etwa wie ein geübter Gaukler, und es zeigt dabei, daß es ihm nicht die geringſte Anſtrengung macht. Deshalb krallt es ſich an, wie es ihm eben paßt, und es kann ſich auch, wenn es einmal feſthält, förmlich um ſich ſelbſt herumdrehen, ohne die Stellung der angehängten Krallen irgendwie zu ver - ändern. Ob dabei der Kopf tief oder hoch hängt, iſt ihm ebenfalls ganz gleichgiltig, denn es greift ebenſo oft mit den Hinterbeinen nach oben, als mit den Vorderbeinen nach unten; es hängt mit dem rechten Vorderbein oder mit dem linken Hinterbein oder umgekehrt; es ſtreckt ſich oft recht gemüthlich hin, indem es ſich mit den Hinterkrallen anhängt und den Rücken unten auflegt, wie beſonders faule Hunde es zu thun pflegen. Bei ſolchen Gelegenheiten, welche jedenfalls große Gemüthlichkeit ausdrücken, kratzt ſich Kees wohl auch mit einem der eben unbeſchäftigten Beine an allen Stellen des Körpers, indem er das Bein geradezu um den Leib ſchlingt. Er kann Stellen ſeines Körpers mit den Krallen erreichen, welche jedem anderen Thiere unzugänglich ſein würden: kurz, er zeigt eine Be - weglichkeit, die wahrhaft in Erſtaunen ſetzt. Bei ſeiner gemüthlichen Faullenzerei macht er die Augen bald auf und bald wieder zu, gähnt, ſtreckt die Zunge heraus und öffnet dabei die kleine Stumpf - ſchnauze ſoweit als möglich. Hält man ihm an das obere Gitter eine Leckerei, zumal ein Stückchen280Die Faulthiere.Zucker, ſo klimmt er ziemlich raſch nach oben, um dieſe Lieblingsſpeiſe zu erhalten, ſchnüffelt an der Wand herum und öffnet die Schnauze ſoweit, als er kann, gleichſam bittend, daß man ihm doch das Stückchen Zucker gleich in das Maul hinein fallen laſſe. Dann frißt er ſchmatzend mit zugemachten Augen und beweiſt deutlich genug, wie ſehr ihm die Süßigkeit behagt.

Am eigenthümlichſten ſieht das Thier aus, wenn man es gerade von vorn betrachtet. Die Kopfhaare ſind in der Mitte geſcheitelt und ſtehen zu beiden Seiten vom Schädel ab. Sie geben dem Kopfe dadurch ein eulenartiges Ausſehen. Die kleinen Augen ſind ſehr gewölbt. Jhre Jris iſt leb - haft lichtbraun gefärbt, aber die Augen erſcheinen doch ſehr blöde, weil der Stern kaum die Größe eines Stecknadelkopfes hat und dem Auge keinen Ausdruck gibt. Beim erſten Anblick iſt man ver - ſucht zu glauben, das Faulthier müſſe blind ſein. Die Schnauze tritt ganz eigenthümlich hervor aus dem Geſicht, ſie ſtumpft ſich in einen abgeſtutzten Kegel zu, auf deſſen Spitze die Naſenlöcher liegen. Die beſtändig feuchten Lippen glänzen, als ob ſie mit Fett beſtrichen wären. Recht komiſch ſieht es aus, wenn das Faulthier ſein Maul aufmacht. Die Lippen ſind keineswegs ſo unbeweglich, als man geſagt hat und nichts weniger als hornähnlich, wie behauptet wurde, wenn ſie auch nicht die Biegſamkeit der Lippen anderer Säugethiere haben mögen; ſie ſind auch ziemlich unweſentlich bei der Arbeit des Freſſens, denn die lange, ſchmale, ſpitze Zunge erſetzt die ihnen fehlende Beweglichkeit. Dieſe Zunge erinnert ſchon recht lebhaft an die Wurmzungen der verwandten Zahnloſen, zumal an die der Ameiſenbären. Das Faulthier kann ſie weit aus dem Halſe hervorſtrecken und faſt handartig gebrauchen.

Man füttert Kees mit allen möglichen Pflanzenſtoffen; gekochter Reis und Möhren bleiben aber ſeine Hauptſpeiſe. Den Reis gibt man ihm auf einem Teller, die Möhren legt man ihm irgend wo auf das Heu hin. Gewöhnlich wird Kees zum Freſſen gerufen. Er kennt die Zeit ſeiner Mahl - zeiten genau und richtet ſich alsbald auf, wenn er ſeinen Namen hört. Anfangs tappt er höchſt ungeſchickt und ſchwerfällig mit den langen Armen umher; hat er aber einmal eine Möhre erwiſcht, ſo kommt auch ſofort Ruhe und Sicherheit in die Bewegung. Er zieht die Wurzel zu ſich heran, faßt ſie mit dem Maul, dann mit den beiden Pfoten oder beſſer mit den Krallen, klemmt ſie feſt dazwiſchen und beißt nun, die Möhre ſtetig weiter in das Maul ſchiebend, verhältnißmäßig ſehr große Biſſen von ihr ab; dabei beleckt er beſtändig die Lippen und die Möhre, welche er bald auf der einen, bald auf der anderen Seite in das Maul ſteckt. Gewöhnlich fängt er bei der Spitze der Wurzel an zu freſſen; aber ſelten verzehrt er eine Möhre auf einmal, ſondern verſucht lieber alle, welche ihm vor - gelegt werden. An dem Abbiß ſieht man deutlich die Eigenthümlichkeit der Zähne. Das Faulthier iſt nicht im Stande, ein Stückchen glatt zu beißen und die Zähne brechen mehr, als ſie ſchneiden. Man bemerkt in der Möhre die Eindrücke von allen, welche benutzt wurden, in unregelmäßigen Zwiſchenräumen.

Ein kleiner Teller voll Reis und drei Möhren genügen übrigens vollkommen zur täglichen Nahrung unſeres Thieres.

Die Loſung beſteht aus kleinen Kügelchen, welche zu einem Klumpen vereinigt ſind; ſie ähnelt der unſerer Schafe und Ziegen.

Nach dem Freſſen legt ſich Kees wieder zur Ruhe nieder, beugt oder kauert ſich zuſammen und nimmt ſeine alte Stellung an. Ungeſtört oder bezüglich ungerufen bewegt er ſich nur dann, wenn ihm das Bedürfniß einmal ankommt, ſich zu ſtrecken oder ſich irgendwo zu kratzen. Mit Beginn der Dunkelheit wird er etwas lebendiger und hängt ſich dann wohl längere Zeit an dem Geſtänge in ſeinem Käfig auf oder klettert an dem oberen Gitter deſſelben hin und her; doch bekommt er ſolche Turn - übungen ſehr bald ſatt und zieht ſich wieder auf ſeinen alten Lieblingsplatz in eine Ecke zurück. Auch in der Nacht ſchläft er ein gutes Stück; gegen den Morgen hin aber iſt er immer ſehr munter und nimmt dann auch regelmäßig einige Kletterübungen vor.

Der Nutzen, welchen die Faulthiere den menſchlichen Bewohnern ihrer Heimat gewähren, iſt außerordentlich gering. Nur in manchen Gegenden eſſen die Wilden und die Neger das Fleiſch,281Die Faulthiere.deſſen unangenehmer Geruch und Geſchmack den Europäer anekelt. Aus dem ſehr zähen, ſtarken und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taſchen. Hierauf beſchränkt ſich aber auch die Ver - werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geſchöpf natürlich nicht verurſachen, da es in ebendemſelben Maße verſchwindet, als der Menſch ſich ausbreitet. Auch das Faulthier ſteht auf der Liſte der Thiere, welche einem ſichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefſten und un - durchdringlichſten Wäldern vermag es ſich zu halten, und ſolange noch die herrlichen Bäume, welche ihm Obdach und Nahrung gewähren, verſchont bleiben von der mörderiſchen Art des immer weiter und weiter ſich ausbreitenden Europäers, ſolange wird es noch ſein freudeloſes Leben friſten. Jeder Anſiedler in ſolchem Walde aber verdrängt ſchon durch ſein Erſcheinen, durch das Fällen der Bäume die Faulthiere, welche ſonſt dort gehauſt haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich dazu bei, das ohnehin nur langſam ſich vermehrende Thier auszurotten.

Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die ſonderbarſten Sagen und Märchen ver - breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche ſo viele Leute kundgeben. Die erſten Nachrichten, welche wir über das Thier haben, ſtammen von Gonſalvo Ferdinando Oviedo, welcher ungefähr Folgendes ſagt: Der Perillo Ligero iſt das trägſte Thier, welches man in der Welt ſehen kann. Es iſt ſo ſchwerfällig und langſam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur funfzig Schritte weit zu kommen. Die erſten Chriſten, welche es geſehen, erinnerten ſich, daß man in Spanien die Neger weiße Häuſe zu nennen pflegte und gaben ihnen daher ſpottweiſe den Namen hurtiges Hündchen. Es iſt eins der ſeltſamſten Thiere wegen ſeines Mißverhältniſſes mit allen anderen. Ausgewachſen iſt es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachſen ſind. Weder die Klauen, noch die Füße ſind ſo beſchaffen, daß ſie den ſchweren Körper tragen können, und daher ſchleppt der Bauch faſt auf der Erde. Der Hals ſteht aufrecht und gerade, iſt gleich dick, wie der Stößel eines Mörſers, und der Kopf ſitzt faſt ohne Unterſchied oben darauf, mit einem runden Geſicht, das dem einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben iſt, ſo daß es nur etwas länger erſcheint als breit. Die Augen ſind klein und rund, die Naſenlöcher wie bei den Affen, das Maul iſt klein. Es bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es ſtaune. Sein einziger Wunſch und ſein Vergnügen iſt, ſich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher ſieht man es oft an Bäumen, an welchen es langſam hinaufklettert und ſich immer mit den Klauen feſthält. Sehr verſchieden iſt ſeine Stimme von der anderer Thiere; es ſingt immer nur bei Nacht, und zwar von Zeit zu Zeit allemal ſechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als wenn Jemand mit fallender Stimme ſpräche: la, la, ſol, fa, mer, re, at. So ſagt es ſechs Mal: hahaha, hahaha, daß man ſehr wohl von ihm ſagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver - anlaſſung geben können. Hat es einmal geſungen, ſo wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann Daſſelbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, ſowie ſeiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht - thier. Bisweilen fangen es die Chriſten und tragen es nach Hauſe; dann läuft es mit ſeiner natür - lichen Langſamkeit und läßt ſich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be - wegen, als es ohne äußere Anreizung ſonſt zu beſitzen pflegt. Findet es einen Baum, ſo klettert es ſogleich auf den Gipfel der höchſten Aeſte, und bleibt daſelbſt zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hauſe gehabt, und nach meiner Erfahrung muß es von der Luft leben, und dieſer Meinung ſind noch viele Andere auf dieſem Feſtlande; denn Nie - mand hat es irgend Etwas freſſen ſehen. Es wendet auch meiſtens den Kopf und das Maul nach der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft ſehr angenehm ſein muß. Es beißt nicht und kann es auch nicht, wegen ſeines ſehr kleinen Maules; es iſt auch nicht giftig. Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein ſo dummes und kein ſo unnützes Thier geſehen wie dieſes.

Man ſieht, daß der genannte Berichterſtatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von Dem, was er ſagt, iſt vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erſt ſpäter vor, z. B. bei Stedmann,282Die Faulthiere.Dieſer ſagt, daß das Faulthier oft zwei Tage brauche, um auf den Gipfel eines mäßigen Baumes zu gelangen und denſelben nicht verlaſſe, ſolange es Etwas zu freſſen finde. Während des Hinauf - klimmens ſoll es nur verzehren, was ihm zur Reiſe nöthig iſt; im Wipfel angekommen, entblößt es dieſen aber gänzlich. So thut es, um nicht zu verhungern, wenn es wieder auf die unteren Aeſte kommt, um einen anderen Baum aufzuſuchen; denn hätte es den unteren Theil des Wipfels abgefreſſen, ſo müſſe es den Beſchwerden der Reiſe nach anderen Bäumen natürlich erliegen. Einige ſagen auch, daß es, um ſich die Mühe zu erſparen, ſeine Glieder zu bewegen, ſich zuſammenkugelt und vom Baume fällt. Spätere Reiſebeſchreiber erwähnen noch hie und da des merkwürdigen Geſchöpfes, und jeder bemüht ſich, die alten Fabeln gehörig wieder aufzuwärmen und womöglich mit neuen Zuſätzen zu be - reichern. Erſt der Prinz von Wied gibt ſeine klaren und vorurtheilsfreien Beobachtungen, und nach ihm hauptſächlich Quoy und Gaimard, und endlich Schomburgk.

Man unterſcheidet gegenwärtig fünf verſchiedene Arten von Faulthieren und zählt ſie zwei Sippen zu, von denen die eine (Bradypus) an den Vorder - und Hinterfüßen drei lange Sichelkrallen und einen äußerlich ſichtbaren Schwanz, die andere (Choloepus) an den Vorderfüßen nur zwei Sichelkrallen und einen nicht ſichtbaren Schwanz beſitzt. Auch unterſcheiden ſich die Sippen, wenn gleich nur wenig, durch ihr Gebiß.

Es iſt wahrſcheinlich, daß ſpätere Entdeckungen uns noch mit einer oder der anderen Art bekannt machen werden, obgleich wohl anzunehmen iſt, daß gegenwärtig nur noch wenige Arten leben.

Unſere größere Abbildung zeigt uns den Uano (Choloepus didactylus), ein Thier von unge - fähr zwei Fuß Länge oder etwas mehr als Katzengröße, von graubrauner Farbe, welche an der Jnnen - ſeite der Gliedmaßen etwas dunkelt, und auf der Oberſeite durch die ſchmuzig gelben, weißen Haar - ſpitzen lichter erſcheint. Die Haare ſelbſt ſind auf dem Rücken ſehr lang und ſchlicht, im Kreuz entgegen geſträubt, gegen das Geſicht hin aber ganz kurz. Die Vorderſchnauze iſt nackt und nur mit einigen Härchen bedeckt. Dieſe Sippe hat ſieben Halswirbel.

Das kleinere Bild macht uns mit einem der häufigſten Mitglieder der zweiten Sippe be - kannt, mit dem dreizehigen Faulthier oder Ai (Bradypus tridactylus). Die Länge eines vollkommen ausgewachſenen Männchens beträgt nach Prinz von Wied’s Ausmeſſung 19½ Zoll, wovon Zoll auf den Schwanz kommen. Die Vorderklauen ſind Zoll, die hinteren noch nicht ganz zwei Zoll lang. Der Pelz beſteht aus feinem, kurzen und dichten Wollenhaar, an welchem man die wahre Zeichnung des Thieres am beſten wahrnehmen kann, und einem langen, trockenen, harten, etwas glatten, heuähnlichen Grannenhaar. Auf jeder Seite des Rückens zieht von den Schultern bis in die Schwanzgegend ein mehr oder weniger deutlicher, breiter Längs - ſtreifen von bräunlicher Farbe herab. Der übrige Pelz iſt blaßröthlich, aſchgrau, am Bauche ſilber - grau gefärbt. Wenn man die langen Haare des Rückens bis auf die darunter befindliche Wolle abſchneidet, tritt die eigentliche Zeichnung des Thieres hervor, und man bemerkt dann einen längs des Rückens gerade hinablaufenden, dunkeln, ſchwarzbraunen Längsſtreifen, und zu jeder Seite deſſelben einen ähnlichen weißen, alle drei ſcharf begrenzt, während ſonſt durch die langen Haare die Beſtimmung der genauen Abgrenzung dieſer Farbenvertheilung unmöglich wird. Ueber die Augen weg zieht eine breite weißliche Binde zu den Schläfen hinab. Die Augen ſind ſchwarzbraun um - ringelt, und ein ebenſo gefärbter Streifen zieht ſich von den Schläfen herab. Die Klauen ſind gelblich oder bräunlich gelb gefärbt. Gewöhnlich bemerkt man graugelbe, anders als das übrige Fell gefärbte Flecken auf dem Rücken der Faulthiere. Hier ſind die Haare abgenutzt, entweder durch Reibung auf Baumäſten, oder aber durch die Jungen, welche die Mütter auf dem Rücken tragen; denn die ſaugen - den Faulthiere reißen, wenn ſie ſich anhängen, mit ihren Klauen der Mutter nicht nur das Haar aus, ſondern verderben auch noch ein gehöriges Stück des Pelzes durch den Harn, welchen ſie ohne weiteres der Mutter auf den Rücken laufen laſſen.

283Die Faulthiere.

Der Uano bewohnt hauptſächlich Guyana und Surinam, der Ai dagegen die Oſtküſte Bra - ſiliens bis nach Rio Janeiro hinab. Andere Arten leben im öſtlichen Braſilien und Peru, und eine Art hauptſächlich im Nordweſten jenes großen Kaiſerreichs.

Den Faulthieren, welche man mit Recht auffallende Thiere nennt, in Ländern, wo Alles glänzt und flimmert, wo ſich die Beweglichkeit mit der Anmuth, die Zierlichkeit der Geſtalt mit der Farben - ſchönheit, die Behendigkeit mit der Pracht der Bedeckung paart, gingen noch weit ungeheuerlichere Geſchöpfe voraus, die Rieſeufaulthiere nämlich. Das waren zahnarme Thiere von gewaltigen Körperverhältniſſen und überaus plumpem Knochenbau, deren ungeheueres Leibesgewicht ein Baum - leben geradezu verbot. Sie waren alſo entſchieden Pflanzenfreſſer und als ſolche auf den Boden ge - bunden. Jm Jahre 1789 fand der Marauis Loretto, der Statthalter von Buenos Ayres, drei Stunden ſüdweſtlich von der Stadt gleichen Namens, in aufgeſchwemmtem Land verſteinerte Knochen

Das dreizehige Faulthier oder Ai (Bradypus tridactylus).

von einem Thiere auf, welches unſerm Elefanten an Größe vollkommen gleich kam; denn nach den Knochen gemeſſen, mußte es im Leben vierzehn Fuß lang und acht Fuß hoch geweſen ſein. Man fand faſt das ganze Geripp und konnte ſo mit ziemlicher Genauigkeit die Stellung des ausge - ſtorbenen Rieſenthieres beſtimmen. Es wurde auch trotz ſeines Untergangs von der Erde und nach ſeiner Auferſtehung noch getauft, nämlich Megatherium Cuvieri genannt. Die hinteren Gliedmaßen zeichneten ſich durch auffallende Plumpheit vor den vorderen, beweglichen aus. Der Hals beſtand aus ſieben Wirbeln. An den Vorderfüßen fanden ſich vier, an den Hinterfüßen blos drei Zehen mit großen Krallennägeln. Die beweglichen Unterarmknochen und der ſtarke Schultergürtel deuten darauf hin, daß die Vorderfüße nicht zum Gehen benutzt werden konnten, und ebenſowenig zum Klettern, denn dazu erſcheint der ganze Körper viel zu plump, gewaltig und ſchwer. Ebenſowenig konnten die Vorderhände zum Graben dienen, und ſo blieb Nichts übrig, als anzunehmen, daß das Rieſenthier ſich auf ſeine Hinterbeine erhob, mit den Vorderfüßen die Zweige der Bäume nieder -284Scharrthiere. Die Gürtelthiere.bog und mit den beweglichen Lippen das Laub abfraß. Möglicher Weiſe ſcharrte es auch mit ſeinen ſtarken Krallen weiche Wurzeln aus dem Boden. Die äußere Bedeckung war ein Haarkleid. Gegen - wärtig kennt man ähnliche Gerippe und zwar ebenſowohl aus Süd - als aus Nordamerika. Jn der Neuzeit fand man noch andere ähnliche Thiere auf, welche mehr oder weniger dem Rieſenthier ähnel - ten. Das Rieſenkrallenthier (Megalonyx) beſaß etwas längere Vorder - und kürzere Hinterſüße, als das eben erwähnte. Der Schwanz berührte den Boden und war ſehr ſtark. Die Rieſenfaul - thiere (Mylodon) zeigen noch den plumpen Gliederbau der vorigen, weichen aber in Einigem ab. Der Schwanz war lang und beſtand aus zahlreichen, ſehr kräftigen Wirbeln, welche darauf deuteten, daß das Thier das Glied gegen den Boden ſtemmte und ſich darauf ſtützte. Die Gliedmaßen waren von gleicher Länge, die vorderen fünf -, die hinteren vierzehig. Alle dieſe Thiere vereinigt man in einer beſonderen Familie, welche als Mittelglied zwiſchen den Faulthieren und den Gürtelthieren angeſehen werden muß. Die Letzteren haben ebenfalls ähnliche Vorahnen aufzuweiſen.

Neunte Ordnung. Scharrthiere (Effodientia).

Fitzinger erkennt mit vollem Rechte den drei Thiergruppen, welche er in der zweiten Ord - nung der Zahnarmen vereinigt, den Rang von Familien zu, während Andere in ihnen nur Sippen einer Familie ſehen wollen. Die Gürtelthiere, Ameiſenfreſſer und Schuppenthiere unter - ſcheiden ſich, was Geſtalt und Lebensweiſe anlangt, ſo auffallend von einander, daß eine Geſammt - beſchreibung der Ordnung der dritten Reihe oder Familie im Sinne vieler Forſcher kaum mög - lich iſt, oder mindeſtens nur ſehr ungenügend ausfallen muß. Wir wenden uns deshalb auch hier unmittelbar zur Betrachtung der einzelnen Familien.

Die Gürtelthiere (Dasypodes) ſind, wie die Faulthiere, eine durchaus verkommene Familie. Jm Vergleich zu Dem, was in der Vorzeit ſie waren, kann man ſie höchſtens Zwerge nennen. Das Glyptodon oder Rieſengürtelthier erreichte die Größe des Nashorns, und die Vertreter anderer Sippen wenigſtens den Umfang des Ochſen, während in der Jetztzeit die Gürtelthiere im ganzen höch - ſtens Fuß, ohne Schwanz aber nur 3 Fuß lang, und etwa 1 Fuß hoch werden. Alle Gürtelthiere ſind plumpe Geſchöpfe mit geſtrecktem langſchnäuzigen Kopfe, großen Schweinsohren, langem ſtarken Schwanz und kurzen Füßen, welche ſehr ſtarke Grabklauen tragen. Jhren Namen haben ſie von der eigenthümlichen Beſchaffenheit ihres Panzers; derſelbe iſt nämlich durch die, mitten auf dem Rücken aufliegenden Gürtelreihen beſonders ausgezeichnet und unterſcheidet ſich gerade durch die Reihenord - nung der Schilder von dem Schuppenkleide anderer Säugethiere. Die mittelſten Gürtel, welche zur Unterſcheidung der Arten dienen, obgleich ſie auch bei ein und derſelben Art nicht immer in gleicher Anzahl vorkommen, beſtehen aus länglich viereckigen Tafeln, während das Schulter - und Kreuzſchild aus Querreihen vier - oder ſechseckiger Platten gebildet wird, zwiſchen denen ſich kleine unregelmäßige Platten einſchieben. Auch der Scheitelpanzer iſt aus unregelmäßigen, meiſtens fünf - oder ſechseckigen Schildchen zuſammen geſetzt, und der Schwanz vollends iſt durchaus unregelmäßig bepanzert. Un - ſere Thiere ſind übrigens nur auf ihrer Oberſeite bepanzert; die Unterſeite ihres Leibes wird von gröberen oder feineren borſtenartigen Haaren bedeckt, und ſolche Borſten ſchieben ſich auch überall zwiſchen den Schildern hindurch.

285Die Gürtelthiere.

Der innere Leibesbau zeigt manches Eigenthümliche. Die Rippen ſind von außerordentlicher Breite und ebenſo ihre Knorpel, welche vollſtändig verknöchern. Bei manchen Arten berühren ſich die Rippen gegenſeitig. Jhre Zahl ſchwankt zwiſchen zehn bis zwölf. Die Wirbelſäule iſt merk - würdig, weil oft die Halswirbel, mit Ausnahme des Atlas und Epiſtropheus, mehr oder weniger mit einander verwachſen. Die Zahl der rückenloſen Wirbel ſchwankt zwiſchen Eins und Sechs; das Kreuz - bein beſteht aus acht bis zwölf, und der Schwanz aus ſechszehn bis einunddreißig Wirbeln. Außer - dem iſt die Stärke der Gliedmaßenknochen bemerkenswerth, namentlich die der Handwurzelknochen und Zehen. Das Gebiß ändert ſo ab, daß man nach ihm mehrere Unterfamilien gebildet hat, denen je - doch hier ein beſonderer Werth nicht zugeſprochen werden kann. Bei keiner einzigen Familie ſchwankt die Zahl der Zähne ſo außerordentlich, wie bei den Gürtelthieren. Einige Arten haben ſoviel Zähne, daß der Name Zahnarme für ſie nur dann nicht unverſtändlich wird, wenn man feſthält, daß der Zwiſchenkiefer immer zahnlos iſt, oder wenn man die Bedeutungsloſigkeit der Zähne erwägt. Man hat nämlich bisjetzt noch nicht mit hinreichender Sicherheit feſtſtellen können, wieviel Zähne dieſes oder jenes Gürtelthier eigentlich beſitze; denn auch innerhalb derſelben Art ſchwankt die Zahl erheblich und nicht blos zwiſchen jungen und alten Thieren. Jm allgemeinen läßt ſich ſagen, daß die Zahl der Zähne nie unter acht in jeder Reihe iſt, und bis ſechs und zwanzig in der einen und vier und zwanzig in der anderen Reihe ſteigen kann, wodurch dann ein Gebiß von ſechs und neunzig bis hundert Zähnen gebildet wird. Hier iſt allerdings nicht von Armuth zu reden; allein die Werthloſigkeit dieſer Un - maſſe von Zähnen iſt ſogroß, daß ſie eigentlich aufgehört haben, Zähne zu ſein. Sie haben die Form ſeitlich zuſammen gedrückter Walzen, beſitzen keine echten Wurzeln, ſind nur von einer dünnen Schmelzſchicht umgeben und wechſeln auch in der Größe außerordentlich ab. Gewöhnlich nehmen ſie vom erſten bis gegen den mittelſten hin an Größe zu, und dann wieder nach hinten allmählich ab: aber auch dies Verhältniß iſt nicht regelmäßig. Zudem ſind die Zähne ungemein ſchwach. Sie greifen zwar in einander ein, allein das Thier iſt nicht im Stande, kräftig zuzubeißen oder zu kauen. Die Zunge ähnelt bereits der des Ameiſenfreſſers, kann aber nicht ſoweit aus dem Maule hervorge - ſtreckt werden, und iſt auch viel kürzer, als bei dem erwähnten merkwürdigen Thiere. Sie iſt drei - kantig zugeſpitzt und mit kleinen pilz - und fadenförmigen Wurzeln beſetzt. Außerordentlich große Speicheldrüſen im Unterliefer überziehen ſie beſtändig mit einem klebrigen Schleime. Der Magen iſt einfach und der Darm hat die acht-bis elffache Leibeslänge. Die Schlagadern bilden hier und da noch Wundernetze, aber nicht mehr in der Ausdehnung, wie bei den Faulthieren. Gewöhnlich ſind zwei, ſeltener vier Milchdrüſen vorhanden. Hiermit haben wir die hauptſächlichſten Eigenthüm - lichkeiten des Leibesbaues unſeres Thieres erſchöpfend genug behandelt.

Alle Gürtelthiere ſind Bewohner Amerikas, namentlich des Südens. Sie leben in freien und ſandigen Ebenen, auf Feldern und dergleichen, und kommen blos am Saume der Wälder vor, ohne in dieſelben einzudringen. Nur während der Paarung finden ſich mehrere der gleichen Art zuſammen; während der übrigen Jahreszeit lebt jedes Gürtelthier für ſich, ohne um die übrigen Geſchöpfe ſich viel zu kümmern, mit Ausnahme derer höchſtens, welche zu ſeiner Nahrung dienen ſollen. Alle Arten ſind entweder vollſtändige, oder faſt vollſtändige Nachtthiere und verbergen ſich bei Tage ſoviel als möglich vor dem Licht der Sonne. Zu dieſem Zwecke graben ſie ſich Gänge; die meiſten nicht eben ſolche von großer Ausdehnung; eine Art und Sippe aber, die merkwürdigſte der ganzen Familie, lebt durchaus unterirdiſch, wie der Maulwurf. Die eigentlichen Gürtelthiere graben ſich ihre Baue am allerliebſten am Fuße großer Ameiſen - und Termitenhaufen, und Dies aus dem ſehr leicht ein - leuchtenden Grunde, weil ihre Nahrung vorzugsweiſe in Kerbthieren und namentlich in Ameiſen be - ſteht. Würmer und andere Kerfe werden nur gelegentlich von ihnen mit aufgenommen, und blos die allergrößte Noth treibt ſie, Wurzeln und Samen, oder eher noch weiche Pflanzentheile, ſowie voll - ſtändig in Fäulniß übergegangenes Aas zu genießen.

Mit Beginn des Abenddunkels erſcheinen die gepanzerten Feiglinge aus ihren tiefen, unterirdi - ſchen Bauen, und ſtrolchen eine Zeit lang umher, langſamen Schrittes von einem Orte zu dem an -286Die Gürtelthiere.deren ſich bewegend. Keine einzige Art verſteht zu klettern oder zu ſchwimmen; die Erde iſt ihr eigent - liches Element. Hier ſind ſie zu Hauſe, wie wenig andere Thiere. So langſam und träg ſie ſcheinen, wenn ſie gehen oder ſich ſonſt bewegen, ſo ſchnell und behend ſind ſie, wenn es gilt, ſich in die Erde zu graben. Aufgeſcheucht, erſchreckt und verfolgt, wiſſen ſie nichts Anderes zu thun, als ſich ſo recht im eigentlichen Sinne des Worts der Erde anzuvertrauen. Und ſie verſtehen das Graben wirklich ſo meiſterhaft, daß ſie buchſtäblich vor ſichtlichen Augen ſich verſenken können. Jhre außer - ordentliche Wehrloſigkeit würde ſie auch ihren Feinden ſchutzlos überliefern, wenn ſie nicht dieſe Art der Flucht auszuführen verſtänden. Eine Art beſitzt noch das Vermögen, ſich in eine Kugel zuſam - men zu rollen, wie unſer Jgel; doch thut ſie dies blos im alleräußerſten Nothfall und beginnt wieder ſobald als möglich ſich in die Erde zu vergraben und zu verſtecken.

Die Gürtelthiere ſind durchaus harmloſe, friedliche Geſchöpfe von ſtumpfen Sinnen, und ohne jede Spur höherer geiſtiger Fähigkeiten. Der Geruch ſcheint unter allen Sinnen noch am meiſten ent - wickelt zu ſein, ſteht aber entſchieden dem betreffenden Sinn anderer Gräber weit nach. Unſere Thiere ſind durchaus nicht geeignet, mit den Menſchen zu verkehren, und Jeder, welcher das Gürtel - thier geſehen hat, muß nach kurzer Beobachtung überzeugt ſein, daß ſich mit ſolchen gleichgiltigen, dummen und langweiligen Geſchöpfen Nichts anfangen läßt. Entweder liegen ſie ſtumpf auf ein und derſelben Stelle, oder ſie kratzen und ſcharren wie raſend, um ſich bald eine Höhle in die Erde zu graben. Jhre Stimme beſteht in knurrenden Lauten, ohne Klang und Ausdruck; ſie laſſen aber blos bei größter Erregung einen Ton vernehmen.

Auch die Gürtelthiere gehen ihrer gänzlichen Ausrottung entgegen. Jhre Vermehrung iſt gering. Einige Arten werfen zwar bis neun Junge; allein das Wachsthum derſelben geht ſo außerordentlich langſam vor ſich, und die Thiere ſind den vielen Feinden, welche ſie haben, ſo wenig gewachſen, daß an ein Häufigerwerden der Arten nicht gedacht werden kann.

Die Familie zerfällt nach den Eigenthümlichkeiten des Gebiſſes und der Zahl der Zehen, der Beſchaffenheit der Krallen und der Anzahl der Pauzergürtel in drei, oder nach Anderen in fünf Sippen. Wir brauchen auf dieſe genaue Eintheilung nicht einzugehen.

Die eigentlichen Gürtelthiere oder Armadille (Euphractus) haben ſämmtlich mehr oder weniger dieſelbe Geſtalt. Der Rumpf iſt gedrungen, die Beine ſind niedrig; der Schwanz iſt kugel - förmig und mittellang, gepanzert und ſteif; der Schildpanzer iſt knöchern und vollſtändig mit dem Leibe verwachſen. Jn der Mitte verlaufen ſechs oder mehr bewegliche Gürtel. Alle Füße ſind fünf - zehig, die Krallen der Vorderfüße zuſammen gedrückt, die äußeren ſchwach nach auswärts gedreht. Bei anderen Sippen iſt entweder die Zahl der Binden verſchieden oder aber das Gebiß zeigt Unter - ſchiede. Doch dieſe Eintheilung iſt zu ſpitzfindig, weil hierdurch Thiere getrennt werden, zwiſchen denen in ihrer äußeren Geſtalt, wie in ihrer inneren Bildung, in ihrer Lebensweiſe, wie in ihrer Fortpflanzungsart die größte Aehnlichkeit herrſcht. Einige genauere Artbeſchreibungen mögen übrigens die Unterſchiede uns deutlich machen. Jn der Lebensweiſe ähneln ſich alle Armadille oder eigentlichen Gürtelthiere ſehr. Wir haben durch Azara, Reugger und Prinz von Wied (namentlich aber durch die beiden Erſteren) vortreffliche Lebensbeſchreibungen der Gürtelthiere erhalten, und ſind hierdurch bis auf Geringfügigkeiten ſehr bekannt mit ihnen geworden. Jn der nachfolgenden Beſchrei - bung werde ich mich hauptſächlich auf Reugger’s und Azara’s Angaben ſtützen.

Alle Gürtelthiere führen in der guaraniſchen Sprache den Geſchlechtsnamen Tatu; dieſer iſt deshalb auch von vielen Gelehrten in die europäiſchen Sprachen herüber genommen worden. Der Name Armadill iſt ſpaniſchen Urſprungs und bedeutet eigentlich ſoviel als Gerüſteter oder Ge - panzerter. Man belegt mit dieſer Benennung vorzugsweiſe das gemeine oder ſechsbindige Gürtelthier, während man für die übrigen die guaraniſchen oder anderen Landesnamen beibehielt.

Alle Gürtelthiere leben nicht in einem beſtimmten Gebiet, ſondern ändern öfters ihr Lager. Dieſes beſteht in einer gangförmigen, vier bis ſieben Fuß langen Höhle, welche von ihnen ſelbſt gegraben wird. An der Mündung iſt die Höhle kreisförmig und hat nach der Größe des Thieres287Die Gürtelthiere.einen Durchmeſſer von neun Zoll bis zwei Fuß; gegen das blinde Ende zu wird der Gang immer weiter und zuletzt keſſelartig, ſo daß ſich das Thier im Grunde bequem umdrehen kann. Die Rich - tung des Ganges iſt verſchieden. Anfangs geht derſelbe ſchief, meiſt unter einem Winkel von etwa vierzig bis fünf und vierzig Grad in das Tiefe hinab; dann wendet er ſich bald gerade, d. h. wage - recht fort, bald biegt er ſich nach dieſer oder jener Seite hin. Jn ſolchen Höhlen bringen die Gürtel - thiere die ganze Zeit zu, welche ſie nicht zum Aufſuchen ihrer Beute verbrauchen. Jn den Wild - niſſen gehen ſie bei Tage aus, wenn der Himmel bewölkt und ihnen das grelle Sonnenlicht nicht be - ſchwerlich fällt; in bewohnten Gegenden verlaſſen ſie die Baue nicht vor einbrechender Dämmerung, ſtreifen dann aber die ganze Nacht durch umher. Es iſt ihnen vollkommen gleichgiltig, ob ſie ſich zu ihrer Höhle zurückfinden oder nicht, denn ſie graben ſich, falls ſie den Weg verfehlt haben ſollten, ohne weitere Umſtände eine neue. Und hiermit verbinden ſie zugleich einen doppelten Zweck. Azara beobachtete zuerſt (und die anderen der genannten Naturforſcher beſtätigen ſeine Beobachtungen in jeder Hinſicht), daß die Gürtelthiere ihre Baue hauptſächlich unter Ameiſen - oder Termitenhaufen anlegen, weil ſie hierdurch gleich in den Stand geſetzt werden, ihre hauptſächlichſte Nahrung mit größter Bequemlichkeit auch bei Tage einzuſammeln. Sie unterwühlen nun ſolche große Haufen und bringen es ſchließlich dahin, daß der Bau, für eine gewiſſe Zeit wenigſtens, geradezu ausgenutzt wird. Dann kann ihnen natürlich Nichts mehr an der alten Höhle liegen, und ſie ſind gewiſſermaßen gezwungen, ſich eine neue zu graben, um einen erſchöpften Boden mit einem friſchen zu vertauſchen. Nächſt den Ameiſen oder Termiten beſteht die Nahrung der Gürtelthiere vorzüglich aus Käfern und deren Larven, aus Raupen, Heuſchrecken und Erdwürmern. Reugger bemerkte, daß ein Tatu die Miſtkäfer, welche ſich in der Erde eingegraben, herausſcharrte und die hervorkommenden Regenwürmer begierig aufſuchte und verzehrte. Er berichtigt aber die Meinung von Azara, welcher glaubte, daß kleine Vögel, nämlich Erdniſter, Eidechſen, Kröten und Schlangen, vor den Nachſtellungen der Gürtelthiere nicht ſicher ſeien, und glaubt auch, daß das Aas von ihnen blos zu dem Zweck aufgeſucht werde, um die dort ſich findenden Kerbthiere aufzufreſſen. Ganz unzweifel - haft ſteht es dagegen feſt, daß die Gürtelthiere Pflanzennahrung zu ſich nehmen; Reugger hat ſolche in dem Magen der von ihm getödteten Thiere gefunden.

Höchſt wahrſcheinlich geht das Gürtelthier, ſolange es einen ergiebigen Bau unter einem Ter - mitenhaufen bewohnt, mehrere Nächte gar nicht nach Nahrung aus, ſondern verweilt Tage lang im Baue, nimmt die von oben herabfallenden Ameiſen gemächlich mit ſeiner Zunge auf und ſchluckt ſie hinab. Sobald aber die Weide im Hauſe anfängt knapp zu werden, unternimmt das Thier Streif - züge. Da werden dann die Gärten und Pflanzungen beſucht, um Raupen, Larven und Schnecken aufzuleſen; da wird einer oder der andere Ameiſenhaufen unterwühlt, und zwei verſchiedene, ſich gerade antreffende Gürtelthiere geben ſich bei gelegener Zeit wohl auch ein Stelldichein und verweilen ein paar Minuten mit einander. Auf ſolchen nächtlichen Streifereien findet auch, wie Reugger bei Monden - ſchein beobachtete, die Paarung ſtatt. Männchen und Weibchen begegnen ſich zufällig, beſchnuppern ſich ein paar Minuten lang, befriedigen ihren Geſchlechtstrieb, und trollen weiter, ſo gleichgiltig, als hätte es für das eine oder das andere kein zweites Gürtelthier in der Welt gegeben.

Es läßt ſich erwarten, daß die Streifereien der Gürtelthiere immer nur innerhalb eines kleinen Kreiſes ſtattfinden können. Der gewöhnliche Gang aller Armadille iſt ein ſehr langſamer Schritt, und die größte Beſchleunigung, deren ſie fähig ſind, ein etwas ſchnellerer Wechſel der Beine, welcher ſie aber niemals ſo raſch fördert, daß ſie ein Menſch nicht einholen könnte. Sätze zu machen, oder ſich ſchnell und gewandt herum zu drehen, ſind ihnen Dinge der Unmöglichkeit. Erſteres verwehrt die Schwerleibigkeit, das letztere der enge Anſchluß des Panzers. So können ſie denn, wenn ſie ihren Lauf auf das äußerſte beſchleunigen wollen, nur in gerader Richtung oder in einem ſehr großen Bogen dahintrollen, und ſie würden ihren verſchiedenen Feinden geradezu widerſtandslos preisgegeben ſein, wenn ſie nicht andere Kunſtſtücke verſtänden. Was ihnen an Gewandtheit gebricht, wird durch ihre große Muskelkraft erſetzt. Dieſe zeigt ſich beſonders in der Schnelligkeit, mit welcher ſie ſich in288Die Gürtelthiere.die Erde eingraben, und zwar an Stellen, wo eine Haue nur mit Mühe eindringt, z. B. am Fuße von Termitenhügeln. Ein ausgewachſener Tatu, welcher einen Feind in der Nähe wittert, braucht nur drei Minuten, um einen Gang zu graben, deſſen Länge die ſeines Körpers ſchon um ein Beträcht - liches übertrifft. Beim Graben kratzen die Gürtelthiere mit den Nägeln der Vorderfüße die Erde auf und ſcharren mit den Hinterfüßen den aufgelockerten Theil derſelben hinter ſich. Sobald ſie ſich über Körperlänge eingegraben haben, iſt ſelbſt der ſtärkſte Mann nicht mehr im Stande, ſie am Schwanze wieder rückwärts aus dem Gange herauszuziehen. Da ihre Höhlen niemals größer ſind, als zum Einſchlüpfen eben erforderlich, brauchen ſie nur ihren Rücken etwas zu krümmen, dann leiſten die Ränder der Binden nach oben und die ſcharfen Klauen nach unten hin ſo ſtarken Widerſtand, daß alle Manneskraft vergeblich iſt, ihn zu bewältigen. Azara ſah, daß man ohne Erfolg einem Tatu, um ihn leichter herauszuziehen, ein Meſſer in den After ſtieß: das Thier hielt ſich krampfhaft feſt und grub dann weiter. Oft befreien ſie ſich auch, wenn man ſie bereits aus der Höhle herausgezerrt hat, indem ſie ſich etwas zuſammenbiegen und dann, einer Springfeder gleich, wieder ausſtrecken.

Je nach dem Zeitpunkt der Begattung wirft das Weibchen im Winter oder im Frühjahr, trotz ſeiner geringen Zitzenzahl, drei bis neun Junge und hält ſie während einiger Wochen ſorgſam in ihrer Höhle verſteckt. Wahrſcheinlich dauert die Säugezeit nicht lange, denn man ſieht die Jungen bald genug im Felde umherlaufen. Sobald ſie einigermaßen erwachſen ſind, geht jedes ſeinen eigenen Weg, und die Alte bekümmert ſich nicht im geringſten mehr um ihre Sprößlinge. Ueberhaupt findet man die Gürtelthiere immer einzeln und höchſtens die Mutter mit ihren ſaugenden Jungen in ein und demſelben Baue.

Man jagt den Tatu gewöhnlich bei Mondſchein. Der Jäger bewaffnet ſich blos mit einem dicken Stock von hartem Holz, welcher am Ende ſpitz oder auch keulenförmig zuläuft, und ſucht mit einigen Hunden das Wild auf. Bemerkt der Tatu die Hunde noch rechtzeitig, ſo flieht er augenblicklich nach ſeiner eigenen Höhle oder gräbt ſich ſo ſchnell als möglich eine neue viel lieber, als daß er in einem fremden Baue ſeine Zuflucht ſuchte. Kommen die Hunde aber dem Tatu auf den Leib ehe er die Höhle gewinnt, ſo iſt er verloren. Da ſie ihn mit den Zähnen nicht anpacken können, halten ſie ihn mit der Schnauze und den Pfoten feſt bis der Jäger hinzukommt und das Thier durch einen Schlag auf den Kopf erlegt. Wenn es von den Hunden gepackt iſt, denkt es nie daran, ſich irgendwie zu vertheidigen, obgleich es augenſcheinlich mit ſeinen Krallen bedeutende Verletzungen beibringen könnte. Audubon ſagt, daß es durchaus keinen ſtreitbaren Charakter habe, ſondern im Gegentheil friedlicher noch ſei, als das Opoſſum ſelber, welches, ſo feig es ſich auch anſtelle, doch zuweilen tüch - tig beiße. Hat ſich der Tatu aber noch rechtzeitig in ſeine Höhle geflüchtet, ſo wird dieſelbe von dem Jäger mit einem Stocke ſolange vergrößert, bis ſie weit genug iſt, daß der Mann das Gürtelthier beim Schwanz ergreifen kann. Dann packt er dieſen mit der einen Hand und ſtößt mit der anderen das Meſſer in den After des armen, unglücklichen Geſchöpfes. Der heftige Schmerz hindert es ge - wöhnlich, ſich gegen die Wände anzuſtemmen und gibt es ſeinem grauſamen Feinde preis. Auch füllt man zuweilen ſeine Höhle mit Waſſer, wodurch es genöthigt wird, ſie zu verlaſſen, oder richtet an der Mündung derſelben eine Falle her, welche es beim Heraustreten erſchlägt. Bei der Unmaſſe von Höhlen, welche man da findet, wo die Thiere häufiger ſind, würde es ſchwer ſein, die be - wohnten von den verlaſſenen zu unterſcheiden, wüßten die geübten Jndianer nicht kleine Anzeichen zu deuten. Nach den bewohnten Höhlen hin ſieht man eine eigenthümliche Spur im Sande verlaufen, eine kleine ſeichte Rinne nämlich, welche von dem nachſchleppenden Schwanze gezogen wird. Vor der Höhle findet man auch gewöhnlich den Koth des Bewohners, weil dieſer nie im Jnnern des Baues abgelegt wird, und endlich bemerkt man in allen Höhlen, welche gerade Tatus beherbergen, eine Menge von Stechmücken ſchwärmen, jedenfalls in der Abſicht, dem wehrloſen Panzerträger an den nichtgeſchützten Theilen ſeines Leibes Blut abzuzapfen. Dieſe Anzeichen genügen vollſtändig für die Jäger, und ſie betreiben ihre Jagd mit einem Eifer, welcher einer beſſeren Sache würdig wäre. Alle Gürtelthiere nämlich ſind den Südamerikanern überaus verhaßte Geſchöpfe, weil ſie wirklich289Die Gürtelthiere.vielfache Unglücksfälle verſchulden. Die kühnen Reiter der Steppen, welche den größten Theil des Lebens auf dem Pferde zubringen, werden häufig genug durch die Arbeit der Gürtelthiere im höchſten Grade beläſtigt. Das Pferd, welches in geſtrecktem Galopp dahinjagt, tritt plötzlich in eine Höhle und wirft den Reiter ab, daß er in weitem Bogen dahinſchießt. Pferde und Rinder brechen auch wohl ein Bein bei ſolchen Gelegenheiten, und deshalb verfolgen die Eigenthümer aller Meiereien die armen Pauzerträger auf das erbittertſte und grauſamſte. Außer den Menſchen ſtellen ihnen auch noch die größeren Katzenarten, der braſilianiſche Wolf und der ſüdamerikaniſche Fuchs, nach; doch ſcheinen ihnen alle dieſe Feinde nicht eben viel Schaden zu thun, da ſie an den Orten, wo ſie der Menſch in Ruhe läßt, immer in großer Anzahl vorkommen.

Nur äußerſt ſelten werden in Paraguay Tatus aufgezogen. Sie ſind zu traurige und ihres Gra - bens wegen auch zu ſchädliche Hausgenoſſen, als daß der Menſch ſich beſonders mit ihnen befreunden könnte. Sie halten ſich den ganzen Tag über in einem Winkel ihres Käfigs ganz ruhig, ziehen die Beine unter ihren Panzer zurück und ſenken die ſpitze Schnauze gegen den Boden. Bei einbrechender Nacht dagegen beginnen ſie umher zu laufen, nehmen die ihnen vorgelegte Nahrung zu ſich und ver - ſuchen von Zeit zu Zeit mit ihren Nägeln ein Loch in den Käfig zu graben. Läßt man ſie in einem Hofe frei umherlaufen, ſo graben ſie ſich zuweilen ſchon bei Tage, gewiß aber in der erſten Nacht in die Erde ein und leben dann wie im Zuſtande der Freiheit, d. h. zeigen ſich blos bei Nacht, und gra - ben ſich alle drei oder vier Tage eine neue Höhle. Niemals beweiſen ſie durch irgend eine Handlung, daß ſie Verſtand beſitzen. Den Menſchen ſcheinen ſie kaum von anderen Geſchöpfen, mit denen ſie leben, zu unterſcheiden; doch gewöhnen ſie ſich daran, von ihm berührt und herumgetragen zu werden, während ſie vor Hunden und Katzen zu fliehen ſuchen. Erſchreckt man ſie durch einen Schlag oder ſtarken Laut, ſo ſpringen ſie einige Schritte weit fort und verſuchen ſogleich ein Loch zu graben. Jn ihrem Laufe achten ſie weder auf lebloſe Gegenſtände noch auf lebende Thiere, die ihnen im Wege liegen, ſondern rennen über Alles hinweg. Unter ihren Sinnen iſt der Geruch der vorzüglichſte; das Gehör iſt ſchwächer, und die Augen werden vom hellen Sonnenſchein vollſtändig geblendet und ſind auch in der Dämmerung nur zum Beſchauen ganz nahe liegender Gegenſtände befähigt.

Die Nahrung beſteht in der Gefangenſchaft aus Würmern, Kerbthieren, Larven und rohem oder gekochtem Fleiſch, welches man ihnen aber in kleinen Stücken vorwerfen muß, weil ſie von größeren Nichts abbeißen können. Sie ergreifen die Speiſe mit den Lippen oder mit ihrer ſehr ausdehnbaren und mit vielen Warzen bedeckten Zunge. Man hat häufig Gürtelthiere nach Europa gebracht; doch haben ſie hier die Gefangenſchaft nicht lange ausgehalten. Jm Thiergarten zu London brachte man ſie zur Paarung. Die Jungen kamen blind zur Welt und ihre noch weiche Haut zeigte alle Falten und Felder des erwachſenen Thieres. Jhr Wachsthum ging außerordentlich ſchnell vor ſich, eins hatte in Zeit von zehn Wochen 52 Unzen an Gewicht gewonnen und Zoll an Größe zugenommen. Jm kölner Thiergarten warf ein Weibchen zwei Mal je zwei Junge. Herr Dr. Bodinus war ſo gütig, mich hierüber genauer zu unterrichten. Ueber die Fortpflanzungsgeſchichte dieſer merkwür - digen Thiere bin ich, trotzdem ich die Gefangenen täglich vor Augen habe, noch ziemlich im Dunkel geblieben. Jch kann nur ſagen, daß die Begierde des Männchens zur Begattungszeit geradezu un - gezügelt iſt. Es überfällt ſein Weibchen in jeder Lage und treibt es lange umher. Die Geburt der Jungen überraſchte mich; denn die Geſchlechter ſind ſchwer zu unterſcheiden, und ich hatte durchaus keine Aenderung in dem Umfange des Weibchens wahrgenommen. Jhre verhältnißmäßig ſehr großen Jungen wurden halbtodt vor Kälte in der Streu des Käfigs gefunden. Das Weibchen bemühte ſich, dort ſie zu verſcharren. Dabei ſtieß es die Jungen in der roheſten Weiſe umher, kratzte und ſchlug mit ſeinen Nägeln auf die armen Geſchöpfe los, daß ſie blutrünſtig wurden, und erneuerte dieſes Verfahren immer wieder, nachdem die Jungen, als ſie fortgenommen und wieder erwärmt worden waren, hingelegt wurden, um ſich ſaugend an der Mutter zu ernähren. Daran war aber nicht zu denken. Es war mir unmöglich, irgend eine Spur von Milch zu entdecken; die Milchdrüfen waren auch nicht im geringſten angeſchwollen.

Brehm, Thierleben. II. 19290Die Gürtelthiere. Der borſtige Armadill.

Was die Mutter zu ſo unerträglichem Verfahren gegen die Jungen veranlaßt, konnte ich bisjetzt nicht ergründen, und fernere Beobachtung wird nöthig ſein. Sobald es mir gelingt, den trächtigen Zuſtand des Weibchens wahrzunehmen, will ich eine eigene Vorkehrung treffen, um dem Thiere ein möglichſt naturgemäßes Geburtslager zu bereiten und zwar in einer mit warmem Sande ausgelegten Holzröhre.

Der Nutzen der Gürtelthiere iſt nicht unbedeutend. Die Jndianer eſſen das Fleiſch aller Arten leidenſchaftlich gern, die Europäer blos das von zwei Arten. Reugger verſichert, daß ge - bratenes und mit ſpaniſchem Pfeffer und Citronenſaft verſetztes Gürtelthierfleiſch eins der angenehm - ſten Gerichte ſei. Bei reichlicher Weide werden die Thiere ſo fett, daß der ganze Leib gleichſam in Fett eingewickelt ſcheint. Die Jndianer Paraguays verfertigen aus dem Panzer kleine Körbe, die Botokuden aus dem abgeſtreiften Schwanzpanzer Sprachröhre. Früher benutzte man die Panzer - ſtücke auch wohl, um daraus Guitarrenböden zu machen, doch gegenwärtig gebraucht man dieſe nicht mehr.

Eins der bekannteſten Gürtelthiere iſt der Tatupoyu der Guarauas, d. h. der Tatu mit der

Der borſtige Armadill (Euphractus setosus).

gelben Hand, von uns gewöhnlich der borſtige Armadill oder das ſochsbindige Gürtelthier genannt (Euphractus setosus). Es hat unter allen Verwandten das häßlichſte und ſchwerfälligſte Ausſehen. Der Kopf iſt breit und oben flach, die Schnauze läuft etwas ſtumpf zu, das Auge iſt klein, das Ohr trichterförmig mit roher genetzter Haut überzogen. Der Hals iſt kurz und dick, der Rumpf breit, wie von oben nach unten gequetſcht. Die Füße ſind kurz, aber ſtark, und an jedem von ihnen finden ſich fünf mit tüchtigen Nägeln verſehene Zehen, welche durch eine kurze Haut mit einander verbunden werden. Der obere Theil des Kopfes iſt mit einer Gruppe von unregelmäßigen, ſechs - eckigen Schildchen bedeckt; der Panzer hat über jedem Auge einen kleinen Ausſchnitt. Auf dem Nacken finden ſich neun neben einander ſtehende, länglichviereckige Schildchen, auf dem Vorderrücken ſeitlich ſieben, in der Mitte fünf Reihen von unregelmäßigen, ſechseckigen Plättchen. Auf dieſen Schulter - panzer folgen ſechs von einander getrennte, bewegliche Gürtel von länglich viereckigen Schildern, und hierauf der Kreuz - oder Hüftenpanzer, welcher aus zehn Reihen länglich viereckiger Schildchen beſteht. 291Der borſtige Armadill. Die Bolita.Dieſe liegen dicht bei einander; das letzte hat in der Mitte des hinteren Randes einen kleinen Aus - ſchnitt. Der Schwanz iſt nächſt dem Rumpfe mit fünf von einander getrennten Ringen bepanzert, welche aus viereckigen Schildchen zuſammen geſetzt ſind; den übrigen Theil bedecken unregelmäßige, ſechseckige Schuppen. Endlich finden ſich noch unter jedem Auge zwei bis drei Zoll lange, wagrecht laufende, mit einander verbundene Schilderreihen, und auch am Halſe zwei dergleichen querlaufende, nicht zuſammenhängende vor. Der Rücken der Füße, die vordere Seite der Vorderarme iſt ebenfalls mit unregelmäßigen ſechseckigen Schuppen bedeckt. Den übrigen Theil des Körpers hüllt eine dicke, gerunzelte Haut ein, auf welcher eine große Anzahl flacher Warzen ſteht. Die Fußſohlen ſind platt. Am Hinterrande des Kopfſchildes, des Schulterpauzers, der Rückengürtel einzelner Schildreihen des Kreuzpanzers und der Schwanzringe zeigen ſich einige ſteife Borſten, gewöhnlich zwei hinter jedem Schildchen. Solche Haare finden ſich auch hinter den flachen Hautwarzen, welche die Zehen bedecken. Die Schildchen ſelbſt ſind verſchieden gebaut. Bei den viereckigen verlaufen zwei Rinnen der Länge nach; die übrigen ſind mehr oder weniger eben. Jhre Farbe iſt bräunlichgelb; durch die Reibung an den Wänden der Höhlen jedoch werden ſie zuweilen lichtgelb oder gelblichweiß. Die Haut hat eine ähnliche Farbe wie der Rücken. Die Haare ſind licht, die der bloßen Haut braun. Nicht ſelten findet man einzelne zu dieſer Art gehörige Gürtelthiere, welche anſtatt ſechs, ſieben bewegliche Rücken - gürtel und auf dem Hüftpanzer anſtatt zehn, elf Schilderreihen haben. Die ganze Länge des Thieres beträgt 1 Fuß 6 Zoll, die Schwanzlänge 9 Zoll, die Höhe im Widerriſt 9 Zoll.

Von den übrigen Gürtelthieren verdienen noch zwei Arten erwähnt zu werden. Die eine iſt der Apar oder Matako der Eingeborenen, die Bolita der Spanier (Euphractus Apar), ein noch ſehr unbekanntes Thier, von welchem bereits behauptet wurde, daß die Beſchreibungen von einem zu - ſammengeſetzten Balge herrührten. Azara gibt jedoch eine ſo klare Schilderung, daß an dem Vorhandenſein des betreffenden Thieres gar nicht gezweifelt werden kann. Er ſagt, daß ſich der Matako nicht in Paraguay vorfinde, ſondern erſt ungefähr unter dem ſechs und dreißigſten Grade ſüdl. Breite vorkomme: Einige nennen ihn Bolita, weil er der einzige unter allen Tatus iſt, welcher, wenn er ſich fürchtet oder gefangen werden ſoll, den Kopf, den Schwanz und die vier Beine verſteckt, indem er aus dem ganzen Leibe eine Kugel bildet, welche man wie einen Ball nach allen Richtungen rollen kann, ohne daß ſie ſich auflöſt. Man kann die Kugel auch nur mit großer Ge - walt aufrollen. Die Jäger tödten das Thier, indem ſie es heftig gegen den Boden werfen. Jch habe blos einen einzigen geſehen, der mir geſchenkt wurde, aber er war ſo ſchwach und krank, daß er ſchon am andern Tage ſtarb. Er hielt ſich beſtändig in einer ſehr zuſammengezogenen Stellung, gleich - ſam kugelartig, und lief tölpiſch, ohne ſeinen Leib auszuſtrecken. Er erhob dabei kaum die Beine und trat, anſtatt auf die Sohlen, auf die Spitzen der größeren Zehen, welche er ſenkrecht ſtellte (alſo auf die Spitzen der Nägel), hielt auch den Schwanz ſo, daß er beinahe den Boden berührte. Die Hände und Füße ſind viel ſchwächer, als bei allen anderen, und die Nägel nicht eben günſtig zum Scharren. Deshalb zweifle ich auch, daß er ſich Höhlen gräbt; wenn er wirklich in ſolche eintritt, ſind ſie wahrſcheinlich von anderen ſeiner Sippſchaft gemacht. Jch habe mich darnach erkundigt, und Alle behaupteten, daß man den Matako immer auf dem Felde finde. Es iſt geradezu unmöglich, ſeinen Leib gegen ſeinen Willen auszuſtrecken, wie ich es oft bei anderen Thieren gethan, um ſie zu meſſen. Die Maße, welche ich gebe, habe ich von dem getödteten genommen. Seine Länge von der Schnauzenſpitze bis zum Schwanzende beträgt 17 Zoll. Der Schwanz mißt 2⅔ Zoll; er iſt nicht rund oder kegelförmig, wie bei den übrigen, außer an der Spitze; denn die Wurzel iſt breitgedrückt. Die Schuppen ſind auch nicht wie bei den übrigen, ſondern ähneln mehr dicken Körnern und ragen weit hervor. Der Harniſch der Stirn iſt oben viel ſtärker, als bei den übrigen, und zuſammengeſetzt aus Schilderreihen und unregelmäßigen Stücken. Die Ohren erreichen, obgleich ſie einen Zoll meſſen, nicht die Höhe des Harniſches, welcher ganz bedeutend den eigentlichen Kopf überragt. Das Rücken - ſchild iſt Zoll hoch und zeichnet ſich durch eine bemerkenswerthe Spitze an jeder Seite aus, mit19*292Die Gürtelthiere. Die Bolita.welcher das Thier nicht blos ſein Auge, ſondern auch den größten Theil des Kopfes bedecken und ſchützen kann (wahrſcheinlich wenn es ſich zuſammenrollt). Die drei Binden, welche der Matako be - ſitzt, ſind auf dem Rücken 8 Linien lang, verſchmälern ſich aber nach den Seiten zu, das Kreuzſchild iſt 6 Zoll hoch. Alle einzelnen Schuppen der Schilder und Binden ſind unregelmäßig, rauh, holprig und jede wieder aus einer Menge kleinerer, unregelmäßiger Stückchen zuſammengeſetzt. Die Farbe des ganzen Thieres iſt dunkel bleifarbig, glänzend oder bräunlich. Die eigentliche Haut zwiſchen den Binden iſt weißlich, an der Unterſeite aber dunkel. Hier findet man kaum Schildchen, aber dieſelben ſind ſehr dicht und groß auf den Außenſeiten der vier Beine und an den Seiten, wo ſich die Binden vereinigen. Dort bemerkt man auch die Muskeln, welche die Schilder zuſammenziehen, um eine Kugel daraus zu geſtalten. Die einzelnen Pfoten ſind ſchuppenlos, obgleich ſie einzelne Schildchen zeigen.

Die Bolita (Euphractus Apar).

Andere Reiſende erzählen auch von dieſem Gürtelthiere und heben namentlich hervor, daß die Hunde daſſelbe mit großer Wuth angriffen, weil ſie nicht im Stande ſind, den Panzer zu zerbeißen und umſonſt verſuchen, das zuſammengerollte Thier fortzuſchleppen. Wenn ſie die Bolita von der einen Seite packen, entſchlüpft die große glatte Kugel ihren Zähnen, und der Ball rollt auf den Boden, ohne Schaden zu nehmen. Dies erbittert alle Hunde auf’s höchſte, und ihre Wuth ſteigert ſich mehr und mehr, je weniger ihre Bemühungen von erwünſchtem Erfolg ſind, gerade ſo wie es bei unſerm Jgel auch der Fall iſt.

Anton Göring erhielt eine lebende Bolita aus St. Louis, ihrer eigentlichen Heimat, oder derjenigen Gegend, wo ſie am häufigſten vorkommt. Dort lebt das Thier ganz wie Azara angibt, im freien Felde, ob auch in ſelbſt gegrabenen Höhlen, konnte Göring nicht erfahren. Die Einge - borenen nehmen es beim Fange der andern Gürtelthiere, welche, wie bemerkt, eine Lieblingsſpeiſe der293Die Bolita. Das Rieſengürtelthier.Gauchos bilden, gelegentlich mit und tödten es, falls ſie es verzehren wollen, noch heute in der Weiſe, wie Azara es angegeben hat. Weil aber der Matako ein poſſirliches Geſchöpf iſt, findet er gewöhnlich Gnade vor ihren Augen und wird für die Gefangenſchaft erhalten. Da ſpielen dann die Kinder des Hauſes mit ihm, kugeln ihn hin und her oder laſſen ihn auf einem Bret dahinlaufen und erfreuen ſich an dem Geklapper, welches er durch ſein ſonderbares Auftreten hervorbringt. Göring wurde oft beſucht und gebeten, ſeinen Gefangenen den Leuten vorzuführen. Obgleich das Thier noch nicht lange in der Gefangenſchaft geweſen war, zeigte es ſich doch vom erſten Anblick an ſehr zutrau - lich und nahm ohne Weiteres das Futter aus der Hand, welches ihm vorgehalten wurde. Es fraß allerlei Früchte und Blätter, namentlich Pfirſichen, Kürbiſſe und Salat, zwar nur, wenn man es ihm vorhielt, aber mehrmals am Tage, ſo oft man ihm Etwas gab. Die Nahrung mußte man ihm, ſeiner kleinen Mundöffnung wegen, in dünne Stückchen ſchneiden; dieſe nahm es dann ſehr zierlich zu ſich. Es ſchlief ebenſowohl bei Tage als bei Nacht. Dabei ſtreckte es die Vorderbeine gerade vor ſich hin, zog die Hinterbeine ein und legte ſich auf ſie und den Bauch, den Kopf bog es herab und legte ihn zwiſchen die Vorderbeine. Der Rücken zeigte ſich in jeder Stellung ſehr gewölbt. Das Thier war nicht im Stande, ſich eigentlich auszuſtrecken. Obgleich es in Gegenwart von mehreren Perſonen ganz ruhig fraß und umherlief, zog es ſich doch augenblicklich zuſammen, wenn man es berührte, und wenn man es drückte, immer ſtärker, bis es zur faſt vollendeten Kugel zuſammengerollt war. Sobald man von ihm abließ, ſtreckte es ſich allmählich wieder aus und ſetzte ſeine Wanderung fort. Auch wenn man die Kugel in die flache Hand legte mit dem Rücken nach unten, rollte es ſich langſam auf und ſtreckte alle vier Beine gerade nach oben vor ſich hin, zuckte auch manchmal mit dem Kopfe und den Vorderbeinen, machte aber ſonſt keine Anſtrengung, ſich zu befreien. Berührte man es an der Bruſt, ſo ſchnellte es die Vorderbeine hin und her, am Kopfe ließ es ſich aber berühren, ohne ſich dabei zu bewegen.

Das Thier war ungemein zierlich und ſeine Bewegungen, trotz ihrer Sonderbarkeit, wirk - lich anmuthig. Der Gaug auf den Spitzen der mehr als Zoll langen, gebogenen Nägel hatte etwas höchſt Ueberraſchendes und verfehlte auch nie, die Bewunderung aller Zuſchauer auf ſich zu ziehen. Wenn man es frei ließ, verſuchte es ſo eilig als möglich zu entfliehen, ſobald ihm aber ein Verfolger, z. B. ein Hund, auf die Ferſen kam, rollte es ſich zur Kugel zuſammen. Wenn man dieſe Kugel auf der Erde hinkollerte, blieb ſie feſt geſchloſſen; ſobald aber die Bewegung aufhörte, wickelte das Thier ſich auf und lief davon. Die Hunde bewieſen keine größere Erbitterung gegen die Bolita, als gegen alle übrigen Gürtelthiere. Dieſe haſſen ſie freilich womöglich noch mehr als unſeren Jgel und fallen ſie mit Wuth an, wo ſie dieſelben erblicken. Man kann jeden Hund ohne alle Abrichtung zum Fange der Gürteltiere benutzen; ſein natürlicher Haß treibt ihn von ſelbſt zur Jagd derſelben an.

Die letzte Art, auf welche wir noch flüchtig einen Blick werfen wollen, iſt, ſoweit bisjetzt be - kannt, der Rieſe aller noch lebenden Gürtelthiere, und trägt deshalb auch geradezu den Dies aus - drückenden Namen (Euphractus giganteus). Die Braſilianer nennen das Thier Tata-Comaſtra, die Botokuden Kuntſchung-gipakiu, die Paraguauer den großen Tatu der Wälder. Prinz von Wied erhielt in allen Gegenden, welche er bereiſte, Nachricht von dem Rieſengürtelthiere, bekam es aber niemals zu Geſicht. Er glaubt, daß es über den größten Theil von Braſilien verbreitet, ja vielleicht in ganz Südamerika zu treffen iſt. Jn den großen Urwaldungen fanden ſeine Jäger oft Höhlen oder Baue, namentlich unter den Wurzeln der alten Bäume, und man konnte von deren Weite einen Schluß auf die Größe des Thieres fällen. Die eingeborenen Jäger verſicherten, daß es hierin einem ſtarken Schweine gleichkomme, und die Baue und noch mehr die Schwänze, welche Prinz von Wied bei den Botokuden fand, ſchienen dieſe Ausſage nur zu beſtätigen. Am Rio grande de Belmonte fand der Prinz unter den Botokuden Sprachrohre, welche ſie geradezu Tatuſchwanz nennen, von vierzehn Zoll Länge und von drei Zoll Durchmeſſer an der Wurzel. Azara ſagt, daß das Rieſengürtelthier ſehr ſelten in Paraguay wäre und keinen eigentlichen Namen habe. Man294Die Gürtelthiere. Das Rieſengürtelthier.findet es blos in den ungeheueren Wäldern des nördlichen Theiles unſeres Landes. Wenn einer von den Tagelöhnern, welche in der Gegend arbeiten, wo das Rieſengürtelthier ſich findet, dort ſtirbt und der Entfernung von Friedhöfen wegen an Ort und Stelle eingegraben werden muß, ſind, wie man erzählt, die ihn zur Erde beſtattenden Leute genöthigt, das Grab mit ſtarken und doppelten Stäm - men auszulegen, weil ſonſt der Tatu den Leichnam ausgrabe und zerſtückle, ſobald er durch den Ge - ruch an das Grab geführt werde.

Jch ſelbſt habe das Rieſengürtelthier nur ein einziges Mal geſehen, und zwar zufällig. Jn einem Landhaufe erkundigte ich mich nach den Thieren der Umgegend und erfuhr von einem Alten, daß einige Nächte vorher die Knechte ſeines Hauſes nahe am Walde einen großen Packt entdeckt hatten, vor dem ſich die Pferde entſetzten. Einer der Burſchen ſtieg ab und erkannte im Scheine des Vollmondes einen Tatu, welcher grub. Er packte ihn am Schwanze, erhob ihn und band ihm ſeine und ſeines Gefährten Wurfſchlinge um den Leib und ſchleppte ihn vermittelſt dieſer nach Hauſe. Dort aber erhoben die Weiber aus Furcht ein Geſchrei und ruhten nicht eher, bis die beiden Fänger ihre Beute getödtet hatten. Am folgenden Tage erſchienen dann die Nachbarn, um das

Das Riefengürtelthier (Euphractus gigauteus).

merkwürdige Geſchöpf zu ſehen. Man zerſtückelte ſeinen Leib und der Eine nahm den Harniſch mit ſich, in der Abſicht, Geigen - oder Guitarrenböden daraus zu fertigen, der Andere die Klauen. Nachdem ich Dies gehört, verſuchte ich zu erhalten, was ich konnte, und fand, daß die Vögel und Würmer faſt alles Fleiſch gefreſſen hatten und daß auch der Kopf und der Schwanz bereits vollſtän - dig in Fäulniß übergegangen waren; doch ſah ich noch außerdem ein Stück des Panzers, und zwar das Schulter - und Kreuzſchild und die Schilder dazwiſchen, an welchen freilich viele Platten ihren Glanz verloren hatten. Nach dieſen Reſten habe ich meine Beſchreibung gemacht.

Aus ſpäter gemachten Unterſuchungen ergibt ſich, daß das Rieſengürtelthier eine Länge von drei Fuß und darüber erreicht, und der Schwanz über ein und einen halben Fuß lang wird. Stirn und Schädel werden von ſehr unregelmäßigen Knochentafeln bedeckt. Der Schulterpanzer beſteht aus zehn Gürtelreihen, zwiſchen welchen ſich hinten an den Seiten noch eine Reihe einſchiebt. Bewegliche Binden ſind zwölf bis dreizehn vorhanden. Der Hüftpanzer enthält ſechzehn bis ſiebzehn Reihen. Die Schilder ſind vier - oder rechteckig, auch fünf - oder ſechseckig, die hinteren Reihen des Hüftpan - zers unregelmäßig. Der Schwanz wird von viereckigen und unregelmäßigen Knochentafeln gedeckt. 295Das Rieſengürtelthier. Der Schildwurf.Ueberall drängen ſich kurze Borſten hervor. Die Ohren ſind kurz, breit, ſtumpf und mit runden Knochenwärzchen bedeckt. Die Farbe des Körpers iſt, mit Ausnahme des weißlichen Kopfes, Schwanzes und einer Seitenbinde, ſchwarz. Gewaltige Krallen verſtärken die kurzen, unbeweglichen Zehen, namentlich an den fünfzehigen Vorderfüßen iſt die mittlere Klaue von ungeheurer Größe. Die Zehen der Hinterfüße dagegen tragen breite, flache, faſt hufförmige Nägel. Der innere Leibes - bau zeigt manches Eigenthümliche. Die Halswirbel verwachſen theilweiſe ſo, daß auf den erſten Blick nur ihrer fünf vorhanden zu ſein ſcheinen. Die Wirbel tragen hohe, breite, unter einander ſich berührende Dornen zur Stütze des ſchweren Panzers. Die zwölf Kreuzwirbel verſchmelzen unter einander und mit dem Hüft - und Sitzbein. Die zwölf Rippen ſind ſehr breit; das Bruſtbein beſteht aus ſechs Stücken. Der Oberarm iſt ſtark gedreht, Schienen - und Wadenbein ſind oben und unten innig verbunden.

Das Merkwürdigſte am ganzen Thier dürfte jedoch das Gebiß ſein; in der oberen Reihe finden ſich je 24 bis 26, in der unteren Reihe je 22 bis 24 Zähne, wovon jedoch häufig mehrere aus - fallen; immerhin aber enthält das Gebiß 90 bis 100 Zähne oder wenigſtens Werkzeuge, welche die Zähne vertreten! Jn der vorderen Hälfte der Reihen ſind es nämlich blos dünne Platten, und erſt nach hinten zu werden ſie allmählich dicker, eiförmig, rundlich und cylindriſch. Manche der vor - deren Zahnplatten ſcheinen aus zwei Zähnen zuſammengeſchmolzen zu ſein. Dem Stoff nach ähneln die Zähne denen der übrigen Gürtelthiere. Was das Rieſengürtelthier mit dieſer Maſſe von Zähnen anfängt, iſt geradezu unerklärlich, da es ſich, ſoviel man bisjetzt weiß, in der Nahrung durchaus nicht von den übrigen Arten unterſcheidet.

Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß faſt in allen Ordnungen, ja ſelbſt in allen Fami - lien der Thiere ſich gewiſſe Glieder finden, welche den Uebergang zwiſchen anderen Ordnungen und bezüglich Familien zu bilden ſcheinen, weil ſie lebhaft an andere Thiere erinnern. Ein ſolches Ueber - gangsthier ſehen wir in dem Schildwurf oder der Gürtelmaus (Chlamydophorus truncatus) vor uns. Das merkwürdige Geſchöpf iſt man ſollte es nicht für möglich halten! ein Uebergangs - glied von den Gürtelthieren zu den Maulwürfen! Allerdings muß dieſe Behauptung rich - tig verſtanden werden. Die Gürtelthiere bilden eine ſo ſcharf begrenzte Familie nach Außen hin, daß auch die Gürtelmaus nicht weſentlich von dem allgemeinen Gepräge abweicht; gleichwohl drängt ſich dem Forſcher immer und immer wieder die Maulwurfsähnlichkeit des merkwürdigen Geſchöpfes auf.

Der Amerikaner Harlan entdeckte im Jahre 1824 die Gürtelmaus unweit Mendoza’s, einer Stadt am weſtlichen Ende der Pampas in dem Freiſtaate Rio de la Plata, und zwar zu dem höchſten Erſtaunen der Landeseinwohner, welche von ihrem Daſein kaum Kunde hatten. Nur einige Wenige wußten ihr einen Namen zu geben, ſie nannten ſie Pichiciego (blindes Thierchen). Lange Zeit kannte man blos zwei Stück, welche in den Sammlungen von Philadelphia und London aufbe - wahrt wurden, glücklicherweiſe aber aufs genaueſte unterſucht werden konnten. Erſt vor wenigen Jahren erhielt Hyrtl noch einige, und ſomit konnte der innere Leibesbau und die äußere Beſchrei - bung des Thieres vollſtändig gegeben werden. Der Schildwurf wird mit Recht als der Vertreter einer eigenen Sippe angeſehen, denn er unterſcheidet ſich himmelweit von den übrigen Gürtelthieren. Fitzinger gibt nach eigenen Unterſuchungen folgende Beſchreibung von dem noch immer überaus ſeltenen Thiere: Das chileſiſche Mantelgürtelthier oder, wie es einige Naturforſcher auch nennen, der Schildwurf oder die Gürtelmaus, zeigt eine der abweichendſten Geſtalten in der Ordnung der Scharrthiere, und gehört rückſichtlich der höchſt eigenthümlichen Bildung ſeines, den Körper decken - den, faſt lederartigen Hornpanzers zu den merkwürdigſten Schöpfungen der ganzen Thierwelt. Die - ſes ſonderbare Weſen, welches mit den Gürtelthieren noch die größte Aehnlichkeit hat, iſt gegen296Die Gürtelthiere. Der Schildwurf.dieſelben und im Verhältniß ſelbſt zu den kleinſten bisjetzt bekannten Arten, von wahrhaft zwerg - hafter Geſtalt, während es andererſeits ſowohl in Bezug auf ſeine Form, als noch mehr auf ſeine Lebensweiſe lebhaft an die Maulwürfe erinnert. Sein Kopf, welcher ganz und gar zum Wühlen geſchaffen zu ſein ſcheint, iſt kurz, in der hinteren Hälfte breit, in der vorderen aber zugeſpitzt und endigt in eine ziemlich kurze, abgeſtumpfte Schnauze, mit knorpelicher, faſt ſchweinähnlicher Naſen - kuppe, an deren vorderem und unteren Rande die nach abwärts gerichteten kleinen, rundlichen Naſen - löcher liegen, die an ihrem Jnnenrande mit ſehr kurzen, ſteifen Härchen beſetzt ſind, und durch einen daſelbſt hervortretenden, kleinen Höcker beinahe vollſtändig geſchloſſen werden können. Die Augen ſind klein und liegen unter den über dieſelben herabhängenden Haaren verborgen. Die nahe hinter den Augen ſtehenden Ohren haben keine äußere Ohrmuſchel, und der enge Gehörgang iſt blos von einem erhöhten Hautrande umgeben und wird gleichfalls durch das Haar völlig überdeckt. Die Mundſpalte iſt klein, reicht bei weitem nicht bis unter die Augen, und wird von harten, rauhen und aufgetriebenen Lippen umſchloſſen; die ziemlich lange, fleiſchige Zunge iſt von kegelförmiger Ge - ſtalt und auf ihrer Oberfläche mit kleinen Wärzchen beſetzt. Der Zahnbau iſt einfach. Vorder - und Eckzähne fehlen gänzlich, und die Backenzähne, von denen jederſeits ſowohl im Ober - als Unterliefer

Der Schildwurf (Calamydophorus truncatus).

acht ſich vorfinden, ſind von einer Schmelzſchicht umgeben, ohne Wurzeln und in der unteren Hälfte hohl. Sie haben eine walzenförmige Geſtalt und ſind mit Ausnahme der beiden vorderſten in jedem Kiefer, welche etwas ſpitzig ſind und dadurch eine entfernte Aehnlichkeit mit Eckzähnen erhalten, auf der Kaufläche abgeflacht. Sie nehmen von vorne nach rückwärts bis zum vierten Zahne an Größe allmählich zu, werden von dieſem aber bis zum letzten wieder kleiner. Der Hals iſt kurz und dick, der Leib langgeſtreckt, hinten am breiteſten, an den Schultern ſchmäler und in der Mitte längs der Seiten etwas eingezogen. Die ganze vordere Hälfte des Körpers iſt weit kräftiger, als die hintere gebaut. Die Beine ſind kurz, die vorderen Gliedmaßen ſehr ſtark, plump und kräftig, und beinahe maulwurfartig gebildet, die hinteren dagegen weit ſchwächer, als die vorderen, mit langem, ſchmalen Fuße. Beide ſind fünfzehig, die nur unvollkommen beweglichen Zehen an den Vorderfüßen bis zur Krallenwurzel mit einander verbunden, an den Hinterfüßen aber frei. An den Vorderfüßen iſt die zweite Zehe am längſten, die Außenzehe am kürzeſten und an ihrer Wurzel mit einer hornigen Scharrplatte verſehen. An den Hinterfüßen dagegen iſt die dritte Zehe am längſten, während die Außenzehe, ſowie an den Vorderfüßen, die kürzeſte iſt. Alle Zehen ſind mit ſtumpfſpitzigen Krallen bewehrt, von denen jene der Vorderfüße ſehr groß und ſtark ſind und mächtige Scharrkrallen bil -297Der Schildwurf.den. Sie ſind durchgehends lang, ſtark zuſammengedrückt, ſchwach gekrümmt und am äußeren Rande ſcharf, und nehmen von der zweiten bis zur Außenzehe an Breite allmählich zu, ſo daß dieſe am breiteſten erſcheint, ſowie ſie auch am Außenrande ſcharfſchneidig und beinahe ſchaufelförmig iſt. Die Krallen der Hinterfüße dagegen ſind bedeutend kleiner, faſt gerade und abgeflacht. Der Schwanz, welcher am unteren Rande des den Hintertheil des Körpers deckenden Panzers zwiſchen einer Aus - terbung deſſelben angeheftet iſt, macht plötzlich eine Krümmung nach abwärts und ſchlägt ſich längs des Unterleibes zwiſchen den Hinterbeinen zurück, ſo daß er völlig am Bauche aufliegt. Er iſt kurz, vollkommen ſteif und faſt ohne alle Bewegung, an der Wurzel dicker, dann allmählich ver - ſchmälert und zuſammengedrückt und gegen das Ende plötzlich in eine längliche, plattgedrückte Scheibe erweitert, die an ihren Rändern eingekerbt iſt und beinahe ſpatelförmig erſcheint. Die ganze Ober - ſeite des Körpers iſt von einem faſt lederartigen, hornigen Schildpanzer bedeckt, der ziemlich dick und weniger biegſam als Sohlenleder iſt, auf dem Kopfe nahe an der Schnauzenſpitze beginnt, ſich über den ganzen Rücken bis auf den Hintertheil erſtreckt und daſelbſt ſenkrecht abfällt, wodurch das Thier wie abgeſtutzt und gleichſam wie verſtümmelt erſcheint. Dieſer Panzer, welchen meiſt regelmäßige Querreihen oder Gürtel von größtentheils rechteckigen, zum Theil aber auch rautenförmigen und ſelbſt unregelmäßigen, höckerartigen Schildern zuſammenſetzen, iſt keineswegs ſo, wie bei den Gürtelthieren, allenthalben feſt mit der Körperhaut verbunden, ſondern liegt größtentheils nur loſe auf derſelben auf, indem er blos längs ſeiner Mitte an den Dornfortſätzen der Wirbelſäule mittelſt einer Haut befeſtigt und auch am Scheitel nur mittelſt zweier Schilder an den beiden halbkugeligen Vorragungen des Stirnbeines angeheftet iſt, daher er auch an den Seiten des Körpers klafft und aufgehoben wer - den kann. Dagegen iſt er am Vordertheile des Kopfes feſt mit den Knochen verbunden und ebenſo am Hintertheile des Körpers, wo er eine abgeſtutzte Fläche bildet. Der nicht bewegliche Theil des Kopfpanzers enthält nur fünf Querreihen von Schildchen, deren Zahl in den beiden vorderſten Reihen vier, in den drei hinteren fünf beträgt. Der Rückenpanzer dagegen, deſſen vorderſte Gürtel das Hinterhaupt decken und daſſelbe äußerlich nicht unterſcheiden laſſen, iſt aus vierundzwanzig, meiſt regelmäßigen Querreihen zuſammengeſetzt, von denen die beiden dem Kopfe zunächſt liegenden Reihen aus ſieben bis acht unregelmäßigen, höckerartigen Schildchen verſchiedener Größe beſtehen, während die übrigen Reihen durchaus regelmäßige, rechteckige Schildchen enthalten, deren Zahl von 15 oder 17 bis 24 ſteigt und in den drei hinterſten Reihen bis auf 22 herabfällt. Alle dieſe Querreihen oder Gürtel ſind durch eine Haut von einander geſchieden, die unter und über den einzelnen Schilder - reihen ſo angewachſen und zurückgeſchlagen iſt, daß der Vorderrand jeder Reihe unter dem Hinter - rande der vorangehenden liegt. Obgleich die Zwiſchenräume, welche hierdurch entſtehen, nicht be - ſonders groß ſind, ſo geſtatten ſie doch den einzelnen Gürteln einen ziemlichen Grad von Beweglichkeit, der ſogar auf die Fähigkeit des Thieres ſchließen läßt, ſeinen Leib kugelförmig zuſammenrollen zu können. Der vollkommen unbewegliche, mit dem Schwanze blos durch eine Haut verbundene Pan - zer des Hintertheiles endlich, welcher in einem rechten Winkel von dem Körper abfällt und völlig flach iſt, beſteht aus fünf bis ſechs halbkreisförmig geſtellten Reihen von Schildchen, theils recht - eckiger, theils rautenförmiger Geſtalt, und zeigt an ſeinem unteren Rande einen Ausſchnitt, zwiſchen welchem der Schwanz an den Körper angeheftet iſt. Die erſte oder oberſte dieſer Reihen enthält 20, die letzte aber nur 6 Schildchen. Der ganze Schilderpanzer iſt auf ſeiner Oberſeite ſowohl, wie auch an ſeiner freien Unterſeite unbehaart und völlig glatt, nur an den unteren Rändern deſſelben befinden ſich zahlreiche und ziemlich lange, ſeidenartige Haare. Dagegen iſt die Haut des Thieres allenthalben und ſelbſt unterhalb des Panzers, mit alleiniger Ausnahme des Schwanzes, der Sohlen, der Schnauzenſpitze und des Kinnes, welche vollkommen nackt ſind, ziemlich dicht von langen, feinen und weichen, faſt ſeidenartigen Haaren bedeckt, die viel länger als bei den Maulwürfen, aber keines - wegs ſo dicht wie bei dieſen geſtellt ſind. Am längſten ſind die Haare an den Seiten und den Beinen, am kürzeſten und ſpärlichſten auf der Oberſeite der Füße, wo ſie zwiſchen einigen horn - artigen, warzenförmigen Erhabenheiten hervortreten. Der Schwanz iſt von einer lederartigen Haut298Die Gürtelthiere. Der Schildwurf.umhüllt, welche auf der Oberſeite ziemlich glatt iſt und vierzehn bis ſechszehn faſt ſchildähnliche Quer - wülſte zeigt, während er auf der Unterſeite mit zahlreichen, warzenartigen Rauhigkeiten beſetzt iſt. Die beiden Zitzen liegen auf der Bruſt. Die Farbe des Bandes wie der Haare iſt ſchmuzig gelblich - weiß, auf der Unterſeite des Körpers etwas heller. Die Augen ſind ſchwarz. Die Länge des Kör - pers beträgt 4 Zoll 11 Linien, die des Schwanzes 1 Zoll 4 Linien, die Höhe am Widerriſt 1 Zoll 11 Linien.

Ueber die Lebensweiſe des Schildwurfs fehlen bis heute noch alle genaueren Nachrichten. Jn den Werken über Thierkunde findet ſich blos Folgendes: Das Thier lebt in ſandigen Ebenen und gräbt ſich, ganz wie unſer europäiſcher Maulwurf, lange Gänge unter dem Boden, vermeidet es ſorgſam, dieſen Palaſt unter der Erde zu verlaſſen und kommt wahrſcheinlich blos durch Zufall an die Ober - fläche herauf. Es ſoll im Stande ſein, mit der größten Schnelligkeit den Boden zu durchwühlen oder, wie der Maulwurf, gerade zu durchlaufen. Auf der Oberfläche der Erde ſind ſeine Bewe - gungen nur langſam und ungeſchickt. Höchſt wahrſcheinlich jagt es nach Maulwurfsart Kerfen und Würmern nach, vielleicht nimmt es auch mit zarten Wurzeln vorlieb. Ueber die Fortpflanzung weiß man nur ſoviel, daß die Vermehrung eine geringe iſt. Die Eingeborenen behaupten, das Weibchen trage ſeine Jungen verſteckt unter der Gürteldecke.

Man ſieht, wie dürftig dieſe Mittheilungen und wie viele von ihnen bloſe Vermuthungen ſind. Um ſo angenehmer war es mir, von meinem Freunde Anton Göring noch Einiges zu erfahren. Der Schildwurf, ſo berichtete er mir, lebt nicht blos in der Provinz Mendoza, ſondern auch in St. Louis, und nach den Verſicherungen eines alten glaubwürdigen Landwirthes in weit größerer Anzahl, als in Mendoza, obwohl er hier bekannter iſt, jedenfalls weil die Naturforſcher öfter nach ihm gefragt haben. Die Spanier nennen ihn Pichi ciego, weil ſie glauben, daß er ganz blind wäre; Einzelne aber geben ihm den Namen Juan calado (Haus mit Spitzenbeſatz). Unter erſterem Namen kennt ihn jeder Mendozino.

Das Thierchen bewohnt ſandige, trockene, ſteinige Gegenden, hauptſächlich ſolche, welche mit dornigem Geſtrüpp und Kaktus bewachſen ſind. Den Tag über hält es ſich ſtets im Jnnern der Erde verſteckt; nachts aber erſcheint es auch auf der Oberfläche, und namentlich bei Mondſchein läuft es außen herum, am liebſten unter den Gebüſchen. Nach allen ſicheren Angaben verweilt das Thierchen niemals lange vor ſeinem Baue und entfernt ſich auch immer nur auf wenige Schritte von der Mün - dung der Höhle. Die Fährte, welche es zurückläßt, iſt ſo eigenthümlich, daß man unſeren Spitzen - haus augenblicklich daran erkennen kann. Der Gang iſt nämlich nur ein Fortſchieben der Beine; das Thier vermag es nicht, die ſchwerbewaffneten Füße hoch genug zu erheben und ſchleift ſie blos auf dem Boden dahin. So bilden ſich dann zwei neben einander fortlaufende Streifen im Sande, welche ſich noch beſonders dadurch auszeichnen, daß ſie immer in den manchfaltigſt verſchlungenen Win - dungen ſich dahinziehen. Die Mündungen des Baues ſind auch noch an Einem kenntlich. Der Schildwurf ſchleudert nämlich beim Herausgehen, wahrſcheinlich mit den nach außen gedrehten Vor - derpfoten, wohl nach Art des Maulwurfes die Erde weg, welche ihn beim Herausgehen hindert. Dieſe fällt in zwei kleinen Häufchen zu beiden Seiten hin, ſo daß in der Mitte gewiſſermaßen ein Gang bleibt. Kein anderer Höhlenbauer Südamerikas verfährt in dieſer Weiſe.

Ueber die Fortpflanzung weiß man gar Nichts. Man jagt das Thier nirgends regelmäßig, ſon - dern fängt es nur zufällig, vorzugsweiſe beim Auswerfen der Bewäſſerungsgräben, welche man da zieht, wo man Felder anlegen will. Einige Male iſt es auch beim Fang der anderen Gürtelthiere mit gefunden worden. Jn der letzteren Zeit hat man der häufigen Nachfragen wegen ſich etwas mehr Mühe gegeben, Pichi ciegos zu erlangen; doch muß Dies ſehr ſchwer ſein, da Göring, welcher ſich ſieben Monate dort aufhielt, trotz aller Anſtrengungen und der lockendſten Verſprechungen, nicht ein einziges lebend oder friſch getödtet erhalten konnte. Noch heutigen Tages iſt der Pichi ciego ein Gegenſtand der Bewunderung der Eingeborenen. Man läßt jeden Gefangenen ſolange leben, als er leben kann und bewahrt ihn dann als große Merkwürdigkeit auf, ſogut es eben gehen will, wie es299Die Ameiſenfreſſer oder Ameiſenſcharrer.überhaupt den Südamerikanern eigen iſt, Thiere, welche ihnen merkwürdig vorkommen, in der Ge - fangenſchaft zu halten, ohne daß ſie jedoch daran dächten, ſie auch zu pflegen. Da die Leute das Abbälgen und Ausſtopfen nicht verſtehen, findet man ſolche merkwürdige Geſchöpfe oft als Mumien in ihren Händen, und zwei ſolcher Mumien des Pichi ciego erhielt auch Göring, und bezüglich Bur - meiſter, während der genannten Zeit des Aufenthaltes in Mendoza.

Die Familie der Ameiſenfreſſer oder Ameiſenſcharrer (Myrmecophaga) iſt noch weit ärmer an Arten, als die der Gürtelthiere; die Arten haben aber ſoviel Selbſtändiges, daß die meiſten auch als Vertreter eigener Sippen betrachtet werden müſſen. Es läßt ſich deshalb auch im allgemeinen über dieſe Familie nicht viel ſagen. Selbſt die Naturforſcher ſind noch keineswegs einig über die Begrenzung der Familie. Die Einen rechnen die Erdferkel zu den Gürtelthieren, die Anderen zu den Ameiſenfreſſern; Dieſe betrachten die ganze Ordnung nur als eine Familie, und Jene möchten jede Sippe zu einer beſonderen Familie erheben. Mit dieſer Angabe glaube ich am beſten dargethan zu haben, wie verſchiedenartig gebaut die einzelnen Ameiſenfreſſer ſind.

Der langgeſtreckte, mit Haaren bedeckte Leib dieſer Thiere ruht auf niedrigen, ſtarken Beinen. Der Hals iſt kurz, dick und wenig beweglich. Der Kopf iſt lang, die Schnauze walzenförmig; die Augen ſind klein; die Ohren verſchieden. Der Schwanz iſt bei den einen lang und buſchig, bei den anderen ſehr lang, glatthaarig und greiffähig, und bei den dritten wieder kurz und ſchlaff. An den kurzen Füßen ſitzen vorn zwei bis vier, hinten vier bis fünf Zehen, welche mit ſehr ſtarken Grabe - nägeln verſehen ſind. Dieſe Nägel aber unterſcheiden ſich bei jeder einzelnen Sippe, ja, bei jeder einzelnen Art ganz weſentlich. Jm Geripp ſind immer fünf Zehen angedeutet. Auch das Gebiß zeigt große Unterſchiede. Bei den Erdferkeln beſteht es nur aus Backzähnen in veränderlicher Anzahl, je nach dem Alter des Thieres, und zwar finden ſich fünf bis acht in jeder Reihe des Ober - kiefers und fünf bis ſechs in jeder Reihe des Unterkiefers. Bei den Ameiſenbären ſucht man vergeb - lich nach Zähnen; denn jede Spur derſelben fehlt. Der Mund iſt ſo klein, daß er eigentlich nur ein Loch vorn an der Schnauze bildet, durch welches die Zunge eben heraus und herein kann. Dieſe erinnert lebhaft an die der Spechte. Sie hat unſeren Thieren mit Fug und Recht den Namen Wurmzüngler verſchafft; denn ſie ähnelt wirklich einem langen Wurme und kann durch eigen - thümliche Muskeln auffallend lang hervorgeſchoben werden.

Jm Geripp zeigen die Mitglieder aller Sippen erhebliche Unterſchiede. Es finden ſich dreizehn bis achtzehn rippentragende, zwei bis ſieben rippenloſe, vier bis ſechs Lenden - und fünfundzwanzig bis vierzig Schwanzwirbel. Die Rippen ſind ſtark und breit bei den wahren Ameiſenfreſſern, rund und ſchmal bei den Erdſchweinen u. ſ. w. Doch wir müſſen Dies bei Betrachtung der Sippen oder wenigſtens der beiden Hauptabtheilungen hervorheben; denn die Unterſchiede ſind gar zu groß.

Die Ameiſenfreſſer bewohnen die Steppen Süd - und Mittelafrikas und einen großen Theil von Südamerika. Nach dieſem Vorkommen unterſcheiden ſie ſich eben ſo auffallend, als ihre bezüglichen Wohnorte verſchieden ſind: das Erdferkel ſcheint auf den erſten Blick hin ein ganz anderes Thier zu fein, als die wirklichen Ameiſenbären.

Trockene Ebenen, Felder, Steppen oder auch Wälder, in denen es zahlreiche Ameiſen - und Termitenhaufen gibt, ſind die Wohnplätze der merkwürdigen Geſellen. Je öder und einſamer die Gegend iſt, um ſo mehr geeignet erſcheint ſie den Ameiſenfreſſern, denn um ſo ungeſtörter können ſie ihren Vernichtungskriegen gegen die pflanzenverwüſtenden Termiten obliegen. Die meiſten Arten woh - nen in ſelbſtgegrabenen, großen unterirdiſchen Höhlen oder tiefen Gängen, und ſie verſtehen das Graben ſo meiſterhaft, daß ſie in kürzeſter Friſt einen neuen Gang ſich ausſcharren, ebenſowohl um einen Raubzug gegen das wüthende Heer der Ameiſen zu unternehmen, oder um ſich vor Verfol -300Die Ameiſenfreſſer. Die Erdſchweine.gungen zu ſchützen. Die anderen Arten leben theils in Löchern zwiſchen den Baumwurzeln, theils auf den Bäumen. Keine einzige Art hat einen beſtimmten Aufenthalt; die Thiere ſchweifen umher und bleiben da, wo es ihnen gefällt, an nahrungsreichen Orten länger, als an nahrungsarmen. Mit Tagesanbruch wird ein Gang gegraben. Darin verhält ſich der Ameiſenfreſſer bis zum Abend, dann kommt er heraus und trollt weiter. Nur die auf den Bäumen lebenden ſind wirkliche Tages - thiere, alle übrigen abgeſagte Feinde des Lichtes. Der Geſelligkeit ſind ſie nicht zugethan; jeder ein - zelne lebt für ſich und höchſtens zur Zeit der Paarung mit ſeinem Gatten zuſammen, aber immer nur kurze Zeit. Alle ſind mehr oder weniger träge und ſchläfrige Geſellen, ſchwerfällig, langſam, unbeholfen in ihren Bewegungen, langweilig in ihrem Weſen, ſtumpfſinnig, dumm und ungeſchickt, geiſtig wie leiblich. Bei manchen iſt der Gang ein höchſt ſonderbares Fortholpern, da ſie blos mit der Sohle der Hinterfüße und dem Außenrande der Vorderfüße den Boden berühren, alſo gleichſam auf den Rägeln gehen und ſich auch keineswegs beeilen, vorwärts zu kommen. Ein Schritt nach dem anderen wird langſam gemacht und der Schwanz muß noch tüchtig helfen, um das Gleich - gewicht zu vermitteln. Noch ſpaßhafter iſt der Lauf. Das dicke Erdſchwein trollt oder trabt mit kurzen, ſchnellen Schritten dahin, der arme Ameiſenbär aber humpelt in einem wirklich mühſeligen Galopp fort, obgleich er ſich raſch fördert. Die kletternden ſind viel geſchickter, und der ſtarke Wickelſchwanz thut ihnen dabei gute Dienſte. Eine Art wohnt faſt fortwährend auf Bäumen.

Alle nehmen ihre Nahrung auf höchſt ſonderbare Weiſe zu ſich. Sie öffnen mit ihren furcht - baren Krallen einen Termitenbau oder einen Ameiſenhaufen, ſtrecken ihre lange, klebrige Zunge hin - ein, laſſen die erboſten Ameiſen ſich wüthend darauf feſtbeißen und ziehen ſie plötzlich, wenn das ſchwarze Heer in wimmelndem Gedränge auf dem klebrigen Faden herumtanzt, in den Mund zurück mitſammt den Ameiſen, die ſich gerade darauf befinden. Jn dieſer Weiſe nähren ſich unſeres Wiſ - ſens nur wenige andere Thiere, der Specht und die Wendehälfe nämlich, vielleicht auch, wie bereits bemerkt, die Lippenbären. Einige Ameiſenfreſſer können auch kleine Würmer, Käfer, Heuſchrecken und andere Kerfe mit den Lippen aufnehmen und verſchlucken, und die kletternden Arten ſind im Stande, mit ihrer langen Zunge nach Spechtart verborgene Kerfe und Würmer aus Ritzen und Höhlen hervorzuziehen. Sie ſollen ſogar nach Honig lüſtern ſein.

Unter den Sinnen ſind der Geruch und das Gehör am meiſten ausgebildet. Das Gefühl offen - bart ſich auf der Zunge. Die übrigen Sinne aber ſcheinen ungemein ſtumpf zu ſein. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind höchſt gering. Sie ſind ängſtlich, vorſichtig, harmlos, kurz ſchwachgeiſtig, und nur wenige machen von ihren furchtbaren Waffen Gebrauch, umfaſſen ihre Feinde mit den langen Armen und Krallen und zerfleiſchen ſie auf gefährliche Art. Die Stimme beſteht in einer Art von Brum - men, Murren oder Schnauben, eine Art ſcheint aber vollkommen ſtumm zu ſein. Die Vermehrung iſt eine ſehr geringe. Das Weibchen bringt nur ein Junges zur Welt, ſchützt und vertheidigt es mit großer Liebe und ſchleppt es lange auf dem Rücken umher.

Dem Menſchen werden blos diejenigen Arten ſchädlich, welche in der Nähe der Wohnungen ihrem Ameiſenfange nachgehen und zu dieſem Zwecke den Boden auf weite Strecken hin unterwühlen. Dagegen nützt man die erlegten Ameiſenfreſſer, indem man Fleiſch, Fell und Fett, auch wohl die Krallen verwerthet. Die erſte Sippe der Familie enthält die Erdſchweine (Orycteropus), ſoviel man weiß, drei einander höchſt ähnliche, plumpe Thiere, mit dickem, ungeſchickten Leibe, dünnem Halſe, langem, ſchmächtigen Kopfe, mit walzenförmiger Schnauze, mit mittellangem, kugelförmigen Schwanze und kurzen, verhältnißmäßig dünnen Beinen, von denen die vorderen vier, die hinteren fünf Zehen haben, welche mit ſehr ſtarken, faſt geraden und platten, an den Rändern ſchneidenden, hufenartigen Nägeln bewehrt ſind. Das Maul iſt hier noch ziemlich groß, die Augen ſtehen weit nach hinten, die Ohren ſind ſehr lang. Das Haarkleid iſt dünn. Jm Oberkiefer finden ſich, ſolange das Thier jung iſt, in jeder Seite acht, im Unterkiefer ſechs Backenzähne; bei alten Thieren dagegen dort nur fünf und hier blos vier. Die Zähne ſind walzenähnlich, wurzellos, von faſeriger Beſchaffenheit301Das kapiſche Erdferkel.und aus unzähligen feinen, ſenkrecht dicht neben einanderſtehenden Röhren zuſammengeſetzt, welche auf der Kaufläche ausgefüllt, am entgegengeſetzten Ende aber hohl ſind. Der Durchſchnitt eines ſolchen Zahnes ſieht täuſchend dem eines ſpaniſchen Rohrs ähnlich. Jn der äußerlichen Geſtalt wechſeln die Zähne auch vielfach ab: die vorderſten ſind klein und eiförmig, die mittleren an beiden Seiten der Länge nach ausgehöhlt, als wenn ſie aus zwei zuſammengewachſenen Cylindern zuſam - mengeſetzt wären, die hinterſten ſind wieder klein und den erſten ähnlich. Jm übrigen Geripp zeichnen ſich namentlich die dünnen und runden Rippen, dreizehn an der Zahl, und die hohen, dünnen Fortſetzungen der Halswirbel aus.

Es iſt ziemlich gleich, welche Art von den drei bisjetzt bekannten man betrachtet; denn alle ähneln ſich außerordentlich. Unſere Abbildung ſtellt das kapiſche Erdferkel (Orycteropus capen - sis) vor, ein tüchtiges Thier, welches ausgewachſen faſt vier Fuß, mit dem Schwanze ſechs Fuß

Das kapiſche Erdfertel (Orycteropus capensis).

lang, am Widerriſt anderthalb Fuß hoch wird und dabei ein Gewicht von ungefähr einem Centner erreicht. Die Haut iſt ſehr dick; die glatt anliegenden und ziemlich ſpärlich vertheilten Haare ſind ſteif und borſtenartig. Auf der Oberſeite des Körpers iſt das Haar etwas kürzer, als auf der Unter - ſeite, wo es namentlich an den Zehenwurzeln büſchelartig hervortritt. Die Färbung iſt eine ſehr gleichmäßige. Der Rücken und die Seiten ſind gelblichbraun mit röthlichem Anfluge, die Unterſeite und der Kopf lichtröthlichgelb, Hintertheil, Schwanzwurzel und Gliedmaßen braun; neugeborene Junge ſind fleiſchfarben.

Die holländiſchen Anſiedler am Vorgebirge der guten Hoffnung haben dem Thiere zuerſt den Namen Erdferkel (Ardvarkens) beigelegt, weil das Fleiſch im Geſchmack dem des wilden Schweines wirklich nahe kommt. Sie haben von jeher eifrig Jagd auf das Thier gemacht und es daher auch gut kennen gelernt. Noch zu Buffons Zeit galt es für ein durchaus fabelhaftes Geſchöpf; der große Naturforſcher beſtritt Kolbe’s erſte Beſchreibung, welche aus dem Anfang des vorigen Jahrhun -302Die Ameiſenfreſſer. Das kapiſche Erdferkel.derts herrührt, ganz entſchieden, obgleich dieſe Beſchreibung heute noch für uns mehr oder weniger die maßgebende iſt.

Das kapiſche Erdferkel bewohnt blos Südafrika, verbreitet ſich aber, namentlich auf der Weſt - ſeite Südafrikas, ziemlich weit nach Norden hin, wie weit, iſt nicht bekannt. Seine Lebensweiſe erinnert in jeder Hinſicht an die der Gürtelthiere. Wie dieſe lebt es nur im flachen Lande, in Wüſten, Ebenen und Steppen, wo die Ameiſen und Termiten das große Wort führen. Es iſt ein einſames Thier, jedoch geſelliger, als die Gürtelthiere, denn man findet zuweilen ihrer mehrere beiſammen. Jm Grunde lebt aber auch jedes einzelne Erdſchwein für ſich, bei Tage in großen, ſelbſtgegrabenen Höhlen ſich verbergend, die Nacht umherſchweifend. Jn den Steppen Kordofahns, und zwar eben - ſowohl in den mit dünnem Walde beſtandenen Niederungen, als auch in den weiten, mit hohem Gras bewachſenen Ebenen, wo ſich nur wenige Büſche finden, habe ich die Höhlen des mittelafrika - niſchen Erdferkels (Orycteropus aethiopicus) oft genug geſehen und viel von ſeiner Lebensweiſe ver - nommen, ohne aber das Thier jemals zu Geſicht zu bekommen. Die Nomaden nennen es dort Abu - Delahf oder Vater, Beſitzer der Nägel, und jagen ihm ebenfalls eifrig nach. Sie beſtätigten genau die Nachrichten, welche wir über die am Kap wohnende Art erhalten haben. Erſt mein Freund Heuglin war ſo glücklich, eines dieſer Thiere lebendig zu erhalten und konnte auch über die Lebensweiſe genauere Nachrichten geben. Von ihm erfuhr ich ungefähr Folgendes: Das Erdſchwein wohnt paar - weiſe zuſammen, den Tag über ſchläft es in zuſammengerollter Stellung in tiefen, ſelbſtgegrabenen Erdlöchern, welche es gewöhnlich hinter ſich zuſcharrt. Gegen Abend begibt es ſich ins Freie, um ſeiner Nahrung nachzugehen. Sein Lauf iſt keineswegs beſonders raſch, aber es führt während deſſelben ganz eigenthümliche, ziemlich weite Sprünge aus. Dabei berührt es mit der ganzen Sohle den Boden, trägt den Kopf ſenkrecht gegen die Erde gerichtet, den Rücken gekrümmt und ſchleppt den Schwanz mehr oder weniger auf dem Boden fort. Die Schnauzenſpitze geht ſo dicht über den Boden hin, daß es mit dem Haarkranz, welcher ſeine Naſenlöcher umgibt, förmlich den Boden fegt. Die Ohren hat es weit auf den Nacken zurückgelegt. Von Zeit zu Zeit ſteht es ſtille, um zu horchen, ob kein Feind in der Nähe iſt, dann geht es wieder weiter. Dabei wird augenſcheinlich, daß Geruch und Gehör die ausgebildetſten Sinne ſind; denn ebenſoſehr als es mit den Ohren arbeitet, ge - braucht es die Naſe. Den Naſenkranz ſchnellt es durch eine raſche Bewegung der Naſenhaut beſtändig hin und her; und hier und dort richtet es prüfend die lange Schnauze empor, um ſchnoppernd ſeiner Beute nachzuſpüren. So geht es fort, bis es die Spur einer Ameiſenheerſtraße findet. Dieſe wird verfolgt bis zum Bau der Ameiſen, und dort beginnt nun die Jagd, ganz nach Art der Gürtel - thiere oder noch mehr der eigentlichen Ameiſenfreſſer. Es beſitzt eine unglaubliche Fertigkeit im Gra - ben. Wenige Augenblicke genügen ihm vollkommen, um ſich gänzlich in die Erde einzuwühlen, der Boden mag ſo hart ſein, als er will. Beim Graben arbeitet es mit den ſtarken Krallen der Vorder - füße den Boden auf und wirft ganze Klumpen mit gewaltiger Kraft nach hinten; mit den Hinterfüßen ſchleudert es dann die losgeworfene Erde ſoweit hinter ſich, daß es in einen förmlichen Staubregen eingehüllt wird. Wenn es an einen Ameiſen - oder Termitenbau kommt, beſchnoppert es ihn zuerſt ſorgfältig von allen Seiten; dann geht das Graben los, und das Thier wühlt ſich in die Erde, bis es auf das Hauptneſt oder wenigſtens einen Hauptgang der Ameiſen geräth. Jn ſolche Hauptgänge, welche bei den Termitenhügeln meiſt einen Zoll im Durchmeſſer haben, ſteckt nun das Erdferkel ſeine lange, klebrige Zunge, läßt ſie voll werden und zieht ſie dann mit den Ameiſen zurück, und Dies wiederholt es ſolange, bis es ſich vollkommen geſättigt hat. Manchmal ſchlürft es auch geradezu mit den Lippen Hunderte von Ameiſen auf ein Mal ein, und in dem eigentlichen Neſte der Termiten, in welchem Millionen dieſer Kerfe durch einander wimmeln, frißt es faſt, wie ein Hund, mit jedem Biſſen Hunderte zugleich verſchlingend. So geht es von einem Bau zum anderen und richtet unter den Alles verwüſtenden Termiten nun ſeinerſeits die größte Verheerung an. Mit dem Grauen des Morgens zieht es ſich in die Erde zurück, und da gilt es ihm nun ganz gleich, ob es ſeine Höhle findet, oder nicht, denn in wenig Minuten hat es ſich ſo tief eingegraben, als es für303Das kapiſche Erdferkel.nöthig findet, um den Tag in vollſter Sicherheit zu verpaſſen. Erſcheint die Höhle noch nicht tief genug, ſo gräbt es bei herannahender Gefahr eben weiter; es iſt keinem Thiere möglich, ihm nach in die Höhle einzudringen, weil das Erdſchwein die ausgeſcharrte Erde mit ſo großer Kraft nach hin - ten wirft, daß jedes andere Thier ſich beſtürzt zurückzieht. Selbſt dem Menſchen wird es ſchwer, ihm nachzugraben, und jeder Jäger wird nach wenigen Minuten vollſtändig von Erde und Sand bedeckt.

Das Erdferkel iſt außerordentlich vorſichtig und ſcheu und vergräbt ſich auch nachts bei dem ge - ringſten Geräuſch unverzüglich in die Erde. Sein Gehör läßt ihm die Ankunft eines größeren Thie - res oder eines Menſchen von weitem vernehmen, und ſo iſt es faſt regelmäßig in Sicherheit, ehe die Gefahr ſich naht. Seine große Stärke befähigt es übrigens auch, mancherlei Gefahren abzuwehren. Der Jäger, welcher ein Erdferkel wirklich überraſcht und feſthält, ſetzt ſich damit noch keineswegs in den Beſitz der erwünſchten Beute. Wie das Gürtelthier, ſtemmt ſich auch das Erdferkel, ſelbſt wenn es nur halb in ſeiner Höhle iſt, mit aller Kraft gegen die Wandungen derſelben, gräbt die ſcharfen Klauen feſt in die Erde, krümmt den Rücken und drückt ihn mit ſolcher Gewalt nach oben, daß es kaum möglich wird, auch nur ein einziges Bein auszulöſen und das Thier herauszuziehen. Ein einzelner Mann vermag Dies nie; ſelbſt mehrere Männer haben gerade genug mit ihm zu thun. Man verfährt deshalb ganz ähnlich, wie in Amerika mit den Gürtelthieren. Die Eingeborenen Oſt - ſudahus nähern ſich vorſichtig dem Bau, ſehen an der in der Mündung liegenden Erde, ob ein Erd - ferkel darin iſt, oder nicht, und ſtoßen nun plötzlich mit aller Kraft ihre Lanze in die Tiefe der Höhle. Jſt dieſe gerade, ſo wird auch regelmäßig das Schwein getroffen, iſt ſie krumm, ſo iſt die Jagd um - ſonſt. Jm entgegengeſetzten Falle aber haben die Leute ein ziemlich leichtes Spiel; denn wenn auch das Erdſchwein nicht gleich getödtet werden ſollte, verliert es doch ſehr bald die nöthige Kraft zum Weiterſcharren, und neue Lanzenſtiche enden dann ſein Leben. Gelingt es, das Thier lebend aus ſeinem Gange herauszureißen, ſo genügen ein paar Schläge mit dem Stocke auf den Kopf, um es zu tödten. Am Kongo fängt man es in eiſernen Schlagfallen und jagt es nachts mit Hunden. Dieſe ſind ſelbſtverſtändlich nicht im Stande, das Thier feſtzuhalten, denn das Erdferkel vergräbt ſich vor ihren Augen in die Erde: ſie bezeichnen aber den Ort, wo man es aufzuſuchen hat.

Ueber die Paarung und Fortpflanzung fehlen noch genauere Nachrichten. Man weiß, daß die Paarung am Kap im Mai und Juni ſtattfindet, und daß das Weibchen, wenn, iſt nicht bekannt, ein einziges Junges wirft, welches nackt zur Welt kommt und ſehr lange von der Alten geſäugt wird. Jn Oſtſudahn wird es wahrſcheinlich, wie alle Säugethiere, während der Regenzeit werfen, weil es dann auch außer den Ameiſen noch viele andere Kerbthiere findet. Dies wäre alſo in den Monaten Juli bis September.

Bisjetzt iſt es noch nicht gelungen, ein Erdferkel längere Zeit am Leben zu erhalten. Heuglin bemühte ſich vergebens, eines, welches er geraume Zeit lebend hatte, mit nach Europa zu bringen. Er fütterte das Thier mit Milch, Honig, Ameiſen, Datteln und anderen Früchten. Sein Ge - fangener ſchien gute Anlagen zu zeigen. Er wurde bald zahm, gewöhnte ſich an den Pfleger und folgte ihm nach, wenn dieſer im Hofe umherging. Durch ſeine ſehr komiſchen Sprünge gewährte er Vergnügen, doch war er im ganzen ein ſtumpfer und langweiliger Geſell, welcher, ſobald er konnte, ſich vergrub und faſt den ganzen Tag durch ſchlief.

Nur in Gegenden, welche oft Karawanen durchziehen, wird das Erdſchwein dem Menſchen durch ſein Graben ſchädlich, ſonſt ſchafft es eher Nutzen, als Schaden, ſchon während ſeines Lebens. Nach ſeinem Tode findet es vielfache Verwendung. Das Fleiſch iſt geſchätzt und dem des Schweines ähnlich, die dicke, ſtarke Haut wird zu Leder verarbeitet.

304Die Ameiſenbären. Der Yurumi.

Die wahren Ameiſenbären (Myrmocephaga), welche die zweite Sippe der Familie bilden, haben, wie bemerkt, mit dem Erdſchweine nur ſehr geringe Aehnlichkeit. Der Körper iſt geſtreckter, der Kopf und zumal die Schnauze noch weit mehr verlängert, als bei dem Erdſchwein; der Schwanz erreicht faſt die Hälfte der Körperlänge; ein dichter, ſtruppiger, eigenthümlicher Pelz deckt den Leib, zumal die Oberſeite. Die hinteren Gliedmaßen ſind ſchlank und ſchwächer, als die Vorderbeine. Beide Füße zeigen im Geripp fünf Zehen. Dieſe ſind aber nicht ſämmtlich mit Krallen bewaffnet. Die Mundſpalte iſt ſehr klein, die Zunge aber lang, dünn und gerundet, an einen Wurm erin - nernd. Die Ohren und Augen ſind ſehr klein. Noch auffallender iſt der innere Leibesbau. Durch die Verlängerung des Antlitztheiles wird die Schnauze lang, röhrenförmig und die Naſenröhre bildet ſo einen langen Doppelgang. Der Zwiſchenkiefer iſt ſehr klein und gekrümmt, mit dem Oberkiefer auch blos durch Knorpel verbunden. Vergeblich ſucht man nach Zähnen; jede Spur derſelben fehlt. Funfzehn bis achtzehn Rückenwirbel tragen Rippen, zwei bis ſechs ſind rippenlos, vier bis ſechs bil - den das Kreuz, neunundzwanzig bis vierzig den Schwanz. Die Rippen werden ſo außerordentlich breit, daß ihre Ränder ſich decken und alle Räume zwiſchen den Knochen verſchwinden. Das Schlüſſel - bein iſt bei dem Einen verkümmert, bei dem Anderen ſehr entwickelt, bei dem Dritten fehlt es ganz. Die Armknochen ſind überaus ſtark. An dieſes Geripp ſetzen ſich ſehr kräftige Muskeln an, welche beſonders an den Vordergliedern ſtark erſcheinen. Eigene Muskeln bewegen auch die ſehr lange, runde, mit ſpitzen, hornartigen, kleinen Stacheln beſetzte Zunge, welche durch ſehr ſtark entwickelte Speichel - drüſen fortwährend mit klebrigem Schleime überzogen wird. Das Herz iſt verhältnißmäßig klein. Die Schlagadern bilden Wundernetze an den Schenkeln.

Wir verdanken namentlich Azara und Rengger vortreffliche Beſchreibungen zweier Arten von Ameiſenbären oder Ameiſenfreſſern; Rengger hat überhaupt das Beſte über das Leben des Thieres geſchrieben, was wir kennen. Jch lege deshalb die Beſchreibung dieſes Forſchers hier zu Grunde.

Paraguay beſitzt zwei Arten von Ameiſenfreſſern. Der eine wird in der guaraniſchen Sprache Yurumi, d. h. kleiner Mund genannt, der andere trägt den Namen Caguare. Der Pelz des Yurumi (Myrmocephaga jubata) beſteht aus dichten, ſteifen, rauh anzufühlenden Borſtenhaaren. Kurz am Kopfe, verlängern ſich dieſelben längs des Nackens und Rückgrates, wo ſie eine Mähne bilden, bis auf neun Zoll, und am Schwanze von zehn bis funfzehn Zoll Länge, während ſie am übrigen Körper, um und an den Beinen, blos drei bis vier Zoll lang ſind. Dieſe Haare liegen ent - weder mit rückwärts gedrehter Spitze am Körper, oder hangen an der Seite herunter; nur am Kopfe ſtehen ſie ſenkrecht empor. Die, welche die Schwanzquaſte bilden, ſind ſeitwärts zuſammengedrückt und erſcheinen lanzettartig. Nackt ſind blos die Schnauzenſpitze, die Lippen, die Augenlider und die Fußſohlen. Die Farbe des Pelzes iſt ziemlich verſchieden. Am Kopfe erſcheint die Geſammtfarbe Aſchgrau mit Schwarz gemiſcht, weil hier die Haare abwechſelnd ſchwarz und aſchgrau geringelt ſind. Faſt die nämliche Farbe haben der Nacken, der Rücken und zum Theil auch die Seiten des Rumpfes, die vorderen Beine und der Schwanz. Die Kehle, der Hals, die Bruſt, der Bauch, die Hinterfüße und die untere Seite des Schwanzes ſind ſchwarzbraun. Ein ſchwarzer, anfangs fünf bis ſechs Zoll breiter, nach hinten ſpitz zulaufender Streifen erſtreckt ſich vom Kopfe und der Bruſt über den Rücken in ſchiefer Richtung bis zum Kreuz; er wird eingefaßt von zwei ſchmalen, blaßgrauen Strei - fen, die mit ihm gleichlaufen. Eine ſchwarze Binde bedeckt das Ende des Vorderarms und auch die Zehen der Vorderfüße, ſowie die nackten Theile des Körpers ſind ſchwarz. Jn der Jugend ſind die Ameiſenfreſſer im allgemeinen lichter, als die Alten. Die Haare haben auch noch nicht die lichten Ringe, wie bei dieſen.

Die Größe des erwachſenen Yurumi beträgt vier Fuß zwei Zoll, die Länge des Schwanzes ohne Haare zwei Fuß zwei Zoll, mit den Haaren aber wenigſtens drei Fuß, oft etwas darüber. Somit erreicht das Thier eine Geſammtlänge von ſieben und ein viertel Fuß; aber man findet zu - weilen alte Männchen, welche noch größer ſind.

305Der Yurumi.

Das Ausſehen des Yurumi, ſagt Rengger, iſt äußerſt häßlich. Sein Kopf hat die Ge - ſtalt eines laugen, ſchmächtigen, in Etwas nach unten gebogenen Kegels; er endet mit einer kleinen, ſtumpfen Schnauze. Beide Kinnladen ſind gleich lang; die untere hat nur wenig Bewegung, indem der Mund blos wie eine Spalte erſcheint, die höchſtens einen ſtarken Mannsdaumen aufnehmen kann; die Naſenlöcher ſind halbmondförmig, die Augen klein und tief im Kopfe ſitzend; die Ohren gleichfalls klein, etwas über einen Zoll breit, ebenſo lang und oben abgerundet. Der Hals ſcheint ſeiner langen Haare wegen dicker als der Hinterkopf; der Rumpf iſt groß, unförmig und von oben nach unten etwas breitgedrückt; die Glieder ſind kurz, die Vorderarme breit und ſehr muskelig. Die vorderen

Der Yurumi (Myrmocephaga jubata).

Füße erreichen eine Länge von 6 Zoll, und ſind mit vier Zehen verſehen, an denen ſich ein dicker, gleich Adlerskrallen zuſammengedrückter Nagel findet. Dieſer iſt am erſten oder innerſten Zehen 5 Linien lang und beinahe gerade, am zweiten Zoll lang, gebogen und am inneren Rande ſcharf; am dritten hat er eine Länge von Zoll, und die nämliche Geſtalt wie der vorhergehende, nur daß er an ſeinen beiden Rändern ſcharf iſt; am vierten Zehen endlich gleicht er in Größe und Form dem erſten. Jm Gehen und im Ruhezuſtand legt das Thier dieſe Nägel, wie die Finger einer geſchloſſenen Hand, gegen die Fußſohle zurück, indem es nicht mit der Fläche, ſondern mit dem äußeren Rande der Sohle auftritt, wo ſich gleich hinter dem äußerſten Zehen eine große Schwiele vorfindet. Es kann übrigens die Zehen nur ſoweit ausſtrecken, daß die Nägel mit der Fußſohle kaum mehr als einenBrehm, Thierleben. II. 20306Die Ameiſenbären. Der Yurumi.rechten Winkel bilden. Auf der Sohlenfläche bemerkt man mehrere kleine, und gegen ihren hinteren Rand eine große Schwiele. Die hinteren Glieder ſind bei weitem nicht ſo ſtark gebaut, wie die vor - deren; ihr 8 Zoll langer Fuß iſt mit fünf Zehen verſehen, deren Nägel blos 5 bis 8 Linien lang, von den Seiten in etwas zuſammengedrückt, ſchwach gebogen und nach vorn gerichtet ſind. Das Thier tritt mit der ganzen Sohle des Hinterfußes auf. Der lange zottige Schwanz iſt hoch und ſchmal und bildet eine wahre Fahne.

Die Zunge, deren Dicke nicht mehr als 3 bis 4 Linien beträgt, hat die Geſtalt eines langen, ſich allmählich zuſpitzenden Kegels; ſie beſteht aus zwei Muskeln, und zwei drüſenartige Körper ſitzen auf ihrer Grundlage. Sie iſt der Länge nach ſehr ausdehnbar, indem das Thier ſie beinahe andert - halb Fuß weit zum Maule herausſtrecken kann.

Der Yurumi kommt nicht häufig in Paraguay vor, wo er die menſchenleeren oder doch wenig beſuchten Felder im Norden des Landes bewohnt. Er hat weder ein beſtimmtes Lager, noch ſonſt einen beſtimmten Aufenthaltsort, ſondern ſchweift bei Tage auf den Ebenen umher und ſchläft, wo ihn die Nacht überfällt; jedoch ſucht er zu letzterem Zwecke eine Stelle zu gewinnen, wo das Gras ſehr hoch iſt, oder wo ſich einige Büſche vorfinden. Man trifft ihn gewöhnlich allein an, es ſei denn, daß ein Weibchen ſein Junges mit ſich führe. Sein Gang iſt ein langſamer Schritt oder zuweilen, wenn er verfolgt wird, ein ſchwerfälliger Galopp, mit dem er aber ſo wenig vorrückt, daß ihn ein Menſch im Schritt einholen kann. Seine Nahrung beſteht einzig und allein aus Termiten, aus Ameiſen und den Larven von beiden. Um ſich dieſe zu verſchaffen, kratzt und reißt er mit den Nägeln ſeiner Vorderfüße die Erdhügel und die Erdhaufen, welche denſelben zur Wohnung dienen, auf, ſtreckt dann ſeine lange Zunge unter die von allen Seiten herzuſtrömenden Kerbthiere und zieht ſie von denſelben überzogen wieder in den Mund zurück. Dieſes wiederholt er ſolange, bis er geſättigt iſt, oder bis keine Ameiſen oder Termiten mehr zum Vorſchein kommen.

Der Zeitpunkt der Begattung ſowie die Tragzeit des Weibchens iſt mir unbekannt. Es wirft im Frühjahr ein einziges Junges und trägt daſſelbe einige Zeit lang mit ſich auf dem Rücken herum. Das Junge ſcheint während mehrerer Monate zu ſaugen, und ſoll, wenn es auch ſchon ſich von Kerfen nähren kann, ſeine Mutter nicht verlaſſen, bis ſie wieder trächtig iſt. Wahrſcheinlich ge - braucht es, da ihm die Kraft zum Aufreißen der Termitenhügel noch mangelt, während dieſer Zeit die Hilfe der Mutter, um leichter zu ſeiner Nahrung zu gelangen.

Der vorzüglichſte unter den Sinnen des Yurumi iſt der Geruch, deſſen Organe ſehr ausgebildet ſind; auf dieſen folgt das Gehör; das Geſicht ſcheint nur ſchwach zu ſein. Der einzige Laut, den er von ſich gibt, und nur wenn er in Zorn geräth, iſt eine Art von Brummen.

Es iſt ein ſtilles, friedliches Thier, das weder dem Menſchen noch den anderen Säugethieren den geringſten Schaden zuzufügen ſucht, es ſei denn, daß es heftg gereizt werde. Man kann den Yu - rumi auf offenem Felde weite Strecken vor ſich hertreiben, ohne daß er widerſteht. Wird er aber miß - handelt, ſo ſetzt er ſich, wie ſchon Azara bemerkt, auf die Sitzbeine und die Hinterfüße und breitet die Arme gegen ſeinen Feind aus, um ihn mit ſeinen Nägeln zu faſſen.

Jch habe lange Zeit einen Yurumi beſeſſen, der noch kein Jahr alt war, als ich ihn erhielt. Man hatte ihn in einer Meierei am linken Ufer des Nexay zugleich mit ſeiner Mutter eingefangen, welche aber nach wenigen Tagen ſtarb. Jch zog ihn mit Milch, Ameiſen und gehacktem Fleiſch auf. Die Milch nahm er ſchlürfend zu ſich, oder auch, indem er die Zunge darin badete und ſie dann mit der wenigen ihr anhangenden Flüſſigkeit in den Mund zurückzog. Die Ameiſen ſuchte er im Hofe und in den Umgebungen des Hauſes auf. Sowie er einen Haufen ausgewittert hatte, fing er gleich an, denſelben aufzukratzen, und that dies ſolange, bis deſſen Bewohner in großer Anzahl zum Vor - ſchein kamen, dann wälzte er ſeine Zunge unter ihnen herum und zog ſie, mit Hunderten von ihnen überſäet, in den Mund zurück. Azara behauptet, daß der Yurumi ſeine Zunge in einer Sekunde zwei Mal ausſtrecke und zurückziehe, was aber bei dem meinigen nicht der Fall war, indem er, um dieſes nur ein Mal zu bewerkſtelligen, ſchon mehr als eine Sekunde brauchte. Die Ameiſen bleiben307Der Yurumi.übrigens nicht ſowohl, wie von den meiſten Schriftſtellern angeführt wird, auf der Zunge kleben, als daß ſie ſich zu ihrer Vertheidigung mit ihren Freßzangen auf derſelben anklammern, was ſie immer thun, wenn ſie, gereizt, auf einen fremden Körper ſtoßen. Die ſchwachen und wehrloſen Termiten hingegen werden auf dem klebrigen Ueberzuge der Zunge wie auf einer Leimruthe feſtgehalten. Mein Yurumi fraß nicht alle Gattungen von Ameiſen gleich gern; er liebte beſonders diejenigen, welche weder große Freßzangen, noch Stacheln beſitzen; eine ganz kleine Gattung, die einen ſehr ſtinkenden Geruch von ſich gibt, verſchmähte er gänzlich. Das feingehackte Fleiſch, mit dem ich ihn zuweilen er - nährte, mußte ihm anfangs in den Mund geſtoßen werden, ſpäter aber nahm er daſſelbe gleich den Ameiſen vermittelſt der Zunge zu ſich.

Die Hälfte des Tages und die ganze Nacht brachte er ſchlafend zu, ohne ſich dafür einen eigenen Platz zu wählen. Er ſchlief auf der Seite liegend, und in Etwas zuſammengerollt, indem er den Kopf zwiſchen die Vorderbeine ſteckte, die Glieder einzog, ſo daß ſie ſich berührten, und ſich mit dem Schwanze bedeckte. War er wach, ſo ging er im Hofe herum und ſuchte Ameiſen. Da er anfangs nicht nur die Zunge, ſondern auch die Schnauze in die aufgeſcharrten Haufen ſteckte, ſo liefen ihm zu - weilen die Kerfe über die Naſe hinauf, wo er ſie dann mit den Vorderfüßen recht gut wieder abzu - ſtreifen wußte.

Er beſaß, ſo jung er auch war, große Kraft. Jch vermochte nicht mit meinen Händen ſeine zwei größeren Nägel an dem Vorderfuße zu öffnen, wenn er ſie gegen die Fußſohle angedrückt hatte.

Er zeigte mehr Verſtand, als man bei den anderen ſogenannten zahnloſen Säugethieren antrifft. Ohne die Menſchen von einander zu unterſcheiden, war er doch gern um ſie, ſuchte ſie auf, gab ſich ihren Liebkoſungen mit Vergnügen hin, ſpielte mit ihnen und kletterte ihnen beſonders gern in den Schos. Folgſam war er übrigens nicht und gehorchte nur ſelten dem Rufe, obſchon man an den Bewegungen ſeines Kopfes wohl ſah, daß er denſelben verſtanden hatte. Er vertrug ſich mit allen Hausthieren und ließ ſich von einigen Vögeln, wie von den Helm - und Höckerhühnern, die ich ge - zähmt hatte, manchen kleinen Angriff gefallen, ohne ſich zu erzürnen. Wurde er aber mißhandelt, ſo fing er an zu murren und ſuchte ſich mit den Klauen ſeiner Vorderfüße zu vertheidigen.

Das Fleiſch und das Fell des Yurumi werden blos von den wilden Jndianern benutzt; jedoch gibt es Landleute in Paraguay, die das letztere, unter das Betttuch gelegt, für ein untrügliches Mittel gegen das Lendenweh halten und es auch dagegen gebrauchen. Selten macht Jemand auf dieſen Ameiſenfreſſer Jagd; trifft man ihn aber zufälliger Weiſe auf dem Felde an, ſo iſt es ein Leichtes, ihn mit jedem Stocke durch einige Schläge auf den Kopf zu tödten. Dieſe Thiere ſollten übrigens vom Menſchen eher beſchützt als verfolgt werden; ſtatt ſchädlich zu ſein, gewähren ſie im Gegentheil großen Nutzen, indem ſie die Termiten und die Ameiſen vermindern, welche in einigen Gegenden von Para - guay ſo überhand genommen haben, daß dort keine Pflanzungen gedeihen können.

Der Jaguar und der Cuguar ſind neben dem Menſchen wohl die einzigen Feinde des Yurumi. Die fabelhaften Erzählungen der Einwohner von Paraguay über Kämpfe, welche zwiſchen ihm und dem Jaguar ſtattfinden ſollen, hat ſchon Azara widerlegt.

Jn dieſer Schilderung iſt ſo ziemlich Alles enthalten, was wir über das Leben des Yurumi wiſſen. Wir erfahren von anderen Naturforſchern, daß der Ameiſenfreſſer außer in Paraguay faſt den ganzen übrigen Oſten von Südamerika bewohnt und ſich daher vom La Plata-Strome bis zum karaibiſchen Meere verbreitet. Beim Gehen ſoll er den Kopf zur Erde ſenken und mit der Naſe auf dem Boden dahinſchnoppern. Den Schwanz trägt er dabei geradeaus geſtreckt, aber die Rückenmähne hoch empor geſträubt, ſo daß er weit größer erſcheint, als er wirklich iſt. Außer den Ameiſen haben neuere Beobachter auch noch viel Erde und Holztheile in ſeinem Magen gefunden, welche das Thier beim Aufnehmen der Ameiſen mit verſchlingt. Man hat deshalb voreilig den Schluß gezogen, daß der Ameiſenfreſſer auch Pflanzenſtoffe verzehre, während Andere die Erklärung geben, daß der Genuß dieſer Holz - und Erdtheilchen blos dazu diene, um ihm die Verdauung zu erleichtern. Dagegen iſt es ſicher, daß der Yurumi außer ſeiner Hauptnahrung ſehr gern auch Wurmaſſeln und Tauſend -20*308Die Ameiſenbären. Der Cuguare.füße, ſowie Würmer verzehrt, falls dieſe nicht zu groß ſind; denn dann kann er ſie mit ſeinem kleinen Mund nicht faſſen. Den Würmern ſoll er oft lange nachſpüren und dabei mit ſeinen ſtarken Klauen die morſchen Stämme ganz zerſplittern. Ueber die Fortpflanzung erfahren wir, daß das Junge der Mutter ein ganzes Jahr und darüber folgt und von dieſer bei Gefahr durch kräftige Schläge mit den geballten Vorderpfoten vertheidigt wird. Anfänglich ſoll der junge Yurumi gar nicht im Stande ſein, ſich ſelbſt die Nahrung zu ſchaffen; er iſt noch zu ſchwach, um die Termitenbaue aufzubrechen: deshalb ſorgt die Alte für ihn. Jn der Neuzeit iſt es einige Male gelungen, den Ameiſenfreſſer lebend nach England und Spanien zu bringen, und dort hat man ihn auch ein paar Monate am Leben erhalten.

Die alten Naturforſcher nehmen noch eine ganze Anzahl von Arten unſerer Sippe an; ſchon Azara aber berichtigt dieſen Jrrthum. Man kennt blos noch zwei Ameiſenfreſſer, welche man in der Neuzeit als Vertreter beſonderer Sippen anſieht. Beide erinnern durch ihre Geſtalt vielfach an den Yurumi, weichen aber in ihrer Lebensweiſe und in ihrem Weſen bedeutend von ihm ab. Die eine dieſer Arten iſt der Cuguare der Guaraner, der mittlere oder dreizehige Ameiſenfreſſer der Lehr - bücher (Tamandua tridactyla). Wie uns Azara belehrt, bedeutet das Wort Caguare Stänker des Waldes , und dieſe Bezeichnung ſoll keineswegs aus der Luft gegriffen ſein. Die Spanier nennen ihn kleinen Ameiſenbär , die Portugieſen Tamadua. Das Thier bewohnt ſo ziemlich dieſelben Orte wie das vorige, reicht aber bis Peru hinüber. Seine Länge beträgt etwas über 3 Fuß, wovon beinahe 2 Fuß auf den Körper kommen; der Schwanz iſt 16 Zoll lang. Die mittlere Höhe wird auf 12 bis 13 Zoll angegeben. Der Caguare erreicht demnach kaum die Hälfte ſeines großen Verwandten. Er iſt faſt noch häßlicher, als dieſer, obgleich er mit ihm bis auf den Schwanz viel Aehnlichkeit hat. Sein Kopf iſt verhältnißmäßig nicht ſo geſtreckt und läuft auch nicht in eine ſo lange Schnauze aus; der Oberkiefer iſt länger als der untere; die Ohren ſind eiförmig und vom Kopfe abſtehend; der Hals iſt groß, der Rumpf breit. Die Füße ähneln der beſchriebenen Art; die Nägel der Vorderfüße ſind 10 Linien und 2 Zoll lang, der Länge nach gebogen und an den Seiten zuſammen gedrückt, die der Hinterfüße kürzer, unter ſich gleich lang und wenig gebogen. Der Schwanz iſt dick, walzenförmig und läuft ſtumpf nach der Spitze zu. Seine Muskeln ſind ſo ſtark, daß er als Wickelſchwanz benutzt werden kann. Gerade, ſteife, rauh anzufühlende, glänzende Bor - ſtenhaare überdecken die Wollhaare, welche an Rauhigkeit den erſteren kaum etwas nachgeben und ſich nur durch ſchwache Kräuſelung unterſcheiden. Die einen und die anderen haben faſt dieſelbe Länge; am Kopfe ſind ſie kurz, am übrigen Körper faſt 3 Zoll lang. Am oberen Ende des Schulter - blattes bildet die Behaarung einen Wirbel, ſo daß die Haare vor dem Schulterblatte mit den Spitzen nach vorn, hinter demſelben nach hinten ſehen. Jhre Färbung iſt am Kopfe mit Ausnahme eines ſchwarzen Ringes ums Auge, ferner auf dem Nacken, Rücken, bis an das Kreuz, am Halſe, an der Bruſt, an den Vordergliedern, von der Mitte des Oberarmes und an den hinteren vom Kniegelenk an, ſowie an den hinteren Theilen weißlichgelb; ein ſchwarzer Streifen zieht ſich vom Halſe aus rück - wärts über die Schultern und die Seiten des Körpers und nimmt ſo raſch an Breite zu, daß er an den Seiten und den Hinterſchenkeln bereits die vorherrſchende Farbe bildet. Die Färbung wird übrigens blos durch die Spitzen der Haare hervorgebracht, denn die Wurzeln ſind von lichtgraulich gelber Farbe. Die Spitze der Schnauze, die Lippen, Augenlider und Fußſohlen ſind nackt und von ſchwarzer Farbe, die Ohren und der Schwanz nur dünn behaart. Einige Farbenänderungen kommen vor. Junge Thiere ſind durchaus weißlich gelb; erſt im zweiten und dritten Jahre nehmen ſie allge - mach die Farbe der erwachſenen an. Aber auch unter dieſen finden ſich Abänderungen: der ſchwarze Ring um die Augen fehlt, die ſonſt weißlich gelben Theile ſind graulich oder röthlich gelb ꝛc.

Bisjetzt hat man noch ſehr wenig über das Leben dieſes merkwürdigen Geſchöpfes erfahren können. Jn Paraguay und Braſilien lebt der Cuguare überall in den einſamen, bewaldeten Gegen - den, gern am Saume der Wälder und in Gebüſchen, manchmal nahe an den Wohnungen der Men -309Der Cuguare. Der zweizehige Ameiſenfreſſer.ſchen. Er hält ſich nicht blos auf dem Boden auf, ſondern beſteigt auch geſchickt die Bäume, obgleich Dies, wie bei den Faulthieren, ziemlich langſam vor ſich geht; dabei verſichert er ſich, wie die echten Wickelſchwänzler, ſorgfältig mit dem Schwanze, auch im Sitzen. Um zu ſchlafen, legt er ſich auf den Bauch, befeſtigt ſich mit dem Schwanze, legt den Kopf mit der Schnauze gegen die Bruſt und deckt ihn ganz mit ſeinen beiden vorderen Armen zu. Seine Nahrung beſteht, wie die des Yurumi, vor - zugsweiſe aus Ameiſen, und zwar hauptſächlich aus ſolchen, welche auf den Bäumen leben. Prinz von Wied fand in ſeinem Magen nur Termiten, Ameiſen und deren Puppen, glaubt aber, daß er vielleicht auch Honig freſſe. Verſchluckte Erde und Holzſtückchen findet man ebenfalls unter der von ihm aufgenommenen Nahrung. Sein Gang iſt etwas ſchneller als der des Yurumi; im ganzen aber iſt er ein höchſt träges, dummes, ſtumpfſinniges Thier. Eine Stimme hört man ſelten oder nie von ihm. Das Weibchen ſoll im Frühjahre ein Junges werfen und dieſes lange auf dem Rücken mit ſich herum tragen.

Eigenthümlich iſt der ſtarke moſchusähnliche Geruch, welchen das Thier verbreitet, zumal wenn

Der Cuguare (Tamandua tridactyla).

es gereizt wird. Er durchdringt das Fleiſch und macht es für Europäer ganz ungenießbar; aber dennoch eſſen es die Jndianer und Neger, welche, um den Braten zu erlangen, Schlagfallen in den Wäldern aufſtellen. Die portugieſiſch-braſilianiſchen Jäger bereiten ſich aus dem ſtarken Felle Regen - kappen über ihre Gewehrſchlöſſer.

Die letzte Art iſt der kleine oder zweizehige Ameiſenfreſſer (Cyclothurus didactylus), ein Thierchen von der Größe des Eichhörnchens, ungefähr 15 Zoll lang, wovon der Wickelſchwanz aber 7 Zoll wegnimmt. An den Vorderfüßen ſitzen 4, an den hinteren aber 5 Zehen. Der ſeidenweiche Pelz iſt oben fuchsroth und unten grau; die einzelnen Haare ſind unten graubraun, oben ſchwarz, an der Spitze gelbbraun. Geringe Abänderungen in der Färbung kommen vor. Der innere Leibesbau unterſcheidet ſich ziemlich weſentlich von den übrigen Verwandten.

Jm allgemeinen kann man ſagen, daß der kleine Ameiſenfreſſer ein beſonders durch die Schön - heit ſeines Felles ausgezeichnetes, zierliches Geſchöpfchen iſt, wenn auch ſeine Geſtalt noch immer ziemlich plump erſcheint. Sein Verbreitungskreis iſt beſchränkt. Man kennt ihn bisher blos aus310Die Ameiſeubären. Der zweizehige Ameiſenfreſſer.dem nördlichen Braſilien und aus Peru, demnach aus Gegenden, welche zwiſchen dem 10. Grad ſüdl. und dem 6. Grad nördl. Breite liegen. Jm Gebirge ſteigt er zuweilen bis zu 2000 Fuß über das

Der zweizehige Ameiſenfreſſer (Cyclothurus didactylus).

Meer empor. Er iſt faſt überall ſelten, oder wird ſelten gefunden. Die dichteſten Wälder ſind ſein Aufenthalt; hier entgeht er durch ſeine geringe Größe nur allzu leicht dem ſuchenden Blick des Jägers und deshalb auch der Beobachtung. Wie ſeine übrigen Verwandten lebt er einfam; höch - ſtens während der Paarung mit einem Weibchen vereinigt. Die Nacht iſt die eigentliche Zeit ſeiner Thätigkeit; den Tag verſchläft er im Gezweig der Bäume. Seine Bewegungen ſind unbeholfen, langſam und abgemeſſen; doch klettert er geſchickt, wenn auch, wie der Jaguare, nur höchſt vor - ſichtig und immer mit Hülfe des Schwanzes. Ameiſen, Termiten, vielleicht auch Bienen und deren Larven bilden ſeine Nahrung; möglicher Weiſe verzehrt er auch noch andere kleine Kerbthiere, welche auf Bäumen wohnen. So - bald er einen größeren Fang ge - than hat, ſoll er ſich, wie das Eichhörnchen, aufrichten und den Fang mit den Vorderkrallen zum Munde führen. Bei Gefahr ſucht er ſich nach Möglichkeit zu ver - theidigen; ſeine geringe Stärke kann ihn aber nicht einmal gegen ſchwächere Feinde ſchützen: er erliegt ſelbſt den Angriffen mittel - großer Eulen. Ueber die Fortpflanzung iſt gar Nichts bekannt. Die Jndianer ſollen ihn erlegen, um ſein Fleiſch zu verwerthen.

Die Schuppenthiere ſind geharniſchte Ameiſenbären. Mit dieſen Worten bezeichnet Giebel ſehr treffend die Mitglieder einer dritten Gruppe der Scharrthiere, zu denen uns nunmehr unſere Betrachtung führt. Der genannte und andere Naturforſcher betrachten die Schuppenthiere nur als eine Sippe der Wurmzüngler, während wir ſie als eine eigene Familie der Scharrthiere an - ſehen. Allerdings ſind die Schuppenthiere nichts anderes als geharniſchte Ameiſenbären; aber die Unterſchiede zwiſchen beiden Gruppen ſind doch ſehr große und durchgreifende. Der ganze Leib iſt mit großen plattenartigen Hornſchuppen bedeckt, welche dachziegelartig, oder beſſer, wie die Schilder eines Tannenzapfens über einander liegen. Dieſe Bedeckung iſt das hauptſächlichſte Kennzeichen der Familie; ſie iſt einzig in ihrer Art; denn die Schilder der Gürtelthiere und Gürtelmäuſe erinnern nur311Die Schuppenthiere.entfernt an jene eigenthümlichen Horngebilde, welche eher mit den Schuppen eines Fiſches oder eines Lurches verglichen werden mögen, als mit irgend einem anderen Erzeugniß der Oberhaut eines Säuge - thieres. Zur genaueren Kennzeichnung der Schuppenthiere mag Folgendes dienen: Der Leib iſt ge - ſtreckt, der Schwanz lang und ſehr lang, die Vorder - und Hinterbeine kurz, ihre Füße fünfzehig, mit ſehr ſtarken Grabkrallen bewehrt. Der Kopf iſt klein, die Schnauze kegelförmig zugeſpitzt. Nur an der Kehle, der Unterſeite des Leibes und an der Jnnenſeite der Beine fehlen die Schuppen, den ganzen übrigen Theil des Leibes bedeckt der Harniſch. Alle Schuppen ſind von rautenförmiger Ge - ſtalt mit der einen Spitze in die Körperhaut verwachſen und an den Rändern ſehr ſcharf, und dabei ungemein hart und feſt. Dieſe Anordnung ermöglicht eine ziemlich große Beweglichkeit nach allen Seiten hin; die einzelnen Schuppen können ſich ebenſowohl ſeitlich hin - und herſchieben, als der Länge nach auf - und niederlegen. Wenn ſich das Thier kugelt, heben ſie ſich, und die ſtarken Ränder und Spitzen ſtarren von allen Seiten vom Körper ab, gegen die Angriffe faſt aller Feinde hinlänglichen Schutz gewährend. Aber auch im Gehen kann der Schuppenpanzer geſträubt werden. Zwiſchen den einzelnen Schuppen und an den freien Stellen des Körpers ſtehen dünne Haare, welche ſich jedoch zuweilen am Bauche ganz abreiben. Die Schnauze iſt ſchuppenlos, aber mit einer feſten, hornartigen Haut überdeckt. Der innere Leibesbau hat, wie zu erwarten ſteht, viel Eigenthümliches, obgleich er lebhaft an den der Ameiſenfreſſer erinnert. Der Kiefer iſt vollkommen zahnlos. Vierzehn bis neun - zehn Wirbel tragen Rippen, fünf ſind rippenlos, drei bilden das Kreuz und vier und zwanzig bis ſechs und vierzig den Schwanz. Die Rippen ſind breit und ihre Knorpel verknöchern im Alter faſt vollſtändig. Das Bruſtbein iſt breit, die Backenknochen ſind ſehr ſtark, die Handknochen beſonders kräftig. Ein eigener breiter Muskel, welcher wie bei dem Jgel unter der Haut liegt und ſich zu beiden Seiten der Wirbelſäule hinabzieht, vermittelt die Zuſammenrollung oder Kugelung des Körpers. Die Zunge iſt noch ziemlich lang und ausſtreckbar. Außerordentlich große Speicheldrüſen, welche faſt bis zum Bruſtbein herabreichen, liefern ihr den nöthigen Schleim zur Anleimung der Nahrung.

Wir können die Lebensweiſe aller Schuppenthiere in Einem ſchildern, weil wir über das Treiben und Weſen der Thiere noch ſowenig wiſſen, daß uns die Eigenthümlichkeiten des Lebens der einen und der anderen Art kaum auffallen. Mittelafrika und ganz Südaſien, ſowie einige Jnſeln des indiſchen Archipels ſind die Heimat der Schuppenthiere. Steppen und Waldgegenden in Gebirgen wie in Ebenen bilden ihre Aufenthaltsorte. Wahrſcheinlich wohnen alle in ſelbſtgegrabenen Höhlen einſam und ungeſellig wie ihre Verwandten; bei Tage verborgen, bei Nacht herum ſchweifend. Jn Kordofahn fand ich die Baue des Temminckſchen Schuppenthieres, welches den Arabern unter dem Namen Abu-Kirfa wohlbekannt iſt, in großer Anzahl; doch nur einmal gelang es uns, ein Schuppenthier zu erhalten. Beiweitem die meiſten Höhlen waren unbewohnt, und daraus geht her - vor, daß auch die Schuppenthiere wie der Ameiſenfreſſer oder die Gürtelthiere ſich mit Anbruch des Tages eine neue Höhle graben, wenn es ihnen zu weit und unbequem iſt, in die alte zurück zu kehren. Wie man an Gefangenen beobachtete, ſchlafen ſie bei Tage in zuſammen gerollter Stellung, den Kopf unter dem Schwanze verborgen. Mit Anbruch der Dämmerung erwachen ſie und ſtreifen nun nach Nahrung umher. Der Gang iſt langſam und namentlich bei einer Art (bei der ſchon genannten) höchſt eigenthümlich. Das Schuppenthier geht nämlich nicht auf allen Vieren, ſondern blos auf den beiden Hinterfüßen. Es ſtreckt den ſtark gekrümmten Körper faſt wagrecht nach vorwärts, ſenkt den Kopf zur Erde nieder, läßt die Vorderbeine hängen, daß die Krallen faſt die Erde berühren und ſtützt ſich hinten mit dem Schwanz auf. Unſere Abbildung wurde von meinem Freund Heuglin, welcher das Temminckſche Schuppenthier längere Zeit lebendig hielt, in dieſer Stellung gezeichnet. Oft wird der Schwanz nicht einmal benutzt, ſondern gerade ausgeſtreckt oder ſelbſt mit der Spitze nach oben gekrümmt getragen; aber dennoch bleibt das Thier immer im Gleichgewicht. Bisweilen richtet es beim Gehen den Körper ſenkrecht in die Höhe, um ſich weiter umzuſchauen. Alle Be - wegungen ſind langſam, werden blos manchmal durch einige ſchnelle, aber ungeſchickte Sprünge unter -312Die Schuppenthiere. Das langſchwänzige Schuppenthier.brochen. Gleichwohl iſt dieſes träge Thier im Stande zu klettern, wenigſtens beobachtete Dies Tennent von dem kurzſchwänzigen Schuppenthier, dem Pangolin der Malayen, oder Cabalaya, wie die Singaleſen es nennen. Jch hatte, ſagt er, immer geglaubt, daß der Pan - golin ganz unfähig wäre, Bäume zu beſteigen, wurde aber von meinem zahmen eines Beſſeren belehrt. Auf ſeiner Ameiſenjagd beſtieg er häuſig die Bäume in meinem Garten und kletterte ganz geſchickt mit Hilfe der kralligen Füße und des Schwanzes, vermittelſt deſſen er den Baum in ſchiefer Richtung faßte. Ein Schuppenthier, welches Burt beobachtete, wollte immer an den Wänden emporklettern, und von anderen Reiſebeſchreibern erfahren wir, daß das Thier auch geradezu die etwas geſträubten Schuppen des Schwanzes benutze, um ſich an die Rinde der Bäume anzuſtemmen.

Eine Stimme hat man niemals von dem Schuppenthiere gehört; der einzige Laut, den man ver - nommen, beſtand in einem Schnarren. Geſicht und Gehör ſcheinen ſehr ſchwach entwickelt zu ſein, und der Geruch iſt wohl auch nicht beſonders, wenn auch dieſer Sinn das Thier bei ſeiner Jagd leitet. Ueber die Fortpflanzung weiß man noch gar nichts Sicheres, obgleich erzählt wird, daß das Weibchen ein einziges Junges in ſeiner Höhle werfe, welches einen Fuß lang und gleich bei der Ge - burt beſchuppt ſei; doch ſollen die Schuppen weich und namentlich gegen die Schnauzenſpitze hin nur wenig entwickelt ſein.

Die Gefangenſchaft können die Schuppenthiere längere Zeit bei geeigneter Pflege ertragen, und ſie gewöhnen ſich auch ſo ziemlich leicht an Milch, Brod, ja ſelbſt an Getreidekörner, wenn auch Kerb - thiere immer ihre Lieblingsnahrung bleiben. Das Fleiſch wird von den Eingeborenen gegeſſen und als wohlſchmeckend gerühmt; der Pauzer von dieſem und jenem Volksſtamme zum Schmucke verſchiedener Geräthſchaften verwandt.

Dieſe dürftigen Beſchreibungen mögen noch durch einige Angaben über die einzelnen Arten, deren Abbildungen wir bieten können, vervollſtändigt werden. Das langſchwänzige Schuppen - thier (Manis tetradactyla) wird etwas über 3 Fuß lang, wovon beinahe 2 Fuß auf den Schwanz kommen; die Höhe am Widerriſt beträgt Zoll. Bei jüngeren Thieren erſcheint der Schwanz ver - hältnißmäßig noch länger; er hat faſt die doppelte Leibeslänge und verkürzt ſich erſt ſpäter ſcheinbar mit dem fortſchreitenden Wachsthum des Leibes. Dieſer iſt faſt walzenförmig, mäßig dick, ſtark geſtreckt und geht ganz allmählich auf der einen Seite in den ziemlich kurzen Hals und in den Kopf, auf der anderen Seite in den Schwanz über. Die Naſe iſt vorſtehend; der Oberkiefer ragt über den Unterkiefer hervor; die Mundſpalte iſt klein; die Augen ſind klein und blöde, die Ohren äußerlich kaum ſichtbar, denn an der Stelle der Ohrmuſchel ſieht man nur eine wenig hervorragende Hautfalte. Die Beine ſind kurz, plump und faſt gleich lang, ihre Zehen unvollkommen beweglich, die Scharr - krallen an den Vorderfüßen bedeutend größer, als die Nägel der Hinterfüße, die Sohlen dick, ſchwielig und nackt, dabei namentlich an den Hinterfüßen katzenartig nach unten ausgebogen, ſo daß die Krallen beim Gehen kaum den Boden berühren. Der lange Schleifſchwanz iſt breit und etwas flach gedrückt, er verſchmälert ſich von ſeiner Wurzel allmählich gegen das Ende. Die Schuppen bedecken die ganze Ober - und Außenſeite des Leibes und am Schwanze auch die Unterſeite ſteife Borſten die ſchuppenloſen Stellen. Geſicht und Kehle ſind faſt ganz kahl. Alle Schuppen ſind außerordentlich feſt und ſcharfſchneidig. Jn der Mitte des Rückens ſind ſie am größten, am Kopf und an den Leibſeiten, den Beinen und dem Schwanzende, am Kreuze auf dem Rücken bilden ſie elf Längsreihen, und hier finden ſich nirgends eingemengte Borſten. Ziemlich lange, tiefe Streifen ſtrahlen von der Wurzel ihrer Oberfläche aus. Auf dem Rücken ſind ſie platt, am Rande des Schwanzes den Hohlziegeln ähnlich, an den Leibſeiten haben ſie die Geſtalt einer Lanzette. Zwei be - ſonders große Schuppen liegen hinter den Schultern. Gewöhnlich beſteht die Mittelreihe auf der Oberſeite des Körpers, am Kopfe aus neun, am Rumpfe aus vierzehn und am Schwanze aus zwei und vierzig bis vier und vierzig Schuppen. Jhre Geſammtfärbung iſt ſchwärzlichbraun und ins313Das langſchwänzige Schuppenthier.Röthliche ſpielend; die einzelnen Schuppen ſind am Grunde ſchwarzbraun und an den Rändern gelb - lich geſäumt. Die Borſtenhaare ſind ſchwarz.

Die einzige ausführlichere Nachricht über die Lebensart gab Desmarchais: Jn Guinea findet man in den Wäldern ein vierfüßiges Thier, welches die Neger Quoggelo nennen. Es iſt vom Hals bis zur Spitze des Schwanzes mit Schuppen bedeckt, welche faſt wie die Blätter der Artiſchoken ge - ſtaltet ſind, nur etwas ſpitziger. Sie liegen gedrängt auf einander, ſind dick und ſtark genug, um das Thier gegen die Krallen und Zähne anderer Thiere zu beſchützen, welche es angreifen. Die Leo - parden verfolgen es unaufhörlich und haben keine Mühe, es zu erreichen, da es bei weitem nicht ſo

Das langſchwänzige Schuppenthier (Manls tetradactyla).

ſchnell läuft, als ſie. Es flieht zwar; weil es aber bald eingeholt iſt und weder ſeine Klauen, noch ſein Maul eine Waffe gegen die fürchterlichen Zähne und Klauen dieſer Thiere ihm Schutz gewähren, ſo kugelt es ſich zuſammen und ſchlägt den Schwanz unter den Bauch, daß es überall die Spitzen der Schuppen nach außen kehrt. Die großen Katzen wälzen es ſanft mit ihren Klauen hin und her, ſtechen ſich aber, ſobald ſie rauher zugreifen, und ſind gezwungen, es in Ruhe zu laſſen. Die Neger ſchlagen es mit Stöcken todt, ziehen es ab, verkaufen die Haut an die Weißen und eſſen ſein Fleiſch. Dieſes iſt ſehr weiß und zart, was ich gern glaube, wenn es wahr iſt, daß es blos von Ameiſen lebt, gewiß einer zarten und ſchmackhaften Speiſe! Jn ſeiner Schnauze, welche man mit einem Entenſchnabel vergleichen könnte, liegt eine ſehr lange, klebrige Zunge, welche es in die Löcher314Die Schuppenthiere. Das kurzſchwänzige Schuppenthier.der Ameiſenhaufen ſteckt, oder auf ihren Weg legt; dieſe laufen ſogleich, durch den Geruch angezogen, darauf und bleiben hängen. Merkt das Thier, daß ſeine Zunge mit den Thieren beladen iſt, ſo zieht es ſie ein und hält ſeinen Schmaus. Es iſt nicht bösartig, greift Niemand an, will blos leben, und wenn es nur Ameiſen findet, ſo iſt es zufrieden und lebt vollauf!

Das kurzſchwänzige Schuppenthier (Mauis pentadactyla), welches das ſüdliche Aſien be - wohnt und ſich ſowohl auf dem Feſtlande, als auch auf Ceylon, Sumatra und auf der Jnſel For - moſa findet, iſt ſchon weit länger bekannt; denn der alte Aelian erwähnt es bereits. Er ſagt, daß es in Jndien ein Thier gebe, welches wie ein Erdkrokodil ausſähe. Es habe etwa die Größe eines malteſer Hundes, ſeine Haut ſei mit einer ſo rauhen und dichten Rinde bewaſſnet, daß ſie abgezogen als Feile diene und ſelbſt Erz und Eiſen angreife. Die Jndier hätten ihm den Namen Phattagen gegeben. Dieſen Namen trägt das Thier heute noch, und ſomit unterliegt es gar keinem Zweifel, daß der alte Naturforſcher das aſiatiſche Schuppenthier meinte, obgleich Buffon den Namen Phatta - gen auf das afrikaniſche anwandte. Jn Bengalen heißt es Badjarkit oder Bajjerkeit, zu deutſch

Das kurzſchwänzige Schuppenthier (Manis pentadactyla).

Steinwurm, weil es, wie man ſagt, immer eine Hand voll Steine im Magen habe, wahrſcheinlich aber, weil ſeine äußere Bedeckung ſo ſteinhart iſt.

Von den übrigen Schuppenthieren, mit Ausnahme des Temminckſchen, unterſcheidet ſich der Bad - jarkit durch ſeine Größe und dadurch, daß die Schuppen in elf bis dreizehn Reihen geordnet, am Rücken und Schwanze ſehr breit und nirgends gekielt ſind; auch iſt der Schwanz am Grunde ebenſo dick als der Leib, d. h. von dieſem gar nicht abgeſetzt. Ein ausgewachſenes Männchen kann bis 4 Fuß und darüber an Geſammtlänge erreichen; hiervon kommen einige 20 Zoll auf den Leib. Die Schuppen des Leibes ſind am freien Ende ungefähr doppelt ſo breit als lang, dreieckig und gegen die Spitze hin etwas ausgebogen, von der Spitze an bis über die Hälfte glatt, gewöhnlich in elf, zuweilen aber auch in dreizehn Längsreihen, indem zu der regelmäßigen Zahl an der Seite noch zwei kleinere hinzukommen. Die Mittelreihe zählt auf dem Kopfe elf, auf dem Rücken und dem Schwanze je ſechzehn Schuppen. Ueber ſeine Lebensweiſe wiſſen wir ebenfalls nur ſehr wenig. Burt erzählt, daß es Nichts als Ameiſen freſſe und ſehr viel davon vertilge, aber auch zwei Monate lang hungern könne;315Das Temminckſche Schuppenthier.daß es nachts umher ſtreift und in der Gefangenſchaft ſehr unruhig iſt, ſich ziemlich ſchnell bewegen kann und, wenn man es ergreift, ſich ruhig am Schwanze aufnehmen läßt, ohne den geringſten Ver - ſuch zu machen, ſich gegen ſeinen Feind zu wehren ꝛc. Die Chineſen verfertigen Panzer aus der Haut und nageln ſie auch auf den Schild. Tennent erwähnt das Thier nur mit wenigen Worten: Die einzige Art der zahnloſen Thiere, welche Ceylon bewohnen, iſt der gepanzerte Ameiſenfreſſer, von den Singaleſen Caballaya, von den Malaien Pangolin genannt, ein Name, welcher die Eigenthüm - lichkeit des Thieres ausdrückt, ſich in ſich ſelbſt zuſammen zu rollen, das Haupt gegen die Bruſt zu kehren und den Schwanz kreisrund um Kopf und Hals zu ſchlagen, hierdurch ſich gegen feindliche An - griffe ſichernd. Man findet die 7 Fuß tiefen Höhlen des Caballaya in trockenem Grund und erfährt, daß ſie hier paarweiſe zuſammen leben und jährlich zwei oder drei Junge erzeugen. Jch habe zu ver - ſchiedenen Zeiten zwei Stücke dieſer Thiere lebend gehalten. Das eine ſtammte aus der Nähe von Kandy, hatte ungefähr 2 Fuß Länge und war ein liebenswürdiges und anhängliches Geſchöpf, welches nach ſeinen Wanderungen und Ameiſenjagden im Hauſe meine Aufmerkſamkeit auf ſeine Be - dürfniſſe erregen wollte, indem es auf mein Knie kletterte, wo es ſich mit ſeinem greiffähigen Schwanze ſehr geſchickt feſt zu halten wußte. Das zweite, welches man in einem Dſchungel in der Nähe von Chillaw gefangen hatte, war doppelt ſo groß, aber weniger nett. Die Ameiſen wußten beide mit ihrer runden und ſchleimigen Zunge ſehr geſchickt anzuleimen. Während des Tages waren ſie ruhig und ſtill, um ſo lebendiger aber mit Einbruch der Nacht.

Die Chineſen und Jndier rechnen den Pangolin zu den Fiſchen. Jn Jndien nennen die gemeinen Leute das Thier Dſchungli-Matſch oder Dſchungelfiſch; in einem Bericht über chineſiſche Na - turgeſchichte heißt es: Der Ling-Le oder Hügelkarpfen wird ſo genannt, weil Geſtalt und Aus - ſehen denen eines Karpfen ähneln; ſeit er auf dem Lande in Höhlen und Felſenritzen der Hügel (ling) wohnt, erhielt er ſeinen Namen. Einige nennen ihn auch wohl Lung-le oder Drachen - karpfen, weil ſeine Schuppen denen eines Drachen ähneln. Man ſieht den Pangolin oft in den Händen der Chineſen, welche ihn als ſehr werthvolles Schauthier betrachten und als nächſten Ver - wandten der Krokodile anſehen.

Das Temminckſche Schuppenthier (Manis Temminekii) endlich wurde von dem afrikaniſchen Reifenden Smuts zuerſt in der Nähe von Lattaku, der nördlichſten Station der engliſchen Miſſio - näre am Kap aufgefunden und von A. Smith mit großer Genauigkeit in ſeinen Beiträgen zur ſüd - afrikaniſchen Thierkunde beſchrieben. Jn der Größe und Geſtalt ähnelt es am meiſten dem indiſchen. Der Schwanz, welcher faſt von Körperlänge iſt, verſchmächtigt ſich erſt mäßig gegen das Ende hin, wo er ſich plötzlich abrundet und abſtutzt. Der Rumpf iſt breit und der Kopf kurz und dick. Eiför - mige Schuppen bedecken den Kopf. Sehr große, an der Wurzel fein längsgefurchte, an der Spitze glatte ordnen ſich am Rücken in elf bis dreizehn Reihen, am Schwanze in fünf und hinten in vier. Die Mittelreihe zählt am Kopfe neun, am Rücken dreizehn und am Schwanze ſechs Schuppen. Auch auf der unteren Seite des Schwanzes liegen zwei Reihen dieſer Horngebilde. Jhre Farbe iſt blaß gelblichbraun, an der Spitze lichter, oft mit einem länglichen, gelben Strich umrandet. Die nackten Theile ſind dunkelbräunlich. Die Schnauzenſpitze iſt ſchwarz, die Augen ſind röthlichbraun.

Der Abu-Khirfa oder Rindenwater findet in den termitenreichen Steppen Afrikas hinläng - liche Nahrung und erwünſchte Einſamkeit. Die Nomaden machen nirgends eigentliche Jagd auf ihn, und deshalb iſt es ſo ſchwer, einen zu erhalten. Der uns gebrachte war ein vollkommen er - wachſenes Männchen, welches von einem Türken zufällig erlegt worden war, als es aus ſeiner Höhle kam. Der durch dieſe ſonderbare Erſcheinung auf das höchſte überraſchte Osmane hatte nichts Eiligeres zu thun, als mit ſeinem Säbel einen fürchterlichen Hieb auf den Panzer des Ungeheuers zu führen und mußte zu noch größerer Ueberraſchung bemerken, daß dieſer Hieb kaum eine Wirkung geäußert hatte. Wir fanden nur den dritten Theil einer Schuppe abgehauen und einige andere etwas verletzt. Ein den Türken begleitender Araber tödtete das ihm bekannte Weſen mit einem einzigen316Das Temminckſche Schuppenthier. Kloaken - oder Gabelthiere.Schlag auf den Kopf und hing es dann als Siegeszeichen an das Pferd ſeines Herrn, welcher ſich ein Vergnügen daraus machte, ſeine Beute uns als Geſchenk zu übergeben.

Später ſah ich das merkwürdige Geſchöpf lebend bei einem Kaufmann in Charthum, welcher es mit Milch und Weißbrod ernährte. Es war vollkommen harmlos wie ſeine übrigen Sippſchaftsver - wandten; man konnte mit ihm machen, was man wollte. Bei Tage lag es zuſammengerollt in irgend einer Ecke, nachts kam es hervor und fraß, indem es die Zunge wiederholt in die Milch eintauchte und ſchließlich auch das Weißbrod anleimte. Das gefangene, welches Heuglin hatte, fraß auch Durrah körner. Es war ſehr reinlich und eifrig bemüht, ſeinen Unrath immer ſorgfältig zu ver - bergen. Ehe es ſeinem Bedürfniſſe genügte, grub es nach Art der Katzen jedesmal ein Loch und deckte dieſes dann ſorgfältig mit Erde wieder zu. Jn der Mittagszeit ſchwitzte es außerordentlich ſtark

Das Temminckſche Schuppenthier (Manis Temminckii).

und verbreitete dann einen höchſt unangenehmen Geruch. Mit Läuſen und Flöhen war es ſehr ge - plagt. Es konnte dieſen Schmarotzern nirgends beikommen und machte oft die allerſonderbarſten Anſtrengungen, um ſich von den läſtigen Gäſten zu befreien.

Zehnte Ordnung. Kloaken - oder Gabelthiere (Monotremata).

Die letzte Ordnung der Zahnarmen enthält nicht nur die merkwürdigſten Geſchöpfe der ganzen Reihe, ſondern geradezu die merkwürdigſten Säugethiere überhaupt. Von jeher hat es großen Streit unter den Naturforſchern gegeben, welchen Ordnungen oder Reihen man die Kloakenthiere beige - ſellen ſollte, und noch heutzutage iſt dieſer Streit nicht erledigt. Die einſtige Anſicht älterer Thier -317Das Temminckſche Schuppenthier. Kloaken - oder Gabelthiere.kundigen, welche in den Kloakenthieren eine beſondere Klaſſe des Thierreichs ſehen wollten, hat aller - dings ihre Geltung verloren; aber noch zur Zeit ſetzt man den Ameiſenigel und das Schnabel - thier, welche als Vertreter unſerer Ordnung angeſehen werden, bald zu den Beutelthieren, bald zu den Zahnarmen. Und in der That: ſie vereinigen nicht nur die eigenthümlichſten Kennzeichen dieſer und jener, ſondern die verſchiedenſten und widerſprechendſten Charaktere der geſammten erſten Klaſſe in ſich; ja ſie erſcheinen gewiſſermaßen als Bindeglieder zwiſchen den erſten drei Klaſſen, zwi - ſchen Säugethieren, Vögeln und Lurchen. Kein Wunder, daß ſie von je die Naturforſcher auf das lebhafteſte beſchäftigt haben. Auſtralien zeigt ſich in ihnen ſo recht in ſeiner Eigenthümlichkeit und Selbſtändigkeit. Die Entdeckung Amerikas hat die Thierkunde um außerordentlich viele Formen bereichert, aber niemals ſind die Naturforſcher in Verlegenheit gekommen, dieſe im Syſtem unterzu - ordnen: immer gab es auch in den übrigen Erdtheilen ähnlich geſtaltete Geſchöpfe. Bei den Auſtraliern iſt Dies anders. Schon die Beutelthiere bieten des Auffallenden genug; aber ſie ſind die eigentlichen Wunderthiere Auſtraliens nicht. Wenn es Wunder im thieriſchen Geſtaltenreiche gibt, ſagt Giebel, ſo ſind die Gabelthiere die ſeltſamſten derſelben; denn alle Regelloſigkeiten und Wun - derlichkeiten, welche wir in dem vielgeſtaltigen Organismus der Zahnloſen kennen lernen, bleiben gar weit hinter denen der Kloakenthiere zurück.

Daß die Gabelthiere wirklich Säugethiere ſind, ſteht gegenwärtig unzweifelhaft feſt; aber es ge - hörten erſt die genauen Unterſuchungen neuzeitlicher Naturforſcher dazu, um dieſer Anſicht Glauben zu verſchaffen. Früher hatte man lange die Milchdrüſen vermißt und glaubte deshalb eine Fabel, welche der erſte Entdecker mitgebracht hatte, als volle Wahrheit anſehen zu müſſen. Erſt Meckel fand (im Jahre 1824) die Bruſtdrüſen vom Schnabelthiere auf und beſchrieb ſie in einem beſonderen Werke über dieſe merkwürdigen Geſchöpfe, die früheren Naturforſcher hatten ſie nur als Schleimdrüſen betrachtet. Es fehlen bei den Gabelthieren nämlich alle äußeren Saugwarzen; die Drüſen, welche an den Seiten der Weibchen liegen, öffnen ſich in vielen feinen Gängen der Haut, die aber auch an dieſen Stellen mit Haaren bedeckt iſt. Weil nun manche männliche Säugethiere ähnliche Drüſen an denſelben Stellen haben, glaubten die erſten Zergliederer nicht, daß ſie bei dem Schnabelthiere wirkliche Milchdrüſen vor ſich hätten, bis Meckel bewies, daß die genannten Drüſen dem männlichen Schna - belthiere fehlen, und Bär bemerkte, daß die Milchdrüſen der Wale ebenſo gebaut ſeien. Owen unter - ſuchte ſpäter im Jahre 1832 die Milchdrüſen und fand, daß jede etwa hundert und zwanzig Oeff - nungen in der Haut habe; er fand, daß wirklich echte Milch durch ſie abgeſondert wird; er fand endlich die geronnene Milch im Magen der Jungen. Hiermit reihte er die Gabelthiere mit aller Sicherheit der erſten Klaſſe ein.

Betrachtet man die Schnabelthiere und Ameiſenigel nur flüchtig, ſo darf man wohl in Zweifel ſein, welcher Klaſſe man ſie beizuzählen hat und verwundert ſich nicht mehr, daß die erſten Bälge der Schnabelthiere, welche nach England kamen, nicht als Naturerzeugniſſe, ſondern vielmehr als die eines Schwindlers galten. Man erblickte ein Maulwurfsfell mit den Freßwerkzeugen einer Ente, und mußte ſich faſt mit Widerſtreben daran gewöhnen, an das Vorhandenſein ſolcher Räthſel - geſchöpfe zu glauben. Der viel ſpäter, erſt im Jahre 1824 entdeckte Ameiſenigel verurſachte weniger Kopfzerbrechen; denn ihm war ja das Schnabelthier vorausgegangen und was man bei jenem mühſam hatte ſuchen müſſen, das fand man hier leicht auf, weil man wußte, wie man ſuchen ſollte.

Die Gabelthiere haben mit den Säugethieren blos das Fell gemein, das Schnabelthier ſeinen Pelz, der Ameiſenigel ſein Stachelkleid; im übrigen unterſcheiden ſie ſich weſentlich von den anderen bekannten Formen der höheren Thiere. Ein trockener Schnabel, ganz an den einer Ente erinnernd, vertritt bei ihnen die Stelle des Mauls, und die Harn - und Geſchlechtswerkzeuge befinden ſich vereinigt in der Kloake. Dies iſt eine Bildung, welche wir bei den Vögeln wieder finden: aber die ganze äußere Erſcheinung und der Knochenbau der Schnabelthiere widerſprechen der Vogelnatur auf das entſchiedenſte. Nun theilen ſie aber den trockenen Kieferüberzug, die Kloake und das doppelte Schlüſſelbein auch mit den Schildkröten: und ſomit wird ihre eigenthümliche Mittelſtellung nur noch318Die Kloaken - oder Gabelthiere. Der Ameiſenigel.auffallender. Mit den Beutelthieren ſtehen ſie in Beziehung wegen der Eigenthümlichkeit der Knochen am Becken; auch werfen ſie faſt ebenſo unreife Junge, wie dieſe merkwürdigen Geſchöpfe: aber ſie haben keinen Beutel und tragen alſo ihre Jungen nicht mit ſich herum; und auch im übrigen wider - ſpricht ihr Leibesbau ihrer Einreihung in die Ordnung der Bentelthiere. So bleibt nur übrig, ſie zu den Zahnarmen zu ſtellen; denn dieſes eine Merkmal, das Fehlen der Zähne, haben ſie mit den an - deren verwandten Ordnungen gemein.

Die Gabelthiere ſind kleine Säugethiere mit gedrungenem, etwas plattgedrückten Körper, ſehr niederen Beinen, ſchnabelförmigen Kiefern, welche von einer trockenen Haut bedeckt werden, kleinen Augen, kurzem und flachen Schwanze, fünfzehigen und auswärts geſtellten Füßen mit langen Zehen und kräftigen Krallen, ſowie einem durchbohrten Hornſporn an der Ferſe der Männchen, welcher mit einer beſonderen Drüſe in Verbindung ſteht. Die äußere Ohrmuſchel fehlt gänzlich; die Zähne beſtehen bei den einen in hornigen Platten, welche in den Kiefern aufliegen, und fehlen bei den an - deren gänzlich. Sechszehn bis ſiebzehn Wirbel tragen Rippen, zwei bis drei ſind rippenlos; dreizehn bis ein und zwanzig bilden den Schwanz. Am Schädel verſchwinden viele Nähte ſehr früh, und die Rippenknorpel verknöchern vollſtändig. Das Schlüſſelbein iſt doppelt, die Unterarme und Schenkel - knochen ſind vollſtändig ausgebildet. Die Speicheldrüſen ſind noch groß, wie bei den Ameiſenfreſſern. Der Magen iſt einfach, der Blinddarm ſehr kurz.

Bisjetzt hat man noch keine vorweltlichen Thiere gefunden, welche mit den Gabel - oder Kloaken - thieren Aehnlichkeit hätten, und ſo iſt dieſe eigenthümliche Ordnung auf die zwei Familien der Stacheligel und der Schnabelthiere beſchränkt. Von dieſen Familien enthält die letztere wieder - um nur eine, die erſtere nur zwei bekannte Arten; denn die wiederholt aufgeſtellten Arten der Schna - belthiere haben ſich bei näherer Prüfung nicht als ſtichhaltig erwieſen. Wir ſind ziemlich bekannt mit dem Leben der einen und der anderen Art, weil tüchtige Forſcher ſich mit der Erforſchung deſſelben beſchäftigt haben.

Der Ameiſenigel (Echidna Hystrix), welcher mit einer zweiten, wenig verſchiedenen Art (Echidna setosa) als Vertreter der erſten Familie gilt, kennzeichnet ſich durch ſeinen plumpen, größtentheils mit Stacheln oder Borſten bedeckten Leib, den walzenförmigen, nur am vorderen Ende geſpaltenen Schnabel, den kurzen Schwanz, die freien, unvollkommen beweglichen Zehen und die lange, geſtreckte, dünne, wurmartige Zunge, welche, wie bei den Ameiſenfreſſern, lang aus dem Munde hervorgeſtoßen werden kann. Jn ſeiner äußeren Erſcheinung weicht er viel mehr von dem Schnabelthiere ab, als im inneren Leibesbau, denn hier zeigt er die innigſte Verwandtſchaft mit jenem. Er ſcheint gleichſam ein Verbindungsglied zwiſchen den Schuppenthieren und dem Schnabel - thiere darzuſtellen und kann als der auſtraliſche Vertreter der Schuppenthiere betrachtet werden. Sein deutſcher Name, welcher der ihm von den Auſiedlern gegebenen Benennung vollkommen entſpricht, iſt für ihn bezeichnend. Der Leib iſt gedrungen und ſchwerfällig, etwas flach gedrückt, der kurze Hals geht allmählich in den Leib und auf der anderen Seite in den länglich runden, verhältnißmäßig kleinen Kopf über, an welchen ſich plötzlich die langgeſtreckte, dünne, walzen - oder röhrenförmige Schnauze anſetzt. Sie iſt an der Wurzel noch ziemlich breit, verſchmälert ſich aber gegen das Ende hin und endigt in eine abgeſtumpfte Spitze, an welcher ſich die ſehr kleine und enge Mundſpalte befindet. Die Oberſeite der Schnauze iſt gewölbt, die untere flach. Der Oberkiefer reicht ein wenig über den Unter - kiefer vor; die kleinen eiförmigen Naſenlöcher ſtehen faſt am Ende der Oberſeite des Schnabels, dort, wo die nackte Haut, welche ihn überzieht, weich iſt und der Schnauze einige Beweglichkeit erlaubt. Die kleinen Augen liegen tief an den Seiten des Kopfes und zeichnen ſich vor allem dadurch aus, daß ſie, wie die der Vögel, außer den Lidern noch eine Nickhaut haben. Von äußeren Ohrmuſcheln ſieht man nicht die geringſte Spur, der Gehörgang liegt weit hinten am Kopfe und iſt ganz unter der ſtacheligen Bedeckung deſſelben verborgen. Er iſt auffallend weit, erſcheint aber nur in Geſtalt einer Sförmig geſchlitzten Oeffnung, weil er von einem Hautſaume bedeckt iſt, welchen das Thier, wie die319Der Ameiſenigel.Eulen, beim Lauſchen emporhebt, ſonſt aber mit Hilfe der, das Aeußere umgebenden Borſten vollſtän - dig ſchließen kann. Die Gliedmaßen ſind verhältnißmäßig kurz, ſtark, dick, etwas plump und gleich - lang. Die Hinterbeine ſind weit nach rück - und auswärts gekehrt, die Vorderbeine gerade. Beider Füße ſind fünfzehig und die einzelnen Zehen wenig beweglich, weil ſie bis zu ihrer Spitze von der Körperhaut umhüllt werden. Man unterſcheidet ſie nur an den langen und ſtarken Scharrkrallen, welche ſie bewaffnen, und beſonders an den Vorderfüßen hervortreten. An der Ferſe des Hinterfußes befindet ſich beim Männchen ein 4 bis 5 Linien langer, ſtarker, ſpitzer, durchbohrter Hornſporn, der mit einer Abſendungsdrüſe von Erbſengröße in Verbindung ſteht und zu dem Glauben veranlaßt hat, daß er die hauptſächlichſte Waffe des Thieres ſei und wie der Schlangenzahn Gift ausfließen laſſe. Der ſehr ſtummelartige Schwanz, welcher äußerlich blos durch die an ihm ſitzenden Stacheln unter - ſchieden werden kann, iſt dick und an der Spitze ſtark abgeſtumpft. Die Zunge iſt an ihrer Wurzel mit kleinen, ſpitzen, nach rückwärts gerichteten ſtachelartigen Warzen bedeckt. Sie kann 2 bis 3 Zoll

Der Ameiſenigel (Echidna Hystrix).

weit über die Kiefern hervorgeſtreckt werden und empfängt von großen Speicheldrüſen einen klebrigen Schleim, welcher zur Anleimung der Nahrung geeignet iſt. Von Zähnen findet ſich keine Spur, im Gaumen aber ſtehen ſieben Querreihen kleiner, derber, ſpitzer, rückwärts gerichteter hornartiger Stacheln, welche den Warzen der Zunge gerade entſprechend gelegen ſind und die Stelle der Zähne vertreten. Die Milchdrüſen haben ungefähr ſechshundert Ausführungsgänge.

Bei vollkommen erwachſenen Thieren beträgt die Leibeslänge faſt Fuß, wovon höchſtens ½ Zoll auf den Schwanz kommt, am Widerriſt aber ½ Fuß. Beide Geſchlechter ſind ſich bis auf den Sporn an der Ferſe des Männchens vollkommen gleich. Ganz junge Thiere unterſcheiden ſich durch die Kürze ihrer Stacheln. Dieſe bedecken die ganze Oberſeite vom Hinterkopf an. Sie ſtehen ſehr dicht und ſind bis auf die Steißgegend faſt gleich lang, dort ſtrahlen ſie in zwei Büſcheln auseinander; dazwiſchen liegt der Schwanzſtummel. Auf dem Rücken ſind ſie etwas kürzer, als an den Seiten, dort ſchwankt ihre Länge zwiſchen 1 und 2 Zoll, hier werden ſie durchgehends 2 Zoll lang. Nur an ihrer Wurzel werden ſie von kurzen, ½ Zoll langen Haaren umgeben, allein dieſe kann man nur wahr -320Die Kloaken - oder Gabelthiere. Der Ameiſenigel.nehmen, wenn man die Stacheln bei Seite zu legen verſucht; dagegen ſieht man ſie auf dem Kopfe, den Gliedmaßen und der Unterſeite des Körpers, wo ſie die alleinige Bedeckung bilden. Sie ſind überall ſteif, borſtenartig und von ſchwarzbrauner Farbe, die Stacheln aber ſchmuzig gelbweiß, ſchwarz zugeſpitzt. Der Augenſtern iſt ſchwarz, die Regenbogenhaut blau, die Zunge hochroth.

Wenn die genauere Unterſuchung die angenommenen zwei Arten feſtſtellt, beſchränkt ſich das Vaterland des gemeinen Stachelameiſenigels auf die gebirgigen Gegenden des ſüdöſtlichen Neu - holland, während die zweite Art, der ſtachelige Borſtenigel, auf Neuſüdwales und Vandiemens - land beſchränkt zu ſein ſcheint. Neuſüdwales iſt als die eigentliche Heimat des erſtgenannten anzu - ſehen. Er bewohnt mehr die gebirgigen Gegenden, als die Ebenen und ſteigt hier und da bis zu 3000 Fuß über den Meeresſpiegel hinauf. Trockene Wälder, wo er ſich unter den Wurzeln der Bäume Höhlen und Gänge graben kann, ſagen ihm beſonders zu. Hier verbirgt er ſich bei Tage; nachts kommt er hervor und geht ſchnüffelnd und grabend der Nahrung nach. Seine Bewegungen ſind lebhaft, zumal beim Scharren, welche Kunſt er meiſterhaft verſteht. Der Gang iſt außerordent - lich langſam: er ſenkt dabei den Kopf zur Erde und hält den Körper ganz niedrig. Beim Graben ſetzt er alle vier Beine gleichzeitig in Bewegung und verſteht es, wie die Gürtelthiere, ſich geradezu vor ſichtlichen Augen in die Erde zu verſenken. Es iſt nicht eben leicht, in der Dämmerung dieſes erdfarbige Thier wahrzunehmen, und man findet es eigentlich blos zufällig auf, wenn es in ſeiner ruheloſen Weiſe von einem Ort zum anderen läuft. Dabei unterſucht es jede Höhle, jede Ritze, und wenn es etwas Genießbares in ihr wittert, ſetzt es augenblicklich die kräftigen Füße in Bewegung, um die Höhle zu erweitern. Kerbthiere und Würmer, hauptſächlich aber Ameiſen und Termiten, bilden ſeine Hauptnahrung. Dieſe ſucht das Thier mit Hilfe der ſehr empfindlichen Schnauzenſpitze auf, welche weniger zum Wittern, als zum Taſten geeignet ſcheint. Der Ameiſenigel frißt ganz nach Art der Wurmzüngler, indem er die Zunge ausſtreckt und, wenn ſie ſich mit Ameiſen gefüllt hat, ſchnell wieder zurückzieht. Wie alle übrigen Ameiſenfreſſer miſcht er viel Sand oder Staub, auch trockenes Holz unter dieſe Nahrung. Man findet ſeinen Magen ſtets damit angefüllt.

Wenn man einen Ameiſenigel ergreift, rollt er ſich augenblicklich in eine Kugel zuſammen, und dann iſt es ſehr ſchwer, ihn feſtzuhalten, weil die ſcharfen Stacheln bei der heftigen Bewegung des Zuſammenkugelns gewöhnlich empfindlich verwunden. Ein zuſammengerollter Ameiſenigel läßt ſich nur ſehr ſchwer fortſchaffen; am beſten noch, wenn man ihn an den Hinterbeinen packt und ſich um alle Anſtrengungen und Bewegungen nicht weiter kümmert. Hat das Thier einmal eine Grube von wenigen Zollen fertig gebracht, ſo hält es außerordentlich ſchwer, es fortzuziehen. Nach Art der Gürtelthiere ſpreizt es ſich aus und drückt ſeine Stacheln ſo feſt gegen die Wände, daß es an ihnen förmlich zu kleben ſcheint. Die ſtarken Klauen ſeiner Füße werden hierbei ſelbſtverſtändlich auch mit angewandt, um ſich ſoviel als möglich zu befeſtigen. An anderen Gegenſtänden weiß ſich das Thier ebenfalls anzuklammern. Wenn mir, ſagt Bennett, ein Stacheligel gebracht und in die Pflan - zenbüchſe geſteckt wurde, um ſo am leichteſten fortgeſchafft zu werden, fand ich, zu Hauſe angekommen, daß das Thier an den Seiten der Büchſe, wie eine Schüſſelmuſchel auf dem Felſen, angeklebt war. Man ſah nur einen wüſten Stachelhaufen. Die Spitzen des Stachelkleides ſind ſo ſcharf, daß auch die leiſeſte Berührung ein empfindliches Schmerzgefühl hervorruft. Ganz unmöglich war es, einen dergeſtalt eingepferchten Ameiſenigel heraus zu bringen, und nur daſſelbe Verfahren, welches man bei den Schüſſelmuſcheln anwendet, konnte ihn bewegen, loszulaſſen. Wir brachten einen Spaten lang - ſam unter ſeinen Leib und hoben ihn dann mit Gewalt empor. Hat man ihn einmal in der Hand, ſo zeigt er ſich völlig harmlos. Die Behauptung der Eingeborenen, daß das Männchen ſeinen Angreifer mit dem Sporn am Hinterfuße verwunde und eine giftige Flüſſigkeit aus dem - ſelben in die Wunde ſtrömen laſſe, iſt nach allen angeſtellten Verſuchen als eine Fabel anzu - ſehen. Der männliche Stacheligel verſucht gar nicht, ſich ſeines Sporns zur Vertheidigung zu bedienen, wie er überhaupt kaum an Vertheidigung denkt. Gegen die vierfüßigen Feinde ver - theidigt er ſich, wie der Jgel, durch Zuſammenrollen, und wenn er Zeit hat, gräbt er ſich ſo321Der Ameiſenigel.ſchleunig als möglich in die Erde ein. Dennoch wird der Beutelwolf ſeiner Meiſter und frißt ihn mit Haut und Stacheln.

Die Stimme, welche man von dem ſonderbaren Geſellen vernimmt, wenn er ſich ſehr be - unruhigt fühlt, beſteht in einem ſchwachen Grunzen. Unter den Sinnen ſteht Gehör und Ge - ruch oben an; die übrigen ſind ſehr ſtumpf; auch die geiſtigen Fähigkeiten ſind kaum erwähnens - werth.

Ueber die Fortpflanzung des Thieres iſt noch höchſt wenig bekannt. Das Weibchen ſoll im Dezember mehrere Junge werfen und ſie längere Zeit ſängen, wie man annehmen muß, in ganz eigener Weiſe: wir werden bei Beſchreibung des Schnabelthieres ſehen, wie.

Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß der Ameiſenigel während der dürren Zeit eine Art von Winter - ſchlaf hält; wenigſtens ſieht man ihn in den trockenen Monaten nur äußerſt ſelten außerhalb ſeiner Höhle. Aber auch die Kälte übt auf ihn einen großen Einfluß aus. Er verfällt ſchon bei ſehr ge - ringem Herabſinken der Wärme in eine Erſtarrung oder in tiefen Schlaf.

Ueber das Betragen gefangener Ameiſenigel haben Garnot und ſpäter Quoy und Gaimard berichtet. Die Letzteren bekamen in Hobarttown ein lebendes Männchen. Jm erſten Monat fraß es nicht das Geringſte und magerte zuſehends ab, ſchien ſich aber ſehr wohl zu befinden. Es war ganz gefühllos und dumm, lag bei Tage mit dem Kopfe zwiſchen den Beinen, ſeine Stacheln ringsum aus - geſtreckt, aber nicht ganz zuſammengekugelt; auch ſuchte es die Dunkelheit. Die Freiheit liebte es ſehr, wenigſtens machte es alle Anſtrengungen, um aus ſeinem Käfig zu kommen. Setzte man es auf einen großen Pflanzenkübel mit Erde, ſo hatte es ſich in weniger als zwei Minuten bis auf den Boden gegraben, und zwar mit den ſtarken Füßen, wobei es ſich ab und zu mit der Schnauze half. Später fing es an zu lecken und fraß zuletzt ein flüſſiges Gemenge von Waſſer, Mehl und Zucker. Es ſtarb, weil man es zu ſtark gewaſchen hatte.

Garnot kaufte einen Stacheligel in Port-Jackſon von einem Manne, welcher ihm ſagte, daß er das Thier ſeit zwei Monaten mit allerlei Pflanzennahrung erhalten habe; auch verſicherte er, daß es im Freien Mäuſe freſſe u. ſ. w. Auf des Verkäufers Rath ſperrte Garnot das Thier in eine Kiſte mit Erde und gab ihm Gemüſe, Suppe, friſches Fleiſch und Fliegen; aber alle dieſe Dinge rührte es nicht an; nur das Waſſer ſchlappte es ſogleich mit ſeiner zwei bis drei Zoll langen Zunge ein. So lebte es drei Monate, bis man mit ihm auf der Jnſel Moritz ankam. Dort gab man ihm Ameiſen und Regenwürmer. Dieſe fraß es ebenfalls nicht; dagegen ſchien es Kokosmilch ſehr zu lieben, und man hoffte ſchon, es mit nach Europa zu bringen: doch drei Tage vor der Abreiſe fand man es todt.

Dieſes Thier brachte gewöhnlich zwanzig Stunden des Tages ſchlafend zu und ſchwärmte die übrige Zeit umher. Begegnete es einem Hinderniſſe in ſeinem Wege, ſo ſuchte es daſſelbe wegzu - ſchaffen und nahm nicht eher eine andere Richtung, als bis es die Erfolgloſigkeit ſeiner Beſtrebungen bemerkte, wahrſcheinlich weil es ſich an ſein Graben in der Freiheit erinnern mochte. Jm Zimmer wählte es eine Ecke, um ſeinen Unrath dort zu laſſen; einen anderen dunklen Winkel, welcher von einer Kiſte verſtellt war, ſuchte es ſich zum Schlafen aus. Oft ſchien es ſich gewiſſe Grenzen zu wählen und lief lange Zeit hin und her, ohne ſie zu überſchreiten. Es ging mit hängendem Kopfe, als wenn es in Betrachtung vertieft wäre und legte in einer Minute, obgleich ſein Gang ſehr ſchwer - fällig und ſchleppend war, doch 36 bis 40 Fuß zurück. Seine keineswegs weiche, aber bewegliche, lange Naſe diente ihm als Fühler. Wenn es lauſchen wollte, öffnete es die Ohren, wie es die Eule zu thun pflegt, und dann ſchien ſein Gehör recht fein zu ſein. Sein Weſen war mild und zärtlich. Es ließ ſich ſehr gern ſtreicheln; doch war es ſehr furchtſam und kugelte ſich bei dem geringſten Ge - räuſch zuſammen, wie der Jgel, ſo daß die Naſe nicht ſichtbar war. Dies that es, ſo oft man neben ihm mit dem Fuße ſtampfte, und erſt nach längerer Zeit, wenn dies Geräuſch vollſtändig aufgehört hatte, ſtreckte es ſich langſam wieder aus.

Brehm, Thierleben. II. 21322Die Kloaken - oder Gabelthiere. Das Schnabelthier.

Eines Tages unterließ es ſeine gewöhnliche Luſtwandelung; Garnot zog es deshalb aus ſeinem Winkel hervor und rüttelte es derb. Es zeigte ſo ſchwache Bewegungen, daß er glaubte, es würde ſterben; daher trug er es in die Sonne, rieb ihm den Bauch mit einem warmen Tuche und ſiehe da, es erholte ſich wieder und bekam nach und nach ſeine frühere Munterkeit zurück. Einige Zeit darauf blieb es 48, ſpäter 72 und zuletzt ſogar 80 Stunden hinter einander liegen; allein man kannte es nun und ſtörte es nicht mehr in ſeinem Schlafe. Weckte man es auf, ſo wiederholte ſich derſelbe Vorgang, wie das erſte Mal, und es erhielt ſeine Munterkeit nur, wenn es ſelbſt aufwachte. Manch - mal lief es auch des Nachts umher, aber ſo ſtill, daß man es nicht bemerkt haben würde, wenn es nicht ab und zu an den Füßen geſchüffelt hätte.

Junge Ameiſenigel wurden leicht mit Milch erhalten; wenn ſie aber heranwuchſen und die Stacheln ſich aufzurichten begannen, verlangten ſie eine ſtoffreichere Nahrung. Man mußte ſie dann ab und zu einen Beſuch an einem Ameiſenhaufen machen laſſen, oder ihnen hart gekochtes, ſehr fein ge - riebenes Eidotter mit dem nöthigen Zuſatz von Sand geben, um ſie bei vollem Wohlſein zu erhalten. Mit ſolcher Koſt gediehen alle ſehr gut.

Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß wir dieſe Thiere noch einmal lebend in Europa zu ſehen bekom - men, da ja die Winterſchläfer ſich vortrefflich eignen, auf weite Strecken hingeführt zu werden.

Die Eingeborenen nennen den Ameiſenigel Nikobejan, Janokumbine und Cogera; die Anſiedler ohne weiteres Jgel . Manche Auſtralier braten das Thier in ſeinem Felle, wie die Zigeuner unſeren Jgel, und eſſen es; aber auch die Europäer verſichern, daß ein ſo zubereiteter Ameiſenigel vortreffliche Speiſe gebe. Hierin beruht der einzige Nutzen, welchen der Ameiſenigel dem Menſchen bringen kann.

Das Schnabelthier (Ornithorhynchus paradoxus) iſt der einzige bekannte Vertreter der zweiten Familie unſerer Ordnung. Wir verdanken dem engliſchen Naturforſcher Bennett die beſte Schilderung dieſes in der That auffallenden Geſchöpfes, welches noch lange nach ſeiner Entdeckung Forſcher und Laien gleich beſchäftigte. Geſtalt und Lebensweiſe erſchienen ſo ſeltſam, daß Bennett blos zu dem Zwecke nach Neuholland reiſte, um das Thier kennen zu lernen. Bis dahin waren nur unbeſtimmte Nachrichten zu uns gekommen. Die Lebensweiſe mußte um ſo länger unaufgeklärt bleiben, als Beobachten natürlich nicht gerade Sache jedes neuholländiſchen Anſiedlers iſt. Man erfuhr eben nur, daß das Geſchöpf im Waſſer lebe und von den Eingeborenen eifrig gejagt werde, weil es einen ſchmackhaften Braten liefere. Die Neuholländer, ſo erzählt einer der erſten Bericht - erſtatter, ſitzen mit kleinen Speeren bewaffnet am Ufer und lauern, bis ein ſolches Thier auftaucht. Erſehen ſie dann eine Gelegenheit, ſo werfen ſie den Spieß mit großer Geſchicklichkeit nach ihrem Wildpret und fangen es ganz geſchickt auf dieſe Weiſe. Oft ſitzt ein Eingeborener eine volle Stunde auf der Lauer, ehe er den Verſuch macht, ein Schnabelthier zu ſpießen; dann aber durchbohrt er immer mit ſicherem Wurfe den Körper.

Nun kamen eine Menge von Fabeln, welche zum Theil den Berichten der Eingeborenen ihre Ent - ſtehung verdankten. Man ſagte, daß das Schnabelthier Eier lege und dieſe nach Entenart aus - brüte; man ſprach von den giftigen Wirkungen des Sporen, welchen das Männchen am Hinterfuße trägt, wußte aber im übrigen ſo gut als gar Nichts mitzutheilen: und ſo hatte jener engliſche Natur - forſcher Urſache genug, durch eigene Anſchauung die Sache aufzuklären. Er reiſte alſo zuerſt im Jahre 1832 und dann noch ein Mal 1858 nach Auſtralien, und theilte dann ſeine Erfahrungen erſt in einer gelehrten engliſchen Zeitſchrift und vor vier Jahren (1860) in einem ganz beſonderen Werke, in ſeinen Gatherings of a Naturalist ſehr ausführlich mit. Seine Arbeit iſt bisjetzt die einzige ſichere Quelle über die Lebensweiſe des Schnabelthieres, und deshalb muß ich ſie unſerer Schilderung zu Grunde legen.

323Das Schuabelthier.

Das Schnabelthier trägt in ſeinem Vaterlande verſchiedene Namen. Die Anſiedler nennen es Waſſermaulwurf, wegen ſeiner, wenn auch nur geringen Aehnlichkeit mit dem europäiſchen Mull, die Eingeborenen je nach den verſchiedenen Gegenden Mallangong, Tambreet, Tohumbuk und Mufflengong. Wahrſcheinlich aber führt es an anderen Orten auch noch be - ſondere Namen.

Sein Verbreitungskreis iſt, ſoviel man bisjetzt weiß, beſchränkt; denn es findet ſich blos an der Oſtküſte von Neuholland, in den Flüſſen und ſtehenden Gewäſſern von Neuſüdwales und dem inneren Lande. Sehr häufig iſt es bei Nepean, Newkaſte, Campbell und Macquarrie, aber auch

Das Schnabelthier (Ornithorhynchus paradoxus).

an dem Fiſhriver und dem Wollundilly. Jn den Ebenen von Bathurſt-Goulborn, am Yas, Mo - rumbidgen ꝛc. iſt es nicht ſelten; im Norden, Süden und Weſten Neuhollands dagegen ſcheint es zu fehlen.

Das Schnabelthier iſt noch kleiner, als der Ameiſenigel, durchſchnittlich 18 bis 20 Zoll lang, wovon 5 Zoll auf den Schwanz kommen. Die Männchen ſind regelmäßig größer, als die Weibchen. Der Leib iſt platt gedrückt und ähnelt in gewiſſer Beziehung dem des Bibers oder des Fiſchotters. Die Beine ſind ſehr kurz, alle Füße fünfzehig und mit Schwimmhäuten verſehen. An den Vorder - füßen, welche die größte Muskelkraft beſitzen und ebenſowohl zum Schwimmen, als zum Graben21*324Die Kloaken - oder Gabelthiere. Das Schnabelthier.dienen, erſtreckt ſich die Schwimmhaut etwas über die Krallen, iſt dort ſehr biegſam und dehnbar und ſchiebt ſich, wenn das Thier gräbt, zurück. Alle Zehen ſind ſehr ſtark, ſtumpf und ganz zum Graben geeignet. Die beiden mittleren ſind die längſten. Die kurzen Hinterfüße wenden ſich nach rückwärts und erinnern an die des Seehundes. Sie wirken hauptſächlich rückwärts und nach außen. Jhre erſte Zehe iſt ſehr kurz; die Nägel ſind alle rückwärts gekrümmt und länger und ſchärfer, als die der Vorderfüße; die Schwimmhaut aber geht nur bis an die Zehenwurzel. Beim Männchen ſitzt hier ein beweglicher Sporen, etwas über den Zehen und mehr nach innen gewendet; doch kann er ziemlich weit gedreht werden. Der Schwanz iſt platt, breit und am Ende, wo lange Haare den Auslauf bilden, plötzlich abgeſtutzt. Bei den älteren Thieren iſt ſeine untere Fläche entweder ganz nackt, oder doch nur von einigen wenigen groben Haaren bedeckt; bei den jungen Thieren iſt er voll - ſtändig behaart; wahrſcheinlich ſchleift das Thier erſt im Verlaufe der Zeit dieſe Haare ab. Weit eigenthümlicher als die bisher genannten Theile iſt der Kopf gebildet. Er iſt ziemlich flach, klein und durch ſeinen breiten Entenſchnabel ſo ausgezeichnet, daß er unter den Säugethieren einzig in ſeiner Art daſteht. Beide Kinnladen ſtrecken ſich und werden in ihrer ganzen Ausdehnung von einer hornigen Haut umgeben, welche ſich noch nach hinten in einem eigenthümlichen Schilde fortſetzt. Beide Kinnladen tragen vier Hornzähne, von denen der Ober - und Vorderzahn lang, ſchmal und ſcharf iſt, während der Hinterzahn breit und flach, überhaupt wie ein Backzahn erſcheint. Die Naſen - löcher liegen in der Oberfläche des Schnabels, nahe an ſeinem Ende, die kleinen, hellbraunen und glänzenden Augen hoch im Kopfe, die verſchließbaren Ohröffnungen nahe am äußeren Augenwinkel. Jene Falte oder der Zipfel, welcher vom Schnabel aus wie ein Schild über den Vorderkopf und die Kehle fällt, iſt augenſcheinlich dem Thiere von großem Nutzen, weil er beim Futterſuchen den Schlamm vom anſtoßenden Pelz abhält und beim Graben in der Erde die Augen ſchützt. Die Zunge iſt fleiſchig, aber mit hornigen Zähnen beſetzt und hinten durch einen eigenthümlichen Knollen erhöht, welcher den Mund vollſtändig ſchließt. So iſt der Schnabel ein vortrefflicher Seiher, wie es die Freßwerkzeuge der entenartigen Schwimmvögel ſind. Er befähigt das Thier, das Waſſer durchzuſpüren, das Genießbare von dem Ungenießbaren abzuſcheiden und erſteres dann in den geräumigen Backen - taſchen aufzuſpeichern, welche ſich neben den Kopfſeiten erſtrecken und dem Thiere augenſcheinlich von großem Vortheile ſind, weil es in ihnen, während es taucht, die gefundenen Schätze einſtweilen niederlegen und bis zum ruhigen Durchkauen auf dem Lande oder im Baue aufbewahren kann.

Der Pelz des Schnabelthieres beſteht aus dichten, groben Grannen von dunkelbrauner Farbe mit ſilberweißen Schattirungen. Darunter liegt ein ſehr weiches Wollhaar von graulicher Farbe, ganz dem Wollhaare des Seehundes und des Seeotters ähnlich. An der Kehle, der Bruſt und dem unteren Leibe iſt Pelz und Haar viel feiner und ſeidenartiger. Es iſt dort kurz, aber dicht und weich. Der äußere Pelz iſt, namentlich an den äußeren Spitzen, verhältnißmäßig hart; denn die Haare ſind dort breit, lanzenförmig und bilden auch einen Winkel gegen die dünneren, der Haut zunächſt ſtehenden. Solcher Pelz entſpricht den beiden Lebensarten des Schnabelthieres vollſtändig. Die langen Haare würden es, wenn ſie auch von der Wurzel an bis zur Spitze geradeaus nach dem Schwanze zu ge - richtet ſtänden, beim Wühlen ſehr beläſtigen, zumal wenn es ſich in ſeinem Baue rückwärts drehen wollte, während ſie bei ihrer wirklichen Beſchaffenheit, indem ſie nach der Wurzel zu ſchwächer, nach außen zu ausgebreiteter ſind, die Spitze leicht in jeder Richtung hin bewegen können, und zu gleicher Zeit, da ſie ſich dicht auf einander legen, das Waſſer vortrefflich abhalten. Die allgemeine Färbung der Grannenhaare iſt roth oder ſchwarzbraun, auf der unteren Seite roſtgelblich, und an den Leib - ſeiten, dem Hinterbauche und dem Vorderhalſe roſt - oder roſenröthlich. So iſt auch ein kleiner Flecken unterhalb des inneren Augenwinkels, und eine ſchwache Einfaſſung um das Ohr herum gefärbt. Das Schwarz der oberen Seite zeigt bald hellere, bald tiefere Färbung, weshalb man gemeint hat, verſchiedene Arten von Schnabelthieren annehmen zu müſſen. Die Füße ſind braunroth; der Schna - bel iſt oben und hinten ſchmuzig grauſchwarz, aber mit unzähligen lichteren Punkten bedeckt, vorn fleiſchfarben oder blaßroth, unten vorn weiß oder gefleckt, hinten wie der Oberſchnabel röthlich. 325Das Schnabelthier.Auch die Querfalte der Haut nimmt an dieſer Färbung Theil. Die jungen Thiere unterſcheiden ſich von den alten durch das ſchöne, feine, ſilberweiße Haar an der unteren Fläche des Schwanzes und dicht über den vier Füßen. Beim Dahingleiten auf dem Schlamme werden dieſe Haare abgerieben, und hierdurch der Unterſchied zwiſchen den verſchiedenen Altersſtufen hervorgebracht.

Ein eigenthümlicher Fiſchgeruch ſtrömt von dem Pelze aus, zumal wenn er naß iſt; wahrſchein - lich rührt er von einer öligen Abſonderung her. Die Auſtralier eſſen trotz dieſer widerlichen Aus - dünſtung das Fleiſch des Thieres ſehr gern; doch will Dies zu ſeiner Empfehlung als Leckerbiſſen eben nicht viel ſagen, da ja dieſen Menſchen Alles recht kommt, was nur eßbar iſt: Schlangen, Rat - ten, Fröſche ebenſogut, wie die ſchmackhaften Beutelthiere.

Am liebſten bewohnt das Schnabelthier ruhige Stellen der Flüſſe, ſogenannte Altwäſſer, in welchen zahlreiche Waſſerpflanzen ſtehen, und laubige Bäume das Ufer beſchatten. Hier legt es ſich am Uferrande einen mehr oder weniger künſtlichen Bau an. Die erſte Höhle, welche Bennett ſah, lag an einem ſteilen Ufer zwiſchen Gras und Kräutern, dicht am Fluſſe. Ein etwa 20 Fuß langer, vielfach gewundener Gang mündete in einen geräumigeren Keſſel, welcher wie der Gang mit trockenen Waſſerpflanzen beſtreut war. Gewöhnlich hat aber jeder Bau zwei Eingänge, einen unter dem Waſſerſpiegel, den anderen etwa einen Fuß darüber. Zuweilen kommt es vor, daß der Eingang bis 5 Fuß vom Rande des Waſſers entfernt iſt. Die Röhre läuft von unten ſchief in die Höhe, ſo daß der Keſſel ſelten dem Eindringen des Hochwaſſers ausgeſetzt iſt. Auch ſcheint ſich das Thier hiernach zu richten und, je nachdem höherer oder ſeichterer Waſſerſtand, die Röhre von 20 bis 35, ja ſogar bis 50 Fuß Länge auszudehnen.

Man ſieht die Schnabelthiere zu jeder Zeit in den Flüſſen Auſtraliens, am häufigſten jedoch wäh - rend des Frühlings und der Sommermonate, und es fragt ſich, ob ſie nicht vielleicht einen Winter - ſchlaf halten. Sie ſind eigentlich Dämmerungsthiere, obwohl ſie auch während des Tages ihre Ber - ſtecke auf kurze Zeit verlaſſen, um ihrer Nahrung nachzugehen. Wenn das Waſſer recht klar iſt, kann man den Weg, welchen das bald tauchende, bald wieder auf der Oberfläche erſcheinende Thier nimmt, mit den Augen verfolgen. An ſo durchſichtige Stellen kommt es aber nur höchſt ſelten, gleichſam als ob es ſich ſeiner Unſicherheit hier bewußt wäre, und es verläßt ſie auch ſobald als mög - lich wieder. Wenn man ſich ganz ruhig verhält, dauert es an günſtigen Orten nicht lange, bis man an der Oberfläche des Waſſers den kleinen, eigenthümlich geſtalteten Kopf ſieht, der raſch dahin ſtreicht. Will man denſelben aber beobachten, ſo muß man ganz regungslos verweilen; denn nicht die geringſte Bewegung entgeht dem ſcharfen Auge, nicht das leiſeſte Geräuſch dem feinen Ohr des Thieres; und wenn es einmal verſcheucht worden iſt, kommt es ſelten wieder. Hält man ſich völlig ruhig, ſo kann man es lange vor ſich herumpaddeln ſehen. Selten bleibt es länger, als eine oder zwei Minuten oben; dann taucht es und erſcheint in einer kleinen Entfernung wieder. Wie Ben - nett an gefangenen beobachtete, hält ſich das Thier immer gern am Ufer, dicht über dem Schlamme, und gründelt hier zwiſchen den Wurzeln und unterſten Blättern der Waſſergewächſe, welche den Hauptaufenthalt von Kerbthieren bilden. Es ſchwimmt vortrefflich, ebenſowohl ſtromauf -, als ſtrom - abwärts. Jm erſteren Falle muß es ſich etwas anſtrengen, im letzteren läßt es ſich behaglich von der Strömung treiben. Die Nahrung, welche es während ſeiner Weidegänge aufnimmt, hauptſächlich kleine Waſſerkerbthiere und Weichthiere, wird zunächſt in den Backentaſchen aufbewahrt, und dann bei größerer Ruhe verzehrt.

An einem ſchönen Sommerabend, erzählt Bennett, näherte ich mich einem kleinen Fluſſe in Auſtralien, und da ich die Vorliebe des Schnabelthieres für die Dämmerung kannte, ſo ſuchte ich mir zu dieſer Zeit ſeinen Anblick zu verſchaffen. Die Flinte in der Hand, blieben wir geduldig am Ufer ſtehen. Es dauerte auch nicht lange, bis wir an der Oberfläche des Waſſers, uns ziemlich nahe, einen ſchwarzen Körper ſahen, deſſen Spitze, der Kopf, ſich nur wenig über die Oberfläche des Waſſers erhob. Wir blieben regungslos, um das Thier nicht zu verſcheuchen, beobachteten erſt, und ſuchten dann ſoviel als möglich ſeinen Bewegungen zu folgen. Denn man muß ſich ſchußfertig326Die Kloakeu - oder Gabelthiere. Das Schnabelthier.machen, wenn das Schnabelthier taucht, und in demſelben Augenblick ihm die Ladung zuſchicken, in welchem es wieder zum Vorſchein kommt. Nur ein Schuß in den Kopf hat ſeine Wirkung, weil die loſe, dichte Bedeckung des Leibes den Hagel nicht ſo leicht durchdringen läßt. Jch habe geſehen, daß der Schädel von der Gewalt des Schuſſes zerſchmettert war, während die ihn bedeckende Hülle kaum verletzt erſchien. Für den erſten Tag lieferte unſere Jagd kein Ergebniß, und am nächſten Morgen, wo der Fluß durch Regen angeſchwollen war, ſahen wir während des Vormittags nur ein einziges Schnabelthier, welches uns jedoch viel zu wachſam war, als daß wir einen Schuß mit Sicherheit hätten abfeuern können. Auf dem Heimwege nachmittags waren wir glücklicher. Wir verwundeten eins, welches augenblicklich ſank, jedoch bald wieder aufſtieg, offenbar ſchwer getroffen. Es tauchte trotz ſeiner Wunden immer und immer wieder, jedoch ſtets auf kürzere Zeit, als gewöhn - lich, und bemühte ſich, das entgegengeſetzte Ufer zu erreichen, wahrſcheinlich weil es ihm ſchwer wurde, ſich im Waſſer frei zu bewegen, und es ſich in ſeinen Bau retten wollte. Es ſchwamm ſchwer - fällig und viel mehr über dem Waſſer, als ſonſt; doch bedurfte es noch immer zweier Ladungen aus unſerer Flinte, ehe es ruhig auf dem Waſſer liegen blieb. Als der Hund es uns brachte, fanden wir, daß es ein ſchönes Männchen war. Es hatte noch nicht ganz verendet, bewegte ſich mitunter, machte jedoch kein Geräuſch, ausgenommen daß es oft durch die Naſenlöcher athmete. Wenige Mi - nuten nachdem es aus dem Waſſer geholt worden war, lebte es wieder auf und lief augenblicklich nach dem Waſſer zu, jedoch mit unſtäter Bewegung. Etwa 25 Minuten nachher ſtürzte es ſich mehr - mals kopfüber und ſtarb. Da ich viel davon gehört hatte, wie gefährlich ein Stich mit ſeinen Sporen ſei, ſelbſt wenn das Thier tödtlich verwundet wäre, brachte ich beim erſten Ergreifen meine Hand dicht an den giftigen Sporn. Bei ſeinen heftigen Anſtrengungen zur Flucht kratzte mich das Thier ein wenig mit ſeinen Hinterpfoten und auch mit dem Sporn; ſo hart ich es aber auch anfühlte, es ſtach mich durchaus nicht abſichtlich. Man ſagte ferner, daß das Thier ſich auf den Rücken lege, wenn es dieſe Waffe gebrauchen wollte, was allerdings nicht wahrſcheinlich iſt, wenn man das Thier nur irgend kennt. Jch brachte es in dieſe Lage, aber ohne den Sporn nur zu gebrauchen, ſtrebte es, nur wieder auf die Beine zu kommen. Kurz, ich verſuchte es auf alle mögliche Weiſe, aber ſtets vergebens, und ich halte mich daher überzeugt, daß der Sporn einen anderen Zweck, als den einer Waffe hat, umſomehr, als ſpätere Verſuche bei verwundeten Thieren immer daſſelbe Ergebniß hatten. Die Eingeborenen nennen zwar den Sporn naſeweis , worunter ſie im allgemeinen ſchädlich oder giftig verſtehen, doch brauchen ſie denſelben Ausdruck von dem Kratzen mit den Hinter - füßen, und fürchten ſich gar nicht, das männliche Schnabelthier lebendig zu faſſen. Wenn das Schnabelthier auf dem Boden hinläuft, erſcheint es dem Auge als etwas Uebernatürliches, und ſeine ſeltſame Geſtalt erſchreckt den Furchtſamen leicht. Katzen reißen augenblicklich vor ihm aus, und ſelbſt die Hunde, die nicht beſonders darauf abgerichtet ſind, ſtarren es mit geſpitzten Ohren an, bellen, fürchten ſich aber, es zu berühren.

Am Abend deſſelben Tages, wo wir das erſte Männchen getödtet hatten, erlegten wir auch ein Weibchen; wir ſchoſſen es beim dritten Auftauchen. Es war in den Schnabel getroffen und ſtarb faſt augenblicklich; nur ſchnappte es ein wenig und bewegte die Hinterfüße krampfhaft. Man hat uns verſichert, daß alle Thiere, wenn der Schuß ſie nicht augenblicklich tödtet, untertauchen und nicht wieder erſchienen. Meine Beobachtungen beſtätigten Dies aber nicht. Freilich verſchwinden ſie, ſo - bald man ſie fehlte, und tauchen auch unter, ſelbſt wenn ſie verwundet worden ſind; ſie erſcheinen dann aber bald in geringer Entfernung an der Oberfläche, um Luft zu holen. Auch verwundet noch ent - gingen ſie häufig durch ſchnelles Tauchen dem Hunde bald in den Binſen und Schilf am Ufer. Oft bedurfte es zweier oder dreier Schüſſe, um eins zu tödten, oder auch nur um es ſo ſchwer zu verwun - den, daß es herausgeholt werden konnte.

Beſonders Mühe gab ſich Bennett, um die Fortpflanzung des Schnabelthieres kennen zu lernen. Er ließ deshalb viele Baue aufgraben, um ſich womöglich eines trächtigen Weibchens oder einer Mutter mit ſäugenden Jungen zu bemächtigen. Dabei hatte er den Vortheil, mehrere dieſer327Das Schnabelthier.merlwürdigen Thiere in der Gefangenſchaft zu beobachten. Jch will ihn ſoviel als möglich ſelbſt reden laſſen. Die Meinungen der Eingeborenen über die Fortpflanzung des Thieres ſind getheilt. Jn der einen Gegend behauptet man, daß das Schnabelthier Eier lege, in der anderen bezeichnet man es als lebendig gebärend. Bennett verſchaffte ſich mit großer Mühe mehrere Weibchen, ehe er hierüber ins Klare kam. Die Eingeborenen waren gar nicht ſehr bereit, ihn dabei zu unterſtützen. Jch ließ, ſagt er, einen Bau aufgraben, trotz allen Abredens eines trägen Eingeborenen, welcher mir verſicherte, daß vom Weibchen noch keine Jungen gepurzelt wären, und gar nicht begreifen konnte, wie ich bei allem Ueberfluß an Rindern und Schafen doch Schnabelthiere zu haben wünſche. Der Eingang oder die Vorhalle des Baues war groß im Verhältniß zur Breite des ferneren Ganges; denn dieſer wurde um ſo enger, je weiter wir vorrückten, bis er zuletzt der Stärke des Thieres ent - ſprach. Wir verfolgten ihn bis auf 10½ Fuß. Plötzlich tauchte der Kopf eines Schnabelthieres aus dem Grunde hervor, juſt, als wenn es eben im Schlafe geſtört worden, und herunter gekommen wäre, um zu ſehen, was wir wünſchten. Doch ſchien es der Ueberzeugung zu leben, daß unſere lärmende Arbeit nicht zu ſeinem Beſten gemeint ſei; denn es zog ſich eiligſt wieder zurück. Beim Umdrehen wurde es jedoch am Hinterfuße ergriffen und herausgezogen, und ſchien ſich darüber ſehr zu beunruhigen und zu verwundern. Wenigſtens war es entſchieden als eine Wirkung ſeiner Furcht anzuſehen, daß es ſchleunigſt alle mögliche Ausleerung von ſich gab, nicht eben zu unſerem Ver - gnügen, weil der Unrath ſehr unangenehm riecht. Das Thier gab keinen Laut von ſich, verſuchte auch keinen Angriff auf mich, kratzte aber mit den Hinterfüßen meine Hand ein wenig, indem es entrinnen wollte. Es war ein ausgewachſenes Weibchen. Seine kleinen hellen Augen glänzten; die Oeffnungen der Ohren erweiterten ſich bald, bald zogen ſie ſich zuſammen, als ob es jeden Laut hätte auffangen wollen, während ſein Herz vor Furcht heftig klopfte. Nach einiger Zeit ſchien es ſich in ſeine Lage zu ergeben, obwohl es mitunter doch noch zu entkommen ſuchte. Beim Fell durfte ich es nicht faſſen; denn dies iſt ſo loſe, daß das Thier ſich anfühlt, als ob es in einem dicken Pelzſacke ſtäke. Wir thaten unſeren Gefangenen in ein Faß voll Gras, Flußſchlamm, Waſſer ꝛc. Er kratzte überall, um ſeinem Gefängniſſe zu entkommen; da er aber alle Mühe vergebens fand, wurde er ruhig, kroch zuſammen und ſchien bald zu ſchlafen. Jn der Nacht war er ſehr unruhig, und kratzte wiederum mit den Vorderpfoten, als ob er ſich einen Gang graben wolle. Am Morgen fand ich ihn feſt einge - ſchlafen, den Schwanz nach innen gekehrt, Kopf und Schnabel unter der Bruſt, den Körper zuſam - mengerollt. Als ich ſeinen Schlummer ſtörte, knurrte er ungefähr wie ein junger Hund, nur etwas ſanfter und vielleicht wohltönender. Den Tag über blieb er meiſt ruhig, während der Nacht aber ſuchte er aufs neue zu entkommen und knurrte anhaltend. Alle Europäer in der Nachbarſchaft, welche das Thier ſo oft todt geſehen hatten, waren erfreut, endlich einmal ein lebendiges beobachten zu können, und ich glaube, es war Dies überhaupt das erſte Mal, daß ein Europäer ein Schnabel - thier lebendig fing und den Bau durchforſchte.

Als ich abreiſte, ſteckte ich meinen Mallangong in eine kleine Kiſte mit Gras, und nahm ihn mit mir. Um ihm eine Erholung zu gewähren, weckte ich ihn nach einiger Zeit, band einen langen Strick an ſein Hinterbein und ſetzte ihn an das Ufer. Er fand bald ſeinen Weg ins Waſſer und ſchwamm ſtromaufwärts, offenbar entzückt von den Stellen, die am dichteſten von Waſſerpflan - zen bedeckt waren. Nachdem ſich das Thier ſatt getaucht hatte, kroch es auf das Ufer heraus, legte ſich auf das Gras und gönnte ſich die Wonne, ſich zu kratzen und zu kämmen. Zu dieſem Reini - gungsverfahren benutzte es die Hinterpfoten wechſelweiſe, ließ aber bald die angebundene Pfote, der Unbequemlichkeit halber, in Ruhe. Der biegſame Körper kam dabei den Füßen auf halbem Wege entgegen. Seine Säuberung dauerte über eine Stunde; dann ſah es aber auch glänzender und glatter, als zuvor. Jch legte einmal die Hand auf einen Theil, den es gerade kratzte, und fand, als nun ſeine Zehen über meine Hand glitten, daß es ſehr ſanft verfuhr. Als ich meinerſeits ver - ſuchte, es zu kratzen, lief es eine kurze Strecke fort, und nahm ſein Reinigungsverfahren dann wie -328Die Kloaken - oder Gabelthiere. Das Schnabelthier.der auf. Endlich ließ es ſich von mir ſanft über den Rücken ſtreicheln, wollte ſich aber nicht gern angreifen laſſen.

Einige Tage ſpäter ließ ich es wiederum ein Bad nehmen, diesmal in einem klaren Fluſſe, wo ich ſeine Bewegungen deutlich wahrnehmen konnte. Raſch tauchte es bis auf den Boden, blieb dort eine kurze Weile und ſtieg wieder empor. Es ſchweifte am Ufer entlang, indem es ſich von den Gefühlseindrücken ſeines Schnabels leiten ließ, der als ein ſehr zartes Taſtwerkzeug vielfach benutzt zu werden ſcheint. Es ſchien ſich ganz wohl zu nähren, und ſo oft es den Schnabel aus dem Schlamme zurückzog, hatte es ſicherlich etwas Freßbares darin; denn die Freßwerkzeuge waren dann in der ihm beim Kauen eigenen Bewegung nach ſeitwärts. Verſchiedene Kerbthiere, welche dicht um das Thier herumflatterten, ließ es unbeläſtigt, entweder, weil es ſie nicht ſah, oder weil es die Speiſe vorzog, welche der Schlamm gewährte. Nach ſeiner Mahlzeit pflegte es manchmal auf dem graſigen Ufer, halb außer dem Waſſer, ſich niederzulegen oder ſich rückwärts zu biegen, indem es ſeinen Pelz kämmte und reinigte. Jn ſein Gefängniß kehrte es ſehr ungern zurück, und diesmal wollte es ſich durchaus nicht beruhigen. Jn der Nacht hörte ich kein Kratzen in ſeiner Kiſte, welche in meinem Schlafzimmer ſtand, und ſiehe: am nächſten Morgen fand ich ſie leer. Das Schnabel - thier hatte glücklich eine Latte losgelöſt und ſeine Flucht ausgeführt. So waren alle meine Hoffnun - gen fernerer Beobachtungen vereitelt.

Auf einer neuen Reiſe gelang es Bennett, ſich wieder ein Weibchen zu verſchaffen, welches er noch genauer unterſuchen konnte. Er fand, daß die Bruſtdrüſen kaum noch zu bemerken waren, ob - gleich das Thier in der linken Gebärmutter deutlich entwickelte Eier hatte, konnte aber wiederum nichts Genaues entdecken. Einige Zeit ſpäter erhielt er nach langer Mühe ein anderes Weibchen, fand aber bei der Unterſuchung, daß es eben geworfen hatte. Hier waren die Bruſtdrüſen ſehr groß; doch ließ ſich aus ihnen keine Milch mehr ausdrücken. Eine hervorragende Saugwarze war noch nicht zu bemerken, und ſelbſt das Pelzwerk war an der Stelle, wo die Drüſen ſind, nicht mehr ab - gerieben, als ſonſt wo anders. Endlich gelang es dem unermüdlichen Forſcher, einen Bau mit drei Jungen zu entdecken, welche etwa 1⅞ Zoll lang waren. Nirgends fand man Etwas auf, was auf die Vermuthung hätte führen können, daß die Jungen aus Eiern gekommen, und die Eier von den Alten weggetragen worden wären. Man konnte nicht mehr im Zweifel ſein, daß das Schnabelthier lebendige Junge gebiert. Bennett glaubt auch nicht, daß die Eingeborenen die Mutter jemals ſäugend geſehen, und entſchuldigt ſie deshalb wegen ihrer lügenhaften Erzählung hinſichtlich des Eierlegens. Sobald man im Bau zu graben anfängt, wird das Thier natürlich geſtört und verläßt dann ſein Neſt, um nach dem Feinde zu ſehen. Als wir das Neſt mit Jungen fanden, ſagt Bennett, und ſie auf den Boden ſetzten, liefen ſie zwar umher, machten aber nicht ſolche wilde Fluchtverſuche, wie die Alten. Die Eingeborenen, denen der Mund nach dieſen fetten jungen Thieren ſehr wäſſerte, ſagten, daß dieſelben bereits acht Monate alt wären, und fügten hinzu, daß die jungen Schnabelthiere blos im Anfange mit Milch, ſpäter mit Kerbthieren, kleinen Muſcheln und Schlamm von der Alten gefüttert würden.

Jn ihrem Gefängniſſe nahmen die kleinen Thiere höchſt verſchiedene Stellungen beim Schlafen an. Das eine rollte ſich zuſammen, wie ein Hund, und deckte ſeinen Schnabel warm mit dem Schwanze zu, das andere lag auf dem Rücken mit ausgeſtreckten Pfoten, ein drittes auf der Seite, ein viertes im Knaul, wie ein Jgel. Waren ſie eine Lage überdrüſſig, ſo legten ſie ſich anders zu - recht; am liebſten aber rollten ſie ſich wie eine Kugel zuſammen, indem ſie die Vorderpfoten unter den Schnabel legten, den Kopf gegen den Schwanz hinabbeugten, die Hinterpfoten über die Freß - werkzeuge kreuzten und den Schwanz aufrichteten. Obſchon mit einem dicken Pelze verſehen, wollten ſie doch gemüthlich warm gehalten ſein. Jhr Fell ließen ſie mich berühren, nicht aber den Schnabel: ein neuer Beweis, wie empfindlich er iſt.

Die Jungen konnte ich ruhig in der Stube umherlaufen laſſen, ein Altes aber grub ſo unver - droſſen an der Mauer, daß ich es einſperren mußte. Dann lag es den ganzen Tag über ruhig, erneuerte329Das Schnabelthier.aber des Nachts ſtets ſeine Verſuche, herauszukommen. Störte ich die Thiere im Schlafe, ſo erfolgte ſtets ein allgemeines Murren.

Meine kleine Schuabelthierfamilie lebte noch einige Zeit, und ich konnte ſo ihre Gewohnheiten beobachten. Oft ſchienen die Thierchen vom Schwimmen zu träumen; denn ihre Vorderpfoten waren häufig in der entſprechenden Bewegung. Setzte ich ſie am Tage auf den Boden, ſo ſuchten ſie ein dunkles Ruheplätzchen, und in dieſem oder in ihrem Gefängniſſe ſchliefen ſie bald zuſammengerollt ein, zogen jedoch ihren gewöhnlichen Ruheplatz jeder anderen Stelle vor. Andererſeits geſchah es wieder, daß ſie ein Bett, nachdem ſie es tagelang inne gehabt, aus einem launiſchen Einfalle ver - ließen, und hinter einer Kiſte oder ſonſt an einer dunkeln Stelle blieben. Schliefen ſie recht feſt, ſo konnte man ſie betaſten, ohne daß ſie ſich ſtören ließen.

Eines Abends kamen meine beiden kleinen Lieblinge gegen die Dämmerungsſtunde hervor und fraßen wie gewöhnlich ihr Futter, dann aber begannen ſie zu ſpielen, wie ein Paar junge Hunde, indem ſie einander mit ihrem Schnabel angriffen, ihre Vorderpfoten erhoben, über einander weg - kletterten u. ſ. w. Fiel bei dieſem Kampfe einer nieder, und man erwartete mit Beſtimmtheit, daß er ſich ſchleunigſt erheben und den Kampf erneuern würde, ſo kam ihm wohl der Gedanke, ganz ruhig liegen zu bleiben und ſich zu kratzen, und ſein Mitkämpe ſah dann ruhig zu und wartete, bis das Spiel wieder anfing. Beim Herumlaufen waren ſie außerordentlich lebendig; ihre Aeuglein ſtrahlten, und die Oeffnungen ihrer Ohren öffneten und ſchloſſen ſich ungemein ſchnell; dann ließen ſie ſich aber auch nicht gern in die Hand nehmen.

Sie können, da ihre Augen ſehr hoch im Kopfe ſtehen, nicht gut in gerader Linie vor ſich ſehen, ſtoßen daher an alles Mögliche im Zimmer an und werfen häufig leichte Gegenſtände um. Oft ſah ich ſie den Kopf erheben, als ob ſie die Gegenſtände um ſich her betrachten wollten; mitunter ließen ſie ſich ſogar mit mir ein: ich ſtreichelte oder kratzte ſie, und ſie ihrerſeits ließen ſich dieſe Lieb - koſungen gern gefallen. Sie biſſen ſpielend nach meinem Finger und benahmen ſich überhaupt auch hierin ganz wie Hündchen. Wenn ihr Fell naß war, kämmten ſie nicht nur, ſondern putzten es ganz ſo, wie eine Ente ihre Federn. Es wurde dann auch immer viel ſchöner und glänzender. That ich ſie in ein tiefes Gefäß voll Waſſer, ſo ſuchten ſie ſehr bald herauszukommen; war dagegen das Waſſer ſeicht und ein Raſenſtück in einer Ecke, ſo gefiel es ihnen ausnehmend. Sie wiederholten im Waſſer ganz dieſelben Spiele, wie auf dem Fußboden, und wenn ſie müde waren, legten ſie ſich auf den Raſen und kämmten ſich. Nach der Reinigung pflegten ſie im Zimmer ein Weilchen auf und ab zu gehen und ſich dann zur Ruhe zu begeben. Selten blieben ſie länger als 10 bis 15 Minuten im Waſſer. Auch in der Nacht hörte ich ſie manchmal knurren, und es ſchien, als wenn ſie ſpielten oder ſich balgten, aber am Morgen fand ich ſie dann immer ruhig ſchlafend in ihrem Neſte.

Anfangs war ich geneigt, ſie als Nachtthiere zu betrachten; ich fand jedoch bald, daß ihr Leben ſehr unregelmäßig iſt, indem ſie ſowohl bei Tage, als bei Nacht ihre Ruheſtätte zu ganz verſchiedenen Zeiten verließen; mit dem Dunkelwerden ſchienen ſie jedoch lebendiger und laufluſtiger zu werden. Nur zu dem ſicheren Schluſſe konnte ich kommen, daß ſie ſowohl Tagthiere, als Nachtthiere wären, welche immerhin den kühlen, düſteren Abend der Hitze und dem grellen Lichte des Mittags vorziehen. Es war nicht blos mit den Jungen ſo; auch die Alten waren gleich unzuverläſſig. Manchmal ſchliefen ſie den ganzen Tag und wurden in der Nacht lebendig, manchmal war es umgekehrt. Oft ſchlief das eine, während das andere umherlief. Manchmal verließ das Männchen zuerſt das Neſt, das Weib - chen ſchlief fort. War jenes des Laufens und des Freſſens ſatt, ſo rollte es ſich wieder zum Schlafen zuſammen, und dann kam die Reihe an das Weibchen; ein andermal jedoch kamen ſie plötzlich zu - ſammen hervor. Eines Abends, als beide umherliefen, ſtieß das Weibchen ein Quieken aus, als wenn es ſeinen Gefährten riefe, der irgendwo im Zimmer hinter einem Hausgeräth verſteckt war. Er antwortete augenblicklich in ähnlichem Tone, und das Weibchen lief nach der Stelle, von welcher die Antwort kam.

330Die Kloaken - oder Gabelthiere. Das Schnabelthier.

Höchſt poſſirlich war es, die ſeltſamen Thiere gähnen und ſich recken zu ſehen. Dabei ſtreck - ten ſie die Vorderpfoten von ſich und dehnten die Schwimmhäute ſoweit wie möglich aus. Obſchon Dies ganz natürlich war, ſah es doch höchſt lächerlich aus weil man nicht gewöhnt iſt, eine Ente gähnen zu ſehen. Oft wunderte ich mich, wie ſie es nur anfangen möchten, auf einen Bücher - ſchrank oder dergleichen hinauf zu kommen. Endlich ſah ich, daß ſie ſich mit dem Rücken an die Mauer lehnten und die Füße gegen den Schrank ſtemmten, und ſo, Dank ihren ſtarken Rückenmus - keln und ſcharfen Nägeln, äußerſt ſchnell emporkletterten. Das Futter, welches ich ihnen gab, war Brod in Waſſer geweicht, gehärtetes Ei und ſehr fein zerſtückeltes Fleiſch. Milch ſchienen ſie dem Waſſer nicht vorzuziehen.

Bald nach meiner Ankunft in Sidney wurden zu meinem großen Bedauern die Thierchen magerer, und ihr Fell verlor das ſchöne glänzende Ausſehen. Sie fraßen wenig, liefen jedoch noch munter in der Stube umher; wenn ſie naß wurden, verfitzte ſich ihr Pelz, und ſie wurden nicht mehr ſo ſchnell trocken, wie früher. Man ſah ihnen das Unwohlſein überall an, und ihr Anblick konnte nur noch Mitleid erregen. Am 29. Januar ſtarb das Weibchen, am 2. Februar das Männchen. Jch hatte ſie nur ungefähr fünf Wochen am Leben erhalten.

Aus den ferneren Beobachtungen, welche Bennett machte, erfahren wir, daß das Schnabel - thier im Waſſer nicht lange leben kann. Wenn man eins auch nur auf 15 bis 20 Minuten in tiefes Waſſer brachte, ohne daß es eine ſeichte Stelle finden konnte, war es beim Herausnehmen ganz erſchöpft oder dem Tode nahe. Leute, welche ein lebendes Schnabelthier in ein halbvolles Faß Waſſer gethan hatten, waren erſtaunt, ihren Gefangenen nachher todt zu finden, und wenn das Faß bis zum Rande voll war, wunderten ſie ſich ebenſoſehr, wenn ſie ſahen, daß es entkommen war: gerade als habe es ihnen beweiſen wollen, daß die Anſicht falſch ſei, welche ſie zu Waſſer - bewohnern ſtempelt.

Der mißlungene Verſuch Bennett’s, das Schnabelthier womöglich lebendig nach Europa zu bringen, ſchreckte dieſen ausgezeichneten Forſcher nicht ab. Er ließ ſich einen beſonderen Käfig bauen und reiſte zum zweiten Male der Schnabelthiere wegen nach Auſtralien. Aber auch diesmal ſollten ſeine Bemühungen nicht mit dem erwünſchten Erfolge gekrönt werden. Dagegen vervollſtändigte er ſeine Beobachtungen ganz weſentlich. So erfuhr er, daß die Hoden der Männchen vor der Paa - rungszeit wie bei den Vögeln anſchwollen und ſo groß wie Taubeneier wurden, während ſie früher - hin nur wie kleine Erbſen geweſen waren. Hieraus erſehen wir, daß die Thiere auch in dieſer Be - ziehung eine große Aehnlichkeit mit den Vögeln zeigen, und ihre Mittelſtellung zwiſchen der erſten und zweiten Klaſſe zu behaupten wiſſen. Bennett erhielt wieder mehrere lebendige Schnabel - thiere. Zwei Gefangene, welche ich am 28. Dezember 1858 erhielt, ſagt er, waren ſo furchtſam, daß ſie, um ein wenig Luft zu ſchnappen, nur die Schnabelſpitze aus dem Waſſer herausſteckten; dann tauchten beide ſchleunigſt wieder unter und ſchienen ganz wohl zu wiſſen, daß ſie beobachtet würden. Die längſte Zeit, die ſie unter dem Waſſer zubringen konnten, ohne aufzutauchen, war 7 Minuten 15 Sekunden. Als wir ſie von weitem beobachteten, kroch das Eine aus dem Waſſerfaſſe und ver - ſuchte zu entkommen. Dies beweiſt, daß die Schnabelthiere entweder durchs Geſicht oder durchs Ge - hör bemerkt haben mußten, wo man ſie beobachtete; denn ſolange wir dabei ſtanden, verſuchten ſie nie zu entkommen und erſchienen überhaupt ſelten an der Oberfläche. Nach und nach wurden ſie, wie die meiſten auſtraliſchen Thiere, zahmer, zeigten ſich auf dem Waſſer und ließen ſich ſogar berühren. Das Weibchen pflegte ſeine Nahrung zu verzehren, indem es auf dem Waſſer ſchwamm. Es war viel zahmer, als das Männchen, welches lieber auf dem Grunde blieb.

Bom 29. bis 31. Dezember waren meine Schnabelthiere ſehr wohl und munter. Morgens und abends that ich ſie eine oder zwei Stunden ins Waſſer, in welches ich etwas fein zerſtückeltes Fleiſch that, um ſie wo möglich an ein Futter zu gewöhnen, mit deſſen Hilfe man ſie lebendig nach Europa hätte ſchicken können. Jhr Benehmen ſtimmte mit allen früheren Beobachtungen überein. Kam ihren empfindlichen Naſenlöchern etwa Staub zu nahe, ſo war ein Sprudeln zu bemerken, als ob ſie ihn331Das Schnabelthier.wegtreiben wollten. Gelang ihnen Dies nicht, ſo wuſchen ſie den Schnabel ab. Wenn ich das Männ - chen bei Nacht ſtörte, pflegte es wie gewöhnlich zu knurren, und nachher ein eigenthümliches ſchrillen - des Pfeifen auszuſtoßen, gleichſam ein Ruf für ſeinen Gefährten. Bereits am zweiten Januar ſtarb das Weibchen, während das Männchen noch bis zum 4. lebte. Jch hatte einen Käfig mit einem ge - eigneten Waſſergefäß hergeſtellt, in dem es den Thieren ganz wohl zu behagen ſchien. Aber am Morgen des 5. Januars fand ich das Männchen todt auf dem Grunde des Waſſers, von wo aus es wahrſcheinlich Schwäche halber ſein Neſt nicht wieder hatte erreichen können. Der Mann, welcher mir die Thiere gebracht hatte, verſicherte, er hätte zwei von ihnen vierzehn Tage lang mit Flußſchal - thieren gefüttert, die er zerbrochen in das Waſſer geworfen hatte, und der Tod der beiden Thiere ſei durch einen Zufall herbeigeführt worden. Jch ſelbſt habe ein ſehr junges Thier geſehen, das, mit Würmern gefüttert, drei Wochen lang erhalten worden war.

Kurz vor ihrem Tode vernachläſſigten meine beiden Thiere die ſonſt gewöhnliche Sorgfalt im Reinigen und Abtrocknen, und das unbehagliche Kältegefühl, das ſo entſtanden war, mag wohl ihren Tod beſchleunigt haben; wenigſtens war der Körper, beſonders der des Männchens, nicht ſo abge - magert, daß man ihr Abſterben der Schwäche hätte zuſchreiben können. Jn den Eingeweiden und Backentaſchen fand ich weder Sand noch Futter, nur ſchmuziges Waſſer.

Jn den mitgetheilten Beobachtungen Bennett’s iſt Alles geſagt worden, was wir gegenwärtig über das Schnabelthier wiſſen. Daß gerade hierüber noch ſehr viel Genaues feſtzuſtellen ſein wird, unterliegt keinem Zweifel. Einſtweilen aber können wir Nichts thun, als hoffen, daß die Engläuder Das, was ſie mit großem Eifer begonnen haben, noch weiter ausführen werden, und wir dadurch Gelegenheit erhalten, das merkwürdigſte aller Säugethiere vollſtändiger kennen zu lernen.

[332]

Vierte Reihe. Hufthiere (Ungulata).

Unſere Betrachtung wendet ſich, je weiter wir abwärts ſteigen, mehr und mehr den maſſigen Geſtalten der erſten Klaſſe zu. Das gaukelnde Volk der Baumkletterer haben wir mit den am wenig - ſten begabten Faulthieren gänzlich verlaſſen; jetzt ſind wir, ſo zu ſagen, auf ebener Erde angelangt und ziehen uns mehr und mehr zur Tiefe, zum Waſſer hinab. Alle Säugethiere, welche wir von jetzt an betrachten, gehören entweder dem feſten Boden oder dem Waſſer an; kein einziges mehr verſteigt ſich auf die Höhen der Bäume, und nur noch ausnahmsweiſe finden ſich einige, welche auf den luftigen Höhen des Gebirges ſich bewegen, faſt mit derſelben Sicherheit und Kühnheit der eigentlichen Kletter - thiere.

Die Hufthiere ſind zugleich Bodenthiere. Jhre leibliche Ausrüſtung verlangt gebieteriſch ſolches Leben. Alle zu ihnen zählenden Säuger ſind verhältnißmäßig maſſige Thiere. Jhr Rumpf iſt ge - wöhnlich dicht, der Hals dagegen lang, der Kopf nur ſelten groß, aber ausgezeichnet durch gewaltige Waffen, welche theils als Gehörne und Geweihe, theils als ungeheure Zähne hervortreten. Die Gliedmaßen ſind gleich lang und die Zehen an den Füßen von einem bis fünf Hufen umkleidet. Der Schwanz iſt kurz und berührt gewöhnlich den Boden nicht. Die Sinneswerkzeuge zeigen ſich noch vortrefflich ausgebildet; große, höchſt bewegliche Ohren, lebhafte, ſchöne Augen und ein auch äußer - lich deutlich entwickeltes Geruchswerkzeug ſind faſt allen Hufthieren gemeinſam. Keiner ihrer Sinne verkümmert in dem Grade, wie bei manchen höher ſtehenden Thieren. Ein einfaches, bald dichteres und weicheres, bald dünner ſtehendes und borſtiges, gewöhnlich dunkles Haarkleid umhüllt den Leib; Braun und Schwarz ſind die am häufigſten vorkommenden Färbungen deſſelben. Von allem Anderen kennzeichnen die Hufe an den Füßen unſere Thiere. Jhre vier Gliedmaßen ragen noch vollſtändig aus dem Leibe hervor, ſie ſind echte Gangbeine; denn ihre Zehen ſind an und für ſich ſchon zu anderwei - tiger Benutzung ungeeignet, und die ſie umhüllenden Hornſchuhe oder Hufe verwehren vollends jeden ſonſtigen Gebrauch. Bei den am höchſten ſtehenden Hufthieren umhüllen die Hufe die Zehen gänzlich, bei den niederern nur einen Theil derſelben. Mit der Zahl der Zehen, ſagt Giebel, ändert ſich auch die Geſtalt der Hufe ab; je mehr Zehen, deſto ſchwächer ſind die einzelnen. Während das Pferd auf der Spitze des einzigen letzten, von einem großen Hufe bekleideten Zehengliedes geht, ſind die vier und fünf Hufe an jedem Fuße des Elefanten zu ſchwach, den ſchweren Körper zu tragen, und die vorderen Zehenglieder berühren den Boden nicht. Bei drei und vier Zehen findet eine paarige oder eine gleichmäßige Ansbildung von innen nach außen ſtatt. Auch das Gebiß iſt bezeichnend für die Reihe, ſo groß ſeine Verſchiedenheit ſein mag. Die Backzähne ſind immer nur zum Zermalmen be -333Hufthiere.ſtimmt, die Schneidezähne deuten ganz entſchieden auf pflanzliche Nahrung hin. Eckzähne ſind bei vielen noch vorhanden, fehlen bei anderen und entwickeln ſich bei einigen in ganz ungewöhnlicher Weiſe. Sie oder die Schneidezähne werden durch eine große Lücke von den Backzähnen getrennt. Dieſe ſelbſt zeigen die größte Ungleichmäßigkeit. Die Schmelzfalten auf ihnen ſind bald vielfach ver - ſchlungen, bald nur einfach gebogen; die Zahl und die Anordnung der Hacker ſchwanken erheblich.

Die Größenverhältniſſe der Hufthiere ſind ſehr verſchieden. Sie bewegen ſich zwiſchen dem Ele - fanten und dem kleinen, noch nicht haſengroßen Klippſchiefer, und ſomit faſt in denſelben Grenzen, wie die der Raubthiere. Sonderbarer Weiſe gehören die beiden genannten Thiere einer ein - zigen Ordnung an, welche ſich freilich gerade dadurch auszeichnet, daß ſie mehr einer früheren Schöpfung, als der Jetztzeit angehört und deshalb ungemein verſchiedenartige Thiere zuſammen - faſſen muß.

Das Geripp aller Hufthiere wird von plumpen und ſchweren Knochen zuſammengeſetzt. Dies gilt auch für die zierlicheren Geſtalten, an denen es durchaus nicht fehlt. Am Schädel tritt der Hirntheil gegen den Antlitztheil zurück, die Kiefern ſind verlängert, die Stirn und der Scheitel breit und flach; der Geſichtswinkel iſt ein ſehr geringer. Die Halswirbel haben niedrige Dornen und faſt kugelartige Gelenkknöpfe, welche große Beweglichkeit erlauben. Die Rückenwirbel ſind kurz und dick mit hohen Dornen, die Rippen breit und zahlreich. Das Schlüſſelbein fehlt immer. An den Beinen verkümmern oft die Elle und noch häufiger die Mittelhandknochen.

Jn den Weichtheilen, zumal in den Verdauungswerkzeugen, machen ſich die größten Unterſchiede bemerkbar.

Die Hufthiere ſtellen gewiſſermaßen Bindeglieder dar zwiſchen den hochbegabten Nagelthieren und den Seeſäugern. Einige von ihnen führen noch ganz entſchieden ein Lurchleben: ſie bewohnen das Waſſer und das Land zugleich; die übrigen ſind zu echten Landthieren geworden. Jhre Nahrung beſteht faſt ausſchließlich aus Pflanzenſtoffen; höchſtens die als Allesfreſſer bekannten Schweine machen hiervon eine Ausnahme. Die anderen nähren ſich von Gras, von Blättern, Früchten und von Baumrinde.

Jm Einklange mit ihrer Maſſenhaftigkeit werfen bei weitem die meiſten Hufthiere nur ein Junges. Die Schweine geben ſich auch hinſichtlich ihrer Fortpflanzung als nicht recht zu den übrigen Mitgliedern der Gruppe gehörige Geſchöpfe zu erkennen, denn ihre Fruchtbarkeit wetteifert mit der, welche einzelne Nager auszeichnet und iſt für ihre Größe eine geradezu unverhältnißmäßige.

Ueber alles Uebrige läßt ſich im Allgemeinen nicht viel mehr ſagen; wir gehen deshalb zur Be - trachtung der einzelnen Ordnungen und Familien über.

Gegenwärtig theilt man die Hufthiere allgemein in die drei Ordnungen der Pferde oder Einhufer, der Wiederkäuer oder Zweihufer und der Dickhäuter oder Vielhufer ein. Ueber die Stellung dieſer Ordnungen herrſchen verſchiedene Anſichten. Die Einen betrachten die Letztgenannten als die höchſtſtehenden Thiere der Reihe, die Anderen ſind geneigt, den Wiederkäuern dieſe Stellung anzu - weiſen, und die Dritten endlich ſehen in den Pferden die edelſten aller hierher gehörigen Geſchöpfe. Wir ſchließen uns ihnen an; denn das Pferd wird in leiblicher Hinſicht ſchwerlich von irgend einem anderen Hufthiere übertroffen und ſteht in geiſtiger Hinſicht mit dem klügſten und verſtändigſten voll - kommen gleich.

334Einhufer.

Elfte Ordnung. Einhufer (Salidungula).

Alle jetzt lebenden Einhufer bilden eine ſtreng abgegrenzte Gruppe unter den Hufthieren. Sie ähneln ſich auch unter einander ſo, daß man ſie nur in einer einzigen Familie vereinigen kann. Ein - hufer und Pferd iſt gleichbedeutend.

Die wenigen Arten der Pferde (Equidae) kennzeichnen ſich durch mittlere Größe, ſchöne Ge - ſtalt, verhältnißmäßig kräftige Glieder und magern, geſtreckten Kopf mit großen, lebhaften Augen, mittelgroßen, zugeſpitzten und beweglichen Ohren und weit geöffneten Rüſtern. Der Hals iſt ſtark, muskelkräftig, der Leib gerundet und fleiſchig, das Haarkleid weich und kurz, aber dicht anliegend, an dem Nacken und am Schwanze mähnig. Der eine ungeſpaltene und zierliche Huf an den Füßen ge - nügt, die Pferde von allen übrigen Hufthieren zu unterſcheiden. Alle drei Zahnarten in gleicher und beſtändiger Zahl bilden das Gebiß. Es beſteht aus ſechs Schneidezähnen, ſechs langen, vierſeitigen Backzähnen mit gewundenen Schmelzfalten auf der Kaufläche und kleinen, hakigen, ſtumpfkegelförmi - gen Eckzähnen. Am Geripp fällt die Länge des Schädels auf, bei welchem nur ein Drittel auf den Hirnkaſten, aber zwei Drittel auf den Antlitztheil kommen. Die Bruſt wird von ſechszehn Wir - beln umſchloſſen, der Lendentheil von acht, das Kreuzbein von fünf Wirbeln gebildet, während die Schwanzwirbel bis zu ein und zwanzig anſteigen. Von den Verdanungswerkzeugen verdient die enge Speiſeröhre, deren Mündung in den Magen mit einer Klappe verſehen iſt, beſondere Beachtung. Der Magen ſelbſt iſt ein einfacher, ungetheilter, länglichrunder, ziemlich kleiner Sack. Von den übrigen anatomiſchen Kennzeichen dürfen wir abſehen.

Jn der Tertiärzeit erſchienen die erſten Pferde auf unſerer Erde und zwar in der alten, wie in der neuen Welt. Bisjetzt hat man acht vorweltliche Arten unſerer Familie aufgefunden. Die Zahl der lebenden beträgt, falls man alle Pferde und alle Eſel nur als Raſſen von zwei Arten anſieht, ungefähr ebenſoviel. Wahrſcheinlich ſtammen aber die einen, wie die anderen von mehreren Urarten ab und, wie es ſcheint, leben im Jnnern Aſiens und Afrikas noch mehrere Einhufer, von denen wir ſo gut als Nichts wiſſen.

Als urſprüngliches Verbreitungsgebiet der Pferde hat man den größten Theil von Mittel - und Nordeuropa, Mittelaſien und ganz Afrika anzuſehen. Jn Europa ſcheinen die wilden Pferde vor noch nicht allzulanger Zeit ausgeſtorben zu ſein; in Aſien und Afrika ſchweifen ſie noch heutigen Tages umher. Hochgelegene Steppen und Gebirge ſind die Aufenthaltsorte der Pferde. Hier leben ſie heerdenweiſe zuſammen und ſtreichen, ſowie es die Weide verlangt, über weite Strecken hin und her. Gras und andere Kräuter bilden ihre eigentliche Nahrung; in der Gefangenſchaft haben ſie aber ge - lernt, auch mit anderer Koſt vorlieb zu nehmen; zumal Körner ſind hier mit zu ihrem Hauptfutter geworden. Jm hohen Norden müſſen ſie ſich bequemen, thieriſche Stoffe zu genießen.

Alle Pferde ſind lebendige, muntere, bewegliche, kluge Thiere. Jhre Bewegungen haben etwas Anmuthiges und Stolzes. Der gewöhnliche Gang der freilebenden iſt ein ziemlich raſcher Trab, ihr Lauf ein verhältnißmäßig ſehr leichter Galopp. Friedlich und gutmüthig gegen andere Thiere, welche ihnen Nichts zu Leide thun, weichen ſie den Menſchen und den größeren Raubthieren mit ängſtlicher Scheu aus, vertheidigen ſich aber im Nothfalle mit großem Muthe gegen ihre Feinde durch Schlagen und Beißen. Jhre Vermehrung iſt gering. Die Stute wirft nach langer Tragezeit ein einziges Junges, dem erſt nach einem großen Zwiſchenraume ein zweites folgt.

Zwei Arten, oder wenn man will, zwei Sippen der Familie ſind ſchon ſeit undenklichen Zeiten von dem Menſchen unterjocht worden. Keine Geſchichte, keine Sage erzählt uns von der Zeit, in335Einhufer.welcher dieſe überaus nützlichen Thiere zuerſt in die Dienſte des Menſchen traten; nicht einmal über die Gegend, ja über den Erdtheil, in welchem man die erſten Pferde zähmte, iſt man im Reinen. Man glaubt, daß es die mittelaſiatiſchen Völker waren, welche vor allen anderen Pferde zähmten. Die Geſchichte gedenkt unſerer Thiere zuerſt in Egypten. Schon die älteſten Hieroglyphen ſtellen ſie als die muthigen Begleiter und Träger des Menſchen im Gewühl des Kampfes dar. Jn China und Jndien kennt man das Pferd aber faſt ebenſolange als Hausthier, und ſo verſchwindet jeder ſichere Anhaltepunkt über die Zeit und das Volk, denen wir den Erwerb dieſes herrlichen Geſchöpfes ver - danken. Dabei iſt es ſonderbar, daß dieſe Urvölker es, wie es ſcheint, vortrefflich verſtanden, gerade diejenigen Arten der Familie auszuwählen, welche die größte Begabung beſaßen, dem Menſchen nütz - lich zu werden. Jn der Neuzeit hat man ſich vergeblich bemüht, von den noch wildlebenden Arten die eine oder die andere für den Hausſtand zu gewinnen; alle Berſuche, Zebras und Halbeſel zu zähmen, ſind, bisjetzt wenigſtens, geſcheitert. Dieſe, den anderen ſo nahe verwandten Thiere zeigen ſich als vollkommen unzugänglich, und haben ſich Geſchlechter hindurch, trotz aller Mühe, Nichts von ihrer Wildheit, von ihrer Unbändigkeit nehmen, mit einem Worte nicht erziehen laſſen.

Noch gegenwärtig ſchwärmen in den Steppen Mittelaſiens zahlreiche Herden eigentlicher Pferde umher, von denen man nicht recht weiß, was man mit ihnen anfangen, d. h. ob man ſie als die wil - den Stammeltern unſerer Hausthiere, oder aber als von dieſen herſtammend, und nur wieder ver - wildert anſehen ſoll. Dieſe Pferde unterſcheiden ſich nicht unweſentlich von unſeren Roſſen. Die einen, welche man Tarpans nennt, haben alle Eigenſchaften echtwilder Thiere an ſich, während die anderen, Muzin benannten, mit mehr Recht als verwilderte Abkömmlinge zahmer Pferde ange - ſehen werden können, wie ſolche auch alle Llanos Südamerikas bevölkern. Es dürfte nicht über - flüſſig ſein, vorher einen Blick auf dieſe Thiere und ihr Leben zu richten.

Der Tarpan wird von den Tartaren und Koſaken als durchaus wildes Thier angeſehen. Er iſt ein mittelgroßes, ziemlich mageres Pferd mit dünnen, aber kräftigen, langfeßlichen Beinen, ziemlich langem und dünnen Halſe, verhältnißmäßig dickem Kopfe mit ſtark gebogener Stirn, ſpitzen, nach vorwärts geneigten Ohren und kleinen, lebhaften, feurigen, boshaften Augen. Die Hufe ſind ſchmal und ſtumpf zugeſpitzt; die Behaarung iſt im Sommer dicht, kurz, gewellt, namentlich am Hinter - theile, wo ſie faſt gekräuſelt genannt werden kann, im Winter dagegen dicht, ſtark und lang, zumal am Kinn, wo ſie faſt einen Bart bildet. Die Mähne iſt kurz, dicht, buſchig und gekräuſelt; der Schwanz iſt mittellang. Jm Sommer iſt ein einförmiges Braun oder Fahlbrann die vorherrſchende Färbung; im Winter werden die Haare heller, bisweilen ſogar weiß; die Mähne und die Schwanz - haare dagegen ſind gleichmäßig dunkel. Schecken kommen niemals vor, Rappen ſind ſelten.

Als eigentliches Vaterland des Tarpan hat man die Gegend zwiſchen dem Aralſee und den ſüd - lichen Hochgebirgen Aſiens anzuſehen. Das Thier findet ſich in großer Menge in allen mongoliſchen Steppen, auf dem Gobi, in den Wäldern des oberen Hoangho und auf den Gebirgen des nördlichen Jndiens. Früher ſcheint es viel weiter verbreitet geweſen zu ſein, als gegenwärtig, und noch vor etwa hundert Jahren war es in Sibirien, ſowie im europäiſchen Rußland anzutreffen.

Man begegnet dem Tarpan immer in Herden, welche mehrere hundert Stücke zählen können. Gewöhnlich zerfällt die Hauptmenge wieder in kleinere, familienartige Geſellſchaften, deren jeder ein Hengſt vorſteht. Dieſe Herden treiben ſich in den weiten, offenen und hochgelegenen Steppen umher und wandern graſend in langen Reihen von Ort zu Ort, gewöhnlich dem Winde entgegen. Bei tiefem Schneefall klimmen ſie in den Gebirgen empor und ſcharren an den Abhängen den Schnee weg, um zu ihrer Weide zu gelangen. Die Gebrüder Schlagintweit begegneten den Tarpans noch in Höhen von 18,000 Fuß über dem Meere, da, wo nur noch der Yack und das Moſchusthier ſich zeig - ten. Auch hier waren dieſe Pferde außerordentlich aufmerkſam und ſcheu; in der Steppe galten ſie geradezu als die vorſichtigſten aller darauf wohnenden Thiere. Mit hoch erhobenem Kopfe ſchauen336Einhufer. Der Tarpan.ſie umher, ſichern, ſpitzen das Gehör, öffnen die Nüſtern und erkennen regelmäßig zu rechter Zeit noch die ihnen drohende Gefahr.

Der Hengſt iſt der alleinige Beherrſcher der Geſellſchaft. Er ſorgt am meiſten für die Sicher - heit, duldet aber auch keine Unregelmäßigkeiten unter ſeinen Schutzbefohlenen. Junge Hengſte wer - den von ihm vertrieben und dürfen, ſolange ſie ſich nicht ſelbſt einige Stuten erſchmeichelt oder er - kämpft haben, nur in gewiſſer Entfernung der großen Herde folgen. Sobald der Herde irgend Etwas auffällt, beginnt der Hengſt zu ſchnauben und die Ohren raſch zu bewegen, trabt mit hochgehaltenem Kopfe einer beſtimmten Richtung zu, wiehert gellend, wenn er Gefahr merkt, und nun jagt die ganze Herde im tollſten Galopp davon, die Stuten voran, die Hengſte als ſchützender Nachtrab hinterdrein. Manchmal verſchwinden die erſteren wie durch Zauberſchlag; ſie haben ſich in irgend einer tiefen Ein - ſenkung geborgen und warten nun ab, was da kommen ſoll. Vor Raubthieren fürchten die

Der Tarpan.

kampfesmuthigen und kampfluſtigen Heugſte ſich nicht. Auf Wölfe gehen ſie wiehernd los und ſchlagen ſie mit den Vorderhufen zu Boden, genau in derſelben Weiſe, wie die in den ſüdruſſiſchen Steppen weidenden Pferde. Die Fabel, daß ſie ſich mit dem Kopfe im Mittelpunkte eines Kreiſes zuſammen ſtellen, und beſtändig mit den Hinterhufen ausſchlagen ſollten, iſt längſt widerlegt. Wohl aber bilden die Hengſte einen Kreis um die Stuten und Fohlen, wenn einer der feigen Räuber ſich naht. Dem Bären ſoll es zuweilen gelingen, einen Tarpan nieder zu reißen; der Wolf dagegen wird regelmäßig in die Flucht geſchlagen. Unter ſich kämpfen die Tarpan-Hengſte mit großer Wuth und zwar ebenſogut durch Beißen, wie durch Schlagen. Junge Hengſte müſſen ſich ihre Gleichberechtigung immer durch hartnäckige Zweikämpfe erkaufen.

337Der Tarpan. Wildpferde.

Die pferdezüchtenden Steppenbewohner fürchten die Tarpans noch mehr, als die Wölfe, weil jene ihnen oft großen Schaden und zwar auf ganz eigenthümliche Weiſe zufügen. Sobald nämlich eine der wilden Herden zahme Pferde erblickt, eilt ſie auf dieſe los, umgibt ſie und führt ſie durch Güte oder Gewalt mit ſich weg. Hierdurch entſtehen dann Muzins, doch nur falls die urſprünglich zahmen Pferde ſich nicht mit den wilden vermiſchen. Letzteres geſchieht jedoch häufig genug, und des - halb finden ſich die Tarpans in völliger Reinheit blos noch auf einem verhältnißmäßig kleinen Ge - biete am Karakum, an dem Fluſſe Tom, den Einöden der Mongolei und der Wüſte Gobi.

Der Tarpan iſt überaus ſchwer zu zähmen. Sein höchſt lebendiges Weſen, ſeine Stärke und Wildheit ſpotten ſelbſt der Künſte der pferdekundigen Mongolen. Es ſcheint, als ob das Thier die Gefangenſchaft gar nicht ertragen könne. Die meiſten gefangenen Tarpans gehen in ihr ſchon im zweiten Jahre zu Grunde. Auch Fohlen erlangen nur einen geringen Grad von Zähmung; ſie blei - ben bei der ſorgfältigſten Behandlung wild und ſtutzig. Als Reitpferde ſind die Wildlinge gar nicht zu gebrauchen. Sie laſſen ſich höchſtens mit einem zahmen Pferde vor den Wagen ſpannen und machen auch hier dem mitarbeitenden Roſſe und dem Lenker viel zu ſchaffen.

Man jagt die Thiere des Schadens wegen, den ſie den herdenzüchtenden Mongolen durch ihre Entführungsgelüſte zufügen. Dabei wird immer zuerſt auf den Hengſt gefahndet, weil die Stuten, wenn dieſer fiel, ſich zerſprengen und dann um ſo leichter den Jägern zur Beute werden.

Die Muzins erkennt man an der Unordnung ihrer Bewegung; denn nur zuweilen findet man unter ihnen Tarpan-Hengſte, welche hier die Führung und Leitung übernehmen. Auch Muzins ver - locken zahme Pferde, mit ihnen die unbegrenzte Freiheit zu theilen. Man ſagt, daß ſie über die breiteſten Ströme ſetzten und Sümpfe zu durchwandern vermöchten, vor denen die Tarpans ſich ſcheuten.

Ueber die afrikaniſchen Wildpferde fehlen noch genauere Nachrichten. Alte Schriftſteller haben von einem Zwergpferde geſprochen, welches im Norden und Weſten Afrikas in voller Wildheit lebt. Das Thier hat mit dem Pony die größte Aehnlichkeit. Es iſt ſehr klein, gedrungen, aber ver - hältnißmäßig gebaut, dickköpfig, breit an der Stirn, mit ziemlich großen Ohren und kleinen Augen, ſtruppiger Mähne und Schwanz; das übrige Haar iſt glatt anliegend, aber auf der Stirn wollig, die Färbung deſſelben iſt ein einförmiges Aſchgrau oder Weiß. Noch zur Zeit der Römer ſcheint dieſes Pferd ziemlich weit verbreitet geweſen zu ſein; heutzutage findet man es nur noch in den Ge - birgsländern des Weſtens, und zwar an ſchattigen Wäldern, welche es nur gezwungen verläßt. Es lebt in kleinen Geſellſchaften, iſt äußerſt ſcheu und flüchtig und entzieht ſich vorſichtig jeder Gefahr, vertheidigt ſich aber doch, wenn es nicht anders ſein kann, mit dem größten Muthe gegen andringende Feinde, zumal gegen die Raubthiere. Seine Stimme iſt ein Mittelding zwiſchen dem Wiehern un - ſeres Pferdes und dem Schreien des Eſels. Die Eingeborenen fangen und zähmen es. Zuerſt zeigt es ſich zwar außerordentlich wild und ſtörriſch, aber ſchon nach ſehr kurzer Zeit fügt es ſich unter die Gewalt des Menſchen, und gezähmte gelten als gutartige, ruhige Thiere. Die Araber nennen es Kumrah, wie die Bewohner der Nigerländer, ſeiner eigentlichen Heimat.

Neben dieſen, wie es ſcheint, wilden Pferden, gibt es auch verwilderte, und zwar hauptſächlich in Südamerika. Ueber ſie haben uns namentlich Azara und Rengger belehrt. Die im Jahre 1535 gegründete Stadt Buenos Ayres, ſagt Erſterer, wurde ſpäter verlaſſen. Die ausziehenden Einwohner gaben ſich gar nicht die Mühe, alle ihre Pferde zu ſammeln. So blieben deren fünf bis ſieben zurück und ſich ſelbſt überlaſſen. Als im Jahre 1580 dieſelbe Stadt wieder in Beſitz genommen und bewohnt wurde, fand man bereits eine Menge verwilderter Pferde, die Nachkommenſchaft der wenigen aus - geſetzten. Schon im Jahre 1596 wurde es Jedem erlaubt, dieſe Pferde einzufangen und für ſich zu gebrauchen. Dies iſt der Urſprung der unzählbaren Pferdeherden, welche ſich im Süden des Rio de la Plata herumtreiben.

Brehm, Thierleben. II. 22338Einhufer. Südamerikaniſche Wildpferde.

Die Cimarrones, wie dieſe Pferde genannt werden, leben jetzt in allen Theilen der Pampas in zahlreichen Herden, von denen manche ungefähr 12,000 Stück zählen mögen. Sie beläſtigen und ſchaden, weil ſie nicht nur unnützer Weiſe gute Weide abfreſſen, ſondern auch die Hauspferde ent - führen.

Wenn die Cimarrones Hauspferde ſehen, eilen ſie in vollem Laufe auf dieſelben zu, begrüßen ſie freundlich mit Gewieher, ſchmeicheln ihnen und verleiben die Willfährigen ohne großen Widerſtand ihren Geſellſchaften ein. Reiſende kommen oft in große Verlegenheit durch jene, ihren Reitthieren gefährlichen Entführer. Deshalb iſt auch immer Jemand auf der Hut und verſcheucht die herantra - benden Wildlinge. Sie erſcheinen nicht in Schlachtlinie, ſondern, wie die Jndianer, eins hinter dem anderen, aber ſo dicht, daß die Reihe niemals unterbrochen wird. Manchmal laufen ſie in weiten Kreiſen um den Menſchen und ſeine Pferde herum und laſſen ſich nicht leicht verſcheuchen; ein anderes Mal gehen ſie vorüber und kehren nicht zurück. Manche rennen wie Blinde heran, oft wie toll zwiſchen die Wagen hinein. Zum Glück erſcheinen ſie nicht bei Nacht, ſei es, weil ſie nicht gut ſehen, oder die zahmen Pferde nicht verſpüren. Mit Verwunderung bemerkt man, daß die Wege, welche ſie überſchreiten, oft auf eine Meile hin mit ihrem Miſt bedeckt ſind. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ſie die Straßen aufſuchen, um ihre Nothdurft zu verrichten. Und weil nun alle Pferde die Eigenheit haben, den Koth anderer ihrer Art zu beriechen und durch ihren eigenen zu vermehren, wach - ſen dieſe Miſtſtätten zu förmlichen Bergen an.

Die Wilden in den Pampas eſſen das Fleiſch der Cimarrones, namentlich das von Fohlen und Stuten herrührende. Sie fangen ſich auch manche, um ſie zu zähmen; die Spanier hingegen machen kaum Gebrauch von ihnen. Nur da, wo Holzmangel iſt, tödten ſie bisweilen eine fette Stute, um das Lagerfeuer mit dem Knochenfett des Thieres zu verſtärken. Höchſt ſelten fängt man einen Wild - ling, um ihn zu zähmen. Zu dieſem Behufe bindet man ihn an einen Pfahl, läßt ihn drei Tage hungern und dürſten und reitet ihn dann; doch muß man ihn vorher auch gleich verſchneiden, weil nur die Wallachen wirklich zahm werden. Um Cimarrones zu fangen, reitet man in die Steppe hinaus, an eine Herde heran und wirft die Bolas unter ſie, gewöhnlich ſo, daß man die Beine des Erwählten verwickelt und es ſo zu Falle bringt. Dann wird das Thier gefeſſelt und an einer 20 bis 30 Ellen langen, feſten Schnur nach Hauſe geführt. Die Güterbeſitzer verfolgen die Wildlinge, wo ſie nur können, weil ſie ſonſt ihrer eigenen Pferde nicht ſicher ſind. Man hält Treibjagden auf jene ab, tödtet ſie durch Lanzen, mattet ſie ab, bis ſie ſtürzen, kurz, vertilgt ſie nach Kräften.

Die Cimarrones ſind ebenſogroß und ſtark, als die Hauspferde, aber nicht ſo ſchön; denn der Kopf und die Beine ſind dicker, der Hals und die Ohren länger. Alle dieſe Pferde ſind braun oder ſchwarz, nie geſcheckt, und die ſchwarzen unter ihnen ſind ſo ſelten, daß man wohl annehmen darf, Braun müſſe ihre eigentliche Farbe geweſen ſein. Jeder Hengſt ſammelt ſich ſo viele Stuten, als er kann, bleibt aber mit ihnen in der gemeinſchaftlichen Herde. Einen Oberanführer hat dieſe nicht.

Jn Paraguay finden ſich keine verwilderten Pferde, wie Rengger vermuthet, wegen einer in den Pampas von Buenos Ayres fehlenden Schmeißfliege, welche ihre Eier in den blutigen Nabel der Füllen legt und hierdurch ein Geſchwür verurſacht, an welchem das Thier, wenn es ſich ſelbſt über - laſſen wird, zu Grunde gehen muß. Auch iſt in den Pampas das Futter reichlicher, als in Para - guay. Der Zuſtand der Pferde des letzteren Landes iſt aber nicht ſehr verſchieden von dem jener Wildlinge. Die Thiere, welche man Muſtangs nennt, werden ſo vernachläſſigt, daß ſie förmlich ausarteten. Sie ſind mittelhoch, haben einen großen Kopf, lange Ohren und dicke Gelenke; nur der Hals und der Rumpf ſind ziemlich regelmäßig gebaut. Die Behaarung iſt im Sommer kurz, im Win - ter lang. Mähne und Schwanz ſind immer dünn und kurz. Nur in einzelnen Meiereien findet man noch Pferde, welche an ihre edlen Ahnen erinnern. An Schnelligkeit und Gewandtheit ſtehen die einen wie die anderen den andaluſiſchen Pferden nicht im geringſten nach, und an Ausdauer übertreffen ſie dieſe bei weitem. Rengger verſichert, oft und ſelbſt während der Hitze mit einem339Muſtaugs.Pferde 8 bis 16 Stunden faſt in ununterbrochenem Galopp zurückgelegt zu haben, ohne daß hieraus irgend ein Nachtheil für das Thier erwachſen wäre.

Die Pferde Südamerikas erhalten ſogut als gar keine Pflege. Sie bringen das ganze Jahr unter freiem Himmel zu. Alle acht Tage treibt man ſie einmal zuſammen, damit ſie ſich nicht ver - ſprengen, unterſucht ihre Wunden, reinigt und beſtreicht ſie mit Kuhmiſt und ſchneidet von Zeit zu Zeit, etwa alle drei Jahre, den Hengſten die Mähne und den Schwanz ab. Hiermit glaubt man genug gethan zu haben. An Veredelung denkt Niemand. Die Weiden ſind ſchlecht; eine einzige Grasart bedeckt den Boden. Jm Frühjahr treibt dieſes Gras ſtark hervor, verurſacht aber dann den Pferden Durchfall und ermattet ſie. Jm Sommer und Herbſt erholen ſie ſich wieder und werden auch wohl fett; aber ihre Wohlbeleibtheit verſchwindet, ſobald ſie gebraucht werden. Der Winter iſt die ſchlimmſte Zeit für ſie. Das Gras iſt verwelkt, und die armen Thiere müſſen ſich mit den dürren, durch den Regen ausgelauchten Halmen begnügen. Dieſe ausſchließliche Nahrung erregt auch in ihnen das Bedürfniß nach Salz. Man ſieht ſie ſtundenlang an den Sulzen verweilen, und hier die ſalzhaltige Thonerde belecken. Bei Stallfütterung bedürfen ſie des Salzes nicht mehr. Beſſer gefütterte und gehaltene Pferde gewinnen ſchon nach wenigen Monaten kurzes und glänzendes Haar feſtes Fleiſch und ſtolze Haltung.

Gewöhnlich, ſagt Rengger, leben die Pferde paarweiſe in einem beſtimmten Gebiete, an welches ſie von Jugend auf gewöhnt worden ſind. Jedem Hengſt gibt man 12 bis 18 Stuten, die er zuſammenhält und gegen fremde Hengſte vertheidigt. Geſellt man ihm zuviel Stuten zu, ſo hütet er dieſe nicht mehr. Die Füllen leben mit ihren Müttern bis ins dritte oder vierte Jahr. Dieſe zeigen für jene, ſolange ſie noch ſaugen, große Anhänglichkeit, und vertheidigen ſie zuweilen ſogar gegen den Jaguar. Einen eigenen Kampf haben ſie nicht ſelten mit den Maulthieren zu be - ſtehen, bei denen ſich zu Zeiten eine Art von Mutterliebe regt. Dann ſuchen dieſe durch Liſt oder Gewalt ein Füllen zu entführen. Sie bieten ihm wohl ihr milchleeres Euter zum Saugen dar; aber die armen Füllen gehen dabei natürlich zu Grunde. Wenn die Pferde etwas über zwei oder drei Jahre alt ſind, wählt man unter den jungen Hengſten einen aus, theilt ihm junge Stuten zu und gewöhnt ihn, mit denſelben in einem beſonderen Gebiete zu weiden. Die übrigen Hengſte werden verſchnitten und in eigenen Trupps vereinigt. Alle Pferde, welche zu einer Truppe gehören, miſchen ſich nie unter andere, und halten ſo feſt zuſammen, daß es ſchwer fällt, ein weidendes Pferd von den übrigen zu trennen. Werden ſie mit einander vereinigt, z. B. beim Zuſammentreiben aller Pferde einer Meierei, ſo finden ſie ſich nachher gleich wieder auf. Der Hengſt ruft wiehernd ſeine Stuten herbei, die Wallachen ſuchen ſich gegenſeitig auf, und jeder Trupp bezieht wieder ſeinen Weideplatz. Tauſend und mehr Pferde brauchen keine Viertelſtunde, um ſich in Haufen von 10 bis 30 Stück zu zertheilen. Jch glaube bemerkt zu haben, daß Pferde von gleicher Größe oder von der nämlichen Farbe ſich leichter an einander gewöhnen, als verſchiedene, und ebenſo, daß die fremden aus der Banda-orientale und aus Entre-Rios eingeführten Pferde ſich vorzugsweiſe zu ein - ander und nicht zu inländiſchen geſellen. Die Thiere zeigen übrigens nicht allein für ihre Gefährten, ſondern auch für ihre Weiden große Anhänglichkeit. Jch habe welche geſehen, die aus einer Entfer - nung von achtzig Stunden auf die altgewohnten Plätze zurückgekehrt waren. Um ſo ſonderbarer iſt die Erſcheinung, daß zuweilen die Pferde ganzer Gegenden aufbrechen und entweder einzeln oder haufenweiſe davonrennen. Dies geſchieht hauptſächlich, wenn nach anhaltender trockener Witterung plötzlich ſtarker Regen fällt, und wahrſcheinlich aus Furcht vor dem Hagel, welcher nicht ſelten das erſte Gewitter begleitet.

Die Sinne dieſer faſt wildlebenden Thiere ſcheinen ſchärfer zu fein, als die europäiſcher Pferde. Jhr Gehör iſt äußerſt fein; bei Nacht verrathen ſie durch Bewegung der Ohren, daß ſie das leiſeſte, dem Reiter vollkommen unhörbare Geräuſch vernommen haben. Jhr Geſicht iſt, wie bei allen Pfer - den, ziemlich ſchwach; aber ſie erlangen durch ihr Freileben große Uebung, die Gegenſtände aus be - deutender Entfernung zu unterſcheiden. Vermittelſt ihres Geruches machen ſie ſich mit ihren Umge -22*340Einhufer. Muſtangs.bungen bekannt. Sie beriechen Alles, was ihnen fremd erſcheint. Durch dieſen Sinn lenken ſie ihren Reiter, das Reitzeug, den Schoppen, wo ſie geſattelt werden ꝛc., kennen, durch ihn wiſſen ſie in ſumpfigen Gegenden die bodenloſen Stellen auszumitteln, durch ihn finden ſie in dunkler Nacht oder bei dichtem Nebel den Weg nach ihrem Wohnorte oder nach ihrer Weide. Gute Pferde beriechen ihren Reiter im Augenblick, wo er aufſteigt, und ich habe ſolche geſehen, welche denſelben gar nicht aufſteigen ließen oder ſich ſeiner Leitung widerſetzten, wenn er nicht einen Poncho oder Mantel mit ſich führte, wie ihn die Landleute, welche die Pferde bändigen und zureiten, immer tragen. Falls ſie durch den Anblick irgend eines Gegenſtandes erſchreckt werden, bändigt man ſie am leichteſten, wenn man denſelben von ihnen beriechen läßt. Auf größere Entfernung hin wittern ſie freilich nicht. Jch habe ſelten ein Pferd geſehen, welches einen Jaguar auf funfzig und noch weniger Schritte ge -

Muſtangs.

wittert hätte. Sie machen daher in den bewohnten Gegenden von Paraguay die häufigſte Beute dieſes Raubthieres aus. Wenn in trockenen Jahren die Quellen, aus denen ſie zu trinken gewohnt ſind, verſiegen, kommen ſie eher vor Durſt um, als daß ſie andere aufſuchten, während das Hornvieh dem Waſſer oft 5 bis 10 Stunden weit nachgeht. Der Geſchmack iſt bei ihnen verſchieden; einige gewöhnen ſich leicht an das Stallfutter und lernen allerlei Früchte und ſelbſt an der Sonne getrock - netes Fleiſch freſſen, andere verhungern lieber, ehe ſie außer dem gemeinen Graſe eine andere Nah - rung berühren. Das Gefühl iſt durch ihr Leben unter freiem Himmel, durch die Qual, welche Mücken und Bremſen ihnen zufügen, von Jugend auf ſehr abgeſtumpft.

Das paraguaniſche Pferd iſt gewöhnlich gutartig; es wird aber oft durch gewaltſame Handlung bei der Bändigung verdorben. Wenn nämlich das Pferd ein Alter von 4 bis 5 Jahren erreicht hat,341Muſtangs.wird es eingefangen, an einen Pfahl gebunden, und trotz ſeines Widerſtrebens geſattelt und ge - zäumt. Nun wird es vom Pfahle losgemacht; im nämlichen Augenblicke aber ſchwingt ſich ein Pferdebändiger, welcher mit ſehr großen und ſcharfen Sporen und einer ſtarken Peitſche bewaffnet iſt, auf ſeinen Rücken und tummelt das arme Geſchöpf unter Sporenſtreichen und Peitſchenhieben ſolange auf dem Felde herum, bis es ſich vor Müdigkeit nicht mehr widerſetzen kann und der Lenkung ſeines Reiters folgt. Man wiederholt dieſe Uebungen von Zeit zu Zeit, und das Pferd heißt zahm, ſobald es keinen Bockſprung mehr macht. Es iſt erklärlich, daß bei einer ſolchen Behandlung ſehr viele Pferde ſtörriſch und bösartig werden, ausſchlagen, Seitenſprünge machen, ſich bäumen bis zum Ueberſchlagen, kurz, den Reiter abzuwerfen ſuchen; bei ſanfter Behandlung dagegen wird das Pferd, ſelbſt wenn man es früher gemißhandelt hatte, äußerſt lenkſam und zuthunlich, läßt ſich auf der Weide leicht fangen und unterzieht ſich willig den ſtärkſten Anſtrengungen. Kranke oder ſchwäch - liche Pferde und auch ſolche, welche als Füllen von einem Jaguar verwundet wurden, ſind faſt un - brauchbar; jene können den Anſprüchen der Südamerikaner nicht entſprechen, dieſe entſetzen ſich vor jedem lebenden Weſen.

Bewunderungswürdig iſt das Gedächtniß dieſer Pferde. Einzelne, welche nur ein Mal den Weg von Billa Real nach den Miſſionen gemacht hatten, kehrten aus den letzteren nach mehreren Monaten auf dem nämlichen, mehr als funfzig Meilen langen Wege nach Villa Real zurück. Wenn in der Regenzeit des Herbſtes alle Wege voller Waſſer, voller Pfützen und bodenloſer Stellen und alle Bäche angeſchwollen ſind, wird doch ein gutes Pferd, welches dieſe Wege ſchon einige Male zurück - gelegt hat, ſeinen Reiter nicht nur bei Tage, ſondern auch bei Nacht ſicher durch alle dieſe oft gefähr - lichen Strecken tragen. Wenn es nicht angetrieben wird, geht es immer mit größter Bedächtigkeit zu Werke, und Dies umſomehr, je weniger ihm die Gegend bekannt iſt. Jn ſumpfigen Stellen be - riecht es bei jedem Schritte den Boden und unterſucht ihn beſtändig mit den Vorderhufen. Dieſe Bedächtigkeit iſt keineswegs Mangel an Muth; denn das paraguaniſche Pferd iſt ſehr beherzt und ſtürzt ſich, wenn es von einem kräftigen Reiter gelenkt wird, ohne Zaudern in jede Gefahr. Es geht dem wüthenden Stiere und ſelbſt dem Jaguar entgegen, ſpringt vom ſchroffen Ufer in die Flüſſe und durchſchneidet im vollen Laufe die Feuerlinie einer brennenden Steppe.

Jm ganzen ſind dieſe Pferde wenig Krankheiten unterworfen. Wenn ſie gute Nahrung erhalten und nicht übermäßig angeſtrengt werden, erreichen ſie ein ebenſo hohes Alter, wie die Pferde in Europa; da ihnen gewöhnlich aber weder gutes Futter, noch gute Behandlung zu Theil wird, kann man ein zwölfjähriges Pferd ſchon für alt anſehen. Die Bewohner Paraguays nützen übrigens die Pferde durchaus nicht in dem Grade, wie wir. Sie halten ſie hauptſächlich der Fortpflanzung wegen und machen eigentlich blos von den Wallachen Gebrauch. Dennoch findet man nirgends mehr berittene Leute, als in Paraguay. Das Pferd dient dazu, der angeborenen Trägheit ſeines Herrn zu fröhnen, indem dieſer hundert kleine Verrichtungen, die er weit ſchneller zu Fuße vornehmen würde, ſeiner Bequemlichkeit wegen zu Pferde ausführt. Es iſt ein gewöhnlicher Ausruf der Paraguaner: Was wäre der Menſch ohne das Pferd!

Jn den weiter nach Norden hin gelegenen Llanos ſind die verwilderten Pferde meiſt zahlreicher, als in den Pampas von Buenos Ayres. Jhr Leben hat uns Alexander von Humboldt in ſeinen herrlichen Anſichten der Natur mit kurzen Worten meiſterhaft geſchildert. Wenn im Sommer unter dem ſenkrechten Strahl der niebewölkten Sonne die Grasdecke jener unermeßlichen Ebenen gänzlich verkohlt iſt und in Staub zerfällt, klafft allmählich der Boden auf, als wäre er von mäch - tigen Erdſtößen zerriſſen. Jn dichte Staubwolken gehüllt und von Hunger und brennendem Durſte geängſtet, ſchweifen die Pferde und Rinder umher, erſtere mit langgeſtrecktem Halſe, hoch gegen den Wind aufſchnaubend, um durch die Feuchtigkeit des Luftſtromes die Nähe einer noch nicht ganz verdampften Lache zu errathen. Bedächtiger und verſchlagener ſuchen die Maulthiere auf andere Art ihren Durſt zu lindern. Eine kugelförmige und dabei vielrippige Pflanze, der Melonenkaktus, ver - ſchließt unter ſeiner ſtachlichten Hülle ein waſſerreiches Mark. Mit den Vorderfüßen ſchlägt das Maul -342Einhufer. Muſtangs.thier dieſe Stacheln ſeitwärts, um den kühlen Diſtelſaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieſer lebenden, pflanzlichen Quelle iſt nicht immer gefahrlos; denn oft ſieht man Thiere, welche von den Kaktusſtacheln an den Hufen gelähmt ſind. Folgt endlich auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der gleichlangen Nacht, ſo können die Pferde und Rinder ſelbſt dann nicht ruhen. Die plattnäſigen Fledermäuſe verfolgen ſie während des Schlafes und hängen ſich an ihren Rücken, um ihnen das Blut auszuſaugen.

Tritt endlich nach längerer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, ſo ändert ſich die Scene. Kaum iſt die Oberfläche der Erde benetzt, ſo überzieht ſich die Steppe mit dem herrlichſten Grün. Pferde und Rinder weiden im frohen Genuſſe des Lebens. Jm hoch aufſchießenden Graſe verſteckt ſich auch der Jaguar und erhaſcht manches Pferd und manches Füllen mit ſicherem Sprunge. Bald ſchwellen die Flüſſe, und dieſelben Thiere, welche einen Theil des Jahres vor Durſt verſchmachteten, müſſen nun als Amphibien leben. Die Mutterpferde ziehen ſich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche lange inſelförmig über den Seeſpiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengert ſich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide ſchwimmen die zuſammengedrängten Thiere ſtunden - lang umher und nähren ſich kärglich von der blühenden Grasrispe, die ſich über dem braungefärbten, gährenden Waſſer erhebt. Viele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhaſcht, mit dem Schwanze zerſchmettert und verſchlungen. Nicht ſelten bemerkt man Pferde, welche die Spur der Krokodile in großen Narben am Schenkel tragen. Auch unter den Fiſchen haben ſie einen gefähr - lichen Feind. Die Sumpfwaſſer ſind mit zahlloſen elektriſchen Aalen erfüllt. Dieſe merkwür - digen Fiſche ſind mächtig genug, mit ihren gewaltigen Schlägen die größten Thiere zu tödten, wenn ſie ihre Batterien auf einmal in günſtiger Richtung entladen. Die Steppenſtraße am Uri Tucu mußte deswegen verlaſſen werden, weil ſie ſich in ſolcher Menge in einem Flüßchen aufgehäuft hatten, daß jährlich viele Pferde durch ſie betäubt wurden und in der Furth ertranken.

Nach Pöppig ſcheint es, als ob der von unſerem unvergleichlichen Humboldt unter die Haupt - feinde der Muſtangs gezählte Jaguar nicht gerade bedeutenden Schaden anrichtet. Die großen Katzen, ſagt genannter Forſcher, wagen ſich nicht heraus auf die offenen Ebenen, wo der don - nernde Hufſchlag der zahlreichen Herden ſelbſt weit größere und ſtärkere Raubthiere in Furcht ſetzen würde. Werden ſie entdeckt, ſo ſtürzen die Hengſte auf ſie los und ſuchen ſie niederzutreten; die Stuten vertheidigen ſich durch Ausſchlagen.

Einen ungleich gefährlicheren und noch gänzlich unbekannten Feind tragen die Herden in ſich ſelbſt. Jn noch höherem Grade, als die in Südamerika umherſchweifenden Wildlinge, ergreift die Muſtangs der Prairien zuweilen ein ungeheurer Schrecken. Hunderte und Tauſende ſtürzen wie raſend dahin, laſſen ſich durch kein Hinderniß aufhalten, rennen wie unſinnig gegen Felſen an oder zerſchellen ſich in Abgründen. Den Menſchen, welcher zufällig Zeuge von ſolch entſetzlichem Ereigniß wird, erfaßt ein Grauſen; ſelbſt der kalte Jndianer fühlt ſein ſonſt ſo muthiges Herz furchterfüllt. Ein Dröhnen, welches immer größere Stärke erlangt und ſchließlich den Donner, das Brauſen des Sturmes oder das Toben der Brandung übertönt, verkündet und begleitet den Vorüberzug der auf Sturmesfittigen dahinjagenden, angſtergriffenen Pferde. Sie erſcheinen plötzlich am und im Lager, ſtürzen ſich zwiſchen den Lagerfeuern hindurch, über die Zelte und Wagen weg, erfüllen die Laſtthiere mit tödtlichem Schrecken, übertragen auf ſie ihre Raſerei, reißen ſie los und nehmen ſie auf in ihren lebendigen Strom für immer. So berichtet der Neiſende Murray, welcher ſolchen Ueberfall er - lebte und überlebte.

Weiter nach Norden hin vermehren die Jndianer die Zahl der Feinde, welche den Wild - lingen das Leben verbittern. Sie fangen ſie ein, um ſie als Reitthiere bei ihren Jagden zu benutzen, und wenn ſie die armen Geſchöpfe auch nicht ſchlachten und verzehren, quälen ſie dieſelben doch ſo, daß auch das muthigſte Pferd nach kurzer Zeit unterliegen muß. Wie bei den Beduinen der Sahara, wird auch bei den Jndianern das Pferd oft die Urſache der blutigſten Kämpfe. Wer keine Pferde hat, ſucht welche zu ſtehlen. Der Roßdiebſtahl gilt bei den Rothhäuten für ehrenvoll. Ganze Banden343Die Wildpferde der aſiatiſchen Steppe.von Dieben folgen oft einem anderen Stamme oder einer Karawane wochen - oder monatelang, bis ſie Gelegenheit finden, ſämmtliche Reitthiere fortzutreiben.

Auch der Häute und des Fleiſches wegen werden die Pferde Amerikas eifrig verfolgt. Bei Las - Nacas ſchlachtet man, wie Darwin berichtet, wöchentlich eine große Anzahl Stuten blos der Häute wegen. Jm Kriege nehmen die Truppenabtheilungen, welche in die Ferne geſandt werden, als ein - zige Nahrung Herden von Pferden mit. Dieſe Thiere ſind ihnen auch aus dem Grunde lieber als Rinder, weil ſie dem Heere größere Beweglichkeit geſtatten.

Die Pferde der aſiatiſchen Steppen, welche dem Menſchen unterthan ſind, führen ebenfalls kein beneidenswerthes Leben. Wir haben einen Blick auf das Treiben der eigentlichen wilden Pferde geworfen: laſſen wir uns jetzt von Schlatter und anderen Reiſenden belehren über die Pferde der Tartaren, der Kirgiſen, Jakuten und Tunguſen, welche alle ſo ziemlich daſſelbe Loos theilen. Das Pferd, ſagt Schlatter, iſt das Lieblingsthier des Tartaren. Man bedient ſich ſeiner mehr zum Reiten, als zum Ziehen. Sein Fleiſch iſt dem Tartaren die liebſte Speiſe, die Milch der Stuten das ihm angenehmſte Getränk; aus den Fellen ſchneidet er ſich Riemen zu Saum - und Sattelzeug; die Felle der Füllen benutzt er zu Beinkleidern für ſich und zu Pelzröcken für ſeine Kinder; den Schwanz und das Halshaar verwendet er zu Stricken und zu Sieben. Aber nur die wenigſten Pferde, die zum Reiten nothwendigen, werden zu Hauſe behalten und mit Heu und Gerſte gefüttert; die große Mehrzahl lebt in Herden auf der Steppe im Sommer und im Winter, und muß ſich auch unter dem Schnee ihr Futter ſuchen. Oft ſieht man zwiſchen 1000 und 2000 Pferde beiſammen, in ſtolzer, freier Haltung, fett und ſtark, welche noch nie von einem Menſchen gedemüthigt oder gebän - digt waren. Bei Ungewitter, Schneegeſtöber und Stürmen zerſtreuen ſich dieſe Herden manchmal weit und breit und müſſen tagelang aufgeſucht werden. Der Tartar weiß jedoch, daß die Pferde immer gegen den Wind gehen, und kann ſomit wenigſtens die Gegend beſtimmen, in welcher er das Vieh zu ſuchen hat.

Nur ſelten werden die Pferde von Hirten geweidet. Dann holt man ſie alle 24 Stunden ein Mal zur Tränke ins Dorf, wobei dann auch die Stuten gemolken werden. Ein kleiner Knabe iſt im Stande, die größte Herde zu treiben, da ſich die Pferde, wenn ſie merken, daß es zur Tränke geht, zuſammenhalten, wie Schafe. Während der größten Hitze des Tages freſſen ſie nicht, ſondern ſtehen im Kreiſe zuſammen, ſtecken die Köpfe einwärts dicht an einander, um ſich Schatten und Kühlung zu verſchaffen, und ſchlagen mit den langen Schweifen um ſich; weht aber ein ſchwaches Lüftchen, ſo ſtellen ſie ſich zerſtreut auf der Steppe gegen den Wind und ſtrecken den Kopf in die Höhe, um ſo den Zug der Luft möglichſt zu genießen. Jeder Hengſt hat in der Regel einen eigenen Trupp Stuten von der Herde. Oft ſucht ein Hengſt dem anderen eine Stute abzugewinnen, und dabei kommt es dann leicht zum Zweikampfe. Sie ſchlagen ſich auf Tod und Leben, kommen aufgerichtet auf den Hinterfüßen, wie Bären, auf einander los und beißen ſich, laſſen ſich wieder herab, wenden um und ſchlagen ſich mit den Hinterfüßen ſo arg, daß man glaubt, alle Knochen müßten entzwei - gehen.

Die Stuten, welche Sommer und Winter auf der Steppe weiden, laſſen ſich gern melken, wenn ſie nur ihr Junges vor ſich haben. Jſt die Pferdeherde zur Tränke ins Dorf gekommen, ſo werden die Füllen mit einer langen Ruthe oder Stange, an welcher eine Schlinge befeſtigt iſt, aus der Herde gefangen. Es iſt nur darum zu thun, daß ſich die Milch bei der Mutter ſammele und der Tartar auch ſein Theil dieſes guten Getränkes bekomme. Die Füllen werden angebunden und ſtehen ſo mehrere Stunden in der größten Hitze, während die Herde ſich ruhig um ſie herumſtellt. Hat ſich die Milch der Stuten geſammelt, ſo wird eine nach der anderen auf dieſelbe Weiſe, wie die Füllen, aus der Herde gefangen und zu ihren Jungen geführt, vor welchen ſie ſich, nachdem daſſelbe erſt angeſaugt hat, melken läßt. Männer und Weiber beſorgen dies Geſchäft mit gleicher Ge - ſchicklichkeit. Nach dem Melken wird die Herde wieder auf die Steppe getrieben. Die friſchgemol -344Einhufer. Die Wildpferde der aſiatiſchen Steppe.kene Pferdemilch wird nie getrunken; man läßt ſie erſt gähren, dadurch wird ſie zum Kumis , einem ſtarken und berauſchenden Getränk, welches dem Tartaren daſſelbe iſt, was uns der Wein.

Will der Tartar ein erwachſenes Pferd aus der Herde zum Reiten abrichten, ſo fängt er es zuerſt mit der langen Schlinge; dann kommen mehrere Gehilfen und ſuchen es durch Verwickelung der Schlinge um die Füße umzuwerfen. Während es auf dem Boden liegt und feſtgehalten wird, legt man ihm den Zaum und den Spannriemen an. Dieſer letztere beſteht aus einem Riemen, welcher an drei Füßen des Pferdes angebunden wird und ſo daſſelbe zwar nicht am Stehen und an ſehr kur - zen Schritten, wohl aber am ſchnellen Laufen gänzlich hindert. Das derart gefeſſelte Thier läßt man ſich aufrichten, hält es aber an den Ohren feſt und ſchnallt ihm nun das Sattelkiſſen mit dem Leib - gurt auf den Rücken. Der durch den Gurt getrennte hintere Theil des Sattelkiſſens wird alsdann auf den vorderen übergebogen; ein Tartar ſetzt ſich auf den bloßen Rücken des Pferdes hinter dieſes Vorwerk, welches ihn bei den Sprüngen und dem Rennen des Pferdes vor dem Ueberſtürzen ſchützt, bewaffnet ſich mit dem Kantſchuh, die Spannriemen werden weggenommen, der Reiter ſchlägt auf das wilde Pferd los, löſt ihm gänzlich die Zügel und hält es nur feſt. Ein Nachreitender ver - hindert durch Hiebe das Stillſtehen oder die Nebenſprünge des Wildlings, und ſo geht es im ſchnellſten Laufe immer vorwärts, gleichviel, wohin das Thier ſich wenden mag. Jſt es endlich ermattet und ergibt ſich, ſo ſucht der Reiter es nun auch zu lenken, bis es in weiten Kreiſen ins Dorf zurückkommt, wo man ihm ohne Mühe den Spannriemen anlegt und den Zaumſtrick an den Gurt anzieht und anbindet, ſo daß es zwar kleine Schritte machen, aber den Kopf nicht zur Erde beugen und alſo daſelbſt Nichts abfreſſen kann. Höchſtens werden ihm ein paar Hände voll Heu gegeben. Dann läßt man es ſo die Nacht durch ſtehen, tränkt es und wiederholt am Morgen die geſtrige Geſchichte, legt ihm aber ſchon das vollſtändige Sattelzeug auf. Jn ein paar Tagen iſt das Pferd durch Hunger und Anſtrengung gebändigt und gewöhnlich ſo fromm wie ein Lamm ge - worden.

Bei weiteren Reiſen werden die Pferde nicht an einander gekoppelt, ſondern ganz frei ge - trieben. Sie müſſen täglich 8 bis 10 deutſche Meilen machen und kommen in keinen Stall. Ueber die breiteſten Flüſſe werden ſie ohne Umſtände getrieben. Sie ſchwimmen vortrefflich, und die Hirten ſetzen theils in Kähnen, theils an den Schweifen der Pferde hängend, mit ihnen über.

Der Tartar benutzt ſein Pferd zu allem Möglichen. Es muß ihn und ſein Haus bei ſeinem Nomadenleben tragen, muß ſein Getreide ausdreſchen; es dient ihm zur Jagd und muß hinter dem Wilde herjagen, bis dieſes ermattet zur Erde ſtürzt und dann todt geſchlagen werden kann. Das Haar und Fell wird auf die verſchiedenſte Weiſe benutzt. Fleiſch, Fett und Gedärme dienen zur Nahrung, und Pferdefleiſch iſt dem Tartaren das Liebſte von Allem, was Fleiſch heißt. Gewöhnlich werden nur kranke und verendete Thiere gegeſſen, ſolche kaufen die Tartaren ſogar auf den ruſſiſchen Märkten. Die ausgefranzten Sehnen dienen zum Nähen und werden dem Zwirn bei weitem vorge - zogen, weil ſie feſter ſind. Die jakutiſche Braut überreicht ihrem Bräutigam bei der Hochzeit einen gekochten Pferdekopf, welcher von Pferdewürſten umgeben iſt. Haare aus dem Pferdeſchweif an die Bäume des Waldes gebunden, erfreuen den Waldgeiſt nach ihrer Anſicht in hohem Grade ꝛc.

Auch in Europa ſind die Pferde keineswegs überall Hausthiere nach unſeren Begriffen. Jn vielen Gegenden überläßt man ſie ſich ſelbſt während des größten Theiles vom Jahre. So weiden die Herden im ſüdlichen Rußland faſt ohne jede Aufſicht. Sie werden nur ab und zu einmal von ihren Hirten zuſammengetrieben, gezählt, unter Umſtänden auch einer Wahl unterworfen u. ſ. w.; dann läßt man ſie wieder laufen. Aber auch in Ländern, wo man es keineswegs vermuthen ſollte, genießen die Pferde einer viel größeren Freiheit, als bei uns. Alle ponyähnlichen Pferde leben in ihrer eigentlichen Heimat mehr oder weniger ſelbſtändig. Auf den nördlichen Jnſeln Großbritanniens laufen die kleinen Pferdchen jahraus, jahrein im Walde und in dem Moore umher, ohne daß ihre Beſitzer ſich viel um ſie kümmern, falls ſie nicht eins oder das andere zu verkaufen oder ſonſtwie zu benutzen gedenken. Die norwegiſchen, lappländiſchen und isländiſchen Pferde345Das arabiſche Pferd.ſchweifen während des ganzen Sommers in den Hochgebirgen umher, müſſen ſelbſt im Winter ſich noch einen guten Theil ihrer Nahrung ſuchen, und kommen nur dann in das Gehöft ihrer Beſitzer, wenn dieſe ſie brauchen. Auf dem Dovrefjeld traf ich Bauern, welche nach ihren Pferden ausſahen, die vor ſechs Wochen zum letzten Male von ihnen beſucht worden waren.

Daß bei allen dieſen Thieren an eine Veredelung der Raſſen nicht gedacht werden kann, ver - ſteht ſich von ſelbſt. Die Hengſte befreunden ſich mit den Stuten, welche ſie gerade finden, und die Nachkommenſchaft trägt oft ſehr gemiſchtes Blut in ſich.

Hinſichtlich der Nahrung werden die Pferde im ganzen Norden durchaus nicht verwöhnt. Man wundert ſich nicht wenig, wenn man die kleinen, munteren und dabei doch ſo frommen Thiere mit großem Behagen von den Flechtenzöpfen ſchmauſen ſieht, welche in allen Wäldern lang von den Aeſten der Nadelbäume herabhängen; man wundert ſich aber noch weit mehr, wenn man beobachten muß, daß für dieſe Pferde ein Gerüſt, auf welchem Fiſche getrocknet werden, ein höchſt anziehender Gegenſtand iſt. Wie alle übrigen Hausthiere im Norden, erhalten auch die Roſſe im Winter oft nur ein Gemengſel von gekochten und zerſtoßenen Fiſchköpfen und Seetangen oder Fiſchköpfe allein als Hauptſpeiſe: und ſie gewöhnen ſich ſo vollſtändig an dieſe ihnen durchaus widernatürliche Nahrung, daß ſie, wenn man ſie nicht beaufſichtigt, die Fiſcher beſtehlen, indem ſie ſich einen und den anderen der zum Trocknen aufgehängten Dorſche von den Gerüſten herablangen und mit größter Behaglichkeit verſpeiſen.

Nur wenige Völkerſchaften würdigen das Pferd, wie es gewürdigt zu werden verdient. Unter ihnen ſtehen die Araber, Türken und Perſer obenan; dann folgen die Engländer und Spanier, hier - auf erſt die Deutſchen, Franzoſen, Jtaliener, Portugieſen und Dänen. Jn den Augen der Araber iſt das Pferd das höchſt geſchaffene aller Thiere; es ſteht dem Menſchen nicht nur faſt gleich, ſon - dern genießt oft noch höhere Achtung, als dieſer. Bei einem Volke, welches über einen großen Raum ſpärlich vertheilt lebt, welches ungleich weniger an der Scholle klebt, als wir Abendländer, deſſen Hauptbeſchäftigung die Viehzucht iſt, muß das Roß nothwendigerweiſe zur höchſten Achtung oder, wenn man will, Würdigung gelangen. Das Pferd iſt dem Araber nothwendig zu ſeinem Leben, zu ſeinem Beſtehen; er vollbringt mit ſeiner Hilfe Wanderungen und Reiſen; er hütet auf ſeinem Pferde die Herden; er glänzt durch ſein Pferd in ſeinen Kämpfen, bei den Feſten, bei den geſelligen Vereinigungen; er lebt, liebt und ſtirbt auf ſeinem Roſſe. Mit der Natur des Arabers, zumal des Beduinen, iſt die Liebe zum Pferde unzertrennlich; er ſaugt die Achtung für dieſes Thier ſchon mit der Muttermilch ein. Das edle Geſchöpf iſt der treueſte Gefährte des Kriegers, der geachtetſte Diener des Gewaltherrſchers, der Liebling der Familie, und eben deshalb beobachtet der Araber mit ängſtlichem Fleiß das ganze Thier. Er erlernt ſeine Sitten, ſeine Nothwendigkeiten; er beſingt es in ſeinen Gedichten, er erhebt es in ſeinen Liedern; er macht es zum Stoff ſeiner angenehmſten Unterhaltung. Seine Sage dient nur dazu, die grenzenloſe Verehrung für dieſes edle Weſen zu vermehren. Er betrachtet es als das werthvollſte aller Geſchenke, welche der Gebende ihm gegeben; er glaubt der alleinige, rechtmäßige Beſitzer des Pferdes zu ſein. Als der Erſchaffende das Roß erſchaffen wollte, verkündigen die Schriftgelehrten, ſagte er zum Winde: Von dir werde ich ein Weſen gebären laſſen, beſtimmt, meine Verehrung zu tragen. Dieſes Weſen ſoll geliebt und geachtet ſein von meinen Sklaven. Es ſoll gefürchtet werden von Allen, die meinen Geboten nicht nachſtreben. Und er ſchuf das Pferd, und rief ihm zu: Dich habe ich gemacht ohne Gleichen. Alle Schätze der Erde liegen zwiſchen deinen Augen. Du wirſt meine Feinde werfen un - ter deinen Hufen, meine Freunde aber tragen auf deinem Rücken. Dieſer ſoll der Sitz ſein, von welchem Gebete zu mir emporſteigen. Auf der ganzen Erde ſollſt du glücklich ſein, und vorgezogen werden allen übrigen Geſchöpfen; denn dir ſoll die Liebe werden des Herrn der Erde. Du ſollſt fliegen ohne Flügel und ſiegen ohne Schwert! Aus dieſer Meinung entſpringt auch der eigen - thümliche Aberglaube, daß das edle Pferd nur in den Händen der Araber glücklich ſein könne; hier - auf begründet ſich die Weigerung, Roſſe an Andersgläubige, und namentlich an Chriſten abzulaſſen. 346Einhufer. Das arabiſche Pferd.Abd-el-Kader beſtrafte, als er noch auf der Höhe ſeiner Macht ſtand, alle Gläubigen mit dem Tode, von welchen ihm geſagt worden war, daß ſie eins ihrer Pferde an die Chriſten verkauft hätten.

Der Araber iſt von den Vorzügen ſeines Pferdes, von dem Gefühl der Luſt, auf dieſem edlen Thiere zu reiten, ſo durchdrungen, daß er Hunderte von Liedern und Sprichwörtern dichtete, welche ſeinen Gefühlen Worte geben ſollen. Jch brauche nur eins anzuführen, um Dies zu beweiſen. Das Paradies der Erde liegt auf dem Rücken des Pferdes, in den Büchern der Weisheit und über dem Herzen des Weibes. Das Pferd ſteht begreiflicherweiſe obenan.

Es würde mir geradezu unmöglich ſein, alle die feinen Unterſchiede hier aufzuführen, welche die arabiſchen Pferdekenner für die größere oder geringere Güte ihrer Roſſe aufgeſtellt haben. Wir Abend - länder haben dafür gar kein Verſtändniß, und unſere größten Kenner würden vor der arabiſchen Pferde - wiſſenſchaft beſchämt ihre Unkenntniß eingeſtehen müſſen. Nur ſoviel will ich im allgemeinen hier ſagen: Das edle arabiſche Pferd iſt gut gebaut, hat kurze und bewegliche Ohren, ſchwere, aber doch zierliche Knochen, ein fleiſchloſes Geſicht, Nüſtern ſoweit, wie der Nachen des Löwen , ſchöne, dunkle, vorſpringende Augen, an Ausdruck denen eines liebenden Weibes gleich, einen gekrümmten und langen Hals, breite Bruſt und breites Kreuz, ſchmalen Rücken, runde Hinterſchenkel, ſehr lange wahre und ſehr kurze falſche Rippen, einen zuſammengeſchnürten Leib, lange Oberſchenkel, wie die des Straußes es ſind , mit Muskeln, wie das Kamel ſie hat, einen ſchwarzen, einfärbigen Huf, eine feine und ſpärliche Mähne und einen reich behaarten Schwanz, dick an der Wurzel und dünn gegen die Spitze hin. Es muß beſitzen viererlei breit: die Stirn, die Bruſt, die Hüften und die Glieder; viererlei lang: den Hals, die Oberglieder, den Bauch und die Weichen, und viererlei kurz: das Kreuz, die Ohren, den Strahl und den Schwanz. Dieſe Eigenſchaften beweiſen nach der Mei - nung der Araber, daß das Pferd von guter Raſſe und ſchnell iſt; denn es ähnelt dann in ſeinem ganzen Baue dem Windhunde, der Taube und dem Kamele zugleich.

Die Stute muß beſitzen: den Muth und die Kopfbreite des Wildſchweins, die Anmuth, das Auge und den Mund der Gazelle, die Fröhlichkeit und Klugheit der Antilope, den gedrungenen Bau und die Schnelligkeit des Straußes und die Schwanzkürze der Viper.

Ein Raſſenpferd kennt man aber auch noch an anderen Zeichen. Es frißt blos aus ſeinem Futterbeutel. Jhm gefallen die Bäume, das Grün, der Schatten, das laufende Waſſer, und zwar in ſo hohem Grade, daß es beim Anblick dieſer Gegenſtände wiehert. Es trinkt nicht, bevor es das Waſſer erregt hat, ſei es mit dem Fuße oder ſei es mit dem Maule. Seine Lippen ſind ſtets ge - ſchloſſen, die Augen und Ohren immer in Bewegung, und ſeinen Hals wirft es zur Rechten und zur Linken, als wollte es ſprechen oder um etwas bitten. Ferner behauptet man, daß es nun und nimmer - mehr ſich paare mit einem ſeiner Verwandten.

Die Namen der beſten Raſſen haben oft die ſonderbarſte Bedeutung, und gewöhnlich iſt immer ein Sagenkundiger nöthig, um dieſe Bedeutung zu erklären. Alle Araber glauben ſteif und feſt, daß die edlen Pferde ſchon ſeit Jahrtauſenden in gleicher Vollkommenheit in ihrem Stamme ſich erhalten haben, und wachen daher ängſtlich über der Zucht ihrer Roſſe, um ſich immer reines Blut zu bewahren. Eigene Gebräuche ſind in dieſer Hinſicht herrſchend unter ihnen geworden. So hat faſt jeder Pferdebeſitzer die Verpflichtung, Dem, welcher bittend kommt, ſeinen Heugſt zum Beſchälen einer edlen Stute zu leihen, und deshalb veredelt ſich der ganze Beſtand der Araber mehr und mehr. Hengſte von guter Raſſe werden ſehr geſucht: die Stutenbeſitzer durchreiten oft Hunderte von Meilen, um ſolche Hengſte zum Beſchälen zu erhalten. Als Gegengeſchenk erhält der Hengſtbeſitzer eine gewiſſe Menge Gerſte, ein Schaf, einen Schlauch voll Milch. Geld anzunehmen, gilt als ſchmach - voll; wer es thun wollte, würde ſich dem Schimpfe ausſetzen, Verkäufer der Liebe des Pferdes ge - nannt zu werden. Nur wenn man einem vornehmen Araber zumuthet, ſeinen edlen Hengſt zum Beſchlag einer gemeinen Stute zu leihen, hat er das Recht, die Bitte abzuſchlagen. Die Araber ſind aber auch ſo große Pferdekenner, daß dieſer Fall ſelten vorkommt. Während der Zeit der Trächtigkeit wird das Pferd ſehr ſorgfältig behandelt, jedoch nur mit alleiniger Ausnahme der letzten Wochen ge -347Das arabiſche Pferd.ſchont. Während des Wurfes müſſen eigene Zeugen zugegen ſein, um die Aechtheit des Fohlen zu beſtätigen. Das Fohlen wird mit ganz beſonderer Sorgfalt erzogen und von Jugend auf wie ein Glied der Familie gehalten. Daher kommt es, daß die arabiſchen Pferde zu Haus - thieren geworden ſind, in derſelben Bedeutung, wie der Hund, daß ſie ohne alle Furcht im Zelte des Herrn und in der Kinderſtube geduldet werden können. Jch ſelbſt ſah eine arabiſche Stute, welche mit den Kindern ihres Herrn ſpielte, wie ein großer Hund mit Kindern zu ſpielen pflegt. Drei kleine Buben, von denen der eine noch nicht einmal ordentlich gehen konnte, unterhielten ſich mit dem ver - ſtändigen Thiere und beläſtigten es ſoviel als möglich. Die Stute ließ ſich Alles gefallen; ſie zeigte ſich ſogar höchſt willfährig, um die eigenſinnigen Wünſche der ſpielenden Kinder zu befriedigen.

Das arabiſche Pferd.

Mit dem achtzehnten Monat beginnt die Erziehung des edlen Geſchöpfes; ſie währt fort, bis es vollkommen erwachſen iſt. Zuerſt verſucht ſich ein Knabe im Reiten. Er führt das Pferd zur Tränke, zur Weide, er reinigt es und ſorgt überhaupt für alle ſeine Bedürfniſſe. Beide lernen zu gleicher Zeit: der Knabe wird ein Reiter, das Fohlen ein Reitthier. Niemals aber wird der junge Araber das ihm anvertraute Füllen übernehmen; niemals wird er ihm Dinge zumuthen, die es nicht leiſten kann. Der Unterricht beginnt im Freien und wird im Zelte fortgeſetzt. Man überwacht jede Bewegung des Thieres, man behandelt es mit aller Liebe und Zärtlichkeit, duldet aber niemals Widerſtreben oder Böswilligkeit. Erſt wenn das Pferd ſein zweites Lebensjahr überſchritten hat, legt man ihm den Sattel auf, immer noch mit der größten Vorſicht. Das Gebiß wird anfangs mit Wolle um - wickelt und dieſe manchmal mit Salzwaſſer beſprengt, um das Pferd leichter an das ihm unangenehme348Einhufer. Das arabiſche Pferd.Eiſen im Maule zu gewöhnen; der Sattel wird zuerſt ſo leicht als möglich genommen. Nach Ab - lauf des dritten Jahres muthet man dem Pferd ſchon mehr zu. Man gewöhnt es allgemach daran, alle ſeine Kräfte zu gebrauchen, läßt ihm aber, was die Fütterung anlangt, durchaus Nichts abgehen. Erſt wenn es das ſiebente Jahr erreicht hat, ſieht man es als erzogen an, und deshalb ſagt das ara - biſche Sprichwort: Sieben Jahre für meinen Bruder, ſieben Jahre für mich und ſieben Jahre für meinen Feind. Nirgends iſt man von der Macht der Erziehung ſo durchdrungen, wie in der großen Wüſte. Der Reiter bildet ſein Pferd, wie der Ehemann ſein Weib ſich bildet, ſagen die Araber.

Je nach ſeiner Schönheit erhält das Pferd verſchiedene Namen, immer ſolche, welche irgend welche Bedeutung haben. Es ſind nicht ſelten dieſelben, welche man der Geliebten gibt, gewöhnlich aber ſolche, wie man ſie den Sklaven beizulegen pflegt. So heißt die Stute: Aaruſa (Braut) Luli (Perle) Mordjaana (Koralle) Rhaſahl (Gazelle) Naama (Straußin) Salima (Geſegnete) Saada, Rabaa und Maſauuda (Glückliche), Mahhmuda (Geprieſene) u. ſ. w. Der Hengſt theilt nur wenn er ſehr edel iſt, die Ehre der Stute.

Die Leiſtungen eines gut erzogenen arabiſchen Raſſepferdes ſind wirklich unglaublich groß. Es kommt vor, daß der Reiter mit ſeinem Pferde fünf, ſechs Tage lang hinter einander täglich Strecken von zehn, zwölf, ja ſelbſt von funfzehn Meilen zurücklegt. Wenn dem Thiere hierauf zwei Tage Ruhe gegönnt worden, iſt es im Stande, in derſelben Zeit zum zweiten Male einen gleichen Weg zu machen. Gewöhnlich ſind die Reiſen, welche die Araber unternehmen, nicht ſo lang, dafür aber durchreitet man in einem Tage noch größere Entfernungen, auch wenn das Pferd ziemlich ſchwer be - laſtet iſt. Nach der Anſicht der Araber muß ein gutes Pferd nicht blos einen vollkommen erwachſenen Menſchen tragen, ſondern auch ſeine Waffen, ſeine Teppiche zum Ruhen und Schlafen, die Lebens - mittel für ſich ſelbſt und für ſeinen Reiter, eine Fahne, auch wenn der Wind hinderlich ſein ſollte, und im Rothfalle muß es einen ganzen Tag lang im Zuge fortlaufen, ohne zu freſſen oder zu trinken. Ein Pferd, ſchrieb Abd-el-Kader an General Daumas, welches geſund an allen ſeinen Glie - dern iſt und ſoviel Gerſte bekommt, als es benöthigt, kann Alles thun, was ſein Reiter verlangt; denn das Sprichwort ſagt: Gib ihm Gerſte und mißhandle es. Gute Pferde trinken oft einen oder zwei Tage nicht. Sie haben kaum genug zu freſſen, und müſſen doch den Willen ihres Reiters aus - führen. Dies iſt die Macht der Gewöhnung; denn die Araber ſagen, daß die Pferde, wie der Menſch, nur in der erſten Zeit ihres Lebens erzogen und gewöhnt werden. Der Unterricht der Kindheit bleibt, wie die in Stein gehauene Schrift, der Unterricht, welchen das höhere Alter genießt, verſchwindet, wie das Neſt des Vogels. Den Zweig des Baumes kann man biegen, den alten Stamm nimmermehr! Vom erſten Jahre an unterrichten die Araber ihr Pferd, und ſchon im zweiten bereiten ſie es. Da - her kommt es, daß die Roſſe im Alter ſo ausdauernd ſind. Jn dem erſten Jahre des Lebens, ſagt das Sprichwort, binde das Pferd an, damit ihm kein Unglück zuſtoße, im zweiten reite es, bis ſein Rücken doppelte Breite gewonnen, im dritten Jahre binde es von neuem an, und wenn es dann Nichts taugt, verkaufe es!

Die Araber unterſcheiden eine Menge Raſſen ihrer Pferde, und jede Gegend hat ihre beſonders ausgezeichneten. Es iſt eine bekannte Thatſache, daß das arabiſche Pferd nur da, wo es geboren, zu ſeiner vollſten Ausbildung gelangt, und eben deshalb ſtehen die Pferde der weſtlichen Sahara, ſo aus - gezeichnet ſie auch ſein mögen, noch immer weit hinter denen zurück, welche im glücklichen Arabien ge - boren und erzogen wurden. Nur hier findet man die echten Kohheeli oder Kohchlani , zu Deutſch: die Vollkommenen; jene Pferde, die unmittelbar von jenen Stuten abſtammen ſollen, welche der Prophet Mahammed geritten hat. Wenn wir an der Nichtigkeit des Stammbaumes ge - linde Zweifel hegen dürfen, ſteht doch ſoviel feſt, daß der bereits während ſeines Lebens hochgeehrte Prophet vortreffliche Pferde beſeſſen haben mag und daß alſo ſchon von dieſem Vergleiche auf die Güte der betreffenden Pferde geſchloſſen werden kann. Ebenſo ſicher iſt es, daß die Araber mit großer Sorg - falt die Reinhaltung ihrer Pferderaſſen überwachen. Der Beſchlag einer Stute geſchieht immer in Gegenwart von Zeugen, und ebenſo verſammeln ſich die Araber, wenn das Fohlen zur Welt kommt. 349Das arabiſche Pferd.Geſchriebene Stammbäume gibt es wahrſcheinlich gar nicht mehr; wenigſtens habe ich davon Nichts erwähnen hören.

Unter allen edlen Pferden achten die Araber diejenigen am höchſten, welche in Nedſchd, dem inneren Gelände der arabiſchen Halbinſel, einem von ſchroffen Felſen durchzogenen Hochlande, gezüchtet werden. Der Stamm der Khadam hat den Ruhm, die beſten Pferde zu beſitzen. Jn Nedſchd gibt es zwanzig Pferdefamilien vom erſten Range, deren alte Abſtammung erwieſen iſt, und von dieſen edlen Familien aus haben ſich die Thiere nach anderen Gegenden hin verbreitet. Schon die Hengſte der echten Kohheeli werden mit hohen Preiſen bezahlt, die Stuten ſind kaum käuflich: ein Mann büßt ſeinen guten Ruf ein, wenn er gegen Gold oder Silber einen ſo koſtbaren Schatz hinweg gibt. Gerade im Hedjahs gehört das Roß ſo recht eigentlich zur Familie, und dieſe widmet ihm ungleich mehr Sorgfalt, als ihren Angehörigen ſelber. Wenn ein Krieger einen gefährlichen Zug vollführen will, wünſcht die Familie nicht dem Manne, ſondern dem Pferde das beſte Glück, und wenn dieſes nach einer Schlacht allein zum Zelte hereinkommt, iſt der Schmerz über den im Gefechte gebliebenen Reiter bei weitem nicht ſo groß, als die Freude über die Rettung des Roſſes. Der Sohn oder ein naher Verwandter des Gefallenen beſteigt das edle Thier, und ihm liegt die Verpflichtung ob, den Tod des Reiters zu rächen, während der Verluſt des Pferdes auch nicht einmal durch erfüllte Rache geſühnt werden kann. Wenn ein Pferd in der Schlacht getödtet oder vom Feinde genom - men worden iſt, und der Reiter allein zu Fuße zurückkommt, wartet ſeiner ein ſchlechter Empfang. Das Schreien und Wehklagen will kein Ende nehmen, und die Trauer währet monatelang.

Aber ein ſolches Pferd iſt auch nicht mit irgend einem anderen zu vergleichen! Der Araber muthet ſeinen Kräften, wie bemerkt, ſehr viel zu, er behandelt es jedoch auch mit einer Liebe ohne Gleichen. Von Jugend auf vernimmt das Thier kein böſes Wort, bekommt es keinen Schlag. Es wird mit der größten Geduld, mit der größten Zärtlichkeit erzogen und theilt mit ſeinem Herrn Freud und Leid, das Zelt, ja beinahe das Lager. Es bedarf keiner Peitſche, kaum eines Sporenſtoßes, ein Wort ſeines Reiters genügt, um es anzutreiben. Der Menſch und das Thier haben ſich hier eben auf das innigſte verbrüdert, und der eine wie das andere fühlen ſich gedrückt, wenn der treue Gefährte fehlt. Mehr als einmal ſchon iſt es vorgekommen, daß ein Pferd den Leich - nam ſeines im Kampfe gefallenen Reiters noch von der Wahlſtatt bis zum Zelte trug, gleichſam, als wiſſe es, daß es den gefallenen Mann nicht dem Hohn und Spott des Feindes preisgeben dürfe.

Ebenſo groß, als die liebenswürdigen Eigenſchaften des Weſens ſind die Genügſamkeit und An - ſpruchsloſigkeit des arabiſchen Pferdes, was die Nahrung anlangt. Es iſt mit Wenigem zufrieden und im Stande, bei ſchmaler Koſt noch die größten Anſtrengungen zu ertragen. Kein Wunder, daß ſolch ein Thier von hundert Dichtern glühend beſungen worden, daß es das ausſchließliche Geſpräch der Männer am Lagerfeuer, daß es der Stolz und das höchſte Kleinod des Arabers iſt!

Man kennt eine Menge von Geſchichten, welche beweiſen, wie ſchwer es dem Wüſtenſohne wird, ſich von ſeinem Pferde zu trennen. Es iſt begründet, daß nicht einmal der gleißneriſche Schimmer des Goldes, welcher ſonſt einen ſo großen Eindruck auf den räuberiſchen Mann zu machen pflegt, im Stande iſt, die Zuneigung zu ſeinem Pferde abzuſchwächen. Je edler das Roß, um ſo theurer iſt es der glücklichen Familie, welche es beſitzt; ja ſelbſt um das einfachſte Pferd, welches ein Beſitzer ver - kaufen muß, wird noch ſtundenlang gefeilſcht, weil der erſte Beſitzer ſchon im voraus den Glücklichen beneidet, der ſolchen Schatz ihm entreißen ſoll.

Wirklich ſpaßhaft anzuhören ſind die Lobeserhebungen, welche dem edlen Pferde geſpendet wer - den. Sage mir nicht, daß dies Thier mein Pferd iſt, ſage, daß es mein Sohn iſt! Es läuft ſchneller, als der Sturmwind, ſchneller noch, als der Blick über die Ebene ſchweift. Es iſt rein, wie das Gold. Sein Auge iſt klar und ſo ſcharf, daß es ein Härchen im Dunkeln ſieht. Die Gazelle erreicht es im Laufe. Zu dem Adler ſagt es: Jch eile, wie du, dahin! Wenn es das Jauchzen der Mädchen vernimmt, wiehert es vor Freude, und an dem Pfeifen der Kugeln erhebt ſich ſein Herz. Aus der Hand der Frauen erbettelt es ſich Almoſen, den Feind ſchlägt es mit dem Hufe ins Geſicht. 350Einhufer. Der engliſche Reuner.Wenn es laufen kann nach Herzensluſt, vergießt es Thränen aus ſeinen Augen. Jhm gilt es gleich, ob der Himmel rein iſt, oder der Sturmwind das Licht der Sonne mit Staub verhüllt; denn es iſt ein edles Roß, welches das Wüthen des Sturmes verachtet. Jn dieſer Welt gibt es kein zweites, welches ihm gleiche. Leicht, wie eine Schwalbe, eilt es dahin, ſo leicht iſt es, daß es tanzen könnte auf der Bruſt deiner Geliebten, ohne ſie zu beläſtigen. Sein Schritt iſt ſo ſanft, daß du im vollſten Laufe eine Taſſe Kaffees auf ſeinem Rücken trinken kannſt, ohne einen Tropfen zu verſchütten. Es verſteht Alles, wie ein Sohn Adams, nur daß ihm die Sprache fehlt.

Gar nicht ſelten kommt es vor, daß ein Araber dem andern aus ganz beſonderer Gunſt ſein Pferd verkauft, obgleich der Käufer nicht im Stande iſt, die geforderte Summe zu erlegen. Dann begnügt ſich der frühere Beſitzer vielleicht mit der Hälfte, und der glückliche Käufer muß nach und nach den Kaufſchilling erlegen, bis dahin aber bleibt das Thier beider Eigenthum, und Alles, was mit ſeiner Hilfe erworben, errungen, erraubt wird, gehört Beiden zu gleichen Theilen. Dem Frem - den überläßt der edle Araber ſein Roß um keinen Preis. Einen Dieb verfolgt er ſolange, als er kann, bis in das Herz des feindlichen Stammes hinein; doch gilt ihm die Ehre des Pferdes über Alles: man erzählt, daß ein Araber den Dieb, welcher ihn um die beſte Stute beſtahl, darauf auf - merkſam machte, wie er das edle Thier zu vollſtem Laufe bringen könne, damit dieſes den Ruhm be - halte, unter allen Pferden das ſchnellſte zu ſein.

Nächſt den Arabern behandeln die Perſer und die Engländer ihre Pferde am beſten. Ueber das perſiſche Pferd brauche ich nach Vorſtehendem kaum noch Etwas zu ſagen; denn die Behandlung, welche die Perſer ihren Pferden angedeihen laſſen, haben ſie den Arabern abgelernt, wie ſie ja auch ihre guten Pferde erſt durch Kreuzung mit edlen arabiſchen Roſſen erhielten. Jn früheren Zeiten ſollen übrigens die Perſer weit mehr Sorgfalt auf die Züchtung des Pferdes verwendet haben, als jetzt. Gegenwärtig ſind die Engländer ihnen hierin entſchieden überlegen. Sie haben ſeit etwa zwei - hundert Jahren der Pferdezucht außerordentliche Aufmerkſamkeit zugewendet und wirklich ungewöhn - liche Ergebniſſe erzielt. Früher gab man großen ſtarkknochigen Pferden vor anderen den Vorzug; ſpäter führte man aber arabiſche Zuchthengſte in England ein, und ſo entſtand nach und nach das eng - liſch-arabiſche Pferd, welches gegenwärtig über die ganze Jnſel verbreitet iſt. Echte Vollblutpferde findet man nirgends in ſo großer Anzahl, als in England. Das britiſche Gold ermöglicht eben auch die Veredelung und Reinhaltung des Roſſes.

Der ſogenannte Renner gilt allgemein als das beſte aller engliſchen Pferde. Er zeichnet ſich durch langgeſtreckten Leib und feine Beine aus. Nur noch ſeinem urſprünglichen Stammvater, dem arabiſchen Pferde, wird ſolche Aufmerkſamkeit erwieſen, als ihm. Die Zucht, Behandlung und Ausbildung des Rennpferdes iſt in England zu einer Wiſſenſchaft geworden, und dieſe wird von den Vornehmſten des Landes mit großem Eifer betrieben. Man hat bei der Sorgfalt, mit welcher man die Pferde behandelt, wichtige Erfahrungen gewonnen. Die Verſuche zur Verbeſſerung der Raſſen haben bewieſen, daß Größe. Geſtalt, Weſen und Anlagen, welche einer Raſſe angehören, erblich ſind, und daß Erziehung und äußere Verhältniſſe einen ſehr geringen Einfluß üben. Ferner hat man beobachtet, daß jedes Fohlen in der Geſtalt mehr nach der Mutter, als nach dem Vater geräth, daß es aber von letzterem die Form des Kopfes und der Füße, das Weſen und die Schnellig - keit erbt. Manche Gebrechen werden leicht fort und fort von den Eltern auf die Nachkommen übertragen, und ihre Ausrottung gelingt allein bei unausgeſetzter Aufmerkſamkeit. Niemals darf man eine geſchätzte Raſſe mit anderen Arten zuſammenbringen, welche die gewünſchten Eigen - ſchaften nicht beſitzen. Die bloſe Gemeinſchaft mit ihnen iſt ſchädlich. Alle dieſe Erfahrungen ſind den Arabern ſchon ſeit Jahrhunderten bekannt und haben bei ihnen zu den gleichen Vor - ſichtsmaßregeln geführt, wie bei den Engländern. Letztere ſehen gegenwärtig womöglich noch ſtrenger auf die reine Abſtammung, als die erſteren. Jn England findet man Stammbäume, welche mit der größten Genauigkeit ausgeführt und durch die ſicherſten Leute beglaubigt ſind.

351Der engliſche Renner.

Das berühmteſte aller Rennpferde war Eclipſe, deren Leiſtungen ich ſchon oben gedacht habe. Eclipſe ſtammte von arabiſchen Eltern ab, welche jedoch beide nicht eben geſchätzt waren. Marsk, der Vater, lief halbwild im Walde herum; Spiletta, die Mutter, wurde beim erſten Rennen geſchlagen, zum Abſtechen verdammt und nur durch die Dazwiſchenkunft eines Knechtes gerettet. Der Sohn dieſes Pferdes wurde niemals geſchlagen; aber ſeine Laufbahn als Rennpferd war dennoch ſehr kurz. Sie währte nur ſiebzehn Monate. Nach dieſer Zeit ließ kein Pferdebe - ſitzer mehr ſeine Roſſe mit dem unübertrefflichen Läufer wetteifern. Jn der kurzen Zeit ſeines Ruhmes gewann er mehr als 25,000 Pfund Sterling. Sein Eigner hatte ihn von dem Her - zog von Cumberland, in deſſen Geſtüt er geboren war, für 75 Guineen erkauft und verlangte,

Der engliſche Renner.

nachdem er durch das Pferd reich geworden war, zehn Jahre nach ſeinem letzten Rennen für Eclipſe und ſechs ſeiner Nachkommen noch die Summe von 25,000 Pfund nebſt einem Jahrge - halt von 500 Pfund. Das prächtige Thier ſtarb in einem Alter von 25 Jahren im Jahre 1789. Sein Geripp wurde nach dem Muſeum in Oxford gebracht, wo es noch heutigen Tages zu ſehen iſt.

Nächſt dem eigentlichen Renner iſt das engliſche Jagdpferd überaus geſchätzt. Es iſt ſtärker und kräftiger, aber höchſt fein gebaut, beſitzt die Ausdauer und Schnelligkeit des arabiſchen Pfer - des und iſt für ſeinen Zweck geradezu unübertrefflich; dennoch ſteht es im Preiſe dem Renner be - deutend nach.

352Einhufer. Das nackte Pferd.

Es iſt hier nicht der Ort, auf die übrigen Raſſen der Pferde einzugehen; wir können nicht einmal die vorzüglichſten derſelben beſprechen. Jch will blos erwähnen, daß in einigen Büchern deren bereits über anderthalb Hundert angegeben werden.

Fitzinger glaubt fünf Stammarten der Pferde annehmen zu dürfen, und dieſe Anſicht hat wohl ebenſoviel für ſich, als die anderer Gelehrten, welche nur eine Urart für ſämmtliche Pferde, für das flämiſch-engliſche Karrenpferd, wie für den Shetlands-Pony gelten laſſen wollen. Jene fünf Stammarten ſind der Tarpan, das nackte, das leichte, das ſchwere und das Zwerg - pferd. Des Letzteren und des Tarpans haben wir bereits gedacht; von den übrigen verdient haupt - ſächlich das nackte Pferd noch einer kurzen Erwähnung. Dieſes auffallende Geſchöpf iſt erſt in der letzten Zeit einige Male als ſeltene Sehenswürdigkeit gezeigt, aber noch keineswegs bekannt geworden. Ueber ſein Vaterland herrſchen nur Muthmaßungen, obgleich ein Reiſender behauptet hat, ganze

Das nackte Pferd (Equus nudus).

Trupps dieſer Pferde im Jnneren von Kabul oder Afghaniſtan in wildem oder halbwildem Zuſtande geſehen zu haben. Die nach Europa gekommenen nackten Pferde ſtammten gewöhnlich von Zigeunern her, welche behaupteten, ſie in der Krim erhandelt zu haben. Andere wurden in den Kriegen zu Ende des vorigen Jahrhunderts in der Türkei erbeutet.

Das nackte Pferd (Equus nudus) ähnelt hinſichtlich ſeiner äußeren Form am meiſten dem arabiſchen. Es iſt ſchön gebaut und mittelgroß, aber mit Ausnahme einiger wenigen, kaum bemerk - baren Härchen, welche hier und da höchſt vereinzelt ſtehen, vollkommen nackt. Sogar Mähne und Schweif fehlen; denn die zehn oder zwölf einzelnen, etwa Zoll langen, unbiegſamen und ſpröden Haare, welche am Ende des Schwanzes ſtehen, kann man wahrhaftig keinen Roßſchweif nennen. Die glatte, ſammetweiche und zarte, fettig glänzende Haut iſt von dunkelmausgrauer oder bräunlich -

Pouy’s von Shelland.

353Das leichte Pferd. Das ſchwere Pferd.ſchwarzer Färbung. Genaue Unterſuchungen haben ergeben, daß weder Krankheit, noch eine betrü - geriſche Fälſchung Seitens der Beſitzer Urſache dieſer Nacktheit ſind.

Als Hausthier dürfte das merkwürdige Geſchöpf nicht zu empfehlen ſein. Die Haut iſt ſo empfindlich, daß ſie ſchon durch das beſtgewählteſte Geſchirr wund gedrückt wird.

Das leichte Pferd (Equus velox) iſt über einen großen Theil des altweltlichen Nordens ver - breitet; es reicht von Norwegen bis an die chineſiſchen Gebirge. Sein Leibesbau iſt etwas plump, aber nicht gerade ungefällig, die Behaarung fein und dicht, die Färbung ein unbeſtimmtes fahles Grau oder Gelb, meiſt mit dunklen Mittelſtreifen längs des Rückens.

Ueber die urſprüngliche Heimat des ſchweren Pferdes (Equus robustus) iſt gar Nichts zu ſagen. Dieſe Art oder die Raſſen, welche Fitzinger unter dem Namen des ſchweren Pferdes ver - einigt, finden ſich in Mitteleuropa. Das flämiſch-engliſche Karrenpferd, ein wahrer Elefant unter den Roſſen, ſcheint das ſchwere Pferd in ſeiner Vollendung darzuſtellen.

Heutzutage iſt das zahme Pferd faſt über den ganzen Erdball verbreitet. Es fehlt nur in den kälteſten Gegenden und auf mehreren Jnſeln, wo der Menſch ſeiner noch nicht bedarf. Seine Nah - rung iſt, wie wir ſchon ſahen, ſehr verſchieden nach der Oertlichkeit, welche es bewohnt. Pflanzen verſchiedener Art und die Körner einiger Getreidearten ſind das natürliche Futter. Jn trockenen Gegenden gedeiht es entſchieden beſſer, als in feuchten, ſumpfigen, obwohl es ſchlechtere Gräſer ver - zehrt, als andere Hausthiere. Man züchtet es entweder in wilden oder in halbwilden und endlich in zahmen Geſtüten. Jn jenen werden die Herden das ganze Jahr hindurch ſich ſelbſt überlaſſen. Die dort geborenen Pferde ſind ſehr dauerhaft, kräftig und genügſam, werden aber niemals ſo ſchön, als die unter Aufſicht des Menſchen geborenen und erzogenen. Solche wilde Geſtüte finden ſich in Europa nur in Rußland. Halbwilde Geſtüte ſind ſolche, wo ſich die Pferdeherden vom Frühjahr bis zum Herbſt in Wäldern und auf großen Weideplätzen herumtreiben, im Winter aber in Ställen gehalten und beaufſichtigt werden, wie in Norwegen. Zahme Geſtüte endlich ſind jene, wo die Pferdezucht unter ſtrengſter Aufſicht des Menſchen getrieben wird. Die größten Geſtüte befinden ſich in Rußland, Polen und Ungarn. Jn Rußland ſoll ein Graf Orlow in einem einzigen ſeiner Geſtüte an 8000 theils zahme, theils halbwilde Pferde beſitzen. Das größte Geſtüt des öſterreichiſchen Kaiſerreichs be - findet ſich in Niederungarn und zählt an 3000 Pferde.

Zur Veredelung der Pferderaſſen ſind gute Hengſte unumgängliche Bedingung. Die Araber werden noch heutigen Tages ſehr bevorzugt; ſie verbeſſern alle übrigen Raſſen. Die Paarungszeit des Pferdes fällt zwiſchen das Ende des März und den Anfang des Juni. Dreijährige Stuten ſind fortpflanzungsfähig; den Hengſt läßt man nicht gern vor dem vierten Jahre zur Paarung. Von ſeinem ſiebenten Jahre an genügt er für 50 bis 100 Stuten. Letztere werfen 10½ bis 12 Monate nach der Begattung ein einziges Füllen, welches ſehend und behaart geboren wird und nach wenigen Minuten ſchon ſtehen und gehen kann. Man läßt es etwa fünf Monate ſaugen, ſich tummeln und ſpielen; dann entwöhnt man es von der Mutter, nachdem man ihm gelehrt hat, nach und nach allein zu freſſen. Jm erſten Jahre trägt es einen wolligen Pelz, eine kurze, aufrecht ſtehende, gekräuſelte Mähne und ähnlichen Schweif, im zweiten Jahre werden die Haare glänzender, Mähne und Schweif länger und ſchlichter. Das ſpätere Alter erkennt man ziemlich richtig an den Schneidezähnen. Acht bis vierzehn Tage nach der Geburt erſcheinen oben und unten die beiden mittelſten, die ſogenannten Zangen; zwei oder drei Wochen ſpäter bricht zu jeder Seite der Zangen wieder ein Zahn aus, und nun ſind die ſogenannten Mittelzähne vollſtändig. Nach fünf bis ſechs Monaten erſcheinen die äußeren Schneidezähne, und damit ſind die Milch - oder Füllenzähne, kurze, glatte, glänzende, milch - weiße Gebilde, vollendet. Nach dem Ausfallen der Füllenzähne erhält das Roß die Pferdezähne. Jm Alter von Jahren werden die Zangen ausgeſtoßen und durch neue Zähne erſetzt; ein Jahr ſpäter wechſeln die Mittelzähne, im nächſten Jahre die ſogenannten Eckzähne oder beſſer die äußeren Schneide - zähne. Mit ihnen brechen die wirklichen Eckzähne oder die Haken durch, zum Zeichen, daß die Aus - bildung des Thieres beendet iſt. Vom fünften Jahr ab ſieht der Beurtheiler des Alters bei PferdenBrehm, Thierleben. II. 23354Einhufer. Das Pferd.nach den Gruben, Kunden oder Bohnen in den Zähnen, linſengroßen, ſchwarzbraunen Höhlungen auf der Schneide der Pferdezähne. Dieſe verwiſchen ſich an der unteren Kinnlade im Alter von fünf bis ſechs Jahren, an den Mittelzähnen im ſiebenten, an den Eckzähnen im achten Jahre des Alters; dann kommen in gleicher Zeitfolge die Oberzähne daran, bis im elſten bis zwölften Jahre ſämmtliche Gruben verſchwunden ſind. Mit zunehmendem Alter verändert ſich auch allmählich die Geſtalt der Zähne: ſie werden um ſo ſchmäler, je älter ſie ſind. Bei manchen Pferden verwiſchen ſich die Kunden niemals, weil die Schneidezähne der oberen Kinnlade nicht auf die anderen paſſen.

Das Pferd wechſelt nur die kleinen, kurzen Haare und zwar hauptſächlich im Frühjahre. Das längere Winterhaar fällt um dieſe Zeit ſo ſchnell aus, daß es ſchon in Zeit eines Monats der Haupt - ſache nach beendigt iſt. Nach und nach werden die Haare erſetzt und von Anfang Septembers oder Oktobers an beginnen ſie ſich wieder merklich zu verlängern. Die Haare in der Mähne und im Schwanze bleiben unverändert.

Leider iſt das edle Roß vielen Krankheiten unterworfen, und oft hauſen anſteckende Seuchen in furchtbarer Weiſe unter dem Pferdebeſtand einer Gegend. Die wichtigſten Krankheiten ſind der Spath, eine Geſchwulſt und ſpätere Verhärtung des Sprunggelenkes, die Druſe, eine Anſchwellung der Drüſen unter den Kinnladen, die Räute, ein trockner oder naſſer Ausſchlag, wobei die Haare ausgehen, der Rotz, eine ſtarke Entzündung in der Naſenſcheidewand, welche furchtbar anſteckt, ſich ſelbſt auf Menſchen überträgt, der raſende Koller, eine Gehirnentzündung, oder der Dumm - koller, ein ähnliches Leiden, der graue und der ſchwarze Star, welche beide unheilbar ſind, und andere. Jn den Gedärmen und in der Naſe wohnen die Larven von Biesfliegen, in den Nieren Paliſaden , in den Augen Fadenwürmer, auf der Haut Lausfliegen und Milben.

Das Pferd kann ein Alter von vierzig Jahren erreichen, wird aber meiſt ſo ſchlecht behandelt, daß es oft ſchon mit zwanzig Jahren greiſenhaft iſt. Das Pferd, welches der öſterreichiſche Feldmar - ſchall Lacy im Türkenkriege ritt, wurde auf Befehl des Kaiſers ſorgfältig gepflegt und erreichte ein Alter von 46 Jahren. Der Biſchof von Metz beſaß ein Pferd, welches 50 Jahre alt und noch bis zu den letzten Tagen zu leichter Arbeit verwendet wurde. Jn England ſoll ein Pferd ſogar 62 Jahre erreicht haben.

Ueber die Eigenſchaften, Gewohnheiten, Sitten und Eigenthümlichkeiten der Pferde, kurz, über das geiſtige Wefen will ich Scheitlin reden laſſen. Das Pferd, ſagt er, hat Unterſcheidungs - kraft für Nahrung, Wohnung, Raum, Zeit, Licht, Farbe, Geſtaltung, für ſeine Familie, für Nach - barn, Freunde, Feinde, Mitthiere, Menſchen und Sachen. Es hat Wahrnehmungsgabe, innere Vorſtellungskraft, Gedächtniß, Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft, manchfache Empfindungs - fähigkeiten für eine große Anzahl von Zuſtänden des Leibes und der Seele. Es fühlt ſich in allen Verhältniſſen angenehm oder unangenehm, iſt der Zufriedenheit mit ſeinem gegebenen Verhält - niſſe und des Verlangens nach einem anderen, ja ſelbſt der Leidenſchaften, gemüthlicher Liebe und gemüthlichen Haſſes fähig. Sein Verſtand iſt groß und wird leicht in Geſchicklichkeit umge - wandelt; denn das Pferd iſt außerordentlich gelehrſam.

Viele Thiere ſehen und hören beſſer, als das Pferd. Dieſes riecht und ſchmeckt auch nicht beſonders fein, und ſein Gefühl iſt nur an den Lippen geſteigert. Dafür iſt ſeine Wahrnehmungs - gabe für nahe Gegenſtände ganz außerordentlich, ſo daß es alle Gegenſtände um ſich her genau kennen lernt, womit dann erſt noch ein vortreffliches Gedächtniß verbunden iſt. Wir kennen die Erzeugniſſe ſeiner Wahrnehmungsgabe, ſeinen Ort -, Stall -, Steg - und Wegſinn, und ſeine Sicherheit, einen Pfad, wenn es ihn auch nur einmal gemacht hat, wieder zu erkennen. Es kennt den Weg viel beſſer, als ſein Führer. Seiner Kenntniß gewiß, widerſetzt es ſich an einem Scheideweg faſt ſtarrſinnig dem Unrechtführer. Reiter und Kutſcher können ruhig ſchlafen und im tiefſten Dunkel dem Pferde die Wahl des Weges überlaſſen. Dieſe Wahl iſt ſchon vielen betrunkenen Fuhrleuten aufs Beſte zu Statten gekommen und hat ſchon Tauſenden Leben und355Das Pferd.Habe gerettet. Wie ſchnell erkennt es den Gaſthof wieder, in welchem es einmal eingekehrt iſt, aber auch wie hartnäckig glaubt es wieder einkehren zu dürfen! Es iſt, als ob es meine, der Führer, der Reiter kenne den Gaſthof nicht ſo gut, als es ihn kenne; es iſt, als ob es ihn zurechtweiſen müſſe. Jſt es einmal beim Gaſthof vorüber, ſo läuft es wieder ganz willig. Es ſcheint nun ſich ſelbſt zu berichtigen und zu denken, ſein Führer habe nicht Unrecht; denn er wolle nun einmal da nicht einkehren. Doch erkennt es den Gaſthof als ſolchen nicht am Schilde. Willig läuft es bei denen vorbei, in welchen es noch nie geweſen. Seinen ehemaligen Herrn und Knecht erkennt es nach vielen Jahren noch ſogleich wieder, läuft auf ihn zu, wiehert ihn an, leckt ihn und be - zeigt eine gar innige Freude; es weiß nur nicht recht, wie es ſeine Freude äußern ſoll. Es merkt augenblicklich, ob ein anderer Menſch, als der gewöhnliche, auf ſeinem Rücken ſitzt. Bis - weilen ſchaut es rückwärts, ſich darüber völlig ins Reine zu ſetzen. Vollkommen erkennt es den Sinn der Worte des Wärters und vollkommen gehorcht es denſelben. Es tritt aus dem Stalle zum Brunnen, zum Wagen, läßt ſich das Geſchirr an - und auflegen, läuft dem Knechte wie ein Hund nach, geht von ſelbſt wieder in den Stall. Einen neuen Knecht oder ein neues Neben - pferd ſchaut es ſinnvoll an, in ganz anderer Weiſe, als die Kuh das neue Thor. Alles Neue erregt es ſtark, ein neuer Wagen, eine neue Kutſche iſt ihm wichtig. Wo etwas Neues, Auf - fallendes durch Größe, Form und Farbe zu ſehen iſt, trabt es herzu, ſchaut und ſchnauft es an.

Seine Wahrnehmungsgabe, ſein Gedächtniß und ſeine Gutmüthigkeit machen es möglich, ihm alle Künſte des Elefanten, Eſels und Hundes beizubringen. Es muß Räthſel löſen, Fragen beantworten, durch Bewegen mit dem Kopfe Ja und Nein ſagen, durch Schläge mit dem Fuße Zahlengrößen der Uhr u. ſ. w. bezeichnen. Es ſieht auf die Bewegung der Hände und Füße des Lehrers, verſteht die Bedeutung der Schwingung der Peitſche und diejenige der Worte, ſo daß es ſchon ein kleines Wörterbuch in der Seele hat. Aufs Wort ſtellt es ſich krank, ſteht es dumm mit ausgebreiteten Beinen und hängt es den Kopf, ſchwankt es traurig und matt, ſinkt langſam, plumpt auf die Erde, liegt wie todt, läßt auf ſich ſitzen, die Beine auseinander legen, am Schwanze zerren, die Finger in die ſo ſehr empfindlichen Ohren ſtecken u. ſ. w., aber aufs hingeworfene Wort, es durch den Henker abholen zu laſſen, ſpringt es wieder auf und rüſtet ſich wieder munter und froh: es hat den Befehl völlig verſtanden. Daß ihm der Spaß, den es oft wiederholen muß, gefalle, nimmt man nicht wahr; ihm kann nur Laufen und Springen be - hagen. Wie lange wird man’s lehren müſſen, bis es durch zwei große Reife ſpringt, die ziem - lich weit von einander entfernt mit weißem Papier ſcheibenartig ſich ihm wie eine weiße Mauer darſtellen? Wer ſieht nicht gern Bereiterkünſte? Es iſt dabei nicht der Menſch, ſondern das Pferd das Merkwürdigſte. Daß der Menſch lernen kann und will, nimmt uns nicht wunder, ſondern, daß das Pferd lernen kann. Man muß wirklich nicht fragen: Was kann es lernen? ſondern: was kann es nicht lernen?

Wer einem Pferde etwas Menſchliches lehren will, muß es, anfangs wenigſtens, rein menſch - lich, d. h. nicht durch Prügel, noch Drohungen, noch Hunger lehren wollen, ſondern nur das gute Wort brauchen und es geradeſo behandeln, wie ein guter, verſtändiger Menſch einen guten, verſtän - digen Menſchen behandelt. Was auf den Menſchen wirkt, wirkt auch aufs Pferd. Will es ſich z. B. nicht beſchlagen, den Fuß nicht aufheben laſſen, ſo ſtreichelt man es, ſtreichelt ſeinen Fuß, gibt ihm gute Worte, verweiſt ihm ſeine Ungeduld, ſeinen Ungehorſam, hält ihm, um es zu zerſtreuen, Hafer vor; frißt es, ſo probirt man den Fuß aufzuheben, will es ſolches nicht geſchehen laſſen, ſo entzieht man ihm den Hafer, ſchaut es dieſem nach, ſo hält man ihm dieſen wieder vor, probirt es nochmals mit dem Fuße u. ſ. w. So gewinnt man alle Pferde, die früher nicht mißhandelt, nicht ſchlechter erzogen worden ſind. Der Regel nach ſind die Pferde völlig Kinder im Guten und Böſen.

Das Pferd hat neben ſeinem Ortsgedächtniß auch Zeitſinn. Es lernt im Takte gehen, trotten, galoppen und tanzen. Es kennt auch Zeitunterſchiede im Großen, es weiß, ob es Morgen, Mittag oder Abendzeit. Es ermangelt ſelbſt des Tonſinns nicht. Wie der Krieger, liebt es den Trompeten -23*356Einhufer. Das Pferd.ton. Es ſcharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieſer Ton zum Laufen im Wettrennen und zur Schlacht ertönt, es kennt und verſteht auch die Trommel und alle Töne, die mit ſeinem Muth und mit ſeiner Furcht in Verbindung ſtehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in Schlachten zerſchoſſene Gefährten geſehen, nicht gerne. Der Wolkendonner iſt ihm ebenfalls nicht angenehm. Vielleicht wirkt das Gewitter nachtheilig ein.

Das Pferd iſt der Furcht ſehr zugänglich und nähert ſich auch darin dem Menſchen. Es er - ſchrickt über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, was zum Fenſter herausweht. Sorgſam beſchaut es den Boden, welcher Steine hat, ſorglich tritt es in den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder heraufgezogen wor - den war, war ſehr erſchrocken; ein anderes, welches in eine Kalkgrube geſprungen war, ließ ſich willig binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf ſchmalen Gebirgspfaden zittert es. Es weiß, daß es nur Fuß iſt und ſich an gar Nichts anhalten kann. Den Blitz fürchtet es heftig. Jm Gewitter ſchwitzt es vor Angſt, erſchlagen zu werden. Reißt eins aus, ſo kann das andere, uner - ſchrockene es zurückhalten; gewöhnlich aber ergreift es der Schrecken ebenfalls, und beide rennen in immer ſteigender Furcht und Angſt, raſen über und durch alles Mögliche heim, in die Tenne, an eine Wand, wie toll. Wieviel Unglück veranlaßt und verurſacht das ſonſt ſo verſtändige, gehorſame und gutwillige Thier, welches dem Herrn, dem Knecht, der Frau, dem Mädchen, Jedem, der es gut be - handelt, gern gehorcht!

Das Pferd kann ſich verwundern, es kann ſtutzen, kann über unbedeutende Dinge, wie ein Kind, erſchrecken, es kann ſich enttäuſchen laſſen, und ſein Kennen kann durch ſeinen Verſtand zum Erkennen werden. Daraus erhellet, daß ſein Verſtand zerrüttet, daß es verrückt werden kann. Durch rohe Behandlung, durch Fluchen und Prügeln der Roßknechte iſt ſchon manches Pferd ſchändlich ver - dorben, um allen ſeinen geiſtigen und gemüthlichen Werth gebracht und völlig dumm und toll gemacht worden. Dagegen wird das Pferd durch edle Behandlung veredelt, hoch gehoben, durch ſie zum halben Menſchen gemacht.

Die einzige wahre Luſt des Pferdes iſt zu rennen. Es iſt von Natur ein Reiſender; bar zur Luſt rennen weidende Pferde in den ruſſiſchen Steppen, reiſen mit den Kutſchen im Galopp viele Stunden, eine Tagereiſe weit, ſicher, daß ſie ihren langen Pfad wieder zurückfinden. Welche Wan - derung machen ſie in Paraguay! Auf den Weiden tummeln ſie ſich munter, werfen vorn und hinten auf und treiben allerlei Muthwillen, rennen mit einander, beißen einander. Es gibt ſolche, die immer andere necken. Junge necken ſogar Menſchen. Eine beachtenswerthe Erfahrung! Das Thier, das ſich am Menſchen verſucht, muß ſich dem Menſchen nahe fühlen, muß in ihm beinahe ſeines Gleichen ſehen. Ein junges Pferd rannte in einem langen, ſchmalen Alpthale einem Trüppchen Reiſender nach, d. h. es ließ ſie zuerſt ungehindert vorbeigehen, dann galoppirte es ihnen nach bis auf einen ein - zigen Schritt vor ſie hin, ſtand dann plötzlich ſtill und ſah ſie an, dann rannte es wieder zurück, that, als ob es weiden wolle, kam dann wieder herangeſprengt, und ſo neckte es ſie vier oder fünf Male zu deren nicht geringer Furcht. Es trieb offenbar reinen Muthwillen, wie ihn ein Menſch treibt, der ſich überlegen fühlt. Als die Reiſenden endlich über eine als Hecke dienende Mauer geſtiegen waren, rannte es an dieſer mehrmals auf und ab, um eine Stelle zum Hinüber - ſpringen zu finden, um ſie noch weiter zu necken. Da es keine fand, ſprengte es wieder luſtig auf ſeine alte Weideſtelle zurück.

Seine Rennluſt in Verbindung mit ſeinem Adel oder ſeinem Stolze leiſten im römiſchen Corſo beinahe Unglaubliches. Auf ein gegebenes Zeichen ſind die Pferde bereit, den Wettkampf zu beginnen: ſie wiehern hell auf, ſie ſtampfen vor Ungeduld. Dann ſtürzen ſie ſich auf die Bahn, und eins will das andere übereilen. Niemand ſitzt auf ihnen, Niemand ſagt ihnen, um was es ſich handle, Niemand feuert ſie an; ſie merken es von ſich aus. Jedes feuert ſich ſelbſt an und wird von jedem angefeuert. Und das, was zuerſt am Ziele iſt, lobt ſich ſelbſt und wird von den Menſchen gelobt. Es iſt dafür empfindlich; doch wird kein Neid oder Haß gegen den Sieger357Das Pferd.in ihm wahrgenommen. Voll Ehrgefühl ſchadet es ſich bisweilen ſelbſt, weil es immer voran will und ſich zu Tode liefe, wenn man es nicht zurückhielte. Manche muß man voranlaſſen; viele laufen nur, wenn andere vor ihnen ſind, wollen aber dann doch nicht hinter dieſen zurück - bleiben; manche laufen nur mit Bekannten, mit Kameraden. Welch Ehrgefühl entwickelt ſich in dem engliſchen Wettrenner! Wie ſchmeichelt ſich das Pferd des Generals! Es merkt ſeine Vortreff - lichkeit, und daß es ein Königsroß ſei, dem Ehre gebühre, und daß man es verehre.

Der ganze Hengſt iſt ein furchtbares Thier. Seine Stärke iſt ungeheuer, ſein Muth über alle Begriffe, ſein Auge ſprüht Feuer. Die Stute iſt viel ſanfter, gutmüthiger, willfähriger, ge - horſamer, lenkſamer; darum iſt ſie auch den Hengſten oft vorgezogen. Der Trieb zur Begattung iſt bei den Pferden heftiger, als bei anderen Thieren; aus ſolcher Kraft entſpringen eben große, ſtolze Kräfte. Der Wallach hat zwar durch Verſchneidung viel verloren, iſt aber durch ſie nicht, wie der Stier, zum matten Ochſen, ſondern nur ein milderes, gehorſameres Weſen geworden, hat blos aufgehört, eine lodernde, verzehrende Flamme zu ſein.

Das Pferd iſt aller Erregung fähig. Es liebt und haßt, iſt neidiſch und rachſüchtig, lau - niſch u. ſ. w. Mit manchen Pferden verträgt es ſich ſehr gut, mit anderen ſchwer oder gar nicht, und dieſe oder jene nimmt es nie zu Gunſten an. Es kennt den Blick des Menſchen wohl und hält ihn aus; man nimmt jedoch wahr, daß der Blick des Menſchen, wenn er ſcharf iſt, ein - wirkt. Man erzählt vom Pferde Wunderdinge des Verſtandes, Gemüthes und ſeiner tiefen, inneren Natur. Bedenklich ſtellten ſich Pferde über den Leichnam ihres Herrn, neigten ſich über ihn hin, be - ſchauten ſein Angeſicht lange, ſchnopperten es an, wollten nicht von ihm weg, wollten ihm im Tode noch treu bleiben. Andere biſſen in der Schlacht Pferd und Mann ihres Gegners, als ob auch ſie gegen einander kämpfen müßten. Ein Pferd ergriff ſeinen betrunkenen Reiter, um ihm wieder hinaufzuhelfen; ein anderes wandte und drehte ſich, um es dem im Steigbügel Hängengebliebenen zu ermöglichen, daß er ſeinen Fuß herausziehen könne. Durch den Umgang mit guten Menſchen wird das Pferd immer menſchlicher, durch den mit böſen immer thieriſcher, viehiſcher.

Kein Pferd iſt dem anderen gleich. Biſſig und böſe, falſch und tückiſch iſt das eine, zu - traulich und ſanft das andere. Entweder hat die Natur oder die Erziehung oder beide ſie ſo ver - ſchieden gemacht. Ein Pferd, das beſchlagen werden ſollte, ſtieß mit dem Kopfe den Schmied plötzlich um, und ſtampfte mit ſeinen Füßen ſo auf ihm herum, daß er bluttriefend hervorgezogen werden mußte.

Wunden fürchtet das Pferd nicht; Operationen unterwirft es ſich mit viel Verſtand und Willen. Muthvoll hält es in der Schlacht aus, und hat ſogar Luſt im Streite: es wiehert hell auf. Sein Wiehern iſt eigenthümlich genug: es lacht der Gefahr. Wird es verwundet, ſo ſtöhnt es nur. Es ſtirbt in ſeinen Wunden heldenartig, ſtill und ruhig; es merkt den Tod.

Wie verſchieden iſt das Schickſal der Pferde! Das Loos der meiſten iſt, jung geliebt und mit Hafer genährt, alt ein Karrengaul und mit Riedgras und mit Prügeln gefüttert und ver - achtet zu werden. Vielen Roſſen iſt ſchon eine Thräne nachgeweint und mit Recht ein marmornes Denkmal gebaut worden. Sie haben ihre Jugendzeit zum Muthwillen, ihre Jünglingszeit zum Stolziren, ihre Manneszeit zum Arbeiten, ihr Alter, in welchem ſie träger, matter werden; ſie blühen, reifen und verwelken!

Kaum minder wichtig für den menſchlichen Haushalt, als das Pferd, iſt der Eſel. Einige Forſcher der Neuzeit wollen in ihm und ſeinen Verwandten eine beſondere Sippe ſehen; doch ſind die Unterſchiede zwiſchen den eigentlichen Pferden und den Eſeln ſehr geringfügige. Während bei den Pferden an den vorderen und hinteren Beinen eine Hornwarze vorhanden, der Nacken mit einer langen Mähne beſetzt und der Schwanz von ſeiner Wurzel an behaart iſt, zeigt der Eſel blos an den358Einhufer. Der Halbeſel oder Dſchiggetai.Vorderbeinen die Hornwarze, trägt nur eine kurze, aufrechtſtehende Mähne und beſitzt einen erſt am Ende lang behaarten Schwanz. Auch ſind ſeine Ohren viel länger, der Widerriſt iſt niederer und die Sohle des Hufes eiförmiger geſtaltet, als beim Pferde. Hiermit ſind aber auch alle Unterſchei - dungsmerkmale angegeben, und im übrigen ſtehen ſich alle Pferde und alle Eſel ſehr nahe.

Bisher hat man ziemlich allgemein den aſiatiſchen Wildeſel oder Kulan als den alleinigen Stammvater des zahmen Eſels angenommen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieſes Thier ſchon im Alterthum häufig gezähmt worden iſt, namentlich zur Zeit, als die Römer die Weltherrſchaft beſaßen; allein ſeit man weiß, daß nahverwandte Arten ſich unter einander fruchtbar vermiſchen und Nachkommen erzeugen, welche unter ſich wieder fortpflanzungsfähig ſind, ſieht man den Kulan we - nigſtens nicht mehr als den einzigen Stammvater des Eſels an. Sehr wahrſcheinlich iſt es, daß auch andere Wildeſel an der Erziehung oder an der Erzeugung ihres jetzt im Dienſte des Menſchen geknechteten Verwandten theilhaben. So habe ich die feſte Ueberzeugung, daß die zahmen Eſel, welche man im ganzen Norden Afrikas findet, nicht vom Onager, ſondern von dem Wildeſel ab - ſtammen, welcher die Steppen nördlich von Habeſch in großer Anzahl bewohnt. Auch wird wohl der Dſchiggetai oder Halbeſel, welcher lange für unzähmbar galt, ſein Theil an der Ent - ſtehung des Eſels gehabt haben, und wenn es wahr iſt, daß der Kiang, welcher die Hochebenen von Tibet bewohnt und von den Reiſenden gewöhnlich Wildpferd anſtatt Wildeſel genannt wird, ſich von dem Halbeſel als Art unterſcheide, ſo dürfte auch dieſer zur Stammvaterſchaft des Hauseſels herbeigezogen werden können.

Der Halbeſel oder Dſchiggetai der Mongolen, Langohr zu deutſch (Asinus hemionus), iſt uns durch den ausgezeichneten Forſcher Pallas vor faſt hundert Jahren ſo gut beſchrieben wor - den, daß bis zu G. Radde’s neueſten Berichten kein anderer Beobachter Weſentliches hinzuzufügen wußte. Jn Größe und Anſehen vergleicht ſich der Dſchiggetai mit einem wohlgebauten, mittel - mäßigen Maulthiere; doch übertrifft er daſſelbe an Schönheit, zumal hinſichtlich ſeines ſchlanken Baues. Er mißt vom Scheitel bis zum After etwas über 5 Fuß; der Kopf iſt 1 Fuß 8 Zoll, der Schwanz ohne Haarquaſte 1 Fuß 4 Zoll lang, ſo daß alſo die Geſammtlänge 8 bis Fuß beträgt, bei einer Höhe von faſt 4 Fuß über den Schultern und Fuß über den Hüften. Der Kopf iſt größer, als bei den Pferden, ſeitlich mehr zuſammengedrückt, der Hals iſt ſchlanker und rundlicher, als ſelbſt bei hirſchhalſigen Pferden. Der Körper iſt ziemlich ge - ſtreckt, der Rücken eher gebogen, als geſenkt; die Glieder ſind hoch, fein, ſtark von Sehnen, die Schultern, Hüften, Schenkel etwas hager, wie bei leicht gebauten Maulthieren. Der Schwanz ähnelt dem Kuhſchwanz, die mäßig lange, dünne Rübe iſt vollrund, von der Wurzel an bis auf die Mitte ganz kahl, ſonſt über die Hälfte mit dunklen Borſten behaart, welche am Ende eine 9 Zoll lange Quaſte bilden. Die Ohren ſind viel länger, als Pferdeohren, doch ungleich zierlicher, als beim Eſel; die Augen ſind mittelgroß, die Nüſtern wie beim Pferde geöffnet. Eine weichhaarige und aufrechtſtehende, dunkle, halbſpitzige Mähne von etwa Zoll Höhe, welche der junger Füllen gleicht, verläuft vom Scheitel des Kopfes an bis über die Schultern. Die übrige Be - haarung ändert nach den Jahreszeiten. Jm Winter iſt das Haar bis zwei Zoll lang, ziemlich zottig, am Rücken gewellt, weich wie Kamelwolle, außen iſabellgrau, an der Wurzel aber blaßeiſengrau, im Sommer dagegen kaum vierthalb Linien lang. Mehrere Haarwirbel und Scheidungen geben ihm einen verſchiedenen Strich. Die Färbung der Schnauze iſt weißlich, der übrige Kopf ſpielt immer mehr ins Gelbe; der Hals iſt fahlgelb, der Rumpf vom Rücken bis an die Seiten faſt ockergelb; die Seiten ſind fahler, die Glieder noch bleicher. Der hintere Rand der Keulen, die Jnnenſeite der Hinterbeine und die hintere Seite der Vorderbeine ſind weißlich. Wo die Mähne aufhört, beginnt ein brauner, ſchwarzer Riemen, welcher längs dem Rücken hinunter bis an den buſchigen Theil des Schwanzes fortläuft.

359Der Halbeſel oder Dſchiggetai.

Offene, trockene, aber mit guten Sträuchern bewachſene Ebenen und Berglehnen des öſtlichen Mittelaſiens, zumal der Mongolei, ſind die Heimat des Halbeſels. Jn den mit vielen Salz - pfützen beſtreuten Ebenen um den Tareiſee ſchwärmt er jetzt am häufigſten. Früher ſah man ihn in der arguniſchen Steppe herdenweiſe; jetzt finden ſich dort nur zerſtreute Trupps. Alte Hengſte führen mehr als zwanzig Stuten und Füllen; gewöhnlich ſind aber die Trupps geringer, und mancher Hengſt hat nicht mehr, als zehn oder fünf Stuten. Diejenigen Hengſte, welche aus den Herden der alten vertrieben wurden, folgen dieſen gewöhnlich ſolange von ferne, bis es ihnen ge - lingt, eine oder mehrere Stuten vom Harem des älteren Hengſtes abzulocken oder andere, verlaufene zu ſammeln, und ſich ſo einen eigenen Anhang zu ſchaffen. Die alten Hengſte ſollen zur Sprung - zeit junge Stuten, welche noch nicht roſſig ſind, aus ihrer Herde entfernen, und dadurch den jün - geren Mitbewerbern Gelegenheit zur Erwerbung eines eigenen Trupps verſchaffen.

Der Halbeſel oder Dſchiggetai (Asinus hemionus).

Dieſen Angaben fügt Radde etwa Folgendes hinzu:

Die bedeutendſten Wanderungen des Dſchiggetai finden im Herbſte ſtatt, weil die unſtete Lebensweiſe erſt dann beginnen kann, wenn die Füllen vom letzten Sommer kräftig genug ſind, die anhaltenden, ſchnellen Märſche mitzumachen. Ende Septembers trennen ſich die jungen Hengſte von den Herden, denen ſie bis ins dritte oder vierte Jahr angehörten, und ziehen einzeln in die bergigen Steppen, um ſich ſelbſt eine Herde zu gründen. Dann iſt der Oſchiggetai am unbändigſten. Stun - denlang ſteht der junge Hengſt auf der höchſten Spitze eines ſteilen Gebirgsrückens, gegen den Wind gerichtet, und blickt weit hin über die niedrige Landſchaft. Seine Nüſtern ſind weit geöffnet; ſein Auge durchirrt die Oede. Kampfgierig wartet er eines Gegners; ſobald er einen ſolchen gewahrt, ſprengt er ihm in geſtrecktem Galopp entgegen. Nun entbrennt ein blutiger Kampf um die Stuten. 360Einhufer. Der Halbeſel oder Dſchiggetai.Der Angreifende jagt gehobenen Schweifes an dem Führer der Herde vorbei und ſchlägt im Laufe mit den Hinterfüßen nach ihm. Mehr und mehr erhebt ſich die ſtruppige Mähne; dann, nach wenigen Sätzen, hält er plötzlich an, wirft ſich ſeitwärts und umkreiſt trabend in weitem Bogen die Herde, deren Führer er ins Auge gefaßt. Aber der alte, wachſame Hengſt wartet geduldig, bis ſein frecher Gegner ihm nahe genug kommt. Jm geeigneten Augenblicke wirſt er ſich raſch auf ihn, beißt und ſchlägt, und nicht ſelten büßen die Kämpfer ein Stück Fell oder die Hälfte des glatten Schweifes ein. Alle von Radde erlegten Hengſte bewieſen durch ihre zahlreichen, verharrſchten Narben, wie kampfluſtig dieſe ſchnellen Pferde ſind.

Es hat große Schwierigkeiten, das Leben des Halbeſels zu beobachten. Er iſt ein wundervoll flüchtiges Thier, welches im Laufe auch mit dem ſchnellſten Pferde nicht eingeholt werden kann. Dabei iſt er ſcheu, und ſeine ſcharfen Sinne verrathen ihm jeden annähernden Menſchen ſchon in weiter Ferne: er ſoll einige Werſte weit wittern können. Bei ruhigem Gange hält er ſeinen Hirſchhals beſtändig ſtolz empor; wenn er flüchtig wird, wirſt er den Kopf ganz in die Höhe, um hinter ſich zu ſchauen, und hebt den Schwanz auf. Der Hengſt iſt außerordentlich wachſam und hält ſeine Stuten vorſichtig zuſammen. Wenn ein Mitglied der Herde Etwas von ferne erblickt, ſpringt der Hengſt vor und ſucht ſich dem Gegenſtande durch Umſchweifen ſolange zu nähern, bis er die Gefahr inne wird. Zuweilen ſtreift er den auf der Erde lauernden Jägern zwei oder drei Mal entgegen, und manchmal wird er bei ſolchen Gelegenheiten auch niedergeſchoſſen; merkt er aber die Gefahr, ſo treibt er ſeine zurückgelaſſene Herde mit unglaublicher Schnelligkeit in die Flucht. Die Mongolen halten den Dſchiggetai für das ſchnellſte aller wilden Thiere, und die Tibetaner geben ihn ihrem Gott des Feuers und des Krieges zum Reitpferde.

Ein ſtarker Hengſt ſcheint zum Beſtehen der Herde unumgänglich nothwendig zu ſein. Wird der Führer niedergeſchoſſen, ſo zerſtreuen ſich die Stuten, und es gibt dann gute Jagd, weil ſie bei weitem nicht ſo wachſam ſind, als die Hengſte. Aber auch die Zeit der Kämpfe zwiſchen den Führern der Herden wird von den Tunguſen zur Jagd benutzt.

Der Jäger, fährt Radde fort, zieht, um das ſehr ſcheue Thier zu erlegen, am frühen Morgen, auf einem hellgelben Pferde reitend, in das Gebirge. Ueber Berg und Thal reitet er langſam durch die Einöde, in welcher die Murmelthiere auf ihren Hügeln ſich ſonnen und die Adler hoch in den Lüften kreiſen. Sobald er die Höhe eines Gebirges erreicht hat, blickt er in die Ferne, um zu ſehen, ob nicht ein dunkler Flecken das erſehnte Wild ihm verrathe. Wenn er es erſpäht, reitet er raſch vorwärts. Der Weg iſt lang; denn es darf nur in den Thälern und gegen den Wind geritten werden. Zu derjenigen Höhe, welcher der Dſchiggetai am nächſten ſteht, kriecht der erfahrene Jäger mit der größten Vorſicht. Das Thier ſteht, wie feſtgebannt; es blickt feſt nach Norden hin. Bald iſt das diesſeitige ſcheidende Thal überſchritten, und nun erſt beginnt die eigent - liche Jagd.

Dem raſchen Klepper werden die loſen Schweifhaare oben zuſammengebunden, damit ſie nicht im Winde hin - und herfliegen; dann bringt man das Reitthier auf die Höhe des Berges, wo es zu graſen beginnt. Der Jäger legt ſich, etwa hundert Schritt von ihm entfernt, glatt auf den Boden; ſeine, in eine kurze Gabel gelegte Büchſe iſt zum Abfeuern bereit. So wartet er. Der Dſchiggetai bemerkt das Pferd, hält es für eine Stute ſeines Geſchlechts und ſtürmt im Galopp auf das Thier zu. Aber er wird ſtutzig, ſobald er in die Nähe kommt; er hält an, er bleibt ſtehen. Jetzt iſt der Augenblick zum Schuſſe gekommen. Der Jäger zielt am liebſten auf die Bruſt und erlegt nicht ſelten das Wild auf dem Platze; zuweilen aber bekommt der Dſchiggetai fünf Kugeln, bevor er fällt. Oefters gelingt es auch, das Thier trotz ſeiner feinen Witterung zu beſchleichen, wenn es an ſtürmiſchen Tagen an der Mündung eines Thales graſt und langſam geht.

Der Gewinn der Jagd iſt nicht unbedeutend. Dem Tunguſen iſt das Fleiſch des Dſchiggetai ein Leckerbiſſen; das Fell wird von den Mongolen ſehr gut bezahlt, und in der Haut des Schweifes mit der langen Quaſte liegt, nach dem Volksglauben, eine wunderbare Heilkraft. Wenn man ein361Der Kiang. Der Onager.Stück davon auf Kohlen verbrennt und einem kranken Thiere den Dampf einathmen läßt, wird es geſund.

Nach Angabe der Mongolen wirft die Stute im Frühling ein Fohlen, welches ſchon nach drei Jahren ausgewachſen iſt.

Der Dſchiggetai iſt im vorigen Jahrhundert niemals vollſtändig gezähmt worden, obgleich die Mongolen, geborene Reiter und Hirten, es oft verſucht haben ſollen, gefangene junge Füllen zu erziehen. Gelänge die Zähmung, ſagt Pallas, ſo würde man an den Dſchiggetais nicht nur die ſchnellſten und flüchtigſten Jagdklepper bekommen, ſondern auch die Eſelzucht weſentlich ver - beſſern. Bisher iſt er, wie das Zebra, noch nicht gezähmt worden; doch glaube ich, daß man die Hoffnung, ihn zum Hausthier zu machen, nicht aufgeben darf. Dieſe Vorausſagung des berühmten Forſchers iſt ihrer Erfüllung wenigſtens ſehr nahe gekommen. Man hat das ſchöne Thier in den letzten zwanzig Jahren nicht nur wiederholt in Thiergärten gehalten, ſondern auch öfters nach Dr. Weinland in Paris allein ſechszehn Mal zur Fortpflanzung gebracht; man hat es mit Erfolg nicht blos mit der Eſelin, ſondern auch mit dem Quagga und Zebra gekreuzt. Jm Garten für Thiereinbürgerung im Gehölz von Boulogne ſcheint es auch recht hübſch zahm geworden zu ſein; wenigſtens ſchreibt Dies A. Geoffroy St. Hilaire an Dr. Weinland: Unſere Dſchig - getais ſind noch nicht zum Fahren eingewöhnt; aber ich glaube, wenn wir Zeit und den geeigneten Mann hätten, müßte es mit den Hengſten wohl gelingen. Man hat ſchon zwei erfolgreiche Ver - ſuche gemacht.

Die Blendlinge von Dſchiggetais und Eſeln ſind bei uns, wie überall, gute Arbeiter.

So ſcheint es alſo, daß wir dieſes ſtolze Geſchöpf doch unſerem Willen unterthan machen werden.

Einige Forſcher nehmen an, daß der Kiang (Asinus Kiang oder Asinus polyodon) nichts An - deres, als unſer Dſchiggetai iſt, während Andere ihn für eine beſondere Art halten. Die Lebens - weiſe beider Thiere iſt allerdings ganz verſchieden, und dieſer Umſtand durchaus nicht zu überſehen. Pallas ſagt ausdrücklich, daß der Dſchiggetai die Berge nicht liebe, daß an den Grenzen von Tau - rien felſiges und hohes Schneegebirge anliege, durch welches die Halbeſel nicht zu ziehen pflegten, während der Kiang gerade auf den höchſten Höhen des Himalaya herumſtreift und noch in Päſſen ſich findet, welche nur äußerſt ſelten von Reiſenden beſucht werden, in Höhen, wo außer ihm blos noch das Moſchusthier und der Yack ſich erhalten können. Bisjetzt iſt das Thier noch ſo wenig bekannt, daß wir nicht entſcheiden können, ob es zur vorigen Art gehöre, oder nicht. Doch dürfen wir von den Gebrüdern Schlagintweit, welche ihn mehrmals ſahen, wohl eine genügende Beſchreibung erwarten. Die früheren Berichterſtatter ſchildern den Kiang als ein ſchönes antilopenähnliches Thier von kräftigem, aber doch ſchlanken, angenehmen Bau und lebendigen, glänzenden Augen, außerordentlich raſch in ſeinen Bewegungen, kühn, ſcheu, ausdauernd und ge - nügſam. Mooreroft bemühte ſich vergeblich, eins dieſer Pferde zu erlegen.

Der zweite, vom Dſchiggetai ſicher verſchiedene Wildeſel Aſiens iſt der bereits erwähnte Ku - lan oder Gurkur, der Onager der Alten (Asinus Onager), welcher auch in der Bibel wieder - holt erwähnt wird. Nach den Angaben der Alten war der Onager durch ganz Kleinaſien, Syrien, Perſien und Arabien verbreitet. Xenophon traf ihn in der Nähe des Euphrats in Menge an, Strabo, Pharo und Plinius verſetzen ihn nach Kleinaſien, Marcellin in das Land der Kur - den. Seitdem aber die Römer ihre Weltherrſchaft verloren, hörte man faſt gar Richts mehr von ihm, bis Pallas wieder die Aufmerkſamkeit auf ihn lenkte.

Der Kulan iſt etwas kleiner, als der Dſchiggetai, aber doch viel höher und feiner von Gliedern, als der gemeine Eſel. Der Kopf iſt noch höher und größer, als beim Dſchiggetai; die dicken Lippen ſind bis an den Rand mit ſteifen, borſtigen Haaren dicht bekleidet; die Ohren ſind ziemlich lang, je - doch kürzer, als bei dem Eſel. Ein ſchönes Weiß mit ſilberhaftem Glanz iſt die vorherrſchende Fär -362Einhufer. Der Onager.bung; nur die Oberflächen des Kopfes, die Seitenflächen des Halſes und des Rumpfes, ſowie die Hüften ſind etwas dunkler, und zwar blaß iſabell. Jm Seitenbug zieht ſich ein weißer Streifen von Handbreite herab; ein zweiter Streifen läuft längs des ganzen Rückens und an der Hinterſeite der Keulen herab; in ſeiner Mitte liegt der kaffeebraun gefärbte Riemen. Die Behaarung iſt noch ſeidenartiger und ſaufter, als beim Pferde. Das Winterhaar kann man mit Kamelwolle ver - gleichen, das Sommerhaar iſt äußerſt glatt und zart. Die Mähne beſteht aus weichen, wollartigen, drei bis vier Zoll hohen Haaren und iſt ſteif aufgerichtet, wie bei neugeborenen Füllen; der Quaſt am Schwanze wird etwa eine gute Spanne lang.

Der Ouager Asinus Onager).

Jn der Lebensweiſe erinnert der Onager ebenſoſehr an den Dſchiggetai, als an das Wild - pferd. Ein Haupthengſt führt die Herden, welche aus Stuten und Füllen beiderlei Geſchlechts be - ſtehen; doch ſcheint es, daß die Hengſte weniger eiferſüchtig ſind, als bei den verwandten Arten, wenigſtens zur Wanderungszeit ſollen ſich oft mehrere vereinigen. Zu Beißereien zwiſchen den Hengſten kommt es dann freilich immer noch. Hinſichtlich der Schnelligkeit ſteht der Kulan durch - aus nicht hinter dem Dſchiggetai zurück. Schon Xenophon berichtet, daß der Wildeſel im Lauf die beſten Pferde weit hinter ſich laſſe, und auch die älteren Schriftſteller laſſen dieſer Schnellig - keit Gerechtigkeit widerfahren. Der Reiſende Porter ſpricht mit Bewunderung von unſerem Thiere. Jn der Provinz Fars nahm ſein vorzüglicher Wildhund mit einem Male die Verfolgung eines363Der Onager.Thieres auf, welches ſeine Begleiter als Antilope erkennen wollten. Man verfolgte das Wild augenblicklich im vollen Galopp, und bekam es, Dank der Geſchicklichkeit des Hundes, auch wirklich wieder zu Geſicht. Da ſah man zu nicht geringer Verwunderung, daß die vermeintliche Antilope ein Wildeſel war. Jch beſchloß, ſagt der Reiſende, dieſem prachtvollen Thiere mit meinem außerordentlich geſchwinden Araber nachzureiten; allein alle Bemühungen des edlen Roſſes waren vergeblich, bis das Wild plötzlich ſtill ſtand und mir Gelegenheit gab, es in der Nähe zu betrachten. Mit einem Male aber floh es wieder mit Gedankenſchnelle dahin, Luftſprünge machend, ausſchlagend und auf der Flucht ſcherzend, als ob es nicht im geringſten ermüdet und die Hatze ihm nur eine Luſt wäre.

Die Sinne des Kulan, zumal Gehör, Geſicht und Geruch, ſind ſo fein, daß ihm in freier Steppe gar nicht beizukommen iſt. Dabei iſt er außerordentlich genügſam und kommt höchſtens einen Tag um den anderen zur Tränke, weshalb der Anſtand auf ihn meiſt vergeblich iſt. Salz - haltige Pflanzen ſind ihm die angenehmſte Nahrung, nebſt dieſen die bittermilchigen, wie Löwen - zahn, die Saudiſtel u. dgl. ; aber auch Kleearten, Luzern und allerlei Schotenpflanzen werden nicht verſchmäht. Zuwider ſind ihm dagegen alle wohlriechenden, balſamiſchen Pflanzen, Sumpfkräuter, Ranunkeln und alle ſtachlichten Gewächſe, auch die Diſtel, welche der zahme Eſel doch gern frißt. Salziges Waſſer liebt er mehr, als friſches, jedoch muß es rein ſein; denn trübes trinkt er nie.

Ueber die Zeit der Paarung und des Wurfes iſt Nichts bekannt geworden.

Der Kulan iſt für die Steppenbewohner ein wichtiges Thier. Bei den Kirgiſen gilt ſein Fleiſch als das leckerſte von allen, und auch die Perſer, welche ihn Jſchacki oder Bergeſel nennen, ſcheinen gleicher Anſicht zu ſein. Sogar die Araber, welche ſonſt ſehr heiklich ſind, was die Nah - rung anlangt, und einen zahmen Eſel niemals eſſen würden, betrachten den Kulan als ein ſehr edles Wild. Wahrſcheinlich war es bei den Hebräern nicht anders. Und daß die Römer nach jungen Onagern lüſtern waren, wiſſen wir gewiß. Plinius erzählt uns, daß die beſten Ouager in Phrygien und Lykaonien gefunden würden. Die Füllen dieſer Thiere, ſagt der alte Natur - forſcher, ſind als Leckerbiſſen unter dem Namen Lalisiones bekannt. Mäcen war der erſte, wel - cher bei ſeinen Gaſtereien Maulthierfüllen ſtatt jenes ausländiſchen Wildprets einführte. Die Perſer benutzen außer dem Fleiſch die Galle des Wildeſels als Augenmittel, die Bucharen ſeine Haut zur Anfertigung von Chagrain oder von Stiefeln, welche ſehr theuer bezahlt werden. Alle Mittelaſiaten jagen deshalb dem edlen Thiere eifrig und zwar auf die verſchiedenſte Weiſe nach. Die Kirgiſen ſuchen es nur aus dem Verborgenen zu ſchießen, die Perſer hingegen tiefen Gruben ab, bedecken ſie leicht mit Zweigen und Gras und füllen ſie unten bis zu einer gewiſſen Höhe mit Heu an, damit die hereinfallenden ſich nicht verletzen. Dann treibt man die Kulans nach den Thälern hin, in welchen man die Gruben angelegt hat, und verkauft die gefangenen jungen Füllen zur Zucht an die Stutereien der Vornehmen des Landes zu theueren Preiſen. Aus dieſen Gefangenen zieht man die ſchönſten und flinkſten Reiteſel, deren man ſich in Perſien und Arabien bedient, und zahlt gern 75 bis 100 Dukaten für das Stück. Sie haben noch alle guten Eigenſchaften ihrer wil - den Stammeltern: die ſchöne Bildung, den munteren Anſtand und die Schnelligkeit im Lauf, ihre Genügſamkeit und die Ausdauer. Niebuhr ſchätzt den Weg, welchen ein Reiteſel im gleich - förmigen Schritt alle halbe Stunden zurücklegt, auf 1750 doppelte Menſchenſchritte, während die großen Laſtkamele nur 975, und die kleinen oder Dromedare höchſtens 1500 ablegen können. Er gibt an, daß man unter den arabiſchen Reiteſeln viele ſinde, welche in der Färbung genau mit dem Kulan übereinkommen Jch dagegen habe auf allen meinen Reiſen in Nordoſtafrika keinen Eſel geſehen, welcher jene Angabe beſtätigt hätte.

Pallas berichtet von einer Wildeſelin, welche nach Petersburg gebracht wurde, vorher aber ſehr ſchlecht abgewartet worden war. Gleichwohl hatte dieſes Thier im Sommer den Weg von Aſtrachan bis Moskau, über zweihundert deutſche Meilen, in beſtändigem Laufe hinter dem Poſt - wagen ausgehalten, ohne mehr als ein paar Nächte zu raſten, hatte dabei noch durch Fallen und364Einhufer. Der afrikaniſche Steppeneſel.Stoßen gelitten, war ſogar hinter dem Wagen hergeſchleift worden, und lief nach einem kurzen Aufenthalte in Moskau doch noch mit ebenſowenig Ruhe, als vorher, über hundert Meilen, bis Petersburg. Hier kam ſie freilich höchſt mager und ſo elend an, daß ſie ſich kaum auf den Füßen erhalten konnte; aber ſie kam bald wieder zu Kräften, und als ſie gegen den Herbſt ſtarb, war nicht jene Erſchöpfung die Urſache, ſondern die Kälte, die Näſſe des Klimas, des Bodens und der Weide, und endlich auch die Mittel, welche man anwandte, um eine auf ihrer Haut ausgebrochene böſe Räute zu vertreiben. Auch dieſer Krankheit ungeachtet erholte ſie ſich genug - ſam, um einen Theil ihrer vorigen Munterkeit und Schnelligkeit, um ihre anderen, vom Laſteſel ſehr verſchiedenen Eigenſchaften und Vorzüge zu zeigen. Der feuchtkalte Herbſt brachte ihr den Tod. Sie wurde auf der naſſen Weide bald hufriſſig, und dieſe Krankheit nahm ſo überhand, daß die Hufe ſich endlich ſtückweiſe von den Füßen abſchälten. Sie war übrigens ſehr zahm und folgte den Leuten, welche ſie fütterten und tränkten, wie ein Hund nach. Mit Brod konnte man ſie locken, wohin man ſie haben wollte. Nur wenn man ſie an der Halfter gegen ihren Willen leiten wollte, zeigte ſie ſich eigenſinnig.

Jch ſah das ſtolze Thier lebend im kaiſerlichen Thiergarten zu Schönbrunn. Dort befindet ſich gegenwärtig ein Paar; aber beide ſind ſehr wild und unzugänglich. Unſere ſchöne Abbildung iſt nach ihnen gefertigt.

Der Hamar el Wadi oder afrikaniſche Steppeneſel (Asinus africanus) ähnelt in Größe und Anſehen ſeinem gezähmten Nachkömmling in Egypten, in ſeinem Auſtande und ſeinem Weſen aber ganz den wildlebenden aſiatiſchen Verwandten. Er iſt groß, ſchlank und hübſch gebaut, bald aſchgrau, bald iſabellfarben, an der Unterſeite heller, mit deutlich ausgeſprochenem Schulterkreuz und einigen mehr oder weniger bemerkbaren Querſtreifen an der Außenſeite des Unterfußes. Die Mähne iſt ziemlich ſchwach und kurz, die Quaſte am Schwanze aber ſtark und lang.

Dieſes Thier findet ſich wahrſcheinlich in allen Steppenländern öſtlich vom Nil. Um den At - bara, den Hauptzufluß des göttlichen Stromes, iſt er häufig, ebenſo auch in den Barkaebenen; ſein Verbreitungskreis reicht bis an die Küſte des rothen Meeres. Hier lebt er unter ganz ähn - lichen Verhältniſſen, wie der Dſchiggetai und Kulan. Jeder Hengſt führt eine Herde von 10 bis 15 Stuten, und bewacht und vertheidigt ſie. Er iſt ausnehmend ſcheu und vorſichtig, ſeine Jagd daher überaus ſchwierig. Von einem Reiſenden, welcher den Weg vom rothen Meere nach Char - thum gemacht hatte, erfuhr ich, daß die Wildeſel, wie die Pferde Paraguays, oft auf das Lager - feuer zulaufen, etwa 400 Schritt davon ſich aufſtellen und ſtutzen, bei der geringſten Bewegung im Lager aber mit hoch emporgehobenem Schweife eilenden Laufes davonjagen. Zahme Eſelinnen ſollen ſie nicht ſelten wegführen und unter ihre Herden aufnehmen.

Alle im Süden und wahrſcheinlich auch die in Habeſch benutzten zahmen Eſel ſcheinen von dieſer Art abzuſtammen, denn nach der Verſicherung der Araber gleichen ihnen die Wildeſel täuſchend. Mir wurden Eſel gezeigt, von denen man behauptete, ſie in der Jugend eingefangen und gezähmt zu haben. Jch weiß nicht, ob dieſe Behauptung der Wahrheit entſprach: ſoviel aber kann ich verſichern, daß ſie ſich von den anderen dort gebräuchlichen Eſeln nur durch etwas ſtolzere Haltung und größere Ausdauer unterſchieden. Mehrere Male habe ich ſolche Thiere benutzt und dabei beobachten können, daß ſie ebenſo lenkſam und anſpruchslos waren, wie die im Hausſtande geborenen. Der hamburger Thiergarten beſitzt einen jungen, von einem Paare des Steppeneſels abſtammenden Hengſt, wel - ches, irre ich nicht, durch Heuglin nach Wien gebracht worden war. Dieſer Hengſt iſt ein ſchönes, munteres, kluges Geſchöpf. Er hat ſich ſeine edle Haltung bewahrt und macht deshalb einen ſehr guten Eindruck auf den Beſchauer. Sein Weſen iſt nicht minder angenehm. Er iſt gut - müthig, ſeinem Wärter und ſeinen Bekannten ſehr zugethan, zeigt aber oft einen gewiſſen Muth - willen, welcher ſeine Behandlung oder mindeſtens ein innigeres Verhältniß mit ihm erſchwert. Obwohl er Liebkoſungen verlangt und, wie es ſcheint, mit Dank anerkennt, kann er es ſich doch365Der afrikaniſche Steppeneſel.nicht verſagen, gelegentlich nach der ihm ſchmeichelnden Hand zu ſchnappen oder, falls ihm Dies möglich, dem ſich mit ihm abgebenden Menſchen einen Hufſchlag beizubringen. Demungeachtet iſt auch er lenkſam, nicht ſtörriſch, höchſtens ſpiel - oder raufluſtig. Seinen Vater, welcher im Thiergarten zu Wien lebt, hat man mit Erfolg eine Stute des Dauw belegen laſſen; das Füllen wird jedoch zur Zeit erſt erwartet, und kann deshalb von mir noch nicht beſchrieben werden.

Die gebänderten Füße dieſes Thieres ſind ein beachtenswerthes Merkmal; denn ſie laſſen unſeren

Der afrikaniſche Steppenefel (Asinus afrieanus).

Eſel als ein Mittelglied zwiſchen ſeinen Verwandten und den Tigerpferden erſcheinen und beweiſen wieder einmal, daß jeder Landſtrich ſeinen Geſchöpfen gewiſſe Eigenthümlichkeiten verleiht.

Mag es auch unentſchieden bleiben, welchem Wildeſel wir unſer nützliches Hausthier ver - danken, ſo ſteht doch ſoviel feſt, daß der Kulan ſowohl, wie der Hamar el Wadi von Alters her gezähmt und zur Veredelung der Eſelzucht benutzt wurden. Die alten Römer gaben große Summen für dieſe Veredelung aus, die Perſer und Araber thun es noch heute. Nur bei uns iſt der zahme Eſel (Asinus vulgaris) durch fortwährende Vernachläſſigung zu einem wahren Krüppel herab - geſunken.

Wenn man den Eſel, welcher bei uns zu Lande zur Mühle trägt oder den Milchkarren zieht, mit ſeinen ſüdländiſchen Brüdern vergleicht, könnte man verſucht werden, beide als verſchiedene Arten anzuſehen, ſo gering iſt die Aehnlichkeit zwiſchen ihnen. Der nordiſche Eſel, welchen unſere Abbildung ſo hübſch wiedergibt, iſt, wie allbekannt, ein träger, eigenſinniger, oft ſtörriſcher Geſell, welcher allgemein, wenn auch mit Unrecht, als Sinnbild der Einfalt und Dummheit gilt. Der ſüd -366Einhufer. Der zahme Eſel.liche Eſel dagegen, zumal der egyptiſche, iſt ein ſchönes, lebendiges, außerordentlich fleißiges und ausdauerndes Geſchöpf, welches in ſeinen Leiſtungen gar nicht weit hinter dem Pferde zurückſteht, ja es in mancher Hinſicht noch übertrifft. Jhn behandelt man aber auch mit weit größerer Sorgfalt, als den unſrigen. Jn vielen Gegenden des Morgenlands hält man die beſten Raſſen ſo rein, wie die des edelſten Pferdes, füttert die Thiere ſehr gut, plagt ſie in der Jugend nicht zuviel und kann deshalb von den erwachſenen große Dienſte verlangen, welche unſer Eſel gar nicht zu leiſten im Stande wäre. Man hat vollkommen Recht, viel Sorgfalt auf die Zucht des Eſels zu verwenden;

Der zahme Eſel (Asinus vulgaris).

denn er iſt dort Hausthier im vollſten Sinne des Wortes: er findet ſich im Palaſt des Reichſten, wie in der Hütte des Aermſten; er iſt der unentbehrlichſte Diener, welchen der Südländer kennt. Schon in Griechenland und Spanien trifft man ſehr ſchöne Eſel an, obgleich ſie noch immer weit hinter den im Morgenlande und zumal in Perſien und Egypten gebräuchlichen zurückſtehen. Der griechiſche und ſpaniſche Eſel kommen einem Maulthiere an Größe gleich; denn ihre Schulterhöhe übertrifft gewöhn - lich 5 Fuß. Jhr Haar iſt glatt und weich, die Mähne ziemlich, die Schwanzquaſte verhältnißmäßig ſehr lang; die Ohren ſind lang, aber fein gebaut, die Augen glänzend. Jhre große Ausdauer, ein leichter, fördernder Gang und ein ſanfter Galopp ſtempeln dieſe Eſel zu unübertrefflichen Reiſe -367Der zahme Eſel.thieren. Manche Arten gehen einen natürlichen Paß, ſo z. B. die größten von allen, welche ich je geſehen habe, die ſogenannten ſpaniſchen Kohleneſel, welche hauptſächlich benutzt werden, Kohlen von den Gebirgen herab nach dem Süden zu bringen. Neben dem großen Eſel findet man auch in Grie - chenland und Spanien kleinere; ſie ſind aber ebenfalls viel feiner gebaut und weicher, zierlicher be - haart, als die unſrigen.

Noch weit ſchöner, als dieſe trefflichen Thiere, ſind die arabiſchen Eſel, zumal diejenigen, welche in Jemen gezogen werden. Es gibt zwei Raſſen, eine große, muthige, raſche, zum Reiſen höchſt geeignete, und eine kleinere, ſchwächere, welche gewöhnlich zum Laſttragen benutzt wird. Der große Eſel iſt wahrſcheinlich durch Kreuzung mit dem Kulan und ſeinen Nachkommen veredelt worden. Ganz ähnliche Raſſen finden ſich in Perſien und Egypten, wo man ſehr viel Geld für einen guten Eſel ausgibt. Ein allen Auforderungen entſprechender Reiteſel ſteht höher im Preis, als ein mittel - mäßiges Pferd, und es iſt gar nicht ſelten, daß man 400 bis 500 Thaler unſeres Geldes für ihn ausgibt. Die beſte Raſſe befindet ſich nur in den Händen der Vornehmſten des Landes. Sie iſt von der Größe eines gewöhnlichen Maulthieres und dieſem bis auf die langen Ohren täuſchend ähn - lich. Ein feiner Bau und ein glattes, weiches Haar zeichnet ſie beſonders aus. Der gewöhnliche Eſel, welcher ſich in Jedermanns Händen befindet, iſt von Mittelgröße, aber dennoch von ausgezeich - neter Güte. Er iſt fleißig, äußerſt genügſam und ſehr ausdauernd. Während der Nacht bekommt er ſein Hauptfutter, harte Bohnen, welche er mit lautem Geräuſch zermalmt; bei Tage empfängt er nur dann und wann ein Bündel friſchen Klees oder eine Hand voll Bohnen, dabei muß er tüchtig arbeiten.

Etwas Nutzbareres und Braveres von einer Kreatur, wie dieſer Eſel, ſagt Bogumil Goltz, iſt nicht denkbar. Der größte Kerl wirft ſich auf ein Exemplar, das oft nicht größer, als ein Kalb von ſechs Wochen iſt, und ſetzt es in Galopp. Dieſe ſchwach gebauten Thiere gehen einen trefflichen Paß; wo ſie aber die Kraft hernehmen, ſtundenlang einen ausgewachſenen Menſchen ſelbſt bei großer Hitze im Trabe und Galopp herumzuſchleppen, das ſcheint mir faſt über die Natur hinaus in die Eſelmyſterien zu gehen, welche auch noch ihren Eſel-Sue bekommen müſſen, wenn Gerechtigkeit in der Weltgeſchichte iſt.

Man verſchneidet den Reiteſeln das Haar ſehr ſorgſam und kurz am ganzen Körper, während man es an den Schenkeln in ſeiner vollen Länge ſtehen läßt; dort werden dann noch allerlei Figuren und Schnörkel eingeſchnitten, und die Thiere erhalten dadurch ein ganz eigenthümliches Ausſehen.

Jm Jnnern Afrikas, wo das nützliche Geſchöpf ebenſo häufig als Hausthier gehalten wird, wie in den nördlichen Ländern Afrikas und den öſtlichen Theilen Aſiens, ſieht man wenig edle Eſel, und auch dieſe werden erſt aus Jemen oder Egypten eingeführt. Der im Oſtſudahn gewöhnliche ſteht dem egyptiſchen in jeder Hinſicht nach. Er iſt kleiner, ſchwächlicher, fauler und ſtörriſcher, dem Sudaneſen aber ein ſehr theurer Gegenſtand, obgleich er ihn halb verhungern oder ſich ſelbſt Futter ſuchen läßt. Ungeachtet dieſer Freiheit verwildert der Eſel hier jedoch nicht, wie an anderen Orten.

Jn früheren Zeiten traf man halb verwilderte Eſel auf einigen Jnſeln des griechiſchen Archipels und auf der Jnſel Sardinien an, und heutzutage noch findet man ſie im ſüdlichen Amerika. Solche der Zucht des Menſchen entronnene Eſel nehmen bald alle Sitten ihrer wilden Vorfahren an. Der Hengſt bildet ſich ſeine Herden, kämpft mit anderen auf Tod und Leben, iſt ſcheu, wachſam, vorſichtig und läßt ſich nicht ſo leicht dem Willen des Menſchen wieder unterwerfen. Auch in Südamerika waren dieſe Wildlinge früher weit häufiger, als gegenwärtig, wo ſie ſchon faſt ganz verſchwunden ſind.

Durch Vorſtehendes iſt der Verbreitungskreis des Eſels bereits angedeutet worden. Der öſtliche Theil Border - und Mittelaſiens, das nördliche und öſtliche Afrika, Süd - und Mitteleuropa und end - lich Südamerika ſind die Landſtriche, wo er am beſten gedeiht. Je trockener das Land, um ſo wohler befindet er ſich. Feuchtigkeit und Kälte verträgt er weniger, als das Pferd. Deshalb findet man in Perſien, Syrien, Egypten, in der Berberei und Südeuropa die ſchönſten, in dem regenreichen Mittel - afrika oder in unſeren doch ſchon an die Grenzen ſeines Verbreitungsgebietes heranreichenden Ländern368Einhufer. Der zahme Eſel.aber die ſchlechteſten Eſel. Freilich wird er in Mitteleuropa und im Jnnern Afrikas auch am ſchlech - teſten behandelt und am meiſten vernachläſſigt, während man ihn in den Ländern des nördlichen Afrikas und in Aſien wenigſtens durch Kreuzung zu veredeln ſucht. Eine gute Behandlung wird auch im Morgenlande nur den werthvollen Eſeln zu Theil; die übrigen führen faſt ein ebenſo trauriges Leben, als die unſrigen. Der Spanier z. B. putzt ſeinen Eſel wohl mit allerlei Quaſten und Roſetten, bunten Halsbändern, hübſchen Satteldecken und dergleichen, behauptet auch, daß ſein Grauthier ſich noch einmal ſo ſtolz trage, wenn es im Schmuck ginge, ſich alſo an der Aufmerkſamkeit ſeines Herrn gar ſehr ergötze, behandelt ſeinen armen vierbeinigen Diener aber überaus ſchlecht, läßt ihn hungern, arbeiten und prügelt ihn dennoch auf das Unbarmherzigſte. Auch der gewöhnliche egyptiſche Eſel hat nicht etwa ein beneidenswerthes Loos. Er iſt Jedermanns Sklave und Jedermanns Narr. Jm ganzen Morgenlande fällt es Niemandem ein, zu Fuß zu gehen; ſogar der Bettler hat gewöhnlich ſeinen Eſel: er reitet auf ihm bis zu dem Orte, wo er ſich Almoſen erbitten will, läßt den Eſel, wie er ſich ausdrückt, auf Gottes Grund und Boden weiden und reitet Abends auf ihm wieder nach Hauſe.

Nirgends dürfte die Eſelreiterei ſo im Schwunge ſein, als in Egypten. Hier ſind die willigen Thiere in allen größeren Städten geradezu unentbehrlich zur Bequemlichkeit des Lebens. Man ge - braucht ſie, wie man unſere Lohnkutſchen verwendet, und deshalb gilt es auch durchaus nicht für eine Schande, ſich ihrer zu bedienen. Bei der Enge der Straßen jener Städte ſind ſie allein geeignet, die nothwendigen Wege abzukürzen und zu erleichtern. Daher ſieht man ſie in Kairo z. B. überall in dem ununterbrochenen Menſchenſtrome, welcher ſich durch die Straßen wälzt. Die Eſeltreiber Kairos bil - den einen eigenen Stand, eine förmliche Kaſte, ſie gehören zu der Stadt, wie die Minarets und die Palmen. Sie ſind den Einheimiſchen, wie den Fremden unentbehrlich; ſie ſind es, denen man jeden Tag zu danken hat, und welche jeden Tag die Galle in Aufregung zu bringen wiſſen. Es iſt eine wahre Luft und ein wahrer Jammer, ſagt der Kleinſtädter in Egypten, mit dieſen Eſelsjungen umzugehen. Man kann nicht einig mit ihnen werden, ſoll man ſie für gutmüthiger oder bösartiger, ſtörriſcher oder dienſtwilliger, träger oder lebhafter, verſchmitzter oder unverſchämter halten: ſie ſind ein Quirl von allen möglichen Eigenſchaften. Der Reiſende begegnet ihnen, ſobald er in Alexandrien ſeinen Fuß an die Küſte ſetzt. Auf jedem belebten Platze ſtehen ſie mit ihren Thieren von Sonnenauf - bis Sonnenuntergang. Die Ankunft eines Dampfſchiffes iſt für ſie ein Ereigniß; denn es gilt jetzt, den in ihren Augen Unwiſſenden, bezüglich Dummen, zu erkämpfen. Der Fremde wird zunächſt in drei bis vier Sprachen angeredet, und wehe ihm, wenn er engliſche Laute hören läßt. Dann entſteht um den Geldmann eine Prügelei, bis der Reiſende das Klügſte thut, was er thun kann, nämlich auf gut Glück einen der Eſel beſteigt und ſich von dem Jungen nach dem erſten beſten Gaſthauſe ſchaffen läßt. So ſtellen ſie ſich zuerſt dar; aber erſt wenn man der arabiſchen Sprache kundig iſt und ſtatt des Kauderwelſches von drei bis vier durch ſie gemißhandelten Sprachen in ihrer Zunge mit ihnen reden kann, lernt man ſie kennen. Es iſt überaus ergötzlich, ihre Redensarten, vor allem aber die ihren Thieren geſpendeten Lobeserhebungen mit anzuhören.

Sieh, Herr, ſagt der Eine, dieſen Dampfwagen von einem Eſel, wie ich ihn Dir anbiete, und vergleiche mit ihm die übrigen, welche die anderen Knaben Dir anpreiſen! Sie müſſen unter Dir zuſammenbrechen; denn es ſind erbärmliche Geſchöpfe, und Du biſt ein ſtarker Mann! Aber der meinige! Jhm iſt es eine Kleinigkeit, mit Dir wie eine Gazelle davon zu laufen. Das iſt ein Kahiriner Eſel, ſagt der Andere; ſein Großvater war ein Gazellenbock und ſeine Ururmutter ein wildes Pferd. Ei, du Kahiriner, lauf und beſtätige dem Herrn meine Worte! Mache deinen Eltern keine Schande, geh an im Namen Gottes, meine Gazelle, meine Schwalbe!

Der Dritte ſucht beide womöglich noch zu überbieten, und in dieſem Tone geht es fort, bis man endlich eines der Thiere beſtiegen hat. Das wird nun durch unnachahmliches Zucken, Schlagen oder durch Stöße, Stiche und Schläge des an dem einen Ende zugeſpitzten Treibſtockes in Galopp gebracht, und hinterher hetzt der Knabe, rufend, ſchreiend, anſpornend, plaudernd, ſeine Lungen mißhandelnd,369Der zahme Eſel.wie den Eſel vor ihm. Sieh Dich vor, Herr! Dein Rücken, Dein Fuß, Deine rechte Seite iſt ge - fährdet! Nimm Dich in Acht, Deine linke Seite, Deinen Kopf! Paſſe auf! ein Kamel, ein Maul - thier, ein Eſel, ein Pferd! Bewahre Dein Geſicht, Deine Hand! Weich aus, Freund! Laß mich und meinen Herrn vorbei! Schmähe meinen Eſel nicht, Du Lump; der iſt mehr werth, als Dein Ur - großvater war. Verzeih, Gebieter, daß Du geſtoßen wurdeſt. Dieſe und hundert andere Redens - arten umſurren beſtändig das Ohr des Reiſenden. So jagt man zwiſchen allen den Gefahr bringen - den Thieren und Reitern, zwiſchen Straßenkarren, laſttragenden Kamelen, Wagen und Fußgängern durch, und der Eſel verliert keinen Augenblick ſeine Luſt, ſeine Willfährigkeit, läßt ſich gar nicht erhalten, ſondern ſtürmt dahin in einem höchſt angenehmen Galopp, bis das Ziel erreicht iſt. Kairo iſt die hohe Schule für alle Eſel. Hier erſt lernt man dieſes vortreffliche Thier kennen, ſchätzen, achten, lieben.

Auf unſeren Eſel freilich ſind Oken’s Worte vollkommen anzuwenden: Der zahme Eſel iſt durch die lange Mißhandlung ſo herunter gekommen, daß er ſeinen Stammeltern faſt gar nicht mehr gleicht. Er bleibt nicht blos viel kleiner, ſondern hat auch eine mattere aſchgraue Farbe und längere, ſchlaffe Ohren. Der Muth hat ſich bei ihm in Widerſpenſtigkeit verwandelt, die Hurtigkeit in Langſamkeit, die Lebhaftigkeit in Trägheit, die Klugheit zur Dummheit, die Liebe zur Freiheit in Ge - duld, der Muth in Ertragung der Prügel.

Jhn meint auch Scheitlin in ſeiner trefflichen Thierſeelenkunde.

Der zahme Eſel iſt eher geſcheidt, als dumm; nur iſt ſeine Geſcheidtheit nicht ſo gutmüthig, als die des Pferdes, iſt mehr Tücke und Schlauheit und drückt ſich am ſtärkſten durch Eigenwillen oder Eigenſinn aus. Jung, obſchon von einer Sklavin geboren, iſt er ſehr munter, und liebt poſſirliche Sprünge, wie alle Kindheit, ahnt, wie auch das Menſchenkind, ſein vielleicht gräßliches, trauriges Schickſal nicht. Jſt er erwachſen, ſo muß er ziehen und tragen und läßt ſich gut dazu abrichten, was auf Verſtändniß deutet; denn er muß in den Willen eines anderen Weſens, in den eines Menſchen treten. Das Kalb iſt hierzu niemals verſtändig genug, und ſogar das Pferdefüllen merkt anfänglich nicht, was man eigentlich mit ihm will. Wie geduldig aber auch der Eſel ſeine große Laſt trägt, er trägt ſie doch nicht gern; denn ſobald er entlaſtet worden, trollt er ſich gern auf dem Boden herum und ſchreit ſein ſchreckliches Geſchrei heraus. Es muß ihm ein muſikaliſcher Sinn völlig mangeln. Seine Ohren deuten wirklich etwas Beſonderes an.

Sein Schritt iſt außerordentlich ſicher. Etwa ein Mal will er ſchlechterdings mit dem Wagen nicht von der Stelle, und etwa ein Mal nimmt er Reißans. Man muß immer auf ſeine Ohren ſehen; denn er ſpielt fleißig mit ihnen und drückt ſeine Gedanken und Vorſätze durch ſie, wie das Pferd, aus. Daß er die Prügel verachtet und kaum durch ſie angetrieben wird, deutet einerſeits auf Eigenſinn, andererſeits auf ſeine harte Haut. Seinen Wärter kennt er wohl; davon aber, daß er Anhänglichkeit an ihn, wie die Pferde, gewinne, iſt nicht die Rede. Doch läuft er auf ihn zu und bezeigt einige geringe Freude. Auffallend iſt an ihm die Empfindlichkeit für die erſt von fern herannahende Wit - terung; er hängt entweder den Kopf, oder er macht muntere Sprünge.

Wir können die Ehre des Eſels noch vollkommen retten, weil wir ſagen können, daß er zu ſehr Vielem, wozu man ſonſt nur das Pferd abgerichtet ſieht, ebenfalls eingeſchult werden kann. Manche Kinder lernen ſchwer, aber gründlich und auf die Dauer; ſo der Eſel. Man gibt Wettrennen mit ihm; man lehrt ihn durch Reife ſpringen und Kanonen ablöſen. Er ſpringt gut und ſicher und iſt ganz unerſchrocken. Er paßt auf ſeines Herrn Auge und Wort und verſteht beide wohl. Darum kann man ihn auch tanzen lehren, ſich im Takte bewegen und Thüren öffnen, wobei er ſein Maul wie eine Hand gebraucht, Treppen auf - und abſteigen und die ſchönſte, älteſte, verliebteſte Perſon, die Zeit an einer vorgehaltenen Taſchenuhr, die Zahl der Augen auf einer Karte oder einem Würfel durch Schläge mit dem Fuße auf den Boden angeben und auf jede Frage ſeines Herrn mit Kopfſchütteln oder Kopfnicken oder Ja und Nein antworten.

Brehm, Thierleben. II. 24370Einhufer. Der zahme Eſel.

Sein Geſichtsausdruck iſt ſehr ausgezeichnet und nur höchſt ſelten durch den Pinſel wiederge - geben worden. Faſt immer vergißt man in den Bildern das eigentlich Eſelige. Seine Kopfform iſt der des Pferdes ſehr ähnlich, aber ſein Blick von jenem des Roſſes bedeutend verſchieden.

Alle Sinne des zahmen Eſels ſind gut entwickelt. Obenan ſteht das Gehör, hierauf folgt das Geſicht und dann der Geruch; Gefühl ſcheint er wenig zu haben, und der Geſchmack iſt wohl auch nicht beſonders ausgebildet, ſonſt würde er ſicher begehrender, anſpruchsvoller ſein, als das Pferd. Seine geiſtigen Fähigkeiten ſind, wie uns ſchon Scheitlin lehrte, nicht ſo gering, als man gewöhnlich an - nimmt. Er beſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und findet jeden Weg, welchen er einmal gemacht hat, wieder auf; er iſt, ſo dumm er ausſieht, manchmal doch recht ſchlau und liſtig, auch keineswegs be - ſtändig ſo gutmüthig, als man meint. Manchmal zeigt er ſogar recht abſcheuliche Tücke. Er bleibt plötzlich auf dem Wege ſtehen, läßt ſich ſelbſt durch Schläge nicht zwingen, wirft ſich wohl auch mit der Ladung auf die Erde, beißt und ſchlägt. Manche Naturforſcher meinen, daß ſein empfindliches Gehör an allem Dieſen Urſache ſei, daß ihn jeder Lärm betäube und erſchrecke, obgleich er ſonſt nicht eben furchtſam, ſondern nur launiſch iſt. Aeußerſt ſonderbar benimmt ſich der Eſel in Gegen - den, wo es Raubthiere gibt, welche ihm gefährlich werden können. Es iſt eine wahre Luſt oder ein wahrer Jammer, wie man will, auf einem Eſel oder Maulthiere durch eines der engen Ge - birgsthäler von Habeſch zu reiten. Ueberall wittert das Langohr Gefahr. Es dreht und richtet ſich nach allen Seiten, neigt ſich bedeutſam einem Felsblocke zu, welcher einen guten Hinterhalt ab - geben könnte, verſucht ſogar mit ein paar kühnen Drehungen das ganze oberhalb liegende Gelände abzuhorchen, richtet ſich plötzlich ſteif in die Höhe und lauſcht angſtvoll nach einer Seite hin, kurz, hat hunderttauſend Bedenken. Kommt nun gar noch der Geruch dem Gehör zu Hilfe, dann iſt es vollends vorbei mit der Seelenruhe des edlen Reitthieres. Es will nicht von der Stelle. Gerade da, wo es ſteht, iſt vielleicht in voriger Nacht das Schauderhafte geſchehen, daß ein Löwe, ein Leopard, eine Hiäne, ein anderes greuliches, zur höchſten Vorſicht mahnendes Raubthier über den Weg gegangen iſt! Der Eſel ſchnoppert, äugt, lauſcht; die Ohren drehen ſich förmlich auf dem Kopfe herum; er geht nicht vom Flecke, bis endlich einer der Leute ihm vorausgeht. Dann folgt er, denn er iſt ſchlau genug, einzuſehen, daß dieſer wahrſcheinlich der Erſte ſein würde, welcher in den Krallen des grimmigen Raubthieres verbluten muß, und geht alſo innerlich beruhigt weiter. Auf ſeinen Reiſen kann der Eſel keinen ſeiner Sinne entbehren. Bindet man ihm die Augen zu, ſo bleibt er augenblicklich ſtehen, verhüllt oder verſtopft man ihm das Ohr, nicht minder, erſt wenn er im vollen Gebrauch ſeiner Sinne iſt, geht er weiter. Nur ſeine Verliebtheit läßt ihn Alles überwinden: wir konnten einen alten, blinden Eſel, welcher beſtimmt war, oben auf der Höhe eines ſpaniſchen Berges den Geiern zur Mahlzeit zu dienen, nur dadurch auf den Berg brin - gen, daß wir eine Eſelin vor ihm herführten! Jetzt leitete ihn der Geruchsſinn, und er folgte ſeiner Freundin mit großem Eifer nach.

Der Eſel iſt, wie allbekannt, außerordentlich genügſam, er begnügt ſich mit der ſchlechteſten Nah - rung, mit dem kärglichſten Futter. Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Abſcheu verrathendem Schnauben liegen läßt und das Pferd unwillig verſchmäht, ſind ihm noch Lecker - biſſen: er nimmt ja mit Diſteln, dornigen Sträuchern und Kräutern vorlieb. Blos in der Wahl des Getränkes iſt er ſorgſam; denn er rührt kein Waſſer an, welches trübe iſt; ſalzig, brakig darf es, rein muß es ſein. Jn Wüſten hat man oft ſehr große Noth mit dem Eſel, weil er, allen Durſtes ungeachtet, nicht von dem trüben Schlauchwaſſer trinken will.

Bei uns fällt die Roßzeit des Eſels in die letzten Frühlings - und erſten Sommermonate; im Süden iſt er eigentlich das ganze Jahr hindurch brünſtig. Der Hengſt erklärt der Eſelin mit dem ohrzerreißenden, wohlbekannten J a, J a ſeine Liebe, und hängt den langgezogenen, fünf bis zehn Mal wiederholten Tönen noch ein ganzes Dutzend ſchnaubender Seufzer an. Solche Liebes - bewerbung iſt unwiderſtehlich; ſie äußert ſelbſt auf alle Nebenbuhler ihre Macht. Man muß nur in einem Lande gelebt haben, wo es viele Eſel gibt, um Dies zu erfahren. Sobald da eine Eſelin ihre371Das Maulthier. Der Mauleſel.Stimme hören läßt, welch ein Aufruhr unter der geſammten Eſelei! Der nächſtſtehende Hengſt fühlt ſich überaus geſchmeichelt, Derjenige zu ſein, welcher die für ihn ſo zarten Töne ſofort pflicht - ſchuldigſt beantworten darf, und brüllt aus Leibeskräften los. Ein zweiter, dritter, vierter, zehnter fällt ein: endlich brüllen alle, alle, alle, und man möchte taub oder halb verrückt werden über ihre Ausdauer. Ob dieſes Mitſchreien auf zartem Mitgefühl oder nur in der Luſt am Schreien ſelbſt beruht, wage ich nicht zu entſcheiden; ſoviel aber iſt ſicher, daß Ein Eſel alle übrigen zum Brüllen anregen kann. Die vorhin beſchriebenen Eſelbuben Kairos, denen die Stimme ihrer Brodthiere viel Vergnügen zu machen ſcheint, wecken das geſittete Ohren ſo fürch - terlich rührende J a einfach dadurch, daß ſie die erſten Töne jenes unnachahmlichen, kurz - geſtoßenen Ji, Ji, Ji , welches dem Hauptinhalte der Eſelrede vorausgeht, nachahmen; dann übernimmt ſchon einer der Eſel die Mühe, die freudige Erregung weiter fortzupflanzen.

Etwa elf Monate nach der Paarung gewöhnlich nimmt man einen Zeitraum von 290 Tagen an wirft die Eſelin ein (höchſt ſelten auch zwei) vollkommen ausgebildetes, ſehendes Junge, leckt es mit großer Zärtlichkeit ab und bietet ihm ſchon eine halbe Stunde nach ſeiner Geburt das Euter dar. Nach 5 bis 6 Monaten kann das Fohlen entwöhnt werden; aber es folgt noch lange ſeiner Mutter auf allen Wegen nach. Es verlangt auch in der zarteſten Jugend keine beſondere Wartung oder Pflege, ſondern begnügt ſich, wie es ſeine Eltern thun, mit jeder Nahrung, welche ihm gereicht wird. Gegen Witterungseinflüſſe iſt es wenig empfindlich, und daher erkrankt es auch nicht ſo leicht. Es iſt ein überaus munteres, lebhaftes Thier, welches ſeinen Muthwillen und die innere Fröhlich - keit ſeines Herzens durch die poſſirlichſten Sprünge und Bewegungen zu erkennen gibt. Jedem anderen Eſel geht es mit großer Freude entgegen; aber auch an den Menſchen gewöhnt es ſich. Wenn man es von der Mutter trennen will, gibt es auf beiden Seiten große Noth. Mutter wie Kind widerſetzen ſich und geben, wenn ihnen Dies nicht hilft, ihren Schmerz und ihre Sehnſucht noch tagelang durch Schreien oder wenigſtens durch große Unruhe zu erkennen. Bei Gefahr verthei - digt die Alte ihre Kinder mit Muth, und gibt ſich ſelbſt lieber preis, achtet ſogar Feuer und Waſſer nicht, wenn es gilt, ihren Liebling zu ſchützen. Schon im zweiten Jahre iſt der Eſel er - wachſen; aber erſt im dritten Jahre erreicht er ſeine volle Kraft. Er kann, auch wenn er tüchtig arbeiten muß, ein ziemlich hohes Alter erlangen: man kennt Beiſpiele, daß Eſel 40, 50, ja ſelbſt 56 Jahre alt wurden.

Schon ſeit alten Zeiten hat man Pferd und Eſel mit einander gepaart und durch ſolche Kren - zung Baſtarde erhalten, welche man Maulthiere nennt, wenn der Vater, Mauleſel aber, wenn die Mutter ein Pferd war. Beide haben in ihrer Geſtalt mehr von der Mutter, als vom Vater, in ihrem Weſen aber mehr von dieſem, als von jener ererbt.

Das Maulthier (Asinus vulgaris Mulus) kommt an Größe faſt dem Pferde gleich und iſt ihm auch ähnlich gebildet, aber durch die Form des Kopfes, die Länge der Ohren, den an der Wurzel kurz behaarten Schwanz, die ſchmächtigen Schenkel und die ſchmaleren Hufe, welche an den Eſel erinnern, unterſchieden. Jn der Färbung ähnelt es regelmäßig der Mutter. Es röhrt, wie ſein Herr Vater.

Der Mauleſel (Asinus vulgaris Hinnus) behält die unanſehnliche Geſtalt und die geringe Größe ſeiner Mutter, empfängt vom Pferde nur den dünneren und längeren Kopf, die längeren Ohren, die volleren Schenkel, den ſeiner ganzen Länge nach behaarten Schwanz und die wiehernde Stimme, von ſeiner Mutter hingegen, außer der Geſtalt auch die Trägheit. Er iſt alſo ein weit weniger nutzbares Geſchöpf, als jenes.

Pferde und Eſel kreuzen ſich niemals freiwillig, und deshalb bedarf die Maulthierzucht immer der menſchlichen Beihilfe. Gerade unter den Pferden und Eſeln, welche in größerer Freiheit leben,24*372Einhufer. Das Maulthier. Der Mauleſel.hat man einen Haß zwiſchen beiden beobachtet, welcher bis zu erbitterten Kämpfen ausartet. Die Kreuzung bedarf manchfaltiger Vorbereitung und beſonderer Kunſtgriffe. Der Eſelhengſt paart ſich leicht mit der Stute, nicht ſo aber dieſe mit ihm oder der Hengſt mit der Eſelin. Gewöhnlich ver - bindet man der Stute, welche durch einen Eſel beſchlagen werden ſoll, die Augen, damit ſie den ihr aufgedrungenen Liebhaber nicht ſehen kann, auch führt man ihr erſt ein ſchönes Pferd vor und vertauſcht dieſes dann mit dem Eſel. Mit dem Pferdeheugſt muß man Daſſelbe thun, was man mit der Stute that. Weit leichter gelingt es, Pferd und Eſel zur Paarung zu bringen, wenn man beide von Jugend auf an einander gewöhnt, alſo zuſammen aufgezogen hat. Hierdurch ver - lieren die Thiere einen guten Theil der natürlichen Abneigung. Bereits die alten Römer ſorgten dafür, daß Eſel und Pferde, welche zur Maulthierzucht benutzt werden ſollten, ununterbrochen bei - ſammen lebten; die Spanier und Südamerikaner wenden dieſes Verfahren noch heute an. Man gibt die jungen Eſelsfohlen wenige Tage, nachdem ſie geboren ſind, ſäugenden Pferdeſtuten bei, deren Mutterliebe in den meiſten Fällen bald alle Abneigung gegen das aufgedrungene Pflegekind beſiegt. Zwiſchen der Alten und dem Säugling bildet ſich nach kurzer Zeit eine große Anhänglichkeit aus; ja, es kann ſoweit gehen, daß der junge Eſel gegen ſeines Gleichen einen größeren Widerwillen zeigt, als gegen Pferde. Jn Südamerika gibt es Eſelhengſte, welche durchaus nicht mehr zu einer Paarung mit Eſelinnen zu bringen ſind.

Eigenthümlich iſt das Benehmen dieſer von Pferden bemutterten Eſelhengſte. Die Südameri - kaner überlaſſen die Eſelinnen auf den ausgedehnten Weiden einzig und allein der Führung ihrer Hengſte, und dieſe üben auch das ihnen übertragene Amt mit der größten Gewiſſenhaftigkeit aus. Nicht ſo thun jene. Sie werden bald faul und lauſen anſtatt der Herde voran, hinter den Stuten her, gleichſam als wollten ſie ſich noch jetzt bemuttern laſſen. Man iſt deshalb gezwungen, die zur Maulthierzucht beſtimmten Pferdeſtuten von unvollkommen verſchnittenen Pferdehengſten führen zu laſſen.

Eine der nothwendigſten Bedingungen zur Maulthierzucht iſt beſondere Pflege der trächtigen Pferde - und Eſelſtuten; denn die Natur rächt ſich wegen der gewaltſamen Eingriffe in ihre Geſetze. Gerade bei den durch Eſel beſchlagenen Pferdeſtuten oder umgekehrt bei den durch Pferde belegten Eſelinnen kommen Fehlgeburten am häuſigſten vor. Die Pferdeſtute trägt das Maulthier etwas länger, als ihr eigenes Fohlen; das neugeborene Maulthier ſteht aber viel eher auf den Beinen, als das junge Pferd; auch währt die Zeit ſeines Wachsthums länger, als beim Pferde. Unter vier Jahren darf man kein Maulthier zur Arbeit anhalten; dafür währt ſeine Kraft jedoch regelmäßig bis in das zwanzigſte und dreißigſte, nicht ſelten ſogar bis in das vierzigſte Jahr. Ein Reiſender berichtet von einem Maulthiere, welches 52 Jahr alt wurde, und ein römiſcher Schriftſteller erzählt, daß eins in Athen ſogar ein Alter von 80 Jahren erreichte.

Wegen der größeren Nutzbarkeit züchtet man faſt ausſchließlich Maulthiere. Nur in Spanien und Abiſſinien habe ich Mauleſel geſehen; hier ſchien es gar keine Maulthiere zu geben. Das Maulthier vereinigt die Vorzüge ſeiner beiden Eltern in ſich. Seine Genügſamkeit und Ausdauer, ſein ſanfter, ſicherer Tritt ſind Erbtheile des Eſels, ſeine Kraft und ſein Muth ein Geſchenk ſeiner Mutter. Jn allen Gebirgsländern hält man die Maulthiere für ganz unentbehrlich; in Südamerika ſind ſie Daſſelbe, was dem Araber die Kamele ſind. Ein gutes Maulthier trägt ein Laſt von 300 Pfund und legt mit ihr täglich 6 bis 7 Meilen zurück. Dabei bemerkt man ſelbſt nach längerer Reiſe kaum eine Abnahme der Kräfte, auch wenn das Futter nur ſpärlich und ſo ſchlecht iſt, daß ein Pferd es gar nicht genießen würde. Dazu kommt, daß ſich der Reiter mit vollſter Zuver - ſicht dem ſicheren Thiere auch auf den ſchwierigſten Pfaden anvertrauen kann. Jn Spanien wendet man das Maulthier allgemein zum Ziehen an, und zahlt gern dieſelben Summen für ein Paar guter Mulas , welche ein paar Pferde koſten. Der Spanier iſt ſtolz auf ſein Maulthier und putzt es mit allerlei Flitterwerk, namentlich mit rothen Quaſten und Schnüren, bunten Satteldecken u. dgl. beſtmöglichſt heraus; er behandelt es jedoch nur ſelten gut. Zwar wird es ordentlich abgewartet,373Das Maulthier. Der Mauleſel.bekommt gehörig zu freſſen und zu trinken; dafür aber muthet man ihm beinahe Unmögliches zu, und beſtraft es hart mit Prügeln, Steinwürfen, auch wohl mit Meſſerſtichen, wenn es den Wünſchen des Herrn nicht augenblicklich nachkommt. Eine Reiſe mit dem ſpaniſchen Eilwagen iſt eine wahre Höllenfahrt. Fünf Paar Maulthiere werden hinter einander geſpannt; auf dem vorderſten Sattel - thier ſitzt der Vorreiter, hinten auf dem Bock der Kutſcher mit einer fürchterlichen Peitſche, und neben ihm noch ein beſonderer Maulthiertreiber, welcher einen tüchtigen Knüttel führt. Jedes Maulthier hat ſeinen beſonderen Namen erhalten, und der Teufel iſt ihm bei ſeiner Taufe ſo gründlich ausgetrieben worden, daß auch dem eifrigſten Pfaffen Nichts mehr zu wünſchen übrig bleiben dürfte. Das zum Poſtdienſt beſtimmte Thier wird feſt an einen Pfahl gebunden, und außerdem noch durch einen ſtarken Mann gehalten. Ein zweiter Sachverſtändiger führt eine un - geheure Peitſche in der Hand und prügelt nun plötzlich auf das arme, unſchuldige Geſchöpf los, ihm dabei aus voller Kehle den beſtimmten Namen ins Ohr ſchreiend. Nach etwa einer Viertelſtunde führt man den Täufling ab und gibt ihm gut zu freſſen; die nächſten Tage aber beginnt die Lehre von neuem, und gewöhnlich hat erſt am achten oder zehnten Tage das Maulthier dem Teufel und all ſeinem Weſen und Wirken entſagt d. h. ſich der Abſicht ſeiner Peiniger gefügt. Wenn es fortan ſeinen Namen hört, gedenkt es der greulichen Prügel, legt die Ohren zurück und beginnt zu laufen.

Die Namen, welche man den Maulthieren verleiht, ſtehen in keinem Kalender und ſind je nach den Provinzen verſchieden: Francés (Franzoſe), Jngles (Engländer), Generala (Gene - ralin), Coronela (Oberſtin), Valeroſa (Muthige), Platera (Silberne), ſcheinen ſehr beliebt zu ſein.

Noch in der neueſten Zeit iſt wiederholt behauptet worden, daß Maulthier oder Mauleſel unfruchtbar ſeien. Dies iſt jedoch nicht immer der Fall. Schon ſeit den älteſten Zeiten ſind Bei - ſpiele bekannt, daß die Blendlinge zwiſchen Eſel und Pferd wiederum Junge erzeugten; weil man aber ſolch eine ungewöhnliche Sache als ein Hexenwerk oder ein unheildrohendes Ereigniß betrachtete, ſind ſolche Fälle oft verſchwiegen worden. Bekanntlich wird die Maulthierzucht gerade da am eif - rigſten betrieben, wo die Herren Pfaffen noch die meiſte Macht ausüben, oder was Daſſelbe ſagen will, wo ſie noch mit vollem Eifer der Bildung und Geſittung entgegenwirken können. Aus dieſen Ländern erfährt man, wie leicht erklärlich, ſehr wenig Naturwiſſenſchaftliches, und deshalb können wir bisjetzt auch nur von einigen Beiſpielen reden, welche die Fruchtbarkeit ſolcher Baſtarde beſtätigen. Der erſte bekannte Fall ereignete ſich in Rom im Jahre 1527; ſpäter erfuhr man von zwei Fällen in St. Domingo. Jn Valencia in Spanien wurde im Jahr 1762 eine ſchöne braune Maulthierſtute mit einem prächtigen grauen Andaluſier gekreuzt und warf nach der üblichen Tragzeit im folgenden Jahre ein ſehr ſchönes, fuchsrothes Fohlen mit ſchwarzer Mähne, welches alle Eigenſchaften der guten, reinen Pferderaſſe zeigte, außerordentlich lebhaft und bereits im Alter von Jahren zum Reiten geeignet war. Dieſelbe Stute warf je zwei Jahre ſpäter ein zweites, drittes, viertes und fünftes Fohlen, welche ſämmtlich von demſelben Hengſt erzeugt wurden und alle von gleicher Schönheit, als das erſte waren. Auch in Oettingen warf eine Maulthierſtute im Jahre 1759 ein männliches, von einem Pferdehengſte erzeugtes Fohlen, welches ſich nur durch die etwas langen Ohren auszeichnete, ſonſt aber einem jungen Pferde vollkommen glich. Ein anderes, von Pferd und Maulthierſtute erzeugtes Fohlen wurde in Schottland geworfen, aber von den bie - deren Landleuten, welche das Thier für ein Ungeheuer erklärten, ſofort getödtet. Aus der neueren Zeit liegen ebenfalls mehrere Beobachtungen vor, welche die Fortpflanzungsfähigkeit des Maul - thieres außer allen Zweifel ſtellen.

Ein alter lateiniſcher Schriftſteller erzählt, daß Caracalla im Jahre 211 unſerer Zeit - rechnung in Rom neben Tiger, Elefant und Nashorn auch einen Hippotigris auftreten374Einhufer. Das Quagga.ließ und eigenhändig tödtete. Daß jener Schriftſteller mit der Bezeichnung Tigerpferd nur eine Art der afrikaniſchen geſtreiften Wildpferde meinen konnte, dürfte ſchwerlich bezweifelt werden, und der Engländer H. Smith hat ſomit Recht, wenn er jenen Namen zur Bezeichnung einer Sippe oder richtiger einer Gruppe der Pferdefamilie anwendet.

Die Tigerpferde ähneln, was ihre Geſtalt anlangt, ebenſoſehr den Roſſen, wie den Eſeln. Jhr Leib iſt gedrungen, der Hals ſtark, der Kopf ein Mittelding zwiſchen Pferde - und Eſelkopf; die Ohren ſind ziemlich lang, aber dabei breit; die Haare der aufrechtſtehenden Mähne ſind nicht ſo hart und dick, wie beim Pferde, aber doch weniger weich und minder biegſam, als beim Eſel; der

Das Quagga (Hippotigris Quagga).

Schwanz iſt gegen das Ende hin lang behaart; die Sohlen des Fußes ſind vorn eiförmig, hinten faſt viereckig. Alle bisjetzt bekannten Arten ſind wenigſtens theilweiſe geſtreift. Ausgezeichnet ſcharfe Sinne, großer Muth, ja ſogar eine gewiſſe Wildheit, welche die Zähmung äußerſt ſchwierig macht, Beweglichkeit und Genügſamkeit ſind ihnen eigen. Geſellig, wie alle übrigen Pferde, bilden ſie große Herden; allein die Bedeutung der Hengſte ſcheint bei ihnen nur eine untergeordnete zu ſein. Die ſüdliche Hälfte Afrikas iſt ihre Heimat, über den Gleicher herüber geht vielleicht nur eine Art. Sie leben auf den Gebirgen und in den Ebenen; doch ſcheint jede Art ein beſonderes Gebiet zu be - vorzugen.

Lebras.
375Das Quagga. Der Dauw. Das Zebra oder Bergpferd.

Man unterſcheidet mit Sicherheit drei Tigerpferde; es iſt aber nicht ausgemacht, ob es nicht noch mehrere gibt. Einige Reiſende beſchreiben hierher gehörige Pferde, welche ſich ſehr auffallend von den uns bekannten unterſcheiden.

Das Quagga (Hippotigris Quagga) dürfen wir als das erſte Mitglied der Gruppe obenan - ſtellen; es iſt auch am wenigſten geſtreift. Jn ſeiner Geſtalt nähert es ſich mehr dem Pferde, als dem Eſel. Der Leib iſt ſehr wohlgebildet, der Kopf mittelgroß und zierlich; die Ohren ſind kurz, die Beine kräftig. Längs des ganzen Halſes erhebt ſich eine kurze und gerade Mähne, wie ſie das leichte Pferd trägt, der Schwanz iſt von der Wurzel an behaart, der Schweif länger, als bei allen übrigen Tigerpferden, jedoch bedeutend kürzer, als beim Pferde. Jn der übrigen Behaarung ähnelt das Quagga dem letzteren ebenfalls: das Haar iſt kurz und liegt glatt am Leibe an. Ein am Kopfe dunkleres, auf dem Rücken, dem Kreuz und den Seiten helleres Braun iſt die Grund - farbe des Felles; der Bauch, die Jnnenſeiten der Schenkel und die Schwanzhaare ſind rein weiß. Ueber Kopf, Hals und Schultern verlaufen graulichweiße, in das Röthliche ziehende Streifen, welche auf der Stirn und den Schläfen der Länge nach gerichtet und gedrängt, auf den Wangen aber der Quere nach und etwas weiter aus einander geſtellt ſind. Zwiſchen den Augen und dem Munde bil - den ſie ein Dreieck. Auf dem Halſe zählt man zehn ſolcher Binden, welche ſich auch in der Mähne zeigen, auf den Schultern vier und auf dem Leibe noch einige, welche, je weiter ſie nach hinten zu ſtehen, um ſo kürzer und bläſſer werden. Längs des ganzen Rückens zieht ſich eine ſchwärzlichbraune, zu beiden Seiten röthlichgrau beſäumte Binde bis auf den Schwanz herab. Die Ohren ſind innen mit weißen Haaren beſetzt, außen gelblichweiß, einmal dunkelbraun gebändert. Beide Geſchlechter ſind ſich ſehr ähnlich, nur iſt das Weibchen etwas kleiner und ſein Schweif kürzer. Das erwachſene Männchen wird 6 Fuß 3 Zoll und mit dem Schwanze 8 Fuß 6 Zoll lang; die Höhe am Widerriſt beträgt gegen 4 Fuß.

Burchell’s Tigerpferd oder der Dauw (Hippotigris Burchellii) iſt als ein Mittelglied zwiſchen Quagga und Zebra anzuſehen, ähnelt dieſem letzteren aber mehr, als jenem, und wurde deshalb auch lange Zeit mit ihm verwechſelt. Es iſt kaum kleiner, als das Quagga, über 8 Fuß lang, am Widerriſt faſt 4 Fuß und am Kreuze volle 4 Fuß hoch, beſitzt einen runden Leib mit ſehr gewölbtem Nacken, ſtarke Füße und eine aufrechtſtehende, kammartige, fünf Zoll hohe Mähne, einen dem Quagga ähnlichen oder pferdeartigen, faſt bis zur Wurzel behaarten, ziemlich langen Schwanz, und ſchmale, mittellange Ohren. Das weiche, glattanliegende Haar iſt iſabellfarben, unten weiß. Vierzehn ſchmale, ſchwarze Streifen entſpringen an den Naſenlöchern; ſieben von ihnen wenden ſich auswärts und vereinigen ſich mit ebenſovielen, von oben herabkommenden; die übrigen verlaufen ſchief längs der Wangen und verbinden ſich mit denen des Unterkiefers; einer umringt das Auge. Längs der Mitte des Rückens verläuft ein ſchwarzer, weiß eingefaßter Streifen, über den Hals hin - weg zehn breite, ſchwarze, manchmal getheilte Binden, zwiſchen welchen ſich ſchmale braune ein - ſchieben; die letzte Binde ſpaltet ſich nach unten und nimmt drei oder vier andere auf. Die Binden umringen den ganzen Leib, nicht aber auch über die Beine; denn dieſe ſind einfarbig weiß.

Das Zebra oder Bergpferd (Hippotigris Zebra) endlich, welches etwa die gleiche Größe hat, iſt am ganzen Leibe geſtreift und hierdurch leicht von dem Dauw zu unterſcheiden. Bei genauerer Unterſuchung ergeben ſich übrigens noch andere Kennzeichen. Es hat in ſeinem Leibesbau weniger Aehnlichkeit mit dem Pferde, als vielmehr mit dem Eſel, und zwar vorzugsweiſe mit dem Oſchig - getai. Der Leib iſt voll und kräftig, der Hals gebogen, der Kopf kurz, die Schnauze wulſtig, die Füße ſind ſchlank und gut gebaut, der Schwanz iſt mittellang, und ſeiner größten Länge nach kurz und nur gegen das Ende hin lang behaart, alſo dem Eſelſchwanze ähnlich; die Mähne iſt dicht, aber ſehr kurz. Auf weißer oder hellgelblicher Grundfarbe verlaufen von der Schnauze an bis zu den Hufen Querbänder von glänzendſchwarzer oder rothbrauner Farbe; nur die Hinterſeite des Bauches376Einhufer. Burchell’s Tigerpferd.und die Jnnenſeite der Oberbeine ſind nicht gebändert. Der dunkelbraunſchwarze Längsſtreifen über dem Rücken iſt ebenfalls vorhanden, ja, längs des Unterleibes verläuft ein zweiter.

Wahrſcheinlich war es das Zebra, welches den Europäern am erſten bekannt wurde. Ob der Hippotigris, welchen Caracalla tödtete, gerade dieſe Art war, läßt ſich nicht behaupten, und auch ein ſpäterer Berichterſtatter, Philoſtorgius, welcher um das Jahr 425 ſchrieb und von großen, wilden, geſchäckten Eſeln ſpricht, gibt nur eine ungenügende Beſchreibung des betreffen - den Thieres. Die erſten genaueren Nachrichten erhalten wir durch die Portugieſen, welche nach

Burchell’s Tigerpferd (Hippotigris Burchellii).

ihrer Anſiedelung in Oſtafrika die Tigerpferde und zunächſt das Zebra kennen lernten. Jm Jahre 1666 brachte ein Geſandter aus Aethiopien das erſte wahre Zebra als Geſchenk für den Sultan nach Kairo. Später berichten Kolbe, Sparrmann, Levaillant, Lichtenſtein und Burchell über das Freileben, und in der neueren Zeit von Cuvier an alle ſorgfältigeren Beobachter über das Ge - fangenleben der Tigerpferde. Jch verſuche hier, aus den mir bekannten Angaben das Wichtigſte zuſammenzuſtellen.

Heimat und Aufenthaltsorte der ſich ſo nahe verwandten Thiere ſind verſchieden. Das Quagga findet ſich nur im Süden Afrikas, und zwar in Ebenen, Burchell’s Pferd, welches377Burchell’s Tigerpferd.ähnliche Gegenden bewohnt, reicht weiter nach Norden herab, wahrſcheinlich bis in die Steppen zwiſchen dem Gleicher und dem zehnten oder zwölften Grade nördlicher Breite; das Zebra endlich lebt ausſchließlich in Gebirgsgegenden des ſüdlichen und öſtlichen Afrika vom Kap bis nach Abiſ - ſinien hin.

Alle drei Arten halten in ziemlich ſtarken Herden zuſammen. Die Reiſenden ſahen ſie zu zehn, zwanzig, dreißig Stücken vereinigt; ältere Beobachter ſprechen auch von Herden, welche ihrer 80 bis 100 zählten. Jmmer ſieht man jede einzelne Art für ſich allein; nicht einmal das Quagga und der Dauw, welche nicht nur die gleichen Länder, ſondern auch die gleichen Gegenden bewohnen, vereinigen ſich. Vielleicht fürchtet ein Tigerpferd das andere; denn vor anderen Thieren ſcheut es ſich nicht. So geben alle genaueren Beobachter übereinſtimmend an, daß man zwiſchen den Quagga - herden faſt regelmäßig Spring - und Buntböcke, Gnus und Strauße findet; zumal die letz - teren ſollen die beſtändigen Begleiter der Pferde ſein, jedenfalls deshalb, weil dieſe aus der Wach - ſamkeit und Vorſicht jener Rieſenvögel den beſten Vortheil zu ziehen wiſſen. Derartige Freund - ſchaften gewiſſer Thiere mit ſcheueren, klügeren ſind gar nichts Seltenes; unter der Klaſſe der Vögel kommen ſie ſehr häufig vor. Die wachſamſten Mitglieder ſolcher gemiſchten Geſellſchaften geben dann immer den Ton an; ſolange ſie ſich ruhig verhalten, bekümmert ſich das ganze übrige Heer um nichts Anderes, als um ihre Ernährung oder ihren Zeitvertreib; ſobald jene aber ſtutzig werden, erregen ſie die Aufmerkſamkeit der Geſammtheit, und wenn ſie die Flucht ergreifen, folgt Alles ihnen nach. Bisjetzt hat man nur bei dem Quagga dieſe Freundſchaften beobachtet; doch iſt es gar nicht unwahr - ſcheinlich, daß auch die übrigen Arten den Warnungen anderer Thiere folgen, und ſie als ihre Hüter und Wächter betrachten. Gewöhnlich laufen die alten und jungen Tigerpferde mit einander; zuweilen aber, wahrſcheinlich um die Zeit der Paarung, ſind alte und junge getrennt.

Alle Tigerpferde ſind ungemein ſchnelle, flüchtige Thiere. Sie jagen mit Windeseile dahin, über die Ebene ſowohl, als über die Berge; denn das Zebra klettert vortrefflich. Jhre Scheu und Wachſamkeit iſt ſehr groß. Bei annähernder Gefahr ergreifen ſie im ſchnellſten Trabe die Flucht, und gewöhnlich ſind ſie nach wenigen Minuten aller Verfolgung entrückt. Ein gutes Jagdpferd ver - mag ſie auf günſtigem Boden einzuholen, doch immer nur nach längerer Hatze. Man erzählt, daß die jungen Quaggas, wenn es dem Verfolger gelingt, mit dem Pferde in die Herde zu ſprengen und die Fohlen von den Müttern zu trennen, ſich willig gefangen geben und zugleich dem Pferde nachfolgen, wie früher der eigenen Mutter. Es ſcheint überhaupt zwiſchen den Tiger - pferden und den einhufigen Hausthieren eine gewiſſe Freundſchaft zu beſtehen: das Quagga wenig - ſtens folgt gar nicht ſelten dem Vieh der Reiſenden und weidet ruhig unter ihm. Jn ihrer Nahrung ſind die Tigerpferde nicht beſonders wähleriſch; doch beſitzen ſie nicht die Anſpruchsloſigkeit der Eſel. Jhre reiche Heimat bietet ihnen faſt das ganze Jahr hindurch genug zu ihrem Unterhalte, und wenn die Nahrung an einem Orte ausgeht, ſuchen ſie andere günſtige Stellen auf. So unternimmt das Dauw, wie die übrigen in Herden lebenden Thiere Südafrikas, zeitweilige Wanderungen, wenn die Trockenheit in jenen wüſtenartigen Strecken, welche ſeinen bevorzugten Aufenthalt ausmachten, alles Grün vernichtet hat. Man hat mehrfach beobachtet, daß es dann im Freien mit verſchiedenen Antilopen das bebaute Land beſucht und, plündernd und raubend, den Anſiedlern läſtig wird. Mit der beginnenden Regenzeit verläßt es jedoch freiwillig die bewohnten Gegenden, in denen es ſo viele Verfolgungen oder wenigſtens Störungen erleiden muß, und wendet ſich wieder ſeinen alten Weideplätzen zu. Die Stimme der Tigerpferde erinnert noch einigermaßen an das Wiehern des Pferdes und auch an das Röhren des Eſels, iſt aber von beiden doch ſehr verſchieden. Nach der Cuvier’ſchen Beſchreibung ſtößt das Quagga wohl zwanzig Mal hinter einander die Silben Oa, Oa aus, andere Reiſende geben ſie durch Qua, Qua oder Quaha wieder, und erklären uns hierdurch zugleich den hottentottiſchen Namen. Ueber die Stimme des Dauw finde ich keine Angabe; ich ſelbſt aber habe die Thiere nur kurze Zeit beobachten und eigene Erfahrungen nicht ſam - meln können.

378Einhufer. Die Tigerpferde.

Alle Sinne der Tigerpferde ſind ſcharf. Dem Ohr entgeht nicht das geringſte Geräuſch; das Auge läßt ſich nur äußerſt ſelten täuſchen. Jn ihrem geiſtigen Weſen ſtehen ſich ſämmtliche Arten ziemlich gleich. Ein unbegrenzter Hang zur Freiheit, eine gewiſſe Wildheit, ja ſelbſt Tücke, und ein großer Muth iſt allen gemein. Tapfer wehren ſie ſich mit Ausſchlagen und Beißen gegen die Angriffe der Raubthiere. Die Hiänen laſſen ſie wohlweislich in Ruhe. Vielleicht gelingt es nur dem gewaltigen Löwen, ſich eines Tigerpferdes zu bemächtigen; der freche Leopard ſtürzt ſich wohl nur auf ſchwächere, weil erwachſene ihn durch Wälzen auf dem Boden abſchütteln und durch Ausſchlagen und Beißen vertreiben dürften. Der ſchlimmſte Feind iſt auch für die Tigerpferde der Menſch. Die Schwierigkeit der Jagd und das ſchöne Fell der Thiere, welches vielfach Verwen - dung findet, ſpornt die Europäer zur Verfolgung des im ganzen ſehr unſchädlichen Wildes an. Manche Anſiedler im Vorgebirge der guten Hoffnung jagen Quagga und Dauw mit großer Leiden - ſchaftlichkeit, aber auch die Abiſſinier ſcheinen den bei ihnen vorkommenden Tigerpferden (Zebra und Dauw) eifrig nachzuſtellen, weil die Vornehmen den Hals ihrer Pferde gern mit Franſen ſchmücken, welche aus der bunten Mähne jener wilden Verwandten des Roſſes zuſammengeſetzt ſind. Die Euro - päer erlegen die Tigerpferde mit der Kugel, die Eingeborenen mit dem Wurfſper; häufiger aber werden die ſchmucken Thiere in Fallgruben gefangen und nachher mit leichter Mühe getödtet oder für die Gefangenſchaft beſtimmt. Man hält in den Anſiedelungen am Kap gern Tigerpferde lebendig, theils um ſich an ihrer Schönheit zu erfreuen, theils aber auch ihres Muthes wegen. Jung auf - gezogene Quaggas werden bald leidlich zahm und dienen dann als vortreffliche Hüter der zahmen Einhufer: ſie übernehmen bereitwillig den Schutz derſelben auf der Weide und halten von ihnen wenigſtens die doch immer ziemlich ſchädlichen Hiänen fern.

Soviel man bisjetzt beobachtet hat, läßt ſich das Quagga noch am leichteſten zähmen; Bur - chell’s Pferd iſt ſchon wilder, und das Zebra hat lange Zeit für ganz unzähmbar gegolten. Quaggas ſind mehrere Male zum Ziehen und Tragen abgerichtet worden. Jn der Anſiedelung am Kap ſieht man gar nicht ſelten Quaggas unter den Zugpferden, und in England hatte Sherif Parkins ein Paar dieſer ſchönen Thiere ſoweit gebracht, daß er ſie vor einen leichten Wagen ſpannen und mit ihnen ganz wie mit Pferden umherfahren konnte. Andere Verſuche ſind freilich nicht ſo günſtig ausgefallen. Cuvier erzählt von einem gefangenen Quagga, welches ſich bisweilen nahe kommen und ſelbſt ſtreicheln ließ, aber ehe man ſich’s verſah, wüthend ausſchlug und ſeinen Pfleger auch noch mit Biſſen bedrohte. Wenn man es aus einem Pferch in den anderen führen wollte, wurde es wüthend, fiel auf die Knie und zerbiß mit den Zähnen Alles, was es erreichen konnte. Der Dauw kann ebenfalls ohne Schwierigkeit bis zu einem gewiſſen Grade gezähmt werden, und Nachkommen von ihm, welche in der Gefangenſchaft geboren und ſorgfältig erzogen wurden, laſſen ſich, wie A. Geoffroy St. Hilaire neuerdings berichtet, abrichten, mancherlei Dienſte zu leiſten, und thun dieſe auch recht willig. Etwas anders verhält ſich die Sache mit dem Zebra. Sparrmann erzählt von dem erſten Verſuche, welchen ein reicher Anſiedler am Kap anſtellte. Der gute Mann hatte einige jung ein - gefangene Zebras aufziehen laſſen und ſchien mit ihrem Verhalten auch zufrieden zu ſein. Eines ſchönen Tages kam er auf den Gedanken, die hübſchen Hausthiere vor ſeinen Wagen zu ſpannen. Er ſelbſt nahm die Zügel und fuhr mit den Rennern davon. Die Fahrt mußte ſehr raſch gegangen ſein; denn nach geraumer Zeit fand ſich der glückliche Zebrabeſitzer in dem gewohnten Stalle ſeiner Thiere wieder, und ſeinen Wagen zerſchellt neben ihm. Einen zweiten Verſuch hat Fitzinger aufge - zeichnet. Ein junges Zebra war in ſeiner Jugend ſorgfältig gewartet, ſpäter aber wieder vernach - läſſigt worden, und ſo änderte ſich denn auch ſeine frühere Sanftmuth und Gelehrigkeit in große Falſchheit um. Dennoch wollte ein kühner Reiter es verſuchen, dieſes Thier zu bändigen. Kaum hatte er ſich auf den Rücken deſſelben geſchwungen, ſo ſchlug es mit großem Ungeſtüm mit den Hinterbeinen aus, ſtürzte zuſammen und blieb mit dem Reiter auf dem Boden liegen. Plötzlich raffte es ſich wieder auf, ſprang von einem hohen Flußufer ins Waſſer und ſchüttelte in ihm den Reiter ab; doch dieſer hielt ſich am Zügel feſt und wurde von dem Zebra, welches dem Ufer zu -379Die Tigerpferde.ſchwamm, wieder glücklich auf das feſte Land gezogen. Hier aber empfing er eine Belehrung von den Anſichten ſeines Reitthieres, welche er höchſt wahrſcheinlich nie wieder vergeſſen hat. Das Zebra wandte ſich plötzlich um, fuhr mit dem Kopfe nach dem Geſicht ſeines Bändigers und biß ihm raſch ein Ohr ab!

Dieſe und ähnliche andere Verſuche haben die Anſiedler am Kap ſtutzig und ſie glauben ge - macht, daß die Zähmung der Tigerpferde ganz unmöglich wäre: alle verſtändigen Beobachter aber zweifeln gar nicht daran, daß wir doch noch die bunten Pferde mit der Zeit zu unſerem Dienſte verwenden werden. Der Engländer Barrow behauptet, daß der Erfolg ſicher ſein müſſe, wenn man mit mehr Geduld und Umſicht, als die holländiſchen Bauern am Kap, zu Werke gehen und nicht vergeſſen wolle, daß ein von Natur ſtolzes und muthiges Thier eine andere Behandlung ver - langt, als ein furchtſames, daß jenes durch Schläge und Mißhandlungen wohl zum hartnäckigſten Widerſtande, nicht aber zur demüthigen Unterwerfung gebracht werden könne. Allerdings iſt die Zähmung nicht ſo leicht: ſie iſt aber möglich. Dem berühmten Pferdebändiger Rarey haben die Zebras ungleich mehr Mühe gemacht, als die wildeſten Pferde: allein ſeine Bemühungen wurden zuletzt doch von Erfolg gekrönt. Auch Cuvier berichtet von einer Zebraſtute des pariſer Pflan - zengartens, welche höchſt gelehrig und ſo ſanft war, daß man ſie reiten konnte. Die großartigen Anſtalten der Neuzeit für Einführung und Einbürgerung nützlicher Thiere geben uns ganz andere Hilfsmittel zur Hand, als unſere Vorfahren ſie beſaßen. Man wird in den Thiergärten mehr und mehr Tigerpferde züchten, und bei den in der Gefangenſchaft geborenen Nachkommen ſchon Halbge - zähmter ſicherlich Das erreichen, was man bei den wilden friſchgefangenen vergeblich anſtrebte.

Soviel man bisjetzt beobachtet hat, ertragen alle Tigerpferde die Gefangenſchaft in Europa ohne Beſchwerde. Wenn ſie ihr gutes Futter erhalten, befinden ſie ſich wohl, und wenn man ſie gut behandelt, pflanzen ſie ſich wohl ohne beſondere Umſtände fort. Weinland hat in der früher von ihm herausgegebenen Zeitſchrift Der zoologiſche Garten eine Zuſammenſtellung der Thiere gegeben, welche in der Gefangenſchaft Nachkommen erzeugten. Dieſer wichtigen Liſte entnehme ich, daß Burchell’s Tigerpferd ſeit 1833 bereits ſechs Mal, das Zebra wenigſtens zwei Mal bei uns Junge geworfen hat. Zugleich erſehen wir, daß Tigerpferde ſich fruchtbar mit anderen Einhufern vermiſchen. Schon Buffon erklärte ſolche Kreuzungen für möglich; die von ihm angeſtellten Ver - ſuche blieben aber erfolglos. Lord Clive wiederholte ſie und war glücklicher: er hatte die Zebra - ſtute mit einem zebraartig angemalten Eſelhengſt zuſammengebracht. Später erhielt man in Paris ohne alle derartige Vorbereitung von einem ſpaniſchen Eſel und einer Zebraſtute einen wohlgebildeten Blendling, welcher leider dem Vater mehr ähnelte, als der Mutter, und ſich zudem höchſt ungelehrig erwies. Jn Jtalien kreuzten ſich Eſel und Zebra im Jahre 1801, in Schönbrunn beide Thiere zwei Mal in den vierziger Jahren; leider blieben dieſe Baſtarde nicht lange am Leben. Später dehnte man die Kreuzungen noch weiter aus, und ſo hat man bisjetzt ſchon folgende Blendlinge erhalten: Zebra mit Eſelin, Eſelhengſt mit Zebra, Halbeſel mit Zebraſtute, Halbeſel mit Quagga und mit Eſelin, Baſtard von Zebra und Eſelſtute und Baſtard von Eſel und Zebraſtute mit einem Pony. Es iſt alſo auch die Möglichkeit bewieſen, daß Baſtarde wiederum fruchtbar ſich ver - miſchen. Die Blendlinge ähnelten gewöhnlich dem Vater; einzelne zeigten jedoch deutliche Zebra - ſtreifen. Ein Dauw - oder Quaggahengſt (die Artbeſtimmung iſt nicht genügend) belegte in Eng - land eine kaſtanienbraune Stute arabiſcher Abkunft, und dieſe warf einen weiblichen Baſtard, wel - cher in ſeiner Geſtalt mehr der Mutter ähnelte, als dem Vater, braun von Farbe war und einen buſchigen Schweif, ein Mittelding zwiſchen Pferdeſchweif und Quaggaſchwanz, beſaß, aber nur wenige Querſtreifen am Halſe, dem Vorderrücken und einem Theile der Vorder - und Hinterbeine zeigte. Dieſer angebliche Quaggabaſtard vermiſchte ſich wieder fruchtbar mit einem arabiſchen Pferdehengſte und erzeugte ein Fohlen, welches wenigſtens noch die kurze aufgerichtete Halsmähne und einige Streifen ſeines Großvaters beſaß. Später ließ man die arabiſche Stute von einem ſchwarzen Hengſt zu drei verſchiedenen Malen belegen, und ſiehe da, alle geworfenen Fohlen waren380Wiederkäuer.mehr oder minder quergeſtreift. Die erſte Paarung mit dem ſo fremdartigen Thiere zeigte alſo noch jetzt ihren Einfluß.

Es unterliegt nach dieſen Verſuchen, welche wir doch noch als ſehr anfängliche bezeichnen müſſen, gar keinem Zweifel mehr, daß alle Einhufer ſich fruchtbar unter einander vermiſchen können, und daß die erzeugten Blendlinge wiederum der Fortpflanzung fähig ſind. Dieſe Thatſache iſt ein großer Gewinn für die Wiſſenſchaft; denn ſie ſtößt den Lehrſatz von den Einpaarlern, welcher zwi - ſchen den Naturforſchern und den Bibelgläubigen ſoviel Streit hervorgerufen, vollſtändig über den Haufen. Wer nach ſolchen Beweiſen noch an die Unumſtößlichkeit des beliebten Lehrſatzes glauben will: Nur reine Arten können ſich fruchtbar unter einander vermiſchen und Junge erzeugen, welche wiederum fruchtbar ſind , mag es thun; der Naturforſcher wird ſich mit einer durch das Gegentheil widerlegten Anſicht nicht mehr befreunden können.

Zwölfte Ordnung. Wiederkäuer (Ruminantia).

Bereits in den einleitenden Worten habe ich das wichtigſte Merkmal der Wiederkäuer, ihren Magen, beſchrieben; hier genügt deshalb eine kurze Schilderung der äußeren Geſtalt und des inneren Leibesbaues zur Kennzeichnung dieſer Thiere.

Die Wiederkäuer oder Zweihufer ſind weit verſchiedene und doch auch wieder innig vereinigte Säuger von außerordentlich ſchwankender Größe; denn ſie umfaſſen Geſtalten vom Rieſen - haften an bis zu dem Kleinen herab. Sie ſind gehörnt oder ungehörnt, ſchöngeſtaltig oder plump gebaut, anmuthig oder häßlich: kurz, eine wechſelvolle Reihe von Formen und Geſtalten tritt uns in ihnen vor das Auge. Jm allgemeinen kann man folgende Merkmale angeben: der Hals iſt lang und ſehr beweglich, der Kopf an der Stirn anſehnlich verbreitert und oft durch Hörner und Ge - weihe, durch große, lebhafte, nicht ſelten ungewöhnlich ſchöne Augen und durch wohlgeſtaltete, auf - gerichtete Ohren geziert; die Lippen ſind beweglich, oft nackt, und faſt immer ſchnurren - oder borſtenlos; der Schwanz erreicht nur ſelten die Ferſe, ſondern verkürzt ſich in den meiſten Fällen; die Beine zeichnen ſich durch Verlängerung der Mittelhand und des Mittelfußes aus; die Füße ſind zweizehig und häufig mit Afterklauen verſehen. Ein kurzes, dichtes, enganliegendes und weiches Haarkleid, welches ſich an Hals und Kinn und Knien, auf dem Rücken und an der Schwanzſpitze zuweilen mähnenartig verlängert, deckt den Körper. Niemals iſt es borſtig, oft aber überaus fein, wollig und kraus. Die Färbung iſt ſo manchfaltig, als ſie überhaupt ſein kann. Sehr über - einſtimmend iſt der Bau der Zähne und des Gerippes. Sechs bis acht Schneidezähne in der unteren Kinnlade, keiner oder nur ſelten zwei in der oberen, kein oder nur ein Eckzahn in jedem Kiefer und drei bis ſechs Backzähne in der oberen, oder vier bis ſechs Backzähne in der unteren bilden das Ge - biß. Die Schneidezähne ſind meiſt ſchaufelförmig und ſcharfſchneidig, die der oberen Kinnlade haben immer eine eckzahnartige Geſtalt. Die Eckzähne ſind kegelförmig und ragen nur bei wenigen aus dem Munde hervor. Die Backzähne beſtehen aus zwei Paaren halbmondförmiger Pfeiler, auf deren Oberfläche Schmelzfalten ſich erheben. Der Schädel iſt geſtreckt und nach der Schnauzenſpitze hin verſchmälert; die Augenhöhlen ſind durch eine vom Stirnbein und dem Jochbein gemeinſchaftlich ge - bildete Knochenbrücke von den Schläfengruben geſchieden; die innere Schädelhöhle iſt von geringem381Wiederkäuer.Umfange. Jn der Wirbelſäule fallen die ungewöhnlich langen, ſchmalen, beweglichen Halswirbel auf. Die Zahl der rippentragenden Wirbel ſchwankt zwiſchen 12 und 15, die der rippenloſen zwi - ſchen 4 und 7, die der Kreuzwirbel zwiſchen 3 und 6, die der Schwanzwirbel zwiſchen 6 und 20; doch herrſchen faſt überall die mittleren Zahlen vor. Die Rippen ſind ſehr breit; das Schulterblatt iſt wenigſtens doppelt ſo hoch, als breit; der Oberarm iſt kurz und dick; die Handwurzel iſt ſchmal und hoch. Mittelhände und Mittelfüße beſtehen aus je einem ſtark verlängerten Knochen, welcher ſich urſprünglich aus zweien zuſammenſetzte. Bei allen Wiederkäuern ohne Ausnahme ſind nur zwei Zehen, die dritte und vierte, vollkommen entwickelt. Der Mund zeichnet ſich durch ſtarke Lippen - muskeln und innen durch zahlreiche Warzen aus; die Speicheldrüſen ſind anſehnlich groß; der Magen beſteht, wie oben angegeben, aus vier verſchiedenen Theilen. Jn dem verhältnißmäßig kleinen Ge - hirn fallen die zahlreichen Windungen auf.

Nicht unwichtig zur Gruppirung und Beſtimmung der Arten ſind die Gehörne und Geweihe, welche die Wiederkäuer tragen. Man unterſcheidet zunächſt zwei größere Gruppen: die ſcheiden - hörnigen und die geweihtragenden Zweihufer. Unter Scheidenhörnern, oder Hörnern ſchlechthin, verſteht man diejenigen Gebilde aus Hornmaſſe, welche, auf einer knochigen Unterlage der ſich fortſetzenden Stirnbeine ruhend, eigentlich nichts Anderes ſind, als eine hornige Schale, und welche niemals erneuert werden, ſondern bei dem fortgeſetzten Wachsthum nur an Größe zunehmen; Geweihe dagegen heißen Hörner, welche nur auf kurzen Erhöhungen der Stirnbeine ſitzen, durchaus aus feſter Knochenmaſſe beſtehen und ſich mit zunehmenden Alter bis zu einem gewiſſen Grade mehr und mehr veräſteln. Dieſe Geweihe werden alljährlich abgeworfen und nach Verlauf von einigen Monaten durch neue erſetzt. Jn der Regel tragen ſie blos die männlichen Thiere, während die Gehörne beiden Geſchlechtern gemeinſam zu ſein pflegen. Die Hufe ändern in ihrer Geſtalt und Größe vielfach ab. Manche ſind lang und ſchmal, andere breiter, dieſe ſcharfrandig, jene nach unten hin abge - rundet u. ſ. w.

Die Wiederkäuer bewohnen mit Ausnahme Neuhollands alle Erdtheile. Eine ſehr regelmäßige Verbreitung der Hauptgruppen iſt nicht zu verkennen. Am verbreitetſten ſind die Stiere und Hirſche, am beſchränkteſten die Girafen. Dieſe, das Kamel und die Antilopen, ſind vorzugsweiſe afrikaniſch, die Hirſche dagegen gehören anderen Erdtheilen an, die Böcke, Schafe und Stiere fehlen in Süd - amerika, die Moſchusthiere ſind nur in Afrika und auf den ſüdaſiatiſchen Jnſeln heimiſch.

Faſt alle Wiederkäuer ſind ſcheue, flüchtige, friedliche Thiere; ſie ſind leiblich ſehr wohl aus - gerüſtet, geiſtig beſchränkt. Viele leben in Herden, alle in Geſellſchaften. Die einen bewohnen das Gebirge, die anderen die Ebenen; keine einzige Art lebt eigentlich im Waſſer, wohl aber ziehen einige Sumpfniederungen den trockenen Ebenen vor. Jhre Nahrung beſteht ausſchließlich aus Pflanzen. Dieſe lieben Gras, Blätter, Kräuter, junge Triebe und Wurzeln, jene mehr Körner und Flechten. Das Weibchen wirft gewöhnlich nur ein Junges, ſeltener deren zwei, und blos aus - nahmsweiſe drei. Die meiſten Wiederkäuer nützen ebenſowohl gezähmt, als im wilden Zuſtande mehr, als ſie ſchaden, wenn auch einzelne Arten da, wo der Anbau des Bodens eine gewiſſe Höhe erreicht hat, nicht mehr geduldet werden können. Von den wildlebenden, wie von den zahmen wird Fleiſch und Fell, Horn und Haar aufs vielſeitigſte verwendet: die Wiederkäuer liefern, wie bekannt, den größten Theil unſerer Kleidung. Jm gezähmten Zuſtande zeigen ſie ſich zwar nicht klug, aber ſehr folgſam, geduldig und genügſam, und werden deshalb dem Menſchen geradezu unentbehrlich. Blos von den drei Familien der Moſchusthiere, Girafen und Antilopen iſt bisjetzt noch kein Glied als Hausthier verwendet worden; von den übrigen hat ſich der Menſch das eine oder das andere Mit - glied zu ſeinem Diener und Sklaven gemacht. Alle wildlebenden bilden einen Hauptgegenſtand der Jagd und ſind deshalb wahrhaft königlicher Ehren theilhaftig. Die Wiederkäuer erſchienen in der Tertiärzeit auf unſerer Erde, und zwar ſo ziemlich in den noch gegenwärtig lebenden Formen, ob - wohl in beſchränkterer Verbreitung.

382Die Kamele.

Fitzinger zerfällt die Ordnung in acht Familien: in die Kamele, die Moſchusthiere, die Hirſche, die Girafen, die Antilopen, die Ziegen, die Schafe und die Rinder. Andere Naturforſcher nehmen blos drei große Familien an, indem ſie die ungehörnten, gehörnten und geweihtragenden Wiederkäuer unterſcheiden; noch Andere bilden vier Familien: die Kamele, Gi - rafen, die hirſchartigen und die ſcheidenhörnigen. Mir erſcheint aber die Fitzinger’ſche Eintheilung ihrer beſſeren Ueberſichtlichkeit wegen die zweckmäßigſte, und deshalb behalte ich ſie bei.

Die Familie der Schwielenſohler oder Kamele (Tylopoda) kennzeichnet ſich durch die ſchwieligen Sohlen, den Mangel der Hörner und Afterklauen, die geſpaltenen Oberlippen und den Zahnbau. Hinſichtlich des letzteren weichen die Kamele von allen übrigen Familien ab durch den Beſitz von zwei (in der früheſten Jugend ſogar vier oder ſechs) Schneidezähnen in der Oberlinnlade und Eckzähnen, während ſie in der unteren Kinnlade nur ſechs Schneidezähne tragen. Die Hufe ſind ſehr klein und eigentlich blos Zehennägel an den ſchwieligen Sohlen. Der Magen erſcheint gleichſam verkümmert; er iſt nur dreitheilig, weil der Blättermagen ſo klein iſt, daß er mit zu dem Laubmagen gezählt werden kann.

Die Kamele ſind große Thiere mit langem Hals, geſtrecktem Kopf, in den Weichen eingezo - genem Rumpf und zottigem, faſt wolligen Fell; die Halswirbel ſind ſehr anſehnlich lang und faſt ohne Dornen, die Rippen breit, die Knochen der Beine ſehr kräftig.

Die Heimat der Thiere iſt auf Nordafrika, Mittelaſien und Südweſtamerika beſchränkt. Die wenigen Arten ſind in der alten Welt gänzlich, in der neuen theilweiſe zu Hausthieren geworden. Dieſe bewohnen das Hochgebirge bis zu zehntauſend Fuß über dem Meeresſpiegel, jene befinden ſich nur in den heißen, trockenen Ebenen wohl. Gräſer und Kräuter, Baumblätter, Zweige, Diſteln - und Dornengebüſche bilden ihre Nahrung. Sie ſind genügſam in hohem Grade und können lange hungern und dürſten. Jhr Gang iſt ein Paß, d. h. ſie ſchreiten mit beiden Füßen einer Seite faſt zugleich aus; deshalb iſt ihr Lauf nicht ſchön, ſondern ſchwankend und ſcheinbar unbeholfen: er för - dert aber vortrefflich. Alle leben in Herden oder lieben wenigſtens die Geſellſchaft. Jhr geiſtiges Weſen ſteht auf ziemlich tiefer Stufe. Mit Unrecht gelten ſie als ſanfte, gutmüthige und geduldige Thiere: ſie ſind im Gegentheil dumm und im hohen Grade boshaft, obwohl ſie ſich mit einer ge - wiſſen Entſagung leicht unter das Joch des Menſchen beugen laſſen und ſeine Herrſchaft anerkennen. Das Weibchen wirft nur ein einziges Junge und pflegt dieſes mit vieler Liebe. Die Familie enthält blos zwei Sippen: die eigentlichen Kamele und die Lamas.

Erſtere (Camelus) zeichnen ſich durch ihre bedeutende Größe und einen oder zwei Rückenhöcker aus, beſitzen auch einen Backzahn mehr in jeder Reihe, als die letzteren. Jhre Geſtalt iſt unſchön und nament - lich der Kopf auffallend häßlich. Das Haarkleid iſt ſehr ungleich, an einigen Stellen verlängert, im ganzen aber wollig; an der Bruſt, am Ellenbogen, an den Knien und Knöcheln finden ſich ſchwie - lige Stellen. Man kennt zwei Arten, von denen die eine vorzugsweiſe Afrika, die andere Aſien bewohnt. Dieſe ſind das Dromedar und das Trampelthier.

Mein langjähriges Wanderleben hat mich mit dem Dromedar ſo genau bekannt gemacht, daß ich auch aus eigener Anſchauung über daſſelbe ſprechen kann. Jch weiß im voraus, daß meine Schilderung den meiſten meiner Leſer wenig behagen wird; denn ich habe die Beſchreibung des liebenswürdigen Wüſtenſchiffes ſchon einmal gegeben und bin von Vielen hart angegangen worden, weil ich die Anſichten zerſtörte, welche Einer oder der Andere ſich von dieſem Thier gebildet hatte. Aber trotz dieſer Einſprache, die mir zu Gunſten des Kamels geworden, muß ich bei meiner früher ausge - ſprochenen Anſicht verharren. Das Kamel iſt unzweifelhaft das nützlichſte aller Hausthiere in Afrika: aber es iſt das unliebenswürdigſte, dümmſte, ſtörriſchſte und ungemüthlichſte Geſchöpf,383Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.welches man ſich denken kann. Seinen ganzen Ruhm dankt es ſeiner leiblichen Befähigung; die geiſtigen Eigenſchaften hat noch nicht einmal ein Araber gerühmt, obgleich Hunderte ſeines Volkes ohne dieſes Thier nicht leben könnten. Doch ich will meine eben ausgeſprochene Anſicht durch eine möglichſt genaue Beſchreibung zu beſtätigen ſuchen.

Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar (Camelus Dromedarius), der Djem - mel der Araber, iſt ein gewaltiger Wiederkäuer, welcher im Durchſchnitt fünf bis ſieben Fuß Höhe und von der Schnauzenſpitze bis zum Schwanzende ſieben bis neun Fuß Länge erreicht und dabei bis ſechs oder acht Centner ſchwer wird. Obgleich nicht ſo reich an Raſſen, als das Pferd, zeigt doch auch das Kamel ſehr erhebliche Abänderungen. Jm allgemeinen kann man ſagen, daß die Ka - mele der Wüſte und Steppen ſchlanke, hochgewachſene, langbeinige Geſchöpfe, die der fruchtbaren Länder dagegen, namentlich die in Nordafrika einheimiſchen, plumpe, ſchwere Thiere ſind. Zwiſchen einem Biſcharin , oder einer Raſſe, die von einem Biſcharin-Nomaden gezüchtet wird, und dem egyptiſchen Laſtkamel macht ſich ein ebenſogroßer Unterſchied bemerklich, wie zwiſchen einem arabiſchen Roß und einem Karrengaule. Das erſtgenannte Kamel iſt das vorzüglichſte Reitthier, das letztere der kräftigſte Laſtträger unter allen.

Der Araber unterſcheidet wohl zwanzig verſchiedenartige Raſſen der Wüſtenſchiffe; denn es gibt ebenſogut eine Wiſſenſchaft der Kamele, wie eine ſolche der Pferde: man ſpricht auch beim Dromedar von edlen und unedlen Thieren. Unſere Abbildung zeigt uns eines der gewöhnlichen Laſtkamele, welches man ſeinem Adel nach ungefähr mit einem Bauernpferde gleichſtellen kann. Der Leib des Kamels iſt bauchig, in den Weichen ſehr eingezogen und in der Mitte des Rückens mit einem Fetthöcker verunziert. Die Beine ſind lang, aber plump gebaut und namentlich durch die verhältnißmäßig ſchwachen Schenkel und durch die breiten ſchwieligen Hufe ausgezeichnet; der Hals iſt ſehr lang, wird aber faſt nie aufrecht, ſondern in einem flachen Bogen wagrecht getragen; an ihm ſitzt der kleine häßliche Kopf. Da nun auch der Schwanz ein ganz ſonderbares Anhängſel iſt, welches am meiſten an den Schwanz einer Kuh erinnert, erſcheint das ganze Thier eigentlich als eine ſon - derbare Mißgeſtalt.

Wir müſſen die einzelnen Theile wohl etwas genauer betrachten. Der ungehörnte Kopf iſt ziemlich kurz, die Schnauze aber geſtreckt und aufgetrieben, der ſtark erhabene Scheitel gerundet und gewölbt; die Augen ſind groß und von erſchrecklich blödem Ausdruck; die länglichrunde Stirn ſteht wagrecht. Die Ohren ſind ſehr klein, aber beweglich; ſie ſtehen weit hinten am Schädel. Die Ober - lippe überhängt die Unterlippe, welche ihrerſeits aber auch nach unten fällt, gleichſam, als ob die Maſſe den Muskeln zu ſchwer wäre und von ihnen nicht bewältigt werden könnte. Wenn man ein Kamel von vorn anſieht, zeigt ſich der Mund faſt immer geöſſnet und die Raſenlöcher ſeitlich zuſammenge - zogen. Bei ſchneller Bewegung des Thieres ſchwingen die häßlichen Lippen beſtändig auf und nieder, als ob ſie ſich nicht in ihrer Lage erhalten könnten. Am Hinterhaupt befinden ſich eigen - thümliche Abſonderungsdrüſen von ungefähr zwei Zoll Länge und drei Zoll Breite, welche mittelſt zweier Ausführungsgänge unmittelbar auf der Hautoberfläche münden und beſtändig, zur Zeit der Brunſt aber ganz beſonders eine widerwärtig riechende, ſchwarze Flüſſigkeit ausſtrömen laſſen. Der Hals iſt lang, ſeitlich zuſammengedrückt, in der Mitte am dickſten. Der Leib iſt bauchig und eigentlich nach allen Seiten hin zugerundet. Die Rückenlinie ſteigt von dem Halſe an in Bogen nach oben, bis gegen den Widerriſt hin und erhebt ſich dort ſehr ſteil zu der Spitze des Höckers, von wo aus ſie nach hinten wieder jäh abfällt. Der Höcker ſteht aufrecht, wechſelt aber im Lauf des Jahres bedeutend in ſeiner Größe. Je reichlichere Nahrung das Kamel hat, um ſo größer wird ſein Höcker; je dürftiger ihm die Koſt zugemeſſen wird, umſomehr fällt er zuſammen. Bei vollen, gut genährten Thieren hat der Höcker die Geſtalt einer Piramide und nimmt mindeſtens den vierten Theil des Rückens ein, bei recht magern verſchwindet er faſt gänzlich. Zur Regenzeit, welche ſaf - tige Weide bringt, wächſt der während der dürren Hungermonate kaum ſichtbare Höcker erſtaunlich raſch an, und ſein Gewicht kann dann bis auf 30 Pfund ſteigen, während es im Gegentheil auch auf384Die Kamele. Das zweihöckerige Kamel oder das Dromedar.5 bis 6 Pfund herabſinken kann. Die Beine ſind ſchlecht geſtellt, und namentlich die Hinterſchenkel treten faſt ganz aus dem Leibe heraus und vermehren dadurch das wüſte Ausſehen des Thieres. Die ziemlich langen und breiten Zehen werden von der Körperhaut bis gegen die Spitze hin umhüllt und ſcheinen gleichſam an ihr angeheftet zu ſein; ihre Trennung iſt auf der oberen Seite des breiten, ſchwieligen Fußes durch eine tiefe Furche angedeutet; unten iſt der Fuß wie ein Kiſſen gerundet und nur vorn und hinten etwas eingefurcht. Die Fährte, welche das Thier hinterläßt, iſt daher leicht kenntlich; ſie iſt ein länglichrunder Abdruck mit zwei Einſchnürungen und zwei von den Zehen her - rührenden, ſpitzen Ausbuchtungen nach vorn. Der dünn bequaſtete Schwanz reicht bis zum Ferſen - gelenk hinab. Das Haar iſt weich, wollig und auf dem Scheitel, im Nacken, unter der Kehle, an den Schultern und auf dem Höcker gegen das übrige auffallend verlängert, am Schwanzende aber verdickt. Ganz eigenthümlich ſind noch die Schwielen, welche ſich auf der Bruſt, dem Ellenbogen und dem Handgelenk, an Knieen und Ferſengelenk finden und mit dem Alter an Größe und Härte zunehmen. Die Bruſtſchwiele tritt als eigenthümlicher Höcker weit über die andere Haut hervor und bildet eine förmliche Unterlage, auf welcher der Körper ruht, wenn das Thier ſich niederlegt.

Auch die inneren Theile ſind merkwürdig. Das Gebiß beſteht urſprünglich aus vier Vorder - zähnen im Oberkiefer und ſechs im Unterkiefer. Die beiden mittleren Oberkieferzähne fallen aber ſchon ſehr frühzeitig aus und werden nicht wieder erſetzt; deshalb findet man bei älteren Thieren nur zwei Vorderzähne im Oberkiefer, welche nach dem Zahnwechſel durch große, eckzahnartige, kegelförmig zugeſpitzte, gekrümmte erſetzt werden, während im Unterkiefer neue Schneidezähne zum Vorſchein kommen, welche denen des Pferdes auffallend ähneln. Nun ſind noch in jedem Kiefer Eckzähne vorhanden und zwar im Oberkiefer ſolche, welche wegen ihrer Größe und Geſtalt eher an die Reiß - zähne eines ſtarken Raubthieres denken laſſen, als an Gebißtheile eines Wiederkäuers. Auch die Backzähne haben viel Eigenthümliches.

Die Färbung des Kamels iſt eine ſehr unbeſtändige. Am häufigſten findet man allerdings lichtſandfarbene, aber es gibt auch graue, braune und ganz ſchwarze Kamele, oder ſolche mit blaſſen oder lichteren Füßen, niemals aber eigentlich geſcheckte. Die Araber halten alle ſchwarzen Ka - mele für ſchlechtere, werthloſere Thiere, als die lichteren, und pflegen ſie deshalb ſchon in früher Jugend zu ſchlachten. Hierin iſt der Grund zu ſuchen, daß man ſo wenig dunkelfarbige Kamele findet. Jüngere Thiere unterſcheiden ſich von den älteren durch das weiche Wollhaar, welche jene am ganzen Körper deckt; ſowie auch die anmuthige rundere Geſtalt, denn das kantig Häßliche, Eckige der letztern tritt erſt mit dem zunehmenden Alter deutlich hervor.

Gegenwärtig findet man das Dromedar blos in der Gefangenſchaft und zwar in allen nördlich des 12. Grades der Breite gelegenen Ländern Afrikas und des äußerſten Weſten von Aſien. Sein Verbreitungskreis fällt faſt mit dem Wohnkreiſe des arabiſchen Volksſtammes zuſammen. Von Arabien oder Nord-Oſt-Afrika aus verbreitete es ſich nach Weſten hin über Syrien und Kleinaſien und über Perſien bis nach der Bucharei, von wo aus das zweihöckerige Kamel auftritt; von Oſt - Afrika aus reicht es durch die ganze Sahara hindurch, bis an das atlantiſche Meer und von dem Mittelmeere an, bis zu dem erwähnten Grade der Breite. Seine urſprüngliche Heimat ſcheint Arabien geweſen zu ſein; denn im nördlichen Afrika iſt es wahrſcheinlich erſt im dritten oder vierten Jahrhundert unſerer Zeitrechnung eingeführt worden, obwohl es in Egypten bereits zu Moſes Zeiten gut bekannt war. Doch iſt es ſonderbar, daß man auf den egyptiſchen Denkmälern, mit alleiniger Ausnahme der Memnonsſäulen, keine Abbildung dieſes auffallenden Thieres findet, und ebenſowenig erwähnen die römiſchen und griechiſchen Schriftſteller, welche Altegypten bereiſten, des Kamels als einheimiſches Thier. Nach Egypten iſt es alſo wohl erſt mit den Arabern gekommen, und jedenfalls hat es ſich auch durch ſie über Nord-Afrika verbreitet. Jn der Bibel wird es unter dem Namen Gamal ſehr häuſig erwähnt. Hiob hatte dreitauſend, ſpäter ſechstauſend Kamele; die Midianiter und Amalekiter beſaßen ſoviel, als Sand im Meere. Man benutzte ſie ganz wie zu unſerer Zeit. Jhre Zähmung fällt in das vorgeſchichtliche Alterthum; man weiß auch nicht, woher das Thier385Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.eigentlich ſtammt. Ganz wilde oder verwilderte Kamele finden ſich nirgends mehr, weder in Afrika, noch in Aſien.

Das Kamel iſt ein eigentliches Wüſtenthier und befindet ſich blos in den trockenſten und heißeſten Landſtrichen wohl; im angebauten und feuchten Lande verliert es ſein eigentliches Weſen. Jn Egypten hat man wahrſcheinlich durch das reichlichere Futter nach und nach ſehr große und ſchwere Kamele gezogen; aber dieſe haben eine der ſchätzbarſten Eigenſchaften, die Leichtigkeit ihres Ganges, ihre Ausdauer und ihre Enthaltſamkeit verloren und werden deshalb von den Arabern der Wüſte ſehr verachtet. Jn den eigentlichen Tropenländern Afrikas aber, da, wo die Pflanzenwelt ganz das Gepräge der ſüdamerikaniſchen und ſüdaſiatiſchen Wendekreisländer annimmt, gedeiht das Kamel nicht mehr. Vielfache Verſuche, die man gemacht hat, um mit ihm nach dem eigentlichen Herzen von Afrika vorzudringen, ſind geſcheitert. Bis zum 12. Grade beſindet ſich das Thier wohl und gedeiht vortrefflich; weiter ſüdlich gegen den Gleicher hin, wird es ſchwächlich, und wenn man es noch ein paar Grade ſüdlicher führt, erliegt es bei dem reichlichſten Futter, ohne eigentlich erklärliche Urſache. Zwar behaupten die Araber, daß eine Fliege, die ſie außerordentlich fürchten, die Schuld an dem zu Grunde gehen ihrer Kamele trage; doch beruht dieſe Meinung entſchieden auf einem Jrrthum: das Kamel kann die waſſerreichen Landſtriche nicht ertragen. Auch Gebirgsgegenden ſagen dem Thier nicht zu, obwohl es hier noch recht gut benutzt werden kann.

Bisjetzt hat man noch wenig Verſuche gemacht, das nützliche Thier außerhalb nördlich des großen Wüſtenzuges anzuſiedeln; doch darf man ſchwerlich bezweifeln, daß es noch etwa bis zum 40. Grade nördl. Breite hin gedeihen werde. Jm Jahre 1622 ließ Ferdinand der Zweite von Medicis in Toskana Trampelthiere einführen, und bis zur Stunde hat ſich die Zucht dieſer Thiere dort erhalten. Jm Gebiet von San Roſſore bei Piſa befinden ſich die Kamele auf einer großen ſandigen Ebene ſehr wohl und leben ganz wie in ihrer Heimat. Jm Jahre 1810 zählte man 170 und 1840 171 Stück. Vonhieraus hat man bis zur Stunde alle Thiergärten und Thierſchaubuden verſehen. Jn Süd - ſpanien hat man in der Neuzeit auch daran gedacht, Kamele zu züchten und über alle Erwartung günſtige Ergebniſſe erhalten. Die Kamele gedeihen dort ganz vortrefflich, und die Bedingungen ſind auch entſchieden ſehr günſtige. Gegenwärtig geht man mit dem Plane um, das Wüſtenſchiff nach der neuen Welt und zwar nach Mejiko zu verſetzen. Jn Tejas wandern ſeit 1858 hundert Kamele vom Miſſiſſippi durch pfadloſe Wildniſſe nach dem ſtillen Weltmeere; die Regierung von Bolivia hat Kamele in die Cordilleren kommen laſſen; auf Cuba gab es ſchon im Jahre 1841 ſiebzig Stück.

Jm ganzen Norden und Oſten Afrikas wird das Kamel gegenwärtig in ungeheurer Anzahl gezüchtet. Manche Araberſtämme beſitzen Tauſende und Hunderttauſende. Jn Sudahn lernte ich Häuptlinge kennen, welche allein 500 bis 2000 Stück Kamele zu eigen hatten; in den Steppen Kor - dofahns ſah ich Herden von mindeſtens anderthalbtauſend Stück auf der Weide. Die einzige Wüſten - ſtraße zwiſchen Korosko und Abu Hammed in Nubien ſetzt mehrere Tauſend von Kamelen in Bewegung. Ehe die Eiſenbahn von Kairo nach Sues fertig war, vermittelten ungefähr ſechshundert Kamele, welche täglich unterwegs waren, den Verkehr. Bei Ankunft der oſtindiſchen Poſt ſah man Züge von je zwei - bis dreihundert Stück mehrere Stunden nach einander aus den Thoren der einen oder der anderen Stadt ziehen. Geradezu unſchätzbar iſt die Anzahl der Kamele, welche auf den großen Wüſtenſtraßen zwiſchen den Nigerländern und dem Norden Afrikas in Bewegung ſind. Der Stamm der Tibbo allein mag ein paarmal hunderttauſend Kamele beſitzen; die Berbern haben ſicherlich mehr als eine Million. Auch im glücklichen und ſteinigen Arabien werden viele Kamele gezogen, und namentlich das Land Nedjed gilt als das reichſte an dieſen Thieren. Es verſorgt Syrien, den Hedjas und Jemen mit ihnen, und liefert jährlich viele Tauſend allein nach Anatolien. Die Zahl der Kamele, welche jährlich an den Wüſtenſtraßen zu Grunde gehen, iſt nicht zu berechnen; wie groß ſie aber iſt, kann man am beſten erſehen, wenn man ſelbſt durch die Wüſte reiſt. Jn der nubiſchen Wüſte ſowohl, wie in der Bahinda, ſand ich am Ein - und Ausgange der vorhin genannten Straßen auf viele Meilen hin ein Kamelgerippe ſo dicht an dem anderen, daß die Straße durch die weiß -Brehm, Thierleben. II. 25386Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.gebleichten Knochen vollkommen bezeichnet wurde. Die Wüſte iſt nicht blos die Heimat und der Geburtsort, ſondern auch die Sterbeſtätte und das Grab des Kamels; die wenigen, welche geſchlachtet werden, kommen gegen die, welche auf ihren Berufswegen zu Grunde gehen, gar nicht in Betracht.

Das Kamel nimmt ſeine Nahrung einzig und allein aus dem Pflanzenreiche und iſt dabei durchaus nicht wähleriſch. Man darf wohl behaupten, daß gerade ſeine Genügſamkeit ſeine größte Tugend iſt; es iſt mit dem ſchlechteſten Futter zufrieden. Wenn es die dürrſten und trockenſten Wüſten - pflanzen, ſcharfſchneidiges Riedgras und halbverdorrte Aeſte hat, kann es wochenlang aushalten. Unter Umſtänden iſt ihm ein alter Korb oder eine Matte, aus den zerſchliſſenen Blattrieſen der Dat - teln geflochten, ein willkommenes Gericht. Jn Oſtſudahn muß man die Hütten der Eingeborenen, welche aus einem Gerippe von ſchwachen Stangen beſtehen und dann mit Steppengras bedeckt werden, vor den Kamelen durch eine dichte Umzäunung von Dornen ſchützen: die Thiere würden ſonſt das ganze Haus bis auf ſeine Grundfeſten auffreſſen. Wahrhaft wunderbar iſt es, daß ſelbſt die ärgſten Dornen und Stacheln das harte Maul des Kamels nicht verwunden. Mehr als hundert Mal habe ich geſehen, daß Kamele Mimoſenzweige, an denen Dornen an Dornen ſaßen, ohne weiteres hinterwürgten. Nun muß man wiſſen, daß dieſe Mimoſennadeln außerordentlich ſcharf ſind und ſelbſt das Sohlenleder durchdringen: dann verſteht man erſt, was Dies ſagen will. Mehrere Male haben wir uns bei der Jagd empfindlich verletzt, wenn wir auf ſolche Dornen traten; ich ſelbſt habe mir einen von ihnen durch die Sohle des Schuhes, die große Zehe und auch noch durch das Oberleder des Schuhes geſtochen: und ſolche Dornen zermalmt das Thier mit der größten Seelenruhe! Wenn die Karavane abends raſtet und die Kamele frei gelaſſen werden, damit ſie ſich ihre Nahrung ſuchen, laufen ſie von Baum zu Baum und freſſen hier alle Aeſte ab, welche ſie erreichen können. Sie be - ſitzen ein merkwürdiges Geſchick, mit ihren Lippen die Zweige abzubrechen, dann aber würgen ſie die - ſelben hinter, ganz unbekümmert, in welcher Richtung die Dornen vom Zweige abſtehen. Können ſie einmal recht ſaftige Nahrung haben, ſo iſt Das ihnen ſchon recht: in den Durrah -, Dohſenfeldern hauſen ſie oft in abſcheulicher Weiſe und verwüſten dort ganze Stellen; auch kleine Bohnen, Erbſen, Wicken verzehren ſie ſehr gern, und Körner aller Art erſcheinen ihnen als wahre Leckerbiſſen. Auf den Wüſtenreiſen, wo es nothwendig iſt, daß die Laſt ſoviel als möglich verringert wird, nimmt jeder Araber blos etwas Durrah oder auch Gerſte für ſein Kamel mit ſich und füttert dem Thiere davon allabend - lich ein paar Hände voll, gewöhnlich gleich aus ſeinem Umſchlagetuch, bezüglich aus ſeinem Schoſe. Jn den Städten gibt man ihnen Puffbohnen; in den Dörfern erhalten ſie oft nichts Anderes, als ver - dorrtes Riedgras oder Durrahſtroh. Es ſcheint aber, als ob das Laub verſchiedener Bäume und anderer Geſträuche ihre liebſte Nahrung wäre; wenigſtens bemerkt man, daß die Kamele, wie die Girafen, immer nach den Bäumen hin ihre Schritte lenken.

Bei ſaftiger Pflanzennahrung kann das Kamel wochenlang das Waſſer entbehren, falls es nicht beladen und beſonders angeſtrengt wird und ſich nach Belieben ſeine Pflanzen ausſuchen kann. Die Nomaden der Bahinda bekümmern ſich zuweilen einen ganzen Monat nicht um ihre Kamele, ſondern laſſen ſie nach eigenem Gutdünken ſich ihre Weide wählen, und oft kommt es vor, daß dieſe Thiere während der ganzen Zeit nur mit den thaufriſchen Blättern und dem Pflanzenſaft ihren Durſt löſchen müſſen. Anders verhält ſich die Sache während der Zeit der Dürre. Man hat zwar vielfach behauptet, daß Kamele auch dann noch 14 bis 20 Tage Waſſer entbehren könnten; allein ſolche Erzählungen ſind Fabeln, welche jeder Eingeweihte belächeln muß. Als ich im Dezember 1847 und Januar 1848 die Bahiudawüſte durchzog, bekamen unſere Kamele während der achttägigen Reiſe nur ein einziges Mal Waſſer; aber um dieſe Zeit gab es noch viel Grünes, und die Thiere hielten vortrefflich aus. Als ich aber zwei Jahre ſpäter im Juni beinahe denſelben Weg wanderte, waren die Kamele, welche neben dem Durſt auch noch Hunger zu ertragen hatten, bereits am ſechſten und ſiebenten Tage der Reiſe, obwohl wir ſie am vierten getränkt hatten, ſo matt, daß ſie unter uns zuſammenbrachen und nur mit größter Mühe bis an den Ril gebracht werden konnten, nur erſt, nachdem wir andere entlaſtet und auf ihnen unſern Ritt fortgeſetzt hatten. Jn der Gluthitze des afrikaniſchen Sommers387Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.muß ein Kamel auf Reiſen, bei ordentlichem Futter, hinreichendes Waſſer und mindeſtens alle vier Tage volle dreißig bis vierzig Stunden Ruhe haben, wenn es aushalten ſoll. Aber nur in ſeltenen Fällen laſſen es die Araber ſolange dürſten, gewöhnlich nur dann, wenn einer der Brunnen am Wege, auf deſſen Waſſer man hoffte, inzwiſchen verſiegt iſt. Jn früheren Zeiten glaubte man ſich dieſe Genüg - ſamkeit des Kamels, was das Trinken anbelangt, aus ſeiner eigenthümlichen Bildung des Magens erklären zu können. Man meinte, daß die großen Zellen in den beiden erſten Magenabtheilungen als Waſſerbehälter angeſehen werden dürften und fabelte von dieſer Annahme aus ganz luſtig weiter. Jn manchen älteren Reiſebeſchreibungen, noch mehr in den traurigen Werken der Stubenhocker und Büchermacher, findet man die Angabe, daß die Reiſenden in der Wüſte im allerletzten Rothfall in dem Magen ihres Kamels noch Waſſervorräthe finden könnten. Jch habe, obgleich ich von Haus aus an ſolchen Geſchichten zweifelte, mit aller Abſicht alte, in der Wüſte ergraute Kamelführer befragt: kein Einziger wußte von dieſer Geſchichte Etwas, kein Einziger hatte jemals ſolch eine ungeheure Lüge auch nur erzählen hören. Und ſpäter habe ich mich beim Schlachten der Kamele, welche noch am Tage vor - her getränkt worden waren, ſelbſt überzeugt, daß es ganz unmöglich iſt, Waſſer zu trinken, welches tagelang mit den im Magen aufgehäuften Nahrungsſtoffen und dem Magenſaft vermengt war. Das ganze Kamel hat einen widerwärtigen Geruch; ſolcher Magenbrei aber muß ſelbſt einem Halb - verdurſteten unüberwindlichen Ekel erregen. Der Geſtank eines friſch aufgebrochenen Kamelmagens iſt geradezu unerträglich.

Wahrhaft luſtig ſieht es aus, wenn ermüdete, hungrige und ermattete Kamele in die Nähe eines Brunnens oder Fluſſes gelangen. So dumm die häßlichen Geſchöpfe auch ſind, ſolche Orte, wo ſie früher ſchon getränkt wurden, vergeſſen ſie ſo leicht nicht. Sie heben die Köpfe hoch empor, ſchnüſſeln mit halb zugekniffenen Augen in die Luft, legen die Ohren zurück und beginnen nun plötzlich zu laufen, daß man ſich feſt im Sattel halten muß, um nicht herausgeſchleudert zu werden. Kommen ſie dann zum Brunnen, ſo drängen ſie ſich wie raſend heran an das Waſſer, und eines ſucht durch abſcheuliches Gebrüll das andere zu vertreiben. Am Ausgange der Bahindawüſte kamen drei unſerer Kamele an einen Bewäſſerungsgraben, welcher von einem Schöpfrad geſpeiſt wurde und immerhin ein ganz hübſches Bächlein Waſſer nach dem Felde ſandte; dort ſtellten ſie ſich neben einander auf und tranken drei Minuten lang ohne Unterbrechung und buchſtäblich alles Waſſer auf, welches in dem Graben dahinfloß. Jhr Leib ſchwoll augenſcheinlich an und beim Weiterreiten verurſachte das im Magen aufgehäufte Waſſer ein Geräuſch, wie man es vernimmt, wenn man eine halbgefüllte Tonne ausſchwenkt. Während der Regenzeit, wo viel Waſſer vorhanden, löſen die Araber des Oſtſudahns ſalzhaltige Erde oder reines Kochſalz in kleinen Tränkteichen auf und treiben dahin ihre Kamele. Das Salz vermehrt die Freßluſt der edlen Wüſtenſchiffe außerordentlich, und dieſe mäſten ſich nun bald einen recht hübſchen Höcker an.

Es verdient bemerkt zu werden, daß den Kamelen größere oder geringere Genügſamkeit aner - zogen wird. So anſpruchslos die Thiere im allgemeinen ſind, ſo leicht laſſen ſie ſich verwöhnen, und damit werden ſie in gewiſſer Hinſicht geradezu unbrauchbar. Die Kamele des Oſtſudahns und der Wüſte, welche von Jugend auf gewöhnt wurden, alle vier oder bezüglich ſechs Tage getränkt zu werden und ſich mit den dürftigen Gräſern ihrer Heimat ernähren müſſen, ſind für Wüſtenreiſen weit mehr geeignet, als die, welche im Norden leben und namentlich die des bebauten Landes, denen es niemals, weder an Nahrung, noch an Trank, gebricht. Jene, die Wüſten - und Steppenkamele, bleiben allerdings viel kleiner und magerer; ſie ſind nach und nach zu ganz anderen Thieren geworden, als die Egyptens und Syriens: aber die letzteren können ſich mit ihnen auch gar nicht meſſen; ſie ſind eben nur noch Laſtkamele, für Reiſen aber gänzlich ungeeignet.

Wenn man ein ruhig ſtehendes Kamel anſieht, wird man ſich ſchwerlich denken, daß dieſes Thier faſt an Schnelligkeit mit einem Pferde wetteifern kann. Und doch iſt Dies der Fall. Die in der Wüſte und Steppe geborenen Kamele ſind vortreffliche Läufer und im Stande, ohne Unterbrechung Entfernungen zurückzulegen, wie kein anderes Hausthier. Alle Kamele gehen einen ſcheinbar ſehr ſchwer -25 *388Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.fälligen Paß, ſie mögen nun im Schritte oder im Trabe laufen: allein dieſer Paßgang erſcheint bei abgerichteten Reitkamelen wahrhaft leicht und zierlich. Der gewöhnliche Gang iſt ein ſonderbares Dahinſtelzen, und das Kamel bewegt dazu bei jedem Schritte noch in ſo auffallender Weiſe den Kopf vor - und rückwärts, daß man ſich kaum einen häßlicheren Anblick denken kann, als ſolche Miß - geſtalt in ihrer langſamen Bewegung. Bringt man aber einen Läufer wirklich in Trab, und gehört er zu den guten Raſſen, welche ohne Unterbrechung in der angefangenen Schrittweiſe dahinziehen, ſo erſcheint das ſchwere Geſchöpf leicht und ſchön. Schon ſchwer beladene Laſtkamele legen bei gewöhn - lichem Schritt in fünf Stunden Zeit ſechs Wegſtunden oder drei deutſche Meilen zurück und gehen in dieſer Weiſe von früh Morgens fünf Uhr an bis Abends ſieben Uhr ohne Unterbrechung fort; gute Reitkamele aber können bequem den dreifachen Raum durchlaufen. Die reiche Phantaſie der Bedui - nen hat die Schnelligkeit eines guten Kamels bei weitem übertrieben; ſehr bedeutend iſt dieſelbe je - doch immerhin. Man bezeichnet in Afrika die leichten und abgerichteten Reitkamele mit dem Namen Hedjihn oder Pilgerkamele und nennt den auf ihnen Reitenden Hedjahn, verſteht aber zunächſt blos die eigentlichen Botenreiter unter dieſem Worte. Solche Botenreiter nun legen in kurzer Zeit faſt unglaublich große Entfernungen zurück. Berühmt ſind die Kamele, welche in der Nähe von Esneh in Oberegypten gezüchtet werden, und noch berühmter die wirklich unübertrefflichen der Biſcharin im Oſt-Sudahn. Auf einem ſolchen Hedjihn ritt Mahammed Aali flüchtend in einem Zuge von Kairo nach Alexandrien und brauchte hierzu nur zwölf Stunden. Da nun die Entfernung zwiſchen bei - den Städten mindeſtens fünfundzwanzig deutſche Meilen beträgt, kann man auf die Schnelligkeit und Ausdauer dieſer Thiere einen Schluß ziehen. Jn Egypten und Nubien nennt man Kamele, welche zehn Mahadas oder Halteſtellen auf dem Karavanenwege in einem Tage durchlaufen, geradezu Zeh - ner (Aaſchari) und ſchätzt ſie mit Recht ſehr hoch; denn eine Mahada liegt in der Regel zwiſchen anderthalb und zwei, auch dritthalb deutſche Meilen von der anderen. Ein ſolcher Aaſchari lief von Esneh in Oberegypten nach Geneh und faſt wieder dahin zurück, war aber ſo angeſtrengt worden, daß er drei deutſche Meilen vor ſeinem Zielpunkt zuſammenbrach. Er hatte in neun Stunden fünfund - zwanzig deutſche Meilen durchwandert und dabei zwei Mal über den Nil geſetzt, alſo mindeſtens noch eine Stunde an Zeit verloren. Einen ſolchen Ritt hält kein Pferd ans, es mag ſo gut ſein, als es will. Jm Anfang übertrifft die Schnelligkeit eines trabenden Pferdes die des Kamels, wenn es im gleichen Schritte geht; ſehr bald aber bleibt das letztere weit zurück und das Kamel trabt nach wie vor ſeinen Gang weiter. Läßt man ein Reitkamel in der Mittagszeit ruhen, reitet man ſonſt aber vom frühen Morgen an bis zur ſpäten Nacht, ſo kann man das Thier ſechszehn Stunden lang Trab laufen laſſen und dann ſehr bequem eine Entfernung von zwanzig deutſchen Meilen durchreiten. Ein gutes Kamel, welches ordentlich gefüttert und getränkt wird, hält ſolche Anſtrengung, ohne Raſttag dazwiſchen, drei und ſelbſt vier Tage aus. Man iſt demnach im Stande, mit einem einzigen Reit - thiere in der kurzen Zeit von vier Tagen achtzig deutſche Meilen zu durchreiſen.

Nur ſehr widerſpenſtige, ſchlecht gezogene Kamele fallen zuweilen in Galopp und Dies auch blos dann, wenn ſie gezüchtigt werden. Dreierlei verlangt der Araber von einem guten Kamel. Es muß erſtens einen weichen Rücken haben, darf zweitens die Peitſche nicht verlangen und darf drit - tens nicht ſchreien beim Auf - und Niederlegen. Blos Derjenige, welcher viel mit Kamelen umgegan - gen iſt, weiß, was Dies zu bedeuten hat.

Ein gewöhnliches Laſtkamel iſt das fürchterlichſte Reitthier, welches man ſich denken kann. Bei der Paßbewegung wird der Reiter in einem ganz eigenthümlichen Bogen auf und nieder und hin und her bewegt. Am deutlichſten kann man ſich ſein Neigen des Hauptes und Körpers verſinnlichen, wenn man an die chineſiſchen Pagodenfiguren denkt; denn faſt in dieſer Weiſe wird das arme Menſchen - kind oben im Sattel hin und her geſchleudert. Sowie das Kamel in Trab fällt, iſt es anders, falls der Reiter wirklich das Thier zu zügeln verſteht. Bei der behenden Wechſelbewegung wird das ſeitliche Hin - und Herſchaukeln aufgehoben und wenn ſich dann der Reiter geſchickt im Sattel zurücklegt, ſpürt er die immer noch heftigen Stöße eben auch nicht mehr, als wenn er zu Pferde ſitzt. Noch389Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.unerträglicher aber, als der Schritt, iſt der Galopp eines Kamels für den Reiter. Bei großer Wuth kommt es vor, daß ein Kamel in Galopp verfällt. Es iſt nicht im Stande, dieſe Gangart lange aus - zuhalten, aber es braucht Das auch nicht; denn gewöhnlich liegt der nicht ganz ſattelfeſte Reiter ſchon in den erſten drei Minuten unten auf der Erde, und das Kamel trabt luſtig davon und verfällt dann auch gleich wieder in ſeinen gewöhnlichen Schritt. Aus dieſen Gründen hat der Araber ſeine Reit - kamele gewöhnt, blos Trab zu gehen. Sie verſtehen dieſe Gangart auch wirklich meiſterhaft doch davon ſpäter.

Jn Gebirgsgegenden iſt das Kamel nur in ſehr beſchränktem Maße zu gebrauchen, weil ihm das Klettern ſehr beſchwerlich fällt. Namentlich bergab kann es, weil es ziemlich ſtark überbaut iſt, nur mit äußerſter Vorſicht gehen. Doch ſieht man auf der Weide die Kamele immerhin einigermaßen klettern, freilich ſo tölpelhaft, als möglich. Noch ungeſchickter benimmt ſich das Thier im Waſſer. Schon wenn es in daſſelbe getrieben wird, um zu trinken, wie es in Oſt-Sudahn oft geſchieht, geberdet es ſich wie unſinnig; viel ſchlimmer aber wird die Sache, wenn es einen großen Strom überſetzen ſoll. Die Nilanwohner ſind oft genöthigt, ihre Kamele von einem Ufer auf das andere zu ſchaffen und thun Dies in einer, nach unſern Begriffen wirklich haarſträubenden Weiſe. Das Kamel kann nicht ſchwimmen, ſondern geht unter wie Blei, aber gleichwohl muß es ſchwimmend über den Strom ſetzen, weil die Ueberfahrtsbarken nicht nach Art unſerer Fähren eingerichtet, ſondern gewöhnliche Boote ſind, in welche das ungeſchickte Geſchöpf nicht wohl gebracht werden kann. Deshalb verfährt man, um ein Kamel über das Waſſer zu ſchaffen, folgendermaßen: Ein Araber bindet eine Schlinge um den Kopf und Schwanz, doch ſo, daß dieſelbe nicht würgt, und zieht an dieſer das Thier in den Strom hinab. Zwei oder drei Andere helfen mit der Peitſche gelind nach. Das liebe Thier möchte brüllen nach Herzensluſt, aber die Schlinge läßt es dazu nicht kommen; es möchte entfliehen, allein der Strick hält aus, und wenn es nicht gutwillig folgt, ſchnürt die Schlinge die Schnauze doch recht feſt zuſammen: es muß alſo wohl oder übel in das Waſſer hinein. So wie es den Grund verliert, zeigt es deutlich, wie ängſtlich ihm die ganze Fahrt vorkommt. Die häßlichen Nüſtern öffnen ſich, die Augen treten aus den Höhlen hervor, die Ohren werden krampfhaft auf und nieder bewegt: endlich verliert es den Grund. Nun packt Einer, welcher weiter hinten im Bote ſitzt, unſer Thier am Schwanze, ein Anderer hebt mit der Schlinge den Kopf über das Waſſer, ſo daß es kaum Athem ſchöpfen kann: und dahin geht die Fahrt unter Strampeln und Stampfen des im höchſten Grade unangenehm berührten Thieres. Wenn es am anderen Ufer ankommt, rennt es gewöhnlich wie raſend davon und erſt, nachdem es ſich ſicher überzeugt, daß es wieder feſten Grund unter den Füßen beſitzt, erhält es nach und nach ſeine Ruhe wieder.

Die Stimme des Kamels iſt ein wahrhaft ſchanderhaftes Brüllen, welches ſchwerlich beſchrieben werden kann. Gurgeln und Stöhnen, Knurren, Brummen und Brüllen wechſeln in der ſonder - barſten Weiſe mit einander ab. Unter den Sinnen dürfte das Gehör am beſten ausgebildet ſein, obgleich die kleinen Ohren nicht eben geeignete Werkzeuge zu ſein ſcheinen; die blöden Augen ſtehen jenem Sinne aber entſchieden nach, und der Geruch iſt ſicher ſchlecht. Das Gefühl dagegen ſcheint fein zu ſein, und der Geſchmack zeigt ſich wenigſtens manchmal als vorhanden. Jm Ganzen aber muß man das Kamel als ein ſehr ſtumpfſinniges Geſchöpf betrachten. Nicht viel günſtiger fällt eine Beurtheilung der geiſtigen Eigenſchaften aus. Jch will mir erlauben, Einiges zu wiederholen, was ich bereits in der Gartenlaube veröffentlicht habe und deshalb einem guten Theil meiner Leſer als bekannt vorausſetzen muß. Um ein Kamel würdigen zu können, muß man es unter Umſtänden betrachten, wo es die geiſtigen Eigenſchaften auch zu offenbaren vermag, muß man alſo etwa ein Kamel ſich auswählen, welches eben das Schwerſte, was ihm widerfahren kann, ertragen, d. h. mit anderen Worten, arbeiten ſoll. Verſetzen wir uns einmal im Geiſte in das Einbruchsdorf einer Wüſtenſtraße!

Die zur Fortſchaffung des Gepäckes beſtimmten Kamele ſind ſeit geſtern angekommen und freſſen mit der unſchuldigſten Miene die Wandung einer Strohhütte auf, deren Beſitzer eben abweſend iſt390Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.und es verſäumte, ſein Haus durch Dornen zu ſchützen. Die Treiber ſind mit dem Umſchnüren und Abwiegen des Gepäckes beſchäftigt und brüllen dabei nach Leibeskräften, ſcheinbar mit ſolcher Wuth, daß man glauben muß, im nächſten Augenblick einen Mord begehen zu ſehen. Einige Ka - mele unterſtützen in Erwartung des Kommenden das Gebrüll mit ihrem eigenen; bei den übrigen, welche noch nicht mitbrüllen, bedeutet Dies blos ſoviel, als: Unſere Zeit iſt noch nicht gekommen, aber ſie kommt! Ja ſie kommt! Denn die Sonne zeigt die Zeit des Nachmittaggebets, die Zeit jedes Beginnes nach arabiſchen Begriffen an. Nach allen Seiten hin ſtürmen die braunen Männer, um ihre häuſerfreſſenden oder ſonſtwie Unheil anrichtenden Kamele einzufangen; bald darauf ſieht man ſie mit ihnen zurückkehren. Jedes einzelne Kamel wird zwiſchen die bereits gerichteten Stücke ſeiner Ladung geführt und mit einem unbeſchreiblichen Gurgellante gebeten oder durch einige die ſanfte Bitte ſanft unterſtützende Peitſchenhiebe aufgefordert, ſich niederzulegen. Mit äußerſtem Widerſtreben gehorcht das ahnungsvolle Geſchöpf, dem eine Reihe ſchwerer Tage in grellen Farben vor der Seele ſteht. Es brüllt zuerſt mit Aufbietung ſeiner ganzen Lunge in markerſchütternder Weiſe und weigert ſich verſtändlich und entſchieden, ſeinen Nacken der Bürde zu bieten. Selbſt der mildeſte Beurtheiler würde ſich vergeblich bemühen, jetzt auch nur einen Schimmer von Sanftmuth in ſeinem wuthblitzen - den Auge zu leſen. Es fügt ſich ins Unvermeidliche, nicht aber mit Ergebung und Entſagung, nicht mit der einem Dulder ſo wohl anſtehenden Seelenruhe und Geiſtesgröße, ſondern mit allen Zeichen der im höchſten Grade geſtörten Gemüthlichkeit, mit Augenverdrehungen, welche unſern Muckern zum Vorbilde dienen könnten, mit Zähnefletſchen, mit Stoßen, Schlagen, Beißen, kurz mit beiſpielloſem Jngrimm. Alle nur denkbaren oder beſſer undenkbaren Untöne orgelt es fugenartig ab, ohne auf Takt und Tonfall die geringſte Rückſicht zu nehmen. Dur und Moll wird grauenvoll zuſammenge - worfen und mißachtet; jeder nur einigermaßen an Wohllaut anklingende Ton wird der grenzenloſen Wuth geopfert, jeder Naturlaut verſtümmelt und zerquetſcht. Mein lieber geiſt - und wortreicher Freund Goltz allein würde im Stande ſein, eine annähernd richtige Beſchreibung ſolchen Tonunweſens zu geben; ich fühle mich zu ſchwach dazu. Endlich ſcheint die Lunge erſchöpft zu ſein. Aber nein: es werden blos andere Stimmen gezogen und in gräulicher Folge etwas kläglichere Weiſen angeſtimmt. Die unausſprechliche Wuth, welche bisher die Seele des herrlichen Thieres erfüllte, ſcheint durch eine Selbſtbetrachtung über die Sklaverei und ihre entſetzlichen Folgen auf Augenblicke verdrängt worden zu ſein. Das Brüllen hat ſich in ein klägliches Stöhnen verwandelt. Da ich leider keiner der thränenreichen Minnedichter unſerer Zeit bin, kann ich blos in ſchlichter Weiſe meine Meinung ausſprechen, welche dahin geht, daß das Kamel in ſeinem unendlichen Schmerz wahr - ſcheinlich der goldenen Urzeit gedenkt, in welcher der Erdenteufel, Menſch genannt, dem damals ſtolz emporgetragenen Fetthöcker der Vorfahren unſeres Thieres noch nicht die ſchwere Bürde auflegte, in welcher es frei und luſtig die grünen, leider noch immer nicht wieder aufgefundenen Fluren in näch - ſter Nähe des Paradieſes durchſtampfte. Die unſäglich traurige, erſchütternde Klage des Dulders könnte einen Stein erbarmen. Aber das Herz der Kameltreiber iſt härter als ein Stein; das Ohr der Peiniger iſt taub für die wehmüthigen Kundgebungen der zartbeſaiteten Seele des tief und innig fühlenden Thieres. Nicht einmal eine ſeinen Unmuth ausdrückende Bewegung wird ihm geſtattet. Einer der Treiber ſtellt ſich auf die zuſammengelegten Beine des ſanften Lammes und faßt mit ſtar - ker Hand die Naſe, um an dieſer empfindlichen Stelle gelegentlich einen nach Erforderniß ſtärkeren oder gelinderen Druck ausüben zu können. Allerdings behauptet der Mann, daß er ſeine Glieder vor den Biſſen des Thieres ſchützen müſſe; allerdings verſichert er, daß ein wüthendes Kamel das ſcheußlichſte aller Scheuſale ſei: allein meine Gerechtigkeitsliebe verlangt, daß ich auch jetzt den Standpunkt des Kameles würdige.

Welche Schändlichkeit! Das edle Thier kann ſich kaum rühren und ſoll belaſtet werden mit der ſchwerſten Bürde, welche außer dem Elefanten überhaupt ein ſterbliches Weſen tragen kann, es ſoll tagelang die ſeiner unwürdige Laſt ſchleppen! Ueber ſolche Erniedrigung bricht es in Erbarmen bean - ſpruchende Klagen aus, und der Unmenſch ſchließt beide Raſenlöcher und entzieht ihm den zu ſolchen391Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.Klagen doch unentbehrlichen Athem! Selbſt ein Engel würde bei ſolch einer ſchnöden Behandlung zum Teufel werden; aber ein Kamel iſt weit entfernt, hat nie daran gedacht, irgend welche Anſprüche auf die unerläßlichen Eigenſchaften eines Engels gemacht zu haben. Wen ſoll und kann es Wunder nehmen, daß es ſeine namenloſe Entrüſtung durch anhaltendes kräftiges Schütteln des Kopfes kund gibt? wer wird es ihm verargen, daß es zu beißen, mit den Beinen zu ſtoßen, aufzuſpringen, die Laſt abzuwerfen, durchzugehen verſucht und dann von neuem zu brüllen beginnt, daß man das Trom - melfell vor dem Zerſpringen beſonders ſchützen möchte? Und gleichwohl ſchimpfen und fluchen die Araber noch über ſolche Ausbrüche gerechten Zornes! Sie, welche ſonſt alle Thiere mahammedaniſch chriſtlich kann ich, ſeitdem ich in Spanien war und viele deutſche Spanier ſah, hier leider nicht ſagen behandeln, rufen ihm jetzt Verwünſchungen zu, wie Allah jenarhlak abuhk, djinsak, ja malâuhn, ja kelb, ja chansihr! Gott verfluche deinen Vater und deine Art, du alles Guten Barer, du Hund, du Schwein! ſie ſtoßen es mit den Füßen, prügeln es mit der Peitſche! Den in - ſtändigſten Bitten, den herzerſchütterndſten Klagen, der unſäglichſten Wuth ſetzen ſie kalte Mißachtung und höchſt empfindliche Schmähungen entgegen! Während der Eine das Kamel an der Naſe packt, legt ihm der Andere bereits den Sattel auf den Rücken; ehe es noch halb ausgeklagt hat, liegt auf dem Sattel die ſchwere Laſt. Jetzt läßt der Vorderſte die Naſe los, der Hinterſte handhabt die Peitſche wieder: das niedergebeugte Thier ſoll ſich erheben. Noch ein Mal ſucht es ſeinen ganzen ungeheuren Zorn, ſeine tiefſte Verachtung gegen den Menſchen in einen einzigen Schrei zuſammen - zufaſſen, noch ein Mal brüllt es beim Aufſpringen wuthſchnaubend auf, dann ſchweigt es den ganzen übrigen Tag, wahrſcheinlich im Gefühl ſeiner eigenen Größe und Erhabenheit. Es erachtet es für zu kleinlich, für zu erbärmlich, den tiefen Schmerz ſeiner Seele über die ihm angethane Entwürdigung noch durch äußere Zeichen dem niederträchtigen Menſchen kundzugeben und geht von nun an bis zum Abend in ſtiller Billigung und ohne Schmerzensſeufzer ſeine Stelzenſchritte fort. Aber beim Niederlegen, beim Entladen der Laſt ſcheint ſeine Bruſt noch einmal frei aufzuathmen; denn dann läßt es nochmals ſeinen ganzen Jngrimm los.

So geberdet ſich das Kamel beim Auf - und Abladen; und ich mache mir heute noch Vorwürfe, daß ich die wahre Seelengröße des edlen Weſens jemals verkannt, daß ich Ausbrüche des nur allzu - tief begründeten Unmuths und ganz erklärlicher Rachſucht gegen den abſcheulichen Menſchen ſo rück - ſichtslos beſtraft habe.

Jch glaube im Vorſtehenden den Standpunkt des Kamels vollkommen gewahrt und ſomit meine Gerechtigkeitsliebe bewieſen zu haben. Dieſelbe Tugend verlangt aber, daß ich mich nun auch ein Mal auf den Standpunkt des Menſchen ſtelle. Vonhieraus ſieht ſich die Sache etwas anders an. Es läßt ſich nicht verkennen, daß das Kamel wahrhaft überraſchende Fähigkeiten beſitzt, einen Men - ſchen ohne Unterlaß und in unglaublicher Weiſe zu ärgern. Jch kenne kein Thier, welches ihm hierin gleich käme. Jhm gegenüber iſt ein Ochſe ein höchſt achtungswerthes Geſchöpf, ein Maulthier, welches ſämmtliche Untugenden aller Baſtarde in ſich vereinigt, ein überaus geſittetes, ein Schaf ein ſehr kluges, ein Eſel ein entſchieden liebenswürdiges Thier. Dummheit und Bosheit ſind gewöhnlich Gemeingut; wenn aber zu ihnen auch noch Feigheit, Störrigkeit, ewig ſchlechte Laune, Starr - und Murrköpfigkeit, entſchiedener Widerwille gegen alles Vernünftige, Gehäſſigkeit oder Gleichgiltigkeit gegen den Pfleger und Wohlthäter und noch hundert andere Untugenden kommen, welche ein Weſen ſämmtlich beſitzt und mit vollendeter Fertigkeit auszuüben verſteht: kann der Menſch, welcher mit ſolchem Vieh zu thun hat, ſchließlich raſend werden. Der Araber behandelt ſeine Hausthiere wie ſeine Kinder: aber das Kamel bringt ihn zuweilen in namenloſen Zorn. Dies begreift man, nachdem man ſelbſt vom Kamel abgeworfen, mit Füßen getreten, gebiſſen, in der Steppe verlaſſen und ver - höhnt worden iſt, nachdem Einen das Thier tage - und wochenlang ſtündlich mit bewunderungswerther Beharrlichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Beſſerungs - und Zuchtmittel, ſowie Bekehrungs - verſuche aller Art vergeblich verbraucht, alle die elektriſche Spannung der Seele abkühlenden Flüche nutzlos ausgeſtoßen hat. Daß das Kamel in einer Weiſe ausdünſtet, welche den Bocksgeſtank als392Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.Wohlgeruch erſcheinen läßt, daß es das Ohr durch ſein Gebrüll ebenſo martert, wie die Naſe durch ſeinen Geſtank oder das Auge durch den gezwungenen Anblick ſeines unſäglich dumm ausſehen - den Kopfes auf dem langen Straußenhalſe, gehört nicht hierher; daß es aber mit Bewußtſein dem Willen ſeines Herrn jederzeit entgegenhandelt, Das iſt es, was es in meinen Augen ſo tief ſtellt. Jch habe auf allen meinen Reiſen in Afrika unter den Tauſenden von Kamelen, die ich beobachten konnte, nur ein einziges geſehen, welches eine gewiſſe Anhänglichkeit an ſeinen Herrn zeigte; alle übrigen arbeiteten gezwungen zum Vortheile des Menſchen.

Die einzige Eigenſchaft, in welcher das Kamel groß iſt, dürfte ſeine Freßgier ſein; in ihr gehen alle geiſtigen Eigenſchaften unter. Sein Verſtand iſt ungemein gering. Es zeigt, ungereizt, keine Liebe und keinen Haß, ſondern blos Gleichgiltigkeit gegen Alles, mit Ausnahme des Futters und ſeines Jungen. Gereizt wird es, ſobald es ſich anſtrengen, ſobald es arbeiten ſoll; hilft ihm ſeine Wuth Nichts, dann fügt es ſich mit derſelben Gleichgiltigkeit in die Arbeit, wie in alles Uebrige. Jm Augenblicke ſeiner Wuth iſt es aber äußerſt boshaft und wirklich gefährlich. Wahrhaft abſcheulich iſt ſeine grenzenloſe Feigheit. Das Gebrüll eines Löwen zerſprengt augenblicklich die Karavane; jedes Kamel wirft ſofort ſeine Laſt ab und ſtürzt davon. Das Heulen einer Hiäne beunruhigt das muthloſe Vieh außerordentlich; ein Affe, ein Hund, eine Eidechſe ſind ihm ent - ſetzliche Geſchöpfe. Jch kenne kein anderes Thier, mit welchem es in Freundſchaft lebt. Der Eſel ſcheint ſich ziemlich gut mit ihm zu vertragen: von beſonderer Freundſchaft zum Kamel kann aber auch bei ihm keine Rede ſein; das Roß ſcheint in ihm das widerwärtigſte aller Thiere zu erblicken. Seinerſeits ſcheint das Kamel die übrigen Thiere mit demſelben Mißmuthe anzuſehen, mit dem es den Menſchen betrachtet.

Doch die häßlichſte Untugend des Kamels iſt unzweifelhaft ſeine Störrigkeit. Man muß ein Kamel tagelang geritten haben, um dieſe Untugend in ihrer ganzen, entſetzlichen Ausdehnung kennen gelernt zu haben. Der Anfänger im Kamelreiten hat mit dem Aufſteigen und dem Sicherhalten im Sattel genug zu thun; ſowie das Ther ſtörriſch wird, iſt es zu Ende mit allem Reiten. Dann gehört ein Ausgelernter in den Sattel. Das Aufſteigen hat ſeine Schwierigkeiten. Der Reiter muß mit kühnem Sprunge in den Sattel ſpringen und hat anfangs bedacht zu ſein, um ſich feſtzu - ſetzen. Dieſen Augenblick benutzt das Thier, um allerlei Unthaten auszuführen. Der Reiter will ſich nach Süden hinwenden er darf überzeugt ſein, daß das Kamel nach Norden ſich richtet; er will traben das Kamel geht Schritt; er will es im Schritt gehen laſſen es geht mit ihm durch! Und wehe ihm, wenn er nicht erdentlich reiten, wehe ihm, wenn er das Vieh nicht zügeln kann! Er ziehe den Zaum an, ſoviel er will, er reiße den Kopf zurück, daß die Schnauze ſenkrecht nach oben ſteht, das Kamel wird um ſo toller davon ſtampfen. Und nun mag er ſich feſtſetzen und ſich wahren, damit ihn ſein Reitthier nicht nach vorn hin aus dem Sattel wirft, und er dabei auf den Hals deſſelben zu ſitzen kommt! Das liebenswürdige und tugendreiche Weſen iſt viel zu ernſt, als daß es ein ſolches Zuwiderhandeln aller Regeln höherer Reitkunſt als Scherz oder Berſehen hin - nehmen ſollte! Die nichtswürdige Behandlung, welche es ſeit ſeiner Zähmung von dem Menſchen erdulden mußte, hat ſeinen urſprünglich unzweifelhaft edlen und großen Charakter mürriſch und unduldſam gemacht. Es ſieht das Ungeſchick des Reiters von der ungünſtigſten Seite an, als Unbilliges, welches kein edles Herz erträgt , und ſucht ſich nach Kräften dagegen zu wehren. Ein Schrei der Wuth entringt ſich ſeinen nicht gerade anmuthigen Lippen, dann raſt es zornig davon. Die auf dem Sattel liegenden und an ihm hängenden Teppiche, Trinkſchläuche, Waffen ꝛc. werden herabgeſchleudert, und der Reiter folgt ſeinen Geräthſchaften zuletzt ſicher nach. Jetzt macht es ſchleunigſt einen Verſuch, der Zwingherrſchaft zu entrinnen und ſtürmt auf gut Glück in die Wüſte hinaus. Leider ſind die Kameltreiber auf alle dieſe Fälle vorbereitet. Augenblicklich eilen ſie dem Flüchtling nach; laufend, ſchleichend, eine unbefangene Miene heuchelnd, ſuchen ſie ſich ihm zu nähern; ſie bitten, locken, ſchmeicheln, bis ſie den nebenherſchleppenden Zügel erfaßt haben: dann aber zeigt ſich ihre ſchwarze Seele in ihrer ganzen Abſcheulichkeit. Mit einem Satze ſind ſie, die393Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.Kunſtgeübten, im Sattel, kräftig zügeln ſie das widerſpenſtige Thier, eilen auf ſeiner Spur zurück, ſuchen die abgeſchüttelten Gegenſtände zuſammen, laſſen das Kamel ſich niederlegen, prügeln es tüchtig ab und beladen es, als wäre Nichts geſchehen, mit unendlicher Ruhe von neuem. Und ſollte es ihnen wirklich nicht gelingen, des Flüchtlings wieder habhaft zu werden, ſo ſind dafür hundert Andere, ganz Unbetheiligte, immer bereit, ein herrenloſes Kamel einzufangen und es, ſeiner Spur folgend, zum Ausgangspunkte ſeiner Luſtwandlung zurückzureiten; denn kein Araber läßt ein flüchtig gewordenes Kamel entrinnen, ohne wenigſtens den Verſuch gemacht zu haben, es wieder unter die rechtmäßige Botmäßigkeit zurückzuführen. Daß bei ſolcher Behandlung das vortreffliche Geſchöpf ſeinen Seelenſchmerz in herzerſchütternden Seufzern zum Himmel ſchreit, iſt ſehr erklärlich.

Mit einem Worte, das Kamel ſteht an Adel hinter ſämmtlichen, übrigen Hausthieren zurück; es beſitzt keine einzige, wirklich großartige Eigenſchaft des Geiſtes, es verſteht die Kunſt, den Men - ſchen raſend zu machen: und deshalb hat auch die Bezeichnung Kamel, welche unſere Hochſchüler anwenden, einen ſo tiefen Sinn; denn wenn man mit dieſem Titel einen Menſchen bezeichnen will, welcher die hervorragendſten geiſtigen Eigenſchaften eines Ochſen, Eſels, Schafs und Maul - thieres in glücklichſter Weiſe in ſich vereinigt, kann man gar kein beſſeres Sinnbild wählen, als das Kamel.

Dieſer Schilderung iſt von mehreren Seiten entſchieden widerſprochen worden; gleichwohl bleibe ich bei ihr ſtehen und vertrete die Wahrheit des Geſagten auch heute noch. Daß die inzwiſchen verlaufene Zeit meiner Erinnerung eine heitere Färbung gegeben hat, will ich gern zugeſtehen; im ganzen aber iſt die Beſchreibung des geiſtigen Weſens ſicherlich richtig und nur von Einem, welcher mindeſtens ebenſo lange Kamele behandelt hat, und von ihnen mißhandelt worden iſt, als ich, laſſe ich mir widerſprechen. Jch habe mich auf meiner letzten Reiſe nach Habeſch wieder überzeugt, daß ich dem edlen Wüſtenſchiffe nicht zuviel gethan.

Noch abſchreckender, als gewöhnlich, iſt ein Kamel zur Brunſtzeit. Dieſe iſt nach den verſchiede - nen Oertlichkeiten eine wechſelnde. Jm Norden fällt ſie in die Monate Januar bis März; denn ſie währt volle acht bis zehn Wochen. Um dieſe Zeit iſt das männliche Kamel, oder der Kamelhengſt, ein wirklich abſcheuliches Geſchöpf. Er iſt ſehr unruhig, lärmt, brüllt, beißt, ſtößt und ſchlägt nach ſeinen Gefährten und ſeinem Herrn. Er wird oft ſo wüthend, daß man ihm nicht blos den Naſenzaum, ſondern auch noch einen beſonderen Maulkorb anlegen muß, um Unglücksfälle zu ver - hüten. Daß ſolche wirklich ſtattfinden, kann ich aus eigener Erfahrung beſtätigen. Einer meiner Kameltreiber war von einem Kamel verſtümmelt worden. Das wüthende Thier hatte ihn, während er, ohne etwas zu fürchten, das Aufladen beſorgte, beim Ellenbogengelenk des rechten Armes gepackt und ihm das ganze Gelenk mit einem einzigen Biſſe zerſplittert. Der Mann blieb für ſein Leben lang ein Krüppel. Es ſind Beiſpiele bekannt, daß ſolche Kamele Leute durch Biſſe ge - tödtet haben.

Die Unruhe des brünſtigen Thieres ſteigert ſich immer mehr und mehr; es verliert die Freß - luſt, knirſcht oft wüthend mit den Zähnen und treibt, ſobald es ein anderes männliches Kamel, oder nochmehr, ſobald es ein weibliches ſieht, eine große ekelhafte Hautblaſe, den Brüllſack, aus dem Hals heraus. Dabei kollert, gurgelt, knurrt, brüllt und ſtöhnt es in der widerwärtigſten Weiſe. Der Brüllſack iſt nur ein dem erwachſenen Kamele eigenthümliches Organ und wird als zweites vor - deres Gaumenſegel angeſehen. Bei dem jungen Hengſt iſt die Blaſe noch nicht ſoweit entwickelt, daß ſie aus dem Munde hervortritt; bei alten Hengſten erreicht ſie eine Länge von 14 bis 15 Zoll und kann, wenn ſie aufgeblaſen wird, die Größe eines Menſchenkopfes erreichen. Oft bemerkt man auf beiden Seiten des Mundes Blaſen; gewöhnlich aber tritt blos eine und auf einer Seite hervor. Beim Austreiben wirft das Thier den Kopf vorwärts, kollert, gurgelt, geifert und bläſt nun mehr und mehr Luft in die eigenthümliche Hülle, auf welcher die manchfach verzweigten Gefäße, welche ſie durchflechten, dann grell hervortreten. Beim Einathmen entleert ſich die Blaſe ſofort wieder und erſcheint dann als ein rundlicher Hautſack, welcher ſogleich in das Maul zurückgeſchlürft, bald darauf394Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.aber von neuem wieder hervorgeſtoßen wird. Den eigenen Harn fängt das Thier oft mit ſeiner Schwanzquaſte auf und beſpritzt ſich oder andere damit. Die Drüſen am Halſe ſondern jetzt heftig ab und verbreiten einen wahrhaft peinlichen Geſtank. Bei der geringſten Gelegenheit entflieht das Thier und ſtürzt wie toll in die Wüſte hinaus. Kommt es nun endlich mit einem weiblichen Kamel zurück, ſo iſt es doch nicht im Stande, ohne Hilfe der Araber die Begattung ausznüben; es müht ſich lange Zeit vergeblich, ſpringt wie verrückt auf das weibliche Kamel und wird um ſo wüthender, je weniger es ausrichten kann. Die Araber vermitteln endlich die Sache, indem ſie das weibliche Kamel niederlegen und dem männlichen noch anderweitig behilflich ſind.

Ein Männchen genügt für ſechs bis acht Weibchen. Nach elf bis dreizehn Monaten wirft die Kamelſtute oder Nädje, wie die Araber ſie nennen, ein einziges Junge. Das iſt ein verhältniß - mäßig ſehr hübſches Geſchöpf. Es iſt allerdings von dem erſten Tag ſeines Lebens an eine kleine Mißgeſtalt, aber hat, wie alle jungen Thiere, etwas Drolliges und Luſtiges. Es wird mit offenen Augen geboren und iſt mit ziemlich langem, dichten, weichen, wolligen Haar bedeckt. Sobald es trocken geworden iſt, folgt es ſeiner Mutter, welche mit großer Liebe ſich ſeiner annimmt. Der Höcker iſt ſehr klein und die Schwielen ſind kaum noch angedeutet. An Größe übertrifft es ein friſch geworfenes Füllen bedeutend; es iſt etwa dritthalb Fuß hoch, nach Verlauf einer Woche aber ſchon über drei Fuß. Bei weiterem Wachsthum nimmt die Wolle ſehr an Dichtigkeit und Länge zu, und das junge Kamel hat dann eine wirklich auffallende Aehnlichkeit mit dem Alpaka, ſeinem amerika - niſchen Verwandten. Wenn zwei Stuten mit ihren Füllen zuſammenkommen, ſpielen die jungen Geſchöpfe in recht liebenswürdiger Weiſe, und die Alten bemühen ſich nach Kräften, dieſe Spiele zu unterſtützen, d. h. ſie brummen den kleinen übermüthigen Kindern ihren Beifall zu und laufen ihnen luſtig nach, wohin ſie ſich auch wenden wollen. Ueber ein Jahr lang ſäugt das Kamel ſein Junges, und während dieſer Zeit zeigt es einen mehr als gewöhnlichen Muth, indem es unter Umſtänden ſeinen Sprößling nach Kräften vertheidigt; dabei verdient aber bemerkt zu werden, daß nur die eigene Mutter ſich um ihr Kind bekümmert, niemals ein anderes Kamel; denn dazu ſind dieſe ſtumpfen Geſchöpfe viel zu gleichgiltig.

Mit Beginn des zweiten Jahres entwöhnen die Araber die Kamelfüllen, indem ſie dieſelben von ihrer Mutter entfernen oder auch auf andere Weiſe am Saugen verhindern. Hier und da erreicht man den erwünſchten Zweck, indem man dem jungen Kamel einen an beiden Seiten zugeſpitzten Pflock durch die Naſenſcheidewand ſticht. Der Pflock kitzelt oder verletzt die Kamelſtute am Euter, und ſie ſchlägt dann ſelbſt ihr Junges ab. Schon wenige Tage, nachdem eine Stute geworfen hat, wird ſie wieder zum Arbeiten benutzt; das Junge trabt ledig hinter der Mutter her. Auch die entwöhnten jungen Kamele werden mit auf die Reiſe genommen, damit ſie frühzeitig weite Wege er - tragen lernen.

Je nach der größeren oder geringeren Schönheit des Thieres, richtet man vom dritten Jahr an das Kamel zum Reiten oder zum Laſttragen ab. Da, wo es viele gibt, beladet man unſer Thier erſt mit Beginn des fünften Lebensjahres, während man es in kamelärmeren Gegenden bereits mit Ablauf des dritten Jahres zur Arbeit zwingt. Die Reitkamele werden von den Knaben der Kamel - beſitzer abgerichtet, weil dieſes Geſchäft den Buben ein ganz beſonderes Vergnügen macht. Die Ab - richtung ſelbſt iſt ſehr einfach. Das junge Kamel bekommt einen leichten Sattel aufgelegt und eine Schlinge um die Schnauze geſchnürt. Der junge Reiter ſetzt ſich in den Sattel und treibt es zum Trabe an; ſobald es in Galopp verfällt, bändigt er es, legt es nieder und prügelt es; ſobald es Schritt gehen will, ermuntert er es durch Zurufen und durch Fuchteln mit der Peitſche, bis es ſich gewöhnt, wenn es den Reiter auf ſich hat, im Trabe zu laufen. Mit Ende des vierten Jahres wird es dann, ſo zu ſagen, dem Verkehre übergeben und zu größeren Reiſen benutzt. Ein gutes Reitkamel muß ſeine Beine beim Traben weit aus einander ſetzen und ſowenig als möglich ſtoßen. Erfüllt es die letztere Anforderung, ſo pflegt der Araber wohl preiſend zu ſagen, daß man eine tür -395Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.kiſche Taſſe Kaffee auf ſeinem Rücken trinken könne, ohne Etwas davon zu verſchütten; dabei darf es nicht ſtörriſch ſein, kurz, es muß die drei angeführten Eigenſchaften in vollem Maße beſitzen.

Die Sattelung oder Zäumung des Kamels iſt ganz eigenthümlich. Der Serdj oder Reitſattel ruht auf einem feſten, ſauber gearbeiteten Geſtell und beſteht aus einem muldenförmigen Sitz, welcher gerade auf den Rückenhöcker des Thieres geſetzt wird und ſich ungefähr einen Fuß über denſelben erhebt. Das Untergeſtellt iſt mit vier Kiſſenpolſtern belegt, welche zu beiden Seiten des Höckers auf - liegen, denn dieſer ſelbſt wird ſowenig, als möglich bedrückt. Drei feſte und breite Gurte, von denen zwei um den Bauch und ein dritter um den Vorderhals laufen (um das Nachhintenrutſchen des Sattels zu verhüten), ſchnallen ihn feſt. Vorn und hinten ſteigen zwei Knöpfe auf; an ihnen wer - den die nöthigen Reiſegeräthſchaften aufgehängt. Der Zaum beſteht aus einem fein geflochtenen Lederſtrick, welcher halfterartig um Kopf und Schnauze des Thieres geſchlungen iſt und beim An - ziehen das Maul zuſammenſchnürt; alle Reitkamele aber führen noch einen Beizügel, d. h. eine dünne Lederſchnur, welche in dem einen durchbohrten Naſenloch befeſtigt wird. Ein Gebiß hat der Hedjin nicht; die beiden Zügel genügen auch vollkommen. Der Reiter trägt am beſten weiche, lang - geſchäftete Stiefeln ohne Sporen, enge Beinkleider, eine kurze Jacke mit weiten Aermeln, die Leib - binde, die rothe Mütze und das dichte Baumwollentuch der Beduinen, mit welchem er ſich bei großer Hitze kapuzenartig den Kopf verhüllt. Einzelne werfen auch den weißen Burnus über. Um das Gelenk der rechten Hand hängt die unerläßliche Reitpeitſche, in Nord-Oſt-Afrika ein zugerundetes, an der Spitze geöltes Stück aus der Haut des Nilpferdes. So ausgerüſtet tritt der Hedjahn zu ſeinem Kamel, bringt das Thier mit unnachahmlichen Kehltönen und ruckweiſem Anziehen des Zügels zum Niederlegen; ermahnt es durch denſelben Kehlton, welcher dem Laut eines mit aller Kraft ausge - ſtoßenen ch ungefähr ähnlich klingt, zum Stilliegen, faßt den Zügel ſo kurz als möglich mit der linken, den vorderen Sattelknopf mit der rechten Hand, erhebt den Vorderfuß vorſichtig in den Sattel und ſchwingt ſich mit möglichſter Schnelligkeit nach oben, mit beiden Händen am vorderen Sattelknopf ſich feſthaltend. Es gehört eine ſehr große Gewandtheit dazu, das Kamel in dieſer, einem Hedjahn zukommenden Weiſe, zu beſteigen. Der Hedjahn wartet es nämlich nicht ab, bis ſich der Reiter in dem Sattel feſtgeſetzt hat, ſondern richtet ſich, ſobald er den geringſten Druck verſpürt, in drei, ruck - weiſe, aber mit ſehr großer Geſchwindigkeit auf einander folgenden Abſätzen empor. Ehe der Hed - jahn noch zum Sitzen kommt, erhebt ſich das Kamel auf die Handgelenke der Vorderbeine, ſtreckt ſodann die langen Hinterbeine mit einem Male aus und ſpringt ſchließlich vollends auf die Vorder - füße. Dieſe Bewegungen erfolgen ſo ſchnell auf einander und kommen dem Anfänger ſo unverhofft, daß er beim zweiten Ruck regelmäßig nach vorn aus dem Sattel und entweder auf den Hals des Kamels oder zur Erde ſtürzt. Jmmer geberdet ſich das liebe Thier dabei, wie ich oben beſchrieb, und erſt nach ziemlicher Uebung kommt man dahin, allen ſeinen Unarten zu begegnen, allen Wir - kungen der Stöße beim Aufſpringen durch Vor - und Zurückbeugen auszuweichen und ſeinen Platz im Sattel zu behaupten. Reiſende Engländer pflegen ſich zum Beſteigen des Hedjahn kleiner Leitern zu bedienen oder hängen zu beiden Seiten des Sattels Körbe auf, in denen zwei Perſonen Platz nehmen; dann gewähren ſie das ergötzlichſte Schauſpiel von der Welt: denn ſie erinnern auf das lebhafteſte an die gute, alte Zeit, in welcher die Kamelführer mit ihrer Affengeſellſchaft von Dorf zu Dorf zogen. Reiſende Frauen werden in Sänften befördert, welche entweder von zwei Kamelen getragen oder zu beiden Seiten des Kamels befeſtigt werden. Letztere nennt man Tachterwahn. Es ſind große nach oben laubenartig überdeckte enge vergitterte Körbe. Ein im Lande Eingewöhnter aber reitet den Hedjahn in der angegebenen Weiſe und genießt dadurch alle Annehmlichkeiten einer Kamelreiſe, ohne deren Unannehmlichkeiten empfinden zu müſſen. Man gewöhnt ſich gar bald an das Reiten auf einem dieſer ſchnellfüßigen Thiere, obgleich man im Sattel hoch über dem Kamel, wie in einem Stuhle, ſitzt, ſich durch beſondere Kunſtgriffe im Gleichgewicht erhalten muß und nur mit den gekreuzten, über Nacken und Hals gelegten Füßen feſthalten kann. Am Sattel hängen die Taſchen mit Schießbedarf, die Waffen, Piſtolenhalfter, ein Sack mit Datteln und die Simſemïe,396Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.ein Schlauch aus ſteifem Sohlenleder mit verkorkbarer Oeffnung. Der Sitz wird mit einem lang - zottigen, gewöhnlich brennend roth oder blau gefärbten Schaffell bedeckt, der Teppich und das Kopf - kiſſen eingeſchnürt neben den Sattel gehängt. So hat man alle Bedürfniſſe der Reiſe bei ſich und kann nun nach eigenem Gutdünken ſo ſchnell reiten, als man will. Wenn die Karavane langſamen Schrittes ihren einförmigen Weg verfolgt, ruht man da, wo man einen Anfall feindlicher Beduinen - ſtämme nicht zu befürchten hat, noch behaglich im Lager, oder eilt mit ſeinem Hedjahn den Laſt - kamelen voraus, um während der Hitze des Mittags unter luftigem Zelte verweilen zu können. Der Reiſezug kommt gegen Mittag bei den Lagernden an, zieht langſam an ihnen vorüber und verſchwindet dem Auge wieder. Der Reiter hat noch gute Zeit, er läßt ihn meilenweit vorangehen und ſteigt erſt nach langer Raſt wieder in den Sattel, weil er ſicher iſt, auch mit einem nur mittelmäßigen Läufer, zugleich mit der Karavane im Nachtlager einzutreffen. So legt man ohne große Ermüdung bedeu - tende Reiſeſtrecken zurück, während man, wenn man mit den, das Gepäck tragenden Kamelen dahin - zieht, immer wie an allen Gliedern zerſchlagen im Nachtlager ankommt.

Zum Beladen der Laſtkamele dient ein höchſt einfaches, gepolſtertes Holzgeſtell, die Rauïe , über welche die beiden Laſtſtücke einer Ladung gehangen werden. Dieſer Sattel wird nun durch den Druck und das Gleichgewicht der beiden Frachtſtücke in ſeiner Lage auf dem Rückenhöcker des Thieres erhalten, und daher kommt es, daß das Laſtkamel ſo leicht ſeine Bürde abwerfen kann. Blos in eini - gen Gegenden hat man den Sattel verbeſſert, indem man ihm Gurte zum Anſchnüren beigibt und ihn ſeitlich mit ſtarken, aus Baſtſtricken geflochtenen Netzen behängt, in welche die Frachtſtücke ein - gewickelt werden. Bei dem gewöhnlichen Holzſattel muß jedes Laſtſtück beſonders vorgerichtet wer - den. Man umſchnürt es und bildet aus den Stricken zwei Schlingen, welche dann in einander geſteckt und vermittelſt eines durchgeſchobenen Pflockes feſtgehalten werden. Soviel als mög - lich wählt man ſich gleich ſchwere Laſtſtücke aus, legt ſie in einer gewiſſen Entfernung auf den Boden hin, führt das Kamel zur Stelle, läßt es ſich zwiſchen beiden Laſtſtücken niederlegen, hält es während des Beladens am Boden feſt, hebt die Stücken empor, vereinigt ihre Haltſchlingen und läßt das Kamel aufſtehen.

Gänzlich unwahr iſt die Behauptung, welche man noch heute wiederholt, daß Kamele, denen man mehr aufbürdet, als ſie zu tragen vermochten, liegen bleiben, auch wenn man ihnen ihre Laſt wieder abgenommen hat und über die Gemeinheit des Menſchen entrüſtet, den Tod erwarten. Ein übermäßig geladenes Kamel ſpringt nicht auf, weil es nicht kann; erleichtert man aber ſeine Laſt, ſo erhebt es ſich ohne weiteres oder wenigſtens, wenn man es durch einige Hiebe anſpornt, wieder auf ſeine Füße. Anders iſt es, wenn ein Kamel bei längerer Wüſtenreiſe unter ſeiner Laſt zuſammenbricht; dann iſt es aber nicht Störrigkeit, ſondern vollkommene Entkräftung, an der es für immer liegen bleibt. Das Kamel hat einen ſehr ſichern und ruhigen Gang und ſtürzt auf ebenen, trockenen Wegen niemals, ſo lange es bei Kräften iſt; unterliegt es aber den Beſchwerden einer Reiſe und ſtürzt es zuſammen, dann iſt es ſo angegriffen, daß es keinen Schritt mehr thun kann. Und weil man nun in der Wüſte ihm Nichts zu bieten vermag, was ihm wieder neue Kräfte verleihen könnte, weil dort die Nahrung und das Getränk fehlen, bleibt es für immer liegen.

Bei Wüſtenreiſen wird ein Laſtkamel mit höchſtens drei Centnern beladen, auf kürzere Strecken hin wohl auch mit vier. Mehr bekommt es nicht aufgebürdet. Dem egyptiſchen Kamel dagegen wurden zuweilen ſo außerordentliche Laſten aufgelegt, daß es die Regierung für nöthig befand, ein Geſetz zu erlaſſen, welches die Belaſtung auf höchſtens ſieben arabiſche Centner oder fünf - hundertſiebzig wiener Pfund feſtſetzte. Während meiner Anweſenheit in Egypten erläuterte mein Freund und Gönner, Latief-Paſcha, den Ernſt dieſes Geſetzes einem Fellah oder egyptiſchen Bauern in echt erzväterlicher und überzeugender Weiſe. Er war damals Statthalter der Provinz Siut in Oberegypten und hatte als ſolcher auch Jedermann Recht zu ſprechen. Man traf ihn jeden Tag in dem ſchönen Regierungsgebäude, durch deſſen Hof der Weg vom Strome zur Stadt führt,397Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.und die hohen Pforten ſeines Diwahns oder Geſchäftszimmers waren Jedermann ohne Unter - ſchied geöffnet.

Eines Tages ſitzt Latief auch zu Gericht. Da kommt ein rieſiges, mit einer gewaltigen Laſt befrachtetes Kamel in den Gerichtsſaal geſchwankt.

Was will das Thier? fragt der Bëi; ſeht, es iſt unverantwortlich beladen! Wiegt ſeine Laſt!

Man thut es und findet, daß das Kamel zehn Centner oder tauſend arabiſche Pfund getragen. Nach kurzer Zeit erſcheint der Eigenthümer des Thieres und ſieht zu ſeinem höchſten Erſtaunen, mit was die Amtsfrohne beſchäftigt ſind.

Weißt du nicht, donnert der Bëi ihn an, daß du deinem Kamele nur ſiebenhundert und nicht tauſend Pfund aufbürden darfſt? Gewiß, die Hälfte dieſer Summe, dir in Hieben zugemeſſen, würde dich drücken; wie vielmehr drückt das Doppelte dein Thier! Aber beim Bart des Propheten und bei Allah, dem Erhabenen, der Menſchen und Thiere geſchaffen hat zu Brüdern: ich will dir be - weiſen, was es heißt, ein Thier zu quälen. Ergreift ihn und zählt ihm fünfhundert Streiche auf!

Dem Befehl wird gehorcht. Der Fellah erhält die ihm beſtimmte Strafe.

Jetzt gehe, ſagte der Richter, und wenn dein Kamel dich noch einmal verklagt, dann erwarte Schlimmeres!

Der Herr erhalte dich, Herrlichkeit, und ſegne deine Gerechtigkeit, ſagt der Fellah, und geht.

Um den Gang des Kamels zu beſchleunigen, ſchnalzt der Kamelreiter in eigenthümlicher Weiſe mit der Zunge oder fuchtelt, wenn Dies nicht hilft, mit der ſchlanken Reitpeitſche durch die Luft. Ein gutes Kamel darf niemals geſchlagen werden; ihm genügt auch dieſe Aufmunterung voll - ſtändig. Bei manchen Karavanen tragen die Thiere Schellen oder Glöckchen und ſcheinen ſich beſonders an deren Klange zu erfreuen. Auch Geſang ermuntert ſie, wie wir oft bei unſeren - ſtenreiſen bemerken konnten. Wenn der Abend herankam und die ermüdeten und verbrannten Söhne Nubiens zu neuem Leben erweckte, floſſen von Aller Lippen bunte Lieder; die Kamele erhoben die Köpfe, ſpitzten die Ohren und ſchienen etwas mehr Ausdruck in ihre Stelzenſchritte bringen zu wollen, als bisher. Auch bei den Hochzeitszügen, wo das Kamel gebraucht wird, um in großen Sänften, in förmlich künſtleriſch gebauten Lauben aus Palmenwedeln, vier bis ſechs Frauen zu tragen, ſtelzt es mit einer gewiſſen Freude hinter den arabiſchen Tonkünſtlern her, welche mit ihren Werkzeugen aus der Kinderzeit der Tonkunſt einen wahren Höllenlärm hervorrufen. So ſcheint es wirklich, daß das ſtumpfe Vieh wenigſtens noch für Etwas Sinn hat, was nicht gefreſſen werden kann.

Der Preis für ein gutes Kamel ſchwankt nach den verſchiedenen Gegenden. Ein ausgezeichneter Biſcharin wird, wenn man ihn aus erſter Hand nimmt, mit 80 bis 120 Thlr. unſeres Geldes be - zahlt, ein gewöhnliches Laſtkamel koſtet ſelten mehr als 30 Thlr. Nach unſeren Begriffen iſt dieſer Preis freilich ein ſehr geringer: im Sudahn aber, wo das Geld großen Werth hat, drückt er eine außerordentlich hohe Summe aus. Junge und ſchlechte Kamele kann man ſchon mit 10 Thlr. kaufen. Faſt in allen Gegenden iſt der Preis eines Kamels dem eines Eſels ungefähr gleich; im Sudahn aber koſtet ein guter Eſel immer bedeutend mehr, als das beſte Kamel.

Das Kamel iſt mancherlei Krankheiten unterworfen; aber nur unter den erwähnten niederen Breiten treten dieſe Krankheiten ſeuchenartig auf und raffen viele Thiere dahin. Jm Norden ſind Leibſchneiden und Durchfall die gefährlichſten Krankheiten. Einzelne Kamele werden auch von einer gewiſſen Art von Starrkrampf befallen und erliegen dieſem in ſehr kurzer Zeit. Jm Sudahn ſoll, wie ich ſchon andeutete, eine Fliege ſchreckliche Verheerungen anrichten; wahrſcheinlich iſt es das Klima, welches die Thiere umbringt. Weit mehr Kamele aber, als durch alle Krankheiten zu398Die Kamele. Das einhöckerige Kamel oder das Dromedar.Grunde gehen, ſterben auf ihren Berufswegen, und nur die wenigſten werden geſchlachtet. Der Tod des Thieres hat immer etwas Dichteriſches, er mag nun auf dem fahlen Sandbette der Wüſte oder vor der Schlachtbank erfolgen. Jn den Wüſten iſt der Samuhm der ſchlimmſte Feind unſerer Thiere. Sie wittern dieſen gifthauchenden Wind ſchon Stunden vor ſeinem Ausbruch. Die furchtbare Schwüle, welche dem Sandſturm vorausgeht, wiſſen auch ſie zu deuten; ſie werden ängſtlich, ſchen, wild und ſtörriſch und traben, trotz der ſichtlichen Ermüdung, ſo ſchnell als mög - lich vorwärts. Sobald der Sturm wirklich losbricht, ſind ſie durch kein Zureden zu bewegen, weiter zu gehen, ſondern lagern ſich, das Hintertheil gegen den Sturm gekehrt, den Kopf lang vorgeſtreckt und auf den Boden niedergelegt, in einer gewiſſen Ordnung nieder. Unzweifelhaft leiden ſie ver - hältnißmäßig ebenſoviel, wie der Menſch, welcher nach jedem Samuhm ſich an allen Gliedern wie zerſchlagen fühlt und eine Mattigkeit verſpürt, wie ſie ſonſt wohl nur anhaltende Krankheiten her - vorrufen. Wenn nun, nachdem der Glutwind vorüber iſt, die armen Thiere wieder belaſtet werden, und von neuem ihren beſchwerlichen Weg antreten, beweiſen ſie deutlich genug, daß ihnen jeder Schritt zur Qual wird. Jhr Durſt hat ſich ſicherlich ungemein vermehrt, und ihre Mattigkeit nimmt mehr und mehr überhand. Da geſchieht es dann oft, daß eines plötzlich niederſtürzt und durch kein Zureden, auch nicht einmal durch die Peitſche zu vermögen iſt, ſich wieder zu erheben. Trauernden Herzens nimmt ihm der Araber die Laſt ab und überläßt, vielleicht mit einer Thräne im Auge, das arme Geſchöpf ſeinem Schickſale; denn auch ihn hetzt das Geſpenſt des Durſtes raſtlos vorwärts: er darf ja nicht verweilen bei ſeinem Thiere! Ein kräftiger Trunk Waſſer, ein wenig Nahrung könnte dieſes retten: doch in der Wüſte und zumal nach dem Samuhm, welcher einen guten Theil des in den Schläuchen aufbewahrten Waſſers austrocknete, fehlt Speiſe und Trank. Am nächſten Morgen iſt das Kamel eine Leiche, und ehe noch der Mittag herankommt, ziehen bereits hoch über ihm ſeine Beſtatter, die Geier, ihre Kreiſe, und einer nach dem anderen ſenkt ſich hernieder; ein ſcheußliches, gieriges Schlachten beginnt auf dem Leichnam, und am Abend findet der hungrig umherſchleichende Schakal oder die gierige Hiäne kaum noch ſoviel vor, um ſich zu ſättigen.

Wahrhaft ergreifend iſt es, wenn der Metzger dem Kamel befiehlt, niederzuknien, um den Todesſtreich zu empfangen. Nichts ahnend gehorcht es dem Zuruf ſeines Herrn, kauert ſich auf den Boden nieder und empfängt plötzlich mit einem haarſcharfen Meſſer den tödtlichen Stoß in die Kehle, ſelbſtverſtändlich unter dem dabei üblichen, drei Mal wiederholten Ausruf: Allahn Akbar! Gott iſt der Größte! Gewöhnlich iſt der Schnitt ſo gut gerichtet und ſo tief, daß auch gleich die Halswirbel mit durchſchnitten werden; dann ſtirbt das Thier augenblicklich. Wie wenn der Sa - muhm über die Wüſte hereinbricht, legt es ſeinen Kopf vor ſich nieder auf die Erde, zuckt noch ein paar Mal auf und iſt eine Leiche. Dann wird es umgewälzt, längs des Bauches aufgeſchnitten, ausgeworfen und abgehäutet und das Fell gleich als Fleiſchmulde benutzt. Das Fleiſch iſt hart und zähe und koſtet deshalb nur wenig, im Sudahn kaum einen halben Silbergroſchen unſeres Gel - des das Pfund. Das Blut wird nicht benutzt. Aus dem Fell macht man allerlei Geräthſchaften, obwohl das Leder des Thieres nicht beſonders haltbar iſt.

Die Milch des lebenden Thieres findet wenig Verwendung. Sie iſt ſo dick und ſo fettig, daß ihr Genuß dem Ungewohnten widerſteht. Dagegen wird die Loſung vielfach gebraucht. Bei Wüſten - reiſen, wo das Brennholz mangelt, ſammelt man am Morgen die kleinen, rundlichen, wallnuß - großen Brocken der harten, feſten und trockenen Loſung, welche für den nächſten Abend als Brenu - ſtoff dienen ſoll, und auch in dem holzarmen Egypten wird der Dünger des Kamels, wie der der Rinder, Pferde und Eſel, ſorgfältig aufgeleſen, zu einem Teige geknetet, in rundliche Kugeln ge - formt, in der Sonne getrocknet und dann als Brennſtoff aufgeſpeichert.

So nützt alſo das Kamel in vielfacher Hinſicht, und gerade dieſer Nutzen, dieſe Unentbehrlichkeit iſt es, welche dem ſonſt ſo häßlichen und geiſtig ſo tiefſtehenden Thiere wenn auch nicht die Liebe, ſo doch die Anerkennung des Menſchen erwirbt.

399Das Trampelthier.

Faſt dieſelbe Rolle, welche das Dromedar in den oben angegebenen Gegenden ſpielt, iſt im Oſten und in der Mitte Aſiens dem Trampelthier oder baktriſchen Kamel (Camelus bactrianus) beſchieden. Dieſes Thier iſt unzweifelhaft noch viel häßlicher, als das Dromedar; ja, man darf es wohl als den häßlichſten, mißgeſtaltetſten aller Wiederkäuer bezeichnen. Vom Drome - dar unterſcheidet es ſich durch den Beſitz zweier Rückenhöcker, von denen der eine aus dem Wi - derriſt, der andere vor der Kreuzgegend ſich erhebt. Sein Name iſt bezeichnend; denn ſeine Geſtalt iſt ſo ſchwerfällig, ſo plump, daß neben ihm das Dromedar geradezu als ein zierliches Geſchöpf erſcheinen muß. Die Behaarung iſt weit reichlicher, als bei dem letzteren, die Färbung regelmäßig

Das Trampelthier (Camelus bactrianus).

dunkler, gewöhnlich tiefbraun, im Sommer röthlich. Die Körpermaſſe des Trampelthieres iſt größer, als die des Dromedars, die Beine aber ſind viel niederer, und gerade dadurch erſcheint die Mißge - ſtaltung dieſes Geſchöpfes um ſo größer.

Auch das Trampelthier dient ſeit den älteſten Zeiten den Tartaren, Mongolen und Chineſen als Hausthier und wird ganz in derſelben Weiſe verwendet, wie das Dromedar; nur kann man es nicht in ſolcher Ausdehnung als Reitthier benutzen, weil es, wie bemerkt, ſeinem Namen alle Ehre macht, und einen ſo ſchwerfälligen Gang geht, daß ein ſchnelleres Reiſen mit ihm geradezu unmöglich iſt.

400Die Kamele. Die Lamas.

Das Trampelthier beſorgt den großartigen Waarenhandel, welcher im Jnnern Aſiens getrieben wird, und vermittelt faſt allen Verkehr, welcher zwiſchen China und Rußland beſteht. Von Peking aus gehen große Karavanen bis weit durch ganz China hindurch und bis weit nach dem aſiatiſchen Rußland hinein. Sein dichter Pelz macht es dem Thiere möglich, auch in kalter Gegend ſich wohl zu befinden: es kann ſelbſt im Winter ſeinen Dienſt verrichten. Namentlich die Bucharen beſitzen große Herden von Trampelthieren; ſie ſind es auch, welche den großen Austauſch der indiſchen Waaren gegen ruſſiſche und ſibiriſche vermitteln. Die Kalmücken ſehen das Trampelthier als ihr nützlichſtes Hausthier an; es ermöglicht ihnen ihr Romadenleben. Es trägt die ganze Familie mit Sack und Pack durch die unabſehbaren Steppen, ſchleppt ihr Holz und Schilfrohr herbei, gibt ihr ſeine Milch, ſeine Wolle, ſein Fleiſch und ſein Fell. Jn den kälteren Gegenden Sibiriens ſchützt man es im Winter noch beſonders durch eine Kleidung von Decken, welche aus ſeinen eigenen Haa - ren bereitet wurde. Die Kirgiſen hüllen die Thiere förmlich in ſolche Decken ein. Jn jenen Län - dern hat das Trampelthier faſt ganz daſſelbe Schickſal, wie das Dromedar in Afrika oder Weſtaſien: was dieſem der Samuhm iſt, iſt jenem der Schneeſturm; die Leiden, welche dem Dromedar die Hitze bringt, erleidet das Trampelthier während des Winters. Die Perſer gebrauchen es noch in ganz beſonderer Weiſe, gleichſam als lebende Feſtungen. Sie legen ihm einen ſchweren Sattel auf, welcher als Lafette für ein leichtes Geſchütz dient, und hängen ihm hinten in Säcken den Schießbedarf an. Beſonders eingeſchulte Geſchützkundige reiten ſolche Kamele und bilden eine unter Umſtänden ſehr nützliche Truppe des Heeres.

Jn ſeinem Weſen ſcheint das Trampelthier viel Aehnliches mit dem Dromedar zu haben; doch fehlen hierüber noch ausführlichere Berichte. Die Brunſtzeit tritt im Februar ein und währt bis April; die Hengſte kämpfen ganz in derſelben Weiſe, wie die Dromedare, und begatten ſich eben - falls nur mit Hilfe ihrer Herren. Beide Arten ſollen ſich fruchtbar vermiſchen und mit einander Junge erzeugen, welche bald einen, bald zwei Buckel haben, aber immer wieder fruchtbar ſind.

Auch die Kamele beweiſen uns, daß die amerikaniſchen Thiere, welche als Vertreter altwelt - licher Arten oder Sippen auftreten, gegen dieſe betrachtet, nur Zwerge ſind. Die Lamas (Au - chenia) ſind Kamele; aber ſie ſtehen hinter den altweltlichen Arten in ihrer Größe ebenſoweit zu - rück, wie der Puma hinter dem Löwen, oder wie der größte Dickhäuter Amerikas hinter dem Rieſen der alten Welt. Freilich kommt hierzu, daß die amerikaniſchen Kamele Bewohner der Gebirge ſind und ſchon deshalb nicht dieſelbe Größe erreichen können, wie ihre altweltlichen Verwandten, welche der Ebene angehören. Die Lamas unterſcheiden ſich von den eigentlichen Kamelen aber nicht blos durch ihre geringere Größe, ſondern auch durch den verhältnißmäßig großen, ſtark zurückgedrückten Kopf mit ſpitzer Schnauze, verhältnißmäßig großen Ohren und Augen, durch den dünnen, ſchmächtigen Hals, die hohen und ſchlanken Beine mit mehrgeſpalteten Zehen und nur geringen Schwielen, und durch das lange, wollige Haarkleid. Dem Rumpf fehlt der Höcker; die Weichen ſind noch mehr eingeſchnürt, als bei den echten Kamelen. Die beiden oberen Schneidezähne ſind nach vorn breit und abgerundet, nach hinten ſchmal, die unteren zwei, welche ſehr breit und hinten gekantet ſind, ſtehen wagerecht im Kiefer; die Backzähne ſind einfach gebaut und ändern nach dem Alters - zuſtande, indem der vorderſte, eckzahnartige ſchon bei dem Saugen verloren geht. Lange Halswirbel, zehn Bruſtwirbel, der Zwerchfell -, ſieben Lenden -, fünf Kreuz - und zwölf Schwanzwirbel kenn - zeichnen das Geripp. Die lange, ſchmale Zunge iſt mit harten, hornigen Wärzchen bedeckt, der Panſen wird in zwei Hälften getheilt, der Pſalter fehlt, der Darmſchlauch erreicht die ſechszehnfache Länge des Leibes.

Die Lamas zerfallen in vier verſchiedene Arten oder wenigſtens Formen, welche ſchon ſeit alten Zeiten die Namen Guanaco, Lama, Paco oder Alpaca und Vicuña führen. Schon ſeit401Die Lamas.ziemlich langer Zeit nämlich ſind die Forſcher darüber uneinig, ob ſie die vier verſchiedenen, zu unſerer Sippe gehörigen Thiere ſämmtlich als beſondere Arten anſehen ſollen, oder nicht. Die Einen erblicken in dem Guanaco die Stammart des Lama und des Paco und glauben vornehmlich darin eine Unterſtützung ihrer Meinung zu finden, daß Lama und Guanaco ſich fruchtbar mit ein - ander vermiſchen und fruchtbare Blendlinge erzeugen. Die Anderen halten ſich mehr an das eigen - thümliche Weſen der Thiere, und erachten die Verſchiedenheiten, welche ſich darin ſpiegeln, noch für wichtiger, als die geringen Unterſchiede in der Geſtalt, jedenfalls für wichtig genug, um ſie, wie die Eingeborenen es immer gethan haben, als beſondere Arten anzuſehen. Da nun in der Neuzeit einer der tüchtigſten Forſcher, von Tſchudi, die Anſicht der Eingeborenen theilt, brauchen wir wohl ebenfalls keinen Anſtand zu nehmen, die vier verſchiedenen Thiere auch als vier verſchiedene Arten zu betrachten. Uebrigens wäre es auch vollkommen gleichgiltig, ob wir Dies thäten, oder nicht; denn ſoviel iſt ſicher, daß jedes einzelne der betreffenden Thiere wichtig genug iſt, um eine ausführlichere Beſchreibung zu rechtfertigen.

Der Guanaco und die Vicuña leben noch heutigen Tages wild; die anderen Arten unſerer Sippe ſind ſchon ſeit undenklichen Zeiten zu Hausthieren geworden. Bereits die erſten Entdecker Amerikas fanden das Lama und das Alpaca im gezähmten Zuſtande vor; die wunderbare und märchenhafte Geſchichte der Peruaner verlegt die Zähmung der Thiere in das früheſte Zeitalter menſchlichen Daſeins und bringt ſie mit der irdiſchen Erſcheinung ihrer Halbgötter in Verbindung. Abergläubiſche Anſchauungen der verſchiedenſten Art herrſchten unter jenen Völkerſchaften hinſicht - lich der Verwendung des Lama beim Opferdienſt; namentlich die Farbe der zum Weihopfer der Götter beſtimmten Thiere war, je nach den verſchiedenen Feſten, genau vorgeſchrieben. Die zuerſt landenden Spanier fanden überall bedeutende Lamaherden im Beſitz der Gebirgsbewohner, und be - ſchrieben die Thiere, wenn auch etwas unklar, doch ſo ausführlich, daß man ſelbſt die einzelnen Formen ohne Mühe erkennen kann. Schon Xerez, welcher die Eroberung Perus durch Pizarro beſchrieb, erwähnt des Lamas als eines Laſtthieres.

Sechs Leguas von Caramalca, ſagt er, wohnten an einem mit Bäumen umwachſenen See indianiſche Hirten mit Schafen von verſchiedenen Arten, mit kleinen, wie die unſrigen, und mit ſo großen, daß ſie dieſelben als Laſtthiere zum Tragen ihrer Bedürfniſſe brauchten.

Pedro de Cieza unterſcheidet die vier Arten ſchon im Jahre 1541 ſehr genau.

Es gibt keinen Theil der Welt, wo man ſo ſonderbare Schafe findet, wie in Peru, Chile und einigen Provinzen des La Plata. Sie gehören zu den vortrefflichſten und nützlichſten Thieren, welche Gott erſchaffen hat, gleichſam aus beſonderer Sorge für die daſelbſt wohnenden Leute, welche ohne dieſes Vieh nicht im Stande wären, ihr Leben zu friſten. Jn den Thälern der Ebene ſäen die Eingeborenen Baumwolle und machen ſich daraus ihre Kleider; im Hochgebirge und in vielen anderen Gegenden wächſt weder ein Baum, noch Baumwolle, ſo daß die Einwohner Nichts hätten, um ſich zu kleiden. Daher gab ihnen Gott eine ſolche Menge von dieſem Vieh; aber die wüthenden Kriege der Spanier haben es bereits ſehr vermindert. Die Eingeborenen nennen die Schafe Lama, die Wid - der Urcos. Sie gleichen in der Größe einem kleinen Eſel mit breiten Hüften und dickem Bauch; am Hals und der Geſtalt ähneln ſie dem Kamel, im Ausſehen den Schafen. Die Thiere leben von den Kräutern der Felder. Sie ſind ſehr zahm und gar nicht widerſpenſtig; nur wenn ſie Schmerzen haben, werfen ſie ſich nieder und ächzen, wie die Kamele. Die Widder nehmen ſehr leicht zwei bis drei Arrobas auf den Rücken, und das Fleiſch, welches ſehr gut iſt, verliert Nichts von ſeiner Güte durch das Laſttragen.

Es gibt einen anderen Verwandten von dieſen Thieren, welchen ſie Guanaco nennen, von derſelben Geſtalt, aber größer. Davon laufen ſtarke Herden wild in den Feldern herum und ſpringen mit ſolcher Leichtigkeit, daß der Hund ſie kaum einholt. Außerdem findet man noch eine andere Sorte dieſer Schafe, welche Vicuña heißen. Sie ſind noch hurtiger, als die Guanaco, und gehen in den Wüſten herum, um die Kräuter zu freſſen, welche ihnen Gott hat wachſen laſſen. JhreBrehm, Thierleben. II. 26402Die Lamas. Der Guanaco.Wolle iſt vortrefflich und ſo gut, ja noch feiner, als die der Merinoſchafe. Jch weiß nicht, ob man Tuch aus ihr weben könnte; aber dasjenige Zeuch, welches für die Vornehmen dieſes Landes gewebt wird, iſt zum Verwundern ſchön. Das Fleiſch der Vicuñas und Guanacos iſt ſehr gut; es gleicht im Geſchmack dem Schaffleiſch. Jn der Stadt de la Paz habe ich geräuchertes Salzfleiſch von einem fetten Guanaco gegeſſen, welches mir ſo gut ſchmeckte, wie keines in meinem Leben. Endlich gibt es noch eine andere Art von zahmem Vieh, welches Paco heißt, aber ſehr garſtig und langwollig iſt; es hat auch die Geſtalt der Lamas oder Schafe, iſt aber kleiner. Die Lämmer gleichen ſehr den ſpaniſchen.

Ohne dieſe Widder und Schafe wäre man nicht im Stande, die vielen Waaren von Potoſi, welcher einer der größten Handelsplätze iſt, hin und her zu ſchaffen.

Aus dieſen Angaben geht unzweifelhaft hervor, daß ſich binnen dreier Jahrhunderte die vier verſchiedenen Formen der Lamas nicht verändert haben: und Das ſpricht doch ſicherlich für ihre Art - verſchiedenheit. Nach unſeren neueren Erfahrungen dürfen wir nicht mehr großes Gewicht darauf legen, daß Thiere verſchiedener Art ſich fruchtbar mit einander vermiſchen, und ſomit ginge ein we - ſentlicher Haltepunkt für Diejenigen verloren, welche in unſeren Thieren nur zwei Arten und bezüg - lich zwei durch die Zähmung hervorgerufene Raſſen ſehen wollen.

Alle Lamas ſind Bewohner der Hochebenen des gewaltigen Gebirges der Cordilleren. Sie be - finden ſich nur in den kalten Gegenden wohl und ſteigen deshalb blos im äußerſten Süden der Andeskette bis in die Pampas oder großen Ebenen Patagoniens herab. Jn der Nähe des Gleichers liegt ihr Aufenthaltsort in einer Höhe zwiſchen 13,000 bis 16,000 Fuß über dem Meere, und tiefer, als 8000 Fuß über dem Meere gedeihen ſie hier nicht, während ihnen dagegen das kalte Pata - gonien auch in geringeren Meereshöhen zuſagende Aufenthaltsorte bietet. Die wildlebenden ziehen ſich während der naſſen Jahreszeit auf die höchſten Kämme und Rücken der Gebirge zurück und ſteigen während der trockenen Zeit in die fruchtbaren Thäler herab. Sie leben in größeren oder kleineren Geſellſchaften, nicht ſelten in Rudeln von mehreren hundert Stück, und bilden Gegenſtände der eifrigſten Jagd.

Aus Rückſicht auf die Forſcher, welche nur zwei Lamaarten annehmen, ſtelle ich den Gna - naco oder Huanaco (Auchenia Huanaco) oben an. Er iſt mit dem Lama das größte der ſüd - amerikaniſchen Landſäugethiere und, obgleich nur im freien Zuſtande vorkommend, eines der wich - tigſten von allen. Jn der Größe gleicht er etwa unſerem Edelhirſch; in der Geſtalt iſt er ein ſonderbares Mittelding zwiſchen Kamel und Schaf. Bei vollkommen erwachſenen Thieren beträgt die Geſammtlänge des Leibes Fuß, die Länge des Schwanzes 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt Fuß, die Höhe vom Boden bis zum Scheitel 5 Fuß. Das Weibchen iſt kleiner, dem Männchen aber vollkommen gleich geſtaltet und gleich gefärbt. Der Leib des Guanaco iſt, wie der aller übrigen Lamas, verhältnißmäßig kurz und gedrungen, in der Bruſt - und Schultergegend hoch und breit, hinten aber ſchmal, und in den Weichen ſehr ſtark eingezogen. Der Hals iſt lang, dünn, ſchlank und nach vorn gekrümmt; er wird aber aufrecht getragen. Der Kopf iſt lang und ſeitlich zuſam - mengedrückt; die Schnauze iſt ſtumpf zugeſpitzt, die Oberlippe vorſpringend, tief geſpalten, ſchwach behaart und ſehr beweglich; die länglichen, ſchmalen Naſenlöcher ſind verſchließbar; die Naſenkuppe iſt behaart; die Ohren haben ungefähr die halbe Kopflänge, ſind von länglicher, eiförmiger Geſtalt, ſchmal, beiderſeitig behaart und ſehr beweglich; die Augen ſind groß und lebhaft; ihr Stern iſt quer geſtellt; an den Lidern, zumal an den unteren, ſitzen lange Wimpern. Die Beine ſind ſchlank und hoch, die Füße länglich, die Zehen bis zur Mitte geſpalten und an ihren Spitzen von unvoll - kommenen, kleinen, ſchmalen und zugeſpitzten, etwas nach abwärts gekrümmten Hufen umſchloſſen; die Sohlen ſind groß und ſchwielig; in den Beuggelenken der Vorderfüße fehlen die Schwielen, welche die anderen Arten, wie die Kamele, beſitzen. Der Schwanz iſt ſehr kurz, auf der oberen Seite ſtark behaart und auf der unteren Seite faſt gänzlich kahl; er wird aufgerichtet getragen. Das403Der Guanaco.Euter des Weibchens hat vier Zitzen. Ein ziemlich langer, reichlicher, aber lockerer Pelz bedeckt den Körper. Er beſteht aus kürzerem, feineren Wollenhaar und dünnerem, längeren Grannenhaar; im Geſicht und auf der Stirn iſt der Pelz kurz, auf der Stirn ſchon etwas länger, vom Hinterkopfe an aber verlängert er ſich auf den Körpertheilen, mit Ausnahme der Beine, zu einem wollenartigen Vließ, welches jedoch niemals die Weichheit des Lamavließes erreicht. Am Bauche und an der Jnnen - ſeite der Schenkel iſt das Haar ſehr kurz, an den Beinen kurz und ſtraff. Die allgemeine Färbung iſt ein ſchmuziges Rothbraun; die Mitte der Bruſt, der Unterleib und der After, ſowie die Jnnen - ſeite der Gliedmaßen ſind weißlich; die Stirn, der Rücken und die Augen ſchwärzlich, die Backen - und die Ohrengegend dunkelgrau, die Jnnenſeite der Ohren ſchwarzbraun und die Außenſeite der - ſelben ſchwarzgrau. An den Hinterbeinen zeigt ſich ein länglich runder Fleck von ſchwarzer Farbe. Die Jris iſt dunkelbraun, die Wimpern ſind ſchwarz, die Hufe gräulichſchwarz.

Der Guanaco verbreitet ſich über die Cordilleren, von der Magalhaensſtraße bis nach dem nörd - lichen Peru. Namentlich im ſüdlichen Theil der Andeskette iſt das Thier häufig; in den bewohnteren Gegenden haben es die vielfachen Nachſtellungen ſehr vermindert; doch traf Göring noch einzelne ganz nahe bei der Stadt Mendoza an. Je nach der Jahreszeit iſt der Aufenthalt verſchieden. Wenn es oben in der Höhe Pflanzen gibt, ſteigt der Huanaco bis an die Schneegrenze empor; bei Beginn der Trockenheit in jenen Höhen zieht er ſich in die fruchtbaren Thäler der Tiefe zurück. Die Schneefelder ſelbſt meidet er ſorgfältig, wahrſcheinlich, weil ſeine Sohlen durchaus nicht ge - eignet ſind, feſten Fuß auf dem ſchlüpfrigen Boden zu faſſen. Jn der Tiefe ſucht er die ſaftigſten Weideplätze auf.

Unſer Thier lebt geſellig in kleinen Rudeln. Meyen ſah ſolche von ſieben bis zehn, ſelbſt von hundert Stück an kleinen Bächen weiden. Das Rudel beſteht aus vielen Weibchen und nur einem alten Männchen; denn blos die jungen, fortpflanzungsunfähigen Thiere werden von den Leit - hengſten geduldet. Sobald die Jungen ein gewiſſes Alter erreichen, entſtehen Kämpfe; die Schwachen werden ſelbſtverſtändlich gezwungen, den Stärkeren zu weichen, und ſchlagen ſich dann mit anderen ihres Gleichen und jungen Weibchen zuſammen. Während des Tages ziehen die Thiere von einem Thal zum anderen, faſt beſtändig ſich äßend; in der Nacht freſſen ſie niemals. Zur Tränke gehen ſie am Morgen und Abend. Saftige Gräſer und im Nothfalle Mos bilden die Nahrung.

Alle Bewegungen des Huanaco ſind raſch und lebhaft, wenn auch nicht ſo ſchnell, als man vermuthen ſollte. Jn der Ebene holt ein gutes Pferd das flüchtende Rudel bald ein; gewöhnliche Hunde aber haben Mühe, ihm nachzukommen. Der Lauf beſteht aus einem kurzen, ſchleppenden Galopp und iſt, wie bei den echten Kamelen, ein Paßgang. Der lange Hals wird bei beeiligter Flucht wagerecht ausgeſtreckt und auf und nieder bewegt. Das Klettern verſteht der Huanaco aus - gezeichnet; er läuft gemſenartig an den ſteilſten Gehängen und Abſtürzen dahin, ſelbſt da, wo der geübteſte Bergſteiger nicht Fuß faſſen kann, und ſchaut mit Gleichgiltigkeit in die größten Tiefen hinab. Jn der Ruhe liegt das Thier, wie das Kamel, auf der Bruſt und den Beinen, und wie dieſes läßt es ſich nieder und ſteht es auf. Während der Ruhe käut es träumeriſch wieder. Bei der Flucht gehen, wie Meyen berichtet, die Weibchen und Jungen voraus und werden von den folgenden Männchen oft mit dem Kopfe vorwärts geſtoßen. Der leitende Hengſt ſteht faſt immer einige Schritte von dem Rudel entfernt, und hält mit größter Vorſicht Wache, während ſeine Herde unbekümmert weidet. Bei der geringſten Gefahr ſtößt er ein lautes, ſchafartiges Blöcken aus; alle Thiere des Rudels erheben im Augenblick ihre Köpfe, äugen ſcharf nach allen Seiten hin und wen - den ſich dann raſch zur Flucht, welche anfangs zögernd, ſpäter aber mit immer mehr ſich ſteigernder Eile ausgeführt wird. Nur ſelten kommt es vor, daß ein weiblicher Huanacorudel den Menſchen ſich nähern läßt. Meyen begegnete zuweilen unſeren Thieren, ohne daß ſie Miene gemacht hätten, zu flüchten; ſie gingen dicht vor den Pferden vorbei, ſtanden ſtill und ſahen ſie an; dann erſt trabten ſie weiter. Görtug bemerkte, daß die Huanacos ſehr neugierig ſind. Wenn er ſo ruhig26 *404Die Lamas. Der Guanaco.durch die Thäler der Cordilleren ritt, hörte er über ſich ein eigenthümliches Wiehern und ſah dann gewöhnlich den Leitbock hoch oben auf einer ſteilen Klippe ſtehen und ſtarr und regungslos auf ihn herabſchauen. Um dieſen Bock verſammelte ſich nach und nach das ganze Rudel, und alle ſtanden und ſchauten zur Tiefe hernieder. Kam man ihnen nahe, ſo ergriffen ſie die Flucht und jagten mit wunderbarer Schnelligkeit und Geſchicklichkeit an den ſteilſten Felswänden dahin. Sobald ſie jedoch einigen Vorſprung erlangt hatten, blieben ſie wieder ſtehen und ſchauten von neuem, ganz in derſelben Weiſe, wie früher, nach der Tiefe herab. Sie ließen übrigens unſeren Gewährsmann niemals ſehr nahe an ſich herankommen; wenigſtens hätte es einer vorzüglichen Büchſe bedurft, um eines der Thiere zu erlegen.

Eigenthümlich iſt die Gewohnheit der Thiere, ihre Loſung immer auf einem beſtimmten Haufen abzuſetzen und nur wenn dieſer eine größere Ausdehnung erreicht hat, einen neuen dicht daneben zu bilden.

Die Brunſtzeit fällt in die Monate Auguſt und September. Häufige Kämpfe zwiſchen einem um die Herrſchaft ſtreitenden Männchen gehen ihr voraus. Mit unglaublicher Erbitterung und hef - tigem Geſchrei ſtürzen die Nebenbuhler auf einander los, beißen, ſchlagen ſich, jagen ſich gegenſeitig umher und verſuchen einander niederzuwerfen oder in die Tiefe zu ſtürzen. Nach zehn bis elf Monaten Tragzeit wirft das Weibchen ein vollkommen ausgebildetes, behaartes und ſehendes Junge, ſäugt es vier Monate lang, bewacht es ſorgſam, behandelt es mit großer Zärtlichkeit und behält es bei ſich, bis es vollkommen erwachſen iſt, und nun ſeinerſeits das Kämpfen und Ringen in Sachen der Liebe beginnt.

Zuweilen ſieht man einzelne Huanaco ſich einem Rudel von Lamas oder Vicuñas anſchließen, aber ohne ſich eigentlich unter das Rudel ſelbſt zu miſchen. Dagegen weiden Huanacos und Pacos bunt durch einander auf den Hochebenen.

Der Huanaco vertheidigt ſich gegen ſeines Gleichen mit Schlagen und Beißen, gegen andere Feinde aber durch ein allen dieſen Thieren gemeinſames Mittel. Die Lamas laſſen nämlich den Gegner dicht an ſich herankommen, legen die Ohren zurück, nehmen einen ſehr ärgerlichen Ausdruck an und ſpucken ihm plötzlich mit Heftigkeit ihren Speichel und die gerade im Munde befindlichen oder ausdrücklich zu dieſem Behufe heraufgewürgten Kräuter ins Geſicht, gewöhnlich mit ſehr großer Sicherheit. Jm allergrößten Nothfall bedienen ſie ſich auch ihres Gebiſſes und ihrer Hufe, ob - wohl ſie mit dieſen nicht eben viel ausrichten.

Der Menſch iſt und bleibt der furchtbarſte Feind unſerer Thiere; gegen andere Angreifer ſchützt ſie ihre Schnelligkeit. Ob der Kondor ihnen wirklich ſoviel Schaden thut, als man angibt, ſteht noch ſehr dahin; wahrſcheinlich nimmt er nur Junge und ganz Wehrloſe weg. Die Südamerikaner betreiben die Jagd der Huanacos mit Leidenſchaft, weil dieſelbe, des ſchätzbaren Fleiſches und Felles wegen, einen hübſchen Gewinn abwirft. Man verſucht die weidenden Thiere mit Hilfe guter Hunde in eine Schlucht zu treiben, jagt ihnen dort nach und wirft ihnen den Laſſo mit Bolas oder Wurf - kugeln um den Hals. An den Berggehängen entgehen alle Lamas leicht ihrem Verfolger; hier iſt es ſchwer, ſich ihnen auch nur auf Schußweite zu nähern. Jn jenen Hochebenen, wo es keine andere Speiſe gibt, wird die Jagd der Huanacos und Vicuñas oft zu einer Nothwendigkeit, um dem Mangel zu begegnen.

Jn Gebirgsgegenden fängt man, ihrer Niedlichkeit wegen, gern junge Huanacos ein und zähmt ſie. Solange ſie jung ſind, benehmen ſie ſich allerliebſt. Sie zeigen ſich zutraulich und an - hänglich, folgen ihrem Herrn wie ein Hund auf dem Fuße nach und laſſen ſich wie Lämmchen behan - deln; je älter ſie aber werden, um ſo geringer wird ihre Liebe und Anhänglichkeit an den Menſchen. Nur ſelten kommt es vor, daß man die Zahmen dahin bringen kann, frei aus - und einzugehen und, nach Art der Lamas, ſich ihre Aeßung ſelbſt zu ſuchen. Die älteren geben ſich bald alle Mühe, der Zwingherrſchaft des Menſchen zu entrinnen und beweiſen ihm auch durch ihr Anſpucken, welche Ge -405Das Lama.ſinnung ſie gegen ihn hegen. Die Gefangenen ſind leicht mit Heu, Gras, Brod und Getreide zu erhalten, auch bei uns in Europa; bei geeigneter Pflege pflanzen ſie ſich hier fort.

Das Lama (Auchenia Lama) wird vorzugsweiſe in Peru gefunden, und gedeiht dort am beſten auf den Hochebenen in der bezeichneten Höhe. Es wird etwas größer, als der Huanaco, und zeichnet ſich durch die Schwielen an der Bruſt und an der Vorderſeite des Handwurzelgelenkes aus. Der Kopf iſt ſchmal und kurz, die Lippen ſind behaart, die Ohren kurz und die Sohlen groß. Die Färbung ändert vielfach ab: es gibt weiße, ſchwarze, geſcheckte, rothbraune und weiß gefleckte,

Das Lama (Auchenia Lama).

dunkelbraune, ockerfarbene, fuchsrothe und andere. Das ausgewachſene Thier erreicht von der Sohle bis zum Scheitel eine Höhe von 4⅔ Fuß; am Widerriſt wird es drei Fuß hoch.

Das Lama, ſagt Faber, iſt den Einheimiſchen ebenſo nützlich, als den Fremden; jene erhalten damit faſt allein ihr Leben, dieſe aber kehren durch ſeine Dienſte bereichert nach Spanien zurück: denn das Thier liefert nicht blos Fleiſch, ſondern trägt auch alle Waaren von einem Ort zum anderen. Man legt ihm gewöhnlich 150 Pfund auf, dem ſtärkſten wohl auch noch hundert Pfund mehr. Es kann fünf Tage nach einander zehn Leguas zurücklegen, muß aber am vierten und fünften ausruhen. Es geht ſo feſt und ſicher, daß man die Waaren nur ein wenig anzubinden braucht. 406Die Lamas. Das Lama.Am meiſten dient es zum Tragen der Silberbarren von Potoſi zu den Pochwerken, und dazu ſind beſtändig 300,000 Stück auf dem Wege. Rückwärts tragen ſie den Bergleuten ihre Speiſe und an - dere Bedürfniſſe zu.

Vom dritten bis zum zwölften Jahre kann es tragen; dann iſt es aber ſchon alt und ſteht um. Es iſt ſehr zahm und für die Jndianer ganz gemacht. Wenn man auf der Reiſe ruhen will, läßt es ſich vorſichtig auf die Knie, damit die Ladung nicht abfalle. Sobald der Führer pfeift, ſteht es auf und ſetzt die Reiſe ruhig fort; es frißt da und dort, wo es kann, aber nicht bei Nacht, denn dieſe Zeit benutzt es zum Wiederkäuen.

Unterliegt es der Laſt, ſo iſt es durch keine Schläge weiter zu bringen und wirft bisweilen den Kopf rechts und links ſolange auf den Boden, bis ihm die Augen und ſelbſt das Hirn her - ausfallen.

Acoſta kennt ſolche Fabeln nicht. Er erzählt uns, daß die Jndianer ganze Herden dieſer Schafe wie Saumthiere beladen über das Gebirge führen, oft Banden von drei - bis fünfhundert, ja manchmal von tauſend Stück.

Jch habe mich oft gewundert, ſagt er, dieſe Schafherden mit zwei - bis dreitauſend Silber - barren, welche über 300,000 Dukaten werth ſind, beladen zu ſehen, ohne eine andere Begleitung, als einige Jndianer, welche die Schafe leiten, beladen und abladen, und dabei höchſtens noch einige Spanier. Sie ſchlafen alle Nächte mitten im Felde, und dennoch hat man auf dieſem langen Wege noch nie Etwas verloren; ſo groß iſt die Sicherheit in Peru. An Ruheplätzen, wo es Quellen und Weiden gibt, laden ſie die Führer ab, ſchlagen Zelte auf, kochen und fühlen ſich wohl, unge - achtet der langen Reiſe. Beträgt die Reiſe nur einen Tag, ſo tragen dieſe Schafe acht Arrobas (zwei Centner), und gehen damit acht bis zehn Leguas; das müſſen jedoch blos diejenigen thun, welche den armen, durch Peru wandernden Soldaten gehören. Alle dieſe Thiere lieben die kalte Luft und befinden ſich wohl im Gebirge, ſterben aber in Ebenen wegen der Hitze. Bisweilen ſind ſie ganz mit Froſt und Eis bedeckt und bleiben doch geſund.

Die Kurzhaarigen geben oft zu lachen. Manchmal halten ſie plötzlich auf dem Wege an, richten den Hals in die Höhe, ſehen die Leute ſehr aufmerkſam an und bleiben unbeweglich lange Zeit, ohne Furcht und Unzufriedenheit zu zeigen. Ein ander Mal werden ſie plötzlich ſchen und rennen mit ihrer Ladung auf die höchſten Felſen, ſo daß man ſie herunterſchießen muß, um die Silber - barren nicht zu verlieren.

Meyen ſchlägt die Wichtigkeit des Lamas für die Peruaner ebenſohoch an, wie die des Ren für die Lappländer. Man hält die Thiere in ungeheuren Herden auf den Hochebenen. Nachts ſperrt man ſie in eine Einfriedung von Steinen, morgens läßt man ſie heraus; dann eilen ſie im Trabe zur Weide, und zwar ohne Hirten, abends kehren ſie wieder zurück. Oft begleiten ſie dabei Huanacos oder Vicuñas. Reitet Jemand vorbei, ſo ſpitzen ſie ſchon von fern die Ohren; die ganze Herde läuft im Galopp auf ihn zu, bleibt dreißig bis funfzig Schritt vor ihm ſtehen, ſieht ihn neugierig an und kehrt dann wieder auf die Weide zurück. Die Menge der Lamas, welche auf der Hochebene von der Tacorra am See Titicaca und am Paſſe von Puno nach Arequipa gehen, ſchätzt Meyen auf drei Millionen; Tſchudi aber meint, daß der Reiz der Neuheit die Phantaſie des gedachten Schriftſtellers wohl etwas aufgeregt und er deshalb die Menge dieſer Thiere, wie ſo manches Andere, in falſchem Lichte betrachtet habe.

Nur die Männchen werden zum Laſttragen benutzt, die Weibchen dienen ausſchließlich zur Zucht.

Nichts ſieht ſchöner aus, ſagt Stevenſon, als ein Zug dieſer Thiere, wenn ſie mit ihrer etwa einen Centner ſchweren Ladung auf dem Rücken, eines hinter dem anderen in der größten Ordnung einherſchreiten, angeführt von dem Leitthier, welches mit einem geſchmackvoll ver - zierten Halfter, einem Glöckchen und einer Fahne auf dem Kopfe geſchmückt iſt. So ziehen ſie die ſchneebedeckten Gipfel der Cordilleren oder den Seiten der Gebirge entlang, auf Wegen, wo ſelbſt407Das Lama.Pferde oder Maulthiere wohl ſchwerlich fortkommen möchten; dabei ſind ſie ſo folgſam, daß ihre Trei - ber weder Stachel noch Peitſche bedürfen, um ſie zu lenken und vorwärts zu treiben. Ruhig und ohne anzuhalten, ſchreiten ſie ihrem Ziele zu.

Tſchudi fügt Dieſem hinzu, daß ſie beſtändig neugierig nach allen Seiten umherblicken. Wenn ſich ihnen plötzlich ein fremdartiger Gegenſtand nähert, der ihnen Furcht einflößt, zerſtreuen ſie ſich im Nu nach allen Seiten, und die armen Führer haben die größte Mühe, ſie wieder zuſammenzutragen. Die Jndianer haben eine große Liebe für dieſe Thiere, ſie ſchmücken ſie und liebkoſen ſie immer, ehe ſie ihnen die Bürde auflegen. Aller Pflege und Vorſicht ungeachtet gehen aber auf jeder Reiſe nach der Küſte eine Menge Lamas zu Grunde, weil ſie das heiße Klima nicht ertragen können. Zum Ziehen und Reiten werden ſie nicht gebraucht; zuweilen nur ſetzt ſich ein Jndianer auf eins ſeiner Thiere, wenn er einen Fluß zu überſchreiten hat und ſich nicht gern naß machen will; er verläßt es aber, ſowie er an das entgegengeſetzte Ufer kommt.

Die von Meyen und anderen Forſchern ausgeſprochene Meinung, daß das Lama nur ein ver - edelter Huanaco ſei, widerlegt Tſchudi in überzeugender Weiſe. Wodurch, ſo fragt er, wird ein Thier veredelt? Gewiß nur dadurch, daß ihm reichliche Nahrung, hinlänglicher Schutz gegen die Witterung gegeben und angeſtrengte Sorgfalt gewidmet wird. Jm freien Zuſtande hat der Huanaco die beſte Nahrung in Fülle auf den unermeßlichen Hochebenen; er findet fortwährend ein ihm angemeſſenes Klima, während der heißen Jahreszeit am Fuße der himmelanſtrebenden Cordil - lerasgipfel, in der kalten Jahreszeit in den wärmeren, vom Winde abgeſchloſſenen Punathälern. Welcher Pflege bedarf es unter ſolchen Umſtänden mehr?

Wie entgegengeſetzt verhält es ſich mit dem Lama! Unter das Joch gebeugt, iſt es gezwungen, den Tag über Laſten zu tragen, welche ſeine Kräfte beinahe überſteigen; wenige Augenblicke werden ihm gegönnt, ſeine ſpärliche Nahrung ſich zu ſuchen; des Nachts wird es in den naſſen Pferch ge - trieben und muß auf Steinen oder im Moraſt liegen; aus den reinen, erfriſchenden Höhen der An - den, für die es geſchaffen iſt, wird es, ſchwer beladen, nach den dumpfig heißen Urwäldern oder nach den brennenden Sandwüſten der Küſte getrieben, wo ihm auch die ſpärlichſte Nahrung abgeht und der Erſchöpfungstod Tauſende wegrafft? Wird auf dieſe Weiſe der ſtolze Huanaco zum Lama veredelt?! Oder ſoll dieſes ſich vielleicht zum Paco herunter verkümmern, zu einem Thiere, welches zwar gepflegt wird, ihm aber an Körperkraft weit nachſteht, an Zartheit der Form und an Feinheit der Wolle es übertrifft? Es leuchtet gewiß Jedem ein, daß wir dieſe Verſchiedenheiten als Art - unterſchiede und nicht als Veränderungen, durch den Zuſtand als Hausthier bedingt, betrachten müſſen.

An einer anderen Stelle ſeines Werkes erwähnt Tſchudi, daß Lama und Paco ſich nie, Lama und Huanaco ſich ſtets erfolglos begatten; er bezweifelt deshalb alle Berichte, welche das Ge - gentheil behauptet haben. Zweiundzwanzig Verſuche, welche von ihm und Anderen angeſtellt wur - den, zeugen für ihn. Meyens widerſprechende Anſicht ſcheint ſeiner Meinung nach auf einem Jrr - thum zu beruhen: der gedachte Reiſende habe die Altersſtufen der Lamas als Uebergangsformen angeſehen. Es ſcheint Meyen unbekannt geblieben zu ſein, daß die Jndianer die Lamas nach dem Alter in geſonderten Truppen halten. Sechs bis acht Monate nach der Geburt bleiben die Jungen bei den Müttern; vor Ablauf ihres erſten Lebensjahres werden ſie in eine Herde zuſammengetrieben und von den ein oder zwei Jahre älteren getrennt gehalten, ſo daß alſo immer Lamas von ein, zwei, drei Jahren geſondert gepflegt werden. Zu Ende des dritten Jahres ſind ſie ausgewachſen und wer - den dann den großen Herden eingereiht, welche wieder nach dem Geſchlechte getrennt ſind.

Ueber die Fortpflanzung der Lamas berichtet Tſchudi etwa Folgendes: Die Begattung geht erſt nach dem Ausbruche der raſendſten Brunſt vor ſich, indem ſich die Thiere ſchlagen, ſtoßen, beißen, niederwerfen und bis zur größten Ermattung umherjagen. Alle Lamaarten werfen nur ein Junges, welches etwa vier Monate ſaugt, bei den eigentlichen Lamas gewöhnlich etwas länger; ſehr häufig ſaugen bei dieſer Art ſogar die Jungen vom zweiten Jahre mit denen vom erſten zugleich.

408Die Lamas. Der Paco.

Unter der ſpaniſchen Herrſchaft erſchien ein Geſetz, welches jungen, unverheiratheten Jndia - nern bei Todesſtrafe verbot, eine Herde weiblicher Lamas zu hüten. Gegenwärtig iſt dieſes höchſt nothwendige Verbot leider außer Wirkſamkeit getreten.

Von demſelben Naturforſcher erfahren wir, daß die Bedeutung und bezüglich der Preis der La - mas ſeit Einführung der Einhufer bedeutend geſunken iſt, und ferner, daß die Lamaherden durch Krankheiten oft in entſetzlicher Weiſe heimgeſucht werden. Ein Nachkomme der peruaniſchen Könige, Jnca Garcilaſo de la Vega, erzählt in ſeinem werthvollen Werke, daß dieſe Krankheit in den Jahren 1544 und 1545 zum erſten Male auftrat. Es war ein Uebel, der Krätze zu vergleichen, aber weit verderblicher. Von der Jnnenſeite der Schenkel ausgehend, verbreitete es ſich über den ganzen Leib, bildete hohe Kruſten und tiefe Spalten, aus denen Blut und Eiter ſich ergoß, und rieb die Thiere in wenigen Tagen auf. Die Peſt war anſteckend und raffte zum größten Erſtaunen und Schrecken der Jndianer und Spanier zwei Dritttheile der Lamas und Huanacos weg. Später wurden Pacos und Vicuñas angeſteckt, ja ſelbſt die Füchſe nicht verſchont. Anfangs vergrub man die verpeſteten Thiere bei lebendigem Leibe, ſodann behandelte man ſie mit Feuer und Schwefel, endlich fand man, daß Schweineſchmalz das beſte Mittel ſei. Allmählich nahm das Uebel ab und endlich verſchwand es faſt ganz. Aber es iſt, wie Tſchudi hinzufügt, niemals gänzlich ausgerottet worden und wiederholt ſeuchenartig aufgetreten. Jetzt wendet man das Fett des Kondors als Ge - genmittel an.

Jn den Angaben der genannten Reiſenden iſt ſo ziemlich Alles enthalten, was wir von dem Leben unſeres Thieres in ſeiner Heimat wiſſen. Gegenwärtig ſieht man das Lama faſt in allen Thiergärten. Es gedeiht in Europa vortrefflich und hat ſich hier ſchon mehrmals fortgepflanzt. Wenn es mit anderen ſeiner Art zuſammengehalten wird, ſcheint es viel freundlicher zu ſein, als wenn es allein iſt und ſich langweilt. Es verträgt ſich mit ſeinen Artgenoſſen und Artverwandten vortrefflich, und namentlich die Paare hängen mit großer Zärtlichkeit an einander. Sie lernen ihre Wärter kennen und behandeln ſie ganz erträglich; gegen fremde Menſchen aber zeigen ſie ſich als echte Kamele, d. h. beſtändig mehr oder weniger übel gelaunt und außerordentlich reizbar. Jm ber - liner Thiergarten lebte vor mehreren Jahren ein Lama, welches ſich durch beſondere Ungemüthlichkeit auszeichnete; an ſeinem Gitter hing eine Tafel mit der Bitte, das Lama ja nicht zu ärgern, was ſelbſtverſtändlich den Erfolg hatte, daß Jedermann erſt recht das Thier zu reizen verſuchte. Da ſah man es denn in beſtändiger Aufregung. Sobald ſich Jemand nahte, endigte es ſein gemüthliches Wiederkäuen, legte die Ohren zurück, ſah den Fremdling ſtarr an, ging plötzlich gerade auf ihn los und ſpuckte ihn an. Jn ähnlicher Weiſe benahmen ſich auch die übrigen Lamas, welche ich ſah oder ſelbſt pflegte und ich kann wohl ſagen, daß ich nie eins kennen lernte, welches ſanft oder gutmüthig geweſen wäre.

Der Paco (Auchenia Paco) iſt in der Neuzeit zum wichtigſten Mitgliede der ganzen Gruppe geworden. Man hat erfahren, daß die Wolle des Thieres ſo vortreffliche Eigenſchaften beſitzt, wie kaum eine andere, und deshalb iſt man darauf gekommen, den Paco auch bei uns und in Auſtralien einzuführen. Die Verſuche, welche man in England, Frankreich, Holland und in Lütſchena bei Leipzig anſtellte, haben bisjetzt noch wenig Erfolg gehabt; die nach Auſtralien eingeführten Thiere aber ſollen ſich dort ganz vortrefflich befinden. Auch in Großbritannien, und zwar in Knowsley, hat ein gewiſſer Thompſon für den Grafen von Derby eine nicht unbeträchtliche Herde gezüchtet, und engliſche Forſcher glauben, daß bei fortdauernder Bemühung im ſchottiſchen Hochgebirge zweifellos Pacos wohl gedeihen und heimiſch gemacht werden könnten.

Der Paco iſt nach Tſchudi kleiner, als das Lama, und gleicht im Körperbau dem Schafe, hat aber einen längeren Hals und einen zierlicheren Kopf; ſein Vließ iſt ſehr lang und ausnehmend weich, an einigen Stellen, z. B. an den Seiten des Rumpfes, erreicht er eine Länge von vier bis fünf Zoll. Die Farbe iſt meiſtens ganz weiß oder ſchwarz; es gibt aber ebenfalls buntſcheckige.

409Der Paco.

Die Pacos werden in großen Herden gehalten, welche das ganze Jahr auf den Hochebenen weiden. Nur zur Schur treibt man ſie nach den Hütten. Es gibt vielleicht kein widerſpenſtigeres Thier, als dieſes Lama. Wenn eins von der Herde getrennt wird, wirft es ſich auf die Erde und iſt weder durch Schmeicheln, noch durch Schläge zu bewegen, wieder aufzuſtehen. Es erleidet lieber die heftigſten Züchtigungen und ſelbſt den qualvollſten Tod, als daß es folge. Einzelne können blos fortgeſchafft werden, indem man ſie den Herden von Lamas und Schafen beigeſellt. Die Jndia - ner verfertigen aus der Wolle des Paco und Lama ſchon ſeit uralten Zeiten wollene Decken und Mäntel.

Der Paco (Auchenia Paco).

Wie Acoſta angibt, nennen die Jndianer die gröbere Wolle Hanaska, die feinere Cumbi. Aus dieſer machen ſie Tiſchdecken und andere ſchätzbare Dinge mit großer Kunſt, welche ſich durch ihre lange Dauer und ihren ſchönen Glanz beſonders auszeichnen. Die Jnkas von Peru hatten große Meiſter im Weben. Die geſchickteſten wohnten am Titicacaſee. Sie färbten die grobe und feine Wolle in ſehr friſchen und zarten Farben mit vielerlei Kräutern. Gegenwärtig verſtehen ſie blos noch warme Decken und Mäntel zu weben; aber die Wolle wird jetzt vielfach nach Europa überge - führt, und ſeit Titus Salt in Bradford eine eigene Art der Spinnerei und Weberei dieſer Wolle erfunden hat, betreibt man beides ins Großartige, und bemüht ſich nach Kräften, den Paco oder Alpaca bei uns einzuführen.

410Die Lamas. Die Vicuña.

Die Vermehrung des Paco iſt eine ſehr ſtarke. Von den in Europa eingeführten erfuhr man, daß das Weibchen elf Monate trächtig geht und, wenn es bei guter Geſundheit iſt, in ſehr raſcher Folge Junge wirft.

Zierlicher als das Lama, ſagt Tſchudi, iſt die Vicuña (Auchenia Vicunna). An Größe ſteht ſie zwiſchen dem Lama und Paco, unterſcheidet ſich aber von beiden durch die viel kürzere und gekräuſeltere Wolle, welche von ausnehmender Feinheit iſt. Der Scheitel, die obere Seite des Halſes, der Rumpf und die Schenkel ſind von eigenthümlicher, röthlichgelber Färbung (Vicuñafarbe); die

Die Vicuña (Auchenia Vicunna).

untere Seite des Halſes und die innere der Gliedmaßen iſt hellockerfarben; die fünf Zoll langen Bruſt - haare und der Unterleib weiß.

Während der naſſen Jahreszeit halten ſich die Vicuñas auf den Kämmen der Cordilleren auf, wo die Pflanzenwelt nur höchſt ſpärlich ſich zeigt. Sie bleiben, weil ihre Hufe weich und empfindlich ſind, immer auf den Raſenplätzen und ziehen ſich, auch verfolgt, niemals auf die ſteinigten, nack - ten Gipfel und noch viel weniger, wie unſere Gemſen, auf Gletſcher und Schneefelder. Jn der heißen Jahreszeit ſteigen ſie in die Thäler herab. Der ſcheinbare Widerſpruch, daß die Thiere im Winter die kalten, im Sommer die heißen Gegenden aufſuchen, erklärt ſich dadurch, daß während der trockenen Jahreszeit die Cordillerenrücken ganz ausgedörrt ſind und die überhaupt ſpärliche Pflanzenwelt ihnen nur in den Thälern, wo Quellen und Sümpfe ſind, hinreichende Nahrung dar -411Die Vicuña.bietet. Sie graſen faſt den ganzen Tag, und es iſt eine Seltenheit, einmal einen liegenden Ru - del dieſer Thiere zu überraſchen. Während der Brunſtzeit kämpfen die Männchen mit der größten Erbitterung um die Stelle des Anführers der Rudel von Weibchen; denn jeder duldet nur ein Männchen. Die einzelnen Scharen beſtehen aus ſechs bis funfzehn Weibchen. Das Männchen hält ſich immer zwei bis drei Schritte von ſeiner Weiberſchar zurück und bewacht ſie ſorgfältigſt, wäh - rend ſie ſorglos weidet. Bei Annäherung der geringſten Gefahr gibt es ein Zeichen durch helles Pfeifen und ſchnelles Vortreten; ſogleich vereinigt ſich das Rudel, ſteckt die Köpfe neugierig nach der gefahrdrohenden Stelle hin, nähert ſich ein paar Schritte, und dreht ſich dann plötzlich zur Flucht. Das Männchen deckt den Rückzug, bleibt öfters ſtehen und beobachtet den Feind. Die Bewe - gungen bei ſchnellem Laufen beſtehen in einem ſchleppenden, wiegenden Galopp, der nicht ſo raſch iſt, als daß in einer Pampa dieſe Thiere von einem wohlberittenen Reiter nicht eingeholt werden könnten. Unmöglich aber iſt Solches auch auf dem ſchnellſten Pferde, wenn ſich die Vicuñas an die Bergabhänge halten und beſonders, wenn ſie bergauf laufen; denn dann ſind ſie den Pferden gegen - über im größten Vortheil. Mit ſeltener Treue und Anhänglichkeit lohnen die Weibchen die Wach - ſamkeit ihres Anführers; denn wenn dieſer verwundet oder getödtet wird, ſo laufen ſie laut pfei - fend im Kreiſe um ihn herum und laſſen ſich alle todtſchießen, ohne die Flucht zu ergreifen. Trifft aber das tödtende Blei zuerſt ein Weibchen, ſo flieht die ganze Schar. Die Huanacoweibchen dage - gen fliehen, wenn das ſie führende Männchen getödtet wird.

Jm Monat Februar wirft jedes Weibchen ein Junges, welches gleich nach der Geburt eine außergewöhnliche Ausdaner und Schnelligkeit entwickelt, wie folgendes Beiſpiel beweiſt. Jm Februar 1842 gelang es uns auf der Höhe von Chacapalpa, eine einzelne Vicuña, welche ihr Junges ſäugte, zu überraſchen. Sie ergriff ſogleich die Flucht, indem ſie das Kleine vor ſich hertrieb. Wir verfolg - ten dieſe beiden Thiere in Geſellſchaft eines durch ſeine Ortskenntniß ausgezeichneten Freundes auf Punapferden, welche an dieſe Art Jagd ſehr gewöhnt waren, drei volle Stunden lang, faſt immer im geſtreckten Galopp hinter ihnen herjagend, ehe es uns gelang, die Mutter von ihrem Jungen zu trennen. Sobald Dies erreicht war, konnten wir letztere ohne Schwierigkeit mit den Händen greifen. Wir fanden, daß dieſes Thierchen vielleicht wenige Stunden vor unſerer Ankunft geboren worden war; denn die Nabelſchnur war noch vollkommen friſch und ſtrotzend, ſodaß wir vermutheten, die Geburt habe in der Nacht ſtattgehabt. Die kleine Vicuña ließen wir durch einen Jndianer nach Chacapalpa bringen und daſelbſt mit Milch und Waſſer auffüttern. Sie wuchs munter heran, wurde aber leider von einem Hunde todt gebiſſen.

Die jungen männlichen Vicuñas bleiben ſolange mit ihrer Mutter zuſammen, bis ſie ausge - wachſen ſind; dann aber vereinigt ſich das ganze Rudel Weibchen und treibt die nun ſchon zeugungs - fähigen Männchen durch Beißen und Schläge fort. Dieſe vereinigen ſich nun zu eigenen Rudeln, welche ſich anderen anſchließen, die von den beſiegten Männchen gebildet werden und ſo zu Scharen von 25 bis 30 Stück anwachſen können. Hier geht es freilich nicht immer ſehr friedlich her. Da kein Anführer die Truppe leitet, ſind alle ſehr mißtrauiſch und wachſam, ſodaß der Jäger nur mit vieler Vorſicht und Schwierigkeit ſich einem ſolchen Rudel nähern und ſelten mehr als ein Stück erle - gen kann. Zur Brunſtzeit iſt die Unordnung unter ſolchen Haufen grenzenlos, weil im bunten Wirrwarr ſich Alle ſchlagen und ſtoßen und dabei ein helles, abgebrochenes, ſehr widrig tönendes Geſchrei, ähnlich dem Angſtgeſchrei der Pferde, ausſtoßen.

Man trifft zuweilen auch einzelne Vicuñas an, denen man ſich mit Leichtigkeit nähern, und welche man, wenn ſie die Flucht ergreifen, nach einem kurzen Galopp einholen und mit der Wurf - ſchlinge oder Wurfkugel einfangen kann. Die Jndianer behaupten, dieſe Thiere ſeien deshalb ſo zahm, weil ſie an Würmern litten. Wir haben uns von der Richtigkeit dieſer Thatſache vollkommen überzeugt, weil wir bei der Unterſuchung eines derartigen Thieres fanden, daß die Bauchſpeicheldrüſe und die Leber eigentlich nur ein Gewimmel von Eingeweidewürmern waren. Wir ſind geneigt, wie die Jndianer, die Urſache dieſer Krankheit den feuchten Weiden, welche die Vicuñas beſuchen, zuzu -412Die Lamas. Die Vicuña.ſchreiben; denn die Beobachtung weiſt nach, daß die wurmkranken Thiere faſt ausſchließlich während der naſſen Jahreszeit gefunden werden.

Das Geſchrei dieſer Thiere läßt ſich ſchwer beſchreiben, iſt aber doch ſo bezeichnend, daß man es, einmal gehört, nicht wieder vergißt. Es iſt bei jeder Art verſchieden, ein geübtes Ohr erkennt an den kurzen, abgebrochenen Tönen augenblicklich, von welcher der vier Arten ſie kommen. Die reine dünne Luft trägt dieſe durchdringenden Töne bis in weite Ferne, von wo aus auch ein ſehr ſcharfes Auge die Thiere noch nicht entdecken kann.

Acoſta theilt uns mit, daß die Vicuñas ſehr flüchtig und furchtſam ſind und augenblicklich vor den Jägern und ſelbſt vor anderen Thieren davonlaufen, wobei ſie ihre Jungen vor ſich her - treiben. Sie vermehren ſich nicht ſtark, und deshalb haben die Jnkas die Jagd verboten, ſelbſt - verſtändlich nur ihren Unterthanen; denn ſie ſtellen der Jagd halber große Feſte an. Seit die Spanier in das Land gekommen ſind, haben ſich die ſchönen Thiere weſentlich vermindert, weil die Chriſten ihnen weniger Schonung zu Theil werden ließen, als die Jndianer, welche zwar eben - falls viele von ihnen fingen und tödteten, die Weibchen aber laufen ließen und ſomit der Vermeh - rung keinen Eintrag thaten. Jn der Neuzeit ſcheint Dies anders geworden zu ſein, wie aus den Berichten Tſchudi’s hervorgehen dürfte.

Die Jndianer, ſagt er, bedienen ſich nur ſelten der Feuergewehre, um die Vicuñas zu erlegen. Sie ſtellen Jagden an, zu welchen jede Familie der Hochebene wenigſtens einen Mann ſtellen muß; die Wittwen gehen als Köchinnen mit. Es werden Stöcke und ungeheure Knäuel von Bindfaden mitgenommen. Jn einer paſſenden Ebene werden die Stöcke, je 12 bis 15 Schritte von einander, in die Erde geſteckt und durch Bindfaden in der Höhe von Fuß mit einander verbunden. Auf dieſe Weiſe wird ein kreisförmiger Raum von einer halben Stunde Umfang ab - geſteckt, indem auf einer Seite ein Eingang von ein paar hundert Schritten Breite offen gelaſſen wird. Die Weiber hängen an die Schnur des Umkreiſes bunte Lappen, welche vom Winde hin und her geweht werden. Sobald Alles fertig iſt, zerſtreuen ſich die Männer, von denen ein Theil beritten iſt, und treiben von vielen Meilen in der Runde alle Rudel von Vicuñas durch den Eingang in den Kreis. Wenn eine gehörige Anzahl verſammelt iſt, wird dieſer geſchloſſen. Die ſcheuen Thiere wagen nicht, über den Faden mit den flatternden Fetzen zu ſpringen, und werden leicht mit dem Bolas erlegt. Die Bolas beſtehen aus drei Kugeln, zwei ſchweren und einer leichteren, von Blei oder Steinen, die an langen Schnüren, aus den Sehnen von Vicuñas gedreht, befeſtigt ſind. Dieſe Schnüre werden an ihren freien Enden zuſammengeknüpft. Beim Gebrauche wird die leichtere Kugel in die Hand genommen und die beiden übrigen in weiten Kreiſen über den Kopf ge - ſchwungen. Jn der gehörigen Entfernung vom Ziele, nämlich 15 bis 20 Schritte, wird die Hand - kugel auch losgelaſſen, und nun ſchwirren alle drei im Kreiſe auf den beſtimmten Punkt los und ſchlingen ſich um den Gegenſtand, den ſie treffen. Den Thieren wird gewöhnlich nach den Hinter - füßen gezielt. Die Bolas binden dieſe ſo feſt zuſammen, daß jede Bewegung gehemmt iſt und das Thier ſtürzt. Es braucht große Gewandtheit und lange Uebung, um ſich der Bolas geſchickt zu bedienen, beſonders zu Pferde; denn nicht ſelten verwundet der Neuling ſich oder ſein Thier lebens - gefährlich. Die mit Bolas gefangenen Vicuñas werden abgeſchlachtet und das Fleiſch den Anwe - ſenden gleichmäßig vertheilt. Die Felle hingegen gehören der Kirche.

Jm Jahre 1827 erließ Bolivar ein Geſetz, demzufolge die gefangenen Vicuñas nicht ge - tödtet, ſondern nur geſchoren werden ſollten. Das Geſetz blieb aber nicht in Kraft; denn das Scheren dieſer Thiere wurde durch ihre Wildheit faſt unmöglich gemacht. Zur Zeit der Jnkas wurden die Jagden in viel großartigerem Maßſtabe ausgeführt: ſie verſammelten jährlich 25 bis 30,000 Jndianer, welche aus einem Umkreiſe von 20 bis 25 Meilen alles Wild in einen ungeheuren, auf vorbenannte Weiſe umzäunten Platz treiben mußten. Bei dem ſich immer enger ſchließenden Kreiſe wurden die Reihen der Jndianer zuletzt verdoppelt und vervielfacht, ſo daß kein Thier ent - fliehen konnte. Die ſchädlichen, wie die Bären, Kuguare und Füchſe, wurden getödtet, von den413Die Vicuña. Die Moſchusthiere.Hirſchen, Rehen, Vicuñas und Huanacos nur eine beſtimmte Anzahl. Es ſollen oft bis auf 40,000 Thiere zuſammengetrieben worden ſein. Wenn Huanacos in die jetzigen Umzäunungen kommen, ſo durchbrechen ſie die Schnur oder ſetzen darüber weg, dann folgen ihnen auch die Vi - cuñas. Es wird daher beim Treiben wohl acht darauf gegeben, keine der erſteren mitzujagen. Sobald alle Vicuñas in der Umzäunung getödtet ſind, wird der Faden aufgerollt und einige Meilen weiter wieder aufgeſtellt. Die ganze Jagd dauert eine Woche. Die Zahl der in dieſer Zeit getödteten Thiere beträgt oft nur funfzig, oft aber auch mehrere Hunderte. Jch nahm während fünf Tagen an einer ſolchen Jagd Theil; es wurden 122 Vicuñas gefangen, und aus dem Erlöſe der Felle ein neuer Altar in der Kirche gebaut.

Jungeingefangene Vicuñas laſſen ſich leicht zähmen und werden ſehr zutraulich; ſie ſchmiegen ſich an ihre Pfleger mit viel Liebe an, und laufen ihnen, wie wohlgezogene Hausthiere, auf Schritt und Tritt nach; mit zunehmendem Alter aber werden ſie, wie alle ihre Verwandten, tückiſch und durch das ewige Spucken unerträglich.

Ein Pfarrer hat ein Pärchen Vicuñas mit vieler Mühe groß gezogen und ſie vier Jahre lang bei einander gehalten, ohne daß ſie ſich begattet hätten. Das Weibchen entfloh im fünften Jahre ſeiner Gefangenſchaft mit einem Halsband und einem Stück Leine, an das es gebunden war. Es ſuchte ſich an ein Rudel wilder Vicuñas anzuſchließen, wurde aber immer von denſelben durch Beißen und Stoßen weggetrieben und mußte ſo allein auf den Hochebenen herumirren. Wir haben es monatelang nachher öfter auf unſeren Streifzügen getroffen, es entfloh aber ſtets bei unſerer An - näherung. Das Männchen war das größte Thier ſeiner Art, welches wir je geſehen haben; ſeine Stärke entſprach ſeiner Größe. Wenn ſich ihm Jemand zu ſehr näherte, richtete es ſich auf den Hinterbeinen ſenkrecht auf und ſchlug mit einem Schlag der Vorderbeine den ſtärkſten Mann zur Erde nieder. Es zeigte durchaus keine Anhänglichkeit gegen ſeinen Wärter, obgleich dieſer es während mehr als fünf Jahren gepflegt hatte.

Schon zu Acoſta’s Zeiten ſchoren die Jndianer auch die Vicuñas und verfertigten aus der Wolle Decken von ſehr hohem Werthe, welche das Ausſehen weißſeidenen Stoffes hatten und, weil ſie nicht gefärbt zu werden brauchten, ſehr lange ausdauerten. Die Kleider von dieſen Zeu - gen waren beſonders für heiße Witterung geeignet. Noch gegenwärtig webt man die feinſten und dauerhafteſten Stoffe aus dieſer Wolle und filzt haltbare, weiche Hüte aus ihr.

Bisjetzt hat es noch nicht gelingen wollen, die ſchönen Thiere in anderen Ländern einzuführen und einzugewöhnen; höchſt wahrſcheinlich aber wird man mit der Zeit doch noch Gegenden ausfindig machen, in denen ſie ſich wohl befinden, und damit unſerer Gewerbthätigkeit ein neues, ge - winnbringendes Feld eröffnen.

Von allen Lamaarten werden Bezoarkugeln gewonnen, welche in früherer Zeit große Bedeu - tung hatten; gegenwärtig aber nur in ihrem wahren Werthe geachtet ſind, als eigenthümliche Ma - genausſcheidungen, deren Hauptbeſtandtheile kohlenſaurer und phosphorſaurer Kalk nebſt Gallen - fett und zerſetzten Pflanzenſtoffen ſind.

Viele Naturforſcher vereinigten mehrere kleine, höchſt zierlich gebaute Wiederkäuer, unter denen ſich auch der Zwerg der ganzen Ordnung befindet, die Moſchusthiere nämlich mit den Hirſchen. Wir ſehen in ihnen eine beſondere Familie.

Die Moſchusthiere (Moschi) haben kein Geweih, keine Thränengruben, keine Haarbürſte an den Hinterfüßen und einen ganz verſtümmelten Schwanz. Die Männchen zeichnen ſich vor allen übrigen Wiederkäuern durch lange hervorragende Eckzähne im Oberkiefer aus, welche bald weit aus dem Maule hervortreten und dann nach Außen ſich wenden, bald viel kürzer und einwärts414Die Moſchusthiere. Das echte Moſchusthier.gewendet ſind. 14 bis 15 Wirbel tragen Rippen, 5 bis 6 ſind rippenlos, 4 bis 6 bilden das Kreuz - bein und 13 den Schwanz. Die Weichtheile ähneln denen der Antilopen und Hirſche.

Mittel - und Südaſien mit ſeinen Jnſeln und der weſtliche Theil von Mittelafrika ſind die Hei - mat der Moſchusthiere. Dort leben die größeren Arten in den felſigſten Gegenden der Hochgebirge, ſelten in der Nähe der Wälder, welche ſie nur bisweilen beſuchen, und noch ſeltener in den Thälern, in welche ſie eigentlich blos dann herabſtreichen, wenn ſie der ſtrenge Winter von ihren Höhen ver - treibt und der Nahrungsmangel ſie zwingt, ſich nach günſtigeren Gegenden zu wenden. Die kleinen Arten wohnen jedoch auch in dichteren Waldungen auf dem Gebirge und in felſigen, buſch - reichen Gegenden, ſelbſt in der Nähe bewohnter Orte. Bei weitem die meiſten leben einzeln, oder blos zur Fortpflanzungszeit paarweiſe; nur eine Art ſchlägt ſich in größere Rudel zuſammen.

Wie bei den meiſten Wiederkäuern beginnt das Leben auch der Moſchusthiere erſt nach Sonnenuntergang; den Tag über liegen ſie an verborgenen Orten verſteckt und ſchlafen. Sie ſind lebhaft und behend, leicht und ſchnell in ihren Bewegungen, ſpringen und klettern vortrefflich und laufen gemſengleich über die Schneefelder hinweg. Die Arten, welche in der Tiefe leben, ſind zwar auch gewandt und raſch, jedoch nicht ſo ausdauernd, als jene, welche das Gebirge bewohnen. Alle ſind ſehr ſcheu und furchtſam und verſuchen bei der geringſten Gefahr zu entfliehen. Dabei gebrauchen Einige ein eigenes Verſtellungsmittel, wie das Opoſſum: ſie ſtellen ſich todt und ſpringen dann plötzlich auf und davon. Ueberhaupt kann man die Thiere liſtig und berechnend nennen. An die Gefangenſchaft gewöhnen ſie ſich ſehr bald; ſie laſſen ſich ohne Umſtände zähmen und ſchließen mit den Menſchen ziemlich innige Freundſchaft, ohne jedoch die ihnen angeborene Scheu gänzlich zu verlieren.

Die Vermehrung unſerer Thiere iſt gering. Sie ſetzen blos ein oder höchſtens zwei Junge, und zwar in ziemlich langen Zwiſchenräumen. Man jagt die Moſchusthiere ihres Fleiſches und ihres Felles wegen; die eine Art aber auch ganz beſonders des Moſchus halber, welcher, wie bekannt, noch heutigen Tages als ein höchſt wichtiges Arzneimittel angeſehen wird.

Gegenwärtig kennt man mit Sicherheit blos ſechs Arten dieſer Thiere, von denen wir zwei Ar - ten, die Vertreter eigener Sippen, näher betrachten wollen.

Die erſte Sippe (Moschus) zeichnet ſich durch ſehr lange Eckzähne und ganz behaarte Hinterfüße, ſowie den Beutel mit Moſchus vor den übrigen aus. Sie enthält nur eine oder höchſtens zwei Arten, je nachdem man das indiſche oder ſibiriſche Moſchusthier vereinigt oder trennt. Die meiſten Naturfor - ſcher nehmen nur die eine Art (Moschus moschiferus) an. Das Moſchusthier iſt ein zierlicher Wiederkäuer von Rehgröße, alſo von Fuß Leibeslänge und 2 Fuß Höhe, gedrungen gebaut, am Hintertheil höher geſtellt, als vorn, ſchlankläufig, kurzhalſig mit länglichem, an der Schnauze ſtumpf zugerun - detem Kopfe, welcher mittelgroße, langgewimperte Augen mit ſehr beweglichem Stern und eigeſtaltete Ohren von halber Kopfeslänge trägt. Ziemlich kleine, lange, ſchmale und ſpitze Hufe umſchließen den Fuß; ſie können aber vermöge einer zwiſchen ihnen befindlichen Hautfalte ſehr breit geſtellt werden, und ermöglichen in Verbindung mit den bis auf den Boden herabreichenden Afterklauen ein ſicheres und unbeſchwerliches Dahinſchreiten auf Schneefeldern oder Gletſchern. Der Schwanz iſt kurz und dick, faſt dreieckig geſtaltet, bei dem Bock mit Ausnahme der Spitze nackt, hier aber mit einem Haarbüſchel beſetzt. Ein dicht anliegendes Haarkleid von rothbrauner Geſammt - färbung, welches ſich zu beiden Seiten der Bruſt, zwiſchen den Hinterſchenkeln und am Halſe verlängert, bedeckt den Leib. Die Einzelhaare ſind ſtarr, ziemlich lang, dick und kraus gedreht. Sie zeigen den vollkommenſten Zellenbau unter allen Haargebilden. Die Eckzähne ragen bei dem Männchen zwei bis drei Zoll aus dem Maule hervor und ſind ſanft nach auswärts, dann ſichel - förmig nach hinten zu gebogen. Jhre Außenſeite iſt flach gewölbt, der Hinterrand zuſammenge - drückt und ſchneidend, die Spitze ſehr ſcharf. Das Weibchen hat ebenfalls Eckzähne; ſie treten aber nicht über die Lippen heraus.

415Das echte Moſchusthier.

Außer dieſen Zähnen iſt der Moſchusbeutel unſtreitig das Merkwürdigſte an unſerem Thiere. Dieſe eigenthümliche Drüſe liegt am Hinterbauche zwiſchen Nabel und Geſchlechtstheilen und erſcheint als ein ſackförmiger, etwas hervorragender, rundlicher Beutel von 2 bis Zoll Länge, Zoll Breite und bis ¾ Zoll Höhe. Straff anliegende, gegen einander geneigte Haare beſetzen ihn von beiden Seiten, laſſen aber auf der Mitte eine kreisförmige Stelle kahl. Hier liegen zwei kleine Oeffnungen hinter einander, welche durch kurze Röhren mit dem Beutel ſelbſt in Verbindung ſtehen. Die vordere, halbmondförmige iſt außen mit gröberem, innen mit feinem, langen und verworrenen Haar beſetzt; die hintere, welche mit den Geſchlechtstheilen in Verbindung ſteht, wird von einem Büſchel langer Grannen umgeben. Feine Drüſen im Jnneren des Beutels ſondern den Moſchus ab, und durch die erſte Röhre wird der Beutel entleert, wenn er zu voll iſt. Erſt bei dem erwachſenen Moſchusthiere hat der Beutel ſeine volle Größe und ſeinen vollen Gehalt an Mo - ſchus erlangt. Man darf als Durchſchnittsmenge zwei Loth des koſtbaren Stoffes annehmen; doch hat man in einzelnen Beuteln auch ſchon mehr als vier Loth gefunden. Junge Böcke liefern etwa

Das Moſchusthier (Moschus moschiferus).

¼ Loth. Bei Lebzeiten des Thieres iſt der Moſchus ſelbſt ſalbenartig; getrocknet wird er zu einer körnigen oder pulverigen Maſſe, welche anfänglich eine rothbraune Färbung zeigt, mit der Zeit aber kohlſchwarz wird. Der Geruch nimmt in demſelben Maße ab, als der Moſchus dunkler wird. Er verliert ſich gänzlich, wenn man den ſonderbaren Stoff mit Schwefel, Goldſchwefel oder Kampfer vermiſcht. Jn kaltem Waſſer löſt er ſich etwa zu ¾, in kochendem zu , in Weingeiſt ungefähr zur Hälfte auf. Beim Erhitzen verbrennt er unter Entwickelung eines peinlichen Geſtankes.

Weder die Griechen, noch die Römer wußten Etwas von dem Moſchusthier, obgleich ſie, wie Oken treffend bemerkt, in wohlriechende Salben ganz vernarrt waren und dieſe meiſt aus Jndien und Arabien erhielten. Die Chineſen dagegen verwandten den Moſchus bereits ſeit Jahrtauſenden. Wir haben die erſte Kunde durch die Araber erhalten. Schon Abu Senna ſagt, daß der beſte Moſchus aus Tibet käme und in dem Nabel eines antilopenartigen Thieres gefunden werde, aus deſſen Maule zwei Eckzähne wie Hörner vorſtehen; Moſadius fügt Dem hinzu, daß der tibeta - niſche Moſchus aus dem Grunde beſſer als der chineſiſche ſei, weil das Thier in Tibet die Narde und andere wohlriechende Kräuter freſſe, welche in China fehlen. Um das Jahr 1300 gab Marco416Die Moſchusthiere. Das echte Moſchusthier.Polo ausführlichere Nachrichten. Er beſchreibt das Moſchusthier und ſagt dann: Beim Voll - monde wächſt dieſem Geſchöpf am Nabel eine Blutblaſe, und die Jäger gehen ſodann hinaus, um es zu fangen, ſchneiden das Blutgeſchwür aus, trocknen es an der Sonne und gewinnen den fein - ſten Balſam, welchen man kennt. Eine ganze Reihe von Reiſenden fabelten nun ins Blaue hinein, bis endlich Pallas, der große und hochverdiente Naturforſcher Aſiens, uns mit einer ſo ſorgfäl - tigen Naturbeſchreibung des Thieres vertraut gemacht hat, daß alle Neueren bisjetzt nur als Kärr - ner erſchienen ſind, welche zu thun haben, wenn die Könige bauen . G. Radde macht eine rühmliche Ausnahme.

Gegenwärtig wiſſen wir etwa Folgendes: Das Moſchusthier heißt bei den Chineſen Xe oder Sche, Xiany oder Schiag, aber auch Hiang-Tſcheny-The. Dabei unterſcheidet man das Männchen als Sche-Hiang und das Weibchen als Me-Hiang. Jn Tibet heißt erſteres Alath, Glao oder Gloa und La; die Ruſſen nennen es Kabarga, die Bewohner der Lena Saiga, die Tunguſen Dſanga oder Dſchiga, die Umwohner des Baikalſees Honde; das Männchen aber Miktſchan; die Oſtjacken bezeichnen es mit dem Namen Bjös, die Tartaren mit Taberga, Torgo, Gifar und Jufarte-Kjik, die Kalmücken und Mongolen mit Kudari und die Kamatſchinzen endlich mit Südö.

Aus dieſem Namenreichthum geht die Verbreitung unſeres Thieres ſchon zur Genüge hervor. Sein Vaterland ſind die höchſten Alpen des hinteraſiatiſchen Gebirgsvierecks. Es reicht vom Amur an bis zum Hindukuſch, und vom 60. Grade nördlicher Breite bis nach Jndien und China. Am häufigſten findet es ſich auf den tibetaniſchen Abhängen des Himalaya, in der Umgebung des Baikal - ſees und in den Gebirgen der Mongolei. Hier ſoll es ſo zahlreich ſein, daß Jäger in einem und demſelben Winter mehrere hundert Stück erlegen könnten.

Die ſchroffen Gehänge und die Waldungen jener Gebirge bilden die eigentlichen Wohnſitze des berühmten Thieres. Radde nennt es den Bewohner öder, vielfach zertrümmerter Gebirgswände und ſagt, daß es ſich vornehmlich die ſtumpfen Kegelſpitzen der Höhen zu ſeinem Aufenthalte aus - wähle. Es ſteigt ebenſowenig nach oben hin über die Baumgrenze hinaus, als es in die reicheren Gegenden der Tiefe herabkommt. Höhen zwiſchen 3000 und 7000 Fuß über dem Meere bilden ſeinen bevorzugten Aufenthalt, ausnahmsweiſe nur kommt es in Thalmündungen herab, welche blos 7 bis 800 Fuß über dem Meere gelegen ſind. Am liebſten wohnt es in dem Alpengürtel an der oberen Baumgrenze. Es hält feſt an dem einmal gewählten Stande. Bis zur Brunſtzeit lebt es einzeln, bei Tage verborgen im Gebüſch, bei Nacht ſeiner Aeßung nachgehend. Seine Bewegungen ſind ebenſo raſch, als ſicher. Es läuft mit der Schnelligkeit der Antilope, ſpringt mit der Sicherheit des Steinbocks und klettert mit der Kühnheit einer Gemſe. Auf Schneeflächen, wo jeder Hund einſinkt und ein Menſch ſich kaum fortbewegen kann, trollt das Moſchusthier noch gemächlich dahin, faſt ohne eine ſichtbare Spur zurückzulaſſen. Verfolgte ſpringen, wie die Gem - ſen, aus bedeutenden Höhen ohne Schaden herab oder laufen an Wänden hin, an welchen ſich ihnen kaum die Möglichkeit zum Fußen bietet. Jm Fall der Noth ſchwimmt unſer Thier ohne Beſinnen über breite Ströme.

Die Sinne ſind vortrefflich, die Geiſtesfähigkeiten aber gering. Das Moſchusthier iſt ſcheu, jedoch nicht klug und berechnend. Wenn es von einem Mißgeſchick überraſcht wird, weiß es ſich oft gar nicht zu benehmen und rennt wie verrückt umher. So benimmt ſich auch das friſch - gefangene.

Jm Spätherbſt, gewöhnlich im November und Dezember, ſchlagen ſich die Rudel der Brunſt halber zuſammen. Die Männchen beſtehen heftige Kämpfe um den Minneſold, und gebrauchen ihre ſcharfen Zähne in gefährlicher Weiſe. Sie gehen auf einander los, ſuchen ſich mit den Hälſen zu umſchlingen, um die Zähne einzuſetzen, und reißen dann tiefe Wunden in Fell und Fleiſch. Man findet, daß faſt alle erwachſenen Männchen die Narben ſolcher Kämpfe an ſich tragen. Wäh - rend der Brunſtzeit verbreitet das Männchen einen wahrhaft unausſtehlichen Moſchusgeruch: die417Das echte Moſchusthier.Jäger ſagen, daß man ihn auf eine Viertelmeile wahrnehmen könne. Früher wurde behauptet, daß die Männchen während der Brunſtzeit ihren Moſchusbeutel an Baumſtämmen und anderen harten Gegenſtänden entleerten; doch ſcheint dieſe Angabe auf falſcher Beobachtung zu beruhen. Sechs Monate nach der Begattung, im Mai oder Juni etwa, ſetzt das Weibchen ein einziges oder zwei Junge, welche es mit treuer Liebe bis zur nächſten Brunſtzeit bei ſich behält, dann aber ab - ſchlägt. Die Jungen ſind vollſtändig ausgebildet; ihr Schwanz iſt noch behaart; doch ſchon in der erſten Jugend unterſcheiden ſich die Männchen durch eine ſtumpfe Schnauze und durch ein bedeuten - deres Gewicht von den Weibchen. Mit Ende des dritten Jahres ſind die Jungen erwachſen.

Je nach dem Aufenthaltsorte iſt die Nahrung unſeres Thieres eine verſchiedene. Jm Winter ſind es hauptſächlich Baumflechten, im Sommer die würzigen Alpenkräuter der höher gelegenen Matten des Gebirges. Wie man ſagt, ſind die Moſchusthiere ſehr wähleriſch in ihrer Speiſe, und ſuchen ſich nur die beſten und würzigſten Pflanzen aus. Die größere oder geringere Güte des Moſchus ſcheint weſentlich auf der Nahrung zu beruhen, obwohl man noch nicht weiß, welche Pflanzen es ſind, die dem ſibiriſchen Moſchusthier fehlen. Dieſes äßt ſich nach Pallas von Wurzeln, Sumpfkräutern, von den Blättern der Beerentraube, Alpenroſen, Preißelbeeren und haar - förmigen Flechten; die Wurzeln gräbt es, wie das Renthier, mit den Huſen unter dem Moſe oder Schnee hervor.

Die Jagd des ſo wichtigen und gewinnbringenden Geſchöpfes hat ihre großen Schwierig - keiten. Seine außerordentliche Scheu iſt Urſache, daß der Jäger nur ſehr ſelten zum Schuſſe kommt. Gewöhnlich wendet man Schlingen an, um der geſuchten Beute habhaft zu werden. Man legt ſie auf die Wechſel, die das Moſchusthier ſehr ſtreng einhält, und bekommt ſie ſo bald leben - dig, bald erwürgt. Jn Sibirien fängt man ſie nach Pallas im Winter mit Flechten. Am Jenneſei und Beikal ſperrt man die Thäler durch zaunartig neben einander eingeſchlagene Pfähle ab, bis auf einen engen Durchgang, und legt in dieſen die Schlingen. Die Tunguſen erſchießen die Thiere mit Pfeilen und blatten ſie, d. h. locken ſie durch Nachahmung des Blöckens der Kälber mit zuſammengeſchlagener Birkenrinde an ſich heran. Dabei kommt es nicht ſelten vor, daß, anſtatt der erwünſchten Moſchusthiere, Bären, Wölfe und Füchſe erſcheinen, welche ſich durch das Blöcken ebenfalls täuſchen ließen und eine Beute erhofften.

Die geübten Jäger, ſagt Radde, benutzen die Ständigkeit des Moſchusthieres, um es mit der Kugel zu erlegen. Das aufgeſcheuchte Wild ſpringt in flüchtigen Sätzen von Fels zu Fels und entzieht ſich ſo bald dem Blicke des Jägers. Dieſer aber legt ſich nun in den Hinterhalt; denn er iſt gewiß, daß das Thier, nachdem es die Bergkuppe, auf welcher es ſeinen Stand wählte, umkreiſt hat, wieder zu derſelben Stelle zurückkehrt, von welcher es geſcheucht wurde. Auch der Fang beruht weſentlich auf dieſer Neigung des Moſchusthieres. Jm übrigen bemerkt Radde, daß der Fang durch den Vielfraß, das ſibiriſche Wieſel und die Raben weſentlich geſtört werde. Die behaarten Raubthiere gehen den Spuren nach und freſſen die Gefangenen aus den Schlingen, welche, weil ſie an entlegenen, ſchwer zugänglichen Stellen gelegt werden, nicht immer zeitig genug von den Jägern nachgeſehen werden können.

Das Fleiſch der Moſchusthiere iſt für Europäer ungenießbar; der Moſchusbeutel aber wirft einen bedeutenden Gewinn ab und lohnt die Jagd reichlich. Jn Sibirien werden nach obrigkeit - lichen Berichten jährlich an 50,000 Moſchusthiere erlegt, worunter etwa 9000 Männchen ſind. Aber das ſibiriſche Moſchusthier gilt weit weniger, als das tibetaniſche oder chineſiſche. Das ben - galiſche iſt ſchon geringer, und das kabartaniſche, welches ſeine Benennung von dem tartariſchen Namen Kabarka erhielt, die geringſte Sorte. Vom chineſiſchen Moſchus koſtet die Unze im Beutel 10 bis 12 Thaler, vom bengaliſchen 8 bis 10 Thaler, vom kabartaniſchen 3 Thaler. Der meiſte Moſchus wird aus China nach England eingeführt; allein nur ſelten bekommt man ihn rein; denn die ſchlauen Langzöpfe haben ſchon ſeit alten Zeiten die Verfälſchung des köſtlichen Stoffes eifrig betrieben. Bereits Tavernier, welcher in Batana in Jndien einmal 1773 MoſchusbeutelBrehm, Thierleben. II. 27418Die Moſchusthiere. Die Zwergmoſchusthiere.kaufte, klagt über dieſe Verfälſchung. Die Beutel wogen 2757 Unzen, enthielten aber blos 452 Unzen reinen Moſchus. Gewöhnlich vermiſcht man denſelben mit dem Blute des Thieres oder mit einer dunklen, leicht zerreiblichen Erde; auch werden kleine Stückchen Blei in den Beutel geworfen; es werden ſogar die Beutel aus irgend einem Stück von dem Fell des Moſchusthieres künſtlich ange - fertigt und mit irgend einem Stoff gefüllt, den man mit etwas Moſchus vermiſcht, oder man ent - leert einen wirklichen Beutel und füllt ihn mit etwas Anderem an; Blut wird eingetrocknet und gepulvert, zu einer Maſſe geknetet, in Körnchen zertheilt und hierdurch wirklichem Moſchus ſehr ähnlich gemacht u. ſ. w. Dem Dr. Kiehnaſt wurde, wie Radde mittheilt, von einem lamaitiſchen, mit der tibetaniſchen Heilkunde bekannten Prieſter aus Tunka erzählt, daß die Chineſen die Mo - ſchusbeutel Sibiriens vor weiterem Gebrauch zubereiten, wodurch dieſe erſt den durchdringenden Ge - ruch bekommen. Sie ſollen die Beutel einer Art Gährung unterwerfen, da, wo die Schafe gewin - tert haben, etwa einen Fuß tief in die Erde graben, ſie dort eine gewiſſe Zeit liegen laſſen und erſt, nachdem ſie ſo die gewünſchten Eigenſchaften erhalten haben, herausnehmen, trocknen und für den Handel bereiten. Die älteren Reiſenden berichten ſonderbare Dinge von der Heftigkeit des Moſchusgeruchs. Tavernier und der Reiſende Chardin erzählen, daß die Jäger genöthigt wären, vor dem Abſchneiden des Beutels ſich Mund und Naſe zu verſtopfen, weil unvorſichtiges Einathmen der Ausdünſtung tödtlich werdende Blutflüſſe veranlaſſe. Chardin verſichert, daß er nie im Stande geweſen ſei, ſich den Moſchusverkäufern zu nähern, und von ſeinen Handelsfreunden die Einkäufe habe beſorgen laſſen müſſen. Der Geruch, ſagt er, iſt unerträglich, und für die un - gewohnten Europäer geradezu gefährlich. Das Fell wird zu Kappen und Winterkleidern benutzt oder zu ſämiſchgarem Leder verarbeitet, welches feiner iſt, als das des Rehes. Radde ſagt aber, daß die Felle in den von ihm durchreiſten Gegenden ſogut wie keine Verwendung finden. Nur das Fell der Läufe benutzen die heidniſchen Jagdvölker zu oft ſehr geſchmackvoll genähten Decken; die Häute werden gar nicht verwerthet. Weibliche Moſchusthiere, welche unglücklicherweiſe in eine der geſtell - ten Fallen geriethen, werden von den ruſſiſchen Jägern ohne weiteres weggeworfen, meiſtens nicht einmal enthäutet.

Ueber das Leben des Thieres in der Gefangenſchaft fehlen noch alle ausführlichen Berichte. Jm Jahre 1772 kam ein Moſchusthier, nachdem es drei Jahre auf der Reiſe zugebracht hatte, lebend nach Paris, und hielt dort drei Jahre aus. Es ſtarb an einer Haarkugel, welche ſich aus den von ihm ſelbſt abgeleckten Haaren gebildet und vor den Pförtner des Magens geſtemmt hatte. Bis dahin war es immer ſehr wohl und munter geweſen, und deshalb glaubten die franzöſiſchen Naturforſcher auch, daß man das wichtige Thier auf unſeren Hochgebirgen anſiedeln und heimiſch machen könne. Man ernährte es mit eingeweichtem Reis, Broſamen, Flechten und Zweigen von Eichen; es war lebhaft, munter und ſehr beweglich, gewiſſermaßen ein Mittelding zwiſchen Reh und Gazelle. Jmmer blieb es furchtſam und ſcheu, und immer war es ganz harmlos. Der Moſchusgeruch, den es verbreitete, war ſo ſtark, daß man nur der Naſe zu folgen brauchte, um das Thier auf - zufinden. Vor ein paar Jahren las ich in einer engliſchen Zeitſchrift, daß ein anderes Moſchus - thier im Thiergarten zu London eingetroffen ſei; ich habe aber ſeitdem über dieſen Gefangenen Nichts weiter vernommen.

Die Sippe der Zwergmoſchusthiere (Tragulus) unterſcheidet ſich von der erſten haupt - ſächlich durch den Mangel des Moſchusbeutels, durch den nur dreifach getheilten Magen und den nackten, ſchwieligen Rand des Mittelfußes. Der Schwanz iſt noch ſehr kurz, aber ziemlich lang behaart.

Alle hierher gehörigen Thiere, über deren Artſelbſtändigkeit und bezüglich Artverſchiedenheit noch großer Zwieſpalt unter den Naturforſchern herrſcht, ſind überaus niedliche Geſchöpfe. Die von uns näher zu betrachtende Art iſt der kleinſte aller Wiederkäuer. Man denke ſich ein rehartiges, zier -419Der Kantſchill.liches Thierchen mit ziemlich dickem Rumpf, ſchlankem, wohlgeformten Kopfe, ſchönen, hellen Augen und Beinchen, welche kaum mehr als Bleiſtiftsdicke haben, mit äußerſt niedlichen Hufen, einem kleinen, netten Stumpfſchwänzchen und weichem, anliegenden Haarkleid mit anſprechender Färbung: ſo hat man ein Zwergmoſchusthier.

Der Kantſchill (Tragulus Kanchil oder Tragulus pygmeus) wird kaum anderthalb Fuß lang, wovon nur anderthalb Zoll auf den Schwanz kommen; die Höhe am Widerriſt beträgt acht Zoll, die am Kreuz nur einen Zoll mehr. Das ziemlich feine Haar iſt am Kopfe röthlichfahl, an den Sei - ten heller, auf dem Scheitel dunkel und faſt ſchwarz, auf der Oberſeite des Körpers röthlichgelb - braun, längs des Rückens ſtark mit Schwarz gemengt, gegen die Seiten zu lichter, an der oberen Seite des Halſes weiß geſprenkelt und auf der Unterſeite weiß. Vom Unterkiefer aus verläuft jederſeits ein weißer Streifen längs der Halsſeiten bis zur Schulter hin, hierauf folgt jederſeits ein dunkler Streifen, welcher in der Mitte, alſo unten am Halſe, einen dritten weißen Streifen in ſich

Der Kantſchill (Tragulus Kanchil).

ſchließt. Bisweilen verläuft auch ein gelblicher Streifen längs des Bauches. Die Glieder ſind fahlgelb, die Oberarme und Unterſchenkel lebhaft roſtroth, die Füße blaßgelblichfahl. Die Verſchie - denheit der Färbung wird durch die eigenthümliche Zeichnung der Haare hervorgebracht. Auf dem Rücken ſind dieſe in der unteren Hälfte weiß, dann werden ſie dunkler, hierauf ſcharf abgeſchnitten hochgelb oder pomeranzenfarbig und die Spitze endlich iſt ſchwarz. Je nachdem nun dieſe ſchwarze Spitze wegfällt oder ſich zeigt, je nachdem der lichte Ring vor derſelben mehr oder weniger hervor - tritt, ändert ſich die Zeichnung des Felles; an den weißen Stellen aber ſind die Haare reinweiß. Die älteren Männchen tragen recht hübſche Eckzähne im Munde, welche zolllang aus dem Zahn - fleiſch hervorſtehen. Sie ſind immer ſtark gekrümmt, von innen nach außen und von vorn nach abwärts gekehrt, ſeitlich zuſammengedrückt, auf der Seite ausgehöhlt und an dem Hinterrande ſchneidend. Die kleinen, feinen Hufe ſind lichtbräunlich, hornfarben. Junge Thiere unterſcheiden ſich nicht von den alten.

Java, Singapore, Pinang und andere umliegende Jnſeln, ſowie die malayiſche Halb - inſel ſind die Heimat dieſes reizenden Geſchöpfes; in Sumatra, Borneo und Ceylon wird es durch27 *420Die Zwergmoſchusthiere. Der Kantſchill.verwandte Arten erſetzt. Es lebt in den dichten tropiſchen Wäldern, mehr im Gebirge, als in der Ebene, meiſt einzeln, nur während der Brunſtzeit paarweiſe. Während des Tages liegt es zurück - gezogen, im dichteſten Gebüſch ruhend und wiederkäuend; mit Einbruch der Dämmerung geht es auf Aeßung aus und ſucht allerlei Blätter, Kräuter und Beeren zur Nahrung; Waſſer iſt ihm un - entbehrlich.

Alle Bewegungen des Thierchens ſind äußerſt zierlich und leicht, dabei aber ſehr lebhaft. Es verſteht verhältnißmäßig große Sätze auszuführen und mit viel Geſchick allerlei Schwierigkeiten im Wege zu überwinden. Aber die zarten Glieder verſagen ihm bald den Dienſt, und es würde leicht in die Gewalt ſeiner Feinde fallen, wenn es nicht noch ein Vertheidigungsmittel beſäße, welches in einer eigenthümlichen Liſt beſteht. Gewöhnlich ſucht es ſich bei Verfolgungen im Gebüſch zu ver - ſtecken; ſobald es aber ſieht, daß es nicht weiter kann, legt es ſich ruhig auf die Erde und ſtellt ſich, wie das Opoſſum unter ähnlichen Umſtänden, ganz todt. Der böſe Feind kommt heran und denkt mit einem Griff ſeine Beute aufzunehmen: aber ſiehe da, ehe er noch dieſe erreicht hat, macht unſer Thierchen einen oder zwei Sprünge und eilt mit Blitzesſchnelle davon. Die Eingeborenen behaupten nun feſt, daß das männliche Thier auch noch in anderer Weiſe ſich vor dem Angriff der Säugethiere zu ſchützen wiſſe. Es ſoll nämlich in die Höhe ſpringen und ſich mit ſeinen hervorragenden Eckzähnen an einen Aſt anhängen. Leider erinnert dieſe Geſchichte gar zu ſehr an die alten Märchen, welche man früher über die Gemſen erzählte, als daß man ihr Glauben ſchenken dürfte. Raffles ſagt übrigens, daß die Malayen einen recht durchtriebenen Betrüger nicht beſſer bezeichnen zu können glauben, als wenn ſie ihn ſo liſtig wie ein Kantſchill nennen.

Ueber die Fortpflanzung der Zwergmoſchusthiere iſt noch ſehr wenig bekannt, und man kann eben blos annehmen, daß ſie, wie die meiſten anderen Wiederkäuer und die bekannteren Moſchus - thiere, nur ein Junges werfen.

Jn der Neuzeit hat man dieſes und andere Zwergmoſchusthiere häufig nach Europa gebracht und hier längere Zeit in Gefangenſchaft gehalten. Thierſchaubudenbeſitzer haben das eine oder das andere auch ſchon überall herumgeführt und zur Schau geſtellt. Jch ſah es vor fünf Jahren (1859) in Leipzig. Es hauſte in einem unten dick mit Heu ausgepolſterten Käfig und ſchien ſich ſehr wohl zu befinden. Sein Ausſehen iſt höchſt ſchmuck und nett; es hält ſich außerordentlich reinlich und putzt und leckt ſich beſtändig. Die großen, ſchönen Augen laſſen ein geiſtig ſehr hochbegabtes Thier in ihm vermuthen. Dies iſt es jedoch nicht; denn es verräth anderweitig niemals die Spuren eines großen Verſtandes. Es iſt ruhig, ſtill und langweilig. Der Tag theilt ſich bei ihm in Freſſen, Wiederkäuen und Schlafen. Nur ein einziges Mal vernahm ich ſeine zarte, leiſe Stimme, einen Ton, vergleichbar einem ſchwachen Blaſelaute.

Der Zartheit und Zierlichkeit ſeiner Geſtalt halber dürfte dieſes reizende Geſchöpf als Hausthier zu empfehlen ſein; jedenfalls würde es eine große Zierde parkartiger Gärten bilden und dem Beſitzer viel Freude machen.

Bisjetzt ſcheint man es noch an wenigen Orten ſeiner Lebensweiſe entſprechend behandelt zu haben, und deshalb hat man es meines Wiſſens auch nur ein einziges Mal zur Fortpflanzung ge - bracht. Mein Freund und Berufsgenoſſe Dr. Bodinus in Köln, hat die Güte gehabt, mir dieſes Vorkommniß mitzutheilen, und gibt zugleich ſo beachtenswerthe Winke über die Behandlung der Thiere überhaupt, daß ich mit beſonderem Vergnügen die betreffende Stelle ſeines Briefes hier mittheile.

Um Thiere zur Fortpflanzung zu bringen, iſt nicht allein ein angemeſſener Aufenthaltsort nöthig, ſondern auch entſprechende Nahrungsmittel ſind erforderlich. Dies macht ſich ſelbſt bei Thieren geltend, die, vollſtändig der Freiheit entwöhnt, in unmittelbarer Nähe des Menſchen und mit ihm leben, wie z. B. beim gewöhnlichen Haushuhn. Daſſelbe legt ſeine Eier unter allen Verhält - niſſen in kleinere und größere Räume, nachdem der Hahn ſich mit ihm begattet, und dennoch beobachten wir, daß ein großer Theil der im beengten Raume gelegten Eier trotz guter Fütterung unbefruchtet iſt,421Der Kantſchill. Die Hirſche.während die Eier von frei umherlaufenden Hühnern faſt ohne Ausnahme kleine Hühnchen liefern. Es iſt nach meinen Beobachtungen nicht der Mangel an Bewegung ſchuld an der theilweiſen Un - fruchtbarkeit, ſondern die Entbehrung der geeigneten Nahrungsmittel, namentlich der Würmer, und es iſt daher nöthig, wo dieſe fehlen, ein Erſatzmittel zu reichen, wie rohes Fleiſch und Larven der Schweißfliegen. Wie bei den Hühnern, ſo iſt es mit faſt allen Thieren. Nirgends faſt ſah ich die Schellente; wo ich ſie ſah, kümmerten dieſe Thiere; in unſerem Garten ſind dieſelben nicht allein friſch und munter, wie in der Freiheit, ſondern ſie haben ſich ſogar begattet.

Durch die Güte eines Mitgliedes des Verwaltungsrathes erhielten wir ein Paar Zwerg - moſchusthiere. Trotz ſorgfältiger Pflege, trotz friſchen Graſes, Klee, Brod, Milch und Hafer zeigten ſich dieſe ohnehin ſehr ſchwermüthigen Thiere keineswegs in einem befriedigenden, von Wohlbehagen zeugenden Zuſtande. Sie ſaßen ſtill da, und die Haare zeigten ſich etwas rauh und geſträubt, ſo daß ich beſchloß, denſelben, welche in der Heimat ſich weſentlich von Beeren nähren, Ebereſchen zu reichen. Mit wahrer Begierde fielen die kleinen zierlichen Thiere darüber her; ſie ver - tilgten täglich eine große Menge davon, und bald blieben die guten Folgen reger Eßluſt und zuſa - gender Speiſe nicht aus. Das große Auge wurde feuriger, das Haar glatter und glänzender, die Seiten runder, und ich hatte die Ueberzeugung, daß ſich dies kleine zärtliche Thier bei Ueberreichung von Ebereſchen, Milch mit Weißbrod und etwas Grünem recht gut halten würde.

Zeugt der Fortpflanzungstrieb der Thiere von guter und zweckmäßiger Behandlung, ſo war jeglicher Zweifel an letzterer beſeitigt, als nach geraumer Zeit das Weibchen ſich ſehr umfangreich zeigte und bald ein Junges gebar, leider aber ein todtes. Meine Hoffnung, ſpäter lebende Junge zu erhalten, wurde jedoch auf eine traurige Weiſe zerſtört. Eines Tages lag das Weibchen todt in ſeinem kleinen Zwinger; unaufgeklärt iſt es geblieben, ob mehrere ihm beigebrachte Bruſt - wunden von den ſpitzen Zähnen des Männchens oder von böswilligen Beſuchern des Gartens, wie ſie leider zur Schande für die Menſchheit vorkommen, herrührten.

Die Javaneſen, welche das Thierchen Poetjang nennen, ſollen ihm eifrig nachſtellen und ſein weiches, aber ſüßliches Fleiſch gern eſſen. Auch faßt man die zarten Füßchen hier und da in Gold und Silber ein, und benutzt ſie dann zum Stopfen der Tabakspfeifen.

Keine einzige Gruppe der ganzen Ordnung läßt ſich leichter kennzeichnen, als die Familie der Hirſche (Cervi). Sie ſind geweihtragende Wiederkäuer. Mit dieſen Worten ſind ſie eigentlich beſchrieben; denn alles Uebrige erſcheint dieſer Eigenthümlichkeit gegenüber als neben - ſächlich. Von den Moſchusthieren unterſcheiden ſich die Hirſche durch bedeutendere Größe, durch den Beſitz von Thränengruben, durch die nur ſehr kurzen Eckzähne bei den Männchen mancher Arten und durch eine Haarbürſte an den Hinterfüßen. Jhr Leibesbau iſt ſchlank und zierlich; der Leib iſt wohlgeformt und geſtreckt; die Beine ſind hoch und fein gebaut; die Füße haben ſehr ent - wickelte Afterklauen und ſchmale, ſpitze Hufen; der Hals iſt ſtark und kräftig; der Kopf nach der Schnauzenſpitze zu ſtark verſchmälert. Große, lebhafte Augen, aufrechtſtehende, ſchmale, mittel - lange und bewegliche Ohren und vor Allem die Geweihe zieren ihn.

Die Geweihe kommen meiſt nur den Männchen zu. Sie ſind, wie angegeben, paarige, knöcherne, veräſtelte Fortſetzungen der Stirnbeine und werden alljährlich abgeworfen und aufs neue erzeugt. Jhre Bildung und die Abſterbung ſteht im innigen Zuſammenhang mit der Ge - ſchlechtsthätigkeit. Berſchnittene Hirſche bleiben ſich hinſichtlich des Geweihes immer gleich, d. h. ſie behalten es, wenn die Verſchneidung während der Zeit erfolgte, wo ſie das Geweih trugen, oder ſie bekommen es niemals wieder, wenn ſie verſchnitten wurden, als ſie das Geweih eben abgeworfen hatten; ja, einſeitig Verſchnittene ſetzen blos an der unverſehrten Seite noch auf. 422Die Hirſche.Schon vor der Geburt des Hirſches iſt die Stelle, welche das Geweih tragen ſoll, durch eine ſtarke Verknöcherung des Schädels angedeutet. Mit dem ſechſten oder achten Monate des Alters bildet ſich durch Erhebung der äußeren Decke am Stirnbein ein Knochenzapfen, welcher während des ganzen Lebens hindurch ſtehen bleibt. Dies iſt der ſogenannte Roſenſtock, auf dem ſich die Geweihe aufſetzen. Anfänglich ſind die Stangen nur einfach ſpitz, ſpäter veräſteln ſie ſich mehr und mehr, indem von der Hauptſtange Sproſſen auslaufen, deren Zahl bis zwölf an jeder Stange anſteigen kann. Mit dem Alter der Hirſche, ſagt Blaſius, geht eine gewaltige Um - änderung der Geweihe vor ſich. Die erſte und allgemein auffallende Veränderung iſt die der Roſenſtöcke, welche mit der zunehmenden Größe der Stirnzapfen ſich mit jedem Jahr mehr erweitern und nach der Mitte der Stirn einander nahe rücken; ebenſo verringert ſich auch mit dem Auf - rücken der Stirnkante die Roſe und der Schädel in jedem Jahr. Noch auffallender aber ſind die Veränderungen in der Geſtalt der Geweihe und in der Anzahl der Enden.

Die jungen Geweihe, in deren erſten Bildungsanfängen der Grund zum Abwerfen der alten liegt, ſind anfangs von einer gefäßreichen, behaarten Haut umgeben, kolbig, weich und biegſam. Erſt löſen ſich die tieferen, dann die höher ſtehenden Enden von der Hauptſtange los und nachdem alle in bleibende Verhältniſſe ausgebildet und die Enden vereckt ſind, ſtockt der Blutumlauf, und der Hirſch hat das Bedürfniß, die Haut oder den Baſt abzuſchlagen, der nun auch anfängt, ſich von ſelbſt abzulöſen. Die Veränderung des Geweihes, gewiſſermaßen ſeine Weiterausbildung, geht nun folgendermaßen vor ſich: Schon ehe der Hirſch das erſte Lebensjahr erreicht, bilden ſich als unmittelbare Fortſetzungen der Roſenſtöcke Stangen, welche bei manchen Arten der Familie wohl abgeworfen, aber immer in gleicher Weiſe wieder erſetzt werden, während bei den meiſten Hirſchen die auf die erſte Stange, die ſogenannten Spieße, folgenden Geweihe, alſo der Kopfſchmuck des zweiten Jahres einen, bisweilen wohl auch zwei Zacken, Sproſſen oder Zinken erhalten. Jm Frühjahr des dritten Jahres wiederholt ſich derſelbe Vorgang; aber die neu aufgeſetzte Stange enthält einen Sproſſen mehr, als im vorigen Jahre, und ſo geht es fort, bis die größtmöglichſte Ausbildung des Thieres erreicht worden iſt. Krankheiten oder ſchlechte Nahrung bringen zuweilen einen Rückgang hervor, indem dann die neu aufgeſetzten Stangen je einen oder zwei Sproſſen weniger zählen, als vorher.

Dem Abfallen des Geweihes geht eine erhöhte Thätigkeit der Gefäßzweige voraus, welche um den Roſenſtock verlaufen. Die Geweihſtange wird durch Vordringen der Gefäße von dem Roſenſtock abgelöſt und von den Hirſchen entweder abgeſtoßen, oder einfach durch ihre eigene Schwere zum Fallen gebracht. Dabei werden aber die Blutgefäße verletzt; es entſteht eine kurze Blutung, und auf der beſchädigten Stelle wölbt ſich ein Schorf, unter dem nun die neue Bildungsthätigkeit be - ginnt. Das Wachsthum der Geweihe währt zehn bis dreißig Wochen. Die Maſſe, aus der die Stangen gebildet werden, iſt anfangs gallertartig, wird aber durch Zufuhr von Phosphorſäure und kohlenſaurem Kalk allmählich in Knochen verwandelt. Die Haut über dem Geweih, der ſoge - nannte Baſt, iſt weich, dünn mit Haar beſetzt und abſtehend, gewöhnlich licht von Farbe; die Haut ſelbſt iſt außerordentlich gefäßreich und blutet bei der geringſten Verletzung; eine ſolche pflegt Miß - bildung des Geweihes hervorzubringen.

Jm allgemeinen iſt die Geſtalt des Geweihes eine ſehr regelmäßige, obgleich die Oertlichkeit und die Nahrung wohl Veränderungen zur Folge haben mögen. Für die Artbeſtimmung bleibt das Geweih immer noch eins der Hauptmerkmale; aber viele Naturforſcher ſprechen ſolcher Beſtimmung nur einen ſehr zweifelhaften Werth zu. Gewöhnlich zeigen die verſchiedenen Hirſcharten aber auch noch außerdem durchgreifende Unterſchiede, und ſomit unterliegt ihre Beſtimmung bei weitem nicht den Schwierigkeiten, welche die Familie der ſcheidenhörnigen Wiederkäuer einer genaueren Artbeſtimmung entgegenſetzen.

Die inneren Leibestheile der Hirſche ſtimmen im allgemeinen mit denen anderer Wiederkäuer überein und bedürfen hier keiner beſonderen Beſchreibung.

423Die Elenthiere.

Schon in der Vorzeit waren die Hirſche über einen großen Theil der Erdoberfläche verbreitet. Ge - genwärtig bewohnen ſie mit Ausnahme des größten Theiles von Afrika und von Auſtralien alle Erdtheile und ſo ziemlich auch alle Klimate, die Ebenen, wie die Gebirge, die Blößen, wie die Wälder. Manche leben gemſenartig, andere ſo verſteckt als möglich, in den dichten Waldungen; die einen in trocke - nen Steppen, die anderen in Sümpfen und Moräſten. Nach der Jahreszeit wechſeln manche ihren Aufenthalt. Sie ziehen der Nahrung nach, von der Höhe zur Tiefe herab und wieder zurück; einige wandern auch in ſüdlicher und nördlicher Richtung. Alle ſind geſellige Thiere; manche rudeln ſich oft in bedeutenden Herden zuſammen. Die alten Männchen trennen ſich gewöhnlich während des Sommers von den Rudeln und leben einſam für ſich oder vereinigen ſich mit anderen Geſchlechts - genoſſen; zur Brunſtzeit aber geſellen ſie ſich zu den Rudeln der Weibchen, rufen andere Geſinnungs - tüchtige zum Zweikampf heraus, ſtreiten wacker mit einander und zeigen ſich überhaupt dann außer - ordentlich erregt und in ihrem ganzen Weſen wie umgeſtaltet. Die meiſten ſind Nachtthiere, obwohl viele, namentlich die, welche die hohen Gebirge und die unbewohnten Orte bevölkern, auch während des Tages auf Aeßung ausziehen. Alle Hirſche ſind lebhafte, furchtſame und flüchtige Geſchöpfe, raſch und behend in ihren Bewegungen, feinſinnig und geiſtig ziemlich hoch begabt. Die Stimme beſteht in kurz ausgeſtoßenen, dumpfen Lauten bei den Männchen, und in blöckenden Tönen bei den Weibchen.

Nur Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Hirſche; wenigſtens iſt es noch keineswegs erwieſen, ob die Renthiere, wie man behauptet hat, Lemminge freſſen oder nicht. Gräſer, Kräuter, Blüthen, Blätter und Nadeln, Knospen, junge Triebe und Zweige, Getreide, Obſt, Beeren, Rinde, Moſe, Flechten und Pilze bilden die hauptſächlichſten Beſtandtheile ihrer Aeßung. Das Salz erſcheint ihnen als Leckerei, und Waſſer iſt ihnen Bedürfniß.

Die Hirſchkuh wirft ein oder zwei, in ſeltenen Fällen auch drei Junge, welche vollſtändig aus - gebildet zur Welt kommen und ſchon nach wenigen Tagen der Mutter überall hinfolgen. Bei einigen Arten nimmt ſich auch der Vater ſeiner Nachkommenſchaft freundlich an, und die Kälber laſſen ſich Liebkoſungen ſeitens ihrer Eltern mit großem Vergnügen gefallen; die Mütter pflegen ihre Jungen aufs ſorgfältigſte und ſchützen ſie bei Gefahr.

Jn Gegenden, wo Ackerbau und Forſtwirthſchaft den Anforderungen der Neuzeit gemäß betrie - ben werden, ſind alle Arten der Hirſche nicht mehr zu dulden. Der Schaden, welchen die Thiere anrichten, übertrifft den geringen Nutzen, den ſie bringen, bei weitem. Sie vertragen ſich nicht mit der Land - und Forſtwirthſchaft; und, wäre die Jagd nicht, welche mit Recht als eines der edelſten und ſchönſten Vergnügungen gilt, man würde ſämmtliche Hirſche bei uns längſt vollſtändig ausge - rottet haben. Noch iſt es nicht bis dahin gekommen; aber alle Mitglieder dieſer ſo vielfach ausge - zeichneten Familie, welche bei uns wohnen, gehen ihrem ſichern Untergang entgegen und werden wahrſcheinlich ſchon in kurzer Zeit blos noch in einem Zuſtande der Halbwildheit, in Thierparks und Thiergärten nämlich, zu ſehen ſein.

Die Zähmung der Hirſche iſt nicht ſo leicht, als man gewöhnlich annimmt. Jn der Jugend betragen ſich freilich alle, welche frühzeitig in die Gewalt des Menſchen kamen und an dieſen gewöhnt wurden, ſehr liebenswürdig, zutraulich und anhänglich; mit dem Alter ſchwinden aber dieſe Eigen - ſchaften mehr und mehr, und faſt alle alten Hirſche werden zornige und boshafte Geſchöpfe. Hiervon macht auch die eine, ſchon ſeit längerer Zeit in Gefangenſchaft lebende Art, das Renthier, keine Ausnahme. Seine Zähmung iſt keineswegs eine vollſtändige, wie wir ſie bei anderen Wiederkäuern bemerken, ſondern nur eine halbgelungene.

Wir ſtellen die Rieſen der Familie oben an, obgleich ſie nicht die vollendetſten, ſondern eher die mindeſt entwickelten Hirſche ſind. Die Elenthiere (Alces), welche gegenwärtig noch einen ein zigen424Die Hirſche. Der Elch oder das Elen.oder, wenn man das amerikaniſche Mosthier als beſondere Art erklärt, zwei Vertreter haben, ſind gewaltige, plump gebaute, hochbeinige Geſchöpfe, mit breiten, ſchaufelartig ausgebreiteten, finger - förmig eingeſchnittenen, vielfach gezackten Geweihen, an denen die Augen - und die Mittelſproſſen fehlen; ſie beſitzen kleine Thränengruben, Haarbüſchel an der Jnnenſeite der Fußwurzel und Klauen - drüſen, aber keine Eckzähne. Der Kopf iſt häßlich, die obere Lippe hängt über, die Augen ſind klein, die Ohren lang und breit; der Schwanz iſt ſehr kurz.

Schon ſeit alten Zeiten iſt der Elch oder das Elen (Alces jubata) ein hoch berühmtes, deutſches Thier. Ueber den Urſprung des Namens iſt man noch nicht im Klaren: Einige behaupten, daß er aus dem alten Worte elend oder elent gebildet ſei und ſo viel als ſtark bedeute; Andere nehmen an, daß er von dem ſlaviſchen Worte Jelen Hirſch herſtammen ſoll. So viel iſt ſicher, daß der lateiniſche Name Alce von dem deutſchen entſtanden iſt.

Bereits die alten römiſchen Schriftſteller kennen den Elch als deutſches Thier. Es gibt im Hercy - niſchen Walde , ſagt Julius Cäſar, Alces, den Ziegen in Geſtalt und Verſchiedenheit der Färbung ähnliche Thiere, aber größer und ohne Hörner, die Füße ohne Gelenke. Sie legen ſich auch nicht, um zu ruhen und können nicht aufſtehen, wenn ſie gefallen ſind. Um zu ſchlafen, lehnen ſie ſich an Bäume; daher graben dieſe die Jäger aus und hauen ſie ſo ab, daß ſie leicht umfallen, ſammt dem Thiere, wenn es ſich daran lehnt. Plinius weiß noch mehr zu ſagen, er gibt noch an, daß das Thier eine große Oberlippe hat und deshalb rückwärts weiden müſſe. Pauſanias weiß, daß blos das Männchen Hörner trägt, nicht auch das Weibchen. Unter Gordon III. zwiſchen den Jahren 238 bis 244 nach Chriſtus wurden 10 Stück Elenthiere nach Rom gebracht; Aurelian ließ ſich mehrere bei ſeinem Triumphzug voranführen. Jm Mittelalter wird das Thier oft erwähnt, nament - lich auch im Nibelungenliede, wo es unter dem Namen des Elk und grimmen Schelch vor - kommt. Wenn die Sage recht berichtet, wäre zu dieſer Zeit das Elenthier durch ganz Deutſchland bis zum äußerſten Weſten hin vorgekommen; denn gerade bei Beſchreibung der Jagd Siegfrieds im Wasgau heißt es:

Darnach ſchlug er wieder ein Wieſent und einen Elk, Starker Auer viere und einen grimmen Schelk.

Jn den Urkunden des Kaiſers Otto des Großen vom Jahre 943 wird geboten, daß Niemand ohne Erlaubniß des Biſchofs Balderich in den Forſten von Drenthe am Niederrhein Hirſche, Bären, Rehe, Eber und diejenigen wilden Thiere jagen dürfe, welche in der deutſchen Sprache Elo oder Schelo heißen. Daſſelbe Verbot findet ſich noch in einer Urkunde Heinrichs II. vom Jahre 1006 und in einer anderen von Konrad II. vom Jahre 1025. Jn den norddeutſchen Torfmooren, bei Braunſchweig, in Hannover, Pommern, in alten Hünengräbern ꝛc., findet man jetzt noch Elen - geweihe, gewöhnlich in verſteinertem Zuſtande. Der oftgenannte Biſchof von Upſala, Olaus Magnus, iſt der Erſte, welcher den Schelch näher kennzeichnete. Wie die Hirſche, ſagt er, ſchwärmen dieſe Thiere herdenweiſe in den großen Wildniſſen umher und werden häufig von den Jägern in ausgeſpannten Netzen oder in Klüften gefangen, wohinein ſie durch große Hunde getrieben und mit Spießen und Pfeilen erlegt werden; auch das Hermelin ſpringt ihnen manchmal, wenn ſie auf dem Boden weiden oder auch aufrecht ſtehen, an die Kehle und beißt ſie dermaßen, daß ſie ver - bluten. Die Elenthiere kämpfen mit den Wölfen und ſchlagen ſie oft mit den Hufen todt, beſon - ders auf dem Eiſe, wo ſie feſter ſtehen, als die Wölfe. Nach einem Schreiben des Biſchofs von Pomeſanien an den Hochmeiſter ſtand im Jahre 1488 noch viel Elenwild in dieſem Bisthum. Jn Pommern , ſagt Kantzow in ſeiner Pomerania (1530), hat’s auch große Heiden, daſelbſt flegt man elende. Das thier hat von ſeiner vnmacht den namen bekhomen, den es hat nichts, da - mit es ſich veren khan; es hat wol breite hörner, aber es weiß ſich nicht mit zu behelffen, ſondern es verbirgt ſich in die vnwegſamſten ſümpfe und walde, das es ſicher ſey.

Elen.
425Der Elch oder das Elen.

Es khan aber einen minſchen oder hundt weit erwittern, dasſelbige iſt ihme offt zu heyl, ſobald aber die hunde zu jme khomen, iſt’s gefangen.

Es iſt von leibe wie ein großer ochſe, aber die beine ſeint ihme viel höher und hat nur kurtze weißlichte gelbe haare und gut fleiſch zu eſſen.

Die klawen helt man für die fallende ſucht gut, darumb macht man ringe daraus und traget ſie über den Fingern. Etzliche haben gemeint, es habe keine kne oder gelenke, aber das iſt falſch u. ſ. w.

Nach dem ſiebenjährigen Krieg wurde in Oſtpreußen der ſehr verminderte Elchſtand durch könig - liches Verbot geſchont.

Jn Preußen iſt nach neueren und ſicheren Nachrichten der Hauptwildſtand des Elch in dem königlichen Forſtreviere Jbenhorſt bei Memel. Jm Jahre der Jagdfreiheit 1848 waren die edlen Thiere bis auf 16 Stück vermindert worden; jetzt zählt der Beſtand wieder mehr als 100 Stück. Nur die Jagdgeſetze ſind es dort, welche dem armen, gehetzten Thiere eine Freiſtätte gewähren. Zu Anfang dieſes Jahrhunderts gab es in den Forſten Schorell, Tzulkinn und Skalliſen viel Elenwild.

Gegenwärtig findet man den Elch noch in den höheren Breiten aller waldreichen Länder Euro - pas und Aſiens. Jn unſerem Erdtheile iſt er auf die baltiſchen Niederungen, nämlich auf Oſt - preußen, Lithauen, Kur - und Liefland, Schweden und Norwegen und einige Stellen Großrußlands beſchränkt. Jm Jahre 1746 wurde das letzte Stück in Sachſen und 1760 das letzte in Galizien geſchoſſen. Jn Norwegen bewohnt er die öſtlichen Provinzen des Südens, in Schweden die daran ſtoßenden weſtlichen oder mit andern Worten, die ungeheuren Waldungen, welche das ſogenannte Kjölengebirge bedecken, namentlich alſo Dalekarlien, Herjedalen, Oeſterdalen und Hedemarken.

Weit häufiger als in Europa findet ſich der Elch in Aſien; hier breitet er ſich über den ganzen Norden bis an den Amur aus und lebt überall da, wo es große ausgedehnte Wälder gibt, nach Nor - den hin ſo weit der Baumwuchs reicht. Jm Strombett der Lena, am Beikalſee, am Amur, in der Mongolei und Tunguſien hält er ſich noch immer in ziemlicher Anzahl; nur auf den öden baumloſen Tundras fehlt er gänzlich.

Das Elen iſt ein gewaltiges Thier. Die Leibeslänge eines erwachſenen Elchhirſches beträgt 8 bis Fuß, die Länge des Schwanzes ungefähr 4 Zoll, die Höhe am Widerriſt faſt 6 Fuß, am Kreuz einige Zoll weniger. Sehr alte Thiere können ein Gewicht von tauſend Pfund erreichen; als Durchſchnittsgewicht müſſen jedoch vier - bis ſechshundert Pfund betrachtet werden. Der Leib des Elch iſt verhältnißmäßig kurz und dick, breit an der Bruſt, hoch, faſt höckerig am Widerriſt, gerade am Rücken, niedrig am Kreuz. Er ruht auf ſehr hohen und ſtarken Beinen von gleicher Länge, welche in ſchmale, gerade, tiefgeſpaltene und durch eine ausdehnbare Bindehaut vereinigte Hufe endigen; die Afterklauen berühren leicht den Boden; der ganze Fußbau geſtattet dem Elch beim Gehen auf feuchtem Boden, ſeinen Schuh ſehr zu vergrößern, wie es das Renthier auch vermag. Auf dem kurzen, ſtarken und kräftigen Halſe ruht der große langgeſtreckte Kopf, welcher vor den Augen verſchmälert iſt und in eine lange, dicke, aufgetriebene, ſehr breit nach vorn abgeſtutzte Schnauze endet. Dieſe iſt durch die knorpelige Naſe und die den Unterkiefer weit überragende dicke, ſehr ſtark verlängerte, höchſt bewegliche, gefurchte Oberlippe faſt verunſtaltet. Die Augen ſind klein und matt; ſie liegen auch tief in den ſtark vortretenden Augenhöhlen und ſind nicht geeignet, den ſo häßlichen Kopf zu verſchönern. Die Thränengruben ſind klein. Große, lange, breite, aber zuge - ſpitzte Ohren ſtehen nach ſeitwärts gerichtet am Hinterkopfe, neigen ſich aber oft ſchlotternd gegen einander. Das Geweih des erwachſenen Männchens beſteht aus einer großen, einfachen, ſehr aus - gebreiteten, dreieckigen, platten, ſchaufelförmigen, gefurchten Krone, welche an ihrem äußeren Rande mit zahlreichen Zacken beſetzt iſt; es wird von kurzen, dicken, gerundeten, mit wenigen Perlen beſetzten Stangen getragen, welche auf kurzen Roſenſtöcken ſitzen und ſich gleich ſeitlich biegen. Jm erſten Herbſt erhält das Männchen die Roſenſtöcke, im zweiten einen etwa Fuß langen Spieß, welcher erſt426Die Hirſche. Der Elch oder das Elen.im folgenden Winter abgeworfen wird. Allmählich zertheilt ſich das Geweih manchfaltiger. Jm fünften Jahre entſteht eine flache Schaufel und dieſe verbreitert ſich nun mehr und mehr und theilt ſich an den Rändern in immer mehr Zacken, deren Zahl bis in die zwanzig ſteigen kann. Das Ge - weih kann ein Gewicht von etwa vierzig Pfund erreichen.

Die Behaarung des Elen iſt lang, dicht und ſtraff. Sie beſteht aus gekerbten, dünnen und brüchi - gen Grannen, unter denen kurze, feine Wollenhaare ſitzen; über die Firſte des Nackens zieht eine ſtarke, ſehr dichte, der Länge nach getheilte Mähne, welche ſich gewiſſermaßen am Halſe und der Vorderbruſt fortſetzt und bis ſieben Zoll lang wird. Beim Weibchen iſt dieſe Kehlmähne weit kürzer. Sonderbarer Weiſe ſind die Bauchhaare von rückwärts nach vorn gerichtet. Die Färbung iſt ein ziemlich gleichmäßiges Röthlichbraun, welches an der Mähne und den Kopfſeiten in glänzendes Dun - kelſchwarzbraun und an der Stirne ins Röthlichbranne und am Schnauzenende ins Graue zieht; die Beine ſind weißlich-aſchgrau, die Augenringe grau. Vom Oktober bis zum März iſt die Färbung etwas heller, mehr mit Grau gemiſcht. Das Weibchen iſt kleiner, trägt kein Geweih und hat längere und ſchmalere Hufe, kürzere und wenig nach auswärts gerichtete Afterklauen. Sein Kopf erinnert vielfach an den eines Eſels oder Maulthiers.

Wilde, einſame, an Brüchen und unzugänglichen Mooren reiche Wälder, namentlich ſolche, in denen Weiden, Birken, Eſpen und andere Laubbäume ſtehen, bilden den Stand des Elchwildes. Sümpfe ſind ihm zu ſeiner Erhaltung geradezu nothwendig. Das plumpe Geſchöpf durchmißt Moräſte, welche weder Menſch noch Thier gefahrlos betreten könnte, mit Leichtigkeit. Vom April bis zum Oktober hält es ſich in den tiefer gelegenen, naſſen Gegenden auf, ſpäter ſucht es ſich erhöhte, welche den Ueberſchwemmungen nicht ausgeſetzt, und den Winter nicht mit Eis bedeckt ſind. Bei ſtillem, heiteren Wetter bevorzugt es Laubhölzer, bei Regen, Schnee und Nebel Nadelholzdickun - gen. Mangel an Ruhe oder hinlänglicher Aeßung verändern leicht ſeinen Standort.

Jn ſeiner Lebensweiſe weicht das Elenthier vielfach von der des Hirſches ab. Wie dieſer ſchlägt es ſich zu kleinen Rudeln von 15 bis 20 Stück zuſammen, und nur gegen die Satzzeit hin ſondern ſich von dieſen Rudeln die alten Hirſche ab, gewöhnlich eigene Geſellſchaften für ſich bildend, während die Weibchen mit den jüngeren Männchen das frühere Rudel erhalten. Wo ſich der Elch ganz ungeſtört weiß, treibt er ſich bei Tag und Nacht umher; ſonſt wählt er die Nachtzeit, um nach Aeßung auszu - ziehen. Nach Wangenheim beſteht dieſe in Blättern und Schößlingen der Moorweiden, Birken, Eſchen, Espen, Ebereſchen, Spitzahorne, Linden, Eichen, Kiefern, Fichten, in Haiden, Moorrosmarin, jungem Röhricht und Schilf, in ſchoſſendem Getreide und Lein. Schößlinge und Rinden bilden den Haupt - beſtandtheil ſeiner Nahrung, und gerade deshalb wird er ſehr ſchädlich. Beim Abrinden ſetzt der Elch ſeine Schneidezähne wie einen Meiſel ein, ſchält ein Stückchen Rinde los, packt dies mit den Zähnen und Lippen und reißt dann nach oben zu lange Streifen der Rinde ab. Höhere Stangen biegt er mit dem Kopfe nieder, bricht dann die Kronen ab und äßt ſich von dem Gezweige. Nur nothgedrun - gen zieht er auf entfernte Weideplätze; deshalb ſchadet er den Feldern wenig, um ſo mehr aber den Waldungen. Seine Bewegungen ſind weit weniger ebenmäßig und leicht, als die des Edelwildes, Er vermag nicht, wie der Hirſch, anhaltend flüchtig zu ſein, trollt aber ſehr ſchnell und mit unglaub - licher Ausdauer: manche Schriftſteller behaupten, daß er in einem Tage 50 Meilen zurücklegen könne. Eine höchſt ſonderbare Bewegungsart in den waſſerreichen Mooren ſchildert Wangenheim. Der Elch ſoll ſich da, wo der Boden ihn nicht mehr tragen kann, wenn er läuft, auf die Heſſen niederlaſſen, die Vorderläufe gerade vorwärts ausſtrecken, mit den Schalen eingreifen, mit den Heſſen nachſtemmen und nachſchieben und ſo über die ſchlammige Fläche gleiten; da, wo dieſe ganz ſchlotterig iſt, ſoll er ſich ſogar auf die Seite legen und durch Schlagen und Schnellen mit den Läufen fort - ſchieben. Jm Schwimmen iſt der Elch Meiſter. Er geht, wie allgemein behauptet wird, nicht blos aus Noth in das Waſſer, ſondern, wie manche Rinderarten, zu eigener Luſt und Freude, um ſich zu baden und zu kühlen. Auf dem Eiſe dagegen kann er, trotz der Behauptung des Biſchofs von Upſala, nicht fort, und wenn er auf den glatten Spiegel einmal gefallen iſt, kommt er nur ſehr ſchwer wieder427Der Elch oder das Elen.auf die Läufe. Beim Trollen vernimmt man ein hörbares Anſchlagen der Afterklauen, oder Ober - rippen, wie die Jäger ſagen, an die Ballen; dieſes Geräuſch nennt der Weidmann Schellen . Bei eiligem Laufe legt der Elchhirſch das Geweih faſt wagrecht zurück und hebt die Naſe hoch in die Höhe; deshalb ſtrauchelt er öfters und fällt auch leicht nieder; dann zuckt er, um ſich wieder aufzuhelfen, in eigenthümlicher Weiſe mit den Läufen und greift namentlich mit den Hinterläufen weit nach vorwärts. Hierauf gründet ſich die Fabel, daß das Thier oft an der Fallſucht leide und von dieſem Uebel ſich befreie, indem es ſich an dem Gehör blutig kratze. Ein Elenthier, welches einmal im Laufe iſt, läßt ſich durch Nichts beirren, weder durch das Dickicht des Waldes, noch durch Seen oder Flüſſe, noch durch Sümpfe, welche vor ihm liegen.

Der Elch vernimmt und äugt ausgezeichnet, wittert oder windet aber weniger gut. Hinſichtlich ſeiner geiſtigen Fähigkeiten ſcheint er ſein plumpes und dummes Ausſehen nicht Lügen zu ſtrafen. Er iſt weit weniger ſcheu als das Edelwild; wenn ihn der Jäger gefehlt hat, trollt er oft nur eine kurze Strecke fort und bleibt dann ſtehen. Mit ſeines Gleichen lebt er friedfertig und geſellig; doch nur zur Paarungszeit halten ſich auch die alten Hirſche mit den Rudeln zuſammen; gewöhnlich beſteht die Familie aus einem Altthier, zwei fertigen Thieren, welche im Herbſt brunſten werden, zwei Schmal - thieren und zwei Kälbern.

Jn den Oſtſeeländern tritt die Brunſtzeit Ende Auguſts, im aſiatiſchen Rußland im September oder Oktober ein. Um dieſe Zeit ſind die Hirſche auf das höchſte erregt und kämpfen nicht blos unter ſich mit großem Muthe und Jngrimm, ſondern werden dann auch leicht dem Menſchen gefährlich. Ueberhaupt verſteht das Thier ſich zu vertheidigen, zumal wenn es ſich ſeiner Haut erwehren muß: verwundete Elche nehmen den Jäger ohne weiteres an. Der Schütz muß immer ſehr vorſichtig zu Werke gehen, und namentlich bei der Jagd zu Fuße iſt die größte Behutſamkeit, zumal hinſichtlich des Standortes, nöthig: es iſt faſt unerläßlich, daß ſich der Jäger hinter einen Baum anſtellt, wo er ſich im Nothfall verbergen kann, wenn der grimme Schelch auf ihn losgetrabt kommt. Das Geweih iſt eine ſehr kräftige Waſſe; außerdem aber braucht der Elch auch ſeine Schalen mit gehörigem Nachdruck; ſogar die alten Thiere wiſſen ſich damit ihre Hauptfeinde, die Wölfe, vom Leibe zu hal - ten: ſie gehen z. B., wenn die frechen Räuber ihre Jungen befehden, dreiſt auf ſie los und ſchlagen ſie windelweich oder todt.

Zur Brunſtzeit orgelt der Elchhirſch, wie das Edelwild, aber in kurzen Abſätzen, faſt plärrend, wie der Damhirſch, nur in viel tieferem Tone; einen Schreckens - oder Klagelaut dagegen hat man bisher noch nicht vernommen. Die Hirſche ſuchen während der Brunſtzeit die alten Thiere auf, verfolgen ſie, ſchwimmen ihnen ſelbſt durch die breiteſten Ströme nach. Junge Hirſche werden von den älteren abgeſchlagen und finden ſelten Gelegenheit, ihren Trieb zu befriedigen; dann trollen ſie wie unſinnig in gerader Richtung fort, beſuchen ſelbſt bebaute Gegenden, die ſie ſonſt ängſtlich meiden und kommen endlich ebenſo ſehr vom Leibe, wie die Alten durch das wirkliche Brunſten. Der Be - ſchlag ſelbſt dauert nur kurze Zeit, wird aber oft wiederholt. Nach deſſen Vollendung ſteigt der Hirſch niemals ab, ſondern das Thier rückt unter ihm weg. Sechsunddreißig bis vierzig Wochen geht das Elchthier hoch beſchlagen. Zuerſt ſetzt es nur ein Kalb, bei jedem folgenden Satz aber deren zwei, meiſt ein Pärchen, ſeltener zwei von gleichem Geſchlecht. Drei Kälber bei einer Geburt ſind ein ſelte - nes Vorkommniß, und ſie gehen auch als Schwächlinge meiſt zu Grunde. Gleich nach dem Ablecken ſpringen die Kälber auf, taumeln aber noch wie berauſcht mit dem Kopfe hin und her und müſſen anfangs von der Mutter fortgeſchoben werden, wenn ſie ſich bewegen ſollen; doch ſchon am dritten oder vierten Tage folgen ſie dem Elchthier, welches ſie faſt bis zur nächſten Brunſtzeit beſaugen, ſelbſt dann noch, wenn ſie bereits ſo groß geworden ſind, daß ſie ſich unter die Mutter hinlegen müſſen. Das Schmalthier wird mit dem dritten Jahre fertig und in den folgenden Jahren als Altthier ange - ſprochen. Der Elch heißt im erſten Jahre Kalb, im zweiten und dritten Spießer oder Gabler, im vierten geringer Hirſch, im fünften geringer Schaufler, im ſechsten guter Schaufler und in höheren Jahren Haupt - oder Kapitalſchaufler.

428Die Hirſche. Der Elch oder das Elen.

Sehr groß iſt die Anhänglichkeit und Liebe der Mutter zu ihren Kälbern. Sie vertheidigt ſelbſt die getödteten Jungen.

Außer dem Menſchen werden dem Elch, trotz ſeiner Vorſicht, mehrere andere böſe Feinde ge - fährlich: vor Allen der Wolf, der Luchs, der Bär und der Vielfraß. Der Wolf reißt die Elche gewöhnlich im Winter bei hohem Schnee nieder; der Bär pflegt meiſtens nur einzelne Thiere zu beſchleichen und ſteht vom Angriff eines Rudels ab; der Luchs dagegen und unter Umſtänden der Vielfraß ſpringen ohne weiteres auf ein unter ihnen weggehendes Elen, krallen ſich am Halſe feſt und beißen ihm die Schlagadern durch. Sie ſind als die fürchterlichſten Feinde des wehrhaften Wildes anzuſehen; die Wölfe und die Bären dagegen haben ſich ſehr vorzuſehen: denn ein einziger Schlag, welchen der Elch mit den Vorderläufen gibt, genügt, einen Wolf für immer niederzuſtrecken. Raubthiere, welche ein Elenthier an der Kehle erfaßt haben, ſoll er im raſchen Laufe in die Dickichte ſchleppen und im Gehölz an den Bäumen abzuſtreifen verſuchen.

Gegenwärtig wird unſer Wild überall, wo es vorkommt, nach Kräften geſchont. Jn Norwe - gen ſteht eine Strafe von 60 Thlr. unſeres Geldes auf der Erlegung eines Elenthiers; in Preußen ſorgen die Forſtbeamten nach Kräften für ſeine Sicherheit, und auch in Rußland ſucht man es jetzt zu erhalten. Früher war Dies freilich anders. So hatte der Kaiſer Paul I. den ſonderbaren Gedanken, Elchhaut als beſonders paſſend für ſeine Reiter zu finden und ließ deshalb einen förmlichen Vernich - tungskrieg gegen die Elenthiere führen.

Man erlegt den Elch entweder auf dem Anſtande oder auf großen Treibjagden und in Lappen und Netzen. Jm hohen Norden verſuchen die Jäger im Winter ihr Wild auf Schneeſchuhen zu jagen und bemühen ſich, es auf das Eis zu treiben, wo ſie ihm dann bald den Garaus machen.

Jung eingefangene Elenthiere werden zahm und können ſelbſt zum Aus - und Eingehen ge - bracht werden; bei uns halten ſie jedoch die Gefangenſchaft niemals lange aus. Jn Schweden ſollen früher ſolche Gefangene ſoweit abgerichtet worden ſein, daß man ſie zum Ziehen der Schlitten verwen - den konnte; ein Geſetz verbot aber derartige Zugthiere, weil die Schnelligkeit und Ausdaner des Elch Verfolgungen von Verbrechern geradezu unmöglich gemacht haben würde. Spätere Verſuche, die Elche zu Hausthieren zu machen, ſind geſcheitert. Die Jungen ſchienen zwar anfangs zu gedeihen, magerten aber ſpäter mehr und mehr und ſtarben regelmäßig bald dahin. Wangenheim erzählt, daß auf den königlichen Geſtüten ſechs Jahre lang derartige Verſuche angeſtellt wurden. Die jung eingefangenen Kälber ließ man von Kühen, welche ſich willfährig zeigten, ſäugen und bemuttern; ſie gingen mit auf die Weide und wuchſen heran. Wenn die Sonne zu heiß ſchien und wenn die Brem - ſen flogen, eilten ſie immer nach ihren Ställen zurück, um Schutz vor beiden Plagen zu ſuchen. Jn den Ställen band man ſie mit Halftern feſt, wie Kühe; im Sommer ließ man ſie ihre Aeßung ſich ſelbſt ſuchen, im Winter fütterte man ſie mit Heu und Hafer. Aller Sorgfalt ungeachtet, ſtarben die meiſten Kälber bereits im zweiten, die überlebenden ſicher im dritten Jahre an einem zu dünnen Leibe , d. h. allgemeiner Abmagerung und Entkräftung, welche ſie im Hochſommer befiel.

Zur Zeit, als ich den vorliegenden Theil unſeres Buches ausarbeitete, hatte ich nur zwei Mal lebende Elenthiere geſehen, die einen in Schönbrunn, das andere in Berlin. Beide Male fehlte min Zeit und Gelegenheit, die Gefangenen zu beobachten. Jch bat deshalb meinen Freund, Herrn Dr. Bolle in Berlin, zu Gunſten unſeres Buches dem dortigen Elch ſeine Aufmerkſamkeit zu ſchenken und mir das Ergebniß ſeiner Beobachtungen mitzutheilen. Leider kam ich damals zu ſpät; denn der oſtpreußiſche Waldbewohner hatte bereits das Zeitliche geſegnet, als Bolle ſich anſchickte, ihn zum Ge - genſtand einer Schilderung ſeiner ausgezeichneten Feder zu machen. Demungeachtet erſcheint mir ſein Bericht zu wichtig, als daß ich ihn hier unterdrücken könnte. Das Elen , ſo ſchreibt er, welches Sie mir zu beobachten aufgetragen, iſt nicht mehr. Es iſt bereits zu Anfang des Sommers ſelig ent - ſchlafen. Jch habe es früher öfters geſehen und mir das allgemeine Weſen des Thieres gut einge - prägt, ohne indeß Etwas darüber aufzumerken. Es war dies das zweite Stück, welches der hieſige Thiergarten im Laufe der letzten Jahre beſeſſen hat. Beides waren junge gehörnloſe Thiere, an429Der Elch oder das Elen.denen das Unſchöne der Kopfbildung auffallend hervortrat, namentlich die übermäßig verlängerte Oberlippe und die langen Ohren noch nicht in der erhabenen Mächtigkeit der Schaufeln ihr Gegen - gewicht gefunden hatten. Das erſte Elen, etwa von der Größe eines Rothhirſches, ging ſchwind - ſüchtig zu Grunde. Es war daſſelbe Thier, welches der Langſamkeit ſeiner Bewegungen und namentlich der Länge ſeiner Ohren wegen von den gebildeten Beſchauern gewöhnlich als ein fremder Eſel angeſprochen wurde.

Das letzte Elen erhielt der Garten durch Vermittelung des Herrn Brunslow in Berlin, und dieſer hat die Güte gehabt, mir Einſicht in ein auf das Thier bezügliches Schriftſtück, einen Brief des königlich preußiſchen Oberförſters in Jbenhorſt in Oſtpreußen, zu geſtatten. Es enthielt nicht un - wichtige, auf Beobachtung gegründete Fingerzeige und Belehrungen über Pflege und Wartung des an den Garten abgegebenen Zöglings, welche leider nicht mehr gefruchtet, als daß der jugendliche Pflegebefohlene bereits vier Monate nach ſeiner glücklichen Ankunft hierſelbſt, nämlich im Juni dieſes Jahres, ſelig verblichen: zu früh für dieſe Welt und mehr noch für die Kaſſe des zoologiſchen Gar - tens. Das Elen hatte im Mai des Jahres 1860 ſein Erdenwallen begonnen. Jm zarten Kindes - alter von etwa zwei Monaten fand es der Oberförſter in den Jbenhorſter Waldungen verlaſſen und troſtlos, und er beſchloß deshalb, es bei ſich aufzuziehen. Er ließ es alſo in einem großen Gehege oder Garten (deſſen Obſtbäume es zum Dank für die Pflege ſpäter vollſtändig vernichtet haben ſoll) frei herumlaufen und ernährte es während des erſten Vierteljahres ausſchließlich mit friſcher Milch einer eigens dazu beſtimmten Kuh, wovon es täglich 15 Stuffen (ein mir unbekanntes Maß) erhielt. Doch blieb es hierbei matt, ſchwächlich und gleichwohl ſcheu. Demnächſt wurde die Menge der Milch auf ſechs Stuffen täglich herabgeſetzt. Es wurden dafür gleichzeitig Weidenblätter gefüttert, wieder einige Monate lang. Zuletzt erhielt es jeden Tag Roggenmehl mit drei Stuffen Milch. Außerdem äßte es ſich frei im Garten mit allerlei Kräutern, mit Beeren, Runkelrübenblättern ꝛc., verſchmähte auch den reifen Roggen auf dem Felde nicht und fraß mit Begierde Knospen, Rinde und junge Zweige von Weiden, Espen, Birken, Faulbäumen, Ebereſchen ꝛc., dabei vielen Schaden anrichtend. Jm Laufe des Jahres wurde es ziemlich zahm. Bei großer Hitze hielt es ſich am liebſten in einem kühl gelegenen, leeren Anbau des Hauſes auf. Erſt gegen Abend ging es auf Aeßung aus.

Anfangs Februar 1861 kam es wohlbehalten in Berlin an und wurde in einem Gehege unter - gebracht, welches ihm Bewegung geſtattete. Man hielt es möglichſt nach den gegebenen Vorſchriften und es befand ſich dabei bis gegen den Sommer hin anſcheinend wohl. Als die erſte Hitze kam, ſchien ihm Dies unbehaglich, obwohl es nicht förmlich erkrankte. Ueberhaupt iſt das Thier, ſeinem Benehmen nach zu ſchließen, bis ganz kurz vor ſeinem Tode nicht krank geweſen. Es erlag der erſten Krankheit, welche es befiel.

Jch vermag jetzt, Vorſtehendes einigermaßen zu vervollſtändigen. Der hamburger Thiergarten beſitzt ſeit ſeiner Eröffnung ein aus Schweden ſtammendes Elenthier, welches dermalen noch lebt, obgleich es früher nicht eben zu großen Hoffnungen für die Zukunft berechtigte. Der ausgeſuchteſten Pflege ungeachtet, kränkelte es fortwährend, und wenn wir wirklich einmal glaubten, es herausgefüt - tert zu haben, fiel es immer bald wieder ab.

Seine Nahrung war anfangs ſehr gemiſchter Art, weil es nie längere Zeit daſſelbe Futter an - nehmen wollte. Alle übrigen Hirſche, welche wir halten, befinden ſich bei gleichmäßigem Futter vortrefflich und verurſachen keine beſondere Mühe, der Elch hingegen ſchien der vorſorglichſten Pflege zu ſpotten. Wir fütterten ihn mit Laub, jungen Zweigen, auch ſolchen von Nadelholz, eingemaiſchtem Körnerfutter, Brod u. dgl., und er nahm auch das ihm gebotene Futter anſcheinend mit Behagen an, immer aber nur eine Zeit lang; dann verſchmähete er plötzlich dieſelben Stoffe, welche ihm früher als Leckerei erſchienen waren. Daß unſer Thier unter ſolchen Umſtänden ſeinem Ende mit Rieſenſchritten entgegeneilte, konnte kaum zweifelhaft ſein. Lange Zeit zerſann ich mir den Kopf, wie dem armen Schelch wohl zu helfen: endlich kam mir der Gedanke, daß die Gefangenkoſt, welche wir bisher gereicht, durch einen Zuſatz von Gerbſtoff nur verbeſſert werden könnte. Der Gedanke430Die Hirſche. Der Elch oder das Elen.wurde ausgeführt und unſer Elch fraß von Stund an ohne Widerſtreben, ja, ohne Auswahl das ihm vorgeworfene Futter; er hat ſich ſeitdem in jeder Hinſicht gebeſſert und befindet ſich dermalen ſo wohl, als ſich ein derartiges Thier überhaupt in der Gefangenſchaft befinden kann.

Ein großer Uebelſtand für das Halten in der Gefangenſchaft iſt, wie ich mich ſattſam überzeugte, die Unfähigkeit des Elch, ſich von Pflanzen zu äßen, welche auf dem Boden wachſen. Seine lange, ſchlotterige Oberlippe verwehrt ihm, Gräſer aufzunehmen und weiſt ihn ausſchließlich auf Baumzweige an. Niemals habe ich geſehen, daß er auch nur ein Hälmchen Gras abgebiſſen hätte; es wird ihm ſchon ſchwer, das auf den Boden geworfene, abgeſchnittene Futter zu ſich zu nehmen, und deshalb muß ihm ſeine Nahrung in einer ziemlich hoch an der Wand angenagelten Krippe vorgeworfen werden.

Von den anderen Hirſchen unterſcheidet ſich der Elch in ſeinem Betragen ebenſoſehr, wie in ſei - nem Ausſehen. Man darf es Niemand verdenken, wenn er das Thier als ſehr häßlich erklärt; wir wollen nicht einmal den Berlinern zürnen, welche ihn als einen Eſel anſahen: denn wirklich hat der über alles Maß verlängerte, plump gebaute, langöhrige Kopf manche Aehnlichkeit mit dem des gedach - ten Thieres, nur daß er noch häßlicher iſt. Der Elch macht ganz den Eindruck eines vorweltlichen Weſens, und dieſer Eindruck wird verſtärkt durch das Betragen. Jm Vergleich zu anderen Hirſchen iſt er träge und ſchwerfällig, geiſtig wie leiblich. Er bekundet wenige von den liebenswürdigen Eigen - ſchaften der Hirſche, dagegen alle Unarten derſelben. Mit ſeinem Wärter befreundet er ſich; doch iſt ihm niemals ganz zu trauen. Er hört auf einen ihm beigelegten Namen, kommt auf den Ruf her - bei, läßt ſich ſtreicheln, putzen, mit einem Halfter belegen und in den Stall ziehen, aber nur ſo - lange, als er ihm eben behagt. Gegen denſelben Mann, welchem er ruhig nachfolgte und aus deſ - ſen Hand er Futter nahm, zeigt er ſich plötzlich ſtörriſch, legt, wie der ſtutzige Eſel oder das Lama, das Gehör nach hinten, beugt den Kopf hernieder, ſchielt mit den Lichtern nach oben und ſchlägt dann plötzlich mit dem einen Vorderlaufe in gefährlicher Weiſe, weil er ſehr hoch reicht und den Kopf eines Menſchen noch bequem treffen kann. Der erſte Wärter unſeres Gefangenen kam mehrmals in augenſcheinliche Gefahr, weil er es nicht ſogut verſtand, wie der zweite, den verſchiedenen Launen des Thieres zu begegnen.

Gegen andere Thiere zeigt ſich der Elch ſehr gleichgiltig. Der unſerige beachtet Hunde, welche die übrigen Hirſche in große Aufregung verſetzen, nicht im geringſten, bekümmert ſich aber auch um die Hirſche, welche in oder neben ſeinem Raume eingeſtellt ſind, nur wenig. Mit Renthieren ver - trägt er ſich vortrefflich, vielleicht weil ihm deren ruhiges Weſen zuſagt. Die flinken und leben - digen Hirſcharten ſcheinen ihm verhaßt zu ſein; er verſucht, auch ſie zu ſchlagen und duldet ſie, ohne feindliche Verſuche zu machen, erſt dann, wenn er ſich von der Nutzloſigkeit ſeiner Anſtren - gungen überzeugt hat.

Die Umhegung, in welcher man einen Elch hält, muß hoch ſein; denn ungeachtet der Plumpheit aller ſeiner Bewegungen ſetzt er ohne Beſchwerde über eine Wand von ſechs Fuß hinweg; dazu nimmt er nicht einmal einen Anlauf. Er geht ruhig bis an die betreffende Umzäunung, ſtellt ſich plötzlich auf die Hinterläufe, hebt die vorderen zuſammengebogen über das Gitter weg und wirft ſich nun gemäch - lich nach vorn, die langen Hinterläufe nach ſich ziehend. Der unſerige verließ wiederholt ſeinen Pferch, um im benachbarten Gebüſch des Gartens zu weiden. Es würde ihm leicht geweſen ſein, auch die Umhegung des Gartens ſelbſt zu überſpringen; daran gedachte er jedoch nie. Gewöhnlich legte er ſich ruhig außerhalb ſeines Gitters nieder und duldete ohne Widerſtreben, daß ihm der Wärter einen Halfter umlegte, um ihn wieder zurückzuführen.

Der Gewinn, welchen der Menſch von dem erlegten Elenthier zieht, iſt beträchtlich. Fleiſch, Fell und Geweihe werden ebenſo wie beim Hirſch verwendet. Das Fleiſch iſt zäher, als das des Edelwildes, das Fell aber feſter und beſſer. Bei den nördlichen Völkern gelten noch die knorpeligen Stangen, die Ohren und die Zunge für Leckerbiſſen. Die Lappländer und Sibirier ſpalten die Sehnen und verwenden ſie wie die der Renthiere. Beſonders werden die Knochen gerühmt; ſie ſind431Das Mosthier.hart und blendend weiß. Jn früheren Zeiten wußte man noch weit mehr aus dem Elenthier zu machen. Es wurden allerlei Heilmittel von ihm gewonnen, und der Aberglaube fand reichliche Nahrung durch die wunderbaren Kuren, welche man damit bewirkte; galt ja doch das Thier den alten Preußen ſogar als eine Art von Gottheit! Aller Rutzen aber, welchen das Elenthier bringen kann, wiegt bei weitem den Schaden nicht auf, welchen es verurſacht. Das Thier iſt ein wahrer Holzverwüſter und wird den Forſten ſo gefährlich, daß Hegung nirgends, Schonung kaum ſtattfin - den darf, wenn es ſich darum handelt, Forſtbau den Erforderniſſen unſerer Zeit gemäß zu betreiben. Jn jenen Wäldern, welche ſeine Heimat bilden, fällt der Schaden nicht ſo ins Gewicht, denn die be - treffenden Waldungen ſind ohnehin halbe Urwälder.

Das Mosthier oder Mosdeer der Amerikaner und das Orignal der Franzoſen (Alces Orignal) unterſcheidet ſich hauptſächlich durch tief eingeſchnittene Geweihſchaufeln mit geſon - derten Augenſproſſen, durch die ſchwach behaarte Kehlwamme und die dunklere Färbung von ſeinem altweltlichen Verwandten. Noch heutigen Tages iſt man über das Thier nicht ganz im Reinen, ob - gleich einige Forſcher nicht blos an den Fellen, ſondern ſogar an den geräucherten Keulen Unterſchiede auffinden wollten. Die Geweihe des Mosthieres ſind weit ſtärker und ſchwerer, als die unſerer Elche; ſie erreichen ſelbſt ein Gewicht von 50 bis 60 Pfund. Pennant fand einzelne, welche 75 Pfund wogen und dabei 32 Zoll Länge und 13½ Zoll Breite hatten. Hamilton Smith gibt folgende Beſchreibung: Das Mosthier iſt die größte Hirſchart; denn es iſt im Widerriſt höher als ein Pferd. Wollte man den großartigen Eindruck, den dieſes Thier auf ſeine Beſchauer macht, leugnen, ſo müßte man nur ausgeſtopfte Weibchen oder Junge geſehen haben. Wir hatten Gelegen - heit, Mosthierhirſche in der Pracht ihrer Entwickelung mit vollendetem Geweih in ihrer Wildheit zu ſehen und müſſen geſtehen, daß kein Thier einen ergreifenderen Eindruck zu machen vermag. Der Kopf mißt über 2 Fuß, hat aber ein plumpes Anſehen; das Auge iſt verhältnißmäßig klein und tief - liegend, die Ohren ähneln dem eines Eſels und ſind lang und behaart; die Geweihzacken vermehren ſich bis zu achtundzwanzig.

Gegenwärtig findet ſich das Mosthier noch in dem Norden Amerikas, namentlich in Canada, Neu-Braunſchweig und an der Fundy-Bai. Kapitän Franklin fand es am Ausfluſſe des Mackenzie und öſtlich noch am Kupferminenfluß unter 65 Grad Nordbreite. Makenzie traf es auch auf den Höhen des Felsgebirges und an den Quellen des Elkfluſſes. Das Mosthier wirft das Geweih ſpäter ab, als der europäiſche Elch, gewöhnlich im Januar und Februar, in ſtrengen Wintern aber erſt im März. Die Aeßung iſt wahrſcheinlich dieſelbe, wie die des Elch.

Die Wilden ſtellen dem Mosthier eifrig nach und betreiben ſeine Jagd auf manchfaltige Weiſe. Einer ihrer Hauptkniffe iſt, das Thier ins Waſſer zu treiben, wo ſie ihm dann mit ihren Boten auf den Leib rücken und es ohne große Mühe todtſchlagen können. Dieſe Leute behaupten, daß ſie nach dem Genuſſe des Elchfleiſches drei Mal ſo weit reiſen könnten, als wenn ſie eine Mahlzeit von an - derem Fleiſch genoſſen hätten. Aus den Geweihen fertigen ſie große Löffel; die Haut benutzen ſie zur Dichtung der Bote, auf welchen ſie ſich nach beendigter Jagd zurückſchiffen. Einer ihrer Jagd - plätze, die Hirſchhornwieſe am Miſſouri, hat große Berühmtheit erlangt. Sie haben dort aus lauter Mosthier - und Wapiti geweihen eine hohe Piramide aufgethürmt, oder wenigſtens aufge - thürmt gehabt; denn die Yankees werden die Geweihe inzwiſchen wohl beſſer benutzt haben. Junge Mosthiere können leicht gezähmt werden; ſie lernen in wenigen Tagen ihren Wärter kennen und folgen ihm dann mit viel Vertrauen. Mit zunehmendem Alter werden ſie jedoch wild, zornig und gefährlich. Audubon erzählt von einem gefangenen Kalbe freilich auch das Gegentheil: Um Mitternacht wurden wir durch einen großen Lärm im Schuppen erweckt und fanden, daß ſich unſer friſch gefangenes Mosthier von ſeinem Schrecken erholt hatte und daran dachte, nun nach Hauſe zu gehen, zu ſeinem großen Zorne aber ſich als Gefangener erkannte. Wir waren unfähig, Etwas für das Thier zu thun; denn ſobald wir nur eine unſerer Hände bewegten oder durch eine Oeffnung in ſein Gefängniß ſteckten, ſprang es nach uns, mit der größten Wuth brüllend und dabei ſeine Mähne432Die Hirſche. Das Renthier.erhebend, in einer Weiſe, welche uns vollkommen überzeugte, daß es wohl ſchwer halten würde, es am Leben zu erhalten. Wir warfen ihm ein Hirſchfell zu; aber dieſes zerriß es in einem Augenblick in Stücke; kurz, es geberdete ſich wie raſend. Dieſes Thier war ein Jährling von ungefähr ſechs Fuß Höhe.

Bei den Renthieren (Tarandus) tragen beide Geſchlechter Geweihe, welche von dem kurzen Roſenſtocke an bogenförmig von rück-nach vorwärts gekrümmt, an ihren Enden ſchaufelförmig aus - gebreitet, fingerförmig eingeſchnitten und ſchwach gefurcht ſind. Sehr breite Hufe und längliche, aber ſtumpf zugeſpitzte Afterklauen zeichnen dieſe Hirſche aus. Jhre Geſtalt iſt im allgemeinen ziemlich plump und namentlich der Kopf iſt unſchön; die Beine ſind verhältnißmäßig niedrig; der Schwanz iſt ſehr kurz; nur die alten Männchen haben im Oberkiefer kleine Eckzähne.

Einige Naturforſcher nehmen an, daß die in Amerika vorkommenden Renthiere einer beſonderen Art angehören, und unterſtützen ihre Meinung mit triftigen Gründen; denn auch das europäiſche Ren kommt auf der Weſthälfte vor und unterſcheidet ſich auffallend genug durch Größe, Farbe und Lebensweiſe. Der Karibu (Tarandus Caribu) iſt größer, als das Ren, hat ein kleineres Geweih und dunklere Farbe, lebt einſamer, vorzugsweiſe in Wäldern, und wandert nicht. Dies Alles ſehen andere Forſcher als zur artlichen Trennung ungenügend an, und wollen deshalb nur von einem Renthiere etwas hören. Wir laſſen die Sache auf ſich beruhen und beſchäftigen uns ausſchließlich mit dem eigentlichen oder europäiſchen Ren (Tarandus rangifer).

Man darf unter allen Hirſchen das Renthier unbedingt als den wichtigſten bezeichnen. Ganze Völker danken ihm Leben und Beſtehen; ganze Völker würden ohne dieſes ſonderbar genug gewählte Hausthier aufhören, zu ſein. Das Renthier iſt den Lappen und Finnen weit nothwendiger, als uns das Rind oder das Pferd, als dem Araber das Kamel oder ſeine Ziegenherden; denn es muß die Dienſte von faſt allen übrigen Hausthieren verrichten, mit Ausnahme derer, welche dem Räuber - geſchlecht zugehören. Das zahme Renthier gibt Fleiſch und Fell, Knochen und Sehnen her, um ſeinen Zwingherrn zu kleiden und zu ernähren; es liefert Milch, läßt ſich als Laſtthier benutzen und ſchleppt auf dem leichten Schlitten die Familie und ihre Geräthſchaften von einem Ort zum anderen; mit einem Worte: das Renthier ermöglicht das Wanderleben der nördlichen Völkerſchaften.

Jch kenne kein zweites Thier, in welchem ſich die Laſt der Knechtſchaft, der Fluch der Sklaverei ſo ſcharf ausſpricht, wie in dem Renthier. Es kann kein Zweifel obwalten, daß das heute noch wildvorkommende Ren der Skandinavier der Stammvater jenes Hausthieres iſt. Zahme, welche ohne Obhut des Menſchen leben können, verwildern auch in ſehr kurzer Zeit und werden ſchon nach ein paar Geſchlechtern den wilden wieder vollſtändig gleich. Jn Geſtalt und Weſen gibt es aber ſchwerlich zwei Geſchöpfe, welche, bei ſo inniger Verwandtſchaft, ſich ſo außerordentlich unterſcheiden, wie das zahme und das wilde Renthier. Jenes iſt ein trauriger Sklave ſeines armen, traurigen Herrn, dieſes ein ſtolzer Beherrſcher des Hochgebirges, ein gemſenartig lebender Hirſch, mit allem Adel, welcher dieſem ſchönen Wilde zukommt. Wer freilebendes Renwild in Rudeln und zahme Renthiere geſehen hat und beide vergleichend betrachtet, kann kaum glauben, daß das eine, wie das andere ein Kind deſſelben Urahnen iſt.

Das wilde Ren iſt ein ſtattliches Geſchöpf von Hirſchgröße, nicht aber Hirſchhöhe. Seine Länge beträgt 5 bis 6 Fuß, die Schwanzlänge gegen 5 Zoll, die Höhe am Widerriſt Fuß; das Geweih ſteht zwar an Größe und noch mehr an Schönheit dem des Hirſches nach, iſt aber immer - hin ein ſehr ſtattlicher Kopfſchmuck. Der Leib des Ren unterſcheidet ſich von dem des Hirſches vielleicht nur durch größere Breite des Hintertheils; Hals und Kopf ſind aber viel plumper und weniger ſchön und die Läufe bedeutend niederer, die Hufe viel häßlicher, als bei dem Edelwild; auch fehlt dem Renthier unter allen Umſtänden die ſtolze Haltung des Hirſches. Es trägt ſich weit weni - ger ſchön, als dieſes edle Geſchöpf. Der Hals des Renthieres hat etwa Kopflänge, iſt ſtark und433Das Renthier.zuſammengedrückt und kaum nach aufwärts gebogen; der Kopf iſt vorn nur wenig verſchmälert, plumpſchnäuzig, längs des Naſenrückens gerade; die Ohren ſind kürzer, als beim Edelhirſch, jedoch von ähnlicher Bildung; die Augen ſind groß und ſchön, die Thränengruben klein und von Haar - büſcheln überdeckt; die Naſenkuppe iſt vollſtändig behaart; die Naſenlöcher ſtehen ſchräg gegen einan - der; die Oberlippe hängt über; der Mund iſt tief geſpalten. Das Geweih der Renkuh iſt regel - mäßig kleiner und weniger gezackt, als das des Renhirſches, bei beiden Geſchlechtern aber dadurch beſonders ausgezeichnet, daß die Stangen ſehr dünn und nur im Grunde rundlich, nach oben dage -

Das Renthier (Tarandus rangifer).

gen abgeplattet ſind und daß die Augenſproſſen, welche vorn in eine breite Schaufel enden, ſo dicht auf der Naſenhaut aufliegen, daß man kaum einen Finger dazwiſchen durchbringen kann. Jn der Mitte der Stange tritt außer der Eisſproſſe, welche ſich ebenfalls ſchaufelt und auszackt, nur eine Sproſſe und zwar nach hinten hervor; das Ende des Geweihes iſt eine langgefingerte Schaufel mit verſchiedenen Zacken. Aeußerſt ſelten findet man ein regelmäßig gebautes Geweih, wie bei dem Hirſch; es kommt oft vor, daß ſelbſt Hauptſproſſen, wie z. B. die Augenſproſſen, gänzlich verküm - mern. Die Schenkel ſind dick, die Beine immer noch ſtark und dabei niedrig, die Hufe ſehr groß, breit, flach gedrückt und tief geſpalten; die Afterklauen reichen bis auf den Boden herab. Bei denBrehm, Thierleben. II. 28434Die Hirſche. Das Renthier.zahmen Renthieren nehmen die Schalen ſo an Breite zu, daß man wildes und zahmes Renwild unbedingt als Arten trennen müßte, wenn man den Bau der Hufe allein in Betracht ziehen wollte. Ueberhaupt ſind die wilden Renthiere bei weitem zierlicher und anmuthiger gebaut, als die zahmen, welche gleichſam verkrüppelt und verhäßlicht erſcheinen.

Die Decke oder der Pelz des Renthieres iſt ſo dicht, wie bei keinem anderen Hirſche. Das Haar iſt dick, gewunden, gewellt, zellig, ſpröde und brüchig, nur am Kopf und Vorder - hals, ſowie an den Beinen, da, wo es ſich verlängert, biegſamer und haltbarer. An der Vor - derſeite des Halſes bildet ſich eine Mähne zuweilen reicht ſie auch bis zur Bruſt herab und auch an den Backen verlängern ſich die Haare. Jm Winter werden ſie überall bis dritthalb Zoll lang, und weil ſie ſehr dicht über einander liegen, bildet ſich dann eine Decke von mindeſtens anderthalb Zoll Dicke, welche es ſehr erklärlich macht, daß das Renthier mit Leichtig - keit eine bedeutende Kälte ertragen kann. Nach dem Vorkommen und noch mehr nach der Jahreszeit iſt die allgemeine Färbung verſchieden. Die wilden Renthiere ändern mit ziemlicher Regelmäßigkeit zwei Mal im Jahre ihr Haarkleid und deſſen Färbung. Mit Beginn des Frühlings fällt das reiche Winterhaar aus, und ein kurzes, einfarbig graues Haar tritt an deſſen Stelle; es wachſen nun mehr und mehr andere Haare dazwiſchen hervor, deren weiße Spitzen das graue Haar immer voll - ſtändiger verdrängen, bis endlich das ganze Thier weißgrau, faſt fahl erſcheint, der Färbung ſchmel - zenden, ſchmuzigen Schnees täuſchend ähnlich. Dieſe Umfärbung beginnt immer zuerſt am Kopfe, zunächſt in der Augengegend, und verbreitet ſich dann weiter und weiter. Die Jnnenſeite der Ohren iſt immer mit weißen Haaren beſetzt; dieſelbe Farbe hat auch ein Haarbüſchel an der Jnnenſeite der Ferſe; die Wimpern ſind ſchwarz. Beim zahmen Renthier iſt die Färbung im Sommer am Kopfe, Rücken, Bauch und an den Füßen dunkelbraun, am dunkelſten, faſt ſchwärzlich, auf dem Rückgrat, heller an den Seiten des Leibes, über welche aber gewöhnlich zwei lichtere Längsſtreifen laufen. Der Hals iſt viel lichter, als der Rücken, die Unterſeite weiß, die Stirn gewöhnlich ſchwarz - braun, ein Kreis um die Augen ſchwarz; die Kopfſeiten ſind weiß. Jm Winter verſchwindet die braune Farbe, und das weiße Haar tritt ebenfalls mehr hervor; doch gibt es auch viele Renthiere, welche ſich im Winter nur durch verlängerte Haare auszeichnen, in der Färbung aber ſich gleichbleiben. Je nach den Gegenden kommen Verſchiedenheiten aller Art häufig vor.

Schon die Alten kannten das Ren. Julius Cäſar beſchrieb es ziemlich richtig. Jm hercyniſchen Walde , ſagt er, gibt es einen Ochſen von der Geſtalt des Hirſches, dem mitten auf der Stirn ein viel größeres Horn ſteht, als es die übrigen haben; die Krone deſſelben breitet ſich handförmig in viele Zacken aus. Das Weibchen hat eben ſolche Hörner. Plinius mengt die Be - ſchreibung des Renthiers und Elenthiers unter einander. Aelian erzählt, daß die wilden Scythen auf gezähmten Hirſchen wie auf Pferden reiten. Olaus Magnus kennt (im Jahre 1530) unſer Thier genauer, gibt ihm aber noch drei Hörner: Zwei größere Hörner , ſagt er, ſtehen, wie bei den Hirſchen, ſind aber äſtiger; denn ſie haben manchmal 15 Aeſte. Ein anderes Horn ſteht in der Mitte des Kopfes und dient zur Vertheidigung gegen die Wölfe. Dieſer Schriftſteller weiß, daß die Nahrung des Renthieres aus Bergmos beſteht, welches es unter dem Schnee hervorſcharrt, weiß, daß man es in Herden hält und hütet; daß es in einem anderen Klima bald zu Grunde geht; er erzählt, daß der König von Schweden im Jahre 1533 einigen Herren aus Preußen zehn Stück geſchenkt hat, welche von dieſen frei gelaſſen wurden; er berichtet, daß die Fuhrleute mit ihren ziehenden Hirſchen in den Thälern jeden Tag 50,000 Schritte machen und daß dieſe zu weiten Reiſen benutzt werden; er gibt auch ſchon den Nutzen und die Verwendung des Thieres an; denn er ſagt, daß das Fell zu Kleidern, Betten, Sätteln und Blaſebälgen, die Sehnen zu Schnüren und als Zwirn, die Knochen und Hörner zu Bogen und Pfeilen, die Klauen als Krampfmittel benutzt werden ꝛc. Die auf ihn folgenden Naturforſcher miſchen ſehr viel Wahres und Falſches durch einander, bis auf Scheffer aus Straßburg, welcher im Jahre 1675 in ſeinem Werke über Lappland ſchon vieles Wahre bringt. Doch erſt der große Linné iſt es, welcher das Thier ſelbſt und zwar genau beobachtet hat. Nach ihm435Das Renthier.haben eine Menge Anderer Dieſes und Jenes berichtet, und ſomit kann die Naturgeſchichte des Ren - thieres als ziemlich abgeſchloſſen betrachtet werden. Jch ſelbſt habe die wilden Rudel und die zahmen Herden beobachten können und bin dadurch in den Stand geſetzt worden, aus eigener Anſchauung zu ſprechen. Sehr Vieles habe ich auch von meinem alten Jäger Erik Swenſen und von anderen glaubwürdigen Norwegern erfahren.

Der hohe Norden der alten, und, wenn man das amerikaniſche Renthier zu unſerer Art zählt, auch die nördlichſten Gegenden der neuen Welt, ſind die Heimat des Ren. Es findet ſich in allen Ländern nördlich des 60. Grades; ſteigt aber in manchen Gegenden ſogar bis zum 52. Grad nördlicher Breite herab. Wild trifft man es noch auf den Alpengebirgen Skandinaviens und Lapplands, in Finnland, im ganzen nördlichen Sibirien, in Grönland und auf den nördlich - ſten Gebirgen des feſtländiſchen Amerika. Auch auf Spitzbergen lebt es, und auf Jsland iſt es, nachdem es vor ungefähr hundert Jahren dort eingeführt wurde, vollſtändig verwildert und hat ſich bereits in namhafter Anzahl über alle Gebirge der Jnſel verbreitet. Jn Norwegen fand ich es auf dem Dovre-Fjeld noch in ziemlicher Anzahl vor: nach der Verſicherung meines alten Erik ſollen mindeſtens 4000 Stück allein auf dieſem Gebirgsſtock leben. Aber es kommt auch auf den Hoch - gebirgen des Bergener Stifts vor und reicht dort ſicherlich bis zum 60. Grad nördlicher Breite herab.

Das Renthier iſt ein echtes Alpenkind, wie die Gemſe, und findet ſich nur auf den baumloſen mit Mos und wenigen Alpenpflanzen beſtandenen, breiten Rücken der nordiſchen Gebirge, welche die Eingeborenen ſo bezeichnend Fjelds nennen. Niemals ſteigt es bis in den Waldgürtel herab, wie es überhaupt ängſtlich die Waldungen meidet. Jn Norwegen iſt ein Gürtel zwiſchen 2500 bis 6000 Fuß ſein gewöhnlicher Aufenthalt. Die kahlen Bergebenen, namentlich Halden, zwiſchen deren Geſtein einzelne Pflanzen wachſen, oder jene weiten Ebenen, welche dünn mit Renthier - flechten überſponnen ſind, müſſen als Standorte dieſes Wildes angeſehen werden, und nur dann, wenn es von einem Höhenzuge nach dem anderen ſtreift, trollt es über eine der ſumpfigen, moraſtähnlichen, niederen Flächen hinweg; aber auch bei ſolchen Wanderungen vermeidet es noch ängſtlich den Wald. Pallas gibt an, daß es im nördlichen Sibirien zuweilen in Waldungen vor - komme, und auch von Wrangel beſtätigt Dies. Von beiden Schriftſtellern erfahren wir, daß es in Sibirien große, regelmäßige Wanderungen ausführt. Gegen Ende des Mai , ſagt Wrangel, verläßt das wilde Renthier in großen Herden die Wälder, wo es den Winter über einigen Schutz gegen die grimmige Kälte ſucht, und zieht nach den nördlichen Flächen, theils, weil es dort beſſere Nahrung auf der Mosfläche findet, theils aber auch, um den Fliegen und Mücken zu entgehen, welche mit Eintritt des Frühlings in ungeheuren Schwärmen die ganze Luft verfinſtern. Der Frühlingszug iſt für die dortigen Völkerſchaften nicht vortheilhaft; denn in dieſer Jahreszeit ſind die Thiere mager und durch die Stiche der Kerbthiere ganz mit Beulen und Wunden bedeckt; im Auguſt und September aber, wo die Renthiere wieder aus der Ebene in die Wälder zurückkehren, ſind ſie geſund und wohl genährt und geben eine ſchmackhafte, kräftige Speiſe. Jn guten Jahren beſteht der Renthierzug aus mehreren Tauſenden, welche, obgleich ſie in Herden von zwei - bis dreihundert Stücken gehen, ſich doch immer einander ziemlich nahe bleiben, ſo daß das Ganze eine ungeheure Maſſe ausmacht. Jhr Weg iſt ſtets unabänderlich derſelbe. Zum Uebergang über den Fluß wählen ſie eine Stelle, wo an dem Ufer ein trockener Thalweg hinabführt und an dem gegenüber - ſtehenden eine flache Sandbank ihnen das Hinaufkommen erleichtert. Hier drängt ſich jede einzelne Herde dicht zuſammen, und die ganze Oberfläche bedeckt ſich mit ſchwimmenden Thieren. An dem Baranicha in Sibirien ſah Wrangel zwei unabſehbare Herden wandernder Renthiere, welche mit ihren hohen Geweihen wandelnden Wäldern gleichen. Die Züge währten zwei Stunden.

Jn Norwegen wandern die Thiere nicht, ſondern ſtreichen höchſtens von einem Gebirgsrücken auf den anderen, wie weit, iſt nicht ermittelt. Jene Gebirge ſind aber auch ſo beſchaffen, daß ſie ihnen alle Vortheile, welche den ſibiriſchen die Wanderungen bieten, gewähren können. Zur Zeit28 *436Die Hirſche. Das Renthier.der Mücken ziehen ſich die wilden Renthiere eben einfach nach den Gletſchern und Schneefeldern hin - auf, welche ſie ohnehin ſo lieben, daß ſie mindeſtens ein paar Stunden des Tages auf ihnen ruhend verweilen; im Herbſt, Winter und Frühling kommen ſie weiter an den Bergen herab.

Alle wilden Renthiere lieben die Geſelligkeit in hohem Grade. Jhre Rudel ſind viel ſtärker, als die von anderem Hirſchwild, und erinnern in mancher Hinſicht an die ungeheuren Herden, welche die Antilopen in Südafrika bilden. Jch ſah freilich nur Rudel von 4 bis 52 Stück auf dem Dovre; im Winter kommen aber, wie mich mein erfahrener Jäger verſicherte, ſolche von drei - bis vierhundert Stück vor. Einzelne Renthiere trifft man nur höchſt ſelten an; es ſind dies blos alte Hirſche, welche von dem übrigen Rudel abgeſchlagen worden ſind.

Die Renthiere eignen ſich ganz vortrefflich, jene nördlichen Länder zu bewohnen, welche im Sommer eigentlich nur ein Moraſt und im Winter nur ein einziges Schneefeld ſind. Jhre breiten Hufe erlauben ihnen ebenſowohl über die ſumpfigen Stellen und die Schneedecke hinwegzugehen, wie an den Halden umherzuklettern. Der Gang des Renthieres iſt ein ziemlich ſchneller Schritt oder ein raſcher Trott. So flüchtig wie unſer Edelhirſch wird es ſelbſt dann nicht, wenn eines aus der Herde zuſammengeſchoſſen worden iſt und alle übrigen in die höchſte Angſt gerathen. Dabei hört man faſt bei jedem Tritt ein eigenthümliches Kniſtern, täuſchend dem Geräuſch vergleichbar, welches ein elektri - ſcher Funke hervorbringt. Jch habe mir große Mühe gegeben, die Urſache dieſes Geräuſches kennen zu lernen und bin zahmen Renthieren ſtundenlang nachgekrochen und nachgegangen; ich habe auch einige niederwerfen laſſen und alle möglichen Beugungen ihrer Fußgelenke durchgemacht, um meiner Sache ſicher zu werden, bin aber noch heut ſo unklar, als ich es früher war. Nachdem ich das Thier ſo genau als möglich längere Zeit beobachtet hatte, glaubte ich annehmen zu dürfen, daß das frag - liche Geräuſch von einem Zuſammenſchlagen des Geäfters herrühre, und wirklich konnte ich durch Aneinanderreiben der Füße einen ganz ähnlichen Laut hervorbringen; allein die Renthiere, welche ich in den Thiergärten beobachtete, belehrten mich, daß meine Anſicht falſch ſei: denn ſie bringen auch daſſelbe Kniſtern hervor, ohne daß ſie einen Fuß von der Erde erheben; ſie kniſtern, ſobald ſie ſich, auf allen vier Füßen feſtſtehend, ein wenig nach vorn oder zur Seite beugen. Daß bei ſolchen Beu - gungen das Geäfter nicht an die Hufe ſchlägt, glaube ich verbürgen zu können. Und ſo bleibt blos die Annahme übrig, daß der Laut im Jnnern des Gelenkes entſteht, ähnlich wie wenn wir einen Finger anziehen, bis er knackt. Mit dieſer Anſicht erklärt ſich auch Dr. Weinland einverſtanden; dieſe Anſicht verfochten die Lappen, welche ich von Norwegern befragen ließ, und endlich auch die nor - wegiſchen Forſcher. Ein Verſuch, den man gemacht hat, ſpricht freilich dagegen. Man wickelte näm - lich einem Renthier Leinwand um Hufe und Afterklauen und vernahm dann nicht das geringſte Ge - räuſch mehr; allein dieſer Verſuch würde immerhin noch nicht beweiſen, daß, wie der betreffende Naturforſcher annahm, das Knacken nur ein Zuſammenſchlagen des Geäfters mit den Hufen ſei; denn ſolches Zuſammenſchlagen müßte man wahrnehmen können, und Dies iſt nicht der Fall. Junge Renthiere kniſtern übrigens nicht, und bei alten endet das ſonderbare Geräuſch, ſobald ſie im tiefen und weichen Schnee waden.

Bei langſamem Gange über moraſtige Flächen breitet das Renthier ſeine Hufe ſoweit aus, daß eine Fährte entſteht, welche weit mehr an die einer Kuh erinnert, als an die eines Hirſches, und in gleicher Weiſe ſchreitet es auch über den Schnee, auf welchem es, ſobald derſelbe nur einigermaßen ſich geſetzt hat, nicht mehr einſinkt.

Das Schwimmen wird dem Ren ſehr leicht; es ſetzt ohne weiteres über ziemlich breite Ströme, und die Lappen treiben ganze Herden in den Fjords von einer Jnſel zur anderen. Die zahmen Ren - thiere entſchließen ſich allerdings nur nach einigem Widerſtreben in das Waſſer zu gehen; die wilden aber ſcheuen es gar nicht, und wenn ſie flüchtig ſind, gehen ſie durch Dick und Dünn.

Alle höheren Sinne des Renthieres ſind vortrefflich. Es wittert ganz ausgezeichnet, wie ich mich wirklich überzeugt habe, bis auf fünf - bis ſechshundert Schritte hin; es vernimmt mindeſtens ebenſo ſcharf, als der Hirſch, und äugt ſo gut, daß der Jäger alle Urſache hat, auch wenn er gegen437Das Renthier.den Wind herankommt, ſich aufs ſorgfältigſte zu verbergen. Dabei iſt das Thier lecker; denn es ſucht ſich nur die beſten Alpenpflanzen heraus, und ſein Gefühl beweiſt es ſehr deutlich, wenn es die Mücken plagen; ja, das zahme Renthier zuckt bei der leiſeſten Berührung zuſammen. Alle Jäger, welche wilde Renthiere beobachteten, ſchreiben ihnen eine große Klugheit, ja ſelbſt eine gewiſſe Liſt zu: ſcheu und vorſichtig im höchſten Grade ſind ſie unzweifelhaft. Gegen andere Thiere beweiſen die Renthiere nicht die geringſte Scheu. Sie kommen vertrauensvoll an die Kühe und Pferde heran, welche in ihren Höhen weiden, und vereinigen ſich da, wo es Zahme ihrer Art gibt, ſehr gern mit dieſen, obgleich ſie ſehr wohl wiſſen, daß ſie es nicht mit ihres Gleichen zu thun haben. Hieraus geht hervor, daß ihre Scheu und Furcht vor den Menſchen ein Ergebniß ihrer Erfahrung iſt, und ſomit muß man ihnen einen ziemlich hohen Grad von Verſtand zugeſtehen.

Das wilde Renthier äßt ſich im Sommer mit den ſaftigen Alpenkräutern, namentlich mit den Blättern und Blüthen der Schneeranunkel, des Renthierampfers, der Saponarien, des Hahnenfußes, Schwingels ꝛc. Während des Winters gräbt es mit ſeinen Hufen Renthierflechten aus und frißt von den Steinen die Schnee - und Oſterflechten ab. Jn Norwegen meidet es auch im Winter den nah - rungsreichen Wald, geht aber dann öfters in den Sumpf, um ſich dort von allerlei Kräutern zu äßen. Sehr gern frißt es die Knospen und jungen Schößlinge der Zwergbirken, niemals aber die anderer Birkenarten. Die Auswahl unter der Nahrung iſt immer eine höchſt ſorgfältige, und deshalb iſt das Thier auch auf ſehr wenige Pflanzen beſchränkt. Niemals gräbt es mit dem Geweih, wie oft behauptet worden iſt, ſondern immer mit ſeinen Vorderläufen. Am eifrigſten geht es in den Morgen - und Abendſtunden der Nahrung nach; während der Mittagszeit ruht es wiederkäuend, am liebſten auf Schneefeldern und Gletſchern, oder wenigſtens ganz in der Nähe derſelben. Ob es auch des Nachts ſchläft, iſt nicht bekannt.

Jn Norwegen tritt der Hirſch Ende Septembers auf die Brunſt. Sein Geweih, welches Ende Novembers oder Dezembers abgeworfen wurde, iſt jetzt wieder vollſtändig geworden, und er weiß es zu gebrauchen. Mit lautem Schrei ruft er Mitbewerber heran, orgelt wiederholt in der ausdrucksvollſten Weiſe, häufige Kämpfe mit den betreffenden Mitbewerbern beſtehend, angeſichts der jetzt ſehr ver - ſtärkten Rudel. Die wackeren Streiter verſchlingen ſich oft mit ihren Geweihen und bleiben manchmal ſtundenlang an einander gefeſſelt; dabei kommt es dann auch vor, wie bei den Hirſchen, daß die ſchwächeren Renthierböcke, welche von den älteren während der Fortpflanzungszeit ſehr übermüthig behandelt werden, ſich die Gelegenheit zu Nutze machen und die brünſtigen Thiere beſchlagen. Gegen das Altthier benimmt ſich der Hirſch ſehr ungeſtüm. Er treibt das erkorene Stück oft lange umher, bevor es zur Paarung kommt. Dann wird er zärtlicher. Hat er nach längerem Lauf endlich Halt gemacht, ſo beleckt er die auserkorene Schöne, hebt den Kopf in die Höhe und ſtößt hierbei raſch und hinter einander dumpfe, grunzende Laute aus, bläht ſeine Lippen auf, ſchlägt ſie wieder zuſammen, beugt den hinteren Theil des Leibes nieder und geberdet ſich überhaupt ſehr eigenthümlich. Der Be - ſchlag ſelbſt geht außerordentlich raſch vor ſich, währt aber immer nur kurze Zeit; dabei pfaucht der Hirſch nieſend mit der Naſe. Mit Dam - oder Edelwild paart ſich das Ren ungezwungen nicht. Mitte Aprils iſt die Satzzeit; das alte Thier geht alſo etwa dreißig Wochen hoch beſchlagen. Niemals ſetzen wilde Renthiere mehr als ein Kalb. Dieſes iſt ein kleines ſchmuckes Geſchöpf, welches von ſeiner Mutter zärtlich geliebt und lange geſäugt wird. Jn Norwegen nennt man das junge Renthier entweder Bockkalb oder Semlekalb, je nachdem es männlich oder weiblich iſt; die erwachſenen Renthiere werden ebenfalls als Bock und Semle unterſchieden. Schon gegen das Frühjahr hin trennt ſich das hochbeſchlagene Thier mit einem Bock von einem Rudel und ſchweift nur mit dieſem bis zur Satzzeit und auch nach ihr noch umher. Solche Familien, welche aus dem Bock, der Semle und dem Kalb beſtehen, trifft man häufig; die Schmalthiere und die jungen Böcke bilden ihrerſeits ſtärkere Rudel, bei denen ein geltes Altthier die Leitung übernimmt. Erſt wenn die Kälber groß geworden ſind, vereinigen ſich die Familien wieder mit den Rudeln; dann theilen ſich die Altthiere in die Lei - tung. Die Renthiere ſind ſo beſorgt um ihre Sicherheit, daß das Leitthier, auch wenn alle übrigen438Die Hirſche. Das Renthier.Mitglieder des Rudels wiederkäuend ruhen, immer ſtehend das Amt des Wächters ausübt; will es ſich ſelbſt niederlaſſen, ſo ſteht augenblicklich ein anderes Altthier auf und übernimmt die Wache. Niemals wird ein Rudel Renthiere an Halden weiden, wo es gegen den Wind beſchlichen werden kann; es ſucht ſich ſtets Stellen aus, auf denen es die Ankunft eines Feindes ſchon aus großer Ent - fernung wahrnehmen kann, und dann trollt es eilig davon, gewöhnlich mehrere Stunden, ja ſelbſt meilenweit. Es kehrt aber nach guten Plätzen zurück, wenn auch nicht in den nächſten Tagen. Manche Halden des Dovre Fjelds, welche reich an den ſaftigſten Pflanzen ſind, haben als gute Jagdplätze eine gewiſſe Berühmtheit erlangt.

Die Jagd des wilden Ren erfordert einen leidenſchaftlichen Jäger oder einen echten Natur - forſcher, dem es auf Beſchwerden und Entbehrungen nicht ankommt; für gewöhnliche Sonntags - ſchützen iſt ſie durchaus kein Vergnügen. Es gibt in jenen Höhen, wo das vorſichtige Wild ſich aufhält, keine Sennhütten oder Sennhäuschen mit allerliebſten Sennerinnen oder zitherſchla - genden Sennbuben, ſondern nur Beſchwerden und Mühſale. Eine Luſtwandelung in jenen Höhen verlangt tüchtige Waſſerſtiefel und abgehärtete Füße für dieſelben, einen breiten Rücken, welcher ſich Etwas aufpacken läßt, und vor Allem eine geſunde Bruſt, welche ſtundenlang beim Auf - und Nieder - ſteigen ohne Beſchwerde ihre Dienſte thut. Wie bei der Gemſenjagd, muß man ſich für mehrere Tage mit Lebensmitteln verſehen; wie der Steinbockjäger in Felsklüften oder, wenn es gut geht, in verlaſſenen Steinhütten, welche man vorher gegen den Luftzugang zu ſchließen hat, während der Nachtzeit Unterkommen ſuchen; denn wenn man in einer der Sennhütten, die ſich auch nicht überall finden, übernachten will, muß man im günſtigen Fall ſeine tauſend bis anderthalbtauſend Fuß hinab und am anderen Morgen natürlich wieder hinauf ſteigen. Auf der Jagd heißt es aufpaſſen! Alles muß beobachtet werden, der Wind und das Wetter, der Stand der Sonne u. ſ. w. Man muß die Lieblingsplätze des Renthiers kennen, mit ſeinen Sitten vertraut ſein und zu ſchleichen ver - ſtehen, wie eine Katze. Ganz beſonders nothwendig iſt es auch, daß man die Fährten wohl zu deuten weiß, um zu erfahren, ob ſie von heute oder geſtern oder von noch früherer Zeit herrührten. Jedes abgeriſſene Blatt auf den Halden, jeder weggetragene Stein gibt Fingerzeige. Jn Norwegen iſt bei der Renthierjagd allerdings nicht an Gefahr zu denken; aber Beſchwerden gibt es genug. Die Halden beſtehen nur aus wirr durch - und über einander geworfenen Schieferplatten, welche, wenn man über ſie weggeht, in Bewegung gerathen, oder ſo ſcharfkantige Ecken und Spitzen hervorſtrecken, daß jeder Schritt durch die Stiefeln hindurch fühlbar wird; die außerordentliche Glätte der Platten, über welche das Waſſer herabläuft, vermehrt nur die Schwierigkeit des Weges, und das jede Viertelſtunde nothwendig werdende Ueberſchreiten der glatt geſcheuerten Rinnſale erfordert viele und nicht eben beluſtigende Springübungen, wenn man es ſonſt vermeiden will, im kalten Gebirgswaſſer ein unfreiwilliges Bad zu nehmen und ſich dabei Arme und Beine blutig zu ſchlagen. Und ſelbſt, wenn man alle dieſe Unannehmlichkeiten nicht achten wollte, würde die Jagd noch immerhin ihre eigenen Schwierigkeiten haben. Die Färbung des Ren ſtimmt ſtets ſo genau mit dem jeweiligen Aufent - haltsort überein, daß es überaus ſchwer hält, ein Renthier, welches ſich gelagert hat, wahrzunehmen; an eine weidende Herde aber kommt man ſo leicht nicht heran. Die Geröllhalden ſpiegeln dem Jäger tückiſch beſtändig das Bild des geſuchten Wildes vor; er glaubt ſogar alle Sproſſen der Geweihe zu erkennen, und ſelbſt das Fernrohr hilft ſolche Lügen treulich mit beſtärken; man geht eine gute volle Stunde, eine halbe Stunde weit, kommt zur Stelle und ſieht, daß man ſich ge - täuſcht und anſtatt der Thiere nur Felsblöcke entdeckt hat. Oder, was noch ſchlimmer, man hat die Renthiere für Steine angeſehen, iſt guten Muthes auf ſie losgegangen und ſieht nun plötzlich, daß ſich das Rudel in einer Entfernung von ungefähr zwei - bis dreihundert Schritten erhebt und das Weite ſucht. Die größte Vorſicht wird nöthig, wenn man endlich nahe zum Rudel kommt. Jede raſche Bewegung iſt jetzt aufs ſtrengſte verpönt. Die norwegiſchen Jäger haben eine eigene Art niederzuknien und aufzuſtehen: ſie ſinken Zoll um Zoll mit gleichmäßiger Langſamkeit förmlich in ſich zuſammen und verſchwinden ſo allgemach, daß ein weidendes Renthier, ſelbſt wenn es die ſich439Das Renthier.mehr und mehr verkleinernde Geſtalt ſähe, doch ſicherlich in ihr keinen Menſchen erkennen würde. Sobald der Jäger auf dem Boden liegt, probt er nochmals durch kleine Stücken Mos, welche er losreißt und in die Höhe wirft, den Wind, und dann beginnt er auf dem Bauche fortzukriechen, um ſich ſoviel als möglich dem Rudel zu nähern. Mein alter Erik verſtand dieſe Art ſich zu bewegen ſo meiſterhaft, daß ich, der ich mir einbildete, auch ſchleichen und kriechen zu können, wie ein be - ſchämter Schulbube vor ihm ſtand oder vielmehr lag: denn mit Ausnahme der Ferſengelenke bewegte ſich an dem ganzen Mann kein Glied, und dennoch glitt er, wenn auch höchſt langſam, immer und immer vorwärts. Wenn ein Waſſer dem Jäger in den Weg kommt, kann er natürlich nicht aus - weichen; aber da das Rinnſal etwas vertieft iſt, kommt er auch darüber hinweg. Das Gewehr wird über den Nacken gelegt, ſo daß Schloß und Mündung ſicher über das Waſſer kommen, das Pulver - horn ſteckt er zwiſchen Hemd und Bruſt; ob das Uebrige naß wird, kümmert den Mann natürlich nicht und ſo läuft er auf allen Vieren durch den Wildbach: wir haben es auch gethan. Klei - nere Graben werden ohne weitere Umſtände durchkrochen; denn ſchon die Renthierflechten ſind ſo feucht, daß der kriechende Jäger auf der ganzen Vorderſeite eben ſo naß wird, als ob er ſich im Waſſer gebadet hätte. Derart nähert man ſich mehr und mehr dem Rudel und iſt ſehr froh, wenn man näher als zweihundert Schritte an daſſelbe herankommt. Die meiſten norwegiſchen Jäger ſchießen nicht aus bedeutender Entfernung und können Dies, der geringen Güte ihrer Waffen halber, auch nicht thun; ver - möchten ſie aber aus einer Entfernung von dreihundert Schritten mit Sicherheit zu ſchießen, ſo würde gewiß jede Jagd ihnen eine Beute bieten; denn bis zu dieſer Entfernung laſſen die Renthiere einen geſchickten Jäger regelmäßig an ſich herankriechen. Sind nun Steine in der Nähe, ſo ſetzt der Kriechende ſeinen Weg fort, ſelbſtverſtändlich ſo, daß er immer einen größeren Stein zwiſchen ſich und dem Leitthier hat, alſo gedeckt wird. So kann es kommen, daß er bis auf 120 Schritte an das Rudel heranſchleicht und dann ſeine alte, erprobte Büchſe mit Sicherheit zu brauchen vermag. Er legt bedächtig auf einem Steine auf, zielt lange und ſorgfältig und feuert dann nach dem beſten Bock des Rudels hin, falls dieſer ſich ihm günſtig geſtellt hat.

Nach meiner Erfahrung iſt das Rudel nach dem erſten Schuß ſo verblüfft, daß es noch eine geraume Zeit verwundert ſtehen bleibt; erſt nachdem es ſich von der Gefahr vollſtändig überzeugt hat, wird es flüchtig. Dieſe Beobachtungen haben auch die norwegiſchen Jäger gemacht, und deshalb gehen ſie gern ſelbander oder zu Dreien und Vieren auf die Jagd, ſchleichen zugleich nach einem Rudel hin, zielen verabredetermaßen auf beſtimmte Thiere und laſſen einen zuerſt feuern; dann ſchießen auch ſie. Jch bin feſt überzeugt, daß Jäger, welche mit guten, ſicheren Doppelbüchſen be - waffnet ſind, aus ein und demſelben Rudel fünf bis ſechs Renthiere wegſchießen können, wenn ſie ſonſt ſich geſchickt angeſchlichen haben und regungslos hinter den Steinen liegen bleiben. Die ge - ringſte Bewegung freilich ſcheucht das Rudel augenblicklich in die wildeſte Flucht.

Von dieſer waidmänniſchen Jagdart iſt die, welche die Sibirier und Amerikaner betreiben, aller - dings ſehr verſchieden. Die Jukahiren und die übrigen Bewohner der Gegend längs dem Aniuj - fluſſe in Sibirien, ſagt von Wrangel, hängen ganz von dem Renthier ab, welches hier, wie in Lappland, faſt ausſchließlich Nahrung, Kleidung, Fuhrwerk, Wohnung liefert. Die Renthierjagd entſcheidet, ob Hungersnoth oder Wohlleben herrſchen wird, und die Zeit der Renthierzüge iſt hier der wichtigſte Abſchnitt des Jahres. Wenn die Thiere auf ihren regelmäßigen Wanderungen zu den Flüſſen kommen und ſich anſchicken, über dieſelben hinwegzuſchwimmen, ſtürzen die Jäger in ihren kleinen Kähnen pfeilſchnell hinter Büſchen, Geſteinen ꝛc., wo ſie ſich bis dahin verborgen gehalten, hervor, umringen den Zug und ſuchen ihn aufzuhalten, während zwei oder drei der gewandteſten unter ihnen mit einem kurzen Spieße bewaffnet in den ſchwimmenden Haufen hineinfahren und in unglaublich kurzer Zeit eine große Menge tödten oder doch ſo ſchwer verwunden, daß ſie höchſtens das Ufer erreichen, wo ſie den dort wartenden Weibern, Mädchen und Kindern in die Hände fallen. Die Jagd iſt übrigens mit großer Gefahr verbunden. Jn dem ungeheuren Gewühl der dicht unter einander ſchwimmenden Thiere iſt der kleine, leichte Kahn ohnehin jeden Augenblick dem Umwerfen440Die Hirſche. Das Renthier.nahe; außerdem aber wehren ſich die verfolgten Thiere auf alle mögliche Art; die Männchen mit ihren Geweihen und Zähnen, die Weibchen aber mit den Vorderläufen, mit denen ſie auf den Rand des Kahnes zu ſpringen pflegen und ihn auf dieſe Weiſe leicht umwerfen. Gelingt dieſes, ſo iſt ge - wöhnlich der Jäger verloren, weil es ihm beinahe unmöglich wird, ſich aus dem dichten Haufen her - auszuarbeiten.

Ganz ähnlich jagen die Jndianer Nordamerikas, namentlich die Chipewyanes, ſowie die Kupfer -, Hundsrippen - und Haſenindianer das Renthier, wie King berichtet. Auch dieſe Leute leben faſt einzig vom Renthier. Große Herden von zehn - bis hunderttauſend Stück wandern im Frühjahr nordwärts zum Eismeere und im Herbſt wieder ſüdwärts. Wenn im Sommer die Flech - ten vertrocknen, welche den Thieren während der kalten Jahreszeit zur Nahrung gedient haben, ſuchen ſie ſich nahe der Seeküſte mancherlei ſaftige Kräuter zur Aeßung; im September treten ſie den Rückzug an und erreichen im Oktober das Ziel. Sie haben alsdann eine drei bis ſechs Zoll dicke Lage von Feiſt unter der Haut des Rückens und der Schenkel, und deshalb bilden jetzt unſere Thiere den Hauptgegenſtand der Jagd. Große Meuten von Wölfen wandern mit den Renthieren und holen ſich aus ihrer Mitte ihre tagtägliche Beute. Schlimmer aber als die Jndianer treiben es die Wölfe nicht. Man erlegt das beklagenswerthe Wild mit der Flinte, fängt es in Schlingen, tödtet es beim Durch - ſchwimmen der Flüſſe mit Spießen, gräbt tiefe Falllöcher oder bildet von Zweigen und Buſchwerk zwei Zäune, läßt in beiden ſchmale Lücken, legt in jede Lücke eine Schlinge, treibt die Rudel zwi - ſchen die Zäune und fängt die Stücke, welche heraus wollen, oder ſticht ſie beim Herauskommen todt. Die Hundsrippenindianer gehen, wie Trenzel erzählt, paarweiſe auf die Jagd. Der Vor - derſte hält in der einen Hand ein Renthiergeweih, der Andere ein Büſchel Zweige, gegen welche er das Geweih reibt, um die Stirn trägt er eine Binde von weißem Pelz; der zweite Jäger geht dicht hinter dem erſten her. Bemerken die Renthiere dieſe merkwürdige Erſcheinung, ſo ſtehen ſie ſtill und äugen ganz verwundert. Nun feuern beide Jäger zugleich, eilen der Herde nach, laden im Lau - fen wieder und ſchießen noch ein oder mehrere Male. An anderen Orten treiben die Jndianer, wenn ſie erſt können, die Renthiere auch ins Waſſer und ſtechen ſie dann nieder.

Die Jndianer wiſſen das wilde Ren in ähnlicher Weiſe zu benutzen, wie die Lappen ihr zahmes Herdenthier. Aus den Geweihen und den Knochen verfertigen ſie ſich ihre Fiſchſpere und Angeln; mit den geſpaltenen Schienbeinknochen arbeiten ſie von den Häuten das Fleiſch, das Fett und das Haar ab; mit Renthiergehirn ſchmieren ſie das Fell ein, um es geſchmeidig zu machen. Das durch Räuchern mit faulem Holz gegerbte Leder hängen ſie dann um ihre Zeltſtangen; die unge - gerbten Häute geben ihnen Bogenſehnen und Netze; die Sehnen des Rückens werden zu feinem Zwirn geſpalten; die weichen, pelzartigen Felle der Kälber müſſen ihnen, wie auch den Lappen, die Kleidung liefern, denn das Haar der alten Thiere iſt zu lang und ſpröde. Vom Kopf bis zu den Zehen hüllen ſie ſich in Renthierfelle, werfen ein anderes, weichgegerbtes Fell auf den Schnee, decken ſich mit dem dritten zu und ſind ſo im Stande, der grimmigſten Kälte Trotz zu bieten. Kein Theil des Renthiers bleibt unbenutzt, nicht einmal der Speiſebrei im Magen. Wenn dieſer einige Zeit gelegen und eine gewiſſe Gährung gelitten hat, gilt er als höchſt ſchmackhaftes Gericht. Das Blut wird gekocht und zur Suppe bereitet, die Knochen werden geſtoßen und gekocht; das daraus gewonnene Mark miſcht man mit Fett und getrocknetem Fleiſch oder benutzt es zum Salben des Haares und des Geſichts. Jn ganz ähnlicher Weiſe wiſſen auch die Sibirier und ihre Stamm - und Geſinnungsgenoſſen, die nördlichen Europäer, die erlegten wilden Renthiere zu verwerthen.

Das wilde Renthier hat außer dem Menſchen noch viel andere Feinde. Der gefährlichſte von ihnen iſt der Wolf. Er umlagert die Rudel ſtets, am ſchlimmſten aber doch im Winter. Wenn der Schnee ſo feſt geworden iſt, daß er die Renthiere trägt, gelingt es dem böſen Räuber bei der Wachſamkeit ſeiner Beute nur äußerſt ſelten, an eine Herde heranzukommen, und im ungünſtigſten Falle ſind dann auch die Renthierböcke noch ſo kräftig, daß ſie ihm mit den Vorderläufen gehörig441Das Renthier.zuſetzen können; die Sache ändert ſich aber bei friſchem Schneefall. Dann ſinkt das Renthier tief in die flaumige Decke ein, ermüdet leicht und wird von dem irgendwo hinter einem Felsblock oder dichten Buſche lauſchenden Räuber viel leichter gefangen, als ſonſt. Auf den Hochgebirgen rotten ſich ſtarke Meuten von Wölfen gerade um die Zeit zuſammen, in welcher ſich die Renthiere in ſtarke Rudel ſchlagen, und nun beginnt ein ewiger Kampf um das Leben. Durch Hunderte von Meilen ziehen die Wölfe den wandernden Renthierherden nach, und es kommt dahin, daß ſelbſt die Menſchen, eben der Wölfe wegen, ſolche Renthierzuſammenrottungen verwünſchen. Jn Nor - wegen mußten die Renthierzuchten, die man auf den ſüdlichen Gebirgen anlegen wollte, der Wölfe wegen aufgegeben werden. Man hatte ſich aus Finnmarken oder dem norwegiſchen Lappland dreißig Renthiere nebſt lappländiſchen Hirten kommen laſſen, und die Zucht gedieh auf den Hochge - birgen des Bergener Stifts ganz vortrefflich. Schon nach fünf Jahren hatten die dreißig Renthiere Hunderte von Nachkommen erzeugt, und die Beſitzer der Herden begannen ſchon, ſich Reichthum zu erträumen: da brachen die Wölfe, welche von allem Anfang an ſich als die ſchlimmſten Feinde der neuen Herde gezeigt hatten, mit Macht herein. Es ſchien, als ob ſich die Wölfe ganz Norwegens auf einen Punkt zuſammengezogen hätten, ſo häufig waren ſie geworden. Weil man nun die Wach - ſamkeit verdoppelte, blieb es nicht bei der Renthierjagd allein, ſondern die Wölfe kamen nun auch in Unmaſſen in das Thal herab, raubten gierig in der Nähe der Gehöfte Rinder und Schafe, be - drohten Menſchen und wurden ſchließlich ſo läſtig, daß man die Herden theils abſchlachten, theils niederſchießen, theils verwildern laſſen, mit einem Worte, die Zucht aufgeben mußte. Daß der Wolf auch den zahmen Renthierherden großen Schaden zufügt, habe ich ſchon oben geſagt. Und dieſer häßliche Räuber iſt noch nicht der einzige Feind. Der Vielfraß ſtellt den Renthieren, wie ich ſelbſt geſehen, eifrig nach; der Luchs wird ihnen ſehr gefährlich, und der Bär raubt, wenn auch nicht gerade in derſelben Weiſe wie der Wolf, immer noch viele der bedrohten Thiere. Nächſt dieſen großen Räubern ſind es kleine, ſcheinbar erbärmliche Kerbthiere, welche mit zu den ſchlimmſten Fein - den der Renthiere gezählt werden müſſen. Namentlich drei Arten dieſer Klaſſe beſtimmen deren gan - zes Leben. Es ſind Dies eine Stechmücke welche Art der blutdürſtigen Teufel, kann uns gleich - giltig ſein und zwei Daſſelfliegen oder Bremſen. Die Mücken ſind es, welche die Wanderungen der Renthiere veranlaſſen und beſtimmen; vor ihnen flüchten ſie zum Meer hinab und in die Gebirge hinauf; von ihnen werden ſie Tag und Nacht oder vielmehr während des monatlangen Sommertages unabläſſig in der fürchterlichſten Weiſe gequält. Nur wer ſelbſt von jenen kleinen Un - geheuern tage - und wochenlang ſtündlich geſtochen und geſchröpft worden iſt, kann die Qual begrei - fen, welche die armen Geſchöpfe zu leiden haben. Und ſie iſt noch nicht die ſchlimmſte: die Daſſel - fliegen bereiten den Renthieren vielleicht noch ärgere Pein. Eine Art legt ihre Eier in die Rücken - haut, eine zweite in die Naſenlöcher des Renthieres; die Larven entwickeln ſich und die der erſten Art bohren ſich durch die Haut in die Zellgewebe ein, leben hier von dem Eiter, welchen ſie erregen, verurſachen im höchſten Grade ſchmerzhafte Beulen, wühlen ſich weiter und weiter und bohren ſich endlich, wenn ſie der Reiſe nahe kommen, wieder da heraus. Die Larven der zweiten Art gehen durch die Naſenhöhle weiter, bohren ſich tief bis in das Hirn hinein und verurſachen dann die unheilbare Drehkrankheit, oder ſie ſchlüpfen in den Gaumen und verhindern das Ren wegen des Schmerzes, welcher beim Kauen entſteht, am Aeßen, bis endlich das gequälte Thier ſie durch heftiges Nieſen oft klumpenweiſe heraus treibt, aber erſt, nachdem ſie ſich dick und voll gemäſtet haben. Jm Juli oder zu Anfang Auguſts werden die Eier gelegt, im April oder Mai ſind die Larven ausgebildet. Gleich im Anfang geben ſich die Leiden des bedauernswerthen Geſchöpfes durch ſchweres Athmen zu erkennen, und oft genug iſt der Tod, namentlich bei jüngeren Thieren, das wohlthätige Ende aller Qual. Solchen von den Daſſelfliegen gepeinigten Renthieren erſcheinen die Nebelkrähe und die Schafſtelze als wohlthätige Freunde. Sie vertreten die Stelle der Kuhvögel, Madenhacker und Kuhreiher, welche wir im zweiten Theile dieſes Werkes kennen lernen werden, fliegen auf den Rücken der armen Thiere und bohren aus den Geſchwüren die442Die Hirſche. Das Renthier.böſen Maden hervor, und die Renthiere verſtehen ganz genau, wie viel Gutes die Vögel ihnen an - thun, denn ſie laſſen ſie ruhig gewähren.

Jungeingefangene Renthiere werden ziemlich bald zahm; man würde ſich aber einen falſchen Begriff machen, wenn man die Renthiere, was die Zähmung anlangt, den in den Hausſtand überge - gangenen Thieren gleichſtellen wollte. Nicht einmal die Nachkommen Derjenigen, welche ſchon ſeit undenklichen Zeiten in der Gefangenſchaft leben, ſind ſo zahm, wie unſere Hausthiere, ſondern be - finden ſich immer noch in einem Zuſtande von Halbwildheit. Nur Lappen und deren Hunde ſind im Stande, ſolche Herden zu leiten und zu beherrſchen.

Uebrigens geben ſich nicht blos die Lappen mit der Renthierzucht ab, ſondern auch die Finnen und die Sibirier: Wogulen, Oſtjaken, Samojeden, Tunguſen, Koräken und Tſchuktſchen, welche, wie Pallas ſagt, die größten Renherden halten. Nach den Erfahrungen dieſes Naturforſchers pflegt kein Volk die Renthiere beſſer, als die Koräken. Sie beſitzen Herden von vierzig - bis funfzigtauſend Stück und kennen unter dieſer Unmaſſe die ihnen gehörigen genau. Gegen ſolche Herden verſchwinden die im Weſten Europas gehaltenen faſt vollſtändig. Die norwegiſchen Lap - pen beſitzen nach amtlichen Angaben, welche mir von dem Vogd oder Richter zu Tana gemacht wurden, im ganzen nur noch 79,000 Stück Renthiere, und zwar kommen auf den Kreis Tana und Polemak 31,000, auf den Kreis Karasjok 23,000 und auf den Kreis Kautokeino 25,000 Stück, ungefähr 1200 Beſitzern zugehörig.

Das zahme Renthier iſt die Stütze und der Stolz, die Luſt und der Reichthum, die Qual und die Laſt des Lappen; nach ſeinen Begriffen ſteht Derjenige, welcher ſeine Renthiere nach Hunderten zählt, auf dem Gipfel menſchlicher Glückſeligkeit. Einzelne Lappen beſitzen zwei - bis dreitauſend Stück, die meiſten aber höchſtens deren fünfhundert; niemals jedoch erfährt ein Normann die eigent - liche Zahl der Herde eines dieſer Biedermänner: denn alle Lappen glauben, daß Wolf und Unwetter ſofort einige Renthiere vernichten würden, wenn ſie, die Herren, unnöthiger Weiſe über ihre Ren - thiere, zumal über deren Zahl ſprechen ſollten. Mit Stolz ſchaut der Fjeldlappe, der eigentliche Renthierzüchter, auf alle Anderen ſeines Volkes herab, welche das Nomadenleben aufgegeben und ſich entweder als Fiſcher an Flüſſen, Seen und Meeresarmen niedergelaſſen, oder gar als Diener an Skandinavier verdingt haben; er fühlt ſich als einen echten, freien Mann; er kennt nichts Höheres, als ſein Meer , wie er eine größere Renthierherde zu nennen pflegt. Sein Leben dünkt ihm köſtlich; er meint, daß ihm das beſte Los auf Erden gefallen wäre.

Und was für ein Leben führen dieſe Leute! Nicht ſie beſtimmen es, ſondern ihre Herde: die Renthiere gehen wohin ſie wollen, und die Lappen müſſen ihnen folgen. Der Fjeldlappe führt ein wahres Hundeleben. Monatelang verbringt er den größten Theil des Tages im Freien, im Som - mer gequält und gepeinigt von den Mücken, im Winter von der Kälte, gegen die er ſich nicht wehren kann. Oft kann er ſich nicht einmal Feuer ſchüren, weil er in den Höhen, welche gerade ſeine Herde abweidet, kein Holz findet; oft muß er hungern, weil er ſich weiter entfernt, als er will; er muß die Freuden der Familie auf lange hin entbehren. Dürftig geſchützt durch die Kleidung, iſt er allen Unbilden der Witterung preisgegeben; ſeine Lebensweiſe macht ihn zu einem halben Thiere. Er wäſcht ſich nicht; er nährt ſich von geradezu abſcheulichen Stoffen, die ihm der Hunger eintreibt; er hat oft keinen anderen Gefährten, als ſeinen treuen Hund, und theilt mit dieſem redlich und treulich die geringe Nahrung, welche ihm wird. Und Alles dies erträgt er mit Luſt und Liebe, ſeiner Herde wegen.

Das Leben der zahmen Renthiere unterſcheidet ſich faſt in jeder Hinſicht von dem geſchilderten des wilden Ren. Jene ſind, wie ich oben angab, kleiner und häßlicher geſtaltet; ſie werfen ſpäter ihr Geweih ab, als die wilden; ſie pflanzen ſich auch zu einer anderen Zeit im Jahre fort, als dieſe; und ſie ſind endlich auf einer beſtändigen Wanderung begriffen. Manchmal unmittelbar unter der Herrſchaft des Menſchen lebend, genießen ſie zu gewiſſen Zeiten ihre Freiheit im vollſten Maße: denn ihr Zwingherr weiß ſie ſchon wieder einzufangen. Bald wächſt ihnen die Nahrung ſo reichlich443Das Renthier.zu, daß ſie kräftig und feiſt werden; bald müſſen ſie Hunger und Kummer erdulden, wie ihr Herr. Jm Sommer leiden ſie entſetzlich von den Mücken und Renthierbremſen, im Winter von dem Schnee, welcher ihnen die Weide verdeckt und oft durch ſeine harte Kruſte ihnen die Füße ver - wundet.

Jn Norwegen und Lappland wandern die Lappen gewöhnlich längs der Flüſſe nach dem Ge - birge und Meere zu, getrieben durch die Mücken, und von den Gebirgen wieder zur Tiefe herab oder von dem Meere nach dem inneren Lande, wenn der Winter herannaht. Jn den Monaten Juli und Auguſt leben die Renthiere auf den Gebirgen und am Meeresſtrand; vom September an findet die Rückwanderung ſtatt, und um dieſe Zeit läßt der Lappe, wenn er bei ſeinen Herbſtſtellen kleinen Blockhäuſern, in denen er die nothdürftigſten Lebensbedürfniſſe verwahrt, angelangt iſt, ſeine Renthiere ihre Freiheit genießen, falls Friede im Lande iſt, d. h. falls keine Wölfe in der Nähe umherſtreifen. Jn dieſe Zeit fällt die Brunſt, und da kommt es nun oft genug vor, daß die zahmen ſich mit den wilden vermiſchen, zur großen Freude der Herdenbeſitzer, welche hierdurch eine beſſere Zucht erzielen. Mit dem erſten Schneefall werden die Renthiere wieder eingefangen und gehütet, denn um dieſe Zeit gilt es, ſie mehr als je vor den Wölfen zu bewahren. Nun kommt der Frühling heran und mit ihm eine neue Zeit der Freiheit; dann werden die Thiere noch - mals zur Herde geſammelt: denn jetzt ſetzen die Kühe ihre Kälber und liefern die köſtliche Milch, welche nicht verloren gehen darf; ſie werden alſo wieder nach den Orten getrieben, wo es wenig Mücken gibt. So geht es fort, von einem Jahr zum anderen.

Die Renthierzucht und Renthierhut hat ihr ſehr Eigenthümliches. Ohne die munteren, wachſamen Hunde würde es dem Lappen geradezu unmöglich ſein, ſeine Herde zu weiden; jener Hilfe dankt er Alles. Aeußerſt wachſam, behend, klug und durchaus verläßlich ſind dieſe Hunde; ihre ganze Geſtalt gibt Zeugniß von der Freiheit, in welcher ſie leben: ſie ähneln wilden Verwandten ihrer Familie. Die Lauſcher ſtehen aufrecht und verleihen dem Kopf einen Ausdruck großer Selb - ſtändigkeit und natürlicher Schlauheit. Das Fell am Körper, mit Ausnahme des Kopfes, iſt ſehr dicht, pudelähnlich behaart, die Beine ſind haarig, die Geſtalt iſt ſchlank: aber die Thiere ſind klein und ſchmächtig, kaum ſo groß wie unſere Spitze. Dunkle Haarfärbung iſt vorherrſchend. Die Lappen halten ſie außerordentlich hoch und mit Recht, denn ſie gehorchen aufs Wort und wiſſen jeden Wink des Hirten zu deuten, ja, ſie hüten ohne ſein Zuthun tagelang auf eigene Fauſt. Durch ſie treibt der Lappe die ganze Herde zuſammen; mit ihrer Hilfe vereinigt er ſein Vieh an einer in das Meer vorſpringenden Felſenkante und jagt es dann in das Waſſer, um es zum Schwimmen über funfzig bis hundert Schritt breite Meeresarme zu nöthigen; ſie ſind es, welche im Frühjahr die Schwächlinge einfangen müſſen, weil dieſe während des Schwimmens ertrinken würden; ſie ſind es, welche im Herbſt, wo die Weide alle Thiere gekräftigt hat, die Herde wieder über den Meeresarm hinwegjagen.

Eine Renthierherde gewährt ein ganz eigenes Schauſpiel. Sie gleicht allerdings einem wandeln - den Wald, wohlverſtanden, wenn man annimmt, daß der Wald gerade blätterlos iſt. Die Herde geht geſchloſſen, wie die Schafe, aber mit behenden, federnden Schritten und ſo raſch, wie keines unſerer Hausthiere. Auf der einen Seite wandelt der Hirt mit ſeinen Hunden, welch letztere ihrer - ſeits eifrig bemüht ſind, die Herde zuſammenzuhalten. Ohne Aufhören umkreiſen ſie die Thiere, jedes, welches heraustritt, wird augenblicklich wieder zur Herde getrieben: und ſo bringen ſie es da - hin, daß der Trupp immer geſchloſſen bleibt. Hierdurch wird es auch dem Lappen ſehr leicht, jedes beliebige Renthier mit ſeiner Wurfſchlinge, die er geſchickt zu handhaben verſteht, aus dem Haufen herauszufangen.

Wenn es gute Weide in der Nähe gibt, bauen ſich die Lappen zur Erleichterung des Melkens eine Hürde, in welche ſie allabendlich ihre Thiere treiben. Dieſe Hürden beſtehen aus dicht an ein - ander gelehnten Birkenſtämmen, von fünf bis ſechs Fuß Höhe, welche oben durch Querhölzer zuſam - mengehalten werden, die ihrerſeits wieder auf ſtärkeren Pfählen und Pfeilern befeſtigt ſind. Zwei444Die Hirſche. Das Renthier.breite Thore, welche dann durch ein Gatter geſchloſſen werden, führen in das Jnnere. Die Hunde treiben die Herde da hinein, und das Melken beginnt. Auf die jungen Renthiere gibt man weniger Acht; ſie läßt man unbekümmert außerhalb der Hürde weiden und ſich ihres Lebens und der goldenen Frei - heit freuen, ſoweit dies die Aufmerkſamkeit der Hunde erlaubt, welche ſchon die gehörigen Schranken zu ziehen wiſſen. Jnnerhalb der Hürde iſt das Getümmel groß. Die Renthiere erinnern durch ihr Hin - und Herlaufen und durch ihr ewiges Blöcken an die Schafe, obgleich das Blöcken mehr ein ſchweinähnliches Grunzen genannt werden muß, als ein Blöcken. Bei weitem die meiſten, welche in Herden gehalten werden, ſind ſehr klein; man ſieht unter Hunderten nur höchſt wenig ſtarke Thiere. Dabei fällt die Unregelmäßigkeit der Geweihe unangenehm auf. Wenn man ſich der Hürde nähert, vernimmt man zuerſt das beſtändige Blöcken und dann, bei der ununterbrochenen Bewegung, ein Kni - ſtern, als ob Hunderte von elektriſchen Batterien in Thätigkeit geſetzt würden. Jn der Mitte der Hürde liegen mehrere große Baumſtämme, an welche die Renthiere beim Melken angefeſſelt werden. Ohne Wurfſchlinge läßt ſich kein Renthier ſeiner Milch berauben; deshalb trägt jeder Lappe und jede Lappin die Wurfſchlinge beſtändig bei ſich. Sie beſteht entweder aus einem langen Riemen oder einem Strick, wird leicht in Ringe zuſammengelegt, an beiden Enden feſtgehalten und ſo geworfen, daß ſie um den Hals oder das Geweih der Thiere zu fallen kommt; dann faßt man ſie kürzer und kürzer, bis man das Renthier ganz nahe an ſich heran gezogen hat, bildet eine Schifferſchlinge und legt ſie um das Maul des Renthieres, hierdurch es feſt und ſicher zäumend und zum Gehorſam nöthi - gend. Hierauf bindet man es an dem Klotz feſt und beginnt das Melkgeſchäft. Während deſſelben verſucht das Renthier alles Mögliche, um durchzugehen, allein die Lappen verſtehen dem Allen zu begegnen und ziehen beſonders widerſpenſtigen Thieren die Schlinge ſo feſt über der Naſe zuſammen, daß ſie wohl ruhig bleiben müſſen. Dann naht ſich der Melkende dem Renthier von hinten, ſchlägt mehrere Mal flach auf das Euter und entleert es. Man milkt ſehr ungeſchickt und vergeudet viele Milch, welche namentlich die Schenkel des Renthieres beſpritzt, daher wiſcht man auch wohl nach dem Melken Schenkel und Beine des Renthieres ſauber ab. Das Melkgefäß beſteht aus Holz und hat die Geſtalt eines oben verlängerten Napfes mit geradeaus gehendem Stiel; Alles iſt aber aus einem Stück geſchnitzt. Beim Melken kommen ſoviel Haare in die Milch, daß man ſie durchſeihen muß, allein das grobe Tuch, welches man dabei verwendet, läßt noch immer genug von den kürzeren Haaren durchſchlüpfen, und ſo ſieht die Milch nicht eben einladend aus. Jch habe ſie trotzdem und trotz der überaus ſchmuzigen Finger, zwiſchen denen ſie hervorgegangen war, verſucht: ſie ſchmeckt angenehm ſüßlich und iſt ſo fett, wie Rahm. Sofort nach dem Melken öffnet man die Hürden und zieht wieder auf die Weide hinaus, gleichviel, ob man am frühen Morgen oder am ſpäten Abend die Thiere verſammelt, denn man weidet Tag und Nacht.

Unter den zahmen Renthierkühen ſcheint Gemeinſchaftlichkeit der Güter zu herrſchen. So ſtör - riſch ſich dieſe Thiere beim Melken bezeigen, ſo liebenswürdig benehmen ſie ſich gegen die Kälber. Sie erlauben ebenſowohl fremden als ihren eigenen Kindern, ſie zu beſaugen.

Während der Sommermonate bereiten die Lappen kleine, ſehr wohlſchmeckende, wenn auch etwas ſcharfe Käſe aus der wenigen Milch, welche ihre Herdenthiere ihnen geben. Dieſe Käſe dienen ihnen ſpäter als eines der vorzüglichſten Nahrungsmittel. Sie wiſſen daraus alles Mögliche zu bereiten, unter anderen auch eine Art von Suppe, welche ſie als höchſt ſchmackhaft ſchildern. Jm September aber iſt die eigentliche Schmaus - und Schlachtzeit der Lappen; denn das Renthierfleiſch und namentlich das von Böcken herrührende nimmt einen ſchlechten Geſchmack an, wenn die Hirſche ge - brunſtet haben. Das Renthier wird, um es zu Boden zu werfen, genickfangt; dann ſtößt der Schlächter ſein Meſſer in das Herz des Opfers, ſorgfältig darauf achtend, daß ſich alles Blut in der Bruſthöhle ſammle. Während des Abhäutens wird die Stichwunde durch ein eingeſchobenes Holz - ſtückchen verſchloſſen. Nachdem die Haut abgezogen worden iſt, nimmt man die Eingeweide heraus und ſchöpft das übrige Blut in den etwas geleerten und gereinigten Wanſt, welchen der Lappe nun - mehr eine Renthierbruſt nennt. Aus dem Blute wird Suppe bereitet, und erſt wenn dieſe fertig445Das Renthier.iſt, geht es an ein Zertheilen des Schlachtviehs. Der Kopf, der Hals, der Rücken, die Seiten, die Bruſt werden von einander abgetrennt und dann an ein Gerüſt gehängt, außer dem Bereiche der Hunde. Etwa noch ausfließendes Blut ſammelt man in Gefäßen. Bei fernerem Zertheilen ſchneidet man die Sehnen ſorgfältig heraus, weil ſie ſpäter Zwirn und Rockſchnüre geben ſollen. Das Mark dient als beſonderer Leckerbiſſen. Der Hausvater beſorgt ebenſowohl das Schlachten, wie die Zube - reitung der Speiſe, koſtet dabei von Zeit zu Zeit ganz gehörig, ſo daß er bereits vor dem Mahle ge - ſättigt ſein könnte; ißt hierauf noch ſoviel, als ſein Magen aufnehmen kann, und nun erſt kommen die Kinder und ſchließlich die Hunde daran. Zu ſolchen Renthierſchmäuſen werden auch die umwoh - nenden Lappen eingeladen; und während des Septembers gibt es daher eine Völlerei nach der anderen.

Mancherlei Seuchen richten oft große Verheerungen unter den Renthieren an, und außerdem trägt das rauhe Klima das Seinige dazu bei, daß ſich die Herden nicht ſo vergrößern, als es, der Fruchtbarkeit des Ren angemeſſen, ſein könnte. Junge und zarte Kälber erliegen der Kälte oder leiden von den heftigen Schneeſtürmen, ſo daß ſie, vollkommen ermattet, der Herde nicht mehr folgen können; ältere Thiere können bei beſonders tiefem Schnee nicht mehr hinlänglich Nahrung finden, und wenn der Lappe unter ſolchen Umſtänden ſich auch weidlich bemüht, ihnen in den Wäldern einige Aeßung zu verſchaffen, wenn er auch die mit Flechten reich behangenen Bäume niederſchlägt: er kann der Herde doch nicht das hinlängliche Futter bieten! Sehr ſchlimm iſt es, wenn zwiſchen dem Schneefall einmal Regen eintritt und der Schnee dadurch eine harte Kruſte erhält. Eine ſolche verwehrt den Renthieren, durch Wegſchlagen der Schneedecke zu ihrer Aeßung zu gelangen. Dann entſteht oft große Noth unter den Lappen, und Leute, welche nach dortigen Volksbegriffen als reich gelten, werden unter ſolchen Umſtänden manchmal in einem einzigen Winter arm. Sie legen ſich nun auf Renthierdiebſtahl und kommen dadurch in Fehde mit anderen Renthierbeſitzern, von denen ſie, bei der That ertappt, ohne Umſtände todtgeſchlagen werden.

Der Renthierdiebſtahl iſt unter den Lappen ſehr verbreitet. Man kann dieſen rohen Gebirgs - kindern Schätze von Gold zur Aufbewahrung übergeben und darf ſicher ſein, daß auch nicht das Geringſte davon verſchwindet; man braucht nirgends Thür und Thor zu ſchließen vor den in der Nähe der Gehöfte weidenden Lappen; denn Golddiebe gibt es unter ihnen ebenſowenig, als unter dem größten Theile der Norweger: aber den Renthierdiebſtahl können ſie nicht laſſen. Der Vogd von Tana, welchem ich ſehr viele werthvolle Nachrichten über das merkwürdige Volk und ſein Treiben verdanke, hatte oft Gelegenheit, Lappen immer wegen Diebſtahls, und zwar wiederholt zu beſtrafen. Wenn er den Leuten vorſtellte, wie unrecht es wäre, ſich an fremdem Eigenthum zu vergreifen und wie thöricht ſie an ſich ſelbſt handelten, indem ſie ſich der goldenen Freiheit beraubten, hörte er ſtets nur die eine Antwort: Ja, Herr, das wiſſen wir wohl, daß es unrecht iſt, Renthiere zu ſtehlen: aber ſie ſchmecken gar zu gut! Wir können das Stehlen nicht laſſen; es iſt uns unmöglich, ein fremdes Renthier zu ſehen, ohne es uns anzueignen. Dieſes Sichaneignen geſchieht übrigens auch zuweilen in der beſten Abſicht. Wenn die Lappen ihre Renthiere ſammeln, kommt es ihnen zunächſt gar nicht darauf an, ob ſie Thiere zuſammentreiben, welche zu ihrer Herde gehören, oder ob ſie fremde zur Herde vereinigen. Die nächſtwohnenden Renthierbeſitzer kommen verabredetermaßen an einer gewiſſen Oertlichkeit zuſammen; jeder tauſcht ſich dann die ihm gehörigen und von ihm gezeich - neten Thiere aus und gelangt ſo wieder zu ſeinem Eigenthum.

Der geſammte Nutzen, welchen die zahmen Renthiere ihrem Beſitzer bringen, würde, auf un - ſere Verhältniſſe übertragen, gar nicht zu berechnen ſein. Alles, Alles, was das Thier erzeugt, wird verwendet; nicht blos das Fleiſch und die Milch, ſondern auch jeder einzelne Theil des Lei - bes. Die noch knorpeligen Hörner werden ebenſogern gegeſſen, wie die des Elenthieres in gleichem Zuſtande; aus den weichen Fellen der Renthierkälber fertigt man ſich die Kleider; das Wollhaar wird geſponnen und verwebt; aus den Knochen macht man ſich allerlei Werkzeuge; die Sehnen be - nutzt man zu Zwirn u. dgl. Außerdem muß daß Thier auch noch, namentlich während des Winters,446Die Hirſche. Das Renthier.die ganze Familie und ihr Hab und Gut von einem Ort zum anderen ſchaffen. Jn Lappland benutzt man das Ren hauptſächlich zum Fahren und weniger zum Laſttragen, weil letzteres den Thieren, ihres ſchwachen Kreuzes wegen, ſehr beſchwerlich fällt. Die Tunguſen und Koräken aber reiten auch auf den ſtärkeren Renhirſchen, indem ſie dem Thiere den Sattel gerade über die Schulterblätter legen und ſich mit abſtehenden Beinen auf das ſonderbare Reitthier ſetzen, durch alle Künſte ſich Gleichgewicht haltend. Jn Lappland reitet Niemand auf Renthieren, und blos die ſtärkſten Böcke oder Renochſen , wie die Norweger ſagen, werden zum Fahren benutzt. Man bezahlt tüchtige Zug - thiere gern mit 8 bis 12 Species oder 12 bis 18 Thalern unſeres Geldes, während die gewöhn - lichen Renthiere höchſtens 4 bis 6 Thaler koſten. Kein Ren wird vorher zum Zuge abgerichtet; man nimmt ohne viel Umſtände ein beliebiges, ſtarkes Thier aus der Herde und ſpannt es vor den höchſt paſſenden, der Natur des Landes und dem Renthiere durchaus entſprechenden Schlitten. Dieſer iſt von dem bei uns gebräuchlichen freilich ganz verſchieden und ähnelt vielmehr einem Bote. Er beſteht aus ſehr dünnen Birkenbrettern, welche von einem breiten Kiel an botartig gekrümmt an einander genagelt werden und ſo eine botartige Mulde bilden, deren Vordertheil bedeckt iſt. Ein ſenkrecht ſtehendes Brett am Hintertheile dient zur Rückenlehne, ein ſtarkes Oes am Vordertheile als Deichſel. Selbſtverſtändlich kann blos ein einziger Mann in einem ſolchen Botſchlitten ſitzen, und nothwendigerweiſe muß er die Beine gerade vor ſich hin ausſtrecken: da nun aber der Schlitten mit Renthierfellen ausgefüttert iſt, ruht man ſehr bequem und warm in dieſer ſon - derbaren Stellung. Für das Gepäck oder für zu befördernde Waare hat man Schlitten, welche oben mit Schiebedeckeln verſchloſſen werden können, den anderen aber ſonſt ganz ähnlich ſind. Gewöhnlich fährt ein Lappe mit dem Leitrenthier dem Reiſenden voraus, um den Weg zu prüfen, denn ſelbſtverſtändlich geht es in gerader Richtung über die weiße Decke hinweg, ohne genau zu wiſſen, welchen Grund ſie verhüllt. Auf Felſen und Seen werden Birkenreiſer längs beider Seiten der Bahn geſteckt, um Alle aufzufordern, denſelben Weg zu benutzen und ihn glatt und feſt zu fahren. Drei bis vier Schlitten hinterdrein enthalten Gepäck und Lebensmittel für den Reiſenden, unter Umſtänden auch Renthierflechten für die Thiere: und ſo beſteht der volle Reiſezug gewöhnlich aus ſechs Schlitten.

Das Geſchirr iſt ſehr einfach. Es iſt eigentlich nur ein breites Stück Fell, welches zuſammen - genäht iſt, damit es auf allen Seiten weich wird. Dieſes rundliche Band endigt in zwei dicke Knöpfe, welche beim Anſchirren durch eine Schlinge, das Ende des Zugſeiles, geſteckt wird. Letz - teres läuft zwiſchen den Vorderbeinen hindurch und ſollte auch längs des Bauches fortlaufen, wird aber von dem Renthier gewöhnlich überſprungen und kommt dann hinten bald auf die rechte, bald auf die linke Seite des Thieres zu liegen. Am Schlitten wird eine Schleife durch das Oes am Vor - derende geſteckt und an ihr das Zugſeil befeſtigt. Der Zügel iſt ſehr einfach; er endigt in eine Schlinge, welche dem Renthiere um das Maul gelegt und durch ein zweites Band, das hinter dem Geweih verläuft, befeſtigt wird. Man lenkt ein Zugthier, indem man den Zügel mit einiger Kraft bald auf die linke, bald auf die rechte Seite ſeines Rückens wirft. Ein gutes Renthier legt mit dem Schlitten in einer Stunde eine norwegiſche Meile oder 18,000 Ellen zurück; es zieht bis 9 Wog oder 288 Pfund, wird aber gewöhnlich nur mit 4 bis 5 Wog belaſtet. Jm Sommer ver - wendet man es in Norwegen nicht zum Zuge.

Zu dieſen eigenen Erfahrungen will ich noch die Bemerkungen anderer Reiſenden hinzufügen, um das Bild zu vervollſtändigen. Die Koräken ſpannen anſtatt eines Ren deren zwei an und fahren zuweilen in einem Zuge 10 bis 12 Meilen weit: dann ermüden ihre Zugthiere aber derart, daß ſie oft genug liegen bleiben würden, wenn man nicht die Vorſicht gebrauchte, ſie noch vor dem Ende ſchnell abzuſchlachten. Sind die Thiere ſehr ermüdet, ſo werfen ſie ſich auf den Boden nieder und bleiben eine Zeitlang erſchöpft und regungslos auf der Erde liegen; dann pflegen die Samo - jeden unterhalb des Schwanzes eine Ader zu öffnen. Wenn man ſtarke, gut ausgefütterte Ren - thiere ſchont, d. h. ſie nur morgens und abends einige Stunden ziehen, mittags und nachts aber447Das Renthier. Der Damhirſch.weiden läßt, kann man erſtaunlich große Strecken mit ihnen durchreiſen, ohne ſie zu Grunde zu richten oder auch nur zu ermüden.

Alle Verſuche, welche man bisher gemacht hat, das Ren auch nach ſüdlicheren Gegenden zu verpflanzen, ſind immer geſcheitert; dennoch unterliegt es keinem Zweifel, daß auf den Hochgebirgen Renthiere gedeihen würden. Jn unſeren Thiergärten freilich befinden ſich die nordiſchen Fremdlinge ſehr unwohl. Man ſucht ihnen wohl die kühlſten Orte anzuweiſen, kann ihnen aber eine ihrer noth - wendigſten Lebensbedingungen, einen großen Raum, natürlich nicht gewähren. Jm Herbſt von Lappland eingeſchiffte und raſch nach Deutſchland gebrachte Renthiere würden ſich im Winter jeden - falls ſehr wohl befinden und auf den Gebirgen bald heimiſch machen. Schon in den Thiergärten hal - ten die Renthiere jahrelang aus und pflanzen ſich auch fort, um wie viel beſſer würden ſie z. B. auf den Alpen oder auf unſerem Rieſengebirge gedeihen. Der eine Verſuch zur Einbürgerung, welchen man in Deutſchland bisjetzt gemacht hat, iſt nicht maßgebend. Sechs von den im Jahre 1804 für den kaiſerlichen Thiergarten zu Schönbrunn angekauften Renthieren gingen ſchon auf der weiten und lang - weiligen Reiſe zu Grunde, und nur zwei langten im Dezember ganz entkräftet dort an. Sie hatten ſich aber ſehr bald wieder erholt, vielleicht, weil man ihnen nur die Renthierflechte und einige Arten Baumflechten zur Nahrung reichte. Als jedoch die Wärme, ſagt Fitzinger, dem ich dieſe Nach - richten entlehne, gegen Ende April des Jahres 1805 zugenommen hatte, gewahrte man, daß ſie allmählich ihre frühere Munterkeit verloren und auch bedeutend ſchwächer wurden. Um ſie am Leben zu erhalten, beſchloß man, den Verſuch zu machen, ſie in die ſteiermärkiſchen Alpen zu ſenden, damit ſie ſich dort während des Sommers erholen könnten. Zu dieſer Reiſe waren ſie noch ſtark genug, und jedes einzelne erforderte, obgleich beide Thiere ſehr zahm waren, zwei ſtarke Männer, welche alle Mühe hatten, die widerſpenſtigen Thiere zu bändigen und aus ihrem bereits gewohnt gewordenen Aufenthaltsorte zu entfernen. Jhre Anhänglichkeit an die Leute, welche ſie pflegten, war ſo groß, daß ſie ſich ſträubten, ſie zu verlaſſen, und ſolange ſie dieſelben erblickten, immer wieder zu ihnen zurückkehrten und bei ihnen Schutz ſuchten, ſo daß die Wärter endlich gezwungen waren, ſich zu ver - ſtecken, damit die Thiere ſich der Gewalt fügten und willig fortführen ließen. An ihrem Beſtim - mungsort der Alpen, zu Neuberg angelangt, ſchienen ſie zwar anfangs wieder geſund und wieder munterer zu werden, doch hielt dieſer Zuſtand der Beſſerung nicht lange an; denn das kleine und ſchwache Weibchen ſtarb bereits zu Ende des Auguſts. Das ſtärkere Männchen hatte ſich den Winter über wieder erholt, begann aber im Sommer des folgenden Jahres abermals zu kränkeln. Man wollte deshalb verſuchen, es in die höheren Alpen, in die Gegend von Mariazell zu bringen; dieſer Verſuch kam aber nicht zur Ausführung, da das Thier ſchon im September deſſelben Jahres dem Tode erlag.

An das Ren reiht ſich naturgemäß der Damhirſch (Dama Platyceros) an. Die Kenn - zeichen ſeiner Sippe liegen in den unten runden, zweiſproſſigen Geweihſtangen, welche ſich oben zu einer verlängerten Schaufel mit Randſproſſen erweitern.

Viele Naturforſcher nahmen an, daß das Damwild urſprünglich blos dem Süden und na - mentlich den Mittelmeerländern angehörte, nach und nach aber mehr nach Norden hin verbreitet wurde. Dieſer Anſicht ſteht entgegen, daß man, wie Wagner angibt, in den altdeutſchen Grä - bern zwiſchen Schlieben und Wittenberg, viele Reſte des Damwildes gefunden hat. Jedenfalls alſo müßte die Einführung in unſerer Gegend in früheſter, vorgeſchichtlicher Zeit geſchehen ſein. Ekk - hard, ein Mönch zu St. Gallen, führt in einem um das Jahr 1000 geſchriebenen Werke den Dam - hirſch als jagdbares Wild auf; andere Schriftſteller des Mittelalters gedenken ſchon weißer Dam - hirſche als Jagdthiere, welche in Thüringen und Heſſen nicht ſelten ſind. Allerdings liebt das Damwild mehr gemäßigte, als kalte Gegenden, und iſt aus dieſem Grunde in den Mittelmeer - ländern am häufigſten. Schon die alten Schriftſteller erwähnen es als einen ſtändigen Bewohner448Die Hirſche. Der Damhirſch.ihrer Heimat, Ariſtoteles unter dem Namen Prox, Plinins unter dem Namen Platyceros. Gegenwärtig iſt dieſes nette Wild in unſeren Thiergärten vielleicht noch häufiger, als in Spanien, Frankreich und Jtalien; am gemeinſten aber dürfte es in England ſein, wo es in den Parks der großen Herren in Maſſe gezogen wird. Hügeliges Land, in welchem ſanfte Thäler mit niederen An - höhen abwechſeln, Haine, Feldhölzchen und Laubwaldungen, wo der Boden mit kurzem Gras be - wachſen iſt, ſagen dem Damwild beſonders zu; es iſt für die Parks wie geſchaffen, und man kann ſich auch nicht leicht eine höhere Zierde ſolcher großen Anlagen denken, als eben den Damhirſch, welcher, wie Manche ſagen, ſeinen Namen davon tragen ſoll, daß er das Wildpret der Damen iſt.

Der Damhirſch ſteht ſeinem edlen Verwandten an Größe bedeutend nach. Seine Länge beträgt

Der Damhirſch (Dama Platyceros).

von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel oder zum Wedel 4 Fuß 10 Zoll, die Höhe faſt 3 Fuß. Haupthirſche ſind 5 Fuß und darüber lang und gegen 3 Fuß hoch, hinten noch 2 bis 3 Zoll mehr. Von dem Edelwild unterſcheidet ſich das Damwild durch die kürzeren und minder ſtarken Läufe, den verhältnißmäßig ſtärkeren Körper, den kürzeren Hals, das kürzere Gehör und durch den längeren Wedel, ſowie auch durch die Färbung. Keine unſerer heimiſchen Wildarten zeigt ſoviele Abänderungen in der Färbung, wie der Damhirſch, ebenſowohl nach der Jahreszeit, als nach dem Alter. Jm Sommer ſind die Oberſeite, die Schenkel und die Schwanzſpitze braunröthlich, die Unter - ſeite und Jnnenſeite der Beine dagegen weiß; ſchwärzliche Ringe umranden Mund und Augen; die Rückenhaare ſind weißlich am Grunde, in der Mitte rothbraun und ſchwarz an der Spitze. Jm Winter449Der Damhirſch.wird die Oberſeite an Kopf, Hals und Ohren braungrau, auf dem Rücken und an den Seiten ſchwärzlich, die Unterſeite aſchgrau, manchmal ins Röthliche ziehend. Eben nicht ſelten ſind ganz weiße, welche ihre Farbe zu keiner Jahreszeit wechſeln und ſich im Winter nur durch das längere Haar auszeichnen. Manche Hirſche tragen in der Jugend auch ein gelbliches Kleid; ſehr ſelten kommen aber ganz ſchwarz gefärbte vor.

Hinſichtlich ſeiner Bewegung und Lebensweiſe ähnelt das Damwild dem Edelhirſch außer - ordentlich. Die Sinne beider Thiere ſtehen auf gleicher Stufe, und an Schnelligkeit, Sprungkraft und Gewandtheit gibt das Damwild dem Edelhirſch kaum Etwas nach. Jn der Bewegung aber unterſcheiden ſich beide; denn das Damwild hebt im Trollen die Läufe höher und ſpringt in nicht ganz voller Flucht nach Art der Ziegen ſatzweiſe mit allen vier Läufen zugleich, den Wedel trägt es dabei erhoben, während es ihn, wenn es krank iſt, nach unterwärts krümmt. Sein Gang hat etwas ſehr Anmuthiges; es trollt mit großer Leichtigkeit und ſpringt über eine ſechs Fuß hohe Wand. Unter Umſtänden ſchwimmt es auch gut. Jmmer thut es ſich auf ſeine vier Läufe nieder, nie - mals auf die Seite. Beim Niederknien fällt es zuerſt auf die Vorderläufe, beim Aufſtehen hebt es ſich zuerſt mit den Hinterläufen. Die Aeßung beider Hirſcharten iſt ganz dieſelbe; doch ſchält das Damwild mehr, als das Rothwild, und gerade hierdurch wird es ſchädlich. Sehr auffallend iſt es, daß unſer Wild ſich zuweilen mit giftigen Pflanzen äßt, deren Genuß ihm den Tod bringt. So gingen in einem Thiergarten in Preußen einmal ganze Trupps von Damwild ein, wie ſich heraus - ſtellte, nur in Folge der Aeßung von giftigen Schwämmen.

An ſeinem Stand hält das Damwild ſehr feſt. Es bildet größere oder kleinere Trupps, welche ſich vor der Brunſtzeit verſtärken, dann aber wieder vertheilen; denn im Sommer leben die ſtarken Hirſche einzeln, die Schaufler aber mit den Schmalthieren und Kälbern vereinigt. Um die Mitte des Oktobers ſuchen die Damhirſche ihre Rudel auf und treiben die Spießer und geringen Hirſche vom Rudel ab, ſie hierdurch zwingend, wenig zählende Trupps unter ſich zu bilden; ſobald aber die ſtärkeren Hirſche gebrunſtet haben, erſcheinen die ſchwächeren augenblicklich wieder beim Rudel. Die Damhirſche ſind um die Brunſtzeit ſehr erregt. Sie rufen des Nachts laut, und Gleichſtarke kämpfen heftig mit einander um die Thiere. Jn Thiergärten duldet man blos drei - oder vier - jährige Schaufler, weil die älteren ſo kampfluſtig ſind, daß dadurch die Fruchtbarkeit weſentlich beeinträchtigt wird. Ein Hirſch genügt ungefähr acht Thieren; aber auch ſchon Spießer ſind im Stande, fruchtbar zu beſchlagen. Nach ungefähr vierzehn Tagen iſt die Brunſt vorüber.

Das Schmalthier geht acht Monate hochbeſchlagen, dann ſetzt es, gewöhnlich im Juni, ein Kalb, ſeltener deren zwei. Das Kalb iſt in den erſten Tagen ſeines Lebens ſehr unbehilflich und muß deshalb von den Alten ſorgfältig beſchützt und gehütet werden. Kleinere Raubthiere, welche ein Gelüſt nach dem bunten Kälbchen zeigen, treibt die Mutter durch Schlagen mit den Vorder - läufen ab; vor größeren Raubthieren geht ſie langſam dahin, um ſie von dem Platze abzulocken, wo ihr Kind verborgen ruht, entflieht dann eiligſt und geht unter unzähligen Haken und Widergängen nach dem alten Platze zurück. Wenn das Damhirſchkalb ſechs Monate iſt, zeigen ſich bei dem männlichen Erhebungen auf dem Roſenſtock, aus welchen zu Ende des nächſten Februars Hörner her - vortreten, die ſich bis zum Fegen im Auguſt zu fünf Zoll langen Spießen ausgebildet haben. Nun heißt das Kalb ein Spießer; im zweiten Jahr wird ein Gabler daraus; im dritten Jahr aber treten kurze Augenſproſſen und auch wohl bei recht guter Aeßung an jeder Stange ein oder zwei kurz abgeſtumpfte Enden hervor, welche im folgenden Jahr ſich noch mehr zu vermehren pflegen. Erſt im fünften Jahre beginnt die Bildung der Schaufeln, welche mit der Zeit ebenſowohl an Größe zunehmen, als auch mehr und mehr Randſproſſen erhalten. Geweihe recht alter Damhirſche ſind oft ſehr ſchön und 14 bis 18 Pfund ſchwer. Solche alte Hirſche heißen Schaufler, gute und Hauptſchaufler, je nach der Größe ihres Geweihes, jüngere nennt man Hirſche vom zwei - ten und dritten Kopf. Aus dem Kalb weiblichen Geſchlechts wird, wenn es ein Jahr alt iſt, ein Schmalthier, und wenn es zum erſten Male gebrunſtet hat, ein Altthier. DieBrehm, Thierleben. II. 29450Die Hirſche. Der Damhirſch.alten Hirſche werfen im Mai ab, die Spießer erſt im Juni; gewöhnlich nicht beide Stangen zu gleicher Zeit, wohl aber im Verlauf von zwei bis drei Tagen. Schon nach weiteren acht Tagen erheben ſich die Kolben wieder; aber die Haut auf ihnen, ein gelber, ſpärlich mit Haaren bedeckter Baſt, iſt ſo empfindlich, daß ſich der Hirſch ängſtlich verbirgt. Bis zum Auguſt ſind die Stangen ausgebildet.

Der Tritt des Damwildes iſt vorn mehr zugeſpitzt und verhältnißmäßig länger, als der des Rothwildes; er ähnelt am meiſten der Fährte einer Ziege, iſt aber ſelbſtverſtändlich um vie - les ſtärker.

Man jagt das Damwild entweder in großen Treiben oder auf Pirſchgängen; auch iſt, weil es ſehr genau Wechſel hält, der Anſtand lohnend. Beim Pirſchgang muß man vorſichtiger, als bei der Jagd einer anderen Wildart ſein, weil das Damwild äußerſt aufmerkſam iſt. Am leichteſten iſt ihm anzukommen, wenn man in Geſellſchaft eines Gefährten ſeinen Weg trällernd oder pfeifend dahin wandelt, ſich aber dabei auf einer oder der anderen Seite unmerklich heranzieht. Jn gehöriger Büchſenſchußweite bleibt dann der Schütze, welcher ſich durch einen Baumſtrauch oder auf andere Weiſe gedeckt hat, ſtehen, während der Begleiter immer trällernd oder pfeifend ſeinen Weg fortſetzt, bis der Erſte geſchoſſen hat.

Mir iſt es manchmal gelungen, ſagt Dietrich aus dem Winckell, einige ſtarke Dam - wildſtücke, welche auf einem großen, freien Platz ſtanden, auf folgende Art zu täuſchen. An einem Ort, wo das Wild mich nicht gewahr werden konnte, zog ich Rock und Weſte aus und ließ das Untertheil des Hemdes ſo über die Beinkleider herabhängen, daß es einer Fuhrmannskutte glich. Die Büchſe in der Hand ging ich meinen Weg fort. Das Wild faßte mich ſogleich ins Auge und be - wies durch mancherlei Bewegungen, daß es nicht ganz ruhig ſei. Jch machte einen neuen Verſuch, mich ihm, während ich fortſang, tanzend und ſpringend zu nähern; auch das Wild machte allerhand muntere Bewegungen, ohne aber flüchtig zu werden, bis mein Schuß aus Spaß Ernſt machte und nach demſelben ein Stück zuſammenbrach.

An ein einzeln äßendes Stück kann man ſich ziemlich leicht heranſchleichen, falls man den Wind gut wahrnimmt. Vor Pferden und Fuhrwerken hält es eben faſt immer aus; wenn es aber einmal ſcheu geworden iſt, flüchtet es bei der geringſten Gefahr auf große Entfernungen.

Die Haut des Damwildes wird, ihrer Dehnbarkeit und Weiche halber, mehr geſchätzt, als die des Edelwildes. Das Wildpret iſt ſehr lecker, am beſten vom Juli bis zur Mitte des Septem - bers, wo der Hirſch viel Feiſt auflegt. Geltthiere ſind ſehr gut, und das Wildpret der Spießer, Schmalthiere und Kälber iſt höchſt ſchmackhaft. Nur wenn die Brunſtzeit herannaht, nimmt das Wildpret des Hirſches einen Bockgeruch an; deshalb darf auch in dieſer Zeit kein Damwild erlegt werden.

Für Thiergärten eignet ſich ein Stand dieſes Wildes vortrefflich. Auf funfzig Morgen Land kann man ſechzig Stück halten und davon jährlich acht Stück abſchießen. Tücke und Bosheit ſind dem Damwild fremd. Es iſt immer munter und zum Scherzen aufgelegt und nur bei ſtürmiſcher Witterung unſtät und unruhig. Dieſelben Eigenſchaften behält es in der engeren Gefangenſchaft, an welche es ſich leicht gewöhnt. Jung eingefangene, mit Kuh - oder Ziegenmilch aufgezogene Kälber werden ungemein zahm und können dahin gebracht werden, daß ſie ihren Herrn wie ein Hund auf dem Fuße nachlaufen. Für Muſik ſcheint das Damwild eine ganz beſondere Liebhaberei an den Tag zu legen, ſelbſt das freilebende kommt, wenn es die Töne des Hornes vernimmt, näher und näher, um zuzuhören. Männliche Damhirſche werden in der Gefangenſchaft, wenn die Brunſtzeit herannaht, manchma[l]böſe; ſie ſind aber zu ſchwach, als daß ſie dem Menſchen erheblichen Schaden zufügen könnten.

451Der Edelhirſch.

Bei den eigentlichen Hirſchen (Cervus) tragen blos die männlichen Glieder Geweihe, deren Aeſte rund ſind. Von den mehr oder weniger zahlreichen Sproſſen ſind mindeſtens drei nach vorwärts ge - richtet; Augen - und Mittelſproſſen ſind immer vorhanden, weniger häufig die Eisſproſſen. An der Außenſeite des Mittelfußes befinden ſich Haarbüſchel. Die Thränengruben ſind deutlich. Bei alten Männchen (ſeltener auch bei ſehr alten Weibchen) treten die Eckzähne im Oberkiefer über die anderen weit hervor.

Eine der ſtattlichſten und edelſten Geſtalten dieſer Gruppe, für uns die wichtigſte aller Arten, iſt der Edelhirſch (Cervus Elaphus). Ohngeachtet ſeiner großen Schlankheit iſt er doch kräftig und

Der Edelhirſch (Cervus Elaphus).

ſchön gebaut, und dabei iſt ſeine Haltung eine ſo edle und ſtolze, daß er ſeinen Namen mit vollſtem Rechte führt. Seine Leibeslänge beträgt etwas über 7 Fuß, die des Schwanzes faſt einen halben Fuß, die Höhe am Widerriſt Fuß und die am Kreuz ein Paar Zoll weniger. Das Thier iſt be - deutend kleiner und gewöhnlich auch anders gefärbt. Hinſichtlich der Größe bleibt unſer Edelhirſch nur hinter dem Wapiti und dem perſiſchen Hirſche zurück; die übrigen bekannten Arten übertrifft er. Er hat einen geſtreckten, in den Weichen eingezogenen Leib mit breiter Bruſt und ſtark hervortretenden Schultern, einen geraden und flachen Rücken, welcher am Widerriſt etwas erhaben und am Kreuz vor -29 *452Die Hirſche. Der Edelhirſch.ſtehend gerundet iſt, einen langen, ſchlanken, ſeitlich zuſammengedrückten Hals, und einen langen, am Hinterhaupt hohen und breiten, nach vorn zu ſtark verſchmälerten Kopf; die Stirne iſt flach, zwiſchen den Augen ausgehöhlt, der Naſenrücken gerade; die Lippen ſind nicht überhangend, die Augen mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglichrund. Die Thränengruben ſtehen ſchräg ab - wärts gegen den Mundwinkel zu, ſind ziemlich groß und bilden eine ſchmale, längliche Einbuchtung, an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Maſſe abgeſondert wird, welche das Thier ſpäter durch Reiben an den Bäumen auspreßt. Das Geweih des Hirſches ſitzt auf einem kurzen Roſenſtocke auf und iſt einfach veräſtelt, vielſproſſig und aufrechtſtehend. Von der Wurzel an beugt ſich die Stange in einem ziemlich ſtarken Bogen der Stirn gleichgerichtet nach rückwärts und auswärts; oben krümmt ſie ſich wieder in ſanften Bogen nach einwärts und kehrt dann ihre Spitzen etwas gegen ein - ander. Unmittelbar über der Naſe entſpringt auf der Vorderſeite der Stange die Augenſproſſe, welche ſich nach vor - und aufwärts richtet; dicht über derſelben tritt die kaum minder lange und dicke Eisſproſſe hervor; in der Mitte der Stange wächſt die Mittelſproſſe heraus und am äußeren Ende bildet ſich die Krone, welche ihre Zacken ebenfalls nach vorn ausdehnt, aber je nach dem Alter oder der Eigenthümlichkeit des Hirſches manchfaltigem Wechſel unterworfen iſt. Die Stange iſt überall rund und mit zahlreichen theils geraden, theils geſchlängelten Längsfurchen durchzogen, zwiſchen denen ſich in der Nähe der Wurzel längliche oder rundliche, unregelmäßige Knoten oder Perlen bil - den. Die Spitzen der Enden ſind glatt. Mittelhohe, ſchlanke, aber doch kräftige Beine tragen den Rumpf und gerade, ſpitze, ſchmale und ſchlanke Hufe umſchließen die Zehen; die Afterklauen ſind länglichrund, an der Spitze flach abgeſtutzt und gerade herabhängend; ſie berühren aber den Boden nicht. Der Schwanz iſt kegelförmig gebildet und nach der Spitze zu verſchmälert. Ein feines Woll - und ein grobes Grannenhaar deckt den Leib und liegt ziemlich glatt und dicht an. Jm Sommer wird es dünner und kürzer, im Winter ſtärker und länger; am Vorderhals verlängert es ſich oft bedeutend. Die Oberlippe trägt drei Reihen dünner, langer Borſten; ähnliche Haargebilde ſtehen auch über den Augen. Nach Jahreszeit, Geſchlecht und Alter ändert die Färbung des Rothwilds. Jm Winter ſind die Grannen mehr graubraun, im Sommer mehr röthlichbraun; das Wollhaar iſt aſchgrau mit bräunlicher Spitze. Am Maul fällt das Haar ins Schwärzliche, um den After herum ins Gelbliche. Nur die Kälber zeigen in den erſten Monaten weiße Flecken auf der rothbraunen Grundfarbe. Man - cherlei Farbenänderungen kommen vor, indem die Grundfarben manchmal ins Schwarzbraune, manchmal ins Fahlgelbe übergehen. Hirſche, welche weiß auf farbigem Grunde gefleckt, oder voll - kommen weiß ſind, gelten als eine ſehr ſeltene Erſcheinung.

Da der Edelhirſch des Jägers liebſtes Wild iſt, wird es Niemand wunder nehmen, daß die Waidmannsſprache nicht nur für ihn, ſondern auch für alle ſeine Leibestheile und für jede ſeiner Be - wegungen, ja für alle Verhältniſſe zwiſchen ihm und dem Menſchen eigene Worte erfunden hat. Jn früheren Zeiten wurde deren Nichtkenntniß oder Mißachtung mit einer ſehr eigenthümlichen Strafe belegt, und heute noch zieht ſolche Nichtachtung jedem Unkundigen ein Lächeln des echten Jägers zu. Der männliche Hirſch heißt Hirſch, Edelhirſch oder Rothhirſch, der weibliche Thier, Roth - thier und Stück Wild, das Junge Kalb; mit Rückſicht des Geſchlechtes aber Hirſch - oder Wildkalb. Das Hirſchkalb wird, nachdem es das erſte Jahr vollendet hat, Spießer genannt, mit dem zweiten Jahr erhält es den Titel Gabelhirſch oder Gabler, im dritten Jahr Sechsender u. ſ. f., je nach der Zahl der Enden oder Sproſſen des Geweihes. Wenn dieſes ganz regelmäßig gebildet erſcheint, iſt der Hirſch ein gerader Ender, wenn eine Stange nicht genau wie die andere iſt, ein ungerader. Erſt wenn der Hirſch 12 Enden hat und 300 Pfund wiegt, wird er ein jagdbarer oder guter Hirſch genannt; mit zehn Enden iſt er noch ein ſchlecht jagdbarer. Ein ſehr alter und ſtarker, guter Hirſch heißt Kapitalhirſch; er trägt ein gutes, braves, prächtiges Gewicht oder Geweih. Ein ſtarker und großer Hirſch ſieht gut aus, ein magerer, ſchlecht aus am Leibe: ſchöne, dicke, große oder kleine, magere, ſchmächtige Hirſche gibt es nicht für den Jäger. Einen irgendwie unvollkommenen Hirſch nennt man einen Kümmerer. 453Der Edelhirſch.Der Hirſch hat auch kein Fleiſch, ſondern Wildpret, kein Blut, ſondern Schweiß, kein Fett, ſondern Feiſt; ſeine Beine heißen Läufe, die Schultern Blätter, die Schenkel Keulen, der Unterrücken Ziemer, die Dünnungen Flanken, die Luftröhre Droſſel, der Kehlkopf Droſſel - knopf, der Schwanz Blume, die Augen Lichter, die Ohren Gehör, die Hörner Geweih, das Fell Haut, die Gedärme Geſcheide, die inneren Theile Lunge, Geräuſch oder Gelünge, der After Weideloch, die Hufe Schalen, die Afterklauen Oberrücken oder Geäfter, das Euter Geſäuge. Eine Geſellſchaft Edelwild heißt ein Trupp oder ein Rudel, und auch hierbei unter - ſcheidet man einen Trupp Hirſche von einem Trupp Wild.

Das Edelwild ſteht in einem Reviere, ſteckt in einem Theile deſſelben, wechſelt auf einem beſtimmten Weg hin und her, zieht auf die Aeßung oder zu Holz, tritt aus dem Holz auf die Fel - der oder Gehaue; es geht vertraut, wenn es im Schritt läuft, trollt oder trabt, iſt flüchtig, wenn es rennt, es fällt über Jagdzeuge oder ins Garn, es thut ſich nieder, wenn es ruht, es löſet ſich, wenn es ein natürliches Bedürfniß befriedigt. Der Hirſch orgelt oder ſchreit, das Thier mahnt (beide klagen, wenn ſie bei Verwundungen aufſchreien), es verendet, wenn der Tod in Folge von Verwundung entſteht, oder fällt und geht ein, wenn es einer Krankheit unterliegt; es brunſtet oder brunftet; das Thier geht hochbeſchlagen und ſetzt ein Kalb. Bei guter Aeßung wird das Hochwild feiſt, bei magerer ſchlecht; der Hirſch ſetzt ſein Geweih auf und vereckt es oder bildet es vollkommen aus; den Baſt, welcher an ihm ſitzt, fegt er ab; die abfal - lenden Stücke ſind das Gefege. Das Urtheil eines Waidmanns über den Hirſch heißt der Anſpruch ꝛc.

Noch gegenwärtig bewohnt das Edelwild faſt ganz Europa, mit Ausnahme des höchſten Nor - dens, und einen großen Theil Aſiens. Jn Europa reicht ſeine Nordgrenze etwa bis zum 65., in Aſien bis zum 55. Grad nördlicher Breite; nach Süden hin bilden der Kaukaſus und die Gebirge der Mandſchurei die Grenzen. Jn allen bevölkerten Ländern hat es ſehr abgenommen oder iſt gänzlich ausgerottet worden, ſo in der Schweiz und einem großen Theile von Deutſchland, wo es ſich blos noch in den mittelhohen und waldreichen Gebirgen vorfindet. Am häufigſten iſt es noch in Polen, Galizien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Siebenbürgen, Kärnthen, Steiermark und Tyrol; viel häufiger aber, als an allen dieſen Orten, findet es ſich in Aſien, namentlich im Kaukaſus. Es liebt mehr gebirgige, als ebene Gegenden und vor allem große, zuſammenhängende Waldſtrecken, am liebſten Laubhölzer. Hier ſchlägt es ſich zu größeren oder kleineren Trupps zuſammen, welche nach dem Alter und Geſchlecht geſondert ſind: die alten Thiere, die Kälber, Spießer, Gabler und Schmal - thiere bleiben gewöhnlich vereinigt; die älteren Hirſche bilden kleine Trupps für ſich, und die ſtarken oder Kapitalhirſche leben einzeln, bis zur Brunſtzeit, wo ſie ſich mit den übrigen Trupps vereinigen. Jm Winter ziehen ſich die Trupps von den Bergen zur Tiefe zurück, im Sommer ſteigen ſie bis zu den höchſten Spitzen der Mittelgebirge empor; im allgemeinen aber hält das Edelwild an ſeinem Stand treulich feſt, ſo lang es ungeſtört leben kann, und nur in der Brunſtzeit oder beim Aufſetzen der neuen Geweihe und endlich bei Mangel an Aeßung verändert es ſeinen alten Wohnort. Der Schnee treibt es im Winter aus den höheren Gebirgen in die Vorberge herab und das weiche Geweih nöthigt es in ſehr niederem Gebüſch oder im Holze, wo es an den Zweigen nicht anſtreicht, ſich auf - zuhalten. Wird der Wald ſehr unruhig, ſo zieht es ſich zuweilen in die Getreidefelder zurück.

Den Tag über liegt das Rothwild in ſeinem Bett verborgen; gegen Abend zieht es auf Aeßung aus, im Sommer früher, als im Winter. Nur in Gegenden, wo es ſich völlig ſicher weiß, äßt es ſich zuweilen auch bei Tage. Beim Ausgehen nach Aeßung pflegt es in raſchem Trabe ſich zu bewe - gen oder zu trollen; der Rückzug am Morgen dagegen erfolgt langſam; deshalb nennen ihn die Jäger: den Kirchgang. Auch wenn die Sonne bereits aufgegangen iſt, verweilt es noch in den Vor - hölzern; denn der Morgenthau, welcher auf den Blättern liegt, iſt ihm unangenehm; ihn will es erſt abtrocknen laſſen.

454Die Hirſche. Der Edelhirſch.

Alle Bewegungen des Edelwilds ſind leicht, zierlich und anſtandsvoll; namentlich der Hirſch zeichnet ſich durch ſeine edle Haltung aus. Der gewöhnliche Gang fördert hinlänglich; im Trollen bewegt ſich das Wild ſehr ſchnell und im Lauf mit faſt unglaublicher Geſchwindigkeit. Beim Trollen ſtreckt es den Hals weit nach vorn, im Galopp legt es ihn mehr nach rückwärts. Ungeheure Sätze werden mit ſpielender Leichtigkeit ausgeführt, Hinderniſſe aller Art ohne Bedenken überwunden, im Nothfall breite Ströme, ja ſelbſt in Norwegen oft genug Meeresarme ohne Beſinnen über - ſchwommen. Den Jäger feſſelt jede Bewegung des Thieres, jedes Zeichen, welches es bei der Spur zurückläßt, oder welches überhaupt von ſeinem Vorhandenſein Kunde gibt. Schon ſeit alten Zeiten ſind alle Merkmale, welche den Hirſch bekunden, genau beobachtet worden. Der geübte Jäger lernt nach kurzer Prüfung mit unfehlbarer Sicherheit aus der bloſen Fährte, ob ſie von einem Hirſch oder von einem Thier herrührt; er ſchätzt nach ihr ziemlich richtig das Alter des Hirſches. Die Anzeichen werden gerechte genannt, wenn ſie untrüglich ſind, und der Jäger ſpricht nach ihnen den Hirſch an. Die Alten kannten 72 ſolcher Zeichen; Dietrich aus dem Winckell glaubt, daß man dieſe auf 27 herabſetzen kann. Jch will nur einige von dieſen anführen. Der Schrank oder das Schränken beſteht darin, daß, wenn der Hirſch feiſt iſt, die Tritte des rechten und linken Laufes nicht gerade hinter, ſondern neben einander kommen; an der Weite des Schrittes erkennt man die Schwere des Hirſches. Der Schritt kennzeichnet den Hirſch, weil die Eindrücke der Füße weiter von einander ſtehen, als bei dem Thier; ſchreitet er weiter, als Fuß aus, ſo kann er ſchon ein Geweih von zehn Enden tragen. Der Burgſtall oder das Grimmen iſt eine kleine, gewölbte Erhebung in der Mitte des Trittes, der Beitritt, der Eindruck des Hinterlaufes neben dem Tritt des Vorderlaufes; er gehört dem feiſten Hirſch an. Der Kreuztritt entſteht, wenn der Hirſch ſoweit ausſchreitet, daß der Tritt des Hinterlaufes in den zu ſtehen kommt, welchen der Vorderlauf zurückließ: das Thier geht niemals in dieſer Weiſe. Das Ballenzeichen bildet ſich, wenn die Ballen an allen vier Tritten ausgedrückt ſind, das Blenden, wenn der Hirſch mit der Hinterſchale faſt genau in die Vorderfährte tritt. Die Stümpfe deuten auf die ſtumpfere Form der Schale des Hirſches, während die eines alten Thieres ſpitzer ſind. Das Fädlein iſt ein kleiner, ſchmaler, erhabener Längsſtrich zwiſchen den beiden Schalen, das Jnſigel, ein von der Schale abgeworfener Ballen Erde, welchen der Hirſch bei feuchtem Wetter aufgenommen hat, der Abtritt, ein Eindruck auf Raſen, welcher die Halme abgeſchnitten hat (das Thier zerquetſcht ſie blos), der Einſchlag, die Pflanzenblätter und Halme, welche der Hirſch zwiſchen den Schalen aufnahm und auf harten Boden fallen ließ, der Schloßtritt, der erſte Eindruck, welchen der Hirſch macht, wenn er ſich aus dem Bett erhebt ꝛc. Zu dieſen gerechten Zeichen kommen nun noch die Himmelsſpur, d. h. die Merkmale, welche der Hirſch beim Fegen an Bäumen zurückgelaſſen hat u. a. m. Man ſieht aus dieſen Angaben, wie genau die Jäger das Edelwild beobachten; denn man muß nur bedenken, welche lange Erfahrung dazu gehört, um mit Sicherheit ſagen zu können, daß dieſe Zeichen nur vom Hirſch, nicht aber vom Thiere herrühren können. Für den Ungeübten dürfte es ſchwer ſein, ſelbſt wenn er die Schritte des Hirſches und des alten Thieres neben einander geſehen hat, ſie ein paar Schritte davon wieder zu unterſcheiden.

Unter den Sinnen des Edelwilds ſind Gehör, Geruch und Geſicht vorzüglich ausgebildet, wie jeder Jäger oft genug zu ſeinem Aerger erfahren muß. Es wird allgemein behauptet, daß das Wild auch in Entfernungen von vier - bis ſechshundert Schritt einen Menſchen wittern kann, und nach Dem, was ich an dem Renthier beobachten konnte, wage ich nicht mehr, an jener Behauptung zu zweifeln. Auch das Gehör iſt außerordentlich ſcharf; ihm entgeht nicht das geringſte Geräuſch, wel - ches im Walde laut wird. Manche Töne ſcheinen einen höchſt angenehmen Eindruck auf das Roth - wild zu machen: ſo hat man beobachtet, daß es ſich durch die Klänge des Waldhorns, der Schalmei und der Flöte oft herbeilocken oder wenigſtens zum Stillſtand bringen läßt.

Wahrſcheinlich iſt das Edelwild deshalb ſo furchtſam, weil es erfahrungsmäßig den Menſchen als ſeinen ſchlimmſten Feind kennt und deſſen Furchtbarkeit würdigen gelernt hat. An Orten, wo es455Der Edelhirſch.ſich des Schutzes vollkommen bewußt iſt, wird es ſehr zutraulich. Jm Prater bei Wien ſtehen be - ſtändig ſtarke Trupps der herrlichen Geſchöpfe; ſie haben ſich an das Heer der Luſtwandelnden voll - kommen gewöhnt und laſſen, wie ich aus eigener Erfahrung verſichern kann, ohne Scheu einen Mann bis auf dreißig Schritte an ſie herankommen. Einer dieſer Hirſche war nach und nach ſo kühn gewor - den, daß er dreiſt zu den Wirthſchaften kam, zwiſchen den Tiſchen umherging und die ſchönen Hände der Damen beleckte, ſie hierdurch bittend, ihm, wie es gewöhnlich geworden war, Zucker oder Kuchen zu verabreichen. Dieſes prächtige Thier, welches Niemand etwas zu Leide that, der es gut mit ihm meinte, dagegen aber jedem Neckluſtigen oder Böswilligen ſofort das Geweih zeigte, ver - endete auf eine klägliche Weiſe. Bei einer ungeſchickten Bewegung verwickelte es ſich mit den Sproſſen ſeines Geweihes in eine durchlöcherte Stuhllehne, warf beim Aufrichten den darauf Sitzen - den unſanft zu Boden, erſchrak hierüber, bohrte die Sproſſen noch feſter in den Stuhl ein, wurde durch dieſe unfreiwillige Bürde aufs äußerſte entſetzt, und raſte nun mit höchſter Wuth in den Parkanlagen umher, machte alle übrigen Hirſche ſcheu und ſtürzte wie unſinnig auf die Vorüber - gehenden los, ſo daß man endlich traurigen Herzens es erſchießen mußte. Bei den Futterplätzen wird das Edelwild oft überraſchend zahm. Jn Deſſau, ſagt Dietrich aus dem Winckell, ſtehen an jeder der beiden Fütterungen 70, 80 und mehrere Hirſche. Haben ſie ſich, um beſondere Aeßung zu ſuchen, davon entfernt, ſo kann ſie der Jäger mit dem Pferde gemächlich näher treiben. Hat er dann Heu auf die Raufen geſteckt und Hafer oder Eicheln in kleinen Häufchen auf dem Erd - boden herumgeſtreut, ſo kommen ſie, dem wiederholten Rufe: Komm Hirſch! zufolge, heran und ſind ſo ruhig bei der Aeßung, daß der ihnen bekannte Jäger unter deuſelben herumreiten, auch zuweilen einige mit den Händen berühren kann. Dies Schauſpiel, an welchem mehrere Zuſchauer ganz in der Nähe Theil nehmen dürfen, gewährt gewiß jedem Jagdliebhaber ein hohes Vergnügen.

Anders verhält es ſich, wenn der Hirſch in einen engen Raum geſperrt wird, oder wenn die Brunſtzeit eingetreten iſt, welche ſein ganzes Weſen verändert. Dann wird er oft durch die geringſte Kleinigkeit gereizt und nimmt auch den Menſchen an. Die Neigung hierzu bemerkt man an einem gewiſſen Zuſammenrümpfen des Obermaules und an der Sternrichtung der funkelnden Lichter; plötz - lich biegt er den Kopf herab, richtet die Spitzen der Augenſproſſen gerade auf ſeinen Feind und fährt mit ſoviel Schnelligkeit auf denſelben los, daß man nur ſchwer entkommen kann. Allerdings geſchieht es verhältnißmäßig ſelten, daß ein Hirſch ſeinen Gegner angreift, indeß ſind doch eine ziemliche An - zahl derartiger Fälle aufgemerkt worden. Aeltere Jagdbücher wiſſen von gar vielen Hirſchen zu erzählen, welche Menſchen, oft ohne Veranlaſſung, angriffen und verwundeten oder umbrachten. Anno 1637, erzählt von Flemming in ſeinem Teutſchen Jäger , wurden auf dem Schloß Hartenſtein täglich ein junger Hirſch und eine arme Magd aus der Hof Küche geſpeiſet. Jm Herbſt trifft der Hirſch das arme Menſch im Walde an und ſtößt es todt. Er wurde aber, ehe ſie begraben worden, erſchoſſen und vor die Hunde geworfen. Jn Thiergärten, wo die Hirſche ihre angeborne Schen vor dem Menſchen nach und nach verlieren, werden ſie viel gefährlicher, als im freien Walde. Lenz ſah einen Hirſch auf dem Kallenberg bei Koburg, welcher ſchon zwei Kinder getödtet hatte und ſelbſt auf den Fütterer lebensgefährlich losſtieß, wenn dieſer ihm kein Futter mehr geben wollte. Da der vierbeinige Wütherich, ſo erzählt unſer Gewährsmann, gerade kein Geweih, und ſtatt deſſen nur weiche Kolben hatte, alſo an ſich ſchon weniger gefährlich war, ſo bat ich den Wärter, Futter zu holen, dies in kleinen Gaben meiner linken Hand zu überliefern, die rechte aber mit einem guten Knüppel zu bewaffnen. Jch fütterte nun den Hirſch. So oft eine Gabe alle war, trat er zurück, um Anlauf zu nehmen, zuckte boshaft mit der Naſe, ſah mich ſchief und wüthend an, wich aber jedes Mal, wenn ich die Waffe drohend ſchwang, und kam dann ganz getroſt wieder, wenn die neue Futtergabe ſich zeigte. Jn Gotha ſtieß ein zahmer Hirſch ſeinen ſonſt ſehr von ihm geliebten Wärter in einem Anfall von Bosheit durchs Auge ins Gehirn, daß der Arme augenblicklich todt zur Erde ſank; in Potsdam mordete ein ganz zahmer weißer Hirſch ſeinen Verſorger, mit welchem er im beſten Einverſtändniß lebte, auf gräßliche Weiſe. Aehnliche Fälle ließen ſich noch viele aufführen 456Die Hirſche. Der Edelhirſch.Das Thier kennt derartige Bosheiten gar nicht, ſein offener und ſanfter Blick iſt der treue Spiegel ſeines Jnneren. An Klugheit ſteht es aber durchaus nicht hinter dem Hirſch zurück, wie ſchon daraus hervorgeht, daß immer ein Thier das Rudel leitet. Von dem Benehmen dieſes Thieres hängen alle Bewegungen der Geſammtheit ab, ſelbſt in der Brunſtzeit noch, ſolange das Rudel nicht vom Hirſch geleitet wird: gerade die ſtärkſten Hirſche erſcheinen im Trupp immer zuletzt.

Ueber die Fortpflanzung des Edelwilds hat Dietrich aus dem Winckell ſo hübſch berichtet, daß ich es vorziehe, anſtatt meiner eigenen Worte, die jenes alten, berühmten Jägers zu gebrauchen.

Die Brunſtzeit des Edelwilds, ſagt er, fängt mit Eintritt des Monats September an und dauert bis zur Mitte Oktobers.

Schon gegen Ende des Auguſts, wenn die Hirſche am feiſteſten ſind, erwachen in den ſtärk - ſten die Triebe zur Brunſt. Sie äußern Dies durch ihr Schreien ein Laut, der dem Jäger ange - nehm, dem muſikaliſchen Ohr aber nichts weniger als ſchmeichelnd iſt welches macht, daß ihnen gleich anfangs der Hals anſchwillt. Denſelben Ort, wo der Hirſch einmal gebrunſtet hat, wählt er, ſolange das Holz nicht abgetrieben wird, da, wo er Ruhe hat, in den folgenden Jahren immer wie - der. Solche Stellen nennt man Brunſtplätze. Jn der Nachbarſchaft derſelben zieht ſich dann auch das Wild in kleine Trupps zu 6, 8, 10 bis 12 Stück zuſammen, verbirgt ſich aber, vielleicht aus Gefallſucht, vor dem Brunſthirſche. Dieſer trollt unaufhörlich mit zu Boden geſenkter Naſe umher, um zu wittern, wo es gezogen iſt und ſteht. Findet er noch ſchwache Hirſche oder Spießer dabei, ſo vertreibt er ſie und bringt ſich in den Beſitz der Alleinherrſchaft, welche er von nun an mit der größten Strenge ausübt. Keine der erwählten Geliebten darf ſich nur auf 30 Schritte weit ent - fernen; er treibt ſie ſämmtlich auf den gewählten Brunſtplatz.

Hier, von ſoviel Reizen umgeben, vermehrt ſich der Begattungstrieb ſtündlich; aber noch im - mer weigern ſich wenigſtens die jüngeren Spröden, die Schmalthiere, welche er unausgeſetzt herum - jagt, ſo daß der Platz ganz kahl getreten wird.

Abends und morgens ertönt der Wald vom Geſchrei der Brunſthirſche, welche ſich jetzt kaum den Genuß des nöthigen Geäßes und nur zuweilen Abkühlung in einer benachbarten Suhle oder Quelle, wohin die Thiere ſie begleiten müſſen, geſtatten. Andere, weniger glückliche, Nebenbuhler beantworten neidiſch das Geſchrei. Mit dem Vorſatz, Alles zu wagen, um durch Tapferkeit oder Liſt ſich an die Stelle jener zu ſetzen, nahen ſie ſich. Kaum erblickt der beim Wilde ſtehende Hirſch einen anderen, ſo ſtellt er ſich, glühend vor Eiferſucht, ihm entgegen.

Jetzt beginnt ein Kampf, welcher oft einem der Streitenden, nicht ſelten beiden, das Leben koſtet. Wüthend gehen ſie mit geſenktem Gehörn auf einander los, und ſuchen ſich mit bewunderns - würdiger Gewandtheit wechſelsweiſe anzugreifen oder zu vertheidigen. Weit erſchallt im Walde das Zuſammenſchlagen der Geweihe, und wehe dem Theile, welcher aus Altersſchwäche oder ſonſt zufällig eine Blöße gibt! Sicher benutzt dieſe der Gegner, um ihm mit den ſcharfen Ecken der Augenſproſſen eine Wunde beizubringen. Man hat Beiſpiele, daß die Geweihe beim Kampfe ſich ſo feſt in einander verſchlungen hatten, daß der Tod beider Hirſche die Folge dieſes Zufalls war, und auch dann ver - mochte keine menſchliche Kraft, ſie ohne Verletzung der Enden zu trennen. Oft bleibt der Streit ſtundenlang unentſchieden. Nur bei völliger Ermattung zieht ſich der Beſiegte zurück; der Sieger aber findet ſeinen Lohn im unerſättlichen, immer wechſelnden Genuß von Gunſtbezeugungen der Thiere, welche wer kann es beſtimmen, ob nicht mit getheilter Theilnahme dem Kampfe zu - ſahen. Während deſſelben gelingt es zuweilen ganz jungen Hirſchen, ſich auf kurze Zeit in den Beſitz der Rechte zu ſtellen, um welche jene ſich mit ſo großer Hartnäckigkeit ſtreiten, indem ſie ſich an das Wild heranſchleichen und Das genießen, was ihnen ſonſt erſt drei Wochen ſpäter, wenn die Starken, ganz entkräftet, die Brunſtplätze verlaſſen, zu Theil wird. Zum Beſchlag ſelbſt bedient der Hirſch ſich nur eines ſehr kurzen Zeitraums.

Das Thier gehört nicht zu den Geſchöpfen, welche nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, wenn der Gatte ſich ſteten Wechſel erlaubt! Es ſucht ſich ſo oft als möglich für den Zwang ſchadlos zu hal -457Der Edelhirſch.ten, welchen ihm die eiferſüchtigen Grillen deſſelben auflegen. Sonſt ſchrieb man ihm ſoviel Ent - haltſamkeit zu, daß man behauptete, es trenne ſich unvermerkt vom Hirſche, ſobald es ſich hochbe - ſchlagen fühle; neuere Beobachtungen haben das Gegentheil bewieſen.

Vierzig bis einundvierzig Wochen geht das Thier tragend. Es ſetzt, je nachdem es, während der Brunſt, zeitig oder ſpät hochbeſchlagen wurde, zu Ende des Mais oder im Monat Juni ein Kalb, ſelten zwei.

Wenn die Setzzeit herannaht, ſucht es Einſamkeit und Ruhe im dichteſten Holze. Die Kälber ſind in den erſten drei Tagen ihres Lebens ſo unbeholfen, daß ſie ſich nicht von der Stelle bewegen. Man kann ſie ſogar mit der Hand aufnehmen.

Nur ſelten und auf kurze Zeit verläßt ſie in dieſer Zeit die Mutter, und ſelbſt wenn ſie ver - ſcheucht wird, entfernt ſie ſich nur ſoweit, als nöthig iſt, um durch vorgegebene Flucht die wirkliche oder eingebildete Gefahr abzuwenden. Und dieſen Zweck ſucht ſie, vorzüglich wenn ein Hund oder Raubthier ſich naht, mit vieler Schlauheit zu erreichen. Trotz ihrer ſonſtigen Furchtſamkeit, flieht ſie nicht eher und nicht ſchneller, als ſie muß, um zu entkommen, weil ſie weiß, daß Dies das beſte Mittel iſt, die Aufmerkſamkeit des Feindes vom Kalbe ab und auf ſich zu ziehen, und ihn, indem er ihr mit Eifer folgt, irre zu führen. Kaum iſt er gänzlich entfernt, ſo eilt ſie an den Ort zurück, wo ſie ihren Liebling verließ.

Nachdem das Kalb nur eine Woche überlebt hat, würde die Mühe vergeblich ſein, es ohne Netze fangen zu wollen. Ueberall folgt es nun der Mutter und drückt ſich ſogleich im hohen Graſe, wenn dieſe ſich meldet, d. h. einen Laut des Schreckens von ſich gibt; oder mit dem Vorderlaufe ſchnell und ſtark auf den Boden ſtampft. Es beſaugt das Thier bis zur nächſten Brunſtzeit, und wird von dieſem über die Wahl der ihm dienlichen Aeßung von Jugend auf belehrt.

Von nun an beginnt das wechſelreiche Leben des Edelwilds. Das Wildkalb iſt bereits im drit - ten Jahr erwachſen, das Hirſchkalb braucht eine Reihe von Jahren, ehe es ſich alle Rechte der Allein - herrſchaft erobert hat. Jm ſiebenten Monat ſeines Alters ſetzt es zum erſten Male auf, und von nun an wechſelt es ſeinen Hauptſchmuck in jedem Jahr. Jch halte es für ſehr belehrend, einen kurzen Ueberblick der Veränderungen, welche das Hirſchkalb durchmacht, hier zu geben, und will mich dabei an Blaſius halten, welcher dieſen Gegenſtand im naturwiſſenſchaftlichen Sinne behandelt hat. Es reicht beim Hirſch noch weniger aus, als beim Rehbock, die Zahl der Enden jagdmäßig zu beſtimmen, um die Reihe der allmählichen Entwickelung zu bezeichnen. Wenn auch in der Zahl der Enden oft eine Unregelmäßigkeit des Fortſchritts bemerkt wird und ſogar die Hirſche nicht ſelten wieder zurückſetzen, findet doch eine ſtrenge Geſetzmäßigkeit in der Reihenfolge der Entwickelung ſtatt, und die Beſtimmung einer ſolchen Entwickelungsreihe bringt die Zahl der Enden nicht ſo oft in Widerſpruch mit der Stärke des Geweihes der Hirſche, als die jagdmäßige Zählung. Für eine natur - geſchichtliche Betrachtung erſcheint die Geſtalt der Geweihe von viel größerer Wichtigkeit, als die Zahl der Enden. Bei der Zählung der Enden kommt ihre Stellung wieder vielmehr in Betracht, als die Zahl ſelber. Nur diejenigen Enden ſind von Bedeutung, welche mit der Hauptſtange in Berührung kommen, alle Verzweigungen, entfernt von der Hauptſtange, können nur als zufällige, keine we - ſentlichen Veränderungen des Bildungsgeſetzes bedingende Abweichungen angeſehen werden ...... Die Hauptſtange hat anfangs nur eine einzige, gleichmäßige und ſchwache Krümmung; dann erhält ſie eine plötzliche, knieförmige Biegung an der Stelle, wo die Mittelſproſſe entſteht, nach rückwärts, während die Spitze immer nach innen gerichtet bleibt. Eine zweite knieförmige Biegung erhält ſie in der Krone des Zwölfenders: ſie biegt ſich wieder rückwärts und macht am Fuße der Krone einen Winkel, eine dritte tritt beim Vierzehnender, eine vierte beim Zwanzigender immer höher hinauf in der Krone ein, während die Spitze oder Außenſeite ſich nach innen kehrt. Jede dieſer Biegungen bleibt für alle folgenden Entwickelungsſtufen als Grundlage. Ebenſo auffallend iſt die Veränderung der Augenſproſſe im Verlauf der Entwickelung. Zuerſt ſteht ſie ziemlich hoch, ſpäter tritt ſie der Roſe immer näher. Anfangs macht ſie mit der Hauptſtange einen ſpitzen Winkel, ſpäter vergrößert458Die Hirſche. Der Edelhirſch.ſich dieſer immermehr. Aehnliche Veränderungen gehen die Mittelſproſſe, die Eisſproſſe und die Krone ein. Der Spießhirſch trägt ſchlanke und zertheilte Hauptſtangen mit gleichmäßiger Krümmung nach außen, ohne alle knieförmige Biegung; die Spitzen ſind wieder nach innen gerichtet. Der Gabelhirſch hat an einer entſprechenden Hauptſtange ſchwache, aufwärts ſtrebende, von der Roſe ſehr entfernte Augenſproſſen. Beim Sechsender hat die im Ganzen noch ähnlich gebogene Hauptſtange, gegen die Mitte eine plötzliche, knieförmige Biegung; ihre beiden Hälften verlaufen in untergeordne - ten, nach hinten gekrümmten Bogen; an dem nach vorn gekehrten Knie ſteht die aufſtrebende, ſchwache Mittelſproſſe; die Augenſproſſe hat ſich mehr geſenkt. Sowie an einer Stange, kann auch an beiden die Mittelſproſſe fehlen, dann hätte man der Form nach einen Sechsender, der jagdmäßig als Gabel - hirſch zählen würde; fehlt auch die Augenſproſſe, ſo hätte man einen Spießer, den man der Form nach als Sechsender anſprechen müßte. Beim Achtender tritt eine Endgabel zur Augen - und Mittel - ſproſſe, welche ſtärker und mehr ſenkrecht geſtellt ſind. Auch hier ſind die Nebenſproſſen oft nur durch die Winkelbildung der Hauptſtange angedeutet: man kann der Form nach Achtender haben, welche nur jagdmäßig als Sechsender angeſprochen werden dürften. Beim Zehnender tritt zum erſten Male die Eisſproſſe oder zweite Augenſproſſe auf; ſie kann aber auch durch eine bloſe ſcharfe Kante an der Hauptſtange angedeutet ſein: dann hat man Achtender, die als Zehnender angeſprochen werden müſſen. Nun kann auch die äußere Gabelſproſſe verkümmern: dann hat man Sechsender, anſtatt der Zehnender; ja es kann vorkommen, daß auch die Mittelſproſſe verkümmert und man hat Gabel - hirſche, welche thierkundlich als Zehnender angeſprochen werden müſſen. Beim Zwölfender zeigt ſich zum erſten Male die Krone. Die Hauptſtange tritt rückwärts knieförmig heraus, mit der Spitze nach innen gekehrt. Hier liegen zuerſt nicht mehr alle Enden in einer und derſelben gleichmäßig ge - krümmten Fläche; das Ende der Hauptſtange macht durch die zweite knieförmige Biegung eine Ausnahme. Es tritt mit den beiden Enden der Gabel des Horns von der unzertheilten Ober - hälfte der Hauptſtange in einem und demſelben Punkt hervor, und Dies bedingt das Gepräge der Krone. Hier treten oft Verkümmerungen auf. Am häufigſten fehlen die Eisſproſſen: dadurch entſtehen die ſogenannten Kronzehnender, welche mit vollem Rechte thierkundlich als Zwölfender angeſprochen werden; es fehlt auch die äußere Nebenſproſſe der Gabel, der Gipfel des Geweihes iſt dann wieder eine Gabel: allein die Enden liegen noch in einer und derſelben gleichmäßig gekrümmten Fläche: auch ſolche Zehnender müſſen als Zwölfender gelten. Die Verkümmerung kann ſo weit gehen, daß Hirſche jagdmäßig als Sechsender angeſprochen werden, welche, thierkundlich be - trachtet, Zwölfender ſind; ſolche Geweihe ſind aber ſelten. Am Vierzehnender bildet die nach hinten gerichtete Spitze des Zwölfenders wieder eine regelmäßige Gabel, d. h. es tritt nach außen eine Nebenſproſſe an ihr hervor; hierdurch bildet ſich eine zweite Gabel hinter der erſten, deren Theilung etwas höher, als die der vorderen Gabel ſtattfindet. Dieſe Doppelgabel kennzeichnet die Krone des Vierzehnenders; fehlt ſolchem Geweih die Eisſproſſe, ſo wird der Hirſch jagdmäßig als Zwölfender angeſprochen u. ſ. f. Jn der Krone des Sechszehnenders biegt ſich die Hauptſtange hinter der Doppel - gabel des Vierzehnenders aufs neue zurück, wendet aber die Spitze wieder nach innen; die fünffache Krone des Achtzehnenders entwickelt die Spitze der Hauptſtange des Sechszehnenders und wieder eine Rebenſproſſe nach außen: hierdurch entſteht eine dreifache Gabel über und hinter einander, von vorn nach hinten allmählich höher anſteigend; ſie, mit der doppelten Biegung der Hauptſtange kennzeichnet den Achtzehnender. Beim Zwanzigender biegt ſich hinter der dreifachen Kronengabel des Achtzehn - enders die Hauptſtange aufs neue knieförmig nach rückwärts, die Krone zählt alſo ſieben Enden und drei knieförmige Biegungen. Die Krone des Zweiundzwanzigenders würde vier Kronengabeln hinter einander und eine dreifache knieförmige Biegung in der Hauptſtange einer Krone haben ꝛc. Jn dieſen Zügen liegt die regelrechte Entwickelungsreihe angedeutet, und der Zuſammenhang der Geſtalt und Zahl iſt unverkennbar; die Form der Geweihe erſcheint als Hauptſache, als das Bedingende, die Zahl der Enden ſchließt ſich der Form als das Unweſentliche, Bedingte an. Alle Abweichungen ſind für den Thierkundigen nebenſächlich; auch ſolche, wo die Nebenſproſſen ſich ungewöhnlich zertheilen;459Der Edelhirſch.denn ſolche Zertheilung kann jede Verzweigung der Hauptſtange treffen und ins Unbegrenzte fort - gehen. Sie zeigen ſich nicht ſelten in den Enden der Kronen von ſehr alten Hirſchen und kommen auch häufig an der Mittelſproſſe vor. So kommt es, daß in den Augen des Naturforſchers die hohe Endenzahl vieler berühmten Geweihe, z. B. des Sechsundſechszigenders auf der Moritzburg, der vom Kurfürſten Friedrich III. 1696 bei Fürſteuwalde geſchoſſen wurde, ſehr gewaltig zuſammenbricht. Mehr als 20 regelrechte Enden ſind wohl ſehr ſelten vorgekommen; Achtzehnender ſieht man ſchon in jeder mäßig großen Sammlung, und unter den lebenden Hirſchen kommen Sechszehnender noch im - mer nicht ſelten vor. Bei reichlicher Aeßung geſchieht es, daß die Hirſche bei neuen Aufſätzen Ge - weihe von ſechs und zehn Enden überſpringen; noch häufiger aber kommt das Wiederholen der Endenzahl und ebenſo oft das Zurückſetzen auf eine geringere Endenzahl vor. Jn dieſer Be - ziehung bildet der Zehnender eine auffallende Grenze. Ein Hirſch, der einmal eine Krone getragen hat, ſetzt nie weiter, als auf einen regelmäßigen Zehnender zurück.

Jn gewiſſer Hinſicht iſt es auffallend, daß jeder geſunde Hirſch ſein Geweih in eben der Form und Stellung wieder aufſetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts oder rückwärts ſtand, bekommt es auch in der Folge wieder eben dieſelbe Geſtalt, und wenn die Augenſproſſe oder Eisſproſſe, oder andere Enden eine beſondere Biegung machen, erſcheint dieſe in gleicher Weiſe beim nächſten Aufſetzen. Einige Jäger, welche Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hat - ten, behaupten ſogar, daß gewiſſe Eigenthümlichkeiten der Geweihe ſich der Nachkommenſchaft durch viele Geſchlechter hindurch vererben. Sie verſichern, daß ſie gewiſſe Familien ſofort am Geweih zu erken - nen vermöchten. Daß auch die Oertlichkeit auf Bildung des Geweihes Einfluß hat, dürfte kaum zu bezweifeln ſein. Die Hirſche der Donauinſeln z. B. tragen, ſo ſchwach von Wildpret ſie auch ſind auffallend vielendige Geweihe: Vierundzwanzigender unter ihnen gehören nicht zu beſonderen Seltenheiten, obſchon die Geweihe nicht ſo ſchwer als bei Berghirſchen ſind.

Das Gewicht, welches das Geweih erreichen kann, iſt ſehr verſchieden; bei ſchwachen Hirſchen wiegt es 14 bis 18, bei ſehr ſtarken 32 bis 36 Pfund.

Die Feinde des Edelwilds ſind der Wolf, der Luchs und der Vielfraß, ſeltener der Bär. Wolf und Luchs dürften wohl die ſchlimmſten genannt werden. Der erſtere verfolgt bei tiefem Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere ſpringt ihm von oben herab auf den Hals, wenn es, Nichts ahnend, vorüberzieht. Der ſchlimmſte Feind aber iſt und bleibt unter allen Umſtänden der Menſch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen Weiſe verfolgt und tödtet, als früher. Jch glaube hier von der Jagd abſehen zu dürfen, weil eine genaue Beſchreibung derſelben uns zu weit führen dürfte und man darüber, wenn man ſonſt will, in anderen Büchern nachſchlagen kann. Gegenwärtig iſt dieſes edle Vergnügen ſchon außerordentlich geſchmälert worden, und die meiſten der jetzt lebenden Jäger von Beruf haben keinen Hirſch geſchoſ - ſen: ſolches Wild bleibt für vornehmere Herren aufgeſpart. Es gilt jetzt ſchon in vielen Gegenden als große Seltenheit, wenn einmal ein Hirſch erlegt wird; ſogar die Zeitungen erwähnen einen der - artigen Vorfall! Es mag wohl eine recht luſtige Zeit geweſen ſein, in welcher die Grünröcke noch die liebe deutſche Büchſe faſt ausſchließlich handhabten und in den glatten Schrotgewehren nur ein nothwendiges Uebel erblickten! Mit großartigem Schaugepränge zog man zu den Jagden hinaus, und gar fröhlich und luſtig ging es zu, zumal dann, wenn Einer oder der Andere von den Sonntags - ſchützen oder noch nicht ganz waidgerechten Jägern, ſich irgend ein Verſehen zu Schulden hatte kom - men laſſen und nun dafür die üblichen drei Pfunde aufgebürdet erhielt; wenn der eines Anſtoßes Ueberführte ſeinen Hirſchfänger abgeben und ſich ſelbſt quer über den geſchoſſenen Hirſch legen mußte und von einem der Waidmannen höheren Ranges mit dem Blatte des Hirſchfängers die berühmten drei Streiche unter folgenden Worten erhielt:

Das iſt für meinen Fürſten und Herrn, Das für Ritter, Reiter und Knecht, Und das iſt das edle Jägerrecht.
460Die Hirſche. Der Edelhirſch.

wenn die umſtehenden Jäger luſtig auf den Waldhörnern blieſen und unter allgemeinem Jubel - geſchrei der Betreffende dann auch noch ſich bedanken mußte! Die Zeit iſt vorüber, für immer. Es hat nur ein Mal eine deutſche Jägerei gegeben. Und wenn auch in den außerdeutſchen Ländern, wo es gegenwärtig noch Hirſche gibt, die reichen Grundbeſitzer ſich vielfach bemüht haben, ſolch ein friſch - fröhliches, männliches Treiben bei ſich einzuführen: ſie haben nicht auch gleich die deutſche Heiterkeit und Gemüthlichkeit, den deutſchen derben Witz ihren Gehilfen anlernen können, und ſo iſt all ihr Thun nur Stückwerk geblieben. Daß die großartigen Parforcejagden und andere ähnliche Anſtal - ten zur Erlegung des Edelwilds urſprünglich fremde Einrichtungen waren, erkennt Jeder leicht an ihrem, dem deutſchen Weſen ſo widerſprechenden Gepräge. Unſere Vorfahren gebrauchten nur die Büchſe zur Erlegung des Hirſches.

Auch das Edelwild wird von einigen Bremſenarten arg geplagt. Dieſe widerlichen Kerfe legen ihre Zuchten ganz in der Weiſe, wie bei dem Renthier, auf dem Wilde an, und die Schmeißbrut durchlöchert den armen Geſchöpfen faſt das ganze Fell. Auch eine Laus, welche ſich in den Haaren einniſtet, die Fliegen und die Mücken quälen das Wild in hohem Grade. Um dieſen, ihm äußerſt verhaßten Geſchöpfen zu entgehen, fuhlt es ſich oft ſtundenlang im Waſſer. Außerdem iſt das Wild manchen Krankheiten unterworfen. Der Milzbrand tritt oft ſeuchenartig auf, die Leberfäule, die Ruhr, der Zahnkrebs und die Auszehrung richten zuweilen große Verheerungen an, und in ſchlech - ten Jahren gehen auch viele Hirſche aus noch unerklärten Urſachen ein.

Jung eingefangenes Hochwild läßt ſich ſehr leicht zähmen. Die Thiere beweiſen ſich immer außerordentlich liebenswürdig und folgſam; die Hirſche aber werden, wie bereits mitgetheilt, mit zu - nehmendem Alter wild und bösartig, manche in ſo hohem Grade, daß alle Menſchen gefährdet ſind, welche ſich ihnen zu nähern verſuchen. Man hat mehrmals Verſuche gemacht, die zahmen Hirſche auch zu benutzen. Auguſt II. von Polen fuhr noch im Jahre 1739 mit einem Geſpann von acht zahmen Hirſchen umher; die Herzöge von Zweibrücken und Meiningen hatten Geſpanne, welche aus reinen, weißen Hirſchen beſtanden. Zum Reiten hat man den Hirſch ſeines ſchwachen Kreuzes halber niemals benutzt; wohl aber iſt er oft zu allerlei Kunſtſtücken abgerichtet und dann von Seiltänzern und Bereitern zur Schau geſtellt worden.

Leider iſt der Schaden, welchen das Rothwild anrichtet, viel größer, als der Nutzen, den es bringt. Nur aus dieſem Grunde iſt es in den meiſten Gegenden unſeres Vaterlandes ausgerottet worden. Wenn auch Wildpret, Decke und Geweih hoch bezahlt werden, und wenn man auch die Jagdfreude ſehr hoch anſchlagen darf: der vom Wild verurſachte Schaden wird hierdurch nicht aufge - hoben. Ein Hochwildſtand verträgt ſich mit unſeren ſtaatswirthſchaftlichen Grundſätzen nicht mehr.

Jn früheren Zeiten beſchäftigte ſich der Aberglaube lebhaft mit allen Theilen des Hirſches. Die ſogenannten Haarbeine, die Thränendrüſen, die Eingeweide, das Blut, die Geſchlechtstheile, die im Magen nicht ſelten vorkommenden Bezoare, ja ſelbſt die Loſung wurde als viel verſprechendes, aber nichtsnutziges Heilmittel in großen Ehren gehalten. Aus den Hirſchklauen verfertigte man ſich Ringe als Schutzmittel gegen den Krampf; die Hirſchzähne wurden in Gold und Silber gefaßt und von den Jägern als Amulete getragen. Von dem Leben des Thieres erzählt man ſich eine Menge Fabeln, und ſelbſt die Jäger hielten lange daran feſt, bis erſt die genauere Beobachtung den Hirſch uns kennen lehrte.

Das Edelwild hat wenige, ihm wirklich nahſtehende Verwandte. Jn Nordweſtafrika lebt eine Hirſchart, welche man unter dem Namen Cervus barbarus getreunt, aber keineswegs allſeitig als beſondere Art anerkannt hat, ſondern eher als Abart betrachten will; ſie ſcheint dem Edelwild in jeder Hinſicht am ähnlichſten zu ſein. Sodann keunt man einen ſtattlichen Hirſch aus Perſien, wel - cher mit dem unſerigen viel Uebereinſtimmendes zeigt, durch bedeutendere Größe und viel ſtärkere Nackenmähne aber ſich hinlänglich unterſcheidet (Cervus Wallichii), und endlich iſt der größte aller461Der Wapiti. Der Baraſinga.eigentlichen Hirſche, der Wapiti Nordamerikas (Cervus canadensis), hierher zu rechnen. Alle übrigen Hirſche ſtimmen wenig mit dem unſerigen überein, welcher auch ihnen gegenüber immerhin den Na - men Edelhirſch verdient. Doch gibt es einzelne Arten, welche ſich durch Schönheit des Baues we - ſentlich auszeichnen.

Unter ihnen ſteht meiner Anſicht nach der Baraſinga (Rucervus Duvaucelii) oben an. Er wird gegenwärtig mit Recht als Vertreter einer beſonderen Sippe betrachtet; denn er zeigt in der That ſehr viel Eigenthümliches. Er iſt ſchlank gebaut und hoch geſtellt; der Kopf iſt verhältniß - mäßig kurz, nach der Muffel zu piramidenförmig zugeſpitzt. Das Gehör iſt groß, namentlich auf - fallend breit, das Auge ſehr groß und ſchön; die Läufe ſind hoch, aber kräftig; der Wedel iſt kurz, beträchtlich länger, als bei unſerem Edelwild, aber nur etwa halb ſolang, als bei dem Damwild. Höchſt eigenthümlich iſt das Geweih. Es zeichnet ſich durch Breite und wiederholte Veräſtelungen aus. Jm ganzen betrachtet, hat es mit dem Schaufelgeweih des Elch einige Aehnlichkeit, obwohl ſelbſtver - ſtändlich von Schaufeln nicht geſprochen werden kann. Die einzelnen Stangen biegen ſich gleich von der Roſe an zur Seite und oben, aber nur wenig nach hinten. Hart über der Roſe ſenden ſie den ſehr langen, kräftigen, nach vorn, oben und außen gerichteten Augenſproß ab. Jm letzten Dritttheil ihrer Länge zertheilen ſie ſich in zwei faſt gleichwerthige Aeſte, welche ſich wiederum zerſproſſen. Der hin - tere dieſer Aeſte, welcher als das Ende der Stange betrachtet werden darf, wird zur Krone; er zerfällt in den ſtarken Endzacken, welcher faſt gerade nach oben und hinten gerichtet iſt, und in zwei unverhält - nißmäßig kurze Rebenſproſſen, welche nach rückwärts gekehrt ſind. Der vordere Aſt wendet ſich nach außen, oben und vorn und zertheilt ſich ebenfalls in ein einfach und doppelt getheiltes, d. h. wiederum ſproſſiges Ende, welches ſich nach vorn, unten und innen kehrt. Der im vierten Jahre ſtehende Hirſch, nach welchem ich vorſtehende Beſchreibung entworfen, iſt, waidmänniſch bezeichnet, ein Vier - zehnender. Die Behaarung iſt reich und dicht, das einzelne Haar lang und ziemlich fein; die Decke erſcheint aber ſtruppig, weil die Haare nicht gleich lang ſind. Das Gehör iſt außen kurz und gleich - mäßig, innen ſehr lang und ungleichmäßig, faſt zottig behaart. An der Wurzel iſt das einzelne Leibeshaar dunkelgraubraun, hierauf goldigbraun, an der Spitze endlich eine Linie lang wieder dunkler. Die Geſammtfärbung erſcheint im Sommer goldigrothbraun, geht aber nach unten hin durch Grau in Lichtgelb über, weil die Spitzen der Haare hier grau und bezüglich lichtgelb gefärbt ſind. Ueber den Rücken verläuft ein breiter Streifen von dunkelbrauner Färbung, welcher auch den größten Theil des lichtgelb geſpitzten Wedels einnimmt und jederſeits durch eine Reihe von kleinen goldgelben Flecken beſonders gehoben wird. Der Kopf iſt auf Stirn und Schnauzenrücken rothbraun, goldig geſprenkelt; Kopf und Schnauzenſeiten ſind grau, die Unterſeite der Schnauze, Kehle und Kinn grauweiß. Hinter der nackten Muffel verläuft ein ziemlich breites, dunkelbraunes Band, welches auf der faſt weißen Unterlippe noch angedeutet iſt. Ein zweites, wenig bemerkbares Band, gewiſſer - maßen die Fortſetzung der dunklen Brau, verläuft, nach der Muffel zu ausgeſchweift, von einem Auge zum anderen. Eigenthümlich ſind lange borſtenartige Haare, welche, einzeln ſtehend, die Muffel und das Auge umgeben. Das Gehör iſt bräunlich, auf der Außenſeite dunkel gerandet, an der Wurzel hingegen gelblichweiß; dieſelbe Färbung zeigen die Haare der Jnnenmuſchel. Bauch und Junenſchenkel ſind gelblich, die Schienbeine der Vorderläufe braungrau, die Fußwurzeln lichtfahl - grau; an den Hinterläufen ſind die Feſſeln dunkler, als die Schenkel. Die Schalen an den Hufen ſind groß und können ſehr breit geſtellt werden.

Soviel bisjetzt bekannt, bewohnt dieſes zierliche Thier ganz Hinterindien. Ob es vorzugs - weiſe im Gebirge oder aber in der Ebene gefunden wird, iſt mir nicht bekannt. Cuvier, der Entdecker, beſtimmte es nach den Geweihſtangen, welche ihm eingeſandt wurden; viel ſpäter bekam man den Hirſch ſelbſt im Balge und erſt in der Neuzeit lebend zu Geſicht. Der Earl von Derby, welcher einen der am reichſten beſetzten Thiergärten hielt, ſcheint zuerſt lebende Baraſingas beſeſſen zu haben; ſpäter kamen ſolche Hirſche nach London, und gegenwärtig ſieht man ſie in mehreren Thiergärten, obgleich überall noch ſelten. Der Baraſinga des hamburger Thiergartens ſtammt aus462Die Hirſche. Der Baraſinga. Der Aris.Siam, von wo aus er uns unmittelbar zugeführt wurde. Er kam als Schmalſpießer an, trug aber bereits ein Geweih, welches dem eines Edelgablers entſprach, da die Spieße ſchon einen Anſatz zur Theilung zeigten. Anfangs Februar warf er ab und ſetzte hierauf ein Geweih von 14 Enden, jede Stange mit Augenſproſſe und zwei ziemlich gleichmäßig entwickelten Gabeln an der Spitze. Das nächſtfolgende Geweih unterſchied ſich nur durch größere Stärke, nicht durch die Endenzahl.

Ueber die Zeit der Brunſt und die Geburt des Jungen iſt mir bisjetzt noch Nichts bekannt geworden, doch läßt ſich nach dem Aufſetzen des Geweihes ſchließen, daß gerade dieſer Hirſch mit unſerem Edel - wild ſo ziemlich die gleiche Zeit halten mag. Nach meinen Beobachtungen an unſerem Gefangenen glaube ich, daß der Baraſinga ſich vortrefflich zur Einbürgerung bei uns eignen würde. Er ſcheint unſer Klima vortrefflich zu vertragen und iſt ein ſo anmuthiges Geſchöpf, daß er jedem Park oder Wald zur größ - ten Zierde gereichen würde. Seine Haltung iſt ſtolz und etwas herausfordernd, ſein Gang zierlich, jedoch gemeſſen, ſein Betragen anſcheinend lebendiger, ich möchte ſagen muthwilliger, als das ande - rer Hirſche. Unſer Gefangener iſt ein übermüthiger Geſell, welcher ſich mit allem Möglichen verſucht. Er ſteht mit ſeinem Wärter auf dem beſten Fuße, hört auf ſeinen Namen und kommt gern herbei, wenn er gerufen wird, nimmt aber jede Gelegenheit wahr, dem Manne, mehr aus Spielluſt, als im Ernſte, einen Stoß beizubringen. Den neben ihm ſtehenden Hirſchen tritt er oft herausfordernd ent - gegen und beginnt dann durch das Gitter hindurch einen Zweikampf, ſelbſt mit den ſtärkſten. Ein weißer Edelhirſch, ihm gegenüber ein Rieſe, wurde ohne Unterlaß von ihm geneckt, gefoppt und zum Kampfe herausgefordert, ſo daß wir ihn ſchließlich verſetzen mußten, um den Baraſinga nicht zu ge - fährden. Die Stimme des letzteren iſt ein ziemlich hoher, kurzer, blöckender Ton, welcher dem Schrei einer geängſtigten jungen Ziege ſehr ähnelt, jedoch viel kürzer hervorgeſtoßen wird. Abwei - chend von anderen Hirſchen ſchreit der Baraſinga zu jeder Jahreszeit, gewiſſermaßen zu ſeiner Unter - haltung; er pflegt auch einen Anruf mit Regelmäßigkeit zu beantworten.

Unter den anderen indiſchen Hirſchen verdient zunächſt der Aris unſere Beachtung. Man hat auch ihn in der Neuzeit zum Vertreter einer beſonderen Sippe (Axis) erhoben, wohl wegen ſeines unter den Hirſchen allerdings vereinzelt daſtehenden Fleckenkleides; doch zeigt auch er im allgemeinen das Gepräge der anderen Hirſche, welche das gleiche Vaterland mit ihm bewohnen. Dabei iſt allerdings zu bemerken, daß ſein Geweih mehr dem unſeres ſechsendigen Edelhirſches ähnelt, als dem der übri - gen indiſchen Hirſche, mit denen wir uns bald beſchäftigen werden.

Der Aris (Axis maculata) iſt, ſoweit die Färbung in Betracht kommt, einer der ſchönſten, wo nicht der ſchönſte aller Hirſche. Die Geſtalt iſt geſtreckt, aber niedrig geſtellt; ſie erſcheint deshalb gedrungener, als ſie in Wirklichkeit iſt. Der Hals iſt verhältnißmäßig dick, der Kopf kurz, regel - mäßig gebaut, nach der ſchmalen und kurzen Schnauze hin gleichmäßig ſich verſchmächtigend. Das Gehör iſt mittellang, lanzettförmig, ſchmal, innen kaum, außen leicht behaart, der Wedel ziemlich lang, gerundet, kaum breiter als dick. Das Geweih iſt ſchön leierförmig. Es biegt ſich von der Wurzel ab nach hinten, außen und oben. Der Augenſproß entſpringt unmittelbar an der Roſe und wendet ſich von hier aus nach vorn, außen und oben, der Gabelſproß zweigt ſich etwa in der Mitte der Stange ab und wendet ſich nach oben und ein wenig nach hinten. Ein angenehmes Grauröthlich - braun iſt die Grundfarbe; der Rückenſtreifen iſt ſehr dunkel, auf dem Widerriſt faſt ſchwarz; Kehle, Gurgel, Bauch und Jnnenſeite der Läufe ſind gelblichweiß, die Außenſeite der Läufe gelblichbraun. Sieben Reihen weißer Flecken auf jeder Seite, welche ziemlich unregelmäßig geſtellt ſind, bilden die Zeichnung. Jn der unterſten Reihe ſtehen die Flecken ſo dicht zuſammen, daß ſie ſich längs der Weichen und auf den Hinterſchenkeln zu einem faſt ununterbrochenen Bande vereinigen. Der Kopf und die Seiten des Unterhalſes ſind ungefleckt. Ueber den Stirntheil der Schnauze verläuft, hufförmig nach vorn ſich biegend, eine dunkle Binde von einem Auge zum anderen; auch die Mitte des ſonſt lichten Scheitels463Der Aris.pflegt dunkler zu ſein. Die braune Binde hinter der Muffel iſt ſchmal und wird von dieſer durch einen dreieckigen Flecken von gelblicher Farbe getrennt. Der Wedel iſt auf der Außenſeite licht - braun, auf der unteren weiß, welche Färbung zum Vorſchein kommt, ſobald er erhoben wird. Die Jnnenſeite der Keule iſt ziemlich reinweiß. Das Gehör iſt außen graubraun, an der Wurzel unbe - deutend lichter, als in der Mitte.

Auf allen Ebenen Oſtindiens und den benachbarten Jnſeln lebt der Aris in großer Anzahl, bei Tage wohl verſteckt in den Rohrwaldungen und im Graſe der ſteppenartigen Gegenden, nachts in ſtarken Rudeln umherſchweifend und ſich äßend. Er bildet einen Gegenſtand der eifrigſten Jagd der

Der Axis (Axis maculata).

Eingeborenen, und ſeinetwegen hauptſächlich werden von den indiſchen Fürſten oft Tauſende aufge - boten. Außerdem wird er bei den Tigerjagden in großer Menge erlegt. Dieſe vielfachen Nach - ſtellungen mögen die Urſache ſein, daß das Thier mindeſtens ebenſo ſcheu iſt, als unſer Hochwild da, wo es ſich verfolgt weiß. Demungeachtet wird der gefangene Aris bald und vollſtändig zahm. Man hat ihn ſchon vor Jahren nach England eingeführt und dort bald bemerkt, daß er ſich in dem milden Klima vortrefflich hält; von England aus ſind dann die Arishirſche weiter verſandt worden und unter Anderen auch nach Deutſchland gekommen. Jm Park bei Ludwigsburg ſollen ſie bereits ſeit 50 Jahren leben und eingebürgert ſein. Nach den bisherigen Erfahrungen ſteht ihrer Weiter -464Die Hirſche. Der Aris. Der Sambur.verbreitung auch nur ein Hinderniß im Wege: die Unregelmäßigkeit in der Zeit ihrer Fortpflanzung. Die meiſten Hirſche dieſer Art haben ſich, wenn man ſo ſagen darf, allerdings an unſer Klima ge - wöhnt; ſie werfen ihr Geweih rechtzeitig ab und treten zur günſtigſten Jahreszeit auf die Brunſt, die hochbeſchlagenen Thiere ſetzen dann auch im Frühjahr und ihre Kälber gedeihen dann vortrefflich: aber einzelne Arishirſche ſetzen noch immer ihr Kalb mitten im Winter und machen ein erwünſchtes Ge - deihen des eingebürgerten Stammes ſehr fraglich, wo nicht unmöglich; denn ſelbſtverſtändlich gehen die meiſten von den im Winter geborenen Kälbern in Folge der Witterungseinflüſſe ſowohl, als auch wegen Mangel an geeigneter Nahrung für die Mutter, erbärmlich zu Grunde. Wäre Dies nicht der Fall, ſo würden wir wahrſcheinlich jetzt ſchon alle größeren Parks mit dieſem ſchmucken Wild bevöl - kert ſehen; denn im übrigen gibt es nur wenige Hirſche, welche ſo geeignet ſind wie der Aris, ein umſchloſſenes Geheg zu beleben. Die Bewegungen des Thieres ſind allerdings weder ſo zierlich noch ſo ſchnell und ausdauernd, wie die anderer Hirſche von der gleichen Größe; ſie ſind aber immerhin anmuthig genug, um ein Jägerauge zu erfreuen, und andere Menſchen feſſelt das ſchön gefärbte Wild ohnehin. Ueber das Betragen des Aris wüßte ich Nichts zu ſagen, was als ihm eigenthümlich bezeichnet werden könnte; nach meinem Dafürhalten kommt er hierin am meiſten mit dem Dam - wild überein.

Die meiſten übrigen Hirſche Jndiens werden gegenwärtig einer beſonderen Sippe zugezählt, wel - cher man den malayiſchen Namen Rusa gegeben hat: einfach deshalb, weil dieſes Wort Hirſch bedeutet. Wenn man die betreffenden Thiere genauer kennen lernt und andere indiſche Hirſche dazu, wird man wahrſcheinlich noch neue Sippen zu gründen haben; doch läßt ſich nicht verkennen, daß alle indiſchen Hirſche ein gewiſſes, ihnen eigenthümliches Gepräge bekunden, welches ſie ſehr von ihren in Europa oder in Amerika lebenden Verwandten unterſcheidet, ſich jedoch beſſer herausfühlen als beſchrei - ben läßt. Nur im allgemeinen kann man ſagen, daß die betreffenden Thiere mehr oder weniger unterſetzt gebaut, ſtarkgliederig, kurzhälfig und kurzköpfig, aber verhältnißmäßig langſchwänzig und mit groben, brüchigen, dünnſtehenden Haaren bekleidet ſind, und daß die Geweihe, welche nur die männlichen Hirſche zieren, immer blos ſechs Enden zeigen. Der Kopf iſt gewöhnlich hinten viel brei - ter, als vorn, gleichwohl am Geäße abgeſtutzt und immer noch breit; die Lichter ſind groß, die Thränengruben oft außerordentlich entwickelt; das Gehör iſt verhältnißmäßig klein; die Geweih - ſtangen biegen ſich wenig nach außen und hinten und ſenden außer der Augenſproſſe nur noch ein Gabelende ab. Bei manchen Arten kommen Mähnen am Halſe vor, welche jedoch mit den Haar - wucherungen unſerer Hirſche an der gedachten Leibesſtelle nicht verglichen werden können. Bezeich - nend iſt der Schwanz oder Wedel, weil er immer lang und ſtets reichlich mit grobem Haar bekleidet iſt. Die verſchiedenen Arten der Gruppe würden unſere Theilnahme jedenfalls gleichmäßig beau - ſpruchen, wäre das Leben und Treiben der Thiere uns genauer bekannt.

Nach meinem Dafürhalten iſt der Sambur (Rusa Aristoteles) als der am edelſten geſtaltete Hirſch dieſer Gruppe zu bezeichnen. Er wurde von dem großen Naturforſcher der Vorzeit, deſſen Namen ihm die heutige Wiſſenſchaft verlieh, bereits ſehr kenntlich beſchrieben; noch heutigen Tages aber ſind wir über ſeine Lebensweiſe im Unklaren. Das Gleiche gilt für den niederen, ſtämmig ge - bauten Roßhirſch (Rusa equina), ein ziemlich großes Thier von dunkelbrauner Färbung, Daſſelbe für die meiſten übrigen Arten. Wir ſind noch nicht im Stande, die Naturgeſchichte einer einzelnen Art mit dem Bewußtſein abzufaſſen, auch wirklich von dem betreffenden Thiere zu reden, und erſt die Neuzeit verhilft uns wenigſtens zur Kunde eines Theiles dieſer Geſchichte, weil ſie uns Gelegen - heit bietet, auch die indiſchen Hirſche in der Gefangenſchaft und zwar vom Tage ihrer Geburt an, beobachten zu können. Ungeachtet meiner kurzen Wirkſamkeit am hamburger Thiergarten habe ich doch ſchon eingeſehen, daß gerade über dieſe Thiere noch viele Beobachtungen gemacht werden müſſen,465Der Mähnenhirſch.ehe wir uns rühmen können, etwas auch nur annähernd Genügendes zu bieten. Jch glaube entſchul - digt zu ſein, wenn ich unter dieſen Umſtänden den am häufigſten in der Gefangenſchaft vorkommenden Hirſch meiner Beſchreibung zu Grunde lege, geſtehe aber offen ein, daß ich für die Schilderung des Freilebens nur inſoweit eine Bürgſchaft übernehmen mag, als ich Das zuſammenſtelle, was mir von den indiſchen Hirſchen, mit Ausnahme der einzeln beſchriebenen Arten, überhaupt bekannt ge - worden iſt.

Der Mähnenhirſch (Rusa Hippelaphus) iſt eine der ſtattlichſten und ausgezeichnetſten Arten der Gruppe. Er ſteht dem Edelhirſch kaum an Größe nach und wird in ſeiner Heimat wohl nur von dem Samburhirſch oder von dem in den indiſchen Gebirgen vorkommenden Wallichshirſch über - troffen. Die Leibeslänge des erwachſenen Hirſches beträgt reichlich 6 Fuß, wovon ein Fuß auf den Schwanz zu rechnen iſt, die Höhe am Widerriſt Fuß, die Länge der Geweihſtangen 2 bis 3 Fuß. Das Thier iſt beträchtlich kleiner. Jm allgemeinen beſitzt der Mähnenhirſch die angegebenen Kennzeichen der Gruppe. Sein Leib iſt gedrungen, kräftig; die Läufe ſind niederer, als bei dem Edelhirſch, und erſcheinen deshalb ſtämmiger; der Hals iſt kurz und der Kopf verhältnißmäßig ſehr kurz, aber breit. Das Gehör iſt klein, außen dicht, innen nur ſpärlich mit Haaren bekleidet, das Auge groß, die Thränengrube unter ihm auffallend entwickelt. Das Geweih zeichnet ſich durch ſeine ſehr ſtarken und deshalb kurz erſcheinenden Stangen aus; es ſitzt dicht auf dem niederen Roſenſtocke, biegt ſich von der Wurzel an in einem ſanften Bogen nach rückwärts und auswärts, ſteigt von der Mitte an gerade in die Höhe und wendet ſich dann wieder etwas nach einwärts. Die Augenſproſſe, welche unmittel - bar über dem Roſenſtocke entſpringt, iſt ſtark und lang, vor, auf und mit der Spitze nach einwärts gekrümmt, die Gabelſproſſe zweigt ſich ungefähr einen Fuß über der Wurzel des Geweihes ab und richtet ſich etwas nach vor -, auf - und auswärts. Stangen und Enden ſind auf der Oberfläche ge - furcht und geperlt. Die Behaarung iſt verſchieden, je nach der Jahreszeit. Bei ausgebildetem Geweih trägt der Hirſch ein Kleid aus groben, brüchigen und ziemlich dünn ſtehenden Haaren von einer ſchwer zu beſchreibenden graulichbraunfahlen Färbung. Ueber den Rücken verläuft ein dunklerer, d. h. bräunlicherer Streifen, welcher bald deutlich, bald undeutlich begrenzt iſt. Die Läufe ſind an ihrer Vorderſeite ungefähr von der Farbe des Rückens, ſeitlich und innen jedoch nicht unbedeutend lichter. Bezeichnend ſcheint mir nach meinen Beobachtungen ein ſchmales lichtgraues oder weißes Band zu ſein, welches ſich hart an der Muffel zu beiden Seiten des Obergeäßes herabzieht. Beide Geſchlechter ſind vollkommen gleich gefärbt und auch das Junge, welches geboren wird, während ſeine Eltern das beſchriebene Kleid tragen, unterſcheidet ſich nicht durch die Färbung. Dies glaube ich umſomehr her - vorheben zu müſſen, als alle übrigen, d. h. nicht zu der in Rede ſtehenden Gruppe gehörigen Hirſche im Jugendkleide gefleckt ſind, während die gedachten Jndier in einem Kleide zur Welt kommen, welches dem ihrer Eltern genau entſpricht. Sehr bezeichnend für den Hirſch iſt die ziemlich ſtarke Mähne, welche am Unterhalſe und Kinn ſich entwickelt; ſie iſt auch deshalb merkwürdig, weil die Haare, welche ſie bilden, ſich durch ihre Beſchaffenheit kaum von den übrigen unterſcheiden.

Bald nach Abwerfen des Geweihes färbt ſich der Hirſch und zu gleicher Zeit das Thier. Beide erſcheinen dann dunkelgrau mit einem mehr oder weniger hervortretenden Anflug ins Fahlbräunliche.

Soviel bisjetzt bekannt, findet ſich der Mähnenhirſch vorzugsweiſe auf Java, Sumatra, Borneo und dem indiſchen Feſtlande. Dieſe Angabe ſoll jedoch keineswegs etwaige Jrrthümer der Reiſenden ausſchließen, da es durchaus nicht unmöglich iſt, daß der auf dem Feſtlande lebende Mähnenhirſch ſich von dem die Jnſeln bewohnenden unterſcheidet. Einige Forſcher haben den Mähnenhirſch der Jnſeln, welcher kleiner, als der vom Feſtlande ſein ſoll, unter dem Namen Rusa moluccensis ge - trennt. Die Beſchreibungen ſind ſo ungenügend, daß ich mit Beſtimmtheit nicht zu ſagen vermag, ob ich ſoeben die eine oder die andere Art beſchrieb. Es wird geſagt, daß Borneo durch Vermittelung des Menſchen mit dem Mähnenhirſch bevölkert worden ſein ſoll: ein Sultan Soërianſe habe ein Paar in der Steppe bei Bulu Lampej freigelaſſen, und dieſe ſeien als Stammeltern aller jetzt vorkom -Brehm, Thierleben. II. 30466Die Hirſche. Der Mähnenhirſch.menden anzuſehen. Die Reiſenden erwähnen, daß ſich das Wild in ſehr ſtarken Trupps zuſammen - ſchlägt, welche mehr als Waldungen die offenen ſteppenartigen Ebenen bevorzugen. Jn allen günſtigen Gegenden ſoll es ſehr häufig auftreten.

Ueber Lebensweiſe und Betragen ſind die Nachrichten überaus dürftig; ſie enthalten nur unge - fähr Folgendes: Die alten Hirſche trennen ſich nach der Brunſt von den Trupps der Thiere und ſchweifen bis zur nächſten Brunſtzeit einſiedleriſch umher, halten jedoch gewiſſe Beziehungen zu den Trupps feſt, wandern mit dieſen bei Beginn der trockenen Jahreszeit den ſtehenden Gewäſſern zu und ziehen, wenn die Regenzeit oder der Frühling eintritt, mit ihnen wieder in höher gelegene Ge - genden. Während der größten Hitze des Tages liegen die Thiere zwiſchen Schilf oder im Dickicht der Gebüſche verborgen, vor Sonnenuntergang ziehen ſie zur Suhle, und mit Einbruch des Abends auf Aeßung aus. Das Waſſer lieben ſie ganz ungemein: Dies kann man auch an den Gefangenen beob - achten, welche nach einem Schlammbad wahrhaft begierig ſind. Ueber die Aeßung fehlen beſtimmte Angaben, wir dürfen aber von den Gefangenen ſchließen, daß die Nahrung im weſentlichen der Aeßung unſeres Edelwildes entſpricht.

Die Bewegungen des Mähnenhirſches verdienen eine kurze Beſprechung. Ueber den flüchtigen Hirſch vermag ich leider nicht zu urtheilen, und muß alſo den Reiſenden glauben, welche ſagen, daß der Lauf ſehr ſchnell und ausdauernd ſei und daß der geſtreckte Galopp, welchen der flüchtige Hirſch annimmt, häufig durch kurze Sätze unterbrochen werde; dagegen kann ich über den ruhigen Schritt des Mähnenhirſches aus eigener Erfahrung ſprechen. Die Gefangenen des hamburger Thier - gartens zeichnen ſich durch ihre Bewegungen vor den ſämmtlichen übrigen Hirſchen aus. Kein mir bekannter Hirſch ſchreitet ſo würdevoll, ſo ſtolz dahin, wie der Mähnenhirſch. Sein Gang gleicht durchaus dem angelernten Schritt, dem ſogenannten ſpaniſchen Tritt eines wohlunterrichteten Schul - pferdes. Jede Bewegung des Hirſches iſt dieſelbe, welche ein Pferd unter gedachten Umſtänden aus - führt. Man meint, als wäre der Hirſch durchdrungen von dem Gefühl des Stolzes, welches er an den Tag zu legen ſcheint. Er hebt den Lauf bedächtig und zierlich auf, ſtreckt ihn ganz in der Weiſe des Schulpferdes vor und ſetzt ihn zierlich wieder auf den Boden; dabei begleitet er jeden Schritt mit einer entſprechenden Kopfbewegung. Demungeachtet bleibt man im Zweifel, ob dieſes Gebah - ren Stolz oder Zorn ausdrücken ſoll; denn der würdevolle Gang wird regelmäßig mit einem verdäch - tigen Aufwerfen der Oberlippe begleitet, welches bei anderen Hirſchen immer ein Zeichen ihrer Wuth oder mindeſtens großer Erregtheit iſt. Bemerken will ich noch, daß man namentlich bei dieſer Art des Gehens auch von unſeren Hirſchen ein ſtarkes Kniſtern vernimmt, wie von dem Renthier. Der Hirſch bewegt ſich viel in der beſchriebenen Weiſe und trabt nur ſelten ſchneller in ſeinem Gehege umher, das Thier hingegen führt oft ſcherzende Sprünge aus und zeigt ſich dabei äußerſt behend und gewandt. Jhm eigenthümlich iſt, daß es bei dem Anſatz zu ſchnellerem Lauf den Kopf tief nach unten biegt und den Hals lang vorſtreckt, auch wohl ſonderbar ſchlängelnde Bewegungen mit dem Kopfe ausführt, bevor es flüchtig wird.

Jm übrigen ſtimmen meine Beobachtungen an den gefangenen Thieren mit den Angaben der Rei - ſenden überein. Die Sinne des Mähnenhirſches ſind ſehr ausgebildet, namentlich Gehör und Wit - terung vorzüglich ſcharf und das Geäuge ebenfalls wohl entwickelt. Zudem iſt dieſes Wild klug, wach - ſam, vorſichtig; es lernt auch ſeinen Pfleger bald kennen, ohne ſich jedoch eigentlich mit ihm zu befreunden. Möglich iſt, daß Mähnenhirſche, welche ſehr früh in die Gefangenſchaft geriethen, ebenſo zahm werden, als andere Hirſche; von den unſrigen kann ich Dies aber nicht ſagen, obgleich wir uns viele Mühe mit ihrer Zähmung gegeben haben.

Wenn wir von den gefangenen auf die freilebenden Mähnenhirſche ſchließen dürfen, haben wir unſere Wintermonate als die Brunſtzeit zu bezeichnen. Der Mähnenhirſch im hamburger Thiergarten warf im Mai ſein Geweih ab und fegte im September. Am 20. November ließ er zum erſten Male ſeine Stimme vernehmen: ein ſehr kurzes, dumpfes und leiſes Blöcken. Von dieſer Zeit an zeigte er ſich ſehr erregt, kampf - und zerſtörungsluſtig, wie die übrigen brünſtigen Hirſche, namentlich aber467Der Mähnenhirſch. Der Schweinshirſch.erzürnt gegen den Wärter, mit dem er ſonſt auf beſtem Fuße ſtand. Während der ganzen Zeit ver - breitete er einen unausſtehlichen bockartigen Geruch, welcher zuweilen ſo heftig wurde, daß er den Stall förmlich verpeſtete. Ausgang Dezembers bekundete auch das Thier durch ein leiſes Mahnen Sehnſucht nach dem Hirſche, und am 7. Januar erfolgte der Beſchlag. Daſſelbe Thier hatte am 18. Oktober ein Kalb geboren, und ſomit darf die Zeit, welche es hoch beſchlagen geht, zu Mo - naten angenommen werden. Die milde Herbſtwitterung des Jahres 1863 kam dem, in ſo ungün - ſtiger Zeit zur Welt gekommenen Kalb vortrefflich zuſtatten. Es war vom erſten Tage an ſehr mun - ter und gedieh zu meiner beſonderen Freude zuſehends. Seine Mutter bewachte und beſchützte es mit ebenſoviel Sorgfalt, als Muth: ſie bedrohte ſelbſt den ihr wohlbekannten Wärter, dem ſie ſonſt ſcheu aus dem Wege ging. Den Kopf geſenkt, den Wedel erhoben und mit weit aus einander klaf - fenden Thränengruben, ging ſie jedem Eindringlinge kühn zu Leibe und verſuchte, ihn durch kräftige Schläge mit den Vorderbeinen abzutreiben, wobei ſie ſich bemühte, das Kalb durch ihren eigenen Leib zu decken. Dieſes hatte nach etwa vier Monaten ungefähr die Hälfte der Größe ſeiner Mutter erreicht, beſäugte ſie aber bis in den ſechſten Monat ſeines Lebens. An das Futter, welches dem Thiere gereicht wurde, ging es bereits in der dritten Woche.

Mit dieſer Satzzeit ſtimmt die Geburt eines Kalbes vom Samburhirſch, welchen wir ebenfalls im hamburger Thiergarten pflegen, ziemlich überein. Daſſelbe wurde in der ſtrengſten Winterkälte am 7. Januar geſetzt und gedieh, ungeachtet der höchſt ungünſtigen Witterung, deren Unbill es trotz des Stalles mehr oder weniger ausgeſetzt war, ganz vortrefflich.

Außer den Menſchen ſtellen in Jndien die großen Katzenarten dem Mähnenhirſche eifrig nach: namentlich der Tiger nährt ſich zeitweilig ausſchließlich von ihm und ſeinen Verwandten. Die indi - ſchen Fürſten halten auch ſeinetwegen zuweilen große Treibjagden ab. Das Wildpret wird gerühmt und gilt ſelbſt auf der Tafel der Europäer als eine vorzügliche Speiſe. Decke und Haut werden nicht benutzt.

Der Schweinshirſch (Hyelaphus porcinus), eine der gemeinſten indiſchen Arten, reiht ſich der vorigen Gruppe an. Er gehört zu den plumpeſten Geſtalten der ganzen Familie, iſt faſt ſchwer - fällig gebaut, dickleibig, kurzläufig, kurzhälſig und kurzköpfig und zeichnet ſich namentlich auch noch durch ſein Geweih aus. Die Stangen ſind dünn, höchſtens fußlang und dreiendig, ſtehen aber auf ziemlich hohen Roſenſtöcken, welche weit von einander entfernt ſind. Hierdurch erſcheint das Geweih größer, als es in Wahrheit iſt. Die Verzweigung deſſelben iſt ſo einfach, wie bei dem vorhergehenden, nur daß alle Theile weit zierlicher und kleiner ſind, als bei ihm. Der Augenſproß wendet ſich anfangs nach vorn und außen, mit der Spitze aber wieder nach innen, das obere kurze Ende bildet einen nach innen und hinten gekrümmten Haken. Das Haar iſt noch immer grob, rauh und brüchig, jedoch weit feiner, auch weniger gewellt, als bei dem Mähnenhirſch und ſeinen nächſten Verwandten. Die Färbung ſcheint mancherlei Schwankungen unterworfen zu ſein, und dar - auf gründet ſich der Mangel an Uebereinſtimmung, welcher ſich in den verſchiedenen Beſchreibungen des Schweinshirſches kundgibt. Gewöhnlich iſt die allgemeine Färbung ein ſchönes Kaffeebraun, welches beim Hirſch bis zum Schwarzbraun dunkeln, beim Thier bis zum Lederbraun ſich lichten kann. Das einzelne Haar erſcheint an der Wurzel aſchgrau, in der Mitte ſchwarzbraun, vor der dunkeln Spitze aber hellzimmtbraun geringelt. Die lichten Ringe kommen jedoch in der allgemeinen Färbung verhältnißmäßig wenig zur Geltung, wie es ſcheint bei dem Thiere mehr, als bei dem Hirſch. Dunkler gefärbt, faſt ſchwarz, ſind ein Rückenſtreif, eine Binde hinter der Muffel, welche ſich ringsum zieht, eine zweite, nach der Muffel zu hufeiſenförmig eingebogene Binde zwiſchen den Augen und ein Längsſtreifen auf der Stirnmitte, graulicher, dunkelaſchfarben etwa, die Unterſeite des Leibes und die Läufe, lichter, nämlich hellfahlgrau, der Kopf und die Halsſeiten, die Kehle, das Gehör und unregelmäßig geſtellte Flecken auf beiden Seiten des Leibes, weiß endlich die Spitze des30 *468Die Hirſche. Der Schweinshirſch. Die Mazamahirſche.Unterkiefers, der Wedel auf ſeiner Unterſeite und an der Spitze, ſowie der ſchmale, vom Wedel be - deckte Spiegel. Die lichteren Flecken habe ich bei allen Schweinshirſchen bemerkt, welche ich bisjetzt lebend ſah; allerdings aber treten ſie bei den lichter gefärbten Thieren immer mehr hervor, als bei den dunkelfarbigen, bei welchen ſie zuweilen faſt zu verſchwinden ſcheinen; ſie zeigen ſich dann nur, wenn der Hirſch das Haar ſträubt. Das Jugendkleid unterſcheidet ſich blos dadurch von dem des alten Thieres, daß die Flecken anſcheinend größer und heller ſind.

Wie weit das Vaterland des Schweinshirſches ſich erſtreckt, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt; ſo - viel aber wiſſen wir, daß er weit verbreitet und wo er vorkommt, häufig iſt. Sehr gemein ſcheint er in Bengalen zu ſein; vonhieraus erhalten wir die meiſten, welche unſere Thiergärten bevölkern. Man ſagt, daß er in Jndien als halbes Hausthier gehalten werde. Unſer Klima erträgt er ohne große Beſchwerden, verlangt aber bei ſtrenger Witterung einen geſchützten Ort zum Rückzug.

Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche. Er gehört nicht zu den Begabten unter ſeinen Verwandten, ſondern iſt eher als geiſtesarmes Geſchöpf zu betrachten. Das Thier iſt furcht - ſam, ſcheu und unklug, der Hirſch muthig, auch gegen den Menſchen, raufluſtig, herrſchſüchtig und zu Gewaltthätigkeiten geneigt. So vortrefflich er ſich zeitweilig mit ſeinen Thieren verträgt, ſo ſehr quält er ſie zu anderen Zeiten. Ohne alle Veranlaſſung ſtürmt er auf ſie los und mißhandelt ſie oft in gefährlicher Weiſe. Nach der Brunſtzeit muß man ihn ſtets von jenen entfernen. Vor der Brunſt übt er ſeine Kraft an allem Möglichen: er rennt gegen die Bäume und Gitter, wühlt mit dem kurzen Geweih den Raſen auf und wirft die losgeriſſenen Stücke hin und her, bedroht Jeden, der ſich nähert, indem er den Kopf zur Seite biegt und mit boshafter Miene in ſchiefer Richtung her - anſchreitet, geht auch ohne Bedenken auf den Mann und macht dann von ſeiner Kraft in empfind - licher Weiſe Gebrauch. Der Geweihwechſel beginnt mit den erſten Monaten des Jahres. Ein Schweinshirſch des hamburger Thiergartens warf am 20. Januar ab und fegte am 2. April.

Jm Monat Juli trat er auf die Brunſt, der Beſchlag der Thiere erfolgte am 16. Auguſt, der Satz des Kalbes am 1. April; ſomit ergibt ſich eine Trächtigkeitszeit von 228 Tagen. Die Kälber ſind ſehr niedliche, auf lichtbraunem Grunde gelblich gefleckte Thiere, welche vom erſten Tage ihres Lebens an die unterſetzte Geſtalt ihrer Eltern zeigen.

Soweit bekannt, hat das Thier in ſeiner Heimat dieſelben Feinde, wie ſeine Verwandten. Jn Bengalen wird es oft zu Pferde gejagt und vom Sattel aus mit einem Schwertſtreiche erlegt. Einzelne Jäger ſind Meiſter in der Kunſt, dem flüchtigen Wilde auf allen Wegen zu folgen und in kurzer Friſt mit ihrer ſo ungeeignet ſcheinenden Waffe beizukommen. Das Wildpret gilt als wohl - ſchmeckend.

Jn Nordamerika wohnen die Mazamahirſche (Reduncina oder Mazama), zierlich gebaute, anmuthige Thiere, welche ſich ebenſo durch ihren Bau, ſowie durch die Geweihe der Hirſche aus - zeichnen. Jhre Geſtalt iſt ſehr ſchlank, Hals und Kopf ſind lang, die Läufe mittelhoch, aber ſchwach, der Wedel iſt ziemlich lang. Dichte, weiche Haare von lebhafter Färbung bilden die Decke; ſie verlängern ſich mähnenartig bei dem Hirſch und außerdem zu einer Quaſte am Wedel beider Ge - ſchlechter. Die Geweihe krümmen ſich bogenförmig von rückwärts nach außen und vorwärts und ſind in drei bis fieben Sproſſen veräſtelt, welche ſämmtlich nach einwärts gehen; die Augenſproſſe iſt vor - handen, Eis - und Mittelſproſſe fehlen. Die Lichter ſind groß und ausdrucksvoll, das Gehör iſt ziemlich groß, lanzettförmig geſtaltet, auf der Außenſeite mit ſehr kurzen Haaren bekleidet, ſo daß es faſt nackt erſcheint, innen dagegen, namentlich an den Seiten, reichlicher bedeckt.

Man kennt gegenwärtig ungefähr ſechs Arten von hierher zu zählenden Hirſchen, hat dieſelben jedoch noch keineswegs mit hinreichender Schärfe unterſchieden. Jhre Aehnlichkeit iſt ſehr groß, und deshalb wollen viele Naturforſcher nicht an die Artverſchiedenheiten glauben, während Alle, welche die Thiere lebend vor ſich ſahen, hieran nicht zu zweifeln wagen. Jn der Neuzeit ſind mehrere469Der virginiſche Hirſch.Arten wiederholt nach Europa gekommen, und hier gedeihen ſie bei geeigneter Pflege auch vortreff - lich, obwohl ſie größere Schonung verlangen, als unſer einheimiſches Wild.

Es genügt, wenn wir die bekannteſte Art der Gruppe, den virginiſchen Hirſch (Redun -

Der virginiſche Hirſch (Reduncina virginiana).

cina virginiana) einer Beſchreibung zu Grunde legen. Jn mancher Hinſicht hat das Thier einige Aehnlichkeit mit unſerem Damhirſch, welchem er auch in der Größe ungefähr gleich kommt; er unterſcheidet ſich aber ſofort durch den zierlichen Bau und namentlich durch den langgeſtreckten, feinen Kopf, welcher vielleicht der ſchönſte aller Hirſche genannt werden darf. Nach der Verſicherung des470Die Hirſche. Der virginiſche Hirſch.Prinzen von Wied wird der virginiſche Hirſch oft bedeutend größer, als unſer Damhirſch und gibt dem Edelhirſch nicht viel nach; ſo große Thiere dieſer Art ſind mir in den europäiſchen Thier - gärten freilich noch nicht zu Geſicht gekommen. Die Färbung iſt nach den Jahreszeiten verſchieden. Jm Sommerkleid iſt ein ſchönes, gleichmäßiges Gelbroth die vorherrſchende Farbe; es dunkelt auf dem Rücken und geht nach den Seiten hin in Gelbroth über. Der Bauch und die Junenſeite der Glieder ſind bläſſer, der Wedel iſt oben dunkelbraun, unten und auf den Seiten blendend weiß. Be - zeichnend iſt die Färbung des Kopfes, welcher immer dunkler, als der übrige Körper, und zwar bräunlichgrau gefärbt iſt. Der Naſenrücken pflegt gewöhnlich ſehr dunkel zu ſein; zu beiden Seiten der Unterlippe aber und an der Spitze des Oberkiefers ziehen ſich weiße Flecken herab, welche ſich faſt zu einem Ringe vereinigen; ein ähnlich gefärbter Ring umgibt auch das Auge. Jm Winter iſt die Oberſeite graubraun, etwa der Winterfärbung unſeres Rehes entſprechend, die Unterſeite röthlich, die der Läufe gelbröthlichbraun, das Gehör an der Außenſeite dunkelgraubraun, an Rand und Spitze ſchwärzlich, inwendig weiß. Ein Fleck außen am unteren Ohrwinkel, die Unterſeite des Kopfes, die Hinterſeite des Vorderſchenkels, der Bauch, die innere und die Vorderſeite des Hinterſchenkels, die untere Fläche des dünnen, ſehr lang und dicht behaarten Schwanzes ſind ebenfalls reinweiß; die Zeichnung am Geäße bleibt in beiden Kleidern dieſelbe. Nach den vom Prinzen von Wied gege - benen Maßen beträgt die Länge eines Hirſches von mittlerer Stärke 5⅔ Fuß, die Länge des Wedels 1 Fuß, die Länge des Kopfes 12½ Zoll, die Höhe des Ohres 6 Zoll, die Höhe des Geweihes 1 Fuß und die Länge jeder Stange, der Krümmung nach gemeſſen, etwas über Fuß. Am Widerriſt war dieſer Hirſch Fuß hoch. Das Thier iſt beträchtlich kleiner, nur Fuß lang und nicht über Fuß hoch. Das Kalb iſt auf dunkelbraunem Grunde ſehr zierlich weiß oder gelblichweiß gefleckt, im übrigen ſeinen Alten ähnlich.

Nach den Angaben Audubon’s und des Prinzen von Wied verbreitet ſich dieſer ſchöne Hirſch über alle Waldungen von Nordamerika, mit Ausnahme der nördlichſt gelegenen. Jn den Pelzgegenden ſoll er ſich nicht finden; wohl aber kommt er in Kanada vor. Von der Oſtküſte Nord - amerikas reicht er bis zu den Felsgebirgen und ſüdlich bis nach Mejiko. Früher ſoll er aller Orten in zahlreicher Menge gefunden worden ſein; gegenwärtig iſt er aus den ſtark bevölkerten Theilen ſchon faſt ganz verdrängt oder hat ſich wenigſtens in die größeren Gebirgswaldungen zurückziehen müſſen. Am Miſſouri ſoll er heutigen Tages noch ſehr häufig vorkommen.

Dank den genannten Forſchern kennen wir gegenwärtig Lebensweiſe und Betragen des vir - giniſchen Hirſches ſehr genau, ganz abgeſehen von den Beobachtungen, welche außerdem an den nach Europa übergeführten Hirſchen gemacht wurden. Jm allgemeinen ähnelt das Leben dem unſeres Edelwildes. Der virginiſche Hirſch bildet, wie dieſes, Trupps und Rudel, zu denen ſich die ſtarken Hirſche während der Brunſtzeit einfinden, tritt ungefähr zu derſelben Zeit wie unſer Hirſch auf die Brunſt und ſetzt auch das Kalb oder die beiden Kälber ungefähr in den gleichen Monaten, in welchen unſer Edelwild geboren wird. Der Hirſch wirft im März ab und fegt zu Ende Juli oder im Auguſt, verfärbt ſich dann im Oktober und tritt um dieſe Zeit auf die Brunſt.

Dieſen überſichtlichen Worten, welche dem Prinzen von Wied nachgeſprochen ſind, wollen wir Einiges aus der vortrefflichen Schilderung unſeres verehrten Audubon hinzufügen. Das Wild, ſagt er, hängt feſt an dem einmal gewählten Platze, und kehrt nach Verfolgung immer wieder zu ihm zurück. Allerdings thut es ſich während der verſchiedenen Tage gewöhnlich nicht in dem - ſelben Bette nieder, wird aber doch in derſelben Gegend gefunden, oft keine funfzig Ellen von dem Platze, von dem es früher aufgeſtört worden war. Seine Lieblingsplätze ſind alte Felder, welche theilweiſe von Buſchwald wieder in Beſitz genommen worden ſind und deswegen ihm Schutz gewähren. Jn den ſüdlichen Staaten ſucht es ſich, und zwar namentlich im Sommer, wenn es weniger verfolgt wird, oft die äußeren Hage der Pflanzungen auf, ſteht hier während des Tages in einem düſteren Dickicht zwiſchen Rohr, wildem Wein und Dornengeſtrüpp, jedenfalls in möglichſter Nähe ſeines Weidegrundes. Doch iſt dieſe Vorliebe für derartige Oertlichkeiten nicht allgemein: oft findet man471Der virginiſche Hirſch.auch zahlreiche Spuren des Wildes in Feldern, welche nur von fern her beſucht werden. Jn den Ge - birgsgegenden bemerkt man zuweilen ein Stück auf einem hervorragenden Felspunkte niedergethan, dem Steinbock oder der Alpengemſe vergleichbar; gewöhnlich aber verbirgt ſich das Wild zwiſchen Mirten - und Lorbergebüſch, neben umgefallenen Bäumen und an ähnlichen Orten. Jn der kalten Jahreszeit bevorzugt es die geſchützten und trockenen Plätze, ſteht dann gern unter dem Winde und läßt ſich von den Sonnenſtrahlen wärmen; im Sommer zieht es ſich während des Tages in die ſchat - tigen Theile des Waldes zurück und hält ſich in der Nähe kleiner Flüſſe oder kühler Ströme auf. Um der Verfolgung der Mücken und Stechfliegen zu entgehen, flüchtet es ſich oft in einen Fluß oder Teich und liegt hier bis zur Naſe im Waſſer.

Die Aeßung des Wildes iſt nach der Jahreszeit verſchieden. Jm Winter geht es die Zweige und Blätter des Gebüſches an, im Frühling und Sommer wählt es ſich, und zwar mit größter Lecker - haftigkeit, das zarteſte Gras aus, und kommt oft, dem jungen Mais und anderen Getreide nach - gehend, in die Felder herein. Beeren verſchiedener Art, Nüſſe und ähnliche Früchte, namentlich auch Bücheln liebt es ganz ungemein. Bei ſo reichlicher Auswahl an Aeßung ſollte man meinen, daß das Wild beſtändig gut von Wildpret ſei: Dies iſt jedoch nicht der Fall; denn mit Ausnahme gewiſſer Jahreszeiten iſt dieſer Hirſch ſehr ſchlecht vom Leibe. Die Hirſche ſind vom Auguſt bis zum Novem - ber feiſt. Wir ſelbſt haben ſolche erlegt, welche 175 Pfund wogen, und ſind berichtet worden, daß Einzelne ein Gewicht von mehr als 200 Pfund erreichen. Die Brunſt beginnt, in Karolina we - nigſtens, im November, manchmal auch etwas eher. Der Hirſch iſt jetzt fortwährend auf den Beinen, faſt beſtändig im Rennen, um ſeine Gegner aufzuſuchen. Wenn er mit anderen Hirſchen zuſammentrifft, beginnt ein heftiger Zweikampf, in welchem nicht ſelten Einer getödtet wird, obgleich der Schwächere gewöhnlich die Flucht ergreift und dem Stärkeren höchſtens achtungsvoll in einiger Entfernung folgt, immer bereit, dem ſiegreichen Nebenbuhler das Feld zu räumen. Nicht ſelten verfangen ſich zwei gleich ſtarke Hirſche ſo vollſtändig mit den Geweihen, daß ſie nicht wieder von einander loskommen können und in kläglicher Weiſe zu Grunde gehen. Wir haben uns bemüht, derartig ver - ſchlungene Geweihe zu trennen, aber gefunden, daß weder unſere Geſchicklichkeit, noch unſere Kraft Dies auszuführen vermochte. Verſchiedene Mal haben wir zwei und ein Mal drei Paare von Ge - weihen ſo verfangen geſehen. Die Brunſtzeit währt ungefähr zwei Monate und beginnt bei den älteren Hirſchen eher, als bei den jüngeren. Gegen den Monat Januar werfen die Hirſche ab, und von dieſer Zeit an leben ſie friedlich mit einander vereinigt.

Die Thiere ſind am feiſteſten vom November bis zum Januar, fallen hierauf ab, umſomehr, je näher die Satzzeit heranrückt, und nehmen wieder zu, während ihre Kälber ſie beſäugen. Dieſe werden in Karolina im April geboren; Schmalthiere hingegen ſetzen gewöhnlich erſt im Mai oder Juni. Jn den nördlichen Staaten tritt die Satzzeit etwas ſpäter ein, als in Florida und Tejas. Auffallend, aber vollkommen begründet iſt, daß in Alabama und Florida die Mehrzahl der Kälber im November geboren werden. Das Thier verbirgt ſein friſch geſetztes Kalb unter einem dichten Buſch oder im dicken Gras und beſucht es mehrmals des Tages, namentlich morgens, abends und während der Nacht. Erſt ſpäter nimmt es das Junge mit ſich fort. Wenn die Kälber erſt einige Tage alt ſind, liegen ſie manchmal ſo tief im Schlafe, daß ſie gefangen werden können, ehe ſie die Ankunft eines Menſchen wahrnehmen. Sie laſſen ſich ſehr ſchnell zähmen und ſchließen ſich ihren Fängern ſchon nach wenigen Stunden innig an. Ein Freund von uns beſaß ein Thierkalb, welches nach ſeiner Gefangennahme zu einer Ziege gebracht und von dieſer angenommen wurde, und wir haben andere geſehen, welche von Kühen groß geſäugt worden waren. Sie halten ſich gut in der Gefangenſchaft, aber wir haben gefunden, daß ſie läſtige Schosthierchen ſind. Ein Paar, welches wir verſchiedene Jahre hielten, hatte ſich gewöhnt, unſer Studirzimmer durch das offene Fenſter zu beſuchen, und führte Dies auch aus, wenn die Fenſter geſchloſſen waren, unbekümmert um das Glas in denſelben. Sie ſchienen überhaupt einen zerſtörungsluſtigen Sinn zu beſitzen: ſie leckten und nagten an unſeren Buchdeckeln und verurſachten uns oft große Verwirrung unter unſeren Pa -472Die Hirſche. Der virginiſche Hirſch.pieren. Kein Buſch in dem Garten, ſo werthvoll er uns auch ſein mochte, war ihnen heilig; ſie be - nagten unſer Kutſchengeſchirr und machten ſich ſchließlich über unſere jungen Enten und Hühner her, biſſen ihnen den Kopf und die Füße ab und ließen dann den verſtümmelten Leib liegen.

Das Thier ſetzt erſt, wenn es wenigſtens zwei Jahre alt iſt, und dann regelmäßig ein Kalb, während es ſpäter deren zwei zur Welt bringt. Ein ſtarkes und geſundes Thier gebiert oft drei Käl - ber, und in dem Leibe eines von uns erlegten Thieres fanden wir ſogar vier wohlausgebildete Junge. Die regelmäßige Zahl der Kälber iſt zwei. Das Thier liebt ſein Kalb ungemein und kommt auf ſeinen Ruf augenblicklich herbei. Die Jndiauer brauchen die Liſt, auf einem Rohrſtücke das Mahnen des Kalbes nachzuahmen, um die Mutter herbeizulocken, welche dann regelmäßig ihrem Pfeil zum Opfer fällt. Wir ſelbſt haben zwei Mal Thiere durch Nachahmen der Stimme ſeines Kalbes her - beigerufen. Dem Menſchen gegenüber wagt die Mutter ihr Kind nicht zu vertheidigen, ſondern denkt nur an Flucht.

Das Wild iſt ſehr geſellig und wird in den weſtlichen Prairien oft in ungemein zahlreichen Rudeln von vielen hundert Stück zuſammen geſehen. Nach der Brunſt ſchlagen ſich, wie wir ſchon erwähnt haben, auch die Hirſche in Rudel zuſammen oder vereinigen ſich mit den Thieren, welche den größten Theil des Jahres hindurch zuſammenleben.

Unſer Wild iſt eins der ſchweigſamſten aller Geſchöpfe. Es läßt ſelten einen Laut ver - nehmen. Das Kalb ſtößt ein leiſes Blöcken aus, welches von dem feinen Gehör ſeiner Mutter viel - leicht auf eine Entfernung von hundert Ellen wahrgenommen wird; dieſe ruft ihr Kalb durch ein leiſes Murmeln herbei. Ein lautes Schreien haben wir nur gehört, wenn das Wild verwundet wurde. Der Bock ſtößt, wenn er aufgeſtöbert wird, ein kurzes Schnauben aus, wir haben aber auch nachts ein ſchrillendes Pfeifen, ähnlich dem der Gemſe, von ihm gehört, und zwar bis auf eine Entfer - nung von ungefähr einer halben Meile. Die Witterung iſt ſo ausgezeichnet, daß ein Stück dem an - deren durch Spüren zu folgen im Stande iſt. An einem Herbſtmorgen ſahen wir ein Thier an uns vorüberlaufen; zehn Minuten ſpäter beobachteten wir einen Hirſch, welcher es mit der Naſe auf dem Boden verfolgte, und zwar auf allen Widergängen ſeines Laufes; eine halbe Stunde ſpäter erſchien ein zweiter Hirſch und geraume Zeit nachher ein Spießer, als dritter, und Alle folgten derſelben Fährte. Das Geſicht ſcheint wenig entwickelt zu ſein; wenigſtens haben wir beobachtet, daß das Wild, wenn wir ſtill ſtanden, oft wenige Ellen vor uns vorbeiging, ohne uns zu bemerken, wäh - rend es augenblicklich flüchtig wurde, wenn wir uns bewegten oder wenn wir ihm in den Wind kamen. Das Gehör iſt ebenſofein, als der Geruch.

Unſer Wild kann ohne Waſſer nicht beſtehen und iſt gezwungen, die Flüſſe oder Quellen all - nächtlich aufzuſuchen. Jm Jahre 1850 herrſchte eine allgemeine Dürre in unſeren ſüdlichen Ländern, und die Folge davon war, daß das Wild maſſenweiſe ſeine Stände verließ und ſich waſſerreicheren Gegenden zuzog. Sehr begierig ſind die Hirſche auf Salz, und Jäger, welche Dies wiſſen und Salz - lecken kennen, machen in der Nähe derſelben regelmäßig gute Jagd.

Wenn man das Wild ein nächtliches Thier nennt, muß man hinzufügen, daß es in Prairien oder in Oertlichkeiten, wo es ſelten geſtört wird, auch in den Morgen - und Nachmittagsſtunden ſeiner Aeßung nachgeht. Unter ſolchen Umſtänden ruht es gewöhnlich nur in den Mittagsſtunden. Jn den atlantiſchen Staaten freilich, wo es von den Jägern fortwährend beläſtigt wird, erhebt es ſich ſelten vor Sonnenuntergang von ſeinem Bette. Uebrigens ſieht man es während des Frühlings und Sommers öfter, als im Winter bei Tage ſich äßen.

Jn Gegenden, wo das Wild fortwährend beunruhigt wird, läßt es den Jäger weit näher an ſein Bett herankommen, als in Gauen, wo es ſelten geſtört wird. Es bleibt ruhig liegen, aber keineswegs weil es ſchläft oder nicht wachſam iſt, ſondern weil es fürchtet, ſich laufend dem Blicke auszuſetzen und hofft, im Liegen überſehen zu werden. Wir haben es liegen ſehen, die Hinterläufe ſprungfertig, das Gehör platt auf die Seiten des Nackens gepreßt, die Lichter ſcharf jede Bewe - gung des Störenfrieds bewachend. Unter ſolchen Umſtänden darf der Jäger nur dann auf Erfolg473Der virginiſche Hirſch.hoffen, wenn er langſam rund um das Thier reitet und thut, als ob er es nicht bemerkt habe, dann aber plötzlich feuert, bevor es ſich von ſeinem Bette erhebt. Ehe das Wild Nachſtellungen erfahren hat, verſucht es, ſich bei Ankunft des Jägers in gedrückter Stellung davon zu ſchleichen.

Der Gang des Wildes iſt verſchieden. Jm Laufe trägt es ſein Haupt niedrig und verfolgt ſeinen Lauf vorſichtig und ſtill, gelegentlich das Gehör und den Wedel bewegend. Das größte Thier iſt regelmäßig der Führer des Trupps, welcher in der ſogenannten indiſchen Reihe fortzieht; ſelten gehen ihrer zwei neben einander dahin. Ein ruhiger Schritt iſt die Bewegung des nicht in Furcht geſetzten Wildes. Wenn es aufgeſtört wird, ohne jedoch erſchreckt zu ſein, ſpringt es zwei oder drei Mal in die Höhe und fällt mit ſcheinbarem Ungeſchick auf drei Läufe nieder, kehrt ſich einen Augen - blick ſpäter der entgegengeſetzten Seite zu, erhebt ſeinen weißen Wedel und dreht ihn von einer Seite zur anderen. Darauf folgen dann einige hohe Sprünge, worauf das Haupt nach jeder Rich - tung hin gedreht wird, um wo möglich die Urſache der Störung zu erſpähen. Die Sprünge und Sätze ſind ſo anmuthig, daß man ſie nur mit Erſtaunen und Bewunderung betrachten kann. Sieht dagegen das Wild den Gegenſtand ſeines Schreckens, bevor es ſich von ſeinem Bette erhebt, dann ſchießt es raſch niedrig auf dem Boden dahin, das Haupt und den Wedel in einer Linie mit dem Körper gehalten, und ſo läuft es mehrere hundert Schritte fort, als wolle es mit einem edlen Roß wetteifern. Dieſe Art der Bewegung kann es jedoch nicht lange fortſetzen; wir haben mehrmals ge - ſehen, daß es durch einen gewandten Reiter überholt und zurückgetrieben wurde, und wiſſen, daß eine Meute guter Hunde Wild ungefähr nach ſtündiger Jagd einholt, falls es dieſem nicht ge - lingt, einen Sumpf oder einen Strom zu erreichen, in welchen es ſich unter ſolchen Umſtänden augen - blicklich wirft. Es geht übrigens auch ungedrängt ins Waſſer und ſchwimmt mit großer Schnellig - keit, den Leib tief eingeſenkt und nur das Haupt über der Oberfläche erhoben. Nach unſeren Erfahrungen kreuzt es zuweilen ſehr breite Ströme und durchſchwimmt Entfernungen von zwei (eng - liſchen) Meilen, und zwar ſo raſch, daß ein Bot es kaum überholen kann. An den ſüdlichen Küſten wirft ſich das von Hunden verfolgte und ermüdete Wild in die Brandung, ſchwimmt auf eine oder zwei Meilen in das Meer hinaus und kehrt gewöhnlich zu demſelben Platze zurück, von welchem es ausging.

Wenn wir nachts durch den Wald ritten und an Wild vorüberkamen, hörten wir oft, daß es mit dem Fuße aufſtampfte oder vernahmen von den Hirſchen ein lautes Schnaufen. Hierauf ſtürmte das Rudel eine kurze Strecke dahin und ſtampfte und ſchnaufte wieder. Dieſes Betragen ſcheint übri - gens nur bei Nacht ſtattzufinden.

Das Wildpret iſt das wohlſchmeckendſte von dem aller Thierarten, deren Fleiſch wir verſucht haben. Es iſt feiner, als das Wildpret des Wapiti oder der europäiſchen Hirſcharten; den höchſten Wohlgeſchmack hat es jedoch nur während der Feiſtzeit in den Monaten Auguſt bis Dezember.

Der Fang unſeres Wildes forderte alle Liſt und Geduld unſerer Jndianer heraus, bevor das Weißgeſicht mit ſeiner Büchſe, ſeinem Roß und ſeinen Hunden in die Jagdgründe eintrat. Der Wilde ſtritt mit dem Wolfe und dem Puma um ſolche Beute, und die verſchiedenſten Jagdarten wur - den in Anwendung gebracht. Am häufigſten erlegte man das Wild, indem man das Mahnen des Kalbes oder das Schreien des Bockes nachahmte. Zuweilen auch kleidete ſich der Wilde in die Decke des erlegten Hirſches, deſſen Geweih er am Kopfe feſtgebunden hatte, und ahmte getreulich den Gang und alle übrigen Bewegungen des Hirſches nach, wodurch es ihm gelang, ſich bis mitten in das Rudel zu ſchleichen und dann oft mehrere nach einander mit dem Bogen zu erlegen, ehe das Rudel flüchtig wurde. Nach unſerem Dafürhalten haben die nordamerikaniſchen Jndianer zur Erlegung ihrer Jagdbeute niemals vergiftete Pfeile gebraucht, wie die Jndianer Südamerikas. Seit der Einfüh - rung der Feuerwaffen haben jedoch die meiſten Stämme Bogen und Pfeil bei Seite gelegt und das Gewehr angenommen. Aber auch mit dieſer Waffe ſchleichen ſie ſich gewöhnlich möglichſt nahe an das ſich äßende Rudel an und ſchießen ſelten auf weiter, als auf 25 bis 30 Schritte, dann freilich mit dem größten Erfolg.

474Die Hirſche. Der virginiſche Hirſch.

Der weiße Mann jagt je nach des Landes Beſchaffenheit. Jn Gebirgsgegenden bevorzugt er die Pirſche, in dicht bewachſenen Wäldern nimmt er die Hunde zu Hilfe und gebraucht dann anſtatt der Büchſe ein mit ſtarken Poſten geladenes Doppelgewehr. Bei tiefem Schneefall benutzt man in einigen Gegenden auch Schneeſchuhe und verfolgt mit ihrer Hilfe das Wild, welches ſich unter ſolchen Umſtänden nur langſam fortbewegen kann. Weniger waidmänniſch jagt man in Virginien, indem man entweder ſtarke Stahlfallen in die Nähe des Waſſers ſtellt oder längs der Jnnenſeite der Feldgehege ſpitze Pfähle einrammt, auf denen ſich das überſpringende Wild ſpießt. Hier und da betreibt man die Jagd vom Bote aus: man kennt die Stellen, an denen das Wild über die Ströme oder Seebuſen zu ſetzen pflegt, jagt es mit Hunden auf, verfolgt es mit dem Bot und ſchießt es im Waſſer zuſammen. Ganz eigenthümlich iſt die Feuerjagd. Zu ihr ſind zwei Jäger erforderlich. Der Eine trägt eine Eiſenpfanne, auf welcher er mit harzigem Holz ein kleines Feuer unterhält; der An - dere, welcher dicht neben ihm geht, führt das Gewehr. Durch den Anblick des ungewohnten Lichtes mitten im Wald wird das Wild ſo überraſcht, daß es ruhig ſtehen bleibt; ſeine Augen ſpielen dann den Schein der Flamme wieder und geben dem Jäger Gelegenheit zum Zielen. Oſt kommt es vor, daß nach dem Schuſſe einige Glieder des Trupps ſich von neuem nach der Flamme kehren. Das ein - zige Unangenehme bei dieſer Jagd iſt, daß der Jäger, welcher die beiden feurigen Augen wahrnimmt, nicht unterſcheiden kann, ob er Wild oder ein Thier ſeiner Herde vor ſich hat. Es kommt gar nicht ſelten vor, daß gelegentlich ſolcher Jagden die im Walde weidenden Hausthiere erlegt werden. Ein Herr erzählte uns, daß er nur einmal in ſeinem Leben die Feuerjagd betrieben habe. Auch er glaubte die Augen eines Hirſches zu ſehen, feuerte und verwundete ſein Wild tödtlich, erlegte ſogar wenige Minuten darauf ein zweites Thier in derſelben Weiſe. Als er am nächſten Morgen ausging, um nach ſeiner Beute zu ſuchen, fand er freilich, daß er anſtatt der Hirſche zwei ſeiner beſten Füllen erſchoſſen hatte! Nach einer anderen Erzählung feuerte ein Jäger auf zwei glänzende Punkte und erlegte da - bei einen Hund, verwundete zugleich aber auch einen Reger, zwiſchen deſſen Beinen der Hund ge - ſtanden hatte.

Wir ſind verſichert worden, daß unſer Wild von einem guten Windhunde regelmäßig gefangen wird. Ein Paar dieſer trefflichen Thiere, welche in Karolina eingeführt wurden, fing gewöhnlich den Hirſch nach einem Laufe von wenigen hundert Ellen. Stöberhunde wurden benutzt, um die Hirſche aufzuſuchen und aufzutreiben, dann übernahmen die Windhunde die Verfolgung.

Zu unſerem Bedauern müſſen wir die Befürchtung der Jäger beſtätigen, daß unſer Wild im ſchnellen Abnehmen begriffen iſt und möglicherweiſe bald ausgerottet ſein wird. Schon gegenwärtig gibt es in Karolina kaum den funfzigſten Theil des Wildes mehr, welches vor zwanzig Jahren dort lebte. Jn den nördlichen und mittleren Staaten iſt es bereits ausgerottet, und nur in den ſüdlichen Ländern, wo die ausgedehnten Wälder, Brüche und Sümpfe den Anbau des Bodens verwehren, treibt es ſich noch in großer Anzahl umher, obgleich auch hier ſchon viele Pflanzer ihre Hunde ver - ſchenkt haben, weil für ſie ſich keine Arbeit mehr findet.

Jch habe dieſer Schilderung Audubon’s, welche ich übrigens nicht ſtreng überſetzt und nur im Auszug gegeben habe, nur das Eine noch hinzuzufügen, daß, nach meinen Erfahrungen, die gefan - genen virginiſchen Hirſche, wenn ſie entſprechend gehalten werden, zu den anmuthigſten Geſchöpfen gehören, welche der Menſch an ſich feſſeln kann. Jn dem Einen mag Audubon Recht haben: für das Zimmer eignen ſie ſich wie alle Hirſche nicht, einem Park oder überhaupt einem Raum aber, welcher ihretwegen umhegt worden iſt, gereichen ſie zur größten Zierde. Sie gewöhnen ſich in kurzer Zeit an ihren Pfleger und beweiſen ihm eine beſondere Zärtlichkeit. Die Mazamahirſche des ham - burger Thiergartens nähern ſich augenblicklich ihren Bekannten und nehmen die ihnen dargereichten Leckerbiſſen nicht nur freundlich entgegen, ſondern lecken dem Geber auch dankbar die Hand. Leider tritt ein Uebelſtand der Hegung dieſes Wildes in Parks und noch mehr in engeren Näumen hindernd entgegen: ſie brechen ſich nämlich oft ihre zarten Läufe, und gewöhnlich ſo unglücklich, daß die Hei - lung ſchwer oder unmöglich iſt. Ein ungeſchickter Sprung im Stalle kann ſolche Verluſte bewirken,475Der weißſchwänzige Hirſch.und noch häufiger als im Stalle ſelbſt verunglücken ſie in der angegebenen Weiſe, wenn ſie ſcherzend in der Nähe der Gitter ſich vergnügen oder während der Brunſt ſich gegenſeitig treiben, ohne auf jeden Schritt zu achten. So ſieht ſich alſo der Pfleger dieſer liebenswürdigen Thiere nur zu oft ge - nöthigt, einen derartigen verunglückten Mazamahirſch gewaltſam zu tödten, und Dies kommt dem wahren Thierfreunde, wie ich aus eigener Erfahrung verſichern darf, ſo hart an, daß er bald ſchließ - lich lieber ganz auf ſolche Gefangene verzichtet.

Mit dem virginiſchen hat der weißſchwänzige Hirſch (Reduncina leucura) täuſchende Aehnlichkeit. Geſtalt und Größe unterſcheiden ihn kaum oder nicht von jenem. Auch die Art der Zeichnung, d. h. die Farbenvertheilung, iſt faſt genau dieſelbe. Demungeachtet unterliegt es keinem Zweifel, daß beide Hirſche als verſchiedene Arten betrachtet werden müſſen. Beſonders auffallend iſt der Unterſchied in der Färbung, obgleich die einzelnen Haare ſehr ähnlich gezeichnet ſind. Bei beiden Arten hat jedes einzelne Haar einen lichteren Ring vor der dunkleren Spitze; derſelbe iſt aber bei dem virginiſchen Hirſch über doppelt ſo breit, als beim weißſchwänzigen, und roſtroth gefärbt, während er bei letzterem fahlgelb erſcheint. Dieſer geringe Unterſchied bedingt die Abweichung der Geſammtfärbung; denn im übrigen ſind beider Haare gleichgefärbt: lichtgrau an der Wurzel, zuneh - mend dunkler gegen den Ring hin, ſchwarz an der Spitze. Weil aber die Ringe bei Beſtimmung der Geſammtfärbung hauptſächlich zur Geltung kommen, erſcheint der virginiſche Hirſch immer roſtfar - bener, als der weißſchwänzige, welcher faſt genau die Färbung unſeres Rehes hat. Doch muß man beide Arten neben einander haben, wenn man in der Beſtimmung ſicher ſein will. Die ameri - kaniſchen Forſcher glauben auf die größere Länge des Wedels im Vergleich zu jener des virginiſchen Hirſches beſonderes Gewicht legen zu müſſen: ich kann verſichern, daß man bei dem lebenden Thiere den bezüglichen Unterſchied nicht wahrnimmt.

Nach Audubon und Bachmann lebt der weißſchwänzige Hirſch öſtlich von den Felsgebirgen, hauptſächlich im Flußgebiete des Kolumbia, hier vorzugsweiſe in den fruchtbaren Steppen, welche die kleineren Flüſſe umgeben; er ſcheint alſo den virginiſchen Hirſch im Nordweſten zu vertreten. Die franzöſiſchen Kanadier und die ſchottiſchen Hochländer, welche im Dienſte der Hudſonsbaigeſellſchaft ſtehen, nennen ihn einfach Reh, und erzählen, daß er im ganzen dieſem Thiere durchaus ähnlich lebe. Seine Lieblingsplätze ſind die dichten Gebüſche der Steppen. Hier verbirgt er ſich während des Tages; gegen Abend geht er auf Aeßung aus. Sein Gang iſt ſchleichend, wird aber oft durch hohe, zierliche Sprünge unterbrochen. Der flüchtige Hirſch hebt ſeinen Wedel hoch in die Höhe und bewegt ihn von einer Seite zur anderen. Vom November bis zum April und Mai ſieht man dieſes Wild in zahlreichen Trupps; dann zertheilen ſich dieſe, weil die Thiere ihre Kälber ſetzen. Letztere ſind bis in den erſten Winter mit weißlichen Tupfen gefleckt und erhalten dann das Kleid ihrer El - tern. Gegen den November hin tritt der Hirſch auf die Brunſt und ruft mit dumpfem Schreien das Thier oder andere Nebenbuhler herbei. Die Jndianer ahmen mit einem kurzen Rohrſtücke dieſes Schreien vortrefflich nach, um den Hirſch herbeizulocken. Das Thier ruft ſein Kalb mit einem kurz ausgeſtoßenen Mäh mäh . Jn allem übrigen ſcheint der weißſchwänzige Hirſch nicht von dem vir - giniſchen abzuweichen; doch muß ich hervorheben, daß die Berichte über jenen ſehr dürftig lauten, wahrſcheinlich weil auch die meiſten Reiſenden beide Hirſche für gleichartig anſahen.

An unſerem Gefangenen iſt mir vom erſten Tage an das ſonderbare Schleichen aufgefallen. Der Thiergarten zu Hamburg beſitzt allerdings nur ein einziges Thier dieſes Hirſches; daſſelbe ſteht aber mit einem virginiſchen in ein und demſelben Gehege und gibt ſomit Gelegenheit, beide zu vergleichen. Bei allen virginiſchen Hirſchen, welche ich ſah, habe ich niemals jenes Schleichen beobachtet, welches der weißſchwänzige Hirſch annimmt, ſobald er getrieben wird oder ſich irgendwie verfolgt glaubt. Er kriecht dann förmlich auf dem Boden dahin, den Rücken tief nach unten eingebogen, Hals und Kopf gerade vorgeſtreckt und jeden Schritt überlegend. Wahrſcheinlich ähnelt er im Freien ganz gewiſſen Antilopen, welche unter dem Namen Ducker bekannt ſind.

476Die Hirſche. Der Pampashirſch.

Nühmenswerth iſt die Gutmüthigkeit des erwähnten Thieres, ſowie auch ſeine hingebende Zärt - lichkeit dem ihm wohlwollenden Menſchen gegenüber. Jch habe wenige Hirſche unter meiner Pflege gehabt, welche hierin den Mazamahirſchen ähnelten, und keinen, welcher gedachtem Thiere gleichge - kommen wäre. Dieſes hat ſich nicht blos meine Liebe erworben, ſondern auch und in hohem Maße die Zuneigung aller regelmäßigen Beſucher des Gartens.

Bei den Sproſſen - oder Pampashirſchen (Blastoceros), deren Heimat Südamerika iſt, ſind die aufrechtſtehenden Geweihe in drei bis fünf Sproſſen veräſtelt, von denen eine nach vorwärts ſich richtet; die Eis - und Mittelſproſſen fehlen. Die bekannteſte Art, der Pam - pashirſch (Blastoceros campestris), iſt ein für unſere Familie mittelgroßes Thier von Fuß Leibeslänge und 4 Zoll Schwanzlänge, am Widerriſt 2⅙ Fuß, am Kreuz 2⅓ Fuß hoch. Jn ſeltenen Fällen werden recht alte Hirſche auch 4 Fuß lang. Das Weibchen iſt, wie zu er - warten, kleiner. Der Pampashirſch oder Gua-zu-y der Guaraner hat echte Hirſchgeſtalt und Färbung. Sein Geweih erinnert an das unſeres Rehes, iſt aber ſchlanker, feiner und durch die längeren Sproſſen unterſchieden. Es krümmt ſich nur wenig nach rückwärts, in der un - teren Hälfte etwas nach außen, in der oberen wieder nach innen. Die Augenſproſſe entſpringt gegen zwei Zoll über der Roſe und iſt etwa 4 Zoll lang; oben bildet ſich aus der Stange eine zwei - zackige Gabel, deren Sproſſe gerade nach aufwärts gerichtet iſt, während ſich das Ende der Gabel nach rückwärts kehrt. Zuweilen finden ſich Geweihe, auf deren Stange an der Vorderſeite noch eine zweite nach vorwärts gekehrte Sproſſe entſpringt. Die Länge des Geweihes beträgt ſelten mehr als 10 Zoll; Stangen von einem Fuß Länge gehören zu den Ausnahmen. Das Haar iſt dick, glänzend, rauh und brüchig, auf der Ober - und Außenſeite lichtröthlichbraun oder fahlgelbbraun; an den Seiten, am Vorderhals und auf der Jnnenſeite der Gliedmaßen am lichteſten. Die einzelnen Haare ſind an der Wurzel dunkelbraun geringelt. Die Unterſeite, alſo Kinn, Kehle, die Bruſt und die Längsſtreifen an der Jnnenſeite der Schenkel ſind ſchmuzig -, der Bauch, die Hinterſeite der Schenkel, die Unterſeite des Schwanzes und die Schwanzſpitze reinweiß, die Ohren außen lichtröthlichbraun, innen weißfleckig. Ein weißer Ring umgibt das Auge und weiße Flecken ſtehen an der Spitze der Oberlippe.

Der größte Theil Südamerikas iſt die Heimat dieſes Hirſches. Er iſt überall häufig. Nach Rengger kommt er hauptſächlich auf offenen und trockenen Feldern in den wenig bevölkerten Ge - genden vor, während er die Nähe von Sümpfen und die Wälder meidet, ſelbſt wenn er heftig ver - folgt wird. Er lebt paarweiſe und in kleinen Rudeln; alte Böcke einſiedeln. Bei Tage ruht er im hohen Graſe und hält ſich ſo ſtill in ſeinem Bett, daß man dicht neben ihm vorbeireiten kann, ohne daß er ſich bewegt. Dies thut er, weil er ſich dadurch zu verbergen ſucht; denn ſeine Sinne ſind ſchärfer und ſeine Bewegungen ſchneller und gewandter, als bei anderen Hirſchen. Nur ſehr gute Pferde können ihn einholen; wenn er aber einigen Vorſprung hat, vermag ihn auch der beſte Renner nicht zu erreichen. Nach Sonnenuntergang zieht er auf Aeßung aus und ſtreift dann die ganze Nacht umher. Das Thier ſetzt nur ein Kalb, entweder im Frühling oder im Herbſt. Nach wenigen Tagen führt es daſſelbe dem Hirſch zu, und beide Eltern zeigen große Sorgfalt und Liebe für das Kleine. Sobald Gefahr droht, verſtecken ſie es im hohen Graſe, zeigen ſich ſelbſt dem Jäger, führen ihn von der Spur des Kalbes ab und kehren dann auf Umwegen wieder zu dieſem zurück. Wird das Junge gefangen, ſo entfernen ſie ſich, weil ſie nicht von den Hunden verfolgt werden, nie - mals weit von dem Jäger, ſondern gehen unruhig in großen Kreiſen um ihn herum und nähern ſich, wenn ſie die meckernde Stimme des Kalbes vernehmen, ſogar auf Schußweite. Ein Paar dieſer Hirſche verfolgte Rengger, welcher ein Junges mit ſich wegführte, einmal eine halbe Stunde lang.

477Der Pampashirſch.

Jung eingefangen wird der Pampashirſch außerordentlich zahm. Er lernt alle Mitglieder des Hauſes kennen, folgt ihnen überall hin, gehorcht ihrem Rufe, ſpielt mit ihnen und beleckt ihnen Hände und Geſicht; mit Haushunden und Pferden lebt er nicht nur friedlich, ſondern neckt ſie zu - weilen mit Stößen; fremde Perſonen und fremde Hunde meidet er. Rohe und gekochte Pflanzen der verſchiedenſten Art ernähren ihn; auf Salz iſt er, wie ſeine Verwandten, beſonders erpicht. Bei ſchöner Witterung vergnügt er ſich im Freien; in den Mittagſtunden käut er wieder; bei Regenwetter begibt er ſich unter Dach.

Der erwachſene Hirſch gibt einen ſehr unangenehmen, den Ausdünſtungen des Negers ähnelnden Geruch von ſich, namentlich in der Brunſtzeit. Dann iſt er ſo ſtark, daß man ihn ſogar an Stellen wahrnimmt, wo eine Viertelſtunde vorher ein Männchen vorbeigekommen iſt. Jch warf einſt mit Kugeln, ſagt Rengger, in die Geweihe des Gua-zu-y, und ließ dieſelben nur ſolange daran, bis ich das Thier getödtet hatte: dennoch hatten ſie ſchon einen ſo ſtinkenden Geruch angenommen, daß ich mich ihrer während vierzehn Tagen nicht mehr bedienen konnte. Auch beſitze ich ein paar

Der Pampashirſch (Blastoceros campestris).

Geweihe, an denen die noch vorhandene Hautbedeckung des Roſenſtockes, jetzt nach Verlauf von acht Jahren, noch jenen Negergeruch wahrnehmen laſſen. Der Geruch ſtellt ſich nicht vor dem erſten Altersjahre ein und ſoll, wie mir ein Jäger verſichert, ganz wegbleiben, wenn man das Thier in der Jugend verſchneidet.

Um den Gua-zu-y zu erlegen, muß man Treibjagden anſtellen. Einige Jäger zu Pferde bil - den auf dem Felde einen Halbkreis und erwarten das Wild, welches ihnen andere Jäger mit den Hunden zutreiben. So wie ſich Einer dem Hirſch genugſam genähert hat, ſprengt er plötzlich auf ihn zu und wirft ihm die Kugeln in die Geweihe oder zwiſchen die Läufe. Eine Hauptregel iſt, daß ſich der Jäger nicht zu früh gegen das nahende Thier in Bewegung ſetzt, ſonſt wird er ſchon aus der Ferne von dieſem bemerkt und iſt dann nicht mehr im Stande, das flüchtige Geſchöpf einzuholen. Wird der Hirſch lange gejagt, ſo macht er, wie unſer Reh, häufig Seitenſprünge, um die Hunde von der Spur abzubringen, und verſetzt ſich endlich an einer Stelle, wo er hohes Gras findet. Jm Fall der Noth zeigt er auch Muth und vertheidigt ſich gegen Hunde und Menſchen entweder mit dem Ge - weih oder durch Schlagen mit den Vorderläufen. Zuweilen gelingt es auch, wenn man mit Vor -478Die Hirſche. Unſer Reh.ſicht die Felder durchreitet, vom Pferde herab einen Gua-zu-y im Aufſpringen zu ſchießen. Außer dem Menſchen hat dieſes Wild blos den Cuguar zu fürchten.

Das Wildpret der jungen Thiere iſt angenehm, das der alten Ricken etwas zäh, das der Hirſche, wegen der Ausdünſtung, ganz ungenießbar. Die Haut benutzt man gegerbt zu Reitdecken und Bettunterlagen.

Unſer anmuthiges und liebliches Reh (Capreolus vulgaris) iſt der Vertreter einer Sippe von Hirſchen mit kurzem Gabelgeweih und kaum bemerkbaren Thränengruben. Nur eine noch keineswegs hinlänglich bekannte aſiatiſche Hirſchart, vielleicht nur eine Abart des Rehes, wird mit zu dieſer Gruppe gerechnet; andere hierher gehörige Thiere ſind noch nicht bekannt worden.

Das Reh wird etwa Fuß lang und am Kreuz Fuß hoch; das Stumpfſchwänzchen oder die Blume , um mit den Jägern zu ſprechen, iſt höchſtens acht Linien lang und wird nur beim Zer - legen des Thieres ſichtbar. Beſonders ſtarke Böcke haben eine Länge von 4 und eine Höhe von Fuß erreicht; ſie ſind aber als eine ſehr ſeltene Ausnahme zu betrachten. Das Reh iſt ein ſehr zierlich gebautes Geſchöpf und könnte unſere Dichter zu ähnlichen Vergleichen begeiſtern, wie die Gazelle die morgenländiſchen Sänger. Von dem Edelhirſch unterſcheidet es ſich durch ſeine ge - drungenere Geſtalt, zumal durch den kurzen abgeſtumpften Kopf. Der Leib iſt verhältnißmäßig wenig ſchlank, vorn etwas ſtärker als hinten, auf dem Rücken faſt gerade, am Widerriſt niederer, als am Kreuz; die Beine ſind hoch und ſchlank, die Hufe klein, ſchmal und ſpitzig; der Hals iſt mäßig lang. Das Gehör ſteht weit auseinander und iſt mittellang, die Lichter ſind groß und lebhaft, am oberen Lide lang gewimpert. Jhre Thränengruben ſind ſehr klein, eigentlich nur ſchwach ange - deutet; denn ſie bilden blos etwa drei Linien lange, ſeichte, kahle Vertiefungen von abgerundeter, dreieckiger Geſtalt. Das Gehörn zeichnet ſich durch breite Roſen und durch verhältnißmäßig ſtarke mit weit hervortretenden Perlen beſetzte Stangen aus. Gewöhnlich ſetzt die Hauptſtange nur zwei Sproſſen an; allein die Entwickelung, welche das Rehgehörn erreichen kann, iſt damit noch nicht beendet.

Die jagdmäßige Zählung der Rehbocksenden, ſagt Blaſius, beabſichtigt nicht einen Aus - druck für das Naturgeſetz der Gehörnbildung zu geben. Will man das thierkundliche Bildungsgeſetz ausſprechen, ſo kommt es weniger auf die Zahl der Enden, als auf die Geſammtform des Gehörns an, mit deren Verbindung die Endenzahl eine Bedeutung gewinnt. Jm erſten Winter erhält der Schmalbock unzertheilte, ſchlanke Spieße mit ſchwacher Roſe an der Wurzel der Stange; beim Gabel - bock iſt die Stange ungefähr in der Mitte getheilt. Die Hauptſtange richtet ſich von der Theilung an in einem Winkel nach hinten, die Nebenſproſſe nach vorn. Dieſe knieförmige Biegung der Haupt - ſtange iſt weit wichtiger, als die vordere Nebenſproſſe, und man kann den Beck dem Alter nach für einen Gabler anſprechen, wenn die Biegung vorhanden iſt und die Nebenſproſſe fehlt. Beim Sechs - ender theilt ſich die nach hinten gebogene Hauptſtange zum zweiten Male und biegt ſich nach der Theilung wieder nach vorn vor, während ſich die zweite hohe Nebenſproſſe nach hinten wendet. Die zweite knieförmige Biegung kennzeichnet den Sechsender, und man kann den Bock dem Alter und Gehörn nach als Sechſer anſprechen, wenn er beide knieförmige Biegungen der Hauptſtange zeigt, auch wenn die Nebenſproſſen beliebig fehlen.

Mit dem Sechsender ſchließt gewöhnlich die Geſammtentwickelung ab, indem der Rehbock bei ferneren Aufſätzen in der Regel dieſelbe Zahl von Enden wieder erhält. Die regelrechte Entwickelung kann jedoch weiter fortſchreiten. Beim Achter theilt ſich die über der zweiten Gabel oder Kniebiegung und die nach oben oder nach hinten gerichtete Spitze aufs neue und ſetzt eine Nebenſproſſe ab. Der Zehnender iſt die höchſte regelmäßige Entwickelung des Rehgehörns, welche ich kenne. Er entſteht, wenn die beiden oberen Spitzen des Sechsenders ſich gabelig zertheilen; das Gehörn beſteht dann aus einer vorderen Mittelſproſſe, einer oberen Endgabel und einer hinteren Nebengabel. Gehörne dieſer Form kenne ich nur aus Syrmien und Kroatien.

479Unſer Reh.

Häufig zeigen die Rehgehörne eine Neigung inwendig an der Hauptſtange, unterhalb der nach vorn gerichteten Mittelſproſſe und gleichmäßig an jeder Seite eine auffallende, lange Perle zu ent - wickeln. Dieſe Perle wird zuweilen bis zu einem Zoll lang und kann dann jagdmäßig als Ende gezählt werden.

Mißbildungen aller Art ſind bei dem Rehgehörn außerordentlich häufig. Jn Sammlungen ſieht man Stangen von der ſonderbarſten Geſtaltung: manche mit einer ganzen Reihe von jagd - gerechten Enden, andere ſchaufelartig verbreitert und mit Randſproſſen beſetzt. Es kommen Reh - böcke mit drei Stangen und drei Roſenſtöcken, oder ſolche mit einer einzigen Roſe und einem einfachen Stocke vor ꝛc. Auch ſehr alte Ricken erhalten einen kurzen Stirnzapfen und ſetzen ſchwache Gehörne auf. Radde erhielt im Sajan ein ſolches Gehörn, welches die Ricke mitten auf der Stirn trug. Es zeigt vier längere, aus einem Grunde entſpringende Sproſſen, welche in abweichender Richtung zu einander ausgewachſen ſind, deren eine 63 Millimeter lang iſt. Von einem anderen

Unſer Reh (Capreolus vulgaris).

derartigen Gehörn theilt mir der Förſter Herr Block mit, daß es aus zwei gegen zwei Zoll langen Stangen beſtand, und ſelbſt einen alten Waidmann täuſchen konnte, welcher die Ricke als Bock an - ſprach und erlegte.

Die Behaarung des Rehes liegt glatt und dicht an; ändert ſich aber nach den Jahreszeiten. Jm Sommer iſt das Haar kurz, ſtraff, glatt, im Winter lang, namentlich auf der Unterſeite. Zwiſchen den Vorder - und Hinterläufen und den Augen ſtehen 8 bis 10 lange Borſtenhaare. Die Ober - und Außenſeite des Körpers iſt im Sommer dunkelroſtroth, im Winter braungrau; die Unterſeite und Jnnenſeite der Gliedmaßen iſt immer heller gefärbt. Auf der Stirn und dem Naſenrücken miſcht ſich Schwarzbraun, an den Seiten des Kopfes und rückwärts über den Augen Rothgelb ein; das Kinn, Unterkiefer und ein kleiner Fleck jederſeits der Oberlippe ſind weiß; hinter der Mitte der Unterlippe tritt ein kleiner brauner Fleck hervor. Das Gehör iſt auf der Außenſeite etwas dunkler, als der übrige Leib, innen mit gelblichweißen Haaren beſetzt. Der Spiegel, d. h. Steiß und der Hintertheil der Keulen480Die Hirſche. Unſer Reh.ſind ſcharf abgegrenzt lichtfarbig; im Sommer gelblich, im Winter weiß. Bei den Kälbern treten auf der röthlichen Grundfarbe kleine, rundliche, weiße oder gelbliche Flecken in Reihen hervor. Verſchieden - artige Spielarten ſind bekannt worden; manche von ihnen erhalten ſich ſogar durch mehrere Ge - ſchlechter hindurch. Dietrich aus dem Winckell führt eine ganze Reihe ſolcher Abweichungen an. Jn der Grafſchaft Denneberg ſoll es tuſchfarbenſchwarze, in der Grafſchaft Schaumburg rabenſchwarze Rehe geben, welche gleichgefärbte Kälber erzielen; in dem Erbachſchen hat man blei - farbige Böcke erlegt. Häufiger ſind ganz weiße, ſeltener gefleckte, alte Rehe, höchſt ſelten ſilberfarbene.

Mit Ausnahme der nördlichen Länder findet ſich unſer Reh in ganz Europa und in einem großen Theile Aſiens. Der 58. Grad der Breite ſcheint bei uns die nördliche Grenze ſeines Verbreitungs - kreiſes zu bilden. Hier und da iſt es bereits ausgerottet; im allgemeinen aber kann man ſagen, daß es ſich noch in allen größeren Waldungen findet, gleichviel, ob ſolche in Gebirgen oder ebenen Gegen - den liegen, ob ſie aus Schwarz - oder Laubholz beſtehen. Gerade das letztere ſcheint dem Reh beſon - ders zu behagen; während es andererſeits wieder trockene Gegenden vorzieht. Waldungen mit viel Unterholz, junge Baumſchläge, Vor - und Feldhölzer, welche viel Dunkel und Schatten bieten, ſagen ihm zu. Jm Winter zieht es ſich von den Höhen zur Tiefe herab, im Sommer ſteigt es mehr empor, und in ebenen Gegenden tritt es dann oft auf die Felder heraus und thut ſich im hohen Ge - treide nieder. Je nachdem der Standort dieſes Wildes ruhig oder unruhig iſt, hält es ſich in lichte - ren, dünn beſtandenen, oder in dunkelen, dichteren Wäldern auf, ſelbſtverſtändlich hauptſächlich während des Tages, wo es ſich durch Wegſchlagen der Laubdecken und eines Theils des verraſten Bodens ein Bett bereitet.

Jn ſeiner Lebensweiſe erinnert das Reh vielfach an den Hirſch; ſein Weſen iſt aber doch ſehr von dem des Edelwilds verſchieden. Die Bewegungen ſind ſehr behend und anmuthig. Das Reh kann erſtaunlich weite, bogenförmige Sätze ausführen und über breite Gräben, hohe Hecken und Sträuche ohne irgend welche bemerkbare Anſtrengungen fallen; es ſchwimmt ſehr gut und klettert recht leidlich. Dazu kommen ſeine höheren Fähigkeiten. Es vernimmt, wittert und äugt vortrefflich; es iſt klug, liſtig, vorſichtig und ſehr ſcheu. Freundlichkeit, Zuthunlichkeit, ſagt Dietrich aus dem Winckell, ſpricht aus jedem ſeiner Blicke, und doch läßt es nur, von der zarteſten Jugend von dem Menſchen künſtlich erzogen, ſich zähmen; im entgegengeſetzten Falle behält es ſelbſt bei der beſten Pflege die im wilden Zuſtande eigene Schüchternheit und Furcht vor Menſchen und Thieren bei. Dieſe geht ſoweit, daß es, wenn es überraſcht wird, nicht nur zuweilen einen kurzen Laut des Schreckens von ſich gibt, ſondern auch den Verſuch, ſich durch die Flucht zu retten, oft aufgeben muß, indem es leicht völlig aus dem Sprunge kommt und dann auf einem engen Raume ſich ängſtlich gleichſam herumtummelt, nicht ſelten ein Opfer gemeiner, gar nicht raſcher Bauernhunde, vorzüglich aber der Raubthiere werdend. Nur in Gehegen, wo die Rehe ſehr wenig beſchoſſen werden und im - mer Ruhe haben, legen ſie ihre Scheu vor dem Menſchen inſoweit ab, daß ſie, wenn er in einer Ent - fernung von 25 bis 30 Schritt an ihnen vorübergeht, ſich im Aeßen nicht ſtören laſſen. Jm Bette wird keine andere Wildart häufiger überraſcht, als das Reh; wahrſcheinlich muß es ſchlafen oder wenn es ſich wachend niedergethan hat, um das Geſchäft des Wiederkäuens zu verrichten, unter einem dicken Strauche oder in hohem Graſe vor den ſpähenden Blicken ſeiner Verfolger ſich hinlänglich geſichert glauben.

Die Stimme des Rehs iſt verſchieden. Der Bock wird mit einem kurzen, abgeſtoßenen, tiefen , , laut, zumal während der Brunſtzeit, er ſchmält , wie der Jäger ſagt. Die Ricke läßt etwas höhere, mehr ſchreiende Töne vernehmen; das Kalb piept in eigenthümlicher, nicht wohl zu beſchreibender Weiſe. Jn der Angſt klagt das Reh ähnlich wie ſein Junges; bei Gefahr blöckt es rauh und kreiſchend auf.

Niemals bildet das Reh ſo ſtarke Trupps wie das Edelwild. Während des größten Theiles des Jahres lebt es familienweiſe zuſammen, ein Bock mit einem, ſeltener mit zwei bis drei Ricken und deren Jungen, nur da, wo es an Böcken fehlt, gewahrt man Trupps von 12 bis 15 Stücken. Der481Unſer Reh.Bock iſt Leilthier, Beſchützer und Vertheidiger der Familie. Er trennt ſich auch nur höchſt ſelten von ihr, wahrſcheinlich blos dann, wenn jüngere, kräftigere ſeine Stelle vertreten und er es für gut be - findet, ſich grollend in die Einſamkeit zurückzuziehen. Dies geſchieht hauptſächlich im Frühſommer, währt aber nie länger, als bis zur Blattzeit; dann trollt er ſich unruhig herum, um Schmalrehe aufzuſuchen. Nach der Blattzeit bleibt er meiſtens beim Schmalreh; wenn die nunmehrige Ricke aber hochbeſchlagen iſt, ſucht er ſich eine andere, und dieſe bleibt bis zum nächſten Frühling ſeine bevorzugte Gefährtin, obgleich er, wie wir weiter unten ſehen werden, gegen die erſtere, wenn ſie geſetzt hat, ſich keineswegs unzart und unhöflich beträgt. Jm Winter vereinigen ſich zuweilen mehr Familien und leben dann in Frieden längere Zeit mit einander. Das Reh iſt ein höchſt verträgliches Geſchöpf, wie es ſich überhaupt durch eine Menge guter Eigenſchaften auszeichnet.

Die Aeßung iſt faſt dieſelbe, welche das Edelwild genießt; nur iſt das Reh leckerer und ſucht ſich mehr die zarteren Pflanzen aus. Blätter der verſchiedenſten Laubbäume, Nadelholzknospen, grünes Getreide, Kraut u. dgl. bilden wohl die Hauptbeſtandtheile der Aeßung. Salz leckt es ſehr gern und reines Waſſer iſt ihm Bedürfniß; es begnügt ſich aber bei Regen oder ſtarkem Thaufall mit den Tropfen, welche auf den Blättern liegen. Nur wenn es ſehr häufig iſt und die Güter nahe am Walde liegen, wird es ſchädlich; dann kommt es zuweilen auch wohl in die Gärten herein, deren leckere Gemüſe ihm behagen, und dabei ſetzt es kühn und geſchickt über ziemlich hohe Zäune weg. Vom Hirſch unterſcheidet es ſich dadurch, daß es die Kartoffeln nicht ausſcharrt und in den Feldern nicht ſoviel Getreide durch Niederthun umlegt; dagegen verbeißt es in Forſten und Gärten die jungen Bäume oft in recht ſchlimmer Weiſe.

Merkwürdiger Weiſe iſt erſt in der allerneueſten Zeit die Fortpflanzungsgeſchichte des Rehes feſt - geſtellt worden. Lange Jahre hat man ſich hin und her geſtritten, wann eigentlich die Brunſtzeit des Rehes eintrete. Man wollte eine wahre und eine falſche Brunſt unterſcheiden, erſtere als in den Auguſt, letztere als in den November fallend. Dietrich aus dem Winckell hat den Beſchlag der Rehe im Auguſt beobachtet und iſt gleichwohl geneigt zu glauben, daß er ſich im November wieder - hole, iſt geneigt, Dies anzunehmen, trotzdem er weiß, daß um dieſe Zeit die Rehböcke längſt abge - worfen haben. Alles Mögliche, ſagt Blaſius, iſt gegen die Novemberbrunſt geltend gemacht worden: die wirklich bekannte Begattung im Auguſt, die Feiſtzeit vor dem regelmäßigen Zuſtande der Böcke, das Abwerfen der Geweihe im Oktober und die Neubildung derſelben während der angeb - lichen Novemberbrunſt, das Beſchlagen im Auguſt und das ſpäter ſich Vereinzeln der Ricke, wobei ſie im Mai geſetzt: aber Alles vergebens! Ein harmloſes Necken und Jagen in dieſen Wintermonaten ſollte alle Gegengründe aufwiegen! Man muß wenig Sinn für die Deutung von Thatſachen ver - rathen, wenn man nach der Haltung der Rehe in der ſogenannten Blattzeit noch an der wirklichen Brunſt zweifeln will. Die Böcke führen zuweilen in dieſer Zeit Kämpfe mit einander auf Tod und Leben und verflechten durch heftiges Schlagen hin und wieder ihre Gehörne unentwirrbar mit einan - der. Jn heftigem Kampfe ſtellen ſie ſich auf die Hinterbeine und rennen mit den Köpfen gegen ein - ander, wie die Ziegen, oder nehmen Anlauf, um einander zu durchbohren, während ſie zu jeder anderen Zeit ſich friedlich unter einander vertragen. Kurz, die Rehe beweiſen in jeder Hinſicht, daß die Brunſtzeit in den Auguſt fällt. Die guten Beobachter haben wohl auch ſchwerlich daran ge - zweifelt und es iſt wirklich unbegreiflich, daß Jäger ſo feſt an einer märchenhaften Deutung dieſes Lebenshergangs hängen konnten.

Die Sache verhält ſich folgendermaßen: Von der Brunſtzeit an bis zum November geht die Entwickelung des befruchteten Eichens außerordentlich langſam vorwärts und erſt vom November an in einer, wenn man ſo ſagen darf, regelmäßigeren, raſcheren Weiſe. Die Jäger nun, welche die Sache ernſt meinten, unterſuchten hochbeſchlagene Ricken zwiſchen den Monaten Auguſt und Novem - ber und fanden keine Anzeichen von der Trächtigkeit, weil ſie das kleine, noch in einem gebundenen Leben verharrende Ei überſahen. Nun haben aber der große Jägermeiſter von Veltheim, Dr. Pockels, Dr. Ziegler und der für die Entwickelungslehre unermüdlich thätige Biſchoff dieBrehm, Thierleben. II. 31482Die Hirſche. Unſer Reh.Sache genau unterſucht und das eben mitgetheilte Ergebniß gewonnen, hierdurch das ganze große Wunder auf die allerdings etwas ungewöhnliche Erſcheinung zurückführend, daß ein verhältnißmäßig kleines Thier 40 Wochen lang hochbeſchlagen geht. Wenn man einfach von Dem gefolgert hätte, was man beim Hirſch beobachtete, würde man nie in Verlegenheit gekommen ſein, zu jenen kühnen An - nahmen ſeine Zuflucht zu nehmen.

Etwa vier bis fünf Tage vor dem Setzen entfernt ſich die hochbeſchlagene Ricke vom Bock, ohne daß dieſer es bemerkt, in den erſten Tagen nur auf wenige Stunden, ſpäter immer länger und län - ger, bis ſie endlich nicht mehr wiederkehrt. Dann ſucht ſie in einer einſamen, möglichſt verborgenen Gegend einen ſtillen Platz aus und bringt dort ihre Kinder zur Welt. Jüngere Ricken ſetzen gewöhn - lich nur ein einziges Kalb, ältere deren zwei oder drei. Die Mutter verbirgt ihre Sprößlinge vor jedem ſich nahenden Feind mit Sorgfalt und gibt ihnen bei der leiſeſten Ahnung einer Gefahr war - nende Zeichen durch Aufſtampfen mit dem einen Laufe oder durch einen kurzen zirpenden Laut. Jn der zarteſten Jugend drücken ſich die Kälber, ſobald ſie Dies vernehmen, auf der Stelle nieder; ſpä - terhin entfliehen ſie mit der Mutter. Während der erſten Tage des Lebens, wo die Kälber noch zu unbehilflich ſind, nimmt die Ricke zur Verſtellungskunſt ihre Zuflucht und lenkt den Feind von ſich ab, wie die übrigen Hirſche. Wird ihr ein Junges geraubt, ohne daß ſie es hindern kann, ſo folgt ſie dem Räuber, auch dem Menſchen, lange nach und gibt ihre Sorgen durch beſtändiges, ängſtliches Hin - und Herlaufen und durch Rufen zu erkennen. Mich hat dieſe Mutterzärtlichkeit, ſagt Dietrich aus dem Winckell, mehr als ein Mal dahin vermocht, das Kalb, welches ich ſchon mitgenommen hatte, wieder in Freiheit zu ſetzen, und die Mutter belohnte mich reichlich dafür durch die ſorgſamen Unterſuchungen, ob dem Kinde ein Unfall zugeſtoßen ſei oder nicht. Freudig ſprang ſie um das unbeſchädigt gefundene Kleine herum und ſchien es mit Liebkoſungen zu überhäufen, indem ſie ihm zugleich das Geſäuge zur Nahrung darbot. Etwa acht Tage nach der Geburt nimmt die Ricke ihre Kälber mit auf die Weide und nach zehn bis zwölf Tagen ſind ſie vollkommen ſtark genug, ihr nachzueilen. Nun kehrt ſie mit ihnen auf den alten Stand zurück, gleichſam in der Abſicht, dem Vater ſeine Sprößlinge jetzt vorzuſühren. Mit ſchmeichelhaftem Rufen lockt ſie den Bock herbei; die Kälber blöcken ihn liebreich an, während die Mutter die Freude des Wiederſehens durch zärtliche Liebkoſungen dem ſtrengen Eheherrn zu erkennen gibt. Von nun an übernimmt der Bock wieder die Leitung der Familie, und nur bei der Flucht trollt die Ricke voran. Die Kälber beſaugen ihre Mut - ter bis zum Auguſt, auch wohl bis zum September; nehmen aber ſchon im zweiten Monat ihres Lebens feineres, grünes Geäße mit an; die Mutter lehrt ſie die Auswahl treffen. Nach etwa zehn Monaten, nämlich dann, wenn ſich die Ricke wieder hochbeſchlagen fühlt, trennen ſich die Kälber von ihren Eltern; mit dem Alter von 14 Monaten ſind ſie fortpflanzungsfähig geworden und bilden nunmehr eine Familie für ſich.

Schon zu Ende des vierten Monats wölbt ſich das Stirnbein des jungen Bockes, in den folgen - den vier Wochen bilden ſich kleine, immer höher werdende Kolben, und in den Wintermonaten brechen dann die erſten, drei bis vier Zoll langen Spieße hervor. Jm März fegt der junge Bock mit Wolluſt und wahrem Uebermuth, im nächſten Dezember wirft er die Spieße ab. Binnen drei Monaten hat ſich das zweite Gehörn gebildet. Es wird ſeiner Zeit etwas früher als im vorigen Herbſt abgeworfen und durch das dritte erſetzt. Alte Böcke werfen ſchon im November ab. Bei allen hirſchartigen Thieren ſteht die geſchlechtliche Erregung mit der Thätigkeit der Haut in einer Wechſelfolge. Nach der Befruchtung geht der Wechſel des Haares und des Gehörns vor ſich, das Winterkleid bildet ſich aus, das Gehörn wird abgeworfen. Während der Wintermonate bildet ſich das neue und wenn das Sommerhaar auftritt, hat es ſeine Ausbildung erreicht. Die Ricke hat ihr Sommerkleid angezogen, wenn ſie ſetzt.

Auch das Reh iſt dem Jäger ein ſehr befreundetes Thier und wird deshalb durchaus waidmän - niſch betrachtet und waidmänniſch benannt. Das erwachſene Männchen heißt Bock, das erwachſene Weibchen Ricke, Hille oder Geis; die Jungen ſind Kälber, im zweiten Jahre Spießböcke483Unſer Reh.oder Schmalrehe, im dritten Jahre Gabelböcke und fertige Rehe. Eine Geſellſchaft der Thiere wird Sprung genannt. Jm übrigen gelten faſt alle Ausdrücke, welche der Jäger vom Edelwild gebraucht, auch vom Reh.

Man jagt dieſes faſt in derſelben Weiſe, als anderes Hochwild, obwohl man gegenwärtig mehr das glattläufige Schrotgewehr, als die Kugelbüchſe zu ſeiner Erlegung anwendet. Zuweilen umſtellt man ausgedehnte Waldſtriche mit Tüchern und treibt dann das Wild dem Jäger zu. Auch werden Treibjagden angeſtellt ꝛc. Der einzelne Waidmann geht pirſchen. Von geübten Jägern wird der Bock in der Brunſtzeit durch Nachahmung des zirpenden Liebeslautes ſeines Weibchens herbeigelockt und dann erlegt. Nur in höchſt ſeltenen Fällen vertheidigt ſich das furchtſame Thier mit ſeinem Geweih, und niemals kommt es vor, daß es einen Menſchen angreift. Dieſer muß entſchieden als der Haupt - feind des ſchmucken Geſchöpfes betrachtet werden. Außerdem ſtellen Luchs und Wolf, Wildkatze und Fuchs den Rehen nach, erſtere großen und kleinen ohne Unterſchied, letztere namentlich den Reh - kälbern, welche zuweilen auch dem zwerghaften blutgierigen Wieſel zum Opfer fallen ſollen.

Der Nutzen, welchen das Reh durch Wildpret, Decke und Gehörn dem Menſchen gewährt, iſt beziehentlich derſelbe, als der des übrigen Hochwilds; der Schaden, welchen es anrichtet, iſt aber verhältnißmäßig viel geringer, und deshalb wird das Reh im ganzen überall gern geſehen. Thier - freunde, denen es nicht darauf ankommt, wenn einige Bäume des Waldes zu Grunde gehen, ſind ihm leidenſchaftlich zugethan, weil es da, wo es ſich der Schonung gewiß fühlt, ſchon bei guter Zeit auf Waldwieſen und Felder heraustritt und ſo der Landſchaft eine außerordentliche Zierde gewährt. Jn großen Parks und Thiergärten hält man dieſes Wild eigentlich blos zu dieſem Zwecke.

Jung eingefangene Kälber werden bald ſehr zahm, gleichſam zu wirklichen Hausthieren, ob - wohl ſie in der Gefangenſchaft niemals die Größe erreichen, als im freien Walde. Nicht einmal größere Gehege ſagen ihnen zu; es ſcheint, als ob ſie keine Beſchränkung vertragen könnten. Wie weit die Zähmung des Thieres gehen kann, mag folgende Angabe Winckells lehren.

Einer meiner Brüder beſaß eine gezähmte Ricke, welche ſich in der menſchlichen Geſellſchaft faſt am beſten zu gefallen ſchien. Oft lag ſie zu unſern Füßen, und gern machte ſie ſich die Erlaubniß, welche ſie nur zuweilen erhielt, zu Nutze, auf dem Sofa an der Seite meiner Schwägerin zu ruhen. Hund und Katze waren ihre Geſpielen. Fand ſie ſich von ihnen beleidigt, ſo wurden ſie durch tüchtige Schläge mit den Läufen hart geſtraft. Die liebe Ricke ging mit uns, oder auch für ſich allein im Freien ſpazieren. Hier geſellte ſich zuweilen ein Bock zu ihr, welchen ſie dann oft bis an den Eingang des Ortes mitbrachte. Zur Brunſtzeit blieb ſie gewöhnlich, kurze Beſuche abgerechnet, welche ſie ihrem Wohlthäter abzuſtatten nicht vergaß, einige Tage und Nächte hindurch im Walde, kam dann, wenn ſie ſich hochbeſchlagen fühlte, nach Hauſe und ſetzte zur gehörigen Zeit. Die Kälber aber, mit der Muttermilch dieſes zahmen Rehes genährt, blieben wild und wurden deshalb im folgenden Oktober ausgeſetzt. Sogar während der Brunſtzeit verließ unſere Ricke, wenn ſie von ihrem Herrn beim Namen gerufen war, den Bock und folgte dem Herrn bis ans Ende des Waldes; hier aber trennte ſie ſich von ihm und gab dem Gatten den gewöhnlichen Ruf, ein Zeichen zur Annäherung.

Wird es der Leſer wohl glauben, wenn ich ihm ſage, daß dieſes herrliche, durch ein helltönen - des Schellenhalsband ausgezeichnete Geſchöpf von einem, uns leider unbekannt gebliebenen, boshaf - ten Menſchen todtgeſchoſſen worden iſt? Wir fanden die Ricke von Schroten durchbohrt im Getreide, zu einer Zeit, wo, auf unſerem Gebiet wenigſtens, von Denen, welche dazu berechtigt waren, gewiß kein Schuß auf weibliche Rehe geſchah.

Ein ſo trauriges Ende haben leider die meiſten Rehe, welche, durch die Gefangenſchaft an den Menſchen gewöhnt, einem Sonntagsſchützen oder boshaften, rohen Leuten in den Weg laufen. Jch könnte mehrere derartige Beiſpiele anführen, welche den Menſchen ſo recht von ſeiner abſcheuungs - würdigen Seite zeigen. Einige mir bekannte Forſtleute zähmen gar keine Rehe mehr, aus Furcht, ſpäter den Schmerz erleben zu müſſen, das befreundete Thier meuchlings gemordet irgendwo auf - zufinden.

31 *484Die Hirſche. Unſer Reh. Der braune Spießhirſch.

Zur Zähmung muß man nur Ricken wählen, weil die Böcke, wenn ſie älter werden, ſich oft recht trotzig und unverſchämt zeigen. Die ihnen angeborene Furchtſamkeit iſt durch die Gewohnheit abgeſtumpft worden; ſie kennen den Menſchen und wiſſen, daß weder er, noch die Hunde ihnen Etwas thun dürfen, und da zeigen ſie ſich dann nicht blos anmaßend, ſondern werden auch ſogar Kindern gefährlich. Ein junger Rehbock, welchen der meinem Vater befreundete Oberförſter Heer - wart hielt, hatte ſich in den Kopf geſetzt, daß die Hundehütte für ihn ein ganz bequemes Lager wäre und ging, ſo oft es ihm einfiel, da hinein. Wenn nun der bereits erwähnte Hund Basko gerade in der Hütte lag, ſchlug er mit ſeinen Vorderläufen kühn auf den gewaltigen Feind ſeines Geſchlechtes los, bis dieſer mit eingeklemmtem Schwanz die Hütte verließ und dem übermüthigen Geſellen Platz machte. Der vortreffliche Hund wußte recht wohl, daß er dem Liebling ſeines Herrn Nichts abſchla - gen durfte und ließ ſich von ihm in wirklich lächerlicher Weiſe beherrſchen. Aeltere Böcke gehen oft auf Kinder und noch mehr auf Frauenzimmer los und ſtoßen manchmal in gefährlicher Weiſe mit ihrem Gehörn; ſie ſind dann nicht mehr zu dulden.

Jn Südamerika leben, ſoviel bisjetzt bekannt, zwei kleine Hirſche, welche ſich durch ihr Gehörn vor allen anderen auszeichnen. Das ganze ſtolze Geweih iſt bei ihnen bis auf zwei einfache Stangen verkümmert. Dies ſind die Spießhirſche (Subulo), zu deren fernerer Kennzeichnung die kleinen Thränengruben und die Haarbüſchel an der Jnnenſeite der Fußwurzel dienen mögen. Klanendrüſen und Eckzähne fehlen. Die beiden Arten ſind der braune und der rothe Spießhirſch, beide Be - wohner derſelben Gegend, von den Guaranern Guazu-vira und Guazu-pyta genannt. Erſterer (Subulo simplicicornis) iſt einer der kleinſten Hirſche überhaupt. Seine Leibeslänge beträgt blos 3 Fuß, die Schwanzlänge nur 3 Zoll, die Höhe am Widerriſt 23 Zoll, die am Kreuz 25 Zoll. Der Leib iſt geſtreckt, der Hals kurz und ſchlank, der Kopf kurz, vorn ſehr ſchmal; die Läufe ſind hoch, ſchlank und äußerſt zierlich gebaut, die Ohren ziemlich groß, aber nicht beſonders lang, die Augen klein und lebhaft, die Thränengruben kaum bemerkbar. Nur das Männchen trägt das eigenthümliche Geweih, zwei kurze, einfache, pfriemenförmig gerundete Spieße, welche an der Wurzel ziemlich dick ſind, allmählich ſich verſchmälern und in eine ſcharfe Spitze auslaufen; ſie ſtehen ſchief nach oben und rückwärts, faſt gleichlaufend neben einander; ihre Oberfläche iſt mit runzelartigen Furchen durchzogen. Das Weibchen trägt an der Geweihſtelle zwei kleine Erhaben - heiten. Die glatt und dicht anliegende Behaarung erinnert hinſichtlich ihrer Beſchaffenheit an die unſeres Rehes. An dem Kopfe und an den Läufen iſt ſie ſehr kurz, ſonſt ziemlich reichlich; längs der Mitte des Vorderkopfes erhebt ſie ſich mähnenartig. Jhre Geſammtfärbung iſt ein aus Brännlich - grau und Gelbroth zuſammengeſetztes Braungelb, welches auf der Unterſeite und der Jnnenſeite der Läufe in ein ziemlich reines Weißgelb übergeht. Die einzelnen ſind am Grunde weiß, dann ſchwarz, hierauf falb geringelt und ſchließlich ſchwarz geſpitzt. Junge Thiere ſind oben bräunlichgrau, an den Halsſeiten aſchgrau, und längs der Mittellinie des Rückens dunkelbraun gefärbt und an den Rumpf - ſeiten mit drei Reihen lichter Flecken gezeichnet.

Beide Spießhirſche bewohnen in ziemlicher Anzahl Guiana, Braſilien, Peru und Paraguay. Sie leben in Ebenen, wie im Gebirge; unſere Art ſteigt ſogar bis zu 16,000 Fuß über den Meeresſpiegel empor. Möglicher Weiſe findet ſich dieſer Hirſch auch in Mejiko. Wälder aller Art und niedere Gebüſche bilden ſeinen Aufenthalt. Jn niederen Gegenden bevor - zugt er die ſchattigen, dichten Urwaldungen, in den Hochländern die einzeln ſtehenden Gebüſche; das Feld meidet er. Bei Tag liegt er ruhend im dichten Gebüſch; mit Sonnenuntergang begibt er ſich an den Saum der Wälder, um dort ſich zu äßen; Pflanzungen in der Nähe werden beſucht und gebrandſchatzt; ſonſt begnügt er ſich mit der Aeßung, welche im Walde wächſt. Auf den angebauten Stellen geht er hauptſächlich die jungen Schößlinge der Melonen, den aufkeimenden Mais, den jun -485Der braune Spießhirſch.gen Kohl und vor allem die Bohnen an. So zieht er hin und her bis zur Morgendämmerung; dann kehrt er wieder in ſeinen Wald zurück.

Man trifft ihn immer einzeln und paarweiſe, nie aber in Rudeln an. Beide Geſchlechter halten treu zuſammen und leiten und führen dann auch die Jungen gemeinſchaftlich. Die Ricke wirft ge - wöhnlich nur ein Junges, meiſtens im Dezember oder Januar. Das Kalb folgt der Mutter ſchon in den erſten drei bis fünf Tagen ſeines Lebens auf allen ihren Wegen nach, anfangs neben ihr hertrollend, ſpäter aber ihr vorausgehend. Droht Gefahr, ſo verſteckt es ſich im Gebüſche, und die Mutter entflieht.

Beide Spießhirſcharten ſollen furchtſam ſein. Wenn ſie zur Aeßung ziehen, treten ſie zuerſt immer nur mit halbem Leibe aus dem Walde hervor, ſehen ſich nach allen Seiten um, thun einige Schritte vorwärts und bleiben wieder ſtehen, um die Gegend auszukundſchaften. Sehen ſie einen Feind in der Nähe, ſo fliehen ſie in den Wald; iſt der Gegenſtand ihrer Furcht entfernter, ſo betrach -

Der braune Spießhirſch (Subulo simplicicornis).

ten ſie ihn erſt neugierig eine Zeit lang, ehe ſie die Flucht ergreifen. Jhre Bewegungen ſind ſchnell, aber nicht ausdauernd; man kann ſie daher leicht mit guten Pferden müde machen, einholen und ver - mittelſt der Wurfkugeln in ſeine Gewalt bekommen. Gute Hunde holen auch den kräftigſten Hirſch in nicht zu dichtem Walde binnen einer halben Stunde ſicher ein.

Die Landleute fangen nicht ſelten die Kälber, um ſie zu zähmen. Man muß ſie aber angebun - den oder im Hofe eingeſchloſſen halten, weil ſie ſelbſt häufig Schaden in den Pflanzungen anrichten. Solange ſie jung ſind, betragen ſie ſich zutraulich und zahm, jedoch nicht ſo gutartig, wie unſer Reh; denn nicht blos die Hirſche gehen auf den Mann, ſondern auch die Thiere, welche das ihnen fehlende Geweih durch die Schalen der Vorderläufe zu erſetzen wiſſen: ſie vermögen ſehr empfindliche Schläge beizubringen. Jung eingefangene Spießhirſche halten ſich anfänglich gern an ihr Haus; ſpäterhin entfernen ſie ſich aber immer mehr von der Wohnung, und ſchließlich bleiben ſie ganz weg, wenn ſie auch ihren alten Aufenthaltsort nicht völlig vergeſſen. Rengger ſah einen, welcher zehn Monate486Die Hirſche. Der braune Spießhirſch. Der Muntjak oder Kidang.früher entflohen war, in ſeiner heimatlichen Wohnung Schutz ſuchen, als er von einigen Hunden verfolgt wurde.

Jm hamburger Thiergarten haben wir eine Zeit lang ein Thier des Spießhirſches verpflegt. Es war ein überaus anmuthiges, liebenswürdiges Geſchöpf! Wahrſcheinlich hatte es von Jugend auf in Geſellſchaft des Menſchen gelebt; es bewies dieſem wenigſtens ſein Vertrauen und ſeine An - hänglichkeit bei jeder Gelegenheit. Wir durften es berühren, ſtreicheln, vom Boden aufheben, weg - tragen, ohne daß es auch nur einen Verſuch zur Flucht, zum Widerſtande machte. Jhm geſpendete Liebkoſungen erwiderte es durch Belecken der ihm ſchmeichelnden Hand oder des Geſichtes ſeiner Freunde. Mit anderen Hirſchen vertrug es ſich ausgezeichnet; wir haben es überhaupt nur als ein friedfertiges, ſanftes, ja zärtliches Weſen kennen gelernt. Das rauhe Klima Norddeutſchlands be - hagte ihm wenig; doch zeigte es ſich minder froſtig, als ich erwartet hatte. Regen fürchtete es nicht; es ließ ſich vielmehr öfters tüchtig einnäſſen. Dagegen fuhlte es ſich nie: ſchmuzige Feuchtigkeit ſchien ihm verhaßt zu ſein. Scharfe Winde mied es ängſtlich, und vor ihnen ſuchte es ſtets im Jnneren ſeines Stalles Schutz. Von den in ſeinem Gehege wachſenden Gräſern nahm es nur ſelten ein Hälmchen an; es bevorzugte trockene Aeßung und, wohl in Folge der Angewöhnung, vor Allem Brod und Zwieback.

Leider konnte ich das prächtige Thier nur kurze Zeit pflegen und beobachten. Es war beſtimmt, den Kindern des Kronprinzen von Preußen zum Spielzeuge zu dienen und konnte deshalb zu meinem aufrichtigen Bedauern von uns nicht erworben werden.

Die Jagd beider Spießhirſche iſt ſehr einfach. Man hetzt ſie mit Hunden oder ſchießt ſie auf dem Anſtand, welcher dem Jäger den meiſten Erfolg verſpricht. Außer dem Menſchen ſtellen die großen Katzenarten den erwachſenen und kleinen, ſowie die wilden Hunde den jungen Spießhirſchen eifrig nach. Das Fell wird höchſtens zu Satteldecken benutzt, das Wildpret gern gegeſſen.

Zum Schluß werfen wir noch einen Blick auf die Gruppe der Muntjakhirſche (Prox), welche ſich durch ihre geringe Größe, das ſehr kurze, unvollkommene Geweih, die auffallend großen Eckzähne, die tieferen und breiten Thränengruben und den Mangel der Haarbürſte an den Hinter - füßen kennzeichnen. Die hierher gehörigen Arten bewohnen Jndien und die Sundainſeln.

Der Muntjak oder Kidang (Prox Muntjae) iſt wohl die bekannteſte Art dieſer Gruppe. Er erreicht etwa die Größe unſeres Rehbocks; ſeine Länge beträgt vier Fuß, ſeine Höhe am Widerriſt 26 und die am Kreuz 29 Zoll. Die Geweihſtangen des Männchens ſitzen auf ſehr langen Roſenſtöcken auf und ſind ſchräg nach rückwärts gerichtet. Sie biegen ſich anfangs etwas nach außen und vor - wärts und krümmen ſich dann plötzlich gegen die Spitze hackenförmig nach rück - und einwärts. Zuerſt ſind ſie nur einfach, ſpäter erhalten ſie eine kurze, ſtarke, ſpitze, nach vor - und aufwärts gerichtete Augenſproſſe. Sehr eigenthümlich ſind die Roſenſtöcke, welche ziemlich nahe an einanderſtehen, ſich aber bald von einander entfernen, etwa drei Zoll hoch aufſteigen, bis zur Roſe von einer dicht behaarten Haut, welche längs der Roſenkante einen büſchelförmigen Haarwuchs trägt, überdeckt werden und mit einer ſehr niederen, einfachen Reihe großer Perlen gebildeten Roſe endigen. Mit zunehmendem Alter wird der Roſenſtock ſtärker, wie ſich auch die Zahl der Perlen an der Roſe ver - mehrt. An den Stangen ſelbſt ſieht man wohl tiefe Längsfurchen, aber keine Perlen.

Jm übrigen iſt der Kidang ein ziemlich ſchlank gebauter, kräftiger Hirſch von gedrungenem Leib, mit mittellangem Hals, kurzem Kopf, hohen und ſchlanken Läufen und einem kurzen, flockig behaarten Wedel. Die Behaarung iſt kurz, glatt und dicht; das Haar dünn, glänzend und ſpröde, die Fär - bung auf der Oberſeite geſättigt gelbbraun, nach der Mitte des Rückens dunkler, bis ins Kaſtanien - braun, am Hinterhalſe mehr zimmtbraun, an der Schnauze gelbbraun, längs der Vorderſeite der Roſenſtöcke dunkelbraun geſtreift, auf der Außenſeite der Ohren dunkelgelbbraun, auf der Jnnenſeite487Der Muntjak oder Kidang.derſelben, wie am Kinn, der Kehle, am Hinterbauch und den Jnnenſeiten der Beine, den Hinter - backen und dem unteren Theil des Schwanzes weiß; Vorderbauch und Bruſt ſind gelblicher, zu beiden Seiten weiß gefleckt, die Vorderbeine dunkelbraun, am Rande der Schienbeine weiß, hinten ſchwarz geſtreift; über den ſchwarzen Hufen liegt ein kleiner weißer Fleck. Das Geweih iſt weißlich, etwas ins Gelbliche ziehend. Häufige Abänderungen kommen vor.

Sumatra, Java, Borneo und Banka, ſowie die malayiſche Halbinſel bilden die Heimat des Kidang. Wir verdanken die beſte Beſchreibung ſeines Lebens und Treibens dem Reiſen - den Horsfield; ihr will ich das Nachſtehende entnehmen.

Der Kidang erwählt zu ſeinem Aufenthalt gewiſſe Gegenden, an welche er dann ſo große An - hänglichkeit zeigt, daß er ſie freiwillig niemals verläßt. Mancher Ort iſt als bevorzugter Stand unſeres Hirſches ſeit Menſchengedenken bekannt. Nicht allzuhoch gelegene Gegenden, in denen Hügel und

Der Muntjak oder Kidang (Prox Muntjae).

Thäler abwechſeln und noch mehr ſolche, die ſich an den Fuß der höheren Gebirge anlehnen oder größeren Wäldern nähern, ſcheinen alle Bedingungen in ſich zu vereinigen, welche dieſem Wilde zu - ſagen. Auf Java ſind ſo beſchaffene Standorte ſehr gewöhnlich; dort deckt ſie ein langes Gras und Sträucher und Bäume von mittlerer Höhe, welche in Gruppen zuſammentreten oder kleine Dickichte bilden und nur durch ſchmale Streifen angebauten Bodens unterbrochen werden oder in die tieferen Wälder übergehen. Hier trifft man den Kidang zu zweien, außer der Brunſtzeit aber auch in kleinen Familien an. Das lange Gras, welches allen Javareiſenden unter dem Namen Allang - Allang wohl bekannt iſt und eine Phyllantusart, welche die Haine und Dickichte zuſammenſetzt, können als ſeine hauptſächlichſten Nährpflanzen betrachtet werden. Außerdem gibt es an jenen Stellen noch viele malvenartige Gewächſe, mit welchen der Hirſch auch gern ſich äßt. Ungefähr um die Mitte der trockenen Zeit oder des javaneſiſchen Winters, kurz bevor, ehe die Bäume von neuem ihren Blätterſchmuck anlegen, wird das Gras und dürre Laub vermittelſt des Feuers ver -488Die Hirſche. Der Muntjak oder Kidang.nichtet und dadurch das Wachsthum der Pflanzen im neuen Frühjahr außerordentlich begünſtigt, ſo daß dann mit dem erſten Regen wie durch Zauberſchlag ein friſcher, ſaftig grüner Teppich ſich über die Erde legt. An ſolchen Stellen, welche außerdem reich an Waſſer, aber arm an Menſchen ſind, findet der Kidang alles ihm Nöthige im Ueberfluſſe vor und lebt hier in höchſt angenehmer Weiſe, faſt unbehelligt von ſeinem Erzfeinde.

Obwohl das Thier von den Eingeborenen leidenſchaftlich gern gejagt wird, iſt doch noch wenig über ſeine Lebensweiſe bekannt. Man weiß blos, daß ſeine Brunſtzeit in die Monate März und April fällt, und daß dann die während des übrigen Jahres einzeln umherſtreifenden Böcke die Ricken in den Dickichten aufſuchen, beſchlagen, eine Zeit mit ihnen vereinigt leben und ſie dann wieder ver - laſſen. Ueber die Dauer der Tragzeit und die Zeit des Satzes iſt noch Nichts bekannt; man kennt auch noch nicht die Zeit, in welcher der junge Bock zum erſten Male aufſetzt. Mehr haben wir über die Jagd erfahren, Dank den genauen Berichten des genannten gelehrten Reiſenden.

Die Eingeborenen, welche die in jener Gegend zerſtreuten Weiler und Dörfchen bewohnen, geben ſich nicht viel mit der Jagd des Kidang ab, umſomehr aber finden die Vornehmen des Landes ein Vergnügen an derſelben. Der Kidang hinterläßt eine ſehr ſpürbare Fährte und wird deshalb von den Hunden leicht und ſicher aufgenommen. Wenn er ſich verfolgt ſieht, geht er nicht, wie der Hirſch, in das Weite, ſondern läuft anfangs ſo ſchnell als möglich, bald aber langſamer und vor - ſichtiger in einem großen Bogen fort, ſobald als möglich wieder nach ſeinem urſprünglichen Stand - orte hin ſich wendend. Die Eingeborenen, welche alle Sitten des Thieres gut kennen, behaupten, daß der Kidang ein kraftloſes und ſehr faules Geſchöpf iſt. Wenn man ihn einige Male im Kreis umhergetrieben hat und die Verfolgung fortführt, ſoll er ſeinen Kopf in einem dicken Buſch verbergen und in dieſer Stellung feſt und bewegungslos verweilen, ohne der Annäherung des Jägers Beach - tung zu ſchenken, gleichſam als fühle er ſich hier in vollſtändiger Sicherheit. Gelingt es dem Jäger nicht, ihn am erſten Tage zu erbeuten, ſo braucht er nur am nächſtfolgenden dahin zurückzukehren, wo er ihn zuerſt auftrieb; er findet ihn dann ſicher an derſelben Stelle.

Die Jagd des Kidang mit Hilfe der Hunde iſt eine wahre Leidenſchaft aller vornehmen Javane - ſen. Viele der reichen Gewalthaber halten blos zum Zweck dieſer Jagd ſtarke Meuten von Hunden, welche regelrecht abgerichtet werden. Dieſe Hunde, gemeiniglich unter dem Namen Pariahs bekannt, ſtammen von der eingeborenen Art her, welche die Jnſel bewohnt, und leben eigentlich in einem Zuſtande unvollkommener Zähmung. Sie ähneln dem Hunde von Sumatra, welchen Hardwicke bekannt machte. Jhr Leib iſt mager und ihre Ohren ſind aufgerichtet; ſie ſind wild und heftig und ſelten ihrem Herrn beſonders zugethan, werden auch von den Eingeborenen, wie von den übrigen Mahammedanern wenig geachtet und ſelten gut behandelt; ſie ſind meiſtens ſchlecht gezogen und ekeln die Europäer an: aber ſie ſind ſehr feurig, muthig und zum Zweck der Jagd unübertrefflich. Sobald ſie die Spur des Wildes gefunden haben, nehmen ſie die Verfolgung mit großer Hitze auf, und der Jäger kann ihnen dann langſam folgen; denn gewöhnlich kommt er noch rechtzeitig zur Stelle, wo Hunde und Hirſch mit einander im Kampfe liegen. Der Muntjak iſt ein ſehr muthiger Geſell und verſteht ſein kleines Geweih mit großer Kraft und Geſchicklichkeit zu gebrauchen. Viele Hunde werden verwundet, wenn ſie ihn angreifen, und manche tragen auf Nacken und Bruſt oder am Unterleib Verletzungen davon, welche ihnen das Leben koſten, während andere wenigſtens als Erin - nerung der Kämpfe tüchtige Streifhiebe erhalten. Aber der Hirſch beſitzt kein zähes Leben und unter - liegt zuletzt den vereinigten Angriffen der Hunde und wenn nicht, doch ſicher einem Schuß von deren Führern.

An anderen Orten, namentlich im Weſten Javas, ſtellt man große Treibjagden auf den Kidang an und erlegt oft 40 bis 50 Stück an einem einzigen Tage. Viele der Jäger ſind beritten und ihre Pferde zur Jagd eigens abgerichtet; ſie nehmen ſofort die Verfolgung eines einzelnen Kidang auf und bringen den Jäger ſo nahe an ihn heran, daß er ſein Wild mit einem Schwertſtreiche tödten kann. Jmmer reiten die eingeborenen Jäger auf dem nackten Rücken des Pferdes, und dabei geben ſie489Der Muntjak oder Kidang. Die Girafe.ſich mit ſolchem Ungeſtüm der Jagd hin, daß ſie faſt jede Minute ein Mal ihr Leben oder wenigſtens ihre Glieder aufs Spiel ſetzen.

Jn Banka hängt man zwiſchen zwei nahe ſtehende Bäume eine Menge von Schlingen und zäunt von den Bäumen aus in ſchiefer Richtung zwei Wände, welche mehr und mehr ſich verbreitern. Da hinein treibt man den Kidang vermittelſt der Hunde. Das arme Wild ſtürzt, blind vor Furcht, willenlos in dieſe tückiſch gelegten Schlingen zwiſchen den Bäumen, welche ihm einen Ausweg und Rettung vor ſeinen Verfolgern verheißen. Außer dem Menſchen ſtellen Tiger und Panther dem Kidang eifrig nach. Doch das milde Klima mit ſeinem Reichthum an Nahrung ſagt dieſem Thiere ſo außerordentlich zu, daß alle Verluſte, welche Menſch und Raubthier dem Wildſtande bringen, ſchnell gedeckt werden.

Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Kidang ſeines ungeduldigen Weſens halber nicht beſonders, obwohl er ſie in ſeinem Vaterlande ſehr gut und auch in Europa recht leidlich aushält. Man fin - det ihn oft im Beſitze der Europäer und Eingeborenen; doch verlangt er, wenn er ſich wohl befinden ſoll, einen großen Raum und ein ausgewähltes Futter. Bei guter Behandlung wird er bald ſanft, zahm und zutraulich.

Das Wildpret des Kidang wird gern von den Europäern gegeſſen; die Eingeborenen aber ge - nießen es nur dann, wenn es vom Bock herrührt, weil einige Eigenheiten in den Sitten der Weibchen ihnen Abſcheu vor dieſen beigebracht haben; auch glauben ſie wohl, daß der Genuß ihnen Krantheiten erzeuge u. dgl. m. Das Fell findet keine Verwendung.

Jn der Neuzeit hat man noch vier andere, hierher gehörige Arten von Muntjakhirſchen unter - ſchieden; ob mit Recht oder Unrecht, laſſen wir dahingeſtellt.

Auch unter den Wiederkäuern gibt es Geſtalten, welche mit der jetzt lebenden Schöpfung gleichſam nicht mehr in Einklang zu bringen ſind und an die märchenhaften Gebilde längſt ver - gangener Erdentage erinnern: das auffallendſte Thier von allen aber iſt die Girafe. Der alte Horaz hat ſo unrecht nicht, wenn er dieſes ſonderbare Geſchöpf ein Gemiſch von Panther und Ka - mel nennt, und die viel ſpäter Lebenden waren ſicherlich in ihrem Rechte, wenn ſie die von den egyptiſchen Denkmälern herrührenden Abbildungen eines ihnen wieder entfremdeten Thieres als Traumgebilde einer übermüthigen Künſtlerfantaſie bezeichneten. Die Römer ſtaunten gewiß auch nicht mehr über die Girafen, welche ihnen zu den Spielen des Julius Cäſar und ſpäter noch einige Male vorgeführt wurden, als wir gebildeten Europäer heute noch ſtaunen, wenn wir das uns durch eine Menge von Abbildungen bekannte märchengeſtaltige Weſen zum erſten Male vor uns ſehen.

Die Girafe iſt der Vertreter einer eigenen Familie, welcher man den altlateiniſchen, durch die mitgetheilten Horaziſchen Worte erklärten Namen Camelopardalis gelaſſen hat. Jn dem Sivatherium, deſſen verſteinten Schädel man in Jndien ausgrub, glaubt man ein zu derſelben Familie zu rechnendes Geſchöpf entdeckt zu haben; in der gegenwärtigen Schöpfung aber iſt die afrikaniſche Girafe (Camelo - pardalis Girafa) der alleinige Vertreter der merkwürdigen Familie, welche durch den, alles ge - wohnte Maß überſchreitenden, langen Hals, die hohen Beine, den dicken Rumpf mit abſchüſſigem Rücken, den zierlich gebauten, feinen Kopf, mit großen, ſchönen, klaren Augen und durch zwei ſonderbare, mit Haut überkleidete Knochenzapfen gekennzeichnet iſt. Die hohen Läufe und der lange Hals machen die Girafe zu dem höchſten und verhältnißmäßig kürzeſten aller Säugethiere. Jhre Leibeslänge beträgt nämlich blos 7 Fuß, die Schulterhöhe dagegen bereits 10 Fuß und die Höhe des Kopfes 15 bis 19 Fuß. Der Schwanz wird mit der Haarquaſte über 4 Fuß, ohne dieſelbe nur Fuß lang. Das Kreuz iſt faſt 2 Fuß niedriger, als der Widerriſt. Die Entfernung von der490Die Girafe.Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel beträgt 13 Fuß, das Gewicht 10 Centner. Aus dieſen Maßen allein ſchon geht hervor, daß die Girafe hinſichtlich ihrer Geſtaltung von allen übrigen Säugethieren abweicht; der Leibesbau iſt aber ſo merkwürdig, daß wir ihn noch beſonders beſchreiben müſſen. Die Girafe iſt nicht blos ein ſonderbares Zwittergeſchöpf von Panther und Kamel, wie der alte Horaz ſagt, ſondern gleichſam aus den Beſtandtheilen verſchiedener Thierleiber zuſammengeſetzt. Der Kopf und der Leib ſcheinen vom Pferd, der Hals und die Schultern vom Kamel, die Ohren vom Rind, der Schwanz vom Eſel, die Beine von einer Antilope entlehnt zu ſein, die Fär - bung und Zeichnung des glatten Felles endlich ſind es, welche an den Panther erinnern. Eine ſolche Zuſammenſetzung kann nur Mißgeſtaltung des ganzen Thieres zur Folge haben, und wirklich wird Niemand die Girafe ſchön oder ebenmäßig nennen mögen. Der kurze Leib ſteht mit den hohen Beinen und dem langen Hals in keinem Verhältniß; der auffallend abſchüſſige Rücken muß nach allen kunſt - gerechten Begriffen häßlich genannt werden, und die ungeheure Höhe des Thieres trägt durchaus nicht zu ſeiner Zierde bei. Schön iſt nur der Kopf, wundervoll das Auge, angenehm die Zeichnung: alles Uebrige iſt auffallend und ſonderbar.

Der Kopf der Girafe iſt langgeſtreckt und erſcheint, der ziemlich dünnen Schnauze wegen, noch länger. Er trägt ſehr große, lebhaft glänzende und doch ungemein ſanfte, wirklich geiſtige Augen, große, zierlich gebaute, äußerſt bewegliche Ohren von beinahe einem halben Fuß Länge und die zwei beſchriebenen, ſonderbaren Stirnzapfen, welche entfernt an Hörner erinnern und etwas kürzer ſind, als die Ohren. Zwiſchen beiden erhebt ſich eine rundliche Knochenanſchwellung, gleichſam als drittes Horn. Der Hals iſt etwa ebenſolang, als die Vorderbeine, dünn, ſeitlich zuſammengedrückt und hinten mit einem hübſchen Haarkamm geziert. Der Leib iſt breit an der Bruſt, am Widerriſt viel höher, als am Kreuz, und längs der Mittellinie etwas eingeſunken, vorn durch die faſt rechtwinkelig vorſpringenden Schulterblätter ſehr ausgezeichnet, hinten auffallend verſchmälert, ſo daß man den Hinterleib, wenn man das Thier gerade von vorn anſieht, gar nicht bemerkt. Die Beine ſind ver - hältnißmäßig zart und faſt gleich lang; ihre Hufe ſind zierlich gebaut. An den Beugegelenken der Läufe zeigt ſich eine nackte Schwiele, wie das Kamel ſie beſitzt. Die Haut iſt ſehr dick und, mit Aus - nahme des erwähnten Hornkegels, des Halskammes und der Schwanzquaſte, überall gleichmäßig be - haart. Ein fahles Sandgelb, welches auf dem Rücken etwas dunkler wird und auf der Unterſeite ins Weißliche übergeht, bildet die Grundfarbe; auf ihr ſtehen ziemlich große, unregelmäßig geſtaltete, meiſt eckige Flecken von dunklerer oder lichterer roſtbrauner Färbung, und zwar ſo dicht, daß der helle Grund nur netzartig hervortritt. Am Hals und an den Beinen ſind dieſe Flecken kleiner, als auf dem übrigen Leibe. Die Mähne iſt fahl und braun gebändert; die Ohren ſind vorn und an der Wurzel weiß, hinten bräunlich. Der Bauch und die Jnnenſeite der Beine ſind ungefleckt; die Haar - quaſte iſt dunkelſchwarz. Ungeborene, noch nicht völlig ausgetragene Girafen haben ein ſehr weiches, mausgrau gefärbtes Fell ohne Flecken; bei der Geburt ſind dieſe aber ſchon vorhanden.

Gegenwärtig bewohnt die Girafe das mittlere und ſüdliche Afrika oder denjenigen Theil des Landes, welcher etwa zwiſchen dem 17. Grad nördlicher Breite und dem 24. Grad ſüdlicher Breite liegt. Jm Norden beginnt ihre Heimat an der ſüdlichen Grenze der Sahara, im Süden verſchwindet ſie in der Nähe des Orangenfluſſes. Wie weit ſie von Oſten hin in das Jnnere und nach Weſten geht, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt. Am Kongo und in Senegambien fehlt ſie gänzlich, wahr - ſcheinlich weil das Land dort gebirgig iſt; denn ſie hält ſich nur in ebenen Steppengegenden, nie - mals in den Gebirgen oder in den dichteren Urwaldungen auf.

Jn den ſchönen ſüdafrikaniſchen Wäldern nimmt ſich die Girafe freilich ganz anders aus, als in dem engumzäunten Raum eines Thiergartens. Die merkwürdige Uebereinſtimmung der Ge - ſtalt und allgemeinen Erſcheinung eines Thieres mit der Oertlichkeit, in welcher es lebt, macht ſich auch hier bemerklich. Wenn man eine Herde Girafen, ſagt Gordon Cumming, in einem Hain der maleriſchen und ſonnenſchirmförmigen Mimoſen zerſtreut ſieht, welche ihre heimiſchen Ebenen ſchmücken und an deren letzten Zweigen ſie in Folge ihrer gewaltigen Höhe nagen können,

Girafen.

491Die Girafe.müßte man wirklich nicht viel Sinn für Naturſchönheiten haben, wollte man den Anblick nicht über - aus anziehend finden. Man begegnet der Girafe hauptſächlich da, wo unzählige, verwitterte Stämme vorkommen, welche, Dank den Flechten, die auf ihnen ſich ausbreiten, oft dem langen Hals einer Girafe täuſchend ähneln. Oft bin ich, fährt der genannte Jäger fort, über die Anweſen - heit eines ganzen Trupps von Girafen in Zweifel geweſen, bis ich zu meinem Fernglaſe Zuflucht nahm; ſogar meine halbwilden Begleiter mußten bekennen, daß ihre ſcharfen, geübten Augen zu - weilen getäuſcht wurden; denn ſie ſahen bald jene verwitterten Stämme für Girafen an und verwech - ſelten wiederum wirkliche Girafen mit den hochbejahrten Bäumen.

Gewöhnlich trifft man die Girafe in kleinen Trupps von 6 bis 8 Stück; da, wo ſich das edle Thier aber ſicher weiß, kommt es häufig vor. Cumming ſpricht von Herden, welche aus 30 bis 40 Stück beſtanden haben, meint aber, daß 16 als durchſchnittliche Zahl betrachtet werden muß; ich habe das ſtolze Wild nur ein Mal, und zwar zu Dreien, geſehen, und in Kordofahn auch immer blos von ſchwachen Trupps reden hören.

Alle Bewegungen der Girafe haben etwas Sonderbares. Der Gang iſt ein langſamer und ge - meſſener Paßſchritt, der Lauf wegen des auffallenden Mißverhältniſſes der vorderen zur hinteren Höhe und der Höhe zur Länge ein merkwürdig ſchwerfälliger, lahmer und plumper Galopp, welcher aber, Dank der Weite jedes einzelnen Sprunges, außerordentlich fördert. Wegen der Größe und Schwere des Vordertheils iſt das Thier nicht im Stande, ſich durch die Kraft der Muskeln allein vorn zu heben; dazu muß eine Zurückbeugung des langen Halſes behilflich ſein: erſt wenn es den Schwerpunkt mehr nach hinten gerückt hat, wird es ihm möglich, zur Sprungbewegung von der Erde loszukommen. Die Girafe ſpringt, ohne die Vorderbeine zu biegen, und ſetzt ſie mit einer gleich - zeitigen Bewegung des Halſes nach vorn ſteif auf; mit einer neuen Bewegung des Halſes erfolgt dann der Nachſprung der Hinterfüße. So bewegt ſich, wie Lichtenſtein ſagt, der Hals der ſprin - genden Girafe im ſteten Hin - und Herſchwung, wie der Maſt eines auf den hohen Wellen tanzen - den Schiffes . Während der Flucht ſchlägt ſie ſich mit dem langen Schwanze wie mit einer Reitgerte klatſchend über den Rücken; auch dreht ſie den Kopf mit den klugen, ſchönen Augen oft rückwärts, um nach ihren Verfolgern hinzuſehen. Es gehört ein ſehr gutes Pferd dazu, einer eilig laufenden Girafe nachzukommen, und beſonders ſchwer iſt es, ſie auf die Dauer zu verfolgen, weil alle übrigen Thiere faſt regelmäßig eher ermüden, als ſie. Bei ruhigem Gange nimmt ſich die Girafe entſchieden am vortheilbaſteſten aus: ſie hat dann etwas ſehr Würdiges und Anmuthiges.

Höchſt eigenthümlich iſt eine Stellung, welche das Thier annimmt, wenn es Etwas von dem Boden aufnehmen, oder wenn es trinken will. Jn vielen Beſchreibungen wird behauptet, daß die Girafe zu dieſem Ende auf die vorderen Fußwurzelgelenke (Knie) niederfalle. Dies iſt aber falſch. Sie bewirkt die Erniedrigung ihres Vordertheils, indem ſie beide Vorderläufe ſoweit aus einander ſtellt, daß ſie bequem mit dem langen Halſe auf den Boden herabreichen kann. Wer dieſe Stellung nicht ſelbſt geſehen hat, hält ſie geradezu für unmöglich, und ich habe deshalb unſeren Zeichner, Herrn Kretſchmer, gebeten, die Girafe des amſterdamer Thiergartens in der betreffenden Stellung auf - zunehmen.

Gewöhnlich ruht die Girafe nur während der Nachtzeit. Zu dieſem Ende ſenkt ſie ſich zuerſt auf die Beuggelenke der Vorderbeine, knickt hierauf die Hinterbeine zuſammen und legt ſich endlich auf die Bruſt, wie das Kamel. Während des Schlafes liegt ſie zum Theil auf der Seite und ſchlägt dabei beide oder nur eins ihrer Vorderbeine ein, den Hals wendet ſie rückwärts, den Kopf läßt ſie gern auf den Hinterſchenkeln ruhen. Jhr Schlaf iſt ſehr leiſe und währt nur kurze Zeit. Sie kann auch viele Tage lang den Schlaf entbehren und ſcheint ſich dann ſtehend auszuruhen.

Es verſteht ſich ganz von ſelbſt, daß die Nahrung der Girafe im Einklange ſteht mit ihrer Ge - ſtalt und ihrem Weſen. Das Thier iſt nicht geeignet, Gras vom Boden abzuweiden, umſomehr aber befähigt, das Laub von den Bäumen zu pflücken. Hierbei unterſtützt es ſeine ungemein beweg - liche Zunge ganz weſentlich. Wie bekannt, gebrauchen die meiſten Wiederkäuer die Zunge zum Ab -492Die Girafe.pflücken ihrer Nahrung; kein Einziger aber bedarf dieſes Werkzeug ſo ausſchließlich, wie die Girafe. Was dem Elefanten der Rüſſel iſt, iſt ihr die Zunge. Sie iſt im Stande, die kleinſten Gegen - ſtände damit aufzunehmen; ſie iſt fähig, das zarteſte Blatt zu pflücken und in den Mund zu ziehen. Jn unſerem Thiergarten, ſagt Owen, iſt mehr als eine Dame beim Beſchauen der Girafen von dieſen der künſtlichen Blumen beraubt worden, welche ihre Hüte ſchmücken. Es ſcheint, daß die Girafe weniger durch den Geruch, als durch das Auge in der Auswahl ihres Futters geleitet würde, und ſo kommt es oft vor, daß das Thier ſich betrügt, wie in den erwähnten Fällen, wo es mit der gewandten Zunge die künſtlichen Blumen ergriff und von den Hüten abriß. Jn der Freiheit ſind es hauptſächlich die Zweige, Knospen und Blätter der Mimoſen, welche dem Thiere zur Nah - rung dienen. Die Kameldorn - und Warteinbischenmimoſe bilden im Süden Afrikas den Haupt - beſtandtheil ihres Futters; im Norden Afrikas frißt ſie die gewöhnlichen oder die Karratmimoſen - blätter und entlaubt beſonders gern die Schlingpflanzen, welche in ſo reicher Fülle die Bäume der

Die Girafe. (Zu Seite 491.)

Wälder in jenen Gegenden umhüllen. Bei friſcher Nahrung kann ſie, wie das Kamel, lange Zeit des Waſſers entbehren; in der trockenen Jahreszeit aber, wo die Bäume größtentheils ihres Blätter - ſchmucks beraubt ſind und die hohen, verdorrten Gräſer ihr dürftige Koſt bieten, geht ſie oft mei - lenweit nach den pfuhligen Waſſerbecken oder zu den übrig gebliebenen Tümpeln der während der Regenzeit fließenden Ströme herab, um ſich zu tränken. Solche Orte ſind es, an denen Freilig - raths ſchönes Gedicht zur Wahrheit werden kann. Das Wiederkäuen beſorgt die Girafe ſtehend, hauptſächlich aber des Nachts. Es ſcheint ihr übrigens nicht ſoviel Zeit zu koſten, wie Anderen ihrer Ordnung.

Das geiſtige Weſen ſtellt die Girafe ſehr hoch. Sie iſt im Verhältniß zu ihrer Größe ein höchſt gutmüthiges, friedliches und ſanftes Thier, welches nicht blos verträglich mit ſeines Gleichen, ſondern auch mit anderen Thieren lebt, ſolange dieſe ihr nicht beſchwerlich oder gefährlich werden. Jm Nothfall weiß ſie ſich recht gut zu vertheidigen, nicht mit ihren Hörnern, welche überhaupt blos zum Staate zu dienen ſcheinen, ſondern mit kräftigen Schlägen ihrer langen, ſehnigen Füße. Jn493Die Girafe.dieſer Weiſe kämpfen die verliebten Männchen unter ſich um die Weibchen. Durch Ausſchlagen beſchützt die Girafenmutter ihr Junges vor der tückiſch herbeiſchleichenden Katze, und die Kraft des Schlages iſt ſo gewaltig, daß er ſelbſt einen Löwen fällen kann. Wärter in den Thiergärten müſſen ſich manchmal ſehr in Acht nehmen vor den Girafen, obgleich ſie ſonſt recht gut mit ihren Schutzbe - fohlenen auskommen.

Ueber die Fortpflanzung der Girafe hat erſt die Neuzeit uns belehrt. Die ſeltenen Thiere haben in den Thiergärten von London und Wien Junge geworfen. Aus den bisherigen Beob - achtungen geht hervor, daß die Paarung im März oder Anfangs April, der Wurf im Mai oder Juni ſtattfindet, die Dauer der Tragzeit alſo 431 bis 444 Tage, oder 14¼ bis 14½ Monate be - trägt. Während der Paarungszeit vernahm man von beiden Geſchlechtern ein ſanftes Blöcken. Die Männchen ſprangen ohne beſondere Heftigkeit auf einander los und rieben ſich gegenſeitig mit ihren Stirnzapfen den Rücken und die Seiten. Zu ernſtlichen Kämpfen kam es nicht. Die Geburt ging ſchnell und leicht von ſtatten. Das junge Thier kam zuerſt mit den Vorderfüßen und Kopf zur Welt. Nach ſeiner Geburt lag es etwa eine Minute bewegungslos, dann begann die Ath - mung; nach einer halben Stunde verſuchte es aufzuſtehen, zwanzig Minuten ſpäter wankte es nach der Mutter hin. Dieſe blickte nur ziemlich gleichgiltig auf ihren Sprößling herab, und man mußte am anderen Tage eine Kuh herbeibringen, an welcher die junge Girafe dann etwa einen Monat lang ſaugte. Zehn Stunden nach der Geburt lief das Junge herum; am dritten Lebenstage übte es ſich bereits in Sätzen. Leider ſtarb es aber nach Monatsfriſt. Bei ſeiner Geburt war es 6 Fuß 10 Zoll lang, die Vorderglieder hatten eine Höhe von 5 Fuß, der Schwanz war bereits Fuß lang. Etwa neun Monate nach der Geburt dieſes Jungen nahm die Mutter das Männchen wieder an und warf nach 431 Tagen wiederum ein Junges, welches zwölf Stunden nach ſeiner Geburt kräftig an dem Euter der Alten ſaugte. Nach drei Wochen genoß es Pflanzen und mit dem Alter von vier Monaten begann es wiederzukäuen. Jn der erſten Woche ſeines Lebens war es 6, nach 9 Monaten bereits Fuß hoch. Jm kaiſerlichen Thiergarten lebt gegenwärtig eine dort am 20. Juli 1858 geworfene Girafe im beſten Wohlſein. Fitzinger, welcher über den Fall berichtete, beſtätigt, daß von Anhänglichkeit der Mutter für ihr Junges nichts Beſonderes zu bemerken war. Nachdem ſie das Kalb einige Male am Kopfe beleckt, wandte ſie ſich von ihm hinweg, ohne ſich fer - ner um ihr Kind zu bekümmern. Man war gezwungen, die Alte zu melken und das Junge mit Hilfe eines Saugglaſes zu erziehen. Das Melken ließ ſich die Alte gefallen; allein ihr Euter war ſo milcharm, daß man ſchon nach wenigen Tagen eine Kuh als Amme verwenden mußte.

Jagd und Fang alter Girafen haben ihre großen Schwierigkeiten. Der Franzoſe Thibaut, ein mir wohlbekannter Bewohner Kordoſahns, brachte im Jahre 1834 ſeit vielen Jahrhunderten wieder die erſten lebenden Girafen nach Europa. Er hatte die Thiere in den Steppen Kordofahns gejagt und gefangen. Die Jungen bekam er erſt in ſeine Gewalt, nachdem er die Mütter getödtet hatte. Nach ſeinen Berichten verurſacht der Fang unglaubliche Mühen und Beſchwerden. Man muß wochenlang in den Steppen verweilen, vortreffliche Pferde, Kamele und Kühe mit ſich nehmen und ſich das Geleit eingeborener Araber zu verſchaffen ſuchen, weil man ſonſt doch vergeblich aus - ziehen würde. Die jung gefangenen ergeben ſich ohne Umſtände in ihr Schickſal, verlangen aber anfänglich die ſorgfältigſte Behandlung, und deshalb eben nimmt man melkende Kühe mit auf die Jagd, um den jung gefangenen Girafen ſogleich geeignete Nahrung bieten zu können. Vom inneren Afrika aus führt man dann die bald zahm gewordenen Girafen in kleinen Tagereiſen nebſt ihren Ammen, den Kühen, der Küſte zu, wo eigene Kaſten für die Ueberfahrt hergerichtet werden müſſen. Die Jagd ſchildert Gordon Cumming in ſehr lebendiger Weiſe. Keine Feder und keine Worte, ſagt er, können dem Jagdfreund beſchreiben, was es heißt, in der Mitte eines Trupps rieſenhafter Girafen zu reiten; man muß Das ſelbſt erfahren, um es zu verſtehen. Gewöhnlich eilen die verfolgten Girafen durch die dornigen Gebüſche aller Art, und die Arme und Beine des verfolgenden Jägers ſind lange bevor er den Girafen nachkommt, mit Blut bedeckt. Bei meiner erſten494Die Girafe.Jagd eilten zehn gewaltige Girafen vor mir her. Sie galoppirten ganz gemächlich dahin, während mein Pferd genöthigt war, ſeine äußerſte Schnelligkeit aufzubieten, um nicht hinter ihnen zurückzu - bleiben. Meine Empfindungen bei dieſer Jagd waren verſchieden von Allem, was ich während einer langen Jägerlaufbahn bisjetzt erfahren; ich war durch den wunderſchönen Anblick vor mir ſo in An - ſpruch genommen, daß ich gleichſam wie bezaubert entlang ritt und faſt nicht glauben konnte, daß ich wirklich lebende, dieſer Welt angehörende Geſchöpfe vor mir herjagte. Der Boden war feſt und zum Reiten günſtig. Mit jedem Satz meines Pferdes kam ich der Herde näher, ſchoß endlich mitten unter ſie hinein und ſonderte das ſchönſte Weibchen von ihr ab. Als die eine Girafe ſich von ihren Genoſſen getrennt und hitzig verfolgt ſah, lief ſie noch ſchneller und galoppirte in furchtbar weiten Sprüngen, während ihr Hals und ihre Bruſt mit den dürren, alten Zweigen der Bäume in Berüh - rung kamen, ſie abriſſen und fortwährend meinen Weg damit beſtreuten. Bald war ich etwa noch acht Schritt hinter ihr, feuerte im Galopp ihr eine Kugel in den Rücken, ritt dann noch ſchneller, ſo daß ich ihr zur Seite kam, hielt die Mündung meiner Büchſe nur wenige Fuß von ihr entfernt und ſchoß ihr meine zweite Kugel hinter das Blatt, ohne daß dieſe jedoch große Wirkung zu äußern ſchien. Da ſtellte ich mich gerade vor ſie, während ſie begann im Schritt zu gehen, ſtieg ab und lud ſchnell beide Läufe meiner Büchſe wieder. Jm trockenen Bett eines Baches brachte ich ſie nochmals zum Stehen und feuerte auf die Stelle, wo ich das Herz vermuthete. Sie lief ſo - gleich weiter; ich lud nochmals, folgte und brachte ſie wiederum zum Stehen. Jetzt ſtieg ich ab und ſchaute verwundert ſie an. Jhre außerordentliche Schönheit bezauberte mich, ihr ſanftes, dunk - les Auge mit ſeinen ſeidenen Wimpern ſchienen bittend auf mich herabzuſchauen. Jch fühlte in die - ſem Augenblick wirklich Reue über das Blut, welches ich vergoß. Aber der Jagdtrieb behielt die Oberhand. Nochmals richtete ich meine Büchſe empor und ſchoß der Girafe eine Kugel in den Hals. Sie bäumte hoch auf den Hinterbeinen in die Höhe und ſtürzte dann wieder nach vorn zu Boden, daß die Erde erzitterte. Ein dicker Strom ſchwarzes Blut ſprudelte aus der Wunde hervor, die rie - ſigen Glieder zuckten noch ein Augenblick und das Thier hatte verendet.

Vielfach iſt die Verwendung der erlegten Girafe. Man benutzt die Haut zu allerlei Lederwerk, die Schwanzquaſte zu Fliegenwedeln, die Hufe zu Hornarbeiten und genießt das vortreffliche Fleiſch. Noch lieber aber ſieht man es, wenn man eine Girafe lebend bekommen kann. Ueberall hat man das auffallende Thier gern, überall freut man ſich, es um ſich zu haben. Jn den innerafrikaniſchen Städten ſieht man oft ein paar Girafenhäupter über die hohen Umfangsmauern eines Gartens her - vorragen, und nicht ſelten begegnet man in der Nähe von Ortſchaften gezähmten Thieren, welche nach Belieben umhergehen. Bei unſerer Ankunft in Karkodj, einer Ortſchaft am blauen Fluſſe, kam zuerſt eine Girafe an unſere Barke, gleichſam in der Abſicht, uns zu begrüßen. Sie ging ver - traulich auf uns zu, trat dicht an unſer Bot heran, fraß uns Brod und Durrahkörner aus der Hand und behandelte uns ſo freundlich, als wären wir ihre alten Bekannten. Gar bald merkte ſie, wie große Freude wir an ihr hatten; denn ſie kam nun alle Tage, ſolange wir uns in der Nähe dieſer Ortſchaft aufhielten, mehrmals zu uns, um ſich liebkoſen zu laſſen. Der arabiſche Name Serahfe die Liebliche welchen unſer Wort Girafe verſtümmelt wiedergibt, wurde mir verſtändlich. Jch freute mich unausſprechlich, einmal ein ſo ſonderbares Thier in allen ſeinen Bewegungen beobachten zu können; denn im freien Zuſtande hatte ich es nur ein Mal ganz von fern geſehen, obgleich ich mich wochenlang in Gegenden herumtrieb, welche reich an Girafen genannt werden müſſen.

Es iſt ewig ſchade, daß die Girafe nicht ebenſo brauchbar iſt, wie ein Rind oder Schaf: ſie wäre ein Hausthier, ſo liebenswürdig, wie kaum ein anderes!

Leider ertragen die nach Europa gebrachten Girafen die Gefangenſchaft nur bei beſter Pflege längere Zeit. Die meiſten gehen an einem eigenthümlichen Knochenleiden zu Grunde, welches man Girafenkrankheit genannt hat. Urſachen dieſer Krankheit dürften Mangel an Bewegung und unge - eignete Nahrung ſein. Nach den Erfahrungen, welche ich am Elch gemacht habe, glaube ich, daß495Die Antilopen.namentlich Gerbſäure dem Girafenfutter zugeſetzt werden muß, um ihr Wohlbefinden zu fördern; denn gerade die Mimoſenblätter ſind beſonders reich an dieſem Stoff. Ein großer Raum vor und ein warmer Fußboden in dem Stalle der Girafe ſind außerdem unerläßliche Bedingungen für ein Gefangenleben des theilnahmswerthen Geſchöpfes.

Wenn alle die Thiere, welche wir hier zur fünften Familie rechnen, ſo anmuthige Ge - ſchöpfe wären, wie die Gazellen es ſind, müßte man dieſer Abtheilung unbedingt den erſten Rang von der ganzen Ordnung anweiſen oder ihr wenigſtens den Preis der Schönheit zuerkennen. Allein gerade unter den Antilopen gibt es einzelne Geſtalten, welche von den Laien nimmermehr als nahe Verwandten jenes lieblichen Wüſtenthieres angeſehen werden würden. Der Name Antilope iſt ganz geeignet, nur an äußerſt ſchöne Geſtalten, zarte und feine Thiere denken zu laſſen, und der Laie iſt deshalb geneigt, die plumpen und ſchweren Mitglieder unſerer Familie lieber zu den Rindern, als zu den Antilopen zu rechnen.

Jm allgemeinen kann man die Antilopen als ſchlankgebaute, hirſchähnliche Thiere mit kurzem, faſt immer eng anliegenden Haarkleid und mehr oder minder gewundenem Gehörn bezeichnen, wel - ches zumeiſt beiden Geſchlechtern zukommt. Die verſchiedenen Arten ähneln ſich im ganzen außer - ordentlich, und nur die Bildung der Hörner, der Hufe und des Schwanzes, ſowie einzelne Abän - derungen im Haarkleid geben ſichere Unterſcheidungskennzeichen. Aber die Anzahl der Antilopen iſt ſo groß, daß die Grenzglieder der Reihe kaum noch Aehnlichkeit mit einander zu haben ſcheinen; denn mit der großen Artenzahl geht natürlich die Verſchiedenheit der Geſtaltung Hand in Hand, und des - halb übertrifft die Familie an Manchfaltigkeit alle übrigen der Ordnung. Die verſchiedenſten Ge - ſtalten ſtehen hier neben einander. Es finden ſich Anklänge an die plumpen Rinder, wie an die zierlichen Rehe; an die kleinen zarten Moſchusthiere, wie an die Pferde. Der gewöhnlich kurze Schwanz verlängert ſich, wie bei den Rindern oder ähnelt bei anderen dem mancher Hirſche. Am Hals bildet ſich eine kleine Mähne, um den Mund herum verlängern ſich eigenthümlich die Haare, ſo daß ſie faſt einen Bart bilden, wie bei den Ziegen. Die Hörner biegen ſich gleich - mäßig oder winden und drehen ſich in dreifachen Bogen; ihre Spitze krümmt ſich nach hinten oder nach vorn, nach innen und nach außen; das ganze Gehörn erſcheint leierartig oder die einzelne Stange wie eine gewundene Schraube, oder auch wieder ganz gerade, wenigſtens nur unbedeutend ge - krümmt. Bald iſt es rund, bald gekantet, bald gekielt, bald zuſammengepreßt. Die Querrunzeln, welche das Wachsthum bezeichnen, ſind im allgemeinen deutlich, aber auch wiederum nur ange - deutet u. ſ. w. Bei einer Sippe beſteht das Gehörn ſogar aus vier Stangen, während ſolches Vorkommen ſonſt doch, wie bekannt, ganz unnatürlich erſcheint. Ebenſo auffallend iſt es, daß bei einer anderen Sippe das Gehörn ſich gabelt, wie bei den geweihtragenden Thieren.

Ueber den inneren Leibesbau der Antilopen ſind noch wenig ausführliche Beobachtungen gemacht worden. Jm allgemeinen kann man ſagen, daß er ſo ziemlich dem der Wiederkäuer und namentlich der Hirſche entſpricht. Die Weibchen haben regelmäßig zwei oder vier Zitzen am Euter, ausnahms - weiſe auch deren fünf. Sie werfen gewöhnlich nur ein Junges, ſelten zwei, und tragen daſſelbe in durchſchnittlich ſechs Monaten aus. Das Kalb iſt nach vierzehn bis achtzehn Monaten erwachſen, wenn auch nicht immer zeugungsfähig.

Ganz Afrika, Mittel - und Südaſien, Mittel - und Südeuropa und Nordamerika ſind die Heimat der zierlichen Thiere. Es iſt bekannt, daß die meiſten Arten die großen Steppen warmer Länder bewohnen; aber wir wiſſen auch, daß die Gemſe, das gewandte Kind unſeres Hochgebirges, zu den Antilopen gehört. Jede Art ſcheint ein beſtimmtes Lieblingsfutter zu haben, und dieſes be - dingt dann ihren Aufenthalt, ſolange der Menſch nicht eingreift und die ſcheuen und flüchtigen496Die Antilopen.Thiere in andere Gegenden treibt. Die meiſten lieben die Ebene, einige aber ziehen das Hochgebirge entſchieden der Tiefe vor und ſteigen bis zur Grenze des ewigen Schnees empor; dieſe geben offenen, ſpärlich mit Pflanzen bewachſenen Wäldern entſchieden den Vorzug vor dichteren, jene finden ſich aber auch hier oder in dünn bewachſenen Buſchwäldern; einige bewohnen ſogar die Sumpfgegenden und halten ſich ganz in Nähe der Gewäſſer auf. Die größeren Arten ſchlagen ſich in Rudel, oft in ſolche von außerordentlicher Stärke zuſammen; die kleineren leben mehr paarweiſe oder wenigſtens in min - der zahlreicheren Geſellſchaften. Sie ſind Tag - und Nachtthiere, unterſcheiden ſich alſo auch hierdurch von den Hirſchen, welche ſich, wie bekannt, zur Nachtzeit äßen und herumtummeln, bei Tage aber ſich lagern und ſchlafen. Jhre Bewegungen ſind lebhaft und behend, aber umgemein zierlich. Ein Rudel Antilopen erfreut immer das Auge. Die Schnelligkeit der Bewegungen mancher Arten wird von keinem anderen Säugethiere erreicht, und in der Anmuth derſelben übertreffen ſie unſere Hirſche bei weitem. Luft und Licht und ungemeſſene Freiheit lieben ſie über Alles; deshalb bevölkern gerade ſie die arme Wüſte; deshalb beleben ſie die todte Einöde. Nur wenige Arten bewegen ſich plump und ſchwerfällig und ermüden ſchon nach kurzer Verfolgung; die übrigen vergeiſtigen ſich gleichſam während ihrer Bewegungen. Sie beſitzen ſehr ſcharfe Sinne; namentlich äugen, vernehmen und wit - tern ſie vortrefflich. Jhr Verſtand iſt nicht beſonders groß, aber doch weit größer, als bei anderen Familien der Ordnung. Sie ſind neugierig, wie die Ziegen, aber doch wachſamer, als dieſe, und überlaſſen ſich niemals einer ſorgloſen Ruhe. Erfahrungen benutzen ſie ſtets; wenn ſie Verfolgungen erlitten haben, ſtellen ſie Wachen auf und werden dann im hohen Grade ſchen. Doch ſind ſie munter, heiter und neckiſch, aber nicht launenhaft. Viele zeichnen ſich durch große Friedfertigkeit aus, andere können recht bösartig ſein. Jhre Stimme iſt blöckend, ſtöhnend oder pfeifend; man hört ſie aber ſelten, gewöhnlich blos zur Brunſtzeit, wenn die Böcke und Ziegen ſich mit einander ſtreiten.

Die Nahrung beſteht nur in Pflanzenſtoffen, hauptſächlich in Gräſern und Kräutern, in Blät - tern, Knospen und jungen Trieben. Einige ſind ſo genügſam, daß ihnen die dürftigſte Nahrung hinreichend erſcheint; ſelbſt Baumflechten werden von manchen Arten gefreſſen. Bei friſcher grüner Nahrung können die meiſten lange dürſten, die in der dürren Wüſte lebenden wenigſtens meh - rere Tage.

Man darf die Antilopen nützliche Thiere nennen und braucht keine Ausnahme zu machen. An den Orten, wo ſie leben, bringen ſie ſelten erheblichen Schaden; wohl aber nützen ſie durch ihr Fleiſch, durch ihr Gehörn und durch ihr vortreffliches Fell. Sie ſind deshalb ein Gegenſtand der eifrigſten Jagd bei allen Völkern, die mit ihnen die gleiche Heimat theilen. Noch größer aber dürfte der Nutzen ſein, den ich einen geiſtigen oder ſittlichen nennen möchte, derjenige nämlich, den ſie dem Menſchen ge - währen durch die Freude an ihrer Schönheit, Anmuth und Liebenswürdigkeit und durch das außer - ordentliche Vergnügen, welches ihre Jagd bereitet. Manche Antilopen ſind ſeit uralter Zeit hoch - berühmt, ſie ſind von Dichtern und Reiſenden laut geprieſen worden, und nicht blos ihrer Schön - heit halber; und wegen einer anderen ſetzt ja heute noch der Alpenjäger hundert Mal ſein Leben ein: er betreibt die Jagd mit einer Leidenſchaft, welche ſchwerlich ihres Gleichen finden würde. Jn der - ſelben Weiſe fühlt ſich der Menſch zu allen anderen Antilopen hingezogen. Dazu kommt noch, daß die meiſten, wenigſtens in ihrem Vaterlande, die Gefangenſchaft leicht und dauernd aushalten, ſich in derſelben fortpflanzen und ihren Herrn durch ihre Zahmheit und Zutraulichkeit ſehr erfreuen. Manche werden zu förmlichen Hausthieren; eine Art kann man ſogar zum Ziehen verwenden.

Es iſt ſehr ſchwer, die große Zahl der Glieder unſerer Familie in natürliche Gruppen zu ordnen. Gewöhnlich gründet man die Eintheilung auf ihre Aehnlichkeit mit Hirſchen, Ziegen, Stieren ꝛc. ; doch genügt Das nicht, und ſo hat man bisjetzt immer noch das Gehörn als Maßſtab zur Eintheilung und Einordnung beibehalten.

Wir heben blos die wichtigſten Geſtalten hervor.

497Die eigentliche Hirſchziegenantilope.

Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meiſten anderen, iſt die der Hirſchziegen - antilopen (Cervicapra). Man verſteht darunter ſchlank gebaute Thiere mit runden, nach auf - und rückwärts gerichteten, ſchraubenförmig gedrehten und geringelten, faſt geraden Hörnern, welche aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz iſt kurz und buſchig behaart. Das Weibchen trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüſenſäcke zwiſchen den Zehen und in den Weichen, ſowie Klauendrüſen dienen zur weiteren Kennzeichnung.

Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica) ſpielt in der indiſchen Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreiſe der Hindus die Stelle des Stein - bocks ein und iſt nebſt vielen anderen Arten der Göttin Tſchandra oder dem Monde geheiligt. Jm Sanskrit heißt ſie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt ſie den Namen Safin oder Safi. Unzählige

Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica).

Gedichte preiſen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unſerem Damhirſch, iſt aber etwas kleiner, ſchlanker und weit zierlicher, als dieſer. Jhre Leibeslänge beträgt faſt 4 Fuß; die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüſchel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt Fuß. Der Leib iſt ſchwach, geſtreckt und unterſetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten etwas höher, als am Widerriſt. Der Hals iſt ſchmächtig und ſeitlich zuſammengedrückt, der Kopf ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verſchmälert, an der Stirn breit, längs der Naſe gerade und an der Schnauze gerundet. Die Beine ſind hoch, ſchlank und dünn, die hinteren etwas länger, als die vorderen. Die Augen ſind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen - gruben bilden eine Art von Taſche, welche willkürlich geöffnet und geſchloſſen werden kann. Die Ohren ſind groß und lang, unten geſchloſſen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verſchmä - lert und zugeſpitzt. Das Gehörn wird bis ſechzehn Zoll lang, iſt nach vorn und rückwärts gerichtet,Brehm, Thierleben. II. 32498Die Antilopen. Die eigentliche Hirſchziegenantilope.faſt gerade, jedoch drei Mal ſchwach ausgebeugt und ſchraubenförmig gedreht. An der Wurzel ſtehen beide Stangen nahe zuſammen, an der Spitze ungefähr elf Zoll von einander entfernt. Je nach dem verſchiedenen Alter ſind die Hörner ſtärker oder ſchwächer und nahe der Wurzel mit mehr oder we - niger ringförmigen Erhabenheiten verſehen. Bei alten Thieren zählt man mehr als dreißig ſolcher Wachsthumsringe, bei dreijährigen ungefähr zehn, bei fünfjährigen bereits gegen fünfundzwanzig. Jhre Zahl ſteht aber nicht in einem geraden Verhältniß zu dem Wachsthum. Nach Alter und Ge - ſchlecht iſt die Färbung verſchieden. Alte Männchen ſind faſt ſchwarz, die Weibchen mehr grau; junge Thiere ſind braun und roſtroth. Jm allgemeinen iſt die Oberſeite ſchwärzlichbraun, die un - tere und die Naſe weiß. Ein breiter weißer Ring umgibt jedes Auge. Die Behaarung iſt kurz, dicht und glatt, das einzelne Haar ziemlich ſteif und, wie bei den meiſten hirſchähnlichen Thieren, etwas gedreht. Auf der Bruſt, an der Schulter und zwiſchen den Schenkeln bildet es deutliche Nähte, in der Horn - und Nabelgegend Wirbel, auf der Jnnenſeite der Ohren vertheilt es ſich in drei Längsreihen. Am Handgelenk verlängert es ſich zu kleinen Haarbüſcheln; auf der Unterſeite des Schwanzes fehlt es gänzlich. Die zierlichen, mittelgroßen, zuſammengedrückten und ſpitzen Hufe und die abgeplatteten und abgeſtumpften, mittelgroßen Afterklauen ſind ſchwarz; die Jris iſt bräunlich - gelb, der quergeſtellte Stern dunkelſchwarz.

Der Saſſi bewohnt Vorderindien, namentlich Vengalen, und lebt in Herden von fünfzig bis ſechzig Stück, welche von einem alten dunkelfarbigen Bocke angeführt werden. Unter allen Umſtän - den ziehen die Thiere offene Gegenden den bedeckten vor; denn ſie ſind ſtets im hohen Grade für ihre Sicherheit beſorgt. Kapitän Williamſon erzählt, daß immer einige junge Männchen und auch alte Weibchen zum Vorpoſtendienſt beordert werden, wenn ſich die Herde an einem Lieblingsplatze zum Weiden anſchickt. Namentlich Büſche, hinter denen ſich Jäger heranſchleichen und verſtecken können, werden von dieſen Wachen aufs ſorgfältigſte beobachtet. Es würde Narrheit ſein, verſichert dieſer Beobachter, Windhunde nach ihnen zu hetzen, denn nur, wenn man ſie überraſcht, iſt einiger Erfolg zu erwarten; ſonſt ergreifen ſie augenblicklich die Flucht und jagen in wahrhaft wundervollem Laufe dahin. Die Höhe und Weite ihrer Sprünge verſetzt Jedermann in Erſtaunen; denn ſie erheben ſich mehr als 12 (?) Fuß über den Boden und ſpringen 20 bis 30 (?) Fuß weit, gleichſam als ob ſie den nachſetzenden Hund verſpotten wollten. Deshalb denken die indiſchen Fürſten auch nicht daran, ſie mit Hunden zu jagen; ſie beizen ſie mit Falken oder laſſen ſie vom ſchlauen Tſchitta oder Jagdleoparden fangen, wie Dies in Perſien gewöhnlich iſt.

Die Nahrung der zierlichen Thiere beſteht nur in Pflanzen, namentlich in Gräſern und ſaftigen Kräutern. Waſſer können ſie auf lange Zeit entbehren.

Ueber die Fortpflanzung fehlen noch ſichere Nachrichten. Es ſcheint, daß die Paarung nicht an eine beſtimmte Zeit gebunden iſt, ſondern je nach den Gegenden während des ganzes Jahres ſtatt - findet. Neun Monate nach der Begattung wirft das Weibchen ein einziges, vollkommen ausgebil - detes Junge, verbirgt es einige Tage lang im Gebüſch, ſäugt es mit Sorgfalt und bringt es dann zur Herde, bei welcher es verweilt, bis es die Eiferſucht des Leitbockes vertreibt. Dann muß es in der Ferne ſein Heil ſuchen und ſehen, ob es ſich anderen Rudeln anſchließen kann. Die Weibchen ſind bereits im zweiten Jahre, die Männchen wenigſtens im dritten fortpflanzungsfähig. Es ſcheint, daß mit der Begattung ein eigenthümliches Erregtſein des Thränenſackes in Verbindung ſteht. An Gefangenen hat man beobachtet, daß der ganze Hautbeutel unter dem Auge, die Thränengrube, welche ſonſt nur als ein ſchmaler Schlitz erſcheint, wenn das Thier gereizt wird, weit hervortritt und ſich förmlich nach außen umſtülpt. Die glatten Jnnenwände des Sackes ſondern einen ſtarkriechenden Stoff ab, welcher dann durch Reiben an Bäumen oder Steinen entleert wird und wahrſcheinlich dazu dient, das andere Geſchlecht auf die Spur zu leiten. Während der Brunſtzeit vernimmt man auch die Stimme des Männchens, welches ſonſt ſchweigt, eine Art von Meckern; das Weibchen gibt, ſo oft es erzürnt wird, tönende Laute von ſich.

499Die eigentliche Hirſchziegenantilope. Die Steppenantilope.

Jn Jndien ſind Tiger und Panther ſchlimme Feinde der Hirſchziegenantilope, trotz ihrer Wach - ſamkeit; ſie wiſſen ſich durch liſtiges Schleichen einer oder der anderen zu bemächtigen. Die Jn - dier ſtellen ihr ebenfalls eifrig nach und fangen ſie auf ſonderbare Weiſe lebendig. Hierzu bedient man ſich eines zahmen Männchens, welches man, nachdem man ihm einen mit mehreren Schlingen verſehenen Strick um die Hörner gebunden hat, unter die wilde Herde laufen läßt. Sobald der fremde Bock dort anlangt, entſpinnt ſich zwiſchen ihm und dem Leitbock des Rudels ein Kampf, an dem bald auch Ricken Theil nehmen, und hierbei verwickeln ſich gewöhnlich mehrere Stücke in den Schlingen des Strickes, reißen und zerren nach allen Richtungen hin, ſtürzen zu Boden und werden nun vollſtändig wehrlos.

Jung eingefangene Saſſis werden außerordentlich zahm. Sie halten die Gefangenſchaft jahre - lang aus, ſelbſt in Europa, vertragen ſich vortrefflich mit ihres Gleichen und anderen hirſchähn - lichen Thieren und erfreuen durch ihre Zuthunlichkeit und Anhänglichkeit. Doch muß man ſich hüten, ſie zu necken oder zu foppen. Sind ſie z. B. gewöhnt, Brod aus der Hand zu freſſen, ſo richten ſie ſich, wenn man ihnen dieſe Lieblingsſpeiſe hoch hält, wie die zahmen Hirſche auf die Hinterbeine auf, um dieſelbe zu erlangen; täuſcht man ſie auch dann noch, ſo werden ſie böſe, beginnen zu zittern und ſuchen ihren Unmuth durch Stoßen mit den Hörnern an den Tag zu legen. Am beſten halten ſie ſich, wenn man ihnen freien Spielraum gibt. Jn größeren Parks gewähren ſie wegen ihrer außerordentlichen Anmuth und Zierlichkeit ein prächtiges Schauſpiel. Sie werden dort auch viel zahmer, als in den Käfigen, wo namentlich die Männchen manchmal ihren Wärter anfallen und nach ihm ſtoßen. Jn Jndien wird der Saſſi als ein heiliges Thier oft zahm gehalten. Frauen werden mit der Pflege des Halbgottes betraut. Sie tränken ihn mit Milch; Muſiker ſpielen ihm Tonſtücke vor. Nur die Braminen dürfen ſein Fleiſch genießen. Aus ſeinen Hörnern bereiten ſich die Geiſtlichen und Heiligen der Hindus eigenthümliche Waffen. Sie befeſtigen dieſelben unten durch eiſerne oder filberne Querzapfen, ſo daß die Spitzen nach beiden Seiten von einander abſtehen. Dieſe Waffe trägt man wie einen Stock und gebraucht ſie wie einen Wurfſpieß.

Bezoarkugeln, welche man im Magen dieſer Antilope und in dem vieler anderen Wiederkäuer findet, gelten als beſonders heilkräftige Arzneimittel und finden vielfache Anwendung.

Zu derſelben Gruppe rechnet man die Steppenantilope (Cervicapra Saiga), eine der wenigen Arten, welche Europa bewohnen. Sie iſt ein Thier von der Größe des Damhirſches mit weit über den Unterkiefer hinausragender und ſehr beweglicher Naſe, kurzen und breiten Ohren und kurzer Schnauze. Das dichte, gerade, welche, an dem Nacken, Rücken und der Kehle etwas verlängerte Haar iſt am Kopf und Hals aſchgrau, auf Schulter, Rücken, Seite und Hüfte ſchmuzigweiß oder gelbgrau, am Bauche und an der Jnnenſeite der Beine glänzendweiß, auf der Rückenmitte aber dunkelbraun.

Die Saiga ſindet ſich in den Steppen Oſteuropas von der polniſchen Grenze an bis zum Altai, lebt geſellig, ſammelt ſich gegen den Herbſt in Herden von mehreren tauſend Stück, wandert nach wärmeren Steppen und kehrt von dort aus im Frühjahr rudelweiſe zurück. Jm Oktober treten die Böcke auf die Brunſt und kämpfen unter lautem Geſchrei eiferſüchtig um die Ricken. Jm Mai ſetzt das alte Thier ein einziges Kalb, welches der Mutter nicht gleich folgen kann und deshalb oft von den Nomaden weggenommen wird. Schon im erſten Monate treiben bei den Böcken die Hörner hervor, im vierten haben ſie, wie die Schmalthiere, bereits ihre halbe Größe.

Die Steppenantilopen ſind, wie die meiſten Wiederkäuer, außerordentlich begierig auf Salz und gehen demſelben ſtundenweit nach. Beim Weiden pflegen ſie rückwärts zu gehen, und beim Saufen ziehen ſie, wie ſchon Strabo wußte, das Waſſer nicht blos durch das Maul, ſondern auch durch die Naſe ein. An der Wolga, in der irtiſchen und tartariſchen Steppe ſind ſie ſo häufig, daß man ihnen alle Tage begegnet. Manchmal kommen ſie bis an die Wagen der Reiſenden heran. Während ſie ſich äßen oder wenn ſie ruhen, hält immer ein Leitthier ſorgfältig Wacht, und wenn32 *500Die Antilopen. Die Steppenantilope.dieſes ſich legt, erhebt ſich ein anderes. Sie vernehmen und wittern vortrefflich, äugen aber ſchlecht, und ſehen ſich deshalb auch auf der Flucht beſtändig um. Sobald ſie eine Gefahr wittern, laufen ſie zuſammen, ſehen ſich zagend um und fliehen dann lautlos in einer langen Reihe. Nur die Jungen blöcken wie Schafe, Alte ſind immer ſtill. Auf der Flucht geht der Bock voran, wie er überhaupt Derjenige iſt, welcher für die Sicherheit zu ſorgen hat.

Die Nomaden jagen die Saigas mit Leidenſchaft. Man verfolgt ſie zu Pferde und mit Hunden und holt ſie in der Regel ein, wenn ſie weit flüchten müſſen, da ſie bald ermüden und außer Athem kommen. Wie den meiſten übrigen Antilopen werden ihnen auch ganz unbedeutende Wunden ſehr gefährlich; ſie ſollen ſogar an dem Biß eines Hundes ſterben. Die Kirgiſen hauen Pfade in das Steppengras und Schilf und ſchneiden dort die Halme fußhoch ab; dann treiben ſie

Die Steppenantilope (Cervicapra Saiga).

zu Pferde Herden von Saigaantilopen da hinein, dieſe verletzen ſich an den ſcharfen Spitzen des Rohres und erliegen den Verwundungen. Häufiger aber erlegt man ſie mit dem Feuergewehr, und hier und da fängt man ſie mit Baizvögeln. Zu dieſen nimmt man auffallenderweiſe nicht Edel - falken, ſondern Steinadler, welche vom Hauſe aus zu den erbittertſten Feinden der Antilopen gehören und willig und gern der ihnen angeborenen Jagdluſt folgen. Auch Wölfe richten große Verwüſtungen unter den ſchönen Thieren an. Sie reißen oft ganze Rudel nieder und freſſen die Getödteten bis auf Schädel und Gehörn auf. Letzteres ſammeln dann die Kirgiſen oder die Ko - ſacken und verkaufen es wohlfeil nach China. Und noch iſt die Zahl der Feinde nicht erſchöpft. Eine Daſſel - oder Bisfliegenart legt ihnen die Eier in die Haut, oft in ſolcher Menge, daß die auskriechenden Maden den Brand des Felles verurſachen und das Thier umbringen.

501Der Pallah.

Jung aufgezogene Steppenantilopen werden ſehr zahm und folgen ihrem Herrn wie Hunde, ſelbſt ſchwimmend durch die Flüſſe. Sie fliehen vor den wilden ihrer Art und kehren abends ſelbſt in ihren Stall zurück.

Dieſe Angaben verdanken wir hauptſächlich Pallas und Gmelin. Die neueren Reiſenden erzählen wenig oder gar nichts Neues, und in den Thiergärten kommen gerade europäiſche Anti - lopen weit ſeltener vor, als die afrikaniſchen oder indiſchen, welche gegenwärtig recht häufig zu uns gebracht werden.

Das ſüdafrikaniſche Mitglied der Hirſchziegenantilopen iſt der Pallah (Cervicapra melampus), ein ſchönes, leicht gebautes, aber großes Thier von 6 Fuß Länge und 3 Fuß Höhe mit langem, ſchwarzen Gehörn, ziemlich langem Gehör und über fußlangem Wedel, von roſtrother oder tieffalber

Der Pallah (Cervicapra melampus).

Hauptfärbung, welche auf Bauch, Bruſt und Jnnenſeite der Schenkel und Ohren in Weiß übergeht. Dieſelbe Färbung haben die Lippen, Brauen, ein Streif über dem Auge und die Unterſeite des Schwanzes. Ein Fleck an der Stelle der Aſterhufe iſt ſchwarz, ein anderer zwiſchen den Hörnern dunkelbraun. Ueber den Rücken verläuft ein brauner Streifen, welcher ſich an der Schwanzwurzel theilt und auf beiden Schenkeln herabzieht.

Auch der Pallah lebt in ziemlich ſtarken Rudeln, zuweilen unter den Herden der Springböcke, gewöhnlich aber allein. Die Stärke der Rudel iſt ſehr verſchieden; einzelne Jäger ſprechen von Hun - derten, welche ſie zuſammen geſehen haben wollen. Ueber das Leben der Thiere fehlen eingehende Berichte. Als auffallend wird hervorgehoben, daß die flüchtigen Trupps gewöhnlich eine lange, ſo - genannte indiſche Reihe einnehmen. Weiteres iſt mir nicht bekannt.

502Die Antilopen. Die Gazelle.

Die Gazellen (Gazella) ſind ſchlanke, höchſt anmuthige Antilopen mit geringelten leierför - migen Hörnern, Thränengruben, Leiſtenbälgen, langen, ſpitzen Ohren, kleinen Afterklauen und zwei Zitzen. Jhr Schwanz iſt kurz und an der Spitze bequaſtet; anderweitige Haarbüſchel ſtehen nur an der Handwurzel. Beide Geſchlechter ſind gehörnt. Unglaubliche Anmuth, große Heiterkeit, eine wahrhaft wunderbare Beweglichkeit ſind Vorzüge dieſer Thiere anderen Antilopen gegenüber; denn nur noch wenige Gruppen der Familie beſitzen dieſelben Gaben in derſelben glücklichen Vereinigung.

Eine Gazelle in der Wüſte iſt ein herrliches, dichteriſches Bild. Deshalb iſt es kein Wunder, daß ſchon ſeit alten Zeiten die morgenländiſchen Dichter mit aller Glut ihrer Seele das liebliche We - ſen beſungen haben. Selbſt der Fremdling aus den Ländern des Abends, welcher die Gazelle in ihrer Freiheit ſieht, muß es verſtehen, warum ſie gerade den Morgenländern als ein ſo hoch befreundetes Weſen erſcheint; denn auch über ihn kommt ein Hauch jener Glut, welche zu den feurigſten Loblie - dern dieſes Thieres die Worte läuterte und die Reime flüſſig werden ließ. Das Auge, deſſen Tiefe das Herz des Wüſtenſohns erglühen und erblühen macht, vergleicht er mit jenem der Gazelle; den ſchlanken weißen Hals, um den ſich ſeine Arme ketten in trauter Liebesſtunde, weiß er nicht ſchmücken - der zu bezeichnen, als wenn er ihn dem Halſe jenes Thieres gleichſtellt: und ſelbſt der Fromme findet nur in der zierlichen Tochter der Wüſte ein ſinnlich wahrnehmbares Bild, um des Herzens Sehnſucht nach dem Erhabenen verſtändlich zu machen. Die Gazelle bleibt auch dann noch im Herzen, wenn ſie dem Auge entſchwindet. Sie übt einen Zauber aus auf Jedermann und beweiſt ſo recht verſtändlich, wie groß die Gewalt der Schönheit iſt. Dieſer Schönheit und Anmuth halber weihten ſie die alten Egypter ihrer erhabenen Gottheit Jſis und opferten die Kälber der Götterkönigin. Jhre Schönheit iſt es, welche dem Dichter des hohen Liedes zum Bilde dienen muß; denn ſie iſt das Reh und der junge Hirſch , mit denen der Freund verglichen wird; ſie iſt das Reh oder die Hindin des Feldes, bei denen die Töchter Jeruſalems beſchworen werden. Für die ſchönſten Reize des Weibes nach morgen - ländiſchen Begriffen hat jener Dichter nur den einen Vergleich: ſie ſind ihm wie zwei junge Reh - zwillinge, die unter den Roſen weiden. Die arabiſchen Dichter aller Zeiten und die heutigen auch noch finden gar nicht Worte, die Gazelle gehörig zu ſchildern. Die älteſten Werke dieſes Volkes prei - ſen ſie und die Minneſänger auf den Straßen rühmen noch heutigen Tages ihre Schönheit.

Die Gazelle (Gazella Dorcas) erreicht nicht ganz die Größe unſeres Rehes, iſt aber viel zar - ter und ſchlanker gebaut, als dieſes und auch ſchöner gezeichnet. Alte Böcke meſſen Fuß, mit dem Schwanze vier Fuß in der Länge und ſind am Widerriſt über zwei Fuß hoch. Der Körper iſt gedrungen, erſcheint aber der hohen Läufe wegen ſchmächtig; der Rücken iſt ſchwach gewölbt, am Kreuz höher geſtellt als am Widerriſt; der Schwanz iſt kurz, an der Spitze ſtark behaart. Die Beine ſind außerordentlich zart, ſchlank und höchſt zierlich behuft. Auf dem geſtreckten Halſe ſitzt der mittellange Kopf, welcher hinten breit und hoch, nach vorn verſchmälert, und an der Schnauze ſchwach gerundet iſt; die Ohren haben etwa dreiviertel der Kopfeslänge; die Augen ſind groß, feurig und lebhaft, und haben einen faſt runden Stern; die Thränengruben ſind von mittler Größe. Das Gehörn iſt nach dem Geſchlecht ziemlich verſchieden. Der Bock trägt immer ſtärkere Hörner als die Ricke, und die Wachsthumsringe ſind dort ſtets mehr ausgeprägt als hier. Bei beiden ſind die Hör - ner auf - und rückwärts gerichtet, wenden ſich aber mit den Spitzen wieder nach vorn und etwas gegen einander, ſo daß ſie von vorn betrachtet, an die Leier der Alten erinnern. Mit zunehmendem Alter rücken die ſogenannten Wachsthumsringe immer weiter nach der Spitze zu; bei recht alten Böcken erreichen ſie dieſelbe, wahrſcheinlich, weil ſie durch Abnutzung kürzer wird, bis auf einen halben Zoll. Uebrigens ſtehen die Wachsthumsringe nur bedingt in einem geraden Verhältniſſe mit dem Alter des Thieres: ein im Haus erzogener, fünfvierteljähriger Bock, welchen ich unterſuchte, zeigte bereits fünf Ringe auf ſeinen noch ſehr kurzen Hörnchen.

Aeußerſt ſchmuck iſt das Kleid der Gazelle. Die vorherrſchende Färbung iſt ein ſandfarbiges, prächtiges Gelb, welches aber gegen den Rücken hin und auf den Läufen in ein mehr oder weniger

Gazellen.

503Die Gazelle.dunkles Rothbraun übergeht. Ein noch dunklerer Streifen verläuft längs der beiden Leibesſeiten und trennt die blendend weißgefärbte untere Seite von der dunkleren oberen. Der Kopf iſt lichter als der Rücken; der Naſenrücken, die Kehle, die Lippen, ein Ring um die Augen und ein Streifen zu beiden Seiten des Naſenrückens ſind gelblichweiß; dagegen zieht ſich ein brauner Streifen von den Augenwinkeln an bis zur Oberlippe herab. Die Ohren ſind gelblichgrau, ſchwarz geſäumt und mit drei Längsreihen ziemlich dicht aneinanderſtehender Haare beſetzt. Der Schwanz iſt an ſeiner Wurzel dunkelbraun, wie der Rücken, in ſeiner letzten Hälfte aber ſchwarz. Bei manchen Abarten zieht die Färbung mehr ins Graue und ähnelt dann ſehr dem Kleide der perſiſchen Gazelle, welche von einigen Forſchern auch als beſondere Art betrachtet wird.

Nordoſtafrika iſt die Heimat der Gazelle. Sie reicht von der Berberei an bis nach dem ſteinig - ten Arabien und von der Küſte des Mittelmeeres bis an die Berge Abiſſiniens und in die Steppen des inneren Afrika. Der ganze Wüſtenzug und das ihn begrenzende Steppengebiet kann als ihre Heimat betrachtet werden. Je pflanzenreicher die Einöde iſt, um ſo häufiger findet man das Thier; jedoch iſt bei dieſer Angabe feſtzuhalten, daß eine pflanzenreiche Gegend nach afrikaniſchen Begriffen von einer gleichbezeichneten in unſerem Klima ſehr verſchieden iſt. Man würde ſich ſehr irren, wenn man die Gazelle in wirklich fruchtbaren Thalniederungen als ſtändigen Bewohner ver - muthen wollte; ſolche Strecken berührt ſie nur flüchtig, ungezwungen, wohl kaum. Sie zieht die Niederungen den durchglühten Hochebenen vor, aber nur die Niederungen der Wüſte: in Fluß - thälern findet man ſie ebenſo ſelten, als auf dem Hochgebirge. Mimoſenhaine und noch mehr jene ſandigen Gegenden, in denen Hügelreihen mit Thälern abwechſeln und die Mimoſen überall ſich finden, ohne eigentlich einen Hain oder Buſchwald zu bilden, ſind ihre Lieblingsplätze, weil die Mimoſe als ihre eigentliche Nährpflanze angeſehen werden muß. Jn den Steppen kommt ſie ebenfalls und zwar an manchen Orten ſehr häufig vor; allein auch hier bevorzugt ſie dünnbeſtandene Buſch - gegenden vor dem wogenden Halmenwalde. Jn den Steppen Kordofahns fieht man Rudel von vierzig bis funfzig Stücken, welche, und vielleicht nicht das ganze Jahr hindurch, ziemlich weit umherſtreifen. An ihren Lieblingsplätzen gewahrt man ſie nur in kleinen Trupps, von zwei, drei bis acht Stücken, ſehr oft auch einzeln. Nahe der Mittelmeerküſte iſt ſie ſelten. Je weiter man nach Nubien hin vor - dringt, um ſo häufiger wird ſie, und am gemeinſten dürfte ſie in den zwiſchen dem rothen Meer und dem Nil gelegenen Wüſten und Steppen zu finden ſein. Die ſchwachen Rudel ſind gewöhnlich Fa - milien, beſtehend aus einem Bock mit ſeinem Thier und dem jungen Nachkommen, welcher bis zur nächſten Brunſtzeit bei den Eltern verweilen darf. Ebenſo häufig aber findet man auch Trupps, welche nur aus Böcken und zwar wahrſcheinlich aus ſolchen beſtehen, welche von den ſtärkeren abge - trieben wurden. Dieſe Junggeſellen halten bis gegen die Brunſtzeit hin ſehr treu zuſammen.

Jeder Reiſende, welcher auch nur auf einige Stunden hin die Wüſte durchzieht, kann eine Ga - zelle zu ſehen bekommen: und wer erſt ihre Lebensweiſe kennt, findet ſie mit Sicherheit in allen Theilen ihres Heimatskreiſes auf. Sie iſt ein echtes Tagthier und zeigt ſich alſo gerade zur günſtig - ſten Zeit dem Auge. Nur während der größten Hitze des Tages, in den Mittagſtunden bis etwa vier Uhr Abends, ruht ſie gern wiederkäuend im Schatten einer Mimoſe; ſonſt iſt ſie faſt immer in Bewegung. Aber ſie iſt nicht ſo leicht zu ſehen, als man wohl glauben möchte: die Gleichförmigkeit ihres Kleides mit der herrſchenden Bodenfärbung erſchwert ihr Auffinden. Schon auf eine Viertel - ſtunde hin entſchwindet ſie unſerem ſchwächlichen Geſichte, während die Falkenaugen der Afrikaner ſie oft in mehr als meilenweiter Entfernung noch wahrnehmen. Gewöhnlich ſteht der Trupp unmit - telbar neben oder unter den niederen Mimoſenbüſchen, deren Kronen ſich von unten aus ſchirmförmig nach oben ausbreiten und ſomit den Thieren unter ihnen ein ſchützendes Dach gewähren. Die wach - habende Gazelle äßt ſich, die anderen liegen wiederkäuend oder ſonſt ſich ausruhend unweit von ihr. Nur die ſtehende fällt ins Auge; die liegende gleicht einem Stein der Wüſte ſo außerordentlich, daß ſelbſt der Jäger ſich oft täuſchen kann. Solange nicht etwas Ungewöhnliches geſchieht, bleibt das Rudel auf der einmal gewählten Stelle und wechſelt höchſtens von einem Ort zu dem anderen hin504Die Antilopen. Die Gazelle.und her; ſowie es aber Verfolgungen erfährt, vertauſcht es augenblicklich ſeinen Stand. Auch der Wind ſchon iſt hinreichend, um die Gazelle zu ſolchem Wechſel zu bewegen. Sie ſteht ſtets unter dem Wind, am liebſten ſo, daß ſie von dem Berghang aus die vor ihr liegende Ebene überſchauen und durch den Wind von einer Gefahr im Rücken Kunde erhalten kann. Bei Gefahr flüchtet ſie zunächſt auf die Höhe des Hügels oder Berges, ſtellt ſich auf dem Kamm auf und prüft nun ſorgfältig die Gegend, um den geeignetſten Ort zu erſpähen.

Es läßt ſich nicht verkennen, daß die Gazelle ein in jeder Hinſicht hochbegabtes Thier iſt. Sie iſt ſo bewegungsfähig, wie irgend eine andere Antilope, dabei lebhaft, behend und überaus anmu - thig. Jhr Lauf iſt außerordentlich leicht; ſie ſcheint kaum den Boden zu berühren. Ein flüchtiges Rudel gewährt einen wahrhaft prachtvollen Anblick: ſelbſt wenn die Gefahr ihm nahe kommt, ſcheint es noch mit ihrer herrlichen Befähigung zu ſpielen. Oft ſpringt mit zierlichen Sätzen von vier bis ſechs Fuß Höhe eine Gazelle, gleichſam aus reinem Uebermuth, über die andere hinweg, und ebenſo oft ſieht man ſie über Steine und Büſche ſetzen, welche ihr gerade im Wege liegen, aber ſehr leicht umgangen werden könnten. Alle Sinne ſind vortrefflich ausgebildet. Die Gazelle wittert aus - gezeichnet; ſie äugt ſcharf und vernimmt weit. Dabei iſt ſie klug, ſchlau und ſelbſt liſtig; ſie be - ſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und wird, wenn ſie Erfahrung gemacht hat, immer verſtändiger. Jhr Betragen hat ſehr viel Liebenswürdiges. Sie iſt ein harmloſes und etwas furchtſames Geſchöpf, keineswegs aber ſo muthlos, als man gewöhnlich glaubt. Unter dem Rudel gibt es Streit und Kampf genug, wenn auch blos unter den gleichgeſchlechtigen Gliedern deſſelben, zumal unter Böcken, welche gerne zu Ehren der Schönheit einen Kampf ausfechten; während ſie dagegen die Ricken immer mit großer Liebenswürdigkeit, ja mit Zärtlichkeit behandeln und Gleiches von dieſen empfangen. Mit allen übrigen Thieren lebt die Gazelle in Frieden; deshalb ſieht man ſie auch gar nicht ſelten in Geſellſchaft mit anderen ihr naheſtehenden Antilopen.

Man kann nicht eben ſagen, daß die Gazelle ſcheu wäre; aber ſie iſt vorſichtig und meidet jeden ihr auffallenden Gegenſtand oder jedes ihr gefährlich ſcheinende Thier mit großer Sorgfalt. Jn Kordofahn ritt ich einmal durch eine von der gewöhnlichen Straße abgelegene Gegend, welche nur wenig bevölkert iſt und ausgedehnte Graswälder beſitzt. Hier ſah ich während des einen Tages wohl zwanzig verſchiedene und zwar ausnahmslos ſehr ſtarke Rudel der Gazelle. Wahrſcheinlich hatten dieſe Thiere das Feuergewehr noch nicht kennen gelernt. Sie ließen mich etwa bis auf vierzig Schritt herankommen, ungefähr ſoweit, als ein Sudahneſe ſeine Lanze zu ſchleudern vermag. Dann zogen ſie vertraut weiter, ohne mich groß zu beachten. Jm Anfange feſſelten mich die ſchönen Thiere ſo, daß ich nicht daran dachte, auf ſie zu feuern. Aber der Jäger in mir beſeitigte bald jedes Bedenken. Jch feuerte auf den erſten beſten Bock, welcher ſich mir zur Zielſcheibe bot, und ſchoß ihn zuſammen. Die anderen flüchteten, blieben aber ſchon nach hundert Schritten Entfernung ſtehen und trollten gemächlich weiter. Jch konnte mich von neuem bis auf achtzig Schritte nähern und erlegte den zwei - ten Bock, und ſchließlich ſchoß ich noch einen dritten aus demſelben Rudel, bevor es eigentlich flüchtig wurde.

Die Verſchiedenheit der klimatiſchen Verhältniſſe Nordoſtafrikas bedingt auch eine ſehr verſchie - dene Brunſtzeit der Gazellen. Jm Norden fällt ſie etwa in die Monate Auguſt bis Oktober; in den Gleicherländern beginnt ſie erſt Ende Oktobers und währt dann bis Ende Dezembers. Die Böcke for - dern einander mit lautem blöckenden Schrei zum Kampfe auf und ſtreiten ſich ſo heftig, daß ſie ſich gegenſeitig die Hörner abſtoßen: ich habe viele Böcke geſchoſſen, bei denen die eine Stange an der Wurzel abgebrochen worden war. Von dem Thiere vernimmt man nur ein ſanftes, helles Mahnen. Der ſtärkſte Bock wird natürlich von ihm bevorzugt; er duldet ſchon keinen Nebenbuhler. Traulich zieht das Thier mit ihm hin und her, und gern nimmt es verſchiedene Liebkoſungen von Seiten des Herrn Gemahls entgegen. Der Bock folgt ſeiner Schönen auf Schritt und Tritt nach, beriecht ſie von allen Seiten, reibt den Kopf zart an ihrem Halſe, beleckt ihr das Geſicht und ſucht ihr über - haupt ſeine Liebe auf alle Weiſe zu erkennen zu geben. Beim Beſchlage hebt er ſich plötzlich auf die505Die Gazelle.Hinterläufe und geht auf dieſen dem Thiere nach, welches vorwärts rückt und, ſpröde thuend, mit einer raſchen Bewegung ſich ſeitwärts wendet. Der ſo Geprellte läßt ſich aber nicht ſogleich abweiſen, ſondern folgt der Erkorenen immer wieder, treibt ſie hin und her und kommt endlich doch zum Ziele. Jm Norden ſetzt die Ricke Ende Februars oder Anfangs März, im Süden zwiſchen den Monaten März und Mai, alſo nach etwa fünf - oder ſechsmonatlicher Tragzeit, ein einziges Kalb. Ende März und im Anfang des Aprils waren die meiſten weiblichen Gazellen, welche ich erlegte, hoch - beſchlagen und manche trugen bereits ein ſehr ausgebildetes Junge. Das zur Welt gekommene Kalb iſt in den erſten Tagen ſeines Lebens ein höchſt unbehilfliches Geſchöpf, und daher kommt es auch, daß ſehr viele junge Gazellen von den flinken Arabern und Abiſſiniern mit den Händen gefangen werden. Je unbehilflicher das Thierchen iſt, umſomehr wird es von der Mutter geliebt. Nicht gar zu mächtigen Feinden geht die beſorgte Alte muthig entgegen. So weiß ſie einen etwa heranſchlei - chenden Fuchs, welcher ſchlimme Abſichten verrathen ſollte, mit den ſcharfen Hufen abzutreiben, und der Bock hilft ihr dabei getreulich. Doch hat das junge Thier viel Gefahren auszuſtehen, ehe es ſo flüchtig wird, daß es mit den Eltern gleichen Schritt halten kann. Man dürfte ſchwerlich übertreiben, wenn man ſagt, daß die Hälfte der Nachkommenſchaft unſerer Gazellen und anderer Schwächlinge ihrer Verwandtſchaft den zahlloſen Räubern, welche ſie beſtändig umlauern, zum Opfer fällt. Frei - lich würden ſich die Gazellen ohne dieſe, das Gleichgewicht herſtellenden Glieder der Thierwelt, auch ſo vermehren, daß ſie, wie im Süden Afrikas, die Springböcke und andere in Herden lebende Antilopen, die niedere Pflanzenwelt ſo gut als vernichten könnten.

Jung ins Haus gebrachte Gazellen werden nach wenig Tagen ſehr zahm und ertragen leicht die Gefangenſchaft, zumal in ihrer Heimat. Jn den europäiſchen Häuſern der größeren Städte Nord - und Oſtafrikas ſieht man regelmäßig gezähmte Gazellen, und unter ihnen findet man viele, welche ſich ſo an den Menſchen gewöhnt haben, daß ſie als echte Hausthiere angeſehen werden können. Sie folgen ihrem Herrn wie Hunde nach, kommen in die Zimmer herein, betteln bei Tiſch um Nahrung, machen Ausflüge in die benachbarten Felder oder in die Wüſte und kehren gern und freudig wieder nach Hauſe zurück, wenn der Abend kommt, oder wenn ſie die geliebte Stimme ihres Pflegers ver - nehmen. Auch bei uns zu Lande kann man die Gazelle Jahre lang am Leben erhalten, falls man ihr die nöthige Pflege angedeihen läßt. Wie zu erwarten iſt, müſſen die höchſt empfindlichen Kin - der des Südens vor allen Einflüſſen der rauhen Witterung, beſonders während des Winters, ſorgfältig behütet werden. Ein warmer Stall für den Winter und eine größere Parkanlage für den Sommer ſind deshalb zu ihrem Wohlbefinden unentbehrlich. Ein Rudel Gazellen verleiht jedem größeren Gar - ten oder Park eine Zierde, welche ſchwerlich von einer anderen übertroffen werden kann. Das ſchmucke Reh erſcheint der Gazelle gegenüber plump und ſchwerfällig; ſteht ihr ja doch faſt jeder an - dere Wiederkäuer an Anmuth und Lieblichkeit nach! Zahme Gazellen zeigen ſich auch gegen fremde Leute ſanft und zutraulich; nur die Böcke gebrauchen bisweilen ihr Gehörn, doch immer mehr, um zu ſpielen, als in der Abſicht, zu verletzen. Heu, Brod und Gerſte, im Sommer Klee und anderes Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen vollkommen. Sehr gut bekommt ihnen auch ein Kleientrank, wie ihn die Ziegen erhalten. Waſſer bedürfen ſie nur ſehr wenig: täglich ein mittelgroßes Glas voll befriedigt ihren Durſt vollſtändig. Dagegen verlangen ſie Salz, welches ſie begierig auflecken.

Ueberall, wo man ſolche gefangene Gazellen gut hält, kann man ſie zur Fortpflanzung bringen, im Süden natürlich leichter, als in unſerem rauhen Norden. Jn Kairo hat eine Gazelle fünf Jahre nach einander je ein wohlgebildetes Junge zur Welt gebracht und auch glücklich aufgezogen; in unſeren Thiergärten gehören derartige Vorkommniſſe aber auch nicht zu den Seltenheiten.

Die Gazelle bildet in ihrer Heimat einen Gegenſtand der eifrigſten, ja, der leidenſchaftlichſten Jagd. Alle Völkerſchaften, welche mit ihr denſelben Wohnkreis theilen, wetteifern mit einander in Ausführung dieſes herrlichen Vergnügens. Der edle Perſer und der vornehme Türke jagen die Gazelle mit derſelben Luſt, wie der Beduinenhäuptling und der Sudahneſe. Jm Norden bildet das Feuer -506Die Antilopen. Die Gazelle.gewehr die Hauptwaffe; aber in Perſien oder im Herzen der Wüſte baizt man ſie, die Flüchtige, mit dem noch ſchnelleren Falken, oder hetzt ſie mit den Windhunden, welche der Gazelle an Zierlichkeit des Baues und an Schnelligkeit ebenbürtig genannt werden müſſen, zu Tode. Jch habe in Egypten oft genug die hohen Herren, mit den Falken auf der Fauſt, zur Gazellenjagd hinausreiten ſehen, aber zufällig niemals Gelegenheit gehabt, einer dieſer Jagden beizuwohnen. Haſſelquiſt beſchreibt ſie. Er ritt in Paläſtina mit einigen Arabern zur Baizjagd hinaus. Der eine Jäger, mit dem Falken auf der Hand, ſprengte auf die Gazelle hin und ließ den königlichen Räuber ſteigen, ſo oft er ein Stück Wild bemerkte. Der Falk ſtieg erſt in die Höhe und flog, nachdem er die Gazelle geſehen, wie ein Pfeil auf ſein Opfer zu, zog einige Kreiſe um deſſen Kopf, ſchoß dann plötzlich hernieder und ſchlug die Fänge der einen Hand in die Backen, die der anderen in die Kehle ein. Mehr als zwei Mann hoch ſprang die Gazelle auf, und glücklich ſchüttelte ſie ihren Feind ab. Dieſer aber folgte ihr, verwundete ſie noch einmal und ſchlug endlich ſeine Klauen ſo glücklich in ihren Hals, daß er ſie feſthalten, verwirren und betäuben konnte, hierdurch dem Jäger Zeit gebend, herbeizukommen, um dem gehetzten Wild die Gurgel abzuſchneiden. Als Beuterecht wurde dem Falken das geronnene Blut zuerkannt. Gerade dieſer Jagd wegen ſtehen die Falken bei den Beduinen in demſelben hohen Anſehen, wie die Windhunde: ein gutgeſchulter Stößer wird von den Großen der Wüſte mit zwei oder drei Kamelen bezahlt.

Noch ſpannender vielleicht iſt die Jagdweiſe der Araber Weſtafrikas; doch will ich mir deren Be - ſchreibung bis zur Schilderung der Mendes aufbewahren. Jn einigen Gegenden Nordafrikas verfolgen die gut berittenen Jäger die Gazelle und ſuchen ſie von ihren ausdauernden Pferden herab zu erlegen. Dies iſt kein leichtes Stück; denn ſo ſchnellfüßig auch die Roſſe der Wüſte, ſo ſchwer wird es ihnen, welche doch einen Reiter tragen müſſen, dem flüchtigen Wilde nachzukommen. Nach langer Hatze, welche abwechſelnd von Mehreren geführt wird, nähern ſich aber doch die Reiter und, wenn ſie ein - mal bis zu einer gewiſſen Entfernung an das abgemattete Thier herangekommen ſind, iſt dieſes ver - loren. Sie ſchleudern ihm mit der größten Sicherheit ſtarke Knüppel zwiſchen die Läufe und brechen dieſen faſt regelmäßig einen der Knochen entzwei. Dann iſt es kein Kunſtſtück weiter, das arme, verwundete Geſchöpf mit den Händen zu greifen.

Jch habe die Gazellenjagd nur mit der Büchſe betrieben und mehr als ein Mal an einem Tage ſechs Stück erlegt, auch wenn ich es mit ſchon Gewitzigten zu thun hatte. Der Pirſchgang führt un - bedingt am ſicherſten zum Ziele. Dies habe ich wieder deutlich genug auf meinem letzten Jagdaus - fluge in Nordabiſſinien geſehen. Auf meiner Beſichtigungsreiſe des Landes, welche ich vor Ankunft des Herzogs von Koburg mit meinem lieben Freund und Jagdgenoſſen Baron van Arkel d’Ablaing unternahm, hatte ich Gelegenheit genug, Gazellen zu jagen, obgleich ich eigentlich niemals vom Wege abging. Wenn wir einen Trupp ſtehen ſahen, ritten wir, höchſtens mit einer geringen Ab - weichung, ruhig unſeres Weges weiter und ſo nahe, als es uns paſſend erſchien, an die Gazellen heran. Dann ſprang Einer von uns hinter einem Buſche vom Maulthier, übergab dieſes dem be - gleitenden Diener und ſchlich nun, oft kriechend, mit ſorgfältigſter Beobachtung des Windes an das Wild heran. Der Andere zog immer ſeines Weges fort, weil wir ſehr bald erfahren hatten, daß die Gazelle auf Reiter weit weniger achtet, als auf Fußgänger, und ebenſo auch, daß ſie augenblicklich davon geht, wenn ein Reiterzug plötzlich Halt macht. Gewöhnlich ſchaute das Leitthier des betreffen - den Rudels neugierig den Dahinziehenden nach und vergaß dabei auch, die übrige Umgebung prüfend zu beobachten, freilich oft zu ihrem Verderben. Der Jagende benutzte natürlich ſeine Zeit ſo gut als möglich und konnte auch in den meiſten Fällen von einem der dichteren Büſche aus einen glück - lichen Schuß thun, in der Regel nicht weiter, als auf neunzig bis hundertfunfzig Schritte. Die Ueberlebenden eilten nach dem Schuſſe ſo ſchnell als möglich davon, am liebſten dem nächſten Hügel zu, an welchem ſie auch bis zu dem Gipfel eilfertig hinaufkletterten. Dort aber blieben ſie ſtehen, gerade als wollten ſie ſich genau von dem Vorgegangenen überzeugen, und mehr als ein Mal iſt es uns ge - lungen, uns ſelbſt bis an dieſe, dort wie Schildwachen aufgeſtellten, mit Erfolg heranzuſchleichen. 507Die Gazelle.Doch kam es auch vor, daß das Thier rührende Beweiſe ſeiner Anhänglichkeit an den Gefährten gab. Zwei Mal in den wenigen Jagdtagen habe ich zwei Gazellen von einem Buſche aus erlegt. Auf den erſten Schuß blieb der Gefährte, gleichſam ſtarr vor Schrecken, neben dem Verendenden ſtehen, ließ von Zeit zu Zeit ein ängſtliches Blöcken vernehmen und ging höchſtens im Kreiſe um den Gefal - lenen herum, ihn mit ſichtlicher Angſt betrachtend. Da wurde raſch die Büchſe wieder geladen und noch eine zweite tödtliche Kugel entſandt. Jch bemerke ausdrücklich, daß ich nur das eine Mal ein Paar auf dieſe Weiſe erlegte. Die zweiten, welche ich nach einander zuſammenſchoß, waren Böcke; aber ſie zeigten nicht geringere Anhänglichkeit an einander, als jene, bei denen doch die Gattenliebe ins Spiel kam. An einigen Orten belebten ſich nach und nach die höheren Hügel mit Gazellen, welche, durch unſere Schüſſe erſchreckt, von allen Seiten herbeikamen, um von ihrer Warte aus die Gegend zu überſchauen. Jch darf wohl behaupten, daß die meiſt unbewachſenen Berge hierdurch einen wun - derbaren Schmuck erhielten. Die ſchönen Geſtalten zeichneten ſich ſo klar gegen den tiefblauen Himmel ab, daß man auch auf große Entfernung hin jedes Glied deutlich wahrnehmen konnte. Oft kam es auch vor, daß die erſchreckten Gazellen über einen der unzähligen niederen Hügel, an denen die Sam - hara ſo reich iſt, weggingen und gleich hinter denſelben, d. h. ſobald ſie den Jäger aus dem Auge ver - loren hatten, ſtehen blieben. Jm Anfange foppten ſie mich einige Male durch dieſes ſonderbare Betragen. Jch kletterte höchſt behutſam an dem Hügel empor und ſuchte mein Wild in der Entfer - nung, während es doch dicht unter mir ſtand. Das Herabrollen eines Steines oder ein anderes Ge - räuſch, welches ich verurſachte, ſchreckte dann die Gazellen auf, und ſie eilten jetzt in ſolch raſender Flucht dahin, daß die Fehlſchüſſe, welche ich mir zu Schulden kommen ließ, wohl verzeihlich erſchei - nen dürften. Niemals aber ſah ich von Menſchen verfolgte Gazellen in ihrer wahren Schnelligkeit, denn dieſe nehmen ſie blos an, wenn ihnen ein Hund auf den Ferſen iſt. Jch vermag es nicht, das Schauſpiel zu beſchreiben, welches die beiden Thiere gewährten; mir mangeln die Worte hierzu. Höchſtens könnte ich ſagen, daß eine ſo dahineilende Gazelle nicht mehr zu laufen, ſondern zu fliegen ſcheint: aber damit hätte ich ihre Flüchtigkeit noch immer nicht geſchildert!

Jn Kordofahn und anderen innerafrikaniſchen Ländern, wo das Feuergewehr nicht in Jedermanns Händen iſt, ſondern noch heutigen Tages als bevorzugte Waffe des Weißen betrachtet und mit einer gewiſſen Scheu angeſtaunt wird, legt man ſich mehr auf den Fang, als auf die Jagd der Gazelle. Man ſtellt nämlich in geringen Abſtänden auf dem oft begangenen Wechſel ſogenannte Teller auf und umgibt jeden einzelnen mit einer Schlinge, welche an einem ſtarken Knüppel befeſtigt iſt. Die Teller beſtehen aus einem vielfach durchbohrten Reifen, durch welchen dicht neben einander Stäbchen geſteckt werden. Letztere laufen nach dem Mittelpunkte des Reifes zu, ſind etwas nach unten gerichtet und da, wo ſie inmitten des Reifes zuſammenſtoßen, ſcharf zugeſpitzt. Jeder Teller wird über eine kleine Grube gelegt, welche man im Sande ausgeſcharrt und durch ein reifenartig zuſammengebogenes brei - tes Rindenſtück ausgekleidet hat, damit ſich die Grube nicht wieder mit Sand ausfüllt. Die Gazelle, welche ruhig ihres Weges wandelt, tritt auf den Teller, der glatte Huf rutſcht auf den biegſamen Stäbchen nach der tieferen Mitte herab, dringt dort durch, ſinkt tief in die Grube hinein und hat nun einen höchſt unangenehmen Kranz am Laufe, deſſen Spitzen ein unerträgliches Jucken verur - ſachen. Hierüber entrüſtet, ſucht ſie durch Schnellen mit den Läufen von dem Anhängſel ſich zu befreien und zieht gerade hierdurch die Schlinge zu, aus welcher ſie ſonſt den Fuß ungefährdet entfernt haben würde. Geängſtigt, wie ſie iſt, beginnt ſie raſcher zu laufen, aber der Knüppel, welcher hinten nachfolgt, flößt ihr bald das höchſte Entſetzen ein; ſie eilt ſo ſchnell als möglich davon, der Knüppel kommt in raſchere Bewegung und ſchlägt ihr ſchließlich einen der Läufe entzwei. Die nun Fluchtunfähige gelangt leicht in die Gewalt des Menſchen. Der Jäger, welcher ſeine Fallen unterſucht, bemerkt ſehr bald, daß eine ihren Zweck erfüllt hat und ſetzt jetzt ſeine leichten, ſchnellen Windhunde auf die Spur oder folgt dieſer ſelbſt, weil ja der nachſchleifende Knüppel ſie deutlich genug bezeichnet. So fängt man ſehr viele Gazellen, jedoch nicht die meiſten, welche erbeutet werden;508Die Antilopen. Der eigentliche Springbock.denn ergiebiger, als irgend eine andere Jagd, iſt die mit den Windſpielen der Steppe oder der Wüſte. Sie fangen oft an einem einzigen Tag dreißig bis vierzig Stück des leckeren Wildes.

Auf die übrigen Fangarten, welche man hier oder da anwendet, einzugehen, würde ein vergeb - liches Unterfangen ſein, weil jedes Volk ſeine eigenen Jagdweiſen hat.

Außer dem Menſchen ſtellen der erwachſenen Gazelle nur wenige Feinde nach: Jagdleopard, Steppen - und Wildhunde dürften die ſchlimmſten von ihnen ſein.

Mit den Gazellen haben die Springböcke (Antidorcas) große Aehnlichkeit. Der Unterſchied zwiſchen beiden beſteht hauptſächlich darin, daß letzteren die Kniebüſchel der erſteren fehlen. Das be - kannteſte Thier dieſer Gruppe iſt der eigentliche Springbock, Prunk - oder Zugbock, Pronkbock, Treckbock (Antidorcas Euchore), welcher den Süden Afrikas in ungeheuren Herden bevölkert. Er erreicht etwa Fuß Höhe, gegen Fuß Länge und trägt leierförmig gekrümmte, ſchwarze, 20 bis 40 Mal geringelte Hörner. Die Ohren ſind lang und ſpitzig, die Augen groß und dunkel - braun, lang, ſchwarz, bewimpert; das Haarkleid iſt fein, oben von lebhaft zimmtbrauner Färbung, am Kopfe weiß mit dunkelbraunen Streifen von den Hörnern bis zum Mundwinkel, an der Unter - ſeite und dem Spiegel dagegen weiß; der ſehr dünne Schwanz iſt unten grau, oben weiß, an der Spitze ſchwarzgrau. Ein weißer Streifen verläuft über den Rücken. Er iſt in ſofern merkwürdig, als er bei ſchneller Bewegung des Thieres in eigenthümlicher Weiſe hervortritt. Die Haut ſcheint dort eine Falte zu bilden, welche bei ſchneller Bewegung geöffnet und geſchloſſen wird. So kommt bald der Streifen in größerer, bald in geringerer Breite hervor und ändert ſo die allgemeine Erſchei - nung des Thieres weſentlich.

Alle Reiſenden, welche den Süden Afrikas beſuchten, ſind einſtimmig in der Bewunderung der ungeheuren Zahl, in welcher die Springböcke zuweilen auftreten.

Jm Norden des Kaplandes liegen, wie uns Steckenſträfe berichtet, ausgedehnte, quellenloſe Ebenen, in welchen der Menſch nur während der Regenzeit wohnen kann. Am Ende derſelben blei - ben noch Tümpel ſchlechten Waſſers übrig, welche dem Wilde genügen. Auf dieſen unabſehbaren Flächen ſammeln ſich die Springböcke, bis Alles im buchſtäblichen Sinne davon wimmelt. Wenn nun, wie es etwa alle vier oder fünf Jahre geſchieht, anhaltende Dürre eintritt und die Tümpel austrocknen, treibt der Mangel die Millionen von Thieren ſüdwärts nach dem Kaplande, und dort brechen ſie ein, Alles verheerend und vernichtend, was grün iſt. Erſt wenn es wieder regnet und das verbrannte Land ſich von neuem mit Pflanzen bedeckt, ziehen ſie in ihre friedlichen Ebenen zurück. Tauſende und andere Tauſende vereinigen ſich zu dieſen ſonderbaren Pilgerſchaften oder Treckbocken , wie die holländiſchen Boers ſie nennen, und die Schwärme wachſen an, wie die der Heuſchrecken.

Jeder Reiſende, ſagt Kapitän Gordon Cumming, welcher die ungeheuren Maſſen, in denen der Springbock bei ſeinen Wanderungen erſcheint, geſehen hat, wie ich, und von Dem, was er geſehen, eine wahrhaft getreue Beſchreibung gibt, muß fürchten, Unglauben zu ernten: ſo wunder - bar iſt der Anblick der wandernden Herde. Treffend und richtig hat man ſie mit den verheerenden Heuſchreckenſchwärmen verglichen, welche dem Wanderer in dieſem Lande der Wunder ſo gut bekannt ſind; ebenſo wie dieſe verzehren ſie alles Grün auf ihrem Wege in wenigen Stunden und vernichten in einer einzigen Nacht die Frucht des langjährigen Fleißes eines Landwirths.

Am 28. Dezember hatte ich die Freude, zum erſten Male einen Treckbocken zu ſehen. Es war dieſes, glaube ich, in Bezug auf Jagdthiere, das großartigſte, gewaltigſte Schauſpiel, welches ich jemals gehabt habe. Seit ungefähr zwei Stunden vor Tagesanbruch hatte ich wach in meinem Wa - gen gelegen, und auf das Grunzen der Böcke gehört, welches ich in einer Entfernung von ungefähr zweihundert Schritten wahrnahm. Jch glaubte, daß irgend eine große Herde von Springböcken neben meinem Lager graſe; als es aber hell geworden und ich aufwachte, ſah ich die ganze Ebene buchſtäb -509Der eigentliche Springbock.lich mit einer ungeheuern Herde dieſer Thiere bedeckt. Sie zogen langſam hin und her. Von einer Oeffnung in der langen Hügelreihe gegen Weſten, durch welche ſie wie das Waſſer eines großen Fluſſes zu ſtrömen ſchienen, erſtreckten ſie ſich bis an eine Anhöhe, ungefähr eine Meile nordöſtlich, hinter welcher ſie verſchwanden.

Jch ſtand beinahe zwei Stunden auf dem Vorderkaſten meines Wagens, verloren in Erſtaunen über den wundervollen Anblick, und es koſtete nur einige Mühe, mich zu überzeugen, daß es Wirk - lichkeit war, was ich hier ſah und nicht etwa das abenteuerliche Traumbild eines Jägers.

Während dieſer Zeit ſtrömten die unzählbaren Maſſen ohne Ende durch jene Hügelöffnung hindurch. Endlich ſattelte ich mein Pferd, nahm meine Büchſe, ritt mit den Nachreitern mitten un - ter die Thiere hinein und feuerte, bis 14 Stück gefallen waren. Dann rief ich: Halt! Genug! Wir kehrten nun um, um das Wildpret vor den ſtets vorhandenen gefräßigen Geiern zu ſichern, und nachdem wir die geſchoſſenen Springböcke in das Gebüſch getragen und mit Reiſern zugedeckt hatten, wandten wir uns nach unſerem Lager zurück.

Der eigentliche Springbock (Antidorcas Euchore).

Wem daran gelegen hätte, viele Böcke zu erlegen, der würde an dieſem Morgen Gelegenheit gehabt haben, 30 bis 40 zu erbeuten. Niemals während meines ſpäteren Jägerlebens ſtieß ich auf eine ſo dichte Herde wie an dieſem Tage; auch geſtatteten ſie mir nie wieder, ſo weit in ſie hineinzureiten.

Nachdem wir angeſpannt hatten, fuhren wir mit dem Wagen hinaus, um das geſchoſſene Wild zu holen. So ungeheuer und überraſchend die Herde von Springböcken war, die ich an dieſem Morgen ſah, ſo war ſie doch noch bei weitem von Dem übertroffen, was ich abends erblicken ſollte. Denn als wir über die niedere Hügelkette hinwegkamen, durch deren Paß die Springböcke geſtrömt waren, ſah ich die Ebene und ſogar die Hügelabhänge, welche ſich ringsum hinzogen, dicht, nicht mit Herden, ſondern mit einer einzigen Maſſe von Springböcken bedeckt. So weit das Auge reichte, wimmelte die Landſchaft von ihnen, bis ſie endlich in ein undeutliches rothes Wirrſal lebendiger Geſchöpfe verſchwammen.

Es wäre eine vergebliche Mühe, ſich einen richtigen Begriff von der Zahl der Antilopen zu machen, die ich an dieſem Tage ſah; doch nehme ich nichtsdeſtoweniger keinen Anſtand zu behaupten, daß einige Hunderttauſend ſich innerhalb meines Geſichtskreiſes befanden.

510Die Antilopen. Der eigentliche Springbock.

Wir würden unzweifelhaft verſucht ſein, dieſe lebendige Schilderung des berühmten afrikaniſchen Jägers für eine echte Jagdgeſchichte zu halten, wenn nicht alle Reiſenden die Wahrheit jener Angaben beſtätigten. Auch Le Vaillant ſpricht von Herden von 10 bis 50,000 Stück, welche von Löwen, Leoparden, Luchſen und Hiänen verfolgt werden, und Eduard Kretſchmar erzählt von Maſſen, die er nach Millionen ſchätzt. Da mir das Werk dieſes Reiſenden nicht zur Hand iſt, ent - nehme ich der gemeinnützigen Naturgeſchichte von Lenz einen kurzen Auszug. Kretſchmar ritt während einer Dürrung, welche ſchon über Jahresfriſt angehalten hatte und zahlreiches Vieh tödtete, mit den holländiſchen Bewohnern vor Tagesanbruch nach einem Paß, durch welchen muthmaßlich Scharen von Springböcken ins Land hereinbrechen wollten. Bald kamen die Vorpoſten der Böcke, zu zwei und drei, zu zehn und zwanzig, dann zweihundert und vierhundert; endlich drängte ſich der ganze Paß dicht voll, und über ihnen wirbelten Staubwolken und ſchwärmten Geier. Die Hunde wurden losgelaſſen und verſchwanden unter der Maſſe; die Schüſſe krachten. Jn kurzer Zeit waren mehr als zweihundert Böcke geſchoſſen. Schnell wurden Anſtalten gemacht, ſie wegzuſchaffen. Da drängte ſich eine neue Herde von etwa 25,000 heran. Einer von den Leuten wurde über den Haufen geriſſen, und ſo zuſammengetreten, daß er nachher bewußtlos und ganz mit Erde bedeckt gefunden wurde; er erholte ſich jedoch allmählich, da er glücklicherweiſe mit dem Geſicht auf der Erde gelegen hatte. Bei dieſem zweiten Durchzug wurden wiederum hundert Stück geſchoſſen. Man ſchnitt allen den Kopf ab; das übrige wurde auf Wagen und Pferden nach Hauſe geſchafft. Während dem waren auch durch andere Päſſe Maſſen von Springböcken durchgedrungen, und man ſah auf der an ſechs deut - ſchen Meilen ſich hinſtreckenden Fläche Millionen von dieſen Thieren weiden. Man brachte auch Nachricht, daß beim Uebergang über den Karre, in geringer Entfernung vom Krahl, mehrere Hun - dert vom Felſen geſtürzt und leicht zu holen wären. So wurde denn auch dorthin ein neuer Zug ver - anſtaltet und eine Anzahl von etwa zweihundert Stück auf Wagen geladen. Zu Hauſe war dann Alles damit beſchäftigt, das Fleiſch in dünne Streifen zu ſchneiden und überall im Hauſe und um das Haus herum auf dünne Stöcke, auf Bettpfoſten, auf jeden brauchbaren Gegenſtand zu legen, wo es bald von Millionen Fliegen umſchwärmt wurde. Die Keulen wurden eingeſalzen, die Felle auf dem Erdboden ausgebreitet und mit Pflöcken befeſtigt. Getrocknet dienen ſie vorzüglich, um den Fuß - boden der Zimmer zu belegen. Das Fleiſch, welches vortrefflich ſchmeckt, wird im getrockneten Zu - ſtande vielfach benutzt.

Die Richtung, welche die wandernden Antilopen einſchlagen, iſt nicht immer dieſelbe. Ge - wöhnlich kehren ſie auch auf einem anderen Wege zurück, als auf dem, wo ſie gekommen waren. Jhre Weglinie bildet deshalb gewöhnlich eine ungeheure, langgezogene Ellipſe oder ein großes Viereck, deſſen Durchmeſſer vielleicht einige hundert Meilen beträgt. Dieſe Bahn wird von den Thieren in einer Zeit von ſechs Monaten bis zu einem Jahre durchzogen. Wunderbar iſt der Zuſammenhalt einer ſo ſich bewegenden Herde. Wood erzählt, daß eine Schafherde, welche einmal zufällig unter die wandernden Springböcke gekommen war, gezwungen wurde, mit dieſen zu laufen, wohin ſie gingen, ohne daß es dem Hirten möglich war, ſeine Schutzbefohlenen wieder zu befreien. Selbſt der Löwe, welcher dieſen Antilopen eifrig nachſtellt, ſoll manchmal von den Herden geradezu gefangen werden. So groß auch der Schrecken ſein mag, welchen das Raubthier den wehrloſen Wiederkäuern bereitet: Diejenigen, welche dieſen Schrecken empfinden, ſind nicht im Stande, dem Andrängen der anderen, welche von dem fürchterlichen Räuber Nichts wiſſen, zu widerſtehen, und der Löwe ſeiner - ſeits muß wohl oder übel mit der Maſſe fortwandern, weil er durch die lebenden Haufen, die jeden Augenblick wechſeln und ſich neu erſetzen, ſich unmöglich einen Ausgang bahnen kann. Die Sache klingt ſehr ſonderbar, iſt aber durchaus nicht unwahrſcheinlich, zumal wenn man an die vorhin erwähnte Geſchichte von Kretſchmar denkt. Die Nachzügler des Heeres freilich können den zahlloſen hungrigen Feinden, welche dieſen Zügen folgen, nicht widerſtehen; aber alle die Löwen, Leoparden, die Hunderte von Hiänen und Schakals, welche die Herde umſchwärmen, die Tauſende von Geiern, welche in den Lüften über ihr kreiſen, brauchen ſich auch nicht eben anzuſtrengen; denn von den Hun -511Der eigentliche Springbock.derttauſenden der wandernden Antilopen gehen täglich ſoviel zu Grunde an Nahrungsmangel, daß alle die Räuber genug zu freſſen haben.

Noch wird erwähnt, daß beſtändig der Vor - und Nachtrab wechſelt. Die, welche den Haufen anführen, ſinden ſelbſtverſtändlich mehr Nahrung als Die, welche da weiden wollen, wo ſchon Tauſende vor ihnen ſich geſättigt haben. Jene erwerben ſich alſo ihr tägliches Brod mit leichter Mühe und werden feiſt und faul. Damit iſt aber ihre gute Zeit vorbei; denn jetzt drängen ſich die Hungrigeren mit Macht vor, und mehr und mehr bleiben die Gemäſteten zurück, bis ſie an das Ende des Zuges gelangen. Einige Tage der Neiſe und des Mangels ſpornen ſie dann wieder an, ſich ihre Stelle im Vortrab von neuem zu erobern, und ſo findet ein ewig Hin - und Herwogen in der Herde ſtatt.

Der Springbock hat von den Anſiedlern ſeinen Namen mit Recht erhalten. Er kann außer - ordentliche Sprünge thun, wenn er verfolgt wird, zumal wenn Hunde ihn hetzen. Bei ſolchen Ge - legenheiten flüchtet die ganze Herde und macht eine Reihe ſeltſamer, ſenkrechter Sprünge, indem ſie ſich mit gekrümmten Läufen hoch in die Lüfte erheben und gleichzeitig das ſchneeweiße und lange Haarkleid längs des Rückens flattern läßt, hierdurch ein wahrhaft feenhaftes Anſehen erlangend, welches ſie von jedem anderen Thiere unterſcheidet. Sie ſpringen zuweilen 10 bis 12 Fuß hoch und mit jedem Sprunge über 12 bis 15 Fuß weit, ohne daß es ihnen die geringſte Anſtrengung zu koſten ſcheint. Bei Ausführung dieſes Sprunges ſcheinen ſie einen Augenblick lang gleichſam in der Luft zu ſchweben, kommen dann mit allen vier Füßen zugleich herunter, ſchlagen auf den Boden auf und ſteigen wieder in die Höhe, als ob ſie davonfliegen wollten. Sie bewegen ſich jedoch nur einige hun - dert Schritte weit; dann fallen ſie in einen leichten, federnden Trab, und neigen ihren ſchön geform - ten Hals und die Naſe auf den Boden. Wenn ſie einen Feind erblicken, machen ſie plötzlich Halt, drehen ſich herum und faſſen einen Gegenſtand des Schreckens ins Auge. Kommen ſie an einen Weg oder eine Fahrſtraße, die vor Kurzem von Menſchen betreten wurde, ſo ſetzen ſie mit einem einzigen Satze darüber hinweg, und wenn eine Herde von vielleicht vielen Tauſenden einen derartigen Weg verfolgt, gewährt ſie einen überaus ſchönen Anblick, weil jeder einzelne Bock den kühnen Sprung thut: ſo mißtrauiſch ſind ſie gegen den Boden, den ihr Feind, der Menſch, betreten hat. Auf ähnliche Weiſe ſpringen ſie, wenn ſie auf der Windſeite eines Löwen oder irgend eines anderen Thieres vor - beikommen, vor welchem ſie eine angeborene Furcht hegen.

Die Vaccalaharikaffern, denen dieſe wandernden Herden Nahrung in Hülle und Fülle bringen und eine Reihe von Feſttagen gewähren, zünden der Springböcke wegen vor der Regenzeit immer große Strecken der Steppe an, damit hier um ſo leichter ein friſcher grüner Teppich von ſaftigem Graſe ſich über die verbrannte Erde legen möge, den Böcken ein höchſt willkommener Weideplatz. Selten gewahrt man die Thiere in dem hohen, ſchilfartigen Graſe, welches ſo große Strecken ihrer Heimat überzieht. Sie ſind entſchiedene Liebhaber der zarteſten Pflanzen und kommen zu ſolchen friſchgrünen Orten von weit hergezogen, dem Menſchen dann reiche Beute verſprechend.

Jung aufgezogene Springböcke werden bald ſehr zahm. Buffon erzählt von einem, welcher das Brod aus der Hand nahm. Diejenigen, welche ich ſah und bezüglich pflegte, waren ſchen und vorſichtig Fremden gegenüber, zeigten ſich aber muthwillig und ſtoßluſtig, wenn ſie es mit Bekannten zu thun hatten. Mehrere zuſammen in einem Raume vertragen ſich nicht immer; zu - mal die Böcke ſind zänkiſche Geſellen, welche ſelbſt die Ricken quälen oder mindeſtens plagen. Ab - geſehen von dieſer Unfriedfertigkeit, ſind die gefangenen Springböcke reizende Erſcheinungen. Jhr weiches, farbenprächtiges Kleid, ihre anmuthige Geſtalt und die Zierlichkeit ihrer Bewegungen feſ - ſeln auch dann noch Jedermann, wenn die Thiere im engen Raum des Geheges eigentlich gar nicht zur Geltung kommen. Leider gelangen nur wenige lebende Springböcke zu uns. Die lange Seereiſe raubt mehr als die Hälfte von denen, welche am Kap eingeſchifft werden; das Klima und noch mehr die ſo vielen Antilopen entſetzliche Enge des Aufenthaltsortes, welchen man ihnen512Die Antilopen. Der Riedbock.anweiſen kann, wird den übrig gebliebenen oft verderblich. Bei weitem die meiſten von allen, welche in Thiergärten zu Grunde gehen, verlieren ihr Leben durch eigene Schuld. Ohne erklärliche Urſache ſtürmen ſie manchmal gegen die Gitter an und brechen ſich die Läufe oder verletzen ſich ander - weitig, ſo daß ſie plötzlich todt zuſammenbrechen.

Ueber die Fortpflanzung finde ich ſonderbarer Weiſe noch gar keine ſichere Nachricht.

Auch die Riedantilopen (Eleotragus) ähneln noch den echten Gazellen. Es ſind mittel - große Thiere von mehr unterſetzter Geſtalt, mit geradem Rücken und ziemlich langem Schwanze, bei denen nur das Männchen gehörnt iſt. Die Hörner ſind rund, am Grunde geringelt und mit der Spitze nach vorwärts gebogen; das Weibchen hat vier Zitzen. Thränengruben und Haarbüſchel an Hand - und Fußwurzel fehlen bei den meiſten.

Zu dieſer Gruppe rechnet man etwa ein Dutzend Antilopen, unter denen der Riedbock (Eleo - tragus arundinaceus) der bekannteſte iſt. Dieſes ſchöne Thier wird mit dem Schwanze über 5 Fuß lang und am Widerriſt , am Kreuze gegen 3 Fuß hoch. Die Hörner werden fußlang und ſind unten über einen Zoll dick. Jm allgemeinen ähnelt der Riedbock unſerem Rehe; doch iſt er etwas ſchlanker gebaut. Der Leib iſt ſchwach geſtreckt, am Hintertheil ein wenig ſtärker, als vorn, der Hals iſt lang und dünn, ſeitlich zuſammengedrückt und hirſchähnlich gebogen, der Kopf verhältniß - mäßig groß, nach vorn verſchmälert mit breiter Stirn, geradem Naſenrücken und ſtumpf zugeſpitzter Schnauze. Die Ohren ſind groß, lang, ſchmal und zugeſpitzt, an der Wurzel geſchloſſen, gegen das Ende geöffnet, an der Spitze verengt. Ziemlich dichtes Haar bedeckt ſie auf beiden Seiten. Die Augen ſind groß und lebhaft. Die Hufe ſind mittelgroß, etwas gewölbt, die Afterklauen abgeplattet und quergeſtellt. Der Schwanz reicht mit dem zottigen Haar faſt bis an die Knie und erſcheint wegen ſeiner reichlichen Behaarung viel dicker und breiter, als er wirklich iſt. Die Hörner ſind verhältniß - mäßig ſtark und kräftig. Sie ſtehen ziemlich entfernt von einander, ſteigen von der Wurzel rück - wärts in die Höhe, krümmen ſich dann in einem ſanften Bogen nach vorwärts und weichen dabei ziemlich aus einander, nähern ſich aber wieder mit den Spitzen um ein wenig. Jhre untere Hälfte iſt von tiefen und regelmäßigen Längsfurchen durchzogen, die obere glatt, die Wurzel 10 bis 12 Mal quer gerunzelt. Die ziemlich kurze und dichte Behaarung liegt nicht ſo glatt an dem Leibe an, als bei den übrigen bisjetzt genannten Antilopen. Sie verliert ſich am Unterleib und den Hinterſeiten der Oberarme, ſowie am Vorderhalfe bis zur Bruſt. Auf der Mitte des Rückens, am unteren Ende des Vorderhalſes und auf dem Scheitel finden ſich Haarwirbel. Unterhalb der Ohren, in der Schläfegegend, liegt ein runder, kahler Flecken. Die Ober - und Außenſeite des Leibes iſt gewöhnlich rothgraubraun, die Unterſeite und Jnnenſeite der Vorderbeine weiß. An der Außenſeite der Beine zieht die Färbung mehr ins Gelbliche, an Kopf und Hals, ſowie der Außenſeite der Ohren iſt ſie fahl. Die Augen werden von einem weißlichen Kreiſe umgeben. Die Hinterbeine ſind blos roth - grau. Auf der Vorderſeite der Füße verläuft ein undeutlicher, dunkelbrauner Streifen. Der Schwanz iſt oben fahlbraun, unten weiß. Huf und Afterklauen ſind ſchwarz. Zuweilen kommen einige unbedeutende Abweichungen vor, indem das Haar bald mehr ins Gelblichgraue, bald mehr ins Röthliche zieht. Das Weibchen unterſcheidet ſich durch den Mangel des Gehörns, auch durch geringere Größe vom Männchen.

Sumpfige, mit Schilf und Riedgras bedeckte Gegenden Südafrikas ſind die Heimat des Ried - bockes, welcher eben ſeinen Namen von ſeinem Aufenthaltsorte erhielt. Jn den Anſiedelungen des Vorgebirges der guten Hoffnung, im Lande der Namaquas und in der Kafferei iſt er an manchen Orten ſehr häufig, zumal da, wo es Quellen und Bäche gibt. Waſſer iſt ihm ein Bedürfniß, denn ſeine Nahrung beſteht faſt ausſchließlich in Sumpfgräſern.

513Der Riebbock.

Ueber die Lebensweiſe berichtet Drayſon: Wie ſchon der Name andeutet, wird dieſe ſchöne und anmuthige Antilope vorzugsweiſe in den mit Riedgras bedeckten Ebenen gefunden. Wenig Thiere ſind für den Jäger ſo vielverſprechend, wie der Riedbock. Denn gewöhnlich liegt er verſteckt in dem Riedgraſe, bis man faſt an ihn herangekommen iſt, und wenn er dann aufgeſchreckt wird, flieht er nur auf kurze Strecken hin, bleibt dann ſtehen und ſchaut nach ſeinen Verfolgern zurück. Dabei hört man ihn ein eigenthümliches Nieſen ausſtoßen, welches augenſcheinlich der Warnungsruf iſt. Das dadurch bewirkte Geräuſch wird ihm aber öfters zum Verderben, denn es macht den Jäger erſt aufmerkſam auf ihn. Er iſt ein großer Freund von jungem Getreide und deshalb den Kaffern tief verhaßt. Sie geben ſich alle mögliche Mühe, ihn zu vertreiben, und betrachten ſchon die Ver - nichtung eines Riedbockes als ein höchſt günſtiges Ergebniß ihrer Jagden, denn es kommt ihnen hauptſächlich darauf an, die Brandſchatzer ihrer Pflanzungen zu zerſtören. Bei verſchiedenen Gelegen - heiten habe ich mir die ewige Freundſchaft eines ganzen Dorfes dadurch gewonnen, daß ich einige Umſekes wegſchoß, welche die Leute durch mehrere Wochen geärgert hatten.

Der Riedbock (Eleotragus arundinaecus).

Wirklich wunderbar iſt die Lebenszähigkeit des Riedbockes. Es kommt oft vor, daß er ganz luſtig noch dahinläuft, nachdem eine Kugel ihm durch den ganzen Leib gegangen iſt, und wenn auch in vielen Fällen ſeine Flucht ihm Nichts hilft, geht er doch dem Jäger verloren; denn wenn er ſich auch in einer abgelegenen Waldesſchlucht zu verbergen ſucht, um ſeinen Verfolgern zu entgehen, fin - den ihn doch andere Feinde auf, und wenn es nur ein Haufen hungriger Hiänen wäre, welche ſeiner blutigen Fährte durch Meilen hin folgen, nachts in ſeinen Schlupfwinkel eindringen und ihn dann zerreißen.

Ueber die Fortpflanzung iſt noch nicht das Geringſte bekannt, und ebenſowenig weiß man über das Leben dieſer Antilopen in der Gefangenſchaft; denn obgleich man ſie ſchon ſeit ungefähr achtzig Jahren kennt, und ihre Bälge oft nach Europa gebracht hat, iſt doch bisjetzt noch kein lebender Riedbock zu uns gelangt.

Der Verfaſſer eines volksthümlich gehaltenen Buches, wie das unſrige ſein ſoll, muß ſich kaum bei einer anderen Familie des ganzen Thierreichs ſo beſchränken, als gerade bei den Antilopen. JedeBrehm, Thierleben. II. 33514Die Antilopen. Der Ducker.Art hat ihr Eigenthümliches, und ſowenig wir auch noch von dem Leben dieſer herrlichen Geſchöpfe wiſſen, ſoviel gibt es doch gerade hier zu berichten; ſelbſtverſtändlich aber möchte der Kenner der Thiere ſeinen Leſern Alles mittheilen, was er ſelbſt weiß. Allein Dies iſt bei den Antilopen un - möglich. Wir müſſen viele, viele Arten der reichen Familie übergehen, deren Leben anziehend und merkwürdig iſt, weil meine erſte Pflicht es ſein muß, die hauptſächlichſten Formen hervorzuheben. Somit laſſe ich auf die vorhergehenden eine Sippe folgen, welche den Riedantilopen ziemlich entfernt ſteht. Es ſind Dies die Schopf - oder Zwergantilopen (Cephalophus), welche eine ſcharf ab - gegrenzte Gruppe bilden. Wie der eine Name andeutet, finden wir unter ihnen die kleinſten und zierlichſten Mitglieder der ganzen Familie, obwohl auch Einige in der Größe einem Reh etwa gleich - kommen.

Alle hierher gehörigen Arten kennzeichnen ſehr kleine, dünne, aufrechtſtehende, nur ein wenig vorgebogene Hörner mit einigen Ringen oder Halbringen an der Wurzel, Klauendrüſen und Weichengruben, der rundliche Kopf und der kurze Schwanz. Neuerdings hat man ſie wieder in Schopf - und Zwergantilopen getrennt: der Unterſchied zwiſchen beiden Gruppen beſteht darin, daß jene zwiſchen den Hörnern einen nach hinten gerichteten Haarkamm tragen, welcher, jedoch nur theil - weiſe, dieſen fehlt.

Der Süden oder der Oſten Afrikas, zumal das Kapland und Habeſch, ſind die Heimat der kleinen, ſchmucken Geſchöpfe. Man findet ſie nur im Walde, niemals in der offenen Ebene, und die verhältnißmäßige Kürze ihrer Läufe ſcheint hiermit im Einklang zu ſtehen. Freilich braucht der Wald nicht groß zu ſein, um ſie zu beherbergen. Einige dichte Büſche genügen ihrem beſchaulichen Leben ſchon vollſtändig. Nicht ganz ſo flüchtig als andere Leichtfüße der Familie, gebrauchen die Schopfantilopen eigene Liſten, um ſich vor ihren Feinden zu retten, ganz in ähnlicher Weiſe, wie wir ſie beim Zwergmoſchusthier kennen lernten.

Der Ducker (Cephalophus mergens) iſt eine der bekannteſten und größten Arten dieſer Gruppe. Seine Leibeslänge beträgt , die Schulterhöhe 2 Fuß, die Schwanzlänge Zoll. Gerade pfriemenförmige, vier bis ſechs Mal flach geringelte Hörner von Zoll Länge, welche von dem Gehör verdeckt oder wenigſtens weit überragt werden, verſchwinden faſt zwiſchen den Haaren des Schopfes. An der Stelle der Thränengruben liegt vor den Augen ein gebogener, nackter Streifen. Die Läufe ſind ſehr ſchlank, die Hufe und Afterklauen klein, der bequaſtete Schwanz iſt kurz. Die Färbung ändert vielfach ab; ſie iſt auf der Oberſeite meiſtens grau olivenfarbig, beim Männchen auch wohl dunkelgelbbraun und längs des Rückens und der Keulen ſchwarz punktirt. An den Knöcheln und der Vorderſeite der Läufe geht ſie ins Schwarzbraune, an der Unterſeite ins Weiße über.

Unter allen Antilopen, ſagt Kapitän Drayſon, welche die Ränder der Buſchwaldungen bewohnen, iſt der Ducker eine der gemeinſten, obgleich er nur einzeln gefunden wird. Bei der Annäherung eines Menſchen oder anderen Feindes bleibt er ruhig in ſeinem Lager; regungslos, ſtarr wie eine Bildſäule ſchaut er auf den Ankommenden, bis er glaubt, er werde beobachtet: dann ſpringt er plötzlich auf und ſtürzt dahin, ſchlägt eine Reihe ſcharfer Haken, ſetzt über Büſche und ſchlüpft durch ſie hindurch, duckt ſich und kriecht, ſo wie er ſicher iſt, ſeinen Verfolgern aus den Augen gekommen zu ſein, in dem langen Graſe oder zwiſchen den Büſchen ſo ſtill dahin, daß man glaubt, er wäre förmlich verſchwunden oder habe ſich niedergelegt. Aber letzteres iſt nie der Fall; denn er geht dann immer weiter unter den Blättern fort, bis er einen guten Vorſprung erlangt hat: dann eilt er auf und davon. Selbſt der klügſte Jäger und der beſte Hund werden durch den Ducker oft genug gefoppt; wenn man aber ſeinen Weg überwachen und den Ort entdecken kann, wo er ſich nach ſeinen Gängen niedergelegt hat, kommt man leicht unter dem Winde an ihn heran. Doch muß man ihm dann einen guten Schuß geben, wenn man ſicher ſein will, ihn auch zu erhalten; denn ſo klein er auch iſt, eine ſo ſtarke Ladung von Rehpoſten nimmt er auf ſich. Die Büchſe iſt kaum zu gebrauchen, weil er bei ſeinem unregelmäßigen Hin - und Herſpringen einen überaus geſchickten515Der Ducker. Der Beni Jſrael oder Atro.Schützen verlangt. Oft kommt es vor, daß er nach dem Schuß mit größter Schnelligkeit davon geht, als ob ihn kein Schrotkorn berührt habe; dann hält er plötzlich an und gibt unverkennbare Zeichen ſeiner Verwundung. Selbſt tödtlich getroffene Böcke ſprangen vor mir auf, als ob ihnen kein Leid geſchehen wäre.

Schon ein gewöhnlicher Hund kann den Ducker im Laufe einholen. Ein alter Vorſteher, welcher mir diente, ſing mehr als ein Mal ganz geſunde Böcke und hielt ſie, bis ich herankam.

Aus dem Felle des Duckers flechtet man am Kap die langen Wagenpeitſchen; das Wildpret gibt eine vortreffliche Suppe. Gewöhnlich iſt das Fleiſch der ſüdafrikaniſchen Thiere ſehr mittel - mäßig, trocken und geſchmacklos; allen Feinſchmeckern aber kann ich die Leber der kleinen Antilope

Der Ducker (Cephalophus mergens).

als ein ungemein feines Gericht empfehlen. Die holländiſchen Bauern ſpicken das Wildpret des Duckers mit Elen - oder Nilpferdſpeck und bereiten dann einen höchſt ſchmackhaften Braten.

Als Zwerge der ganzen Familie ſind mehrere ſehr kleine, überaus niedliche Antilopen anzu - ſehen; vor allen anderen ihrer vier: das Buſch - und das Zwergböckchen der holländiſchen An - ſiedler am Kap, der Beni Jſrael der Arabiſch redenden oder der Atro der Amhariſch ſprechen - den Bewohner von Habeſch und eine in Guinea lebende, ganz ähnliche Art. Jn ihrem Leibesbau, in der Färbung und ihrem Weſen ähneln ſich alle Zwergantilopen ſo, daß wir ein richtiges Bild von ihnen gewinnen, wenn wir das über ſie Bekannte zuſammenſtellen. Auch hinſichtlich ihres Baues und ihrer Färbung geben ſich alle als nahe Verwandte zu erkennen. Der Schopf zwiſchen den Hörnern iſt mehr oder weniger entwickelt; die Färbung wechſelt. Als hauptſächlichſte Unter - ſcheidungsmerkmale aber müſſen die Hörner angeſehen werden, obgleich auch ſie ziemlich gleich ſind.

Der Beni Jſrael oder Atro (Cephalophus Hemprichii) iſt einer der zierlichſten Wieder - käuer, welche es gibt. Der Bock trägt ein kleines Hörnerpaar mit 10 bis 12 Halbringen an33 *516Die Antilopen. Zwergböckchen. Der Beni Jſrael oder Atro.der unteren Hälfte der Außenſeite und mit nach vorn gebogenen Spitzen, welche von dem ſtark entwickelten Haarſchopf faſt verdeckt und durch die ſehr langen Ohren gänzlich in den Schatten geſtellt werden. Der Leib iſt ziemlich gedrungen, die Läufe ſind mittellang, aber außerordentlich ſchwach, die Hufe lang, ſchmal und zugeſpitzt, die Afterklanen kaum bemerklich; der Schwanz iſt ein kurzbehaarter Stummel. Sehr feine und ziemlich lange Haare decken den Leib. Das Kleid erſcheint fuchſig und graubläulich, weil die einzelnen Haare vor der dunklen, aber kaum bemerklichen Spitze licht oder röthlich umrandet ſind: Am Grunde ſehen ſie graubräunlich aus. Auf dem Rücken geht die Färbung in das Rothbraune, auf dem Naſenrücken und der Stirn in das Fuchsrothe über; die Vorderſchenkel ſind oft gefleckt, die unteren Theile und die Jnnenſeite der Läufe weiß. Ein breiter Streifen über und unter den Augen iſt weiß, die Ohren ſind ſchwärzlich geſäumt, die Hörner, Hufe und Thränengruben ſchwarz.

Jn Abiſſinien wird man vom Meeresſtrande an bis zu 6 und 7000 Fuß unſere Beni Jſrael (zu Deutſch Kinder Jſrael ) an geeigneten Orten ſelten vermiſſen. Faſt alle Zwergantilopen ſind Bewohner der Buſchwälder, an welchen Afrika ſo reich iſt. Dickichte, welche für andere, größere Antilopen ſogut als undurchdringlich ſein würden, gewähren dieſen Liliputanern noch immer präch - tige Wohnſitze. Für ſie findet ſich auch zwiſchen den engſten Verſchlingungen noch ein Weg und in den ärgſten Dornen noch ein Pförtchen. Der Atro zieht das Thal entſchieden der Höhe vor. Am liebſten ſind ihm die grünen Waldſäume der Regenſtrombetten. Hier gibt es ganz herrliche Verſteck - plätze. Die Mimoſen, der Chriſtusdornen, einige Wolfsmilchgeſträuche und andere größere Pflanzen werden von einem wahren Netz von Schlingpflanzen umflochten und durchwebt. Es finden ſich da köſtliche Lauben und nach anßen vollkommen abgeſchloſſene Gebüſche, deren Jnneres recht wohnlich und gänzlich verborgen iſt, oder aber ſchmale Dickichte, welche jedoch auf lange Strecken hin ununter - brochen verbunden ſind. Weiter von der belebenden Waſſerader weg ſtellen ſich die Büſche einzelner, und ein grünes, ſaftiges Gras kann ſich dort erheben. Hier begegnet man dem Atro mit aller Sicherheit. Er lebt, wie die meiſten ſeiner Verwandten, über welche wir Kunde haben, ſtreng paarweiſe, niemals in Trupps; es ſei denn, daß ein Pärchen einen Sprößling erhalten habe, welcher der Mutterpflege noch bedarf. Dann trollt auch dieſer hinter den Eltern her.

Jm Anfang wird es dem Jäger ſchwer, das kleine Thierchen zu entdecken; iſt man aber mit ſeinen Sitten und Gebräuchen vertrauter geworden, dann weiß man es ſchon aufzufinden, weil man folgerichtig zu Werke geht. Die Färbung des Felles, welche mit der Umgebung übereinſtimmt und in dieſer förmlich aufgeht, trägt weſentlich dazu bei, unſere Zwerge zu verbergen. Das allergeübteſte Auge, ſagt Kapitän Drayſon ſehr richtig, iſt erforderlich, um ein Buſch - oder Blauböckchen zu entdecken, weil ihre Felle der Dämmerung des Unterholzes ſo genau gleichen, daß man das kleine Ding nicht bemerken würde, wenn ſich nicht die im Laufe berührten Zweige bewegten. Gewöhnlich iſt das Böckchen lange vorher, ehe der Jäger ſich überzeugen konnte, daß er es wirklich geſehen habe, ſchon auf und davon. Wenn ich ſo mit den Kaſſern ging, deren Falkenaugen das Dickicht durch - bohren, iſt es mir oft vorgekommen, daß ſie mit großer Beſtimmtheit ſagten: Dort geht ein Blau - böckchen, ſieh, dort iſt es, dort, dort! Aber für mich waren ſolche Fingerzeige vergebens. Jch mochte mich auch anſtrengen und nach dem bezeichneten Fleck hinſehen, wie ich wollte: alles An - dere ſah ich, nur nicht das Böckchen. Genau ſo ging es mir im Anfang mit dem Beni Jſrael. Doch das Jägerauge findet ſich. Wenn man recht ſorgfältig das Gebüſch abſucht und ſeine Aufmerk - ſamkeit hauptſächlich auf dunkle, freie Stellen im Gelaube richtet, ſieht man die zierlichen Waldes - kinder ſicherlich. Gerade auf dieſe Blößen ſtellen ſie ſich, wenn ſie aufgeſcheucht werden. Jhre un - gemein feinen Sinne und namentlich das mit den großen Ohren im Einklang ſtehende ſcharfe Gehör verrathen ihnen die Ankunft des Menſchen lange vorher, ehe dieſer eine Ahnung von ihrem Vorhan - denſein hat. Beim geringſten verdächtigen Geräuſch ſpringt der Bock auf und lauſcht ſcharf nach der bezüglichen Seite hin; allein dieſe Unterſuchung genügt ihm nicht: er muß auch ſehen, und des - halb geht er langſam nach einem jener offenen Plätze, ſtellt ſich dort ſtarr wie eine Bildſäule auf und517Zwergböckchen. Der Beni Jſrael oder Atro.ſchaut dem herankommenden Feind entgegen. Das Thier folgt in kurzer Entfernung ſeinem Gatten, überläßt aber dieſem ſo lange als möglich die Sorge um Sicherheit. Aufrecht ſteht der Bock da, den Kopf hoch erhoben; kein Glied bewegt ſich, außer dem Gehör. Nur der Haarkamm auf dem Kopfe wird ſo geſträubt, daß die zarten und kurzen Hörner vollkommen durch ihn gedeckt werden. So lauſcht und äugt er ſcharf nach dem gefahrdrohenden Gegenſtande hin. Eine neue Bewegung des Gefürchteten macht ihn erſtarren; der Fuß, welcher erhoben iſt, bleibt ſo, das Gehör rührt ſich nicht; die Lichter richten ſich auf den einen Punkt; kurz, nicht ein einziges Zeichen verräth das Leben des ſchlauen Geſchöpfes. Sowie es ihm dünkt, daß Gefahr im Verzug ſei, duckt er ſich nieder und ſchleicht, jeden Lauf ſo leiſe und gleichmäßig hebend, als ginge er in menſchlicher Weiſe auf den Zehen, ganz unhörbar in das Dickicht zurück, verläßt es auf der entgegengeſetzten Seite, eilt in den dünner beſtandenen Buſchwald hinaus und kehrt, einen großen Bogen um den Feind beſchreibend, wieder nach ſeinem grünen Verſteck zurück. Am liebſten wendet er ſich rückwärts, wenn er einmal Nachſtellungen erfahren hat; getrieben aber, geht er in Bogen nach vorn hin, immer wieder den grünen Waldſaum berührend und von neuem in ihm ſich verbergend. Das Thier folgt ihm in geringer Entfernung auf Schritt und Tritt getreulich nach. Solange nicht ein Schuß fiel oder ein Hund ſich zeigte, trollt auch das auſgeſcheuchte Pärchen bald wieder gemächlich dahin. Unmittelbar vor dem Flüchtigwerden ſtößt der Bock einen ſcharfen Schneuzer aus, welcher ſechs, ja acht Mal wie - derholt wird, wenn man auf ihn ſchoß, ohne ihn zu treffen oder ſogleich zu tödten. Selten flüchtet das Pärchen weit weg. Bereits nach wenigen Sätzen trollt es wieder; der Bock hält an, ſichert, geht weiter, ſichert wieder und unterbricht ſeinen Lauf ſchließlich alle zehn bis zwanzig Schritt weit. Wurde aber auf den Atro geſchoſſen, gleichviel ob mit oder ohne Erfolg, ſo flüchtet er während der erſten vier - bis ſechshundert Ellen, welche er zurücklegt, überaus eilfertig dahin. Dann erſt zeigt ſich ſeine ganze Beweglichkeit. Jn weiten Bogenſätzen jagt er dahin, die Vorderläufe im Sprunge dicht an den Leib gelegt, die hinteren wie den Kopf lang vorgeſtreckt. Eine ſo in voller Flucht dahin - eilende Zwergantilope iſt ſehr ſchwer zu erkennen. Die Bewegung erfolgt ſo raſch, und die gewohnte Geſtalt des Thieres hat ſich ſo gänzlich verändert, daß das Auge ein durchaus fremdartiges Geſchöpf zu erblicken vermeint. Nicht ſelten iſt man geneigt, den zierlichen Wiederkäuer für einen Haſen zu halten, nach einiger Uebung aber lernt man ihn auch während ſeines vollſten Laufes richtig erlennen.

An dem einmal gewählten Standorte ſcheint jedes Paar der Zwergantilope treulich feſtzuhalten, ſolange es von dort nicht vertrieben oder ihm in der Nähe ein noch beſſerer Verſteckplatz geboten wird. An einigen Regenſtrombetten in der Samhara Abiſſiniens, welche ich während meines kurzen Aufent - haltes vier Mal berührte, fand ich den Beni Jſrael immer genau auf denſelben Stellen, wo ich ihn früher geſehen oder bezüglich erlegt hatte. Die meinem Gewehr entgangenen Paare waren bis auf ihren Buſch hin wieder auf den alten Stand gerückt; der Ueberlebende eines durch mich zerſprengten hatte den Stand wahrſcheinlich verlaſſen, und dieſer war dann durch ein anderes Pärchen erſetzt wor - den. An jenen Regenſtrombetten kann der Jäger ſchon von weitem den Buſch oder den Theil der Dickung beſtimmen, in welchem er Beni Jſrael finden wird: der dickſte verſchlungenſte Buſch und wenn er nicht mehr Raum bedeckt, als ein paar hundert Geviertfuß, iſt ſicherlich ihr eigentliches Haus. Fern ab von ſolchen beſonders begünſtigten Stellen trifft man das Zwergböckchen nur in Gebirgs - thälern an, in deren Grunde Dickichte in ähnlicher Weiſe ſich ausbreiten. Wohl nur gezwungen beſteigt das Thier die Gehänge und Kämme der Berge. Jm Gebirge begegnet man ihm allerdings noch in ziemlich bedeutender Höhe über dem Meere, nie aber auf Bergwänden und Bergrücken

Alle Zwergantilopen äßen ſich vorzugsweiſe von dem Blätterwerk der Gebüſche, in welchen ſie hau - ſen. Dem Beni Jſrael gibt wahrſcheinlich die Mimoſe den größten Theil ſeines Geäßes. Außer den zart gefiederten Blättern, denen man es gleich anzuſehen meint, daß ſie ſolch kleinen Leckermäulern wohl genügen müſſen, werden aber grüne Triebe und Knospen auch nicht verſchmäht, und oft ſieht man, wie ſüdafrikaniſche Jäger verſichern, die gewandten Geſchöpfe ſogar an ſchiefen Stämmen der518Die Antilopen. Zwergböckchen. Der Beni Jſrael oder Atro.Buſchwälder emporſteigen, um ſich an höheren Aeſten zu äßen. Mir hat dieſe Angabe durchaus nichts Auffallendes, weil ich das Baumklettern der Wiederkäuer wiederholt und zwar von den kleinen Ziegen des Jnneren Afrikas geſehen habe.

Auch der Beni Jſrael ſchlägt ſich, wie die Gazelle, ſeichte Keſſel aus, in denen er ſeine Loſung abſetzt. Dieſe, in Geſtalt, Größe und Farbe Haſenſchroten gleich, gibt dem Jäger ebenfalls den ſicherſten Anhaltspunkt zu der nicht unwichtigen Beſtimmung, ob das Pärchen, von welchem der Keſſel herrührt, noch zu finden ſein wird oder bereits getödtet, bezüglich vertrieben wurde. Gewöhn - lich findet ſich ein ſolcher Abort der reinlichen Thiere zwiſchen zwei dichteren Büſchen, unweit der Laube, welche den Lieblingsaufenthalt bildet.

Ueber die Fortpflanzung der Zwergantilope ſind bisher nur ſehr dürftige Angaben gemacht worden. Auch ich erfuhr wenig. Wann das Zwergböckchen Abiſſiniens auf die Brunſt tritt, kann ich nicht mit Beſtimmtheit ſagen, ebenſowenig auch, wie lange das Thier hochbeſchlagen geht. Ein abiſſiniſcher Jäger erzählte mir, daß zur Zeit der Brunſt, welche zu Ende der großen Regenzeit fal - len ſoll, die Böcke ihre Hörnchen, ſo klein dieſe auch ſind, mit großer Wuth und viel Nachdruck zu gebrauchen wiſſen; doch muß ich hierbei wiederholen, daß die Abiſſinier nicht eben die zuverläſſigſten Erzähler ſind, weil ſie den Leuten gar zu gern nach dem Munde reden, alle Fragen ohne weiteres bejahen und die Antwort auch noch mit hübſchen Geſchichtchen ausſchmücken. Unter den Hunderten der Beni Jſrael, welche ich ſah, habe ich auch nicht einen einzigen überzähligen Bock beobachtet. Ueberall und immer bemerkte ich nur Pärchen: woher ſollen alſo die Kämpfer kommen? Ehren - berg gibt den Monat Mai als Satzzeit des Beni Jſrael an; ich habe aber bereits im März und häufiger im April Junge bei den Pärchen geſehen. Jn der zweiten Hälfte des März waren faſt alle Ricken, welche ich, zu meinem größten Bedauern, erlegte, hochbeſchlagen; im April ſah ich die Pär - chen mit ihren Sprößlingen und erhielt ſelbſt ein vor wenig Tagen geſetztes Kälbchen.

Es ſcheint, daß in Habeſch nur die jungen, eben geſetzten und noch unbehilflichen Beni Jſrael gefangen werden; wenigſtens konnte ich, ohngeachtet meiner Bemühungen, erwachſene Thiere nicht erhalten. Die Kaffern dagegen legen ihren Zwergböckchen Schlingen in den Weg, welche durch einen der Läufe der Antilopen zugezogen werden, oder ſtellen ihnen, wenn es ihnen nur um das Wildpret zu thun iſt, ſolche, welche ein Schnellgalgen zuſchnürt. Man biegt zu dieſem Ende einen Baum um, bindet an ihn die Schlinge, ſtellt ſie in einen der leicht erkenntlichen Gänge im dichten Gebüſch und richtet einen Pflock ſo, daß er von dem laufenden Wilde weggeſtoßen wird. Der Hals deſſelben ſteckt dann bereits in der Schlinge; der Baum richtet ſich plötzlich auf, der arme Schelm baumelt und iſt nach ein Paar Minuten eine Leiche.

Wenn man erſt die Sitten des Beni Jſrael kennen gelernt hat, iſt ſeine Jagd ebenſo einfach als ergiebig. Zwei Jäger brauchen ſich keine große Mühe zu geben. Der Eine folgt dem ſatzweiſe dahinflüchtenden Pärchen, der Andere bleibt dort ſtehen, von wo es aufging. Oft genug kommt der Verfolgende zum Schuß, ſicher Der, welcher ſich anſtellt. Jſt die Jagdgeſellſchaft größer, ſo bildet ſie einen einfachen Halbmond und läßt durch Treiber oder durch Hunde den Buſchrand an beiden Ufern des Regenſtroms abſuchen. Nach einigen Schüſſen geht der Beni Jſrael dann regelmäßig rückwärts und muß die Schützenlinie kreuzen. An Orten, wo er noch keine Nachſtellungen erfuhr, bleibt er häufig ruhig auf den Blößen in der Dickung ſtehen, vielleicht, weil er ſeine Gleichfärbigkeit mit der Umgebung zu hoch ſchätzt. Jm Anfang meiner Jagden gebrauchte ich die Büchſe, ſpäter das Schrotgewehr, und dieſes iſt auch die einzige geeignete Waffe zur Jagd unſeres Thierchens. Ganz abgeſehen, daß der Zwerg, wenn er ſelbſt nur auf 70 oder 80 Schritte draußen ſteht, mit der Büchſe ſchon auf das Korn genommen ſein will, hat der Jäger ſelten Freude, wenn er ſeine Lieb - lingswaffe benutzte; denn die Kugel reißt faſt regelmäßig ein ſo ungeheures Loch in den kleinen Kör - per, daß er das erlegte Wild nicht gern mehr anſehen mag. Das Schrotgewehr kommt übrigens auch zu ſeinem Rechte; denn eine in voller Flucht dahinjagende Zwergantilope iſt vor jedem Sonntags - ſchützen ſicher: ſie verlangt ein ſehr gutes Auge und eine geübte Hand. Zudem wimmeln dieſelben519Zwergböckchen. Der Beni Jſrael oder Atro.Büſche, in denen das Zwergböckchen lebt, von Frankolinen und Perlhühnern, welche man doch auch nicht gern unbehelligt wegfliegen läßt, aber ſelbſtverſtändlich mit der Büchſe nicht erlegen kann.

Wenn man bei der Jagd des Beni Jſrael feſthält, daß der Bock ſich immer höher und ſtolzer trägt, als das Thier, und daß er auf der Flucht regelmäßig vorauseilt, erſpart man ſich bald den Kummer, ein Thier, zumal ein hochbeſchlagenes, zu erlegen; an anderen Kennzeichen vermochte ich die Geſchlechter nicht zu unterſcheiden, ſelbſt wenn ich auf 40 bis 50 Schritte zum Schuß kam.

Das Wildpret des Beni Jſrael iſt ziemlich hart und zähe, obwohl noch immer eine recht leid - liche Speiſe. Es eignet ſich faſt mehr zur Bereitung von Suppe, als zum Braten. Auf Drayſons Rath habe ich mich hauptſächlich an die Leber der Zwergantilope gehalten und muß jenem Gewährs - mann Recht geben, daß ſie ein wahrer Leckerbiſſen iſt.

Ueber alt gefangene Zwergantilopen habe ich ſelbſt keine Beobachtungen machen können, und das erwähnte Kälbchen blieb, ungeachtet der ſorgfältigſten Pflege, nur wenige Tage am Leben. Meine Frau, deren ganz beſonderer Liebling das wirklich reizende Geſchöpf war, hielt ihm eine melkende Ziege und überwachte ſeine Ernährung mit der größten Sorgfalt. Es beſäugte auch ſeine Pflege - mutter ohne beſondere Umſtände und ſchien in den erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft ſich ganz wohl zu befinden. Bereits hatte es ſich an ſeine Pflegerin ſo gewöhnt, daß es nicht die geringſte Furcht mehr vor ihr zu erkennen gab und zu den ſchönſten Hoffnungen berechtigte. Da bekam es plötzlich eine Geſchwulſt an der Kehle, und am anderen Tage war es eingegangen! Von anderen Beobach - tern erfahre ich, daß man Zwergantilopen ſchon mehrmals in der Gefangenſchaft gehalten hat. Außerhalb ihres Vaterlandes erliegen ſie freilich bald den Einflüſſen des fremden Klimas, und deshalb iſt es ſehr ſchwer, ſie lebend bis nach Europa zu bringen. Allein am Kap und in anderen Theilen Afrikas hat man ſie längere Zeit im Zimmer oder im Gehöft gehalten. Man ſagt, daß jung einge - fangene bald große Anhänglichkeit an ihren Pfleger zeigen, ſeinem Rufe folgen, ſich gern berühren, krauen, auf dem Arme herum tragen laſſen und überhaupt dem Menſchenwillen ſich widerſtandslos ergeben. Eine überaus große Gutmüthigkeit, Sanftmuth und Liebenswürdigkeit wird gerühmt. Brod, Möhren, Kartoffeln und Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen vollſtändig; Früchte und Blüthen verſchmähen ſie auch nicht; Salz lecken ſie, wie die meiſten anderen Wieder - käuer, mit Vergnügen auf; Waſſer iſt ihnen ein Bedürfniß. Sie halten ſich ſo rein, daß man ſie ohne Sorge zum Genoſſen der Wohnſtube machen könnte; nur ihr Harn riecht unangenehm. Wenn ſie ſich nach ihrem Pfleger ſehnen, ſtoßen ſie ein leiſes Blöcken aus; die Furcht geben ſie durch Schneuzen zu erkennen. Dies kann man namentlich bei Gewittern bemerken: ſie ſchnaufen bei jedem heftigen Donnerſchlag. Oft preſſen ſie eine kleberige, ölige Schmiere aus den Furchen, welche ihre Thränengruben vertreten. Dieſe Maſſe riecht wie Moſchus, und die Thiere ſcheinen großen Wohlgefallen an ihrem Geruch zu haben. Jm übrigen behalten ſie auch in der Gefangenſchaft ihre Sitten bei. So legen ſie niemals ihre Schreckhaftigkeit ab; ſie fliehen eiligſt davon, wenn Jemand, zumal ein Fremder, eine raſche Bewegung macht; ſie verſuchen ſich ſogar zu ducken und zu verbergen: allein ſchon nach kurzer Zeit zeigen ſie gegen Bekannte dieſelbe Zutraulichkeit wieder, wie vorher.

Nach Europa herüber dürften nur ſehr wenig lebende Zwergantilopen gekommen ſein. Unſer rauhes Klima tödtet die zarten Kinder des Sonnenlandes auch ſo bald, daß ſich die auf ihre Einbrin - gung verwandte Mühe kaum verlohnt.

Außer dem Menſchen iſt der ſchlimmſte Feind der Zwergantilopen wohl überall der Leopard. Jn Abiſſinien zieht er gerade die Dickichte, wo ſich Atros aufhalten, allen übrigen Jagdplätzen vor. Wenn auch die kleinen Antilopen den ganzen Tag über in Bewegung ſind, zeigen ſie doch in den Frühſtunden und noch mehr gegen Abend eine beſondere Regſamkeit. Um dieſe Zeit begegnet man der gewandten Katze häufig genug auf ihren Schleichwegen, und noch viel öfter mag ſie vorhanden ſein, ohne daß man eine Ahnung hat. Ein alter italieniſcher Jäger, der ſchon genannte Pater Filippini, verſicherte mir, daß der Leopard nur dann in die Dörfer komme, wenn ihm ſeine Anti - lopenjagd mißglückte, und ich habe keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit dieſer Angabe zu zweifeln. 520Die Antilopen. Der Bleichbock.Jm Süden mag der Serwal und im Sudahn die Falbkatze dem widerſtandsunfähigen Zwerg ebenfalls nachſtellen, und höchſt wahrſcheinlich nimmt auch der Raubadler hier und da wenigſtens ein Kälbchen weg. Ob die in Afrika ſo häufigen Schakale und Füchſe, ſowie die wilden Hunde - arten ebenfalls zu den Feinden des Beni Jſrael und ſeiner Verwandten gezählt werden müſſen, wage ich nicht zu behaupten; ich kann blos ſagen, daß ich Schakale und Füchſe in den von Beni Jſrael bewohnten Dickichten häufig geſehen habe.

Von den verwandten Antilopen will ich noch dem Bleichbock der Anſiedler (Scopophorus Urebi oder Antilope scoparia) einige Worte widmen. Das Thier iſt kaum ſchwächer, als unſer Reh: nämlich Fuß lang, auf den Schultern 2 Fuß und am Kreuze noch etwas darüber hoch, und durch ſeine zierlichen und regelmäßigen Formen beſonders ausgezeichnet. Die Färbung iſt ein lichtes Fuchsroth oder Gelbbraun auf der Oberſeite und ein faſt ſchneeiges Weiß auf der Unterſeite, d. h. am Unterleibe, der Jnnen - und Hinterſeite der Beine. Auch ein Fleck über den Augen, die Lippen, das Kinn und die Jnnenſeite der Ohren ſind weißlich, während die Ränder der letzteren ſchwarzbraun erſcheinen. Das kleine, faſt gerade aufſteigende, erſt ſchwach nach hinten, dann etwas nach vorn geneigte, dünne Gehörn, welches, wie bei den Zwergantilopen, nur der Bock trägt, iſt am Grunde etwa neun Mal deutlich geringelt. An den Vorderläufen hängen ziemlich lange Kniebüſchel herab. Der Schwanz iſt kurz, aber gequaſtet.

Das Leben des Bleichbocks ſchildert am beſten Kapitän Drayſon in ſeinen Jagdbildern aus Südafrika .

Während die meiſten Thiere, und zumal die Antilopen, dem Menſchen ausweichen, ſo gut ſie kön - nen, während die großen Antilopen am Kap ſich gern bis hundert Meilen weit von den Wohnſitzen der Pflanzer aufhalten, gibt es einige, welche thun, als kennten ſie gar keine Furcht vor dem Erzfeinde der Thiere, einige, welche ihren Wohnſitzen anhängen, ſolange ſie es im Stande ſind, oder ſolange ſie nicht ihre Zutraulichkeit mit dem Leben bezahlen müſſen. Vielleicht ſind manche Gegenden dieſen Thieren ſo einladend, daß unmittelbar, nachdem eine gewiſſe Oertlichkeit frei wurde, andere derſel - ben Art von unbekannten Orten herkommen, um den Platz in Beſitz zu nehmen. So iſt es mit dem Bleichböckchen oder Urebi. Dieſes ſchmucke, zierliche Geſchöpf hält ſich in der nächſten Nähe der Ortſchaften auf, gerade da, wo es täglich gezwungen wird, vor ſeinem ſchlimmſten Feinde zu flüchten.

Wenn ein Jäger Tag für Tag ſein Gebiet durchſtreift und dabei alle Bleichböckchen, welche ihm vorkommen, niedergeſtreckt hat, braucht er wahrhaftig keine fünf Tage zu warten, ehe er wiederum ein Wild erbeuten kann; denn wenn er nach dieſer Zeit von neuem zur Jagd hinausgeht, findet er ſicherlich wiederum mehrere dieſer kleinen Antilopen, welche ſich rings um die Dörfer angeſiedelt haben. Man trifft ſie gewöhnlich paarweiſe in den Ebenen, und auch wenn ſie verfolgt werden, ſuchen ſie ſel - ten den Buſch oder Wald zu erreichen. Jhr gewöhnlicher Stand iſt das lange Gras, welches zurück - bleibt, nachdem man die Steppe angezündet hat, oder die zerklüfteten Wände der Hügel, wo ſie ſich zwiſchen Felſen und Steinen verbergen.

Wirklich reizend iſt die Art und Weiſe ihrer Flucht, wenn ſie aufgeſchreckt oder geſtört werden. Sie fliehen mit der größten Schnelligkeit dahin, ſpringen dann plötzlich mehrere Fuß hoch in die Luft, werden von neuem flüchtig und machen nochmals einen Luftſprung, wahrſcheinlich in der Ab - ſicht, ihre nächſte Umgebung beſſer zu überſchauen; denn ſie ſind zu klein, als daß ſie über das Gras wegäugen könnten. Manchmal, beſonders, wenn irgend ein verdächtiger Gegenſtand bei dem erſten Sprunge entdeckt wurde, ſchnellt der Bleichbock mehrere Male nach einander auf, und dann will es auch dem unbefangenen Auge erſcheinen, als ob er ein mit Schwingen begabtes Geſchöpf wäre und die Kraft habe, ſich in der Luft ſchwebend zu erhalten. Wenn z. B. ein Hund auf ſeiner Fährte iſt und ihm eifrig durch das lange Gras folgt, ſpringt er wiederholt nach einander hoch auf,521Der Bleichbock.beobachtet während des Schwebens genau die Gegend, aus welcher ſein Verfolger herbeikommt, ſchlägt plötzlich einen Haken und kommt dem böſen Feinde oft genug aus dem Geſicht. Beim Herab - ſpringen fällt das Thier immer zuerſt mit den Hinterläufen auf den Boden.

Der überraſchte und zur Flucht aufgeſchreckte Bleichbock eilt in den erſten Minuten ſeines Laufes in ähnlicher Weiſe auf dem Boden dahin, in welcher eine aufſtehende Schnepfe durch die Luft fliegt. Jm Zickzack wendet er ſich von einer Seite zur anderen, durchkriecht oder überſpringt er mit Blitzesſchnelle die Gräſer, und gewöhnlich iſt er bereits hundert Ellen weit hinweg, ehe der Jäger nur ſein Gewehr zurecht legen kann.

Gute Schützen erlegen dieſe Antilopen mit Rehpoſten oder feuern, noch ehe ſie ſich von ihrem La - ger erhoben. Jn den erſten Tagen verfuhr ich ebenſo, zuletzt aber fand ich, daß es beſſer und jagd - gerechter iſt, die Kugel anſtatt der Schrote zu verwenden. Dort, wo das Gras über ſechs Fuß hoch

Der Bleichbock (Scopophorus Urebi oder Antilope scoparia).

war, mußte ich jedoch, um das Thierchen nur zu ſehen, zu Pferde jagen; allein dieſer Jagd gerade verdanke ich, daß ich mein Wild genau beobachten konnte.

Hat man den Bleichbock mit der Kugel verwundet, ſo darf man ſeiner Beute ſicher ſein; denn das zarte Geſchöpf verträgt bei weitem keinen ſo ſtarken Schuß, wie der Ducker oder Riedbock. Freilich ſetze ich bei dieſer Angabe voraus, daß der Jäger dem nach dem Schuß eiligſt dahinſtürzenden Wild mit Aufmerkſamkeit folgt. Der Bleichbock verſucht es gewöhnlich, wenn er ſich ſchwer verwun - det fühlt, in dem langen Gras ſo gut als möglich ſich zu verſtecken. Er kriecht hier leiſe weiter bis zu einem Buſche, einem großen Stein, einem Ameiſenhügel, duckt ſich dort und ſieht dem Verenden entgegen. Beim Nachgehen findet man ihn meiſtens an ſolchen Stellen liegen. Ueberſieht man aber den noch nicht Verendeten, ſo ſpringt er auf und flieht mit möglichſter Schnelle weiter. Jm Anfang entkamen mir viele; als ich aber mit meinem Wilde vertrauter geworden war, faßte ich es ſcharf ins Auge und ritt nun um das Lager herum, mehr und mehr mich nähernd, bis ich noch einen ſicheren Schuß anbringen konnte.

522Die Antilopen. Der Klippſpringer.

Das einzige Kalb, welches das Thier ſetzt, kann durch einen guten Hund leicht gefangen wer - den und gilt bei den Anſiedlern als eine große Leckerei, welche mit beſonderer Kunſtfertigkeit zu - bereitet wird.

Ueber die Gefangenſchaft finde ich nirgends eine Angabe; es ſcheint, als ob man hierüber noch wenig Beobachtungen gemacht hat.

Wenn wir im Kapland wie in Habeſch von der Ebene, welche die vorhergehenden Antilopen beherbergte, zum Gebirge hinaufſteigen, finden wir eine andere Art der Familie, welche ebenfalls die Aufmerkſamkeit im hohen Maße zu feſſeln im Stande iſt. Gerade bei den Antilopen zeigt es ſich ſo recht deutlich, wie manche Familie jede Oertlichkeit auszunutzen verſteht. Unſere Thiere vereinigen gewiſſermaßen die Geſammtordnung der Wiederkäuer in ſich. Für ſie gibt es überall eine paſſende Herberge, in der Ebene ſowohl wie auf dem Berge, am Meeresſtrande oder am Flußufer ebenſogut wie in der Nähe der Gletſcher. Gerade unter den Antilopen haben wir ausgezeichnete Bergſteiger.

Es verſteht ſich faſt von ſelbſt, daß die bergſteigenden Glieder der artenreichen Geſellſchaft an - ders gebaute Geſchöpfe ſind, als die, welche die Ebenen bewohnen; denn Geſtalt und Lebensweiſe ſtehen ja immer im innigſten Zuſammenhange.

Alle Bergantilopen zeichnen ſich vor den übrigen durch ihren gedrungenen, kräftigen Leibesbau aus. Die Schlankheit der Formen und namentlich die Höhe der Läufe, welche einzelne Arten uns ſo anmuthig erſcheinen läßt, iſt bei den Gebirgskindern ganz verſchwunden. Sie ſind im Gegentheil verhältnißmäßig dickleibig und kurzbeinig; ihre Hufe ſind ſo geſtellt, daß das ganze Gewicht des Thieres auf den Spitzen ruht. Der Fuß bekommt hierdurch etwas ſehr Bezeichnendes. Der Huf verkürzt ſich, die Schale läuft nach vorn hin nicht ſo ſpitz aus, ſondern iſt mehr gerundet; auch reichen die Afterklauen weiter herab, als bei denen, welche nur die Ebene beleben. Ein mehr oder weniger dichtes und ſtraffes Haarkleid kennzeichnet die Bewohner der kühleren Höhe nicht minder. Solcher Leibesbau iſt allen gemeinſam; hinſichtlich der Behornung aber finden ſich Unterſchiede, in - dem bald beide Geſchlechter, bald nur die Männchen bewaffnet ſind; auch ändern die Hörner viel - fach ab.

Jene Antilope, auf welche ich oben hindeutete, und welche wohl verdient, neben der Gemſe beſchrieben zu werden, iſt der Klippſpringer der Anſiedler am Kap oder der Saffa der Abiſſinier (Oreotragus saltatrix). Er hat in ſeiner Geſtalt große Aehnlichkeit mit der Gemſe und noch größere faſt mit manchen kleinen Ziegen arten. Seine Leibeslänge beträgt nur etwas über 3 Fuß, ſeine Höhe kaum 2 Fuß. Der Leib iſt gedrungen, der Hals kurz, der Kopf ſtumpf und rundlich; die Läufe ſind niedrig und etwas plump; der Schwanz iſt zu einem kurzen Stummel verkümmert. Sehr lange und breite Ohren, große Augen, welche von einem kahlen Saume umrandet ſind und vorn deutliche Thränengruben haben, hohe, an den Spitzen plattgedrückte, unten rund abgeſchliffene, klaffende Hufe, ſowie ein grobes, brüchiges und ſehr dichtes Haar ſind andere Kennzeichen des Thieres. Der Bock trägt kurze, gerade und ſchwarze Hörner, welche ſenkrecht auf dem Kopfe ſtehen und am Grunde geringelt ſind. Jn der Geſammtfärbung ähnelt der Saſſa unſerem Reh. Er iſt oben und außen olivengelb und ſchwarz geſprenkelt, unten bläſſer, aber immer noch geſprenkelt; nur die Kehle und die Jnnenſeiten der Beine ſind einförmig weiß. Die Lippen ſind noch lichter, als die Kehle, die Ohren außen auf ſchwarzem Grunde mit kurzen, innen mit langen weißen, an den Rän - dern mit dunkelbraunen Haaren beſetzt. Die einzelnen Haare ſind an der Wurzel weißgrau, gegen die Spitze hin dunkler, etwa bräunlich oder ſchwarz und an der Spitze ſelbſt gelblichweiß oder dunkel, etwa bräunlichgelb.

Oft habe ich, ſagt Gordon Cumming, wenn ich in einen Abgrund hinunterſchaute, zwei oder drei dieſer anziehenden Geſchöpfe neben einander liegen ſehen, gewöhnlich auf einer großen,523Der Klippſpringer.flachen Felſenplatte, welche durch den freundlichen Schatten des Sandels oder anderer Gebirgsbäume vor der Gewalt der Mittagsſonne geſchützt war. Scheuchte ich die Flüchtigen auf, ſo ſprangen ſie in unglaublicher Weiſe mit der federnden Kraft eines Gummiballes von Klippe zu Klippe, über Klüfte und Abgründe hinweg, immer mit der größten Behendigkeit und Sicherheit.

Dieſe Worte des berühmten Jägers fielen mir ein, als ich im Menſathale zum erſten Male hoch oben auf haarſcharfem Grate zwei Antilopen ſtehen ſah, gemächlich ſich hin und her wiegend, als

Der Klippſpringer (Oreotragus saltatrix).

gäbe es keine Abgründe zu beiden Seiten. Das mußten Klippſpringer ſein; ich wußte es, ohne jemals vorher einen von ihnen oder auch nur eine Gemſe im Freileben geſehen zu haben. Später fand ich Gelegenheit, die ſchmucken Geſchöpfe noch etwas beſſer kennen zu lernen; ich bin aber weit entfernt, zu behaupten, daß ich von ihnen ausführlich erzählen könnte.

Rüppell iſt meines Wiſſens der Erſte, welcher mit aller Beſtimmtheit behauptet, daß der Saſſa und der Klippſpringer ein und daſſelbe ſind. Bis zu ſeiner Beobachtungsreiſe in Habeſch hatte man kaum Kunde von dem Vorkommen dieſer Antilope in ſo nördlich gelegenen Gegenden;524Die Antilopen. Der Klippſpringer.wenigſtens weiſen alle Forſcher vor ihm dem Klippſpringer nur das Kapland zur Heimat an, und einige thun Dies heutigen Tages noch.

Der Klippſpringer oder der Saſſa findet ſich auf nicht allzu niederen Gebirgen, in den Bogos - ländern etwa auf ſolchen zwiſchen 2 und 8000 Fuß Höhe. Am Kap ſoll er den Quaderſandſtein allen übrigen Felsarten vorziehen; in Habeſch belebt er wohl jede Geſteinsart ohne Unterſchied. Die Berge ſind hier weit reicher und lebendiger, als im Süden des Erdtheils. Eine dichte Pflanzendecke überzieht ihre Gehänge, und namentlich die Euphorbien bilden oft auf große Strecken hin einen bunten Teppich an den Wänden, in welchen die Kronen der Mimoſen und anderer höheren Bäume wie eingeſtickte grüne Punkte erſcheinen. Hier hauſt unſer Saſſa, aber allerdings mehr in der baum - armen Höhe, als in der Niederung, obwohl er auch ziemlich tief in den Thälern gefunden werden kann.

Er lebt paarweiſe wie die Schopfantilope; dennoch ſieht man von ihm häufig kleine Trupps aus drei und ſelbſt aus vier Stücken beſtehend, entweder eine Familie mit einem Jungen oder zwei Pär - chen, welche ſich zuſammengefunden haben und eine Zeitlang mit einander dahinziehen. Bei gutem Wetter ſucht jeder Trupp ſoviel als möglich die Höhe auf, bei anhaltendem Regen ſteigt er tiefer in das Thal hinab. Jn den Morgen - und Abendſtunden erklettern die Paare große Felsblöcke, am lieb - ſten ſelbſt oben auf der Höhe des Gebirgs, und ſtellen ſich hier mit ziemlich eng zuſammengeſtellten Hufen wie Schildwachen auf, manchmal ſtundenlang ohne Bewegung verharrend. Solange das Gras thaunaß iſt, treiben ſie ſich ſtets auf den Blöcken und Steinen umher; in der Mittagsglut aber ſuchen ſie unter den Bäumen oder auch unter großen Felsplatten Schutz, am liebſten gelagert auf einen beſchatteten Block, welcher nach unten hin freie Ausſicht gewährt. Von Zeit zu Zeit er - ſcheint wenigſtens einer der Gatten auf der nächſten Höhe, um von dort aus Umſchau zu halten.

Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit feſt. Pater Filippini in Menſa konnte mir mit vollſter Beſtimmtheit ſagen, auf welchem Berge ein paar Saſſas ſtänden: er wußte die Aufenthaltsorte der Thiere bis auf wenige Minuten hin ſicher zu beſtimmen.

Das Geäße des Klippſpringers beſteht aus Mimoſen und anderen Baumblättern, Gräſern und ſaftigen Alpenpflanzen und wird in den Vormittags - und ſpäteren Nachmittagsſtunden eingenommen. Um dieſe Zeit verſteckt ſich der Saffa förmlich zwiſchen den Euphorbienſträuchern oder dem hohen Gras um die Felsblöcke herum, und der Jäger bemüht ſich vergeblich, eines der ohnehin ſchwer wahrnehmbaren Thiere zu entdecken, während er in den Früh - oder Abendſtunden dieſes Wild wegen der Eigenthümlichkeit der Stellung, welche es auf den höchſten Steinen annimmt, und Dank der reinen Luft jener Höhen, über eine halbe Meile weit ſehen und unterſcheiden kann.

Man darf nicht behaupten, daß der Saſſa beſonders ſcheu ſei; jedoch iſt Dies wahrſcheinlich blos deshalb der Fall, weil die Abiſſinier wenig Jagd auf ihn machen. Mehrmals habe ich ihn von nie - deren Bergrücken ruhig und unbeſorgt auf uns unten im Thale herabäugen ſehen, obgleich wir in ganz gerechter Schußnähe dahinzogen. Er ſtand gewöhnlich ſtarr wie eine Bildſäule, auf einer vor - ſpringenden Felsplatte, die Lichter feſt auf uns gerichtet, das große Gehör ſeitlich vom Kopfe abge - halten, ohne durch eine andere Bewegung, als durch Drehen und Wenden der Ohren, Leben zu ver - rathen. Augenſcheinlich hatte er die Tücke des Menſchen hier noch nicht in ihrem vollen Umfange erfahren; denn überall, wo er ſchon Verfolgungen erlitten hat, ſpottet er der Liſt des Jägers und entflieht ſchon auf ein Paar hundert Ellen Entfernung vor ihm. Der Knall eines Schuſſes bringt bei dem Klippſpringer eine merkwürdige Wirkung hervor. Wenn der Jäger fehlte, ſieht er ihn blos noch eine Viertelminute lang; ſpäter iſt er verſchwunden. Mit Bogelſchnelle ſpringt das behende Geſchöpf von einem Abſatz zum anderen, an den ſteilſten Felswänden und neben den grauſigen Ab - gründen dahin, mit derſelben Leichtigkeit, wenn es aufwärts, als wenn es abwärts klettert. Die geringſte Unebenheit iſt ihm genug, feſten Fuß zu faſſen; ſeine Bewegungen ſind unter allen Umſtän - den ebenſo ſicher, als ſchnell. Am meiſten bewundert man die Kraft der Läufe, wenn der Saſſa bergaufwärts flüchtet. Jede ſeiner Muskeln arbeitet. Der Leib erſcheint noch einmal ſo kräftig als525Der Klippſpringer. Der Goral.ſonſt, die ſtarken Läufe wie aus federndem Stahl geſchmiedet. Jeder Sprung ſchnellt das Thier hoch in die Luft; bald zeigt es ſich ganz frei den Blicken, bald iſt es wieder zwiſchen den Steinen oder in den mehr als fußhohen Pflanzen verſchwunden, welche die Gehänge bedecken. Mit unglaublicher Eile jagt es dahin; wenige Augenblicke genügen, um es außer Bereich der Büchſe zu bringen. Zu - weilen kommt es aber doch vor, daß man die Verfolgung noch ein Mal aufnehmen und ein zweites Mal zum Schuß gelangen kann. Jn Gegenden, wo das Feuergewehr nicht üblich iſt, machen ſich alle Thiere anfangs aus dem Knall ſehr wenig, und die Klippſpringer zumal ſcheinen an das Krachen und Lärmen der herabrollenden Steine im Gebirge ſo gewöhnt zu ſein, daß ſie ein Schuß kaum be - helligt. Jch ſelbſt habe aus einer Familie von drei Stücken noch den Bock erlegt, nachdem ich ihn das erſte Mal gefehlt hatte. Der Trupp war nach dem Knall zwar einigermaßen verwundert, aber doch furchtlos auf naheſtehende Felsblöcke geſprungen, um ſich von dort aus Sicherheit über den Vor - fall zu verſchaffen, und weil ich mich ganz ruhig verhielt, zog die Geſellſchaft ſpäter nur langſam weiter an den Bergwänden hin, ſo daß ich ſie bald wieder einholen und nunmehr die Büchſe beſſer richten konnte. Wenn man ſich gleich von Anfang an vorbereitet hat, zwei Mal zu ſchießen, kann man beide Gatten des Pärchens erlegen; denn der eine Saſſa bleibt regelmäßig noch einige Augen - blicke neben ſeinem getödteten Gefährten ſtehen, betrachtet ihn mit großem Entſetzen und läßt dabei den ſo vielen Antilopen eigenthümlichen ſcharfen Schneuzer des Schrecks oder der Warnung verneh - men. Fürſt Hohenlohe erlegte einmal beide Böcke eines Doppelpärchens mit zwei raſch auf ein - anderfolgenden Schüſſen.

Wie es ſcheint, fällt in Habeſch die Satzzeit des Saſſa zu Anfang der großen Regenzeit. Jm März traf ich Pärchen, in deren Geleit ſich der etwa halbjährige Sprößling noch befand. Genaues wußten mir die Abiſſinier nicht anzugeben, obwohl ihnen allen der Klippſpringer ein ſehr bekanntes Thier iſt.

Die Betſchuanen ſind, wie man erzählt, der ſonderbaren Anſicht, daß der Klippſpringer durch Geſchrei den Regen beſchwöre. Sie ſuchen ſich deshalb, wenn ſie von Trockenheit leiden, ſobald als möglich lebende Klippſpringer zu verſchaffen und plagen die armen, kleinen Geſchöpfe durch Schla - gen, Kneipen und Zwicken, damit ſie laut aufſchreien und ihnen Regen bringen. Jn Habeſch hält man den Saſſa nirgends in der Gefangenſchaft, wohl aber jagt man ihn ſeines Wildprets halber, vorausgeſetzt nämlich, daß man ein Feuergewehr beſitzt und dies zu handhaben weiß. Die Decke wird hier nicht benutzt, wie am Kap, wo man ſie zu Polſtern, Satteln und dergleichen ver - wendet.

Nach Europa iſt bisjetzt, wie es ſcheint, noch kein Klippſpringer lebend gekommen. Daß er ſich in der Gefangenſchaft halten würde, unterliegt wohl kaum einem Zweifel; denn die Höhen, welche er zu ſeinem Aufenthalte ſich wählt, haben ſo ziemlich daſſelbe Klima, wie unſer heimatlicher Erdtheil. Es erſcheint mir gar nicht unmöglich, daß das nette Wild bei uns eingebürgert werden könnte: ſicherlich zur größten Freude der Gemſenjäger, welche dann neben unſerer heimiſchen noch an der afrikaniſchen Gebirgsantilope ihre Kunſt bewähren würden.

Die außerordentliche Fertigkeit im Bergſteigen, welche dem Klippſpringer die Bewunderung des Menſchen errungen hat, beſitzt auch der indiſche Goral, ein Thier, welches zur Gruppe der Waldziegen - antilopen (Nemorhoedus) gehört. Dieſer Name deutet ebenſowohl auf Geſtalt, wie auf Lebens - weiſe der betreffenden Wiederkäuer hin. Alle hierher gehörigen Antilopen haben große Aehnlichkeit mit den Ziegen. Beide Geſchlechter ſind ziegenähnlich behornt, nur daß ihre unten geringelten, erſt gerade aufſteigenden, dann gegen die Spitze hin ein wenig nach hinten gekrümmten Hörner nicht ge - kantet ſind, wie bei den Ziegen. Thränen - und Weichengruben fehlen. Bisjetzt kennt man blos wenige Arten jener Gruppe, und auch dieſe noch nicht genau.

526Die Antilopen. Der Goral.

Der Goral (Nemorhoedus Goral) hat die Größe einer Ziege. Seine Länge beträgt gegen 4 Fuß, die des Schwanzes 4, mit dem Haarpinſel 8 Zoll, die Höhe am Widerriſt aber Fuß. Das Gehörn des Bockes iſt etwa 4 Zoll lang, kurz, dünn, gerundet; an der Wurzel ſtehen beide Stan - gen ſehr nahe zuſammen, gegen das Ende hin biegen ſie ſich von einander ab. Die Zahl der Wachsthumsringe ſchwankt zwiſchen 20 und 40. Als Artkennzeichen mögen gelten: Ein gedrungener Leib mit geradem, nicht abſchüſſigen Rücken, mittellange und ſchmächtige Beine, mittellanger Hals und kurzer, nach vorn zu verſchmälerter Kopf mit eiförmigen, großen Augen und langen, ſchmalen Ohren, ſowie ein kurzes, dichtes, etwas abſtehendes, zumal an Leib und Hals lockeres Haarkleid von grauer oder röthlichbrauner Farbe, oben an den Seiten und auch unten, mit Ausnahme eines ſchmalen gelben Längsſtreifens am Unterleibe, ſchwarz und röthlich geſprenkelt, an Kinn und Kehle ſowie einem vonhieraus hinter den Wangen nach dem Ohr zu verlaufenden Streifen weiß, auf dem längs des Rückens verlaufenden Haarkamme aber ſchwarz.

Der Goral (Nemorhoedus Goral).

Nur ein ziemlich kleiner Theil Aſiens, namentlich Nepal, ſcheint den Goral zu beherbergen Hier lebt er auf allen Gebirgen des noch ſo unbekannten Landes, mehr in der Höhe, als in der Tiefe. Auf wilden Gehängen, welche hier und da ſteil abfallen, ſoll er häufig ſein. Er ſchlägt ſich in ſtarke Rudel und Herden, äßt ſich von den verſchiedenartigſten Gräſern und Kräutern des Gebirges und dem Gelaube der Bäume, zieht morgens von den Wäldern aus auf Klüfte und zu den Quellen, und ſteigt während des Tages mehr und mehr im Gebirge empor, auf demſelben Wege abends wieder nach dem Walde zurückkehrend.

Alle Bewegungen des Goral ſtehen denen des Klippſpringers kaum oder nicht nach: die Ein - wohner von Nepal ſehen in ihm das ſchnellſte aller Geſchöpfe. Aeußerſt furchtſam, ſcheu und flüchtig, mit vortrefflichen Sinnen begabt, klug und liſtig, läßt er ſich ſchwer beſchleichen und noch weniger verfolgen. Deshalb lebt er auch in größter Sicherheit und Ruhe, ja faſt unbehelligt auf jenen Gebirgen.

527Der Goral. Die Gemſe.

Ueber die Fortpflanzung wiſſen wir noch Richts; wohl aber iſt es bekannt, daß jung einge - fangene Thiere, welche man durch Ziegen groß ziehen läßt, ſehr leicht zahm werden, während ältere Gefangene auch bei der ſorgfältigſten Behandlung immer ſcheu und wild bleiben. Dabei ſind ſie ſchwer zu halten, weil ſie, wie die Steinböcke, an den Wänden emporklettern und regelmäßig zu ent - fliehen wiſſen, wenn man nicht beſondere Vorkehrungen trifft.

Ein Goral, welcher ſich im Beſitz eines engliſchen Statthalters befand und auf einem vier - eckigen Platze gehalten wurde, verſuchte mehrmals, die etwa zehn Fuß hohe Umzäunung zu über - ſpringen und erreichte auch bei jedem Satze faſt die erwünſchte Höhe. Nach Europa iſt bisjetzt noch kein lebender Goral gekommen, und ſelbſt die Bälge dieſer Thiere gehören noch zu großen Selten - heiten in den Muſeen.

An dieſe fremden Antilopen können wir unſere deutſche anſchließen, das liebliche, vielfach verfolgte Kind unſerer Gebirge, die Gemſe. Sie gilt als der Vertreter einer eigenen Sippe (Ca - pella), deren Hauptkennzeichen in den gerade nach aufwärts gerichteten, gegen das Ende hakenförmig nach rückwärts gekrümmten Hörnern liegen. Weichengruben und Klauendrüſen fehlen.

Die Gemſe (Capella rupicapra) iſt der Ziege ſehr ähnlich, unterſcheidet ſich aber durch den kurzen, gedrungenen Körperbau, die längeren und ſtärkeren Läufe, den geſtreckten Hals, die ſpitzen, nach vorwärts gerichteten Lauſcher und durch ihr Gehörn. Die Länge beträgt 3 Fuß 8 bis 10 Zoll, die Schwanzlänge 3 Zoll, die Höhe am Widerriſt 2 Fuß 4 Zoll und die am Kreuze noch etwas mehr. Die Hörner ſind 10 bis 11 Zoll lang. Sehr ſchwere Böcke wiegen 80 bis 100 Pfund; durchſchnittlich aber erreichen ſie nur ſelten ein Gewicht von 60 Pfund. Bei den Böcken ſtehen die Hörner weiter aus einander und ſind auch größer, als bei der Geis; im übrigen ſind beide Ge - ſchlechter faſt gleich. Je nach der Jahreszeit tragen die Gemſen ein verſchiedenes Kleid. Jm Som - mer iſt die allgemeine Färbung ein ſchmuziges Rothbraun oder Roſtroth, welches auf der Unterſeite ins Hellrothgelbe übergeht. Längs der Mittellinie des Rückens verläuft ein ſchwarzbrauner Strei - ſen; die Kehle iſt fahlgelb, der Nacken weißgelblich. An den Schultern, auf den Schenkeln und der Bruſt und in den Weichen geht die allgemeine Färbung in das Dunkelbraungrau über; die Hin - terſeite der Schenkel iſt weiß, der Schwanz auf der Oberſeite und an der Wurzel rothgrau, auf der Unterſeite und der Spitze ſchwarz. Von den Ohren an über die Augen hin läuft eine nach vorn ge - theilte, ſchmale, ſchwärzliche Längsbinde, welche ſcharf von der fahlen Färbung abſticht. Ueber den vorderen Augenwinkel, zwiſchen den Naſenlöchern und der Oberlippe ſtehen rothgelbe Flecken. Während des Winters iſt die Gemſe oben dunkelbraun oder glänzend braunſchwarz, am Bauche weiß; die Beine ſind unten heller, als oben, und ziehen mehr ins Rothfarbene; die Füße und der Kopf ſind gelblichweiß, auf dem Scheitel und der Schnauze etwas dunkler. Die Längsbinde von der Schnauzenſpitze zu den Ohren iſt dunkelſchwarzbraun. Beide Kleider gehen ſo allmählich in einander über, daß das reine Sommer - und Winterkleid immer nur ſehr kurze Zeit getragen werden. Junge Thiere ſind rothbraun und heller um die Augen gefärbt. Die Jäger unterſcheiden hauptſächlich zwei verſchiedene Abarten, die große dunkelbraune, welche ſie Waldthier nennen, und eine kleine rothbraune, die ſie mit dem Namen Gratthier bezeichnen; ein Forſcher kann dieſe Unterſcheidungen jedoch nicht gelten laſſen.

Unſere Alpen ſind die eigentliche Heimat der Gemſe. Von Savoyen aus reicht ſie weſtwärts bis nach dem Süden Frankreichs und nach Süden hin bis in die Abruzzen, nach Südoſt über die Gebirge Dalmatiens hinweg bis nach Griechenland, wo ſie auf den Klippen des Veluzi getroffen wird, nordwärts begrenzen die Karpathen, namentlich die hohen Gipfel der Tatra, ihren Aufent - halt. Ob die Gemſe, welche die Pyrenäen und einen Theil der von da aus in das eigentliche Spa - nien ſtreifenden Gebirgszüge bewohnt, von der der Alpen verſchieden iſt oder nicht, ſteht dahin. Jn ihrer eigentlichen Heimat iſt ſie häufig, nur in Unteröſterreich nicht, wo ſie durch die ſortwährende528Die Antilopen. Die Gemſe.Nachſtellung vertrieben wurde. Außerdem kommen im Kaukaſus, in Taurien, Georgien und Si - birien Gemſen vor: über ſie wiſſen wir aber noch viel zu wenig, als daß wir ſie genauer bezeichnen könnten.

Ueberall, wo die Gemſe lebt, bewohnt ſie das Hochgebirge, während des Sommers die höch - ſten Alpen bis zur Schneegrenze, und nur ſelten die oberſten Wälder; während des Winters die etwas tiefer gelegenen Thäler im Waldgürtel. Mit Beginn des Tages wandert ſie ſich äßend an dem Bergrücken herab; gegen Mittag lagert ſie ſich am Rande ſchroffer Felſenwände, unter dem Schatten der Geſteine und des Laubes der niederen Geſträuche, ruht ein wenig und klettert dann weidend wieder zu den Höhen empor, dort nochmals einen Ruheort aufſuchend und wiederkäuend. Während der Nacht verbirgt ſie ſich zwiſchen Felſen und Blöcken, unter Grotten und Steinvorſprüngen, im

Die Gemſe (Capella rupicapra).

hohen Sommer am liebſten auf den weſtlichen und nördlichen Bergſeiten, in den übrigen Jahres - zeiten auf den öſtlichen und ſüdlichen. Auch in mondhellen Nächten äßt ſie ſich an Bergwänden; überhaupt iſt ſie keineswegs ein ſo vollendetes Tagthier, als man gewöhnlich annimmt.

Wie die meiſten übrigen Antilopen lebt die Gemſe einzeln, mit alleiniger Ausnahme der Zeit, wo ſie auf die Brunſt tritt. Dann ſchlägt ſie ſich zu größeren oder kleineren Rudeln zuſammen. Zur Brunſtzeit ſchließen ſich die alten Geiſen paarweiſe den alten Böcken an. Gegenwärtig ſind die Trupps überall ſchwach; ſelbſt da, wo die Thiere geſchont werden. Nur in den Karpathen ſollen noch ſehr ſtarke Rudel vorkommen. Trupps von 10 bis 20 Stück ſieht man jetzt nur in den kaiſer - lichen Jagdgebieten, während alte Leute ſich erinnern, in ihrer Kindheit noch 80 bis 100 Stück auf einem Rudel geſehen zu haben.

529Die Gemſe.

Hinſichtlich ihrer Bewegungen wetteifert die Gemſe mit den uns bereits bekannten Bergſteigern ihrer Familie. Sie iſt ein höchſt geſchickter Kletterer, ein ſicherer Springer und ein kühner und rüſtiger Bergſteiger, welcher auch auf den gefährlichſten Stellen, wo keine Alpenziege hinaufzu - klettern wagt, raſch und ſicher ſich dahinbewegt, ſelbſt ohne Noth, blos etwa dort wachſende Alpen - kräuter aufzuſuchen. Wenn ſie langſam zieht, hat ihr Gang etwas Schwerfälliges, Plumpes, und die ganze Haltung etwas Unſchönes: ſowie aber ihre Aufmerkſamkeit erregt wird und ſie flüchten muß, ändert ſich das ganze Thier gleichſam um. Es erſcheint friſcher, kühner, edler und kräftiger; und nun eilt es mit raſchen Sätzen dahin, in jeder Bewegung ebenſoviel Kraft als Anmuth ver - rathend. Ueber die außerordentliche Sprungfähigkeit ſind noch wenig Beobachtungen gemacht worden. Von Wolten maß, wie Schinz berichtet, den Sprung einer Gemſe und fand ihn 21 pariſer Fuß weit. Der genannte Beobachter ſah eine zahme Gemſe auf eine 14 Fuß hohe Mauer hinauf - und auf der anderen Seite hinab -, einer Magd, welche eben dort graſte, auf den Rücken ſpringen. Wo nur immer auf der Mauer ein Steinchen los iſt oder ein kleiner Vorſprung ſich zeigt, kann die Gemſe anſetzen, und ſie erreicht in wenigen Sätzen die Höhe wie im Fluge; ſie nimmt dabei einen Anlauf und ſucht ſchief aufwärts zu kommen. Ueber die ſteilſten Klippen läuft ſie mit derſelben Sicherheit, wie ihre Geiſtes - und Leibesverwandten, und da, wo man glauben ſollte, es ſei unmöglich, daß ein Thier von ſolcher Größe Fuß faſſen könnte, eilt ſie mit Blitzes - ſchnelle ſicher davon. Sie ſpringt leichter bergauf, als bergab, und ſetzt mit außerordentlicher Be - hutſamkeit die Vorderfüße, in denen ſie eine große Gelenkigkeit beſitzt, auf, damit ſie keine Steine lostrete. Selbſt ſchwer verwundet eilt ſie noch flüchtig auf den furchtbarſten Pfaden dahin, ja auch dann, wenn ihr ein Bein weggeſchoſſen wurde, zeigt ſie kaum geringere Behendigkeit, als die, welche geſund iſt. Höchſt vorſichtig geht ſie, wie Tſchudi ſagt, auf dem Firnſchnee oder friſchem Glet - ſcherſchnee, welcher die Schlünde verrätheriſch verhüllt. Hier hat man ſie oft an ſolchen Orten um - kehren ſehen, wo Menſchen behutſam vorwärts gehen. Auch auf Felſengehängen geht ſie äußerſt be - ſorglich und langſam dahin. Einige Glieder des Trupps richten ihre Aufmerkſamkeit auf die Pfade; die übrigen ſpähen unabläſſig nach anderer Gefahr. Wir haben geſehen, ſo berichtet der berühmte Forſcher, wie ein Gemſenrudel ein gefährliches, ſehr ſteiles, mit Geröll bedecktes Felſenkamin überſchreiten wollte, und uns über die Geduld und Klugheit der Thiere gefreut. Eins ging voran und ſtieg ſacht hinauf, die übrigen warteten der Reihe nach, bis es die Höhe ganz erreicht hatte, und erſt als kein Stein mehr rollte, folgte das zweite, dann das dritte und ſo fort. Die oben angekom - menen zerſtreuten ſich keineswegs auf der Weide, ſondern blieben am Felſenrande auf der Spähe, bis die letzten ſich glücklich zu ihnen geſellt hatten.

Nach Schinz verſteigen ſich die Gemſen zuweilen ſo, daß ſie weder vor - noch rückwärts mehr kommen können, keinen Fuß faſſen und ſo in den Abgrund ſtürzen müſſen. Tſchudi widerſpricht Dem und ſagt, daß die Gemſe unter ſolchen Umſtänden verſucht, das Unmögliche möglich zu machen, in den Abgrund ſpringt und zerſchellt. Nie verſtellt ſich eine Gemſe, d. h. bleibt unbeholfen und rettungslos ſtehen, wie oft die Ziegen, welche dann meckernd abwarten, bis der Hirt ſie mit eigener Lebensgefahr abholt. Die Gemſe wird ſich eher zu Tode ſpringen. Doch mag dieſes ſehr ſelten geſchehen, da ihre Beurtheilungskraft weit höher ſteht, als die der Ziege. Gelangt ſie auf ein ſchmales Felſenband hinaus, ſo bleibt ſie einen Augenblick am Abgrund ſtehen und kehrt dann, die Furcht vor den folgenden Menſchen oft überwindend, pfeilſchnell auf dem Herwege zurück. Hat das Thier, wenn es über eine faſt ſenkrechte Felswand heruntergejagt wird, keine Gelegenheit, einen fauſtgroßen Vorſprung zu erreichen, um die Schärfe des Falles durch wenigſtens augenblickliches Auf - ſtehen zu mildern, ſo läßt es ſich dennoch hinunter, und zwar mit zurückgedrängtem Kopf und Hals, die Laſt des Körpers auf die Hinterfüße ſtemmend, die dann ſcharf am Felſen hinunterſchnurren und ſo die Schnelligkeit des Sturzes möglichſt aufhalten. Ja, die Geiſtesgegenwart des Thieres iſt ſo groß, daß es, wenn es im Sichhinunterlaſſen noch einen rettenden Vorſprung bemerkt, alsdann imBrehm, Thierleben. II. 34530Die Antilopen. Die Gemſe.Fall mit Leib und Füßen noch rudert und arbeitet, um dieſen zu erreichen, und ſo im Sturze eine krumme Linie beſchreibt.

Eine ungewöhnliche Ortskenntniß kommt der Gemſe bei ihren kühnen Wanderungen ſehr zu ſtatten. Sie merkt ſich jeden Weg, den ſie nur ein Mal gegangen, und kennt in ihrem Gebiet, ſo zu ſagen, jeden Stein; deshalb eben zeigt ſie ſich ſo außerordentlich heimiſch auf ihren Hochgebirgen, während ſie im hohen Grade unbeholfen erſcheint, wenn ſie daſſelbe verläßt. Jm Sommer 1815, erzählt Tſchudi, ſtellte ſich zu nicht geringem Erſtaunen der Augenzeugen plötzlich ein wahr - ſcheinlich gehetzter Gemſenbock in die Wieſen bei Arbonn, ſetzte ohne unmittelbare Verfolgung über alle Hecken und ſtürzte ſich in den See, wo er lange irrend umherſchwamm, bis er, dem Verenden nahe, mit einem Kahne aufgefangen wurde. Einige Jahre vorher wurde im Rheinthale eine junge Gemſe im Moraſt ſteckend lebend ergriffen.

Die Gemſe iſt das Sinnbild der Wachſamkeit. Jhre ungemein ſcharfen Sinne befähigen ſie hierzu, wie wenig andere Thiere. Geruch, Geſicht und Gehör ſind bei ihr gleich entwickelt. Nie - mals vergißt die Gemſe ihre Sicherung; ſelbſt im Schlafe noch thun ihre Sinneswerkzeuge ihre Schuldigkeit. Beim Ruhen ſtreckt ſie ſich nur ſelten auf dem Boden aus: ihre gewöhnliche Haltung iſt ſo, daß ſie augenblicklich die Flucht ergreifen kann. Gern verbergen ſich die ruhenden Gemſen im leichten Gebüſch, am liebſten aber auf einem Felſenvorſprunge, wo der Rücken gedeckt iſt, die Seiten frei ſind und nach vorn ein ungehinderter Ueberblick möglich iſt. Dabei übernimmt jedes Mal das Leitthier, die Vorgeis , wie die Jäger ſagen, das Wächteramt; aber auch einige der älteren Thiere unterſtützen ſie hierin. Unbekümmert um das fröhliche Treiben der Herde weidet der Leitbock in einiger Entfernung allein, ſieht ſich alle Augenblicke um, hebt ſich hoch auf, wittert und ſichert beſtändig. Ein Jäger, welcher im Winde ſteht, wird von den Gemſen aus unglaublicher Entfernung wahrgenommen, zumal wenn er ſtill ſteht. Gewöhnlich wird jeder Feind rechtzeitig erſpäht, und ebendeshalb verurſacht die Jagd ſo große Mühe. Sobald die Gemſen einen Jäger wittern, wird ſofort alle Sinnesſchärfe aufs äußerſte geſpannt, um den Ort der Gefahr ausſindig zu machen. Das Ohr und das Auge, ſagt Tſchudi, wetteifern mit der ſchnoppernden Naſe. Der endliche Anblick des Jägers beruhigt ſie; wittern ſie nur, ohne ihn zu ſehen, ſo geberden ſie ſich wie toll, da ſie weder die Nähe des Verderbers, noch die genaue Richtung deſſelben und alſo auch die ihrer Flucht beſtimmt ermeſſen können. Unruhig rennen ſie umher oder ſtehen zuſammen, recken die Hälſe umher und ſuchen den Jäger ausfindig zu machen. So wie Dies geſchehen iſt, halten ſie an und betrachten ihn einen Augenblick neugierig. Bewegt er ſich nicht, ſo ſtehen ſie auch ſtill; ſo - bald er aber jenes thut, ergreifen ſie nach einer gewohnten Richtung und nach einem bekannten, nicht allzu fernen Schutzort die Flucht. Ahnt das Leitthier Gefahr, ſo pfeift es, wie das Murmel - thier, hell auf, ſtampft mit einem der Vorderläufe auf den Boden und beginnt ſofort die Flucht. Die anderen folgen ihm im Galopp nach. Das Pfeifen, oder wahrſcheinlich richtiger das Schneu - zen, iſt ein heiſerer, ſchneidender, etwas gezogener Laut, welcher weithin vernommen wird.

Aus Vorſtehendem geht deutlich genug hervor, daß die Geiſtesfähigkeiten der Gemſe zu einer hohen Entwickelung gelaugt ſind. Es ſpricht ſich in jeder ihrer Bewegungen, in ihrem ganzen We - ſen ſehr viel berechnender Verſtand aus. Die Gemſe iſt eigentlich nicht ſcheu, wohl aber im hohen Grade vorſichtig: ſie prüft erſt ſorgfältig, ehe ſie handelt; ſie überlegt, ſie berechnet, ſie ſchätzt. Jhr Gedächtniß iſt ganz vortrefflich. Sie merkt auf mehrere Jahre hin, wo ſie verfolgt wurde, und weiß es genau, wo man ſie ſchützt und hegt. Auf den ſogenannten freien Bergen oder an Orten, wo keine Gemſen geſchoſſen werden dürfen, wird ſie faſt kühn und zutraulich. Dort ſcheint ſie ſich mit dem Menſchen und ſeinem Treiben vertraut machen zu wollen; auf den Jagdplätzen aber meidet ſie dieſen, ihren gefährlichſten Feind, wie die Peſt. Sie weiß es genau, daß er ihr hier ſehr ſchädlich wird, während er ihr dort nichts anhaben kann. Wie Schinz angibt, will man Beobachtungen ge - macht haben, daß die Gemſen ſolche Wälder allen übrigen vorziehen, welche vor Lauinen ſicher ſind: Dies würde gewiß auf einen hohen Grad von Klugheit deuten.

531Die Gemſe.

Jm Sommer beſteht die Nahrung der Gemſe aus den beſten Alpenpflanzen, namentlich aus denen, welche nahe der Schneegrenze wachſen: aus jungen Trieben, dem Alpenröschen, ſelbſt jungen Schößlingen von Nadelbäumen, z. B. Tannen und Fichten. Jm Winter muß ihr das lange Gras, welches über den Schnee hervorragt, und allerlei Mos und Flechten genügen. Sie iſt an - ſpruchslos und kann lange hungern; Waſſer aber iſt für ſie ein Bedürfniß, und Salz eine ganz beſondere Leckerei.

Wenn die Weide gut iſt, nimmt die Gemſe beträchtlich an Umfang und Gewicht zu. Sie wird dann ſo feiſt, daß eine dicke Lage von Fett ſie umhüllt. Nach der Brunſtzeit magert ſie wieder ab, und wenn tiefer Schnee den Boden deckt, hat ſie große Noth, um ihr Leben zu friſten. Dann ſoll ſie ſich nach den Wäldern herabziehen und die langen, bartartigen, von den Zweigen hängenden Flechten abfreſſen. Unter ſolchen Umſtänden nimmt ſie im Schutz der ſogenannten Wetter - oder Schirmtannen ihren Winteraufenthalt und geht, ſobald der Schnee es ihr erlaubt, mühſelig von einem Baume zum anderen. Jn den Heuſchobern, welche man in einigen Alpengegenden im Freien aufbewahrt, finden ſie zuweilen eine höchſt willkommene Nahrung; oft ſammeln ſich ganze Geſell - ſchaften in der Nähe ſolcher Speicher und freſſen ſo große Löcher hinein, daß ſie ſich in dem Heue gleich gegen die Stürme decken können. Sehr unwahrſcheinlich iſt es, daß Gemſen im Winter ver - hungern, obgleich Tſchudi von einem Berner Jäger verſichert wurde, daß der Mann einmal im Frühjahr unter einer großen Schirmtanne fünf eingeſchneite und verhungerte Gemſen gefunden habe. Sie hätten, ſagte der Mann aus, den Schnee unter den Bäumen überall eingetreten, außerhalb der Zweige ſei er aber ihren Kräften zu mächtig geweſen. Dagegen ſoll es öfters vorkommen, daß ſich eine oder die andere Gemſe beim Abäßen der Flechten einer Tanne mit den Hörnern in den Aeſten verwickelt, hängen bleibt und verhungert. Tſchudi erinnert ſich ſelbſt, ein derartig emporge - richtetes Gemſengeripp geſehen zu haben.

Die Brunſtzeit der Gemſen fällt in den Spätherbſt. Um dieſe Zeit ſtellen ſich die alten Böcke, welche bisjetzt einſiedleriſch gelebt haben, beim Rudel ein, und nun beginnt ein ſehr luſtiges und fröhliches Leben. Man ſieht oft ganze Rudel ſtundenlang in muthwilligen Sprüngen ſich ergötzen. Auf den ſchmalſten Felſenkämmen treiben ſich die Thiere luſtig umher, und die liebesbrünſtigen Böcke beſtehen jetzt ganz ernſthafte Kämpfe. Dabei geht es oft ſchlimm ab: bald wird Eine über die Felſen hinausgedrängt, bald von einem ſtärkeren, welcher beim Anſtoßen mit den Hörnern kräftig von oben nach unten haut, tödtlich verwundet. Die Jungen führen blos Scheinkämpfe aus. Sie üben ſich gleichſam für den Streit, welchen das Alter ihnen ſicher bringt. Auf den ſchmalſten Felſenkanten, ſagt Tſchudi, treiben ſie ſich umher, ſuchen ſich mit den Hörnchen herunter zu ſtoßen, ſpiegeln an einem Ort den Angriff vor, um ſich an einem anderen bloßzuſtellen und necken ſich auf die muth - willigſte Art. Gewahren ſie aber, wenn auch in noch ſo großer Entfernung, einen Menſchen, ſo ändert ſich die ganze Sache. Alle Thiere, vom älteſten Bock bis zum kleinſten Zicklein, ſind zur Flucht bereit, rührt ſich auch der Beobachter nicht, ſo kehrt doch die gute Laune nicht wieder. Lang - ſam ziehen ſie bergan und laſſen keinen Augenblick die mögliche Gefahr aus dem Auge. Gewöhn - lich gehen ſie dann ganz in die Höhe. Am Rande der oberen Felſenkrone ſtellt ſich das ganze Rudel neben einander auf, ſchaut unaufhörlich in die Tiefe und bewegt den weißen glänzenden Kopf fort - während bedenklich in den Lüften umher. Jm Sommer ſieht man dann die Gemſen ſchwerlich wieder in demſelben Gebiete; im Herbſt, wo die Gebirge einſamer ſind, jagen ſie oft im Galopp die Alpen - gehänge herunter und beziehen die alten Spielplätze. So geht das fröhliche Spielen und Necken fort durch die ganze Brunſtzeit, bis endlich die Stärkeren ſich ihre Ziegen erſtritten haben. Dieſe fol - gen willig dem Männchen und leben mit ihm bis zum Eintritt des hohen Winters allein; dann kehren beide zur Herde zurück.

Zwanzig Wochen nach der Paarung, gewöhnlich Ende Aprils bis Ende Mais, werfen die Ziegen ein, ſeltener zwei Junge unter einem trockenen, verborgenen Felſenvorſprunge. Wenige Stunden nach der Geburt folgt das Junge der Mutter nach, und nach ein paar Tagen iſt es bereits34 *532Die Antilopen. Die Gemſe.faſt ebenſo gewandt, wie dieſe. Die Gemſenziege behält ihren Sprößling ſechs Monate lang bei ſich. Sie iſt äußerſt beſorgt um ihn und lehrt und unterrichtet ihn in allen Nothwendigkeiten des Lebens. Der Bock hingegen bekümmert ſich nicht im geringſten um ſeine Nachkommenſchaft. Schon vor der Geburt hat ſich die hochbeſchlagene Ziege vom Rudel abgeſondert und eine paſſende Weide aus - geſucht. Dort treibt ſie ſich ſpäter mit ihrem Jungen umher, immer auf den ſteilſten und ein - ſamſten Stellen. Meckernd leitet ſie ihr Kind, und mit Meckern gibt ſie ihm Unterricht in allen Fer - tigkeiten, deren die Gemſe ſo nothwendig bedarf, nämlich Klettern und Springen, und macht ihm manche Sprünge ausdrücklich ſo lange vor, bis das Junge geſchickt genug iſt, ſie ohne weiteres aus - zuführen. Auch das Junge hängt mit unendlicher Liebe an ſeiner Mutter; es verläßt ſie nicht ein - mal im Tode. Mehr als ein Mal haben die Jäger beobachtet, daß junge Gemſen zu ihren von ihnen erlegten Müttern kamen und klagend bei ihnen ſtehen blieben. Ja es ſind Beiſpiele bekannt, daß ſich ſolche Thiere, obgleich ſie ihre Scheu vor dem Menſchen durch einen dumpfen, blöckenden Ton und das aufgeſperrte Maul deutlich zu erkennen gaben, ruhig von der Leiche ihrer Mutter weg - nehmen ließen. Uebrigens ſollen, wie beim Steinwild, verwaiſte Gemſen von anderen Müttern angenommen und treulich gepflegt werden. Die neugeborenen Thiere wachſen außerordentlich raſch. Schon im dritten Monat zeigen ſich die Hörnchen, und im dritten Jahre können ſowohl die Böcke, als die Ziegen als erwachſen gelten. Das Alter, welches ſie überhaupt erreichen, ſchätzt man auf 20 bis 30 Jahr.

Jung eingefangene Gemſen laſſen ſich leicht zähmen. Man ernährt ſie mit Ziegenmilch, mit ſaftigem Graſe und Kräutern, mit Kohl, Rüben und Brod. Wenn man gutartige Ziegen hat, kann man dieſen das Pflegeelterngeſchäft anvertrauen. Dabei gedeihen die kleinen, luſtigen Gebirgskinder nur um ſo beſſer. Die jungen Gemſen haben in ihrem Benehmen viel Ziegenartiges, und die Jungen vielleicht noch mehr, als die Alten. Luſtig ſpielen ſie mit dem Zicklein, keck und munter mit dem Hunde; traulich folgen ſie dem Pfleger, freundlich kommen ſie herbei, um ſich Nahrung zu erbitten. Jhr Sinn ſtrebt immer nach dem Höchſten. Steinblöcke in ihrem Hofe, Manerabſätze und andere Erhöhungen werden ein Lieblingsort für ſie. Dort ſtehen ſie oft ſtundenlang. Sie werden zwar nie ſo kräftig, als die freilebenden Gemſen, ſcheinen ſich aber ganz wohl in der Gefangenſchaft zu be - finden. Bei manchen bricht im Alter auch eine gewiſſe Wildheit durch; dann gebrauchen ſie ihre Hörnchen oft recht ausdrücklich. Jhre Genügſamkeit erleichtert ihnen und ihrem Pfleger die Gefangen - haltung. Jm Alter ſind ſie noch weniger wähleriſch hinſichtlich ihrer Nahrung, als in der Jugend. Abgehärtet ſind ſie von Mutterleibe an. Jm Winter genügt ihnen ein wenig Streu unter einem offenen Dächlein. Sperrt man ſie in einen Stall, ſo behagt es ihnen nicht einmal. Einen Raum zur Bewegung und friſches Waſſer müſſen ſie haben: dieſe beiden Dinge ſind ihnen unumgänglich nöthig. Alteingefangene bleiben immer furchtſam und ſcheu.

Bisjetzt iſt es nur ſelten gelungen, die Gemſe in der Gefangenſchaft zur Fortpflanzung zu bringen. Der Fabrikant Laufer in Chambery bekam im Jahre 1855 von ſeinem zahmen Gemſen - paare, deſſen Weibchen ſchon 1850 ein todtes geworfen hatte, zwei geſunde und muntere Kälbchen. Daſſelbe ereignete ſich im Thiergarten zu Dresden. Oft hat man, namentlich Gemsböcke, mit Haus - ziegen gepaart. Kaſthofer war wohl der Erſte, dem es gelang, Blendlinge zwiſchen Gemſen und Zibethziegen zu erziehen. Später hat man mehrere ähnliche Ergebniſſe gewonnen. Das Junge hatte von der Mutter blos die Farbe, vom Vater den ausgezeichneten Gliederbau, die hohe Stirn, die große Kletter - und Springluſt und die Wildheit und Scheu. Bei freilebenden Gemſen und Ziegen, d. h. bei ſolchen, welche während des ganzen Sommers auf den Alpen weiden, ſind derartige Vermiſchungen noch nicht beobachtet worden.

Viele Feinde und viele Gefahren bedrohen die Gemſen. Der Menſch und die großen Raub - thiere ſind nicht ihre einzigen Verderber. Herabrollende Steine und Felſenſtücke erſchlagen eine und die andere, Schneelauinen begraben oft ganze Geſellſchaften. Die Gemſen kennen zwar dieſe Gefahr und ſuchen Stellen auf, wo ſie am ſicherſten ſind; das Unglück ereilt ſie aber doch. Unter533Die Gemſe.den Säugethieren ſtellen ihnen Luchs, Wolf und Bär nach. Jm Engadin geſchah es, daß ein Bär einer Gemſe bis in das Dorf nachlief, wo ſie ſich dann in einen Holzſchuppen rettete. Zur Winterszeit lauert in den einſamen Wäldern der heimtückiſche Luchs ihnen auf, und auch der rüſtige Wolf weiß, wenn ſie aus ihren Höhen herabgetrieben werden müſſen, eine und die andere zu berücken. Viel ſchlimmere Feinde aber wohnen in den Lüften. Der Adler und Lämmergeier erſpähen die ruhig weidenden Gemſen und ſtürzen wie ein Blitz aus heiterem Himmel hernieder auf die erſchreckte Herde. Jene ergreifen, noch ehe die Mutter es abwehren kann, einige Zicklein; dieſe ſtürzen ſelbſt alte Gemſen, wenn ſie unbeſorgt am Abgrunde weiden, in die furchtbare Tiefe. Allein immer noch iſt der Menſch der Gemſen ſchlimmſter Feind. Er folgt der flüchtigen Antilope bis in die höchſten Höhen und bis in die verborgenſten Schluchten. Er geht ihr auf den gefährlichſten Pfaden nach und findet das größte Vergnügen darin, das tödtliche Blei der Armen durch das Herz zu jagen. Wenn man ältere Berichte lieſt, ergibt ſich aus Allem, daß die Gemſen bei weitem häufiger waren. Die Berggeiſter hatten damals noch Macht über ihre Herden und konnten mit ihrer Götterhand die verfolgten Thiere ſchützen. Seit aber das Feuergewehr die Armbruſt vertritt, hat ihre Gewalt ge - endet und die Herden haben ſich mehr und mehr verringert.

Von jeher galt die Gemſenjagd als ein Vergnügen, würdig des beſten Mannes. Marimi - lian, der große Kaiſer Deutſchlands, kletterte mit Luſt den gewandten Alpenkindern nach, kletterte ihnen ſelbſt nach in Höhen, wo es, wie die Sage ſo lieblich berichtet, eines Wunders bedurfte, um ihn wieder herab in die menſchenfreundliche Tiefe zu führen. Nach ihm gab es nur wenige deutſche Fürſten, welche die Gemſenjagd mit gleicher Leidenſchaft betrieben. Dann übten ſie die Erzbiſchöfe aus und erließen Geſetze zur Hegung und Pflege des bereits ſeltener werdenden Wildes. Zur Zeit des Bezoar - aberglaubens wurde ihm freilich unbarmherzig nachgeſtellt. Dann trat gewiſſermaßen ein Stillſtand von faſt hundert Jahren ein. Unter den Großen der Erde griff erſt der Erzherzog Johann von Oeſterreich wieder zur Büchſe; ihm folgten die Könige Bayerns und einige der deutſchen Herzöge. Gegenwärtig iſt die Jagd ein fürſtliches Vergnügen geworden. Der Kaiſer von Oeſterreich jagt hauptſächlich im Salzkammergute, einem überaus gemſenreichen Gebiete, in welchem die allerumfaſ - ſendſten Vorkehrungen getroffen worden ſind, um dem Wildfrevel nachdrücklich zu ſteuern und die Gemſen vertraut zu machen. Nur aus des Kaiſers Büchſe fällt dort auf den Alpenhöhen ein Schuß; allen übrigen Jägern, auch den zünftigen, iſt die Jagd bei des Kaiſers Ungnade verboten. Ja, die Hegung erſtreckt ſich nicht nur auf das Salzkammergut, ſondern auch über alle angrenzenden Alpenketten, welche gleichſam als Vorrathsorte für die Jagdplätze betrachtet werden.

Die Gemſenjagd iſt kein Sonntagsvergnügen, ſondern erfordert zähe, genügſame, wetterfeſte Leute, welche ebenſo mit dem Gebirge, als mit der Lebensweiſe der Thiere vertraut ſein müſſen. Der Jäger, ſagt Tſchudi, bedarf eines ſcharfen Geſichts, eines ſchwindelfreien Kopfes, eines feſten, abgehärteten Körpers, der die Rauhheit des Eisgürtels wohl zu ertragen vermag, eines kühnen und dabei doch äußerſt kühlen Muthes, eines umſichtigen, ſchnell berechnenden Ver - ſtandes und zudem einer guten Lunge und ausdauernden Muskelkraft. Er muß nicht nur ein vortrefflicher Schütze, ſondern ebenſoſehr ein vorzüglicher Kletterer ſein, beſſer, als die verwegenſte Ziege. Denn es gibt oft gar ſonderbare Lagen für den Gemſenjäger, Stellungen, wo er jedes Glied ſeines Körpers außerordentlich anſtrengen, wo er die Ellenbogen, die Zähne, den Rücken, das Knie, die Schultern, jede Muskel des Körpers als Hebel und Klammer benutzen muß, um ſich zu ſchieben, zu wenden, zu halten, zu drängen.

Die Jäger rüſten ſich, wie genannter Forſcher weiter berichtet, zumeiſt mit einer warmen, grauen Kleidung, einem ſtark beſchlagenen Alpenſtock mit Hacken, einer Jagdtaſche mit Pulver, Blei, Brod, Butter und Käſe und einer Flaſche Kirſchgeiſt, auch wohl mit etwas geröſtetem und geſal - zeuem Mehl aus. Tüchtige Bergſchuhe, welche überall feſten Fuß faſſen, ſelbſt auf dem ſpiegel - glatten Eiſe einſchneiden, und eine vortreffliche Büchſe ſind Haupterforderniſſe. Manche Jäger534Die Antilopen. Die Gemſe.klettern barfuß ins Gebirge und härzen ſich von Zeit zu Zeit die Füße, um feſter zu ſtehen; nie - mals aber verwunden ſie ſich, wie früher behauptet wurde, den Fuß

Sich anzuleimen mit dem eignen Blut, Um ein armſelig Gratthier zu erlegen.

Gewöhnlich bedienen ſich die Jäger der ſogenannten Thierbüchſe mit gezogenem Laufe, leichtem Schafte und dünnem Kolben. Jn Wallis ſieht man auch noch häufig die früher einläufige Flinte mit zwei hinter einander liegenden Schlöſſern auf derſelben Seite, in welcher die erſte Kugel der zweiten Ladung als Bodenſtück dienen muß. Dieſes Gewehr, welches zwei Schlöſſer beſitzt, hat den Vortheil, daß es leichter als eine gezogene Doppelbüchſe iſt und doch zwei Schüſſe zur Verfügung ſtellt. Unumgänglich nothwendig iſt auch ein gutes Fernrohr; denn nur mit deſſen Hilfe iſt der Jäger im Stande, ſein Gebiet zu überſchauen. Bei der Gemsjagd handelt es ſich nicht um kleine Flächen, ſondern um Gebiete von vielen Geviertmeilen; es handelt ſich hier um tagelange Wan - derungen. Der Jäger ſpart oft jahrelang, um ſich einen guten Spiegel zu erwerben.

Abends oder am früheſten Morgen bei Sternenſchein bricht der Jäger zur Jagd auf, um vor Sonnenaufgang die Gemsgründe zu gewinnen. Er muß alle Gänge und Züge, die Lieblingsweiden, Zufluchtsorte, Sulzen und Wechſel des Wildes genau kennen, mit dem Winde und ſeinen Tücken im Gebirge vertraut ſein, alle Eigenheiten der Thiere, ſo zu ſagen, auswendig gelernt haben. Die Waldgemſen ſollen viel vorſichtiger ſein, als die Gratthiere, weil jene eben häufiger in der Nähe der Menſchen ſind, und zwiſchen Verdächtigen und Unverdächtigen zu unterſcheiden gelernt haben. Ge - wöhnlich hat der Jäger, noch ehe er zur Jagd ging, das Gebiet durchforſcht und bei befreundeten Sennen angefragt; denn andere würden ihm keine Auskunft geben. Er hat vielleicht auch ſein Ge - wehr ſchon nach oben geſchickt, um ja nicht aufzufallen. Schon eine Stunde vorher, ehe er das eigentliche Gebiet betritt, meidet er alles laute Sprechen und Geräuſch, und bei ſeinen Beobachtungs - zügen hält er ſich ſo ſtill, als möglich. Von einer der oberen Sennhütten aus beginnt die Jagd. Der Jäger bricht ſchon nach Mitternacht auf, ſchleicht ſich, höchſt ſorgfältig den Wind beobachtend, bis zu dem von ihm erkundeten Platze der Gemſen heran und ermöglicht es, wenn er geſchickt iſt, bis auf 40, ja 20 Schritte an die ruhenden Gemſen heranzukriechen. Dort verweilt er hinter einem Stein oder Buſch kauernd, bis es hell wird. Langſam erhebt ſich das Vorthier und ſtreckt ſich, ebenſo die übrige Herde. Jn dieſem Augenblicke wählt der Jäger ſich ſeine Beute, womöglich einen großen, ſtarken Bock, der ſich dem geübten Auge durch etwas dickere, oben weiter aus einander ſtehende Hörner kenntlich macht. Fällt das Thier, ſo ſtutzt einen Augenblick die ganze Herde, ſieht ſich mit der höchſten Unruhe nach dem aufſteigenden Pulverdampf um und flieht blitzſchnell nach der entgegengeſetzten Nichtung.

Auch die Treibjagd iſt, wenn gute Kundſchaft waltet, ziemlich ſicher. Dabei muß ein Jäger die Gemſen in den Morgenweiden aufſtören und langſam bergaufwärts treiben. Er kennt alle Wechſel und Pfade der Thiere und ſtellt ſich an günſtigen Stellen auf, von wo aus er auf die vorüber - gehenden zu feuern gedenkt. Gute Jäger folgen ihrem Wilde meilenweit, ja tagelang nach und trei - ben es förmlich vor ſich her. Sie müſſen im Gebirge vertraut ſein, wie die Gemſen ſelbſt; denn ihr Beginnen iſt ein beſtändiger Kampf zwiſchen Leben und Tod. Gelingt es, das Thier mit unſäglicher Mühe auf einen ſogenannten Treibſtock, eine Gemſenklemme, hinzutreiben, wo ſie nicht zurück können, ſo iſt gewöhnlich die Beute reichlich, ſelbſt dann, wenn die geängſtigten Thiere, alle Furcht vor dem Menſchen vergeſſend, plötzlich umkehren und dicht an dem Jäger vorbei zurückſetzen. Zu dieſen Beſchwerden und Gefahren, die hier gar nicht alle anzugeben ſind, kommt das Unangenehme, daß der Jäger oft tage -, ja wochenlang im Gebirge umherſtreift, ohne auch nur eine Gemſe zu ſehen; hierzu muß gerechnet werden die erſtaunliche Lebenszähigkeit der Gemſen, welche oft, trotz der ſchwerſten Verwundung, ſo ſchnell dahinfliehen, daß der Jäger das bloſe Nachſehen hat oder der Spur wieder tagelang nachgehen muß, ehe er ſein Wild findet, vielleicht ſchon halb gefreſſen von den535Die Gemſe. Die Gabelgemſe.Geiern und Adlern. Kurz, die Gemſenjagd hat ihre unendlichen Mühſeligkeiten und kann viel Aerger verurſachen.

Aber ſie hat auch Freuden ohne Zahl in ihrem Gefolge. Schon das friſche, freie Streifen über Berg und Thal, das behagliche Gefühl, welches glücklich überſtandene Beſchwerden in dem Men - ſchen erwecken, iſt des Lohns genug. Und dann, welche Genüſſe bietet die Beobachtung! Da wird jede Bewegung betrachtet, jede Eigenheit der Gemſen erkundet, und Der, welcher bereits Tauſende geſehen, findet in denen, welche er ſpäter beobachtet, noch immer Etwas zu entdecken, zu bemerken, findet immer noch Etwas, worüber er ſich freuen kann. Und auch von glücklichen Fällen wollen wir ſprechen, ſagt Tſchudi. Der Jäger hat ſtundenlang ſein Wild verfolgt. Als er die Gem - ſen zuerſt gewahrte, äßten ſie ſich ruhig. Jetzt ſieht er ſie dort nicht mehr, bemerkt aber noch die Vorgeis durch ſein Fernrohr, die weit hinter ihnen ruhig auf einer hervorragenden Felſenplatte liegt und wiederkäut. Er vermuthet, daß das Rudel hinter ihr in einer Felſenklinge im Schatten liegt und klettert von neuem über Stock und Stein, um von hinten anzukommen. Noch eine Stunde Schweiß und richtig: da liegen wohlgezählt ſieben alte Thiere in der breiten Bergſpalte zerſtreut. Vorſichtig läßt ſich der Jäger auf den Bauch nieder und kriecht, ſein Doppelrohr ruckweiſe vorſchie - bend, langſam, lautlos hinter den Felsblock. Er zielt, ſchießt hoch auf ſchnellt der Bock und ſtürzt zuſammen. Die Thiere ſind alle blitzſchnell aufgeſprungen, wiſſen aber, da ſie keinen Feind ſehen, nicht, woher das Verderben kam. Der Widerhall des Schuſſes tönt in allen Felſenwänden nach wohin fliehen? Während die Thiere in der höchſten Furcht zuſammenſtehen und rathlos hin - und herſpringen, naht eins dem lauernden Jäger und erhält den zweiten Schuß. Ja, oft iſt dieſer ſo glücklich, noch einen bis zwei Schüſſe zu thun, wenn er gut gedeckt bleibt oder wenn gar ein anderes Rudel, durch die Schüſſe erſchreckt, ohne die Richtung der Gefahr zu erkennen, herbeijagt. Nie aber und unter keiner Bedingung darf der Jäger ſich nach gefallenem Schuſſe blicken laſſen, ſolange Gem - ſen in der Nähe ſind, da Nichts geeigneter wäre, die Gemſen aus dem Gebiete zu treiben, als der Anblick des Verderbers unmittelbar nach dem Tode des Gefährten.

Wenn die Beute glücklich erlegt iſt, weidet der Schütz ſie aus, bindet ihr die Füße zuſammen, halt ihr die Hörner ein und ſchleppt ſie, die Läufe über die Stirn zuſammengelegt, nach Hauſe, und nicht nur eine, ſondern zwei zugleich auf ein Mal, und zwar auf den gefährlichſten Wegen. Der eigentliche Jagdgewinn ſteht heutzutage in keinem Verhältniſſe mehr zu den Gefahren, Mühen und zu der verlorenen Zeit. Die Gemſe iſt höchſtens ſechs Thaler werth, und doch ſind die Jäger ſo leiden - ſchaftlich erpicht, daß ſie lieber das Leben laſſen, als ihre Jagd. Dieſe Jagd gibt ihrem Weſen ein ganz eigenes Gepräge. Der unaufhörliche Kampf mit Gefahr und Noth, das lange dauernde Lauern und Aufpaſſen, das vorſichtige, ſtundenlange Vorbereiten des Hauptſchlages, das entſchloſſene Er - greifen des günſtigſten Augenblickes: dies Alles übt ſeinen Einfluß auf den Menſchen aus. Er wird ſchweigſam und verſchloſſen, in Wort und Handlung ausdrucksvoll und entſchieden, mäßig, genüg - ſam, ſparſam und geduldig.

Viel ließe ſich noch ſchreiben über dieſe Leute, wie Tſchudi in ſo anziehender Weiſe gethan hat; viel ließe ſich noch ſagen von dem berühmten Jäger Colani, mit welchem unſer Lenz mehrtägig die Alpen durchſtreifte, von dem alten Gemſenfürſten, welcher allein 2700 Gemſen erlegte, jene ungerechnet, die er in früheren Jahren nicht gezählt hatte, der ſich die Herrſchaft augemaßt hatte über Leben und Tod, und nicht blos über das Leben der Gemſen: doch wir können dieſen Stoff nicht weiter verfolgen.

An unſere Gemſe ſchließt ſich innig eine der wenigen Antilopen an, welche den Norden Ame - rikas bewohnen. Der alte Hernandez führt dieſes Thier in ſeiner Beſchreibung Mejikos unter dem Namen Teuthlamacame an, die Pelzhändler nennen es nach dem ſpaniſchen Worte Cabra, zu deutſch Ziege, gewöhnlich Kabri; wir können es im Deutſchen Gabelgemſe benamſen. Der wiſſenſchaftliche Name iſt Antilocapra americana oder Antilope furcifer.

536Die Antilopen. Die Gabelgemſe.

Die Gabelgemſe iſt ein in jeder Hinſicht ausgezeichnetes Thier, welches hinſichtlich ſeiner Ge - hörnbildung in ſeiner Familie, ja, ſogar unter allen ſcheidenhörnigen Wiederkäuern, einzig daſteht. Die Hörner ſind nämlich gabelförmig getheilt, wenigſtens bei der Mehrzahl der Böcke. Jn der Größe kommt das Thier etwa unſerem Rehe gleich. Seine Länge beträgt nach einer Meſſung des Prinzen von Wied 4 Fuß 10 Zoll 8 Linien, wovon 11⅓ Zoll auf den Kopf, Zoll auf den Wedel gerechnet werden müſſen. Die Schulterhöhe wird zu Fuß, die Kreuzhöhe zu 3 Fuß an - gegeben; die Hörner werden, in gerader Linie gemeſſen, gegen 9 Zoll, der Krümmung nach 11 Zoll lang. Die Geſtalt iſt ſchlank; der Leib ruht auf hohen Läufen und trägt einen langen Hals und einen ſchmächtigen, etwas zugeſpitzten Kopf. Das große, lang bewimperte Auge hat keine Thränen - gruben; das Gehör iſt ziemlich lang, ſchmal zugeſpitzt; die Muffel iſt behaart. Nur um die Naſen -

Die Gabelgemſe (Antilocapra americana oder Antilope furcifer).

löcher zieht ſich ein ſchmaler, nackter Streifen. Die Hörner entſpringen einen Zoll hoch über den Augen; ſie ſind gerade aufgerichtet, ein wenig ſanft auswärts gebogen, haben eine ſtarke, oft ab - wärts gekrümmte Hakenſpitze und an der Mitte ihrer Vorderſeite ein gedrungenes, zuſammengedrück - tes, breites Ende von etwa Zoll Länge, welches jedoch den jungen Böcken und nicht ſelten auch den alten fehlt. Die Hufe ſind zugeſpitzt, denen des Schafes ähnlich gebildet; ſie tragen nur an der inneren Seite eine Afterklaue. Das Haar iſt lang, hart und ſo ſpröde, daß es bei der ge - ringſten Berührung abbricht, ja, daß es durch Drücken abgeplattet werden kann, ohne ſeine frühere Form wieder anzunehmen. Es ſteht ſehr dicht, überdeckt aber keine Grundwolle. Auf dem Naſen - rücken und an dem Gehör, in der Umgebung der Augen und um die Lippen iſt es am kürzeſten, auf den Hinterkeulen länger, als am übrigen Körper; ein Streifen zwiſchen den Hinterſchenkeln vom Weideloch abwärts iſt gänzlich unbehaart. Je nach der Jahreszeit iſt es länger oder kürzer, dichter oder ſpärlicher ſtehend. Die Färbung iſt ziemlich bunt. Vorherrſchend iſt ein röthliches Fahlgrau,537Die Gabelgemſe.welches die ganze Oberſeite deckt; die Unterſeite und Jnnenſeite der Schenkel dagegen ſind weiß, und auch an der Vorderſeite des Halſes, unter der Kehle, ſteht ein weißlicher Fleck, welcher dann durch eine röthliche Querbinde von der weißen Vorderbruſt geſchieden wird. Sehr hübſch iſt der Kopf gezeichnet. Die Stirn und die Umgebung der Augen, ein Streifen, welcher hinter den Hörnern beginnt und zwiſchen Augen und Ohren herabläuft, ſind fahlgelbröthlich, wie Milchkaffee, die Seiten des Kopfes, ein etwa fingerbreiter Rand der Oberlippe, die Unterlippe und die Kehle pflegen lichter gelblich - weiß zu ſein: der Naſenrücken dagegen iſt dunkel röthlichbraun, und ein ebenſo gefärbter Streifen zieht ſich zu beiden Seiten bis gegen die weiße Binde herab, welche die Oberlippe begrenzt; die Stirn iſt wiederum weißlich und gelbbraun gemiſcht, die Gegend hinter dem Gehör und der ganze Hinterkopf ſind ebenfalls ſehr licht gefärbt. Das Gehör iſt außen mit hellfahlrothem Haar bedeckt, welches nach der Spitze hin dunkelt. Die Behaarung der Jnnenſeite iſt weiß. Außerdem ſchmückt ein kleiner, ſchwärzlicher Flecken auf weißem Grunde, welcher über dem Auge ſteht, den ohnehin ſo bunt gezeich - neten Kopf. Hörner und Hufe ſind ſchwarz. Auch das kleinere und ſchwächere weibliche Thier iſt gehörnt, die Hörner aber ſind immer nur ſehr klein, höchſtens zwei bis drei Zoll lang, und fehlen nicht ſelten gänzlich. Jn der Färbung unterſcheidet es ſich nicht vom Bock.

Wir haben durch Richardſon, Audubon, Spencer Baird und den Prinzen Mar von Wied ausführliche Berichte über die Gabelgemſe erhalten und dürfen uns deshalb einer ziem - lich genauen Kenntniß des Thieres rühmen. Jch lege dem Nachfolgenden ausſchließlich die Angaben des Prinzen von Wied und Audubon’s zu Grunde.

Die Gabelgemſe verbreitet ſich weit über Nordamerika. Namentlich der Nordweſten iſt ihre Heimat. Richardſon fand ſie noch unter dem 53. Grad der Breite, am nördlichen Arm des Seskatchewan auf, und alle Reiſenden, welche Mejiko durchforſchten, trafen ſie dort in zahlreichen Scharen an. Neuerdings hat man ſie als einen Bewohner Kaliforniens kennen gelernt. Jhre bevorzugten Wohnplätze ſind die weiten Ebenen, welche uns unter dem Namen der Prairien bekannt geworden ſind, und hier hauptſächlich die dürren, ſteinigten Strecken, obgleich ſie auch in den ſpärlich bewaldeten Niederungen oder längs der reichen Flußufer nicht fehlt. Sie hält ſich, nach anderer Antilopen Art, in Trupps und Rudeln auf. Die alten Böcke pflegen zu einſiedlern und vereinigen ſich höchſtens mit einigen wenigen ihres Geſchlechts; die Thiere und die Jungen hingegen bilden oft förmliche Herden von dreißig, vierzig und ſelbſt hundert Stücken, im Herbſt und Winter ſtärkere, als im Frühling und Sommer. Dieſe Rudel pflegen dann die Ebenen, wo die kalten Winde ſie beläftigen oder der tiefe Schnee ihnen das Aufdecken ihrer Nahrung erſchwert, zu ver - laſſen und dafür die Hügelkette aufzuſuchen, deren Schluchten ihnen geſchützte Weideplätze bieten. Gegen den Winter hin durchwandern ſie weite Strecken; im Frühjahre kehren ſie in kleinen Trupps wieder zu den Sommerſtänden zurück. Einzelne Stücke nehmen gewöhnlich ihren Stand auf kleinen Hügeln, von denen ſie eine weite Ausſchau haben. Hier ſieht man ſie beim Durch - reiſen der Prairien von weitem ſtehen und noch häufiger liegen, vorausgeſetzt natürlich, daß man mit den Sitten der Thiere vertraut iſt und ſie aufzufinden verſteht; denn gewöhnlich ſieht die Gabel - gemſe den Jäger früher, als dieſer ſie.

Alle Reiſenden ſtimmen überein in der Bewunderung der Schnelligkeit und Gewandtheit dieſer Antilopen. Es fehlen ihnen andere Mitglieder der leichtfüßigen Familie zur Vergleichung, und des - halb dürfen wir es ihnen nicht verdenken, wenn ſie den Kabri als das ſchnellſte aller Thiere bezeichnen. Dies iſt nun wohl nicht der Fall; es werden ſich den Gabelgemſen auch andere Antilo - pen als ebenbürtig erweiſen: unter den Thieren der Prairie aber nehmen ſie, was die Bewegungs - fähigkeit anlangt, unzweifelhaft den erſten Rang ein. Sie jagen wie der Sturmwind über die Ebene und dabei mit einer Anmuth und Leichtigkeit, welche in Erſtaunen ſetzt. Jhr Gang iſt ein langſamer, etwas würdevoller Schritt; ihr Trott iſt zierlich und anmuthig, ihr Galopp oder ihre Flucht leicht und unvergleichlich ſchnell. Sie bewegen ſich längs der Hügel, bergauf oder bergab, mit derſelben Ge - wandtheit und Sicherheit, wie auf der Ebene und ſchnellen ihre federnden Läufe ſo raſch nach einander538Die Antilopen. Die Gabelgemſe.auf den Boden, daß man die einzelnen Glieder, wie die Speichen eines ſich drehenden Rades nicht mehr unterſcheiden kann. Wenn ſie flüchtig werden, pflegen ſie zunächſt etwa dreißig bis vierzig Schritt weit zu trotten und zwar nach Art des Damwildes, indem ſie mit allen vier Läufen zugleich aufſpringen. Nach dieſer Einleitung aber ſtrecken ſie ihren Leib und durchmeſſen in voller Flucht mehrere Meilen im Verlauf weniger Minuten. Auch ſchwimmen ſie, wie Audubon und der Prinz verſichern, über breite Ströme mit größter Leichtigkeit. Ein aufgeſcheuchtes Rudel, welches in der Nähe eines Stromes weidet und keinen anderen Ausweg zur Flucht ſieht, pflegt ſich ohne Be - denken in die Wogen zu ſtürzen. Das leitende Thier zieht voran, die übrigen bilden allgemach die indianiſche Reihe, und ſo ſetzt das ganze Rudel in ſchönſter Ordnung über den Strom. Auch wenn es gilt, beſſere Aeßung aufzuſuchen, durchkreuzen ſie die Gewäſſer, und die Jndianer haben ſogar hierauf eine beſondere Jagdweiſe begründet.

Die Gabelgemſen ſind ſcharfſinnige Thiere. Sie äugen in weite Ferne, vernehmen ausgezeich - net und wittern den unter dem Wind heranſchleichenden Feind auf mehrere hundert Schritte. Dabei ſind ſie klug, immer vorſichtig und ſelbſt ſcheu. Sie kennen den Menſchen und fürchten ihn, ſie ken - nen auch ihre übrigen Feinde und laſſen ſich nur höchſt ſelten dieſe ſo nahe auf den Leib rücken, daß ſie ihnen gefährlich werden können. Das leitende Thier faßt den ſich nahenden Menſchen ſcharf ins Auge, richtet das Gehör nach ihm hin, beobachtet ihn genau und ſtampft im geeigneten Augenblick mit einem der Vorderfüße auf den Boden oder läßt ein ſcharfes, pfeifendes Schnaufen vernehmen, wie andere Antilopen auch. Damit gibt es das Zeichen zur Flucht, welche augenblicklich beginnt und mit unermüdlicher Ausdauer fortgeſetzt wird, ſo lange es nöthig. Nur manchmal verlockt unſere Thiere die auch ihnen eigene Neugier, einen ſich nähernden Gegenſtand ins Auge zu faſſen, und darauf gründet der tückiſche Menſch und namentlich der liſtige Jndianer ſeine verderblichen Pläne.

Die Brunſtzeit beginnt im September. Ungefähr ſechs Wochen lang zeigen ſich die Böcke ſehr erregt und fechten unter ſich mit großem Muthe, ja, mit einer gewiſſen Wildheit. Wenn ein Bock den anderen herbeikommen ſieht oder zufällig mit ihm zuſammentrifft, ſchauen ſich beide ärgerlich an, rennen dann mit niedergebeugten Köpfen wüthend gegen einander los, und der Kampf beginnt. Beide Gegner bringen ſich mit großer Schnelligkeit und Heftigkeit Stöße bei, oft ſehr gefährliche, bis der eine genug hat und dem anderen das Feld überläßt. Das Thier ſetzt ungefähr zu derſelben Zeit, wie das Wild, früheſtens im Mai, ſpäteſtens Mitte Junis. Gewöhnlich bringt es zwei, den Eltern gleichgefärbte, ungefleckte Kälber zur Welt; Schmalthiere haben ſelten mehr als ein ein - ziges. Die Mutter verweilt bei ihrem Kalbe während der erſten Tage nach ſeiner Geburt und äßt ſich unmittelbar in der Nähe deſſelben. Wenn das Kalb einmal vierzehn Tage alt iſt, hat es hinlängliche Kraft und Schnelligkeit erlangt, um mit der ſchnellläufigen Mutter einer Verfolgung des Wolfes oder eines anderen vierfüßigen Feindes zu entgehen. Zuweilen geſchieht es, daß Jſe - grimm ein noch hilfloſes Kalb entdeckt. Dann entfaltet die Alte den bewunderungswürdigſten Muth dem furchtbaren Feinde gegenüber. Sie ſpringt gegen ihn an, verſucht, ihm mit dem kurzen Gehörn einen Stoß beizubringen, gebraucht auch wohl ihre Vorderläufe, mit welchen ſie tüchtige Schläge zu geben weiß, und wenn der Wolf nicht gerade in voller Kraft oder vom Hunger arg gepeinigt iſt, ſchlägt ſie denſelben wirklich in die Flucht und ſucht ſich für ihr Kalb eine ſicherere Weide, gewöhnlich eine ſchwer zu erkletternde Felswand. Prinz von Wied fand zu Ende Aprils ein eben geſetztes Kälb - chen in der Prairie. Es duckte ſich beim Erſcheinen der Reiter auf den Boden nieder und hätte leicht mitgenommen werden können, wäre man mit den nöthigen Einrichtungen hierzu verſehen geweſen. Die Mutter dieſes Thierchens war nicht in der Nähe; wahrſcheinlich war ſie gerade nach Aeßung ausge - gangen und hatte an dem beſtimmten Platze das Junge zurückgelaſſen, wie Dies unſere Hirſcharten auch zu thun pflegen.

Das kurze ſaftige Gras der Prairien bildet die Hauptäßung der Gabelgemſe; außerdem nimmt ſie Mos, Zweige und ähnliche Stoffe an. Wie die meiſten Wiederkäuer liebt ſie ſalziges Waſſer oder reines Salz ganz ungemein. Jn der Nähe ſalzhaltiger Stellen ſieht man ſie ſtundenlang liegen,539Die Gabelgemſe.nachdem ſie ſich ſatt getrunken oder ſatt geleckt hat. Erſt der Hunger, ſo ſcheint es, treibt ſie wie - der von dannen. Bei guter Weide wird ſie im Herbſt ſehr feiſt; im Winter aber leidet ſie oft große Noth. Der Schnee deckt dann fußhoch ihren Weidegrund, und die Arme muß ſich mit der ſpär - lichſten Nahrung begnügen. Dann kommt ſie ſehr vom Leibe, das Gehen im Schnee ermattet ſie, und oft genug geht ſie erbärmlich zu Grunde.

Um dieſe Zeit iſt es nicht ſchwer, ſich der Gabelgemſe zu bemächtigen. Ein Jäger, welcher Schneeſchuhe zu gebrauchen weiß, kann das entkräftete Thier ohne große Mühe lebendig fangen. Man hat wiederholt verſucht, die Gefangenen zu zähmen, aber nur ſehr wenige erhalten können. Die älteren Stücke, welche man im Winter bei tiefem Schnee einfangen konnte, zeigten ſich, in einem umſchloſſenen Gehege frei gelaſſen, höchſt liebenswürdig, ja faſt zuthunlich, aber nur ſolange, als ihre Abſpannung und Entkräftung währte. Sobald die Hungersnoth überſtanden war, regte ſich die Sehnſucht nach der unbegrenzten Freiheit in ihnen, und ſie zeigten ihre urſprüngliche Wildheit wieder. Dann rannten und ſprangen ſie wie unſinnig gegen die Umzäunung ihres Geheges an und wütheten in dieſem ſo lange, bis ſie ſich tödtlich geſchädigt hatten. Auch die bald nach der Geburt aufgenommenen Kälber ſterben gewöhnlich nach kurzer Gefangenſchaft; freilich hat man bisher ver - ſäumt, ihnen eine Ziege zur Ernährerin zu geben, ſomit das ſicherſte Mittel zu ihrer Erhaltung noch nicht angewendet. Nur ein einziger Thierfreund war nach Audubon’s Bericht ſo glücklich, eine Gabelgemſe groß zu ziehen. Er hatte dieſelbe jung in der Prairie aufgenommen und ſorgſam gepflegt. Das Thier war äußerſt liebenswürdig, es folgte ſeinem Gebieter, wie ein Hund, auf dem Fuße nach, ſtieg mit ihm die Treppen herauf oder herunter und wußte bald im ganzen Hauſe Beſcheid. Durch einen Wapitihirſch, welchen derſelbe Mann ebenfalls in der Gefangenſchaft hielt, fand es lei - der ein unnatürliches Ende.

Man jagt die Gabelgemſe nur im Nothfall, wenn man kein Biſonfleiſch haben kann; denn das Wildpret wird nicht beſonders geſchätzt. Die Amerikaner verſchmähen es, ſelbſt wenn es geräuchert wurde, der Prinz aber rühmt es und verſichert, daß es ihm oft zur Nahrung gedient habe. Audu - bon preiſt die Leber als einen Leckerbiſſen. Das leichte, weiche, aber wenig haltbare Leder wird hauptſächlich von den Jndianern verwendet, gewöhnlich zur Anfertigung ihrer Hemden. Der Euro - päer fängt die Gabelgemſe in Fallgruben oder durch Nachjagen auf einem ſehr ſchnellen leichtfüßigen Pferde oder gebraucht endlich die Pirſchbüchſe. Der Jndianer benutzt die Neugier des Wildes, nimmt die ſonderbarſten Stellungen an, führt mit Armen und Beinen allerlei auffallende Bewegun - gen aus und nähert ſich ſo mehr und mehr den überraſchten Thieren, welche gar nicht ſelten wie Bildſäulen ſtehen bleiben und ſchließlich das Opfer des liſtigen Jägers werden. Audubon erprobte die Wahrheit dieſer Angabe. Während einer unſerer Jagdausflüge, ſagt er, kamen wir in Sicht einer Antilope und beſchloſſen, ſie in der angegebenen Weiſe in Erſtaunen zu ſetzen. Wir legten uns alſo auf den Rücken in das Gras und erhoben erſt eines unſerer Beine und dann das andere in die Luft. Merkwürdig genug, die Antilope ging langſam gegen uns an, obwohl mit größter Vorſicht und mit entſchiedenem Mißtrauen. Aber ſie nahete ſich uns doch mehr und mehr und kam wirklich in Schußnähe. Es wird verſichert, daß die Jndianer dieſe Jagd niemand anders abgelernt haben, als Freund Jſegrimm, welcher durch ähnliche Kniffe zum Ziele kommt. Der Wolf iſt überhaupt als der ſchlimmſte Feind der Gabelgemſe anzuſehen; ihm fallen, namentlich bei tiefem Schnee, gar viele dieſer ſchönen Geſchöpfe zur Beute.

Von der antilopenarmen Weſthälfte der Erde kehren wir wieder in das eigentliche Vaterland unſerer Thiere zurück, um uns zunächſt mit einer der eigenthümlichſten Geſtalten der geſammten Familie vertraut zu machen. Jch meine eine Antilope, von welcher bereits die Alten eine ziemlich richtige Beſchreibung gaben, obgleich ſie dieſelbe nur von Hörenſagen kannten: den Kudu der Kap - länder, den Tedal der Araber, den Agaſeen der Abiſſinier (Strepsiceros capensis). Unſere540Die Antilopen. Der Kudu.Kunde des Thieres reicht nicht über die letzte Hälfte des vorigen Jahrhunderts zurück. Seine Hörner waren ſchon oft nach Europa gekommen, aber von ihrem Träger wußte man Nichts zu ſagen. Später kam eine lebende Antilope dieſer Art nach dem Thiergarten von Haag, wo ſie bei aller anfangs gezeigten Scheu und Wildheit lange lebte, ſich nach und nach mit ihrem Schickſal ausſöhnte und end - lich ſo ſanft und gutmüthig wurde, daß man ſich ihr ohne Furcht nähern und ſie berühren und ſtreicheln konnte. Jn unſerem Jahrhundert iſt der Kudu, wie wir das vielnamige Geſchöpf vorzugs - weiſe benennen wollen, durch die Forſchungen Rüppell’s und Anderſon’s, ſowie durch die Be -

Der Kudu (Strepsiceros capensis).

richte der ſüdafrikaniſchen Jäger bekannter geworden; jedoch gehört er keineswegs zu den Thieren, von welchen eine erſchöpfliche Beſchreibung geliefert werden könnte. Jch hatte die Freude, das ſchöne, ſtolze Wild in den Bogosländern anzutreffen und bin deshalb im Stande, auch mein Scherflein zu ſeiner Kunde beizutragen.

Der Kudu bildet mit wenigen anderen die Gruppe der Drehhörner, welche neuerdings wieder in Sippen zertheilt worden iſt. Alle hieher gehörigen Antilopen kennzeichnen ſich durch ihre mehr oder weniger bedeutende Größe, die ſchraubenförmig gewundenen, zuſammengedrückten und gekielten541Der Kudu.Hörner, den Mangel an Thränengruben und die vier Zitzen des Weibchens. Das Fell iſt oft ſehr eigenthümlich gezeichnet, wie ein Blick auf unſere Abbildung des Kudu zur Genüge darthut.

Einige Naturforſcher glauben, daß der im Norden wohnende Agaſeen oder Tedal eine andere Art als der eigentliche Kudu iſt; ſie ſind aber nicht im Stande, ihre Anſicht durch ſchlagende Belege zu beweiſen. Wir dürfen annehmen, daß der Kudu in dem größten Theile Afrikas vorkommt und zwar merkwürdiger Weiſe in den verſchiedenſten Oertlichkeiten, ganz nach Art unſeres Roth - wilds. Jn früheren Zeiten war er im Vorgebirge der guten Hoffnung häufig; jetzt iſt er dort ver - drängt. Noch immer aber kommt er von dem Orangfluſſe an bis nach Nordabiſſinien hinab, von hier durch Taka und Kordofahn bis nach dem fernen Weſten gegen Guinea hin vor.

Der Kudu iſt eine äußerſt ſtattliche und ſehr große Antilope. Unſer Edelhirſch erſcheint ihm gegenüber als ein wahrer Zwerg und ſelbſt der Elch dürfte ihm in der Größe noch nicht gleichkom - men. Erwachſene Männchen meſſen von der Naſe bis zur Spitze des Fuß langen Schwanzes zehn volle Fuß. Das Weibchen iſt immer bedeutend kleiner; doch maß ein von mir unterſuchtes Altthier immer noch ſeine acht Fuß in der Länge und faſt fünf Fuß Höhe am Widerriſt. Aber nicht blos die Größe zeichnet dieſe Antilope aus, ſondern auch die ſchöne Geſtalt, das wirklich prachtvolle Gehörn und endlich die feine Zeichnung des Felles. Hinſichtlich des Leibesbaues erinnert der Kudu in vieler Hinſicht an den Hirſch. Der Leib iſt unterſetzt, der Hals mittellang, der Kopf ziemlich kurz, an der Stirn breit, vorn zugeſpitzt; die Oberlippe iſt behaart bis auf die Furche; die Augen ſind groß, die Ohren länger als der halbe Kopf. Jhm verleiht das Gehörn einen herrlichen Schmuck. Es gehört zu den größten, welche irgend eine Antilope trägt. Schon bei mittelalten Böcken meſſen die einzelnen Stan - gen in gerader Linie von der Spitze zur Wurzel über zwei Fuß, bei ſehr alten aber erreichen ſie beinahe das Doppelte dieſer Länge. Man begreift wirklich kaum, wie das Thier im Stande iſt, die Laſt des Kopf - ſchmuckes zu ſchleppen, oder, wie es ihm möglich wird, mit ſolchen Hörnern durch das Dickicht eines Buſchwaldes zu flüchten. Von der Wurzel aus richtet ſich das Gehörn ſchief nach hinten und mehr oder weniger weit nach auswärts. Bei einigen Gehörnen ſtehen die Spitzen drei Fuß weit von ein - ander. Unſere Abbildung zeigt die eigenthümlichen Schraubenwindungen der Stange: ich will nur bemerken, daß ſie immer an derſelben Stelle ſich finden, die erſte etwa im erſten, die zweite unge - fähr im zweiten Drittel der Länge. Auch die Spitzen ſind etwas ſchraubenartig nach Außen gewen - det, bei alten Thieren mehr als bei jungen. An der Wurzel der Hörner beginnt ein ſcharfkantiger Kiel, welcher in ſeinem Verlauf dem Schraubengange folgt und erſt gegen die vollkommen runde Spitze hin ſich verliert. Die kurze, glatt anliegende, etwas rauhe Behaarung verlängert ſich auf der Firſte des Halſes und Rückens, beim Bock auch an dem Kinn bis unter die Bruſt herab zur Mähne. Ein ſchwer zu beſchreibendes röthliches Braungrau iſt die Grundfärbung; die hinteren Theile des Bauches und die inneren Seiten der Läufe ſind weißlichgrau; die Nackenmähne iſt dunkelbraun oder ſchwarz, bei ſehr alten Thieren aber wenigſtens längs des ganzen Vorderhalfes weißgrau. Der Schwanz iſt oben dunkelbraun, unten weiß und an der Quaſte ſchwarz. Röthliche Kreiſe umgeben die Augen. Von jener Grundfärbung heben ſich ſcharf weiße Streifen ab, meiſt ſieben oder neun an der Zahl, von denen einige ſich gabeln. Sie verlaufen in gleichen Abſtänden längs der Seite von dem Rücken nach unten. Zwiſchen beiden Augen liegt ein nach der Schnauzſpitze zugekehrter, ähnlich gefärbter Halbmond. Bei dem Weibchen ſind alle Streifen ſchwächer und bläſſer; junge Thiere ſollen eine größere Anzahl derſelben zeigen als alte.

Wie es ſcheint, bewohnt der Kudu ausſchließlich den Wald, am liebſten jene in Afrika ſo häu - ſigen, dornigen Buſchwälder. Jn Habeſch zieht er die Gebirge entſchieden der Ebene vor, während er in den Barkaländern, in Kordofahn und am Kap auch in dieſer getroffen wird. Wir fanden ihn in den Bogosländern erſt in einer Höhe von mindeſtens 2000 Fuß über dem Meere und bis zu 7000 Fuß hinauf, immer an den Bergwänden, wo er zwiſchen den grünen Mimoſen majeſtä - tiſch dahin ſchritt. Die ſtarken Böcke leben einzeln; die Thiere dagegen vereinigen ſich gern in ſchwache Trupps von vier bis ſechs Stück. Südafrikaniſche Jäger wollen beobachtet haben, daß542Die Antilopen. Der Kudu.jüngere Böcke, welche durch die alten von dem Trupp abgeſchlagen wurden, ſich zuſammenrudeln und ein mürriſches Junggeſellenleben mit einander führen.

Nach den Beobachtungen, welche wir machen und nach den Erkundigungen, welche wir einziehen konnten, ähnelt der Kudu in ſeiner Lebensweiſe und ſeinem Weſen unſerem Hochwild. Er durch - ſtreift ein ziemlich großes Gebiet und wechſelt auf ihm regelmäßig hin und her. Haltung und Gang erinnern an den Hirſch. Erſtere iſt ebenſo ſtolz, letzterer ebenſo zierlich und dabei doch gemeſſen, wie bei dem Edelwild unſerer Wälder. Solange der Kudu ungeſtört iſt, ſchreitet er ziemlich langſam längs der Bergwände dahin, dem dornigen Geſtrüpp vorſichtig ausweichend und an günſtigen Stellen ſich äßend. Knospen und Blätter verſchiedener Sträuche bilden einen guten Theil ſeines Geäßes; doch verſchmäht er auch nicht Gräſer und tritt deshalb, zumal gegen Abend, auf grüne Blößen im Walde heraus. Aufgeſcheucht trollt er ziemlich ſchwerfällig dahin, und nur auf ebenen Stellen wird er flüchtig. Aber auch dann noch iſt ſein Lauf verhältnißmäßig langſam. Jn den Buſchwäldern muß er, um nicht aufgehalten zu werden, ſein Gehörn ſoweit nach hinten legen, daß die Spitzen deſſelben faſt ſeinen Rücken berühren. Ehe er flüchtig wird, ſtößt er ein weites, hörbares Schnauben und zuweilen ein dumpfes Blöcken aus. Wie Pater Filippini mir ſagte, rührt letzteres aber blos vom Thier her; der Bock ſchreit nur zur Brunſtzeit, dann aber in derſelben ausdrucksvollen Weiſe, wie unſer Edelhirſch.

Jn Habeſch ſoll der Bock Ende Januars auf die Brunſt treten. Von der Höhe herab vernimmt man um dieſe Zeit gegen Abend ſein Georgel, mit welchem er andere Nebenbuhler zum Kampfe ein - ladet. Daß heftige Streite zwiſchen den verliebten Böcken ausgefochten werden, unterliegt wohl kaum einem Zweifel; denn der Kudu zeigt ſich auch ſonſt als ein höchſt muthiges und wehrhaftes Thier. Filippini hat zwar niemals einem ſolchen Kampfe beigewohnt, wohl aber die Abiſſinier davon oft erzählen hören. Der Satz fällt mit dem Anfange der großen Regenzeit zuſammen, gewöhnlich Ende Auguſts: das Thier würde alſo ſieben bis acht Monate hoch beſchlagen gehen. Nur höchſt ſelten fin - det man noch Böcke bei den Thieren, nachdem ſie geſetzt haben: die Mutter allein ernährt, bewacht und beſchützt ihr Kalb.

Jn allen Ländern, wo der ſtolze, ſchön gezeichnete Kudu vorkommt, iſt er der eifrigſten Ver - folgung ausgeſetzt. Sein Wildpret iſt, wie ich mich ſelbſt überzeugt habe, ganz vorzüglich; in Ge - ſchmack erinnert es an das unſeres Edelhirſches. Das Mark der Knochen gilt manchen ſüdafrikani - ſchen Völkerſchaften als ein unerſetzlicher Leckerbiſſen. Zumal die Kaffern haben, wenn ſie einen Kudu erlegten, nichts Eiligeres zu thun, als das Fleiſch von den Knochen abzuſchälen, dieſe zu zer - brechen und dann das Mark aus den Röhren zu ſaugen, roh, wie es iſt. Auch das Fell wird im Süden Afrikas hochgeſchätzt und gilt für manche Zwecke geradezu als unübertrefflich. Die holländi - ſchen Anſiedler kaufen es zu hohen Preiſen, um Peitſchen daraus zu machen, namentlich die ſoge - nannten Schmitzen oder Vorſchläge, welche als Haupterforderniß einer zum Knallen geeigneten Peitſche angeſehen werden. Außerdem verwendet man das Leder zu Riemen, mit denen man Häute zuſammennäht oder Päckte ſchnürt; es wird zu Geſchirren, Satteldecken, Schuhen u. ſ. w. ver - wendet. Jn Habeſch gerbt man das Fell und bereitet ſich aus den Stangen des Gehörns, nachdem man ſie mit Hilfe der Fäulniß von ihrem Knochenkern befreit hat, Füllhörner zur Aufbewahrung von Honig, Salz, Kaffee und dergleichen.

Die Jagd des Kudu wird in ſehr verſchiedener Weiſe ausgeführt. Filippini zog den Pirſch - gang jeder übrigen Jagdart vor. Er kannte die Lieblingsſtellen des Wildes und ſuchte ſich hier an die weit ſichtbaren, hohen Geſtalten vorſichtig anzuſchleichen. Am liebſten jagte er des Nachmittags, weil um dieſe Zeit der Agaſeen in die Thäler herab zur Tränke zieht. Die meiſten Antilopen begnü - gen ſich mit dem Nachtthau, welchen ſie von den Blättern der Bäume ablecken: der Agaſeen aber bedarf ſehr viel Waſſer und muß allabendlich von ſeinen Bergen herabſteigen, um ſein Bedürfniß zu befriedigen. Hierzu ſucht er ſich nun gewiſſe, ihm beſonders günſtig erſcheinende Stellen der kleinen Bäche oder der in Regenbetten gelegenen Tümpel abiſſiniſcher Gebirgsthäler aus, und wer ſolche543Der Kudu.Stellen kennt, braucht, um ſicher zu Schuſſe zu kommen, eben blos anzuſtehen. Auch der Anſtand auf den Wechſel würde unzweifelhaft ein günſtiges Ergebniß haben, weil der Agaſeen ſehr genau ein - hält. Ob ſich das Thier treiben läßt, wie unſer Hochwild, wage ich nicht zu entſcheiden, glaube es aber bejahen zu dürfen. Vorſichtig muß man jedenfalls zu Wege gehen; denn der Kudu iſt außer - ordentlich wachſam, und ſeine vorzüglich ſcharfen Sinne unterrichten ihn immer rechtzeitig von der Ankunft eines etwaigen Feindes. Näher als zweihundert Schritte kommt man ſelten an ihn heran, und ſolche Entfernung iſt doch nur europäiſchen Schützen gerecht. Die Kaffern, deren ſchlechte Waffen bei der Vorſicht des Thieres ſich gänzlich erfolglos zeigen, haben eine eigene Jagdweiſe erfun - den: ſie gehen in größeren Geſellſchaften zur Jagd hinaus und verfolgen die von ihnen aufgeſcheuchten Antilopen, weil ſie wiſſen, daß dieſe ſehr bald ermüden. Das Wild hin - und hertreibend, führen ſie es der einen oder der anderen Abtheilung ihrer Jagdgehilfen zu, laſſen von dieſen die Verfolgung fortſetzen und gönnen ihm ſo keinen Augenblick Ruhe, ſondern zwingen es, ſtundenlang raſch zu laufen. Jhre Frauen ſind mit einer Tracht waſſergefüllter Straußeneier hier und da vertheilt, um die abgehetzten Männer zu erquicken, und dieſen gelingt es, Dank ihrer nie ermattenden Ausdauer, endlich wirklich, die ſtattlichen Antilopen zu ermüden. Da nun geht Alles mit Geſchrei der will - kommenen Beute entgegen. Das Altthier ergibt ſich widerſtandlos ſeinen Verfolgern; die ſtarken Böcke aber nehmen dieſe an, ſenken den Kopf nieder, ſo, daß ihr furchtbares Gehörn wagerecht zu ſtehen kommt und ſtürzen plötzlich pfeilſchnell auf ihre Angreifer los. Letztere ſind verloren, wenn ſie nicht rechtzeitig geſchickt auf die Seite ſpringen. Gegen Hunde, welche den Kudu nach wenigen Minuten im Laufe einholen, vertheidigt er ſich regelmäßig, und zwar auch mit den Läufen; ſeine ſtarken Schalen ſind immer noch ſcharf genug, um böſe Wunden zu ſchlagen. Deshalb gebrauchen die Kaffern die treueſten aller Jagdgehilfen nicht bei ihrem Hetzen, ſondern helfen ſich lieber ſelbſt und werfen auf das von ihnen umringte Wild nach und nach ſoviel Wurfſpieße, daß es ſeinen Wunden ſchließlich erliegen muß.

Gleich nach der Tödtung des Kudu beginnt nun ein großes Feſt. Es wird ein Feuer angezün - det. Der Rauch zieht auch die ferneſtehenden Jagdgenoſſen herbei. Viele Hände beſchäftigen ſich mit dem Zerlegen des Wildprets, andere unterhalten das Feuer und werfen, wenn ſich ein tüchtiger Kohlenhaufen gebildet hat, eine Menge Steine hinein, um ſie glühend zu machen. Mittlerweile iſt das Wildpret ſchon zerlegt und zerſchnitten. Man ordnet die Steine einigermaßen zu einem Herd und bedeckt ſie nun dicht mit den zerſchnittenen Wildpretſtücken. Während dieſe langſam braten, fällt die hungerige Bande über die Knochen her, und Jeder kauert, lüſternen Auges das Fleiſch betrach - tend, mit dem Knochen in der Hand und zwiſchen den Zähnen, vor dem Feuer. Der Braten wird noch halbroh von den Steinen genommen und gierig verſchlungen. Genau in derſelben Weiſe richten ſich auch die Abiſſinier ihr Wildpret zu, nur mit dem Unterſchied, daß ſie nicht die rohen Knochen benagen und ihr Mark gleich aufeſſen, ſondern vielmehr das letztere aus den zerſchlagenen Röhren preſſen und zur Fettung des Fleiſches benutzen. Wir unſererſeits brieten das Wildpret in europäi - ſcher Weiſe, und ich darf wohl verſichern, daß ich ſelten ſchmackhafteres Fleiſch genoſſen habe; zumal die aus den Lenden geſchnittenen und ſaftig gebratenen Fleiſchſtückchen waren ausgezeichnet. Außer dem Menſchen dürfte der erwachſene Kudu nur wenige Feinde haben. Daß ſich König Leu, welcher den wilden Büffel niederſchlägt, vor dem ſcharfſpitzigen Schraubengehörn des Kudu nicht fürchtet, unterliegt wohl kaum einem Zweifel; vor dem Leoparden, dieſem Hauptjäger aber, iſt der ſtarke, wehrhafte Bock und ſelbſt das Altthier wahrſcheinlich geſichert, und die Wildhunde kommen ebenfalls ſchwerlich zum Ziele. Dagegen ſoll der Agaſeen einen anderen Feind haben, welcher ihn ſehr be - läſtigt. Ein deutſcher Kaufmann in Maſſaua überließ mir ein Kudugehörn, welches ſich durch eigenthümliche lederartige Anhängſel auszeichnete, mit den Worten: Schneiden Sie die Auswüchſe nicht ab; denn dieſe ſah ich ſchon an den Hörnern, als ich die Antilope erlegt hatte. Wie die ge - naue Unterſuchung ergab, waren die ſonderbaren Zotteln nichts Anderes, als Geſpinnſte einer Wespenlarve, welche den hornigen Theil der Stange bis auf den Knochenkern durchbohrt und das544Die Antilopen. Der Kudu. Der Blaubock.durch ſie verurſachte Loch außen überſponnen hatte. Jch gebe Dies mit allem Vorbehalt, weil ich vielleicht getäuſcht wurde, d. h. weil das Kerbthier ſich erſt nach dem Tode des Agaſeen das Gehörn zum Wohnſitz erkoren haben könnte: ſo viel aber iſt ſicher, daß beide Stangen ihrer Wurzel ein Mal zahlreich von einem wespenartigen Thiere bevölkert geweſen ſind. An anderen Gehörnen dieſer und der übrigen Antilopen oder überhaupt der ſcheidenhörnigen Thiere habe ich Aehnliches nie geſehen, und deshalb ſcheint mir Obiges immerhin der Aufzeichnung werth.

Jung eingefangene Kudus werden ſehr zahm. Anderſon, welcher ein kleines Kalb fing, rühmt es als ein niedliches, ſpielluſtiges und zutrauliches Geſchöpf. Das kleine Ding war, als man es erlangte, noch ſo zart, daß man ihm die Milch aus einer Flaſche reichen mußte, welche man mit einem leinenen Pfropfen leicht verkorkt hatte. Bald aber gewöhnte ſich der Pflegling ſo an ſeinen Herrn, daß er zu einem vollſtändigen Hausthiere wurde. Am Kap würde man unzweifelhaft ſchon Verſuche gemacht haben, Kudus zu zähmen und für die Haushaltung zu verwenden, hätte man nicht in Erfahrung gebracht, daß ſie der furchtbaren Pferdekrankheit , welche ſoviele ſüdafri - kaniſche Thiere dahin rafft, unterworfen ſind und ihr faſt regelmäßig erliegen.

Nach Europa iſt der Kudu bisjetzt nur einige Mal lebend gekommen, und noch heutigen Tages, wo für die Thiergärten ſoviel Wild oft auf unbegreifliche Weiſe gefangen wird, gehört er zu den größten Seltenheiten.

Schließlich verdient noch erwähnt zu werden, daß die Araber die männlichen und weiblichen Ku - dus als verſchiedene Thiere anſehen und deshalb auch mit beſonderen Namen bezeichnen. Der Bock wird in der Gegend von Maſſaua Garrea (zu Deutſch: der Kühne), das Altthier dagegen Nel - let (zu Deutſch: die Gewandte oder Starke) genannt.

Einige ſehr große Arten unſerer Familie ſind zu der Gruppe der Säbel - oder Pferde - antilopen (Aegocerus) vereinigt worden. Sie zeichnen ſich durch ein bockartiges Gehörn aus, welches beide Geſchlechter tragen. Der ziemlich lange Schwanz endigt in eine ſtarke Quaſte. Die Thränengruben werden durch einen Haarbüſchel gewiſſermaßen erſetzt. Klauendrüſen und Weichen - gruben fehlen. Das Weibchen hat zwei Zitzen. Hiermit iſt die Kennzeichnung der Gruppe gegeben; nicht ſo leicht aber iſt es, die hierher gehörigen Arten zu beſtimmen. Es herrſcht über ſie noch großer Streit unter den Naturforſchern.

Unſere Abbildung zeigt uns den Blaubock der holländiſchen Anſiedler (Aegocerus leuco - phaeus), eins der ſtärkſten und ſchönſten Mitglieder der ganzen Familie. Jhm ſehr ähnlich ſind noch einige andere Arten, welche gewöhnlich vereinigt werden, ob mit Recht oder Unrecht, laſſen wir dahingeſtellt. So nimmt man an, daß die ſchwarze Säbelantilope (Aegocerus niger) nur ein Blaubock in ſeiner Sommertracht und die ſogenannte Pferdeantilope (Aegocerus equinus) blos eine Spielart des Blaubocks wäre. Der Grund der widerſprechenden Anſicht mag hauptſächlich darin zu ſuchen ſein, daß genaue Nachrichten über die betreffenden Thiere uns faſt gänzlich fehlen und daß nur die reichhaltigſten Muſeen die betreffenden Antilopen wirklich beſitzen. Am Kap der guten Hoffnung, von wo aus früher die meiſten ſüdafrikaniſchen Wiederkäuer nach Europa gelangten, iſt durch die Ausbreitung der Anſiedelungen dem Wildſtand ſoviel Abbruch gethan worden, daß viele Arten, und ſo auch der Blaubock, vollſtändig dort ausgerottet ſind. Selbſtverſtändlich häufen ſich die Schwierigkeiten des beobachtenden Naturforſchers, je ſeltener ein Thier wird und je entfernter es von den bewohnten Orten lebt. Die Pferdeantilopen ſcheint bisher gar kein Forſcher in ihrem Freileben beobachtet zu haben, und ſo bleibt Nichts übrig, als ſich auf die Berichte der beſſeren Jäger zu verlaſſen. Dieſe nun unterſcheiden die betreffenden Thiere ſehr genau, und verdienen deshalb unzweifelhaft mehr Glauben, als die Balgkundigen. Gerade bei den Antilopen iſt die Färbung eine ſehr beſtändige, nur545Der Blaubock.geringen Aenderungen unterworfene. Das milde Klima, in welchem die Thiere leben, beeinflußt den Haarwechſel außerordentlich wenig: es verlangt eigentlich keine beſonderen, dem Wandel der Jah - reszeiten entſprechenden Kleider. Ausartungen ſind aber auch ſelten; denn es hat ſich durchgängig gezeigt, daß zwei Antilopen, welche bis auf einen kleinen Farbenunterſchied einander ähnlich ſind, doch verſchiedenen Arten angehören. Somit unterliegt es für mich keinem Zweifel, daß auch unſere Gruppe aus mehr Arten beſteht, als Einige anzunehmen geneigt ſind.

Uns genügt es übrigens vollſtändig, wenn wir eine Art etwas genauer betrachten; denn leider wiſſen wir bisjetzt über das Leben der ſchönen Geſchöpfe ſoviel als Nichts. Der Blaubock iſt eine Antilope von 6 Fuß Länge und 4 Fuß Höhe. Sie trägt ſäbelartig nach hinten und etwas nach außen gebogene Hörner, welche 20 bis 30 Mal geringelt und ihrer Krümmung nach gemeſſen

Der Blaubock (Aegocoerus leucophaeus).

20 bis 22 Zoll lang ſind. Die Geſtalt des Thieres iſt ſehr ſtämmig, aber doch verhältnißmäßig zierlich gebaut. Der Blaubock macht den Eindruck eines kräftigen, ausdauernden Geſchöpfes, und hierin ſtimmen denn auch alle Berichte über ſeine Lebensweiſe überein. Am Halſe verlängert ſich das Haar zu einer Mähne und längs des Oberhalſes und Rückens zu einem Kamme. Seine Färbung iſt ein bläuliches Silbergrau, von welchem die blendend weiße Geſichtsgegend, der Unterleib und die Jnnenſeite der Schenkel ſcharf abſtechen. Die kahle Naſenſpitze und ein Fleck über den Augen ſind ſchwarz; die Schwanzquaſte beſteht aus grauen und ſchwärzlichen Haaren. Bei recht ſtarken Böcken iſt das Gehörn bis achtundzwanzig Mal geringelt und erreicht dann eine Länge von mehr als drei Fuß im Bogen.

Aus den uns bisher zugegangenen Nachrichten über die Lebensweiſe dieſer Thiere können wir nur Folgendes entnehmen. Die Pferdeantilopen bewohnen ganz Südafrika mit Ausnahme des Kap -Brehm, Thierleben. II. 35546Die Antilopen. Der Blaubock. Der eigentliche Waſſerbock.landes, wo ſie faſt gänzlich ausgerottet ſind. Wie weit ſie nach Norden hin ſich verbreiteten, iſt nicht mit Beſtimmtheit ermittelt worden. Jn alten Zeiten ſollen ſie im Kaplande häufig geweſen ſein. Der letzte Blaubock im Gebiet der Anſiedelung wurde ſchon vor mehr als ſechzig Jahren erlegt. Geſellig, wie die anderen Antilopen, leben auch unſere Thiere in kleinen, nur aus höchſtens zehn bis zwölf Stück beſtehenden Trupps zuſammen. Alle Bewegungen verrathen Kraft und Ausdauer. An Sinnesſchärfe und Verſtand ſtehen die Pferdeantilopen durchaus nicht hinter den Verwandten zurück.

Zu ihren Eigenthümlichkeiten gehört, daß die Böcke immer die Leitung übernehmen, niemals die Altthiere. Der wachſame Anführer benachrichtigt bei Gefahr ſeine Herden durch ein Schneuzen, darauf hin ſammelt ſich augenblicklich Alles um ihn, und dahin geht’s in wilder Flucht. Die Brunſt beginnt gegen das Ende der Regenzeit. Sie würde den Jägern die beſte Gelegenheit geben, gute Beute zu machen, falls er dieſe brauchen könnte: denn gerade zur Brunſtzeit verbreiten die Männchen einen ſo durchdringenden Bockgeruch, daß nicht einmal eine Hottentottenzunge ſich mit dem Fleiſche befreunden mag. Mit Beginn der nächſtjährigen Regen, alſo zur Zeit des dortigen Frühjahres, ſetzt das alte Thier ein Junges, welches von beiden Eltern geführt und nöthigenfalls beſchützt wird. Die Eingeborenen Weſtafrikas verſichern ganz ernſthaft, daß dieſe Antilopen nur ein Mal während ihrer Lebenszeit der Mutterfreuden genießen könnten, weil ſofort nach der Geburt die Säbelhörner des Weibchens un - glaublich ſchnell wüchſen, ſchließlich hinten in den Rücken eindrängen und mehr und mehr ſich ver - längerten, bis ſie endlich das arme Thier geradezu erdolchten.

Die Jagd der Säbelantilopen ſoll wegen ihrer Vorſicht und Schnelligkeit äußerſt ſchwierig ſein. Bei Gefahr gehen die Böcke, wie die Buſchmänner behaupten, dreiſt auf ihren Gegner los und wiſſen ihre Hörner dann in gefährlicher Weiſe zu gebrauchen. Die Eingeborenen fangen die Pferdeanti - lopen wie alle anderen Wiederkäuer in Fallgruben. Gordon Cumming ſpricht von ihr, oder beſſer von der ſchwarzen Antilope, mit Begeiſterung. Während ich durch den Wald galoppirte, ſagt er, erblickte ich eins der ſchönſten Thiere, welches die Schöpfung hat: einen alten Bock der ſchwarzen Antilope. Es iſt das ſtattlichſte und ſchönſte Thier in Afrika. Sie war die erſte, welche ich erblickte, und nie werde ich die Empfindung vergeſſen, welche ſich meiner bei dieſem, für einen Jäger ſo ergreifenden Anblick bemächtigte. Der Bock ſtand mitten unter einer Herde Pallahs, uns gerade im Wege, hatte uns aber unglücklicherweiſe entdeckt, ehe wir ihn ſahen. Jch rief meine Meute und lief ihm nach; der Tag war aber ſchwül und heiß, und die Hunde hatten keinen Muth mehr. Da mein Pferd keins von den beſten war, blieb ich bald zurück, und das ſchöne Thier war ſchnell aus meinem Bereich hinaus und entſchwand meinen Augen für immer. Vergebens verſuchte ich die Nacht zu ſchlafen, denn das Bild dieſer Antilope ſchwebte mir noch immer vor.

A. Smith, einer der eifrigſten Forſcher der ſüdafrikaniſchen Thierwelt, vereinigt unter dem Namen der Waſſerböcke mehrere große Antilopen, welche ſich durch ſtarke, in ſanften Bogen erſt rück - und auswärts, dann auf - und vorwärts gebogene, geringelte Hörner, Klauendrüſen und lange Schwanzquaſte auszeichnen ſollen.

Eine der hierher gehörigen Arten iſt der eigentliche Waſſerbock (Kobus ellipsiprymnus), ein hirſchgroßes Thier von 6 bis 7 Fuß Leibes - und 1⅔ Fuß Schwanzlänge bei Fuß Kreuzhöhe. Die Hörner, welche an der größten Krümmung einen Fuß, an der Spitze aber nur etwa acht Zoll von einander abſtehen, ſind über Fuß lang. Das Haarkleid iſt grau gefärbt, nur die Spitzen der Haare ſind braun und vor dieſer Spitze ein oder mehre Mal geringelt. Am Kopf, Rumpf, Schwanz und Schenkel iſt Gelbroth oder Rothbraun vorherrſchend; die Augenbrauen, ein ſchmaler Streifen unter dem Augenlide, die Oberlippe, Muffel, die Halsſeiten und eine ſchmale Binde an der Kehle ſind weiß. Eine weißliche Binde verläuft auch über den hinteren Theil der Schenkel, vom547Der eigentliche Waſſerbock.Kreuz an nach vorn und unten, elliptiſch gebogen. Das Haar iſt grob und drahtartig, nur auf der Kopffirſt, den Lippen, der Außenfläche der Ohren und den Läufen kurz und dicht, ſonſt lang und zottig. Die Hörner ſind walzig, an der unteren Hälfte 12 bis 20 Mal ſtark geringelt, an der Spitze glatt. Das Weibchen iſt bläſſer und zarter gebaut.

Der Waſſerbock iſt eine der ſchweren Antilopen; ſeine Geſtalt iſt faſt plump, jedoch nicht un - zierlich. Die Ohren ſind groß und breit, die Augen ſehr lebhaft, ausdrucksvoll, Selbſtändigkeit des Weſens, ja faſt Wildheit widerſpiegelnd. Smith fand ihn nördlich des Kuruman in kleinen Her - den von 8 bis 10 Stück, welche ſich an den Ufern der Ströme hielten. Unter jedem Rudel ſah man höchſtens zwei oder drei Böcke, von denen nur ein einziger völlig erwachſen war. Die übrigen

Der eigentliche Waſſerbock (Kobus ellipsiprymnus).

Böcke ſchienen von der Geſellſchaft abgeſchlagen worden zu ſein; doch behaupten die Eingeborenen, daß es überhaupt mehr Geiſen, als Böcke gäbe, weil weit mehr Thier - als Bockkälber ge - ſetzt würden.

Die Waſſerböcke ſehen, wenn ſie weiden, etwas unbehilflich aus; ſobald ſie aber aufgeregt werden, nimmt ihre Geſtalt etwas ſehr Stattliches und Zierliches an. Sie heben den Kopf dann hoch und gewinnen ein lebhaft geiſtvolles Anſehen. Wenn der Leitbock wirklich Gefahr wittert, eilt er in ſauſendem Galopp dahin, und das ganze Rudel jagt hinter ihm drein. Gewöhnlich geht die Flucht nach dem Waſſer zu, und, wenn der Verfolger das Wild ängſtlich gemacht hat, ſtürzt ſich die ganze Herde mit einem Male plumpend in die Wellen, gleichviel, ob das Gewäſſer ein ruhig ſtehen -35 *548Die Antilopen. Die Steppenkuh.des iſt, oder ein reißender, tiefer Strom. Wahrſcheinlich ſind die Waſſerböcke gewöhnt, vor ihrem Erzfeinde, dem Löwen, dieſe Art der Flucht zu ergreifen; im Waſſer ſind ſie natürlich vor der grim - migen Katze ganz geſichert. Sie entfernen ſich auch niemals von den Ufern der Flüſſe und Seen. Jhre Aeßung beſteht theils in Sumpf - und Waſſerpflanzen, theils aber in dem ſaftigen Graſe, wel - ches in allen Niederungen Südafrikas ſich findet.

Die Eingeborenen laſſen die Waſſerböcke gewöhnlich in Frieden. Das Fleiſch iſt zähe, faſerig und hat einen höchſt unangenehmen, bockartigen Geruch, welcher ſelbſt dem hungrigen Kaffer wider - ſteht. Kapitän Harris fand das von ihm erlegte Thier gänzlich ungenießbar und verſichert, daß er durch den ſtarken Geſtank manchmal geradezu von ſeiner Beute verjagt worden und nicht im Stande geweſen wäre, das erlegte Wild abzuhäuten.

Bekannter als dieſe vor wenig Jahren erſt entdeckte Antilope ſind die ſchon ſeit uralten Zeiten berühmten Spießböcke (Oryx), deren eine Art auf den alten Denkmälern in Egypten und Nubien ſo häufig abgebildet wurde. Man ſieht hier den Oryx in den manchfaltigſten Stellungen, oft auch in Farben ausgeführt, gewöhnlich mit einem Strick um den Hals, zum Zeichen, daß man ihn gejagt und gefangen hat. Jn den Gemächern der großen Piramide Cheops ſieht man daſſelbe Thier, zu - weilen nur mit einem Horne dargeſtellt, und hierauf wollen einige Naturforſcher die Behauptung gründen, daß der Oryx zur Sage von dem Einhorne Veranlaſſung gegeben habe, während unter dem Reem der Bibel oder dem Einhorn doch entſchieden nur das Nashorn gemeint ſein kann. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß die Alten die kapiſche Spießantilope gar nicht kannten, ſondern nur die in Nubien lebende Steppenkuh (Oryx leucoryx) und die Beiſa (Oryx Beisa), welche Rüppell auf ſeiner Reiſe nach Abiſſinien wieder auffand, mit dem Namen Oryx bezeichneten. Von dieſem Oryx erzählen ſich die Alten wunderbare Dinge. Sie behaupten, daß er ebenſo wie die Ziegen - herden den Aufgang des Sirius erkenne, ſich dieſem Geſtirn entgegenſtelle und es gleichſam anbete, daß er Waſſer trübe und verunreinige und deshalb den egyptiſchen Prieſtern verhaßt wäre, daß er ſein Gehörn beliebig wechſeln könne und bald deren vier, bald nur zwei, bald gar nur eins trage und dergleichen mehr. Bemerkenswerth iſt noch, daß die Leiern der griechiſchen Sänger aus Oryxhörnern verfertigt waren.

Die nubiſche Art (Oryx leucoryx) iſt etwas zierlicher gebaut, als die kapiſche, immer noch aber ein im Vergleich zu anderen Antilopen ziemlich plumpes Geſchöpf. Jhre gewaltigen Hörner zeichnen ſie vor den übrigen zu dieſer Gruppe gehörigen Antilopen ſo aus, daß ſie höchſtens mit einer Art, mit der im Weſten Afrikas lebenden Vertreterin, verwechſelt werden kann. Die Hörner ſind unge - wöhnlich lang, nämlich über halb ſo lang, als der Leib, bei ſtärkeren Böcken Fuß lang und 26 bis 40 Mal geringelt, an der Wurzel bis 2 Zoll dick, von da faſt gleichförmig gegen die glatte Spitze hin abnehmend. Sie ſtehen an der Wurzel ziemlich nahe zuſammen und biegen ſich von da gleichmäßig nach außen und in einen ſehr flachen Bogen nach unten. Das Haarkleid iſt kurz, grob, dicht und glatt anliegend; nur längs des Rückgrats und der Nackenfirſte verlängert es ſich ein wenig. Die Farbe iſt ein ziemlich gleichmäßiges Gelblichweiß, welches auf der Unter - und Jnnen - ſeite der Beine heller, am Halſe dagegen durch Roſtfarben erſetzt wird. Sechs Flecken von matt - brauner Farbe ſtehen am Kopfe, und zwar einer zwiſchen den Hörnern, zwei zwiſchen den Ohren, zwei andere zwiſchen den Hörnern und Augen und der ſechſte endlich als Streifen auf dem Naſen - rücken. Alte Böcke erreichen eine Länge von reichlich ſechs Fuß und eine Schulterhöhe von vier Fuß. Sehr nahe ſteht dieſer Antilope ein mehr dem Weſten angehöriger Oryx, in welchem einige Forſcher eine beſondere Art (Oryx bezoarticus) erkennen wollen.

549Die Steppenkuh. Der Paſſan oder der kapiſche Oryx.

Der Paſſan oder der kapiſche Oryx (Oryx Gazella) iſt noch größer und plumper. Seine Leibeslänge beträgt bis 7 Fuß, die Schwanzlänge Fuß, die Höhe am Widerriſt etwa 4 Fuß, die Hörner ſind faſt 3 Fuß lang. Das Thier unterſcheidet ſich von dem nubiſchen Oryx durch ſeine ſchnurgeraden, ſchief nach hinten und außen aufſteigenden Hörner, welche im unteren Drittel bis zwanzig Mal ſtark geringelt, an der Spitze glatt und ſcharf ſind. Die Hörner des Weibchens ſind kleiner und ſchwächer, auch weniger zahlreich geringelt. Der Pelz liegt dicht und glatt an und beſteht aus kurzen, ſtraffen Haaren, welche, mit Ausnahme eines aufrecht ſtehen - den, faſt mähnenartigen Haarkammes am Oberhals und eines anderen Büſchels langer, borſtiger Haare am Unterhals, überall ſo ziemlich gleich lang ſind. Nach den Jahreszeiten iſt die Grund -

Die Steppenkuh (Oryx loucoryx).

färbung verſchieden. Jm Sommer ſind Hals, Nacken, Rücken und die Seiten gelblichweiß, der Kopf, die Ohren, die unteren Glieder und der obere Theil der Hinterſchenkel, die Bruſt und der Bauch reinweiß. Alle übrigen Theile des Leibes aber ſind dunkelſchwarzbraun gefärbt. Am Kopfe iſt die Zeichnung faſt halfterartig; ſchon aus einiger Entfernung betrachtet, ſieht der Paſſan (oder auch die Beiſa) aus, als wäre ſie gezäumt. Die Nackenmähne iſt ſchwarzbraun und geht in einen gleich - gefärbten Streifen über, welcher ſich nach dem Kreuze zu immer mehr ausbreitet und dort einen großen, rautenförmigen Fleck bildet. Ein anderer Streifen verläuft von der Kehle zur Bruſt hin. Jm Winter ändert die Grundfärbung des Leibes ſich ins Bläulichaſchgraue, und nur der Hinkerkopf, Hals und Rücken ſind dann roth überflogen.

550Die Antilopen. Die Beiſa.

Dieſer ſchönen, großen Antilope ganz gleich gebaut, aber anders gefärbt, iſt die Beiſa. Bei ihr iſt Alles, was bei dem Paſſan röthlich oder bläulich iſt, lichtgelb, und der Kopfzaum läuft nicht ganz über das Maul weg. Die Beiſa iſt es wahrſcheinlich, welche auf den Tempeln in Kalabſche in Unternubien dargeſtellt iſt, dieſelbe, welche die Alten eigentlich mit dem Namen Oryx bezeichneten, denn die Beſchreibung, welche Oppian hiervon gibt, paßt ſehr wohl auf ſie. Jhre Farbe iſt gleich der Milch des Frühlings; nur im Geſicht hat ſie ſchwärzliche Backen .

Alle drei oder vier Oryxböcke bewohnen die dürrſten und waſſerärmſten Stellen Afrikas. Der Paſſan oder der Gemsbock der Anſiedler am Kap lebt in Südafrika, die Beiſa in Abiſſinien, der Oryx mehr im Norden und in der Mitte.

Der Gemsbock, ſagt Gordon Cumming, ſcheint von der Natur dazu beſtimmt, die trockenen Karoos des heißen Südafrikas zu bevölkern, für welche er ſich ſeiner Natur nach vortrefflich eignet. Er gedeiht in unfruchtbaren Gegenden, wo man glauben ſollte, daß darin kaum eine Heu - ſchrecke Nahrung finde, und iſt, trotz der Glut ſeiner Heimat, doch völlig unabhängig vom Waſſer. Er koſtet dies, wie ich nach meiner Beobachtung und der wiederholten Behauptung der Bauern über - zeugt bin, niemals, auch wenn er es haben würde. Unter ganz ähnlichen Umſtänden leben die nördlichen Arten, obwohl ſie durchaus nicht Waſſerverächter ſind, wie der Paſſan. Allerdings trifft man die ſtattlichen Thiere, welche ſich ſchon von weitem durch ihre gewaltige Größe auszeichnen, oft auch in den heißen, waſſerloſen Steppen Südnubiens und Kordofahns an, ohne daß man begreift, wo ſie ihren Durſt löſchen könnten. Allein an denſelben Orten leben auch noch eine Menge andere Thiere, welche Waſſer trinken, und die Oryxböcke verſchmähen das Waſſer wenigſtens in der Ge - fangenſchaft nicht.

Man ſieht die Oryxantilopen gewöhnlich paarweiſe oder in ſehr kleinen Trupps, häufig auch nur eine Mutter mit ihren Jungen. Die Haltung der Thiere hat etwas ſehr Anſtändiges, Statt - liches, obwohl der Bau nicht gerade geeignet iſt, einen angenehmen Eindruck zu machen. Höchſt ſelten rudeln ſich ſtarke Geſellſchaften zuſammen, und ſolche von zweiundzwanzig Stücken, wie ſie Gordon Cumming ſah, mögen wohl nur ausnahmsweiſe ſich vereinigen. Jn den unbevölker - ten Gegenden ſind die Oryxböcke nirgends ſelten, aber ſie ſind auch nirgends häufig und dabei immer ſo ſcheu und furchtſam, daß man die wenigſten von denen, welche da ſind, überhaupt zu ſehen bekommt. Sie fliehen, ehe der Reiter an ſie herankommt. Nach meinen Beobachtungen meiden ſie den Wald ſo viel als möglich; in Kordofahn halten ſie ſich nur in der Steppe auf. Dort gibt ihnen die ſo reichliche Pflanzenwelt hinlängliche Nahrung, und wenn dann die Zeit der Dürre und Armuth, der Winter kommt, haben ſie ſich ſo viel Feiſt zugelegt, daß ſie ſchon eine Zeit lang auch mit magerer Koſt, mit ausgedörrten Halmen und blätterloſen Zweigen vorlieb nehmen können. Nur einzelne Mimoſen - büſche bieten ihnen dann noch friſchere Aeßung. Beim Weiden recken ſie ihren Hals hoch empor, ſtemmen ſich auch wohl mit den Vorderhufen gegen den Stamm an, um höher hinauflangen zu können. Die ſüdafrikaniſchen ſollen, wie engliſche Jäger berichtet haben, zur Zeit der Dürre nach der ſoge - nannten Waſſerwurzel, einer in jenen Gegenden häuſigen und werthvollen lilienähnlichen Pflanze, graben, welche die Feuchtigkeit unter ihrer feſten Hülle lang erhält.

Die Oryxböcke ſind ſchnell. Jhr Schritt iſt leicht, ihr Trab hart, ihr Galopp ſehr ſchwer, aber ausdauernd und gleichmäßig fördernd. Nur die beſten Pferde ſind im Stande, ihnen zuweilen nach - zukommen und die Araber der Bahiuda, welche ausgezeichnete Roſſe beſitzen, wie die Bakhara machen ſich ein beſonderes Vergnügen daraus, die Schnelligkeit ihrer Pferde in dem Laufe des Oryx zu erproben und ſtechen dieſen dann, ſowie er ſich im letzten Augenblicke der Gefahr gegenüberſtellt, die Lanzen an den Hörnern vorüber von oben in die Bruſt. Mit andern Antilopen ſcheint ſich wenig - ſtens die Oryxgemſe des Kaplandes zu vertragen, da man ſie oft mit der großen Kanna oder Kuhantilope in vollſter Eintracht weiden ſieht. Der eigentliche Bock iſt, wie ich ſelbſt beobachtet habe, ein im höchſten Grade unverträgliches Geſchöpf, welches andere Thiere im Anfall ſchlechter Laune oft arg mißhandelt. Man muß dieſen Thieren überhaupt nachrühmen, daß ſie, ſo ſcheu ſie551Die Beiſa.auch ſein mögen, doch keineswegs die Furchtſamkeit anderer Antilopen zeigen, ſondern eher etwas vom Weſen des Stiers haben. Gereizt gehen ſie mit großer Wuth auf den Angreifer los und ſuchen ihn in boshafter Weiſe zu verletzen. Gegen den anlaufenden Hund wiſſen ſie ſich ſehr geſchickt zu ver - theidigen; ſie biegen den Kopf vor und ſchlagen in ſchnellen Wendungen nach rechts und links mit ſolcher Kraft aus, daß ſie einem Hunde ihre Hörner durch den ganzen Leib rennen, wenn jener nicht geſchickt ausweicht. Lichtenſtein erzählt, daß einer ſeiner Begleiter in der großen Karu das Geripp eines Panthers und einer Oryxgemſe neben einander liegen fand. Der Bock hatte ſeinen ge - fährlichen Feind mit einem Hornſtoße getödtet, war aber ſelbſt den Wunden erlegen. Jn Wood’s Jlluſtrated Natural-Hiſtory wird ſogar behauptet, daß unter Umſtänden dem Löwen ein gleiches Schick - ſal werde, und dieſe Angabe iſt ſo unbegreiflich nicht, als ſie wohl ſcheinen mag. Jm Augenblick großer Gefahr ſtellt ſich der Oryx nicht nur den Hunden, ſondern auch dem Menſchen gegenüber, und dann heißt es vorſichtig zu Werke gehen, wenn man nicht durch und durch gerannt ſein will. Gor - don Cumming entkam, wie er erzählt, nur dadurch dem Tode, daß der auf ihn anrennende Oryx wenige Schritte vor ihm, von Blutverluſt erſchöpft, zuſammenbrach.

Ueber die Fortpflanzung im Freien fehlen noch ausführliche Berichte; an Gefangenen (Oryx leu - coryx) hat Weinland beobachtet, daß die Tragzeit 248 Tage in Anſpruch nimmt.

Die Jagd auf alle Oryxantilopen wird nur zu Pferde betrieben. Cumming beſchreibt eine in ſehr lebhafter Weiſe und erzählt dabei, daß er den ganzen Tag einer bereits verwundeten Antilope nachgeritten ſei, bis endlich das Thier nicht mehr weiter konnte. Die Hottentotten wagen nicht, ein - zeln Gemsböcke anzugreifen oder zu verfolgen, weil dieſe ſich augenblicklich gegen ſie wenden. Auch Hunden gegenüber vertheidigt ſich das Thier in kräftigſter Weiſe und ſchlägt mit ebenſoviel Geſchick und Kraft rechts und links um ſich, bis es ſich von ſeinen Angreifern befreit hat. Ob dieſe Angabe der Wahrheit entſpricht, laſſe ich dahin geſtellt ſein. Für die Beiſa gilt ſie nicht weniger nur theil - weiſe. Jch ſah dieſes ſchöne Thier zweimal im März 1862 und zwar in der ſchon mehrfach genann - ten Samhara, das erſte Mal einen einzelnen Bock, das zweite Mal einen Trupp von ſechs Stücken. Der eine Bock wie der Trupp entflohen ſchon aus großer Entfernung vor uns. An den Trupp ver - ſuchten wir uns anzuſchleichen; allein eine Biegung des Waſſergrabens, welcher uns vollſtändig barg, brachte uns in den Wind und augenblicklich ſetzten die Thiere ſich in Bewegung. Die Beiſa bewies mir dadurch, daß ſie eben ſo ſcharf windet, als das Renthier: denn wir waren noch immer 500 Schritt von ihr entfernt geweſen. Durch Zufall kam derſelbe Trupp mir eine halbe Stunde ſpäter auf 70 Schritt zum Schuß, und nur ein ganz beſonderes Jagdunglück machte, daß ich den erwählten Prachtbock nicht zuſammenſchoß: ich hatte vergeſſen, daß ich den Schrotlauf meines Wenders gerade oben hatte, feuerte dem ſtolzen Gewilde eine Ladung Schrot aufs Blatt, und wurde durch den Nicht - erfolg meines Schuſſes ſo verdutzt, daß ich gar nicht ans Wenden dachte. Obgleich der Bock verwun - det war, wandte er ſich doch nicht gegen mich, wie nach Rüppell zu vermuthen geweſen wäre, ſondern trollte mit den anderen ziemlich langſam und ſtumm davon. Eigentlich flüchtig habe ich das Thier leider nicht geſehen und bedauere Dies aufrichtig, weil keine andere Antilope einen prachtvolleren An - blick gewähren ſoll, als der fliehende Oryxbock. Man trifft ihn nicht ſelten unter anderen Antilopen - herden, wo er ſich die Führerſchaft erkämpft hat. Sobald er merkt, daß er verfolgt wird, ſtößt er, wie man erzählt, ein heftiges, durchdringendes Geſchrei aus, hebt den Kopf vor, ſo daß die Hörner auf den Rücken zu liegen kommen, ſtreckt den Schwanz gerade von ſich und eilt nun in wilder Jagd über die Ebene dahin, Alles, was ihm in den Weg kommt, vor ſich niederwerfend oder durchbohrend. Ueber Büſche, die ihn hindern wollen, ſchnellt er mit einem einzigen gewaltigen Satze hinweg; durch die Herden der Zebras bricht er hindurch, Straußenherden jagt er in die tollſte Flucht. Erſt nach vielſtündiger Verfolgung iſt es möglich, in ſchußgerechte Entfernung von ihm zu kommen; denn er hält auch dann noch die Verfolgung aus, wenn er vom Schweiße trieft und die Jäger bereits mehrmals ihre erſchöpf - ten Roſſe gewechſelt haben.

552Die Antilopen. Die Beiſa. Die Mendesantilopen.

Die Nomaden der Steppe fangen ab und zu eine der bei ihnen lebenden Arten und bringen ſie in die Stadt, um ſie den Vornehmen des Landes oder den Europäern zum Kauf anzubieten. Auf dieſe Weiſe habe ich während meines Aufenthalts in Afrika mehrere erhalten. Jch kann die Gefange - nen nicht beſonders rühmen. Sie ſind träge, langweilig und unverträglich. Die Gefangenſchaft halten ſie leicht aus; ſie lernen auch ihren Pfleger kennen und gewöhnen ſich an ihn; niemals aber darf er ihnen ganz trauen, weil ſie ihre Hörner zuweilen, gleichſam des Spaßes wegen, in höchſt gefährlicher Weiſe zu gebrauchen pflegen. Mit anderen Thieren darf man ſie nicht zuſammenhalten: ſie bemäch - tigen ſich in kurzer Zeit der Herrſchaft über das andere Vieh und mißhandeln daſſelbe in abſcheulicher Weiſe. Auch unter ſich fangen ſie ab und zu einmal Streit an und ſtoßen ſich dann recht tüchtig. Dabei ſind ſie ſtörrig und laſſen ſich nur mit größter Mühe fortſchaffen. Noch heute gedenke ich eini - ger Tage meines Reiſelebens mit wahrem Unmuthe. Wir hatten ein Thier der nubiſchen Art (Oryx leu - coryx) in Obëid erhalten und wollten daſſelbe gern mit nach Chartum nehmen. Das Einfachſte würde natürlich geweſen ſein, es an den Hörnern zu binden und neben dem Kamele laufen zu laſſen, allein das gute Thier wollte nicht mit uns ſpazieren, und die Araber verſicherten einſtimmig, daß das junge Rind der Steppe noch gar nicht marſchfähig wäre. Jetzt erhielt einer unſerer Diener den Auftrag, das große unbehilfliche Geſchöpf mit ſich auf das Kamel zu nehmen. Ein Teppich wurde zu dieſem Zwecke der Antilope um den Leib geſchnürt und dann am Sattel befeſtigt. Der Oryx ſchien über dieſe Art der Fortſchaffung äußerſt entrüſtet zu ſein und ſtieß den Diener und das Kamel mit ſeinen ſpitzen Hörnern. Das Reitthier, welches anfänglich blos murrte, bekam endlich eine ſo ungewohnte Behandlung ſatt und ging durch. Nun verſuchte ich, die Antilope weiter zu ſchaffen, und bekam anſtatt unſeres Ali die Hornſtöße. Es wurde ein erneuter Verſuch gemacht, das Steppen - rind zum Gehen zu bringen; doch er ſcheiterte an deſſen Störrigkeit. Nochmals wurde das Thier aufs Kamel gebracht, und ſchon glaubte ich, daß jetzt Alles gut gehen würde, als der Oryx plötzlich aus ſeiner Umhüllung herausſprang und mit raſchen Schritten davon eilte. Wir ſetzten ihm nach, waren aber nicht im Stande, ihn wieder zu erlangen. Er fühlte ſeine Freiheit viel zu ſehr, als daß er ſich von neuem in unſere Gewalt begeben hätte.

Jn der Neuzeit iſt die nubiſche Säbelantilope oft nach Europa gekommen und hat ſich in den Thiergärten recht wohl erhalten, ſich auch ohne beſondere Schwierigkeiten hier fortgepflanzt. Weit feltener ſieht man den Paſſan und noch viel weniger die Beiſa, welche gegenwärtig noch den meiſten Muſeen fehlt.

Man benutzt Fleiſch und Fell der Oryxantilope in der gewöhnlichen Weiſe. Die geraden Hör - ner des Paſſan und der Beiſa aber werden oft als Lanzenſpitzen verwendet. Man wartet, bis die Hornſchalen bei beginnender Fäulniß ſich von dem ſtarken Zapfen löſen, zieht ſie dann ab, ſetzt ſie auf gewöhnliche Lanzenſtäbe, und die Waffe iſt fertig. Die Europäer am Kap laſſen die Hörner auch wohl poliren und mit ſilbernen Knöpfen verſehen; dann gebrauchen ſie dieſelben als Spazierſtöcke.

Die Mendesantilopen (Addax) ſchließen ſich den Oryxböcken am nächſten an. Jhre leichten ſchraubenförmig oder leierförmig gewundenen, der Länge nach geringelten, ſchlanken und langen Hörner geben das einzige Unterſcheidungsmerkmal, und viele Naturforſcher reihen unſer Thier deshalb ohne wei - teres den vorigen an. Auf den egyptiſchen Denkmälern findet ſich die nubiſche Mendesantilope (Addax nasomaculatus) mehrfach dargeſtellt. Die Mendeshörner, welche den Kopf der Götterbil - der, der Prieſter und Könige des alten Egyptenlandes ſchmücken, ſind dem Gehörn dieſer Antilope nachgebildet. Von Egypten aus hat ſich der Ruhm des Thieres weiter verbreitet. Schon die alten Griechen und Römer kannten es recht gut. Plinius erwähnt es unter dem griechiſchen Namen Strepſiceros und unter dem lateiniſchen Addax, welcher letztere ſeit uralten Zeiten der Landes - name dieſer Antilope ſein muß, weil ſie heute noch von den Arabern Abu-Addas genannt wird.

553Die nubiſche Mendesantilope.

Die Mendesantilope iſt plumper und ſtärker, als die meiſten anderen ihrer Familie. Jhr Leib iſt unterſetzt, am Widerriſt merklich erhaben, am Kreuz ſehr gerundet. Der Kopf iſt geſtreckt, aber ſehr breit am Hinterhaupt. Die Beine ſind ſtark und verhältnißmäßig kräftig. Die Hörner richten ſich nach auf - und rückwärts und biegen ſich in doppelter Windung allmählich nach der Spitze von einander abweichend; von der Wurzel an umgeben ſie 31 bis 45 ſchiefe, nicht eben regelmäßig geſtellte Ringe; im letzten Drittel ſind ſie gerade und vollkommen glatt. Die Behaarung iſt dicht und mit Ausnahme einiger Körperſtellen kurz und grob. Vor der Wurzel der Hörner ſteht ein Schopf, welcher über die Stirn herabhängt; vom Ohr nach dem Hinterhaupte zieht ſich ein Streifen verlängerter Haare hinab; den Vorderhals ſchmückt eine faſt drei Zoll lange Mähne. Von der gelblich weißen Grundfärbung ſticht das Braun des Kopfes, des Halſes und der Mähne ziemlich lebhaft ab. Unterhalb der Augen verläuft eine breite Binde, und hinter den Augen, ſowie auf der Oberlippe ſtehen weiße

Die nubiſche Mendesantilope (Addax nasomaculatus).

Flecke. Die Quaſte des ziemlich langen Schwanzes beſteht aus weißen und braunen Haaren. Während der kühlen Jahreszeit geht die gelblich weiße Färbung allmählich ins Graue über. Beim Männchen iſt das Haar dunkler und die Mähne größer als beim Weibchen. Junge Thiere ſind rein weiß gefärbt.

Nur Oſtafrika iſt die Heimat der Mendesantilope. Jn den Ländern Südnubiens, zumal in der Bahiuda, ſieht man ſie zuweilen in zahlreichen Herden und häufig in kleinen Familien. Sie bewohnt auch die dürrſten Stellen, wo, nach der Verſicherung der Nomaden, weit und breit kein Tropfen Waſſer ſich findet. Wenn man dieſen Leuten Glauben ſchenken darf, iſt ſie im Stande, monatelang das Waſſer gänzlich zu entbehren. Sie iſt ſcheu und furchtſam, wie die übrigen Antilopen, behend und ausdauernd im Laufe, dennoch aber vieler Verfolgung ausgeſetzt. Unter den Thieren ſtellt ihr wohl nur der Hiänenhund oder Simir und der Karakal nach: um ſo eifriger aber verfolgen ſie die Edlen des Landes, in denen ſie lebt. Die Aſchiach oder Machthaber der Nomaden und Beduinen554Die Antilopen. Die nubiſche Mendesantilope.ſehen in ihr eines der edelſten Jagdthiere. Sie verfolgen ſie theils um ihr Fleiſch zu nützen, theils um die Schnelligkeit ihrer Pferde und Windhunde zu erproben, theils auch um Junge zu erbeuten, welche ſie dann aufziehen.

An heißen Tagen rücken die Jäger mit Kamelen und Pferden auf die Jagd aus. Eine Anzahl von Kamelen trägt das der Jagdgeſellſchaft nöthige Brodgetreide, Waſſer und Futter für die Pferde, die Zelte und Lagerbedürfniſſe, die Frauen und die weniger bei der Jagd Betheiligten. Die Männer reiten auf ſtolzen Pferden. Sobald ſich dieſe Antilopen zeigen, werden die Pferde zunächſt getränkt; dann jagt man den ſchnellfüßigen Thieren nach, bis ſie vor Mattigkeit nicht weiter können. Am eif - rigſten üben die Beduinen die Jagd aus. Sie iſt ihnen eine männliche Uebung, ein Spiel, eine Un - terhaltung. Der Werth der Antilope kommt hier nicht in Betracht: es gilt vielmehr die Gewandtheit des Mannes und die Schnelligkeit des Pferdes oder Windhundes zu zeigen. Nur die Edlen des Landes, die eigentlichen Ritter üben dieſe Jagd zu Pferde aus. Jhrer Zwölf oder Fünfzehn vereinigen ſich und nehmen ihre Diener, ihre Zelte, ihre vortrefflichen Windhunde und ihre abgerichteten Falken mit ſich hinaus. Sobald man einen Haufen dieſer Antilopen oder anderer Arten, welche dieſelben Ländereien bewohnen, ſieht, ſucht man ſich ſo weit als möglich ungeſehen dem Trupp zu nähern. Wenn man in große Nähe gekommen iſt, ſpringen die Diener von den Kamelen oder Pferden und halten den Windhunden, die ſie bisher an langen Stricken hielten, die Schnauzen zu, um ſie am Bellen zu verhindern. Dann machen ſie die klugen Thiere auf das noch fernſtehende Wild aufmerk - ſam und laſſen ſie endlich mit einem Male los. So wie Dies geſchehen, fliegen die edlen Geſchöpfe wie Pfeile über die Ebene dahin, und der ganze Reiterzug ſauft hinter ihnen drein, mit allerlei Lieb - koſungen und Befehlen die Hunde anfeuernd und aufſtachelnd. O! mein Bruder, mein Freund, mein Herr, eile, Du Schnellfüßiger, Du von einem Vogel Geborner, Du Falkengleicher, eile! Dort ſind ſie, eile, mein Liebling, laufe, Du Unübertrefflicher! So heißt es, und Schmeichelei folgt auf Drohung, Lob wechſelt mit Tadel, je nachdem der Hund die Antilope oder dieſe ihn überbietet. Die beſten Windhunde erreichen das Wild nach einer Jagd von bis 2 Meilen, die ſchlechteren müſſen vier und zuweilen ſechs Meilen weit den flüchtigen Antilopen nachjagen, ehe dieſe, erſchöpft, ſich ihnen ent - gegenſtellen.

Jn dem Augenblick, wo der erſte Hund das Rudel erreicht, wird die Jagd überaus ſpannend und anziehend. Der edle Windhund ſtürzt ſich immer auf das ſtärkſte Thier des Rudels, aber nicht blind, ſondern mit größter Vorſicht, mit unübertrefflicher Gewandtheit und wahrhaft bewunderungs - würdiger Leichtigkeit. Die Antilope verſucht dem Feinde zu entfliehen, ſchlägt Haken nach der Rech - ten, nach der Linken, wirft ſich über den Hund weg und ſpringt rückwärts. Der Kluge ſchneidet ihr jeden Weg ab und kommt ihr immer näher. Endlich ſtellt ſie ſich und weiſt das ſpitze Gehörn: doch Alles hilft ihr Nichts. Jn demſelben Augenblicke, in welchem ſie den Kopf zur Erde beugt, um ihrem Angreifer einen gefährlichen Stoß zu verſetzen, ſpringt dieſer auf ihren Nacken und reißt ſie mit we - nigen Biſſen zur Erde, entweder das Genick oder die Schlagadern durchbeißend. Wenn das Wild ge - fallen iſt, eilen die Araber mit Freudengeſchrei herbei, ſpringen von den Pferden herab und ſchneiden ihrer Beute unter dem Ausrufe: Be ism lillahi el rachmahn, el rachihm, Allahn akbar! im Na - men Gottes des Allbarmherzigen, Gott iſt größer! die Kehle durch, damit ſie ſich verblute, wie das Geſetz des Propheten es befiehlt. Fürchten ſie aber, nicht zur rechten Zeit auf dem Wahlplatze einzu - treffen, ſo rufen ſie von weitem dem Hunde die obigen Worte zu, in dem feſten Glauben, daß nur er ſeinerſeits das geſetzmäßige Schlachten beſorgen werde. Das Gleiche thun ſie auch, wenn ſie ein Thier mit der Kugel erlegen. Sie ſagen, daß ihr Geſchoß durch jene Worte das Geſetz vollſtändig erfülle.

Gegen Abend endet die Jagd. Einer der Reiter ſprengt zu den Kamelen zurück, oder gibt deren Führern den Sammelplatz an, auf welchem man übernachten will. Dann zieht Alles dorthin, und ein eigenthümliches, friſches, fröhliches Waidmannsleben erwacht in den Zelten.

555Die nubiſche Mendesautilope. Die Kanna.

Solche Jagden währen oft mehrere Wochen. Die Jäger nähren ſich von ihrer Beute; aber ge - wöhnlich iſt dieſe ſo reich, daß ſie einen Tag um den anderen immer noch ein mit Wild befrachtetes Kamel nach den Zelten ſchicken können, um auch ihren Frauen und Kindern einen Antheil ihrer Beute zukommen zu laſſen. Die Zeit der Regen iſt die geeignetſte zur Jagd aller Antilopen; denn wenn der Boden feucht iſt, kann das Wild nicht ſo ſchnell laufen, als ſonſt, weil ſich immer Klumpen von feuchter Erde oder Schlamm an ihre Hufen hängen.

Bei vielen Araberſtämmen ſieht man die Mendesantilope und die Gazelle im gefangenen Zu - ſtande. Die Schönheit der Augen dieſer Thiere iſt unter allen morgenländiſchen Völkern ſo vollſtän - dig anerkannt, daß ſchwangere Frauen Gazellen nur aus dem Grunde um ſich zu halten pflegen, um ihrer Frucht die Schönheit des Thieres einzuprägen. Sie ſetzen ſich oft lange Zeit vor das Thier hin und ſehen ihm in die ſchönen Augen, ſtreichen ihm mit den Fingern über die weißen Zähne und berüh - ren dann die ihrigen und ſagen dabei verſchiedene Sprüche her, denen ſie noch beſondere Kraft zutrauen. Am liebſten halten ſie die Gazelle. Doch ſieht man auch die Mendesantilopen hier und da in ihren Zelten. Jn den neueſten Zeiten findet man die letzteren hier und da in den Thiergärten. Sie zeigen durch ihr Betragen, wie nahe ſie mit den Oryxböcken verwandt ſind; denn ſie ſind ebenſo launiſch und unverträglich, wie dieſe. Doch kennt man auch Ausnahmsfälle. Eine, welche der Großherzog von Toskana aus Egypten erhielt, ſcheute ſich nicht im geringſten vor dem Menſchen, ließ ſich ſtreicheln und liebkoſen und leckte oft ihrem Wärter die Hand. Zuweilen wollte ſie ſpielen und wurde dabei unangenehm; denn oft zeigte ſie unverſehens die Hörner und verſuchte Den zu ſtoßen und zu ſchlagen, welcher ſie eben geliebkoſt hatte. Beim geringſten Verdachte ſpitzte ſie die Ohren und ſetzte ſich in Vertheidigungszuſtand. Auf Hunde und andere Feinde lief ſie mit zurückgeſchlagenen Hörnern ziem - lich ſchnell los, ſtemmte ſich mit den Vorderfüßen auf den Boden, wendete das Horn nach vorn und ſtieß raſch von unten nach oben; auch mit den Füßen ſchlug ſie ſowohl vor - als rückwärts. Jhre Stimme war bald ein Grunzen, bald ein ſchwaches Plärren; damit drückte ſie Verlangen nach Nah - rung aus. Heu, Hafer, Gerſte und Korn genügten ihr. Sie hielt ſich gut und lange in der Ge - fangenſchaft.

Soviel man bisjetzt weiß, hat ſich das ſchöne Thier nur einige Male in der Gefangenſchaft fortgepflanzt, bisher aber nur in England und Belgien.

Jn den Eland - oder Elenantilopen (Boselaphus) ſehen wir wiederum eins jener Verbin - dungsglieder zweier Familien vor uns. Wenn man die plumpen, ſchwerfälligen Geſchöpfe mit dem dicken und ſtarken Leibe, dem Kuhſchwanze und der vorn herabhängenden Wamme betrachtet, glaubt man eher ein Rind vor ſich zu haben, als eine Antilope: aber dennoch iſt in der ganzen Geſtalt die nahe Verwandtſchaft mit den leichten und zierlichen Antilopen nicht zu verkennen, zumal die Hörner unverkennbare Merkmale der Familienangehörigkeit ſind.

Die Kanna (Boselaphus Oreas oder Canna) wird faſt 9 Fuß lang und trägt dazu einen noch über Fuß langen Schwanz, am Widerriſt erreicht ſie eine Höhe von Fuß. Jhr Gewicht kann 7 bis 8 Centner betragen. Erfahrene Jäger behaupten, Männchen von 12 Fuß Leibeslänge und 10 Centner Gewicht erlegt zu haben. Somit kommt das Thier faſt dem wirklichen Elch an Größe gleich. Nach dem Alter ändert ſich die Färbung. Ausgewachſene Böcke ſind auf der Ober - ſeite hellbraun oder gelblichgrau, roſtroth überlaufen, an den Seiten weißgelblich, unten und auf den Außenſeiten der Unterſchenkel gelblichweiß, am Kopf hellgelblichbraun, während die Nackenmähne und ein Haarbüſchel am Unterhalſe gelblichbraun oder dunkelbraunroth ſind. Der Rückenſtreifen hat etwa dieſelbe Färbung. Ein brauner Fleck über dem Beuggelenke der Vorderbeine und ein ſchwarzrothbrauner Ring, welcher ſich um die Feſſeln zieht, mögen zur weiteren Kennzeichnung des Thieres dienen.

556Die Antilopen. Die Kanna.

Noch heutigen Tages findet ſich dieſe Rieſenantilope in dem größten Theile Südafrikas, in dem Lande der Kaffern, der Hottentotten und Buſchmänner, im Norden und Oſten des Kaplandes ſelbſt, und in einem großen Theile des übrigen Südafrikas. Jn dem bevölkerten Kaplande iſt ſie ausge - rottet. Sie lebt geſellig, wie die übrigen Antilopen; ganz alte Böcke aber werden zuweilen von der Herde verbannt. Rudel von 8 bis 10 Stück ſieht man ſeltener, als Herden von 20 bis 40 Stück, und in dem tiefſten Jnnern mögen auch noch größere Vereinigungen vorkommen.

Die Kanna (Boselaphus Oreas oder Canna).

Die Elandantilope hat auch in ihrem Betragen ſehr viel mit dem Rind gemein. Sie trollt in geſchloſſenen Maſſen geraden Weges fort, und zuweilen ohne Furcht auf einen Menſchen los, welcher dann eilen muß, ihr aus dem Wege zu kommen, wenn er nicht niedergeworfen und arg gemiß - handelt werden will. Wo das Thier die Wirkung des Feuergewehrs kennen gelernt hat, iſt es ſcheuer, und namentlich die Weibchen und Jungen flüchten beim Erſcheinen eines Menſchen ſo eilig ſie können, ſelbſt über ziemlich ſteile Berge hinweg. Alte Männchen ſind zu feiſt, als daß ſie es ihnen nachthun könnten: ſie bleiben in den Ebenen, machen aber immer noch einem flinken Jagd - pferde gehörig zu ſchaffen, bevor ſie ſich, ermüdet, dem Reiter ſtellen. Am Kap jagt man ſie nur zu Pferde, am liebſten in den heißen Monaten; denn dann hetzt man einen feiſten Elandbock ſchon in557Die Kanna. Der Nilgau.wenig Stunden ſo ab, daß er ſich ſtellt, um entweder den Kampf aufzunehmen, oder ſich ruhig in ſein Schickſal zu ergeben. Jn früherer Zeit fing man dieſes Wild, welches den Pflanzungen oft großen Schaden that, in Schnellgalgen, welche in der Umzäunung der Felder und Gärten ange - bracht worden.

Man behauptet, daß die Zeit der Paarung bei den wildlebenden nicht an eine beſtimmte Jahres - zeit gebunden wäre; wenigſtens will man in jedem Monat des Jahres trächtige Kühe und Junge gefunden haben. Die Dauer der Tragzeit beträgt 282 Tage; ſo beobachtete man an gefangenen. Der Paarung ſelbſt gehen heftige Kämpfe der Männchen voraus.

Jn der Neuzeit ſind die Elandantilopen in den Thiergärten Europas eine gewöhnliche Erſchei - nung geworden. Sie ſtammen, wie Weinland berichtet, ſämmtlich von zwei Paaren ab, welche im Jahre 1840 und 1851 durch den Earl von Derby in England eingeführt wurden. Ein Nachkomme des erſten Paares, welcher im Jahre 1846 geboren wurde, lebt heute noch. Von Lon - don aus kamen die Thiere zunächſt in die Gärten und Parks Großbritanniens, und von dort aus wieder nach den Thiergärten des übrigen Europas. Sie halten ſich gut, werden ſehr bald zahm, zeigen die Gutmüthigkeit und Dummheit des Rindes und pflanzen ſich ohne Umſtände fort. Man hat ſie deshalb als ſehr geeignet zur Einbürgerung in Europa erkannt und bereits mehrfach gün - ſtige Verſuche gemacht. Die Engländer nahmen ſich der Sache mit beſonderem Ernſte an. Jn dem Regentspark ſind ſchon alle zu erwartenden Jungen im voraus von reichen Gutsbeſitzern beſtellt, und wahrſcheinlich wird man nach geraumer Zeit dieſe Antilope auf allen größeren Gütern unter den Rindern weiden ſehen.

Vor einigen Jahren wurde ein junger Bulle geſchlachtet und ſein Fleiſch ſowohl auf der könig - lichen Tafel zu Windſor, wie an einer Tafel in den Tuillerien zu Paris und auch an einer Tafel von Lords und Gemeinen gekoſtet und daran die richtige Miſchung von Feiſtlagen zwiſchen den Muskel - faſern als beſonders vorzüglich gerühmt. Die Engländer, welche man hierin als gute Richter an - erkennen muß, behaupten, daß es gar kein beſſeres Fleiſch gäbe. Sie beſtätigen hierdurch die Berichte früherer Reiſenden in Südafrika, welche einſtimmig im Lobe des Wildprets der Eland - antilope ſind. Am Kap bildet das Fleiſch einen nicht unbedeutenden Handelsgegenſtand. Es hält ſich geräuchert vortrefflich und kann dann weit verſandt werden. Das wohlſchmeckende Feiſt benutzt man hauptſächlich zu Spicken des Bratens anderer Antilopen und Jagdthiere. Aus der dicken Haut gerbt man ein gutes, haltbares Leder; die Hörner und Knochen werden von den Hottentotten benutzt.

Jn der Neuzeit iſt eine indiſche Antilope, welche die Reiſenden unter dem Namen blauer Ochſe oft erwähnen, der Nilgau (Portax pictus), häufig zu uns gekommen, während daſſelbe Thier in früheren Jahrhunderten ſelbſt in Jndien nur höchſt ſelten in der Gefangenſchaft geſehen wurde. Der Nilgau iſt ebenſowohl in der Geſtalt, als in der Färbung eine der ausgezeichnetſten Arten der großen Antilopenfamilie; er erſcheint gewiſſermaßen als ein Mittelding zwiſchen Hirſch und Rind. Der Kopf, Hals und die Beine ſind kurz gebaut, die übrigen Leibestheile erinnern an die der Stiere. Der Leib iſt ſchwach geſtreckt, ziemlich dick, am Widerriſt höher, an der Bruſt ſtärker und breiter, als am Hintertheil, auf den Schultern mit einem ſchwachen Höcker bedeckt. Der Hals iſt mäßig lang, der Kopf ſchmal, ſchlank, ſchwach gewölbt an der Stirn, breit an der Schnauze, mit lang geſchlitzten Naſenlöchern, behaarter Oberlippe, mittelgroßen, lebhaften Augen, kleinen, aber tiefen Thränengruben, großen und langen Ohren und aufrecht ſtehenden, kegelförmigen, ſanft halbmondförmig gebogenen Hör - nern, welche beiden Geſchlechtern zukommen, beim Weibchen aber viel kürzer, als beim Männchen ſind oder ihm auch gänzlich fehlen. Sie werden nur etwa 7 Zoll lang, ſind dick an der Wurzel und vorn ſchwach gekielt. Die Läufe ſind hoch und verhältnißmäßig ſtark; die Füße haben große, breite Hufe und abgeplattete und abgeſtumpfte Afterklauen. Der Wedel reicht bis zum Feſſelgelenk herab und iſt zu558Die Antilopen. Der Nilgau.beiden Seiten und an ſeiner Spitze mit langem, oben aber mit kurzem Haar bekleidet, ſo daß er einer gleichfahnigen Feder ähnelt. Das Weibchen hat zwei Paar Zitzen. Eine kurze, platt anlie - gende, ſteife Behaarung bedeckt den Körper. Auf dem Nacken verlängert ſie ſich zu einer aufrecht ſtehenden Mähne, am Vorderhals, unterhalb der Kehle, zu einem Büſchel, welcher lang und tief herabhängt. Ein dunkelbraunes Aſchgrau mit einem ſchwachen Anflug ins Bläuliche iſt die allge - meine Färbung. Das einzelne Haar iſt in ſeiner unteren Hälfte weiß oder fahl, in der oberen ſchwarzbraun oder blaugrau. Der Vordertheil des Bauches, die Vorderbeine, die Außenſeite der Hinterſchenkel ſind ſchwärzlichgrau, die Hinterbeine ſchwarz, der mittlere und hintere Theil des Bauches und die Jnnenſeite der Schenkel aber weiß. Zwei Querbinden von derſelben Färbung verlaufen über die Fußwurzel, die Feſſeln ringartig umgebend; ein großer, halbmondförmiger Flecken ſteht an

Der Nilgau (Portax pictus).

der Kehle. Der Scheitel, die Stirn, die Nackenmähne und der Halsbüſchel ſind ſchwärzlich. Alte Weibchen ſehen mehr fahl aus, oft hirſchartig graubraun. Erwachſene Böcke werden an der Schul - ter 4 Fuß hoch und über 6 Fuß lang.

Oſtindien und Kaſchmir, am häufigſten der Landſtrich zwiſchen Delhi und Lahore, ſind die Heimat unſeres Thieres. Jn den Küſtenländern iſt es ſelten, im Jnneren häufig.

Ueber die Lebensweiſe des Nilgaus iſt bisjetzt wenig bekannt. Man weiß nur, daß er ge - wöhnlich in Paaren lebt, am liebſten an den Rändern der Dchungeln, in deren Mitte er, aus Furcht vor dem Tiger, nicht einzudringen wagt. Ueberzählige Böcke müſſen einſiedeln, beſtehen aber hef - tige Kämpfe mit ihres Gleichen um die Thiere. Der Nilgau iſt viel entſchloſſener und bösartiger, als alle ſeine Verwandten. Verfolgt, ſoll er ſich wüthend gegen den Jäger kehren, auf die Beugen559Der Nilgau. Die vierhörnige Antilore oder Schikara.niederfallen, unter tiefem Brüllen einige Schritte vorwärts rutſchen und dann blitzſchnell gegen den Feind anſpringen und verſuchen, ihm durch ſchnelles Emporſchleudern des Hauptes und der Hörner gefährliche Verletzungen beizubringen. Ganz in derſelben Weiſe kämpfen die Böcke in Sachen der Liebe mit einander, und mancher edle Kämpe unterliegt einem gut gezielten Hornſtoße. Auch nach langer Gefangenſchaft verliert der Nilgau ſeine Böswilligkeit nicht ganz, und ſeine Tücke wird von allen Wärtern gefürchtet. Er zeigt ſich zwar bald zahm und ſanft; doch iſt ihm, zumal während der Brunſtzeit, nie zu trauen. Jn England ſtürzte einmal ein Nilgau, als ein Menſch ſeiner Umzäu - nung ſich näherte, mit ſolcher Gewalt gegen die Balken ſeines Geheges, daß er ſich ein Horn abbrach und dadurch ſeinen Tod herbeiführte.

Die Bewegungen des Nilgau haben viel Eigenthümliches wegen der ſonderbaren Stellungen, welche das Thier annimmt. Gewöhnlich iſt der Schritt allerdings ganz ſo, wie bei anderen Anti - lopen auch; ſobald der Nilgau aber erregt wird, krümmt er den Rücken, zieht den Hals ein und ſchleicht dann langſam dahin, finſtere Blicke um ſich werfend und ſchielend. Der Wedel wird dabei zwiſchen den Schenkeln eingekniffen. Jn voller Flucht dagegen trägt ſich der Nilgau ſtolz, würde - voll, und gewährt namentlich dann, wenn er den Wedel ſenkrecht emporhebt, einen wunder - vollen Anblick.

Nach den Angaben der indiſchen Reiſenden liegt der Nilgau während des Tages im Walde ver - borgen. Nach Sonnenuntergang und in den erſten Morgenſtunden geht er auf Aeßung, und in den bebauten Gegenden wird er der Verwüſtung wegen, die er anrichtet, bitter gehaßt. Er ſoll Alles, was er genießt, vorher beſchnoppern, die Pflanzen ſorgfältig ſich auswählen und gerade deshalb ſehr läſtig werden.

Das Thier geht acht Monate hochbeſchlagen und ſetzt das erſte Mal ein Kalb, dann aber jedes Mal deren zwei. Jn Jndien ſoll der Dezember die Satzzeit ſein, und die Brunſtzeit mit Ende März beginnen. Jn den Thiergärten Europas wurden die Kälber in den Sommermonaten geboren; das erſte Junge des Paares im hamburger Thiergarten kam am 8. Auguſt zur Welt. Jn ihrer Fär - bung ähneln ſowohl die Hirſchkälber wie die Thierkälber der Mutter; denn erſt gegen Ende des zweiten Lebensjahres färbt ſich der Bock.

Die Jagd des Nilgau wird von den Jndiern mit großer Leidenſchaft betrieben, und die Herr - ſcher des Landes bieten, wie es dort gewöhnlich iſt, große Heere auf, welche ganze Länderſtrecken durchſtreifen müſſen, damit die hohen Herren, juſt wie die unſrigen, mit möglichſter Bequemlichkeit Heldenthaten verrichten können, welche dann Hofdichter und Schranzen beſingen und rühmen dürfen. Schon ſeit alten Zeiten machen ſich die Untergebenen indiſcher Fürſten ein Vergnügen daraus, ihren Herren und Gebietern gerade dieſe Antilope gefangen zuzuführen, und man ſieht ſie hier bei den Großen des Reichs hier und da in Parks. Erſt im Jahre 1767 kam ein Paar nach England, ſchon am Ende des Jahrhunderts gelangten andere nach Frankreich, Holland und Deutſchland. Jetzt ſieht man den Nilgau in allen Thiergärten und hat ihn ſchon oft zur Fortpflanzung gebracht. Die Er - ziehung der Jungen iſt ſo leicht, daß wir in kurzer Zeit wahrſcheinlich gar keine Nilgaus mehr von Jndien einzuführen brauchen, ſondern ſie aus den Thiergärten erhalten können. Man hat auch daran gedacht, dieſes Thier bei uns vollkommen einzubürgern, d. h. es im Walde frei zu laſſen; ſolange jedoch die Land - und Forſtwirthe deshalb noch befragt werden müſſen, dürfte dieſer fromme Wunſch der Thierkundigen, abgeſehen von anderen Hinderniſſen, wohl kaum zur Erfüllung kommen.

Ehe wir von Jndien wieder nach dem eigentlichen Vaterlande der Antilopen zurückkehren, ge - denken wir noch einer der merkwürdigſten Arten der ganzen Familie, ja aller Wiederkäuer, der An - tilope mit vier Hörnern (Tetracerus quadricornis). Unter den gezähmten Wiederkäuern kom - men einzelne vor, welche vier, ja ſogar acht Hörner tragen; ſie begründen aber niemals eine eigene560Die Antitopen. Die vierhörnige Antilope oder Schikara.Art, ſondern ſind als ſonderbare Ausnahmen zu betrachten. Kein einzig wildlebendes Thier zeigt eine ähnliche Wncherung der Hörner, außer der genannten Antilope. Sie ſteht deshalb, nach den bisherigen Erfahrungen wenigſtens, ganz vereinzelt für ſich da. Ein Reiſender will zwar noch eine ihr verwandte Art gefunden haben, allein bei unſerer ſo geringen Kenntniß der einen Art ſind wir noch nicht im Stande zu entſcheiden, ob die betreffende Abweichung eine nur auf Alters - oder Ge - ſchlechtsverſchiedenheit beruhende iſt, oder nicht. Die vierhörnige Antilope oder Schikara iſt ein kleines, zierliches Thier. Jhre Länge beträgt Fuß, die des Schwanzes 5 Zoll, die Höhe am Widerriſt 20 Zoll. Das vordere Hörnerpaar ſitzt oberhalb des vorderen Augenwinkels und iſt etwas nach rückwärts geneigt, das hintere Paar ſteht über dem hinteren Augenwinkel, neigt ſich in ſeiner unteren Hälfte ſtark nach hinten und krümmt ſich in der oberen nach vorn. Es iſt unten ge - ringelt, nach der Spitze aber glatt und gerundet. Große abgerundete Ohren, lang ausgezogene Thränengruben, eine breite, nackte Naſenkuppe, ſchlanke Läufe und ein langes und ſtraffes Haar - kleid, welches auf der oberen Seite braunfahl, unten weiß und bei dem Weibchen lichter, als beim Männchen iſt, kennzeichnen das Thier noch außerdem.

Die vierhörnige Antilope (Tetracerus quadrieoruis).

Nach Hartwicke’s Berichten iſt die Schikara in Jndien durchaus nicht ſelten, in den weſtlichen Gegenden Bengalens ſogar häufig. Sie bewohnt dort die Hügel und die bewaldeten Gegenden. Jhre große Scheuheit und Behendigkeit macht die Beobachtung der frei lebenden ſchwierig, und von den wenigen, welche man in der Gefangenſchaft hielt, weiß man auch blos, daß ſelbſt jung einge - fangene mit zunehmendem Alter immer bösartig wurden. Böcke zeigten ſich zur Brunſtzeit ſo aufgeregt, daß ſie dreiſt auf jedes andere Hausthier losgingen und mit boshafter Entſchloſſenheit ſelbſt den be - kannten Wärter angriffen, der ſie täglich fütterte. Die Gefangenen, welche Hartwicke hielt, pflanzten ſich fort. Das Weibchen ſetzte zwei Kälber auf ein Mal.

Mehrere Naturforſcher vereinigen unter dem Namen der Kuhantilopen mehrere große, plumpe Arten der Familie, mit ſchraubenartig gewundenen Hörnern, mehr oder weniger hohem561Die Kuhantilope oder das Haartebeeſt.Widerriſte, abſchüſſigem Rücken und mittellangem, gequaſteten Schwanze, während Andere dieſen Namen auf diejenige Art beſchränken, mit welcher wir uns jetzt bekannt machen wollen. Die Kuh - antilope oder das Haartebeeſt (Acronotus Caama) der holländiſchen Anſiedler, Kaama der Hottentotten und die Likaama der Kaffern kommt dem Edelhirſch an Größe gleich, iſt aber viel plumper gebaut und hat einen ſo unſchönen Kopf, daß einige Naturforſcher für ſie den Namen Alcephalus oder Elchkopf vorgeſchlagen haben. Der dickere Rücken mit dem ziemlich bedeutenden Höcker auf dem Widerriſt, vor Allem aber die nach aufwärts gerichteten, leierförmig gekrümmten, in ihrem Enddrittel plötzlich in einem ſchiefen Winkel nach rückwärts gebogenen Hörner zeichnen die Art vor den meiſten übrigen aus und laſſen ſie leicht erkennen. Die Grundfärbung iſt ein ziemlich lebhaftes Zimmtbraun, welches auf der Stirn ins Schwarze, am hinteren Theile des Bauches, an

Die Kuhantilopt oder das Haartebeeſt (Acronotus Caama).

der Jnnenſeite der Unterſchenkel und an dem Hinterbacken ins Weiße übergeht. Vom Hinterhals läuft ein ſchwarzer Streifen bis zum Widerriſt, zwei andere ziehen ſich von der Stirn nach der Naſe herab. Auch die Beine zeigen ſchwarze Streifen. Erwachſene Böcke werden ohne den Schwanz, welcher beinahe Fuß mißt, 7 Fuß lang und am Widerriſt faſt 4 Fuß hoch. Die Hörner meſſen der Krümmung nach gegen 2 Fuß. Das Weibchen unterſcheidet ſich vom Männchen durch geringere Größe, kürzere und dünnere Hörner und eine dunklere Färbung; die Jungen ſind einfarbig gelb - braun. Nordafrika beſitzt eine dem Haartebeeſt ähnliche Art: die eigentliche Kuhantilope (Acronotus bubalis).

Auch die Kaama bewohnt Südafrika, gegenwärtig mehr das Jnnere, wo ſie von den Jägern unbehelligt bleibt, welche ſie aus dem Kaplande bereits vertrieben haben. Sie liebt die EinödeBrehm, Thierleben. II. 36562Die Antilopen. Die Kuhantilope oder das Haartebeeſt. Das Gnu.und findet ſich auch in den unfruchtbarſten Gegenden. Gewöhnlich trifft man ſie in Rudeln von 6 bis 8 Stücken an. Zu gewiſſen Zeiten wandert ſie aber in großen Herden von zwei-bis fünf - hundert umher, wie der Springbock. Oft miſcht ſie ſich mit den Gnu -, Buſchböcken -, Straußen herden, und dann vereinigen ſich Geſellſchaften höchſt verſchiedener Thiere, welche Tau - ſende zählen. Unter ihnen ſpielt das Haartebeeſt eine hervorragende Rolle, weil die alten Böcke ſich vor anderen durch Vorſicht und eine gewiſſe Schlauheit auszeichnen.

Sonſt iſt über ihr Freileben im ganzen nicht viel zu berichten: man kennt ſie noch zu wenig. Sie iſt zwar ein ſehr eifrig gejagtes Wild, ſcheint aber noch keinen Beobachter gefunden zu haben, welcher ſie ausführlich beſchrieben hätte. Man weiß, daß ſie ein ziemlich ſchwerfälliges und unbeholfenes Geſchöpf iſt, welches aber doch, wenn es einmal in Trab gekommen iſt, dem Jäger viel zu ſchaffen macht. Die Kuhantilope ſoll feinen Geruch und ſcharfes Geſicht beſitzen, und deshalb die Jagd außerordentlich erſchweren. Bei Gefahr ſtürzt der Anführer einer Herde in blinder Flucht dahin, und die ganze Truppe in einer langen geſchloſſenen Reihe hinter ihm drein. Der Jäger ſucht das Wild mit dem Pferde einzuholen und erlegt es vermittelſt des Feuergewehrs. Solange es irgend angeht, flüchtet die Antilope, wird ſie aber in die Enge getrieben oder verwundet, ſo kehrt ſie plötzlich um und ſtürzt wie ein wüthender Stier auf ihren Angreifer los, der ſich dann äußerſt in Acht zu nehmen hat.

Während der Brunſtzeit kämpfen die Böcke hartnäckig unter einander, und ſtarke werden dann auch ganz Unbetheiligten oft gefährlich. Das alte Thier ſetzt ein einziges Kalb, welches ſogleich der Mutter folgt und bis zur nächſten Brunſt bei ihr bleibt. Jung eingefangene Kälber werden ſehr zahm und halten die Gefangenſchaft lange aus. Doch iſt eigentlich nur dem Weibchen zu trauen, weil die Böcke mit zunehmendem Alter nicht ſelten große Bosheit zeigen.

Das Fleiſch, die Haut und die Hörner finden vielfache Benutzung. Erſteres wird in Streifen geſchnitten, an der Luft gedörrt und ſpäter verwendet. Das Fell benutzt man zu Decken; aus der gegerbten Haut bereitet man Riemen und Pferdegeſchirr; die Hörner werden wegen ihrer Härte und des Glanzes zu allerlei Gegenſtänden verarbeitet.

An das Ende der reichen Familie ſtellen wir einen der ſonderbarſten aller Wiederkäuer, das Gnu (Catoblepas Gnu), ein merkwürdiges Mittelding zwiſchen Antilope, Rind und Pferd, ein wahres Zerrbild der edlen und zierlichen Geſtalten, welche wir bisjetzt kennen gelernt haben. Man bleibt lange in Zweifel, welches Geſchöpf man eigentlich vor ſich hat, wenn man das Gnu zum erſten Male anſieht. Das Thier erſcheint als ein Pferd mit geſpaltenen Hufen und einem Stierkopfe und es beweiſt durch ſein Betragen, daß ſein ganzes Weſen mit dieſer Zwittergeſtalt im beſten Einklange ſteht. Unmöglich kann man das Gnu ein ſchönes Thier nennen, ſo zierlich auch der Bau mancher einzelnen Theile erſcheinen mag.

Das Gnu oder Wildebeeſt der holländiſchen Anſiedler hat die Geſtalt und Größe eines einjährigen Pferdes, dicke, gebogene Hörner, einen Roßſchweif, eine aufrecht ſtehende Mähne und eigenthümliche Haarwucherungen auf der Stirn und an der Bruſt. Die Farbe iſt einfarbig grau - braun, an manchen Stellen heller, an manchen dunkler, bald mehr ins Gelbe oder Röthliche, bald mehr ins Schwärzliche ziehend. Die Nackenmähne erſcheint weißlich: ihre Haare ſind an der Wurzel grauweiß, in der Mitte ſchwarz und an der Spitze röthlich. Das Schwanzhaar iſt an der Wurzel graubraun, an der Spitze weißlich, zumal das lange der Quaſte. Die Mähne an Bruſt und Hals iſt dunkelgraubraun, der Kinnbart weißlich; die Haarbüſchel auf dem Naſenrücken und unter den Augen ſind braun, die Borſtenhaare um die Augen und die Schnurrborſten weiß.

Beide Geſchlechter ſind gehörnt. Die flachen und plattgedrückten Hörner biegen ſich nach abwärts und mit der Spitze nach auswärts. Erwachſene Thiere werden über Fuß lang, wovon auf den Schwanz ohne Haar , mit dem Haar aber 2 bis 3 Fuß kommen; die Höhe am Widerriſt beträgt563Das Gnu. Fuß. Das Weibchen iſt kleiner und ſein Gehörn leichter; ganz junge Thiere ſind noch unge - hörnt, haben aber ſchon die Hals - und Nackenmähne. Eine zweite, ganz ähnliche Art iſt der Ko - kun (Catoblepas taurina), und eine dritte das gebänderte Gnu (Catoblepas Gorgon). Der erſtere iſt größer, als die eigentliche Hauptart; Schwanzquaſte und Nackenmähne ſind rein weiß, während die Haarbüſchel auf der Stirn, am Hals und auf der Bruſt dunkel erſcheinen. Der Gorgon hat nur eine ſchwache Mähne, iſt grau von Färbung und an Hals und Bruſt ſenkrecht mit dunklen Streifen gebändert.

Alle Gnuarten bewohnen Südafrika bis gegen den Gleicher hin. Früher im Kaplande häufig, ſind ſie dort jetzt ausgerottet, ſoweit der Europäer vorgedrungen iſt. Jm Lande der Hottentotten und Kaffern finden ſie ſich noch in zahlreicher Menge. Nach den Angaben der beſſeren Beobachter

Das Gnu (Catoblepas Gnu).

wandern ſie alljährlich, nach der Meinung A. Smiths aus angeborenem Wanderdrange, wie die Vögel, welcher ſie zwingt, blindlings ihrem Geſchicke entgegenzugehen, ſelbſt wenn dieſes ihr Verderben ſein ſollte, nach unſerer Anſicht aus Mangel an Weide, wie die übrigen Antilopen. Es ſind höchſt be - wegliche, muthwillige Thiere, welche es meiſterhaft verſtehen, die große Ebene zu beleben. Pringle beobachtete, daß die Thiere wie toll wurden, wenn man ein ſcharlachrothes Tuch auf eine Stange ſteckte. Sie geberdeten ſich dann, als wollten ſie auf den Menſchen losſtürzen, flohen aber bei jeder drohenden Bewegung, kehrten zurück, ſprangen von neuem und machten dann wiederum Halt.

Gordon erfuhr, daß das Wildebeeſt auch dann nicht den Platz verläßt, wenn es von einer ganzen Anzahl von Jägern getrieben wird. Jn endloſen Ringen umherkreiſend, die merkwürdigſten und ſonderbarſten Sprünge ausführend, umlaufen die zottigen Herden dieſer ſonderbar und grimmig ausſehen -36 *564Die Antilopen. Das Gnu.den Antilopen die Jäger. Während dieſe auf ſie zureiten, um dieſe oder jene zu erlegen, umkreiſen ſie rechts und links die anderen und ſtellen ſich auf dem Platze auf, über welchen die Jäger wenige Minuten vorher hinwegritten. Einzeln und in kleinen Trupps von 4 bis 5 Stück ſieht man zuweilen die alten Wildebeeſtböcke in Zwiſchenräumen auf der Ebene einen ganzen Vormittag regungslos ſtehen und mit ſtarren Blicken die Bewegungen des anderen Wildes betrachten, wobei ſie fortwährend ein lautes, ſchnaubendes Geräuſch und einen eigenthümlichen kurzen, ſcharfen Hauch von ſich geben. So - bald ſich ein Jäger ihnen naht, beginnen ſie ihre weißen Schwänze hin und her zu ſchleudern, ſpringen dann hoch auf, bäumen ſich und folgen einander in gewaltigen Sätzen mit der größten Schnelligkeit. Plötzlich machen ſie wieder Halt, und zuweilen beginnen zwei dieſer Stiere einen furchtbaren Kampf. Mit vieler Kraft gegen einander rennend, ſtürzen ſie auf die Knie nieder, ſpringen plötzlich wieder auf, rennen im Kreiſe umher, wedeln auf höchſt bewunderungswürdige Weiſe mit dem Schwanze und jagen, in eine Staubwolke gehüllt, über die Ebene.

Andere Reiſende nennen das Gnu ein Bild unbegrenzter Freiheit und ſchreiben ihm Stärke und Muth im hohen Grade zu. Die Hottentotten und Kaffern erzählen eine Unmaſſe von Fabeln, und ſelbſt die Jäger laſſen ſich, wahrſcheinlich durch die abenteuerliche Geſtalt des Thieres beſtochen, ver - leiten, die ſonderbarſten Dinge von ihm zu erzählen. Soviel iſt ſicher, daß unſer Gnu in ſeinem Betragen ebenſoviel Räthſelhaftes hat, wie in ſeiner Geſtalt. Die Bewegungen ſind eigenthümlich. Das Gnu iſt ein entſchiedener Paßgänger und greift ſelbſt im Galopp noch häufig mit beiden Füßen nach ein und derſelben Seite aus. Alle ſeine Bewegungen ſind raſch, muthwillig, wild und feurig. Dabei zeigt es eine Neck - und Spielluſt, wie kein anderer Wiederkäuer. Wenn es ernſte Kämpfe gilt, beweiſen die Böcke denſelben Muth, wie die der Ziegen. Jhre Stimme ähnelt dem Rinder - gebrüll. Junge Thiere blöcken eigenthümlich durch die Naſe: die holländiſchen Anſiedler überſetzen ihr Geſchrei mit den Worten: Noeja Goedo Avond oder Jungfrau, guten Abend! und behaup - ten, oft vom Gnu getäuſcht worden zu ſein, ſo deutlich habe es in ihrer Sprache ſie angeredet.

Alle Sinne ſind vortrefflich, zumal Geſicht, Geruch und Gehör. Die geiſtigen Fähigkeiten da - gegen ſcheinen gering zu ſein. Die Spiele haben mehr etwas Verrücktes und Tolles, als etwas Vor - herbedachtes an ſich. Jn der Gefangenſchaft zeigt ſich das Gnu immer unbändig und wild, un - empfänglich gegen Schmeicheleien und gegen die Zähmung, aber auch ziemlich gleichgiltig gegen den Verluſt der Freiheit. Es kommt wohl an die Gitter ſeines Behälters heran, wenn man ihm Etwas vorwirft, beweiſt ſich aber keineswegs dankbar und geht ohne Wahl von einem Zuſchauer zum an - deren. Jch ſah das Gnu lebend im Thiergarten von Antwerpen und kann eben nur ſagen, daß das ganze Geſchöpf einen abenteuerlichen Eindruck macht. Seine Haltung im ruhigen Zuſtande iſt ganz die der Rinder; der Paßgang unterſcheidet es aber ſofort von dieſen. Dabei bewegt das Gnu den Hinterfuß immer etwas eher, als den vorderen. Jn Trab iſt es nur ſchwer zu bringen, und wenn man ihm Gewalt anthun will, geräth es wohl in Zorn, iſt aber nicht zu vermögen, große Sätze zu machen.

Ueber die Fortpflanzung im wilden Zuſtande fehlen zur Zeit noch immer Beobachtungen. Man weiß nicht einmal, ob es blos eins oder ob es zwei Junge wirft.

Die Jagd hat ihre großen Schwierigkeiten wegen der unglaublichen Schnelligkeit und Ausdauer des Thieres. Es wird behauptet, daß dieſes ſich wüthend auf den Jäger losſtürze und ihn durch Stoßen und Schlagen mit den Vorderläufen zu tödten verſuche, falls es zweifelt, in der Flucht Rettung zu finden. Verwundet, ſollen ſich manche, um ihren Qualen ein Ende zu machen, in Abgründe oder in das Waſſer ſtürzen. Die Hottentotten gebrauchen vergiftete Pfeile, um es zu erlegen, die Kaffern lauern ihm hinter Büſchen auf und ſchleudern ihm die Lanze oder den ſichern Pfeil durch das Herz. Gejagte Gnus zeigen eine auffallende Aehnlichkeit mit verfolgten wilden Rin - dern. Jhr Benehmen, wenn ſie aufgeſtört werden, die Art und Weiſe, wie ſie den Kopf aufwerfen, wie ſie ſich niederducken, wie ſie ausſchlagen, bevor ſie fliehen, Alles erinnert lebhaft an dieſe Wiederkäuer. Wie die Rinder, haben auch ſie die eigenthümliche Gewohnheit, vor dem Rückzuge565Das Gnu. Die Ziegen.die Gegenſtände ihrer Furcht zu betrachten. Deshalb fliehen, wie ſchon aus Cumming’s Berichten hervorgeht, die Wildebeeſte ſelbſt dann nicht, wenn das tödtliche Geſchoß mehrere aus ihrer Mitte niedergeſtreckt hat. Es ſoll nicht ſelten geſchehen, daß eine Herde Gnus einen ganzen Zug von - gern dicht an ſich herankommen läßt, ohne daran zu denken, die Flucht zu ergreifen. Das Knallen der Schützen verſetzt ſie freilich in großen Schrecken und bewegt ſie zu den poſſenhafteſten Sprüngen.

Nur zufällig fängt man ein Gnu in Fallgruben oder in Schlingen. Alteingefangene geberden ſich wie toll und unſinnig, Junge dagegen legen wenigſtens einigermaßen ihre Wildheit ab. Unge - müthliche Geſchöpfe bleiben ſie immer. An ihnen ſcheitern die kühnſten Hoffnungen Derer, welche die Einbürgerung mancher Thierarten in ihnen urſprünglich fremde Gegenden ſich zur Aufgabe ge - macht haben.

Der Nutzen des erlegten Gnu iſt derſelbe, welchen andere Wildarten Afrikas gewähren. Man ißt das Fleiſch ſeiner Saftigkeit und Zartheit halber, benutzt die Haut zu allerlei Lederwerk und ver - fertigt aus den Hörnern Meſſerhefte und andere Gegenſtände.

Ob man die Ziegen und Schafe als beſondere Sippen oder als Familien anzuſehen hat, kann uns gleichgiltig ſein, da wir der allgemeinen Eintheilung nur in ſofern Rechnung tragen, als es die wiſſenſchaftliche Zuſammenſtellung der Thiere erfordert. Die meiſten Naturforſcher ſehen, wie be - merkt, die Antilopen, Ziegen, Schafe und Rinder nur als Sippen einer einzigen Familie an, während wir dieſe Sippen als Familien anſehen. Es läßt ſich allerdings nicht leugnen, daß die Aehnlichkeit zwiſchen den Schafen und Ziegen mindeſtens ebenſogroß iſt, als zwiſchen den verſchie - denen Antilopen: aber ebenſowohl kann man die durchgreifenden Unterſchiede zwiſchen beiden Thier - gruppen als ſo bedeutſam anſehen, daß die Fitzingerſche Eintheilung, welcher wir uns anſchließen, berechtigt erſcheint.

Die Ziegen ſind mittelgroße Wiederkäuer. Jhr ſtämmiger und kräftiger Leib ruht auf ſtar - ken, nicht ſehr hohen Beinen; der Hals iſt gedrungen, der Kopf verhältnißmäßig kurz und breit an der Stirn; die Augen ſind groß und lebhaft, die Ohren aufgerichtet, ſchmal zugeſpitzt und ſehr beweglich. Die Hörner, welche beide Geſchlechter tragen, ſind abgerundet vierſeitig oder zweiſchnei - dig, deutlich nach den Jahreszuwüchſen gegliedert, vorn wulſtig verdickt. Sie beugen ſich entweder in einfach halbmondförmiger Richtung nach hinten oder biegen ſich dann noch leierartig an der Spitze aus. Bei den Böcken ſind ſie regelmäßig viel ſchwerer, als bei den Ziegen. Thränengruben fehlen immer. Das Weibchen hat zwei Zitzen. Das Haarkleid iſt ein doppeltes; die feinere Wolle wird von groben Grannen überdeckt. Bei manchen Arten liegen die Grannen ziemlich dicht an, bei an - deren verlängern ſie ſich mähnenartig an gewiſſen Stellen, bei den meiſten auch am Kinn zu einem ſteifen Barte. Jmmer iſt die Färbung des Pelzes düſter, erd - oder felſenfarbig, vorzugsweiſe braun oder grau.

Urſprünglich bewohnten die Ziegen Mittel - und Südaſien, Europa, Nordafrika und in einer einzigen Art auch Nordamerika; heutzutage ſind einige Arten von ihnen über die ganze Erde verbrei - tet worden. Sie ſind durchgehends Bewohner der Gebirge, zumal der Hochgebirge, wo ſie die ein - ſamſten, menſchenleerſten Stellen aufſuchen. Manche Arten gehen bis über die Grenze des ewigen Schnees hinauf. Sonnige Stellen mit trockener Weide, dünn beſtandene Wälder, Halden und Geröllabſtürze, ſowie auch kahle Klippen und Felſen, welche ſtarr aus dem ewigen Schnee und Eis emporragen, ſind ihre Standorte. Jm Winter gehen ſie etwas tiefer in die Ebene herab, als im Sommer. Alle Arten lieben die Geſelligkeit. Sie ſind bewegliche, lebendige, unruhige, kluge, ja ſelbſt liſtige Thiere. Ohne Unterlaß laufen und ſpringen ſie umher; nur während des Wiederkäuens liegen ſie ruhig an ein und derſelben Stelle. Blos ſehr alte, von dem Rudel abgeſchiedene Mäun -566Die Ziegen.chen leben einſiedleriſch; ſonſt halten ſie ſich ſtets mit anderen ihrer Art treu zuſammen. Sie ſind thätig bei Tag und bei Nacht, obgleich ſie dem Tage den Vorzug geben. Jhre Eigenſchaften offen - baren ſich bei jeder Gelegenheit. Sie ſind überaus geſchickt im Klettern und Springen und bekunden dabei einen Muth, eine Berechnung und eine Entſchiedenheit, welche ihnen alle Ehre machen. Sichern Tritts überſchreiten ſie die gefährlichſten Stellen im Gebirge; ſchwindelfrei ſtehen ſie auf den ſchmal - ſten Kanten, und gleichgiltig ſchauen ſie in die furchtbarſten Abgründe hinab; ja, ſie äßen ſich noch auf den bedenklichſten Stellen mit einer Tollkühnheit ohne Gleichen. Dabei beſitzen ſie eine verhält - nißmäßig ungeheuere Kraft und eine wunderbare Ausdauer. Somit ſind ſie ganz geeignet, ein armes Gebiet zu bewohnen, in welchem jedes Blättchen, jedes Hälmchen unter Kämpfen und Ringen erwor - ben werden muß. Neckiſch und ſpielluſtig unter ſich, zeigen ſie ſich vorſichtig und ſcheu anderen Geſchöpfen gegenüber und fliehen gewöhnlich bei dem geringſten Geräuſch, obwohl man nicht eben behaupten darf, daß es die Furcht iſt, welche ſie in die Flucht ſchreckt; denn im Nothfalle kämpfen ſie muthig und tapfer und mit einer gewiſſen Raufluſt, welche ihnen ſehr gut anſteht.

Die ſaftigſten Gebirgspflanzen aller Art bilden ihre Nahrung. Sie ſind ſehr lecker und ſuchen ſich nur die beſten Biſſen heraus, verſtehen es auch vortrefflich, immer Orte auszuwählen, welche ihnen gute Weide bieten, und wandern deshalb von einer Gegend in die andere, oft durch viele Meilen weit. Alle Arten ſind große Freunde vom Salz und ſuchen deshalb Stellen, wo dieſe Leckerei ſich findet, gierig auf. Waſſer iſt für ſie ein Bedürfniß, daher meiden ſie Gegenden, in denen es weder Quellen, noch Bäche gibt. Jhre höheren Sinne ſcheinen ziemlich gleich entwickelt zu ſein. Sie äugen, vernehmen und wittern ſehr ſcharf, manche Arten wirklich auf unglaubliche Entfernungen hin. Das Geſicht iſt wahrſcheinlich noch ihr ſtumpfſter Sinn. Jhre geiſtigen Fähig - keiten ſtehen, wie ſchon angedeutet, auf ziemlich hoher Stufe; man muß ſie als kluge, geweckte Thiere bezeichnen. Das Gedächtniß iſt zwar nicht beſonders; aber Erfahrung witzigt ſie doch bald in hohem Grade, und dann wiſſen ſie mit vieler Schlauheit und Liſt drohenden Gefahren zu begegnen. Manche Arten muß man launenhaft nennen, und andere ſind wirklich boshaft und tückiſch.

Die Zahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen Eins und Vier. Alle wildlebenden Arten werfen höchſtens zwei, die gezähmten nur in ſehr ſeltenen Fällen vier. Die Zicklein kommen ausgebildet und mit offenen Augen zur Welt und ſind ſchon nach wenigen Minuten im Stande, der Alten zu folgen. Die wildlebenden Arten laufen ſchon am erſten Tage ihres Lebens ebenſo kühn und ſicher auf den Ge - birgen umher, wie ihre Eltern.

Man darf wohl ſagen, daß alle Ziegen nützliche Thiere ſind. Der Schaden, welchen ſie an - richten, iſt ſo gering, daß er kaum in Betracht kommt, der Nutzen dagegen ſehr bedeutend, nament - lich in ſolchen Gegenden, wo man die Ziegen gebraucht, um Oertlichkeiten auszunutzen, deren Schätze ſonſt ganz verloren gehen würden. Die öden Gebirge des Südens unſeres Erdtheils ſind förmlich bedeckt mit Ziegenherden, welche auch an ſolchen Wänden das Gras abweiden, wo keines Menſchen Fuß Halt gewinnen könnte. Von den wilden wie von den zahmen Arten kann man faſt Alles benutzen, Fleiſch und Fell, Horn und Haar, und die zahmen Ziegen ſind nicht blos der Armen liebſter Freund, ſondern im Süden auch die beinahe ausſchließlichen Milcherzeuger.

Noch gegenwärtig herrſcht großer Streit unter den Naturforſchern, wie viele Arten die bisjetzt bekannten Ziegen bilden. Die Unterſcheidung dieſer Thiere iſt außerordentlich ſchwer, weil die Arten ſich ſehr ähneln und der Beobachtung ihres Lebens große Hinderniſſe entgegentreten. Soviel ſcheint feſtzuſtehen, daß der Verbreitungskreis der Einzelnen ein verhältnißmäßig ſehr beſchränkter iſt, und daß ſomit jedes größere Gebirge, welches Mitglieder unſerer Familie beherbergt, auch ſeine eigenen Arten beſitzt. Dieſe Arten laſſen ſich in drei verſchiedene Sippen ordnen, in die der Steinböcke, Ziegen und Halbziegen. Noch können wir nicht ſagen, in wieweit ſich das Leben der einzelnen Arten unterſcheidet; denn bisjetzt ſind wir blos im Stande, das Treiben von einzelnen in allgemei - nen Umriſſen zu zeichnen: ſchwebt doch ſelbſt über der Herkunft und dem Freileben unſerer Hausziege noch ein unerklärliches Dunkel!

567Die Steinböcke. Der Alpenſteinbock.

Die Steinböcke (Capra) ſind unzweifelhaft die höchſtſtehenden Ziegen; ſie gehören ja zu dem edelſten Wild überhaupt. Dieſe Thiere bewohnen die Gebirge der alten Welt und zeigen ſich ganz geeignet, noch in Höhen zu leben, in denen andere große Säugethiere verkümmern würden. Nur wenige Wiederkäuer folgen ihnen in die Hochgefilde, wo ſie ſich jahraus jahrein umhertreiben. So iſt es allerdings nicht überall; denn ſchon von den in Europa lebenden Arten kommen mehrere in verhältnißmäßig geringen Höhen vor; die eigentliche Ebene aber meiden ſämmtliche Steinböcke faſt ängſtlich. Mit dieſer Lebensweiſe geht Hand in Hand, daß jede Steinbockart nur eine geringe Verbreitung hat. Einige neuere Naturforſcher wollen zwar die verſchiedenen Steinbockarten blos als Abänderungen ein und derſelben Hauptart gelten laſſen und nehmen nicht nur für Europa, ſondern überhaupt blos eine einzige Art an, bleiben uns aber die Erklärung ſchuldig, wie dieſe Stammart ſich allgemach ſo verbreitet hat, daß ſie gegenwärtig nicht blos auf den Alpen, den Pyrenäen und dem Gebirgsſtock der Sierra Nevada, ſondern auch auf dem Kaukaſus, den Hoch - gebirgen Aſiens, den Alpengebirgen des ſteinigten Arabiens und Abiſſiniens zu finden iſt. Die ziemlich bedeutenden Unterſchiede, welche die Steinböcke zeigen, die Verſchiedenheiten namentlich, welche ſich im Gehörn offenbaren, werden von dieſen Forſchern als nebenſächliche Dinge behandelt, und der leidige Begriff, klimatiſche Abänderung , ſpielt eine gar große Rolle in ihren Entſchei - dungen. Jch meines Theils kann ſolcher Anſicht nicht beipflichten. Wenn auch zugegeben werden mag, daß die Steinböcke erſt durch die Verfolgungen der Menſchen hier und da, z. B. auf unſeren Alpen, in die Höhe getrieben worden ſind, in denen ſie ſich jetzt ſtändig aufhalten, ſteht doch ſo Viel feſt, daß ſie nicht fähig ſind, die ungeheueren Ebenen zu durchwandeln, welche zwiſchen den erwähn - ten Gebirgen liegen, daß wir ſomit ſchon aus dieſem Grunde die verſchiedenen Formen als Arten anſehen müſſen. Wenn wir Dies thun, haben wir freilich in den Steinböcken ein ſehr reiches Ge - ſchlecht vor uns; denn Europa allein zählt dann vier, vielleicht fünf verſchiedene Steinbockarten. Eine derſelben (Capra Ibex oder Capra alpina) bewohnt die Alpen, zwei andere die iberiſche Halbinſel, eine (Capra pyrenaica) die Pyrenäen, eine andere (Capra hispanica) die Sierra Nevada und die vierte (Capra caucasica), ja, vielleicht auch die fünfte (Capra Pallasi) den Kaukaſus. Außerdem findet ſich ein Steinbock (Capra sibirica) in Sibirien, einer (Capra cretica) auf Kreta, einer (Capra Beden) im ſteinigten Arabien, ein anderer (Capra Walie) in Abiſſinien, ein dritter (Capra armata) in der Berberei, ein vierter (Capra Skyn) und fünfter (Capra tubericornis) auf dem Himalaya, ein ſechster endlich (Capra americana) auf den Rocky-Mountains in Nordamerika. Alle dieſe Thiere ſind einander ſehr ähnlich in Geſtalt und Färbung und unterſcheiden ſich hauptſächlich blos durch das Gehörn und den Bart am Kinn; aber gerade dieſe beiden Merkmale will man nicht gelten laſſen. Zur Zeit beſitzen wir noch keineswegs Stoff genug, um über die Frage, ob hier Artverſchiedenheiten zu Grunde liegen oder nicht, mit der nothwendigen Sicherheit entſcheiden zu können. Unſere Muſeen ſind bisjetzt noch keineswegs die Vorrathskammern zu den Arbeiten eines Naturforſchers geweſen, wie er Vorrathskammern braucht; denn die beſten Muſeen zeigen höchſtens ein oder zwei Stücke von Stein - böcken, und von einer Sammlung der Thiere, in welcher alle Altersverſchiedenheiten und mancherlei Abweichungen, wie ſie ja immer vorkommen, vertreten wären, iſt noch keine Rede. Uebergänge von einer zur anderen Form ſind noch keineswegs nachgewieſen, und ſomit müſſen wir die verſchiedenen einſtweilen wohl als Arten betrachten.

Unter allen Steinböcken geht uns ſelbſtverſtändlich diejenige Art am nächſten an, welche unſere Alpen bewohnt. Mit Unrecht überſetzt man den lateiniſchen Namen Capra Ibex noch immer mit europäiſcher Steinbock; denn von allen anderen Arten unſeres Erdtheiles leben ſicherlich gegenwärtig ihrer noch viel mehr, als von dem Steinbock der Alpen, welcher leider ſeinem gänzlichen Untergange mit ſchnellen Schritten entgegen eilt.

Der Alpenſteinbock (Capra Ibex oder Ibex alpinus) iſt ein ſtolzes, anſehnliches, ſtattliches Geſchöpf von bis 5 Fuß Leibeslänge, 2 bis 3 Fuß Höhe und bis 2 Centner Gewicht. Das568Die Ziegen. Der Alpenſteinbock.ganze Thier macht den Eindruck von Kraft und Ausdauer. Der Leib iſt gedrungen und ſtark, der Hals mittellang, der Kopf verhältnißmäßig klein, aber ſtark an der Stirn gewölbt; die Beine ſind kräftig und mittelhoch; das Gehörn iſt gewaltig. Lebhafte mittelgroße Augen verleihen dem Steinbock ein kühnes und verſtändiges Ausſehen, und ſein ganzes Leben rechtfertigt dieſe Meinung. Die Behaarung iſt rauh und dicht, verſchieden nach der Jahreszeit. Jm Winter iſt ſie länger, gröber, krauſer und matter, im Sommer kürzer, feiner, glänzender; während der rauhen Jahreszeit iſt ſie mit einer dichten Grundwolle durchmengt, mit zunehmender Wärme fällt dieſe aus. Am Unterkiefer ſind dieſe Haare bei dem alten Männchen etwas verlängert, ohne jedoch einen eigentlichen Bart zu bilden, wie man dieſen noch auf alten ſchlechten Abbildungen dargeſtellt findet; denn niemals wird dieſes Haar hier länger, als 2 Zoll

Der Alvenſteinbeck (Capra Ibex oder Ibex alpinus).

und oft fehlt es gänzlich. Jm übrigen iſt das Haar ſo ziemlich von gleicher Länge. Die Färbung iſt gleichmäßig, nach Alter und Jahreszeit etwas verſchieden. Jm Sommer herrſcht die röthlichgraue, im Winter die gelblichgraue oder fahle Farbe vor. Der Rücken iſt wenig dunkler, als die Unterſeite; ein ſchwach abgeſetzter, hellbrauner Streifen verläuft längs ſeiner Mitte. Stirn, Schei - tel, Naſe, Rücken und Kehle ſind dunkelbraun; am Kinn, vor den Augen, unter den Ohren und hinter den Naſenlöchern zeigt ſich mehr roſtfahle Färbung; das Ohr iſt außen fahlbraun, inwendig weißlich; an der Unterſeite ſind Bruſt, Vorderhals und die Weichen dunkler, als die übrigen Stel - len, und an den Beinen geht die allgemeine Färbung in Schwarzbraun über. Die Mitte des Unter - körpers iſt weiß, der Schwanz iſt oben braun, an der Spitze ſchwarzbraun. Auf der Rückſeite der569Der Alpenſteinbock.Hinterläufe verläuft ein weißlichfahler, heller Längsſtreifen. Mit zunehmendem Alter wird die Fär - bung immer gleichmäßiger.

Das Gehörn, welches beide Geſchlechter tragen, iſt bei dem alten Bocke von ſehr bedeutender Größe und Stärke. Es krümmt ſich einfach bogen - oder halbmondförmig ſchief nach rückwärts. An der Wurzel, wo die Hörner am dickſten ſind, ſtehen ſie einander ſehr nahe; von da entfernen ſie ſich von einander, allmählich ſich verdünnend bis zur Spitze hin. Jhr Durchſchnitt bildet ein längliches, hinten nur wenig eingezogenes Viereck, welches gegen die Spitze hin flacher wird. Die Wachsthums - ringe treten in ſtarken, erhabenen, wulſtartigen Knoten oder Höckern, beſonders auf der Vorder - fläche, hervor und verlaufen auch auf den Seitenflächen des Hornes, wo ſie ſich jedoch nicht ſoweit erheben, als vorn. Gegen die Wurzel und die Spitze zu nehmen ſie allmählich an Höhe ab; in der Mitte des Hornes ſind ſie am ſtärkſten und dort ſtehen ſie auch am engſten zuſammen. Das Wachs - thum dieſer Hörner iſt eigentlich unbeſchränkt, wenn es auch bei ſpäterem Alter der Böcke weit lang - ſamer vor ſich geht, als in der Jugend; ſehr alte Böcke haben aber immer größere Hörner, als jüngere, in den beſten Jahren ſtehende. Die Hörner können eine Länge von bis Fuß und ein Gewicht von 15 bis 30 Pfund erreichen. Das Gehörn des Weibchens ähnelt mehr dem einer weiblichen Hausziege, als dem des männlichen Steinbockes. Die Hörner ſind verhältnißmäßig klein, faſt drehrund, der Quere nach gerunzelt und einfach nach rückwärts gekrümmt. Jhre Länge beträgt ſelbſt bei erwachſenen Thieren nicht mehr als 6 bis 7 Zoll. Schon im erſten Monat des Lebens ſproßt bei dem jungen Steinbock das Gehörn hervor; bei einem etwa einjährigen Bocke ſind es noch kurze Stummel, welche hart über der Wurzel die erſte querlaufende, knorrige Leiſte zeigen; an den Hörnern der zweijährigen Böcke zeigen ſich bereits 2 bis 3 wulſtige Erhöhungen; dreijährige Böcke haben ſchon Hörner von anderthalb Fuß Länge und eine ganze Anzahl Knoten, welche nun mehr und mehr ſteigt und bei alten Thieren bis auf 24 kommen kann.

Eine Zeitlang glaubte man wirklich, daß unſer ſchönes Steinwild gänzlich ausgerottet wäre. Es waren Jahre vergangen, in welchen kein Steinbock erlegt wurde, und unter allen Wild - und Naturfreunden herrſchte das lebhafteſte Bedauern über den Verluſt eines ſolchen Thieres. Glücklicher - weiſe war der Kummer ein unbegründeter. Noch bewohnt das ſtolze Wild unſer herrliches Hoch - gebirge, obgleich freilich in ſehr geringer Anzahl. Jn früheren Zeiten mag der Steinbock wohl über die ganze Alpenkette verbreitet geweſen ſein; vor vielen Jahrhunderten hat er vielleicht auf den tief - ſten Matten der Alpen geweidet: gegenwärtig findet er ſich nur noch auf den Hochgebirgen rings um den Monte Roſa. Jn allen übrigen Theilen der Alpen iſt er ausgerottet. Und Dies iſt nicht etwa erſt ſeit wenigen Jahren geſchehen: bereits vor hunderten von Jahren waren die Steinböcke ſchon ſehr zuſammengeſchmolzen, und wenn im vorigen Jahrhundert nicht beſondere Anſtalten getroffen worden wären, ſie zu hegen, gäbe es vielleicht keinen einzigen mehr. Nach alten Berichten bewohn - ten die Steinböcke in früheren Zeiten alle Alpen Deutſchlands und der Schweiz; auf den Voralpen haben ſie ſich jedoch blos in vorgeſchichtlicher Zeit aufgehalten. Während der Römerherrſchaft müſſen ſie häufig geweſen ſein; denn dieſes prunkliebende Volk führte nicht ſelten ein-bis zweihundert leben - dig gefangene Steinböcke zu den Kampfſpielen nach Rom. Bereits im 15. Jahrhundert waren die Steinböcke in der Schweiz ſelten. Jm Kanton Glarus wurde 1550 das letzte Stück geſchoſſen, in Graubünden konnte der Voigt von Kaſtel dem Erzherzog von Oeſterreich im Jahre 1574 nur mit Mühe noch Böcke ſchaffen. Schon 1612 wurde in den Gebirgen des Oberengadin die Jagd bei 50 Kronen Strafe verboten, obgleich auch hier ohne Erfolg. Aus Salzburg und Tyrol verſchwand un - ſer Wild vor länger als hundert Jahren. Wie Schrank und Moll in ihren naturgeſchichtlichen Briefen berichten, lebte das Fahlwild , wie man die Steinböcke ſonſt nannte, zuletzt auf den Bergen des Zillerthals. Jn der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörte die Steinbockjagd den Herren von Keutſchbach; ſie wurde aber, weil damals jedes Stückchen vom Steinbock als beſonderes Heil - mittel galt, von einer Maſſe von Wilddieben ſo verheert, daß ſich der Beſitzer 1561 ſchutzbittend an ſeinen Fürſten, den Erzbiſchof von Salzburg, wendete, welcher endlich 1584 die Jagdgerechtigkeit570Die Ziegen. Der Alpenſteinbock.ſelbſt übernahm. Die Erzbiſchöfe thaten nun alles Mögliche, um die Ausrottung der edelen Thiere zu verhindern. Sie vervierfachten die Zahl ihrer Jäger, ſetzten Wildhüter in kleine Hütten auf die höchſten Felſen und ließen Junge einfangen, um dieſelben in Thiergärten aufzuziehen. Achtzig bis neunzig der geſchickteſten und muthigſten Jäger waren vom April bis zum Juni beſchäftigt, um die Steinböcke, wenn ſie bei der Schneeſchmelze tiefer herab in die Nähe der Sennhütten kamen, mit Garnen zu fangen. Gleichwohl konnten ſie in drei Sommern nicht mehr als zwei Böcke, vier Geiſen und drei Kitzen erlangen. So ging es durch das ganze Jahrhundert fort, weil die Erzbiſchöfe die Steinböcke zu Geſchenken an auswärtige Höfe benutzten. Man zahlte damals für jeden Herzknochen des Steinbockes einen Dukaten, für ein gefundenes Horn zwei Reichsthaler, für eine Gemskugel zwei Gulden. Deshalb waren 1666 im Zillerthale kaum noch Steinböcke und blos noch etwa 60 Gemſen übrig. Von nun an durfte Niemand mehr einen Steinbock ſchießen, der nicht einen vom Erz - biſchof eigenhändig unterzeichneten Befehl aufzuweiſen hatte. Man gab den Alpenbeſitzern jährlich 100 Thaler, damit ſie kein Vieh mehr auf die oberſten Weiden führten, wo ſich die Steinböcke aufhielten. Bis zum Jahre 1694 hatte ſich das ſtolze Wild wieder auf 72 Böcke, 83 Geiſen und 24 Junge vermehrt. Die Gemſen auf 375 Stück. Als nun aber die Wilddiebereien wieder zunahmen, ließ man die Thiere von neuem einfangen, um ſie zu verſetzen oder zu verſchenken. Jm Jahre 1706 wurden 5 Böcke und 7 Geiſen gefangen und ſeitdem ſah man keine mehr. Zwar hatte man nachher im Jahre 1784 wieder 15 Stück Steinwild zu Hellbrunn, aber die Thiere ſtammten aus Piemont. Jn Wallis fiel 1809 der letzte Bock. Jn den Hochgebirgen von Savoyen waren ſie 1821 ſo ſelten geworden, daß Zummſtein ſich auf das wärmſte für ſie verwendete. Er brachte es auch bei der Regierung dahin, daß die Jagd bei ſchwerer Strafe verboten wurde, und wahrſcheinlich haben ſich nur dadurch die Thiere erhalten. Jn den dreißiger Jahren ſchoß man, wie man glaubte, die letzten Steinböcke an den Aiguilles rouges und den Dents des Bouquetins, und als nun einige Jahre ſpäter auf der Seite nach Arolla hin 7 Stück Steinwild durch eine Lauine verſchüttet wur - den, hielt man ſie für gänzlich ausgerottet. Zwölf Jahre lang bemerkte man keine Spur mehr; gegenwärtig ſieht man nach Tſchudi in Folge des in Piemont ſtreng eingehaltenen Jagdverbotes am ſüdlichen Monte Roſa und in deſſen Verzweigung wieder Rudel von 10 bis 18 Stück bei einander. Man hat es nun ſchon ſeit lange her verſucht, den Steinbock aus dem nahen Piemont wieder in die Schweiz zu verpflanzen und auf den Alpen zu züchten; alle Verſuche blieben aber fruchtlos und wer - den es bleiben, weil gegenwärtig die Muſeen ſo hohe Preiſe für Steinböcke zahlen, daß jeder Jäger dadurch angelockt wird, ſie, aller Strafen ungeachtet, auf das eifrigſte zu verfolgen.

Die Steinböcke halten ſich in kleinen Rudeln zuſammen; alte, murrköpfige Böcke werden von denſelben abgeſondert. Die höchſten Weiden der Alpen in unmittelbarer Nähe der Schneefelder und Gletſcher bilden den Aufenthalt eines Trupps. Alte Böcke ſcheinen die Höhen und ſchroffen Grate beſonders zu lieben. Bei Tage liegen oder ſtehen ſie ſtill, nach Beobachtungen glaubwürdiger Jäger manchmal tagelang auf der gleichen Stelle, am liebſten auf Felſenvorſprüngen, welche ihnen den Rücken decken und eine freie Umſchau gewähren. Die Ziegen mit den Jungen haben ſich etwas tiefer im Gebirge einen bequemeren Platz ausgeſucht. Nachts zieht das Rudel in die höchſt gelegenen Bergwälder herab, um ſich dort zu äßen, bei Sonnenaufgang ſteigt es wieder nach oben. Jm Som - mer ſuchen die Steinböcke die Nordſeite und die Nähe der Gletſcher auf, im Winter die warmen Stellen nach Süden hin. Stechende Sonnenhitze iſt ihnen ebenſo zuwider, als eine übermäßige Kälte, obgleich ſie gegen letztere ſehr unempfindlich zu ſein ſcheinen. Man hat alte Böcke auf Felſen - ſpitzen ſtundenlang wie Bildſäulen ſtehen ſehen, obgleich ſie der Eisſturm umtobte; man hat andere geſchoſſen und gefunden, daß deren Ohren förmlich erfroren waren. Junge Steinböcke ſollen nicht ſelten der Kälte zum Opfer fallen.

Nur äußerſt wenige Wiederkäuer, wahrſcheinlich blos die Gemſe und vielleicht noch der Goral und der Klippſpringer ſind ſo befähigt, die höchſten und gefährlichſten Gebirge zu be - wohnen, wie die Steinböcke. Alle Bewegungen dieſes Wildes ſind raſch, kräftig und dabei doch571Der Alpenſteinbock.leicht. Der Steinbock läuft ſchnell und anhaltend, klettert mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und läuft mit unglaublicher, geradezu unverſtändlicher Sicherheit und Schnelligkeit an Felswänden hin, wo er kaum Fuß faſſen kann. Eine Unebenheit der Wand, die das menſchliche Auge ſelbſt in der Nähe kaum wahrnimmt, genügt ihm, ſicher auf ihr zu fußen; eine Felsſpalte, ein kleines Loch in der Wand, werden ihm zu den Stufen einer gangbaren Treppe. Seine Hufen ſetzt er ſo feſt und ſicher auf, daß er auf dem kleinſten Raum ſich erhalten kann. Man hat Steinböcke geſehen, welche mit allen vier Füßen auf einem Pfahl ſtanden. Schinz beobachtete, daß unſer Thier mit der größ - ten Richtigkeit den Platz erreicht, nach welchem es gezielt hat. Ein ganz junger zahmer Steinbock in Bern ſprang einem großen Mann ohne Anlauf auf den Kopf und hielt ſich daſelbſt nur mit ſeinen vier Füßen feſt. Einen anderen ſah man auf der ſcharfen Kante eines Thürfußes ſtehen und eine ſenkrechte Mauer hinaufſteigen, ohne alle Stützpunkte, als die Vorſprünge der Mauerſteine, welche durch den abgefallenen Mörtel ſichtbar waren. Gleichlaufend mit der Mauer ſprang er mit drei Sätzen auf dieſelbe. Er ſtellte ſich dem Ziele, welches er erreichen wollte, gerade gegenüber und maß es mit dem Auge, dann durchlief er mit kleinen Schritten einen gleichen Raum, kam mehrmals auf dieſelbe Stelle zurück, ſchaukelte ſich auf ſeinen Beinen, als wenn er ihre Schnellkraft verſuchen wollte, ſprang dann auf und war in drei Sätzen oben. Beim Springen ſcheint er die Felſen oder die Mauer kaum zu berühren und ſeinen Körper wie einen Ball in die Höhe zu ſchnellen. Auch über Gletſcher ſoll er, wenn er gejagt wird, weit leichter, als die Gemſen laufen; doch ſucht er ihnen auszuweichen. Wahrhaft großartig iſt auch die Sicherheit, mit welcher er über Abgründe und Felſen - klüfte ſetzt. Spielend ſchwingt er ſich von einer Klippe zur anderen und ohne Beſinnen ſetzt er aus bedeutenden Höhen herab in die Tiefe. Die alten kindlichen Berichterſtatter erſannen wunderliche Märchen, um dieſe auffallenden Fähigkeiten der Steinböcke zu erklären und manche dieſer Märchen haben ſich Jahrhunderte fortgeſponnen und werden heute noch von Unbewanderten auf Treue und Glauben hingenommen. So meint Geßner, daß das Thier ſeine gewaltigen Hörner hauptſächlich benutze, um ſich aus bedeutenden Höhen auf ſie zu ſtürzen, ſie aber auch anwende, um herabrollende, ihm Verderben drohende Steine aufzufangen. Wenn der Steinbock merke, daß er ſterben müſſe, ſteige er auf des Gebirges höchſten Kamm, ſtütze ſich mit den Hörnern auf einen Felſen und gehe rings um denſelben herum, immer in Kreiſen, und treibe dieſes Spiel fort, bis daß die Hörner ganz abgeſchliffen wären: dann falle er um und verende.

Die Stimme des Steinbockes ähnelt dem Pfeifen der Gemſe, iſt aber gedehnter. Jm Schrecken vernimmt man ein kurzes Nieſen von ihm. Jm Zorn bläſt er geräuſchvoll durch die Naſenlöcher. Jn der Jugend meckert er.

Unter den Sinnen ſtehen Geruch und Geſicht oben an; aber auch das Gehör iſt vortrefflich. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind keineswegs gering. Der Steinbock iſt nicht blos ſcheu, ſondern auch berechnend vorſichtig und merkt es ſehr bald, wo ihm Gefahr droht. Alten Böcken iſt kaum beizu - kommen. Jn ihren übrigen Eigenſchaften ähneln die Thiere ſehr den Ziegen; nur ſind ſie ruhiger und langweiliger. Sie haben aber denſelben Muth und, wenigſtens ſolange ſie jung ſind, daſſelbe neckiſche Weſen, wie unſere geſchätzten Hausthiere.

Die Aeßung beſteht in den vortrefflichſten Alpenkräutern. Jm Winter und bei ſchlechter Wit - terung äßen ſie ſich von den Knospen der Zwergweiden, Birken, Erlen, Alpenroſen und verſchiede - nen Flechten. Namentlich die Fenchel - und mancherlei Wermutharten, wie auch Riedgräſer ſind ihnen angenehm. Sehr gern lecken ſie das Salz, welches aus dem mürden Geſtein der Felſen wittert.

Während das Steinwild auf Aeßung zieht, kommt es manchmal mit den Gemſen und den Hausziegen zuſammen. Von erſteren hält es ſich immer fern, mit letzteren macht es ſich aber gern etwas zu ſchaffen, ſeine nahe Verwandtſchaft gleichſam fühlend. Der Steinbock paart ſich auch ohne große Umſtände mit den Ziegen.

Die Brunſtzeit fällt in den Januar. Starke Böcke kämpfen mit ihren gewaltigen Hörnern muthvoll und ausdauernd unter einander. Wie Ziegenböcke rennen ſie auf einander los, ſpringen572Die Ziegen. Der Alpenſteinbock.dabei auf die Hinterbeine und verſuchen den Stoß ſeitwärts zu richten. Von dem Zuſammenprallen der Hörner hört man es im Gebirge wiederdröhnen. An ſteilen Gehängen mögen dieſe Kämpfe oft gefährlich werden, und ſicherlich wird mancher liebesbrünſtige Bock ſein junges Leben laſſen müſſen, wenn er, von Liebesgluth entzündet, mit dem Unrechten in Kampf und Streit ſich einließ. Die Ziege gibt ſich ohne weiteres dem Sieger preis. Fünf Monate nach der Begattung, meiſt in der letzten Woche des Juni oder im Anfange des Juli, wirft ſie ein Junges, an Größe etwa einem neugeborenen Zicklein gleich, leckt das neu Geborene trocken und läuft dann luſtig mit ihm davon. Dieſes iſt ein kleines, höchſt niedliches, munteres und, wie Schinz ſagt, ſchmeichelhaftes Ge - ſchöpf. Es kommt mit ſeinem erſten wolligen Haar bedeckt zur Welt und kleidet ſich erſt vom Herbſt an in ein aus ſteiferen, langen Grannen beſtehendes Gewand um. Bereits wenige Stunden nach der Geburt iſt der Guckindiewelt faſt ein ebenſo kühner Bergſteiger, als ſeine Mutter. Dieſe liebt ihn außerordentlich, leckt ihn rein, leitet ihn, meckert ihm freundlich zu, ruft ihn an ſich, hält ſich, ſo lange ſie ihn ſäugt, mit ihm in Felſenhöhlen verborgen und verläßt ihn nie, außer wenn der tückiſche Menſch ihr gar zu gefährlich ſcheint und ſie das eigene Leben retten muß, ohne welches auch das ihres Kindes verloren ſein würde. Bei drohender Gefahr eilt ſie an fürchterlichen Gehängen hin und ſucht in dem wüſten Geklüft ihre Rettung. Das Zicklein aber verbirgt ſich äußerſt geſchickt hin - ter Steinen und in Felſenlöchern, liegt dort mäuschenſtill und ohne ſich zu rühren, und äugt und lauſcht und wittert ſcharf nach allen Seiten hin. Sein graues Haarkleid iſt ganz geeignet, einſtweilen Mutterſtelle an ihm zu vertreten. Es ähnelt den Felswänden und Steinen derart, daß auch das ſchärfſte Falkenauge nicht im Stande iſt, ein auf den Boden gedrücktes Steinböckchen wahrzunehmen, oder vom Felſen zu unterſcheiden. Jch ſelbſt weiß aus eigener Erfahrung, wie unglaublich ſchwer es hält, lagernde Steinböcke aufzuheben; denn ich habe oft ſtundenlang mit einem ſehr ſcharfen Fern - rohte die Halden und Felswände des Sinai abgeſucht, ohne die Thiere wahrzunehmen, welche die Beduinen als ſtändige Bewohner ſolcher Stellen wußten, und unter Umſtänden auch mit ihren köſt - lichen Augen auffanden. Sobald die Gefahr vorüber iſt, findet die gerettete Mutter ſicher den Weg zu ihrem Kinde wieder; bleibt ſie aber zu lange aus, ſo kommt das Steinzicklein aus ſeinem Schlupf - winkel hervor, ruft nach der Alten und verbirgt ſich dann ſchnell wieder. Wird die Mutter verwun - det oder getödtet, ſo flieht es anfangs furchtſam und entſetzt, kehrt aber bald und immer wieder um und hält lange und feſt an der Gegend, wo es ſeine treue Beſchützerin verloren, traurigen Herzens ſein Leben friſtend.

Eigenthümlich iſt es, daß ein junger Steinbock, wenn ſeine verwundete Mutter zu ihm zurück - kommt, zwar freudig auf dieſelbe zuläuft, aber, ſobald er den Geruch des Blutes wahrnimmt, ängſtlich von ihr flieht und durch keine Liebkoſungen der Alten zu bewegen iſt, wieder zu ihr zurück - zukehren. Es iſt Dies eine Wahrnehmung, welche man auch bei anderen Wiederkäuern gemacht hat.

Bei Gefahr vertheidigt die Steinbockziege ihr Junges nach beſten Kräften. Der berühmte Steinbockjäger Fournier aus dem Wallis ſah einmal ſechs Steinziegen mit ihren Jungen weiden. Als ein Adler über ihnen kreiſte, ſammelten die Ziegen ſich mit den Jungen unter einem überragen - den Felsblocke und richteten die Hörner nach dem Raubvogel, ſich je nachdem der Schatten des Adlers auf dem Boden deſſen Stellung bezeichnete, nach den bedrohten Seiten zu wendend. Der Jäger beobachtete lange dieſen anziehenden Kampf und verſcheuchte zuletzt den Adler.

Nächſt dem Steinadler ſind Wolf und Fuchs, und vielleicht noch der Lämmergeier, ge - fährliche Feinde des Steinwildes, wenn auch ſie alle den älteren Steinböcken nicht viel anhaben mögen. Ohne den Menſchen, dieſen Erzfeind der Thiere, würden die Steinböcke wahrſcheinlich noch in großer Anzahl auf den Alpen zu finden ſein. Die Steinbocksjagd zieht nicht blos ihres Ge - winnes wegen, ſondern ihrer ungeheueren Schwierigkeiten halber den Menſchen mächtig an. Es iſt eine der gefährlichſten und beſchwerlichſten Vergnügungen, welche es geben kann. Gegenwärtig be - treiben ſie auch nur Raubſchützen oder Naturforſcher, erſtere, um einen guten Gewinn zu erzielen, letztere aus leicht erklärlichen Urſachen. Der Auguſt und September, wo der Steinbock am fetteſten573Der Alpenſteinbock.iſt, ſind die geeignetſten Monate zu dieſer Jagd. Der Jäger, welcher ſie betreiben will, muß ein kühner Mann ſein, dem es durchaus nicht darauf ankommt, 8 bis 14 Tage lang fern von dem Men - ſchen und deſſen Treiben in der Wildniß zu leben und tagtäglich hunderte von Malen dem Tode in das Auge zu ſehen; er muß in jenen eiſigen Höhen die Nacht verbringen, und vertraut ſein im gan - zen Gebirge. Gewöhnlich gehen ihrer Zwei oder Drei, den Ranzen mit den nothdürftigſten Lebens - mitteln gefüllt, zu ſolcher Jagd aus; oft ſchlafen ſie auf den Steinen ſogar ſtehend, indem ſie ſich umſchlingen, um nicht in die Abgründe zu ſtürzen. Der Steinbock, ſagt Tſchudi, läßt ſich nicht jagen, wie gewöhnliches Wild. Steht der Jäger nicht höher, als das Thier, welches ihn wit - tert, ſo iſt an keine Schußnähe zu denken. Deshalb muß der Jäger früh auf den höchſten Spitzen ſein; mit Tagesanbruch zieht ſich auch das Hochwild in die Höhe. Das Uebernachten an der Schnee - grenze, ohne Obdach, oft nur durch Steinetragen und Springen vor dem Erfrieren ſich zu ſchützen, iſt wohl ein Tropfen Wermuth im Becher der Jagdluſt. Dazu kommen noch die Gefahren der Gletſcher, des Verſteigens und hundert andere.

Jn einer alten Druckſchrift wird erzählt, daß ein Jäger bei der Steinbocksjagd in eine tiefe Eisſchrunde fiel, dort in der grauenvollſten Lage in ſteter Todesfurcht und Todesgefahr viele gräßliche Stunden verlebte und endlich erſt mit zerſchellten Armen aus Tageslicht gezogen wurde. Jn dieſem unergründlich tiefen Kerker, ſagt der Erzähler, ſtritten wider ihne das Waſſer, die Lufft und das Eis, von welchen Elementen das erſte ihne wollte verſchlingen, das andere verſtecken und durch auf - liegende Schwerkraft verdrucken, das dritte wegen ſeiner Schlüpferigkeit nicht halten. Alle Jäger aber verſichern, ſagt Tſchudi, daß kein Gefühl auf Erden dem gleiche, wenn das weidende Thier ſich ihnen ſchußgerecht zur Beute ſtelle. Wochenlang iſt es verfolgt, belauſcht, geſpürt, Schritt für Schritt iſt der Jäger dem herrlichen Bock nachgeſchlichen, den er vielleicht noch nie geſehen; in den kalten Nächten hat die Hoffnung der nahen Beute die zitternden Glieder neu belebt. Endlich ſieht er von fern das ſtattliche Thier mit den gewaltigen Knotenhörnern an der unzugänglichen Felswand lagernd. Jetzt den Wind abgewonnen, ſtundenlang über eifige Schneefelder geſchritten, um ihm in den Rücken zu kommen. Er ſieht das Thier nicht; er ahnt aber, daß es in ſeiner Lage geblieben iſt, und endlich iſt es umgangen. Behutſam blickt er vor nach dem Felſen, der Bock iſt fort; hundert Schritte weiter wiegt er ſich, in den Lüften, ſchnobernd, auf einer Zoll breiten Felſenkante. Mit hochklopfendem Herzen, zitternd vor Hoffnung und Furcht, naht der Jäger, legt den Stutzen auf, der Schuß hallt mächtig durch die todesſtille Alpenwelt und der zuckende Bock liegt blutig zwiſchen den Steinen.

Wahrhaft grauenvoll ſind die Erzählungen, welche einzelne Jäger uns hinterlaſſen haben. Sie kämpfen buchſtäblich oft wochenlang fortwährend mit dem Tode; ſie leiden alle Qualen, welche ein un - wirthliches, gefahrreiches Land über den Menſchen verhängen kann und ſie verzagen doch nicht! Oft genug kommt es vor, daß das erlegte Thier noch flüchtig fortrennt und in der Todesangſt über die furchtbaren Felswände hinabſtürzt, da unten zerſchellend, und anſtatt dem Menſchen, nur den Adlern und Geiern zur Beute werdend. Und wenn auch der Jäger glücklich geweſen iſt und ein Thier erlegt hat: mit der Erlegung beginnen die Beſchwerden von neuem. Der Bock wird auf der Stelle ausgeweidet, um die ſchwere Laſt möglichſt zu vermindern. Dann bindet man die vier Füße am Knie zuſammen und den Kopf mit den ſchweren Hörnern hinten feſt. Die Flinte wird über die rechte Schulter und Bruſt gehängt, das Thier mit den zuſammengebundenen Beinen über die Stirn gelegt; und ſo tritt der Mann mit ſeiner gegen zwei Centner ſchweren Bürde den Rückweg an: einen Rückweg, welcher oft genug an ſteilen Abgründen und an Kanten dahinführt, wo ein einziger Fehltritt Mann und Thier in die gierige Tiefe ſtürzt. Und weil es nun meiſtens noch Raubſchützen ſind, welche auf verbotenen Wegen wandeln, ſo müſſen die Jäger noch anderer Feinde gewärtig ſein. Sie müſſen, wie Verbrecher, nach allen Seiten hin ausſchauen, um der ihnen ſonſt ſicheren Kugel des Jagdberechtigten zu entgehen. So kommt es nur zu oft vor, daß die Steinbocksjäger, anſtatt574Die Ziegen. Der Alpenſteinbock.den Lohn ihres ſauren Gewerbes in die armen Hütten zu bringen, dahin Noth und Elend tragen, daß man, anſtatt des Wildes, ihren Leichnam zu den Angehörigen bringt.

Noch ſchwieriger als die Jagd iſt der Fang des ſcheuen Thieres. Alte Steinböcke bekommt man lebendig nicht in ſeine Gewalt; man muß alſo Jungen nachſtellen, und auch dieſe kann man blos erhalten, wenn man die Mutter wegſchießt. Die Biſchöfe, welche die erwähnten Steinböcke zu züchten verſuchten, ließen alle hochbeſchlagenen Steinziegen ununterbrochen von einer Menge Jäger beobachten, und ſobald die Thiere geſetzt hatten, die Jungen ergreifen; denn ſchon wenn dieſe trocken geworden ſind, iſt es kaum möglich, ſie zu erhaſchen. Abgeſehen von allen dieſen Mühen hat es auch ſeine Schwierigkeiten, die jungen Steinböcke von der Höhe herab in das Thal zu bringen, und ohne eine alte, ſäugende Hausziege, welche unterwegs ihr Euter dem kleinen Geſchöpf bietet, iſt Dies gar nicht möglich.

Solche jung eingefangene Steinböcke werden außerordentlich zahm. Sie zeigen ſich zutraulich, kommen herbei, wenn man ſich ihnen nähert, und laſſen ſich berühren und ſchmeicheln. Mit den Hausziegen, denen das Pflegegeſchäft zufällt, leben ſie in vollſter Eintracht. Es ſind luſtige, nette Geſchöpfe, welche im Anfange viel Spaß und, wenn ſie erwachſen ſind, viel Aerger machen. Nager in Andernach beſaß in der letzten Zeit zwei Jahre lang einen jungen Steinbock, welcher äußerſt zahm war, ganz frei weidete und ſich den Tag über am liebſten auf dem Dache einer Alphütte aufhielt. Jm Auguſt hatte dieſer Naturforſcher ſogar eine Herde von acht Stück Steinwild auf einer Alp bei einander. Auch in Bern und in Wien hat man in neueſter Zeit wiederholt Steinböcke in der Gefangenſchaft gehabt.

Es iſt bekannt, daß der Steinbock ſich nicht blos fruchtbar mit anderen Arten ſeines Geſchlechts, ſon - dern auch mit der gemeinen Hausziege vermiſcht, ebenſowohl in der Gefangenſchaft, als auch im freien Zuſtande. Durch ſolche Kreuzung werden Blendlinge erzeugt, welche ſtark und kräftig ſind und dem Steinbocke gewöhnlich viel mehr gleichen, als der Ziege, wenn ſie auch im Gehörn große Aehnlichkeit mit dem Ziegenbocke haben. Hinſichtlich der Färbung ähneln ſie bald dem Vater, bald der Mutter. Läßt man nun ſolche aus der Kreuzung des Steinbockes mit der Hausziege hervorgegangene Baſtarde wieder mit dem Steinbocke ſich paaren, ſo erhält man Blendlinge, welche dem Steinbocke ſchon viel mehr ähneln, und wenn man dieſe wiederum mit dem Steinbocke ſich vermiſchen läßt, Junge, die dem echten Steinbocke faſt gänzlich gleichen.

Fitzinger erzählt ſehr ausführlich die Verſuche, die man bisher gemacht hat, um Steinwild in der Gefangenſchaft zu züchten, und deshalb will ich ihn hier reden laſſen:

Die kaiſerliche Menagerie zu Schönbrunn und in neueſter Zeit auch Erzherzog Ludwig von Oeſterreich zu Hellbronn haben dieſem Gegenſtande beſondere Aufmerkſamkeit zugewendet und die Zuchten werden an beiden Orten zu jeder Zeit mit großer Sorgfalt gepflegt und zu erhalten geſucht. Daß ſich der Steinbock auch im freien Zuſtande mit der Hausziege paart, unterliegt keinem Zweifel; man hat in den piemonteſiſchen Alpen zuverläſſige Beobachtungen hierüber gemacht. Zwei während des Winters in den dortigen Gebirgen zurückgebliebene Hausziegen kehrten im Frühjahre trächtig ins Thal zurück und warfen unverkennbare Blendlinge. So wie die jungen Steinböcke, ſo ſind auch die jungen Baſtarde anfangs ſehr zahm, doch nur bis zu einem gewiſſen Alter. Sie ſind ſchon in ihrer erſten Jugend viel leichter, ſtärker und munterer als gewöhnliche junge Hausziegen von gleichem Alter. Die Hörner des einjährigen Männchens aus der erſten Kreuzung nähern ſich immer mehr denen des Ziegen - als des Steinbockes, obſchon ſie viel größer und dicker als bei einem Ziegenbocke von gleichem Alter ſind, beſonders aber an der Wurzel. Sie haben zu jener Zeit nur eine knorrige Längskante und einen einzigen Knoten an der Wurzel, während ſie im übrigen gerunzelt ſind. Jn Anſehung der er - habenen Stirne kommen dieſe Blendlinge mehr mit dem Steinbocke überein, und ebenſo in der Geſtalt und Grundfarbe. Häuſig findet man an ihnen aber Abzeichen der Mutter, wie den ſchwarzen Rücken und Schulterſtreifen, die ſchwarzen Flecken an den Füßen und bisweilen auch einen ſchwarzen Streifen am Bauche. Männliche Baſtarde aus der zweiten Kreuzung kommen, wenn ſie bereits ein Alter575Der Alpenſteinbock.von Jahren erreicht haben, dem ausgewachſenen Steinbocke an Größe, Stärke und Vollendung der Hörner ſchon ſehr nahe, und übertreffen ihn bisweilen in allen dieſen Beziehungen. Die Männ - chen der dritten Kreuzung endlich ſind oft kaum mehr vom Steinbocke zu unterſcheiden.

So wünſchenswerth es auch in vielfacher Beziehung iſt, den Steinbock mittelſt ſolcher Baſtarde wie - der auf unſeren Alpen einzuführen, ſo lehrt doch der in den Berner Alpen gemachte Verſuch, wie noth - wendig es ſei, große Vorſicht in Anſehung der Wahl der Alpen anzuwenden, wenn man nicht der vielen Unannehmlichkeiten wegen, die eine ſolche Zucht mit ſich bringt, ſo wie dort genöthigt werden ſoll, dieſelbe wieder aufzugeben oder endlich gar mit Gewalt zu vertilgen. Die Berner Steinbockzucht, welche urſprünglich in den Stadtwällen angelegt wurde, beſtand noch im Jahre 1824 aus einem jährigen Baſtardbocke, der aus der Kreuzung des echten Steinbockes mit einer Baſtardziege hervor - gegangen war, die ſammt ihren Jungen im Jahre 1820 aus dem Thale von Aoſta auf die Berner Alpen gebracht wurden, dann einer echten Steinziege, die in demſelben Jahre als ein Geſchenk des königlich ſardiniſchen Geſandten zur Erzielung einer Zucht dahin kam, und endlich einer Baſtardziege, die von dieſem Baſtardbocke und einer Hausziege ſtammte. Wiewohl dieſe Thiere als frei und wild angeſehen werden konnten, ſo zeigten ſie doch keine Spur, weder von Furcht, noch von Liebe zu dem Menſchen. Auf den Stadtwällen, auf denen ſie ſich munter umhertrieben, machte der Baſtardbock nicht ſelten Angriffe auf die Schildwachen und wurde dadurch auch bald verhaßt. Mehr als einmal unterbrach er die im Freien, in der Nähe der Sternwarte angeſtellten aſtronomiſchen Beobachtungen, ſtieg auf einen benachbarten Spaziergang hinab und jagte die Leute, welche ſich hier vergnügen woll - ten, in die Flucht oder gefiel ſich auch, die an die Wälle anſtoßenden Dächer der Gebäude zu beſteigen und die Ziegel, mit denen ſie gedeckt waren, zu zertrümmern.

Die vielen Klagen, welche von allen Seiten über dieſe Steinbockzucht in den Berner Stadtwällen einliefen, beſtimmten die Behörde, dieſelbe auf den Abendberg bei Jnterlacken zu verpflanzen. Die Stein - und Baſtardziege zogen nach den Höhen, der Baſtardbock hingegen gefiel ſich beſſer in den be - wohnteren Gegenden. Täglich kam er mehrere Male zur Alpenhütte und war zuletzt mit keiner Ge - walt mehr von derſelben wegzubringen. Den Sennen ſtieß er zu Boden, wenn er es verſuchte, ſich ihm zu widerſetzen, und es hätte einmal wenig gefehlt, daß er ihn ſogar getödtet hätte, wenn ihm nicht die Sennerin ſchnell zu Hilfe gekommen wäre, die, aus glücklichem und richtigem Jnſtinkt, den Bock beim Bart, ſeiner empfindlichſten und faſt auch einzigen ſchwachen Stelle, ergriffen hatte. Wegen der Ver - heerungen in den Pflanzungen und wegen der Gewaltthätigkeiten, die der Bock faſt jeden Augenblick verübte, wurde die ganze Familie weiter hinauf auf die Höhen des Sareten-Thales gebracht. Der Bock mußte durch vier Männer an einem ſtarken Seile fortgeſchleppt werden und warf öfter als ein Mal ſein ganzes kräftiges Geleite zu Boden. Ein ſtarker Gemſenjäger übernahm nun mit beſonderer Vorliebe die Aufſicht über jene Zucht; doch bewieſen dieſe Thiere ihrem Beſchützer wenig Dankbarkeit. An einem ſenkrechten Felsabſturz, und kaum einen Schritt vom tiefen Abgrunde entfernt, mußte ein - mal der beſorgte Jäger über eine Stunde lang mit dem Baſtardbocke ringen, der nicht davon ablaſſen wollte, ihn in die Tiefe hinabzuſtürzen. Auch hier war dieſer Bock bald zum Schrecken der Sennen geworden, indem er beſtändig von den Höhen bis zu den Hütten herabkam und die Sennen geradezu überfiel. Seit einigen Monaten hatte er bereits ſeine Ziegen ganz verlaſſen und ſich im Thalgrunde von Sareten aufgehalten. Dem kräftigen Gemsjäger, der ihn überwachen ſollte, gelang es jedoch, ihn auf ſeine Höhen zurückzuführen; aber ſchneller als ſein Bändiger, war der Bock wieder im Thale, ſtieß mit ſeinen mächtigen Hörnern alle Thüren in den Ställen ein, in denen er Ziegen witterte, be - ſprang dieſelben und verfolgte ſelbſt die Sennerinnen in ihre Küchen und Keller. Man hoffte zwar, daß nach dem Vorübergehen der Brunſtzeit der wilde Bock ſich wieder zu ſeiner früheren Geſellſchaft halten würde, welche in der Zwiſchenzeit ganz ruhig auf den höheren Alpen weidete: allein wenige Tage, nachdem er der Haft entlaſſen und auf ſeine Höhen zurückgebracht worden war, erſchien er plötz - lich zu Wilderswyl, in der Fläche hinter einer Herde von Ziegen daher rennend, die in voller Eile ins Dorf gelaufen kam.

576Die Ziegen. Der Alpenſteinbock.

Die einzige noch übrige reine Steinziege, die vom Baſtardbocke und von der bösartigen Baſtard - ziege viele Mißhandlungen zu erdulden hatte, ging im Winter des Jahres 1825 an einem Lungen - leiden zu Grunde und mit Thränen in den Augen brachte der Gemſenjäger, der dieſer Zucht zu warten hatte, die Nachricht von ihrem Tode ins Thal. Der Baſtardbock hatte bereits eine zahlreiche Nach - kommenſchaft mit den Hausziegen der Aelpler erzeugt, die ſich vorzüglich darin geſiel, die höchſten Stellen in dem ihr zugewieſenen Bezirke zu erklettern. Oft erſtiegen einzelne dieſer Thiere Punkte, von denen ſie bisweilen nicht mehr allein und ohne menſchliche Hilfe herabzuſteigen wagten. So er - kletterte eine der Baſtardziegen einmal einen Thurm, auf dem ſie, aus Scheu vor einem Sturze, durch drei volle Tage verweilte, bis man ſie endlich mit großer Mühe herabholte. Die endloſen Klagen, die von den Bewohnern des Sareten-Thales über den Baſtardbock einliefen, hatten zur Folge, daß man ihn ſammt der Baſtardziege auf die Grimſelalpe verſetzte. Da er aber auch dort allerlei Unfug trieb, mußte er endlich getödtet werden, und die alte Baſtardziege auf der Grimſel ging in der Folge ein. Die Nachkommen, welche er aus der Paarung mit Hausziegen im Berner Oberlande zurückließ, zeichneten ſich bei Zunnahme des Alters gleichfalls durch beſondere Wildheit aus. So lange ſie noch jung waren, beluſtigten ſie die Sennen durch ihre muthwilligen Sprünge und Geberden; als ſie aber älter und kräftiger wurden, fielen ſie den Eigenthümern ihrer Mütter zur Laſt und wurden ſämmtlich geſchlachtet. So endete die Berner Steinbockzucht, ohne daß der heabſichtigte Zweck durch ſie erreicht werden konnte.

Es iſt eine wahre Frende für den Thierfreund, daß die ſpaniſchen Steinböcke bis jetzt dem Schick - ſale ihrer Verwandten auf den Alpen nicht entgegen gehen. Noch ſind auf allen Hochgebirgen der iberiſchen Halbinſel die ſtolzen Thiere verbreitet und an manchen Orten ſogar noch ziemlich häufig. Mit Sicherheit iſt der ſpaniſche Steinbock noch zu finden in den eigentlichen Pyrenäen und allen von ihnen auslaufenden Hochketten, in den Sierras Guadarama und Degredos, ſowie in der Fort - ſetzung des Gebirges in der Sierra Eſtrella, einzeln auch in den andaluſiſchen Gebirgen, nament - lich in den Sierras de Ronda, von Malaga Nevada und Anjanilla, endlich in den Sierras Morena, Sagua und auf den menſchenleeren Hochebenen von Cuenca. Alle ſpaniſchen Jäger kennen das ſtolze Wild, welches der Landesname Cabramontes trefflich bezeichnet, und noch in allen Gebirgsdörfern findet man Beutezeichen ſeiner Jagd, Gehörne, welche in die Mauern eingefügt wurden. Leider thut die verabſcheuungswürdige Bubenjägerei der Spanier ihr Möglichſtes, die Ver - tilgung des edelen Thieres zu bewerkſtelligen. Obwohl die Geſetze nach der geſtatteten Jagdzeit die Hegung der Thiere gebieten, denkt doch Niemand daran, die letztere einzuhalten, ſondern jeder Jäger ſchießt alte und junge Böcke, trächtige und gelte gehende Ziegen zuſammen, wie ſie ihm eben vor’s Rohr kommen. Das hat denn auch bereits zur Folge gehabt, daß die Steinböcke der Sierra Nevada bald unter die geweſenen Thiere gezählt werden müſſen, während ſie früher dort häufig waren. Der bedeutende Gewinn der Jagd, welcher mindeſtens 12 Thaler unſeres Geldes abwirft, gilt dem Spa - nier mehr als jede andere Rückſicht.

Gegenwärtig ſcheint der Steinbock noch im ſpaniſchen Mittelgebirge, namentlich in der Sierra de Credos häufig zu ſein. Hier ſah Graëlls im April 1851 noch Rudel von 50 bis 60 Stück, und die von ſeinem Sommerausfluge mitgebrachten Böcke, welche eine Zierde des Muſeums von Madrid bilden, geben Zeugniß, daß die Thiere dort noch ein hohes Alter erreichen. Die Schwierigkeit der Jagd verhindert glücklicher Weiſe jeden Laſſen, in dem Hochgebirge umher zu ſtreifen, und die meiſten Spanier führen jetzt noch ſo ſchlechte Gewehre, daß ſchon ein ganz vorzüglicher Jäger dazu gehört, um einen Steinbock zu erlegen.

Es iſt eigenthümlich, daß der ſpaniſche Steinbock im Norden in der Nähe der Schneefelder lebt, während er im Süden mehr das Mittelgebirge bevorzugt, und dieſer Unterſchied in der Lebensweiſe würde allerdings auch für Artverſchiedenheit beider Thiere ſprechen.

Jn den erſten Tagen des Novembers 1856 machte ich mit meinem Bruder und dem Dr. Apetz unter Leitung eines eingeborenen Steinbockjägers den vergeblichen Verſuch, mich eines der auf der577Die Bezoarziege.Sierra Nevada wohnenden Steinböcke zu bemächtigen. Die Zeit der Jagd fällt eigentlich in die Monate Juli und Auguſt, weil dann der Jäger einige Tage lang im Hochgebirge verweilen kann: wir kamen aber erſt im November in die Nähe des reichen Gebirges und wollten wenigſtens nicht ohne weiteres davongehen. Es war ein gewagtes Unternehmen, in der jetzigen Jahreszeit in Höhen von 10,000 Fuß über dem Meere emporzuklettern, und es ſtand von vorn herein zu erwarten, daß unſere Jagd erfolglos ſein würde. Dies hinderte uns jedoch nicht, bis zu dem Picacho de la Valeta empor - zuſteigen und die hauptſächlichſten Jagdgebiete abzuſuchen; das Schneegeſtöber und die eintretende Kälte zwangen uns aber leider noch eher zur Umkehr als wir gewollt hatten, und ſo kam es, daß wir nur die friſchen Fährten des erſehnten Wildes, nicht aber die Steinböcke ſelbſt entdecken konnten.

Mich feſſelte der Ausflug beſonders deshalb, weil ich die Jagdweiſe der Spanier dabei kennen lernte. Diego, ſo hieß unſer Jäger, ſchien in der Steinbocksjagd ſehr erfahren zu ſein. Er führte mich auf wilden Pfaden und Felsgeſimſen dahin, welche allerdings blos mit Haufſchuhen begangen werden konnten, weil der glattſohlige Schuh und ſelbſt ein Alpenſchuh hier entſchieden nicht genug Sicherheit im Gange gewährt haben würde. Auf ſolchen Wegen ſuchte unſer Jäger immer eine ge - wiſſe Höhe zu erreichen und dem Steinwilde aus dem Winde zu kommen; dann krochen wir auf Hän - den und Füßen zu den Felſenhängen hin, legten uns, nachdem wir den Hut abgenommen, platt nieder und ſchauten in die grauſigen Abgründe hinab. Nun ahmte der Mann den eigenthümlichen Pfiff der Steinböcke nach, um hierdurch etwa verborgen liegende aufzuſcheuchen und vor Augen zu bringen. Mit demſelben Pfiff lockt der Jäger, wenn er gut verſteckt iſt, die Steinböcke nicht ſelten auf eine Ent - fernung von weniger als 20 Schritten heran, weil die vorſichtigen Thiere gewöhnlich nach der Seite hin fliehen, von wo der ihnen wohlbekannte Mahnruf kommt. Das erlegte Thier wird augenblicklich oben ausgeweidet, mit wohlriechenden Alpenkräutern ausgefüllt und dann bis zur nächſten Meierei in die Tiefe getragen, von wo aus man es auf Maulthieren weiterſchafft. Für die Haut bezahlen die Sammler 6 bis 8 Thaler; das Fleiſch wird ſehr geſchätzt und in dem nahen Granada theuer verkauft.

Die Ziegen (Hircus) ſind kleiner als die Steinböcke. Jhre Hörner ſind mehr oder weniger zu - ſammengedrückt, beim Männchen ſchneidig und mit Querwülſten oder Runzeln verſehen, beim Weibchen geringelt und gerunzelt; ſie fehlen aber auch nicht ſelten gänzlich. Jm übrigen ähneln die Ziegen ganz den eigentlichen Steinböcken.

Auch unſere Hausziege theilt das Schickſal der übrigen Hausthiere; man weiß nicht, von welcher Art ſie abſtammt. Ueber die wildlebenden Ziegen, welche namentlich Aſien bewohnen, wiſſen wir noch ſo wenig, daß wir noch nicht im Stande ſind, ihre Artenzahl auch nur annähernd anzugeben. Viele Naturforſcher glauben, daß wir der Bezoarziege (Hircus Aegagrus) die Ehre zuerkennen müſſen, uns mit einem ſo nützlichen Hausthiere bereichert zu haben. Letzteres ſtimmt in der That in allen weſentlichen Merkmalen mit erſterer überein; nur die Richtung und Windung der Hörner iſt eine andere. So viel ſteht feſt, daß die Bezoarziege ſich mit unſeren Hausziegenarten fruchtbar ver - miſcht und durch Kreuzung mit derſelben eine beſondere Raſſe hervorgebracht hat, welche als ein echtes Mittelglied zwiſchen beiden Arten ſteht.

Die Bezoarziege iſt zwar etwas kleiner, als der europäiſche Steinbock, aber doch bedeutend größer als unſere Hausziege. Die Länge eines erwachſenen Bockes beträgt ungefähr 5 Fuß, die Länge des Schwanzes 8 Zoll, die Höhe am Widerriſt 3 Fuß und die am Kreuze einen Zoll mehr. Die Ziege iſt etwas kleiner. Der Leib iſt ziemlich geſtreckt, der Rücken ſchneidig, der Hals von mäßiger Länge, der Kopf kurz, die Schnauze ſtumpf, die Stirn breit, längs des Naſenrückens faſt gerade. Die Beine ſind verhältnißmäßig hoch und ſtark, die Hufe ſtumpf zugeſpitzt. Der Schwanz iſt ſehr kurz und gleichmäßig mit langen, zottigen Haaren beſetzt. Am Kopf fallen die verhältnißmäßig kleinen Augen auf. Die Ohren ſind mittelgroß, die Hörner des Männchens ſehr lang und ſtark: ſchon bei jüngerenBrehm, Thierleben. II. 37578Die Ziegen. Die Bezoarziege.Thieren meſſen ſie über 2 Fuß, bei alten oft mehr als 4 Fuß. Sie bilden, von der Wurzel ange - fangen, einen ſehr ſtarken, einfachen und gleichförmig nach rückwärts gekrümmten Bogen, welcher bei alten Männchen ungefähr einen Halbkreis beſchreibt. An der Wurzel ſtehen ſie eng zuſammen, dann beugen ſie ſich bis über ihre Mitte hin allmählich nach abwärts, wenden ſich aber mit der Spitze wie - der ſtark nach vor - und einwärts, ſo daß ſie an ihrem äußerſten Ende um 5 bis 6 Zoll näher zuſam - menſtehen als in der Mitte, wo die Entfernung zwiſchen beiden 12 bis 16 Zoll beträgt. Das rechte Horn iſt ſchwach mit der Spitze nach rechts, das linke nach links gewunden. Sie ſind von beiden Seiten zuſammengedrückt und hinten und vorn ſcharfkantig, auf der äußeren Seite aber gerundet und gewölbt. Die Knoten oder Querwülſte ſteigen bei alten Thieren bis auf zehn und zwölf an. Außer -

Die Bezoarziege (Hircus Aegagrus).

dem bedecken zahlreiche Querrunzeln das Gehörn. Die Behaarung beſteht aus kurzen, mittelmäßig feinen Wollhaaren und etwas längeren, ſtraffen, glatt anliegenden Grannen. Beide Geſchlechter tragen einen ſtarken und langen Bart. Die Färbung iſt ein helles röthlich Grau oder Roſtbräunlich - gelb, welches an den Halsſeiten und gegen den Bauch zu lichter wird; Bruſt und Unterhals ſind dunkelſchwarzbraun, Bauch, Jnnen - und Hinterſeite der Schenkel weiß. Ein ſcharf abgegrenzter, dunkelſchwarzbrauner, von vorn nach hinten ſich verſchmälernder Längsſtreifen verläuft über die ganze Mittellinie des Rückens bis zum Schwanz. Hinter den Vorderbeinen beginnt ein gleichfarbiger Streifen, welcher die Ober - und Unterſeite ſcharf von einander ſcheidet. Die Vorderläufe ſind vorn und ſeitlich dunkelſchwarzbraun, über der Handwurzel, wie die hintere, weiß geſtreift. Der Kopf579Die Bezoarziege.iſt an den Seiten röthlichgrau, auf der Stirn braunſchwarz, vor den Augen und an der Wurzel des Naſenrückens dunkelſchwarzbraun, wie das Kinn und der Kehlbart.

Ein ziemlich ausgedehnter Landſtrich von Weſt - und Mittelaſien iſt die Heimat der Bezoarziege. Sie findet ſich auf der Südſeite des Kaukaſus, in Armenien, Perſien, im Taurus und, falls Dies be - gründet iſt, auch auf den Jnſeln Skorpades oder Skorpando und Kandia oder Kreta, an manchen Orten recht häufig. Sie liebt die Gipfel der Gebirge; die Nähe des ewigen Schnees und die Gletſcher behagen ihr ebenſo ſehr wie dem Steinbocke. Wie alle ihre Verwandten geſellig, lebt ſie dort in klei - nen Rudeln von 10 bis 20 Stück und darüber, welche von einem alten erfahrenen Bock geführt wer - den. Jüngere Böcke ſchlagen ſich wohl auch zu Geſellſchaften von 3 bis 6 Stück zuſammen, alte, mürriſche, raufluſtige werden von den übrigen ſtarken und kampffähigen Männchen der Herde abgeſchlagen.

Jn ihrem Weſen erinnert die Bezoarziege an den Steinbock. Sie läuft raſch und ſorglos auf ſchwierigen Wegen dahin, ſteht oft ſtundenlang, ſchwindelfrei in die ungeheueren Abgründe ſchauend, auf vorſpringenden Felszacken, klettert vortrefflich und wagt gefährliche Sätze mit großem Muth und Geſchick. Sie iſt außerordentlich ſcheu und weiß den meiſten Gefahren zu entgehen. Jhre Sinne ſind vortrefflich entwickelt: ſie wittert auf ungeheuere Entfernungen hin und vernimmt auch das leiſeſte Ge - räuſch. Saftige Alpenpflanzen bieten ihr eine kräftige Nahrung und die Gebirgswälder in den Blät - tern ihrer Bäume eine ſehr beliebte Leckerei. Frühzeitig des Morgens ſteigt ſie vom Walde, in welchem ſie die Nacht verbrachte, nach den Höhen empor, weidet in unmittelbarer Nähe der Gletſcher und kehrt abends nach den Wäldern zurück.

Der November ſoll die Zeit der Paarung ſein. Der Wurf erfolgt im April. Die Ziege ſetzt zwei, ſeltener nur ein Junges, welches der Mutter ſchon in den erſten Stunden ſeines Lebens auf allen ihren Wanderungen folgt, raſch und luſtig aufwächſt und wie alle Ziegen zu Scherz und Spiel geneigt iſt. Gelingt es, ein ſolches Junge einzufangen, ſo wird es bald zahm, zumal wenn man es unter andere Ziegenherden bringt. Bald gewöhnt es ſich an die neue Kameradſchaft, geht mit den Pflegeſchweſtern auf die Weide, kehrt abends in den Stall zurück und befreundet ſich zuletzt ſo mit den gezähmten Verwandten, daß es ohne beſondere Umſtände in die innigſten Verhältniſſe mit ihnen tritt.

Ein noch heute vielfach verbreiteter, obſchon widerlegter Aberglaube iſt die Urſache, daß man den munteren Gebirgskindern eifrigſt nachſtellt. Bereits ſeit uralten Zeiten maßten ſich die Fürſten das Vorrecht an, den Bezoarziegenhandel in ihre Hände zu nehmen. Schon der alte Bontius weiß, daß alle, dieſen Wunderkugeln zugeſchriebenen Kräfte nicht eben einen beſonderen Werth haben und Rumpf erzählt, daß die Jndianer den Europäer auslachen, welcher behauptet, Bezoarkugeln im Magen wilder Ziegen gefunden zu haben, weil ſie ihrerſeits wiſſen wollen, daß die geſuchte Arznei aus den Magen der Affen käme. Man ſieht hieraus, daß alle Bezoarkugeln überhaupt benutzt werden, nicht blos die unſerer Ziegen, ſondern auch die, welche man bei anderen Wiederkäuern gefunden hat. So iſt es z. B. gewiß, daß viele Steine von Borneo kommen, wo es keine Ziegen gibt. Gleichwohl wird dieſes leidige Quackſalbermittel noch heutigen Tages in ganz Jndien und Perſien hoch bezahlt und fordert deshalb unternehmende Jäger immer zu neuen Vertilgungszügen gegen die Bezoar - ziegen auf.

Die Jagd iſt nicht eben eine leichte Sache, weil ſie nur im höheren Gebirge ſtattfinden kann und die Ziege dieſelbe auch dort noch oft genug zu vereiteln weiß. Es gilt alſo, alle die Liſten und Kunſtgriffe anzuwenden, welche bei der Steinbockjagd nothwendig ſind. Kämpfer, welcher im Jahre 1686 einer Jagd auf Bezoarziegen beiwohnte, erzählt, daß man erſt ſechs Stunden auf den ſchlimmſten Wegen des Gebirges Benna in Perſien klettern mußte, ehe man nur in das eigentliche Gebiet der Ziegen gelangte. Dort gab es aber eine große Menge. Am erſten Tage bekam man37 *580Die Ziegen. Die innerafrikaniſche Zwergziege.Nichts, am zweiten wurde ein Bock geſchoſſen, deſſen Magen eine Bezoarkugel enthielt. Nach vier - tägiger Jagd hatte man deren zwei erbeutet, und hierin beſtand der ganze Gewinn der Jagd.

Die meiſten Thierkundigen ſind geneigt, unſere Hausziege und ihre ſämmtlichen Ver - wandten, welche in der Genoſſenſchaft des Menſchen leben, von der Bezoarziege abzuleiten, obgleich hierbei natürlich dieſelben Bedenken hinſichtlich der verſchiedenen Körpergeſtaltung und der nicht zu er - klärenden Verbreitung in Betracht kommt. Wir dürfen wohl die gegneriſche Anſicht vertreten und annehmen, daß die gezähmten Ziegen von mehreren Arten wilder herrühren, und dann durch verſchiedene Kreuzungen zu Dem wurden, was ſie ſind. Von dem allgemeinen Gepräge entfernen ſich einige Formen ziemlich weit. Es gibt auch bei den Ziegen Raſſen, welche man ohne weiteres für Arten erklären würde, hätte man es eben nicht mit Hausthieren zu thun. Fitzinger, dem wir wiederholt gefolgt ſind, nimmt an, daß zwölf Raſſen oder Formen, wie man will, eigene Arten bilden. Es ſind Dies die gemeine europäiſche Hausziege, die ber - beriſche, die Sudahn -, die platthörnige, die Zwerg -, die Angora -, die Kaſchmir -, die zottige, die nepaliſche, die egyptiſche, die Mamber - und die thebaiſche Ziege. Jch verſuche, die auffallendſten Formen, Raſſen oder Arten unter den Genannten auszuwählen, um dem Leſer ein eigenes Urtheil hinſichtlich der Verſchiedenheit der Ziegen zu ermöglichen. Ueber unſere deutſche oder die ſchweizeriſche Hausziege brauche ich wohl kaum Etwas zu ſagen, da Jeder - mann ſie allezeit beobachten kann. Weniger häufig gewahrt man die Uebrigen, welche gegenwärtig immer noch beinahe das ausſchließliche Eigenthum der Thiergärten ſind.

Wir beginnen mit den Zwergen der ganzen Geſellſchaft, welche ſich in mehreren Raſſen oder Arten im Jnneren Afrikas oder in Jndien finden. Sie haben kaum die halbe Größe unſerer Haus - ziege. Die innerafrikaniſche Zwergziege (Hircus reversus), welche unſer Bild darſtellt, iſt nur 2 Fuß lang und am Widerriſt etwas über Fuß hoch und höchſtens 46 Pfund ſchwer. Jhr Leibesbau iſt gedrungen, die Beine ſind kurz und ſtark, der verhältnißmäßig breite Kopf trägt bei beiden Geſchlechtern kurze, kaum fingerlange Hörner, welche ſich von der Wurzel an ſanft nach rück - und auswärts biegen und am oberen Drittel wieder ſchwach nach vorwärts krümmen. Die ziemlich kurze, aber dichte Behaarung zeigt gewöhnlich dunkle Färbungen; Schwarz und Röthlichfahl im Ge - miſch ſind vorherrſchend. Oft iſt der ganze Leib auf dunklem Grunde weiß gefleckt oder getupft. Der Schädel, der Hinterkopf, der Naſenrücken und ein Streifen, welcher ſich über den Rücken hinweg - zieht, ſind gewöhnlich ſchwarz, die Seiten weißlichfahl. Von der Kehle zieht ſich eine ſchwarze Binde bis zur Bruſt herab, wo ſie ſich theilt und über die Schultern weg bis zum Widerriſt läuft. Die Unter - und Jnnenſeite iſt ſchwarz bis auf eine breite weiße Binde, welche über die Mitte des Bauches verläuft. Röthlichgelbbraune und ganz ſchwarze Zwergziegen ſind ſelten.

Wie weit dieſe kleine, ſchmucke Ziege und ihre Verwandten im Jnneren Afrikas verbreitet ſind, kann zur Zeit noch nicht beſtimmt werden. Vielleicht dürfen wir als Heimatskreis alle Länder annehmen, welche zwiſchen dem weißen Fluſſe und dem Riger liegen. An dem erſtgenannten Strome fand ich ſie häufig in großer Anzahl als Hausthier. Sie lebt dort faſt in denſelben unab - hängigen Verhältniſſen, wie unſere Alpenziege in ihrem Gebiete. Jch lernte ſie als ein höchſt beweg - liches, geſchicktes, munteres und kluges Geſchöpf kennen, und ſah an ihr zum erſten Male zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß Wiederkäuer auch Bäume beſteigen können. Ganz aller - liebſt ſah es aus, wenn auf dem Wipfel einer größeren Mimoſe des Urwaldes fünf bis zehn ſolcher kleinen Ziegen weideten. Jrgend ein ſchief geneigter Stamm hatte der Herde das Hinauf - klettern ermöglicht, und nun war es auf den Aeſten und Zweigen weiter gegangen. Oft ſah man das kühne Geſchöpf in Stellungen, welche man nach unſeren Erfahrungen für geradezu unmöglich halten möchte. Mit jedem einzelnen Fuße ſtand die Ziege auf einem Zweige, und dieſe Zweige mochten ſchaukeln, wie ſie wollten: ſie wußte ſich im Gleichgewicht zu erhalten und dehnte und reckte den Hals ſoviel als möglich, um den ſaftigen Mimoſenblättern beizukommen.

581Die innerafrikaniſche Zwergziege. Die Angoraziege.

Man gibt ſich nicht eben große Mühe mit der Wartung und Pflege oder auch mit der Hut der Zwergziegen, ſondern läßt ſie eigenwillig und ſelbſtändig gehen, wie ſie wollen. Frühmorgens nach dem Melken zieht die Herde zur Weide hinaus in den Wald, abends kehrt ſie zurück, wenn auch nicht immer vollſtändig, weil der Leopard dann und wann doch eine wegnimmt, trotz aller Vorſicht der leitenden Mitglieder. Jch wurde verſichert, daß die Ziege, ungeachtet ihrer geringen Größe, ſehr

Die Zwergziege (Hircus reversus).

viel Milch gäbe und durch keine andere Art erſetzt werden könne, weil keine im Klettern oder Aus - nutzen des Weidegrundes es ihr nachthue.

Noch weit auffallender als die Zwergziege in allen ihren Raſſen iſt die Angoraziege (Hircus angorensis). Genaue Beobachter widerſprechen aufs entſchiedenſte Denen, welche ſie nur als Raſſe irgend einer Art anſehen wollen, weil die vielfachen Kreuzungsverſuche, welche man mit ihr an - ſtellte, die Artverſchiedenheit zwiſchen ihr und der gemeinen Ziege gezeigt hat. Einige Forſcher halten ſie für einen Abkömmling des Falkoner Steinbocks, welcher die Hochgebirge von Tibet bewohnt, und in der That läßt ſich nicht leugnen, daß zwiſchen dem vermeintlichen Stammvater und ihnen eine ziemlich große Aehnlichkeit ſtattfindet.

Die Angoraziege iſt ein ſchönes, großes Thier von gedrungenem Leibesbau, mit ſtarken Beinen, kurzem Hals und Kopf, ſehr eigenthümlich gewundenem Gehörn und ganz auffallendem Haar. Beide Geſchlechter tragen Hörner. Dieſe ſind bei dem Bock ſtark zuſammengedrückt, nicht gedreht, ſcharf gekantet und hinten ſtumpf zugeſpitzt. Gewöhnlich ſtehen ſie wagrecht von dem Kopfe ab, bil - den eine weite, doppelte Schraubenwindung und richten ſich mit der Spitze nach aufwärts, erſcheinen582Die Ziegen. Die Angoraziege.alſo dreifach gebogen. Die Ziege trägt kleinere, rundere, ſchwächere, einfach gebogene Hörner, welche ſich gewöhnlich, ohne ſich über Kopf oder Hals zu erheben, um das Ohr herumdrehen, d. h. einfach ſtark nach abwärts und dann nach vorn und abwärts wenden, wobei die bis zum Auge reichende Spitze nach außen gerichtet iſt. Das Vließ iſt überaus reichlich, dicht und lang, fein, weich, glänzend, ſeidenartig und lockig gekräuſelt. Nur das Geſicht, die Ohren und der un - terſte Theil der Läufe ſind mit kurzen, glatt anliegenden Haaren bedeckt. Beide Geſchlechter tragen einen ziemlich langen, aus ſtraffen oder ſteiferen Haaren gebildeten Bart. Ein blendendes, gleich -

Die Angoraziege (Hircus angorensis).

mäßiges Weiß iſt die vorherrſchende Färbung dieſer Ziegenart; ſeltener kommen ſolche vor, welche auf lichtem Grunde dunkler gefleckt ſind. Früher nahm man an, daß jenes lange Seidenhaar die Grannen wären; jetzt weiß man, daß es das eigentliche Wollhaar iſt, welches das Uebergewicht über die Grannenhaare erlangt und letztere faſt gänzlich verdeckt hat. Bei anderen langhaarigen Ziegen - arten iſt gerade das Umgekehrte der Fall, dieſer eine Umſtand alſo zur Kennzeichnung der An - goraziege ſehr wichtig. Jm Sommer fällt das Vließ in großen Flocken aus, wie bei anderen Ziegen das Wollhaar unter den Grannen; es wächſt aber ſehr raſch wieder nach. Franzöſiſche Beobachter haben gefunden, daß ein Vließ zwiſchen 1250 und 2500 Grammen wiegt.

583Die Angoraziege.

Wie es ſcheint, war die Angoraziege den Alten gänzlich unbekannt. Belon iſt der Erſte, welcher, und zwar im ſechzehnten Jahrhundert, einer Wollziege Erwähnung thut, deren Vließ fein wie Seide und weiß wie der Schnee ſei und zur Verfertigung des Kamelot oder Kämmelgarns ver - wandt werde. Nach und nach hat man das Thier beſſer kennen gelernt. Es trägt ſeinen Namen nach der kleinen Stadt Angora im türkiſchen Paſchalik Anadoli in Kleinaſien, der ſchon bei den Alten hochberühmten Handelsſtadt Ankyra. Vonhieraus hat man die Ziege aber weiter verbreitet, und neuerdings iſt ſie mit Glück auch in Europa eingeführt worden. Die eigentliche Heimatsgegend der Angoraziege iſt trocken und heiß im Sommer, jedoch ſehr kalt im Winter, obwohl dieſer nur drei oder vier Monate dauert. Erſt wenn es keine Nahrung auf den Bergen mehr gibt, bringt man die Ziegen in ſchlechte Ställe; das ganze übrige Jahr müſſen ſie auf der Weide verweilen. Sie ſind höchſt empfindlich, obwohl die ſchlechte Behandlung nicht dazu beiträgt, ſie zu verweichlichen. Reine, trockene Luft iſt zu ihrem Wohlſein eine unumgänglich nothwendige Bedingung. Während der heißen Jahreszeit wäſcht und kämmt man das Vließ allmonatlich mehrere Male, um ſeine Schön - heit zu erhalten und zu ſteigern.

Die Zahl der Ziegen, welche man überhaupt in Anadoli hält, wird auf eine halbe Million bis 800,000 angeſchlagen. Auf einen Bock kommen etwa hundert Ziegen.

Schon an Ort und Stelle gilt eine Ziege 12 bis 16 Thaler unſeres Geldes: ſo groß iſt der Nutzen, welchen dieſes merkwürdige Thier gewährt. Jm April iſt die Schur, und unmittelbar dar - auf wird die Wolle eingepackt. Angora allein liefert faſt 2 Millionen Pfund, welche einem Werthe von 1,200,000 Thalern entſprechen. 20,000 Pfund werden im Lande | ſelbſt zur Fertigung ſtarker Stoffe für die Männer und feiner für die Frauen zu Strümpfen und Handſchuhen verarbeitet: alles Uebrige geht nach England. Jn Angora ſelbſt iſt faſt jeder Bürger Wollhändler.

Man hat beobachtet, daß die Feinheit der Wolle mit dem Alter abnimmt. Bei einjährigen Thieren iſt das Vließ wunderbar ſchön; ſchon im zweiten Jahre verliert es etwas; vom vierten Jahre an wird es raſch ſchlechter und ſchlechter; ſechsjährige Thiere muß man ſchlachten, weil ſie zur Woll - erzeugung gar nicht mehr geeignet ſind.

Schon ſeit der erſten Kunde, welche man über die Angoraziege erhielt, hat man Verſuche ge - macht, ſie bei uns einzuführen. Die ſpaniſche Regierung brachte im Jahre 1765 einen ſtarken Trupp Angoraziegen nach der iberiſchen Halbinſel; man weiß aber nicht, was aus ihnen geworden iſt. Jm Jahre 1787 führte man einige Hundert in den franzöſiſchen Niederalpen ein. Dort gediehen ſie ausgezeichnet, und man zog einen hübſchen Gewinn aus der Zucht. Später brachte man ſie auch nach Toskana und ſelbſt nach Schweden. Jm Jahre 1830 kaufte Ferdinand VII. hundert Angoraziegen und ſetzte ſie zuerſt im Parke des Schloſſes El Retiro bei Madrid aus. Hier vermehrten ſie ſich ſo raſch, daß man ſie auf Berge des Escorial überſiedeln mußte. Jn dieſer ihnen ſehr günſtigen Gegend machte man die Beobachtung, daß ihre Wolle ſich ebenſofein erhielt, wie in ihrem eigentlichen Vater - lande. Dann wurden ſie nach Südkarolina gebracht, und auch dort befanden ſie ſich wohl. Endlich führte die kaiſerlich franzöſiſche Geſellſchaft für Einbürgerung fremder Thiere im Jahre 1854 die Angoraziege von neuem in Frankreich ein, und man hat bisjetzt keine Urſache gehabt, über das Mißge - deihen derſelben zu klagen: es wird ſogar behauptet, daß die Wolle der in Frankreich Geborenen fei - ner wäre, als die ihrer Eltern.

Nur die Bockzeit hat das franzöſiſche Klima verändert. Bei der Einführung brunſteten die Ziegen im Oktober, ſpäter aber immer im September. Man ernährt die Thiere mit Heu, Stroh und Kleie; denn ſie ziehen alle trockene Nahrung der grünen vor. Salz freſſen ſie begierig, und reines, gutes Waſſer iſt ihnen ein Bedürfniß. Sie fürchten ebenſowenig Hitze, als große Kälte; nur unmittelbar nach der Schur ſind ſie ſo empfindlich, daß die geringſte Erkältung ſie tödten kann; auch Feuchtigkeit iſt ihnen höchſt verderblich. Nach genauen Berechnungen, welche man angeſtellt hat, ergab ſich ein Reingewinn von jährlich 23 Franes 74 Centimes für jede Ziege. Dabei aber584Die Ziegen. Die Kaſchmirziege.iſt zu bedenken, daß man in Frankreich die Stallfütterung anwendet, und hieraus geht alſo hervor, daß der Ertrag in trockenen Ländern, wie Spanien, Algier u. ſ. w., noch weit vortheilhafter ſein wird. Schon jetzt hat man feſtgeſtellt, daß die Zucht der Angoraziegen viel gewinnreicher iſt, als die der Schafe, und es ſteht zu erwarten, daß ſich dieſes werthvolle Thier nach und nach weiter und weiter verbreiten wird. Wahrſcheinlich ſind die Gebirgsgegenden von Mittel - und Süddeutſchland oder die niederen Berggegenden der Schweiz und Tirols ganz geeignet zu einer gewinnbringenden Zucht dieſer Ziegen.

Kaum minder werthvoll als die eben beſchriebene iſt die Kaſchmirziege (Hircus laniger). Sie iſt ziemlich klein, aber gefällig gebaut. Ein erwachſener Bock mißt faſt Fuß in der Länge und 2 Fuß in der Höhe. Der Leib iſt geſtreckt, der Rücken gerundet, das Kreuz kaum höher, als der Widerriſt. Die Läufe ſind ſtämmig, die Hufe ſcharf zugeſpitzt, der Hals iſt kurz, der Kopf

Die Kaſchmirziege (Hircus laniger).

ziemlich dick; die Augen ſind klein, die Hängeohren etwas länger, als der halbe Kopf. Die langen Hörner ſind zuſammengedrückt, ſchraubenförmig gedreht, auf der Vorderſeite ſcharf ge - kantet. Sie biegen ſich von der Wurzel ſeitlich aus einander und ſteigen ſchief nach auf - und rückwärts, kehren aber ihre Spitze wieder einwärts. Ein langes, ſtraffes, feines und ſchlichtes Grannenhaar überdeckt die kurze, außerordentlich feine, weiche, flaumartige Wolle. Nur das Ge - ſicht und die Ohren ſind kurz behaart. Die Färbung wechſelt; gewöhnlich ſind die Seiten des Kopfes, der Schwanz und die übrigen Theile des Leibes ſilberweiß oder ſchwach gelblich; jedoch kommen auch einförmige Kaſchmirziegen vor: bald rein weiße, bald ſanft gelbe, braune, ja ſelbſt dunkelbraune und ſchwarze. Das Wollhaar iſt bei lichtgefärbten Thieren weiß oder weißlichgrau, bei dunkleren aſchgrau.

Von Groß - und Kleintibet an reicht dieſe ſchöne Ziege über die Bucharei bis zu dem Lande der Kirgiſen. Jn Bengalen wurde ſie eingeführt; in Tibet iſt ſie überall häufig, aber nur in den Ge - birgen, welche auch im Winter und bei der heftigſten Kälte von ihr bewohnt werden.

585Die Kaſchmirziege.

Lange Zeit war man im Zweifel, von welchem Thiere das Haar gewonnen werde, welches man zur Anfertigung der feinſten aller Wollgewebe benutzt. Einige wollten das tibetaniſche Schaf als Erzeuger des Stoffes annehmen, bis Bernier, ein franzöſiſcher Arzt, welcher im Jahre 1664 in Begleitung des Großmoguls Tibet beſuchte, die Erzeugerin kennen lernte. Von dieſem Manne erfuhr Europa, daß namentlich zwei Ziegen ſolche Wolle lieferten, eine wildlebende und eine gezähmte. Später reiſte ein armeniſcher Kaufmann im Auftrage eines türkiſchen Handelshauſes nach Kaſchmir und berichtete, daß man nur in Tibet Ziegen beſitze, welche ſo feine Wolle liefern, wie die Weber in Kaſch - mir ſie bedürfen. Dieſe Wolle ſproßt im September, wächſt bis zum Frühjahr und fällt vom April an wieder aus. Die Böcke liefern mehr, aber minder feine Wolle, als die Ziegen. Jm Mai und Juni findet die Schur ſtatt. Das gewonnene Gemenge wird gereinigt und das Grannenhaar zur Fertigung gewöhnlicher Stoffe verwandt, während das Wollhaar noch einmal der ſorgfältigſten Prü - fung und Ausſcheidung unterliegt. Am geſuchteſten iſt das reine Weiß, welches in der That allen Glanz und alle Schönheit der Seide beſitzt. Ein einzelnes Thier liefert etwa 6 bis 8 Loth brauch - baren Wollflaums. Zur Verfertigung eines Gewebes von einer Geviertelle ſind faſt 48 Loth oder das Erzeugniß von 7 bis 8 Ziegen erforderlich. Jn ſehr ſeltenen Fällen gewinnt man von einem Thiere 10, 12, ja ſelbſt 16 Loth.

Unter der Herrſchaft des Großmoguls ſollen 40,000 Schalwebereien in Kaſchmir beſtanden haben; als aber das Land unter die Afghanen kam, ſank dieſer gewichtige Erwerbszweig ſo ſehr herab, daß von den 60,000 Menſchen, denen die Weberei ihren Lebensunterhalt verſchaffte, Tauſende aus Mangel an Arbeit zum Auswandern gezwungen wurden. Noch jetzt hat ſich die Weberei nicht wieder erholen können: eigene Geſetze hindern den freien Handel mit der Wolle. Niemand in Tibet darf ſeine Wolle verkaufen, wie er will, ſondern iſt gezwungen, ſie auf den großen Markt zu bringen, welcher alljährlich in Gertope gehalten wird. Dazu kommen nun noch Zölle aller Art, welche den Handel lähmen.

Obwohl nun in der Neuzeit in Europa viel Kaſchmirſchals aus echter Kaſchmirwolle nachgemacht und dadurch der Preis etwas herabgedrückt worden iſt, zahlt der Kenner doch noch für echte Waare gern erſtaunlich hohe Preiſe. Denn dieſe Schals ſind nicht blos ein Gegenſtand des Lurus, ſondern ein überaus nützliches Kleidungsſtück, weil ſie, trotz ihrer Feinheit und Leichtigkeit, einen vortrefflichen Schutz gegen die Kälte gewähren. Schon an Ort und Stelle werden die echten Schals mit 4 bis 500 Thalern unſeres Geldes bezahlt; in Europa koſten ſie, der vielen Steuern wegen, mindeſtens das Doppelte. Die Morgenländer verlangen von einem echten Kaſchmirſchal, daß man das ganze Mittelſtück durch einen Fingerring hindurchziehen kann, bezahlen dann aber auch ohne Bedenken eine uns geradezu unglaubliche Summe für ſolche ausgezeichnete Waare.

Es iſt erklärlich, daß man ſchon ſeit Jahren daran dachte, dieſes gewinnbringende Thier in Europa einzubürgern. Ternaux, welcher die Schalwebereien in Frankreich einführte, kam auf den Gedanken, ſich Kaſchmirziegen zu verſchaffen, und der berühmte Jaubert bot ihm ſeine Dienſte zur Erreichung des Zweckes an. Jm Jahre 1818 ſchiffte ſich letzterer Gelehrte nach Odeſſa ein, erfuhr, daß die Nomadenſtämme in den Steppen zwiſchen Aſtrachan und Orenburg Kaſchmirziegen hielten, reiſte zu dieſen Leuten, überzeugte ſich durch genaue Unterſuchung des Flaums von der Echtheit der Thiere und kaufte 1300 Stück von ihnen an. Dieſe Herde brachte er nach Kaffa in der Krim, ſchiffte ſich mit ihr ein und landete im April 1819 zu Marſeille. Aber nur ihrer 400 Stück hatten die lange, beſchwerliche Seereiſe ausgehalten, und dieſe waren ſo angegriffen, daß man wenig Hoffnung hatte, Nachzucht von ihnen zu erhalten. Namentlich die Vöcke hatten ſehr gelitten. Glücklicherweiſe ſandten faſt zu gleicher Zeit die franzöſiſchen Naturforſcher Diard und Duvaucel einen kräftigen Bock der Kaſchmirziege, welchen ſie in Jndien zum Geſchenk erhalten hatten, an den Thiergarten in Paris. Er wurde der Stammvater aller Kaſchmirziegen, welche gegenwärtig in Frankreich leben und dem Lande, bezüglich ihrem Herrn, 15 bis 20 Millionen586Die Ziegen. Die Mamberziege.Francs einbringen. Von Frankreich aus kam die Kaſchmirziege auch nach Oeſterreich und Würtem - berg, doch erhielt ſich hier die Nachzucht leider nicht.

Die Pflege der Kaſchmirziege erfordert wenig Mühe und Sorgfalt. Das Thier iſt mit jedem Futter zufrieden; es verlangt blos Bewegung im Sommer und Wärme im Winter. Die Jungen wachſen raſch heran; die Männchen ſind ſchon im ſiebenten Monat, die Weibchen nach Verlauf des erſten Jahres zur Fortpflanzung geeignet. Sowohl Böcke als Ziegen paaren ſich leicht und fruchtbar mit anderen Arten der Ziege, ohne jedoch dieſe weſentlich zu veredeln.

Die Mamberziege (Hircus mambrieus) ähnelt wegen ihrer langen Haare einigermaßen der Kaſchmirziege, unterſcheidet ſich von dieſer aber durch ihre außerordentlich langen, ſchlaff herab -

Die Mamberziege (Hircus mambricus).

hängenden Ohren, welche in gleicher Größe und Geſtalt bei keiner anderen Ziege gefunden werden. Sie iſt groß, hoch gebaut und gedrungen am Leibe; der ziemlich geſtreckte Kopf iſt zugleich ſanft gewölbt auf der Stirn, längs des Naſenrückens gerade. Beide Geſchlechter tragen Hörner, der Bock gewöhnlich ſtärkere und mehr gewundene, als die Ziege. Die Hörner beſchreiben einen Halb - kreis, deſſen Spitze nach vorn und aufwärts gerichtet iſt. Die Augen ſind klein, die Ohren etwa dritthalb Mal ſo lang, als der Kopf, verhältnißmäßig ſchmal, ſtumpf, abgerundet gegen die Spitze zu, nach außen etwas aufgeworfen. Sie reichen bis über die Hälfte des Halſes herab. Eine reich - liche und dichte, zottige, ſtraffe, ſeidenartig glänzende Behaarung deckt den Leib mit Ausnahme des Geſichts, der Ohren und der Unterfüße, welche kurz behaart ſind. Beide Geſchlechter tragen einen mittellangen, ſchwachen Bart.

587Die thebaiſche Ziege.

Es ſcheint, daß dieſe Form ſchon ſeit Jahrtauſenden in den Hausſtand übergegangen iſt. Be - reits Ariſtoteles kannte die Mamberziege. Gegenwärtig findet man ſie in der Nähe von Aleppo in Damaskus in großer Anzahl. Von Kleinaſien aus ſcheint ſie durch einen großen Theil des Erd - theils vorzukommen. So halten ſie z. B. die kirgiſiſchen Tartaren in Menge. Der Name Mam - berziege, unter welchem man überhaupt langöhrige Ziegen vereinigt, ſcheint von dem Berge Mam - ber oder Mamer in Paläſtina herzurühren. Dort hatten ältere Reiſende Gelegenheit, Herden dieſer Langohren anzutreffen. Die Tartaren pflegen die Mamberziege zur gewöhnlichen zu machen, indem ſie ihr die langen Ohren mehr als zur Hälfte abſchneiden, damit ſie beim Weiden nicht hin - derlich ſind.

Endlich ſcheint mir noch die buckelnaſige, egyptiſche oder thebaiſche Ziege (Hircus thebaicus) der Erwähnung werth. Sie bildet gewiſſermaßen einen Uebergang von den Ziegen zu den

Die thebaiſche Ziege (Hircus thebaicus).

Schafen und ſteht unzweifelhaft unter ihren Artverwandten als ſehr auffallende Erſcheinung da. Jn der Größe ſteht ſie unſerer Ziege etwas nach; ſie iſt aber hochbeiniger und kurzhaariger. Für uns iſt der Kopf das Wichtigſte. Er iſt klein und ſo abſonderlich geſtaltet, daß man dieſe Ziege mit keiner anderen verwechſeln kann. Zumal beim Bock tritt der auffallend ſtark gewölbte Naſen - rücken beſonders hervor. Er wird von der hoch gewölbten Stirn durch eine Einbuchtung geſchieden und fällt ſteil gegen das ausgehöhlte Schnauzenende hin ab, zieht den ganzen Oberkiefer und ſomit auch die Lippen zurück und legt hierdurch die Vorderzähne des Unterkiefers gänzlich frei. Die Naſenlöcher ſind ſchmal und lang gezogen, die Augen verhältnißmäßig klein, die Hängeohren haben ungefähr Kopfeslänge, ſind ziemlich ſchmal, ſtumpf, gerundet und flach. Hörner fehlen gewöhnlich bei beiden Geſchlechtern oder ſind, wenn ſie vorkommen, ſehr klein, dünn und krüppelhaft. Einen Bart findet man nie; überhaupt iſt die Behaarung im ganzen ſehr glatt und gleichmäßig. Die gewöhnliche Färbung iſt ein lebhaftes Rothbraun, welches auf den Schenkeln mehr ins Gelbliche zieht. Schiefer - graue und gefleckte Ziegen ſind ſeltener.

588Die Ziegen. Die Hausziegen.

Schon ſeit den älteſten Zeiten hat die thebaiſche Ziege ihr eigentliches Vaterland Oberegypten bewohnt: Dies beweiſen die alten Denkmäler, auf denen ihre treuen Abbilder zu ſehen ſind. Jm Anfang dieſes Jahrhunderts kam das Thier zum erſten Male lebend nach Europa, und von dieſer Zeit an iſt es ein gewöhnlicher Gaſt der Thiergärten geworden. Es iſt ein ziemlich gutmüthiges, ſanf - tes Geſchöpf, welches auch bei uns höchſt wenig Pflege und Wartung verlangt.

Wegen des von allen Völkern anerkannten Rutzens bewohnen die Hausziegen gegenwärtig faſt die ganze Erde: ſie finden ſich bei allen Völkern, welche nur einigermaßen ein geregeltes Leben führen, gewiß. Sie leben unter den verſchiedenſten Verhältniſſen, größtentheils allerdings als freies Herdenthier, welches bei Tage ſo ziemlich eigenmächtig ſeiner Weide nachgeht, nachts aber un - ter Aufſicht des Menſchen gehalten wird. Jn Deutſchland pfercht man die Ziege häufig in den Stall ein, und Das merkt man ihr denn auch recht deutlich an: denn die Stallziege iſt blos der Schatten von der, welche ihrer natürlichen Beweglichkeit Nechnung tragen darf.

Die Ziege iſt ganz für das Gebirge geſchaffen. Je ſteiler, je wilder, je zerriſſener es iſt, um ſo wohler ſcheint ſie ſich zu fühlen. Jm ganzen Süden Europas und in den übrigen gemäßigten Theilen der anderen Erdfeſten wird man wohl ſchwerlich ein Gebirge betreten, ohne auf ihm weiden - den Ziegenherden zu begegnen. Sie verſtehen es, das ödeſte Gebirge zu beleben und der traurigſten Gegend einen großen Reiz zu verleihen.

Alle Eigenſchaften der Ziege unterſcheiden ſie von dem ihr ſo naheſtehenden Schafe. Sie iſt ein munteres, launiges, neugieriges, neckiſches, zu allerlei ſcherzhaften Streichen aufgelegtes Ge - ſchöpf, welches den Unbefangenen ſicherlich viel Freude gewähren muß. Lenz hat ſie vor - trefflich gezeichnet: Schon das kaum ein paar Wochen alte Hippelchen, ſagt er, hat große Luſt, außer den vielen merkwürdigen Sprüngen auch halsbrechende Unternehmungen zu wagen. Jmmer führt ſie der Trieb bergauf. Auf Holz - und Steinhaufen, auf Mauern, auf Felſen klettern, Treppen hinaufſteigen: das iſt ihr Hauptvergnügen. Oft iſt es ihr kaum oder gar nicht möglich, von da wieder herabzuſteigen, wo ſie ſich hinaufgearbeitet. Sie kennt keinen Schwindel und geht oder liegt ruhig am Rande der fürchterlichſten Abgründe. Furchterregend ſind die Gefechte, welche gehörnte Böcke, ja ſelbſt Ziegen liefern, die zum erſten Male zuſammenkommen. Das Klappen der zuſammenſchlagenden Hörner tönt weithin. Sie ſtoßen ſich ohne Erbarmen auf die Augen, das Maul, den Bauch, wie es trifft, und ſcheinen dabei ganz unempfindlich zu ſein; auch läßt ein ſolcher oft eine Viertelſtunde dauernder Kampf kaum andere Spuren, als etwa ein rothes Auge zurück. Ungehörnte Ziegen ſtoßen ſich ebenfalls mit gehörnten und ungehörnten herum und achten es nicht, wenn ihnen das Blut über Kopf und Stirn herniederläuft. Ungehörnte legen ſich auch aufs Beißen; doch iſt Dies ungefährlich. Mit den Füßen ſchlägt keine. Wenn man eine Ziege, welche mit anderen zuſammengewöhnt iſt, allein ſperrt, ſo meckert ſie ganz erbärmlich und frißt und ſäuft oft lange nicht. Wie der Menſch, ſo hat auch die Ziege allerhand Launen: die muthigſte er - ſchrickt zuweilen ſo vor ganz unbedeutenden Dingen, daß ſie über Hals und Kopf Reißaus nimmt und gar nicht zu halten iſt.

Der Bock hat etwas Ernſtes und Würdevolles in ſeinem ganzen Betragen. Er zeichnet ſich vor der Ziege durch größere Keckheit und größeren Muthwillen aus. Wenn es aus Naſchen oder aus Spielen und Stoßen geht, ſagt Tſchudi, ſtellen ſie ihre ganze Leichtfertigkeit heraus. Das Schaf hat nur in der Jugend ein munteres Weſen, ebenſo der Steinbock: die Ziege behält es länger, als beide. Ohne eigentlich im Ernſte händelſüchtig zu ſein, fordert ſie gern zum munteren Zweikampf heraus. Ein Engländer hatte ſich auf der Grimſel unweit des Wirthshauſes auf einen Baumſtamm niedergeſetzt und war über dem Leſen eingenickt. Das bemerkt ein in der Nähe umherſtreifender Zie - genbock, nähert ſich neugierig, hält die nickende Kopfbewegung für eine Herausforderung, ſtellt ſich, nimmt eine Fechterſtellung an, mißt die Entfernung und rennt mit gewaltigem Hörnerſtoß den un - glücklichen Sohn des freien Albions an, daß er ſofort fluchend am Boden liegt und die Füße in die589Die Hausziegen.Luft ſtreckt. Der ſiegreiche Bock, faſt erſchrocken über dieſe Widerſtandsloſigkeit eines Britenſchädels, ſteigt mit dem einen Vorderfuße auf den Stamm und ſieht neugierig nach ſeinem zappelnden und ſchreienden Opfer.

Jch erinnere mich mit Vergnügen eines ſehr ſtarken Ziegenbockes, welcher ruhig wiederkäuend in einem Dorfe lag. Es war die luſtige Zeit des Schülerlebens und wir, die Uebermüthigen, ver - mochten nicht, das behaglich hingeſtreckte Thier ſo ganz unbehelligt zu laſſen. Einer von uns forderte alſo durch einen Stoß mit der flach vorgehaltenen Hand den Bock zum Kampfe heraus. Der erhob ſich langſam, ſtreckte und reckte ſich, beſann ſich erſt lange; dann aber ſtellte er ſich ſeinem Herausforderer und nahm nunmehr die Sache viel ernſthafter, als jener gewollt hatte. Er verfolgte uns durch das ganze Dorf, entſchieden mißmuthig, daß wir ihm den Rücken kehrten; denn ſobald ſich einer nach ihm herumdrehte, ſtellte er ſich augenblicklich ernſthaft auf und nickte bedeutungsvoll mit dem Kopfe. Erſt nachdem er uns etwa zehn Minuten weit begleitet und zu ſeinem großen Bedauern ge - ſehen hatte, daß mit ſolchen Feiglingen kein ehrenfeſter Strauß auszufechten, verließ er uns und trabte, grollend über die verpaßte Gelegenheit, ſeinen Muth zu zeigen, wieder dem Dorfe zu.

Kämpfe mit dem Menſchen und anderen Thieren ſind ſelten ernſt gemeint; es ſcheint eher mehr, daß es dem Bock darum zu thun iſt, ſeine Bereitwilligkeit zum Kampfe zu zeigen, als den Gegner wirklich zu gefährden. Allerliebſt ſieht es aus, wenn junge Ziegenböcke mit jungen, ſpielluſtigen Hunden kämpfen: doch das hat ja unſer Kinderfreund Otto Speckter ſo allerliebſt in Bild und Wort gezeichnet, daß ich Nichts darüber zu ſagen brauche.

Sicher iſt, daß die Ziege eine natürliche Zuneigung zum Menſchen hat. Sie iſt ehrgeizig und für Liebkoſungen im höchſten Grade empfänglich. Weiß eine, daß ſie gut ſteht bei ihrem Herrn, ſo zeigt ſie ſich eiferſüchtig wie ein verwöhnter Hund, und ſtößt auf die andere los, wenn der Herr dieſe ihr vorzieht. Dabei iſt ſie klug und verſteht es, ob der Menſch ihr eine Unbilde zu - gefügt, oder ſie in aller Form Rechtens beſtraft hat. Geſchulte Ziegenböcke ziehen die Knaben bereit - willig und gern ſtundenlang, widerſetzen ſich aber der Arbeit aufs entſchiedenſte, ſobald ſie gequält oder unnöthigerweiſe geneckt werden. Ja, der Verſtand dieſer vortrefflichen Thiere geht noch weiter, ich kenne Ziegen, welche förmlich die menſchliche Sprache verſtehen. Daß abgerichtete Ziegen auf Be - fehl die verſchiedenſten Dinge ausrichten, iſt bekannt, ihre Lernfähigkeit geht ja ſoweit, daß ſie ſogar mit einzelnen Buchſtabentäfelchen Worte zuſammenſetzen: daß aber Ziegen, ſo zu ſagen, ſprechende Antworten auf vorgelegte Fragen geben, ohne irgendwie abgerichtet worden zu ſein, Das ſpricht ſicherlich für ihren hohen Verſtand. Meine Mutter hält Ziegen und achtet ſie hoch, iſt des - halb auch ſehr beſorgt, daß ſie gut abgewartet werden. Nun ereignet es ſich zuweilen, daß die leichtſinnigen Dienſtboten die Thiere nicht gehörig füttern. Meine Mutter kann aber ſofort erfahren, ob ihre Ziegen ſich befriedigt fühlen, oder nicht. Sie braucht die Thiere nur zum Fenſter heraus zu fragen, ſo erhält ſie die richtige Antwort. Denn ſobald die Ziegen die Stimme ihrer Pflegerin hören und irgendwie ſich vernachläſſigt fühlen, ſchreien ſie laut auf, im entgegengeſetzten Fall ſchweigen ſie hartnäckig. Genau ſo benehmen ſie ſich, falls ſie unrechtmäßigerweiſe gezüch - tigt worden. Wenn ſie einmal in den Garten gerathen und dort mit ein paar Peitſchenhieben von den Blumenbeeten oder Obſtbäumen weggetrieben werden, vernimmt man keinen Laut von ihnen; wenn aber die Magd ihnen im Stalle einen Schlag gibt, ſchreien ſie jämmerlich. Jm Hochgebirge begleiten ſie den Wanderer bettelnd und ſich an ihn ſchmiegend oft halbe Stunden weit, und Denjenigen, welcher ihnen nur ein Mal Etwas reichte, kennen ſie genau und begrüßen ihn freudig, ſobald er ſich wieder zeigt.

Auf den ſpaniſchen Hochgebirgen wendet man die Ziegen, ihrer großen Klugheit wegen, als Leit - thiere der Schafherden an. Die edleren Schafraſſen werden dort während des Sommers auf den Hochgebirgen geweidet, im Süden oft in Höhen zwiſchen 8 bis 10,000 Fuß über dem Meere. Hier können die Hirten ohne Ziegen gar nicht beſtehen; allein ſie betrachten die ihnen ſo nützlichen Thiere doch nur als nothwendiges Uebel.

590Die Ziegen. Die Hausziegen.

Glauben Sie mir, Señor, ſagte mir ein geſprächiger Andaluſier auf der Sierra Nevada, wenn ich ſonſt wollte, über meine beiden Leitziegen könnte ich mich todt ärgern! Sie thun ſicher - lich niemals Das, was ich will, ſondern regelmäßig das gerade Gegentheil: und ich muß ſie ge - währen laſſen! Sie dürfen überzeugt ſein, daß ich heute nicht hier weiden wollte, wo Sie mich gefunden haben: aber meine Ziegen wollten hier weiden, und ich mußte folgen. Nicht einmal mein Hund kann mit ihnen fertig werden. Wollte ich ſie hetzen: ſie führten mir meine ganze Herde in das Verderben. Da ſehen Sie ſelbſt! Bei dieſen Worten zeigte der gute Mann auf die beiden böſen Lockbuben der frommen, dummen Schafe, welche ſoeben eine der gefährlichſten Felſenklippen erſtiegen hatten und der Herde freundlich zumeckerten, ihnen nach dieſem Punkte, welcher ſicherlich eine ſchöne Ausſicht verſprach, zu folgen. Der Hund wurde abgeſandt, um die Störriſchen herab zu holen; doch Dies war keine ſo leichte Aufgabe. Zuerſt zogen ſich die beiden Böcke auf die höchſte Spitze des Grates zurück, und Chizo, welcher ihnen folgen ſollte, gab ſich vergebliche Mühe, da hinauf ihnen nach zu klettern. Der arme, treue Diener des entrüſteten Hirten rutſchte beſtändig von den glatten Felſen herab; ſein Eifer wurde dadurch aber nur angeſpornt, und weiter und weiter klet - terte er empor. Nieſend begrüßten ihn die Ziegen, bellend antwortete der Hund, deſſen Zorn ſich mehr und mehr ſteigerte. Endlich glaubte er die Frevler erreicht zu haben: aber nein! ſie machten einen ebenſo zierlichen, als geſchickten Sprung über ihn weg und ſtanden zwei Minuten ſpäter auf einem anderen Felszacken, dort das alte Spiel von neuem beginnend. Die Schafherde hatte ſich mittlerweile ſo vollſtändig in die Felſen eingewirrt und lief mit einer ſo beiſpielloſen Todesverachtung auf den ſchmalen Stegen dahin, daß dem Hirten und, ich geſtehe es offen, mir auch, vom bloſen Zuſehen bange wurde. Aengſtlich rief er den Hund zurück, und befriedigt nahmen die Ziegen Dies wahr. Augenblicklich ſtellten ſie ſich wieder als Leiter der Herde auf und führten dieſelbe nach Ver - lauf von einer reichlichen halben Stunde, ohne eins der theuren Häupter zu gefährden, aus dem Fel - ſenwirrſal glücklich heraus. Jch war entzückt von dem unterhaltenden Luſtſpiele.

Die Ziegenhirten der Schweiz haben es womöglich ſchlimmer, als mein guter Andaluſier: ſie führen ein wahres Hundeleben. Der Wanderer trifft, ſagt Tſchudi, nachdem er halbe Tage lang in den endloſen Trümmer - und Eislabyrinthen umhergeſtiegen iſt, ohne Menſchen und Thiere zu bemerken, plötzlich und zu ſeinem höchſten Erſtaunen eine elende Stein - und Moshütte, einen verwilderten Buben, den Sonne, Wind und Schmuz um die Wette gebräunt haben, und eine kleine höchſt muntere Ziegenherde, welche ſich maleriſch auf den kleinen Blöcken, auf den Grasflecken der Felſen und auf den grünen Matten vertheilt hat und den Beſucher mit neugierigen Blicken betrachtet. Es ſind Dies gewöhnlich milchloſe Herden, welche auf möglichſt wohlfeile Weiſe überſömmert werden ſollen und drei bis fünf Monate in den ödeſten und wildeſten Gebirgslagen zuzubringen haben, ohne irgend eine Pflege zu genießen, als das bischen Salz, welches ihnen der Junge von Zeit zu Zeit auf einen Felſen ſtreut, um ſie beiſammen zu behalten.

Dieſe Hirtenbuben führen wohl das armſeligſte Leben, welches in der Nähe der Kulturländer möglich iſt. Jm Frühling ziehen ſie mit ihrer beſtimmten Zahl von Thieren ins Gebirge ohne Strümpfe und Schuhe, Weſte und Rock, in den erbärmlichſten Kleiderbruchſtückchen, mit einem langen Stecken, einem Salztäſchchen, einem Wetterhute und etwas mageren Käſe und Brod ver - ſehen. Das iſt ihre einzige Speiſe während des ganzen Sommers; von warmer Nahrung iſt keine Rede. Oft bringt ihnen ein anderer Junge aus dem Thale alle vierzehn Tage, oft nur alle Mo - nate, neues Brod und Käſe. Dieſe Nahrungsmittel werden in der Zwiſchenzeit beinahe ungenießbar. Der arme Tropf nagt wochenlang an einem ganz durchſchimmelten Brodſtücke und einem ſchwarz - braunen, ſteinharten Käſereſt, in dem man nur mühſam eine menſchliche Speiſe zu erkennen vermag. Bei ſchlechtem Wetter kauert er wochenlang, ohne Feuer, ohne ein Wort, vor Kälte und Hunger zitternd, in ſeinem feuchten Loche, aus dem er nur herauskriecht, ſeine Thiere zu erblicken, welche es, obgleich auch ſie ſchutzlos dem Wechſel der Alpenwitterung preisgegeben ſind, doch weit beſſer haben, als ihr Hirt. Gegen den Herbſt hin rückt die Geſellſchaft dann gegen die milderen Kuhalpen591Die Hausziegen.herunter, und wenn Froſt und Schnee auch hier zu groß werden, treibt der Bube zu Thal, um hier einen unglaublich kleinen Lohn in Empfang zu nehmen.

Der berühmte Thomas Plater, welcher in ſeiner Jugend lange Ziegenhirt war, berichtet ſpäter ſelbſt in ſeiner Lebensbeſchreibung von dem Leben, welches er führte: Da ich bei ſechs Jahre alt war, hat man mich zu einem Vetter gethan, dem mußte ich ein Paar der Gizen bei dem Hauſe hüten. Derſelbe Bauer hatte bei achtzig Geiſen, deren mußte ich in meinem ſiebenten und achten Jahre hüten. Da ich noch ſo klein war, daß, wenn ich den Stall aufthat und nicht gleich neben ſich ſprang, ſtießen mich die Geiſen nieder, loffen über mich weg und traten mir auf den Kopf, Arme und Rücken. Wann ich dann die Geiſen über die Vispen getrieben hatte, liefen mir die erſten über die Kornäcker, wann ich die daraus trieb, liefen die anderen hinein; da weinte ich dann und ſchrie, denn ich wußte wohl, daß man mich zu Nacht würde ſchlagen. Ein ander Mal gingen meine Geis - lein auf ein Felslein; es war eines guten Schrittes breit und dabei ſchrecklich tief, gewiß an tauſend Klaftern, um mich Nichts, denn Felſen. Von den Felſen ging eine Geis der anderen nach und einen Schroffen hinauf, da ſie blos die Fußkläuelein mochten ſtellen auf die grauen Büſchen, die auf den Felſen gewachſen waren. Wie ſie nun da hinauf waren, wollte ich auch nach; als ich aber nicht mehr, als ein Schrittlein mich am Graſe hatte aufgezogen, konnte ich nicht weiter, mochte auch nicht weiter auf das Schröfflein ſchreiten und durfte auch nicht ein Schrittlein hinter ſich ſpringen. Jn dieſer Noth war mir ſehr angſt, denn ich fürchtete, die großen Geier, die unter mir in den Lüften flogen, würden mich hinwegtragen. Solch gut Leben habe ich in Menge auf den Bergen bei den Geiſen gehabt. Das weiß ich wohl, daß ich ſelten ganze Zehen gehabt habe, ſondern Blätze daran abgeſtoßen, große Schrunden, oft übel gefallen, ohne Schuhe der Mehrtheil, im Sommer oder Holzſchuhe, großen Durſt. Mein Speiſe war am Morgen vor Tage ein Brai von Roggen - mehl, zu Nacht aber erwählte Käſemilch. Jm Sommer kann man im Heu liegen, im Winter auf einem Streu ganz voll Ungeziefers. So liegen gemeiniglich die armen Hirtlein, die bei den Bauern in den Einöden dienen.

Die griechiſchen Hirten, bei denen ich mehrere Tage in der Nähe des Anakulſees verlebte, hat - ten es nicht beſſer. Sie wurden nachts von den Mücken weidlich gepeinigt und mußten bei Tage in der glühenden Sonnenhitze auf allen den ſteilen Felſen umherklettern, um ihr übermüthiges Herden - volk zuſammenzuhalten. Jn Griechenland ſind die Ziegen faſt das einzige Herdenvieh, welches man ſieht; ſie beleben alle Berge und künden ſich dem Wanderer ſchon von weitem durch den empfindlich - ſten Bockgeruch an. Auf dem Wege zwiſchen Athen und Theben kamen wir durch ein enges Thal, in dem wir es vor Geſtank kaum aushalten konnten. Viele Hunderte von Ziegen in kleinen Herden lie - fen auf halsbrecheriſchen Pfaden dahin; die Hirten folgten ihnen mit beiſpielloſem Geſchick.

Jn vielen Orten überläßt man die Ziege ſich ſelbſt, ſo auch in den Alpen. Man treibt ſie in ein beſtimmtes, ganz abgelegenes Weidegebiet und ſucht ſie im Herbſt wieder zuſammen, wobei dann nicht ſelten manch theueres Haupt fehlt, oder man ſchickt ihnen täglich oder auch nur wöchentlich durch einen Knecht etwas Salz, welches ſie dann auf der beſtimmten, ihnen wohlbekannten Steinplatte zur beſtimmten Stunde ſehnſüchtig erwarten. Da kommt es dann oft vor, daß die Ziegen, von der Neu - gierde getrieben, ſich zu den Gemſen begeben und mit dieſen wochenlang ein echtes Freileben führen, obwohl es ihnen ſicherlich nicht geringe Anſtrengung koſten mag, mit jenen Kletterkünſtlern zu wetteifern.

Jm Jnnern Afrikas weiden die Ziegen ebenfalls nach eigenem Gutdünken, kommen aber abends in eine ſogenannte Serieba oder Umzäunung von Dornen, wo ſie vor den Raubthieren geſchützt ſind. Nicht ſelten begegnet man mitten im Urwalde einer bedeutenden Ziegenherde, und da bemerkt man dann oft genug, daß die Hälfte der Thiere buchſtäblich auf den Bäumen herumklettert, während die andere unten weidet. Oder mitten in den Steppen ſieht man ſich plötzlich umringt von einer ganzen Anzahl dieſer luſtigen Geſchöpfe, welche bettelnd Einen umlagern. Dann trifft man wohl auch ein armſeliges Zelt, in welchem ein Paar zerlumpte, ſonnenverbrannte Araber hauſen, deren ganzes592Die Ziegen. Die Hausziegen.Beſitzthum ein Waſſerſchlauch, ein Getreideſack, ein Reibſtein und eine Thonplatte, zum Röſten ihres Mehlbreies, iſt. Nachts geht es oft laut zu in der Serieba. Es gibt nicht viele Thiere, welche ſowenig ſchlafen, wie die Ziegen; beſtändig ſind einige rege, ſelbſt bei der ärgſten Dunkelheit werden noch Gefechte ausgeführt, Wettläufe veranſtaltet und Kletterkünſte unternommen.

Grauenvoll aber iſt der Aufruhr, wenn ſich ein Raubthier, zumal ein Löwe, ſolcher Serieba naht. Man glaubt, daß jede einzelne Ziege zehnerlei Stimmen zu gleicher Zeit ertönen läßt. Aus dem muthwilligen Meckern wird ein im höchſten Grade ängſtliches Blöcken oder Stöhnen; und wenn dann die armen Eingepferchten die runden Augen des Räubers durch den Dornenzaun hindurch leuch - ten ſehen, kennt ihre Beſtürzung keine Grenzen mehr. Sie rennen wie beſeſſen in der Serieba auf und nieder, ſtürzen ſich wie unſinnig gegen die dornigen Wände, klettern an dieſen empor und bilden einen höchſt ſonderbaren Kranz der ſonderbaren Umhegung. Die Nomaden wollen wahrgenommen haben, daß der Löwe nur beim allerärgſten Hunger unter eine Ziegenherde fällt, während er den Rinderherden aufs äußerſte verderblich wird; dagegen iſt der Leopard der ſchlimmſte Feind, welchen unſere Thiere in Afrika haben können.

Die edelen aſiatiſchen Ziegen werden gewöhnlich aufs ſorgfältigſte gehütet; ſie bedingen ja auch faſt einzig und allein den Wohlſtand ihrer Herren.

Amerika hat die Ziege erſt durch die Europäer erhalten; heutzutage iſt ſie hier überall verbrei - tet; doch betreibt man ihre Zucht nicht immer räthlich; in manchen Gegenden ſcheint ſie ſogar ſehr vernachläſſigt zu werden, ſo in Peru und Paraguay, in Braſilien und Surinam, während ſie in Chile hoch geachtet wird. Auf den Antillen hält man drei verſchiedene Raſſen oder Arten.

Jn Auſtralien iſt ſie erſt neuerdings eingeführt worden, hat aber ſchon eine bedeutende Ver - breitung erlangt.

Nach den Beobachtungen, welche man bisher gemacht hat, frißt die Ziege bei uns von 576 Pflanzenarten 449. Jhre Unſtetheit und Launenhaftigkeit zeigt ſich ſehr deutlich bei dem Aeßen; ſie haſcht beſtändig nach neuem Genuſſe, pflückt allerwärts nur wenig, unterſucht und naſcht von Die - ſem und Jenem, und hält ſich nicht einmal beim Beſten auf. Ganz beſonders erpicht iſt ſie auf das Laub der Bäume, und deshalb richtet ſie in Schonungen ſehr bedeutenden Schaden an. Merkwürdi - gerweiſe frißt ſie auch Pflanzen, welche anderen Thieren ſehr ſchädlich ſind, ohne den geringſten Nachtheil: ſo die Wolfsmilch, das Schellkraut, den Seidelbaſt, die Pfaffenhütchen und die Eber - wurz, den ſehr ſcharfen Mauerpfeffer, Huflattig, Meiliſſe, Salbei, Schierling, Hundspeterſilie und dergleichen, mit Vergnügen auch Rauchtabak, Cigarrenſtummel, deren Nikotin anderen Thieren entſetzlich iſt, und dergleichen. Vom Genuſſe der Wolfsmilch bekommt ſie gewöhnlich den Durchfall; weiter ſchadet ihr dieſes entſchiedene Gift aber nicht. Eibe und Fingerhut ſind Gift für ſie; das Floh - kraut, der Spindelbaum behagen ihr auch ſchlecht. Am liebſten ſind ihr junge Blätter und Blüthen von Hülſenpflanzen, die Blätter der Kohl - und Rübenarten und die der meiſten Bäume; am gedeih - lichſten ſind ihr alle Pflanzen, welche auf trockenen, ſonnigen, fruchtbaren Höhen wachſen. Alle Wieſen, welche mit Miſt oder ſonſt ſtinkiger Maſſe beſudelt ſind, können nicht als Weideplätze für Ziegen benutzt werden: ſie ekeln ſich auch da noch, wo ſchon lange vorher gedüngt wurde. Die frei - weidenden Ziegen bekommen nur Waſſer zu trinken, die Stallziegen einen lauwarmen Trank, in welchem Roggenkleie und etwas Salz aufgelöſt iſt.

Die Ziege iſt ſchon mit einem Alter von einem halben Jahre zur Fortpflanzung geeignet. Jhre Paarungsluſt, welche gewöhnlich in die Monate September bis November fällt und zuweilen ſich noch ein zweites Mal im Mai einſtellt, zeigt ſich durch vieles Meckern und Wedeln mit dem Schwanze an. Läßt man ihr den Willen nicht, ſo wird ſie leicht krank. Der Bock iſt zu allen Zeiten des Jahres brünſtig und reicht, wenn er im beſten Alter ſich befindet, d. h. vom zweiten bis achten Jahre, für hundert Ziegen hin. Einundzwanzig bis zweiundzwanzig Wochen nach der Paarung wirft die Ziege ein oder zwei, ſeltener drei und nur ausnahmsweiſe vier oder fünf Junge; in dieſem Falle geht aber die Mutter oder wenigſtens ihre Nachkommenſchaft gewöhnlich zu Grunde. Schon wenige Minuten nach593Die Hausziegen. Die Halbziegen.ihrer Geburt richten ſich die Zicklein auf und ſuchen das Euter ihrer Erzeugerin; am nächſten Tage laufen ſie ſchon herum und nach vier bis fünf Tagen folgen ſie der Alten überall hin. Sie wachſen raſch: im zweiten Monate ſproſſen ſchon die Hörnchen hervor; mit einem Jahre ſind ſie ausgewachſen.

Der Nutzen der Ziege iſt ſehr bedeutend. Sie iſt in vielen Gegenden, wie bemerkt, der größte Freund des Armen: denn ihre Unterhaltung koſtet wenig, im Sommer ſo zu ſagen gar Nichts; ſie verſorgt aber das Haus mit Milch, und liefert dem Unbemittelten auch noch den Dünger für ſein gemiethetes Feldſtück. Lenz hat gewiſſenhaft Buch geführt und gefunden, daß eine Ziege, wenn ſie gut gefüttert wird, in einem Jahre 1884 Nöſel Milch liefern kann, welche bereits im Jahre 1834 über 26 Thaler werth waren; gegenwärtig aber mag ſich der Ertrag einer Ziege etwa auf 30 Thaler belaufen, und der Ueberſchuß unzweifelhaft ein ſehr bedeutender ſein.

Jn vielen Gegenden, ſo z. B. in Egypten, treibt man die Ziegen mit ſtrotzendem Euter vor die Häuſer der Milchverkäufer und milkt hier die gewünſchte Menge gleich vor der Thür. Der Käufer hat dadurch den Vortheil, lauwarme Milch zu erhalten, und der Verkäufer braucht nicht erſt zu che - miſchen Künſteleien, namentlich zu der ihm ſo nothwendig ſcheinenden Verbeſſerung durch Waſſer ſeine Zuflucht zu nehmen. Man begegnet ſelbſt in den größten Städten Egyptens einer Frau, hinter welcher eine zahlreiche Ziegenherde meckernd herläuft. Sie ruft lebn, lebn hilwe , oder ſüße, ſüße Milch , und da und dort öffnet ſich ein Pförtchen, und ein mehr oder minder verſchleierter dienſt - barer Geiſt weiblichen Geſchlechts, oder ein brauner Aethiopier, welcher die Küche eines Junggeſellen zu beſorgen hat, kommt hervorgeſchlüpft, kauert ſich auf den Boden hin, die Verkäuferin milkt ihm ſein Gefäß voll, und weiter geht die Rufende mit ihrer meckernden Geſellſchaft. Die Ziegen der Nomaden und feſtwohnenden Sudahneſen werden täglich zwei Mal gemolken und rennen, wenn die Milch ſie drückt, wie toll zu dem einfachen Zelte oder Haus ihres Herrn, gleichviel, ob ſie heute hier und morgen dort eingeſtellt werden: ſie wiſſen den jeweiligen Wohnplatz ihres Gebieters ſchon aufzufinden.

Weit bedeutender noch als der Nutzen, welchen die Ziege durch ihre Milch bringt, iſt der Ge - winn, welchen man von den feinen Wollhaaren der edleren Raſſen oder Arten erzielt. Die Angora -, Kaſchmir - und zottigen Ziegen werden faſt ausſchließlich zu dem Zwecke gehalten, Wolle zu erzeu - gen, und namentlich die erſtgenannten liefern einen wirklich namhaften Ertrag.

Außer der Milch und des von ihr gewonnenen Käſe, welcher in Griechenland eine große Rolle ſpielt, oder der Butter und der Wolle nutzt die Ziege durch ihr Fleiſch, ihr Fell und ihre Hörner. Junge Zicklein ſind ſehr wohlſchmeckend, obwohl faſt etwas zu zart, und auch das Fleiſch älterer Ziegen iſt durchaus keine ſchlechte Koſt. Das Fell wird zu Korduan und Saffian, ſeltener zu Perga - ment verarbeitet; für erſtere Lederarten iſt immer noch das Morgenland die Hauptquelle. Aus den Fellen der Böcke verfertigt man Beinkleider und ſtarke Handſchuhe, in Griechenland Wein - oder in Afrika Waſſerſchläuche. Das grobe Haar wird hier und da zu Pinſeln benutzt oder zu Stricken gedreht. Die Hörner fallen den Drechslern, und im Morgenlande dem Wundarzt anheim, welcher ſie als Schröpfköpfe zu verwenden pflegt. So nutzt alſo das vortreffliche Thier im Leben wie im Tode.

Nach dieſer ausführlichen Schilderung der wichtigeren Ziegen wollen wir der Halbziegen (Hemitragus) wenigſtens noch flüchtig gedenken. Als Vertreter dieſer Thiere gilt der Thar oder Tahir, welchen ſein Entdecker, Hamilton Smith, Jraharal nannte (Hemitragus jemlaieus). Die Eigenthümlichkeiten der Sippe liegen in den ſeitlich zuſammengedrückten, vorn gekanteten Hör - nern, welche bei dem Männchen drei - oder vierſeitig und mit ringelartigen Querwülſten bedeckt, beim Weibchen aber mehr gerundet und gerunzelt ſind, in der nackten und kleinen Naſenkuppe und den vier Zitzen des Weibchens.

Der Thar iſt ein ſchönes großes Thier von Fuß Leibes -, Zoll Schwanzeslänge und Fuß Höhe am Widerriſt; die Hörner werden höchſtens fußlang. Hinſichtlich ſeines LeibesbauesBrehm, Thierleben. II. 38594Die Halbziegen. Der Thar oder Tahir.iſt er eine echte Ziege; denn auch die Hörner, auf denen zum Theil ſeine Sonderſtellung beruht, unterſcheiden ſich eben nicht ſehr von denen anderer Mitglieder unſerer Familie. Sie ſtehen ziemlich hoch über den Augen und ſtoßen am Grunde faſt zuſammen. Vom Grunde an erheben ſie ſich in ſchiefer Richtung, faſt an den Scheitel angepreßt, nach rückwärts, weichen nach außen von einander ab, und drehen ſich im letzten Drittel ihrer Länge wieder nach ein - und abwärts, mit der Spitze aber nochmals nach außen. Die Behaarung beſteht aus längeren, groben enganliegenden Grannen und ſehr zartem feinen Wollhaar; ſie iſt am ganzen Leibe reichlich, an manchen Theilen aber ganz auf - fallend verlängert: denn der alte Bock trägt eine Mähne, welche der des Löwen an Fülle völlig gleichkommt. Das Geſicht, die Unterſeite des Kopfes und die Füße ſind kurz behaart, der Hals, die Borderſchenkel und die hinteren Seiten bemähnt; die einzelnen Haare werden hier faſt fußlang. Bei dem Weibchen iſt die Mähne nur angedeutet. Beide Geſchlechter ſind bartlos. Wie man an

Der Thar oder Tahir (Hemitragus Jemlaicus).

dem Bocke im londoner Thiergarten beobachtete, iſt der Unterſchied zwiſchen Sommer - und Winter - tracht ſehr bedeutend. Mit dem Alter nimmt die Länge der Mähne auffallend zu. Auch die Fär - bung wechſelt. Alte Männchen ſind weißlich fahlbraun, hier und da, an einzelnen Stellen, dunkel - braun; ein ſchwarzer, breiter Längsſtreifen zieht ſich über die Stirn bis an das Schnauzenende hin und läuft nach hinten hin über den ganzen Rücken bis zur Schwanzſpitze. Jüngere Männchen und Weibchen ſind dunkelbraun und ihre Füße, mit Ausnahme eines lichteren Streifen, auf der Hinter - ſeite faſt ſchwarz. Nicht ſelten iſt die vorherrſchende Färbung aber auch ein fahles Schiefergrau, in welches ſich an den Seiten Roſtroth einmiſcht. Die Stirn, die Oberſeite des Halſes und Rückens ſind roth oder dunkelbraun, die Kehle, die Unterſeite des Halſes, der mittlere Theil des Bauches und die Jnnenſeite der Gliedmaßen ſchmuziggelblich, ſchiefergrau überflogen. Ein rother oder dunkelbrauner Streifen zieht ſich erſt ringartig um das Auge und läuft dann ſeitlich bis zum Munde herab, wo er, ſich verbreitend, erblaßt. Ein ähnlicher Flecken ſteht an der unteren Kinn -595Der Thar oder Tahir. Die Schafe.lade. Die Hörner und Hufe ſind graulichſchwarz. Unſer Bild zeigt uns den noch jungen Bock des londoner Thiergartens in ſeiner Sommertracht.

Markham gibt in ſeinen Jagden im Himalaya eine Beſchreibung der Aufenthaltsorte dieſes noch ſehr wenig bekaunten Thieres. Der gewöhnliche Wohnplatz des Tahir, ſagt er, ſind die felſigen und grasreichen Abſtürze der Hügel, namentlich die baumfreien. Doch bewohnt das ſchöne Wild auch die Wälder ſelbſt, falls nur der Grund dort zerriſſen und felſig iſt. Wenn die genannten Stellen in einer Höhe von mehr als 8000 Fuß liegen, beſtehen die Wälder auf dem ſüdlichen und weſtlichen Abhange hauptſächlich aus Eichen. Der Grund iſt trocken und gewöhnlich felſig, die Bäume ſtehen ſehr vereinzelt, und die niedere Pflanzenwelt hat faſt daſſelbe Gepräge, wie die Weiden auf waldloſen Hügeln ſelber. Auf der Schattenſeite, da, wo die Wälder viel dichter und baumreicher ſind, kommt der Tahir niemals oder nur ſehr ſelten vor. Wie weit der Verbreitungskreis ſich erſtreckt, iſt bisjetzt noch nicht genauer ermittelt worden. Es iſt gar nicht unmöglich, daß ſich das Thier auch in China findet.

Ueber die Lebensart des Tahir im Freien iſt bisjetzt noch ſoviel als Nichts bekannt, und auch über das Gefangenleben haben wir nur ſehr dürftige Mittheilungen erhalten. Jung eingefangene Tahirs gewöhnen ſich leicht an den Hausſtand, werden bald vergnügt und zahm, zeigen großen Trieb zum Klettern, ſind neckiſch und luſtig, wie die übrigen Ziegen und könnten nach allen Anzeichen ſehr leicht zu vollſtändigen Hausthieren gemacht werden. Jn Jndien hat man mehrere auch in den wär - meren Gegenden gehalten und beobachtet, daß ſie das ihnen eigentlich nicht zuſagende Klima ohne Beſchwerden ertragen. Mit dem Kleinvieh befreundet ſich der Tahir ſehr bald, und zumal die Böcke ſcheinen in den weiblichen Schafen und Ziegen des Umgangs durchaus würdige Geſchöpfe zu erblicken. Sie verfolgen dieſelben oft mit großer Ausgelaſſenheit und ſind ſofort geneigt, mit Ziegenböcken, welche Uebergriffe in ihre Gerechtſame nicht dulden mögen, einen ernſten Strauß auszufechten. So ſelten man den Tahir in Gefangenſchaft hielt, das Eine hat man doch ſchon beobachten können, daß ſich nämlich dieſer Gebirgsſohn ohne große Umſtände mit Hausziegen und ſogar mit dem Schafe paart; die Eingeborenen behaupten ſogar, daß für einen echten Tahirbock unter Umſtänden auch ein weibliches Moſchusthier Gegenſtand der regſten Theilnahme ſein könnte. Junige Verhältniſſe dieſer Art ſollen aber nicht von dem ſeitens des Bockes erwünſchten Erfolge gekrönt werden.

Aus allen Angaben geht hervor, daß unſer Thier in ſeinem ganzen Weſen und Sein eine echte Ziege iſt, eigenſinnig und muthwillig, aufmerkſam, klug und ſelbſtändig, beweglich, ausdauernd und vorſichtig, dem anderen Geſchlechte ſehr zugethan und deshalb Gleichgeſinnten gegenüber händelſüchtig und raufluſtig; wir können alſo zur Zeit noch eine ausführlichere Schilderung ſeines Lebens entbehren.

Jn leiblicher Hinſicht ſtehen die Schafe (Oves) den Ziegen außerordentlich nah, in geiſtiger Hinſicht haben nur die wild lebenden Arten der Familie Aehnlichkeit mit einander.

Die Schafe unterſcheiden ſich von den Ziegen durch die großen Thränengruben, die flache Stirn, die kantigen, etwa dreiſeitigen, querrunzeligen, ſchneckenförmig gedrehten Hörner und den Mangel eines Bartes. Jm allgemeinen ſind ſie ſchlankgebaute Thiere mit ſchmächtigem Leibe, dün - nen, hohen Beinen und kurzem Schwanz, vorn ſtark verſchmälertem Kopfe, mit mäßig großen Augen und Ohren und doppelter, zottiger oder wolliger Behaarung. Jm Geripp macht ſich zwiſchen ihnen einerſeits und den Ziegen, Antilopen und Hirſchen anderſeits kein großer Unterſchied bemerk - lich. 13 Wirbel tragen Rippen, 6 ſind rippenlos, 3 bis 22 bilden den Schwanz. Der innere Leibes - bau bietet keine beſonderen Eigenthümlichkeiten.

Alle wildlebenden Schafe bewohnen die Gebirgsgegenden der nördlichen Erdhälfte. Jhr Ver - breitungskreis reicht über Europa, Mittel - und Nordaſien, Afrika und den nördlichen Theil von38 *596Die Schafe.Amerika. Die meiſten Arten kommen in der alten Welt vor. Jede Gebirgsgruppe beſitzt eigen - thümliche Arten, wie Andere wiſſen wollen, Unterarten der Schafe, welche ſich hauptſächlich durch die Verſchiedenheit der Hörner auszeichnen. Die Windung derſelben iſt maßgebend. Bei den einen iſt das rechte Horn von der Wurzel zur Spitze links und das linke rechts gewunden; dann treten die Hornſpitzen nach außen hin auseinander; bei den anderen iſt das rechte Horn rechts und das linke links gewunden: dann wenden ſich die Hornſpitzen nach hinten und erinnern an den Hornbau der Ziegen.

Sämmtliche Schafe ſind echte Gebirgskinder. Einige von ihnen ſcheinen ſich nur in den bedeu - tendſten Höhen wohl zu fühlen. Sie ſteigen ſelbſt bis über die Schneegrenze, einzelne zu Höhen von 18 bis 20,000 Fuß empor, wo ſich außer ihnen nur noch einige Ziegen, ein Rind, das Moſchus - thier und verſchiedene Vögel umhertreiben. Jn ebenen Gegenden leben blos zahme Schafe, und man ſieht es denen, welche in Gebirgsländern gezüchtet werden, recht deutlich an, wie wohl es ihnen thut, eine ſo recht ihnen zuſagende Heimat bewohnen zu dürfen. Grasreiche Triften oder lichte Wälder, ſchroffe Felſen und wüſte Halden, zwiſchen denen nur hier und da ein Pflänzchen ſprießt, bilden die Aufenthaltsorte der Wildſchafe. Je nach der Jahreszeit wandern ſie von der Höhe zur Tiefe oder umge - kehrt: der Sommer lockt ſie nach oben, der eiſige Winter treibt ſie in die wohnlichere Tiefe, weil er ihnen in der Höhe ihre Nahrung bedeckt. Dieſe beſteht aus friſchen und ſaftigen Alpenkräutern im Sommer und aus Moſen, Flechten und dürren Gräſern im Winter. Die Schafe ſind lecker, wenn ſie reiche Auswahl haben, und genügſam im hohen Grade, wenn ſich ihnen nur weniges bietet: dürre Gräſer, Schößlinge, Baumrinden und dergleichen ſind im Winter oft ihre einzige Nahrung, und den - noch merkt man ihnen kaum den Mangel an.

Mehr als bei anderen Hausthieren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Renthieres, ſieht man an den Schafen, wie die Sklaverei entartet. Das zahme Schaf iſt nur noch ein Schatten von dem wilden. Die Ziege bewahrt ſich, wie wir ſahen, auch in der Gefangenſchaft ihre Selbſtändig - keit: das Schaf wird im Dienſte des Menſchen ein willenloſer Knecht. Alle Lebhaftigkeit und Schnel - ligkeit, das gewandte, behende Weſen, die Kletterkünſte, das kluge Erkennen und Meiden oder Abwehren der Gefahr, der Muth und die Kampfluſt, welche die wilden Schafe zeigen: alles Dies geht bei den zahmen unter; ſie ſind eigentlich das gerade Gegentheil von ihren freilebenden Brüdern. Es ſcheint, als ob ihr Verſtand zu Gunſten des Felles untergegangen wäre. Die wildleben - den Arten erinnern noch vielfach an die munteren, klugen, übermüthigen Ziegen. Sie ſtehen dieſen in den meiſten Eigenſchaften und Fertigkeiten gleich; ſie haben denſelben regen Geiſt, daſſelbe lebhafte Weſen: die zahmen können wahrhaftig nur den Landwirth begeiſtern, welcher aus dem werthvollen Vließe guten Gewinn zieht; im übrigen ſind ſie unausſtehliche Geſchöpfe. Eine Charakterloſigkeit ohne Gleichen ſpricht ſich in ihrem ganzen Weſen aus. Der ſtärkſte Widder weicht feig dem kleinſten Hunde; ein unbedeutendes Thier kann eine ganze Herde erſchrecken; blindlings folgt die Maſſe einem Führer, gleichviel ob derſelbe ein erwählter iſt oder blos zufällig das Amt eines ſolchen bekleidet: ſie ſtürzt ſich ihm nach in augenſcheinliche Gefahr, ſie ſpringt hinter ihm in die tobenden Fluthen, obgleich ſie ſieht, daß alle, welche den Satz wagten, zu Grunde gehen müſſen. Kein Thier läßt ſich leichter hüten, leichter bemeiſtern, als das gahme Schaf; es ſcheint ſich zu freuen, wenn ein anderes Geſchöpf ihm die Laſt abnimmt, für das eigene Beſte ſorgen zu müſſen. Daß ſolche Geſchöpfe gut - müthig, ſanft, friedlich, harmlos, frei von jeder Leidenſchaft ſind, darf uns nicht wundern; in der Dummheit begründet ſich ihr geiſtiges Weſen, und gerade deshalb iſt das Lamm eben kein glücklich gewähltes Sinnbild. Jn den ſüdlichen Ländern, wo die Schafe ſich mehr überlaſſen ſind, als bei uns, bilden ſich die geiſtigen Fähigkeiten ganz anders aus. Sie ſind dort ſelbſtändiger, kühner und muthi - ger als hier zu Lande; ſie kämpfen ſogar mit anderen Geſchöpfen.

Die Vermehrung der Schafe iſt ziemlich bedeutend. Das Weibchen bringt nach einer Tragzeit von 20 bis 25 Wochen ein oder zwei, ſeltener drei oder vier Junge zur Welt, welche bald nach ihrer Geburt im Stande ſind, der Alten nachzufolgen. Die wilden Mütter vertheidigen ihre Jungen mit597Das afrikaniſche Mähnenſchaf.Gefahr ihres Lebens und zeigen eine außerordentliche Liebe zu ihnen: die zahmen ſind ſtumpf gegen die eigenen Kinder, wie gegen alles Vernünftige; ſie glotzen den Menſchen unendlich dumm und gleichgiltig an, wenn er ihnen ihre Lämmer wegnimmt. Nach verhältnißmäßig kurzer Zeit ſind die Jungen ſelbſtändig geworden und bereits vor ihrem erfüllten erſten Lebensjahre ſelbſt wieder fortpflanzungsfähig.

Faſt alle wilden Arten laſſen ſich ohne große Mühe zähmen und behalten ihre Munterkeit wenig - ſteus durch ein paar Geſchlechter hindurch; denn ſie pflanzen ſich ohne Umſtände in der Gefangenſchaft fort. An Leute, welche ſich viel mit ihnen abgeben, ſchließen ſie ſich innig an, folgen ihrem Rufe, nehmen gern Liebkoſungen entgegen und können einen ſo hohen Grad von Zähmung erlangen, daß ſie mit anderen Hausthieren auf die Weide geſandt werden dürfen, ohne daß ihnen große Luſt ankommt, günſtige Augenblicke zur Wiedererlangung ihrer Freiheit zu benutzen. Die zahmen Schafe ſind ſchon ſeit undenklichen Zeiten zu Hausthieren geworden; man kennt auch bei ihnen nicht ihre Stammeltern. Der Menſch hat ſie ihres hohen Nutzens wegen über die ganze Erde mit ſich verbreitet und mit Erfolg auch in ſolchen Ländern eingeführt, welche ihnen urſprünglich ganz fremd waren. Sämmtliche Theile des Schafes werden verwandt; Wolle und Miſt aber werfen den meiſten Ertrag ab.

Die Jagd der Wildſchafe wird ihrer Gefährlichkeit halber mit Leidenſchaft betrieben und gibt des wohlſchmeckenden Fleiſches, der geſuchten Hörner und des vortrefflichen Felles wegen, einen guten Ertrag.

Wie immer ſtellen wir auch hier eine wilde Art oben an, welche als Uebergangsthier von den Ziegen zu den Schafen betrachtet werden kann. Das afrikaniſche Mähnenſchaf (Ammotragus Tragelaphus) wird in vielen thierkundlichen Werken unter den Ziegen mit aufgeführt, weil es mit dieſen ebenſo viele Verwandtſchaft hat, als mit den Schafen. Die Hörner unterſcheiden es von den eigentlichen Ziegen, obgleich auch ſie noch an das Ziegengehörn erinnern: dagegen fehlen ihm die Thränengruben und die ſo ausgezeichnete Naſe der Schafe, mit welchen es das allgemeine Gepräge ſeiner Geſtalt und das Betragen gemein hat. Das bezeichnendſte Merkmal des Thieres iſt eine ſtarke Haarmähne, welche am Oberhalſe beginnt und bis zur Bruſt herabreicht, ſich auch noch auf den Vorderbeinen bis unter das Beugegelenk der Ferſe fortſetzt. Dieſe Mähne hat unſerem Thiere den franzöſiſchen Namen Moufflon à manchettes eingetragen. Die Hörner, welche etwa 2 Fuß lang werden, ſind unten beinahe vierkantig, oben zuſammengedrückt, auf der Außenſeite tiefgefurcht; ſie ſteigen erſt gerade aufwärts, krümmen ſich dann nach hinten und wenden ſich mit den Spitzen etwas nach innen. Das Haarkleid iſt mit Ausnahme der Mähne und der ziemlich kurzen Schwanzquaſte wie bei den Ziegen, denn die Haare ſind ſteif und liegen glatt am Leibe an. Auf der Oberſeite iſt das Mähnenſchaf fahlroth oder dunkelgelb gefärbt; die Spitzen der Haare ſind aber weiß, und deshalb er - ſcheint der Pelz etwas geſprenkelt. Die untere und die innere Seite der Gliedmaßen ſind weiß; über den Rücken verläuft eine dunklere Binde. Ein völlig ausgewachſener Bock wird etwa 6 Fuß lang und Fuß hoch.

Bereits im Jahre 1561 beſchrieb Cajus Britanicus das Mähnenſchaf, deſſen Fell ihm aus Mauritanien gebracht worden war. Seitdem verging eine lange Zeit, ehe wieder Etwas über das Thier verlautete. Erſt Pennant und ſpäter Geoffroy erwähnen es von neuem; letzterer fand es in der Nähe Kairos im Gebirge auf. Andere Forſcher haben es am oberen Nil und in Abiſſinien beobachtet; ja, man will es ſelbſt am Sinai bemerkt haben. Am häufigſten dürfte es im Atlas ſich finden. Ueber feine Lebensweiſe war bisher ſo gut als Nichts bekannt und ich würde demgemäß, da mir das Thier auf meiner Reiſe in Afrika nie vorgekommen iſt, eben auch Nichts berichten können, hätte mein Freund Dr. Buvry nicht die Güte gehabt, mir Nachſtehendes zur Benutzung zu über - laſſen.

Das Mähnenſchaf wird im ſüdlichen Algerien von den Einheimiſchen im allgemeinen Arui genannt, während der Widder Feſchthal, das Schaf Maſſa und das Junge Charuf heißt. Jn598Die Schafe. Das afrikaniſche Mähnenſchaf.der Provinz Conſtantine bewohnt das merkwürdige Geſchöpf die Südabhänge des Auras-Gebirges; nach den Angaben der Araber ſoll es jedoch auch in den dieſes Gebirge begrenzenden Steppen und auch in der Sandwüſte des Wadi-Sinf angetroffen werden; im Weſten findet es ſich auf dem Djebel - Amur und in der Provinz Oran auf dem Südabhange des Djebel-Sidi-Scheich. Unzweifelhaft wird es in den höheren Theilen des Gebirges in dem marokkaniſchen Atlas noch häufiger ſein, als in Algerien, da Unzugänglichkeit und Abgeſchiedenheit von menſchlichem Verkehr, welche jenen Theil des Gebirges auszeichnen, einem Wiederkäuer nur zuſagen kann.

Der Arni liebt die höchſten Felſengrate der Gebirge, zu denen man nur durch ein Wirrſal zer - klüfteter Stein - und Geröllmaſſen gelangen kann, und deshalb iſt ſeine Jagd eine höchſt mühſelige, ja oft gefährliche. Dazu kommt, daß ſie nicht einmal viel Gewinn verſpricht; denn das Mähnenſchaf lebt nicht in Rudeln, wie andere Verwandte, ſondern einzeln, und nur zur Bockzeit, welche in den November fällt, ſammeln ſich mehrere Schafe und dann auch die Widder, halten einige Zeit bei ein -

Das afrikaniſche Mähnenſchaf (Ammotragus Tragelaphus).

ander und gehen hierauf wieder zerſtreut ihres Weges. Gelegentlich der Paarung kommt es zwiſchen den Widdern oft zu überaus hartnäckigen Kämpfen. Die Araber verſichern, daß man bei ſolchen Ge - legenheiten in Zweifel ſein müſſe, was man mehr bewundern ſolle, die Ausdauer, mit der ſich die ver - liebten Böcke geſenkten Kopfes halbe Stunden und länger einander gegenüber ſtehen, oder die Furcht - barkeit des gegenſeitigen Anpralls, wenn ſie gegen einander anrennen, oder endlich die Feſtigkeit der Hörner, welche Stöße aushalten, die, wie man glauben möchte, einem Elefanten die Hirnſchale zer - ſchmettern müßten.

Vier bis fünf Monate nach der Paarung ſetzt die Maſſa ein oder zwei Lämmer, welche etwa vier Monate lang mit der Alten umherlaufen, jedenfalls aber ſchon ziemlich lange vor der nächſten Paarungs - zeit ſelbſtändig geworden ſind und ihre eigenen Wege zu wandeln gelernt haben. Die Nahrung des Arui iſt beziehentlich dieſelbe, wie bei den übrigen wildlebenden Schafen und Ziegen: ſaftige Alpen -599Das afrikaniſche Mähnenſchaf.pflanzen im Sommer, dürre Flechten und trockene Gräſer im Winter; vielleicht mögen ihm auch ein - zelne von den niederen Geſtrüppflanzen willkommen ſein.

Es lag mir Alles daran, ſoviel als möglich über die Lebensweiſe des Thieres zu erfahren, und ich beſchloß deshalb, keine Mühe und Beſchwerde zu ſcheuen. Doch hatte ich mir die Jagd immer noch viel leichter vorgeſtellt, als ſie wirklich war. Jn Begleitung meines Dieners Ali-Jbben-Abel verließ ich die Oaſe Biskra und ritt in nordöſtlicher Richtung längs des Wadi, welches hier von allen Seiten durch echte Wüſtenberge eingeſchloſſen iſt, nach dem Djebel el Melch, einem Theil des Aurasgebirges, welches hier ziemlich ſteil in die Ebene abfällt und, wie gewöhnlich, am Fuße mit wüſten Halden und zerſpalteten und zerriſſenen Felsſtücken bedeckt iſt. Wir mußten lange ſuchen, ehe wir einen Weg durch das Wirrſal fanden, und hatten dann nicht blos unſere Füße, ſondern auch unſere Hände recht nöthig, um uns über die gefährlichſten Stellen hinweg zu ſchleppen. Endlich fan - den wir einen, wie es ſchien, ziemlich betretenen Felspfad, der uns durch die nackten, weißgrauen Kreidefelſen führte, freilich hart an wirklich furchterregenden Abgründen von anſehnlichen Salzmaſſen und Gipslagern. Die gelegentlich in Arbeit genommenen Kreidefelſen hatten zur beſſeren Ebenung dieſes Pfades Veranlaſſung gegeben, und ſo konnten wir immer noch von Glück ſagen; denn ohne dieſen Weg würden wir ſchwerlich nach oben gekommen ſein. Eine Todtenſtille umgab uns; kein lebendes Weſen ſchien hier vorhanden zu ſein; nur die kleine, überall gegenwärtige Wüſtenlerche, der Vertreter des Lebens auch in dem ſichtbarlichſten Reiche des Todes, ließ ihren ſchwermüthigen Ruf ertönen.

Mühſelig kletterten wir einige Stunden fort und mochten vielleicht nach und nach eine Höhe von 5000 Fuß über dem Meere erſtiegen haben: da winkte uns eine friſche plätſchernde Quelle zur Ruhe. Wir ſchlürften entzückt das köſtliche Waſſer und entdeckten dabei die Fährte eines Arni. Faſt hätte ich ſchon jetzt aufgejauchzt über das Glück, welches uns begünſtigte; denn das Mähnenſchaf, welches heute morgen hier getrunken, war mir ſo gut als ſicher: ich wußte, daß es wieder hierher zurück - kehren, und daß mich dann mein treues erprobtes Gewehr gewiß nicht verlaſſen würde. Gleichwohl ließ uns die Ungeduld nicht recht zur Ruhe kommen, und noch ehe wir uns gehörig erfriſcht hatten, begannen wir weiter nach oben zu ſteigen, in der Hoffnung, vielleicht ſchon jetzt Etwas von dem Thiere zu ſehen. Aber vergebens waren unſere Anſtrengungen. Wir kletterten den ganzen Tag umher, ohne auch nur ein Anzeichen des Wildſchafes zu finden. Die Nacht brach ſchnell herein und nöthigte uns, ein Unterkommen zu ſuchen. Ein Felſenabhang in der Nähe jener Quelle mußte uns Herberge geben, und obwohl es nicht gerade zu den Annehmlichkeiten gehört, im Januar in einer ſolchen Höhe die Nacht zuzubringen, ließ doch das Jagdfeuer uns die Kälte leicht überwinden, ja, es brachte uns beinahe um den uns ſo nöthigen Schlaf. Der Morgen graute noch nicht, als wir ſchon auf dem Anſtand lagen. Ein dichter Nebel hatte uns eingehüllt; jetzt löſte er ſich allmählich ſtreifen - artig von den Graten, und nur die Ebene tief unten war mit einem dichten Schleier verhüllt. Jn erwartungsvoller Stille mochten wir etwa Stunde gelegen haben: da ſchritt langſamen Ganges ein gewaltiger Feſchthal zu uns heran. Jede Bewegung war edel und ſtolz, jeder Schritt ſicher, feſt und ruhig; man glaubte, es dem Thiere anzuſehen, daß es ſich hier als Herr und König der Höhe fühle. Und weiter und weiter heran kam er; vorſichtig ſuchte er den ſanfteſten Strand; jetzt bückte er den Kopf zum Trinken: da blitzte das Feuer aus unſern beiden Gewehren. Mit einem Schrei ſank der Widder zuſammen; aber plötzlich raffte er ſich wieder auf, und dahin ging es in raſender Eile, mit Sätzen, wie ich ſie vorher nie geſchaut, mit Sätzen, wie ſie wohl ein Hirſch auf der Ebene machen kann. Gemſengleich, ſicher und kühn, jagte er dahin, und wir ſtanden verblüfft und ſchauten ihm nach. Doch getroffen war er, und weit konnte er unſeres Erachtens nicht gekommen ſein: alſo auf zur Verfolgung! Aber Stunde auf Stunde verlief, und immer noch eilten wir hinter dem Thiere drein, deſſen Fährte jetzt durch die Blutſpuren dem ſcharfen Auge meines arabiſchen Be - gleiters nur zu deutlich war. Vier bis fünf Stunden mochte unſere Verfolgung gedauert haben, da führte die Fährte nach einem Felſengrate hin, der ſchroff und ſteil wohl 200 Fuß nach einem Keſſel600Die Schafe. Das afrikaniſche Mähnenſchaf.abfiel. Hier verlor ſich jedes Zeichen. Es ſchien uns unmöglich, daß der Widder da hinab ſeinen Sprung gewagt hätte, und wir ſtanden lange Zeit rath - und thatlos da, bis endlich der Araber doch einen, wie er ſagte, wohl vergeblichen Verſuch machen wollte, dahinab zu kommen. Er kletterte zur Tiefe nieder und hatte den Boden des Keſſels kaum erreicht, als mich ein lauter Freudenſchrei be - nachrichtigte, daß ſeine Bemühungen vom beſten Erfolge gekrönt ſein müßten: da unten lag der Widder verendet.

Nach den Ringen der Hörner zu urtheilen, mochte das Thier acht bis zehn Jahre alt ſein; aber mein Araber und die übrigen, welche ich ſpäter befragte, meinten einſtimmig, daß dieſer Bock noch keineswegs zu den großen gezählt werden könne und verſicherten, weit ſchwerere geſehen zu haben. Für uns war gar nicht daran zu denken, unſere Jagdbeute aus dem Keſſel heraus und dann auf dem beſchriebenen Pfade hinab zu ſchaffen; es blieb mir deshalb nichts Anderes übrig, als den Widder gleich hier abzuhäuten. Den Balg habe ich glücklich mit nach Hauſe gebracht, und gegenwärtig ziert er das Muſeum von St. Petersburg.

Die Araber ſind große Liebhaber des Fleiſches dieſer Wildſchafe, und auch ich muß geſtehen, daß der Schlegel, welchen Scheich Ali trotz ſeines Seufzens zur Tiefe ſchleppen mußte, mir vor - trefflich geſchmeckt hat. Das Wildpret ſteht dem des Hirſches ſehr nahe, iſt aber weit feiner nach meiner Anſicht. Aus den Fellen bereiten die Araber Fußdecken; die Haut wird hier und da gegerbt und zu Saffian verwandt.

Obwohl der Arni zu den ſelteneren Thieren gezählt werden muß, wird derſelbe doch manchmal jung von den Gebirgsbewohnern in Schlingen gefangen und dann gewöhnlich gegen eine geringe Summe an die Befehlshaber der zunächſtliegenden Kriegspoſten abgegeben. Jn den Gärten des Geſell - ſchaftshauſes zu Biskra ſah ich einen jungen Arui, welcher eine 15 Fuß hohe Mauer, die Umhegung ſeines Aufenthaltsortes, mit wenigen faſt ſenkrechten Sätzen emporſprang, als ob er auf ebener Erde dahinliefe, und ſich dann auf der kaum handbreiten Firſte ſo ſicher hielt, daß man glauben mußte, er ſei vollkommen vertraut da oben. Oft machte er ſich das Vergnügen, außerhalb ſeines Geheges zu weiden: wenn in einem Garten irgend Etwas ſeine Leckerkeit erregt hatte, fiel es ihm gewiß zum Opfer; denn Hag und Mauer waren nirgends ſo hoch, daß der Spring - und Kletterkünſtler nicht darüber gekommen wäre. Er entfernte ſich oft weit von ſeinem Wohnorte, kehrte aber immer aus eigenem Antriebe und auf demſelben Wege zurück. Gegen die Menſchen zeigte er ſich nicht im ge - ringſten furchtſam; er kam zu Jedem hin und nahm ohne Umſtände Brod und andere Leckereien, die man ihm vorhielt, aus der Hand.

Neuerdings iſt das Mähnenſchaf öfters lebend nach Europa gekommen, und gegenwärtig iſt es in den Thiergärten wenigſtens keine Seltenheit. Es hält bei geeigneter Pflege auch das rauhe Klima Norddeutſchlands ohne Beſchwerde aus und pflanzt ſich ohne eigentliche Schwierigkeiten überall fort, wo ihm hierzu Gelegenheit geboten wird. Ein Paar im Thiergarten zu Brüffel erzeugt jedes Jahr zwei Lämmer.

Alte Böcke ſind übrigens keineswegs immer ſo gutartig, wie der von Freund Buvry beſchriebene Gefangene. Sie fürchten ihren Wärter nicht nur nicht, ſondern bedrohen ihn gar nicht ſelten in vorſicht - gebietender Weiſe. Ernſthaft und etwas mißlaunig ſcheinen ſie ſtets zu ſein; das Neckiſche der Ziegen fehlt ihnen ganz und gar. Geringfügigkeiten können ſie wüthend machen, und dann beweiſen ſie, daß ſie ſich ihrer Stärke wohl bewußt ſind. Wenn ſie ernſtlich wollen, nehmen ſie es mit dem ſtärkſten Manne auf. Mit anderen Schafen vertragen ſie ſich ſelten gut, die Böcke gewiß nur ſo - lange, als die Liebe bei dieſen oder jenen nicht ins Spiel kommt. Die Brunſt macht auch ſie ſtoß - und raufluſtig, oft förmlich wüthend.

Jm übrigen geben die gefangenen Mähnenſchafe wenig Gelegenheit zu anziehenden Beobachtun - gen. Sie ſind eigentlich doch träge Thiere, geiſtig, wie leiblich. Jhr Verſtand iſt entſchieden gering: ſie ſind nicht klüger, als andere Schafe auch und deshalb langweilig, wie dieſe.

601Der Mufflon.

Nur zwei Breitengrade trennen das Mähnenſchaf von unſerem europäiſchen Wildſchaf, dem Mufflon (Ovis Musimon), welcher gegenwärtig noch immer in ziemlicher Anzahl die ſteilen Fels - gebirge der Jnſeln Sardinien und Korſika bewohnt. Man nimmt ziemlich allgemein an, daß er in früheren Zeiten auch in anderen Theilen Südeuropas vorgekommen ſei, und es iſt auch recht möglich, daß er ſich auf den baleariſchen Jnſeln und in Griechenland fand; ſchon das auf Cypern lebende Wildſchaf aber iſt eine eigene, ſelbſtändige Art. Jn Spanien, deſſen ſüdöſtlicher Theil als Heimat des Mufflon angegeben wird, iſt er gegenwärtig nicht mehr zu finden, und wahrſcheinlich auch

Der Mufflon (Ovis Musimon).

niemals zu finden geweſen. Man hat einfach den Steinbock mit ihm verwechſelt. Jch habe mich mit beſonderer Sorgfalt nach dem Mufflon erkundigt und alle Sammlungen von Thieren oder Ge - hörnen genau geprüft, auch alle zünftigen Jäger und die gut beobachtenden Bergbewohner befragt, immer aber gefunden und vernommen, daß nur die beiden erwähnten Ziegenarten auf der Halbinſel vorkommen. Auch die aſiatiſchen Mufflons unterſcheiden ſich beſtimmt von den europäiſchen, obwohl ihre Aehnlichkeit nicht geleugnet werden kann. Gegenwärtig findet ſich der letztere, trotz der viel - fachen Verfolgungen, denen er ausgeſetzt iſt, noch immer in Rudeln von 50 bis 100 Stück, nament - lich in den Gebieten von Jgleſias und Teulada auf Sardinien, und iſt dort allen Gebirgsbewoh -602Die Schafe. Der Mufflon.nern unter dem Namen Muffion oder Muffuro und Muffla oder Mufflon wohlbekannt. Die alten Römer unterſchieden den korſiſchen Mufflon von dem ſardiniſchen; Plinius nennt den einen Musmon, den anderen, wie die Griechen, Ophion, die Jungen aber Umbri.

Wir erfahren aus alten Berichten, daß dieſe Schafe außerordentlich häufig waren. Bisweilen wurden 4 bis 5000 Stück auf einer einzigen großen Jagd erlegt: gegenwärtig iſt man froh, wenn man einige Stücke bekommt, und auf Jagden der Vornehmen, welche mit allen Mitteln ins Werk geſetzt werden, erbeutet man nur in höchſt ſeltenen Fällen 30 bis 40 Stück.

Der Mufflon iſt ein ziemlich ſtarkes Schaf von 4 Fuß Länge, wovon 3 bis 4 Zoll auf den Schwanz kommen, und Fuß Höhe am Widerriſt. Das Gewicht ſchwankt zwiſchen 50 und 80 Pfunden. Die Hörner erreichen eine Länge von etwas über 2 Fuß und ein Gewicht von 9 bis 12 Pfunden. Der Leibesbau iſt der gedrungene aller Wildſchafe. Die ziemlich kurze Behaarung liegt glatt an, iſt aber außerordentlich dicht, zumal im Winter, wo das kurze, feine und krauſe Wollhaar in reichlicher Menge auftritt. Das Kinn iſt vollkommen bartlos; an der Bruſt aber verlängert ſich das Haar einigermaßen und bildet gleichſam eine kurze Mähne. Die Färbung iſt ein fuchſiges Roth, welches am Kopfe in das Aſchgrane ſpielt und an der Schnauze, am Bürzel, am Rande des Schwan - zes, an den Fußenden und an der Unterſeite ins Weiße übergeht. Die Rückenlinie iſt dunkelbraun. Einzelne Haare ſind fuchsroth, andere ſchwarz; die Unterwolle iſt aſchgrau. Jm Winter dunkelt das Fell und geht dann mehr ins Kaſtanienbraune über. Zu beiden Seiten ſticht dann ein großer, faſt viereckiger, blaßgelblicher oder weißlicher Flecken von der allgemeinen Färbung gab.

Gewöhnlich trägt nur das Männchen Hörner; äußerſt ſelten findet man Hornſtummel auch bei dem Weibchen. Das Gehörn des Bockes iſt ſtark und lang, an der Wurzel ſehr dick, erſt von der Mitte der Länge an allmählich verdünnt und zugeſpitzt. Die Hörner ſtoßen an der Wurzel faſt zu - ſammen, wenden ſich aber raſch ſeitlich von einander und krümmen ſich in einer beinahe fichelförmigen Windung ſchief nach ein -, aus - und abwärts, mit der Spitze aber nach ab -, vor - und einwärts. Das rechte Horn iſt nach links, das linke nach rechts gewunden. Dreißig bis vierzig Runzeln, welche dicht an einander gedrängt und mehr oder weniger unregelmäßig ſind, erheben ſich auf der Oberfläche von der Wurzel an bis faſt zur Spitze. Die Hörner des Weibchens ſind immer ſehr kurz, höchſtens 2 bis 3 Zoll lang, ſtumpfen Piramiden vergleichbar.

Jm Gegenſatz zum Mähnenſchaf führt der Mufflon ein geſelliges Leben. Er rudelt ſich in Scharen von funfzig bis hundert Stück zuſammen. Ein alter und ſtarker Bock übernimmt das Amt des Leitthieres. Zur Brunſtzeit trennen ſich die Rudel in kleine Trupps, welche aus einem Bocke und mehreren Schafen beſtehen, die ſich der leitende Widder erſt durch tapfere Kämpfe erworben hat. So furchtſam und ängſtlich der Mufflon ſonſt iſt, ſo kühn zeigt er ſich im Kampfe mit ſeines Gleichen. Jn den Monaten Dezember und Januar hört man das Knallen der an einander geſtoßenen Gehörne im Gebirge widerhallen, und wenn man vorſichtig dem Schalle folgt, ſieht man die ſtarken Widder des Rudels geſenkten Kopfes einander gegenüberſtehen und ſich mit ſolcher Gewalt gegenſeitig anren - nen, daß man nicht begreift, wie ſich die Streiter auf ihren Kampfplätzen erhalten können. Oft genug kommt es vor, daß einer der Nebenbuhler im Kampfe getödtet, nämlich über die Felſenwände hinabgeſtoßen wird und in der Tiefe zerſchellt.

Einundzwanzig Wochen nach der Begattung, im April oder Mai, bringt das Schaf ſeine zwei Jungen zur Welt, welche unmittelbar nach der Geburt ſo friſch und kräftig ſind, daß ſie gleich mit der Mutter davonlaufen. Nach wenigen Tagen ſchon folgen ſie ihr auf den halsbrechendſten Pfaden mit der größten Sicherheit, und bald kommen ſie den Alten in allen Kunſtfertigkeiten gleich.

Jm Alter von vier Monaten ſproſſen bei den jungen Böckchen die Hörner; nach Jahresfriſt denken ſie bereits an die Paarung, obwohl ſie erſt im dritten Jahre völlig ausgewachſen ſein dürften.

Die Bewegungen der Mufflons haben mit denen zahmer Schafe wenig gemein; ſie ſind lebhaft, gewandt, ſchnell und ſicher, aber, wie man angibt, nicht eben ausdauernd, zumal auf ebenem Boden,603Der Mufflon.wo jeder Hund das dahineilende Schaf nach kurzem Laufe einholen kann. Jhre Meiſterſchaft beruht im Klettern.

Man ſagt, daß der Mufflon ſehr furchtſam iſt und ſchon bei dem geringſten Geräuſch vor Angſt und Schrecken am ganzen Leibe zittert, auch ſobald als möglich flüchtet. Wenn ihn ſeine Feinde ſo in die Enge treiben, daß er ſich nicht mehr durch ſeine Kletterkünſte retten kann, harnt er vor Angſt, oder ſpritzt, wie Andere ſagen, den Harn ſeinen Feinden entgegen. Als ſolche darf man den Wolf und den Luchs anſehen; Junge fallen wohl auch den Adlern und möglicher Weiſe dem Geieradler zur Beute. Der Menſch gebraucht jedes Mittel, um das werthvolle Jagdthier zu erlangen. Wäh - rend der Brunſtzeit ſollen die Böcke durch das nachgeahmte Blöcken der Schafe ohne große Mühe her - beigezogen werden; die gewöhnliche Jagd iſt jedoch einer jener Pirſchgänge, wie ſie im Gebirge unter - nommen werden. Der Fang iſt Sache des Zufalls. Alte, erwachſene Mufflons fängt man wohl nie, junge aber leicht, nachdem man ihre Mutter weggeſchoſſen hat. Solche Gefangene gewöhnen ſich bald an ihren Pfleger, bewahren ſich aber ungeachtet der großen Zahmheit, welche ſie erlangen, immer ihre Munterkeit und das gewandte Weſen, welches die wilden ſo auszeichnet. Auf Sardinien und Korſika trifft man in den Dörfern häuſig gezähmte Mufflons an; einzelne gewöhnen ſich ſo an den Menſchen, daß ſie ihm auf allen Pfaden, gleich einem Hunde, folgen, auf den Ruf hören u. ſ. w. Nur durch ihren Muthwillen werden ſie läſtig. Sie machen ſich ein Vergnügen daraus, alle Winkel im Hauſe zu durchſuchen, ſtürzen dabei Geräthe um, zerbrechen die Töpfe und treiben noch anderen Unfug, zumal in denjenigen Räumen des Hauſes, über welche ſie die unumſchränkte Herrſchaft haben. Alte Böcke werden manchmal wirklich bösartig und ſind dann durch keine Züchtigung zu bän - digen. Sie verlieren überhaupt alle Scheu vor dem Menſchen, ſobald ſie ihn kennen gelernt, und kämpfen dann nicht blos zur Abwehr, ſondern aus reinem Uebermuthe mit ihm.

Die Gefangenen beweiſen, daß ihr Berſtand ſehr gering iſt. Sie ſind ſchwachgeiſtig, wie die übrigen Glieder ihrer Familie, ohne Urtheilsfähigkeit und ſehr vergeßlich. Man legte ihnen Fal - len und lockte ſie durch vorgehaltenes Futter, zumal durch beſondere Leckereien in dieſelben. Sie gingen ohne Beſinnen immer wieder in die Schlingen und Netze, obgleich es ihnen höchſt unangenehm zu ſein ſchien, wenn ſie ſich gefangen hatten. Ein gewiſſer Ortsſinn, ſchwache Erinnerung an empfangene Wohlthaten, Anhänglichkeit an die gewohnten Genoſſen und Liebe zu den Kindern das ſind die Anzeichen ihrer geiſtigen Thätigkeit, welche ich an ihnen beobachtet habe.

Mit anderen Schafarten pflanzen ſich Mufflons leicht fort; man hat ſowohl vom Bocke Blend - linge erhalten, als vom Schafe. Die Römer wußten, daß Mufflon und Schaf ſich mit einander paaren; ſpäter hat man erfahren, daß auch die Blendlinge wieder fruchtbar ſind. Jm kaiſer - lichen Thiergarten zu Schönbrunn wurden, wie Fitzinger berichtet, mehrere Male Mufflons mit deutſchen Landſchafen gepaart. Die Baſtarde aus dieſer Kreuzung paarte man zuweilen wieder mit dem Mufflon, ſonſt aber mit dem Schafe, und immer hatte man Erfolg. Manche Blendlinge hat - ten große Aehnlichkeit mit dem Wildſchaf, nur waren die Hörner weniger gebogen und minder ſtark. Einige Männchen erhielten vier Hörnet, wie jene Schafe, von denen Oppian berichtet, und welche wahrſcheinlich auch nichts Anderes waren, als ſolche Baſtarde. Dagegen ſind die Verſuche, den Mufflon mit der Hausziege zu paaren, bis zur Stunde fruchtlos geblieben.

Nahe Verwandte des Mufflon ſind das cypriſche Wildſchaf (Ovis eypria), welches nur auf der Jnſel Cypern vorkommt, der perſiſche Mufflon (Ovis persica oder orientalis), welcher nament - lich in der Provinz Makandarin und den armeniſchen Gebirgen lebt, das Himalaya-Wildſchaf (Ovis Vignei) aus Koraſſahn, Kleintibet und Kabul, und endlich der lapiſche Mufflon (Ovis Arkar), welcher im Oſten des kapiſchen Sees und in der Sierra Moreh gefunden wird. Die Unterſchiede zwiſchen ihnen und dem eigentlichen Mufflon beruhen ſämmtlich nur auf einer etwas verſchiedenen Krümmung der Hörner.

604Die Schafe. Der Argali.

Das Aſien eigentlich kennzeichnende Wildſchaf iſt der Argali (Caprovis Argali). Er ſteht zu den übrigen Arten dieſer Thiere in demſelben Verhältniß, wie ſein heimatlicher Erdtheil zu jenen, von den anderen bewohnten, d. h. er iſt der Rieſe unter der ganzen Familie. Es iſt ſehr wahrſchein - lich, daß unter ſeinem mongoliſchen Landnamen bisher mehrere Arten großer Wildſchafe verwechſelt worden ſind. Unſere Abbildung zeigt uns den ſibiriſchen Argali, ein verhältnißmäßig gewaltiges Thier, faſt von der Größe eines jährigen Rindes, über Fuß lang und gegen 4 Fuß hoch, mit Hörnern, deren Höhlung groß genug iſt, dem Eisfuchſe ein erwünſchtes Obdach zu gewähren. Ein erwachſener Widder wiegt über 3 Centner, ſein Gehörn allein zwiſchen 30 und 50 Pfunden. Der Leibesbau zeugt von beſonderer Kraft und Ausdauer, das gewaltige Gehörn aber verleiht dem

Der Argali (Caprovis Argali).

Thiere erſt ſein eigenthümliches Ausſeben. Die Hörner bedecken an ihrer Wurzel das ganze Hinter - haupt, ſtehen hier dicht an einander, wenden ſich jedoch bald ſeitlich und rückwärts, drehen ſich dann nach vorn und außen und machen im Ganzen überhaupt anderthalb Windungen. Sie erreichen eine Länge von bis 4 Fuß und haben an der Wurzel einen Umfang von 6 bis 7 Zoll. Ziemlich erhabene Runzeln reihen ſich eng an einander. Die Behaarung iſt lang und ſtarr, die Haut aber be - deckt eine dichte und ſehr weiche Wolle. Jm Sommer iſt die allgemeine Färbung ein düſteres Grau - lichbraun, welches in der Nähe des Schwanzes ins Gelbliche, am Kopfe ins Grauliche, an der Unterſeite ins Weiße übergeht; im Winter miſcht ſich mehr Roth ein, und die Keulen, der Schwanz und die Schnauze aber werden weiß. Ueber das Kreuz läuft ein brauner Streifen. Die Weibchen605Der Argali.ſind bedeutend kleiner und um mehr als einen Centner leichter; ihre Hörner ſind dünner, faſt gerade, wenig gerunzelt und lichter.

Die unbewohnten Gegenden des inneraſiatiſchen Alpenzuges bilden die Heimat des Argali. Er reicht von der großen Tatarei bis nach Jndien und China und von dem kalten Oſtſibirien über den ganzen Altai weg. Früher war er an den Quellenſeen des Jrtjſch und Jeniſei häufig; gegen - wärtig findet er ſich noch in den Gebirgen der Mongolei und Songorei, ſowie in den Wüſten der Tatarei in ziemlicher Anzahl, während er in Kamtſchatka nach Radde’s Beobachtungen nicht mehr geſunden, ſondern durch das amerikaniſche Wildſchaf vertreten wird. Jn Daurien iſt er, wie Radde ebenfalls mittheilt, erſt im Jahre 1832 ausgerottet worden. Der ſehr kalte, ſchneereiche Winter von 1831 zu 1832 vernichtete den dort lebenden Beſtand der ſchönen Thiere bis auf ſechs Schafe, und dieſe wurden von den Koſaken erlegt. Seitdem hat man im ruſſiſchen Daurien kein Stück mehr ge - ſpürt und wird, da alle Wildſchafe Standthiere ſind, wohl auch keins wieder zu ſehen bekommen.

Der Argali meidet feuchte, waldbedeckte Gebirge, aber auch bedeutendere Höhen. Bergzüge von zwei - bis dreitauſend Fuß Höhe, deren Abhänge ſpärlich bewaldet und deren Thäler breitſohlig ſind, bilden ſeine bevorzugten Wohnplätze. Hier lebt er, im Winter, wie im Sommer, auf annähernd demſelben Gebiet; denn er wechſelt höchſtens von einem Bergzug zum anderen.

Gewöhnlich ſieht man das Thier in Rudeln von 8 bis 10 Stücken. Der ſtärkſte Widder führt den Trupp an. Zur Paarungszeit gibt es gewaltige Kämpfe unter den männlichen Gliedern, und wie bei anderen Schafen ſtößt der Stärkere den Schwächeren rückſichtslos in den Abgrund, falls der Beſiegte es nicht vorzieht, ſein Heil in der Flucht zu ſuchen. Jm März lammt das Schaf. Es bringt ein oder zwei Junge zur Welt, grau von Farbe, kraus von Haar, welche nach zwei Monaten ſchwarze Hörnerchen erhalten, die anfangs wie Dolche geradeaus ſtehen. Die Lämmer folgen der Mutter gleich vom erſten Tage ihres Lebens und bleiben bei ihr bis zur nächſten Paarungszeit.

Während des Sommers nährt ſich der Argali von den in den Alpenthälern ſehr üppig wachſen - den Pflanzen, während des Winters begnügt er ſich mit Mos, Flechten und vertrocknetem Graſe. Dann ſteigt er auf die Felsſpitzen und Grate, wo der Wind den Schnee weggefegt und die Flechten bloßgelegt hat. Salzige Stellen werden des allbeliebten Leckerbiſſens wegen oft beſucht. Bei Un - wohlſein reinigt er ſich mit Küchenſchellen und anderen ſcharfen Anemonen. Solange der Schnee nicht allzudicht liegt, bekümmert der Winter trotz ſeiner Armuth ihn wenig. Sein dichtes Vließ ſchützt ihn gegen die Unbilden des Wetters. Es wird geſagt, daß er ſich bei dichtem Schneefall ein - ſchneien laſſe, wie der Haſe im Lager, und unter ſeiner Schneedecke ſo ſtätig verweile, daß es dem Jäger möglich werde, ihn im Liegen mit der Lanze zu erlegen: wahrſcheinlich aber gilt Dies höch - ſtens für ſolche Winter, welche ihn bereits aufs äußerſte heruntergebracht haben. Der noch kräftige Argali iſt ſo leicht nicht zu berücken. Er iſt mit ſcharfen Sinnen begabt und ungeachtet ſeiner Stärke ſehr furchtſam. Wenn er auch nur von fern einen Menſchen erblickt, ergreift er ſofort die Flucht: der leitende Widder geht voran und das ganze Rudel folgt ihm in höchſter Eile nach. Dabei laufen die Thiere in wirklich wunderbarer Weiſe auf den gefährlichſten Felſengeſimſen dahin, ſetzen kühn über Abgründe und klettern im Nothfalle meiſterhaft an Stellen empor, wo der Fuß eines Menſchen keinen Halt mehr findet.

Die Jagd iſt der Oertlichkeit halber ohnehin außerordentlich ſchwierig, und der Argali würde allen Nachſtellungen leicht entgehen, beſäße er nicht eine dumme Neugierde. welche ihn oft geraden Wegs der Gefahr entgegentreibt. Jn einigen Gegenden Sibiriens hängen die Jäger ihre Kleider auf eine Stange, in der Hoffnung, daß dieſe Puppe den Argali beſchäftigen möge, während ſie auf Um - wegen ſich dem Wilde nahen. Außerdem ſtellt man Fallen und Schlingen auf den erkundeten Wech - ſeln auf oder gebraucht, zumal in ebeneren Gegenden, flinke Hunde, welche das gewaltige Wildſchaf ſtellen und dem Jäger hierdurch Zeit gewähren, ſich ſchußgerecht zu nahen. An eine Vertheidigung ſeiner Haut denkt der Argali nicht; er flieht vor dem Menſchen ebenſo ängſtlich, wie vor dem Hunde. Demungeachtet erfordert ſeine Jagd alljährlich Opfer: das Gebirge ſelbſt iſt und bleibt gefährlich.

606Die Schafe. Das Big-Horn oder Dickhorn.

Das Wildpret dieſes Schafs gilt als höchſt ſchmackhaft. Aus dem Felle werden warme Winterkleider und Decken bereitet, aus den Hörnern Becher, Löffel und dergleichen Hausgeräthe ver - fertigt. Zur Zeit Marco Polo’s ſollen die Kirghiſen manchmal ſo viele Argalis erbeutet haben, daß ſie nicht blos große Haufen der Hörner als Siegeszeichen aufſchichten, ſondern mit ihnen ſogar ein Lager umzäunen konnten, ganz in der Weiſe, wie die innerafrikaniſchen Fürſten ihre Paläſte mit Elefantenzähnen zu umgeben pflegen.

Jung eingefangene Argalis ſollen ſich zähmen laſſen; es muß aber ſehr ſchwer ſein, ſie zu er - halten und fortzuſchaffen; denn bisjetzt haben wir noch keins dieſer gewaltigen Thiere lebend in Eu - ropa zu ſehen bekommen. Seine Haltung dürfte hier nicht auf Schwierigkeiten ſtoßen, und ſeine Einbürgerung auf geſchützten Alpen thierfreundlicher Beſitzer würde zweifellos zu bewerkſtelligen ſein.

Das Wildſchaf Amerikas, Big-Horn (Dickhorn) genannt (Caprovis montana), iſt ein dem Argali ſehr nahe ſtehendes Thier von ungefähr derſelben Größe; es iſt auch mit dem letztgenannten ſehr oft verwechſelt worden. Erſt in der Reuzeit hat man erfahren, daß es nicht auf Amerika be - ſchränkt iſt, ſondern außerdem in Kamtſchatka vorkommt. Das Wildſchaf dieſes Landes hielt man früher für den Argali, und daher rühren die Verwechſelungen der beiden, wohl unterſchiedenen Ar - ten. Richardſon und nach ihm Audubon geben an, daß das Dickhorn vom 68. Grad nördlicher Breite an bis ungefähr zum 40. hinab das Felsgebirge bewohnt und öſtlich von ihm nicht gefunden wird. Dagegen lebt es weſtlich dieſes Gebirges in allen Landſtrecken, welche man kennen lernte, na - mentlich auch in Kalifornien, und es iſt durchaus nicht unmöglich, daß es von Amerika aus Kamt - ſchatka bevölkerte, wie ſchon Cuvier annahm. Zur Zeit belebt es die wildeſten und unzugänglichſten Gebirgsſtrecken gedachter Gegenden, namentlich aber einen Theil des Felsgebirges, welcher von den franzöſiſchen Jägern und Canadiern mauvaises terres genannt worden iſt. Audubon gibt eine ſehr ausführliche Beſchreibung dieſes öden Landſtriches, deſſen Bergzacken er mit Zuckerhüten vergleicht, welche theilweiſe ſtehen, theilweiſe aber umgefallen oder in Brocken zerſchlagen ſind und eine Wildniß bilden, wie ſie ein Gebirge nur aufweiſen kann. Die kegelförmigen Berge ſteigen ſchroff mehrere hundert Fuß hoch über die Ebene empor, auf welcher ſie fußen und ſind dem Meuſchen nur hier und da zugänglich. Das Waſſer hat in ihnen entſetzlich gewüthet, und jeder Regenguß macht eine Be - ſteigung unmöglich. An einzelnen Stellen findet ſich ein dürftiger Baumſchlag, unter deſſen Schutz dann ſaſtiges Gras emporwächſt, an anderen gewahrt man tiefe Höhlen und hier und da Sulzen, in denen vom Regen ausgelaugtes Salz maſſenhaft abgelagert wird. Die Wildſchafe finden gerade in einem ſo beſchaffenen Gebirge Alles, was ſie für ihr Leben beanſpruchen. Sie bilden ſich Wege auf den ſchmalen Geſimſen, welche ſich an den Kegelbergen dahinziehen und ſind ſo im Stande, auch die ſteilſten Wände auszunutzen; die Höhlen und Grotten gewähren ihnen erwünſchte Lagerplätze, das ſaftige Gras eine ihnen zuſagende Weide und die ſalzhaltigen Stellen endlich Befriedigung eines Be - dürfniſſes, welches, wie wir ſahen, allen Wiederkäuern überhaupt gemeinſam iſt. Daß ſie, ſeitdem ſie den Menſchen kennen gelernt, die wildeſten Theile dieſer Wildniß bevorzugen, iſt ſelbſtverſtänd - lich; demungeachtet kann man ſie noch häufig genug wenigſtens ſehen, wenn man mit dem Dampf - bot die Zuflüſſe des Vaters der Ströme befährt. So ſah Prinz Max von Wied die erſten dieſer Thiere auf der Spitze eines hohen Uferfelſens ſtehen, von welchem herab ſie ruhig das im Strome dahinbrauſende Dampfſchiff betrachteten, auf welchem dieſer ausgezeichnete Naturforſcher ſich befand.

Die Nachrichten, welche wir über das Dickhorn erhalten haben, ſind dürftig genug, zumal was die Lebensweiſe deſſelben anlangt. Der erſte Bericht Richardſon’s iſt in letzter Hinſicht immer noch maßgebend; weder der Prinz noch Audubon wiſſen ihm Weſentliches hinzuzufügen. Die Leibes - beſchreibung dagegen läßt Nichts zu wünſchen übrig, namentlich ſeitdem Radde das Dickhorn mit dem Argali verglichen und die Unterſchiede zwiſchen beiden Thieren hervorgehoben hat. Erwachſene Böcke des nordamerikaniſchen Bergſchafes erreichen nach Richardſon und Audubon eine Länge von607Das Big-Horn oder Dickhorn.6 Fuß, wovon nur 5 Zoll auf den Schwanz kommen, bei 3 Fuß 5 Zoll Schulterhöhe und 3 Fuß 11 Zoll Leibesumfang hinter den Schultern. Das Schaf wird 4 Fuß 6 bis 9 Zoll lang und 3 Fuß Zoll hoch. Das Gewicht erreicht Centner, während der Bock über einen Centner ſchwerer wird; ſein Gehörn allein wiegt 40 bis 45 Pfund. Die Geſtalt iſt gedrungen, muskelkräftig, der eines Steinbockes nicht unähnlich, und namentlich der Kopf erinnert ſehr an dieſes ſo nahe verwandte Geſchöpf. Er iſt groß, auf dem Naſenrücken völlig gerade, das Auge iſt ziemlich groß, das Ohr klein und kurz, der Hals dick, der Rücken breit, die Bruſt breit und ſtark, der Schwanz ſchmal, der Schenkel ſehr kräftig, der Lauf ſtark und gedrungen, der Huf kurz, vorn faſt ſenkrecht abgeſchnit - ten; die Afterhufe ſind breit und ſtumpf.

Das Gehörn des Bockes iſt gewaltig. Die Länge deſſelben, längs der Krümmung auf der äußeren Seite gemeſſen, beträgt 2 Fuß 2 Zoll, die Länge längs der Krümmung der un -

Das Dickhorn (Caprovis montana).

teren Kante gemeſſen, 1 Fuß 5 Zoll 7 Linien, der Umfang an der Wurzel 13 Zoll 4 Linien, der Umfang in ſeiner Mitte 11 Zoll 5 Linien, die Entfernung der Spitzen beider Hörner von einander 21 Zoll 5 Linien. Die Hörner ſtehen an ihrem Grunde dicht beiſammen, wenden ſich hierauf etwas nach vorn und außen, drehen ſich ſodann nach hinten, biegen ſich in einem faſt kreisförmigen Bogen nach unten und vorn und drehen ſich mit der verwendeten, ſanft abgerun - deten Spitze wieder nach außen und oben. Sie erſcheinen platt gedrückt und ſind mit vielen Querrunzeln bedeckt. Ein Vergleich der Hörner des amerikaniſchen Bergſchafes und das des Argali zeigt Folgendes. Bei dem erſten Thiere werden die Hörner nie ſeitlich zuſammengedrückt und flach, ſondern bleiben im Querdurchſchnitt breit und tragen zu eigentlichen Leiſten verſchmälerte Kanten, während die Hörner des Argali ſeitlich ſtark zuſammengedrückt ſind und ein plattenartiges Anſehen608Die Schafe. Das Big-Horn oder Dickhorn.gewinnen. Die Ausbuchtungen oder ſogenannten Jahresringe ſtehen bei dem amerikaniſchen Schafe ſehr einzeln und laſſen nur undeutliche, oft unterbrochene, ſchwache und ſchmale Querfurchen erken - nen, während die Wülſte bei dem Argali ſich ſehr nahe ſtehen und viel weiter über das Horn bis zu etwa vier Fünftel der Geſammtlänge deſſelben ſich erſtrecken. Das Gehörn des Argali iſt außerdem gewöhnlich noch ſtärker, als der Hauptſchmuck ſeines Verwandten. Das Gehörn des Schafes iſt ſelbſtverſtändlich bedeutend ſchwächer und ziegenähnlich. Die Hörner biegen ſich in einem einfachen Bogen nach oben, hinten und außen und ſind ſcharf und zugeſpitzt.

Das Haar iſt kaum anders, als beim europäiſchen Steinbock. Es hat keine Aehnlichkeit mit Wolle, iſt hart, obwohl ſanft anzufühlen, leicht gewellt und höchſtens zwei Zoll lang. Die Farbe iſt ein ſchmuziges Graubraun, ebenfalls wie bei dem Steinbock, die Rückenlinie iſt ein wenig dunkler. Der Bauch, die innere und hintere Seite der Beine, die Hinterſchenkel und ein Streifen über dem Schwanze nach dem Rücken zu, welcher mit dem Spiegel mancher Hirſcharten verglichen werden kann, das Kinn und ein Fleck auf graubraunem Grunde in der Gegend des Kehlkopfes ſind weiß; die Vor - derſeite der Läufe iſt dunkler, als der Rücken, ſchwärzlichgraubraun nämlich, der Kopf hellaſchgrau, das Ohr außen dem Kopf gleich, innen dagegen weißlich, der Schwanzrücken lichter, als der Rücken - ſtreifen. Alte Böcke ſind oft ſehr hellgrau gefärbt, manchmal faſt weißlich. Jm Herbſt und Winter miſcht ſich viel Braun in das Grau ein, der Hinterrücken und die Einfaſſung der Schenkel aber blei - ben immer reinweiß.

Die erſte Nachricht über das Dickhorn gaben zwei Sendboten zur Bekehrung der Wilden in Ka - lifornien um das Jahr 1697. Wir fanden, ſagt Pater Picollo, in dieſem Lande zwei Arten von Thieren, welche wir noch nicht kannten und haben ſie Schafe genannt, weil ſie einigermaßen die - ſen ähneln. Die eine Art iſt ſo groß, wie ein ein - oder zweijähriges Kalb; ſein Haupt iſt aber dem eines Hirſches ähnlich und ſeine Hörner, welche ſehr lang ſind, wiederum denen eines Widders. Der Schwanz und das Haar ſind geſprenkelt, aber kürzer, als beim Hirſch, die Hufe dagegen ſind groß, rund und geſpalten, wie beim Ochſen. Jch habe von dieſem Vieh gegeſſen: ſein Fleiſch iſt ſehr zart und ſchmackvoll. Die andere Art von Schafen, von denen einige weiß und andere ſchwarz ſind, unterſcheiden ſich wenig von den unſerigen; ſie ſind etwas größer, haben auch eine gute Menge mehr Wolle, und dieſe iſt ſehr gut, läßt ſich leicht ſpinnen und weben. Seitdem berichteten faſt alle Reiſenden, welche in die Heimat des Dickhorns gelangt, von ihm.

Gegenwärtig wiſſen wir, daß das amerikaniſche Bergſchaf an geeigneten Stellen noch ziemlich häufig vorkommt. Der Prinz von Wied ſah am Yellow-Stonefluß noch Rudel von funfzig, achtzig und mehr Stücken, Audubon in derſelben Gegend eine Herde von zweiundzwanzig; Richard - ſon gibt an, daß die Thiere gewöhnlich in Trupps von drei bis dreißig vereinigt ſind. Die Schafe und ihre Lämmer pflegen beſondere Herden zu bilden, während die alten Widder ſich, mit Ausnahme der Brunſtzeit, in beſonderen Geſellſchaften zuſammenhalten oder auch wohl einſiedeln. Jm Dezember finden ſie ſich bei den Schafen ein, und dann kommt es, wie bei anderen gleichſtrebenden Böcken, auch zu furchtbaren Kämpfen zwiſchen den Stärkſten. Sonſt aber leben die Thiere friedlich unter einander, nach Art unſerer Hausſchafe, denen ſie überhaupt in ihrem Weſen ſehr ähneln.

Die Schafe lammen im Juni oder Juli, zuerſt ein einziges, ſpäter regelmäßig zwei Junge, welche ſchon nach wenig Tagen ihren Müttern überall hin folgen können, und von dieſen ſehr bald in die unzugänglichſten Höhen geführt werden.

Jn ihrer Lebensart unterſcheiden ſich die amerikaniſchen Wildſchafe nicht von ihren Verwandten oder von den Steinböcken. Wie dieſe ſind ſie unübertreffliche Meiſter im Gebirgſteigen. Sie bilden ſich, wie bemerkt, Wege rund um ihre Felskegel, gar nicht ſelten an Stellen, wo die Wand Hun - derte von Fußen jach abfällt. Vorſprünge von nur höchſtens einen Fuß Breite werden für die ſchwin - delfreien Thiere zur gebahnten Straße. Hier rennen ſie in voller Flucht dahin, zum größten Erſtau - nen des Menſchen, welcher es nicht begreifen kann, daß ein Thier dort noch ſich zu erhalten vermag. Sobald ſie etwas Fremdartiges gewahren, flüchten ſie zu ſteilen Höhen empor und ſtellen ſich dort609Das Big-Horn oder Dickhorn.auf den vorſpringenden Kanten auf, um ihr Gebiet zu überſchauen. Ein ſchnaufender Naſenton gibt bei Gefahr das Zeichen zur Flucht, und auf dieſes hin ſtürmt die Herde in raſender Eile davon. Wenn die Gegend ruhig iſt, ſteigen die Thiere übrigens gern in die Tiefe herab und kommen dann oft auf die Wieſenſtellen und Grasplätze in den Schluchten oder an die Ufer der Flüſſe, um ſich zu äßen. Den Höhlungen des Gebirges, an deren Wänden Salpeter und andere Salze ausblühen, ſtatten ſie täglich Beſuche ab, um ſich zu ſulzen, und ſolche Plätze ſind es denn auch, wo ſie dem Menſchen noch am leichteſten zur Beute werden. Drummont, ein erfahrener Jäger, berichtete Richardſon, daß die Bergſchafe in allen Gegenden, welche von dem Jäger ſelten beunruhigt wer - den, wenig ſcheu ſind und dem Waidmann ohne Schwierigkeit die erwünſchte Annäherung geſtatten. Erfahrung aber macht ſie bald und dann überaus ſcheu. Wo ſie den Menſchen kennen gelernt haben, fürchten ſie ihn ebenſo ſehr, als ihren zweitſchlimmſten Feind, den Wolf. Jhre Aufenthaltsorte ge - währen ihnen den beſten Schutz. Die entſetzlichen Einöden erfordern einen Jäger, welcher die Be - dürfniſſe anderer Menſchen kaum kennt und gefaßt ſein muß, Tage und Wochen lang allerlei Müh - ſale und Beſchwerde zu ertragen, ganz abgeſehen von den Gefahren, welche die Beſchaffenheit der mauvaises terres mit ſich bringt.

Bisjetzt hat es noch nicht gelingen wollen, das Dickhorn zu fangen; die Sitte der Mutter, ihre Jungen baldmöglichſt nach den wildeſten Felsgegenden zu führen, mag dazu das Jhrige beitragen. Ein Herr M’Cenzie verſprach, wie der Prinz mittheilt, ſeinen Jägern ein gutes Pferd, wenn ſie ihm ein Lamm dieſes Schafes verſchaffen würden, jedoch vergeblich. Es war ſelbſt den ausgelernteſten Wildſchützen Amerikas unmöglich, ſich den verhältnißmäßig ſehr hohen Lohn zu verdienen.

Das Wildpret wird von den Weißen, wie von den Jndianern gegeſſen, hat aber einen ſchaf - artigen Geruch, welcher namentlich bei dem Bock und zumal während der Brunſtzeit ſehr fühlbar iſt. Die Haut wird von den Jndianern zu ihren ſchmucken Lederhemden ſehr geſucht; ſie iſt dauerhaft und ſtark, jedoch weich und ſchmiegſam.

Einige Naturforſcher glauben, daß unſer Hausſchaf von einem der verſchiedenen Wildſchafe abſtamme, andere ſind der Anſicht, daß die Stammart ſchon ſeit undenklichen Zeiten vollſtändig ausgeſtorben oder in den Hausſtand übergegangen, alſo nirgends mehr zu finden ſei. Die Meiſten nehmen nur eine einzige Stammart an, ſind aber hierin verſchiedener Meinung; denn die Einen wollen in dem Argali, die Anderen in dem Mufflon, die Dritten in dem Tetal oder Arui den Stammvater ſuchen. Es geht uns hier, wie bei den übrigen Hausthieren: wir haben keine Ahnung, woher das nützliche, aber ſonſt ſehr wenig feſſelnde Hausthier kommt. Wir wiffen, daß das Schaf, wie Rind und Ziege, ſchon ſeit undenklichen Zeiten unter der Herrſchaft des Menſchen lebt und ſich allgemach über die ganze Erde verbreitet hat; aber das Formenſpiel ſeiner Raſſen iſt ſo außerordentlich groß, daß man kaum begreift, wie alle die Verſchiedenheiten durch Züchtung und klimatiſche Einflüſſe hervorgegangen ſein konnten. Zwar ſehen wir heutigen Tages noch, wie ſehr gerade das Hausſchaf durch Kreuzung mit anderen Raſſen verändert werden kann; allein eben dieſe Raſſen, welche zur Kreuzung benutzt werden, ſind ſich ſchon ſeit Jahrhunderten gleich geblieben, und nirgends finden wir ein Anzeichen, daß auch ſie ihrerſeits erſt wieder durch Kreuzung zu Dem wur - den, was ſie ſind. Merkwürdig iſt jedenfalls, daß nur höchſt wenige zahme Schafe noch irgend einer wilden Stammart gleichen: gerade in der Unähnlichkeit mit den Wildſchafen kommen die zahmen überein. Jm inneren Afrika gibt es Schafe, welche mit dem Tetal große Aehnlichkeit haben; gleich - wohl kann man immer nicht behaupten, daß ſie von ihm abſtammen.

Die Unterſchiede zwiſchen den Raſſen beſtehen hauptſächlich in der Windung des Gehörnes, in der Länge und Bildung des Schwanzes und in der Behaarung. Alle bisjetzt bekannten Wildſchafe, ſagt Fitzinger, zeichnen ſich durch beträchtliche Kürze ihres Schwanzes aus; während man unter den zahmen Schafen eine verhältnißmäßig nur ſehr geringe Menge von Raſſen trifft, welche dieſes Merkmal mit ihnen theilen. Daß eine ſolche Veränderung durch außerordentliche Einflüſſe bewirktBrehm, Thierleben. II. 39610Die Schafe. Das Merinoſchaf.werden könnte, iſt gänzlich unerklärbar, da man durchaus nicht im Stande iſt zu begreifen, wie durch derlei Einwirkungen ſogar eine Vermehrung der Wirbel ſtattfinden könne. Man muß ſich hier von den alten Gewohnheiten und von einem übererbten Vorurtheil losſagen und kommt ſicherlich bald zu der Anſicht, daß, wie bei den meiſten übrigen Hausthieren, auch beim zahmen Schafe eine größere Anzahl von Stammarten angenommen werden müſſe.

Außer dem gemeinen Mufflon ſind es nach Fitzinger’s Meinung zehn Arten, in welche un - ſer Hausſchaf zerfällt: das Fettſteißſchaf, das Stummelſchwanzſchaf, das kurzſchwänzige, das Zackel -, das Land -, das Fettſchwanz -, das langſchwänzige, das Hanger -, das langbeinige und das Mähnenſchaf. Von allen dieſen werden nur der Mufflon und das kurzſchwänzige Schaf noch in wildem Zuſtande angetroffen. Unter dieſen Hauptformen oder Arten verdienen einige beſonderer Beachtung. Als das edelſte von allen wird bekanntlich das Merinoſchaf betrachtet; ihm danken wir, ſo zu ſagen, unſere jetzigen Schafherden. Noch im vorigen Jahrhun -

Das Merinoſchaf (Ovis aries).

dert bezeugten unſere Hausſchafe, wie vernachläſſigt ſie waren: ſie ähnelten dem Schafe, welches man gegenwärtig noch in den ſchottiſchen Hochlanden antrifft, wo es mehr des Fleiſches und Felles, als der Wolle wegen gezüchtet wird. Ende des vorigen Jahrhunderts begann man die Veredelung un - ſerer deutſchen Schafe durch die eingeführten ſpaniſchen Merinos, und von dieſer Zeit an ſind nach und nach unſere Herden gänzlich umgewandelt worden.

Man nimmt an, daß das Merinoſchaf (Ovis aries) urſprünglich in Nordafrika zu Hauſe geweſen iſt und ſeinen Namen führt, weil es über das Meer gebracht wurde; einige Naturforſcher aber ſind geneigt, es als eine ſchon ſeit undenklichen Zeiten in Spanien und Portugal heimiſche Art zu betrachten. Unſer Thier zeichnet ſich vor Allem durch ſeine außerordentlich feine Wolle aus. Es iſt von mittlerer Größe und voll und ſchwer gebaut, der Kopf iſt groß, ſtumpf an der Schnauze, plattſtirnig, längs des Naſenrückens gewölbt. Die Augen ſind klein, die Thränengruben groß, die Ohren mittellang, ſchmal zugeſpitzt. Nur die Widder tragen Gehörne, meiſt ſehr ſtarke, bis zwei

Zackelſchafe.

611Das Merinoſchaf. Das Zackelſchaf. Das verſiſche Fettſteißſchaf.Fuß meſſende, von der Wurzel zuerſt ſeitlich und rückwärts gebogene und dann in doppelter Schraubenwindung nach vor - und aufwärts weiter gewundene. Die Schafe ſind ſelten gehörnt. Der Hals des Thieres iſt kurz und dick, ſtark gefaltet an der Haut, gewammt, an der Kehle kropfartig ausgebaucht. Der Leib iſt gedrungen, der Widerriſt etwas erhaben. Die Beine ſind verhältnißmäßig niedrig, aber ſtark und kräftig, die Hufe ſtumpf zugeſpitzt. Eine äußerſt dichte, kurze, weiche und feine, höchſt regelmäßig gekräuſelte Wolle, meiſt von gelblichweißer Färbung, deckt den Leib.

Die Spanier theilen ihre Merinos in Wander - und Standſchafe ein. Erſtere ſind unbedingt die wichtigſten. Sie durchziehen weite und große Strecken der ſüdlichen und weſtlichen Provinzen. Bis zum Jahre 1822 beſaßen die Herdenbeſitzer, der König und die höchſten Adeligen nämlich, große Vorrechte. Jhre Herden weideten im Sommer in den Gebirgen von Altkaſtilien und Arra - gonien und zogen ſich im Winter nach den Ebenen der Mancha, Eſtramadura und Andaluſiens hinab. Eine neunzig Schritt breite Straße, welche ſelbſt durch die beſtbebauten Ländereien führte, war ihr Weg; alle Gemeindeweiden ſtanden ihnen offen. Manche Herden zählten mehr als tau - ſend Stück, und es gab Beſitzer, welche ſiebzig - bis achtzigtauſend Schafe ihr Eigenthum nannten.

Es läßt ſich leicht berechnen, welche ungeheuren Nachtheile die vier bis ſechs Millionen Schafe den grundbeſitzenden Spaniern brachten. Der Ackerbau mußte, obgleich Spanien ſich mehr und mehr entvölkerte, der Schafe wegen darniederliegen; die Schafhirten plagten und quälten die Land - wirthe auf alle Art und Weiſe. Jetzt iſt Dies anders geworden: die Herden ſind viel geringer; doch gibt es immer noch dieſe Schafe in großer Menge, und noch heutigen Tages bilden die Schaf - hirten einen eigenen Stand. Früher glaubte man, daß die Güte der Wolle weſentlich durch dieſe Wanderungen bedingt würde; jetzt iſt man hiervon abgekommen, nachdem man erfahren hat, daß auch die ſtehenden Schafe ein gleichgutes Erzeugniß liefern. Auf unſeren deutſchen größeren Ritter - gütern ſind die Schafe durch Kreuzungen mit echten Merinos nach und nach ſo veredelt worden, daß man jetzt kaum einen Unterſchied zwiſchen ihnen und den ſpaniſchen wahrnehmen kann.

Viel auffallender erſcheint uns deshalb eins der eigenthümlichſten aller Schafe, welches ebenfalls unſerem Europa angehört, das Zackelſchaf (Ovis strepsiceros). Unſere Abbildung überhebt mich der ausführlicheren Beſchreibung; ich will blos erwähnen, daß das Vließ aus langem, ziemlich gro - ben, matt glänzenden Grannenhaar und kurzem, mäßig feinen Wollhaare beſteht und deshalb nur zu den gröbſten Geweben verwendet werden kann. Aus dieſem Grunde wird das Thier auch mehr des Fleiſches, als der Wolle wegen gezüchtet und namentlich von den Türken geachtet, weil ſie das Schaffleiſch allem übrigen vorziehen.

Die Heimat dieſes Thieres beſchränkt ſich auf die europäiſche Türkei und die Donautiefländer; hier findet man es, zumal in Gebirgsgegenden, in großen Herden.

Endlich gedenken wir noch der Fettſteißſchafe (Ovis steatopyga). Jn ganz Mittelafrika findet ſich eine Art dieſer Thiere in ungeheurer Anzahl; alle Nomaden der nördlichen und inneren Länder ebenſowohl als die freien Neger züchten ſie. Das afrikaniſche Fettſteißſchaf iſt ein ziem - lich großes Thier und vor den meiſten übrigen zahmen Arten durch ſein vollſtändig haariges Vließ unterſchieden. Es liefert keine Wolle, welche geſponnen und gewebt werden könnte. Sein Kleid ähnelt, der gleichmäßigen Kürze und Dicke der Haare wegen, dem der eigentlichen Wildſchafe und hat mit einem echten Wollvließe gar keine Aehnlichkeit mehr. Die Hörner ſind klein und kurz. Die Lämmer tragen ein überaus feines Wollfell.

Unſere Abbildung ſtellt das wegen ſeines regelmäßigen Baues und der auffallenden Färbung beſonders ausgezeichnete perſiſche Fettſteißſchaf (Ovis steatopyga persica) dar. Das Thier iſt mittelgroß, kleinhörnig und trägt ein Haarkleid, welches am Leibe weißlich, am Kopfe und Ober - halſe aber ſcharf abgeſetzt dunkelſchwarz gefärbt iſt. Hirt und Herde ſind von unſerem Künſtler an39 *612Die Schafe. Das perſiſche Fettſteißſchaf.Ort und Stelle, im öſtlichen Habeſch, gezeichnet worden; denn hier findet ſich dieſes Schaf eben - ſohäuſig, als in Perſien, Jemen und Arabien, ſeiner eigentlichen Heimat.

Alle übrigen Schafarten und Schafraſſen überlaſſe ich gern anderen Beſchreibern, zumal ich Ur - ſache habe, zu glauben, daß dieſer Gegenſtand für die wenigſten meiner Leſer von beſonderer An - ziehung ſein dürfte. Das Schaf iſt, wie bemerkt, ein ſanftmüthiges, ruhiges, geduldiges, einfältiges knechtiſches, willenloſes, furchtſames und feiges, mit einem Wort ein höchſt langweiliges Geſchöpf.

Das perſiſche Fettſteißſchaf (Ovis steatopyga persica).

Von beſonderen Eigenſchaften iſt bei ihm kaum zu reden; einen Charakter beſitzt es gar nicht. Nur während der Brunſtzeit zeigt es ſich anderen Wiederkäuern entfernt ähnlich: es entwickelt dann wenig - ſtens einige Eigenſchaften, welche ihm die Theilnahme des Menſchen erwerben können. Jm übrigen bekundet das Schaf eine geiſtige Beſchränktheit, wie ſie bei keinem Hausthiere weiter vorkommt; ſie iſt auch die Urſache ſeines in jeder Hinſicht äußerſt ungeſchickten Benehmens. Das Schaf lernt nie Etwas, und weiß ſich deshalb allein nicht zu helfen. Nähme es der eigennützige Menſch nicht unter ſeinen ganz beſonderen Schutz: es würde in kürzeſter Zeit aufhören zu ſein. Die Furchtſamkeit des Thieres iſt lächerlich, ſeine Feigheit erbärmlich. Jedes unbekannte Geräuſch macht die ganze Herde613Die Schafe. Allgemeines.ſtutzig, Blitz und Donner und Sturm bringt ſie gänzlich außer Faſſung und vereitelt gär häufig die größten Anſtrengungen des Menſchen.

Jn den Steppen von Rußland und Aſien ſind die Hirten oft recht übel daran. Bei Schnee - geſtöber und Sturm zertrennen ſich die Herden, rennen wie unſinnig mitten in die Steppe hinaus, ſtürzen ſich in Gewäſſer, ſelbſt in das Meer, bleiben dumm an ein und derſelben Stelle ſtehen, laſſen ſich geduldig einſchneien und erfrieren, ohne daß ſie daran dächten, ſich irgendwie vor dem Wetter zu ſichern oder auch nur nach Nahrung umherzuſpähen. Manchmal gehen Tauſende an einem Tage zu Grunde. Auch in Rußland benutzt man die Ziege, um die Schafe zu führen; allein ſelbſt ſie iſt nicht immer im Stande, dem dummen Vieh die nöthige Leitung angedeihen zu laſſen. Ein alter Hirt ſchildert, wie Kohl erzählt, die Noth, welche Schneeſtürme über Herden und Hirten bringen, mit lebendigen Worten:

Wir weideten unſer Sieben in der Steppe von Otſchakow an 2000 Schafe und 150 Ziegen. Es war gerade zum erſten Mal, daß wir austrieben, im März. Das Wetter war freundlich, und es gab ſchon friſches Gras. Gegen Abend aber ſing es an zu regnen, und es erhob ſich ein kalter Wind. Bald verwandelte ſich der Regen in Schnee; es wurde kälter, unſere Kleider ſtarrten, und einige Stunden nach Sonnenuntergang ſtürmte und brauſte der Wind aus Nordoſten, ſo daß uns Hören und Sehen verging. Wir befanden uns nur in geringer Entfernung von Stall und Woh - nung, und verſuchten es, die Behauſung zu erreichen. Der Wind hatte indeß die Schafe in Bewe - gung geſetzt und trieb ſie immer mehr von der Wohnung ab. Wir wollten nun die Geisböcke, denen die Herde zu folgen gewohnt iſt, zum Wenden bringen; aber ſo muthig dieſe Thiere zu allen Ereigniſſen ſind, ſo ſehr fürchten ſie die kalten Stürme. Wir rannten auf und ab, ſchlugen und trieben zurück und ſtemmten uns gegen Sturm und Herde, aber die Schafe drängten und drückten auf einander, und der Knäuel wälzte ſich unaufhaltſam die ganze Nacht weiter und weiter fort. Als der Morgen kam, ſahen wir Nichts, als rund um uns her lauter Schnee und finſtere Sturm - wüſte. Am Tage blies der Sturm nicht minder wüthend, und die Herde ging faſt noch raſcher vor - wärts, als in der Nacht, wo ſie von der dicken Finſterniß noch mitunter gehemmt ward. Wir überließen uns unſerem Schickſale; es ging im Geſchwindſchritt fort, wir ſelber voran, das Schaf - getrappel blöckend und ſchreiend, die Ochſen mit dem Vorrathwagen im Trabe, und die Rotte un - ſerer Hunde heulend hinterdrein. Die Ziegen verſchwanden uns noch an dieſem Tage; überall war unſer Weg mit dem todt zurückbleibenden Vieh zerſtreut. Gegen Abend ging es etwas gemacher; denn die Schafe wurden vom Hunger und Laufen matter. Allein leider ſanken auch uns zugleich die Kräfte. Zwei von uns erklärten ſich krank und verkrochen ſich im Wagen unter die Pelze. Es wurde Nacht, und wir entdeckten immer noch nirgends ein rettendes Gehöfte oder Dorf. Jn dieſer Nacht ging es uns noch ſchlimmer, als in der vorigen, und da wir wußten, daß der Sturm uns gerade auf die ſchroffe Küſte des Meeres zutrieb, ſo erwarteten wir alle Augenblick, mitſammt unſerem dummen Vieh ins Meer hinabzuſtürzen. Es erkrankte noch einer von unſeren Leuten. Als es Tag wurde, ſahen wir einige Häuſer uns zur Seite aus dem Schneenebel hervorblicken. Allein obgleich ſie uns ganz nahe waren, höchſtens dreißig Schritt vom äußerſten Flügel unſerer Herde, ſo kehrten ſich doch unſere dummen Thiere an gar Nichts und hielten immer den ihnen vom Winde vorgezeichneten Strich. Mit den Schafen ringend, verloren wir endlich ſelber die Gelegenheit, zu den Häuſern zu gelangen, ſo vollſtändig waren wir in der Gewalt des wüthenden Sturmes. Wir ſahen die Häuſer verſchwinden und wären, ſo nahe der Rettung, doch noch verloren geweſen, wenn nicht das Geheul unſerer Hunde die Leute aufmerkſam gemacht hätte. Es waren deutſche An - ſiedler, und Der, welcher unſere Noth entdeckte, ſchlug ſogleich bei ſeinen Nachbarn und Knechten Lärm. Dieſe warfen ſich nun, funfzehn Mann an der Zahl, mit friſcher Gewalt unſeren Schafen entgegen und zogen und ſchleppten ſie, uns und unſere Kranken allmählich in ihre Häuſer und Höfe. Unterwegs waren uns alle unſere Ziegen und fünfhundert Schafe verloren gegangen. Aber in dem Gehöfte gingen uns auch noch viele zu Grunde; denn ſo wie die Thiere den Schutz gewahrten, den614Die Schafe. Allgemeines.ihnen die Häuſer und Strohhaufen gewährten, krochen ſie mit wahnſinniger Wuth zuſammen, dräng - ten, drückten und klebten ſich in erſtickenden Haufen an einander, als wenn der Sturmteufel noch hinter ihnen ſäße. Wir ſelber dankten Gott und den guten Deutſchen für unſere Rettung, denn kaum eine Viertelſtunde hinter dem gaſtfreundlichen Hauſe ging es zwanzig Klaftern tief zum Meere hinab.

Ganz ähnlich benehmen ſich bei uns zu Lande die Schafe während heftiger Gewitter, bei Hoch - waſſer oder bei Feuersbrünſten. Beim Gewitter drängen ſie ſich dicht zuſammen und ſind nicht von der Stelle zu bringen. Schlägt der Blitz in den Klumpen, ſagt Lenz, ſo werden gleich viele getödtet; kommt Feuer im Stalle aus, ſo laufen die Schafe nicht hinaus oder rennen wohl gar ins Feuer. Jch habe einmal einen großen abgebrannten Stall voll von gebratenen Schafen geſehen; man hatte trotz aller Mühe nur wenige mit Gewalt retten können. Vor einigen Jahren erſtickte faſt eine ganze Herde, weil zwei Jagdhunde in den Stall ſprangen und ſie in ſolche Angſt ſetzten, daß ſie ſich faſt übermäßig zuſammendrängten. Eine andere Herde wurde durch den Hund eines Vorübergehenden ſo aus einander gejagt und zerſtreut, daß viele im Walde verloren gingen. Dieſe Geſchichten genügen, um das Schaf zu kennzeichnen; ähnliche ließen ſich noch viele erzählen.

Jn gewiſſem Grade freilich zeigt auch das Schaf eine geiſtige Befähigung. Es lernt ſeinen Pfleger kennen, folgt ſeinem Rufe und zeigt ſich einigermaßen gehorſam gegen ihn. Es hat einen gewiſſen Sinn für Muſik und hört aufmerkſam dem Gedudel des Hirten zu u. ſ. w. Eine Eigen - thümlichkeit von ihm iſt, daß es Veränderungen der Witterung vorher merkt.

Das Schaf liebt mehr trockene und hoch gelegene Gegenden, als niedere und feuchte. Nach Linné’s Angabe frißt es von den gewöhnlichen mitteleuropäiſchen Pflanzen 327 Arten, wäh - rend es 141 verſchmäht. Hahnfuß, Wolfsmilch, Zeitloſe, Schachtelhalme, Fett - kraut, Riedgras und Binſen ſind ihm Gift. Jm Winter erhält es Heu, Stroh, dürres Laub, und am beſten gedeiht es, wenn man ihm verſchiedenerlei getrocknete Pflanzen vorlegt. Die Getreidefütterung macht es zu fett und ſchadet der Wolle. Das Salz liebt es ſehr, und friſches Trink - waſſer iſt ihm ein unentbehrliches Bedürfniß.

Jm März regt ſich der Fortpflanzungstrieb, von da an währt er den ganzen Sommer hindurch fort. Die alten Römer ließen ihre Schafe zwiſchen Mai und Juni zur Paarung; die Landwirthe in kälteren Gegenden ziehen die Zeit von September bis Oktober vor. Dann werden die Lämmer, weil das Schaf 150 bis 154 Tage trächtig geht, in der zweiten Hälfte des Februars geworfen und haben bald gutes und friſches Futter. Gewöhnlich bringt das Schaf nur ein einziges Lamm zur Welt; zwei Junge ſind ſchon ziemlich, drei ſehr ſelten. Jn warmen Himmelsſtrichen lammen kräf - tige Mutterſchafe zwei Mal im Jahre. Anfangs müſſen die kleinen Thiere ſorgfältig gegen Wit - terungseinflüſſe gehütet werden, ſpäter dürfen ſie mit auf die Weide gehen. Jm erſten Monat ihres Lebens brechen die Milchzähne durch, im ſechſten Monat ſtellt ſich der erſte bleibende Backzahn ein; im zweiten Lebensjahre fallen die beiden Milchſchneidezähne aus und werden durch bleibende erſetzt. Gegen Ende dieſes Jahres erſcheint der ſechſte oder dritte bleibende Backzahn, zugleich fallen ſämmtliche Milchbackzähne nach und nach aus, und die Erſatzzähne treten an ihre Stelle. Erſt im fünften Jahre werden die ſeitlichen Milchvorderbackzähne gewechſelt und damit die Zahnungen be - endet. Der Landwirth benennt die Schafe nach dieſen Vorgängen, als Jungvieh, Zweiſchaufler, Zweijährige oder Zweizähnige, Vierſchaufler, Dreijährige, Zeitvieh oder Vierzähnige und als Sechsſchaufler oder Sechszähnige und Vierjährige, endlich als Achtſchaufler, Abgezähnte oder fünf - jährige Schafe. Eigentlich müßte man das Thier erſt nachdem alle Zahnungen vorüber ſind, als erwachſen erklären; allein das Schaf iſt ſchon mit einem Jahre, der Widder mit dem achtzehnten Monate paarungs - und zeugungsfähig, und mit zwei Jahren werden ſie faſt überall zur Paarung zugelaſſen. Alle Raſſen unter ſich pflanzen ſich ohne Schwierigkeit fort, und eben deshalb kann man kein Hausthier leichter veredeln, als eben das Schaf.

615Die Stiere oder Rinder.

Bei uns zu Lande hat das geachtete Hausthier wenige Feinde; ſchon im Norden und Süden Europas aber iſt es anders. Dort ſchleicht der Wolf häufig genug hinter vollkommen wehr - loſen Thieren her. Jn Aſien, Afrika und Amerika ſtellen die großen Katzen und größeren Wild - hunde, in Auſtralien der Dingo und Beutelwolf den Schafen eifrig nach. Der Bär holt ſich hier und da auch ein Stück; die Adler werden den Lämmern gefährlich. Dafür bleiben die am ärgſten von Feinden heimgeſuchten Schafe auch am meiſten von Krankheiten verſchont, und der Schaden gleicht ſich ſomit wieder aus. Die häufigſte aller Krankheiten iſt das Drehen, wel - ches ſich hauptſächlich bei jungen Schafen zeigt. Es rührt von Blaſenwürmern (Coenurus cere - bralis) im Gehirn her, welche auf noch nicht ermitteltem Wege in dieſen edlen Theil gelangen. Andere Eingeweidewürmer, die ſogenannten Leberegel (Distoma hepaticum), verurſachen die Leberfäule, einige Fadenwürmer die Lungenfäule. Dazu kommen nun noch der Blutſchlag oder die Blutſeuche, die Klauenſeuche, die Trabekrankheit, die Pocken, die Trommelſucht und an - dere Krankheiten. Schafzüchter können durch ſie manchmal der Hälfte ihrer Herden beraubt werden.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war der Nutzen des Schafes ungleich größer, als gegenwärtig. Jn einem vollſtändig angebauten Lande wird zur Zeit kein großer Gewinn mehr mit dem Halten der Schafe erzielt. Die Wolle iſt, ſeitdem man ganz Auſtralien als Schafweide benutzt, bedeutend im Preiſe gefallen und nur noch das Fleiſch und der Miſt kommen in Betracht. Jm Süden be - nutzt man auch die Milch, um daraus geſchätzten Käſe zu machen; die Hörner werden ebenfalls verwendet. Edle Schafe milkt man nirgends, weil man hierdurch den Wollertrag vermindert.

Das Schaf kann vierzehn Jahre alt werden; doch fallen ihm ſchon im neunten oder zehnten Jahre die meiſten Zähne aus. Es wird dadurch unbrauchbar und muß ſo raſch als möglich ge - mäſtet und geſchlachtet werden.

Wenn es ſich darum handelte, die Thiere nach der Wichtigkeit zu ordnen, welche ſie für das menſchliche Leben haben, müßten wir unter den Wiederkäuern die Rinder unbedingt obenan ſtellen. Die Vortheile, welche dieſe Thiere uns gewähren, ſind, wie Jedermann bekannt, gar nicht zu berechnen. Sie nützen im Leben, wie im Tode; ſie ſind es, von denen während des Lebens jede Kraft und jede Begabung und nach dem Tode jeder einzelne Theil und Stoff ihres Leibes Verwendung findet. Deshalb iſt es kein Wunder, daß ſie der Menſch über die ganze Erde mit ſich geführt hat, daß ſie faſt allen Völkern zu unentbehrlichen Gehilfen, zu überaus wichtigen Gliedern ſeines Hausſtandes geworden ſind. Und nicht blos eine Art aus dieſer Familie iſt in den Beſitzſtand des Menſchen übergegangen, ſondern eine ganze Anzahl: wir können es bisjetzt noch nicht einmal ſagen, wie viele.

Die Stiere oder Rinder (Boves) ſind große, ſtarke und ſchwerfällige Wiederkäuer, deren Familienkennzeichen hauptſächlich in den mehr oder weniger runden und glatten Hörnern, der breiten Schnauze mit den weit aus einander ſtehenden Naſenlöchern, dem langen, bis ans Hackengelenk rei - chenden, gequaſteten Schwanze und dem Mangel an Thränengruben und Klauendrüſen liegen. Die meiſten zeichnen ſich auch durch eine hängende Wamme am Halſe aus. Jhr Geripp zeigt ſehr plumpe und kräftige Formen. Der Schädel iſt breit an der Stirn und an der Schnauze wenig verſchmälert; die runden Augenhöhlen ſtehen weit ſeitlich hervor, die Stirnzapfen, auf denen die Hörner ſitzen, wachſen ſeitlich aus dem hinteren Schädel heraus; die Halswirbel ſind ſehr kurz, haben aber lange Dornfortſätze; 13 bis 15 Wirbel tragen Rippen; am zwölften oder vierzehnten befeſtigt ſich das Zwerchfell; 6 oder 7 Wirbel bilden den Lendentheil; 4 oder 5 innig mit einander verſchmolzene das Kreuzbein; die Zahl der Schwanzwirbel wächſt bis auf 19 an. Der Zahnbau616Die Stiere oder Rinder.iſt nicht beſonders auffallend. Gewöhnlich ſind die inneren Schneidezähne jeder Seite die größten und die äußerſten die kleinſten. Jhre Ränder ſind breit und ſchaufelförmig, nutzen ſich aber leicht ab. Von den vier Backenzähnen in jedem Kiefer ſind die vorderſten klein, die hinterſten aber ſehr entwickelt. Die Kauflächen ſind nach den Arten manchfach verſchieden.

Beſonders zeichnen unſere Thiere die Hörner aus. Sie ſind glatt, rundlich und höchſtens am Grunde quer gerunzelt; nur bei wenigen ſchwellen ſie nahe der Wurzel ſo an, daß ſie die Stirn be - decken; gewöhnlich laſſen ſie dieſe ganz frei. Sie krümmen ſich in ſehr verſchiedener Weiſe nach außen oder innen, nach hinten oder nach vorn, nach aufwärts und nach abwärts oder ſind auch leierförmig. Das Haarkleid iſt gewöhnlich kurz und glatt anliegend; bei einzelnen Arten verlängert es ſich aber mähnenartig, wenigſtens an gewiſſen Stellen des Leibes.

Ganz Europa und Afrika, Mittel - und Südaſien, ſowie der höhere Norden Amerikas dürfen als die urſprüngliche Heimat der Stiere betrachtet werden; gegenwärtig aber ſind ſie über alle Theile des Erdballs verbreitet, obgleich nur die in die Knechtſchaft des Menſchen übergegangenen Arten. Die wildlebenden bewohnen die verſchiedenſten Oertlichkeiten, dieſe dichtere Waldungen, jene freie Blößen oder Steppen, die einen die Ebene, die anderen das Gebirg, wo ſie ſogar bis zu einer Höhe von faſt 17,000 Fuß über die Meeresfläche emporſteigen. Einige ziehen ſumpfige Gegenden und Moräſte, andere mehr trockene Oertlichkeiten vor. Die wenigſten ſind Standthiere; ſie führen viel - mehr ein herumſchweifendes Leben. Die, welche das Gebirge bewohnen, ſteigen im Winter in die Thäler herab, jene, welche im Norden leben, ziehen ſich ſüdlicher, und der Mangel an Nahrung an einer gewiſſen Oertlichkeit beſtimmt wieder andere zum Wandern in nahrungsreichere Gegenden. Alle Arten ohne Ausnahme ſind geſellig und ſchlagen ſich herdenweiſe zuſammen; einzelne bilden Heere von Tauſenden. Starke, alte Thiere führen die Truppen an; doch kommt es auch bei ihnen vor, daß bös - artige Zugführer zuweilen von der Herde vertrieben werden.

Die Stiere ſind während des Tages thätig und ruhen bei Nacht. Sie erſcheinen zwar plump und langſam, ſind aber doch im Stande, ſich ſehr raſch zu bewegen, und zeigen viel mehr Fertigkeiten, als man ihnen zutrauen möchte. Jhre Bewegung beſteht für gewöhnlich in einem langſamen Schritt; allein ſie traben auch ſchnell dahin und fallen zuweilen in einen höchſt unbeholfenen Galopp, welcher ſie ſehr raſch fördert. Die Arten, welche Gebirge bewohnen, klettern meiſterhaft, ſind auch im Stande, weite Sprünge auszuführen. Das Schwimmen verſtehen alle Arten und einzelne ſogar ganz vortrefflich; ſie ſetzen mit Leichtigkeit über die breiteſten Ströme. Jhre Kraft iſt außerordentlich, ihre Ausdauer bewunderungswerth. Unter den Sinnen ſteht der Geruch obenan; das Gehör iſt auch gut, das Geſicht aber, wie ſchon das ziemlich blöde Auge beweiſt, nicht beſonders entwickelt. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering, doch zeigen die wilden weit mehr Verſtand, als die zahmen, welche ihre Geiſteskräfte nicht anzuſtrengen brauchen. Jhr Weſen iſt ſehr verſchiedenartig. Jm allge - meinen ſind ſie ſanft und zutraulich gegen Geſchöpfe, welche ihnen nicht gefährlich oder beſchwerlich werden; allein ſie zeigen ſich auch überaus wild, trotzig und im hohen Grade muthig; ſie greifen, gereizt, unter Todesverachtung alle Raubthiere, auch die ſtärkſten, an und wiſſen ihre furchtbaren Waffen dann mit ſo viel Geſchick zu gebrauchen, daß ſie gewöhnlich Sieger bleiben. Unter ſich im ganzen verträglich, kämpfen ſie doch zu gewiſſen Zeiten mit großer Raufluſt, und namentlich die Männchen führen während der Brunſtzeit prachtvolle und dabei höchſt gefährliche Kämpfe.

Die wilden Arten zeichnen ſich durch einen eigenthümlichen Moſchusgeruch aus, welcher bei den Männchen ſo heftig wird, daß er das ganze Fleiſch durchdringt und es ungenießbar macht. Bei den zahmen Arten iſt dieſer Geruch ebenfalls bemerklich, aber ſchwach.

Die Stimme unſerer Thiere beſteht in hellerem oder dumpferem Gebrüll oder in einem Grunzen und Brummen, welches hauptſächlich dann gehört wird, wenn ſie erregt ſind.

Sehr verſchiedene Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Rinder. Sie verzehren Laub und zarte Knospen, Triebe und Zweige der allerverſchiedenſten Bäume, Gräſer und Kräuter, Baumrinde, Mos und Flechten, Sumpf - und Waſſerpflanzen, ſelbſt ſcharfſchneidiges Riedgras und rohrähnliche Ge -617Der Biſam - oder Moſchusochſe.wächſe. Jn der Gefangenſchaft nähren ſie ſich von allen möglichen Pflanzenſtoffen. Salz iſt für alle ein Leckerbiſſen. Waſſer iſt ihnen ein Bedürfniß, und manche wälzen ſich mit Luſt in ſchlam - migen Lachen oder legen ſich ſtundenlang in Flüſſe und Teiche.

Der Begattung gehen gewaltige Kämpfe unter den Männchen voraus. Neun bis zwölf Monate nach ihr wirft die Kuh ein einziges Junge, ſehr ſelten zwei. Das Kalb iſt immer vollkommen ausge - bildet und nach kürzeſter Zeit im Stande, der Mutter zu folgen. Dieſe behandelt es mit großer Zärt - lichkeit, ſäugt und reinigt, beleckt und liebkoſt es und vertheidigt es bei Gefahr mit tollkühnem Muthe gegen jeden Angriff. Nach 3 bis 8 Jahren iſt das Junge erwachſen und zur Fortpflanzung geeignet; 15 bis 50 Jahre beträgt ſeine Lebensdauer.

Sämmtliche Rinderarten laſſen ſich ſehr leicht zähmen und geben ſich dann willig dem Menſchen hin. Sie lernen ihre Pfleger kennen und lieben; folgen deren Rufe und gehorchen ſelbſt einem ſchwa - chen Kinde; doch ziehen ſie ihren Herrn eigentlich anderen Menſchen nicht vor, ſondern behandeln, wenn ſie einmal gezähmt worden ſind, alle Leute mit der gleichen Freundlichkeit.

Die Jagd der wilden Rinder gehört zu den ernſteſten, welche es gibt. Ein Löwe und ein Tiger können nicht gefährlicher ſein, als ein gereizter Stier, deſſen blinde Wuth keine Grenzen mehr kennt. Gerade deshalb aber betreibt man die Jagd auf wilde Stiere mit größter Leidenſchaft, und manche Völker ſehen ſie als die rühmlichſte von allen an.

Gegen den Nutzen, welchen die zahmen Rinder leiſten, verſchwindet der geringe Schaden, den die Wildlebenden anrichten, faſt gänzlich. Dieſe werden höchſtens durch das Benagen der Bäume und Sträucher in den Wäldern, durch das Zerſtören des Graswuchſes und durch Verheerungen, die ſie in Pflanzungen ausüben, dem Menſchen läſtig; die gezähmten nützen ihm dagegen auf alle mögliche Weiſe mit ihren ſämmtlichen Kräften, mit ihrem Fleiſch und ihren Knochen, mit ihrer Haut und ihrem Gehörn, mit ihrer Milch, ſelbſt durch das Haar und ihren Miſt. Man verwendet ſie zum Ziehen und zum Tragen, zum Reiten, zum Treiben von Maſchinen u. ſ. w.

Soviel bis jetzt bekannt, darf man mit Sicherheit zehn Arten von Rindern unterſcheiden. Ein Uebergangsglied zwiſchen Schaf und Rind mag die Reihe der von mir erwählten eröffnen. Jch meine hiermit den ſehr ſonderbar geſtalteten, beſonders aber durch ſeine Behaarung ausgezeichneten Biſam - oder Moſchusochſen (Ovibos moschatus), welcher gegenwärtig mit Recht als Vertreter einer be - ſonderen Sippe betrachtet wird. Er zeigt am allerwenigſten das allgemeine Gepräge der Familie Hinſichtlich ſeiner Größe gehört er zu den kleinſten Rindern überhaupt, und dabei ſind ſeine Glied - maßen von auffallender Kürze. Der Schwanz verkümmert zu einem Stummel, welcher aber um ſo länger behaart iſt; der Hals iſt kurz, der Kopf groß und breit, die ganz behaarte Schnauze ſchaf - ähnlich, kurz und ſtumpf, das Maul ſchmal. Die Hörner, welche ſich erſt nach abwärts und außen, dann nach vorn und endlich wieder mit der Spitze nach oben und außen wenden, bedecken faſt Scheitel und Stirn; nur bei der Kuh ſtoßen ſie nicht ganz an einander. An der Wurzel ſind ſie zuſammenge - drückt und rauh, nach der Spitze hin rund und glatt. Die dicken Beine enden in ſchmale Hufe. Das Grannenhaar iſt außerordentlich lang, zumal an Hals, Schultern, Rücken und Lenden; kurz iſt es überhaupt nur an den Beinen. Eine dichte Grundwolle von aſchgrauer Farbe wird von den Grannen vollſtändig überdeckt. Sie bildet ſich im Herbſt, bleibt den ganzen Winter hindurch ſtehen, verliert ſich in großen Flocken im Sommer und wird bald darauf durch die neue erſetzt. Das Haar iſt dunkel - braun von Farbe, nach unten hin ſchwärzer; auf der Mitte des Rückens ſteht ein bräunlich weißer Fleck; das Naſenende, die Lippen und das Kinn ſind weißlich, und die Beine bedeutend lichter, als der übrige Körper. Ungeachtet der verhältnißmäßig geringen Größe des Moſchusochſen, erlegte Parry auf ſeiner Reiſe nach dem Nordpol Stiere, welche bei 10½ Fauſt Höhe am Widerriſt ſieben Centner wo - gen. Der Kopf mit der Haut allein hatte ein Gewicht von 130 Pfund. Von dem einen Stier bekam man 361, von dem anderen 350 Pfund Fleiſch. Die Geſammtlänge erwachſener Moſchusſtiere be - trägt 6 Fuß; die Hörner ſind, der Krümmung nach gemeſſen, 2 Fuß lang.

618Die Rinder. Der Biſam - oder Moſchusochſe.

Es iſt auffallend, daß ſchon die erſten Beſchreiber der neuen Welt Nachricht über dieſes Thier er - hielten. Der Spanier Gomara, einer der erſten Geſchichtsſchreiber des 16. Jahrhunderts, ſagt aus - drücklich, daß im Reiche Guivira, einem Lande, das man ſich nördlich von Mejiko dachte, lang - haarige Schafe von der Größe eines Pferdes leben, welche ſehr kurze Schwänze, aber erſtaunlich große Hörner tragen. Man kann nicht wohl annehmen, daß mit dieſen Worten ein anderes Thier, als unſer Biſamochſe gemeint ſei, begreift aber nicht, in welcher Weiſe die Eroberer Mejikos Kunde von ihm bekommen konnten, da er doch nach allen ſichern Beobachtern niemals ſüdlich des 61. Grades nördlicher Breite gefunden worden iſt. Aus dieſer einen Angabe ſieht man aber wiederum, wie hoch die Bildung der alten Mejikaner geweſen ſein muß, weil nur ſie es ſein konnten, welche die Spanier auf ein ſolches Geſchöpf aufmerkſam machten.

Hearne, Richardſon, Parry und Franklin haben uns einigermaßen mit dem Leben des Biſamochſen bekannt gemacht. Er bewohnt nach ihren Berichten jene traurigen Mosſteppen,

Der Biſam - oder Moſchusochſe (Ovibos moschatus).

welche in der alten Welt und namentlich in Sibirien mit dem Namen Tundra belegt werden, im ganzen aber rund um die Erde herum daſſelbe Gepräge tragen. Dieſe Steppen ſind eigentlich nichts Anderes, als ungeheure Moräſte mit unzählbaren kleinen Seen und Teichen und größeren und klei - neren Flüſſen, unterbrochen von einzelnen niederen ausdruckloſen Hügelreihen. Sie ſind die Heimat mehrerer Wühlmäuſe und des Renthieres, des Wolfes und des Eisfuchſes, des Viel - fraßes und einiger Marderarten, werden aber ſonſt von anderen Geſchöpfen möglichſt gemieden. Jhre Unwirthlichkeit und Oede, ihre Armuth und die Qual, welche die Milliarden von Mücken, die im Sommer hier lebendig werden, allen Thieren bereiten, treiben dieſe beſtändig von einem Ort zum an - deren. Hier lebt der Biſamochſe in Herden von 20 bis 25 Stück, und zwar vorzugsweiſe auf inſelgleich zu Tage tretenden Felſenhügeln oder im Gebirg ſelbſt. Sein auffallend dichtes Wollkleid ſchützt ihn vollkommen gegen die Rauhheit ſeiner Heimat, in ihm kann er noch in Grönland und auf der Melvilleinſel leben und gedeihen. Oft ſieht man ganze Züge über das Eis gehen, um ſich nach619Der Biſam - oder Moſchusochſe.einer von den Jnſeln zu begeben und dort zu weiden; ſpäter verlaſſen ſie den ausgenutzten Ort auf dieſelbe Weiſe. Gegen den Winter hin treten die Herden zuſammen und halten ſich dann bis in den Sommer hinein gewöhnlich unfern der Flüſſe auf, ziehen ſich aber mit anbrechendem Herbſt nach den Wäldern zurück. Während des Sommers dienen ihnen die ſpärlichen Pflanzen der Moräſte, Gras - und Sumpfkräuter, im Winter Flechten zur Nahrung. Jm Verhältniß zu den Kühen gibt es nur wenige Stiere bei einer Herde, ſelten mehr, als zwei oder drei vollkommen erwachſene; denn die Tapferen beſtehen um die Brunſtzeit heftige Kämpfe mit einander, welche gemeiniglich den Tod des ſchwächeren zur Folge haben; wenigſtens findet man ſehr viele Leichname von ihnen.

Ohngeachtet der plumpen Geſtalt der Biſamochſen, ſind ſie doch hurtig und raſch in ihren Be - wegungen. Sie klettern mit derſelben Leichtigkeit, wie Ziegen, auf den Felſen umher und ſpringen mit Geſchick von einem Abſatz zum anderen; Roß behauptet, daß ſie die Gewandtheit und Behendig - keit der Antilopen beſäßen. Jhre Sinne ſcheinen nicht ſo ausgebildet zu ſein, wie die anderer Rinder; wenigſtens beweiſen ſie ſich durchaus nicht ſo wachſam, wie die meiſten ihres Geſchlechts. Der Jäger kann ſich ihnen, während ſie äßen, gegen den Wind ohne Schwierigkeiten nähern. Dabei betragen ſie ſich ſehr eigenthümlich.

Wenn zwei bis drei Leute die Herde ſo beſchleichen, daß ſie von verſchiedenen Richtungen her feuern, drängen ſich die Thiere, anſtatt ſich zu zerſtreuen oder flüchtig zu werden, immer dichter zu - ſammen und gewähren den Jägern ſomit vielfache Gelegenheit zum Schuß. Verwundete Stiere ge - rathen in Wuth und ſtürzen grimmig auf den Jäger zu, der ſich dann vorſehen mag, wenn er nicht von den ſpitzen Hörnern durchbohrt ſein will. Sie wiſſen ihre Waffen eben ſo gut zu gebrauchen, als ihre übrigen Verwandten; nach Ausſage der Jndianer werden ſelbſt Wölfe und Bären nicht ſelten von ihnen getödtet.

Zu Ende Auguſt rindern die Biſamochſen, und Ende Mai’s kalben die Kühe. Jhre Jungen bleiben bis zur Zeit des vollendeten Wachsthums ſehr hell und nehmen erſt dann die Färbung der Alten an.

Zu Anfang des Sommers ſieht man die Thiere ſich oft im Schlamme wälzen, um ſich von ihrem alten Wollhaare zu befreien, und erſt wenn ſie ſich vollſtändig gehärt haben, ziehen ſie wieder ruhig, wie vorher, dahin.

Mit Recht führt unſer Thier ſeine Namen; denn ein widerlicher Moſchus - oder Biſamgeruch durchdringt das ganze Fleiſch und macht es den Europäern vollkommen ungenießbar. Nur die Kühe und die Kälber haben dieſen Geruch noch nicht; ihr Fleiſch iſt deshalb auch für den Europäer ein will - kommenes Gericht. Der Geſchmack der Eskimos iſt nicht ſo fein und macht keinen Unterſchied zwiſchen biſamduftigem und anderem Fleiſch. Die Herden der Moſchusochſen oder Umingarak , um mit jenen kleinen Leuten zu reden, bilden einen Hauptgegenſtand der eifrigſten Jagd. Die Eskimos be - ginnen ſchon im Herbſt ihre Jagdzüge, machen ſich mit Todesverachtung an die Herden heran, reizen die Stiere, bis ſie auf ſie zuſtürzen, wenden ſich dann ſchnell zur Seite und ſtechen ihnen ihre Lanze in den Wanſt. Andere wenden auch Pfeile an, obwohl dieſe nicht viel ausrichten. So traf Kapitän Roß im Lande der Eskimos auf einen Biſamſtier und ließ ihn durch ſeine Hunde ſtellen. Das Thier zitterte vor Wuth und ſtieß beſtändig nach den Hunden, welche ihm aber ſtets geſchickt auswichen. Ein Eskimo, welcher die Jagd mitmachte, ſchoß in großer Nähe einen Pfeil nach dem anderen auf den Ochſen ab; doch alle prallten wirkungslos von ſeinem dichten Haarpelze zurück. Nun feuerte Roß aus einer Entfernung von wenigen Schritten und durchſchoß dem armen Schelm das Herz, ſo daß er lautlos zu Boden ſtürzte. Der Eskimo war ſchnell bei der Hand, fing das Blut auf, vermiſchte es mit dem Schnee und löſchte damit ſeinen Durſt.

Jn der Gegend des Fort Wales treiben die Jndianer einen ganz einträglichen Tauſchhandel mit dem Fleiſche des von ihnen erlegten Wildes. Sie hängen es, nachdem ſie es in größere Stücke zer - ſchnitten haben, in der Luft auf, laſſen es vollſtändig austrocknen und liefern es dann in die Nieder - laſſungen der Pelzjäger ab, wo es gern gekauft wird. Auch die Wolle und das Haar werden von den620Die Rinder. Der Jak oder grunzende Ochs.Jndianern und Eskimos hoch geſchätzt. Erſtere iſt ſo fein, daß man daraus ſicherlich vortreffliche Ge - webe bereiten könnte, wenn man ihrer genug hätte. Richardſon gibt an, daß man Strümpfe daraus webt, welche feiner als Seide ſind. Aus dem Haar bereiten ſich die Eskimos ihre Mosquito - perrücken, aus den Schwänzen Fliegenwedel und aus der Haut gutes Schuhleder.

Von den eiſigen Küſten des hohen Nordens hinweg mag uns ein anderer Stier nach den Höhen des Himalaya führen. Es iſt der Jak oder grunzende Ochs (Poëphagus grunniens), welcher

Der Jak (Poëphagus grunniens).

wild die Höhen jenes Gebirges und die Hochländer Mittelaſiens bevölkert, gezähmt aber von den Ein - geborenen vielfach verwendet wird. Er iſt unzweifelhaft eines der merkwürdigſten Mitglieder der ganzen Familie, auch ſchon ſeit uralten Zeiten hoch berühmt, denn von ihm ſtammen die ſogenannten Roßſchweiſe, welche als ſonderbarer Kriegsſchmuck bei den Heerführern der Morgenländer üblich ſind. Bereits der alte Aelian kannte dieſen Ochſen. Jndier bringen , ſo ſagt er, ihrem Könige zweierlei Ochſen dar, von denen die einen ſehr geſchwind laufen, die anderen ſehr wild ſind. Jhre Farbe iſt ſchwarz, die des Schwanzes aber, aus denen man Fliegenwedel macht, blendend weiß. Das Thier iſt ſehr furchtſam und läuft ſchnell davon; kommen ihm aber die Hunde zu nahe, ſo ſteckt es ſeinen Schwanz in den Buſch und ſtellt ſich ſeinen Feinden gegenüber, weil es glaubt, man würde ihm621Der Jak oder grunzende Ochs.nichts mehr thun, wenn man den Schwanz nicht ſähe, wohlwiſſend, daß man ihn um deſſen Schönheit willen fängt. Aber es betrügt ſich. Man erlegt es mit einem giftigen Pfeil, ſchneidet den Schwanz ihm ab, und nimmt ſeine Haut; das Fleiſch läßt man liegen. Auf dieſen alten Schriftſteller folgen Marco Polo, Nicolo di Conti, Belon, Pennant und andere Reiſende, bis ſpäter Pallas eine ausführlichere Beſchreibung, wenn auch nur des zahmen Jak, uns gibt. Erſt in der neuen und neueſten Zeit haben uns die Reiſenden Stewart, Turner, Moorcroft, Herbert, Gerard, Hamilton, Smith und unſere berühmten Landsleute, die Gebrüder von Schlagint - weit, genauer mit dem Poëphagus der Alten bekannt gemacht. Nachdem zahme Jaks in unſeren Thiergärten eingeführt wurden, konnten auch Beobachtungen über dieſe angeſtellt werden.

Jn den meiſten Ländern, wo man den zahmen Jak hält, kommt auch noch ſein Stammvater wild vor, immer aber nur auf den höchſten Alpenweiden der Gebirge in wirklich erſtaunlichen Höhen. Die Gegend , ſagt Schlagintweit, wo man den Jak und den Kiang oder das wilde Pferd findet, iſt in thierkundlicher Hinſicht eine der merkwürdigſten der Erde. Dieſe weiten Hochebenen, obwohl im Sommer frei von Schnee und Eis, ſind doch Nichts als eine Wüſte das ganze Jahr hindurch; ja, ihre Pflanzenwelt iſt noch geringer, als die zwiſchen Suez und Kairo in Egypten. Nichtsdeſtoweniger ſind dieſe hohen und unfruchtbaren Gegenden von zahlreichen Truppen großer Vierfüßler bevölkert. Neben den ſchon erwähnten (Jak und Kiang) findet man in Menge zahlreiche Arten von wilden Antilopen, eine kleine Zahl von hundeähnlichen Thieren (Schakale?), namentlich aber Füchſe und auch Haſen. Die Pflanzenfreſſer finden dort ihre Nahrung nur, indem ſie auf großen Räu - men umherziehen, auf denen ſie blos ſehr wenige fruchtbare Stellen finden, da bei weitem der größte Theil der Oberfläche alles Pflanzenwuchſes bar iſt.

Oft bemerkt man längs der kahlen Abhänge der Berge oder die hohlen, unausgetrockneten See - becken hindurch die zahlreichen Spuren wilder Thiere, die, einer beſtimmten Richtung folgend, Kara - vauenpfaden gleichen. Bei dem ſtets ſo großen Futtermangel werden ſie auch für Reiſende ſehr wichtig, die ſich veranlaßt ſehen, ihnen zu folgen, um ihren erſchlafften Thieren Raſt, wenn auch an einem nur ſpärlichen Futterplatze, zu geben.

Unter den Verbreitungskreiſen der größeren Säugethiere iſt jener des Jak einer der beſchränkte - ſten. Mehr, als bei anderen Thieren, hängt ſein Vorkommen weſentlich von einem Klima ab, welches zunächſt trocken und von mäßiger Sonnenwärme iſt. Als größte Höhen, in denen wir den Jak in außergewöhnlichen Fällen beobachteten, ſind 19,700 bis 19,800 engliſche Fuß zu nennen. Es ſind dies Höhen nicht nur weit über der Grenze des Pflanzenwuchſes, ſondern in den bezüglichen Gegenden noch mehr als Tauſend Fuß über der Schneegrenze.

Ein ziemlich beträchtlicher Theil von Mittelaſien iſt es, wo der Jak noch gegenwärtig wild vor - kommt. Man findet ihn namentlich in den höheren Theilen der Mongolei, Tibets und Turkiſtans. Jm eigentlichen Himalaya, auf deſſen Klima die indiſche Regenzeit ſo vielen Einfluß hat, kommt der Jak im wilden Zuſtande nicht mehr vor, und auch im nördlichen China iſt er ziemlich ſelten. Unter 8000 Fuß über dem Meere ſcheint er gar nicht leben zu können; ſelbſt der gezähmte beweiſt deutlich genug, wie unangenehm ihm ein höherer Wärmegrad, als der in ſeinen Höhen herrſchende, iſt. Ein ſolches Vorkommen eines Ochſen hat unzweifelhaft etwas außerordentlich Aufſallendes, weil es dem ganzen Weſen der übrigen Rinder widerſpricht. Es muß daran erinnert werden, daß in jenen Höhen der Luftdruck auf die Hälfte des am Meeresſtrande herrſchenden herabgeſunken iſt. Unter ſolchen Umſtänden gefällt ſich wohl ein Vogel, aber kaum noch ein anderes Säugethier; denn nicht einmal das Lama ſteigt ohne Beſchwerde zu ähnlichen Höhen empor.

Die Bewegungen des Jak haben, wie Pallas ſagt, etwas Muthiges und Unerwartetes. Sein Gang iſt ziemlich ſchnell und ſein Lauf im Galopp, wenn auch unbeholfen erſcheinend, doch ſehr för - dernd. Die Sinne ſcheinen gut ausgebildet zu ſein, wenigſtens beweiſt der Jak durch eilige Flucht, daß er Feinde ſchon von fern wahrnimmt. Er gehört zu den ſcheueſten aller Thiere. So oft wir Gelegenheit hatten, ſagt Schlagintweit, Jaks in wildem Zuſtande zu ſehen, fanden wir ſie622Die Rinder. Der Jak oder grunzende Ochs.äußerſt ſcheu. Sie eilten bei der geringſten Annäherung ſchnell davon. Es fiel uns Dies beſonders während unſerer Reiſen in Turkiſtan auf, wo wir abſichtlich, um Entdeckungen unmöglich zu machen, die gewöhnliche Karavanenſtraße verließen und tagelang durch Gegenden zogen, welche vielleicht jahre - lang von Menſchen nicht betreten worden waren. Nicht nur der Jak, ſondern auch die anderen wil - den Thiere, denen wir begegneten, die Kiangs, die Schafe und die Antilopen, zeigten dieſelbe Furcht bei unſerer Annäherung, gerade ſo, als ob ſie ſtets aufs eifrigſte von Menſchen verfolgt und beunruhigt worden wären. Jch erwähne dieſe Umſtände beſonders deshalb, weil behauptet wird, daß die natürliche Scheu wilder Thiere ſich ſehr vermindert, wenn ſie vor Nachſtellungen geſichert leben. Vögel fanden wir ſtets weit weniger ſcheu. Ausſtreuen von Futter brachte ſie ſogleich ganz in die Nähe unſeres Lagerplatzes, ja, bei unſerer Beſteigung des Jbi Gamin haben uns ſechs Tage hin - durch mehrere Krähen von 16,000 bis hinauf zu 22,000 Fuß begleitet.

Der Jak dankt ſeinen lateiniſchen Namen ſeiner eigenthümlichen Stimme, welche weder mit dem Brüllen unſeres Rindes noch mit dem Blöcken der Schafe, noch mit dem Wiehern des Pferdes, ſondern nur mit dem Grunzen des Schweines vergleichbar, obwohl ſie etwas tiefer und eintöniger iſt, als die Laute des Schweines es ſind. Der Stier läßt jedoch ſeine Stimme weit ſeltener vernehmen, als die Kuh oder das Kalb.

Ueber die Fortpflanzung des wilden Jak fehlen zur Zeit noch Beobachtungen. Man weiß nur, daß die Kuh im Frühjahr rindert und ein einziges Junge zur Welt bringt, welches alsbald dieſelbe Beweglichkeit, Unruhe und Lebhaftigkeit zeigt, wie die Alte, und ihr augenblicklich, ſelbſt auf den un - ſicherſten Felſenpfaden, bis in die höchſten Höhen nachfolgt.

Man jagt dem Jak ſeines ſchönen Haares wegen eifrigſt nach, heutzutage noch mit Hilfe der Hunde, wie man ihn noch jetzt mit dem Pfeile erlegt. Die Jagd hat ihre Gefahren; denn ein Fehl - ſchuß koſtet dem Jäger das Leben, ſchon aus dem Grunde, weil der Jak ein weit beſſerer und ſicherer Bergſteiger iſt, als der Menſch, und ſich viel zu ſchnell bewegt, als daß dieſer entkommen könnte. Der wilde Jak iſt, wie alle freilebenden Stiere, ein gewaltiges, wüthendes Thier, welches ſich mit außer - ordentlichem Muthe vertheidigt, wenn es ſein muß. Wie es ſcheint, iſt ein alt eingefangener Jak un - zähmbar; dagegen werden junge Kälber noch heutigen Tages vielfach gezähmt. Warren Haſtings brachte ein von wilden Eltern abſtammendes Jakkalb nach England. Dort verſuchte man es ſpäter mit einer zahmen engliſchen Kuh zu paaren; der Jakſtier zeigte aber eine ebenſo entſchiedene Abneigung gegen dieſelbe, wie der Wiſentſtier ſie unter ähnlichen Umſtänden an den Tag zu legen pflegt. Jn Jndien dagegen wird der Jak ſchon ſeit alten Zeiten mit anderen Rinderarten gepaart, um deren Naſſe zu veredeln. Dies berichtet bereits Marco Polo und fügt ausdrücklich hinzu, daß man die Jaks zu dieſem Zwecke einfange.

Der Jak iſt ein ſchönes Rind von 6 bis 7 Fuß Leibeslänge und Fuß Schwanzlänge, aus - ſchließlich des langen Haares, welches den eigenthümlichen Schweif bedeckt. Hinſichtlich ſeiner Geſtalt ſteht er ungefähr in der Mitte zwiſchen dem Wiſent, dem Büffel und dem gemeinen Rinde; aber er erſcheint auch gewiſſermaßen als ein Mittelding von Rind, Pferd und Schaf. An das Pferd erin - nern die anſprechenden runden, gedrungenen Formen des Leibes, die feinen und feſt geſetzten Glieder, der lange Schwanz, der lebhafte, ſtolze Gang, die Art, wie er die Füße ſetzt und die Haltung während ſeines ſchnellen Laufes, an die Ziegen und Schafe aber die lange Behaarung. Ein reiches, ſeidenar - tiges Vlies hängt zu ſeinen beiden Seiten faſt bis auf den Boden herab und ziert das Thier auf das höchſte. Eigentlich ähnelt nur der Kopf dem der Ochſen; der übrige Körper iſt gleichſam eine Zu - ſammenſetzung verſchiedener Thierformen. Die Stirn iſt kurz und ſchwach gewölbt, der Kopf kürzer, als bei den meiſten Raſſen des Rindes, die Schnauze kolbenartig aufgetrieben; die großen, ſchmalen Naſenlöcher ſtehen weit von einander und faſt der Quere; die Lippen ſind dick und hängend, die Augen voll und lebhaft; die Ohren länglich eiförmig, die Hörner höher aufgeſetzt, als bei den meiſten Rindern, etwa von Kopfeslänge, dünn und ſcharfſpitzig, beim Stiere vom Grund an halbmondförmig nach außen, vor - und aufwärts gewendet, mit der Spitze aber wieder nach ein - und rückwärts gekrümmt,623Der Jak oder grunzende Ochs.bei der Kuh halbmondförmig nach außen und aufwärts und mit der Spitze nach ein - und rückwärts gerichtet. Von der Wamme, welche bei den übrigen Rindern ſo deutlich iſt, ſieht man keine Spur. Der Rücken iſt faſt gerade, der Widerriſt erhaben. Die Beine erſcheinen kurz und ſind dick und ſtark, breithuſig; ſie haben anſehnliche Afterklauen. Die Behaarung iſt faſt überall lang, reichlich und dick; nur das Geſicht, die Unterſüße und eine kleine Stelle an der Bruſt machen davon eine Ausnahme. Am Scheitel ſind ſie grob, zottig und verworren, auf der Stirnleiſte bilden ſie einen förmlichen Wulſt, über den Schultern und auf dem Widerriſt einen ähnlichen, welcher ſich mähnenartig längs der Firſte des Nackens fortſetzt. Die Leibesſeiten, die Schenkel und die Oberarme ſind mit langen, ſtraffen, zottigen Haaren bedeckt, welche zuweilen faſt bis auf den Boden herabreichen. Am Unterhalſe bilden ſie die Fortſetzung der Mähne, am Schwanze werden ſie 2 bis 3 Fuß lang und ſind dabei ausneh - mend fein und faſt ſeidenartig. Schwarz iſt die Hauptfärbung des Thieres; zuweilen ſind aber der Haarwulſt und der Schwanz, manchmal auch Stirn und Scheitel weiß; ſelten zeigen ſich auch an an - deren Körpertheilen weiße Haare.

Jn allen Ländern, wo der Jak wild vorkommt, findet man ihn auch gezähmt als nützliches und wichtiges Hausthier. Der zahme Jak unterſcheidet ſich gewöhnlich hinſichtlich ſeiner Geſtalt und ſeines Haarwuchſes nicht von dem wilden, wohl aber hinſichtlich der Färbung. Rein ſchwarze Jaks ſind ſehr ſelten; gewöhnlich zeigen auch Die, welche den wilden am meiſten ähneln, weiße Stellen, und außerdem trifft man braune, rothe und geſcheckte an. Mehrere Raſſen ſind bereits gezogen worden, vielleicht durch Vermiſchung mit anderen Rinderarten. Hier und da ſind die zahmen Jaks auch wieder verwildert, und dann haben ſie ganz die Urfärbung wieder angenommen. Jn der Gegend des heiligen Berges Bogdo am Altai ſetzten die Kalmücken ganze Herden aus, an denen ſich außer den Geiſtlichen Niemand vergreifen durfte. Dieſe ſind vollſtändig wild gewor - den und bewohnen jetzt das ganze Altaigebirge. Radde traf im ſüdlichen Theile des Apfelge - birges halbverwilderte Herden an, welche auch in ſchneereichen Wintern nicht gefüttert wurden, ſondern ſich ihr Futter ſelbſt durch Wegſcharren der Schneedecke gewinnen mußten. Eine Stallung wird den gezähmten überhaupt nie zu Theil.

Ladak, Tibet, der nördliche Theil von China, die Mongolei, Songorei und Tartarei ſind die Länder, in denen man den Jak am häuſigſten hält. Auch die zahmen Her - den gedeihen nur in kalten, hochgelegenen Gebirgsgegenden und gehen in großer Wärme zu Grunde. Sie ertragen die Kälte mit der größten Gleichgiltigkeit. An Tagen, deren Wärme nur wenige Grad über den Gefrierpunkt kam, ſagt Schlagintweit, kam es vor, daß unſere Jaks, ſo - bald ſie abgeladen waren, im nächſten Bache untertauchten, ohne davon zu leiden. Als der Engländer Moorcroft den Nitipaß erſtieg und ſeine beladenen Jaks bei der drückenden Hitze viel gelitten hatten, rannten ſie, weil ſie ein Gebirgswaſſer in der Tiefe rauſchen hörten, unauf - haltſam mit ſolchem Ungeſtüm dem Fluſſe zu, daß zwei von ihnen auf den ſchroffen Abhängen ſtürzten und ſich in der Tiefe zerſchellten. Schon geringe Sonnenwärme iſt dem Thiere läſtig, und wenn es kein Waſſer hat, in dem es ſich ſtundenlang kühlen kann, ſucht es eifrig den Schatten auf, um der unangenehmen Wärme zu entgehen. Die Jaks, ſagt Radde, lagern alle auf dem Schnee, auch die Kälber, ſelbſt die Frühgeburten vom März bedürfen keiner Fürſorge ſeitens der Menſchen.

Die Kühe zeigen eine große Anhänglichkeit zu den Kälbern, verlaſſen dieſelben, wenn ſie zur Weide gehen, am Morgen viel ſpäter, als die Hauskühe ihre Jungen, und kehren abends ſchon mehrere Stunden vor Sonnenuntergang zum Kalbe zurück, waſchen es zärtlich und grunzen dabei behaglich.

Dem Tibetaner iſt der Jak eins der wichtigſten Hausthiere. Er benutzt ihn als Laſt - und als Reitthier, obwohl der Jak nicht eben lenkſam und überhaupt ſchwer zu behandeln iſt. Gegen ſeine Bekannten benimmt er ſich ziemlich freundſchaftlich. Er läßt ſich von denſelben berühren und reinigen und vermittelſt eines durch ſeine Naſe gezogenen Ringes, an welchem ein Strick be -624Die Rinder. Der Jak oder grunzende Ochs.feſtigt wird, leidlich lenken. Fremden Perſonen gegenüber betragen ſich die eigenthümlichen Reit - thiere aber nicht ſo freundlich. Der Jak, ſagt Schlagintweit, iſt nicht ohne Schwierig - keit zu beladen und zu beſteigen, denn ehe er zum ruhigen Stehen gebracht werden kann, dreht er ſich mehrmals in raſchen kreisförmigen Sprüngen. Jn ebenen Thalſohlen des Gebirges, welche er mit herabhängendem Kopfe und mit herumgeſchlagenem Schweife durchzieht, iſt er ſchwer zu lenken; aber bei Uebergängen ſteiler, ſchwieriger Stellen übertrifft kaum ein anderes Thier ihn an Ruhe und Sicherheit. Zwar erſchreckt den Reiter anfangs die Eigenheit des Thieres, ſtets an der äußerſten Kante des ſchmalen Pfades zu gehen, zunächſt, um auf weite Strecken den Weg über - ſehen zu können, doch überzeugt man ſich bald von der Zuverläſſigkeit ſeines Ganges. Nach den Berichten anderer Reiſenden zeigt der Jak eine große Unruhe, wenn Fremde in ſeine Nähe kommen, ſenkt den Kopf gegen den Boden und geberdet ſich, als wolle er ſeinen Gegner zum Kampfe fordern. Manchmal überkommt ihn ganz plötzlich ein raſender Zorn; er ſchüttelt den ganzen Körper, hebt den Schwanz hoch empor, peitſcht mit ihm durch die Luft und ſchaut mit drohenden, grimmigen Augen auf ſeinen Zwingherrn. Einen gewiſſen Grad von Wildheit behält er ſtets. Gegen andere Rinder benimmt er ſich artiger; es hat deshalb keine Schwierigkeit, ihn zur Paarung mit anderen Arten ſeiner Familie zu bringen. Dazu ſoll man jedoch blos Jak - ſtiere verwenden können; denn es wird allgemein behauptet, daß die Stiere des gemeinen Rindes und des Zebu ſich vor den Jakkühen förmlich entſetzten.

Der Jak trägt 2 bis Centner ohne Beſchwerden und zwar auf den allerſchwierigſten Fel - ſenpfaden und Schneefeldern. Man iſt im Stande, durch ihn Laſten über Höhen von 10 bis 16,000 Fuß zu ſchaffen; denn er bewegt ſich auch dort oben, trotz der verdünnten Luft, welche andere Geſchöpfe ermattet und beängſtigt, mit größter Sicherheit. Nur auf ſehr klippenreichen Pfaden kann man den beladenen Jak nicht benutzen, weil dann ſeine Laſt ihn hindert, über höhere Felſen zu ſpringen, wie er es ſonſt wohl zu thun pflegt; denn Moorcroft ſah ihn ohne Um - ſtände zehn Fuß hohe Felſenwände herabſetzen, ja, ſich ſelbſt in Abgründe von vierzig Fuß Tiefe ſtürzen, ohne daß er ſich dabei beſchädigte. Auch die Mongolen verwenden den Jak als Laſtthier, und hier und da muß er, wie Gerard berichtet, den Pflug ziehen.

Milch und Fleiſch des Jak ſind recht gut. Erſteres iſt, wenn es von alten Thieren ſtammt, freilich etwas hart und zähe, von jüngeren aber um ſo beſſer. Die Milch iſt, wie bei allen Stieren, welche auf Alpentriften weiden, höchſt wohlſchmeckend und fett. Aus der Haut gerbt man Leder oder ſchneidet Riemen aus ihr, aus den Haaren werden Stricke gedreht. Der koſtbarſte Theil des Thieres iſt aber der Schwanz, welcher förmlich zu einem Sinnbild und zum Kriegszeichen geworden iſt. Namentlich die weißen Jakſchwänze ſtehen in hohem Werthe. Nicolo di Conti gibt an, daß die feinen Schwanzhaare mit Silber aufgewogen werden, weil man aus ihnen Fliegenwedel macht, welche zum Dienſt der Götzen und der Könige gebraucht werden. Man faßt ſie auch in Gold und Silber und ſchmückt damit die Pferde und die Elefanten. Die Reiter tragen ſie an ihren Lanzen als Zeichen einer hohen Rangſtufe. Die Chineſen färben das weiße Haar brennend roth und tragen die Schwänze dann als Quaſten auf ihren Sommerhüten. Belon gibt an, daß ſolche Schwänze 4 bis 5 Dukaten koſten und weſentlich dazu beitrügen, den reichen Sattelſchmuck, wie ihn Türken und Perſer lieben, zu vertheuern. Jm ganzen Morgenlande ſcheint man die Schwänze als Fliegenwedel zu benutzen und zwar ſchon ſeit uralten Zeiten, wie die angezogene Stelle von Aelian beſagt. Man treibt einen weit verbreiteten und viel Gewinn abwerfenden Handel damit. Der Preis richtet ſich nach der Schönheit und Länge des Haares; je länger, feiner und glänzender dies iſt, um ſo höher wächſt er an. Schwarze Schwänze gelten weniger, als weiße.

Bei den Kalmücken und Mongolen ſtehen die Jaks in hoher Achtung. Sie glauben, daß nur gutartige Seelen in den Leib dieſer Thiere fahren.

Der zahme Jak iſt, wie Schlagintweit berichtet, manchen Krankheiten ausgeſetzt. Auf Rei - ſen leidet er oft an den Klauen, welche, wenn einmal verletzt, lange Zeit zur Heilung brauchen. 625Der kaſſeriſche Büffel.Seuchen, welche oft ausbrechen, tödten raſch die von ihnen ergriffenen Thiere. Wechſel des Futters oder unzureichende Nahrung bringen ebenfalls gewöhnlich Krankheiten hervor.

Die nach Europa eingeführten Jaks haben ſich bisher in den Thiergärten beſſer gehalten, als man ihrer Vorliebe für kalte Gegenden nach vermuthen durfte. Jm pariſer Pflanzengarten leben ſchon ſeit mehreren Jahren zahme Jaks im beſten Wohlſein, und auch die in Amſterdam, Frankfurt, München, Stuttgart, Hamburg und an anderen Orten eingeführten haben ſich recht gut gehalten.

Die Büffel (Bubalus) nähern ſich mehr den übrigen Rindern. Jhr Leib iſt gedrungen; die Stirn iſt gewölbt und kurz; die Hörner ſtehen an den hinterſten Ecken des Schädels, ſind unten auf - geworfen, bisweilen ſogar unregelmäßig geringelt oder wenigſtens mit höckerartigen Auswüchſen ver - ſehen, ſeitlich zuſammengedrückt und endlich gerundet. Sie biegen ſich zuerſt nach unten und hinten, ſodann nach außen und zuletzt nach oben und wieder etwas nach vorn, bei anderen Arten aber faſt gerade nach rückwärts mit einem ſanften Bogen nach unten und einer ſchwachen, ſpitzen Krümmung nach außen.

Unter dieſen Thieren ſteht der kafferiſche Büffel (Bubalus caffer) unzweifelhaft obenan. Er iſt der größte, plumpeſte, ſtärkſte und wildeſte, und namentlich ſeine Hörner ſind ſehr ausge - zeichnet. Sie verdicken ſich nahe ihrer Wurzel um mehr als das Doppelte der durchſchnittlichen Horndicke, ungeheure Wülſte treten über dem Kopfe hervor und ſtoßen in der Mitte ſo zuſammen, daß ſie ſich faſt berühren. Die Hörner wenden ſich erſt abwärts und nach hinten, dann aufwärts und etwas nach vorn, ſo daß ſie ſich mit den Spitzen wieder gegen einander krümmen. Die Augen liegen tief, die Ohren hängen fußlang herab. Der ganze Leib iſt plump und dick, die Füße ſtark und groß, der Schwanz nackt bis auf einen kurzen Büſchel. Am Unterkiefer findet ſich ein getheilter Bart von ſtraffen Haaren. Die Färbung iſt ein dunkles Schwarz, welches in das Bräunliche zieht; die Haut iſt bläulichſchwarz.

Jn größeren oder kleineren Herden durchzieht dieſes grimmige und wüthende, von allen Völker - ſchaften aufs äußerſte gefürchtete Thier die buſch - oder waldreichen Gegenden Süd - und Mittel - afrikas. Denn nicht blos am Vorgebirge der guten Hoffnung iſt der Büffel zu ſinden, ſondern auch in den Urwaldungen des Jnneren. Jn den ſüdlich von Kordofahn gelegenen Wäldern erſcheint er manchmal in großer Menge. Jm Urwald, welcher die Ufer des blauen Fluſſes bedeckt, ſah ich am Abend des 4. Februar 1851 zwei große und ſtarke Büffel dieſer Art zur Tränke gehen und jagte dem einen aus geringer Entfernung eine Kugel zu, ohne ihn zu fällen. Die Eingeborenen verſicherten mir, daß dieſe Thiere oft in zahlreicher Menge bei ihnen vorkämen, und waren einſtimmig in Be - richten über die entſetzliche Grimmigkeit dieſes Büffels, vor dem ſie noch mehr Achtung und Furcht hatten, als vor dem Löwen und Elefanten. Derſelben Anſicht waren die Kordofahneſen, deren Scheu ſoweit geht, daß ſie niemals daran denken, auf Büffel Jagd zu machen, ſo lohnend Dies auch ſein möchte. Auch in der Kafferei werden die Büffel, wie wir von Kolbe, Sparmann, Drayſon und Gordon Cumming erfahren, ſehr gefürchtet. Kolbe traf ſie noch ganz in der Nähe der Kapſtadt an; gegenwärtig ſind ſie dort ausgerottet und mehr nach dem Jnnern zurückgedrängt.

Es ſind, ſagt er, höchſt gefährliche Thiere. Wenn man ſie durch Vorhalten rother Farbe, durch Schießen oder heftiges Verfolgen erzürnt, iſt man ſeines Lebens nicht ſicher; ſie fangen an hef - tig zu brüllen und zu ſtampfen, fürchten Nichts mehr und verſchonen Nichts, und wenn ihnen auch noch ſoviel gewaſſnete Menſchen entgegenſtänden. Sie ſpringen in der Wuth durch Feuer und Waſſer und Alles, was ihnen vorkommt. Einer verfolgte einmal einen jungen Mann, welcher eine rothe Jacke trug, ins Meer und ſchwamm ihm nach. Der Jüngling konnte aber gut ſchwimmen und tau - chen, und der Stier verlor ihn aus dem Geſicht; dennoch ſchwamm er quer durch den Hafen fort, Stunde weit, bis er vom Schiffe aus durch einen Kanonenſchuß getödtet wurde. SparmannBrehm, Thierleben. II. 40626Die Rinder. Der kafferiſche Büffel.ſagt, daß der Büffel ein höchſt tückiſches und grimmiges Anſehen habe und Dies durch ſein Betragen nicht Lügen ſtrafe. Er verſteckt ſich wirklich hinter Bäume und lauert, bis man nahe kommt, dann ſchießt er plötzlich hervor und greift an. Noch nicht zufrieden, daß er ein Thier oder einen Menſchen getödtet hat, zerſtampft er ihn auch noch mit den Hufen und zerreißt ihn mit den Hörnern, ja, er kehrt ſogar manchmal zurück, nachdem er eine Strecke fortgegangen iſt, um von neuem gegen ſein Opfer zu wüthen. Der berittene Jäger kann ſich nur dann retten, wenn er ein gutes Pferd unter ſich hat und eine Anhöhe erreicht, auf welche ihm das plumpe Thier nicht ſo ſchnell folgen kann. Wenn eine Herde angegriffen wird, ſchließt ſie einen Kreis um die Kälber, um dieſe dadurch zu ſchützen. Die alten Büffel thun, als ob ſie todbringende Wunden mit Leichtigkeit ertragen können. Ein Büffel, den Sparmann ſchoß, ſank nach dem Schuß in die Knie, richtete ſich aber bald wieder auf, lief in ein Gehölz, brüllte dort fürchterlich und verendete erſt nach geraumer Zeit.

Der kafferiſche Büffel (Bubalus caffer).

Wie andere ſeiner Art wälzt ſich auch der kafferiſche Büffel gern im Schlamme und liegt oft ſtun - denlang im Waſſer. Mit ſeinen ſtarken und breiten Hörnern kann er durch das dichteſte Gebüſch dringen und ſich ſelbſt da Wege bahnen, wo ſonſt nur die Elefanten, Nilpferde und Nashörner die Wegbau - meiſter ſind. Am blauen Nil nimmt er, wie mich ſeine Fährte überzeugte, vorzugsweiſe die von den Elefanten durch die Dickungen gebrochenen Wege an. Einige Berichterſtatter behaupten, daß der kafferiſche Büſſel nicht gut nach vorn ſehen könne. Es ſoll oft vorkommen, daß Leute in geringer Entfernung gerade vor dem Büffel hergehen, ohne von ihm bemerkt zu werden, dagegen ſich eines ſofortigen Angriffes zu gewärtigen haben, wenn ſie zur Seite gehen und dem Thiere dadurch ins Ge - ſicht kommen. Die blinde Wuth der Büffel läßt ſich auch an ganz Unſchuldigen aus, und deshalb gelten die Thiere als die ungemüthlichſten aller Nachbarn, welche ein Afrikaner haben kann. Einem unauf -627Der kafferiſche Büffel.haltſamen Sturme gleich, ſtürzt der gereizte Stier auf ſein Opfer zu, bohrt ihm die Hörner in den Leib, wirft es in die Luft und tritt es dann zuſammen, daß die Knochen im Leibe zerbrechen. Jn allen Ländern Südafrikas, wo dieſe wüthenden Rinder leben, ſind derartige Vorfälle ſo gewöhnlich, daß man in jedem größeren Dorfe Leute findet, welche einen ihrer Angehörigen durch Büffel verloren haben. Mit Recht betrachten die Kaffern den Jnyati oder Jnſumba, wie ſie den Büffel nen - nen, als das fürchterlichſte aller Geſchöpfe.

Die beſte Beſchreibung des Thieres, welche mir bekannt iſt, rührt von Kapitän Drayſon her.

Die Haut des Büffels, ſagt er, iſt ſo dicht, daß ſie einer Kugel gehörig Widerſtand leiſtet und nur von ihr durchdrungen wird, wenn man nahe feuert. Der Büffel iſt ein wüthendes, rach - ſüchtiges Vieh und dabei liſtig und heimtückiſch, wie wenig andere Geſchöpfe. Seiner Natur nach iſt er ein geſelliges Weſen, aber zu gewiſſen Zeiten des Jahres kämpfen die Stiere um die Oberherr - ſchaft in Sachen der Liebe, und da kommt es oft vor, daß eine Geſellſchaft von jungen Bullen einen alten Herrn aus ihrer Mitte vertreibt, welcher ſich dann die düſterſten und zurückgelegenſten Oert - lichkeiten ausſucht und dort über ſein Geſchick und den Undank der Welt brütend ſeine Tage dahin - bringt. Solche in die Einſamkeit Zurückgezogene ſind die furchtbarſten ihrer Art. Es iſt doch, wie bekannt, die Sitte aller Thiere, vor dem Menſchen zu fliehen, falls dieſer ſie nicht verwundet hat oder ſich nicht zu einer unpaſſenden Stunde bei ihnen aufdrängt; jene alten Einſiedler aber war - ten wahrhaftig nicht auf ſolche Entſchuldigungen, ſondern kommen aus freien Stücken dem Jäger halbwegs entgegen und ſuchen Zerwürfniſſe mit ihm.

Obgleich man den Büffel nicht ſelten in großen Herden in den Steppen findet, bleibt ſein lieb - ſter Aufenthaltsort doch der Wald. Hier folgt er den Pfaden der Elefanten und Nashörner oder bricht ſich eigene durch das Dickicht. Während des Abends, in der Nacht und am frühen Morgen durchzieht er das Land und brüllt; wenn ſich aber die Sonne erhoben hat oder er Unrath wittert, ſucht er Schluchten und Dickichte. Unter den ſchattigen Zweigen erfreut er ſich dann der Ruhe und hält ſich verborgen.

Die Fährte des Büffels ähnelt der des gewöhnlichen Ochſen, nur ſtehen die Hufe eines alten Bullen weit von einander, während die des jungen ſehr geſchloſſen ſind. Die Fährte der Büffelkühe iſt länger, ſchmäler und kleiner, als die der Stiere. Der Jäger folgt den Thieren, wenn ſie nachts in das offene Land gehen. Da ſie während der Nacht im Freien wandern und ſich während des Tages auf ihre Lagerplätze zurückziehen, kann man ihre Spur außerhalb des Waldes auf - nehmen und ihr ſoweit folgen, bis man durch den Geruch ganz in die Nähe gebracht wird. Kommt der Jäger dem Wilde ſehr nahe, was er an der Friſche der Fährte beurtheilen muß, ſo thut er am beſten zu warten, bis durch irgend ein Geräuſch das Thier ſeinen Platz verräth, denn die Büffel drehen und wenden ſich häufig im Buſch, beſonders ehe ſie ſich für den Tag zur Ruhe legen.

Jch kenne einen Kaffer, welcher an ſich ſelbſt des Büffels Kraft und Liſt erfuhr und das An - denken an dieſelben für ſein Leben trug. Er jagte eines Tages in dem Wald und kam auf einen alten Einſiedler, welchen er verwundete. Der Bulle brach durch; aber der Kaffer, glaubend, daß er ſein Wild tödtlich verwundet hatte, folgte ihm auf ſeinem Wege, ohne irgendwelche Vorſichtsmaß - regeln zu beobachten. Der Büffel iſt böswillig, wenn ihm kein Leids geſchieht: aber er iſt raſend, wenn er verwundet wurde, und deshalb muß man ſich einem ſolchen mit der größten Vorſicht nahen. Unſer Kaffer hatte ungefähr hundert Schritte des Waldes durchſchlüpft und durchkrochen, und unter - ſuchte eben ſorgfältig die Fährte ſeines verwundeten Wildes: da hörte er plötzlich ein Geräuſch dicht neben ihm, und ehe er ſich noch fortbewegen konnte, fühlte er ſich fliegend in der Luft, in Folge eines furchtbaren Stoßes, den ihm der Büffel gegeben hatte. Glücklicherweiſe fiel er auf die Zweige eng verſchlungener Bäume eines Dickichts und wurde hierdurch gerettet; denn der Büffel wäre keineswegs in ſeiner Arbeit zufrieden geſtellt geweſen, ſondern würde ihm unzweifelhaft noch den Garaus gemacht haben. Nachdem er ſich überzeugt hatte, daß ſein Opfer unnahbar wäre, verließ er es und trollte in den Wald. Der Kaffer, welcher zwei oder drei Rippen gebrochen hatte, ſchleppte40 *628Die Rinder. Der kafferiſche Büffel. Der Arni.ſich mühſam nach Haus und gab von dieſem Tage das Büffelſchießen für immer auf. Wie es ſchien, hatte das läſtige Geſchöpf ſich blos zurückgezogen, um ſeinen Feind im Walde wieder zu erwarten und von neuem anzufallen.

Ein berühmter Jäger in Natal Namens Kirkmann erzählte mir, daß er einſtmals auf der Büffeljagd einen Bullen verwundet hatte und eben im Begriff war, ihm den Reſt zu geben, als die - ſer eine laute Wehklage ausſtieß. Gewöhnlich geht der Büffel ſtill, und ſelten hört man einen Ton von ihm, ſelbſt dann nicht, wenn er verwundet iſt, dieſes Klagen aber war jedenfalls ein Zeichen; und ſo wurde es auch verſtanden von der Herde, zu welcher der Verwundete gehört hatte. Denn augenblicklich endete dieſe ihren Rückzug und kam zur Hilfe ihres Gefährten herbei. Kirkmann warf ſein Gewehr weg und eilte auf ein Paar Bäume zu, deren unterſte Aeſte glücklicherweiſe tief herabgingen. So war er gerettet, als die wüthende Herde ankam und ſeinen Baum umlagerte. Als ſie ſahen, daß der Gegenſtand ihres Zornes in Sicherheit war, zogen ſie ſich zurück.

Livingſtone fand in Südafrika eine Menge von Büffelherden, manche zum Theil ſechszig Stück ſtark. Sie hatten hier auch einen Freund aus der Klaſſe der Vögel, den Büffelvogel (Textor erythrorhynchos), welcher ſich ſtets bei ihnen aufhielt, von ihnen das Ungeziefer abſuchte und durch plötzliches Auffliegen bei Gefahr warnte. Genau ſo beträgt ſich im Norden Afrikas ein kleiner, blendend weißer Reiher (Ardeola Bubalcus), auf welchen ich zurückkommen werde.

Gordon Cumming ſah Büffelherden von 6 bis 800 Stück und erfuhr, daß dieſe vor be - waffneten Leuten zurückwichen; nur alte Bullen waren grimmig und ſtürzten wüthend auf die Jäger los, mehrere Male ihn und ſeine Gefährten in Lebensgefahr bringend. Am Tſadſee raſte ein ver - wundeter Büffel gegen Eduard Vogels Leute, verwundete einen Mann gefährlich und tödtete zwei Pferde. Ein zweiter traf zufällig mit einer Karavane zuſammen, rannte, um durchzubrechen, ein Kamel nieder und verwundete es ſo arg, daß es geſchlachtet werden mußte.

Aehnliche Geſchichten finden ſich in den Werken aller Reiſenden, welche mit dieſem grimmigen Vieh zuſammenkamen.

Mein Freund Th. von Heuglin, der Vorſteher und Leiter der jetzigen wiſſenſchaftlichen Er - pedition nach Mittelafrika, brachte den erſten lebenden Büffel dieſer Art nach Europa. Er hatte ihn im Süden Kordofahns von den Bakharaarabern erhalten, welche vor anderen Nomaden in allen Jagdarten wohlerfahren und äußerſt muthige Leute ſind. Ein Trupp junger Helden, wie ſich die Mannſchaft dieſes Stammes zu nennen pflegt, hatte bei der Jagd eine Herde zerſprengt, die Büffel - kuh getödtet, ihr das Kalb abgenommen, und es an ihren eigenen Kühen ſaugen laſſen, bis es erwachſen war. Bei dieſer Behandlung hatte es alle Wildheit abgelegt, und als es nach Europa kam, war es ſo gutartig, daß es nicht blos Heuglin, ſondern auch andere fremde Leute, z. B. Fitzinger und ich, ohne weiteres berühren durften. Wahrſcheinlich lebt es noch im ſchönbrunner Thiergarten. Einen zweiten Büffel dieſer Art brachte Caſanova aus den Barkaländern nach Europa; auch er war ſehr zahm.

Der kafferiſche Büffel iſt nicht der Stammvater der zahmen Büffel, welche man in Jtalien und Ungarn recht häufig finden kann; ihn müſſen wir vielmehr unter den indiſchen Büffeln ſuchen. Noch gegenwärtig iſt es nicht entſchieden, von welcher Art der noch in Jndien wildlebenden Büffel der zahme abſtammt; ſoviel ſteht aber feſt, daß es noch heutigen Tages mehrere wilde Büffel in Jndien gibt. Einer von dieſen, der Arni (Bubalus Arni), ſoll der Rieſe ſeiner ganzen Familie ſein. An den Schultern ſoll er 7 Fuß hoch und von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel 9 bis 10½ Fuß lang werden. Ein Paar Hörner, welche man im britiſchen Muſeum aufbewahrt, ſtehen mit den Spitzen 6 Fuß weit aus einander. Sie ſind dreikantig auf der Oberfläche, runzlig, im erſten Dritttheile ihrer Länge gerade, nicht nach rückwärts gekrümmt, nur an den Spitzen nach innen und nach hinten gerichtet und werden von dem Thiere ſo getragen, daß ſie alle Zeit drohend zum Angriffe bereit629Der Arni. Der Bhain. Der gemeine Büffel.ſtehen. Die Färbung des Arni, welcher mit langen Haaren bedeckt iſt, ſoll, wie die aller Büffel, bräunlichſchwarz ſein.

Ueber Lebensweiſe und Sitten dieſes Thieres iſt ſogut als Nichts bekannt. Der Arni gilt nächſt dem Tiger als das furchtbarſte Thier der indiſchen Urwälder, und feine Jagd als die gefährlichſte von allen. Williamſon erzählt, daß ein Arni in blinder Wuth auf einen Jäger losſtürzte, welcher ſich auf dem Rücken eines Elefanten ſicher wähnte, zu ſeiner großen Verwun - derung aber ſehen mußte, daß der raſende Ochſe den Elefanten auf die Hörner zu nehmen ver - ſuchte und dem Rieſen des Waldes ſicherlich empfindliche Wunden beigebracht haben würde, wenn nicht zur rechten Zeit ein anderer Jäger ihm eine Kugel auf die rechte Stelle geſchoſ - ſen hätte.

Trotz der unbändigen Wuth des wilden Arni hat man doch verſucht, ihn zu zähmen und ein befriedigendes Ergebniß erzielt. Jn Vorder - und Hinterindien ſollen viele zahme Büffel dieſer Art ſowohl zum Feldbau, als zum Reiten und zur Milcherzeugung benutzt werden.

Ein anderer Büffel, den man ebenfalls noch nicht kennt, iſt der Bhain, welcher ſich durch etwas geringere Größe und ſparſamere Behaarung unterſcheiden ſoll. Jn zahlreichen Herden be - wohnt er wild die ſandigen Ufer des Ganges, ſchwimmt oft in anſehnlichen Geſellſchaften den Fluß hinab, treibend, geradezu ſchlafend ſich der Strömung überlaſſend, und wird den Fahrzeugen oft ſehr gefährlich. Während des Schwimmens ſoll er oft untertauchen und Waſſerpflanzen mit den Hör - nern vom Grunde losreißen, welche er dann beim Weiterſchwimmen gemächlich verzehrt. Er ſoll ebenfalls hier und da auch gezähmt vorkommen.

Der gemeine Büffel (Bubalus vulgaris), von Vielen als Abart des Arni betrachtet, be - wohnt im wilden Zuſtande ebenfalls Jndien. Weder im Leibesbau noch in der Färbung unterſcheidet er ſich von dem gezähmten. Der Leib iſt ſchwach geſtreckt, voll und gerundet, der Hals kurz und dick, vorn gefaltet, nicht aber gewammt. Der Kopf iſt kürzer und breiter, als beim Rinde, die Stirn groß, die Schnauze kurz; die Beine ſind mittellang, ſtark und kräftig; der Schwanz iſt ziemlich lang. Der Widerriſt erhebt ſich faſt höckerartig, der Rücken iſt geſenkt, das Kreuz hoch und abſchüſſig, die Bruſt ziemlich ſchmal, der Bauch voll, die Weichen ſind eingezogen, die Au - gen klein, aber von wildem und trotzigen Ausdruck, die Ohren lang und breit, außen kurz be - haart, innen mit langen Haarbüſcheln beſetzt, ſeitlich und wagrecht geſtellt; die Hörner ſind lang, ſtark, an der Wurzel ziemlich dick und breit, dann verſchmälert und in eine ſtumpfe Spitze en - dend. Am Grunde nahe zuſammenſtehend, wenden ſie ſich ſeitlich und abwärts, ſodann nach rück - und aufwärts; mit den Enden krümmen ſie ſich nach oben und zugleich nach ein - und vor - wärts; hierdurch bilden ſie ein Dreieck. Nur das letzte Drittel iſt gerundet; auf der Oberfläche ſind ſie vom Grund bis gegen die Mitte ſtark quergerunzelt, nach der Spitze und der Hinterſeite aber faſt vollkommen glatt. Die Hufe ſind gewölbt, groß und breit. Das Euter des Weibchens hat vier Zitzen, welche faſt in einer Querreihe geſtellt ſind. Die Behaarung iſt ſpärlich, ſteif und faſt borſtenartig, an den Schultern, längs der ganzen Vorderſeite des Halſes, auf der Stirn und an der Schwanzquaſte verlängert. Hinterrücken, Kreuz, Bruſt und Bauch, die Schenkel und der größte Theil der Beine ſind faſt völlig kahl. Jm allgemeinen iſt das Thier dunkelſchwarzgrau oder ſchwarz gefärbt, in der Weichengegend aber röthlich. Die Haut iſt ſchwarz, die Haare ziehen bald ins Blaugraue, bald ins Bräunliche oder Rothbraune. Höchſt ſelten kommen weißgefärbte oder gefleckte Stücke vor.

Auch dieſer Büffel iſt ein großer Waſſerfreund und findet ſich deshalb nur in den ſumpfigſten Flußniederungen, wo er zwiſchen dem hohen Riedgras ſich ſeine Nahrung ſucht. Das ſchlechteſte Futter, welches alle anderen Thiere verſchmähen, iſt für ihn noch immer gut genug. Seine Be - wegungen ſind zwar plump, aber kräftig und ausdauernd; namentlich im Schwimmen iſt er630Die Rinder. Der gemeine Büffel.Meiſter. Unter den Sinnen ſtehen Geruch und Gehör obenan; das Geſicht iſt ſchlecht. Seine Stimme iſt ein tief dröhnendes Gebrüll. An blinder Wuth und raſendem Zorn ſteht er keinem anderen Rinde nach; ſelbſt in der Gefangenſchaft verliert er dieſe Eigenſchaften nicht ganz. Wie Stoltz berichtet, werden die Büffel in Jndien zum Theil alt gefangen. Man umzännt zu dieſem Zwecke einen Platz und ſetzt vor dem Eingange in zwei nach außen ſich von einander entfernenden Linien Leute auf die Bäume, welche Bündel dürren Reiſigs in den Händen halten und fürchterlich zu lärmen anfangen, ſobald eine Büffelherde zwiſchen ſie getrieben wird. So gelangen die Thiere in den Pferch, wo ſie ſpäter mit Schlingen umſtrickt und, nachdem man ihnen die Augen ver - bunden und die Ohren verſtopft hat, weggeführt werden, entweder um zu arbeiten oder gegen Tiger zu kämpfen.

Der Büffel iſt ſchon vom Haus aus ein furchtbarer Feind jener gewaltigen Katze und bleibt bei Kämpfen mit ihr faſt regelmäßig Sieger. William Rice erzählt, daß zuweilen erwachſene Büffelſtiere von Tigern angefallen werden, ſich aber furchtbar wehren und oft genug einem Tiger für alle Zeiten ſein Handwerk legen. Wenn ein Büffel überfallen wird, eilen ihm die anderen zu Hilfe und jagen dann den Angreifer ſofort in die Flucht. Selbſt die Hirten, welche zahme Büffel hüten, durchziehen auf einem ihrer Thiere reitend ruhig das Dickicht. Rice ſah einmal, daß die Büffel einer Herde, als ſie das Blut eines angeſchoſſenen Tigers rochen, ſofort die Spur auf - nahmen, mit raſender Wuth verfolgten, die Geſträuche dabei umriſſen, den Boden aufwühlten, ſchließlich in förmliche Raſerei geriethen und, zum großen Kummer des Hirten, unter einander zu kämpfen begannen. Johnſon erzählt, daß ein Tiger den hinterſten Mann einer Büffelkaravane angriff. Ein Hirt, welcher Büffel in der Nähe hütete, eilte jenem Manne zu Hilfe und verwundete den Tiger mit ſeinem Schwerte. Dieſer ließ ſofort ſeine erſte Beute los und packte jetzt den Hirten; die Büffel aber ſtürzten, ſobald ſie ihren Herrn in Gefahr ſahen, angenblicklich auf den Tiger los, warfen ihn ſich einige Male gegenſeitig, wie einen Ball, mit den Hörnern zu und mißhandelten ihn bei dieſem Spiele derart, daß er ſofort ſeinen Geiſt aufgab.

Von dieſer Feindſchaft ziehen natürlich die indiſchen Fürſten ihren Vortheil und veranſtalten Thierkämpfe, welche in ihren Augen das höchſte und anziehendſte Schauſpiel der Erde gewähren. Karl von Görtz beſchreibt einen ſolchen Kampf mit folgenden Worten:

Der Kaiſer von Solo ſaß auf ſeinem Throne, von etwa dreißig ſeiner Hofdamen, dreien ſeiner Frauen, ſeinen Prinzen, dem holländiſchen Statthalter, den Großen ſeines Reiches und ein - geladenen Europäern umgeben. Vor ihm ſtand ein feſter, etwa funfzehn Fuß weiter und ebenſo - hoher Käfig, und in dieſem ein gewaltiger Büffel. Neben dem Käfig ſtand ein Kaſten, worin ſich ein Tiger befand, welcher mit entſetzlichem Geknurr hervortrat und mit betäubender Muſik begrüßt wurde. Er ſuchte der Stirn des Büffels auszuweichen, ſprang ihm mehrmals auf den Nacken und brachte ihm furchtbare Wunden bei; aber jedes Mal drückte ihn der Büffel ſo gewaltig gegen die Wand des engen Käfigs, daß er loslaſſen mußte. Der Käfig iſt abſichtlich ſo enge, damit der Büffel ſiegen ſoll, weil er dem Japaneſen Sinnbild ſeines Volkes, der Tiger Sinnbild des Euro - päers iſt. Einſt hatte ein Statthalter einen weiten Käfig bauen laſſen, und da an dieſem Tage ein Tiger drei Büffel überwältigte, hängten hernach die Japaneſen das Raubthier. Diesmal tödtete der Büffel einen Tiger und richtete einen zweiten übel zu.

Bisjetzt ſteht es noch nicht ganz feſt, auf welchem Wege der zahme Büffel ſich weiter und weiter verbreitet hat. Daß er aus Jndien herſtammt, iſt gar nicht zu bezweifeln, eben weil er mit den dort noch wild lebenden vollkommen übereinſtimmt. Wahrſcheinlich kam er im Gefolge der großen Kriegsheere oder wandernder Völker nach Perſien; denn die Begleiter Alexanders des Großen trafen ihn dort an. Später mögen ihn die Mahammedaner nach Syrien und Egypten verpflanzt haben. Nach Jtalien kam er im Jahre 596 unter der Regierung Agilulf’s, zu nicht geringem Erſtaunen der Europäer. Anfangs hat er ſich wahrſcheinlich ſehr langſam verbreitet; denn der heilige Gili -631Der gemeine Büffel.bald, welcher zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Sicilien und Jtalien durchwanderte, kannte den zahmen Büffel noch nicht und ſtaunte, als er ihn ſpäter am Jordan antraf. Gegenwärtig findet er ſich außer Hindoſtan durch ganz Afghaniſtan, Perſien, Armenien, Syrien, Paläſtina bis zum kaſpiſchen und ſchwarzen Meere hin, in der Türkei, Griechenland und den Donantiefländern, in Jtalien und ſehr häufig auch in Egypten, nicht aber in Nubien.

Heiße, ſumpfige oder waſſerreiche Gegenden ſagen dieſem merkwürdigen Zwittergeſchöpf zwiſchen Dickhäutern und Rindern am meiſten zu. Das Nildelta iſt für ihn ein Paradies, und in den gift - hauchenden pontiniſchen Sümpfen, ſowie in den Sumpfgegenden Kalabriens, Apuliens, in der Ma - remma von Toskana, in den unteren Donauländern befindet er ſich wohl. Jn den italieniſchen Sümpfen iſt er faſt das einzige Hausthier, weil alle übrigen der ungeſunden Gegend erliegen, und deshalb eignet er ſich ganz vortrefflich zum Reisbau. Jn Unteregypten iſt er überall gemein; er iſt dort, nächſt der Ziege, eigentlich das einzige Hausthier, von welchem man Milch und Butter ge - winnt. Jedes Dorf im Delta und auch die meiſten Oberegyptens haben mitten in ihrem Schoße eine große Lache, welche einzig und allein dazu dient, den Büffeln einen bequemen Badeplatz zu ge - währen; denn weit öfter, als auf der Weide, ſieht man die Büffel im Waſſer, wenn ſie es haben können, ſo tief verſenkt, daß nur der Kopf und ein kleines Stückchen des Rückens über den Waſſer - ſpiegel hervorragen. Zur Zeit der Nilüberſchwemmung beginnt für ſie eine Zeit des Genuſſes. Sie treiben ſich dann ſchwimmend weit auf den überflutheten Feldern umher, freſſen das Gras an den Rainen und das harte Riedgras der noch unbebauten Flächen ab, vereinigen ſich zu großen Herden, ſpielen im Waſſer mit einander und kommen nur dann nach Hauſe, wenn die Kühe von der Milch gedrückt werden und gemolken ſein wollen, wobei ſie dann die Stiere mit ſich nehmen. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn eine Büffelherde über den faſt eine Viertelmeile breiten Strom ſetzt. Mehrere ihrer Hirten, meiſtens Kinder von 8 bis 12 Jahren, ſitzen auf dem Rücken und laſſen ſich ſorglos von den treuen Thieren über die furchtbare Tiefe und durch die hochgehenden Wogen ſchleppen.

Man kann die Meiſterſchaft im Schwimmen, welche die Büffel zeigen, nicht genug bewun - dern. Sie thun, als ob das Waſſer ihr eigentliches Element wäre, ſie ſpielen mit einander, während ſie ſchwimmen, tauchen unter, legen ſich auf die Seite, halb auf den Rücken, laſſen ſich von der Strömung treiben, ganz gemächlich, ohne ein Glied zu rühren, und ſchwimmen auch wieder in ſchnurgerader Richtung, blos durch die Strömung abwärts getrieben, quer über den Strom. Mindeſtens 6 bis 8 Stunden täglich bringen ſie im Waſſer zu. Sie beſorgen hier, behaglich ausge - ſtreckt, das Wiederkäuen, und erſcheinen mindeſtens ebenſo ſelbſtzufrieden, als ihre im gleichen Ge - ſchäft dahingeſtreckten Herren Vettern auf dem Lande. Jeder Büffel wird ſehr unruhig und ſogar bösartig, wenn er geraume Zeit das Waſſer entbehren mußte. Mit Schlamm erfüllte Lachen be - hagen ihm weit weniger, als die tiefen Fluthen eines gut angelegten Büffelteiches oder die kühlen Wellen des Stroms; deshalb ſieht man während der trockenen Zeit in Egypten die ſatten Büffel oft im plumpen Galopp, zu dem ſie ſich ſonſt nur in der höchſten Wuth verſteigen, herbeigeſetzt kommen und ſich, wie unſinnig, kopfüber in die Fluthen des Stromes ſtürzen. Jn Jndien und auch in Jtalien ſind durch dieſe Waſſerluſt des Thieres ſchon mehrmals Menſchen um das Leben ge - kommen. Die an Wagen angeſchirrten Büffel rannten, wie beſeſſen, mitſammt ihrer Laſt dem Strome zu und begruben ſich und ihr Fahrzeug in den Wellen.

Auf dem feſten Lande iſt der Büffel entſchieden weit unbeholfener, als im Waſſer. Sein Gang iſt ſchwerfällig und der Lauf, obgleich ziemlich fördernd, doch nur ein mühſeliges Sichfortbewegen. Bei großer Wuth oder, wie bemerkt, bei lebhaſter Waſſerſehnſucht fällt das ſchwerfällige Thier zuweilen auch in einen Galopp, wenn man die Reihenfolge plumper und ungeſchickter Sätze mit dieſem Aus - druck bezeichnen darf. Weiter als hundert oder zweihundert Schritte legt er in dieſer Gangart aber ſicher nicht zurück; er beginnt dann wieder zu traben und ſchließlich in ſeiner gewöhnlichen ruhigen Weiſe fortzulaufen.

632Die Rinder. Der gemeine Büffel.

Wenn man den zahmen Büffeln zum erſten Male begegnet, erſchrickt man förmlich vor ihnen. Der Ausdruck ihres Geſichts deutet auf einen unbändigen Trotz und auf eine bösartige verſteckte Wildheit. Aus den Augen ſcheint die größte Tücke und Niederträchtigkeit herauszublitzen. Bald aber überzeugt man ſich, daß man ſich täuſchen würde, wenn man den Büffel nach dem Ausſehen beurtheilen wollte. Jn Egypten wenigſtens iſt er ein überaus gutmüthiges Thier, welches jeder Bauer, ohne etwas zu beſorgen, der Leitung des kleinſten Kindes anvertraut. Mehr als zwanzig Male habe ich geſehen, daß kleine Mädchen, welche auf den mit Klee gefüllten, dem Thiere auf den Rücken gebundenen Netzballen ſaßen, die Büffel vermittelſt eines Stockes nach Hauſe treiben, unter Umſtänden über Gräben und Nilarme weg; aber niemals habe ich gehört, daß ein Büffel ein Unglück angerichtet hat. Ungeheure Gleichgiltigkeit gegen Alles, was nicht Waſſer oder Freſſen anlangt, vielleicht mit noch alleiniger Ausnahme des Kalbes, welches eine Büffelkuh vor Kurzem geboren hat, kennzeichnen das geiſtige Weſen des Thieres. Es ergibt ſich mit einem geradezu ſtumpfen Gleich - muthe in das Unvermeidliche, zieht den Pflug oder den Wagen gleichgiltig fort, läßt ſich nach Hauſe treiben und wieder auf das Feld geleiten und verlangt nichts Anderes, als nur ſein gehöriges Waſſer - bad mehrere Stunden nach einander. Man verwendet übrigens den Büffel außer zum Laſttragen und zum Reiten beim Ueberſetzen des Nils nur ſehr wenig zum Feldbau, namentlich blos dann, wenn es einem Fellah einfällt, mit dem Kamel pflügen zu wollen. Dieſes edle Thier, deſſen liebenswürdi - ges Betragen ich oben zu ſchildern verſucht habe, findet ſelbſtverſtändlich in einer ſo gemeinen Arbeit eine grenzenloſe Mißachtung ſeiner Erhabenheit und geht mit allen Zeichen des höchſten Mißmuthes an das ihm unendlich verdrießliche Werk. Da iſt nun der Büffel der beſte Kamerad. Er geht mit denſelben ruhigen Schritten ſeinen Weg fort, wie ſonſt, und ihm iſt es vollkommen gleichgiltig, ob das Kamel zu ſeiner Seite raſt, ob es davoneilen will oder nicht: er ſtemmt ſich dem ärgerlichen Zug - kumpan ſo bedeutſam entgegen, daß dieſer wohl oder übel mit ihm die Tagesarbeit verrichten muß.

Eine außerordentliche Tugend des Büffels iſt auch ſeine wirklich beiſpielloſe Genügſamkeit. Das Kamel, welches als ein Muſter aller wenig beanſpruchenden Geſchöpfe geprieſen wird, und der Eſel, der in der Diſtel ein gutes Gericht erblickt, übertreffen den Büffel ſicherlich nicht. Er verſchmäht geradezu ſaftige, anderen Rindern wohlſchmeckende Kräuter und ſucht ſich dafür die dürrſten, härte - ſten und geſchmackloſeſten Pflanzenſtoffe aus. Ein Büffel, welcher ſich im Sommer draußen nach eigener Auswahl beköſtigte, läßt, wenn ihm im Stall ſaftiges Gras, Klee und Kraut vorgewor - fen wird, Alles liegen und ſehnt ſich nach einfacherer Koſt. Sumpfgräſer und Sumpfpflanzen aller Art, junges Röhricht, Schilf und dergleichen, kurz Stoffe, welche jedes andere Geſchöpf verſchmäht, frißt er ſo ruhig herunter, als ob das lauter Marzipan wäre. Und er weiß dieſe Nahrung zu ver - werthen; denn er liefert dafür eine im hohen Grade wohlſchmeckende, ſehr fette Milch, aus welcher man vortreffliche Butter in reichlicher Menge bereitet. Der Egypter erklärt ſeinen Djamuhs geradezu für ſein nützlichſtes Hausthier, und hat wirklich nicht Unrecht.

Unangenehm wird der Büffel durch ſeine große Unreinlichkeit. Manchmal ſieht er aus wie ein Schwein, welches ſich eben in einer Kothlache geſuhlt hat; denn genau ſo, wie dieſer bekannte Dick - häuter ſich zu erluſtigen pflegt, hat er ſeines Herzens Gelüſten Genüge geleiſtet. Ob ihm dann der Koth liniendick auf den Haaren hängt oder ob dieſe durch ein ſtundenlanges Bad im friſchen Nil gereinigt, gehörig durchwaſchen und geſäubert ſind, iſt ihm ebenfalls vollkommen gleichgiltig: er weiß auch dieſe Verſchiedenheiten ſeines Zuſtandes mit Ruhe und mit Würde zu ertragen. Auch ſagt man ihm nach, daß er zu gewiſſen Zeiten in der beliebten rethen Fahne des Propheten einen Gegen - ſtand erblicke, welcher ſeinen Zorn errege, und zuweilen blindwüthend auf den geheiligten Lappen losſtürze. Die ſtrenggläubigen Türken betrachten ihn deshalb als ein verworfenes Thier, welches die Geſetze des Höchſten in greulicher Weiſe mißachtet, die Egypter dagegen verzeihen ihm eingedenk des Nutzens, den er bringt, ſolche Uebertretungen einer guten Sitte ohne weiter nachzugrübeln, oder glauben vielleicht, daß die Gnade des Allbarmherzigen auch über ſolchen freidenkenden Höllenbrand groß ſein müſſe.

633Der gemeine Büffel.

Die Tudas, ein indiſcher Volksſtamm, welcher die Nilgerri höhen bewohnt und ſich in den Glaubensſachen und Sitten weſentlich von den Hindus unterſcheidet, denken von dem Büffel freilich anders, als die Türken. Sie verehren ihn faſt göttlich. Zahlreiche Herden der ſchönſten Raſſen werden von ihnen gehalten und als die wichtigſten Hausthiere betrachtet. Jhren Göttern bringen ſie als das Heiligſte Büffelmilch dar, und ganze Herden werden nur für die Tempel benutzt und in den heiligen Hainen geweidet. Der Zebu dagegen, welcher den übrigen Jndern als beſonders wichtiges Thier erſcheint, wird von ihnen nicht geachtet. Nach der Anſicht dieſer Leute iſt das Büffelkalb der allgemeine Sündenbock, wie nach der ſinnbildlichen Redeweiſe unſerer Prieſter das Lamm der Träger für chriſtliche Sünden iſt. Die Meinungen der Tudas unterſcheiden ſich aber etwas von denen der chriſtlichen Geiſtlichkeit. Man ſchlachtet nämlich bei dem Tode eines wohlhabenden Mannes einen Büffelſtier, damit dieſer den biedern Tuda in die andere Welt begleite und auch dort freundlichſt deſſen Sündenlaſt auf ſich nähme; das Kalb dagegen muß die Sünden der ganzen Gemeinde tragen. Demungeachtet wird der Büffel auch von den Tudas während ſeiner Lebzeiten gehörig benutzt und oft mit ſchweren Bürden beladen, wahrſcheinlich in der guten Abſicht, daß er ſich hier für die noch ſchwerere Sündenlaſt gehörig vorbereiten möge.

Der Büffel iſt ein ſchweigſames Geſchöpf. Wenn er in ſeinem kühlen Waſſerbade ruht, thut er das Maul nicht auf, und auch während er weidet oder arbeitet, geht er ſtill und ruhig ſeines Weges. Nur Kühe, welche ſäugende Kälber haben, oder Stiere, welche in große Wuth verſetzt worden ſind, laſſen ihre Stimme zuweilen ertönen. Sie iſt ein höchſt unangenehmes und widriges, lautes Gebrüll, ungefähr ein Mittelding zwiſchen dem bekannten Geſchrei unſeres Rindes und dem Grunzen des Schweines.

Jn den nördlicheren Gegenden paart ſich der Büffel, wenn er ſich ſelbſt überlaſſen wird, in den Frühlingsmonaten, namentlich im April und Mai. Zehn Monate nach der Paarung kalbt die Kuh. Das Junge iſt ein höchſt ungeſtaltetes Geſchöpf; es wird aber von der Mutter zärtlich geliebt und bei Gefahr mit dem bekannten Heldenmuthe der Rinder vertheidigt. Jm vierten oder fünften Jahre iſt es erwachſen. Sein Alter bringt es auf etwa 18 bis 20 Jahre. Mit dem Buckelochſen oder Zebu paart ſich der Büffel ohne große Umſtände, mit dem zahmen Rinde jedoch nur höchſt ungern und nie - mals freiwillig. Solche Kreuzung hat bisjetzt auch noch keinen Erfolg gehabt, weil das Junge, deſſen Vater der Büffelſtier iſt, ſchon im Mutterleibe ſo groß wird, daß es bei der Geburt entweder getödtet wird oder aber die Mutter gefährdet.

Verhältnißmäßig iſt der Nutzen des Büffels größer, als der unſeres Rindes, weil das Thier ebenſogut als gar keine Pflege beanſprucht und ſich mit Pflanzen ſättigt, welche von allen übrigen Hausthieren verſchmäht werden. Für Sumpfgegenden iſt der Büffel ein ausgezeichnet nützliches Ge - ſchöpf auch zum Beſtellen der Feldarbeiten; denn was ihm an Verſtand abgeht, erſetzt er durch ſeine gewaltige Kraft. Das Büffelfleiſch iſt hart und zähe, auch durch den Moſchusgeruch unangenehm; das der Büffelkälber aber wird faſt überall gern gegeſſen. Recht gut ſoll das Fett ſein; man ſtellt es an Wohlgeſchmack und Zartheit dem Schweinsfette faſt gleich. Die dicke, ſtarke Haut iſt ſehr geſchätzt, und aus den Hörnern macht man vortreffliche und dauerhafte Geräthſchaften aller Art.

Nur in Jndien und vielleicht in Perſien noch hat der Büffel Feinde, welche ihm ſchaden können. Es wird wohl nur ſehr ſelten vorkommen, daß einmal eine Meute Wölfe in den Donautiefländern über einen Büffel herfällt, und dieſer muß ſchon irgendwie abgeſchwächt oder abgehetzt ſein, wenn die böſen Feinde Etwas ausrichten ſollen; denn ein gereizter Büffel iſt dem Wolf gegenüber ein gar zu gewaltiger Gegner. Ganz ähnlich verhält es ſich in Jndien, obgleich hier dem zahmen Büffel derſelbe Feind entgegentritt, welcher dem wilden oft Schaden zufügt, der Tiger nämlich. Es iſt wohl richtig, daß ſich dieſes furchtbare Raubthier einen guten Theil ſeiner Mahlzeiten aus den Büffelherden nimmt; aber ebenſo ſicher ſcheint es zu ſein, daß eine Büffel herde jeden Tiger in die Flucht ſchlägt: die Hirten wenigſtens betrachten ſich nicht im geringſten gefährdet, wenn ſie, auf ihren Büffeln rei - tend, durch Wälder ziehen, in denen Tiger hauſen.

634Die Rinder. Der Kerabau.

Auf den oſtindiſchen und den Sundainſeln, namentlich auf Ceylon, Borueo, Sumatra, Java, Timor und auf den Molukken, Philippinen und Mariannen lebt eine andere Art der Büffel, theils wild, theils in gefangenem Zuſtande, der Kerabau (Bubalus Kerabau), ein Thier, welches erſt in der neueren Zeit genauer bekannt geworden iſt. Jn der Größe kommt es dem Rieſen der Sippe vollſtändig gleich; namentlich die Hörner erreichen eine ungeheure Länge. Die Behaarung iſt äußerſt ſpärlich und das kurze, ſteife Haar ſteht ſo dünn, daß überall die Haut durchblickt; nur am Halſe, auf dem Scheitel und der Vorderſeite der Glieder iſt es etwas dichter, und zwiſchen den Hörnern bildet es einen Buſch. Die Hautfarbe iſt hellbläulichaſchgrau, auf der

Der Kerabau (Bubalus Kerabau).

Jnnenſeite der Schenkel und in der Weichengegend aber röthlichfleiſchfarben und an den Füßen faſt vollkommen weiß. Die Haare ſind der Haut gleich gefärbt. Schon mittelgroße Kerabaus werden über 6 Fuß lang, ungerechnet des noch 2 Fuß langen Schwanzes, am Widerriſt Fuß hoch, am Kreuz noch ein Paar Zoll mehr. Jhre Hörner meſſen 5 Fuß.

Jn der Lebensweiſe und in den Sitten unterſcheidet ſich dieſer Büffel durchaus nicht von den übrigen. Der wilde gilt, wie ſeine Verwandten, als das furchtbarſte Thier ſeiner Heimat und ſeine Jagd als das größte Wagſtück, welches ein Mann unternehmen kann. Die zahmen verwendet man hauptſächlich als Reitthiere. Solange ſie nicht im Dienſte ſind, liegen ſie im Waſſer. Auf Manila635Der Wiſent.z. B. ſieht man überall, wo menſchliche Wohnungen ſind, ganze Herden ſolcher Büffel in den Flüſ - ſen und Seen bis zum Kopfe im Waſſer ſtehend und nur mit der Schnauze und den Hörnern aus denſelben hervorragend. Jn einer Umzäunung von Bambusrohrſtäben werden ſie gefüttert. Bemer - kenswerth iſt die Thatſache, daß ſolche Büffel niemals von den Krokodilen angegriffen werden, welche doch ſonſt jedes andere Thier, auch die Zebuſtiere und die Pferde ohne weiteres anfallen.

Während der Regenzeit ſind die Büffel für die Bewohner geradezu unentbehrlich, weil durch ſie die einzige Möglichkeit geboten wird, auf den unergründlichen Wegen fortzukommen. Man legt dann Laſten auf eine Art von Schlitten, welcher auf dem feuchten Boden leicht dahingleitet, und ſpannt den Büffel dieſem vor; der Fuhrmann ſitzt auf dem Nacken des Thieres und lenkt es nach Belieben.

Jn der Neuzeit ſind lebende Kerabaus öfters nach Europa gelangt. Gegenwärtig beſitzen ſie die Thiergärten von Hamburg, Köln, Berlin, Amſterdam. Jn Köln haben ſie ſich fortgepflanzt, auch mit gemeinen Büffeln gekreuzt.

Die ruſſiſche Provinz Grodno in Litthauen beherbergt auf 630 Geviertmeilen nur etwa eine halbe Million Menſchen. Zum größten Theil iſt ſie eine waldloſe Ebene; in der Mitte aber enthält ſie ein Kleinod eigenthümlicher Art. Dies iſt der allen Thierfreunden und Forſchern wohlbekannte Wald von Bialowicza oder Bialowies, ein echt nordiſcher Urwald von 7 Meilen Länge und 6 Meilen Breite, welcher einen Flächenraum von etwa dreißig Geviertmeilen bedeckt. Er liegt ganz abgeſondert für ſich, einer Jnſel vergleichbar, umgeben von Feldmarken, Dorfſchaften und baum - loſen Haiden. Jm Jnneren des Waldes finden ſich nur einige wenige Anſiedelungen der Menſchen, in denen aber keine Landbauern, ſondern blos Forſtleute und Jagdbauern wohnen. Mitten im Walde liegt das Dorf Bialowicza, welches dem ganzen Walde ſeinen Namen verlieh. Es beſteht blos aus mehreren Blockhäuſern und einem hölzernen Jagdſchloſſe, welches Auguſt III., König von Polen und Kurfürſt von Sachſen, erbauen ließ, und wird ebenfalls nur von Leuten bewohnt, welche ausſchließ - lich, weniger zur Hegung und Pflegung des Waldes, als zum Schutz der hier noch hauſenden Wild - arten berufen ſind.

Der ganze Wald iſt in zwölf Abtheilungen geſchieden, welche durch breite, geradeaus gehauene Schneuſen oder Geſtelle von einander getrennt ſind. Jeder dieſer Haupttheile hat wieder ſeine Un - terabtheilungen. Ueber jenem ſteht ein Oberförſter, dieſe werden von Unterförſtern und anderen Waldbeamten beaufſichtigt. Ein Oberforſtmeiſter wohnt in Bialowicza.

Jm Walde von Bialowicza hat ſich noch heutigen Tages der Menſch mit ſeinem Treiben nicht geltend machen können. Etwa vier Fünftheile des Beſtandes werden von der Kiefer gebildet, welche auf große Strecken hin die Alleinherrſchaft behauptet; in den feuchteren Gegenden treten Fichten, Eichen, Linden, Hornbäume, Birken, Ellern, Pappeln und Weiden zwiſchen die Kiefern herein. Alle Bäume erreichen hier ein unerhörtes Alter, eine wunderbare Höhe und gewaltige Stärke. Die Natur iſt noch ganz ſich ſelbſt überlaſſen; der Wald zeigt heute noch daſſelbe Gepräge, wie vor Jahr - hunderten, vielleicht vor Jahrtauſenden. Hier, ſagt ein Berichterſtatter, hat ein Sturmwind mehrere alte Rieſenſtämme entwurzelt und zu Boden geſchleudert: wo ſie hinſtürzen, da ſterben und verweſen ſie auch. Ueber jene aber erheben ſich Tauſende von jungen Stämmchen, die im Schatten der alten Bäume nicht gedeihen konnten, und nun im regen Wetteifer nach oben ſtreben, nach Luft, nach Licht, nach Freiheit. Ein jedes ſucht ſich zur Geltung zu bringen, aber doch können nicht alle das Gleiche erreichen. Bald zeichnen ſich einige vor den anderen aus, und einmal erſt mit dem Kopfe oben, fangen ſie an ſich breit zu machen, wölben eine prächtige Krone und unterdrücken erbarmungslos die ſchwächeren Pflanzen, die nun traurig zurückbleiben und verkümmern. Aber auch dieſe übermüthig Emporſtrebenden werden einſt in das Greiſenalter treten; auch ihre Wurzeln werden636Die Rinder. Der Wiſent.von den Stürmen gelockert und herausgeriſſen werden, bis auch über ihren Sturz Freude unter dem jungen Nachwuchs ſein wird und daſſelbe Spiel, derſelbe Kampf beginnt.

Außerhalb der gebahnten Wege, welche der Jagd halber in Ordnung gehalten werden, iſt der Wald kaum zu betreten, nicht einmal an Stellen, wo die Bäume lichter ſtehen, weil gerade dort ein dichter Unterwuchs von allen möglichen Straucharten wuchert. An anderen Stellen hat der Sturm hunderte von Bäumen umgebrochen, die ſo verworren über und unter einander liegen, daß ſelbſt das Wild Mühe hat, ſich durchzuarbeiten. Ab und zu gewahrt man allerdings bedeutende Lichtungen durch das Dickicht ſchimmern. Schon glaubt man an einer Waldgrenze zu ſein oder doch eine Dorf - ſchaft vor ſich zu haben aber wenn man auf eine ſolche Lichtung zuſchreitet, entdeckt man, daß ſie ihre Entſtehung einem Waldbrande zu verdanken hat, welcher ſich in kurzer Zeit dieſes ungeheure Loch fraß und dann genug hatte, denn menſchliche Kräfte vermögen wenig oder Nichts über die Ge - walt des Feuers in dieſen Rieſenwaldungen. Alle 8 bis 10 Jahre kommt durchſchnittlich ein Brand von größerer Ausdehnung vor, kleinere Brände aber ſind ganz an der Tagesordnung.

Jedenfalls würde die forſtwirthſchaftliche Verwerthung des an Schätzen reichen Waldes der ruſ - fiſchen Krone ſchöne Einnahmen verſchaffen und für das ganze Land ſegensreich ſein: der Stand der Jäger aber würde eine ſolche Maßregel außerordentlich beklagen. Der Wald von Bialowicza nämlich iſt noch heutigen Tages der Zufluchtsort einer Menge Thiere, welche in anderen Gegenden bereits ganz ausgerottet ſind. Er beherbergt heute noch das größte Säugethier des europäiſchen Feſtlandes, den Wiſent. Nur hier noch lebt dieſes gewaltige und furchtbare Thier; aus allen übrigen Ländern Europas iſt es verdrängt. Blos am Kaukaſus gibt es noch andere ſeiner Art; von der übrigen Erde iſt das ſtolze Geſchöpf ausgerottet bis auf den Beſtand im Bialowiczaer Walde. Strenge Geſetze ſchützen den Wiſent dort; nur auf beſonderen kaiſerlichen Befehl darf ein Stück des Standes geſchoſ - ſen werden; und hätten nicht ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten die wechſelnden Beſitzer dieſes wun - derbaren Thiergartens ſolchen Schutz gewährt, der Wiſent hätte ſicherlich ſchon aufgehört, wenigſtens ein europäiſches Thier zu ſein. Alle Wildarten, welche außer dem Wiſent im Bialowiczaer Walde leben, dürfen von den dort angeſtellten Jägern erlegt werden: auf Tödtung eines Wildſtieres ſteht eine furchtbare Strafe.

Jn früheren Zeiten war Dies freilich anders. Da war das gewaltige Thier verbreitet faſt über ganz Europa und über einen großen Theil Weſtaſiens. Zur Zeit der alten Griechen war er in Päo - nien oder dem heutigen Bulgarien häufig; in Mitteleuropa fand er ſich faſt überall, und ſelbſt in dem ſüdlichen Schweden kam er vor. Nach dem Nibelungenlied erſchlug ihn Siegfried im Wasgau. Ariſtoteles nennt ihn Bonaſſus und beſchreibt ihn deutlich. Plinius führt ihn unter dem Na - men Biſon auf und gibt Deutſchland als ſeine Heimat an, Calpurnius beſchreibt ihn um das Jahr 282 n. Chr., die Leges allemanorum erwähnen ſeiner im ſechsten und ſiebenten Jahr - hundert. Zu Karls des Großen Zeiten fand er ſich noch im Harz und im Sachſenlande, um das Jahr 1000 nach Ekkehard noch als ein bei St. Gallen vorkommendes Wild. Um das Jahr 1373 lebte er noch in Pommern, im funfzehnten Jahrhundert in Preußen, im ſechszehnten Jahrhundert in Litthauen, im ſiebzehnten Jahrhundert in Oſtpreußen zwiſchen Tilſit und Laubian und im achtzehn - ten Jahrhundert noch in Siebenbürgen. Seit dieſer Zeit iſt der Wiſent auf den Wald von Bia - lowicza beſchränkt.

Der letzte ſeiner Art wurde in Preußen im Jahr 1755 von einem Wilddieb erlegt, ungeachtet des Schutzes, welchen er ſchon länger genoſſen hatte.

Die Könige und Großen des Reiches Polen und Litthauen ließen ſich die Erhaltung des Thieres mit Eifer angelegen ſein. Man hielt den Wiſent in beſonderen Gärten und Parken, ſo z. B. bei Oſtrolenka, bei Warſchau, bei Zamoſk u. ſ. w. Die mehr und mehr ſich ausbreitende Bevöl - kerung, die Urbarmachung der Ländereien machte dieſen Schutz mit der Zeit unmöglich; denn, ſowie die Wälder gelichtet wurden, mußte ſich dieſes Wild zurückziehen. Noch hielt es ſich eine Zeitlang im preußiſchen Litthauen und namentlich in der Gegend zwiſchen Laubian und Tilſit, wo die Forſt -

Auerochſen.

637Der Wiſent.beamten es ſchützten und zur Winterszeit in einer offenen Futterſcheuer mit Nahrung verſorgten. Nur höchſt ſelten fing man einige ein, welche dann gewöhnlich zu Geſchenken an fremde Höfe benutzt wur - den. So kamen im Jahre 1717 zwei Stück an den Landgrafen von Heſſen-Kaſſel, an den König Georg von England, und 1738 einige zur Kaiſerin Katharine von Rußland. Eine allgemeine Seuche vernichtete im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts den größten Theil dieſer Herden, bis endlich der erwähnte Wilddieb dem letzten das Lebenslicht ausblies. Jedenfalls würde es den im Forſte von Bialowicza lebenden Wiſents nicht anders ergangen ſein, als den in Preußen hauſenden, hätten der König von Polen und ſpäter der Kaiſer von Rußland es ſich nicht zur Pflicht gemacht, ein ſo ſeltenes Thier der Jetztwelt zu erhalten. Derzeit iſt der Beſtand dieſes Wildes im Bialowiczaer Walde immer noch gar nicht unbedeutend. Nach einer im Jahre 1829 vorgenommenen Zählung betrug er 711 Stück, worunter ſich 633 ältere befanden; denn nur 48 Kälber waren zur Welt gekommen; im fol - genden Jahre hatten ſich die Thiere auf 772 Stück vermehrt, im Jahre 1831 aber wieder auf 657 Stück vermindert in Folge der inzwiſchen eingetretenen ſtaatlichen Umwälzung. Nach dieſer Zeit ſind die Schutzgeſetze verſchärft worden, und die Thiere haben ſich demzufolge vermehrt. Paſtor Kawall gibt für das Jahr 1853 die Zahl der Bialowiczaer Wiſents auf 1543 Stück an.

Am Kaukaſus iſt der Wiſent, wenn auch nur in manchen Gegenden, nicht beſonders ſelten, und noch vor hundert Jahren kam er faſt überall vor; gegenwärtig findet er ſich in Zaadan noch am häufigſten. Jn Mittelaſien ſoll er noch um den See Koko-Nor heimiſch ſein.

Bevor ich zur Leibes - und Lebensbeſchreibung des gedachten Wildochſen übergehe, muß ich bemerken, daß ich unter dem Namen Wiſent daſſelbe Thier verſtehe, welches von den meiſten neueren Schriftſtellern und auch von Naturforſchern Auer oder Auerochs genannt wird. Dem jetzt noch lebenden Wildochſen des Waldes von Bialowies gebührt einzig und allein der Name Wiſent; denn mit dem Namen Auer bezeichneten unſere Vorfahren einen von jenem durchaus verſchiedenen Wildochſen. *)Durch ein Verſehen des Druckers ſind leider auch die auf unſerer Abbildung dargeſtellten Wiſents als Auerochſen bezeichnet worden.

Wenn man die Schriften der alten Naturkundigen mit Aufmerkſamkeit durchlieſt, gelangt man ſehr bald zu der Anſicht, daß in früheren Zeiten zwei Rinderarten in Europa neben einander in wil - dem Zuſtand gelebt haben. Alle älteren Schriftſteller unterſcheiden die beiden Thiere ſehr genau und verwechſeln die ihnen zukommenden Namen nie. Seneca, Plinius, Albertus Magnus, Tho - mas Cantapratenſis, Johann von Marignola, Bartholomäus Anglicus, Paul Zidek, von Herberſtain und Geßner, altdeutſche Geſetze und Jagdberichte aus vergangenen Jahrhunderten ſprechen von zwei gleichzeitig lebenden Wildochſen und beſchreiben die beiden mit hin - länglicher Genauigkeit. Da wir den Wiſent noch zur Vergleichung vor uns haben und an ihm ſehen können, daß die ihm geltende Beſchreibung naturgetreu iſt, dürfen wir daſſelbe wohl auch von dem uns höchſtens durch verſteinerte Schädel bekannten Anerochſen erwarten. Plinius kennt den Bonassus oder Wiſent, weil derſelbe lebend nach Rom gebracht wurde, um in den Thierkampfſpielen zu glänzen, und unterſcheidet ihn beſtimmt von dem Urus oder Auer, indem er hervorhebt, daß den Erſteren ſeine reiche Mähne, den Letzteren ſein großes Gehörn kennzeichnet. Cäſar erwähnt einen in Deutſchland vorkommenden Wildochſen, welcher dem zahmen nicht unähnlich ſei, aber viel größere Hörner als dieſer beſitze und an Größe dem Elefanten wenig nachſtehe. Seine Jagd, ſagt er, gilt unter den Deutſchen als die rühmlichſte. Er meint den Auer, nicht den Wiſent. Mit noch größerer Beſtimmtheit ſprechen ſich die ſpäteren Schriftſteller aus. Lukas David gibt an, daß der Herzog Otto von Braunſchweig im Jahre 1240 den Brüdern Aueroxen und Viſonten ſchenkte, Cramer, daß Fürſt Wradislaw um das Jahr 1364 in Hinterpommern ein Wyſant erlegte, welcher größer geachtet worden, als ein Uhrochs , Mathias v. Michow, daß es in den638Die Rinder. Der Wiſent.Wäldern Litthauens Urochſen und Wildochſen gebe, welche die Einwohner Thuri und Jumbro - nes nennen. Bezeichnend ſind auch Verſe des Nibelungenliedes, welche ich bereits gelegentlich der Schilderung des Elch angezogen habe.

Es ſind uns aber auch Abbildungen erhalten worden, welche die beiden wilden Rinderarten dar - ſtellen. Der öſterreichiſche Geſandte Herberſtain ſpricht in einem Buche über Rußland und Polen von beiden Wildochſen und fügt einer ſpäteren Ausgabe deſſelben zwei Abbildungen bei, über denen zur Erklärung die Namen der betreffenden Thiere ſtehen. Das Bild, welches ein unſerem Hausrind ähnliches Thier darſtellt, enthält die Worte: Jch bin der Urus, welchen die Polen Tur nennen, die Deutſchen Auerox, die Nichtkenner Bison ; die zweite Abbildung, welche unſeren Wiſent nicht ver - kennen läßt, dagegen den Satz: Jch bin der Bison, welchen die Polen Subr nennen, die Deutſchen Wysent, die Nichtkenner Urochs . Nach Oken’s Ueberſetzung lautet die ausführliche Beſchreibung wie folgt.

Jn Litthauen gibt es, außer den Thieren, welche in Deutſchland vorkommen, noch Biſonten, Urochſen, Elenthiere und wilde Pferde. Die Biſonten heißen im Litthauiſchen Suber, im Deut - ſchen uneigentlich Auror oder Uror, welcher Name dem Urus zukommt, der völlig die Geſtalt des Ochſen hat, während die Biſonten ganz anders ausſehen. Dieſe haben eine Mähne, lange Haare um Hals und Schultern, eine Art Bart am Kinn, nach Biſam riechende Haare, einen kurzen Kopf, große, trotzige und feurige Augen, eine breite Stirn, und die Hörner ſind meiſtens ſoweit aus ein - ander gerichtet, daß zwiſchen denſelben drei ziemlich beleibte Menſchen ſitzen könnten, was der König von Polen, Siegmund, wirklich gethan haben ſoll. Der Rücken iſt in eine Art Buckel erhöht; hin - ten und vorn dagegen der Leib niedriger. Jhre Jagd fordert viel Kraft und Schnelligkeit. Man ſtellt ſich hinter Bäume, treibt ſie durch die Hunde und erſticht ſie ſodann mit einem Spieß u. ſ. w.

Urochſen gibt es nur in Maſovien; ſie heißen daſelbſt Thur, bei den Deutſchen uneigentlich Uror: denn es ſind wilde Ochſen, von den zahmen in Nichts verſchieden, als daß alle ſchwarz ſind und auf dem Rückgrat einen weißlichen Streifen haben. Es gibt nicht viele, und an gewiſſen Orten werden ſie faſt wie in einem Thiergarten gehalten und gepflegt. Man paart ſie mit den zahmen Kühen, aber die Jungen werden dann nicht von den Urochſen in der Herde geduldet, und die Kälber von ſolchen Baſtarden kommen todt auf die Welt. Gürtel aus dem Leder des Urochſen werden hoch geſchätzt und von den Frauen getragen. Die Königin von Polen ſchenkte mir zween dergleichen, und die römiſche Königin hat einen davon ſehr gnädig angenommen.

Unabhängig von ihm gibt Geßner Abbildungen und Beſchreibungen der betreffenden Thiere. Das eine Bild ſtellt unzweifelhaft unſeren Wiſent dar, das zweite ein kräftiges, unterſetzt gebau - tes, glatthaariges Rind ohne Schulterbuckel, mit größerem und ſtärkerem Gehörn. Die Beſchrei - bungen lauten nach der Ueberſetzung von Dr. Cunrat Forer aus dem Jahre 1583:

Von dem Wiſentſtier.

Von ſeiner geſtalt.

Wiewol vnſeren biß auff dieſe zeyten die rechten waren Wiſent der alten vnbekannt geweſen ſind, ſo werdend doch gegenwirtiger zeyt der wilden Ochſen etlich gefangen vnd gezeigt, welche diſer beſchreybung gentzlich gemäß ſind, als dann in diſer gegenwirtigen geſtalt wol zu ſehen iſt. Dann dem Wiſent werdend von den alten zugeben, daß er häßlich ſeye, ſcheützlich, vil haars, mit einem dicken langen halßhaar als die Pfärdt, item gebartet, ſumma gantz wild vnd vngeſtalt: welches ſich alles im gegenwirtigen thier, ſo eigentlich abconterfetet worden iſt, klarlich erzeigt, iſt ein wund groß, ſcheützlich art der wilden Ochſen: dann zwüſchend den hornen, die weyte von einem zu dem anderen iſt zwen gut werckſchuch, ſöllend an der farb ſchwarzlecht ſeyn.

Von ardt vnd natur der thieren.

Ein grimm thier iſt diſer Ochß auch an dem erſten anſchouwen zuförchten: Sommers zeyt639Der Wiſent.laßt er das haar, wird jm kürtzer vnnd dünner: Winters zeyt aber vil lenger vnnd dicker, friſſet höuw, als andere heimſche Rinder.

Wo diſe thier zu finden.

Jn Sclanonia, Vngeren vnnd Preüſſen auch allen anderen landen, weyt gägen Mitnacht ge - lägen, groſſen mercklichen wälden werded diſe wilde Ochſen gefunden vnnd gejagt. Vor zeyten ſöllend ſölche auch in dem Schwartzwald geſähen ſeyn.

Von dem Anwerochß oder Briſtier.

Von ſeiner geſtalt.

Aus den figuren vnd geſtalten der Anwerochßen iſt die erſte die rechte ware bildtnuß, dann die ander gſtalt ſo hie zugegen in form deß geiegts, wil ſich nit beduncken gantz eigentlich con - trafetet ſeyn. Söllend gantz änlich ſeyn den gmeinen ſchwartzen heimſchen Stieren, doch gröſſer mit ſonderer geſtalt der hornen, als dann hie wol zu ſehen iſt. Sölche ſind vor zeyten in dem Schwartzwald gejagt worden, jetzſonder wirt er in der Lithauw in dem ort Mazonia genannt, allein gefangen, welche je nur der Teütſchen Wiſent vngebürlich nennend: dann der recht ware Wiſent der alten iſt hievor beſchriben vnd mit geſtalt für augen geſtelt worden.

Es werdend zu Worms und Mentz, ſo namhaſſt ſtett am Rheynſtromen gelägen, groſſe wilde Stierköpff, zwey mal gröſſer dann der heimſchen, mit etwas geblibnen ſtumpen der hornen, an gmeinen Radtsheüſern der ſtatt angehefft geſehen vnd gezeiget, welche one zweyfel von etlichen wilden Ochſen kommen ſind.

Von ardt vnd natur der thieren.

Diſe thier ſöllend ſeer ſtarck, ſchnäll, rouw vnnd grauſam ſeyn, niemants ſchonen, wäder leüt noch vech, mögen zu keinen zeyten milt gemachet werden. Jr ardt zu fahen iſt, das man ſölche in tieffe gruben ſtürtzt, in welchem gejegt ſich die junge mannſchafft mächtig pflägt zu üben. Dann welcher die mererzal der thieren vmbracht vnd geſchediget hatt, des ſelbigen ware vrkund den herren bringt vnd der oberkeit zeigt, der empfacht groſſes lob vnd reyche ſchenke davon. Es ſchreybend etlich daß diſe Stier auch auff dem grauſamen gebirg, ſo das Spangerland vnd Franck - reych von einander ſcheidet gefunden vnd geſähen werdend.

Nutzbarkeit von den thieren.

Auſſert der nutzbarkeit, ſo man von der haut vnnd fleiſch der thieren hat, werdend auch ſeine horn als fürſtliche zierd vnd kleinot behalten, in ſylber eyngefaſſet, gebraucht zu trinck ge - ſchiren, Fürſten vnd Herren dargebotten: welchen brauch auff den hüttigen tag die Lithuaner be - halten habend.

Andere Schriftſteller aus dem ſechzehnten Jahrhundert halten den gegebenen Unterſchied eben - falls feſt. Mucaute, welcher am polniſchen Hofe oft Gelegenheit hatte, beide Arten lebend zu ſehen, ſagt ausdrücklich, daß es in einem königlichen Parke Biſons und Turen gegeben habe. Der Wojwode Oſtrorog ertheilt Denen, welche Wildparks anlegen wollen, den Rath, Biſons und Ore nicht an denſelben Orten zu halten, weil ſie mit einander große Kämpfe aufführen. Endlich wurde Anfang dieſes Jahrhunderts ein altes Oelgemälde entdeckt, welches, nach Stil und Pinſel zu urthei - len, etwa aus dem erſten Viertel des ſechzehnten Jahrhunderts herrühren mag. Es ſtellt ein ziemlich rauhhaariges, mähnenloſes Thier mit großem Kopf, dickem Hals und ſchwacher Wamme dar. Seine mächtigen Hörner ſind gleich denen eines ungariſchen oder römiſchen Ochſen vorwärts und dann auf - wärts gekehrt. Jhre Färbung iſt an der Wurzel ein lichtes Horngrau, an der Spitze ein dunkles Schwarz. Die Färbung des Felles iſt ein gleichmäßiges Schwarz, nur das Kinn iſt lichter. Jn einer Ecke des Bildes ſteht das Wort Tur. Wir haben alſo in dem abgemalten Thiere den Auer vor uns.

Erſt im ſiebzehnten Jahrhundert werden di[e]Schriftſteller zweifelhaft, und ſpäter ſprechen ſie nur von einem Wildochſen, welchen ſie bald Wiſe[n]t, bald Urochs nennen. Der letztere d. h. der wahre640Die Rinder. Der Wiſent.Auer iſt inzwiſchen ausgeſtorben und die Berichterſtatter ſind deshalb nicht mehr im Stande, aus eigener Anſchauung zu reden. Später nimmt die Unklarheit noch mehr überhand. Buffon und nach ihm mehrere andere Naturforſcher neigen ſich zu dem Glauben hin, daß unſer Wiſent in der alten, guten Zeit der Wunder, wo die Thiere noch flott über Meerengen wegſetzten, nach Amerika gewandert ſei und ſich dort vermehrt habe. Der einigermaßen feuchte Weg wurde durch gebührende Hervorhebung der Kurilen und Alenten gangbar gemacht, wenn auch wohl leider nur in der Einbil - dungskraft gedachter Forſcher. Endlich wurde das ſchottiſche weiße Rind, auf welches ich zurück - kommen werde, ebenfalls mit in Betracht gezogen, und nunmehr die Verwirrung aufs höchſte geſtei - gert. Daher kommt es denn auch, daß man gegenwärtig ſo oft die betreffenden, wohl unterſchiedenen Thiere verwechſelt. Jch meinestheils wiederhole, daß ich durchaus nicht die Abſicht habe, Dies zu thun.

Die Wiſents (Bonassus) bilden eine eigene Sippe in der Familie der Stiere, welche ſich durch die kleinen, runden, nach vorn gerückten und aufwärts gekrümmten Hörner, die ſehr breite gewölbte Stirn, das weiche und lange Haarkleid und die große Rippenzahl auszeichnet. Der Wiſent hat vierzehn, der amerikaniſche Biſon funfzehn Rippenpaare.

Obwohl mit Sicherheit angenommen werden muß, daß die europäiſchen Wiſents (Bonassus Bison) nicht blos an Zahl, ſondern auch an Größe abgenommen haben, ſind ſie doch immer noch gewaltige Thiere. Ein im Jahre 1555 in Preußen erlegter Wiſentſtier war 7 Fuß hoch und 13 Fuß lang, dabei 19 Centner 5 Pfund ſchwer. Solche Rieſen gibt es nicht mehr. Heutzutage erreicht auch der ſtärkſte Stier ſelten mehr, als eine Höhe von 5, eine Länge von Fuß, und dabei ein Gewicht von 11 bis 12 Centnern. Solche Thiere ſind noch immer bedeutend größer, als das ſtärkſte Rind, und namentlich der dicke, breite Kopf übertrifft den des gewöhnlichen Rindes bei weitem. Der Leibesbau des Wiſent iſt ſtark, unterſetzt, am Vordertheile aufgetrieben, ſo daß der Hintertheil im Vergleich der ungeheuren Breite der Bruſt ſchmächtig erſcheint. Der Wider - riſt bildet eine Art von Höcker, und von da aus fällt der Rücken gegen das Kreuz zu ziemlich ſtark ab. Auf dem kurzen und dicken, wammenloſen Halſe ruht der furchtbare Kopf, welcher nur mittel - große Ohren und Augen und verhältnißmäßig auch kleine Hörner trägt. Der Krümmung nach ge - meſſen, beträgt die Länge der letzteren blos Fuß. Sie treten faſt in der Mitte aus dem Schädel hervor, beugen ſich von der Wurzel nach aus - und etwas nach abwärts, wenden ſich dann nach auf - und vorwärts und drehen ſich mit der Spitze nach ein - und rückwärts, doch ſo, daß die Spitzen beider Hörner noch gegen einander gewendet ſind. Nur am Grunde zeigen ſich einige ringförmige Runzeln; die Spitze iſt vollkommen glatt. Die Beine ſind mittelhoch, aber länger und ſchlanker, als bei unſerem Rinde oder dem Büffel. Die Hufe ſind groß, breit und hoch; der Schwanz reicht, ohne die Haare, bis zur Mitte des Schienbeins, mit demſelben aber bis über das Ferſengelenk herab; die Haarquaſte an ſeinem Ende wird 14 bis 15 Zoll lang. Ueberall iſt die Behaarung ziemlich lang, am Vordertheil aber, am Kopf und den Vorderbeinen auch noch kraus und filzig. An den Wangen tritt ſie als ſtarker Bart hervor, auf der Stirn und dem Halſe, an dem Kinn, der Kehle, den Vor - derbeinen bis zur Mitte des Schienbeines verlängert ſie ſich zu einer Mähne, welche am Kinn und an der Kehle bis fußlang werden kann. An Hintertheil iſt ſie wollartig. Bei den jüngeren Thieren iſt das Haar weicher und kürzer, als bei alten, zumal bei den alten Stieren. Jm Sommer iſt das Kleid kürzer, weniger dicht und glänzend, im Winter länger, wollig, filzig und matt von Farbe, meiſt dunkelbraun, etwas ins Schwärzliche ziehend, an den Seiten des Halſes und an den Schultern heller, an den Füßen wieder dunkler; im Sommer wird es lichter, gewöhnlich hellkaſtanienbraun ins Graulichfahle ſpielend; der Bart, das Haar auf den Wangen und die Schwanzquaſte ſind immer braunſchwarz; die Schnauzenſpitze iſt gelblichweiß. Jüngere Thiere ſind lichter, neugeborene Kälber blaßkaſtanienbraun. Von der Kuh unterſcheidet ſich der Stier durch die bedeutendere Größe, durch einen ſtärkeren Kopf und breitere Stirn, ſowie durch[kür]zere Hörner.

641Der Wiſent.

Jm Sommer und Herbſt lebt der Wiſent an feuchten Orten des Waldes, gewöhnlich in den Dickungen verſteckt. Jm Winter zieht er das höher gelegene, trockenere Holz vor. Ganz alte Stiere leben einſam, die jüngeren in Rudeln von 15 bis 20 Stück im Sommer und in kleinen Her - den von 30 bis 50 Stück im Winter. Jede einzelne Herde hat ihren feſten Stand und kehrt immer wieder nach demſelben zurück. Bis zur Brunſtzeit herrſcht die größte Einigkeit unter ihr; zwei ver - ſchiedene Herden aber vertragen ſich anfangs nicht gut mit einander, und die kleinere weicht ſoviel als möglich der größeren aus.

Die Wiſents ſind ſowohl bei Tage, als bei Nacht thätig; am liebſten weiden ſie in den Abend - und Morgenſtunden, zuweilen jedoch auch während der Nacht. Baumrinde, Blätter, Knospen und Gräſer bilden ihre Nahrung; die Rinde der Eſche ſcheint ihnen ein ganz beſonderer Leckerbiſſen zu ſein. Sie ſchälen die Bäume ab, ſoweit ſie nur irgend reichen können, und reiten jüngere, bieg - ſame Stämme nieder, ſie und die Krone dann gänzlich vernichtend. Jm Winter müſſen junge Knospen der Laubhölzer herhalten; Nadelbäume berühren die Wiſents nicht. Jm Bialowiczaer Walde wird Heu auf den Wieſen geerntet und für dieſes Wild aufgeſchobert, anderes, welches den nahe woh - nenden Pächtern gehört, nimmt das Thier, nachdem es die Umhegungen niedergebrochen hat, ge - waltſam in Beſitz und fügt hierdurch den armen Litthauern großen Schaden zu. Friſches Waſſer iſt dem Wiſent Bedürfniß.

Wenn auch die Bewegungen der Wildſtiere ſchwerfällig und plump erſcheinen mögen, ſind ſie doch, bei Lichte betrachtet, lebhaft genug. Der Gang iſt ein raſcher Schritt, der Lauf ein ſchwerer, aber ſchnell fördernder Galopp, wobei das Thier den Kopf zu Boden ſenkt und den Schwanz empor - gehoben von ſich ſtreckt. Der Wiſent iſt ein munteres und lebhaftes Thier, welches gern mit ſich ſelbſt und ſeines Gleichen ſpielt. Zwei Kälber ſpringen oft luſtig im Kreiſe umher und necken ſich gegenſeitig mit ihren Hörnern. Jm allgemeinen laſſen die Stiere Menſchen, welche ſie nicht be - helligen wollen, ruhig an ſich vorübergehen; allein die geringſte Veranlaſſung kann ihren Zorn erregen, und dann ſind ſie furchtbar. Jm Sommer pflegen ſie dem Menſchen ſtets auszuweichen, im Winter gehen ſie gewöhnlich Niemand aus dem Wege, und es iſt ſchon vorgekommen, daß Bauern lange warten mußten, ehe es dem Wiſent gefiel, einen von ihm geſperrten Fußpfad zu ver - laſſen, auf welchem es für den Menſchen kein Ausweichen gab. Eine große Wildheit, viel Trotz und gewaltiger Jähzorn beherrſcht die Stiere, wie die meiſten anderen wild lebenden Arten der Fa - milie. Jm Zorn ſtreckt der Wiſent die bläulichrothe Zunge lang heraus, rollt das geröthete Auge, ſein Blick wird wahrhaft furchtbar, und endlich ſtürzt er mit beiſpielloſer Wuth auf den Gegenſtand ſeines Zornes los. Jüngere Thiere ſind immer ſcheuer und furchtſamer, als die alten Stiere, unter denen namentlich die einſiedleriſch lebenden zu einer wahren Geiſel für die Gegend werden. Jn den meiſten Fällen zieht ſich der Wiſent freilich vor dem Menſchen zurück, und ſeine im hohen Grade ent - wickelten Sinne laſſen ihn deſſen Ankunft auch regelmäßig noch eher erkennen, als der Menſch ihn wahrgenommen hat; die alten Einſiedler aber ſcheinen ſich ein beſonderes Vergnügen daraus zu machen, mit dem Menſchen anzubinden. Ein alter Hauptſtier beherrſchte eine Zeit lang die durch den Bialowiczaer Wald führende Straße. Er wich nicht einmal Fuhrwerken aus und hat viel Unglück angerichtet. Wenn er auf einem durchziehenden Schlitten gutes Heu witterte, erhob er gewaltſam ſeinen Zoll, indem er trotzig vor die Pferde trat und mit Gebrüll aufforderte, ihm Heu herabzuwerfen. Verweigerte man, ihm das verlangte zu gewähren und verſuchte man, die Peitſche gegen ihn anzu - wenden, ſo gerieth er in einen furchtbaren Zorn, hob den Schwanz empor und ſtürzte mit niederge - beugten Hörnern auf den Schlitten los, packte ihn und warf ihn mit einem einzigen Stoß über den Haufen. Reiſende, welche ihn neckten, ſchleuderte er aus dem Schlitten heraus, und ängſtigte die Pferde aufs äußerſte. Dieſe zeigen von vornherein große Furcht und Abſcheu vor dem Wiſent, und pflegen durchzugehen, wenn ſie ihn nur wittern. Tritt ihnen aber der entſetzliche Stier plötzlich in den Weg, ſo geberden ſie ſich wie unſinnig, bäumen ſich, werfen ſich nieder und verrathen auf jede Weiſe ihr Entſetzen. Noch wüthender wird der Stier, wenn er ſich verfolgt ſieht. Dann iſt esBrehm, Thierleben. II. 41642Die Rinder. Der Wiſent.auch für den geübteſten Jäger ein höchſt gefährliches Unterfangen, dem raſenden Thiere in den Weg zu kommen.

Die Brunſtzeit fällt gewöhnlich in den Anguſt, manchmal auch erſt in den September, und währt zwei oder drei Wochen. Die Wiſents ſind um dieſe Zeit im beſten Stande, feiſt und kräftig. Eigenthümliche Spiele und ernſte Kämpfe unter den Stieren gehen dem Sprunge voraus. Die liebeskranken Thiere machen ſich ein beſonderes Vergnügen daraus, mittelſtarke Bäume aus der Erde zu wühlen und auf dieſe Weiſe zu fällen. Da kommt es nun oft vor, daß ſich die Wurzeln in dem Gehörn verwickeln und von den Trägern nicht gleich abgeworfen werden können. Dann laufen ſie, lärmend und tobend, oft lange mit dieſem ſonderbaren Kampfſchmuck umher, ärgern ſich ſchließ - lich und beginnen zu kämpfen, erſt vielleicht nur ſcherzhaft, ſpäter aber in ſehr ernſthafter Weiſe. Raſend ſtürzen ſie auf einander los und prallen derart mit den Hörnern zuſammen, daß man glaubt, beide müßten unter der Wucht des Stoßes augenblicklich zuſammenbrechen. Allein ihre Stirn hält auch den kräftigſten Stoß aus, und die Hörner ſind ſo biegſam, als wären ſie aus Stahl gebaut. Nach und nach ſchließen ſich die Einſiedler der Herde an, und dann werden die Zwei - kämpfe noch viel bedeutſamer; denn jenen Dickköpfen muß ein jüngerer, ſchwächerer Stier gar oft erliegen. Jm Jahr 1827 fand man im Bialowiczaer Walde einen jungen dreijährigen todten Stier, welchem ein Bein zerſchmettert und ein Horn an der Wurzel abgeſprengt worden war. Und nicht blos umgebrachte Stiere findet man nach der Brunſtzeit, ſondern auch getödtete Kühe. Sie haben das Kreuz gebrochen, weil ihnen die Laſt des auf ſie ſpringenden Stieres zu ſchwer war (?) .

Sofort nach Beendigung der Brunſt trennen ſich die alten Einſiedler wieder von der Herde und kehren zu ihrem ſtillen, beſchaulichen Leben zurück. Die Kühe kalben neun Monate nach der Brunſtzeit, gewöhnlich im Mai oder Anfangs Juni. Vorher haben ſie ſich von der Herde abgeſon - dert und im Dickicht des Waldes in einer einſamen, friedlichen Gegend einen geeigneten Platz auf - geſucht. Hier verbergen ſie das Kalb während der erſten Tage und treten bei etwaiger Gefahr mit außerordentlichem Muthe für ſeine Sicherheit ein. Jn der erſten Jugend drückt ſich das Kalb bei Gefahr platt auf den Boden nieder, hebt und dreht das Gehör, öffnet die Nüſtern und Augen und ſchaut ängſtlich nach dem Feinde, während die Alte ſich anſchickt, dieſem entgegenzutreten. Um dieſe Zeit iſt es für Menſch und Thier gefährlich, einer Wiſentkuh ſich zu nahen; ſie nimmt ohne wei - teres den Gegner an, rennt ihn zu Boden und zerfleiſcht ihn mit den Hörnern. Einige Tage nach ſeiner Geburt folgt das Kalb der Mutter auf jedem Schritte nach, und dieſe behandelt es mit außer - ordentlicher Zärtlichkeit. Solange es noch nicht ordentlich gehen kann, ſchiebt ſie es ſanft mit dem Kopfe vorwärts; wenn es unreinlich iſt, leckt ſie es glatt; beim Säugen ſtellt ſie ſich auf drei Beine, um ihrem Sprößling das Enter leichter zu bieten, und während es ſchläft, wacht ſie für deſſen Sicherheit.

Dieſe Kälber ſind niedliche, anmuthige Thiere, obgleich ſchon in der Jugend Das in ihnen liegt, was im Alter aus ihnen werden ſoll. Sie wachſen ſehr langſam und haben wahrſcheinlich erſt im achten oder neunten Jahre ihre volle Größe erlangt. Das Alter, welches ſie überhaupt erreichen können, wird auf etwa 30 bis 50 Jahre angegeben. Kühe ſterben ungefähr zehn Jahre früher, als Stiere; aber auch dieſe werden im Alter gewöhnlich blind, oder ſie verlieren die Zähne und ſind dann nicht mehr fähig, ſich gehörig zu äßen, können namentlich nicht mehr die jungen Zweige ab - beißen, welken raſch dahin und gehen ſchließlich zu Grunde.

Anderen Rindern gegenüber vermehren ſich die Wiſents außerordentlich langſam. Man hat in Erfahrung gebracht, daß die Kühe kaum alle drei Jahre ein Mal trächtig werden, und bei nur einigermaßen gereifterem Alter oft eine Reihe von Jahren hinter einander unfruchtbar bleiben, dann aber wieder empfangen. Jm Jahre 1829 warfen von 258 Kühen nur 93, von den übrigen 165 war der größte Theil unfruchtbar, der kleinere Theil zu jung. Hierin iſt ein Grund des Ausſterbens der Wiſents mit zu ſuchen.

643Der Wiſent.

Gegen ihre Feinde wiſſen ſich die gewaltigen Thiere vortrefflich zu vertheidigen. Bären und Wölfe können nur den Kälbern gefährlich werden, und auch blos dann, wenn die Mutter durch irgend welchen Zufall ihr Leben verloren hat und das Junge unbeſchützt iſt. Bei ſehr tiefem Schnee ſoll es übrigens wirklich vorkommen, daß die hungrigen Wölfe ſich auf einen erwachſenen verein - zelten Wiſent ſtürzen, mit vereinten Kräften ihn anfallen, durch Umhertreiben ermatten und ſchließ - lich, wenn auch erſt nach harten Verluſten, erlegen. Einige Berichterſtatter wollen ſogar behaupten, daß ſchon drei Wölfe genügten, um einen Wiſent zu überwältigen, und begründen ihre Anſicht mit der Angabe, daß der eine der Wölfe das angefallene Thier durch ſein beſtändiges Hin - und Her - ſpringen beſchäftigt und ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen trachtet, während die beiden anderen von hinten an ihn ſchleichen und ihm eine Wunde in den Bauch zu verſetzen ſuchen. Jch meines - theils zweifle ſehr an derartigen Erzählungen, denn jeder Wiſentſtier würde einen Wolf, der ſich an ihm feſtgebiſſen hätte, mit einem einzigen Schlage ſeiner Läufe zerſchmettern oder durch ſein Gewicht erdrücken, noch ehe derſelbe ihm eine gefährliche Wunde in den Leib geriſſen hätte.

Von Zeit zu Zeit hält der Schutzherr der Wiſents eine größere Jagd ab, gewöhnlich mit ſehr viel Gepränge. Die hohen Herrſchaften, welche zu ſolchen Jagden geladen werden, brauchen freilich nicht ſoviel Muth und Kühnheit zu beſitzen, als die alten Deutſchen haben mußten, welche zum Zweikampfe dem Wiſent und Auer gegenübertraten. Julius Cäſar berichtet, daß Derjenige ſich großen Ruhm erwarb, welcher einen Ur oder einen Wiſent erlegte, und alle alten Lieder preiſen ſolche Helden, ſicherlich mit vollſtem Rechte. Noch im Mittelalter kämpften die Ritter mannhaft mit Auer und Wiſent; jetzt wird dieſer einfach gemeuchelt, wie das übrige Wild. Die Herrſcher nahen ſich mit großem Gefolge, bieten alle Beamten des Waldes auf, zwingen die umwohnenden Bauern zu Treiberdienſten und bewegen ſomit eine Mannſchaft von zwei-bis dreitauſend Köpfen, welche ihnen die Wiſents nach den Orten treiben muß, wo ſie auf ſicheren Kanzeln ſich angeſtellt haben. Von einer der glänzendſten Jagden, welche König Auguſt III. im Jahr 1752 abhielt, berichtet heute noch eine 18 Fuß hohe Spitzſäule aus weißem Sandſtein in deutſcher und polniſcher Sprache. Sie zählt alle die kühnen Helden auf, welche an der Jagd theilnahmen, und gibt auch das Wild an. An dem einen Tage wurden 42 Wiſents, 13 Elenthiere und 2 Rehe erlegt. Die Königin allein ſchoß zwanzig Wiſents nieder, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen, und hatte dabei noch immer Zeit zum Leſen eines Romans. Es wurde viel Blut vergoſſen, freilich nur das des Wildes. Die Schützen waren den Thieren, welche niedergemeuchelt wurden, unerreichbar, ſonſt würden wir wohl auch von deren Heldenthaten Etwas erfahren haben. Um einen Begriff von der Großartigkeit der dama - ligen Jagd zu geben, will ich blos noch anführen, daß auf des Königs Befehl ſchon Monate vor der Jagd viele Tauſende von Leibeigenen aufgeboten, zu Deutſch gepreßt wurden, um das Wild von allen Seiten des damals noch viel bedeutenderen Waldes nach der zur Jagd beſtimmten Abthei - lung hinzutreiben. Dort wurden die ſcheuen Thiere eingelappt und zuerſt durch acht Fuß hohe Netze, ſpäter durch ein noch höheres Holzgatter umfriedigt. Dicht neben dem Gatter war ein Söller errichtet worden, auf welchem der König mit den Vornehmſten ſeiner Gäſte Platz nahm. Etwa zwanzig Schritte von dieſem Söller entfernt war eine Lücke in den Umhegungen gelaſſen, durch welche alles hier eingeſchloſſene Wild getrieben wurde. Sobald ein Wiſent ſtürzte, blieſen die Jagd - gehilfen auf ihren Halbhörnern. Nach der Jagd beſichtigte der Hof unter Hörnerklang die gefallenen Stücke, deren Wildpret unter die umwohnenden Bauern vertheilt wurde. Dann ließ der König das erwähnte Denkmal ſetzen, zum ewigen Gedächtniß ſeiner ritterlichen Thaten.

Am achtzehnten und neunzehnten Oktober 1860 ſtellte der Kaiſer von Rußland eine Jagd an. Der Kaiſer ſelbſt ſchoß ſechs Wiſentſtiere und ein Kalb, zwei Elen -, ſechs Damhirſche, drei Rehe, vier Wölfe, einen Dachs, einen Fuchs und einen Haſen. Der Großherzog von Weimar und die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen erlegten noch acht Wiſents mehr. Ueber die Art und Weiſe der Jagd fehlen die ausführlicheren Berichte, jedenfalls aber ging’s dies Mal waidmänniſcher her.

41 *644Die Rinder. Der Wiſent.

Jn den älteſten Zeiten jagte der gemeine Mann den Wiſent zu Fuß und mit Lanzen. Die Jäger gingen immer ſelbander aus; der eine rückte dem wüthenden Thiere kühn zu Leibe und ſuchte ihm einen tödtlichen Stoß beizubringen, der andere bemühte ſich, durch Schreien und Schwenken rother Tücher die Aufmerkſamkeit des Wiſents oder Auers von dem Angreifer ab und auf ſich zu lenken; die Hunde halfen treulich mit, und ſo wurde es möglich, im rechten Augenblicke dem gewal - tigen Stier eine tödtliche Wunde beizubringen.

Ueber den Fang der Wiſents hat Dimitri Dolmatow, Aufſeher der kaiſerlichen Wälder der Provinz Grodno, im Jahre 1849 in einer engliſchen Zeitſchrift eine ſehr lehrreiche Schil - derung gegeben. Jch will das Wichtigſte davon der deutſchen Ueberſetzung entnehmen, welche ſich in Froriep’s Notizen findet.

Der Kaiſer hatte der Königin Victoria zwei lebende Wiſents für den Thiergarten in London verſprochen und gab deshalb den Befehl, daß einige der ſeltenen Thiere gefangen wurden. Graf Kiſſelew, der über die kaiſerlichen Güter geſtellte Miniſter, überbrachte eigenhändig hierzu den Be - fehl. Die Jagd wurde auf den 20. Juli feſtgeſetzt. Mit Tagesanbruch verſammelten ſich dreihun - dert Treiber und achtzig von den Jägern des Waldes, deren Flinten blos mit Pulver geladen waren, und ſuchten zunächſt die nächtliche Fährte der Wiſents. Es war ein heiterer, windſtiller Tag. Die dreihundertundachtzig Menſchen umſtellten in aller Stille das einſame Thal, in dem ſich die Wiſentherde aufhielt. Schritt für Schritt drang man mit der größten Ruhe in das umſtellte Dickicht. Als die Grenze des Thales erreicht wurde, erblickte Dolmatow und ſein Begleiter die Wiſentherde auf einem Hügel gelagert. Die Kälber hüpften und ſprangen, den Sand mit ihren flinken Füßen hoch aufwerfend, munter umher, kehrten bisweilen zu ihren Müttern zurück, rieben ſich an ihnen, leckten ſie und hüpften wieder ebenſo munter davon. Ein Stoß ins Horn endete ur - plötzlich dies Stillleben. Von entſetzlichem Schrecken ergriffen, ſprang die Herde auf und ſchien durch Gehör und Geſicht den Feind erkundſchaften zu wollen. Die Kälber ſchmiegten ſich furchtſam an ihre Mutter. Als das Gebell der Hunde erſchallte, ordnete ſich die Herde eiligſt in der gewohn - ten Weiſe. Die Kälber wurden vorangeſtellt, und der ganze Trupp bildete die Nachhut, erſtere vor einem Angriff der Hunde ſchützend.

Als die Herde an die Treiberlinien kam, wurde ſie mit gellendem Geſchrei und mit blinden Schüſſen empfangen. Die alten Wiſents durchbrachen wüthend die Treiberlinie und ſtürzten weiter, ohne ſich um die Menſchen, welche ſich ängſtlich gegen die Bäume drückten, viel zu kümmern. Die Jäger waren ſo glücklich, zwei Junge zu fangen. Ein etwa drei Monate altes Kalb wurde ohne große Mühe gebändigt, ein anderes, etwa funfzehn Monate altes, warf acht Mann zu Boden und entfloh, ward aber von den Hunden verfolgt und im Garten eines Förſters zum zweiten Male ge - fangen. Noch vier andere Kälber, ein Männchen und drei Weibchen, wurden erhaſcht. Eins der weiblichen Jungen war erſt einige Tage alt. Man brachte es ſogleich zu einer Kuh, deren graue Farbe dem Fell des Wiſents entſprach. Die Kuh nahm ſich des wilden, bärtigen Jungen mit vieler Zärtlichkeit an, und das Kalb ſäugte zum allgemeinen Erſtaunen vortrefflich, ſtarb aber leider nach ſechs Tagen an einer Geſchwulſt im Nacken, welche es ſchon, als es gefangen wurde, beſeſſen hatte. Die übrigen Kälber nahmen am erſten Tage ihrer Gefangenſchaft keine Nahrung zu ſich. Das drei Monate alte Junge begann am folgenden Tage an der Kuh, zu welcher man es geführt hatte, zu ſäugen, und war ſehr munter und lebendig. Alle anderen, mit Ausnahme des älteren, ſchlürften zuerſt die Milch aus der Hand eines Mannes, und tranken ſie dann begierig aus einem Eimer. Nach kurzer Friſt verlor ſich ihr wilder Blick; ſie legten ihre Scheu ab und wurden munter und muth - willig. Wenn man ſie aus dem Stall in den geräumigen Hof gelaſſen hatte, freute ſich Jedermann über die Schnelligkeit ihrer Bewegungen. Sie ſprangen mit der Leichtigkeit einer Ziege oder eines Hirſches umher, ſpielten aus freiem Antriebe mit den Kälbern zahmer Kühe, kämpften mit ihnen und ſchienen, obwohl ſtärker, ihnen großmüthig den Sieg zu überlaſſen. Der männliche funfzehn Monate alte Wiſent behielt längere Zeit ſeinen wilden, drohenden Blick, erzürnte ſich, ſobald ſich645Der Wiſent.ihm Jemand nahte, ſchüttelte den Kopf, leckte mit der Zunge und wies ſeine Hörner; aber nach zwei Monaten war auch er ziemlich zahm und zeigte Neigung zu dem Manne, welcher ihn bisher gefüttert hatte. Von nun an konnte man ihn freier halten.

Man bemerkte an allen dieſen Thieren, daß ſie gern mit den Füßen auf dem Boden ſcharren, Erde in die Höhe werfen und ſich wie Pferde bäumen. Sobald ſie aus dem Stalle kamen, wurden ſie muthig, erhoben ſtolz den Kopf, öffneten ihre Nüſtern, ſchnaubten und machten die luſtigſten Sprünge. Sie merkten es ſehr, daß ſie eingeſperrt waren, und blickten bald nach den ungeheuren Waldungen, bald nach den grünen Wieſen ſehnſuchtsvoll hin; es ſchien faſt, als ob ſie Heimweh hätten oder ſich ihre ungezwungene Freiheit zurückwünſchten; denn immer kehrten ſie geſenkten Hauptes und traurig in den Stall zurück. Gegen ihren Pfleger bewieſen ſie eine große Zuneigung. Sie ſahen ihm nach, wenn er ging, begrüßten ihn durch Entgegenkommen, wenn er ſich nahte, ſcheuerten ſich an ihm, leckten ihm die Hände und hörten auf ſeine Stimme.

Man hatte die ſieben gefangenen Wiſents an zwei von einander entfernten Orten eingeſtellt. Die beiden auf der erſten Jagd gefangenen Männchen vertrugen das ihnen gereichte Futter ſehr gut, die übrigen, welche nur Milch tranken, aber ſäugten, litten eine Woche lang am Durchfall, wahr - ſcheinlich weil die Milch, welche von fern herbeigeſchafft werden mußte, nicht immer friſch und ſüß war; denn ihr Unwohlſein verlor ſich, als ſie warme Milch vom Euter der Kuh weg erhielten. Die beiden Männchen leckten Salz, die übrigen verſchmähten es, wie der ältere Stier die Milch. Er bekam vom erſten Tage an Hafer mit Häckſel gemengt, Heu aus den Waldwieſen, Rinden und Blätter der Eſche und verſchiedene Waldkräuter. Als die übrigen Kälber nicht mehr mit Milch ge - nährt wurden, erhielten ſie daſſelbe Futter. Sie tranken täglich mehrmals Waſſer, die jüngeren Thiere aber erſt, nachdem es mit Milch verſetzt worden war. Jhren Hunger oder Durſt gaben ſie durch ein ſchweineähnliches Grunzen zu erkennen.

Das reichliche und abwechſelnde Futter, ein Stall, welcher ſie im Winter vor der Kälte und im Sommer vor den Kerbthierſtichen ſchützte, war ihrem Gedeihen ſehr förderlich. Sie wuchſen ſchnell heran.

Später brachte man die ſchon halb gezähmten Thiere von Bialowicza nach Grodno, zwanzig deutſche Meilen weit. Das für St. Petersburg beſtimmte Paar, zwei Stiere, befand ſich in einem läng - lichen Käfig, der mit Stroh bedeckt und in zwei Abtheilungen geſchieden war, ſo daß ſich die Thiere niederlegen konnten, ohne ſich von einander zu entfernen. Der neue Käfig und das Schaukeln des Wagens ſchien ſie mit Furcht zu erfüllen. Sie verhielten ſich zwar ruhig, fraßen aber in den erſten vierundzwanzig Stunden nicht, legten ſich auch nicht nieder. Schon am zweiten Tage jedoch be - trugen ſie ſich wie gewöhnlich. Das für London beſtimmte Paar ward in einem geräumigeren und bedeckten Käfig fortgeſchafft. Der Stier zeigte ſich während der ganzen Reiſe aufs höchſte verſtimmt und brüllte fortwährend ingrimmig, wie ein Bulle. Zu Grodno brachte man beide Paare in einen geräu - migen Stall und trennte ſie hier nur anfänglich durch Querbalken. Sie fielen aber ſo wüthend über einander her, daß man ſie aus einander thun mußte; denn die Scheidewände hielten ſie durch - aus nicht ab: ſie zertrümmerten dieſe mit wenigen Stößen. Sonderbarerweiſe griffen die drei Stiere gleichzeitig die einzige Kuh an und würden ohne Hinzukommen der Wärter ſie getödtet haben. Erſt allmählich gewöhnten ſie ſich an einander.

Jch ſah die Wiſents zuerſt im Thiergarten zu Schönbrunn. Sie bewohnten dort ſeit einigen Jahren einen Stall, vor welchem ſich ein mit dicken Stämmen umhegter Hof befand. Sehr ſtarke Eichenpfoſten trugen die Querbalken der Umhegung; ſie ſtaken viele Fuß tief in der Erde und waren noch außerdem durch Strebebalken befeſtigt. Als ich die Thiere beſuchte, hatte die Kuh gerade ein noch ſaugendes Kalb, und ihre Beſorgniß für daſſelbe drückte ſich deutlich in ihrem ganzen Weſen aus. Jch trat, um die ſeltenen Geſchöpfe ſogut als möglich zu ſehen, etwas näher an die Umhegung, als dies den Wiſents lieb ſein mochte; denn plötzlich ſenkte die Kuh ihren Kopf nieder, ſchoß brüllend und die blaue Zunge lang aus dem Halſe hervorſtreckend, auf mich los646Die Rinder. Der Wiſent.und rannte mit ihrem Kopfe derartig gegen die Balken an, daß ſelbſt die eichenen Stämme zit - terten. Ein anderes Geſchöpf würde ſich jedenfalls bei ſolchem Stoß den Schädel in Stücke zer - trümmert haben, der wüthende Wiſent aber wiederholte ſeine Kraftanſtrengungen gleichgiltig drei, vier Mal hinter einander.

Man hat beobachtet, daß die Wiſents in der Gefangenſchaft ſich ſtärker vermehren, als im Freien, und kennt Beiſpiele, daß einer von ihnen zwanzig Jahre im engen Gewahrſam ausgehalten hat. Niemals hat man aber bisjetzt eines dieſer grimmigen, blindwüthenden Geſchöpfe wirklich zähmen können. So leutſelig ſie ſich auch in der Jugend betrugen; mit zunehmendem Alter brach ihre raſende Wildheit immer hervor, und nicht einmal die Wärter durften ihnen ganz trauen. Die Thiere ließen ſich zwar auf dem Kopfe krauen und nahmen ihren Wärtern das Futter aus der Hand, dieſelben mußten ſich aber doch fortwährend aufs äußerſte in Acht nehmen, um dem wie Strohfeuer auflodernden Zorn der Wiſents zu entgehen. Dabei machen die Gefaugenen ihren Pflegern ſehr viel zu ſchaffen. Es erforderte unendliche Mühe, einen durch mehrere Jahre in der Gefangenſchaft gehal - tenen Wiſent an einen anderen Ort zu bringen. Eine Kuh, welche in einen anderen Raum geſchafft werden ſollte, wurde durch zwanzig ſtarke Männer an dicken Seilen, die ihr um den Kopf gebunden waren, feſtgehalten: eine einzige Bewegung des Thieres aber war genügend, alle Leute mit Einem zu Boden zu werfen. Jedenfalls werden die Wiſents im eingeſchloſſenen Raum, und wenn ſie tag - täglich mit Menſchen zuſammenkommen, auch nicht zahmer, als im Freien, wo ſie ſich überzeugt haben, daß ſie gehegt werden. Die Wiſents, welche man zwiſchen Taplaken und Leuküſchken in Preußen hegte und fütterte, fielen nicht nur niemals einen Menſchen an, ſondern wurden zuletzt ſo dreiſt, daß ſie den Leuten nachliefen und ſie um Futter bettelten, weil ſie gewöhnt worden waren, von den Vorübergehenden regelmäßig Etwas zu erhalten. Am ſchlimmſten ſind die Leute daran, welche irgendwie in ſchreiende Farben gekleidet ſind, und namentlich das Roth übt eine wahrhaft - moniſche Gewalt auch auf die Wiſents aus.

Mehrere Naturforſcher haben die Anſicht verfochten, daß der Wiſent einen großen Antheil an der Entſtehung mancher Raſſen unſeres Rindes habe. Man glaubte, daß früher der wildlebende Wiſent ſich öfters mit anderen Rinderarten vermiſcht und fruchtbare Blendlinge erzielt hätte. Die neueren Erfahrungen haben jedoch das Gegentheil bewieſen. Zwiſchen dem Wiſent und unſerem Rinde beſteht ein unglaublich großer Abſcheu, und ſelbſt wenn man, wie es im Bialowiczaer Walde geſchehen iſt, jung eingefangene Wiſentkälber ſtets mit zahmen Rindern zuſammenhält, ändert ſich das Verhältniß nicht. Als man verſuchte, eine junge Wiſentkuh mit einem ſchönen Hausſtiere zur Paarung zu bringen und denſelben dicht neben ſie in den Stall brachte, durchbrach ſie wüthend den Verſchlag, welcher ſie von jenem Stiere trennte, fiel ihn raſend an und trieb ihn aus dem Stalle mit größter Wuth und Kraft, ohne daß der ſeinerſeits nun ebenfalls gereizte Stier nur Gelegenheit ge - funden hätte, ſich ihr zu widerſetzen.

Ueber den Schaden und Nutzen des Wiſents iſt jetzt kaum noch zu reden. Jm Bialowiczaer Walde kommen die Zerſtörungen, welche dieſes Wild, um ſich zu nähren, oder aus Uebermuth an - richtet, nicht groß in Anſchlag, der Nutzen aber ebenſowenig. Das Fleiſch wird gerühmt; ſein Ge - ſchmack ſoll zwiſchen Rindfleiſch und Wildpret in der Mitte liegen: namentlich das Fleiſch von Kühen und Kälbern ſoll ſehr gut ſein. Die Polen betrachteten das eingeſalzene Wiſentfleiſch als einen vor - züglichen Leckerbiſſen und machten fürſtlichen Höfen damit Geſchenke. Das Fell gibt ein ſtarkes und dauerhaftes, aber lockeres und ſchwammiges Leder und wird gegenwärtig wenig benutzt, höchſtens, um Riemen und Stränge daraus zu ſchneiden. Die Hörner und Hufe wurden zu allerlei Gegen - ſtänden verarbeitet, denen man eine gewiſſe ſchützende Kraft zuſchrieb. Unſere Vorfahren verfertigten hauptſächlich Trinkgeſchirre aus den ſchönen, feſten Hörnern, und die Kaukaſier gebrauchen ſolche heute noch, anſtatt der Weingläſer. Bei einem Gaſtmahle, welches ein kaukaſiſcher Fürſt dem General Roſen zu Ehren gab, dienten 50 bis 70 mit Silber ausgelegte Wiſenthörner als Trinkbecher.

647Der Biſon.

Daſſelbe Schickſal, welches ſich am Wiſent nahezu erfüllt, ſteht ſeinem einzigen Verwandten, dem amerikaniſchen Biſon, bevor. Auch er verbreitete ſich früher faſt über die ganze Nordhälfte der weſtlichen Erde und iſt gegenwärtig ſchon in vielen Ländern gänzlich vernichtet. Von Jahr zu Jahr wird er weiter zurückgetrieben und mehr und mehr beſchränkt. Der Weiße und der Jndianer theilen ſich mit dem Wolf in Verfolgung des Thieres; der Wolf aber iſt von dieſen drei ſchlimmſten Feinden des Thieres der menſchlichſte: er vertilgt wenigſtens nicht mehr, als er zu ſeiner Nahrung bedarf, während der Menſch dem Biſon rückſichtslos entgegentritt und innerhalb ſeiner Herden un - gleich größere Verherungen aurichtet, als nothwendig wäre. Noch durchziehen Millionen der ſtolzen Thiere die ungeheuren Steppen im Weſten Nordamerikas; aber es bleichen ſchon gegenwärtig tauſend - mal mehr Schädel erlegter Biſons in der Prairie, als heutigen Tags noch Büffel leben. Als die Europäer ihre Niederlaſſungen in Nordamerika zu gründen begannen, fand man den Biſon an den Küſten des atlantiſchen Weltmeers; aber ſchon zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts ſah man es als eine denkwürdige Begebenheit an, daß ein Biſon am Kap Fear River erlegt wurde. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts war der Büffel zahlreich in Kentucky und im Weſten von Peunſilvanien; jetzt findet er ſich kaum noch in Louiſiana und Arkanſas. Sonſt war der große Sklavenſee unter dem 60. Grad der Breite ſeine Grenze nach Norden hin und das Felsgebirg die Mauer, welche ihn von Weſten ſchied; jetzt iſt er bereits bis zum 65. Grad nördlicher Breite vorgedrungen, wie ein Verfolg - ter, welcher Schutz in Einöden ſucht, und ebenſo hat er ſich mühſelig über das hohe Gebirge einen Weg gebahnt, um in den weſtlichen Ebenen Zuflucht zu finden. Auch dieſe Fluchtverſuche werden ihn von ſeinem endlichen Schickſal nicht erretten können. Jndianer und Weiße ſitzen ihm beſtändig auf dem Nacken; das Morden, die Vernichtung gehen unaufhaltſam ihren Gang.

Der Biſon oder Büffel der Amerikaner (Bonassus americanus) iſt unter den nordamerikani - ſchen Thieren daſſelbe, was der Wiſent in Europa: der Rieſe unter allen Landſäugethieren. Die Länge des Bullen beträgt ungefähr bis 9 Fuß, ungerechnet des , mit dem Haar aber 2 Fuß langen Schwanzes, die Höhe am Widerriſt bis 6 Fuß, die Kreuzhöhe 5 Fuß. Das Gewicht ſchwankt zwiſchen zwölf und zwanzig Centnern. Die Kuh erreicht etwa vier Fünftel der Größe des Stiers. Jn Geſtalt und Anſehen ähnelt der Biſon dem Wiſent ungemein. Demungeachtet fällt es dem Kundigen nicht ſchwer, beide zu unterſcheiden. Bezeichnend für den Biſon iſt die verhältniß - mäßige Kürze der Beine und des Schwanzes, bei ſtärkerer Ausbildung des Bruſttheils und Ber - ſchmächtigung des Hintertheils, ſowie das lange Haarkleid. Der Kopf iſt gewaltig breit auf der Stirn, verhältnißmäßig größer, als bei dem Wiſent, der Hals iſt kurz, der Widerriſt ungemein hoch, das Hintergeſtell dagegen verhältnißmäßig ſchwach und ſchmal, der Schwanz kurz. Die kurzen, dicken Hörner biegen ſich ſanft aus - und aufwärts, mit den Spitzen aber wieder etwas nach innen. Die Ohren ſind kurz und ſchmal, zierlich geſtaltet, die Augen ziemlich groß und ſehr dunkel von Farbe; denn ſelbſt das Weiße iſt getrübt, gelbbraun. Die Behaarung ähnelt der des Wiſents. Kopf, Hals, Schultern, Vorderleib und Vorderſchenkel, der Vordertheil der Hinter - ſchenkel und die Schwanzſpitze ſind lang behaart, die Schultertheile mähnig, Kinn und Unterhals bartähnlich, der Kopf kraus, filzig. Alle übrigen Leibestheile tragen nur ein kurzes, dichtes Haar - kleid. Jm Winter verlängert ſich das Haar bedeutend; mit Beginn des Frühlings wird der Winter - pelz in großen Flocken abgeſtoßen. Mit dieſer Veränderung ſteht die Färbung im Einklang. Sie iſt eigentlich ein ſehr gleichmäßiges Graubraun, welches in der Mähne, d. h. alſo an Vorderkopf, Stirn, Hals und Wamme dunkler wird, nämlich in Schwarzbraun übergeht. Das abgeſtoßene Haar ver - bleicht und nimmt dann eine graulich gelbbraune Färbung an. Hörner und Hufe, ſowie die nackte Muffel ſind glänzend ſchwarz. Bezeichnend für den Stier ſind nach der Beſchreibung des Prinzen von Wied zwei gepaarte Zitzen, dicht neben einander, jederſeits der Brunſtruthe. Weiße und weiß gefleckte Spielarten ſind beobachtet worden; dieſelben kommen aber immer ſelten vor. Sodann ſpre - chen die Amerikaner von beſonderen Naſſen, mit weichen, feidenartig glänzenden Haaren, welche im Sonnenſchein wie Biberhaare glänzen und ſchimmern ſollen.

648Die Rinder. Der Biſon.

Zur Zeit ſind die Gegenden nördlich und weſtlich vom Miſſouri die Aufenthaltsorte des Biſon. Hier ſieht man ihn allerdings noch in ungeheurer Menge. Fröbel zog im Jahre 1858 mit einer Wagenkaravane von Miſſouri nach Mejiko und acht Tage lang bewegte ſich dieſer Menſchenzug unaufhörlich zwiſchen Büffelherden fort. Die meiſten fanden ſich auf der Nordſeite des Arkanſas; am entgegengeſetzten Ufer gab es ſchon viel weniger. Auch Möllhauſen ſah im Jahre 1851 Hundert - tauſende von Biſonten auf den endloſen Prairien, weſtlich des Miſſouri, Maſſen, daß die Ebene, ſoweit ſein Blick reichte, ſchwarz von ihnen war, und ein Ueberſchlag ihrer Zahl nach möglicherweiſe nur gemacht werden konnte, indem man den Flächenraum, welchen die Thiere bedeckten, nach Ge - viertmeilen berechnete. Der Biſon iſt, wie es ſcheint, noch geſelliger als die übrigen Rinder; jedoch bilden die Maſſen, welche man auf ein und derſelben Ebene erblickt, nicht eine einzige Herde, ſondern

Der Biſon (Bonassus amoricanus).

zerfallen in zahlloſe kleinere Geſellſchaften. Rückſichtlich der verſchiedenen Geſchlechter vereinigt ſich der Biſon überhaupt nur in gewiſſen Monaten, zur Brunſtzeit nämlich; den übrigen Theil des Jahres hindurch bilden die Stiere für ſich abgeſonderte Trupps, die Kühe mit ihren noch nicht zeu - gungsfähigen Kälbern andere. Die Geſammtheit bleibt übrigens in einer gewiſſen Verbindung: eine Herde zieht der anderen nach.

Je nach der Jahreszeit iſt der Aufenthaltsort dieſer Rinder verſchieden. Jm Sommer zerſtreuen ſich die Biſonten in den weiten Ebenen, im Winter vereinigen ſie ſich mehr und ſuchen dann die wal - digen Gegenden auf. Dann findet man ſie z. B. auf baumreichen Jnſeln der Ströme und Seen oder längs deren waldigen Ufern in großer Menge. Alljährlich unternehmen ſie mit größerer oder geringerer Regelmäßigkeit eine Wanderung. Vom Juli an ziehen ſie ſüdwärts nach den fruchtbaren Gegenden von Arkanſas, mit Beginn des Frühjahrs kehren ſie wieder nach Norden zurück und zwar649Der Biſon.in kleinere Trupps oder Herden aufgelöſt. Dieſe Wanderungen dehnen ſie von Kanada bis hinter zu den Küſtenländern des mejikaniſchen Golfs und von Miſſouri bis zu den Felſengebirgen aus. Dem - ungeachtet findet man allerorten, wo ſie hauſen, einzelne Zurückgebliebene, welche ſich dem großen Strome nicht angeſchloſſen haben. Dies ſind gewöhnlich alte Stiere, ſchon zu ſteif und zu träge, um den Heerſäulen zu folgen, vielleicht auch zu bösartig, als daß ſie von der jüngeren Geſellſchaft geduldet würden, und deshalb zum Einſiedlerleben gezwungen. Die wandernden Herden ſind auch dann noch kenntlich, wenn man die Büffel ſelbſt nicht wahrnimmt; denn ebenſo wie eine Menge von magern Wölfen hinter ihnen daherzieht, folgen ihnen Geier und Adler und Raben in den Lüf - ten, und die einen, wie die anderen ſind ſicherer Beute gewiß. Es ſcheint, als ob die Büffel gewiſſe Straßen auch auf ihrer Wanderung einhielten. Da, wo ſie ſich feſt angeſiedelt haben, wechſeln ſie mit großer Regelmäßigkeit hin und her, namentlich von den ſaftigen Weideplätzen zu den Flüſſen, welche ſie beſuchen, um ſich zu tränken oder badend zu kühlen, und auf ihren Wanderungen treten ſie ſich jene Wege aus, die unter dem Namen Büffelpfade Allen bekannt geworden ſind, welche die Prairien durchreiſten. Die Büffelpfade führen meiſt in gerader Richtung fort, hunderte neben ein - ander, überſchreiten Gebirgsbäche und Flüſſe, da, wo die Ufer zum Ein - und Ausſteigen bequem ſind und ziehen ſich viele, viele Meilen weit durch die Steppen dahin.

Das Geſellſchaftsleben der Biſonten wird hauptſächlich durch zwei Urſachen bedingt, durch den Wechſel des Jahres und durch die Fortpflanzung. Der Frühling zerſtreut, der Herbſt vereinigt. Jn den Monaten Juli und Auguſt ſtellen ſich die wohlgenährten Stiere bei den Kühen ein, und jeder Einzelne von ihnen erwählt ſich eine Lebensgefährtin. Ungeachtet ſolcher Genügſamkeit aber geht es nicht ohne Kampf und Streit ab; denn auch unter den Büffeln befinden ſich häufig genug mehrere Bewerber um ein und dieſelbe Kuh. Dann entbrennen furchtbare Kämpfe, bis ein Stier als unan - fechtbarer Sieger aus dem Kampfe hervorgeht. Hierauf ſondert ſich das Paar von der Herde und hält ſich nur bis zu dem Monate zuſammen, in welchem der aus ſolcher Vereinigung hervorgehende Sprößling geboren wird. Sobald ein Paar ſich wirklich vereinigt hat, tritt der Frieden unter der Geſammtheit wieder ein.

Alle Beobachter verſichern, daß man ſich kaum ein prachtvolleres Schauſpiel denken könne, als ſolchen Kampf zwiſchen zwei kräſtigen Stieren es gewährt. Der zum Gefecht ſich anſchickende Viſon ſtampft wüthend den Grund, brüllt laut, ſchüttelt mit dem tief zu Boden geſenkten Kopf, erhebt den Schwanz, peitſcht mit ihm durch die Luft und ſtürzt ſodann plötzlich mit überraſchender Eile auf ſeinen Gegner zu. Die Gehörne, die Stirnen prallen laut ſchallend an einander. Dem ungeachtet hat man, wie Audubon verſichert, niemals beobachtet, daß ein Stier von dem anderen in ſolchem Kampf getödtet worden wäre. Der dicke Schädel, welcher außerdem durch den Wollfilz auf ihm wohlgeſchützt iſt, hält einen gewaltigen Stoß ohne Schaden aus, und die kurzen Hörner ſind auch keine geeigneten Waffen, einen gleich ſtarken Gegner tödtlich zu verletzen. Jn Ermangelung eines Nebenbuhlers verſucht der brünſtige Stier ſeinen Gefühlen in anderer Weiſe Luft zu machen: er kämpft dann ſinnlos mit dem Grund und Boden ſelber. An einer geeigneten Stelle beginnt er mit den Füßen zu ſcharren und ſodann mit den Hörnern in die Erde zu bohren, ſchleudert Raſenſtücke und die loſe Erde nach allen Seiten weg und bildet ſo eine trichterförmige Mulde von größerer oder geringerer Tiefe. Andere Bullen, welche zu ſolchen Plätzen kommen, pflegen das Werk des Erſten fortzuſetzen und vergrößern dadurch die Vertiefung mehr und mehr. Doch ſcheint es, als ob mit dieſer Arbeit auch noch ein anderer Zweck verbunden werde. Jn den trichterförmigen Bertiefungen nämlich ſammelt ſich ſchnell Waſſer, und es entſteht ſodann eine Badewanne, welche der von der Hitze und den Mücken geplagte Stier mit erſichtlicher Freude benutzt, um ſich zu kühlen und vor den Mücken zu ſchützen. Allmählich, ſagt Möllhauſen, ſenkt ſich der Biſon tiefer und tiefer in den Moraſt, indem er mit den Füßen ſtampft und ſich im Kreiſe herumſchiebt, und erſt, wenn er ſich zur Genüge dem Genuſſe hingegeben, entſteigt er dem Morbade. Er ſieht dann keinem lebenden Weſen mehr ähnlich. Der lange Bart und die dicke, zottige Mähne ſind in eine triefende, klebrige650Die Rinder. Der Biſon.Maſſe verwandelt, und nur die rollenden Augen ſind im vollſten Sinne des Worts das Einzige, was an dem wandernden Erdhaufen von dem ſtattlichen Büffel geblieben. Kaum iſt der Pfuhl vom Erſten verlaſſen, ſo nimmt ein Anderer den Platz ein, und dieſer ſtellt ihn wieder einem Dritten zur Verfügung. So treibt die Herde es fort, bis jeder der Anweſenden die Merkmale dieſes eigenthüm - lichen Bades auf ſeinen Schultern trägt. Dort trocknen ſie in eine feſte Kruſte zuſammen, welche erſt durch Wälzen im Graſe oder durch den nächſten Regen allgemach entfernt wird.

Die Brunſt währt ungefähr einen Monat lang; Stiere aber, welche ihren Trieb nicht befriedi - gen können, bleiben noch Wochen lang nach der eigentlichen Brunſtzeit wüthend und bösartig. Sie greifen dann ſogar den Menſchen, welchen ſie ſonſt immer fliehen, rückſichtslos an. Ein unaus - ſtehlicher Moſchusgeruch macht ſie auch dem Jäger ſchon von weitem kenntlich. Er erfüllt die Luft und durchdringt das Wildpret in einem Grade, daß es, für Europäer wenigſtens, vollkommen unge - nießbar wird. Die heftige Erregung bringt das Thier außerdem ſehr vom Leibe; es vergißt ſelbſt ſich zu äßen, magert ab und wird ſchließlich ganz entkräftet. Dann bleibt es hinter den eigentlichen Herden zurück, und nun erſt kommt es nach und nach wieder zur Beſinnung. Die Einſamkeit beruhigt, die Aeßung kräftigt, und gegen den Herbſt hin iſt die unglückliche Liebe vergeſſen.

Neun volle Monate nach der Paarung, gewöhnlich in der Mitte des März oder im April, bringt die Kuh ihr Kalb zur Welt. Schon früher hat ſie ſich von dem Stier getrennt, mit welchem ſie vorher wochenlang zuſammenlebte, und dafür ſich anderen hochbeſchlagenen Kühen angeſchloſſen. Dieſe Trupps der Mutterthiere wählen ſich, wenn die Zeit des Kalbens herannaht, die ſaftigſten Weideplätze aus und verweilen auf ihnen mit den Kälbern, ſolange ſich Weide findet. Die Kälber werden von den Müttern überaus zärtlich behandelt und gegen alle Feinde mit großem Muth ver - theidigt. Sie verdienen aber auch ſolche Liebe; denn ſie ſind äußerſt liebliche Geſchöpfe, munter, beweglich, ſpielluſtig, zu heiteren Sprüngen und zu neckiſchen Scherzen jederzeit aufgelegt. Ueber - haupt iſt der Biſon keineswegs ein ſo faules und der Bewegung abholdes Weſen, als einzelne Be - ſchreiber behauptet haben. Das uns plump erſcheinende Thier bewegt ſich mit einer überraſchenden Leichtigkeit. Der genaue Beobachter findet, daß es oft mit ſeiner eigenen Kraft zu ſcherzen und zu ſpielen ſcheint. Namentlich in den Morgen - und Abendſtunden ſind die Biſonten ſehr lebendig; die Jungen ergötzen ſich dann in luſtigen Spielen, und die Alten ſehen ſolchem Treiben vergnügt zu, nehmen auch wohl Theil daran. Ungeachtet ſeiner kurzen Läufe durchmißt der Biſon raſch bedeutende Strecken. Er geht niemals in der faulen Weiſe, wie ein zahmes Rind, langſam dahin, ſondern ſtets eiligen Schrittes. Er trabt raſch und ausdauernd und bewegt ſich im Galopp mit ſo großer Schnelle, daß ein gutes Pferd ſich anſtrengen muß, um mit ihm fortzukommen. Einen Menſchen überholt er ſchon trabend mit Leichtigkeit. Seine Bewegungen ſind eigenthümlich, kurz abgebrochen, und na - mentlich der galoppirende Biſon bewegt ſich in ſonderbaren Wellenlinien, welche dadurch entſtehen, daß er die Maſſe des Leibes bald vorn, bald hinten aufwirft. Aber plump und ungeſchickt iſt er durchaus nicht, vielmehr gewandt und behend in einer Weiſe, welche außer allem Verhältniß zu ſei - nem Leibesbau zu ſtehen ſcheint: das wüthende Thier ſtürzt in raſender Eile dahin. Das Schwim - men übt der Biſon mit derſelben Kraft und Ausdauer, welche ſeine Bewegungen überhaupt kenn - zeichnet. Er nimmt nicht den geringſten Anſtand, ſich in das Waſſer zu begeben. Clarke ſah eine Herde über den Miſſouri ſetzen, da, wo der Strom über eine engliſche Meile breit war. Jn unun - terbrochener Reihe zogen die Thiere mit großer Schnelligkeit durch das Waſſer, eins dicht hinter dem anderen, und während die Erſten drüben bereits wieder feſten Fuß gefaßt hatten, ſtürzten ſich hüben die Letzten noch immer ins Waſſer.

Unter den Sinnen ſtehen Geruch und Gehör obenan. Der Biſon wittert vorzüglich und ver - nimmt auf weite Strecken hin. Das Geſicht wird von allen Beobachtern gleichmäßig beurtheilt: es ſoll ſchlecht ſein. Von Unvollkommenheit des Sinneswerkzeugs aber darf man ſchwerlich reden; denn das Ange iſt wohlgebildet und unterſcheidet ſich wohl kaum von dem anderer Wiederkäuer; der dichte Haarfilz aber, welcher gerade den Kopf umgibt, hindert den Biſon am Sehen.

651Der Biſon.

Hinſichtlich der geiſtigen Fähigkeiten unterſcheidet ſich der amerikaniſche Wildochſe nicht von an - deren Verwandten. Er iſt wenig begabt, gutmüthig und furchtſam, ſchneller Erregungen unfähig; aber er kann gereizt alle Rückſichten vergeſſen, welche er ſonſt zu nehmen pflegt, und dann ſehr muthig, boshaft und rachſüchtig werden. An Gefangenen bemerkt man leichter, als an den Wild - lebenden, daß der Geiſt doch bildſam iſt. Auch jene beweiſen hinlänglich, daß ſie zwiſchen Nütz - lichem und Schädlichem zu unterſcheiden wiſſen; bei dieſen nimmt man nach und nach wahr, daß ſie für ihre Verhältniſſe ein Verſtändniß gewinnen, welches man ihnen eigentlich nicht zutraut. Sie ſind der Zähmung durchaus nicht unzugänglich, wie früher oft behauptet worden iſt; ſie treten vielmehr mit dem Menſchen, welcher ſie recht zu behandeln weiß, in ein faſt freundſchaftliches Verhältniß: ihren Wärter lernen ſie kennen und in gewiſſem Grade lieben. Aber freilich währt es lange, ehe ſie ihre angeborne Scheu ablegen und ſich zu einer Aenderung ihrer vorgefaßten Meinung bequemen. Der Stier zeigt ſich unter allen Umſtänden ſelbſtbewußter, anſpruchsvoller, herrſchſüchtiger und des - halb muthiger und kampfesluſtiger, als die Kuh.

Die Stimme des Biſon iſt ein dumpfes, nicht eben lautes Brüllen, mehr ein Grollen in tiefer Bruſt, als ein Blöcken. Wenn Tauſende und Abertauſende zugleich ſich vernehmen laſſen, einen ſich die Stimmen zu einem unbeſchreiblichen Getön, welches wohl am richtigſten mit dem Rollen fernen Donners verglichen werden dürfte.

Die Aeßung iſt verſchieden, je nach der Jahreszeit. Während des Sommers bietet das friſche, ſaftige Gras der Prairien den graſenden Biſonten ein gedeihliches Futter, und die Wirkungen der guten Nahrung machen ſich dann an ihnen auch bald bemerklich. Jm Winter müſſen ſie mit geringer Nahrung vorlieb nehmen: ſie ſind dann zufrieden, wenn ſie neben Zweigſpitzen und verdorrten Blät - tern dürres Gras, Flechten und Mos erlangen können. Daß ſie zwiſchen gutem und ſchlechtem Futter mit Bewußtſein unterſcheiden, unterliegt gar keinem Zweifel: ſie bevorzugen gar wohl das beſſere, falls ſie es nur haben können; aber ſie ſind genügſam und begnügen ſich deshalb auch mit dem Geringſten.

Viele ſind der Gefahren, welche das Leben des Viſons bedrohen. Auch da, wo der Menſch und die anderen Feinde ihm nicht nachſtellen, hat er, um mit Darwin zu reden, zu kämpfen um das Daſein . Der Winter iſt gar ein böſer Feind: er vernichtet Hunderte unſerer Rinder, nachdem er ſie erſt entkräftete und ermattete. Zwar iſt der Biſon wohl gerüſtet, ihm zu widerſtehen: ſein dichtes Wollfilz ſchützt ihn unter günſtigen Umſtänden genügend gegen die Witterung, und der Haar - wechſel ſeines Kleides ſteht, wie zu erwarten, in ſo genauem Einklang mit der Jahreszeit, daß ihn, ſo zu ſagen, der Winter unvermuthet nicht überraſcht. Aber die Umſtände können ſehr traurig wer - den, wenn die Schneedecke allzuhoch den Boden bedeckt, und das nach Nahrung ſuchende Thier trotz aller Anſtrengungen nicht genug Aeßung findet, um ſein Bedürfuiß zu befriedigen. Dann verzehrt ſich raſch das Feiſt, welches er während des Sommers ſich ſammelte, die Entkräftung nimmt mehr und mehr überhand, und damit verſchwindet die Möglichkeit, ſich zu erhalten. Das ermattete Thier bleibt endlich mit verzweifelnder Entſagung ruhig liegen und läßt ſich widerſtandslos unter der Schneedecke begraben. Jäher noch endet der Winter ſein Daſein, wenn das Thier einer Eisdecke über die Flüſſe mehr vertraut, als es ſollte. Seine Gewohnheit, in dichtgedrängten Scharen zu wan - dern, wird ihm dann oft verderblich. Unter der ungeheuern Laſt einer Biſonherde bricht die Eis - decke; die Thiere ſtürzen ins Waſſer, bemühen ſich vergeblich, feſten Boden wieder zu gewinnen, werden von Hunderten, welche nachdrängen, verhindert und gehen elendiglich zu Grunde. Jn ganz ähnlicher Weiſe kommen viele Biſonten um, wenn ſie im Sommer über die Flüſſe ſetzen, und an einer Stelle landen wollen, wo Triebſand oder jäher Schlamm ihnen das Auſſteigen zum Lande erſchwert. Jhre ganz ungeheure Kraft iſt dann nicht genügend, die Hinderniſſe zu überwinden; ſie verſinken Angeſichts des ſicheren Bodens, im Laufe von Stunden vielleicht, aber unaufhaltſam in den zähen Brei.

652Die Rinder. Der Biſon.

An lebenden Feinden fehlt es dem Biſon ebenſowenig, als irgend einem anderen ſeines Ge - ſchlechts. Es wird geſagt, daß der gewaltige Griſelbär ſelbſt den Kampf mit dem wehrhaften Stier nicht ſcheue und verſichert, daß auch der Wolf wenigſtens jüngere gefährde. Der ſchlimmſte Feind aber bleibt doch der Menſch, der in Amerika Eingeborene, wie der dort Eingewanderte, obgleich ſtreng genommen der Letztere erſt das Zeichen zur Vernichtung gegeben. Jn früheren Zeiten, ſagt Möllhauſen, als der Büffel nur gewiſſermaßen als Hausthier der Jndianer betrachtet werden konnte, war keine Verminderung der unabſehbaren Herden bemerkbar; im Gegentheil, ſie gediehen und vermehrten ſich auf den üppigen Weiden. Nun kamen die Weißen in dieſe Gegenden. Die reichhaarigen großen Pelze gefielen ihnen, das fette Büffelfleiſch fanden ſie nach ihrem Geſchmack, und von beidem verſprachen ſie ſich reichen Gewinn. Es wurden zuerſt bei den Steppenbewohnern Be - gierden nach glänzenden oder betäubenden Erzeugniſſen der Weißen erweckt und dann im kleinſten Maße für ihre Jagdbeute geboten, worauf die Verheerung begann. Tauſende von Büffeln wurden der Zungen wegen, häufiger noch der zottigen Pelze halber erlegt, und in wenigen Jahren war eine bedeutende Verminderung derſelben auffallend bemerkbar. Der ſorgloſe Jndianer gedenkt nicht der Zukunft; er lebt nur der Gegenwart und ihren Genüſſen. Es bedarf bei ihm nicht mehr der Auf - munterung: er wird den Büffel jagen, bis der letzte ihm ſein Kleid gelaſſen. Sicher iſt die Zeit nicht mehr fern, wann die gewaltigen Herden nur noch in der Erinnerung leben und dreimalhundert - tauſend Jndianer ihres Unterhaltes beraubt und vom wüthendſten Hunger getrieben, nebſt Millionen von Wölfen zur Landplage der angrenzenden Geſittung und als ſolche dann mit der Wurzel aus - gerottet werden.

Manchfach iſt die Art und Weiſe, durch welche das Thier ſeinen Verfolgern unterliegen muß. Die Büſſeljagd der Prairieindianer iſt eine Beſchäftigung, durch welche ſie ſich nicht nur ihren Unter - halt verſchaffen, ſondern welche ihnen zugleich als höchſtes Vergnügen gilt. Beritten auf ausdauern - den Pferden, die ſie größtentheils wild in der Steppe eingefangen haben, ſind ſie im Stande, jedes Wild in der Ebene einzuholen, und ſuchen einen beſonderen Ruhm darin, mit der größten Schnellig - keit und möglichſtem Erfolg vom Pferde herab ihre tödtlichen Geſchoſſe unter eine fliehende Herde zu verſenden. Beabſichtigt der Jndianer eine Büffelherde zu überholen, ſo entledigt er ſich und ſein Pferd aller nur entbehrlichen und beſchwerenden Gegenſtände: Kleidung und Sattelzeug bleiben zurück; nur eine vierzig Fuß lange Leine, von rohem Leder geflochten, iſt um die Kinnlade des Pferdes geſchnürt und ſchleppt, über den Hals geworfen, in ihrer ganzen Länge auf der Erde nach. Sie dient zum Lenken, zugleich aber auch, um beim etwaigen Sturz oder ſonſtigen Unfall das loſe Pferd wieder leichter in die Gewalt des Neiters zu bringen.

Der Jäger führt in der linken Hand den Bogen und ſo viele Pfeile, als er bequem halten kann, in der rechten eine ſchwere Peitſche, mittelſt welcher er ſein flüchtiges Roß durch unbarmherzige Schläge unter die fliehende Herde und an die Seite einer fetten Kuh oder eines jungen Stieres treibt. Das gelehrige Pferd verſteht leicht die Abſicht ſeines Reiters und eilt, keiner weiteren Führung be - dürfend, dicht an die auserwählte Beute heran, um dem Jäger Gelegenheit zu geben, im günſtigen Augenblick den Pfeil bis an die Federn in die Weichen des Büffels zu ſenden. Kaum ſchwirrt die ſtraffe Sehne des Bogens, kaum gräbt ſich das ſcharfe Eiſen durch die krauſe Wolle in das fette Fleiſch, ſo entfernt ſich das Pferd von dem verwundeten Thiere durch einen mächtigen Sprung, um den Hörnern des wüthend gewordenen Feindes zu entgehen, und ein anderer Stier wird zum Opfer ausgeſucht. So geht die Hetzjagd mit Sturmeseile über die Ebene dahin, bis die Ermüdung ſeines Thieres den wilden Jäger mahnt, der unerſättlichen Jagdluſt Einhalt zu thun. Die verwundeten Büffel haben ſich indeſſen von der Herde getrennt und liegen erſchöpft oder verendend auf der Straße, auf welcher vor wenigen Minuten die wilde Jagd donnernd dahinbrauſte. Die Weiber des Jägers ſind ſeinen Spuren gefolgt und beſchäftigen ſich emſig damit, die Beute zu zerlegen und die beſten Stücke nebſt den Häuten nach den Wigwams zu ſchaffen, wo das Fleiſch in dünne Streifen zerſchnit -653Der Biſon.ten und getrocknet, das Fell aber auf einfache Art gegerbt wird. Natürlich wird der bei weitem größte Theil den Wölfen überlaſſen.

Da die lange Kopfmähne des Büffels demſelben die Augen verdeckt und ihn am klaren Sehen und Unterſcheiden hindert, wird es dem Gegner umſoleichter, ſelbſt ohne Pferd auf Beute auszu - gehen. Er befeſtigt dann eine Wolfshaut an ſeinem Kopfe und Körper, und indem er ſeine Waffen vor ſich hinſchiebt, geht er auf Händen und Füßen im Zickzack auf ſein Ziel los. Wenn dann der Wind nicht plötzlich den Jndianer in der Kleidung verräth, ſo gelingt es dem Schlauen ſicher, aus nächſter Nähe einen Büffel zu erlegen, ohne daß dadurch die übrige Herde aus der Ruhe geſtört würde. Selbſt den Knall der Büchſe ſcheuen dieſe Thiere nicht, ſo lange ſie mit ihren feinen Ge - ruchswerkzeugen die Anweſenheit eines Menſchen nicht wahrnehmen. Ein wohl verborgener Schütz vermag manchen Büffel einer ruhig graſenden Herde ohne große Störung mit der Kugel zu fällen: das Todesröcheln des verwundeten veranlaßt höchſtens den einen oder den anderen, den mähnigen Kopf auf einige Augenblicke forſchend zu erheben; dann geht er wieder an ſeine Lieblingsbeſchäftigung, an das Graſen.

Zu allen Jahreszeiten wird dem armen Büffel nachgeſtellt, ſelbſt dann, wenn der Schnee - ſturm die Niederung mit einer tiefen Decke überzogen hat und die beliebte Jagd mit den Pferden unmöglich geworden iſt. Langſam nur kann ſich dann die Herde durch den mehrere Fuß hohen Schnee wühlen; der ſinnreiche Jndianer aber hat ſich breite, geflochtene Schneeſchuhe an die leichten Füße befeſtigt, und, ohne auf dem unſicheren Boden einzubrechen, eilt er ſchnell an den mühſam waden - den Nieſen heran und ſtößt das wehrloſe Thier mit der Lanze nieder.

Auf ſolche Weiſe werden mehr Büffel der unbezwinglichen Jagdluſt, als dem wirtlichen Nutzen geopfert. Man führt den Ausrottungskrieg gegen die Zierde der Grasſteppen auf unbarm - herzige Weiſe fort. Keinem Gedanken an Schonung wird Raum werden, bis der letzte Büffel, bald nachher die letzte Rothhaut und mit ihr die einzige Naturdichtung des großen nordamerikaniſchen Feſt - landes verſchwunden ſein wird.

John Franklin ſah eine eigenthümliche Biſonjagd unweit Carlston. Man hatte eine unge - heure Strecke mit Pfählen umzäunt und mit Schneemauern umgeben. Auf der einen Seite war der Schnee bis zur Höhe der Pfähle aufgeworfen und rampenartig geebnet. Zu dieſem Pferche trieben berittene Jndianer eine Biſonherde und zwangen ſie durch entſetzliches Geſchrei und durch Flintenſchüſſe da hinein zu ſpringen, wo ſie dann leicht erlegt wurden.

Von anderen Reiſenden erfahren wir noch mehr über dieſe Jagden. Audubon theilt uns mit, daß man vom Fort Union aus ſogar mit Kanonen unter die Herden ſchoß. Fröbel erzählt, daß immer, wenn ſeine Reiſegeſellſchaft Fleiſch bedurfte, ein tüchtiger Reiter ausgeſandt wurde, ſolches her - beizuſchaffen. Der Mann ritt mitten unter die Herden, welche ihn wenig beachteten, wählte ſich ein Thier aus, ſpreugte auf dieſes zu und brachte den kleinen Trupp, zu welchem es gehörte, ins Fliehen; er verfolgte jetzt das gewählte Opfer, bis er ihm den Revolver an die linke Schulter ſetzen und ſchießen konnte. Von Widerſetzlichkeiten eines Biſon wurde Nichts beobachtet. Die benachbarten Herden wichen während der Jagd nur ein wenig zur Seite.

Ein Mejikaner, welcher bei Fröbel’s Karavane war und früher acht Jahre lang als Sklave unter den Komanchen gedient hatte, zeigte ſich ſo geſchickt in Handhabung der Wurfſchlinge, daß er nicht blos Biſonkälber, ſondern auch erwachſene Kühe damit fing. Er warf dieſen die Schlinge um den Hals, und wenn ſie dann ſtehen blieben, um ſich loszumachen, ritt er an ſie heran, wickelte ihnen die Leine um die Füße, zog ſie ſo feſt zuſammen, daß die Thiere ſtürzten, ſprang dann ſchnell vom Pferde und band das Ende der Leine feſt um die Füße, worauf das Thier geſchlachtet und zerlegt wurde. Haut, Geripp und was man ſonſt nicht wollte, verblieb den Geiern und Wölfen.

Nicht immer laufen alle Biſonjagden ſo gut ab, als es nach dem bisher Mitgetheilten ſcheinen möchte. Wyeth ſah, daß ein Jndianer, welcher einem verwundeten Biſon noch zuſetzte, hart büßen654Die Rinder. Der Biſon.mußte. Das Thier wendete ſich plötzlich gegen ihn, ſein Pferd ſcheute, warf ihn ab, und ehe er noch aufſpringen konnte, hatte ihm der Büffel bereits mit den Hörnern die Bruſt durchbohrt. Einen anderen derartigen Fall erzählt Richardſon. Jn der Nähe von Carltonhouſe ſchoß ein Hand - lungsdiener der Hudſonsbaygeſellſchaft nach einem Biſon. Derſelbe brach auf den Schuß zuſammen, und der unvorſichtige Schütz eilte nach ihm hin, um die Wirkung ſeines Geſchoſſes zu erfahren. Da erhob ſich plötzlich der verwundete Büffel und ſtürzte auf den Gegner los. Unſer Handlungs - diener war ein Mann von ſeltener Stärke und Geiſtesgegenwart. Er packte das Thier, als es mit den Hörnern nach ihm ſtieß, bei den langen Stirnhaaren und kämpfte aufs tapferſte gegen den über - mächtigen Gegner. Leider aber verſtauchte er ſich beim Ringen ſein Handgelenk und wurde wehrlos, ermattet ſtürzte er zu Boden und erhielt auch in ſelbigem Augenblicke zwei oder drei Stöße, welche ihn beſinnungslos machten. Seine Gefährten fanden ihn im Blute ſchwimmend, an mehreren Stellen ſchwer verwundet, der Biſon lagerte neben ihm, augenſcheinlich darauf lauernd, daß der Beſinnungsloſe wieder ein Lebenszeichen von ſich geben möge, worauf er ihn jedenfalls ſofort getödtet haben würde. Erſt nachdem der verwundete Büffel ſich entfernt hatte, konnte der Beſchädigte weg - getragen werden; er genas zwar von den unmittelbaren Folgen der Verletzung, ſtarb aber wenige Monate ſpäter. Ein anderer Jäger mußte mehrere Stunden auf einem Baume zubringen, auf welchen er vor dem Angriff eines wüthenden Biſon geflüchtet war, weil das erboſte Thier ihn hart - näckig belagerte.

Die vierfüßigen Feinde des Thieres werden ſeiner übrigens auch nicht ohne jeglichen Kampf Meiſter. Gegen die Angriffe der Wölfe und die noch ſchlimmeren der Bullenbeißer weiß ſich der Biſon mit großer Gewandtheit zu ſichern. Wenn einer dieſer Räuber ſich in ſeinem zottigen Fell feſtbeißt, wird er augenblicklich von dem Ochſen durch eine einzige Bewegung über den Kopf hinweg geſchleudert, unter Umſtänden aber auch auf den Hörnern aufgefangen und dann ſehr bald abgethan. Selbſt gut eingehetzte Doggen mußten dem Biſon unterliegen. Sie griffen ihn nur von fern an und verbiſſen ſich feſt in ſeine Oberlippe, allein der Stier wußte ſich zu helfen. Raſch ſtellte er die Vorderbeine aus einander, zog die Hinterbeine nach und ſtürzte ſich nach vorn auf den Hund, welcher unter der gewaltigen Laft erſticken mußte.

Die Biſonjagd gewährt einen ſehr bedeutenden Nutzen. Das getrocknete Fleiſch, welches unter dem Namen Pemmikan in Amerika bekannt iſt, wird weit und breit verſandt und von allen Reiſeuden als überaus wohlſchmeckend geſchildert. Die Zunge gilt als Leckerbiſſen. Das Fleiſch der Kühe iſt noch fetter, als das der Stiere, und das der Kälber überaus zart. Aus dem Fell bereiten ſich die Jndianer warme Kleidungsſtücke oder ihre Zeltwandungen und Betten; außerdem beſchlagen ſie das Geripp ihrer Kähne mit Biſonfell, verfertigen ſich daraus Sättel, Gurte u. ſ. w. Die Knochen müſſen ihnen Sattelgeſtelle und Meſſer geben, mit denen ſie dann die Häute abhären; aus den Sehnen drehen ſie ſich Saiten für ihre Bogen und Faden zum Nähen; aus den Füßen und Hufen bereiten ſie durch Kochen einen haltbaren Leim; die ſtarken Haare des Kopfes und des Halſes werden zu Stricken gedreht; aus den Schwänzen macht man Fliegenwedel. Sogar der Miſt wird verwendet: er dient als Brennſtoff. Auch die Europäer ſind große Liebhaber der Biſonfelle. Das Leder iſt vorzüglich, obgleich etwas ſchwammig, das Fell mit den Haaren ausgezeichnet zu Decken aller Art, ſo daß fehlerfreie Stücken ſchon in Canada mit 3 bis 4 Pfund Sterling bezahlt werden. Die Wolle des Thieres iſt ſehr reichlich, ein einziges Vließ kann bis acht Pfund geben. Sie läßt ſich ebenſogut wie Schafwolle verarbeiten, und in manchen Gegenden werden auch wirklich warme und ſehr dauerhafte Stoffe aus ihr verarbeitet. Jn der Neuzeit haben die Engländer ebenfalls Ver - ſuche mit ihr gemacht und auffallend ſchöne und feine Zeuge erhalten.

Erſt ſeit kurzer Zeit ſieht man Biſonten in unſeren europäiſchen Thiergärten. Ein engliſcher Lord ſoll, wie man mir in London mittheilte, einige Paare dieſer Rinder aus Amerika eingeführt und auf ſeinen Beſitzungen in Schottland eine Herde von 15 bis 25 Stück gezüchtet haben. Nach ſeinem Tode wurden die Biſonten verkauft und kamen zunächſt in London auf den Thiermarkt. Der655Der Biſon. Die eigentlichen Rinder.hamburger Thiergarten beſitzt ſeit etwa Jahresfriſt ein ſchmuckes Biſonpaar, welches derſelben Quelle entſtammt. An ihnen habe ich die Beobachtungen gemacht, welche ich theilweiſe bereits mittheilte. Die Thiere waren im Anfang ſehr ſcheu und furchtſam; ſie wichen vor dem ſich ihnen nahenden Menſchen eilig zurück, bedrohten ihn aber auch gar nicht ſelten in bedenkenerregender Weiſe, ſo daß der Wärter manchmal ſeine Noth mit ihnen hatte. An den Stall, oder richtiger an ihre Krippe, gewöhnten ſie ſich bald; doch kamen ſie nur dann zum Freſſen, wenn es in der Nähe ihres Geheges ruhig war. Von den Beſuchern des Gartens hielten ſie ſich möglichſt fern, wie ſie überhaupt gegen jede engere Berbindung mit den Menſchen eine entſchiedene Abneigung an den Tag legten. Dies Alles verlor ſich ſchon nach wenigen Monaten, und gegenwärtig verkehrt der Wärter unbeſorgt mit ihnen. Sie haben deſſen Herrſchaft auerkannt und fügen ſich ihr gutwillig; ſie achten auf den Zuruf, kommen vertrauensvoll an das Gitter heran und nehmen ihm oder mir das vorgehaltene Futter aus der Hand. Gegen die Beſucher des Gartens ſind ſie jetzt ebenſo gleichgiltig, als ſie früher furchtſam waren. Die größte Menſchenmenge in ihrer Nähe behelligt ſie nicht im geringſten mehr. Hinſichtlich ihrer Nahrung machen ſie wenig Anſprüche, obwohl ſie beſſeres Futter von ſchlechterem ſehr wohl zu unterſcheiden wiſſen und entſchieden bevorzugen. Dieſelbe Nahrung, welche wir unſeren Hauskühen reichen, genügt ihnen vollſtändig. Eingemaiſchtes Futter ſcheinen ſie zu verſchmähen; bisjetzt wenig - ſtens haben ſie immer blos Waſſer getrunken. Eine gewiſſe Unabhängigkeit bewahren ſie ſich noch fortwährend. Jn ihrem Stalle halten ſie ſich ſo wenig als möglich auf: auch im ärgſten Wetter ver - weilen ſie lieber außerhalb deſſelben in ihrem Gehege, als in dem ſchützenden Gebäude. Während des Winters fanden wir ſie auf dem Schnee oder auf dem Eiſe liegen, nach ſtarkem Schneefall oft mit einer dichten Decke belegt. Bei heftigem Regen wenden ſie ſich höchſtens mit den Köpfen ab. Bei Tage pflegen ſie ſtill und träge auf ein und derſelben Stelle zu verweilen; gegen Sonnenunter - gang werden ſie munter und galoppiren dann mit luſtigen Sprüngen leicht und behend in ihrem Ge - hege umher; nachts ſind ſie immer munter.

Der Vorſteher des kölner Thiergartens, Dr. Bodinus, hat von ſeinem Biſonpaare Nach - kommenſchaft erhalten; uns ſteht dieſelbe Freude bevor. Ein Amerikaner, Wickliffe, gibt Andu - bon einen ſehr ausführlichen Bericht über ſeine Biſonzucht, nach dreißigjährigen Beobachtungen an und vielfachen Verſuchen mit den Thieren. Er hat nicht blos Biſonten unvermiſchten Blutes, ſon - dern die Thiere auch wiederholt mit Hausrindern gekreuzt und Nachkommen erhalten, welche unter ſich fruchtbar waren. Er hat Halb - und Dreiviertelblut gezüchtet; die Nachkommen unter ſich ge - paart, mit dem Biſon und mit dem Hausrind zurückgekreuzt, kurz, alle denkbaren Verſuche ange - ſtellt und die günſtigſten Ergebniſſe erzielt. Der Mann zweifelt deshalb auch nicht, daß der Biſon mit der Zeit unter entſprechender Pflege zu einem wichtigen Hausthiere werden, daß er namentlich hin - ſichtlich der Milch und Wollerzeugung gute Dienſte leiſten könne. Jedenfalls verdient die Sache vollſte Beachtung, ſeitens der Thierkundigen nicht minder, als ſeitens der Landwirthe.

Die eigentlichen Rinder, zu denen unſere Hausthiere gehören, bilden eine Gruppe für ſich, welche ſich durch platte, lange Stirn, große, an ihrem Grunde nicht übermäßig verdickte Hör - ner, welche in gleicher Höhe mit der Stirnleiſte ſtehen, gewöhnlich durch 13 rippentragende, 6 rippenloſe und 4 Kreuzwirbel, ſowie durch eine ziemlich dichte und kurze Behaarung auszeichnen. Dieſe Sippe oder Gruppe (Bos) enthält die für das Leben des Menſchen wichtigſten Arten; aber auch, unter Denen, welche ſich noch nicht der Herrſchaft des ſelbſtſüchtigen Zwingherrn unterworfen haben gibt es mehrere ſehr ausgezeichnete Thiere. Das Bild der Geſammtheit wird ſich überſichtlicher geſtalten, wenn wir zuerſt diejenigen Arten betrachten, welche noch gegenwärtig, wenigſtens theilweiſe, im Zu - ſtande der Wildheit leben.

656Die eigentlichen Rinder. Der Gayal.

Ein ſolches Rind iſt der Gayal (Bos frontalis), welcher im ſüdlichen und mittleren Theil Jndiens und Ceylons die waldigen Höhen zwiſchen drei - und viertauſend Fuß über dem Meere be - wohnt. Er iſt ein wohlgebautes Rind von 9 Fuß Leibeslänge und Fuß Schwanzeslänge, am Widerriſt etwa 5 Fuß hoch, ſtark und voll von Leib, kurzhalſig, mit ziemlich großem, hinten breiten Kopfe und verhältnißmäßig kurzen, aber ſtarken, an der Wurzel ſehr dicken, ſtumpfſpitzigen Hör - nern, welche ſich im ganzen halbmondförmig nach aus - und aufwärts krümmen und mit den Spitzen wieder etwas nach einwärts lehren. An der Wurzel ſind ſie vorn und hinten abgeplattet und

Der Gayal (Bos frontalis).

quer gerunzelt, an der Spitze rund und glatt. Die Behaarung iſt ziemlich kurz, dicht, das Haar dünn und ſtraff, auf der Stirn länger und gekränſelt, bald ſchwarz -, bald dunkelbraun, ſeltener röthlich. Schwanzquaſte und Stiruhaar ſind weiß. Die Kälber ſind rothbraun. Für die Art - ſelbſtändigkeit dieſes Thieres ſpricht, daß vierzehn Wirbel Rippen tragen, während bei den noch fol - genden dreizehn Rippenpaare vorhanden ſind. Jm übrigen zählt das Thier fünf Lenden -, fünf Kreuz - und fünf Schwanzwirbel.

Der Gayal beweiſt durch ſeine Lebhaftigkeit und Gewandtheit, daß er ein Bergthier iſt. Er beſitzt faſt dieſelbe Sicherheit im Klettern, wie der Jak. Seine Lebensweiſe weicht von der anderer657Der Gayal. Der Gaur.Rinder nicht erheblich ab. Er hält ſich in Herden zuſammen, geht morgens, abends und bei hellen Nächten auf Nahrung aus, zieht ſich vor der drückenden Mittagshitze in die dichteſten Wälder zurück und ruht dort wiederkäuend im Schatten; er liebt das Waſſer, nicht aber auch den Schmuz, und meidet deshalb Sümpfe, während er ſich gern in klaren Bergwäſſern kühlt. Sein Weſen wird als ſanft und zutraulich geſchildert. Dem Menſchen weicht er ſchon von weitem aus, und niemals wagt er einen Angriff auf ihn. Gegen Raubthiere aber vertheidigt er ſich muthig; er ſoll ſelbſt den Tiger und den Panther in die Flucht ſchlagen. Seine ſcharfen Sinne ſichern und ſeine Gewandtheit und Schnelligkeit im Lauf retten ihn, wenn er ſich überhaupt zur Flucht anſchickt.

Jn manchen Gegenden Oſtindiens wird der Gayal gejagt und dann ſein Fleiſch und Fell be - nutzt; weit häufiger aber fängt man ihn lebend ein. Die Kukis ermöglichen Dies durch eine beſondere Liſt. Sie ballen aus Salz, Erde und Baumwolle Kugeln von der Größe eines Mannes - kopfes zuſammen und ziehen mit ihren zahmen Gayals den wilden entgegen. Sobald die gezähmten ſich mit ihren freien Brüdern vereinigt haben, werfen die Kukis ihre Salzkugeln aus, und die wilden Ochſen, welche durch die zahmen an beſtimmte Orte geführt werden, bemerken ſehr bald, daß in den Ballen eine große Leckerei für ſie enthalten iſt. Sie beſchäftigen ſich bald angelegentlich mit dem Belecken dieſer Kugeln und fahren darin um ſo eifriger fort, je mehr die durch die Baumwolle gut verbundene Maſſe Widerſtand leiſtet. Liſtig ſorgen die Kukis für immer neue Zufuhr, und ſo halten ſich die Herden monatelang zuſammen und machen ſich mit ihr und die Wildlinge mit ſich innig vertraut. Jetzt nahen ſich die Leute, welche ſich anfangs in einem gewiſſen Abſtande verhielten, um ihr Wild nicht in Unruhe zu verſetzen, mit zahmen Gayals mehr und mehr der großen Herde, ge - wöhnen dieſe nach und nach an den Anblick des Menſchen, begeben ſich dann mitten unter ſie und ſtreicheln ruhig und gelaſſen ihren zahmen Thieren Hals und Rücken, werfen dabei den wilden neuen Köder zu, ſtrecken wohl auch ihre Hand nach einem und dem anderen aus und ſchmeicheln ihnen, wie vorher den zahmen; kurz, ſie gewöhnen die Rinder nun auch an ſich ſelbſt und lehren ſie, ohne irgend - welchen Zwang anzuwenden, ihnen zu folgen, bis ſie eines ſchönen Tages die ganze Geſellſchaft nach ihrem Dorfe führen. Die Gutmüthigkeit der Gayals iſt ſo groß, daß ſie ſich dann auch die eugere Gefangenſchaft gleichgiltig gefallen laſſen; ja, ſie ſollen ſich nach und nach ſo an ihr Dorf gewöhnen, daß die Kukis, wenn ſie ihren Wohnſitz mit einem anderen vertauſchen wollen, genöthigt ſind, ihre Hütten zu verbrennen, weil die Herden ſonſt immer wieder in die früheren Ställe zurück - kehren würden.

Bei einigen Hinduſtämmen gilt der Gayal, wie der Zebu, für ein heiliges Thier. Man wagt es nicht, ihn zu tödten, ſondern treibt ihn nur nach den heiligen Hainen auf die Weide, wenn man den Göttern ein Opfer bringen will. Jn anderen Ländern dieſes großen Reiches verwendet man da - gegen die neu eingefangenen zuweilen zu Stiergefechten und ißt dort auch ohne Gewiſſensbiſſe ihr Fleiſch. Zahme Herden beſitzen namentlich die Gebirgsvölker der Provinzen Thipura, Silhead und Tſchidagong. Jn der Neuzeit haben die Engländer verſucht, das wichtige Thier in Bengalen einzuführen.

Auch dem zahmen Gayal ſagen nur waldige, ſchattige Gegenden zu; in den heißen Landſtrichen geht er ſehr leicht zu Grunde. Zur Arbeit wird er nirgends verwendet; die Kukis verſchmähen es ſo - gar, von ſeiner Milch Gebrauch zu machen.

Ueber die Fortpflanzung weiß man nur, daß die Kuh nach acht - bis neunmonatlicher Tragzeit ein einziges Kalb zur Welt bringt und dieſes durch acht bis neun Monate ſäugt. Das nächſte Jahr ſoll ſie immer gelte gehen.

Bisjetzt hat man nur verſucht, den Gayal mit dem Zebu zu kreuzen und davon gute Erfolge erzielt. Doch fehlen hierüber noch ausführlichere Beobachtungen.

Mit dieſem ſchönen Rind hat man bisher vielfach den Gaur (Bos Gaurus) verwechſelt. Er hat in der That große Aehnlichkeit mit dem Gayal. Seine Wirbelſäule beſteht aber aus 13 rip -Brehm, Thierleben. II. 42658Die eigentlichen Rinder. Der Gaur.pentragenden, 6 Lenden -, 5 Kreuz - und 19 Schwanzwirbeln; das Stirnbein iſt anders gebaut, er trägt eine kleine Wamme u. ſ. w. Hinſichtlich der Größe übertrifft der Gaur den Gayal um ein Bedeutendes; er ſoll kaum hinter dem Arni und Sundabüffel zurückſtehen. Ein noch nicht vollkommen erwachſenes Thier war 11 Fuß lang und am Widerriſt über Fuß hoch; es trug Hör - ner von 2⅙ Fuß Länge, welche an der Wurzel einen Umfang von mehr als einem Fuß hatten. Von den meiſten anderen Rindern unterſcheidet ſich der Gaur durch ſeine hohen Beine und die verhältniß - mäßige Schlankheit ſeines Leibesbaues. Die Behaarung iſt nur auf der Stirnleiſte und am Schwanz -

Der Gaur (Bos Gaurus).

ende verlängert, ſonſt aber kurz und dicht. Jhre Färbung iſt gewöhnlich ein tiefes Bräunlichſchwarz oder Bläulichſchwarz, welches im Sonnenlichte faſt dunkelſchwarz erſcheint. Röthlichbraune oder mattbläuliche Gaurs ſind ſelten. Die Unterſüße und der Haarwulſt auf der Stirn ſind gewöhnlich ſchmuzigweiß gefärbt.

Nach den bisherigen Erfahrungen ſcheint der Verbreitungskreis des Gaurs ein ziemlich beſchränk - ter zu ſein. Als bevorzugter Aufenthalt gilt das Gebirge Myn-Pad in der Provinz Sergoja, ein einzeln aus der Ebene emporſteigender Stock mit tafelartigem Gipfel, welcher ſich etwa 2000 Fuß659Der Gaur. Der Banteng.hoch über die Ebene erhebt und ſteile, an Flüſſen und Bächen reiche Wände und tief eingefurchte Thäler beſitzt, welche von einem dichten Niederwald bedeckt wird. Hier hauſen in den geradezu un - durchdringlichen Dſchungeln die Thiere der Wildniß, ohne irgendwie von einem Menſchen behelligt zu werden. Fünfundzwanzig Dörfer, welche auf dem Berggipfel lagen, mußten der Raubthiere halber verlaſſen werden: der Menſch hat das Gebiet gänzlich geräumt.

Hier findet der Gaur in den trockenen Wäldern an den immergrünen Ufern der Flüſſe lockende Ruheorte und Nahrung in genügender Menge. Soviel man beobachten konnte, lebt er zu kleinen Trupps von 10 bis 20 Stücken vereinigt, ſoviel als möglich im Dickicht der Wälder, und nur bei heißer Witterung zieht er nach den grünen Thälern und Plätzen, um dort zu weiden. Alte Bullen werden von den übrigen zu einem Einſiedlerleben gezwungen und ſtreifen weiter umher, als die eigent - liche Herde.

Wie der Gayal, iſt auch der Gaur ſcheu und flüchtig und verbirgt ſich, ſobald er einen Men - ſchen gewahrt, ſo ſchleunig als möglich in ſeiner unnahbaren Feſte, in den Dſchungeln. Nur wenn man auf Elefanten reitend ſich ihm naht, hält er ruhig aus und läßt ſich beobachten: die Rieſen der Wildniß flößen ihm keinen Schrecken ein, vielleicht ſchon deshalb, weil ſie auch niemals zu ſeiner Jagd verwendet werden: vor gewöhnlichen Reitern und Fußgängern dagegen nimmt er eiligſt die Flucht. So furchtſam er ſich aber auch dem Menſchen gegenüber zeigt, ſo muthig vertheidigt er ſich gegen Raubthiere oder, wenn er angegriffen wird, gegen den Jäger. Auch mit dem wilden Büffel, welcher dieſelben Gegenden bewohnt, ſcheint er ſich nicht recht zu vertragen: die Eingeboreuen be - haupten, daß letzterer ihm ſorgfältig ausweiche. Gereizt, iſt der ſonſt ſo fromme Gaur ein höchſt wildes, bösartiges Thier; ſelbſt der Tiger ſoll Dies empfinden. Die Engländer laſſen, wenn ſie auf Gaur Jagd machen, die Dſchungeln von Eingeborenen durchſtreifen und ſich das Wild zutreiben.

Die Paarung ſoll im Auguſt ſtattfinden und die Tragzeit zwölf (?) Monate währen. Das Kalb wird von der Mutter ſehr geliebt und vertheidigt und hängt mit treuer Hingebung an ihr.

Man hat ſchon oft verſucht, dieſes ſchöne Rind zu zähmen, bisher aber noch keinen genügenden Erfolg erzielen können. Die Kälber ſollen ſchon in der erſten Zeit ihrer Gefangenſchaft zu kränkeln anfangen und dann nach kurzer Zeit zu Grunde gehen.

Jn der neueſten Zeit iſt noch ein ſüdaſiatiſches wildes Rind bekannt geworden: der Banteng (Bos Banteng). Er kommt auf einigen Sundainſeln in Gebirgswäldern ziemlich häufig vor. Seine Länge beträgt Fuß, die des Schwanzes Fuß, die Höhe am Widerriſt Fuß. Jn ſeiner Geſtalt ähnelt er den feineren Raſſen des Hausrindes. Die Hörner ſind kurz, dick an der Wurzel und ſcharf geſpitzt, von der Wurzel an bis zur Hälfte ihrer Länge ſchwach halbmondförmig gekrümmt und dabei nach ein - und abwärts gebogen, worauf ſie ſich wieder erheben und etwas nach vorn wen - den. Die Behaarung iſt dicht, kurz und ſtraff, nur am Scheitel etwas länger und dort auch ge - kräuſelt, ihre Färbung nach Geſchlecht und Alter verſchieden, bei alten Stieren gewöhnlich glänzend ſchwarzbraun mit röthlichem Schimmer, bei alten Kühen gelblichrothbraun, bald heller, bald dunkler, auf Bruſt und Rückgrat ins Schwarze, an der Kehle ins Weiße übergehend; die Schwanzquaſte iſt immer dunkel. Durch ſeinen Knochenbau unterſcheidet ſich der Banteng weſentlich von anderen Arten ſeiner Sippe: die Zahl der Rippenpaare beträgt dreizehn, die der Lendenwirbel ſechs, der Kreuzwirbel vier, der Schwanzwirbel achtzehn.

Kleine, von einem Bullen angeführte und geleitete Rudel dieſes Stieres weiden zuſammen; alte, böswillige werden von dem jungen Nachwuchs gemeinſchaftlich vertrieben und einſiedeln dann, wie die jüngeren, welche noch nicht zum vollen Gebrauch ihrer Stärke gelangt ſind. Jn ruhigen Ge - genden weiden die Thiere bei Tage, da, wo ſie Gefahr befürchten, bei Nacht. Triebe und Blätter verſchiedener Bäume und Sträucher bilden ihre Nahrung. Die Stimme iſt ein ziemlich ſchwaches Grunzen. Jm übrigen iſt die Lebensweiſe, wie der Banteng ſelbſt, noch ſehr unbekannt. Die Eingeborenen ſtellen ihm nach, um des Fleiſches und Felles habhaft zu werden. Erwachſene Thiere42*660Die eigentlichen Rinder. Der Banteng. Das Hausrind.laſſen ſich nicht zähmen, junge zeigen ſich ſauft und leitſam und können zu vollſtändigen Hausthieren umgewandelt werden. Mit anderen Rinderarten vermiſchen ſie ſich fruchtbar, und deshalb beſteht

Der Banteng (Bas Bantang).

auf Java die Gewohnheit, zahme Zebukühe in die Wälder zu treiben, um ſie dort von den wilden Stieren beſchlagen zu laſſen.

Alle bisher genannten Rinder haben, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des nur flüchtig erwähnten eigentlichen Auers, keinen oder wenigſtens höchſt geringen Antheil an der Erzeugung unſeres Hausrindes (Bos taurus) gehabt. Ueber den Urſprung dieſes nützlichen Geſchöpfes liegt ein ebenſotiefes Dunkel, als über der Herkunft der anderen Hausthiere. Schon in vorgeſchichtlichen Zeiten benutzte der Menſch die Dienſte und Erzeugniſſe der gezähmten Thiere. Auf den älteſten Denkmalen der Baukunſt ſind ſie abgebildet; die erſten Sagen gedenken ihrer. Sie waren bereits im Alterthume über die ganze Welt verbreitet. Cuvier nimmt nun zwar an, daß der Vorwelts - ſtier (Bos primigenius) als Stammvater des Hausrindes anzuſehen ſei, weil ſich zwiſchen den ver - ſteinten Schädeln dieſes ausgeſtorbenen und unſeres Hausrindes kaum bemerkenswerthe Unterſchiede ergeben: ſolcher Annahme widerſpricht aber ſchon die großartige Verbreitung des Rindes. Man kann ſich nicht wohl einreden, daß gerade der europäiſche Ochs zu der Ehre kam, die ganze alte Welt661Das Hausrind. Der indiſche Zebu.mit Nachkommen zu bevölkern; denn die Alten, bezüglich die Römer, führten wohl fremdartige Thiere ein, nicht aber heimiſche aus. Auch trug der Vorweltsſtier ein ganz anderes, viel gewal - tigeres Gehörn, als irgend einer unſerer Hausochſen. Hierzu kommt nun noch die große Verſchieden - heit der ſogenannten Raſſen, die einzig und allein nicht denjenigen Umbildungen zugeſchrieben werden können, welche durch Zucht und Zähmung bewirkt werden: es iſt deshalb wohl gerechtfertigt, auch beim Rind mehrere Stammväter anzunehmen.

Wahrſcheinlich hatte jeder Erdtheil, ja, jedes eigene Land ſeine wilden Rinder. Von ihnen wurden nach und nach einige gezähmt, die anderen aber, ebenſo wie der Auer und Wiſent in Europa, zurückgedrängt und ausgerottet. Auf altegyptiſchen Bildern ſind mehrmals Stiere darge - ſtellt, welche von Bogenſchützen und Hunden gejagt oder mit der Wurfſchlinge gefangen werden, und aus mehreren Stellen des alten Teſtaments geht deutlich genug hervor, daß es in Syrien und in den Nachbarländern wilde Ochſen neben den ſchon damals gezähmten gegeben hat. Es würde doch wohl etwas kühn ſein, wenn man dieſe Rinder, einzig und allein der einmal beliebten Annahme zu Ge - fallen, ohne weiteres als Vorweltsſtiere beſtimmen wollte: wir wiſſen ja heutigen Tages noch nicht einmal, wie viel wilde Stiere es wirklich gibt! Jndien, oder überhaupt Hinteraſien iſt noch keines - wegs erforſcht, und gerade unſer Jahrhundert hat uns deutlich genug gezeigt, welche Schätze für den Thierkundigen es noch beherbergt. Daß auch Afrika in ſeinem Jnneren noch mehrere Rinderarten beherbergen mag, von denen wir gar keine Ahnung haben, geht aus den Berichten neuerer Reiſender und aus den Erzählungen der Eingeborenen unzweifelhaft hervor. So bringt uns Du Chaillu Kunde von einem bisjetzt unbekannten Rinde, welches er im Lande der Schekiani auffand und Bos brachicheros oder mit dem Landesnamen Niare nennt. Und wenn wir auch leider annehmen müſſen, daß Manches in dem Buche dieſes Reiſenden als Erzeugniß einer ſehr üppigen Einbildungs - kraft zu betrachten iſt, können wir doch kaum glauben, daß ſein reger Geiſt ihm und er uns einen ganzen Ochſen vorgeſpiegelt hat. Gerade bei Beſtimmung der Rinder müſſen wir ſehr vor - ſichtig zu Werke gehen; wir ſind ja noch nicht einmal in unſerem Europa im Reinen; wir ſind noch nicht einmal einig, ob wir das heutigen Tages noch wild lebende ſchottiſche Rind als ſelbſtändige Art anzuſehen haben, oder nicht.

Alle dieſe Bedenken geben meiner Auſicht nach Denjenigen große Berechtigung, welche an - nehmen, daß die Hausrinder unmöglich zu einer Art gerechnet werden können, ſondern mehrere ſelb - ſtändige Arten bilden. Fitziuger iſt einer der wenigen Naturforſcher, welche in der neueſten Zeit die Hausthiere ausführlich behandelt haben. Er nimmt an, daß die bisjetzt uns bekannten gezähmten Rinder in mindeſtens ſieben eigentliche Arten zerfallen. Dieſe ſind der indiſche Zebu, der afrikaniſche Buckelochs, das Alpen -, Thalland -, Marſchländer, Steppen - und das ſchottiſche Rind.

Der große Cuvier war der erſte Naturforſcher, welcher den ſchon von Linné als beſondere Art aufgeſtellten indiſchen Zebu (Bos indicus) mit unſerem gewöhnlichen Hausrinde vereinigte. Er glaubte, daß ſich beide Thiere weder durch ihre äußere Form, noch durch den inneren Bau unter - ſchieden, und ſah in dem Höcker des Zebu ein zur Arttrennung nicht berechtigendes Merkmal. Neuere Forſcher ſind dem Meiſter entgegengetreten, und fernere Unterſuchungen haben bewieſen, daß der Zebu einen Kreuz - und drei Schwanzwirbel weniger hat, als das gemeine Rind. Bei an - deren wild lebenden Thieren gibt ein Wirbel oder ein Höcker auf dem Zahne mehr als gewöhnlich vielen Naturforſchern ſchon Grund, das betreffende Thier als Vertreter einer beſonderen Sippe hin - zuſtellen: bei den Hausthieren läßt die nun einmal feſtgewurzelte Anſicht, daß die Zähmung ein ganzes Thier umbilden könnte, ſelbſt ſolche Merkmale denſelben Forſchern als nichtig erſcheinen. Wir können uns nun und nimmermehr dieſer Meinung anſchließen; denn es muß erſt erwieſen werden, daß der Knochenbau durch die Züchtung und Zähmung verändert wird. Somit ſehen wir gerade in dem Zebu eine vollkommen berechtigte Art.

662Die eigentlichen Rinder. Der indiſche Zebu.

Das Thier unterſcheidet ſich von unſerem Hausrinde außerdem noch durch den hohen Schul - terhöcker, durch die ihrer ganzen Länge nach flach gedrückten, außerordentlich kurzen Hörner und durch eine auffallende Sanftmuth und Gutmüthigkeit bei größerer Lebhaftigkeit der Bewegung, end - lich auch durch ſeine heifere, grunzende Stimme. Allerdings erzeugt der Zebu mit unſerem Haus - rinde Blendlinge, welche wiederum fruchtbar ſind; wir wiſſen aber, daß unſere Erfahrungen den alten Artbegriff ſchon längſt vollſtändig über den Haufen geworfen haben, und können auch dieſen Einwand gegen die Artſelbſtändigkeit des Zebu nicht gelten laſſen.

Der indiſche Zebu (Bos indicus).

Man unterſcheidet mehrere Raſſen dieſes Rindes, welche ſich durch Größe, verläugerte Ohren, Behaarung und Färbung einigermaßen unterſcheiden. Die berühmteſte iſt der Zebu der Brah - minen, ein prächtiges, großes, ſtarkleibiges und verhältnißmäßig kurzbeiniges Thier, mit dickem, kurzen Kopfe, gewaltigem Fetthöcker und lang bequaſtetem Schwanz. Die Hörner ſind kürzer, als die Ohren; die Wamme iſt größer, als bei den meiſten übrigen Rindern; der Leib iſt mit Ausnahme des Scheitels, der Stirn und des oberen Schulterhöckers kurz behaart. Ein lichtes Roth - oder Gelbbraun iſt die gewöhnliche Färbung, doch kommen auch fahlgelbe, weiße und geſcheckte Zebus vor.

Als eigentliches Vaterland des Thieres iſt Bengalen anzuſehen; vonhieraus hat es ſich aber weit über Aſien, auch über einen Theil Afrikas verbreitet.

663Der afrikaniſche Buckelochs.

Jhm ähnlich, durch die hohen Beine und das mächtige Gehörn aber leicht zu unterſcheiden iſt der afrikaniſche Buckelochs (Bos africanus), welcher namentlich in Abiſſinien und im Vorge - birge der guten Hoffnung gehalten wird. Der Sanga der Abiſſinier iſt wohl die ſchönſte Raſſe dieſer Art; er iſt groß, ſtark von Leibe, hochbeinig und kurzſchwänzig; das Gehörn iſt ſehr ſtark: denn die einzelnen Stangen haben an der Wurzel manchmal einen Durchmeſſer von beinahe ſechs Zoll und eine Länge von bis 4 Fuß. Sie ſtehen ziemlich nahe beiſammen, wenden ſich anfangs ſeitwärts, ſteigen dann, ſanfte Bogen nach auswärts bildend, in gerader Richtung empor und bäu -

Der afrikaniſche Buckelochs (Bos africanus).

men ſich im letzten Dritttheil ihrer Länge ein wenig nach einwärts und mit der Spitze nach aus - wärts. Die Behaarung iſt ſchlicht, fein und vorherrſchend ſchön kaſtanienbraun gefärbt.

Man trifft den afrikaniſchen Buckelochs in verſchiedenen Raſſen bis tief im Juneren Afrikas an, gewöhnlich in ungeheuren Herden, weil er den eigentlichen Reichthum ganzer Stämme ausmacht. Weiter unten werde ich noch einmal Gelegenheit haben, auf jene Herden zurückzukommen.

Unter den Stammarten des in Europa lebenden Hausrindes können wir das Alpenrind (Bos alpium) obenanſtellen, obgleich es ſich nicht durch beſondere Größe auszeichnet. Fitzinger nimmt an, daß die Voreltern dieſes Thieres Bewohner des europäiſchen Hochgebirges waren, weil das echte Alpenrind auch heutzutage noch nur in der Höhe gedeiht. Ob dieſe Annahme einige Wahrſcheinlich -664Die eigentlichen Rinder. Das Thalland -, Marſchländer und Steppenrind.keit für ſich hat oder nicht, wollen wir nicht unterſuchen, ſondern uns einfach zur flüchtigen Betrach - tung des Thieres ſelbſt wenden. Nach der Beſchreibung des genannten Forſchers kennzeichnen es folgende Merkmale: der Kopf iſt ziemlich kurz, die Stirn breit, die Schnauze ſtumpf; die Hörner ſind verhältnißmäßig kurz, dünn und nach ſeit - und aufwärts gewendet; der mäßig lange, dicke und ſtarke Hals trägt eine ziemlich weit herunterhängende, bis auf die Bruſt herabreichende Wamme; der Leib iſt ſchwach geſtreckt, der Widerriſt breit, der Rücken kurz und gerade, ſelten geſenkt, das Kreuz gerade und nicht abſchüſſig, die Bruſt breit, Schulter und Lende kräftig, der Schwanz lang und dünn; die Beine ſind ziemlich kurz und ſtämmig, die Hufe ſtark; die Färbung iſt verſchieden, gewöhnlich aber glänzend ſchwarzbraun, längs des Rückens hellfahl geſtreift, um das Maul weiß.

Fitzinger rechnet zu dem Alpenrind achtzehn Raſſen, welche in der Schweiz, in Tirol, in Steiermark und im Böhmerwalde leben. Das Berueroberländer Rind iſt ſeiner Anſicht nach die - jenige Raſſe, welche das Gepräge der Stammart am reinſten darſtellt.

Das Thallandrind (Bos Taurus) ſoll eigentlich den Gebirgsthälern und dem Hügelland angehört, von da aus ſich jedoch allmählich weiter verbreitet haben. Seine Merkmale ſind fol - gende: der Kopf iſt wie beim Alpenrinde geſtaltet, die ziemlich kurzen, dicken, ſtarken Hörner ſind ſeitlich ab - oder aufwärts gerichtet, bisweilen auch etwas nach rückwärts gebogen; an dem kurzen, dicken und kräftigen Halſe hängt eine ſtarke, faltige Wamme tief und bis unterhalb der Bruſt herab; der Leib iſt geſtreckt und voll, der Widerriſt breit, der Rücken lang und gerade, das Kreuz hoch und breit, die Bruſt weit, Schulter und Lende kräftig, der Schwanz mäßig lang, ziemlich dick, hoch an - geſetzt, an der Wurzel über die Rückenebene emporragend; die Beine ſind kurz, ſehr ſtark und kräftig.

Zu dieſem Rinde ſollen die meiſten Raſſen gehören, welche in der unteren Schweiz, in Ba - den, Salzburg, Kärnthen, Schwaben, Franken, dem Voigtlande, Böhmen, Frankreich, Eng - land und Spanien gehalten werden. Das Bernerunterländer Rind ſteht als die ausgezeichnetſte Raſſe obenan.

Als Stammvater des Marſchländer Rindes (Bos Urus) betrachtet unſer Forſcher den vor etwa zweihundert Jahren ausgeſtorbenen, uns bereits bekannt gewordenen Auer oder Ur der alten Deutſchen. Die weſentlichen Merkmale des gezähmten Thieres ſind: langer Kopf mit breiter Stirn und ſchmaler Schnauze, kurze, dünne, ſtumpfe, nach ſeit - und vorwärts gerichtete, nicht ſel - ten aber auch ganz fehlende Hörner, ein ziemlich langer und dünner Hals mit ſchwacher Wamme, ein lang geſtreckter, voller Leib mit kurzem, nach rückwärts abfallenden Kreuz, ſchmale Bruſt, wenig fleiſchige Lenden, verhältnißmäßig hohe, aber kräftige Beine und ein langer, dünner, tief angeſetzter Schwanz.

Zu ihm ſollen einige dreißig Raſſen gehören, welche in Holland, der Vendée, Bretagne, der Normandie, Burgund, Lothringen, Dänemark, Friesland, Oldenburg, Holſtein, Preußen, Mähren, Oeſterreich, England, Liefland, Schweden, Norwegen und Jsland gehalten werden. Das holländiſche Rind gilt als das vollkommenſte.

Als urſprüngliche Heimat des Steppenrindes (Bos desertorum) gelten Fitzinger die weit ausgedehnten Ebenen von Mittelaſien und Südoſteuropa, von wo aus dann das Thier weiter nach Weſten hin verbreitet worden iſt. Gegenwärtig findet es ſich von der Mongolei und Tartarei an bis nach Südrußland hin, in Beſſarabien, Bulgarien, der Moldau, Siebenbürgen, Ungarn, Podolien, Galizien, Serbien, Bosnien und Süditalien. Seine Kennzeichen ſind ein langer, ſchmaler Kopf mit einem rieſenhaften, weit geſtellten Gehörn, zugeſpitzte Schnauze, ein ſchlanker Hals mit ſchwacher Wamme, kurzer, ziemlich gedrungener Leib, ſpitz abgedachtes Kreuz und der tief angeſetzte Schwanz, welcher drei Wirbel weniger zählen ſoll, als die meiſten anderen Raſſen unſeres Rindes. 665Das Steppenrind. Das ſchottiſche Rind.Als bezeichnende Raſſe mag man das ungariſche Rind anſehen. Das Steppenrind lebt in den mei - ſten Gegenden ſeines Verbreitungskreiſes in halbwildem Zuſtande.

Das Steppenrind (Bos desortorum).

Daſſelbe gilt von der letzten Stammart, welche Fitzinger annimmt, von dem ſchottiſchen Rind (Bos scoticus). Es kommt gezähmt in den ſchottiſchen Gebirgen und ſogut als wild in einigen engliſchen Parks vor. Wahrſcheinlich waren es die Vorfahren dieſes Thieres, welche im Mittelalter die Wälder um London unſicher machten und einzelnen Rittern Gelegenheit gaben, ſich durch ihre Bekämpfung großen Ruhm zu erwerben.

Das berühmte ſchottiſche Rindvieh iſt milchweiß bis auf die Schnauze, die Hörner und Hufe, mittelgroß, ſtark, aber kräftig gebaut. Die Hörner ſind mäßig lang, ziemlich dünn, aber ſchlank und ſcharf zugeſpitzt; ſie wenden ſich vom Grunde an auf - und auswärts und kehren endlich mit den Spitzen wieder, aber kaum merklich, nach einwärts zurück. Die Wirbelſäule zählt dreizehn rippen - tragende, ſechs Lenden -, vier Kreuz - und zwanzig Schwanzwirbel: das ſchottiſche Rind kommt alſo zunächſt mit dem Banteng, dem Zebu und den Büffeln überein und unterſcheidet ſich von dem gewöhnlichen Hausrinde durch die geringere Zahl der Kreuz - und Schwanzwirbel. Die Behaa - rung iſt dicht und kurz anliegend, auf Scheitel und Hals länger und gekräuſelt, namentlich im Winter. Die Stiere tragen eine ſchwache Mähne längs der Firſte des Nackens bis zum Widerriſt. Naſenkuppe und Mundgegend ſowie ein Fleck an der Außenſeite des Ohres ſind ſchwarz und ſo auch, wenigſtens zuweilen, die Schwanzquaſte.

Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſes Rind urſprünglich auch bis nach England reichte und erſt durch Zunahme der Bevölkerung bis Schottland hin verdrängt wurde. Jn der Nähe Londons mögen die wilden Stiere bereits im 12. oder 13. Jahrhundert ausgerottet geweſen ſein; denn in Schottland666Die eigentlichen Rinder. Das ſchottiſche Rind.wurde ſchon um das Jahr 1260 auf Veranlaſſung Williams von Farrarus der Park von Chartly in Staffordſhire durch eine Umzäunung abgeſchloſſen, in der Abſicht, das wilde Rind auf jener moorigen Waldſtrecke zu erhalten. Dieſes Beiſpiel fand um ſo mehr Nachahmung, je ſeltener das Wild wurde. Bereits vor der Reformation ſah man es nur noch in umſchloſſenen Parken. Die Zahl dieſer Gehege iſt im Lauf der Zeiten nach und nach auf fünf herabgeſunken, von denen es vier in England und eines in Schottland gibt. Unter den engliſchen Parks iſt der von Chilinghamcaſtle bei Berwick am Tweedfluſſe in Northumberlandſchire der bekannteſte; der ſchottiſche Park liegt im Cadzowwalde bei Hamilton in dem Lanarcſhire.

Jn allen fünf Parks bleibt das ſchottiſche Rind ſich ganz überlaſſen; denn die vornehmen Beſitzer zeigen einen gewiſſen Stolz darin, dieſem aus alter Zeit übrig gebliebenen Wilde ihren ganz beſon - deren Schutz angedeihen zu laſſen. Man hat von jeher andere Rinder von dieſen Parken ſorgſam

Das ſchottiſche Rind (Bos scoticus).

entfernt und ſomit die Art in ihrer vollſten Reinheit erhalten. Noch heutzutage zeigt das ſchottiſche Rind alle Merkmale ſeiner Stammeltern; nur deren Größe ſoll es nicht mehr erreichen. Beſondere Aufſeher wachen über das Wild, und ihnen liegt auch die Pflicht ob, einzelne Stiere auf Befehl ihres Gebieters abzuſchießen. Durch einen der Beſitzer ſelbſt, den Graf Tankerville, haben wir die ge - naueſten Nachrichten über unſere Thiere erhalten.

Zu meines Vaters und Großvaters Zeiten wußte man vom Urſprung dieſer Thiere ſo wenig, als jetzt. Wahrſcheinlich bleibt immer, daß das Vieh im Chartlypark von einem urſprünglich in Eng - land wild lebenden Ochſen abſtammt und ſchon in alter Zeit im Park eingehegt wurde. Der Park ſelbſt iſt uralt und wohl ſchon in einer ſehr frühen Zeit zum Schutz der Thiere eingefriedigt worden. Ueber die Lebensweiſe unſeres wilden Rindviehes kann der Parkwärter Cale zu Chartly die beſten Nachweiſungen geben; mir iſt nur Folgendes bekannt.

667Das ſchottiſche Rind.

Das Vieh hat alle bezeichnenden Eigenſchaften echt wilder Thiere. Es verbirgt ſeine Jungen, weidet des Nachts und ſchläft und ſonnt ſich des Tages. Grimmig iſt es nur, wenn es in die Enge getrieben wird; ſonſt zeigt es ſich ſehr ſcheu und zieht ſich vor Jedermann ſchon aus großer Entfernung zurück. Je nach der Jahreszeit und nach der Art, wie man ſich ihm naht, beträgt es ſich verſchieden. Jm Sommer habe ich mich wochenlang vergeblich bemüht, ein Stück zu Geſicht zu bekommen; denn um dieſe Zeit ziehen ſich die Thiere, ſobald ſie irgend Jemand ſpüren, in ihren heiligen Wald zurück, welcher von Niemand betreten wird; im Winter dagegen kommen ſie an die Futterplätze, und weil ſie ſich dort an den Menſchen gewöhnen, kann man, zumal beritten, faſt mitten unter die Herde gelangen. Man bemerkt an ihnen viel Eigenthümliches. Mitunter ergreift ſie, wenn ſie ruhig graſen und man über dem Wind in ihrer Nähe erſcheint, ein lächerlicher Schrecken, und ſie galoppiren bis in ihr Aller - heiligſtes. Wenn ſie in den unteren Theil des Parks herunterkommen, was zu beſtimmten Stunden geſchieht, gehen ſie wie ein Reiterregiment in einfachen Reihen; dabei bilden die Bullen den Vortrab, während ſie beim Rückmarſch als Nachtrab dienen. Jhre Geſtalt iſt ungemein ſchön. Die Beine ſind kurz, der Rücken iſt gerade, die Hörner ſind feinkörnig, die Haut iſt dünn. Jhre Stimme gleicht eher der eines reißenden Thieres, als der eines zahmen Rindes.

Rückſichtlich ihres zähen Lebens will ich folgendes Beiſpiel auführen. Es ſollte ein alter Bulle getödtet werden, und einer der Parkwärter ſuchte ihn von der Herde abzuſchneiden. Der Bulle machte vergebliche Verſuche, ſich wieder mit der Herde zu vereinigen, und ſtürzte endlich wüthend auf den ſich unvorſichtig der Gefahr ausſetzenden Mann los, warf ihn zu Boden, dann drei Mal in die Luft und kniete endlich auf ihm nieder, wobei er ihm drei Rippen zerbrach. Niemand war in der Nähe, als ein Knabe, welcher einen ſtarken Schweißhund auf den Bullen losließ. Dieſer griff augenblicklich den wüthenden Stier an, biß ihn in die Ferſen und bewirlte, daß er von dem Mann abließ; doch ging er nicht ganz von ihm weg, ſondern beobachtete ihn fortwährend und kehrte mehrere Male zu ihm zurück, ihn jedes Mal in die Luft werfend. Während nun der Hund den Bullen ſo viel als möglich beſchäf - tigte, wurde die Sache im Schloſſe ruchbar, und Alles machte ſich mit Büchſen auf, um das gefährliche Thier zu erlegen. Ein guter Schütz ſchlich ſich hinter einen Zaun und feuerte von da aus auf eine Entfernung von nur dreißig Schritten nach dem Thiere, dieſes fiel aber doch erſt, als es ſechs Kugeln in den Kopf erhalten hatte und zwar nur, nachdem eine durch das Auge in das Hirn gedrungen war. Vorher rührte es ſich nicht von der Stelle, ſondern ſchüttelte blos mit dem Kopfe, ſo oft es von einer Kugel getroffen wurde. Aehnliche Fälle, wo Leute durch die Bullen in große Lebensgefahr geriethen, ließen ſich viele anführen.

Der genannte Parkwärter, welcher über dreißig Jahre in Chartly lebte, fügte obigen Bemer - kungen ſeine Beobachtungen hinzu.

Die Herde, ſagt er, beſteht gegenwärtig (1830) aus etwa 80 Stücken oder ungefähr 25 Bullen, 40 Kühen und 15 Stück Jungvieh. Jhre reinweiße Farbe und die ſchönen halbmondförmi - gen Hörner geben den Thieren, zumal wenn ſie ſich in Maſſe bewegen, ein herrliches Anſehen: Nichts an ihnen iſt ſchwarz, als die Augen, die Wimpern und die Spitzen der Hörner; der Naſenſpiegel iſt braun, das Jnnere der Ohren roth oder braun und der ganze übrige Körper weiß. Die Bullen käm - pfen um die Oberherrſchaft, bis einige der ſtärkſten die übrigen ganz unterjocht haben. Später treten ſie die Obergewalt anderen ab, welche inzwiſchen ſtärker geworden ſind, als ſie ſelbſt. Die Kühe kalben erſt, nachdem ſie drei Jahre alt ſind, und bleiben nur wenige Jahre fruchtbar. Sie verbergen ihr Kalb die erſten vier bis zehn Tage lang und kommen während dieſer Zeit täglich zwei bis drei Mal zu ihnen, um ſie zu ſäugen. Rähert ſich Jemand dem Orte, wo ſich ein ſolches Kalb befindet, ſo legt dieſes den Kopf feſt auf den Boden und drückt ſich, wie ein Haſe im Lager. Neun Monate lang be - ſaugen die Kälber ihre Mütter; dann ſchlagen dieſe ſie ab.

Die Parkſtiere vertragen den Winter ſehr gut, doch werden ſie bei ſtrenger Kälte mit Heu ge - füttert. Man läßt ſie ſelten über 8 bis 9 Jahre alt werden, weil ſie ſpäter im Gewicht zurückgehen. Die Stiere tödtet man gewöhnlich im ſechſten Jahre ihres Alters; dann wiegen ſie etwa funfzehn668Die eigentlichen Rinder. Das ſchottiſche Rind.Centner. Das Fleiſch iſt ſchön mit Fett durchwachſen, im Geſchmack aber von dem des zahmen Rin - des wenig verſchieden.

Einer der Parkwärter war ſo glücklich, ein jung eingefangenes Paar aufzuziehen und durch ſanfte Behandlung zu zähmen. Beide Thiere zeigten ſich ſo gutmüthig, wie echte Hausthiere. Der Bulle wurde achtzehn Jahre alt, die Kuh lebte nicht länger, als fünf oder ſechs Jahre. Man paarte ſie mit einem Landbullen; allein die Kälber blieben ihr außerordentlich ähnlich. Sie gab wenig, aber fette Milch. Jm Zuſtande der Wildheit ſterben nur ſehr wenige an Krankheiten.

Black erzählt 1851 von den im Park von Hamilton lebenden wilden Rindern, daß ſie bei Tage auf den ausgedehnten Triften weiden, und abends in den Wald ſich zurückziehen. Die gereizten Bullen ſind äußerſt rachſüchtig. Ein Vogelſteller, welcher auf einen Baum gejagt worden war, mußte dort ſechs Stunden verharren, weil ihn der wüthende Ochſe hartnäckig belagerte. Als er ſah, daß ihm ſein Feind unerreichbar war, zitterte er am ganzen Leibe vor Wuth, grunzte und ſtürmte mit Kopf und Huf gegen den Baum. So tobte er ſich müde und legte ſich nieder. Sobald aber der Mann ſich rührte, ſprang er wüthend wieder auf und raſte von neuem. Einige Schäfer erlöſten den Ge - ängſtigten. Ein Schreiber wurde ebenfalls auf einen Baum gejagt und mußte dort nicht nur die ganze Nacht verweilen, ſondern die Belagerung auch noch bis nachmittags zwei Uhr aushalten.

Ereignet es ſich, ſagt Fitzinger in ſeinem großen Werke über die Säugethiere, daß ein fremder Menſch den Park beſucht, und glückt es ihm zufällig, in die Nähe einer Herde zu gelangen, ſo ſcharren die Stiere, ſowie ſie den Fremden nur erblicken, durch zwei - oder dreimaliges Stampfen mit den Vorderbeinen auf dem Boden die Erde auf. Die ganze Herde nimmt hierauf im raſchen Galopp die Flucht, doch entfernt ſie ſich nicht weiter, als höchſtens auf ungefähr vierhundert Fuß, rennt in einem weiten Kreiſe einige Male um den Fremden herum und kehrt ſich plötzlich gegen denſelben, wor - auf ſie mit drohend in die Höhe gehobenen Köpfen gerade auf ihn losgeht, und wenn ſie ihm auf 80 bis 100 Fuß in die Nähe gekommen, ſtutzend anhält, um den Gegenſtand, welcher ſie in Schrecken ver - ſetzt, mit wilden Blicken ins Auge zu faſſen. Auf die geringſte Bewegung, die der hierdurch in Angſt verſetzte Menſch unwillkürlich macht, nimmt die ganze Herde wieder mit gleicher Schnelligkeit die Flucht, entfernt ſich aber nicht mehr ſo weit, wie früher. Sie rennt nun in einem engeren Kreiſe herum, hält wieder an und kommt mit drohender und trotzender Miene, doch langſamen und ruhigen Schrittes bis auf ſechzig Fuß an ihn heran. Hier macht ſie abermals Halt, rennt wieder davon und wiederholt Dies noch mehrere Male, dabei die Entfernungen immer verkürzend. So kommt ſie endlich dem Menſchen ſo nahe, daß dieſer es für gerathen finden muß, einen der günſtigen Augenblicke, wo die Herde vor ihm flieht, zu benutzen, um ſich eiligſt zu entfernen und zunächſt vor den Blicken der Herde zu verſtecken; denn immer bleibt es gewagt, die Thiere in ihrer Einſamkeit zu ſtören.

Die Art und Weiſe, wie die Jagd auf dieſen Stier noch bis kurz vor Ende des verfloſſenen Jahrhunderts betrieben wurde, erinnert lebhaft an die in alter Zeit beſtandenen Jagden. Wenn es in der Umgegend bekannt wurde, daß ein Stier der wilden Herde an einem beſtimmten Tage geſchoſſen werden ſollte, verſammelten ſich die Einwohner der ganzen Nachbarſchaft, theils zu Pferde, theils zu Fuße, ſämmtlich mit Flinten wohl bewaffnet. Nicht ſelten erſchienen zu einer ſolchen Jagd fünf - bis ſechshundert Jäger, von denen oft mehr als hundert beritten waren. Die Unberittenen nahmen ihre Plätze auf den Mauern ein, welche den großen Park umzäunen, oder kletterten mit ihren Gewehren auf die Bäume in der Umgegend des freien Platzes, auf welchem der beſtimmte Stier erlegt werden ſollte, während die Reiter den Wald durchſtreiften, und die Herde nach jenem freien Orte hintrieben. War Dies gelungen und hatte man den rings von Pferden eingeſchloſſenen Stier einmal ſo ziemlich in ſeine Gewalt gebracht, ſo ſtieg einer von den Reitern, dem die Ehre zugedacht geweſen, die erſte Kugel abzufeuern, von ſeinem Pferde ab und ſchoß auf das ungeſtüme und durch die Angſt in die höchſte Wildheit verſetzte Thier. Hierauf feuerten alle übrigen, welche zu Schuſſe kommen konnten, und oft geſchah es, daß mehr als dreißig Mal nach dem Stier geſchoſſen wurde, ehe man ihn tödtete. Durch den heftigen Schmerz der Wunden und das lärmende Geſchrei der Jäger in raſende Wuth verſetzt, achtete das669Spaniſche verwilderte Stiere.blutende Thier nicht mehr auf die zahlreichen Menſchen, ſondern ſtürzte, von Verzweiflung getrieben, mit den letzten Kräften auf Noß und Reiter. Nicht ſelten brachte der Stier den Angreifern gefährliche Verwundungen bei, oder richtete unter ihnen eine derartige Verwirrung an, daß er ſich den ferneren Verfolgungen entziehen konnte. Die vielen Unglücksfälle, welche ſich auf dieſen Jagden regelmäßig ereigneten, wurden Urſache, daß ſolche Feſte nach und nach ganz abkamen.

Man nimmt an, daß die ſchottiſchen Rinder, welche gegenwärtig das Hochland bevölkern und, ge - ſchickt auch auf den ſteileren Felſen umherkletternd, der Landſchaft oft einen großen Schmuck verleihen, von dieſem Rinde abſtammen. Sie zeigen noch alle Eigenthümlichkeiten deſſelben mit Ausnahme der Färbung, welche meiſt ein einfaches Schwarz, Braun, Roth oder Gelblichbraun iſt, während die Kreiſe um die Augen und das Maul ſchwarz, wie bei den eigentlichen wildlebenden ſind.

Verwilderte Stiere, d. h. ſolche, welche aus dem zahmen Zuſtande wieder in einen ganz oder halb wilden übergegangen ſind, finden ſich hauptſächlich da, wo die Spanier herrſchten oder noch herrſchen. Auch der in Spanien ſo hoch angeſehene, weil zu den Gefechten unentbehrliche Stier ſtammt von zahm geweſenen Rindern ab. Er lebt ganz wie die wilden. Jahraus, jahrein kommt er in keinen Stall und eigentlich wird er auch nicht gehütet; denn nur ab und zu kommt einer der Beauf - tragten, um die Herde zu beſichtigen. Niemals erſcheint ein Hirt allein bei den leicht reizbaren Ge - ſchöpfen, ſondern immer ſorgen ſtarke Hunde für ſeine Sicherheit, und außerdem weiß er die Schleu - der mit einer wunderbaren Geſchicklichkeit zu handhaben. Man züchtet die Stiere hauptſächlich in Andaluſien und in den basliſchen Provinzen. Es ſind nicht eben große, aber ſehr ſchöne und unge - mein kräftige Thiere mit ziemlich langen, auswärts gebogenen, ſehr ſpitzen Hörnern. Mit dem zweiten Lebensjahre bringt man ſie in die großen Herden, welche nur aus Stieren beſtehen, weil die Bullen der gemiſchten Herden einander um die Paarungszeit tödten würden. Viel erzählt man von der großen Rachſucht dieſer Stiere. Ein guter Torro , ſagt man, dürfe niemals geſchlagen werden, weil er Dies niemals vergeſſen und dann den Hirten unfehlbar umbringen würde. Jeder einzelne Stier bekommt ſeinen Namen, und es werden über alle genaue Liſten geführt, um zu erfah - ren, welche von ihnen ſich am beſten zu den Gefechten eignen werden.

Jn den Hochgebirgen Südſpaniens und in den größeren Waldungen Caſtiliens begegnet man nicht ſelten ſolchen Stierherden, thut aber unter allen Umſtänden wohl, ihnen aus dem Wege zu gehen. Noch im November traf ich eine Herde in einer Höhe von 8 bis 9000 Fuß über dem Meere in der Nähe des Picacho de la Beleta ohne jegliche Aufſicht mit Ausnahme der, welche die mu - thigen Heerführer ſelbſt ausüben. Kein Wolf wagt es, ſich ſolcher Geſellſchaft zu nahen, kein Bär greift ſie an; denn in geſchloſſener Reihe ſtürmen die muthigen Geſchöpfe auf das Raubthier los, und faſt niemals kommt es vor, daß eines dem Feinde erliegt. Mehr, als bei anderen Thieren, beobachtete ich bei dieſen Herden, daß ſämmtliche Mitglieder der Geſellſchaft dem Kampfe zwiſchen zwei jugendlich kräftigen Stieren mit größter Aufmerkſamkeit folgen. Wir gingen einmal an einer Herde vorüber, welche ſo von einem Kampfſpiel in Anſpruch genommen wurde, daß ſie uns gar keine Be - achtung ſchenkte.

Während des Sommers ziehen ſich die Stiere mehr nach den Höhen empor und erſt der dort frühzeitiger als unten fallende Schnee treibt ſie wieder zur Tiefe zurück. Den Dörfern weichen ſie vorſichtig aus. Auf Vorübergehende ſtürzen ſie oft ohne die geringſte Veranlaſſung los. Nur mit Hilfe gezähmter Ochſen iſt es möglich, ſie nach den für die Gefechte beſtimmten Plätzen zu treiben. Die Hirten ſind dabei ſelbſtverſtändlich auch beritten. Keiner dieſer wilden Stiere verträgt eine Feſſel, keiner eine Mißhandlung. Die Fortſchaffung der für das Gefecht erwählten iſt für die Be - theiligten immer ein Spielen mit Tod und Leben. Auf die Gefechte ſelbſt werde ich zurückkommen; jetzt wollen wir noch einen Blick auf die verwilderten Ochſen der Pampas Südamerikas werfen.

Bereits um das Jahr 1540 verpflanzte man aus Spanien Stiere nach jenen Gegenden des neu - entdeckten Erdtheils. Sie fanden das Klima und die ganze Beſchaffenheit der neuen Welt für ihr Gedeihen ſo erſprießlich, daß ſie in kurzer Zeit ſich von dem Menſchen, welcher ſie ohnehin nur laß670Die eigentlichen Rinder. Verwilderte Rinder Südamerikas.überwachte, frei machten. Hundert Jahre ſpäter bevölkerten dieſe Thiere ſchon in ſolcher ungeheurer Anzahl die Pampas, daß man bei den Jagden, welche auf ſie angeſtellt wurden, geradeſo verfuhr, wie die Jndier noch heute mit den Biſons verfahren. Man erlegte die Thiere einfach, um ihre Haut zu benutzen; an Verwendung des ſo werthvollen Fleiſches dachte Niemand. Ehe der Bürgerkrieg die La Plataſtaaten zerſtörte, wurden jährlich gegen 800,000 Ochſenhäute allein von Buenos Ayres nach Europa ausgeführt. Eine eigene Genoſſenſchaft, die der Vaceros , bildete ſich aus den Gauchos heraus, Leute, welche ohnehin gewöhnt waren, für wenige Groſchen ihr Leben in die Schanze zu ſchlagen, trotzigkühne, tolldreiſte Männer, welche den Stieren mit der Wurfſchlinge entgegentraten und mit dieſem verhältnißmäßig ſo ſchwachen Gewehr zu bändigen wußten. Manche Landwirthe hielten auf ihren ungeheuren Landgütern an acht - bis zehntaufend Stück Rinder, welche faſt gar nicht beaufſichtigt wurden. Um die Schlachtzeit trieb man dann die Herden in große Pferche oder Umpfählungen, feſt genug, ihrem Wüthen zu widerſtehen. Hier wurden ſie entweder mit Feuergewehren niedergemetzelt oder einzeln herausgelaſſen, von den Hirten verfolgt und mit den Wurfſchlingen niedergeriſſen. Das Fleiſch und Fett verblieb den zahmen und wilden Hunden und den Geiern. Solche Verwüſtungen hatten zur Folge, daß die ungeheuren Herden mehr und mehr abnahmen, und erſt in der Neuzeit, wo man ſparſamer mit den Erzeugniſſen umgeht, haben ſie ſich wieder etwas gehoben.

Auf den Falklandsinſeln iſt das Rind ganz verwildert und wird höchſtens manchmal von Schif - fern gejagt, deren Fleiſchvorräthe zuſammengeſchmolzen ſind.

Jn Kolumbien lebt das Rind, wie in den meiſten übrigen Ländern Südamerikas, in gleicher Freiheit, aber nicht in der Tiefe, ſondern in der Höhe der Cordillera. Als die Jeſuiten in der Pro - vinz St. Martin ihre Miſſionen verlaſſen mußten, blieben die zurückgelaſſenen Thiere ſich ſelbſt über - laſſen und zogen ſich bald bis zum Grasgürtel empor, wo ſie gegenwärtig in kleinen Herden leben. Manchmal jagen ſie die Bauern der am Fuße der Cordillera liegenden Dörfer, weniger des Nutzens, als des Vergnügens wegen; denn es iſt den Leuten unmöglich, ihre Beute vom Gebirg herabzuſchaf - fen. Nicht einmal gefangene Thiere laſſen ſich nach unten treiben; ſie ſtellen ſich erſt nach Kräften zur Wehre und gerathen, wenn ſie die Nutzloſigkeit ihrer Bemühungen einſehen, oft in ſo gewaltige Aufregung, daß ſie am ganzen Körper zu zittern beginnen, zuſammenſtürzen und ſterben. Bis - weilen iſt es aber doch gelungen, ſolche verwilderte Rinder wieder in die Tiefe hinabzuführen, und dann hat man ſie ohne ſonderliche Mühe wieder gezähmt.

Wie überaus günſtig das Klima und die Beſchaffenheit Südamerikas für die Vermehrung des Rindes iſt, mag aus Folgendem hervorgehen. Columbus brachte das nützliche Hausthier auf ſei - ner zweiten Reiſe zuerſt nach St. Domingo. Hier vermehrte es ſich mit ſolcher Schnelligkeit, daß man bereits wenige Jahre ſpäter Kälber beiderlei Geſchlechts nach allen Gegenden hin bringen konnte. Siebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung Domingos waren Herden von 4000 Stücken bereits eine gewöhnliche Erſcheinung, und im Jahre 1587 wurden von der Jnſel allein ſchon 35,500 Stück Rinderhäute ausgeführt. Um dieſe Zeit gab es bereits große verwilderte Herden.

Nur in Amerika hat ſich das Hausrind wieder von der Herrſchaft des Menſchen befreit; in allen übrigen Erdtheilen iſt es deſſen Sklave und zwar, wie ſchon bemerkt, ſeit uralter und vorgeſchicht - licher Zeit. Jm allgemeinen wurde und wird das Rind außerordentlich hoch geehrt. Die alten Egypter beteten den Gott Apis in Geſtalt eines Ochſen an und erwieſen dem Thiere mit vieler Feierlichkeit die größten Ehren. Die Göttin Jſis trug Kuhhörner auf dem Haupte, wie ſpäter die Jo der Griechen; beiden opferte man Ochſen, weil dieſe beſonders heilig waren. Jn Lybien wurden die Rinder gezähmt, aber niemals geſchlachtet; nur die Milch genoß man. Jn Cyrene galt es als Verbrechen, eine Kuh zu ſchlagen; heutzutage iſt Dies noch in Jndien der Fall. Die Celten ſahen die Kuh als ein ihnen unmittelbar von der Gottheit gegebenes Geſchenk an, und die heutigen Jndier ſtehen den Egyptern noch durchaus nicht nach. Wir haben ſchon weiter oben erwähnt, daß die verſchiedenen Stämme auch verſchiedene Rinder heilig erklären; im weſentlichen iſt die Verehrung671Allgemeines.aber überall dieſelbe. Bei den Brahminen Kaſchmirs iſt nach Hügel’s Erfahrungen die Kuh ſo heilig, daß Jeder mit dem Tode beſtraft wird, welcher eine tödtet. Görtz nennt die Ochſen ein allgemeines Uebel der Hinduſtädte. Jrgend Jemand hat einzelnen ſeiner Rinder, um ein verdienſt - liches Werk zu thun, das Zeichen Schiwa’s aufgebrannt, und dieſe Thiere laufen nun mit Pfaffen und Bettlern in den Straßen herum, gehen Niemand aus dem Wege, drängen, ſchlagen, ſtoßen und freſſen, was ihnen vorkommt. Die Bakhara-Araber, ein Volksſtamm, welcher ſich zwiſchen dem weißen Fluſſe und Kordofahn umhertreibt, haben ihren Namen vom Rinde ſelbſt entlehnt; denn das Wort Bakhara bedeutet ungefähr ſoviel, als Rinderer. Und nicht blos auf Erden hat man das Rind geehrt und geachtet: es iſt ja, wie allbekannt, ſelbſt in den Himmel verſetzt worden. Nach den altindiſchen Sagen iſt die Kuh das erſtgeſchaffene aller Weſen, und der Ochſe Nanda vertritt nach den Anſchauungen dieſes Volkes ganz die Stelle des heiligen Petrus: er iſt Wächter eines der beiden Himmelsthore. Die Veneunung des Sternbildes Stier mag wohl hiermit im Zuſam - menhange ſtehen. Selbſt bei den heitligſten Glaubensgenoſſenſchaften, welche in allem Möglichen etwas Unreines erblicken, gilt das Rind als reines Thier, deſſen Umgang dem Seelenheile des Gläu - bigen nur förderlich ſein kann. Die Sudahneſen hören es gern, wenn man ihnen den Ehrentitel Ochſe gibt, und vergleichen die Kraft ihrer Söhne ruhmredneriſch mit der des Stieres. Mehr, als irgend ein Thier, hat das Rind zur Verſittlichung des Menſchen beigetragen. Otto von Kotzebue bemerkt ſehr treffend, daß mit dem Erſcheinen Vancouver’s für die Sandwichsinſeln ein neues Zeitalter begonnen habe, weil erſt mit der damals geſchehenen Einführung des Rindes die Geſittung der Jnſelbewohner beginnt.

Ein Blick auf das Leben des Hausrindes in den verſchiedenen Ländern iſt ebenſo lehrreich, als feſſelnd. Wenden wir, gewiſſermaßen, um geſchichtlich zu beginnen, unſere Aufmerkſamkeit zunächſt jenen Herden zu, welche ſich noch in denſelben Verhältniſſen befinden, wie unter der Herrſchaft der alten Erzväter. Jn den Nomaden des Oſtſudahn ſehen wir Herdenzüchter, welche ihre Geſchäfte noch in derſelben Weiſe betreiben, wie ihre Ururväter vor Jahrtauſenden ſie betrieben. Die Vieh - herden, welche ſie beſitzen, ſind ihr einziger Reichthum. Man ſchätzt ſie nach der Zahl der Schafe und der Rinder, wie man den Lappen nach der Meuge ſeiner Renthiere ſchätzt. Jhr ganzes Leben hängt mit der Viehzucht aufs innigſte zuſammen. Nur durch Räuberthaten erwerben ſie ſich noch außerdem Manches, was ſie zu ihrem Leben bedürfen; im allgemeinen aber muß ihr zahmes Vieh ſie ausſchließlich erhalten. Viele Stämme der Araber, welche die nahrungsreicheren Steppen ſüdlich des achtzehnten Grades nördlicher Breite durchwandern, liegen in beſtändigem Kriege mit ein - ander ihrer Herden wegen und ſind aus dem gleichen Grunde ohne Unterlaß auf der Wanderung. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß es in jenen Gegenden nur freie Zucht gibt, daß Niemand daran denkt, für ſeine Hausthiere einen Stall zu erbauen. Blos da, wo der Löwe in großer Zahl auf - tritt, verſucht man nachts die Rinder, Schafe und Ziegen durch einen dicken Hag aus Mimoſen und Dornen zu ſchützen, welcher einen Lagerplatz kreisförmig umgibt. Da, wo man dem Könige der Wildniß keinen Zoll entrichten muß, läßt man die Herde dort übernachten, wo ſie weideſatt ſich lagert.

Auch die größten unſerer Rittergutsbeſitzer und Viehzüchter, die Holländer und Schweizer mit inbegriffen, machen ſich wohl ſchwerlich eine Vorſtellung von der Anzahl der Herden jener Nomaden. Nahe dem Dorfe Melbeß, deſſen ich ſchon einmal Erwähnung gethan habe, tieft ſich die Steppe zu einem weiten Keſſel ein, in deſſen Grunde man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und allein zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagsſtunden zuſammenſtrömenden Herden zu tränken. Jn dieſem Keſſel kann man vom frühen Morgen an bis zum ſpäten Abend und während der ganzen Nacht ein kaum zu beſchreibendes Gewühl von Menſchen und Herdenthieren bemerken. Neben jedem Brunnen hat man 6 bis 8 flache Tränkteiche aufgebaut, große natürliche Tröge, welche mit thoniger Erde eingedämmt ſind. Dieſe Tröge werden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke kommenden Herden vollſtändig wieder geleert. Vom Nachmittage an durch die ganze Nacht hindurch672Die eigentlichen Rinder. Allgemeines.bis gegen Mittag hin ſind faſt hundert Menſchen eifrig beſchäftigt, aus der Tiefe der Brunnen Waſ - ſer heraufzuheben und in dieſe Tränkteiche zu ſchütten, wo man dann dem Waſſer noch etwas ſalz - haltige Erde zuzuſetzen pflegt. Gewöhnlich ſind die Teiche noch nicht völlig gefüllt, wenn die Herden herbeikommen. Von allen Seiten ziehen unſchätzbare Scharen von Schafen, Ziegen und Rindern herbei, zuerſt das Kleinvieh, ſpäter die Rinder. Jn wenigen Minuten hat ſich der ganze große Keſ - ſel vollſtändig gefüllt. Man ſieht Nichts, als eine ununterbrochene Herde von eifrig ſich hin - und herdrängenden Thieren, zwiſchen denen hier und da eine dunkele Mannesgeſtalt hervorragt. Tau - ſende von Schafen und Ziegen kommen ohne Unterbrechung, und ebenſoviele ziehen getränkt von dan - nen. Sobald der Keſſel ſich einigermaßen geleert hat, ſtürmen die Rinder herbei, welche bisjetzt kaum zurückgehalten werden konnten, und nun ſieht man Nichts, als eine braune, wogende Maſſe, über welche ſich ein Wald von Spitzen erhebt. Von den dazwiſchen hin - und hergehenden Männern iſt natürlich keine Spur mehr zu entdecken. Das Braun wird die einzige hervortretende Farbe. Es iſt unmöglich, die Menge der Rinder nur annäherungsweiſe zu berechnen; denn in dem dichten Ge - wirr hört das Zählen gar bald auf; dennoch glaube ich nicht zuviel zu ſagen, wenn ich die Zahl der täglich hierherkommenden Herdenthiere auf mindeſtens 60,000 Stück anſchlage, wovon etwa 40,000 auf die Rinder kommen mögen.

Der ganze Tränkplatz gleicht einem Stall, in welchem ſeit Monaten kein Reinigungswerkzeug in Bewegung geſetzt wurde. Der Koth liegt ungeachtet der dörrenden Sonne überall mehr als fußtief auf dem Boden; nur die Tränkteiche werden ſorgfältig rein gehalten.

Gegen Abend verlieren ſich endlich die letzten durſtigen Seelen, und nun beginnt augenblicklich das Schöpfen von neuem, um die für den folgenden Tag nöthige Waſſermenge auch wirklich beſchaffen zu können. An manchen Tagen kommen auch langbeinige Kamele dahergeſtelzt, ebenfalls 500 bis 1000 Stück auf einmal, trinken ſich voll und ziehen wieder von dannen.

Angeſehene Leute des Oſtſudahn, welche mit Eintreibung der Steuern unter jenen Nomaden - ſtämmen beauftragt waren, verſicherten mich, daß es ganz unmöglich wäre, auch nur annähernd einen Maßſtab für die Größe der Beſitzthümer jener Leute zu erlangen. Als Mahammed-Aali auf den Gedanken kam, ſeinen Bedarf an Rindern durch Zufuhren aus dem Sudahn zu decken, leg - ten die Regierungsbehörden den Sudahneſen willkührliche Steuern an Rindern auf, welche nach und nach, aber in ſehr kurzer Friſt, den Herdenbeſitzern nicht nur Hunderttauſende, ſondern Millionen von Rindern entzogen. Jn Egypten hatten Seuchen in erſchrecklicher Weiſe unter dem dortigen Rinderſtande gewüthet; die Heere, welche der ſtolze und unternehmende Paſcha gegen die Pforte führte, hatten außerdem auffallend viel verbraucht: und alle die entſtandenen Lücken wurden nicht nur aus dem Sudahn vollkommen gedeckt, ſondern es zeigte ſich ſogar bald eine ſolche Ueberfüllung an Rindern, daß man den Befehl rückgängig machte. Dabei muß man nun bedenken, daß auf dem Wege von dreihundert Meilen Länge, von welchem etwa die Hälfte auf Wüſten oder wenigſtens un - fruchtbares Land gerechnet wird, Tauſende und andere Tauſende erlagen, ehe ſie an den Ort ihrer Beſtimmung gelangten: dann erſt wird man ſich einen Begriff von den Maſſen machen können, welche aus den beiden Provinzen Senahr und Kordofahn ausgeführt wurden. Noch heutigen Tages iſt man im Stande, den Weg, welchen jene Rinderherden nahmen, ohne alle Mühe zu verfolgen. Er iſt durch Hunderttauſende von Rindergerippen, den Ueberbleibſeln der erliegenden Thiere, ſo deutlich bezeichnet, daß man gar nicht irren kann. Jene Herden aber, von denen ich redete, ſah ich nur wenige Jahre nach der beiſpielloſen Plünderung, welche die Beſitzer erlitten hatten: wie groß mag erſt der Beſtand etwa zehn Jahre früher geweſen ſein!

Jm Sudahn und in Kordofahn hält man die Rinder nur zur Zucht; in Habeſch dagegen müſſen ſie Dienſte leiſten. Die Menſa z. B. benutzen ſie ebenſowohl zum Ziehen, als zum Laſttragen. Gerade ſie können ihrer ſteilen Gebirgswege halber nur ihre Rinder als Laſtthiere gebrauchen.

Ueber die Rinderherden, welche die Völkerſchaften des tieferen Jnnern von Afrika beſitzen, fehlen zur Zeit noch ausführlichere Nachrichten; von den Völkern Südafrikas aber wiſſen wir, daß ihre673Allgemeines.Rinderherden ebenfalls unglaublich groß ſind. Alle Reiſenden, welche die Spitze des Räthſeldreiecks durchwanderten, ſprechen von Tauſenden dieſer Thiere, welche ſie geſehen haben, erzählen, daß bei einem einzigen Kriege manchmal ganz unglaubliche Mengen von den Siegern weggetrieben werden.

Jn Südrußland, in der Tartarei und wahrſcheinlich auch in einem großen Theile des inneren Aſien müſſen ebenfalls bedeutende Rinderherden gehalten werden. Die ganze ſüdruſſiſche Steppe iſt überall mit Pferde -, Schaf - und Rindviehherden bedeckt. Jm Sommer leben dieſe Tag für Tag im Freien; im harten langen Winter finden ſie hinter einem Erdwall einigen Schutz gegen die Stürme. Wenn dieſer Erdwall an der einen Seite ein elendes Stück Dach hat, gilt er als vorzüglicher Stall.

Unter den genannten Thieren ſtehen die Rinder der Zahl nach obenan und haben auch in vieler Hinſicht große Vorzüge vor jenen. Sie laſſen ſich eher und ſicherer in Geld umſetzen und ver - unglücken auch nicht ſo leicht während der Schafen und Pferden ſo gefährlichen Schneeſtürme, weil ſie die Beſinnung nicht verlieren, ſondern, falls die Stürme nicht gar zu arg ſind, geraden Weges nach Hauſe eilen. Von dieſem Vieh wandern das ganze Jahr hindurch große Züge nach Galizien und weiter nach Wien und Prag, über Moskau nach Petersburg oder nach Polen und den preußiſchen Oſtſeeprovinzen oder ſüdlich nach Odeſſa.

Jn den meiſten Gegenden ſind die Herden ſich gänzlich ſelbſt überlaſſen und werden nur inſofern von den Hirten bewacht, als dieſe ſich bemühen, ſie einigermaßen zuſammenzuhalten und die Stier - kälber, wenn ſie halb herangewachſen ſind, von den Müttern zu trennen. Die Rinder ſelbſt ſind unglaublich ausdauernd, faſt unempfindlich gegen die Witterung und auch bei ſchlechter Nahrung noch ſehr genügſam. Bei den Kirgiſen und Kalmücken, von denen ſie auch zum Laſttragen verwen - det werden, führen ſie ein echtes Wanderleben. Jm Sommer gibt die Steppe überall reiche Weide, im Winter wählt man ſich Gegenden aus, welche reich an Schilf ſind, mit deſſen dürr gewordenen Blättern die Rinder ſich begnügen müſſen.

Jn den ſüdruſſiſchen Steppen treibt man das Rindvieh, nachdem es am Morgen getränkt wurde, in die Einöde hinaus; gegen Abend kommt die Herde von ſelbſt zurück, und die Mütter ver - einigen ſich jetzt mit den Kälbern, welche am Morgen von ihnen getrennt wurden. Die Milchkühe und Kälber werden im Winter zu Haus gefüttert, die Ochſen nur dann, wenn viel Schnee liegt Gewöhnlich ſind die jungen, frei auf der Steppe aufgewachſenen Ochſen unbändig wild, wider - ſpenſtig und dabei faul. Man muß ihrer acht bis zehn an einen einzigen Pflug ſpannen, wenn man wirklich Etwas leiſten will.

Um ſie an das Joch zu gewöhnen, treibt man ein Paar in einen Hof, wirft ihnen eine Schlinge um die Hörner und zieht ſie mit dieſer ganz nahe an einen Pfahl, wo man ihnen dann das Joch auf den Nacken legt. Sobald daſſelbe gehörig befeſtigt iſt, treibt man ſie wieder zur großen Herde auf die Steppe und läßt ſie weiden. Alles Streben, ſich des Joches zu entledigen, hilft ihnen Nichts; ſie gewöhnen ſich endlich daran und werden, wie Schlatter verſichert, ſchließlich ſo anhänglich an einander, daß ſie, auch wenn ſie frei vom Joche ſind und unter den anderen weiden, ſich immer zuſammenhalten und einander in allen Nöthen beiſtehen.

Die Eingewöhnung dieſer Thiere zum Ziehen hat ebenfalls ihr Eigenthümliches. Einige Tage, nachdem man die jungen, kräftigen Stiere unter das Joch legte, fängt man ſie wieder ein und ſpannt ſie vor einen Wagen. Ein Tartar beſteigt den Bock, nimmt eine gewaltige Hetzpeitſche zur Hand und jagt nun mit ſeinem Geſpann in die Steppe hinaus, ſo ſchnell, als die Thiere laufen wollen. Er läßt ihnen die vollſte Freiheit und erlaubt ihnen, dahin zu laufen, wohin ſie wollen. Nach einigen Stunden wüthenden Dahinjagens nehmen die gedemüthigten Stiere Knechtsſinn an, und nunmehr laſſen ſie ſich ohne ſonderliche Beſchwerde lenken.

Jn Ungarn verfuhr man früher in ganz ähnlicher Weiſe mit den dort gezüchteten Rindern. Noch heute müſſen ſie ſich ſelbſt ernähren und genießen weder Schutz noch Pflege. Manche ſind ſo wild, daß ſie keinem Menſchen geſtatten, ſich ihnen zu nähern. Die Kälber ſäugen ſolange, als ſie Bedürfniß dazu fühlen, und die Hirten denken gewöhnlich erſt im zweiten Jahre ihres Lebens daran,Brehm, Thierleben. II. 43674Die eigentlichen Rinder. Das Alpenrindvieh.ſie von den Müttern zu trennen. Dies hat ſeine großen Schwierigkeiten, weil die Kühe ſich wüthend auf die Hirten zu ſtürzen pflegen und dieſe gar nicht ſelten arg verletzen oder ſogar tödten. Noch heutzutage iſt die Rindviehzucht in ganz Ungarn ſehr bedeutend, obgleich der lohnenderen Schafzucht wegen im Abnehmen begriffen.

Selbſt in Jtalien lebt noch ein großer Theil der Rinder im halbwilden Zuſtande. Jn der Ma - remma, jenem beinahe vollkommen flachen, hier und da fruchtbaren, ſonſt aber ſumpfigen Küſten - ſtrich zwiſchen Genua und Gaëta, welcher wegen ſeines ungeſunden Klimas ſehr verrufen und nur dünn bevölkert iſt, treiben ſich zahlreiche Herden des italieniſchen Rindes umher, welche jahraus jahr - ein unter freiem Himmel leben, weite Wanderungen ausführen und nur von den roheſten, abge - härtetſten Menſchen beaufſichtigt werden.

Jn der Wallachei, in Serbien, Bosnien, Bulgarien und Syrien finden wir das Rind unter ähnlichen Verhältniſſen.

Eine ganz andere Pflege genießt das geſchätzte Hausthier in den Gebirgsländern Mittel - europas, namentlich in den Alpen, obgleich auch hier noch Manches zu wünſchen übrig bleibt. Nach Tſchudi’s Angaben hält die Schweiz gegenwärtig etwa 850,000 Stück Rindvieh, und zwar nimmt ſonderbarerweiſe in den ebenen Gegenden, wo der Weidegang nach den Alpen aufgehoben wurde, die Viehzucht zu, in den Alpen dagegen ab, weil man, wie Tſchudi ſagt, leider wenig Tröſtliches von dem Zuſtande der Rinderherden auf den Alpen erzählen kann. Meiſtens fehlt eine zweckmäßige, mitunter ſogar jede Stallung. Die Kühe treiben ſich in ihrer Alp umher und weiden das kurze, würzige Gras ab, welches weder hoch, noch breit wächſt. Fällt im Früh - oder Spätjahr plötzlich Schnee, ſo ſammeln ſich die brüllenden Herden vor den Hütten, wo ſie kaum Obdach finden, wo ihnen der Senn oft nicht einmal eine Hand voll Heu zu bieten hat. Bei andauerndem kalten Regen ſuchen ſie Schutz unter Felſen oder in Wäldern. Hochträchtige Kühe müſſen oft weit entfernt vom menſchlichen Beiſtande kalben und bringen am Abend dem überraſchten Sennen ein volles Euter und ein munteres Kalb vor die Hütte. Nicht ſelten aber geht es auch ſchlimmer ab. Und doch iſt auch dem ſchlecht geſchützten Vieh die ſchöne, ruhige Zeit des Alpenaufenthaltes eine überaus liebe. Man bringe nur jene große Vorſchelle, welche bei der Fahrt auf die Alp und bei der Rückkehr ihre weithin tönende Stimme erſchallen läßt, im Frühling unter die Viehherde im Thal, ſo erregt Dies gleich die allgemeine Aufmerkſamkeit. Die Kühe ſammeln ſich brüllend in freudigen Sprüngen und meinen das Zeichen zur Alpfahrt zu vernehmen, und wenn dieſe wirklich begonnen wird, wenn die ſchönſte Kuh mit der größten Glocke am bunten Bande behangen und wohl mit einem Strauß zwi - ſchen den Hörnern geſchmückt wird, wenn das Saumroß mit Käſekeſſeln und Vorrath bepackt iſt, die Melkſtühle den Rindern zwiſchen den Hörnern ſitzen, die ſauberen Sennen ihre Alpenlieder an - ſtimmen und der jauchzende Jodel weit durchs Thal ſchallt, dann ſoll man den trefflichen Humor beobachten, in dem die gut - und oft übermüthigen Thiere ſich in den Zug reihen und brüllend den Bergen zu marſchiren. Jm Thale zurückgehaltene Kühe folgen oft unverſehens auf eigene Fauſt den Gefährten auf entfernte Alpen.

Freilich iſt es bei ſchönem Wetter für eine Kuh auch gar herrlich hoch in den Gebirgen. Frauen - mäntelchen, Mutterkraut und Alpenwegerich bieten dem ſchnoppernden Thiere die trefflichſte und würzigſte Nahrung. Die Sonne brennt nicht ſo heiß, wie im Thale, die läſtigen Bremſen quälen das Rind während des Mittagsſchläfchens nicht, und leidet es vielleicht noch von einem Ungeziefer, ſo ſind die zwiſchen den Thieren ruhig herumlaufenden Staren und gelben Bachſtelzen ſtets bereit, ihnen Liebesdienſte zu erweiſen: das Vieh iſt munterer, friſcher und geſünder, als das im Thale, und pflanzt ſich regelmäßiger und naturgetreuer fort; das naturgemäße Leben bildet den natürlichen Ver - ſtand beſſer aus. Das Rind, welches ganz für ſich zog, iſt aufmerkſamer, ſorgfältiger, hat mehr Gedächtniß, als das ſtets verpflegte. Die Alpkuh weiß jede Staude, jede Pfütze, kennt genau die beſſeren Grasplätze, weiß die Zeit des Melkens, kennt von fern die Lockſtimme des Hüters und naht ihm zutraulich; ſie weiß, wann ſie Salz bekommt, wann ſie zur Hütte oder zur Tränke muß,675Das Alpenrindvieh.ſie ſpürt das Nahen des Unwetters, unterſcheidet genau die Pflanzen, die ihr nicht zuſagen, bewacht und beſchützt ihr Junges und meidet achtſam gefährliche Stellen. Letzteres aber geht bei aller Vor - ſicht doch nicht immer gut ab. Der Hunger dringt oft zu den noch unberührten, aber fetten Raſen - ſtellen, und indem ſich die Kuh über die Geröllhalde bewegt, weicht der lockere Grund und ſie be - ginnt bergab zu gleiten. Sowie ſie bemerkt, daß ſie ſelber ſich nicht mehr helfen kann, läßt ſie ſich auf den Bauch nieder, ſchließt die Augen und ergibt ſich ruhig in ihr Schickſal, indem ſie langſam fortgleitet, bis ſie in den Abgrund ſtürzt oder von einer Baumwurzel aufgehalten wird, an der ſie gelaſſen die hilfreiche Dazwiſchenkunft des Sennen abwartet.

Sehr ausgebildet iſt namentlich bei dem ſchweizeriſchen Alprindvieh jener Ehrgeiz, welcher das Recht des Stärkeren mit unerbittlicher Strenge handhabt und danach eine Rangordnung aufſtellt, der ſich Alle fügen. Die Heerkuh, welche die große Schelle trägt, iſt nicht nur die ſchönſte, ſondern auch die ſtärkſte der Herde und nimmt bei jenem Umzug unfehlbar den erſten Platz ein, indem keine andere Kuh es wagt, ihr voranzugehen. Jhr folgen die ſtärkſten Häupter, gleichſam die Standesperſonen der Herde. Wird ein neues Stück hinzugekauft, ſo hat es unfehlbar mit jedem Gliede der Genoſſen - ſchaft einen Hörnerkampf zu beſtehen und nach deſſen Erfolgen ſeine Stelle im Zuge einzunehmen. Bei gleicher Stärke ſetzt es oft böſe, hartnäckige Zwiegefechte ab, da die Thiere ſtundenlang nicht von der Stelle weichen. Die Heerkuh, im Vollgefühl ihrer Würde, leitet die wandernde Herde, geht zur Hütte voran, und man hat oft bemerkt, daß ſie, wenn ſie ihres Ranges entſetzt und der Vor - ſchelle beraubt wurde, in eine nicht zu beſänftigende Traurigkeit fiel und ganz krank wurde.

Bei jeder großen Alpenviehherde iſt ein Zuchtſtier, welcher ſein Vorrecht mit ſultaniſcher Aus - ſchließlichkeit und ausgeſprochenſter Unduldſamkeit bewacht; es iſt ſelbſt für den Sennen nicht rathſam, vor ſeinen Augen eine rindernde Kuh von der Seute zu entfernen. Jn den öfters beſuchten tieferen Weiden dürfen nur zahme und gutartige Stiere gehalten werden; in den höheren Alpen trifft man aber oft ſehr wilde und gefährliche Thiere. Da ſtehen ſie mit ihrem gedrungenen, markigen Körper - bau, ihrem breiten Kopf mit krauſem Stirnhaar am Wege und meſſen alles Fremdartige mit ſtolzen, jähzornigen Blicken. Beſucht ein Fremder, namentlich in Begleitung eines Hundes, die Alp, ſo be - merkt ihn der Herdenſtier ſchon von weitem und kommt langſam mit dumpfem Gebrüll heran. Er beobachtet den Menſchen mit Mißtrauen und Zeichen großen Unbehagens, und reizt ihn an der Er - ſcheinung deſſelben zufällig Etwas, vielleicht ein rothes Tuch oder ein Stock, ſo rennt er geradeaus mit tief gehaltenem Kopf, den Schwanz in die Höhe geworfen, in Zwiſchenräumen, wobei er öfters mit den Hörnern Erde aufwirft und dumpf brüllt, auf den vermeintlichen Feind los. Für dieſen iſt es nun hohe Zeit, ſich zur Hütte, hinter Bäume oder Mauern zu retten; denn das gereizte Thier verfolgt ihn mit der hartnäckigſten Leidenſchaftlichkeit und bewacht den Ort, wo es den Gegner ver - muthet, oft ſtundenlang. Es wäre in ſolchem Falle thöricht, ſich vertheidigen zu wollen. Mit Stößen und Schlägen iſt wenig auszurichten, und der Stier läßt ſich eher in Stücke hauen, ehe er ſich vom Kampfe zurückzieht.

Die feſtlichſte Zeit für das Alpenrindvieh iſt ohne Zweifel der Tag der Alpfahrt, welche ge - wöhnlich im Mai ſtattfindet. Jede der ins Gebirge ziehenden Herden hat ihr Geläut. Die ſtatt - lichſten Kühe erhalten, wie bemerkt, die ungeheuren Schellen, welche oft über einen Fuß im Durch - meſſer halten und 40 bis 50 Gulden koſten. Es ſind die Prunkſtücke des Sennen; mit drei oder vier ſolchen in harmoniſchem Verhältniß zu einander ſtehenden läutet er von Dorf zu Dorf ſeine Abfahrt ein. Zwiſchen hinein tönen die kleinen Erzglocken.

Trauriger, als die Alpfahrt, iſt für Vieh und Hirt die Thalfahrt, welche in ähnlicher Ord - nung vor ſich geht. Gewöhnlich iſt ſie das Zeichen der Auflöſung des familienartigen Herden - verbandes.

Solches Herdentreiben iſt ſo zu ſagen die Dichtung im Rinderleben. Jn den meiſten übrigen Ländern hat das gute Hausthier kein ſo ſchönes Loos. Jn Deutſchland genießt es blos in den Ge - birgen und in den nördlichen Marſchgegenden während des Sommers eine mehr oder weniger be -43*676Die eigentlichen Rinder.ſchränkte Freiheit. Die Herden im Thüringer Walde erinnern noch lebhaft an jene, welche auf den Alpen weiden. Jn keinem größeren Walde dieſes lieblichen Gebirges wird man die Rinder vermiſſen. Jede Herde beſitzt ihr eigenes vollſtimmiges Geläut, und gerade in ihm ſuchen die Hirten ihren größ - ten Stolz. Es gibt gewiſſe Tonkünſtler, die Schellenrichter, welche im Frühjahr von Dorf zu Dorf ziehen, um das Geläut zu ſtimmen. Jede Herde muß wenigſtens acht verſchiedene Glocken haben, welche großer, mittler und kleiner Baß, Halbſtampf, Auchſchell, Beiſchlag, Lammſchlag und Gitzer genannt werden. Man hat beobachtet, daß die Rinder das Geläut ihrer Herde genau kennen und verirrte Kühe ſich durch daſſelbe zurückfinden. Die Thiere weiden während des ganzen Sommers im Walde; erſt im Spätherbſt ſtallt man ſie ein.

Jn dem Alpenlande Norwegen lebt das Rindvieh in ähnlichen Verhältniſſen, wie in der Schweiz; und in dem ſüdlichen Theile des Landes haben es die Thiere vielleicht noch beſſer, als die ſchweizer Kühe. Das norwegiſche Rind iſt abgehärtet, wie alle Hausthiere dort es ſind, und treibt ſich ſehr viel im Freien umher; immer aber kehrt es abends in ſeinen warmen Stall zurück. Das Leben auf dem Hochgebirge in den Sennerwirthſchaften hat ſicherlich für Menſchen und Thiere dieſel - ben Reize, wie das Hirten - und Herdenleben in den eigentlichen Alpen; aber nicht alle Kühe ge - nießen die liebevolle Pflege der ſchmucken und reinlichen Sennerinnen, welche das Gebirge des Nor - dens in ſo anmuthiger Weiſe zu beleben wiſſen. Jn den Waldgegenden z. B. läßt man die Thiere ohne Aufſicht umherſtreifen, und da kommt es oft genug vor, daß ein Stück tagelang verirrt in den Wäldern umherſtreift, mühſelig durch Sumpf und Mor ſich arbeitet und nur im günſtigſten Falle wieder zu den Menſchen kommt, abgemattet, mager, halbverhungert.

Weiter im Norden iſt namentlich der Winter eine gar böſe Zeit für das Rindvieh. Der kurze Sommer kann in Norland und in Lappland nicht genug Weide mehr erzeugen, und deshalb iſt man auf ein ſonderbares Hilfsmittel gekommen. Man füttert nämlich nicht blos Heu und Stroh, Laub und Birkenzweige, Renthiermos und Pferdemiſt, Meerespflanzen, Algen und dergleichen, ſon - dern auch Fiſche und namentlich die Köpfe der Dorſche, welche man gerade zur Zeit des Futter - mangels in großen Mengen fängt. Dieſe Fiſchköpfe werden in Keſſeln mit Tangen aller Art und Moſen zuſammengekocht, und zwar ſolange, als möglich, damit die Knochen weich oder zur Gallerte werden; dann ſchüttelt man die breiige Maſſe den Kühen vor, und dieſe freſſen die ihnen ſo unna - türliche Nahrung mit Begierde. Die Bewohner der Lofodden haben mir verſichert, daß man die Gerüſte, auf denen die Dorſche getrocknet werden, vor den Kühen bewahren müſſe, weil dieſe ohne Umſtände ſich an den halbtrockenen Fiſchen ſatt zu freſſen pflegen.

Jn den meiſten übrigen Ländern Europas iſt das Rindvieh ein trauriger Sklave des Menſchen; doch dürfte es unnöthig ſein, hierauf weiter einzugehen. Dagegen glaube ich nichts Ueberflüſſiges zu thun, wenn ich von einer der eigenthümlichſten und roheſten Benutzungen des Rindes, von den ſpaniſchen Stierhatzen und Stiergefechten noch Einiges und zwar aus eigener Anſchauung mittheile. Alle Spanier, ebenſowohl die, welche ihr urſprüngliches Vaterland, als diejenigen, welche die neue Welt bewohnen, ſind leidenſchaftliche Freunde von Schauſpielen, wie ſie wohl die alten Römer auf - führten, nicht aber gebildete und geſittete Völker leiden mögen. Jn Spanien kommt der Ochſe zur Geltung. Er genießt hier eine Achtung, wie ſie nur einem indiſchen Zehn zu Theil werden mag; er kann ſich zum Helden des Tages emporſchwingen und unter Umſtänden weit mehr Theilnahme erre - gen, als alles Uebrige, was den Spanier näher angeht. Dieſer hat für die Schönheiten eines Stieres ein ganz beſonderes Auge; er prüft und ſchätzt ihn, wie bei uns ein Kundiger ein edles Pferd oder einen guten Hund. Nicht einmal an einem frommen Zugſtiere geht er gleichgiltig vor - über; gegen ein vielverſprechendes Kalb zeigt er ſich ſogar zärtlich.

Die Stierhatzen ſind Vergnügungen, welche einen Sonntagsnachmittag in erwünſchter Weiſe ausfüllen und der Menge erlauben, thätig mit einzugreifen; bei den Stiergefechten kämpfen geübte Leute, die Toreros, falls nicht junge vornehme Nichtsthuer als beſonderen Beweis ihrer Geſittung677Die ſpaniſchen Stiergefechte.ein ſolches Schauſpiel veranſtalten, d. h. das Amt der Stierkämpfer übernehmen und ſich alſo auf die Stufe dieſes rohen Geſindels ſtellen.

Die Stierhatzen werden auf den Märkten der Städte abgehalten. Alle nach dem Platze führen - den Straßen ſind durch ziemlich feſte Holzplanken geſchloſſen. Eine der Planken dient als Eingang und hier entrichtet jeder Eintretende eine gewiſſe Summe. Ein Kaufmann in Jativa de San Felipe, hatte uns gelegentlich einer Stierhatze zu ſich eingeladen, weil wir von ſeinem Haus aus den ganzen Marktplatz überſehen konnten. Es war ein ſehr eigenthümliches Schauſpiel, welches wir genoſſen. Die Hausthüren waren geſchloſſen, alle Erker aber geöffnet und gedrängt voll Menſchen. Selbſtverſtändlich nahmen auch die Frauen den lebhafteſten Antheil. Jn der Mitte des Marktes erhob ſich ein Gerüſt für die Muſik, welche um ſo lauter ſpielte, je toller der Lärm wurde. Der ganze Markt war voll von Menſchen. Jch konnte mir gar nicht erklären, wo ſie hergekommen und wohin ſie ſich zurückziehen wollten, wenn der Held des Tages auf dem Platze erſcheinen würde. Man ſah wohl einige Gerüſte aufgeſchlagen; aber dieſe konnten doch unmöglich die Menſchenmenge faſſen, welche jetzt auf dem Markte herumwogte. Und doch war es nicht anders! Einige Schläge an die Thür des Gehöftes, in welchem ſich die Stiere befanden, benachrichtigte die Menſchenmenge von dem baldigen Erſcheinen des vierfüßigen Schauſpielers. Augenblicklich ſtob die Maſſe aus einander. Alle Gerüſte oder vielmehr die Pfahl - und Breterverbindungen waren im Nu bis oben hinauf mit Men - ſchen beſetzt. Wie Affen hockten die Leute über einander. Unten auf der Erde unter den Gerüſten lag die liebe Jugend auf dem Bauche. An manchen Häuſern waren andere Vorrichtungen getroffen worden, um geſchützte Plätze gegen den herannahenden Ochſen zu erhalten. Man hatte drei bis fünf ſtarke Stäbe oder Bohlen in Seile eingebunden und an den Erkern befeſtigt. Die Bohlen waren ſo ſchmal, daß eben nur ein Fuß darauf Platz fand; ſie genügten aber, wie ich bald ſah, vollſtändig zum Ausweichen. Von oben herab hingen ſo viele Leinen, als möglicherweiſe Leute auf dieſen Schieferdeckergerüſten Platz finden konnten. Die Leinen waren von Fuß zu Fuß Entfernung in Knoten geſchlungen und dienten zum raſcheren und ſicheren Erklettern des Gerüſtes, ſowie zum Sich - feſthalten da oben. Andere Zuſchauer hatten auf den Bänken, welche man hier und da in den Hausthüren ſieht, Platz genommen, andere ſtanden in den Thüren, immer bereit, dieſelben augen - blicks zu ſchließen; wieder andere hatten die Thore mittelſt ſchwerer Tafeln befeſtigt. An dem Ge - rüſt, auf welchem die Muſikbande thronte, hingen noch außerdem über hundert Menſchen, und es brach deshalb auch glücklich ſpäter zuſammen.

Jetzt öffneten ſich die Flügelthüren des Gehöftes. Der Gegenſtand der allgemeinen Verehrung und Unterhaltung, ein zünftiger Ochſe, ſtürmte heraus. Augenblicklich ſaßen alle Menſchen auf ihren ſchwebenden Gerüſten. Die ehrbare Verſammlung begrüßte den herausgetretenen Stier mit einem endloſen Gebrüll. Verwundert ſah der Ochſe ſich um. Die bunte Menſchenmenge, der ungewohnte Lärm machten ihn ſtutzig. Er ſtampfte mit dem Fuße und ſchüttelte das Haupt, die gewaltigen Hörner zu zeigen, bewegte ſich aber nicht von der Stelle. Das verdroß die Leute natürlich. Die Frauen ſchimpften und ſchwenkten ihre Tücher, nannten entrüſtet den Ochſen ein erbärmliches Weib, eine elende Kuh; die Männer gebrauchten noch ganz andere Kraftworte und beſchloſſen endlich, den Faulen in Trab zu ſetzen. Zuerſt ſollten Mißklänge aller Art ihn aus ſeiner Ruhe ſchrecken. Man war erfin - dungsreich im Hervorbringen eines wahrhaft entſetzlichen Lärmes, pfiff auf wenigſtens zwanzigfach ver - ſchiedene Weiſe, brüllte, ſchrie, kreiſchte, klatſchte in die Hände, ſchlug mit Stöcken auf den Boden, an die Wände, an die Thüren, ziſchte, als ob Raketen in Brand geſetzt würden; man ſchwenkte Tücher, ſchwenkte von neuem: der Ochſe war viel zu ſehr verwundert; er ſtand noch unbeweglich. Jch fand Dies ganz natürlich. Sein Faſſungsvermögen war eben ſchwach, und wenn es auch ſonſt bei der - artigen Geiſtern gewöhnlich nicht lange dauert, um zu begreifen, daß man auch als Ochſe der Held des Tages ſein kann, ſchien ſich unſer Stier doch noch nicht ſo leicht als mancher Menſch an ſeiner Stelle in die ihm gewidmeten Ehrenbezeugungen finden zu können. Zudem war die Lage des guten Thieres wirklich ungemüthlich. Ueberall Menſchen, von denen man nicht wiſſen konnte, ob ſie verrückt oder678Die ſpaniſchen Stiergefechte.bei Verſtande waren, und aus dieſem allgemeinen Jrrenhaufe keinen Ausweg: Das muß ſelbſt einen Ochſen zum Nachdenken bringen!

Aber das tiefe Nachdenken ſollte geſtört werden. Spaniens edles Volk wollte ſich mit dem Ochſen unterhalten, wollte ſich mit ihm verbrüdern. Man griff deshalb zu anderen Mitteln, um den Erſtaunten zu ſtören. Langſam öffnete ſich eine Thüre; ein langes, am vorderen Ende mit ſpitzen Stacheln bewehrtes Rohr wurde ſichtbar, weit ſchob es ſich heraus, endlich erſchien auch der Mann, welcher es am andern Ende feſthielt. Bedächtig richtete und lenkte er beſagtes Nohr: ein furchtbarer Stoß nach dem Hintertheile des Ochſen wurde vorbereitet und ausgeführt, er gelang, doch ohne die gehoffte Wirkung. Toro hatte den Stoß für einen Mückenſtich gehalten. Er ſchlug zwar wüthend nach hinten aus, das ſtechluſtige Kerbthier zu vertreiben, blieb aber ſtehen. Neue Mittel erſann man; ſogar das Parallelogramm der Kräfte wurde in Anwendung gebracht. Von zwei Seiten zielte und ſtieß man zu gleicher Zeit nach dem Hintertheile des Stieres. Das trieb ihn endlich einige Schritte vorwärts. Jetzt brachten Stachelbolzen, welche man mit dem Blasrohre nach ſeinem Felle ſandte, ihm zugeworfene Hüte, vorgehaltene Tücher und das bis zum Aeußerſten geſtei - gerte Brüllen, die gewünſchte Wirkung hervor. Todesmuthig, zitternd vor Wuth, ſtürmte das Thier an einer Seite des Marktplatzes hinauf, und fegte dieſe gründlich rein, aber nur für einen Augen - blick; denn kaum war der Stier vorüber, ſo war auch die Menge wieder von ihren ſchwebenden Sitzen herunter und rannte ihrem Lieblinge nach.

Man war wirklich frech. Wenn der Stier längs der Häuſer dahinfegte, faßten ihn einige der verwegenſten Kerle auf Augenblicke mit den Händen an den Hörnern, Andere traten ihn von oben herab mit Füßen, Andere ſtellten ſich auf kaum mehr als zehn Schritte vor ihm hin und reizten ihn auf alle mögliche Weiſe, waren aber, wenn der Stier auf ſie losſtürzte, immer noch geſchwind genug, eines der Gerüſte zu erklettern. Die Meiſten bewieſen einen unglaublichen Muth; Einige aber waren doch recht feig. Sie ſtachen durch kleine Löcher in den Hausthüren hindurch oder machten nur Lärm, wie ein Mann, welcher unſere Verachtung im reichſten Maße auf ſich zog, weil er blos die Thür öffnete, mit der Hand oder dem Stocke dreinſchlug, ſie aber, ſowie der Stier die geringſte Be - wegung machte, ſchleunigſt wieder verſchloß. Während der Hatzen lernte ich einſehen, wie genau die Spanier ihren guten Freund kannten. So waren die unterſten Planken, auf denen die Leute ſtanden, kaum höher, als vier Fuß, der Ochſe konnte ſie alſo ganz bequem mit ſeinen Hörnern leer machen: er kam aber nie dazu; denn kurz vor ſeiner Ankunft faßten die auf ſolchen Planken Stehenden mit ihren Händen höhere Theile des Gerüſtes, zogen die Beine an und erhielten ſich ſo lange in der Schwebe, bis das Thier vorüber war.

Um zum Schluß zu kommen: Sechs Stiere wurden durch Menſchen und Hunde ſo lange auf dem Markte herumgehetzt, bis ſie wüthend und ſpäter müde wurden. Dann war es für ſie ſtets eine Er - löſung aus allem Uebel, wenn der zahme Leitochſe erſchien, dem die Pflicht oblag, ſie in ihre Ställe zurückzubringen. Dies Mal ging die Geſchichte ohne Unfall vorüber, obgleich man wiederholt ſol - chen fürchten mußte, namentlich als das erwähnte Gerüſt zuſammenbrach. Jm ungünſtigen Augen - blick darf nur ein einziges Bret an den Gerüſten brechen, und ein Unglück iſt vollendet. Bei einer der letzten Hatzen hatten zwei Menſchen das Leben verloren. So Etwas ſtört aber die Spanier kei - neswegs; ſelbſt die Polizei thut Nichts, um ein ſo trauriges Zwiſchenſpiel denn die Stierhatze wird nicht unterbrochen, wenn ein Paar Menſchen dabei umkommen zu verhüten. Hier begnügte ſie ſich, die auf wirklich unverantwortlich tollkühne Weiſe aufgeſtellten Leute weniger gefahrvollen Plätzen zuzutreiben; im übrigen wirkte ſie bei der Hatze ſelbſt ſehr thätig mit.

Solche Hatzen ſind einfache Sonntagsvergnügungen der Spanier, die Stiergefechte dagegen außerordentliche Feſte, ja man kann wohl ſagen, die größten des Jahres. Jn Madrid und in Sevilla wer - den während der heißen Sommermonate bei gutem Wetter jeden Sonntag Stiergefechte aufgeführt, in den übrigen Städten des Landes nur ein Mal im Jahre, gewöhnlich aber dann drei Tage lang nach679Die ſpaniſchen Stiergefechte.einander. Der Reiſende, welcher ſich längere Zeit in Spanien aufhält, kann dem Schauſpiele gar nicht entgehen. Jch beſchreibe ein Stiergefecht, welchem ich in Murcia beiwohnte.

Schon in den erſten Nachmittagsſtunden des feſtlichen Sonntags drängten ſich die Menſchen in den dahin führenden Straßen. Ueberfüllte Wagen aller Art kreuzten ſich mit leeren, welche vom Platze zurückkehrten, um neue Schauluſtige dahinzubringen. Am Eingange des Schauplatzes drängte ſich die bunte Maſſe unter Fluchen und Toben, obgleich die Thüren bereits ſeit mehreren Stunden ge - öffnet waren und die ärmeren Stadtbewohner, ſowie die wie überall geizigen Landleute ſchon ſeit Mittag ihre Plätze gewählt und beſetzt hatten. Dieſe Leute mußten fünf Stunden lang die furchthare Sonnengluth aushalten, um dann während der Vorſtellung Schatten zu haben; aber ſie ertrugen Alles gern, um nur das erhabene Schauſpiel in Ruhe genießen zu können. Der Anblick des Amphi - theaters war überraſchend. Die Menſchenmenge verſchmolz zu einem bunten Ganzen; nur die rothen Binden der Männer der Fruchtebene und die lebhaft gefärbten Halstücher der Frauen ſtachen hervor. Auf der Sonnenſeite hatte man Regenſchirme zum Schutz gegen das brennende Geſtirn ausgeſpannt. Einige junge Leute ſchwenkten rothe Fahnen mit daraufgeſtickten Ochſenköpfen und andere paſſende d. h. auf das Rindvieh bezügliche Zeichen des Feſtes. Sehr Viele waren mit Sprachröhren verſehen, um den wüſten Lärm, welcher herrſchte, noch eigenthümlicher Weiſe vermehren, um das Gekreiſch und Gebrüll noch vervollſtändigen zu können.

Unſere aufangs noch den Sonnenſtrahlen ausgeſetzten Plätze befanden ſich hart an der zum Stier - zwinger führenden Thüre. Links vor uns hatten wir die Pforte, durch welche die Kämpfer hereintre - ten und die getödteten Thiere hinausgeſchafft werden, rechts über uns war der Schauſitz der Obrigkeit, dicht vor uns, blos durch eine Planke getrennt, der Kampfplatz. Dieſer mochte ungefähr ſechzig oder achtzig Schritte im Durchmeſſer halten und war ziemlich geebnet, jetzt aber voller Pfirſichkerne und anderer Fruchtreſte, welche man von oben herabgeworfen hatte und beſtändig noch herabwarf. Die Planke mochte Fuß hoch ſein, an der inneren Seite hatte ſie in einer Höhe von Fuß ziemlich breite Leiſten, dazu beſtimmt, den vor dem Stier fliehenden Kämpfern beim Ueberſpringen Unter - ſtützung zu leiſten. Zwiſchen dieſer Umhegung und den Schauplätzen war ein ſchmaler Gang für die Toreros leergelaſſen worden, hierauf folgten in weiter ſtets geſchweiften Bogen die für die Maſſe beſtimmten Bänke, etwa zwanzig oder dreißig an der Zahl. Hierher drängten ſich noch immer Men - ſchen, welche es verſuchten, ſich zwiſchen bereits Sitzende gewaltſam einzupreſſen. Ueber dieſen Sitz - reihen kamen die geſperrten Plätze und über ihnen endlich die Logenreihen, in welchen man die Frauen der Stadt im höchſten Putze ſehen konnte. Der Schauſitz der Obrigkeit oder des vorſitzenden Alcalden war mit rothem Damaſt behängt und trug das Wappen der Stadt, die übrigen waren einfacher ge - ſchmückt. Auf den Dächern dieſer Logen ſah man noch Schauluſtige in Menge. Hunderte von Menſchen ſtanden, den Regenſchirm in der Hand, da oben, wahrſcheinlich, weil ſie unten keine Sitze ge - funden hatten. Erſt beim Anblick dieſer Menſchenmenge wurde es glaublich, daß eine Arena ihre zwölf - bis zwanzigtauſend Menſchen faſſen kann.

Jeder Zuſchauer that, was er von ſeinem Platze aus thun konnte, und die Bedeutung des Sprichwortes: Er beträgt ſich, wie auf dem Platz der Stiere wurde uns einleuchtend. Nicht ein Einziger ſaß ruhig, ſondern bewegte wenigſtens Arme, Regenſchirm, Fächer oft nach allen Richtungen hin, ſchrie aus vollem Halſe, warf mit Früchten um ſich, kurz, bemühte ſich ſo viel als möglich, einem wilden Thiere gleichzukommen.

Mit dem Schlag der beſtimmten Stunde erſchien der Alcalde in ſeiner Loge. Die großen Thore öffneten ſich und die Toreros traten herein. Vor ihnen her ritt ein Alguazil in ſeiner uralten Amts - tracht, auf ihn folgten die Eſpadas, Bandarilleros und Cacheteros, hierauf die Picadores und zuletzt ein Geſpann mit drei reichgeſchmückten Maulthieren. Die Fechter waren koſtbar gekleidet; ſie trugen enge, überreich geſtickte Kleider und darüber rothe, mit Goldſchmuck überladene Sammetmäntel; ſelbſt die ſammetenen Beinkleider waren an den Seiten mit goldenem Laubwerk geſtickt. Die kurze Jacke war förmlich mit Silber überladen; denn man hatte dicke Platten, welche Edelſteine umfaßten, darauf ge -680Die ſpaniſchen Stiergefechte.heftet. Von den Schultern hingen Goldtroddeln herab. Die ſchwarzen Käppchen, welche alle trugen, beſtanden aus dickem, eigenthümlich gewebten Wollenzeuge, die Füße bekleideten leichte Schuhe mit ſil - bernen Schnallen. Die Bandarilleros trugen, anſtatt der Mäntel, buntfarbige, wollene Tücher über dem Arme. Ganz abweichend waren die Picadores gekleidet. Nur die Jacke war ebenſo koſtbar ge - ſtickt, als bei den übrigen, die Beinkleider beſtanden aus dickem Leder und waren über ſchwere, eiſerne Schienen gezogen, welche die Unterſchenkel und die Füße, ſowie den rechten Oberſchenkel umhüllten. Auf dem Haupte ſaßen ihnen breitkrempige Filzhüte, welche mit buntfarbigen Bandroſen verziert waren. Dieſe Leute ritten erbärmliche Klepper, alterſchwache Pferde, welche ſie mit einem wirklich furchtbaren Sporn am linken Fuße antrieben. Sie ſaßen in Sätteln mit hohen Rücklehnen und über - aus ſchweren, wie grobe Holzſchuhe geſtalteten eiſernen Steigbügeln. Alle Fechter trugen dünne Haarzöpfe von größerer oder geringerer Länge.

Der Zug der hereingetretenen Männer bewegte ſich nach der Loge des Alcalden, verbeugte ſich vor dieſem und grüßte dann die ſchauende Menge. Hierauf rief der Alguazil einige Worte zum Mann des Geſetzes hinauf, welche aber von ungeheurem Lärm der Zuſchauer vollkommen verſchlungen wurden. Sie enthielten die Bitte um Erlaubniß zum Beginn der Vorſtellung. Der Alcalde erhob ſich und warf dem Alguazil den Schlüſſel zum Stierzwinger zu. Dieſer fing denſelben auf, ritt zu der Thür des Zwingers und gab ihn einem dortſtehenden Diener, welcher die Thür aufſchloß, aber noch nicht öffnete. Die Eſpadas warfen ihre Mäntel ab, hingen ſie an der Umplankung auf, ordneten ihre Degen und nahmen, wie die Bandarilleros, bunte Tücher zur Hand. Die Picadores ritten zu einem beſonderen Beamten, welcher die nöthigen Quäl - und Schlachtwerkzeuge bewahrte, und erbaten ſich von dieſem Lanzen, vier bis fünf Ellen lange, runde, etwa Zoll im Durchmeſſer haltende Stangen, an deren einem Ende eine kurze, dreiſchneidige, ſehr ſcharfe Spitze befeſtigt iſt, aber nur ſoweit hervor - tritt, als ſie in das Fleiſch des Stieres eindringen ſoll. Nachdem ſie ihre Waffen empfangen hatten, waren alle zum Beginn des Gefechtes nöthigen Vorbereitungen beendet.

Es läßt ſich nicht verkennen, daß bis jetzt das Schauſpiel etwas Großartiges und theilweiſe auch Anziehendes hatte; von nun aber ſollte es anders kommen. Bis jetzt hatte man es noch mit Menſchen zu thun gehabt; von nun an aber trat das Vieh in ſeine Rechte.

Man öffnete die Thür des Stalles, um dem eingepferchten Stiere einen Ausweg zu verſchaffen. Dieſer war vorher regelrecht in Wuth verſetzt worden. Der Stierzwinger iſt ein breiter Gang mit mehreren kleinen gemauerten oder aus Holz beſtehenden Kämmerchen, in deren jedes ein Stier ge - trieben wird, oft mit großer Gefahr und Mühe, hauptſächlich durch Hilfe der zahmen Stiere, welche gegen ihre wilden Brüder ganz ähnlich verfahren, wie die zahmen Elefanten gegen die friſch gefangenen. Jn ſeinem Kämmerchen nun wird der zum Kampfe beſtimmte Stier erſt ſtundenlang mit einem Sta - chelſtock gepeinigt oder, wie der Spanier ſagt, geſtraft . Die Spitzen ſind nadelfein, ſo daß ſie wohl durch die Haut dringen und Qualen verurſachen, aber kaum Blutverluſt hervorrufen. Man kann ſich denken, wie ſehr ſich die Wuth des armen Gefangenen, der ſich nicht einmal in ſeinem Käm - merchen umdrehen kann, ſteigert und mit welcher Freude er ins Freie ſtürzt, ſobald ſich ihm dazu Ge - legenheit bietet.

Sofort nach dem Oeffnen des Zwingers erſchien denn auch der erſte der Verdammten:

Ein Sohn der Hölle ſchwarz und wild, Unbänd’ger Kraft ein ſchaurig Bild; Dumpf drang aus ſeiner Bruſt die Stimme, Er ſchnaubte wild im Nachegrimme.

Um ihn noch wüthender zu machen, hatte man ihm eine Minute vorher die ſogenannte Deviſe , eine große buntfarbige Bandroſe, vermittelſt einer eiſernen Nadel mit Widerhaken durch Haut und Fleiſch geſtochen und damit die vorhergehenden Qualen würdig beſchloſſen. Beim Heraustreten ſtutzte er nur einen Augenblick; dann nahm er ſofort einen der Bandarilleros an und ſtürzte geſenkten681Die ſpaniſchen Stiergefechte.Hauptes auf dieſen los. Der Fechter empfing ihn mit der größten Ruhe, hielt ihm das Bunttuch vor und zog ſich dann gewandt zurück, um den Stier einem der Picadores zuzuführen. Sie ſaßen mit vorgehaltenen Lanzen unbeweglich auf ihren Pferden, oder ritten höchſtens den Stieren ein Paar Schritte entgegen, um ſie dadurch zum Angriff zu reizen. Weil ſie die wüthenden Thiere immer von der rechten Seite auflaufen ließen, hatten ſie ihren Pferden das rechte Auge verbunden. Jhre Auf - gabe war es, den Stier von den Pferden abzuhalten; allein die armen, altersſchwachen, dem Tode ge - weihten Mähren beſaßen ſelten genug Widerſtandsfähigkeit, dem Stoße des Picador den nöthigen Nachdruck zu verleihen, und wurden deshalb regelmäßig das Opfer des anſtürmenden Feindes. Wenn der Stier vor einem der Reiter angekommen war, blieb er eine Zeitlang unbeweglich ſtehen, ſtampfte mit den Vorderfüßen den Boden und ſchleuderte den Sand hinter ſich, ſchlug mit dem Schweife, rollte die Augen, ſenkte plötzlich den Kopf und rannte auf das Pferd los, dabei aber mit ſeiner vollen Kraft in die vorgehaltene Lanze, welche der Picador nach ſeinem Nacken gerichtet hatte. Pferd und Reiter wurden durch den Stoß des Stieres zurückgeſchleudert, beide aber blieben dies Mal unverſehrt. Brüllend vor Schmerz und Wuth zog ſich der Angreifer zurück und ſchüttelte den blutigen, von der Pike weit aufgeriſſenen Nacken. Dann ſtürzte er ſich von neuem auf die vor ihm hergaukelnden Fuß - fechter, deren Mäntel ihn in immer größere Wuth verſetzten, oder auf einen andern der Picadores. Beim zweiten Anlaufe gelang es dem gewaltigen Thiere, faſt immer bis zu dem Pferde vorzudringen, und dann bohrte es auch im ſelben Augenblick dem armen Geſchöpf ſeine ſpitzigen Hörner tief in den Leib. Glücklich für das gefolterte Thier, wenn der erſte Stoß ihm in die Bruſt gedrungen und tödt - lich war! Wehe ihm, wenn es nur eine Verwundung an den Beinen oder im Unterleib erhalten hatte! Wenn ein Stier dem Pferde auch den Unterleib aufgeſchlitzt hatte und die Gedärme heraus - quollen oder ſelbſt auf der Erde nachſchleppten, daß das gepeinigte edle Geſchöpf mit ſeinen eigenen Hufen auf ihnen herumtrat: ſeine Marter war dann noch nicht beendigt. Die Picadores zerſtießen mit ihren Lanzen die nachſchleppenden Eingeweide, damit deren Jnhalt ausfließen ſollte, oder die Pferde traten ſie ſelbſt ſich ab, und von neuem trieben ihre Reiter ſie dem Stier entgegen. Am ganzen Leibe zitternd, die Lippen krampfhaft bewegend, ſtanden die Pferde und erwarteten einen zwei - ten, dritten Angriff des wüthenden Stieres, bis der herannahende Tod ihrer Qual ein Ende machte. Hingemartert brachen ſie zuſammen; die Picadores ſchleppten ſich ſchwerfällig bis zur Umplankung und erſchienen dann nach einiger Zeit mit einem neuen Pferde wiederum auf dem Kampfplatze. Hatten die gefallenen Pferde noch etwas Leben in ſich, dann wurden ſie geſchlagen und gemartert, in der Abſicht, ſie nach dem gemeinſchaftlichen Todtenbette der gefallenen Thiere zu ſchaffen Dort wurde der Sattel ihnen abgeriſſen, während die Bandarilleros den Stier auf einer andern Seite beſchäftig - ten, und, wenn es anging, ſchlug, ſtieß, ſchob und zog man ſie von neuem, um ſie von dem Platze weg - zubringen. Nur ein todt zuſammengeſtürztes oder wenigſtens ſchon mehr als halbtodtes Pferd ließ man ruhig auf der Wahlſtatt liegen.

Bei jedem gut abgewieſenen Anlaufe des Stieres ſpendeten die Zuſchauer dem Picador, bei jeder Verwundung, welche ein Pferd erhielt, dem Stiere ihren Beifall. Stimmen der empörendſten Ge - fühlloſigkeit wurden laut; Geh, Pferd, nach dem Krankenhauſe und laß dich dort heilen! Sieh, Pferdchen, welch einen Stier du vor dir haſt! Weißt du jetzt, mit wem du es zu thun hatteſt? und ähnliche Worte vernahm man, und rohes Gelächter begleitete ſolche Ausrufe. Je tiefer die Ver - wundung eines Pferdes war, um ſo ſtürmiſcher wurde der Beifall des Volkes; mit wahrer Begeiſte - rung aber begrüßte man die Niederlage eines der Picadores. Es kam nämlich während des ganzen Gefechtes mehrere Mal vor, daß einer dieſer Leute ſammt ſeinem Pferde von dem Stiere zu Boden geworfen wurde. Einer derſelben ſtürzte mit dem Hinterkopfe gegen die Holzwand, daß er für todt vom Platze getragen wurde, kam aber mit einer Ohnmacht und einer leichten Schramme über dem Auge davon. Ein zweiter erhielt eine bedeutende Verrenkung des Armes und wurde dadurch für die nächſte Zeit kampfesunfähig. Den erſteren würde der Stier ebenſo wie ſein Pferd getödtet682Die ſpaniſchen Stiergefechte.haben, hätten die Fußfechter nicht die Aufmerkſamkeit des gereizten Thieres durch ihre Tücher auf ſich gelenkt.

So dauerte der erſte Gang des Gefechtes ungefähr fünfzehn Minuten oder länger, je nach der Güte, d. h. je nach der Wuth des Stieres. Je mehr Pferde er tödtete oder tödtlich verwundete, je mehr achtete man ihn. Die Picadores kamen oft in große Gefahr, wurden aber immer durch die Fußfechter von dem Stiere befreit; dieſe ſelbſt entflohen im Nothfalle durch raſches Ueberſpringen der Umplankung. Jhre Gewandtheit war bewunderungswürdig, ihre Tollkühnheit überſtieg allen Glauben. Der eine Fechter faßte den Stier beim Schwanz und drehte ſich mit ihm mehrere Male herum, ohne daß das hierdurch in Raſerei verſetzte Thier ihm Etwas anhaben konnte. Andere war - fen, wenn der Stier ſie ſchon faſt mit den Hörnern erreicht hatte, ihnen noch geſchwind das Tuch über die Augen; kurz, ſie hatten immer Zeit zum Entfliehen.

Nachdem der Stier genug Pikenſtöße empfangen hatte, gab ein Trompetenſtoß das Zeichen zum Beginn des zweiten Ganges. Jetzt nahmen einige der Fußfechter die Bandarillas zur Hand. Die Picadores verließen den Kampfplatz, die übrigen behielten ihre Tücher bei. Die Bandarilla iſt ein ſtarker, ungefähr eine Elle langer, mit Netzen bekleideter Holzſtock, welcher vorn eine eiſerne Spitze mit Widerhaken hat. Jeder Bandarillero nahm zwei dieſer Quälwerkzeuge in ſeine Hände, reizte den Stier und ſtieß ihm, ſowie derſelbe auf ihn losſtürzte, beide Bandarillas gekreuzt in den durch die Pikenſtöße zerriſſenen Nacken. Vergeblich verſuchte der Stier, ſie abzuſchütteln, und immer höher ſteigerte ſich ſeine Wuth. Jm grimmigſten Zorn nahm er den zweiten und den dritten Banda - rillero auf. Jedesmal erhielt er neue Bandarillas, ohne jemals den Mann erreichen zu können, welcher ſofort nach dem Stoß gewandt zur Seite ſprang. Binnen fünf Minuten war ihm der Nacken mit mehr als einem halben Dutzend Bandarillas geſpickt. Beim Schütteln ſchlugen dieſelben klap - pernd an einander, bogen ſich allgemach zu beiden Seiten herab, blieben aber immer feſt ſtecken.

Ein neuer Trompetenſtoß eröffnete den dritten Gang. Der erſte Eſpada, ein echtes Bravoge - ſicht, ging gegen den Alcalden hin, verneigte ſich und brachte ihm und der Stadt ein Hoch. Dann nahm er ein rothes Tuch in die linke, die Eſpada in die rechte Hand, ordnete Tuch und Waffe und ging auf den Stier los. Den langen, ſpitzen und ſtarken zweiſchneidigen Degen, welcher ein Kreuz und einen ſehr kleinen Handgriff hat, faßte er ſo, daß die drei hinteren Finger in dem Bügel ſtaken, der Zeigefinger auf der Breitſeite des Degens und der Daumen auf dem Handgriffe lag. Das Tuch breitete er über einen Holzſtock aus, an deſſen Ende eine Stahlſpitze es feſthielt. Mit dieſem Tuche reizte er den Stier, bis dieſer auf ihn losſtürzte; aber nur dann, wenn das Thier in günſtiger Weiſe anlief, verſuchte er ihm einen Stoß in den Nacken zu geben. Gewöhnlich ließ er den Stier mehrere Male anlaufen, ehe er überhaupt zuſtieß. Bei einem Stiere gelang es ihm erſt mit dem dritten Stoße, die geeignete Stelle hart am Rückgrat zwiſchen den Rippen zu treffen; die früheren Stöße waren zwiſchen die Wirbelkörper gekommen. Nach jedem Fehlſtoß ließ der Mann die Eſpada ſtecken und bewaffnete ſich mit einer anderen, während der Stier die erſtere durch Schütteln abwarf. Wenn der Stoß gut gerichtet war, fuhr der Degen mit unglaublicher Leichtigkeit durch die Bruſthöhle und kam gewöhnlich unten wieder zum Vorſchein. Sofort nach dem tödtlichen Stoße blieb das Thier re - gungslos ſtehen. Ein Blutſtrom quoll ihm aus Mund und Naſe; er machte einige Schritte vorwärts und brach dann zuſammen.

Jetzt näherte ſich der Cachetero oder Matador, ſtach dem ſterbenden Thiere einen breiten Abfänger ins Genick und zog die Bandroſe aus ſeinem Nacken.

Beifallsgebrüll der Zuſchauer vermiſchte ſich mit der rauſchenden Muſik. Die breite Pforte öffnete ſich, um das Geſpann der Maulthiere einzulaſſen. Dem Stier wurde eine Schlinge zwiſchen und um die Hörner gewunden, dieſe am Zugholze befeſtigt, und nun ſchleiſten die Maulthiere den ge - waltigen Kämpen im vollen Rennen zum Thore hinaus. Hierauf wurden die gefallenen Pferde in eben derſelben Weiſe fortgeſchafft, die Blutlachen mit Sand beſtreut und der Platz für das zweite Ge - fecht gereinigt.

683Die ſpaniſchen Stiergefechte.

Ein zweiter, dritter, ſechſter Stier erſchien auf dem Kampfplatze. Der Gang des Gefechtes war bei allen derſelbe, nur mit dem Unterſchiede, daß der eine mehr, der andere weniger Pferde tödtete, daß dieſer erſt mit dem zehnten, jener mit dem erſten Degenſtoß zu Boden fiel. Bei dieſem Heldenſtück wollte das Brüllen der Zuſchauer kein Ende nehmen. Der Eſpada ſelbſt ſchnitt ſich ſtolz ein Stück Haut des Thieres ab und warf es laut jubelnd in die Luft. Jn den Zwiſchenpauſen ſpielte die Muſik oder brüllten die Zuſchauer. Einige verſtanden es meiſterhaft, das Brüllen des Stieres vermittelſt der Sprachröhre, welche ſie jedenfalls zu dieſem Zwecke mitgebracht hatten, nachzuahmen. Nach ſechs Uhr war das Schauſpiel beendet. Vor der Thür des Schlachthauſes lagen auf blutgetränktem Bette zwanzig getödtete Pferde und der letzte der Stiere; die übrigen hatte man bereits fortgeſchafft. Zehn oder zwölf mit Ochſen beſpannte Karren hielten auf dem Platze, um die Mähren abzuräumen. Ein - zelne Pferde lebten noch, ohne daß eine mitleidige Hand ſich gefunden hätte, ihrem Daſein ein Ende zu machen. Man ſchnitt ihnen die Mähnen und die Schwänze ab, unbekümmert um ihr Röcheln und ihre Zuckungen; man lud ſie endlich auf und überließ es ihnen, zu ſterben, wo und wann ſie könnten.

Es iſt leicht erklärlich, daß ſolche öffentlich aufgeführte, von der Obrigkeit geduldete, ja geleitete Thierquälerei alle Leidenſchaften aufſtachelt. Die Stiergefechte ſind ein deutlicher Beweis der geringen Bildung und Geſittung, welche gegenwärtig noch in Spanien herrſchen. Die Pfaffen haben ſich alle Mühe gegeben, ſie zu erhalten, nachdem die Autodafés nicht mehr ausgeführt werden dürfen. Sie wiſſen, daß ſie, ſo lange die Stiergefechte abgehalten werden, ihre Herrſchaft behaupten können, weil die Men - ſchen ſo lange roh und ungeſittet bleiben werden. Solange die Spanier den gebildeten Völkern Europas nicht gleichſtehen, wird man dieſe Tummelplätze der ſcheußlichſten Barbarei, der gemeinſten und niederträchtigſten Verhöhnung des Menſchlichen im Menſchen beſtehen laſſen.

Die Leidenſchaft, mit welcher die Spanier den Stiergefechten beiwohnen, iſt unglaublich groß. Nicht nur Männer ſehen ſich dieſe nichtswürdigen Spiele an, auch Frauen verſäumen, wenn ſie können, kein einziges. Sie nehmen ſelbſt ihre ſäugenden Kinder noch mit ſich auf den Kampfplatz. Dabei ſind dieſe Gefechte die theuerſten aller Vorſtellungen, welche man ſich denken kann. Jn den kleineren Städten Spaniens tritt vor jedem Stiergefecht immer eine Geſellſchaft zuſammen, welche die bedeu - tenden Ausgaben verlegt und ſich dann in den nur ſelten fehlenden Gewinn theilt. Man muß den Kampfplatz miethen oder einen neuen aus Holz erbauen, muß Stiere ankaufen und ihre Herſchaffungs - koſten bezahlen, muß die nöthigen Werkzeuge anfchaffen, eine bedeutende Abgabe an die Regierung er - legen, etwa vierzig Pferde erwerben und die Stierkämpfer belohnen. Die beiden Gefechte in Murcia koſteten der Geſellſchaft über 110,000 Realen; aber dieſe Summe war ſchon in der erſten Vorſtellung eingenommen. Ein Stier koſtet nie unter 2000, oft bis 6000 Realen oder etwa 130 bis 400 Thaler unſeres Geldes. Die Fechtergeſellſchaft erhält bis 5000 Thaler für ihre Vorſtellungen. Sie erwer - ben ſich gewöhnlich ein bedeutendes Vermögen und werden zu den Helden des Tages, obgleich ſie ſonſt in ſehr geringer Achtung ſtehen. Der reiche und vornehme Pöbel befreundet ſich mit ihnen, obgleich ſie der Hefe des Volks angehören. Mehr noch als ſie ſelbſt bewundert man die Stiere; einzelne, welche viele Pferde tödteten, genießen jahrelangen Nachruf, und von ihnen her ſchreibt ſich die Achtung, mit welcher die Spanier das Rindvieh überhaupt behandeln.

Ueber das geiſtige Weſen des Hausrindes brauche ich nach dem Vorhergegangenen nicht viel zu ſagen. Das Thier ſteht unzweifelhaft auf niederer Stufe; neben dem Schaf iſt es das dümmſte un - ſerer Hausthiere. Seinen Pfleger lernt es kennen und in gewiſſem Grade lieben; es gehorcht dem Rufe und folgt der Lockung, es beweiſt auch eine gewiſſe Theilnahme gegen Den, welcher ſich viel mit ihm beſchäftigt; Gewohnheit ſcheint aber mehr zu wirken, als eigentliche Erkenntniß. Alles Geiſtige , ſagt Scheitlin, tritt in den Rindern, welche mehr im Freien als im Stalle leben, ſchöner auf. Die Alpenkühe lernen ihren Fütterer ſchneller kennen, ſind munter, freuen ſich der ihrigen lebendiger, ſie werden friſcher vom Schellenklang, ſie erſchrecken weniger, ſie kämpfen mit einander ritterlicher im Ernſt und Scherz. Jhr Ehrgefühl iſt aber ſchwach. Hat die eine die andere zurückgedrängt, ſo macht Dies der Ueberwundenen gar Nichts: ſie ſchämt und ärgert ſich nicht, ſondern trollt ſich auf684Die Vielhufer oder Dickhäuter.die Seite, ſenkt den Kopf und frißt wieder. Die Siegerin zeigt nicht den mindeſten Stolz, nicht die Spur von Freude; auch ſie fängt ſogleich wieder zu graſen an. Die Heerkuh fühlt ſich frei - lich größer, als jede andere. Man erkennt Dies aus ihrem feierlichen Schritt; auch geſtattet ſie nicht, daß irgend eine andere Kuh ihr vorausgehe.

Der Stier iſt viel vorzüglicher, als die geiſtigſte Kuh. Er hat weit mehr Körperkräfte, ſchärfere Sinne, mehr Kraftgefühl, Muth, Gewandtheit, Naſchheit. Er ſchaut viel friſcher in die Welt und ſieht mit Verſtand um ſich, er fühlt ſich als gewaltiger Beſchützer ſeiner Herde, geht auf den Feind los und kämpft wacker mit ihm. Einen fremden Bullen leidet er nicht bei ſeiner Herde, er ſtreitet mit ihm auf Leben und Tod.

Das Rind iſt im zweiten Jahre ſeines Lebens zeugungsfähig. Paarungstrieb verräth die Kuh durch Unluſt am Freſſen und Saufen, durch Unruhe und vieles Brüllen. Die Brunſt hält nur einen halben Tag an, kehrt aber, wenn die Luſt nicht befriedigt wurde, oft wieder. Die Tragzeit währt gewöhnlich 285 Tage. Das Kalb erhebt ſich bald nach ſeiner Geburt auf die Füße und ſaugt ſchon am erſten Tage ſeines Lebens. Die Kuh bemuttert es, bis ſie wieder brünſtig wird. Bei der Geburt bringt das junge Rind acht Schneidezähne mit auf die Welt, nach Vollendung des erſten Jahres wechſelt es die beiden mittelſten, ein Jahr ſpäter die beiden dieſen zunächſtſtehenden, nach Verlauf des zweiten Jahres das dritte Paar und ein Jahr ſpäter endlich die beiden letzten. Mit dem fünften Lebensjahre gilben ſich die anfänglich milchweißen Zähne, zwiſchen dem ſechszehnten und achtzehnten beginnen ſie auszufallen oder abzubrechen. Von dieſer Zeit an gibt die Kuh keine Milch mehr, und der Stier iſt zur Paarung kaum noch geeignet. Die Lebensdauer ſcheint fünfundzwanzig, höchſtens dreißig Jahre nicht zu überſteigen.

Verſchiedene Pflanzen im friſchen und getrockneten Zuſtande, Wicken, Erbſen, junges Getreide und ſaftiges Gras ſind die Lieblingsnahrung des Rindes. Schädlich werden ihm Flachs, Eibe, Waſſer - ſchierling, Läuſekraut, Binſen, Froſchlauch, Zeitloſe, Wolfsmilch, Eiſenhut, junges Eichenlaub und Wallnußblätter, naſſer Klee u. dgl. Peterſilie, Sellerie, Lauch und Zwiebeln wirken der Milcherzeugung entgegen. Thimian, Saalbreit, Hahnfuß, Wegerich werden im Nothfall gefreſſen, Früchte aller Art, Kartoffeln, Obſt und Möhren dagegen leidenſchaftlich gern. Salz iſt Bedürfniß. Eine erwachſene Kuh bedarf etwa täglich 20 bis 25, ein Ochs 30 bis 35 Pfund Futter. Erſtere verurſacht Dem, welcher alles Futter kauft, einen Koſtenaufwand von etwa 60 Thalern, bringt aber dafür etwa 80 Thaler ein. Noch beſſer verwerthet der Landwirth das Rind, wenn er es mäſtet, und zumal in der Neuzeit erzielt man durch geeignete Fütterung außerordentliche Erfolge. Das Rind gilt mit Recht als das einträglichſte aller Hausthiere.

Dreizehnte Ordnung. Vielhufer (Multungula).

Ein verfallendes Geſchlecht, die letzten Stammhalter einer vormals ſehr zahlreichen Abtheilung der Säugethiere, tritt vor uns in den Vielhufern oder Dickhäutern. Sie erſcheinen uns ſo recht eigentlich als lebende Zeichen früherer Schöpfungsabſchnitte, als auf uns Ueberkommene von längſt vergangenen Erdentagen. Die Rieſen aus anderen Ordnungen, welche neben ihnen in der Vorzeit lebten, ſind längſt geſtrichen aus dem Buche der Lebendigen; nur ſie noch gleichen den gewal -685Die Elefanten.tigen Geſchöpfen, welche einſtmals unſere Erde bevölkerten. Jetzt ſtehen ſie allein, faſt jeder für ſich ſelbſt, weit getrennt von den übrigen, welche wir mit ihnen zu einer Ordnung rechnen. Die Verbindungsglieder ſind eben ausgeſtorben. Auch in ihrer Reihe machte die Natur keine Sprünge: ein Glied reihte ſich an das andere; jetzt aber ſind die Lücken zwiſchen ihnen gewaltige geworden.

Die Vielhufer ſind gegenwärtig die einzigen Riefen unter den Landſäugethieren. Ein plum - per, maſſiger Leibesbau kennzeichnet ſie. Auch die zierlichſten unter ihnen zeigen, anderen Klaſſen - verwandten gegenüber, dieſes Merkmal. Die Glieder ſind kurz und dick, die Füße drei - bis fünf - zehig. Jede Zehe iſt mit einem beſonderen Huf umſchloſſen. Bei faſt ſämmtlichen Arten verlängert ſich der Antlitztheil mehr oder weniger, und bei einigen ſtreckt ſich die Naſe in auf - fallender Länge als Nüſſel hervor. Der Hals iſt kurz, vom Leibe kaum abgeſetzt; der Schwanz erreicht ſelten das Ferſengelenk; die Ohren ſchwanken in weiten Grenzen; die Augen ſind durch - ſchnittlich klein, gleichſam verkümmert. Eine dicke, oft nur mit wenigen, ſeltener mit dichter ſtehen - den Borſten bedeckte, auf große Stellen hin faſt ganz kahle Haut umhüllt den Leib; eine einzige Fa - milie nur erinnert noch an die pelzbekleideten Vielhufer der Vorwelt.

Der innere Leibesbau ſteht mit der Maſſenhaftigkeit des ganzen Thieres im Einklang. Alle Knochen ſind ſchwer, maſſig, rieſenhaft. Am Schädel überwiegt der Antlitztheil gewöhnlich den hirntragenden beträchtlich; bei einigen findet aber auch das Umgekehrte ſtatt. Die Halswirbel ſind kurz, ihre Dorn - und Querfortſätze ſehr entwickelt, obgleich nicht ſo, wie an den 13 bis 21 Rücken - wirbeln, den 3 bis 8 Lendenwirbeln und den 4 bis 8 meiſt innig mit einander verwachſenen Kreuz - wirbeln. Die Zahl der Schwanzwirbel ſchwankt zwiſchen 7 und 27. Die Rippen ſind breit und nicht auffallend gekrümmt; nur die wenigſten heften ſich vorn an das Bruſtbein an. Das Schlüſſel - bein fehlt, und das Bein kann deshalb nur als Stütze des Körpers gebraucht werden. Faſt alle übrigen Knochen kennzeichnen ſich durch ihre Kürze und Dicke. Das Gebiß iſt ſehr verſchieden. Ge - wöhnlich finden ſich alle drei Zahnarten; ausnahmsweiſe fehlen aber, wenigſtens theilweiſe, die Schneide - oder Eckzähne. Die Backzähne zeichnen ſich durch ihre Falten und Höcker aus. Der Magen iſt ziemlich einfach; bei einigen jedoch in zwei Abtheilungen geſchieden. Der Darmſchlauch mißt gewöhnlich die zehnfache Länge des Leibes.

Die Dickhäuter bevölkerten unſere Erde zuerſt in der Tertiärzeit. Der größte Theil aller da - mals lebenden aber verſchwand bereits vor der Diluvialzeit und wurde durch andere Arten und Sippen der Ordnung erſetzt, von denen einige bis auf unſere Tage herübergekommen ſind. Vormals bewohnten ſie die ganze Oberfläche der Erde; gegenwärtig leben ſie nur in warmen Ländern, zumeiſt in feuchten, ſchattigen, hauptſächlich in den Urwaldungen unter den Wendekreiſen. Sie ähneln ſich vielfach, unterſcheiden ſich aber noch weit mehr, ſo daß wir jedenfalls wohl thun, wenn wir das Allgemeine ſo kurz als möglich behandeln und dafür alsbald zur ausführlichen Betrachtung der hauptſächlichſten Familien übergehen.

Die Eintheilung der Vielhufer hat ihre großen Schwierigkeiten, und deshalb ſind auch die mei - ſten Forſcher noch heutigen Tages verſchiedener Anſicht. Alle aber ſtimmen in dem Einen über - ein: ſie erkennen die erſte Stelle zu den Elefanten oder Rüſſelthieren (Proboscidea). Von den vielen Arten dieſer Familie, welche unſere Erde bevölkerten, ſind nur noch zwei oder vielleicht drei auf unſere Zeiten gekommen. Aber gerade die Elefanten ſind es, welche die Jetztwelt ſo recht eigentlich mit der Vorwelt verbinden; denn ihrer Familie gehörten die Rieſen an, deren Leichen mit Haut und Haar das Eis Sibiriens uns durch Hunderttauſende von Jahren aufbewahrte. Es erleichtert das Verſtändniß der ganzen Familie, wenn wir zunächſt einen Blick auf dieſe ausgeſtorbenen Arten werfen. Sie haben auch in anderer Hinſicht noch ihre Bedeutung für die Jetztwelt; denn ſie ſind es, welche noch heutigen Tages die größte Maſſe des Elfenbeins liefern, welches überhaupt in den Han - del kommt.

686Die Vielhufer oder Dickhäuter. Der Mammuth.

Die Grabſtätten der ausgeſtorbenen Elefanten und zunächſt des Mammonts oder Mam - muths (Elephas primigenius), welche ich im Sinne habe, liegen im Lande der Oſtjacken, Tungu - ſen, Samojeden und Buräten, in der Nachbarſchaft der Flüſſe Ob, Jeniſei und Lena, zwiſchen dem 58. Grad nördlicher Breite und dem Eismeere. Beim Aufthauen ſandiger Stellen geſchieht es, daß ganze Berge ungeheurer Zähne zum Vorſchein kommen, zwiſchen denen Maſſen von großen Knochen zerſtreut liegen. Manchmal ſitzen die Zähne noch feſt in den Kiefern; ja, man hat ſolche gefunden, welche noch mit Fleiſch, mit Haut und Haar umgeben, welche noch blutig waren. Die Ein - wohner nennen das Thier Mammont und ſagen, es ſei ungeheuer groß, 4 bis 5 Ellen hoch, habe einen langen und breiten Kopf und Füße wie die des Bären, es lebe und hauſe unter der Erde, ziehe den gewaltigen Kopf bei ſeinen unterirdiſchen Wanderungen bald zurück und ſtrecke ihn bald wieder vor, hierdurch ſich die Wege bahnend, welche es mit den Zähnen gebrochen; es ſuche ſeine Nahrung im Schlamme, müſſe aber ſterben, wenn es auf Sandboden gerathe, weil es aus dieſem die Füße nicht mehr herausziehen könne und verende auch, ſobald es an die Luft komme. So ſchreibt Jdes, welcher auf einer Geſandtſchaftsreiſe nach China im Jahre 1692 von den Knochenlagern ſprechen hörte. Pallas, der berühmte Forſcher, gibt Ende des vorigen Jahrhunderts umſtänd - liche Berichte von dieſen Knochen. Aber den größten Fund machte der Reiſende Adams am Aus - fluſſe der Lena. Er hatte erfahren, daß man einen Mammont mit Haut und Haar gefunden habe, begab ſich deshalb ſofort auf die Wanderung, um dieſe koſtbaren Ueberbleibſel zu retten, verband ſich mit dem Häuptling der Tunguſen, welcher das Thier entdeckt hatte, und reiſte auf Renthierſchlitten an Ort und Stelle. Der Tunguſe hatte das Thier eigentlich ſchon im Jahre 1799 entdeckt, aber von der Ausbeutung deſſelben abgeſehen, weil einige alte Leute erzählten, daß ihre Väter auf der - ſelben Halbinſel einmal ein ähnliches Ungeheuer entdeckt hätten, welches aber das Verderben über die ganze Familie des Entdeckers gebracht habe, indem dieſe ausgeſtorben ſei. Dieſe Nachricht erſchreckte den Tunguſen ſo, daß er krank wurde. Die ungeheuren Hauer des Thieres reizten aber ſeine Hab - ſucht und er beſchloß, ſich derſelben zu bemächtigen. Jm März 1804 ſägte er denn auch glücklich beide Zähne ab und vertauſchte ſie gegen Waaren von geringem Werthe.

Als nun Adams zwei Jahre ſpäter ſeine Unterſuchungsreiſe machte, traf er das Thier auf derſelben Stelle, aber ganz verſtümmelt. Die Jakuten hatten das Fleiſch abgeriſſen und ihre Hunde damit gefüttert; die Eisbären, die Wölfe, Vielfraße und Füchſe hatten ſich von dem Vorweltsthiere genährt. Nur das Geripp war noch ganz, mit Ausnahme eines Vorderfußes. Der Kopf war mit einer trockenen Haut bedeckt. Die Augen und das Hirn fanden ſich noch. Die Füße hatten noch ihre Sohlen; ein mit borſtenartigem Haar bedecktes Ohr war noch gut erhalten. Auch von der Leibeshaut war noch Dreiviertel übrig. Sie erſchien dunkelgrau; die Wollhaare auf ihr waren röthlich, die Borſten dazwiſchen ſchwarz und dicker als Roßhaare. Adams ſammelte, was er zuſammenbringen konnte. Er häutete den Riefen ab, und zehn Leute waren kaum im Stande, die Haut von der Stelle zu bringen. Auf dem Boden ließ er die Haare zuſammenſuchen und bekam über 35 Pfund. Dies Alles wurde nach Petersburg geſchickt, und wenn auch auf dem langen Wege von 1200 Meilen die koſtbaren Schätze ſo litten, daß an der Haut ſelbſt kein Haar mehr zu ſehen iſt, ſteht doch die Thatſache, Dank der Unterſuchung und Bemühung des wackeren Reiſenden, unzweifelhaft feſt. Die längſten Haare, welche Adams ſah, ſtanden auf dem Halſe. Sie maßen über 26 Zoll. Aber auch den übrigen Körper deckte ein dichtes Kleid, ein deutlicher Beweis, daß das Mammont für das Leben in kalten Gegenden ausgerüſtet war. Die Hauer dieſer vorwelt - lichen Elefanten ſind viel mehr gekrümmt, als bei den lebenden. Es gibt ſolche, welche Dreiviertel eines Kreiſes vorſtellen. Adams hat einen geſehen, welcher 21 Fuß lang war.

Der Fund dieſes Thieres hat die Gelehrten lange Zeit beſchäftigt, hauptſächlich auch deshalb, weil man ſich den plötzlichen Untergang des Lebenden in jenen Gegenden nicht gut erklären konnte. Einige ſchieben die ſtattgefundene Umwälzung, welche übrigens auch durch Pflanzenreſte, die man687Die Maſtodonten. Die Elefanten.auffand, beſtätigt wird, einer plötzlich erfolgten Achſendrehung der Erde zu; Andere ſind geneigt, an eine große Sündfluth zu glauben, welche Sibirien überſchwemmte.

Ungefähr um die gleiche Zeit, in welcher das Mammont auf der Erde lebte, fanden ſich auch die Maſtodonten oder Zitzenthiere (Mastodon), von denen man bereits zehn bis zwölf Arten in Europa, Nord - und Südamerika und in Jndien ausgegraben hat. Alle Arten dieſer Familie ähnelten unſerem Elefanten. Die einen waren kleiner, die anderen größer. Zumal in Amerika hat man viele Ueberbleibſel dieſer Thiere gefunden, und eine Art, das Ohiothier (Mastodon giganteus) ziem - lich vollſtändig kennen gelernt. Barton erzählt, daß 1761 von Jndiern fünf Mammuthsſkelette aufgefunden wurden, an deren Kopfe, nach dem Berichte der Entdecker, ſich lange Naſen mit einem Maule unter denſelben befanden , und Kalm gedenkt eines anderen Gerippes, welches die Jndianer auffanden, an welchem man ebenfalls den Rüſſel noch unterſcheiden konnte. Dieſe Ent - deckungen ließen glauben, daß noch heutigen Tages das Maſtodon in Amerika lebend angetroffen werden könne, was, wie bekannt, die Erfahrung nicht beſtätigte. Unter den Jndianern gehen viele Sagen über dieſe rieſigen Thiere um. Sie nennen ſie Vater der Ochſen und glauben, daß zu - gleich mit den Gewaltigen Menſchen von entſprechender Größe gelebt hätten und daß beide durch Donnerkeile des großen Geiſtes zerſtört worden wären. Die längſt ausgerotteten Ureinwohner Vir - giniens erzählten, daß der große Mann mit ſeinen Blitzen einſt die ganze Herde jener furchtbaren Thiere erſchlug, weil ſie die Hirſche, die Biſons und anderes für die Menſchen beſtimmte Vieh vertilgten; der eine Bulle habe mehrere Donnerkeile mit ſeinem Kopfe aufgefangen und abgeſchüttelt, bis er zuletzt in die Seite verwundet wurde und in den großen See floh, wo er in Ewigkeit leben werde . Jn der Neuzeit hat man in ſehr verſchiedenen Gegenden Amerikas ähnliche Knochen ent - deckt, und ſomit über die vorzeitliche Verbreitung unſerer Ordnung Gewißheit erhalten.

Die jetzt lebenden zwei oder drei Elefanten kennzeichnet der lange bewegliche Rüſſel und die Stoßzähne, welche man als umgebildete Schneidezähne betrachtet. Der Rumpf iſt kurz und dick, der Hals ſehr kurz, der Kopf rund durch Höhlen in dem oberen Schädelknochen aufgetrieben. Die ziemlich hohen, ſäulenartigen Beine haben fünf bis auf die Hufe verbundene Zehen und bei einer Art an den Hinterfüßen deren vier.

Das wichtigſte Glied des Elefanten iſt der Rüſſel. Er iſt eine Verlängerung der Naſe, ausge - zeichnet durch ſeine Beweglichkeit, Empfindlichkeit und vor Allem durch den fingerartigen Fortſatz an ſeinem Ende. Er iſt zugleich Geruchs -, Taſt - und Greifwerkzeug. Ring - und Längsmuskeln, wie Cuvier angibt, etwa vierzigtauſend einzelne Bündel, ſetzen ihn zuſammen, und gerade wegen dieſes Baues iſt er einer ziemlich bedeutenden Zuſammenziehung und Ausſtreckung fähig. Dem Munde erſetzt er die Oberlippe, welche dieſem fehlt. Der Rüſſel ermöglicht dem Elefanten das Leben. Sein Leibesbau erlaubt dem Thiere nicht, den Kopf bis zur Erde herabzubringen; es könnte ſich alſo nicht ernähren, weil es ſelbſtverſtändlich bald alles in gerader Höhe mit ſeinem Haupte wachſende Laub abgeweidet haben würde, wenn nicht jenes ſonderbare Werkzeug ihm zur Lippe, zum Finger, zur Hand und zum Arm zugleich würde. Der Rüſſel heftet ſich an der platten Geſichtsfläche des Schädels, auf den Stirnbeinen, dem Oberkiefer, dem Raſenbein und dem Zwiſchenkiefer an. Oben iſt er gerundet, unten verflacht. Von ſeiner Wurzel zur Spitze verdünnt er ſich allmählich.

Alle übrigen Glieder und ſelbſt die Sinneswerkzeuge des Elefanten ſind weniger beachtenswerth. Die Augen ſind klein und von blödem, aber gutmüthigem Ausdruck; die Ohren dagegen ſehr groß, Lederlappen gleichend. Die kleinen, rundlichen Hufe liegen in einer Reihe neben einander. Die Zehen ſind ſo von der allgemeinen Körperhaut umſchloſſen, daß Bewegung unter ſich unmöglich iſt. Jede einzelne wird von einem ſtarken, breiten und platten nagelartigen und vollkommenen Hufe be - deckt, welcher eben nur die Zehenſpitze umhüllt. Die Sohlen ſind flach und hornartig. Nicht ſelten kommt es vor, daß einer der Hufe fehlt. Er wird abgeſtoßen und durch das ſchnelle Nachwachſen der688Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.übrigen vollends verdrängt. Der Schwanz iſt mittellang, ziemlich gerundet. Er reicht bis an das Beugegelenk und endet in einem Büſchel von ſehr dichten, groben, drahtähnlichen Borſten.

Sehr merkwürdig iſt das Gebiß. Der Elefant trägt im Oberkiefer zwei außerordentlich ent - wickelte Stoßzähne, aber weder Schneidezähne, noch Eckzähne, ſondern blos noch einen einzigen, gewaltigen Backzahn in jedem Kiefer. Dieſer Zahn beſteht aus einer ziemlichen Anzahl einzelner Schmelzplatten, welche mit einander verbunden ſind. Wenn er ſich durch das Kauen ſoweit abge - nutzt hat, daß er nicht vollſtändig mehr ſeine Dienſte thut, bildet ſich hinter ihm ein neuer Zahn, welcher weiter und weiter nach vorn rückt und noch vor dem Ausfallen des letzten Stummels in Thä - tigkeit tritt. Man hat beobachtet, daß dieſer Zahnwechſel ſechs Mal vor ſich geht und kann des - halb von vierundzwanzig Backzähnen ſprechen, welche der Elefant während ſeines Lebens beſitzt. Die Stoßzähne haben ein ununterbrochenes Wachsthum und können deshalb eine ungeheure Länge und ein Gewicht von 150 bis 180 Pfund erreichen.

Der afrikaniſche Elefant (Elephas africanus) iſt der größte unter allen und durch ſeinen flachen Kopf mit ſchief abfallender Stirn und durch ſeine auffallend großen, unbeweglichen Ohren ausgezeichnet. Der indiſche Elefant (Elephas indicus) hat einen höheren Kopf mit ſenkrecht ab - fallender Stirn und kleinen, beweglichen Ohren, auch kleinere Stoßzähne. Die Backzähne ſind ver - ſchieden. Bei der indiſchen Art verlaufen die Schmelzleiſten der Quere, bei der afrikaniſchen dagegen rautenförmig. Verſchiedene Spielarten, welche von den elefantenkundigen Jndiern als ſtehende Raſſen angeſehen werden, kommen vor. Die Haut beider Elefanten iſt bald lichter, bald dunkler, gewöhnlich braungrau oder ſchiefergrau, faſt erdfarben, hier und da fleiſchfarben gefleckt. Die Bor - ſten ſind mehr ſchwärzlich, die Haut ſchwach röthlich. Der Augenſtern iſt braun, die Zähne ſind licht - gelblichweiß.

Die Größe der Elefanten iſt gewöhnlich ſehr überſchätzt worden. Es läßt ſich Dies leicht erklä - ren; der vergleichende Maßſtab fehlt, und die Reiſenden urtheilen meiſt ohne ſcharfe Beobachtung. Corſe und Tennent, welche am ausführlichſten und genaueſten über den indiſchen Elefanten be - richtet haben, geben übereinſtimmend an, daß Elefanten von mehr als zehn Fuß Höhe am Widerriſt zu den größten Seltenheiten gehören. Wenn nun auch der afrikaniſche etwas größer ſein mag, als der indiſche, ſo wird der Unterſchied doch nicht ſoviel betragen, als man geglaubt hat, und ſoviel dürfte mit Sicherheit anzunehmen ſein, daß Elefanten von ſechszehn Fuß Höhe auch in Afrika nicht vorkommen. Die Leibeslänge ohne den Rüſſel ſchwankt zwiſchen 10 und 15 Fuß; hiervon kommen auf den Schwanz beinahe 4 Fuß. Der Rüſſel wird 6 bis 8 Fuß lang. Das Gewicht eines erwach - ſenen Elefanten ſchätzt man zu 4 bis 5 Tonnen oder nach anderen Angaben zu 9 bis 10,000 Pfund. Nach Darwin’s Bericht aber wog ein Elefant, welcher getödtet werden mußte und dann ſtückweis auf die Wage gebracht wurde, 12,100 Pfund. Die Haut allein wiegt über 2000 Pfund. Die Stoßzähne des afrikaniſchen Elefanten können zuſammen ein Gewicht von mehr als drei Centnern erreichen. Neugeborene Elefanten, welche gemeſſen wurden, waren 35 Zoll hoch, wuchſen im erſten Jahre 11 Zoll, im zweiten 8 Zoll, im dritten 6 Zoll, im vierten 5 Zoll, im fünften 5 Zoll, im ſech - ſten Zoll, im ſiebenten Zoll, und waren dann alſo 6 Fuß 4 Zoll hoch.

Gegenwärtig iſt der afrikaniſche Elefant über ganz Mittelafrika verbreitet. Er reicht vom indi - ſchen bis zum atlantiſchen Weltmeer und vom ſechszehnten Grad nördlicher Breite etwa bis zum fünf - undzwanzigſten der Südbreite. Vormals kam er auch im Kapland vor; dort iſt er jedoch bereits ver - tilgt worden. Jn den von mir durchreiſten Ländern tritt er unter dem ſechszehnten Grad nördlicher Breite auf, iſt aber am blauen und weißen Fluſſe auch ſchon bedeutend zurückgedrängt worden.

Der indiſche Elefant bewohnt Jndien, zumal Cochinchina, Siam, Pegu, Hindoſtan, ſowie die Jnſel Ceylon. Ob er auf Borneo und Celebes vorkommt, iſt noch fraglich. Der in Sumatra lebende Elefant iſt in der Neuzeit von Temminck und Schlegel als beſondere Art (Elephas su - matranus) aufgeſtellt worden.

Afrikaniſcher Elelant.
689Die Elefanten.

Beide Elefantenarten, die afrikaniſche ſowohl als die indiſche, waren den alten Völkern wohl - bekannt. Bereits die alten Aethiopier trieben einen lebhaften Handel mit dem Elfenbein, deſſen Namen ſpäter zu dem des Elefanten wurde. Erſt Herodot meint unter dem Namen Elephas wirklich das Thier. Kteſias, der Leibarzt von Artaxerxes von Nemon, war der erſte Grieche, welcher einen Elefanten nach eigener Anſchanung beſchrieb. Er ſah einen lebenden in Babylon, wohin er wahr - ſcheinlich aus Jndien gekommen war. Er war es auch, welcher zuerſt das Märchen verbreitete, daß der Elefant keine Gelenke in den Beinen habe, weder ſich legen noch aufſtehen könne und deshalb ſtehend ſchlafen müſſe. Darius iſt geſchichtlich der Erſte, welcher die Elefanten in der Schlacht ver - wendete. Er gebrauchte ſie gegen Alexander den Großen. Von den durch Alexander erbeuteten Elefanten bekam Ariſtoteles einige zu Geſicht und konnte nunmehr das Thier ziemlich genau be - ſchreiben. Von dieſer Zeit an kommen die Elefanten oft in der Geſchichte vor. Faſt 300 Jahre nach einander werden ſie in den endloſen Kriegen gebraucht, welche die verſchiedenen Völker um die Weltherrſchaft führen, bis die Römer endlich ſiegreich aus den Kämpfen hervorgehen. Sogar nach Europa werden ſie übergeführt und in italieniſchen Feldzügen gebraucht. Neben den indiſchen Elefan - ten aber wurden auch afrikaniſche gebraucht und namentlich die Karthager verſtanden es, dieſe Thiere, welche die Neuzeit für unzähmbar erklären wollte, zum Krieg abzurichten und ganz in derſelben Weiſe zu verwenden, wie die indiſchen. Die afrikaniſchen Elefanten leiſteten den Karthagern vor - treffliche Dienſte. Sie waren gegen die Menſchen außerordentlich tapfer, nur nicht gegen andere Elefanten.

Die Römer brauchten ihre Elefanten hauptſächlich zu den Kampfſpielen und ſchon ihnen haben wir die Schuld zuzuſchreiben, daß die Thiere im Norden des Atlas ausgerottet wurden. Wie weit die afrikaniſchen Elefanten abgerichtet wurden, mag daraus hervorgehen, daß die römiſchen Schau - ſpieler ſie gelehrt hatten, Buchſtaben mit einem Griffel zu zeichnen, auf einem ſchräg geſpannten Seile auf - und abzugehen, zu Viert auf einer Senfte einen Fünften zu tragen, welcher den Kranken vorſtellte, nach dem Takt zu tanzen, von einer prächtig beſetzten Tafel aus Gold - und Silbergeſchirr mit aller Beobachtung der feinen Sitte und des Anſtandes zu ſpeiſen ꝛc.

Soviel Gelegenheit nun auch die Alten hatten, Elefanten im Leben zu beobachten, ſo wenig zu - verläſſig ſind die Beſchreibungen, welche auf uns gekommen ſind. Sonderbarerweiſe haben ſich manche Märchen und Fabeln hartnäckig erhalten, und eigentlich kennen wir erſt ſeit der allerneueſten Zeit die Elefanten wirklich. Unter allen Beobachtern, welche über dieſe merkwürdigen und edlen Geſchöpfe geſchrieben haben, müſſen wir die beiden genannten Forſcher als die zuverläſſigſten bezeichnen, und deshalb werde ich ihre Arbeiten meiner Beſchreibung hauptſächlich zu Grunde legen. Da der indiſche Elefant ohnehin weit bekannter iſt, als der afrikaniſche, faſſe ich dieſen vorzugsweiſe ins Auge, ohne dabei den afrikaniſchen zu vergeſſen, oder auch nur zu beeinträchtigen.

Jn den angegebenen Ländern findet man die Elefanten in jeder größeren Waldung. Je reicher eine ſolche an Waſſer iſt und jemehr ſie dadurch zum eigentlichen Urwalde wird, umſomehr Elefanten enthält ſie. Allein man würde ſich irren, wenn man glauben wollte, daß nur derartige Wälder der Aufenthaltsort unſerer Thiere ſeien. Es iſt behauptet worden, daß der Rieſe unter den Säuge - thieren die Kühle und die Höhe ſcheue. Gewiſſenhafte Beobachtungen haben Dies jedoch widerlegt. Auf Ceylon ſind gerade die hügeligen und bergigen Gegenden die Lieblingsplätze der Elefanten.

Jn Uvah, ſagt Tennent, wo die Hochebenen oft mit Reif überzogen ſind, finden ſich die Elefanten noch in Höhen von mehr als 8000 Fuß über dem Meere in Herden, während der Jäger in den Dſchungeln der Tiefe vergeblich nach ihnen ſuchen wird. Keine Höhe ſcheint ihnen zu luftig oder zu froſtig, vorausgeſetzt nur, daß ſie Waſſer im Ueberfluſſe enthalte. Der gewöhnlichen Meinung entgegen meidet der Elefant das Sonnenlicht ſo viel als möglich und bringt deshalb den Tag in den dichteſten Gegenden des Waldes zu, während er gerade die kühle, dunkele Nacht zu ſeinen Ausflügen erwählt. Er iſt, wie alle Dickhäuter, mehr Nacht - als Tagethier und wenn er auch bei Tag ab und zu weidet, iſt doch die ſtille, ruhige Nacht die eigentliche Zeit, in welcher er ſich ſeines LebensBrehm, Thierleben. II. 44690Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.freut. Wenn der Wanderer zufällig oder der Jäger auf ſeinem vorſichtigen Schleichgange bei Tage an die Herde herankommt, findet er ſie in der größten Ruhe und Gemüthlichkeit bei einander ſtehen. Jhre ganze Erſcheinung iſt geeignet, alle die Erzählungen von ihrer Boshaftigkeit, Wildheit und Rach - ſucht zu widerlegen. Jm Schatten des Waldes hat ſich die Herde in den verſchiedenartigſten Stel - lungen gelagert oder aufgeſtellt. Einige brechen mit dem Rüſſel Blätter und Zweige von den Bäu - men, andere fächeln ſich mit Blattfächern, die ſie abbrechen, und einige liegen und ſchlafen, während die jungen, ſpielluſtigen unter der Herde umherlaufen, das anmuthigſte Bild von Unſchuld, wie die Alten das der Friedfertigkeit und des Ernſtes gebend. Dabei bemerkt man, daß jeder Elefant, wie es die zahmen auch thun, in einer ſonderbaren Bewegung ſich befindet. Einige bewegen ihr Haupt eintönig in einem Kreiſe herum oder in Bogen von der rechten zur linken Hand, andere ſchwingen einen ihrer Füße vor - und rückwärts, andere ſchlagen ihre Ohren an das Haupt oder bewegen ſie hin und her, andere erheben oder ſenken in gleichen Zeiträumen ihre Vorderfüße auf und nieder. Mehrere Reiſebeſchreiber haben geglaubt, daß dieſe ſonderbaren Bewegungen, welche man alle auch an den Gefangenen beobachten kann, nur eine Folge von der langen Seereiſe wäre. Sie haben aber nie - mals Elefanten in der Wildniß geſehen. Sobald eine Herde von Menſchen überraſcht wird oder ſie auch nur wittert, entflieht die ganze Geſellſchaft furchtſam in die Tiefe des Waldes, gewöhnlich auf einen der von ihr gebahnten Pfade.

Für Afrika gilt hinſichtlich des Aufenthaltes Daſſelbe. Jn den Bogosländern habe ich die Loſung der Elefanten noch in Höhen von 5000 bis 6000 Fuß gefunden und von den Eingeborenen erfahren, daß in den benachbarten Hamaſeen die Elefanten regelmäßig auf den höchſten Bergen, alſo bis zu 8000 bis 10,000 Fuß über dem Meere vorkommen. Von der Decken fand bei ſeiner Beſteigung des Kilimandſcharo noch in einer Höhe von faſt 9000 Fuß über dem Meere Spuren unſerer Dickhäuter.

Elefantenwege bemerkt man in allen dichteren Wäldern, wo die Thiere ſich aufhalten. Sie lau - fen gewöhnlich von der Höhe zum Waſſer herab und nur ſelten findet man Pfade, welche die übrigen durchkreuzen. Jn allen größeren Urwaldungen zu beiden Seiten des oberen blauen Nil kann man, wie ſchon einmal bemerkt, nur auf dieſen Wegen in den Urwald eindringen, und dort ſind die Ele - fanten geradezu als Straßenbauer anzuſehen. Das leitende Mitglied einer Herde geht ruhig durch den Wald, unbekümmert um das Unterholz, welches er unter ſeinen breiten Füßen zuſammentritt, unbekümmert auch um die Aeſte, welche von ſtärkeren Bäumen herabhängen, denn dieſe werden ein - fach mit dem Rüſſel abgebrochen und bis auf die ſtärkeren Theile verſpeiſt. Auf freien, ſandigen oder auch ſtaubigen Flächen des Waldes ſcheint die Elefantenherde gewöhnlich Raſt zu halten und ein Staubbad zu nehmen, wie die Hühner es thun. Jch beobachtete an ſolchen Orten tiefe, der Größe des Elefanten entſprechende Keſſel, welche wahrſcheinlich mit Hilfe der Stoßzähne ausgewühlt worden waren und deutlich zeigten, daß die gewaltigen Thiere hier ſich gepaddelt hatten. Alle Elefantenwege ſind von denen anderer Thiere leicht zu unterſcheiden an der Loſung der Elefanten ſelbſt, welche ich, weil ſie es verdient, weiter unten beſchreiben werde. Jn bergigen Gegenden werden die Wege mit einer Klugheit angelegt, welche ſelbſt menſchliche Straßenbauer in Erſtaunen ſetzen. Tennent er - fuhr von engliſchen Baumeiſtern, daß die Elefanten, wenn ſie Gebirge überſchreiten, ſtets die am günſtigſten gelegenen Sättel auszuwählen und alle Regeln zur Ueberwindung bedeutender Steilungen aufs geſchickteſte zu benutzen verſtehen. Es iſt eine bemerkenswerthe Thatſache, daß ſolche Wege ſelbſt über Gebirge verlaufen, in denen gewöhnliche Pferde unbeſiegbare Hinderniſſe finden würden. Genau das Gleiche gilt für die Bogosländer. Hier haben ſich die Elefanten immer die günſtigſten Päſſe des Gebirges, welche weit und breit zu finden ſind, zu ihren Wegen ausgeſucht und dieſe mit wunderbarer Klugheit benutzt. Jm Menſagebirg durchkreuzen die Elefantenwege nur da das Haupt - thal, wo von beiden Seiten her Querthäler einmünden. Sie ſteigen in den Querthälern ſo hoch als möglich aufwärts und dann im Zickzack vollends bis zum Kamm empor; von hier aus führt der Weg in umgekehrter Weiſe nach unten.

691Die Elefanten

Die Plumpheit unſerer Thiere iſt überhaupt nur eine ſcheinbare. Der Elefant iſt in Allem ſehr geſchickt. Für gewöhnlich geht er einen ruhigen, gleichmäßigen Paß, wie das Kamel und die Girafe; dieſer ruhige Gang aber kann ſo beſchleunigt werden, daß ein Reiter Mühe hat, dem trabenden Elefanten nachzukommen. Andererſeits verſteht dieſer es, ſo leiſe durch den Wald zu ſchleichen, daß man ihn kaum noch gehen hört. Anfangs, ſagt Tennent, ſtürzt eine wilde Herde mit lautem Geräuſch durch das Unterholz; bald aber ſinkt der Lärm zur vollſtändigſten Geräuſchloſigkeit herab, ſo daß ein Neuling glauben muß, die flüchtenden Elefanten hätten nur einige Schritte gethan und ſich dann ruhig wieder aufgeſtellt. Beim Ueberſchreiten ſehr bedeutender Steilungen wird der Elefant geradezu zum kletternden Thier. An dem Gefangenen unſeres Thiergartens habe ich mit wahrem Vergnügen geſehen, wie geſchickt er es anfängt, ſchroffe Gehänge zu überwinden. Er biegt beim Erſteigen ſteiler Berglehnen ſehr klug ſeine Vorderläufe in den Handgelenken ein, ernie - drigt alſo den Vorderleib und bringt den Schwerpunkt nach vorn: dann rutſcht er auf den einge - knickten Beinen vorwärts, während er hinten mit gerade ausgeſtreckten Beinen geht. Bergauf alſo geht die Wanderung noch ganz leidlich; bergab dagegen hat das ſchwere Thier ſelbſtverſtändlich wegen ſeines ungeheuern Gewichtes noch größere Schwierigkeiten zu überwinden. Wollte der Elefant in ſeiner gewöhnlichen Weiſe fortgehen, ſo würde er unbedingt das Gleichgewicht verlieren, ſich nach vorn überſchlagen und ſolchen Sturz vielleicht mit ſeinem Leben bezahlen. Das kluge Geſchöpf thut Dies jedoch nicht. Es kniet am Rande des Abhangs nieder, ſo daß ſeine Bruſt auf den Boden zu liegen kommt und ſchiebt nun ſeine Vorderbeine höchſt bedächtig vor ſich her, bis ſie irgendwo wieder Halt gewonnen haben. Hierauf zieht es die Hinterbeine nach und ſo gelangt es gleitend und rutſchend nach und nach in die Tiefe herab.

Zuweilen kommt es übrigens doch vor, daß der Elefant auf ſeinen nächtlichen Wanderungen einen ſchweren Fall thut. Jm oberen Menſathale ſah ich hiervon unverkennbare Spuren. Eine ſtarke Herde war beim Uebergang des Hauptthales längs einer Bergwand hingegangen und dabei auf einen ſchmalen Weg gerathen, welchen das Regenwaſſer hier und da unterwaſchen hatte. Ein theilweiſe überragender Stein war von einem Elefanten betreten und dadurch zur Tiefe herabgeſtürzt worden, hatte aber auch zugleich den Elefanten aus dem Gleichgewicht gebracht und nach ſich gezogen. Der Dickhäuter mußte einen gewaltigen Purzelbaum geſchoſſen haben; denn Gras und Büſche waren auf mindeſtens funfzig Fuß nach unten niedergebrochen und theilweiſe ausgeriſſen, in einer Breite, welche der Länge eines Elefanten etwa entſprach. Ein ſtärkeres und dichteres Gebüſch hatte den Rollenden endlich aufgehalten; von dort aus führte die Fährte wieder zum Hauptwege empor. Einige Kreuz - ſchmerzen mochte das gute Thier wohl davon getragen haben; zu ernſtlichem Schaden aber war es doch nicht gekommen.

Der alte Glaube, daß der Elefant ſich nicht niederlegen könne, wird von jedem, den wir in Thierſchaubuden ſehen, aufs gründlichſte widerlegt. Allerdings ſchläft der Elefant nicht immer im Liegen, ſondern oft auch im Stehen: wenn er es ſich aber bequem machen will, läßt er ſich mit der - ſelben Leichtigkeit, mit welcher er ſich anderweitig bewegt, nieder oder erhebt ſich vom Lager. Nicht minder vortrefflich verſteht der ungeſchlachte Geſell das Schwimmen. Er wirft ſich mit wahrer Wol - luſt in das Waſſer und verſenkt ſich nach Belieben in die Tiefe deſſelben. Falls es ihm gefällt, ſchwimmt er in gerader Richtung über die breiteſten Ströme hinweg, und manchmal lagert er ſich förmlich unter Waſſer, wobei er dann einzig und allein die Spitze ſeines Rüſſels über die Ober - fläche emporſtreckt.

Die wunderbarſten Bewegungen, deren der Elefant überhaupt fähig iſt, führt er mit ſeinem Rüſſel aus. Dieſes herrliche Werkzeug iſt ebenſo ausgezeichnet wegen ſeiner gewaltigen Kraft, als wegen der Manchfaltigkeit der Biegungen und Drehungen, deren es fähig iſt, oder der Geſchicklichkeit, mit welcher es Etwas ergreifen kann. Mit dem fingerartigen Fortſatz am Ende erfaßt der Elefant die kleinſten Dinge, leichte Silbermünzen oder Papierſchnitzel zum Beiſpiel, und mit demſelben Rüſſel bricht er ziemlich ſtarke Bäume um. Man kann eben nur ſagen, daß der Rüſſel zu jeder Arbeit und44*692Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.in jeder Richtung gebraucht werden kann; denn es würde geradezu unmöglich ſein, Alles zu beſchrei - ben, was das Thier mit ſeiner langen Naſe auszuführen im Stande iſt.

Nächſt dem Rüſſel benutzt der Elefant auch die Zähne zu mancherlei Arbeiten. Er hebt mit ihnen Laſten auf, wälzt Steine um, wühlt Löcher und gebraucht ſie endlich wohl auch als Waffen zur Abwehr oder zum Angriff; ſchont ſie übrigens ſo viel als möglich; denn in ihnen liegt ſeine eigent - liche Stärke nicht! Mercer ſandte an Tennent die Spitze eines Elefantenzahns von 5 Zoll im Durchmeſſer und 20 bis 25 Pfund Gewicht, welche dem Thier im Kampfe von einem anderen Elefanten und zwar mit dem Rüſſel abgeſchlagen worden war. Eingeborene hatten ein eigenthüm - liches Geräuſch gehört, waren dem Schall nachgegangen und an zwei kämpfende Elefanten gekommen, einen Zahntragenden und ein Weibchen ohne Zahn, welches dem ſo Schwerbewaffneten mit einem ein - zigen Schlage den halben Zahn abbrach.

Alle höheren Fähigkeiten des Elefanten ſtehen im Einklang mit den bereits erwähnten Bega - bungen. Er zeichnet ſich durch Sinnenſchärfe aus. Das Geſicht iſt nicht beſonders entwickelt; we - nigſtens ſind alle Jäger der Meinung, daß das Geſichtsfeld des Thieres ein ſehr beſchränktes iſt. Um ſo beſſer aber ſind Geruch und Gehör. Geſchmack und Gefühl ſind, wie man an Gefangenen ſich leicht überzeugen kann, verhältnißmäßig fein. Von dem ſcharfen Gehör des Elefanten wiſſen alle Jäger zu berichten. Der geringſte Laut iſt hinreichend, um einen Elefanten aufmerkſam zu machen; das Brechen eines kleinen Zweiges genügt, um ſeine ruhige Behäbigkeit zu unterbrechen. Der Geruch iſt faſt ebenſo ſcharf, wie bei den Wiederkäuern: jeder geübte Jäger vermeidet es ſorgfältig, ſich wei - denden Elefanten mit dem Winde zu nähern. Jm Rüſſel hat auch der Taſtſinn ſeinen bevorzugten Sitz und zumal der fingerförmige Fortſatz an der Spitze deſſelben wetteifert an Feinheit der Empfin - dung mit dem geübten Finger eines Blinden.

Die geiſtigen Fähigkeiten des Elefanten werden von Allen, welche mit den Thieren zu thun haben, in ihrem vollen Werthe anerkannt. Scharfer, überlegender Verſtand läßt ſich gar nicht ver - kennen, und im Umgang mit dem Menſchen entwickelt ſich dieſer Verſtand zuletzt zu einer wahrhaft bewunderungswürdigen Höhe. Der Elefant ſteht den klügſten Säugethieren, dem Hunde und dem Pferde, ziemlich gleich. Er überlegt, bevor er handelt; er verbeſſert und vervollkommnet ſich mehr und mehr; er iſt für Lehre empfänglicher, als jedes andere Thier und erwirbt ſich mit der Zeit einen wahren Schatz von Kenntniſſen. Ein wilder und ein zahmer Elefant ſind gar nicht mehr zu vergleichen: beim erſten beherrſcht die angeborne Scheu und Vorſicht die herrlichen Verſtandesgaben, beim letzteren iſt der Verſtand zur vollſten Entwickelung gelangt. Für dieſe Behauptung ließen ſich aus den vielen Geſchichten, welche von Elefanten erzählt wurden, leicht die nöthigen Beweiſe finden. Zwei Belege mögen genügen. Ein Kaffeepflanzer, Raxava, erzählte Tennent, daß er mehr als ein Mal beobachtet habe, wie die wilden Elefanten bei Gewitter plötzlich die Wälder verließen und ſich fern von allen Bäumen auf freie Wieſenflächen lagerten, ſolange die Blitze leuchteten und der Donner noch rollte! Dieſe einzige Angabe ſpricht für den Verſtand unſerer Thiere beſſer, als die ausführlichſte Geſchichte: ſie zeigt uns den Elefanten wie er iſt, wenn er einzig und allein auf ſich ſelbſt angewieſen iſt. Jn der Gefangenſchaft, im Umgange mit dem Menſchen tritt die hohe Bega - bung des Thieres aber noch ſchärfer hervor. Eines Abends, ſagt Tennent, ritt ich in der Nähe von Kandy durch den Wald. Plötzlich ſtutzte mein Pferd über ein Geräuſch, welches aus dem ziem - lich dichten Wald herübertönte und in einer Wiederholung von dumpfen wie Urmf, Urmf klingenden Lauten beſtand. Dieſes Geräuſch erklärte ſich beim Näherkommen. Es rührte von einem zahmen Elefanten her, welcher eben mit harter Arbeit beſchäftigt und ganz auf ſich ſelbſt angewieſen, d. h. ohne Führer war. Er bemühte ſich nach Kräften, einen ſchweren Balken, welchen er über ſeine Zähne gelegt hatte und wegen des engen Weges nicht gut fortbringen konnte, wegzutragen. Die Enge des Pfades zwang ihn, ſein Haupt beſtändig bald nach dieſer, bald nach jener Seite zu kehren, ſonſt hätte er gar nicht durchkommen können. Dieſe Anſtrengung eben erpreßte ihm die beſchriebenen mißwilligen Töne. Als das kluge Thier uns erblickte, erhob es ſein Haupt, beſah uns einen Augenblick, warf plötzlich693Die Elefanten.den Balken weg und drückte ſich rückwärts gegen das Unterholz, um uns den Weg frei zu machen. Mein Pferd zögerte. Der Elefant bemerkte Dies, drückte ſich noch tiefer in das Dickicht und wie - derholte ſein Urmf , aber entſchieden in viel milderem Tone, offenbar in der Abſicht, uns zu er - muthigen. Noch zitterte mein Pferd. Jch war viel zu neugierig auf das Beginnen der beiden klu - gen Geſchöpfe, als daß ich mich eingemengt hätte. Der Elefant wich weiter und weiter zurück und wartete ungeduldig auf unſeren Vorüberzug. Endlich betrat mein Pferd den Weg, zitternd vor Furcht. Wir kamen vorüber, und augenblicklich trat der Elefant aus dem Dickicht hervor, erhob ſeine Laſt von neuem und ſetzte ſeinen mühſeligen Weg fort, wie vorher.

Der wildlebende Elefant zeigt übrigens mehr Einfalt als Klugheit. Seine Geiſtesfähigkeiten erheben ſich nicht einmal zur Liſt. Die reiche Natur, welche ihn umgibt und ernährt, überhebt ihn der Nothwendigkeit, ſeinen Verſtand anzuſtrengen. Er lebt deshalb ein ruhiges und harmloſes Leben. Dem Beobachter will es zuerſt ſcheinen, als wäre er das ſtumpfſinnigſte aller Geſchöpfe. Sobald aber Angſt oder Beſorgniß über ihn kommt und zum Handeln zwingt, unterſchätzt Niemand mehr ſeine Geiſtesgaben.

Es iſt ganz falſch, wenn von dem Elefanten behauptet wird, daß er ein furchtbares Thier ſei. Sein Weſen iſt mild und ruhig. Er lebt eigentlich mit jedem Geſchöpf in Freundſchaft und Frieden. Ungereizt greift er niemals an, ja, im Gegentheil, er weicht allen Thieren, ſelbſt kleinen, ängſtlich aus. Der ärgſte Feind des Elefanten, ſagt Tennent, iſt die Fliege. Eine Maus, behauptet Cuvier, entſetzt den zahmen Elefanten, daß er zittert. Alle die ſo ſchön ausgedachten Erzählungen von Kämpfen zwiſchen Elefant und Nashorn oder Elefant, Löwe und Tiger müſſen unerbittlich in das Reich der Fabel geworfen werden. Jedes Raubthier hütet ſich, den Elefanten an - zugreifen, und dieſer gibt keinem Geſchöpf Veranlaſſung zum Zorn oder zur Rachſucht. Einzelne Thiere, namentlich einzelne Vögel, leben ſogar in beſonderer Freundſchaft mit ihm. Es ſind dies in Südafrika die Madenhacker (Buphaga africana), im nördlichen die kleinen Kuhreiher (Ardeola Bubulcus), und in Jndien ähnliche gutmüthige Vögel, welche das große Säugethier beſtändig von Ungeziefer rein halten, freilich nur aus Selbſtſucht, weil ſie in ihren Freunden eben nur Brod - erzeuger ſehen.

Der Kuhreiher gehört weſentlich zum Bilde des afrikaniſchen Elefanten. Man kann ſich auch ſchwerlich einen hübſcheren Anblick denken, als einen der gewaltigen, dunklen Rieſen im ruhigen Dahinſchreiten, auf welchem ein ganzes Dutzend der anmuthigen, blendend weißen Vögel ſitzt oder herum wandelt, der eine ruhend, und der andere ſich putzend, der dritte alle Falten der Haut unterſuchend und hier und dort jagend, ein Kerbthier oder einen Egel, den ſich der Elefant bei ſei - nem nächtlichen Bade geholt, pickend aufnehmend.

Jede Elefantenherde iſt eine große Familie und umgekehrt, jede Familie bildet ihre eigene Herde. Die Zahl ſolcher Geſellſchaft kann ſehr verſchieden ſein; denn die Herde kann von zehn, funfzehn, zwanzig Stück anwachſen bis auf Hunderte. Anderſon ſah am Ngamiſee eine Herde, welche 50, Barth am Dſchad eine ſolche von 96, Wahlberg im Kafferland eine andere von 200 Stück. Manche Reiſende ſprechen von vier - und fünfhundert Elefanten, welche ſie zuſammen geſehen haben wollen, übertreiben aber höchſt wahrſcheinlich. Jn den von mir durchreiſten Ländern zählen die Her - den gewöhnlich nur 30 bis 50 Stück.

Die Familie bildet einen geſchloſſenen Verband unter ſich. Kein anderer Elefant findet Zutritt und derjenige, welcher ſo unglücklich war, durch irgend welchen Zufall von einer Herde wegzukom - men, vielleicht übrig zu bleiben oder aus der Gefangenſchaft zu entfliehen, iſt gezwungen, ein Ein - ſiedlerleben zu führen. Er mag weiden in der Nähe der Herde, dieſelben Trink - und Badeplätze beſuchen; er mag der Familie nachziehen, wohin ſie auch will: immer muß er in einer gewiſſen Ent - fernung ſich halten; niemals wird er in den eigentlichen Familienkreis aufgenommen. Wagt er ſich einzudrängen, ſo gibt es Schläge und Stöße von allen Seiten; ſelbſt das harmloſeſte Elefantenweib ſchlägt mit ſeinem Rüſſel auf ihn los. Solche Elefanten werden von den Jndiern Gundahs, oder,694Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.falls ſie ſich bösartig zeigen, Rogues genannt. Sie ſind vorzugsweiſe gefürchtet. Während die Herde ruhig und ſtill ihres Weges geht, dem Menſchen immer ausweicht und nur im äußerſten Noth - fall ſich an ihm vergreift; während ſie ſogar ſein Beſitzthum achtet, kennen die Rogues derartige Rückſichten nicht: das einſame, unnatürliche Leben hat ſie erbittert und wüthend gemacht. Auf ſie werden in Jndien beſondere Jagden angeſtellt, und Niemand hat mit einem Rogues Mitleiden; man mag ihn nicht einmal in der Gefangenſchaft haben. Die Jndier, welche wir unbedingt als die größ - ten Elefantenkenner betrachten müſſen, verſichern, daß jede Familie ſich durch ihre Aehnlichkeit aus - zeichnet, und die Engländer beſtätigen, daß manche Jndier Familienangehörige einer Herde mit aller Sicherheit erkennen, die Familie mag zerſtreut ſein, wie ſie will. Jn einer Herde von einundzwan - zig Elefanten, ſagt Tennent, welche 1844 gefangen wurden, zeigten die Rüſſel von allen die - ſelbe eigenthümliche Geſtaltung. Sie waren lang und von derſelben Dicke, anſtatt ſich nach der Spitze hin zu verdünnen. Jn einer anderen Herde von fünfunddreißig Stück zeigten alle dieſelbe Stellung der Augen, dieſelbe Wölbung des Rückens, dieſelbe Bildung des Vorderkopfes. Die Jn - dier wiſſen, daß die Zahl einer Herde ſich immer, abgeſehen von der natürlichen Vermehrung, gleich bleibt, wenn nicht beſondere Unglücksfälle ſie heimſuchen, und Jäger, welche den edlen Thieren nachſtellten, haben durch Jahre hindurch immer nur ſo viele von der Herde gefunden, als ihren tödt - lichen Geſchoſſen entronnen waren. Jn allen Herden überwiegen die Weibchen entſchieden; in man - chen gibt es gar keine männlichen Elefanten, wahrſcheinlich, weil ſie der größeren Zähne wegen den Nachſtellungen bereits zum Opfer gefallen waren. Durchſchnittlich kann man annehmen, daß auf einen männlichen ſechs bis acht weibliche Elefanten kommen.

Der klügſte Elefant pflegt der Herde vorzuſtehen. Er kann männlichen oder weiblichen Ge - ſchlechts ſein, je nach den Umſtänden. Sein Amt iſt, die Herde zu führen, auf alle Gefahren zu achten, die Gegend zu unterſuchen, kurz für die Sicherheit derſelben beſtändig Sorge zu tragen. Alle wilden Elefanten ſind, wie bemerkt, im höchſten Grade ſcheu und vorſichtig; der Leitelefant aber zeigt dieſe Eigenſchaften gleichſam verzehnfacht. Sein Amt iſt ein ſehr mühevolles: er iſt ſo zu ſagen ununterbrochen in Thätigkeit. Aber dafür lohnt ihn auch der unbedingteſte Gehorſam ſeiner Unter - gebenen. Widerſpruch gegen ſeine Anordnungen kommt niemals vor; er geht voran, und alle übri - gen folgen ihm rückſichtslos nach und ſei es in das Verderben. Jn der Höhe der dürren Jahreszeit , erzählt Major Skinner, trocknen bekanntlich alle Ströme aus und die Teiche und Lachen ebenſo. Die indiſchen Thiere leiden dann große Noth, des Waſſers wegen, und ſammeln ſich maſſenhaft um die - jenigen Teiche und Tümpel, welche das ihnen ſo nothwendige Element am längſten behalten. Jn der Nähe eines ſolchen Teiches hatte ich einmal Gelegenheit, die erſtaunliche Vorſicht der Elefanten zu beobachten. An der einen Seite des Pfuhles und hart an ſeinem Ufer begann ein dichter Urwald, auf der anderen umgab ihn offenes Land. Es war eine jener prachtvollen, klaren Mondlichtnächte, die faſt ebenſo hell ſind, als unſer nordiſcher Tag, in welcher ich beſchloß, die Elefanten zu beobach - ten. Die Oertlichkeit war meinem Zweck günſtig. Ein gewaltiger Baum, deſſen Zweige über den Teich weg hingen, bot mir ein ſicheres Unterkommen in ſeiner Höhe. Jch begab mich bei Zeiten an meinen Platz und achtete mit der geſpannteſten Aufmerkſamkeit auf Alles, was vorging. Die Ele - fanten waren keine fünfhundert Schritte von mir entfernt; aber doch mußte ich zwei volle Stunden warten, bevor ich einen von ihnen zu ſehen bekam. Endlich ſchlüpfte, etwa dreihundert Schritt vom Teiche entfernt, ein großer Elefant aus dem dunkelen Wald, ging mit höchſter Vorſicht beiläufig zweihundert Schritte vor und ſtand dann ſtill, um zu lauſchen. Er war ſo ruhig gekommen, daß nicht das leiſeſte Geräuſch gehört werden konnte, und er blieb mehrere Minuten ſtehen, bewegungs - los, wie ein Felsblock. Dann erſt rückte er in drei Abſätzen weiter und weiter vor, zwiſchen jedem Vorrücken mehrere Minuten lang anhaltend und die mächtigen Ohren nach vorwärts öffnend, um auch das leiſeſte Geräuſch aufzufangen. So bewegte er ſich langſam bis an das Waſſerbecken. Er dachte nicht daran, ſeinen Durſt zu löſchen, obgleich er dem Waſſer ſo nahe ſtand, daß ſeine gewaltige Geſtalt ſich in ihm wieder ſpiegelte. Minutenlang verweilte er lauſchend, ohne ein Glied zu rühren. 695Die Elefanten.Dann drehte er ſich vorſichtig und leiſe um, und ging nach derſelben Stelle des Waldes zurück, von woher er gekommen war. Nach einer kleinen Weile erſchien er wieder mit fünf anderen, mit denen er wiederum ebenſo vorſichtig, aber weniger lautlos als früher auf das Waſſer losging. Die fünf wurden von ihm als Wächter aufgeſtellt. Er kehrte in den Wald zurück und erſchien nochmals, um - geben von der ganzen Herde, von etwa achtzig bis hundert Stück, und dieſe führte er über die Blöße mit ſolcher Stille, daß ich, trotz der Nähe, die Thiere ſich nur bewegen ſah, nicht aber ſie ſich auch bewegen hörte. Jn der Mitte der Blöße blieb die Herde ſtehen. Er ging von neuem vor, verkehrte mit den Wächtern, unterſuchte Alles, überzeugte ſich von vollſtändiger Sicherheit, kehrte zurück und gab nun Befehl zum Vorrücken. Jn demſelben Augenblick ſtürzte die Herde gegen das Waſſer los und warf ſich ohne jede Scheu und ohne noch an Gefahr zu denken, mit aller Wolluſt in die Fluthen. Von ihrer Schüchternheit und Furchtſamkeit war keine Spur mehr zu bemerken. Alle vertrauten ihrem Führer ſo vollkommen, daß ſie ſich um gar Nichts mehr zu kümmern ſchienen.

Nachdem die armen, durſtigen Thiere den Teich eingenommen hatten und auch, als Letzter, der Leitelefant, eingetreten war, überließen ſie ſich gleichſam frohlockend der Wonne, ihren Durſt zu ſtillen, ſowie der Wohlthat des Bades. Niemals hatte ich eine ſolche Menge von thieriſchem Leben in einem ſo engen Raume geſehen. Es wollte mir erſcheinen, als tränken die Elefanten den ganzen Teich trocken. Jch beobachtete ſie mit der größten Theilnahme, bis ſie ſich mit Trinken und Baden Genüge gethan hatten. Dann verſuchte ich, welche Wirkung ein unbedeutendes Geräuſch auf ſie ausüben würde. Nur einen kleinen Zweig brauchte ich zu brechen und die ganze feſte Maſſe kam augenblicklich in Aufruhr und floh dahin, wie eine Herde aufgeſcheuchten Wildes in toller Haſt und Eile.

Mit ähnlicher Vorſicht gehen die Elefanten auf ihre Nahrung aus. Der Reichthum ihrer Wal - dungen iſt ſo groß, daß die edlen Thiere eigentlich niemals Mangel leiden, und weil ſie beſtändig an Oertlichkeiten leben, in welchen es Nahrung in Hülle und Fülle gibt, erſcheinen ſie auch weder gefräßig, noch begierig. Sie brechen die Zweige von allen Bäumen, gleichſam als geſchähe es zu ihrem Vergnügen, fächeln ſich mit ihnen, vertreiben die ſo gehaßten Fliegen und verzehren ſie dann allge - mach, nachdem ſie dieſelben einigermaßen zuſammengebrochen haben. Aeſte von Armſtärke werden noch ruhig mit hinabgeſchlungen: in der Fuß langen und 5 bis 6 Zoll dicken, 14 bis 16 Pfund ſchweren, wurſtartigen Loſung fand ich Aſtſtücke von 4 bis 5 Zoll Länge und bis 2 Zoll im Durchmeſſer. Niedrige Zweige, zumal ſolche, welche in Mundhöhe ſtehen, ſchieben ſie mit dem Rüſſel bündel - oder buſchweiſe ins Maul und beißen oder richtiger quetſchen ſie dann mit den Zähnen ab. So geſchändete Büſche geben ein ſicheres Merkmal für den Jäger ab. Stärkere Aeſte ſchälen ſie ganz oder theilweiſe, laſſen aber das Holz liegen. Jn jeder Gegend gibt es Lieblingsbäume der Ele - fanten: ſie werden vor allen anderen heimgeſucht. Jn Mittelafrika heißt ein Baum geradezu Elefantenbaum , weil er vor allen übrigen von den Thieren beſucht und beweidet wird. Er iſt dornig, aber die Dornen ſind weich und deshalb kein Hinderniß für den Gaumen des Elefanten, welcher den härteren Stacheln der Mimoſenzweige ein Lieblingsfutter des Kamels nicht ge - wachſen zu ſein ſcheint. Baumzweige werden von den Elefanten unter allen Umſtänden dem Graſe vorgezogen, obwohl letzteres auch nicht verſchmäht wird. Kommt eine Elefantenherde auf einen mit ſaftigem Gras bewachſenen Platz, ſo weidet ſie davon, packt mit dem Rüſſel einen hübſchen Buſch, reißt ihn mit ſammt den Wurzeln aus dem Boden, klopft dieſe Wurzeln gegen einen Baum, um ſie von der ihnen anhängenden Erde zu befreien und ſteckt ſie ſich dann einen nach dem anderen in den Schlund. Auf den nächtlichen Weidegängen wird wohl auch ab und zu einmal ein Feld beſucht, und dann freilich thut die Herde in ihm großen Schaden. Aber ſchon das einfachſte Scheuſal oder die leichteſte Umzäunung genügt, um die Elefanten von den Feldern abzuhalten. Die Jndier laſſen zwiſchen ihren Pflanzungen breite Wege für die zur Tränke gehenden Elefanten, und umzäunen ihre Felder mit leichten Rohrſtäben; ein einziger Schlag mit dem gewaltigen Rüſſel würde eine ganze Wand dieſer Pfähle niederwerfen, aber niemals kommt es vor, daß die Elefantenherde die696Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.Umzäunung durchbricht. Nur die Gondahs thun Dies zuweilen. Dieſelbe Herde geht aber ſofort auf die Felder, wenn die Thür dazu geöffnet iſt. Nach der Ernte des Reiſes zum Beiſpiel überlaſſen die Jndier den Elefanten ruhig das Stroh und halten deshalb die Umhegungen nicht mehr verſchloſſen. Sobald Dies geſchieht, dringen die Thiere ein und freſſen alles Uebriggebliebene auf. Die Sudah - neſen ſchreiben dieſes Benehmen der Elefanten nicht ihrer Scheu und Vorſicht, ſondern dem ihnen innewohnenden Gerechtigkeitsſinne zu. Elefanten, ſagte mir ein Scheich am blauen Fluſſe, wer - den Dir Nichts zu leide thun, wenn Du ſie in Frieden läßt, wie ſie mir und meinen Vorfahren nie Etwas gethan haben. Wenn die Zeit der Ernte herankommt, hänge ich an hohen Stangen Schutz - briefe auf und dieſe genügen den gerechten Thieren, denn ſie achten das Wort des gottgeſandten Mahammed über welchen der Friede des Allbarmherzigen walten möge! Sie fürchten die Strafe, welche den Gottesläſterer ereilen wird. Sie ſind eben gerechte Thiere!

Jn den Gebirgen von Habeſch zwingt der Wechſel der Jahreszeiten die Elefanten zu regelmäßi - gen Wanderungen. Jm Bogoslande ziehen ſie auf ziemlich ſtreng eingehaltenen Wegen alljährlich zwei Mal auf und nieder, alſo vier Mal an einem Orte vorüber, ſo bei der Ortſchaft Menſa. Der Waſſermangel treibt ſie in die tiefſten Flußthäler hinab. Der Frühling, d. i. die Regenzeit, welche gerade im Gebirg reiches Leben hervorzaubert, lockt ſie wieder zur ergiebigen und unbehelligten Weide empor. Sie ziehen von den Gebirgskämmen bis in das Flußbett des Ain-Saba hinab und von dort aus wieder nach ihren erſten Weideplätzen empor. Alle Wanderungen geſchehen ſelbſtver - ſtändlich nur des Nachts.

Wie die Nahrung, führt der Elefant auch ſeine Getränke mit Hilfe des Rüſſels zum Munde; er ſaugt beide Röhren deſſelben voll und ſpritzt ſich den Jnhalt dann in das Maul. Sobald eine Herde an das Waſſer kommt, iſt Dies ihr nächſtes Geſchäft, und erſt wenn der Durſt geſtillt iſt, denken die Thiere daran, in derſelben Art und Weiſe auch ihren Körper zu näſſen. Der Rüſſel iſt übrigens nicht blos zum Aufſaugen des Waſſers, ſondern auch zur Aufnahme von Sand und Staub geeignet. Dieſe Stoffe werden angewendet, um die ſo läſtigen Kerbthiere zu verſcheuchen.

Wie leicht erklärlich, iſt die Vermehrung unſerer Landrieſen nur eine geringe. Man erkennt den Zuſtand des brünſtigen Elefanten zunächſt daran, daß zwei Drüſen neben den Ohren eine übel - riechende Flüſſigkeit in reichlicher Menge ausſchwitzen. Das Thier ſelbſt iſt ſehr erregt und wird oft furchtbar wild gegen ſeine Treiber, welche es ſonſt vortrefflich behandelt. Früher glaubte man, daß die Elefanten ſich nur im Freien, fern von allem menſchlichen Treiben, paarten und wollte deshalb von einer großen Schamhaftigkeit des Thieres reden. Corſe aber beobachtete, daß ſich zwei friſch gefangene Elefanten vor einer Menge Zuſchauer begatteten. Vorher erwieſen ſie ſich mit ihren Rüſſeln Liebkoſungen; dann paarten ſie ſich in 16 Stunden vier Mal, ganz nach Art der Pferde. Die Brunſt - zeit iſt nicht beſtimmt. Das eine Mal zeigte ſie ſich im Februar, das andere Mal im April, ein drittes Mal im Juni, ein viertes Mal im September und ein fünftes Mal im Oktober. Aufgeregt ſind die paarungsluſtigen Thiere immer, und die kleinſte Veranlaſſung kann ſie in Zorn bringen. Drei Monate nach der Paarung bemerkte Corſe die erſten Anzeichen der Trächtigkeit des Weibchens. Nach einer Tragzeit von 20 Monaten und 18 Tagen warf es ein Kalb, 35 Zoll hoch, welches ſofort nach ſeiner Geburt zu ſaugen anfing. Die Mutter ſtand dabei, das Junge legte den Rüſſel zurück und ergriff das Euter mit ſeinem Maul. Faſt alle Beobachter ſind darin einſtimmig, daß die Liebe der Mutter zu ihrem eigenen Kinde nicht beſonders groß iſt; dagegen bemerkte man, daß ſich alle weiblichen Elefanten eines jungen mit großer Zärtlichkeit annehmen. Die wilden ſollen allen Jun - gen ohne Ausnahme ihr Euter bieten.

Ein Elefant wächſt 20 bis 24 Jahre, iſt aber wahrſcheinlich ſchon im 16. Jahr zur Fortpflan - zung geeignet. Der erſte Zahnwechſel findet im zweiten, der zweite im ſechsten, der dritte im neun - ten Lebensjahre ſtatt. Später dauern ſeine Zähne länger aus. Das Alter, welches das Thier über - haupt erreichen kann, wird ſehr verſchieden angegeben. Tennent ſpricht von Elefanten, welche über hundert Jahre in der Gefangenſchaft gelebt haben ſollen, ſtellt jedoch vorher eine beglaubigte Todten -697Die Elefanten.liſte von denen auf, welche durch die Regierung verwendet wurden; aus dieſer Liſte geht hervor, daß von 138 Gefangenen nach Ablauf von zwanzig Jahren nur ein einziger noch lebte. Andere Beobachter nehmen an, daß wilde Elefanten 150 Jahre alt werden können.

Der Elefant ſteht leider auch ſchon auf der Reihe derjenigen Thiere, welche ihrem Untergang verfallen ſind. Man jagt die edlen Geſchöpfe nicht, um ſich wegen des von ihnen verübten Schadens zu rächen, ſondern des koſtbaren Elfenbeins halber, und hat deshalb ſchon lange einen Vernichtungs - krieg gegen ſie geführt. Der Schaden, welchen die Thiere anrichten, ließe ſich ertragen, denn nur die Rogues werden läſtig, die Herden bleiben in ihren Wäldern. Manchmal freilich machen ſich die Elefanten durch ſonderbare Gelüſte unangenehm. So zogen ſie den indiſchen Straßenbaumeiſtern wiederholt die Merkpfähle aus dem Boden, welche die Leute mühſam zur Bezeichnung der anzulegen - den Straßen geſetzt hatten, und andere fielen hartnäckig immer und immer wieder in ein und dieſelbe Pflanzung ein, ſo daß der Beſitzer genöthigt war, die berüchtigtſten Jäger zu ſich zu erbitten. Wenn ich die Jäger anſtatt berühmt, berüchtigt nenne, habe ich leider dazu guten Grund. Die meiſten von ihnen betragen ſich der Jagd, welche ſie betreiben, vollkommen unwürdig. Es ſind hauptſächlich Engländer, welche der Elefantenjagd obliegen, und deren Rohheit iſt bekannt genug: wie weit ſie aber gehen kann, wiſſen die Wenigſten von uns. Jch will Einen von ihnen, den oft genannten Gordon Cumming, ſeine Art und Weiſe Elefanten zu erlegen, ſelbſt ſchildern laſſen. Am 31. Auguſt erblickte ich den größten und höchſten Elefanten, welchen ich jemals geſehen. Er ſtand, mit der Seite ſich mir zuwendend, in einer Entfernung von ungefähr 150 Schritten vor mir. Jch machte Halt, ſchoß in die Schulter und bekam ihn durch dieſen einzigen Schuß in meine Gewalt. Die Kugel hatte ihn hoch in das Schulterblatt getroffen und auf der Stelle gelähmt. Jch beſchloß, eine kurze Zeit der Betrachtung dieſes ſtattlichen Elefanten zu widmen, ehe ich ihm vollends den Reſt gab. Es war in der That ein gewaltiger Anblick, den er mir bot. Jch fühlte mich als Herr der grenzenloſen Wälder, welche eine unausſprechlich edle und anſprechende Jagd möglich machten. Nachdem ich den Elefanten eine Zeitlang bewundert, beſchloß ich einige Verſuche anzuſtel - len, um die verwundbarſten Punkte des Thieres kennen zu lernen (!). Jch näherte mich ihm auf ganz kurze Entfernung und feuerte mehrere Kugeln auf verſchiedene Theile ſeines unge - heuren Schädels ab. Bei jedem Schuß neigte er gleichſam grüßend ſeinen Kopf nieder und berührte dann mit dem Rüſſel ſeltſam und eigenthümlich ſanft die Wunde. Jch war verwundert und wurde wirklich von Mitleid ergriffen, als ich ſah, daß das edle Thier ſein Schickſal, ſeine Leiden mit ſo würdevoller Faſſung ertrug und beſchloß, der Sache ſo ſchnell als möglich ein Ende zu machen. Des - halb eröffnete ich nun das Feuer auf ihn an einer geeigneten Stelle. Jch gab ihm nach einander ſechs Schüſſe aus meiner Doppelbüchſe hinter die Schulter, welche zuletzt tödtlich ſein mußten, im Anfange aber keine unmittelbare Wirkung zur Folge zu haben ſchienen. Hierauf feuerte ich drei Kugeln aus dem holländiſchen Sechspfünder auf dieſelbe Stelle. Jetzt rannen ihm große Thränen aus den Augen; er öffnete dieſe langſam und ſchloß ſie wieder. Sein gewaltiger Leib zitterte krampfhaft; er neigte ſich auf die Seite und verendete.

Nun entſchuldigt ſich zwar der Mann damit, daß er dieſe Verſuche blos gemacht hat, um künftighin die Leiden anderer Elefanten abzukürzen: wir aber können dieſe Entſchuldigung un - möglich gelten laſſen, weil ein Elefantenjäger im Voraus wiſſen muß, wohin er ſeine Geſchoſſe zu richten hat. Auch gibt Gordon Cumming in ſeinem Buche ſo unzählige Beweiſe eines wilden und zweckloſen Blutdurſtes, daß wir jene Entſchuldigung ſicherlich nur als ein Anerkenntniß ſeiner Ge - meinheit anſehen können. Wie unendlich hoch ſtand jener Elefant über dem Menſchen, wie erbärm - lich, wie niederträchtig zeigte ſich der elende, heimtückiſche Feind dem herrlichen Geſchöpfe gegenüber! Bei Gelegenheit einer anderen Elefantenjagd erzählt Cumming, daß er einem großen, männlichen Thiere 35 Schüſſe gab, ehe es verendete. Die Jäger in Jndien machen es nicht beſſer; Tennent läßt Dies deutlich genug merken. Sie ſind ebenſo ſchamlos, als unſere Großen es früher waren, wenn ſie Hunderte von edlen Thieren in einen engen Raum zuſammentreiben ließen und dann bequem698Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.von einem hohen Sitze aus niedermeuchelten. Die prahlenden Elefantenjäger Jndiens haben einen guten Theil ihrer Beute in den Corrals oder Fangplätzen, welche wir bald kennen lernen werden, erlegt. Sie haben die in einem engen Raum eingepferchten Thiere kaltblütig niedergeſchoſſen und dann verfaulen laſſen, aus dem einfachen Grunde, um in ihr ſchändliches Jagdregiſter einige Zahlen mehr eintragen zu können. Sie haben Alte und Junge zuſammengeſchoſſen, ohne die Leichname nützen zu können. Zu ſolchen Scheußlichkeiten ſind von den ſogenannten gebildeten Völkern wahr - haftig nur Engländer fähig!

Die wahren Elefantenjäger gehen ihrem Wilde im großen, freien Walde nach und erlegen ſie, um das Elfenbein zu gewinnen. Jhre Jagd mag entſchuldigt ſein; ſie iſt wenigſtens kein feiges Meucheln. Der Jäger ſetzt dabei ſein Leben ein. Eingeborene, welche die Gewehre tragen, ſpüren das Wild aus. Der Jäger nähert ſich ſo weit als möglich und feuert aus einer weitläufigen Büchſe eine Kugel, unmittelbar hinter dem Ohr in den Schädel. Gute Schützen brauchen höchſt ſelten noch den zweiten Lauf ihres Gewehrs und oft ſchon haben einzelne Jäger mit jedem Laufe der Büchſe einen Elefanten erlegt. Die Gefahr iſt übrigens doch nicht ſo groß, als ſie ſcheinen mag. Allerdings kommt es vor, daß gereizte Elefanten ſich auf ihre Verderber ſtürzen, und einzelne von dieſen haben dann auch ihr Leben unter den Fußtritten der Waldrieſen ausgehaucht; drei Viertheile aber von Denen, welche wirklich angegriffen wurden, konnten ſich noch retten, ſelbſt wenn ſie ſozuſagen ſchon zwiſchen den Füßen lagen. Die große Furchtſamkeit des Dickhäuters ſiegt bald wieder über ſeine Erregung, und nur höchſt ſelten geſchieht es, daß ein verwundeter Elefant ſeinen Feind ſo weit ver - folgt, wie nach Tennent’s Bericht einmal ein Rogues einen Jndier, welcher bereits die Stadt erreicht hatte, aber auf dem Baſar noch von dem wüthenden Elefanten eingeholt und zerſtampft wurde.

Die Neger im Weſten Afrikas flechten, wie Du Chaillu berichtet, im Walde die Schling - pflanzen netzartig zuſammen, jagen dann die Elefanten nach den ſo eingezäunten Stellen hin, ver - folgen ſie und ſchleudern, wenn die Thiere unſchlüſſig vor den verſchlungenen Ranken ſtehen blei - ben, Hunderte von Lanzen in den Leib der ſtärkſten und größten, bis ſie zuſammenbrechen. Jn ähnlicher Weiſe mögen wohl auch die Neger am weißen Fluſſe jagen. Sie liefern einen guten Theil des afrikaniſchen Elfenbeins, und man hat eigentlich noch nie recht gewußt, wie ſie dieſen koſtbaren Stoff erlangen. Nach den Nachrichten, welche ich erhielt, ſollen ſie Fallgruben anlegen, in welchen die Elefanten auf ihren nächtlichen Weidegängen hinabſtürzen und in denen ſie dann entweder ver - hungern müſſen oder durch die herbeikommenden Neger getödtet werden. Auf die übrigen Jagd - arten wollen wir hier nicht eingehen; ſie ſind mehr oder weniger immer eine Metzelei. Jch will nur erwähnen, daß nächſt den Stoßzähnen, dem koſtbarſten Theil der Beute, hier und da auch das Fleiſch, zumal der Rüſſel und die Füße und die Haut benutzt werden. Die eigentlichen Muskeln ſind ſo hart und zähe, daß ſie nur von einem Negergebiß zermalmt werden können. Du Chaillu verſichert, daß zwölfſtündiges Kochen das Fleiſch noch immer nicht erweichen könne. Tennent rühmt die Zunge als wohlſchmeckend. Corſe läßt den in heißer Aſche gebratenen Füßen und dem ebenſo zubereiteten Rüſſel Gerechtigkeit widerfahren. Jm Ganzen aber widerſtehen auch dieſe Theile den Europäern.

Weit anziehender und menſchlicher iſt die Art und Weiſe, wilde Elefanten lebend in ſeine Ge - walt zu bekommen, um ſie zu zähmen. Hier gilt es, ſehr kluge Thiere doch noch zu überliſten, Wild - linge zu zähmen und dem Dienſt des Menſchen unterthan zu machen. Die Jndier ſind gegenwärtig die Meiſter in dieſer Kunſt. Unter ihnen gibt es eine förmliche Zunft von Elefantenjägern, in welcher das Gewerbe vom Vater auf den Sohn forterbt. Die Kunſtfertigkeit, Liſt, Vorſicht und Kühnheit, mit welcher dieſe Leute zu Werke gehen, iſt wahrhaft bewunderungswürdig. Jhrer Zwei gehen in den Wald hinaus und fangen einen Elefanten aus ſeiner Familie heraus! Man hält Dies für un - möglich, und doch iſt es wahr.

Die beſten Elefantenjäger auf Ceylon, Panikis genannt, bewohnen die mauriſchen Dörfer im Norden und Nordweſten der Jnſel und ſtehen ſchon ſeit mehreren hundert Jahren im hohen Anſehen. Sie verfolgen, ſozuſagen, inſtinktmäßig ihre Beute durch die Wälder, und ſie ſind es auch, welche

Jndiſcher Eleſant.

699Die Elefanten.die europäiſchen Schlächter auf ihren ſogenannten Jagdzügen begleiten müſſen. Der Fährte eines Elefanten folgen ſie, wie ein guter Hund der Spur eines Hirſches folgt. Sie beſtimmen im Voraus an allen gerechten und vollkommenen Jägerzeichen, wie ſtark die Herde, wie hoch die größten und wie niedrig die kleinſten Elefanten ſind. Für europäiſche Augen unmerkliche Zeichen ſind für ſie deutlich geſchriebene Blätter eines ihnen verſtändlichen Buches. Jhr Muth ſteht mit ihrer Klugheit im Ein - klange; ſie wiſſen mit den Elefanten zu machen, was ſie wollen. Sie ſetzen ſie in Angſt, in Wuth, wie es ihnen eben erwünſcht iſt. Jhre einzige Waffe iſt eine feſte und dehnbare Schlinge aus Hirſch - oder Büffelhaut, welche ſie, wenn ſie allein zum Fang ausziehen, dem von ihnen beſtimmten Elefan - ten um den Fuß werfen. Dies geſchieht, indem ſie ihn unhörbaren Schrittes auf ſeinem Wege folgen und im günſtigen Augenblick die Schlinge um den Fuß werfen oder ſelbſt, wenn er ruhig ſteht, um ein Bein hin und her ſchlingen. Wie ſie es anſtellen, unbemerkt an das ſo furchtſame Thier heranzukommen, iſt und bleibt ein Räthſel. Und während der Eine die Schlinge um den Fuß legt, ſchlingt ſie der Andere bereits an einem Baume feſt, und ſollte kein ſolcher in der Nähe ſein, ſo erzürnt der Eine den Elefanten und lockt ihn nach einer Baumgruppe hin, um deren ſtärkſten Stamm dann der Andere den Strick befeſtigt und dadurch die Verfolgung endet. Der gefangene Elefant iſt natürlich raſend, aber die Fänger wiſſen ihm zu begegnen. Sie kennen ihn genau, und zähmen ihn in verhältnißmäßig kurzer Zeit.

Zuerſt gebrauchen ſie alle Schreckmittel: brennendes Feuer, Rauch u. dergl. ; dann laſſen ſie ihren Gefangenen hungern und dürſten, gönnen ihm keine Ruhe und ängſtigen und matten ihn ab, ſo viel als möglich. Später ändern ſie ihr Betragen vollſtändig um und erweiſen ihm nur Liebes und Gutes. Kurz und gut, ſie wenden hier unbeſchreibliche Künſte an, und es gelingt ihnen nach wenig Monaten, ihren anfangs raſenden Zögling zu einem ihrem Willen unterwürfigen Geſchöpf umzuwandeln. Ein Europäer iſt gar nicht im Stande, dieſen Leuten auf derartigen Zügen zu fol - gen, er würde Alles verderben und muß ſich alſo mit Hörenſagen begnügen. Aber dafür kann er um ſo eher an den großartigen Treiben theilnehmen, welche unter Umſtänden Hunderte von Ele - fanten auf einmal in die Gewalt des Menſchen bringen. Einen ſolchen Elefantenfang hat Tennent in ſo anziehender und ausführlicher Weiſe beſchrieben, daß ich nichts Beſſeres thun kann, als ſeine Erzählung, wenn auch theilweiſe im Auszuge, ſo doch möglichſt mit ſeinen eigenen Worten hier wie - der zu geben.

An einer kühlen und angenehmen Stelle des Waldes fanden wir die luftigen Wohnungen, welche für uns in der Nähe des Corrals (Fangraum) hergeſtellt worden waren. Man hatte Hütten aus Zweigen erbaut und mit Palmblättern und Gras bedeckt; man hatte einen hübſchen Saal zum Speiſezimmer errichtet, Küchen, Ställe erbaut und nach beſten Kräften für unſere Bequemlichkeit geſorgt. Dies Alles war von den Eingeborenen im Laufe weniger Tage ausgeführt worden.

Früher wurde die mit der Elefantenjagd nothwendig verbundene Arbeit zwangsweiſe von den Eingeborenen verrichtet; denn das gehörte mit zu den Frohndienſten, welche das Volk ſeinen Herr - ſchern zu leiſten hatte. Die Holländer und Portugieſen verlangten dieſe Dienſte, ebenſo die britiſche Regierung, bis die Frohnen im Jahre 1832 abgeſchafft wurden. Es wurden damals 1500 bis 2000 Männer unter der Leitung eines Oberen beſchäftigt. Sie hatten den Corral zu bauen, die Elefanten zu ſammeln, die Kette von Wachfeuern und Wächtern zu unterhalten und überhaupt alle mühſamen Verrichtungen des Fanges auszuführen. Seit der Abſchaffung der Frohnen iſt es jedoch nicht ſchwer geweſen, die freiwillige Mitwirkung der Eingeborenen bei dieſen Unternehmungen zu erlangen. Die Regierung bezahlte denjenigen Theil der Vorbereitungen, der wirkliche Koſten mit ſich bringt: die geſchickte Arbeit, die auf die Errichtung des Corrals und ſeines Zubehörs verwendet wird, die Anſchaffung von Speeren, Seilen, Waffen, Flöten, Trommeln, Schießgewehren und an - dere nothwendige Erforderniſſe.

Die Zeit des Jahres, welche man zum Fange wählt, iſt natürlich diejenige, die dem Anbau der Reisfelder am wenigſten Eintrag thut, die Zeit zwiſchen der Ausſaat und der Ernte. Das Volk700Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.ſelbſt hat, ganz abgeſehen von der Aufregung und dem Genuß der Jagd, ſeinen eigenen Vortheil da - bei, die Zahl der Elefanten zu vermindern, da dieſe ihren Gärten und ihren aufwachſenden Ernten ernſten Schaden zufügen. Aus einem ähnlichen Grunde ermuthigen auch die Prieſter dieſe Jagd, weil nämlich die Elefanten einen heiligen Baum, deſſen Blätter ſie außerordentlich lieben, oft ver - nichten. Zudem wünſcht man auf leichte Weiſe Elefanten zum Tempeldienſt zu erhalten. Die Häuptlinge endlich ſuchen ihren Stolz darin, die Zahl ihrer Untergebenen im Felde zur Schau zu ſtellen, als auch die Leiſtungen der zahmen Elefanten, welche ſie für das Jagdgeſchäft darleihen, zu zeigen. Eine große Zahl von Bauern finden willkommene Arbeit auf viele Wochen; denn ſie haben die Pfähle zu pflanzen, Pfade durch das Sumpfrohr auszuhauen und die Treiber abzulöſen, von welchen die Elefanten umringt und herangetrieben werden ſollen.

Als Platz der Jagd wählt man einen, der an einer alten und viel betretenen Straße dieſer Thiere liegt, auf welcher ſie gewöhnlich nach Nahrung und Waſſer zu wandern pflegen; namentlich iſt die Nähe eines Stromes unerläßlich, nicht nur, um den Elefanten den nöthigen Waſſervorrath zu bieten, während man ſie der Umzäunung zu nähern ſucht, ſondern auch, um ihnen nach dem Fang während des Zähmungsverfahrens eine Gelegenheit zum Baden und zum Abkühlen verſchaffen zu können. Bei der Errichtung der Corrals vermeidet man es ſorgfältig, die Bäume oder das Unter - holz innerhalb des eingeſchloſſenen Raumes zu vernichten, namentlich auf der Seite, von welcher die Elefanten kommen ſollen, da es ein weſentliches Erforderniß iſt, ihnen die Einpfählung ſoviel als möglich durch das dichte Laub zu verbergen.

Die zum Bau verwendeten Stämme haben 10 bis 12 Zoll im Durchmeſſer; man bringt ſie etwa drei Fuß tief in die Erde, ſo daß noch 12 bis 15 Fuß über dem Boden bleiben. Zwiſchen jedem Paar Pfählen bleibt Raum genug, daß ein Mann hindurchſchlüpfen kann. An die ſo aufgerich - teten Säulen befeſtigt man mit biegſamen Schlingpflanzen oder mit Rohr Querbalken, und das Ganze wird dann noch durch eine Art Gabeln geſtützt, welche die Querbalken faſſen und es verhin - dern, daß das Pfahlwerk durch einen Anprall der wilden Elefanten nach außen gedrängt werde. Der alſo eingeſchloſſene Platz, welchen ich im Sinne habe, war ungefähr fünfhundert Fuß lang und halb ſo breit. An dem einen Ende war ein Eingang offen gelaſſen, der jeden Augenblick durch Schiebebalken verſchloſſen werden konnte, und von jeder Ecke des Endes, wo die Elefanten herkom - men ſollten, zogen ſich zwei Linien derſelben ſtarken Einzäunung auf beiden Seiten hin, ebenfalls ſorgfältig von Bäumen verdeckt. Wäre nun alſo die Herde nicht durch den offen gelaſſenen Eingang hineingekommen, ſondern rechts oder links abgeſchweift, ſo würden ſie hier ein Hinderniß gefunden und ſich genöthigt geſehen haben, die alte Richtung nach dem Eingang zu wieder einzuſchlagen. Endlich war auf einer Gruppe Bäume für die Geſellſchaft des Statthalters eine Schaubühne errichtet worden, welche die ganze Einfaſſung überſehen ließ, ſo daß man das geſammte Verfahren vom erſten Eintreten der Herde in die Einfaſſung bis zum Herausführen der gefangenen Elefanten beob - achten konnte.

Es iſt kaum nöthig zu bemerken, daß das eben beſchriebene Pfahlwerk, ſo ſtark es auch iſt, blutwenig nützen würde, wenn ein Elefant ſich mit aller Kraft darauf ſtürzte; es ſind auch wirklich manche Unfälle vorgekommen, indem die Herden durchbrachen. Man verläßt ſich aber nicht ſowohl auf den Widerſtand der Einpfählung, als auf die Schüchternheit der Gefangenen, die ihre eigene Kraft nicht kennen, und auf die Kühnheit und Liſt ihrer Fänger.

Wenn nun der Corral fertig iſt, beginnen die Treiber ihr Werk. Sie haben oft einen Umfang von vielen Meilen zu umſtellen, damit die Anzahl der Elefanten anſehnlich genug werde, und die anzuwendende Vorſicht verlangt viel Geduld. Jn keinem Fall darf man die Elefanten beunruhigen; ſonſt möchten ſie leicht die entgegengeſetzte Richtung einſchlagen. Die Thiere ſind äußerſt friedlich und wünſchen nur in Stille und Sicherheit zu weiden. Vor der geringſten Störung weichen ſie zurück, und Dies muß man nun ſo benutzen, daß man ſie gerade nur ſoviel beunruhigt, daß ſie langſam in der gewünſchten Richtung vorgehen. Auf dieſe Weiſe werden dann verſchiedene Herden701Die Elefanten.zuſammengetrieben, und Tag für Tag bringt man ſie langſam vorwärts, dem Corral zu. Wird ihr Argwohn rege, zeigen ſie Unruhe und Befürchtung, ſo ergreift man ſchärfere Maßregeln, um ihr Entkommen zu verhindern. Aller zehn Schritte wird rings um den Plan, in welchem man ſie ſchon beiſammen hat, ein Feuer angezündet und Tag und Nacht unterhalten. Die Treiber ſteigen bis auf zwei - bis dreitauſend; es werden Fußwege durch den Dſchungel hergeſtellt, um die ganze Linie in ſteter Verbindung zu erhalten. Die Führer üben |eine ununterbrochene Aufſicht, damit ein jeder Treiber auf ſeinem Poſten munter iſt. Denn Nachläſſigkeit an irgend einer Stelle der Linie könnte die ganze Herde entkommen laſſen und in einem Augenblick die mühevolle Arbeit von Wochen ver - nichten. Auf dieſe Weiſe wird jeder Verſuch der Elefanten, rückwärts durchzubrechen, ſogleich abge - wieſen, und wo immer ein ſolcher droht, kann augenblicklich eine hinreichende Menge verſammelt werden, um ſie zurückzuſcheuchen. Endlich werden die Elefanten ſo dicht an die Einzäunung getrie - ben, daß ſich der Treibergürtel an beiden Flügeln an das Ende des Corrals anlehnt; das Ganze bildet nun einen Umkreis von ziemlich einer Stunde, und man wartet nun blos noch auf das Zeichen zum Schlußtreiben.

Dieſe Vorbereitungen hatten zwei volle Monate in Anſpruch genommen und waren nun eben ſoweit vollendet, als wir ankamen und unſeren Platz auf der oben erwähnten Schaubühne einnahmen, von welcher wir den Eingang zum Corral überſehen konnten. Dicht neben uns im Schatten lagerte eine Gruppe zahmer Elefanten, die aus den Tempeln und von den Fürſten geſchickt waren, um beim Fang der wilden zu helfen. Drei verſchiedene Herden, zuſammen 40 bis 50 Elefanten, waren um - zingelt und lagen gerade in dem Dſchungel und bei der Einpfählung verborgen. Jeder Laut wurde vermieden; man ſprach nur flüſternd, und das Stillſchweigen unter der ungeheuren Menge der Treiber war ſo ſtreng, daß man hin und wieder die Zweige raſcheln hörte, wenn einer der Ele - fanten die Blätter abſtreifte.

Plötzlich wurde das Zeichen gegeben, nur die Stille des Waldes wurde von den Rufen der Wachen, dem Rollen der Trommeln und dem Knattern der Gewehre unterbrochen. Man begann an dem entfernteſten Punkte und trieb ſo die Elefanten immer näher dem Eingange des Corrals zu. Die Treiber entlang der Linie waren nur ſolange ſtill, bis die Herde an ihnen vorüber war. Dann ſtimmten ſie in das allgemeine Geſchrei der Anderen hinter ihnen nach Herzensluſt ein. So wuchs natürlich das Getöſe mit jedem Schritt der Herde. Dieſe ſuchte wiederholt die Linie zu durch - brechen, wurde aber durch Kreiſchen, Trommeln und Kleingewehrfeuer immer wieder zurück - geſchlagen.

Endlich zeigte das Knacken der Zweige und das Praſſeln des Unterholzes die Näherkunft der Elefanten an. Jhr Führer brach aus dem Dſchungel heraus und ſtürzte wild vorwärts bis auf dreißig Ellen Entfernung vom Eingang des Corrals. Die ganze Herde folgte ihm: noch einen Augenblick und ſie wären in die offene Thür hineingeſtürzt; als ſie plötzlich rechts umſchwenkten und, trotz der Jäger und Treiber, ihrem früheren Platz im Dſchungel wieder zueilten. Der Oberſte der Treiber - aufſeher kam vor und erklärte ihren Durchbruch dadurch, daß ein wildes Schwein plötzlich aus ſeinem Lager herausgekommen und dem Leitthiere der Herde über den Weg gelaufen ſei. Er fügte hinzu, daß es bei dem aufgeregten Zuſtande der Herde Wunſch der Jäger wäre, ihre letzte Anſtrengung bis zum Abend zu verſchieben, wo ihnen die Dunkelheit, die Feuer und die Fackeln um ſo mächtigere Ge - hilfen ſein würden.

Nach Sonnenuntergang wurde der Schauplatz von außerordentlichem Jntereſſe. Die niedrigen Feuer, die offenbar im Sonnenlichte nur gedampft hatten, glühten nun wieder düſter roth in der Dunkelheit und warfen ihren Schein über die Gruppen. Wirbelnd ſtieg der Rauch durch das reiche Laubwerk der Bäume. Die Scharen der Zuſchauer beobachteten tiefe Stille. Kein Laut war hörbar, als das Summen der Kerbthiere. Auf einmal brach wiederum das Rollen einer Trommel und gleich darauf Gewehrfeuer durch die Stille. Dies war das Zeichen für den erneuten Angriff. Rufend und lärmend betraten die Jäger den Kreis. Trockene Blätter und Reißer wurden auf die Wacht -702Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.feuer geworfen, bis ſie emporloderten und ringsum eine Flammenlinie bildeten, nur nicht nach dem Corral zu, wo man aufs ſorgfältigſte die Dunkelheit zu bewahren wußte. Dorthin begaben ſich denn nun die erſchreckten Elefanten, hinter ſich das Getöſe und das Gellen ihrer Verfolger. Sie näherten ſich mit raſender Eile, das Unterholz niedertretend und die trockenen Zweige zerknickend. Das leitende Thier erſchien dem Corral gegenüber, hielt einen Augenblick inne, ſtarrte wild um ſich, ſtürzte dann über Hals und Kopf durch das offene Thor und die ganze Herde ihm nach. Der ge - ſammte Umfang des Corrals, der bis zu dieſem Augenblicke in tiefſte Dunkelheit gehüllt geweſen war, ſtrahlte nun, wie durch Zauberei, plötzlich von tauſend Lichtern wieder. Denn im Augen - blick, wo die Elefanten hinein waren, rannte jeder Jäger mit einer Fackel herbei, die er am nächſten Wachtfeuer angezündet hatte.

Zuerſt ſtürmten die Elefanten bis zum äußerſten Ende der Einpfählung; da ſie aber hier Widerſtand fanden, ſchoſſen ſie zurück, um das Thor zu erreichen. Sie fanden es natürlich ver - ſchloſſen. Jhr Schrecken war entſetzlich. Sie eilten rings im Corral in reißend ſchnellen Schritten umher, ſahen ihn aber nun von Feuer umringt. Sie verſuchten das Pfahlwerk zu durchbrechen, wurden jedoch mit Speren und Fackeln zurückgetrieben; überall, wo ſie ſich näherten, kam ihnen Geſchrei und Gewehrfeuer entgegen. Dann ſammelten ſie ſich in eine einzige Gruppe, hielten einen Augenblick in offenbarer Beſtürzung inne, traten dann in einer anderen Richtung auf, als wenn ihnen plötzlich eine Stelle eingefallen wäre, die ſie vorher überſehen gehabt hätten. Aber immer wieder abgewieſen, kehrten ſie langſam zu ihrem einſamen Ruheplatze inmitten des Corrals zurück.

Die Theilnahme an dieſem außerordentlichen Schauſpiele beſchränkte ſich nicht auf die Zu - ſchauer; ſie erſtreckte ſich auch auf die außen aufgeſtellten zahmen Elefanten. Schon bei der erſten Annäherung der fliehenden Herde legten ſie ihre Achtſamkeit an den Tag; zwei beſonders, die vorn angebunden waren, zeigten ungemeine Aufregung, und als endlich die Herde in den Corral hinein - gebrauſt war, riß einer von dieſen beiden ſich los und ſtürzte den wilden nach, wobei er einen ziem - lich anſehnlichen Baum, der ihm im Wege ſtand, umbrach.

Länger als eine Stunde durchtrabten die Elefanten den Corral und griffen mit unermüdlicher Kraft die Pfähle an. Nach jedem fehlgeſchlagenen Verſuch trompeteten und kreiſchten ſie vor Wuth. Wieder und wieder ſtrebten ſie, das Thor zu erſtürmen, als wenn ſie wüßten, daß es einen Aus - gang bieten müſſe, da es ja doch zum Eingang gedient hatte; aber betäubt und verwirrt wichen ſie immer zurück. Nach und nach wurden ihre Anſtrengungen ſeltener; einzelne Thiere rannten hier - und dorthin und kehrten dann düſter zu ihren Genoſſen zurück. Endlich bildete die ganze Herde, verdutzt und erſchöpft, eine einzige Gruppe mit den Jungen in der Mitte, und ſo ſtanden ſie regungs - los unter den düſteren Schatten der Bäume, mitten in dem Corral.

Es wurden nun Anſtalten getroffen, während der Nacht Wache zu halten. Die Zahl der Wächter rund um die Einfriedigung wurde verſtärkt und den Feuern friſche Nahrung gegeben, da - mit ſie bis Sonnenaufgang hoch emporflammten.

Urſprünglich waren von den Treibern draußen drei Herden umſtellt worden; aber mit eigen - thümlicher Vorausahnung hatten die drei ſich einander fern gehalten. Als nun das Schlußtreiben ſtattfand, ſo war nur eine Herde in den Corral gekommen, weil die anderen beiden ſich noch zurück - hielten. Da nun das Thor augenblicklich hinter der erſten Abtheilung geſchloſſen werden mußte, ſo waren die beiden anderen natürlich ausgeſperrt und blieben noch im Dſchungel verborgen. Um ihr Entkommen zu hindern, wurden die Wachen an ihre früheren Plätze zurückbefehligt; die Feuer wur - den neu genährt, und nachdem ſo alle Vorſichtsmaßregeln getroffen waren, kehrten wir zurück, um die Nacht in unſeren Häuſern am Fluſſe zu verbringen. Dieſe waren nur etwa dreißig Schritte vom Corral entfernt, und ſo wurden wir in unſerem erſten Schlafe oft von dem Lärm der Menge geweckt, die in dem Walde lagen, dann und wann auch von dem Geſchrei, welches die Elefanten von einem plötzlichen Angriff auf die Einfriedigung zurückſcheuchte. Bei Tagesanbruch aber fanden wir am703Die Elefanten.Corral Alles ſtill und wachſam. Man ließ die Feuer erſterben, als die Sonne aufging. Die ab - gelöſten Wächter ſchliefen nahe der großen Einzäunung; ringsum aber waren Haufen von Män - nern und Knaben mit Speren oder langen Ruthen, während die Elefanten drinnen in einer dicht gedrängten Gruppe zuſammenſtanden, nicht mehr ungeſtüm und ſtürmiſch, ſondern erſchöpft und ruhig und gänzlich gebrochen durch Furcht und vor Erſtaunen über Alles, was um ſie herum vorge - gangen war. Nur ihrer neun waren bisjetzt gefangen, darunter drei ſehr große und zwei kleine, nur ein paar Monate alte. Einer der großen war ein Landſtreicher ; der in keiner Verbindung mit der übrigen Herde ſtand, daher auch nicht in ihren Kreis gelaſſen wurde, ſondern ſich nur in ihrer Nähe aufſtellte.

Draußen ſchickte man ſich nun an, die zahmen Elefanten in den Corral zu führen, damit dieſe die Gefangenen feſt machen möchten. Die Schlingen waren bereit, und endlich zog man behutſam die Stämme weg, die den Eingang geſchloſſen, und zwei abgerichtete Elefanten gingen leiſe hinein, jeder von ſeinem Führer und einem Diener geritten und mit einem ſtarken Halsband verſehen, von welchem herab auf beiden Seiten Stricke von Antilopenhaut mit einer Schlinge hingen. Zugleich mit ihnen und hinter ihnen verborgen kam der Führer der Schlingenmänner hereingekrochen, begierig, ſich die Ehre zu ſichern, den erſten Elefanten feſt zu machen. Es war ein behender, kleiner Mann, ungefähr ſiebzig Jahre alt, der ſich in ſolchen Dienſten bereits zwei ſilberne Spangen als Ehren - zeichen erworben hatte. Er wurde von ſeinem Sohne begleitet, welcher wegen ſeines Muthes und ſeiner Geſchicklichkeit gleich berühmt war.

Bei dieſer Jagd waren zehn zahme Elefanten zur Verfügung. Zwei waren das Eigenthum eines nahen Tempels, und von dieſen beiden war einer erſt das Jahr vorher gefangen worden und dennoch jetzt ſchon zum Fang anderer fähig; vier gehörten benachbarten Häuptlingen, die übrigen waren aus den Ställen der Regierung, ſo auch die beiden, welche jetzt den Corral betraten.

Einer von dieſen letzteren war von ungemeinem Alter und bereits im Dienſte der holländiſchen und der engliſchen Regierung ſeit mehr denn einem Jahrhundert. Der andere, Namens Siribeddi, war etwa funfzig Jahre alt und durch ſanftes und gelehriges Weſen ausgezeichnet. Siribeddi war eine vollendete Sirene, und ein ſolcher Fang war nun ganz und gar nach ihrem Geſchmacke. Ge - räuſchlos betrat ſie den Corral und ging langſam mit ſchlauem Blick, aber anſcheinend ſehr gleich - giltig vorwärts. Ganz gemüthlich ſchlenderte ſie in der Richtung nach den Gefangenen hin und blieb hin und wieder ſtehen, um ein wenig Gras oder einige Blätter im Vorbeigehen zu pflücken. Als ſie ſich den eingeſchloſſenen wilden Elefanten näherte, kamen dieſe ihr entgegen, und ihr An - führer ſtrich ſie ſanft mit ſeinem Rüſſel über den Kopf, wandte ſich dann um und ging langſam zu ſeinen niedergeſchlagenen Gefährten zurück.

Siribeddi folgte ihm mit demſelben gleichgiltigen Schritte und ſtellte ſich dicht hinter ihm auf, ſo daß der alte Mann unter ihr hinkriechen und ſeine Schlinge um den Hinterfuß des wilden Elefanten gleiten laſſen konnte. Derſelbe bemerkte augenblicklich ſeine Gefahr, ſchüttelte das Seil ab und wandte ſich zum Angriff gegen den Mann. Dieſer würde ſeine Keckheit ſchwer gebüßt haben, hätte nicht Siribeddi ihn mit ihrem Rüſſel beſchützt und den Angreifer in die Mitte der Herde getrieben. Der Alte war nur leicht verwundet und verließ den Corral, während ſein Sohn Raughanie ſeine Stelle einnahm. Die Herde ſtellte ſich wieder in einen Kreis mit den Köpfen in der Mitte zuſammen. Zwei zahme Elefanten drängten ſich keck zwiſchen ſie und zwar ſo, daß ſie das größte Männchen in die Mitte nahmen. Dieſes leiſtete keinen Widerſtand, zeigte aber doch ſein Unbehagen dadurch an, daß es fortwährend einen Fuß um den anderen hob. Raughanie kroch jetzt herbei und hielt mit beiden Händen die Schleife offen, deren anderes Ende an Siribeddis Halsband befeſtigt war, und lauerte nun den Augenblick ab, wo der wilde Elefant ſeinen Hinterfuß erhob; endlich gelang es ihm, die Schlinge über das Bein zu bringen, er zog ſie an und floh nun rückwärts. Die beiden zahmen Elefanten wichen augenblicklich zurück. Siribeddi ſpannte das Seil zur vollen Länge704Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.an, und während ſie den Gefangenen von der Herde abzog, ſtellte ſich der andere zahme zwiſchen Siribeddi und die Herde, um jede Einmiſchung zu verhindern.

Nun war der Gefangene aber an einem Baum feſtzumachen und mußte deswegen 30 oder 40 Ellen weit rückwärts gezogen werden, während er doch wüthend widerſtand, unabläſſig voll Entſetzen brüllte, nach allen Seiten hinſprang und die kleineren Bäume wie Schilf zertrat. Siribeddi zog ihn ſtetig nach ſich, und wand das Seil um den geeigneten Baum, wobei ſie es fortwährend in voller Spannung erhielt. Schließlich ſchritt ſie behutſam über das Seil hinweg, um es ein zweites Mal um den Stamm zu wickeln, wobei ſie denn natürlich zwiſchen dem Baum und den Elefanten durch - zugehen hatte. Es war ihr jedoch nicht möglich, den Gefangenen dicht an den Baum zu feſſeln, was indeß nöthig war. Der zweite zahme aber, der die Schwierigkeit bemerkte, kam ihr zu Hilfe, und Schulter an Schulter, Kopf an Kopf drängte er den Gefangenen rückwärts, während Siribeddi bei jedem ſeiner Schritte das ſchlaff gewordene Seil anzog, bis er richtig am Fuße des Baumes feſt ſtand. Dann wurde er von dem Fänger feſt gemacht. Eine zweite Schlinge wurde nunmehr um das andere Hinterbein gelegt, und ſo wie die erſte am Baume befeſtigt. Endlich wurden beide Beine mit geſchmeidigeren Stricken zuſammengefeſſelt, um die Wunden und die Eiterung weniger gefährlich zu machen.

Wiederum ſtellten ſich nun die beiden Fängerelefanten neben den Gefangenen wie zuvor, ſo daß Raughanie unter ihrem Leibe hervor ſeine Schlingen auch um die beiden Vorderfüße des wilden befeſtigen konnte. Nachdem er dann auch dieſe Seile an einen hervorſtehenden Baum gebunden hatte, war der Fang vollſtändig, und die zahmen Elefanten und die Wärter verließen ihr Opfer, um es mit einem anderen Gliede der Herde zu verſuchen. Solange die beiden zahmen neben ihm ge - ſtanden hatten, blieb das arme Thier verhältnißmäßig ruhig und faſt widerſtandslos unter ſeinen Leiden. Aber den Augenblick, wo ſie weggingen und es ganz allein gelaſſen war, begann es die erſtaunlichſten Anſtrengungen, um ſich frei zu machen und wieder zu ſeinen Gefährten zu kommen. Es befühlte die Stricke mit ſeinem Rüſſel und verſuchte die unzähligen Knoten aufzuknüpfen; es zog nach hinten, um ſeine Vorderfüße zu befreien; dann lehnte es ſich vorwärts, um die Hinterbeine los zu bekommen, ſo daß jeder Aſt des großen Baumes erzitterte. Es kreiſchte in ſeiner Angſt und erhob den Rüſſel hoch in die Luft, dann legte es ſich ſeitwärts mit dem Kopfe auf den Boden und preßte ſeinen zuſammengebogenen Rüſſel, als ob es ihn in die Erde ſtoßen wollte. Dann ſprang es plötzlich wieder auf und erhob ſich auf Kopf und Vorderbeinen frei in die Höhe. Dieſes traurige Schauſpiel währte mehrere Stunden. Es hielt mitunter in offenbarem Hinbrüten inne, erneuerte dann plötzlich die Anſtrengungen; nur zuletzt aber gab es ihn hoffnungslos auf und ſtand dann voll - kommen regungslos, ein Bild der Erſchöpfung und Verzweiflung. Unterdeſſen ſtellte ſich Raughanie vor der Schaubühne des Statthalters auf, um die gewohnte Belohnung für das Feſſeln des erſten Elefanten in Empfang zu nehmen. Ein Platzregen von Rupien belohnte ihn, und er ging aufs neue an ſein gefährliches Amt.

Die Herde ſtand in einer gedrängten Maſſe mürriſch und unruhig. Mitunter trieb den einen oder den anderen die Ungeduld, ein paar Schritte zu thun und Umſchau zu halten; dann folgten die anderen, erſt langſam, dann ſchneller, und zuletzt ſtürmte die ganze Herde wüthend zum erneuten Angriff auf das Pfahlwerk. Dieſe erfolgloſen Angriffe waren eben ſo großartig, wie lächerlich; die Anſtrengung der rieſigen Kraft ihrer gewaltigen Glieder, gepaart mit dem faſt lächerlichen Wackeln ihres ſchwerfälligen Schrittes und der Wuth ihrer anſcheinend unwiderſtehlichen Angriffe verwandelte ſich einen Augenblick ſpäter in einen furchtſamen Rückzug. Sie ſtürzten wie toll die Einfriedigung hinunter, den Rücken gekrümmt, den Schwanz erhoben, die Ohren ausgebreitet, den Rüſſel hoch über den Kopf erhoben, ſchrillend, trompetend und kreiſchend: und wenn ein Schritt mehr das Pfahlwerk zu Trümmern zerſchmettert haben würde, da blieben ſie plötzlich vor einigen weißen Stäbchen ſtehen, die ihnen durch das Gitter entgegengehalten wurden! Und wenn ſie dann das verhöhnende Geſchrei der Menge draußen vernahmen, verſchwanden ſie, vollſtändig705Die Elefanten.aus der Faſſung gebracht, durchkreiſten den Corral ein oder ein paar Mal und gingen wieder langſam an ihren Standplatz im Schatten. Die Maſſe der Wächter, welche namentlich aus Knaben und jungen Männern beſtand, legte aber auch wirklich eine erſtaunliche Ausdauer und Unermüdlich - keit an den Tag. Sie ſtürzten immer wieder nach dem Punkte hin, der von den Elefanten be - droht ſchien, und hielten den Rüſſeln ihre Stäbe entgegen, wobei ihr ununterbrochenes Geſchrei: Huub, Huub ertönte und die Thiere unabänderlich in die Flucht trieb.

Das zweite von der Herde getrennte Opfer, ein weiblicher Elefant, wurde auf dieſelbe Weiſe feſtgemacht, wie das erſte. Als dieſem Thiere die Schlinge an den Vorderfuß gelegt wurde, ergriff es dieſelbe mit ſeinem Rüſſel, und es gelang ihm, ſie in den Mund zu bringen, wo ſie ſich ſchleu - nigſt getrennt haben würde, hätte nicht ein zahmer Elefant ſeinen Fuß auf das Seil geſetzt und ſo die Schlinge niedergedrückt und ſeinen Kinnladen entriſſen. Die Fänger wählten nun immer zu - nächſt dasjenige Thier, das bei den nachfolgenden Angriffen auf die Einpfählung den Führer gemacht hatte, und der Fang eines jeden erforderte durchſchnittlich nicht mehr als dreiviertel Stunden.

Höchſt merkwürdig iſt es, daß bei dieſem Kampfe die wilden Elefanten keinen Verſuch machten, die Leiter, welche auf den zahmen Thieren ritten, anzugreifen oder herunterzuziehen. Dieſe ritten gerade mitten in die Herde hinein, aber kein Thier machte einen Verſuch, ſie zu beläſtigen. (Major Skinner ſagt in einem Briefe: Es ſcheint, daß man in einem Corral vollſtändig vor den Angriffen der wilden geſichert iſt, ſobald man auf einem zahmen Elefanten ſitzt. Jch ſah einſt den alten Häuptling Mollegadde in eine Herde wilder Elefanten hineinreiten, und zwar auf einem ſo kleinen Elefanten, daß der Kopf des Häuptlings in gleicher Höhe mit dem Rücken der wilden Thiere war. Jch war ſehr beſorgt um den Mann, aber er blieb ohne alle Beläſtigung.)

Da der Herde alle ihre Führer nach einander weggefangen wurden, ſo wuchs die Aufregung der anderen immer mehr. Wie groß aber auch ihre Theilnahme für die verlorenen Gefährten ſein mochte: ſie wagten doch nicht, ihnen zu den Bäumen zu folgen, an welchen ſie angebunden waren. Wenn ſie nachher an ihnen vorüberkamen, ſo blieben ſie manchmal ſtehen, umſchlangen einander mit dem Rüſ - ſel, leckten ſich an Hals und Gliedern und legten die rührendſte Trauer über ihre Gefangenſchaft an den Tag, machten aber keine Verſuche, die Seile zu löſen, welche ſie banden. Die Charakterverſchieden - heit der einzelnen Thiere zeigte ſich ſehr deutlich in ihrem Benehmen. Einige ergaben ſich mit ver - hältnißmäßig geringem Widerſtande und warfen ſich in ihrer Wuth mit ſolcher Gewalt zu Boden, daß jedes andere ſchwächere Thier dabei ſeinen Tod gefunden hätte. Sie ließen ihren Zorn an jedem Baume, an jeder Pflanze aus, die ſie erreichen konnten. War ſie klein genug, um niederge - riſſen zu werden, ſo machten ſie dieſelbe mit ihrem Rüſſel dem Boden gleich, ſtreiften die Blätter und Zweige ab und ſtreuten dieſe wild nach allen Seiten über ihre Köpfe hin. Einige gaben bei ihrem Kampfe keinen Ton von ſich, während andere wüthend trompeteten und brüllten, dann wohl ein kurzes, krampfhaftes Gekreiſch ausſtießen und zuletzt erſchöpft und hoffnungslos nur noch dumpf und kläglich ſtöhnten. Manche blieben nach einigen heftigen Verſuchen regungslos auf dem Boden liegen, und nur die Thränen, welche unaufhörlich aus ihren Augen floſſen, ſprachen aus, was ſie duldeten. Andere machten in der Kraft ihrer Wuth die erſtaunlichſten Windungen und Verrenkungen und uns, die wir bei dem unbehilflichen Körper des Elefanten unbedingt an Steifheit denken, uns erſchienen die Stellungen, in welche ſie ſich drängten, geradezu unglaublich. Jch ſah einen liegen, der die Wangen an die Erde drückte, die Vorderfüße vor ſich hingeſtreckt hatte, während der Körper ſo herumgebogen war, daß die Hinterfüße nach der entgegengeſetzten Seite hinausragten.

Es war höchſt wunderbar, daß ihre Rüſſel, die ſie doch ſo gewaltig nach allen Seiten ſchleu - derten, nicht verletzt wurden. Einer wand ihn ſo, daß er den Krümmungen eines rieſigen Wurmes ähnlich ſah. Mit raſtloſer Schnelligkeit zog er ihn ein und ſtieß ihn aus, legte ihn, wie eine Uhr - feder, zuſammen und ſchoß ihn dann plötzlich wieder in voller Länge aus; ein anderer, der ſonſt ganz regungslos dalag, ſchlug langſam den Boden mit der Spitze ſeines Rüſſels, wie ein Mann in Verzweiflung wohl mit der flachen Hand auf ſein Knie ſchlägt.

Brehm, Thierleben. II. 45706Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.

Die Empfindlichkeit ihres Fußes war bei ſo plumpen Verhältniſſen und einer ſolchen Dicke der Haut äußerſt auffallend. Die Fänger konnten ſie jeden Augenblick dazu zwingen, den Fuß zu heben, ſobald ſie ihn nur mit einem Blatte oder Zweige kitzelten. Die Anlegung der Schlinge be - merkte das Thier augenblicklich, und wenn es dieſelbe mit dem Rüſſel erreichen konnte, ſo näherte es den anderen Fuß, um ſie womöglich ſchnell abzuſtreifen.

Eins war faſt bei Allen zu bemerken: ſie zertrampelten den Boden mit ihren Vorderfüßen und nahmen mit einer Wendung ihres Rüſſels die trockene Erde oder den Sand auf, und beſtreuten ſich damit geſchickt über und über. Dann führten ſie die Spitze des Rüſſels in den Mund und entnah - men das Waſſer, welches ſie über ihren Rücken ausgoſſen; Dies wiederholten ſie ſo oft, bis der Staub gewöhnlich durchnäßt war. Jch verwunderte mich über die Menge Waſſer, die ſie dazu ver - wendeten, denn ſie bekleideten ſich förmlich mit einem dünnen Schlammmantel, und hatten nun doch ſeit vierundzwanzig Stunden keinen Zugang zum Waſſer gehabt und waren von Kampf und Schrecken erſchöpft. Man kann ſich darnach denken, welchen Vorrath von Feuchtigkeit der an ſeinem Magen angefügte Behälter auffaſſen kann.

Wirklich bewunderungswerth war das Benehmen der zahmen Elefanten. Sie bewieſen das vollkommenſte Verſtändniß jeder Bewegung, des erſtrebten Zieles und der Mittel, es zu erreichen. Offenbar machte ihnen die Sache ungemeines Vergnügen. Es war keine böſe Stimmung, kein Uebelwollen in ihnen: ſie ſchienen die ganze Sache als einen angenehmen Zeitvertreib zu betrachten. Ebenſo merkwürdig wie ihre Klugheit war aber auch ihre Vorſicht. Uebereilung oder Verwirrung kam nie vor. Nie verwickelten ſie ſich in die Seile, nie kamen ſie den gefeſſelten in den Weg, und mitten in den heftigſten Kämpfen, wo die zahmen oft über die gefangenen wegzuſteigen hatten, traten ſie weder auf dieſe, noch fügten ſie ihnen das geringſte Leid zu, vielmehr ſuchten ſie aus freien Stücken jede Schwierigkeit oder Gefahr für dieſelben zu beſeitigen. Mehr als ein Mal, wenn ein wilder ſeinen Rüſſel ausſtreckte, um das Seil aufzufangen, das um ſein Bein gewickelt werden ſollte, ſchob Siribeddi ſeinen Rüſſel ſchnell bei Seite. Ein Elefant, der ſchon an einem Fuße gefeſſelt war, ſetzte den anderen immer weislich feſt auf den Boden, ſo oft man verſuchte, die Schlinge darum zu legen. Da lauerte Siribeddi die Gelegenheit ab, als jener den Fuß wieder erhob, ſchob geſchwind ihr eigenes Bein darunter und hielt es in die Höhe, bis die Schlinge angelegt und zugezogen war. Es ſchien faſt, als ob ſie mit der Furcht der wilden ihr Spiel trieben und ihren Widerſtand verſpotteten. Drängten die wilden ſich zurück, ſo ſchoben ſie ſie vorwärts; wollten ſie erzürnt eine andere Richtung einſchlagen, ſo trieben jene ſie zurück. Warfen ſie ſich nieder, ſo ſtemmte ſich ein zahmer mit Kopf und Schulter dagegen und zwang ſie wieder in die Höhe. War es aber nöthig, ſie niederzuhalten, ſo kniete er auf ſie und hielt ſie nieder, bis die Seile feſt gemacht waren. Nur der Fänger, der beſonders gute Dienſte lei - ſtete und vor dem ſich die wilde Herde ganz vorzüglich zu fürchten ſchien, hatte Stoßzähne, brauchte ſie aber durchaus nicht zum Verwunden, ſondern drängte ſich mit ihnen zwiſchen zwei Elefanten hin - ein, wo er den Kopf nicht hätte hineinbringen können, und benutzte ſeine Zähne außerdem, die Ge - fallenen oder Widerſpenſtigen mit größerer Bequemlichkeit aufzuheben. Mehrere Male, als die Ver - mittelung der anderen zahmen Elefanten nicht genügte, um einen wilden zur Ordnung zu bringen, ſchien die bloſe Annäherung dieſes Stoßzahnträgers Furcht einzuflößen und Unterwürfigkeit zu erzwingen.

Vielleicht wurde der Muth und die Geſchicklichkeit der Menſchen durch die überraſchenden Eigenſchaften der zahmen Elefanten in den Schatten geſtellt. Gewiß beſaßen die erſteren ein ſchnelles Auge, das die geringſte Bewegung des Elefanten erlauerte, und großes Geſchick, die Schlingen überzuwerfen und ſchnell zu befeſtigen; jedoch hatten ſie dabei ſtets den Schutz der zahmen Elefanten, ohne welchen auch die kühnſten und geſchickteſten Jäger Nichts in einem Corral ausrichten würden.

Von den beiden jungen Elefanten war der eine etwa zehn Monate, der andere etwas älter. Der kleinere hatte einen kolbigen Kopf mit wolligen, braunen Haaren bedeckt und war die be - luſtigendſte und anziehendſte Taſchenausgabe eines Elefanten, die man ſich denken kann. Bei jedem707Die Elefanten.Angriff auf die Einfriedigung trabten ſie beide der Herde nach. Standen die anderen ruhig, ſo liefen ſie den älteren zwiſchen den Beinen umher. Als die Mutter des jüngſten gefangen wurde, hielt ſich das kleine Geſchöpf neben ihr, bis ſie dicht an den verhängnißvollen Baum gezogen war. Anfangs waren die Männer von ſeinem Aerger mehr beluſtigt; bald aber fanden ſie, daß es durch - aus nicht zugab, ſeiner Mutter die zweite Schlinge anzulegen. Es lief dazwiſchen hinein, griff nach dem Seile, ſtieß und ſchlug ſie mit ſeinem Rüſſel, und ſie mußten es endlich zur Herde zurück - treiben. Langſam zog es ſich zurück, fortwährend brüllend und ſich bei jedem Schritte umſehend: dann machte es ſich an das größte Weibchen, das noch unter der Herde war, ſtellte ſich zwiſchen deſſen Vorderfüße, während dieſes es mit ſeinem Rüſſel liebkoſte und ihm zuzureden ſchien. Hier blieb es ſtöhnend und wehklagend, bis die Fänger ſeine gefeſſelte Mutter ſich ſelbſt überlaſſen hatten. Dann kehrte es augenblicklich zu dieſer zurück. Da es aber wieder ſtörend wurde und jeden Vorbei - gehenden angriff, ſo wurde es endlich nebſt dem anderen Jungen an einen nahen Baum gebunden. Letzteres hatte ſich übrigens beim Fange ſeiner Alten ganz ebenſo benommen. Die beiden Jungen waren die Luſtigſten der ganzen Geſellſchaft. Jhr Geſchrei nahm kein Ende und Jeden, der in ihre Nähe kam, ſuchten ſie zu packen. Jhre Wendungen erregten ganz beſonders Erſtaunen, da ihr Körper noch ſehr geſchmeidig war. Das Beluſtigendſte war, daß die kleinen Burſchen mitten in all ihrer Noth und Betrübniß doch alles Eßbare, was ihnen zugeworfen wurde, ſchleunigſt ergriffen und dann gleichzeitig brüllten und fraßen.

Unter den letzten, welche eingefangen wurden, befand ſich auch der Landſtreicher. Obgleich er viel wilder war, als die anderen, verband er ſich doch nicht mit ihnen zum Angriff gegen die Ein - friedigung, da ſie ihn einmüthig von ſich trieben und ihn nicht in ihren Kreis aufnahmen. Als er neben einem ſeiner Unglücksgefährten vorbeigeſchleppt wurde, ſtürzte er auf ihn zu und ſuchte ihn mit ſeinen Zähnen zu durchbohren. Dies war auch das einzige Beiſpiel von Böswilligkeit, welches ſich während dieſes Vorfalls im Corral zeigte. Als er überwältigt war, zeigte er ſich erſt lärmend und ungeſtüm, legte ſich aber bald friedlich nieder, ein Zeichen, wie die Jäger ſagten, daß ſein Ende nahe war. Etwa zwölf Stunden lang deckte er ſich noch ununterbrochen mit Staub, wie die anderen, und befeuchtete dieſen mit Waſſer aus ſeinem Rüſſel; endlich aber lag er erſchöpft da und ſtarb ſo ruhig, daß der Eintritt ſeines Todes nur durch das Heer von ſchwarzen Fliegen bemerklich wurde, von welchem ſein Körper faſt augenblicklich bedeckt wurde, obſchon wenige Minuten vorher nicht eine ſichtbar geweſen. Der Leichnam wurde losgebunden und zwei zahme Elefanten zogen ihn hinaus.

Als endlich ſämmtliche Elefanten gefeſſelt waren, vernahm man aus der Entfernung die Töne einer Flöte. Sie wirkten auf mehr als Einen ganz wunderſam. Die Thiere wandten den Kopf nach der Richtung, wo die Muſik herkam, und ſpannten ihre breiten Ohren: der klägliche Laut beſänf - tigte ſie offenbar. Nur die Jungen brüllten noch nach Freiheit, ſtampften mit den Füßen, blieſen Staubwolken über ihre Schultern, ſchwangen ihre kleinen Rüſſel hoch empor und griffen Jeden an, den ſie erreichen konnten.

Anfangs verſchmähten die älteren Thiere jedes angebotene Futter, traten es unter die Füße und wandten ſich verächtlich ab. Einige konnten, als ſie ruhiger wurden, der Verſuchung eines ſaftigen Bäumchens nicht mehr widerſtehen, ſondern rollten ihn unter den Füßen, bis ſie die zarten Zweige abgelöſt hatten, hoben ſie dann wieder mit ihrem Rüſſel auf und kauten ſie ſorglos.

Wenn die Klugheit, die Ruhe und die Gelehrigkeit der Lockthiere lebhaftes Erſtaunen erregte, ſo mußte man andererſeits auch das würdige Benehmen der Gefangenen bewundern. Jhr ganzes Betragen ſtand im Widerſpruch mit den Schilderungen, welche manche Jäger geben, die ſie als falſch, wild und rachſüchtig darſtellen. Wenn die Thiere freilich von den Gewehren ihrer Verfolger gequält werden, ſo wenden ſie natürlicherweiſe ihre Stärke und ihre Klugheit dazu an, daß ſie zu entkommen oder zu vergelten ſuchen. Hier im Corral aber zeigte jede ihrer Bewegungen von Un - ſchuld und Schüchternheit. Nach einem Kampfe, in welchem ſie keine Neigung zur Gewaltthätigkeit45*708Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.oder Rache ſehen ließen, unterwarfen ſie ſich endlich mit der Ruhe der Verzweiflung. Erbarmend war ihre Stellung, rührend ihr Schmerz, ihr dumpfes Stöhnen zum Herzen gehend. Wären ſie mit unnöthiger Quälerei gefangen worden oder wären ſie einer übeln Behandlung entgegengegangen, es wäre geradezu unerträglich geweſen.

Jn ähnlicher Weiſe, wie die erſte Herde, wurden dann auch die anderen nach und nach ein - getrieben, bald mit vollerem, bald mit geringerem Erfolge. Der Eintritt der neuen Gäſte in den Corral beunruhigte natürlich die bereits gefangenen nicht wenig. Die zweite Herde kam nun aber bei Tageslicht hinein, und ihre Angriffe waren daher noch viel entſchiedener, als die der erſten. Sie wurde von einem weiblichen Elefanten, der ziemlich neun Fuß hoch war, angeführt, und dieſes muthige Thier konnte bei einem Angriffe auf die Umfriedigung, da alle weißen Stäbe Nichts mehr halfen, nur dadurch zurückgetrieben werden, daß ihm ein Jäger eine lodernde Fackel an den Kopf warf. Um die bereits gefangenen kümmerten ſich die ſpäter gekommenen nicht, ſondern ſtürzten öfters wie toll über deren Körper dahin. Die oben erwähnte weibliche Führerin wurde natürlich zu - erſt erkoren. Als ſie die Schlinge am Hinterfuße hatte, zeigte es ſich, daß ſie für Siribeddi zu ſtark war. Da dieſe fühlte, daß ihre Kraft nicht hinreichte, die widerſtrebende Beute an den beſtimmten Ort zu bringen, ſo kniete ſie nieder, um ihr Ziehen durch das volle Gewicht ihres Körpers zu ver - ſtärken. Der Stoßzähner aber, der wohl ſah, wie ſauer ſie ſich es werden ließ, ſtellte ſich vor die Gefangene und trieb ſie Schritt für Schritt rückwärts, bis ſie glücklich an den Baum gebracht und feſtgebunden war.

Das letzte war, die Seile minder ſtraff zu machen, welche die Beine der Gefangenen feſſelten; dann führte man jeden zum Fluſſe. Zwei zahme mit ſtarken Halsbändern traten ihm zur Seite; dem Neugefangenen legte man ein gleich ſtarkes Halsband aus Kokosnußfäden an, band dann alle drei zuſammen, wobei der zahme Elefant mitunter ſeinen Rüſſel brauchte, um den Arm ſeines Rei - ters vor dem Rüſſel des Gefangenen zu ſchützen, der ſich natürlich das Seil nicht gern um den Hals legen ließ. Nachdem Dies geſchehen war, wurden die Schlingen von ſeinen Beinen abgenom - men und er zum Fluſſe geleitet, wo er ſich baden durfte, ein Genuß, den Alle gierig ergriffen. Dann wurde jeder an einen Baum im Walde feſtgemacht und ihm ſeine Wärter zugewieſen, die ihn reichlich mit ſeinem Lieblingsfutter verſorgten.

Die Zähmung des Elefanten iſt ziemlich einfach. Nach etwa drei Tagen beginnt er ordentlich zu freſſen, und bekommt dann in der Regel einen zahmen zum Geſellſchafter. Zwei Männer beginnen ihm den Rücken zu ſtreicheln und ihm in ſanften Tönen zuzureden. Anfangs iſt er wüthend und ſchlägt mit ſeinem Rüſſel nach allen Seiten; vorn aber ſtehen andere Männer, welche alle ſeine Schläge mit der Spitze ihrer Eiſenſtangen auffangen, bis das Vorderende des Rüſſels ſo wund wird, daß das Thier ihn endlich einzieht und dann ſelten wieder zum Angriffe benutzt. So lernt er zuerſt die Macht des Menſchen fürchten, dann helfen die zahmen Elefanten ſeine Erziehung weiter führen. Jn etwa drei Wochen bringt man das Thier ſoweit, daß es ſich im Waſſer niederlegt, ſobald die Spitze der eiſernen Ruthe ihm droht, die ihn vorher öfters am Rücken verwundet hatte.

Sehr ſchwierig iſt es, die Wunden zu heilen, die auch die weichſten Seile an ſeinen Beinen hervorbringen. Die Wunden eitern oft viele Monate lang, und manchmal vergehen Jahre, ehe der Elefant bei einer Berührung der Füße ruhig bleibt.

Während ihre Größe keinen beſonderen Einfluß auf die Dauer ihrer Abrichtung zu haben ſcheint, ſind die Männchen gewöhnlich ſchwieriger zu behandeln, als die Weibchen. Die, welche anfangs die heftigſten und widerſpenſtigſten ſind, werden am ſchnellſten und wirkſamſten gezähmt und bleiben gewöhnlich gehorſam und unterwürfig; die mürriſchen oder tückiſchen aber ſind langſamer ab - zurichten, und es iſt ihnen ſelten zu trauen. Ueberhaupt darf man einen gefangenen Elefanten nie mit unbegrenztem Zutrauen begegnen. Auch die zahmſten und ſanfteſten bekommen mitunter Anfälle von Halsſtarrigkeit, und ſelbſt nach jahrelangem Gehorſam macht ſich ihre Reizbarkeit und Rachſucht doch bemerklich.

709Die Elefanten.

Jm allgemeinen kann die Gegenwart der zahmen Elefanten nach zwei Monaten entbehrt und der eingefangene darf dann vom Cornac allein geritten werden; nach drei bis vier Mo - naten läßt er ſich zur Arbeit verwenden; nur darf man ihn nicht zu zeitig dazu bringen, da es oft vorgekommen iſt, daß ein werthvolles Thier beim erſten Mal Anſchirren ſich niedergelegt hat und geſtorben iſt, die Einwohner ſagen am gebrochenen Herzen geſtorben iſt , jedenfalls ohne daß irgend eine Urſache nachgewieſen werden könnte. Gewöhnlich läßt man den Elefanten Lehm tragen oder ihn in Gemeinſchaft mit einem zahmen einen Wagen ziehen. Am ſchätzbarſten wird er jedoch durch Herbeiſchaffung ſchwerer Bauſtoffe, Balken oder Steine, wobei er Einſicht und Geſchick in hohem Grade beweiſt und ſtundenlang ohne irgend einen Wink ſeines Aufſehers arbeitet; indeß läßt ſein Eifer nach, wenn er ſich unbeobachtet glaubt.

Was man von der Vorliebe des Elefauten für eine einmal angenommene Ordnung der Zeit oder ſeiner Arbeitsweiſe oft behauptet hat, iſt nach Tennent’s Beobachtungen ungenau. Er iſt auch in dieſer Beziehung ſo gefügig, wie etwa ein Pferd. Sein Gehorſam gegen ſeinen Treiber gründet ſich ſowohl auf Furcht, als auf Liebe, und obſchon er dem einen oft ſehr zugethan iſt, ge - wöhnt er ſich doch auch leicht an einen anderen, falls dieſer ihn nur ebenſo freundlich behandelt, wie der frühere. Die Stimme des Führers reicht hin, den Elefanten in ſeinen Verrichtungen zu leiten. Wenn zwei eine gemeinſame Arbeit verrichten ſollen, laſſen ſich ihre Bewegungen leicht durch eine Art Geſang in Einklang bringen.

Die größte Probe ſeines Gehorſams legt der Elefant ab, wenn er auf Geheiß ſeines Wärters die ekelhaften Arzneien der Elefantenärzte verſchluckt, oder wenn er ſchmerzvolle chirurgiſche Verrich - tungen an ſich vornehmen laſſen muß.

Als Laſtthier muß der Elefant zart behandelt ſein, denn ſeine Haut iſt äußerſt empfindlich und Eiterungen und dergleichen ausgeſetzt. Ebenſo bekommt er leicht böſe Füße und iſt dann monatelang nicht zu brauchen. Auch von Augenentzündungen iſt er häufig heimgeſucht, und gerade in dieſer Beziehung leiſten die Elefantenärzte wirklich ſoviel, daß ſie ſeit den Zeiten der alten Grie - chen berühmt geworden ſind. An der Viehſeuche leiden wilde und zahme Elefanten gleich ſtark.

Von 240 Elefanten, welche der Regierung von Ceylon gehörten und zwiſchen 1831 bis 1856 ſtarben, war bei 138 die Dauer ihrer Gefangenſchaft aufgezeichnet worden. Jm erſten Jahre derſelben ſtarben 72 (29 männliche und 43 weibliche), zwiſchen dem erſten und zweiten Jahre 5 männliche und 9 weibliche. Die längſte Dauer der Gefangenſchaft zeigte ſich bei einem Weibchen, welches faſt 20 Jahre aushielt. Von 72, welche im erſten Jahre ihres Dienſtes ſtarben, ver - ſchieden 35 innerhalb der erſten ſechs Monate ihrer Gefangenſchaft, darunter viele in der unerklär - lichen Weiſe, die wir oben andeuteten: nämlich, daß ſie ſich plötzlich hinlegten und verſchieden. Negelmäßiges Baden ſcheint ihnen ſehr zuträglich zu ſein; ebenſo iſt es gut für ſie, wenn ſie mit den Füßen im Waſſer oder in feuchter Erde ſtehen.

Die alte Angabe, daß der Elefaut ein Alter von 200 bis 300 Jahren erreiche, wird durch ein - zelne Beiſpiele auf Ceylon allerdings beſtätigt, wo einzelne in der Gefangenſchaft länger als 140 Jahre zugebracht haben. Jndeß glaubt man jetzt, daß ihre eigentliche Lebensdauer etwa 70 Jahre betrage. Der Glaube an ihr faſt unbegrenztes Alter kommt jedenfalls daher, daß der Leichnam ſelten oder nie in den Wäldern gefunden wird. Nur nach einer verheerenden Seuche fanden ſich ſolche vor. Ein Europäer, der 36 Jahre lang ununterbrochen in dem Dſchungel gelebt und die Elefanten fleißig beobachtet hat, pflegte oft ſeine Verwunderung auszuſprechen, daß er, der doch viele Tauſende lebendiger Elefanten geſehen, noch nie das Geripp eines einzigen todten gefunden habe, ausgenommen ſolche, die durch eine Krankheit gefallen waren. Dieſe Bemerkung gilt übrigens nur von den Elefanten auf Ceylon; denn in Afrika werden die Gebeine der in den Hölzern geſtorbenen Elefanten häufig gefunden. Der Eingeborene in Ceylon glaubt, daß jede Elefanten - herde ihre Todten begrabe. Außerdem behauptet er auch, daß der Elefant, der ſeinen Tod heran -710Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Elefanten.nahen fühle, ſtets ein einſames Thal zu ſeinem Sterbeplatze erwähle, welches zwiſchen den Bergen öſtlich von Adams Peak liegt und einen klaren See umſchließt.

Fragt man, ob es zweckmäßig iſt, einen Marſtall von Elefanten z. B. auf Ceylon zu halten, ſo muß geantwortet werden: daß ſie allerdings in den noch unbebauten Landtheilen von Nutzen ſind, wo Wälder nur durch rauhe Pfade durchſchnitten werden und Flüſſe zu durchkreuzen ſind; in Gegen - den aber, wo Ochſen und Pferde zum Zuge angewendet werden können, darf ſicher die koſtbare Ver - wendung der Elefanten ſehr eingeſchränkt, wenn nicht ganz entbehrt werden.

Nach Europa kommen gegenwärtig faſt ausſchließlich indiſche Elefanten, während früher hier auch die afrikaniſchen, und vielleicht häufiger noch, als jene, geſehen wurden. Der Grund, warum ſo wenige Elefanten auch aus Afrika zu uns gelangen, iſt leicht einzuſehen, wenn man bedenkt, daß gegenwärtig die Afrikaner wohl mit dem Feuergewehr jagen, nicht aber Fanganſtalten treffen, nach Art der Jndier. Daß ſich der afrikaniſche Elefaut in demſelben Grade zähmen läßt, wie der indiſche, wußten bereits die alten Römer und Karthager. Wir haben aber neuerdings das Thier auch zwei Mal bei uns geſehen und es als durchaus liebenswürdiges Geſchöpf kennen gelernt. Der eine der jungen afrikaniſchen Elefanten, welcher zu uns gelangte, wurde in den Barkaländern gefangen und von dem Thierbudenbeſitzer Caſanova zu uns gebracht. Er hatte ſich ſehr raſch an ſeinen Gebieter gewöhnt und zeigte ſich bereits nach wenigen Tagen ſo zutraulich, daß er frei im Hofe umherlaufen durfte. Später folgte er ſeinem Pfleger auf dem Fuße nach, auch ins Freie, und bereits nach Mo - natsfriſt konnte er als gezähmt angeſehen werden. Auf der zweiundfunfzigtägigen Reiſe vom Jnneren des Landes bis zur Küſte lief der Elefant, nach Caſanova’s Ausſpruch, wie ein Hündchen hinter dem Herrn her.

Das mir und anderen Naturforſchern höchſt anziehende Thier wurde zunächſt in Leipzig zur Schau geſtellt und hier von Kreuzberg angekauft, welcher es noch beſitzt. Es hat inzwiſchen gelernt, verſchiedenen Befehlen zu gehorchen, ſo namentlich auf Zuruf die gewaltigen Ohren, ſein bezeichnen - des Merkmal, aufzuklappen oder den Beſchauern zu zeigen. Jn allen übrigen Stücken ähnelt es jungen indiſchen Elefanten derſelben Größe ſo, daß ich wenigſtens keinen Unterſchied habe wahr - nehmen können.

Ueber die Jagd des Elefanten habe ich nach dem bereits Mitgetheilten kaum noch Etwas hinzu - zufügen. Sie kann dem wahren Waidmann wenig Freude gewähren und iſt höchſtens mit dem Wall - fiſchfang oder der Robbenſchlächterei auf ein und dieſelbe Stufe zu ſtellen. Die Ausſicht auf Gewinn iſt die hauptſächlichſte Triebfeder des Jägers, welcher, wenn er Glück hat, mit einem einzigen Schuffe eine nicht unbeträchtliche Geldſumme erwerben kann; denn das Elfenbein ſteht gegenwärtig auch im Jnneren Afrikas hoch im Preiſe. Früher benutzten die innerafrikaniſchen Fürſten Elefanten - zähne, um ihre Strohpaläſte mit ihnen zu umzäunen; gegenwärtig dürften dieſe koſtbaren Umfrie - digungen ſelten geworden und nach Europa gewandert ſein. Von dem Elfenbein, welches wir gegen - wärtig bei uns verarbeiten, ſtammt ein guter Theil aus Afrika, kaum weniger aus Sibirien, von den vorweltlichen Arten nämlich, und der geringſte Theil endlich aus Jndien. Die Negerländer im oberen Nilgebiete führen alljährlich eine bedeutende Menge des koſtbaren und von Jahr zu Jahr im Preiſe ſteigenden Stoffes aus. Die größte Handelsſtadt des inneren Afrikas, Chartum, die Haupt - ſtadt Kordofahns, Obëid, und die Hafenſtadt Maſſana am rothen Meer, ſind zur Zeit wichtige Stapelplätze für dieſen Handel. Von den erſten beiden Plätzen aus werden alljährlich Jagdreiſen in das obere Flußgebiet des weißen Stromes unternommen und mehrere Karavanen nach Egypten hin mit der gewonnenen Waare befrachtet. Von Maſſaua aus wird vornehmlich das in Abiſſinien und in den Barkaländern erbeutete Elfenbein verſchifft, und zwar zunächſt nach Jndien, weshalb auch die von dort kommende Menge größer iſt, als ſie ſein könnte, wenn nur die Zähne des indiſchen Elefanten in den Handel kämen. Sehr bedeutende Geſchäfte werden alljährlich in Berbera gemacht, jenem eigenthümlichen Marktplatze, Aden gegenüber, welcher nur zeitweilig von Kaufleuten be - ſucht und bewohnt wird, ſonſt aber wüſt iſt. Jn den letzten Jahren hat ſich auch Sanſebar zum711Die Tapire.Stapelplatz für Elfenbein aufgeſchwungen, und ganz in der Neuzeit beginnt die Verfolgung des Ele - fanten ſeiner Zähne wegen längs der ganzen Weſtküſte. Noch durchziehen zahlreiche Herden der ſtattlichen Thiere die Wälder Afrikas; aber mehr und mehr lichtet ſie der verfolgende Menſch. Nicht blos im nördlichen Theile Afrikas, ſondern auch in den Kapländern iſt der Elefant bereits ausgerottet, und daſſelbe Schickſal ſteht ihm wenigſtens in allen Küſtengebieten bevor.

Es iſt nicht eben leicht, die Dickhäuter, welche gegenwärtig unſere Erde noch bevölkern, nach Raug und Gebühr zu ordnen. Die Wenigen, welche von den Vielen übrig geblieben ſind, ſtehen ſo vereinzelt da, daß wir eine Reihe nur dann herſtellen können, wenn wir die ausgeſtor - benen Arten mit in ſie hineinziehen. Jn der Vorzeit waren neben den rieſenhaften Geſtalten der Rüſſelträger und Plumpen kleinere und zierlichere Dickhäuter ſehr häufig; gegenwärtig kennen wir außer den Schweinen und den Klippſchliefern blos noch eine einzige Familie, deren Glieder den aus - geſtorbenen ähneln. Es ſind Dies die Tapire (Tapiri), verhältnißmäßig kleine, elefantenartige Thiere, welche aber ebenſogut auch als Mittelglieder zwiſchen dieſen und den Schweinen oder den Nashörnern betrachtet werden können. Viele Naturforſcher ſehen in ihnen nur eine Sippe der Plumpen und ſtellen ſie mit Nashorn und Nilpferd zuſammen; Andere, denen ich mich anſchließe, bilden eine eigene Familie aus ihnen. Sie kennzeichnen ſich durch verhältnißmäßig geringe Größe, einen noch immer wohlgebildeten Leib, mit verlängertem, ſchmächtigen Kopf, ſchlanken Hals, kur - zen Schwanz und mittelhohen, kräftigen Beinen. Die aufrecht ſtehenden Ohren ſind kurz und ziemlich breit, die ſchief liegenden Augen dagegen klein. Die Oberlippe verlängert ſich rüſſelförmig und hängt weit über die Unterlippe herab. Die kräftigen Füße haben vorn vier, hinten drei Zehen. Der Schwanz iſt ein Stummel. Das ſtarke Fell zeigt nirgends Schilder und tiefe Haut - falten, wie ſie bei anderen Dickhäutern vorkommen, ſondern liegt überall glatt auf. Die Behaa - rung iſt kurz, aber dicht; bei den amerikaniſchen Arten verlängert ſie ſich von der Mitte des Hauptes an bis zum Widerriſt mähnenartig. Das Gebiß beſteht aus ſechs Schneidezähnen und einem Eckzahn in jedem Kiefer, ſieben Backzähnen in der oberen und ſechs in der unteren Kinn - lade. Das Geripp, welches mit dem anderer Dickhäuter entſchiedene Aehnlichkeit hat, zeichnet ſich durch verhältnißmäßig leichte Form aus. Die Wirbelſäule beſteht, außer den Halswirbeln, aus 20 rippentragenden, 4 rippenloſen, 7 Kreuzbein - und 12 Schwanzwirbeln; den Bruſtkorb bilden acht Rippenpaare, die übrigen ſind ſogenannte falſche Rippen. Am Schädel überwiegt der lange, ſchmale Antlitztheil den ſehr zuſammengedrückten Hirnkaſten beträchtlich; die frei hervorragenden Na - ſenbeine ſind hoch hinaufgerückt, der breite, ſtarke Jochbogen beugt ſich tief nach vorn hinab, und die großen Augenhöhlen öffnen ſich weit in die tiefen Schläfeugruben.

Von den drei Arten, welche dieſer Familie zugezählt werden, iſt uns wenigſtens eine Art ſchon ſeit längerer Zeit bekannt, während die beiden übrigen Arten erſt in der Neuzeit entdeckt, beſchrieben und bezüglich unterſchieden wurden. Zwei dieſer Arten bewohnen Amerika, die dritte lebt in Jndien und auf ſeinen benachbarten Jnſeln. Auffallenderweiſe iſt der amerikaniſche Tapir zuerſt in den Büchern der Wiſſenſchaft verzeichnet worden; vom indiſchen haben wir erſt zu An - fang dieſes Jahrhunderts Sicheres erfahren. Bekannt war auch er ſchon ſeit langer Zeit, aber freilich nicht uns, ſondern nur den Chineſeu, deren Lehr - und Schulbücher ihn erwähnen. Die dritte Art wurde in den zwanziger Jahren unſeres Jahrhunderts von dem ſogenannten amerika - niſchen Tapir unterſchieden, als deſſen Spielart man ſie früher betrachtet hatte.

Es bekundet ſich hinſichtlich der Tapire daſſelbe Verhältniß, welches wir faſt regelmäßig beob - achten können, wenn eine Familie in der alten und in der neuen Welt vertreten iſt. Die alt -712Die Vielhufer oder Dickhäuter. Der Schabrackentapir.weltlichen Arten ſind edler geſtaltete, falls man ſo ſagen darf, vollkommenere Thiere, als die in der neuen Welt lebenden. Unter den drei Arten, mit welchen wir uns zu beſchäftigen haben, ge - bührt dem indiſchen, oder wie ich ihn nennen will, dem Schabrackentapir, die erſte Stellung. Er hat noch ſoviel von ſeinem edleren Verwandten, dem Elefanten, an ſich, als ein Säugethier haben kann, welches einer anderen Familie angehört.

Der Schabrackentapir, in ſeiner Heimat Maiba, Kuda, Ayer, Tennu, Me, Kuda - Ager, Babi-Alu, Saladang, Gindal ꝛc. genannt (Rhinochoerus indicus), zeichnet ſich vor ſeinen Verwandten aus durch ſeine beträchtlichere Größe, durch den verhältnißmäßig ſchlankeren Leibes -

Der Schabrackentapir (Rhinochocrus indicus).

bau, den im Antlitztheil mehr verſchmächtigten, am Hirntheil aber mehr gewölbten Kopf, durch den ſtärkeren, aber gleichzeitig auch längeren Rüſſel, die kräftigeren Füße, den Mangel der Mähne und endlich durch die Färbung. Beſonders wichtig für die Kennzeichnung des Thieres ſcheint mir der Bau des Rüſſels zu ſein. Während ſich dieſer bei den amerikaniſchen Tapiren deutlich von der Schnauze abſetzt und röhrenförmig gerundet erſcheint, geht die obere Schnauzenhälfte des Scha - brackentapirs unmerklich in den Rüſſel über, welcher daſſelbe Gepräge bekundet, wie der Elefan - tenrüſſel, d. h. auf der Obenſeite ſchön gerundet, auf der Untenſeite hingegen gerade abgeſchnitten iſt. Außerdem zeigt dieſer Rüſſel viel deutlicher, als der ſeiner amerikaniſchen Verwandten, den fingerförmigen Fortſatz, wiederum eine Andeutung an den Elefantenrüſſel.

713Der Schabrackentapir.

Sehr bezeichnend iſt die Färbung des höchſt gleichmäßigen Haarkleides. Ein reines Tief - ſchwarz darf als Grundfarbe angeſehen werden; von ihr hebt ſich, ſcharf abgegrenzt, die graulich - weiße Schabracke lebhaft ab. Kopf, Hals und Vordertheil des Leibes bis hinter die Schulter - blätter, einſchließlich die Beine, ein neun Zoll breiter Streifen, welcher längs der Bruſt und Bauchmitte verläuft, die Hinterbeine einſchließlich die Oberſchenkel, ſowie endlich der Schwanz ſind tiefſchwarz; alles Uebrige hingegen iſt graulichweiß. Die Ohren ſind, wie bei dem amerikaniſchen Tapir, an der Spitze licht gerändert. Das Schwarz ebenſowohl wie das Weiß ſchillern in eigen - thümlicher, mit Worten kaum zu beſchreibender Weiſe. Das einzelne Haar iſt von der Wurzel bis zur Spitze gleich gefärbt. Die Klauen ſind dunkelhornfarben, die Jris iſt dunkelviolett, der runde Augenſtern ſchwarz.

Da ich ſo glücklich bin, den in unſeren Sammlungen noch äußerſt ſeltenen Dickhäuter gegenwärtig lebend vor mir zu haben, will ich ausnahmsweiſe genaue Maße von ihm und zwar von einem Thiere weiblichen Geſchlechts hier folgen laſſen. Eine Meſſung von der Spitze des eingezogenen Rüſſels bis zur Spitze des Schwanzes längs der Mittellinie des Leibes ergibt 8 Fuß 3 Zoll hamburger Maß. Die Länge des Kopfes von der Rüſſelſpitze bis hart hinter das Ohr beträgt 2 Fuß; der Rüſſel ſelbſt iſt zuſammengezogen Zoll, ausgeſtreckt 6 Zoll lang. Der Schwanz mißt nur 3 Zoll. Die Höhe am Widerriſt beträgt 3 Fuß 4 Zoll, die Kreuzhöhe 3 Fuß 6 Zoll. Die Vorderfüße ſind bis zum Kniegelenk 1 Fuß 7 Zoll, die Hinterfüße 1 Fuß 9 Zoll, die letzteren bis zum Hüftengelenk 3 Fuß 2 Zoll hoch; die Länge der Klauen ſchwankt zwiſchen und 2 Zoll, und zwar ſind die äußeren Zoll, die mittleren 2 Zoll lang. Die Länge der Schabracke über den Rücken gemeſſen iſt 3 Fuß 10 Zoll. Der Umfang des Leibes beträgt an der dickſten Stelle 6 Fuß, hart vor der Schabracke 5 Fuß 4 Zoll, der Umfang des Kopfes zwiſchen Auge und Ohr herabgemeſſen 3 Fuß, der Umfang des Nüſſels 1 Fuß, der Umfang des Vorderbeines am Kniegelenk 1 Fuß Zoll, am Ferſengelenk 1 Fuß Zoll, an der Handwurzel 1 Fuß ½ Zoll, der Umfang des Hinterbeines am Kniegelenk gegen 3 Fuß, am Ferſengelenk 1 Fuß 7 Zoll, an der Handwurzel Zoll.

Es iſt eigenthümlich genug, daß über den Schabrackentapir trotz unſeres lebhaften Verkehrs mit Jndien und Südchina überhaupt, erſt im Jahre 1819 und zwar durch Cuvier etwas Beſtimmtes be - kannt wurde. Der berühmte Forſcher hatte kurz vorher ausgeſprochen, daß zu unſerer Zeit ein großes Säugethier ſchwerlich noch entdeckt werden dürfte, und erfuhr durch Diard, einen ſeiner Schüler, den ſchlagendſten Beweis des Gegentheils. Diard ſandte zunächſt nur eine Abbildung des Thieres nach Europa und begleitete dieſelbe mit den Worten: Als ich den Tapir, deſſen Abbildung ich Jhnen ſende, zum erſten Male zu Barakpoore ſah, wunderte ich mich, daß ein ſo großes Thier noch nicht entdeckt worden, ja, ich wunderte mich darüber noch mehr, als ich in der aſiatiſchen Geſellſchaft den Kopf eines ähnlichen Thieres ſah, welchen am 29. April des Jahres 1806 der Statthalter Farquhar geſendet hatte, mit der Bemerkung, daß dieſer Tapir in den Wäldern der Halbinſel ebenſo gemein ſei, wie Nashorn und Elefant. Der Mann hat aber Unrecht, wenn er annahm, daß wirklich Niemand etwas von dem Schabrackentapir wiſſe; denn nicht blos die Chineſen, ſondern auch euro - päiſche Forſcher hatten das Thier lange vor Diard ſchon beſchrieben. Was die braven Chineſen an - langt, ſo muß freilich bemerkt werden, daß ihre Artbeſchreibung des Schabrackentapirs Einiges zu wünſchen übrig läßt. Jn dem ſehr alten Wörterbuche Eul-Ya wird das Wort Me, der Name unſeres Thieres, auf einen weißen Panther gedentet, jedoch hinzugefügt, daß der Me auch einem Bären gleiche, aber einen kleinen Kopf und kurze Füße habe; die Haut ſei weiß und ſchwarz gefleckt, halte auch ſehr gut die Näſſe ab. Aus einem zweiten Wörterhuche Chuen-Wen betitelt, erfahren wir dagegen, daß der Me zwar einem Bären gleicht, aber gelblich ausſieht, auch nur im Lande Lhu vorkommt. Ungleich vollſtändiger und genauer ſchildert das Pen-thſaokana-mou, ein Buch, wel - ches etwa der Raff’ſchen Naturgeſchichte entſpricht, unſeren Vielhufer: Der Me , ſo belehrt es uns: gleicht einem Bären. Sein Kopf iſt klein und ſeine Beine ſind niedrig. Das kurze, glän - zende Haar iſt ſchwarz und weiß gefleckt, obwohl Einige ſagen, daß das Thier gelblichweiß, und An -714Die Vielhufer oder Dickhäuter. Der Schabrackentapir. Der amerikaniſche Tapir.dere, daß es graulichweiß von Farbe ſei. Es hat einen Elefantenrüſſel, Nashornaugen, einen Kuh - ſchwanz und Füße, wie ein Tiger. Dieſe Beſchreibung klingt ſchon etwas beſſer; ſie kann ſich einer von unſerem großen Thierkundigen Maſius entworfenen etwa gleichſtellen, unterſcheidet ſich von einer ſolchen höchſtens durch ihren bemerklichen Mangel an anmuthigem Wortgeklingel, mit welchem der genannte Naturverſchönerer empfindſame Gemüther zu erquicken verſteht. Außerdem finden ſich in chineſiſchen und japaneſiſchen Werken mehrfach Abbildungen des Schabrackentapirs, zumal in - chern, geſchrieben, gedruckt und gebunden zur Freude und Belehrung der Kindlein. Dieſe Abbil - dungen behandeln den Me als ein entſchieden bekanntes, gewöhnliches Säugethier.

Abgeſehen von chineſiſcher Wiſſenſchaft, iſt die Entdeckungsgeſchichte des Schabrackentapirs fol - gende: Lange bevor Diard an Cuvier ſchrieb, im Jahre 1772 bereits, hatte der Engländer Wahl - feldt des zweifarbigen Tapirs in einem Bericht über Sumatra Erwähnung gethan. Er hielt das Thier für ein Flußpferd und beſchrieb es als ſolches, legte aber eine Zeichnung bei, welche unſeren Dickhäuter nicht verkennen läßt. Um dieſelbe Zeit veröffentlichte Marsden, damaliger Sekretär der Reſidentſchaft von Benkulen, eine Geſchichte von Sumatra und in ihr beſtimmte Angaben über den Tapir. Jm Jahre 1805 erhielt Raffles Nachricht von dem Maiba; wenig ſpäter fand ihn der Major Farquhar in der Umgebung von Malakka auf, theilte auch der Asiatic Society bereits im Jahre 1816 ſeine Beſchreibung und Abbildung mit. Jn demſelben Jahre gelangte der Tapir lebend in die Thierſammlung zu Barakpoore bei Calcutta, und hier war es, wo Diard ihn kennen lernte. Die Ehre der Entdeckung dieſes Dickhäuters gebührt alſo den Engländern, nicht den Franzoſen.

Jm Jahre 1820 trafen der erſte Balg, ein Geripp und verſchiedene Eingeweide des bis dahin noch immer ſehr unbekannten Geſchöpfes in Europa ein, und nunmehr endlich konnte deſſen Beſchrei - bung entworfen werden. Seitdem haben wir Manches vom Schabrackentapir erfahren, ohne uns jedoch rühmen zu können, über ihn vollſtändig unterrichtet zu ſein. Ueber das Freileben mangelt faſt jede Kunde noch, und auch die Beobachtungen über das Gefangenleben ſind keineswegs als erſchöpfende zu bezeichnen. Lebend wurde der Schabrackentapir ſchon einige Male nach Europa ge - bracht, unſeres Wiſſens aber immer nur nach England und bezüglich nach London. Hier hat man ihn allerdings beobachtet; es ſcheint jedoch, als habe man es für unnöthig erachtet, die Ergebniſſe der Beobachtung in wünſchenswerther Vollſtändigkeit der Gelehrtenwelt mitzutheilen. So nur läßt ſich unſere geringe Kenntniß von dem ebenſo auffallenden als beachtenswerthen Thiere erklären.

Eine kurze Nackenmähne und ein einfarbiges Haarkleid kennzeichnet den amerikaniſchen Tapir (Tapirus americanus). Er iſt diejenige Art ſeiner Familie, mit welcher wir am früheſten bekannt wurden. Die Reiſenden ſprachen ſchon wenige Jahre nach Entdeckung der Weſthälfte von einem großen Thier, welches ſie für ein Nilpferd hielten, und die heimiſchen Forſcher verliehen dieſem Thier deshalb auch den Namen Hippopotamus terrestris. Erſt der hochverdiente Marcgrav von Liebſtad gibt um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine ausführlichere Beſchreibung nebſt Abbildung. Spätere Rei - ſende und Forſcher vervollſtändigten die erſte Schilderung, und gegenwärtig ſind wir über wenige Dickhäuter beſſer unterrichet, als eben über dieſen Tapir. Wenn man die Unterſchiede feſthält, welche ich bei Beſchreibung des indiſchen Verwandten hervorgehoben habe, iſt es nicht ſchwer, den amerika - niſchen Tapir zu erkennen. Ein ziemlich gleichmäßiges Haarkleid, welches ſich nur von der Mitte des Oberkopfes längs des Nackens bis zu den Schultern ſteifmähnig, jedoch nicht bedeutend verlängert, deckt den Leib. Die Färbung deſſelben iſt ein ſchwärzliches Graubraun, welches an den Seiten des Kopfes, beſonders aber am Halſe und an der Bruſt etwas heller iſt; Füße und Schwanz, die Mittel - linie des Rückens und der Nacken pflegen dunkler gefärbt zu ſein; die Ohren ſind weißlichgrau ge - ſäumt. Verſchiedene Abweichungen kommen vor. Es gibt fahle, graue, gelbliche, bräunliche Spielarten. Bei den jungen Thieren zeigt nur der Rücken die Grundfarbe der Alten; die Oberſeite ihres Kopfes iſt dicht mit weißen, kreisförmigen Flecken beſetzt, und längs jeder Seite des Leibes verlaufen vier ununterbrochene Punktreihen von lichter Farbe, welche ſich auch über die Glieder er -715Der amerikaniſche Tapir.ſtrecken. Mit zunehmendem Alter verlängern ſich dieſe Flecken ſtreifenförmig, und nach Ende des zwei - ten Jahres verſchwinden ſie gänzlich. Nach Tſchudi’s Meſſungen kann der Tapir bis Fuß Länge und Fuß Höhe erreichen. Auffallenderweiſe kommen dieſe Maße nicht dem männlichen, ſondern dem weiblichen Thiere zu, welches regelmäßig größer zu ſein pflegt.

Der Tapir findet ſich im größten Theile Südamerikas, von Mittelamerika an bis Buenos - Ayres hinauf und vom atlantiſchen bis zum großen Weltmeer. Jn Surinam, Guayana, Braſilien, Paraguay, Columbien und Peru fehlt er an geeigneten Orten nirgends. Je nach den Ländern ſei - nes Aufenthalts wird er verſchieden benannt. Jn Guayana führt er den Namen Maipuri oder Menipuri, auch Tapiirété; Azara erwähnt ihn unter dem Namen großes Vieh

Der amerikaniſche Tapir (Tapirus americauus).

(gran Bestia); bei den Portugieſen, welche ihn mit Büffel und Elen vergleichen, heißt er Anta oder Danta.

Jm Jahre 1829 unterſchied der franzöſiſche Naturforſcher Roulin eine zweite amerikaniſche Tapirart, welche er in dem Waldgürtel der Andes wieder auffand, nicht aber entdeckte, da ſchon Hernandez von ihr geſprochen hat. Man hat dieſen Tapir, welcher in ſeiner Heimat den Namen Pinchague führt, wegen ſeiner dichten Behaarung Tapirus villosus genannt. Die Beſchreibungen, welche wir von dem Thier beſitzen, ſind noch mangelhaft. Der Körper, ſagt Tſchudi, iſt ſchwarzbraun, die Hälfte der Oberlippe, der Saum der Unterlippe und das Kinn ſind weiß, die Ohren haben ebenfalls eine weiße Einfaſſung. Jederſeits auf dem Kreuze iſt ein fahler, aber nicht ſchwieliger Fleck, der Rücken und der Hals ſind walzig, ohne Ringel. Der Pelz iſt dicht und lang,716Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Tapire. Allgemeines.das Haar an ſeiner Wurzel heller, als an der Spitze. Jm Nacken bildet es keine Mähne. Wichti - ger noch ſind die Unterſchiede im Knochenbau, welche ſich zwiſchen dem Pinchague und dem eigentli - chen amerikaniſchen Tapir bemerklich machen; zumal die Schädel Beider weichen bedeutend von einan - der ab. Jn der Größe ſoll der Pinchague hinter dem Tapir zurückſtehen. Die Länge wird zu Fuß, die Höhe zu Fuß angegeben.

Noch vermögen wir nicht zu ſagen, wie weit das Vaterland dieſer Art ſich erſtreckt. Es ſcheint, daß der Pinchague mehr Gebirgsthier iſt, als ſeine Verwandten; Tſchudi glaubt mit einer zur Gewißheit werdenden Wahrſcheinlichkeit ſagen zu können, daß das Thier am öſtlichen Abhange der Binnencordilleren und zumal im mittleren Pern in einem Höhengürtel zwiſchen 7 und 8000 Fuß über dem Meere nicht ſelten vorkommt und oft von den Jndianern erlegt wird. Dieſe pflegen ihn auch Vaca del Monte, Gebirgskuh, zu nennen.

Einer Lebensbeſchreibung unſerer Dickhäuter müſſen wir die Mittheilung zu Grunde legen, welche wir von Azara, Rengger, Prinz von Wied, Tſchudi, Schomburgk und An - deren über den amerikaniſchen Tapir erhalten haben; denn über das Leben des Schabrackentapirs und des Pinchague wiſſen wir eben Nichts. Die Thiere ſind ſich übrigens ſo ähnlich, daß man ſich wohl kaum eines Fehlers ſchuldig macht, wenn man das Leben und Treiben des Einen vorzugsweiſe berückſichtigt.

Die Tapire halten unter allen Umſtänden feſt am Walde und vermeiden ängſtlich alle Blößen oder offenen Stellen deſſelben. Jm Dickicht treten ſie ſich regelmäßig Pfade aus, welche ſich von den Wegen der Jndianer ſchwer unterſcheiden laſſen und den Ungeübten leicht verlocken, ſie zu betreten. Wehe ihm, wenn er Dies thut. Er kann Tage, Wochen wandern, ehe er eine Hütte oder ein menſchliches Weſen antrifft, wenn ihn nicht ſchon früher Hunger und Durſt tödten! Dieſe Wild - bahnen benutzen die Tapire, ſolange ſie nicht geſtört werden; in der Angſt hingegen brechen ſie ohne weiteres durch das ärgſte Dickicht, Alles unwiderſtehlich vor ſich niederreißend, was ihnen im Wege ſteht.

Die Tapire ſind Dämmerungsthiere. Wir haben, ſagt Tſchudi, monatelang die dichten Urwälder, in denen Scharen der Tapire leben, durchſtrichen, ohne je einen im Laufe des Tages zu ſehen. Sie ſcheinen ſich dann nur im dichten Gebüſch, an den kühlen, ſchattigen Plätzen aufzuhal - ten, am liebſten in der Nähe von ſtehendem Waſſer, in welchem ſie ſich gern wälzen. Jn gänzlich ungeſtörten und ſehr dunkeln Wäldern hingegen ſtreifen, wie Prinz von Wied verſichert, die Thiere auch bei Tage umher, und dieſe Angabe findet Unterſtützung in der Beobachtung des Betra - gens der Gefangenen, welche ebenfalls nicht ſelten in den Tagesſtunden ſich erheben und eine Zeitlang in ihrem Gehege umherlaufen. Jm Sonnenſchein freilich bewegen ſie ſich höchſt ungern, und während der eigentlichen Mittagsſtunden ſuchen ſie ſtets im Schatten des Dickichts Schutz gegen die erſchlaffende Hitze und noch mehr gegen die ſie in hohem Grade peinigenden Mücken. Wenn man, ſagt der Prinz, am frühen Morgen oder am Abend leiſe und ohne Geräuſch die Flüſſe beſchifft, bekommt man häufig Tapire zu ſehen, wie ſie ſich baden, um ſich zu kühlen oder um ſich vor den Stechfliegen zu ſchützen. Wirklich weiß kein Thier ſich beſſer gegen dieſe läſtigen Gäſte zu ſchützen, als der Tapir; denn eine jede Schlammpfütze, ein jeder Bach oder Teich wird von ihm aus dieſer Urſache aufgeſucht und benutzt. Daher findet man auch oft ſeine Haut mit Erde und Schlamm bedeckt, wenn er erlegt wird. Tſchudi behauptet, daß die Farbenabänderung, welche man ſo häufig bemerkt, von dieſer Gewohnheit des Thieres herrühre, da ſie auf weiter Nichts beruhe, als auf der größeren oder ge - ringeren Menge von Erde, welche ihm beim Wälzen im Schlamm und Sande die Haut verunreini - gen. Gegen Abend gehen die Tapire ihrer Nahrung nach, und wahrſcheinlich ſind ſie während der Nacht fortwährend in Bewegung. Sie zeigen alſo in ihrer Lebensweiſe große Aehnlichkeit mit unſerem Wildſchwein. Doch halten ſie ſich nicht in ſo ſtarken Rudeln, wie dieſes, ſondern leben nach Art des Nashorns mehr einzeln. Namentlich die Männchen ſollen ein einſiedleriſches Leben führen, ſich blos zur Paarungszeit zu dem Weibchen geſellen, ſonſt aber ihre eigenen Wege gehen. Familien trifft man717Allgemeines.höchſt ſelten an, und Geſellſchaften von mehr als drei Stücken ſind bisjetzt nur da beobachtet worden, wo eine beſonders fette, gute Weide zufällig verſchiedene Tapire vereinigt hat. Doch bemerkt Tſchudi, daß ſie haufenweiſe an die Ufer der Flüſſe kämen, um ſich hier zu baden und um zu ſaufen.

Jn ihren Bewegungen erinnern die Tapire an die Schweine. Der Gang iſt langſam und be - dächtig: ein Bein wird gemächlich vor das andere geſetzt, der Kopf dabei zur Erde herabgebogen, und nur der beſtändig ſich hin und her drehende, ſchnüffelnde Rüſſel, ſowie die fortwährend ſpielenden Ohren beleben die ſonſt äußerſt träg erſcheinende Geſtalt. So geht der Tapir ruhig ſeines Weges da - hin. Der geringſte Verdacht aber macht ihn ſtutzen; Rüſſel und Ohren drehen und bewegen ſich kurze Zeit fieberiſch ſchnell, und plötzlich fällt das Thier in eilige Flucht. Es beugt den Kopf tief zur Erde herab und ſtürzt in gerader Richtung blindlings vorwärts, durch das Dickicht ebenſo raſch, als durch Sumpf oder Waſſer. Begegnet man, ſagt der Prinz, zufällig einem ſolchen Thier im Walde, ſo pflegt es heftig zu erſchrecken und ſchnell mit großem Geräuſch zu entfliehen. Auf eine kurze Ent - fernung iſt es ziemlich flüchtig; doch kann es einem raſchen Hunde nicht entgehen und pflegt ſich bald vor dieſem zu ſtellen. Der Tapir iſt ein ganz vortrefflicher Schwimmer und ein noch vorzüglicherer Taucher, welcher ohne Beſinnen über die breiteſten Flüſſe ſetzt und zwar nicht blos auf der Flucht, ſondern bei jeder Gelegenheit. Dies iſt früher bezweifelt worden; alle neueren Beobachter aber ſtim - men darin vollſtändig überein, und der Prinz behauptet geradezu, daß die Aeußerung eines Reiſen - den, welcher ſagt, der Tapir gehe nur ſelten und blos auf der Flucht ins Waſſer, hinlänglich zeige, daß ſie aus einer mit der Natur dieſer Thiere völlig unbekannten Quelle gefloſſen ſei. Wahrſcheinlich läuft der Tapir auch längere Zeit, wie das Flußpferd, auf dem Grunde der Gewäſſer hin; wenig - ſtens beobachtete man Dies an dem gefangenen Schabrackentapir zu Barakpoore, welchen man oft in dieſer Weiſe ſein Waſſerbecken durchſchreiten ſah, während er hier niemals wirklich ſchwamm. Das Waſſerbecken, welches unſerem Gefangenen zur Verfügung ſteht, iſt nicht tief genug, als daß ich dieſe immerhin auffällige Angabe durch weitere Beobachtung prüfen könnte.

Unter den Sinnen des Tapirs ſtehen Geruch und Gehör entſchieden oben an und wahrſcheinlich auf gleicher Stufe; das Geſicht hingegen iſt ſchwach, wie man ſchon aus dem kleinen Auge ſchließen kann. Ueber den Geſchmack iſt ſchwer ein Urtheil zu fällen; doch habe ich an unſeren Gefangenen beobachtet, daß ſie zwiſchen den Nahrungsmitteln ſehr ſcharf zu unterſcheiden wiſſen und beſondere Leckerbiſſen wohl zu würdigen verſtehen. Das Gefühl bekundet ſich als Taſtſinn und als Empfin - dung. Der Rüſſel iſt ein ſehr ſeines Taſtwerkzeug und findet als ſolches vielfache Verwendung. Ge - fühl beweiſt der Tapir nicht blos durch ſeine Furcht vor den Sonnenſtrahlen und Mücken, ſondern auch durch Kundgeben einer erſichtlichen Behaglichkeit, wenn ſeine Dickhaut an irgend einer Stelle des Leibes gekraut wird. Unſere Gefangenen legen ſich, wenn wir ſie bürſten oder abreiben, ſofort nieder und zeigen ſich willig wie ein Kind, wenn ihnen dieſe Liebkoſungen werden. Wir können ſie dann nach allen Seiten hin drehen und wenden, ja auch zum Aufſtehen bringen, je nachdem wir die Bürſte an dieſer oder jener Stelle des Leibes anwenden.

Die Stimme iſt ein eigenthümliches, ſchrillendes Pfeifen, welches, wie Azara ſagt, in gar keinem Verhältniſſe mit dem großen Körper des Thieres ſteht. Derſelbe Naturforſcher behauptet, daß man es von dem freilebenden Tapir nur während der Paarungszeit vernehme, und Schom - burgk glaubt, daß es blos von jungen Thieren ausgeſtoßen werde. Beides iſt falſch; unſere Ge - fangenen wenigſtens haben dieſes Pfeifen ſchon wiederholt und auch außer der Brunſtzeit vernehmen laſſen der Schabrackentapir ebenſo gut, wie der amerikaniſche. Von dem erſtgenannten hört man, wenn man ihn ſtört, noch ein ärgerliches Schnauben, welches mit Worten nicht beſchrieben werden kann.

Alle Tapire ſcheinen gutmüthige, furchtſame und friedliche Geſellen zu ſein, welche nur im höchſten Nothfalle von ihren Waffen Gebrauch machen. Sie fliehen vor jedem Feinde, auch vor dem kleinſten Hunde, am ängſtlichſten aber vor dem Menſchen, deſſen Uebermacht ſie wohl erkannt haben. 718Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Tapire. Allgemeines.Dies geht ſchon daraus hervor, daß ſie in der Nähe von Pflanzungen viel vorſichtiger und ſcheuer ſind, als im ungeſtörten Walde. Doch erleidet dieſe Regel Ausnahmen. Unter Umſtänden ſtellen ſie ſich zur Wehre und ſind dann immerhin beachtenswerthe Gegner. Sie ſtürzen ſich blindwüthend auf ihren Feind, verſuchen ihn umzurennen und gebrauchen auch wohl die Zähne nach Art unſerer Bache. Jn dieſer Weiſe vertheidigen die Mütter ihre Jungen, wenn ſie dieſe vom Jäger bedroht ſehen. Sie ſetzen ſich dann ohne Bedenken jeder Gefahr aus und achten keine Verwundung. Jm übrigen iſt die geiſtige Begabung der Tapire freilich gering, obwohl die Thiere auf den erſten Anblick hin noch viel ſtumpfſinniger erſcheinen, als ſie wirklich ſind. Wer längere Zeit gefangene Tapire behandelt hat, erkennt, daß ſie immer noch hoch über Nashorn und Nilpferd und ungefähr mit dem Schweine auf gleicher Höhe ſtehen. Ein jung eingefangener Tapir, ſagt Rengger, gewöhnt ſich nach wenigen Tagen ſeiner Gefangenſchaft an den Menſchen und deſſen Wohnort, den er alsdann nicht mehr verläßt. Allmählich lernt er ſeinen Wärter von anderen Leuten unterſcheiden, ſucht ihn auf und folgt ihm auf kleine Entfernungen nach; wird ihm aber der Weg zu lang, ſo kehrt er allein nach der Wohnung zurück. Er wird unruhig, wenn ſein Wärter ihm lange fehlt und ſucht dieſen, falls er Dies kann, überall auf. Uebrigens läßt er ſich von Jedermann berühren und ſtreicheln. Mit der Zeit verändert er ſeine Lebensart inſofern, als er den größten Theil der Nacht ſchlafend zu - bringt; auch lernt er nach und nach, wie das Schwein, jegliche Nahrung des Menſchen genießen und frißt nicht nur alle Arten von Früchten und Gemüſen, ſondern auch gekochtes, an der Sonne ge - trocknetes Fleiſch, verſchlingt Stückchen von Leder, Lappen u. dgl., wahrſcheinlich aus Liebe zu dem ſalzigen Geſchmack, welchen altes Leder und Lumpen beſitzen. Wenn er frei umher laufen kann, ſucht er das Waſſer ſelbſt auf und bleibt oft halbe Tage hindurch in einer Pfütze liegen, falls dieſe von Bäumen beſchattet wird. Es ſcheint überhaupt, als bedürfe er das Waſſer mehr zum Baden, als zum Trinken. Die Gefangenen des hamburger Thiergartens beſtätigen Rengger’s Beobach - tungen, ſoweit Dies möglich. Es iſt mir noch nicht gelungen, in dem Gebahren der beiden Arten, welche der Thiergarten beſitzt, einen Unterſchied wahrzunehmen. Beide ſind höchſt gutmüthige Ge - ſchöpfe. Sie ſind ganz zahm, friedlich geſinnt gegen jedes Thier, höchſt verträglich unter ſich und ihren Bekannten zugethan. Wenn ich zu ihnen gehe, kommen ſie herbei und beſchnüffeln mir Geſicht und Hände, wobei ſie die wunderbare Beweglichkeit ihres Rüſſels bekunden. Andere Thiere, welche zufällig in ihre Nähe kommen, werden neugierig dumm längere Zeit beſchnüffelt. Der Maipuri hat mit dem neben ihm ſtehenden Waſſerſchwein ſogar innige Freundſchaft geſchloſſen: er leckt es zuwei - len minutenlang äußerſt zärtlich. Jhre Trägheit iſt ſehr groß; ſie ſchlafen viel, zumal an heißen Sommertagen und ruhen auch des Nachts mehrere Stunden. Am lebendigſten ſind ſie gegen Son - nenuntergang; dann können ſie zuweilen ausgelaſſen luſtig ſein. Sie jagen in dem ihnen gewährten Raum auf und nieder und tummeln ſich mit Wolluſt im Waſſer umher; in ihm pflegen ſie, ſolange ſie ſich frei bewegen können, auch ihre Loſung abzuſetzen. Jhre Stimme laſſen ſie nur höchſt ſelten vernehmen; manchmal ſchweigen ſie monatelang. Auf den Ruf folgen ſie nicht, überhaupt thun ſie nur Das, was ihnen eben behagt, und es koſtet ihnen immer eine gewiſſe Ueberwindung, bevor ſie ſich von ihrer Trägheit aufraffen.

Bei geeigneter Pflege halten Tapire auch bei uns jahrelang in der Gefangenſchaft aus. Ein war - mer Stall iſt ihnen vor Allem Bedürfniß; namentlich im Winter muß man ſie gegen die Unbill des Wetters beſtmöglichſt zu ſchützen ſuchen. Jn den meiſten Fällen verenden ſie an Lungenkrankheiten, welche ſie, wie alle Thiere der Wendekreisländer, in dem kalten Europa leicht heimzuſuchen pflegen. Zur Fortpflanzung hat man ſie bei uns noch nicht gebracht, wie es ſcheint, in ihrer Heimat aber auch nicht; wenigſtens finde ich darüber nirgends eine Angabe. Es wird behauptet, daß man daran ge - dacht habe, den Schabrackentapir in ſeinem Vaterland zum Hausthier zu machen, weniger ſeines Fleiſches halber, als um ihn zum Laſttragen und bezüglich zum Ziehen zu verwenden. Die Abſicht muß zum mindeſten als eine eigenthümliche betrachtet werden. Sie ſcheint gut gemeint zu ſein, dürfte ſich aber ſchwerlich ausführen laſſen, und ſo groß iſt die Gelehrigkeit des Tapirs denn doch nicht, daß719Allgemeines.er als arbeitender Hausſklave weſentliche Dienſte leiſten könne. Namentlich als Zugthier dürfte er nicht eben beſonders Glück machen. So hübſch es auch ausſehen würde, mit einem Paar Schabracken - tapire durch die Straßen indiſcher Städte zu fahren, ſo wenig möchte dieſe Beförderungsweiſe un - ſeren neuzeitlichen Reiſeeinrichtungen entſprechen; denn einen gefangenen Tapir zum Traben zu bringen, hat größere Schwierigkeiten, als jene Leute glauben mochten, welche ſolchen Gedanken zu - erſt ausſprachen.

Die freilebenden Tapire nähren ſich nur von Pflanzen und namentlich von Baumblättern. Jn Braſilien bevorzugen ſie die jungen Palmenblätter; nicht ſelten aber fallen ſie auch in die Pflanzun - gen ein und beweiſen dann, daß ihnen Zuckerrohr, Mango, Melonen und andere Gemüſe ebenfalls behagen. Jn den Cocapflanzungen richten ſie, wie Tſchudi verſichert, manchmal in einer Nacht durch Niedertreten der zarten Pflanzen und das Abfreſſen der jungen Blätter einen Schaden von mehreren tauſend Thalern an. Jm freien, großen Walde leben ſie oft monatelang von den abgefal - lenen Baumfrüchten oder in den Brüchen von den ſaftigen Sumpf - und Waſſerpflanzen. Beſonders erpicht ſind ſie auf Salz, es iſt ihnen, wie den Wiederkäuern, Bedürfniß. Jn allen tiefliegenden Ländern Paraguays, ſagt Rengger, wo das Erdreich ſchwefelſaures und ſalzſaures Natron ent - hält, findet man die Tapire in Menge. Sie belecken hier die mit Salz geſchwängerte Erde. Auch unſere Gefangenen zeigen eine große Vorliebe für Salz. Jm übrigen nehmen dieſe Alles an, was Schweine freſſen; ſie erkennen aber dankbar jede brauchbare Gabe, welche ihnen gereicht wird. Baum - blätter und Früchte, Zwieback und Zucker gehören zu ihren beſonderen Leckerbiſſen.

Die Brunſt der freilebenden Tapire fällt in die Monate, welche der Negenzeit vorausgehen. Beide Geſchlechter pfeifen ſich dann zuſammen und leben während einiger Wochen paarweiſe. Etwa vier Monate ſpäter wirſt das Weibchen ein Junges, ein kleines, niedliches Geſchöpf, welches nach Art der Wildſchweine geſtreift iſt. Beim Schabrackentapir iſt das Jugendkleid ſchwarz, oben fahl, unten weiß gefleckt und geſtreift; beim amerikaniſchen iſt die Grundfarbe ein helles Grau, die Flecken und Streifenzeichnung aber in ähnlicher Weiſe darüber verbreitet. Vom vierten Monate an beginnt die Färbung ſich zu ändern, die Flecken verſchwinden, und im ſechsten Monat zeigen die Jungen die Farbe der Erwachſenen.

Alle drei Tapirarten werden von den Menſchen eifrig verfolgt, weil Fleiſch und Fell benutzt werden. Von amerikaniſchen Forſchern erfahren wir, daß das Fell ſeiner Dicke und Stärke wegen geſchätzt wird. Man gerbt es und ſchneidet über 3 Fuß lange, Zoll dicke Riemen aus ihm, welche abgerundet, durch wiederholtes Einreiben mit heißem Fett geſchmeidig gemacht und ſodann zu Peitſchen oder Zügeln verwendet werden. Von der argentiniſchen Republik aus ſollen alljährlich eine Menge ſolcher Zügel in den Handel kommen. Für Schuhe iſt, nach Tſchudi, das Fell zu ſpröde, wenn das Wetter trocken, und zu ſchwammig, wenn die Witterung feucht iſt. Den Klauen, den Haaren und anderen Theilen des Tapirs werden Heilkräfte zugeſchrieben; auf der Oſtküſte aber iſt das gemeine Volk, wie Rengger mittheilt, weit entfernt, die Wirkung dieſer Mittel an ſich ſelbſt zu verſuchen, es begnügt ſich vielmehr, ſie anderen Kranken anzupreiſen. Dagegen werden die Klauen, nach Tſchudi’s Verſicherung, von den Jndianern, als Vorkehrmittel gegen die Fallſucht, an einem Faden um den Hals gehangen, getragen oder geröſtet und zu feinem Pulver gerieben, auch innerlich eingegeben. Daſſelbe Mittel nimmt in der indianiſchen Heilkunde einen hohen Rang ein; denn es wird auch gegen Lungenſchwindſucht angewandt, dann aber mit der Leber des Stinkthieres in Cacao abgekocht. Endlich ſollen die Hufe als Tonwerkzeuge nach Art der Caſtagnetten ver - wandt werden.

Die Jagd ſelbſt wird je nach den Ländern verſchieden betrieben. Eine Jagd aus dem Stegreife ſchildert Schomburgk in ſeiner lebendigen Weiſe. Eben bogen wir , ſo ſagt er, um eine der Krümmungen, als wir zu unſerer großen Freude einen Tapir mit ſeinen Jungen auf einer der vielen Sandbänke im Waſſerſaum herumwaten ſahen; kaum aber war das Wort Maipuri den Lippen unſerer Jndianer entflohen, als wir auch von beiden Thieren bemerkt wurden, die die Flucht ergriffen720Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Tapire. Allgemeines.und in dem dichten Pflanzendickicht am Ufer verſchwanden. Ebenſo ſchnell, wie ſie dorthin geeilt, waren wir dem Ufer zugerudert, ſo daß wir ziemlich gleichzeitig an dieſes ſprangen und ihnen mit Flinten, Pfeil und Bogen nacheilten. So wie wir die waldige Umzäunung durchbrachen, bemerkten wir, daß ſich die beiden Flüchtlinge in den 6 bis 7 Fuß hohen Schneidegräſern und Rohr, das eine unüberſehbare Fläche bedeckte, zu verbergen ſuchten. Unſere Meute befand ſich in dem etwas zurück - gebliebenen dritten Bote und verdutzt ſtanden wir Europäer vor der gewaltigen Wand, vor der wir von früheren Erfahrungen her heiligen Reſpekt bekommen hatten. Unſere Jndianer aber konnte ſie nicht abhalten, und wie die Schlangen verſchwanden ſie zwiſchen den gefährlichen Gräſern. Zwei kurz auf einander fallende Schüſſe und das triumphirende Aufjauchzen der Jäger verkündeten ihr Glück. Alles drängte jetzt der Richtung zu; wir erhielten dadurch einen weniger gefährlichen Weg, und bald fanden wir die beiden glücklichen Jäger, ſich auf ihre Gewehre ſtützend, vor dem eben ver - endeten alten Tapir ſtehen. Pureka’s Kugel hatte, wie ſich bei dem Zerlegen herausſtellte, die Lunge des Thieres durchbohrt. Es war ein Weibchen von ungewöhnlicher Größe. Noch umſtanden wir in dichtem Kreiſe die willkommene Beute, als uns das wilde Durchbrechen des Graſes und Rohrs die Ankunft der Hunde bekundete, die gierig den Schweiß des Tapirs aufleckten. Jetzt begann die Jagd auf das Junge, deſſen Spur unſere trefflichen Hunde bald aufgefunden hatten. Sobald ſich das geängſtigte Thier entdeckt ſah, ließ es einen durchdringenden, pfeifenden Ton hören; noch aber konnten wir Nichts ſehen, bis uns die pfeifenden, gellenden Töne verriethen, daß das Thier dem Saume des hohen Rohres, dem offenen Felde zugetrieben würde, weshalb wir ſo ſchnell als möglich nach einer nahen Erhöhung eilten, um die Jagd anzuſehen. Kaum waren wir dort ange - kommen, als das Thier aus dem Rohr hervorbrach, hinter ihm die klaffende Meute und unſere dreißig Jndianer, die im Laufen mit den Hunden gleichen Schritt hielten, und in deren Jauchzen und Jubeln das Hundegebell und Angſtgeſchrei des Tapirs faſt erſtarb. Es war ein eigenthümliches Schauſpiel, eine Jagd, wie ich ſie noch nie geſehen! Die Kräfte des gehetzten Wildes ermatteten ſichtbar, und bald hatte es unſer trefflicher Jagdhund, Tewanau, geſtellt, worauf es die Jndianer nach einem harten, aber vergeblichen Widerſtand, mit gebundenen Füßen, unter betäubendem Jubel und noch wilderem Hundegebell nach dem Fahrzeug trugen. Es hatte die Größe eines faſt ausge - wachſenen Schweins.

Jetzt galt es, den alten Tapir nach der Sandbank zu bringen, was uns erſt mit Aufwendung der Geſammtkräfte gelang, indem wir dem Rieſen ein langes Seil an die Hinterfüße befeſtigten und ihn ſo unter Jubel und Jauchzen dahinſchleppten. Bald war das große Thier von vielen rührigen Händen zerlegt; ein Theil des Fleiſches wurde geräuchert, der andere gekocht. Das Fleiſch fanden wir ungemein wohlſchmeckend; es hatte nicht allein in Bezug auf den Geſchmack, ſondern auch in ſei - nem Ausſehen viel Aehnlichkeit mit dem Rindfleiſch. Als wir das Thier ausweideten, fingen die Jndianer ſorgfältig das Blut auf, miſchten klein geſchnittene Fleiſchſtücke darunter und füllten die Maſſe in die Därme. Sie kochten dieſe Würſte aber nicht, ſondern räucherten ſie. Jch koſtete die Wurſt ein Mal und nicht wieder.

Die Anſiedler jagen den Tapir regelmäßig, entweder mit Hunden, welche ihn aus dem Wald ins Freie und den Reitern zutreiben, oder indem ſie in der Nähe ſeiner Wechſel auf ihn auſtehen, oder endlich, indem ſie ihn im Waſſer verfolgen. Hierüber gibt Prinz von Wied Auskunft. Die Braſilianer, ſagt er, betreiben die Jagd des Tapir ſo unzweckmäßig als möglich. Um ein ſo großes Thier zu erlegen, bedienen ſie ſich nicht der Kugeln, ſondern ſchießen es mit Schrot, gewöhn - lich, wenn ſie es ſchwimmend in den Flüſſen am frühen Morgen oder gegen Abend überraſchen. Der Tapir ſucht durch dieſes Mittel ſeinen Verfolgern im Waſſer zu entrinnen. Allein die Braſilianer rudern mit ihren Böten äußerſt ſchnell heran und pflegen das Thier einzuſchließen. Dies taucht dann ſehr geſchickt und häufig unter, ſelbſt unter den Boten hindurch, bleibt lange unter Waſſer und kommt blos zuweilen mit dem Kopfe an die Oberfläche, um Luft zu ſchöpfen. Dann zielen ſogleich alle Rohre nach dieſem Theile, beſonders nach der Ohrgegend, und ein Tapir erhält auf dieſe Art721Die Klippſchliefer.zwölf bis zwanzig Schüſſe, bevor er getödtet wird. Häufig entkommt er dennoch, wenn nicht ein Jagdhund bei der Hand iſt. Mit einer Kugel würde man das ermüdete Thier in einer kleinen Ent - fernung ſehr ſicher erlegen können; allein die Braſilianer bedienen ſich niemals dieſes Geſchoſſes, weil ſie im vorkommenden Fall mit ihren groben, ſchweren Schroten ebenſo wohl einen Tapir, als ein Wildhuhn erlegen können.

Die Wilden ſuchen den Tapir nach ſeiner Fährte auf, umſtellen ihn, nachdem ſie ſeinen Aufent - halt erſpäht und treiben ihn dann den Schützen zu. Azara ſagt, daß dieſes Wild einen ſtarken Schuß vertrüge und ſelbſt dann, wenn ihm eine Kugel durch das Herz gedrungen wäre, noch mehrere hundert Schritte zurücklege, bevor es ſtürze.

Jn Paraguay haben die Jäger eine eigene Art, einen lebendig gefangenen junzen Tapir, wel - cher zu groß iſt, als daß ſie ihn aufs Pferd nehmen könnten, mit ſich zu führen. Sie durchſtechen ihm nämlich von einem der Naſenlöcher aus den Obertheil des Rüſſels und ziehen einen Lederriemen durch die Oeffnung. Jede zerrende Bewegung verurſacht nun dem Tapir einen heftigen Schmerz; deshalb folgt er zuletzt ſeinem Führer ohne Widerſtreben.

Schlimmere Feinde noch, als die Menſchen es ſind, mögen die Tapire auch in den großen Katzen haben, welche mit ihnen dieſelbe Heimat bewohnen. Daß die amerikaniſchen Arten vom Ja - guar arg befehdet werden, verſichern alle Reiſenden; das Gleiche wird wohl vom Schabrackentapir hinſichtlich des Tigers anzunehmen ſein. Es wird erzählt, daß der Tapir, wenn der Jaguar ihm auf den Nacken ſpringe, ſich ſo eiligſt, als möglich in das verſchlungenſte Dickicht ſtürze, um den böſen Feind von ſich abzuſtreifen und daß er, da ſeine Haut die Krallen des Raubthieres kaum durchdringen laſſe, oft auch glücklich davon käme. Die Angabe dürfte nicht ſo unglaublich ſein, als ſie ſcheint; Schomburgk verſichert wenigſtens, daß er viele Tapire erlegt habe, welche bedeutende, von ihrem Zuſammentreffen mit den Katzen herrührende Narben an ſich trugen.

Jn wilden, ſteinigten Gebirgen Afrikas und Aſiens bemerkt man an manchen Orten ein gar reges Leben. Kaninchengroße Thiere, welche auf irgend einer Felsplatte oder auf einem Block ſich ſonnten, huſchen, erſchreckt durch die Ankunft eines Menſchen, mit affenähnlichem Schreien raſch an den Wänden dahin, verſchwinden in einer der unzähligen Klüfte und ſchauen dann neugierig und harmlos, wie ſie ſind, auf die ungewöhnliche Erſcheinung herab. Dies ſind die Klippſchliefer (Hyrax), die kleinſten aller jetzt lebenden Dickhäuter.

Wenige Thiere haben den Naturforſchern ſo viel Mühe hinſichtlich ihrer Einordnung in der Thierreihe gemacht, als ſie. Anfangs vereinigte man die Klippſchliefer mit den Nagethieren, mit welchen ſie auch in ihrem ganzen Weſen und Sein unzweifelhaft die meiſte Aehnlichkeit haben. Oken ſtellte ſie zu den Beutelthieren in der Nähe des Wombats; denn dieſen ähneln ſie bis auf den Beutel ebenfalls nicht wenig. Wir haben ſie nach Cuvier’s Vorgange unter den Dickhäutern auf - genommen. Um uns der Aehnlichkeit zwiſchen ihnen und den rieſigen Geſtalten des Elefanten, Nashorns oder Flußpferdes bewußt zu werden, müſſen wir allerdings längſt ausgeſtorbene Arten der Ordnung zu Hilfe nehmen; denn auf den erſten Blick hin will es ſcheinen, als ob beide Gruppen mit einander gar Nichts gemein hätten. Ein kaninchengroßes Thier mit weichem feinen Pelz, kurzen Beinen, dicken Nagezähnen, mit geſpaltener Oberlippe, ſtummelhaft im Pelze verſtecktem Schwanz, welches, wie eine Eidechſe, an den Felſen umherſpringt, hat doch wahrlich keine Aehnlichkeit mit den erwähnten maſſigen Landbewohnern, welche das ſchwere Gebäude ihres Leibes ſcheinbar nur mühſam fortbewegen. Allein, wenn wir uns erinnern, daß die vorweltlichen Mammuths und Nashörner zum Theil auch einen dicken Pelz trugen und bedenken, daß die Paläotherien und Anoplotherien, Dickhäuter ihrem Weſen nach, ebenfalls nur Haſen - oder Kaninchen großBrehm, Thierleben. II. 46722Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Klippſchliefer.waren, ſind wir ſchon eher geneigt, jenem großen Forſcher Recht zu geben, mögen wir auch noch immer das widerſtrebende Gefühl, welches uns fort und fort beſchleicht, wenn wir einen ſolchen Zwerg als nächſten Verwandten jener Rieſen betrachten, zu überwinden haben. Erſt, wenn wir den Knochenbau der Klippdachſe vergleichend prüfen, werden wir vollkommen von ihrer innigen Verwandtſchaft mit Elefant und Nashorn überzeugt.

Die Familie der Klippdachſe enthält nur eine einzige Sippe, dieſe aber mehrere Arten, welche ſämmtlich einander ſehr ähnlich ſind. Außer den angegebenen Kennzeichen fallen bei genauer Be - trachtung zunächſt die hufartig gebildeten Füße auf, welche vorn vier und hinten drei Zehen tragen. Die Wirbelſäule zählt neunzehn bis zweiundzwanzig rippentragende, neun rippenloſe, fünf Kreuzbein - und zehn Schwanzwirbel. Das Gebiß beſteht aus zwei dreikantigen ſchwach gebogenen und durch eine Lücke von einander getrennten Schneidezähnen und aus ſieben von vorn nach hinten an Größe zuneh - menden Backzähnen. Jn der Oberkinnlade fallen von den Schneidezähnen regelmäßig die beiden äußeren aus, und auch der erſte Backzahn hat gewöhnlich das gleiche Schickſal.

Schon ſeit uralter Zeit ſind die Klippſchliefer oder Klippdachſe bekannte und oft genannte Thiere. Die in Syrien lebende Art ſcheint früher unter dem bibliſchen Namen Saphan verſtanden wor - den zu ſein. Luther überſetzt dieſes Wort mit Kaninchen . Die Schrift ſagt, daß der Saphan ge - ſellig lebe, ſeine Wohnung in Felſen habe und ſich durch Schwäche auszeichne, dieſe aber durch Schlau - heit erſetze. Die hohen Berge ſind der Gemſen Zuflucht und die Steinklüfte der Kaninchen. Wir ſind klein auf Erden und klüger, denn die Weiſen, die Saphane, ein ſchwaches Volk; dennoch legt es ſein Haus im Felſen an. Moſes ſetzt die Saphane unter die wiederkänenden Thiere mit getheilten Zehen, welche von den Juden nicht gegeſſen werden dürfen, und hierin iſt es wohl begründet, daß noch heutigen Tages in Abiſſinien weder die Chriſten, noch die Mahammedaner Klippſchlieferfleiſch eſſen. An anderen Orten und namentlich im ſteinigten Arabien erblicken die Beduinen in ſolchem Wildpret nichts Verachtenswerthes und ſtellen ihm deshalb eifrig nach; in Syrien benamt man ſie noch heutigen Tages Khanem Jſrael oder Schafe der Jſraeliten . Sonſt ſind ſie in Arabien unter dem Namen Wabbr bekannt, die griechiſchen Kloſterbrüder am Sinai nennen ſie Choerogryllion; in Dongola heißen ſie Keka oder Koko und in Abiſſinien Aſchkoko .

Es iſt ziemlich gleichgiltig, welche Art von den bisjetzt bekannten Klippſchliefern wir uns zur Betrachtung erwählen, weil ſie alle in der Lebensweiſe faſt vollſtändig übereinkommen. Nur weil ich ſelbſt auf meinem letzten Jagdausfluge nach Abiſſinien Gelegenheit hatte, den dort vorkommenden Aſchkoko (Hyrax abissinicus) kennen zu lernen, habe ich dieſen ausgeſucht und auch bildlich nach an Ort und Stelle gemachten Zeichnungen darſtellen laſſen. Viele Naturforſcher halten ihn gar nicht verſchieden von dem im Kap lebenden. Jch ſelbſt kenne letzteren zu wenig, um ein Urtheil fällen zu können. Der Klippdachs wird etwa Fuß lang. Sein Pelz iſt fein, weich und dicht, oben graubräunlich, unten heller. Die kleinen Ohren und der Schwanz ſind faſt ganz im Pelz ver - borgen; die dunklen Augen ſind groß, lebhaft und ſtark gewölbt; ihr Ausdruck hat etwas außer - ordentlich Sanftes, Kluges und Harmloſes. Die nackte Naſe iſt kohlſchwarz und beſtändig feucht. An den niedrigen Beinen ſitzen Zehen, welche ziemlich kurz, aber breit und alle mit einem ganz dünnen, runden, nicht überragenden Huf bedeckt ſind, mit Ausnahme der inneren Hinterzehe, welche einen ſchief geſtellten gekrümmten Nagel trägt. Mancherlei Abänderungen in der Färbung ſind beob - achtet worden. So iſt die Unterſeite zuweilen ſchmuzig weißgelb; es erſcheint vor den Schultern ein weißlicher Streifen und auf dem Rücken ein weißer Flecken, am Kinn ein weißlicher u. ſ. w. Einzelne Grannenhaare ſehen grau oder ſchwarz aus und zeigen einen gelben Ring vor der dunklen Spitze. Das Wollhaar iſt graulich, gelblich oder röthlich.

Alle Klippdachſe ſind Bewohner der Gebirge. Je zerklüfteter die Felswände ſind, um ſo häu - figer trifft man ſie an. Wer recht ruhig durch die Thäler ſchreitet, ſieht ſie reihenweis auf den Felſen - geſimſen ſitzen oder noch öfter liegen; denn ſie ſind ein behagliches, faules Volk, welches ſich gern von

Alippdachſe.

723Die Klippſchliefer.der warmen Sonne beſcheinen läßt. Eine raſche Bewegung oder ein lantes Geräuſch verſcheucht ſie augenblicklich; die ganze Geſellſchaft bekommt Leben; Alles rennt und flüchtet mit Nagergewandtheit dahin, und bald iſt die ganze Maſſe verſchwunden. Jn der Nähe der Dörfer, wo man ſie ebenfalls antrifft, oft faſt unmittelbar neben den Häuſern ſchenen ſie ſich kaum vor den Menſchen und treiben in ſeiner Gegenwart dreiſt ihr Weſen, gerade, als wüßten ſie, daß hier Niemand daran denkt, ſie zu ver - folgen. Vor fremdartig gekleideten oder gefärbten Menſchen aber ziehen ſie ſich augenblicklich in ihre Felsſpalten zurück. Weit größere Furcht, als der Menſch, flößt ihnen ein Hund oder ein anderes Thier ein. Wenn ſie ſich auch vor ihm in ihren Ritzen wohlgeborgen haben, vernimmt man dennoch ihr eigenthümliches, zitternd hervorgeſtoßenes gellendes Geſchrei, welches mit dem kleiner Affen die größte Aehnlichkeit hat. Die Abiſſinier wiſſen, daß der ſchlimmſte Feind unſerer Thiere, der Leo - pard, an den Felswänden dahinſchleicht, wenn die Klippſchliefer gegen Abend oder in der Nacht ihre Stimmen vernehmen laſſen; denn ungeſtört hört man ſie als echte Tagthiere zu jener Zeit niemals. Auch Vögel können ihnen das größte Entſetzen verurſachen. Eine zufällig vorüberfliegende Krähe, ſelbſt eine Schwalbe iſt im Stande, ſie nach ihrer ſicheren Burg zurückzujagen.

Um ſo auffallender iſt es, daß die furchtſamen Schwächlinge mit Thieren in Freundſchaft leben, die unzweifelhaft weit gefährlicher und blutdürſtiger ſind, als ſelbſt die raubgierigſten Adler. Jch gebe jetzt Heuglin’s ſchöne Beobachtung, auf welche ich ſchon Bd. I. S. 481 hindeutete, und be - merke ausdrücklich, daß auch ich regelmäßig die von meinem früheren Reiſegenoſſen genannten Thiere in Geſellſchaft der Klippſchliefer geſehen habe.

Schon öfter war es mir aufgefallen , ſagt unſer Gewährsmann, in und auf den von Klipp - ſchliefern bewohnten Felſen gleichzeitig und, wie es ſchien, im beſten Einvernehmen mit einander lebend eine Manguſte (Herpestes Zebra, Rüpp. ) und eine Dornechſe (wohl Stellio cyanogaster) zu fin - den. Nähert man ſich einem ſolchen Felſen, ſo erblickt man zuerſt einzeln oder gruppenweis vertheilt die munteren und poſſirlichen Klippdächſe auf Spitzen und Abſätzen ſich gemüthlich ſonnend oder mit den zierlichen Pfötchen den Bart kratzend; dazwiſchen ſitzt oder läuft eine behende Manguſte, und an dem ſteilen Geſtein klettern oft fußlange Dornechſen. Wird der Feind der Geſellſchaft von dem auf dem erhabenſten Punkt des Felsbaues als Schildwache aufgeſtellten Klippdachs bemerkt, ſo richtet ſich dieſer auf und verwendet keinen Blick mehr von dem fremden Gegenſtand: aller Augen wenden ſich nach und nach dahin; dann erfolgt plötzlich ein gellender Pfiff der Wache, und im Nu iſt die ganze Geſell - ſchaft in den Spalten des Geſteins verſchwunden. Unterſucht man letzteres genauer, namentlich mit ſtöbernden Händen, ſo findet man Klippdächſe und Eidechſen vollſtändig in die tiefſten Ritzen zurück - gezogen, die Manguſte dagegen ſetzt ſich in Vertheidigungsſtand und kläfft nicht ſelten zornig die Hunde an.

Zieht man ſich nun an einen möglichſt gedeckten Ort in der Nähe zurück, ſo erſcheint nach der betreffenden Richtung hin, vorſichtig aus einer Spalte guckend, der Kopf einer Dornechſe; ſie findet es zwar noch nicht ganz ſicher, kriecht aber langſam, den Körper feſt an das Geſtein drückend, mit erho - benem Kopf und Hals etwas weiter vorwärts, und bald folgen ihr in ähnlicher Weiſe, und nach der verdächtigen Stelle ſchauend, mehrere andere Eidechſen, zuweilen eine Bewegung mit dem Oberkörper machend und einen ſchnarrenden Ton von ſich gebend. Nach geraumer Zeit wird ein Theil vom Kopfe einer Manguſte ſichtbar; das Thier entſchlüpft nur langſam und vorſichtig der ſchützenden Spalte; es ſchnüffelt gegen den Wind und erhebt ſich endlich auf die Hinterbeine, um beſſere Rundſchau halten zu können. Zuletzt kommt ein Klippdachskopf um den anderen zum Vorſchein, aber alle immer noch ſehr aufmerkſam die gefährliche Richtung nach dem Verſteck des Jägers beobachtend, und erſt wenn die Eidechſen wieder angefangen haben, ihre Jagd auf Kerbthiere zu betreiben, iſt Furcht und Vorſicht verſchwunden und die allgemeine Ruhe hergeſtellt.

Ungern nur verlaſſen die Klippſchliefer ihren Felſen. Wenn das Gras, welches zwiſchen den Blöcken hervorſproßte, abgeweidet iſt, ſteigen ſie allerdings in die Tiefe herab; dann aber ſtehen46*724Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Klippſchliefer.immer Wachen auf den vorragendſten Felsſpitzen, und ein Warnungszeichen von dieſen iſt hinreichend, die eiligſte Flucht der ganzen Geſellſchaft zu veranlaſſen.

Hinſichtlich ihrer Bewegungen und ihres Weſens erſcheinen die Klippſchliefer ſo recht als Das, was ſie ſind: als eigenthümliche Mittelglieder zwiſchen den plumpen Vielhufern und den behen - den Nagern. Wenn ſie auf ebenem Boden dahinlaufen, hat ihr Gang etwas verhältnißmäßig Schwerfälliges: ſie bewegen die Beine mit jener bekannten Ruhe der Dickhäuter oder beſſer: ſie ſchleichen nur dicht an der Erde weg, als ob ſie fürchteten, geſehen zu werden. Nach einigen, wenigen Schritten ſtehen ſie ſtill und ſichern; dann geht es in derſelben Art weiter. Anders iſt es, wenn ſie erſchreckt wurden. Dann ſpringen ſie in kurzen Sätzen dahin, immer ſo eilig als möglich dem Felſen zu, und hier nun zeigen ſie ſich in ihrer vollen Beweglichkeit. Sie klettern meiſterhaft. Die Sohlen ihrer Füße ſind vortrefflich geeignet, ſie hierin zu unterſtützen. Der Ballen iſt weich, aber dennoch rauh, und deshalb gewährt jeder Tritt die bei ſchneller Bewegung auf geneigten Flächen un - bedingt nothwendige Sicherheit. Mich haben die Klippſchliefer lebhaft an die Eidechſen mit Klebe - fingern, die ſogenannten Geckos, erinnert. Obwohl ſie nicht, wie dieſe beweglichen Thiere, an der unteren Seite wagrechter Flächen hingehen können, geben ſie doch ihnen im übrigen nicht das Geringſte nach. Sie laufen aufwärts oder kopfunterſt an faſt ſenkrechten Flächen mit derſelben Sicherheit dahin, als ob ſie auf ebenem Boden gingen; ſie kleben ſich an halsbrechenden Stellen förmlich an den Felfen an. Jn Winkeln oder Ritzen ſteigen ſie äußerſt behend auf und nieder. Sie halten ſich an jeder be - liebigen Stelle feſt, indem ſie ſich mit dem Rücken an die eine Wand der Ritze, mit den Beinen aber an die andere ſtemmen. Dabei ſind ſie geübte und gewandte Springer. Auf Sätze von zehn, ja funfzehn Fuß Höhe kommt es ihnen nicht an; man ſieht ſie ſelbſt an zwanzig, dreißig Fuß hohen, ſenkrechten, ja überhängenden Wänden nach Art der Katzen herabgleiten, indem ſie etwa Dreiviertel der Höhe an der Wand herunterlaufen und dann, plötzlich von ihr abſpringend, mit aller Sicherheit auf einem neuen Steine fußen. Wahrſcheinlich ähneln ſie in ihren Bewegungen am meiſten den Murmelthieren oder den Wollmäuſen.

Jhr Betragen deutet auf große Sanftmuth, ja faſt Einfalt, verbunden mit unglaublicher Aengſt - lichkeit und Furchtſamkeit. Sie ſind höchſt geſellig; denn man ſieht ſie faſt niemals einzeln oder darf, wenn Dies wirklich der Fall ſein ſollte, beſtimmt darauf rechnen, daß die übrigen Glieder der Geſell - ſchaft nur nicht zur Stelle ſind. An dem einmal gewählten Wohnplatze halten ſie treulich feſt, derſelbe mag ſo groß oder ſo klein ſein, als er will. Zuweilen genügt ihnen ein einzelner großer Felsblock; man ſieht ſie höchſtens heute auf dieſer, morgen auf jener Seite deſſelben. Bei gutem Wetter lagern ſie ſich reihenweis in der faulſten Stellung auf paſſenden Steinen hin, die Vorderfüße ganz eingezogen, die hinteren weit ausgeſtreckt, wie Kaninchen es manchmal zu thun pflegen. Einige Wachen bleiben aber auch dann immer ausgeſtellt.

Es ſcheint, daß die Klippſchliefer ihren größeren Verwandten auch darin ähneln, daß ſie keine Koſtverächter ſind und unglaublich viel verzehren. Jhre Heimat iſt an würzigen Gebirgs - und Alpen - pflanzen ſo reich, daß ſie wohl niemals Mangel leiden. Jch ſah ſie wiederholt am Fuße der Felſen weiden und zwar ganz in der Weiſe, wie Wiederkäuer es zu thun pflegen. Sie beißen die Gräſer mit ihren Zähnen ab und bewegen die Kinnladen ſo, wie die Zweihufer, wenn ſie wiederkäuen. Einige frühere Forſcher haben geglaubt, daß ſie wirklich die eingenommenen Speiſen nochmals durch - kauten; ich habe aber bei allen denen bei den ruhenden wenigſtens, welche ich ſehr genau beob - achten konnte, niemals davon Etwas bemerkt. Wie es ſcheint, trinken ſie gar nicht oder nur ſehr wenig. Zwei Orte, in der Nähe des Bogosdorfes Menſa, welche von Klippſchliefern bewohnt ſind, liegen in einer auf bedeutende Strecken hin vollkommen waſſerleeren Ebene, welche die furchtſamen Thiere ſicherlich nicht zu überſchreiten wagen. Zur Zeit, als ich ſie beobachtete, regnete es freilich noch wiederholt, und ſie bekamen hierdurch Gelegenheit zum Trinken; allein die Bewohner des Dorfes ver - ſicherten mich, daß jene Klippſchliefer auch während der Zeit der Dürre ihre Wohnſitze nicht verließen. 725Die Klippſchliefer.Dann gibt es nirgends einen Tropfen Waſſer, und höchſtens der Nachtthau, mit welchem ja bekannt - lich viele Thiere ſich begnügen, bleibt noch zur Erfriſchung übrig.

Man glaubt, daß die Klippſchliefer eine ziemliche Anzahl von Jungen zur Welt bringen, und zwar hauptfächlich, weil das Weibchen ſechs Zitzen hat. Jch bezweifle die Richtigkeit dieſer Anſicht. Unter den zahlreichen Geſellſchaften, welche ich ſah, gab es ſo außerordentlich wenig Junge, daß man hätte annehmen müſſen, es befänden ſich unter der ganzen Menge nur zwei oder drei fortpflanzungs - fähige Weibchen, und Dies war doch entſchieden nicht der Fall. Auch habe ich niemals geſehen, daß eine Alte von mehreren Kleinen umringt geweſen wäre. Jch glaube annehmen zu dürfen, daß jedes Weibchen nur ein Junges wirft, kann aber meine Anſicht freilich nicht anders, als vorſtehend begrün - den. Die Eingeborenen wußten mir gar Nichts zu ſagen.

Die Jagd der Klippdachſe hat keine Schwierigkeiten, falls man die ängftlichen Geſchöpfe nicht bereits und wiederholt verfolgt hat. Es gelingt dem Jäger gewöhnlich, eine der in geeigneter Ent - fernung ſitzenden Wachen herabzudonnern. Nach einigen Schüffen wird die Herde freilich ſehr ängſt - lich; ſie flieht dann ſchon von weitem vor jedem Menſchen und zeigt ſich nur in den höchſten Spalten des Felſens. Unglaublich groß iſt die Lebenszähigkeit der kleinen Geſellen; ſelbſt ſehr ſtark verwun - dete wiſſen noch eine Ritze zu erreichen, und dann iſt gewöhnlich jedes weitere Nachſuchen vergebens.

Nur in Arabien und am Vorgebirge der guten Hoffnung werden die Klippſchliefer gefangen und verwendet; die Abiſſinier verfolgen ſie nie. Auf der Halbinſel des Sinai tiefen die Beduinen eine Grube ab, füttern ſie mit Steinplatten gut aus und richten einen ſteinernen Falldeckel mit Stell - pflöcken her. Ein Tamariskenzweig, welcher als Lockſpeiſe dient, hebt, ſobald er bewegt, bezüglich an - gefreſſen wird, die Stellpflöcke aus; der Deckel ſchlägt nieder, und der unſchlaue Gebirgsbewohner ſitzt in einem Kerker, deſſen Wände ſeinen ſchwachbekrallten, zum Graben unfähigen Pfoten einen un - beſieglichen Widerſtand leiſten. Auf dieſe Weiſe bekam Ehrenberg während ſeines Anfenthalts im ſteinigten Arabien ſieben Stück lebendig in ſeine Gewalt. Die Kaffern fangen, wie Kolbe berichtet, Klippdachſe mit den Händen (?). Der Gaſtfreund jenes alten guten Beobachters beſaß einen neunjährigen Sklaven, welcher das Vieh hütete und dabei die Steinberge oft beſtieg. Er brachte oft ſo viel von ſeinem Lieblingswild nach Hauſe, daß er es kaum tragen konnte und allgemeine Verwunderung erregte, weil man die zum Fange ſo behender Geſchöpfe nothwendige Geſchicklichkeit ſich nicht erklären konnte. Später richtete ſich der Knabe einen Hund ab, welcher ihm mit fangen half. Tellereiſen vor die Ausgänge mancher beſond ers beliebten Spalten gelegt, würden wohl auch gute Dienſte leiſten.

Mehrere Reiſende berichten von Gefangenen, welche ſie beſaßen; einzelne ſind auch bereits lebend nach Europa gekommen. Graf Mellin vergleicht einen von ihm gezähmten Klippſchliefer mit einem Bären, welcher nicht größer als ein Kaninchen iſt. Er nennt ihn ein vollkommen wehr - loſes Weſen, welches ſich weder durch eine ſchnelle Flucht retten, noch durch ſeine Zähne oder Klauen vertheidigen kann. Jch ſtimme dieſer Angabe, nach Dem, was ich an verwundeten (angeſchoſſenen) Klippſchliefern beobachtete, vollkommen bei; Ehrenberg dagegen verſichert, daß der Wabbr ſehr biſſig wäre. Mellins Gefangener biß ſich zwar manchmal knurrend mit einem kleinen Schoßhündchen herum, konnte dieſem aber Nichts anhaben. Wenn man ihn in den Hof brachte, ſuchte er gleich einen finſteren Winkel aus, am liebſten einen Haufen Mauerſteine, zwiſchen welchen er einen Schlupfwinkel ſuchte. Das Fenſter war ſein Lieblingsaufenthalt, obgleich er hier oft großes Leid auszuhalten hatte; denn, wenn nur eine Krähe oder eine Taube vorbeiflog, gerieth er in Angſt und lief eilend ſeinem Kaſten zu, um dort ſich zu verſtecken. Niemals nagte er an den Sproſſen ſeines Käfigs oder an dem Bande, woran er befeſtigt worden war. Manchmal ſprang er auf die Tiſche, dort benahm er ſich aber ſo vorſichtig, daß er Nichts umwarf, auch wenn der ganze Tiſch voll Geſchirr war. Brod, Obſt, Kar - toffeln, ſowohl rohe als gekochte Gemüſe fraß er gern; Haſelnüſſe, welche man ihm aber auffchlagen mußte, ſchienen eine beſondere Leckerei für ihn zu bilden. Stets hielt er ſich ſehr reinlich. Harn und Loſung ließ er immer an demſelben Orte und verſcharrte beides, wie die Katzen. Wenn man ihm726Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Schweine.Sand gab, wälzte er ſich in demſelben herum, wie die Hühner es zu thun pflegen. Solange man ihn angebunden hielt, war er träge und ſchläfrig; ſobald er aber freigelaſſen wurde, ſprang er den ganzen Tag im Zimmer umher von einem Ort zum anderen, beſonders gern auf den warmen Ofen, wo er ſich behaglich hinſtreckte. Sein Gehör war ſehr leiſe: er konnte ſowohl die Stimme, als auch den Gang von Denjenigen unterſcheiden, gegen welche er beſondere Neigung hatte. Den Ruf ſeines Herrn be - antwortete er mit einem leiſen Pfeifen; dann kam er herbei und ließ ſich gern in den Schoß nehmen und ſtreicheln.

Die Beduinen des ſteinigten Arabiens lieben, wie bemerkt, das Fleiſch der Klippſchliefer im hohen Grade. Gefangene tödten ſie ſofort, weiden ſie, wie die anderweitig mit dem Gewehr erlegten, an Ort und Stelle aus und füllen die Leibeshöhlen mit wohlriechenden Alpenkräutern an, theils um das Fleiſch ſchmackhafter zu machen, theils um es länger vor der Verweſung zu bewahren. Eine ſonſtige Benutzung des Thieres kennen dieſe Leute nicht, wohl aber die Kapbewohner, welche auch Anderes vom Klippſchliefer zu verwenden wiſſen. Noch heutigen Tages kommt die immer mit Harn gemiſchte Loſung, welche von den holländiſchen Anſiedlern Daſſenpiß oder Dachsharn genannt wird, unter dem Namen Hyraceum in den Handel, und ſelbſt in Europa gibt es noch Aerzte, welche bei gewiſſen Nervenkrankheiten den Dachsharn als Arzneimittel verordnen. Schade nur, daß es auch mit dieſem Mittel geht, wie mit vielen anderen, welche aus dem Thierreiche ſtammen: ſeine Wirkung beruht eben auf der Einbildung. Für den Fall aber, daß mit dem Hyraceum wirklich ein Geſchäft zu machen iſt, will ich meinen Leſern mittheilen, daß man auf faſt allen Felſen der Bogosländer von jenem Arzneimittel ſoviel einſammeln kann, als man will. Die Klippſchliefer leiſten, Dank ihrer ge - ſegneten Freßluſt, wirklich Erſtaunliches in Erzeugung ihrer Loſung. Sie liegt in verhältnißmäßig ſehr großen Haufen auf allen Steinen, wo die Thiere ſich umhergetrieben haben, und ſcheffelweiſe in gewiſſen Felſenſpalten aufgeſpeichert.

Die Borſtenthiere oder Schweine erſcheinen, verglichen mit den ſchweren, maſſigen Ge - ſtalten ihrer Ordnung, als zierlich gebaute Dickhäuter. Jhr Rumpf iſt ſeitlich zuſammengedrückt, die Beine ſind ſchlank und dünn, ihre Zehen paarig geſtellt, die mittleren ſind die größeren, reichen bis auf den Boden herab und tragen den Körper. Der Kopf iſt faſt kegelförmig mit vorn abgeſtumpf - ter Spitze, der Schwanz dünn, lang und geringelt, das Haarkleid borſtig. Die lang geſtreckte Schnauze endet in eine Rüſſelſcheibe, in welcher die Naſenlöcher liegen. Die Ohren ſind mäßig groß, gewöhnlich aufrechtſtehend, die Augen ſchief geſchlitzt und verhältnißmäßig ſehr klein. Beim Weibchen liegen in zwei Reihen zahlreiche Zitzen am Bauche. Das Geripp zeigt zierliche und leichte Formen. 13 bis 14 Wirbel tragen Rippen, 5 bis 6 ſind rippenlos, 4 bis 6 bilden das Kreuzbein, 9 bis 20 den Schwanz. Am elften Wirbel ſitzt das Zwerchfell. Die Rippen ſind ſchmal und abgerundet. Bei ſämmtlichen Schweinen ſind alle drei Zahnarten in der oberen und unteren Reihe vorhanden. Die Zahl der Schneidezähne ſchwankt zwiſchen 2 und 3; doch fallen im Alter nicht ſelten dieſe Zähne aus. Jmmer ſind Eckzähne vorhanden und zwar von ſehr bezeichnender Geſtalt, weshalb ſie auch den Namen Hauer erhalten haben. Sie ſind dreikantig, ſtark, gekrümmt und nach oben gebogen, die des Unterkiefers ſowohl, als die des oberen, nur ſind letztere kleiner, als die unteren. Sie bilden die furchtbarſte Waſſe des Schweins. Die übrigen Zähne ſind einfach zuſammengedrückt, gegen die Mahlzähne breit, mit vielen Höckern beſetzt; ihre Zahl wechſelt. Unter den Muskeln fallen die auf, welche die Lippen bewegen; namentlich die der Oberlippe ſind ſehr ſtark und verleihen dem Rüſſel Kraft zum Wühlen. Außerdem beſitzen die Schweine bedeutend entwickelte Speicheldrüſen, einen rundlichen Magen mit großem Blindſack und einen Darmſchlauch, welcher etwa zehn Mal länger iſt, als der Leib des Thieres. Unter der Haut bildet ſich bei reichlicher Nahrung eine Specklage, deren Dicke bis zu mehreren Zollen anſteigen kann.

727Die Schweine.

Mit Ausnahme von Neuholland bewohnen die Borſtenthiere faſt alle Länder der übrigen Erd - theile. Große, feuchte, ſumpfige Wälder in bergigen oder ebenen Gegenden, Dickichte, Geſtrüppe, mit hohem Gras bedeckte, feuchte Flächen und Felder bilden ihre Aufenthaltsorte. Alle lieben die Nähe des Waſſers oder mit anderen Worten Sümpfe, Lachen und die Ufer der Flüſſe und Seen, wühlen ſich hier im Schlamm oder Moraſt ein Lager aus und liegen in dieſen, oft halb im Waſſer, während der Zeit ihrer Ruhe. Eine Art ſucht auch in großen Löchern unter Baumwurzeln Schutz. Die meiſten ſind geſellige Thiere; doch erreichen die Rudel, welche ſie bilden, ſelten eine große Stärke. Eine Art ſoll paarweiſe leben. Jhre Lebensweiſe iſt eine nächtliche; denn auch an Orten, wo ſie keine Gefahr zu befürchten brauchen, beginnen ſie erſt mit Anbruch der Däm - merung ihr Treiben. Sie ſind keineswegs ſo plump und unbeholfen, als ſie erſcheinen. Jhre Bewegungen ſind verhältnißmäßig leicht, ihr Gang iſt ziemlich raſch, ihr Lauf ſchnell. Jm Waſ - ſer ſchwimmen alle vortrefflich, wenn auch nicht mit beſonderer Ausdauer; eine Art ſetzt aber doch über Meeresarme, um von einer Jnſel zu der anderen zu gelangen. Jhr Galopp iſt eine Reihe eigenthümlicher Sätze, von denen jeder mit einem ausdrucksvollen Grunzen begleitet wird. Auch die Sinne der Schweine ſind gut ausgebildet, namentlich Geruch und Gehör. Sie wittern und vernehmen ausgezeichnet. Das kleine und blöde Auge dagegen ſcheint nicht beſonders ſcharf zu ſehen, und Geſchmack und Gefühl ſind auch nicht eben ſehr ausgebildet. Alle Arten ſind vorſichtig und manche ſcheu. Sie entfliehen Gefahren, ſtellen ſich aber, ſobald ſie gedrängt werden, tapfer zur Wehr, und die alten Keuler greifen oft ohne alle Umſtände ihre Gegner an. Dabei ſuchen ſie dieſe umzurennen und mit ihren ſcharfen Hauern zu verletzen, und ſie verſtehen dieſe furchtbare Waffe mit ſo großem Geſchick und ſo bedeutender Kraft zu gebrauchen, daß ſie ſehr gefährlich werden können. Alle Keuler vertheidigen ihre Bachen und dieſe ihre Kinder mit vieler Aufopferung. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering. Sie ſind ungelehrig, ſtörriſch und nicht zu höherer Zähmung geeignet, wie überhaupt ihre Eigenſchaften nicht eben anſprechend genannt werden dürfen.

Die Stimme der Schweine iſt ein ſonderbares Grunzen, welches zwar nicht wohllautend genannt werden kann, im ganzen aber doch viel Behäbigkeit und Selbſtzufriedenheit oder Gemüthlichkeit aus - drückt. Bei den alten Keulern vernimmt man auch ein tiefes Brummen.

Die Schweine ſind Allesfreſſer in des Wortes vollſter Bedeutung. Was nur irgend genießbar iſt, erſcheint ihnen recht. Nur wenige ernähren ſich ausſchließlich von Pflanzenſtoffen, Wurzeln, Kräutern, Feld - und Baumfrüchten, Zwiebeln, Pilzen ꝛc., die übrigen verzehren nebenbei auch Kerbthiere und deren Larven, Schnecken, Würmer, Lurche, Mäuſe, ja ſelbſt Fiſche, und mit Ver - gnügen Aas. Das Waſſer iſt für Alle unentbehrlich. Jhre Gefräßigkeit iſt ſo bekannt, daß darüber Nichts geſagt zu werden braucht; in ihr gehen eigentlich alle übrigen Eigenſchaften unter, mit alleini - ger Ausnahme der beiſpielloſen Unreinlichkeit, welche ihnen die Mißachtung des Menſchen einge - tragen hat.

Die Schweine gehören zu den fruchtbarſten Thieren; denn die Zahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen 1 bis 24. Nur bei den wenigſten Arten wirft die Bache eine kleine Schar von Ferkeln. Dieſe ſind allerliebſte, luſtige, bewegliche Geſchöpfe, welche Jedermann entzücken würden, wenn ſie nicht die Unreinlichkeit der Alten vom erſten Tage ihres Lebens an zeigten.

Alle Wildſchweine fügen dem gebildeten, ackerbautreibenden Menſchen oft großen Schaden zu und vertragen ſich nicht mit dem Aubau des Bodens. Sie ſind deshalb auch in Europa faſt ausge - rottet und werden überall aufs eifrigſte verfolgt, wo der Menſch zur Herrſchaft gelangte. Jhre Jagd gilt als eins der edelſten Vergnügen und hat auch außerordentlich viel Anziehendes, weil es ſich hier um Geſchöpfe handelt, welche ihr Leben unter Umſtänden ſehr theuer zu verkaufen wiſſen. Bei den wildlebenden Arten übertrifft der Schaden den Nutzen, welchen ſie durch Fleiſch und Fell bringen, bei weitem. Die in der Gefangenſchaft lebenden Arten aber ſind uns faſt unentbehrlich geworden und zählen mit Recht zu unſeren geſchätzteſten Hausthieren.

728Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Wildſchwein.

Wenig Geſchöpfe laſſen ſich ſo leicht zähmen, wie die Schweine, und wenige verwildern ſo leicht wieder, wie ſie. Ein junges Wildſchwein gewöhnt ſich bald an ſeinen dumpfen, garſtigen Stall, ein junges, zahmes Schwein, welches Freiheit genießt, gleicht ſchon nach wenigen Jahren ganz den echten wilden, ja es zeichnet ſich oft vor dieſen durch Muth und Grimmigkeit aus. Der Menſch iſt nur in den nördlicheren Gegenden der ſchlimmſte Feind der wildlebenden Schweine. Jn den Ländern unterhalb der Wendekreiſe ſtellen die großen Katzen - und Hundearten den dort wohnenden Arten eifrig nach und richten oft große Verwüſtungen unter ihren Herden an. Füchſe, kleinere Katzen und Raubvögel wagen ſich blos an Friſchlinge und immer nur mit großer Vorſicht, weil, wie bemerkt, die Mutter ihre Kinderſchar kräftig zu vertheidigen weiß.

Alle Schweine der Erde ähneln ſich in ihrem Leibesbau und geiſtigen Weſen. Die geringen Unterſchiede, welche ſich bemerken laſſen, beruhen auf der größeren Schlankheit oder Plumpheit des Baues und der Bildung der Zähne, namentlich der Hauzähne. Die Naturforſcher nehmen viele Sippen an; davon enthält die erſte die eigentlichen Schweine (Sus), welche wir, da unſer Hausthier zu ihnen gehört, nicht beſonders zu kennzeichnen brauchen. Das Wildſchwein (Sus Scrofa), der einzige in Europa lebende Dickhäuter, geht zur Freude der Land - und Forſtwirthe und zum Kummer der Jäger ſeinem Untergang entgegen. Früher weit verbreitet, findet er ſich gegen - wärtig in Europa nur noch an wenigen Orten wild, um ſo häufiger aber noch in Aſien und dem nördlichen Afrika. Sein Verbreitungskreis reicht nach Norden hin nicht über den 55. Grad der Breite hinaus. Das Wildſchwein fehlt in allen Ländern, welche nordwärts von den Küſten der Oſtſee lie - gen. Theils iſt es dort ausgerottet, theils war es nie vorhanden. Selbſt künſtliche Verſetzungen in nördlichere Gegenden, wie ſie der König Friedrich I. in den Jahren 1720 bis 1751 verſuchte, haben das Thier nicht verbreitet. Jn Deutſchland kommt es noch ſehr einzeln, vielleicht nur noch auf dem Thüringerwald, dem Schwarzwalde und dem Rieſengebirge vor, wenn man die Wildparks, wie ſich von ſelbſt verſteht, ausnimmt. Häufiger findet es ſich in Polen, Galizien, Ungarn, im ſüdlichen Rußland, Kroatien, Griechenland und Spanien. Jn Aſien reicht es über alle gemäßigten Land - ſtriche Sibiriens und der großen Tartarei bis zum Himalaya, falls nicht auch das in Jndien vorkom - mende Schwein, wie Viele annehmen, unſer eigentliches Wildſchwein iſt. Jn Nordafrika iſt dieſes ſehr gemein, namentlich in Marokko, Algerien, Tunis und Egypten.

Das Wildſchwein iſt ein ſtarkes Thier von faſt 6 Fuß Länge, ausſchließlich ſeines Schwanzes, welcher über 10 Zoll lang wird. Die Höhe am Widerriſt erreicht 3 Fuß, das Gewicht ſchwankt zwi - ſchen 200 und 500 Pfund. Nach Aufenthalt, Jahreszeit und Nahrung ändern Größe und Gewicht bedeutend ab. Die in ſumpfigen Gegenden wohnenden Wildſchweine ſind regelmäßig größer, als die in trockenen Wäldern lebenden; die auf den Jnſeln des Mittelmeeres hauſenden kommen nie den feſtländiſchen gleich. Jn ſeiner Geſtalt ähnelt es ſeinem gezähmten Abkömmling; nur iſt der Leib im ganzen kürzer, gedrungener; die Läufe ſind ſtärker, der Kopf iſt etwas länger und ſpitzer. Das Gehör ſteht mehr aufgerichtet und iſt etwas länger und ſpitzer, auch die Gewehre oder Hauer werden größer und ſchärfer, als bei dem zahmen Schwein. Die Färbung iſt ſehr verſchieden; doch bezeichnet ſie im Allgemeinen der Jägername Schwarzwild ; denn graue, roſtfarbene, weiße und gefleckte Wildſchweine ſind ſelten. Die Jungen haben auf grauröthlichem Grunde gelbliche Streifen, welche ſich ziemlich gerade von vorn nach hinten ziehen, bereits in den erſten Monaten des Lebens aber ſich verlieren. Das Haarkleid beſteht aus ſteifen, langen und ſpitzen Borſten, welche an der Spitze häuſig geſpalten ſind. Dazwiſchen mengt ſich je nach der Jahreszeit mehr oder weniger kurzes, feines Wollhaar ein. Am Unterbals und dem Hinterbauche ſind die Borſten nach vorwärts, an den übrigen Theilen des Körpers nach rückwärts gerichtet. Auf dem Rücken bilden ſie eine Art von Kamm oder Mähne. Schwarz oder rußbraun iſt ihre gewöhnliche Farbe, die Endſpitzen ſind aber gelblich, grau und röthlich, und hierdurch wird die allgemeine Färbung etwas lichter. Die Ohren ſind ſchwarz - braun, der Schwanz, der Rüſſel und die untere Hälfte der Beine und Klauen ſchwarz; am Border -

Wildſchwein.

729Das Wildſchweintheil des Geſichts iſt das Borſtenhaar gewöhnlich geſprenkelt. Die roſtfarbenen und weißgefleckten oder halbſchwarzen und halbweißen Schweine hält man für Abkömmlinge verwildeter zahmer Schweine, welche in früheren Zeiten ausgeſetzt wurden, um dieſe Wildart zu vermehren.

Der Waidmann nenut unſer Thier Sau, das männliche Wildſchwein, wenn es erwachſen iſt, Schwein, das weibliche Bache. Junge Thiere heißen Friſchlinge bis zum zweiten Jahre, ſpäter bezeichnet man die Weibchen als zweijährige, ſtarke und grobe Bachen, das Schwein aber als zweijähriger Bacher oder Keuler, dann als dreijähriger Keuler, vom vierten Jahre an als angehendes, vom fünften Jahre als hauendes oder gutes, vom ſiebenten Jahre an als Haupt - und grobes Schwein. Der Rüſſel heißt Gebreche, die Hauzähne nennt man Gewehre, die der Bache Haken; das gewöhnliche Haar Borſte, das längere auf dem Rücken Feder, die dicke Haut auf den Schulterblättern Schild, den Schwanz Pürzel oder Federlein. Das Schwein liegt in einem Revier, es gräbt ſich in das Lager oder in den Keſſel ein; es ſtellt ſich dem Hund, wird von dieſem gedeckt oder feſtgemacht, ſtreitet mit den Hunden, ſchlägt ſie, ſchlägt ſich los (geht durch). Die Bache friſcht oder ſetzt Junge. Die einzelne Sau hat ein Lager, das Rudel einen Keſſel. Der durchwühlte Erdboden heißt Gebräche u. ſ. w.

Feuchte und ſumpfige Gegenden bilden unter allen Umſtänden den Aufenthaltsort des Schweins, gleichviel, ob hier ausgedehnte Waldungen ſich finden oder die Gegend blos mit Sumpfgräſern beſtan - den iſt. Jn Europa wohnt das Thier vorzugsweiſe in großen Waldungen, in Afrika und Aſien da - gegen bricht es ſich ſein Lager mitten im Sumpf oder in großen Feldern. An vielen Orten Egyptens wohnen die Wildſchweine jahraus jahrein in Zuckerrohrfeldern, ohne dieſe einmal zu verlaſſen. Sie freſſen dort gleich die Rohrſtengel, ſuhlen ſich in dem Waſſer, welches über die Felder geleitet wird und befinden ſich im Dickicht ſo wohl, daß ſie durch keine Anſtrengungen zu vertreiben ſind. Jm Delta lagern ſie ſich auf den feuchten, mit Riedgras beſtandenen Stellen und an den unteregyptiſchen Strandſeen in dem Röhricht der ausgedehnten Brüche. Jn den Wäldern wählen ſie ſich gewöhnlich die Dickichte, namentlich ſolche, deren Grund feucht iſt. Jn Jndien bewohnen ſie undurchdringliche Dickungen dorniger Gewächſe, aus denen ſie ebenfalls nicht vertrieben werden können. Hier bricht ſich das Schwein eine Vertiefung auf, gerade groß genug, um ſeinen ganzen Leib aufzunehmen. Wenn es ſein kann, füttert es dieſes Lager mit Mos, treckenem Gras und Laub aus und legt ſich hier ſo bequem als möglich nieder. Das Rudel bereitet ſich an ähnlichen Orten den Keſſel, pflegt ſich aber ſo in ihm einzuſchieben, daß Aller Köpfe nach der Mitte hin gerichtet ſind. Der Wärme wegen be - nutzen die wilden Sauen im Winter gern zuſammengerechte Streu - oder Schilfhaufen anſtatt der Lager und Keſſel, um ſich darunter einzuſchieben, und der Jäger, welcher ſolchen Ort beſucht, kann dann das ſonderbare Schauſpiel genießen, daß der ganze Haufen, dem man ſich, ohne Etwas zu ahnen, näherte, mit einem Mal beweglich zu werden anfängt und ein ganzes Rudel Sauen ausſen - det. Das Schwein und jede andere ſtarke Sau ſucht ſich faſt täglich das Lager wieder auf; das Ru - del dagegen nimmt ſeinen Keſſel gewöhnlich nur im Winter wieder an, wo alle Sauen ihr Gebreche ſo viel als möglich ſchonen. Jm Sommer brechen ſie ſich einen neuen Keſſel aus, und gerade hierdurch werden ſie oft ſehr ſchädlich.

Alle Wildſchweine ſind ſehr geſellige Thiere. Bis zur Fortpflanzungszeit halten ſich immer mehrere Bachen und ſchwache Keuler zuſammen, nur die groben Schweine leben als Murrköpfe für ſich. Bei Tage liegen die Rudel ſtill und faul im Keſſel; gegen Abend erheben ſie ſich, um nach Fraß auszugehen. Zuerſt gehen ſie, wie der Waidmann ſagt, im Holz und auf den Wieſen ins Gebräche, d. h. ſtoßen brechend den Boden auf oder laufen einer Suhle zu, in welcher ſie ſich ein halbes Stündchen wälzen. Dieſe Abkühlung ſcheint ihnen unentbehrlich zu ſein, denn ſie laufen oft meilenweit nach dem Bade. Erſt wenn Alles ruhig wird, nehmen ſie die Felder an und wo ſie ſich feſtgeſetzt haben, laſſen ſie ſich nicht ſo leicht vertreiben. Wenn das Getreide Körner bekommt, hält es ſehr ſchwer, ſie aus dem Felde zu ſcheuchen. Und dabei freſſen die Sauen weit weniger, als ſie ſonſt durch beſtändiges Sichherumdrehen verwüſten. Sie machen oft genug große Flächen vollkommen der730Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Wildſchwein.Erde gleich. Jm Wald und auf den Wieſen ſucht das Schwarzwild Erdmaſt, Trüffeln, Kerbthierlarven, Gewürm oder im Herbſt und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe, Kaſtanien, Kar - toffeln, Rüben und alle Hülſenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerſte auf dem Halme, alles Mögliche, ſogar geſtorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch ſolche von ſeines Gleichen, niemals aber greift es in räuberiſcher Abſicht lebende Thiere der beiden höchſten Klaſſen an.

Jn ſeinen Eigenſchaften ähnelt das Hausſchwein in vieler Hinſicht noch ſeinem Vetter, und man kann deshalb leicht von jenem auf dieſes ſchließen. Selbſtverſtändlich iſt das Wildſchwein ein viel vollendeteres und muthigeres Geſchöpf, als unſer durch die Knechtſchaft verdorbenes Stallthier. Alle Bewegungen des Wildſchweins ſind raſch und ungeſtüm, wenn auch etwas plump und ungeſchickt. Der Lauf iſt ziemlich raſch und richtet ſich am liebſten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es nicht, ſcharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig iſt die Art und Weiſe, wie die Wildſchweine ein geradezu undurchdringlich ſcheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr ſpitzer Kopf und der ſchmale Leib ſcheint ganz dazu zu paſſen, ſich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge - ſchöpfen geradezu undurchdringlich iſt, einen Weg zu bahnen. Das ſchmale Gebreche ſchiebt ſich hinein, der Leib muß dann folgen, und ſo geht’s weiter mit Blitzesſchnelle. Jn den Rohr - waldungen der egyptiſchen Strandſeen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die Wildſchweine oft dahin wandeln ſehen. Sie trollten mit derſelben Geſchwindigkeit durch die dichteſten Stellen, als wenn ſie auf dem ſchönſten geebneten Pfade dahingehen ſollten. Auch im Sumpf und im See ſelbſt verſtehen ſie ſich vortrefflich zu bewegen. Sie ſchwimmen ausgezeichnet ſelbſt über ſehr breite Waſſerflächen; ja von unſerem Hausſchwein wenigſtens hat man Dies beobachtet ſie ſetzen unter Umſtänden noch von einer Jnſel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen kommt dem Schwein ſein Leibesbau ebenfalls gut zu ſtatten. Der fiſchähnliche Leib mit dem vielen Fett hält ſich ohne weiteres im Waſſer ſchwebend, und ſo genügt eine geringe Bewegung der immer - hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier raſch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet, daß Schweine eine deutſche Meile weit mit Leichtigkeit ſchwimmen.

Alle Wildſchweine ſind vorſichtig und aufmerkſam, obwohl nicht gerade ſcheu, weil ſie auf ihre eigene Kraft und ihre furchtbare Waſſe vertrauen können. Sie vernehmen und wittern ſehr ſcharf, äugen aber ſehr ſchlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine andere Wildart kommt auf den anſtehenden Jäger, wenn er ſich halbwegs ruhig verhält und unter dem Winde ſteht, ſo weit heran, als das Wildſchwein; und keinem anderen größeren Thiere kann man ſich, wenn es ruht, ſo weit nähern. Jn Egypten iſt es mehrere Mal vorgekommen, daß ich beim Beſchleichen von Sumpf - und Waſſervögeln bis auf fünf Schritte an Wildſchweine kam, welche dann erſt meine Ankunft zu bemerken ſchienen, freilich zu ihrer Rettung zu ſpät; denn dort, wo es freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über’s Herz bringen, einen ſchönen, ſtarken Eber vor ſich lau - fen oder liegen zu ſehen, ohne die ſichere Büchſe an ihm zu proben. Der Geſchmack unſeres Thieres kann nicht ſchlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem beſten den Vorzug. Empfindung iſt ihm auch nicht abzuſprechen. Sein geiſtiges Weſen iſt übrigens nicht ſo ſtumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewiſſen Grad von Verſtand. Jm Ganzen iſt es ſehr gutmüthig. Ungereizt thut ſelbſt das ſtärkſte Schwein keinem Menſchen Et - was zu Leide; nur dem Hunde, ſeinem bitterſten Feinde, widerſetzt es ſich und verſucht, ihm ge - fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi - gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Menſch ſeinen Gang ruhig fortſetzt, bekümmert ſich das Wildſchwein gar nicht um ihn oder entfernt ſich flüchtig: reizt man das Thier aber, ſo nimmt es auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf ſeinen Feind los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine, welches ſonſt ein ganz gemüthlicher Burſch war, im Vorbeireiten mit ſeiner Peitſche Eins verſetzte, dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. Vor verwundeten Sauen, ſagt731Das Wildſchwein.er, hat ſelbſt der Jäger Urſache, auf ſeiner Hut zu ſein. Unglaublich ſchnell kommt das Schwein gefahren, wenn es einen Menſchen oder ein Thier annimmt. Mit ſeinem Gewehre verſetzt es kräf - tige, gefährliche Schläge; aber ſelten hält es ſich auf, und noch weniger kehrt es ſich wieder um. Ver - liert man in ſolchen Fällen die Beſinnung nicht, läßt man das Schwein ganz nahe heran und ſpringt dann hinter einen Baum oder, wenn Dies nicht möglich iſt, nur auf die Seite: ſo fährt es, weil es nicht gewandt iſt, vorbei. Wer aber zu dieſen Rettungsmitteln weder Zeit und Gelegenheit hat, Dem bleibt noch das auf die Erdewerfen übrig; denn der kämpfende Keuler kann immer nur nach oben, nie nach unten ſchlagen.

Die Bache wird nie ſo leicht zornig, als das Schwein, gibt dieſem aber an Muth wenig nach. Zwar kann ſie mit ihren Haken durch Schläge keine argen Verwundungen beibringen, ſie wird aber, wenn ſie einen Menſchen annimmt, deshalb gefährlicher noch, als das Schwein, weil ſie bei dem Gegenſtand ihrer Wuth ſtehen bleibt, mit den Läufen auf ihm herum tritt und beißend ganze Stücken Fleiſch losreißt. Hier iſt dann das Niederwerfen ein ſehr falſches Rettungsmittel, und dem Jäger bleibt, wenn er kein Schießgewehr hat, nur noch ſein Hirſchfänger übrig, auf welchen er, inſofern er Kraft und Geſchicklichkeit genug beſitzt, die Bache auflaufen laſſen muß. Selbſt ſchwächere Sauen, ja ſogar jährliche Friſchlinge nehmen, wenn ſie ſehr in die Enge getrieben werden, zuweilen den Menſchen an, ohne ihm jedoch Schaden zufügen zu können.

Wenn man die Gewehre eines hauenden oder groben Schweins betrachtet, begreift man, daß dieſe Waffen furchterregend ſein können. Bei allen Schweinen zeichnen ſich die Keuler durch ihre Ge - wehre vor den Bachen aus. Schon im zweiten Jahre erheben ſich die Hauer aus dem Ober - und Unterkiefer, immer nach oben ſtrebend. Beim dreijährigen Keuler verlängert ſich das Untergewehr um Vieles mehr als das obere; es wächſt ſchräg aufwärts und krümmt ſich nach oben. Das obere krümmt ſich gleich von dem Kiefer ab nach aufwärts, iſt aber kaum halb ſo lang als jenes. Beide Hauzähne ſind ganz weiß und glänzend, auch äußerſt ſcharf und ſpitzig, und mit zunehmendem Alter werden ſie durch beſtändiges Gegeneinanderreiben immer ſchärfer und ſpitzer. Je älter das Schwein wird, deſto ſtärker krümmen ſich bei immer zunehmender Länge und Stärke beide Gewehre. Beim Hauptſchwein biegt ſich das untere faſt über dem Gebreche zuſammen; dann bleibt ihm nur das weiter nach außen und aufwärtsſtehende Obergewehr zum Streiten übrig. Die Schläge, welche das Thier mit dieſen ſcharfen Zähnen ausführt, ſind im höchſten Grade gefährlich und können tödtlich werden, wenn ſie einen edleren Theil des Körpers treffen. Das anrennende Schwein ſetzt mit viel Geſchick ſein Gewehr unten in die Beine oder den Leib ſeines Feindes ein und reißt mit einem raſchen Auf - und Zurückwerfen des Kopfes lange Wunden, welche tief genug ſind, um an den Schenkeln eines Mannes durch alle Muskellagen bis auf den Knochen zu reichen oder alle Bauch - decken zu durchſchneiden und die Eingeweide zu zerreißen. Letzteres geſchieht gewöhnlich den an - greifenden Hunden. Starke Keuler ſpringen auch an größeren Thieren in die Höhe und verſetzen dieſen furchtbare Schläge. So reißen ſie den Pferden die Bruſt und den Bauch auf. Alte Haupt - ſchweine ſind wegen ihrer ſtark nach innen gekrümmten unteren Gewehre weniger gefährlich, als ſechs - und ſiebenjährige Hauptſchweine.

Bei Gefahr leiſten ſich die Wildſchweine gegenſeitig Hilfe, und namentlich junge werden mit ſehr viel Muth von den älteren vertheidigt. Bachen, welche noch kleine Friſchlinge haben, gehören zu den gefährlichſten aller Thiere und laſſen in der Verfolgung eines Kindesräubers nicht ab, bis dieſer überwunden iſt oder ihnen wenigſtens ihre Jungen zurückgegeben hat.

Die Stimme des Wildſchweins ähnelt der unſeres zahmen Schweines in jeder Hinſicht. Bei ruhigem Gange vernimmt man das bekannte Grunzen, welches einen gewiſſen Grad von Gemüthlichkeit aus - drückt; im Schmerz hört man von Friſchlingen und jährigen Keulern oder von den Bachen ein lautes Kreiſchen oder Klagen , wie der Jäger ſagt. Das Schwein dagegen gibt ſelbſt bei den ſchmerzlich - ſten Verwundungen nicht einen Laut von ſich. Seine Stimme iſt viel tiefer, als die der Bachen und732Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Wildſchwein.artet zuweilen in ein grollendes Brummen aus. Dies vernahm ich namentlich, wenn Hauptſchweine zum Fraße gingen und in der Nähe unſerer Verſteckplätze Gefahr witterten.

Gegen Ende Novembers beginnt die Brunſtzeit der Wildſchweine. Sie währt etwa vier bis fünf, vielleicht auch ſechs Wochen. Wenn Bachen, wie es zuweilen vorkommt, zweimal in einem Jahre brunſten und friſchen, ſind es wahrſcheinlich ſolche, die von zahmen Schweinen abſtammen und in irgend einem Forſte ausgeſetzt wurden; eigentlich wilde brunſten nur ein Mal im Jahre. Der Friſch - ling iſt mit einem Alter von 18 bis 19 Monaten zur Fortpflanzung geeignet, und der weibliche brun - ſtet auch in dieſer Zeit zum erſten Male; der männliche aber kommt nicht dazu, weil die groben Schweine ihn abſchlagen. Sobald die Brunſtzeit herannaht, nähern ſich die bisher einſiedleriſch lebenden Hauptſchweine dem Rudel, vertreiben die Keuler und laufen nun mit den Bachen umher, bis ſie ihr Ziel erreicht haben. Unter Gleichſtarken kommt es zu heftigen und langdauernden Kämpfen. Die Schläge, welche ſich die wackeren Streiter beibringen, ſind aber ſelten tödtlich, weil ſie faſt alle auf die Gewehre und undurchdringlichen Schilder fallen. Bei Kämpen von gleicher Stärke bleibt natürlich der Erfolg des Streites unentſchieden, und ſie dulden ſich dann zuletzt neben einander, ob - gleich ſelbſtverſtändlich mit dem größten Widerſtreben. Verlaſſen und traurig, ſagt Dietrich aus dem Winckell, müſſen während der Brunſtzeit die Vertriebenen, zu geringzähligen, nur aus ihres Gleichen beſtehenden Rudeln vereinigt, mit einander umherſchweifen und wohl oder übel ihre Liebesbegierde unterdrücken, bis jene Alleinherrſcher geſättigt und entnervt, ihnen freiwillig das Feld räumen und in die Einſamkeit zurückziehen. Doch bleibt auch noch dieſem oder jenem Rüſtigen unter der männlichen Jugend ein Blümchen zu pflücken übrig, welches ihnen das vorher Entbehrte ſchadlos hält. Sonderbar ſind die Liebkoſungen, welche die brünſtigen Keuler und Schweine der Bache zukommen laſſen. Sie ſtoßen dieſe nämlich unaufhörlich an alle Theile des Leibes mit ihrem Ge - breche und oft in recht unzarter Weiſe. Allein die keineswegs ſpröden Schönen verſtehen den Werth ſolcher Liebkoſungen gehörig zu ſchätzen und nehmen ſie ſehr gut auf. Selbſt während des Beſchlags, welcher eben höchſt ſchwerfällig vor ſich geht, erhält, wie unſer eben genannter Gewährsmann ſagt, die Ge - liebte noch ſonderbare Beweiſe der Zärtlichkeit; denn vor lauter Entzücken beißt ſie der Liebhaber ſo kräftig in den Hals, daß entweder ein großer Theil von Gefühlloſigkeit oder ein Uebermaß von wonnevollen Gefühlen auf ihrer Seite dazu gehört, ſo Etwas ohne irgend ein Zeichen des Unbehagens zu ertragen. Achtzehn bis zwanzig Wochen nach der Brunſt ſetzt die ſchwächere Bache 4 bis 6, die ſtärkere 11 bis 12 Friſchlinge. Sie hat ſich vorher im einſamen Dickicht ein mit Mos, Nadeln oder Laub ausgefüttertes Lager bereitet und hält die von ihr zärtlich geliebten Kinderchen die erſten vierzehn Tage ſorgſam verſteckt in dieſem Lager, verläßt ſie auch nur ſelten und blos auf kurze Zeit, um ſich Fraß zu ſuchen. Dann führt ſie das kleine Rudel aus, bricht ihnen vor, und die netten, munteren Thierchen wiſſen ſchon recht hübſch ihr Gebreche anzuwenden. Oft finden ſich mehrere Bachen mit ihren Friſchlingen zuſammen und führen dann die junge Geſellſchaft gemeinſam an. Dann kommt es auch vor, daß, wenn eine Bache zufällig ihr Leben verliert, die anderen die Führung der Verwaiſten annehmen.

Ein Rudel dieſer jungen, ſchön gezeichneten Thiere bietet einen ungemein erfreulichen An - blick. Die noch kleinen Friſchlinge ſind allerliebſte Geſchöpfe. Jhr Kleid ſteht ihnen vortreff - lich, und die Munterkeit und Beweglichkeit der Jugend bilden einen vollendeten Gegenſatz zu der Trägheit und Langweiligkeit des Alters. Ernſthaft gehen die Bachen ihren Friſchlingen voran, und dieſe trollen und laufen, quieken und grunzen hinter jenen drein, ohne Unterlaß ſich zerſtreuend und wieder ſammelnd, hier ein wenig verweilend und brechend, einen plumpen Scherz verſuchend und dann ſich wieder ſammelnd und nach der Alten hindrängend, ſie umlagernd und zum Stillſtehen zwingend, das Geſäuge ſich erbittend und dann wieder luſtig weiter trollend: ſo geht es während der ganzen Nacht fort, und bei Tage kann es die unruhige Geſellſchaft im Keſſel auch kaum aushalten und dreht und bewegt ſich dort ohne Ende. Nichts überſteigt den Muth und die Unerſchrocken - heit, ſagt Winckell, womit eine rechte oder eine Pflegemutter ihre Familie im Nothfalle ver -733Das Wildſchwein.theidigt. Beim erſten Ausbruch des klagenden Lautes eines Friſchlings eilt die Bache pfeilſchnell heran. Keine Gefahr ſcheuend, geht ſie blind auf jeden Feind los, und wäre es auch ein Menſch, der ihr ein Kind rauben wollte. Ein Mann, welcher einſt beim Spazierenreiten ganz junge Friſchlinge fand, wollte einen davon mit nach Hauſe nehmen. Kaum begann dieſer, den er aufheben und aufs Pferd bringen wollte, zu klagen, als die Bache heranſtürzte, ihn, ſo ſehr er ſich auch zu entfernen eilte, unaufhörlich verfolgte, wüthend am Pferde in die Höhe ſprang und mit offenem Gebrech ihm nach den Füßen fuhr. Endlich warf er den Friſchling herunter. Behutſam nahm die zärtliche Alte ihr gerettetes Kind ins Gebreche und trug es zur übrigen Familie zurück.

Das Lebensalter, welches die Wildſchweine erreichen, ſchätzt man auf 20 bis 30 Jahre. Ein zahmes Schwein wird niemals ſo alt; denn der Mangel an Freiheit und an zuſagendem Fraße ver - kürzen ihm ſein Leben auffallend. Die Wildſchweine ſind auch nur wenigen Krankheiten ausgeſetzt. Blos außerordentlich ſtrenge Kälte mit tiefem Schnee, welcher ihnen das Brechen und das Auffin - den der Nahrung unmöglich macht oder, wenn er eine Rinde hat, auch die Haut an den Läufen verletzt, werden Urſache, daß in nahrungsarmen Gegenden manchmal viele von ihnen fallen. Der Wolf und der Luchs, auch wohl der ſchlaue Fuchs, welcher wenigſtens einen kleinen Friſchling weg - zufangen wagt, ſind bei uns zu Lande die Hauptſeinde des Wildſchweins. Jn den ſüdlicheren Ge - genden ſtellen auch die größeren Katzen mit Eifer dem fetten Wildpret nach. Der größte Feind des Thieres iſt aber wiederum der Menſch; denn die Jagd des Wildſchweins hat ſeit allen Zeiten als ein ritterliches, hoch geachtetes Vergnügen gegolten, und jeder echte Jäger ſetzt noch heutzutage gern ſein Leben ein, wenn es gilt, einem Wildſchweine in der uralten Jagdweiſe gegenüberzutreten. Ge - genwärtig iſt die Jagd bei uns freilich mehr zu einer Spielerei geworden, als zu einem Kampfe mit den wüthenden und gefährlichen Keulern oder Ebern; denn die hohen Herren, welche jetzt die Jagd betreiben, dürfen das ihren Unterthanen ſo theure Leben ſelbſtverſtändlich nicht leichtſinnig auf das Spiel ſetzen. Sie ſichern ſich deshalb ſoviel als möglich, ſchießen von der Kanzel herab auf die ihnen zugetriebenen Keuler und überlaſſen etwaige Gefahren allergnädigſt den Jägern und Treibern. Von ritterlichen Kämpfen zwiſchen den Jägern und ihrem Wild iſt bei der jetzigen Jagdweiſe keine Rede mehr. Höchſtens einer oder der andere von den Hunden, welcher verwundet wird, oder ein unbedeu - tender Bauer und Jagdgehilfe büßt noch ſein Leben dabei ein. Zu alten Zeiten war es freilich anders, zumal damals, wo noch die Armbruſt und die Schweinsfeder oder das Fangeiſen die gebräuchlichen Jagdwaffen waren. Die Schweinsfedern, ein Spieß mit breiter, zweiſchneidiger Stahlſpitze und drei Zoll langen Haken am Ende des zwölf - bis vierzehnzölligen Eiſens, wurden be - nutzt, um das zornige Wildſchwein beim Anrennen auf den Jäger abzufangen. Man ſtellte ſich dem Schweine entgegen, indem man mit der rechten Hand das Ende des hölzernen Stiels feſt an den Leib andrückte, mit der linken aber dem Eiſen die Richtung zu geben verſuchte. Sobald nun das blind - wüthende Thier heranſchoß, richtete man das Eiſen ſo, daß die Spitze ihm auf den Unterhals oberhalb des Bruſtbeins zu ſtehen kam, und der Stoß des anrennenden Schweins war dann auch regelmäßig ſo heftig, daß die ganze Spitze bis zu den Haken, welche das weitere Eindringen ver - hüteten, dem Wildſchweine in die Bruſt fuhr, bei richtigem Gebrauch der Waffe ihm das Herz durchbohrend. Schwächere Sauen ließ man nur auf den Hirſchfänger anlaufen. Man ſetzte dieſen, das Heft mit der rechten Hand gefaßt, über dem rechten, etwas gebogenen Knie an, wobei man den Körper auf den linken, hinterwärts angeſetzten Fuß ſtützte. Um die Sauen zu reizen, rief man ihnen die Worte Huß Sau! zu, und augenblicklich rannten ſie dann blind auf den mörderiſchen Stahl ein.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Jagdart ebenſoviel Muth als Geſchick erforderte, wenn es dem Jäger nicht ſchlimm ergehen ſollte; und eben aus dieſem Grunde iſt ſie jetzt bei uns abgekom - men. Jn allen ſüdlicheren Ländern aber wird ſie noch vielfach angewandt, wenn auch mit einigen Abänderungen. Die Beduinen der Sahara und die indiſchen Jäger betreiben ihre Jagd zu Pferde und ſtoßen dem anrennenden Schweine von oben herab ſcharfe Lanzen durch den Leib. 734Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Wildſchwein.Nach falſchen Stößen ſuchen ſie, Dank ihrer Geſchicklichkeit im Reiten, vor dem wüthend auf ſie ein - dringenden Feinde das Weite, kehren aber augenblicklich um, verfolgen das Wild ihrerſeits wieder und bringen ihm neue Stöße bei, bis es erliegt. Jn Egypten zogen wir mit Büchſe und Hirſch - fänger bewaffnet zur Wildſchweinjagd aus. Jn den Zuckerrohrfeldern war an eine Jagd gar nicht zu denken; denn keine Macht der Erde hätte, ohne das ganze Feld zu zerſtören, die hier ſo wohl ge - borgenen Wildſchweine austreiben mögen. Wir ſuchten ſie daher an günſtigeren Orten auf und konnten, bei der Häufigkeit der Thiere, einer lohnenden Jagd gewiß ſein. Jch ſelbſt erlegte in einem Nachmittage ohne Treiber auf einfachen Bürſchgängen durch das Röhricht fünf Sauen, darunter zwei grobe Schweine, und ein anderes Mal bei einem Treiben über mit Riedgras bedeckte Ebene im Delta deren drei. Da hieß es freilich richtig zielen; denn die Verwundeten nahmen uns ſofort mit raſender Wuth an, und es waren Schweine, ſtark genug, um uns im ſchlimmen Falle die Jagd hart büßen zu laſſen. Gleichwohl kam es niemals zum Gebrauch des Hirſchfängers. Die Schweine ſtanden gewöhnlich ſo nahe vor uns auf, daß ein Fehlſchuß kaum möglich war und nur bei einem einzigen Hauptſchwein welches einer meiner Gefährten nur leicht verwundet hatte, würde die Sache bedenklich geworden ſein, wenn ich dem Thiere nicht noch hart vor dem Anrennen meines Gefährten eine Kugel auf die rechte Stelle geſetzt hätte.

Gegen die Hunde vertheidigt ſich das Wildſchwein mit raſender Wuth. Man brauchte in früheren Zeiten zur Saujagd die ſogenannten Saufinder und Hetzhunde, muthige, ſtarke und flüchtige Thiere, welche in halbwildem Zuſtand gehalten und nur auf Schwarzwild gebraucht wurden. Die Saufinder mußten das Wild ſuchen, die Hatzhunde deckten es. Ehe es zum Packen kam, d. h. ehe die Hunde ſich am Gehör ihrer Feinde feſtbiſſen, wurde gar manchem Hunde der Leib aufge - riſſen oder er wenigſtens derb geſchlagen. Auf beiden Seiten wehrte man ſich mit gleicher Tapfer - keit, und wenn acht bis neun der ſtarken und muthigen Hunde über das Schwein herfielen, mußte es ſich doch ergeben. Das von den Hunden angegriffene Schwein ſuchte ſich klugerweiſe den Rücken zu decken und ſetzte ſich zu dieſem Zwecke gewöhnlich an einen Baumſtamm oder ins Gebüſch, nach vorn hin wüthend um ſich hauend. Die erſten Hunde waren am ſchlimmſten dran. Hatte aber einmal einer dieſer herrlichen Jagdgehilfen ſich am Schweine feſtgebiſſen, ſo war er nicht wieder loszubringen: er hätte ſich eher Hunderte von Schritten weit ſchleifen laſſen. So wurde das Wildſchwein feſtgehalten, bis der Jäger herbeikam, um es abzufangen.

Das Fleiſch des Schwarzwildes wird mit Recht ſehr geſchätzt. Es hat neben dem Geſchmack des Schweinefleiſches den des echten Wildprets. Namentlich Friſchlinge ſind ausgezeichnet. Der Kopf und die Keulen gelten für beſondere Leckerbiſſen. Auch die Würſte, welche man aus Wildſchwein - fleiſch bereitet, ſind vortrefflich. An den egyptiſchen Seen, wo die Schweine in gewaltigen Ru - deln hauſen, beſchäftigten ſich manchmal europäiſche Fleiſcher monatelang mit der Jagd des von den Mahammedanern mißachteten, unreinen Wildes, und bereiteten aus dem Fleiſch der erlegten Thiere blos Würſte, welche ſie dann mit ſehr gutem Gewinn verkauften. Während der Brunſt - zeit iſt das Fleiſch des Keulers ungenießbar. Auch die Haut wird verwendet, und die Borſten ſind ſehr geſucht. Aber ſo groß auch der Nutzen ſein mag: den Schaden, welchen das Thier anrichtet, kann er niemals aufwiegen.

Mit unſerem Wildſchweine nahe verwandt iſt das weißbärtige oder japaniſche Schwein (Sus leucomastix). Es unterſcheidet ſich hauptſächlich durch die Größe, nicht aber auch durch Geſtalt und Farbe. Wahrſcheinlich iſt es der Stammvater der kleinen, zahmen Naſſe, welche wir unter dem Namen chineſiſches Schwein kennen. Auch das indiſche Schwein (Sus cristatus), das Papu - ſchwein (Sus papuensis), zwei afrikaniſche Schweine: das Buſchſchwein (Potamochoerus africanus) und das pinſelohrige Schwein (Choeropotamus penicillatus) gelten als Stamm - väter der Hausſchweine, und deshalb will ich ihrer wenigſtens flüchtig gedenken.

735Das weißbärtige, indiſche und Papuſchwein. Das pinſelohrige Schwein.

Das weißbärtige Schwein hat kurzen Rumpf, verlängerten Kopf und kleine, ſtark behaarte Ohren. Seine Färbung iſt dunkelbraun, unten weißlich. Vom Mundwinkel an läuft ein lichter Streifen über die Wangen.

Das indiſche Schwein iſt kleiner, als das unſrige, und am ganzen Körper ſpärlich mit Bor - ſten beſetzt. Der Hinterbauch und ein großer Fleck hinter den Ohren ſind faſt nackt. An der unteren Hälfte der Wangen bilden die Haare einen Bart, auf der Stirn und dem Ende des Rückens eine Art liegender Mähne. Die meiſten Borſten ſind ſchwarz mit gelblichbraunen Spitzen. Hierdurch ent - ſteht eine lichtgelblichbraune, ſchwarzgeſprenkelte Färbung. Die Füße und die Schnauze ſind mehr lichtbräunlich, die Haare am Bauche ſchmuzigweißlich.

Das Papuſchwein beſitzt die zierlichſte Geſtalt von allen bisjetzt bekannten echten Schweinen und ſteht dieſen auch in der Größe weit nach. Es wird 3 Fuß lang und 18 bis 20 Zoll hoch. Die Füße ſind niedrig, die Haut iſt braun, hinter den Ohren runzelig, auf den Wangen und am Bauche faſt nackt. Das Haar iſt dünn und auch nicht dicht geſtellt; die ſchwärzliche Schnauze und

Das pinſelohrige Schwein (Sus-Choeropotamus-penieillatus).

den Unterkiefer bedeckt es noch am dichteſten. Die Oberſeite iſt ſchwarz und röthlich, die Glieder ſind dunkler braun, Wangen, Kehle und Bauch aber weiß, die Augen werden von ſchwärzlichen Riefen umgeben. Junge ſind dunkelbraun, zwei bis fünf Mal ihrer Länge nach lichtbraun geſtreift. Dem Keuler fehlen die großen Hauer.

Dies wären die aſiatiſchen Stammeltern der Schweine, welche man bisjetzt in ihrer Heimat in wildem Zuſtande, wie als Hausthiere angetroffen hat. Hierzu kommen nun noch zwei in Afrika lebende Arten: das pinſelohrige Schwein und das Buſchſchwein, beide noch wenig bekannte Thiere aus dem Weſten und Süden des gedachten Erdtheils.

Erſteres (Sus-Choeropotamus-penicillatus) iſt ein ſehr ſchönes Thier von etwas geringerer Größe, als das Wildſchwein, mit gleichmäßig feiner Behaarung auf der Oberſeite und langen, faſt zottigen Haaren längs der Seiten und am Bauche, mit faſt nackten Beinen und Geſicht, aber einem hübſchen Bart zu beiden Seiten der Wangen und Pinſel an den Ohren und am Schwanze. Die Hauptfärbung des Thieres iſt ein ſchönes, dunkles Rothgelb auf dem Oberkörper; das Geſicht736Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Buſchſchwein.mit Ausnahme des Bartes, die Beine und der Schwanz ſind dunkelgrauſchwarz. Ein Streifen, welcher über das Kreuz läuft, und die Ohrpinſel ſind weiß, die Ringe um die Augen gelblich.

Das Buſchſchwein (Sus-Potamochoerus-africanus) iſt am ganzen Leibe mit faſt gleichmäßig langen Vorſten behaart; nur auf dem Nacken bildet ſich eine liegende Mähne und an den Wangen ein ziemlich ſtarker Bart. Die Färbung des Leibes iſt ein röthliches Graubraun; das Geſicht iſt fahlgrau, der Bart und die Mähne ſind weißlichgrau. Schwarze Ringe umgeben die Augen, und ein ſchwarzer Streif läuft über die Wangen. Ohren und Beine ſind dunkelbraunſchwarz.

Einige Forſcher wollten dieſe Schweine blos als Abart von den vorigen gelten laſſen; ſeitdem jedoch beide Arten lebend im engliſchen Thiergarten ſich befinden, hat dieſe Anſicht ihre Stichhaltig - keit verloren.

Alle dieſe Schweine leben wild unter ähnlichen Verhältniſſen, wie unſer Wildſchwein, und laſſen ſich ſehr leicht zähmen, ſind auch jedenfalls ſeit den älteſten Zeiten als Hausthiere gehalten worden. So unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß ſie einen weſentlichen Einfluß mit auf die Raſſenbildung der zahmen Schweine ausgeübt haben. Bisjetzt iſt es noch gar nicht möglich geweſen, alle die verſchiedenen Raſſen kennen zu lernen; denn die Schweine ſind von jeher am wenigſten beachtet worden. Wir wollen deshalb auch blos die allerwichtigſten Spielarten des nützlichen Haus - thieres hier auführen.

Von unſerem Wildſchweine ſtammen wahrſcheinlich die größte Menge der Raſſen ab, welche wir hier in Europa haben. Nach Fitzinger laſſen ſich alle dieſe Spielarten auf zwei Hauptabtheilungen zurückführen: auf das krauſe und das großohrige Hausſchwein nämlich. Von erſterem ſollen die im Süden Europas, von letzterem die im Norden verbreiteten Raſſen abſtammen. Da unterſcheidet man nun das mongolitzer oder türkiſche, das ungariſche, ſirmiſche, polniſche, Zwerg - und ſpaniſche Hausſchwein einerſeits, das mähriſche, deutſche, langborſtige, baieriſche, jütländiſche, franzöſiſche und engliſche Schwein andererſeits. Alle dieſe Raſſen aber zerfallen wieder in eine Menge von Un - terraſſen. Beſonders wichtig ſind die ungariſchen und polniſchen Schweine, das deutſche Haus - ſchwein und das engliſche, welches letztere oft das ungeheure Gewicht von 1000 bis 1200 Pfund erreicht und zuweilen bis neunzehn Junge wirft. Die Engländer ſind, wie bekannt, vortreffliche Viehzüchter, und haben auch der Schweinezucht von jeher größere Theilnahme gewidmet, als wir Deutſchen. Deshalb unterſcheidet man gerade in England die meiſten Spielarten der Schweine, und zieht dort Thiere, welche auf den erſten Blick hin kaum noch Aehnlichkeit mit dem eigentlichen Schweine zeigen, ſo eigenthümlich verdickt und verunſtaltet ſich ihr Leib.

Von dem weißbärtigen Schweine ſoll das chineſiſche Hausſchwein abſtammen, welches in der Neuzeit viel mit den anderen Raſſen gekreuzt worden iſt und zur Erzeugung einer Menge von Spiel - arten beigetragen hat. Die angenommene Stammart lebt wild in den Wäldern von Japan und unterſcheidet ſich von unſerem Wildſchweine durch die viel geringere Größe, die kürzeren Läufe und die kleinen, kurzen Ohren, die andere Kopfbildung und die Färbung. Das eigentliche chineſiſche Schwein iſt ein zwergartiges Thierchen, welches ſehr zur Fettbildung geneigt und im hohen Grade fruchtbar iſt. Jn China wird die Zucht im großartigen Maßſtabe betrieben, und die Züchter halten dort namentlich darauf, daß die Maſtſchweine ſich ſo wenig als möglich bewegen, weshalb ſie bei einer Ortsveränderung ihre lieben Thierchen in einer Art von Säufte wegtragen. Europäer erklären das Fleiſch der in China geſchlachteten chineſiſchen Schweine für ungenießbar. Nur wenn es nach Art der Chineſen in lange Streifen zerſchnitten und in der Sonne getrocknet worden iſt, ſoll es uns zuſagen. Das portugieſiſche Hausſchwein ſoll auch von derſelben Stammart herrühren.

Als Abkömmling des indiſchen Schweins betrachtet man das in Siam lebende Hausſchwein, welches über das ganze ſüdliche Aſien und die Jnſeln der Südſee verbreitet iſt und auf den Geſell - ſchafts - und Freundſchaftsinſeln ſchon ſeit undenklichen Zeiten gezogen worden iſt; denn die Euro - päer fanden bei der Entdeckung jener Eilande bereits Maſſen von Schweinen im Beſitz der dortigen Einwohner. Später führte man ſie nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung, nach Guinea und737Das Hausſchwein.Südamerika, und in der Neuzeit ſind ſie auch nach Europa gekommen und mit anderen Haus - ſchweinen gekreuzt worden. Das Fleiſch ſoll ſehr zart, ſaftig und wohlſchmeckend ſein, der Speck ſich durch große Feſtigkeit auszeichnen. Fitzinger nimmt an, daß das ſardiniſche Hausſchwein ein Erzeugniß ſolcher in Europa verſuchten Kreuzungen iſt.

Das Papuhausſchwein ſtammt ſicher von dem auf denſelben Jnſeln wildlebenden Papuſchwein her. Noch heutzutage fangen die Einwohner Neuguineas viele junge Wildſchweine ein, um ſie groß zu füttern und ſpäter zu ſchlachten. An die Zähmung des Thieres denken ſie dabei nicht, und des - halb beharrt es auch in einem wildlebenden Zuſtande.

Die afrikaniſchen Schweine ſind bisjetzt nur von wenigen Völkerſchaften gezüchtet worden. Der Jslám verbietet bekanntlich den Genuß des Schweinefleiſches. Daher finden ſich zahme Schweine nur bei den heidniſchen Völkerſchaften und bei den wenigen Europäern, welche Afrika bewohnen. Erſt in der Neuzeit ſind die Buſch - und pinſelohrigen Schweine nach Europa gekommen und zur Zucht und Kreuzung mit anderen Schweinen verwendet worden.

Die in Amerika lebenden Hausſchweine fallen mit verſchiedenen Raſſen der übrigen Welttheile zuſammen, weil ſie ſämmtlich eingeführte Thiere ſind. Hier und da gibt es auch wieder verwilderte Schweine, wie ſich bei der Art und Weiſe der Behandlung der Thiere leicht erklären läßt. Wahr - ſcheinlich wird die Schweinezucht nirgends in ſo großartigem Maßſtabe betrieben, als in Nordamerika, namentlich in der Gegend von Cincinnati, wo ſehr viele Landleute ihren Erwerb vorzüglich in der Schweinemaſt ſuchen. Jm Frühjahr treiben ſie ihre Herden in die Wälder oder auf Felder, welche eigens für die Schweine mit Kohl, Hafer, Roggen, Erbſen, Buchweizen und Mais beſtellt ſind. Jm Herbſt vollendet man die Maſt durch eine Miſchung von gekochtem Mais, Obſt, Kartoffeln und Kürbis. Dann treibt man die Thiere in Herden in die Schlachthäuſer, metzelt ſie hier nieder, ſammelt das Blut in großen Behältern, um es zu Berlinerblau zu verwenden, brüht ſie hier mit heißen Dämpfen ab, ſchlachtet ſie aus, räuchert und ſalzt das Fleiſch ein und packt es in Fäſſer, um es dann zu verkaufen. Von vielen Schweinen trennt man das Fett auch gleich in Oel und Stea - rin, gerbt dann die Haut und verkohlt die Knochen für die Zuckerfabriken.

Mißbildungen kommen bei keinem Hausthiere weiter in ſo großer Manchfaltigkeit vor, als beim Hausſchwein. Es gibt nämlich einhufige und fünfzehige Hausſchweine, welche ihre eigen - thümliche Fußbildung zuweilen auf ihre Nachkommen vererben. Bei dem einhufigen Hausſchwein ſind die beiden vorderen Klauen durch Verwachſung in ein einziges Stück verſchmolzen, bei dem fünf - zehigen ſchiebt ſich eine dritte, verkümmerte Zehe zwiſchen den beiden Vorderzehen ein. Die einhufigen Schweine wurden ſchon zur Zeit der alten Griechen und Römer in Jllyrien gefunden; heutzutage trifft man einzelne in Polen und in der Moldau.

Heutzutage ſind die zahmen Schweine über den größten Theil der Erde verbreitet. So weit nach Norden hin Landbau betrieben wird, ſind die Schweine Hausthiere; in den ſüdlichen Län - dern leben ſie mehr im Freien. Da eigentlich nur ſumpfige Gegenden dem Schweine zuſagen, ver - kümmert es in gewiſſem Sinne, wenn man es ins Gebirge bringt. Je höher es hinaufſteigt, um ſo mehr nimmt es das Gepräge des Bergthieres an. Der Leib wird kleiner und gedrungener, der Kopf kürzer und weniger ſpitz, die Stirn breiter. Der Hals verkürzt ſich und nimmt an Dicke zu, der Hintertheil wird mehr abgerundet und die Läufe kräftigen ſich. Damit geht Hand in Hand, daß ſolche Bergſchweine wenig Fett abſetzen, dafür aber zarteres und feineres Fleiſch bekommen, und daß ſie an Fruchtbarkeit verlieren. Klima, Bodenverhältniß, Zucht und Kreuzung haben nun auch einen gewiſſen Einfluß auf die Färbung, und daher kommt es, daß in gewiſſen Gegenden die, in anderen jene Färbung vorherrſcht. So ſieht man in Spanien faſt nur ſchwarze Schweine, wäh - rend ſolche bekanntlich bei uns im Norden ſelten ſind.

Man hält und mäſtet die Schweine entweder in den Ställen, oder treibt ſie während eines großen Theils des Jahres im Freien umher. Die eingepferchten Thiere werden größer und fetter, ſind aber ſchwächer und mehr Krankheiten ausgeſetzt. Die Schweine, welche den größten Theil desBrehm, Thierleben. II. 47738Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Hausſchwein.Lebens im Freien zubringen, ſind gewöhnlich etwas hochbeiniger und magerer, dabei aber viel kräf - tiger, ſelbſtändiger und muthiger. Nicht blos in Amerika betreibt man ſolche Waldzucht, wie man ſagen könnte, ſondern auch in den meiſten Provinzen Rußlands, in den Donautiefländern, in Griechenland, Jtalien, Südfrankreich und Spanien. Jn Skandinavien laufen die Schweine, we - nigſtens während des ganzen Sommers, nach ihrem Belieben umher, jedes mit einem kleinen, drei - eckigen Holzkummet um den Hals, welches ihnen das Eindringen in die umhegten Grundſtücke ver - wehrt, ſie im übrigen aber nicht hindert. Wenn man durch Norwegen reiſt, ſieht man die Schweine mit größter Behaglichkeit und Gemüthlichkeit längs der Landſtraßen dahinlaufen und hier ſich aller - lei Abfälle aufſuchen und andere Nahrung erwerben. Jm ſüdlichen Ungarn, Kroatien, Slavonien, Bosnien, Serbien, in der Türkei und in Spanien überläßt man die Schweine das ganze Jahr hindurch ſich ſelbſt und trägt nur inſofern Sorge um ſie, daß ſie ſich nicht verlaufen. Sie nutzen dann die Wälder aus und finden namentlich in den Eichwaldungen höchſt geeignete Futterplätze und Maſtorte. Jn Spanien ſteigen ſie bis hoch in die Gebirge hinauf; in der Sierra Nevada z. B. bis zu 8000 Fuß über dem Meer, und nutzen dort Oertlichkeiten aus, in welchen andere Thiere nicht viel finden würden. Das freie Leben hat alle ihre leiblichen und geiſtigen Fähigkeiten ſehr ent - wickelt. Sie laufen ſehr gewandt, klettern recht gut und ſorgen ſelbſt für ihre Sicherheit. Wie muthig ſie ſein können, habe ich bereits oben bei Beſchreibung des Wolfes erwähnt. Bei der ſogenannten halbwilden Zucht läßt man die Schweine während des Sommers im Freien, bringt ſie aber im Winter in die Ställe.

Mit Unrecht hat man geglaubt, daß dem Schweine zu ſeinem Wohlbefinden Koth und Schmuz unentbehrlich ſei. Auf manchen größeren Gütern hat man bereits, um es dem Schweine recht bequem zu machen, Lachen neben den Ställen errichtet, in denen ſich alle Unreinlichkeit ſam - melt. Die neueren Erfahrungen haben erwieſen, daß auch das Schwein bei reinlicher Haltung weit beſſer gedeiht, als wenn es beſtändig im Schmuze liegt; deshalb pferchen jetzt die gebildeten Thierzüchter ihre Schweine nicht mehr in die greulichen Gefängniſſe ein, welche man Schweineſtälle nennt, ſondern weiſen ihnen weite, luftige Räume an, welche leicht gereinigt werden können. Sie erziehen ſich hier viel geſündere und kräftigere Hausſchweine. Am beſten iſt es, wenn der Boden des Stalles mit großen Steinplatten ausgelegt iſt.

Das zahme Hausſchwein ähnelt in ſeinen meiſten Eigenſchaften der wilden Stammart. Es iſt gefräßig, widerſpenſtig, ungeſchickt und zeigt wenig Anhänglichkeit an den Menſchen. Doch gibt es Ausnahmen. Hausſchweine, welche von Jugend auf mehr in der Familie des Menſchen, als für ſich allein gelebt haben, wie Dies auf dem Lande nicht ſelten geſchieht, üben ihre geiſtigen Kräfte, und ſind dann weit verſtändiger, als die Uebrigen ihrer Art. Ein Förſter erzählte mir, daß er eine Zeit lang ein kleines, ſogenanntes chineſiſches Schweinchen beſeſſen habe, welches ihm wie ein Hündchen auf dem Fuße nachlief, auf den Namen hörte, ſogleich herbeikam, wenn es gerufen wurde, auf der Treppe mit ihm empor ſtieg, ſich im Zimmer ganz gut betrug und mancherlei Kunſtſtücke machte. Es war gewöhnt, im Walde Morcheln zu ſuchen und ſtand dieſem Geſchäft mit großem Eifer vor. Es konnte in plumper Weiſe eine Zeit lang Wache ſtehen und legte ſich hin, wenn man zu ihm ſagte: komm, du ſollſt geſchlachtet werden. Als Ludwig XI. krank war, wur - den von ſeinen Hofleuten alle nur erdenklichen Mittel hervorgeſucht, um die trüben Gedanken, welche den König beherrſchten, zu zerſtreuen. Die meiſten Verſuche waren fruchtlos, einer aber brachte den trübſinnigen König doch zum Lachen. Ein erfindſamer Kopf fiel darauf, Ferkel nach dem Tone eines Dudelſacks zum Tanzen und Springen abzurichten. Er bekleidete die Thiere vom Kopf bis zum Scheitel und ließ ſie einher ſtolziren in ſchön ausgeputzten Leibröcken, Beinkleidern mit Hut, Schärpe und Degen, kurz mit allen Anhängſeln, welche die Stellung eines vornehmen Mannes erfordert. Sie waren ſehr gut abgerichtet; nach Befehl ſprangen und tanzten ſie, ver - beugten ſich artig und betrugen ſich meiſterhaft folgſam. Nur Eins war ihnen unmöglich: der auf - rechte Gang nämlich. So wie ſie ſich auf zwei Pfoten aufgerichtet hatten, fielen ſie ſofort unter739Das Hausſchwein.Grunzen wieder nieder und die ganze Geſellſchaft ſchrie dann ihr: Honn, honn, honn auf eine ſo närriſche Weiſe, daß der König ſich doch des Lachens nicht enthalten konnte.

Andere abgerichtete Schweine hat man auch auf der Meſſe von St. Germain und auf dem Theater Aeſtley zu Paris geſehen. Jn London ſtellte man ein gelehrtes Schwein aus. Es konnte leſen. Man ließ es in einem Saale ſehen, in welchem viele Menſchen ſich verſammelten. Zwei Alphabete großer Buchſtaben auf Karten lagen auf dem Boden. Einer aus der Geſellſchaft wurde gebeten, ein Wort zu ſagen. Der Herr und Beſitzer des Schweins wiederholte es ſeinem Zögling und dieſer hob ſofort die zu dem Worte nöthigen Buchſtaben mit den Zähnen auf und legte ſie in die gehörige Ordnung. Auch die Zeit verſtand es anzugeben, wenn man ihm eine Uhr vor - hielt u. ſ. w.

Die Engländer hatten ein Schwein ſogar zur Jagd abgerichtet, und es leiſtete, wie Wood uns mittheilt, Vorzügliches. Slud, wie das Thier genannt wurde, war ein großer Freund von der Jagd und geſellte ſich augenblicklich zu jedem Jäger. Er eignete ſich für alle Arten der Jagd, mit Ausnahme der auf Haſen, welche er gar nicht zu beachten ſchien. Obgleich er ſich ſehr gut mit den Hunden vertrug, waren dieſe doch ſo ärgerlich über ſolchen Jagdgenoſſen, daß ſie ihre Dienſte zu thun verweigerten, wenn das Schwein irgend ein Wild vor ihnen aufgeſpürt hatte, und ſchließlich konnte man die Hunde gar nicht mehr mitnehmen, ſondern mußte den Slud allein gebrauchen. Seine Naſe war ſo fein, daß er einen Vogel ſchon in einer Entfernung von vierzig Ellen wahrnahm. Wenn derſelbe ſich erhob und wegflog, ging er gewöhnlich zu dem Platze, wo er geſeſſen hatte, und wühlte dort die Erde auf, um den Jägern dieſen Ort gehörig anzuzeigen. Lief aber der Vogel weg, ohne ſich zu erheben, ſo folgte ihm Slud langſam nach und ſtellte ihn, ganz nach Art eines guten Vorſtehhundes. Man gebrauchte Slud mehrere Jahre, mußte ihn aber zuletzt tödten, weil er die Schafe nicht leiden konnte und unter den Herden viel Schrecken verurſachte.

Andere Schweine hatte man abgerichtet, den Wagen zu ziehen. Ein Bauer in der Nähe der Marktſtadt St. Alban kam oft mit ſeinen vier Schweinen gefahren, jagte in einem ſonderbaren Galopp ein oder zwei Mal um den Marktplatz herum, fütterte ſein Geſpann und kehrte einige Stunden ſpäter wieder nach Hauſe zurück. Ein anderer Bauer wettete, daß er auf ſeinem Schweine in einer Stunde von ſeinem Hauſe vier Meilen weit nach Norfolk reiten wollte und gewann ſeine Wette.

Dieſe Geſchichten beweiſen wenigſtens, daß das Schwein der Abrichtung fähig iſt.

Sonderbar iſt die Thatſache, daß die Schweine einen großen Abſchen gegen Hunde zeigen. Wilde und zahme Schweine machen ſich kein Gewiſſen daraus, unter Umſtänden Aas zu freſſen, niemals aber gehen ſie Hundefleiſch an. Jn dem bei Koburg gelegenen Saugarten, ſagt Lenz, werden den Wildſchweinen oft todte Pferde vorgeworfen, welche ſie ohne Umſtände gierig auf - freſſen; wird aber ein todter Hund hingelegt, ſo genießen ſie keinen Biſſen davon. Viele unga - riſche Schweineherden werden ohne Hunde von den Hirten gelenkt und zerreißen jeden Hund, der unter ſie kommt. Jm Jahre 1848 hatte einer meiner Verwandten auf der dem Baron Sina ge - hörigen Puſta Alſo Beſuyö bei Erezin einen Hund, den er los ſein, aber nicht gern ſelbſt tödten wollte. Da erbot ſich der Schweinehirt, die Hinrichtung zu übernehmen, band den Hund an einem Stricke feſt und führte ihn zu ſeiner Herde. Dieſe überfiel ihn ſogleich mit lautem und grimmigem Grunzen, riß und biß ihn nieder, bearbeitete ihn, bis er wie eine Wurſt ausſah, fraß aber keinen Biſſen davon. Nun wurden die Schweine weggetrieben, wie ſie aber nach einer Stunde wieder - kamen, fielen ſie nochmals mit gleicher Wuth über den Hund her, fraßen jedoch wieder Nichts von ihm.

Jm allgemeinen zeigt ſich das zahme Schwein als vollſtändiger Allesfreſſer. Es gibt wirklich kaum einen Nahrungsſtoff, welchen dieſes Thier verſchmäht. Einige Pflanzen werden von ihm nicht berührt, und ſcharfe Gewürze können ihm den Tod bringen: im übrigen verzehrt es Alles, was der Menſch genießt, und noch hundert andere Dinge mehr. Es wählt ſeine Nahrung ebenſogern aus47*740Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nabelſchweine oder Pekaris.dem Pflanzenreich, wie aus dem Thierreich. Auf Brach - und Stoppeläckern wird es ſehr nützlich; es vertilgt hier Mäuſe, Engerlinge, Schnecken, Regenwürmer, Heuſchrecken, Schmetterlings - puppen und allerlei Unkraut, mäſtet ſich dabei vortrefflich und wühlt auch noch den Boden auf. Bei wenig Bewegung wird es in ſehr kurzer Zeit ſteif auf dem Rücken und zuletzt ſo unbeholfen und gefühllos, daß die Ratten ihm tiefe Löcher in den Rücken freſſen können. Man kannte Schweine, welche das ungeheure Gewicht von 1275 Pfund erlangt haben.

Während man bei den Hausſchweinen möglichſt darauf hält, daß ſie ſich nicht bewegen, muß man den zur Zucht beſtimmten viel Spielraum gönnen. Nothwendig iſt auch, daß ſie reine und warme Ställe bekommen. Die Paarung findet gewöhnlich zwei Mal im Jahre ſtatt, Anfangs April oder im September. Nach 16 bis 18 Wochen oder 115 bis 118 Tagen wirft das Hausſchwein vier bis ſechs, zuweilen auch zwölf bis funfzehn, und in ſeltenen Fällen zwanzig bis vierundzwanzig Junge. Die Mutter hegt für dieſe wenig Sorgfalt und bereitet ſich oft nicht ein - mal ein Lager vor dem Ferkeln. Nicht ſelten kommt es vor, daß ſie, wenn ihr die große Kinder - ſchar läſtig wird, einige von den Kleinen auffrißt, gewöhnlich dann, wenn ſie dieſelben vorher erdrückt hat. Manche Mutterſchweine muß man bewachen und ſie ſchon lange Zeit vor dem Wurf von thieriſcher Nahrung abhalten. Die Jungen guter Mütter läßt man vier Wochen ſaugen, ohne ſich weiter um ſie zu bekümmern. Dann nimmt man ſie weg und ſüttert ſie mit leichten Nahrungs - ſtoffen groß. Das Wachsthum geht ſehr raſch vor ſich, und bereits mit dem achten Monate iſt das Schwein fortpflanzungsfähig.

Ueber die Benutzung des geſchlachteten Thieres brauche ich hier Nichts zu ſagen; denn Jedermann weiß, daß eigentlich kein Theil des ganzen Schweins verloren geht.

Amerika iſt arm an Schweinen, und die ihm eigentlichen Arten ſtehen auch in der Größe weit hinter den altweltlichen Verwandten zurück.

Sie bilden die Gruppe der Nabelſchweine oder Pekaris (Dicotyles), welche ſich haupt - ſächlich dadurch auszeichnen, daß ihre Hinterfüße nur dreizehig ſind und der Schwanz gänzlich ver - kümmert iſt. Auch die einfachen Eckzähne und eine eigenthümliche Drüſe auf dem Rücken tragen zur Kennzeichnung dieſer Thiere bei.

Der oft genannte Pekari (Dicotyles torquatus) iſt ein kleines Schwein von bis höchſtens 5 Fuß Geſammtläuge und 1 bis Fuß Höhe. Er hat einen kurzen Kopf und eine ſtumpfe Schnauze, iſt ſonſt aber ziemlich ſchlank gebaut. Die Borſten ſind verhältnißmäßig lang und dicht geſtellt. Am Grunde erſcheinen ſie dunkelbraun, hierauf ſind ſie falb und ſchwarz geringelt und an der Spitze endlich wieder ſchwarzbraun gefärbt. Zwiſchen den Ohren und auf der Mittellinie des Rückens verlängern ſie ſich, ohne jedoch einen ſtarken Kamm zu bilden. Die allgemeine Färbung des Thieres iſt ein ſchwärzliches Braun, welches auf den Seiten ins Gelblichbraune übergeht und mit Weiß ſich vermiſcht. Der Bauch iſt braun, die Vorderbruſt weiß, und vonhieraus läuft eine gelblich gefärbte Binde nach vorn und unten und über die Schultern nach hinten und oben. Aus der Rückendrüſe ſondert ſich zu allen Zeiten eine durchdringend riechende Flüſſigkeit ab, welche den Eig - nern aber ſehr zu behagen ſcheint, weil ſie ſich gegenſeitig mit ihren Schnauzen an den Rücken - drüſen reiben.

Jn allen waldreichen Gegenden Südamerikas bis gegen 3000 Fuß über dem Meere ſind die Nabel - oder Biſamſchweine gewöhnliche Erſcheinungen. Jn zahlreichen Trupps durchziehen ſie unter Leitung der ſtärkſten Eber ihrer Art die Wälder, täglich den Aufenthaltsort ändernd und eigentlich immer auf der Wanderſchaft begriffen. Nach Rengger’s Verſicherungen kann man ihnen tagelang folgen, ohne ſie zu ſehen. Bei ihren Zügen, ſagt dieſer Forſcher, hält ſie weder das offene Feld, welches ſie ſonſt nur ſelten beſuchen, noch das Waſſer auf. Kommen ſie zu einem

Peliari.

Maslienſchwein.

741Die Nabelſchweine oder Pekaris.Felde, ſo durchſchneiden ſie daſſelbe im vollen Lauf, ſtoßen ſie auf einen Fluß oder Strom, ſo ſtehen ſie keinen Augenblick an, ihn zu überſchwimmen. Jch ſah ſie über den Paraguayfluß ſetzen an einer Stelle, wo er mehr als eine halbe Stunde breit war. Der Rudel ſelbſt zieht in dichtem Gedränge, die männlichen Thiere voran, jedes Mutterſchwein mit ſeinen Jungen hinter ſich. Man erkennt ihn ſchon von weitem durch das Gehör, und zwar nicht blos wegen der dumpfen, rauhen Laute, welche die Thiere von ſich geben, ſondern noch mehr, weil ſie ungeſtüm das Gebüſch auf ihrem Wege zer - knicken. Bonpland wurde einmal von ſeinem indianiſchen Führer beim Botaniſiren gebeten, ſich hinter einen Baum zu ſtecken, weil der Begleiter befürchtete, daß unſer Forſcher vom Rudel zu Boden geworfen werden möchte. Die Eingeborenen verſicherten Humboldt, daß ſich ſelbſt der Tiger im Walde ſcheue, unter ein Rudel dieſer Wildſchweine zu gerathen und ſich, um nicht erdrückt zu werden, vor ihnen regelmäßig hinter einen Baum flüchtet.

Die Pekaris gehen bei Tage und bei Nacht ihrem Fraße nach, und der Mangel an geeigneter Nahrung iſt es wohl auch, welcher ſie zu größeren Wanderungen zwingt. Baumfrüchte aller Art und Wurzeln bilden ihren Fraß. Die Wurzeln wühlen ſie mit dem Rüſſel aus der Erde hervor. Jn bewohnten Gegenden brechen ſie häufig in die Pflanzungen ein und zerſtören die Felder. Neben pflanzlicher Nahrung ſollen ſie auch Schlangen, Eidechſen, Würmer und Larven freſſen.

Jn ihren Bewegungen und ihrem Weſen ähneln ſie unſeren Wildſchweinen; ſie zeigen aber weder die Gefräßigkeit, noch die Unreinlichkeit derſelben, freſſen nie mehr, als ſie bedürfen, um ihren Hunger zu ſtillen, und ſuchen blos in der größten Hitze, und dann auch nur Pfützen auf, um ſich in ihnen zu ſuhlen. Bei Tage verbergen ſie ſich gern in hohlen Stämmen oder loſen Wurzeln großer Bäume; wenn ſie gejagt werden, flüchten ſie ſich ſtets nach ſolchen Schlupfwinkeln. Jhre Sinne ſind ſchwach, ihre geiſtigen Fähigkeiten gering. Gehör und Geruch ſcheinen am beſten ausge - bildet zu ſein. Das Geſicht iſt ſchlecht. Von eigentlichem Verſtand hat man bei ihnen Nichts bemerkt.

Mehrere Reiſende haben Wunderdinge von der Kühnheit der Pekaris erzählt; und die Natur - beſchreiber ihnen ohne weiteres geglaubt. Beſtändig wüthend, höchſt jähzornig, ſagt Wood, iſt der Pekari einer der beachtenswertheſten Gegner, welchen es für den Menſchen oder für ein Raub - thier gibt; denn Furcht iſt ein Gefühl, welches jenes Geſchöpf nicht kennt, vielleicht, weil ſein Ver - ſtand auf einer zu niederen Stufe ſteht und es unfähig iſt, eine Gefahr zu begreifen. So harmlos das Biſamſchwein auch iſt, ſo unbedeutend ſeine Bewaffnung erſcheint, mit anderen Mitgliedern ſeiner Familie verglichen, ſogut weiß es die äußerſt ſcharfen Zähne zu benutzen. Es ſcheint, daß kein ein - ziges Thier im Stande iſt, dem vereinigten Angriff der Pekaris zu widerſtehen. Selbſt der Jaguar wird gezwungen, den Kampf aufzugeben, und muß flüchten, ſobald ihn eine Herde Pekaris um - ringt und angreift. Von allen dieſen Geſchichten wiſſen Humboldt und Rengger Nichts. Die Biſamſchweine, ſagt Letzterer, werden theils ihres Fleiſches wegen, theils auch des Schadens halber, den ſie in den Pflanzungen anrichten, häufig gejagt. Man ſucht ſie gewöhnlich mit Hunden in den Wäldern auf und tödtet ſie mit Schüſſen oder Lanzenſtichen. Es iſt lange nicht ſo gefährlich, wie man geſagt hat, Trupps dieſer Thiere anzugreifen. Wohl mag hier und da ein unbeſonnener Jäger einige Wunden davongetragen haben, wenn er ſich allein und zu Fuße einem großen Rudel entgegenſtellte: jagt man ſie aber mit Hunden und greift man ſie nur von der Seite oder von hinten an, ſo iſt für den Jäger keine Gefahr vorhanden, da ſie ſo ſchnell als möglich davoneilen und ſich höchſtens gegen ſchwache Hunde vertheidigen. Fallen ſie oft in eine Pflanzung ein, ſo gräbt man auf der Seite, wo ſie dieſelbe zu verlaſſen pflegen, eine breite, 8 bis 9 Fuß tiefe Grube, wartet, bis ſie erſcheinen, und jagt ſie dann mit Hunden und unter Geſchrei auf die Grube zu, die, wenn das Rudel ſtark, zuweilen bis zur Hälfte mit ihnen angefüllt wird. Jch ſah auf einem Landgute neunundzwanzig Stück in ein Loch herabſtürzen und darin durch die Lanzen der Jäger ihren Tod finden. Diejenigen, welche ſich in den Urwäldern unter Baumwurzeln verborgen haben, treibt man mit Rauch heraus. Wir tödteten einmal funfzehn Stück auf dieſe Weiſe. Die Jndianer fangen die742Die Vielhufer oder Dickhäuter. Der Babiruſa.Biſamſchweine in Schlingen. Jn Wood’s Naturgeſchichte findet man noch eine eigenthümliche Jagdart angegeben: Wenn der Jäger ausgekundſchaftet hat, daß ein Rudel Pekaris in einen hohlen Baum gekrochen iſt und dort der Ruhe pflegt, nähert er ſich und ſchießt den Wachpoſten, welcher regelmäßig ausgeſtellt wird. Sobald die Schildwache getödtet iſt, wird ſie durch eine andere erſetzt; der Jäger tödtet auch dieſe, und ſo kann er die ganze Familie nach und nach umbringen!

Die Sau wirft blos zwei Junge, welche vielleicht ſchon am erſten Tage, ſicherlich aber ſehr kurz nach ihrer Geburt, der Mutter überall hin folgen. Sie laſſen ſich ohne Mühe zähmen und werden, wenn man ſie gut behandelt, zu eigentlichen Hausthieren. Der Pekari, ſagt Hum - boldt, den man im Hauſe aufzieht, wird ſo zahm, wie unſer Schwein und Reh, und ſein ſanftes Weſen erinnert an die anatomiſch nachgewieſene Aehnlichkeit ſeines Baues mit der der Wiederkäuer. Jhr Hang zur Freiheit, berichtet Rengger, verſchwindet gänzlich, und an deſſen Stelle tritt die größte Anhänglichkeit an den neuen Wohnort und an die dortigen Hausthiere und Menſchen. Der Pekari entfernt ſich, wenn er allein iſt, nie lange von der Wohnung. Er verträgt ſich gut mit den übrigen Hausthieren und ſpielt zuweilen mit ihnen, beſonders aber iſt er den Menſchen zugethan, unter denen er lebt. Er weilt häufig und gern in ihrer Nähe, ſucht ſie auf, wenn er ſie einige Zeit lang nicht geſehen hat, drückt beim Wiederſehen durch Entgegenſpringen und Schreien ſeine Freude aus, hört auf ihre Stimme, wenn er ſie rufen hört, und begleitet ſie tagelang in Wald und Feld. Fremde, welche ſich der Wohnung ſeines Herrn nähern, kündigt er durch Grunzen und Streuben ſeiner Haare an. Auf fremde Hunde, falls dieſe nicht zu groß ſind, geht er ſogleich los, greift ſie an und verſetzt ihnen zuweilen mit den Eckzähnen tüchtige Wun - den, welche er nicht nach Art des Wildſchweins durch Stoßen, ſondern durch eigentliches Beißen beibringt.

Nach Europa kommen oft lebende Pekaris; in den Thiergärten ſind ſie regelmäßige Erſchei - nungen. Sie ertragen unſer Klima verhältnißmäßig gut, haben ſich auch bereits in England fortge - pflanzt. Man erhält ſie bei gewöhnlichem Schweinefutter lange Jahre.

Von ihrer Freundſchaft zu dem Menſchen habe ich bisher noch Nichts bemerken können. Un - ſere Gefangenen ſind biſſige, jähzornige Geſchöpfe, welche ſich auch dem Wärter gegenüber ſehr rauf - luſtig zeigen.

Das Fell der Nabelſchweine wird hauptſächlich zu Säcken und Riemen benutzt, das Fleiſch hingegen von dem ärmeren Volke gegeſſen. Es hat einen angenehmen Geſchmack, welcher aber mit dem des Schweinefleiſches keine Aehnlichkeit hat. Auch findet ſich anſtatt des Specks nur eine dünne Lage von Fett. Jſt das Biſamſchwein vor ſeinem Tode lange gehetzt worden, ſo nimmt das Fleiſch einigermaßen den Geruch der Rückendrüſe an, falls man dieſe nicht bald herausſchneidet. Sonſt aber kann man das todte Thier in ſeiner Haut erkalten laſſen, ohne daß ſich dieſer Geruch im Fleiſche wahrnehmen läßt.

Auf Celebes und einigen kleinen Jnſeln der Molukkengruppe lebt ein ſehr eigenthümliches Schwein. Es iſt viel ſchlanker und hochbeiniger gebaut, als alle übrigen, und noch beſonders durch einen förmlichen Hörnerſchmuck ausgezeichnet. Seine Zähne nämlich wachſen zu ſolcher auf - fallenden Länge empor, und die oberen krümmen ſich ſo ſonderbar, daß man ſie recht wohl mit Hörnern vergleichen kann. Die Europäer haben den urſprünglichen Landesnamen Babi-Rusa, welcher ſoviel als Eber und Hirſch bedeutet, ohne weiteres aufgenommen und ſogar überſetzt, weil er das betreffende Schwein treffend bezeichnet. Durch ſeine Zähne unterſcheidet ſich der Babiruſa von allen übrigen Mitgliedern ſeiner Familie. Er gilt mit Recht als Vertreter einer eigenen Sippe (Porcus).

Der Babiruſa iſt ein Thier von bedeutender Größe. Neuere Jäger behaupten, einzelne Eber geſehen zu haben, welche ebenſogroß wie ein mittlerer Eſel waren. Durchſchnittlich mag die743Der Babiruſa.Körperlänge des erwachſenen Thieres Fuß, die Schwanzlänge 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt und Kreuze Fuß betragen. Jn der Geſtalt hat der Babiruſa große Aehnlichkeit mit den übri - gen Schweinen, und ſeine einzelnen Leibestheile unterſcheiden ſich wenig oder nicht von dieſen Thieren. Der Leib iſt geſtreckt, rund und voll, ſeitlich jedoch nur wenig zuſammengedrückt, der Rücken ſchwach gewölbt, der Hals kurz und dick, der Kopf lang geſtreckt, verhältnißmäßig klein, an der Stirn ſchwach gewölbt, mit einem ſtark zugeſpitzten, die Unterlippe überragenden, kräftigen, beweg - lichen Rüſſel, welcher an ſeiner Spitze ebenſo abgeſtutzt iſt, wie bei den Schweinen, und auch die nackte, knorpelige Wühlſcheibe zeigt, mit ihren ſchwieligen Rändern und den Naſenlöchern, welche ſie durchbohren. Die Beine ſind kräftig, aber geſtreckt, die vorderen wie die hinteren vierzehig, die Vorderzehen höchſtens etwas weiter von einander abſtehend, als bei den übrigen Schweinen. Die Schnauze iſt dünn und wird hängend getragen. Kleine, wimperloſe Augen und mittellange, ſchmale, zugeſpitzte und aufrechtſtehende Ohren zieren den Kopf. Den Hauptſchmuck aber bilden die Eckzähne des Oberkiefers. Sie ſind beim Männchen äußerſt lang, dünn und ſpitz, nach aufwärts

Der Babiruſa.

und zugleich nach rückwärts gerichtet, ſo daß ſie mit höherem Alter zuweilen in die Haut der Stirn eindringen. Die Hauzähne des Oberkiefers durchbohren die Rüſſeldecke und krümmen ſich halbkreis - förmig oder noch mehr nach hinten. Auf der Vorderſeite ſind ſie gerundet, ſeitlich und nach rück - wärts zuſammengedrückt, hinten ſtumpfſchneidig. Die Gewehre des Unterkiefers ſind kürzer, dicker und mehr gerade nach aufwärts gerichtet. Beim Weibchen ſind die Eckzähne ſehr kurz, und die oberen, welche ebenſo wie bei dem Männchen die Schnauze durchbohren, ragen kaum einige Linien über ſie empor. Vier Vorderzähne im Oberkiefer, ſechs im Unterkiefer und fünf Backzähne jederſeits bilden das übrige Gebiß.

Der Leib des Babiruſa iſt mit ziemlich kurzen, ſehr einzeln ſtehenden Borſten beſetzt, welche nur längs des Rückgrats und zwiſchen den vielen Hautrunzeln, ſowie am Ende des Schwanzes, wo ſie eine kleine Quaſte bilden, dichter ſtehen. Die Haut iſt dick, hart, rauh, vielfach gerunzelt und im Geſicht, um die Ohren und am Halſe tief gefaltet. Ein ſchmuziges Aſchgrau auf der Außen - und Oberſeite und Roſtroth an der Jnnenſeite der Beine iſt die allgemeine Färbung. Ueber die Mittel -744Die Vielhufer oder Dickhäuter. Der Babiruſa.linie zieht ein heller, bräunlichgelber Streifen, gebildet durch Spitzen der Borſtenhaare. Die Ohren ſind ſchwärzlich.

Es ſcheint, daß der Hirſcheber ſchon den Alten bekannt geweſen wäre, wenigſtens haben ſich die Sprachforſcher bemüht, einige unverſtändliche Namen auf ihn zu bringen. Schädel des Babiruſa kannte man ſchon ſeit mehreren hundert Jahren, Bälge aber kamen nur höchſt ſelten nach Europa, und Dies iſt heute noch der Fall. Frühere Abbildungen des Babiruſa waren Zerrbilder und die Naturgeſchichte des Thieres eine Zuſammenreihung der allerſonderbarſten Fabeln. Seitdem aber einige lebende Hirſcheber nach Europa gekommen und dort in den Thiergärten beobachtet worden ſind, hat man Abbildung und Beſchreibung möglichſt zu berichtigen geſucht, obwohl letzterer, was das Wildleben anlangt, immer noch mancherlei Fabeln anhaften mögen.

Außer Celebes, welches als das eigentliche Vaterland des Thieres angeſehen werden muß, fin - det es ſich auch noch auf den kleineren Jnſeln Buru und Malado, ſowie auf einigen Xurillen, zu - mal auf Xulli, Mangli und Bangahi, während es auf den unmittelbar daneben liegenden Molukken und den großen weſtlichen Sundainſeln und ebenſo auf dem hinterindiſchen Feſtlande zu fehlen ſcheint. Möglich iſt, daß es auch in Neuguinea und Neuirland vorkommt; wenigſtens fanden einige Reiſenden dort die unverkennbaren Hauzähne des Hirſchebers in den Händen der Eingeborenen. Auf Celebes und dem Jnneren Burus iſt der Babiruſa häufig. Seine Lebensweiſe iſt die an - derer Schweine, nur iſt er vielleicht ein noch größerer Waſſerfreund, als die übrigen Arten. Sumpfige Wälder, Rohrgebüſche, Brüche und Seen, auf denen viel Waſſerpflanzen wachſen, ſind ſeine Lieblingsorte. Hier rudelt er ſich zu größeren oder kleineren Geſellſchaften zuſammen, ſchläft bei Tage und geht nachts auf Fraß aus, alles Genießbare mitnehmend. Der Gang iſt ein raſcher Trab, der Lauf leichter als bei dem Wildſchweine, obgleich er ſelbſtverſtändlich nicht mit der köſt - lichen Bewegung der Hirſche wetteifern kann, wie man früher behaupten wollte. Weil man noth - wendigerweiſe doch die auffallend gebildeten Eckzähne des Ebers erklären muß, wird geſagt, daß er ſich manchmal an niedere Aeſte damit anhänge, theils um ſeinen Kopf zu ſtützen, theils aber, um ſich gemächlich hin und her zu ſchaukeln! Leider erinnert dieſe Angabe allzuſehr an die gleiche Be - hauptung, welche die Eingeborenen hinſichtlich des Moſchusthieres aufſtellen. Dagegen ſteht feſt, daß der Babiruſa ein ganz vortrefflicher Schwimmer iſt, welcher nicht blos in den ſüßen Gewäſ - ſern alle Nahrungsplätze beſucht, ſondern auch dreiſt über Meeresarme von einer Jnſel zur anderen ſchwimmt.

Unter den Sinnen des Thieres ſind Geruch und Gehör am beſten entwickelt. Die Stimme iſt ein langes, ſchwaches Grunzen. Die geiſtigen Eigenſchaften ähneln denen anderer Schweine. Der Hirſcheber weicht dem Menſchen aus ſolange es geht, ſetzt ſich aber unvermeidlichen Angriffen mit großer Ausdauer und der Tapferkeit aller Eber zur Wehr, und ſeine unteren Eckzähne ſind ganz anſtändige Waffen, welche auch dem muthigſten Manne ein gewiſſes Bedenken einzuflößen vermögen. Ein Seeoffizier, welcher mehrere Male mit dem Babiruſa zuſammen gekommen war, ſprach nur mit der größten Achtung von ihm, ſchien jedoch aus ſeinem Zuſammentreffen mit ihm nicht gern Viel er - zählen zu wollen. Die Eingeborenen ſollen ihn mit Lanzen erlegen und manchmal Treibjagden ver - anſtalten, bei denen die Babiruſas ihr Heil in der Flucht zu ſuchen pflegen.

Die Sau ſoll im Monat Februar etwa ein oder zwei Friſchlinge werfen, kleine, nette Thier - chen von 6 bis 8 Zoll Länge, welche von der Mutter ebenſo geliebt und vertheidigt werden, als Dies die übrigen Schweine zu thun pflegen. Weiter weiß man Nichts über die Fortpflanzung. Fängt man ſolche Junge frühzeitig ein, ſo nehmen ſie nach und nach einen gewiſſen Grad von Zahm - heit an, gewöhnen ſich an den Menſchen, folgen ihm unter Umſtänden und bezeugen ihm ihre Dankbarkeit durch Schütteln der Ohren und des Schwanzes. Man findet bei den Rajas zuweilen Babiruſas in der Gefangenſchaft, weil auch die Eingeborenen das Thier als ein ganz abſonderliches Geſchöpf betrachten und ſeiner Sehenswürdigkeit wegen in der Gefangenſchaft halten. Doch geſchieht745Der Hart - oder Schnellläufer. Die Harocha.Dies noch immer ſelten, und man verlangt ganz bedeutende Preiſe für ſolche zahme Thiere, nach un - ſerem Gelde mehrere Hunderte von Thalern.

Der holländiſche Statthalter der Molukken, Markus, ſchenkte den franzöſiſchen Naturforſchern Quoy und Gaimard, welche ihn bei ihrer Erdumſegelung beſuchten, ein Paar Hirſcheber, und das Schiff machte ihretwegen einen Umweg von mehr als funfzig Meilen. Dieſes Paar war das erſte, welches lebend nach Europa gebracht wurde. Beide Thiere wurden ziemlich zahm. Das Weib - chen zeigte ſich wilder, als das Männchen: als man erſteres meſſen wollte, kam es von hinten her und biß in die Kleider der Leute. Gegen die Kälte bewieſen ſich die Gefangenen außerordentlich empfindlich. Sie zitterten fortwährend, krochen zuſammen und verbargen ſich ſelbſt im Sommer unter Stroh. Jm März warf das Weibchen ein dunkelbraunes Junges, und von Stunde an war es ſehr bös. Es erlaubte Niemandem, den Friſchling zu berühren, zerriß den Wärtern die Kleider und biß auch heftig nach ihnen. Leider hielten ſich die Thiere nicht lange. Das kalte Klima wurde ihnen verderblich. An die Nahrung der übrigen Schweine gewöhnen ſie ſich leicht; Kartoffeln und Mehl im Waſſer ſchien ihnen ſehr gut zu behagen. Das Junge, ein Männchen, wuchs ſchnell und hatte in wenigen Wochen ſchon eine bedeutende Höhe erreicht. Es ſtarb noch ehe es zwei Jahr alt geworden war. Die oberen Eckzähne waren noch nicht durch die Haut der Schnauze gedrungen. Später kamen andere der Art nach England in den Thiergarten, immer aber als große Seltenheiten.

Afrika beherbergt außer den beiden oben genannten Schweinen noch wahre Ungeheuer derſelben Familie, die Warzenſchweine (Phacochoerus). Sie ſind die plumpeſten Geſtalten der ganzen Familie. Namentlich der Kopf iſt ſehr häßlich. Ohren und Augen ſind klein, letztere ſehr ſchief ge - ſchlitzt. Der Rüſſel dagegen iſt unverhältnißmäßig breit und das Geſicht durch dicke Hautwülſte und rieſige Hauer verziert. Man kennt zwei Arten, von denen die eine das Vorgebirge der guten Hoff - nung, die andere Abiſſinien und Mittelafrika bewohnt. Beide kommen in der Größe unſerem Wildſchwein etwa gleich. Jhre Geſammtlänge beträgt 6 Fuß, wovon Fuß auf den Ringelſchwanz kommen, bei einer Schulterhöhe von Fuß.

Der Hart - oder Schnellläufer der Anſiedler am Kap (Phacochoerus aethiopicus) iſt das häßlichſte von beiden Warzenſchweinen. Er hat einen dicken Leib, kurzen Hals und breiten Rücken, ſtarke Füße, einen ſchweren Kopf mit ungewöhnlich breiter, flach gedrückter Schnauze, einen gewaltigen Rüſſel mit weit auseinanderſtehenden Naſenlöchern, verdickte, hartlippige, hervortretende Oberlippen, kleine, weit oben - und hintenſtehende Augen und kurze, dicht behaarte Ohren. Die dicke und gerunzelte Haut iſt borſtenarm; dagegen erhebt ſich zwiſchen den Ohren ein Borſtenkamm, welcher von hier ab längs des ganzen Rückens mähnenartig verläuft. Braun iſt die Geſammtfär - bung; Kopf und Rücken ſind dunkler; die Ohren ſind weiß; die Mähne iſt dunkelbraun. Sehr eigenthümlich iſt das Gebiß. Jn beiden Kiefern fehlen die Schneidezähne; dagegen erreichen die oberen Hauer, welche an ihrem Ende abgeſtumpft und vorn und hinten der Länge nach gefurcht ſind, eine gewaltige Größe. Sie haben an ihrer Wurzel 5 Zoll im Umfange und werden 9 Zoll lang, erinnern auch mehr an die Stoßzähne anderer Dickhäuter, als an die Hauer von Schweinen.

Die andere Art, die Harocha der Abiſſinier oder das älianiſche Warzenſchwein (Phacochoerus Aeliani) iſt kaum weniger häßlich, und im ganzen ſeinem ſüdafrikaniſchen Ver - wandten ähnlich gefärbt. Die Hauer ſind klein, aber immer noch groß genug. Jm übrigen unter - ſcheidet ſich das Gebiß von dem der im Kap lebenden Art dadurch, daß das älianiſche Schwein ſtets zwei Schneidezähne beſitzt.

Bisjetzt ſind uns nur ziemlich dürftige Nachrichten über Lebensweiſe und Betragen der War - zenſchweine zugekommen. Die erſt genannte Art verbreitet ſich vom Kap an bis zum Meerbuſen von Guinea; die zweite findet ſich vielleicht überall in ganz Mittelafrika. Man trifft ſie in Trup -746Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Harocha.pen von zehn bis funfzehn Stück, und zwar in waldigen oder wenigſtens buſchreichen Gegenden. Jm abiſſiniſchen Küſtengebirge ſind ſolche Trupps der Harocha an geeigneten Orten häufig; doch habe ich nur ein einziges Mal eins dieſer abſcheulichen Thiere und nur flüchtig geſehen, und des - halb keine Beobachtungen ſammeln können. Die Nahrung der Warzenſchweine beſteht nach Rüp - pell nur aus Wurzeln, und die Bedeutung ſeiner rieſenmäßigen Gewehre wird hierdurch klar. Wenn das Thier ſeine Nahrung ſucht, kriecht es auf gebogener vorderer Handbenche vorwärts und wühlt in dieſer Stellung die Wurzeln der Pflanzen aus. Dabei ſchiebt es, in derſelben Haltung verbleibend, den Leib mit den Hinterfüßen weiter und weiter vorwärts, und zieht ſo tiefe Furchen

Der Hart - oder Schnellläufer (Phacochoerus aothiopicus)*)Unſere Abbildung entſpricht leider dem lebenden Thiere nicht. Der Leib iſt zu ſchmächtig, der Kopf zu zierlich, die Läufe ſind zu hoch, die Hauer zu ſpitz gezeichnet; das Thier iſt viel plumper, als hier dargeſtellt..

unter den Büſchen hin. Von dieſem Dahinrutſchen bekommen die Vorderbeine am Handwurzelgelenk dicke, ſchwielenartige Erhöhungen.

Jn Abiſſinien wird das Fleiſch der Harocha von Chriſten und Mahammedanern als unrein ver - ſchmäht und deshalb dem Thiere gar nicht nachgeſtellt. Dies hat aber auch zur Folge, daß die Abiſſinier nur wenig von ihm zu berichten wiſſen. Sie ſagen, daß es ein böſes Thier wäre; Dies will aber bei der in Habeſch herrſchenden Feigheit und Furcht vor Thieren nicht viel bedeuten. Der747Die Harocha. Die eigentlichen Dickhäuter.alte Sparrmann behauptet freilich Daſſelbe. Man nennt, ſo erzählt er, dieſe Thiere Wald - ſchweine. Sie ſind gelb, leben in Erdhöhlen und ſind ſehr gefährlich, indem ſie wie ein Pfeil auf die Menſchen losſchießen und mit ihren langen Hauern Einem den Bauch aufreißen. Man findet ſie herdenweiſe beiſammen, und auf der Flucht nimmt jedes ein Junges in den Rachen. Dies ſieht höchſt ſonderbar aus. Jm Kamdebo vermiſchen ſie ſich mit Hausſchweinen und zeugen fruchtbare Junge.

Jch wählte mir, ſagt Gordon Cumming, einen alten Eber zu meiner Beute, und drängte ihn vom Rudel weg. Nachdem ich zehn Meilen ſcharf hinter ihm her galoppirt war, be - gannen wir mit einander in ein ziemlich geneigtes Gehänge hinabzureiten, und hier beſchloß ich, mich mit ihm einzulaſſen. Als ich mich gegen ihn kehrte, hielt er augenblicklich mit ſeinem Laufe an und ſchaute mit den boshafteſten Augen mir entgegen. Der ganze Rachen ſchäumte vor Wuth. Jch hätte ihn leicht zuſammenſchießen können, wenn ich gewollt hätte, nahm mir aber vor, nicht eher zu feuern, als bis die Richtung ſeines Laufes wieder meinem Wagen zugewandt wäre. Er überraſchte mich durch die Entſchloſſenheit, mit welcher er mir Stand hielt. Jch wurde hitzig und ging auf ihn ein. Zu meinem nicht geringen Erſtaunen wich er nicht im geringſten von ſeinem Wege ab, ſon - dern trollte ſchließlich hinter meinem Pferde drein, wie ein mir folgender Hund. Dies machte mich mißtrauiſch; denn ich ſah ein, daß der alte, liſtige Burſche nach irgend einem Schlupfwinkel ſich zu - rückwende. Jch beſchloß alſo abzuſteigen und ihn zu tödten. Aber gerade als ich dieſen Entſchluß gefaßt hatte, fand ich mich in einem wahren Wirrſal von gewaltigen Höhlen, den Wohnungen der Erdſchweine. Angeſichts einer von ihnen ſtellte ſich der Eber auf und verſchwand, das Hintertheil zuerſt einſchiebend, vor meinen Augen mit ziemlicher Schnelligkeit, und ich ſah ihn nicht wieder.

Nach den Beobachtungen von Smith iſt das Larvenſchwein ebenſo furchtlos, als boshaft. Es weicht dem Angriff ſelten durch die Flucht aus, ſondern ſtellt ſich und nimmt gern den Kampf auf. Sein Lager ſchlägt es immer in Höhlen, unter Baumwurzeln oder unter Felsblöcken auf; in ihm wagen es blos die geübteſten Jäger anzugreifen, weil es plötzlich hervorſtürzt, mit größter Schnellig - keit rechts und links Wunden austheilt und bis zu ſeinem Tode den Kampf grimmig fortſetzt. Eben weil die Jagd zu große Schwierigkeiten macht, gewährt ſie den Muthigſten unter den Einge - borenen ein hohes Vergnügen.

Jm Jahre 1775 kam das erſte lebende Warzenſchwein nach Europa, und zwar vom Kap aus. Man hielt es geraume Zeit im Thiergarten von Haag und glaubte in ihm ein ſehr gutmüthiges Thier zu beſitzen. Eines Tages jedoch brach ſeine Wildheit aus; es ſtürzte ſich nun grimmig auf ſeinen Wärter und brachte dieſem mit ſeinen furchtbaren Hauern eine tödtliche Wunde bei. Einer Bache des Hausſchweins, welche ihm in der Hoffnung beigegeben worden war, daß es ſich mit der - ſelben fortpflanze, riß es den Bauch auf. Hinſichtlich ſeiner Nahrung unterſchied es ſich nicht von anderen Schweinen. Es fraß Getreide aller Art, Mais, Buchweizen, grüne Wurzeln und ſehr gern Brod. Jch ſah ein Paar im Thiergarten von Antwerpen. Es waren junge Thiere, welche ihren Hauerſchmuck noch nicht beſaßen. Das von Rüppell berichtete Dahinrutſchen auf den Vorderhandgelenken konnte man an ihnen ſehr gut beobachten. Beim Freſſen und Wühlen nahmen ſie ſtets dieſe Stellung an. Sonſt unterſchieden ſie ſich nicht von anderen Schweinen.

Jn der letzten Familie unſerer Ordnung ſind die eigentlichen Dickhäuter oder Plumpen (Obesa) vereinigt. Die gegenwärtige Schöpfung enthält freilich nur noch zwei verſchiedene Sippen dieſer Ge - ſchöpfe: die Nashörner und Nilpferde; in der Vorwelt dagegen war die Erde von den hier - her gehörigen Thieren reich bevölkert.

Die Plumpen unterſcheiden ſich von den Rüſſelträgern durch den Mangel der ſo auffallend ver - längerten Naſenbeine und durch ihre kleinen Eckzähne an der Stelle der gewaltigen Stoßzähne, durch748Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die eigentlichen Dickhäuter.den Beſitz von Schneidezähnen und durch den äußerſt plumpen, auf niederen Beinen ruhenden, mit dicker Haut bedeckten rieſigen Körper, in welchem das leibliche Leben das geiſtige ſo zu ſagen unterdrückt hat. Gewöhnlich iſt die röthlichgrau oder dunkelbraun gefärbte Haut nackt, nur hier und da mit we - nigen Härchen bedeckt, ſchilderartig verdickt, faltig in den Gelenken und da, wo ſie ſich biegen muß. Die drei oder vier Zehen der ungeſchlachteten Füße ſind mit unvollkommenen oder ungleichen Hufen umhüllt. Die Naſe und die äußeren Ohren ſind meiſtens ſehr ſtark entwickelt, die Augen aber klein und von unangenehmem Ausdruck.

Das Geripp aller dieſer Thiere kennzeichnet ſich durch ſeine ſchweren Formen. Alle Knochen ſind gewaltig dick, ſtark und ungefüge. Am Schädel iſt der Antlitztheil beträchtlich verlängert, die Naſenbeine ſind noch ſehr entwickelt. Jn der Wirbelſäule haben die Halswirbel ſehr ſtarke Fortſätze, die Rückenwirbel lange, die Lendenwirbel breite und die Krenz - und Schwanzwirbel ſchwache Dornen. Die Zahl der Wirbel, welche Rippen tragen, iſt bedeutend und ſchwankt in ziemlich weiten Gren - zen. An den Gliedern fallen die ſehr ſtarken Hand - und Fußwurzeln auf; unter den Zehen übertrifft die Mittelzehe immer die übrigen. An dieſem ſchweren Knochengerüſte ſetzen ſich kräftige Muskeln an; zumal diejenigen, welche zur Fortbewegung der Gliedmaßen und zur Beugung des Kopfes dienen, ſind ungewöhnlich entwickelt. Die Lippen ſind klein, die obere manchmal zu einem kleinen Rüſſel verlängert. Die Zunge iſt dick und glatt, die Speiſeröhre weit, der Magen einfach oder getheilt, der Darm mindeſtens zehn Mal ſo lang, als der Leib, das Gefäß und Nervennetz ſehr eigenthümlich gebaut.

Die Dickhäuter erſcheinen uns ſo recht eigentlich als Ueberbleibſel aus früheren Schöpfungs - abſchnitten, als Ueberlebende aus der Zeit der Sage. Die Sippen, welche gegenwärtig ſo arm an Arten ſind, waren früher reichzählig vertreten. Und nicht blos in den Wendekreisländern der Erde lebten dieſe Thiere, ſondern auch in den gemäßigten, ja ſelbſt in den kalten Gürteln. Gegenwärtig ſtehen die beiden Sippen der Familie ſcharf geſondert von einander da; wollten wir aber die ausgeſtor - benen uns als Bindeglieder denken, wollten wir die Knochen, die man gefunden hat, im Geiſte wieder mit Fleiſch und Haut und Borſten und Haaren bedecken, ſo würden wir eine Reihen - folge ohne erhebliche Lücken erhalten: aber wir würden vielleicht dann die jetzt noch lebenden mit anderen in beſondere Familien vereinigen müſſen: ſo groß iſt der Reichthum der untergegangenen Arten. Jm Zehen - und Fußbau der ausgeſtorbenen ſpricht ſich die größte Uebereinſtimmung mit den noch jetzt lebenden Plumpen aus, und eine Menge von Bindegliedern vereinigten auch die nunmehr einander ſo unähnlichen.

Gegenwärtig bewohnen die Plumpen Südaſien und einige ſeiner Jnſeln, Mittel - und Südafrika. Jn ihrer Lebensweiſe ähneln ſie im weſentlichen den Elefanten. Wie dieſe lieben ſie die Nähe des Waſſers und die Sumpfgegenden, wie dieſe ſteigen ſie von der Tiefe zum Hügelland und in größere Höhen empor. Dichte, feuchte Wälder, welche Sümpfe, Seen, Flüſſe und Bäche umſchließen, ſind Bedingung für ihr Wohlbefinden und demgemäß auch für ihren Aufenthalt. Die Flußpferde ſind ausſchließlich an das Waſſer gebunden, und entfernen ſich nur dann von ihm, wenn ihr Aufenthaltsort ſelbſt ihnen keine Nahrung mehr bietet. Die Plumpen ſind in vielfacher Hinſicht als Bindeglieder zwiſchen den Land - und Seeſäugethieren anzuſehen. An dieſe erinnert ihre gewaltige Maſſe und ihre Waſſerliebe, jene ſind ſie noch ihrer Geſtalt und ihrem Weſen nach. Aber die Nil - pferde gehen ſchon weit hinaus in das Meer und beweiſen durch ihr geſchicktes Schwimmen und Spie - len in der Tiefe deſſelben, wie nahe ſie den Walen ſtehen. Noch ſind die Plumpen geſellig, jedoch nicht mehr in dem Grade, wie die Elefanten. Nur die Nilpferde halten noch etwas auf freund - ſchaftlichen Verkehr mit Anderen ihrer Art: die Nashörner leben paarweiſe, höchſtens in kleinen Trupps. Die Einen ſind Nachtthiere, die Anderen auch bei Tage thätig; eine eigentliche Schei - dung in dieſer Hinſicht iſt aber nicht ausgeſprochen; denn die Nachtthiere zeigen ſich oft genug bei Tage und die Tagthiere in der Nacht. Jhr Leben theilt ſich in Freſſen und Ruhen: der Bauch iſt ihr Gott. An Gefräßigkeit übertreffen ſie alle Säugethiere, an träger Ruhe nicht minder. Nur der Hun -749Die eigentlichen Dickhäuter.ger macht ſie beweglich oder der wüthendſte Zorn. Hiermit iſt ihr geiſtiges Weſen ſchon beſchrieben. Jhre Plumpheit und Schwerfälligkeit ſpricht ſich in leiblicher, wie in geiſtiger Hinſicht aus. Schwer und plump, langſam und bedächtig iſt ihr Gang, unbeholfen und ungeſchickt ihr Lauf. Aber wenn die gewaltige Maſſe einmal in Bewegung gekommen iſt, jagt ſie ziemlich raſch dahin. Weit geſchickter als auf dem Lande zeigen die Plumpen ſich im Waſſer. Ein guter Theil ihres ſchweren Leibes wird von dieſem getragen, ſo daß ſie ſich blos wenig anſtrengen müſſen, um den maſſigen Bau fortzu - ſchieben. Alle Dickhäuter ſind vortreffliche Schwimmer, einzelne von ihnen bewohnen geradezu das Waſſer. Sie gehen mit Gleichgiltigkeit unten auf dem Boden dahin; ſie ſchwimmen zwiſchen Spiegel und Grund oder auf der Oberfläche, wie es ihnen eben behagt; ſie tauchen mehrere Minuten lang und legen ſich dann wieder auf der Oberfläche nieder, ohne ſich die Sicherheit ihrer Lage durch Bewe - gung erkaufen zu müſſen. Das Waſſer iſt ihnen Bedürfniß; ſie können es nicht entbehren. Wenn ſie es nicht haben, ſuchen ſie ſich wenigſtens ſchlammige Pfützen und Lachen auf, um ſich in dieſen mit einer wahren Leidenſchaft zu wälzen und zu recken.

Jhre ungeheure Kraft läßt ſie faſt überall einen Weg finden. Sie bewegen ſich nicht blos im Waſſer, im Sumpfe oder im Schlamm, ſondern auch im Walde ohne Beſchwerde. Das ärgſte Dickicht hält ſie nicht auf. Vor ſich nieder werfen und brechen ſie hindernde, in den Weg tre - tende Aeſte und Zweige, und da, wo ſie nur wenige Male denſelben Pfad gegangen, bildet ſich ein gebahnter, geebneter Weg. Selbſt an den Berghängen hin höhlen ſie ſich einen Pfad aus; ihrer Kraft widerſteht kaum das Geſtein. Man findet an den Gehängen entlang tiefe, ausgetretene Hohl - wege, welche erſcheinen, als ſeien ſie mit Hacke und Schaufel ausgearbeitet. Dieſe rühren von dem Nashorn her, welches hartnäckig viele Male ein und denſelben Pfad wandelte. Jn allen Urwal - dungen, in den ärgſten Bambusdickichten finden ſich ſchöne, geradfortlaufende Pfade, welche durch dieſelben Wegbaumeiſter gebildet wurden.

Die Nahrung der Plumpen beſteht ausſchließlich in Pflanzenſtoffen. Sumpf - und Waſſer - pflanzen, Getreide, Gras, das Laub und die Zweige von Sträuchern oder Bäumen, Wurzeln und Früchte werden mit gleicher Luſt gefreſſen; doch iſt ganz unverkennbar, daß ſie, wenn ſie es haben können, in leckerhafter Weiſe ihre Auswahl treffen, und es fragt ſich noch ſehr, ob der Geſchmack nicht gleich auf das Gehör, ihren erſten Sinn, folgt. Die Nashörner packen die Nahrung mit dem kleinen, kurzen Rüſſel, zu welchem ſich ihre Oberlippe verlängert. Das häßliche Nilpferd rauft ſie mit ſeinen gewaltigen Zähnen los, ſei es vom ſchlammigen Grunde der Gewäſſer oder auf dem Feſtlande. Die Lippen dieſes Geſchöpfes ſind ſo plump, daß es kaum mit ihnen zugreifen kann. Es verſteht blos Maſſen, welche vor ihm liegen, damit aufzunehmen, nicht aber abzureißen, während das Nashorn faſt ebenſo geſchickt iſt, wie der Tapir. Der Koſtverachtung kann man ſie nicht beſchuldigen. Sogar Schilf und Niedgräſer, blätterloſe Aeſte von ziemlicher Stärke, dürre Blätter und dornige Zweige, ja im Nothfalle der Koth anderer pflanzenfreſſenden Thiere, ſelbſt der der eigenen Art, wird in den ungeheuren Schlund hinabgewürgt.

Jm allgemeinen ſind die Sinne der Plumpen noch ziemlich entwickelt. Jhre Haut iſt ſehr empfindlich, ihr Geſchmackſinn entſchieden ausgeprägt, ihr Geruch oft recht gut, ihr Gehör vorzüg - lich, das Geſicht aber, wie ſchon das blöde Auge beweiſt, nur ſchwach und ſtumpf. Aeußerſt wenig Verſtand iſt ihr geiſtiges Erbtheil geworden. Oven wog das Gehirn eines Nashorns und fand das Verhältniß zwiſchen ihm und der Geſammtmaſſe des Körpers wie 1: 164: bei dem Menſchen ergibt eine ähnliche Wägung ein Verhältniß von 1: 30 oder 1: 40!

Die Plumpen leben friedlich und nach ihrer Weiſe auch verträglich unter einander. Faul und ruhig, wie ſie ſind, laſſen ſie ſich im ganzen ziemlich Viel gefallen; wenn aber ihre Wuth einmal erwacht, kennt ſie keine Grenzen mehr. Vor anderen ſtarken Geſchöpfen weichen ſie aus, bis ihr Zorn rege wird, dann greifen ſie blindraſend, alle Gefahr verachtend, ihre ſämmtlichen Mitſäuge - thiere an, vom Elefanten angefangen bis zu dem Menſchen hinauf. Sie können ſehr gefährlich wer - den, obwohl ihre Plumpheit ſie hindert, gewandten Feinden gegenüber alle ihre Kräfte zu entwickeln.

750Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.

Die Stimme aller plumpen Thiere iſt ein widerliches, wieherndes Gebrüll oder Grunzen und Brummen.

Sämmtliche Arten dieſer noch lebenden Rieſen vermehren ſich ſchwach. Die Weibchen bringen nach langer Tragzeit nur ein einziges Junge zur Welt, welches von ihnen ſehr geliebt und bei Gefahr mit raſender Wuth vertheidigt wird. Das Wachsthum geht äußerſt langſam vor ſich; dafür ſcheinen aber auch Alle ein hohes Alter erreichen zu können.

Jung eingefangene werden leicht zahm und laſſen ſich ziemlich Viel gefallen, obwohl ihnen nie - mals ganz zu trauen iſt. Sie ſind zu dumm, als daß ſie einer höheren Zähmung zugänglich ſein könnten. Manche zeigen eine gewiſſe Anhänglichkeit und Liebe an ihren Pfleger. Viel will dies Alles nicht bedeuten. Sämmtliche plumpen Thiere vertragen ſich nicht mit dem Menſchen und ſeinen Getreuen. Da, wo der Herrſcher der Erde auch wirklich zur Herrſchaft kommt, müſſen ſie weichen: ſie hauſen zu verheerend in ſeinem Gebiete, als daß er ihre Nähe dulden könnte.

Der Werth des erlegten plumpen Thieres iſt durchaus nicht unbedeutend. Man benutzt Fleiſch und Fett, Haut und Knochen, Horn und Zähne auf mancherlei Art, allein niemals wird man da - mit nur annähernd den Schaden aufwiegen können, welchen dieſe gefräßigen Ungeheuer anrichten.

Die erſte Sippe der Familie enthält die Nashörner (Rhinoceros), von denen gegenwärtig, ſo - viel bekannt, ſechs oder, wie Andere wollen, ſieben Arten unſere Erde bewohnen. Von den vorwelt - lichen Arten hat man bisjetzt ungefähr ebenſoviel, zum Theil ſehr merkwürdige Arten aufgefunden. Die lebenden laſſen ſich in drei verſchiedene Gruppen bringen, in ſolche mit einem Horn und faltiger oder ſchilderartig aufliegender Haut, in ſolche mit zwei Hörnern mit Faltenhaut und endlich in ſolche mit zwei Hörnern und glatter Haut. Ehe wir ſie aber einzeln betrachten, müſſen wir einen Blick auf die Eigenthümlichkeiten der Sippſchaft werfen.

Die Nashörner ſind zwar nicht die Plumpeſten unter den Plumpen, aber doch ſehr mißgeſtaltete Dickhäuter von anſehnlicher Größe mit ſchwerem Rumpf, kurzem Hals, verlängertem Kopf, kurzen, dicken Gliedmaßen und Füßen, deren drei Zehen kleine, ſchwache Hufe tragen. Die dicke Haut der jetztlebenden iſt nackt, während ſie bei den vorweltlichen mit einem dichten, doppelten Haarkleid be - deckt war. Am Kopfe verlängert ſich namentlich der Antlitztheil bedeutend. Er dient zur Unterlage für ein oder zwei Hörner, für ein größeres vorn und ein kleineres hinten. Plumpe und kräftige Formen zeigen ſich auch im Geripp. Der Schädel erſcheint ſehr lang und viel niedriger, als bei den übrigen Dickhäutern, die Stirnbeine nehmen den vierten oder dritten Theil der Schädellänge ein und verbinden ſich unmittelbar mit den breiten und ſtarken Naſenbeinen, welche die Naſenhöhle überwöl - ben oder von einer mittleren Scheidewand noch geſtützt werden. Da, wo das Horn ruht, iſt dieſer Knochen uneben, rauh, höckerig und wird Dies umſomehr, je größer die Hörner ſind. Der Zwiſchen - kiefer iſt blos bei den Arten, welche bleibende Schneidezähne haben, anſehnlich; bei jenen aber, welche dieſe Zähne in früheſter Jugend verlieren, verkümmert er gänzlich. Die Wirbelſäule wird von ſtar - ken, mit langen Dornen beſetzten Wirbelkörpern gebildet; 19 bis 20 von ihnen tragen ſtark ge - krümmte, dicke und breite Rippen, das Zwerchfell ſetzt ſich aber ſchon am 14. bis 17. Wirbel an. Bereits in früher Jugend verwachſen die fünf Wirbel, welche das Kreuzbein bilden, zu einem Gan - zen. Der Schwanz beſteht aus 22 bis 23 Wirbeln. An allen übrigen Knochen iſt ihre Stärke und Plumpheit das Auffallendſte. Der Zahnbau iſt eigenthümlich abweichend von dem der übrigen Mit - glieder der Familie. Regelmäßig fehlen die Eckzähne und gewöhnlich auch die vier Schneidezähne in beiden Kiefern. Sie waren zwar vorhanden, verkümmern aber ſobald, daß man ſie hat gänzlich leugnen wollen. Sieben Backzähne in jedem Kiefer bilden das übrige Gebiß. Jeder einzelne ſcheint aus mehreren Hügeln und Pfeilern zuſammengeſchmolzen zu ſein. Die Kauflächen nutzen ſich mit der Zeit mehr und mehr ab, und ſo entſtehen verſchiedenartige Zeichnungen.

Nashorn.
751Das einhornige oder indiſche Nashorn.

Auch die Weichtheile verdienen mit ein Paar Worten beſchrieben zu werden. Die Haut der Oberlippe iſt ſehr dünn, gefäß - und nervenreich, die Zunge groß und empfindlich. Die Speiſeröhre hat eine Weite von drei Zoll und eine Länge von fünf Fuß. Der Magen iſt einfach länglich, im Durchmeſſer vier Fuß und im größten Querdurchmeſſer zwei Fuß, die kleinen Gedärme meſſen 50 bis 65 Fuß. Der Blinddarm iſt 2 bis 3 Fuß, der Dickdarm 19 bis 25 Fuß, der Maſtdarm 3 bis 5 Fuß lang. Unter den Sinneswerkzeugen fallen die Augen durch ihre geringe Größe auf.

Eine ſehr dicke Haut bedeckt überall den Leib. An der Jnnenſeite der Gliedmaßen iſt ſie noch ¼ Zoll dick, an der Mittellinie des Bauches ſchon ¾ Zoll, auf dem Rücken noch bedeutend ſtärker. Bei einigen Arten ſpannt ſie ſich ziemlich glatt über den Leib, bei anderen bildet ſie tiefe Falten und bei einer dritten Gruppe endlich förmliche Schilder, welche durch Falten von einander abgetrennt werden. Das Horn beſteht aus gleichlaufenden, äußerſt feinen Faſern von Hornmaſſe. Jeder ein - zelne Faſer iſt etwa $$\frac{1}{20}$$ bis $$\frac{1}{30}$$ Linie dick, rund oder kautig und im Jnneren hohl. Die längſten ver - laufen in der Mitte des Horns, die kürzeſten an den Seiten. Nur ſolche Faſern bilden das Horn, es hat keine knöchernen Zapfen wie das der Wiederkäuer. Mit ſeiner breiten, rundlichen Fläche ruht es auf der höckerigen Oberfläche der Naſen - und Stirnbeine, eigentlich aber auf der Haut, als deren Gebilde es zu betrachten iſt. Seine Länge kann bis drei Fuß anſteigen, dann krümmt es ſich ziemlich ſtark nach hinten. Wenn zwei Hörner vorhanden ſind, iſt das hintere immer das kürzere und kleinere.

Gegenwärtig beſchränkt ſich das Vaterland der Nashörner auf Aſien, ſeine Jnſeln und Afrika.

Das Leben der verſchiedenen Arten ähnelt ſich im allgemeinen ſehr. Jch gebe deshalb erſt eine kurze Beſchreibung der wichtigſten Arten und dann eine Geſammtſchilderung ihres Lebens und Treibens.

Das einhornige oder indiſche Nashorn (Rhinoceros indicus) gehört mit zu den größten von allen. Bei ziemlich erwachſenen Thieren beträgt die Leibeslänge 10 Fuß, die Länge des Schwan - zes 2 Fuß, die Höhe am Widerriſt 5 Fuß, der größte Leibesumfang 10½ Fuß. Man hat aber alte Männchen getroffen, welche 12 bis 13 Fuß lang und 6 bis 7 Fuß hoch wurden. Das Gewicht ſchätzt man auf 40 bis 60 Centner. Der Leib des Thieres iſt plump, dick, wulſtig, geſtreckt, niedrig geſtellt, der Hals kurz und dick, der Kopf mittelgroß, mehr als doppelt ſo lang als hoch, an der Stirn, unmittelbar vor den Ohren jederſeits höckerig aufgetrieben, von dort ſteil gegen die Augen abfallend, über denſelben nochmals gehöckert, ſodann ſtark zuſammengedrückt und abgeplattet. Die mittelgroßen, höchſt beweglichen Ohren ſind verhältnißmäßig lang und ſchmal, ſpitz und aufrecht - ſtehend, faſt ſchweinsähnlich. Die unverhältnißmäßig kleinen Augen ſind von länglicher Geſtalt, liegen tief und werden ſelten ganz geöffnet. Die Naſenlöcher ſtehen zu beiden Seiten über der Ober - lippe, der Mundſpalte gleichlaufend. Das Horn erhebt ſich auf der breiten Oberſeite des Schnauzen - endes, zwiſchen und über den beiden Naſenlöchern. Es iſt einfach geſtreckt, kegelförmig zugeſpitzt, etwas nach rückwärts gekrümmt. Die Haut verbindet es mit der unebenen und rauhen Knochen - unterlage. Seine Länge beträgt bis zu 2 Fuß; der Umfang an der Wurzel 1 Fuß. Die flache, breite Oberlippe verlängert ſich in der Mitte zu einem zugeſpitzten, faſt fingerähnlichem Rüſſel, wel - cher bis auf eine Länge von 6 oder 7 Zoll ausgeſtreckt und wieder eingezogen werden kann; die Ober - lippe ähnelt der des Rindes. Die kurzen, dicken, unförmigen, walzenartigen Beine ſind wie die der Dachshunde gekrümmt und zeigen nur wenig deutliche Gelenke. An ihren Füßen ſind drei Zehen vorhanden, welche von der Haut ſo verhüllt werden, daß ſie äußerlich ſich nur durch Hufe kennzeich - nen. Dieſe ſind groß, vorn flach gewölbt, unten ſcharf abgeſchnitten und laſſen die große, kahle, ſchwielige, langgeſtreckte, herzförmig geſtaltete, harte Sohle zum größeren Theile frei. Der kurze, geradherabhängende Schwanz verdünnt ſich von der Wurzel an allmählich bis zur Mitte. Die Ge - ſchlechtstheile ſind ſehr groß, die männlichen höchſt ſonderbar gebildet; das Euter des Weibchens ent - hält nur ein einziges Zitzenpaar. Eine ungewöhnlich ſtarke Haut, welche viel härter und trockener, als beim Elefanten iſt und auf einer dicken Schicht lockeren Zellgewebes aufliegt, ſo daß ſie ſich leicht hin und her ſchieben läßt, deckt den Körper und bildet einen, in viele kleine Felder getheilten, horn -752Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das einhornige oder indiſche Nashorn.artigen Panzer, welcher durch mehrere, regelmäßig vertheilte, tiefe Falten unterbrochen wird. Dieſe Falten, welche bereits bei neugeborenen Thieren vorhanden ſind, ermöglichen die Bewegungen des Thieres. An ihren Rändern iſt die Haut wulſtig aufgeworfen, in ihrer Mitte aber ſehr verdünnt und weich, während ſie ſich ſonſt wie ein dickes Bret anfühlt. Bei älteren Thieren iſt ſie nackt und faſt überall haarlos; nur an der Wurzel des Horns, am Rande der Ohren und am Ende des Schwanzes treten einige Borſten hervor. Hinter dem Kopfe zieht ſich die erſte ſtarke Falte ſenkrecht am Halſe herab, unten eine Art von Wamme bildend; hinter ihr ſteigt, von ihr ſchief nach oben und rückwärts, eine zweite Falte, welche anfangs ſehr tief iſt, gegen den Widerriſt hin ſich aber verflacht und verſchwindet. Sie ſendet unterhalb ihrer Mitte eine dritte Falte ab, welche ſich ſchief vorwärts am Halſe hinaufzieht. Hinter dem Widerriſt zeigt ſich eine vierte tiefe Falte, welche über den Rücken weg und beiderſeits in einer bogenförmigen Krümmung hinter der Schulter hinabläuft; ſie zieht ſich unten quer über das Vorderbein hinweg und ſchlingt ſich vorn um daſſelbe herum. Eine fünfte Falte zieht ſich vom Kreuze herab, ſteigt ſchief und vorwärts an den Schenkeln hinab, wendet ſich in den Weichen um, läuft etwas nach vorn und verſchwindet dort. Vorher ſendet ſie einen Zweig ab, wel - cher anfangs am Vorderrande des Hinterbeins herumläuft, ſodann ſich wagrecht über das Schienbein zieht und zum After hinaufſteigt, von wo aus eine ſtarke Wulſt wagerecht über die Schenkel verläuft. Durch die beiden, vom Rücken abwärts laufenden Falten wird die Haut in drei breite Gürtel geſchie - den, von denen der erſte nach dem Hals und den Schultern, der zweite zwiſchen dieſen und den Len - den und der dritte auf dem Hintertheile liegt. Ueberall iſt die Haut mit unregelmäßigen, rundlichen, mehr oder weniger glatten, hornartigen Warzenſchilderchen bedeckt. Die Bauch - und Jnnenſeite der Beine ſind durch manchfache ſich durchkreuzende Furchen in kleine Felder getheilt. Um die Schnauze ziehen ſich Querrunzeln. Bei jungen Thieren brechen einzelne borſtenartige, dicke, harte Haare hier und da hervor. Die Färbung iſt verſchieden. Alte Thiere erſcheinen einförmig dunkelgraubraun, mehr oder minder ins Röthliche oder ins Bläuliche ſpielend. Jn der Tiefe der Falten iſt die Haut blaßröthlich oder bräunlich fleiſchfarben. Staub, Schlamm und andere Einwirkungen von außen laſſen das Thier aber dunkler erſcheinen, als es iſt. Junge Thiere ſind viel heller als alte.

Dieſe Art des Nashorns bewohnt Vorder - und Hinterindien, ſowie die angrenzenden Theile des ſüdlichſten China. Beſonders häufig iſt es in Siam, Cochinchina und den weſtlichſten Pro - vinzen des himmliſchen Reichs. Auf den großen Sundainſeln wird es durch andere Arten ver - treten, von denen die eine, welche Java bewohnt, auch nur ein Horn hat, während das auf Su - matra wohnende Nashorn deren zwei beſitzt. Das eine wie das andere zeichnet ſich noch außerdem durch ſtarke Schilder und tiefe Hautfalten aus und bei dem ſumatrenſiſchen verlieren ſich die Schneide - zähne nicht.

Auch die afrikaniſchen Arten haben zwei Hörner, und das eine führt geradezu darnach ſeinen Na - men. Das vordere Horn iſt gewöhnlich etwa 2 bis Fuß lang, etwas nach rückwärts gebogen und ziemlich ſtark zugeſpitzt, das hintere iſt kürzer und ſtumpfer. Die Haut hat nirgends grobe Fal - ten, wie bei den vorher beſchriebenen Arten. Sie iſt rauh und ſehr dick, auf dem Rücken auch hart, an den Seiten aber ſo weich, daß jede Flintenkugel durchdringt. Jhre urſprüngliche Farbe iſt dun - kelbraun, der Schmuz, welcher ihr beſtändig anhängt, macht ſie aber graulich. Das Thier wird 11 bis 12 Fuß lang bei einem Körperumfang von 9 bis 11 Fuß. Der Schwanz mißt etwa Fuß. Die Schneidezähne, von denen im Unterkiefer vier, im Zwiſchenkiefer zwei ſtanden, fallen frühzeitig aus. Die Eingeweide ähneln nach Sparrmann denen des Pferdes.

Der Wohnkreis dieſes Nashorns erſtreckt ſich von den Kafferländern bis nach Abiſſinien hin, wahrſcheinlich weit in das Jnnere des Erdtheils hinein, wie weit weſtlich, iſt noch nicht bekannt.

Jm ſüdlichen Abiſſinien wird es durch eine andere Art, durch das Kaputzennashorn (Rhinoceros cucullatus) vertreten, welches jedoch noch ſo wenig bekannt iſt, daß Genaueres hierüber nicht zu ſagen iſt.

753Das zweihörnige Nashorn. Das Keitloa.

Dieſelben Orte bewohnt auch das Keitloa (Rhinoceros Keitloa), welches durch ſeine blaß - bräunliche Farbe und durch die beiden ſehr langen Hörner auffällt. Das hintere Horn dieſes Thieres, welches ſich nach vorwärts wendet, übertrifft gewöhnlich das vordere noch an Länge. Das erſtere iſt ganz rund, das hintere oben ſeitlich etwas zuſammengedrückt. Die Länge des Thieres beträgt 11 bis 12 Fuß, ſeine Schulterhöhe 5 Fuß. Manche Naturforſcher ſprechen dieſer Art ihre Selbſtändigkeit

Das zweihörnige Nashorn (Rhinoceros bicornis).

ab, und betrachten ſie nur als Spielart des gewöhnlichen zweihörnigen Nashorns; die Forſcher und Jäger aber, welche das Thier lebendig ſahen, unterſchieden es ſehr genau von dem erſteren.

Nach den genannten kommt in Afrika noch eine Art vor, das ſtumpfnäſige Nashorn (Rhinoceros simus), welches im Lande der Betſchuanen in größeren Geſellſchaften weidet und ſich durch die Zahl der Rippen von dem zweihörnigen unterſcheidet. Mit dieſem iſt die Neihe der bisher bekannten, noch lebenden Nashörner geſchloſſen. Es iſt jedoch ſehr möglich, daß in Afrika noch an - dere aufgefunden werden dürften. Mir wurde während meines Aufenthalts in Kordofahn von ver -Brehm, Thierleben. II. 48754Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.ſchiedenen Thieren mit einem Horn erzählt, ohne daß ich die Arten hätte beſtimmen können. Am oberen blauen Fluſſe fand ich die Fährten der Nashörner auf den zu den Flüſſen führenden Pfaden häufig genug, niemals aber habe ich das Thier ſelbſt zu Geſicht bekommen. Ein deutſcher Reiſender, welcher um dieſelbe Zeit wie ich die gleichen Gegenden Afrikas durchwanderte, erhielt ebenfalls Berichte der Eingeborenen über die Nashörner und nahm keinen Anſtand, dieſe Berichte, nachdem ſie nach ſeiner Weiſe in Form und Klang gebracht waren, als ſich auf das fabelhafte Einhorn beziehend, zu deuten, und die europäiſche Gelehrtenwelt war eine Zeitlang gläubig genug, ſolchen offenbaren Lügen Gehör zu ſchenken. So viel ſchien aber auch mir aus den Erzählungen der Ein - geborenen hervorzugehen, daß mehrere Arten von Nashörnern die öſtlichen Provinzen Oſtſudahns und noch mehr jene Länder ſüdlich von Dar el Fuhr und Wadai bewohnen. Welche Arten es ſind, ſteht freilich dahin. Jedenfalls hat die Wiſſenſchaft von der genaueren Erforſchung Afrikas noch viel für die Kenntniß dieſer Thiere zu erwarten, und es iſt gar nicht unwahrſcheinlich, daß ſich die Arten - zahl der jetztlebenden Thiere noch vermehren dürfte. Daſſelbe kann auch bei den in Aſien lebenden der Fall ſein; denn das Sumatra bewohnende Nashorn iſt auch erſt ſeit Kurzem unterſchieden wor - den. Dennoch ſcheint feſtzuſtehen, daß die Vorwelt viel reicher an Arten dieſer Familie war, als die Jetztzeit.

Man hat ſchon eine ziemliche Anzahl vorweltlicher Arten unterſchieden. Jch will blos einer einzigen Erwähnung thun, des zweihörnigen Nashorns mit knöcherner Naſenſcheidewand (Rhinoceros trichorhinus), welches nicht blos in einzelnen Knochen, ſondern mit Haut und Haaren bis auf unſere Tage gekommen iſt. Jm ganzen nördlichen Aſien vom Don an bis zur Beringsſtraße gibt es keinen Fluß im ebenen Lande, an deſſen Ufer nicht Knochen von vorweltlichen Thieren, namentlich ſolcher von Elefanten, Büffeln und Nashörnern gefunden wurden und es iſt bekannt, daß man alljährlich beim Aufthauen Maſſen von vorweltlichem Elfenbein gewinnt, womit man gegenwärtig einen ſehr bedeutenden Handel treibt. Als ich im März 1772, ſagt Pallas, nach Jacutzk kam, zeigte mir der Statthalter des öſtlichen Sibirien den Vorder - und Hinterfuß eines Nashorns, welcher noch mit Haut überzogen war. Das Thier wurde im ſandigen Ufer eines Fluſſes gefunden. Den Rumpf und die Füße ließ man liegen. Nun gab ſich Pallas alle Mühe, mehr zu erfahren und brachte zunächſt den Kopf und den Fuß nach Petersburg. Später hat Brandt die Reſte unterſucht und ſo erfahren wir, daß dieſes vorweltliche Nashorn, welches während der Diluvialzeit das mittlere und nördlichere Europa und den Norden Aſiens bewohnte, neben dem Mammuth eins der gemeinſten Dick - häuter unſeres Welttheils war. Außer in Sibirien fand man ſeine Knochen auch noch in Rußland, Polen, Deutſchland, England und Frankreich und zwar in manchen Orten in erſtaunlicher Menge. Das hauptſächliche Artkennzeichen dieſer Thiere beſteht darin, daß bei allen anderen Nashörnern die knorpelige Naſenſcheidewand bei ihm verknöchert iſt, wahrſcheinlich bedingt durch die auffallende Ver - längerung der Naſenbeine. Ebenſo weicht das Thier hinſichtlich ſeines Kleides von den anderen Nashör - nern ab. Die getrocknete Haut hat eine ſchmuzig gelbliche Farbe. Sie iſt nicht ſchwielig, wenigſtens nicht am Kopfe, aber dick, an den Lippen gekörnelt und überall mit netzförmigen, rundlichen Poren dicht beſetzt. Die Haare ſtehen in den Poren büſchelförmig beiſammen. Einzelne ſind ſtraffe Gran - nen, andere weiches Wollhaar; im übrigen ähnelt das Thier den jetztlebenden ſo außerordentlich, daß es höchſtens einer anderen Unterſippe hätte zugezählt werden können. Seine Nahrung ſcheint in Nadeln und jungen Trieben der Kiefern beſtanden zu haben; doch iſt darüber nichts Sicheres bekannt.

Andere Nashornarten lebten in der Vorzeit im ſüdlichen Deutſchland und in Frankreich. Eins von ihnen hatte wahrſcheinlich vier Zehen an den Vorderfüßen und kein Horn. Es war die erſte Art, welche auf der Erde erſchien. Hierzu kommen nun noch einige den Nashörnern entfernter ähnelnde Vorweltsthiere, welche hauptſächlich inſofern theilnehmenswerth für uns ſind, als ſie den Uebergang von den jetztlebenden, ſehr einzeln daſtehenden Dickhäutern vermitteln.

755Die| Nashörner.

Die Alten haben das Nashorn recht wohl gekannt. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß unſer Thier das Einhorn der Bibel iſt, von welchem Hiob ſagt: Meineſt du, das Einhorn wird dir dienen und bleiben an deiner Krippe? Kannſt du ihm dein Joch anknüpfen, die Furchen zu ma - chen, daß es hinter dir breche in Gründen? Magſt du dich auf eines verlaſſen, da es ſo ſtark iſt und wird es dir laſſen arbeiten? Magſt du ihm trauen, daß es deinen Samen dir wiederbringe und in deine Scheunen ſammle? Der Urtert nennt dieſes Thier Rem und ſchreibt ihm bald ein Horn

Das Keitloa (Rhinoceros Keltloa).

bald zwei Hörner zu. Die Römer kannten unſer Thier, wie zu erwarten, ſehr gut und zwar das einhörnige ebenſowohl als die zweihörnigen. Sie ließen ſie auf ihren Kampfplätzen arbeiten. Nach Plinius brachte Pompejus das erſte einhörnige Nashorn im Jahre 61 v. Chr. nach Rom zu den Spielen neben dem Luchs aus Gallien und den Pavian aus Aethiopien. Das Nashorn, erzählt Plinius, iſt der geborne Feind der Elefanten. Es wetzt das Horn an einem Steine und zielt im Kampfe vorzüglich nach dem Bauche, wohl wiſſend, daß er weicher iſt, und ſo erlegt es den Elefanten. Dann fügt er hinzu, daß man ſchon bei Meroe Nashörner finde, und Dies iſt ganz richtig; denn dort48*756Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.gibt es heutzutage noch welche. Jn der Stadt Aduleton, dem größten Handelsplatz der Troglody - ten und Aethiopier, fünf Tagereiſen zu Schiffe von Ptolomäus, wird ſehr viel Elfenbein, Hörner des Nashorns, Leder vom Flußpferde und andere derartige Handelsgegenſtände verkauft. Der Erſte, welcher von dieſen Thieren ſpricht, iſt Agatharchides; dann kommt Strabo, welcher in Alexan - drien ein Nashorn geſehen hat. Pauſanias führt es unter dem Namen äthiopiſcher Ochs auf, und dieſer Name findet ſich in viel ſpäteren Jahrhunderten. Martial beſingt beide Arten. Von dem einhörnigen ſagt er:

Auf dem geräumigen Plan, o Cäfar, führet das Nashorn Solcherlei Kämpfe dir aus, als es ſie nimmer verhieß. Wie im erbitterten Raſen erglühete ſtürmend das Unthier! Wie gewaltig durchs Horn, welchem ein Ball war der Stier!

und von dem zweihörnigen:

Während bekümmerte Hetzer zum Kampfe aufreizten das Nashorn Und lange ſammelnd den Zorn dieſes gewaltigen Thieres, Schwindet dem Volke die Hoffnung des Kampfes vor großer Erwartung, Aber dem Unthier kehrt wieder die eigene Wuth; Denn es erhob mit doppeltem Horn den gewaltigen Bären, Leicht, wie die Doggen der Stier wirft zu den Sternen empor.

Die alten Egypter ſcheinen das Nashorn nicht beachtet zu haben. Man hat bisjetzt auf den egyptiſchen Tempeln keine Abbildungen von ihm gefunden. Die Prieſter Meroes in Südnubien werden es wohl gekannt haben. Die arabiſchen Schriftſteller ſprechen ſchon ſehr frühzeitig von beiden Thieren und unterſcheiden die indiſchen und afrikaniſchen. Jn ihren Märchen kommt das Nashorn nicht ſelten als zauberhaftes Weſen vor. Nun vergeht eine lange Zeit, ehe man wieder Etwas von dem Thiere vernimmt. Marco Polo, der bekannte und für die Thierkunde ſo wichtige Schriftſteller, iſt der erſte, welcher das Stillſchweigen bricht. Er hat es auf ſeiner Reiſe im drei - zehnten Jahrhundert in Jndien wieder geſehen und zwar auf Sumatra. Sie haben dort, ſagt er, viel Elefanten - und Löwenhörner, welche viel kleiner ſind als jene und in der Behaarung den Büffeln ähneln; ihre Füße aber ſind wie bei den Elefanten. Sie tragen ein Horn mitten auf der Stirn, thun damit aber Niemand Etwas. Wenn ſie Jemanden angreifen wollen, werfen ſie ihn vielmehr mit den Knieen nieder und ſtoßen dann mit der Zunge, die mit einigen langen Stacheln beſetzt iſt, auf ihn los. Jhren Kopf, welcher dem des Wildſchweins ähnelt, tragen ſie immer gegen die Erde gekehrt. Sie halten ſich gern im Schlamm auf und ſind überhaupt rohes, garſtiges Vieh. Jm Jahre 1513 erhielt endlich der König Emanuel aus Oſtindien wieder ein lebendes Nashorn. Der Ruf davon erfüllte alle Länder. Albrecht Dürer gab zuerſt einen Holzſchnitt von dieſem Thiere heraus, den er nach einer ſchlechten Abbildung angefertigt hatte, welche ihm von Liſſabon aus zuge - ſchickt worden war. Das Bild ſtellt ein Thier dar, welches ausſieht, als wäre es mit Schabracken bekleidet. Es hat Schuppen an den Füßen, wie an einem Panzer und trägt auch noch ein kleines Horn auf der Schulter. Faſt zweihundert Jahre lang war jener Holzſchnitt des berühmten Meiſters das einzige Bild, welches man von dem Nashorn beſaß. Erſt Chardin, welcher in Jspahan ſelbſt ein Nashorn ſah, hat zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eine beſſere Abbildung gegeben. Die Lebens - beſchreibung hatte ſchon Bontius in der Mitte des 17. Jahrhunderts berichtigt. Von nun an beſchreiben alle Reiſenden, welche Sinn für Natur haben, die eine und die andere Art und nament - lich die Nashörner, welche Südafrika bewohnen, ſind uns recht ausführlich geſchildert worden, ſo daß es gegenwärtig ziemlich leicht iſt, ein allgemeines Bild der Thiere zu geben.

Jm allgemeinen ähneln ſich alle Nashörner in ihrer Lebensweiſe, in ihrem Weſen, in ihren Eigenſchaften, Bewegungen und in ihrer Nahrung; doch ſcheint immerhin jede Art ihr Eigenthüm - liches zu haben. Unter den aſiatiſchen Arten z. B. gilt das indiſche Nashorn als ein außerordentlich757Die Nashörner.bösartiges Geſchöpf, das japaniſche wird ſchon als viel gutmüthiger geſchildert und das auf Sumatra lebende ſoll gar nicht bösartig ſein. Aehnlich verhält es ſich bei den afrikaniſchen. Das zwei - hörnige wird trotz ſeiner geringen Größe als das wüthendſte bezeichnet; das Keitloa gilt ebenfalls als ein höchſt ungemüthlicher Geſell; das weiße Rhinoceros aber ſoll ein wirklich harmloſes Geſchöpf ſein. Jm allgemeinen werden die rieſenhaften Dickhäuter überall mehr gefürchtet, als der Ele - fant. Die Araber des Sudahn, welche die Nashörner mit dem Namen Anaſa und Fertit bezeich - nen, ſind geneigt, in ihnen wie im Nilpferde Zaubergeſtalten zu erblicken. Sie glauben, daß irgend ein böswilliger Herenkünſtler die Geſtalt dieſer Thiere annehmen könne und verſuchen ihre Anſicht da - mit zu begründen, daß Nashörner wie Nilpferde in ihrer blinden Wuth keine Grenzen kennen. Der Elefant, ſo ſagen ſie, iſt ein gerechtes Thier, welches das Wort des Gottgeſandten Mahammed (über welchem der Frieden des Allbarmherzigen ſei) in Ehren hält und Schutzbriefe und andere erlaubte Mittel der Abwehr wohl achtet: Nilpferde und Nashörner aber kümmern ſich nicht im geringſten um alle Amulete, welche unſere Geiſtlichen ſchreiben, um die Felder zu bewahren und beweiſen hierdurch, daß ihnen das Wort des Wahrheitſprechenden und Allmächtigen vollkommen gleichgiltig iſt. Sie ſind verbannt und verworfen von Anfang an. Nicht der Herr, der Allerſchaffende, hat ſie geſchaffen, ſondern der Teufel, der Allverderbende, und deshalb iſt es den Gläubigen nicht gerathen, ſich mit der - artigen Thieren einzulaſſen, wie wohl die Heiden und chriſtlichen Ungläubigen zu thun pflegen. Der wahre Muſelmann geht ihnen ruhig und ſtill aus dem Wege, damit er ſeine Seele nicht beſchmuze und Schaden an ihr nehme und verworfen werde am Tage des Herrn.

Ein möglichſt waſſerreiches Gebiet, Sumpfgegenden, Flüſſe, welche auf weit hin ihr Bett über - fluthen, Seen mit umbuſchten, ſchlammigen Ufern, in deren Nähe grasreiche Weideplätze ſich befin - den: das ſind die bevorzugten Aufenthaltsorte der Nashörner. Jn Afrika entfernen ſie ſich aber nicht ſelten ziemlich weit vom Waſſer, um auf den Grasſteppen zu weiden, wie auch die indiſchen ihrerſeits bisweilen nach dem Gebirge emporſteigen. Täglich einmal beſucht wohl jedes Nashorn das Waſſer, um hier zu trinken und um ſich im Schlamme zu wälzen. Ein Schlammbad iſt allen auf dem Lande lebenden Dickhäutern geradezu ein Bedürfniß; denn ſo ſehr auch ihr Fell ihren Namen bethätigt, ſo empfindlich iſt es. Zumal im Sommer nun peinigen Fliegen, Bremſen und Mücken alle größeren Säugethiere in wirklich unglaublicher Weiſe, und um Dieſem vorzubeugen, ſchützen ſie ſich eben durch Auflegen einer dicken Schlammlage. Ehe ſie noch auf Nahrung ausgehen, eilen ſie zu den weichen Ufern der Seen, Lachen und Flüſſe, wühlen mit dem Horn ein Loch und wälzen und drehen ſich in dieſem bis Rücken und Schultern, Seiten und Unterleib mit Schlamm bedeckt ſind. Das Wälzen im Schlamme thut den Thieren ſo wohl, daß ſie dabei laut ſtöhnen und grunzen und ſich von dem behaglichen Bad ſogar hinreißen laſſen, die ihnen ſonſt eigene Wachſamkeit zu vernachläſſigen. Gegen die böſen Fliegen und Mücken ſchützt die Schlammdecke immer nur kurze Zeit; denn ſie ſpringt zunächſt an den Beinen, dann auf den Schultern und an den Schenkeln ab, welche Theile nun den Stichen der Fliegen blosgeſtellt ſind, ohne daß ſich das Nashorn dagegen zu ſchützen vermöchte. Da ſieht man es, ſeiner Trägheit vergeſſend, eilig nach den Bäumen rennen, um ſich dort zu reiben und die Qual einen Augenblick lang zu verringern. Dann geht es von neuem weiter.

Die Nashörner ſind mehr bei Nacht, als bei Tage thätig. Große Hitze iſt ihnen ſehr zuwider; deshalb ſchlafen ſie um dieſe Zeit an irgend einem ſchattigen Orte, halb auf der Seite, halb auf dem Bauche liegend, den Kopf vorgeſtreckt und ebenfalls aufgelegt, oder ſie ſtehen träg in einem ſtillen Theile des Waldes, wo ſie durch die Wipfel größerer Bäume gegen die Sonnenſtrahlen geſchützt ſind. Alle Berichterſtatter ſind darin faſt einſtimmig, daß ihr Schlaf ein ſehr geſunder iſt. Mehrere Forſcher konnten ſich ruhenden Rashörnern ohne große Vorſicht nähern. Die Thiere glichen fühl - loſen Felsblöcken und rührten ſich nicht. Gordon Cumming erzählt, daß ſelbſt die beſten Freunde des Thieres, mehrere kleine Vögel nämlich, welche ſtets mit ihm ziehen, vergeblich be - müht waren, eines der Nashörner, welches er erlegen wollte, zu wecken, und bereits die älteſten Berichterſtatter erwähnen, daß gerade während der Mittagshitze das Thier am öfterſten beſchli -758Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.chen und getödtet würde. Gewöhnlich ſchnarcht es im Schlafe ſo laut, daß man dieſes dröhnende Geräuſch ſchon auf eine gute Strecke hin vernimmt und dadurch auch dann aufmerkſam gemacht wird, wenn man das verſteckt liegende Nashorn nicht ſieht. Doch kommt es auch vor, daß der Athem leiſe ein - und ausgeht, und man plötzlich vor einem raſenden Rieſen ſteht, ohne von deſſen Vorhandenſein eine Ahnung gehabt zu haben. So berichtet Sparrmann, daß zwei ſeiner Hotten - totten dicht an einem ſchlafenden Nashorn vorbeigingen und es erſt bemerkten, als ſie bereits einige Schritte vorüber waren. Sie drehten ſich ſofort herum, ſetzten ihm ihre Gewehre dicht auf den Kopf und ſchoſſen beide mit Kugeln geladenen Läufe ab. Das Thier machte noch einige Bewegungen; ſie luden ruhig wieder und erlegten es durch die nächſten Schüſſe.

Mit Anbruch der Nacht, in vielen Gegenden aber auch ſchon in den Nachmittagsſtunden erhebt ſich das plumpe Geſchöpf, nimmt ein Schlammbad, reckt und dehnt ſich dort behaglich und geht nun auf Weide aus. An den Quellen und Lachen erſcheint es, in Afrika wenigſtens, am häufigſten zwiſchen der dritten und ſechſten Stunde der Nacht, und immer verweilt es dann mehrere Stunden an dieſen ſo beliebten Orten. Nachher iſt es ihm allerdings ziemlich gleich, wohin es ſich wendet. Es äßt ſich ebenſowohl in den dichten, anderen Thieren kaum zugänglichen Wäldern, wie auf offenen Ebenen, im Waſſer nicht weniger, als in dem Röhricht der Sümpfe, auf den Bergen ebenſogut, wie in dem Thale. Selbſt durch das verſchlungenſte Dickicht bahnt es ſich einen Weg mit der aller - größten Leichtigkeit. Die Zweige und dünneren Stämme müſſen der in Bewegung geſetzten Maſſe weichen oder werden von ihr niedergebrochen, und nur um größere Stämme herum macht es eine kleine Biegung. Wo es mit Elefanten zuſammenlebt, nimmt es gewöhnlich deren Wege an; doch kommt es ihm darauf nicht an, ſich ſelbſt ſolche zu bahnen; denn im Nothfall biegt es mit ſeinem Horn auch dicke Stämme zu beiden Seiten, um ſich zwiſchen ihnen hindurch einen Pfad zu bilden. Jn den Dſchungeln Jndiens ſieht man lange, ſchnurgerade Wege, auf welchen alle Pflanzen ſeitlich nieder - gebrochen ſind, während der Boden von den Tritten des Thieres niedergeſtampft iſt. Jm Jnneren Afrikas gewahrt man ähnliche Gangſtraßen, welche man als ſolche des Nashorns erkennt, wenn die Bäume rechts und links niedergebrochen ſind, während die von Elefanten herrührenden dadurch ſich auszeichnen, daß die niederen, hindernden Stämme ausgeriſſen, entlaubt und dann auf die Seite geworfen wurden. Nicht ſelten ſoll man in den indiſchen Gebirgsgegenden ganz wohl ausgetretene Wege finden, welche von einem Wald zum anderen über felſige oder ſteinige Abhänge führen und durch das beſtändige Dahintraben auf der gleichen Stelle förmlich in das Geſtein eingegraben worden ſind, ſo daß ſchließlich tiefe Hohlwege entſtehen.

Hinſichtlich ſeiner Nahrung ſteht das Nashorn zum Elefanten in einem ähnlichen Verhältniß, wie der Eſel zum Pferde. Am liebſten frißt es harte Stauden aller Art, Diſteln, Ginſter, Sträu - cher, harte Schilfe und Steppengras u. dgl. Jn Afrika beſteht ſeine Hauptnahrung aus den dorni - gen Mimoſen, zumal aus den niederen, buſchigen, deren eine Art ihrer krummen, ſich in Alles anhakenden Dornen halber von den Jägern ſo bezeichnet Wart ein Bischen genannt wird. Wäh - rend der Regenzeit verläßt es gern die Wälder und zieht ſich da, wo Feldbau in der Nähe ſeines Aufenthalts getrieben wird, nach dem angebauten Lande. Hier richtet es dann unglaubliche Ver - wüſtungen an; denn ehe der Magen von 4 Fuß Länge und Fuß Durchmeſſer gefüllt iſt, muß ſchon eine anſtändige Menge von Kraut vernichtet ſein. Bei den in der Gefangenſchaft lebenden Nas - hörnern hat man die tägliche Nahrung gewogen und gefunden, daß das Thier mindeſtens einen halben Centner zu ſich nimmt. Jm freien Zuſtande frißt es wahrſcheinlich noch mehr. Aber freilich iſt es auch kein Koſtverächter. Nicht blos die dünneren Zweige und Schößlinge werden hinabgewürgt, nicht blos die ſtarrenden Theile der Mimoſen und anderer ſtachligen Gewächſe der Wendekreisländer, ſondern auch Aeſte bis zu und 2 Zoll Durchmeſſer. Daſſelbe, was ich von der Loſung des Ele - fanten ſagte, gilt auch hier. Die Nahrung wird mit dem breiten Maule maſſenhaft abgepflückt, und diejenigen Arten, bei denen ſich die Oberlippe rüſſelartig verlängert, wiſſen die handartigen Fort - ſätze ganz vortrefflich zu gebrauchen. An einem gefangenen, indiſchen Nashorn beobachtete ich, daß759Die Nashörner.es mit ſeiner Lippenſpitze ſehr kleine Stücken, z. B. Zuckerbrocken, geſchickt einklemmen und dann durch Umbiegen derſelben auf die weit vorragende Zunge bringen kann. Alle Nahrung, welche das Thier aufnimmt, zerkaut es ſogleich, aber in roheſter Weiſe; denn ſeine Speiſeröhre iſt weit genug, um auch großen Stücken den Durchgang zu gewähren. Das indiſche Nashorn kann die rüſſelartige Ausbuchtung der Oberlippe etwa bis auf 6 Zoll verlängern und damit gleich einen tüchtigen Buſch Gras erfaſſen, ausreißen und in das Maul ſchieben. Ob etwas Erde dann mit an den Wurzeln hängt oder nicht, iſt ihm ziemlich gleichgiltig. Es ſchlägt allerdings erſt den ausgeriſſenen Buſch einmal gegen den Boden, um den größten Theil der erdigen Stoffe abzuwerfen, dann aber ſchiebt es ihn mit großer Seelenruhe in den weiten Rachen und würgt ihn ohne Schlingbeſchwerden hinab. Sehr gern frißt das Thier auch Wurzeln, deren es ſich mit Leichtigkeit bemächtigt. Bei guter Laune macht es ſich ſchon ſeines Vergnügens halber daran, einen kleinen Baum oder Strauch aus dem Boden zu wühlen, und fegt zu dieſem Zwecke mit dem gewaltigen Horn ſolange unter den Wurzeln herum, bis es ſchließlich den Strauch erfaſſen und herausheben kann. Dann werden durch andere Schläge die Wurzeln losgebrochen und verzehrt. Dabei iſt jedoch bemerkt worden, daß die verſchiedenen Arten auch eine verſchiedene Auswahl ihrer Nahrung zu treffen pflegen. So behauptet man, daß die Borile oder das zweihörnige Nashorn Afrikas durch einen Euphorbienſtrauch, welchen die weißen Arten ohne Magenbeſchwerde freſſen, vergiftet wird.

Das Weſen des Nashorns hat wenig Anziehendes. Es frißt entweder oder ſchläft, um die übrige Welt bekümmert es ſich faſt gar nicht. Jm Gegenſatz zu dem Elefanten lebt es nicht in Her - den, ſondern meiſt einzeln oder höchſtens in kleinen Trupps von vier bis zehn Stücken. Unter ſol - cher Geſellſchaft herrſcht kein Zuſammenhang: jedes Einzelne lebt für ſich und thut, was ihm beliebt. Alle Bewegungen der Thiere ſind ſchwerfällig und plump, jedoch durchaus nicht in dem Grade, als man wohl glauben möchte. Behende Wendungen und Biegungen kann das Nashorn freilich nicht ausführen, und auf den Bergen ſpringt es auch nicht mit der Leichtigkeit einer Gemſe herum, in den ebenen Gegenden aber eilt es, wenn es einmal in Bewegung gekommen iſt, ſehr raſch davon. Es geht nicht, wie die anderen ſchweren Dickhäuter, durch gleichzeitiges Bewegen der Beine einer Seite, ſondern ſchreitet mit den ſich gegenüberſtehenden Vorder - und Hinterbeinen zugleich aus. Beim Lau - fen hält es den Kopf gewöhnlich niedrig und gerade vor ſich hin, in der Wuth aber ſchaukelt es ihn wiegend hin und her und reißt mit dem Horn tiefe und weite Furchen auf. Wenn es recht erzürnt iſt, ſpringt es auch von einer Seite zur anderen und hebt dann den ſtumpfen Schwanz in die Höhe. Es kann einen ſehr geſchwinden und ausdauernden Trab laufen und ſelbſt berittenen Jägern gefährlich werden, zumal in buſchreichen Gegenden, wo Mann und Pferd nicht ſo leicht auszuweichen ver - mögen, während jenes plump alle ihnen im Wege ſtehenden Bäume niedertritt. Jm Schwimmen iſt das Nashorn natürlich Meiſter; doch hält es ſich mehr an der Oberfläche und taucht nicht ohne Noth. Einzelne Berichterſtatter wollen beobachtet haben, daß es in Sümpfen oder Flüſſen ſich zum Grunde hinabſenkte, dort mit dem Horn die Wurzeln und Ranken der Waſſerpflanzen aushebe und mit ſich emporbrächte, um ſie oben zu verzehren.

Unter den Sinnen der Nashörner ſteht das Gehör wohl oben an, dann folgt der Geruch und auf dieſen das Gefühl. Das Geſicht iſt ſehr wenig ausgebildet. Es wird allgemein behauptet, daß ein Nashorn immer nur gerade nach vorn ſehen könne und Menſchen, welche von der Seite zu ihm hin - ſchlichen, gar nicht wahrzunehmen vermöge. Jch bezweifle dieſe Angaben, weil ich das Gegentheil an zahmen bemerkt habe. Jn der Wuth folgt das Nashorn dem Geruch und Gehör. Es nimmt die Fährte des Feindes auf und ſpürt dieſer nach, wobei es allerdings das Auge wenig braucht. Das Gehör iſt ſehr fein; das Thier vernimmt das leiſeſte Geräuſch auf große Entfernungen. Aber auch der Geſchmack iſt durchaus nicht zu leugnen; denn bei zahmen beobachtete ich, daß ihnen Zucker ein höchſt erwünſchter Gegenſtand war und mit beſonderem Wohlgefallen von ihnen verzehrt wurde. Die Stimme beſteht in einem dumpfen Grunzen, welches bei größerer Wuth in ein tönendes Blaſen über - gehen ſoll. Jn der Freiheit mag man dieſes Blaſen oft vernehmen; denn ein Nashorn iſt ſehr leicht760Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.in Wuth zu verſetzen. Seine Gleichgiltigkeit gegen Alles, was nicht Futter heißt, kann ſich ſehr bald in das Gegentheil umwandeln. Raffles beobachtete, daß das ſumatrenſiſche Nashorn vor einem einzigen Hunde die Flucht ergriff, und andere Reiſende ſahen, daß es bei ihrer Witterung eiligſt davon ging: allein das ganze Betragen ändert ſich, wenn das Thier gereizt wird. Es achtet dann weder die Zahl, noch die Wehrhaftigkeit ſeiner Feinde, ſondern ſtürzt blindwüthend in gerader Linie auf den Gegenſtand ſeines Zornes los. Ob dann eine Geſellſchaft bewaffneter Leute dem - thenden Vieh entgegenſteht oder ob der Gegenſtand ſeiner Wuth ein völlig harmloſer und unbedeuten - der iſt, ſcheint von ihm nicht in Betracht gezogen zu werden. Rothe Farben ſollen ihm zuwider ſein, wie dem Ochſen, und öfters hat man es Anfälle auf ſchreiend gekleidete Menſchen machen ſehen, welche ihm nicht das Geringſte zu Leide gethan haben. Seine Wuth überſteigt alle Grenzen. Es rächt ſich nicht blos an Dem, welches es wirklich gereizt hat, ſondern an Allem und Jedem, was ihm vorkommt; ſelbſt Steine und Bäume müſſen herhalten und wenn es gar Nichts findet, reißt es wenigſtens 6 bis 8 Fuß tiefe Furchen in die Erde. Glücklicherweiſe iſt es nicht ſo ſchwer, einem in ſeiner Wuth dahinrennenden Nashorn zu entgehen. Der geübte Jäger läßt es bis auf etwa 10 oder 15 Schritt herankommen und ſpringt dann zur Seite. Da rennt der tobende Geſell an ihm vorüber, verliert die Witterung, welche er bisher hatte, und ſtürzt nun auf gut Glück vorwärts, vielleicht an einem anderen, ganz unſchuldigen Gegenſtand ſeine Wuth auslaſſend. Man hat, wie Lichtenſtein erzählt, Beiſpiele, daß ein Nashorn bei Nacht einen Wagen oder einen davor geſpannten Ochſen in die Seite gefallen iſt und mit unbegreiflicher Kraft Alles mit ſich fortſchleppte und zertrümmert hat. Für den gerade im Zuge begriffenen Reiſenden iſt das Nashorn von allen Thieren das gefährlichſte, weil es nicht ſelten ohne alle Urſache auf die Leute losrennt und in verrückter Wuth ganz Unſchuldige umbringt. Zumal die ſchwarzen, afrikaniſchen Nashörner ſind wegen ihres ungeheuern Grimmes ſehr gefürchtet. Sie ſtürzen auf alle Gegenſtände los, welche ihre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen. Manch - mal arbeitet eins dieſer Thiere ſtundenlang mit ſeinem Horn an einem Buſche und wühlt ſchnaubend an ihm herum, bis es ihn mit ſammt ſeinen Wurzeln aus der Erde gehoben hat, dann legt es ſich vielleicht ruhig nieder, ohne weiter an das eben Zerſtörte zu denken. Das weiße, afrikaniſche Nas - horn iſt viel ſanfter und harmloſer, als ſeine ſchwarzen Verwandten, und ſteht ihnen auch an Schnel - ligkeit bei weitem nach. Selbſt wenn es verwundet worden iſt, greift es ſelten den Menſchen an.

Ueber die Fortpflanzung des Nashorns fehlen zur Zeit noch genauere Berichte. Von der indi - ſchen Art weiß man, daß die Paarung in die Monate November und Dezember fällt, und da nun der Wurf im April oder Mai erfolgt, kann man die Tragzeit auf 17 bis 18 Monate anſchlagen. Der Paarung gehen zuweilen gewaltige Kämpfe unter den Männchen voraus. So ſah Anderſon vier männliche Nashörner im wüthendſten Kampfe, erlegte zwei und fand, daß ſie mit Wunden bedeckt und in Folge deren nicht im Stande waren, ſich ſatt zu freſſen. Mitten im Dickicht des Waldes bringt das Nashorn ſein einziges Junge zur Welt. Es iſt ein kleines, plumpes Vieh, von der Größe eines ſtattlichen Hundes, welches mit offenen Augen zur Welt kommt. Seine röthliche Haut iſt noch faltenlos, der Keim zum Horn iſt aber ſchon vorhanden. Das Wachsthum ſchreitet in den erſten Monaten raſch vor ſich. Ein Nashorn, welches am dritten Tage etwa 2 Fuß hoch und Fuß lang war, wächſt in einem Monate 5 Zoll in die Höhe, ½ Fuß in die Länge und ebenſo - viel im Umfang. Nach dreizehn Monaten hat es bereits eine Höhe von vier, eine Länge von ſechs und einen Umfang von faſt ſieben Fuß. Die Haut iſt in den erſten Monaten von dunkelröthlicher Farbe, ſpäter bekommt ſie eine dunkle Schattirung auf hellerem Grunde. Bei den bezüglichen Arten iſt bis zum vierzehnten Monate kaum eine Andeutung der Falten vorhanden; dann aber bilden ſich dieſe ſo raſch aus, daß binnen wenigen Monaten kein Unterſchied zwiſchen den Alten und Jungen vorhanden iſt. Uebrigens gehört mindeſtens ein achtjähriges Wachsthum dazu, bevor das Nashorn eine Mittelgröße erlangt hat. Das Horn biegt ſich durch das ewige Wetzen mehr nach hinten. Manche Nashörner aber haben die Eigenheit, ſo viel mit ihm zu ſchleifen, daß es bis auf einen Stummel verkleinert wird. Dies thun regelmäßig die gefangenen.

761Die Nashörner.

Die Mutter zeigt viel Liebe für ihr Junges und vertheidigt es bei Gefahr mit einem beiſpiel - loſen Grimm gegen jeden Feind und jeden Angriff. Sie ſäugt es faſt durch zwei Jahre und bewacht es während dieſer Zeit mit der größten Sorgfalt. Bontius erzählt, daß ein Europäer auf einem ſeiner Ritte ein indiſches Nashorn mit ſeinem Jungen entdeckte. Als das Thier die Menſchen erblickte, ſtand es auf und zog mit ſeinem Kinde langſam weiter in den Wald. Das Junge wollte nicht recht fort, da ſtieß es die Alte mit der Schnauze vorwärts. Nun fiel es einem Jäger ein, dem Thiere nachzureiten und ihm mit ſeinem Säbel einige Hiebe auf den Hinteren zu geben. Die Haut war zu dick, als daß er hätte durchdringen können, die Hiebe hinterließen nur einige weiße Streifen. Geduldig ertrug das alte Nashorn alle Mißhandlungen, bis ſein Junges im Geſträuch verborgen war, dann wendete es ſich plötzlich mit ungeheurem Grunzen und Zähneknirſchen gegen den Reiter, ſtürzte auf ihn los und zerriß ihm mit dem erſten Streich einen Stiefel in Fetzen. Es würde um ihn geſchehen geweſen ſein, wäre das Pferd nicht klüger geweſen, als ſein Leiter. Dieſes ſprang zurück und floh aus allen Kräften, das Nashorn aber jagte ihm nach, Bäume und Alles, was ihm hindernd war, krachend niederſchmetternd. Als das Pferd zu den Begleitern des Weißen zurückkam, ging das Nas - horn auf dieſe los, ſie aber fanden glücklicherweiſe zwei neben einander ſtehende Bäume, hinter welche ſie ſich flüchteten. Das Nashorn, blind gemacht durch ſeine Wuth, wollte ſchlechterdings zwiſchen den Bäumen hindurch und gerieth in förmliche Raſerei, als es ſah, daß dieſe ſeinen Angriffen wider - ſtanden. Die Stämme zitterten wie Rohr unter den Streichen und Stößen, welche das erboſte Vieh führte, doch widerſtanden ſie und die Leute gewannen Zeit, ihm einige Schüſſe auf den Kopf zu geben, welche es fällten. Wie lange das junge Nashorn bei ſeiner Mutter bleibt, weiß man nicht, ebenſowenig kennt man das Verhältniß zwiſchen dem Vater und dem Kinde.

Man hat in alter Zeit viel von den Freundſchaften und Feindſchaften des Nashorns gefabelt. Namentlich der Elefant ſollte aufs eifrigſte von dem Nashorn bekämpft werden und dieſem blind - wüthenden Thiere regelmäßig unterliegen müſſen. Dieſe ſchon von Plinius herrührenden Fabeln ſind nach und nach erledigt worden. Bereits die älteren Reiſebeſchreiber wiſſen von der Feindſchaft Nichts; wohl aber erzählt man von der Freundſchaft unſeres Thieres mit anderen Geſchöpfen. An - derſon, Gordon Cumming und Andere fanden faſt regelmäßig auf dem Nashorn einen gar dienſtwilligen Vogel, den Madenhacker, welcher das Thier während des ganzen Tages treu begleitet und gewiſſermaßen Wächterdienſte bei ihm verrichtet. Die Nashornvögel (Madenhacker), ſagt Cumming, ſind fortwährende Begleiter des Nilpferdes und der vier Arten des Nashorns. Sie nähren ſich von dem Ungeziefer, von welchem dieſe Thiere wimmeln, und halten ſich deshalb immer in unmittelbarer Nähe der Dickhäuter oder auf ihrem Leibe ſelbſt auf. Oft haben dieſe ſtets wachſamen Vögel mich bei meiner vorſichtigſten Annäherung in meinen Erwartungen getäuſcht und meine Mühe vereitelt. Sie ſind die beſten Freunde, welche das Nashorn hat, und verfehlen ſelten, es aus ſeinem tiefſten Schlafe aufzuwecken. Der alte Dickbauch verſteht auch ihre Warnung vollkommen, ſpringt auf ſeine Füße, ſieht ſich nach allen Richtungen um und ergreift dann jedes Mal die Flucht. Jch habe oft zu Pferde ein Nashorn gejagt, welches mich viele Meilen weit lockte und eine Menge Kugeln empfing, ehe es ſtürzte. Auch während ſolcher Hatz blieben dieſe Vögel forwährend bei ihrem Brod - herrn. Sie ſaßen ihm auf dem Rücken und den Seiten, und als eine Kugel in die Schulter des Nas - horns einſchlug, flatterten ſie ungefähr ſechs Fuß in die Höhe, einen gellenden Schrei ausſtoßend, und nahmen dann wieder ihre frühere Stellung an. Zuweilen traf es ſich, daß die unteren Zweige der Bäume, unter welchen das Nashorn dahinrannte, die Vögel wegfegten; aber ſie fanden alle Mal ihren Platz wieder. Jch habe Nashörner geſchoſſen, wenn ſie um Mitternacht an den Quellen tran - ken. Die Vögel aber, welche glaubten, daß das erlegte Nashorn ſchlief, blieben bis zum Morgen bei ihm und wenn ich mich näherte, bemerkte ich, daß ſie, ehe ſie fortflogen, alles Mögliche auf - boten, um das vermeintlich ſchlafende Nashorn aufzuwecken. Wir haben keinen Grund, an der buchſtäblichen Wahrheit dieſer Mittheilung zu zweifeln, da wir ähnliche Freundſchaften zwiſchen den Vögeln und den Säugethieren oft genug finden können. Zudem habe ich die Madenhacker in Habeſch762Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.wenigſtens auf Pferden und Rindern ſelbſt beobachten können. Selbſtverſtändlich finden die Vögel Anerkennung für ſolche treue Begleitung, und auch das ſtumpfeſte Säugethier muß die Wohlthat erkennen, welche ſie ihm durch Aufleſen der es peinigenden Kerfe bereiten. Ob aber bei Annäherung des Menſchen die Vögel ihr Weidethier geradezu in das Ohr picken, um es aufzuwecken, will ich gern dahin geſtellt ſein laſſen; ich glaube eher, daß ſchon die allgemeine Unruhe, welche ſie kund - geben, wenn ſich ihnen etwas Verdächtiges zeigt, hinreichend iſt, um das Nashorn aufmerkſam zu machen. Bekannt iſt übrigens, daß manche Vögel, welche ſich durch beſondere Vorſicht auszeichnen, in ſehr kurzer Zeit von den übrigen als Vorpoſten und Warner anerkannt und beobachtet werden.

Außer dem Menſchen dürfte das Nashorn nicht viele Feinde haben. Löwen und Tiger meiden das Thier, weil ſie wiſſen, daß ihre Klauen doch zu ſchwach ſind, um deſſen dicke Panzerhaut zu zer - reißen. Aus dem Prankenſchlag des Löwen, welcher einen Stier im Nu zu Boden ſchlägt, würde ſich das Nashorn wahrſcheinlich nicht viel machen; denn das iſt in Folge der Kämpfe mit ſeines Gleichen noch ganz andere Schläge gewöhnt. Weibliche Nashörner, welche Junge haben, laſſen übrigens die Tiger oder Löwen nicht in ihre Nähe kommen; denn dem kleinen, noch weichlichen Nashorn mag das große Raubthier wohl gefährlich werden. Als ich ein Mal aus der Stadt an dem Fluſſe ſpazieren ging, ſagt Bontius, um die lieblichen Pflanzen zu betrachten, fand ich am Ufer ein junges, noch lebendiges und jämmerlich heulendes Nashorn liegen, dem die Hinterbacken abgebiſſen waren, ohne Zweifel von einem Tiger.

Was man von ſeiner Freundſchaft mit dem Tiger ſagt, ſcheint mir nur eine Heuchelei zu ſein; denn wenn auch beide Thiere neben einander hergehen, ſo ſehen ſie einander mit ſchiefen Augen an, grunzen und blöcken die Zähne, was ſicher kein Zeichen von Freundſchaft iſt.

Das Nashorn fürchtet andere kleine Thiere weit mehr, als die großen Räuber und namentlich in einigen Bremſen und in den Mücken hat es gar ſchlimme Feinde, gegen welche es kaum Etwas unternehmen kann. Jhrethalber wälzt es ſich ſo gern im Schlamme und in Folge ihrer Stiche, welche es recht wohl fühlen mag, reibt es ſich oft an den Stämmen, bis böſe Geſchwüre und Kruſten ent - ſtehen, in denen ſich dann wieder neue Kerbthiere anſiedeln. Auch mit dem Schlamme kommen eine Menge von Waſſerthieren, namentlich Egel, an das Nashorn, welche ebenfalls unangenehm werden müſſen und nur in den kleinen gefiederten Freunden des Thieres mächtige Gegner finden können.

Der Menſch iſt wohl überall der gefährlichſte Feind des Nashorns. Alle Völkerſchaften, in deren Gebiete das wüſte Geſchöpf ſich findet, ſtellen ihm mit größtem Eifer nach und auch die euro - päiſchen Jäger betreiben ſeine Jagd mit wahrer Leidenſchaft. Man hat gefabelt, daß die Panzerhaut Kugeln undurchdringlich wäre; doch haben ſchon frühere Reiſende bezeugt, daß ſelbſt eine Lanze oder ein kräftig geſchleuderter Pfeil ſie durchbohrt. Die Jagd iſt gefährlich, weil der gewaltige Rieſe auf den rechten Fleck getroffen werden muß, wenn er der erſten Kugel erliegen ſoll. Verwundet nimmt er augenblicklich den Kampf mit dem Menſchen auf und kann dann ſehr gefährlich werden. Die eingeborenen Jäger ſuchen das Nashorn während des Schlafes unter dem Winde zu beſchleichen und werfen ihm ihre Lanze in den Leib oder ſetzen ihm die Mündung des Gewehrlaufs faſt auf den Rumpf, um den Kugeln ihre volle Kraft zu erhalten. Die Abiſſinier gebrauchen Wurfſpieße, ſchleudern davon aber manchmal 50 bis 60 auf ein Nashorn. Wenn es etwas erſchöpft vom Blut - verluſt iſt, wagt ſich einer der Kühnſten an das Thier heran und verſucht mit dem ſcharfen Schwerte die Achillesſehne durchzuhauen, um das Thier zu lähmen und zu fernerem Widerſtande unfähig zu machen. Jn Jndien zieht man mit Elefanten zur Jagd hinaus, aber ſelbſt dieſe werden zuweilen von dem wüthenden Thiere gefährdet. Als das Nashorn aufgejagt war, ſagt Borri, ging es ohne anſcheinliche Furcht vor der Menge der Menſchen auf ſeine Feinde los und, als dieſe bei ſeiner Annäherung rechts und links aus einander prallten, lief es ganz gerade durch die aus ihnen gebildete Reihe, an deren Ende es auf den Statthalter traf, welcher auf einem Elefanten ſaß. Das Nashorn lief ſogleich hinter dieſem her und ſuchte ihn durch ſein Horn zu verwunden, während der Elefant763Die Nashörner.ſeinerſeits alle Kraft aufbot, das angreifende Nashorn mit dem Rüſſel zu faſſen. Der Statthalter nahm endlich die Gelegenheit wahr und ſchoß ihm eine Kugel an die rechte Stelle.

Auf die afrikaniſchen Arten wird ſelbſt im offenen, freien Felde Jagd gemacht. Der Jäger ſchleicht ſich durch das Gebüſche heran und ſchießt aus geringer Entfernung. Fehlt er, ſo ſtürzt das Thier wüthend nach dem Orte hin, von welchem der Schuß fiel, und ſpürt und blickt nach dem Feinde umher. Sobald es denſelben ſieht oder wittert, ſenkt es den Kopf, drückt die Augen zu und rennt, mit der ganzen Länge des Horns die Erde ſtreifend, vorwärts. Dann iſt es noch ein Leichtes, ihm auszuweichen. Geübte Nashornjäger haben ſtundenlang einem auf ſie eindringenden Nashorn Stand gehalten, indem ſie ſtets zur Seite ſprangen, wenn das Nashorn auf ſie losrannte und es an ſich vorbeiraſen ließen. Nachdem es ſich ausgetobt, erlegten ſie es doch noch. Der Reiſende Anderſon iſt mehrmals durch verwundete Nashörner in Todesgefahr gekommen. Eins derſelben ſtürzte ſich wüthend auf ihn, warf ihn nieder, glücklicherweiſe ohne ihn mit dem Horne zu treffen. Es ſchleu - derte ihn aber ein gutes Stückchen mit ſeinen Hinterfüßen weg. Kaum war es an ihm vorüber geſtürmt, als es ſich ſchon herum drehte und einen zweiten Angriff wagte, wobei es ſeinem Feinde eine tüchtige Wunde in den Schenkel beibrachte. Damit war glücklicherweiſe ſeine Rache erfüllt. Es eilte in ein benachbartes Dickicht, und Anderſon konnte gerettet werden. Ein anderes Zuſammen - treffen mit dem weißen Nashorn beſchreibt er mit folgenden Worten:

Als ich einſt auf der Rückkehr von einer Elefantenjagd begriffen war, bemerkte ich ein großes, weißes Nashorn in kurzer Entfernung vor mir. Jch ritt ein vortreffliches Jagdpferd, das beſte und flotteſte, was ich jemals während meiner Jagdzüge beſeſſen habe; doch war es eine Gewohnheit von mir, niemals ein Nashorn zu Pferde zu verfolgen, einfach deshalb, weil man ſich dem ſtumpfſinni - gen Vieh weit leichter zu Fuß als zu Pferde nähern kann. Bei dieſer Gelegenheit jedoch ſchien es, als ob das Schickſal dazwiſchentreten wolle. Meinen Nachreitern mich zuwendend, rief ich aus: Beim Himmel, der Burſche hat ein gutes, feines Horn, ich will ihm einen Schuß geben. Mit dieſen Wor - ten gab ich meinem Pferde die Sporen, war in kurzer Zeit neben dem ungeheueren Vieh und gab ihm einen Augenblick ſpäter eine Kugel in ſeinen Leib, doch, wie ſich zeigte, nicht von tödtlicher Wirkung. Das Nashorn, anſtatt, wie gewöhnlich, die Flucht zu ergreifen, blieb zu meiner größten Verwun - derung ſofort ſtehen, drehte ſich raſch herum und kam, nachdem es mich ein oder zwei Augenblicke neugierig angeſehen hatte, langſam auf mich los. Jch dachte noch gar nicht an die Flucht, dem un - geachtet verſuchte ich, mein Pferd wegzulenken. Aber dieſes Geſchöpf, gewöhnlich ſo gelehrig und lenkſam, welchem der kleinſte Druck des Zügels genug war, verweigerte jetzt ganz entſchieden, mir zu gehorchen. Als es zuletzt noch folgte, war es zu ſpät; denn das Nashorn war bereits ſo nahe zu uns gekommen, daß ich wohl einſah, ein Zuſammentreffen mußte unvermeidlich ſein. Und in der That, einen Augenblick ſpäter bemerkte ich, wie das Scheuſal ſeinen Kopf ſenkte, und indem es den - ſelben raſch nach oben warf, ſtieß es ſein Horn mit ſolcher Kraft zwiſchen die Rippen meines Pferdes, daß es durch den ganzen Leib, durch den Sattel ſelber hindurch fuhr und ich die ſcharfe Spitze in mei - nem Beine fühlte. Die Kraft des Stoßes war ſo furchtbar, daß mein Pferd einen wirklichen Purzel - baum in der Luft ſchoß und dann langſam nach rückwärts zurückfiel. Was mich anlangt, ſo wurde ich mit Gewalt gegen den Boden geſchleudert, und kaum lag ich hier, als ich auch ſchon das Horn des wüthenden Thieres neben mir erblickte. Doch mochte es ſeine Wuth gekühlt und ſeine Rache erfüllt haben. Es ging plötzlich mit leichtem Galopp von dem Schauplatze ſeiner Thaten ab. Meine Nach - reiter waren inzwiſchen näher gekommen. Jch eilte zu einem hin, riß ihn vom Pferde herab und ſprang ſelbſt in den Sattel und eilte ohne Hut, das Geſicht von Blut ſtrömend, raſch dem ſich zurückziehenden Thiere nach, welches ich zu meiner großen Genugthuung wenig Minuten ſpäter leb - los zu meinen Füßen hingeſtreckt ſah.

Auch Gordon Cumming berichtet, daß ein weißes, ſonſt als gutmüthig betrachtetes Nashorn ſich, als es in die Enge getrieben worden war, wüthend zum Angriff herumdrehte und ihn764Die Vielhufer oder Dickhäuter. Die Nashörner.gefährdete. Von einem Schwarzen erzählt er, daß daſſelbe, noch ehe er ihm Leides gethan, plötzlich auf ihn zukam und ihn lange Zeit um einen Buſch herumjagte.

Wäre es ebenſo flink als häßlich geweſen, ſo hätten meine Wanderungen wahrſcheinlich ihre Beendigung erreicht. Aber meine überlegene Behendigkeit gab mir den Vortheil. Nachdem es mich eine Zeit lang durch den Buſch angeſchnaubt, ſtieß es plötzlich einen lauten Schrei aus, machte Kehrt und ließ mich als Meiſter des Feldes zurück.

Levaillant beſchreibt in ſehr lebhafter Weiſe eine Jagd auf das zweihörnige Nashorn. Man beobachtete ein Paar dieſer Thiere, welche ganz ruhig in einem Mimoſenwald neben einander ſtan - den, mit der Naſe gegen den Wind und von Zeit zu Zeit hinter ſich ſahen, um ſich zu ſichern. Ein Eingeborener bat ſich aus, die Thiere zu beſchleichen. Die übrigen Jäger vertheilten ſich und ein Hottentotte nahm die Hunde unter ſeine Obhut. Der Eingeborene zog ſich ganz nackt aus und kroch mit der Flinte auf dem Rücken wie eine Schlange auf dem Boden fort, höchſt langſam und vorſichtig. Er hielt auch augenblicklich ſtill, ſo wie ſich die Nashörner umſahen, und glich dann täuſchend einem Steinbrocken. Sein Kriechen dauerte faſt eine Stunde. Endlich kam er bis zu einem Buſch, etwa zweihundert Schritt von den Thieren entfernt. Dort ſtand er auf und ſah ſich um, ob ſeine Kameraden alle auf ihren Poſten wären. Jetzt legte er an und verwundete das Männchen, welches im Augenblick des Schuſſes einen fürchterlichen Schrei ausſtieß und mit dem Weibchen wüthend auf ihn zukam. Er legte ſich unbeweglich auf den Boden, die Nashörner ſchoſ - ſen an ihm vorbei und ſtürzten auf die übrigen Jäger los. Jetzt befreite man die Hunde und feuerte von allen Seiten auf ſie. Sie ſchlugen fürchterlich gegen die Hunde los, zogen mit ihren Hörnern tiefe Furchen in den Boden und ſchleuderten die Erde nach allen Seiten weg. Die Jäger rückten näher, die Wuth der Thiere ſteigerte ſich fortwährend, und ſie boten einen wirklich entſetzlichen Anblick. Da plötzlich ſtellte ſich das Männchen gegen die Hunde, und das Weibchen flüchtete, zur größten Freude der Jäger, welche es nicht gern mit zwei derartigen Ungeheuern aufnehmen wollten. Das Männ - chen kehrte endlich auch zurück, lief aber auf einen Buſch zu, in welchem drei Jäger ſtanden, welche ihm aus einer Entfernung von dreißig Schritt tödtliche Schüſſe zuſandten. Es ſchlug aber noch ſo heftig um ſich, daß die Steine nach allen Seiten flogen und weder Menſchen noch Hunde ſich zu nähern wagten. Levaiklant wollte aus Mitleid ihm den Reſt geben, wurde aber von den Wilden abgehalten, weil ſie einen ſehr großen Werth auf das Blut legen und es getrocknet gegen allerlei Krankheiten gebrauchen; namentlich gegen Verſtopfung. Als es endlich todt war, liefen ſie hurtig heran, ſchnitten ihm die Blaſe aus und füllten ſie mit Blut an.

Eine wunderbare Jagdweiſe wird in dem Journal of the Indian Archipel mitgetheilt. Die Bewohner Sumatras ſollen dem Rhinoceros, während es in ſeinen Schlammmulden ſich wälzt, lang - ſam auf den Leib rücken und mit einem Male einen ganzen Haufen leicht brennbarer Stoffe über das eingewühlte Thier werfen, dieſe dann in Flammen ſetzen und ſie ſo erſt erſticken, dann gleich braten und ſomit zum Verſpeiſen fertig machen. Es gehört freilich ein guter Glaube dazu, ſolche Angaben für wahrſcheinlich zu halten. Jch erwähne es blos, um zu zeigen, was für Fabeln noch heutigen Tages über das ſonderbare Geſchöpf gäng und gäbe ſind.

Ungeachtet ſeines reizbaren Weſens wird das Nashorn, wenn es ſich ordentlich behandelt ſieht, leicht zahm. Bei Denen, welche man auf Schiffen hatte, bemerkte man eine ſtumpfe Gleichgiltigkeit, welche nicht einmal nach wiederholten Neckereien dem ſonſt leicht auflodernden Zorn Platz machte. Es iſt eine bekannte Sache, daß alle Thiere, welche das weite Meer um ſich ſehen, ausnehmend mild und zahm ſich zeigen, wahrſcheinlich im Gefühl ihrer zeitweiligen Schwäche. Und ſo darf es uns eigentlich nicht Wunder nehmen, daß auch das Nashorn hier ſehr zugänglich iſt. Aber wir haben auch andere Belege dafür, daß gefangene Nashörner auffallend zahm wurden. Horsfield rühmt das auf Sumatra lebende als ein ſehr gutmüthiges Geſchöpf. Ein Junges benahm ſich im hohen Grade liebenswürdig. Es erlaubte, daß man es in einem großen Karren fortſchaffte und zeigte ſich, nachdem es ſeinen Beſtimmungsort erreicht hatte, ſehr zugänglich. Man hatte ihm in765Die Nashörner.dem Schloßhofe von Surar Karta einen Platz eingeräumt, welchen man durch einen tiefen Graben von ungefähr drei Fuß Breite abgegrenzt hatte, und hier blieb es mehrere Jahre, ohne daran zu denken, ſeine Grenze zu überſchreiten. Es ſchien ſich vollkommen glücklich in ſeiner Lage zu fühlen und gerieth niemals in Zorn, trotzdem es bei ſeiner erſten Ankunft auf alle Weiſe geneckt wurde, weil die zahlreiche Bevölkerung der Stadt ſich mit dem Fremden aus dem Walde irgend welchen Spaß machen wollte. Baumzweige, Schlingpflanzen der verſchiedenſten Art, Strauchwerk wurde ihm in reichlicher Menge vorgeworfen; es zog aber vor Allem den Piſang vor, und die zahlreichen Beſucher, welche dieſe Neigung bald auskundſchafteten, ſorgten nun redlich dafür, daß es dieſe Lieblingsfrucht in Maſſe erhielt. Es erlaubte, daß man es berührte und von allen Seiten beſah, ja, die Kecken unter den Beſchauern wagten es zuweilen, auf ſeinem Nacken zu reiten. Das Waſſer war ihm Bedürfniß, und wenn es nicht mit Freſſen beſchäftigt war oder durch die Eingeborenen aufgeſtört wurde, legte es ſich regelmäßig in tiefe Löcher, welche es ſich ausgegraben hatte. Als es, nach verhältnißmäßig ſehr kurzer Zeit, erwachſen war, genügte ihm der nur drei Fuß breite Graben nicht mehr, es abzu - ſchließen. Da kam es oft vor, daß es in den Häuſern der Eingeborenen Beſuche abſtattete und dort in den Pflanzungen, welche die Gebäude regelmäßig umgeben, oft recht bedeutende Zerſtörungen ſich zu Schulden kommen ließ. Die, welche das Thier nicht kannten, wurden natürlich bei ſeinem Er - ſcheinen in die peinlichſte Furcht verſetzt, die Beherzteren aber trieben es ohne Umſtände wieder nach ſeinem Behälter zurück. Als die Ausflüge in der Nachbarſchaft immer häufiger und die Verwüſtun - gen, welche es in den Gärten anrichtete, immer toller wurden, war man genöthigt, es nach einem benachbarten Dorfe zu treiben, und dort fand es ſchmählicher Weiſe ſein Ende in einem kleinen Flüßchen.

Andere Nashörner, welche nach Europa gekommen waren, zeigten ſich ebenfalls gutmüthig und zahm. Sie ließen ſich berühren und hin und her treiben, ohne ſich zur Wehr zu ſetzen. Nur ein Fall iſt bekannt, daß ein Nashorn zwei Leute, welche es wahrſcheinlich gereizt haben mochten, an - griff und tödtete.

Jch ſah ein faſt erwachſenes, indiſches Nashorn in Antwerpen. Es war ebenfalls ſehr gut - müthig und ließ ſich ohne Mühe behandeln. Herr Kretſchmer, der Zeichner der meiſten Abbil - dungen dieſes Werkes, durfte ſogar zu ihm in den Behälter gehen, als es ſich darum handelte, es von allen Seiten bildlich darſtellen zu können. Man ließ es täglich auf einen umzäumten Platz vor ſeinem Stalle, und dort konnte der Wärter mit ihm machen, was er wollte. Eine einfache Peitſche genügte, ihm einen heilſamen Schreck einzujagen. Es ſetzte ſich augenblicklich in Galopp, wenn der Wärter klatſchte. Viele Beſchauer mochten es oft gefüttert haben; denn ſobald jemand Fremdes ſich nahte, kam es ſofort herbei, ſtreckte ſeine plumpe Schnauze durch das Gitter, verlängerte die Ober - lippe ſoweit es konnte und ſtieß ein dumpfes, aber leiſes Brüllen aus, in der Abſicht, einige Näſchereien zu erhalten. Wenn es eine Leckerei erhalten hatte, drückte es die Augen behaglich zu und zermalmte das Erbettelte mit einem einzigen Biß.

Aller Nutzen, welchen das erlegte Nashorn gewähren kann, wiegt den Schaden, welchen es während ſeines Lebens anrichtet, nicht entfernt auf. Jn Gegenden, wo ein regelmäßiger Anbau des Bodens ſtattfindet, iſt das Nashorn gar nicht zu dulden. Es iſt ſo recht eigentlich nur für die Wildniß geſchaffen. Von dem erlegten Thiere weiß man faſt alle Theile zu verwenden. Nicht blos das Blut ſteht in hohem Anſehen wegen ſeiner geheimnißvollen Kraft, ſondern auch das Horn. Jm Morgenlande ſieht man in den Häuſern der Vornehmen allerlei Becher und Trinkgeräthe, welche aus dem Horn des Thieres gedreht ſind. Man ſchreibt dieſen Gefäßen die Eigenſchaft zu, aufzu - brauſen, wenn eine irgend wie giftige Flüſſigkeit in ſie kommt, und glaubt ſomit ein ſicheres Mittel zu haben, ſich vor Vergiftungen zu ſchützen. Die Türken der höheren Klaſſen führen beſtändig ein Täßchen von Rhinoceroshorn bei ſich, und laſſen es in allen zweifelhaften Fällen mit Kaffee füllen. Gar nicht ſelten kommt es vor, daß ein Türke, welcher einen anderen beſucht, von dem er ſich eben nicht viel Gutes verſieht, in deſſen Gegenwart durch ſeinen Diener das Horntäßchen mit dem Kaffee766Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Nil - oder Flußpferd.füllen läßt, welcher als Freundſchaftstrank jedem Ankommenden gereicht wird, und es ſcheint faſt, als nähme der Wirth eine ſo beiſpielloſe Ungezogenheit gar nicht übel. Noch häuſiger wird das Horn zu den Griffen der koſtbaren Säbel verwendet. Wenn es ordentlich geglättet und gut gewählt iſt, zeigt es eine unbeſchreiblich ſchöne, ſanft röthlichgelbe Farbe, welche mit Recht als ein beſonderer Schmuck der Waffen betrachtet wird. Aus der Haut verfertigen ſich die Eingeborenen gewöhnlich Schilde, Panzer, Schüſſeln und andere Geräthſchaften. Das Fleiſch wird gegeſſen, das Fett hoch geachtet, obwohl Europäer das eine wie das andere ſchlecht nennen. Hier und da benutzt man, und ſicherlich nicht ohne Erfolg, das Fett zu Salben der verſchiedenſten Art, und auch das Mark der Knochen gilt hier und da als Heilmittel.

Ungleich plumper noch als Elefant und Nashorn iſt das Fluß - oder Nilpferd, un - zweifelhaft das ungeſchlachtetſte aller Landſäugethiere überhaupt. Jn der Vorzeit hatte auch dieſes Geſchöpf mehrere ihm ſehr nahe Verwandte; gegenwärtig ſteht es wohl allein für ſich da. Man hat zwar in der letzten Zeit von einer kleinen Art im Weſten Afrikas geſprochen, welche kaum größer als ein Schwein, und noch außerdem durch den Kopfbau weſentlich von dem eigentlichen Rilpferd unterſchieden ſein ſoll; doch müſſen nähere Berichte abgewartet werden, ehe wir das liberiſche Flußpferd anerkennen dürfen.

Das Nil - oder Flußpferd (Hippopotamus amphibius) hat vier Hufe an jedem Fuße, eine breite, ſtumpfe, nicht rüſſelartig verlängerte Schnauze und eine nackte Haut. Jm Kiefer ſtehen zwei bis drei Schneidezähne, ein Eckzahn und ſieben Backzähne in jeder Reihe. Das Geripp iſt außerordentlich ſchwer - fällig in allen ſeinen Theilen. Der Schädel iſt faſt vierſeitig, flach und niedergedrückt, der Hirntheil klein; die übrigen Knochen ſind dick und ſchwer. Beſonders auffallend ſind die Zähne. Sie unter - ſcheiden ſich von denen aller übrigen bekannten Dickhäuter und erinnern nur entfernt an das Gebiß der Schweine. Beſonders ausgezeichnet ſind die ungeheuren, halbkreisförmig gebogenen Eckzähne des Unterkiefers, welche bei alten Männchen bis dritthalb Fuß lang werden können. Die oberen ſind viel kleiner, aber ebenfalls gekrümmt und an der Spitze ſchief abgeſtutzt. Trotz der ungeheuren Größe ragen dieſe Zähne aber doch nicht aus der Schnauze hervor.

Der Name Flußpferd, eine Ueberſetzung der altgriechiſchen Benennung unſeres Thieres, bezeich - net das plumpe Geſchöpf ſehr ſchlecht; denn ſein Leibesbau hat weit mehr Aehnlichkeit mit einem rieſigen, unförmigen Maſtſchweine, als mit jedem anderen Geſchöpfe. Schon der arabiſche Name Djamuhs el Bahhr , welcher Flußbüffel bedeutet, iſt weit beſſer, als der bei uns gebräuchliche, obgleich die Aehnlichkeit zwiſchen Flußpferd und Büffel auch nur gering iſt. Mehr als alles Uebrige unterſcheidet der Kopf, auch abgeſehen von dem Gebiß, das Nilpferd von anderen Geſchöpfen. Er iſt von faſt viereckiger Geſtalt und durch die lange, hohe, außerordentlich breite und aufgeſchwollene Schnauze ausgezeichnet. Dieſe iſt zwar unförmlich wie das ganze Thier, aber dennoch ſonderbar geſtaltet. Jhr Obertheil iſt ſehr platt und hinten auch ziemlich ſchmal, er verbreitert ſich aber von dort aus nach vorn und fällt ſogleich in Geſtalt der Oberlippe ſeitlich tief herab, ſo den Mund all - ſeitig deckend und ſchließend. Die Naſenlöcher ſtehen ſchief zuſammen und ziemlich weit hinten, hoch oben am Kopfe, nur wenig vor und unterhalb den Ohren. Der ſchwerfällige und dicke Leib iſt lang - geſtreckt, faſt drehrund, nur in der Mitte etwas verdickt. Der Rücken erhebt ſich am Kreuze mehr, als am Widerriſt. Der Bauch hängt in der Mitte ſoweit herab, daß er den Boden berührt, wenn das Thier mit ſeinen unverhältnißmäßig kurzen Beinen über ſchlammigen Boden läuft. Selbſt bei ausgewachſenen Nilpferden ſind die Beine nicht höher als zwei Fuß. Der Schwanz iſt kurz und dünn, an ſeiner äußerſten Spitze ſeitlich zuſammengedrückt, am Ende mit kurzen, drahtähnlichen Borſten bedeckt. Der übrige Körper iſt beinahe nackt; denn auf der über zolldicken und ſtarken Haut,767Das Nil - oder Flußpferd.welche zumal am Halſe und vorn an der Bruſt einige tiefe Falten bildet, finden ſich nur höchſt ſpärlich kurze, borſtenartige Haare. Durch Furchen, welche ſich kreuzen, iſt die Haut in ſchuppen - artige Felder getheilt, welche bald größer, bald kleiner ſind. Jhre Färbung iſt ein eigenthümliches Kupferbraun, welches auf der Oberſeite mehr in das Schmuzigdunkle, auf der Unterſeite mehr in das Hellpurpurbräunliche übergeht. Viele bräunliche und bläuliche Flecken, welche ziemlich regel - mäßig geſtellt ſind, geben der ſonſt einförmigen Maſſe eine gewiſſe Abwechſelung. Uebrigens ver -

Das Nil - oder Flußpferd (Hippopotamus amphibius).

ändert ſich die Färbung jenachdem das Nilpferd trocken oder naß iſt. Wenn es eben dem Waſſer entſteigt, erſcheint ſein Obertheil bräunlichblau und der Untertheil faſt fleiſchfarben, während es, wenn ſich die Haut trocknet, dunkler, faſt ſchwarzbraun oder ſchieferfarben ausſieht. Unter der Haut liegt eine Fettſchicht von 3 bis 6 Zoll Dicke, welche den ganzen Wanſt umgibt und das Gewicht des Thieres, im Verhältniß zu ſeiner Größe, weſentlich erleichtert. Ein vollkommen erwachſenes Nil - pferd kann bis 15 Fuß lang werden, wovon nur Fuß auf den Schwanz kommen. Dabei wird768Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Nil - oder Flußpferd.es am Widerriſt kaum mehr als Fuß hoch; aber der Leib erreicht freilich einen Umfang von 12 bis 13 Fuß. Ein derartiger Rieſe mag ſeine 50 bis 70 Centner wiegen; denn ſchon die Haut eines mittelgroßen Thieres hat ihre 8 bis 10 Centner.

Gegenwärtig muß man ſchon ziemlich tief in das Jnnere Afrikas eindringen, ehe man den Thier - geſtalten begegnet, welche ich Zurückgelaſſene aus der märchenhaften Vorzeit nannte. Namentlich an dem heiligſten Strome ſind die alten, berühmten Thiere weit nach dem Herzen des Erdtheils und nach den Jugendländern des Stromes, der ſeine Quellen verbirgt , gezogen. Erſt wenn man in das tiefere Junere kommt, werden die viertauſend Jahre alten Bilder der heiligen Schrift auf den Tem - peln Egyptens lebendig: dort finden ſich heute noch wie vor Jahrtauſenden dieſelben Thiere unter den ſich gleich gebliebenen Menſchen; dort begegnen wir neben dem Pavian und dem Krokodil, dem heiligen Jbis und dem Tantalus jenen Uebriggebliebenen: dem Elefauten, dem Nashorn und dem Nilpferde. Wo der Menſch zur unbedingten Herrſchaft gelangt iſt, ſind letztere der furcht - baren Feuerwaffe erlegen, da, wo ihn nur die Lanze oder der Bogen bewehrt, ſtehen ſie ihm heute noch feindlich gegenüber. Noch im Sommer des Jahres 1600 konnte der neapolitaniſche Arzt Ze - renghi in der Nähe von Damiaht, alſo am Ausfluß des einen Nilarmes, zwei Nilpferde in Fall - gruben fangen und ſo ihre Haut erbeuten, welche dann nach Rom gebracht wurde, wie früher die lebenden Vorfahren des Unthiers. Gegenwärtig iſt das Thier in ganz Egypten und auch in Nu - bien, wo es Rüppell noch Anfangs dieſes Jahrhunderts in ziemlicher Anzahl traf, ausgerottet worden; denn nur höchſt ſelten ſchwimmt es unter die Gebirgskette Rherri, welche als die Südgrenze des Sonnenlandes gilt, im Strome hinab. Anders iſt es im Oſtſudahn. Erſt dort zeigt ſich über - haupt Afrika in ſeiner wahren Geſtalt. Dort beherbergen die Wälder und die Ströme die eigentlich merkwürdigen Geſchöpfe. Jn allen größeren Strömen und Seen des inneren Afrika iſt das Nilpferd noch heute eine gewöhnliche Erſcheinung.

Der Stadt Charthum, am Zuſammenfluſſe des weißen und blauen Nils, gegenüber, liegt eine kleine, baumreiche Jnſel im weißen Strome. Auf ihr ſah ich noch im Jahre 1851 das wohl - bekannte Paar Waſſerbüffel , welches alljährlich mit der ſteigenden Flut aus den Urwäldern des oberen Gebietes herabkam, und ich habe manche Büchſenkugel vergeblich nach ihren Köpfen entſandt. Weiter nach Süden hin finden ſich die Nilpferde hänfiger, und zwar auf dem einen wie auf dem anderen Strome. Doch muß man, was den Nil anlangt, immerhin den 15. Breitengrad als ihre äußerſte nördliche Grenze betrachten. Anders iſt es in den übrigen Strömen Afrikas. Lander ſah auf dem Niger eine unglaubliche Menge Flußpferde. Major Denham fand ſie auf dem Mehabiefluß in Menge. Ladislaus Magiar beobachtete ſie nahe an der Küſte, Anderſon in Südafrika, oben in dem Fluſſe Tumbi. Gordon Cumming fand ſie im Kafferlande und ein - mal auf einer großen Halbinſel des Limpoppofluſſes bis ſiebzig Stück beiſammen. Jn Süd - und Weſtafrika gehen ſie in den Flüſſen viel weiter nach der Küſte herab, als in der nördlicheren Hälfte des Erdtheils. Sie ſollen dort gar nicht ſelten ſelbſt bis in das Meer hinaus ſchwimmen, und dieſe Angabe erſcheint mir jetzt durchaus glaubhaft, nachdem mir Von der Decken verſichert hat, daß einmal drei Nilpferde auf Sanſebar geſehen worden ſind, welche ſelbſtverſtändlich nur von der gegenüberliegenden Küſte herübergekommen ſein konnten. Sie hatten einen Meeresarm von 35 eng - liſchen Meilen Breite durchſchwommen.

Jch kann mich bei der nachfolgenden Beſchreibung hauptſächlich auf meine eigenen Beobachtun - gen ſtützen, da ich oft genug mit dem Djamuhs el Bahhr zuſammengekommen bin.

Das Nilpferd iſt mehr als jeder andere Dickhäuter an das Waſſer gebunden; denn es geht eigentlich nur ausnahmsweiſe vom Strome aus auf das Land, regelmäßig des Nachts zur Aeßung, da, wo der Strom nicht ſelbſt reich an Pflanzen iſt, und zuweilen auch bei Tage, um ſich auf den Sandbänken zu ſonnen. Wenige Meilen oberhalb der Hauptſtadt der Hölle , wie die Sudahn - reiſenden Charthum zu nennen pflegen, ſieht man in den Schlammbänken der Stromufer häufig Spuren unſeres Thieres, etwa zwei Fuß tiefe, baumſtarke Löcher zu beiden Seiten einer mulden -769Das Nil - oder Flußpferd.artig eingedrückten Furche. Dies ſind die Fährten des Nilpferdes, welche dieſes zurückläßt, wenn es auf ſeinen nächtlichen Weidegängen dem Strome entſteigt, um nach dem pflanzenreichen Urwalde oder nach einem Felde zu wandern. Die Löcher rühren von den Beinen her, die Furche von dem auf dem Schlamme dahingeſchleppten Bauche; denn bis zum Leibe verſinkt das Unthier auf dem weichen, nachgiebigen Boden. Bei der ungemein geringen Abflachung des Abiad oder weißen Stro - mes, welcher während der Regenzeit an vielen Orten meilenweit ſeine Ufer überſchwemmt und ganze Waldungen unter Waſſer ſetzt, kann man jene Fährten viertelmeilenweit verfolgen. Am oberen blauen Fluſſe oder da, wo der Abiad ſteiluferig iſt, erkennt man den Aufenthalt des Nilpferdes leicht an den Ausſtiegen, welche es ſich bahnt, wenn es vom Waſſer auf an dem ſteilen Ufer em - porklimmt. Dieſe Stiegen ſtehen zu der Plumpheit des Thieres in gar keinem Verhältniß; denn ſie gehen oft ſo ſteil vom Waſſer auf, daß ein Menſch nur, wenn er ſich rechts und links an den Zweigen feſthält, auf ihnen emporklettern kann. Man begreift alſo gar nicht, wie es dem ſchwe - ren Dickhäuter möglich iſt, ſolche Wege zu begehen. Von den Stiegen aus führt noch ein kurzer Gang in das Jnnere des Waldes. Er unterſcheidet ſich leicht von den Wegen, welche die Elefan - ten zurücklaſſen, wenn ſie durch den Urwald ziehen; denn die Geſträuche zu ſeinen beiden Seiten oder in ſeiner Mitte ſind einfach niedergetreten, nicht aber auch abgebrochen und zur Seite ge - ſchleudert.

An günſtigen Stellen des Fluſſes, da, wo die Felder nahe an den Ufern liegen oder reiche Waldungen dieſe bedecken, und am liebſten dort, wo das eigene Bett des Stromes zugleich als Weideplatz dienen kann, d. h. alſo da, wo eine Menge von Waſſerpflanzen in ihm wachſen, entdeckt man die Flußrieſen ſehr bald. Jn Zwiſchenräumen von drei, höchſtens vier Minuten, bemerkt man irgendwo einen dampfartigen Waſſerſtrahl, welcher ſich etwa drei Fuß über die Waſſerfläche erhebt, und vernimmt zugleich ein eigenthümliches Schnauben und Brauſen, vielleicht auch ein dumpfes Brum - men, welches an das grollende eines Bullen erinnert: dort iſt ſoeben ein Nilpferd aufgetaucht, um Luft zu ſchöpfen. Wenn man nahe genug ſteht, kann man auch den ungeſchlachteten Kopf deſſelben wahrnehmen, eine formloſe, rothe oder bräunlichrothe Maſſe, auf welcher man zwei Spitzen, die Ohren, und vier Hügel, die Augen und die Naſenlöcher, ſieht. Mehr als den Kopf wird man von einem im Waſſer ſich bewegenden Nilpferde ſelten zu ſehen bekommen, und dieſen Kopf kann man, wenn man ihn zum erſten Male ſieht, leicht verkennen. Hält man ſich unter dem Winde und bleibt man ruhig, vielleicht in einem Gebüſch, verborgen, ſo kann man das auf - und nieder - ſchwimmende, im Waſſer gleichſam ſpielende Thier dreiſt beobachten. Man ſieht dann auch, daß auf der eingedrückten Stirn zwiſchen Augen und Ohren beim Auftauchen ein kleiner Teich zurück - bleibt, waſſerreich genug, um einem Goldfiſchchen oder einem Paar Schmerlen das Leben zu friſten. Man darf es wagen, mit einem größeren Schiffe zu ſolchen Köpfen hinzufahren; denn das Thier ſcheut ſich da, wo es nicht gereizt wurde, keineswegs vor der Barke, ſondern glotzt ſie höch - ſtens mit dummer Verwunderung an, ohne ſich durch ſie und die auf ihr ſich beſindlichen Menſchen in ſeinem Auf - und Niedertauchen ſtören zu laſſen. Höchſt ſelten bleibt es mehrere Minuten lang unter Waſſer, und die Angaben der Reiſenden, welche von zehn Minuten oder einer Viertelſtunde langem Untertauchen des Thieres ſprechen, ſind wohl dahin zu berichtigen, daß ein unverwundetes allerhöchſtens vier Minuten unter dem Waſſer bleibt, oft aber eben nur mit den Naſenlöchern über die Oberfläche emporſteigt und, nachdem es einen neuen Athemzug gethan hat, wieder im Waſſer verſinkt. Jch bezweifle, daß ein Nilpferd im Stande iſt, länger als fünf Minuten unter dem Waſ - ſer auszuhalten.

Wie die meiſten Dickhäuter iſt auch das Flußpferd ein geſelliges Thier. Höchſt ſelten findet man es einzeln. Ein Mal ſah ich bei Tage vier Stück auf einer Sandinſel ſich ergehen, ein anderes Mal traf ich ihrer ſechs in einem See, nahe am Ufer des blauen Fluſſes. Größere Geſellſchaften, welche als unmittelbar zuſammengehörend angeſehen werden konnten, fand ich nicht, wohl aber berichten andere Reiſende, wie ſchon angegeben, von zahlreicheren Trupps. Der Wohnkreis einerBrehm, Thierleben. II. 49770Die Vielhufer oder Dickhänter. Das Nil - oder Flußpferd.Geſellſchaft iſt beſchränkt, weil er ſtets in der Nähe guter Futterplätze liegt, und ſo genügt unter Umſtänden ſchon ein großer Tümpel mehreren Flußpferden zu längerem Aufenthalte. Der erwähnte See, in welchem ich ſechs Stück ſah, hatte höchſtens eine gute halbe Stunde im Umfang. Jſt an einer Stelle die Weide ſchmal geworden, ſo zieht ſich das Nilpferd langſam nach einer anderen Stelle; während der Regenzeit aber ſcheint es größere Wanderungen zu unternehmen.

Bei Tage verläßt die Geſellſchaft nur an ganz menſchenleeren Orten das Waſſer, um in der Nähe des Ufers theils im ſeichten Waſſer, theils auf dem Lande ſelbſt ſich einem träumeriſchen Halbſchlummer hinzugeben. Dabei zeigen die bequem dahingeſtreckten Thiere ganz die Behaglichkeit der Schweine, welche ſich ſuhlen, oder der Büffel, welche ſich im Strome baden. Von Zeit zu Zeit grunzen die männlichen Thiere nach Art der Schweine, und erhebt eins um das andere den Kopf ein wenig, um ſich zu ſichern. Mehrere Vögel treiben ungeſcheut ihr Weſen neben und auf den Ruhenden. Der Regenvogel (Hyas aegyptiacus) rennt ohne Unterlaß um die Rieſen herum und pickt und hackt Kerbthiere und Egel von deren Fellen weg. Der kleine Kuhreiher ſpaziert ernſten Schritts auf dem Rücken hin und her, um dieſen ſelbſt von dem Ungeziefer zu fäu - bern. Jn Südafrika vertritt der bereits erwähnte Madenhacker die Stelle dieſer kleinen Freunde. Die Araber des Oſtſudahn behaupten, daß es der Negenvogel übernehme, bei Gefahr das Nilpferd zu warnen, und wirklich achtet dieſes auf das Geſchrei ſeines kleinen, aufmerkſamen Freundes und geht in das Waſſer, wenn der Vogel durch irgend welche Erſcheinung beſonders aufgeregt wird. Sonſt achten die Nilpferde nicht viel auf das Treiben um ſich her, und blos an ſolchen Orten, wo ſie den Menſchen und ſein furchtbares Feuergewehr kennen lernten, nehmen ſie ſich vor ihrem Haupt -, ja, alleinigen Feinde mehr in Acht, als in den Oſt - und Weſtländern Afrikas, wo ſie ſich eigentlich gar nicht um ihn kümmern. So wird der Tag zwiſchen Schlummern und Wachen verbracht. Unzweifelhaft ſchlafen die Nilpferde nach Art der Büffel auch im Waſſer, indem ſie ſich mehr nach der Oberfläche deſſelben emporheben und durch regelmäßiges Bewegen ihrer Beine die gleiche Lage erhalten, ſo daß die Naſenlöcher, die Augen und die Ohren über dem Waſſerſpiegel erhaben ſind und die Athmung ungeſtört beſorgt werden kann.

Gegen Abend kommt Leben in die Geſellſchaft. Das Grunzen der Männchen erſtarkt zu einem Gebrüll, und die ganze Herde taucht ſpielend auf und nieder im Strome. Dann und wann beginnt ſogar ein luſtiges Jagen. Namentlich in der Nähe von Schiffen ſcheinen ſie ſich dann gern zu zeigen. Jch habe wenigſtens bemerkt, daß ſie unſer Bot bei abendlichen Fahrten regelmäßig auf größere Strecken hin begleiteten. Sie ſchwimmen mit erſtaunlicher Leichtigkeit in jeder Waſſertiefe, tauchen auf und nieder, bewegen ſich ruck - oder ſatzweiſe, wenden ſich nach allen Seiten mit überraſchender Gewandtheit und ſchwimmen geradeaus mit dem beſten Ruderbot um die Wette. Die dicken Fettlagen, welche ihren Leib allſeitig umgeben, vermindern ihr Gewicht ſo, daß es dem des Waſſers ganz oder ziemlich gleich kommt. Und hierdurch eben wird es dem Nilpferd leicht, jede Tiefe des Waſſers zu bewohnen. Wenn man den ungeheuren Körperumfang des Thieres rechnend betrachtet, nimmt es einen nicht mehr Wunder, daß durch ſolche Maſſe 50 bis 60 Centner Waſſer weggedrängt werden können. Jch habe bei ruhigem Schwimmen des Thieres niemals eine heftige Ruderbewegung deſſelben bemerken können; das Waſſer um das ſchwimmende Nilpferd bleibt vielmehr glatt und unbeweglich. Aber das Gegen - theil findet Statt, wenn ſich das Vieh wüthend auf einen Feind ſtürzt oder nach einer Verwundung im Fluſſe umhertobt. Dann ſchnellt es die Hinterbeine überaus heftig zurück, ſchießt in förmlichen Sätzen vorwärts, bringt das ganze Waſſer in Aufruhr, ſo daß es hohe Wellen wirft, und die Gewalt ſeiner Bewegungen iſt dann ſo groß, daß das Thier, wie erwieſen, mittelgroße Schiffe emporheben und zertrümmern kann. Reiſende, welche in leichten Boten die Ströme herabfahren, werden oft ſehr ge - fährdet durch die irgendwie gereizten Nilpferde, und auch im Oſtſudahn weichen die Schiffer dem Unthiere immer ziemlich ſorgfältig aus und ſehen es ſehr ungern, daß man vom Bote aus nach ihm ſchießt.

771Das Nil - oder Flußpferd.

Jn den pflanzenreichen, ſeeartigen Stellen des Abiadt verläßt das Nilpferd auch zur Nachtzeit das Strombett nicht oder nur höchſt ſelten. Es frißt dort bei Tage und bei Nacht von den im Strome ſelbſt wachſenden Pflanzen. Wie das Zarte und Erhabene ſo oft dem Rohen und Ge - meinen unterliegen muß, ſo auch hier: Der durch die Sinnigkeit längſt vergangener Völker geheiligte, als Bild der Gottheit betrachtete Lotos, der herrliche, königliche Bruder unſerer ſtillen, lieblichen Waſſerroſe, dient zur Hauptnahrung der Nilpferde. Die Pflanzen, deren Geſtalt allein ſchon ein Ge - dicht und deren Blüthen gleich ausgezeichnet ſind durch ihre Farbe, wie durch ihren Duft werden von dem wüſteſten, roheſten aller Säugethiere des feſten Landes gefreſſen. Außerdem nähren ſich an ſolchen Orten die Nilpferde auch noch von anderen Waſſerpflanzen, zumal von den rankenden, welche tief unten im ſchlammigen Grunde wurzeln und halb über, halb unter dem Waſſer ihre Blätter entfalten. Schilf und ſelbſt Rohr dienen unter Umſtänden ebenfalls zur willkommenen Nahrung. Jener Jnſel - flur des Abiad, wo dieſer bald zum ſtillen, klaren See, bald zum faulenden Sumpfe und bald wieder zum Bruche mit paradieſiſcher Pflanzenpracht und aller Tücke ſolchen Reichthums wird, ſich ſelbſt nur hier und da als langſam dahin ſchleichender Fluß bekundend, leben Nilpferd und Krokodil zu Hunderten ausſchließlich im Strome, ohne ſich um die Außenwelt viel zu bekümmern. Hier bieten dem Dickhäuter der uralte Papyrus, der Lotos, der flaumenleichte Ambath, die Neptunwaſſerlilie und hundert andere, uns zum geringſten Theile bekannte Pflanzen, Nahrung in Hülle und Fülle. Man ſieht es an ſolchen Stellen fortwährend auf - und niedertauchen, um ſich Nahrung vom Grunde loszureißen. Und dazu leiſten ihm die langen Stoßzähne ſehr gute Dienſte. Ein der Art freſſendes Nilpferd iſt ein wahrhaft ekelhafter Anblick. Auf die Entfernung einer Zehntelmeile kann man das Aufreißen des Rachens mit bloſen Augen ſehen, auf ein Paar Hundert Schritte hin nimmt man deutlich alle Bewegungen am Freſſen wahr. Der ungeſchlachtete Kopf verſchwindet in der Tiefe und wühlt unter den Pflanzen herum. Weithin trübt ſich das Waſſer von ſich auflöſendem Schlamme. Dann erſcheint das Vieh wieder mit einem großen, dicken Bündel abgeriſſener Pflanzen, welches für ihn eben ein Maul voll iſt, legt das Bündel auf die Oberfläche des Waſſers und zerkaut und zermalmt es nun langſam und behaglich. Zu beiden Seiten des Maules häugen die Ranken und Stengel der Gewächſe weit heraus; grünlicher Pflanzen - ſaft läuft mit Speichel untermiſcht beſtändig über die wulſtigen Lippen herab; einige halb zerkaute Grasballen werden ausgeſtoßen und von neuem verſchlungen. Die blöden Augen glotzen bewegungs - los ins Weite, und die ungeheuren Stoß - und Eckzähne zeigen ſich in ihrer ganzen Größe.

Anders iſt es in allen Gegenden, wo ſteile Ufer die Flüſſe begrenzen, z. B. am Asrak, deſſen raſcher Lauf keine Seebildung geſtattet. Hier muß das Nilpferd an das Land gehen, um zu weiden. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, dem in den Tropen bekauntlich faſt zauberiſch ſchnell die lichte, ſchöne Nacht folgt, entſteigt es, mit größter Vorſicht lauſchend und ſpähend, dem Strome und klettert an den erwähnten ſteilen Uferpfaden empor. Jm Urwald ſieht man ſeine Wege überall, wo der Reichthum der Pflanzenwelt gute Beute verſpricht. Jn der Nähe bewohnter Ortſchaften richten ſich die Pfade nach den Fruchtfeldern. Hier fällt es verheerend ein, hier vernichtet es in einer einzigen Nacht oft ein ganzes Feld. Seine Gefräßigkeit iſt ungeheuer groß und trotz der Fruchtbarkeit ſeiner Heimat kann es, wenn es nur einigermaßen zahlreich wird, zur wahren Landplage werden; denn weit mehr noch als es wirklich zur Nahrung bedarf, zerſtampft es mit den plumpen Füßen oder knickt es um, wenn es ſich, nachdem es ſatt geworden, nach Schweineart behaglich in einer ſeichten Vertiefung hin und her wälzt. Und nicht blos durch ſeine Verheerungen unter den Pflanzen ſchadet dann das Rilpferd: es wird auch zu einem das Leben des Menſchen und der Thiere bedrohenden Geſchöpfe; denn mit blinder Wuth ſtürzt es auf ſeinen Weidegängen auf alle ſich bewegenden Geſtalten und ver - nichtet ſie, wenn es dieſelben erreicht. Zumal an Orten, wo es irgendwie ſchon mit dem Menſchen in Berührung kam, wird es höchſt gefährlich. Die vier gewaltigen Eckzähne der Kiefern ſind, anderen Thieren gegenüber, furchtbare Waſſen. Mit ihnen zermalmt es ein Rind. Wo Nilpferde hauſen, werden die Herden ſorgfältig bewacht; denn auch die harmloſeſten geſchöpfe reizen das abſcheuliche Thier zu blindwüthendem Zorn. Rüppell berichtet, daß ein Nilpferd vier Zugochſen zermalmte,49*772Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Nil - oder Flußpferd.welche ruhig an einem Schöpfrade ſtanden. Jch ſelbſt habe ähnliche Geſchichten genug vernommen. Die Eingeborenen erzählen, daß es mit dem Maule angreift und erſt zu guter Letzt den Gegenſtand ſeiner Wuth mit den Füßen zerſtampft. Nur ſehr ſelten ergreift ein weidendes Nilpferd vor dem Menſchen die Flucht: ein gereiztes thut Dies niemals. Es ſcheint, wie ich weiter unten erzählen will, daß es eine ihm zugefügte Beleidigung ziemlich lange behält und nachträgt.

Der arme Menſch des innern Afrika, welcher kein Feuergewehr führt, iſt dem Nilpferd gegen - über ſo gut als machtlos, obgleich er noch immer ſein einziger gefährlicher Gegner bleibt; denn außer Blutegeln, Mücken und Eingeweidewürmern wird das Flußpferd von keinem Geſchöpf angegriffen und all die ſo ſchön ausgedachten Kämpfe zwiſchen ihm und dem Krokodil, dem Elefanten, dem Nashorn und dem Löwen müſſen unerbittlich in das Reich der Fabel gewieſen werden. Höchſtens ein junges Nilpferd würde eine der größeren Katzen vielleicht angreifen, wäre nicht die Alte beſtändig in der Nähe und zur Abwehr aller Gefahren vorbereitet. Der Menſch ſucht ſich auf verſchiedene Weiſe des ſchädlichen Thieres zu erwehren. Während der Zeit der Fruchtreife ſieht man in den bevölkerten Stromgegenden zu beiden Ufern eine Menge von Feuern leuchten. Sie ſind einzig und allein als Schreckmittel gegen die Nilpferde angezündet und werden die ganze Nacht durch ſorgfältig angefacht. An einigen Orten unterhält man mit Trommeln einen beſtändigen Lärm, um die Flußrieſen zu ſchrecken. Und gleichwohl ſind ſie nicht ſelten ſo kühn, daß ſie nur dann nach dem Fluſſe zurückkehren, wenn eine größere Menſchenmenge ſchreiend und trommelnd und mit Feuerbränden auf ſie anſtürmt. Leider iſt gegen das Nilpferd ein Mittel, welches bei anderen Thieren mit dem beſten Erfolge gekrönt wird, nicht anwendbar und die hölliſche Natur des Unthieres geht daraus recht deutlich hervor. Das Wort des Gottgeſandten, Mahammed Frieden über ihn! iſt kräftig genug, faſt alle übrigen Thiere von den Feldern abzuhalten, welche es in Geſtalt eines dort aufgehangenen Amuletes ſchirmt. Ein Nil - pferd aber und andere der Gerechtbarkeit trotzende Thiere mißachten auch den kräftigſten und wirkſamſten Gottesbrief, und ſei er von dem Scheich el Jslahm in Mekka ſelbſt geſchrieben. So bleibt dem armen Gläubigen eben nur das Feuer übrig, um Hölliſches mit Hölliſchem zu bannen.

So denken die Mahammedaner, anders die Neger am oberen Abiad und Asrak, welche überhaupt als muthige, tüchtige Leute angeſehen werden müſſen. Sie graben Fallgruben und legen dem Thiere andere Hinderniſſe in den Weg oder treten ihm während der Nacht in Maſſen entgegen, um es zu vertilgen. Allein auch ſie ſind nicht im Stande, den böſen Feind auszurotten; denn Solches kann nur durch das Feuergewehr bewirkt werden.

Weit gefährlicher noch, als das Nilpferd gewöhnlich iſt, wird es, wenn es noch ein Junges zu ſchirmen hat. Ueber die Zeugung, die Geburt der Jungen und die Dauer der Tragzeit hat man erſt in der Neuzeit an Gefangenen Beobachtungen gemacht, da dieſe ſich ſchon einige Male fortgepflanzt haben. Von der Fortpflanzung der freilebenden Thiere weiß man nur ſo viel, daß ein Junges etwa im erſten Drittel der Regenzeit, welches die meiſte und ſaftigſte Nahrung bringt, geboren wird, demnach in den verſchiedenen Ländern Afrikas zu ſehr verſchiedener Zeit, je nachdem der Frühling der Wendekreis - länder dort eintritt. Die für ihr Kind zärtlich beſorgte Mutter ſieht auch in den unſchuldigſten Dingen Gefahr und ſtürzt ſich mit furchtbarer Wuth auf jeden Feind. Es ſcheint, daß das Junge lange Zeit von der Mutter geführt und geleitet wird; denn Livingſton ſah Junge, welche, wie er ſagt, nicht viel größer waren, als Dachshunde, während ich meines Theils niemals ſo kleine, ſondern höchſtens ſolche beobachtet habe, welche die Größe eines vollſtändig ausgewachſenen Ebers hatten, der bedeutend größeren, welche noch immer mit der Alten gingen, gar nicht zu gedenken. Derſelbe Reiſende berichtet, daß die Mutter ihre Jungen anfangs auf dem Halſe und ſpäter auf dem Widerriſt trage. Jch habe Dies nie geſehen; die Angabe ſcheint mir auch auf einem Beobachtungsfehler zu beruhen. Soviel ſteht feſt, daß die Mutter ihr Junges zärtlich liebt, ja ich glaube behaupten zu können, daß ſich auch der Vater ſeines Sprößlings ſchützend annimmt; wenigſtens ſah ich faſt immer um ein Junges zwei Alte. Die Mutter iſt leicht zu erkennen. Sie läßt ihr Kind keinen Augenblick aus den Augen und bewacht jede ſeiner Bewegungen mit mütterlicher Luſt und zärtlichen Sorgen. Zuweilen ſpielt das ungefüge773Das Nil - oder Flußpferd.Thier ganz luſtig mit ſeinem Liebling. Da tauchen dann Beide ſcherzend auf und nieder und unter - halten ſich mit Brummen. Jedenfalls ſaugt das Junge im Waſſer. Jch ſah mehrmals ein altes Nil - pferd ruhig an der gleichen Stelle liegen, nur ein wenig den Kopf über der Oberfläche des Waſſers erheben, während das Junge von Zeit zu Zeit neben ihm auf und nieder tauchte, wahrſcheinlich um Athem zu holen.

Es iſt nicht rathſam, ſich einer Nilpferdmutter, welche ihr Kind bei ſich hat, zu nahen; denn ſie greift auch bei Tage Schiffe und Menſchen an, wenn ſie Gefahr für ihr Junges wittert. Livingſtone’s Kahn wurde von einem weiblichen Nilpferde, deſſen Junges man Tags vorher mit dem Spere getödtet hatte, halb aus dem Waſſer gehoben, und einer ſeiner Leute herabgeſchleudert, ohne daß die Mannſchaft das Thier fernerhin gereizt hätte. Jn den Nilländern kennt man ähnliche Beiſpiele von derartig er - zürnten Nilpferden und weiß auch von vielen Unglücksfällen zu berichten, welche ſie verurſacht haben. Jch ſelbſt habe das Necken alter Nilpferde und ihrer Jungen einmal büßen müſſen und will die Ge - ſchichte, welche ich ſchon früher in der Gartenlaube mitgetheilt habe, hier wiederholen. Sie trägt zur Kennzeichnung des Thieres bei.

Wir hatten unweit des linken Ufers des Asrak einen Regenteich oder See aufgefunden, welcher vom Strome bei ſeiner Ueberſchwemmung gefüllt worden und noch bei unſerer Ankunft im Februar ziemlich waſſerreich war. Außer einer Menge von Vögeln lebten in ihm auch Krokodile und mehrere Nilpferde mit ihren Jungen. Wahrſcheinlich hatten letztere die kleinen und verhältnißmäßig niedlichen Jungen in ihm zur Welt gebracht; wenigſtens ſchien mir der ſtille, ruhige, rings von Wäldern und an einer Seite ſogar von Feldern eingefaßte See zu einem Wochenbette für Nilpferde wohl geeignet. Unſere Aufmerkſamkeit und Jagdluſt feſſelten vorzüglich die herrlichen Schlangenhalsvögel, ob - gleich wir, um auf dieſe geſchickten Taucher feuern zu können, oft bis an die Bruſt in das Waſſer waten mußten, trotz der Krokodile und Nilpferde, um welche wir uns heute gar nicht kümmerten. Mein Jäger Tomboldo, welcher die Jagd in Vater Adams Kleidung ausführte, hatte eben den vierten Schlangenhalsvogel glücklich durch den Hals geſchoſſen mehr als den Hals bekommt man von ihm über dem Waſſer nicht zu ſehen und watete auf ihn zu, um ihn aufzufiſchen. Da ſchreit plötzlich vom anderen Ufer her ein Sudahneſe laut auf und winkt und geberdet ſich wie toll; Tomboldo ſchaut ſich um und ſieht ein wuthſchnaubendes Nilpferd mit mächtigen Sätzen auf ſich losſtürmen. Das Vieh hat bereits feſten Grund unter den Füßen und jagt wie ein angeſchoſſener Eber durch die Fluthen; der Nubier ergreift in Todesangſt die Flucht und erreicht, bis zum Uferrande von ſeinem furchtbaren Feinde verfolgt, glücklich den Wald. Jch war mit meiner trefflichen, leider aber blos leichte Kugeln ſchießenden Büchſe dem treuen, höchſt brauchbaren Diener zu Hilfe geeilt und fand ihn im Gebet und ſtöhnend auf der Erde liegen:

La il laha il Allah, Mahammed, raſſuhl Allah! Es gibt nur einen Gott und Mahammed iſt ſein Prophet! Nur bei Allah, dem Starken, allein iſt die Stärke; nur bei Gott dem Helſenden iſt die Hilfe! Behüte, o Herr, deinen Glänbigen vor den aus deinen Himmeln zur Hölle hinabge - ſtürzten Teufeln! Du Hund, du Hundeſohn, Hundeenkel und Hundeurenkel, du von einem Hund Erzeugter und von einer Hündin Geſäugter du willſt ein Moslim freſſen?! Verdamme dich der Allmächtige und werfe er dich in das Jnnere der Hölle! Dieſe und ähnliche Stoßſeufzer und Flüche entrangen ſich ſeinen bebenden Lippen. Dann aber ſprang er wüthend auf, lud eine Kugel in ſein Gewehr und ſandte ſie dem Nilpferd nach, welches noch immer vor uns tobte und lärmte. Die Kugel tanzte luſtig auf dem Waſſer hin und an dem Ungethüm vorüber.

Bei dem Barte des Propheten, bei dem Haupte deines Vaters, Effendi, bat er mich, ſende du dem nichtswürdigen Gottesleugner aus deiner Büchſe eine Kugel zu; denn auch mein ſchöner Taucher iſt ja verloren!

Jch willfahrte ſeiner Bitte, ſchoß und hörte die Kugel auf den Schädel einſchlagen. Das Nil - pferd brüllte laut auf, tauchte einige Male unter und ſchwamm nach der Mitte des See’s zu, wie es ſchien, ohne durch den Schuß weſentlich geſtört zu ſein. Nur ſeine Wuth nahm von Stunde zu Stunde774Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Nil - oder Flußpferd.zu. Freilich ließ unſere Nachſucht fortan die hier und da erſcheinenden Köpfe als Scheiben anſehen, nach denen wir, ſo oft es anging, eine Kugel entſendeten. Jch wußte aus Erfahrung, daß meine ſchwache Büchſenkugel ſelbſt bei einer Entfernung von noch nicht vierzig Schritten kaum die Haut des Kopfes durchbohren konnte, wollte mir aber gleichwohl das Vergnügen nicht entſagen, dem Abgeſandten der Hölle unſeren Aerger fühlen zu laſſen.

Auf unſerer Reiſe kamen wir, wenige Tage nach dieſem Vorfalle, wieder zu demſelben See und trieben während der Jagd das Zielſchießen nach den Nilpferdköpfen wie vorher. Jn das Waſſer durften wir uns allerdings nicht mehr wagen; dafür aber ſchienen die Nilpferde auch das Land zu achten, und ſo herrſchte jeder Gegner in ſeinem eigenen Kreiſe, wir auf dem Lande, die Nilpferde im Waſſer. Nach einer ſehr ergiebigen Jagd kehrten wir nachmittags auf das Bot zurück, mit der Abſicht, die Jagd am anderen Morgen fortzuſetzen. Da wurden wir gegen Sonnenuntergang benachrichtigt, daß ſoeben eine zahlreiche Herde von Pelekanen im See angekommen ſei, um dort zu übernachten. Wir gingen deshalb nochmals zum See und begannen unſere Jagd auf die Vögel, welche im letzten Strahl der Sonne auf dem dunklen, hier und da vergoldeten Waſſerſpiegel wie große weiße Seeroſen erſchienen. Jn wenig Minuten hatte ich zwei Pelekane erlegt; Tomboldo jagte auf der anderen Seite und feuerte ebenfalls lebhaft. Jhn erwartend, verweilte ich bis nach Sonnenuntergang auf meinem Stande, als er jedoch nicht erſchien, trat ich mit meinem nubiſchen Begleiter und Beuteträger den Rückweg an. Unſer Pfad führte durch ein Baumwollenfeld, welches bereits wieder vom Urwalde in Beſitz genommen, gänzlich verwildert und arg von Dornenranken und anderen Stachelgewächſen durchzogen war. Froh unſerer Beute und der ſchönen lauen Nacht nach dem heißen Tage, zogen wir unſeres Wegs dahin.

Effendi, ſchau, was iſt das? fragte der Rubier. Er deutete dabei auf drei dunkle, hügelartige Gegenſtände, welche ich, ſoviel ich mich erinnerte, bei Tage nicht geſehen hatte; ich blieb ſtehen und blickte ſcharf nach ihnen hin: da bekam plötzlich der eine der Hügel Bewegung und Leben, das nicht zu verkennende Wuthgebrüll des Nilpferdes tönte uns grauenvoll nahe in die Ohren und be - lehrte uns vollſtändig über den Jrrthum, ſeinen Urheber für einen Erdhaufen gehalten zu haben denn in Sätzen ſtürzte ſich derſelbe auf uns zu. Weg warf der Nubier Büchſe und Beute; hauen âleihn ja rabbi! Hilf uns, o Herr des Himmels , rief er ſchaudernd, flieh, Effendi, bei der Gnade des Allmächtigen ſonſt ſind wir verloren! Und verſchwunden war die dunkle Geſtalt im Gebüſch; ich aber wurde mir bewußt, daß ich in meiner lichten Jagdkleidung nothwendigerweiſe die Augen des Ungethüms auf mich lenken mußte und, waffenlos wie ich war denn meine Waffen waren eben keine Waffen gegen den hautgepanzerten Rieſen! ſtürzte ich mich blindlings in das dornige Geſtrüpp. Hinter mir her brüllte, tobte und ſtampfte das wüſte Vieh, vor mir und rechts und links verflochten ſich Dornen und Ranken zu einem faſt undurchdringlichen Gewirr; die Stacheln der Nilmimoſe oder Rharrat verwundeten mich an allen Theilen des Körpers, die gebogenen Dornen des Nabakh riſſen mir Fetzen auf Fetzen von meiner Kleidung herab und weiter floh ich keuchend, ſchweißtriefend, blutend, immer geradeaus, ohne Ziel, ohne Richtung gejagt von Verderben und Tod in Geſtalt des Scheuſals hinter mir. Es gab keine Hinderniſſe für mich. Wie ſehr auch die Dornen mich verwundeten und die Wunden ſchmerzten, ich achtete ihrer nicht, ſondern hetzte verzweif - lungsvoll weiter, weiter, weiter! Jch weiß es nicht, wie lange die wilde Jagd gedauert haben mag; jedenfalls währte ſie nicht lange; denn ſonſt hätte das raſende Ungeheuer mich doch wohl einge - holt; gleichwohl dünkte mich die dabei verlaufene Zeit eine Ewigkeit zu ſein. Vor mir dunkle Nacht, hinter mir mein entſetzlicher Feind, ich wußte nicht mehr, wo ich mich befand. Da, Himmel! ich ſtürzte und ſtürzte tief. Aber ich fiel weich; ich lag im Strome. Als ich wieder an die Oberfläche des Waſſers kam, ſah ich oben auf der Höhe des Uferrandes, von welchem ich herabgeſtürzt war, das Nilpferd ſtehen. Auf der anderen Seite aber ſchimmerte mir das Feuer unſerer Barke freundlich ent - gegen. Jch durchſchwamm eine ſchmale Bucht und war gerettet, obwohl ich noch Tage lang die Folgen dieſer Flucht verſpürte. Von meinem Anzuge hatte ich bloß noch Lumpen mit zu Schiffe gebracht. Tomboldo war auf ſeinem Heimwege in dieſelbe Lebensgefahr gekommen; er wurde ebenfalls von dem775Das Nil - oder Flußpferd.Nilpferde angenommen und bis zu derſelben Stelle des Ufers verfolgt, über welche ich hinabgeſtürzt war. Jn höchſter Aufregung langte er bei uns an und rief ſchon aus einiger Entfernung: Brüder, meine Brüder, preiſt den Propheten, den Gottgeſandten! Betet zwei Rakaaht mehr für das Wohl meiner Seele! Der Sohn der Hölle und des Teufels war mir nahe und der Arm des Todes griff nach mir, aber Gott, der Erhabene, iſt barmherzig und ſeine Gnade ohne Ende! Preiſet den Propheten, ihr Brüder! Jch aber will, bin ich erſt dem Verruchten entronnen, einen ganzen Sack Datteln zum Opfer bringen.

Dieſe beiden Pröbchen mögen genügen, die blinde Wuth eines gereizten Nilpferdes zu beweiſen. Sie zeigen auch klar genug, daß die Jagd des Thieres ohne Feuerwaffen, welche ſehr ſchwere Kugeln ſchießen, eben kein Vergnügen für Sonntagsſchützen iſt. Leichte Büchſenkugeln haben, ſelbſt wenn ſie aus geringer Entfernung abgeſchoſſen werden, ſo gut als keinen Erfolg. Jede Büchſenkugel durchbohrt den Panzer des Krokodils, aber ſie iſt zu ſchwach, als daß ſie die zolldicke Haut und auch noch den mehr als zolldicken Schädel des Nilpferdes durchbohren ſollte. Mit einem der Nilpferde, welches wir erlegten, ſagt Rüppell, kämpften wir vier Stunden lang. Wenig fehlte, daß die Beſtie unſre große Barke und mit ihr uns Alle vernichtet hätte. Die 25 Flintenkugeln, in einer Entfernung von etwa fünf Fuß auf den Kopf des Unthieres abgeſchoſſen, hatten nur die Haut und den Knochen bei der Naſe durchbohrt. Alle anderen Kugeln waren in der Dicke der Haut ſtecken geblieben. Bei jedes - maligem Schnauben ſpritzte das Vieh reichliche Blutſtröme auf die Barke. Da bedienten wir uns endlich eines Standrohres, deſſen Gebrauch uns in ſo kurzer Entfernung überflüſſig erſchien. Aber erſt nach fünf ſeiner Kugeln in einer Entfernung von wenigen Fuß gefeuert, welche die ſchrecklichſten Verwüſtungen in dem Kopfe und dem Körper angerichtet hatten, gab der Rieſe ſeinen Geiſt auf. Die Dunkelheit der Nacht vermehrte noch das Schauerliche des Zweikampfes. Derſelbe hatte vier Stun - den lang gedauert und das vorher angeworfene Thier riß einen kleinen Kahn unter das Waſſer, zer - ſchmetterte ihn und ſchleifte das große Schiff an der Leine des Wurfſpießes nach Belieben hin und her. Das war freilich eines der größeren Männchen, von denen die Sudahneſen behaupten, daß ſie von an - deren Nilpferden vertrieben worden wären, verachtet würden und deshalb ſo großen Unmuth zeigten. Jch ſelbſt habe wirklich mehrmals Nilpferde geſehen, welche getrennt von der Herde lebten, und immer erfahren, daß ſie zur furchtbarſten Landplage werden, weil auch die muthigſten Jäger es nicht oder nur ſelten wagen, ſie anzugreifen. Noch heutigen Tages ſind die Harpune und die Lanze die einzigen Waffen, welche die Sudahneſen bei der Jagd und zum Angriff des Nilpferdes brauchen. Von den ſinnreich ausgedachten Sperfallen, die man an Bäumen befeſtigen ſoll, ſo daß ſie ein zur Weide ge - hendes Nilpferd ſelbſt losſchnellt, weiß man in Nordoſtafrika Nichts, und nur die Neger des Abiad graben Falllöcher, in welche ein zur Nacht herumwanderndes Nilpferd gelegentlich hinabſtürzt.

Der Wurfſpieß der Sudahneſen beſteht aus einem Stück Eiſen, einer Hornſcheide, der Haftſchnur und der Wurfſtange. Das Eiſen iſt zugeſpitzt oder wie ein Radirmeſſer zweiſeitig zugeſchliffen und beſitzt einen ſtarken Widerhaken; es ſteckt feſt in einer an beiden Enden dünner werdenden Hornſcheide und iſt durch eine ſtarke, oftmals um Eiſen und Scheide gewundene Schnur hinreichend befeſtigt. An dem einen Ende der Wurfſtange nun befindet ſich eine Höhlung, in welche die Hornſcheide eingeſetzt wird, am anderen Ende der Stange iſt die Leine feſtgebunden. Beim Wurfe dringt die eiſerne Spitze ſammt ihrer Hornſcheide bis zu der Lanze ein; dieſe wird durch den Wurf abgeſtoßen und hängt nun nur noch mit dem anderen Ende vermittelſt der dort angebundenen Schnur an der Harpunenſpitze. An - dere Jäger befeſtigen das eine Ende der Leine an der Harpune und das andere Ende an einem leichten Holzklotz, ohne ſie mit der Wurflanze zu verbinden.

Mit dieſer Waffe und einigen gewöhnlichen Lanzen begibt ſich der Sudahneſe auf die Jagd, um ſein Wild entweder zu beſchleichen, wenn es ein Mittagsſchläfchen hält, oder ihm aufzulauern. Das Unternehmen erfordert nicht nur gewaltige Kraft, ſondern auch Liſt, Verſchlagenheit und Gewandtheit.

Etwa um Mitternacht nur an ganz menſchenleeren Orten auch am Tage ſchleicht der Spießwerfer längs des Ufers bis zu einer Ausgangsſtelle der Thiere und verſteckt ſich hier im Gebüſch776Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Nil - oder Flußpferd.unter dem Winde. Kommt das Nilpferd erſt nach ſeiner Ankunft aus dem Waſſer, ſo läßt er es ruhig an ſich vorüber gehen und harrt bis zur Rückkehr. Niemals greift man ein zu Lande gehendes Nil - pferd an, ſondern wartet ſtets, bis es, ſo zu ſagen, wieder halb im Fluſſe iſt. Dann ſchleudert der Jäger ihm die Harpune mit aller Kraft in den Leib und flieht in der Hoffnung, daß das über den Wurf erſchreckte Thier ſich in den Fluß ſtürzen werde. So geſchieht es auch gewöhnlich, während das Ungethüm beim Herausſteigen ans Land immer ſeinen Gegner anzunehmen pflegt. Nach dem Wurfe beſteigt der Jäger mit ſeinen Gehilfen entweder ſogleich oder am folgenden Morgen eines der bereit gehaltenen Bote und ſucht das verwundete Thier, bezüglich das ſchwimmende Sperſtangenende oder den Holzklotz auf. Sobald man dieſe Merkzeichen gefunden hat, rudert man höchſt vorſichtig, mit be - reitgehaltenen Wurfſperen und Lanzen herbei und nimmt nun die Leine auf. Beim geringſten An - ziehen erſcheint das Nilpferd in raſender Wuth an der Oberfläche des Waſſers und ſtürmt auf das Schiff los, wird aber mit einem Hagel von Lanzen und Speren empfangen, welcher es häufig zur Umkehr zwingt. Gleichwohl kommt es nicht ſelten vor, daß es die Barke erreicht und mit den Hau - zähnen zerreißt. Dann haben die Jäger einen ſehr ſchweren Stand und müſſen ſich eiligſt durch Schwimmen und Tauchen zu retten ſuchen. Livingſtone erfuhr, daß es, um dem Nilpferde unter ſolchen Umſtänden zu entgehen, das Beſte ſei, in die Tiefe des Stromes zu tauchen und hier einige Sekunden zu verweilen, weil das Flußpferd, wenn es einen Kahn zertrümmert hat, ſich allemal nach dem Menſchen umſchaut und, wenn es keinen bemerkt, davon geht ; mir hat man Aehnliches erzählt. Jm günſtigeren Falle beſteigt ein Theil der Jäger nach dem zweiten Angriffe auf den Flußrieſen ein zweites Bot und fiſcht ſich mit ihm das Ende einer zweiten Harpune auf. Nun wird das Ungethüm durch das ſchmerzerregende Anziehen der Harpunenleinen beliebig oft zur Oberfläche des Waſſers heraufgezaubert und ihm im Verlaufe der Jagd der breite Rücken derartig mit Lanzen beſpickt, daß er wie der Pelz eines Stachelſchweines ausſieht. Uebrigens führt man die Jagd nur dann mit einem Male zu Ende, wenn man Feuergewehre zur Verfügung hat; im entgegengeſetzten Falle läßt man den im Waſſer natürlich viel ſtärkeren Blutverluſt das Seinige zur Abmattung des Thieres thun und nimmt erſt am folgenden Tage die Verfolgung deſſelben wieder auf, da ja die ſchwimmenden Merk - zeichen ſeinen Aufenthalt immer wieder verrathen. Ein glücklicher Lanzenwurf oder Stoß in das Rückenmark oder zwiſchen den Rippen hindurch in die Bruſthöhle bläſt ſchließlich das Lebenslicht des ſattſam gemarterten Höllenſohnes aus. Dann ſchleift man den Leichnam ſtromabwärts bis zur nächſten Sandbank, auf welcher er, nachdem er mit Tauen aus Land gezogen worden iſt, zer - legt wird.

Der Gewinn der Jagd iſt nicht unbedeutend. Das Fleiſch des Ungeheuers iſt geſchätzt. Fleiſch und Schmer werden überall gegeſſen, und in den alten guten Zeiten konnten ſich die Anſiedler des Kaplandes kaum ein größeres Feſt denken als eine Nilpferdjagd. Man ſchnitt Fleiſch und Speck an Ort und Stelle von dem erlegten Rieſen ab und ſchaffte es wagenweiſe nach Hauſe. Die Bauern verkauften nur aus Gefälligkeit die beliebte Speiſe an Freunde und ließen ſich das Pfund Nilpferd - fleiſch theuer genug bezahlen. Junge Nilpferde ſollen ein ſo wohlſchmeckendes Fleiſch haben, an welches ſich ſelbſt Europäer bald gewöhnen. Die geräucherte Zunge gilt als Leckerbiſſen. Der Speck wird dem des Schweins überall vorgezogen, das aus ihm geſchmolzene Fett benutzt man zur Be - reitung von Speiſen aller Art oder ißt es auch mit dem Brode. Die Hottentotten trinken es ebenſo gern wie die Europäer Fleiſchbrühe. Jn Oſtafrika gilt es als die allervorzüglichſte Grundlage zur Haar - und Körperſalbe, Delka genannt, welche alle dunkelfarbigen Afrikaner zu gebrauchen ſcheinen. Kurz, wenn der Jäger ſeine Beute zu gebrauchen weiß, kann ſie ihm einen recht netten Ertrag abwerfen.

Der Fang des Nilpferdes iſt mit der Jagd ein und daſſelbe. Alle, welche wir jetzt in Europa ſehen können, ſind jung harpunirt worden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß erſt die Mutter des jungen Thieres erlegt werden muß, bevor man daran denken kann, auf das junge Jagd zu machen. Es würde ſonſt unmöglich ſein, das angeworfene Thier lebendig in ſeine Gewalt zu bekommen. Die777Das Nil - oder Flußpferd.blinde Anhänglichkeit des kleinen, wüſten Geſchöpfes an ſeine Alte erleichtert aber die Sache. Der harpunirten Mutter folgt das Junge überall nach und verläßt ſelbſt ihren Leichnam nicht. Man wirft ihm dann eine Harpune auf eine weniger empfindliche Stelle des Leibes und zieht es an dieſer an das Land. Anfangs ſucht es ſich loszureißen, ſtößt ein gellendes, durchdringendes Geſchrei aus, wie ein Schwein, welches geſchlachtet werden ſoll, und macht den Leuten viel zu ſchaffen. Aber es gewöhnt ſich bald an den Menſchen und folgt ihm nach. Die Hottentotten ſtreichen, wie uns Sparrmann berichtet, friſch gefangene Nilpferde mehrmals mit der Hand über die Schnauze, um ſie an ihre Ausdünſtung zu gewöhnen. Dann ſchmiegt es ſich an den Menſchen an, wie früher an ſeine Mutter. Das Euter der Kuh nimmt ein Nilpferd eben ſogern an, wie das ſeiner Mutter. Mit einer einzigen Saugamme iſt es aber freilich bald nicht mehr gethan. Der junge Rieſe verlangt nach kurzer Zeit die Milch von zwei, drei und vier Kühen.

Nach allen bisherigen Beobachtungen hält das Nilpferd die Gefangenſchaft leicht und dauernd auch in Europa aus. Wird das Thier paarweiſe an einem Orte untergebracht, wo es ſich ſeinem natürlichen Weſen gemäß bewegen kann, wo es alſo bald ins Waſſer, bald auf das Trockene gehen kann, ſo darf man auch auf Nachkommenſchaft rechnen. Es nimmt mit jeder Koſt vorlieb, nament - lich mit Allem, was man dem Hausſchweine zu reichen pflegt.

Jch ſah das erſte Gefangene, welches in der Neuzeit wieder nach Europa kam, in Kairo. Es hatte ſich dort ſo an ſeinen Pfleger gewöhnt, daß es ihm wie ein Hund überall nachlief und ſich mit Leichtigkeit behandeln ließ. Ein Gemengſel von Milch, Reis und Kleie bildet ſeine Nahrung. Später nahm es ruhig mit friſchen Pflanzenſtoffen vorlieb. Man baute zur Ueberfahrt einen eignen Kaſten für das Thier und führte mehrere große Fäſſer Nilwaſſer mit ſich, um dem Flußbewohner täglich mehrere Bäder geben zu können. Als es in London ankam, hatte das Thier ſchon eine Länge von 7 Fuß; gegenwärtig hat es beinahe ſeine volle Größe erreicht, wenigſtens hat es ſich mit einem an - deren, das man ihm ſpäter brachte, fruchtbar begattet.

Später brachte man zwei Nilpferde nach Paris, und im Jahre 1859 kamen deren zwei auch nach Deutſchland, wo ſie überall umhergeführt und zur Schau geſtellt wurden. Die beiden Letzteren waren außerordentlich zahm und zeichneten ſich durch eine plumpe, rohe Gemüthlichkeit aus. Sie ſpielten luſtig mit ihrem Wärter und, wie oben Bd. I. S. 499 erwähnt, mit einem Steppenhunde, welcher ſich vergeblich Mühe gab, den dickfelligen Geſellen etwas anzuhaben. Später kamen beide Thiere nach Amſterdam, wo ſie ſich gegenwärtig noch befinden. Hier haben ſie aber Viel von ihrer früheren Gutmüthigkeit verloren. Sie ſind zwar nicht gerade wild geworden, aber doch auch lange nicht mehr ſo zahm geblieben, als ſie es waren. Jm September des Jahres 1861 wurden ſie brünſtig; Mitte des Monats wurde die Begattung beobachtet. Sie wurde im Waſſer vollzogen, oft nach einander, und währte, wie bei den Pferden, nur ſehr kurze Zeit. Die Geburt erfolgte bereits am 16. Juli 1862, alſo nach einer Trächtigkeitsdauer von nur zehn Monaten. Das wohl ausgebildete, muntere Junge wurde von der Alten von der erſten Stunde an roh und hart behandelt. Sie ließ es nicht ſaugen, warf es hin und her, und zeigte ſich, als ſie vom Männchen getrennt worden war, höchſt aufgeregt. Das Junge ſtarb trotz aller Verſuche es künſtlich zu ernähren, bereits zwei Tage nach ſeiner Geburt.

Einen Tag ſpäter nahm die Alte ſchon wieder auf. Sie hatte ſich um ihr Männchen, welches durch den Anblick des Jungen ſehr wüthend geworden war, von Anfang an weit mehr bekümmert, als um ihr Kind.

Weſtermann, der Vorſtand des amſterdamer Thiergartens, hat mir ſpäter mündlich mitge - theilt, daß dieſelbe Alte ein zweites Junge zur Welt brachte, und zwar ſieben Monate nach beobachte - tem Sprung. Demnach iſt die Trächtigkeitsdauer alſo noch nicht mit Sicherheit zu beſtimmen; wohl aber ſteht ſoviel feſt, daß ſie eine ſehr kurze iſt. Auch das zweite Junge wurde von der Mutter ſchlecht behandelt. Der Vater ſchien eiferſüchtig zu ſein auf ſeinen Sprößling und geberdete ſich wie toll, erregte dadurch die Alte ebenfalls und veranlaßte mittelbar die Entfernung des Säuglings. Der -778Die Vielhufer oder Dickhäuter. Das Nil - oder Flußpferd.ſelbe lebte ebenfalls nur kurze Zeit, vielleicht in Folge der ihm wenig zuſagenden Nahrung; man konnte ihm eben nur Kuhmilch reichen. Einen ausführlicheren Bericht über die höchſt beachtenswer - then Beobachtungen meines Berufsgenoſſen vermag ich leider nicht zu geben.

Geradezu unbegreiflich iſt es, wie die Römer ihre Nilpferde fingen und fortſchafften. Sie brachten nicht blos Junge und Halberwachſene zu ihren Kampfſpielen und Triumphzügen nach der Hauptſtadt ihres Landes, ſondern auch Alte. Der Aedil Scaurus führte im Jahre 58 v. Chr. ein großes Nilpferd mit fünf Krokodilen dem römiſchen Volke vor; ein zweites zeigte Auguſtus bei ſeinem Siegeszuge über die Kleopatra. Commodus ließ fünf im römiſchen Circus tödten, und ſpäter ſah man noch mehrere unter Antonius, Pius und Cordian. Nach dem dritten Jahrhundert unſerer Zeitrechnung bis zum Jahre 1850 kam keins wieder nach Europa.

Das Nilpferd iſt unzweifelhaft der Behemot der Bibel, von welchem geſagt wird, daß ſeine Knochen feſt ſeien wie Erz und die Gebeine wie eiſerne Stäbe, daß er gern im Schatten im Rohre und im Schlamm verborgen liege, von den Bachweiden gedeckt würde, den Strom in ſich ſchlucke und ſich dünken ließe, als wolle er den Jordan mit ſeinem Munde ausſchöpfen. Das Thier gilt alſo ſchon den alten Jsraeliten als ein wahres Ungeheuer, und hiermit ſteht die heutige Anſchauung der Araber vollkommen im Einklange. Der Sudahneſe ſieht das wüſte Vieh gar nicht für ein echtes, na - türliches Weſen, ſondern eher für einen Auswurf der Hölle an. Schon der ſudahneſiſche Name Aeësint , deſſen Bedeutung Niemand kennt, deutet auf etwas Ungewöhnliches hin. Dazu kommt nun die Bedenken erregende Mißachtung aller, auch der kräftigſten Schutzbriefe ſeitens des Ungethüms. Möge Gott die Affen verfluchen in ſeinem Zorn , ſagte mir ein Sudahneſe; denn ſie ſind ver - wandelte Menſchen und Spitzbuben, Söhne, Enkel, Nachkommen von Spitzbuben, aber möge er uns bewahren vor den Kindern der Hölle, jenen Nilpferden! Denn ihnen iſt das Heiligſte Schaum und das Wort des Gottgeſandten ein leerer Hauch; ſie zerſtampfen den Gottesbrief mit ihren Füßen! Das Nilungeheuer iſt alſo in den Augen der Eingeborenen gar kein von Allah erſchaffenes Weſen, ſondern nur die Maske eines verruchten, dem Teufel vor welchem der Bewahrer die Gläubigen bewahren möge! mit Leib und Seele angehörigen Zauberers und Sohnes der Hölle, welcher nur zu Zeiten dieſe Satansgeſtalt annimmt, ſonſt aber in ſeiner Hütte als Menſch erſcheint, um andere Adamsſöhne abzulocken vom Pfade des Heils. Mit anderen Worten: Das Nilpferd iſt der Gottſei - beiuns ſelber, wenn auch mit etwas auffallenden und unzierlichen Pferdefüßen und Schwanz!

Dafür gibt es hundert Belege. Viele Menſchen haben durch jenen Höllenſohn ihr Leben ver - loren, und ihre Seele iſt ihnen aus dem Körper geſtampft worden, ohne daß der Leib gefreſſen worden wäre: und unter den Todten war ſogar ein Fakhïe oder Koranverſtändiger! Ferner ließ einer der Statthalter Oſtſudahns, Churſchid-Paſcha, als er einſt mit einem Fähnlein ſeiner Krieger an den Strom kam, dieſe auf ein Nilpferd Jagd machen, obwohl ihm ein weiſer Scheich wohl - meinend davon abrieth; denn dieſer wußte, daß das vermeintliche Nilpferd blos die Maske eines verwunſchenen Menſchen war. Zwar wurde der vom Anbeginn der Welt verfluchte Zauberer ge - tödtet und ſeine ſchwarze Seele der Hölle zugeſandt, aber Churſchid-Paſcha entging ſeinem Schickſale nicht. Er war immer hart verfahren gegen die Zauberer des Landes; deshalb bannten ihn dieſe durch den Blick ihres ſcheelen Auges. Sein Leib verſiechte, weil ſeine Eingeweide langſam verdorrten, und er wollte, auch krank, noch immer die Meinung des Ulema und Khadi nicht gelten laſſen; denn an - ſtatt ſich einem Kundigen des Gotteswortes anzuvertrauen und den Zauberer durch dieſen bannen zu laſſen, vertrauete er den ungläubigen Aerzten aus Frankiſtán und welkte und ſiechte dahin. Möge ſein Leib in Frieden ruhen und ſeine Seele begnadigt ſein! Uns aber möge der Bewahrer bewahren, der Schützende ſchützen vor allerlei Zauber und Höllenwerk!

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Fünſte Reihe. Seeläugethiere (Pinnata).

Das gerade Gegeutheil der Fledermäufe und der grabenden Maulwürfe ſind die Seehunde, Sirenen und Wale, die maſſigſten aller Säugethiere, denen das Waſſer zur Wohnſtätte wurde. Jene zeichneten ſich durch Größe oder beſondere Stärke ihrer Glieder aus: bei dieſen verkümmerten die Gliedmaßen zu Stummeln, welche nicht vollſtändig aus dem Kör - per hervorragen, ſondern zum Theil von der allgemeinen Bedeckungshaut umhüllt ſind. Nur noch die erſte Ordnung beſitzt vier Schleppbeine mit äußerlich mehr angedeuteten, als getheil - ten Zehen; die beiden letzten Ordnungen haben Floſſenbeine, deren Zehen vollſtändig von der Körperhaut umhüllt und unbeweglich ſind. Je mehr aber dieſe Bewegungswerkzeuge den eigent - lichen Floſſen ähneln, um ſo größer, maſſiger iſt der Körper. Das Waſſer erleichtert die Fort - ſchaffung ſchwerer Laſten; deshalb genügen ſchon kurze, ſtummelartige, ruderkräftige Glieder, einen Seehund oder Wal von Ort zu Ort zu treiben. Dicke Specklagen unter der Haut tragen ebenfalls das Jhrige dazu bei, das eigenthümliche Gewicht zu verringern, und eine ſchleimige, haarloſe oder mit kurzen, ſteifen, glatten Haaren bedeckte Haut ſteht im Einklange mit dem Ele - mente, in welchem unſere Thiere leben. Alles rundet und ſtreckt ſich an dem Körper; jeder mehr hervorragende Theil verſchwindet. Nur noch bei den höchſtſtehenden iſt von äußeren Ohren eine Spur und auch ein Schwanzſtummel zu bemerken; bei den übrigen verſchwinden die Muſcheln, und der Schwanz tritt gleichſam an die Stelle der Hinterfüße und breitet ſich zum floſſenartigen Ruder aus. Eine große Uebereinſtimmung aller Seeſäugethiere fällt Jedem auf, der einen ver - gleichenden Blick auf ſie wirft. Gleichwohl läßt auch hier die Natur ihr oberſtes Grundgeſetz be - merklich werden: manchfaltigſte Ausbildung ein und derſelben Grundgeſtalt. Doch laſſen ſich alle Seeſäuger naturgemäß in drei Gruppen ordnen: in dieſelben, welche wir oben nannten. Der Werth dieſer Gruppen wird verſchieden beurtheilt: wir werden uns aber keines Fehlers ſchul - dig machen, wenn wir in jeder einzelnen eine Ordnung der Klaſſe erkennen.

780Floſſenfüßer. Die Seehunde.

Vierzehnte Ordnung. Floſſenfüßer (Pinnipedia).

Jn den zur erſten Ordnung der Seethiere gehörigen Geſchöpfen ſehen wir Weſen vor uns, welche auch dem Laien als Säugethiere erſcheinen. Noch ſind vier Beine vorhanden, ſchlep - pende zwar, aber doch deutlich von dem Leibe abgeſetzte, deren Füße ziemlich klar die Gliederung in Finger und Zehen erkennen laſſen. Bei manchen ſind letztere vollkommen beweglich und nur durch Schwimmhäute mit einander verbunden, bei wenigen dagegen ganz von der Körperhaut um - hüllt und unbeweglich, dann aber immer noch durch die kleinen Nägel, welche außen angeheftet ſind, erkenntlich. Nägel finden ſich an den Vorderfüßen immer, und an den Hinterfüßen bei der größeren Mehrzahl. Der Schwanz endet nicht in eine Finne; die Zitzen ſind frei und liegen in den Weichen; der kleine Kopf iſt von dem kegelförmigen Leib abgeſetzt, und der kluge Ausdruck der großen, leb - haften Augen, ſowie das Gebiß erinnern noch an bedeutend höher ſtehende Geſchöpfe. Eigentlich fremd erſcheinen uns nur die Füße. Jhr Zehenbau iſt ein anderer, als wir bisher beobachteten. Die Mittelzehe iſt nicht mehr die längſte und ſtärkſte, ſondern alle Zehen liegen in einer gleichen Ebene. Das Geripp zeigt noch deutlich die Entwickelung aller Gliedmaßen und läßt die äußeren Unterſchiede viel mehr verſchwinden, als der mit Muskeln und Fett und Haut umhüllte Leib. Die Halswirbel ſind deutlich geſchieden und mit ſehr entwickelten Fortſätzen verſehen; 14 bis 15 Wirbel bilden den Bruſt -, 5 bis 6 den Lendentheil, 2 bis 4, und zwar verwachſene, das Kreuzbein, 9 bis 15 endlich den Schwanz. Die Rippen ſetzen ſich durch verknöcherte Knorpel an das Bruſtbein feſt. Das Schulterblatt iſt breit und kräftig, der Bau des Vorderarms deutlich; die Hinterfüße aber ſind ſchwach. Jm Gebiß finden ſich alle Zahnarten der Raubthiere: einzelne Forſcher haben ſich des - halb bewogen gefunden, die Seehunde unmittelbar auf die eigentlichen Räuber folgen zu laſſen, und ſie ſomit aufs engſte mit dieſen zu verbinden. Daß die Ohren und Naſenlöcher verſchloſſen werden können und die Augen eigenthümlich gebaut ſind, läßt ſich von der Lebensweiſe ſolcher Waſſerthiere ſchon im voraus erwarten. Auf die übrigen Eigenthümlichkeiten brauchen wir nicht einzugehen; ſie beſchäftigen nur den zergliedernden und vergleichenden Forſcher.

Zwei natürliche Familien bilden die erſte Ordnung der Ruderfüßler: Es ſind die Robben oder Seehunde und die Walroſſe oder Morſe. Erſtere zeichnen ſich durch ihr vollſtändiges Raubthiergebiß aus; bei den letzteren ragen lange Eckzähne aus dem Munde hervor.

Die Seehunde (Phocae), die zahlreichere Familie von beiden, verbreiten ſich über die mei - ſten größeren Gewäſſer der Erde und haben ebenſowohl im höheren Süden wie im Norden ihre Ver - treter; ja, ſie finden ſich ſogar in den großen Binnenſeen Aſiens, in welche ſie theils in den von dieſen ausgehenden Flüſſen gekommen ſind, theils aber zurückblieb, nachdem die Waſſerverbindung unterbrochen wurde. Jm Norden leben die meiſten, im Süden die auffallendſten Arten. Manche Sippen finden ſich in der Nähe beider Pole, aber nur wenige Arten ſind als Weltbürger anzuſehen. Alle bewohnen das Meer und gehen von da nur auf kurze Zeit in den Flüſſen hinauf oder auf kurze Strecken über Land nach größeren Waſſerbehältern. Die meiſten lieben die Nähe der - ſten, einige aber ziehen das offene Meer dieſen vor. Auf dem Lande halten ſie ſich nur bei beſon - deren Gelegenheiten, namentlich während der Fortpflanzungszeit und als kleine Junge auf ſo

Seeliunde.

781Die Seehunde.wenigſtens berichten die Reiſenden. Jhre eigentliche Wohnſtätte iſt und bleibt das Waſſer. Auf dem Lande ſind ſie ſehr unbehilfliche Thiere, im Waſſer bewegen ſie ſich mit der größten Leichtigkeit. Mühſam klimmen ſie vom Strande aus an den Klippen oder an den ſchwimmenden Eisbergen empor und ſtrecken ſich dort behaglich auf den feſten Boden, um ſich zu ſonnen; bei Gefahr flüchten ſie ſo raſch als möglich wieder in die ihnen ſo freundliche Tiefe des Meeres. Sie ſchwimmen und tau - chen mit größter Meiſterſchaft. Es iſt ihnen gleich, ob ihr Leib mit der Oberſeite nach oben oder nach unten liegt; ſie bewegen ſich ſogar, wie ich nach eigenen Beobachtungen verbürgen kann, rück - wärts. Jede Wendung und Drehung, jede Ortsveränderung überhaupt führen ſie im Waſſer mit größter Schnelligkeit und Sicherheit aus: auf dem Lande dagegen haben ſie ſämmtlich nur eine Art, ſich fortzuſchaffen. Es geſchieht in derſelben Weiſe, wie manche Raupenarten ſich bewegen. Die Beine werden zum Gange ſo gut als nicht gebraucht. Der Seehund, welcher auf dem Lande von einer Stelle zur anderen kommen will, wirft ſich feſt auf die Bruſt, krümmt den Leib in einen Katzenbuckel nach oben, ſtemmt ſich dann auf den Hintertheil, alſo etwa auf die Weichen, und ſtreckt nun raſch den Leib, wodurch er das Vordertheil deſſelben wieder vorwärts wirft. So kommt das Thier durch wechſelſeitiges Aufſtemmen des Vorder - und Hinterleibes, durch Krümmen und Strecken des ganzen Körpers verhältnißmäßig raſch von der Stelle. Die Beine leiſten dabei eigentlich gar keine Dienſte; ſie werden nur in Anſpruch genommen, wenn der Seehund bergauf klimmt. Auf ebenem Boden ſtemmt er ſie zwar manchmal mit auf, immer aber ſo leicht, daß die Hilfe, welche ſie leiſten, eigentlich mehr eine ſcheinbare, als wirkliche iſt. Jch habe die Spuren der Seehunde ſehr genau unterſucht und gefunden, daß man auf große Strecken hin in dem reinen und weichen Sande gar keine Eindrücke der Vorderhände findet, was doch der Fall ſein müßte, wenn das Thier wirklich auf ſeinen Vorderfüßen ginge. Manchmal legt der Seehund ſeine beiden Ruder an den Leib und humpelt eben ſo raſch vorwärts, als wenn er ſie mit gebrauchen wollte: kurz, zum Gehen ſind ſeine Floſſenbeine nicht eingerichtet. Dagegen benutzt er ſie, und zwar in ſehr geſchickter Weiſe, wie die Affen oder Katzen, um ſich zu putzen, zu kratzen, zu glätten, ja, um Etwas mit ihnen feſtzuhalten, z. B. das Junge an die Bruſt zu drücken.

Alle Seehunde ſind im hohen Grade geſellig. Einzelne ſieht man faſt nie. Je einſamer die Gegend, um ſo zahlreicher ſind die Herden oder Familien; je weniger der Menſch mit ihnen zuſam - menkommt, um ſo behäbiger, ich möchte ſagen gemüthlicher, zeigen ſich die in bewohnten Gegenden überaus ſcheuen Geſchöpfe. Der Menſch iſt offenbar der furchtbarſte und blutdürſtigſte Feind der Wehrloſen: alle übrigen Raubthiere, welche ihnen gefährlich werden könnten, zeigen ſich ihnen gegenüber viel menſchlicher , als der Beherrſcher der Erde, und daher kommt’s denn auch, daß man unſere Thiere nur da wirklich beobachten kann, wo ſie fern von dem Erzfeinde der Schöpfung ſich aufhalten.

Nicht alle Seehunde bewohnen jahraus jahrein dieſelbe Gegend. Manche unternehmen weite Wanderungen. Während dieſer Züge ſind ſie Tag und Nacht in Bewegung, ruhen aber auf günſtig gelegenen Jnſeln tage - und wochenlang aus, ehe ſie die Reiſe fortſetzen.

Die Lebensweiſe der Robben iſt eine nächtliche. Den Tag bringen ſie am liebſten auf dem Lande zu, ſchlafend und ſich ſonnend. Hier ſind ſie in jeder Hinſicht das gerade Gegentheil von Dem, was ſie im Waſſer waren. Von der Behendigkeit und Schnelligkeit, welche ſie in ihrem eigentlichen Elemente zeigen, bemerkt man am Lande keine Spur; ſie erſcheinen uns vielmehr als das vollendetſte Bild der Faulheit. Jede Störung aus ihrer bequemen Lage iſt ihnen höchſt ver - haßt: manche Arten ſind kaum zur Flucht zu bewegen. Mit größter Wonne dehnen und recken ſie ſich auf ihrem Lager und bieten bald den Rücken, bald die Seite, bald den Unterleib den freund - lichen Strahlen der Sonne dar, kneifen die Augen zu, gähnen und zeigen ſich überhaupt mehr todten Fleiſchmaſſen, als lebenden Geſchöpfen gleich; nur die regelmäßig ſich öffnenden und ſchließenden Naſenlöcher geben Kunde ihres Lebens. Wenn ſie ſich recht wohl befinden, vergeſſen ſie oft tage - und wochenlang Freſſen und Saufen, und manche halten einen theilweiſen Winterſchlaf. Endlich782Floſſenfüßer. Die Seehunde.treibt ſie der Hunger aber doch auf und in das Meer, wo ſie ihren inzwiſchen abgemagerten Leib bald wieder runden, glätten und mit Fett auspolſtern. Je älter die Thiere werden, um ſo fauler zeigen ſie ſich. Die Jungen ſind lebhafte, ſpielluſtige und fröhliche Geſchöpfe, die Alten hingegen oft höchſt mürriſche, in ihrer Faulheit ganz verkommene Thiere. Freilich muß man zu ihrer Ent - ſchuldigung ſagen, daß ihre Unbehilflichkeit auf dem Lande ſie noch fauler erſcheinen läßt, als ſie wirklich ſind. Wenn ſie ſich gefährdet ſehen, gehen ſie, wie bemerkt, ſehr eilig und ſchnell in das Waſ - ſer; kommt ihnen die Gefahr aber plötzlich über den Hals, ſo überfällt ſie die Angſt und der Schreck in ſo hohem Grade, daß ſie ſeufzen und zittern und vergeblich alle mögliche Anſtrengungen machen, um dem Verderben zu entrinnen. Wenn es gilt, Weibchen und Junge zu vertheidigen, zeigen übrigens manche einen großen Muth. Auf den einſamſten Eilanden ſind gewiſſe Arten, z. B. die Seebären und Seeelefanten, ſo gleichgiltig gegen fremde Beſucher, daß ſie dieſe ruhig unter ſich herum - gehen laſſen, ohne zu flüchten: ſie werden aber ganz anders, wenn ſie den Menſchen, dieſen Verderber der Thierwelt, erſt kennen gelernt haben.

Unter ihren Sinnen iſt das Gehör, trotz der kleinen Ohrmuſcheln, vorzüglich, Geſicht und Geruch dagegen weniger entwickelt. Die Stimme beſteht in heiſeren Lauten, welche bald dem Gebell eines Hundes, bald dem Blöcken eines Kalbes oder dem Brüllen eines Rindes ähneln.

Jede Robbengeſellſchaft iſt eine Familie. Das Männchen iſt immer mit mehreren Weibchen verbunden, und mancher dieſer Seeſultane beſitzt einen Harem von dreißig bis vierzig Schönen. Die Eiferſucht gegen andere Bewerber ſeiner Art geht ins Großartige. Jeder Robbe würde der Weiber halber auf Tod und Leben kämpfen, wenn ihm dieſes möglich wäre. Das dicke Fell und die Fett - lagen unter ihm ſind der beſte Schild beider Kämpen gegen die Biffe und Riſſe, welche ſie ſich in der Hitze des Gefechts gegenſeitig beibringen.

Etwa acht bis zehn Monate nach der Paarung genaue Beobachtungen hierüber fehlen bringt das Weibchen eins, ſeltener zwei Junge zur Welt. Die Kleinen ſind zierliche und muntere Geſchöpfe. Von den Reiſenden wird angegeben, daß ſie wegen ihrer dicken Behaarung noch nicht zu allen Schwimm - und Tauchkünſten geeignet wären und deshalb in Geſellſchaft ihrer Mütter auf dem Lande bleiben müßten, bis das erſte Haarkleid gewechſelt ſei: dieſe Angabe bedarf meiner Mei - nung nach jedoch noch der Beſtätigung; eigene Beobachtungen, welche weiter unten ihre Stelle fin - den werden, ſtehen ihr entgegen.

Alte und Junge lieben ſich mit gleicher Zärtlichkeit, und die Mutter ſchützt ihren Sprößling mit Gefahr ihres Lebens gegen jede Gefahr. Der Vater, erfreut an ſeinen luſtigen Spielen, gibt ſein Wohlgefallen durch vergnügliches Brummen und Knurren zu erkennen und folgt, weil ihm die Leibesbeſchaffenheit die thätige Mithilfe am Spiel verbietet, dem raſch hin - und hergleitenden und Purzelbäume werfenden Kleinen wenigſtens mit den Augen. Schon nach höchſtens zwei Monaten ſind die jungen Robben ſoweit entwickelt, daß ſie entwöhnt werden können. Das Wachsthum geht unglaublich ſchnell vor ſich, und bereits nach Verlauf eines Jahres haben die Jun - gen mehr als die halbe Größe der Alten erreicht. Nach 2 bis 6 Jahren ſind ſie erwachſen, im Alter von 25 bis 40 Jahren abgelebt und greiſenhaft geworden.

Thieriſche Stoffe aller Art, zumeiſt aber Fiſche, Schal -, Kruſten - und Strahlthiere, bilden die Nahrung der Robben. Um ihren geſegneten Appetit zu befördern, verſchlucken einige, wie die Vögel es thun, Steine; andere füllen ſich den bellenden Magen im Nothfalle mit Tangen an.

Nächſt dem Menſchen haben die Robben in dem Eisbären ihren ſchlimmſten Feind, obgleich dieſer ſelbſtverſtändlich nur den kleineren Arten gefährlich werden kann. Der Menſch zeigt ſich jeden - falls weit grauſamer und abſcheulicher, als dieſes Raubthier. Alle Robbenjagd iſt eine gemeine, erbarmungsloſe Schlächterei, bei welcher ſich Rohheit und Gefühlloſigkeit verbinden. Deshalb wird auch der Ausdruck Jagd vermieden: man ſpricht von Schlächterei und Schlägerei, nicht aber von edlem Waidwerk. Eine grenzenloſe und leidenſchaftliche Blutgier bemächtigt ſich in kurzer Zeit der Matroſen, welche auf Robbenjagd ausgehen, und treibt ſie an, Alt und Jung, Groß und Klein783Die Seehunde. Der Seebär.ohne Unterſchied zu vertilgen. So iſt es gekommen, daß dieſe Thiere bereits unglaublich vermindert worden ſind und in raſcher Eile ihrem Untergange zugehen. Von den Herden, welche im vorigen Jahrhundert die einſamen Jnſeln bedeckten, ſind jetzt nur noch Ueberbleibſel zu ſehen, und weiter und weiter müſſen die Schiffe vordringen, wenn ſie guten Fang machen wollen. Der Thran und das Fett, die Zähne und die Haut der Robben ſind geſuchte Gegenſtände und erklären gewiſſer - maßen die Vertilgungswuth des ſelbſtſüchtigen Menſchen.

Alle Robben laſſen ſich zähmen, und manche werden faſt zu Hausthieren. Sie gehen aus und ein, fiſchen im Meere und kehren freiwillig wieder nach der Wohnung ihres Pflegers zurück, lernen dieſen kennen und folgen ihm nach wie ein Hund. Einzelne ſollen ſogar zum Fiſchfang abgerichtet werden können.

Man ſtellt diejenigen Arten, welche kleine Ohrmuſcheln haben, oben an. Jhrer entfernten Aehnlichkeit mit dem betreffenden Landbewohner halber nennt man ſie Bärenrobben (Aretocepha - lus). Nächſt den Ohrmuſcheln kennzeichnet ſie der lange Hals und die ziemlich weit aus dem Körper hervorragenden Gliedmaßen. Einige Naturforſcher rechnen alle dieſer Sippe angehörigen Thiere nur zu einer Art, und erkennen blos den Seebären an, andere ſind geneigt, mehrere Arten anzu - nehmen. Das betreffende Thier wird 6 bis 8, höchſtens 9 Fuß lang; doch gehören zur Zeit Männchen, welche über 6 Fuß meſſen, ſchon zu den Seltenheiten. Die Weibchen erreichen eine Länge von 3 bis 4 Fuß. Seefahrer, welche dem Thiere eine Länge von 15 bis 18 Fuß zuſchreiben, übertreiben wahrſcheinlich. Der Name dieſer Robbe iſt nicht übel gewählt, weil der Vordertheil des Leibes etwas Bärenartiges hat. Mit Ausnahme der Gliedmaßen iſt der ganze Leib dicht bedeckt mit ziemlich langen, groben, abſtehenden, ſchwach glänzenden Haaren, unter denen ſich ein feines, ſeidenartiges, ſtruppiges Wollhaar befindet. Die Oberarme und Schenkel ſind mit kurzen, ſteifen Haaren bekleidet, die Unterarme und Hände dagegen wie die Unterſeite der Glieder vollkommen kahl. Bei jungen Thieren liegt das Haar glatt an und hat ſtarken Glanz. Je nach dem Alter und Ge - ſchlecht iſt die Färbung verſchieden. Erwachſene Männchen erſcheinen dunkelſchwärzlich oder eiſengrau, auf dem Kopfe und auf dem Vorderrücken etwas heller, weil das Haar dort in ſilbergraue Spitzen ausgeht. Die Unterſeite iſt gelblich oder roſtgrau. Eine breite ſchwarze Binde zieht ſich der Quere über die Bruſt. Die Füße ſind dunkelbraun, die Schnurren bräunlichſchwarz; das Wollhaar ſpielt in das Röthliche oder Kaſtanienbraune. Alte Weibchen ſind oben lichtgrau, unten röthlichweiß. Junge Thiere ſind anfangs faſt ſchwarz, werden aber ſchon nach einigen Wochen grau.

Falls wirklich alle Bärenrobben eine Art bilden, muß man dieſen Thieren einen ſehr großen Verbreitungskreis zuſchreiben. Man findet ſie ebenſowohl im höchſten Süden, wie im höchſten Nor - den. Nach unſerer Anſicht iſt es wahrſcheinlicher, daß die im Süden lebenden Seebären von den im hohen Norden ſich ſindenden verſchieden ſind. Um Beſtimmtes angeben zu können, nenne ich die Falk - landsinſeln, die Weſtküſte Südamerikas und das Kap der guten Hoffnung als ſüdliche und die Jnſeln und Küſten des nördlichen großen Weltmeeres, z. B. die Kurilen und Aleuten, als nördliche Aufent - haltsorte. Hier wie da verweilt der Seebär übrigens nicht immer in ein und derſelben Gegend. Na - mentlich der im Süden wohnende unternimmt regelmäßig weite Wanderungen; er zieht ſich mit Ein - bruch der kalten Jahreszeit mehr dem gemäßigten Gürtel, und mit Eintritt der warmen dem Pole zu. Auf Süd-Shetland und den benachbarten Jnſeln erſcheinen Mitte Novembers die älteſten und größ - ten Männchen, ſteigen aus Land und lagern ſich dort in langen Reihen, im Dezember langen die Weibchen an, und nun beginnen die wüthendſten Kämpfe um deren Beſitz. Einige Monate ſpäter treffen dann endlich auch die ein - oder zweijährigen Jungen und die abgelebten Greiſe ein. Während der ganzen Zeit treibt ſich die Hauptgeſellſchaft am Lande herum, wechſelt dort ihren Platz und geht nun Ende Aprils ins Waſſer und nach Süden zurück. Mitte Junis iſt die Gegend gänzlich ver - laſſen, und nur in manchen Jahren erſcheinen die Jungen wiederum auf den Sommerplätzen.

784Floſſenfüßer. Die Seehunde. Der Seebär.

Ungeachtet der vielfachen Gelegenheit, welche Seefahrer haben, die Bäreurobben auf ihren Schlachtzügen zu beobachten, ſind doch bis heutigen Tages noch die vor mehr als hundert Jahren von Steller veröffentlichten Beobachtungen nicht übertroffen, und deshalb werde ich mich hier auf ſie einfach beſchränken.

Man fängt die Bärenrobbe, welche die Ruſſen Kot nennen, nur zwiſchen dem 50. und 56. Grade auf den Jnſeln, nicht aber am feſten Lande, weil ſie ſelten dahin kommen. Jm Frühjahre erhält man nur Weibchen und deren Junge. Nun ziehen ſie nach Norden, und man ſieht von Anfang Juni bis zu Ende Auguſt keine mehr; dann kehren ſie kraftlos und mager mit ihren Jungen wieder nach Süden zurück.

Jhr einziges oder ihre beiden Jungen ſind mit ſehr feiner und glänzender ſchwarzer Wolle be - deckt. Die Mütter liegen mit ihnen herdenweiſe am Strande und bringen die meiſte Zeit ſchlafend

Der Seebär (Arctocephalus falclandicus).

zu. Die Jungen ſpielen und ſtreiten zuſammen wie junge Hunde. Der Vater ſteht dabei und ſieht zu. Zanken ſie ſich ernſtlich, ſo kommt er brummend herbei, jagt ſie aus einander, küßt und leckt den Sieger, ſtößt ihn mit dem Maule auf den Boden und freut ſich, wenn er ſich ernſtlich widerſetzt. Aus Jungen, welche faul und mäßig ſind, macht er ſich Nichts; deshalb halten ſich einige beſtändig bei der Mutter, andere faſt immer beim Vater auf.

Ein Männchen hat acht bis funfzehn Weibchen und bewacht dieſelben ſehr ſorgfältig. Obgleich viele Tauſende am Strande beiſammen liegen, ſieht man ſie doch alle Zeit in Herden getheilt. Jede Herde iſt eine beſondere Familie. Das Männchen hält mit ſeinen Weibchen, Söhnen und Töchtern zuſammen, auch mit den Jährlingen, welche noch keine Weibchen haben, und ſo kann die Familie bis zu 120 Stück anwachſen. Jn eben ſolchen Haufen ſchwimmen ſie im Meere umher. Sehr alte Männchen ſondern ſich ab und kommen, gewöhnlich außerordentlich fett am Leibe, allein auf die Jn - ſeln. Sie bleiben einen ganzen Monat hier liegen, freſſen nicht, ſchlafen beſtändig und ſind ſehr mürriſch und grauſam. Was vorbeigeht, fallen ſie an mit äußerſter Wuth; ſie ſind ſo wild und hoch -785Der Seebär.müthig, daß ſie lieber ſterben, als von ihrem Orte weichen. Sehen ſie Menſchen, ſo gehen ſie den - ſelben entgegen, halten ſie auf und ein jeder beſetzt ſeinen Ort und macht ſich fertig zum Schlagen. Auf einer Reiſe, wo wir ſie nicht umgehen konnten, mußten wir uns in Streit einlaſſen und Steine nach ihnen werfen. Sie biſſen in dieſe wie Hunde, erfüllten die Luft mit einem Gebrüll und ſetzten uns immer heftiger zu. Wir trachteten daher, ihnen die hervorragenden Augen auszuſchlagen und die Zähne mit Steinen entzwei zu werfen. Ein auf dieſe Weiſe von uns verwundetes und geblende - tes Thier wich aber dennoch nicht von ſeinem Platze. Es darf auch nicht zurückwerfen; denn ſonſt wird es von den Zähnen der anderen übel zugerichtet. Manchmal kann man auf weite Strecken hin eine Menge von Zweikämpfen ſehen. Während dieſer Zeit darf man frei neben ihnen vorbeigehen. Die im Meere befindlichen ſehen eine Zeitlang dem Kampfe zu, gerathen aber dann auch in Wuth, kommen heraus und mengen ſich in die Schlacht.

Jch habe mit meinem Koſaken oft einen angegriffen und ihm nur die Augen ausgeworfen, ſo - dann vier bis fünf andere mit Steinen geworfen, daß ſie mich verfolgten. Jch floh nun zu dem blinden, und da dieſer nicht wußte, ob ſeine Kameraden ebenfalls flohen, ſo biß er an und biß ſich einige Stunden mit ihnen, während ich von einem erhöhten Orte zuſah. Floh er ins Waſſer, ſo wurde er herausgezogen und endlich todt gebiſſen. Oft fraß ihn ſchon während ſeiner letzten Züge der Eisfuchs an. Zuweilen ſtreiten ihrer Zwei eine Stunde lang mit einander; dann legen ſie ſich hin, lechzen und erholen ſich, ſtehen wieder auf, ſtellen ſich wie Fechter gegen einander, neigen die Köpfe und ſchlagen die Hauer wie die Eber von unten nach oben. Solange Beide bei Kräften ſind, hauen ſie nur nach den Vorderfüßen; dann packt der Stärkere den anderen mit dem Rachen am Leibe und wirft ihn zu Boden. Sobald Dies die Zuſchauer erblicken, eilen ſie herbei, um dem Unterdrückten Hilfe zu leiſten. Nach dem Streite gehen ſie ins Waſſer, um ihren Leib abzuſpühlen. Ende Julis iſt ſelten einer zu ſehen, der nicht mit Wunden bezeichnet wäre.

Sie liefern ihre Schlachten aus dreierlei Urſachen: die allerblutigſten der Weibchen wegen, die andere des Lagerplatzes halber und eine andere, um Frieden zu ſtiften. Die Weibchen tragen ihre Jungen im Maule fort, laſſen ſie aber dieſelben beim Angriff im Stich, ſo werden ſie von den Männchen in die Höhe und an den Felſen geworfen, daß ſie halbtodt liegen bleiben; ſind ſie dann wieder zu ſich gekommen, ſo kriechen ſie wie ein Wurm den Männchen demüthig zu Fußen, küſſen ſie und vergießen Thränen in ſolcher Menge, daß ſie ununterbrochen auf die Bruſt herabtröpfeln und dieſe ganz naß machen. Dabei geht das Männchen unter beſtändigem Brummen hin und her, wen - det die Augen greulich herum, und wirft den Kopf von einer Seite zur anderen nach Art der Land - bären. Sieht das Männchen, daß man ſeine Jungen fortträgt, ſo weint es wie das Weibchen. Schwer Verwundete oder Beleidigte weinen ebenfalls, wenn ſie ſich nicht rächen können.

Sie haben dreierlei Laute. Auf dem Lande plärren ſie zum Zeitvertreib wie die Kühe, wenn man ihnen die Kälber genommen hat; im Kampfe brüllen und brummen ſie wie Bären; nach erhal - tenem Siege bringen ſie wiederholt ein lautes Geräuſch hervor wie Hausgrillen. Ein verwundeter und von Feinden überwältigter ſeufzt und faucht laut wie eine Katze oder wie eine Meerotter. Jndem ſie aus dem Meere gehen, ſchütteln ſie den Leib, ſtreicheln die Bruſt mit den Hinterfinnen und legen die Haare zurecht. Das Männchen legt die Lippen an die des Weibchens, als wenn es daſſelbe küſſen wollte. Wenn die Sonne ſcheint, legen ſie ſich in die Wärme, halten die Hinterfüße in die Höhe und wedeln damit wie ſchmeichelnde Hunde; bald liegen ſie auf dem Rücken, bald auf dem Bauche, bald auf der Seite, bald zuſammengerollt. Während des Juni, Juli und Auguſt bleiben ſie auf der - ſelben Stelle wie ein Stein liegen, ſehen einander an, ſchlafen, gähnen, ſtrecken ſich und brüllen ohne das Geringſte zu freſſen. Dann werden ſie ſo mager, daß die Haut um ſie häugt, locker wie ein Sack. Die Jungen paaren ſich im Juli und tummeln ſich munter herum. Sie benehmen ſich dabei nicht wie andere Thiere, ſondern wie Menſchen. Jch habe einmal einem eine Maulſchelle gege - ben, worüber er zwar zornig wurde und brummte, aber doch ſein Geſchäft noch ¼ Stunde lang fortſetzte.

Brehm, Thierleben. II. 50786Floſſenfüßer. Die Seehunde. Der Seebär. Der ſüdliche Seelöwe.

Gewöhnlich laufen die Alten nicht davon, wenn Menſchen nahen, ſondern machen ſich viel - mehr fertig zum Streit. Nichtsdeſtoweniger habe ich auch geſehen, daß ganze Herden die Flucht ergriffen haben. Wenn man pfeift, fliehen die Weibchen ſogleich, und wenn man ſie unvermuthet mit großem Geſchrei überfällt, ſtürzen ſich ganze Maſſen mit einem Male ins Meer; dann ſchwim - men ſie beſtändig am Strande hin und her und wundern ſich über die ungewöhnlichen Gäſte. Die Meerottern und gemeinen Robben fürchten ſich ſehr vor ihnen und werden deshalb ſelten in ihrer Nähe geſehen; die Seelöwen aber wohnen in großen Herden unter ihnen, nehmen die beſten Stellen ein, und die Bärenrobben erregen nicht gern in ihrer Gegenwart einen Streit, um nicht allzu grau - ſame Schiedsrichter zu bekommen.

Jn ihren Bewegungen ſind ſie ſchneller, als andere Robben; ſie durchſchwimmen ſicher in einer Stunde zwei deutſche Meilen. Auf dem Lande werden ſie von Keinem übertroffen und man ent - kommt ihnen nur, wenn es bergan geht. Mich haben ſie einmal länger, als ſechs Stunden verfolgt und endlich gezwungen, mit der größten Lebensgefahr über eine ſteile Anhöhe zu klettern, und mich und meinen Koſaken jagten ſie oft ſo muthig vor ſich her, daß wir den Strand verlaſſen mußten. Jhr Leben iſt ſo zähe, daß zwei oder drei Menſchen ſie kaum mit 200 Keulenſchlägen nach dem Kopfe tödten können. Man muß oft zwei bis drei Mal ausruhen, um wieder Kräfte zu ſammeln. Wenn auch alle Zähne aus dem Nachen geſchlagen, die Hirnſchale zerſtückelt und das Gehirn faſt ganz ausgeſpritzt iſt, bleibt das Thier dennoch auf ſeinen Füßen ſtehen und wehrt ſich. Jch ſchlug einem die Hirnſchale entzwei und die Augen aus, dennoch blieb es noch länger, als zwei Wochen wie eine Bildſäule ſtehen und lebte ſolange. Bei Kamtſchatka gehen ſie ſeltener aus Land und werden deshalb im Waſſer harpunirt. Dann ſchießen ſie wie ein Pfeil dahin und ziehen den Kahn noch ſo reißend nach ſich, daß er zu folgen ſcheint. Wenn der Schiffer ihn nicht recht gut zu ſteuern weiß, kehren ſie auch wohl um. So geht es fort, bis das Thier ſich verblutet hat. Dann wird es herangezogen, mit Spießen durchſtochen und an das Land geſchafft. Man fängt aber nur erwachſene Männchen und trächtige Weibchen, weil man ſich an die großen Männchen nicht wagt. Jährlich kommen ſoviel Bärenrobben vor Alter und in Folge ihrer Wunden auf den Jnſeln um, daß an manchen Orten der Strand ſo voll Knochen liegt, als wenn eine Schlacht geliefert worden wäre.

Gegenwärtig iſt es freilich anders geworden, als zu des guten Steller’s Zeiten. Die Robben - ſchläger haben entſetzlich auch unter den Seebären gehauſt und dieſe faſt ausgerottet.

Die ſogenannten Seelöwen oder Löwenrobben werden von Einigen ebenfalls als Vertreter einer beſonderen Sippe (Otaria) angeſehen, während Andere, ihrer kurzen Ohrſtummel wegen, ſie mit den Seebären zuſammenziehen. Man kennt mehrere Arten von bedeutenderer oder geringerer Größe. Von den Bärenrobben unterſcheiden ſie ſich durch die verhältnißmäßig ſehr großen Vorder - füße und das kürzere Haarkleid, welches nur in der ſtruppigen Mähne am Halſe der Männchen ſich verlängert. Den Namen Seelöwe verdient dieſe Robbe in eben demſelben Grade, wie die bereits beſchriebenen den ihren. Jhre Farbe iſt kaum etwas dunkler, als das bekannte Löwengelb, das Ge - ſicht hat wie das aller Robben eine entfernte Aehnlichkeit mit einem Katzengeſicht und die Mähne am Vorderhalſe kommt beſonders zur Geltung. Wir betrachten, obgleich uns unſere Abbildung den ſüd - lichen Seelöwen (Otaria jubata) zeigt, das Leben des nordiſchen, welcher immer kleiner, als der ſüdliche iſt und auch eine kaum bemerkliche Mähne beſitzt. Die Färbung des einen wie des anderen iſt ein bald lichteres, bald dunkleres Gelblichweiß oder Gelblichbraun. Der Bauch und die Füße ſind dunkler, die Floſſenhaut gleicht ſchwarzem Leder, auf welcher kleine ſchwarze Höcker hervortreten, die der Hinterfüße iſt gelappt. Der eigentliche Seelöwe findet ſich an der Südſpitze von Amerika und im Süden Neuhollands und Neuſeelands, der nordiſche im nördlichen ſtillen Weltmeer von der Behringsſtraße an bis Japan und Kalifornien hinauf. Jn ihrer Lebensweiſe haben beide noch Vieles787Der ſüdliche Seelöwe.mit den Bärenrobben gemein; ſie ſind aber noch einmal ſo groß und auch durch den Haarbau unter - ſchieden. Nächſt der die Geſtalt ſehr zierenden Mähne iſt beſonders das Auge merkwürdig wegen ſei - nes ſonderbaren Ausdrucks, welcher durch auffallende Farbenzuſammenſtellung bedingt wird. Das Auge ſelbſt iſt weiß, die Jris aber glänzend grün, wie Smaragd, und die Bindehaut in den inneren Augenwinkeln zinnoberroth.

Ueber Leben und Betragen ſagt Steller: Obſchon das löwenartige Thier gräßlich ausſieht und bös und hitzig ſcheint, auch an Kräften den Meerbären weit übertrifft, dabei ſchwer zu überwin - den iſt und wenn es in Noth kommt, aufs grauſamſte kämpft, endlich durch ſeine Löwengeſtalt die Augen und das Gemüth erſchreckt, ſo fürchtet es ſich doch dermaßen vor dem Menſchen, daß es beim Anblick deſſelben ſich ſchleunigſt auf die Flucht macht und vom Lande ins Waſſer eilt. Wenn es mit

Der ſüdliche Seelöwe (Otaria jubata).

einem Stock oder mit Geſchrei aufgeſchreckt wird, ſo entſetzt es ſich ſo ſehr, daß es mit tiefem Seufzen entläuft und auf der Flucht beſtändig fällt, weil es vor Zittern und allzugroßer Angſt ſeiner Glieder nicht mächtig iſt. Treibt man es aber ſo ſehr in die Enge, daß es nicht mehr entfliehen kann, ſo geht es gerade auf den Verfolger los, wirft vor Zorn den Kopf hin und her, brummt, brüllt und jagt auch den herzhafteſten Menſchen in die Flucht. Die Probe hätte mich beinahe ſelbſt ins Verder - ben gebracht. Daher wird es von dem Kamtſchadalen nie im Meere verfolgt, weil es die Kähne um - ſtößt und die Schiffer aufs grauſamſte umbringt. Auch wagt man nicht, es öffentlich auf dem feſten Lande anzugreifen, ſondern überfällt es hinterliſtiger Weiſe. Wenn es ſchläft, kriecht Einer, der ſich auf ſeine Kräfte und Füße verlaſſen kann, ſtillſchweigend unter dem Winde mit einem eiſernen und knöchernen Spieß, der von der Stange abgeht, und ſtößt dieſen durch einen Vorderfuß. Seine Kameraden halten den Riemen, welcher aus dem Fell eines ſolchen Thieres gemacht iſt, feſt und50*788Floſſenfüßer. Die Seehunde. Der ſüdliche Seelöwe.wickeln ihn um einen Stein oder Pfahl. Will das verwundete und erwachte Thier entfliehen, ſo ſchießen Andere mit Pfeilen oder Spießen darauf los und ſchlagen es zuletzt mit Keulen todt. Tref - fen ſie es auf einem einſamen Floß, ſo ſchießen ſie es mit giftigen Pfeilen. Es kommt ſodann aus dem Meerwaſſer, welches ſeinen Schmerz vermehrt, ans Land und wird nun getödtet oder ſtirbt von ſelbſt innerhalb 24 Stunden. Wer es wagt, dieſes Thier zu tödten, ſteht bei den Anderen in großem Anſehen, und Viele gehen nicht blos wegen des ſchmackhaften Fleiſches, ſondern aus Ruhmſucht auf dieſe gefährliche Jagd. Sie wagen ſich oft mit ihren elenden Kähnen von Baumrinde oder Thier - häuten auf 4 bis 5 Meilen entfernte Jnſeln und laden 2 bis 3 Thiere hinein, daß der Rand oft kaum über das Waſſer hervorſteht; ſie würden ſich aber ſchämen, aus Angſt vor dem Tode es zurück - zulaſſen. Fett und Fleiſch ſind überaus ſchmackhaft, beſonders von den Jungen. Die Gallerte aus den Füßen iſt ein Leckerbiſſen.

Einem Männchen folgen drei bis vier Weibchen. Jn den Monaten Auguſt, September und Juli werfen ſie. Die Männchen begegnen den Weibchen viel ſanfter, als bei den Bärenrobben und erwiedern deren Schmeicheleien; beide aber ſorgen nicht ſehr für ihre Jungen, und ich habe oft ge - ſehen, daß Mütter dieſelben im Schlafe todt gedrückt haben; auch machten ſie ſich Nichts daraus, wenn ich die Jungen vor den Augen der Eltern ſchlachtete und ihnen die Eingeweide vorwarf. Dieſe Jungen ſind nicht ſo lebhaft und munter, wie die jungen Bärenrobben, ſondern ſchlafen faſt beſtän - dig und treiben auch ihr Spiel nur ſchläfrig. Gegen Abend begeben ſich die Mütter mit ihnen ins Meer und ſchwimmen ruhig am Strande. Werden ſie müde, ſo ſetzen ſie ſich der Mutter auf den Rücken und ruhen aus, dieſe wälzt ſich aber wie ein Rad und wirft die trägen Jungen ab, um ſie an das Schwimmen zu gewöhnen. Jch habe ganz junggeborne ins Meer geworfen, ſie konnten aber Nichts weniger, als ſchwimmen, ſondern ſchlugen das Waſſer unordentlich mit den Finnen und ſuch - ten das Land zu gewinnen.

Obſchon dieſe Thiere ſich ſehr vor dem Menſchen fürchten, habe ich doch bemerkt, daß ſie ihn gewohnt werden, wenn man oft und friedlich mit ihnen umgeht, beſonders zu der Zeit, wo ihre Jungen noch nicht fertig ſchwimmen können. Jch habe mich einmal ſechs Tage lang mitten unter einer Herde, jedoch auf einem erhöhten Orte in einer Hütte aufgehalten und ihre Lebensart ſehr ge - nau beobachtet. Sie lagen rings um mich her, ſahen das Feuer an und gaben auf Alles Acht, was ich machte. Sie entflohen auch nicht, obſchon ich unter ihnen herumging, die Jungen ergriff, tödtete und die Beſchreibung davon aufſetzte. Sie ſtreiten auch heftig unter einander um den Ort und die Weibchen, ebenſo hitzig wie die Bärenrobben und mit denſelben Geberden. Eines, dem das Weibchen genommen war, ſtritt mit allen übrigen drei Tage lang und war durch mehr als hundert Wunden überall zerfleiſcht. Die Bärenrobben mengen ſich nie in den Streit und ſehen ſich ſogleich nach der Flucht um, wenn ein ſolcher entſteht; auch mit ihren Weibchen und Jungen laſſen ſie die Löwenrob - ben ſpielen, ohne ſich zu muckſen. Sie vermeiden überhaupt ihre Geſellſchaft ſoviel, als ſie können.

Die Löwenrobben plärren wie die Ochſen, die Jungen blöcken wie die Schafe. Es kam mir oft vor, als wäre ich der Hirt unter einer Viehherde, nach welchem ſie ſich richten müßte. Es gibt ihrer Sommers und Winters auf dieſen Jnſeln. Nichtsdeſtoweniger kommen im Frühling andere mit der Bärenrobbe zugleich an. Sie freſſen Fiſche und gemeine Robben, wahrſcheinlich auch Meerottern. Jm Juni und Juli, wo ſie auf der Jnſel ihre Jungen aufziehen, freſſen ſie faſt gar Nichts, werden ſehr mager und ſchlafen beſtändig. Sie ſcheinen recht alt zu werden, denn ſie bekommen endlich einen grauen Kopf.

Zwiſchen den genannten und den eigentlichen Seehunden ſtehen die Seeleoparden (Lep - tonyx), welche hauptſächlich ihres Gebiſſes und des Handbaues wegen als beſondere Sippe abge - trennt worden ſind. Die Arten bewohnen die Südſee. Unter dem Ramen Seeleoparden ver - ſtehen übrigens die deutſchen Naturforſcher ein anderes Thier, als die Engländer. Ueber die789Der Seeleopard. Der bärtige Seehund.Lebensweiſe des einen wie des anderen iſt noch ſehr Wenig bekannt, und deshalb iſt es gleich - giltig, welche Art wir hier darſtellen. Unſere Abbildung zeigt uns den Vertreter der Sippe, welchen die Engländer mit Seeleopard bezeichnen (Leptonyx Wedellii). Es iſt ein großer See - hund von 8 bis 9 Fuß Länge, fahl von Färbung, auf dem Vorderrücken und einer Rückenlinie ſchwärzlichgrau, von dem anderen Seehund durch ſeinen langen Hals und den großen Rachen unter -

Der Seeleopard (Leptonyx Wedellii).

ſchieden. Die Vorderfüße nehmen vom Daumen zum kleinſten Finger an Länge ab. Die Hinterfüße entbehren der Krallen und haben einige Aehnlichkeit mit einem Fiſchſchwanz. Aeußere Ohren ſehlen.

Auch die eigentlichen Seehunde (Phoca) ſind in neuerer Zeit wiederum in mehrere Unter - abtheilungen zerfällt worden. Wir brauchen hierauf keine Rückſicht zu nehmen; denn es kann uns gleichgiltig ſein, daß die einen an den Zähnen eine Zacke mehr haben, als die anderen. Jch erwähne die hinſichtlich ihrer Färbung oder ihres Aufenthalts wichtigſten Arten. Die Lebensweiſe iſt eine mehr oder weniger allen gleich gemeinſame.

Als Urbild der ganzen Geſellſchaft kann man den bärtigen Seehund (Phoca barbata) betrachten. Er zeichnet ſich vor ſeinen nächſten Verwandten durch ſeine bedeutende Größe, durch zahlreiche Bartborſten, durch die überwiegende Länge der mittleren Zehe ſeiner Vorderfüße und durch ſanfte Ausrundung der hinteren Floſſenhaut aus. Er kann bis zehn Fuß lang werden. Der Pelz iſt wie bei den meiſten übrigen Seehunden oben hellgrau und gelblich marmorirt, ohne daß die Flecken ſich ſcharf ſondern. Die Seiten und der Bauch ſind ſchmuzigweiß; vom Kopfe aus ver - läuft ein ſchwärzlicher Streifen nach dem Rücken. Bei den Jungen iſt die Hauptfärbung oben bläu - lich, unten weiß; im Wollkleid haben ſie einen breiten, weißen Streifen von den Schultern bis zu den Lenden. An ſeiner Größe und den in mehrere Reihen geſtellten, ſehr langen, höchſt zahlreichen790Floſſenfüßer. Die Seehunde. Der grönländiſche Seehund.und ſteifen Schnurrborſten auf der Oberlippe iſt er noch ziemlich leicht von anderen Arten zu unter - ſcheiden. Er bewohnt die nördlichſten Meere zwiſchen Europa, Aſien und Amerika, hauptſächlich das Eismeer und nördliche ſtille Weltmeer, meidet das Land und hält ſich mehr auf ſchwimmenden Eisſchollen auf.

Der grönländiſche Seehund oder die Sattelrobbe (Pagophilus groenlandieus) iſt wegen des längeren und ſchmäleren Kopfes mit der flachen Stirn, der kürzeren Schnauze, des geſtreckteren Leibes und des verſchiedenen Handbaues als eigene Sippe von den anderen Seehunden abgetrennt worden. Während bei dieſem die erſte Zehe an den Vorderſüßen die längſte iſt, überragt bei den grönländiſchen Sattelrobben die zweite Zehe alle übrigen. Außerdem fehlen dem Thiere das Wollhaar und die nackten Sohlen. Die Bartborſten ſind wellenförmig eingebuchtet. Nach Alter und Geſchlecht iſt

Der grönländiſche Seehund (Pagophilus groenlandieus).

die Färbung ziemlich verſchieden. Der neugeborene, junge Seehund trägt einen weichen, glänzenden, ſchneeweißen Pelz, deſſen Haare ſchon nach den erſten Wochen abgeworfen werden. Während des erſten Jahres iſt die Färbung des Haarkleides gleichmäßig blaßgrau, wenn auch oben etwas dunkler, als unten. Jm zweiten Jahre erhält der Oberkörper Flecken, im dritten und vierten nehmen ſie mehr und mehr überhand. Der Kopf wird ſchwarz, der übrige Leib weiß oder gelblichweiß, und da - von hebt ſich ein großer, breiter, langgezogener, halbmondförmig gekrümmter und nach innen aus - geſchweifter Flecken von dunkelſchwarzer Farbe lebhaft ab, welcher ſich von beiden Seiten des Leibes vom Widerriſt angefangen bis gegen den Schwanz herabzieht, gewöhnlich getheilt, auf jeder Seite manchmal aber auch in einander verlaufend. Bei anderen ſind blos Schwanz und Stirn ſchwarz, und einzelne haben eine durchaus ſchwarze Färbung. Ueberhaupt iſt bei den Seehunden auf Färbung des Pelzes nicht Viel zu geben; ſie ſchwankt außerordentlich, und die Haare verblaſſen, wenn ſie länger getragen worden ſind, ſo bedeutend, daß man Seehunde nach der Haarung nicht mehr als Das791Der Urtzel. Der gemeine Seehund. Der kaspiſche Seehund.erkennt, was ſie vor derſelben waren. Gefangene in Thiergärten geben davon die beſten Belege. Das ganze nördliche Eismeer und die benachbarten Straßen und Buſen können als die Heimat dieſer Art angeſehen werden. Die Sattelrobbe findet ſich ebenſowohl bei Kamtſchatka, als bei Grönland, bei Labrador und bei Jsland. Auch ſie hält ſich mehr auf Eisſchollen auf, als auf feſtem Lande.

An unſeren nördlichen Küſten wohnen die Kegelrobben (Halichoerus) und die Seekälber (Calocephalus) oder gemeinen Seehunde. Beide Gruppen oder Unterſippen, wie man jetzt will, ſind einigermaßen durch das Gebiß unterſchieden. Ob man von erſterem eine oder mehrere Arten an - nehmen will, iſt noch nicht feſtgeſtellt.

Der Urtzel oder graue Seehund (Halichoerus Grypus), der Vertreter der erſten Abtheilung, trägt das bekannte Robbenkleid: auf ſilberweißem oder blaßaſchgrauem, ſtahl - oder ſchwarzgrauem Grunde unregelmäßige ſchwarze und ſchwärzliche Flecken, welche beim Männchen dichter, als bei dem Weibchen ſtehen und jenes deshalb dunkler erſcheinen laſſen. Die Jungen kommen mit einem gelblichen, weichen Pelz zur Welt, welcher bald abgeworfen wird. Die Schnurrhaare ſind weiß, die Schwimmhäute an den Füßen faſt nackt. Die Länge beträgt 4 bis 8 Fuß.

An denſelben Orten wohnt auch der gemeine Seehund (Calocephalus vitulinus), die bekann - teſte Art von allen, 4, 5, ſelten 6 Fuß lang, ſchwärzlich und weißlich, graubraun oder gelbgrau geſprenkelt, auf dem Rücken gewöhnlich ungefleckt, unten weißlich, mit einem blaſſen Ring um das Auge, mit weißen, kurzen, braun gewellten Schnurren. Das Thier iſt manchfach verſchieden in der Färbung, wahrſcheinlich aber auch nicht mehr, als andere Arten, welche man weniger zu beob - achten Gelegenheit hatte.

Zu derſelben Sippe gehört auch der Seehund der großen aſiatiſchen Landſeen: des kaspiſchen Meeres, des Aral -, Baikal - und Oronſees, die einzige Art, welche nicht im eigentlichen Meere ge - funden wird. Jn der Größe kommt der kaspiſche Seehund (Calocephalus caspicus) dem ge - meinen ziemlich gleich; hinſichtlich der Färbung ähnelt er einer anderen Art, dem geringelten Seehund nämlich. Auf ſeinem graubraunen Rücken zeigen ſich unregelmäßige, ziemlich breite, gelbliche Ringel, welche nach unten mehr und mehr verblaſſen. Zwiſchen dieſen Ringeln ſchieben ſich ſchwärzliche, punktförmige Flecken ein. Die ganze Unterſeite iſt hellgelb, die einzelnen Haare der Oberſeite ſind theils einförmig gelblich, theils ſchwarz mit gelblicher Spitze, theils ganz ſchwarz. Junge Thiere unterſcheiden ſich durch das weiche Haar und durch ihre faſt rein weiße Färbung.

Alle hier genannten Seehunde und die ihnen verwandten Arten kommen ſich in ihrem Leben ziemlich gleich. Jch werde mich kaum eines Verſtoßes ſchuldig machen, wenn ich die Lebensbeſchrei - bung des gemeinen Seehundes der nachfolgenden Schilderung zu Grunde lege. Jhn habe ich ebenſowohl im Freien, als auch in der Gefangenſchaft wiederholt und längere Zeit beobachtet und darf mich ſomit einer wenigſtens annähernd genügenden Kunde deſſelben verſichert halten. Er - ſchöpfend kann auch ich das anziehende Thier nicht behandeln.

Alle Seehunde ſind mehr oder weniger an die Meeresküſten gefeſſelt. Nur wenige entfernen ſich ſo weit vom Lande, wie der grönländiſche, die meiſten ſuchen unbelebte Stellen der Küſten auf und treiben ſich hier bald im Waſſer, bald auf dem Lande umher. Jm allgemeinen kann man annehmen, daß das Land höchſtens noch dreißig Seemeilen entfernt iſt, wenn man Seehunde bemerkt. An manchen Küſten ſind die ſo vielfach verfolgten Thiere noch ſehr häufig; eine ſtätige Abnahme iſt aber nicht zu verkennen.

Jn ihrem Weſen und in ihren Bewegungen ähneln ſie den bereits beſchriebenen Robben. Sie zeigen ſich nur im Waſſer in ihrer vollen Beweglichkeit. Hier erſcheinen ſie als höchſt gewandte und792Floſſenfüßer. Die Seehunde. Allgemeines.luſtige Geſchöpfe. Sie ſchwimmen und tauchen meiſterhaft. Dabei arbeiten ſie mit den Vordertatzen wie Fiſche mit ihren Floſſen, während ſie die beiden Hinterbeine bald gegeneinander bewegen, hier - durch das zwiſchen ihnen geſammelte Waſſer ausſtoßend und ſich ſomit vorwärts treibend, bald aber ſeitlich hin und her ſchwingen und dadurch ungefähr die gleiche Wirkung erzielen. Es gilt ihnen voll - ſtändig gleich, ob ſie auf dem Bauche oder auf dem Rücken liegen, und ob ſie ſich nah oder tief unter der Oberfläche bewegen. Sie durcheilen das Waſſer mit der Schnelligkeit eines Raubfiſches und wälzen ſich blitzſchnell um ſich ſelbſt herum, ſind auch im Stande, ſolange, als es ihnen beliebt, auf ein und derſelben Stelle zu verweilen. Zu dieſem Ende ziehen ſie ihre Vorderfloſſen dicht an den Leib, krümmen dieſen, daß der Untertheil deſſelben ſenkrecht ſteht, während Kopf und Oberkörper wagrecht gerichtet ſind, und verharren ſo halbe Stunden lang auch ſchlafend in dieſer Lage, den Kopf zur Hälfte, den Rücken ein wenig über die Oberfläche des Waſſers erhoben. Das Tauchen verſtehen ſie vortrefflich; doch können ſie keineswegs lange unter Waſſer aushalten. Wenn ſie nicht verfolgt werden, ſteigen ſie durchſchnittlich alle Minuten an die Oberfläche empor, um Luft zu ſchöpfen. Sie athmen im Waſſer in Zwiſchenräumen von 15, 30, 45, 75, 90, 92, 100, 104 bis 125 Se - kunden, auf dem Lande alle 5 bis 8 Sekunden ein Mal. Nun mag es wohl ſein, daß verfolgte Seehunde auch das Drei - und Vierfache der angegebenen Zeit unter Waſſer aushalten können, da kommen aber noch immer nicht Viertel - oder Halbeſtunden heraus, wie die alten Naturforſcher ge - glaubt haben. Auch Fabricius, welcher die bei Grönland vorkommenden Seehunde ſehr ausführlich beſchreibt, glaubt nicht, daß eine Robbe länger als Minuten unter Waſſer verweilen könne. Unſere Gefangenen haben nach vielfachen Beobachtungen von mir nie mehr als Minuten unter Waſſer zugebracht, und Dies auch nur, wenn ſie ſchliefen. Die Seehunde ſchlafen nämlich wirklich im Waſſer, jedoch möglicherweiſe nur im ſeichteren. Sie kommen von Zeit zu Zeit mit geſchloſſenen Augen, vermittelſt einiger Floſſenſchläge bis zur Oberfläche empor, ſchöpfen Athem, ſinken hierauf wieder bis auf den Grund hinab und wiederholen Dies bei jedem Luftwechſel. Jhre Bewegungen ſcheinen durchaus bewußtlos zu geſchehen. Daß ſie auch auf der Oberfläche liegend ſchlafen können, geht aus den ſogleich zu erwähnenden Beobachtungen der Grönländer hervor. Dieſe, welche auf das für ſie unendlich wichtige Thier äußerſt genau achten, haben jede ſeiner Stellungen im Waſſer mit einem beſonderen Ausdruck bezeichnet, weil ſie aus den verſchiedenen Stellungen ſchließen, ob ſie einem ſchwimmenden Seehund nahe kommen werden oder nicht. Wenn die Robbe einfach nach oben ſteigt, um Luft zu holen und unbeſorgt iſt, kommt ſie bis zu den Vordertatzen aus dem Meere heraus, holt dann mit weit geöffneten Naſenlöchern Athem und zieht ſich langſam wieder in das Waſſer zurück, ohne daß dieſes ſich bewegt: Sie iſt eine Aufgerichtete , während ſie Umſtürzende heißt, falls ſie lärmend wieder in der Tiefe verſinkt. Wenn der Seehund der Fiſchjagd eifrig obliegt, ſchwimmt er mit emporgehobenem Kopf über dem Waſſer, ſieht gerade vor ſich hin, ſtöhnt und arbeitet mit den Vordertatzen und taucht mit großem Lärm: dann iſt er der Plätſchernde , welcher leicht von dem Fänger überrumpelt werden kann, während der Aufgerichtete gewöhnlich zum Lau - ſchenden, Betrachtenden und Genauſehenden wird, d. h. wenig Erfolg für die Jagd verſpricht. Wenn er unter Waſſer frißt, verändert er ſeinen Platz kaum, ſondern reckt blos die Naſenſpitze aus dem Waſſer empor, nimmt Luft und ſchließt die Naſenlöcher wieder. Zu anderen Zeiten liegt er ganz ſtill auf dem Rücken, den Kopf und die Füße zuſammengebogen und ruht oder ſchläft. Dann läßt er den Fänger ſo nahe an ſich kommen, daß man ihn mit den Händen greifen könnte. Manch - mal endlich ſpielt er wie trunken im Waſſer herum, kommt bald mit dem Bauche in die Höhe und ſchiebt ſich auf dem Rücken fort, dreht und windet ſich, ſchwimmt auf dem Rücken, kollert ſich um und um, kurz benimmt ſich in der ſonderbarſten Weiſe: dann heißt er Der ſich Werfende und iſt nach Anſicht der Grönländer am leichteſten zu überraſchen.

Obgleich die Seehunde tage - und wochenlang im Meere verweilen und alle ihre Geſchäfte im Waſſer abmachen können, gehen ſie doch, wenn ſie ruhen, ſich ſonnen und wenn ſie ſchlafen wollen, gern an das Land. Jhren Gang habe ich bereits flüchtig beſchrieben; ich will nur noch hinzufügen,793Die Seehunde. Allgemeines.wie jede Bewegung ausgeführt wird. Der gehende Seehund erhebt ſich, wenn er ſeine Vorderfüße mit zum Gehen gebraucht, zuerſt auf dieſe und wirft den Leib ruckweiſe nach vorn. Nun zieht er die Vorderglieder an, legt ſich feſt auf die Bruſt, biegt den Rücken und zieht den Hintertheil nach, ſtemmt dieſen auf die Erde und wirft ſich wiederum nach vorn u. ſ. w. Er bewegt ſeinen Leib alſo in beſtändigen Schlangenlinien. Die Drehungen geſchehen einzig und allein mit dem Vorderleibe mit Hilfe der Füße. Aus dem Waſſer wirft er ſich mit einem einzigen Ruck weit auf das Land heraus, indem er ſeine ausgebreiteten Hinterfüße heftig und raſch zuſammenſchlägt. Bei einzelnen Arten be - merkt man eine ſchwache Fährte am Lande, die Eindrücke der Vorderfüße zu beiden Seiten der Bahn, welche er gerutſcht iſt, gewöhnlich vier kleine Punkte ſchief von vorn nach hinten und auswärts ge - richtet. Bei Angſt oder Gefahr pflegen alle Seehunde beſtändig Waſſer auszuſpucken, wie man an - nimmt, um die Bahn zu glätten. So ſchwerfällig übrigens auch der Gang erſcheint, ſo raſch fördert er. Ein laufender Menſch muß ſich faſt anſtrengen, wenn er einen auf dem Lande dahingleitenden Seehund einholen will. Der hintere Theil ſeines Körpers iſt ebenſo beweglich, wie der Hals. Der Seehund kann ſich ſo drehen, daß er vorn auf dem Rücken und hinten auf der Unterſeite liegt, oder umgekehrt, und ebenſo iſt er im Staude, den Kopf nach allen Seiten hin zu drehen und zu wenden.

Ein am Lande ruhender Seehund gewährt das ausdruckvollſte Bild einer ebenſo großen Faulheit als Behäbigkeit. Namentlich wenn die Sonne hübſch ſcheint, liegt das Thier unglaublich behaglich und auf lange Zeit hin vollkommen regungslos am Strande. Es ſieht aus, als wäre der Seehund viel zu faul, um auch nur eine einzige Bewegung auszuführen. Wie er gerade ſich hingelegt hat, bleibt er liegen. Bald wendet er den Unterleib, bald den Rücken, bald die rechte, bald die linke Seite der Sonne zu; die Vorderfloſſen werden angezogen oder hängen ſchlaff vom Leibe herab. Er öffnet und ſchließt die Augen wohlgefällig, blinzelt oder ſtarrt gedankenlos ins Weite, öffnet nur zuweilen die verſchließ - baren Hörgänge und Naſenlöcher und zeigt überhaupt keine andere Bewegung, als die durch das Athemholen bedingte. So kann er ſtundenlang liegen, abgeſtumpft gegen äußere Eindrücke, voll - kommen in ſeiner Faulheit verſunken. Jede Störung dieſes ihm ſo wohlthuenden Zuſtandes iſt ihm aufs tiefſte verhaßt; es muß arg kommen, ehe er ſich wirklich bewegen läßt, eine andere Lage anzunehmen. Jch habe Gefangene durch das Gitter ihres Behältniſſes hindurch mit Strohhalmen an der Naſe gekitzelt und ſie anderweitig beläſtigt, ohne ſie aus der einmal gewählten Stellung vertreiben zu können. Die Störung war ihnen äußerſt unangenehm: ſie knurrten ſehr ärgerlich, ſchnappten wohl auch einmal nach dem Halme, blieben aber demungeachtet liegen. Anders iſt es freilich, wenn ſie wiederholte Neckereien erfahren haben; dann flüchten ſie gewöhnlich bald in das Waſſer, falls ſie dieſes als zu erſprießlichem Rückzug geeignet erkannt haben.

Auf günſtig gelegenen Klippen entſteht oft heftiger Streit um die beſten Plätze unter den Seehunden ſelbſt. Der ſtärkere wirft dann den ſchwächeren zur Tiefe herab, nur um ſich ſo bequem als möglich recken und dehnen zu können.

Die Stimme der Seehunde iſt bald ein heiſeres Gebell, bald ein Plärren; im Zorn knurren ſie wie die Hunde; während der Fortpflanzung ſollen ſie ein lautes Gebrüll ausſtoßen.

Bereits die Alten haben die Seehunde als hochbegabte Thiere geſchildert. Jhre Sinne ſcheinen ziemlich gleichmäßig und ſehr wohl entwickelt zu ſein. Das Auge iſt vortrefflich, das Gehör, der kleinen Ohröffnungen ungeachtet, ſcharf, der Geruch verhältnißmäßig fein, obwohl die Naſe bereits mehr zur Athmung als zum Riechen dient. Der Geſchmack zeigt ſich durch eine ſehr verſtändige Auswahl in der Nahrung, und das Gefühl bekundet der Seehund bei jeder Gelegenheit: er merkt die leiſeſte Berührung. Naſe und Ohren ſind verſchließbar und erſcheinen im Leben bald als dreieckige, rundliche Löcher, bald nur als ſchmale Ritzen. Die Naſenlöcher werden bei jedem Athemzuge geöffnet und hierauf ſofort wieder geſchloſſen und bleiben zuſammengekniffen, auch wenn das Thier auf dem Lande ruht, bis zum nächſten Luftwechſel; die Ohren werden nur im Waſſer und auch hier nicht fortwährend geſchloſſen. Das große Auge iſt wenig gewölbt, die Regenbogenhaut, welche licht - bis dunkelbraun von Farbe iſt, füllt faſt das ganze Auge; das Weiße ſieht man ſelten. 794Floſſenfüßer. Die Seehunde. Allgemeines.Höchſt eigenthümlich iſt der Stern; denn er iſt nicht rundlich oder länglich, ſondern vielmehr ein Kreis oder richtiger ein vierſtrahliger Stern. Es will mir ſcheinen, als ſei dieſe eigenthümliche Bildung nur von Fabricius beobachtet, von den anderen Naturforſchern aber nicht für möglich gehalten worden, weil ich ausſchließlich bei genanntem hiervon eine Andeutung fand. Allerdings nimmt man dieſe Bildung nur unter der günſtigſten Beleuchtung wahr, und auch dann muß man das Auge ſehr nahe vor ſich haben. Bei jeder Erregung vergießen die Robben viele Thränen.

Ueber die geiſtigen Fähigkeiten der Seehunde iſt ſchwer ein Urtheil zu fällen. Daß die Thiere ſehr klug ſind, unterliegt gar keinem Zweifel; dennoch zeigen ſie ſich oft ſo dumm und ungeſchickt, daß man an ihnen irre werden möchte. Jn menſchenleeren Gegenden ſind ſie dreiſt; da, wo ſie ihre ſchlimmen Feinde aber kennen gelernt haben, pflegen ſie ſich nur mit höchſter Vorſicht zu be - nehmen. Sicher iſt, daß die Warnung älterer von den jüngeren hoch in Ehren gehalten und befolgt wird. Die gefangenen befreunden ſich bald mit ihrem Wärter, und einzelne werden ſehr zahm. Sie hören auf den ihnen beigelegten Namen, kommen aus ihrem Waſſerbecken hervorgerutſcht, nehmen Fiſche aus der Hand ihres Pflegers und beweiſen ihm auch in anderer Hinſicht große Theil - nahme. Es wird erzählt, daß man einzelne Seehunde an das Aus - und Eingehen gewöhnt habe, daß ſie für ihren Herrn gefiſcht, ihn in Gefahr vertheidigt hätten u. ſ. w.: ich vermag die Wahrheit dieſer Mittheilungen weder zu beſtätigen, noch zu beſtreiten. Sicher iſt, daß Einzelne ſich von ihrem Wärter betaſten und ſtreicheln laſſen, ihm die Pfote geben, ja ſelbſt erlauben, daß ihr Freund ihnen eine Fauſt in den Rachen ſchiebt u. ſ. w.

Es ſcheint, daß Seehunde gegen Alles, was nicht Fiſch heißt, ziemlich gleichgiltig ſind; doch dürfte man wohl irren, wenn man Dies als einen Beweis ihrer Gutmüthigkeit anſehen wollte. Hunden gegenüber benehmen ſich die gefangenen regelmäßig heftig: ſie ſchnauben ſie ärgerlich an oder ſuchen ſie durch Zuſammenklappen der Zähne zu verſcheuchen. Dabei beweiſen ſie aber keines - wegs großen Muth, ſondern eher grollende Furchtſamkeit, und wenn es ihnen nur irgend möglich iſt, ſuchen ſie einer derartigen Begegnung ſich zu entziehen. Die Seehunde des hamburger Thiergartens waren immer aufs äußerſte entrüſtet, wenn wir unſere jungen Bären in demſelben Becken badeten, welches jene bewohnten: ſie ſchnaubten, knurrten, klappten die Kinnladen zuſammen und ſchlugen zornig mit den Vorderfloſſen auf das Waſſer, gingen aber niemals zum Angriff über. Unter dem Waſſergeflügel kann man ſie ziemlich unbeſorgt umherſchwimmen laſſen: ſie vergreifen ſich wenigſtens nicht an denjenigen Vögeln, welche ſie ſelbſt nicht behelligen. Mit Gänſen, Enten und anderen Zahn - ſchnäblern leben ſie im tiefften Frieden; gegen die Fiſchfreſſer zeigen ſie ſich jedoch weniger freundlich. So wurde einem unſerer Reiher, welcher ſich anſchicken wollte, dem Seehunde ſeine Fiſche wegzu - nehmen, von der darüber erboſten Robbe am Fuße gepackt und dieſer ſofort abgebiſſen.

Beſondere Zärtlichkeit beweiſen ſie, wie alle Robben, gegen ihre Jungen. Mit dieſen treiben ſie mancherlei Spiele, und ſie vertheidigen ſie auch, wenn Gefahr droht, muthig, ſelbſt gegen ſtär - kere Feinde.

Je nach der Gegend, in welcher die Seehunde leben, fällt die Paarungszeit in verſchiedene Monate. Jn unſerer nördlichen Erdhälfte findet ſie im Herbſte ſtatt, in den ſüdlichen Gegenden zwiſchen April und Juni. Die alten Männchen ſollen ſehr erregt ſein, heftig unter einander ſtreiten und für nichts Anderes, als für ihre Liebe Sinn haben. Es wird geſagt, daß dieſes Gefühl ſie ſehr in Anſpruch nähme und ſie die ihnen eigene Scheu während der Paarungszeit ganz vergeſſen. Die Eiferſucht ſoll ſie blind machen, und wer ihre grunzenden und brüllenden Töne nachzumachen verſteht, lockt ſie, ſo ſagt man, ſicher zu ſich heran.

Mit einem Jagdgenoſſen, erzählt der Naturforſcher Schilling, traf ich auf einem kleinen, einſamen Eilande zehn bis zwölf brüllende und grunzende paarungsluſtige Seehunde an. Bei unſerer Landung begaben ſich die Thiere, gegen ihre ſonſtige Gewohnheit, nur läſſig in das Gewäſ - ſer, und ich war faſt verſucht, zu glauben, in ihnen eine ganz andere Art von Thieren vor mir zu haben. Wir beſchloſſen, auf dieſe Seehunde anzuſtehen und gruben uns zu dieſem Ende im795Die Seehunde. Allgemeines.Sande eine Vertiefung aus. Kaum war unſer Bot etwa fünfhundert Schritt weit weggeſegelt, da erſchienen in geringer Entfernung im Waſſer die ſämmtlichen Seehunde wieder und lauſchten neu - gierig mit ſcheinbarem Wohlgefallen den von uns nachgeahmten Tönen. Dabei richteten ſie ſich faſt bis zur halben Körperhöhe über die Waſſeroberfläche empor und näherten ſich, merkwürdig genug, in dieſen Körperſtellungen dem Ufer der Jnſel immer mehr. Als wir nun die höheren, ſchwächeren Töne nachahmten, welche gewöhnlich die Männchen hören laſſen, kamen die viel größeren Weibchen zuerſt an das Land gekrochen und naheten ſich bald darauf unſerm Lager, den Locktönen folgend, ob - gleich ſie unſere hervorragenden Köpfe gewißlich ſehen konnten. Wir ſuchten uns Jeder einen See - hund aus, legten auf ihn an und entluden unſere Gewehre zu gleicher Zeit, und Jeder ſah, als ſich der Pulverdampf verzogen hatte, den erwählten Seehund regungslos vor ſich liegen. Aber auch die Uebrigen, welche ſämmtlich gelandet waren, geberdeten ſich, als wären ſie gleichfalls von unſeren Schüſſen getroffen worden. Wir hätten, wären wir ruhiger und mehr vorbereitet geweſen, ſehr gut noch unſere beiden übrigen Schüſſe auf die nicht getroffenen abfeuern können. Erſt, als wir auf - ſprangen, kam Bewegung in dieſe, wie vom Blitz getroffenen Körper.

Ungefähr acht Monate nach der Paarung, in den Monaten Mai, Juni und Juli, wirft das Weibchen eins, ſeltener zwei Junge auf öden, unbewohnten Jnſeln, am liebſten an ſandigen Stellen des Strandes, in Höhlen, ſonſt auch auf Felsblöcken und endlich auf Eisfeldern. Die Jungen kommen im vollkommen ausgebildeten Zuſtande zur Welt, ſind aber mit einem dichten, weißen, zarten Pelz bedeckt, welcher ſie am Schwimmen und noch mehr am Tauchen hindert, jedoch bald mit dem glatt anliegenden und ſteifen Jugendkleide vertauſcht wird. Bis zu dieſer Zeit bleiben die Weibchen auf dem Lande bei den Jungen. Letztere werden nur kurze Zeit von der Mutter geſäugt, entweder auf dem Strande oder zuletzt in ganz ſeichtem Waſſer, bei Gefahr gewarnt und nöthigen - falls zwiſchen den Vorderfüßen einem ſicheren Orte zugeſchleppt. Das Wachsthum geht ſo raſch vor ſich, daß die Jungen bereits nach Ablauf eines Jahres mehr als die Hälfte ihrer Größe erreicht haben. So berichten uns die Naturforſcher, welche die Seehunde im Freileben beobachten konnten. Jch habe mit aller Abſicht dieſen Bericht wiedergegeben, obgleich ich ſelbſt Beobachtungen gemacht habe, welche ihn in einiger Hinſicht ergänzen und berichtigen dürften. Zu meiner großen Freude konnte ich nämlich das Jugendleben des Seehundes mit aller Muße in unſerem Thiergarten beobachten.

Gelegentlich eines Beſuches bei einem der hamburger Thierhändler ſah ich einen weiblichen See - hund, deſſen Umfang zu frohen Hoffnungen berechtigte. Obgleich nun dieſes Thier durch zwei Wunden, welche es beim Einfangen erhalten hatte, entſtellt und als Schauſtück werthlos war, be - ſchloß ich doch, es zu kaufen, weil ich annehmen durfte, Gelegenheit zu mir wichtigen Beobachtungen zu finden. Soviel ich wußte, hatten trächtige Seehunde ſchon wiederholt in der Gefangenſchaft ge - boren; die Jungen waren aber immer ſofort nach ihrer Geburt geſtorben. Wir ſollten glücklicher ſein, vielleicht nur deshalb, weil wir der trächtigen Seehündin einen kleinen Teich unſeres Gartens zum Wohnſitz anwieſen.

Die Geburt des wohlausgetragenen Jungen erfolgte am 30. Juni in den frühen Morgen - ſtunden vor Ankunft der Wärter; denn dieſe ſahen bei ihrem Eintritt in den Garten das Junge bereits neben der Alten im Waſſer ſpielen. Auf dem Lande fanden wir neben einer ziemlichen Menge von Blut und dem Mutterkuchen auch das ganze Jugendkleid des Neugeborenen, einen nicht unbedeu - tenden Haufen ſeidenweicher, kurzer, aber gewellter Haare. Sie lagen ſämmtlich auf einer Stelle von geringem Umfang und ſchienen bereits im Mutterleib abgeſtreift worden zu ſein. Das Junge hatte keine Spur des Wollkleides mehr an ſich. Seine Färbung ähnelte vollſtändig der ſeiner Mutter; nur waren die einzelnen Farben friſcher und glänzender. Die Augen waren geöffnet und ſchauten klar und munter in die Welt. Selbſt die Bewegungen des jungen Weltbürgers waren ſchon ganz die ſeiner Eltern: ſie waren im Waſſer genau ebenſo meiſterhaft, auf dem Lande genau ebenſo ungeſchickt. Das junge Thier ſchien in den erſten Stunden ſeines Lebens außerhalb des Mutterleibes bereits alle Fer -796Floſſenfüßer. Die Seehunde. Allgemeines.tigkeiten ſeines Geſchlechts ſich angeeignet zu haben. Es ſchwamm ausgezeichnet auf dem Bauche, wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Waſſer die verſchiedenſten Stellungen an und geberdete ſich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage ſeiner Geburt gelang es uns, den kleinen bereits wehrhaften Geſellen zu wiegen und zu meſſen: das Gewicht betrug 17½ Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.

Es war im höchſten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte ſchien ſichtlich erfreut über ihren Sprößling zu ſein und ſpielte in täppiſcher Weiſe gleich in den erſten Tagen mit ihm, zuerſt im Waſſer, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutſchten mehrmals auf das Land hinauf, und die Alte lud dann das Junge durch ein heiſeres Gebrüll zu ſich ein oder berührte es ſanft mit ihren Vorderfloſſen. Sie offenbarte in jeder Hinſicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge ſchien, altklug, ſeine Mutter bereits vollkommen zu verſtehen. Jn Beider Spielen gab ſich die gegenſeitige Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Waſſer auf, dicht neben einander, dann berührten ſie ſich mit den Schnauzen, als wollten ſie ſich küſſen. Die Alte ließ das Junge immer voraus ſchwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr Kind auch wohl ab und zu durch ſanfte Schläge nach der von ihr beabſichtigten Richtung hin. Nur wenn es auf das Land gehen ſollte, gab ſie die zu nehmende Richtung an. Schon abends ſaugte das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche ſich zu dieſem Ende auf die Seite legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, ſechs bis zehn Mal täglich, zu der Alten gekrochen, um ſich Nahrung zu erbitten. Jm Waſſer ſaugte es nie; wenigſtens haben wir es nicht geſehen.

Der Neugeborene wuchs überraſchend ſchnell; er nahm ſichtlich zu an Größe und Umfang; ſeine Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, ſein Verſtändniß für die Umgebung größer. Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsſtellungen an: die behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterfloſſen gefaltet hoch emporhob und mit ihnen ſpielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche ſeines Alters war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er ſich ſcheu und ängſtlich, und ſo gelang es uns erſt in der ſechſten Woche ſeines Lebens, ihn zum zweiten Male auf die Wage zu bringen. Um dieſe Zeit hatte er gerade das Doppelte ſeines Gewichts erlangt, unge - achtet er bis dahin nur geſäugt und noch keine Fiſchkoſt zu ſich genommen hatte.

Zu unſerm großen Bedauern verloren wir das ſchöne Thier in der achten Woche ſeines Lebens. Es war unmöglich, es an Fiſchkoſt zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fiſche be - ſaßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar verſuchte ſich der Junge an den ihm vorgeworfenen Fiſchen; doch ſchien ihm die Nahrung ſchlecht zu bekommen. Er magerte mehr und mehr ab und lag eines Morgens todt auf ſeinem beliebteſten Ruheplatze.

Sehr möglich iſt, daß die jungen Seehunde zuerſt keine Fiſche, ſondern vielleicht Krabben und andere niedere Seethiere freſſen, welche die Alten auch nicht verſchmähen. Daß Dieſe Fiſchnahrung jeder anderen vorziehen und namentlich Dorſche, Barſche, Flundern, Heringe, am liebſten aber Salme freſſen, iſt bekannt und ebenſowohl auch, daß ſie das Fleiſch von Vögeln und kleinen Säuge - thieren hartnäckig verſchmähen, wenigſtens in der Gefangenſchaft. Jch kenne nur ein einziges Bei - ſpiel, daß ein gefangener Seehund von ſeinem Pfleger nach und nach auch an andere Koſt, an Pferde - fleiſch nämlich, gewöhnt werden konnte.

Für manche nordiſchen Völkerſchaften iſt der Seehund, ſo zu ſagen, das wichtigſte aller Thiere. Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch wir Europäer wiſſen das glatte, ſchöne, waſſerdichte Fell wohl zu ſchätzen und den Thran, ja ſelbſt das Fleiſch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs eifrigſte verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abſcheulichſten Weiſe; denn man führt einen höchſt grauſamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd797Die Seehunde. Allgemeines.iſt, wie geſagt, nur eine gemeine Schlächterei, und es iſt bemerkenswerth, daß die roheſten Völker - ſchaften auf dieſer Jagd ſich viel menſchlicher zeigen, als die geſitteten Europäer. Jagd und Fang des Seehundes fallen ſo ziemlich zuſammen; das Feuergewehr wenigſtens wird nur ſelten angewandt. Während des Schwimmens iſt dieſe Jagdweiſe auch mehr oder weniger erfolglos, weil der getödtete Seehund untergeht wie Blei, dagegen kann man an beſtimmten Lieblingsplätzen am Strande ſchon eher auf Erfolg rechnen. An der Oſtſeeküſte der Jnſel Rügen befindet ſich, wie Schilling erzählt, mehrere Hundert Schritte von der äußerſten Spitze des hohen Vorlandes ein Haufen Granitblöcke in der See, welcher bei gewöhnlichem Waſſerſtande einige Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel emporragt. Auf dieſem Riffe liegen oft 40 bis 50 Seehunde. Sie ſind aber gewitzigt genug, um ein Bot nicht an ſich heran kommen zu laſſen.

Einer meiner Freunde , ſagt nun genannter Forſcher, welcher mir Gelegenheit verſchaffen wollte, dieſe Thiere näher beobachten und zugleich ſchießen zu können, ließ auf jenem Riff eine Tonne befeſtigen und dieſelbe ſo ſtellen, daß ein Mann darin ſitzen konnte. Nach Verlauf von acht Tagen hatte man Gewißheit erlangt, daß die Seehunde ſich nicht mehr vor dem Anblick der ausgeſetzten Tonne ſcheuten und wie zuvor das Riff beſuchten. Nun ſegelten wir, mit hinreichenden Lebens - mitteln auf acht Tage verſehen, nach der unbewohnten Küſte, erbauten uns dort eine Hütte und fuhren vonhieraus nach dem Riffe hinüber. Einer von uns Jägern ſaß beſtändig in der Tonne verborgen, der andere hielt ſich inzwiſchen am anderen Strande auf. Das Bot wurde immer weit entfernt. Der Anſtand war höchſt anziehend, aber zugleich auch ſehr eigenthümlich. Man kam ſich in dem kleinen Raum des engen Faſſes unendlich verlaſſen vor und hörte mit unheimlichen Gefühlen die Wogen der See rings um ſich herum branden. Jch bedurfte einiger Zeit, um die noth - wendige Ruhe wiederzufinden. Dann aber traten neue, niegeſehene Erſcheinungen vor meine Augen. Jn einer Entfernung von ungefähr 400 Schritt tauchte aus dem Meere ein Seehund nach dem an - deren mit dem Kopfe über die Oberfläche auf. Jhre Anzahl wuchs von Minute zu Minute, und alle nahmen die Richtung nach meinem Riffe. Anfangs befürchtete ich, daß ſie beim Näherkommen vor meinem aus der Tonne hervorragenden Kopf ſich ſcheuen und unſere Anſtrengungen zu Nichte machen würden, und meine Furcht wuchs, als ſie faſt alle vor dem Steinhaufen ſich ſenkrecht im Waſſer emporſtellten und mit ausgeſtrecktem Halſe das Riff, die darauf befindliche Tonne und mich mit großer Neugier zu betrachten ſchienen. Doch wurde ich wegen meiner Befürchtung beruhigt, als ich bemerkte, daß ſie bei ihrer beabſichtigten Landung ſich gegenſeitig drängten und biſſen und beſonders die größeren ſich anſtrengten, ſo eilig als möglich auf das nahe Riff zu gelangen. Auch unter ihnen ſchien das Recht des Stärkeren zu herrſchen; denn die größeren biſſen und ſtießen die kleineren, welche früher auf die flachen, bequemeren Steine gelangt waren, herunter, um ſelbige ſelbſt in Beſitz zu nehmen. Unter abſcheulichem Gebrüll und Geblöcke nahm die Geſellſchaft nach und nach die vorderen größeren Granitblöcke ein. Jmmer neue Ankömmlinge krochen noch aus dem Waſſer hervor; ſie wurden jedoch von den erſteren, die ſich bereits gelagert, nicht vorbeigelaſſen und mußten ſuchen, ſeitwärts vom Riffe das Feſte zu gewinnen. Deshalb ſuchten ſich einige in unmittelbarer Nähe meiner Tonne ein Lager.

Die Lage, in welcher ich mich befand, war äußerſt ſonderbar. Jch war gezwungen, mich ruhig und ſtill wie eine Bildſäule zu verhalten, wenn ich mich meiner außergewöhnlichen Umgebung nicht verrathen wollte. Das Schauſpiel war mir aber auch ſo neu und ſo großartig, daß ich nicht im Stande geweſen wäre, mein bereits angelegtes Gewehr auf ein ganz ſicheres Ziel zu richten. Das Toſen des bewegten Meeres, das vielſtimmige Gebrüll der Thiere betäubte das Ohr, die große Zahl der in unruhigen, höchſt eigenthümlichen Bewegungen begriffenen, größeren und kleineren Meerhunde erfüllten das Auge mit Staunen. Wie von einem Zauber ergriffen, ließ mich ein wunderſames Ge - fühl lange zu keinem Entſchluß kommen und zwar um ſo weniger, da mir zu viel daran lag, dieſe außerordentliche Naturerſcheinung in ſolcher Nähe beobachten zu können, als daß ich ſie durch vor - eiliges Schießen mir ſelbſt hätte rauben mögen. Endlich nach langer Zeit ſolches eigenen und ſicherlich798Floſſenfüßer. Die Seehunde. Allgemeines.ſeltenen Genuſſes der Beobachtung kam mir das Bedenken, daß mein Freund, welcher am gegen - ſeitigen Ufer die Anweſenheit der Seehunde durch ſein Fernrohr wahrnehmen mußte, ein Nothſignal geben und ſo die ganze Geſellſchaft verſcheuchen könne aus Beſorgniß, daß mir ein Unfall begegne, ſo daß ich darau denken mußte, meinen Anſtand zu beenden. Die mich umgebenden Thiere waren zum Theil auch zu einiger Ruhe gekommen und außer dem fortdauernden Gebrüll, fanden nur von ein - zelnen noch gegenſeitige Angriffe ſtatt, ob aus Feindſchaft oder Zärtlichkeit, vermochte ich nicht zu beſtimmen. Da erſah ich mir einen der größten Seehunde, welche vor mir auf einem mächtigen Granitblocke in der behaglichſten Ruhe dahingeſtreckt lagen, zu meinem Ziel, und der gut gerichtete Schuß auf die Seite ſeines Kopfes traf mein Wild ſo ſicher und tödtlich, daß das Kind des Meeres keine Kraft mehr beſaß, ſich von ſeinem Lager herabzuſchwingen. Den zweiten Schuß empfing ſein Nachbar, welcher ebenfalls nach wenigen Zuckungen leblos auf ſeinem Stein liegen blieb.

Die übrigen Seehunde geriethen erſt nach dem zweiten Schuß in eine allgemeine, haſtige Be - wegung und fuhren hierauf mit großer Behendigkeit in das nahe Waſſer: der erſte Knall ſchien ſie nur in Erſtaunen geſetzt zu haben. Während das herbeigerufene Bot ſich aufmachte, um mich und meine Beute abzuholen, hatte ich Zeit, Betrachtungen über das Betragen der geflüchteten See - hunde anzuſtellen. Sie ſetzten ihre Flucht nicht eben weit fort, ſondern kamen in einer Entfernung von wenigen Hundert Schritten oftmals über die Oberfläche zum Vorſchein und näherten ſich dem Riff ſogar, ſo daß es ſchien, als ob ſie dort wieder landen wollten. Die endliche Annäherung des Fahr - zeuges verſcheuchte ſie jedoch und ſie zogen ſich weiter in die See hinaus. Nunmehr nahm mein Freund den Sitz auf dem Riffe ein und ich ſegelte mit dem Bote und den beiden geſchoſſenen Thieren nach unſerem Verſteck hinüber. Etwa zwei Stunden verfloſſen, ehe die Seehunde wieder erſchienen. Zu meiner Freude bemerkte ich nach Ablauf dieſer Zeit mit meinem Fernrohr, daß ſie ſich in ziemlicher Anzahl dem Riffe näherten und Einzelne bereits Beſitz von den äußerſten Steinen genommen hatten. Nicht viel ſpäter geſchahen raſch auf einander zwei Schüſſe und wir erhielten das Zeichen, welches uns hinüber forderte. Als wir ankamen, ſahen wir einen der größten Seehunde auf einem Steinblock todt hingeſtreckt, einem zweiten gleichfalls getroffenen war es gelungen, in das Waſſer zu ent - kommen; wir fanden ihn jedoch am anderen Morgen todt am entgegenliegenden Strande.

Manchmal gelingt es nach Schilling, auch vom Schiffe aus nach Seehunden zu feuern, wenn man mit einem kleinen Bote mit halbem Winde lautlos an die auf Steinen ſchlafenden Thiere heran - ſegelt. Bei anhaltendem Froſtwetter iſt die Jagd auf dem Eis zuweilen ergiebig, niemals aber zu - verläſſig und immer gefährlich. Wenn auch die Strömungen der Oſtſee zugefroren ſind, halten ſich die Seehunde künſtliche Löcher im Eis offen, um durch dieſelben mit der äußeren Luft in Verbindung zu bleiben und durch ſie hindurch auf das Eis zu kriechen und dort zu ſchlafen. Jeder Seehund hält ſich gewöhnlich eine ſolche Oeffnung, manchmal aber auch einige zu ſeinem alleinigen Gebrauche. An dieſe Wuhnen ſchleicht man nachts mit Filzſchuhen heran, um das Geräuſch der Schritte zu dämpfen; man muß aber gehörig auf Wind und Wetter achten und Gefahr bleibt immer.

An der ſchwediſchen Oſtſeeküſte wird die Jagd regelmäßiger und häufiger betrieben, gewöhnlich aber nur mit der Harpune, ſeltner mit Kugelbüchſen, von denen man, wenn man ſie anwendet, immer zwei Arten gebraucht, die eine ſehr kleinmündig und eine andere, welche ſehr große, ſchwere Kugeln auf weite Entfernungen ſchießt. Manche ſchwediſche Seejäger richten ſich Hunde ab, welche auf dem Eis die Seehunde aufſpüren und ſie ſo lange beſchäftigen, bis ihre Herren herbeikommen.

Auf den Faröerinſeln jagt man die Seehunde hauptſächlich während der Zeit, in welcher ſie mit ihren Jungen auf dem Lande verweilen. Man nennt die Orte, an denen die Thiere gebären, den Later und die Jagdmonate deshalb einfach die Laterzeit. Solch eine Jagd beſchreibt Graba. Als wir in die Bucht kamen, wurden wir ſogleich von unzähligen Seehunden umringt, welche uns mit neu - gierig emporgereckten Köpfen anſtarrten. Kein Schuß fiel, damit die auf den Klippen ſchlafenden nicht geweckt würden. Wir ſtiegen aus und ſchlichen uns einem Klumpen von Seehunden an, indem man nicht unterſcheiden konnte, wo Kopf oder Schwanz der einzelnen Thiere ſei. Sobald es knallte,799Die Seehunde. Allgemeines.wälzte ſich die glitzernde Maſſe in die See. Nun beſtiegen wir unſere Fahrzeuge wieder und fuhren langſam in die Bucht hinein. Die ganze Schar der Seehunde, beſtimmt über funfzig an der Zahl, folgte uns voller Neugier, was in dem Boote vorgehe, zu ſehen. Bald tauchten ſie unter, bald auf; kam einer zufällig ganz dicht bei dem Bote auf, und man erhob das Gewehr zum Schuſſe, ſo beeilte er ſich mit großem Geplätſcher, wieder unter die Oberfläche des Waſſers zu kommen. Sobald ein Schuß fiel, verſchwanden alle Köpfe, kamen aber ſogleich wieder dicht bei uns empor. Wenn der Seehund einen guten Schuß in den Kopf erhalten hat, treibt er oft oben, oft aber ſinkt er und bleibt verloren; niemals war er auf der Stelle todt, Schläge auf den Kopf betäuben nur für den Augenblick, wenn ſie nicht kräftig wiederholt werden. Selbſt nachdem ihnen die Gurgel abgeſchnitten war, habe ich ſie noch lange ſich mit den Zähnen wehren geſehen. Es wurden alte, zweijährige und einjährige Meerhunde erlegt.

Nach Beobachtungen von Alters her darf man nie über die Hälfte der auf dem Later beſind - lichen Thiere, beſonders aber nicht alle Männchen erſchlagen. Sind drei Männchen auf dem Later, ſo kann man den größten und kleinſten tödten, den, welcher in der Mitte ſteht, muß man am Leben laſſen. Von dem Weibchen, Apner genannt, erlegt man die fetteſten; neugeborene Junge und deren Mütter bleiben am Leben. Jn den Latern, wo man eine Laterne braucht, macht der unver - muthete Anblick des Lichtes die Seehunde erblinden und verwirrt, in den Latern hingegen, deren Oeffnungen das Tageslicht nicht ganz verdecken, ſehen die Seehunde beſſer als die Leute, und dann hört man bei der Ankunft des Botes ein ſtarkes Brüllen und Brummen. Der größte Brimmil (wahrſcheinlich Brummer), der deswegen auch Latu-Verjar (Vertheidiger des Later) genannt wird, erhebt ſich ſogleich, will den Leuten den Eingang verwehren und ſpringt vor ihnen mit geöffnetem Rachen auf den Klippen vor - und rückwärts. Da der Seehund höher ſteht und den erſten Mann überragt, ſo glückt es dieſem ſelten, ihn zu erſchlagen, falls er nicht zurückſpringt und jenem zur Seite oder in den Rücken kommt. Das Richtigſte iſt, daß der Vordermann dem Seehunde die erho - bene Keule entgegenhält, ſollte dieſer ihm auch die Vordertatzen auf die Schultern legen; während deſſen achtet der Latu-Verjar nicht auf den Hintermann, der ihm den Schlag gibt. Kann der Seehund den Schlag mit dem Maule auffangen, ſo iſt kein Menſch ſo ſtark, ihm die Keule zu entreißen oder zu entwinden. Wird der Latu-Verjar mehrere Male getroffen und entkömmt dennoch, ſo verläßt er die - ſen Later und begibt ſich nach anderen Höhlen, welches die Urſache ſein ſoll, warum ſo viele Later jetzt verlaſſen ſind. Handfeſte Leute ſagen, daß ſie eben ſo gern gegen einen erboſten Stier angehen wollen, als gegen einen Latu-Verjar, beſonders, wenn der zweite Mann dem erſten nicht ſchnell ge - nug folgen kann. Mittelgroße Seehunde ſcheinen Nebenbuhler des Latu-Verjar zu ſein, welche, wenn ſie geſchont werden, das Later beſtimmt wieder beſuchen, ja ſogar fremde Weibchen mit ſich bringen. Jſt das Junge ſo groß, daß die Mutter es bei dem Lärm, den die Ankunft des Botes verurſacht, in die See ſtoßen kann, ſo thut ſie es und ſucht mit ihm zu entkommen. Jſt Dies nicht der Fall, ſo bleibt ſie bei dem Jungen oder kehrt doch gleich zu demſelben zurück, falls ſie es auch im erſten Augenblicke verlaſſen haben ſollte, ſo daß man die Jungen befühlen kann, ob ſie fett ſind, ohne daß ſie von der Stelle wiche, es ſei denn, daß man ſie durch Geſchrei und Lärm wegſchrecke.

Dem deutſchen Gaumen will das wilde Fleiſch des Seehunds nicht behagen; ſchon die Schweden aber finden es koſtbar, und für alle hochnordiſche Völkerſchaften iſt es Lebensbedürfniß. Die Grönländer ſcheinen unter allen Völkern diejenigen zu ſein, welche nicht nur am geſchickteſten Seehunde zu jagen verſtehen, ſondern ihre Beute auch am manchfaltigſten zu verwenden wiſſen. Sie verfolgen das Thier mit ihren leichten Boten im Meere oft meilenweit. Die Grönländer, ſagt Fabri - cius, ſind große Meiſter darin, die Ruder leicht und nett zu gebrauchen, ſo daß man kaum einen Laut davon hört. Wenn nun ein Seehund auftaucht, ſo gibt man auf ſein Gebahren Acht, um daraus auf die Art, ihn anzugreifen, zu ſchließen. Jſt er ſicher, ſo ſtrebt man nur aus aller Macht darnach, um ſo nahe als möglich zu kommen, um nicht fehl zu werfen. Das Einzige, was hierbei zu beachten800Floſſenfüßer. Die Seehunde. Allgemeines.iſt, iſt, daß weder die Bewegung des Ruders, noch das Fortſchießen des Botes bedeutenden Lärm machen müſſen; denn Dies würde den Seehund in ſeiner Ruhe ſtören. Jndeſſen gehört hierzu nicht wenig Behendigkeit und Uebung, theils durch lange und tiefe Ruderſchläge, theils auch indem man das Bot mit dem Körper ſelbſt fortbewegt, und Viele ſind hierin ſo ausgelernt, daß ſie den See - hund an die Seite des Botes bekommen können, ohne daß er es merkte. Jſt es dagegen einer von den Vorſichtigen, der ſich umſieht, ſo hat es größere Schwierigkeiten; doch verliert man nicht alle Hoffnung, ſondern gibt Acht, wenn er untertaucht und eilt dann vorwärts. Wenn der Kopf dage - gen über dem Waſſer iſt, hält man ſich ſtille und bückt ſich nieder oder legt ſich aufs Bot zurück, um für etwas Todtes, auf dem Waſſer Treibendes gehalten zu werden. Plätſchert der Seehund im Waſ - ſer und iſt er in ſeiner ſpielenden Verwirrung, in welcher er zuweilen den Fänger anſieht, ſo pfeift dieſer mit dem Munde, um ihn noch ſicherer zu machen. Sollte er gleichwohl untertauchen, ehe man ihn auf der Schußweite hatte, ſo gibt man beim Untertauchen Acht darauf, wohin er ſeinen Lauf richtet, verändert in etwas den Ort und ſieht ſich beſtändig nach der Stelle um, wo er wieder auf - kommt und ſo ferner; denn es würde zu weitläufig ſein, hier Alles zu beſchreiben. Wenn man dann endlich in Schußnähe gekommen iſt, ſo wirft man den Harpunſtock, an welchem früher eine Harpune befeſtigt worden, nach ihm hin, und die Leine folgt mit, die ſonſt auf dem Kabatſtuhl aufgewunden lag. Da die Harpune Widerhaken hat, ſo zeigt es ſich gleich, ob der Seehund getroffen iſt oder nicht; denn dieſer kann im erſten Falle nicht leicht davon kommen, ſondern muß mehr und mehr von dem Seile ausziehen. Hier iſt nun keine Zeit zu verlieren, ſondern der Fänger muß, wenn er den Seehund getroffen ſieht, gleich die Blaſe aus dem Bote werfen; denn es würde ſonſt, wenn die Leine ausgeworfen wäre, von dem Seehund mit Gewalt angezogen und leicht umgeworfen werden können. Dies ſind die beiden Urſachen, warum oft ein Grönländer ſein Leben verlieren muß; dann ſchleppt der Seehund ihn erſt mit ſich fort, und iſt kein anderer Fänger in der Nähe, der ihm zu Hilfe kommen kann, ſo iſt ſelten Rettung für ihn. Wird er aber hingegen die Blaſe gut los, ſo iſt die größte Gefahr vorbei. Doch trifft man zuweilen einen Seehund an, der ſo muthig iſt, daß er ſich gegen das dünne, aus Fellen gemachte Bot wendet und ein Loch hinein beißt, wodurch der Fän - ger in Gefahr geräth, zu ſinken. Man kann Dies daher in mehreren Rückſichten einen gefährlichen Fang nennen, zu welchem ſich auch viele Grönländer nicht ohne Bedenklichkeit erdreiſten. Schleppt der getroffene Seehund die Blaſe mit ſich fort, die er ſelten unter das Waſſer zu ziehen vermag, ſo gibt man Acht, wohin ſich die Blaſe wendet, folgt dahin nach und ſucht den Seehund mit Lanzen vollends zu tödten; denn die Lanzen haben keine Widerhaken, ſondern gleiten aus der Wunde aus und ſchwimmen auf dem Waſſer, ſo oft man ſie auf den Seehund wirft. Durch dieſe häuſigen Wunden und durch das Fortſchleppen der großen, ausgeblaſenen Blaſe wird er abgemattet. Wenn man ihm dann endlich ganz nahe kommt, ſo gibt man ihm den letzten, tödtlichen Schlag mit der ge - ballten Fauſt über die Naſe, wodurch er gleich betäubt wird, ja, man ſticht ihn auch wohl mit dem Fangmeſſer, wenn es nöthig ſein ſollte, todt. Nun teiankert man ihn, um ihn nach Hauſe zu ſchleppen. Erſt verſtopft man alle Wunden mit Holzpfröpfchen, damit das Blut nicht verloren gehen ſoll (denn auch dieſes hat ſeinen Nutzen), zugleich bläſt man ihm Luft zwiſchen Haut und Fleiſch, da - mit er deſto beſſer oben ſchwimmt. Jſt der Seehund nur klein, ſo legt man ihn hinten auf das Bot, nachdem man ihn vorher ungefähr in der Gegend des Nabels mit einer kleinen Blaſe verſehen hat, an der er oben ſchwimmen muß, wenn er etwa herabfallen ſollte. Jſt der Seehund aber groß, ſo muß man ihn im Waſſer an der Seite des Botes herſchleppen laſſen und eine ſo große Blaſe an ihn be - feſtigt haben, daß man ihn ohne Gefahr von ſich laſſen könnte, wenn ſich etwa noch ein Seehund zeigen ſollte. Fängt man mehrere, ſo werden dieſe an die vorigen befeſtigt und ein glücklicher Fänger kann 4 bis 5 Seehunde auf ein Mal nach Hauſe ſchleppen.

Außer dem Menſchen hat der Seehund einen ſchrecklichen Feind in dem Butskopf (Orcinus), welchen die Grönlander und Normannen Herr der Seehunde nennen. Vor dieſem Wale ſieht man die Seehunde oft mit entſetzlicher Angſt ſich flüchten. Sie verſuchen kleine Meerengen und ſeichte801Die Klappmütze oder Mützenrobbe.Stellen zu gewinnen oder eilen im Nothfalle auch auf das Land. Die größere Furcht vor dem Wale überwindet ſelbſt die Angſt vor dem Menſchen. Man kennt Beiſpiele, daß Seehunde ruhig auf - ger zuſchwammen oder krochen, weil ſie den fürchterlichen Feind ſich im Nacken wußten. Die Grön - länder haſſen übrigens den Wal nach Kräften, weil er ihnen die Seehunde vertreibt. Auch der Eis - bär verfolgt die Thiere unabläſſig und weiß ſich ihrer, wie wir ſchon oben ſahen, recht geſchickt zu bemächtigen. Jungen Seehunden werden auch wohl große Raubfiſche gefährlich.

Die nordiſchen Völkerſchaften verbrauchen den ganzen Seehund, nicht blos Thran und Fell wie wir oder noch das Fleiſch wie die Schweden und Norweger. Die Gedärme werden gegeſſen oder zu Fenſtern, Kleidern und Vorhängen verbraucht, nachdem ſie vorher höchſt mühſelig gereinigt und ge - glättet worden ſind. Ein aus denſelben zuſammengeflicktes Obergewand, der Kapiſad oder Darm - pelz der Grönländer, wird ganz beſonders geſchätzt, weil er das Waſſer nicht durchläßt. Das mit Seewaſſer vermiſchte Blut wird gekocht und dann als Suppe gegeſſen oder, nachdem man es frieren ließ, als Leckerei genoſſen; auch formt man es, nachdem es gekocht, in runde Kugeln, trocknet dieſe in der Sonne und bewahrt ſie für Zeiten der Noth auf. Die Rippen dienen als Spreithölzer für die Felle oder werden zu Nägeln verarbeitet; die Schulterblätter gebraucht man als Spaten; aus den Sehnen verfertigt man Zwirn ꝛc. Fleiſch, Thran und Fell bilden jedoch auch für die Grönländer den Hauptgewinn, welchen die Seehundjagd abwirft.

Von dieſen echten Seehunden hat man mit Recht die ſogenannte Klappmütze oder Mützen - robbe (Stemmatopus cristatus) unterſchieden. Sie gehört unzweifelhaft zu den eigenthümlichſten Geſtalten unter allen Robben, obwohl im Grunde nur das Männchen die wahre Mützenrobbe iſt. Dieſes vermag ſeine Kopfhaut von der Naſe an über die Schnauze und bis zwiſchen den Augen hinauf willkürlich zu einer an den Seiten hervorragenden und längs der Mitte gekielten Blaſe aufzutreiben. Wenn dieſe Blaſe vollſtändig mit Luft gefüllt iſt, bildet ſie einen Sack von zwölf Zoll Länge und neun Zoll Höhe, welcher ſich von der Schnauzenſpitze bis hinter die Augen erſtreckt, in ſeinem vor - deren Theile die Naſenlöcher in ſich ſchließt und gleichſam wie eine über den Vorderkopf gezogene Mütze aufſitzt. Jm unaufgetriebenen Zuſtande ſieht man nur einen Kiel, welcher die Naſe in zwei Theile ſcheidet.

Die Klappmütze wird etwa 7 bis 8 Fuß lang. Der Kopf iſt groß, die Schnauze dick und ſtumpf, der Leib dem anderer Robben ſehr ähnlich gebaut. Die Vorderfüße nehmen von der erſten Zehe an an Länge ab und erſcheinen deshalb ſcharf abgeſtutzt; an den Hinterfüßen dagegen ſind die beiden äußerſten Zehen die längſten, und die Mittelzehe iſt am kürzeſten: die Füße ſcheinen des - halb zweilappig zu ſein, obgleich ſie in Wahrheit fünflappig ſind. Die Nägel ſind ſtark, ge - krümmt, ſpitzig und unten ausgehöhlt an den Vorderfüßen, gerade, ſtumpf und ſeitlich zuſam - mengedrückt an den Hinterfüßen. Der Schwanz iſt breit und kurz. Hinſichtlich des Zahnbaues ähnelt die Mützenrobbe dem noch zu beſchreibenden Seeelefanten am meiſten. Sie hat mit dieſem unter den Robben die geringſte Zahl der Schneidezähne und wird deshalb und wegen der auch dem Seeelefanten eigenen Fähigkeit, gewiſſe Kopftheile aufzublaſen, von einigen Forſchern mit letzterem in einer und derſelben Gruppe vereinigt. Jm Oberkiefer finden ſich vier, im Unter - kiefer zwei Vorderzähne, hinter denſelben jederſeits ein Eckzahn und fünf Backzähne. Die Vorder - zähne ſind klein, ſtumpf und weit von einander geſtellt, die Eckzähne ſehr ſtark; die Backzähne nehmen von vorn nach hinten an Größe zu. Auf die Färbung hat das Alter einigen Einfluß; doch iſt ihre Verſchiedenheit immer nur gering. Erwachſene Thiere ſind ſchmuzig - oder graulichweiß und regelmäßig dunkel und fahlbraun gefleckt, auf der Oberſeite dichter, als auf der unteren. Stirn und Schnauze ſind einfarbig ſchwärzlich, Nacken und Oberhals ſchwarzbraun, graulichweiß gefleckt. Die Füße und der Schwanz ſind ſchwärzlichbraun ohne Flecken. Jüngere Thiere ſind heller und ihreBrehm, Thierleben. II. 51802Floſſenfüßer. Die Klappmütze oder Mützenrobbe.dunklen Flecken kleiner; zweijährige ſind bis auf den mittleren Theil des Rückens faſt voll - kommen weiß.

Wenn man will, kann man die Klappmützen als nördliche Vertreter des in den ſüdlichſten Meeren lebenden, rieſigen Seeelefanten betrachten. Jn der Nähe von Grönland und Neufundland iſt ſie häufig, ſeltener an der Weſtküſte von Jsland und am nördlichen Theile Norwegens; nach den ſüdlichen Küſten der Nordſee kommt ſie nicht. Nur während der Monate April, Mai und Juni nähert ſie ſich den Küſten, um dort ihr Junges zu werfen; die übrigen Theile des Jahres ver - bringt ſie meiſtens im offenen Meere, gern in der Nähe von Eisbänken und Eisbergen, auf denen

Die Klappmütze oder Mützenrobbe (Stemmatopus cristatus).

ſie zeitweilig der Ruhe pflegt. Vom September bis zum März trifft man ſie häufig an der David - ſtraße an; dann wandert ſie ſüdlich, und im Juli kehrt ſie zurück. Sie iſt geſellig, wie alle Robben, und hält ſich nur in Herden zuſammen. Jedes Männchen ſoll mit mehreren Weibchen gepaart ſein, ſich aber dennoch während der Brunſtzeit häufig mit anderen um den Beſitz einer Schönen ſtreiten. Ueber die Paarungs - und Tragzeit fehlen zur Zeit noch genauere Nachrichten; man weiß blos, daß das Weibchen meiſtens im April auf ſchwimmenden Eisſchollen ein vollkommen ausgebildetes, ſehen - des Junge wirft, mit welchem es ſich gewöhnlich bis zum Juni auf dem Lande umhertreibt.

Hinſichtlich ihres Lebens und Treibens ähnelt die Klappmütze den eigentlichen Seehunden; die Nahrung, die Sitten und Gewohnheiten, die Fähigkeiten, die Eigenſchaften und die Feinde ſind die - ſelben, wie bei den anderen Robben.

803Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe.

Wie leicht begreiflich, wird das Thier am meiſten von den Völkerſchaften verfolgt, in deren Nähe es wohnt; denn die Walfiſchfänger machen nur ſelten Jagd auf Klappmützen. Die Grönlän - der unterſcheiden ſehr genau zwiſchen Männchen und Weibchen; erſteres nennen ſie Neſaurſalik oder Neitſerſoak, zu Deutſch Naſenſack; das Weibchen und Junge heißt Kakordak.

Ueber die Mütze ſelbſt haben ſich die Zweckmäßigkeitslehrer ſchon ſehr den Kopf zerbrochen, ohne jedoch ins Klare gekommen zu ſein. Einige wollen das ſonderbare Anhängſel in Verbindung mit dem Geruchſinn bringen und ſcheinen alſo zu glauben, daß für das Weibchen eine feine Naſe nicht eben nothwendig iſt; Andere ſind ſogar ſo weit gegangen, daß ſie die Mütze als ein ganz beſonderes Ge - ſchenk der Vorſehung betrachtet haben, welches dem Thiere z. B. auch Schutz vor den Keulenſchlägen der Robbenjäger gewährt! Wir unſererſeits dürfen die Mütze wohl nur als eines jener Schmuckzeichen betrachten, wie ſie ſo häufig bei männlichen Thieren vorkommen.

Ein ähnliches Schmuckzeichen trägt auch der ſogenannte Seeelefant oder die große Rüſſel - robbe (Macrorhinus elephantinus), der Rieſe der Familie, welcher die Meere der ſüdlichen Halbkugel bewohnt. Sein Name iſt paſſend gewählt; denn die eigenthümliche, etwa fußlange Verlänge - rung der Naſe erinnert ſehr an den Rüſſel des Rieſen auf dem Lande. Dieſer Rüſſel iſt das Bezeichnende an unſerem Thiere; er bildet ſich erſt, und zwar ausſchließlich beim Männchen, nach dem zurückgelegten dritten Lebensjahre aus und tritt auch dann nur hervor, wenn das Thier erregt iſt. Jn der Ruhe hängt er ſchlaff über die Oberlippe herab, und die Naſenlöcher, welche ſich an der Spitze des Hautbeutels befinden, erſcheinen dann zuſammengedrückt und oben auf der Schnauze liegend, wie beim rüſſelloſen Weibchen. Hinſichtlich der Leibesgeſtalt ſtimmt der Seeelefant faſt vollſtändig mit ſeinen Familienverwandten überein. Die ganze Länge beträgt 20 bis 25, ja ſelbſt 30 Fuß, der größte Umfang um die Mitte des Leibes etwa 15 bis 18 Fuß. Das Weibchen iſt immer beträchtlich kleiner. Die Glieder ſind nicht beſonders lang, aber ſtark und kräftig. An den Vorderrudern ſitzen fünf kleine, ſchwarze Nägel auf den Zehen; die Hinterfüße beſtehen aus zwei großen, breiten Seiten - lappen und drei kleinen Lappen dazwiſchen, auf welchen ſich keine Spur von Krallen findet. Der Schwanz iſt kurz, dick, kegelförmig. Ein ſtraffes, ziemlich ſteifes und glänzendes, aber kurzes und nicht eben glatt anliegendes Grannenhaar bedeckt den Leib. Das Wollhaar fehlt gänzlich. Die Fär - bung iſt nach Alter und Geſchlecht etwas verſchieden. Beim Männchen iſt ſie grünlich - oder blaugrau, auch wohl ſchwarzbraun, unten immer heller, als oben. Beim Weibchen iſt die Oberſeite dunkel - olivenbraun, nach den Seiten hin gelbbraun. Junge Thiere ſind oben dunkelſilbergrau, an den Seiten heller, unten gelblichweiß. Füße und Schwimmhäute, Schnurren und Krallen ſind ſchwarz. Jm Gebiß zeigt der Seeelefant die größte Aehnlichkeit mit der nordiſchen Mützenrobbe, nur daß ſeine Zähne ſämmtlich bedeutend ſtärker ſind.

Dampier war der erſte Reiſebeſchreiber, welcher uns Anfangs des vorigen Jahrhunderts mit dem Seeelefanten bekannt machte. Dann berichten Admiral Anſon, Pernetty, Molina und endlich am ausführlichſten Peron. Die erſteren Beſchreiber nannten das Thier Seelöwe, die an - deren Meerwolf, Elefanten - und Rüſſelrobbe; bei den Chineſen führt es den Namen Lame, bei den Südſeeinſulanern Morunga.

Der Verbreitungskreis des Seeelefanten liegt zwiſchen dem 35. und 62. Grad ſüdlicher Breite. Jnnerhalb dieſes Gürtels iſt er überall nicht ſelten. Man beobachtet ihn an der Südſpitze Ameri - kas, wie auf den Sandwichinſeln, bei Vandiemensland, bei Neuſeeland und anderen im großen Weltmeer liegenden Eilanden. Am häufigſten ſollen ſie auf Kingshunters und anderen Jnſeln der Baßſtraße vorkommen. Nach Süden zu reicht ſie bis zu Kings-Georgland.

Jn ſeiner Lebensweiſe erinnert der Seeelefant an die Seebären und Seelöwen. Alljährlich unternimmt er Wanderungen von Norden gegen Süden hin und zurück, je nachdem die Sonne51*804Floſſenſüßer. Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe.ihm dieſe oder jene Gegend zu heiß macht. Kranke und ſchwache müſſen zurückbleiben; die ge - ſunden reiſen ſämmtlich. Jn Patagonien kommen ſie im September und Oktober, oft ſchon im Juni, ſcharenweiſe an, Ende Dezembers reiſen ſie wieder ſüdlich. Jm Sommer ſtreifen ſie im Meere umher, gegen Winter betreten ſie das trockene Land. Hier bevorzugen ſie ſchlammige und ſumpfige Strecken oder treiben ſich im ſüßen Waſſer umher. Unter der großen Maſſe ſondern ſich Familien aus, welche aus 2 bis 5 Gliedern beſtehen. Sie trifft man ſtets dicht neben ein - andergedrängt, gewöhnlich im Schlamme oder im Schilfe ſchlafend an. Bei großer Hitze kühlen ſie ſich durch feuchten Sand, welchen ſie auf den Obertheil ihres Körpers werfen, und manchmal ähneln ſie mehr Erdhaufen, als lebenden Thieren: ſie erinnern überhaupt in vieler Hinſicht an

Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe (Macrorhinus elephantinus).

die Dickhäuter. Wie dieſe lieben ſie das ſüße Waſſer außerordentlich, wie dieſe wälzen ſie ſich mit Wolluſt im Schlamme, wie dieſe verweilen ſie gern auf ein und derſelben Stelle.

Jhre Bewegungen auf dem Lande ſind ſehr unbeholfen. Das Gehen wird dem ungeſchlachteten Thiere ungemein ſchwer. Jm allgemeinen ähneln ſie auch hierin den Seehunden. Wie dieſe krümmen und ſtrecken ſie ſich wechſelſeitig und werfen ſich bald vorn, bald hinten auf. Wenn ſie recht fett ſind, ſchlottert bei jeder ruckweiſen Bewegung der Leib wie eine mit Gallerte angefüllte große Blaſe. Nach einem Wege von zwanzig bis dreißig Schritten ſind ſie ſehr ermüdet und müſſen ein wenig ausruhen; dennoch klettern ſie über 15 bis 20 Fuß hohe Sandhügel hinweg: Beharr - lichkeit und Geduld erſetzen ihnen die fehlende Behendigkeit. Jm Waſſer zeigen ſie ſich ganz an - ders. Sie ſchwimmen und tauchen vortrefflich, machen raſche Wendungen, legen ſich zum Schla -805Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe.fen ruhig auf die Wellen, laſſen ſich treiben, jagen eifrig und geſchickt ihrer Nahrung, haupt - ſächlich Sepien und Fiſchen nach, und wiſſen ſelbſt Waſſervögel, z. B. Pinguine, ſchwimmend zu erreichen. Eigenthümlich iſt, daß ſie auch eine Menge von Tangen und oft Steine verſchlingen. So fand Förſter in einem Magen zwölf runde Steine, jeden zwei Fäuſte groß, welche ſo ſchwer wogen, daß er kaum begreifen konnte, wie die Wände des Magens die Laſt auszuhalten ver - mochten.

Jhre Sinnesfähigkeiten ſollen ſehr gering ſein. Auf dem Lande ſehen ſie deutlich nur in der Nähe; das Gehör iſt ſehr ſchlecht; das Gefühl wird durch die dicke Fettlage auf dem Kör - per abgeſtumpft, und der Geruch ſoll auch nicht beſonders entwickelt ſein. Sie ſind im höchſten Grade geiſtesſtumpfe Thiere, welche nur ſelten aus ihrer faulen Ruhe ſich aufſtören laſſen. Man nennt ſie ſanft und verträglich, weil man nie geſehen hat, daß ſie auf einen Menſchen losgegan - gen wären, welcher ſie nicht lange vorher gereizt hatte. Man kann zwiſchen ihnen baden, und kleine Robben einer anderen Gattung ſchwimmen ſicher unter ihnen herum. Pernetty verſichert, daß ſeine Matroſen auf den Seeelefanten wie auf Pferden geritten wären, und dieſelben, wenn ſie zu langſam gingen, durch Meſſerſtiche zu einem hurtigeren Gange angetrieben hätten; er erzählt auch, daß ein engliſcher Fiſcher eins der Thiere liebgewonnen und vor den Nachſtellungen ſeiner Kame - raden geſchützt habe. Es lebte lange friedlich und verſchont, während die anderen in ſeiner Nähe nach und nach getödtet wurden. Der Fiſcher näherte ſich ihm täglich, um es zu liebkoſen, und in wenig Monaten hatte er es ſo zahm gemacht, daß er es zu ſich rufen, ihm auf den Rücken ſtreichen und den Arm ins Maul ſtecken konnte. Zum Unglück bekam der Fiſcher einmal Streit mit ſeinen Genoſſen, und dieſe waren niederträchtig genug, das Lieblingsthier ihres Feindes aus Rache zu tödten.

Die Brunſtzeit fällt zwiſchen die Monate September und Januar. Sie bringt etwas Leben unter die Herde. Wüthend kämpfen die Männchen um die Weibchen, obgleich dieſe in größerer Anzahl vorhanden ſind, als jene. Unter eigenthümlichem Grunzen und gurgelnden Lauten rücken die Kämpfer auf einander los. Der Rüſſel wird lang aufgeblaſen, das Maul weit geöffnet, und nunmehr geht das gegenſeitige Beißen an. Dabei zeigen ſie ſich im höchſten Grade unempfind - lich, denn ſie ſtreiten, auch wenn ſie ein Auge verloren oder andere Verletzungen erlitten haben ſollten, bis zur äußerſten Erſchöpfung mit einander fort. Die Wunden heilen übrigens mit un - glaublicher Schnelligkeit; daher kommt es auch, daß nur ſelten einer der Streiter ſeinen Zweikämpfen unterliegt. Alte Männchen ſind über und über mit Narben bedeckt, und unter Tauſenden findet man kaum eins, deſſen Fell nicht durch Biſſe zerriſſen wäre. Die Weibchen ſchauen ſcheinbar theil - nahmslos, aber doch erfreut den Kämpfen zu, und folgen dem Sieger dann ohne Widerſtreben in das Meer hinab, wo er durch Liebkoſungen ſich vollends die Gunſt ſeines Harems erwirbt. Zehn Monate nach der Paarung, gewöhnlich im Juli und Auguſt, und in Patagonien Anfangs No - vember, etwa einen Monat nach der Ankunft auf den Eilanden, erfolgt der Wurf der Jungen. Dieſe ſind große, ſchon 4 bis 5 Fuß lange und 70 Pfund ſchwere Geſchöpfe, welche nun acht Wochen lang von der Mutter geſäugt und ſorgfältig gehütet werden. Während dieſer ganzen acht Wochen bleibt die Familie auf dem Lande, ohne irgend Etwas zu freſſen. Schon nach acht Tagen iſt der Säugling um 4 Schuh länger und um die Hälfte ſchwerer; nach vierzehn Tagen wachſen die erſten Zähne; nach vier Monaten iſt das Gebiß vollſtändig. Je ſtärker das Junge wird, um ſo mehr magert die Alte ab, welche nur von ihrem Fette zehrt. Jn der ſechſten oder ſieben - ten Woche ſeines Alters wird das Junge in das Meer geführt. Der ganze Haufen entfernt ſich langſam vom Ufer und rudert täglich weiter und weiter in das Meer hinaus. Hier verweilt er bis zur nächſten Paarung, und dann beginnt eine neue Reiſe. Die Jungen folgen der Hauptmaſſe auf allen dieſen Wanderungen, werden aber ſchon nach wenigen Monaten von der Alten verſtoßen. Jm dritten Jahre erſcheint beim Männchen der Rüſſel; von da an wächſt es nur wenig in die806Floſſenfüßer. Der Seeelefant oder die große Rüſſelrobbe.Länge, aber deſto mehr in die Dicke. Mit 20 bis 25 Jahren ſoll das Thier in das Greiſenalter ein - treten, und die Fiſcher behaupten, daß man keins fände, welches älter als 30 Jahre wäre.

Der Menſch ſtellt dem Seeelefanten überall nach, wo er ihn findet. Früher waren dieſe Robben auf ihren wüſten Jnſeln vor allen Feinden ſicher, ſeitdem aber ein ordentlicher Fang ein - gerichtet worden iſt, nehmen ſie ſehr ſchnell ab. Die Wilden konnten blos ſolche Rüſſelrobben erle - gen, welche durch Sturm auf das Feſtland geworfen wurden. Sie liefen mit brennenden Fackeln herbei und ſtießen dieſe dem armen Waſſerfreunde, ſobald er das Maul aufſperrte, in den Rachen, bis er erſtickt war. Dann riß Jeder ein Stück ab; man und ſchlief ſolange, als Etwas vor - handen war. Die feindlichſten Stämme verhielten ſich friedlich in der Nähe eines derartigen Aaſes; ſobald aber die ekelhaften Gelage ein Ende hatten, begannen die Beleidigungen und die mör - deriſchen Gefechte von neuem.

Die europäiſchen Fänger erſtechen den Seeelefanten mit etwa 15 Fuß langen Lanzen. Sie warten den Augenblick ab, wo das Thier den linken Fuß aufhebt, und bohren dann den Spieß ins Herz. Ganz ohne Gefahr iſt übrigens der Fang nicht, ſo gutmüthig auch die harmloſen Kin - der des Meeres ſind. Bisweilen kommt es doch vor, daß ſie alle ihre Kräfte anwenden, um den Mörder abzuwehren. Die Weibchen vertheidigen ſich nie, ſondern fliehen, und wenn man ihnen den Rückweg verſperrt, blicken ſie verzweiflungsvoll umher und weinen heftig. Jch ſelbſt habe, ſagt Peron, ein junges Weibchen häufige Thränen vergießen ſehen, während ein bösartiger und grauſamer Matroſe ihm zum Zeitvertreib mit einem Ruder die Zähne einſchlug. Jch hatte Mitleid mit dem armen Thiere: ſein ganzer Nachen war voll Blut und die Thränen rannen ihm aus den Augen.

Kein Seeelefant ſteht dem anderen bei in der Stunde der Gefahr. Sie zeigen bei dem Metzeln die größte Gleichgiltigkeit, thun faſt, als ob ſie gar nicht bemerkten, was um ſie geſchieht. Die ſtark Verwundeten gehen nicht ins Meer zurück, ſondern ſchleppen ſich vielmehr nach dem Jnneren des Landes, wo ſie ſich dann an einem Baume oder Felsblock niederlegen, um den Tod zu erwar - ten. Daſſelbe thun ſie im Alter, wenn ſie ſich krank fühlen. Bei der gehörigen Vorſicht kann das Auſſperren des Rachens und das drohende Zeigen der Zähne nur Schrecken erregen, aber keinen Schaden bringen, weil die Thiere viel zu ſchwerfällig ſind. Peron ſagt, daß die Engländer ſie blos deshalb erſtächen, damit das Blut auslaufe, weil dann der Thran beſſer werde. Man kann ſie durch einen einzigen Streich auf die Naſe tödten. Rohe, an die ſcheußlichen Metzeleien ge - wöhnte Matroſen laufen unbeſorgt zwiſchen den Herden umher und ſchlagen mit einem Knittel ein Stück nach dem anderen nieder.

Der Nutzen, welchen die Rüſſelrobbe dem Menſchen gewährt, iſt nicht unbeträchtlich. Das Fleiſch des Thieres iſt zwar nicht viel werth es iſt ſchwarz, thranig und ungenießbar allein ſchon das Herz, obwohl es hart und unverdaulich iſt, wird von den Matroſen gern gegeſſen und die Leber von dieſen nicht eben verwöhnten Leuten ſehr geſchätzt, wenngleich ihr Genuß immer eine unüberwindliche Schläfrigkeit veranlaßt, welche mehrere Stunden anhält. Ein wahrer Leckerbiſſen dagegen iſt die Zunge, zumal nachdem ſie eingeſalzen wurde. Das friſche Fett gilt in den Augen der Fiſcher als ein treffliches Heilmittel, und weil die Wunden, welche die Robben erleiden, erfahrungsmäßig ſehr ſchnell vernarben, wenden es die Leute hauptſächlich als Arznei gegen die Schnittwunden an. Die kurzhaarige, ſteife Haut kann zwar nicht als Pelzwerk gebraucht werden, dient aber vortrefflich als Ueberzug von großen Koffern und zu Pferde - und Kutſchengeſchirr, ſie würde aber noch viel größere Verwendung finden, wenn die größten Felle wegen der vielen Narben nicht auch die ſchlechteſten wären. Doch kommen Fleiſch und Haut kaum in Betracht: das Fett iſt die Hauptſache, ſowohl wegen ſeiner Menge, als der leichten Zubereitung des vortrefflichen Thraus halber. Ein großes Thier kann 14 bis 15 Centner davon liefern; denn die Speckſchicht unter der Haut iſt faſt einen Fuß dick. Sofort nach der Niedermetzelung der Seeelefanten machen ſich die Matroſen über die Abhäu - tung, ſchneiden mit breiten Meſſern das Fett in lange Streifen, zerkleinern dieſe dann in Würfel807Das Walroß.und ſchmelzen es in ungeheuren Keſſeln bei ſchwachem Feuer aus, bis der helle, geruchloſe, kurz, in jeder Hinſicht vortreffliche Thran in die bereit liegenden Tonnen gefaßt wird. Dieſe Arbeit geht ſo ſchnell von Statten, daß zehn Mann täglich, die auf die Jagd zu verwendende Zeit ungerechnet, dreißig Centner Thran herrichten können. Jn England bezahlt man die Gallone oder acht Pfund dieſes köſtlichen Fettes mit zwei Thalern unſeres Geldes. Dieſer zu allen Mühen der Jagd ganz unverhältnißmäßige Gewinn führt die Seeelefanten ihrem ſicheren Untergange entgegen. Die armen Thiere können ſich vor ihrem grauſamen Feinde nicht einmal in die unzugänglichen Theile des Meeres zurückziehen, wie die Walfiſche: ſie müſſen ausharren bis das letzte Stück der Vertilgungswuth des abſcheulichſten Raubthieres, Menſch genannt, erlegen ſein wird.

Die Robbenſchläger hauſen in fürchterlicher Weiſe unter den wehrloſen Geſchöpfen. Um zwölf Uhr Mittags, ſagt Corcal, ging ich mit vierzig Mann aus Land. Wir umringten die Meerwölfe und in einer halben Stunde hatten wir vierhundert von ihnen erſchlagen. Mortimers Leute tödteten binnen acht Tagen an zwölfhundert Robben; ſie hätten aber leicht einige Tauſend bekommen, wenn ſie die Schlächterei fortgeſetzt haben würden. Dieſe Angaben gelten für Jagden, welche Anfangs unſeres Jahrhunderts gemacht wurden. Gegenwärtig ſind die Thiere ſchon derart zuſammengeſchmolzen, daß ein Schiff recht froh iſt, wenn es auf ſeiner ganzen Reiſe ein - bis zweihundert Rüſſelrobben zuſammenbringt.

Jn verſchiedenen Gegenden des nördlichen Eismeeres und den mit ihm verbundenen Straßen, Golfen und Buchten findet ſich ein den Robben ſehr ähnliches, ungeheuerliches Seethier, welches man ſeines merkwürdigen Zahnbaues halber von jenen getrennt und zum Vertreter einer eigenen Familie erhoben hat: das Walroß (Trichechus Rosmarus).

Wenn es vollkommen erwachſen iſt, erreicht dieſes Thier eine Läuge von 18 bis 20 Fuß, bei einem Umfang über den Schultern von 10 bis 12 Fuß und einem Gewicht von 1500 bis 3000 Pfund; doch ſind dermalen ſo große und ſchwere Walroſſe bereits ſelten geworden: gewöhnlich fin - det man ſie nur von 10 bis 12 Fuß Länge und entſprechendem Umfang. Der langgeſtreckte Leib erreicht ſeine größte Dicke in der Mitte, wie bei dem Seehund, ſpitzt ſich aber nicht ſo ſtark nach hinten zu, als bei den Robben. Der Hals iſt kurz, mit dem Kopf von gleicher Dicke. Die Glied - maßen ragen wie große Lappen nach außen und unten aus dem Körper hervor, ſo daß ſowohl das Ellbogen - wie das Kniegelenk zu erkennen iſt. Alle Füße haben fünf Zehen und dieſe kurze, ſtumpfe Krallen, welche hinter jeder Zehenſpitze liegen. Der Schwanz erſcheint wie ein unbedeu - tender Hautlappen. Allein nicht der Leib, ſondern der Kopf kennzeichnet das Walroß. Er iſt ver - hältnißmäßig klein, rund und durch zwei kugelig aufgetriebene Zahnhöhlen am Oberkiefer unförmlich verdickt. Die Schnauze iſt ſehr kurz, breit und ſtumpf, die Oberlippe fleiſchig, nach beiden Seiten zu bogig, die untere Lippe dagegen iſt wulſtig. Zu beiden Seiten der Schnauze ſtehen elf bis zwölf Querreihen runder, abgeflachter, horniger Schnurrborſten, von denen die ſtärkſten Raben - kieldicke und zwei bis drei Zoll Länge haben. Von vorn nach rückwärts nehmen dieſe Borſten an Länge zu. Die Naſenlöcher ſind halbmondförmig, die weit zurückliegenden Augen klein, glän - zend, mit rundem Stern, durch vorragende Augenlider geſchützt. Die Ohren, denen jede äußere Muſchel fehlt, liegen weit hinten am Kopfe. Das Merkwürdigſte iſt das Gebiß. Am vor - deren Theile der Schnauze verdrängen zwei ungeheure, d. h. 24 bis 30 Zoll lange Eckzähne, welche weit aus dem Maule herausragen, die ſechs Vorder - und die zwei Eckzähne, welche ſehr junge Thiere hier tragen. Schon in den erſten Lebenstagen des Walroſſes fallen die unteren Schneidezähne aus, dann folgen die oberen, und nur die Eckzähne bilden ſich fort; denn auch im808Floſſenfüßer. Das Walroß.Unterkiefer wird der erſte bleibende Zahn als Eckzahn gedeutet, weil er durch ſeine Geſtaltung von den übrigen Backzähnen abweicht. Von letzteren beſitzt das junge Walroß ihrer fünf; in der oberen Reihe jedoch fallen die kleinſten, hinteren zeitig aus, und bei recht alten Thieren liegen an der Jnnenſeite des großen Stoßzahnes gewöhnlich nur noch zwei eigentliche Backzähne und der äußere in der Form übereinſtimmende Schneidezahn. Der Unterkiefer trägt in der Jugend vier Backzähne, von denen der letzte, kleinſte ebenfalls früher verſchwindet. Die Stoßzähne ſind anfangs hohl, füllen ſich aber bei zunehmendem Alter bis zur Wurzel aus. Sie krümmen ſich ge - wöhnlich nach außen und etwas nach innen. Die Wirbelſäule beſteht aus 7 ſehr beweglichen Hals - wirbeln, aus 14 Rücken -, 6 Lenden -, 4 Kreuzbein - und 8 bis 9 Schwanzwirbeln. Neun wahre

Das Walroß (Trichochus Rosmarus).

und fünf falſche Rippen umſchließen die Bruſt. Das Schulterblatt iſt ſchmal, die Arm - und Schenkelknochen aber ſind ſehr ſtark und kurz. Das Weibchen trägt vier Zitzen in den Weichen. Eine durchgehends zollſtarke, um den Hals aber noch dickere Haut, welche wenigſtens bei jüngeren Thieren überall behaart iſt, deckt den Leib. Das kürzere, gröbere und ſtraffere Haar der Ober - ſeite ſteht dichter, als das auf der Unterſeite. Wollhaare fehlen gänzlich, und alte Thiere verlieren auch den größten Theil ihrer Grannen. Jhre Haut iſt dann ſehr ſpärlich mit einzelnen Haaren beſtanden. Ganz junge Thiere ſehen ſchwarz aus; ihre Färbung geht aber nach und nach durch braun und röthlich ius Gelbliche oder Grauliche über, bis die lichte, faſt weiße Farbe der Alten erreicht iſt.

809Das Walroß.

Das Walroß bewohnt noch heutigen Tages viele und zwar ſehr verſchiedene Theile des oben - genannten Meeres. Sein Verbreitungskreis zerfällt in eine öſtliche und weſtliche Hälfte. Jm Oſten findet man es hauptſächlich im Behringsmeer und längs der amerikaniſchen Küſte bis zur Walroß - bank hinab. An der aſiatiſchen Küſte kommt es ſchon unter dem 60. Grad nördlicher Breite nicht mehr vor. Die öſtliche Grenze des weſtlichen Verbreitungskreiſes wird durch die Mündung des Jeniſei gebildet. Vonhieraus findet es ſich an geeigneten Orten überall, insbeſondere um Nowaja - Semlja, Spitzbergen, auf den großen Eisfeldern zwiſchen dieſer Jnſel und Grönland, längs der Oſtküſte des nördlichſten Amerika und in den großen, hier eingebuchteten Waſſerbecken, z. B. der Baffins - und Hudſonsbai, bis nach Labrador hinab. Es bevorzugt Meeresſtellen, in denen das Waſſer nur eine ſehr geringe Wärme beſitzt, und ſcheint alle durch den lauen Golfſtrom erwärmten Stellen zu meiden. Wenn das Eis zu ſchmelzen beginnt, zieht es ſich ſogar regel - mäßig nach nördlicheren und bezüglich kälteren Gegenden zurück. Jn früheren Zeiten reichte es allerdings ſüdlicher und kam auch zuweilen an den weſteuropäiſchen Küſten, namentlich in Finn - marken und in der Nähe der Orkneyinſel vor. Seit ein paar hundert Jahren hat man kein ein - ziges mehr dort geſehen.

Jn vergangenen Jahrhunderten war das Thier ungleich häufiger, als jetzt. Alte Schiffer berichten von ungemein ſtarken Herden, welche ſie ſahen. Sie verſichern, daß ſich ihrer ſechs - bis achttauſend Stück in einem geringen Umkreis verſammelt hatten. Noch am Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts konnte die Mannſchaft eines Schiffes in einem Zeitraume von ſieben Stunden ihrer neunhundert Stück tödten, und zwar in dem europäiſchen Eismeere.

Wir beſitzen ziemlich ausführliche Berichte über das Walroß; denn ſchon die älteren Naturbe - ſchreiber erwähnen des ſo auffallenden Geſchöpfes. Bereits Albertus Magnus gibt eine mit vielen Sagen und Märchen gewürzte Beſchreibung, welcher dreißig Jahre ſpäter Olaus Magnus, der oft erwähnte norwegiſche Biſchof, kaum noch Etwas zuzufügen weiß. Der Erſtere ſagt, daß in den nordiſchen Meeren ein großer Walfiſchelefant lebe, welcher 2 bis 3 Fuß lange, nach unten gerichtete Hauzähne habe, mit denen er ſich an die Felſen hänge, um ſich empor zu helfen, und welche er auch zum Kampfe zu benutzen wiſſe. Die Fiſcher nähern ſich dem ſchlafenden Thiere, löſen am Schwanze das Fell vom Speck ab, ſtecken ein Seil durch, binden dieſes an einen Felſen oder Stein und werfen nun mit Steinen nach dem Thiere. Wenn es entfliehen will, zieht es das Fell über Schnauze und Kopf und läßt es liegen, ſtürzt ins Meer, wo es bald ſchwach und halb leblos ge - funden wird. Aus ſeinem Leder verfertigt man Riemen, welche auf dem Markte zu Cöln beſtän - dig zu verkaufen ſind. Olaus Magnus gibt dem Walroß bereits den noch heute giltigen Namen Mors und erzählt, daß es mit ſeinen Zähnen auf die Gipfel der Felſen wie auf einer Leiter emporſteige und ſich von der Höhe wieder ins Meer wälze, falls es nicht, vom Schlafe überraſcht, an den Felſen hängen bleibe. Ein Biſchof von Drontheim ließ den Kopf eines Wal - roſſes einſalzen und ſandte ihn im Jahre 1520 an den Papſt Leo X. nach Rom. Dieſer Kopf wurde in Straßburg abgebildet, und der alte Geßner hat nach ihm eine ziemlich richtige Beſchrei - bung geliefert. Jnzwiſchen gab auch ein Ruſſe und der Freiherr von Herberſtain, welcher zu Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts kaiſerlicher Geſandter in Moskau war, eine leidliche Beſchrei - bung. Sie erwähnen z. B. ſchon, daß die Walroßherden Wachen ausſtellen, daß die Thiere ihrer Zähne wegen verfolgt werden und daß aus dieſen Zähnen die Türken, Tartaren und Ruſſen ge - ſchätzte Degen - und Dolchhefte verfertigen. Endlich gibt Martens aus Hamburg, welcher Ende des 17. Jahrhunderts das Walroß im Eismeere ſelbſt zu ſehen bekam, einen recht guten und aus - führlichen Bericht, und von nun an mehren ſich die Beſchreibungen und vervollſtändigt ſich unſere Kenntniß des Thieres durch die genauen Schilderungen der Lebensweiſe und der Jagdarten, welche wir den berühmten Forſchern Scoresby, Cook, Parry und Kane verdanken. Eine Zuſammen - ſtellung der verſchiedenen Angaben ergibt etwa Folgendes:

810Floſſenfüßer. Das Walroß.

Das Walroß ähnelt in ſeinem Leibesbau noch vielfach den Robben. Wie dieſes iſt es geſellig und vereinigt ſich oft zu auſehnlichen Scharen. Es lebt während ſeines Wachſeins ausſchließlich im Waſſer, ſteigt aber zum Schlafen und Ruhen auf flache Küſten und Eisſchollen, und bewohnt ſolche während der Paarung und zur Zeit des Wurfes mehrere Tage lang hinter einander. Auf dem Treibeis ſieht man Herden bis zu zweihundert Stück lagern, d. h. entweder auf der Seite liegen oder ſitzen, indem ſie ſich auf die Vorderbeine ſtützen. Jm Meere ſchwimmt das Thier mit großer Schnelligkeit und Leichtigkeit; auf dem Lande ſind ſeine Bewegungen ſchwerfällig und unbe - holfen. Es geht, indem es den ſchweren Leib abwechſelnd zuſammenzieht und ausſtreckt oder nach dieſer und jener Seite wendet. Bei dieſer Bewegung leiſten ihm ſeine Hauzähne die beſten Dienſte; höhere Berge oder Eisberge erklettert es nur mit ihrer Hilfe. Es hakt ſich mit ihnen in Klüfte und Spalten ein, haut mit ihnen Löcher in das Eis, hakt ſich feſt und zieht nun den ſchweren Leib ſoweit als möglich zuſammen, greift wieder mit den Zähnen ein, zieht ſich weiter vorwärts und gelangt ſo endlich zur auserleſenen Stelle, wo es ruhen oder ſchlafen will. Zu - weilen will es ſich mit Hilfe der Hauzähne einen Weg mitten durch das Treibeis bahnen; bei dieſer Arbeit beſchädigt es ſich aber die Zähne oft derartig, daß ſie, wenn ſie nicht ganz verloren gehen, wenigſtens den größten Theil ihrer Schönheit verlieren. Von abſchüſſigen Stellen ſoll es ſich, wenn der Hunger es anſtrengt, in das Meer hinabrollen; von ſanften Küſten gleitet es langſam dem Waſſer zu. Es wird behauptet, daß Walroſſe zuweilen vierzehn Tage lang in trä - ger Ruhe auf dem Lande verweilen, ohne einen Biſſen Nahrung zu ſich zu nehmen. Dieſe Angabe bedarf wohl der Beſtätigung; ſoviel aber iſt ſicher, daß der Schlaf des Thieres ein ſehr geſunder und tiefer iſt. Häufig genug hat man im Waſſer ſchlafende Walroſſe für todte gehalten, ſo regungslos waren ſie. Das laute Schnarchen einer Herde vernimmt man oft aus ziemlich weiter Entfernung.

Allerlei kleinere Seethiere, namentlich Krabben, Krebſe und Weichthiere, dienen dem Walroß zur Nahrung. Mit Hilfe ſeiner Hauzähne reißt es die an den Felſen hängenden Muſcheln und be - züglich Tange ab und verſchlingt viele von dieſen mit der thieriſchen Nahrung, auf welche es eigentlich ausgeht. Scoresby ſand in ſeinem Magen außer Krabben und Krebſen auch die Ueber - reſte von jungen Seehunden; andere Berichterſtatter bemerkten hier Steine und Rollſtückchen. Der Miſt gleicht dem der Pferde und wird von der Bürgermeiſtermöve gern gefreſſen.

Solange das Walroß nicht gereizt wird, iſt es überaus träge und gleichgiltig. Jn Gegenden, wo es den Menſchen noch nicht kennen gelernt hat, läßt es ein Bot nahe an ſich herankommen, ohne ſich zu rühren. Einige Glieder der Herde ſind aber immer wach, und machen dann durch ein furchtbares Gebrüll die übrigen auf eine ſich nahende Gefahr aufmerkſam. Die Stimme ähnelt bald dem Blöcken einer Kuh, bald dem Bellen des Hundes, bald iſt ſie ein weit hörbares, fürchter - liches Gebrüll, welches einige Aehnlichkeit mit dem Wiehern der Pferde hat. Man hört ſie ſoweit, daß Kapitän Cook und ſeine Leute bei Nacht und Nebel durch ſie ſchon von weitem auf die Nähe des Eiſes aufmerkſam gemacht werden konnten. Schießt man auf Walroſſe, welche noch nie verfolgt wurden, ſo ſehen ſie ſich blos überraſcht um, legen ſich aber bald wieder zur Nuhe nieder. Nicht einmal ein Kanonenſchuß ſtört ſie; denn das Knallen ſind ſie gewöhnt in den nördlichen Meeren, wo das Eis unter donnerähnlichem Getöſe oft auf große Strecken hin berſtet. Ferne Schiffe erregen, ſolange nicht einige der wachenden Thiere verwundet, kaum die Aufmerkſamkeit der Herde. Anders betragen ſie ſich da, wo ſie ihren Hauptfeind, den Menſchen, ſchon kennen gelernt haben.

Das Walroß, ſagt Scoresby, iſt ein unerſchrockenes Thier. Ein Bot, welches ſich ihm nähert, betrachtet es neugierig, aber nicht furchtſam. Nicht immer kann der Fang im Waſſer ohne Gefahr ausgeführt werden. Der Angriff auf ein einziges zieht gewöhnlich alle übrigen zur Ver - theidigung herbei. Jn ſolchen Fällen verſammeln ſie ſich rund um das Bot, von welchem der An - griff geſchah, durchbohren ſeine Planken mit ihren Hauzähnen, heben ſich bisweilen, wenn man ihnen auch noch ſo nachdrücklich widerſteht, bis auf den Rand des Botes empor, und drohen, es um -811Das Walroß.zuwerfen. Die beſte Vertheidigung in ſolcher Gefahr iſt Seeſand, welchen man den wüthenden Thieren in die Augen wirft; er nöthigt ſie gewiß, ſich zu entfernen, während man die Büchſe oft vergeblich gebraucht. Mein Vater erlegte einmal ein Walroß mit einer Lanze, auf welches er vorher mit der Büchſe geſchoſſen hatte. Nachdem er den Kopf, den die Kugel getroffen hatte, unter - ſuchte, fand er, daß ſie bis auf den Schädel gedrungen war, ſich aber hier platt geſchlagen hatte.

Schon der alte Martens weiß von dem Muthe der Walroſſe zu erzählen und ſagt, daß ſie einander bis in den Tod beiſtehen. Wird eins gefangen, ſo will jedes vor dem anderen an der Schaluppe ſein, um es zu retten; dabei geht es an ein Beißen, Klappern und ſchreckliches Brüllen. Sie weichen auch nicht, ſolange es lebt, und folgen der Schaluppe, bis man ſie endlich aus dem Geſicht verliert; denn wegen ihrer Menge hindern ſie einander, beißen ſich auch wohl und bleiben zurück.

Die Seefahrer verſichern, daß jedes Männchen mit einem beſtimmten Weibchen verbunden wäre und dieſes treu begleite. Jm Juni und Juli findet auf dem Lande die Paarung ſtatt. Die Männ - chen beſtehen heftige Kämpfe unter einander und reißen ſich mit ihren Zähnen gegenſeitig tiefe Schrammen in das Fell, woher es kommt, daß man ſelten eins ohne die Narben ſolcher Wunden findet. Solange ſie liebeserregt ſind, brüllen und toben ſie beſtändig. Jm Mai, oft ſchon im April, alſo nach etwa neunmonatlicher Tragzeit, wirft das Weibchen ein Junges; wenigſtens be - merkten die neueren Beobachter niemals deren zwei oder gar drei bei einer Mutter, wie die älteren angegeben. Alle Seefahrer ſind darin einſtimmig, daß die Mutter ihr Junges aufs äußerſte und mit Gefahr ihres eigenen Lebens vertheidigt, im Waſſer ſowohl, wie auf dem Eiſe. Sobald ſich Gefahr zeigt, ſtürzt die beſorgte Alte mit ihrem Jungen in die offene See. Sie packt das Kleine mit der Vorderfloſſe oder trägt es auf dem Rücken. Erlegt man die Mutter, ſo ergibt ſich das Junge widerſtandslos ſeinen Feinden; erlegt man aber das Junge zuerſt, ſo hat man noch harte Kämpfe zu beſtehen. Selbſt wenn die Herde flüchten ſollte, tauchen die Alten von Zeit zu Zeit unter fürchterlichem Gebrüll aus der Tiefe auf, ſchwimmen nach ihren erſchoſſenen und auf dem Waſſer treibenden Jungen hin, erfaſſen ſie und tauchen mit ihnen wieder in die Tiefe nieder; ſie nehmen ſolche Leichname ſogar den Matroſen weg, in dem Augenblick, wo dieſe beſchäf - tigt ſind, ſie in das Bot zu ziehen. Ein dem Jäger einmal entriſſenes junges Walroß iſt ver - loren, wenn die Mutter nicht auch getödtet wird; denn dieſe ſchleppt es meilenweit fort, auch über das Eis. Schwerverwundete werden von geſunden geleitet und fortgeſchafft; letztere bewei - ſen dabei großen Verſtand, indem ſie ihre unzurechnungsfähigen Gefährten abwechſelnd zum Athem - holen aus dem Waſſer emporheben und wieder in der ſicheren Tiefe verſenken.

Ungeachtet aller Gefahren, welche die Walroßjagd im Gefolge hat, verringert der Menſch die Herden von Jahr zu Jahr; denn der Nutzen des erlegten Thieres iſt ſehr bedeutend. Aus den Hauzähnen, welche hart, weiß und ſo dicht wie Elfenbein ſind, ſchneidet man falſche Zähne, welche ihrer Güte halber hoch geſchätzt ſind. Die Haut wird als Ueberzug bei den Segelſtangen und den Tauen der Schiffe angewandt oder in Riemen geſchnitten und zu Seilen geflochten. Jn älteren Zeiten wurden faſt alle Taue auf den Schiffen der nördlichen Länder nur aus dieſer Haut gefertigt. Durch Gerben läßt ſie ſich in ein weiches, lockeres Leder verwandeln, welches zuweilen über einen Zoll dick, jedoch bei weitem nicht ſo nützlich und dauerhaft, als die Rohhaut iſt. Die Koräken fertigen, wie Steller berichtet, Walfiſchnetze aus der Haut, die Tſchuktſchen gebrauchen ſie zur Bedeckung ihrer Sommerwohnungen oder zur Bekleidung ihrer Kähne, welche ſonſt nur noch aus dem Holzgerüſt beſtehen. Auch das Fleiſch wird gegeſſen, wenn auch nur von Denen, welche erſt den Ekel vor deſſen ſchwarzer Farbe überwunden haben; dagegen ſind Herz und Leber wirklich ſchmackhaft. Der Speck kann zur Fettigung von Speiſen verwendet oder in Lampen ge - brannt werden. Aus den Sehnen machen die Grönländer ſich Faden zum Nähen u. ſ. w. Die bei - den Hauzähne ſind aber immer das Werthvollſte: man gewinnt aus ihrem Verkauf ebenſoviel, als durch Verwerthung des Speckes und der Haut zuſammen.

812Floſſenfüßer. Das Walroß.

Auf dem Lande erlegt man die Walroſſe mit Lanzen oder Keulen, im Meere harpunirt man ſie. Hierbei zeichnen ſich namentlich die Eskimos durch großen Muth und Geſchicklichkeit aus. Sie nähern ſich der Stelle, wo ein Walroß tauchte, erwarten es, wenn es wieder emporkommt, um Luft zu ſchöpfen, werfen ihre Harpune und ſchlagen das Ende der Leine um einen Pflock, den ſie in ihrem Bote befeſtigt oder in das Eis geſchlagen haben; dann tödten ſie nach und nach das angeheftete Thier durch Lanzenſtiche. Hier und da richtet man Hunde für die Jagd ab, ſucht mit ihrer Hilfe einzelne Morſe von dem großen Haufen zu trennen und fällt dann gemeinſchaftlich über ſie her. Gar nicht ſelten gleitet die Wurflanze von dem glatten Felle ab, und ebenſo häufig verſagt das Feuergewehr ſeine Dienſte. Die Aleuten begeben ſich alljährlich in Menge an die nördliche Küſte der Halbinſel Aljaska, ſuchen, mit Spießen und ſchweren Aexten bewaffnet, die gelagerten Thiere zu umgehen, ſtürzen dann plötzlich unter heftigem Geſchrei auf ſie los und bemühen ſich, ihr Wild in das Jnnere des Landes zu treiben. Gelingt es einem Walroß, die Jägerlinie zu durchbrechen und dem Waſſer zuzueilen, ſo ſtürzen ſich alle übrigen dem einen nach, und mit der Jagd iſt es vorbei. Unter allen Umſtänden bleibt es ein gefährliches Wagſtück, ſich mit den Wal - roſſen in einen Kampf einzulaſſen; denn mit der Gefahr ſteigert ſich der Muth und die Rachſucht dieſer Thiere, und gar viele Jäger haben ſchon durch ſie ihr Leben verloren. Kapitän Beezhey erzählt, daß eine Walroßſchar, welche ſeine Leute ins Waſſer jagten und dort verfolgten, ſich plötzlich gegen die Kähne wandte, Arthiebe und Lanzenſtiche nicht achtete und erſt nachließ, als der Anführer durch einen Schuß in den Rachen getödtet war. Der Anblick der wüthenden See - thiere ſoll fürchterlich ſein. Jhr ſteifer Hals verwehrt es ihnen, ſich mit Leichtigkeit umzuſchauen, aber die Beweglichkeit ihrer Augen erſetzt dieſen Mangel, und ſie verdrehen letztere ſo arg, daß ihr Blick dadurch etwas ungemein Abſchreckendes erhält. Beim Aufwachen richtet das Walroß ſich in die Höhe, ſtellt ſich auf die Vorderfüße, brüllt und ſchlägt wüthend mit den Zähnen in das Eis. Die Harpune muß viel ſtärker ſein, als diejenige, mit welcher man den Walfiſch anwirft.

Dem getödteten Walroß haut man den Kopf ab und nimmt die Zähne heraus; den Rumpf läßt man gewöhnlich ſchwimmen. Seltener zieht man die Haut ab, und erſt in der Neuzeit ſie - det man auch den Speck aus. Während der Zeit des Walfiſchfanges jagt man nie auf Walroſſe; man beginnt erſt mit der Verfolgung der letzteren, wenn man keine Hoffnung mehr hat, Wale zu erhalten. Jm ganzen ſoll der Gewinn beim Walroßfang gering ſein und in keinem Verhältniß mit den Gefahren ſtehen, welchen ſich die Jäger ausſetzen.

Der Name Mors ſoll lappländiſchen Urſprungs ſein. Die Grönländer nennen unſer Thier Aueck oder Anack, die Ruſſen an der Mündung des Ob Diud, die engliſchen Schiffer Walruß oder Horſewhale, auch wohl Seahorſe. Bei den Angelſachſen hieß das Thier Horſewhal, bei den alten Norwegern Roßmar.

Meines Wiſſens hat man nur ein Mal ein Walroß lebend nach Europa gebracht. Der Kapitän Henry befehligte im Jahre 1853 ein Schiff, welches zur Robbenſchlägerei an die Küſten von Spitzbergen und in die nachbarſchaftlichen Meere geſandt wurde. Bei dieſer Gelegenheit ge - lang es, ein junges Walroß zu fangen. Dieſes Thier hielt, ungeachtet der ihm keineswegs zu - ſagenden Nahrung, welche man ihm reichen konnte, die Gefangenſchaft gegen neun Wochen aus. Bei der Ankunft des Schiffes in London war das Thier freilich dem Ende nahe, und am dritten Tage, an dem der Thiergarten es aufnahm, gab es ſeinen Geiſt auf. Dieſes Walroß hat dem ſchon mehrmals genannten, ausgezeichneten Künſtler J. Wolf als Vorwurf gedient, und ſeinen Zeichnungen verdanken auch wir das treffliche und naturgetreue Bild, welches wir gegeben haben.

813Die Sirenen.

Funfzehnte Ordnung. Die Sirenen (Sirenia).

Wer bei den Sirenen der Thierkundigen an jene Märchengeſtalten des Alterthums denken will, welche, halb Weib, halb Fiſch, die kryſtallenen Wogen des Meeres bewohnen und den armen Erdenſohn durch wunderbaren Geſang und noch wunderbarere Geberden, durch Neigen des Haup - tes und glühende Blicke der Augen einladen, zu ihnen hinabzuſteigen, mit ihnen zu ſpielen, zu koſen und zu verderben: der wird ſich freilich irren. Die Naturforſcher haben bei unſeren Sirenen wieder einmal ihre Vorliebe für dichteriſche Namen bewieſen, ohne der Dichtung ſelbſt gerecht geworden zu ſein. Der Name Sirenen paßt auf die zu ſchildernden Meerbewohner un - gefähr ebenſogut, wie der jener griechiſchen Baumnymphe Hamadryas auf einen der ſonder - barſten und wahrlich nur im Sinne eines Naturforſchers ſchönen Affen. Wenn ich ſage, daß die Sirenen auch Seekühe genannt werden, dürfte jede etwa ſich geltend machende dich - teriſche Erregung meiner Leſer ſchon etwas abgekühlt werden, und ein Blick auf unſere weiter unten folgende Abbildung wird die beſchäftigte Einbildungskraft wohl vollends in die rechten Schranken weiſen.

Unſere Sirenen oder Seekühe ſtehen ſo recht eigentlich zwiſchen den Seehunden und Walen in der Mitte: ſie verbinden die beiden genannten Ordnungen. Einige Naturforſcher haben ſie den letzteren als beſondere Abtheilung oder Familie zugezählt; die Unterſchiede zwiſchen ihnen und den eigentlichen Walen ſind aber ſo groß, daß ſich eine ganz abgeſonderte Stellung der Si - renen wohl rechtfertigt.

Die Ordnung in unſerem Sinne iſt arm; man kennt mit Sicherheit nur fünf Mitglieder. Alle hierher gehörigen Thiere haben einen Leib, an welchem ſich die Fiſchähnlichkeit mit der eines Dick - häuters und vorzugsweiſe des Nilpferdes zu ſtreiten ſcheint. Blos zwei und zwar die vorderen Gliedmaßen ſind noch vorhanden; aber ſie ſind bereits zu echten Floſſenbeinen geworden. Jhre Zehen umhüllt die allgemeine Körperhaut ſo vollſtändig, daß alle Beweglichkeit der einzelnen Glieder aufge - hoben wird. Nur ausnahmsweiſe deuten Spuren von Nägeln, welche ſich finden, noch äußerlich auf die innere Trennung der Hand. Der Schwanz, welcher zugleich die Hinterglieder mit vertritt, endet in eine Finne. Ein kleiner Kopf mit dickwulſtiger Schnauze und die ſpärliche, kurze und bor - ſtenartige Behaarung kennzeichnen die Sirene noch anderweitig. Mit dem ſchönen Leib des Menſchen - weibes haben ſie, die plumpen, ungeſchlachten Thiere, nur inſofern Etwas gemein, als die Zitzen auch bei ihnen an der Bruſt (zwiſchen den Vorderfloſſen) liegen und mehr brüſteartig hervortreten, als bei anderen Säugern. Es gehört ſehr lebhafte und ungezügelte Einbildungskraft dazu, in dieſen Thieren, ſelbſt wenn ſie auch in weiter Ferne ſich zeigen ſollten, Seejungſrauen zu erblicken. Gleichwohl dürfte nicht zu bezweifeln ſein, daß wenigſtens einer von ihnen, wahrſcheinlich der indiſche Dujong, zur Grundlage der Sage geworden iſt; ihn wenigſtens konnten die Alten leichter beobachten, als die See - hunde, welche man gemeiniglich als die Urbilder jener Märchengeſtalten angeſehen hat.

Unſere Ordnung zerfällt in zwei Familien, von denen die eine die eigentlichen Sirenen oder Lamantine und die andere die Borkenthiere oder Seekühe umfaßt. Freilich iſt dabei zu bemerken, daß die Seekuh oder das Borkenthier denn man kennt nuk eine einzige Art dieſer Fa - milie heutigen Tags unter den lebenden Thieren nicht mehr aufgeführt werden darf.

Die eigentlichen Sirenen (Manati) laſſen ſich daran erkennen, daß ihre Kiefern gezähnt ſind, während das jedenfalls ſchon ausgeſtorbene Borkenthier anſtatt der Zähne nur eine hornartige Kau -814Die Sirenen.platte an der Junenſeite des Unterkiefers und am Gaumen beſaß. Hinſichtlich des innern Knochen - baues ähneln die erſteren noch immer den höheren Säugethieren. Jhre 7 Halswirbel ſind noch ſämmtlich beweglich; auf ſie folgen 17 bis 18 Nückenwirbel, 3 Lenden - und mehr als 20 Schwanz - wirbel. Das Schulterblatt iſt ſtark, der Arm und die Hände noch vollkommen ausgebildet. Jm Ge - biß fehlen die Eck - und meiſt auch die Schneidezähne; die Backenzähne ſind verſchiedenartig geſtaltet, durchſchnittlich aber ſehr einfach und ſtumpf.

Seichte Ufer und Meerbuchten heißer Länder, Flußmündungen und die Ströme ſelbſt, zumal deren Untiefen, ſind die Wohnſitze und Aufenthaltsorte der Sirenen. Jn dem gemäßigten Gürtel ſcheinen ſie nur ausnahmsweiſe vorzukommen; doch können wir hierüber nichts Sicheres ſagen, weil ſie der Beobachtung ſehr entzogen ſind. Dagegen wiſſen wir, daß ihr Aufenthalt nicht immer der - ſelbe iſt; ſie wandern oft viele Meilen weit, unter anderem auch bis tief in das Jnnere der Länder, bis in Seen, welche mit großen Flüſſen in Verbindung ſtehen. Man trifft ſie entweder paarweiſe oder in kleinen Geſellſchaften an; doch wird behauptet, daß ſie in ſtrenger Ehe leben und ein Männ - chen ſich immer mit ſeinem Weibchen zuſammenhalte. Sie ſind ſchon weit mehr Seethiere als die Robben; denn nur ſehr ausnahmsweiſe ſchieben ſie zuweilen ihren maſſigen Leib über den Saum des Waſſerſpiegels heraus. Die Gewandtheit anderer Seeſäugethiere geht ihnen ab; ſie ſchwimmen und tauchen zwar vortrefflich, meiden aber doch größere Tiefen, wahrſcheinlich weil ſie zu abwechſelndem Auf - und Niederſteigen zu unbeholfen ſind. Schwimmend erheben ſie oft den Kopf und einen Theil des Oberleibes über den Waſſerſpiegel, wie die märchenhaften Seejungfern es gethan. Auf trockenem Lande ſchleppen ſie ſich mit der allergrößten Anſtrengung kurze Strecken dahin; ihre Floſſenbeine ſind viel zu ſchwach, um die Maſſe des Körpers zu bewältigen, und dieſer beſitzt auch nicht die Biegſam - keit des Seehundleibes, welcher, wie wir ſahen, ein Fortgleiten ermöglicht.

Seepflanzen, Tange und Gräſer, welche in Untiefen oder hart am Ufer wachſen, ſowie verſchie - dene Waſſerpflanzen, welche auf ſeichten Stellen der Flüſſe wuchern, bilden die ausſchließliche Nah - rung der Sirenen: ſie und das Borkenthier ſind alſo die einzigen Seeſäugethiere, welche Pflanzen - nahrung verzehren. Jhre Weide mähen ſie mit den dicken Lippen ab und ſchlingen, wie das Nilpferd, ganze Mengen auf ein Mal in den weiten Schlund hinab. Ungeheuer und ganz unjungferlich unbe - ſcheiden iſt ihre Gefräßigkeit. Sie treibt die Seeweiber an, ſaftige Gräſer, welche außerhalb des Waſſers am Uferrande der Flüſſe ſtehen, abzuweiden; ſie wird oft auch zum Verräther der Thiere, weil die Loſung, in Form und Ausſehen dem Rindermiſt ähnelnd, da, wo ſich Sirenen aufhalten, in großer Menge die Oberfläche des Waſſers bedeckt.

Wie alle gefräßigen Geſchöpfe ſind auch die Sirenen träge, ſtumpfſinnige und ſchwachgeiſtige Weſen. Man nennt ſie friedlich und harmlos und will damit ſagen, daß ſie Nichts weiter thun, als freſſen und ruhen. Weder furchtſam noch kühn leben ſie mit allen übrigen Thieren im Frieden; ſie bekümmern ſich überhaupt um Nichts weiter, als um ihre Nahrung. Jhr Verſtand iſt außer - ordentlich gering; an dem wirklichen Vorhandenſein deſſelben darf aber nicht gezweifelt werden. Beide Geſchlechter zeigen eine große Aehnlichkeit an einander und ſuchen ſich gegenſeitig zu vertheidigen und zu ſchützen. Die Mütter pflegen ihre Kinder mit viel Liebe und Sorgfalt und tragen ſie ſogar, was kaum möglich ſcheint, wie Menſchenweiber an der Bruſt, während ſie ſäugen. Eine ihrer Finnen muß den Arm vertreten; mit ihr drücken ſie die Kleinen gegen ihren dicken Leib. Bei Gefahr oder im Schmerz entrollen ihren Augen Thränen; gleichwohl würde es gewagt ſein, von dieſen Thränen auf eine beſondere Empfindſamkeit der Seele zu ſchließen. Die Thränen unſerer Sirenen haben mit jenen der Heldinnen des Märchens keine Aehnlichkeit: ſie ſind bedeutungslos. Auch die Stimme der Manaten erinnert durchaus nicht an den Geſang der Meerweiber; ſie beſteht nur in einem ſchwachen, dumpfen Stöhnen. Während des Athmens vernimmt man auch noch ein heftiges Schnauben.

Wirklich auffallend iſt, daß dieſe Geſchöpfe die Gefangenſchaft ertragen können; ſie ſollen ſogar einen ziemlich hohen Grad von Zähmung annehmen.

815Der Dujong.

Das Fleiſch und der Speck, die Haut und die größeren Zähne finden Verwendung; von einem anderen Nutzen wird Nichts berichtet.

Unzweifelhaft war es der Dujong (Halicore cetaeea), welcher zu der Sage von den Sirenen Veranlaſſung gab; denn, wie bekannt, wurden nur die Meere, in denen er ſich aufhält, von den Alten beſucht, und ſomit konnte nur er beobachtet worden ſein. Es iſt möglich, aber nicht wahr - ſcheinlich, daß der Tachaſch des bibliſchen Urtextes, mit deſſen Fell die Jſraeliten ihre Bundes - lade bekleideten, unſer Dujong war, obgleich nicht recht einzuſehen iſt, wie die Sprachforſcher gerade auf ein Thier gefallen ſind, deſſen Fell keineswegs beſonders zweckdienliche Eigenſchaften für jene Verwendung darbietet. Luther überſetzt das betreffende Wort mit Dachs , Andere geben es mit Seebund wieder; mich läßt es, offen geſtanden, ſehr gleichgiltig, ob Luther und die Uebrigen

Der Dujong (Halleore cetacea)

oder ob jene neueren Sprachforſcher, welche auf unſere Sirenen fielen, Recht haben. Uebrigens ſcheint es ſonderbar genug, daß uns von den alten Schriftſtellern keine nur einigermaßen zufriedenſtellende Beſchreibung der Urbilder ihrer Märchengeſtalten hinterlaſſen worden iſt.

Den Chineſen und Arabern war der Dujong ſeit vielen Jahrhunderten bekannt; wir dagegen erhielten durch europäiſche Gelehrte erſt zu Anfang des vorigen Jahrhunderts Nachrichten über ihn. Dampier ſagt in ſeiner 1702 erſchienenen Reiſebeſchreibung, daß er nicht blos in Amerika, ſondern auch in der Nähe der Philippinen Manaten geſehen habe, und Kolbe ſpricht von einem Seelöwen, welcher recht gut eine Sirene ſein kann:

Solange ich auf der See gefahren , ſagt er, habe ich nie das Glück gehabt, einen Meer - löwen zu ſehen. Es hat ſich am Ende des Jahres 1707 gefüget, daß einer in die Tafel-Bay ge - kommen, welcher auf dem Waſſer lange Zeit geſpielet und endlich ſich gar auf eine Klippe gelegt hat, um daſelbſt nach abgelaufenem Waſſer ſich im Sonnenſchein zu ergötzen. So lange er noch Waſſer816Die Sirenen. Der Dujong.hatte, durfte ſich Niemand hinzuwagen, um ihn in der Nähe zu ſchauen, theils weil man beſorgen mußte, er möchte Einem entweder Arme und Beine abbeißen oder ſie mit ſeinem ſtarken Schwanz in Stücke ſchlagen, theils aber weil der damalige geizige Statthalter denſelben todt ſchießen laſſen wollte, was auch wirklich geſchehen iſt, indem drei Flinten aus einer Schaluppe auf ihn losgebrannt wurden. Er machte jedoch ziemlich Poſſen, ehe er ſich zu Tode geblutet, und machte das Bot eine Zeit lang weichen.

Dieſer Meerlöwe ſah zwar einem Löwen ziemlich gleich, außer daß er keine Haare hatte; an den übrigen Theilen aber wollte ſich die Gleichheit gar nicht finden, denn obwohl ſeine Haut etwas dunkelgelb ſich zeigte, war ſie doch von Haaren, ja ſelbſt von allen Schuppen entblößt. Seine Füße, deren er nur zwei hatte, waren ſehr kurz und dabei ſo ungelenk, daß ſie ihm freilich beſſer zum Schwimmen als zum Gehen dienten. Es waren keine Klauen oder Finger daran, ſondern ſie endigten breit, als eine Schaufel, oder beſſer, wie ein Entenfuß. Anſtatt der Hinterfüße hatte er breite und dicke Floſſen. Sein Rücken war erhaben, wie ein Buckel, was aber von ſeiner Lage auf dem dicken und fetten Bauche möchte verurſacht ſein. Er lief hinten vollkommen ſpitzig zu, wie andere Fiſche, und hatte daſelbſt einen ganz breiten Schwanz, der beinahe wie ein Halbmond gebildet war. Er war über 15 Schuh lang und hatte reichlich ſo viel im Umfang. Aus ſeinem Speck wurden etliche Tonnen Thran gebrannt. Seine Zunge beſtand aus lauter Fett und hatte über 50 Pfund gewogen.

Dieſe Beſchreibung könnte höchſtens noch auf den wirklichen Seelöwen gedeutet werden; allein die haarloſe Haut und der halbmondförmig ausgeſchnittene Schwanz ſprechen weniger für ihn, als für unſere Sirene.

Nach Kolbe erzählt Barchewitz, daß man vor ſeinem Hauſe auf den Philippinen oft Meerkühe ſah, welche grünes Mos am Strande fraßen. Ein auf ſeine Anordnung getödtetes Weibchen führte auch das Verderben des Männchens herbei, welches kam, um jenes zu ſuchen, und gleichfalls getödtet wurde. Jeder dieſer Fiſche war über ſechs Ellen lang.

Erſt den Naturforſchern unſeres Jahrhunderts war es vorbehalten, Genaueres feſtzuſtellen. Die Franzoſen Diard und Duvaucel waren die erſten, welche einen Dujong zerlegten; Quoy und Gaimard lieferten die erſte gute Abbildung, und Rüppell, welcher dieſelbe Sirene im rothen Meer auffand, theilt Einiges über ihre Lebensweiſe mit. So ſind wir jetzt im Stande, eine, wenn auch immer noch ſehr unvollkommene, Beſchreibung unſeres Thieres zu geben.

Wenn man feſtſtellt, daß die Schwanzfloſſe des Dujong wagrecht geſtellt und halbmondförmig tief ausgerundet iſt, wird man ihn nie mit ſeinen einzigen Verwandten, den Lamantinen oder Ma - naten, verwechſeln können. Um Genaueres anzugeben, füge ich dieſer übrigens vollkommen aus - reichenden Beſchreibung hinzu, daß die Seemaid bis auf den Kopf, welcher an den eines Nilpferdes oder Rindes erinnert, fiſchähnlich geſtaltet iſt, 10 bis 15 Fuß lang wird und oben bräunlich, bläulich oder weißgrau, unten aber weißlich ausſieht. Der kurze und dicke Hals iſt deutlich vom Kopfe geſchieden, geht aber unmittelbar in den Leib über, welcher gleichmäßig gerundet iſt, von der Hals - gegend an bis zur Mitte allmählich dicker wird und ſich dann bis zum Schwanze hin verdünnt. Die Bruſtfinnen ſtehen nicht weit hinter den Ohröffnungen im unteren Drittel der Körperhöhe; ſie ſind nicht beſonders groß, aber breit, am vorderen Rande gerundet, hinten zugeſchärft. Jhre Zehen laſſen ſich nur durch das Gefühl erkennen; von Krallen iſt keine Spur vorhanden. Die Schwanzfinne beſteht in einer plattgedrückten, flachen Floſſe. An der kurzen und dicken Schnauze tritt die ſehr große, ſtarke, an der Vorderſeite herzförmig ausgeſchnittene, warzige, be - wegliche Oberlippe deutlich hervor, die Unterlippe wird durch eine ſtarke Hautfalte gegen den Hals zu abgegrenzt. Die Naſenlöcher, welche auf der Oberſeite der Schnauze liegen, ſtehen nahe bei einander und bilden zwei halbmondförmige Spalten; die Augen, welche klein, eirund, aber ſtark gewölbt und hervorſtehend ſind, werden an ihrem oberen Rande von einem Halbkreis von Wimpern umgeben, haben keine Lider, aber eine beſondere Nickhaut und können durch Zuſammen - ziehung der Haut geſchloſſen werden; die Ohren ſind nur durch kleine, rundliche Oeffnungen817Der Dujong.angedeutet. Auf der matt bleifarbenen oder graubläulichen, längs des Rückens und Kopfes etwas ins Gelblichgrüne, auf der Unterſeite ins Bläulichfleiſchfarbene ſpielenden, hier und da mit dunk - len Längsflecken gezeichneten, glatten und glänzenden Haut ſtehen, ſehr einzeln, ganz kurze, dünne, aber ſteife Borſtenhaare, welche auf der Oberlippe faſt zu Stacheln werden. Die Floſſen und die Schwanzfinne ſind vollkommen nackt. Unter den inneren Leibestheilen verdient das Gebiß beſondere Berückſichtigung. Es beſteht aus Schneide - und Mahlzähnen, von welchen die erſteren bei den Weibchen kurz, ſtumpf und ſpitzig, bei den Männchen viel ſtärker, dreiſeitig und meiſel - förmig ſind. Die fünf Mahlzähne in jeder Reihe nehmen von vorn nach hinten an Größe zu. Alle Zähne ſind wurzellos, und mehrere fallen im Alter aus. Eckzähne fehlen gänzlich; allein beim Männchen entwickeln ſich zwei Vorderzähne zu 8 bis 12 Zoll langen und einen Zoll dicken Hau - oder Stoßzähnen, welche jedoch auf etwa ſieben Achtel ihrer Länge vom Zahnfleiſch und vom Kiefer bedeckt ſind.

Es ſcheint, daß unſere Seemaid in allen Theilen des indiſchen Meeres gefunden wird. Man ſagt, daß ſie früher weiter verbreitet geweſen wäre, als jetzt; mit Beſtimmtheit kann Dies aber weder bejaht, noch verneint werden. Nach Norden hin reicht ſie etwa bis in die Hälfte des rothen Meeres, welches allerdings ganz geeignete Plätze darbietet. Hier iſt ſie ein ſehr wohlbe - kanntes Thier. Alle Schiffer haben ſie geſehen, und ſchwerlich wird man einen von ihnen um - ſonſt nach der Näkhe el Bahhr (Kamelſtute des Meeres) oder, wie ſie im Süden heißt, nach den Djilid (der Lederige), der Dauile oder dem Urum fragen. Man wird auch eine Beſchreibung des auffallenden Thieres hören, obſchon dieſelbe nicht eben ausführlich ſein dürfte.

Wenn wir alle Berichte zuſammenſtellen, erfahren wir, daß der Dujong hauptſächlich im Meere, ſeltener im ſüßen Waſſer der Flußmündungen, nicht aber in den Flüſſen ſelbſt ſich aufhält, immer die Nähe der Küſten bevorzugt und nur ſoweit in das Meer hinausgeht, als die Pflanzenwelt des Grundes reicht. Seichte Buchten, in denen die Sonne das wenig bewegte Waſſer recht durchſtrah - len und der Pflanzenreichthum des Meeres beſonders ſich entfalten kann, ſind ſeine Lieblings - orte. Auf das Land hinaus ſteigt er vielleicht gar nicht; denn es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß diejenigen, welche man auf dem Lande liegen ſah, von der Ebbe an einer beſtimmten Stelle zurückgelaſſen wurden und zu faul waren, ihren ſchweren Leib wieder bis in die See zu ſchieben, es vielmehr vorzogen, ruhig die nächſte Fluth hier abzuwarten. Vom Grunde ihrer ſeichten Buchten aus ſteigt das Thier etwa in jeder Minute ein Mal nach der Oberfläche des Waſſers em - por, ſteckt ſeine Naſe oder unter Umſtänden den halben Leib aus den Fluthen heraus, ſchöpft Athem und verſinkt langſam und gleichmäßig wieder in die Tiefe.

Die Fiſcher ſagen, daß der Dujong paarweiſe und nur ſelten in kleinen Familien lebe; doch gilt dieſe Angabe mehr auf den arabiſchen Meerbuſen, als für andere Theile des indiſchen Weltmeeres, weil er dort zuweilen in Scharen beobachtet worden ſein ſoll. Seine Bewegungen werden als äußerſt langſam und ſchwerfällig geſchildert, obgleich die Kraft ſeines Schwanzes ſehr bedeutend iſt. Zufällig hat man beobachtet, daß er beim Freſſen faul auf dem Grunde des Meeres liegt und die an den Felſen oder auf dem Meeresboden wachſenden Tange, ſeine Hauptnahrung, gemächlich mit ſeinen harten, dicken Lippen abweidet oder bezüglich vom Boden losreißt. Solange es noch Nahrung an einer Stelle gibt, verändert er wahrſcheinlich ungezwungen ſeinen Aufenthalt nicht; hat er aber eine ſeiner Meerwieſen abgeweidet, ſo ſiedelt er langſam nach anderen Stellen über, welche ihn dann wieder auf einige Zeit zu feſſeln wiſſen. Möglicherweiſe haben die heftigen Stürme, welche zu ge - wiſſen Jahreszeiten das indiſche Meer aufwühlen, auch einigen Einfluß auf ſeine Wanderungen. Das unruhige Gewoge zwingt ihn unter ſolchen Umſtänden, Buchten oder Sunde zu ſuchen, in denen ſeine angeborene Faulheit nicht weiter geſtört wird. Daß er durch Stürme zum Wandern bewogen wird, ſchließt man aus ſeinem zeitweiligen Erſcheinen an gewiſſen Stellen, wo man ihn während der ruhigen Zeit des Jahres nicht beobachtete.

Brehm, Thierleben. II. 52818Die Sirenen. Der Dujong.

Mit der Unbeweglichkeit und Schwerfälligkeit des Leibes ſcheinen die geiſtigen Eigenſchaften der Seemaid vollkommen im Einklang zu ſtehen. Die Sinne ſind ſchwach entwickelt; von Verſtand bemerkt man gar keine Spur. Die Stimme beſteht aus einem Schnauben oder dumpfen Stöhnen; die Jungen aber ſollen manchmal einen ſchärferen Laut von ſich geben. Nur während der Paa - rungszeit bemerkt man eine gewiſſe Erregung an den ſtumpfen Geſchöpfen; die Männchen ſollen ſogar hartnäckig um das Recht der Begattung kämpfen und dabei ſo weltvergeſſen ſein, daß ſie den Jägern gerade jetzt die beſte Zeit geben, ſich ihrer zu bemächtigen. Das Weibchen bringt ſein einziges Junge im November oder Dezember zur Welt, wenigſtens im rothen Meere; von anderen Theilen ſeines Verbreitungskreiſes fehlen uns hierüber Angaben.

Während der Paarungs - und während der Satzzeit machen die Fiſcher eifrig Jagd auf den Dujong, weil ſie den erlegten ziemlich gut verwerthen können. Das Fleiſch iſt zwar zart und ſaftig, aber von einem unangenehmen, ſüßlichen Geſchmack und wenigſtens den Europäern zuwider. Dagegen ſind namentlich die Zähne und das Fett allgemein geſuchte Gegenſtände. Man erlegt den Dujong mit Harpunen, am liebſten während der Nacht, wo Alles ſtill iſt auf dem Meer und man das weit hörbare Schnauben am beſten vernehmen kann. Die im rothen Meer ge - bräuchlichen Wurfſpieße ähneln denen vollkommen, welche man im Sudahn zur Jagd des Nilpferdes anwendet. Raffles berichtet, daß man vor allen Dingen den Schwanz zu treffen ſuche, weil man hierdurch, bezüglich durch Aufheben dieſes Körpertheiles, dem Thiere am beſten ſeine Macht benähme; denn ſo ſchwerfällig der Dujong auch erſcheint, ſo ſchnell und kräftig bewegt er ſich, wenn ihm der eiſerne Haken in den Leib gedrungen iſt. Ein deutſcher Kaufmann in Maſſaua erzählte mir, daß eine von ſeinem Schiffer harpunirte Dauile das ziemlich große Bot über eine halbe Stunde lang mit ſich fortſchleppte und die Bemannung in augenſcheinliche Lebensgefahr brachte, weil ſie das Bot zwiſchen den gefährlichſten Korallenriffen hindurchzog. Die eigentlichen Dujong - jäger werfen unter ſolchen Umſtänden noch mehrere Spieße in den Leib ihres Jagdthieres, um dieſes ſobald als möglich durch Blutverluſt zu erſchöpfen.

Es wird berichtet, daß ein Paar Dujongs ſich bei Gefahr gegenſeitig zu Hilfe eilt. So hat man beobachtet, daß das Männchen ſeinem verwundeten Weibchen beſorgt nachſchwamm und es durch heftiges Herumſchlagen mit der kräftigen Schwanzſinne aus der Gewalt ſeiner Verfolger zu befreien ſuchte. Wurde einer der Gatten in Abweſenheit des anderen getödtet, ſo ſchwimmt dieſer lange Zeit an den gewohnten Aufenthaltsorten umher, beſucht alle Lieblingsplätze und ſteht erſt dann von ſeinen Nachforſchungen ab, wenn er bemerkt, daß ein Wiederfinden un - möglich iſt.

Die Malaien, Araber und Abiſſinier eſſen das Fleiſch des Dujong, die letzteren jedoch betrach - ten es keineswegs als Leckerbiſſen und verſichern, daß man es erſt einige Tage in der Sonne ſchmo - ren, tüchtig ſalzen und dann ſehr lange kochen müſſe, ehe man es verzehren dürfe, weil ſein Genuß ſonſt Uebelkeiten verurſache, ja, ſelbſt Krankheiten zur Folge habe. Junge Thiere werden ungleich höher geſchätzt, als alte; ihr Fleiſch iſt mager und äußerſt zart. Von alten Thieren erhält man zuweilen über funfzig Pfund Schmalz. Die dicke Haut wird an der abiſſiniſchen Küſte, wie Rüppell berichtet, nicht gegerbt, ſondern nur in der Luft getrocknet und dann zu Sandalen verſchnitten. Weil aber die in ihr enthaltene Feuchtigkeit das Zellgewebe locker macht, ſind die Sandalen nur in trockenen Gegenden brauchbar; auf wäſſerigem Boden werden ſie weich und ſchwel - len an. Weit höher als Fleiſch und Haut ſtellte man in früheren Zeiten die Zähne. Ein beſonderer Aberglaube legte den aus ihnen gefertigten Roſenkränzen wunderbare Kräfte bei; ſo brauchte z. B. eine Wöchnerin nur einen ſolchen Roſenkranz um den Hals zu hängen, und ſie durfte ſicher ſein, daß ihre Geburt eine ſehr leichte werden würde. Jetzt iſt dieſer Aberglaube gewichen, und des - halb ſind auch die früher ſehr theueren Zähne bedeutend im Preiſe geſunken.

819Der ſchmalſchnauzige Lamantin.

Bei den eigentlichen Manaten (Manatus) ſteht die Schwanzfloſſe ſenkrecht und iſt, an - ſtatt ausgebaucht, abgerundet; im übrigen ähneln dieſe Thiere den vorhergehenden. Der eiförmig geſtaltete Fiſchleib iſt ſehr einzeln mit Haaren, welche nur an der Schnauze als dichtere Borſten ſich zeigen, bedeckt. Die abgeſtutzte Oberlippe iſt im Gegenſatz zu der des Vorigen ſehr beweglich, und an den Zehen der abgerundeten Bruſtfloſſen treten bisweilen kleine Plattnägel auf. Nach den bisherigen Unterſuchungen ſcheint es, daß nur 6 Halswirbel vorhanden ſind; Rückenwirbel zählt man 15 bis 17, Schwanzwirbel 23. Nur junge Thiere beſitzen Schneidezähne; allein dieſe fallen ſehr bald aus, und bei alten bleiben blos Backzähne übrig. Von ihnen ſind ſieben bis acht in Thätigkeit; denn wie bei den Elefanten nutzen die Backzähne der Manaten ſich ab, fallen, wenn ſie unbrauchbar geworden ſind, aus, und werden von hinten her durch neuere erſetzt, ſo daß die Reihe unter Umſtänden 10 bis 12 Zähne enthalten kann.

Als Vaterland der drei bisjetzt ſicher beſtimmten Arten dieſer Gruppe iſt das atlantiſche Meer zwiſchen dem 19. Grad ſüdlicher und dem 25. Grad nördlicher Breite zu betrachten. Der ſchmal - ſchnauzige Lamantin (Manatus australis) iſt die am genaueſten beobachtete Art. Er wird 9 bis 10 Fuß lang, 2 bis Fuß breit, über Fuß hoch und 5 bis 800 Pfund ſchwer; doch be - haupten die Amerikaner, noch weit größere, funfzehn, ja ſelbſt zwanzig Fuß lange und 5 bis 6 Fuß breite geſehen zu haben. Eine faſt völlig nackte Haut, welche kurze, etwa ¾ Zoll weit von ein - ander, ſtehende Borſten trägt, bedeckt den Leib. Jhre Färbung iſt ein ziemlich einförmiges Bläu - lichgrau, welches auf dem Rücken und den Seiten etwas mehr dunkelt, als auf der Unterſeite des Leibes. Die Borſten ſehen gelblich aus.

Die erſten genaueren Angaben über das Thier hat Alexander von Humboldt gemacht. Bei einem neun Fuß langen Thiere, welches er in Carrichana, einer Miſſion am Orinoko, zergliederte, ſprang die Oberlippe ſehr hervor. Sie iſt mit einer ſehr zarten Haut bekleidet und dient als Rüſſel oder Fühler zum Betaſten der vorliegenden Dinge. Die Mundhöhle, welche beim friſch getödteten Thier auffallend warm iſt, zeigt einen ganz eigenthümlichen Bau. Die Zunge iſt faſt unbeweglich, aber vor derſelben befindet ſich an jeder Kinnlade ein fleiſchiger Knopf und eine mit ſehr harter Haut ausgekleidete Höhlung, welche in einander paſſen. Schneidet man das Thier am Rücken auf, ſo erſchrickt man über die große Geſtalt und Länge ſeiner Lunge. Sie iſt drei Fuß lang, hat ungemein große Zellen und gleicht ungeheuren Schwimmblaſen. Sie nimmt mehre Tauſend Geviertzoll Luft auf. Der Magen iſt in Fächer getheilt, der Darm über hundert Fuß lang.

Süd - und Mittelamerika bildet die eigentliche Heimat dieſes Thieres. Es iſt jetzt viel ſeltener geworden, als es war: der Menſch, ſein ärgſter Feind, hat es ſeit ein paar Jahrhunderten unabläſſig verfolgt. Sein hauptſächlichſter Aufenthalt ſind die Küſtentheile des atlantiſchen Meeres, namentlich die Buchten in der Nähe der Antillen und bei Cayenne. Jn Surinam iſt es nicht ſelten. Hum - boldt beobachtete, daß ſich die Lamantine gern da im Meer aufhalten, wo es ſüße Quellen gibt, ſo z. B. einige Meilen von der Jnſel Cuba im Süden des Meerbuſens von Jagua, wo ſo ſtarke ſüße Quellen ſind, daß auch die Schiffer zuweilen hier Trinkwaſſer ſchöpfen. Jn den Flüſſen ſtei - gen ſie weit nach oben empor. und bei Ueberſchwemmungen wandern ſie auch in die Seen und Sümpfe. Gegenwärtig findet ſich der Lamantin noch am häufigſten im Amazonenſtrome, im Orinoko und in ſeinen Zuflüſſen. Abends, ſo erzählt Alexander von Humboldt, kamen wir an der Mündung des Caño del Manati vorüber, ſo genannt wegen der ungeheuren Menge Lamantine oder Manatis, welche jährlich hier gefangen werden. Wir ſahen das Waſſer mit dem ſehr ſtinkenden Koth derſelben bedeckt. Am Orinoko unterhalb der Waſſerfälle, im Meta und im Apure iſt er ſehr häufig.

Die Lebensweiſe des Manati iſt ſo ziemlich dieſelbe, welche der Dujong führt. Einige Rei - ſende haben angegeben, daß erſterer zuweilen aus dem Waſſer herausginge, um auf dem Lande zu weiden; aber ſchon im vorigen Jahrhundert haben Andere Dies aufs beſtimmteſte widerlegt. Der52*820Die Sirenen. Der ſchmalſchnauzige Lamantin.Manati weidet nur das Gras ab, welches im Waſſer ſelbſt wächſt, und daran hat er vollſtändig genug; denn alle ſüdlichen Ströme ſind an ruhigen Stellen überaus reich an Waſſerpflanzen aller Art. Er frißt ſoviel, daß er Magen und Darmſchlauch vollſtändig mit Nahrung anfüllt. Wenn er ſich geſättigt hat, legt er ſich an ſeichten Stellen ſo nieder, daß er die Schnauze aus dem Waſſer reckt und nicht immer auf und nieder zu tauchen braucht. Sonſt ſieht man ihn nur theil - weiſe über dem Waſſer, wenn er, um Luft zu holen, emporkommt. Dies geſchieht ſehr oft, trotz der großen Luftbehälter, und deshalb bevorzugt er auch die ſeichteren Stellen in den Flüſſen.

Die Zeit der Paarung ſcheint noch nicht bekannt zu ſein, und ſelbſt über die Fortpflanzung ſchwanken die Nachrichten. Einige ſagen, daß das Weibchen zwei Junge werfe, während Andere übereinſtimmend nur von einem einzigen reden. Die Anhänglichkeit der Mutter an ihre Kinder wird einſtimmig gerühmt.

Der ſchmalſchnauzige Lamantin (Manatus australis).

An allen Orten, wo der Lamantin vorkommt, wird ihm eifrig nachgeſtellt. Sein Fleiſch gilt zwar für ungeſund und ſiebererzeugend, iſt aber ſehr ſchmackhaft. Nach Humboldt ähnelt es mehr dem Schweinefleiſch, als dem des Rindes. Eingeſalzen und an der Sonne gedörrt wird es das ganze Jahr aufbewahrt; denn ſelbſtverſtändlich erklären die Pfaffen den Lamantin für einen Fiſch und erlauben deshalb den Genuß ſeines Fleiſches während der Faſtenzeit. Schon Gonzalo Oviedo rühmt dieſes Fleiſch und erzählt, daß er davon im Jahre 1531 Einiges mit bis nach Spa - nien gebracht und es der Kaiſerin vorgeſetzt habe. Es ſchmeckte Allen ſo gut, ſagt er, daß ſie glaubten, ſie äßen Fleiſch aus England. Die Guamos und Otomakos kennen kein beſſeres Ge - richt, als Lamantinefleiſch, und deshalb geben ſich gerade dieſe beiden Stämme mit dem Fang der Seethiere vorzugsweiſe ab. Dagegen verabſcheuen die Paraos das Thier ſo ſehr, daß ſie ſich, als Bonpland eine Seekuh zerlegte, verſteckten, um ſie nicht anrühren zu müſſen. Sie behaupteten, daß die Leute ihres Stammes unſehlbar ſtürben, wenn ſie davon äßen.

821Der ſchmalſchnauzige Lamantin.

Die Jagd iſt ziemlich einfach. Man nähert ſich in einem Kahne dem Weideplatze der Manaten und wartet, bis einer derſelben zum Athmen emporkommt. Auf ihn ſchießt man etweder Pfeile ab, an denen Stricke und leichte Holzblöcke befeſtigt ſind, welche ſpäter den Weg des Thieres angeben, oder man harpunirt, bindet und ſchlachtet ihn dann in dem kleinen Bote, welches man zu den Reiſen auf ſüdamerikaniſchen Flüſſen benutzt. Letzteres geſchieht oft mitten auf dem Fluſſe, und zwar ſo, daß man das Bot zu zwei Dritttheilen mit Waſſer füllt, es unter den Lamantin ſchiebt und dann mit einer Kürbisflaſche wieder ausſchöpft. Am leichteſten fängt man das Thier am Ende der großen Ueberſchwemmung, wenn es aus den Strömen in die umliegenden großen Seen und Sümpfe gerathen iſt und hier das Waſſer ſchnell fällt. Zur Zeit, als die Jeſuiten den Miſſionen am unteren Orinoko vorſtanden, kamen ſie alle Jahre unterhalb des Apure zuſammen, um mit den Jndianern aus ihren Kirchſpielen eine große Seekuhjagd anzuſtellen. Das Fett des erbeuteten Thieres wird in den Kirchenlampen gebrannt oder auch zum Kochen benutzt. Es hat nicht den widrigen Geruch des Walfiſchthranes oder des Fettes anderer Seeſäugethiere mit Spritzlöchern. Die Haut, welche anderthalb Zoll dick iſt, wird in Streifen geſchnitten, und dieſe dienen in den Step - pen, wie die Streifen von Ochſenhaut, als Stricke. Jm Waſſer ſind ſie unbrauchbar, weil ſie faulen. Jn den ſpaniſchen Anſiedlungen macht man Peitſchen daraus, und dieſe ſind ein ſchreckliches Werkzeug zur Züchtigung der unglücklichen Sklaven und bezüglich der Jndianer in den Miſſionen, welche zwar nach den Geſetzen als freie Menſchen gehalten werden ſollten, aber dennoch den Sklaven gleich geachtet werden.

Jn zwei alten Schriften wird übereinſtimmend die merkwürdige Nachricht gegeben, daß der Manati ſich auch zähmen laſſe. Martyr, ein Reiſender, welcher im erſten Viertel des 16. Jahr - hunderts ſtarb, erzählt, daß ein Kazike auf der Jnſel St. Domingo einen jungen, noch kleinen Fiſch, welcher Manato heißt und im Meer gefangen wurde, in einen See ſetzen und ihm täglich Brod von welſchem Korn geben ließ. Er wurde allmählich ſo zahm, daß er jedes Mal kam, wenn man ihn rief, das Brod aus der Hand fraß und ſich überall ſtreicheln ließ, auch einige Male Leute, die ſich auf ihn ſetzten, herumtrug, wohin ſie wollten, von einem Ufer zum anderen. Die - ſer freundliche und zahme Fiſch wurde lange im See gehalten, zum großen Vergnügen eines Jeden. Aus allen Seiten der Jnſel kamen welche herbei, die ſehen wollten, wie er auf den Ruf herbeikam und Leute, die ſich auf ſeinen Rücken ſetzten, von einem Ufer zum anderen trug. Als aber einmal ein ſtarkes Gewitter kam und viel Waſſer von den Bergen in den See ſtrömte, ſo trat dieſer aus und führte den Manato wieder ins Meer, wo er nicht mehr geſehen wurde. Gomara, welcher un - zweifelhaft dieſelbe Geſchichte erzählt, fügt noch hinzu, daß der Manato ſechsundzwanzig Jahre in dem See Guaynabo gelebt habe und ſo groß geworden ſei, wie ein Delfin. Er kam auf den Ruf Mato herbei, kroch aufs Trockene bis zum Hauſe, um ſeine Speiſe zu bekommen, und dann wieder in den Teich zurück, begleitet von vielen Knaben, deren Geſang ihn erfreute. Ein - mal nahm er ihrer zehn zugleich auf ſeinen Rücken und trug ſie von einem Ufer zum anderen, ohne zu tauchen. Als aber ein Spanier, der verſuchen wollte, ob ſeine Haut ſo hart ſei, wie man ſagte, ihn herbeigerufen und mit einem Spieße geworfen hatte, ärgerte Dies ihn, obgleich er nicht verwundet wurde, ſo, daß er nicht mehr kam, wenn gleichgekleidete Leute ihn riefen. Der freund - liche und zahme Fiſch wird ſo genau beſchrieben, daß man nicht wohl zweifeln kann, von einem Manato erzählen zu hören. Jnwieweit aber die hübſche Geſchichte wahr iſt, laſſen wir gern auf ſich beruhen.

Der Name Manato ſoll ſoviel als Handthier bedeuten. Die Jndianer nennen unſere Sirene Apcia oder Apia, die Portugieſen Pexe-Buey oder Ochſenfiſch.

822Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier.

Am ganzen Strande der Jnſel, ſonderlich wo Bäche in die See fließen und alle Arten See - wier am häufigſten ſind, hält ſich zu allen Jahreszeiten die von unſeren Ruſſen Morskaja-Ko - rowa oder zu Deutſch Meerkuh in großer Menge und herdenweiſe auf. Da uns durch die Ver - ſcheuchung der Seebiber von der nördlichen Seite die Verſorgung mit Nahrungsbedarf beſchwerlich zu werden anfing, ſannen wir auf Mittel, uns dieſer Thiere zu bemeiſtern und unſere Nahrung, weil ſie uns nahe waren, auf eine leichtere Art davon zu ziehen. Jch ſtellte deswegen am 21. Mai den erſten Verſuch an mit einem verfertigten großen eiſernen Haken, woran ein ſtarkes und langes Seil befeſtigt wurde, dieſes mächtige und große Seethier anzuhauen und aus Land zu ſchleppen, allein vergebens; denn die Haut war zu zähe und der Haken viel zu ſtumpf. Man änderte ihn auf verſchiedene Art und ſtellte mehrere Proben an, die aber noch ſchlechter geriethen, ſo daß uns die Thiere mit dem Haken und daran befeſtigten Seil in die See entliefen. Endlich zwang uns die Noth, zum Harpuniren Anſtalt zu machen. Man beſſerte zu dem Ende gegen Ausgang des Junius das Jollbot, ſo im Herbſt auf den Felſen ſehr beſchädigt worden war, aus, ſetzte einen Harpunier nebſt Steuermann und vier Ruderern darauf und gab jenem ein Harpun nebſt einem ſehr langen, wie beim Walfiſchfang in Ordnung gelegtes Seil in die Hand, von welchem das andere Ende am Strande von den übrigen vierzig Mann gehalten wurde. Nun ruderte man ganz ſtille auf die Thiere los, welche in größter Sicherheit herdenweiſe an den Ufern jhrer Weide im Seegrunde nach - gingen. Sobald dann der Harpunier eines derſelben angehauen hatte, zogen die am Lande ſolches all - mählich nach dem Strande, die im Jolle Befindlichen fuhren indeſſen auf daſſelbe zu und machten es durch ihre Bewegungen noch matter, und wenn es entkräftet ſchien, ſo ſtießen ſie ihm allenthalben mit großen Meſſern und Bajonnetten in den Leib, ſo daß es faſt alles Blut, welches wie Spring - brunnen aus den Wunden quoll, verloren hatte, und ſo bei vollem Waſſer auf den Strand gezogen und befeſtigt werden konnte. Sowie dann das Waſſer wieder ablief und das Thier auf trockenem Strande lag, ſchnitt man allenthalben das Fleiſch und den Speck ſtückweiſe herunter und trug es in voller Freude nach den Wohnungen, wo das Fleiſch in großen Fäſſern verwahrt, der Speck aber auf hohe Böcke aufgehängt wurde. Und nun ſahen wir uns bald in einen ſolchen Ueberfluß von Nah - rung verſetzt, daß wir den Bau unſeres neuen Fahrzeuges, welches das Mittel zu unſerer Rettung werden ſollte, ohne Hinderniſſe fortſetzen konnten.

Mit dieſen Worten beginnt der ſchon oft erwähnte tüchtige Naturforſcher Steller, welcher im November des Jahres 1741 auf der vorher noch unbekannten Behringsinſel geſtrandet war und dort zehn traurige Monate verleben mußte, ſeinen Bericht über eins der merkwürdigſten Seeſäugethiere, über ein Geſchöpf, welches bereits gänzlich ausgerottet und vernichtet worden zu ſein ſcheint, über die nach ihrem Entdecker benannte ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier (Rhytina Stelleri). Bereits ſiebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung wurde die letzte Seekuh erlegt. Seitdem hat man wohl noch einen Schädel und eine Gaumenplatte nebſt einigen wenigen Knochen des Geripps aufgefunden, aber keine lebende Morskaja mehr geſehen. Angelockt durch die gewinnverheißenden Berichte der ruſſiſchen Entdeckungsgeſellſchaft, unter welcher Steller ſich be - fand, ſtrömten Walfiſchfänger und waghalſige Abenteurer in hellen Haufen nach der Behringsſee und begannen dort eine ſo furchtbare Metzelei unter den wehrloſen Meeresbewohnern, daß die See - kühe von der Erde vertilgt wurden. Man hat ſich ſeitdem vergeblich bemüht, wenigſtens ein Stück die - ſer Thiere zu erhalten. Jedes Schiff, welches nach dem Behringsmeere abſegelte, iſt angewieſen worden keins hat irgend eine Nachricht zurückgebracht.

Steller hielt das Borkenthier für den von Hernandez entdeckten Lamantin. Aus ſeiner Be - ſchreibung geht aber deutlich genug hervor, daß die Seekuh ein von den früher beſchriebenen Sirenen weit verſchiedenes Thier war. Anſtatt der Zähne waren die Kiefern mit vier Kauplatten belegt, welche nur mit dem Zahnfleiſche zuſammenhingen. Dieſe einzige Angabe genügt zur Kennzeichnung823Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier.des Thieres. Wir wollen aber, um es und ſein Leben genauer kennen zu lernen, ſeinen einzigen Beſchreiber, eben unſeren Steller, weiter reden laſſen.

Die größten von dieſen Thieren, fährt er fort, ſind 4 bis 5 Faden oder 28 bis 35 engliſche Fuß lang und an der ſtärkſten Stelle, um die Gegend des Nabels, vierthalb Faden dick. Bis an den Nabel vergleicht ſich dies Thier den Robbenarten, von da bis an den Schwanz einem Fiſch. Der Kopf vom Geripp iſt von einem Pferdekopf in der allgemeinen Geſtalt nicht unterſchieden, wo er aber mit Fell und Fleiſch noch überkleidet iſt, gleicht er einigermaßen einem Büffelkopfe, beſonders was die Lippen anbetrifft. Jm Munde hat es ſtatt der Zähne auf jeder Seite zwei breite, läng - liche, glatte, lockere Knochen, davon der eine oben im Gaumen, der andere inwendig am Unter - kiefer angeheftet iſt. Beide ſind mit vielen, ſchräg im Winkel zuſammenlaufenden Furchen und erhabenen Schwielen verſehen, mit welchen das Thier ſeine gewöhnliche Nahrung, die Seekräuter, zermalmt. Die Lippen ſind mit vielen ſtarken Borſten beſetzt, davon die am Unterkiefer dergeſtalt dick ſind, daß ſie Federkiele von Hühnern vorſtellen könnten und durch ihre inwendige Höhle den Bau der Haare klärlich vor Augen legen. Die Augen dieſes ſo großen Thieres ſind nicht größer als Schafsaugen und ohne Augenlider; die Ohrlöcher ſind dergeſtalt klein und verborgen, daß man ſie unter den vielen Gruben und Runzeln der Haut nicht finden und erkennen kann, bevor man die Haut nicht abgelöſt, da dann der Ohrengang durch ſeine polirte Schwärze in die Augen fällt, obwohl er kaum ſo geraum iſt, daß eine Erbſe darin Platz hat. Von dem äußeren Ohr iſt nicht die geringſte Spur vorhanden. Der Kopf iſt durch einen kurzen, unabgeſetzten Hals mit dem übrigen Körper verbunden. An der Bruſt ſind die ſeltſamen Vorderfüße und die Brüſte merk - würdig. Die Füße beſtehen aus zwei Gelenken, deren äußeres Ende eine ziemliche Aehnlichkeit mit einem Pferdefuß hat; ſie ſind unten wie eine Kratzbürſte mit vielen kurzen und dicht geſetzten Bor - ſten verſehen. Mit ſeinen Vordertatzen, woran weder Finger noch Nägel zu unterſcheiden, ſchwimmt das Thier vorwärts, ſchlägt die Seekräuter vom ſteinernen Grunde ab, und wenn es ſich zur Be - gattung, auf dem Rücken liegend, fertig macht, umfaßt eins das andere gleich als mit den Armen. Unter dieſen Vorderfüßen finden ſich Brüſte mit ſchwarzen, runzeligen, zwei Zoll langen Warzen verſehen, in deren äußerſtes Ende ſich unzählige Milchgänge öffnen. Wenn man die Warzen etwas ſtark ſtreift, ſo geben ſie eine große Menge Milch von ſich, die an Süßigkeit und Fettigkeit die der Landthiere übertrifft, ſonſt aber nicht davon verſchieden iſt. Der Rücken an dieſen Thieren iſt ebenfalls wie bei einem Ochſen beſchaffen, die Seiten ſind länglich rund, der Bauch gerundet und zu allen Zeiten ſo voll geſtopft, daß bei der geringſten Wunde die Gedärme ſogleich mit vielem Pfeifen heraustreten. Von der Scham an nimmt das Thier auf ein Mal im Umfang ſehr ſtark ab; der Schwanz ſelbſt aber wird nach der Floßfeder zu, die ſtatt der Hinterfüße iſt, noch immer dünner; doch iſt er unmittelbar vor der Floßfeder im Durchſchnitt noch zwei Schuh breit. Es hat übrigens dieſes Thier außer der Schwanzfloſſe keine andere auf dem Rücken, wodurch es von den Walfiſchen abgeht. Die Schwanzfloſſe ſteht wagrecht, wie bei den Walen und Delfinen.

Dieſe Thiere leben, wie das Rindvieh, herdenweiſe in der See. Gemeiniglich gehen Männ - lein und Weiblein neben einander, das Junge treiben ſie vor ſich hin am Uſer umher. Sie ſind mit nichts Anderem, als ihrer Nahrung beſchäftigt. Der Rücken und die Hälfte des Leibes iſt be - ſtändig über dem Waſſer zu ſehen. Sie freſſen, wie die Landthiere, unter langſamer Bewegung vor ſich hin; mit den Füßen ſcharren ſie das Seegras von den Steinen ab und kauen es unauf - hörlich; doch lehrte mich die Beſchaffenheit des Magens, daß ſie nicht wiederkäuen, wie ich anfangs vermuthete. Unter dem Freſſen bewegen ſie den Kopf und Hals, wie ein Ochſe, und je nach Ver - lauf einiger Minuten erheben ſie den Kopf aus dem Waſſer und ſchöpfen mit Räuſpern und Schnar - chen, nach Art der Pferde, friſche Luft. Wenn das Waſſer fällt, begeben ſie ſich vom Lande in die See, mit zunehmendem Waſſer aber wieder nach dem Seerande, und kommen oft ſo nahe,824Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier.daß wir ſelbige vom Lande mit Stöcken ſchlagen und erreichen konnten. Sie ſcheuen ſich vor dem Menſchen im geringſten nicht, ſcheinen ihn auch nicht allzuleiſe zu hören, wie Hernandez gegen die Erfahrung vorgibt. Zeichen eines bewunderungswürdigen Verſtandes konnte ich, was auch Her - nandez ſagen mag, nicht an ihnen wahrnehmen, wohl aber eine ungemeine Liebe gegen einander, die ſich auch ſoweit erſtreckt, daß, wenn eins von ihnen angehauen worden, die anderen alle dar - auf bedacht waren, daſſelbe zu retten. Einige ſuchten durch einen geſchloſſenen Kreis den verwun - deten Kameraden vom Ufer abzuhalten, andere verſuchten das Joll umzuwerfen, einige legten ſich auf die Seite oder ſuchten den Harpun aus dem Leibe zu ſchlagen, welches ihnen verſchiedene Male auch glücklich gelang. Wir bemerkten auch nicht ohne Verwunderung, daß ein Männlein zu ſeinem am Strande liegenden, todten Weiblein zwei Tage nach einander kam, als wenn es ſich nach deſſen Zuſtande erkundigen wollte. Dennoch blieben ſie, ſo viele auch von ihnen verwundet und getödtet wurden, immer in derſelben Gegend. Jhre Begattung geſchieht im Junius nach langem Vorſpiel. Das Weiblein flieht langſam vor dem Männlein mit beſtändigem Umſchauen, das Männlein aber folgt demſelben ohne Unterlaß, bis jenes endlich des Sprödethuns überdrüſſig iſt.

Wenn dieſe Thiere auf dem Lande der Ruhe pflegen wollen, ſo legen ſie ſich bei einer Ein - bucht an einem ſtillen Orte auf den Rücken und laſſen ſich wie Klötze auf der See treiben.

Dieſe Thiere finden ſich zu allen Zeiten des Jahres allenthalben um dieſe Jnſel in größter Menge, ſo daß alle Bewohner der Oſtküſte von Kamtſchatka ſich davon jährlich zum Ueberfluß mit Speck und Fleiſch verſorgen könnten. Die Haut der Seekuh hat ein doppeltes Weſen: die äußerſte Schale der Haut iſt ſchwarz oder ſchwarzbraun, einen Zoll dick und an Feſtigkeit faſt wie Pantoffel - holz, um den Kopf voller Gruben, Runzeln und Löcher. Sie beſteht aus lauter ſenkrechten Faſern, welche wie im Strahlengips hart an einander liegen. Dieſe äußere Schale, welche ſich leicht von der Haut abſchält, iſt, meinem Bedünken nach, eine aus an einander ſtehenden, verwandelten Haaren zuſammengeſetzte Decke, die ich ebenſo bei Walfiſchen gefunden habe. Die untere Haut iſt etwas dicker, als eine Ochſenhaut, ſehr ſtark und an Farbe weiß. Unter dieſen beiden umgibt den ganzen Körper des Thieres der Fettlappen oder Speck vier Finger hoch, alsdann folgt das Fleiſch. Jch ſchätze das Gewicht des Thieres mit Einſchluß von Haut, Fett, Speck, Knochen und Gedärmen auf 1200 Pud oder 480 Centner. Das Fett iſt nicht öligt oder weichlich, ſondern härtlich und druſigt, ſchneeweiß, und wenn es einige Tage an der Sonne gelegen, ſo angenehm gelblich, wie die beſte hol - ländiſche Butter. An ſich ſelbſt gekocht übertrifft es an Süßigkeit und Geſchmack das beſte Ninds - fett; ausgeſotten iſt es an Farbe und Friſchheit wie friſches Baumöl, an Geſchmack wie ſüßes Man - delöl und von ausnehmend gutem Geruch und Nahrung, dergeſtalt, daß wir ſolches ſchalenweiſe getrunken, ohne den geringſten Ekel zu empfinden. Der Schwanz beſteht faſt aus lauter Fett, und dieſes iſt noch viel angenehmer, als das an den übrigen Theilen des Körpers befindliche. Das Fett von den Kälbern vergleicht ſich gänzlich dem jungen Schweinefleiſch, das Fleiſch derſelben aber dem Kalbfleiſch. Es quillt dabei dergeſtalt auf, daß es faſt noch ein Mal ſo viel Raum einnimmt, und kocht in einer halben Stunde gar. Das Fleiſch der alten Thiere iſt vom Rindfleiſch nicht zu unterſcheiden; es hat aber die ganz beſondere Eigenſchaft, daß es auch in den heißeſten Sommer - monaten in der freien Luft, ohne ſtinkend zu werden, zwei volle Wochen und noch länger dauern kann, ohngeachtet es von den Schmeißfliegen dergeſtalt verunfläthet wird, daß es allenthalben mit Würmern verdeckt iſt. Es hat auch eine viel höhere Röthe, als aller anderen Thiere Fleiſch, und ſieht faſt wie von Salpeter geröthet aus. Wie heilſam es zur Nahrung ſei, empfanden wir gar bald Alle, ſoviel unſerer es genoſſen, indem wir an Kräften und Geſundheit eine merkliche Zu - nahme ſpürten. Hauptſächlich erfuhren dies Diejenigen unter den Matroſen, welche bis dahin an Zahnfäule gelitten und bis auf dieſe Zeit ſich noch nicht hatten erholen können. Mit dieſem Fleiſch der Seekühe verſorgten wir auch unſer Fahrzeug zur Abreiſe, wozu wir ſonſt gewiß keinen Rath zu ſchaffen gewußt hätten.

825Walthiere.

Jch wunderte mich nicht wenig, daß ich auf Kamtſchatka vor meiner Reiſe, da ich doch ſorgfältig nach allen Thieren gefragt, nie Etwas von der Seekuh hatte erfahren können, nach meiner Zurückkunft jedoch hörte, daß dieſes Thier vom kronotzkiſchen Vorgebirge bis an den Meer - buſen Awatſcha verbreitet ſei und zuweilen todt aus Land geworfen werde; und da haben es die Kam - tſchatalen in Ermangelung eines anderen mit dem Namen des Krautfreſſers belegt.

Sechzehnte Ordnung. Walthiere (Cetacea).

Wir ſind am Ende unſerer Klaſſe angelangt. Unter den Säugethieren ſind die Wale genau Daſſelbe, was die Fiſche unter den Wirbelthieren ſind: ausſchließlich dem Waſſer angehörige und ſolchem Leben entſprechend gebaute Geſchöpfe. Die Seehunde verbringen wenigſtens noch ein Dritttheil ihres Lebens auf dem Lande: ſie werden dort geboren und ſuchen es auf, wenn ſie die freundlichen Strahlen der Sonne genießen und ſchlaſen wollen; bei den Sirenen iſt mindeſtens noch die Möglichkeit des Landlebens vorhanden: die eigentlichen Wale dagegen ſind ausſchließlich dem Meere zugewieſen. Darauf deutet ſchon ihre Größe hin: nur das Waſſer geſtattet leichte Beweglich - keit ſolcher Rieſen, und nur das unendlich reiche Meer gewährt ihnen die nöthige Nahrung.

Warmes Blut und Lungenathmung, Lebendiggebären und Säugen der Jungen, vollkommene Entwickelung des Gehirns und der Nerven: dieſe weſentlichen Merkmale der Säugethiere ſie ſind zugleich die einzigen, welche die Wale noch mit den übrigen Ordnungen der Klaſſe theilen. Jn allen anderen Stücken weichen ſie noch weit mehr von den höheren Säugethieren ab, als die Si - renen, in welchen wir bereits Zwittergeſtalten zwiſchen Säugern und Fiſchen kennen lernten. Jeder noch wenig gebildete Menſch, jedes noch in der Kindheit ſtehende Volk hat ſie den Fiſchen zugezählt, wie ihre Namen beweiſen, und erſt die genaue Erforſchung ihres Weſens und Seins hat ihnen die Stellung angewieſen, welche ihnen gebührt. Aber noch immer lächelt der nicht naturwiſſenſchaftlich Gebildete ungläubig, wenn der Forſcher ſie, die Meerungeheuer, zu den Säugethieren zählt; denn jener ſieht in ihnen noch heutigen Tages nur Fiſche.

Der Leib der Wale iſt maſſig und unbeholfen, ohne alle äußere Gliederung; der oft unförmlich große und faſt regelmäßig ungleich gebaute Kopf geht ohne deutlich zu unterſcheidende Grenze in den Rumpf über, und dieſer läuft, nach hinten zu ſich verſchmälernd, in eine breite, wagrechte Schwanz - finne aus. Die hinteren Glieder, welche, mit Ausnahme der Sirenen, alle übrigen Säugethiere kennzeichnen, fehlen gänzlich; die vorderen ſind zu eigentlichen Floſſen geworden: man muß ſie mit dem zergliedernden Meſſer unterſuchen, wenn man ſie als Hände erkennen will, und findet auch dann noch Eigenthümlichkeiten des Handbaues auf. Eine hier und da vorkommende Fettfloſſe, welche längs des Rückens verläuft, trägt zur Vermehrung der Fiſchähnlichkeit dieſer Thiere noch bei. Jm übrigen keunzeichnen die Wale äußerlich der weitgeſpaltene, lippenloſe Mund, welcher entweder eine ungewöhnlich große Zahnmenge oder aber Barten für uns noch ganz neue Gebilde zeigt, das Fehlen des inneren Augenlides und die Lage der Zitzen hinten neben den Geſchlechtstheilen.

Auch in ihrem inneren Leibesbau zeigen die Nieſen der See manches Eigenthümliche. Die Knochen ihres Geripps werden durch ſchwammige, lockere Zellen gebildet, welche von flüſſigem Fett innig durchdrungen ſind, ſo innig, daß dieſes ihnen niemals entzogen werden kann, daß die826Walthiere.Knochen, auch ſelbſt nach längerem Bleichen, immer noch ein fettiges, gelbliches Ausſehen behalten; dagegen fehlen allen Knochen die Markhöhlen. An dem gewaltigen Schädel, welcher nur bei den wenigſten in einem regelrechten Verhältniß zum Leibe ſteht, ſind die Kopfknochen ſonderbar verſcho - ben, liegen loſe auf einander oder hängen nur durch weiche Theile mit anderen Knochen zuſammen; einzelne von ihnen ſind verkümmert, andere auffallend vergrößert, und faſt jede Regelmäßigkeit ſcheint aufgehoben zu ſein. Jn der Wirbelſäule fällt der Hals beſonders auf. Noch iſt die gewöhn - liche Zahl der Wirbel vorhanden; allein dieſe gleichen nur dünnen, platten Ringen und verwachſen in Folge der geringen Beweglichkeit gar nicht ſelten theilweiſe ſo feſt unter einander, daß man die Siebenzahl blos aus den Röhren erkennt, durch welche die Halsnervenpaare hervortreten. Die Ver - wachſung trifft meiſtens die vorderen Wirbel; doch kommt es ausnahmsweiſe vor, daß ihrer ſechs oder ſämmtliche Wirbel mit einander verſchmelzen. Außer den Halswirbeln beſitzen die Wale 11 bis 19 Bruſtwirbel, 10 bis 24 Lendenwirbel, mehr als alle übrigen Säugethiere, und 22 bis 24 Schwanzwirbel. Die Zahl der wahren Rippen dagegen iſt ſehr gering: die echten Wale haben nur eine einzige, und mehr als ihrer ſechs ſcheinen bei keinem Mitgliede der Ordnung vorzukommen. Falſche Rippen ſind immer in größerer Zahl vorhanden, als wahre. Kürze und Plattheit aller Knochen und eine auffallend hohe Gliederzahl der Finger zeichnen die Vorderglieder aus. Während bei anderen Säugethieren drei Fingerglieder vorhanden ſind, beſitzen einige Wale an manchen Fingern ſechs, neun und zwölf Glieder. Der Zahnbau ändert auffallend ab. Gewöhnlich finden ſich in beiden Kiefern ſehr gleichartig geſtaltete Zähne in großer Zahl; einige Wale ſtehen auch hierin un - übertroffen da. Die Muskeln ſind einfach, der Größe der Thiere angemeſſen und ungemein kräftig. Die Nervenmaſſe iſt äußerſt gering: bei einem elftaufend Pfund ſchweren Walfiſch von neunzehn Fuß Länge wog das Gehirn noch nicht vier Pfund, nicht mehr als bei dem ſelten über zweihundert Pfund ſchweren Menſchen!

Alle Sinneswerkzeuge ſtehen auf tiefer Stufe. Die Augen ſind klein, die Ohren, ſo zu ſagen, nur angedeutet. Die Naſe hat ihre Bedeutung ganz verloren und iſt ausſchließlich Luftweg ge - worden; Riechnerven hat man noch bei keiner Art gefunden. Ueber den Geſchmack vermögen wir nicht zu urtheilen; vom Gefühl aber wiſſen wir, daß es einigermaßen entwickelt iſt.

Wie ſich erwarten läßt, ſind die Athmungswerkzeuge der Heimat unſerer Thiere entſprechend gebildet. Der Kehlkopf iſt nicht geeignet, eine wohllautende Stimme hervorzubringen, wohl aber eine große Menge Luft mit einem Male durchgehen zu laſſen. Die Luftröhre iſt ſehr weit, die Lunge hat einen beträchtlichen Umfang, und alle Luftröhrenäſte ſtehen unter einander in Verbindung, ſo daß von einem aus die ganze Lunge gefüllt werden kann. Dazu kommen noch andere Hilfs - mittel, welche die Athmungsfähigkeit erhöhen: ſo beſitzen die Herz - und Lungenſchlagader weite Säcke, in welchen ſich gereinigtes und der Reinigung bedürftiges Blut anſammeln kann. Jn den Verdauungswerkzeugen fällt der Mangel an Speicheldrüſen auf. Die Zunge iſt außerordentlich groß, der Magen meiſt getheilt, die Leber klein, der Darmſchlauch ſelbſt verſchieden. Eine glatte, nur ausnahmsweiſe an ſehr wenig Stellen mit wenigen Borſten bedeckte Haut bekleidet den Körper. Sie iſt weich, ſammtartig anzufühlen und fettig. Jhre Dicke iſt gering; unter ihr aber liegt eine ſehr ſtarke Fettſchicht.

Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß ſolcher Leibesbau für das Waſſerleben der Wale durchaus geeignet iſt. Die Glätte der Haut erleichtert die Fortbewegung der ungeheuren Maſſe, die Fettlage verringert ihr Gewicht, erſetzt das wärmende Haarkleid und gibt zugleich den nöthigen Widerſtand für den kaum zu berechnenden Druck, welchen ein Wal auszuhalten hat, wenn er in die Tiefen des Meeres hinabſteigt. Die ſehr große Lunge ermöglicht es den Thieren, ziemlich lange unter dem Waſſer zu verweilen, und die erweiterten Schlagadern, welche Herz und Lunge verbin - den, bewahren noch eine große Menge gereinigten Blutes in ſich auf, welches verwendet werden kann, wenn die Wale längere Zeit als gewöhnlich verhindert werden, die zur Blutreinigung nöthige827Walthiere.Luft zu ſchöpfen. Auf die Zweckmäßigkeit der übrigen Leibestheile brauchen wir gar nicht einzugehen; ſie ergibt ſich jedem Denkenden von ſelbſt.

Die Wale ſind zu vollkommenen Meeresbewohnern geworden. Sie meiden die Nähe der Küſte ſoviel als möglich: das Land wird ihnen verderblich. Nur die Mitglieder einer Familie gehen zu - weilen ziemlich hoch im ſüßen Waſſer empor, jedoch nicht gern weiter, als ſich die Wirkung der Fluth bemerklich macht. Alle übrigen verlaſſen das Salzwaſſer nicht. Auf dem feſten Lande kann ſich kein Wal bewegen: wenn ein Sturm ihn auf das Trockene ſchleudert, iſt er rettungslos verloren.

Manche Arten ſcheinen an die kälteſten Gegenden des Meeres gebunden zu ſein; nur ſehr we - nige ſind Weltbürger. Zu gewiſſen Zeiten des Jahres ändern ſie ihren Aufenthalt und ziehen in beſtimmten, weiten Kreiſen im Meere hin und her. Alle ſind im hohen Grade bewegungsfähige Thiere. Sie ſchwimmen mit der größten Meiſterſchaft, ohne irgend ſichtbare Anſtrengung, manche mit unglaublicher Schnelligkeit. Gewöhnlich halten ſie ſich nahe der Oberfläche; vielleicht ſteigen ſie in größere Tiefen des Meeres nur dann hinab, wenn ſie verwundet wurden. Die oberſte Schicht des Waſſers iſt ihr eigentliches Gebiet: ſie müſſen mit dem Kopfe und einem Theil des Rückens em - porkommen, wenn ſie Athem ſchöpfen wollen. Jhr Luftwechſel hat manches Eigenthümliche. Der emporgekommene Wal ſpritzt zuerſt unter ſchnaubendem Geräuſch das Waſſer, welches in die nur unvollkommen verſchloſſenen Naſenlöcher eindrang, mit ſo großer Gewalt empor, daß es ſich in feine Tropfen auflöſt, aber dennoch bis zu funfzehn und zwanzig Fuß Höhe emporgeſchlendert wird. Dieſer Waſſerſtrahl läßt ſich am beſten mit einer Dampfſäule vergleichen, welche aus einer engen Röhre entweicht; auch das Schnauben erinnert an das durch den Dampf unter gegebenen Umſtän - den verurſachte Geräuſch. Einen Waſſerſtrahl, wie ihn ein Springbrunnen in die Höhe ſchleudert, wirft kein Wal aus, obgleich die meiſten Zeichner Dies darſtellen und noch gar viele Naturbeſchreiber es angeben. Gleich nach dem Ausſtoßen zieht das Thier unter ebenfalls laut hörbar ſtöhnendem Geräuſch mit einem raſchen Athemzug die ihm nöthige Luft ein, und manchmal wechſelt es drei, vier, auch fünf Mal in der Minute den Athem, aber nur das erſte Mal nach dem Auftauchen wird ein Strahl emporgeſchleudert. Die Naſenlöcher ſind ſo günſtig gelegen, daß der Wal beim Auf - tauchen immer mit ihnen zuerſt in das Freie kommt, und ſomit wird ihm das Athmen ebenſo bequem, als anderen Thieren. Man darf annehmen, daß ein ruhig dahin ſchwimmender, ungeſtörter Wal mindeſtens alle anderthalb Minuten ein Mal Luft ſchöpft; aber man hat auch beobachtet, daß die Thiere weit länger unter Waſſer verweilen können: der berühmte Walfiſchjäger Scoresby be - hauptet, daß verwundete Wale bis zwanzig Minuten unter Waſſer aushalten können. Unter ſolchen Umſtänden leiſtet wahrſcheinlich das in den erwähnten Schlagaderſäcken aufbewahrte, angeſäuerte Blut der Athemnoth noch einige Zeit lang Vorſchub; endlich aber macht ſich das Säugethier doch gel - tend, und der Wal muß wieder zur Oberfläche emporſteigen, um dem unvermeidlichen Erſtickungs - tode zu entrinnen. Bei unterbrochenem Luftwechſel ſtirbt der Wal ſo ſicher, als jeder andere Säu - ger, an Erſtickung, wie man behauptet hat, ſogar in ſehr kurzer Zeit. Ein Wal, welcher ſich in dem Tau verſchlang, mit dem man einen ſeiner eben getödteten Gefährten behufs der Ausnutzung em - porgewunden hatte, war nach wenigen Minuten eine Leiche. Schwerer zu begreifen iſt, daß unſere Thiere, welche doch blos Luft athmen, in verhältnißmäßig ſehr kurzer Zeit ebenfalls ſterben, wenn ſie auf das Trockene geſchleudert werden. Dort fehlt es ihnen doch wahrhaftig nicht an Luft, und auch der Hunger tödtet ein ſo gewaltiges Thier ſchwerlich ſo ſchnell; gleichwohl iſt der geſtrandete Wal, wie ſchon bemerkt, jedes Mal dem Verderben preisgegeben.

Alle eigentlichen Wale nähren ſich von Thieren und nehmen wahrſcheinlich nur zufällig Pflan - zen mit auf; wenigſtens bedarf es noch genauerer Beobachtung, bevor man behaupten kann, daß eine Art, der Finnfiſch nämlich, die Tange, welche man oft in großer Menge in ſeinem Magen fin - det, abweidet, oder ein Delfin die in das Flußwaſſer gefallenen Früchte frißt. Größere und klei - nere Meerthiere der verſchiedenſten Klaſſen ſind die Beute, welcher ſie nachſtreben. Gerade die größten828Walthiere.Arten nähren ſich von den kleinſten Meerthieren und umgekehrt, die kleineren ſind die tüchtigſten Räuber. Der Narwal und die Delfine ſind Raubthiere im eigentlichen Sinne des Wortes, und manche von ihnen verſchonen ſelbſt die Schwächeren ihrer eigenen Sippſchaft nicht; dagegen be - gnügen ſich die Bartenwale mit ſehr kleinen Thieren, mit winzigen Fiſchen, Krebſen, ſchalenloſen Weichthieren, Quallen und dergleichen. Man kann ſich leicht vorſtellen, welch ungeheure Maſſen von Nahrung die Rieſen des Weltmeeres zu ihrer Erhaltung bedürfen: ein einziger Wal verzehrt wahrſcheinlich täglich Millionen und ſelbſt Milliarden von dieſen winzigen Geſchöpfen.

Sämmtliche Wale ſind geſellige Thiere. Jn Gegenden, wo ſie noch nicht durch den Menſchen beunruhigt worden ſind, ſieht man ſie gewöhnlich in ziemlichen Herden zuſammen. Alle zeigen eine große Anhänglichkeit zu einander, und namentlich die Mitglieder eines Paares lieben ſich ganz ungemein.

Ueber die Zeit der Begattung fehlen noch genauere Nachrichten. Vielleicht geſchieht ſie zu jeder Jahreszeit, am häufigſten aber wohl gegen das Ende des Sommers. Es ſcheint, daß ſich dann die Herden in beſtimmte Paare auflöſen, welche längere Zeit zuſammenhalten. Vor der Be - gattung zeigt das Männchen ſeine Erregung durch Plätſchern mit den gewaltigen Floſſen an und erfüllt das ſtille Waſſer mit Donnergetöſe. Gar nicht ſelten wirft es ſich auf den Rücken, ſtellt ſich ſenkrecht auf den Kopf und bewegt die Wogen auf weit hin, ſpringt auch wohl, mit der rieſigen Maſſe ſeines Leibes ſpielend, über die Oberfläche des Waſſers heraus, taucht ſenkrecht in die Tiefe, erſcheint von neuem und treibt andere Scherze zur Freude des Weibchens. Wie lange die Tragzeit währt, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt. Man nimmt zwar an, daß ſie blos neun bis zehn Monate dauert, dürfte aber ſchwerlich dieſe Annahme beweiſen können. Bei den kleineren mag die angegebene Zeit der wahren wohl ziemlich nahe kommen; die großen aber können ebenſogut einundzwanzig oder zweiundzwanzig Monate trächtig gehen, als neun oder zehn Monate. Zwiſchen Februar und April ſieht man neugeborene Junge bei den Weibchen. Sie ſind ſchon ziemlich große Thiere, bedürfen aber noch lange der ſorgſamen Pflege der Alten. Dies gilt zumal für die Bartenwale, welche, wie man behauptet, erſt nach Ablauf des erſten Lebensjahres fähig ſind, ihre Nahrung ſich ſelbſt zu erwerben, und bis dahin geſäugt werden müſſen. Bei dieſem Muttergeſchäft ſchwimmt die Alte ruhig ihres Weges weiter, das Junge hängt ſich feſt an die große Zitze an und läßt ſich im Waſſer nachſchleifen. Wie es ſcheint, ſind die größeren Arten erſt nach dem zwanzigſten Jahre ihres Lebens zur Fortpflanzung geeignet. Wie lange ihr Leben währen kann, weiß man nicht. Man nimmt an, daß das hohe Alter ſich durch Zunahme des Grau an Körper und Kopf, das Vergilben der weiß - lichen Farbe, die Abnahme des Thrans, die große Härte des Specks und die Zähigkeit der ſehnigen Theile beſtimmen läßt; allein man iſt durchaus nicht im Stande, die Zeit anzugeben, in welcher dieſe Veränderungen beginnen.

Auch die Wale haben ihre großen Feinde, namentlich in der erſten Zeit ihres Lebens. Der Hai und der Schwertfiſch ſollen förmlich Jagd auf junge Walfiſche machen, ſelbſt ältere an - greifen und dann tagelang mit Vergnügen von dem rieſenhaften Leichname freſſen. Weit gefährlicher aber, als alle Seeungeheuer, wird den Walen der Menſch. Er iſt es, welcher bereits ſeit mehr als tauſend Jahren faſt ſämmtliche Wale regelrecht verfolgt und einige Arten bereits der Vertilgung nahe gebracht hat.

Bei Gefahr vertheidigen die Wale ſich gegenſeitig, und zumal die Mütter ihre Kinder mit großem Muthe. Die kleineren machen von ihrem ſtarken Gebiß Gebrauch; die größeren verſuchen nur durch unbändige Bewegungen Angriffe abzuwehren. Jm Verhältniß zu ihrer Größe ſind die ungeſchlachten Thiere höchſt ungefährliche Gegner desjenigen Feindes, welcher ihnen den größten Schaden zufügt. Der Menſch kümmert ſich im ganzen wenig um das Toben und Wüthen der von ihm angegriffenen Rieſen; er weiß ſchon Mittel zu finden, auch die größten Anſtrengungen zu vereiteln.

829Walthiere.

Jm Anfang hat ſich der Menſch wahrſcheinlich blos mit denjenigen Walen begnügt, welche ihm das Meer ſelbſt zuführte, d. h. mit ſolchen, welche durch Stürme auf den Strand geworfen wurden. Erſt ſpäter dachte er darau, ſich mit den Rieſen des Meeres im Kampfe zu meſſen. Man ſchreibt den Basken die Ehre zu, das erſte Volk geweſen zu ſein, welches im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert eigentliche Schiffe für den Walfiſchfang ausrüſtete. Anfangs begnügten ſich dieſe kühnen Seefahrer, die Finnfiſche in dem nach ihrem Lande genannten Golfe aufzuſuchen; aber ſchon im Jahre 1372, bald nach Entdeckung des Kompaſſes, ſteuerten ſie nach Norden und fanden hier die eigentlichen Walfiſchgründe auf. Es ſteht feſt, daß ſie ſchon, trotz aller Gefahr der unbekannten Meere und des furchtbaren Klima, bis an die Mündung des Lorenzſtroms und an die Küſte von Labrador vordrangen. Um das Jahr 1450 rüſteten die Rheder von Bordeaux ebenfalls Walfiſch - fahrer aus und ſuchten die werthvolle Beute in den öſtlichen Theilen des nördlichen Eismeeres auf. Bürgerkriege lähmten Schifffahrt und Handel der Basken, und der im Jahre 1633 erfolgte Einfall der Spanier in ihr Land beendete ihren Walfiſchfang für immer. Jhre großartigen Erfolge aber mochten die Habſucht anderer Seevölker erweckt haben; denn ſchon im ſechzehnten Jahrhundert zeigten ſich engliſche und bald darauf holländiſche Walfiſchfahrer in den grönländiſchen Meeren. Man ſagt, daß die ausgewanderten baskiſchen Fiſcher den beiden nördlichen Bölkern die Kunſt des Walfiſchfanges gelehrt haben. Die Stadt Hull rüſtete im Jahre 1598 die erſten Schiffe aus; in Amſterdam wurde 1611 eine Geſellſchaft gebildet, welche ihre Jagdfahrten nach den Meeren von Spitzbergen und No - vaja-Semlja richteten. Bald nahm dieſer Theil der Seefahrt einen bedeutenden Aufſchwung. Schon ſechzig Jahre ſpäter verließen 133 Schiffe mit Walfiſchfängern die holländiſchen Hafen. Die Blüthezeit des Fanges kam ſpäter. Vom Jahre 1676 bis 1722 an ſendeten die Holländer 5886 Schiffe aus und erbeuteten in dieſer Zeit 32,907 Wale, deren Geſammtwerth ſchon damals min - deſtens hundert Millionen Thaler unſeres Geldes betragen haben mag. Noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die gewinnreiche Jagd eifrig betrieben. Friedrich der Große ließ im Jahre 1768 Walfiſchfänger ausrüſten; die Engländer hatten etwa um dieſelbe Zeit 222 Schiffe auf den nörd - lichen Meeren.

Gegenwärtig ſind die Amerikaner die eifrigſten Walfiſchfänger. Jm Jahre 1841 beſchäftigten ſie allein für den Walfiſchfang in der Südſee ſechshundert Segel und 13,500 Mann.

Bei dem ungeheuren Aufſchwung, welchen die Schifffahrt genommen hat, darf es uns nicht Wun - der nehmen, daß zur Zeit alle Polarmeere, welche den kühnen Seefahrern nicht unüberwindliche Hinderniſſe entgegenſetzen, beſucht werden. Die Schiffe verlaſſen ihre heimiſchen Hafen ſchon im März oder im September, je nachdem ſie mit dem Anbruch des Sommers in dem nördlichen oder im ſüdlichen Eismeer ſchiffen wollen. Dort bleiben die meiſten Fänger bis zum September, einige wohl auch bis zum Oktober, hier bis zum März oder ſpäteſtens bis zum April. Der Fang iſt im ganzen wenig gefährlich, wohl aber die Fahrt. Jedes Jahr bringt der Walfiſchflotte ſchwere Ver - luſte. Von dreiundſechzig Schiffen im Jahre 1819 gingen zehn, von neunundſiebzig im Jahre 1821 elf, von achtzig im Jahre 1830 einundzwanzig Schiffe zu Grunde. Am gefährlichſten wird den Walfiſchfahrern die Oſtküſte der Baffinsbai, bezüglich der Verſuch, die große Eisbank zu durch - dringen, welche dieſen Meerestheil faſt ganz erfüllt. Wird auf dieſer engen und gefährlichen Durchfahrt, ſagt Hartwig, das Schiff vom Treibeis gegen die feſt anſitzenden Eismaſſen ge - ſtoßen, ſo iſt deſſen Verluſt unvermeidlich, den ſeltenen Fall ausgenommen, wo es durch den Druck aus dem Waſſer gehoben und ſpäter, beim Auseinandergehen des Eiſes, wieder in die Fluthen ge - ſenkt wird. Zum Glück gehen bei ſolchen Schiffbrüchen nur ſelten Menſchenleben verloren, da das Meer faſt immer ruhig iſt und die Mannſchaft Zeit genug hat, ſich auf andere Schiffe zu retten. Der Walfiſchfang überhaupt iſt nicht nur ein ſehr gefährliches und auſtrengendes, ſondern auch ein höchſt unzuverläſſiges Geſchäft, ſo daß bei ihm das oſtender Sprichwort: Viſcherie Lotterie ſich vollkommen bewährt. Oft gelingt es in kurzer Zeit, das ganze Schiff mit Thran und Fiſchbein zu beladen, wobei natürlich der Rheder ein glänzendes Geſchäft macht und die ganze Bemannung ſich830Walthiere.eines reichlichen Lohnes erfreut. Manchmal aber iſt am Ende der Fahrt auch kein einziger Fiſch ge - fangen worden, und dann hat die Mannſchaft, welche für ihren Lohn auf einen Theil des Fanges angewieſen iſt, alle Noth und Mühe umſonſt gehabt, und der Unternehmer iſt um eine bedeutende Summe ärmer.

Wie ſehr der Walfiſchfang von den Launen des Zufalls abhängt, geht aus folgenden amt - lichen Angaben deutlich hervor. Jm Jahre 1748 wurden von den 108 Schiffen der holländiſchen Grönlandsflotte 1291 Fiſche gefangen, deren Werth etwa vier Millionen Thaler betrug, ſo daß alſo auf jedes Schiff durchſchnittlich ſechsunddreißigtauſend Thaler kamen; im folgenden Jahre da - gegen erbenteten 137 Schiffe blos zweiundzwanzig Wale. Jn Folge dieſes entmuthigenden Ergeb - niſſes rüſtete man das nächſte Mal nur 117 Schiffe aus; dieſe fingen aber 631 Walfiſche und ent - ſchädigten den Rheder einigermaßen für den erlittenen Verluſt.

Der Walfiſchfang ſelbſt iſt ſchon ſo oft und ſo ausführlich beſchrieben worden, daß wir uns hier mit einer kurzen Schilderung vollkommen begnügen können. Wenn die Schiffe in den Wal - fiſchgründen angekommen ſind, kreuzen ſie entweder in beſtimmten Breiten auf und nieder, oder legen ſich an irgend einer günſtigen Stelle vor Anker und beobachten von nun an unabläſſig das Waſſer nach allen Richtungen hin. Der Ausruf des Mannes im Maſtkorbe: Dort blaſen ſie! bringt das ganze Schiff in eine unglaubliche Aufregung. Sorgfältig ausgerüſtete Bote wer - den ausgeſetzt, jedes von ihnen mit ſechs bis acht tüchtigen Ruderern, einem Steuermann und dem Harpunenwerfer bemannt, und alle jagen nun ſo eilig als möglich den ruhig ihren Weg ſchwim - menden Walen entgegen. Die Angriffswaffe, deren ſich der Harpunier bedient, iſt ein lanzen - artig zugeſpitztes, ſcharfes, mit Widerhaken verſehenes Eiſen, welches an einer ſehr langen und äußerſt biegſamen Leine befeſtigt iſt. Letztere liegt auf einer leicht drehbaren Walze im Vorder - theile des Botes ſorgfältig aufgerollt. Beim Näherkommen rudert man langſam und vorſichtig auf den Walfiſch zu, je näher, um ſo beſſer, und der Harpunier wirft nun mit voller Kraft das ſcharfe Eiſen in den Rieſenleib des Wales. Jn demſelben Augenblicke ſchlagen alle Ruder in das Waſſer, um das Bot aus der gefährlichen Nähe des verwundeten Ungeheuers zu entfernen. Ge - wöhnlich taucht der Wal ſofort nach dem Wurf blitzſchnell in die Tiefe und rollt dabei die Leine ſo raſch ab, daß man Waſſer auf die Rolle gießen muß, um die Entzündung derſelben zu ver - hindern. Die große Schnelligkeit der erſten Schwimmbewegung hält jedoch nicht lange an. Der Wal ſchwimmt ruhiger, und ſeine furchtbaren Feinde ſind jetzt im Stande, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Freilich kommt es auch vor, daß das Bot von dem fliehenden Thiere mit raſender Schnelligkeit ſtunden -, ja halbe Tage lang nachgeſchleift wird. Nach einer Viertelſtunde etwa erſcheint der Verwundete wieder an der Oberfläche, um zu athmen. Das eine oder andere Bot nähert ſich ihm zum zweiten Male, und ein neuer Wurfſpieß dringt in ſeinen Leib. Die menſch - liche Einbildung, ſagt ein Augenzeuge, kann ſich nichts Schrecklicheres vorſtellen, als die Schläch - terei, welche man hier ſieht. Entſetzt ſtürzt ſich der Walfiſch von Woge zu Woge, ſpringt im Todeskampfe aus dem Waſſer heraus und bedeckt das Meer umher mit Blut und Schaum. Er taucht unter, indem er einen Wirbel auf ſeinem Pfade zurückläßt, er kommt empor, und die tödt - liche Lanze dringt in einen noch unberührten Lebensquell; wohin er ſich auch kehrt, das kalte Eiſen ſtachelt ihn zur Verzweiflung auf. Jm vergeblichen Aufwand ſeiner Stärke macht er die See kochen wie in einem Topf, ein Zittern ergreift ſeinen ungeheuren Leib und ſchüttelt ihn, wie der erwachende Vulkan die Wand des Berges. Endlich hat er ſich verblutet; er ſenkt ſich auf die Seite und wird nun verächtlich von den Meereswogen umhergeſchleudert, ein willkommenes Ziel für Tauſende von Vögeln, welche augenblicklich herbeikommen, in der Abſicht, von dem rieſigen Aaſe zu ſpeiſen.

Der getödtete Wal geht ſehr raſch in Fäulniß über. Schon einen Tag nach ſeinem Tode iſt er zu einer ungeheuren ſchwammigen Maſſe angeſchwollen, und gar nicht ſelten treiben die ſich ent - wickelnden Gaſe den Leichnam ſo auf, daß er unter heftigem Knall berſtet und dabei einen uner -831Der Narwal.träglichen Geſtank verbreitet. Gewöhnlich haben die Walfiſchfänger ihre Arbeit ſchon beendet, ehe es zur Fäulniß kommt. Man ſchleppt den erlegten Rieſen an einem ſtarken Seile mit mehreren Boten nach dem Schiffe, befeſtigt ihn dort und ſchreitet nun zum Einſchneiden. Am Hauptmaſt ſind zwei ſchwere Rollen angebracht, durch dieſe laufen ſtarke Taue, deren Enden auf der einen Seite an der Ankerwinde befeſtigt ſind, auf der anderen über Bord herabhängen. An ihnen be - feſtigt man den ungeheuren Kopf, um ihn bis zu den Halswirbeln emporzuwinden. Jm Genick trennt man ihn von dem übrigen Körper, welcher durch große Haken zum Zerſchneiden aufgehängt wird. Der Kopf wird mittlerweile auf das Deck gezogen und ſpäter dort des Fiſchbeins, der Zähne und bezüglich des Walrats beraubt. Die Speckſchneider ſtehen auf ſchmalen Gerüſten, welche an den Seiten des Schiffes hängen. Sie ſtechen zuerſt drei Fuß breite Streifen um den Körper herum, über den Rücken und Bauch, befeſtigen einen ſolchen Streifen an einem Tau und geben das Zeichen zum Aufwinden. Während die Einen die Ankerwinde in Bewegung ſetzen, helfen die Untenſtehenden mit ihren ſcharfen Spaten nach und trennen den Speck von dem in Folge des Auf - windens ſich drehenden Leibe ab. So fährt man fort, bis der ganze Speck in lauter ſchraubenartig gewundenen Streifen vom Leibe abgeſchält iſt. Der Rumpf bleibt dem Meergethier überlaſſen.

Nach dem Aufwinden kommt der Speck zunächſt in das Zwiſchendeck, wo er zuerſt von mehreren Leuten und dann durch eine Maſchine in dünne Scheiben geſchnitten wird. Das Auskochen geſchieht in großen auf dem Verdeck eingemauerten Keſſeln, deren Herd ringsum mit Waſſer umgeben iſt. Nur im Anfang verwendet man Steinkohlen zur Feuerung, ſpäter benutzt man die übrigbleibenden Stücke des ausgekochten Speckes zur Unterhaltung der Flamme. Der ausgekochte Thran wird in einer Kühlpfanne abgekühlt und dann ſofort in die Tonnen gefüllt, welche man im unterſten Schiffs - raume verladet.

Kleinere Wale weidet man aus, zerhackt ſie dann in Stücke und kocht ihren ganzen Leib.

Die Ordnung der Wale kann in vier oder in zwei Familien eingetheilt werden, je nachdem man die Narwale, Delfine und Pottwale trennt oder vereinigt.

Nach unſerer Anſicht vertritt der Narwal (Monodon Monoceros) eine beſondere Familie. Er iſt ein Wal von 12 bis 16, vielleicht 20 Fuß Länge, welcher ſich vor allen übrigen durch den eigenthüm - lich bewehrten Oberkiefer auszeichnet. Aus ihm brechen nämlich zwei ungeheuere, d. h. 6 bis 10 Fuß lange, innen hohle, ſchraubenförmig von rechts nach links gewundene, elfenbeinartige Stoßzähne hervor, von denen der eine (der rechte) in der Regel verkümmert und im höheren Alter verloren geht. Dieſe Zähne ſtehen wagrecht zu beiden Seiten des Oberkiefers. Beim Weibchen bleiben beide gewöhnlich in der Zahnhöhle zurück. Jm übrigen erſcheint der Narwal als ein Mittelglied zwiſchen den Sirenen und Delfinen. Der Kopf iſt verhältnißmäßig klein, der Hals ſehr kurz und dick, der Leib lang geſtreckt und ſpindelförmig, die Schwanzfloſſe ſehr groß, in der Mitte ziemlich tief ausge - ſchnitten, zu beiden Seiten glatt, die Bruſtfinne dagegen verhältnißmäßig klein. Eine Rückenfinne wird nur durch eine Hautfalte angedeutet. Die nackte, glatte, ſammtartige, weiche und glän - zende Haut iſt verhältnißmäßig dünn, die Oberhaut nicht dicker als Papier, die Schleimhaut noch nicht einen halben Zoll dick und auch die Lederhaut dünn, obſchon feſt. Nach Alter und Geſchlecht iſt die Färbung etwas verſchieden. Beim Männchen ſtehen auf der weißen oder gelblichweißen Grund - farbe zahlreiche, längliche, unregelmäßig geſtaltete, weiße und braune Flecken, beim Weibchen ſolche, welche mehr ins Bräunliche ſpielen. Dieſe Flecken ſtehen auf dem Rücken am dichteſten und auf dem Unterleibe am dünnſten. Auf dem Kopfe fließen ſie oft gänzlich zuſammen. Ganz junge Thiere ſind ungefleckt, einförmig bläulichgrau oder ſchieferig gefärbt; bei mittelalten Thieren ſtehen die Flecken ſehr dicht und ſind dunkeler, als bei alten. Der Zahn ſieht gelblichweiß, an der Spitze aber rein - weiß aus, jedoch erſt nachdem man ihn gereinigt hat, denn beim lebenden Narwal iſt er ſtets be - ſchmuzt.

832Walthiere. Der Narwal.

Es darf uns nicht Wunder nehmen, daß die Alten über den Narwal alles Mögliche gefabelt haben. Ein ſo auffallend geſtaltetes Thier erregt nothwendigerweiſe die Verwunderung des Menſchen, und ſo lange die Wiſſenſchaft nicht ihr entſcheidendes Wort geſprochen, iſt die liebe Fantaſie beſchäf - tigt. Namentlich über den Zahn hat man Allerlei gemuthmaßt und, um offen zu ſein, muthmaßt man noch; denn bis zum heutigen Tag geben ſich die Zweckmäßigkeitsprediger alle Mühe, ſeinen Nutzen zu erklären. Schon der alte Strabo ſpricht von einem Oryr des Meeres, welcher ſehr groß ſei und ſich häufig in Geſellſchaft des Walfiſches in der Nähe von Spanien herumtreibe. Albertus Magnus erzählt mehr von dieſem Thiere. Er nennt es einen Fiſch, welcher ein Horn an der Stirn trägt, womit er Fiſche und gewiſſe Schiffe durchbohren könne; aber er ſei ſo faul, daß diejenigen,

Der Narwal (Monodon Monoceros).

welche er angreife, leicht entfliehen könnten. Ein ſpäterer, unbekannter Schriftſteller verſichert, daß gedachtes Meerungeheuer große Schiffe durchbohren, zerſtören und dadurch viele Menſchen zu Grunde richten könne; doch habe die Liebe des Schöpfers das Thier ſo langſam erſchaffen, daß die Schiffe, wenn ſie es ſähen, Zeit hätten, zu entfliehen. Roggefort gibt die erſte gute Abbildung und er - zählt, daß der Narwal ſein Horn zum Kampfe gegen andere Walfiſche gebrauche, damit aber auch das Eis zertrümmere. Deswegen finde man mehrere mit abgebrochenen Zähnen. Erſt Fabricius bezweifelt, daß der Narwal die Schollen und andere Fiſche, welche ſeine Nahrung bilden, mit dem Zahne anſteche und denſelben dann in die Höhe richte, bis ſeine Beute allmählich gegen das Maul rutſche, ſo daß er ſie endlich mit der Zunge einziehen könne. Scoresby endlich ſtimmt mit denen833Der Narwal.überein, welche den Stoßzahn des Narwal als nothwendiges Werkzeug zur Zertrümmerung des Eiſes anſehen. Wir unſererſeits dürfen in dem Zahne wohl nur eine Waffe ſehen, wie ſie das männliche Geſchlecht ſo oft vor dem weiblichen voraus hat; wenigſtens wüßten wir es uns ſonſt nicht zu erklä - ren, wie das arme unbezahnte Weibchen ſich helfen könnte, wenn die von den genannten Schrift - ſtellern erdachten Rothfälle eintreten ſollten.

Unſere Kenntniß über das Leben und Treiben des Seeungeheuer geſcholtenen Wales läßt noch ſehr viel zu wünſchen übrig. Wir wiſſen jetzt ungefähr Folgendes: Der Narwal iſt ein Bewohner der nördlichen Meere und wird am häufigſten zwiſchen dem 70. und 80. Grad der nördlichen Breite ge - troffen, in der Davisſtraße, in der Bafſinsbay. Jn der Prinzregenten-Einfahrt, im Eismeer zwi - ſchen Grönland und Jsland, um Novaja-Semlja und weiter in den nordſibiriſchen Meeren iſt er häufig. Südlich des Polarkreifes kommt er nur ſelten vor. So weiß man blos von vier Fällen, daß Narwale an der Küſte Großbritanniens ſtrandeten, und an den deutſchen Küſten iſt das Thier nur im Jahre 1736, aber zwei Mal, vorgekommen und erlegt worden. Der Narwal meidet das Land und liebt die hohe See. Vielleicht wandert er, wie manche Wale, von Weſten nach Oſten und zurück; doch beruht dieſe Angabe zunächſt nur auf Erzählungen der Grönländer.

Selten ſieht man dieſen Wal einzeln. Den Schifffahrern kommt gewöhnlich eine Truppe von 15 bis 20 Stück zu Geſicht, regelmäßig Thiere deſſelben Geſchlechts. Jm hohen Norden ſoll er ſich auch zu Rudeln von Hunderten vereinigen, namentlich an ſolchen Orten, wo das auf große Strecken hin eisbedeckte Meer einige freie Stellen hat. So weit man beobachten konnte, iſt der Narwal ein friedliches, harmloſes Thier, welches weder unter ſich Zank und Streit anfängt, noch auch Kämpfe mit dem Walfiſch ausführt. Die Rudel ſchwimmen ſo dicht, daß ein Männchen immer den Stoß - zahn auf den Rücken ſeines Vordermannes legt. Manchmal kommt es auch vor, daß ihrer zwei oder drei ihre Stoßzähne kreuzen. Von der durch des Schöpfers Güte dem Narwal zu Gunſten jedes rechtſchaffenen Adamſohnes verliehenen Langſamkeit haben neuere Seefahrer Nichts bemerkt; ſie be - zeichnen dieſen Wal im Gegeutheil als ein ſehr munteres, behendes Thier, welches mit außerordent - licher Schnelligkeit ſchwimmt und durch ſein oft wiederholtes Auf - und Niedertauchen das Meer zu beleben und die Aufmerkſamkeit des Beobachters zu feſſeln weiß. Ein einziger ſtarker Schlag ſeiner Schwanzfloſſe genügt, um Wendungen nach jeder Seite hin auszuführen, nur eine Drehung im engen Kreiſe wird ihm ſchwer. Bei jedem Emporſteigen ſtößt das Thier Luft und Waſſer mit Heftig - keit durch die Naſe, wodurch ein weit hörbares Schnauben entſteht. Wenn eine Herde raſch vorüber ſchwimmt, vernimmt man auch gurgelnde Laute, welche dadurch hervorgebracht werden, daß mit der Luft Waſſer ausgeſtoßen wird, welches in die Naſenöffnungen drang.

Seegurken, nackte Weichthiere und Fiſche bilden die Nahrung des auffallenden Geſchöpfes. Scoresby fand in ſeinem Magen Glattroggen, welche faſt drei Mal ſo breit waren, als ſein Maul, und wundert ſich, wie es ihm möglich wird, mit dem zahnloſen Maule eine ſo große Beute feſtzuhalten und herabzuwürgen; er glaubt deshalb, daß der Narwal dieſen Roggen vorher mit ſei - nem Stoßzahne durchbohrt und erſt nach ſeiner Tödtung verſchlungen habe. Der unhöfliche Seemann vergißt aber dabei wieder das arme Weibchen, welches doch auch leben will. Wahrſcheinlich iſt, daß der Narwal ſeine Nahrung im Schwimmen erhaſcht und durch den Druck ſeines Maules ſo zuſam - menpreßt, daß er ſie hinabwürgen kann: unſere gefangenen Seehunde wickeln die Schollen auch erſt zuſammen, wie die Köchin einen Eierkuchen, bevor ſie den breiten Biſſen als mundgerecht betrachten.

Ueber die Fortpflanzung unſerer Thiere wiſſen wir bisjetzt noch ſo gut als Nichts; man kennt weder die Zeit der Paarung, noch die Dauer der Trächtigkeit, noch auch die Zeit des Werfens. Jm Juni hat man ein faſt vollſtändig ausgebildetes Junge im Leibe eines alten Weibchens getroffen.

Man jagt den Narwal ſchon ſeit alten Zeiten des großen Nutzens halber, welchen er gewährt. Gleichwohl iſt der Menſch vielleicht nicht der hauptſächlichſte Feind unſeres Thieres. Nicht blos der Butskopf oder Schwertfiſch und der Menſchenfreſſerhay ſtellen ihm nach: auch das Meer ſelbſtBrehm, Thierleben. II. 53834Walthiere. Der Narwal.wird ihm verderblich. Von keinem anderen Walthiere findet man ſo viele Ueberbleibſel, als von dem Narwal. Jn vielen Gegenden, wo er ſehr ſelten iſt, ſchwemmt das Meer ſeine Stoßzähne in Menge an und ebenſo oft wird der anſcheinend unverletzte Leib an die nördlichen Küſten getrieben. Es ſcheint alſo, daß bei Stürmen viele dieſer Wale zu Grunde gehen.

Die Walfiſchfänger machen nicht immer Jagd auf ihn. Einzelne Narwale ſind ſchwer zu erle - gen, wenn nicht eisfreie Strecken des Meeres behufs des Athemholens ſie an ein und dieſelbe Stelle binden. Jm hohen Meere werden einzelne harpunirt, wie der Walfiſch; im Ganzen aber iſt die Jagd nirgends bedeutend. Die Grönländer eſſen das Fleiſch gekocht und getrocknet, die Haut und den Speck roh, brennen das Fett in Lampen, verfertigen aus den Flechſen guten Zwirn, aus dem Schlunde Blaſen, welche ſie beim Fiſchfang gebrauchen, und wiſſen ſelbſt die Gedärme zu verwen - den. Die Walfiſchfahrer ſchmelzen zwar den Speck aus, ſehen aber doch in den Stoßzähnen den Hauptgewinn der Jagd.

Jn früheren Zeiten wurden die Stoßzähne mit ganz unglaublichen Summen bezahlt. Man ſchrieb ihnen allerlei Wunderkräfte zu und wußte ſie ſomit noch vielſeitiger zu verwenden, als wir, welche in ihnen blos eine Maſſe ſehen, die das Elfenbein in jeder Hinſicht übertrifft. Noch vor etwa dritthalb hundert Jahren gab es nur ſehr wenig Narwalzähne in Europa, und diejenigen, welche die Seefahrer bisweilen fanden, wurden ohne Mühe verwerthet. Man hielt die Zähne für das Horn des Einhorns in der Bibel, und deshalb eben ſetzten die Engländer ſolchen Zahn dem fabelhaften Einhorn ihres Wappens auf. Kaiſer und Könige, ſagt Fitzinger, ließen ſich oft mit dem zierlichſten Schnitzwerk verſehene Stäbe daraus verfertigen, welche ihnen nachgetragen wurden, und die koſtbaren Biſchofsſtäbe waren aus ſolchen Zähnen gefertigt. Noch im 16. Jahrhundert bewahrte man im bay - reuthiſchen Archive zu Plaſſenburg vier Narwalzähne als außerordentliche Seltenheit auf. Einen derſelben hatten zwei Markgrafen von Bayreuth von Kaiſer Karl V. für einen großen Schuldpoſten angenommen und für den größten wurde von den Venetianern noch im Jahre 1559 die ungeheuere Summe von 30,000 Zechinen angeboten, ohne daß es ihnen gelungen wäre, ſich den Beſitz deſſelben zu verſchaffen. Der dritte wurde als Arzneimittel, jedoch nur für die Angehörigen des Fürſten - hauſes, verwendet; man hielt ihn für ſo koſtbar, daß immer Abgeordnete beider Fürſten zugegen ſein mußten, wenn ein Ring von ihm zum Gebrauch abgeſchnitten wurde. Ein Zahn, welcher in der kurfürſtlichen Sammlung zu Dresden an einer goldenen Kette hing, wurde auf 100,000 Reichs - thaler geſchätzt.

Mit der Ausbreitung der Schifffahrt verloren die Zähne mehr und mehr im Werth, und als im Anfang des 18. Jahrhunderts die grönländiſche Geſellſchaft viele große Stücke von Narwalzähnen nach Moslau ſchickte, um dieſelben an den Zaren zu verhandeln, wußte der Leibarzt des Kaiſers den Handel rückgängig zu machen, indem er ſagte, daß dieſe gar keine Einhörner, ſondern nur Fiſchzähne wären. Der Abgeſandte mußte, ohne ein Stück los zu werden, wieder nach Kopenhagen zurück - kehren und hatte dort noch den Schmerz, verhöhnt und geſcholten zu werden. Wie ſeid Jhr doch ſo unerfahren, ſagte der alte Kaufmann, Jhr hättet dem Arzte zwei - oder dreihundert Dukaten geben ſollen, dann wären unſere Zähne ſicherlich Einhörner geweſen. Je mehr man zu der Ueberzeugung kam, daß dieſe Zähne nicht vom Einhorn ſtammten, verloren ſie ihre Wunderkräfte; aber noch Ende vorigen Jahrhunderts fehlten ſie in Apotheken nicht, und manche Aerzte wußten ihre Unwiſſenheit noch immer durch Verordnung von gebranntem Narwalpulver darzulegen. Gegenwärtig betrügen die biederen Holländer blos noch die Chineſen und Japaneſen mit den früher ſo geſuchten Stoffen; denn bei uns zu Lande wird das Stück höchſtens mit 8 bis 20 Thalern bezahlt.

Der Name Narwal ſoll ſoviel als Aaswal bedeuten. Die Grönländer nennen das Thier Tauwar, Killuag, Kernektog und Tukallik, die Jsländer Jllevalle und Oetkamp, die Norweger Lüghtal.

835Die Delfine.

Die zweite Familie der Wale, welche die Delfine (Delphini) umfaßt, iſt die reichhaltigſte von allen und zerfällt in eine Menge von Sippen. Alle hierher gehörigen Thiere ſind Mittelglieder zwi - ſchen dem Narwal und dem Pottfiſch, welche beide von manchen Naturforſchern der Delfinfamilie ohne weiteres zugezählt werden. Sie kennzeichnen eine anſehnliche Zahnmenge in den beiden manch - mal ſchnabelartig verlängerten Kiefern des verhältnißmäßig kleinen Kopfes mit einfachem Spritzloch, ſowie ein kleiner, aber ſchlanker Leib mit kleiner Schwanz - und Bruſtfloſſe und einer Rückenfloſſe, welche wenigſtens oft ſich findet. Die Zähne ſind beſonders deshalb merkwürdig, weil ſie ſich nicht als Schneide -, Reiß -, Mal - und Kauzähne unterſcheiden laſſen, ſondern durchaus gleichartig gebildet ſind. Auch der Darmſchlauch verdient wegen der großen Weite der Speiſeröhre und dem etwa zwölf Mal körperlangen Darme Beobachtung.

Die Delfine beleben alle Meere der Erde, die unter dem Gleicher liegenden ebenſowohl als die hochnordiſchen und gemäßigteren. Sie ſind die einzigen Wale, welche weit in den Flüſſen empor - ſteigen, ja ſelbſt ihre ganze Lebenszeit in ihnen und in den Seen, welche mit den Flüſſen zuſammen - hängen, verbringen. Sie wandern wie die Wale von Norden nach Süden oder von Weſten nach Oſten und umgekehrt. Alle ſind im hohen Grade geſellig; manche ſchlagen ſich in ſehr ſtarke Scharen zuſammen, welche dann tage - und wochenlang mit einander im Meere hin und her ſtreifen. Jhre große Lebhaftigkeit, ihre geringe Scheu vor dem Menſchen und ihre luſtigen Spiele haben ſie ſchon ſeit uralter Zeit den Schiffern und zumal den Dichtern befreundet.

Faſt alle Delfine ſchwimmen mit außerordentlicher Gewandtheit und Schnelligkeit und ſind des - halb zum Fiſchfang im hohen Grade befähigt. Gerade ſie gehören zu den furchtbarſten Räubern des Meeres; ſie wagen ſich ſelbſt an den ungeheuren Walfiſch und wiſſen dieſen, Dank ihrer Ausdauer, wirklich zu bewältigen. Nebenbei freſſen ſie auch noch Kopffüßler, Weich -, Kruſten - und Strahlen - thiere; einzelne ſollen aber auch Seetange und Baumfrüchte zu ſich nehmen und dieſe ſogar von den Bäumen, welche ſich über das Waſſer neigen, abpflücken. Gefräßig, raubgierig und grauſam ſind ſie alle. Was genießbar iſt, erſcheint ihnen als gute Beute; ſie verſchmähen nicht einmal die Jun - gen ihrer eigenen Art oder ihrer nächſten Verwandten. Unter ſich zeigen ſie eine große Anhänglich - keit; ſobald aber einer von ihnen getödtet worden iſt, fallen ſie wie die Wölfe über den Leichnam her, zerreißen ihn in Stücke und freſſen ihn auf. Zur Paarungszeit ſtreiten die Männchen mancher Arten um den Beſitz des Weibchens, und ein etwa im Kampfe getödteter Nebenbuhler wird ſofort auf - gefreſſen. Die Weibchen werfen nach einer Tragzeit von etwa zehn Monaten ein oder zwei Junge, ſäugen dieſe lange, behandeln ſie mit der größten Sorgfalt und beſchützen und bewachen ſie bei Ge - fahr. Bei einigen Arten kommt auch der Vater oder ein anderes zu derſelben Schar gehöriges Mit - glied herbei, und beide tragen den verwundeten Säugling auf dem Rücken mit ſich fort. Man nimmt an, daß die Jungen nur langſam wachſen, aber ein hohes Alter erreichen.

Alle Delfine ſind ſeitens des Menſchen ungleich weniger Verfolgungen ausgeſetzt, als die übri - gen Wale. Jhre ſchlimmſten Feinde ſind ihre eigenen Familienglieder; aber mehr noch, als irgend welches Raubthier wird ihnen ihr Ungeſtüm verderblich. Sie verfolgen mit ſolcher Gier ihre Beute, daß ſie oft durch dieſe auf den verrätheriſchen Strand gezogen werden, gänzlich außer Fahrwaſſer gerathen und ſcharenweiſe auf dem Trockenen verkommen müſſen. Manchmal finden die Fiſcher Dutzende von ihnen am Strande liegen. Jm Todeskampfe laſſen ſie ihre Stimme vernehmen: ein ſchauerliches Stöhnen und Aechzen, welches bei einigen von reichen Thränengüſſen begleitet wird.

Der Menſch gewinnt von vielen Arten einen ziemlichen Nutzen; denn faſt alle Theile des Leibes finden Verwendung. Man ißt das Fleiſch und das Fett, die edleren Eingeweide, benutzt die Haut und die Gedärme und ſchmilzt aus ihrem Speck einen ſehr geſuchten, feinen Thran aus.

53*836Die Delfine. Der Weißfiſch oder die Beluga.

Mertens, welcher als Schiffsarzt eines Walfiſchfahrers im Jahre 1671 Grönland beſuchte und über nordiſche Seethiere ſchrieb, erwähnt zuerſt eines der merkwürdigſten Delfine, des Weiß - fiſches oder der Beluga (Delphinapterus Leucas). Dieſes Thier gilt als einziger Vertreter einer beſonderen Sippe, welche ſich hauptſächlich durch den runden Kopf mit abgeſtumpfter Schnauze, das Fehlen einer Rückenfloſſe, ſonſt aber auch dadurch auszeichnet, daß die Zähne, welche beide Kiefern tragen, im Alter oft ausfallen. Aus dieſem Grunde reiht man das Thier dem Narwal an.

Der Weißfiſch erreicht eine Länge von 12 bis 20 Fuß bei einem Umfang des Leibes von 9 Fuß. Die Bruſtfinnen meſſen 2 Fuß in der Länge und etwas mehr als 1 Fuß in der Breite. Die ſtarke Schwanzfinne wird 3 Fuß breit. So große Thiere gehören aber doch zu den Seltenheiten; bei wei - tem die meiſten, welche unterſucht worden waren, ſind kleiner. Bei jüngeren Thieren zählt man in beiden Kiefern jederſeits neun kurze, gerade, ſtumpfe Zähne. Die äußere Haut des Leibes iſt bei

Der Weißfiſch oder die Beluga (Delphinapterus Leucas).

jungen Thieren bräunlich oder bläulichgrau, bei alten aber milchweiß, mehr oder weniger ins Gelb - lichroſenrothe oder Pomeranzenfarbige ſpielend. Bei den jungen verbleicht zuerſt der Bauch, und dann zeigen ſich lichtere Flecken auf dem Rücken, welche mehr und mehr ſich vergrößern und aus dem zeitweilig geſcheckten Thiere endlich ein vollkommen weißes machen. Dieſe Färbung iſt es, welche unſerem Wale oder Delfin in allen Sprachen ſeinen Namen gegeben hat. Die Grönländer nennen ihn Hvüdvisk, die Jsländer Witfisk, die Ruſſen Morskuja Beljuge, die Samojeden Viborga, die Guräcken Ghik, die Kamtſchatalen Satſcha, die Kurilen Petſchuga und die Walfiſchfänger Wihtefiſch oder Hirtfiſch, woraus dann unſer deutſcher Name Weißfiſch entſtanden iſt. Es ſoll, wie Faber, einer der ſpäteren Beobachter, ſagt, ein wahrhaft prachtvolles Schauſpiel ſein, wenn eine Herde dieſer blendenden Thiere nach und nach aus den dunklen Meereswogen mit halbem Leibe emportaucht und unter Schnauben Waſſerſtrahlen umherſchleudert. Die weißen Geſtalten erſcheinen wegen des dunk - len Hintergrundes blendend und verleihen dem Meere einen neuen Reiz.

837Der Weißfiſch oder die Beluga.

Seit dem erſten Berichte haben viele tüchtige Naturforſcher, Steller, Pallas, Fabricius und Andere, die Beluga beſchrieben, und ſomit haben wir eine ziemlich ausführliche Kenntniß von ihr erlangt.

Der Weißfiſch findet ſich in allen Meeren des hohen Nordens, vom 56. Grad nördlicher Breite an ziemlich regelmäßig. Von der Hudſonsbay und Davisſtraße an durch das ganze Eismeer bis zur Behringsſtraße und in den mit dieſer Meerenge zuſammenhängenden Theilen des großen Weltmeers iſt er beobachtet worden. Er iſt nirgends gerade ſelten und fällt wegen ſeiner ſchönen Färbung auch dem rohen Matroſen auf. Einige Male iſt er nach den ſüdlicheren Theilen Europas herabgekommen: ſo fand man im Jahre 1793 zwei junge, etwa 7 bis 8 Fuß lange Belugas auf dem Strande von Pentland-Frith und hatte im Jahre 1815 Gelegenheit, mehrere Monate lang eine ziemlich erwach - ſene Beluga zu beobachten, welche ſich während dreier Monate luſtig im Golfe von Edinburg umher - trieb, täglich mit der Fluth nach aufwärts zog, mit der Ebbe wieder in das Meer zurückkehrte und ſich ſo vertraut machte, daß die Bewohner Edinburgs zum Golfe herauskamen, um ſie zu betrach - ten. Leider wurde dem nordiſchen Fremdling ſchlecht vergolten: die Fiſcher glaubten ſich, vielleicht nicht mit Unrecht, durch den Gaſt aus dem Eismeere in ihrem Lachsfang beeinträchtigt und ſtellten ihm mit allem Eifer nach. Dank ſeiner großen Geſchwindigkeit und Geſchicklichkeit entging er lange der Verfolgung; endlich aber machte das tückiſche Feuergewehr ſeinem Leben ein Ende. Glücklicher - weiſe ging der nun getödtete Fiſch für die Wiſſenſchaft nicht verloren: gebildete Männer zergliederten ihn und gaben eine ſo genaue Beſchreibung ſeines inneren Leibesbaues, wie wir ſie von Seethieren nur ſelten erhalten haben.

An den ſibiriſchen Küſten iſt die Beluga eine ebenſo häufige, als gern geſehene Erſcheinung. Unſer Delfin nämlich iſt der eifrigſte Verfolger gewiſſer Fiſche, welche auch der Menſch ſehr ſchmack - haft findet; namentlich des Dorſches, der Schollen, Schellfiſche und Lachſe. Die Kraft ſeiner Floſ - ſen und die verhältnißmäßig großen Bruſtfinnen erlauben ihm, in dem reißendſten Waſſer ſich mit Pfeilesſchnelle zu bewegen und alſo auch in Flüſſen noch die Jagd fortzuſetzen. So oft er nun den Lachs und andere Wanderfiſche, welche in den Strömen aufſteigen, um dort zu laichen, bemerkt, geht er viele Meilen weit und gibt den Bewohnern Gelegenheit, ſich ſeiner ſelbſt zu bemächtigen. Wie der alte Steller uns berichtet, ſtellen die Kamtſchatalen große ſtarke Netze, welche aus des Seethieres eigener Haut gemacht wurden, in den Flußmündungen auf und fangen ihn alljährig in nicht unbe - trächtlicher Menge. Ein regelrechter Fang auf ihn läßt ſich im hohen Meere doch nicht recht bezahlt machen. Der Weißfiſch iſt ein allzu raſcher und ſtürmiſcher Geſell, welcher die verfolgenden Fänger tüchtig in Arbeit zu ſetzen weiß. Es gilt, aus Leibeskräften zu rudern, wenn man ſo nahe an ihn herankommen will, daß der Harpunir die allen Walen ſo furchtbare Waffe auf ihn ſchleudern kann, und wenn er wirklich ſo nahe gekommen iſt, gelingt der Wurf noch nicht einmal regelmäßig; denn der Speck iſt ſo weich, daß die Harpune leicht ausreißt, auch wenn ſie wirklich getroffen hat. Scheu iſt das Thier nicht; es folgt, als wäre es gezähmt, oftmals in geringer Entfernung einem Nachen lange nach, ſpielend und ſcherzend, gleichſam ohne ſich um die Gegenwart ſeines Hauptfeindes zu kümmern.

Jn ihrem Weſen und Treiben erinnert die Beluga am meiſten an den Narwal. Geſellig und verträglich durchzieht ſie das Meer, entfernt ſich im Sommer ziemlich weit von den Küſten und kehrt mit zunehmender Kälte in die Nähe derſelben zurück, ohne jedoch regelmäßig zu wandern, wie andere Wale. Ueber ihre Fortpflanzung gibt nur Steller Nachricht. Das Weibchen, ſagt er, führt ſeine Jungen auf dem Rücken mit ſich und wenn es in Gefahr kommt, gefangen zu werden, wirft es dieſelben gleich in die See. Genaueres haben wir bisher noch nicht erfahren.

Die Walfiſchfänger ſehen den Weißfiſch mit großer Freude, weil ſie ihn als einen Vorläufer des Walfiſches anſehen. Sie ſegeln oft tagelaug in ſeiner Geſellſchaft weiter, ohne ihn zu beläſtigen. Auch andere Völkerſchaften ſcheinen in dem Thiere etwas ganz Beſonderes zu ſehen. So ſtecken die Samojeden Belugaſchädel auf Pfählen auf zum Opfer für ihre Götter, während ſie den übrigen838Die Delfine. Der Grind oder ſchwarze Delfin.Theil des Leibes ſelbſt genießen. Alle nordiſchen Völkerſchaften ſtimmen überein, daß das Fleiſch und der Speck der Beluga ein angenehmes Nahrungsmittel iſt, und auch der alte Steller gibt ihnen hierin Recht. Bruſt - und Schwanzfinne gelten, wenn ſie gut zubereitet wurden, als ganz beſonderer Leckerbiſſen. Die Haut wird getrocknet und gegerbt und findet dann vielfach Verwendung. So fertigt man auf Kamtſchatka Riemen an, welche ihrer Weichheit und Feſtigkeit wegen ſehr ge - ſchätzt ſind. Speck und Oel ſind vorzüglich; leider aber iſt das Thier an beiden ſo arm, daß ſich nicht einmal die Kleinfiſcherei bezahlt macht.

Die hochnordiſchen Lande ſind ebenſo unwirthliche, als arme Landſtriche. Sie ſind nicht fähig, den Menſchen allein zu ernähren und zu erhalten. Der Getreidebau iſt kaum der Rede werth; das tägliche Brod muß vom fernen, reicheren Süden eingeführt werden. Aber die Natur behandelt die Nordländer doch nicht ſo ſtiefmütterlich, als wir leicht glauben möchten: was das Land ihnen ver - wehrt, erſetzt ihnen das Meer. Dieſes iſt der Acker, welchen der Bewohner jener Eilande bebaut; dieſes iſt ſeine Schatzkammer, ſein Vorrathshaus, ſein Ein und Alles. Jn keinem Theile der Erde weiter iſt der Menſch ſo ausſchließlich an das Meer gebunden, als im hohen Norden; in keinem an - deren Lande der Erde iſt die Noth größer als hier, wenn das Meer einmal ſeine reichen Schätze nicht in gewohnter Weiſe erſchließt. Vogelfang und Fiſcherei: dieſe beiden Gewerbe ſind es, welche die Nordländer ernähren. Jedermann betreibt ſie und Jedermann theilt deswegen auch die Mühen und die Sorgen, die Freuden und den Lohn, welchen ſie mit ſich bringen.

Unter allen Gaben nun, welche das Meer darbietet, iſt für die Nordländer und zumal für die Färinger, Jsländer und die Bewohner der Orkneyinſel keine wichtiger, als die, welche es in Ge - ſtalt eines unſerer Familie angehörigen Thiere darbietet. Der Wal, welchen ich meine, iſt der Grind der Färinger, der Kaiug der Schotten und Putzkopper der Grönländer, ein Delfin, welcher mit noch einem anderen die Sippe der Kugelköpfe (Globicephalus) bildet. Eine ſtark gewölbte Stirn, welche bis zur Schnauzenſpitze geradlinig abfällt, die verhältnißmäßig große Zahn - armuth und die langen, ſchmalen Bruſtfloſſen unterſcheiden die Grindwale von anderen Delfinen. Der wichtigſte von allen iſt der im Norden außerordentlich häufige, eigentliche Grind - oder ſchwarze Delfin (Globicephalus globiceps), ein Thier von 16 bis 20 Fuß Länge, 10 Fuß Leibesumfang hin - ter den Finnen und bis 50 Centner Gewicht mit über 5 Fuß langen und Fuß breiten Bruſtfin - nen und einer ſehr niederen Fettfloſſe auf dem Rücken. Der Leib iſt glänzendſchwarz bis auf einen weißen, herzförmigen Flecken auf den Bruſtfloſſen, welcher ſtreifenartig bis gegen den After hin ver - längert iſt. Jn beiden Kiefern ſtehen jederſeits 9 bis 13 Zähne in weiten Zwiſchenräumen von ein - ander und ſo, daß die oberen immer zwiſchen die unteren eingreifen und umgekehrt. Die Zähne ſind kugelförmig, ſtark, ziemlich lang und enden in eine ſcharfe, etwas nach rück - und einwärts gekrümmte Spitze. Von vorn nach hinten nehmen ſie allmählich an Länge zu; doch ragen ſie kaum einen halben Zoll über das Zahnfleiſch hervor. Sie fehlen den jungen Thieren wie denen, welche in das Greiſen - alter treten; denn ſie erſcheinen erſt ziemlich ſpät und fallen nach und nach gänzlich wieder aus.

Nach Scoresby’s Unterſuchung iſt der Grind der häufigſte und verbreitetſte Delfin. Er findet ſich im ganzen Eismeer und beſucht vonhieraus theils das nördliche, theils das große Weltmeer, theils auch das atlantiſche und ſelbſt das Mittelmeer, ohne jedoch regelmäßige Wanderungen zu un - ternehmen. Noch geſelliger als ſeine Gattungsverwandten, ſchlägt er ſich in Scharen von einigen hundert Stück zuſammen, welche von einigen erfahrenen, alten Männchen geleitet werden. Dieſen folgt die geſammte Maſſe mit derſelben Gleichgiltigkeit, oder, wenn man will, Kopfloſigkeit nach, wie die dummen Schafe ihrem Leithammel: ſie folgt ihm ſelbſt, wenn das Verderben ſämmtlicher augen - ſcheinlich iſt. Kein einziges Walthier ſtrandet in ſolchen Maſſen wie der Grind: man kann ſagen, daß er ſeinen Tod nicht im Meere, ſondern auf dem Lande findet. Jm Jahre 1799 ſtrandete eine839Der Grind oder ſchwarze Delfin.Herde von zweihundert, 1805 eine von dreihundert Stücken auf den Shetlandsinſeln; im Jahre 1809 und 10 wurden elfhundert Stück in einer nach den Grinden Walfjord genannten Bucht auf Jsland aus Ufer geworfen. Am 7. Januar 1812 ſtrandete ein Trupp von 70 Stück an der Nord - küſte der Bretagne, anderer Fälle nicht zu gedenken. Ueber die letzte Strandung erhielt Cuvier den Bericht eines wohlunterrichteten Mannes.

Zwölf Fiſcher, welche in ſechs Boten ihrem Gewerbe oblagen, bemerkten eine Stunde vom Lande eine Menge Wale. Sie holten Hilfe und Waffen, hetzten die Thiere und trieben endlich ein Junges auf den Strand, deſſen Geſchrei oder Geplärr die anderen eiligſt herbeizog, ſo daß zuletzt die ganze Herde am Strande liegen blieb. Die Gelegenheit, ſo große und ſeltene Thiere zu ſehen,

Der Grind - oder ſchwarze Delfin (Globicephalus globiceps).

zog eine Menge Menſchen herbei und darunter auch unſeren Berichterſtatter, welcher nun das Betra - gen der jetzt ſo hilfloſen Geſchöpfe genau beobachten konnte. Die Herde beſtand aus 7 Männchen und 12 Jungen, alle übrigen waren alte Weibchen, von denen mehrere Junge haben mußten, weil ihre Euter ſo milchreich waren, daß dieſe in Zwiſchenräumen und ſelbſt noch im Tode aus ihnen herausſpritzte. Bei denen, welche nicht mehr ſäugten, lagen die Zitzen in einer Grube des Euters verborgen. Die geſtrandeten Thiere blieben einige Zeit am Leben, wurden aber immer ſchwächer und ſchwächer, ſtießen klägliche Töne aus und verſuchten vergeblich, ſich wieder zu befreien und erwar - teten endlich den Tod, wie es ſchien, mit vollkommener Ergebung. Ein altes Männchen hielt fünf Tage aus, ehe es endlich dem Verderben erlag.

Jn den Magen der Thiere fand man Ueberbleibſel vom Kabeljau und von verſchiedenen Tinten - ſchnecken. Bei anderen wurde beobachtet, daß ſie auch Dorſche, Barben, Häringe und Weichthiere840Die Delfine. Der Grind oder ſchwarze Delfin.verſchlingen. Der Magen geſtrandeter Grinde iſt übrigens gewöhnlich leer, vielleicht, weil ſie ſich angeſichts der Gefahr aus Angſt erbrechen.

Man findet zu allen Zeiten des Jahres trächtige Weibchen und ſäugende Junge und glaubt des - halb, daß die Paarung an keine beſtimmte Zeit gebunden iſt. Der neugeborene Grind iſt ſchon ein gegen ſieben Fuß langes und ſo ſchweres Geſchöpf, daß es kaum von einem Manne getragen werden kann. Die Mutter zeigt große Liebe für ihr Kind; ſie ſäugt es auch dann noch, wenn ſie ſchon auf dem Strande liegt und ihrem Tode entgegen ſieht.

Den Nordländern iſt der Grind eine ſo gewöhnliche Erſcheinung, daß ſie, wie es ſcheint, kaum der Mühe werth halten, eine ausführliche Beſchreibung zu geben. Bereits ſeit den älteſten Zeiten bildet dieſes Thier den Gegenſtand der eifrigſten Verfolgung, einen Gegenſtand, von welchem das Wohl oder das Wehe der armen Bewohner abhängt. Schon im alten Königsſpiegel iſt eine freilich etwas dunkle Beſchreibung des Fanges enthalten. Der Sild Reiki oder Fisk Reiki treibt, ſo heißt es dort, die Häringe und alle Arten von Fiſchen in Menge aus dem hohen Meere nach dem Lande und leiſtet dem Menſchen, anſtatt ihm zu ſchaden, immerfort großen Nutzen, als wäre er dazu von Gott eigens beſtimmt. Er bringt ſie mit, ſo lange die Fiſcher das himmliſche Geſchenk (die Fiſche nämlich), welches das Meer ihnen bietet, in erlaubter Weiſe und dankbar annehmen; wenn aber Zank oder gar Schlägerei vorkommt und Blut ins Meer vergoſſen wird, treibt er, gleichſam als ob er es vorherwiſſe, die ganze Schar der Fiſche, welche er eben erſt herbeigetrieben, ins hohe Meer zurück und beraubt auf dieſe Weiſe die Jnſelbewohner des ihnen ſo nothwendigen Gewinnes. Erſt durch viel ſpätere Beſchreibungen iſt klar geworden, was das alte Buch mit dem Blutvergießen im Meere meint. Graba, ein ſehr ſorgfältiger Naturforſcher, beſchreibt uns den Fang des Grind - wales auf den Farören in ebenſo anziehender, als verſtändlicher Weiſe.

Am 2. Juli, ſo erzählt er, erſcholl mit einem Male von allen Seiten her der laute Ruf Grindabud . Dieſer Ruf zeigt an, daß ein Haufen Grindwale durch ein Bot entdeckt worden ſei. Jn einem Augenblick war ganz Thorshaven in Bewegung; aus allen Kehlen erſcholl es Grindabud, und allgemeiner Jubel verkündete die Hoffnung, ſich bald an einem Stück Walfleiſch zu erlaben. Die Leute rannten durch die Gaſſen, als ob die Türken landen wollten. Hier liefen welche zu den Boten, dort andere mit Walfiſchmeſſern; dort wieder trabte eine Frau ihrem Manne nach mit einem Stück trockenen Fleiſch, damit er nicht verhungere, Kinder wurden über den Haufen gerannt, und vor lau - ter Eifer fiel Einer aus dem Bote in die See. Jn Zeit von zehn Minuten ſtießen elf Achtmanns - fahrer vom Lande; die Jacken wurden ausgezogen, und die Ruder mit einem Eifer gebraucht, daß die Fahrzeuge wie ein Pfeil dahinſchoſſen. Wir verfügten uns zum Amtmann, deſſen Bote und Leute in Bereitſchaft waren, und gingen mit ihm erſt auf die Schanze, um von hier zu ſehen, wo die Wale ſeien. Durch unſer Fernrohr entdeckten wir zwei Bote, welche Grindabud anzeigten. Jetzt ſtieg eine hohe Rauchſäule beim nächſten Dorfe auf, gleich darauf eine auf einem benachbarten Berge; überall flammten Zeichen; Boten wurden zu allen benachbarten Ortſchaften geſandt; der Fjord wimmelte von Fahrzeugen. Wir beſtiegen die Jacht des Amtmanns und hatten bald alle übrigen eingeholt. Jetzt erblickten wir die Wale, um welche von allen Boten ein weiter Halbkreis geſchloſſen wurde. Zwi - ſchen zwanzig bis dreißig Bote, denen wir uns angeſchloſſen hatten, umringten, jedes etwa hun - dert Schritte von einander entfernt, den Haufen und trieben ihn langſam vor ſich her, der Bucht von Thorshaven zu. Der vierte Theil aller Wale war ungefähr ſichtbar; bald tauchte ein Kopf hervor und ſpie ſeinen Waſſerſtrahl aus, bald zeigte ſich die hohe Rückenfinne, bald der ganze Oberkörper. Wollten ſie den Verſuch machen, unter die Fahrzeuge durchzuſchwimmen, ſo wurden Steine und Stücken Blei an Schnüre befeſtigt, in das Waſſer geworfen; ſchoſſen ſie raſch vorwärts, ſo wurde gerudert, daß die Ruder abbrachen. Wo Unordnung vorfiel, wo einige Bote ſich zu weit vordräng - ten oder Fehler begingen, dahin ließ der Amtmann ſich rudern, was ſo ſchnell geſchah, daß ſchwerlich ein Pferd im geſtreckten Galoppe es mit der Jacht aufgenommen hätte.

841Der Grind oder ſchwarze Delfin.

Als die Wale dem Eingange des Hafens nahe waren und nicht leicht mehr entrinnen konnten, eilten wir der Stadt zu. Der Strand wimmelte von Menſchen, die dem ergötzlichen Geſchäfte des Mordens zuſehen wollten. Wir wählten uns einen guten Standpunkt aus, von wo wir Alles ganz in der Nähe betrachten konnten.

Je näher die Wale dem Hafen und dem Lande kamen, deſto unruhiger wurden ſie, drängten ſich auf einen Haufen dicht zuſammen und achteten wenig mehr des Steinewerfens und Schlagens mit den Rudern. Jmmer dichter zog ſich der Kreis der Bote um die unglücklichen Schlachtopfer, im - mer langſamer zogen ſie in den Hafen hinein, die Gefahr ahnend; jetzt als ſie in den Weſtervaag gekommen waren, der ungefähr nur 250 Schritte breit und doppelt ſo lang iſt, wollten ſie ſich nicht länger wie eine Herde Schafe treiben laſſen und machten Miene, umzukehren. Nun nahte der ent - ſcheidende Augenblick. Unruhe, Beſorgniß, Hoffnung, Mordluſt zeigte ſich in den Geſichtern aller Färinger. Sie erhoben ein wildes Geſchrei; alle Bote ſtürzten auf den Haufen zu und ſtachen mit ihren breiten Harpunen diejenigen Wale, welche dem Bote nicht ſo nahe waren, daß der Schlag ihres Schwanzes dieſes hätte zerſchmettern können. Die verwundeten Thiere ſtürzten mit fürchterlicher Schnelligkeit vorwärts, der ganze Haufe folgte und rannte auf den Strand.

Nun begann ein fürchterliches Schauſpiel. Alle Bote eilten den Walen nach, fuhren blind - lings unter ſie und ſtachen tapfer darauf los. Die Leute, welche am Lande ſtanden, gingen bis un - ter die Arme in das Waſſer zu den verwundeten Thieren, ſchlugen ihnen eiſerne Haken, an welche ein Strick gebunden war, in den Leib oder die Blaſelöcher, und nun zogen drei bis vier Mann den Wal vollends auf das Land und ſchnitten ihm die Gurgel bis auf den Rückenwirbel durch. Jm Todeskampfe peitſchte das ſterbende Thier die See mit ſeinem Schwanze, daß das Waſſer weit um - herſtob; das kriſtallhelle Waſſer des Hafens war blutroth gefärbt, und Blutſtrahlen wurden aus den Blaſeröhren in die Luft geſpritzt. Sowie der Soldat in der Schlacht alles menſchliche Gefühl verliert und zum reißenden Thiere wird, ſo entflammte die Blutarbeit die Färinger bis zur Wuth und Toll - kühnheit. An dreißig Bote, dreihundert Menſchen, achtzig getödtete und noch lebende Wale befan - den ſich auf einem Raume von wenigen Geviertruthen. Geſchrei und Toben überall. Kleider, Ge - ſichter und Hände vom Blute gefärbt, glichen die ſonſt ſo gutmüthigen Färinger den Kannibalen der Südſee; kein Zug des Mitleidens äußerte ſich bei dem gräßlichen Gemetzel. Als aber ein Mann durch den Schlag des Schwanzes eines ſterbenden Wales niedergeſtreckt und ein Bot in Stücke zer - ſchlagen war, wurde der letzte Theil dieſes Trauerſpiels mit mehr Vorſicht zu Ende geſpielt. Achtzig getödtete Wale bedeckten den Strand; nicht ein einziger war entkommen. Sobald das Waſſer erſt mit Blut gefärbt und durch das Schlagen mit dem Schwanze von den ſterbenden getrübt iſt, ſo wer - den die noch lebenden erblindet und taumeln im Kreiſe umher. Entrinnt auch Einer zufällig in das klare Waſſer, ſo kehrt er doch ſogleich in das blutige zu ſeinen Gefährten zurück.

Zum großen Erſtaunen der Färinger ging der Fang leicht und glücklich von Statten, obgleich der Paſtor Gad und mehrere ſchwangere Frauen zuſahen. Man glaubt hier nämlich feſt daran, daß die Wale ſogleich umkehren, wenn ſie einen Prediger vor ſich haben; iſt ein ſolcher in der Nähe, ſo bitten ſie ihn, daß er hinter den Boten bleibe. Schwangere Frauen ſoll der Grind nun gar nicht leiden können; deshalb kamen mehrere Färinger zum Amtmann und baten ihn, dieſen zu befehlen, ſich zu entfernen, was aber nicht geſchah. Trotz Prediger und Frauen wurden alle Grinde in der Hitze erlegt. Sonſt läßt man gerne Einen entwiſchen, damit dieſer mehrere herbeihole.

Oft trifft es ſich, daß der Grind ſich nicht gut treiben laſſen will, beſonders wenn es große Haufen von mehreren Hunderten ſind. Dann kehrt er ſich nicht an das Steinwerfen, geht unter die Bote durch und verurſacht den Leuten tagelange, oft ganz vergebliche Arbeit. Oftmals entwiſcht er, wenn er ſchon in eine der wenig geeigneten Buchten getrieben iſt, durch die Hitze und Unvorſichtig - keit der Leute. Wenn dieſe nämlich zu frühe ſtechen, ſodaß der Grind nicht mit einer Fahrt auf den Strand läuft, ſo kehrt er wieder um und läßt ſich nicht zum zweiten Male treiben; oder wenn ſie zu - erſt ſolche Grinde treffen, die nicht mit dem Kopfe gegen den Strand gerichtet ſind, ſo ſchießen dieſe842Die Delfine. Der Grind oder ſchwarze Delfin.Verwundeten in die See hinaus, und der ganze Haufe folgt. Tritt die Nacht ein, bevor man zum Schlachten kommt, ſo ſchließen die Bote einen engen Halbkreis vor der Bucht und die Leute zünden Feuer an; dann meint der Grind, es ſei der Mond, zieht ſich gegen denſelben an und hält ſich ruhig bis zum Morgen, an dem dann die Blutarbeit beginnt. Oftmals ſind ſie entkommen, weil die Geräthe nicht gehörig im Stande geweſen ſind; deshalb wird jetzt im Juni von dem Amtmann und den Syſſelmännern eine allgemeine Unterſuchung vorgenommen und dasjenige Bot beſtraft, welches nicht zum Fange gut ausgerüſtet befunden.

Nach einer Stunde Ruhe wurden die Körper neben einander gelegt, geſchätzt und ihre Größe mit römiſchen Zahlen in die Haut eingeſchnitten. Die Vertheilung geſchieht nach der Größe des Landbeſitzes, noch ebenſo wie ſie ſeit undenklichen Zeiten vorgenommen wurde. Nachdem nämlich der Beauftragte jeden Fiſch gemeſſen und geſchätzt hat, wird von dem Haufen abgezogen der Zehnte, der Findlingswal, der Madwal, der Schadenwal, der Wachtſold, die Vertheilungsgebühren und der Antheil der Armen. Der Zehnte zerfällt in drei Theile, von denen die Kirche einen, der Prediger einen und der König oder deſſen Vertreter, der Syſſelmann, einen empfängt. Der Findlingswal gebührt demjenigen Bote, welches den Grind entdeckt hat und kann nach Belieben gewählt werden; der Botsmann, welcher den Grind zuerſt geſehen hat, bekommt den Kopf. Der Mad - oder Speiſe - wal iſt ein kleiner Grind, welcher von den Anweſenden ſofort verzehrt wird. Aus dem Gewinn, welchen der Schadenwal abwirft, werden die beſchädigten Bote, Ruder und Geräthe vergütet. Der Wachtſold bezahlt die Leute, welche des Nachts oder ſo lange die Fiſche nicht vertheilt worden ſind, bei dieſen wachen müſſen, damit ſie nicht wegtreiben. Was nun nachbleibt, wird in zwei gleiche Hälften getheilt, von denen die Leute des Kirchſpiels, in welchem der Fang geſchehen iſt, die eine und das Land die andere bekommt. Jedes Dorf hat eine beſtimmte Anzahl Bote, und zu jedem Bote gehören beſtimmte Leute. Die Wale werden deshalb botweiſe vertheilt. Sobald Grindabud er - ſchallt, werden Boten an alle Dörfer verſandt, welche bei der Vertheilung in Frage kommen, und dieſe müſſen dann ſogleich ihre Bote abſchicken, um ihren Antheil zu holen. Kommen ſie nicht inner - halb 24 oder höchſtens 48 Stunden nach der allgemeinen Vertheilung zu dem Walplatze, ſo wird ihr Antheil den Meiſtbietenden verkauft, und das daraus gelöſte Geld fällt der Armenkaſſe zu. Der Grund iſt der, daß nach zwei Tagen die Wale verderben, ranzig und ungenießbar werden. Der Färinger ſagt: die Leber brenne nach außen.

Nachdem jedem Bote ſein Antheil zugewieſen war, wurden die Fiſche zerlegt. Dies geſchieht in folgender Weiſe. Sobald ſie auf das Land gezogen ſind, werden zuerſt die Finnen ab - und dann der Körper in der Mitte durchgeſchnitten. Nun wird der Speck in etwa Fuß breiten Streifen, darauf das Fleiſch in Stücke von 40 bis 50 Pfund abgelöſt, Leber, Herz und Niere, die ſchmackhaf - teſten Biſſen für die Färinger, herausgenommen und darauf der Rumpf umgekehrt und mit der an - deren Seite ebenſo verfahren.

Der Nutzen dieſer Thiere für das Land iſt ſehr groß. Man rechnet im Durchſchnitt auf jeden Wal eine Tonne Thran, welche im Handel mit elf Thaler bezahlt wird. Fleiſch und Speck werden friſch gegeſſen und eingeſalzen getrocknet. Je friſcher das Fleiſch zerſchnitten wird, deſto beſſer der Geſchmack. Jch habe das friſche Walfleiſch gekocht recht gern gegeſſen; es hat Aehnlichkeit mit gro - bem eingepöckelten Rindfleiſch. Der Speck hat faſt gar keinen Geſchmack, war mir aber widerlich. Wenn die Färinger vierzehn Tage lang friſches Walfleiſch gehabt haben, glänzen ihre Geſichter und Hände, ſogar die Haare von Fett. Nach 48 Stunden iſt das Fleiſch nicht mehr zu genießen und wirkt als Brechmittel. Die Haut an den Finnen wird zu Riemen an den Rudern gebraucht, und von den Gerippen werden Befriedigungen für das Land gemacht; der Magen wird aufgeblaſen und zur Aufbewahrung von Thran angewandt, ſodaß nur die Eingeweide unbenutzt bleiben, welche durch Bote in die See hinausgeſchleppt werden, damit ſie nicht am Lande faulen.

843Der gemeine Schwertfiſch oder Butskopf.

Den Grinden nahe verwandt ſind die Schwertfiſche (Orcinus). Jhren Namen erhielten ſie wegen ihrer mehr als fußhohen, unten breiten, oben verſchmälerten und gegen den Schwanz zurückgebogenen Rückenfloſſe, welche von weitem einem Schwerte oder beſſer einem Säbel ähnelt.

Eine Art von ihnen, der gemeine Schwertfiſch oder Butskopf (Orcinus Orca), iſt ſchon ſeit den älteſten Zeiten bekannt und ſeiner Bösartigkeit halber berüchtigt, und ſonderbarer Weiſe ſtimmen alle neueren Beobachter mit den Forſchern des Alterthums in dieſem letzten Punkte überein.

Der Schwertfiſch iſt ein kräftiger, gedrungen gebauter Delfin mit kleinem Kopfe, hohem Rücken und langen Seitenfloſſen und breiter, ſtarker, Sförmig gerandeter Schwanzfinne, ausgerüſtet mit 11 bis 13 ſtarken, raubthierartigen Zähnen, oben glänzend ſchwarz gefärbt, unten porzellanweiß mit gelblichem Schimmer. Ueber und hinter dem Auge ſteht ein länglicher, weißer Fleck, welcher dem Thier bei den Alten den Namen Widderdelfin verſchafft hat. Die dunkle Farbe der Oberſeite grenzt ſich ſcharf, aber nicht regelmäßig von der unteren weißen ab. Letztere umgibt den After, läuft als ziemlich breiter Streifen nach vorn, ſendet zwei breite, weiße Bänder nach der hinterſten Seite des Rumpfes ab und ſetzt ſich dann ziemlich breit bis zur Bruſtfinne fort, ſteigt in einer bogenförmi - gen Linie gegen den Mundwinkel auf und umgibt als ſchmaler, weißer Saum noch den Rand des Oberkiefers. Ein ſchmuzig bläulicher oder purpurfarbener Streifen ſteigt hinter der Wurzel der Rückenfloſſe nach vorn herab. Jn der Größe ähnelt der Schwertfiſch dem Grinde. Man hat ſchon einzelne von 31 Fuß Länge getroffen. Bei einem über 16 Fuß langen Butskopf war der Körper am vorderen Rande der Rückenfloſſe 3 Fuß 9 Zoll hoch, die Länge der Bruſtfinne 2 Fuß, die größte Breite Fuß, die Höhe der Rückenfinne 1 Fuß 11 Zoll, die Breite der Schwanzſinne 4 Fuß 7 Zoll.

Es ſcheint, daß der Schwertfiſch in früheren Zeiten weit verbreiteter war, als gegenwärtig. Die alten römiſchen Naturforſcher kennen ihn ſehr wohl und geben auch das Mittelmeer als ſeine Heimat an. Unter Tiberius, erzählt Plinius, ſtrandeten einmal gegen 300 Wale, Elefantenwale und Widderwale, bei denen jedoch die weißen Flecken wie Hörner ausſahen. Dem fügt Aeliau hinzu, daß der Widderwal die Stirn mit einer weißen Binde geziert habe, welche ausſehe, wie der Diadem eines macedoniſchen Königs. Bei Korſika und Sardinien gäbe es viele dergleichen Thiere.

Jn der Neuzeit hat man von ſeinem Vorkommen im Mittelmeere Nichts mehr vernommen. Er bewohnt das nördliche atlantiſche, das Eismeer und das nördliche ſtille Meer, von wo aus er bis an die Küſten Frankreichs und in das japaniſche Meer herabgeht. Nach Tileſius ſieht man ihn im Nordmeere gewöhnlich zu fünf und fünf wie einen Trupp Soldaten, Kopf und Schwanz nach unten gekrümmt, die Rückenfloſſe wie ein Säbel aus dem Meere hervorſtehend, äußerſt ſchnell dahin - ſchwimmen und wachſamen Auges das ganze Meer abſuchen. Seine Jagd gilt nicht blos kleineren Fiſchen, ſondern auch den Rieſen des Meeres; denn der Schwertfiſch iſt nicht nur der größte, ſon - dern auch der muthigſte, raubſüchtigſte, blutdürſtigſte und deshalb gefürchtetſte aller Delfine. Schon der alte Plinius ſagt: Der Widderwal wüthet wie ein Räuber; bald verſteckt er ſich in dem Schatten großer Schiffe, welche vor Anker liegen, und lauert, bis Jemandem die Luſt ankommt, zu baden, bald ſteckt er den Kopf aus dem Waſſer und ſieht ſich nach Fiſcherkähnen um, dann ſchwimmt er heimlich hinzu und wirft dieſe um. Die neueren Beobachter ſtrafen, wie ſchon bemerkt, die Alten nicht Lügen, ſondern vervollſtändigen nur deren Berichte. Rondelet ſagt, daß der Schwert - fiſch die Walfiſche verfolge und ſie beiße, bis ſie ſchreien, wie ein gehetzter Ochſe . Deshalb bitten die Fiſcher, welche nach der neuen Welt ſegeln, die dortigen Barbaren, daß ſie den Orken Nichts thun mögen, weil ſie mit ihrer Hilfe die Walfiſche, Robben und andere Ungeheuer leichter fangen können; denn die Orken oder Schwertfiſche zwingen die genannten Thiere, die Tiefe zu verlaſſen und an den Strand zu ziehen, wo dann die Fiſcher es leicht haben, ſie mit Pfeil und Wurfſpießen umzubringen. Anderſon berichtet, daß dieſe Thiere in Neuengland Walfiſchmörder genannt würden. Die Grön - landsfahrer ſehen ſie oft bei Spitzbergen und in der Davisſtraße, ja man bemerkt ſie zuweilen ſogar bei Helgoland vor der Elbe. Jhrer großen Geſchwindigkeit halber kann man ſie nicht fangen; höch - ſtens könnte man ſie mit Büchſen erſchießen. Mehrere von ihnen fallen den Walfiſch mit den Zähnen844Die Delfine. Der gemeine Schwertfiſch oder Butskopf.an, ängſtigen ihn und reißen ganze Stücke aus ſeinem Leibe, wodurch er dermaßen entſetzt und abge - mattet wird, daß er die Zunge herausreckt. Um dieſe iſt es den Mordfiſchen am meiſten zu thun, und ſowie er den Nachen aufreißt, machen ſie ſich über ihn her und reißen ihm die Zunge heraus. Daher kommt es, daß die Fänger dann und wann einen todten Walfiſch antreffen, welcher die Zunge verloren und davon geſtorben iſt. Pontoppidan, der ſchon oft genannte Biſchof von Norwegen, beſchreibt ihn unter dem Namen Speckhauer. Jhrer zehn oder mehrere beißen ſich in den Seiten des Walfiſches ſo feſt ein, daß ſie daran wohl eine Stunde lang hängen und nicht eher loslaſſen, als bis ſie einen Klumpen Speck von der Größe einer Elle herausgeriſſen haben. Unter ihrem Angriff brüllt der Walfiſch jämmerlich, ja er ſpringt wohl manchmal klafternhoch übers Waſſer in die Höhe; dann ſieht man, daß ſein Bauch ebenfalls von dieſen ſeinen Feinden beſetzt iſt. Zuweilen tummeln ſich dieſe ſolange um ihr Schlachtopfer herum, bis ſie es faſt ganz abgehäutet und ihm den Speck abge - riſſen haben. Die Fiſcher finden dann eine Menge Speck zu ihrem Vortheil im Meere; denn die Speckhauer ſelbſt freſſen davon Nichts, ſondern haben blos ihre Luſt daran, den großen Fiſch zu plagen.

Es iſt dieſes Thier, ſagt der ſo gewiſſenhafte Steller, ein abgeſagter Feind vom Wal - fiſch und ſtellt dieſem Tag und Nacht nach. Verbirgt er ſich an einer Bucht an dem Lande, ſo lauern ſie auf ihn, bis noch mehrere herzukommen, alsdann führen ſie ſolchen in der Mitte wie einen Gefangenen unter entſetzlichem Aechzen und Stöhnen nach der See, wo ſie ſich untertauchen und ihn mit ihrem ſchrecklichen Gebiß und Zähnen anfallen, und hat man niemals an den ausgeworfenen Walfiſchen wahrgenommen, daß Etwas von ihnen gefreſſen worden, daß alſo dieſes eine Natur - feindſchaft iſt.

Wie aus der Steller’ſchen Beſchreibung hervorgeht, glaubte man früher, daß der Schwertfiſch in der Rückenfinne die Hauptwaffe beſäße. Doch ſolches, ſagt unſer Gewährsmann, iſt falſch, weil dieſelbe, ungeachtet ſie zwei Ellen hoch und ſehr ſpitzig, auch in der See wie ein ſchneidiges Horn oder Knochen anzuſehen, doch weich iſt|, aus lauter Fett beſteht und überdies, um zu verwun - den, nicht einen einzigen Knochen hat.

Steller iſt es auch, welcher die Angabe des Plinius beſtätigt. Alle Diejenigen, ſagt er, welche in der See fiſchen, fürchten ſich ungemein vor dieſem Thiere, weil ſolches, wenn man ihm zu nahe kommt oder es mit einem Pfeile verwundet, die Bote umwirft. Dahero bekommt es, wo es entgegenkommt, Geſchenke und wird mit einem beſonderen Spruche perſuadirt, daß es gute Freund - ſchaft halten und keinen Schaden zufügen wolle.

So vielen und ſo übereinſtimmenden Berichten gegenüber dürfen wir kaum wagen, die Angaben für Fabeln zu halten. Das unglaublich Klingende ſcheint wirklich wahr zu ſein.

Ueber die Fortpflanzung fehlen uns zur Zeit noch alle Nachrichten. Man weiß nicht einmal, wann die Weibchen Junge zur Welt bringen.

Obgleich der Schwertfiſch, wie Steller ſagt, faſt gar kein Fleiſch beſitzt, ſondern aus lauter flüſſigem Fette beſteht, wird doch nirgends regelmäßig auf ihn Jagd gemacht. Einzelne fängt man zuweilen in Flüſſen. So kennt man drei Beiſpiele, daß Schwertfiſche in der Themſe harpunirt wurden. Banks, welcher beim Fang des einen zugegen war, erzählt, daß der bereits mit drei Harpunen beſpickte Schwertfiſch das Fiſcherbot zwei Mal von Blackwal bis Greenwich und ein Mal bis Deptford mit ſich nahm. Er durchſchwamm den Strom ſelbſt, als er ſchon ſehr ſchwer ver - wundet war, noch mit einer Schnelligkeit von acht Meilen in der Stunde, und behielt ſeine volle Kraft lange bei, obgleich er bei jedem Auftauchen eine neue Wunde erhielt. Niemand wagte, ſo - lange das Thier am Leben war, ſich ihm zu nähern. Von einem anderen Schwertfiſche, welcher auf den Strand gerathen war, wird berichtet, daß die Fiſcher, welche ihn auffanden, große Mühe hatten, ihn mit den langen Meſſern und ſcharfen Ruderſtangen zu tödten. Jm Todeskampfe gab er ſeinen Schmerz durch klägliches Aechzen und Stöhnen zu erkennen. Erſt im Jahre 1841 wurde die genaue Beſchreibung des Schwertfiſches entworfen. Bei dem holländiſchen Dorfe Wyk op Zee845Der Braunfiſch.ſtrandete ein ſechzehn Fuß langes Weibchen und gab einem tüchtigen Naturforſcher Gelegenheit, es zu beobachten. Als dieſer es zuerſt ſah, war es noch mit einem eigenthümlichen Farbenglanze ge - ſchmückt. Das Schwarz ſpielte in allen Farben des Regenbogens, und das Weiß glich an Reinheit und Glanz dem Porzellan. Aber ſchon nach wenigen Tagen war von dem Farbenſchimmer Nichts mehr zu ſehen; die oberſte Haut trennte ſich nach und nach ab, und nach Verlauf einer Woche war das Thier durch die eingetretene Fäulniß gänzlich verſtümmelt und entſtellt. Jetzt wurde es ver - ſteigert. Es fanden ſich viele Kaufluſtige ein, und einer erſtand es für die Summe von 140 Gul - den. Der gute Mann hatte ſich verrechnet; denn er gewann blos 40 Gulden aus dem Thran und nicht mehr aus dem Geripp, welches dem reichen Muſeum zu Leyden zu ganz beſonderer Zierde gereicht.

Der Schwertfiſch iſt ein ſo auffallendes Geſchöpf, daß alle Völkerſchaften, welche mit ihm zu thun haben, ihm auch einen beſonderen Namen beilegten. Die meiſten dieſer Namen bedeuten Todt - ſchläger oder Mörder. So nennen ihn die Nordamerikaner Killer , die Engländer Traſher , die Norweger Speckhugger , Hvalhund und Springer . Bei den Schweden heißt er Opara , bei den Dänen Ornſwin , bei den Portugieſen und Spaniern Orca , bei den Franzoſen Epaular und Orgue , bei den Ruſſen Koſſakta u. ſ. w.

Der gemeinſte und deshalb bekannteſte aller Delfine iſt der Braunfiſch. Er bildet mit einigen Verwandten die Sippe der Meerſchweine (Phocaena), welche die ſanft abfallende Stirn, die nicht auffallend erhöhte Rückenfloſſe und das ſehr reichzahnige Gebiß kennzeichnet.

Der Braunfiſch (Phocaena communis) wird 4 bis 6, ſelten 8 Fuß lang. Bei einem Thiere von 4 Fuß Körperlänge war die Bruſtfinne 7 Zoll lang, die Schwanzfinne 5 Zoll breit und die Rückenfinne Zoll hoch. Der Leib iſt ſpindelförmig, hinten leicht zuſammengedrückt, in der Mitte am meiſten verdickt. Die Bruſtfloſſen ſind länglich ſtumpf zugeſpitzt; die Rücken - floſſe iſt faſt regelmäßig dreieckig. Die glänzende Haut iſt auf der ganzen Oberſeite dunkelſchwarz - braun oder ſchwarz gefärbt und ſchillert in das Violette oder Grünliche, die Unterſeite iſt weiß, die Jris gelblich. Jn beiden Kiefern finden ſich jederſeits 23 bis 25 Zähne, die Geſammtzahl der Zähne ſteigt alſo auf 92 bis 100; nicht ſelten findet man auch einzelne Braunfiſche, welche nur 20 bis 22 Zähne haben. Bei jenen iſt wahrſcheinlich das Gebiß noch nicht vollſtändig entwickelt. Alle Zähne ſind gleichmäßig in den Kiefern vertheilt und ſo geſtellt, daß die beiden Reihen bei geſchloſ - ſenem Munde in einander eingreifen.

Kein Delfin geht uns näher an, als der Braunfiſch. Er iſt es, welchem man auf jeder Reiſe in der Nordſee begegnet, er iſt es, welcher die Mündungen unſerer Flüſſe umſchwärmt und gar nicht ſelten in ihnen bis tief in das Jnnere des Landes hinaufſteigt. So hat man das Meer - ſchwein wiederholt im Rhein und in der Elbe noch über Magdeburg hinauf angetroffen; man hat es bei Paris und London erlegt. Als eigentliche Heimat iſt der ganze Norden des atlantiſchen Meeres anzuſehen. Es liebt mehr die Küſten, als das innere, hohe Meer, und findet ſich daher überall in der Nähe des Landes. Nach Süden hin ſcheint der Braunfiſch bis zum Mittelmeere vorzukommen. Außerdem ſchwärmt er, durch die Behringsſtraße gehend, im großen Weltmeere umher und gelangt hier bis in die Breite der japaneſiſchen Jnſeln. Es ſcheint, daß auch er regelmäßige Reiſen macht, mit Eintritt des Sommers nördlich geht und gegen den Winter hin ſich wieder nach Süden wendet. Jm Frühjahre zieht er den Häringen nach; ſie verfolgt er mit ſolchem Eifer, daß er den Fiſchern oft im hohen Grade läſtig wird. Seine Gefräßigkeit iſt ſprichwörtlich; er verdaut außerordentlich ſchnell und bedarf einer anſehnlichen Menge von Nahrung. Die Fiſcher haſſen ihn, weil er ihr Gewerbe beeinträchtigt und ihnen auch manchmal wirklich Schaden zufügt. Ohne Mühe zerreißt er die dünnen Netze, welche Fiſche bergen, und frißt ganz behäbig die Gefangenen auf. Stärkere846Die Delfine. Der Braunfiſch.Netze freilich werden ihm oft zum Verderben; er bleibt in ihnen hängen und erſtickt. Wegen dieſer Liebhaberei wird der Braunfiſch überall gehaßt und um ſo eifriger verfolgt, als auch Fleiſch und Fett noch einen guten Ertrag liefern. Jn früheren Zeiten wurde ſein Fleiſch überall geſchätzt. Schon die alten Römer verſtanden die Kunſt, wohlſchmeckende Würſte aus ihm zu bereiten; ſpäter wurde das Meerſchwein, zumal in England, auf die Tafeln des Königs und der Vornehmen gebracht. Heutzutage bildet es für die ärmeren Küſtenbewohner und für die oft an friſchem Fleiſche Mangel leidenden Schiffer eine erwünſchte Speiſe. Das Fleiſch alter Thiere ſieht ſchwärzlich aus und iſt derb, grobfaſerig, zähe und thranig, deshalb auch ſchwer verdaulich; dasjenige aber, welches von jüngeren Thieren ſtammt, wird als ſehr fein und wohlſchmeckend gerühmt. Eingeſalzen und ge - räuchert findet es bei den nicht verwöhnten Nordländern überall günſtige Aufnahme. Der Thran

Der Braunfiſch (Phocaena communis).

ähnelt dem des Walfiſches, iſt aber feiner und wird deshalb mehr geſchätzt. Die Grönländer be - nutzen ihn zum Schmalzen ihrer Speiſen oder ſchlürfen ihn mit demſelben Wohlgefallen, mit welchem wir ein gutes Glas Wein genießen. Die Haut endlich wird gegerbt und dann als Leder verwendet. So überwiegt alſo der Nutzen, welchen das Meerſchwein bringt, den verhältnißmäßig geringen Schaden; aber er vermehrt nur den Eifer, mit welchem unſer Delfin verfolgt wird. Ueberall, wo die Häringszüge regelmäßig ankommen, ſenkt man zur Zeit des Zuges ſtarke, weitmaſchige Netze in die Tiefe der Flüſſe, durch welche wohl die Häringe, nicht aber auch die Braunfiſche ſchlüpfen können. Auf Jsland ſtellen die Fiſcher ihre Netze bei Beginn der Brunſtzeit aus, welche den Braun - fiſch in einen ſo großen Rauſch verſetzt, daß er blind wird, wie die Leute ſagen. Hier und da erlegt man ihn auch mit dem Feuergewehr, mehr, um Gewandtheit im Schießen zu zeigen, als um ſich mit leichterer Mühe in den Beſitz des Thieres zu ſetzen.

847Der Braunfiſch.

Der Braunfiſch iſt geſellig wie die übrigen Delfine. Er vereinigt ſich zuweilen zu ſehr zahl - reichen Herden, und dieſe bleiben dann längere Zeit beiſammen. Jm Schwimmen iſt er Meiſter. Er ſchlägt abwechſelnd mit Kopf und Schwanz nach ab - und aufwärts und krümmt gleichzeitig den Leib bogenförmig bald nach oben, bald nach unten. Dieſe Bewegung treibt ihn pfeilſchnell vor - wärts. Wenn er in der Nähe an der Oberfläche des Waſſers ſchwimmt, ſieht es aus, als tummle er auf den rollenden Wellen herum oder bewege ſich in lauter Purzelbäumen vorwärts. Bisweilen führt er die manchfaltigſten und anmuthigſten Spiele mit ſeinen Genoſſen aus. Er wälzt ſich förmlich im Waſſer umher, ſpringt in die Luft, taumelt, überſchlägt ſich u. ſ. w. Schon die Alten haben bemerkt, daß die Delfine vor einem Gewitter oder Sturme beſonders lebendig ſind und mehr als ſonſt aus dem Waſſer emporſchnellen. Ehe die Dampfſchiffe aufkamen, war es viel leichter dieſe Thiere zu beobachten, als gegenwärtig. Sie folgen zwar auch den Dampfern nach, doch bei weitem nicht mit derſelben Furchtloſigkeit und Zudringlichkeit, wie den ſtiller dahingleitenden Segelſchiffen. Gewöhnlichen Kauffahrern ſind ſie, ſolange dieſe in der Nähe der Küſten verweilen, regelmäßige Begleiter. Sobald das Schiff oder auch nur ein Bot ausgelaufen iſt, ſammeln ſich drei bis ſechs Braunfiſche in einer Entfernung von 30 bis 50 Fuß um daſſelbe und folgen ihm nun oft über eine Meile ununterbrochen nach, kommen ab und zu über die Oberfläche empor, gleichſam als wollten ſie ſich Schiffer und Botsmannſchaften betrachten, tauchen, ſchwimmen unter dem Kiel des Fahrzeugs durch, erſcheinen wieder, eilen voraus, beſchreiben einen Bogen und kehren wieder zum Schiffe zurück u. ſ. w.

Außer den Häringen, welche zeitweilig die ausſchließliche Nahrung der Braunfiſche bilden, ver - zehren dieſe noch Makrelen, Lachſe, andere Fiſche und oft auch Tange; wenigſtens trifft man dieſe nicht ſelten in ihrem Magen an. Der Lachſe wegen ſteigen ſie bis hoch in die Flüſſe empor, und hier beeinträchtigen ſie die Fiſcherei wirklich in ſehr empfindlicher Weiſe.

Die Brunſt beginnt zu Anfang des Sommers, währt aber vom Juni bis zum Auguſt. Um dieſe Zeit ſind ſie aufs äußerſte erregt; pfeilſchnell durcheilen ſie die Fluthen, wüthend verfolgen ſich die Männchen, und eifrig jagen ſie hinter dem Weibchen drein. Jetzt ſcheint es für ſie keine Ge - fahr mehr zu geben. Sie ſchießen im blinden Rauſch oft weit auf den Strand hinaus, rennen mit dem Kopfe an die Seitenwände der Schiffe und finden da oder hier ihren Tod. Nach neun - oder zehnmonatlicher Tragzeit, gewöhnlich im Mai, werfen die Weibchen ein oder zwei kleine, nur 20 Zoll lange und 10 Pfund ſchwere Junge, pflegen dieſelben mit der allen Walen gemeinſamen, aufopfernden Liebe, vertheidigen ſie nach Kräften bei Gefahr und ſäugen und führen ſie, bis ſie das erſte Lebensjahr erreicht haben; denn ſolange ſoll es dauern, ehe ſie als erwachſen gelten können.

Der Braunfiſch iſt das einzige Mitglied ſeiner Ordnung, welches ich bisjetzt in der Gefangen - ſchaft geſehen habe. Es wurde mir erzählt, daß ein Amerikaner ſo glücklich geweſen ſei, eine größere Walart längere Zeit am Leben zu erhalten; doch iſt hierüber bisjetzt, ſoviel mir bekannt, noch Nichts veröffentlicht worden. Jm Thiergarten zu London hat man wiederholt Verſuche angeſtellt, Braun - fiſche und andere Delfine zu halten, ein befriedigendes Ergebniß jedoch noch nicht erlangt. Daſſelbe war leider auch bei dem Braunfiſch der Fall, von welchem ich aus eigener Erfahrung reden kann. Das Thier wurde uns im Auguſt von einem Fiſcher überbracht, welcher es am Abend vorher ge - fangen und die Nacht hindurch in einer Wanne aufbewahrt hatte. Es war anſcheinend geſund und noch ſehr munter, und ich hoffte deshalb, es wenigſtens einige Tage lang erhalten zu können. Unſer Wal wurde zunächſt in einem tiefen Waſſergraben ausgeſetzt und ſchwamm auch ſofort in demſelben auf und nieder. Die Oberfläche des gedachten Grabens war jedoch gerade dicht mit Waſſerlinſen bedeckt, und dieſe hinderten ihn bei dem Athemholen ſo, daß ich es für nöthig fand, ihn in den größten Teich unſeres Thiergartens zu ſetzen. Hier hatte er genügenden Spielraum. Er durchkreuzte das Gewäſſer nach allen Richtungen und ſchien bereits nach einer Stunde Zeit eingewohnt, wenig - ſtens wohl bekannt zu ſein; denn man ſah ihn in ziemlich regelmäßigem Wechſel bald hier, bald dort auftauchen, Athem holen und wieder verſchwinden. Ob er den in dem Teiche befindlichen Fiſchen848Die Delfine. Der gemeine Tümmler.nachgeſtellt hat, oder nicht, weiß ich nicht zu ſagen; es ſchien jedoch, als ob er bei ſeinem Schwim - men irgendwelche Jagd betreibe. Um die Schwimmvögel auf dem Gewäſſer bekümmerte er ſich nicht; ſie dagegen betrachteten ihn mit entſchiedenem Mißtrauen. Wo auch das ſchwarze Thier auftauchen mochte, entſtand Unruhe. Die Schwäne reckten ihren Hals lang empor und blickten mit größter Verwunderung und Theilnahme nach dem Störenfried; die Gänſe und Euten verließen das Waſſer und flüchteten ſich aufs Land, von wo aus ſie dann aufmerkſam den Bewegungen des Thieres folg - ten. So trieb es der Braunfiſch während des ganzen Tages. Er ſchwamm ruhelos auf und nie - der, mied die flachen Stellen des Teiches ſorgfältig und bevorzugte dafür die Mitte, blies ſeinen Waſſerſtrahl in regelmäßigen Zeitabſchnitten empor und gab uns Gelegenheit, ſein Treiben zu beobachten, freilich nur auf Augenblicke; denn das trübe Waſſer hinderte zu meinem Bedauern, ihn auch unter der Oberfläche zu verfolgen. Jch ſchrieb ſofort einen ausführlichen Bericht über das Ereigniß und lud alle Freunde des Gartens feierlich ein, den ſeltenen Gaſt in Augenſchein zu nehmen. Aber ſo ſehr man ſich auch tummelte, um den Tümmler zu ſehen es war vergeblich; denn am anderen Morgen hatte unſer Braunfiſch ſeinen Geiſt bereits aufgegeben.

Dieſes ſchnelle Dahinſcheiden iſt mir räthſelhaft geblieben. Es liegt kein Grund vor, zu glauben, daß Süßwaſſer einem luftathmenden Seethiere ſo ſchnell verderblich werden könne; unſere Erfahrungen widerſprechen einer ſolchen Annahme auch geradezu. Ebenſowenig läßt ſich denken, daß ein Thier von der Größe des Braunfiſches ſchon innerhalb achtundvierzig Stunden dem Mangel an Nahrung erliege, und gleichwohl iſt kaum etwas Anderes als Todesurſache an - zunehmen; denn die Leichenſchau ergab, daß der gedachte Gefangene vollkommen unverletzt war. Somit ſcheint es wirklich, als wäre die bekannte Gefräßigkeit der Wale, wie beim Maulwurf, un - umgängliches Bedürfniß zum Leben.

Wie hoch ein freilebendes Meerſchwein ſein Alter bringt, iſt zur Zeit noch vollkommen unbe - kannt. Man weiß nur, daß es in der Todesangſt Schmerzenslaute ausſtößt und, wie ſo manches andere Seeſäugethier, Thränen vergießt. Sobald es verendet iſt, ſteigt der Leichnam bis dicht an die Oberfläche des Waſſers empor, und deshalb eben iſt auch die Jagd mit der Büchſe keine erfolgloſe. Die Grönländer nennen den Braunfiſch Niza , die Jsländer Brunskop , Hundfiskar und Svinehval , die Dänen Tumler , die Franzoſen Marſouin , die Engländer Porpoiſe , die Portugieſen Toninas u. ſ. w.

Einige große, kräftig gebaute Delfine mit ſchmaler, ſchnabelförmig verlängerter, zugeſpitzter und ſcharf von der Stirn geſchiedener Schnauze, einer hohen Fettfloſſe auf dem Rücken und zahl - reichen ſtarken, kegelförmigen und glatten Zähnen werden Tümmler (Tursio) genannt.

Der gemeine Tümmler (Tursio vulgaris) iſt ein großes Thier von 10 bis 15 Fuß Länge - ſtark und kräftig gebaut, mit kurzen, am oberen Rande ausgeſchnittenen, ſtumpf zugeſpitzten Bruſt - finnen, mäßig großer Schwanzfinne und 21 bis 24 Zähnen in jedem Kiefer, oben und an den Sei - ten ſchwarz oder ſchwärzlichbraun, auf der Unterſeite reinweiß gefärbt.

Dieſer Wal ſcheint vom Eismeere an bis zum Mittelmeere überall vorzukommen. Jm in - diſchen und rothen Meere wird er durch eine verwandte Art, den Abuſalem, erſetzt. Er iſt nirgends beſonders häufig, ſondern findet ſich mehr in kleinen Trupps von 6 bis 8 Stücken. Wie die Braun - fiſche, kommen dieſe zu den Fiſchern heran und umſchwärmen ſie in der beſchriebenen Weiſe. Die Schnelligkeit und Gewandtheit des Tümmlers iſt ſehr erheblich; er umſchwärmt noch luſtig ein Dampfſchiff, welches ſeine vierzehn engliſchen Meilen in der Stunde zurücklegt. Vor Stürmen oder Gewittern tobt er, wie der Braunfiſch, im Waſſer umher, und vor der Paarung ſchnellt er ſich hoch über die Wellen empor.

Jm übrigen iſt ſein Leben noch wenig erforſcht. Man kennt noch nicht einmal mit Sicherheit die Zeit der Paarung oder die Dauer der Tragzeit, und weiß nur, daß das Weibchen im Winter849Der gemeine Tümmler.ein oder zwei Junge wirft, welches ſie ganz wie die übrigen Delfine behandelt. Man jagt ihn mit der Harpune oder mit der Büchſe. Jn meinem letzten Jagdausfluge nach Abiſſinien erlegte der Herzog von Koburg einige Abuſalems, welche unſer Dampfſchiff im rothen Meere umſchwärmten. Sogleich nach dem Schuß färbte ſich das Waſſer roth von dem mit großer Gewalt ausſtrömenden Blute. Der Tümmler drehte ſich einige Male herum und kam dann langſam zur Oberfläche

Der gemeine Tümmler (Tursio vulgaris).

empor. Alle übrigen Mitglieder der Bande blieben augenblicklich beim Leichnam zurück, wie uns der Schiffsführer verſicherte, in der edlen Abſicht, den liebwerthen Genoſſen ſofort aufzufreſſen.

An die Meerſchweine und Tümmler können wir nun endlich denjenigen Wal anreihen, welcher der ganzen Familie ihren Namen gab, den hundertfach beſungenen, eigentlichen Delfin, welcher mehr Märchen und Fabeln ins Leben gerufen hat, als alle übrigen Seethiere überhaupt. Er iſt es, welcher den Arion nach Tänarium zurückbringt, bezaubert von dem herrlichen Spiel und Geſang des Dichters, den räuberiſche Schiffer gezwungen hatten, ins Meer zu ſpringen; er iſt es, von dem Plinius die hübſche Geſchichte des Knaben erzählt, welcher durch häufiges Füttern mit Brod ſich in ſolchem Grade die Liebe eines Delfins erwarb, daß dieſer ihn mehrere Jahre lang täglich über den lueriniſchen See nach Puteoli in die Schule trug und auf dieſelbe Weiſe wieder nach Hauſe brachte. Als der Knabe ſtarb, fährt der alte Naturforſcher fort, erſchien der Delfin noch immer am gewöhnten Orte und grämte ſich bald darauf über den Verluſt ſeines Lieblings zu Tode. Weiter wird gefabelt, daß im Alterthum die Delfine beim Fange der Meerbarben behilflich waren, indem ſie dieſelben ſcharenweiſe in die Netze trieben und für dieſen Dienſt mit einem Theile der Beute und mit Brod belohnt wurden, welches in Wein getränkt war. Brehm, Thierleben. II. 54850Die Delfine. Der gemeine Delfin.Als ein König von Carien einen gefangenen Delfin im Hafen feſtketten ließ, erſchien eine große Anzahl der noch freien und gab durch deutliche Zeichen die Bitte kund, ihren Gefährten freizu - laſſen. Der König konnte nicht widerſtehen. Plinius erzählt ganz ernſthaft, daß jüngere Delfine ſtets von einem älteren begleitet würden, welcher als Meiſter oder Hofmeiſter anzuſehen wäre. Auch ſoll man Delfine geſehen haben, wie ſie einen Todten wegtrugen, damit er nicht von anderen Fiſchen zerriſſen würde u. ſ. w.

Leider müſſen wir alle dieſe hübſchen Erzählungen den Dichtern und Märchenſchreibern über - laſſen; es fehlt ihnen aller Anhalt.

Die eigentlichen Delfine kennzeichnet eine mittlere Größe, der ebenmäßig gebaute Leib mit ſchmaler, langer Schnauze, die große Zahl der Wirbel und der außerordentliche Zahnreichthum.

Der gemeine Delfin (Delphinus Delphis).

Der gemeine Delfin (Delphinus Delphis) wird 6 bis 8 Fuß lang. Seine langen Bruſt - finnen ſind am Oberrande ausgeſchnitten und gegen die Spitze hin ſichelförmig verſchmälert; die Schwanzfinne iſt halbmondförmig. Die Zahl der Zähne unterliegt bedeutenden Schwankungen; ge - wöhnlich findet man zwiſchen 32 bis 47 in jedem Kiefer; man hat jedoch auch ſchon Delfine erlegt, welche deren jederſeits 53, alſo im ganzen die ungeheure Zahl von 212 hatten. Die Zähne ſelbſt ſtehen in gleichmäßigen Abſtänden durch kleine Zwiſchenräume getrennt neben einander, ſo daß die oberen zwiſchen die unteren und die unteren zwiſchen die oberen eingreifen. Sie ſind lang - geſtreckt, kegelförmig, ſehr ſpitzig und von außen nach innen ſchwach gekrümmt; die mittleren ſind die längſten. Nach vorn und hinten nehmen ſie an Größe ab. Das dunkle, grünlich ſchimmernde Schwarzgrau der Oberſeite geht allmählich in die lichtere Färbung der Unterſeite über.

Alle Meere der nördlichen Halbkugel ſind die Heimat dieſes berühmten Thieres, welches ſo weſentlich zur Unterhaltung der Seefahrer und Reiſenden beiträgt. Jn ſeinem Weſen und Trei -851Der gemeine Delfin.ben erinnert der Delfin durchaus an die beſchriebenen Verwandten; nur iſt er womöglich noch ſpielluſtiger und launenhafter. Bald treibt er ſich, von allen Küſten entfernt, im hohen Meere herum, bald ſteigt er hoch in den Flüſſen empor: er iſt überall zu finden. Gewöhnlich ſieht man ihn in Trupps von 6 bis 10 Stücken. Dieſe kommen von weitem auf die Schiffe zu und umſchwär - men und umſpielen dieſe lange Zeit, ehe ſie wieder eine andere Richtung nehmen. Ohne Unterlaß tauchen ſie auf und nieder, und jedesmal, wenn der dunkle Rücken über der Oberfläche erſcheint, vernimmt man einen ſchnaubenden Ton und ſieht einen niederen Strahl aufſteigen.

Das Gebiß bekundet deutlich genug, daß der Delfin zu den ſchlimmſten Räubern des Meeres gehört. Seine Nahrung beſteht einzig und allein aus Fiſchen, Krebſen, Sepien und anderen See - thieren. Am liebſten jagt er den Sardellen, den Häringen und den fliegenden Fiſchen nach. Er iſt es hauptſächlich, welcher dieſe ſonderbaren Bewohner des Meeres über den Waſſerſpiegel emportreibt; denn gar nicht ſelten ſieht man ihn ſelbſt hinter den aufgeſtiegenen und dahinrauſchenden Flugfiſchen ſich emporſchnellen und dann eilig in der von ihnen angegebenen Richtung weiter ſchwimmen. Nach drei - bis viermaligem Auftreiben hat er die fliegenden Fiſche gewöhnlich ſo abgehetzt, daß ſie ihm leicht zur Beute werden. Bei dieſer Fangart ſind die Möven, Tölpel und andere Seevögel ſeine treuen Gehilfen; ſie verfolgen die aus dem Waſſer in die Luft getriebenen Fiſche während des Flie - gens und jagen ſie nun wiederum dem unten auflauernden Räuber zu.

Zehn Monate nach der Paarung, welche im Herbſt geſchieht, wirft das Weibchen ein, ſel - teuer zwei Junge von bis 2 Fuß Länge, und beweiſt ihm bis zum erlangten Wachsthum die größte Zärtlichkeit. Wie behauptet wird, ſind die Jungen erſt nach zehn Jahren vollkommen erwach - ſen, dafür ſollen ſie aber auch, wie ein alter griechiſcher Schriftſteller angibt, bis hundertunddreißig Jahre alt werden. Fiſcher, welche gefangenen Delfinen Stücke aus der Schwanzfinne geſchnitten hatten, wollen in Erfahrung gebracht haben, daß die Lebensdauer zwiſchen fünfundzwanzig bis dreißig Jahre beträgt.

Der Delfin hat in dem Schwertfiſch einen ſchlimmeren Feind, als in dem Menſchen; denn dieſer verfolgt ihn nur, wenn ihn Mangel an friſchem Fleiſch dazu treibt. Noch heutigen Ta - ges genießt der Delfin die Liebe Seitens des Menſchen, welche ihm ſchon im Alterthum wurde. Doch vereinigen ſich hier und da wohl einige Fiſcher, umringen mit ihren Boten nach altgriechi - ſcher Fangweiſe eine Schar von Delfinen, erſchrecken ſie durch plötzliches Geſchrei und verſuchen, ſie nach dem Strande hinzutreiben, wo ſie angſterfüllt auf das Trockene laufen. Dann ver - nimmt man ein ſeufzerartiges Geſtöhn von den zu Tode geängſtigten Thieren. Früher verzehrte man Fleiſch und Speck der gefangenen, namentlich in katholiſchen Ländern während der Faſtenzeit, weil der Delfin von den Pfaffen ſelbſtverſtändlich als echter Fiſch angeſehen wurde. Die Eng - länder und Franzoſen richten das Fleiſch in künſtlicher Weiſe zu, und erzielen dadurch eine wenig - ſtens ziemlich ſchmackhafte Speiſe. Gegenwärtig iſt man aber faſt überall von dem Genuſſe ab - gekommen. Bei den alten Römern ſpielte der Delfin eine Rolle in der Heilkunde. Die Leber galt für ein vortreffliches Mittel bei Anfällen von Wechſelfiebern; mit dem Leberthran heilte man Ge - ſchwüre, mit dem Rauch des angezündeten Specks Unterleibsbeſchwerden. Es wurden ganze Del - ſine verbrannt und die gewonnene Aſche mit Honig vermiſcht und dann zu allerhand Quackſalbereien verwandt. Gegenwärtig will man auch von dieſer Benutzung des Wals Nichts mehr wiſſen.

Mehrere zu unſerer Familie zählende Mitglieder zeichnen ſich durch ihre eigenthümlich ver - längerte, ſchnabelartige Schnauze aus. Dieſe iſt aber bei den verſchiedenen Arten ſo abwechſelnd geſtaltet und bezahnt, daß man die Schnauzendelfine wiederum in verſchiedene Sippen ge - theilt hat. Einige bewohnen das Weltmeer, die beiden anderen dagegen den größten und den hei - ligſten Strom der Erde.

54*852Die Delfine. Die Bote.

Die Döglinge (Chenodelphinus) reihen ſich den wahren Delfinen zunächſt an, weil ſie noch die Rückenfloſſe derſelben beſitzen. Jhr Körperbau iſt ſehr kräftig, die halbmondförmige Schwanz - finne, die großen Bruſt - und Rückenfloſſen dagegen ſind ſehr klein. Mit zunehmendem Alter verliert ihre Schnabelſchnauze ſämmtliche Zähne, welche ſie im Jugendalter trug. Man kennt gegenwärtig zwei Arten dieſer Sippe, unter welchen der Dögling (Chenodelphinus rostratus) die bekanntere iſt. Er iſt ein großer Delfin von 20 bis 28 Fuß Länge und 13 bis 14 Fuß Leibesumfang, am ganzen Leibe gleichmäßig ſchwarz gefärbt.

Der nördliche Theil des atlantiſchen Weltmeeres und das Eismeer ſind ſeine Heimat; im ſtillen Weltmeer iſt er bisjetzt noch nicht angetroffen worden. Jm Norden Lapplands und bei Spitzbergen ſcheint er am häufigſten zu ſein.

Ueber ſeine Lebensweiſe iſt bisher nur ſehr wenig bekannt geworden; ſie mag im ganzen wohl an das Treiben der Delfine erinnern. Der Dögling iſt, ungeachtet ſeines Körperbaues, doch ein furchtbarerer Räuber, wie leicht erklärlich aber größeren Thieren vollkommen ungefährlich. Kopf - füßler, ſchalenloſe Weichthiere, Seegurken und höchſtens noch kleine Fiſche bilden ſeine Nahrung. Davon verzehrt er freilich ungeheure Mengen; man fand in einem getödteten die Reſte von etwa tauſend Thieren.

Der Dögling iſt wiederholt an den Küſten Englands, Frankreichs, Hollands, Deutſchlands, Schwedens und Rußlands, ja, ſogar Jtaliens geſtrandet. Jm September 1788 lief bei Honfleur ein Weibchen mit ihrem Kinde auf. Die Mutter bemühte ſich lange, das Junge flott zu machen und fand dadurch ihren Tod. Fiſcher, welche beide Thiere bemerkt hatten, zogen das Junge voll - ends an das Land und verwundeten nun die treue Mutter tödtlich; zwar gelang es derſelben noch, die offene See zu gewinnen, allein am folgenden Tage fand man ſie drei Meilen von jener Stelle entfernt entſeelt am Strande.

Schon im Jahre 1819 veröſſentlichte Humboldt Beobachtungen über einen die ſüßen Ge - wäſſer Südamerikas bewohnenden Delfin, ohne jedoch eine nähere Beſchreibung deſſelben zu geben. Desmareſt erhielt im folgenden Jahre das fragliche Thier aus dem Muſeum zu Liſſabon und be - ſchrieb es, aber noch immer ſehr kurz und unvollſtändig. Genauere Nachrichten übergaben der Oeffentlichkeit unſere verdienſtvollen Landsleute Spix und Martius im Jahre 1831. Aber erſt dem Franzoſen D’Orbigny verdanken wir die endgiltige Beſchreibung. Dieſer Forſcher, welcher bald nach Spix und Martius Peru bereiſte, war ſo glücklich, das Thier ſelbſt zu erhalten. Mit den Forſchungen unſerer Landsleute unbekannt, erfuhr er zu ſeiner nicht geringen Verwun - derung, daß im tiefen Jnneren des ſüdamerikaniſchen Feſtlandes, fünfhundert Meilen vom atlan - tiſchen Weltmeere, ein großer Fiſch lebe, welchen er der Beſchreibung nach nur als Delfin zu deuten vermochte. Selbſtverſtändlich war der Mann äußerſt begierig, dieſes fragliche Thier kennen zu lernen. Die Jndianer waren jedoch mit dem Gebrauch der Harpune ſo wenig vertraut, daß ſie ihm den Delfin nicht zu liefern vermochten. Endlich erlangte er ihn bei dem braſilianiſchen Grenz - poſten Principe Dobeira, deſſen Soldaten ſich mit dieſem Fang beſchäftigten, und erhielt hierdurch Gelegenheit, ihn zu zeichnen und zu beſchreiben.

Die Jnia der Guarayos, der Bufeo der Spanier oder die Bote der Braſilianer (Inia amazonica) iſt ein Delfin, bei welchem ſich die Schnauze noch mehr verlängert, als beim Dögling. Sie wird zu einem ſchmalen, rundlichen, ſtumpfen, ſteifbehaarten Schnabel, welcher in jeder Kinn - lade 66 oder 68 ſpitze Zähne mit gekrümmten und kräftigen Kronen trägt. Der ſchlanke Leib beſitzt lange, am oberen Ende ausgeſchnittene und gegen die Spitze zu ſichelförmig verſchmälerte Bruſt - finnen, eine nicht lappige Schwanzfloſſe und eine ſehr niedere Fettfloſſe auf dem Rücken. Die Leibeslänge ſchwankt zwiſchen 7 bis 10 Fuß; bei einem Thiere von Fuß Länge wird die Rücken -853Die Bote.finne 1 Fuß 3 Zoll lang und gegen 2 Zoll hoch, die Bruſtſinne 1 Fuß Zoll lang und 6 Zoll breit, und die Schwanzfinne endlich Fuß breit. Das Weibchen ſoll nur halb ſo groß werden. Auf der ganzen Oberſeite iſt die Jnia blaßbläulich, auf der Unterſeite roſenröthlich gefärbt; doch gibt es mancherlei Abweichungen; man trifft manchmal durchaus röthliche und bisweilen auch ganz ſchwärzliche an.

Soviel man bisjetzt weiß, bewohnt das beachtungswerthe Geſchöpf faſt alle Flüſſe Südamerikas zwiſchen dem 10. und 17. Grad ſüdlicher Breite. Jm Amazonenſtrom und ſeinen Nebenflüſſen und im Orinoco iſt er allenthalben eine bekannte Erſcheinung. Jn ſeinen Bewegungen ſoll er ſich von den Seedelfinen unterſcheiden; er iſt langſamer und weniger lebhaft, ſchwimmt ruhiger, kommt oft

Die Bote (Iaia amazonica).

an die Oberfläche, um zu athmen, und vereinigt ſich gewöhnlich nur in kleinen Geſellſchaften; doch ſah Humboldt ihrer viele zuſammen. Die Luft, ſagt er, wurde wieder ſtill, und alsbald fingen große Wale aus der Familie der Spritzfiſche, ganz ähnlich den Delfinen unſerer Meere, an, ſich in langen Reihen an der Oberfläche zu tummeln. Die Krokodile, langſam und träge, ſchienen die Nähe dieſer lärmenden, in ihren Bewegungen ungeſtümen Thiere zu ſcheuen; wir ſahen ſie un - tertauchen, wenn die Spritzfiſche ihnen nahe kamen. Daß Wale ſo weit von den Küſten vorkommen, iſt ſehr auffallend; man trifft ſie zu allen Jahreszeiten an und keine Spur ſcheint anzudeuten, daß ſie zu beſtimmten Zeiten wandern, wie die Lachſe. Die Spanier nennen ſie, wie die Seedelfine, Toninas, ihr indianiſcher Name iſt Orinocua. Ein anderes Mal erzählt er: Jm dickſten Walde854Die Delfine. Die Bote.vernahmen wir mit Ueberraſchung einen ſonderbaren Lärm. Wir ſchlugen an die Büſche und da kam ein Schwarm vier Fuß langer Toninas zum Vorſchein und umgab unſer Fahrzeug. Die Thiere waren unter den Aeſten eines Baumes verſteckt geweſen. Sie machten ſich durch den Wald davon und warfen dabei die Waſſerſtrahlen, nach denen ſie in allen Sprachen Blaß - oder Spritzfiſche heißen. Ein ſonderbarer Anblick mitten im Lande, drei - bis vierhundert Meilen von den Mündungen des Orinoco und Amazonenſtromes. Jch bin immer noch der Anſicht, daß dieſe Delfine von denen des Meeres ganz verſchiedene Arten ſind. Jn vorſtehenden Angaben iſt ſo ziemlich Alles enthalten, was wir von dem Leben der Jnia wiſſen. Durch die übrigen Reiſenden erfahren wir noch, daß das Thier ſich faſt im -

Der Schnabeldelfin (Platanista gangetica).

mer nahe der Oberfläche des Waſſers hält und nicht ſelten die lange, ſchnabelartige Schnauze hervor - ſtreckt und die erhaſchte Beute über dem Waſſer verſchlingt. Die Nahrung beſteht hauptſächlich aus kleinen Fiſchen; nebenbei genießen ſie aber auch allerlei Baumfrüchte, welche von den Zweigen in die Flüſſe fallen. Am liebſten halten ſich die Jnias in den klaren und tiefen Buchten der Flüſſe und Ströme auf; Stellen, wo die Ufer ſteinig ſind, ziehen ſie allen übrigen vor. Sie verurſachen einen großen Lärm und werden dadurch den Reiſenden oft läſtig. Wie man beobachtet hat, ziehen ſie gern dem Feuer nach und ſammeln ſich manchmal um ein ſolches in ſo großer Menge, daß die am Ufer Lagernden genöthigt ſind, das Feuer auszulöſchen, um ruhig ſchlafen zu können.

Ueber die Zeit der Paarung und die Dauer der Tragzeit weiß man Nichts. Das Weibchen, welches D’Orbigny unterſuchte, warf während der letzten ſechs Stunden ſeines Lebens ein Jun -855Der Schnabeldelfin. Der Pottfiſch.ges von kaum mehr als einem Fuß Länge. Außerdem erfuhr man noch, daß die Mutter ihr Kind mit derſelben Zärtlichkeit behandelt, wie andere Delfine.

Nur die Noth treibt den Menſchen an, die ganz unſchuldige Jnia zu verfolgen. Das Fleiſch iſt hart, der Speck gering und die Haut wenig zur Verarbeitung geeignet; hier und da ſoll man Schilde aus ihr fertigen. Einen anderen Nutzen gewährt das Thier nicht.

Unter dem Namen Plataniſta erwähnt Plinius eines Delfins, welcher im Ganges lebt und nach ſeiner Beſchreibung 23 Fuß lang werden ſoll. Das Thier iſt wirklich vorhanden, aber freilich viel kleiner, als der alte berühmte Forſcher angibt, nämlich nur 7 Fuß lang. Der ſehr ſchlanke Leibesbau und die halbmondförmige und getheilte Schwanzfloſſe, die aufwärts gebogene und verdickte Schnauze und das Sförmig gebogene Spritzloch unterſcheiden dieſen Wal, den Su - ſuk der Jndier oder den Schnabeldelfin des Ganges (Platanista gangetica) hinlänglich von ſeinen Verwandten. Jn den Kiefern ſtehen 30 bis 32 ſtarke, kegelförmig geſtaltete, etwas nach rückwärts gekrümmte, ſpitze Zähne, unter denen die vorderſten die längſten und ſchlankſten ſind. Die Fettfloſſe auf dem Rücken iſt nur durch eine erhabene Fetthaut angedeutet. Oben iſt ſie grau - lichſchwarz, unten graulichweiß gefärbt.

Soviel bisjetzt bekannt, lebt dieſes merkwürdige Thier nur im Ganges und ſeinen verſchiedenen Armen. Jn dieſem Strome kommt es oft bis tief in das Land, doch hält es ſich gewöhnlich mehr nahe der Mündung auf. Es iſt geſellig wie die übrigen, nährt ſich von Fiſchen, Schal - und Waſſer - thieren und, wie man ſagt, auch von Früchten und Reisähren, welche es da wegnimmt, wo die Felder bis hart an den Strom ſtoßen. Sein langer Schnabel macht es ihm möglich, auch den Schlamm und das Röhricht nach Schalthieren zu durchſuchen. Gewöhnlich ſchwimmt es nur lang - ſam und ſchwerfällig dahin, bei Verfolgung der Fiſche aber zeigt er ſich als echter Delfin und jagt pfeilſchnell durch die Fluthen. Die Jndier ſtellen ihm ſeines Speckes wegen nach, weil ſie dieſen als ein wirkſames Mittel gegen Lähmung, Gliederſchmerzen und andere Uebel betrachten. Das Fleiſch wird von den Fiſchern nur als Köder zum Fang anderer wohlſchmeckender Gangesbewohner benutzt. Hierauf beſchränkt ſich bisjetzt unſere Kenntniß.

Noch ſind die Naturforſcher nicht einig darüber, ob ſie in einem der riefigſten Meeresbewohner, dem Pottfiſch (Physeter macrocephalus), den Vertreter einer eigenen Familie oder blos einer Sippe anzuſehen haben, welche letztere man dann der Familie der Delfine zuzählen müßte. Durch die ungeheure Größe des Leibes und den gewaltigen, dicken Kopf, welcher mindeſtens ein Dritt - theil der Leibeslänge einnimmt, unterſcheidet ſich der Pottfiſch allerdings mehr noch von den Del - finen, als von den Walen, der Bau des Schädels aber und die Zähne, welche ſeine Kiefern be - waffnen, erinnern wiederum an jenen raſchen und raubgierigen Meerſäuger, und weil gerade Gebiß und Zahnbau gewöhnlich als maßgebend betrachtet werden, iſt es erklärlich, daß Viele in dem ſonſt ſo eigenthümlich geſtalteten Geſchöpfe nur einen Delfin erblicken wollen. Wir unſererſeits wollen den Pottfiſch als ein Thier anſehen, welches ſich von dem ihm zunächſt ſtehenden Delfine ungleich mehr unterſcheidet, als Säugethiere, welche zu verſchiedenen Familien gezählt werden müſſen, und erkennen ihn deshalb für würdig, eine beſondere Familie zu bilden. Wenn es auch begründet iſt, daß man hinſichtlich der Säugethiere ſagen kann: Oeffne dein Maul, damit ich dich kenne! , darf doch das Gebiß allein den Ausſchlag nicht geben, wenn es ſich darum handelt, einem856Der Pottfiſch.Säuger die ihm gebührende Stellung einzuräumen. Die Betrachtung und Vergleichung des ge - ſammten Leibesbaues allein berechtigt den Forſcher zur Trennung oder Vereinigung eines Geſchöpfes mit anderen ähnlichen, und wenn wir dieſe Grundſätze feſthalten, bleiben wir wohl kaum lange im Zweifel, was wir aus dem Pottfiſch zu machen haben: er zeigt ſoviel weſentliche Eigenthümlichkeiten, daß er nur für ſich allein betrachtet werden kann.

Freilich kann man wieder einwenden, daß wir den Pottfiſch ſelbſt noch gar nicht kennen. Bis heutigen Tages ſind die Meinungen auch in anderer Hinſicht über ihn getheilt. Viele Forſcher nah - men und nehmen noch gegenwärtig mehrere Pottfiſche an, die Anderen vereinigen alle, welche aufgeſtellt wurden, zu einer einzigen Art. Die Unterſuchung dieſer Thiere hat ihre großen Schwie - rigkeiten und hindert, wie Pöppig treffend bemerkt, eine richtige Auffaſſung der Geſtalt. Ge - legenheit zur richtigen Betrachtung bieten ſie ſelten, und nur dann, wenn Stürme einen ſolchen Koloß zum Stranden an den europäiſchen Küſten gebracht haben; niemals aber können die erlang - ten Ergebniſſe der Wahrheit ganz entſprechen, niemals kann das Geſammtbild des Thieres von dem Zeichner treu wiedergegeben werden, weil die ungeheure Körpermaſſe durch ihr eigenes Gewicht zuſammenſinkt, theils auch im Sande vergraben iſt. Jm Waſſer ruhig liegende Pottfiſche bekommt nur der Walfiſchfänger zu ſehen, wenn ihm das Jagdglück günſtig ſein ſollte; allein er hat dann Wichtigeres zu thun, als zu zeichnen. Aus dieſem Grunde erklärt es ſich, warum es noch keine ganz zuverläſſige Abbildung gibt, und warum die mit urtheilsfähigem Auge entworfenen Zeich - nungen fehlen, ohne welche der Thierkundige ſich umſonſt abmüht, die hinſichtlich der Pottwale herrſchende Verwirrung zu beſeitigen. Man vermag nicht einmal zu entſcheiden, ob zwiſchen den Pottwalen der hochnordiſchen und ſüdlichen Meere zur Arttrennung berechtigende Verſchiedenheit herrſcht. Beide Cuvier’s ſind geneigt, eine ſolche zu bezweifeln, Bennett hingegen und ebenſo mancher andere Thierkundige wollen den Pottfiſch der Südſee als eigene Art abtrennen. Das Eine iſt ſicher: hinſichtlich der Lebensweiſe und Gewohnheiten ähneln ſich alle Pottfiſche der Erde voll - ſtändig, und ſo genügt es uns, wenn wir das Bekannte zuſammenſtellen.

Der Pottwal ſteht hinſichtlich ſeiner Größe kaum oder nicht hinter dem Walfiſch zurück; erwachſene Männchen ſollen 60 bis 70 Fuß lang werden und einen Leibesumfang von 38 Fuß erreichen; die Weibchen dagegen ſollen blos halb ſo groß werden. Jm Verhältniß zu dieſer Größe iſt die Bruſtfinne ſehr klein. Bei einem 60 Fuß langen Männchen war ſie nur 3 Fuß lang und 2 Fuß breit; die Schwanzfinne dagegen hatte eine Breite von 19 Fuß. Beide Geſchlechter ähneln ſich; doch wollen einige Walfiſchfänger einen Unterſchied in der Form der Schnauze gefunden haben: ſie behaupten, daß dieſe bei weiblichen Thieren gerade abgeſtutzt, bei männlichen aber mehr gewölbt ſei.

Man kann den Pottfiſch das ungeſchlachtetſte aller Thiere nennen. Der überaus lange, breite, faſt viereckige Kopf iſt von der Höhe und Breite wie der Leib und geht ohne merkliche Ab - grenzung in dieſen über. Der Leib iſt walzenförmig, in den beiden vorderen Dritteln ſehr dick, von da an bis zum Schwanz verſchmächtigt; vorn iſt er eben und abgeflacht, im letzten Drittel aber gerundet. Hier erhebt ſich eine niedere, höckerartige, ſchwielige, unbewegliche Fettfloſſe, welche hinten wie abgeſchnitten erſcheint und nach vorn zu allmählich in den Leib übergeht. Die kurzen, breiten, dicken Bruſtfloſſen ſtehen gleich hinter dem Auge und zeigen auf ihrer Oberſeite fünf Längsfalten, welche den Fingern entſprechen; auf der Unterſeite ſind ſie glatt. Die Schwanzfinne iſt tief eingeſchnitten und zweilappig, in der Jugend am Rande gekerbt, im Alter glatt. Kleine, höckerartige Erhöhungen laufen vom Ende der Fettfloſſe an bis zur Schwanzfinne herab. Beim Weibchen liegen zwei Zitzen in der Nabelgegend. Der Oberkopf ſtutzt ſich vorn ſenkrecht ab. Das Spritzloch, eine Sförmig gebogene Spalte von 8 bis 10 Zoll Länge, liegt, abweichend von an - deren Thieren, am Schnauzenrande, wie die Naſe der meiſten übrigen Säugethiere. Die kleinen Augen ſind ſehr weit nach rückwärts geſtellt, die Lider wimperlos. Die Ohren liegen etwas un - terhalb des Auges und öffnen ſich durch eine kleine Längsſpalte. Der Mund iſt groß; der Kiefer857Der Pottfiſch.öffnet ſich beinahe bis zum Auge. Der Unterkiefer iſt beträchtlich ſchmäler und kürzer, als der Oberkiefer, von welchem er bei geſchloſſenem Munde umfaßt wird. Beide Kiefern ſind mit wurzel - loſen, kegelförmigen Zähnen beſetzt. Jhre Zahl ſchwankt beträchtlich; im Alter fallen manche aus und andere werden von dem Zahnfleiſch faſt ganz bedeckt. Verhältnißmäßig groß ſind nur die Zähne im Unterkiefer, meiſt 39 bis 50 an der Zahl, in dem einen Kiefer mehr, als in dem anderen. Einige werden fußlang. Bei jungen Thieren ſind ſie ziemlich ſcharf zugeſpitzt, je älter aber der Pottfiſch wird, umſomehr ſtumpfen ſie ſich ab, und bei ganz alten Thieren erſcheinen ſie als aus - gehöhlte Kegel von Elfenbeinmaſſe, deren Höhlung mit Knochen ausgefüllt iſt. Der Schädel ſelbſt fällt wegen ſeiner Ungleichmäßigkeit, der Kopf wegen ſeiner Maſſigkeit und ſich gleich bleibenden

Der Pottfiſch (Physeter macrocephalus).

Dicke auf. Unter der mehrere Zoll dicken Specklage breiten ſich Sehnenlagen aus, welche einem großen Raume zur Decke dienen. Derſelbe iſt durch eine wagrechte Wand in zwei durch mehrere Oeffnungen verbundene Kammern getheilt. Der ganze Raum wird durch eine ölige, helle Maſſe, das Walrath, ausgefüllt, welches außerdem noch in einer vom Kopfe bis zum Schwanze verlaufen - den Röhre und in vielen kleinen, in Fleiſch und Fett zerſtreuten Säckchen ſich findet. Jm Halfe verſchmelzen ſechs Halswirbel; nur der Atlas bleibt frei. Vierzehn Wirbel tragen Rippen, zwan - zig bilden den Lendentheil und neunzehn den Schwanz. Das Schulterblatt iſt verhältnißmäßig ſchmal, der Oberarm kurz und dick, mit dem noch kürzeren Unterarmknochen verwachſen. Das Fleiſch iſt hart und grobfaſerig und von vielen dicken und ſteifen Sehnen durchflochten. Ueber ihm858Der Pottfiſch.liegt eine mehrere Zoll dicke Specklage und endlich die kahle, faſt vollkommen glatte, glänzende Haut. Sie iſt von einer trübſchwarzen, am Unterleibe, dem Schwanze und dem Unterkiefer ſtellen - weiſe lichteren Farbe. Die Zunge iſt mit ihrer ganzen Unterſeite am Grunde des Unterkiefers feſt - gewachſen, der Magen viertheilig, der Darm funfzehn Mal ſo lang, als der Leib, die Luftröhre in drei Hauptzweige geſpalten. Außerdem verdient noch ein eigenthümlicher, als Harnblaſe zu den - tender Sack Beachtung. Er liegt über der Wurzel der Ruthe und ſteht mit einer durch dieſe ver - laufenden Röhre und einer zweiten, welche zu den Nieren führt, in Verbindung. Eine dunkle, orangenfarbige, ölige Flüſſigkeit füllt ihn, und zuweilen ſchwimmen in dieſer kugelartige Klumpen von 3 bis 12 Zoll im Durchmeſſer und 12 bis 20 Pfund Gewicht umher, wahrſcheinlich krankhafte Erzeugniſſe, dem Harnſtein anderer Thiere vergleichbar. Sie ſind der bekannte, ſehr hochgeſchätzte Amber.

Der Pottfiſch iſt Weltbürger. Alle Meere der Erde beherbergen ihn, und wenn er ſich auch in den Meeren rings um den Pol ſüdlich und nördlich des 60. Grades der Breite nur ſelten fin - det, ſo darf man doch annehmen, daß er hier ebenfalls zuweilen ſich herumtreibt. Als ſeine eigent - liche Heimat betrachtet man die Meere der ſüdlichen Erdhälfte. Dahin ſteuern die Schiffer, welche den Fang dieſes Rieſen betreiben, und vonhieraus wandert derſelbe, wie man annimmt, durch alle Meere der Erde. Auch an den europäiſchen Küſten gehört er nicht zu den Seltenheiten. Die Ge - ſchichtsbücher aller Länder, ebenſowohl die älteren, wie die neueren, berichten von Pottfiſchen, welche an ihren Küſten ſtrandeten. Nach Art der Delfine zieht das rieſige Thier in Scharen durch das Meer, die tiefſten Stellen deſſelben auswählend. Gern treibt es ſich in der Nähe der ſteilen Küſten umher, ängſtlich vermeidet es die ihm ſo gefährlichen Seichten. Die Walfiſchfänger berichten, daß jeder Herde immer ein großes, altes Männchen vorſtehe, welches den Zug leite und die Weib - chen und Jungen, aus denen die übrige Herde beſtehe, vor den Angriffen feindlicher Thiere ſchütze. Alte männliche Thiere durchziehen wohl auch einzeln die Fluth oder ſcharen ſich wenigſtens nur in kleine Geſellſchaften zuſammen. Zu gewiſſen Zeiten ſollen ſich auch mehrere Herden vereinigen und dann zu Hunderten mit einander ſich umhertreiben.

Hinſichtlich ſeiner Bewegung erinnert der Pottfiſch mehr an die Delfine, als an die Barten - wale. Er gibt den ſchnellſten Mitgliedern ſeiner Ordnung wenig nach. Schon bei ruhigem Schwim - men legt er drei bis vier engliſche Meilen in der Stunde zurück, bei ſchnellerem Schwimmen jagt er durch die Fluthen, daß das Waſſer brauſend aufkocht und die ruhige See Wellen erzeugt, welche weit - hin ſich verbreiten. Dann wetteifert er an Schnelligkeit mit jedem Schiffe. Schon von weitem erkennt man den Pottfiſch an ſeinen Bewegungen. Bei ruhigem Schwimmen gleitet er leicht unter der Waſſerfläche dahin, bei ſchnellerem ſchlägt er ſo heftig mit dem Schwanze auf und nieder, daß ſein Kopf bald tief unterſinkt, bald wieder hoch emportaucht. Gar nicht ſelten ſtellt er ſich ſenkrecht in das Waſſer, entweder den Kopf oder die Schwanzfinne hoch über den Spiegel emporhaltend und hierdurch von den meiſten anderen Walen ſich unterſcheidend; ja es kommt auch vor, daß er plötzlich mit großer Wucht ſich über das Waſſer emporſchnellt, zwei, drei Mal hinter einander, und ſich dann für längere Zeit tief in die Fluthen verſenkt. Die Mitglieder einer Geſellſchaft ordnen ſich gewöhnlich in eine lange Reihe, einer hinter dem anderen, und tauchen zu gleicher Zeit auf und nieder, blaſen zugleich ihre Waſſerſäulen in die Luft und verſchwinden faſt in demſelben Augenblick unter den Fluthen. Selten ſind die Thiere ruhig; blos wenn ſie ſchlafen, liegen ſie faſt bewegungslos auf der Oberfläche des Waſſers.

Man hat erfahren, daß der Pottfiſch 20 Minuten unter dem Waſſer verweilen kann; nach Ab - lauf dieſer Friſt aber muß er zur Oberfläche emporſteigen, um von neuem die ungeheure Menge ſei - nes Blutes zu reinigen. Jn Zwiſchenzeiten von 10 bis 15 Sekunden athmet er dann 30 bis 60 Mal nach einander, entkohlt hierdurch ſein Blut und iſt nun zu gleich langem Tauchen geſchickt. Bei heftigen Bewegungen, z. B. bei Verfolgungen, athmet er raſch und ununterbrochen. Geübte Walfiſch - fänger verſichern, daß ſie durch das Gehör allein den Pottfiſch von allen übrigen Walen unterſcheiden. 859Der Pottfiſch.Sein Blaſen ſoll ein ſo eigenthümliches Geräuſch verurſachen, daß eine Verwechſelung mit anderen großen Seeſäugern kaum möglich iſt.

Unter den Sinnen des Thieres glaubt man dem Gefühl den erſten Rang einräumen zu dürfen. Die Haut iſt mit zarten Nervenwarzen beſetzt und dadurch befähigt, den geringſten Eindruck zur Wahrnehmung zu bringen. Das Geſicht iſt ziemlich gut, das Gehör dagegen ſchlecht. Hinſichtlich ſeiner geiſtigen Fähigkeiten ähnelt der Pottfiſch mehr dem Delfine, als dem Wale; er zeigt ſo ziemlich dieſelben Eigenſchaften. Doch meidet er die Nähe des Menſchen ungleich ängſtlicher, als der den Schiffern ſo befreundete Delfin, vorausgeſetzt, daß er ſich nicht verfolgt oder angegriffen ſieht; denn dann tritt an die Stelle der Furchtſamkeit ein unbändiger Muth und eine Kampfluſt, wie wir ſie bei anderen Walen nicht wiederfinden. Man hat beobachtet, daß ein Rudel von Delfinen im Stande iſt, eine ganze Herde von Pottfiſchen ſo zu ängſtigen, daß ſie alleſammt eiligſt die Flucht ergreifen; man weiß auch aus Erfahrung, daß alle Pottfiſche bei Annäherung eines Schiffes ſo eilig als möglich entfliehen; ja, man kennt Beiſpiele, daß eine Herde durch plötzliche Aunäherung ihrer Feinde ſo er - ſchreckt wurde, daß ſie bewegungslos am ganzen Leibe bebte, an einer Stelle blieb oder ganz unge - ſchickt geradezu verwirrte Anſtrengungen machte und dem Menſchen hierdurch Gelegenheit gab, mehrere Mitglieder der Thiere zu bewältigen. Die Walfiſchfänger wollen wiſſen, daß Dies gewöhn - lich der Fall iſt, wenn zuerſt ein Weibchen verwundet wurde, während die ganze Herde die Flucht ergreift, wenn das leitende Männchen ſeinen Tod fand.

Soviel man weiß, bilden verſchiedene Arten von Kopffüßlern die hauptſächlichſte Nahrung des Pottfiſches. Kleine Fiſche, welche zufällig in den großen Rachen ſich verirren, werden natürlich auch mit verſchluckt; auf ſie aber macht unſer Wal eigentlich keine Jagd. Aeltere Seefahrer erzählten, daß der Pottfiſch ſich auch an Haifiſche, Robben, Delfine und ſelbſt an Bartenwale wage, die neueren, genaueren Beobachter haben aber hiervon Nichts bemerkt. Von ihnen erfahren wir dagegen, daß der Pottfiſch zuweilen pflanzliche Nahrung genießt; wenigſtens haben ſie in dem Magen erjagter Wale dieſer Art verſchiedene Baumfrüchte gefunden, welche durch die Flüſſe in die See geführt wor - den waren.

Zu allen Zeiten des Jahres hat man Mütter mit ſäugenden Jungen getroffen. Bennett, welcher am genaueſten über den Pottfiſch berichtet, hat die Säuglinge nur in den Monaten März, April, Oktober und November vermißt; doch beweiſt dieſe Angabe durchaus noch nicht, daß zu dieſer Jahreszeit keine Jungen geboren würden. Jn der Regel bringt jedes Weibchen nur ein einziges Junge zur Welt; man will jedoch auch ſchon deren zwei bei der Mutter geſehen haben. Die Säug - linge, welche etwa 14 Fuß lang ſind, ſchwimmen luſtig neben der Mutter her und begleiten ſie auf allen ihren Zügen. Beim Säugen ſoll ſich die Mutter auf die Seite legen und das Junge die Zitze mit dem Winkel, nicht aber mit der Spitze der Kiefern faſſen.

Der Pottfiſch wurde ſchon ſeit alten Zeiten von Walfiſchfängern verfolgt, allein erſt vom Ende des 17. Jahrhunderts an mit beſonderem Eifer. Die Amerikaner rüſteten im Jahre 1677, die Eng - länder erſt 100 Jahre ſpäter Schiffe zum Pottfiſchfang aus. Seit Anfang unſeres Jahrhunderts iſt die Südſee der hauptſächlichſte Jagdgrund dieſer Schiffer, und heutzutage noch ſind es faſt nur die Engländer und Nordamerikaner, welche ſich mit dem Fang beſchäftigen. Jn den Jahren 1820 bis 1830 ſind durch engliſche Walfiſchfänger 45,933, im Durchſchnitt alſo jährlich faſt 4600 Tonnen Walrath erbeutet worden; in den Jahren 1831 und 1832 ſtieg die Ausbeute auf 7605 und bezüglich 7165 Tonnen. Von da an hat ſie etwas abgenommen, weil die Koſten der Ausrüſtung für dieſe Schiffe allzuhohe Summen in Anſpruch nehmen und der Erfolg immer nur ein ungewiſſer bleibt. Freilich iſt auch der Gewinn bedeutend: jede Tonne Walrath wird mit mindeſtens 18 Pfund Ster - ling bezahlt.

Die Jagd auf den Pottfiſch iſt mit weit größeren Gefahren verbunden, als der Fang des eigentlichen Walfiſches. Nur höchſt ſelten iſt dieſer im Stande, ſeinen kühnen Feinden Etwas anzu - haben, während jener, wenn er angegriffen wird, ſich nicht allein vertheidigt, ſondern muthig auf ſei -860Der Pottfiſch.nen Gegner losſtürmt und beim Angriff ſich nicht allein ſeines Schwanzes, ſondern auch ſeines furcht - baren Gebiſſes bedient. Schon jetzt weiſen die Geſchichtsbücher viele Unglücksfälle auf, welche durch den Pottfiſch herbeigeführt wurden. Die Mannſchaft des Schiffes Eſſer hatte einen Pottfiſch verwun - det, mußte aber zum Schiffe zurückkehren, weil ihr Bot durch einen Schwanzſchlag des harpunirten Thieres ſtark beſchädigt wurde. Während die Seeleute beſchäftigt waren, das Bot auszubeſſern, er - ſchien ein anderer Pottfiſch in geringer Entfernung vom Schiffe, betrachtete es eine halbe Minute lang aufmerkſam und verſchwand wieder in der Tiefe. Nach wenigen Augenblicken kam er jedoch wieder an die Oberfläche, eilte in voller Haſt herbei und rannte mit dem Kopfe ſo gewaltig gegen das Schiff, daß die Seefahrer glaubten, ihr Fahrzeug wäre in vollem Lauf auf ein Riff geſtoßen. Das wüthende Thier ging unter dem Schiffe weg, ſtreifte den Kiel, drehte ſich um und kam von neuem herbeigeſchoſſen. Der zweite Stoß ſchlug den Bug ein und brachte das Fahrzeug zum Sinken. Von der Mannſchaft wurden nur Wenige gerettet. Ein zweites amerikaniſches Schiff, der Alexander, wurde ebenfalls durch einen Pottfiſch vernichtet; ein drittes, die Barke Cook, nur durch einen gut - gezielten Kanonenſchuß vom Untergang gerettet. Vier Monate nach Untergang des Schiffes Alexan - der fing die Mannſchaft der Rebekka einen ungeheuren Pottfiſch, welcher ſich ohne jeden Widerſtand einbringen ließ. Man fand 2 Harpunen in ſeinem Körper, gezeichnet Alexander. Der Kopf war ſtark beſchädigt und aus der fürchterlichen Wunde ragten große Stücke von Schiffsplanken hervor. Man weiß ſelbſt von Fällen zu berichten, daß Pottfiſche Schiffe ohne allen Grund herausfordern, an - greifen und zerſtören. So geſchah es mit dem Waterloo, einem mit Früchten beladenen britiſchen Fahrzeuge, welches in der Nordſee durch einen Pottfiſch zertrümmert wurde. Wie viele andere Schiffe noch durch das gewaltige Thier vernichtet worden ſind, iſt ſchwer zu ſagen.

Mit den großen Gefahren, welchen der Pottfiſchfang zur Folge hat, ſteht der zu hoffende Ge - winn, ſo groß er auch iſt, kaum im Einklang. Außer dem Speck, welcher einen ſehr guten Thran liefert, erzeugt der Pottfiſch noch den Walrath und den Amber, beide Gegenſtände vom größten Werthe. Der Walrath iſt im friſchen Zuſtande flüſſig, durchſichtig und faſt farblos, gerinnt in der Kälte und nimmt dann eine weiße Farbe an. Jemehr er gereinigt wird, um ſo härter und trockener zeigt er ſich, bis er ſchließlich zu einer mehlartig ſich anfühlenden, aus kleinen Blättchen zuſammenge - ſetzten, perlmutterglänzenden Maſſe ſich geſtaltet. Man verwendet ihn ebenſowohl in der Heilkunde, als zum Anfertigen von Kerzen, welche allen übrigen vorgezogen werden. Werthvoller noch iſt der Amber, über welchen man ſeit den älteſten Zeiten unendlich viel gefabelt hat. Er iſt eine leichte und haltloſe, wachsartige Maſſe von ſehr verſchiedener Farbe, welche ſich fettig anfühlt und einen höchſt angenehmen Geruch beſitzt. Durch Wärme läßt er ſich erweichen, in kochendem Waſſer in eine ölartige Flüſſigkeit umwandeln, bei großer Hitze ſich verflüchten. Man verwendet ihn hauptſächlich als Räuchermittel oder miſcht ihn ſogenannten wohlriechenden Oelen und Seifen bei. Schon die alten Römer und Araber kannten ſeine Anwendung und ſeinen Werth; bereits bei den Griechen wurde er in der Arzneiwiſſenſchaft als krampfſtillendes, beruhigendes Mittel verwandt und hat ſich bis zum vorigen Jahrhundert in allen Apotheken erhalten. Noch heutzutage iſt ſein Werth ein außer - ordentlich hoher: eine Unze von der beſten Sorte wird gegenwärtig mit 60 Thlr. unſeres Gel - des bezahlt.

Lange Zeit war der Amber ein vollkommen räthſelhafter Gegenſtand. Die alten Griechen be - trachteten ihn ganz richtig als den Auswurfsſtoff eines Thieres; ſpäter jedoch tauchten andere Mei - nungen auf. Man hielt ihn bald für den Koth eines fabelhaften Vogels, der nur wohlriechende Kräuter freſſe, bald für ein ſchwammiges Seegewächs, bald für ein Gummiharz, bald für umge - wandelten Schaum des Meeres. Erſt Boylston erkannte im Jahre 1724 zufällig den wahren Er - zeuger des koſtbaren Stoffes. Häufiger als aus dem Leibe des Pottfiſches gewinnt man den Amber durch Auffiſchen im Meere. Es wird erzählt, daß glückliche Fänger Klumpen von 50 Pfund aus dem Leibe großer Pottfiſchmännchen geſchnitten hätten, und früher wurde behauptet, daß ſelbſt Klumpen von 130 bis 150 Pfund in dem Oele der betreffenden Blaſe umherſchwämmen. Daß man861Die Bartenwale.wirklich Stücke von 180 Pfund bei einer Länge von über 5 Fuß und einer Dicke von mehr als 2 Fuß aufgefiſcht hat, unterliegt keinem Zweifel; doch iſt es wahrſcheinlich, daß ſo große Klumpen von den Wellen zuſammengetrieben und vielleicht durch die in der Sonnenhitze mögliche theilweiſe Schmelzung an einander geklebt wurden.

Außer dieſen drei wichtigſten Fettſtoffen finden auch die Zähne des Pottfiſches eine Verwendung. Sie ſind hart, ſchwer, laſſen ſich leicht glätten und bearbeiten und würden dem Elfenbein an Werth gleichgeſchätzt werden, wenn ſie dieſelbe reine Farbe beſäßen.

Jn der vierten und letzten Familie (Balaenae) vereinigt man diejenigen Wale, deren Rachen keine Zähne, ſondern Barten in ſich trägt. Dieſe Horngebilde ſind die eigentlichen Kenn - zeichen aller hierher gehörigen Thiere: ſie ſind nur ihnen eigenthümlich. Man ſagt gewöhnlich, daß ſie den betreffenden Walen anſtatt der Zähne gegeben ſeien; allein dieſe Ausdrucksweiſe bedarf min - deſtens noch einer Erklärung. Die Barten vertreten nämlich weder die Stelle der Zähne, noch ähneln ſie ihnen hinſichtlich ihrer Anlage, ihrer Befeſtigung am Kiefer und ihrer Geſtaltung. Bei ganz jungen Walen hat man in den Kiefern kleine, knochenartige Körperchen gefunden, welche man als Zahnkeime deuten konnte; dagegen ſitzen die ſpäter erſcheinenden Barten gar nicht an den Kiefern, ſondern am Gaumen und ſind nicht unmittelbar an den Kopfknochen befeſtigt. Jhre Quer - ſtellung im Gewölbe der Mundhöhle erinnert an die Gaumenzähne der Fiſche. Die Barten ſelbſt ſind nur hornige, nicht knochige Oberhautgebilde; jede einzelne iſt eine vier - und dreiſeitige hornige Platte, an welcher man eine Rinden - und Markmaſſe unterſcheiden kann. Erſtere beſteht aus dünnen, über einanderliegenden Hornblättern; letztere bildet gleichlaufende Röhren, welche am unteren Ende der Platte in borſtenartige Faſern enden. An ihrer Wurzel werden ſie durch ge - krümmte Hornplatten verbunden, und ſo ruhen ſie auf einer zolldicken, gefäßreichen Haut, von wel - cher aus ſie ernährt werden. Das Rachengewölbe iſt zur Aufnahme der zahlreichen Barten zu beiden Seiten eines in ſeiner Mitte hervortretenden Längskiels muldenförmig vertieft. Jn dieſen Mulden ſtehen die Blätter quer und hinter einander dicht gedrängt, nach hinten in größeren Zwiſchen - räumen und nach beiden Richtungen hin ſich verkleinernd. Am äußeren Rande des Kiefers erſcheinen ſie mit ihren ſtumpfen Enden wie die Zinken eines Kammes; nach der Mitte der Kaufläche hin verſchmälern und ſpitzen ſie ſich zu. Jhre Zahl in beiden Kiefern ſchwankt zwiſchen 300 bis 1000.

Die Bartenwale ſind ungeheure Thiere mit ſehr großem Kopfe, weit geſpaltenem Rachen, dop - pelten Naſen - und Spritzlöchern, verdeckter Ohröffnung und ſehr kleinen Augen. Jhre Wirbelſäule beſteht aus 7 Hals -, 14 oder 15 Bruſt -, 11 bis 15 Lenden - und 21 und mehr Schwanzwirbeln. Nur eine Rippe verbindet ſich unmittelbar mit dem Bruſtbein; alle übrigen ſind falſche. Am Schä - del ſind die Kiefer bogenartig gekrümmt und ſchnabelartig verlängert, gegen den äußerſt kleinen Hirn - kaſten ungeheuer groß. Das Schulterblatt iſt ſehr breit, die Hände verſchieden geſtaltet, indem ſie bald mehr, bald weniger Zehen enthalten. Die ſchwere Zunge iſt ringsum im Maule feſtgewachſen und unbeweglich, die Speiſeröhre ſehr eng, der Magen dreitheilig.

Erwachſen können die Bartenwale eine Länge von 80 bis mehr als 100 Fuß und ein Gewicht von 2500 Centnern erreichen. Sie ſind demnach die größten aller Geſchöpfe, welche unſere Erde gegenwärtig beherbergt und jemals erzeugte.

Sie leben ziemlich einzeln; denn nur zufällig, vielleicht durch reichliche Nahrung herbeigelockt, ſieht man ſie in Scharen beiſammen. Die meiſten wohnen im Eismeere und verlaſſen nur zuweilen die Buchten zwiſchen den Eisfeldern; andere ziehen ſüdlicher gelegene Meerestheile vor. Sie halten ſich nicht immer in einer Gegend auf, ſondern wandern. Jm Winter treiben ſich einzelne Arten mehr in der hohen See herum, während ſie gegen den Herbſt hin und den Winter hindurch die Nähe der Küſten aufſuchen. Auch ſcheint es, daß einige regelmäßige Wanderungen von den Polen auch862Die Bartenwale.gegen den Gleicher hin oder von Weſten nach Oſten und zurück unternehmen. Ungeachtet ihrer unge - heuren Maſſigkeit bewegen ſie ſich im Waſſer raſch und gewandt; ja, die meiſten durchziehen die Fluth faſt mit der Schnelligkeit eines Dampfſchiffes. Sie ſchwimmen geradeaus, aber in beſtändigen Bogenlinien fort, indem ſie bald bis zur und theilweiſe bis über die Oberfläche des Waſſers empor - kommen, bald wieder unter ihr fortſegeln. Nach eigenen Beobachtungen kommen ſie, wenn ſie un - geſtört ſich bewegen, durchſchnittlich alle 40 Sekunden mit dem ungeheuren Kopf und einem Theile des Rückens über den Meeresſpiegel empor, um Luft zu ſchöpfen. Unter ſchnaubendem, hörbarem Geräuſch treiben ſie das in die Naſenlöcher eingedrungene Waſſer mit großer Kraft heraus.

Bei Gefahr verſchwinden ſie in der Tiefe und hier können ſie unter Umſtänden lange verweilen, wenn auch die gewöhnlich angeführten Schätzungen, nach welchen ſie halbe oder ganze Stunden lang unter Waſſer zu bleiben vermögen, übertrieben ſein dürften.

Ungeſtört verweilen ſie immer an der Oberfläche. Hier legen ſie ſich bisweilen auf den Waſſer - ſpiegel, bald auf den Rücken, bald auf die Seite, wälzen ſich, ſtellen ſich ſenkrecht und treiben an - dere Spiele. Manchmal ſchnellen ſie ſogar mit halbem Leibe über den Waſſerſpiegel heraus. Bei ruhiger See überlaſſen ſie ſich wohl auch dem Schlafe auf den Wellen, welche ſie hin - und hertragen.

Die Nahrung der größten Thiere der Erde beſteht aus kleinen, unbedeutenden Weich - und Schalenthierchen, Sepien, Seeauemonen, Quallen und Würmern; darunter befinden ſich gar viele, welche dem bloßen Auge kaum ſichtbar ſind. Aber von dieſen Geſchöpfen nehmen die Wale freilich Millionen mit einem Schluck zu ſich. Den ungeheuren, weitgeſpaltenen Rachen aufge - ſperrt, ſtreicht der Wal raſch durch die Fluth, füllt das ganze Mundgewölbe mit Waſſer und den in ihm ſchwimmenden und lebenden niederen Thieren an und ſchließt, wenn das Gewimmel derſelben ſeiner gar nicht unempfindlichen Zunge fühlbar wird, endlich die Falle. Alle Faſern der Bar - ten ſtehen ſenkrecht nach unten und bilden ſo eine Art von Sieb oder Reuße, durch welche beim Schließen des Maules das Waſſer zwar entweichen kann, die ſämmtlichen kleinen Geſchöpfe aber zurückgehalten werden. Ein einziger Druck der plumpen, kaum beweglichen Zunge treibt nun die ganze Gallerte durch die Mundröhre hinab in den Magen. Die Falle wird von neuem geöffnet, und weiter ſtreicht der Wal durch die Fluth. Ein kleiner Fiſch, welcher zufällig in dieſen Naturhamen gelangen ſollte, wird wahrſcheinlich auch mit verſchluckt, für größere aber iſt der Schlund zu eng. Nebenbei freſſen die Thiere auch Seetange mit, welche zufällig in den Rachen gekommen ſind.

Hinſichtlich der Sinne ſtehen die echten Wale den früher beſchriebenen Seefäugern ziemlich gleich. Geſicht und Gefühl ſind ihre ausgebildetſten Sinne. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind aber noch ſchwächer, als bei den Pottwalen. Alle Bartenwale ſind furchtſam, ſcheu und flüchtig; ſie leben unter ſich friedlich und harmlos und wohl auch mit den meiſten anderen Seethieren in Frieden. Nur wenn ſie ſich angegriffen ſehen, zeigt ſich ihr natürlicher Muth, welcher ſelbſt in Wildheit ausartet. Sie vertheidigen ſich mit Heftigkeit und gar nicht ſelten mit Erfolg. Jhre Hauptwaffe iſt der Schwanz, deſſen ungeheure Kraft man ſich vorſtellen kann, wenn man erwägt, daß er das Hauptwerkzeug iſt, vermittelſt deſſen der Wal ſeinen maſſigen Leib mit Dampferſchnelle durch die Wogen treibt. Ein einziger Schlag des Walfiſchſchwanzes genügt, um das ſtärkſte Bot in Trümmer zu ſchlagen oder in die Luft zu ſchleudern; ein einziger Schlag iſt hinreichend, ſchon ein ſehr ſtarkes Thier und ſomit auch den allerſchlimmſten Feind der Wale, den Menſchen nämlich, zu tödten.

Auch über die Fortpflanzung der Bartenwale iſt man noch nicht ganz im Reinen. Man weiß, daß die Weibchen oder Kühe , wie die Grönländer ſie zu nennen pflegen, ein einziges (Andere ſagen zwei) Junge zur Welt bringen, welches ſie lange ſäugen, ſehr lieben, mit Muth und Aus - dauer vertheidigen, bei Gefahr unter einer der Finnen verbergen und ſolange führen, bis der junge Wal ſelbſtändig geworden. Ueber die Zeit der Trächtigkeit aber fehlen genaue Beobachtungen durchaus. Es iſt wahrſcheinlich, daß die Bartenwale verhältnißmäßig ſchnell wachſen; dennoch ge - hört eine größere Reihe von Jahren dazu, ehe ſie ihre volle Größe erlangt. Gegenwärtig trifft man nur ſelten vollſtändig erwachſene Wale an: Speck, Thran und Fiſchbein ſind ſo gewinnbringende863Der Finnfiſch.Gegenſtände, daß der Menſch es gar nicht mehr dazu kommen läßt, daß eins der gewaltigen Thiere ſein volles Alter erreicht. An Alterſchwäche ſtirbt gegenwärtig kein Bartenwal mehr; für jeden, wel - cher lebt, iſt bereits eine Harpune geſchmiedet. Thran und Fiſchbein ſind das Verderben der Thiere, Fleiſch, Haut und Knochen, welche von einigen Völkerſchaften benutzt werden, kommen nicht in Be - tracht; denn jene Völkerſchaften ſind keine gefährlichen Gegner unſerer Thiere.

Jn der erſten Sippe der Familie vereinigt man die Finnfiſche oder Schnabelwale (Balaenoptera), lange, ſchlank gebaute Thiere mit einer, wenn auch nicht gerade hohen Fettfloſſe hin - ter der Rückenmitte, kleiner Schwanzfinne, ſchmalen Bruſtfloſſen, faſt gerader Schnauze und zahl - reichen, tiefen Furchen, welche von dem Unterkiefer an bis zum Nabel längs des Bauches verlaufen. Jm Vergleich zum Walfiſch iſt hauptſächlich die Größe und Schlankheit der Finnfiſche bemerkenswerth. Das Geripp beſteht aus 7 Halswirbeln, welche ſelten mit einander verwachſen; darauf folgen 15 Rücken -, 14 Lenden - und 24 Schwanzwirbel.

Der Finnfiſch (Balaenoptera boops).

Der Finnfiſch, nordiſche Schnabelwal, Norwal oder Rorqual, auch Jubarte, Gibbar und Jnpitersfiſch genannt (Balaenoptera boops), iſt verhältnißmäßig der ſchlankeſte aller Wale und das längſte aller Thiere der Erde; denn er kann eine Länge von mehr als 100 Fuß erreichen. Zwei Finnfiſche, welche an der Oſtküſte Nordamerikas und zwar in der Nähe des Columbiafluſſes und bezüglich in der Da - visſtraße ſtrandeten, maßen ſogar 105 Fuß in der Länge. Der kegelförmig geſtaltete Kopf nimmt etwa den vierten Theil des Rieſenleibes ein und geht ohne Unterbrechung in denſelben über. Der Leib iſt am ſtärkſten unter den Bruſtfinnen, nimmt nach vorn zu nur wenig an Dicke ab, verdünnt ſich aber von den Bruſtfloſſen an allmählich gegen die verhältnißmäßig ſehr kleine Schwanzfloſſe zu und drückt ſich864Der Finnfiſch.vor ihr ſeitlich zuſammen. Die Bruſtfloſſen, welche dicht hinter dem Kopfe liegen, haben etwa der Leibeslänge; die von Fett ſtrotzende, kegelförmig geſtaltete, mit der ſtumpfen Spitze ſich nach rück - wärts neigende und am hinteren Rande ausgeſchnittene Rückenfloſſe ſteht ungefähr im letzten Fünftel der Leibeslänge; die Schwanzfinne iſt vollkommen flach gedrückt, in der Mitte tief ausgeſchnitten und deutlich in zwei Lappen geſchieden; ihre Breite kommt dem Fünftel der Leibeslänge ziemlich gleich. Die Augen liegen unmittelbar hinter und über dem Winkel der faſt geraden Schnauze, die außer - ordentlich kleinen Ohröffnungen zwiſchen Auge und Bruſtfloſſen, die Spritzlöcher auf der Oberſeite der Schnauze und zwar auf einer Erhöhung vor den Augen; ſie ſind durch eine Scheidewand in zwei gleich gekrümmte Oeffnungen getheilt und ſchräg gerichtet, ſodaß ihre vorderen Enden höher als die hinteren ſtehen. Eine erhabene, rundliche Leiſte umgibt ſie und bildet zugleich den Rand für eine ſeichte Vertiefung, welche auf jener Erhöhung ſich einſenkt. Der Leib iſt vollkommen nackt, mit alleiniger Ausnahme einiger wenigen Haare oder beſſer groben, büſchelweiſe vertheilten, an der Spitze in ſehr feine Theile zerſchliſſenen Hornfäden, welche am oberen Ende des Oberkiefers ſich be - finden, manchmal 3 Fuß lang werden, ſich aber auch gänzlich abſchleifen. Auf der Oberſeite iſt die glänzende Haut tiefſchwarz, unten reinweiß, porzellanartig, in den tieferen Furchen bläulichſchwarz. Dieſe Furchen beginnen am Rande des Unterkiefers und verlaufen von da aus längs der ganzen Unterſeite bis gegen den Nabel hin, d. h. bis über den halben Leib weg. Die unterſten ſind die läng - ſten, die oberſten die kürzeſten. Jede dieſer flachen Falten iſt etwa einen Zoll breit und durch vertiefte Furchen von einander getrennt, welche jedoch hier und da verſchwinden und ſomit die ſtrenge Regel - mäßigkeit des Verlaufs der Falten aufheben. Die zahnloſen Kiefern tragen jederſeits etwa 350 bis 375 Bartenreihen, die vorn am engſten zuſammenliegen und hinten am weiteſten von einander ent - fernt ſtehen. Der Seitenrand des Oberkiefers iſt unten ſanft ausgeſchweift und zieht ſich nach hinten bogenförmig nach dem Auge hin. Der Unterkiefer iſt wenig gebogen, und deshalb klaffen die Kiefern etwas aus einander. Die Unterlippe bewirkt den Schluß des Maules; er nimmt die Barten gänzlich in ſich auf.

Der nördlichſte Theil des atlantiſchen Weltmeers und das Eismeer ſind die Heimat des Finn - fiſches. Beſonders häufig zeigt er ſich in der Nähe der Bäreninſel, Novaja Semljas und Spitz - bergens; aber auch in der Nähe des Nordkaps iſt er nicht ſelten. Auf einer drei Tage dauernden Reiſe von Vadſö nach Hammerfeſt ſah ich fünf Finnfiſche, darunter einen außerordentlich großen, wel - cher ſich im Porſangerfjord herumtrieb. Zu gewiſſen Zeiten ſteigt das Thier in ſüdlichere Gewäſſer herab, und ſomit findet man es auch in den gemäßigten und tropiſchen Meeren; ja, es ſoll ſogar im ſüdlichen Eismeer umherſchweifen. Wie es ſcheint, finden dieſe Wanderungen im Frühjahre und im Herbſte ſtatt; wahrſcheinlich geht es im Herbſt ſüdlich, im Frühjahr nördlich. Jn früheren Zeiten fand man es in großer Menge in der Nähe der Falklandsinſeln; gegenwärtig iſt es weit ſeltener geworden.

Wie man ſchon aus der ſchlanken Geſtalt ſchließen kann, iſt der Finnfiſch in allen ſeinen Bewe - gungen ein raſches, gewandtes Thier. Er iſt der ſchnellſte aller Wale; denn er läßt, wenn er mit voller Kraft durch die Wogen ſchießt, jedes Dampfſchiff hinter ſich. Er ſchwimmt in gerader Richtung und kommt ſehr oft an die Oberfläche, um zu athmen. Nach meinen eigenen Beobachtun - gen erſchien er durchſchnittlich alle 90 Sekunden, um Luft zu ſchöpfen. Das brauſende Geräuſch beim Ausathmen und bezüglich Auswerfen des Waſſers vernahmen wir ſchon in einer Entfernung von einer guten halben Stunde; von dem widrigen Geruch dagegen, welcher dem ausgeſtoßenen Waſſer anhaften ſoll, haben wir Nichts verſpürt. Bisweilen liegt er auf der Oberfläche des Waſſers auf der Seite und ſchlägt mit den Bruſtſinnen auf die Wellen, dreht und wendet ſich, legt ſich auf den Rücken, taucht unter und ſcherzt überhaupt gar luſtig im Waſſer umher, ja er ſoll ſelbſt, wie ein kleiner Fiſch, den ganzen gewaltigen Leib durch einen mächtigen Schlag der Schwanzfloſſe über das Meer emporſchleudern und dann mit donnerähnlichem Gepolter in der Tiefe verſinken. Er iſt ein höchſt muthiger Geſell und übertrifft den eigentlichen Walfiſch in allen geiſtigen Fähigkeiten bei weitem. 865Der Finnfiſch.Die Berichte ſtimmen darin überein, daß er an Wildheit und Kühnheit kaum hinter dem bösartigſten aller Wale zurückſteht. Nicht blos die Mutterliebe iſt bei ihm außerordentlich groß, ſondern auch die Liebe zu ſeinen Genoffen, welche er bei Gefahr nach Kräften zu vertheidigen ſucht.

Der Finnfiſch liebt eine kräftigere Nahrung, als der Wal. Sie beſteht größtentheils aus kleinen Fiſchen, welche er oft ſcharenweiſe vor ſich hertreibt und in dem weiten Rachen ſchockweiſe auf ein Mal fängt; nebenbei werden auch ſchalenloſe Weichthiere und andere kleine Meeresbewohner mit aufgenommen, ja, er ſoll ſich ſelbſt von Tangen nähren und zwar nicht blos von ſolchen, welche zufällig ihm in das Maul gerathen, er ſoll vielmehr dieſe Waſſerpflanzen förmlich abweiden. Es iſt thatſächlich erwieſen, daß er ſich auf ſeinen Zügen nur ſolange in ein und derſelben Gegend aufhält, als noch Tange in ihr vorhanden ſind, dann aber andere pflanzenreichere Orte aufſucht. Freilich iſt hierbei immer feſtzuhalten, daß die Tange es ſind, welche auch ſeine Nahrung herbeiziehen, und deshalb noch nicht zweifellos erwieſen, daß die Pflanzen den Hauptbeſtand ſeiner Nahrung ausmachten. Dagegen läßt ſich nun wieder einwenden, daß kein anderer Wal freiwillig ſo nahe an die gefährlichen Küſten herankommt, als gerade der Finnfiſch. Er allein iſt es, welcher ſich in den engen Fjorden Norwegens umhertreibt und die übrigen ſchmalen Buchten des Meeres beſucht; er iſt es aber auch, welcher am häufigſten ſtrandet. Man kennt allein vom Jahre 1819 an mehr als zwanzig Beiſpiele, daß Finnfiſche auf den Strand europäiſcher Küſten geworfen wurden und elendiglich umkamen.

Ueber die Zeit der Paarung und die Dauer der Trächtigkeit weiß man nichts Gewiſſes. Man nimmt an, daß jene im Sommer ſtattfindet und dieſe etwa 9 bis 10 Monate in Anſpruch nimmt. Auch über die Anzahl der Jungen ſind die Angaben nicht übereinſtimmend. Die Meiſten ſagen, daß der Finnfiſch nur ein Junges werfe, während Andere von zweien reden. Die Mutter liebt ihren Sproſſen ungemein. Er ſchwimmt ſtets an ihrer Seite, und wenn er ſäugt, erfaßt er die Zitze und läßt ſich von der Mutter ruhig nachſchleifen. Bei Gefahr ſucht ſie ihn auf alle mögliche Weiſe zu ſchützen. Sie fährt wüthend unter die Bote ihrer Verfolger, ſchlägt mit dem Schwanze und den Bruſtfinnen um ſich und achtet keine Wunde, wenn es gilt, ihr Theuerſtes zu ſchützen.

Die Jagd des Finnfiſches iſt wegen der großen Schnelligkeit und Heftigkeit des Thieres ſchwie - riger, und der Nutzen, welchen das erlegte Thier gewährt, weit geringer, als bei dem eigentlichen Walfiſch. Deshalb ſtellt man ihm auch nicht regelmäßig nach, wie dieſem. Man ſucht zwar jedes Finnfiſches, den man bemerkt, habhaft zu werden, aber doch nur dann, wenn keine Wal - fiſche in der Nähe ſind. Jagd und Fang ſind genau dieſelben, wie bei den übrigen Walen, aber mit größerer Gefahr verbunden, als beim Wal. Wenn der Finnfiſch die Harpune erhält, fährt er mit raſender Heftigkeit zur Tiefe hinab, ſo daß gar nicht ſelten das Bot unter das Waſſer gezo - gen wird. Falls er längs der Oberfläche fortſchwimmt, ſind die Fänger ſchon zufrieden, ob - gleich er ſie oft ſieben bis acht Meilen hinter ſich nachſchleppt, ehe er ermüdet. Uebrigens iſt die Gefahr, durch ihn das Bot zu verlieren, nicht die geringſte; denn nicht ſelten kommt es vor, daß er ſich plötzlich gegen ſeine Angreifer wendet und durch einen Schlag mit dem Schwanze Bot und Mannſchaft vernichtet. Anderſon berichtet, daß andere Finnfiſche, welche in der Nähe ſich befinden, ihrem angegriffenen Gefährten zu Hilfe eilen, und ein alter Seemann erzählt, daß die Verwundeten ein fürchterliches Gebrüll ausſtoßen, welches alle Wale im Umkreiſe herbeilockt. So - viel ſcheint feſtzuſtehen, daß die Anhänglichkeit dieſer Thiere an ihre Gefährten groß iſt. Wie andere Wale, geht auch der Finnfiſch bald zu Grunde, wenn die Harpune ſo gut geſchlendert wurde, daß ſie durch den Speck in das Fleiſch eindrang; ein edler Theil des Leibes braucht nicht verletzt zu werden: die ſehr bald beginnende Eiterung führt den Tod herbei.

Ein Finnfiſch, deſſen Geripp ich bei einem norwegiſchen Kaufmann und Naturforſcher in Vadſö liegen ſah, war auf ſonderbare Weiſe erlegt worden. Er hatte ſich beim Beſuchen des Va - ranger Fjords zwiſchen Scheren feſtgearbeitet und zuletzt ſo zwiſchen die Felſen gezwängt, daß er weder vorwärts, noch rückwärts konnte. Einige lappländiſche Fiſcher, welche ihn ſahen, eilten her - bei und ſuchten ſich nun des Ungeheuers zu bemächtigen. Sie hatten keine andere Waffe, als ihreBrehm, Thierleben. II. 55866Die Bartenwale. Der Sild. Der Humpback oder Bunſch.großen Meſſer, ſäumten aber keinen Augenblick, mit dieſen dem Thiere im buchſtäblichſten Sinne des Wortes auf den Leib zu rücken. Sie erkletterten mühſelig den glatten Rücken unſeres Wales und ſchnitten und ſtachen ſolange an ihm herum, bis er ſeinen Geiſt aufgegeben hatte. Der Kaufmann Nordvi kaufte ihn für dreißig Thaler Geldes ab; er gewann aber ſchon aus dem Thran allein das Vierfache ſeiner Auslage, und hatte außerdem noch das von den Fängern gewöhnlich verach - tete Geripp ſorgfältig aufbewahrt, in der Abſicht, es an eins der Muſeen zu verkaufen.

Gewöhnlich gibt der Finnfiſch wenig Thran, ein Thier von 88 Fuß Länge nicht mehr als 8 bis 10 Tonnen. Der Speck iſt dünn, wäſſerig, bei jungen Thieren gallertartig und faſt völlig thran - los. Die Barten ſind kurz und brüchig; Fleiſch und Knochen werden gewöhnlich gar nicht benutzt, ſondern den Thieren des Meeres überlaſſen. Außer dem Menſchen ſoll der Butskopf oder Schwert - fiſch der gefährlichſte Feind ſeines gewaltigen Verwandten ſein. Man behauptet, daß er ſcharen - weiſe den vor ihm in eiliger Flucht dahinjagenden Schnabelwal verfolge, denſelben mit ſeinem fürch - terlichen Gebiß angreife und nicht eher von ihm ablaſſe, als bis er getödtet oder aus Angſt auf den Strad gerannnt ſei.

Neben dieſem Rieſen erſcheint der Sild oder Sommerwal (Balaenoptera rostrata), welcher derſelben Familie angehört, als ein Zwerg, und wird deshalb auch wohl geradezu Zwergwal ge - nannt. Er erreicht blos 30 Fuß Länge, ähnelt aber ſonſt dem Finnfiſch ſo, daß er für das Junge deſſelben angeſehen worden iſt. Die Oberſeite iſt dunkel, faſt ſchwarz, die Unterſeite licht, ins Röthliche ſpielend, mit einem roſenfarbigen Anflug an der Kehle und Bauch, welcher durch die röth - liche Hautfarbe bewirkt wird. Den Hauptunterſchied zwiſchen beiden Thieren bildet die verſchie - dene Zahl der Wirbel; denn der Zwergwal hat nur 7 Hals -, 11 Rücken - und 18 Schwanz -, im ganzen alſo blos 48 Wirbel. Die Barten, von denen man 320 in jeder Reihe zählt, ſind weißgelb.

Der Sildwal bewohnt den nördlichen Theil des atlantiſchen, möglicherweiſe auch die durch die Behringsſtraße mit dieſem in Verbindung ſtehenden Theile des indiſchen Meeres. Er iſt nir - gends gerade ſelten, kommt jedoch immer nur einzeln oder höchſtens in kleinen Geſellſchaften vor. Wie es ſcheint, leben beide Geſchlechter im Sommer getrennt, und geſellen ſich erſt zur Zeit der Paarung, welche im November ſtattfinden ſoll. Nach 11 bis 12 Monaten wirft das Weibchen ein Junges; welches etwa 9 Fuß lang, ſchon im erſten Jahre um 3 bis 4 Fuß an Länge zugenommen hat und ſehr raſch fortwächſt. Die Nahrung des Zwergwales beſteht vorzugsweiſe aus Fiſchen, und zwar nicht blos aus kleinen, ſondern auch aus ſolchen von Lachsgröße. Sepien und Quallen hat man ebenſowenig, als Tange in ſeinem Magen gefunden.

Man macht auch auf dieſen Wal Jagd, aber nur, wenn er der Küſte nahe kommt. Die Fiſcher vereinigen ſich, bilden einen Halbkreis und verſuchen durch Rufen und Schreien den Wal zu erſchrecken und in eine enge Bucht zu treiben, wo er dann gewöhnlich auf den Strand läuft und zuſammenge - ſtochen wird. Der Speck gilt als ſehr wohlſchmeckend, und ſoll ſich eingeſalzen lange aufbewahren laſſen. Der Thran wird als vorzüglich gerühmt, und auch das Fleiſch von den Nordländern verwen - det, und zwar genoſſen.

Eine dritte Art der Finnfiſche iſt der Keporkak der Grönländer, der Humpback oder Bunſch der Engländer (Balaenoptera longimana), ein plump gebautes Thier von 80 bis 90 Fuß Länge, durch den verhältnißmäßig ſehr großen Kopf und durch die am vorderen und hinteren Ende buchtig gekerbten, rundlich endenden Bruſtfloſſen ausgezeichnet: dieſe meſſen über ein Viertel der Leibeslänge, d. h. bis 26 Fuß. Die Oberſeite iſt ſchwarz, der Bauch graulichweiß gefärbt; die Bruſtfinnen ſind weißlich, die Hauptfurchen am Unterhalſe und an der Bruſt hellroth.

Auch dieſer Wal iſt Weltbürger. Man hat ihn in allen Meeren gefunden, wenn auch nicht ſo nahe an den Polen, wie die übrigen Verwandten. Es ſcheint, daß er wandert. Vom Mai bis867Der Humpback oder Bunſch.zum November findet man ihn in der Davisſtraße, im März und April an den Bermuden, im Win - ter fern von den Küſten in der hohen See, ſowohl im Norden, wie im Süden. Er ſchwimmt raſch und gewandt, ſpielt, ſchnellt ſich manchmal in die Luft und frißt Fiſche und ſchalenloſe Weichthiere. Die Zeit der Paarung und die Dauer der Trächtigkeit ſind noch unbekannt. Das Weibchen wirft im Frühjahr ein Junges von etwa 14 Fuß Länge, welches bei der Mutter bleibt, bis es etwa 30 Fuß lang geworden iſt. Die Alte vertheidigt es mit großer Aufopferung, ergreift aber die Flucht, wenn ſie verwundet wurde.

Die Grönländer machen eifrig Jagd auf den Keporkak; ſie wiſſen alle Theile des Leibes zu benutzen. Speck und Thran ſind beinahe von derſelben Güte, wie bei dem des Zwergwales. Aus dem Dünngedärme werden Fenſterſcheiben gefertigt. Die Knochen benutzt man zur Erbauung von Boten.

Der Sild oder Sommerwal (Balaenoptera rostrata).

Außer dem Menſchen und dem Schwertfiſch wird der Bunſch auch noch von vielen Schma - rotzern beläſtigt. Es gilt mit als ein Kennzeichen dieſes Wales, daß gewiſſe Schmarotzer aus der Ordnung der Rankenfüßer nur auf ihm ſich anſetzen und auch ſchon auf den jüngſten Thieren vor - handen ſind, während der eigentliche Finnfiſch immer frei von dieſer läſtigen Geſellſchaft bleibt.

Jn der zweiten Sippe vereinigt man die beiden eigentlichen Wale. Sie unterſcheiden ſich von den vorhergehenden durch den plumpen, gedrungenen Leib, welcher höchſtens 70 Fuß Länge erreicht, durch den Mangel an der Fettfloſſe auf dem Rücken und der Furchen am Bauche, durch eine nach vorn ſich verſchmälernde, abwärts gekrümmte Schnauze, durch die ſehr langen Barten, die kurzen, breiten Bruſtfloſſen und die große, tief ausgeſchnittene Schwanzfinne.

55*868Die Bartenwale. Der Walfiſch.

Mit Sicherheit hat man nur zwei dieſer Sippe angehörige Mitglieder unterſchieden: den nörd - lichen und den ſüdlichen Walfiſch. Beide ſind ſich außerordentlich ähnlich; doch bleibt der ſüdliche hinter dem nordiſchen immer an Größe zurück, hat auch einen kleineren Kopf, eine breitere Schnauze, kürzere Barten, größere Bruſtfloſſen, eine weniger tief ausgeſchnittene Schwanzfinne und dunklere Färbung, ſowie verſchiedene Eigenthümlichkeiten im Geripp, unter anderen zwei Rippen - paare mehr. Wir lernen beide Arten genügend kennen, wenn wir die über den nordiſchen Wal ge - machten Beobachtungen zuſammenſtellen.

Unzählige Seefahrer und Schriftſteller haben über dieſes ebenſo auffallende, als nützliche Geſchöpf berichtet; unter Allen aber danken wir dem Engländer Scoresby die ausführlichſte und genaueſte Beſchreibung des Walfiſches. Der dem Menſchen angeborene Hang zur Uebertrei - bung des Wunderbaren hat ſich auch bei dem nordiſchen Walfiſche gezeigt. Jn vielen älteren Schrif - ten und ſelbſt noch in manchen von unwiſſenden Schriftſtellern der Neuzeit zuſammengeſtellten Be - ſchreibungen finden wir die Angabe, daß es in früheren Zeiten Walfiſche von 150 bis 200 Fuß Länge gegeben habe, und daß nur die unabläſſige Nachſtellung des Menſchen die Urſache wäre, wenn die heutigen Wale höchſtens 80 bis 100 Schuh lang würden. Dieſe Angaben ſind als völlig aus der Luft gegriffene anzuſehen. Scoresby, welcher ſelbſt beim Fang von dreihundertzweiund - zwanzig Walen zugegen war, fand unter ihnen keinen von mehr als 60 Fuß Länge; der größte, den er beobachtete, maß blos 58 Fuß. Nur Karl Giſecke berichtet von einem im Jahre 1813 gefangenen Walfiſch, welcher 67 Schuh lang war, und im Anfang dieſes Jahrhunderts wurde einer bei Spitzbergen harpunirt, welcher ungefähr dieſelbe Länge und 15 fußlange Barten beſaß. Dieſe beiden ſind die größten, von deren Fang wir überhaupt Kunde haben; denn auch die Seefahrer, welche vor mehr als drei - bis vierhundert Jahren auf den Walfiſchfang auszogen, ſprechen nur von 60 Fuß langen Walen. Und ein ſolches Thier iſt und bleibt auch immer eine wahrhaft un - geheuerliche, ſtaunenerregende Erſcheinung! Bei dieſer Länge beſitzt das Ungethüm einen Umfang hinter den Bruſtfloſſen von mehr als 30 bis 40 Fuß und ein Gewicht von gegen 300,000 Pfund: ein Gewicht, welches etwa von 30 Elefanten, 40 Nashörnern oder Flußpferden und 200 Stieren aufgehoben würde.

Der Walfiſch (Balaena Mystieetus) iſt ein unförmliches Geſchöpf, welches in allen ſeinen Gliedern Mißverhältniſſe zeigt. Der ungeheure Kopf nimmt drei bis vier Zehntel oder durchſchnitt - lich ein Drittel der Geſammtlänge des Leibes ein. Das Maul mißt 16 bis 20 Fuß in der Länge und 10 bis 12 Fuß in der Breite: es gibt Raum genug für ein Bot mitſammt ſeiner Mann - ſchaft. Der vollkommen runde Leib, welcher nicht durch einen ſichtbaren Hals vom Kopfe geſchie - den iſt, trägt 7 bis 9 Fuß lange, 4 bis 5 Fuß breite, längliche, eiförmig geſtaltete, ſehr biegſame und bewegliche Bruſtfloſſen und eine ungeheuer große Schwanzfinne von 5 bis 6 Fuß in der Länge und 18 bis 26 Fuß in der Breite ein Nuder oder Steuer, welches gegen 200 Geviertfuß Fläche beſitzt. Die Spritzlöcher liegen bei dem erwachſenen Thiere etwa 10 Fuß von dem Schnauzenende entfernt, auf der höchſten Stelle des Kopfes, und ſind etwa Fuß lange, Sförmig geſtaltete, ſchmale Längsſpalten. Die Augen, welche kaum größer ſind, als die eines Rindes, ſtehen ſeitlich am Kopfe, ſchräg über und hinter den Mundwinkeln. Der Hörgang iſt ſo eng, daß man kaum den kleinen Finger hineinſtecken kann, außerdem aber noch, wie bei den meiſten Walen, verſchließ - bar und alſo dem Waſſer unzugänglich. Barten beſitzt der Walfiſch 316 bis 350 auf jeder Seite des rieſigen Rachens. Die längſten ſtehen in der Mitte des Kiefers; von da an verkürzen ſie ſich nach beiden Seiten hin. Barten von funfzehn Fuß Länge werden außerordentlich ſelten getroffen. Bei Walen von 50 Fuß Länge meſſen ſie gewöhnlich 10 bis 11 Fuß, bei einer Breite von eben - ſoviel Zollen. Die Zunge liegt unbeweglich im Kiefer; ſie iſt mit ihrer ganzen Unterſeite an dieſem feſtgewachſen, ſehr groß und ſo weich, daß der geringſte Druck eine tiefe Mulde in ihr hinterläßt, ſo weich, daß ein Mann, welcher ſich auf ſie niederlegen wollte, in ihr verſinken würde: ſie iſt

Grönlands Wal.

869Der Walfiſch.eigentlich nichts Anderes, als ein zelliger Oelſchlauch. Unter der verhältnißmäßig dünnen, zähen Haut liegt eine mächtige, d. h. 8 bis 20 Zoll dicke Specklage, welche den ganzen Leib umgibt; dann erſt folgt das bei jungen Thieren rothe und zarte, bei älteren faſt ſchwarze, grobe, faſerige Fleiſch. Auf der äußeren Seite iſt die Haut fett, wie ölgetränktes Leder, und weich wie Sammt. Der Rücken und die Seiten bis gegen den Bauch hin, die beiden Bruſtfinnen und die Schwanzfinne ſind gewöhnlich tiefſchwarz, die Lippen, der Unterkiefer und der größte Theil des Bauches weiß, ſchwach gelblich überflogen. Der hintere Theil des Leibes vor der Schwanzfinne, ein Theil der Gelenkhöhlen unter den Bruſtfinnen und die Augenlider ſind grau; doch gibt es Wale, welche oben ganz ſchwarz, unten reinweiß ſind; es gibt geſcheckte, gefleckte und vollkommen weiße. Nur am Vorderende der beiden Lippen ſtehen einige kurze Borſtenhaare; im übrigen iſt die ganze Ober - haut vollkommen nackt.

Die Heimat des Walfiſches iſt auf die hochnordiſchen Meere beſchränkt. Er findet ſich nach dem Pole zu ſoweit das Meer eisfrei iſt, nach Süden hin etwa bis zum 60. Grad nördl. Breite. Wie es ſcheint, zieht er zwiſchen den Nordküſten Europas, Aſiens und Amerikas hin und her und geht zuwei - len durch die Behringsſtraße in das kamtſchatkiſche Meer über. Jn den grönländiſchen Gewäſſern, in der Davisſtraße und Behringsbay iſt er noch am häufigſten, an den aſiatiſchen Küſten dagegen ſehr ſelten. Seine bevorzugten Aufenthaltsorte ſind die ſogenannten Walfiſchgründe, jene Stellen des Meeres, in denen die letzten Wirkungen des Golfſtromes verſpürt werden und die, Dank der eben durch den Golfſtrom geſpendeten Wärme, verhältnißmäßig reich an den kleinen Meerthieren ſind, welche die ausſchließliche Nahrung des rieſigen Säugethieres ausmachen. Beſonders nahrungsreiche Stellen im Eiſe vereinigen manchmal große Geſellſchaften von Walfiſchen; doch kann man nicht be - haupten, daß der Walfiſch geſellſchaftsweiſe lebt. Es ſcheint, daß es mehr Männchen, als Weibchen gibt; es fehlen jedoch hierüber zur Zeit noch genauere Berichte.

Ungeachtet ſeiner gewaltigen Größe iſt der Wal doch ein ſehr behendes Thier. Seine un - geheure Kraft ſiegt über die Schwere des Leibes. Der Schwanz iſt das eigentliche Bewegungs - werkzeug; denn die wagrecht ausgeſtreckten Bruſtfloſſen dienen nur dazu, den Leib im Gleichgewicht zu halten und eine Wendung oder Drehung zu erleichtern. Jhre Wirkſamkeit ſieht man deutlich beim Tode des Wales; denn mit dem letzten Seufzer fällt er auf die Seite oder auf den Rücken. Von der ungeheuren Kraft des Schwanzes kann man ſich ungefähr einen Begriff machen, wenn man be - denkt, wie ein Bewegungswerkzeug, welches ebenſoviel Oberfläche hat als die Schraube eines mittel - mäßigen Dampfers, auf das Waſſer wirken muß.

So plump der Leib des Wales auch iſt, ſagt Scoresby, ſo raſch und geſchickt ſind ſeine Bewegungen. Ein Walfiſch, welcher, ohne ſich zu rühren, auf der Oberfläche ruht, kann in fünf oder ſechs Sekunden außer dem Bereich ſeiner Verfolger ſein. Doch hält ſo große Schnelligkeit nur wenig Minuten an. Bisweilen fährt er mit ſolcher Heftigkeit gegen die Oberfläche des Waſſers, daß er ganz über dieſelbe herausſpringt; bisweilen ſtellt er ſich mit dem Kopfe gerade niederwärts, hebt den Schwanz in die Luft und ſchlägt auf das Waſſer mit furchtbarer Gewalt. Das Getöſe, welches dabei entſteht, wird bei ſtillem Wetter bei großer Entfernung gehört, und die Kreiſe verbreiten ſich auf eine anſehn - liche Weite. Von einer Harpune getroffen, ſchießt er, wenn auch nur wenige Minuten lang, wie ein Pfeil fort, mit einer Geſchwindigkeit, daß er ſich bisweilen die Kinnladen durch das Aufſtoßen auf den Boden zerbricht. Schon bei gewöhnlichem Schwimmen auf der Oberfläche vermag der Wal neun engliſche Meilen in der Stunde zurückzulegen; verwundete zwölf bis ſechszehn Meilen, eine Schnelligkeit, welche die jedes Dampfers noch übertrifft. Beſäßen die Wale, ſagt Pöppig, einen ihrer Kraft und Größe angemeſſenen Verſtand, ſo würde nicht nur kein Bot, ſondern auch keins der größten Schiffe ihren Stößen widerſtehen können und ſie die einzigen und wahren Beherrſcher des Weltmeeres ſein.

Aber die Bartenwale ſind ebenſo ſtumpfſinnige als geiſtesarme und zudem auch feige Geſchöpfe. Unter ihren Sinnen ſcheinen blos Geſicht und Gefühl ziemlich ausgebildet zu ſein. Jm klaren Waſſer870Die Bartenwale. Der Walfiſch.ſoll der Wal andere ſeines Gleichen in erſtaunlicher Entfernung wahrnehmen können; über Waſſer dagegen ſoll ſein Auge nicht weit reichen. Das Gehör iſt ſo ſtumpf, daß er nach Scoresby einen lauten Schrei, ſelbſt in der Entfernung einer Schiffslänge, nicht vernimmt; dagegen macht ihn bei ruhigem Wetter ein geringes Plätſchern im Waſſer aufmerkſam und ſpornt ihn zur Flucht an. Ein Vogel, welcher ſich ihm auf die Haut ſetzt, erregt ſein Entſetzen; er taucht dann gewöhnlich mit größter Schnelligkeit in die Tiefe. Vögel erſcheinen blos deshalb auf ihm, um die Unmaſſen von Schmarotzerthieren, welche ſich in ſeiner Haut eingefreſſen haben, abzuleſen, und das Hacken und das Ausleeren dieſer Thiere vermittelſt des Schnabels mag dem Walfiſch nicht eben behagen. Die Ober - haut des Thieres ſcheint überhaupt ziemlich gefühlvoll zu ſein. So merkt es eine Witterungs - veränderung im voraus; denn vor jedem Sturm oder Gewitter überfällt es eine große Un - ruhe, und es tobt dann heftig in den Fluthen umher. Unter ſeinen geiſtigen Eigenſchaften dürfte blos ſeine Anhänglichkeit an andere und die Mutterliebe erwähnenswerth ſein. Andere Anzeigen des Verſtandes hat man nicht beobachtet. Der Walfiſch rächt ſich nicht einmal für die ihm angethane Be - leidigung oder die ihm beigebrachten Verwundungen.

Die Nahrung beſteht in Weich - und Kruſtenthieren, zumal Floſſenfüßern und vor allen der nördlichen Klio, welche in Unmenge das Eismeer überdeckt. Außerdem verzehrt er noch Ringel - würmer und zwar diejenigen Arten, welche frei im Meere herumſchwimmen. Fiſche ſcheint er nur zufällig mit aufzunehmen und große kann er, ſeines engen Schlundes wegen, gar nicht ver - ſchlingen.

Wenn der Wal ſich vollkommen ungeſtört weiß, nähert er ſich alle zwei bis drei Minuten der Oberfläche, um zu athmen und nimmt dann raſch nach einander vier bis ſechs Mal Luft ein. Der Strahl, welchen er auswirft, ſteigt nicht ſelten bis vierzig Fuß in die Höhe und kann ſomit auf eine Entfernung von einer oder anderthalb Seemeile geſehen werden. Seefahrer vergleichen die Strahlen einer Herde von Walfiſchen mit den rauchenden Schornſteinen einer Fabrikſtadt, laſſen aber dabei frei - lich ihrer Einbildungskraft völlig freien Spielraum. Scoresby gibt an, daß der Wal, auch wenn er auf Nahrung ausgeht, funfzehn bis zwanzig Minuten, wenn er verwundet, aber ſogar eine halbe bis beinahe eine ganze Stunde unter Waſſer verweilen könne. Die Angabe ſcheint mir zu hoch gegriffen zu ſein. Der genannte Beobachter fügt hinzu, daß ein Wal, welcher etwa 40 Minuten lang unter Waſſer verweilte, ganz erſchöpft wieder an die Oberfläche komme, wahrſcheinlich in Folge des unge - heuren Waſſerdruckes, den er in der Tiefe des Meeres aushalten mußte, eines Druckes, welcher mehr als 100,000 Centner betragen ſoll.

Eine Stimme hat man von dem Walfiſch noch niemals wahrgenommen, und Scoresby glaubt, daß er gar nicht im Stande wäre, Töne auszuſtoßen. Der Naturforſcher kann dieſer Mei - nung nicht beipflichten, weil der Kehlkopf des Wales wie der des Finnfiſches gebaut iſt und man von dieſem ſchon mehr als ein Mal ein Gebrüll gehört hat.

Bei recht gutem Wetter hat man den Walfiſch auch während ſeines Schlafes beobachtet. Er liegt dann wie ein Leichnam auf der Oberfläche, ohne ſich zu rühren, hält ſich aber durch die Bruſt - floſſen immer im Gleichgewicht.

Jn den nordiſchen Meeren paaren ſich Walfiſche zwiſchen Anfang Junis und Ende Julis. Um dieſe Zeit zeigen beide Geſchlechter große Erregung und treiben alle die Künſte und Spiele, welche ich ſchon oben beſchrieben habe. Nach zehn Monaten, möglicherweiſe aber auch nach zweiundzwanzig oder gar vierunddreißig, im März und April nämlich, bringt das Weibchen ein einziges Junge, höchſt ſelten auch Zwillinge zur Welt. Dieſes iſt ſchon ein recht tüchtiges Thier von zehn bis vierzehn Fuß Länge und entſprechendem Umfang und Gewicht. Die Jungen wachſen außerordentlich raſch; noch als Säuglinge haben ſie bereits eine Länge von etwa 20 Fuß, einen Umfang von 15 Fuß und fünf Tonnen oder 11,200 Pfund erreicht. Sie folgen ihrer Mutter über ein Jahr lang, bis die Barten ſo weit gewachſen ſind, daß ſie ſelbſt ihre Nahrung ſich erwerben können. Ohngeachtet des Stumpfſinnes der Wale, ſagt Scoresby, iſt doch die mütterliche Liebe außerordentlich groß. 871Der Walfiſch.Man fängt das Junge, welches die Gefahr nicht kennt, mit leichter Mühe hauptſächlich zum Zwecke, die Alte herbeizulocken. Sie kommt dann auch gleich dem verwundeten Kinde zu Hilfe, ſteigt mit ihm an die Oberfläche, um zu athmen, treibt es an, fortzuſchwimmen, ſucht ihm auf der Flucht be - hilflich zu ſein, indem ſie es unter ihre Floſſen nimmt, und verläßt es ſelten, ſo lange es noch lebt. Dann iſt es gefährlich, ſich ihr zu nähern. Aus Angſt für die Erhaltung ihres Kindes ſetzt ſie alle Nückſichten bei Seite, fährt mitten in die Feinde und bleibt um ihr Junges, wenn ſie ſchon von mehreren Harpunen getroffen iſt.

Eine der genaueren Schilderung würdige Beobachtung führt Fitzinger nach einer mir unbe - kannten Quelle an. Bei einem jungen harpunirten Walfiſch erſchien die Mutter augenblicklich, ohn - geachtet der Nähe des Botes, von welchem aus die Harpune geworfen worden war, ergriff das Junge mit einer ihrer Bruſtfloſſen und riß es mit ausdauernder Gewalt und Schnelligkeit mit ſich fort. Bald kam ſie aber wieder empor, ſchoß wüthend hin und her, hielt inne oder änderte auch plötzlich die Richtung und gab alle Zeichen der höchſten Angſt deutlich zu erkennen. So fuhr ſie eine Zeit lang fort, beſtändig von den Boten gedrängt; endlich kam eins von dieſen ſo nahe, daß eine Harpune nach ihr geworfen werden konnte; ſie traf zwar, blieb jedoch nicht ſtecken. Eine zweite wurde geworfen; doch auch dieſe drang nicht ein und erſt die dritte blieb im Leibe feſt. Ohngeachtet der erhaltenen Verwundungen, verſuchte die Alte nicht, zu entfliehen und ließ auch die anderen Bote nahe kommen und bot ſomit den übrigen Verfolgern Gelegenheit, ihr drei Harpunen in den Leib zu ſchleudern. Nach einer Stunde etwa war ſie getödtet.

Solche Fälle der edelſten Mutterliebe rühren jedoch den Walfiſchfänger nicht im geringſten; er hat nur ſeinen Vortheil im Auge und opfert ihm wie der Robbenſchläger jedes menſchliche Gefühl auf. Der Fang des Walfiſches geſchieht ganz in der Weiſe, welche ich oben kurz angegeben habe. Die eigentlichen Walfiſche ſind bei weitem die werthvollſten aller Seeſäugethiere. Ein Walfiſch von 60 Fuß Länge und einem Gewicht von 70 Tonnen enthält bei 30 Tonnen Speck, welche etwa 24 Tonnen Thran geben. Ein ſolches Thier hat Tonne oder 3360 Pfund Fiſchbein. Jſt die ſogenannte Probenplatte oder die größte Barte 7 Pfund ſchwer, ſo kann der ganze Betrag auf eine Tonne angeſchlagen werden. Eine Tonne Thran koſtet gegenwärtig zwiſchen 3 und 4 Pfund Sterling, eine Tonne Fiſchbein aber 160 bis 180 Pfund Sterling. Aus dieſen Angaben kann man den Nutzen eines getödteten Walfiſches berechnen. Einzelne Schiffe haben ſchon 75,000 Thaler auf einer ein - zigen Reiſe verdient, andere aber auch 14,000 Thaler verloren.

Die geſitteten Europäer benutzen nur den Speck und die Barten, die hochnordiſchen Völker - ſchaften dagegen wiſſen auch das Fleiſch zu verwerthen. Sie eſſen den Speck gern und trinken den Thran mit einer Leidenſchaft wie ein ausgemachter Säufer geiſtige Getränke. Den Eskimos iſt die rohe Haut ein Leckerbiſſen. Mauche Walfiſchfahrer nehmen die merkwürdige Unterkinnlade des Wal - fiſches mit, und in holländiſchen Dörfern ſieht man hier und da eine derſelben zu einem Thore ver - wendet. Weit größeren Nutzen ziehen die Nordländer aus den Rippen des Walfiſches. Sie bauen aus ihnen ihre Hütten oder benutzen ſie zum Schiffsbau.

Der Wal hat außer dem Menſchen und dem oben beſchriebenen Schwertfiſch oder Butskopf noch einige andere Feinde, wenn auch dieſe ihn mehr beläſtigen als ſchaden. Der nördliche Hai verfolgt ihn mit demſelben Eifer wie der Schwertſiſch und reißt ihm große Stücken aus ſeinem fettigen Leibe heraus. Man erzählt von dieſem Räuber, daß er ebenfalls in Truppen dem Walfiſch nachfolgt, ſo - wie ſein Rücken über dem Waſſer erſcheint, in die Luft ſpringt und ihm beim Zurückfallen mit dem Schwanze tüchtige Hiebe beibringt. Mehrere Male will man geſehen haben, daß dieſer Hai in Geſell - ſchaft der Schwertfiſche dem Rieſen zu Leibe gehe und während dieſe ihn von unten zerfetzen, ſeine Schläge austheilt. Recht läſtig werden dem Walfiſch auch eine Menge kleiner Schmarotzer, welche ſich auf ſeinem Leibe feſtſetzen. Die Walfiſchlaus bürgert ſich oft zu Hunderttauſenden auf ihm ein und zerfrißt ihm den Rücken ſo, daß man vermuthen möchte, eine bösartige Krankheit habe den872Die Bartenwale. Der ſüdliche Wal.armen Rieſen befallen. Auch Meereicheln bedecken ihn nicht ſelten in großer Menge und geben wieder mancherlei Seepflanzen die geeigneten Anhaltspunkte her, ſo daß es Wale gibt, welche eine ganze Welt von Thieren und Pflanzen mit ſich herumtragen müſſen.

Der ſüdliche Wal (Balaena australis) iſt kleiner als ſein nordiſcher Verwandter, klein - köpfiger und ſpitzſchnäuziger. Die Floſſen ſind größer und ſpitzer, die Barten kürzer, als bei jenem; die Färbung iſt mit Ausnahme einer kleinen weißen Stelle am Unterleibe tiefſchwarz. Er liebt mehr gemäßigte Breiten, als die Länder nahe an den Polen. Jm Frühjahre ſucht er die Buch - ten an der Weſtküſte Amerikas auf und gibt nun den Fiſchern Gelegenheit zum Fang. Auch an der Südſpitze Afrikas und in Neuholland kommt er vor; man hat ihn aber auch bei Japan und Kamtſchatka, ja ſelbſt im nördlichen Eismeere gefangen. Jn den ſüdlichen Gewäſſern um Amerika und Neuholland iſt er nicht ſelten, im ſüdlichen Eismeer am häuſigſten.

Er ſcheint regelmäßig und zwar in größeren Geſellſchaften zu wandern. Ein Reiſender ſah einmal gegen 800 Stück nach dem ochotzkiſchen Meere ziehen.

Merkwürdigerweiſe ſucht dieſer Wal zur Fortpflanzungszeit die ſeichteren Gewäſſer auf; wenig - ſtens hat man in dieſen nur Weibchen und Junge, niemals Männchen gefunden. Am Vorgebirge der guten Hoffnung erſcheinen die trächtigen Weibchen im Juni oder Juli regelmäßig, verweilen in der Nähe der Küſte bis zum September, und kehren dann mit ihren Jungen in die offene See zurück.

Auch der Fang des ſüdlichen Walfiſches iſt ergiebig, obwohl er gegen früherhin bedeutend ab - genommen hat. Jn den letzten Jahren haben die Engländer wiederholt gar keine Walfiſche in der Südſee verfolgt, ſondern den Fang einzig und allein den Amerikanern überlaſſen. Nächſt dieſen ſtellen die Japaneſen dem ſüdlichen Wale, wenn er in die Nähe ihrer Küſten kommt, eifrig nach. Wahrſcheinlich wird auch er das Schickſal ſeines nordiſchen Verwandten theilen müſſen. Er wird ſchließlich auch in den abgelegenſten und unzugänglichſten Meerestheilen aufgeſucht werden und mit der Zeit wahrſcheinlich ganz von der Erde verſchwinden.

Dromedare.

Namenverzeichniß. *)Die Umlaute ä, ö, ü ſind wie ae, oe, ue betrachtet und daher zwiſchen ad, od, ud und af, of, uf eingeordnet. Eine II vor Seitenzahlen bezeichnet den 2. Band.

A.

  • Aasbär578.
  • Abalandj58.
  • Abu-Addas II,552.
  • Abu el Hoſſeïn410.
  • Abu-Kirfa II,311.
  • Acanthion javanieum II,225.
  • Acrobates pygmaeus II,35.
  • Acronotus bubalis II,561.
  • Caama II,561.
  • Addax nasomaculatus II,552.
  • Adjak323.
  • Aeffer131 ff.
  • Aegocerus leucophaeus II,544.
  • Aeneasratte II,22.
  • Affe1 ff.
  • berberiſcher,62. 68 f.
  • geflügelter,152.
  • gemeiner,62. 68 f.
  • rother,52 .61.
  • türkiſcher,62. 68 f.
  • Affenpintſcher388. 390 f.
  • Agaſeen II,539.
  • Aguara (Aguarapope)631.
  • Aguarachay430.
  • Aguta668.
  • Aguti II,238.
  • Ai II,282.
  • Aik-tilkoe434.
  • Ailurus refulgens644.
  • Alakdaga II,188.
  • Alaute96.
  • Almizilero679.
  • Alpaca II,400 .408.
  • Alpenhaſe II,259.
  • Alpenpfeifhaſe II,268.
  • Alpenrind II,663 .674.
  • Alpenſteinbock II,567.
  • Ameiſenbär II,304.
  • Ameiſenbeutler II,12.
  • Ameiſenfreſſer II,299.
  • dreizehiger (mittler), II,308.
  • zweizehiger (kleiner), II,309.
  • Ameiſenigel II,318.
  • Ameiſenſcharrer II,299.
  • Ammotragus Tragelaphus II,597.
  • Andaras669.
  • Angorakatze293.
  • Angoraziege II,581.
  • Antechinus flavipes II,12.
  • Antidorcas Euchore II,508.
  • Antilocapra americana II,535.
  • Antilope furcifer II,535.
  • scoparia II,520.
  • Antilope, vierhörnige, II,459.
  • Aotus122.
  • Apar II,291.
  • Apella107 f.113 f.
  • Aperea II,231.
  • Aretitis Binturong643.
  • Aretocephalus falclandicus II,784.
  • Arctomys Bobac II,90.
  • Marmota II,91.
  • Arctopithecus124 f.
  • Arethura africana II,224.
  • Argali II,604.
  • Armadill II,286.
  • borſtiges, II,290.
  • Arni II,628.
  • Arui II,597.
  • Arvicola agrestis II,158.
  • arvalis II,159.
  • glareolus II,158.
  • oeconomus II,162.
  • subterraneus II,162.
  • Aſchkoko II,722.
  • Ascomys canadensis II,97.
  • Asinus africanus II,364.
  • hemionus II,358.
  • Kiang II,361.
  • Onager II,361.
  • polyodon II,361.
  • vulgaris II,365.
  • vulgaris Hinnus II,371.
  • vulgaris Mulus II,371.
  • Aſſapan II,67.
  • Aswail611.
  • Ateles101 f.
  • Beelzebuth101 ff.
  • Chamek102 ff.
  • hypoxanthus102 ff.
  • paniscus101 ff.
  • Atro II,515.
Brehm, Thierleben. II. 56874Namenverzeichniß.
  • Auchenia Hnanaco II,402.
  • Lama II,405.
  • Paco II,408.
  • Vicunna II,410.
  • Auerochs II,637.
  • Aulacodus Swinderanus II,213.
  • Avahi134.
  • Axis II,462.
  • Axis maculata II,462.
  • Aye-Aye147 f.

B.

  • Babiruſa II,342.
  • Babuin83 ff.
  • Backenhöruchen II,77 ff.
  • Badjarkit II,314.
  • Bär576.
  • auſtraliſcher, II,40.
  • brauner,578.
  • gemeiner,578 ff.
  • norwegiſcher,597.
  • ſchwarzer,578 .603.
  • ſyriſcher,598.
  • Bäreurobbe II,783.
  • Bajjerkeit II,314.
  • Balaena australis II,872.
  • Mysticetus II,868.
  • Balaenoptera boops II,863.
  • longimana II,866.
  • rostrata II,866.
  • Baliſaur504.
  • Bandikut II,25.
  • Bandiltis509.
  • Bantangan46 ff.
  • Banteng II,659.
  • Baraſinga II,461.
  • Baribal599 .603.
  • Barris90 ff.
  • Bartaffe, ſchwarzer,70 f.
  • Bartenwal II,861.
  • Bassaris astuta471.
  • Bathyergus maritimus II,99.
  • Baummarder525.
  • Baumſchläfer II,106.
  • Baumwiefel639.
  • Beagle377.
  • Beiſa II,548 .550.
  • Belideus sciureus II,30.
  • Beluga II,836.
  • Beni Jſrael II,515.
  • Bergpferd II,375.
  • Bernhardshund361.
  • Bettongia penicillata II,54.
  • Beutelbilch II,10.
  • gelbfüßiger, II,12.
  • Beuteldachs, ſpitznaſiger, II,25.
  • ſtreifiger, II,27.
  • Beuteleichhorn II,33.
  • Beutelfrett492.
  • Beutelhaſen II,42.
  • Beutelhund II,4.
  • Beutelmarder, gefleckter, II,8.
  • Beutelmaus, gelbe, II,12.
  • gemeine, II,57.
  • Beutelratte II,14.
  • Beutelwolf II,4.
  • Bezoarziege II,577.
  • Bhain II,629.
  • Bhunder63 ff.
  • Biber II,168.
  • Bighorn II,606.
  • Bilch, großer, II,103.
  • Binche129 f.
  • Binturong642.
  • Biſamochſe II,617.
  • Biſamratte II,148.
  • Biſamſpitzmaus, pyrenäiſche,679.
  • Biſon II,648.
  • Blastoceros campestris II,476.
  • Blattnaſen157 .170.
  • Blaubock II,544.
  • Bleichbock II,520.
  • Blindmoll II,100.
  • Bluthund377.
  • Bobak II,90.
  • Bocamele550.
  • Bolita II,291.
  • Bologneſer388.
  • Bonassns americanus II,648.
  • Bison II,635.
  • Borkenthier II,813.
  • nordiſches, II,822.
  • Borſtenferkel II,213.
  • Borſtenigel659.
  • Borſtenſtachelſchwein II,219.
  • Bos africanus II,663.
  • alpium II,663.
  • Banteng II,659.
  • brachieheros II,661.
  • desertorum II,664.
  • frontalis II,656.
  • Gaurus II,657.
  • indicus II,661.
  • scoticus II,665.
  • taurus II,660 .664.
  • Urus II,664.
  • Boſchkatte273.
  • Boselaphus Canna II,555.
  • Oreas II,555.
  • Bote II,852.
  • Brachytarsi132.
  • Brachyteles hypoxanthus102 ff.
  • Brachyurus121.
  • Bradypus II,273.
  • tridactylus II,282.
  • ursinus610.
  • Brandmaus II,131.
  • Braunfiſch II,845.
875Namenverzeichniß.
  • Breitnaſen93.
  • Bruan608.
  • Brüllaffe96 ff.
  • rother,96.
  • ſchwarzer,96.
  • Bruh67.
  • Bruh-Samundi141.
  • Buanſu (ah) 321 f.
  • Bubalus Arni II,628.
  • Caffer II,625.
  • Kerabau II,634.
  • vulgaris II,629.
  • Buckelochs, afrikaniſcher, II,663.
  • Budeng44 ff.
  • Büffel, gemeiner, II,629.
  • kafferſcher, II,625.
  • Bufeo II,852.
  • Bula667.
  • Bulldoggpintſcher390.
  • Bullenbeißer354 f.
  • Bunſch II,866.
  • Burunduk II,78.
  • Buſchböckchen II,515.
  • Buſchſchwein II,734.
  • Butskopf II,843.

C.

  • Caballaya II,312 .314.
  • Cacajao121.
  • Cacamizli471.
  • Caguare II,304 .309.
  • Callithrix115 f.
  • sciurea115 ff.
  • torquata115. 117 ff.
  • Callitriche52 .61.
  • Calocephalus caspicus II,791.
  • vitulinus II,791.
  • Camelopardalis Girafa II,489.
  • Camelus bactrianus II,399.
  • Dromedarius II,383.
  • Canis310.
  • acceptorius355.
  • africanus344.
  • Anthus324 .415.
  • aquatilis379.
  • aureus411.
  • avicularius369.
  • borealis394.
  • bracca377.
  • cancrivorus416.
  • crispus384.
  • Dingo324.
  • dukhunensis320 f.
  • extrarius379.
  • familiaris352 f.
  • genuinus385.
  • Grajus345.
  • Gryphus388.
  • Canis javanicus323.
  • indicus413.
  • Ingae314.
  • irritans377.
  • Lalandii446.
  • latrans418.
  • Lupaster410.
  • Lupus400.
  • mesomelas413.
  • molossus354 f.
  • pecuarius392.
  • pomeranus394.
  • primaevus321 f.
  • Rudo379.
  • rutilans323.
  • sagax368.
  • sanguinarius377.
  • sequax378.
  • simensis323.
  • sumatrensis323.
  • Terrae Novae381.
  • Vertagus363.
  • vulpicapus376.
  • Capella rupicapra II,527.
  • II,567.
    • Capra alpina
    • amerieana
    • armata
    • Beden
    • caucasica
    • cretica
    • hispauica
    • Ibex
    • Pallasi
    • pyrenaica
    • sibirica
    • Skyn
    • tubericornis
    • Walie
  • Capreolus vulgaris II,478.
  • Capromys Fournieri II,209.
  • Caprovis Argali II,604.
  • montana II,606.
  • Capügua II,243.
  • Caracal melanotis301 f.
  • Caraya96.
  • Carraſiſſi II,210.
  • Caruiri121.
  • Castor fiber II,168.
  • moschatus681.
  • Catarrhinae12.
  • Catoblepas Gnu II,562.
  • Gorgon II,563.
  • taurina II,563.
  • Catus275.
  • angorensis293.
  • ferus275 f.
  • maniculatus279 f.
  • manul279.
  • Cavia Cobaya II,230.
56*876Namenverzeichniß.
  • Cay107 f.
  • Cebus107 f.
  • Apella107 f.,113 f.
  • capucinus107 ff.
  • fatuellus113 f.
  • Centetes ecaudatus659.
  • Cephalophus Hemprichii II,515.
  • mergens II,514.
  • Cereocebus fuliginosus59 .62.
  • Cercoleptes caudivolvulus639 f.
  • Cercomys cunicularius II,207.
  • Cercopithecus51 ff.
  • Diana54 .62.
  • fuliginosus59 .62.
  • griseo-viridis58.
  • petaurista57 .62.
  • ruber52 .61.
  • Cervicapra bezoartica II,497.
  • melampus II,501.
  • Saiga II,499.
  • Cervus barbarus II,460.
  • canadensis II,461.
  • Elaphus II,451.
  • Wallichii II,460.
  • Chaetomys subspinosus II,219.
  • Chenodelphinus rostratus II,852.
  • Chinchilla II,194.
  • Chinga506.
  • Chiromys madagascarensis148.
  • Chironectes variegatus II,23.
  • Chiroptera153 ff.
  • Chlamydophorus truncatus II,295.
  • Choeropotamus penicillatus II,734.
  • Choeropus castanotos (ecaudatus) II,28.
  • Choloepus didactylus II,282.
  • Chrysochloris inaurata694.
  • Chrysothrix115 ff.
  • torquata115. 117 f.
  • Chucuto (Chucuzo)121.
  • Cimarrone II,338.
  • Civette463.
  • Cladobates ferrugineus664.
  • Tana663.
  • Coati, einſamer,633.
  • geſelliger,632.
  • Coelogenys Paca II,247.
  • Cogera II,322.
  • Colobus40 .48.
  • Guereza48 ff.
  • Satanas49 .51.
  • ursinus49 .51.
  • Colocolo255.
  • Condylura cristata692.
  • macrura693.
  • Cricetus frumentarius II,141.
  • Crossarchus obseurus486.
  • Crossopus foediens673.
  • Cryptoprocta ferox492.
  • Ctenomys magellanicus II,207.
  • Cuchumbi639.
  • Cuscus maculatus II,36.
  • Cyclothurus didactylus II,309.
  • Cynailurus guttatus306 ff.
  • jubatus306 ff.
  • Cynictus Steedmannii484.
  • Cynocephalus71 f.
  • Babuin83 ff.
  • Gelada72. 81 f.
  • Hamadryas75 ff.
  • porcarius83.
  • Cynogale Pennettii491.
  • Cynomys Ludovicianus II,87.

D.

  • Dachs494.
  • amerikaniſcher,502.
  • auſtraliſcher, II,57.
  • Dachshund363 ff.
  • kurzhaariger,367.
  • ſchottiſcher,367.
  • Dächſer363 f.
  • Dama Platyceros II,447.
  • Damhirſch II,447.
  • Dasyprocta Aguti II,239.
  • Dasyurus Maugii II,8.
  • Dauw II,375.
  • Degu II,205.
  • Delfin II,835.
  • gemeiner, II,850.
  • ſchwarzer, II,838.
  • Delphinapterus Leucas II,836.
  • Delphinus Delphis II,850.
  • Demeraraotter II,23.
  • Dendrolagus ursinus II,53.
  • Dermoptera151.
  • Desman679.
  • Diabolus ursinus206.
  • Diana54 .62.
  • Dickhorn II,606.
  • Dieotyles torquatus II,740.
  • Didelphys II,14.
  • virginiana II,17.
  • Dihb323. 411 f.
  • Dilungdung468.
  • Dingo324.
  • Dögling II,852.
  • Dogge355 f.
  • tibetaniſche,359 f.
  • Dole320 f.
  • Dolichotis patagonica II,235.
  • Dril90 .93.
  • Dromedar II,382.
  • Dſchiggetai II,358.
  • Dſchungli-Matſch II,315.
  • Ducker II,514.
  • Dujong II,815.
  • Durukuli124.
877Namenverzeichniß.

E.

  • Echidna Hystrix II,318.
  • setosa II,318.
  • Edelhirſch II,451.
  • Edelmarder525.
  • Eichhorn, fliegendes, II,30.
  • gemeines, II,67 ff.
  • graues, II,74.
  • ſchwarzes, II,74.
  • Eichhornaffe115 f.
  • Eisbär614.
  • Eisfuchs433.
  • Eishaſe II,250.
  • Elandantilopen II,555.
  • Elch II,420.
  • Elefant, afrikaniſcher, II,688.
  • indiſcher, II,688.
  • Elen II,423.
  • Elenantilope II,555.
  • Eleotragus arundinaceus II,512.
  • Elephas africanus II,688.
  • indicus II,688.
  • primigenius II,686.
  • Eliomys dryas II,106.
  • Nitela II,106.
  • Enchydris Lutra571.
  • Ephraim599.
  • Equus nudus II,352.
  • robustus II,353.
  • velox II,353.
  • Erdeichhorn, amerikaniſches, II,78.
  • ſibiriſches, II,78.
  • Erdferkel II,299 f.
  • kapiſches, II,301.
  • Erdgräber II,96.
  • Erdmaus II,158.
  • Erdſchwein II,300.
  • Erdwolf460.
  • Erethizon dorsatum II,220.
  • Erinaceus auritus658.
  • europaeus648.
  • Eriomys Chinchilla II,194.
  • lanigera II,194.
  • Erneb II,262.
  • Eſel II,357.
  • Eſel, zahmer, II,365.
  • Eskimohund394 f.
  • Eſſed193.
  • Euphractus II,286.
  • Apar II,291.
  • gigantens II,293.
  • setosus II,290.
  • Eyra220.

F.

  • Fahhad306 ff.
  • Falbkatze279 f.
  • Faulaffen139.
  • Faulthier II,273.
  • bärenartiges,610.
  • dreizehiges, II,282.
  • Federſchwanz665.
  • Feldmaus, gemeine, II,159.
  • Felſenkänguru II,52.
  • Fenek442 f.
  • Ferkelhaſe II,230.
  • Ferkelratte II,209.
  • Fettſchwanzſchaf II,610.
  • Fettſteißſchaf II,610 f.
  • perſiſches, II,611.
  • Fiber zibethicus II,148.
  • Fingerthier148.
  • Finnfiſch II,863.
  • Fiſchotter561.
  • gemeiner,562 ff.
  • kleiner,557.
  • Flattereichhörnchen, gemeines, II,65.
  • Flatterhund157 .162.
  • egyptiſcher,166.
  • Flattermaki151.
  • gemeiner (rother),151 f.
  • Flatterthier153 ff.
  • Fledermaus153 ff.
  • fruchtfreſſende,162.
  • frühfliegende,169 f.
  • großöhrige,157.
  • wunderbare,151.
  • Flugbeutelbilch II,30.
  • Flugbeutler II,29.
  • Flughund157 .162.
  • egyptiſcher,166.
  • Flußpferd II,766.
  • liberiſches (?), II,766.
  • Foetorius535.
  • Furo540.
  • putorius535.
  • Frettchen535. 540 ff.
  • Fuchs, braſilianiſcher,430.
  • fliegender,151.
  • gemeiner,420.
  • Fuchshund376.
  • Fuchskuſu II,38.
  • Fuchsmanguſte484 f.
  • Fuchspintſcher390.
  • Funambulus bicolor II,76.
  • maximus II,76.

G.

  • Gabelgemſe II,535.
  • Galago, gemeiner,144 f.
  • kleiner,144 f.
  • Galeopithecus151.
  • rufus (volans) 151 f.
  • Galictis521.
  • barbara521.
878Namenverzeichniß.
  • Galictis vittata523.
  • Garrea II,544.
  • Gartenſchläfer, gemeiner, II,106.
  • Gaupe296.
  • Gaur II,657.
  • Gayal II,656.
  • Gazella Dorcas II,502.
  • Gazelle II,502.
  • Gelada72. 81 f.
  • Gemsbock II,550.
  • Gemſe II,527.
  • Genetta469.
  • senegalensis470.
  • vulgaris469.
  • Geomys bursarius II,97.
  • Gepard305 ff.
  • Geſpenſtthier146.
  • Gibbon34 ff.
  • Ginſterkatze469.
  • blaſſe,470.
  • Girafe, afrikaniſche, II,489.
  • Glattnaſen166.
  • Glis vulgaris II,103.
  • Globicephalus globiceps II,838.
  • Glyptodon II,284.
  • Gnu II,562.
  • gebändertes, II,563.
  • Goffer II,97.
  • Goldbär597.
  • Goldhaſe II,239.
  • Goldmull694.
  • Goral II,525.
  • Goribun II,42.
  • Gorilla2. 13 ff.
  • Grauparder270.
  • Greifſtachler, mexikaniſcher, II,215.
  • Grinddelfin II,838.
  • Grindwal II,838.
  • Grislibär599 ff.
  • Griſon521 .523.
  • Guanaco II,401.
  • Guafini631.
  • Guazuara214.
  • Guazu-pyta II,484.
  • Guazu-vira II,484.
  • Gua-zu-y II,476.
  • Guereza48 ff.
  • Gürtelmaus II,295.
  • Gürtelthier II,284.
  • ſechsbindiges, II,290.
  • Gulo arcticus s. borealis516.
  • Gurkur II,361.
  • Gymnorhina166.
  • Gymnura Rafflesii668.

H.

  • Haartebeeſt II,561.
  • Hacki II,79.
  • Halbaffen131 ff.
  • Halbeſel II,358.
  • Halbziege II,593.
  • Halichoerus Grypus II,791.
  • Halicore cetacea II,815.
  • Halmaturus II,42.
  • Billardierii II,50.
  • Thetidis II,49.
  • Halsbandbär597.
  • Haltomys aegyptiacus II,181.
  • Hamadryas75 ff.
  • Hamar el Wadi II,364.
  • Hamſter II,144.
  • Handflügler153 ff.
  • Handthiere1 ff.
  • Hangerſchaf II,610.
  • Hapale125 f.
  • Harocha II,745.
  • Hartläufer II,745.
  • Haſe II,248 ff.
  • veränderlicher, II,250.
  • Haſelmaus II,109.
  • große, II,106.
  • Haſenhatzhund377.
  • Haſenmaus II,194 .199.
  • Haſenſpringer II,50.
  • Haushund330 ff.
  • Hauskatze280 ff.
  • verwilderte,278.
  • Hausmarder530 .535.
  • Hausmaus II,130.
  • Hausratte II,118.
  • Hausrind II,660.
  • Hausſchwein II,737.
  • Hausziege II,577 .588.
  • Hava522.
  • Hebe75 ff.
  • Heermännchen544.
  • Helarctos608.
  • malayanus608.
  • Hemigale471.
  • Hemipitheci131 ff.
  • Hemitragus jemlaicus II,593.
  • Hermelin545 .550.
  • Herpestes473.
  • cancrivorus483 f.
  • fasciatus480.
  • griseus480.
  • javanicus478.
  • Ichneumon474.
  • Nyula480.
  • Widdringtonii480.
  • Zebra480.
  • Hiäne450.
  • gefleckte,454 ff.
  • geſtreifte,454. 457 ff.
  • Hiänenhund446.
  • Himalaya-Wildſchaf, II,603.
  • Himiſu696.
879Namenverzeichniß.
  • Hinz275. 280 ff.
  • Hippopotamus amphibius II,766.
  • Hippotigris Burchellii II,375.
  • Quagga II,374.
  • Zebra II,375.
  • Hircus Aegagrus II,577.
  • angorensis II,581.
  • laniger II,584.
  • mambrieus II,586.
  • reversus II,580.
  • thebaieus II,587.
  • Hirſch II,451.
  • nordweſtafrikaniſcher, II,460.
  • perſiſcher, II,460.
  • virginiſcher, II,469.
  • weißſchwänziger, II,475.
  • Hirſchziegenantilope II,497.
  • Höhlenhiäne454.
  • Höhlentiger235.
  • Hörnchen II,62. 67 ff.
  • Honigbär641.
  • Honigdachs511.
  • indiſcher,515.
  • Huanaco II,402.
  • Hühnerhund369.
  • engliſcher,378.
  • Hüpfmaus II,179.
  • Hufeiſennaſe171.
  • große,172.
  • kleine,171.
  • Hufpfötler II,230.
  • Hulman41 ff.
  • Humpback II,866.
  • Hund310.
  • däniſcher,354.
  • egyptiſcher, verwilderter,327 ff.
  • fliegender,151 .164.
  • gemalter,446.
  • indianiſcher,327.
  • italieniſcher,352, f.
  • nackter, afrikaniſcher,344.
  • nogayiſcher,330.
  • ſüdamerikaniſcher,327.
  • ſüdruſſiſcher,331.
  • von Sumatra323.
  • Hundsfrett484 f.
  • Hundskopf71 f.
  • Huneman41 ff.
  • Huron521.
  • Hutaffe62 f.
  • Hutia-Conga II,209.
  • Hyaena450 ff.
  • brunnea454.
  • crocuta454.
  • striata454.
  • Hydrochoerus Capybara II,243.
  • Hydromys chrysogaster II,147.
  • Hyelaphus porcinus II,467.
  • Hylobates34 ff.
  • Hylobates agilis35 f.39 f.
  • Lar37.
  • leuciscus35 .37.
  • syndactylus35. 39 f.
  • Hypsiprymnus murinus II,55.
  • Hypudaeus amphibius II,152.
  • nivalis II,156.
  • Hyrare521.
  • Hyrax abissinicus II,722.
  • Hystrix cristata II,227.

J.

  • lacchus125.
  • vulgaris126 ff.
  • Jaculus labradorius II,179.
  • Jagdhiäne448.
  • Jagdhund368.
  • Jagdleopard305 ff.
  • Jaguar237.
  • Jak II,620.
  • Janokumbine II,322.
  • Ibex alpinus II,567.
  • Jchneumon474.
  • Ictitis Binturong643.
  • Jeralang II,76.
  • Jgel647 ff.
  • großohriger,658.
  • Jltis535 ff.
  • Jndri133 f.
  • Inia amazoniea. II,852.
  • Inuus ecaudatus62. 68 f.
  • Jraharal II,593.
  • Jrbis257 .270.
  • Jſabellbär598.
  • Jſchacki II,363.
  • Juan calado II,298.
  • Judenaffe119 f.
  • Jupitersfiſch II,863.

K.

  • Kaama II,561.
  • Kaberu323 f.
  • Kabri II,535.
  • Känguru II,42 .48.
  • Kängurubär II,53.
  • Kängururatte, eigentliche, II,55.
  • quaſtenſchwänzige, II,54.
  • Kaffeeratte487.
  • Kahau46 ff.
  • Kalong164.
  • Kama440.
  • Kalan571 ff.
  • Kamel, baktriſches, II,399.
  • einhöckeriges, II,383.
  • Kammratte II,206.
  • Kamtſchatka-Robbe574.
  • Kaninchen II,263.
880Namenverzeichniß.
  • Kanna II,550 .555.
  • Kantſchill II,419.
  • Kapuzennashorn II,752.
  • Kapuzineraffe107 ff.
  • Karakal301 f.
  • Karaſiſſi416.
  • Karibu II,432.
  • Karthäuſerkatze293.
  • Kaſchmirziege II,584.
  • Katlo296.
  • Katze184. 280 ff.
  • blaue,293.
  • chineſiſche,293.
  • fliegende,151.
  • kumaniſche,293.
  • nubiſche,279 f.
  • rothe,293.
  • rothe Tobolsker,293.
  • Katzenbär644.
  • Katzenfrett471.
  • Kegelrobbe II,791.
  • Keitloa II,752.
  • Kelb el Chala324.
  • Keporkak II,866.
  • Kerabau II,634.
  • Khird75 ff., ſowie83 ff.
  • Khoraſſankatze293.
  • Khut el Chala302.
  • Kiang II,358 .361.
  • Kidang II,486.
  • Kinnkaju639.
  • Kirſa438.
  • Klammeraffe101 ff.
  • Klappmütze II,801.
  • Klappnaſe177.
  • egyptiſche,177 f.
  • Kleideraffe46.
  • Kletterbeutelthier II,29.
  • Klettereichhorn II,76.
  • Kletterſtachelſchwein II,215.
  • Klippdachs II,722.
  • Klippſchliefer II,721.
  • Klippſpringer II,522.
  • Koaita101 ff.
  • Koala II,40.
  • Koboldmaki146 f.
  • Kobus ellipsiprymnus II,546.
  • König-Karls-Hündchen381.
  • Königseichhorn II,76.
  • Königstiger222 ff.
  • Kokun II,563.
  • Kolſun320 f.
  • Korſack438.
  • Krabbenbeutler II,21.
  • Krabbenmanguſte483.
  • Kragenbär, tibetaniſcher,607.
  • Krallenaffe124 ff.
  • Krallenthier179.
  • Krebsbeutler II,20.
  • Krebsfreſſer631.
  • Krebsotter557.
  • Kudu II,539.
  • Kueruck274.
  • Kuguar214.
  • Kuhantilope II,550 .560.
  • eigentliche, II,561.
  • Kulan II,361.
  • Kulu-Kamba22 f.
  • Kuma607.
  • Kumrah II,337.
  • Kuntiack255.
  • Kuntſchung-gipakin II,293.
  • Kurzfüßer132 ff.
  • Kurzſchwanzaffe121.
  • Kuſimanſe486.
  • Kuskus, gefleckter, II,36.
  • Kuſu II,29 .36.
  • Kurio120.
  • Kyrrſa434.

L.

  • Labradorhund384.
  • Lagomys alpinus II,268.
  • Ogotona II,268.
  • pusillus II,269.
  • Lagorchestes leporoides II,50.
  • Lagostomus trichodactylus II,200.
  • Lagotis Cuvierii II,199.
  • Lajja-Banar141.
  • Lama II,400 .405.
  • Lamantin II,813.
  • ſchmalſchnanziger, II,819.
  • Landſchaf II,610.
  • Langarmaffe34 ff.
  • Langfüßer143.
  • Lanzenratte II,207.
  • Larvenroller491.
  • Leiernaſe176 f.
  • Lemming, norwegiſcher, II,164.
  • Lemur135.
  • Lemur Catta136 f.
  • flavus639.
  • Macaco135.
  • Mongoz136 .138.
  • varius135.
  • Leo189 ff.
  • Leo barbarus190 ff.
  • Googratensis213.
  • senegalensis217.
  • Leon214.
  • Leopard237 .257.
  • ſchwarzer,270.
  • Leopardenzieſel II,86.
  • Leopardus antiquorum257.
  • ferox255.
  • macrurus254.
  • Maracaya253.
881Namenverzeichniß.
  • Leopardus marmoratus271.
  • melas270.
  • Onza237.
  • pajeros255 f.
  • pardalis248 ff.
  • poliopardus270.
  • tigrinus252.
  • Uncia270.
  • Leptonyx Wedellii II,789.
  • Lepus aethiopicus II,262.
  • Cuniculus II,263.
  • glacialis II,258.
  • hibernicus II,258.
  • timidus II,251.
  • variabilis II,258.
  • Lichanotus brevicaudatus133 f.
  • Likaama II,561.
  • Ling-Le II,315.
  • Lippenbär610.
  • Liſang468.
  • Ljutaga II,65.
  • Lobo cerval300.
  • Löffelhund445 f.
  • Löwe189 ff.
  • berberiſcher,190 ff.
  • von Guzerate213.
  • vom Senegal212.
  • Löwenäffchen129 f.
  • Löwenhündchen388.
  • Löwenrobbe II,786.
  • Lori135. 138 ff.
  • plumper,141.
  • ſchlanker,139 f.
  • Luchs294.
  • Luchs, europäiſcher,294 ff.
  • geſtiefelter,303.
  • kanadiſcher,300.
  • Lupus occidentalis410.
  • vulgaris400.
  • Lutra561.
  • vulgaris562 ff.
  • Lutung45.
  • Luwack487.
  • Lycaon pictus446.
  • Lynx caligatus303.
  • canadensis300.
  • Caracal301 f.
  • Chaus303 f.
  • pardinus299 f.
  • rufus301.
  • vulgaris294 ff.

M.

  • Mabur41 ff.
  • Macacus62 f.
  • nemestrinus67.
  • Rhesus63 ff.
  • silenus70 f.
  • Macacus sinieus62 f.
  • Macropus major II,48.
  • Macrorhinus elephantinus II,803.
  • Macroselides Rozetti666.
  • typicus666.
  • Macrotarsi143.
  • Madagaskarratte146.
  • Mähnenhirſch II,465.
  • Mähnenſchaf, afrikaniſches, II,597 .610.
  • Mäuſemaki146.
  • Magot62. 68 f.
  • Maikong416 .522.
  • Makako (Affe)62 f. (Halbaffe) 136 f.
  • gemeiner,62 f.
  • Maki135.
  • Malbruk62 f.
  • Mallangong II,323.
  • Malteſerſeidenhund380.
  • Mamberziege II,586.
  • Mammont II,686.
  • Mammuth II,686.
  • Mampalon491.
  • Manati II,819.
  • Manatus australis II,819.
  • Manaviri639.
  • Mandi41 ff.
  • Mandril90 ff.
  • Manguſte473.
  • geſtreifte,480.
  • graue,480.
  • Manis pentadactyla II,314.
  • Temminckii II,311 .315.
  • tetradactyla II,312.
  • Manskatze293.
  • Mantelgürtelthier II,295.
  • Mantelpavian75 ff.
  • Manul279.
  • Mapache631.
  • Mara II,235.
  • Marder493 .525.
  • javaneſiſcher,534.
  • kanadiſcher,534.
  • Marguay252.
  • Marimonda101 ff.
  • Marmorleopard271.
  • Marmoſet126 ff.
  • Marrafil455.
  • Martes525.
  • abietum525.
  • canadensis534.
  • Foina530.
  • melampus534.
  • Zibellina532.
  • Mastodon giganteus II,687.
  • Matako II,291.
  • Mauile631.
  • Mauleſel II,371.
  • Maulthier II,371.
  • Maulwurf681 ff.
882Namenverzeichniß.
  • Maulwurf, blinder,692.
  • japaniſcher,692.
  • Maus, berberiſche, II,138.
  • fliegende, II,35.
  • Maushund, geſtreifter,510.
  • Mazamahirſch II,468.
  • Mbaracaya253.
  • Mebbien447.
  • Meerkatze51 ff.
  • Meerſchwein II,845.
  • Meerſchweinchen II,230.
  • Megaderma Lyra176 f.
  • Megalonyx II,284.
  • Megalotis Zerda442.
  • Megatherium Cuvierii II,283.
  • Meles labradorica502.
  • vulgaris494.
  • Melon (cillo)480.
  • Mendesantilope II,552.
  • nubiſche, II,552.
  • Menk557.
  • Mephitis505.
  • Chinga506.
  • Humboldtii509.
  • Meriones obesus II,114.
  • Mesomys spinosus II,208.
  • Microcebus146.
  • Midas125. 129 f.
  • Oedipus129 f.
  • Midasaffe125. 129 f.
  • rothſchwänziger,129 f.
  • Midaus502.
  • collaris504.
  • meliceps503.
  • Mink557 ff.
  • Miriki102 ff.
  • Mirikina122 ff.
  • Mitzli214.
  • Moholi144.
  • Mohrenaffe59 .62.
  • Mondfleckbären607.
  • Mondjuru669.
  • Mongoz136 .138.
  • Monodon Monoceros II,831.
  • Mono-feo121.
  • Mono-Rabon121.
  • Mops363.
  • Mopsfledermaus169.
  • Mordedor173.
  • Moschus moschiferus II,414.
  • Moſchusbiber681.
  • Moſchusochſe II,617.
  • Moſchusratte669.
  • Moſchusthier II,415.
  • Mosthier II,420 .431.
  • Mützenrobbe II,801.
  • Mufflengong II,323.
  • Mufflon II,603.
  • kapiſcher, II,603.
  • Mufflon, perſiſcher, II,603.
  • Mull682 f.
  • Munga62 f.
  • Mungo (s)478.
  • Muntjak II,486.
  • Murmelthier II,82.
  • eigentliches, II,91.
  • Muſang488.
  • Mus agragrius II,131.
  • barbarus II,138.
  • decumanus II,119.
  • minutus II,136.
  • Musculus II,130.
  • Rattus II,118.
  • sylvaticus II,131.
  • Muscardinus avellanarius II,109.
  • Muskwa603.
  • Muſtang II,338.
  • Mustela493.
  • vulgaris544 .551.
  • Muzin II,335.
  • Mycetes96 ff.
  • niger96.
  • seniculus96.
  • Mylodon II,284.
  • Myodes Lemmus II,164.
  • Myogale moschata679.
  • pyrenaica679.
  • Myopotamus Coypu II,210.
  • Myoxus Glis II,103.
  • Myrmecobius fasciatus II,12.
  • Myrmecophaga jubata II,304.

N.

  • Nabelſchwein II,740.
  • Nachtaffe122.
  • Nachthörnchen II,63.
  • Nacktfinger148.
  • Narwal II,831.
  • Naſenaffe46 ff.
  • Naſenbär632.
  • Nashorn, einhörniges, II,751.
  • indiſches, II,751.
  • ſtumpfnäſiges, II,753.
  • vorweltliches, II,754.
  • zweihörniges, II,752.
  • Nasna socialis632.
  • solitaria633.
  • Nebelparder235.
  • Nemorhoedus Goral II,526.
  • Neufundländer381 f.
  • Niare II,661.
  • Nikobejan II,322.
  • Nil-Bandar70 f.
  • Nilgau II,557.
  • Nilpferd II,766.
  • Nippon323.
883Namenverzeichniß.
  • Niula480.
  • Nörz557 ff.
  • Noga434.
  • Nſchiego-Mbuwe22.
  • Nutria II,212.
  • Nyctipithecus122.
  • trivirgatus122 ff.

O.

  • Oa35 .37.
  • Ochs, blauer, II,557.
  • grunzender, II,621.
  • Octodon Cummingii II,205.
  • Ogotoſa II,268.
  • Ohiothier II,687.
  • Ohrenaffe144.
  • buſchſchwänziger,144.
  • Ohrenfledermaus167.
  • gemeine,167.
  • Onager II,361.
  • Ondatra II,148.
  • Opoſſum II,17.
  • Orang-Utang27 ff.
  • Orcinus Orca II,843.
  • Oreotragus saltatrix II,522.
  • Orignal II,431.
  • Ornithorynehus paradoxus II,322.
  • Oryeteropus aethiopicus II,302.
  • capensis II,301.
  • Oryx Beisa II,548.
  • bezoarticus II,548.
  • Gazella II,549.
  • Oryr, kapiſcher, II,549.
  • Oryx leucoryx II,548.
  • Oso melero641.
  • Otaria jubata II,786.
  • Otocyon megalotis445.
  • Otolicnus144.
  • crassicaudatus145.
  • Galago144.
  • minor144 .146.
  • murinus146.
  • Otter von Guyana II,23.
  • Otterhund367.
  • Ours jongleur613.
  • Ovis aries II,610.
  • Arkar II,603.
  • cypria II,603.
  • musimon II,601.
  • orientalis II,603.
  • persica II,603.
  • steatopyga II,611.
  • steatopyga persica II,611.
  • strepsiceros II,611.
  • Vignei II,603.
  • Ovibos moschatus II,617.
  • Ozelot248 ff.

P.

  • Pachyura etrusca (suaveolens)673.
  • Paco II,400 .408.
  • Pademelon II,49.
  • Pagophilus groenlandicus II,790.
  • Paka II,247.
  • Pallah II,501.
  • Palmenmarder487.
  • Pampashirſch II,476.
  • Pampaskatze255 f.
  • Panda644.
  • Pangolin II,312.
  • Panther214 .257.
  • Pantherkatze248 ff.
  • Panther, ſchwarzer,270.
  • Papi214.
  • Papio leucophaecus90 .93.
  • Mormon90 ff.
  • Papuſchwein II,734.
  • Paradoxurus487.
  • larvatus491.
  • Musanga488.
  • Typus487.
  • Pardel237 .257.270.
  • Pardelluchs299 f.
  • Parder257.
  • Parforcehund375.
  • Paſſan II,549.
  • Pavian71 f.
  • ſchwarzer,45. 88 f.
  • Pedetes caffer II,191.
  • Pekan534.
  • Pekari II,740.
  • Pelzflatterer150.
  • Perameles fasciata II,27.
  • nasuta II,25.
  • Peſſez434.
  • Petaurus taguanoides II,33.
  • Petrogale penicillata II,52.
  • Pfeifhaſe II,268.
  • Pferd II,334 57.
  • arabiſches, II,345.
  • engliſches, II,350.
  • leichtes, II,352.
  • nacktes, II,352.
  • ſchweres, II,352.
  • Pferdeantilope II,544.
  • Pferdeſpringer II,188.
  • Phacochoerus aethiopicus II,745.
  • Aeliani II,745.
  • Phalangista vulpina II,38.
  • Pharaoratte474.
  • Phascolarctus cinereus II,40.
  • Phascologale penicillata II,10.
  • Phascolomys fossor II .57.
  • Phattagen II,314.
  • Philander cancrivorus II,20.
  • dorsiger II,22.
884Namenverzeichniß.
  • Phoca barbata II,789.
  • Phocaena communis II,845.
  • Phyllostoma170.
  • Spectrum173 ff.
  • Physeter macrocephalus II,855.
  • Pichiciego II,295.
  • Pinchague II,714.
  • Pintſcher388.
  • Piſchu300.
  • Pithecia118 ff.
  • leucocephala120.
  • melanocephala121 f.
  • Satanas119 ff.
  • Pithecus12.
  • Satyrus27 ff.
  • Platanista gangetica II,854.
  • Plecotus167.
  • auritus167 f.
  • Podje146.
  • Poëphagus grunniens II,620.
  • Pointer375.
  • Polarbär614.
  • Polarfuchs433.
  • Pommer394.
  • Pongo27 ff.
  • Porcus II,742.
  • Portax pictus II,557.
  • Potamochoerus africanus II,734.
  • Pottfiſch II,855.
  • Prairiehund II,87.
  • Prairiewolf418.
  • Presbytis maurus44 ff.
  • Preß664.
  • Primates1 ff.
  • Prochilus labiatus610.
  • Procyon623.
  • cancrivorus631.
  • Lotor623.
  • Propithecus134.
  • diadema134 f.
  • laniger135.
  • Prosimii132 ff.
  • Proteles Lalandii460.
  • Prox Muntjac II,486.
  • Prunkbock II,508.
  • Psammomys obesus II,115.
  • Psilodactylus148.
  • Pteromys II,63.
  • Petaurista II,64.
  • Pteropus aegyptiacus166.
  • edulis164.
  • Ptilocerus Lowii665.
  • Pudel380. 385 ff.
  • Puma214.
  • Puma concolor214.
  • Eyra220.
  • Yaguarundi218.
  • Putorius535.

Q.

  • Quagga II,374.
  • Quaſtenſtachler, afrikaniſcher, II,224.
  • Quauh-Tenzo639.
  • Quoggelo II,313.

R.

  • Räflo296.
  • Ramsratte II,207.
  • Rapacia180.
  • Raſſe467.
  • Ratel511.
  • Ratelus511.
  • capensis512.
  • indicus515.
  • Raton631.
  • Rattenpintſcher388 ff.
  • Ratz535.
  • Raubbeutler, bärenartiger, II,6.
  • Raubthiere180.
  • Reduncina leucura II,475.
  • virginiana II,469.
  • Reem II,548.
  • Reh II,478.
  • Rennmaus, feiſte, II,114.
  • Renthier II,432.
  • Retriever379.
  • Reutmaus II,152.
  • Rhabdogale509.
  • mustelina510.
  • Rheſus63 ff.
  • Rhinoceros bicornis II,753.
  • cucullatus II,752.
  • indicus II,751.
  • Keitloa II,753.
  • simus II,753.
  • trichorhinus II,754.
  • Rhinochoerus indicus II,712.
  • Rhinolophus ferrum-equinum172.
  • Hippocrepis171.
  • Rhinopoma microphyllum177 f.
  • Rhytina Stelleri II,822.
  • Rhyzaena tetradactyla485.
  • Riedantilope II,512.
  • Riedbock II,512.
  • Rieſenfaulthier II,283.
  • Rieſengürtelthier II,284.
  • Riefenkrallenthier II,284.
  • Rimau Dahan235.
  • Rind, marſchländer, II,664.
  • ſchottiſches, II,665.
  • verwildertes, II,669.
  • Robah75 ff.
  • Robbe II,780.
  • Rohrrüßler666.
  • Rollaffe107 f.
885Namenverzeichniß.
  • Rollaffe, gehörnter,113 f.
  • Rollmarder487.
  • gemeiner,487.
  • Rorwal II,863.
  • Roßhirſch II,464.
  • Rothluchs301.
  • Rueervus Duvaucelii II,461.
  • Rüſſelbär632.
  • Rüſſelrobbe II,803.
  • Runa-allco314.
  • Rusa Aristotelis II,464.
  • equina II,464.
  • Hippelaphus II,465.
  • moluccensis II,465.

S.

  • Sabaä193.
  • Sabera II,80.
  • Säbelantilope II,544.
  • ſchwarze, II,544.
  • Saguin126 ff.
  • Saiga II,499.
  • Saimiri115 ff.
  • Saint-Johns-Hund384.
  • Saki120.
  • Sambur II,464.
  • Sandbär502.
  • Sandmaus II,117.
  • Sandſpringer II,188.
  • Sapaju113 f.
  • Saſſa II,522.
  • Satansaffe119.
  • Sattelrobbe II,790.
  • Saurüde379.
  • Say107 ff.
  • Scalops aquaticus695.
  • Schabrakenſchakal413.
  • Schabrakentapir II,712.
  • Schäferhund392.
  • Schaf II,595.
  • kurzſchwänziges, II,610.
  • langbeiniges, II,610.
  • langſchwänziges, II,610.
  • Schakal411 ff.
  • gemeiner,411 ff.
  • grauer,460.
  • indiſcher,413.
  • Scharrthier485.
  • Schermaus II,152.
  • Schikara II,560.
  • Schildwurf II,295.
  • Schilu II,80.
  • Schimpanſe23 ff.
  • Schlankaffe40 ff.
  • Schleichkatze461 ff.
  • Schleiermaki134.
  • Schlitzrüßler668.
  • Schnabeldelfin II,854 f.
  • Schnabelthier II,322.
  • Schnabelwal II,863.
  • Schnauzendelfin II,851.
  • Schneehaſe II,250 .258.
  • Schneemaus II,156.
  • Schnellläufer II,745.
  • Schnepfenhund381.
  • Schopfantilopen II,514.
  • Schopfpavian45. 88 f.
  • Schrotmaus II,204 .208.
  • Schupati II,20.
  • Schupp623.
  • Schuppenthier, kurzſchwänziges, II,314.
  • langſchwänziges, II,312.
  • Temminckſches, II,311 .315.
  • Schweifaffe118 ff.
  • ſchwarzköpfiger,121 f.
  • weißköpfiger,120.
  • Schweifbiber II,210.
  • Schwein II,726.
  • Schweinsaffe67.
  • Schweinshirſch II,467.
  • Schwertfiſch, gemeiner, II,843.
  • Schwimmbeutler II,23.
  • Scirtetes Jaculus II,188.
  • Sciuropteros II,63.
  • sibiricus II,65.
  • volucella II,67.
  • Sciurus cinereus II,74.
  • exilis II,77.
  • niger II,74.
  • vulgaris II,67 ff.
  • Scopophorus Urebi II,520.
  • Seebär II,782 f.
  • Seeelefant II,782 .803.
  • Seehund II,780 .789.
  • bärtiger, II,789.
  • gemeiner, II,791.
  • geringelter, II,791.
  • grauer, II,791.
  • grönländiſcher, II,791.
  • kaspiſcher II,791.
  • Seekalb II,791.
  • Seekuh II,813.
  • ſtellerſche, II,822.
  • Seeleopard II,788.
  • Seelöwe II,786.
  • Seeotter II,571 ff.
  • Seidenaffe125 f.
  • Seidenhund379.
  • eigentlicher,379.
  • Sellero434.
  • Semnopithecus40 ff.
  • entellus41 ff.
  • maurus44 ff.
  • nasica46 ff.
  • nemaeus46.
  • Serval Galeopardus272 f.
886Namenverzeichniß.
  • Serval minutus274.
  • viverrinus273.
  • Serwal272 f.
  • Setter378.
  • Siamang35. 39 f.
  • Siebenſchläfer II,103.
  • Sik-Sik II,87.
  • Silberbär597.
  • Silberlöwe214.
  • Sild II,866.
  • Singa-Poa146.
  • Sirene II,813.
  • Sivatherium II,489.
  • Sky Terrier367.
  • Slugui350.
  • Solenodon paradoxus668.
  • Solidungula II,334.
  • Sommerwal II,866.
  • Sondeli669.
  • Sonnenbär608.
  • Sorex murinus669.
  • vulgaris670.
  • Spalax Typhlus II,100.
  • Spermophilus Citillus II,83.
  • Hoodii II,86.
  • Spermoseiurus II,80; ſ. Xerus.
  • Sphiggurus Novae Hispaniae (mexicanus) II,215.
  • Spießbock II,548.
  • Spießhirſch II,484.
  • Spinnenaffe101 ff.
  • Spitz393 f.
  • Spitzbeutler II,12.
  • Spitzhörnchen663.
  • Spitzmaus661.
  • gemeine,670.
  • Spitzratte667.
  • Springaffe115 f.
  • Springbeutler II,42.
  • Springbock II,508.
  • Springer381.
  • Springhaſe II,191.
  • Springmaus, cgyptiſche, II,181.
  • Sproſſenhirſch II,476.
  • Stachelſchwein II,213.
  • gemeines, II,227.
  • javaniſches, II,225.
  • Stänker535.
  • Steinbock II,567.
  • Steinfuchs433.
  • Steinhund557.
  • Steinmarder530.
  • Stellet II,544.
  • Stemmatopus cristatus II,801.
  • Stenops138 ff.
  • gracilis139 f.
  • tardigradus141.
  • Steppenantilope II,499.
  • Steppeneſel, afrikaniſcher, II,364.
  • Steppenhund446.
  • Steppenkuh II,548.
  • Steppenrind II,664.
  • Sternmull, gemeiner,692.
  • Stinkbinkſem510.
  • Stinkdachs502.
  • Stinkthier505.
  • ſüdamerikaniſches,509.
  • Stöberhund377.
  • Strandmoll II,99.
  • Strandwolf454 .457.
  • Strauchratte II,204.
  • Strepſiceros II,552.
  • Strepsiceros capensis II,539.
  • Stummelaffe40 .48.
  • bärenartiger,49 .51.
  • Stummelſchwanzſchaf II,610.
  • Stutzbeutler II,28.
  • Subulo II,484.
  • Sumpfbiber II,210.
  • Sumpfluchs303 f.
  • Sumpfotter556.
  • Sumpfratte II,147.
  • Surikate485.
  • Sus II,726.
  • cristatus II,734.
  • leucomastix II,734.
  • papuensis II,734.
  • peuicillatus II,735.
  • scrofa II,728.
  • Synotus Barbastellus169.

T.

  • Tacuache669.
  • Taguan II,33 .64.
  • Tahir II,593.
  • Talpa coeca692.
  • europaea683.
  • Wogura692.
  • Tamandua II,308.
  • Tamandua tridactyla II,308.
  • Tambreet II,323.
  • Tamias Lysteri II,78.
  • striata II,78.
  • Tanrek659.
  • Tapir, amerikaniſcher, II,714.
  • indiſcher, II,712.
  • Tapirus americanus II,714.
  • villosus II,715.
  • Tapoa Tafa II,10.
  • Tarai274.
  • Tarandus Caribu II,432.
  • rangifer II,432.
  • Tarpan II,335.
  • Tarsius spectrum146 f.
  • Taſchenratte, kanadiſche, II,97.
  • Tatu II,286.
  • Tatu-Comaſtra II,293.
887Namenverzeichniß.
  • Tatupoyu II,290.
  • Tayra521.
  • Tedal II,539.
  • Tejon669.
  • Teladu503.
  • Telagon503.
  • Tellego503.
  • Tendj144.
  • Tetracerus quadricornis II,559.
  • Teufelsaffe49 .51.
  • Teuthlamacame II,535.
  • Tevang141.
  • Tevangan139.
  • Thalassarctos614.
  • polaris614.
  • Thallandrind II,664.
  • Thar II,593.
  • Theivangu140.
  • Thierwolf295.
  • Thylacinus cynocephalus II,4.
  • Tiger221 ff.
  • Tigerkatze, afrikaniſche,274.
  • langgeſchwänzte,254.
  • Tigerpferd II,374.
  • Burchell’s, II,375.
  • Tigerwolf456.
  • Tigris macroscelis235.
  • regalis222 f.
  • Titi115. 117 f.
  • Todtenkopfaffe115 ff.
  • Tohumbuk II,323.
  • Tonger141.
  • Tragulus Kanchil II,419.
  • Trampelthier II,382 .399.
  • Trichechus Rosmarus II,807.
  • Troglodytes27 ff.
  • calvus22.
  • Gorilla2. 13 ff.
  • Kulu-Kamba22 f.
  • niger23 ff.
  • Trugratte II,204.
  • Tſchakma83.
  • Tſchamek102 ff.
  • Tſchati-Chati253.
  • Tſchita306 ff.
  • Tſchitara434.
  • Tucutuco II,207.
  • Tümmler II,848.
  • Tursio vulgaris II,848.

U.

  • Uano II,282.
  • Uiſtiti126 ff.
  • Ungko35 f.39 f.
  • Unguiculata179.
  • Unze237 .271.
  • Urotrichus talpoides697.
  • Urſon II,220.
  • Ursus576.
  • americanus603.
  • arctos578.
  • cadaverinus578.
  • ſerox599.
  • formicarius578.
  • isabellinus598.
  • Urtzel II,791.
  • Urva483 f.

V.

  • Vampir (165 .171 .) 173 ff.
  • Vari135 f.
  • Vesperugo noctula169 f.
  • Vicuña II,401.
  • Vielfraß515.
  • gemeiner,516.
  • Viscacha II,200.
  • Vison556.
  • americanus557.
  • Lutreola557.
  • Viverra461 ff.
  • candivolvula639.
  • Civetta463.
  • gracilis468.
  • Gymnura668.
  • indica467.
  • Zibetha466.
  • Vließmaki134 f.
  • Vorſtehhund369.
  • Vorweltshiäne454.
  • Vulpes Azarae430.
  • Caama440.
  • Corsac438.
  • lagopus433.
  • vulgaris420.

W.

  • Wachtelhund380 f.
  • Wal II,825.
  • Waldmaus II,130.
  • Waldmenſch12.
  • Waldwühlmaus II,158.
  • Walfiſch II,825 .861.
  • eigentlicher, II,868.
  • ſüdlicher, II,872.
  • Wallaby II,50.
  • Wallichshirſch II,465.
  • Walroß II,807.
  • Wanderratte II,119.
  • Wanderu70 f.
  • Wapiti II,461.
  • Warragal324 f.
  • Warzenſchwein II,745.
  • älianiſches, II,745.
  • Waſchbär623.
  • gemeiner,623.
888Namenverzeichniß.
  • Waſſerbock, eigentlicher, II,546.
  • Waſſerhund379.
  • engliſcher,384.
  • Waſſermaulwurf II,323.
  • Waſſermenk557.
  • Waſſermull695.
  • Waſſerratte II,152.
  • Waſſerſchwein II,243.
  • Waſſerſpitzmaus674.
  • Waſſerwachtelhund384.
  • Waſſerwieſel557.
  • Wauwau35 .37.
  • Weißfiſch II,836.
  • Weißfuchs434.
  • Weißnaſe57 .62.
  • Weißohr126 ff.
  • Welſh Harrier367.
  • Wickelbär639.
  • Wieſel544.
  • großes,550.
  • kleines,544 .551.
  • langſchwänziges,550.
  • mejikaniſches,639.
  • Richardſonſches,550.
  • Wieſelkatze471.
  • Wildebeeſt II,562.
  • Wildeſel II,358.
  • Wildhund325.
  • Wildkatze, europäiſche, gemeine,275 f.
  • gefleckte,254.
  • Wildpferd II,338 ff.358.
  • Wildſchaf, cypriſches, II,603.
  • europäiſches, II,601.
  • Wildſchwein II,728.
  • Wimperſpitzmaus, toskaniſche,673 f.
  • Windhund345 ff.
  • der Sahara,350.
  • iriſcher,353.
  • perſiſcher,348 .352.
  • ruſſiſcher,353.
  • ſchottiſcher,353.
  • Winſelaffe107 ff.
  • Wiſent II,635.
  • Wiskatſcha II,200.
  • Witwe,115. 117 f.
  • Wolf400 ff.
  • Wolfshund323. 415 f.
  • Wollenmaki135.
  • Wollmaus, kleine, II,194.
  • Wolverene515.
  • Wombat II,57.
  • Wüſtenfuchs442.
  • Wüſtenſandmaus II,117.
  • Wüſtenſpringmaus II,180.
  • Wurfmaus II,96.
  • Wurmzüngler II,299.
  • Wurzelmaus, deutſche, II,162.
  • ſibiriſche, II,162.
  • Wychuchol679.

X.

  • Xerus leucoumbrinus II,80.
  • rutilus II,80.

Y.

  • Yaguapyta214.
  • Yaguarundi218.
  • Yapock II,23.
  • Yaquape524.
  • Yurumi II,304.

Z.

  • Zackelſchaf II,610 f.
  • Zebra II,375.
  • Zebramanguſte480 f.
  • Zebrawolf II,4.
  • Zebu, indiſcher, II,661.
  • Zibete463.
  • Zibethiäne460.
  • Zibetkatze463.
  • afrikaniſche,463 ff.
  • aſiatiſche,463 .466.
  • Ziege II,577 .588.
  • buckelnaſige, II,587.
  • egyptiſche, II,587.
  • thebaiſche, II,587.
  • Zieſel, gemeiner, II,83.
  • Zieſelhörnchen II,80.
  • Zobel532.
  • Zorilla510.
  • Zuckereichhorn II,30.
  • Zugbock II,508.
  • Zwergantilopen II,514.
  • Zwergböckchen II,515.
  • Zwergeichhorn II,77.
  • Zwergmaki146.
  • Zwergmaus II,136.
  • Zwergmoſchusthier II,419.
  • Zwergpfeifhaſen II,269.
  • Zwergpferd II,337.
  • Zwergpudel388.
  • Zwergziege, innerafrikaniſche, II,580.
[889]

Ueberſicht des Jnhalts.

Erſter Band.

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. S. IX.

Erſte Reihe. Handthiere (Primates).

  • Zweite Ordnung. Die Affen (Simiae).
    • Erſte Familie: Schmaluaſen (Catarrhinae) S. 12.
      • 1. Sippe: Waldmenſchen (Pithecus): Gorilla (P. Troglodytes-Gorilla) S. 12. Schimpanſe (P. -Tr.-niger) S. 23. Orang (P. Satyrus) S. 27.
      • 2. Sippe: Langarmaffen (Hylobates): Siamang (H. syndaetylus) S. 35. Ungko (H. agilis) S. 36. Oa (H. leuciscus) S. 37.
      • 3. Sippe: Schlankaffen (Semnopithecus): Hulman (S. entellus) S. 44. Budeng (S. maurus) S. 44. Kleideraffe (S. nemaeus) S. 46. Kahau (S. -Nasalis-Nasica) S. 46.
      • 4. Sippe: Stummelaffen (Colobus): Gnereza (C. Guereza) S. 48. Bärenſtummelaffe (C. ursinus) und Teufelsaffe (C. Satanas) S. 49 und 51.
      • 5. Sippe: Meerkatzen (Cercopithecus): Abalandj (C. griseoviridis), Callitriche (C. ruber), Dianenaffe (C. Diana), Mohrenaffe (C. -Cercocebus-fuliginosus) S. 51 bis 62.
      • 6. Sippe: Makaken (Macacus): Mungo (M. Sinicus) S. 62. Bhunder (M. Rhesus) S. 63. Schweinsaffe (M. nemestrinus) S. 67. Magot (M. -Inuus-ecaudatus) S. 67. Wandern (M. Silenus) S. 70.
      • 7. Sippe: Paviane (Cynocephalus) S. 71. Hamadryas (C. -Theropithecus-Hamadryas) S. 75. Gelada (C. -Th.-Gelada) S. 81. Babuin (C. Babuin) und Tſchakma (C. porcarius) S. 83. Schopfpavian (C. niger) S. 88. Mandril (C. -Papio - Mormon). Dril (C. -P.-leucophacus) S. 93.
    • Zweite Familie: Breitnaſen (Platyrrhinae) S. 96.
      • 1. Sippe: Brüllaffen (Mycetes): Alaute (M. seniculus) S. 96.
      • 2. Sippe: Klammeraffen (Ateles): Koaita (A. paniscus) und Marimonda (A. Beelzebuth) S. 101. Tſchamek (A. Chamek) und Miriki (A. -Brachyteles-hypoxanthus) S. 102.
      Brehm, Thierleben. II. 57890Ueberſicht des Jnhalts.
      • 3. Sippe: Rollaffen (Cebus): Sai (C. capucinus) S. 108. Apella (C. Apella) S. 113. Gehörnter Rollaffe (C. fatuellus) S. 115.
      • 4. Sippe: Eichhornaffen (Callithrix): Saimiri (C. sciurea) S. 115. Titi (C. -Chrysothrix torquata) S. 117.
      • 5. Sippe: Schweifaffen (Pithecia): Judenaffe (P. Satanas) S. 119. Schweifaffe (P. leu - cocephala) S. 120. Cacajao (P. melanocephala) S. 121.
      • 6. Sippe: Nachtaffen (Nyetipithecus): Mirikina (N. trivirgatus) S. 122.
    • Dritte Familie: Krallenaffen (Arctopitheci) S. 124.
      • 1. Sippe: Seidenaffen (Hapale): Marmoſet (H. -Iacchus vulgaris) S. 126. Binche (H. - Midas-Oedipus) S. 129.
  • Dritte Ordnung. Die Halbaffen oder Aeffer (Hemipitheci oder Prosimii). Erſte Familie: Kurzfüßer (Brachytarsi) S. 132.
    • 1. Sippe: Judri (Liehanotus): Judri (L. brevicaudatus) S. 133.
    • 2. Sippe: Schleiermaki (Propithecus): Vließmaki (Pr. diadema) S. 134. Wollenmaki (Pr. laniger) S. 135.
    • 3. Sippe: Maki (Lemur): Vari (L. Macaco, L. varius) S. 135. Makako (L. Catta) und Mongoz (L. Mongoz) S. 136.
    • 4. Sippe: Lori (Stenops): Tevangan (St. gracilis) S. 139. Tonger (St. tardigradus) S. 141.
    Zweite Familie: Langfüßer (Macrotarsi) S. 143.
    • 1. Sippe: Ohrenaffe (Otolicnus): Galago (O. Galago) S. 144. Zwergmaki (O. -Microce - bus-minor) S. 146. Mäuſemaki (O. -M.-murinus) S. 146.
    • 2. Sippe: Koboldmaki (Tarsius): Geſpenſtthier (T. Speetrum) S. 146.
    Dritte Familie: Fingerthiere (Psilodactyli) S. 147. Einzige Sippe: Fingerthier (Chiromys): Aye-Aye (Ch. madagascarensis) S. 148. Vierte Familie: Pelzflatterer (Dermoptera) S. 150. Einzige Sippe: Flattermaki (Galeopithecus): Flattermaki (G. ruſus) S. 151.
  • Vierte Ordnung. Die Flatterthiere (Chiroptera). Erſte Familie: Fruchtfreſſer (Cynopteri) S. 162.
    • 1. Sippe: Flughunde (Pteropus): Kalong (P. edulis) S. 164. Egyptiſcher Flughund (P. aegyptiacus) S. 166.
    Zweite Familie: Glattnaſen (Gymnorhinae) S. 166.
    • 1. Sippe: Ohrenfledermäuſe (Plecotus): Gemeine Ohrenfledermaus (P. auritus) S. 167.
    • 2. Sippe: Mopsfledermäuſe (Synotus): Mopsfledermaus (S. Barbastellus) S. 169.
    • 891
    • 3. Sippe: Dämmerungsmäuſe (Vesperugo): Frühfliegende Fledermaus (V. Noctula) S. 169.
    Dritte Familie: Blattnaſen (Phyllostomata) S. 170.
    • 1. Sippe: Hufeiſennaſen (Rhinolophus): Kleine Hufeiſennaſe (Rh. Hippocrepis) S. 171. Große Hufeiſennaſe (Rh. ferrum equinum) S. 172.
    • 2. Sippe: Vampir (Phyllostoma): Vampir (P. Spectrum) S. 173.
    • 3. Sippe: Ziernaſen (Megaderma): Leiernaſe (M. Lyra) S. 177.
    • 4. Sippe: Klappnaſe (Rhinopoma): Egyptiſche Klappnaſe (Rh. microphyllum) S. 177.

Zweite Reihe. Krallenthiere (Unguiculata).

  • Fünfte Ordnung. Raubthiere (Rapacia).
    • Erſte Familie: Katzen (Feles) S. 184.
      • 1. Sippe: Löwe (Leo): Löwe der Barbarei (Leo barbarus) S. 190. Senegallöwe (L. sene - galensis) und Mähnenloſer Löwe (L. Googratensis) S. 212.
      • 2. Sippe: Silberlöwen (Puma): Kuguar (P. concolor) S. 214. Yaguarundi (P. Yaguarundi) S. 218. Eyra (P. Eyra) S. 220.
      • 3. Sippe: Tiger (Tigris): Königstiger (T. regalis) S. 222. Nebelparder (T. macroscelis) S. 235.
      • 4. Sippe: Pardel (Leopardus): Jaguar (L. Onza) S. 237. Ozelot (L. pardalis) S. 248. Marguay (L. tigrinus). Mbaracaya (L. Maracaya) S. 253. Tigerkatze (L. macrurus) S. 254. Colocolo (L. ferox) S. 255. Pampaskatze (L. pajeros). Leopard (L. antiquorum) S. 257. Schwarzer Leopard (L. melas) S. 270. Pardel (L. Uncia) S. 270. Marmorleopard (L. marmoratus).
      • 5. Sippe: Serwal (Serval): Serwal (S. Galeopardus) S. 272. Tarai (S. viverrinus), Kueruck (S. minutus) S. 274.
      • 6. Sippe: Hinze (Catus): Wildkatze (Catus ferus) S. 275. Nubiſche Katze (C. maniculatus) S. 279. Hinz (C. domesticus) S. 280. Angorakatze (C. angorensis) S. 293.
      • 7. Sippe: Luchſe (Lynx): Luchs (L. vulgaris) S. 294. Pardelluchs (L. pardinus) S. 300. Piſchu (L. canadensis) S. 300. Karakal (L. Caracal Caracal melanotis) S. 301. Geſtiefelter Luchs (L. calligatus) und Sumpfluchs (L. Chaus) S. 305.
      • 8. Sippe: Jagdleopard (Cynailurus): Tſchitah (C. jubatus) S. 306.
    • Zweite Familie: Hunde (Canes) S. 310.
      • 1. Sippe: Hunde (Canis): Kolſun (C. dukhunensis) und Buanſu (C. primaevus) S. 321. Adjak (C. rutilans) S. 323. Kaberu (C. simensis) S. 323. Dingo (C. Dingo) S. 324. Nackter Hund S. 344. Windhund S. 345. Jtalieniſcher Hund S. 352. Däniſcher Hund S. 354. Bullenbeißer S. 353. Dogge S. 356. Tibetaniſche Dogge S. 359. St. Bernhardshund S. 361. Mops S. 363. Dächſel S. 365. Otternhund S. 367. Jagdhund S. 368. Hirſchhund S. 375. Fuchshund S. 376. Stöberhund S. 377. 57*892Ueberſicht des Jnhalts.Bluthund S. 377. Setter S. 378. Saurüde S. 378. Seidenhund S. 379. Waſſerhund S. 380. Schnepfenhunde, Wachtelhunde, König-Karls - hündchen S. 381. Neufundländer S. 381. Waſſerwachtelhund S. 384. Pudel S. 385. Zwergpudel S. 388. Pintſcher S. 388. Haushund S. 391. Schäferhund S. 392. Spitz S. 393. Eskimohund S. 394. Wolf (C. Lupus Lupus vulgaris) S. 400. Amerikaniſcher Wolf (C. occidentalis) S. 410. Abu el Hoſſeïn (C. lupaster) S. 410. Schakal (C. aureus) S. 411. Schabrakenſchakal (C. mesomelas) S. 413. Wolfshund (C. Anthus) S. 415. Karaſiſſi (C. cancrivorus) S. 416. Prairiewolf (C. latrans) S. 418.
      • 2. Sippe: Füchſe (Vulpes): Fuchs (Vulpes vulgaris) S. 420. Aguarachay (V. Azarae) S. 430. Eisfuchs (V. lagopus) S. 433. Korſack (V. Corsac) S. 438. Kama (V. Caama) S. 440.
      • 3. Sippe: Ohrenfüchſe (Megalotis): Fenek (M. Zerda) S. 442. Löffelhund (M. -Otocyon - megalotis) S. 445.
      • 4. Sippe: Hiänenhund (Lycaon): Steppenhund (L. pictus) S. 447.
      • 5. Sippe: Hiänen (Hyaena): Tigerwolf (H. crocuta) S. 454. Strandwolf (H. brunnea) S. 457. Hiäne (H. striata).
      • 6. Sippe: Zibethiäne (Proteles): Erdwolf (Pr. Lalandii) S. 460.
    • Dritte Familie: Schleichkatzen (Viverrae) S. 461.
      • 1. Sippe: Zibetkatzen (Viverra): Civette (V. Civetta) S. 463. Zibetkatze (V. Zibetha) S. 466. Raſſe (V. indica) S. 467. Liſang (V. -Lisang-gracilis) S. 468.
      • 2. Sippe: Ginſterkatzen (Genetta): Ginſterkatze (G. vulgaris) S. 469. Blaſſe Ginſter - katze (G. senegalensis) S. 470. Wieſelkatze (G. -Hemigale-Boiei) S. 471.
      • 3. Sippe: Katzeufrett (Bassaris): Katzenfrett (B. astuta) S. 471.
      • 4. Sippe: Manguſten (Herpestes): Jchneumon (H. Ichneumon) S. 474. Mungos (H. javanicus) S. 478. Niula (H. Nyula) und Melon (H. Widdringtonii) S. 479. Zebramanguſte (H. fasciatus) S. 480. Urva (H. cancrivorus) S. 484. Fuchsmanguſte (H. -Cynictis-Steedmannii) S. 485. Scharrthier (H. - Rhyzaena-tetradaetyla) S. 485. Kuſimauſe (H. -Crossarchus-obscurus) S. 486.
      • 5. Sippe: Rollmarder (Paradoxurus): Palmenmarder (P. typus) S. 487. Muſang (P. Musanga) S. 488. Larvenroller (P. larvatus) S. 491. Mampalon (P. -Cynogale-Bennettii) S. 491. Beutelfrett (P. -Cryptoprocta-ferox) S. 492.
    • Vierte Familie: Marder (Mustelae) S. 493.
      • 1. Sippe: Dachs (Meles): Gemeiner Dachs (M. vulgaris) S. 494. Sandbär (M. labradorica) S. 502.
      • 2. Sippe: Stinkdachs (Midaus): Teladu (M. meliceps) S. 503. Baliſaur (M. collaris) S. 504.
      • 3. Sippe: Stinkthier (Mephitis): Chinga (M. Chinga) S. 506.
      • 4. Sippe: Bandiltis (Rhabdogale): Zorilla (Rh. mustelina) S. 510.
      • 5. Sippe: Honigdachſe (Ratelus): Ratel (R. capensis) S. 512. Jndiſcher Honigdachs (R. indicus) S. 515.
      • 6. Sippe: Vielfraß (Gulo): Gemeiner Vielfraß (G. borealis) S. 516.
      • 7. Sippe: Uron (Galictis): Tayra (G. barbara) S. 521. Griſon (G. vittata) S. 523.
      • 8. Sippe: Marder (Martes): Edelmarder (M. abietum) S. 525. Steinmarder (M. Foina) S. 530. Zobel (M. Zibellina) S. 532. Pekan (M. canadensis) S. 534.
      • 9. Sippe: Jltis (Foctorius): Ratz (F. putorius) S. 535. Frett (F. Furo) S. 540.
      • 893
      • 10. Sippe: Wieſel (Mustela): Wieſel (M. vulgaris) S. 544. Hermelin (M. Erminea) S. 550.
      • 11. Sippe: Sumpfotter (Vison): Mink und Nörz (V. Lutreola und V. americanus) S. 557.
      • 12. Sippe: Fiſchotter (Lutra): Gemeiner Fiſchotter (L. vulgaris) S. 562.
      • 13. Sippe: Seeotter (Enchydris): Kalan (E. Lutra) S. 571.
    • Fünfte Familie: Bären (Ursi) S. 576.
      • 1. Sippe: Landbären (Ursus): Gemeiner Bär (U. arctos) S. 578. Jſabellbär (U. isa - bellinus) S. 598. Grislibär (U. ferox) S. 599. Baribal (U. americanus) S. 603. Kragenbär (U. tibetanus) S. 607.
      • 2. Sippe: Sonnenbär (Helarctos): Bruan (H. malayanus) S. 608.
      • 3. Sippe: Lippenbär (Prochilus): Lippenbär (P. labiatus) S. 610.
      • 4. Sippe: Meerbär (Thalassarctos): Eisbär (Th. maritimus) S. 614.
      • 5. Sippe: Waſchbär (Procyon): Schupp (Pr. Lotor) S. 623. Aguara (P. cancrivorus) S. 631.
      • 6. Sippe: Rüſſelbär (Nasua): Geſelliger Coati (N. socialis) S. 632. Einſamer Coati (N. solitaria) S. 633.
      • 7. Sippe: Wickelbär (Cercoleptes): Kinkaju (C. candivolvulus) S. 639.
      • 8. Sippe: Binturong (Arctitis): Binturong (A. -Ictitis-Binturong) S. 642.
      • 9. Sippe: Katzenbär (Ailurus): Panda (A. refulgens) S. 644.
    • Sechſte Familie: Jgel (Erinacei) S. 645.
      • 1. Sippe: Stacheligel (Erinaceus): Gemeiner Jgel (E. europacus) S. 648. Ohrenigel (E. auritus) S. 659.
      • 2. Sippe: Borſtenigel (Centetes): Tanrek (C. ecaudatus) S. 659.
    • Siebente Familie: Spitzmänſe (Sorices) S. 661.
      • 1. Sippe: Spitzhörnchen (Cladobates): Tana (C. Tana) S. 663. Preß (C. ferrugineus) S. 664.
      • 2. Sippe: Federſchwänze (Ptilocerus): Federſchwanz (P. Lowii) S. 665.
      • 3. Sippe: Rohrrüßler (Macroselides): Südafrikaniſcher Rohrrüßler (M. typicus) S. 667.
      • 4. Sippe: Spitzratten (Gymnura): Bula (G. Rafflesii) S. 667.
      • 5. Sippe: Schlitzrüßler (Solenodon): Aguta (S. paradoxus) S. 668.
      • 6. Sippe: Spitzmäuſe (Sorex): Sondeli (S. murinus) S. 669. Gemeine Spitzmaus (S. vulgaris) S. 670.
      • 7. Sippe: Wimperſpitzmäuſe (Pachyura): Zwergſpitzmaus (P. etrusca) S. 674.
      • 8. Sippe: Waſſerſpitzmäuſe (Crossopus): Waſſerſpitzmaus (C. foediens) S. 674.
      • 9. Sippe: Viſamſpitzmäuſe (Myogale): Almizilero und Desman (M. pyrenaica und M. moschata) S. 679.
    • Achte Familie: Mulle (Talpae) S. 681.
      • 1. Sippe: Maulwürfe (Talpa): Gemeiner Maulwurf (T. europaea) S. 683. Blindmull (T. coeca), Wogura (T. Wogura) S. 692.
      • 2. Sippe: Sternmaulwürfe (Condylura): Sternmull (C. cristata) S. 692.
      • 3. Sippe: Goldmulle (Chrysochloris): Grüner Goldmull (Ch. inaurata) S. 694.
      • 4. Sippe: Waſſermulle (Scalops): Gemeiner Waſſermull (S. aquaticus) S. 695.
      • 5. Sippe: Zwergmulle (Urotrichus): Himiſu (U. talpoides) S. 696.
[894]

Zweiter Band.

  • Sechſte Ordnung. Die Beutelthiere (Marsupialia).
    • Erſte Familie: Raubbeutelthiere (Dasyuri) S. 3.
      • 1. Sippe: Beutelhunde (Thylacinus): Beutelwolf (T. cynocephalus) S. 4.
      • 2. Sippe: Raubbeutler (Diabolus): Teufel (D. ursinus) S. 6.
      • 3. Sippe: Beutelmarder (Dasyurus): Gefleckter Beutelmarder (D. Maugii) S. 9.
      • 4. Sippe: Beutelbilche (Phascologale): Tapoa-Tafa (P. penicillata) S. 10.
      • 5. Sippe: Beutelmäuſe (Antechinus): Gelbfüßige Beutelmaus (A. flavipes) S. 12. Spitzbeutler (Myrmecobius), Ameiſenbeutler (M. fasciatus) S. 13.
    • Zweite Familie: Beutelratten (Didelphyes) S. 14.
      • 1. Sippe: Beutelratten (Didelphys): Opoſſum (D. virginiana) S. 17.
      • 2. Sippe: Schupatis (Philander): Krebsbeutler (Ph. cancrivorus) und Aeneasratte (Ph. dorsiger) S. 22.
      • 3. Sippe: Schwimmbeutler (Chironectes): Yapok (Ch. variegatus) S. 23.
    • Dritte Familie: Beuteldachſe (Peramelae) S. 25.
      • 1. Sippe: Beuteldachſe (Perameles): Spitznaſiger und ſtreifiger Beuteldachs (P. nasuta und P. fasciata) S. 26. 27.
      • 2. Sippe: Stutzbeutler (Choeropus): Stutzbeutler (Ch. ecaudatus) S. 28.
    • Vierte Familie: Kletterbeutelthiere (Phalangistae) S. 29.
      • 1. Sippe: Flugbeutelbilche (Belideus): Zuckereichhorn (B. sciureus) S. 30.
      • 2. Sippe: Beuteleichhörnchen (Petaurus): Taguan (P. taguanoides) S. 33.
      • 3. Sippe: Fliegende Mäuſe (Acrobates): Opoſſummaus (A. pygmaeus) S. 35.
      • 4. Sippe: Kuſus (Cuscus): Gefleckter Kuſu (C. maculatus) S. 36.
      • 5. Sippe: Fuchskuſus (Phalangista): Fuchskuſu (Ph. vulpina) S. 38.
      • 6. Sippe: Beutelbär (Phascolarctus): Koala (P. cinereus) S. 40.
    • 895
    • Fünfte Familie: Springbeutelthiere (Halmaturi) S. 42.
      • 1. Sippe: Kängurus (Macropus): Känguru (M. major) S. 48. Pademelon (M. -Halma - turus-Thetidis) S. 49.
      • 2. Sippe: Haſenſpringer (Lagorchestes): Gemeiner Haſenſpringer (L. leporoides) S. 50.
      • 3. Sippe: Felſenkängurus (Petrogale): Felſenkänguru (P. penicillata) S. 52.
      • 4. Sippe: Kletterkänguru (Dendrolagus): Kängurubär (D. ursinus) S. 53.
      • 5. Sippe: Kängururatten (Hypsiprymnus): Quaſtenſchwänzige und gemeine Kängururatte (Bettongia penicillata und Hypsiprymnus murinus) S. 54. 55.
    • Sechſte Familie: Bentelmäuſe (Phascolomyes) S. 57.
      • Einzige Sippe: Wombat (Phascolomys): Gemeiner Wombat (Ph. fossor) S. 57.
  • Siebente Ordnung. Die Nager (Rodentia).
    • Erſte Familie: Eichhörnchen (Sciuri) S. 62.
      • 1. Sippe: Flugeichhorn (Pteromys): Taguan (P. Petaurista) S. 64.
      • 2. Sippe: Flattereichhorn (Sciuropterus): Ljutaja und Aſſapan (Sc. sibiricus und Sc. vo - lucella) S. 65. 67.
      • 3. Sippe: Eichhorn (Sciurus): Gemeines, graues und ſchwarzes Eichhorn (Sc. vulgaris, Sc. cinereus und Sc. niger) S. 68. 74. Königseichhorn (Sc. -Funambulus-maximus) S. 76. Zwergeichhorn (Sciurus exilis) S. 77.
      • 4. Sippe: Erdeichhorn (Tamias): Burunduk und Hacki (T. striata und T. Lysteri) S. 78.
      • 5. Sippe: Zieſelhörnchen (Spermosciurus oder Xerus): Schillu (X. rutilus) S. 81.
    • Zweite Familie: Murmelthiere (Arctomyes) S. 82.
      • 1. Sippe: Ziefel (Spermophilus): Gemeiner und Leopardenzieſel (Sp. Citillus und Sp. Hoodii) S. 86.
      • 2. Sippe: Murmelzieſel (Cynomys): Prairiehund (C. Ludovicianus) S. 87.
      • 3. Sippe: Murmelthiere (Arctomyes): Bobak und Murmelthier (A. Bobac und A. Mormota) S. 90. 91.
    • Dritte Familie: Erdgräber (Georhychi) S. 96.
      • 1. Sippe: Taſcheuratten (Geomys): Taſchenratte (G. bursarius) S. 97.
      • 2. Sippe: Strandmolle (Bathyergus): Strandmoll (B. maritimus) S. 99.
      • 3. Sippe: Blindmolle (Spalax): Gemeiner Blindmoll (Sp. Typhlus) S. 100.
    • Vierte Familie: Bilche (Myoxi) S. 102.
      • 1. Sippe: Siebenſchläfer (Glis): Gemeiner Siebenſchläfer (Gl. vulgaris) S. 103.
      • 2. Sippe: Gartenbilche (Eliomys): Gartenbilch (E. Nitela) S. 106.
      • 3. Sippe: Haſelmäuſe (Muscardinus): Haſelmaus (M. avellanarius) S. 109.
    • Fünfte Familie: Mäuſe (Mures) S. 112.
      • 1. Sippe: Rennmäuſe (Meriones oder Psammomys): Feiſte Rennmaus (M. obessus) S. 114.
      • 2. Sippe: Mäuſe (Mus): Haus - und Wanderratte (M. Rattus und M. decumanus) S. 118. Haus -, Wald -, Brand - und Zwergmaus (Mus Musculus, M. sylvaticus, M. agra - rius und M. minutus) S. 130. 131. Berberiſche Maus (Mus barbarus) S. 138.
      • 896
      • 3. Sippe: Hamſter (Cricetus): Gemeiner Hamſter (C. frumentarius) S. 140.
      • 4. Sippe: Sumpfratten (Hydromys): Gemeine Sumpfratte (H. chrysogaster) S. 147.
    • Sechſte Familie: Wühlmäuſe (Arvicolini) S. 148.
      • 1. Sippe: Biſamratten (Fiber): Ondatra (F. zibethicus) S. 148.
      • 2. Sippe: Wühlratten (Hypudaeus): Wafferratte und Schneemaus (H. amphibius und H. nivalis) S. 152. 156.
      • 3. Sippe: Wühlmäuſe (Arvicola): Waldwühlmaus, Erd -, Feld - und Wurzelmaus (A. gla - reolus, A. agrestis, A. arvalis, A. oeconomus und A. subterraneus) S. 158. 159.
      • 4. Sippe: Lemminge (Myodes): Lemming (M. Lemmus) S. 164.
    • Siebente Familie: Biber (Castores) S. 168.
      • Einzige Sippe: Biber (Castor Fiber) S. 168.
    • Achte Familie: Springmäuſe (Dipodes) S. 177.
      • 1. Sippe: Hüpfmäuſe (Jaculus): Hüpfmaus (J. labradorius) S. 179.
      • 2. Sippe: Wüſtenſpringmäuſe (Haltomys): Springmaus (H. aegyptiacus) S. 181.
      • 3. Sippe: Pferdeſpringer (Scirtetes): Alakdaga (Sc. Jaculus) S. 189.
      • 4. Sippe: Springhafen (Pedetes): Springhaſe (P. caffer) S. 191.
    • Neunte Familie: Haſenmäuſe (Eriomyes) S. 194.
      • 1. Sippe: Wollmäuſe (Eriomys): Chinchilla (E. Chinchilla) S. 194. Wollmaus (E. laniger) S. 197.
      • 2. Sippe: Haſenmäuſe (Lagotis): Haſenmaus (L. Cuvieri) S. 199.
      • 3. Sippe: Viscachas (Lagostomus): Viscacha (L. trichodactylus) S. 200.
    • Zehnte Familie: Schrotmäuſe (Psammoryctae) S. 204.
      • 1. Sippe: Strauchratten (Octodon): Degu (O. Cummingii) S. 205.
      • 2. Sippe: Kammratten (Ctenomys): Tukotuko (Ct. magellanicus) S. 206.
      • 3. Sippe: Kammsratten (Cercomys): Rammsratte (C. -Mesomys-cuuicularis) S. 207.
      • 4. Sippe: Ferkelratten (Capromys): Huita Conga (C. Fournieri) S. 209.
      • 5. Sippe: Schweifbiber (Myopotamus): Coypu (M. Coypu) S. 211.
      • 6. Sippe: Borſtenferkel (Aulacodus): Borſtenferkel (A. Swinderanus) S. 213.
    • Elfte Familie: Stachelſchweine (Hystrices) S. 213.
      • 1. Sippe: Kletterſtachelſchweine (Cercolabes): Greifſtachler (C. -Sphiggurus-Novae-Hispa - niae) S. 215. Borſtenſtachelſchwein (C. -Chaetomys-subspinosus) S. 219. Cuandu (Cercolabes prehensilis) S. 220.
      • 2. Sippe: Baumſtachelſchweine (Erethizon): Urſon (E. dorsatum) S. 220.
      • 3. Sippe: Quaſtenſtachler (Atherura): Quaſtenſchwanz (A. africana) S. 224.
      • 4. Sippe: Stachelſchweine (Hystrix): Javaniſches Stachelſchwein (H. -Acanthion-javanicum) S. 225. Stachelſchwein (Hystrix cristata) S. 227.
    • Zwölfte Familie: Hufpfötler (Caviae) S. 230.
      • 1. Sippe: Meerſchweinchen (Cavia): Gemeines Meerſchweinchen (C. Cobaya) S. 231. Aperea (Cavia Aperea) S. 232.
      • 2. Sippe: Mara (Dolichotis): Mara (D. patagonica) S. 235.
      • 3. Sippe: Goldhaſen (Dasyprocta): Aguti (D. Aguti) S. 239.
      • 4. Sippe: Waſſerſchweine (Hydrochoerus): Capybara (H. Capybara) S. 243.
      • 5. Sippe: Paka (Coelogenys): Paka (C. Paca) S. 246.
    • 897
    • Dreizehnte Familie: Haſen (Lepores) S. 248.
      • 1. Sippe: Haſen (Lepus): Feld -, Alven -, egyptiſcher Haſe und Kaninchen (L. timidus, L. variabilis, L. aethiopicus und L. Cuniculus) S. 250. 258. 262. 263.
      • 2. Sippe: Pfeifhaſen (Lagomys): Alpenpfeifhaſe (L. alpinus) S. 268.

Dritte Reihe. Zahnarme (Edentata).

  • Achte Ordnung. Die Klammerthiere (Tardigrada).
    • Einzige Familie: Faulthiere (Bradipodes) S. 273.
      • 1. Sippe: Zweizehige Faulthiere (Choloepus): Uano (Ch. didactylus) S. 282.
      • 2. Sippe: Dreizehige Faulthiere (Bradypus): Ai (B. tridactylus) S. 282.
  • Neunte Ordnung. Die Scharrthiere (Eſſodientia).
    • Erſte Familie: Gürtelthiere (Dasypodes) S. 284.
      • 1. Sippe: Gürtelthiere (Euphractes): Armadill, Apar und Rieſengürtelthier (E. setosus, E. Apar und E. giganteus) S. 290. 291. 293.
      • 2. Sippe: Gürtelmäuſe (Clamydophorus): Schildwurf (Cl. truncatus) S. 295.
    • Zweite Familie: Ameiſenſcharrer (Myrmecophagae) S. 299.
      • 1. Sippe: Erdferkel (Orycteropus): Kapſches Erdferkel (Or. capensis) S. 301.
      • 2. Sippe: Ameiſenbären (Myrmecophaga): Yurumi (M. jubata) S. 304.
      • 3. Sippe: Ameiſenfreſſer (Tamandua): Dreizehiger Ameiſenfreſſer (T. tridactyla) S. 308.
      • 4. Sippe: Ameiſenkletterer (Cyclothurus): Zweizehiger Ameiſenkletterer (C. didactylus) S. 309.
    • Dritte Familie: Schuppenthiere (Manes) S. 310.
      • Einzige Sippe: Schuppenthier: (Manis): Langſchwänziges, kurzſchwänziges, Temminckſches Schuppenthier (M. tetradactyla, M. pentadactyla und M. Temminckii) S. 313. 314. 315.
  • Zehnte Ordnung. Die Kloaken - oder Gabelthiere (Monotremata).
    • Erſte Familie: Ameiſenigel (Echidnae) S. 318.
      • Einzige Sippe: Ameiſenigel (Echidna): Stachelicher Ameiſenigel (E. Hystrix) S. 318.
    • Zweite Familie: Schnabelthiere (Ornithorhynchi) S. 322.
      • Einzige Sippe: Schnabelthier (Ornithorhynchus): Auſtraliſches Schnabelthier (O. paradoxus) S. 323.
898Ueberſicht des Jnhalts.

Vierte Reihe. Hufthiere (Ungulata).

  • Elfte Ordnung. Die Einhufer (Solidungula).
    • Einzige Familie: Pferde (Equi) S. 334.
      • 1. Sippe: Pferde (Equus): Tarpan. Cimarron. Muſtang. Arabiſches, engliſches, nacktes Pferd (E. Caballus) S. 335. 338. 345. 350. 352.
      • 2. Sippe: Eſel (Asinus): Halbeſel, Kiang, Kulan, Steppen - und Hauseſel (A. hemionus, A. Kiang oder polyodon, A. Onager, A. africanus, A. vulgaris) S. 358. 361. 365.
      • 3. Sippe: Tiger-Pferd (Hippotigris): Quagga, Dauw und Zebra (H. Quagga, H. Bur - chellii und H. Zebra) S. 375.
  • Zwölfte Ordnung. Die Wiederkäner (Ruminantia).
    • Erſte Familie: Schwielenſohler (Tylopoda) S. 382.
      • 1. Sippe: Kamele (Camelus): Dromedar (C. Dromedarius) S. 383. Trampelthier (C. bactrianus) S. 399.
      • 2. Sippe: Lamas (Auchenia): Guanaco, Lama, Paco und Vicuña (A. Huanaco, A. Lama, A. Paco und A. Vicunna) S. 402. 505. 508. 410.
    • Zweite Familie: Moſchusthiere (Moschi) S. 413.
      • 1. Sippe: Moſchusthier (Moschus): Moſchusthier (M. moschiferus) S. 414.
      • 2. Sippe: Zwergmoſchusthier (Tragulus): Kantſchill (T. Kanchil) S. 419.
    • Dritte Familie: Hirſche (Cervi) S. 421.
      • 1. Sippe: Elenthier (Alces): Elch (A. jubata) S. 424. Mosthier (A. Orignal) S. 431.
      • 2. Sippe: Renthiere (Tarandus): Ren und Karibu (T. rangifer und T. Caribu) S. 432.
      • 3. Sippe: Damhirſch (Dama): Gemeiner Damhirſch (D. platyceros) S. 447.
      • 4. Sippe: Edelhirſch (Cervus): Edelhirſch (C. Elaphus) S. 451.
      • 5. Sippe: Baraſinga (Rucervus): Baraſinga (R. Duvaucelii) S. 461.
      • 6. Sippe: Aris (Axis): Jndiſcher Aris (A. maculata) S. 462.
      • 7. Sippe: Dreigabler (Rusa): Sambur und Mähnenhirſch (R. Aristoteles und R. Hippelaphus) S. 464. 465. Schweinshirſch (R. -Hyelaphus-poreinus) S. 467.
      • 8. Sippe: Mazamahirſche (Reduncina): Birginiſcher und weißſchwänziger Hirſch (R. virgi - niana und R. leucura) S. 469. 475.
      • 9. Sippe: Sproſſenhirſche (Blastoceros): Pampashirſch (B. campestris) S. 476.
      • 10. Sippe: Rehe (Capreolus): Reh (C. vulgaris) S. 478.
      • 11. Sippe: Spießhirſche (Subulo): Brauner Spießhirſch (S. simplicicornis) S. 484.
      • 12. Sippe: Muntjakhirſche (Prox): Kidang (P. Muntjac) S. 486.
    • Vierte Familie: Girafen (Camelopardales) S. 489.
      • Einzige Sippe: Girafe (Camelopardalis Girafa) S. 489.
    • 899
    • Fünfte Familie: Antilopen (Antilopae) S. 495.
      • 1. Sippe: Hirſchziegenantilope (Cervicapra): Safi, Steppenantilope und Pallah (C. bezo - artica, C. Saiga und C. melampus) S. 497. 499. 501.
      • 2. Sippe: Gazelle (Gazella): Gazelle (G. Dorcas) S. 502.
      • 3. Sippe: Springbock (Antidorcas): Springbock (A. Euchore) S. 508.
      • 4. Sippe: Riedbock (Eleotragus): Riedbock (E. arundinaceus) S. 512.
      • 5. Sippe: Schopfantilopen (Cephalophus): Ducker und Zwergböckchen (C. mergens und C. Hemprichiana) S. 514. 515.
      • 6. Sippe: Bleichbock (Scopophorus): Bleichbock (Sc. scoparia) S. 520.
      • 7. Sippe: Klippſpringer (Oreotragus): Klippſpringer (O. saltatrix) S. 522.
      • 8. Sippe: Waldziegenantilope (Nemorhoedus): Goral (N. Goral) S. 526.
      • 9. Sippe: Gemſe (Capella): Alpengemſe (C. rupicapra) S. 527.
      • 10. Sippe: Gabelgemſe (Antilocapra): Kabri (A. americana) S. 536.
      • 11. Sippe: Schraubenantilope (Strepsiceros): Kudu (Str. capensis) S. 539.
      • 12. Sippe: Säbelantilope (Aegoceros): Blaubock (A. leucophaeus) S. 544.
      • 13. Sippe: Waſſerbock (Kobus): Waſſerbock (K. ellipsiprymnus) S. 546.
      • 14. Sippe: Spießbock (Oryx): Steppenkuh (O. leucoryx) S. 549.
      • 15. Sippe: Mendesantilope (Addax): Mendesantilope (A. nasomaculatus) S. 553.
      • 16. Sippe: Elenantilopen (Boselaphus): Kanna (B. Oreas) S. 555.
      • 17. Sippe: Nilgau (Portax): Jndiſches Nilgau (P. picta) S. 557.
      • 18. Sippe: Vierhornantilope (Tetracerus): Schikara (T. quadricornis) S. 559.
      • 19. Sippe: Kuhantilope (Acronotus): Kaama (A. Caama) S. 561.
      • 20. Sippe: Wildebeeſts (Catoblepas): Gnu (C. Gnu) S. 562.
    • Sechſte Familie: Ziegen (Caprae) S. 565.
      • 1. Sippe: Steinbock (Capra Ibex) S. 567.
      • 2. Sippe: Ziegen (Hircus): Hausziege: Bezoar -, Zwerg -, Angora -, Kaſchmir -, Mamber - und buckelnaſige (H. bezoarticus, H. reversus, H. angorensis, H. laniger, H. mambrieus, H. thebaicus) S. 577. 580. 581. 584. 586. 587.
      • 3. Sippe: Halbziege (Hemitragus): Thar (H. jemlaicus) S. 593.
    • Siebente Familie: Schafe (Oves) S. 595.
      • 1. Sippe: Mähnenſchaf (Ammotragus): Arui (A. Tragelaphus) S. 597.
      • 2. Sippe: Wildſchafe (Ovis): Mufflon (O. Musimon) S. 601. Argali und Dickhorn (Ca - provis Argali und C. montana) S. 604. 606. Hausſchaf: Merino -, Zackel -, Fettſteißſchaf (O. aries, O. strepsiceros und O. steatopyga) S. 610. 611.
    • Achte Familie: Rinder (Boves) S. 615.
      • 1. Sippe: Moſchusochſe (Ovibos): Biſamochſe (O. moschatus) S. 617.
      • 2. Sippe: Roßbüffel (Poëphagus): Jak (P. grunniens) S. 620.
      • 3. Sippe: Büffel (Bubalus): Kafferbüffel, Arni, gemeiner Büffel und Kerabau (B. caffer, B. Arni, B. vulgaris und B. Kerabau) S. 625. 628. 634.
      • 4. Sippe: Wiſents (Bonassus): Wiſent und Biſon (B. Bison und B. americanus) S. 635. 647.
      • 5. Sippe: Rind (Bos): Gayal, Gaur und Banteng (B. frontalis, B. Gauros und B. Banteng) S. 656. 657. 659. Hausrind: Zebu, Buckelochs, Alpen -, Thalland -, Marſch - land -, Steppenrind (B. indicus, B. africanus, B. alpium, B. Taurus, B. Urus, B. desertorum) S. 660. 661. 663. 664. Schottiſches Rind (B. scoticus) S. 665.
900Ueberſicht des Jnhalts.
  • Dreizehnte Ordnung. Die Vielhufer (Multungula). Erſte Familie: Rüſſelthiere (Proboscidea) S. 685.
    • Einzige Sippe: Elefanten (Elephas): Afrikaniſcher und indiſcher Elefant (E. africanus und E. indicus) S. 688.
  • Zweite Familie: Tapire (Tapiri) S. 711.
    • Einzige Sippe: Tapire (Tapirus): Schabrakentapir (T. -Rhinochoerus indicus) S. 712. Tapir und Pinchague (T. americanus und T. villosus) S. 714. 715.
  • Dritte Familie: Klippſchliefer (Hyraces) S. 721.
    • Einzige Sippe: Klippſchliefer (Hyrax): Aſchkoko (H. abissiuicus) S. 722.
  • Vierte Familie: Borſtenthiere (Setigera) S. 726.
    • 1. Sippe: Schwein (Sus): Wildſchwein (S. Scrofa) S. 728. Weißbärtiges, indiſches und Papuſchwein (S. leucomastix, S. cristatus und S. papuensis) S. 734. Pinſel - ohriges und Buſchſchwein (S. -Choeropotamus-penicillatus und Ch. africanus) S. 735.
    • 2. Sippe: Nabelſchwein (Dicotyles): Pekari (D. torquatus) S. 740.
    • 3. Sippe: Hirſcheber (Porcus): Babiruſa (P. Babirusa) S. 742.
    • 4. Sippe: Warzenſchweine (Phacochoerus): Hartläufer und Harocha (Ph. aethiopicus und Ph. Aeliani) S. 745.
  • Fünfte Familie: Plumpe (Obesa) S. 747.
    • 1. Sippe: Nashorn (Rhinoceros): Einhörniges, Kaputzen -, Keitloa - und ſtumpfnaſiges Nashorn (R. indicus, R. cucullatus, R. Keitloa und R. simus) S. 751. 752. 753.
    • 2. Sippe: Flußpferd (Hippopotamus): Nilpferd (H. amphibius) S. 766.

Fünfte Reihe. Seeſäugethiere (Pinnata).

  • Vierzehnte Ordnung. Die Floſſenfüßer (Pinnipedia).
    • Erſte Familie: Seehunde (Phocae) S. 780.
      • 1. Sippe: Bärenrobbe (Arctocephalus): Seebär (A. falclandicus) S. 783.
      • 2. Sippe: Löwenrobbe (Otaria): Seelöwe (O. jubata) S. 786.
      • 3. Sippe: Seeleoparden (Leptonyx): Seeleopard (L. Wedellii) S. 789.
      • 4. Sippe: Robbe (Phoca): Bärtiger Seehund (P. barbata) S. 789.
      • 5. Sippe: Sattelrobbe (Pagophilus): Grönländiſche Sattelrobbe (P. groenlandicus) S. 489.
      • 6. Sippe: Kegelrobbe (Halichoerus): Urtzel (H. Grypus) S. 791.
      • 7. Sippe: Seekalb (Calocephalus): Gemeiner und kaspiſcher Seehund (C. vitulinus und C. caspicus) S. 791.
      • 901
      • 8. Sippe: Mützenrobbe (Stemmatopus): Klappmütze (St. cristatus) S. 801.
      • 9. Sippe: Rüſſelrobbe (Macrorhinus): Seeelefant (M. elephantinus) S. 803.
    • Zweite Familie: Morſe (Trichechi) S. 807.
      • Einzige Sippe und Art: Walroß (Trichechus Rosmarus) S. 807.
  • Fünfzehnte Ordnung. Die Sirenen (Sirenia).
    • Erſte Familie: Sirenen (Manati) S. 813.
      • 1. Sippe: Dujong (Halicore): Dujong (H. cetacea) S. 815.
      • 2. Sippe: Manate (Manatus): Lamantin (M. australis) S. 819.
    • Zweite Familie: Borkenthiere (Rhytinae).
      • Einzige Sippe und Art: Seekuh (Rhytina Stelleri) S. 822.
  • Sechzehnte Ordnung. Walthiere (Cetacea).
    • Erſte Familie: Narwale (Monodontes).
      • Einzige Sippe und Art: Narwal (Monodon Monoceros) S. 831.
    • Zweite Familie: Delfine S. 835.
      • 1. Sippe: Weißdelfine (Delphinapterus): Beluga (D. Leucas) S. 836.
      • 2. Sippe: Kugelköpfe (Globicephalus): Grind (G. globiceps) S. 839.
      • 3. Sippe: Schwertfiſche (Orcinus): Butskopf (O. Orca) S. 843.
      • 4. Sippe: Braunfiſche (Phocaena): Meerſchwein (Ph. communis) S. 845.
      • 5. Sippe: Tümmler (Tursio): Gemeiner Tümmler (T. vulgaris) S. 849.
      • 6. Sippe: Delfine (Delphinus): Delfin (D. Delphis) S. 850.
      • 7. Sippe: Entenſchnabeldelfin (Chenodelphinus): Dögling (Ch. rostratus) S. 852.
      • 8. Sippe: Schnauzendelfin (Inia): Bote (I. amazonica) S. 852.
      • 9. Sippe: Schnabeldelfin (Platanista): Suſuk (P. gangetica) S. 855.
    • Dritte Familie: Pottwale (Physeteres).
      • Einzige Sippe: Pottwale (Physeter): Pottfiſch (Physeter macrocephalus) S. 855.
    • Vierte Familie: Barteuwale (Balaenae) S. 861.
      • 1. Sippe: Schnabelwal (Balaenoptera): Finnfiſch (B. boops) S. 863. Sild (B. rostrata) S. 866. Humpbock (B. longimana) S. 866.
      • 2. Sippe: Bartenwal (Balaena): Walfiſch (B. mysticetus) S. 868. Südlicher Wal (B. australis) S. 872.
  • Namenverzeichniß S. 373.

Druck vom Bibliographiſchen Jnſtitut (M. Meyer) in Hildburghauſen.

About this transcription

TextIllustrirtes Thierleben
Author Alfred Edmund Brehm
Extent963 images; 511277 tokens; 40972 types; 3552217 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationIllustrirtes Thierleben Eine allgemeine Kunde des Thierreichs Zweiter Band Alfred Edmund Brehm. . Bibliographisches Institut Hildburghausen1865.

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Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte MPIWG, 590 B834i -2http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/ECHOdocuView?url=/permanent/library/2ZQZKU58/index.meta

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Zoologie; Wissenschaft; Zoologie; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:29:20Z
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Holding LibraryMax-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
ShelfmarkMPIWG, 590 B834i -2
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