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DIE GRUNDLAGEN DES NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERTS
II. HÄLFTE
DIE GRUNDLAGEN DES Neunzehnten Jahrhunderts
II. HÄLFTE
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MÜNCHENVERLAGSANSTALT F. BRUCKMANN A. -G. 1899
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BRUCKMANN’SCHE BUCH - UND KUNSTDRUCKEREI MÜNCHEN

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ABSCHNITT III DER KAMPF

Your high-engender’d battles. (Shakespeare. )[534][535]

EINLEITENDES

Mit dieser Abteilung betreten wir ein andres Feld: das eigentlichLeitende Grundsätze. historische. Freilich waren auch das Erbe des Altertums und die Erben Erscheinungen in der Geschichte, doch konnten wir diese Er - scheinungen gewissermassen herauslösen und sie somit zwar im Lichte der Geschichte betrachten, nichtsdestoweniger aber nicht historisch. Fortan handelt es sich in diesem Buche um Aufeinanderfolgen und Entwickelungsprozesse, also um Geschichte. Eine gewisse Überein - stimmung in der Methode wird sich trotzdem daraus ergeben, dass, ähnlich, wie wir früher im Strome der Zeit das Beharrende erblickten, wir nunmehr aus der unübersehbaren Menge der vorübereilenden Er - eignisse nur einzelne Punkte herauswählen werden, denen bleibende, heute noch wirksame, also gewissermassen » beharrende « Bedeutung zu - kommt. Der Philosoph könnte einwenden, jeder Impuls, auch der kleinste, wirke durch die Ewigkeit weiter; doch lässt sich darauf er - widern, dass in der Geschichte fast jede einzelne Kraft ihre individuelle Bedeutung sehr bald verliert und dann nur den Wert einer Komponente unter unzählbaren, unsichtbaren, in Wahrheit nur ideell noch vorhan - denen anderen Komponenten besitzt, während eine einzige grosse Resul - tante als wahrnehmbares Ergebnis der vielen widerstrebenden Kräfte - äusserungen übrig bleibt. Nun aber um den mechanischen Vergleich festzuhalten verbinden sich diese resultierenden Kraftlinien wiederum zu neuen Kräfteparallelogrammen und erzeugen neue, grössere, augen - fälligere, in die Geschichte der Menschheit tiefer eingreifende Ereignisse, von bleibenderer Bedeutung und das geht so weiter, bis gewisse Höhepunkte der Kraftäusserung erreicht sind, welche nicht überschritten werden. Einzig die höchsten dieser Gipfelpunkte sollen uns hier beschäftigen. Die geschichtlichen Thatsachen darf ich von nun an erst recht als bekannt voraussetzen; hier handelt es sich also536Der Kampf.lediglich darum, dasjenige deutlich hervorzuheben und zu gruppieren, was zu einer verständnisvollen Beurteilung unseres Jahrhunderts mit seinen widerstreitenden Strömungen, seinen einander durchquerenden » Resultierenden «, seinen leitenden Ideen unentbehrlich dünken muss.

Ursprünglich beabsichtigte ich diesen dritten und letzten Abschnitt des ersten Teils » Die Zeit der wilden Gährung « zu nennen, musste mir aber sagen, dass wilde Gährung viel länger als bis zum Jahre 1200 gedauert hat, ja, dass um uns herum der Most an manchen Punkten sich noch heute ganz absurd gebärdet. Auch musste ich die geplanten drei Kapitel aufgeben der Kampf im Staat, der Kampf in der Kirche, der Kampf zwischen Staat und Kirche da dies mich viel tiefer ins Historische hineingeführt hätte als mit dem Zweck meines Werkes vereinbar war. Doch glaubte ich in diesen einleitenden Worten jenes ersten Planes und der durch ihn bedingten Studien erwähnen zu sollen, da dadurch die jetzige weitgehende Vereinfachung mit der Einteilung in die zwei Kapitel » Religion « und » Staat « als ein letztes Ergebnis erkannt und gegen etwaige Bedenken geschützt wird. Zugleich wird begreiflich, inwiefern die Idee des Kampfes meine Darstellung beherrscht.

Die Anarchie.

Goethe bezeichnet einmal das Mittelalter als einen Konflikt zwischen Gewalten, welche teils eine bedeutende Selbständigkeit bereits besassen, teils sie zu erringen strebten, und nennt das Ganze eine » aristokratische Anarchie. « 1)Annalen, 1794.Für den Ausdruck » aristokratisch « möchte ich nicht einstehen, denn er impliziert stets auch wenn als Geistesaristokratie aufgefasst Rechte der Geburt; wogegen jene mächtige Gewalt, die Kirche, jedes angeborene Recht leugnet: selbst die von einem ganzen Volke anerkannte Erbfolge verleiht einem Monarchen die Legitimität nicht, wenn nicht die Kirche sie aus freien Stücken be - stätigt; das war (und ist noch heute) die kirchenrechtliche Theorie Roms, und die Geschichte bietet uns zahlreiche Beispiele davon, dass Päpste Nationen von ihrem Treueeid entbunden und zur Empörung gegen ihren rechtmässigen König aufgefordert haben. In ihrer eigenen Mitte anerkennt die Kirche keinerlei individuelle Rechte; weder Geburts - noch Geistesadel besitzen für sie Bedeutung. Und kann man sie auch gewiss nicht eine demokratische Gewalt nennen, so darf man sie noch weniger als eine aristokratische auffassen; jede Logokratie war ihrem tiefsten Wesen nach stets anti-aristokratisch und zugleich anti -537Einleitendes.demokratisch. Ausserdem regten sich in jener von Goethe aristo - kratisch genannten Zeit andere, echt demokratische Gewalten. Als freie Männer waren die Germanen in die Geschichte eingetreten, und lange Jahrhunderte hindurch besassen ihre Könige ihnen gegenüber weit weniger Gewalt als über ihre besiegten Unterthanen aus dem römischen Länderkomplex. Diese Rechte zu schmälern und bald abzuschaffen, dazu genügte der doppelte Einfluss Roms: als Kirche und als Gesetz. 1)Deutlicher als in allgemeinen Geschichtswerken, weil mit anschaulicher Ausführlichkeit, in Savigny’s: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter zu ver - folgen; siehe namentlich im vierten Kapitel des ersten Bandes die Abschnitte über die Freien und die Grafen.Doch ganz unterdrückt konnte der Drang nach Freiheit nie werden, in jedem Jahrhundert sehen wir ihn sich regen, einmal im Norden, ein anderes Mal im Süden, bald als Freiheit zu denken und zu glauben, bald als einen Kampf um städtische Privi - legien, um Handel und Wandel, um die Wahrung von Standesrechten, oder als Empörung gegen solche, bald auch in der Form von Ein - fällen noch ungebundener Völker in die halb-organisierte Masse der nachrömischen Reiche. Dass dagegen dieser Zustand eines allseitigen Kampfes Anarchie bedeute, darin müssen wir Goethe unbedingt beipflichten. An Gerechtigkeit zu denken, hatte damals selten ein vereinzelter grosser Mann die Zeit; im Übrigen verfocht jede Gewalt rücksichtslos ihre eigenen Ziele, ohne die Rechte Anderer in Betracht zu ziehen: das war eine Existenzbedingung. Moralische Bedenken dürfen hier unser Urteil nicht beeinflussen: je rücksichts - loser eine Gewalt sich äusserte, um so lebensfähiger erwies sie sich. Beethoven sagt einmal: » Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor Andern auszeichnen «; Kraft war ebenfalls die Moral jener Epoche der ersten wilden Gährung. Erst als die Bildung von Nationalitäten deutlich zu werden begann, als in Kunst, Wissenschaft und Philo - sophie der Mensch seiner selbst wieder bewusst wurde, als er durch Organisation zur Arbeit, durch die Bethätigung seiner erfinderischen Gaben, durch das Erfassen idealer Ziele von Neuem in den Zauber - kreis echter Kultur, » in das Tageslicht des Lebens « trat, erst dann fing die Anarchie an zu weichen, oder vielmehr sie ward zu Gunsten einer endgültige Gestalt annehmenden neuen Welt und neuen Kultur nach und nach eingedämmt. Dieser Vorgang dauert noch heute fort, wo wir in jeder Beziehung in einer » mittleren Zeit « leben;2)Siehe S. 11. doch ist538Der Kampf.der Kontrast zwischen der früheren reinen Anarchie und der ge - mässigten Anarchie unserer Zeit auffallend genug, um den prinzipiellen Unterschied scharf hervortreten zu lassen. Den Höhepunkt erreichte die politische Anarchie wohl im 9. Jahrhundert; man vergleiche mit ihm das 19., und man wird zugeben müssen: trotz unserer Revolutionen und blutigen Reaktionen, trotz Tyrannei und Königsmord, trotz des ununterbrochenen Gährens hier und dort, trotz der Verschiebungen des Besitzstandes verhielt sich unser Säculum zu jenem wie der Tag zur Nacht.

In diesem Abschnitt handelt es sich um jene Zeit, wo es fast einzig Kampf gab. Später, sobald nämlich Kultur dämmerte, findet eine Verschiebung des Schwerpunktes statt; zwar dauert der äussere Kampf noch fort und mancher brave Geschichtsforscher erblickt auch ferner nur Päpste und Könige, Fürsten und Bischöfe, Adel und Innungen, Schlachten und Verträge; doch steht fortan neben diesen eine neue, unüberwindliche Gewalt, welche den Geist der Menschheit ummodelt, ohne dass jene anarchische Kraft-Moral bei ihr zur Anwendung käme; ohne zu kämpfen, siegt sie. Die Summe von Geistesarbeit, welche zur Entdeckung des heliozentrischen Weltsystems führte, hat das Fundament, auf welchem die kirchliche Theologie und damit zugleich die kirchliche Gewalt ruhte, ein für allemal unterminiert wie lang - sam und allmählich sich das auch herausstellen mag;1)Augustinus sah das recht wohl ein und gesteht ausdrücklich (De civitate Dei XVI, 9): wenn die Welt rund ist und Menschen leben an den Antipoden, » deren Füsse den unseren entgegengesetzt sind «, Menschen, durch Oceane von uns getrennt, deren Entwickelung ausserhalb unserer Geschichte vor sich geht, dann hat die heilige Schrift » gelogen «. Augustinus muss eben als wahrhaftiger Mann gestehen, dass dann der Heilsplan, wie ihn die Kirche lehrt, sich als durchaus unzureichend erweist und darum eilt er zu dem Schlusse: die Annahme solcher Antipoden und unbekannter Menschenrassen sei absurd, nimis absurdum est. Was hätte er erst bei der Feststellung des heliozentrischen Systems gesagt, sowie bei der Entdeckung, dass ungezählte Millionen von Welten sich im Raume bewegen? die Einführung des Papiers und die Erfindung des Druckes haben das Denken zu einer Weltmacht erhoben; aus dem Schosse der reinen Wissenschaft gehen jene Entdeckungen hervor, welche, wie Dampf und Elektricität, das Leben der gesamten Menschheit und auch die rein materiellen Kraft - verhältnisse der Völker vollkommen umwandeln;2)So z. B. ist die arme Schweiz im Begriff, einer der reichsten Industrie - staaten zu werden, da sie ihre ungeheure Menge Wasserkraft fast kostenlos in Elektricität umwandeln kann. der Einfluss der539Einleitendes.Kunst und der Philosophie z. B. solcher Erscheinungen wie Goethe’s und Kant’s ist unberechenbar gross. Hierauf komme ich aber erst in dem zweiten Teil dieses Bandes, welcher die Entstehung einer neuen germanischen Welt behandelt, zurück; dieser Abschnitt soll lediglich dem Kampfe der grossen, um Besitz und Vorherrschaft ringenden Gewalten gelten.

Wollte ich nun hier, wie das sonst zu geschehen pflegt, undReligion und Staat. wie ich es selber ursprünglich geplant hatte, dem Staat die Kirche ent - gegenstellen, nicht die Religion, und von dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche reden, so liefen wir Gefahr, in lauter Schemen uns zu bewegen. Denn die römische Kirche ist selber in allererster Reihe eine politische, d. h. also eine staatliche Macht; sie erbte die römische Imperiumsidee und, im Bunde mit dem Kaiser, vertrat sie die Rechte eines angeblich göttlich eingesetzten, unumschränkt all - mächtigen Universalreiches gegen germanische Tradition und ger - manischen nationalen Gestaltungstrieb. Religion kommt hierbei nur als ein Mittel zur innigen Amalgamierung aller Völker in Betracht. Schon seit uralten Zeiten war in Rom der pontifex maximus der oberste Beamte der Hierarchie, judex atque arbiter rerum divinarum humanarum - que, dem (nach der rechtlichen Theorie) der König und später die Konsuln untergeordnet waren. 1)Siehe namentlich Leist: Graeco-italische Rechtsgeschichte, § 69.Freilich hatte der ausserordentlich ent - wickelte politische Sinn der alten Römer verhindert, dass der pontifex maximus jemals seine theoretische Gewalt als Richter aller göttlichen und menschlichen Dinge missbrauchte, genau so wie die nach der rechtlichen Fiktion unbeschränkte Gewalt des paterfamilias über Leben und Tod der Seinigen zu keinen Ausschreitungen Anlass gab;2)Vergl. S. 178. die Römer waren eben das extremste Gegenteil von Anarchisten ge - wesen. Jetzt aber, im entfesselten Menschenchaos, lebten der Titel und mit ihm seine Rechtsansprüche wieder auf; denn niemals hat man so viel vom theoretischen » Recht « gehalten, niemals so unaufhörlich auf verbrieften Rechtstiteln herumgeritten, wie in dieser Zeit, wo einzig Gewalt und Tücke regierten. Perikles hatte gemeint, das ungeschriebene Gesetz stehe höher als das geschriebene; jetzt dagegen galt nur das geschriebene Wort; ein Kommentar des Ulpian, eine Glosse des Tribonian auf ganz andere Verhältnisse berechnet entschied jetzt in Ewigkeit als ratio scripta über die Rechte ganzer Völker; ein Per -540Der Kampf.gament mit einem Siegel daran legalisierte jedes Verbrechen. Die Erbin, Verwalterin und Verbreiterin dieser staatsrechtlichen Auffassung war die Stadt Rom mit ihrem pontifex maximus, und selbstverständ - lich nützte sie diese Prinzipien zu ihrem eigenen Vorteil. Zu gleicher Zeit aber war die Kirche die Erbin der jüdischen hierokratischen Staats - idee, mit dem Hohenpriester als oberster Gewalt; die Schriften der Kirchenväter vom 3. Jahrhundert ab sind so gesättigt mit den Vor - stellungen und Aussprüchen des Alten Testamentes, dass man gar nicht bezweifeln kann, die Errichtung eines Weltstaates mit Zugrunde - legung des jüdischen Priesterregimentes sei ihr Ideal gewesen. 1)Natürlich sind die ältesten, die wie Origenes, Tertullian u. s. w., keine Ahnung einer möglichen vorherrschenden Stellung des Christentums besassen, auszunehmen.In diesen Beziehungen ist offenbar, ich wiederhole es, die römische Kirche als eine rein politische Macht aufzufassen: hier steht nicht eine Kirche einem Staate gegenüber, sondern ein Staat dem anderen, ein politisches Ideal einem anderen politischen Ideal.

Doch ausser dem Kampf im Staate, der nirgends so scharf und unerbittlich wütete, wie in dem Ringen zwischen römisch - imperialen und germanisch-nationalen Vorstellungen, sowie zwischen jüdischer Theokratie und christlichem » Gebet Cäsar, was Cäsar’s ist «, gab es einen anderen, gar bedeutungsschweren Kampf: den um die Religion selbst. Und dieser ist in unserem 19. Jahrhundert eben - sowenig beendet wie jener. In unseren laïsierten Staaten schienen zu Beginn des Säculums die religiösen Gegensätze alle Schärfe ver - loren zu haben, unser Jahrhundert hatte sich als eine Epoche der unbedingten Toleranz angelassen; doch seit dreissig Jahren sind die kirchlichen Hetzer wiederum eifrig am Werke, und so finster umhüllt uns noch die Nacht des Mittelalters, dass gerade auf diesem Gebiete jede Waffe als gut gilt und sich thatsächlich als gut bewährt, und sei es auch Lüge, Geschichtsfälschung, politische Pression, gesell - schaftlicher Zwang. In diesem Kampf um die Religion handelt es sich in der That um keine Kleinigkeit. Unter einem Dogmenstreit, so subtil, dass er dem Laien nichtig und insofern gänzlich gleichgültig dünkt, schlummert nicht selten eine jener für die ganze Lebensrichtung eines Volkes entscheidenden seelischen Grundfragen. Wie viele Laien z. B. giebt es in Europa, welche fähig sind, den Gegenstand des Streites über die Natur des Abendmahles zu verstehen? Und doch war es das Dogma von der Transsubstantiation (im Jahre 1215 erlassen, genau541Einleitendes.in demselben Augenblick, wo die Engländer ihrem König die Magna Charta abtrotzten), welches die unausbleibliche Spaltung von Europa in mehrere feindliche Lager herbeiführte. Zu Grunde liegen hier Rassenunterschiede. Doch ist Rasse, wie wir gesehen haben, ein plastisch bewegliches, vielfach zusammengesetztes Wesen, und fast überall ringen in ihr verschiedene Elemente um die Vorherrschaft; nicht selten hat der Sieg eines religiösen Dogmas die Präponderanz des einen Elements über das andere entschieden und damit zugleich die ganze fernere Entwickelung der Rasse oder Nation bestimmt. Das betreffende Dogma selbst hatte vielleicht auch der grösste Doktor nicht verstanden, denn es handelte sich um ein Unaussprechbares, Unausdenkbares; doch bei solchen Dingen ist die Richtung das Entscheidende, mit anderen Worten die Orientierung des Willens (wenn ich mich so ausdrücken darf). Und so begreift man leicht, wie Staat und Religion auf einander wirken können und müssen, und zwar nicht allein in dem Sinne eines Wettstreites zwischen universeller Kirche und nationaler Regierung, sondern auch dadurch, dass der Staat die Mittel besitzt (und bis vor Kurzem fast unbeschränkt besass), eine in der Religion sich äussernde, moralisch-intellektuelle Richtung auszurotten und damit zugleich sein Volk in ein anderes umzuwandeln, oder umgekehrt dadurch, dass der Staat selber, durch eine bis zum end - gültigen Siege durchgedrungene religiöse Anschauung auf völlig neue Bahnen gelenkt wird. Ein unbefangener Blick auf die heutige Karte Europa’s wird nicht bezweifeln lassen, dass die Religion ein mächtiger Faktor in der Entwickelung der Staaten und somit auch aller Kultur war und ist. 1)Besonders schön von Schiller am Anfang des I. Teiles seines Dreissig - jährigen Krieges ausgeführt.Nicht allein zeigt sie Charakter, sie zeugt ihn auch.

Ich glaube also meinem Zweck gemäss zu handeln, wenn ich aus dieser Epoche des Kampfes als die zwei Hauptzielpunkte alles Kämpfens die Religion und den Staat herausgreife: den Kampf in der Religion und um die Religion, den Kampf im Staate und um den Staat. Nur muss ich mich gegen die Auffassung verwahren, als postulierte ich zwei völlig getrennte Wesenheiten, die nur durch die Fähigkeit, auf einander zu wirken, zu einem Ganzen verbunden würden; vielmehr bin ich der Ansicht, dass die gerade heute so beliebte völlige Absonderung des religiösen Lebens vom staatlichen auf einem bedenklichen Urteilsfehler beruht. In Wahrheit ist sie unmöglich. 542Der Kampf.In früheren Jahrhunderten pflegte man die Religion die Seele, den Staat den Leib zu nennen1)Z. B. Gregor II. in seinem viel genannten Brief an Kaiser Leo den Isaurier.; doch heute, wo die innige Verknüpfung von Seele und Leib im Individuum uns immer gegenwärtiger wird, so dass wir kaum wissen, wo wir eine Grenze annehmen sollen, heute sollte uns jene Unterscheidung eher stutzig machen. Wir wissen, dass sich hinter einem Streite über Rechtfertigung durch den Glauben und Rechtfertigung durch die Werke, der sich ganz und gar im Forum der Seele abzuspielen scheint, recht » leibliche « Dinge enthüllen können; der Gang der Geschichte hat es uns gezeigt; und andererseits sehen wir die Gestaltung und den Mechanismus des staatlichen Leibes in weitreichendem Masse bestimmend auf die Be - schaffenheit der Seele wirken (z. B. Frankreich seit der Bartholo - mäusnacht und den Dragonaden). In den entscheidenden Augen - blicken fallen die Begriffe Staat und Religion völlig zusammen; ohne Metapher kann man behaupten, dass für den alten Römer sein Staat seine Religion, für den Juden dagegen seine Religion sein Staat war; und auch heute, wenn der Soldat sich in die Schlacht stürzt mit dem Rufe: für Gott, König und Vaterland! so ist das Religion und zugleich Staat. Dennoch, und trotz der Notwendigkeit einer solchen Verwahrung, dürfte die Unterscheidung sich als praktisch erweisen, praktisch für eine schnelle Uebersicht jener Gipfelpunkte der Geschichte und praktisch für die spätere Anknüpfung an die Erscheinungen und Strömungen unseres Jahrhunderts.

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SIEBENTES KAPITEL RELIGION

Begreifet wohl das Vorwärtsdrängen der Religion, thut was an euch liegt, um es zu fördern und suchet hierin eure Pflicht zu erfüllen. Zoroaster.
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Schon bei einer früheren Gelegenheit (siehe S. 250) habe ichChristus und Christentum. meine persönliche Überzeugung ausgesprochen, dass das Erdenleben Jesu Christi Ursprung und Quelle, Kraft und im tiefsten Grund auch Inhalt alles dessen ausmache, was jemals sich christliche Religion genannt hat. Das Gesagte will ich nicht wiederholen, sondern ver - weise ein für alle Mal auf das Kapitel über die Erscheinung Jesu Christi. Habe ich nun dort diese Erscheinung gänzlich aus allem historisch gewordenen Christentum herausgelöst, so beabsichtige ich hier das ergänzende Verfahren anzuwenden, indem ich von der Ent - stehung und dem Werden der christlichen Religion spreche und einige leitende Grundideen möglichst klar heraus - und hervorzuheben versuche, ohne die unantastbare Gestalt des Gekreuzigten auch nur zu berühren. Diese Scheidung ist nicht nur möglich, sondern notwendig; denn es wäre blasphematorische Kritiklosigkeit, die wunderlichen Strukturen, welche menschlicher Tiefsinn, Scharfsinn, Kurzsinn, Wirrsinn, Stumpf - sinn, welche Tradition und Frömmigkeit, Aberglaube, Bosheit, Dummheit, Herkommen, philosophische Spekulation, mystische Ver - senkung unter nie endendem Zungengezänk und Schwerter - geklirr und Feuergeprassel auf dem einen Felsen errichtet haben, mit dem Felsen selbst identifizieren zu wollen. Der gesamte Oberbau der bisherigen christlichen Kirchen steht ausserhalb der Persönlichkeit Jesu Christi. Jüdischer Wille gepaart mit arischem mythischen Denken haben den Hauptstock geliefert; dazu kam noch Manches aus Syrien, Ägypten u. s. w.; die Erscheinung Christi auf Erden war zunächst nur die Veranlassung zu dieser Religionsbildung, das treibende Mo - ment etwa wie wenn der Blitz durch die Wolken fährt und nun der Regen zur Erde herabfliesst, oder wie wenn auf gewisse Stoffe, die sonst keine Verbindung mit einander eingehen, plötzlich Sonnen - strahlen fallen und jene nunmehr, vom Lichte innerlich umgewandelt, unter zerstörendem Sprengen ihrer bisherigen Raumgrenzen zu einer neuen Substanz verschmelzen. Gewiss wäre es wenig einsichtsvoll,Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 35546Der Kampf.wollte man den Blitz, wollte man den Sonnenstrahl an diesen seinen Wirkungen messen und erkennen. Alle die auf Christus bauten, wollen wir dafür, dass sie es thaten, verehren, im Übrigen aber uns weder Blick noch Urteil trüben lassen. Es giebt nicht allein eine Vergangenheit und Gegenwart, es giebt auch eine Zukunft; für diese müssen wir unsere volle Freiheit bewahren. Ich bezweifle, ob man die Vergangenheit in ihrem Verhältnis zur Gegenwart überhaupt richtig zu beurteilen ver - mag, wenn nicht eine lebendige Ahnung der Bedürfnisse der Zukunft den Geist emporträgt. Auf dem Boden der Gegenwart allein streift der Blick zu sehr à fleur de terre, um die Zusammenhänge über - sehen zu können. Ein Christ war es, und zwar einer, welcher der römischen Kirche sympathisch gegenüberstand, der am Morgen dieses Jahrhunderts sprach: » Das neue Testament ist uns noch ein Buch mit sieben Siegeln. Am Christentum hat man Ewigkeiten zu stu - dieren. In den Evangelien liegen die Grundzüge künftiger Evange - lien. « 1)Novalis: Fragmente. Wer die Geschichte des Christentums aufmerksam betrachtet, sieht sie überall und immer im Flusse, überall und immer in einem inneren Kampfe begriffen. Wer dagegen im Wahne lebt, das Christen - tum habe nunmehr seine verschiedenen endgültigen Gestaltungen an - genommen, übersieht, dass selbst die römische Kirche, welche für besonders konservativ gilt, in jedem Jahrhundert neue Dogmen her - vorgebracht hat, während alte (allerdings minder geräuschvoll) zu Grabe getragen wurden; er übersieht, dass gerade diese so fest ge - gründete Kirche noch in unserem Jahrhundert Bewegungen, Kämpfe und Schismen erlebt hat wie kaum eine zweite. Ein Solcher wähnt: da der Entwickelungsprozess zu Ende sei, so halte er jetzt das Facit des Christentums in Händen, und aus dieser ungeheuerlichen An - nahme konstruiert er in seinem frommen Herzen nicht allein Gegen - wart und Zukunft, sondern auch die Vergangenheit. Noch viel unge - heuerlicher ist freilich die Annahme, das Christentum sei eine aus - gelebte, abgethane Erscheinung, die sich nur noch nach dem Gesetz der Trägheit auf absehbare Zeiten weiterbewege; und doch schrieb mehr als ein » Ethiker « in den letzten Jahren den Nekrolog des Christentums, redete von ihm wie von einem nunmehr abgeschlossenen geschichtlichen Experiment, an dem sich Anfang, Mitte und Ende analytisch vordemonstrieren lasse. Der Urteilsfehler, der diesen beiden entgegengesetzten Ansichten zu Grunde liegt, ist, wie man sieht,547Religion.ungefähr der gleiche, er führt zu ebenfalls gleich falschen Schlüssen. Vermieden wird er, wenn man den ewig sprudelnden, ewig sich gleichbleibenden Quell erhabenster Religiosität, die Erscheinung Christi, von den Notbauten unterscheidet, welche die wechselnden religiösen Bedürfnisse, die wechselnden geistigen Ansprüche der Menschen und was noch weit entscheidender ist die grundverschiedenen Gemütsanlagen ungleicher Menschenrassen als Gesetz und Tempel für ihre Andacht errichteten.

Die christliche Religion nahm ihren Ursprung in einer sehr eigen -Das religiöse Delirium. tümlichen Zeit, unter Bedingungen so ungünstig wie nur denkbar für die Errichtung eines einheitlichen, würdigen, festen Baues. Gerade in jener Gegend, wo ihre Wiege stand, nämlich im westlichsten Asien, nörd - lichsten Afrika und östlichsten Europa, hatte eine eigentümliche Durch - dringung der verschiedenartigsten Superstitionen, Mythen, Mysterien und Philosopheme stattgefunden, wobei alle an Eigenart und Wert wie nicht anders möglich eingebüsst hatten. Man vergegenwärtige sich zunächst den damaligen politisch-sozialen Zustand jener Länder. Was Alexander begonnen, hatte Rom in gründlicherer Weise voll - endet: es herrschte in jenen Gegenden ein Internationalismus, von dem wir uns heute schwer einen Begriff machen können. Die Bevölke - rungen der massgebenden Städte am Mittelländischen Meere und in Kleinasien entbehrten jeglicher Rasseneinheit: in Gruppen lebten Hellenen, Syrier, Juden, Semiten, Armenier, Ägypter, Perser, römische Soldaten - kolonien, Gallier u. s. w. u. s. w. durcheinander, von zahllosen halb - schlächtigen Menschen umgeben, in deren Adern alle individuellen Charaktere sich zur vollkommenen Charakterlosigkeit gemischt hatten. Das Vaterlandsgefühl war gänzlich geschwunden, weil jeder Bedeutung bar; gab es doch weder Nation, noch Rasse; Rom war für diese Menschen etwa, was für unsern Pöbel die Polizei ist. Diesen Zustand habe ich durch die Bezeichnung Völkerchaos zu charakterisieren und in dem vierten Kapitel dieses Werkes anschaulich zu machen ver - sucht. Durch dieses Chaos wurde nun ein zügelloser Austausch der Ideen und Gebräuche vermittelt; eigene Sitte, eigene Art war hin, fieberhaft suchte der Mensch in einem willkürlichen Durcheinander fremder Sitten und fremder Lebensauffassungen Ersatz. Wirklichen Glauben gab es fast gar nicht mehr. Selbst bei den Juden sonst inmitten dieses Hexensabbats eine so rühmliche Ausnahme schwankte er nicht unbedenklich in weitauseinandergehenden Sekten. Und doch, noch niemals erlebte die Welt einen derartigen religiösen Taumel,35*548Der Kampf.wie er sich dazumal von den Ufern des Euphrats bis nach Rom fort - pflanzte. Indischer Mysticismus, der unter allerhand Entstellungen bis nach Kleinasien eingedrungen war, chaldäische Sternenverehrung, zoroastri - scher Ormuzddienst und die Feueranbetung der Magier, ägyptische Askese und Unsterblichkeitslehre, syrisch-phönizischer Orgiasmus und Sakramentswahngedanke, samothrakische, eleusinische und allerhand andere hellenische Mysterien, wunderlich verlarvte Auswüchse pythago - reischer, empedokleischer und platonischer Metaphysik, mosaische Pro - paganda, stoische Sittenlehre das alles kreiste und schwirrte durcheinander. Was Religion ist, wussten die Menschen nicht mehr, versuchten es aber mit allem, von dem einen unklaren Bewusstsein getrieben, dass ihnen etwas geraubt war, was dem Menschen so nötig ist, wie der Erde die Sonne. In diese Welt fiel das Wort Christi; von diesen fieberkranken Menschen wurde das sichtbare Gebäude der christ - lichen Religion zunächst aufgeführt; die Spuren des Deliriums ver - mochte es nie ganz abzuschütteln.

Die zwei Grundpfeiler.
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Die Geschichte der Entstehung der christlichen Theologie ist denn auch eine der verwickeltsten und schwierigsten, die es überhaupt giebt. Wer mit Ernst und Freimut daran geht, wird heute viele und tief-anregende Belehrung empfangen, zugleich aber einsehen müssen, dass gar Vieles noch recht dunkel und unsicher ist, sobald nicht theoretisiert, sondern der wirkliche Ursprung einer Idee historisch nach - gewiesen werden soll. Eine endgültige Geschichte, nicht der Ent - wickelung der Lehrmeinungen innerhalb des Christentums, sondern der Art und Weise, wie aus den verschiedensten Ideenkreisen Glaubens - sätze, Vorstellungen, Lebensregeln in das Christentum eindrangen und dort heimisch wurden, kann noch nicht geschrieben werden; doch ist schon genug geschehen, damit ein Jeder erkennen kann, dass hier ein Legieren (wie der Chemiker sagt) der verschiedensten Metalle statt - gefunden hat. Der Zweck dieses Werkes gestattet mir nicht, diesen kom - plizierten Gegenstand einer genauen Analyse zu unterziehen, auch besässe ich dazu nicht die geringste Kompetenz;1)Besondere Werke namhaft zu machen, kommt mir wohl kaum zu; die Litteratur ist selbst in ihrem für uns Laien zugänglichen Teile eine grosse; die Hauptsache ist, dass man aus verschiedenen Quellen Belehrung schöpfe und sich nicht bei der Kenntnis der Allgemeinheiten beruhige. So sind z. B. die kurzen Lehr - bücher von Harnack, Müller, Holtzmann etc. in dem Grundriss der theologischen Wissenschaften (Freiburg bei Mohr) unschätzbar; ich habe sie fleissig benützt; doch wird gerade der Laie unendlich mehr aus grösseren Werken, wie z. B. aus Neander’s zunächst wird es genügen,549Religion.wenn wir die zwei Hauptstämme das Judentum und das Indo - europäertum betrachten, aus denen fast die gesamte Struktur auf - gezimmert worden ist und die das Zwitterwesen der christlichen Religion von Anfang an bis auf den heutigen Tag bedingen. Freilich wurde später manches Jüdische und Indoeuropäische durch den Einfluss des Völker - chaos, und zwar namentlich Ägyptens, bis zur Unkenntlichkeit gefälscht, so z. B. durch die Einführung des Isiskultus (Mutter Gottes) und der magischen Stoffverwandlung, doch ist auch hier die Kenntnis des Grund - gebäudes unentbehrlich. Alles Übrige ist im Verhältnis nebensächlich; so um nur ein Beispiel zu nennen die offizielle Einführung der stoischen Lehren über Tugend und Glückseligkeit ins praktische Christen - tum durch Ambrosius, der, in seiner Schrift De officiis ministrorum einen Abklatsch von Cicero’s De officiis gab, welch Letzterer wiederum vom Griechen Panaetius abgeschrieben hatte. 1)Ambrosius giebt dies auch implicite zu, siehe I. 24. Manches ist ja eine fast wörtliche Kopie. Wie viel bedeutender sind aber auch seine selbständigen Sachen, wie die Rede auf den Tod des Kaisers Theodosius, mit dem schönen, immer wiederkehrenden Refrain: » Dilexi! ich habe ihn geliebt! «Ohne Bedeutung ist so etwas gewiss nicht; Hatch zeigt z. B. in seinem Vortrag » über griechische und christliche Ethik «, dass die Moral, die heute in unserem praktischen Leben Gültigkeit besitzt, viel mehr stoische als christliche Elemente umfasst. 2)The influence of Greek ideas etc., p. 139 170. In diesem Vortrag kommt Hatch auf die genannte Schrift des Ambrosius zu sprechen und meint, sie sei durch und durch, nicht allein in der Anlage, sondern auch in der Ausführung der Details stoisch. Zwar werde überall das Christliche hinzugefügt, doch lediglich als Zusatz; die Grund - begriffe der Weisheit, der Tugend, der Gerechtigkeit, der Mässigkeit seien unge - schminkte griechisch-römische Lehren aus der vorchristlichen Zeit.Doch haben wir schon früher gesehen, dass Religion und Moral ziemlich unabhängig von einander bleiben (siehe S. 222 u. 456), überall dort wenigstens, wo jene von Christus gelehrte1)Kirchengeschichte, aus Renan’s: Origines du Christianisme u. s. w. lernen. Noch lehr - reicher, weil eine grössere Anschaulichkeit vermittelnd, sind die Werke der Specia - listen, so z. B. Ramsay: The Church in the Roman empire before A. D. 170 (1895, auch in deutscher Uebersetzung), Hatch: The influence of Greek ideas and usages upon the Christian Church (ed. 1897), Hergenröther’s grosses Werk: Photius, sein Leben, seine Schriften und das griechische Schisma, welches mit der Gründung Constantinopel’s be - ginnt und somit das Werden der griechischen Kirche von Anfang an mit voller Aus - führlichkeit darlegt, Hefele: Konziliengeschichte u. s. w. ad. inf. Unsereiner kann natürlich nur von einem kleinen Bruchteil dieser Litteratur ausführlich Kenntnis nehmen; doch, ich wiederhole es (weil es heutzutage zu häufig verkannt wird), nur aus Detailschilderungen, nicht aus zusammenfassenden Überblicken vermag man lebendige Ansicht und Einsicht zu schöpfen.550Der Kampf.» Umkehr « nicht stattgefunden hat; und ist es auch unterhaltend, einen Kirchenvater den Priestern seiner Diöcese die praktisch-weltbürgerliche (um nicht zu sagen rechtsanwältliche) Moral eines Cicero als Muster vorhalten zu sehen, so greift doch derartiges nicht bis auf den Grund des religiösen Gebäudes. Ähnliches liesse sich über manche andere Zuthat ausführen und wird uns später noch beschäftigen.

Jene beiden Hauptpfeiler nun, auf denen die christlichen Theo - logen der ersten Jahrhunderte die neue Religion errichteten, sind: jüdischer historisch-chronistischer Glaube und indoeuropäische symbo - lische und metaphysische Mythologie. Wie ich schon früher aus - führlich dargethan habe, handelt es sich hier um zwei grundverschiedene Weltanschauungen. 1)Siehe namentlich S. 220 fg. und S. 391 fg.Jetzt wurden diese beiden Anschauungen mit einander amalgamiert. Indoeuropäer Männer in hellenischer Poesie und Philosophie grossgezogen gestalteten jüdische Geschichtsreligion so um, wie es ihrem phantasiereichen, nach Ideen dürstenden Geist zusagte; Juden andererseits bemächtigten sich (schon vor der Entstehung des Christentums) der Mythologie und Metaphysik der Griechen, durch - tränkten sie mit dem historischen Aberglauben ihres Volkes, und sponnen aus dem Ganzen ein abstraktes dogmatisches Gewebe, ebenso unfass - bar wie die erhabensten Spekulationen eines Plato und doch zugleich alles Transscendent-Allegorische zu empirischen Gestalten materiali - sierend: auf beiden Seiten also das Walten eines unheilbaren Miss - verständnisses und Unverständnisses, wie es die gewaltsame Ablenkung aus der eigenen Bahn bedingt. Im Christentum diese fremden Elemente zusammenzuschweissen, war das Werk der ersten Jahrhunderte, ein Werk, das natürlich nur unter unaufhörlichem Kampfe gelingen konnte. Auf seinen einfachsten Ausdruck zurückgeführt, ist dieser Kampf ein Wettstreit zwischen indoeuropäischen und jüdischen religiösen Instinkten um die Vorherrschaft. Er bricht sofort nach dem Tode Christi aus zwischen den Judenchristen und den Heidenchristen, wütet Jahrhunderte lang auf das Heftigste zwischen Gnose und Antignose, zwischen Aria - nern und Athanasiern, wacht in der Reformation wieder auf und wird heute zwar nicht mehr in den Wolken oder auf Schlachtfeldern, jedoch unterirdisch auf das Lebhafteste weitergeführt. Diesen Vorgang kann man sich durch ein Gleichnis deutlich machen. Es ist als nähme man zwei Bäume verschiedener Gattung, köpfte sie und böge sie ohne sie zu entwurzeln gegeneinander und verbände sie dann551Religion.derartig, dass ein jeder das Pfropfreis des anderen würde. Für beide wäre fortan ein Wachstum in die Höhe ausgeschlossen; eine Ver - edelung träte auch nicht ein, sondern eine Verkümmerung, denn eine organische Verschmelzung ist, wie jeder Botaniker weiss, in einem solchen Falle ausgeschlossen und jeder der beiden Bäume (falls die Operation den Tod nicht herbeigeführt hätte) würde fortfahren, seine eigenen Blätter und Blüten zu tragen, und im Gewirr des Laubes stiesse überall Fremdes unmittelbar auf Fremdes. 1)Hamann deutet, wie ich nachträglich sehe, diesen Vergleich an: » Gehen Sie in welche Gemeinde der Christen Sie wollen, die Sprache auf der heiligen Stätte und ihr Vaterland und ihre Genealogie verraten, dass sie heidnische Zweige sind, gegen die Natur auf einen jüdischen Stamm gepfropft «. (Vergl. Römer XI, 24.)Genau also ist es dem christlichen Religionsgebäude ergangen. Unvermittelt stehen jüdische Religionschronik und jüdischer Messiasglaube neben der mys - tischen Mythologie der hellenischen Décadence. Nicht allein ver - schmelzen sie nicht, sondern in den wesentlichsten Punkten wider - sprechen sie sich. So z. B. die Vorstellung der Gottheit: hier Jahve, dort die altarische Dreieinigkeit. So die Vorstellung des Messias: hier die Erwartung eines Helden aus dem Stamme David’s, der den Juden die Weltherrschaft erobern wird, dort der Fleisch gewordene Logos, anknüpfend an metaphysische Spekulationen, welche die griechischen Philosophen seit 500 Jahren vor Christi Geburt beschäftigten. 2)Ich sage 500 Jahre, denn über die Identität des Logos und des Nus siehe Harnack: Dogmengeschichte § 22.Christus, die unableugbare historische Persönlichkeit, wird in beide Systeme hineingezwängt: für den jüdischen historischen Mythus muss er den Messias abgeben, wenngleich sich Keiner weniger dazu eignete; in dem neoplatonischen Mythus bedeutet er die flüchtige, unbegreifliche Sichtbarwerdung eines abstrakten Gedankenschemas er! das moralische Genie in seiner höchsten Potenz, die gewaltigste Individualität, die je - mals auf Erden gelebt!

Jedoch, wie sehr auch das notwendig Schwankende, Unzuläng - liche eines solchen Zwitterwesens einleuchten muss, man kann sich kaum vorstellen, wie in jenem Völkerchaos eine Weltreligion ohne das Zu - sammenwirken dieser beiden Elemente hätte entstehen können. Freilich, hätte Christus zu Indern oder Germanen gepredigt, so hätten wir seinem Worte eine andere Wirkung zu danken gehabt! Nie hat es eine weniger christliche Zeit gegeben wenn mir das Paradoxon erlaubt ist als diejenigen Jahrhunderte, in denen die christliche Kirche ent -552Der Kampf.stand. An ein wirkliches Verständnis der Worte Christi war damals nicht zu denken. Doch als nun von ihm in jene chaotische, verratene Menschheit die Anregung zu religiöser Erhebung hineingetragen worden war, wie hätte man für diese armseligen Menschen einen Tempel bauen können, ohne Zugrundelegung der jüdischen Chronik und der jüdischen Anlage, alles konkret-geschichtlich aufzufassen? Diesen Sklavenseelen, die keinen Halt in sich selbst und in dem sie umgeben - den Leben einer echten Nation fanden, war einzig mit etwas durch - aus Greifbarem, Materiellem, dogmatisch Sicherem gedient; sie brauchten ein religiöses Gesetz an Stelle philosophischer Betrachtungen über Pflicht und Tugend; daher waren ja schon viele zum Judentum über - getreten. Allein das Judentum als Willensmacht unschätzbar besitzt nur eine sehr geringe, beschränkt-semitische Gestaltungsfähigkeit; der Baumeister musste also von anderwärts geholt werden. Ohne die Formenfülle und Gestaltungskraft des hellenischen Geistes sagen wir einfach, ohne Homer, Plato und Aristoteles, und im weiteren Hinter - grunde ohne Persien und Indien hätte das äussere kosmogonisch - mythologische Gebäude der christlichen Kirche niemals der Tempel eines weltumspannenden Bekenntnisses werden können. Die frühen Kirchen - lehrer knüpfen sämtlich bei Plato an, die späteren ausserdem bei Ari - stoteles. Über die umfassende litterarische, poetische und philosophische Bildung der ältesten Väter, nämlich der griechischen, kann man sich in Kirchengeschichten unterrichten, und man wird dadurch den Wert dieses Bildungseinflusses für die grundlegenden Dogmen des Christen - tums hochschätzen lernen. Farbe und Leben konnte die indoeuro - päische Mythologie freilich unter so fremden Auspicien nicht erhalten, erst viel später half hier, soweit es ging, die christliche Kunst nach; jedoch, dank dem Einflusse des hellenischen Auges, erhielt diese Mythologie wenigstens eine geometrische und insoferne sichtbare Ge - staltung: die uralte arische Vorstellung von der Dreieinigkeit gab den kunstvoll aufgeführten kosmischen Tempel ab, in welchem der durchaus neuen Religion Altäre errichtet wurden.

Über die Natur dieser beiden wichtigsten konstruktiven Elemente der christlichen Religion müssen wir nun durchaus Klarheit besitzen, sonst giebt es kein Verständnis des unendlich verwickelten Kampfes, der vom ersten Jahrhundert unserer Ära an bis zum heutigen Tage namentlich aber während der ersten Säculi über die Glaubens - sätze dieser Religion tobte. Von den verschiedenen führenden Geistern werden die widersprechenden Auffassungen und Lehren und Instinkte553Religion.des jüdischen und des indoeuropäischen Elementes in den verschie - densten Verhältnissen miteinander gemischt. Betrachten wir also zu - erst den mythologisch gestaltenden Einfluss der indoeuropäischen Welt - auffassung auf die werdende christliche Religion, sodann den mäch - tigen Impuls, den sie aus dem positiven, materialistischen Geist des Judentumes empfing.

Eine ausführlich begründete Unterscheidung zwischen historischerArische Mythologie. Religion und mythischer Religion habe ich im fünften Kapitel gegeben;1)Siehe S. 391 bis 415. ich setze sie hier als bekannt voraus. Die Mythologie ist eine meta - physische Weltanschauung sub specie occulorum. Ihre Besonderheit, ihr Charakter auch ihre Beschränkung besteht darin, dass Ungesehenes durch sie auf ein Geschautes zurückgeführt wird. Der Mythus erklärt nichts, giebt von nichts den Grund an, er bedeutet nicht ein Suchen nach dem Woher und Wohin; ebensowenig ist er eine Morallehre; am allerwenigsten ist er Geschichte. Schon aus dieser einen Ueberlegung erhellt, dass die Mythologie der christlichen Kirche zunächst gar nichts mit alttestamentlicher Chronologie und mit der historischen Erscheinung Christi zu thun hat; sie ist ein neu umge - staltetes und von fremder Hand vielfach verunstaltetes, neuen Be - dürfnissen schlecht und recht angepasstes, altarisches Erbstück. 2)Man versteht, wie der fromme Tertullian, im Heidentum aufgewachsen, von den Vorstellungen der hellenischen Poeten und Philosophen sagen konnte, sie seien den christlichen tam consimilia! (Apol. XLVII).Um klare Vorstellungen über die mythologischen Bestandteile des Christen - tums zu gewinnen, werden wir wohl daran thun, zwischen äusserer und innerer Mythologie zu unterscheiden, d. h. zwischen der mytho - logischen Gestaltung äusserer und der mythologischen Gestaltung innerer Erfahrung. Dass Phöbus seinen Wagen durch den Himmel fährt, ist der bildliche Ausdruck für ein äusseres Phänomen; dass die Erinnyen den Verbrecher verfolgen, versinnbildlicht eine Thatsache des mensch - lichen Innern. Auf beiden Gebieten hat die christliche, mythologische Symbolik sehr tief gegriffen, und » die Symbolik ist nicht bloss Spiegel, sie ist auch Quelle des Dogmas «, wie der orthodox römisch - katholische Wolfgang Menzel sagt. 3)Christliche Symbolik (1854), I, S. VIII.Symbolik als Quelle des Dogmas ist offenbar mit Mythologie identisch.

Als ein vortreffliches Beispiel der nach äusserer Erfahrung ge -Äussere Mythologie. staltenden Mythologie möchte ich vor allem die Vorstellung der Drei -554Der Kampf.einigkeit nennen. Dank dem Einfluss hellenischer Denkart ist die Dogmenbildung der christlichen Kirche um jene gefährlichste Klippe, den semitischen Monotheismus (trotz der heftigen Gegenwehr der Juden - christen) glücklich vorbeigesteuert und hat in ihren sonst bedenklich » verjudeten « Gottesbegriff die heilige Dreizahl der Arier hinübergerettet. 1)Dass die Indoeuropäer ebenfalls im tiefsten Grunde Monotheisten sind, habe ich schon früher, dem weitverbreiteten populären Irrtum entgegen, hervorge - hoben (siehe S. 224 und 402), man |vergleiche auch Jak. Grimm in der Vorrede zu seiner Deutschen Mythologie (S. XLIV XLV) und Max Müller in seinen Vor - lesungen über die Sprachwissenschaft (II, 385). Die Art des Monotheismus bedingt jedoch eine prinzipielle Unterscheidung von der semitischen Auffassung.Dass die Drei bei den Indoeuropäern überall wiederkehrt, ist allbekannt; sie ist, wie Goethe sagt:

die ewig unveraltete, Dreinamig-Dreigestaltete.

Wir finden sie in den drei Gruppen der indischen Götter, später dann (mehrere Jahrhunderte vor Christo) zu der ausführlichen und ausdrück - lichen Dreieinigkeitslehre, der Trimûrti, ausgebildet: » Er, welcher Vishnu ist, ist auch Çiva, und er, welcher Çiva ist, ist auch Brahma: ein Wesen, aber drei Götter. « Und von dem fernen Osten aus lässt sich die Vorstellung bis an die Küsten des Atlantischen Ozeans verfolgen, wo Patricius das Kleeblatt bei den Druiden als Symbol der Dreieinig - keit vorfand. Bei poetisch-metaphysisch beanlagten Stämmen musste sich diese Dreizahl schon früh aufdrängen, denn gerade sie, und sie allein, ist weder ein Zufall (wie die von den Fingern entnommene Fünf - resp. Zehnzahl), noch eine rabbulistisch herausgerechnete Zahl (wie z. B. die von den vermeintlichen sieben Gestirnen entnommene Sieben), sondern sie drückt ein Grundphänomen aus, so zwar, dass die Vorstellung einer Dreieinigkeit fast eher eine Erfahrung als ein Symbol genannt werden könnte. Dass alle menschliche Erkenntnis auf drei Grundformen beruhe Zeit, Raum, Ursächlichkeit hatten schon die Verfasser der Upanishaden ausgesprochen, zugleich, dass daraus nicht eine Dreiheit, sondern (um mit Kant zu sprechen) eine » Einheit der Apperception « erfolge; der Raum sowie die Zeit sind unteilbare Einheiten, besitzen jedoch drei Dimensionen. Kurz, die Dreifaltigkeit als Einheit umringt uns auf allen Seiten als ein Urphänomen der Er - fahrung und spiegelt sich bis ins Einzelne wieder. So hat z. B. die neueste Wissenschaft bewiesen, dass ausnahmslos jedes Element drei555Religion. aber auch nur drei Gestalten annehmen kann: die feste, die flüssige, die luftartige; womit nur weiter ausgeführt wird, was das Volk längst wusste, dass unser Planet aus Erde, Wasser und Luft be - steht. Wie Homer sich ausdrückt:

Dreifach teilte sich Alles.

Geht man derartigen Vorstellungen mit Absichtlichkeit nach, so artet dies bald (wie bei Hegel) in willkürliche Spielerei aus;1)So z. B. die angeblich notwendige Progression der These, Antithese und Synthese, oder wiederum das Ansichsein des Absoluten als Vater, das Anderssein als Sohn, die Rückkehr zu sich als Geist. durchaus keine Spielerei ist dagegen die unwillkürliche, intuitive Ausgestaltung einer allgemeinen, doch nicht analytisch zergliederten (zugleich physischen und metaphysischen) kosmischen Erfahrung zu einem Mythus. Und aus diesem Beispiel ergiebt sich die tröstliche Gewissheit, dass auch im christlichen Dogma der indoeuropäische Geist seinem eigenen Wesen nicht ganz untreu geworden ist, sondern seine Mythen-schaffende Religion noch immer Natursymbolik blieb, wie das bei den Indoeraniern und bei den Slavokeltogermanen von jeher der Fall war. Nur ist freilich hier die Symbolik eine äusserst subtile, weil eben die philo - sophische Abstraktion in den ersten christlichen Jahrhunderten blühte, wogegen die künstlerische Schöpferkraft darniederlag. 2)Siehe den ganzen Schluss des ersten Kapitels.Auch das muss betont werden, dass der Mythus von der grossen Masse der Christen nicht als Symbol empfunden wurde; doch das galt bei den Indern und Germanen mit ihren Licht -, Luft - und Wassergöttern eben - falls; er ist auch nicht bloss Symbol, sondern die gesamte Natur ver - bürgt uns die innere, transscendente Wahrheit eines derartigen Dogmas und sichert seine Fähigkeit zu lebensvoller Weiterentwickelung. 3)Den ägyptischen Triaden hat man wohl früher einen grösseren Einfluss auf die christliche Dogmenbildung zugesprochen, als ihnen wirklich zukommt. Zwar scheint die Vorstellung des Gott-Sohnes in seinem Verhältnis zum Gott-Vater, der Sohn » nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern erzeugt « (buchstäblich wie im Atha - nasischen Glaubensbekenntnis), spezifisch ägyptisch; wir finden sie in allen verschie - denen Göttersystemen der Ägypter wieder; doch ist die dritte Person die Göttin. (Man vergl. Maspero: Histoire ancienne des peuples de l’Orient classique, 1895, I, 151 und Budge: The Book of the Dead, p. XCVI.)

Solcher äusseren oder, wenn man will, kosmischen Mythologie enthält nun das christliche Dogmengebäude eine grosse Menge.

Zunächst so ziemlich Alles, was als Gotteslehre die Vorstellung der Dreieinigkeit ergänzt: das Fleischwerden des Logos, der Paraklet u. s. w. 556Der Kampf.Namentlich ist der Mythus von der Menschwerdung Gottes altindisches Stammgut. Er liegt in dem Einheitsgedanken des allerersten Buches des Rigveda eingeschlossen, tritt uns philosophisch umgestaltet in der Lehre von der Identität des Âtman mit dem Brahman entgegen, und wurde vollendet anschaulich in der Gestalt des Gottmenschen Krishna, zu deren Erklärung der Dichter des Bhagavadgîtâ Gott sprechen lässt: » Immer wieder und immer wieder, wenn Erschlaffung der Tugend eintritt und das Unrecht emporkommt, dann erzeuge ich mich selbst (in Menschengestalt). Zum Schutze der Guten, den Bösen zum Ver - derben, um Tugend zu festigen werde ich auf Erden geboren. « 1)Bhagavadgîtâ, Buch IV, § 7 und 8.Die dogmatische Auffassung des Wesens Buddha’s ist nur eine Modifikation dieses Mythus. Auch die Vorstellung, dass der menschgewordene Gott nur aus dem Leibe einer Jungfrau geboren werden konnte, ist ein alter mythischer Zug und gehört entschieden zu der Klasse der Natursymbole. Jene vielverspotteten Scholastiker, welche nicht allein Himmel und Hölle, sondern auch die Dreieinigkeit, die Menschwerdung, die Partheno - genese u. s. w. in Homer angedeutet und bei Aristoteles ausgesprochen finden wollten, hatten gar nicht Unrecht. Der Altar und die Auf - fassung des heiligen Mahles weisen ebenfalls bei den frühesten Christen eher auf die gemeinsamen arischen Vorstellungen eines symbolischen Naturkultes als auf das jüdische Sühnopfer für den erzürnten Gott (worüber Näheres gegen Schluss des Kapitels). Kurz, kein einziger Zug der christlichen Mythologie kann auf Originalität Anspruch erheben. Freilich erhielten alle diese Vorstellungen im christlichen Lehrgebäude eine weit abweichende Bedeutung nicht aber weil der mythische Hintergrund ein wesentlich verschiedener gewesen wäre, sondern erstens, weil nunmehr im Vordergrund die historische Persönlichkeit Jesu Christi stand, zweitens, weil Metaphysik und Mythus der Indoeuropäer, von den Menschen aus dem Völkerchaos bearbeitet, meistens bis zur Un - kenntlichkeit entstellt wurden. Man hat in unserem Jahrhundert die Erscheinung Christi als Mythus wegerklären wollen;2)Siehe S. 194. die Wahrheit liegt im genauen Gegenteil: Christus ist das einzige nicht Mythische im Christentum; durch Jesus Christus, durch die kosmische Grösse dieser Erscheinung (dazu der historisch-materialisierende Einfluss des jüdischen Denkens) ist gleichsam Mythus Geschichte geworden.

Entstellung der Mythen.
27

Ehe ich nun zur » inneren « Mythenbildung übergehe, muss ich kurz jener fremden umgestaltenden Einflüsse auf das sichtbare Religions -557Religion.gebäude gedenken, durch welche die uns eigenen, angeerbten mythischen Vorstellungen geradezu gefälscht wurden.

Dass z. B. der menschgewordene Gott aus dem Leibe einer Jung - frau geboren werde, war, wie gesagt, eine alte Vorstellung, doch ist der Kultus einer » Mutter Gottes « dem Christentum durch Ägypten vermittelt worden, wo seit etwa drei Jahrhunderten vor Christus das reiche, plastisch-bewegliche, für alles Fremde sehr empfängliche Pan - theon sich dieses Gedankens mit besonderem Eifer angenommen hatte, ihn natürlich, wie alles Ägyptische, zu einem rein empirischen Materialismus umgestaltend. Erst spät gelang es aber dem Isis - kultus, sich den Eintritt in die christliche Religion zu erzwingen. Im Jahre 430 wird die Benennung » Mutter Gottes « von Nestorius als eine gotteslästerliche Neuerung erwähnt; sie war soeben erst in die Kirche eingedrungen! In der mythologischen Dogmengeschichte ist nun nichts so klar nachweisbar wie der unmittelbare, genetische Zusammenhang zwischen der christlichen Anbetung der » Mutter Gottes « und der Anbetung der Isis. In den spätesten Zeiten hatte sich nämlich die Religion des in Ägypten hausenden Völkerchaos immer mehr auf die Anbetung des » Gottessohnes « Horus und seiner Mutter, Isis, beschränkt. Hierüber schreibt der berühmte Ägyptolog Flinders Petrie: » Dieser religiöse Brauch übte auf das werdende Christentum einen mächtigen Einfluss aus. Die Behauptung ist nicht zu gewagt, dass wir ohne die Ägypter in unserer Religion keine Madonna gekannt hätten. Der Kultus der Isis hatte nämlich schon unter den ersten Kaisern eine weite Verbreitung gefunden und war im ganzen römischen Reich so zu sagen Mode geworden; als er dann mit jener anderen grossen religiösen Bewegung verschmolz, so dass hinfürder Mode und tiefe Überzeugung Hand in Hand gehen konnten, war ihm der Sieg gesichert, und seitdem blieb bis auf den heutigen Tag die Göttin Mutter die herrschende Gestalt in der Reli - gion Italiens. « 1)Religion and conscience in ancient Egypt, ed. 1898, p. 46. Alljährlich entdeckt man in den verschiedensten Teilen von Europa neue Beweise von der allgemeinen Verbreitung des Isiskult an allen Orten, bis wohin der Einfluss des römischen Völkerchaos gedrungen war. Der Glaube an die Auferstehung des Leibes und die Mitteilung des unsterblich machenden Stoffes in einem Sakrament waren schon lange vor Christi Geburt Bestandteile dieser Mysterien. Die zahlreichsten Belege findet man im Musée Guimet vereint, da Gallien (nebst Italien) der Hauptsitz des Isiskult warDerselbe Verfasser zeigt dann auch, wie die Ver - ehrung des Horus als eines göttlichen Kindes auf die Vorstellungen558Der Kampt.der römischen Kirche überging, so dass aus dem gedankenschweren, männlich reifen Heilverkünder frühester Darstellungen zuletzt der über - mütige bambino italienischer Bilder wurde. 1)Interessant ist in dieser Beziehung der von demselben Verfasser geführte Nachweis, dass das bekannte, auf alten Monumenten häufige, doch auch heute noch gebräuchliche christliche Monogramm (angeblich khi-rho aus dem griechischen Alphabet) nichts mehr und nichts weniger ist als das in Ägypten übliche Symbol des Gottes Horus! Man sieht, hier arbeitet neben Indoeuropäertum und Judentum auch das Völkerchaos thätig mit an dem Ausbau des christlichen Kirchengebäudes. Ähnliches finden wir bei den Vorstellungen von Himmel und Hölle, von der Auferstehung, von Engeln und Dämonen u. s. w., und zugleich finden wir, dass der mythologische Wert immer mehr abnimmt, bis zuletzt fast blosser Sklavenaberglaube übrig bleibt, der vor den angeblichen Nägeln eines Heiligen fetischartigen Götzendienst verrichtet. Den Unterschied zwischen Aberglaube und Religion habe ich in der zweiten Hälfte des ersten Kapitels zu bestimmen gesucht; zugleich zeigte ich, wie die Wahn - vorstellungen des rohen Volkes im Bunde mit der raffiniertesten Philo - sophie gegen echte Religion erfolgreich anzustürmen begannen, sobald hellenische, poetische Kraft zur Neige ging; das dort Gesagte ist hier anwendbar und braucht nicht wiederholt zu werden (siehe S. 99 bis 106). Schon seit Jahrhunderten vor Christus waren in Griechen - land die sogenannten Mysterien eingeführt, in die man durch Reinigung (Taufe) eingeweiht wurde, um sodann durch den gemein - samen Genuss des göttlichen Fleisches und Blutes (auf griechisch » Mysterion «, auf lateinisch » sacramentum «) Teilhaber des göttlichen Wesens und der Unsterblichkeit zu werden; doch fanden diese Wahn - lehren dort ausschliesslich bei den an Zahl stets zunehmenden » Aus - ländern und Sklaven « Aufnahme, und erregten bei allen echten Hellenen Abscheu und Verachtung. 2)Siehe namentlich die berühmte Rede des Demosthenes De corona, und für eine Zusammenfassung der hierher gehörigen Thatsachen, Jevons: Introduction to the history of religion, 1896, Kap. 23.Je tiefer nun das religiös-schöpferische Be - wusstsein sank, um so kecker erhob dieses Völkerchaos das Haupt. Durch das römische Reich vermittelt, fand eine Amalgamation der ver - schiedensten Superstitionen statt, und als nun Constantius II, am Ende des 4. Jahrhunderts, die christliche Religion zur Staatskirche proklamiert und somit die ganze Schar der innerlich Nicht-Christen in die Gemeinde der Christen hineingezwungen hatte, da stürzten auch die chaotischen559Religion.Vorstellungen des tief entarteten » Heidentums « mit hinein und bildeten fortan wenigstens für die grosse Mehrzahl der Christen einen integrierenden Bestandteil des Dogmas.

Dieser Augenblick bedeutet den Wendepunkt für die Ausbildung der christlichen Religion.

Verzweifelt kämpften edle Christen, namentlich die griechischen Väter, gegen die Verunstaltung ihres reinen einfachen Glaubens, ein Kampf, der nicht seinen wichtigsten, doch seinen heftigsten und be - kanntesten Ausdruck in dem langen Streit um die Bilderverehrung fand. Schon hier ergriff Rom, durch Rasse, Bildung und Tradition dazu veranlasst, die Partei des Völkerchaos. Am Ende des 4. Jahr - hunderts erhebt der grosse Vigilantius, ein Gothe, seine Stimme gegen das pseudo-mythologische Pantheon der Schutzengel und Märtyrer, gegen den Reliquienunfug, gegen das aus dem ägyptischen Serapiskult in das Christentum importierte Mönchswesen;1)Pachomius, der Begründer des eigentlichen Mönchtums, war wie sein Vor - gänger, der Einsiedler Antonius, Ägypter und zwar Oberägypter, und als » national - ägyptischer Serapisdiener « hat er die Praktiken gelernt, die er später fast unverändert ins Christentum übertrug (vergl. Zöckler: Askese und Mönchtum, 2. Aufl. ; S. 193 fg.). doch der in Rom gebildete Hieronymus kämpft ihn nieder und bereichert die Welt und den Kalender durch neue Heilige aus seiner eigenen Phantasie. Die » fromme Lüge « war schon am Werke. 2)Vergl. S. 308. Über die » Rezeption des Heidentums « siehe auch Müller, a. a. O., S. 204 fg.

Soviel nur zur Veranschaulichung der Entstellungen, welche dieInnere Mythologie. äussere Mythengestaltung aus indoeuropäischem Erbe sich hat vom Völkerchaos gefallen lassen müssen. Wenden wir jetzt das Auge auf jene mehr innerliche Mythenbildung, so werden wir hier das indoeuropäische Stammgut in reinerer Gestalt antreffen.

Den Kern der christlichen Religion, den Brennpunkt, auf den alle Strahlen hinstreben, bildet der Gedanke an eine Erlösung des Menschen: dieser Gedanke ist den Juden von jeher und bis auf den heutigen Tag vollkommen fremd; ihrer gesamten Religionsauffassung gegenüber ist er einfach widersinnig;3)Vergl. S. 393 und auch die auf S. 330 citierte Stelle von Prof. Graetz. denn es handelt sich nicht um eine sichtbare, historische Thatsache, sondern um ein unaussprechliches, inneres Erlebnis. Dagegen bildet dieser Gedanke den Mittelpunkt aller indoeranischen Religionsanschauungen; sie alle drehen sich um die Sehnsucht nach Erlösung, um die Hoffnung auf Erlösung; auch560Der Kampf.bei den Hellenen lebt der Gedanke an Erlösung in den Mysterien, ebenso auch als Untergrund zahlreicher Mythen und ist bei Plato sehr deutlich (z. B. im VII. Buch der Republik) zu erkennen, wenn auch, aus dem im ersten Kapitel angegebenen Grunde, die Griechen der Blütezeit die innere, moralische und, wie wir heute sagen würden, pessimistische Seite solcher Mythen wenig hervorkehrten. Der Schwer - punkt lag für sie an anderem Orte:

Nichts sind gegen das Leben die Schätze mir Und doch zugleich mit dieser Hochschätzung des Lebens, als des herr - lichsten aller Güter, das Preislied auf den jung Hinsterbenden:

Schön ist alles im Tode noch, was auch erscheinet. 1)Ilias IX, 401 u. XXII, 73.

Doch wer den tragischen Untergrund der vielgenannten » griechischen Heiterkeit « erblickt, wird geneigt sein, diese » Erlösung in der schönen Erscheinung « als engverwandt mit jenen anderen Vorstellungen der Er - lösung zu erkennen; es ist dasselbe Thema in einem anderen Modus, dur statt moll.

Der Begriff der Erlösung oder sagen wir lieber die mythische Vorstellung2)Dass bei Homer das Wort » Mythos « dem späteren » Logos « entspricht, also gewissermassen jede Rede als Dichtung aufgefasst wird (was sie ja auch offenbar ist), gehört zu jenen Dingen, in denen die Sprache uns die tiefsten Aufschlüsse über unsere eigene Geistesorganisation giebt. der Erlösung umschliesst zwei andere: diejenige einer gegenwärtigen Unvollkommenheit und diejenige einer möglichen Ver - vollkommnung durch irgend einen nicht-empirischen, d. h. also in einem gewissen Sinne übernatürlichen, nämlich transscendenten Vor - gang: die erste wird durch den Mythus der Entartung, die zweite durch den Mythus der von einem höheren Wesen gewährten Gnaden - hilfe versinnbildlicht. Ungemein anschaulich wird der Entartungs - mythus dort, wo er als Sündenfall dargestellt wird, darum ist dies das schönste, unvergänglichste Blatt der christlichen Mythologie; wo - gegen die ergänzende Ahnung der Gnade so sehr ins Metaphysische hinübergreift, dass sie anschaulich kaum mitteilbar gestaltet werden kann. Die Erzählung vom Sündenfall ist eine Fabel, durch welche die Aufmerksamkeit auf eine grosse Grundthatsache des zum Be - wusstsein erwachten Menschenlebens gelenkt wird; sie weckt Er - kenntnis; wogegen die Gnade eine Vorstellung ist, die erst auf eine Erkenntnis folgt und nicht anders als durch eigene Erfahrung er -561Religion.worben werden kann. 1)Zur Etymologie und somit Erläuterung des Wortes Gnade: Grundbe - deutung » neigen, sich neigen «, gothisch » unterstützen «, altsächsisch » Huld, Hilfe «, alt-hochdeutsch » Mitleid, Barmherzigkeit, Herablassung «, mittel-hochdeutsch » Glück - seligkeit, Unterstützung, Huld « (nach Kluge: Etymologisches Wörterbuch).Daher ein grosser und interessanter Unterschied im Ausbau aller echten (mit Ausnahme der semitischen) Religionen je nach der vorwiegenden Begabung der Völker. Dort, wo das Bildende und Bildliche vorwiegt (bei den Eraniern und Europäern, in hohem Masse auch, wie es scheint, bei den Sumero-Akkadiern), tritt die Entartung als » Sündenfall « ungemein plastisch hervor und wird somit zum Mittelpunkt jenes Komplexes innerer Mythenbildung, der um die Vorstellung der Er - lösung sich gruppiert;2)Der Mythus der Entartung bildet bekanntlich einen Grundbestandteil des Vorstellungskreises der uns bis zum Überdruss als » heiter « gepriesenen Griechen. Wäre ich früher gestorben, wo nicht, dann später geboren! Denn jetzt lebt ein eisern Geschlecht: und sie werden bei Tage Nimmer des Elends frei noch des Jammers, aber bei Nacht auch Leiden sie Qual: und der Sorgen Last ist die Gabe der Götter! So ruft der » heitere « Hesiod aus (Werke und Tage, Vers 175 fg.). Und er malt uns ein vergangenes » golden Geschlecht «, dem wir das Wenige verdanken sollen, was unter uns Entarteten noch gut ist, denn als Geister wandeln diese grossen Männer der Vergangenheit noch in unserer Mitte; vergl. S. 113. wogegen dort, wo dies nicht der Fall ist (wie z. B. bei den metaphysisch so hoch beanlagten, als Bildner jedoch mehr phantasiereichen als formgewaltigen arischen Indern) man nirgends den Mythus der Entartung bis zur anschaulichen Deutlichkeit ausgeführt, sondern nur allerhand widersprechende Vorstellungen findet. Andererseits aber ist die Gnade bei uns der schwache Punkt des religiösen Lebens, für die allermeisten Christen ein blosses konfuses Wort die strahlende Sonne indischen Glaubens; sie bildet dort nicht etwa die Hoffnung, sondern das siegreiche Erlebnis der Frommen, und steht dadurch so sehr im Vordergrund alles religiösen Denkens und Fühlens, dass die Er - örterungen der indischen Weisen über die Gnade (namentlich auch in ihrem Verhältnis zu den guten Werken) die heftigsten Diskussionen, welche die christliche Kirche vom Beginn an bis zum heutigen Tage entzweit haben, im Vergleich fast kindisch und zuallermeist gänzlich verständnislos erscheinen lassen, wenn man einige wenige Männer einen Apostel Paulus, einen Martin Luther ausnimmt. Wer etwa bezweifeln wollte, dass es sich hier um die mythische Gestaltung unaus - sprechlicher innerer Erfahrungen handle, den würde ich, bezüglich derChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 36562Der Kampf.Gnade, auf das Gespräch Christi mit Nikodemus verweisen, in welchem das Wort » Wiedergeburt « ebenso sinnlos wäre, wie in der Genesis die Erzählung von der Entartung der ersten Menschen durch den Genuss eines Apfels, handelte es sich nicht dort wie hier lediglich um die Sichtbarmachung eines zwar durchaus wirklichen, gegenwärtigen, doch unsichtbaren und darum dem Verstande zunächst unfassbaren Vor - ganges. Und bezüglich des Sündenfalles verweise ich ihn auf Luther, welcher schreibt: » Die Erbsünde ist der Fall der ganzen Natur «; und an anderer Stelle: » Es ist ja die Erde unschuldig und trüge viel lieber das Beste; sie wird aber verhindert durch den Fluch, so über den Menschen um der Sünde willen gegangen ist. « Hier wird ja, wie man sieht, Wesensverwandtschaft zwischen dem Menschen in seinem innersten Thun und der ganzen umgebenden Natur postuliert: das ist indoeuropäische mythische Religion in ihrer vollen Entfaltung (siehe S. 221 u. 392), welche nebenbei gesagt sobald sie in der Vorstellungsweise der Vernunft sich kundthut (wie z. B. bei Schopen - hauer), indoeuropäische metaphysische Erkenntnis bildet. 1)Luther’s Gedanken findet man in ziemlich undeutlicher Vorahnung im 5. Kap. der Epistel an die Römer, ganz ausführlich dagegen in den Schriften des von ihm so besonders verehrten Scotus Erigena (siehe De div. Nat., Buch 5, Kap. 36).

Durch diese Überlegung gewinnt man die tiefe und sehr wichtige Einsicht, dass unsere indoeuropäische Auffassung von » Sünde « überhaupt mythisch ist, d. h. in ein Jenseits übergreift! Wie ganz und gar die jüdische Auffassung abweicht, so dass dasselbe Wort bei ihnen einen durchaus anderen Begriff bezeichnet, habe ich schon früher hervor - gehoben (siehe S. 373); ich habe auch verschiedene moderne jüdische Religionslehren durchgenommen, ohne an irgend einer Stelle eine Er - örterung des Begriffes » Sünde « zu finden: wer das » Gesetz « nicht ver - letzt, ist gerecht; dagegen wird von den jüdischen Theologen das aus dem Alten Testament von den Christen entnommene Dogma von der Erbsünde ausdrücklich und zwar mit äusserster Energie zurück - gewiesen. 2)Man schlage als Beispiel Philippson’s Israelitische Religionslehre auf, II, 89.Sinnen wir nun über diese durch ihre Geschichte und Religion durchaus gerechtfertigte Position der Juden nach, so werden wir bald zu der Überzeugung kommen, dass auf unserem abweichenden Standpunkt Sünde und Erbsünde synonyme Ausdrücke sind. Es handelt sich um einen unentrinnbaren Zustand alles Lebens. Unsere Vorstellung der Sündhaftigkeit ist der erste Schritt auf dem Wege zu der Erkenntnis eines transscendenten Zusammenhanges der Dinge; sie bezeugt die be -563Religion.ginnende unmittelbare Erfahrung dieses Zusammenhanges, die in den Worten Christi: das Himmelreich ist inwendig in euch (siehe S. 199) ihre Vollendung erfuhr. Definiert Augustinus: » Peccatum est dictum, factum vel concupitum contra legem aeternam «,1)Sünde ist eine Verletzung des ewigen Gesetzes durch Wort, That oder Begierde. so ist das nur eine ober - flächliche Erweiterung jüdischer Vorstellungen, wogegen Paulus der Sache auf den Grund ging, indem er die Sünde selbst ein » Gesetz « nannte, ein Gesetz des Fleisches, oder, wie wir heute sagen würden, ein empirisches Naturgesetz, und indem er in einer berühmten, für dunkel gehaltenen und vielfach kommentierten, doch in Wirklichkeit durchaus klaren Stelle (Römer VIII) darthut, das kirchliche Gesetz, jene angebliche lex aeterna des Augustinus, habe über die Sünde, die eine Thatsache der Natur sei, nicht die geringste Macht, vielmehr könne hier einzig Gnade helfen. 2)Man vergl. namentlich Pfleiderer: Der Paulinismus, II. Aufl., S. 50 fg. Diese rein wissenschaftlich-theologische Darstellung weicht von der meinigen natürlich ab, bestätigt sie aber dennoch, namentlich durch den Nachweis (S. 59), dass Paulus das Vorhandensein eines Sündentriebes vor dem Falle annahm, was offenbar nichts anderes bedeuten kann, als ein Hinausrücken des Mythus über willkürliche historische Grenzen; dann auch durch die klare Beweisführung, dass Paulus entgegen der augustinischen Dogmatik die gemeinsame und immer gleiche Quelle alles sündigen Wesens im Fleisch erkannte (S. 60).Die genaue Wiedergabe des altindischen Gedankens! Schon der Vedische Sänger » forscht begierig nach seiner Sünde « und findet sie nicht in seinem Willen, sondern in seinem Zustande, der ihm sogar im Traume Unrechtes vorspiegelt, und zuletzt wendet er sich an den Gott, der die Einfältigen erleuchtet, » den Gott der Gnade «. 3)Rigveda VII, 86.Und in gleicher Weise wie später Origenes, Erigena und Luther, fasst die Çârîraka-Mîmânsâ alle lebenden Wesen als » der Erlösung bedürftig, doch einzig die Menschen ihrer fähig « auf. 4)Çankara: Die Sûtra’s des Vedânta, I, 3, 25.Erst aus dieser Auffassung der Sünde als eines Zu - standes, nicht als der Übertretung eines Gesetzes, ergiebt sich die Vorstellung der Erlösungsbedürftigkeit, sowie diejenige der Gnade. Es handelt sich hier um die innerlichsten Erfahrungen der individuellen Seele, welche, so weit es geht, durch mythische Bilder sichtbar und mitteilbar gestaltet werden.

Wie unvermeidlich der Kampf auf diesem ganzen Gebiete derDer Kampf um die Mythologie. Mythenbildung war, erhellt aus der einfachen Überlegung, dass der - artige Vorstellungen der jüdischen Auffassung von Religion direkt wider -36*564Der Kampf.sprechen. Wo findet man in den heiligen Büchern der Hebräer eine noch so leise Andeutung der Vorstellung eines dreieinigen Gottes? Nirgends. Man beachte auch, mit welchem genialen Instinkte die ersten Träger des christlichen Gedankens dafür sorgen, dass der » Er - löser « in keinerlei Weise dem jüdischen Volke einverleibt werden könne: dem Hause David’s war von den Priestern ewige Dauer ver - heissen worden (II Samuel XXIII, 5), daher die Erwartung eines Königs aus diesem Stamme; Christus aber stammt nicht aus dem Hause David;1)Man sehe die fingierten Genealogien in Matthäus I und Lucas II, welche beide auf Joseph nicht etwa auf Maria führen. er ist auch nicht ein Sohn Jahve’s, des Gottes der Juden, sondern er ist der Sohn des kosmischen Gottes, jenes allen Ariern unter ver - schiedenen Namen geläufigen » heiligen Geistes « des » Odems Odem «, wie ihn die Brihadâranyaka benennt, oder, um mit den griechischen Vätern der christlichen Kirche zu reden, des poietes und plaster der Welt, des » Urhebers des erhabenen Kunstwerks der Schöpfung «. 2)Siehe Hergenröther: Photius III, 428.Der Gedanke an eine Erlösung des Menschen ist den Juden von jeher und bis auf den heutigen Tag ebenfalls vollkommen fremd, und mit ihm zugleich (notwendigerweise) die Vorstellungen von Entartung und Gnade. Den treffendsten Beleg liefert die Thatsache, dass, obwohl die Juden den Mythus des Sündenfalls am Anfang ihrer heiligen Bücher selber erzählen, sie niemals von Erbsünde etwas gewusst haben! Ich habe schon früher Gelegenheit gehabt, hierauf hinzuweisen, und wir wissen ja, dass Alles, was die Bibel an Mythen enthält, ohne Ausnahme Lehngut ist, von den Verfassern des Alten Testamentes aus mytho - logischer Vieldeutigkeit zu der engen Bedeutung einer historischen Chronik zusammengepresst. 3)Siehe S. 235 u. 397 u. 410.Darum entwickelte sich aber auch um diesen Mythenkreis der Erlösung ein Streit innerhalb der christlichen Kirche, der in den ersten Jahrhunderten wild tobte und einen Kampf auf Leben und Tod der Religion bedeutete, der aber noch heute nicht geschlichtet ist und nie geschlichtet werden kann nie, so lange zwei sich widersprechende Weltanschauungen durch hartnäckiges Un - verständnis gezwungen werden, nebeneinander als eine und dieselbe Religion zu bestehen. Der Jude, wie Professor Darmesteter uns ver - sicherte (S. 399), » hat sich niemals über die Geschichte von dem Apfel und der Schlange den Kopf zerbrochen «; für sein phantasieloses Hirn565Religion.hatte sie keinen Sinn;1)Prof. Graetz a. a. O. I, 650 hält die Lehre von der Erbsünde für eine » neue Lehre «, von Paulus erfunden!! dem Griechen dagegen, und später dem Ger - manen, war sie sofort als Ausgangspunkt der ganzen im Buche Genesis niedergelegten moralischen Mythologie des Menschenwesens aufge - gangen. Darum konnten diese nicht umhin, » sich den Kopf darüber zu zerbrechen «. Verwarfen sie gleich den Juden den Sündenfall ganz und gar, so vernichteten sie zugleich den Glauben an die göttliche Gnade, und damit schwand die Vorstellung der Erlösung, kurz, Religion in unserem indoeuropäischen Sinne war vernichtet und es blieb lediglich jüdischer Rationalismus übrig ohne die Kraft und das ideale Element jüdischer Nationaltradition und Blutsgemeinschaft. Das ist es, was Augustinus deutlich erkannte. Andererseits aber: fasste man diese uralte sumero-akkadische Fabel, welche, wie ich vorhin sagte, Erkenntnis wecken sollte, als die Erkenntnis selber auf, glaubte man sie in jener jüdischen Weise deuten zu müssen, welche alles Mythische als historische, materiell richtige Chronik auffasst, so folgte daraus eine ungeheuerliche und empörende Lehre, oder, wie der Bischof Julianus von Eclanum (Anfang des 5. Jahrhunderts) sich ausdrückt: » ein dummes und gott - loses Dogma «. Diese Einsicht war es, welche den frommen Britten Pelagius und vor ihm, wie es scheint, fast das gesamte hellenische Christentum bestimmte. Ich habe verschiedene Dogmen - und Kirchengeschichten studiert, ohne die von mir hier dargelegte so ein - fache Ursache des unvermeidlichen pelagianischen Streites irgendwo auch nur angedeutet zu sehen. Von Augustin’s Gnaden - und Sünden - lehre meint z. B. Harnack in seiner Dogmengeschichte: » Als Ausdruck psychologisch-religiöser Erfahrung ist sie wahr; aber projiziert in die Geschichte ist sie falsch «, und etwas weiter: » der Bibelbuchstabe wirkte trübend ein «; hier streift er zweimal die Erklärung, doch ohne sie zu erblicken, und so bleibt denn auch die ganze weitere Darlegung eine abstrakt-theologische, aus welcher sich keine klare Vorstellung ergiebt. Denn, wie man sieht, es handelt sich hier (wenn ich mich einer popu - lären Redensart bedienen darf) um eine Zwickmühle. Indem Pelagius die grob-materialistische, konkret-historische Auffassung von Adam’s Fall mit Empörung verwirft, beweist er sein tief religiöses Empfinden und bewährt es in glücklicher Erhebung gegen platten Semitismus, zu - gleich indem er z. B. den Tod als ein allgemeines, notwendiges Naturphänomen nachweist, welches mit Sünde nichts zu schaffen566Der Kampf.habe ficht er für Wahrheit gegen Aberglauben, für Wissenschaft gegen Obskurantismus. Andererseits aber ist ihm (und seinen Ge - sinnungsgenossen) durch Aristotelismus und Hebraismus so sehr der Sinn für Poesie und Mythus abhanden gekommen, dass er selber (wie so mancher Antisemit des heutigen Tages) ein halber Jude geworden ist und das Kind mit dem Bade ausschüttet: er will von Sündenfall überhaupt nichts wissen; das alte, heilige, den Weg zur tiefsten Er - kenntnis des menschlichen Wesens weisende Bild verwirft er ganz und gar; dadurch schrumpft aber auch die Gnade zu einem nichts - sagenden Wort zusammen, und die Erlösung bleibt als ein so schatten - haftes Gedankending zurück, dass ein Anhänger des Pelagius von einer » Emanzipation des Menschen von Gott durch den freien Willen « reden durfte. Auf diesem Wege wäre man gleich wieder bei platt rationa - listischer Philosophie und beim Stoicismus angelangt, mit dem nie fehlenden Komplement krass-sinnlichen Mysteriendienstes und Aber - glaubens, eine Bewegung, die wir in den ethischen und theosophischen Gesellschaften unseres Jahrhunderts beobachten können. Kein Zweifel also, dass Augustinus in jenem berühmten Kampf, in dem er anfangs den grössten und begabtesten Teil des Episkopats, mehr als einmal auch den Papst, gegen sich hatte, die Religion als solche rettete; denn er verteidigte den Mythus. Doch wie allein ward ihm das möglich? Nur dadurch, dass er das enge Nessusgewand angelernter jüdischer Beschränktheit über die herrlichen Schöpfungen ahnungsvoller, intuitiver, himmelwärts strebender Weisheit warf und sumero-akkadische Gleichnisse zu christlichen Dogmen umgestaltete, an deren historische Wahrheit fortan Jeder bei Todesstrafe glauben musste. 1)Schwer genug mag dies Augustinus gefallen sein, der doch selber früher im 27. Kap. des fünfzehnten Buches seines De civitate Dei sich dagegen erhoben hatte, dass man das Buch der Genesis » als eine geschichtliche Wahrheit ohne alle Allegorie zu deuten versuche «.

Ich schreibe keine Geschichte der Theologie und kann diese Streit - frage nicht näher untersuchen und weiter verfolgen, doch hoffe ich durch diese fragmentarischen Andeutungen den unausbleiblichen Kampf über den Sündenfall veranschaulicht und in seinem Wesen charakterisiert zu haben. Jeder Gebildete weiss, dass der pelagianische Streit noch heute fort - dauert. Indem die katholische Kirche die Bedeutung der Werke, dem Glauben gegenüber, betonte, konnte sie nicht umhin, die Bedeutung der Gnade ein wenig herabzusetzen; keine Sophistereien vermögen es, diese Thatsache zu beseitigen, welche dann, weitergespiegelt, auf567Religion.Handeln und Denken von Millionen von Einfluss gewesen ist. Sünden - fall und Gnade sind aber so eng zusammengehörige Teile eines einzigen Organismus, dass die leiseste Berührung des einen auf den anderen wirkt und so wurde denn auch nach und nach die wahre Bedeutung des Mythus vom Sündenfall derartig abgeschwächt, dass man heute allgemein die Jesuiten als Semipelagianer bezeichnet, und dass sogar sie selber ihre Lehre eine scientia media nennen. 1)Nur einen einzigen, mässig und sicher urteilenden Zeugen will ich an - rufen, Sainte-Beuve. Er schreibt (Port-Royal, Buch 4, Kap. 1): » Les Jésuites n’attes - tent pas moins par leur méthode d’éducation qu’ils sont sémi-pélagiens tendant au Péla - gianisme pur, que par leur doctrine directe «.Sobald der Mythus angetastet wird, gerät man ins Judentum.

Dass von Anfang an der Kampf noch heftiger um die Vor - stellung der Gnade entbrennen musste, ist klar; denn der Sündenfall fand sich wenigstens, wenn auch nur als unverstandener Mythus, in den heiligen Büchern der Israeliten vor, wogegen die Gnade nirgends darin zu finden ist und für ihre Religionsauffassung gänzlich sinnlos ist und bleibt. Gleich unter den Aposteln loderte der Streit auf, und auch er ist noch heute nicht geschlichtet. Gesetz oder Gnade: beides zugleich konnte ebensowenig bestehen, wie der Mensch zur selben Zeit Gott und dem Mammon dienen kann. » Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn so durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben « (Paulus an die Galater II, 21). Eine einzige solche Stelle entscheidet; das Ausspielen anderer, angeblich » kanonischer « Aussprüche gegen sie (z. B. der Epistel Fakobi II, 14, 24) ist kindisch; handelt es sich doch nicht um theologische Wortklauberei, sondern um eine der grossen Erfahrungsthatsachen des inneren Lebens bei uns Indo - europäern. » Nur wen die Erlösung wählt, nur von dem wird sie em - pfangen «, heisst es in der Kâtha-Upanishad. Und welche Gabe ist es, welche uns dieser metaphysische Mythus durch Gnade empfangen lässt? Nach den Indoeraniern die Erkenntnis, nach den europäischen Christen der Glaube: beides eine Wiedergeburt verbürgend, d. h. den Menschen zu dem Bewusstsein eines andersgearteten Zuhammenhanges der Dinge erweckend. 2)Vergl. S. 204 und 413 und den Abschnitt » Weltanschauung « im neunten Kapitel.Ich führe wieder jene Worte Christi an, denn es kann nie zu häufig geschehen: » Das Himmelreich ist inwendig in euch «. Dies ist eine Erkenntnis oder ein Glaube, gewonnen durch göttliche Gnade. Erlösung durch Erkenntnis, Erlösung durch Glauben: zwei568Der Kampf.Auffassungen, die nicht soweit voneinander abweichen, wie man wohl gemeint hat; der Inder (sogar auch Buddha) legte den Nachdruck auf den Intellekt, der Graecogermane, belehrt durch Jesus Christus, auf den Willen: zwei Deutungen desselben inneren Erlebnisses. Doch ist die zweite insofern von grösserer Tragweite, als die Erlösung durch Erkenntnis, wie Indien zeigt, im letzten Grunde eine Verneinung pure et simple bedeutet, somit kein positives, schaffendes Prinzip mehr ab - giebt, indes die Erlösung durch den Glauben das menschliche Wesen in seinen dunkelsten Wurzeln erfasst und ihm eine bestimmte Richtung, eine kräftige Bejahung abtrotzt:

Ein feste Burg ist unser Gott!

Der jüdischen Religion sind beide Auffassungen gleich fremd.

Jüdische Weltchronik.
50

Soviel zur Orientierung und Verständigung über jene mytho - logischen Bestandteile der christlichen Religion, welche sicherlich nicht vom Judentum entlehnt waren. Wie man sieht, ist der Bau ein wesentlich indoeuropäischer, kein bloss der jüdischen Religion zu Ehren erbauter Tempel. Dieser Bau ruht auf Pfeilern und diese Pfeiler wieder auf Fundamenten, die alle nicht jüdisch sind. Jetzt aber er - übrigt es, die Bedeutung des vom Judentum empfangenen Impulses zu würdigen, wodurch zugleich die Natur des Kampfes innerhalb der christlichen Religion immer deutlicher hervortreten wird.

Nichts wäre falscher, als wenn man die jüdische Mitwirkung bei der Erschaffung des christlichen Religionsgebäudes lediglich als eine negative, zerstörende, verderbende betrachten wollte. Es genügt, sich auf den semitischen Standpunkt zu stellen (mit Zuhilfenahme jeder beliebigen jüdischen Religionslehre vermag man das leicht), um die Sache genau umgekehrt zu erblicken: das helleno-arische Ele - ment als das auflösende, vernichtende, religionsfeindliche, wie wir das schon vorhin bei Pelagius beobachteten. Aber auch ohne die uns natürliche Auffassung zu verlassen, genügt ein vorurteilsfreier Blick, um den jüdischen Beitrag als sehr bedeutend und zum grossen Teil als unentbehrlich zu erkennen. Denn in dieser Ehe war der jüdische Geist das männliche Prinzip, das Zeugende, der Wille. Nichts be - rechtigt zu der Annahme, dass aus hellenischer Spekulation, aus ägyp - tischer Askese und aus internationaler Mystik ohne die Glut jüdischen Glaubenswillens der Welt ein neues Religionsideal und damit zugleich neue Lebenskraft geschenkt worden wäre. Nicht die römischen Stoiker mit ihrer edlen, aber kalten, impotenten Morallehre, nicht die ziel -569Religion.lose, mystische Selbstvernichtung der aus Indien nach Kleinasien im - portierten Theologie, auch nicht die umgekehrte Lösung der Aufgabe, wie wir sie bei dem jüdischen Neoplatoniker Philo finden, wo der israeli - tische Glaube mystisch-symbolisch aufgefasst wird, und das hellenische Denken, greisenhaft verunstaltet, diese sonderbar aufgeputzte jüngste Tochter Israel’s umarmen muss (etwa wie David die Abisag) dies Alles hätte nicht zum Ziele geführt, das liegt ja deutlich vor Augen. Wie könnte man es sonst erklären, dass gerade um die Zeit, als Christus geboren wurde, das Judentum selber, so abschliessend seinem Wesen nach, so abstossend gegen alles Fremde, so streng und freude - los und schönheitsbar, einen wahren Triumphzug der Propaganda be - gonnen hatte? Die jüdische Religion ist aller Bekehrung abhold, doch die Anderen, von Sehnsucht nach Glauben getrieben, traten in Scharen zu ihr über. Und zwar trotzdem der Jude verhasst war. Man redet vom heutigen Antisemitismus; Renan versichert uns, diese Bewegung des Abscheues gegen jüdisches Wesen habe in dem Jahrhundert vor Christi Geburt viel heftiger gewütet. 1)Histoire du peuple d’Israël V, 227.Was bildet denn die geheime Anziehungskraft des Judentums? Sein Wille. Der Wille, der, im re - ligiösen Gebiete schaltend, unbedingten, blinden Glauben erzeugt. Dichtkunst, Philosophie, Wissenschaft, Mystik, Mythologie sie alle schweifen weit ab und legen insofern den Willen lahm; sie zeugen von einer weltentrückten, spekulativen, idealen Gesinnung, die bei allen Edleren jene stolze Geringschätzung des Lebens hervor - ruft, welche dem indischen Weisen ermöglicht, sich lebend in sein eigenes Grab zu legen, welche die unnachahmliche Grösse von Homer’s Achilleus ausmacht, welche den deutschen Siegfried zu einem Typus der Furchtlosigkeit stempelt, und welche in unserem Jahrhundert monumentalen Ausdruck sich schuf in Schopenhauer’s Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben. Der Wille ist hier gewisser - massen nach innen gerichtet. Ganz anders beim Juden. Sein Wille streckte sich zu allen Zeiten nach aussen; es war der unbedingte Wille zum Leben. Dieser Wille zum Leben war das erste, was das Judentum dem Christentum schenkte: daher jener Widerspruch, der noch heute so Manchem als unlösbares Rätsel auffällt, zwischen einer Lehre der inneren Umkehr, der Duldung und der Barmherzigkeit und einer Religion ausschliesslicher Selbstbehauptung und fanatischer Un - duldsamkeit.

570Der Kampf.

Zunächst dieser allgemeinen Willensrichtung und mit ihr un - trennbar vereint ist dann die jüdische rein historische Auffassung des Glaubens zu nennen. Über das Verhältnis zwischen dem jüdischen Willensglauben und der Lehre Christi habe ich ausführlich im dritten Kapitel gesprochen, über sein Verhältnis zur Religion überhaupt im fünften; beide Stellen setze ich als bekannt voraus. 1)Siehe S. 241 fg. und 394 fg.Hier möchte ich nur darauf aufmerksam machen, welchen ausschlaggebenden Ein - fluss jüdischer Glaube als materielle, unerschütterliche Überzeugung bestimmter historischer Begebnisse gerade in jenem Augenblick der Geschichte, da das Christentum entstand, ausüben musste. Hatch schreibt hierüber: » Den jungen christlichen Gemeinden kam vor allem die Reaktion gegen reine philosophische Spekulation zu Gute, die Sehn - sucht nach Gewissheit. Die grosse Mehrzahl der Menschen war der Theorien überdrüssig; sie forderten Gewissheit; diese versprach ihnen die Lehre der christlichen Sendboten. Diese Lehre berief sich auf bestimmte historische Ereignisse und auf deren Augenzeugen. Die einfache Überlieferung von Christi Leben, Tod und Auferstehung be - friedigte das Bedürfnis der damaligen Menschheit «. 2)Influence of Greek ideas and usages upon the Christian Church, 6. Ausg. S. 312.Das war ein Anfang. Zunächst richtete sich das Augenmerk einzig und allein auf Jesus Christus; die heiligen Schriften der Juden galten als sehr ver - dächtige Dokumente; Luther berichtet empört über das geringe An - sehen, dessen das Alte Testament bei Männern wie Origenes und selbst noch (so versichert er) bei Hieronymus genossen habe; die meisten Gnostiker verwarfen es ganz und gar, Marcion betrachtete es geradezu als ein Werk des Teufels! Doch sobald eine schmale Schneide jüdischer historischer Religion Eingang in die Vorstellungen gefunden hatte, konnte es nicht fehlen, dass der ganze Keil nach und nach eingetrieben wurde. Man meint, die sogenannten Judenchristen hätten eine Niederlage er - litten, mit Paulus hätten die Heidenchristen den Sieg davongetragen? Das ist nur sehr bedingt und fragmentarisch wahr. Äusserlich, ja, ging das jüdische Gesetz mit seinem » Bundeszeichen « völlig in die Brüche, äusserlich drang zugleich der Indoeuropäer mit seiner Trinität und sonstigen Mythologie und Metaphysik durch, doch innerlich bildete sich im Laufe der ersten Jahrhunderte immer mehr zum eigentlichen Rückgrat der christlichen Religion die jüdische Geschichte aus jene von fanatischen Priestern nach gewissen hieratischen Theorien und571Religion.Plänen umgearbeitete, genial doch willkürlich ergänzte und konstruierte, historisch durch und durch unwahre Geschichte. 1)Siehe S. 425 und 431.Die Erscheinung Jesu Christi, über welche sie wahrhaftige Zeugnisse vernommen hatten, war jenen armen Menschen aus dem Völkerchaos wie eine Leuchte in dunkler Nacht aufgegangen; sie war eine geschichtliche Erscheinung. Zwar stellten erhabene Geister diese historische Persönlichkeit in einem sym - bolischen Tempel auf; doch was sollte das Volk mit Logos und Demiurgos und Emanationen des göttlichen Prinzips u. s. w.? Sein gesunder In - stinkt trieb es dort anzuknüpfen, wo es einen festen Halt fand, und das war in der jüdischen Geschichte. Der Messiasgedanke trotzdem er im Judentum lange nicht die Rolle spielte, die wir Christen uns einbilden2)Siehe S. 238, Anm. lieferte das verbindende Glied in der Kette, und nun - mehr besass die Menschheit nicht allein den Lehrer erhabenster Religion, nicht allein das göttliche Bild des Gekreuzigten, sondern den gesamten Weltenplan des Schöpfers von dem Augenblick an, wo er Himmel und Erde schuf bis zu dem Augenblick, wo er Gericht halten wird, » was in der Kürze geschehen soll. « Die Sehnsucht nach materieller Gewissheit, welche uns als das Charakteristicum jener Epoche geschildert wird, hatte, wie man sieht, nicht eher geruht, als bis jede Spur von Ungewissheit vertilgt worden war. Das bedeutet einen Triumph jüdischer, und im letzten Grunde überhaupt semitischer Weltanschauung und Religion.

Hiermit hängt nun die Einführung der religiösen Intoleranz zu - sammen. Dem Semiten ist die Intoleranz natürlich, in ihm drückt sich ein wesentlicher Zug seines Charakters aus. Dem Juden speciell war der unwankende Glaube an die Geschichte und an die Bestimmung seines Volkes eine Lebensfrage; dieser Glaube war seine einzige Waffe in dem Kampf um das Leben seiner Nation, in ihm hatte seine besondere Begabung bleibenden Ausdruck gefunden, kurz, bei ihm handelte es sich um ein von innen heraus Gewachsenes, um ein durch Geschichte und Charakter des Volkes Gegebenes. Selbst die stark hervortretenden negativen Eigenschaften der Juden, z. B. die bei ihnen seit den ältesten Zeiten bis zum heutigen Tage weitverbreitete Indifferenz und Ungläubig - keit hatten zur Verschärfung des Glaubenszwanges das ihrige bei - getragen. Nun trat aber dieser mächtige Impuls in eine gänzlich andere Welt. Hier gab es kein Volk, keine Nation, keine Tradition;572Der Kampf.es fehlte ganz und gar jenes moralische Moment einer furchtbaren nationalen Prüfung, welches dem harten, beschränkten jüdischen Gesetz die Weihe verleiht. Die Einführung des Glaubenszwanges in das Völker - chaos (und sodann unter die Germanen) bedeutete also gewissermassen eine Wirkung ohne Ursache, mit anderen Worten die Herrschaft der Willkür. Was dort bei den Juden ein objektives Ergebnis gewesen war, wurde hier ein subjektiver Befehl. Was dort sich nur auf einem sehr beschränkten Gebiet bewegt hatte, auf dem Gebiete nationaler Tradition und national-religiösen Gesetzes, schaltete hier völlig schranken - los. Der arische Drang, Dogmen aufzustellen (siehe S. 406) ging eine verhängnisvolle Ehe ein mit der historischen Beschränktheit und der prinzipiellen Unduldsamkeit des Juden. Daher der wildbrausende Kampf um den Besitz der Macht, Dogmen zu verkünden, der die ersten Jahr - hunderte unserer Zeitrechnung ausfüllt. Milde Männer wie Irenäus blieben fast einflusslos; je intoleranter, desto gewaltiger war der christ - liche Bischof. Diese christliche Intoleranz unterscheidet sich aber ebenso von jüdischer Intoleranz wie das christliche Dogma vom jüdischen Dogma: denn diese waren auf allen Seiten eingeschränkt, ihnen waren bestimmte, enge Wege gewiesen, wogegen der christlichen Intoleranz und dem christlichen Dogma das ganze Gebiet des Menschengeistes offen stand; ausserdem hat der jüdische Glaube und die jüdische In - toleranz nie weithinreichende Macht besessen, während die Christen bald mit Rom die Welt beherrschten. Und so erleben wir denn der - artige Ungereimtheiten, wie dass ein heidnischer Kaiser (Aurelianus im Jahre 272) das Primat des römischen Bischofs dem Christentum auf - zwingt, und dass ein christlicher Kaiser, Theodosius, als rein politische Massregel, den Glauben an die christliche Religion bei Todesstrafe an - ordnet. Jener anderen Ungereimtheiten ganz zu geschweigen, wie dass die Natur Gottes, das Verhältnis des Vaters zum Sohn, die Ewigkeit der Höllenstrafen u. s. w. ad inf. durch Majoritätsbeschlüsse (von Bischöfen, die häufig nicht lesen noch schreiben konnten) bestimmt und für alle Menschen von einem bestimmten Tage an, bindend werden, etwa wie unsere Parlamente uns Steuern durch Stimmenmehrheit auf - erlegen. Doch, wie schwer es uns auch werden mag, anders als kopfschüttelnd dieser monströsen Entwickelung eines jüdischen Ge - dankens auf fremdem Boden zuzusehen, man wird doch wohl zugeben müssen, dass es nie zur vollen Ausbildung einer christlichen Kirche ohne Dogma und ohne Intoleranz gekommen wäre. Auch hier sind wir also dem Judentum für ein Element von Kraft und Ausdauer verpflichtet.

573Religion.

Doch nicht allein das Rückgrat wurde von der werdenden christ - lichen Kirche dem Judentum entlehnt, sondern vielmehr das ganze innere Knochengerüst. Da wäre in allererster Reihe auf die Motivierung des Glaubens und der Tugend hinzuweisen: sie ist im kirchlichen Christen - tum durch und durch jüdisch, denn sie beruht auf Furcht und Hoffnung: hie ewiger Lohn, dort ewige Strafe. Auch über diesen Gegenstand kann ich mich auf frühere Ausführungen berufen, in denen ich den prinzi - piellen Unterschied hervorhob zwischen einer Religion, welche sich an die rein egoistischen Regungen des Herzens wendet, an Furcht und Begehr, und einer Religion, welche, wie die Brahmanische, » die Verzicht - leistung auf einen Genuss des Lohnes hier und im Jenseits « als die erste Stufe zur Einweihung in wahre Frömmigkeit betrachtet. 1)Siehe den Exkurs über semitische Religion im fünften Kapitel und vergl. namentlich S. 413 mit S. 426. Vergl. auch zur Ergänzung die Ausführungen über germanische Weltanschauung im betreffenden Abschnitt des neunten Kapitels.Ich will mich nicht wiederholen; doch sind wir jetzt in der Lage, jene Einsicht be - deutend zu vertiefen und dadurch wird man erst klar erkennen, welch unausbleiblicher und nie beizulegender Konflikt sich auch hier aus dem gewaltsamen Zusammenschweissen entgegengesetzter Weltanschauungen ergeben musste. Denn die geringste Überlegung wird uns davon über - zeugen, dass die Vorstellung der Erlösung und der Willensumkehr, wie sie den Indoeuropäern schon vielfach vorgeschwebt hatte und wie sie durch den Mund des Heilandes ewigen Ausdruck fand, von allen jenen gänzlich abweicht, welche das irdische Thun durch posthume Bestrafung und Belohnung vergelten lassen. 2)Am durchgebildetsten findet sich dieses System bei den Altägyptern, nach deren Vorstellungen das Herz des Gestorbenen auf eine Wage gelegt und gegen das Ideal des Rechtes und der Wahrhaftigkeit abgewogen wird; die Idee einer durch göttliche Gnade bewirkten Umwandlung des inneren Menschen war ihnen voll - kommen fremd. Die Juden haben sich nie zu der Höhe der ägyptischen Vor - stellung hinaufgeschwungen; der Lohn war für sie früher einfach sehr langes Leben des Individuums und künftige Weltherrschaft der Nation, die Strafe Tod und für die kommenden Geschlechter Elend. In späteren Zeiten nahmen sie jedoch aller - hand Superstitionen auf, aus denen sich ein durchaus weltlich gedachtes Gottesreich ergab (siehe S. 449) und als Gegenstück eine recht weltliche Hölle. Aus diesen und anderen, aus den tiefsten Niederungen menschlichen Wahnwitzes und Aberglaubens emporsprossenden Vorstellungen wurde dann die christliche Hölle (von der noch Origenes nichts wusste, ausser in der Form von Gewissensqualen!) gezimmert, während der Neoplatonismus, griechische Dichtung und ägyptische Vorstellungen der » Gefilde der Seligen « (siehe die Abbildungen in Budge: The book of the dead) den christlichen Himmel lieferten doch ohne dass dieser jemals die Deutlichkeit der Hölle erreicht hätte.Hier findet nicht allein eine Ab -574Der Kampf.weichung statt, sondern es stehen zwei fremde Gebilde nebeneinander, fremd von der Wurzel bis zur Blüte. Mögen auch die Bäume fest auf - einander gepfropft worden sein, ineinander verschmelzen können sie nie und nimmer. Und doch war gerade diese Verschmelzung das, was das frühere Christentum erstrebte und was noch heute für gläubige Seelen den Stein des Sisyphus bildet. Freilich im Uranfang, d. h. bevor im 4. Jahrhundert das gesamte Völkerchaos gewaltsam ins Christentum hineingezwängt worden war und mit ihm zugleich seine religiösen Vor - stellungen, war das noch nicht der Fall. In den allerältesten Schriften findet man die Androhung von Strafen fast gar nicht, und auch der Himmel ist nur das Vertrauen auf ein unaussprechliches Glück,1)Meist unter missverständnisvoller Anlehnung an Jesaia LXIV, 4. durch Christi Tod erworben. Wo jüdischer Einfluss vorherrscht, finden wir dann noch in jenen frühesten christlichen Zeiten den sogenannten Chilias - mus, d. h. den Glauben an ein bald einzutretendes tausendjähriges Reich Gottes auf Erden (lediglich eine der vielen Gestaltungen des von den Juden erträumten theokratischen Weltreiches); wo dagegen philosophische Denkart vorübergehend die Oberhand behält, so z. B. bei Origenes, treten Anschauungen zu Tage, welche von der Seelenwanderung der Inder und Plato’s2)Über das Verhältnis zwischen diesen beiden vergl. S. 80 u. 111. kaum zu unterscheiden sind: die Menschengeister werden als von Ewigkeit geschaffen gedacht, je nach ihrem Thun steigen sie hinauf und hinab, zuletzt werden ausnahmslos alle verklärt werden, sogar auch die Dämonen. 3)Ich verweise namentlich auf Kap. 29 der Schrift Über das Gebet von Ori - genes; in der Form eines Komentars zu den Worten: » Führe uns nicht in Ver - suchung «, entwickelt der grosse Mann eine rein indische Anschauung über die Be - deutung der Sünde als Heilsmittel.In einem solchen System besitzt, wie man sieht, weder das individuelle Leben selbst, noch die Ver - heissung von Lohn und die Androhung von Strafe einen Sinn, der mit der Auffassung der judaeo-christlichen Religion irgendwie congruieren könnte. 4)Übrigens hat Origenes das mythische Element im Christentum ausdrücklich anerkannt. Nur meinte er, das Christentum sei » die einzige Religion, die auch in mythischer Form Wahrheit ist « (vergl. Harnack: Dogmengeschichte, Abriss, 2. Aufl., S. 113.).Doch bald siegte auch hier der jüdische Geist, und zwar indem er, genau so wie beim Dogma und bei der Intoleranz, eine früher auf dem beschränkten Boden Judäa’s ungeahnte Entwickelung nahm. Höllenstrafen und Himmelsseligkeit, die Furcht vor den einen, die Hoffnung auf die andere, sind fortan für die gesamte Christenheit575Religion.die einzigen wirksamen Triebfedern; was Erlösung ist, weiss bald kaum einer mehr, da die Prediger selber unter » Erlösung « sich meist Erlösung von Höllenstrafen dachten und noch heute denken. 1)Man nehme z. B. das Handbuch für den katholischen Religionsunterricht vom Domkapitular Arthur König zur Hand und lese das Kapitel über die Erlösung. Nikodemus hätte nicht die geringste Schwierigkeit empfunden, diese Lehre zu verstehen.Die Menschen des Völkerchaos verstanden eben keine anderen Argumente; schon ein Zeitgenosse des Origenes, der Afrikaner Tertullian, erklärt freimütig, nur Eines könne die Menschen bessern: » die Furcht vor ewiger Strafe und die Hoffnung auf ewigen Lohn « (Apol. 49). Natürlich lehnten sich einzelne auserlesene Geister stets gegen diese Materialisierung und Judaisierung der Religion auf; so könnte z. B. die Bedeutung der christ - lichen Mystik vielleicht in dem einen Wort zusammengefasst werden, dass sie dies alles bei Seite schob und einzig die Umwandlung des inneren Menschen d. h. die Erlösung erstrebte; doch zusammenreimen liessen sich die zwei Anschauungen nie und nimmer, und gerade dieses Unmögliche wurde vom gläubigen Christen gefordert. Ent - weder soll der Glaube die Menschen » bessern «, wie Tertullian be - hauptet, oder er soll sie durch eine Umkehrung ihres gesamten Seelen - lebens völlig umwandeln, wie das Evangelium es gelehrt hatte; ent - weder ist diese Welt eine Strafanstalt, welche wir hassen sollen, was schon Clemens von Rom im 2. Jahrhundert ausspricht2)Siehe dessen zweiten Brief § 6. (und nach ihm die ganze offizielle Kirche), oder aber es ist diese Welt der gesegnete Acker, in welchem das Himmelreich gleich einem verborgenen Schatz liegt, wie Christus gelehrt hatte. Die eine Behauptung widerspricht der anderen.

Auf diese Gegensätze komme ich noch im weiteren Verlauf desDer unlösbare Zwist. Kapitels zurück; ich musste aber gleich hier empfinden lassen, wie sehr es sich um wirkliche Gegensätze handelt, und zugleich in welchem Masse das Judentum siegreich und als eminent positiv wirkende Macht durch - drang. Mit dem stolzen Selbstbewusstsein des echten indoeuropäischen Aristokraten hatte Origenes gemeint: » nur für den gemeinen Mann möge es genügen zu wissen, dass der Sünder bestraft wird «; nun waren aber alle diese Männer aus dem Völkerchaos » gemeine Männer «; Sicherheit, Furchtlosigkeit, Bestimmtheit verleihen nur Rasse und Nation; Menschen - adel ist ein Kollektivbegriff;3)Vergl. S. 312. der edelste Vereinzelte z. B. ein Augustinus bleibt in den Vorstellungen und Gesinnungen der Ge -576Der Kampf.meinen kleben und vermag es nie, sich bis zur Freiheit durchzuringen. Diese » gemeinen « Menschen brauchten einen Herrn, der zu ihnen wie zu Knechten redete, nach dem Muster des jüdischen Jahve: ein Amt, welches die mit römischer Imperialvollmacht ausgestattete Kirche über - nahm. Kunst, Mythologie und Metaphysik waren in ihrer schöpferischen Bedeutung für die damaligen Menschen völlig unbegreiflich geworden; das Wesen der Religion musste in Folge dessen auf das Niveau herunter - geschraubt werden, auf dem es sich in Judäa befunden hatte. Diese Menschen brauchten eine rein geschichtliche, beweisbare Religion, welche weder in Vergangenheit noch Zukunft, am allerwenigsten in der Gegen - wart für Zweifel und Unerforschliches Raum liess: das leistete einzig die Judenbibel. Die Antriebe mussten der Sinnenwelt entnommen sein: körperliche Schmerzen allein konnten diese Menschen von Frevelthaten abhalten, Verheissungen eines sorglosen Wohlergehens allein sie zu guten Werken antreiben. Das war ja das religiöse System der jüdischen Hierokratie (vergl. S. 426). Fortan entschied das vom Judentum über - nommene und weiter ausgebildete System der kirchlichen Befehle autoritativ über alle Dinge, gleichviel ob unbegreifliche Mysterien oder handgreifliche Geschichtsthatsachen (resp. Geschichtslügen). Die im Judentum präformierte, doch nie zur erträumten vollen Machtentfaltung gelangte Intoleranz,1)Dieser Traum hat seinen vollkommensten Ausdruck in dem Roman Esther gefunden. ward das Grundprinzip des christlichen Ver - haltens, und zwar als eine logisch unabweisliche Konsequenz aus den soeben genannten Prämissen: ist die Religion eine Weltchronik, ist ihr Moralprinzip ein gerichtlich-historisches, giebt es eine geschichtlich begründete Instanz zur Entscheidung jedes Zweifels, jeder Frage, so ist jegliche Abweichung von der Lehre ein Vergehen gegen die Wahr - haftigkeit und gefährdet das rein materiell gedachte Heil der Menschen; und so greift denn die kirchliche Justiz ein und vertilgt den Ungläubigen oder Irrgläubigen, genau so wie die Juden jeden nicht streng Orthodoxen gesteinigt hatten.

Ich hoffe, diese Andeutungen werden genügen, um die lebhafte Vorstellung und zugleich die Überzeugung wachzurufen, dass that - sächlich das Christentum als religiöses Gebäude auf zwei grundver - schiedenen, meistens direkt feindlichen Weltanschauungen ruht: auf jüdischem historisch-chronistischem Glauben und auf indoeuropäischer symbolischer und metaphysischer Mythologie (wie ich das auf S. 550577Religion.behauptet hatte). Mehr als Andeutungen kann ich ja nicht geben, auch jetzt nicht, wenn ich mich anschicke, einen Blick auf den Kampf zu werfen, der sich aus einer so naturwidrigen Verbindung unaus - bleiblich ergeben musste. Eigentliche Geschichte gewinnt nur dadurch Wahrheit, dass sie möglichst im Einzelnen, möglichst ausführlich zur Kenntnis genommen wird; wo das nicht möglich ist, kann der Über - blick gar nicht zu allgemein gehalten werden, denn nur dadurch gelingt es, eine Wahrheit höherer Ordnung, etwas Lebendiges und Unver - stümmeltes wirklich ganz zu erfassen; die wirklichen Feinde geschicht - licher Einsicht sind die Kompendien. In diesem besonderen Falle wird die Erkenntnis des Zusammenhanges der Erscheinungen dadurch sehr erleichtert, dass es sich um Dinge handelt, die noch heute in unserem eigenen Herzen leben. Den in diesem Kapitel angedeuteten Zwist beherbergt nämlich, wenn auch meistens unbewusst, das Herz eines jeden Christen. Tobte der Kampf in den ersten christlichen Jahrhunderten äusserlich heftiger als heute, so gab es doch niemals einen völligen Waffenstillstand; gerade in der zweiten Hälfte unseres 19. Jahrhunderts wurden die hier berührten Fragen immer kritischer zugespitzt, hauptsächlich durch die Thätigkeit der ewig geschäftigen, im Kampfe nie ermüdenden römischen Kirche; es ist auch gar nicht denkbar, dass unsere werdende Kultur jemals eine wahre Reife erlangen kann, wenn nicht die ungetrübte Sonne einer reinen, einheitlichen Religion sie erhellt; dadurch erst würde sie aus dem » Mittelalter « heraustreten. Leuchtet es nun ohne Weiteres ein, dass eine lebendige Kenntnis jener frühen Zeit des offenen, rücksichtslosen Kampfes von grossem Nutzen sein muss, damit wir unsere eigene Zeit verstehen, so hilft uns wiederum ohne Frage der Geist unserer Gegenwart gerade jene allererste Epoche des werdenden, ehrlich und frei suchenden Christentums begreifen. Ich sage ausdrücklich, nur die allererste Epoche lehren uns die Erfahrungen des eigenen Herzens verstehen; denn später wurde der Kampf immer weniger wahrhaft religiös, immer mehr rein kirchlich-politisch. Als das Papsttum den Höhe - punkt seiner Macht erklommen hatte (im 12. Jahrhundert unter Inno - cenz III. ), hörte der eigentliche religiöse Impuls (der noch kurz vorher, in Gregor VII., so kräftig gewirkt hatte) auf, die Kirche war fortan gewissermassen säkularisiert; ebensowenig darf die Reformation jemals auch nur einen Augenblick als rein religiöse Bewegung betrachtet und beurteilt werden, ist sie doch offenbar mindestens zur Hälfte eine politische; und unter solchen Bedingungen giebt es bald kein Ver -Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 37578Der Kampf.ständnis ausser einem pragmatischen, während das reinmenschliche auf ein Minimum hinabsinkt. Dagegen hat in unserem Jahrhundert, in Folge der fast gänzlichen Trennung von Staat und Religion in den meisten Ländern (was durch die Beibehaltung einer oder mehrerer Staatskirchen in keiner Weise berührt wird) und in Folge der veränderten, nun - mehr rein moralischen Stellung des äusserlich machtlos gewordenen Papsttums, eine merkliche Belebung des religiösen Interesses und aller Formen sowohl echter wie abergläubischer Religiosität stattgefunden. Ein Symptom dieser Gährung ist die reiche Sektenbildung unter uns. In England z. B. besitzen weit über hundert verschieden benamste christ - liche Verbände behördlich protokollierte Kirchen, resp. Versammlungs - lokale für den gemeinsamen Gottesdienst. Auffallend ist hierbei, dass auch die Katholiken in England fünf verschiedene Kirchen bilden, von denen nur die eine streng orthodox römisch ist. Unter den Juden ist das religiöse Leben auch sehr rege geworden; drei verschiedene Sekten haben in London Bethäuser und ausserdem giebt es daselbst zwei verschiedene Gruppen von Judenchristen. Das erinnert an die Jahrhunderte vor der religiösen Entartung: am Ende des zweiten Säculums z. B. berichtet Irenäus über 32 Sekten, Epiphanius, zwei Jahrhunderte später, über 80. Darum ist die Hoffnung nicht unberechtigt, dass wir den Seelenkampf echter Christen um so besser verstehen werden, je weiter wir zurückgreifen.

Paulus und Augustinus.
65

Die lebhafteste Vorstellung des dem Christentum von Beginn an eigenen Zwitterwesens erlangen wir zunächst, wenn wir es in ein - zelnen ausserordentlichen Männern, z. B. in Paulus und Augustinus, am Werke sehen. Bei Paulus alles viel grösser und klarer und helden - hafter, weil spontan und frei; Augustinus aber dennoch allen Geschlechtern sympathisch, verehrungswürdig, zugleich Mitleid weckend und Bewunde - rung gebietend. Wollte man Augustinus einzig mit dem siegreichen Apostel vielleicht dem grössten Manne des Christentums in Parallele stellen, er könnte keinen Augenblick bestehen; doch mit seiner eigenen Umgebung verglichen, tritt seine Bedeutung leuchtend hervor. Augu - stinus ist das rechte Gegenstück zu jenem anderen Kinde des Chaos, Lucian, den ich im vierten Kapitel als Beispiel heranzog: dort die Frivolität einer dem Verfall entgegeneilenden Civilisation, hier der Schmerzensblick, der mitten aus den Trümmern zu Gott hinaufschaut; dort Geld und Ruhm das Lebensziel, Spott und Kurzweil die Mittel, hier Weisheit und Tugend, Askese und feierlich ernstes Arbeiten; dort Herunterreissen glorreicher Ruinen, hier das mühsame Aufzimmern579Religion.eines festen Glaubensgebäudes, selbst auf Kosten der eigenen Über - zeugungen, selbst wenn die Architektur im Vergleich zu den Ahnungen des tiefen Gemütes recht rauh ausfällt, gleichviel, wenn nur die arme chaotische Menschheit einen sicheren, wankenlosen Halt, die verirrten Schafe eine Hürde bekommen.

In zwei so verschiedenen Persönlichkeiten wie Paulus und Augu - stinus tritt natürlich das Zwitterwesen des Christentums sehr verschieden zu Tage. Bei Paulus ist alles positiv, alles bejahend; er hat keine un - wandelbare theoretische » Theologie «,1)Diese Behauptung wird vielfachem Widerspruch begegnen; ich will damit aber nur sagen, dass Paulus seine systematischen Ideen vielmehr als dialektische Waffen zur Überzeugung seiner Hörer gebraucht, als dass er bestrebt zu sein schiene, ein zusammenhängendes, allein gültiges und neues theologisches Gebäude zu er - richten. Selbst Edouard Reuss, welcher in seinem unvergänglichen Werk: Histoire de la Théologie Chrétienne au siècle apostolique (3e éd. ), dem Apostel ein durchaus be - stimmtes, einheitliches System vindiziert, giebt doch am Schlusse desselben zu (II, 580), dass die eigentliche Theologie gerade bei Paulus (und für Paulus) ein unterge - ordnetes Element bildete, und S. 73 führt er aus, die Absicht des Paulus gehe so ganz auf das populäre und praktische Wirken, dass er überall, wo Fragen theoretisch - theologisch zu werden beginnen, das metaphysische Gebiet verlasse, um auf das ethische überzugehen. sondern er ist ein Zeitgenosse Jesu Christi, dessen göttliche Gegenwart ihn mit Flammen des Lebens verzehrt. Solange er gegen Christus war, kannte er keine Ruhe, bis er den letzten seiner Anhänger vertilgt haben würde; sobald er Christum als den Erlöser erkannt hatte, galt sein Leben einzig der Verbreitung der » guten Kunde « über die ganze ihm erreichbare Welt; eine Zeit des Herumtappens, des Erforschens, der Unschlüssigkeit gab es in seinem Leben nicht. Muss er disputieren, so malt er einige Thesen an den Himmel hin, von weitem sichtbar; muss er widersprechen, so geschieht es durch ein Paar Keulenschläge, gleich lodert aber die Liebe wieder auf und er ist, wie sein eigener Sinnspruch es besagt, » Jedermann allerlei «, unbekümmert ob er zum Juden so, zum Griechen anders, zum Kelten wieder anders reden muss, wenn er nur » Etliche gewinnt «. 2)Man muss die ganze Stelle lesen I. Cor. IX, 19 fg., will man einsehen, wie genau der Apostel die spätere Formel extra ecclesiam nulla salus im Voraus Lügen straft. Vergleiche auch den Brief an die Philipper I, 18: » Dass nur Christus verkündiget werde allerlei Weise; es geschehe zufallens oder rechter Weise; so freue ich mich doch darinnen, und will mich auch freuen «.Wie tief auch, bis in die dunkelsten Regionen des Menschenherzens, die Worte gerade dieses einen Apostels leuchten, es ist nie eine Spur von mühsamem Konstruieren, von Spintisieren darin, sondern das, was er37*580Der Kampf.sagt, ist erlebt und sprudelt frei aus dem Herzen hervor; man sieht förmlich, wie ihm die Feder nicht rasch genug eilen kann, um dem Gedanken nachzukommen; » nicht, dass ich es schon ergriffen habe, ich jage ihm aber nach ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist « (Phil. III, 13). Hier wird sich Widerspruch unverhüllt neben Widerspruch hinstellen; was ver - fängt’s? wenn nur Viele an Christus den Erlöser glauben. Ganz anders Augustinus. Keine feste Nationalreligion umfriedet seine Jugend wie die des Paulus; er ist ein Atom unter Atomen im uferlosen Meer des sich immer weiter auflösenden Völkerchaos. Wo er auch den Fuss hinsetzt, überall trifft er auf Sand oder Morast; keine Heldengestalt taucht wie für Paulus an seinem Horizonte als eine blendende Sonne auf, sondern aus einer langweiligen Schrift des Rechtsanwalts Cicero muss der Arme die Anregung zu seiner moralischen Erweckung schöpfen, aus Predigten des würdigen Ambrosius die Erkenntnis der Bedeutung des Christentums. Sein ganzes Leben ist ein mühsamer Kampf: erst gegen sich und mit sich, bis er die verschiedenen Phasen des Unglaubens überwunden, und, nach Erprobung von verschiedenen Lehrmeinungen, diejenige des Ambrosius angenommen hat, sodann gegen das, was er selber früher geglaubt und gegen die vielen Christen, die anders dachten als er. Denn färbte zu Lebzeiten des Apostels Paulus die lebendige Erinnerung an die Persönlichkeit Christi alle Religion, so that dies jetzt die Superstition des Dogmas. Paulus hatte von sich rühmen dürfen: er kämpfe nicht wie Diejenigen, die mit den Armen in der Luft herumfechten; mit solchem Fechten brachte Augustinus ein gut Teil seines Lebens zu. Hier greift darum der Widerspruch, der stets bestrebt ist, sich dem eigenen Auge und dem Auge Anderer zu verbergen, viel tiefer: er zerreisst das innerste Wesen, schüttet immer wieder Spreu unter das Korn, und führt (in der Absicht, eine feste Orthodoxie zu gründen) ein so inkonsequentes, lockeres, abergläubisches, in manchen Punkten geradezu barbarisches Gebäude auf, dass wir wohl Augustinus mehr als einem anderen werden Dank wissen müssen, wenn eines Tages das ganze Christentum des Chaos zusammenstürzt.

Diese beiden Männer wollen wir uns nun etwas genauer an - schauen. Und zwar wollen wir zunächst versuchen, über Paulus einige Grundideen zu gewinnen, denn hier dürfen wir hoffen, den Keimpunkt der folgenden Entwickelung blosszulegen.

Paulus.
67

Ob Paulus ein rassenreiner Jude war, bleibt, trotz aller Be - teuerungen, sehr zweifelhaft; ich meine doch, das Zwitterwesen dieses581Religion.merkwürdigen Mannes dürfte zum Teil in seinem Blute begründet liegen. Beweise liegen nicht vor. Wir wissen nur das Eine, dass er nicht in Judäa oder Phönicien, sondern ausserhalb des semitischen Umkreises, in Cilicien, geboren war, und zwar in der von einer dorischen Kolonie gegründeten, durchaus hellenischen Stadt Tarsus. Wenn wir nun einer - seits bedenken, wie lax die Juden jener Zeit (ausserhalb Judäa’s) über die Mischehen dachten,1)Siehe z. B. Apostelgeschichte XVI, 1. andererseits, dass die Diaspora, in der Paulus geboren wurde, eifrig Propaganda trieb und namentlich viele Weiber für den jüdischen Glauben gewann,2)Vergl. S. 143, Anmerkung. so erscheint die Vermutung durchaus nicht unzulässig, dass Paulus zwar einen Juden aus dem Stamme Benjamin zum Vater (wie er es behauptet, Römer XI, 1; Philipper III, 5), dagegen aber eine hellenische, zum Judentum über - getretene Mutter gehabt hat. Wenn historische Nachweise fehlen, hat wohl die wissenschaftliche Psychologie das Recht, ein Wort mit - zureden: obige Hypothese würde nun das sonst unbegreifliche Phänomen erklären, dass ein durchaus jüdischer Charakter (Zähigkeit, Schmieg - samkeit, Fanatismus, Selbstvertrauen) und eine talmudische Erziehung dennoch einen absolut unjüdischen Intellekt begleiten. 3)Was man von den Gesetzen der Vererbung weiss, würde sehr für die Annahme des jüdischen Vaters und der hellenischen Mutter sprechen. Zwar hat die früher beliebte Gleichung: ein Mann erbt den Charakter von seinem Vater, den Intellekt von seiner Mutter, sich als viel zu dogmatisch erwiesen; wenn zu - sammengewachsene Zwillinge mit einem einzigen Paar Beine durchaus verschiedenen Charakters sein können (vergl. Höffding: Psychologie, 2. Ausg., S. 480), so sieht man, wie vorsichtig man mit solchen Verallgemeinerungen sein muss. Dennoch giebt es so viele eklatante Fälle gerade bei den bedeutendsten Männern (ich will nur an Goethe und Schopenhauer erinnern), dass wir bei Paulus, wo eine so auf - fallende Inkongruenz wie ein unlösbares Problem vor uns steht, berechtigt sind, diese geschichtlich durchaus wahrscheinliche Hypothese aufzustellen. Wer ihre zwingende Kraft nicht einsieht, hat kein Verständnis für die Bedeutung der Rassenanlagen.Wie dem auch sein mag, Paulus wuchs nicht wie die übrigen Apostel in einem jüdischen Lande auf, sondern in einem regen Mittelpunkt griechischer Wissenschaft, sowie philosophischer und oratorischer Schulen. Von Jugend auf sprach und schrieb Paulus griechisch; seine Kenntnis des Hebräischen soll sogar recht mangelhaft gewesen sein. 4)Graetz behauptet (Volkstümliche Geschichte der Juden I, 646); » Paulus hatte nur geringe Kenntnis vom jüdischen Schrifttum und kannte die heilige Schritt nur aus der griechischen Übersetzung «. Dagegen beweisen seine Citate aus Epimenides, Euripides und Aratus seine Vertrautheit mit hellenischer Litteratur.Mag er582Der Kampf.also fromm jüdisch erzogen worden sein, die Atmosphäre, die den werdenden Mann umgab, war trotzdem nicht die unverfälscht jüdische, sondern die anregende, reichhaltige, freigeistige hellenische: ein um so beachtenswürdigerer Umstand, als empfangene Eindrücke desto tiefer wirken, je genialer der Mensch ist. Und so sehen wir denn Paulus im weiteren Verlaufe seines Lebens, nach der kurzen Epoche leiden - schaftlich verfolgter pharisäischer Irrwege, die Gesellschaft der echten Hebräer möglichst vermeiden. Die Thatsache, dass er vierzehn Jahre lang nach seiner Bekehrung die Stadt Jerusalem mied, obwohl er dort die persönlichen Jünger Christi angetroffen hätte, dass er sich auch dann nur notgedrungen und kurz dort aufhielt, dabei seinen Verkehr möglichst einschränkend, hat eine Bibliothek von Erläuterungen und Diskussionen veranlasst; das ganze Leben des Paulus zeigt jedoch, dass Jerusalem und seine Einwohner und deren Denkweise ihm einfach unerträglich zuwider waren. Seine erste That als Apostel ist die Ab - schaffung des heiligen » Bundeszeichens « aller Hebräer. Von Anfang an befindet er sich mit den Judenchristen im Kampfe. Wo er aposto - lische Sendungen an ihrer Seite unternehmen soll, entzweit er sich mit ihnen. 1)Siehe z. B. die beiden Episoden mit Johannes Marcus (Apostelgeschichte XIII, 13 und XV, 38 39).Keiner seiner wenigen persönlichen Freunde ist ein un - verfälschter palästinischer Jude: Barnabas z. B. ist, wie er selber, aus der Diaspora und so antijüdisch gesinnt, dass er (als Vorläufer des Marcion) den alten Bund, d. h. also die privilegierte Stellung des israeli - tischen Volkes, leugnet; Lukas, den Paulus » den geliebten « nennt, ist nicht Jude (Col. IV, 11 14); Titus, der einzige Busenfreund des Paulus, » sein Geselle und Gehilfe « (II. Cor. VIII, 23), ist ein echt hellenischer Grieche. Auch in seiner Missionsthätigkeit zieht es Paulus einzig zu den » Heiden « und zwar namentlich überall dorthin, wo hellenische Bildung blüht. In dieser Beziehung hat die allerneueste Forschung wertvolle Aufklärung gebracht. Bis vor Kurzem war die Kenntnis Kleinasiens im ersten christlichen Jahrhundert in geographischer und wirtschaftlicher Beziehung eine sehr mangelhafte; man meinte, Paulus habe (namentlich auf seiner ersten Reise) die uncivilisiertesten Gegenden aufgesucht, die grossen Städte ängstlich vermieden; jetzt ist diese Ansicht als irrig nachgewiesen worden:2)Namentlich durch die Werke von W. M. Ramsay: Historical Geography of Asia Minor, The Church in the Roman Empire before A. D. 170, St. Paul the traveller and the Roman citizen (alle auch in deutscher Übersetzung). Paulus hat vielmehr583Religion.fast lediglich in den grossen Centren der helleno-römischen Civilisation gepredigt und zwar mit Vorliebe dort, wo die Judengemeinden nicht gross waren. Städte wie Lystra und Derbe, die man in theologischen Kommentaren bisher für unbedeutende, kaum civilisierte Ortschaften erklärte, waren im Gegenteil Mittelpunkte hellenischer Bildung und römischen Lebens. Damit hängt denn auch eine zweite sehr wichtige Entdeckung zusammen: das Christentum hat sich nicht zuerst unter den Armen und Ungebildeten verbreitet, wie man bislang annahm, sondern im Gegenteil unter den Gebildeten und Bestgestellten. » Wo römische Organisation und griechisches Denken sich Bahn gebrochen hatten, dorthin wandte sich Paulus «, berichtet Ramsay,1)The Church etc., 4th| ed. p. 57. und Karl Müller bezeugt:2)Kirchengeschichte (1892) I, 26. » Die Kreise, die Paulus gewonnen, waren der Haupt - sache nach nie jüdisch gewesen. « Und dennoch, dieser Mann ist ein Jude; er ist stolz auf seine Abstammung,3)Siehe namentlich Gal. II, 15: » Wiewohl wir von Natur Juden, und nicht Sünder aus den Heiden sind «, und manche andere Stelle. er ist von jüdischen Vorstellungen wie durchtränkt, er ist ein Meister rabbinischer Dialektik, und er ist es, mehr als irgend ein anderer, der die historische Denk - weise und die Traditionen des Alten Testamentes zu einem integrieren - den, bleibenden Bestandteil des Christentums stempelt. 4)Harnack: a. a. O., S. 15.

Obwohl mein Thema die Religion ist, habe ich bei Paulus auf diese mehr äusserlichen Momente mit Absicht Nachdruck gelegt, weil mir als einem Laien bei Betreten des theologischen Religionsgebietes die grösste Vorsicht und Reserve zur Pflicht wird. Gern möchte ich Satz für Satz darlegen, was über Paulus nach meiner Überzeugung zu sagen wäre, doch wie oft dreht sich da alles um den Sinn eines einzigen (womöglich zweifelhaften) Wortes; unsereiner kann nur dann sicher gehen, wenn er tiefer greift, bis dorthin, woher die Worte entfliessen. Dorther ruft uns Paulus beherzt zu: » Ich von Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein Jeglicher sehe zu, wie er darauf baue! « (I. Cor. III, 10). Und sehen wir nun zu folgen wir der Mahnung des Paulus, diese Sorge nicht Anderen zu überlassen so entdecken wir, auch ohne das Gebiet der gelehrten Diskussionen zu betreten, dass die von Paulus gelegte Grundlage der christlichen Religion aus disparaten Elementen besteht. In seinem tiefsten inneren Wesen, in seiner Auffassung von der Be -584Der Kampf.deutung der Religion im Menschenleben ist Paulus so unjüdisch, dass er das Epitheton antijüdisch verdient; das Jüdische an ihm ist zum grössten Teile lediglich Schale, es treten darin lediglich die unausrott - baren Angewohnheiten des intellektuellen Mechanismus zu Tage. Im Herzen ist Paulus nicht Rationalist, sondern Mystiker. Mystik ist Mythologie zurückgedeutet aus den symbolischen Bildern in die innere Erfahrung des Unaussprechbaren, eine Erfahrung, die inzwischen an Intensität zugenommen und über ihre eigene Innerlichkeit sich klarer geworden ist. Die wahre Religion des Paulus ist nicht das Fürwahr - halten einer angeblichen Chronik der Weltgeschichte, sondern sie ist mythisch-metaphysische Erkenntnis. Solche Dinge wie die Unter - scheidung zwischen einem äusseren und einem inneren Menschen, zwischen Fleisch und Geist: » ich elender Mensch, wer wird mich er - lösen von dem Leibe dieses Todes? «, die vielen Aussprüche wie folgender: » Wir sind alle Ein Leib in Christo « u. s. w., alles das deutet auf eine transscendente Anschauung. Noch deutlicher jedoch tritt die indoeuropäische Geistesrichtung zu Tage, wenn man die grossen zu Grunde liegenden Überzeugungen überblickt. Da finden wir als Kern (siehe S. 559) die Vorstellung der Erlösung; das Bedürfnis nach ihr wird durch die angeborene, unbeschränkt allgemeine Sündhaftigkeit (nicht durch Gesetzesübertretungen und daraus folgendes Schuldgefühl) hervorgerufen; bewirkt wird die Erlösung durch die den Glauben schenkende göttliche Gnade (nicht durch Werke und heiliges Leben). Und was ist diese Erlösung? Sie ist » Wiedergeburt «, oder, wie Christus sich ausdrückt, » Umkehr «. 1)Als Anmerkung einige Belegstellen für den in der Schrift wenig Belesenen. Die Erlösung bildet den Gegenstand aller paulinischen Epistel. Die Allgemeinheit der Sünde wird durch die Herbeiziehung des Mythus vom Sündenfall und durch ihre (unjüdische) Deutung implicite zugegeben, ausserdem finden wir aber solche Stellen wie Römer XI, 32: » Gott hat alle Menschen unter den Ungehorsam beschlossen « und noch charakteristischer Epheser II, 3: » Wir alle sind von Natur Kinder des Zornes «. Über die Gnade ist vielleicht die entscheidendste Stelle folgende: » Denn Gott ist es, der in euch wirket beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen « (Philipper II, 13). Über die Bedeutung des Glaubens im Gegensatze zum Verdienst der guten Werke, findet man zahlreiche Stellen, denn dies ist der Grundpfeiler der Religion des Paulus, hier und hier vielleicht allein ist kein Schatten eines Widerspruches; der Apostel lehrt die reine indische Lehre. Man sehe namentlich Römer III, 27 28, V, 1, die ganzen Kapitel IX und X, eben - falls den ganzen Brief an die Galater u. s. w. Als Beispiele: » So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben « (Röm. III, 28). » Wir wissen, dass der Mensch durch des GesetzesEs wäre unmöglich, eine religiöse An -585Religion.schauung zu hegen, die einen schärferen Gegensatz zu aller semitischen und speziell jüdischen Religion darstellte. Das ist so wahr, dass Paulus nicht allein zu seinen Lebzeiten von den Judenchristen angefeindet wurde, sondern dass gerade dieser Kern seiner Religion anderthalb Jahrtausende innerhalb des Christentums unter dem überwuchernden Gestrüpp des jüdischen Rationalismus und der heidnischen Superstitionen verborgen blieb anathematisiert, wenn er in Männern wie Origenes wieder aufzutauchen versuchte, bis zur Unkenntlichkeit zugeschüttet von dem tief religiösen, im Herzen echt paulinischen, doch von dem entgegengesetzten Strom hinweggerissenen Augustinus. Hier mussten Germanen eingreifen; noch heute giebt es ausser ihnen keine echten Jünger des Paulus: ein Umstand, dessen volle Bedeutung Jedem ein - leuchten wird, wenn er erfährt, dass vor zwei Jahrhunderten die Jesuiten berieten, wie man die Briefe des Paulus aus der heiligen Schrift entfernen oder sie korrigieren könne. 1)Pierre Bayle: Dictionnaire; siehe die letzte Anmerkung zu der Notiz über den Jesuiten Jean Adam, der im Jahre 1650 viel Ärgernis durch seine öffentlichen Kanzelreden gegen Augustinus gab. Dieser Nachricht darf man unbedingtes Ver - trauen schenken, da Bayle den Jesuiten durchaus sympathisch gegenüberstand und bis zu seinem Tode in persönlichem freundschaftlichen Verkehr mit ihnen blieb. Auch der berühmte Père de La Chaise erklärt, » Augustinus dürfe nur mit Vorsicht gelesen werden «, was sich natürlich auf die Paulinischen Bestandteile seiner Religion bezieht (vergl. Sainte-Beuve: Port-Royal, 4. éd., II, 134 und IV, 436). Doch Paulus selber hatte das Werk des Antipaulinismus begonnen, indem er um diesen so offen - bar aus einer indoeuropäischen Seele hervorgegangenen Kern herum ein durchaus jüdisches Gebäude errichtete, eine Art Gitterwerk, durch welches zwar ein kongeniales Auge überall hindurchzublicken vermag, welches aber für das inmitten des unseligen Chaos werdende Christen - tum so ganz zur Hauptsache ward, dass der Kern von den Meisten so gut wie unbeachtet blieb. Dieses Aussenwerk konnte aber natürlich nicht die lückenlose Konsequenz eines reinen Systems wie des jüdischen oder indischen besitzen. An und für sich ein Widerspruch zu dem1)Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesum Christum « (Gal. II, 16). Gnade aber und Glaube sind nur zwei Phasen, zwei Modi der göttliche und der menschliche desselben Vorganges; darum ist in folgender Hauptstelle der Glaube als in der Gnade einbegriffen zu denken: » Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist es aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts; sonst wäre Verdienst nicht Verdienst « (Rom. XI, 6). Die Wiedergeburt wird in einer der indoplatonischen Auffassung verwandten Weise als » Paliggenesia « in dem Brief an Titus genannt (III, 5).586Der Kampf.inneren schöpferischen religiösen Gedanken, verwickelte sich dieses pseudojüdische theologische Gewebe in einen Widerspruch nach dem anderen in dem Bestreben, logisch überzeugend und einheitlich zu sein. Wir haben schon gesehen, dass gerade Paulus es war, der in hervor - ragender Weise das Alte Testament zu der neuen Heilslehre in or - ganische Beziehung zu setzen bestrebt war. Namentlich geschieht dies in dem am meisten jüdischen seiner Briefe, dem an die Römer. Im Gegensatz zu anderen Stellen wird hier (V, 12) der Sündenfall als ein rein historisches Ereignis eingeführt, der dann das zweite historische Ereignis, die Geburt des zweiten Adam » aus David’s Samen « (I, 3) logisch bedingt. Die ganze Weltgeschichte verläuft darnach in Ge - mässheit mit einem sehr übersichtlichen, menschlich begreiflichen, so - zusagen » empirischen « göttlichen Plane. An Stelle der engen jüdi - schen Auffassung tritt hier allerdings ein universeller Heilplan, doch das Prinzip ist dasselbe. Es ist der nämliche, durchaus menschlich gedachte Jahve, der da schafft, gebietet, verbietet, zürnt, straft, belohnt; Israel ist auch das auserwählte Volk, der » gute Oelbaum «, in den einzelne Zweige des wilden Baumes des Heidentums nunmehr einge - pfropft werden (Röm. XI, 17 fg. ); und auch diese Erweiterung des Judentums bewirkt Paulus lediglich durch eine Umdeutung der Messias - lehre, » wie sie in der damaligen jüdischen Apokalyptik ausgebildet worden war «. 1)Pfleiderer: a. a. O., S. 113.Nunmehr ist alles hübsch logisch und rationalistisch beisammen: die Schöpfung, der zufällige Sündenfall, die Strafe, die Erwählung eines besonderen Priestervolkes, aus dessen Mitte der Messias hervorgehen soll, der Tod des Messias als Sühnopfer (genau im alt - jüdischen Sinne), das letzte Gericht, welches Buch führt über die Werke der Menschen und darnach Lohn und Strafe austeilt. Jüdischer kann man unmöglich sein: ein willkürliches Gesetz bestimmt, was Heiligkeit und was Sünde sei, die Übertretung des Gesetzes wird be - straft, die Strafe kann aber durch die Darbringung eines entsprechenden Opfers gesühnt werden. Hier ist von einem aller Kreatur ange - borenen Erlösungsbedürfnis im indischen Sinne keine Rede, für die Wiedergeburt, wie sie Christus seinen Jüngern so eindringlich lehrte, ist kein Platz, der Begriff der Gnade besitzt in einem solchen System gar keinen Sinn, ebensowenig der Glaube (in der paulinischen Auffassung). 2)Mir als Laien sind so enge Grenzen hier gesteckt, dass ich nicht um - hin kann, den Leser zu bitten, er möge sich eingehende Belehrung über diesen so wichtigen Gegenstand bei den Fachleuten holen. Am deutlichsten tritt der

587Religion.

Zwischen den beiden Religionsauffassungen des Paulus besteht kein bloss organischer Gegensatz, wie alles Leben ihn bietet, sondern ein logischer, d. h. ein mathematischer, mechanischer, unauflösbarer2)doppelte Gedankengang mit seiner unlösbaren Antinomie hervor, wenn man den Endpunkt, das Gericht, scharf ins Auge fasst, und dazu leistet die vorzüglichsten Dienste eine kleine Specialschrift (wo man auch alle wünschenswerten Litteratur - nachweise finden wird) von Ernst Teichmann: Die paulinischen Vorstellungen von Auferstehung und Gericht und ihre Beziehungen zur jüdischen Apokalyptik (1896). Aus - gerüstet mit einer genauen Kenntnis der damaligen jüdischen Litteratur zeigt Teich - mann, Satz für Satz, wie buchstäblich alle die neutestamentlichen und speziell die paulinischen Vorstellungen vom letzten Gericht den spätgeborenen apokalyptischen Lehren des Judentums entnommen sind. Dass diese wiederum durchaus nicht hebräischen Ursprungs sind, sondern Lehngut aus Ägypten und Asien, durchsetzt mit hellenischen Gedanken (siehe a. a. O., S. 2 fg., 32 u. s. w.), zeigt nur, aus welchem Hexenkessel der Apostel schöpfte und thut wenig zur Sache, da der kräftige Nationalgeist der Juden alles, was er erfasste » jüdisch « umgestaltete. Ent - scheidend ist dagegen der detaillierte Nachweis, dass Paulus an anderen Orten (dort nämlich, wo seine wirkliche Religion sich Bahn bricht) die Vorstellung des Gerichtes ausdrücklich aufhebt und vertilgt. Man sehe namentlich den Abschnitt » Die Auf - hebung der Gerichtsvorstellung «, S. 100 fg. Teichmann schreibt hier: » Die Recht - fertigung durch den Glauben war eben eine Erkenntnis, die allen früheren An - schauungen diametral entgegenstand. Juden und Heiden wussten es nicht anders, als dass die Thaten, die Werke des Menschen für sein Los nach dem Tode ausschlaggebend seien. Hier aber tritt an die Stelle des ethischen das religiöse Verhalten. « Und S. 118 fasst der Autor seine Ausführungen folgen - dermassen zusammen: » Dagegen ist der Apostel völlig selbständig, wo er durch die konsequente Ausbildung seiner Pneumalehre die Vorstellung von dem Gericht überhaupt beseitigt. Auf Grund des Glaubens, gnadenweiser Empfang des πνεῦμα (Luther übersetzt Geist, es heisst aber bei Paulus himmlischer, wiedergeborener, göttlicher Geist, so z. B. II. Cor. III, 17 ϰύριος τὸ πνεῦμά ἐστιν: Gott der Herr ist das Pneuma); durch das πνεῦμα mystische Vereinigung mit Christus; in ihr, Anteil - nahme an dem Tode des Christus und infolgedessen an seiner διϰαιοσύνη (Gerechtig - keit) und seiner Auferstehung, damit aber Erlangung der υἱοϑεσὶα (Kindesannahme, Adoption); das sind die Etappen dieses Ideenfortschrittes. In der so ausgestalteten Lehre vom πνεῦμα haben wir die eigentliche christliche Schöpfung des Apostels. « Herr Teichmann scheint, wie die meisten christlichen Theologen, gar nichts davon zu wissen, dass die Lehre vom Pneuma so alt ist wie indoarisches Denken und dass sie als Prâna schon lange vor der Geburt des Paulus alle denkbaren Formen durchlaufen hatte, vom reinsten Geist bis zum feinsten Ätherstoff (vergl. a. a. O., S. 42 fg. die verschiedenen Ansichten über das Pneuma des Paulus); er weiss auch nichts davon, dass die Auffassung der Religion als Erkenntnis (Glaube) und Wiedergeburt, im Gegensatz zum ethischen Materialismus, altes indoeuropäisches Erbgut, organische Geistesanlage ist; doch um so wertvoller ist sein Zeugnis, aus welchem hervorgeht, dass die peinlichste Detailforschung von dem streng beschränkten Standpunkt wissenschaftlicher christlicher Theologie aus zu genau demselben Er - gebnis führt, wie die kühnste Verallgemeinerung.588Der Kampf.Widerspruch. Ein solcher Widerspruch führt notwendig zum Kampfe. Nicht notwendigerweise im Herzen des einen Urhebers, denn unser Menschengeist ist reich an automatisch wirkenden Anpassungsein - richtungen; genau so wie die Augenlinse auf verschiedene Entfernungen sich accomodiert, wobei das, was das eine Mal scharf erblickt wurde, das andere Mal fast bis zur Unkenntlichkeit verwischt erscheint, genau so wechselt das innere Bild mit dem Augenpunkt, und es kann vor - kommen, dass auf den verschiedenen Ebenen unserer Weltanschauung Dinge stehen, die miteinander keineswegs harmonieren, ohne dass wir selber jemals dessen gewahr würden; denn betrachten wir das Eine, so verschwinden die Umrisse des Anderen, und umgekehrt. Wir müssen also unterscheiden zwischen denjenigen logischen Widersprüchen, die vom gemarterten Geist mit vollem Bewusstsein notgedrungen auf - gestellt werden, wie z. B. von Augustinus, der immerwährend zwischen seiner Überzeugung und seiner angelernten Rechtgläubigkeit, zwischen seiner Intuition und seinem Wunsche, praktischen Kirchenbedürfnissen zu dienen, hin - und herschwankt, und den unbewussten Widersprüchen eines offenherzigen, völlig naiven Geistes wie Paulus. Doch diese Unter - scheidung dient nur zur Erkenntnis der besonderen Persönlichkeit; der Widerspruch als solcher bleibt bestehen. Zwar gesteht Paulus selber, dass er » Jedermann allerlei « wird, und das erklärt wohl einige Abweichungen; die Sache liegt aber tiefer. In dieser Brust wohnen zwei Seelen: eine jüdische und eine unjüdische, oder vielmehr: eine unjüdische beflügelte Seele angekettet an eine jüdische Denkmaschine. Solange die grosse Persönlichkeit lebte, wirkte sie als Einheit durch die Einheitlichkeit ihres Thuns, durch die Modulationsfähigkeit ihres Wortes. Nach ihrem Tode aber blieb der Buchstabe zurück, der Buchstabe, dessen verhängnisvolle Eigenschaft es ist, alles auf eine und dieselbe Ebene zu bringen; der Buchstabe, der alle Plastik der Perspektive vernichtet und nur eine einzige Fläche kennt die Oberfläche! Hier stand nun Widerspruch neben Widerspruch, nicht wie die Farben des Regen - bogens, die ineinander übergehen, sondern wie Licht und Finsternis, die einander ausschliessen. Der Kampf war unvermeidlich. Äusser - lich fand er von Anfang an in Dogmen - und Sektenbildung statt; nirgends gewann er gewaltigeren Ausdruck, als in der grossen und durchaus von Paulus inspirierten Reformation, die im 13. Jahrhundert anhob und zu ihrem Wahlspruch die Worte hätte wählen können: » So bestehet nun in der Freiheit und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen «, Gal. V, 1; auch heute dauert der589Religion.Kampf zwischen der jüdischen und unjüdischen Religion des Paulus fort. Fast noch verhängnisvoller war und ist der innerliche Kampf im Busen des einzelnen Christen, von Origenes bis zu Luther, und von diesem bis zu jedem kirchlich-christlich gesinnten Manne unseres 19. Jahrhunderts. Paulus selber war noch durch keinerlei Dogmen im Geringsten beschränkt gewesen. Von Christi Leben hat er nach - weislich sehr wenig gewusst;1)Siehe namentlich Pfleiderer: a. a. O., S. III fg. dass er bei keinem Menschen, nicht einmal bei den Jüngern des Heilands, selbst nicht bei denen, » die für Säulen angesehen werden «, Rat und Belehrung geholt habe, dessen rühmt er sich ausdrücklich (Gal. I und II); weder weiss er irgend etwas von der kosmischen Mythologie der Dreieinigkeit, noch lässt er sich auf die metaphysiche Hypostase des Logos ein,2)Eingehend und ungemein präcis bei Reuss: a. a. O., Buch V, Kap. 8. noch ist er in der peinlichen Lage, sich mit den Aussprüchen anderer Christen in Einklang setzen zu müssen. An manchem zu seiner Zeit durch die ganze Welt verbreiteten Aberglauben, welcher später zu einem christ - lichen Dogma umgestaltet ward, geht er lächelnd vorüber, wie er z. B. von den Engeln meint, man habe » nie keins gesehen « (Col. II, 18) und solle sich nicht durch solche Vorstellungen » das Ziel verrücken lassen «; er gesteht auch freimütig: » unser Wissen ist Stückwerk; wir sehen jetzt wie in einem Spiegelbild nur Rätselhaftes « (I. Cor. XIII, 9, 12), und darum kann es ihm auch gar nicht einfallen, seinen leben - digen Glauben in dogmatisches Stückwerk einzuschrauben: kurz, Paulus war noch ein freier Mann gewesen. Nach ihm war es keiner mehr. Denn durch sein eigenes Anknüpfen an das Alte Testament war jetzt ein Neues Testament entstanden: das alte war offenbarte Wahrheit, das neue folglich ebenfalls; das alte war wohlbezeugte geschichtliche Chronik, das neue konnte nicht weniger sein. Während das alte aber in später Zeit zielbewusst zusammengestellt und redigiert worden war, war das beim neuen nicht der Fall; hier stand der eine Mann unver - mittelt neben dem anderen. Lehrt z. B. Paulus überall in zähem Fest - halten an dem einen grossen Grundprinzip aller idealen Religion: nicht die Werke, sondern der Glaube ist das Erlösende, so spricht der unverfälschte Jude Jakobus gleich darauf das Grunddogma aller materialistischen Religion aus: nicht der Glaube, sondern die Werke machen selig. Beides steht im Neuen Testament, beides ist folglich offenbarte Wahr - heit. Dazu nun jener klaffende Widerspruch bei Paulus selber! Mögen die Schriftgelehrten sagen, was sie wollen und zu ihnen müssen590Der Kampf.wir in diesem Falle selbst einen Martin Luther rechnen die gor - dischen Knoten, die hier vorliegen (und es sind ihrer mehrere), lassen sich nicht lösen, sondern nur zerhauen: entweder man ist für Paulus oder man ist gegen ihn, und entweder man ist für die dogmatisch - chronistische pharisäische Theologie des einen Paulus, oder man glaubt mit jenem anderen Paulus an eine transscendente Wahrheit hinter dem » rätselhaften Spiegelbilde « des empirischen Scheines. Und nur in diesem letzteren Falle versteht man ihn, wenn er (wie Christus) von dem » Ge - heimnis « redet, nicht von einer Rechtfertigung (wie die Juden), sondern von dem Geheimnis der » Verwandlung « (I. Cor. XV, 51). Man begreift auch diese Verwandlung als etwas nicht Künftiges, sondern Zeitloses, d. h. Gegenwärtiges: » ihr seid selig geworden; er hat uns in das himmlische Wesen versetzt « (Eph. II, 5, 6). Und » müssen wir menschlich davon reden, um der Schwachheit willen unseres Fleisches « (Röm. VI, 19), müssen wir mit Worten von jenem Ge - heimnis reden, das kein Wort erreicht, das wir wohl in Jesus Christus erblicken, doch nicht denken und darum nicht aussprechen können nun so reden wir von Erbsünde, von Gnade, von Erlösung durch Wiedergeburt, und das alles fassen wir mit Paulus als Glauben zu - sammen. Lassen wir also selbst die abweichenden Lehren anderer Apostel bei Seite, sehen wir ab von den späteren Accrescenzen zur kirchlichen Lehre aus Mythologie, Metaphysik und Superstition, und halten wir uns an Paulus allein, so zünden wir einen unausgleichbaren Kampf im eigenen Herzen an, sobald wir uns dazu zwingen wollen, die beiden Religionslehren des Apostels für gleichberechtigt zu erachten.

Dies ist der Kampf, in welchem sich das Christentum vom ersten Tage an befand, dies ist die Tragödie des Christentums, gegen welche die göttliche und lebendige Erscheinung Jesu Christi, der einzige Quell, aus dem Alles strömt, was jemals im Christentum Religion genannt zu werden verdiente, bald in den Hintergrund trat. Nannte ich Paulus speziell, so hat man doch aus mancher eingestreuten Bemerkung er - sehen, dass ich weit entfernt bin, ihn als die einzige Quelle aller christ - lichen Theologie zu betrachten; gar manches in derselben ist spätere Zu - that, und grosse weltbewegende Religionskämpfe, wie z. B. der zwischen Arianern und Athanasiern, spielen sich fast ganz ausserhalb der pau - linischen Vorstellungen ab. 1)Wobei ich nicht übersehe, dass die Arianer sich auf die ziemlich dunkle Stelle in dem Brief an die Philipper (dessen Authenticität allerdings stark bezweifelt wird) Kap. II, Vers 6 berufen.In einem Buch wie dem vorliegenden591Religion.bin ich eben zu einer weitgehenden Vereinfachung gezwungen, sonst kämen vor lauter Material nur Schattenbilder zu Stande. Paulus ist ohne alle Frage der mächtigste » Baumeister « des Christentums (wie er sich selber nennt), und mir lag daran zu zeigen: erstens, dass er durch Ein - führung des jüdischen chronistischen und materiellen Standpunktes auch das intolerant Dogmatische mit begründet und dadurch namenloses späteres Unheil veranlasst hat, und zweitens, dass selbst wenn wir auf den reinen, unverfälschten Paulinismus zurückgehen, wir auf unlösbare, feindliche Widersprüche stossen Widersprüche, die in der Seele dieses einen bestimmten Mannes historisch leicht zu erklären sind, die aber, zu dauernden Glaubenssätzen für alle Menschen gestempelt, notwendiger Weise Zwist zwischen ihnen säen und den Kampf bis in das Herz des Einzelnen fortpflanzen mussten. Dieses unselige Zwitterhafte ist denn auch von Beginn an ein Merkmal des Christentums. Alles Widerspruchsvolle, Unbegreifliche in den nie endenden Streitigkeiten der ersten christlichen Jahrhunderte, während welcher das neue Religionsgebäude so schwer und schwerfällig und inkonsequent und mühevoll und (wenn man von einzelnen grossen Geistern absieht) im Ganzen so würdelos, Stein für Stein errichtet wurde, die späteren Verirrungen des menschlichen Geistes in der Scholastik, die blutigen Kriege der Konfessionen, die heillose Verwirrung der heutigen Zeit mit ihrem Babel von Bekenntnissen, die nur durch das weltliche Schwert vom offenen Kriege gegeneinander zurückgehalten werden, das Ganze übertönt von der schrillen Stimme der Blasphemie, während viele der edelsten Menschen sich beide Ohren zuhalten, da sie lieber gar keine Heilsbotschaft vernehmen, als eine der - artig kakophonische das alles hat seinen letzten Grund in dem fundamentalen Zwitterhaften des Christentums. Von dem Tage an, wo (etwa 18 Jahre nach dem Tode Christi) der Streit ausbrach zwischen den Gemeinden von Antiochien und Jerusalem, ob die Bekenner Jesu sich müssten beschneiden lassen oder nicht, bis heute, wo Petrus und Paulus sich viel schärfer gegenüberstehen als damals (siehe Galater II, 14), hat das Christentum hieran gekrankt. Und zwar um so mehr, als von Paulus bis Pionono Niemand sich dieses einfache, auf der Hand liegende Verhältnis vergegenwärtigt zu haben scheint: ich meine den Rassen - antagonismus, sowie die Thatsache, dass hier ewig unvereinbare, sich gegenseitig ausschliessende Religionsideale nebeneinander liegen. Und so kam es denn, dass die erste göttliche Offenbarung einer Religion der Liebe zu einer Religion des Hasses führte, wie sie die Welt noch niemals erlebt hatte. Die Nachfolger des Mannes, der sich ohne Wehr592Der Kampf.gefangen gab und ans Kreuz schlagen liess, ermordeten kaltblütig, als » frommes Werk «, binnen wenigen Jahrhunderten mehr Millionen Menschen, als in allen Kriegen des gesamten Altertums gefallen waren;1)Siehe S. 452, Anmerkung. die geweihten Priester dieser Religion wurden berufsmässige Henker; wer irgend einem leeren, von keinem Menschen begriffenen, zum Dogma gestempelten Begriffe, irgend einem Echo aus einer Mussestunde des Geistesakrobaten Aristoteles oder des Gedankenjongleurs Plotinos nicht eidlich beizutreten bereit war das heisst also der begabtere, der ernstere, der edlere, der freie Mann musste den qualvollsten Tod sterben; an Stelle der Lehre, dass nur im Geiste, nicht im Worte die Wahrheit der Religion liege, trat das Wort zum ersten Mal in der Weltgeschichte jene entsetzliche Herrschaft an, die wie ein schwerer Alp noch heute auf unserem armen aufstrebenden » Mittel - alter « lastet. Doch genug, ein Jeder versteht mich, ein Jeder kennt die blutige Geschichte des Christentums, die Geschichte des religiösen Wahnsinns. Und was liegt dieser Geschichte zu Grunde? Etwa die Gestalt Jesu Christi? Wahrlich nein! Die Paarung des arischen Geistes mit dem jüdischen und beider mit Tollheiten des nations - und glaubenslosen Völkerchaos. Der jüdische Geist, wäre er in seiner Rein - heit übernommen worden, hätte lange nicht so viel Unheil angerichtet; denn die dogmatische Einheitlichkeit hätte dann auf der Grundlage eines durchaus Begreiflichen geruht und gerade die Kirche wäre die Feindin des Aberglaubens geworden; so aber fand eine Infiltration des jüdischen Geistes in die hehre Welt indoeuropäischer Symbolik und freischöpferischer, wechselvoller Gestaltungskraft2)Siehe S. 222. statt; wie das Pfeil - gift der Südamerikaner drang dieser Geist erstarrend in einen Organismus ein, der einzig in wandelnder Neugestaltung Leben und Schönheit be - sitzt. Das Dogmatische3)Welche andere Bedeutung dem Dogma bei den Juden zukommt, habe ich S. 405 fg. ausführlich auseinandergesetzt., der Buchstabenglaube, die entsetzliche Be - schränktheit der religiösen Vorstellungen, die Intoleranz, der Fanatismus, die masslose Selbstüberhebung das Alles ist eine Konsequenz der historischen Auffassung, der Anknüpfung an das Alte Testament; es ist dies jener » Wille «, von dem ich vorhin sprach, den das Juden - tum dem werdenden Christentum schenkte: ein blinder, flammender, harter, grausamer Wille, jener Wille, welcher früher befohlen hatte, bei der Einnahme fremder Städte die Köpfe der Säuglinge an den593Religion.Steinen zu zerschmettern. Zugleich bannte dieser dogmatische Geist den dümmsten und widerwärtigsten Aberglauben armseliger Sklaven - seelen zu ewigen Bestandteilen der Religion; was früher für den » gemeinen Mann « (wie Origenes meinte) oder für die Sklaven (wie Demosthenes spottet) gut gewesen war, daran mussten nunmehr die Geistesfürsten um ihrer Seele Heil glauben. Ich habe schon in einem früheren Kapitel (siehe S. 306) auf die kindischen Superstitionen eines Augustinus aufmerksam gemacht; Paulus hätte keinen Augenblick ge - glaubt, dass ein Mensch in einen Esel verwandelt werden kann (wir sehen ja wie er von den Engeln spricht), Augustinus dagegen findet es recht plausibel. Während also die höchsten religiösen Intuitionen heruntergezogen und bis zur völligen Entartung verzerrt wurden, erhielten zugleich längst abgethane Wahnvorstellungen primitiver Menschen Zauberei, Hexenwesen u. s. w. ein offiziell gesichertes Heimatsrecht in praecinctu ecclesiae.

Kein Mensch bietet uns ein so edles, doch zugleich so traurigesAugustinus. Beispiel der Zerrissenheit, welche das also organisierte Christentum in den Herzen verursachte, wie Augustinus. Man kann keine Schrift von ihm aufschlagen, ohne von der Glut der Empfindung gerührt und von dem heiligen Ernst des Gedankens gefesselt zu werden; man kann nicht lange darin lesen, ohne es im Herzen beklagen zu müssen, dass ein solcher Geist, auserwählt um ein Jünger des lebendigen Christus zu sein, geschaffen wie nur Wenige, das Werk des Paulus fortzusetzen und der wahren Religion des Apostels im entscheidenden Augenblick zum Siege zu verhelfen, dennoch gegen die Mächte des Völkerchaos, dem er selbst vaterlandslos, rassen - los, religionslos entstiegen war, nicht aufzukommen vermag, so dass er zuletzt in einer Art wahnsinniger Verzweiflung das eine einzige Ideal erfasst: die römische Kirche als rettende, ordnende, einigende, weltbeherrschende Macht koste es, was es wolle, koste es auch das bessere Teil seiner eigenen Religion organisieren zu helfen. Bedenkt man aber, wie Europa zu Beginn des 5. Jahrhunderts aussah (Augustinus starb 430), hat man sich durch die Bekenntnisse dieses Kirchenvaters über den gesellschaftlichen und sittlichen Zustand der sogenannten civilisierten Menschen jener grauenhaften Zeit belehren lassen, vergegenwärtigt man sich, dass dieser » Professor der Rhetorik « erzogen von seinen Eltern in der » spes litterarum « (Confessiones II, 3), wohlbewandert im glatten Cicero und in den Subtilitäten des Neoplatonismus es erleben musste, wie die rauhen Goten, truculen -Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 38594Der Kampf.tissimae et saevissimae mentes (De civ. I, 7), Rom einnahmen, und wie die wilden Vandalen seine afrikanische Geburtsstätte verwüsteten, bedenkt man, sage ich, welche schreckenerregende Umgebung auf diesen hohen Geist von allen Seiten eindrang, so wird man sich nicht darüber verwundern, dass ein Mann, der in jeder anderen Zeit für Freiheit und Wahrheit gegen Gewissenstyrannei und Korruption auf - getreten wäre, hier das Gewicht seiner Persönlichkeit in die Wag - schale der Autorität und des unbedingten hierokratischen Despotismus warf. Ähnlich wie bei Paulus fällt es keinem Wissenden schwer, zwischen der wahren inneren Religion des Augustinus und der ihm aufgezwungenen zu unterscheiden; hier ist aber, durch die Fort - entwickelung des Christentums, die Sache viel tragischer geworden, denn die Unbefangenheit und damit auch die wahre Grösse des Menschen ist verloren. Nicht frank und frei und sorglos widerspricht sich dieser Mann, sondern er ist bereits geknechtet, der Widerspruch wird ihm von fremder Hand aufgenötigt. Es handelt sich hier nicht lediglich wie bei Paulus um zwei nebeneinander laufende Weltanschauungen; auch nicht bloss darum, dass ein Drittes inzwischen hinzugekommen ist: die Mysterien, Sakramente und Ceremonien aus dem Völkerchaos; sondern Augustinus muss heute das Gegenteil von dem behaupten, was er gestern sagte: er muss es, um auf Menschen, die ihn sonst nicht verstehen würden, wirken zu können; er muss es, weil er sein selbständiges Urteil auf der Schwelle der römischen Kirche ihr zum Opfer gebracht hat; er muss es, um sich nicht irgend eine spitz - findige dialektische Sophisterei im Dispute mit angeblichen Sektierern entgehen zu lassen. Es ist ein tragischer Anblick. Niemand hatte z. B. klarer als Augustinus eingesehen, welche verhängnisvolle Folgen der gezwungene Übertritt zum Christentum für das Christentum selber mit sich führe; schon zu seiner Zeit überwogen in der Kirche (nament - lich in Italien) diejenigen Menschen, die in gar keiner innerlichen Be - ziehung zur christlichen Religion standen und die den neuen Mysterien - kult an Stelle des alten nur annahmen, weil der Staat es forderte. Der Eine, berichtet Augustinus, wird Christ, weil sein Dienstgeber es befiehlt, der Andere, weil er durch die Verwendung des Bischofs einen Prozess zu gewinnen hofft,1)Über die Bischöfe als Richter in Civilprozessen, siehe weiter unten. der Dritte wünscht eine Anstellung, ein Vierter erhält dadurch eine reiche Frau. Schmerzerfüllt schaut Augustinus diesem Vorgang zu, der auch thatsächlich das knochen -595Religion.fressende Gift des Christentums wurde, und er warnt eindrücklich (wie Chrysostomus es schon früher gethan hatte) gegen die übliche » Massenbekehrung «: und dennoch ist es dieser selbe Augustinus, der die Lehre des compelle intrare in ecclesiam aufstellt, der das so folgen - schwere Prinzip sophistisch zu begründen sucht, durch » die Geissel zeitlicher Leiden « müsse man streben, » schlechte Knechte « zu retten, der die Todesstrafe für Unglauben und die Anwendung staatlicher Gewalt gegen Häresie fordert! Der Mann, der von der Religion die schönen Worte gesprochen hatte: » durch Liebe geht man ihr entgegen, durch Liebe sucht man sie, die Liebe ist es, die anklopft, die Liebe, welche Beharren im Offenbarten schenkt «1)De moribus eccl. cath. I, § 31. dieser Mann wird der moralische Urheber der Inquisitionsgerichte! Zwar hat er nicht Ver - folgung und Religionsmord erfunden, denn diese waren dem Christen - tum von dem Augenblick an eigen gewesen, wo es römische Staats - religion geworden war, doch hat er sie durch die Macht seiner Autorität bestätigt und geheiligt; erst durch ihn wurde die Intoleranz nicht mehr bloss eine politische, sondern eine religiöse Pflicht. Höchst charakteristisch für den wahren freien Augustinus ist wiederum z. B. die Art, wie er die Behauptung, Christus habe Petrus im Sinne ge - habt, als er sprach: » auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen «, energisch zurückweist, ja, als etwas Unsinniges, Blasphematorisches hinstellt, da doch Christus offenbar gemeint habe: auf den Felsen dieses » Glaubens «, nicht dieses Mannes; weswegen Augustinus auch scharf zwischen der sichtbaren Kirche, die zum Teil auf Sand stehe, und der wirklichen Kirche unterscheidet:2)Den Bischof von Rom redet Augustinus in seinen Schreiben einfach als » Mitbruder « an. Allerdings gebraucht er auch den Ausdruck » deine Heiligkeit «, nicht aber gegen den Bischof von Rom allein, sondern jedem Priester gegenüber, selbst wenn er kein Bischof ist; jeder Christ gehörte ja nach damaligem Sprach - gebrauch zur » Gemeinschaft der Heiligen «. und doch ist es wiederum er, mehr als irgend ein Anderer, der die Macht dieser sichtbaren. römischen, auf Petrus sich berufenden Kirche begründen hilft, der sie als eine unmittelbar von Gott eingesetzte Institution preist, » ab apo - stolica sede per successiones episcoporum «;3)Ep. 93 ad Vincent (nach Neander). und der diesen rein religiösen Anspruch auf Herrschaft durch den viel entscheidenderen der politischen Kontinuität die römische Kirche die legitime Fort - setzung des römischen Reiches ergänzt. Seine Hauptschrift De38*596Der Kampf.civitate Dei ist ebenso sehr vom römischen Imperiumsgedanken wie von der Apokalypse Johannis eingegeben.

Noch viel grausamer und verhängnisvoller erscheint dieses Leben im Widerspruch, dieses Aufbauen aus den Trümmern des eigenen Herzens, sobald wir das innere Leben und die innere Religion des Augustinus betrachten! Augustinus ist von Natur ein Mystiker. Wer kennt nicht seine Confessiones? Wer hätte nicht jene herrliche Stelle, das zehnte Kapitel des siebenten Buches oft und oft wiedergelesen, wo er beschreibt, wie er Gott erst dann gefunden habe, als er ihn im eigenen Herzen suchte? 1)» Zurück (von den Büchern) wandte ich mich zu meinem eigenen Innern; von dir geführt, betrat ich die tiefsten Tiefen meines Herzens, du halfst mir, dass ich es vermochte. Ich trat ein. So schwach mein Auge auch war, erblickte ich doch deutlich weit erhaben über dieses mein Seelenauge, erhaben über meine Vernunft das unwandelbare Licht. Es war nicht jenes gewöhnliche, den Sinnen vertraute Licht, noch unterschied es sich etwa von diesem durch blosse stärkere Leuchtkraft, wie wenn das Tageslicht immer heller und heller geworden wäre, bis es allen Raum erfüllt hätte. Nein, das war es nicht, sondern ein anderes, ein ganz anderes. Auch schwebte es nicht erhaben über meiner Vernunft, wie etwa Öl über Wasser schwebt oder der Himmel über der Erde, sondern erhaben über mich war es, weil es mich selbst geschaffen hatte, und gering war ich als sein Geschöpf. Wer die Wahrheit kennt, kennt jenes Licht, und wer jenes Licht kennt, kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. O ewige Wahrheit und wahre Liebe und geliebte Ewigkeit! du bist mein Gott! Tag und Nacht seufze ich nach dir! «Wem sollte nicht das Gespräch mit seiner sterbenden Mutter Monika gegenwärtig sein, jene wunderbare Blüte der Mystik, die im Brihadâranyaka-Upanishad gepflückt sein könnte: » Schwiege der Sinne Toben, schwiegen jene Schattengestalten der Erde, des Wassers und der Luft, schwiege das Gewölbe des Himmels, und bliebe auch die Seele schweigsam in sich gekehrt, so dass sie, selbstver - gessen, über sich selbst hinausschwebte, schwiegen auch die Träume und die erträumten Offenbarungen, schwiege jede Zunge und jeder Name, schwiege alles was sterbend dahingeht, schwiege das All ..... und Er allein redete, nicht aber durch die Geschöpfe, sondern Er selber, und wir hörten seine Worte, nicht als spräche einer mit Menschenzunge, noch durch Engelstimmen, noch im Donner, noch durch das Rätsel der Allegorien ..... und dieser Alleinige ergriffe den Schauenden und verzehrte ihn ganz und tauchte ihn in mystische Seligkeit (interiora gaudia): sollte nicht das ewige Leben dieser Vorstellung gleichen, wie sie uns ein mit Seufzern herbeigerufener kurzer Augenblick eingab? « (IX, 10). Doch ist Augustinus nicht etwa bloss ein Mystiker des597Religion.Gemütes (wie das Christentum viele gekannt hat), sondern er ist ein religiöses Genie, der nach der von Christus gelehrten, inneren » Umkehr « strebt, und durch die Episteln des Paulus dieser Wieder - geburt teilhaftig wurde; er erzählt uns, wie gerade durch Paulus allein in seine von Leidenschaften zerrissene, durch jahrelange innere Kämpfe und fruchtlose Studien der völligen Verzweiflung verfallene Seele plötzlich Licht, Frieden, Seligkeit eindrang (Conf. VIII, 12). Mit vollster Überzeugung, mit tiefem Verständnis erfasst er die grundlegende Lehre von der Gnade, der gratia indeclinabilis, wie er sie nennt; sie ist ihm so sehr die Grundlage seiner Religion, dass er die Benennung als » Lehre « für sie abweist (De gratia Christi, § 14); und als echter Jünger des Apostels, zeigt er, dass das Verdienst der Werke durch die Vorstellung der Gnade ausgeschlossen sei. Schwankender und mit den indischen Religionslehrern nicht zu vergleichen ist seine Auffassung von der Bedeutung der Erlösung sowie auch der Erbsünde; denn hier trübt die jüdische Chronik sein Urteilsvermögen, doch ist das fast neben - sächlich, da er andererseits den Begriff der Wiedergeburt als den un - verrückbaren Mittelpunkt des Christentums festhält. 1)Namentlich in De peccato originali. Über die Gnade spricht sich Augustinus besonders deutlich in seinem Brief an Paulinus, Abschnitt 6, aus, wo er gegen Pelagius polemisiert: » Die Gnade ist nicht eine Frucht der Werke; wäre sie es, so wäre sie keine Gnade mehr. Denn für Werke wird gegeben, was sie wert sind; die Gnade aber wird ohne Verdienst gegeben. « In Ambrosius hatte er in dieser Beziehung einen guten Lehrer gehabt, denn dieser hatte gelehrt: » nicht aus den Werken, sondern aus dem Glauben ist der Mensch gerechtfertigt. « (Siehe die schöne Rede auf den Tod des Kaisers Theodosius § 9; als Beispiel ist hier Abraham heran - gezogen).Und nun kommt dieser selbe Augustinus und verleugnet fast alle seine innersten Über - zeugungen! Er, der uns gesagt hat, wie er Gott in seiner eigenen innersten Seele entdeckt und wie Paulus ihn zur Religion geführt habe, schreibt nunmehr (in der Hitze des Gefechtes gegen die Manichäer): » Ich würde das Evangelium nicht glauben, wenn nicht die Autorität der katholischen Kirche mich nötigte, es zu thun «. 2)Contra epistolam Manichaei § 6 (nach Neander).Hier steht also für Augustinus die Kirche von der er selber bezeugte, sie enthalte wenige wahre Christen höher als das Evangelium; mit anderen Worten, die Kirche ist Religion. Im Gegensatz zu Paulus, der aus - gerufen hatte: ein Jeder sehe zu, wie er auf der Grundlage Christi baue, erklärt Augustinus: nicht die Seele, sondern der Bischof habe den Glauben zu bestimmen; er weigert den ernstesten Christen etwas,598Der Kampf.was fast jeder Papst auch später gewährte, nämlich die blosse Unter - suchung abweichender Lehren: » sobald die Bischöfe gesprochen «, schreibt er, » giebt es nichts mehr zu untersuchen, sondern mit Gewalt soll die Obrigkeit den Irrglauben unterdrücken «. 1)Eine Lehre, auf welche sich die Kirche später beruft (so z. B. die römische Synode vom Jahre 680), um von der Civilgewalt zu fordern, sie solle die Orthodoxie » allherrschend machen und dafür sorgen, dass das Unkraut ausgerissen werde « (Hefele: a. a. O., III, 258).Wie die reine Lehre von der Gnade bei ihm nach und nach in die Brüche geht, muss man in ausführlichen Dogmengeschichten verfolgen; ganz auf - geben konnte Augustinus sie nie, doch betonte er die Werke so vielfältig, dass wenn sie auch (nach Augustinus Auffassung) als » Geschenk Gottes « Bestandteile der Gnade, sichtbare Erfolge derselben blieben, doch gerade dieses Verhältnis für das gewöhnliche Auge verloren ging. Dem stets lauernden Materialismus war hiermit Thür und Thor geöffnet. Sobald Augustinus den Nachdruck darauf legte, dass ohne das Verdienst der Werke keine Erlösung statthabe, wurde der Vordersatz, dass die Fähig - keit zu diesen Werken ein Geschenk der Gnade, diese also Blüten an dem Baume des Glaubens seien, bald vergessen. Augustinus kommt selber so weit, dass er von dem relativen Wert verschiedener Werke spricht und auch den Tod Christi von diesem Standpunkte eines zu berechnenden Wertes aus betrachtet! 2)Alles Nähere über die Gnadenlehre des Augustinus in Harnack’s grosser Dogmengeschichte; der Abriss ist für diese unendlich komplizierte Frage zu kurz. Doch darf der Laie niemals übersehen, dass, wie verwickelt die Schattierungen auch sein mögen, die Grundfrage eine ureinfache ist und bleibt. Jene Verwickeltheit ist einzig eine Folge des spitzfindigen Disputierens und ihre Mannigfaltigkeit ist bedingt durch die mögliche Mannigfaltigkeit logischer Kombinationen; man gerät hier auf das Gebiet der Geistesmechanik. Dagegen verhält sich die Religion der Gnade zu der Religion des Gesetzes und des Verdienstes einfach wie + zu ; nicht Jeder ist im Stande, sich bei allen Subtilitäten der Mathematiker und noch weniger bei denen der Theologen etwas zu denken, doch zwischen Plus und Minus sollte Jeder unterscheiden können.Das ist Judentum an Stelle von Christentum. Und natürlich veranlasste dieses Wanken und Schwanken der zu Grunde liegenden Anschauungen ein ebensolches in Bezug auf alle Nebenfragen. Auf die Abendmahlsfrage, die gerade jetzt aufzutauchen begann, komme ich noch zurück; meine kurzen Andeutungen will ich mit einer letzten beschliessen, einem blossen Beispiel, damit man sehe, wie weitreichende Folgen aus den inneren Widersprüchen jener werdenden Kirche im Laufe der Jahrhunderte sich ergeben sollten. An verschiedenen Orten entwickelt Augustinus mit599Religion.scharfsinniger Dialektik den Begriff von der Transscendentalität der Zeit - vorstellung (wie wir heute sagen würden); ein Wort für seinen Be - griff findet er nicht, so dass er z. B. bei einer langen Diskussion dieses Gegenstandes im XI. Buch der Confessiones zuletzt gesteht: » Was ist also die Zeit? Solange mich keiner darnach fragt, weiss ich es recht gut, doch sobald ich es einem Fragenden erklären will, weiss ich es nicht mehr « (Kap. 14). Wir aber verstehen ihn ganz gut. Er will zeigen, dass es für Gott, d. h. also für eine nicht mehr empirisch be - schränkte Anschauung, keine Zeit nach unserem Begriffe gebe, und somit darthun, wie gegenstandslos die vielen Diskussionen über voran - gegangene und zukünftige Ewigkeit seien. Man sieht, er hat den Kern echter Religion erfasst; denn seine Beweisführung drängt unab - wendbar zu der Einsicht, dass aller Chronik der Vergangenheit und Prophezeiung der Zukunft lediglich bildliche Bedeutung zukomme, wo - durch aber auch Lohn und Strafe hinfällig werden. Und das ist der selbe Mann, der sich später nie genug hat thun können, um die unbedingte buchstäbliche Ewigkeit der Höllenstrafen als eine nicht zu be - zweifelnde, grundlegende, konkrete Wahrheit nachzuweisen und tief ins Gemüt einzugraben! Ist man also vollkommen berechtigt, in Augustinus einen Vorläufer Martin Luther’s zu erblicken, so wurde er doch zu - gleich ein thatsächlicher, mächtiger Bahnbrecher für jene antipaulinische Richtung, die später in Ignatius und seinem Orden und in ihrer Religion der Hölle unverhüllten Ausdruck fand. 1)Siehe S. 525. Auch der mehrere Jahrhunderte später erst entstandene Ab - lassunfug konnte sich insofern auf Augustinus berufen, als gerade aus jener oben erwähnten relativen Wertschätzung der Werke und namentlich des Todes Christi sich der Begriff der Opera supererogationis (Werke über das notwendige Mass hinaus) ergab, aus welchem überschüssigen Fonds dann durch Vermittlung der Kirche Verdienste vergeben werden.

Harnack fasst seine Kapitel Augustinus betreffend folgendermassen zusammen: » Durch Augustinus wurde die Kirchenlehre nach Umfang und Bedeutung unsicherer. .... Um das alte Dogma, welches sich in erstarrender Gültigkeit behauptete, bildete sich ein grosser un - sicherer Kreis von Lehren, in dem die wichtigsten Glaubensgedanken lebten, und der doch von Niemandem überschaut und festgefügt werden konnte. « Obwohl gerade er so unermüdet für die Einheit der Kirche gewirkt hatte, hinterliess er, wie man sieht, noch mehr Stoff zu Kampf und Entzweiung, als er vorgefunden hatte. Der stürmische Kampf im eigenen Herzen hatte eben auch nach seinem Eintritt in die Kirche,600Der Kampf.ihm selber vielleicht vielfach unbewusst, bis an sein Lebensende fort - gedauert: nicht mehr in der Gestalt eines Ringens zwischen Sinnen - genuss und Sehnsucht nach edler Reinheit, sondern als Kampf zwischen einem krass materialistischen, abergläubischen Kirchenglauben und dem kühnsten Idealismus echter Religion.

Die drei Haupt - richtungen.
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Ebensowenig wie ich im zweiten Kapitel eine Rechtsgeschichte zu schreiben unternahm, ebensowenig werde ich mich jetzt erkühnen, eine Religionsgeschichte zu skizziren. Gelingt es mir, eine lebhafte und zugleich innerlich richtige Vorstellung des Wesens des auf uns herabgeerbten Kampfes wachzurufen des Kampfes verschiedener religiöser Ideale um die Vorherrschaft so ist mein Zweck erreicht. Das wirklich Wesentliche ist die Einsicht, dass das historische Christen - tum ein Zwitterwesen von allem Anfang an den Kampf in den Busen des Einzelnen pflanzte. Mit den beiden grossen Gestalten des Paulus und des Augustinus versuchte ich das bei aller gedrängter Kürze deutlich zu machen. Damit sind aber die Hauptelemente des äusseren Kampfes, nämlich des Kampfes in der Kirche, gegeben. » Der rechte Grund ist des Menschen Herz «, sagt Luther. Darum eile ich jetzt dem Ende zu, indem ich aus der schier unermesslichen Menge der zum » Kampf in der Religion « gehörigen Thatsachen einige wenige herausgreife, die besonders geeignet sind, aufklärend zu wirken. Ich beschränke mich auf die allernotwendigste Ergänzung des bereits genügend Angedeuteten. Auf diese Weise werden wir, hoffe ich, einen Überblick gewinnen, der uns bis an die Schwelle des 13. Jahrhunderts führt, wo zwar der äussere Kampf erst recht beginnt, der innere aber ziemlich ausgetobt hat: fortan stehen sich dann ge - trennte Anschauungen, Prinzipien, Mächte vor allem getrennte Rassen gegenüber, die aber mit sich selber verhältnismässig einig sind und wissen, was sie wollen.

In seinen allerallgemeinsten Umrissen betrachtet, besteht der Kampf in der Kirche während des ersten Jahrtausends zuerst aus einem Kampf zwischen Osten und Westen, später aus einem solchen zwischen Süden und Norden. Freilich darf man diese Begriffsbestimmung nicht rein geographisch verstehen: der » Osten « war ein letztes Aufflackern hellenischen Geistes und hellenischer Bildung, der » Norden « war das beginnende Erwachen der germanischen Seele; einen bestimmten Ort, einen bestimmten Mittelpunkt gab es für diese beiden Kräfte nicht: der Germane konnte ein italienischer Mönch sein, der Grieche ein601Religion.afrikanischer Presbyter. Beiden stand Rom gegenüber. Dessen Arme reichten bis in den fernsten Osten und bis in den entlegensten Norden; insofern ist auch dieser Begriff » Rom « nicht bloss örtlich zu fassen; doch hier bestand ein unverrückbares Centrum, die altgeheiligte Stadt Rom. Eine spezifisch römische Bildung, der hellenischen entgegen - zustellen, gab es nicht, alle Bildung war in Rom von jeher hellenisch gewesen und geblieben; von einer irgendwie ausgesprochen individuellen römischen Seele, der germanischen vergleichbar, konnte noch weniger die Rede sein, da das altrömische Volk von der Erdoberfläche ent - schwunden und Rom lediglich der administrative Mittelpunkt eines nationalitätlosen Gemenges war; wer von » Rom « spricht, redet vom Völkerchaos. Trotzdem erwies sich Rom nicht als der schwächere unter den Kämpfenden, sondern als der stärkere. Vollkommen siegte es allerdings weder im Osten noch im Norden; sichtbarer als vor tausend Jahren stehen sich noch heute jene drei grossen » Richtungen « gegenüber; doch ist die griechische Kirche des Schismas in Bezug auf ihr religiöses Ideal wesentlich eine römisch-katholische, weder eine Tochter des grossen Origenes noch der Gnostiker, und die Reformation des Nordens warf ebenfalls das spezifisch Römische nur teilweise ab und gebar ausserdem erst so spät ihren Martin Luther, dass bedeutende Teile von Europa, die einige Jahrhunderte früher ihr gehört hätten, da jener » Norden « bis in das Herz von Spanien, bis an die Thore Rom’s sich erstreckte, ihr nunmehr rettungslos romanisiert verloren gingen.

Ein Blick auf diese drei Hauptrichtungen, in denen ein Ausbau des Christentums versucht wurde, wird genügen, um die Natur des Kampfes der sich auf uns herabgeerbt hat, anschaulich zu machen.

Die bezaubernde Frühblüte des Christentums war eine hellenische. Der » Osten «.Stephan, der erste Märtyrer, ist ein Grieche, Paulus der so energisch auffordert, man solle sich » der jüdischen Fabeln und Altweibermärchen entschlagen «1)I Tim. IV, 7. und Tit. I, 14. ist ein von griechischem Denken durchtränkter Geist, der offenbar auch nur dann ganz er selbst sich fühlt, sobald er zu hellenisch Gebildeten redet. Doch gesellte sich bald zu dem sokratischen Ernst und der platonischen Tiefe der Anschauungen ein andrer echt griechischer Zug, der zur Abstraktion. Diese hellenische Geistesrichtung hat die Grundlage der christlichen Dogmatik geschaffen, und nicht die Grundlage allein, sondern in allen jenen Dingen, welche ich oben die äussere Mythologie genannt habe wie die Lehre von der Drei -602Der Kampf.einigkeit, von dem Verhältnis des Sohnes zum Vater, des Logos zur Menschwerdung u. s. w. auch das ganze Dogma. Der Neo - platonismus und das, was man berechtigt wäre, den Neoaristotelismus zu nennen, standen damals in hoher Blüte; alle hellenisch Gebildeten, gleichviel welcher Nationalität angehörig, befassten sich mit pseudo - metaphysischen Spekulationen. Paulus zwar ist sehr vorsichtig in der Anwendung philosophischer Argumente; nur als eine Waffe, zur Über - zeugung, zur Widerlegung gebraucht er sie; dagegen fügt der Ver - fasser des Evangeliums Johannis ohne Weiteres das Leben Jesu Christi und die mythische Metaphysik des späten Hellenentums ineinander. Von diesem Beginn an ist während drei Jahrhunderte die Geschichte christ - lichen Denkens und christlicher Glaubensgestaltung eine ausschliesslich griechische; dann dauerte es noch ungefähr dreihundert Jahre, bis mit der nachträglichen Anathematisierung des grössten hellenischen Christen, Origenes, auf der konstantinopolitanischen Synode des Jahres 543, die hellenische Theologie endgültig zum Schweigen gebracht wurde. Judai - sierenden Sekten aus jener Zeit, wie den Nazarenern, Ebionitern u. s. w. kommt keine bleibende Bedeutung zu. Rom, als Mittelpunkt des Reiches und alles Verkehrs, gab natürlich und notwendig sofort den organisatorischen Mittelpunkt, wie für alles Übrige im römischen Reiche, so auch für die Sekte der Christen ab; theologische Gedanken sind aber charakteristischer Weise keine daher gekommen; als end - lich, zu Beginn des 3. Jahrhunderts, eine » lateinische Theologie « ent - stand, so geschah das nicht in Italien, sondern in Afrika, und eine recht störrische, für Rom unbequeme Kirche und Theologie war das, bis die Vandalen und später die Araber sie vernichtet hatten. Die Afrikaner wirkten aber im letzten Ende doch für Rom, ebenso wie auch alle diejenigen Griechen, welche wie Irenäus in den Bannkreis dieser übermächtigen Gewalt hineingerieten. Nicht allein betrachteten sie den Vorrang Rom’s als etwas Selbstverständliches, sondern sie be - kämpften alle jene hellenischen Vorstellungen, welche das lediglich auf Politik und Verwaltung ausgehende Rom für schädlich halten musste, vor Allem also den hellenischen Geist überhaupt in seinem ganzen Eigenwesen, welches jedem Krystallisationsprozess abhold war und in Forschung, Spekulation und Neugestaltung stets ins Unbeschränkte strebte.

Im Grunde genommen handelt es sich hier um einen Kampf zwischen dem gänzlich entseelten, doch in administrativer Hinsicht bis zur höchsten Virtuosität ausgebildeten, imperialen Rom, und dem zum letzten Mal aufflackernden alten Geist des schöpferischen Hellenen -603Religion.tums einem Geist, der freilich vielfach bis zur Unkenntlichkeit von anderen Elementen durchsetzt und getrübt war und von seiner früheren Kraft und Schönheit viel eingebüsst hatte. Dieser Kampf wurde hart - näckig und schonungslos, nicht mit Argumenten allein, sondern mit allen Mitteln der List, der Vergewaltigung, der Bestechung, der Ignoranz, sowie namentlich mit kluger Benützung aller politischen Konjunkturen geführt. Dass in einem solchen Kampf Rom siegen musste, ist klar; namentlich da in jenen frühen Zeiten (bis zum Tode des Theodosius) der Kaiser das thatsächliche Oberhaupt der Kirche auch in dogmatischen Dingen war, und die Kaiser trotz des Einflusses, den grosse und heilige Metropolitane in Byzanz vorübergehend auf sie ausübten stets mit dem unfehlbaren Urteil erfahrener Politiker empfanden, einzig Rom sei fähig Einheit, Organisation, Disziplin, durchzuführen. Wie hätte metaphysisches Grübeln und mystische Versenkung gegen praktisch - systematische Politik siegen sollen? So war es z. B. Konstantin I. der noch nicht getaufte Gattin - und Kindermörder, derselbe Mann, der durch besondere Erlässe die Stellung der heidnischen Auguren im Reiche befestigte Konstantin war es, der die erste ökumenische Synode zusammenberief (325 in Nicäa), und der gegen die erdrückende Mehrheit der Bischöfe seinen Willen, d. h. die Lehren seines ägyp - tischen Schützlings, Athanasius, durchsetzte. 1)Wie ausschliesslich von politischen, gar nicht von religiösen Rücksichten Konstantin sich hierbei leiten liess, indem er nämlich, durch seine Umgebung für Arius eingenommen, dennoch die Gegenpartei ergriff, sobald er merkte, dass diese stärkere Bürgschaften kräftiger Organisation, kurz mehr Hoffnung auf politischen Bestand bot, kann man in Bernouilli: Das Konzil von Nicäa lesen.So entstand das sogenannte nicänische Glaubensbekenntnis: auf der einen Seite die kluge Berechnung eines zielbewussten, gewissenlosen, gänzlich unchristlichen Politikers, der sich nur die eine Frage vorlegte: wie knechte ich meine Unterthanen am vollkommensten; auf der anderen die feige Unaufrichtigkeit eingeschüchterter Prälaten, die ihre Unterschrift unter etwas, was sie für falsch hielten, setzten, und sobald sie in ihre Diözese zurückgekehrt waren, dagegen zu agitieren begannen. Bei weitem das Interessanteste in Bezug auf dieses erste und grundlegende Kirchen - konzil ist für uns Laien die Thatsache, dass die Mehrzahl der Bischöfe, als echte Schüler des Origenes, überhaupt gegen alle Einsperrung des Gewissens in derartige geistige Zwangsjacken waren und eine Glaubens - formel verlangt hatten, weit genug, um in den Dingen, die den mensch - lichen Verstand übersteigen freien Spielraum zu lassen, und somit604Der Kampf.wissenschaftlicher Theologie und Kosmologie das Existenzrecht zu sichern. 1)Karl Müller: Kirchengeschichte I, 181.Was diese hellenischen Christen also erstrebten, war ein Zustand von Freiheit innerhalb der Orthodoxie, demjenigen vergleich - bar, der in Indien geherrscht hat. 2)Vergl. S. 406 fg.Gerade das aber war es, was Rom und der Kaiser verhüten wollten: es sollte nichts mehr schwankend, nichts mehr unsicher bleiben, sondern wie auf jedem andern Gebiete, so sollte auch auf dem der Religion fortan absolute Einförmigkeit im ganzen römischen Reiche Gesetz sein. Wie unerträglich dem hoch - gebildeten hellenischen Geist das bornierte und » bornierende « Dogmati - sieren war, erhellt zur Genüge aus der einen Thatsache, dass Gregor von Nazianz, ein Mann, den die römische Kirche seiner Rechtgläubigkeit wegen zu ihren Heiligen zählt, noch im Jahre 380 (also lange nach dem nicänischen Konzil) schreiben konnte: » Einige unserer Theologen halten den heiligen Geist für eine gewisse Wirkungsweise Gottes, Andere für ein Geschöpf Gottes, Andere für Gott selbst; Andere sagen, sie wüssten selbst nicht, welches sie annehmen sollten, aus Ehrfurcht vor der heiligen Schrift, die sich nicht deutlich darüber erkläre. « 3)Nach Neander: Kirchengeschichtc IV, 109. Nach Hefele: Konziliengeschichte II, 8 hat es auch den Anschein, als ob Gregor von Nazianz das erweiterte Symbolum von Constantinopel (im Jahre 381) nicht mitberaten und nicht mitunterschrieben hätte.Doch das kaiserlich-römische Prinzip konnte nicht vor der heiligen Schrift abdanken; ein Tüttelchen Gedankenfreiheit und ihre unbeschränkte Autorität wäre gefährdet gewesen. Darum wurde auf der zweiten allgemeinen Synode zu Constantinopel (im Jahre 381) das Glaubensbekenntnis noch ergänzt, in der Absicht, die letzten Luken zu verstopfen, und auf der dritten allgemeinen Synode, gehalten zu Ephesus im Jahre 431, wurde ausdrücklich bestimmt, » es dürfe diesem Bekenntnis bei Strafe der Exkommunikation nichts hinzugefügt und nichts von ihm weggenommen werden. « 4)Hefele: Konziliengeschichte II, 11 fg., 372.So wurde die geistige Bewegung des sterbenden Hellenentums, die über drei Jahrhunderte gedauert hatte, endgültig zum Stillstand gebracht. Wie das im Einzelnen geschehen war, mag man in Geschichtswerken nachlesen; doch sind die Werke der Theologen (aller Kirchen) mit grosser Vorsicht zu ge - brauchen, denn ein sehr natürliches Schamgefühl lässt sie über die be - gleitenden Umstände der einzelnen Konzilien, in denen der dogmatische Glaube des Christentums angeblich » für ewige Zeiten « festgestellt wurde,605Religion.schnell hinweggleiten. 1)Trotz aller neuen Werke möchte ich dem Ungelehrten noch immer Kapitel 47 aus Gibbon’s Roman Empire mindestens für eine vorläufige Übersicht als unerreicht empfehlen.Das eine Concilium verlief allerdings derartig, dass es selbst in römisch-katholischen Werken als » die Räubersynode « bezeichnet wird; doch fiele es einem Unparteiischen schwer zu ent - scheiden, welche Synode diesen Ehrentitel am meisten verdient hat. Nirgends ging es würdeloser zu als gerade auf dem berühmten dritten ökumenischen Konzil zu Ephesus, wo die Partei der sogenannten Orthodoxie, d. h. diejenige, welche alles weitere Denken knebeln wollte, eine ganze Armee von bewaffneten Bauern, Sklaven und Mönchen in die Stadt brachte, um die gegnerischen Bischöfe einzuschüchtern, nieder - zuschreien und im Notfalle totzuschlagen. Das war freilich eine andere Art, Theologie und Kosmologie zu betreiben, als die hellenische! Viel - leicht war es die richtige für diese jämmerliche Zeit und für diese jämmerlichen Menschen. Wozu noch eine wichtige Erwägung kommt: ich wenigstens für meine Person, und trotz meiner Abneigung gegen jenes in Rom verkörperte Völkerchaos, glaube, dass Rom durch die Betonung des Konkreten dem Abstrakten gegenüber der Religion einen Dienst geleistet und vor der Gefahr gänzlicher Verflüchtigung und Zersplitterung gerettet hat. Dennoch wäre es lächerlich, eine besondere Bewunderung für so bornierte und gemeine Charaktere wie Cyrillus, den Mörder der edlen Hypatia, und eine besondere Ehrfurcht vor Konzilien wie dem von ihm präsidierten zu Ephesus zu empfinden, welches der Kaiser selber (Theodosius der Jüngere) als eine » schmähliche und unheilvolle Versammlung « bezeichnete, und welches er eigen - mächtig auflösen musste, um den gegenseitigen Injurien und den rohen Gewaltthätigkeiten der heiligen Hirten ein Ende zu machen.

Schon auf diesem ökumenischen Konzil zu Ephesus stand das eigentliche hellenische Thema, die mythologische Mystik, nicht mehr im Vordergrund; denn nun hatte die specifisch römische Dogmen - bildung begonnen und zwar mit der Einführung des Marienkultus und des Kultus des Christkindes. Dass dies ein ägyptischer Import war und im ganzen Bereich des römischen Imperiums, namentlich aber in Italien schon längst eingebürgert, habe ich oben erwähnt. 2)Siehe S. 557.Gegen die erst zu Beginn des 5. Jahrhunderts innerhalb des Christentums in Gebrauch gekommene Benennung » Mutter Gottes « (statt Mutter Christi) war der edle und fast fanatisch rechtgläubige Nestorius auf -606Der Kampf.getreten; er erblickte darin und nicht mit Unrecht die Wieder - geburt des Heidentums. Sehr konsequenter Weise waren es gerade der Bischof von Ägypten und die ägyptischen Mönche, also die un - mittelbaren Erben des Isis - und Horuskult, welche mit Leidenschaft und Wut, unterstützt vom Pöbel und von den Weibern, für diese uralten Gebräuche eintraten. Rom schloss sich der ägyptischen Partei an; der Kaiser, der Nestorius liebte, wurde nach und nach gegen ihn aufgewiegelt. Hier handelt es sich aber, wie man sieht, nicht um die eigentliche hellenische Sache, sondern vielmehr um den Beginn einer neuen Periode: derjenigen der Einführung heidnischer Mysterien in die christliche Kirche. Sie zu bekämpfen, war Sache des Nordens; denn jetzt handelte es sich weniger um Metaphysik als um Gewissen und Sittlichkeit; somit erscheint auch die mehrfache Behauptung, Nestorius (aus der römischen Soldatenkolonie Germanicopolis gebürtig) sei von Geblüt ein Germane gewesen, recht glaubwürdig; jedenfalls war er ein Protestant.

Ein Wort aber noch über den Osten, ehe wir zum Norden übergehen.

Zu ihrer Blütezeit hatte, wie schon hervorgehoben, die hellenische Theologie sich der Hauptsache nach um jene Fragen gedreht, welche auf der Grenze zwischen Mythik, Metaphysik und Mystik schweben. Darum ist es auch beinahe unmöglich, in einem populären Werke näher darauf einzugehen. Schon am Schlusse des ersten Kapitels habe ich, bei Besprechung unseres hellenischen Erbes, darauf hingewiesen, wie viel abstrakte Spekulation griechischen Ursprunges doch meist arg verunstaltet in unser religiöses Denken übergegangen ist. 1)Siehe S. 98 fg.Solange ein derartiges Denken im Flusse blieb, wie das im vorchrist - lichen Griechenland der Fall war, wo der Wissbegierige von einer » Häresie «, d. h. von einer » Schule « zur anderen über die Strasse hinüber wandeln konnte, da bildeten diese Abstraktionen eine Er - gänzung des intellektuellen Lebens, die vielleicht um so willkommener war, als das griechische Leben sonst so ganz im künstlerischen Schauen und in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der empirischen Welt aufging. Die metaphysische Anlage des Menschen rächte sich durch bodenlos kühne Phantasien. Betrachtet man jedoch das Leben und die Worte Jesu Christi, so kann man nicht anders als empfinden, dass vor ihnen diese stolzen Spekulationen keinen Bestand haben, sondern607Religion.vielmehr in ein Nichts sich auflösen. Die Metaphysik ist eben doch noch eine Physik; Christus dagegen ist Religion. Ihn Logos, Nus, Demiurgos nennen, mit Sabellius lehren, der Gekreuzigte sei nur » eine vorübergehende Hypostasierung des Wortes «, oder dagegen mit Paul von Samosata, er sei » nach und nach Gott geworden «, das alles heisst eine lebendige Persönlichkeit in eine Allegorie ver - wandeln, und zwar in eine der schlimmsten Art, nämlich in eine abstrakte Allegorie. 1)Wenn selbst ein so scharfer, intuitionskräftiger Denker wie Schopenhauer behauptet: » Das Christentum ist eine Allegorie, die einen wahren Gedanken ab - bildet «, so kann man nicht energisch genug einen so offenbaren Irrtum zurück - weisen. Man könnte alles Allegorische der christlichen Kirche über Bord werfen und es bliebe die christliche Religion bestehen. Denn sowohl das Leben Christi wie auch die von ihm gelehrte Umkehr des Willens sind Wirklichkeit, nicht Bild. Dass weder die Vernunft das, was hier vorliegt, ausdenken, noch der schauende Verstand es deuten kann, macht es nicht weniger wirklich. Vernunft und Verstand werden sich freilich in letzter Instanz immer gezwungen finden, allegorisch zu Werke zu gehen, doch Religion ist nichts, wenn nicht ein unmittelbares Erlebnis.Und wird nun gar diese abstrakte Allegorie in eine jüdische Wüstenchronik hineingezwängt, mit krassmaterialistischen Mysterien verschmolzen, zu einem allein seligmachenden Dogma fest - gebannt, dann mag man wohl froh sein, wenn praktische Menschen nach drei Jahrhunderten sagten: jetzt ist’s aber genug! nunmehr darf nichts mehr hinzugefügt werden! Man begreift recht gut, wie Ignatius von Antiochien, über die Authenticität dieses und jenes Schriftwortes befragt, erwidern konnte: ihm gölten als die unverfälschten Urkunden Jesu Christi dessen Leben und Tod. 2)Brief an die Philadelphier, § 8. Freilich hatte Ignatius zu den Füssen des Apostels Johannes gesessen, ja, nach einer Tradition als Kind den Heiland selbst gesehen!Wir müssen gestehen, dass die hellenische Theologie, sehr weitherzig und geistvoll in ihrer Deutung des Schriftwortes, weit entfernt von der knechtischen Gesinnung west - licher Theologen, doch geneigt war, diese » unverfälschten Urkunden «, nämlich die thatsächliche Erscheinung Jesu Christi, aus den Augen zu verlieren.

Doch neben der Kritik ist für die Bewunderung Platz, und zu - gleich für ein tiefes Bedauern, wenn wir gewahren, wie gerade alles Grösste und Wahrste, was hier blühte, von Rom verworfen wurde. Ich will mich nicht ins Theologische hineinstürzen und die Geduld des Lesers auf die Probe stellen; vielmehr will ich mich mit einem einzigen Satz des Origenes bescheiden; er wird ahnen lassen, was die608Der Kampfchristliche Religion durch diesen Sieg des Westens über den Osten verlor. 1)Für Näheres verweise ich den Leser vor Allem auf das kleine, schon citierte Werk von Hatch: The influence of Greek ideas and usages upon the christian church (deutsch von Preuschen und Harnack 1892); dieses Buch ist ein Unikum, zugleich grundgelehrt, so dass es unter Fachleuten Autorität besitzt, und doch für jeden gebildeten Denker, auch ohne theologische Schulung, lesbar.

Im 29. Kapitel seines schönen Buches Vom Gebete spricht Origenes von dem Mythus des Sündenfalles und bemerkt dazu: » Wir können nicht anders als einsehen, dass die Leichtgläubigkeit und Unbeständig - keit der Eva nicht erst in dem Augenblick anhob, als sie Gottes Wort missachtete und auf die Schlange hörte, sondern offenbar schon früher vorhanden war, da die Schlange doch deswegen an sie sich wendete, weil sie in ihrer Schlauheit die Schwäche Eva’s schon bemerkt hatte. « Mit diesem einen Satz ist der von den Juden, wie Renan so richtig bemerkte (siehe S. 397), zu einem dürren, historischen Faktum komprimierte Mythus zu vollem Leben neu erweckt. Zugleich mit dem Mythus tritt auch die Natur in ihre Rechte. Das, was man, sobald man nach einem Höhern strebt, Sünde nennen darf, gehört uns, wie schon Paulus gesagt hatte, » von Natur «; mit den Fesseln der Chronik werfen wir die Fesseln der gläubigen Superstition ab, wir stehen nicht mehr der gesamten Natur wie ein Fremdes, höher Geborenes und tiefer Gefallenes gegenüber, vielmehr gehören wir ihr an, und das Gnadenlicht, das in unser Menschenherz fiel, werfen wir auf sie zurück. Indem Origenes hier den Paulinischen Gedanken weiter dachte, hatte er zu gleicher Zeit die Wissenschaft befreit und den Riegel zurückgeschoben, der das Herz gegen wahre, unmittelbare Religion verschloss.

Das war diejenige hellenische Theologie, die im Kampfe erlag. 2)Dass diese Theologie im 9. Jahrhundert, in der Person des grossen Scotus Erigena, des wirklichen Vorläufers einer echt christlichen Religion, wieder auflebte, ist schon oben kurz angedeutet worden und kommt weiter unten, sowie im neunten Kapitel noch zur Sprache.

Der » Norden «.
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Betrachten wir nun die zweite antirömische Strömung, diejenige, die ich unter dem Ausdruck » Norden « vorhin zusammenfasste, so werden wir sofort gewahr, dass sie einer durchaus anderen Geistes - verfassung entstammt und unter gänzlich geänderten Zeitumständen sich Geltung zu verschaffen hatte. Im Hellenentum hatte Rom eine höhere und ältere Kultur als die seinige bekämpft; dagegen handelte es sich bei diesem Norden zunächst und zuvörderst nicht um spekulative609Religion.Lehren, sondern um eine Gesinnung, und die Vertreter dieser Ge - sinnung standen zumeist auf einer bedeutend tieferen Kulturstufe als die Vertreter des römischen Gedankens;1)Der Einzelne aus dem barbarischen Norden konnte natürlich weit hervor - ragen und der Bewohner des Imperiums war gewiss meist ein recht roher Mensch; doch bezeichnet » Kultur « einen Kollektivbegriff, wir sehen das namentlich bei Griechenland (S. 70), und da kann man ohne Frage behaupten, dass eine wirkliche Kultur kaum vor dem 13. Jahrhundert in germanischen Ländern zu entstehen begann. erst nach Jahrhunderten glich sich dieser Unterschied aus. Dazu kam noch ein weiterer Um - stand. Hatte in dem früheren Kampfe die noch embryonische römische Kirche die Autorität des Kaisers für ihre Sache zu gewinnen suchen müssen, so stand sie jetzt als fertig organisierte, mächtige Hierarchie da, deren unbedingte Autorität Keiner ohne Lebensgefahr anzweifeln konnte. Kurz, der Kampf ist ein anderer und er wird unter anderen Bedingungen ausgefochten. Ich sage » ist « und » wird «, denn in der That: der Kampf zwischen Ost und West wurde bereits vor tausend Jahren beendet, Mohammed erdrückte ihn; das Schisma blieb als Cenotaph, doch nicht als lebendige Weiterentwickelung; hingegen dauert der Kampf zwischen Nord und Süd noch unter uns fort und wirft bedrohliche Schatten auf unsere nächste Zukunft.

Worin diese Empörung des Nordens bestand, habe ich schon am Schluss des vierten Kapitels und zu Beginn und Ende des sechsten Kapitels wenigstens in einigen Hauptzügen zu erwähnen Gelegenheit gehabt. 2)Siehe S. 317, 477 fg., 513 fg.Hier bedarf es also nur einer kurzen Ergänzung.

Zunächst die Bemerkung, dass ich den Ausdruck » Norden « ge - braucht habe, weil das Wort » Germanentum « den Erscheinungen nicht entsprechen würde oder besten Falles einer tollkühnen Hypothese gleichkäme. Gegner des staatlichen und kirchlichen Ideals, welches in Rom eine Verkörperung fand, treffen wir überall und zu allen Zeiten; tritt die Bewegung erst als sie von Norden herankommt, mächtig auf, so ist das, weil hier, im Slavokeltogermanentum, ganze Nationen ein - heitlich dachten und fühlten, während es unten im Chaos ein Zufall der Geburt war, wenn ein Einzelner Freiheit liebend und innerlich religiös zur Welt kam. Doch das, was man » protestantische « Ge - sinnung nennen könnte, findet sich seit den frühesten Zeiten: ist dies nicht die Atmosphäre, welche die evangelischen Berichte in jeder Zeile atmen? stellt man sich den Freiheitsapostel des Briefes an die Galater vor, das Haupt gebeugt, weil ein pontifex maximus auf kurulischemChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 39610Der Kampf.Stuhle irgend eine dogmatische Entscheidung verlautbart hätte? lesen wir nicht in jenem mit Recht berühmten Briefe des Anonymen an Diognet, aus den urältesten christlichen Zeiten: » Unsichtbar ist die Religion der Christen «? 1)§ 6.Renan sagt: » Les chrétiens primitifs sont les moins superstitieux des hommes .... chez eux, pas d’amulettes, pas d’images saintes, pas d’objet de culte «. 2)Origines du Christianisme, 7. éd., VII, 629.Hand in Hand hiermit geht eine grosse religiöse Freiheit. Im 2. Jahrhundert bezeugt Celsus, die Christen wichen weit voneinander ab in ihren Deutungen und Theorien, alle nur durch das eine Bekenntnis geeinigt: » durch Jesus Christus ist mir die Welt gekreuziget und ich der Welt «! 3)Vergl. Origenes: Gegen Celsus V, 64.Grösst - mögliche Innerlichkeit der Religion, weitestgehende Vereinfachung ihrer äusseren Kundgebung, Freiheit des individuellen Glaubens: das ist der Charakter des frühen Christentums überhaupt, das ist keine spätere, von Germanen erfundene Verklärung. Diese Freiheit war so gross, dass selbst im Abendland, wo doch Rom von Beginn an vorherrschte, Jahrhunderte hindurch jedes Land, ja oft jede Stadt mit ihrem Sprengel ein eigenes Glaubensbekenntnis besass. 4)Vergl. Harnack: Das apostolische Glaubensbekenntnis, 27. Auflage, S. 9. Die Abweichungen sind nicht unbedeutend. Das jetzige sogenannte » apostolische Sym - bolum « kam erst im 9. Jahrhundert in Gebrauch.Wir nordischen Männer waren viel zu praktisch-weltlich angelegt, zu viel mit staatlichen Organisationen und Handelsinteressen und Wissenschaften beschäftigt, um jemals auf diesen echtesten Protestantismus aus der vorrömischen Zeit zurückzugreifen. Ausserdem hatten diese frühen Christen es auch besser gehabt als wir: der Schatten des theokratisch umgestalteten römischen Imperialgedankens war noch gar nicht über sie gefallen. Dagegen war es gerade eine verhängnisvolle Charakteristik der nordischen Bewegung, dass sie zu - nächst immer als Reaktion auftreten, dass sie immer niederreissen musste, ehe sie ans Aufbauen denken konnte. Gerade dieser negative Charakter gestattet jedoch eine schier unübersehbare Menge sehr verschiedenartiger historischer Fakten unter den einen Begriff zu ver - einigen: Empörung gegen Rom. Von dem Auftreten des Vigi - lantius an, im 4. Jahrhundert (gegen den die Wohlfahrt der Völker bedrohenden Unfug des Mönchtums), bis zu Bismarck’s Kampf gegen die Jesuiten: ein Zug der Verwandtschaft verbindet alle diese Be - wegungen; denn wie verschieden auch der Impuls sein mag, der zur611Religion.Empörung treibt, Rom selber stellt eine so einheitliche, so eisern logische, so massiv festgestaltete Idee dar, dass alle Gegnerschaft gegen sie eine besondere, einigermassen uniforme Färbung dadurch erhält.

Halten wir also im Interesse einer klaren Zusammenfassung diesen Begriff der » Empörung gegen Rom « fest. Doch muss inner - halb desselben ein wichtiger Unterschied beachtet werden. Unter dem einheitlichen Äusseren beherbergt nämlich der Begriff » Rom « zwei grundverschiedene Tendenzen: die eine fliesst aus einem christlichen Quell, die andere aus einem heidnischen, die eine strebt einem kirch - lichen Ideal zu, die andere einem politischen. Rom ist, wie Byron sagt, » an hermaphrodite of empire «. 1)The Deformed transformed, I, 2.Auch hier wieder das unselige Zwitterhafte, das uns im Christentum auf Schritt und Tritt begegnet! Und zwar stehen nicht allein zwei Ideale ein politisches und ein kirchliches nebeneinander, sondern das politische Ideal Rom’s, jüdisch - heidnisch in Fundamenten und Aufbau, birgt einen so grossartigen socialen Traum, dass es zu allen Zeiten selbst mächtige Geister be - rückt hat, während das eigentliche religiöse Ideal, durchdrungen wie es auch sein mag von der Gegenwart Christi (so dass manche hohe Seele in dieser Kirche nur Christum erblickt) direkt antichristliche Vor - stellungen und Lehren ins Christentum eingeführt und nach und nach gross gezogen hat. Manchen Mann von gutem Urteil bedünkte darum das politische Ideal Rom’s religiöser als sein kirchliches! Erhielt nun die Auflehnung gegen Rom eine gewisse Einheitlichkeit durch den Umstand, dass das Grundprinzip Rom’s auf beiden Gebieten (dem politischen und dem religiösen) die absolute Despotie ist, somit jeglicher Widerspruch Rebellion bedeutet, so begreift man dennoch leicht, dass in Wirklich - lichkeit die Gründe zur Empörung für verschiedene Menschen sehr verschiedene waren. So nahmen z. B. die germanischen Fürsten der früheren Zeit die religiöse Lehre meistens ohne weiteres an, wie Rom sie predigte, unbekümmert ob sie christlich oder unchristlich war, verfochten aber zugleich ihre eigenen politischen Rechte gegen das aller römischen Religion zu Grunde liegende politische Ideal, mit seinem grossartigen Traum der » Gottesstadt « auf Erden, und gaben nur in äusserster Not einiges Wenige von ihren nationalen Ansprüchen preis; wogegen der byzantinische Kaiser Leo in keinem politischen Rechte bedroht war und aus rein christlich-religiöser Überzeugung, um nämlich der herein - brechenden heidnischen Superstition Einhalt zu thun, gegen den Bilder -39*612Der Kampf.dienst und damit zugleich gegen Rom den Kampt aufnahm. 1)Man lese in Bischof Hefele’s Konziliengeschichte, Bd. III, die ausführliche und aggressiv parteiische Darstellung des Bilderstreites; man wird sehen, dass Leo der Isaurier und seine Ratgeber einzig und allein dem rapiden Niedergang des religiösen Bewusstseins durch die Einführung superstitiöser unchristlicher Praktiken zu steuern versucht haben. Ein dogmatischer Streit liegt nicht vor, ebensowenig ein politisches Interesse; im Gegenteil, durch sein mutiges Handeln reizt der Kaiser sein ganzes Volk, geführt von dem unabsehbaren Heer der ignoranten Mönche, gegen sich auf, und Hefele’s psychologische Erklärung, es habe dem Kaiser an ästhe - tischem Gefühl gefehlt, ist wirklich zu kindisch naiv, um eine Widerlegung zu ver - dienen. Dagegen sieht man täglich mehr ein, wie Recht Leo mit seiner Behauptung hatte, die Bilderverehrung bedeute einen Rückfall ins Heidentum. In Kleinasien verfolgt die Archäologie heute von Ort zu Ort die Umwandlung der früheren Götter in Mitglieder des christlichen Pantheons, die nach wie vor Lokalgötter blieben, zu denen man nach wie vor hinpilgerte und noch heute pilgert. So z. B. wurde aus der Riesen tötenden Athena von Seleucia eine » heilige Thekla von Seleucia «; die Altäre der Jungfrau Artemis wurden nur umgetauft zu Altären der » Jungfrau Mutter Gottes «; der Gott von Colossus galt fortan als Erzengel Michael Für die Bevölkerungen war der Unterschied kaum bemerkbar (siehe Ramsay: The church in the Roman Empire, S. 466 fg.). Mit diesen uralten volksmässigen, durchaus unchristlichen und antichristlichen Superstitionen hing nun der ganze Bilderkult zusammen; die Kirche konnte so viele » distinguo « einführen wie sie wollte, das Bild blieb doch, wie der Stein zu Mekka, ein mit magischen Kräften begabter Gegenstand. Solchen Thatsachen gegenüber, die nicht nur in Kleinasien, sondern in ganz Europa die Fortdauer des Glaubens an lokale wunderwirkende Gottheiten bis auf den heutigen Tag (so weit Rom’s Einfluss reicht) bewirkten (man vergl. Renan: Marc-Aurèle, ch. 34), nehmen sich die » Beweise «, die Gregor II. in seinen Briefen an Leo für die Bilderverehrung vorbringt, sehr drollig aus. Zwei sind es namentlich, welche schlagend wirken sollen. Die von ChristusWie kompliziert sind aber schon diese beiden soeben genannten Beispiele, so - bald man sie aufmerksam betrachtet! Denn jene germanischen Fürsten bestritten zwar die weltlichen Ansprüche des Papstes und die kirch - liche Vorstellung der civitas Dei, benützten aber die päpstliche Autorität, sobald ihnen Vorteil daraus erwuchs; und andererseits verfielen solche Menschen, die wie Vigilantius und Leo der Isaurier aus rein religiösem Interesse gegen Dinge loszogen, die sie für unchristlichen Unfug hielten, ebenfalls in eine grosse Inkonsequenz, da sie die Autorität Rom’s im Prinzip nicht bestritten, sich ihr somit logischer Weise hätten unter - werfen sollen. Die hier nur leise angedeutete Konfusion wird immer grösser, je genauer man die Sache untersucht. Wer über weitaus - gedehntes Wissen verfügte und sich der Darstellung dieses einen Gegen - standes, der Opposition gegen Rom, widmete (etwa vom 9. bis zum 19. Jahrhundert), würde das merkwürdige Ergebnis zu Tage fördern,613Religion.dass Rom die ganze Welt gegen sich gehabt hat, und seine unvergleich - liche Macht lediglich der zwingenden Gewalt einer unerbittlich logischen Idee verdankt. Niemand verfuhr jemals logisch gegen Rom; Rom war stets rücksichtslos logisch für sich. Dadurch besiegte es ebensowohl den offenen Widerstand wie auch die zahlreichen inneren Versuche, ihm eine andere Richtung aufzuzwingen. Nicht Leo der Isaurier allein, der von aussen angriff, scheiterte, es scheiterte eben so sehr der heilige Franziskus von Assisi in seinem Bestreben, die ecclesia carnalis, wie er sie nannte, von innen zu reformieren;1)Dass die geistige Entwickelung dieses bewundernswerten Mannes höchst wahrscheinlich unter dem direkten Einfluss der Waldenser stand, ist in neuerer Zeit gezeigt worden und verdient die grösste Beachtung (vergl. Thode: Franz von Assisi, 1885, S. 31 fg.). es scheiterte der apostolische Feuergeist, Arnold von Brescia, in seinem Wahne, die Kirche ihren weltlichen Zielen zu entrücken; es scheiterten die Römer in ihren wiederholten, ver - zweifelten Empörungen gegen die Tyrannei der Päpste; es scheiterte Abälard ein Fanatiker für das römische Religionsideal in seinem Ver - such, rationelleres, höheres Denken mit ihm zu verbinden; es scheiterte Abälard’s Gegner, Bernhard, der Reformator des Mönchtums, der gern dem Papste und der ganzen Kirche seine mystische Religionsauffassung1)(Matth. IX, 20) geheilte Frau habe an jenem Orte, wo sie geheilt wurde, ein Standbild Christi errichtet, und Gott, weit entfernt zu zürnen, habe am Fusse der Bildsäule ein bisher unbekanntes Heilkraut hervorwachsen lassen! Das ist der erste Beweis, der zweite ist noch schöner. Abgar, Fürst von Edessa, ein Zeit - genosse des Heilands, habe einen Brief an Christus gerichtet, und dieser ihm zum Dank sein Porträt gesandt!! (Hefele: a. a. O., S. 383 und 395). Sehr merkwürdig und für die Beurteilung des römischen Standpunktes höchst lehrreich ist die Thatsache, dass der Papst dem Kaiser vorwirft (siehe a. a. O., S. 400), er habe den Menschen die Bilder geraubt und ihnen dafür » thörichte Reden und musikalische Possen « ge - geben. Das heisst also, Leo hat, genau so, wie wenige Jahre später Karl der Grosse es that, die Predigt wieder in die Kirche eingeführt und für Erhebung des Gemütes durch Musik gesorgt! Dies Beides dünkte dem römischen Mönch ebenso über - flüssig wie der Bilderdienst ihm unerlässlich schien. Bedenkt man nun, dass Germanicia, die Heimat Leo’s, an den Grenzen Isaurien’s, eine jener erst spät von den Kaisern gegründeten Veteranenkolonien war (Mommsen: Römische Geschichte, 3. Aufl., V, 310), bedenkt man, dass zahlreiche Germanen im Heere dienten, be - denkt man ferner, dass Leo der Isaurier ein Mann aus dem Volke war, der also nicht vermöge seiner Bildung, sondern vermöge seines Charakters sich hat von den echten Kleinasiaten so weit unterscheiden können, um das gerade zu hassen, was diese liebten, so dürfte die Frage wohl in uns aufkeimen, ob dieser Ansturm auf römisch-heidnischen Materialismus, wenngleich südlich von Rom zur Welt gekommen, nicht doch aus nordischer Seele geboren war? Manche Hypothese ruht auf schwächeren Füssen.614Der Kampf.aufgezwungen und » den unvergleichlichen Doktoren der Vernunft « (wie er sie spottend nennt) mit Gewalt den Mund geschlossen hätte; es scheiterte der fromme Abt Joachim in seinem Kampf gegen » die Vergötterung der römischen Kirche « und gegen die » fleischlichen Vor - stellungen « der Sakramente; es scheiterte Spanien, das trotz seiner Katho - lizität die Beschlüsse des Tridentiner Konzils anzunehmen sich geweigert hatte; es scheiterte das devote österreichische Haus, sowie das bayerische, welche als Belohnung für ihre gesinnungslose Unterwürfigkeit noch bis ins 17. Jahrhundert um die Beibehaltung des Laienkelches und der Priesterehe in ihren Staaten kämpften;1)Für diese Behauptung und die vorangehende vergl. des Stiftsherrn Smets bischöflich approbierte Ausgabe der Concilii Tridentini canones et decreta mit geschicht - licher Einleitung, 1854, S. XXIII. es scheiterte Polen in seinen kühnen Reformationsversuchen;2)Siehe S. 480. es scheiterte Frankreich, trotz aller Zähigkeit, in seinem Versuch, den Schatten einer halb unabhängigen galli - kanischen Kirche sich zu bewahren vor allem aber scheiterten, von Augustinus bis Jansenius, stets alle Diejenigen, welche die aposto - lische Lehre vom Glauben und von der Gnade in ihrer reinen Un - verfälschtheit in das römische System einzuführen suchten, sowie, von Dante bis Lamennais und Döllinger, alle Diejenigen, welche die Trennung von Kirche und Staat und die Religionsfreiheit des Individuums forderten. Alle diese Männer und Bewegungen und ihre Zahl ist in allen Jahr - hunderten Legion verfuhren, ich wiederhole es, unlogisch und in - konsequent; denn entweder wollten sie die zu Grunde liegende römische Idee reformieren, oder sie wollten sich innerhalb dieser Idee ein ge - wisses Mass von persönlicher, resp. nationaler Freiheit reservieren: beides eine offenbare Ungereimtheit. Denn das Grundprinzip Rom’s ist (nicht bloss seit 1870, sondern seit jeher) seine göttliche Einsetzung und daraus folgende Unfehlbarkeit; ihm gegenüber kann Freiheit der Meinung nur frevelhafte Willkür sein; und was seine Reform anbelangt, so ist darauf zu erwidern, dass die römische Idee, so kompliziert sie sich bei näherer Betrachtung uns auch erweist, doch ein organisches Produkt ist, ruhend auf den festen Grundlagen mehrtausendjähriger Geschichte und weiter aufgebaut unter genauer Berücksichtigung des Charakters und der Religionsbedürfnisse aller jener Menschen, welche in irgend einer Beziehung dem Völkerchaos angehören und wie weit sein Bereich sich erstreckt, wissen wir ja. 3)Vergl. S. 297 u. 319.Wie konnte ein Mann615Religion.von Dante’s Geistesschärfe sich als orthodoxer römischer Katholik be - trachten und dennoch die Scheidung der weltlichen und der geistlichen Gewalt, sowie die Unterordnung dieser unter jene verlangen? Rom ist ja gerade das Erbe der höchsten weltlichen Gewalt; nur als seine mandatarii führen die Fürsten das Schwert, und Bonifaz VIII. erstaunte die Welt nur durch seine Unumwundenheit, nicht durch die Neuheit seines Standpunktes, als er ausrief: ego sum Caesar! ego sum Imperator! Sobald Rom diesen Anspruch aufgäbe (und sei er den thatsächlichen Verhältnissen gegenüber noch so theoretisch), so hätte es sich den Todesstoss versetzt. Man vergesse nie, dass die Kirche ihre ganze Autorität aus der Annahme schöpft, sie sei die Vertreterin Gottes; wie Antonio Perez mit echt spanischem Humor sagt: » El Dios del cielo es delicado mucho en suffrir compañero in niguna cosa «, der Gott des Himmels ist viel zu eifersüchtig, als dass er in irgend einem Dinge einen Nebenbuhler dulden würde. 1)Von Humboldt in einem Brief an Varnhagen von Ense vom 26. September 1845 citiert.Und in diesem Zusammenhange übersehe man auch nicht, dass alle Ansprüche Rom’s historische sind, die religiösen sowohl wie die politischen; auch sein apostolisches Primat leitet sich von einer historischen Ein - setzung nicht von irgend einer geistigen Überlegenheit ab. 2)Gerade gegen Petrus hat Christus Worte gerichtet, wie sonst gegen keinen Apostel: » Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich, denn du meinest nicht was göttlich, sondern was menschlich ist « (Matth. XVI, 23). Und nicht allein das dreimalige Verleugnen Christi, sondern auch das von Paulus als » Heuchelei « ge - geisselte Benehmen in Antiochien (Gal. II, 13) lassen uns in Petrus einen zwar heftigen, doch schwachen Charakter erkennen. Nimmt man also an, er habe wirklich das Primat erhalten, so geschah es jedenfalls nicht seines Verdienstes wegen, auch nicht um das natürliche Übergewicht seiner hervorragenden Grösse sicher zu stellen, sondern in Folge einer von Gott beliebten, historisch vollzogenen Einsetzung.Sobald Rom an irgend einem Punkte die lückenlose, historische Kon - tinuität preisgäbe, könnte es nicht ausbleiben, dass das ganze Gebäude bald einstürzte; und zwar wäre der gefährlichste Punkt gerade die An - knüpfung an die Suprematie des römischen weltlichen Imperiums, nunmehr zu einem göttlichen Imperium erweitert; denn die rein religiöse Einsetzung ist so sehr bei den Haaren herbeigezogen, dass noch Augustinus sie bestritt,3)Siehe oben S. 595. wogegen das thatsächliche Imperium eine der massivsten grundlegenden Thatsachen der Geschichte ist und auch seine Auffassung als » göttlichen Ursprungs « (und darum616Der Kampf.unumschränkt) weiter zurückreicht und fester wurzelt als irgend eine evangelische Tradition oder Lehre. Keiner nun von jenen oben - genannten wirklichen Protestanten denn sie, und nicht die aus der römischen Kirche Ausgetretenen verdienen diese negative Bezeichnung keiner übte irgend einen dauernden Einfluss aus; innerhalb dieses fest - gefügten Rahmens war es ein Ding der Unmöglichkeit. Nimmt man ausführlichere Kirchengeschichten zur Hand, so ist man erstaunt über die grosse Anzahl hervorragender katholischer Männer, welche ihr ganzes Leben der Verinnerlichung der Religion, dem Kampf gegen materialistische Auffassungen, der Verbreitung augustinischer Lehren, der Abschaffung priesterlichen Unfugs u. s. w. widmeten; doch ihr Wirken blieb spurlos verloren. Um innerhalb dieser Kirche Dauerndes zu leisten, mussten bedeutende Persönlichkeiten entweder, wie Augu - stinus, sich selber widersprechen, oder, wie Thomas von Aquin, den spezifisch römischen Gedanken bei der Wurzel erfassen und die eigene Individualität resolut von Jugend auf darnach umbilden. Sonst blieb nur ein einziger Ausweg: die völlige Emanzipation. Wer mit Martin Luther ausrief: » Es ist aus mit dem römischen Stuhl! «1)Sendschreiben des Jahres 1520 an Papst Leo X. der gab den hoffnungslosen, widerspruchsvollen Kampf auf, in welchem zuerst der hellenische Osten, nachher der ganze Norden, soweit er in ihm verharrte, besiegt zu Grunde ging; zugleich ermöglichte er, und er allein, nationale Wiedergeburt, da wer von Rom sich lossagt, zugleich den Imperiumsgedanken abschüttelt.

So weit kam es in der Zeit, die uns hier beschäftigt mit alleiniger Ausnahme der beginnenden Waldenserbewegung nicht. Der Kampf zwischen Nord und Süd war und blieb ein ungleicher, innerhalb einer für autoritativ gehaltenen Kirche ausgefochtener. Sekten gab es unzählige, doch zumeist rein theologische; allenfalls hätte das Arianertum ein spezifisch germanisches Christentum abgeben können, doch fehlten seinen Bekennern die kulturellen Voraussetzungen, um propagandistisch wirken und ihren Standpunkt vertreten zu können; dagegen haben sich die armen Waldenser, trotzdem Rom sie zu wieder - holten Malen (zuletzt im Jahre 1685) alle soweit man ihrer habhaft werden konnte hinschlachten liess, bis zum heutigen Tage erhalten und besitzen nunmehr in Rom selbst eine eigene Kirche: ein Beweis, dass, wer eben so konsequent ist wie Rom, Bestand hat, und sei er noch so schwach.

617Religion.

Bisher war ich gezwungen, diesen Kampf gewissermassen à rebours zu zeichnen, eben wegen der Zersplitterung und Inkonsequenz der nordischen Männer ihrem einheitlichen Gegner gegenüber. Ausserdem waren es wiederum natürlich nur Andeutungen: Fakta sind wie die Mücken; sobald ein Licht angezündet ist, fliegen sie von selbst zu Tausenden zu den Fenstern herein. Darum will ich auch hier, zur Ergänzung des schon Angedeuteten über den Kampf zwischen Nord und Süd, nur zwei Männer als Beispiele herausgreifen: einen Realpolitiker und einen Idealpolitiker, beide eifrige Theologen in ihren Mussestunden und begeisterte Kinder der römischen Kirche allezeit; ich meine Karl den Grossen und Dante. 1)Dante wurde im Jahre 1265 geboren, also innerhalb des grossen Grenz - jahrhunderts; ausser dieser formellen Berechtigung, ihn hier zu nennen, ergiebt sich eine weitere aus dem Umstand, dass das Auge dieses grossen Poeten nicht allein voraus -, sondern auch zurückschaute. Dante ist mindestens eben so sehr ein Ende wie ein Anfang. Hebt eine neue Zeit von ihm an, so liegt das nicht zum wenigsten darin, dass er eine alte zum Abschluss gebracht hat; namentlich in Bezug auf seine Anschauungen über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist er ganz und gar in karlinisch-ottonischen Anschauungen und Träumereien befangen und bleibt eigen - tümlich blind für die grosse politische Umwälzung Europa’s, die um ihn herum so stürmisch sich ankündet.

Wenn ein Mann sich ein Recht erworben hatte, auf Rom Ein -Karl der Grosse fluss zu nehmen, so war es Karl; er hätte das Papsttum vernichten können, er hat es gerettet und auf tausend Jahre inthronisiert; er wie Niemand vor ihm oder nach ihm hätte die Macht besessen, wenigstens die Deutschen definitiv von Rom zu scheiden, er that im Gegenteil das, was das Imperium in seinem höchsten Glanze nicht ver - mocht hatte, und verleibte sie samt und sonders einem » heiligen « und » römischen « Reiche ein. Dieser so verhängnisvoll eifrige Römling war aber dennoch ein guter deutscher Mann und nichts lag ihm mehr am Herzen als diese Kirche, die er als Ideal so leidenschaftlich hoch schätzte, von oben bis unten zu reformieren und aus den Klauen des Heidentums loszureissen. An den Papst richtet er ziemlich grobe Briefe, in denen er über alles Mögliche polemisiert und kirchlich anerkannte Konzilien ineptissimae synodi nennt; und von dem apostolischen Stuhle aus erstreckt sich seine Sorgfalt bis zu der Unter - suchung, wie viele Konkubinen sich die Landpfarrer halten! Namentlich sorgt er mit Eifer dafür, dass die heilige Schrift, welche unter dem Einfluss Rom’s fast ganz in Vergessenheit geraten war, den Priestern oder zumindest den Bischöfen von Neuem bekannt werde; er wacht618Der Kampf.streng darüber, dass die Predigt wieder eingeführt werde und zwar so, » dass sie das Volk verstehen kann «; er verbietet den Priestern, das geweihte Salböl als Zaubermittel zu verkaufen; er verordnet, dass in seinem Reiche keine neuen Heiligen angerufen werden dürfen, u. s. w. Kurz, Karl bewährt sich in zweifacher Beziehung als germanischer Fürst: erstens, er und nicht der Bischof, auch nicht der Bischof von Rom, ist der Herr in seiner Kirche, zweitens, er erstrebt jene Ver - innerlichung der Religion, welche dem Indoeuropäer eigen ist. Am deutlichsten tritt das beim Bilderstreit hervor. In den berühmten, an den Papst gerichteten libri Carolini verurteilt Karl zwar den Ikono - klasmus, ebensosehr aber die Ikonodulie. Bilder zum Schmuck und zur Erinnerung zu haben, sei statthaft und gut, meint er, doch sei es vollkommen gleichgültig, ob man sie habe oder nicht, und keines - falls dürfe einem Bilde auch nur Verehrung, geschweige Anbetung gezollt werden. Hiermit stellte sich Karl in Widerspruch zu Lehre und Praxis der römischen Kirche, und zwar mit vollem Bewusstsein und indem er ausdrücklich die Beschlüsse der Synoden und die Autorität der Kirchenväter verwarf. Man hat versucht und versucht noch in den modernsten Kirchengeschichten die Sache als ein Missverständnis darzustellen; das griechische Wort proskynesis sei fälschlich durch adoratio übersetzt, dadurch Karl irregeführt worden u. s. w. Doch liegt der Schwerpunkt gar nicht in der kasuistischen Unterscheidung zwischen adorare, venerari, colere, etc., welche noch heute eine so grosse Rolle in der Theorie und eine so kleine in der Praxis spielt; sondern es stehen zwei Anschauungen einander gegenüber: der Papst Gregor II. hatte gelehrt, gewisse Bilder sind wunderwirkend;1)Vergl. S. 613 Anm. Karl dagegen behauptet, alle Bilder besitzen nur Kunstwert, an und für sich sind sie gleichgültig, die gegenteilige Annahme ist blasphema - torischer Götzendienst; die siebente allgemeine Synode zu Nicäa hatte im Jahre 787, in ihrer siebenten Sitzung bestimmt: » den Bildern und anderen heiligen Geräten seien Weihrauch und Lichter zu ihrer Verehrung darzubringen «; Karl erwidert darauf wörtlich: » Es ist thöricht, vor den Bildern Lichter und Weihrauch anzuzünden «. 2)Siehe die aktenmässige Darstellung in Hefele: Konziliengeschichte III, 472 und 708. Es gehört wirklich Keckheit dazu, uns Laien einreden zu wollen, hier liege einfach ein unschuldiges Missverständnis vor; hier stehen im Gegenteil zwei ge - trennte Weltanschauungen, zwei Rassen einander gegenüber.Und so liegt die Sache ja noch heute. Gregor I. hatte (um das Jahr 600) 619Religion.den Missionären ausdrücklich befohlen, sie sollten die heidnischen Lokalgötter, sowie die zauberkräftigen Wasserquellen und dergleichen unangetastet lassen und sich damit begnügen, sie christlich umzu - taufen;1)Greg. papae Epist. XI, 71 (nach Renan). noch am Ausgang unseres 19. Jahrhunderts wird sein Rat befolgt; verzweifelt, doch ohne irgend einen dauernden Erfolg, kämpfen noch heute edle katholische Prälaten gegen das von Rom prinzipiell grossgezogene Heidentum. 2)Aus der Fülle der Belege einen einzigen: im Jahre 1825 bezeugt der Erz - bischof von Köln, Graf Spiegel zum Desenberg, in seinem Erzbistum sei » die wirkliche Jesus-Religion in krassen Bilderdienst übergegangen « (Briefe an Bunsen, 1897, S. 76). Was würde der hochwürdige Herr erst heute sagen!In jeder römischen Wallfahrtskirche be - finden sich bestimmte Bilder, bestimmte Statuen, kurz Artefakten, denen eine meist ganz bestimmte, beschränkte Wirkung zugesprochen wird; oder es ist ein Brunnen, der an einer Stelle hervorquoll, wo die Mutter Gottes erschienen war u. s. w.: dies ist uralter Fetischismus, der im Volke nie ausstarb, von den kultivierten Europäern aber schon zu Zeiten Homer’s vollständig überwunden gewesen war. Diesen Fetischismus hat Rom neu gestärkt und grossgezogen vielleicht mit Recht, vielleicht von dem Instinkt geleitet, dass hier ein wahres und idealisier - bares Moment vorlag, etwas, was diejenigen Menschen, welche noch nicht » ins Tageslicht des Lebens eingetreten sind «, nicht entbehren können? und gegen ihn erhob sich Karl. Der Widerspruch ist offenbar.

Was hat nun Karl in seinem Kampfe gegen Rom ausgerichtet? Im Augenblick Manches, auf die Dauer gar nichts. Rom gehorchte, wo es musste, widerstand, wo es konnte, und ging seinen Weg ruhig weiter, sobald die machtvolle Stimme für ewig verstummt war. 3)Tausend Jahre nach Karl dem Grossen wird der Verkauf des » heiligen Öls « als häusliches Zaubermittel mit Schwung betrieben; so zeigt z. B. eine in München bei Abt erscheinende Zeitung: Der Armen-Seelen Freund, Monatsschrift zum Troste der leidenden Seelen im Fegfeuer, im 4. Heft des Jahrganges 1898, » heiliges Öl aus der Lampe des Herrn Dupont in Tours « à 30 Pfennig die Flasche an! Dieses Öl wird als besonders wirksam gegen Entzündungen gepriesen! (Der Heraus - geber dieser Zeitschrift ist ein katholischer Stadtpfarrer; die Zeitschrift steht unter bischöflicher Censur).

Noch weniger wenn möglich als gar nichts richtete Dante aus,Dante. dessen Reformideen weitgreifender waren und von dem sein neuester und verdienter römisch-katholischer Biograph rühmt: » Dante hat nicht nach Art der Häresie eine Reform gegen die Kirche, sondern durch620Der Kampf.die Kirche ins Auge gefasst und erhofft, er ist katholischer, nicht häretischer oder schismatischer Reformator. « 1)Kraus: Dante (1897), S. 736.Gerade darum hat er aber auch auf die Kirche trotz seines gewaltigen Genies nicht den geringsten Einfluss ausgeübt, weder im Leben noch im Tode. » Katholischer Reformator « ist eine contradictio in adjecto, denn die Bewegung der römischen Kirche kann nur darin bestehen, worin sie auch thatsächlich bestanden hat, dass ihre Prinzipien immer klarer, immer logischer, immer unnachgiebiger entwickelt und ausgeübt werden. Ich möchte wissen, welcher Bannfluch heute den Mann treffen würde, der es wagte, als Katholik, den Vertreter Christi auf Erden an - zuherrschen:

E che altro è da voi all idolatre, Se non ch’egli uno, e voi n’orate cento? 2)Inferno, Canto XIX. » Was unterscheidet Euch denn von einem Götzen - diener, wenn nicht, dass er einen einzigen und Ihr hundert Götzen anbetet? «

und der, nachdem er die römische Priesterschaft als ein unchristliches, » unevangelisches Gezücht « gebrandmarkt und verhöhnt hat, fortfährt:

Di questo ingrassa il porco, sant Antonio, Ed altri assai, che son peggio che porci, Pagando di moneta senza conio. 3)Paradiso, Can. XXIX. » Aus dem Ertrag (der geschilderten Irreführung des » dummen Volkes «) mästet der heilige Antonius sein Schwein, und dasselbe thun viele Andere, die schlimmer als die Schweine sind und mit ungestempelter Münze (d. h. mit Ablässen) bezahlen «. Die Italiener scheinen zu keiner Zeit eine besondere Bewunderung für ihre römischen Priester gefühlt zu haben, auch Boccaccio nennt sie: » Schweine, die sich dahin flüchten, wo sie ohne Arbeit zu essen be - kommen « (Decamerone, III, 3).

Wie gänzlich alle diejenigen nordischen Männer,4)Siehe S. 499 Anm. welche von einer Reform » nicht gegen die Kirche, sondern durch die Kirche « geträumt hatten, unterlegen sind, ersehen wir gerade daraus, dass heute keiner diese Sprache zu führen wagen würde. 5)Dante würde es ergehen wie jenen » Kirchenvätern und Heiligen «, von denen Balzac in Louis Lambert schreibt: » heute würde sie die Kirche als Häretiker und Atheisten brandmarken «.Auch Dante’s Betonung des Glaubens den Werken gegenüber:

La , senza la qual ben far non basta

(siehe z. B. Purgatorio XXII etc.) würde heute kaum geduldet werden. Doch das, worauf ich hier die Aufmerksamkeit besonders hinlenken621Religion.möchte, ist, dass Dante’s Ansichten über das rein geistige, der welt - lichen Macht untergeordnete Amt der Kirche durch die Absätze 75 und 76 des Syllabus vom Jahre 1864 einem zweifachen Anathema verfallen sind. Und zwar ist dies durchaus logisch, da, wie ich oben gezeigt habe, die Kraft Rom’s in seiner Konsequenz und speziell darin liegt, dass es unter keiner Bedingung seine zeitlichen Ansprüche auf - giebt. Wahrlich, es ist eine lendenlahme, einsichtslose Orthodoxie, welche Dante heute weisszuwaschen sucht, anstatt offen zuzugeben, dass er zu der gefährlichsten Klasse der echten Protestler gehörte. Denn Dante ging weiter als Karl der Grosse. Diesem hatte eine Art Cäsaro - papismus vorgeschwebt, in welchem er, der Kaiser, wie Konstantin und Theodosius, die doppelte Gewalt besitzen sollte, im Gegensatz zur Papocäsarie, die der römische pontifex maximus erstrebte; er blieb also wenigstens innerhalb des echten römischen Weltherrschaftsgedankens. Dante dagegen forderte die gänzliche Trennung von Kirche und Staat: das aber wäre der Ruin Rom’s, was die Päpste besser verstanden haben, als Dante und sein neuester Biograph. Dante schimpft Kon - stantin die Ursache alles Übels, weil er den Kirchenstaat gegründet habe:

Ahi, Costantin! di quanto mal fu matre, Non la tua conversion, ma quella dote Che da te prese il primo ricco patre! 1)Inferno, XIX. » O Constantin! wie vielen Übels ist Ursache nicht zwar deine Bekehrung, das Geschenk aber, welches der erste reiche Vater von dir empfing «.

Und zwar verdient nach ihm Konstantin doppelten Tadel, einmal weil er die Kirche auf Irrwege geleitet, sodann weil er sein eigenes Reich geschwächt habe. Im 55. Vers des 20. Gesanges des Paradiso sagt er, Konstantin habe, indem er der Kirche Macht verlieh, » die Welt vernichtet «. Und verfolgt man diese Idee nun in Dante’s Schrift De Monarchia, so stellt es sich heraus, dass hier eine durchaus heidnisch-historische Lehre vorliegt: die Vorstellung, dass die Welt - herrschaft des imperialen Roms rechtmässiges Erbe sei! 2)De Monarchia, das ganze zweite Buch. Siehe aber namentlich Kap. 3, in welchem die » göttliche Vorherbestimmung « des römischen Volkes zur Welt - regierung nicht etwa aus Deutungen alttestamentlicher Propheten oder gar aus der Einsetzung Petri hergeleitet, sondern aus dem Stammbaum des Äneas und der Kreusa nachgewiesen wird! Rasse nicht Religion entscheidet bei Dante!Wie ist es möglich, so nahe an der Grundidee von Rom’s Kirchenmacht vorbei - zustreifen und sie doch nicht zu fassen? Denn gerade die Kirche ist ja die Erbin jener Weltmacht! Durch ihre Besitzergreifung entstand622Der Kampf.erst die civitas Dei. Schon längst hatte Augustinus mit einer Gewalt der Logik, die man Dante und seinen Apologeten wünschen möchte, dargethan, die Macht des Staates beruhe auf der Macht der Sünde; nunmehr, da durch Christi Tod die Macht der Sünde gebrochen sei, habe der Staat sich der Kirche zu unterwerfen, mit anderen Worten, die Kirche stehe fortan an der Spitze des staatlichen Regimentes. Der Papst ist nach der orthodoxen Lehre der Vertreter Gottes, vicarius Dei in terris;1)Concilium Tridentinum, decretum de reformatione, c. I. wäre er bloss der » Vertreter Christi « oder der » Nach - folger Petri «, so liesse sich allenfalls das Amt als ein ausschliesslich seelsorgerisches auffassen, denn Christus sprach: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; doch wer sollte sich über den Vertreter der all - mächtigen Gottheit auf Erden irgend eine Autorität anmassen? wer dürfte leugnen, dass das Zeitliche Gott ebenso untersteht, wie das Ewige? wer es wagen, ihm in irgend einer Beziehung die Suprematie zu verweigern? Mag also immerhin Dante in theologischen Glaubens - dingen ein streng orthodoxer Katholik gewesen sein, der » an dem untrüglichen Lehramt der Kirche « nicht zweifelte2)Kraus: a. a. O., S. 703 fg. scheint seine These siegreich zu verfechten, doch nicht zu ahnen, wie wenig solche formale Rechtgläubigkeit bedeutet und wie gefährlich sein eigener Standpunkt für die römische Kirche ist. Ich kann mich ausserdem nicht enthalten, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Dante’s be - rühmtes Glaubensbekenntnis am Schlusse des XXIV. Gesanges des Paradiso geradezu betrübend abstrakt ist. Kraus betrachtet als den endgültigen Beweis von Dante’s Orthodoxie ein Credo, welches den Namen Jesu Christi gar nicht ausspricht! Mir fällt im Gegenteil auf, dass Dante sich lediglich an das allgemeine Mythologische hält. Und lasse ich nun eine Reihe anderer Aussprüche im Gedächtnis vorbei - ziehen, so erhalte ich den Eindruck, dass Dante überhaupt (wie manche andere Männer seiner Zeit) kaum ein Christ zu nennen ist. Der grosse kosmische Gott im Himmel und die römische Kirche auf Erden: alles intellektuell und politisch, oder sittlich und abstrakt. Man fühlt eine unendliche Sehnsucht nach Religion, doch die Religion selbst, jener Himmel, der nicht mit äusserlichen Geberden kommt, war dem edlen Geiste in der Wiege gestohlen worden. Dante’s poetische Grösse liegt nicht zum wenigsten in dieser furchtbaren Tragik des 13. Jahrhunderts, des Jahrhunderts Innocenz III. und des Thomas von Aquin! Seine Hoffnung bescheidet sich mit der luce intellettual (Par. XXX), und sein wahrer Führer ist weder Beatrice noch der heilige Bernard, sondern der Verfasser der Summa theologiae, der das fast gänzlich entchristlichte Christentum und die Nacht einer jedem Wissen und jeder Schönheit feindlichen Zeit durch das reine Licht der Vernunft zu beleuchten und zu idealisieren suchte. Thomas von Aquin bedeutet die rationalistische Ergänzung einer materialistischen Religion; ihm warf sich Dante in die Arme. (Siehe das interessante, freilich eine ganz andere These verfechtende Buch eines englischen Katholiken, E. G. Gardner, Dante’s Ten Heavens, 1898). auf solches623Religion.dogmatische Fürwahrhalten kommt wenig an, sondern es kommt darauf an zu wissen, was ein Mensch von Hause aus, durch die ganze Anlage seiner Persönlichkeit, ist und sein muss, was ein Mensch will und wollen muss, und Dante trieb es dazu, nicht bloss in heftigen Worten über die unantastbare Person des pontifex maximus herzufallen und alle Diener der Kirche fast unausgesetzt zu geisseln, sondern die Grundvesten der römischen Religion zu untergraben.

Auch dieser Angriff prallte spurlos von den mächtigen Mauern Rom’s ab.

Mit Absicht habe ich den Kampf zwischen Nord und Süd nur in seiner Erscheinung innerhalb der römischen Kirche betont, und zwar nicht allein, weil ich von anderen Erscheinungen schon zu sprechen Gelegenheit hatte oder weil sie erst in die nächste Kulturepoche zeitlich und historisch gehören, sondern weil mich dünkt, dass gerade diese Seite der Betrachtung meist ausser Acht gelassen wird und dass gerade sie für das Verständnis unserer Gegenwart von grosser Bedeutung ist. Durch die Reformation erstarkte später die katholische Kirche; denn durch sie schieden unassimilierbare Elemente aus ihrer Mitte aus, die ihr in der Gestalt unterwürfiger und dennoch aufrührerischer Söhne nach Art Karl’s des Grossen und Dante’s weit mehr Gefahr brachten, als wären sie Feinde gewesen, Elemente, welche innerlich die logische Entwickelung des römischen Ideals hemmten, und äusserlich sie wenig oder gar nicht fördern konnten. Ein Karl der Grosse mit einem Dante als Reichskanzler hätte die römische Kirche in den Grund gebohrt; ein Luther dagegen klärt sie dermassen über sich selbst auf, dass das Konzil von Trient den Morgen eines neuen Tages für sie be - deutet hat.

Auf die schon früher berührten Rassenunterschiede will ich hierReligiöse Rassen - instinkte. nicht zurückkommen, wenngleich sie dem Kampf zwischen Nord und Süd zu Grunde liegen; Evidentes braucht ja nicht erst erwiesen zu werden. Doch will ich diese kurze Betrachtung über die nordische Kraft im christlichen Religionskampf nicht abbrechen und zu » Rom « übergehen, ohne den Leser gebeten zu haben, irgend ein gutes Geschichtswerk zur Hand zu nehmen, z. B. den ersten Band von Lamprecht’s Deutscher Geschichte; ein aufmerksames Studium wird ihn überzeugen, wie tief ein - gewurzelt im germanischen Volkscharakter gewisse Grundüberzeugungen sind; zugleich wird er einsehen lernen, dass wenn auch Jakob Grimm mit seiner Behauptung » germanische Kraft habe den Sieg des624Der Kampf.Christentums entschieden «1)Geschichte der deutschen Sprache, 2. Aufl., S. iv und 550. Recht haben mag, dieses Christentum sich von dem des Völkerchaos von Hause aus wesentlich unter - scheidet. Es handelt sich gleichsam um Falten des Gehirns:2)Vergl. S. 450. was auch hineingelegt wird, es muss sich nach ihnen biegen und schmiegen. Gleichwie ein Boot, dem scheinbar einförmigen Elemente des Ozeans anvertraut, weit abweichende Wege wandern wird, je nachdem der eine Strom oder der andere es ergreift, ebenso legen dieselben Ideen in verschiedenen Köpfen verschiedene Bahnen zurück und geraten unter Himmelsstriche, die wenig Gemeinsames miteinander haben. Wie un - endlich bedeutungsvoll ist z. B. bei den alten Germanen der Glaube an ein » allgemeines, unabänderliches, vorausbestimmtes und voraus - bestimmendes Schicksal «. 3)A. a. O., 2. Auflage I, 191. Wozu man meine Ausführungen Kap. 3, S. 242 vergleichen möge.Schon in dieser einen, allen Indoeuropäern gemeinsamen » Hirnfalte « liegt vielleicht neben manchem Aber - glauben die Gewähr einer reichen geistigen Entwickelung nach den verschiedensten Richtungen und auf genau bestimmten Wegen. In der Richtung des Idealismus wird der Glaube an ein Schicksal mit Natur - notwendigkeit zu einer Religion der Gnade führen, in der Richtung der Empirie zu streng induktiver Wissenschaft. Denn streng empirische Wissenschaft ist nicht, wie häufig behauptet wird, eine geborene Feindin aller Religion, noch weniger der Lehre Christi; sie hätte sich, wie wir sahen, mit Origenes vortrefflich vertragen, und im neunten Kapitel werde ich zeigen, dass Mechanismus und Idealismus Geschwister sind; Wissenschaft kann aber ohne den Begriff der lückenlosen Notwendigkeit nicht bestehen, und darum ist, wie selbst ein Renan zugeben muss: » jeder semitische Monotheismus von Hause aus ein Gegner aller physischen Wissenschaft «. 4)Origines du Christianisme, VII, 638.Das Judentum, sowie das unter römischem Einfluss entwickelte Christentum postulieren als Grunddogma die un - beschränkte schöpferische Willkür; daher der Antagonismus und der nie endende Kampf zwischen Kirche und Wissenschaft; bei den Indern bestand er nicht; den Germanen ist er nur künstlich aufgenötigt worden. 5)Siehe S. 407.Ebenso bedeutend ist die Thatsache, dass für die alten Germanen genau so wie bei den Indern und Griechen die sitt - liche Betrachtung sich nicht in die Frage nach Gut und Böse zu -625Religion.spitzte. 1)Lamprecht, a. a. O., S. 193. Lamprecht selber hat, wie die meisten unserer Zeitgenossen, keine Ahnung von dem Sinn dieser Erscheinung (die ich im neunten Kapitel ausführlich erörtere). Er meint: » der sittliche Individualismus schlummerte noch «!Hieraus musste sich mit derselben Notwendigkeit die Religion des Glaubens im Gegensatz zur Religion der Werke entwickeln, d. h. Idealismus im Gegensatz zu Materialismus, innerliche, sittliche Umkehr im Gegensatz zu semitischer Gesetzesheiligkeit und römischem Ablass - kram. Hier halten wir übrigens ein vorzügliches Beispiel von der Bedeutung der blossen Richtung, d. h. also der blossen Orientierung im geistigen Raume. Denn nie hat irgend ein Mensch gelehrt, ein Leben könne gut sein ohne gute Werke,2)Unglaublich ist es, wie noch heutigen Tages selbst in wissenschaftlichen römischen Werken gelehrt wird (siehe z. B. Brück: Lehrbuch der Kirchengeschichte, 6. Auflage, S. 586), Luther habe gepredigt, wer glaube, möge nur lustig darauf los - sündigen. Auf diese lasterhafte Dummheit genüge folgendes Citat als Erwiderung: » Wie nun die Bäume müssen eher sein denn die Früchte, und die Früchte nicht die Bäume weder gut noch böse machen, sondern die Bäume machen die Früchte, also muss der Mensch in der Person zuvor fromm oder böse sein, ehe er gute oder böse Werke thut. Und seine Werke machen ihn nicht gut oder böse, sondern er macht gute oder böse Werke. Desgleichen sehen wir in allen Hand - werken: ein gutes oder böses Haus macht keinen guten oder bösen Zimmermann, sondern ein guter oder böser Zimmermann macht ein böses oder gutes Haus; kein Werk macht einen Meister, danach das Werk ist, sondern wie der Meister ist, danach ist sein Werk auch « (Von der Freiheit eines Christenmenschen). und umgekehrt ist es die stillschweigende Voraussetzung des Judentums und ein Religionssatz der Römer, dass gute Werke ohne Glauben unnütz sind; an und für sich ist also jede der beiden Auffassungen gleich edel und moralisch; je nachdem aber das Eine oder das Andere betont wird, gelangt man dazu, das Wesen der Religion in die innerliche Umwandlung des Menschen, in seine Gesinnung, in seine ganze Art zu denken und zu fühlen zu legen, oder aber es treten äussere Observanzen, äusserlich bewirkte Erlösung, Buchführung über gute und böse Thaten und die Berechnung der Sittlichkeit nach Art eines Guthabens ein. 3)Schon in alten Zeiten war bei den Israeliten » die ganze Idee von Gut und Böse auf einen Geldtarif zurückgeführt « (R. Smith: Prophets of Israel, p. 105), so dass Hosea klagen musste: » Die Priester fressen die Sündopfer meines Volkes, und sind begierig nach ihren Sünden « (IV, 8). Ich erinnere mich, in Italien einem wortbrüchigen Mann mit seinen eigenen Gewissensbissen gedroht zu haben; » ach was! bester Herr «, erwiderte er, » das war ja nur eine kleinere (!) Lüge; sieben Jahre Fegfeuer, zehn Soldi wird mich das kosten! « Ich dachte, er habe mich zum Besten, und als die beiden Franziskaner das nächste Mal an meine Thüre klopften,Kaum minder be -Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 40626Der Kampf.merkenswert sind solche Dinge, wie z. B. die Unmöglichkeit, den alten Germanen den Begriff » Teufel « beizubringen; Mammon über - setzte Wulfila mit » Viehgedräng «, doch Beelzebub und Satan musste er unübersetzt lassen. 1)Lamprecht: a. a. O., S. 359.Die glücklichen Menschen! Und wie viel giebt das zu denken, wenn man sich an die jüdische Religion der Furcht und an des Basken Loyola stete Betonung von Teufel und Hölle erinnert! 2)Siehe S. 228 und 525. Dieser timor servilis blieb auch fernerhin die Grund - veste aller Religion in Loyola’s Orden. Sehr unterhaltend ist in dieser Beziehung ein von Parkman: Die Jesuiten in Nord-Amerika, S. 148, mitgeteilter Brief eines kana - densischen Jesuiten, der für seine junge Gemeinde Bilder bestellt: 1 Christus, 1 âme bienheureuse, mehrere heilige Jungfrauen, eine ganze Auswahl verdammter Seelen! Man wird hierbei an die von Tylor (Anfänge der Kultur, II, 337) erzählte Anekdote erinnert. Ein Missionär disputierte mit einem Indianerhäuptling und sagte ihm: » Mein Gott ist gut, aber er bestraft die Gottlosen «; worauf der Indianer entgegnete: » Mein Gott ist auch gut, aber er bestraft Niemanden, zufrieden damit, Allen Gutes zu thun «.Andere Dinge wieder besitzen rein historisches Interesse, wie z. B. die Thatsache, dass die Germanen kein berufs - mässiges Priestertum besassen, jegliche Theokratie ihnen folglich fremd war, was übrigens, wie Wietersheim zeigt, das Eindringen des römischen Christentums sehr erleichtert hat. 3)Völkerwanderung, 2. Ausgabe, II, 55.Doch will ich diese Nachforschungen über angeborene Religionsrichtungen dem Leser überlassen, damit mir noch der nötige Raum bleibt, um über die dritte grosse Macht im Kampfe noch einiges vorbringen zu können in Ergänzung dessen, was bei Besprechung von Ost und Nord schon angedeutet werden musste.

Rom.
155

Die Kraft Rom’s lag vor Allem in der Fortdauer des Imperium - gedankens, ja, ursprünglich in der thatsächlichen Fortdauer der kaiser - lichen Gewalt. Ein heidnischer Kaiser war es, wie wir gesehen haben (S. 572), der zuerst eine Streitigkeit zwischen Christen dadurch entschied,3)fragte ich die ehrwürdigen Herren, wie der Himmel eine » kleinere « Lüge bestrafe: » sieben Jahre Fegfeuer! « war die sofortige einstimmige Antwort, » doch Ihr seid ein Wohlthäter von Assisi, es wird Euch vieles erlassen werden. « Interessant ist es zu sehen, wie die Westgoten bereits im 6. Jahrhundert gegen » die Unordnung im Busswesen, dass man nach Belieben sündigt und immer wieder vom Priester die Rekonciliation verlangt « ankämpfen (Hefele: a. a. O., III, 51): immer wieder Symptome des Kampfes der Germanen gegen eine innerlich fremde Religion. Einzelheiten über den Tarif für Ablass an Geld oder an Geisselhieben kurz vor dem ersten Kreuzzug findet man in Gibbon’s Roman Empire, Kap. LVIII.627Religion.dass er die Stimme des römischen Bischofs als ausschlaggebend be - zeichnete, und der wahre Begründer des römischen Christentums als Weltmacht ist nicht irgend ein Papst oder Kirchenvater oder ein Concilium, sondern Kaiser Theodosius. Theodosius war es, der aus eigener Machtvollkommenheit durch sein Edikt vom 10. Januar 381 verordnete, alle Sekten ausser der von ihm zur Staatsreligion erhobenen seien untersagt, und der sämtliche Kirchen zu Gunsten Roms kon - fiszierte; er war es, der das Amt eines » Reichsinquisitors « gründete, und jede Abweichung von der von ihm dekretierten Orthodoxie mit dem Tode bestrafte. Wie sehr aber die ganze Auffassung des Theo - dosius eine » imperiale «, nicht eine religiöse oder gar apostolische war, geht zur Genüge aus der einen Thatsache hervor, dass Irrglaube und Heidentum juristisch als Majestätsverbrechen bezeichnet wurden. 1)Ich nenne Theodosius, weil er neben dem Willen die Macht besass; doch sein Vorgänger Gratian war es, der den Begriff der » Orthodoxie « zuerst auf - gestellt hatte und zwar ebenfalls als rein staatliche Angelegenheit; wer nicht recht - gläubig war, verlor sein Staatsbürgerrecht.Die volle Bedeutung dieses Sachverhalts versteht man erst, wenn man zurückblickt und gewahrt, dass zwei Jahrhunderte früher selbst ein so feuriger Geist wie Tertullian allgemeine Toleranz gefordert hatte, indem er meinte: ein Jeder solle Gott seiner eigenen Überzeugung gemäss verehren, eine Religion könne der anderen nichts schaden, und wenn man ferner sieht, dass hundertundfünfzig Jahre vor Theodosius Clemens von Alexandrien das griechische » hairesis « noch im alten Sinne gebraucht, nämlich zur Bezeichnung einer besonderen Schule im Gegensatz zu anderen Schulen, ohne dass diesem Begriff ein Tadel innegewohnt hätte. 2)Tertullian: Ad. Scap. 2; Clemens: Stromata 7, 15 (beides nach Hatch: a. a. O., S. 329).Die Häresie als Verbrechen ist, wie man sieht, ein Erbstück des römischen Imperialsystems; der Gedanke kam erst auf, als die Kaiser Christen geworden waren und er beruht, ich wiederhole es, nicht auf religiösen Voraussetzungen, sondern auf der Vorstellung, es sei Majestätsbeleidigung, anders zu glauben als der Kaiser glaubt. Dieses kaiserliche Ansehen erbte später der pontifex maximus.

Sowohl über die Gewalt des echten römischen Staatsgedankens, wie ihn die Geschichte des nur zu früh entschwundenen unvergleichlichen Volkes klar hinstellt, wie auch über die tief eingreifenden Modifikationen, welche diese Idee gewissermassen in ihr Gegenteil verkehrten, sobald ihr Schöpfer, das Volk der Römer, verschwunden war, habe ich aus -40*628Der Kampf.führlich im zweiten Kapitel referiert und verweise hier darauf. 1)Siehe namentlich S. 145 fg.Die Welt war gewohnt, von Rom Gesetze zu erhalten, und zwar nur von Rom; sie war es so gewohnt, dass selbst das getrennte byzantinische Reich sich noch » römisch « nannte. Rom und Regieren waren synonyme Ausdrücke geworden. Für die Menschen des Völkerchaos das ver - gesse man nicht war Rom das Einzige, was sie zusammenhielt, die einzige organisatorische Idee, der einzige Talisman gegen die herein - brechenden Barbaren. Die Welt wird eben nicht allein von Interessen regiert (wie mancher neueste Geschichtsschreiber lehrt), sondern vor Allem von Ideen, selbst dann noch, wenn diese Ideen zu Worten sich verflüchtigt haben; und so sehen wir denn das verwaiste, kaiserlose Rom doch noch ein Prestige behalten, wie keine zweite Stadt Europa’s. Seit jeher hatte Rom für die Römer » die heilige Stadt « geheissen; dass wir sie noch heute so nennen, ist keine christliche Gewohnheit, sondern ein heidnisches Erbe; den alten Römern war eben, wie schon an früherer Stelle (S. 136) hervorgehoben, das Vaterland und die Familie das Heilige im Leben gewesen. Nunmehr freilich gab es keine Römer mehr; dennoch blieb Rom die heilige Stadt. Bald gab es auch keinen römischen Kaiser mehr (ausser dem Namen nach), doch ein Bruch - stück der kaiserlichen Gewalt war zurückgeblieben: der Pontifex maximus. Auch hier war etwas vorgegangen, was mit der christlichen Religion ursprünglich in keinerlei Zusammenhang stand. Früher, in vorchristlichen Zeiten, war die vollständige Unterordnung des Priester - tums unter die weltliche Macht ein Grundprinzip des römischen Staates gewesen, man hatte die Priester geehrt, ihnen aber keinen Einfluss auf das öffentliche Leben gestattet; einzig in Gewissenssachen hatten sie Jurisdiction besessen, d. h. dass sie einem Selbstankläger (Beichte!) eine Strafe zur Sühne seiner Schuld (Busse!) auferlegen, oder eventuell ihn von dem öffentlichen Kult ausschliessen, ja, sogar mit dem gött - lichen Bannfluch belegen konnten (Exkommunikation!). Doch als der Kaiser alle Ämter der Republik in seinen Händen kumuliert hatte, wurde es mehr und mehr Sitte, das Pontifikat als seine höchste Würde zu betrachten, wodurch nach und nach der Begriff des Pontifex eine Bedeutung erhielt, die er früher nie besessen hatte. Caesar war ja kein Titel, sondern nur ein Eponym; pontifex maximus bezeichnete dagegen fortan das höchste (und seit jeher das einzige lebenslängliche) Amt; als pontifex war jetzt der Kaiser eine » geheiligte Majestät «, und vor629Religion.diesem » Vertreter des Göttlichen auf Erden «1)Dass diese aus uralter heidnischer Zeit datierende römische Formel später vom Concilium Tridentinum für den christlichen Papst aufgenommen wurde, haben wir oben gesehen. musste Jeder anbetend sich verneigen ein Verhältnis, an welchem durch den Übertritt der Kaiser zum Christentum zunächst nichts geändert wurde. Doch hierzu kommt noch ein Anderes. An diesem heidnischen pontifex maximus hing eine weitere wichtige Vorstellung und zwar ebenfalls schon seit den ältesten Zeiten: nicht sehr einflussreich nach aussen, war er innerhalb der Geistlichkeit das unbeschränkte Oberhaupt; die Priester waren es, die ihn wählten, sie erwählten aber in ihm ihren lebenslänglichen Diktator; er allein ernannte die pontifices (die Bischöfe, wie wir heute sagen würden), er allein besass in allen Fragen die Religion betreffend das endgültige Entscheidungsrecht. 2)Diese Ausführungen nach Mommsen: Römisches Staatsrecht und mit Be - nützung von Esmarch: Römische Rechtsgeschichte. Hatte nun der Kaiser sich das Amt des pontifex maximus arrogiert, so durfte später der pontifex maximus des Christentums mit noch grösserem Recht sich seinerseits als Caesar et Imperator betrachten (siehe S. 615), da er inzwischen thatsächlich das alles vereinigende Oberhaupt Europa’s geworden war.

Das ist der » Stuhl « (die seit den Tagen Numa’s berühmte sella), den der christliche Bischof im kaiserleeren Rom überkam, das ist die reiche Erbschaft an Ansehen, Einfluss, Vorrechten, tausendjährig festgemauert, die er antrat. Der arme Apostel Petrus hat wenig Verdienst darum.

Rom besass also, wenn nicht Bildung und Nationalcharakter, so doch die unermesslichen Vorzüge fester Organisation und altgeheiligter Tradition. Es dürfte unmöglich sein, den Einfluss der Form in mensch - lichen Dingen zu überschätzen. Eine solche scheinbare Nebensache z. B. wie die Auflegung der Hände zur Wahrung der materiellen, sichtbaren, historischen Kontinuität ist etwas von so unmittelbarer Wirkung auf die Phantasie, dass sie bei den Massen mehr wiegt, als die tiefsten Spekulationen und die heiligsten Lebensbeispiele. Und das alles ist altrömische Schule, altrömische Erbschaft aus der vorchristlichen Zeit. Die alten Römer sonst erfindungsarm waren Meister in der dramatischen Gestaltung wichtiger, symbolischer Handlungen ge - wesen;3)Siehe S. 166. die Neurömer bewahrten diese Traditionen. Und so fand denn hier, und hier allein, das junge Christentum eine schon bestehende630Der Kampf.Form, eine schon bestehende Tradition, eine schon geübte staats - männische Erfahrung, an die es sich anlehnen, in denen es zu fester, dauernder Gestalt sich herauskrystallisieren konnte. Es fand nicht allein die staatsmännische Idee, sondern ebenfalls die geübten Staatsmänner. Tertullian z. B., der den ersten tötlichen Schlag gegen das frei-spekulative hellenische Christentum that, indem er die lateinische Sprache an Stelle der griechischen in die Kirche einführte eine Sprache, in der jede Metaphysik und Mystik unmöglich ist und in welcher die paulinischen Briefe ihrer tiefen Bedeutung entkleidet werden Tertullian war ein Rechtsanwalt und begründete » die Richtung der abendländischen Dog - matik auf das Juristische «, einmal durch die Betonung des materiell gerichtlichen Moments in den religiösen Vorstellungen, sodann, indem er juristisch gefärbte, der lateinischen praktischen Welt angepasste Begriffe in die Vorstellungen von Gott, von den » zwei Substanzen « Christi, von der Freiheit des (als juristisch verklagt gedachten) Menschen u. s. w. einführte. 1)Vergl. Harnack: a. a. O., S. 103. Über die unausbleiblich hemmende Wirkung der lateinischen Sprache auf alle Spekulation und Wissenschaft, siehe Goethe’s Bemerkungen in seiner Geschichte der Farbenlehre. Neben dieser theoretischen Bethätigung praktischer Männer, gab es ihre organisatorische. Ambrosius z. B., die rechte Hand des Theodosius, war ein Civilbeamter und wurde zum Bischof gemacht, ehe er noch getauft worden war! Er selber erzählt freimütig, wie er » vom Tribunal fortgeholt wurde «, weil der Kaiser ihn an anderer Stelle, nämlich in der Kirche, zu dem grossen Werk der Organisation verwenden wollte, und wie er dadurch in die peinliche Lage geriet, Andere über das Christentum belehren zu müssen, ehe er selber darüber Bescheid wusste. 2)Vergl. den Anfang von De officiis ministrorum. Von solchen Männern sind die Grundlagen der römischen Kirche gelegt worden, nicht von den Nachfolgern Petri in Rom, deren Namen in den ersten Jahrhunderten kaum bekannt sind. Von unberechenbarem Wert für die Einflussnahme der Bischöfe war z. B. die Verfügung Konstantin’s, wonach in der altrömischen Rechts - einrichtung des receptum arbitrii (Schiedsgericht) bestimmt wurde, so - bald der Bischof Schiedsrichter sei, bleibe sein Urteil rechtskräftig und ohne höhere Instanz; für die Christen war es in vielen Fällen religiöse Pflicht, sich an den Bischof zu wenden; nunmehr war dieser auch civil - rechtlich ihr oberster Richter. 3)Auch dies war keine neue, christliche Erfindung; schon von Alters her hatte es in Rom im Gegensatz zum jus civile ein jus pontificium gegeben; nurAus dieser selben, rein staatlichen,631Religion.durchaus nicht religiösen Genese stammt auch die imponierende Idee strengster Einheitlichkeit in Glauben und Kultus. Ein Staat muss offenbar eine einzige, überall gültige, logisch ausgearbeitete Verfassung besitzen; die Individuen im Staate können nicht nach Belieben Recht sprechen, sondern müssen, ob sie wollen oder nicht, dem Gesetz unterthan sein; das alles verstanden diese rechtsanwältlichen Kirchendoktoren und rechtskundigen Bischöfe sehr gut, und das galt ihnen auch auf religiösem Gebiete als Norm. Dieser enge Zusammenhang der römischen Kirche mit dem römischen Recht fand darin sichtbaren Ausdruck, dass die Kirche jahrhundertelang unter der Jurisdiktion dieses Rechtes stand und alle Priester in allen Ländern eo ipso als Römer betrachtet wurden und die vielen Privilegien genossen, die an dieses rechtliche Verhältnis geknüpft waren. 1)Savigny: Römisches Recht im Mittelalter, Band I, Kap. 3.Die Bekehrung der europäischen Welt aber zu diesem politischen und juristischen Christentum geschah nicht, wie so häufig behauptet, durch ein göttliches Wunder, sondern auf dem nüchternen Wege des Zwanges. Schon der fromme Eusebius (der lange vor Theodosius lebte) klagt über » die unaussprechliche Heuchelei und Verstellung der angeblichen Christen «; sobald das Christentum die offizielle Religion des Reiches geworden war, brauchte man nicht einmal mehr zu heucheln; man ward Christ, wie man seine Steuern zahlt, und » römischer Christ «, weil man dem Kaiser geben muss, was des Kaisers ist; jetzt war ja die Religion ebenso wie der Erd - boden des Kaisers Eigentum geworden.

Das Christentum als obligatorische Weltreligion ist also nach - weisbar ein römischer Imperialgedanke, nicht eine religiöse Idee. Als nun das weltliche Imperium verblasste und hinschwand, blieb dieser Gedanke zurück; die von den Kaisern dekretierte Religion sollte den Kitt abgeben für die aus den Fugen geratene Welt; allen Menschen geschah dadurch eine Wohlthat und darum gravitierten die Vernünftigeren immer wieder nach Rom zu, denn dort allein fand man nicht blossen religiösen Enthusiasmus, sondern eine schon bestehende, praktische Organisation, die sich auch nach allen Seiten unermüdet bethätigte, jede Gegenbewegung mit allen Mitteln niederzuschlagen bestrebt war, Menschenkenntnis, diplomatische Gewandtheit und vor Allem eine mittlere, unverrückbare Achse besass Bewegung nicht ausschliessend, doch Bestand verbürgend nämlich, das unbedingte Primat Rom’s,3)hatte der gesunde Sinn des freien römischen Volkes diesem nie gestattet, praktischen Einfluss zu gewinnen. (Siehe Mommsen: a. a. O., S. 95.)632Der Kampf.d. h. des pontifex maximus. Hierin lag zunächst und zuvörderst die Kraft des römischen Christentums, sowohl gegen Osten, wie gegen Norden. Dazu kam noch als Weiteres die Thatsache, dass Rom, im geographischen Mittelpunkte des Völkerchaos gelegen und zudem fast ausschliesslich weltlich und staatsmännisch beanlagt, den Charakter und die Bedürfnisse der Mestizenbevölkerung genau kannte und durch keine tiefeingewurzelten nationalen Anlagen und nationalen Gewissens - postulate (wenn ich mich so ausdrücken darf) daran verhindert war, nach allen Seiten Entgegenkommen zu zeigen: unter dem einen Vor - behalt, dass sein Oberherrnrecht unbedingt anerkannt und gewahrt blieb. Rom war also nicht allein die einzige festgefügte kirchliche Macht des ersten Jahrtausends, sondern auch die am meisten elastische. Nichts ist halsstarriger als ein religiöser Fanatiker; selbst der edelste Religionsenthusiasmus wird sich nicht leicht an eine abweichende Auf - fassung anpassen. Rom dagegen war streng und wenn es sein musste, grausam, doch niemals wirklich fanatisch, wenigstens nicht in religiösen Dingen und in früheren Zeiten. Die Päpste waren so tolerant, so sehr bestrebt, Alles auszugleichen und die Kirche allen Schattierungen an - nehmbar zu machen, dass später einige von ihnen, die schon lange das Zeitliche gesegnet hatten, im Grabe exkommuniziert werden mussten, der Einheitlichkeit der Doktrin zuliebe! 1)Von mindestens einem Papste, Honorius, ist das nunmehr endgültig er - wiesen (siehe Hefele, Döllinger u. s. w.).Augustinus z. B., hatte seine Not mit Papst Zosimus, der das Dogma des Peccatum originale nicht für wichtig genug hielt, um dessentwegen den gefährlichen Kampf mit den Pelagianern heraufzubeschwören, zumal diese gar nicht antirömisch gesinnt waren, sondern im Gegenteil dem Papst mehr Rechte zugestanden als ihre Gegner. 2)Siehe Hefele: Konziliengeschichte, 2. Aufl. II, 114 ff. und 120 fg.Und wer von hier an die Kirchengeschichte verfolgt bis zu dem grossen Streit über die Gnade zwischen den Jesuiten und den Dominikanern im 17. Jahrhundert (im Grunde genommen dieselbe Sache wie dort, nur am anderen Ende an - gefasst und ohne einen Augustinus, um dem Materialismus den Riegel vorzuschieben), und sieht, wie der Papst den Streit dadurch beizulegen suchte, » dass er beide Systeme tolerierte (!) und den Anhängern der - selben verbot, sich gegenseitig zu verketzern «,3)Brück: Lehrbuch der Kirchengeschichte, 6. Aufl., S. 744 (orthodox römisch - katholisch). wer, sage ich, mit prüfendem Auge diese Geschichte verfolgt, wird finden, dass Rom von633Religion.seinen Machtansprüchen nie ein Jota preisgab, sonst aber so tolerant war, wie keine andere Kirchenorganisation. Erst die religiösen Heiss - sporne in seiner Mitte, namentlich die vielen inneren Protestanten, sowie die heftige Opposition von aussen zwangen nach und nach dem päpst - lichen Stuhle eine immer bestimmtere, immer einseitiger werdende dogmatische Richtung auf, bis zuletzt ein unüberlegter pontifex maximus unseres Jahrhunderts der gesamten europäischen Kultur in seinem Syllabus den Krieg erklärte. Das Papsttum war früher weiser; der grosse Gregor beklagt sich bitter über die Theologen, die mit der Natur der Gottheit und anderen » unbegreiflichen Dingen « sich und Andere quälen, anstatt dass sie sich praktischen und wohlthätigen Auf - gaben widmen. Rom wäre froh gewesen, wenn es gar keine Theologen gegeben hätte. Wie Herder richtig bemerkt: » Ein Kreuz, ein Marienbild mit dem Kinde, eine Messe, ein Rosenkranz thaten zu seinem Zwecke mehr als viel feine Spekulationen würden gethan haben. «1)Ideen zur Geschichte der Menschheit XIX, 1, 1.

Dass diese Laxheit mit ausgesprochener Weltlichkeit Hand in Hand ging, ist selbstverständlich. Und auch das war ein Element der Kraft. Der Grieche grübelte und » sublimierte « zu viel, der religiöse Germane meinte es zu ernst; Rom dagegen wich niemals vom goldenen Mittelweg ab, auf welchem die ungeheure Mehrzahl der Menschen am liebsten wandelt. Man braucht nur die Werke des Origenes zu lesen (als ein Muster dessen, was der Osten erstrebte) und dann etwa im scharfen Gegensatz hierzu Luther’s Von der Freiheit eines Christenmenschen (als Zusammenfassung dessen, was der Norden sich unter Religion dachte), um sofort zu begreifen, wie wenig das eine und das andere für die Menschen des Völkerchaos passen konnte und nicht für sie allein, sondern für Alle, die irgendwie von dem Gifte der promiscua connubia angesteckt waren. Ein Luther setzt Menschen voraus, die in sich selbst einen starken Halt finden, Menschen, fähig innerlich so zu kämpfen, wie er gekämpft hat; ein Origenes bewegt sich auf Höhen der Erkenntnis, wo die Inder heimisch waren, doch wahrlich nicht die Einwohner des römischen Reiches, nicht einmal ein Mann wie Augustinus. 2)Dass Augustinus das hellenische Denken nicht begriff, wurde ihm schon von Hieronymus vorgeworfen. Wie sehr das von der ganzen römischen Kirche galt, kann Jeder leicht einsehen lernen, der sich die Mühe nimmt, in Hefele: Konziliengeschichte, Bd. II, S. 255 fg. das Edikt des Kaisers Justinian gegen OrigenesRom dagegen verstand auf das Genaueste,634Der Kampf.wie ich soeben bemerkte, den Charakter und die Bedürfnisse jener buntgemischten Bevölkerung, welche Jahrhunderte hindurch Träger und Vermittler der Civilisation und der Kultur sein sollte. Rom forderte weder Charaktergrösse noch selbständiges Denken von seinen Anhängern, das nahm ihnen die Kirche selber ab; für jede Begabung, für jede Schwärmerei hatte es zwar Platz unter der einen Bedingung des Gehorsams , doch bildeten solche begabte und schwärmerische Menschen nur Hilfstruppen; denn das Augenmerk blieb unverrückt der grossen Menge zugewandt und für sie wurde nun die Religion so vollständig aus Herz und Kopf in die sichtbare Kirche verlegt, dass sie Jedem zugänglich, Jedem verständlich, Jedem zum Greifen deutlich gemacht war. 1)Die temperamentvolle afrikanische Kirche war hier, wie in so manchen Dingen, der römischen mit gutem Beispiel vorangegangen und hatte in ihr Glaubens - bekenntnis die Worte aufgenommen: » Ich glaube Sündenvergebung, Fleischesauf - erstehung und ewiges Leben durch die heilige Kirche « (siehe Harnack: Das apostolische Glaubensbekenntnis, 27. A., S. 9).Niemals hat eine Institution eine so bewundernswerte, zielbewusste Kenntnis des mittleren Menschenwesens gezeigt wie jene Kirche, welche sich schon sehr zeitig um den römischen pontifex maximus als Mittelpunkt zu organisieren begann. Von den Juden nahm sie die Hierokratie, die Intoleranz, den geschichtlichen Materialis - mus hütete sich jedoch sorgsam vor den unerbittlich strengen, sittlichen Geboten und der erhabenen Einfachheit des allem Aberglauben2)und die fünfzehn Anathematismen der constantinopolitanischen Synode des Jahres 543 über ihn zu lesen. Was diese Leute übersahen, ist für die Beurteilung ihrer Geistesanlagen ebenso lehrreich wie das, was sie des Anathemas würdig fanden. Dass z. B. Origines das peccatum originale als schon vor dem sogenannten Sündenfalle bestehend annimmt, haben die Eiferer gar nicht bemerkt, und doch ist das, wie ich oben zeigte, der Mittelpunkt seiner durch und durch anti - römischen Religion. Dagegen war es ihnen ein höchster Greuel, dass dieser klare hellenische Geist die Mehrheit der bewohnten Welten als ein Selbstverständ - liches voraussetzte und dass er lehrte, die Erde müsse nach und nach im Laufe eines Entwickelungsprozesses geworden sein! Am entsetzlichsten fanden sie aber, dass er die Vernichtung des Körpers im Tode als eine Befreiung pries (wogegen diese von Rom geleiteten Menschen des Völkerchaos sich die Unsterblichkeit nicht anders denn als das ewige Leben ihres elenden Leibes denken konnten). U. s. w., u. s. w. Manche Päpste, z. B. Cölestin, der Zermalmer des Nestorius, verstanden kein Wort Griechisch und verfügten überhaupt nur über eine geringe Bildung, was Niemand wundern wird, der durch Hefele’s Konziliengeschichte belehrt worden ist, dass gar mancher jener Bischöfe, die durch ihre Majoritätsbeschlüsse das christliche Dogma begründeten, weder lesen noch schreiben, nicht einmal den eigenen Namen unterschreiben konnten.635Religion.feindlichen Judentums (denn hiermit hätte sie sich das Volk, welches immer mehr abergläubisch als religiös ist, verscheucht); der germanische Ernst war ihr willkommen, sowie die mystische Entzückung doch wachte sie darüber, dass strenge Innerlichkeit den Weg des Heils nicht zu dornenvoll für schwache Seelen gestaltete, und dass mystischer Hochflug nicht von dem Kultus der Kirche emanzipiere; die mythischen Spekulationen der Hellenen wies sie nicht gerade zurück, sie begriff ihren Wert für die menschliche Phantasie, doch entkleidete sie den Mythus seiner plastischen, nie auszudenkenden, entwickelungsfähigen und darum ewig revolutionären Bedeutung und bannte ihn zu bleibender Regungslosigkeit gleich einem anzubetenden Idol. Dagegen nahm sie in weitherzigster Weise die Ceremonien und namentlich die Sakramente des prachtliebenden, in Zauberei seine Religion suchenden Völkerchaos in sich auf. Dies ist ja ihr eigentliches Element, das einzige, welches das Imperium, das heisst also Rom, selbständig zum Bau des Christen - tums beitrug; und dadurch wurde bewirkt, dass während heilige Männer nicht müde wurden, im Christentum den Gegensatz zum Heidentum aufzuzeigen die grosse Masse ohne einen sonderlichen Unterschied zu merken aus dem einen ins andere übertrat: sie fanden ja die prächtig gekleidete Klerisei wieder, die Umzüge, die Bilder, die wunderwirkenden Lokalheiligtümer, die mystische Verwandlung des Opfers, die stoffliche Mitteilung des ewigen Lebens, die Beichte, die Sündenvergebung, den Ablass alles, was sie längst gewohnt waren.

Über diesen förmlichen, feierlichen Eintritt des Geistes des Völker -Der Sieg des Völkerchaos. chaos in das Christentum muss ich zum Schluss einige Worte der Er - läuterung sagen; er verlieh dem Christentum eine besondere Färbung, die bis zum heutigen Tage in allen Konfessionen (auch in den von Rom losgetrennten) mehr oder weniger vorherrscht, und er erhielt seinen formellen Abschluss am Ende der Periode, die uns hier be - schäftigt. Die Proklamierung des Dogmas der Transsubstantiation, im Jahre 1215, bedeutet die Vollendung einer tausendjährigen Entwickelung nach dieser Richtung hin. 1)Die engültige formelle Vollendung erfolgte einige Jahre später, erstens durch die Einführung der obligatorischen Adoration der Hostie im Jahre 1264, zweitens durch die allgemeine Einführung des Fronleichnamsfestes im Jahre 1311, zur Feier der wunderbaren Verwandlung der Hostie in den Leib Gottes.

Die Anknüpfung an die äussere Religion des Paulus (im Gegen - satz zu seiner inneren) bedingte ja auf alle Fälle eine der jüdischen636Der Kampf.analoge Auffassung des Sühnopfers; doch verdient gerade der Jude für nichts aufrichtigere Bewunderung, als für seinen unablässigen Kampf gegen Aberglauben und Zauberwesen; seine Religion war Materialismus, doch, wie ich in einem früheren Kapitel ausführte, abstrakter Materia - lismus, nicht konkreter. 1)Siehe S. 230 fg.Dagegen hatte sich bis gegen Ende des 2. Jahrhunderts unserer Ära ein durchaus konkreter, wenn auch mystisch gefärbter Materialismus wie eine Pest durch das ganze römische Reich verbreitet. Dass dieses plötzliche Aufflammen alter Superstitionen von Semiten ausging, von denjenigen Semiten nämlich, die nicht unter dem wohlthätigen Gesetze Jahve’s standen, ist erwiesen;2)Siehe namentlich Robertson Smith: Religion of the Semites (1894), p. 358. Für diese ganze Frage lese man die Vorträge 8, 9, 10 und 11. hatten doch die jüdischen Propheten selber Mühe genug gehabt, den immer von Neuem auftauchenden Glauben an die magische Wirkung genossenen Opferfleisches zu unterdrücken;3)Siehe Smith a. a. O. und zur Ergänzung Cheyne: Isaiah, p. 368. und gerade dieser unter den geborenen Materialisten weitverbreitete Glaube war es, der jetzt wie ein Lauffeuer durch alle Länder des stark semitisierten Völkerchaos flog. Ewiges Leben verlangten diese elenden Menschen, die wohl empfinden mochten, wie wenig Ewigkeit ihr eigenes Dasein umfasste. Ewiges Leben versprachen ihnen die Priester der neu umgestalteten Mysterien durch die Teilnahme an » Agapen «, gemeinsamen feierlichen Mahlen, in denen Fleisch und Blut, magisch umgewandelt zu göttlicher Substanz, genossen, und durch die unmittelbare Mitteilung dieses die Unsterblichkeit verleihenden Ewigkeitsstoffes, der Leib des Menschen ebenfalls umgewandelt wurde, um nach dem Tode zu ewigem Leben wieder aufzuerstehen. 4)Rohde: Psyche, 1. Aufl., S. 687.So schreibt z. B. Apulejus über seine Einweihung in die Isismysterien, er dürfe das Verborgene nicht verraten, nur so viel könne er sagen: er sei bis an die Grenzen des Todesreiches gelangt, habe die Schwelle der Proserpina betreten, und sei von dort » in allen Elementen neu - geboren « zurückgekehrt. 5)Der goldene Esel, Buch XI.Auch die Mysten des Mythraskultus hiessen in aeternam renati, auf ewig Wiedergeborene. 6)Rohde: a. a. O.

Dass wir hierin eine Neubelebung der urältesten allgemeinsten totemistischen Wahnvorstellungen erblicken müssen, Vorstellungen, gegen welche die Edelsten aller Länder seit lange und mit Erfolg an -637Religion.gekämpft hatten, unterliegt heute keinem Zweifel. Ob die Vorstellung in dieser besonderen semitischen Form der ägypto-römischen Mysterien bei den Indoeuropäern je bestanden hat, erscheint mir allerdings sehr zweifelhaft; doch hatten gerade die Indoeuropäer inzwischen eine andere Idee bis zu lichtvoller Klarheit ausgebildet, diejenige nämlich der Stell - vertretung bei Opfern: in sacris simulata pro veris accipi. 1)Siehe Leist: Gräco-italienische Rechtsgeschichte S. 267 fg., Jhering: Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 313; u. s. w.So sehen wir z. B. schon die alten Inder gebackene Kuchen in Scheiben - form (Hostien) als symbolische Vertreter der zu schlachtenden Tiere verwenden! In dem römischen Chaos nun, wo alle Gedanken un - organisch untereinander gemischt, sich herumtrieben, fand eine Ver - schmelzung jener semitischen, magischen Vorstellung des im Menschen bewirkten Stoffwechsels mit dieser arischen symbolischen Vorstellung der simulata pro veris statt, welche in Wahrheit nichts weiter bezweckt hatte, als die Verlegung des früher buchstäblich aufgefassten Dank - opfers in das Herz des Opfernden. 2)So fasst es in seinen guten Stunden auch Augustinus auf: » nos ipsi in cordibus nostris invisibile sacrificium esse debemus « (De civ. Dei, X, 19).So genoss man denn in den Opfer - mahlen der vorchristlichen römischen Mysterienkulte nicht mehr Fleisch und Blut, sondern Brod und Wein magisch umgewandelt. Eine wie grosse Rolle diese Mysterien spielten, ist bekannt: ein Jeder wird sich zum wenigsten erinnern bei Cicero: De legibus II, 14 gelesen zu haben, erst diese Mysterien (schon damals aus einer » Taufe « und einem » Liebesmahl « bestehend) hätten den Menschen » im Leben Verstand und im Tode Hoffnung geschenkt «. Niemandem wird es aber entgehen, dass wir hier, in diesen renati, eine Auffassung der Wiedergeburt vor uns haben, der von Christus gelehrten und gelebten direkt entgegen - gesetzt. Christ und Antichrist stehen sich gegenüber. Dem absoluten Idealismus, der eine völlige Umwandlung des inneren Menschen, seiner Motive und seiner Ziele erstrebt, stellt sich hier ein bis zum Wahnsinn gesteigerter Materialismus entgegen, der durch den Genuss einer ge - heimnisvollen Speise eine magische Umwandlung des vergänglichen Individuums zu einem unsterblichen Leibe erhofft. Es bedeutet diese Vorstellung einen moralischen Atavismus, wie ihn einzig eine Zeit des absoluten Verfalles hervorbringen konnte.

Wie auf Anderes, so auch auf diese Mysterien wirkte das frühe, echte Christentum idealisierend und benutzte die Formen seiner Zeit, um sie mit einem neuen Inhalt zu füllen. In der ältesten nachevangelischen638Der Kampf.Schrift, der im Jahre 1883 aufgefundenen Lehre der zwölf Apostel aus dem ersten christlichen Jahrhundert, ist das mystische Mahl lediglich ein Dankopfer (Eucharistie). Beim Kelch spricht die Gemeinde: » Wir danken dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock deines Dieners David, den du uns kund gethan hast durch deinen Diener Jesus; dir sei Ehre in Ewigkeit. « Beim Brod spricht sie: » Wir danken dir, Vater, für das Leben und die Erkenntnis, die du uns kund gethan hast durch deinen Diener Jesus; dir sei Ehre in Ewigkeit. «1)Nach der Ausgabe des römisch-katholischen Professors Narcissus Liebert. In den etwas späteren sogenannten Apostolischen Konstitutionen werden das Brod und der Wein als » Gaben zu Ehren Christi « bezeichnet. 2)Buch VIII, Kap. 12.Von einer Verwandlung der Elemente in Leib und Blut Christi weiss damals kein Mensch etwas. Es ist geradezu charakteristisch für die frühesten Christen, dass sie das zu ihren Zeiten so gebräuchliche Wort » Mysteria « (welches lateinisch durch sacramentum wiedergegeben wurde) vermeiden. Erst im 4. Jahrhundert (d. h. also erst, als das Christentum die offizielle, obligatorische Religion des durch und durch unchristlichen Kaiserreichs geworden war) tritt das Wort auf, zugleich als zweifelloses Symptom eines neuen Begriffes. 3)Hatch: a. a. O., S. 302. Vergl. auch das oben S. 558 Gesagte.Doch kämpften die besten Geister unauf - hörlich gegen diese allmähliche Einführung des Materialismus und der Zauberei in die Religion. Origenes z. B. meint, nicht allein sei es lediglich » bildlich « zu verstehen, wenn man vom Leibe Christi bei der Eucharistie spreche, sondern dieses Bild passe » nur für die Einfältigen «; in Wahrheit finde eine » geistige Mitteilung « statt. Darum ist es auch nach Origenes gleichgültig, wer an dem Abendmahle teilnimmt, der Genuss desselben nütze nichts und schade nichts an und für sich, sondern es komme einzig auf die Gesinnung an. 4)Nach Neander: Kirchengeschichte, 4. Aufl., II, 405. Augustinus hat bereits einen viel schwereren Stand, denn er lebt inmitten einer so roh versinnlichten Welt, dass er in der Kirche die Vorstellung ver - breitet findet, der blosse Genuss des Brodes und des Weines mache zum Mitglied der Kirche und sichere die Unsterblichkeit, gleichviel ob Einer in Verbrechen lebe oder nicht, eine Vorstellung, gegen die er häufig und heftig ankämpft. 5)Vergl. z. B. Buch XXI. Kap. 25 des De civitate Dei. Auch angesehene Kirchenlehrer, z. B. Chrysostomus, hatten damals schon die Behauptung aufgestellt, durch die geweihte Speise werde der Leib des Geniessenden seinem639Religion.Wesen nach verändert. Trotzdem hält Augustinus den Standpunkt fest, alle Sakramente seien stets nur Symbole. Sacrificia visibilia sunt signa invisibilium, sicut verba sonantia signa rerum. 1)De civitate Dei, Buch X, Kap. 19. Diese Lehre wurde später von Wyclif der eigentliche Brunnquell der Reformation fast wörtlich aufgenommen; denn er schreibt von der Hostie: » non est corpus dominicum sed efficax ejus signum «.Die Hostie verhält sich also, nach Augustinus, zum Leibe Christi wie das Wort zum Ding. Wenn er nichtsdestoweniger beim Abendmahl eine that - sächliche Mitteilung des Göttlichen lehrt, so handelt es sich folglich um eine Mitteilung an das Gemüt und durch das Gemüt. Eine so klare Aussage lässt zu gar keinen Deutungen Platz, und schliesst die spätere römische Lehre des Messopfers aus. 2)Erst Gregor der Grosse (um das Jahr 600) lehrte, die Messe bedeute eine thatsächliche Wiederholung des Opfers Christi am Kreuz, wodurch das Abend - mahl ausser der sakramentalen (heidnischen) Bedeutung noch eine sakrifizielle (jüdische) erhielt. Schon diese äusserst flüchtigen Bemerkungen werden genügen, damit selbst ein gänzlich Uneingeweihter einsehen lerne, dass für die Auffassung der Eucharistie zwei Wege offen standen: der eine war durch die idealeren, auf das Geistige gerichteten Mysterien der reineren Hellenen gewiesen (nunmehr durch das Leben Christi mit einem konkreten Inhalt als » Erinnerungsfest « erfüllt), der andere schloss sich den semitischen und ägyptischen Zauberlehren an, wollte in dem Brod und dem Wein den thatsächlichen Leib Christi erblicken und durch seinen Genuss eine magische Umwandlung bewirken lassen.

Diese zwei Richtungen3)In Wirklichkeit giebt es nur zwei. Wer den geringsten Einblick in den Hexenkessel theologischer Sophistik gethan hat, wird mir Dank wissen, dass ich durch die äusserste Vereinfachung nicht allein Klarheit, sondern auch Wahrhaftigkeit in diesen verworrenen Gegenstand hineinzubringen suche, der, teils in Folge der klügsten Berechnung habgieriger Pfaffen, teils durch den religiösen Wahn auf - richtiger doch schlecht equilibrierter Geister der eigentliche Fechtboden geworden ist für alle spitzfindige Narrheiten und tiefsinnige Undenkbarkeiten. Hier namentlich liegt die Erbsünde aller protestantischen Kirchen; denn sie empörten sich gegen die römische Lehre vom Messopfer und von der Transsubstantiation, und hatten dennoch nie den Mut, mit den völkerchaotischen Superstitionen aufzuräumen, sondern nahmen ihre Zuflucht zu elenden Sophistereien und schwankten bis zum heutigen Tage in charakterloser Unentschiedenheit hin und her auf dialektischen Nadelspitzen, ohne je festen Boden zu betreten. gingen nun Jahrhunderte lang neben - einander her, ohne dass es jemals zu einem entscheidenden dogmatischen Kampfe gekommen wäre. Das Gefühl einer unheimlichen Gefahr mag wohl zur Vermeidung desselben beigetragen haben; ausserdem wusste640Der Kampf.Rom, welches schon längst stillschweigend den zweiten Weg gewählt, dass es die bedeutendsten Kirchenväter gegen sich hatte, sowie die älteste Tradition. Wiederum war es der allzu gewissenhafte Norden, der die Brandfackel in diese idyllische Ruhe warf, wo unter der Stola einer einzigen universellen und unfehlbaren Kirche die Menschen zwei ver - schiedenen Religionen lebten. Im 9. Jahrhundert lehrte zum ersten Male als unumstössliches Dogma der Abt Radbert in seinem Buche Liber de corpore et sanguine Domini die magische Verwandlung des Brotes in den objektiv vorhandenen Leib Christi, der auf Alle, welche ihn genössen auch auf Unwissende und Ungläubige eine magische, Unsterblichkeit verleihende Wirkung ausübe. Und wer nahm den Handschuh auf? Nicht in der rapidesten Übersicht darf eine derartige Thatsache über - gangen werden: es war der König der Franken! später unterstützt vom König von England! Wie immer, war der erste Instinkt der richtige; die germanischen Fürsten ahnten sofort, es gehe an ihre nationale Unabhängigkeit. 1)Höchst bemerkenswert ist es, dass bei den alten Mysterien die Teilnahme daran die Angehörigkeit zur angestammten Nation ausdrücklich aufhob! Die Eingeweihten bildeten eine internationale, extranationale Familie.Im Auftrag Karl’s des Kahlen widerlegte zuerst Ratramnus, später der grosse Scotus Erigena diese Lehre Radbert’s. Dass es sich hier nicht um eine beliebige theologische Disputiererei handelte, ersehen wir daraus, dass jener selbe Scotus Erigena ein ganzes origenistisch angehauchtes System, eine Idealreligion vorträgt, in welcher die heilige Schrift und ihre Lehren als » Symbolik des Unaussprechlichen « (res ineffabilis, incomprehensibilis) aufgefasst, der Unterschied zwischen Gut und Böse als metaphysisch unhaltbar nach - gewiesen wird u. s. w.; und dass genau in demselben Augenblick der bewundernswerte Graf Gottschalk, im Anschluss an Augustinus, die Lehre von der göttlichen Gnade und von der Prädestination entwickelt. Jetzt liess sich der Streit nicht mehr diplomatisch beilegen. Der ger - manische Geist begann zu erwachen; Rom durfte ihn nicht gewähren lassen, sonst war seine Macht bald dahin. Gottschalk wurde von den kirchlichen Machthabern öffentlich fast zu Tode gegeisselt und sodann lebenslänglichen Kerkerqualen übergeben; Scotus, der recht - zeitig in seine englische Heimat geflüchtet war, wurde im Auftrag Rom’s von Mönchen meuchlerisch ermordet. Auf diese Weise wurde nun während Jahrhunderte über die Natur des Abendmahles ver - handelt. Die Päpste verhielten sich persönlich allerdings noch immer sehr reserviert, fast zweideutig; ihnen lag mehr am Zusammenhalten641Religion.aller Christen unter ihrem oberhirtlichen Stabe, als an Diskussionen, welche die Kirche in ihren Grundvesten erschüttern konnten. Doch als im 11. Jahrhundert der Feuergeist Berengar von Tours wiederum die Religion des Idealismus durchs ganze Frankenreich zu tragen begonnen hatte, konnte die Entscheidung nicht länger ausbleiben. Jetzt sass auf dem päpstlichen Stuhle ein Gregor VII., der Verfasser des Dictatus papae,1)In neuerer Zeit wird die Autorschaft des Papstes in Frage gestellt, doch geben die wissenschaftlich ernst zu nehmenden römischen Katholiken zu, dass diese Darlegung der vermeintlichen » Rechte « Rom’s, wenn nicht von dem Papste selbst, so doch aus dem Kreise seiner intimsten Verehrer stamme und somit wenigstens in der Hauptsache die Meinungen Gregor’s richtig wiedergebe, was ja ohnehin durch seine Handlungen und Briefe bestätigt wird (siehe z B. Hefele: a. a. O., 2. Ausg., V, 75). Höchst komisch nimmt sich dagegen das sich Hin - und Herwinden der unter jesuitischem Einfluss Ge - schichte schreibenden Gelehrten aus; von dem grossen Gregor haben sie manches ent - nommen, nicht aber seine Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe, und so verballhornen sie die Thaten und Worte gerade desjenigen Papstes, unter welchem die römische Staats - idee ihre edelste, reinste, uneigennützigste Form und darum auch ihren grössten moralischen Einfluss erreichte. Man sehe z. B., welche Mühe der Seminarprofessor Brück (a. a. O., § 114) sich giebt um darzuthun, Gregor habe » keine Universal - monarchie gewollt «, er habe die Fürsten » nicht als seine Vasallen betrachtet « u. s. w., wobei Brück aber doch nicht ganz verschweigen kann, dass Gregor von einem imperium Christi geredet und alle Fürsten und Völker ermahnt habe, in der Kirche ihre » Vorgesetzte und Herrin anzuerkennen «. Derartige Spiegelfechterei den grossen Grundthatsachen der Geschichte gegenüber ist ebenso unwürdig wie unfruchtbar: die römische hierokratische Weltstaatsidee ist grossartig genug, dass man sich ihrer nicht zu schämen braucht. in welchem zum ersten Mal unumwunden erklärt worden war, Kaiser und Fürsten seien dem Papst unbedingt unterthan; es war derjenige pontifex maximus, der zuerst sämtlichen Bischöfen der Kirche den Vasalleneid widerspruchsloser Treue gegen Rom auferlegt hatte, ein Mann, dessen reine Gesinnung seine ohnehin grosse Kraft verzehn - fachte; jetzt fühlte sich Rom auch stark genug, seine Anschauung in Bezug auf das Abendmahl durchzusetzen. Von einem Gefängnis ins andere, von einem Konzil zum anderen gejagt, musste Berengar zuletzt, um sein Leben zu retten, im Jahre 1059 in Rom vor einer Versammlung von 113 Bischöfen,2)» Wilde Tiere « nennt er sie in einem Brief an den Papst, die zu brüllen anhüben bei dem blossen Wort » geistige Gemeinschaft mit Christus « (siehe Neander: a. a. O., VI, 317). Später nannte Berengar den päpstlichen Stuhl sedem non apo - stolicam, sed sedem satanae. seine Lehre widerrufen und sich zum Glauben bekennen: » das Brot sei nicht bloss ein Sakrament, sondern der wahre Leib Christi, der von den Zähnen zerkaut werde. « Dennoch dauerteChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 41642Der Kampf.der Kampf noch immer fort, ja, jetzt erst wurde er allgemein. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts fand ein Erwachen des religiösen Bewusstseins in allen Ländern statt, wohin germanisches Blut gedrungen war, von Spanien bis nach Polen, von Italien bis England,1)Um das Jahr 1200 gab es waldensische Gemeinden » in Frankreich, Ara - gonien, Catalonien, Spanien, England, den Niederlanden, Deutschland, Böhmen, Polen, Lithauen, Österreich, Ungarn, Kroatien, Dalmatien, Italien, Sizilien u. s. w. « (Siehe die treffliche Schrift von Ludwig Keller: Die Anfänge der Reformation und die Ketzerschulen, 1897.) wie man ein solches seither vielleicht nicht wieder gesehen hat; es bedeutete dies das erste Dämmern eines neuen Tages und trat zunächst als eine Reaktion gegen die aufgezwungene, unassimilierbare Religion des Völkerchaos auf. Überall entstanden Bibelgesellschaften und andere fromme Vereine, und überall, wo die Kenntnis der heiligen Schrift sich im Volke verbreitet hatte, erfolgte, wie mit mathematischer Notwendigkeit, die Verwerfung der weltlichen und geistlichen An - sprüche Rom’s und vor Allem die Verwerfung der Brotverwandlung, sowie überhaupt der römischen Lehre des Messopfers. Die Lage wurde täglich kritischer. Wäre die politische Situation eine günstigere gewesen, anstatt der trostlosesten, die Europa je gekannt hat, so hätte eine energische und endgültige Losreissung von Rom damals bis südlich der Alpen und der Pyrenäen stattgefunden. Reformatoren gab es genug; es bedurfte ihrer gewissermassen gar nicht. Das Wort Anti - christ als Bezeichnung für den römischen Stuhl war in Aller Mund. Dass viele Ceremonien und Lehren der Kirche unmittelbar dem Heiden - tum entlehnt waren, wussten selbst die Bauern, es war ja damals noch unvergessen. Und so fand eine weitverbreitete innere Empörung statt gegen die Veräusserlichung der Religion, gegen die Werkheiligkeit und ganz besonders gegen den Ablass. Doch Rom stand in jenem Augen - blick auf dem Zenith seiner politischen Macht, es verschenkte Kronen und es entthronte Könige, die Fäden aller diplomatischen Intriguen liefen durch seine Hände. Damals bestieg gerade jener Papst den kurulischen Stuhl, der die denkwürdigen Worte gesprochen hat: ego sum Caesar! ego sum imperator! Anders als er zu glauben, wurde wieder, wie zu Zeiten des Theodosius, Majestätsbeleidigung. Hingeschlachtet wurden die Wehrlosen; eingekerkert, eingeschüchtert, demoralisiert Diejenigen, gegen welche Rücksichten geboten erschienen; gekauft, wer zu kaufen war. Es begann das Regiment des römischen Absolutismus, auch auf dem bisher relativ tolerant gehandhabten Gebiet der allerinnersten Religions -643Religion.überzeugung. Und zwar wurde es eingeleitet durch zwei Massnahmen, deren Zusammengehörigkeit im ersten Augenblick nicht einleuchtet, jedoch aus obiger Darstellung klar erhellt: das Übersetzen der Bibel in die Volkssprachen ward verboten (auch das Lesen in der lateinischen Vulgata seitens gebildeter Laien); das Dogma der Trans - substantiation wurde erlassen. 1)Innocenz verbot schon im Jahre 1198 das Lesen der Bibel, die Synode von Toulouse im Jahre 1229 und andere Konzilien schärften das Verbot immer von Neuem ein. Die Synode von Toulouse verbot auf das Strengste, dass Laien auch nur irgend ein Bruchstück des Alten oder des Neuen Testamentes läsen, mit alleiniger Ausnahme der Psalmen (c. XIV.). Wenn also kurz vor Luther’s Zeiten die Bibel in Deutschland sehr verbreitet war, so heisst es doch Sand in die Augen streuen, wenn man, wie Janssen und andere katholische Schriftsteller, diese Thatsache als einen Beweis des freiheitlichen Sinnes des römischen Stuhles hin - stellt. Die Erfindung des Druckes hatte eben schneller gewirkt, als die immer langsame Kurie gegenwirken konnte, ausserdem zog es den Deutschen allezeit in - stinktiv zum Evangelium, und wenn ihm etwas sehr am Herzen lag, pflegte er Verbote nicht mehr als nötig zu achten. Übrigens brachte das Tridentiner Konzil bald Ordnung in diese Angelegenheit und im Jahre 1622 verbot der Papst über - haupt und ohne Ausnahme alles Lesen in der Bibel ausser in der lateinischen Vulgata. Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurden päpstlich approbierte, vorsichtig redigierte Übersetzungen, und zwar nur insofern sie mit ebenfalls approbierten Anmerkungen versehen sind, gestattet, eine Zwangsmass - regel gegen die Verbreitung der heiligen Schrift in den wortgetreuen Ausgaben der Bibelgesellschaften. Wie es dagegen im 13. Jahrhundert mit den Bibelstudien des römischen Klerus aussah, findet eine humorvolle Illustration in der Thatsache, dass auf der Synode zu Nympha, im Jahre 1234, bei welcher römische und griechische Katholiken behufs Anbahnung einer Wiedervereinigung zusammentrafen, weder bei den einen noch bei den anderen, noch in den Kirchen und Klöstern der Stadt und Umgebung ein Exemplar der Bibel aufzutreiben war, so dass die Nachfolger der Apostel über den Wortlaut eines fraglichen Citats zur Tagesordnung übergehen und sich wieder einmal, statt auf die heilige Schrift, auf Kirchenväter und Konzilien stützen mussten (siehe Hefele: a. a. O., V, 1048). Genau in demselben Augenblick berichtet der zur Verfolgung der Waldenser entsandte Dominikaner Rainer, alle diese Häretiker seien in der heiligen Schrift vortrefflich bewandert und er habe ungebildete Bauern gesehen, welche das ganze Neue Testament auswendig her - sagen konnten (citiert bei Neander: a. a. O., VIII, 414).

Hiermit war das Gebäude vollendet, und zwar durchaus logisch. Freilich hatten die Apostolischen Konstitutionen gerade dem Laien ein - geschärft, » wenn er zu Hause sitze, solle er fleissig das Evangelium durchforschen «,2)Erstes Buch Von den Laien, Abschnitt 5. und in der Eucharistie solle er eine » Darbringung von Gaben zu Ehren Christi « erblicken; doch wer wusste damals noch etwas41*644Der Kampf.vom frühen, unverfälschten Christentum! Ausserdem steht Rom von Anfang an, wie ich zu zeigen versucht habe, nicht auf einem spezifisch religiösen oder gar spezifisch evangelischen Standpunkt; darum haben auch Diejenigen Unrecht, die ihm seit Jahrhunderten den Mangel an evangelischem Geist zum Vorwurf machen. Indem Rom das Evange - lium aus dem Hause und Herzen des Christen verbannte, und indem es im selben Augenblick den magischen Materialismus, an welchem das hinsterbende Völkerchaos sich aufgerichtet hatte, sowie die jüdische Opfertheorie, durch welche der Priester ein unentbehrlicher Vermittler wird, offiziell zur Grundlage der Religion machte, hat es einfach Farbe bekannt. Auf derselben vierten Lateransynode, welche im Jahre 1215 das Dogma von der magischen Verwandlung promulgierte, wurde das Inquisitionsgericht als bleibende Institution organisiert. Nicht die Lehre allein, auch das System war also fortan ein aufrichtiges. Die Synode von Narbonne stellte im Jahre 1227 das Prinzip auf: » Personen und Güter der Häretiker werden Jedem überlassen, der sich ihrer bemächtigt «;1)Hefele; a. a. O., V, 944. haeretici possunt non solum excommunicari, sed et juste occidi, lehrte kurz darauf der erste wirklich ganz römische unter den Kirchendoktoren, Thomas von Aquin. Diese Prinzipien und Lehren sind nicht etwa inzwischen abgeschafft worden; sie sind eine logische, unabweisbare Konsequenz der römischen Voraussetzungen, und bestehen noch heute zu Recht; in den letzten Jahren unseres Jahrhunderts hat ein hervor - ragender römischer Prälat, Hergenröther, dies bestätigt und hinzuge - fügt: » Nur wenn man nicht anders kann, giebt man nach. «2)Vergl. Döllinger: Das Papsttum (1892), S. 527.

Heutige Lage.
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Zu Beginn des 13. Jahrhunderts hatte also der fast tausendjährige Kampf mit dem scheinbar unbedingten Siege Rom’s und mit der voll - kommenen Niederlage des germanischen Nordens geendet. Jenes vorhin genannte Erwachen des germanischen Geistes auf religiösem Gebiete war aber nur das Symptom eines allgemeinen Sichfühlens und - fassens gewesen; bald drang es in das bürgerliche und politische und intellek - tuelle Leben hinein; nun handelte es sich nicht mehr allein und vor - züglich um Religion, sondern es entstand eine alles Menschliche um - fassende Empörung gegen die Prinzipien und Methoden Rom’s überhaupt. Der Kampf entbrannte von Neuem, doch mit anderen Ergebnissen. Dürfte die römische Kirche tolerant sein, so könnte er heute als be - endet gelten; sie darf es aber nicht, es wäre Selbstmord; und so wird645Religion.denn unablässig der von uns Nordländern mühsam genug und unvoll - kommen genug erkriegte geistige und materielle Besitzstand unter - miniert und angeätzt. Ausserdem besitzt Rom, ohne dass es sie zu suchen und sich ihnen zu verdingen brauchte, in allen Feinden des Germanentums geborene Verbündete. Findet nicht bald unter uns eine mächtige, gestaltungskräftige Wiedergeburt idealer Gesinnung statt, und zwar eine spezifisch religiöse Wiedergeburt, gelingt es uns nicht bald, die fremden Fetzen, die an unserem Christentum wie Paniere obligatorischer Heuchelei und Unwahrhaftigkeit noch hängen, herunterzureissen, be - sitzen wir nicht mehr die schöpferische Kraft, um aus den Worten und dem Anblick des gekreuzigten Menschensohnes eine vollkommene, vollkommen lebendige, der Wahrheit unseres Wesens und unserer An - lagen, dem gegenwärtigen Zustand unserer Kultur entsprechende Religion zu schaffen, eine Religion, so unmittelbar überzeugend, so hinreissend schön, so gegenwärtig, so plastisch beweglich, so ewig wahr und doch so neu, dass wir uns ihr hingeben müssen, wie das Weib ihrem Ge - liebten, fraglos, sicher, begeistert, eine Religion, so genau unserem be - sonderen germanischen Wesen angepasst diesem hochbeanlagten, doch besonders zarten und leicht verfallenden Wesen , dass sie die Fähig - keit besitzt, uns im Innersten zu erfassen und zu veredeln und zu kräftigen: gelingt das nicht, so wird aus den Schatten der Zukunft ein zweiter Innocenz III. hervortreten und eine erneute vierte Lateransynode, und noch einmal werden die Flammen des Inquisitionsgerichtes prasselnd gen Himmel züngeln. Denn die Welt und auch der Germane wird sich noch immer lieber syro-ägyptischen Mysterien in die Arme werfen, als sich an den faden Salbadereien ethischer Gesellschaften und was es dergleichen mehr giebt, erbauen. Und die Welt wird Recht daran thun. Andererseits ist ein abstrakter, kasuistisch-dogmatischer, mit römischem Aberglauben infizierter Protestantismus, wie ihn uns die Reformation in verschiedenen Abarten übermacht hat, keine lebendige Kraft. Er birgt eine Kraft, gewiss! eine grosse: die germanische Seele; doch bedeutet dieses Kaleidoskop vielfältiger und innerlich inkonsequenter Intoleranzen ein Hemmnis für diese Seele, nicht eine Förderung; daher die tiefe Indifferenz der Mehrheit seiner Bekenner und ein bejammerns - wertes Brachliegen der grössten Herzensgewalt: der religiösen. Rom mag dagegen als dogmatische Religion schwach sein, seine Dogmatik ist wenigstens konsequent; ausserdem ist gerade diese Kirche so - bald ihr nur gewisse Zugeständnisse gemacht werden eigentümlich tolerant und weitherzig, sie ist allumfassend wie sonst einzig der646Der Kampf.Buddhismus, und versteht es, allen Charakteren, allen Geistes - und Herzensanlagen eine Heimat, eine civitas Dei zu bereiten, in welcher der Skeptiker, der (gleich manchem Papste) kaum Christ zu nennen ist,1)In dem posthumen Prozess gegen Bonifaz VIII. wurde von vielen kirch - lichen Würdenträgern eidlich erhärtet, dieser mächtigste aller Päpste habe über die Vorstellung von Himmel und Hölle gelacht und von Jesus Christus gesagt, er sei ein sehr kluger Mensch gewesen, weiter nichts. Hefele ist geneigt, gerade diese Beschuldigungen für nicht unbegründet zu halten (siehe a. a. O., VI, 461 und die vorangehende Darstellung). Und dennoch oder vielmehr deswegen hat gerade Bonifaz VIII. so klar wie fast Keiner vor oder nach ihm den Kern des römischen Gedankens erfasst und in seiner berühmten Bulle Unam sanctam, auf welcher der heutige Katholizismus wie auf einem Grundstein ruht, zum Ausdruck gebracht. (Über diese Bulle Näheres im folgenden Kapitel). Übrigens weist Sainte-Beuve in seinem Port-Royal (livre III, ch. 3) überzeugend nach, man könne » ein sehr guter Katholik und zugleich kaum ein Christ ein «. Hand in Hand geht mit dem in heidnischen Superstitionen be - fangenen Durchschnittsgeist und mit dem innigsten Schwärmer, z. B. einem Bernard von Clairvaux, » dessen Seele sich berauscht in der Fülle des Hauses Gottes und neuen Wein mit Christo im Reiche seines Vaters trinkt «. 2)Helfferich: Christliche Mystik, 1842, II, 231.Wozu dann noch der verführerisch hinreissende Welt - und Staatsgedanke kommt, der schwer in die Wagschale fällt; denn als organi - satorisches System, als Macht der Tradition, als Kenner des Menschen - herzens ist Rom gross und bewundernswert, mehr fast als man in Worten sagen kann. Selbst ein Luther soll erklärt haben (Tischreden): » Was das äusserliche Regiment anbelangt, ist des Papstes Reich am besten für die Welt «. Ein einzelner David stark in der unschuldig - reinen Empörung eines echten Indoeuropäers gegen die unserem Menschenstamme angethane Schmach könnte vielleicht solchen Goliath zu Boden strecken, doch nicht ein ganzes Heer von philoso - phierenden Liliputanern. Auch wäre sein Tod auf keinen Fall zu wünschen; denn unser germanisches Christentum wird und kann nicht die Religion des Völkerchaos sein; der Wahngedanke einer Weltreligion ist schon an und für sich chronistischer und sakramentaler Materialismus; er haftet der protestantischen Kirche aus ihrer römischen Vergangenheit wie ein Siechtum an; nur in der Beschränkung können wir zum Voll - besitz unserer idealisierenden Kraft erwachsen.

Ein klares Verständnis der folgenschweren Kämpfe auf dem Ge - biete der Religion in unserem Jahrhundert und in der heraneilenden Zukunft ist unmöglich, wenn der Vorstellung nicht ein in seinen647Religion.Hauptzügen richtiges und lebhaft gefärbtes Bild des Kampfes im frühen Christentum, bis zum Jahre 1215, vorschwebt. Was später kam die Reformation und Gegenreformation ist viel weniger wichtig in rein religiöser Beziehung, viel mehr mit Politik durchsetzt und von Politik beherrscht, ausserdem bleibt es rätselhaft, wenn die Kenntnis des Vorangegangenen fehlt. Diesem Bedürfnis habe ich in dem vor - liegenden Kapitel zu entsprechen versucht.

Sollte man der obigen Darstellung Parteilichkeit vorwerfen, soOratio pro domo. würde ich erwidern, dass mir die wünschenswerte Gabe der Lüge nicht zuteil wurde. Was hat die Welt von » objektiven « Phrasen? Auch der Gegner weiss aufrichtige Offenheit zu preisen. Gilt es die höchsten Güter des Herzens, so ziehe ich lieber, wie die alten Germanen, nackend in die Schlacht, mit der Gesinnung, die Gott mir gegeben hat, als angethan mit der kunstvollen Rüstung einer Wissenschaft, die gerade hier nichts beweist, oder gar in die Toga einer leeren, alles aus - gleichenden Rhetorik gehüllt.

Nichts liegt mir ferner, als die Einzelnen mit ihren Kirchen zu identifizieren. Unsere heutigen Kirchen einen und trennen nach wesent - lich äusserlichen Merkmalen. Lese ich die Memorials des Kardinal Manning, und sehe ihn den Jesuitenorden den Krebsschaden des Katholizismus nennen, höre ich ihn die gerade in unseren Tagen so eifrig betriebene Ausbildung des Sakramentes zu einem förmlichen Götzendienste heftig beklagen, die Kirche deswegen eine » Krämerbude « und einen » Wechslermarkt « schelten, sehe ich ihn eifrig für die Ver - breitung der Bibel wirken und öffentlich gegen die römische Tendenz, sie zu unterdrücken (die er als vorherrschend zugiebt) ankämpfen, oder nehme ich wieder solche vortreffliche, echt germanische Schriften zur Hand, wie Prof. Schell’s: Der Katholizismus als Prinzip des Fortschrittes, so empfinde ich lebhaft, dass ein einziger göttlicher Sturmwind genügen würde, um das verhängnisvolle Gaukelspiel an - geerbter Wahnvorstellungen aus der Steinzeit hinwegzufegen, die Ver - blendungen des verfallenen Mestizenimperiums wie Nebelhüllen zu zerstreuen und uns Germanen alle gerade in der Religion und durch die Religion in Blutbrüderschaft zu einen.

Ausserdem blieb ja in meiner Schilderung eingestandenermassen der Mittelpunkt alles Christentums die Gestalt des Gekreuzigten unberührt. Und gerade sie ist das Einigende, das, was uns alle an -648Der Kampf.einander bindet, wie tief auch Denkweise und Rassenanlage uns von - einander scheiden mögen. Ich habe, zu meinem Glück, mehrere gute und treue Freunde unter der katholischen Geistlichkeit gezählt und bis zum heutigen Tage keinen verloren. Und ich erinnere mich, wie ein sehr begabter Dominikaner, der gerne mit mir diskutierte und dem ich manche Belehrung über theologische Dinge verdanke, ein - mal voller Verzweiflung ausrief: » Aber Sie sind ja ein schrecklicher Mensch! nicht einmal der heilige Thomas von Aquin könnte mit Ihnen fertig werden! « Und dennoch entzog mir der hochwürdige Herr sein Wohlwollen nicht, ebenso wenig wie ich ihm meine Ver - ehrung. Was uns einte, war eben doch grösser und mächtiger als das Viele, was uns trennte; es war die Gestalt Jesu Christi. Mochte ein Jeder von uns den Andern dermassen im verderblichen Irrtum befangen glauben, dass er, in die Arena der Welt versetzt, keinen Augenblick gezögert hätte, ihn rücksichtslos anzugreifen, in der Stille des Klosters, wo ich den Pater zu besuchen pflegte, fühlten wir uns immer wieder zu jenem Zustande hingezogen, den Augustinus (siehe S. 596) so herrlich schildert, wo Alles selbst die Stimme der Engel schweigt und nur der Eine redet; da wussten wir uns vereint und mit gleicher Überzeugung bekannten wir Beide: » Himmel und Erde werden vergehen, doch Seine Worte werden nicht vergehen. «

[649]

ACHTES KAPITEL STAAT

Methinks I see in my mind a noble and puissant nation rousing herself like a strong man after sleep, and shaking her invincible locks: methinks I see her as an eagle mewing her mighty youth, and kindling her undazzled eyes at the full midday beam; purging and unscaling her long-abused sight at the fountain itself of heavenly radiance; while the whole noise of timorous and flocking birds, with those also that love the twilight, flutter about, amazed at what she means, and in their envious gabble would prognosticate a year of sects and schisms. Milton.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 42[650][651]

Wäre es meine Aufgabe, den Kampf im Staate bis zum 13. Jahr -Kaiser und Papst. hundert historisch zu schildern, so könnte ich nicht ermangeln, bei zwei Dingen mit besonderer Ausführlichkeit zu verharren: bei dem Kampf zwischen Papsttum und Kaisertum und bei jener allmählichen Umgestaltung, durch welche aus der Mehrzahl der freien germanischen Männer Leibeigene wurden, während andere unter ihnen zu der mächtigen, sowohl nach oben wie nach unten bedrohlichen Klasse des erblichen Adels sich hinaufschwangen. Doch habe ich hier einzig das 19. Jahrhundert im Auge zu behalten, und weder jener verhängnis - volle Kampf noch die wunderlich bunten Verwandlungen, welche die ge - waltsam hin und her geworfene Gesellschaft durchmachte, besitzt heute mehr als ein historisches Interesse. Das Wort » Kaiser « ist für uns so bedeutungslos geworden, dass eine ganze Reihe europäischer Fürsten es sich zum Schmuck ihrer Titulatur beigelegt haben, und die » weissen Sklaven Europa’s « (wie sie ein englischer Schriftsteller unserer Tage, Sherard, nennt) sind nicht die überlebenden Zeugen eines vergangenen Feudalsystemes, sondern die Opfer einer neuen wirtschaftlichen Ent - wickelung. 1)Siehe im Kapitel 9 den Abschnitt » Wirtschaft «.Sobald wir dagegen tiefer greifen, werden wir finden, dass jener Kampf im Staate, so verwirrt er auch scheint, im letzten Grund ein Kampf um den Staat war, ein Kampf nämlich zwischen Universalismus und Nationalismus. Diese Einsicht erhellt unser Ver - ständnis der betreffenden Ereignisse ganz ungemein, und, ist das erst geschehen, so fällt wiederum von jener Zeit auf die unsere ein helles Licht zurück und lehrt uns somit in manchen Vorgängen der heutigen Welt klarer sehen als es sonst der Fall sein könnte.

Aus dieser Erwägung ergiebt sich ohne Weiteres der Plan des vorliegenden Kapitels. Doch muss ich noch eine Bemerkung voraus - schicken.

Das römische Reich hatte man mit Recht ein » Weltreich « nennen können; orbis romanus, die römische Welt, war die übliche Bezeichnung. 42*652Der Kampf.Doch, man merke es wohl, die » römische « pflegte man zu sagen, nicht die Welt kurzweg. Denn wenn auch der bezahlte Hofdichter, auf der Jagd nach weithin schallenden Hexametern, die oft citierten Worte schrieb

Tu regere imperio populos, Romane, memento!

so ist doch die selbst von manchen ernsten Historikern gedankenlos gemachte Voraussetzung, hiermit sei das römische Programm aus - gesprochen, durchaus hinfällig. Wie ich in meinem zweiten Kapitel gezeigt habe: das politische Prinzip des alten Rom’s war nicht Ex - pansion, sondern Konzentration. Darüber sollten die hohlen Phrasen eines Virgil Niemanden täuschen. Durch die geschichtlichen Ereignisse ist Rom gezwungen worden, sich um seinen festen Mittelpunkt herum auszubreiten, doch auch in den Tagen seiner ausgedehntesten Gewalt, von Trajan bis Diocletian, wird jedem aufmerksamen Beobachter nichts mehr auffallen als die strenge Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung. Das ist das Geheimnis römischer Kraft; dadurch bewährt sich Rom als die wahrhaft politische Nation unter allen. Doch, so weit diese Nation reicht, vernichtet sie Eigenart, schafft sie einen orbis romanus; ihre Wirkung nach aussen ist eine nivellierende. Und als es keine römische Nation mehr gab, nicht einmal mehr in Rom einen Caesar, da blieb nur das Prinzip des Nivellierens, der Vernichtung jeder Eigen - art als » römisch « übrig. Hierauf pflanzte nun die Kirche den echten Universalgedanken, den das rein politische Rom nie gekannt hatte. Kaiser waren es gewesen, in erster Reihe Theodosius, welche den Begriff der römischen Kirche geschaffen hatten, wobei ihnen zunächst gewiss nur der orbis romanus und dessen bessere Disziplin vorgeschwebt hat; doch war hierdurch an Stelle eines politischen Prinzips ein religiöses getreten, und während das erstere von Natur begrenzt war, war das letztere von Natur grenzenlos. Die Bekehrung zum Christentum ward jetzt eine moralische Verpflichtung, da von ihr das ewige Heil der Menschen abhing; Grenzen konnte es für eine derartige Überzeugung nicht geben. 1)Siehe z. B. den wundervollen Brief Alcuin’s an Karl den Grossen (in Waitz: Deutsche Verfassungsgeschichte, II, 182), worin der Abt den Kaiser mahnt, er solle das Imperium über die ganze Welt ausdehnen, nicht aus politischem Ehr - geiz, sondern weil er hierdurch die Grenzen des katholischen Glaubens immer weiter rücke.Andererseits war es staatliche Verpflichtung, der römi - schen Kirche mit Ausschluss jeder anderen Gestaltung der christlichen653Staat.Idee anzugehören; die Kaiser hatten es bei strengster Strafe befohlen. Auf diese Art erweiterte sich der frühere, grundsätzlich beschränkte römische Gedanke zu dem eines Universalimperiums; und da zwar die Politik den Organismus abgab, die Kirche aber die gebieterische Idee der Universalität, so ist es wohl nur natürlich, dass nach und nach aus dem Imperium eine Theokratie wurde und der Hohepriester bald sich das Diadema imperii aufs Haupt setzte. 1)Welcher Papst den Doppelreifen zuerst um die Tiara geschlungen hat, ist noch eine strittige Frage; jedenfalls geschah es im 11. oder 12. Jahrhundert. Der eine Ring trug die Inschrift: Corona regni de manu Dei, der andere: Diadema imperii de manu Petri. Heute trägt die päpstliche Krone einen dritten Goldreifen; nach dem strengkatholischen Wolfgang Menzel (Christliche Symbolik, 1854, I, 531) wird durch diese drei Reifen die Herrschaft der römischen Kirche über Erde, Hölle und Himmel symbolisiert. Weiter kann kein Imperialismus reichen.

Worauf ich nun gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist, dass es doch nicht angeht, in irgend einem Kaiser und sei er auch ein Heinrich IV. den Vertreter und Verfechter der welt - lichen Gewalt im Gegensatz zur kirchlichen zu erblicken. Die Essenz des christlich-römischen Kaisertums ist die Idee der Universalgewalt. Nun stammt aber, wie wir sahen, diese Idee nicht vom alten Rom; die Religion war es, die das neue Prinzip gebracht hatte: die offenbarte Wahrheit, das Reich Gottes auf Erden, eine rein ideale, nämlich auf Ideen gegründete, durch Ideen die Menschen beherrschende Gewalt. Freilich hatten die Kaiser dieses Prinzip im Interesse ihrer Herrschaft gewissermassen säkularisiert, doch sobald sie es überhaupt aufnahmen, hatten sie sich ihm zugleich verdungen. Ein Kaiser, der nicht ein Angehöriger der römischen Kirche, der nicht ein Haupt und Hort des Universalismus der Religion gewesen wäre, wäre kein Kaiser ge - wesen. Ein Streit zwischen Kaiser und Papst ist also immer ein Streit innerhalb der Kirche; der eine will dem Regnum, der andere dem Sacerdotium mehr Einfluss eingeräumt wissen; doch bleibt der Traum des Universalismus ihnen beiden gemeinsam, ebenso die Treue gegen jene kaiserlich-römische Kirche, welche berufen sein sollte, den allver - bindenden Seelenkitt des Weltreiches abzugeben. Einmal ernennt der Kaiser den Papst » aus kaiserlicher Machtvollkommenheit « (wie 999 Otto III. Sylvester II. ), ist also er unbestrittener Autokrat; ein anderes Mal krönt der Papst den Kaiser » aus der Fülle päpstlicher Macht « (wie 1131 Innocenz II. Lothar); ursprünglich ernennen die Kaiser (resp. die Landesfürsten) alle Bischöfe, später beanspruchen die Päpste dieses654Der Kampf.Recht; auch konnte es vorkommen, dass das Concilium der Bischöfe sich die höchste Macht zumass, sich ausdrücklich für » unfehlbar « er - klärte und den Papst absetzte und einsperrte (wie in Konstanz 1415), während der Kaiser als machtloser Zuschauer unter den Prälaten sass, nicht einmal fähig, einen Hus vor dem Tode zu schützen. Und so weiter. Offenbar handelt es sich bei allen diesen Dingen um Kom - petenzstreitigkeiten innerhalb der Kirche, d. h. innerhalb der uni - versalistisch gedachten Theokratie. Wenn die deutschen Erzbischöfe das Heer befehligen, welches Friedrich I. 1167 gegen Rom und den Papst entsendet, wäre es doch sonderbar, hierin eine wirkliche Auf - lehnung der weltlichen Gewalt gegen die kirchliche erblicken zu wollen. Ebenso sonderbar wäre es, wenn man die Absetzung Gregor’s VII. durch die Wormser Synode des Jahres 1076 als antikirchliche Regung Heinrich’s IV. deuten wollte, wo doch fast sämtliche Bischöfe Deutsch - lands und Italiens das kaiserliche Dekret unterschrieben hatten und zwar mit der Begründung: » der Papst masse sich eine bisher ganz unbekannte Gewalt an, während er die Rechte anderer Bischöfe ver - nichte «. 1)Hefele: Konziliengeschichte, V, 67.Natürlich bin ich weit entfernt, die hohe politische Be - deutung aller dieser Vorgänge, sowie namentlich ihre Rückwirkung auf das erstarkende Nationalbewusstsein leugnen zu wollen, ich stelle aber fest, dass es sich hier lediglich um Kämpfe und Ränke innerhalb des damals vorherrschenden Universalsystems der Kirche handelt, während derjenige Kampf, der über den ferneren Gang der Welt - geschichte entschied, im Gegensatz zugleich zu Kaiser und zu Papst im Gegensatz heisst das also zum kirchlichen Staatsideal von Fürsten, Adel und Bürgertum geführt wurde. Es bedeutet dies einen Kampf gegen den Universalismus, und, stützte er sich zunächst nicht auf Nationen, da solche noch nicht existierten, so führte er mit Not - wendigkeit zu ihrer Bildung, denn die Nationen sind das Bollwerk gegen die Despotie des römischen Weltreichgedankens.

Die » duplex potestas «.
205

So viel musste ich vorrausschicken, damit von vornherein fest - gestellt werde, welcher Kampf allein uns in diesem Buche beschäftigen kann und soll. Der Kampf zwischen Kaiser und Papst um den Vor - rang gehört der Vergangenheit an, der Kampf zwischen Nationalismus und Universalismus dauert heute noch fort.

Doch möchte ich, ehe wir zu unserem eigentlichen Gegenstand übergehen, noch eine Betrachtung bezüglich jenes Wettstreites innerhalb655Staat.des universalistischen Ideals hinzufügen. Zwar ist sie nicht unentbehrlich für die Beurteilung des 19. Jahrhunderts, die Sache wurde aber gerade in unseren Tagen viel besprochen und zwar vielfach zum Nachteil des ge - sunden Menschenverstandes; immer wieder wird sie von der universalisti - schen, d. h. von der römischen Partei aufgefrischt, und manche sonst gute Urteilskraft wird durch das geschickt dargestellte, doch gänzlich unhalt - bare Paradoxon irregeführt. Ich meine die Theorie der duplex potestas, der zweiköpfigen Gewalt. Den meisten Gebildeten ist sie hauptsächlich aus Dante’s De Monarchia bekannt, wenngleich sie früher und gleich - zeitig und auch später von Anderen vorgetragen wurde. Bei aller Ver - ehrung für den gewaltigen Dichter glaube ich kaum, dass ein politisch urteilsfähiger und nicht von Parteileidenschaft geblendeter Mensch diese Schrift aufmerksam lesen kann, ohne sie einfach ungeheuerlich zu finden. Grossartig wirkt allerdings die Konsequenz und der Mut, womit Dante dem Papste jede Spur von weltlicher Gewalt und weltlichem Besitze abspricht; doch indem er die Fülle dieser Gewalt einem Anderen über - trägt, indem er der Macht dieses Anderen die rein theokratische Quelle unmittelbar göttlicher Einsetzung vindiziert, hat er nur einen Tyrannen an die Stelle eines Anderen gesetzt. Von den Kurfürsten meint er, man dürfe sie nicht » Wähler « nennen, sondern vielmehr » Verkündiger der göttlichen Vorsehung « (III, 16); das ist ja die ungeschminkte papale Theorie! Dann aber kommt erst die Ungeheuerlichkeit: neben diesem unumschränkten, von Gott selbst » ohne irgend einen Ver - mittler « eingesetzten Alleinherrscher giebt es noch einen, ebenfalls von Gott selbst eingesetzten, ebenfalls unumschränkten Alleinherrscher, den Papst! Denn » des Menschen Natur ist eine doppelte und bedarf darum einer doppelten Leitung «, nämlich » des Papstes, der in Ge - mässheit der Offenbarung das Menschengeschlecht zum ewigen Leben führt, und des Kaisers, der im Anschluss an die Lehren der Philo - sophen die Menschen zur irdischen Glückseligkeit leiten soll «. Schon philosophisch ist dieser Gedanke eine Monstrosität; denn nach ihm soll das Streben nach einem diesseitigen, rein irdischen Glück Hand in Hand mit der Erlangung eines jenseitigen ewigen Glückes gehen; praktisch bedeutet er die unhaltbarste Wahnvorstellung, die jemals ein Dichterhirn ausbrütete. Wir dürfen als axiomatische Wahrheit annehmen, dass Universalismus Absolutismus impliziert, d. h. Unbe - dingtheit; wie könnten denn zwei unbedingte Herrscher nebeneinander - stehen? Nicht einen Schritt kann der Eine machen, ohne den Anderen zu » bedingen «. Wo soll man eine Grenze zwischen der Jurisdiktion656Der Kampf.des » philosophischen « Kaisers, des unmittelbaren Vertreters Gottes als Weltweisen, und der Jurisdiktion des theologischen Kaisers, des Ver - mittlers des ewigen Lebens ziehen? Bildet jene » Doppelnatur « des Menschen, von der Dante viel spricht, nicht dennoch eine Einheit? Vermag sie es, sich fein säuberlich in zwei zu teilen, und im Widerspruch mit dem Worte Christi zweien Herren zu dienen? Schon das Wort Mon-archie bedeutet die Regierung durch einen Einzigen, und jetzt soll die Monarchie zwei Alleinherrscher besitzen? Die Praxis kennt eine derartige zwiespältige Idee gar nicht. Die ersten Kaiser christlicher Konfession waren unumschränkte Herren auch inner - halb der Kirche; hin und wieder beriefen sie die Bischöfe zu Beratungen, doch erliessen sie die Kirchengesetze aus autokratischer Machtfülle und in dogmatischen Fragen entschied ihr Wille. Theodosius konnte wohl für seine Sünden Busse thun vor dem Bischof von Mailand, wie er es vor jedem anderen Priester gethan hätte, doch von einem Wett - bewerber um die unumschränkte Machtvollkommenheit wusste er nichts und hätte nicht gezaudert, ihn zu zermalmen. Genau ebenso empfand Karl (siehe S. 617), wenn auch seine Position natürlich nicht so stark sein konnte wie die des Theodosius; doch errang später Otto der Grosse thatsächlich genau dieselbe Einherrschergewalt und sein kaiserlicher Wille genügte, um den Papst abzusetzen: so sehr verlangt die Logik des universalistischen Ideals, dass alle Macht in einer Hand liege. Nun kamen allerdings in Folge endloser politischer Wirren, und auch weil die Hirne der damaligen Menschen durch Fragen des abstrakten Rechtes vertrackt waren, manche unklare Ideen auf, und zu ihnen gehörte jener Satz des alten Kirchenrechts von den beiden Schwertern des Staates, de duobus universis monarchiae gladiis; doch hat, wie obiger Satz mit seinem Genitiv der Einzahl beweist, der praktische Politiker sich die Sache nie so ungeheuerlich dargestellt wie der Dichter; für ihn gab es doch nur eine Monarchie und ihr dienen beide Schwerter. Diese eine Monarchie ist die Kirche: ein weltliches und zugleich überweltliches Imperium. Und weil die Idee dieses Imperiums eine so durch und durch theokratische ist, kann es uns nicht wundern, wenn die höchste Gewalt allmählich vom König auf den pontifex übergeht. Dass beide gleich hoch stehen sollten, ist durch die Natur des Menschen völlig ausgeschlossen; selbst Dante sagt am Schlusse seiner Schrift, der Kaiser solle » dem Petrus Ehr - erbietung bezeigen « und sich von dessen Licht » bestrahlen lassen «; er giebt also implicite zu, der Papst stehe über dem Kaiser. Endlich657Staat.hellte ein starker, klarer Geist, politisch und juristisch hochgebildet, diese Wirrnis geschichtlicher Trugschlüsse und abstrakter Hirngespinste auf; es geschah gerade an der Grenze der Epoche, von der ich hier spreche, am Schlusse des 13. Jahrhunderts. 1)Dante hat es folglich erlebt, doch, wie es scheint, nicht zu würdigen, noch daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen gewusst.Schon in seiner Bulle Ineffabilis hatte Bonifaz VIII. die unbedingte Freiheit der Kirche ge - fordert: bedingungslose Freiheit heisst unbeschränkte Macht. Doch die Lehre von den beiden Schwertern hatte schon so arge Verwüstungen in der Denkkraft der Fürsten angerichtet, dass sie gar nicht mehr daran dachten, das zweite Schwert sei bestenfalls in der unmittelbaren Gewalt des Kaisers; nein, jeder einzelne Fürst wollte es unabhängig führen und die göttliche Monarchie artete dadurch in eine um so bedenklichere Polyarchie aus, als jeder Principiculus sich die kaiserliche Theorie angeeignet hatte und sich als einen direkt von Gott eingesetzten unumschränkten Gewalthaber betrachtete. Man kann mit den Fürsten sympathisieren, denn sie bereiteten die Nationen, doch ihre Theorie des » Gottesgnadentums « ist einfach absurd, absurd, wenn sie innerhalb des römischen Universalsystems, d. h. also in der katholischen Kirche verblieben, und doppelt absurd, wenn sie sich von dem grossartigen Gedanken der einen einzigen von Gott gewollten civitas Dei lossagten. Dieser Konfusion suchte nun Bonifaz VIII. durch seine ewig denk - würdige Bulle, Unam sanctam, ein Ende zu bereiten. Jeder Laie sollte sie kennen, denn was auch inzwischen geschehen sein oder in Zukunft noch geschehen mag, die Logik der universal-theokratischen Idee2)Nicht zu verwechseln mit dem National-Theokratismus, für den die Ge - schichte manche Beispiele (in erster Reihe das Judentum) bietet. wird die römische Kirche immer mit Notwendigkeit zu der Auffassung der unbeschränkten Gewalt der Kirche und ihres geistlichen Oberhauptes zurückführen. Zuerst setzt Bonifaz auseinander, es könne nur eine Kirche geben dies wäre derjenige Punkt, wo man ihm gleich widersprechen müsste, denn aus ihm folgt alles Übrige mit logischer Notwendigkeit. Dann kommt das entscheidende und, wie die Geschichte lehrt, wahre Wort: » Diese eine Kirche hat nur ein Haupt, nicht zwei Köpfe gleich einem Monstrum! « Hat sie aber nur ein Haupt, so müssen ihm beide Schwerter, das geistliche und das weltliche, unterthan sein: » Beide Schwerter sind also in der Gewalt der Kirche, das geistliche und das weltliche; dieses muss für die Kirche, jenes von der Kirche gehandhabt werden; das eine von der Priesterschaft, das andere von den Königen658Der Kampf.und Kriegern, aber nach dem Willen des Priesters und so lange er es duldet. Es muss aber ein Schwert über dem andern, die weltliche Autorität der geistlichen unterworfen sein. Die göttliche Wahr - heit bezeugt, dass die geistliche Gewalt die zeitliche einzusetzen und über sie zu urteilen hat, wenn sie nicht gut ist «. 1)Siehe die Bulle Ineffabilis in Hefele: Konziliengeschichte, 2. Ausg. VI, 297 fg., und die Bulle Unam sanctam, ebenda, S. 347 fg. Ich citiere nach der Hefele’schen Übersetzung ins Deutsche, also nach einer orthodox katholischen und zugleich autoritativen Quelle.Damit war die notwendige Lehre der römischen Kirche endlich klar, logisch und ehrlich ent - wickelt. Man sieht einem derartigen Gedanken nicht auf den Grund, wenn man von priesterlichem Ehrgeiz, von dem unersättlichen Magen der Kirche, u. s. w. redet: zu Grunde liegt hier vielmehr die gross - artige Idee eines universellen Imperiums, welches nicht allein alle Völker unterwerfen und hierdurch ewigen Frieden schaffen soll,2)Dieser Gedanke kehrt bei den alten Schriftstellern immer wieder. sondern auch jeden einzelnen Menschen ebenfalls von allen Seiten eng umfassen will mit seinem Glauben, Handeln und Hoffen. Es ist Universalismus in seiner höchsten Potenz, äusserer und innerer, so dass auch Einheit der Sprache z. B. mit allen Mitteln erstrebt wird. Der Fels, auf dem dieses Reich ruht, ist der Glaube an göttliche Ein - setzung, nichts Geringeres vermöchte ein derartiges Gebäude zu halten; folglich ist dieses Imperium notwendiger Weise eine Theokratie; in einem theokratischen Staate nimmt die Hierarchie den ersten Platz ein; ihr priesterliches Haupt ist somit das natürliche Oberhaupt des Staates. Dieser logischen Deduktion kann man kein einziges vernünftiges Wort entgegenstellen, sondern nur fadenscheinige Sophismen. Hatte doch im weltlichsten aller Staaten, in Rom, der Imperator sich den Titel und das Amt eines Pontifex maximus als höchste Würde, als unübertreff - bare Gewähr der göttlichen Berechtigung beigelegt (Caesar Divi genus denn auch dieser Gedanke ist nicht etwa ein christlicher)! Und sollte nicht im kirchlichen Staate, jenem Staate, dem erst die Religion Uni - versitalität und Allgewalt geschenkt hatte, der Pontifex maximus sich nun umgekehrt berechtigt und genötigt fühlen, sein Amt als das eines Imperators aufzufassen? 3)Man vergleiche das treffliche Wort des spanischen Staatsmannes Antonio Perez, im vorigen Kapitel, S. 615, angeführt.

So viel nur über die duplex potestas.

Diese beiden Ausführungen: die erste über die prinzipielle Iden - tität zwischen Kaisertum und Papsttum (beide nur Glieder und Mani -659Staat.festationen desselben Gedankens eines heiligen römischen Universal - reiches), die zweite über den Kampf zwischen den verschiedenen regierenden Elementen innerhalb dieser natürlich sehr komplizierten Hierarchie, sollen weniger als Vorwort zu dem Folgenden gedient haben, denn als Entledigung eines Ballastes, der unsere Schritte vielfach gehemmt und irregeführt hätte; denn, wie gesagt, der wahre » Kampf im Staat « liegt tiefer, und gerade er bietet noch gegenwärtiges, ja, leidenschaftliches Interesse und fördert das Verständnis unseres eigenen Jahrhunderts.

Savigny, der grosse Rechtslehrer, schreibt: » die Staaten, in welcheUniversalismus gegen Nationalismus. sich das römische Reich auflöste, weisen zurück auf den Zustand des Reiches vor dieser Auflösung «. Der Kampf, von dem ich hier zu sprechen habe, steht also sowohl formell wie ideell in starker Ab - hängigkeit vom entschwundenen Imperium. Gleichwie die Schatten länger werden, je tiefer die Sonne sinkt, so warf Rom, dieser erste wahrhaft grosse Staat, seinen Schatten weit über kommende Jahr - hunderte hin. Denn, wohl betrachtet, ist der nun entbrennende Kampf im Staat ein Kampf der Völker um ihr persönliches Existenzrecht gegen eine erträumte und erstrebte Universalmonarchie, und Rom hinterliess nicht allein die Thatsache eines nationalitätlosen Polizeistaates mit Gleichförmigkeit und Ordnung als politischem Ideal, sondern auch die Erinnerung an eine grosse Nation. Ausserdem hinterliess Rom jene geographische Skizze zu einer möglichen und in vielen Zügen dauernd be - währten politischen Aufteilung des chaotischen Europa in neue Nationen, sowie Grundprinzipien der Gesetzgebung und der Verwaltung, an denen die individuelle Selbständigkeit dieser neuen Gebilde wie die junge Rebe an dem dürren Pfahl emporwachsen und erstarken konnte. Beiden Idealen, beiden Politiken lieferte also das alte Rom die Waffen, sowohl dem Universalismus wie dem Nationalismus. Jedoch, es kam auch Neues hinzu, und dieses Neue war das Lebendige, der Saft, welcher Blüten und Blätter trieb, die Hand, welche die Waffe führte: neu war das religiöse Ideal der Universalmonarchie und neu war der die Nationen gestaltende Menschenschlag. Neu war es, dass die römische Monarchie nicht mehr eine weltliche Politik, sondern eine zum Himmel vorbereitende Religion, dass ihr Monarch nicht ein wechselnder Caesar, sondern ein unsterblicher, ans Kreuz geschlagener Gott sein sollte, und ebenso neu war es, dass an Stelle der verschwundenen Nationen der früheren660Der Kampf.Geschichte eine bisher unbekannte Menschenrasse auftrat, gleich schöpferisch und individualistisch (folglich von Natur staatenbildend) wie die Hellenen und die Römer, dabei im Besitz einer bedeutend breiteren, zeugungsfähigeren und darum auch plastischeren, vielgestal - tigen Masse: die Germanen.

Die politische Situation während des ersten Jahrtausends von Konstantin an gerechnet ist also, trotz des unübersehbaren Wirrsals der Geschehnisse, durchaus deutlich, deutlicher vielleicht als die heutige. Auf der einen Seite die bewusste, wohl durchdachte, aus Erfahrung und aus vorhandenen Verhältnissen entlehnte Vorstellung einer im - perial-hieratischen, unnationalen Universalmonarchie, auf Gottes Gebot von den römischen Heiden (unbewusst) vorbereitet,1)Augustinus: De civitate Dei V, 21, etc. nunmehr in ihrer Göttlichkeit offenbart und daher allumfassend, allgewaltig, unfehlbar, ewig, auf der anderen Seite die naturnotwendige, durch Rasseninstinkt geforderte Bildung von Nationen seitens der germa - nischen und der mit Germanen in meinem weiteren Sinne (siehe Kap. 6) stark vermischten Völker, zugleich eine unüberwindliche Ab - neigung ihrerseits gegen alles Beharrende, die stürmische Auflehnung gegen jede Beschränkung der Persönlichkeit. Der Widerspruch war flagrant, der Kampf unausbleiblich.

Das ist kein willkürliches Generalisieren; im Gegenteil: nur wenn man die anscheinenden Willkürlichkeiten aller Geschichte so liebevoll auf - merksam betrachtet wie der Physiograph das von ihm sorgfältig polierte Gestein, nur dann wird die Chronik der Weltbegebenheiten durch - sichtig, und was das Auge nunmehr erblickt, ist nicht etwas Zu - fälliges, sondern das zu Grunde Liegende, gerade das einzige nicht Zufällige, die bleibende Ursache notwendiger, doch bunter, unberechen - barer Ereignisse. Dergleichen Ursachen erzwingen nämlich bestimmte Wirkungen. Wo weithin blickendes Bewusstsein vorhanden ist, wie z. B. (für den Universalismus) bei Karl dem Grossen und Gregor VII., oder andrerseits (für den Nationalismus) bei König Alfred und Walther von der Vogelweide, da gewinnt die notwendige Gestaltung der Ge - schichte bestimmtere, leichter erkennbare Umrisse; doch war es durch - aus nicht nötig, dass jeder Vertreter der römischen Idee oder des Prinzips der Nationalitäten klare Begriffe über Art und Umfang dieser Gedanken besass. Die römische Idee war zwingend genug, war eine unabänderliche Thatsache, nach welcher jeder Kaiser und jeder Papst,661Staat.mochte er sonst auch denken und beabsichtigen was er wollte, ge - nötigt war sich zu richten. Auch ist die übliche Lehre, hier habe eine Entwickelung stattgefunden, der kirchliche Ehrgeiz sei nach und nach immer umfassender geworden, nicht wohlbegründet, nicht wenigstens in dem heutigen flachen Verstand, wonach durch Evolution aus einem X ein U wird; eine Entfaltung hat es gegeben, ein An - schmiegen an Zeitverhältnisse u. s. w., doch handelte Karl der Grosse nach genau denselben Prinzipien wie Theodosius und stand Pius IX. auf genau demselben Boden wie Bonifaz VIII. Weit weniger noch postuliere ich ein bewusstes Erstreben nationaler Bildungen. Die spät - römische Idee einer Universaltheokratie konnte allenfalls von ausserordent - lichen Männern bis ins Einzelne ausgedacht werden, denn sie beruhte auf einem vorhandenen Imperium, an das sie unmittelbar anknüpfte und auf der festgegründeten jüdischen Theokratie, aus der sie sich lückenlos her - leitete; wie sollte man dagegen an ein Frankreich, ein Deutschland, ein Spanien gedacht haben, ehe sie da waren? Hier handelte es sich um schöpferische Neubildungen, die auch heute Sprossen treiben und noch ferner treiben werden, solange es Leben giebt. Unter unseren Augen finden Verschiebungen des Nationalbewusstseins statt, und noch jetzt können wir das Nationalitäten bildende Prinzip überall am Werke betrachten, wo der sogenannte Partikularismus sich regt: wenn der Bayer den Preussen nicht leiden mag und der Schwabe mit einer gelinden Geringschätzung auf Beide herabblickt, wenn der Schotte von » seinen Landsleuten « spricht, um sie vom Engländer zu unterscheiden, und der Einwohner von Massachusetts den Yankee vom Staate New-York als ein nicht ganz so vollendetes Wesen wie er selber ist, betrachtet, wenn örtliche Sitte, örtlicher Brauch, unausrottbare, durch keine Gesetz - gebung ganz zu tilgende örtliche Rechtsgewohnheiten einen Gau vom anderen scheiden so haben wir in allen diesen Dingen Symptome eines lebendigen Individualismus zu erblicken, Symptome der Fähigkeit eines Volkes, sich seiner Eigenart im Gegensatz zu der Anderer bewusst zu werden, der Fähigkeit zu organischer Neubildung. Schüfe der Gang der Geschichte die äusseren Bedingungen dazu, wir Germanen brächten noch ein Dutzend neue, charakteristisch unter - schiedene Nationen hervor. In Frankreich wurde inzwischen diese schöpferische Beanlagung durch die fortschreitende » Romanisierung « geschwächt, ausserdem durch den Fuss des rohen Korsen fast ganz zertreten; in Russland ist sie infolge des Vorwaltens untergeordneten, ungermanischen Blutes verschwunden, trotzdem früher unsere echten662Der Kampf.slavischen Vettern für individuelle Neubildungen ihre Sprachen und Literaturen beweisen es reich begabt waren. Diese Gabe nun, welche wir bei den Einen nicht mehr, bei den Anderen noch heute vorhanden finden, ist es, die wir in der Geschichte am Werke sehen, nicht bewusst, nicht als Theorie, nicht philosophisch bewiesen, nicht auf juristischen Institutionen und göttlichen Offenbarungen aufgebaut, doch mit der Unbezwingbarkeit eines Naturgesetzes alle Hindernisse überwindend, zerstörend, wo es zu zerstören galt denn woran sind die ungesunden Bestrebungen des römischen Kaisertums germanischer Könige zu Grunde gegangen, als an der stets wachsamen Eifersucht der Stämme? und zugleich auf allen Seiten unbemerkt, emsig auf - bauend, so dass die Nationen dastanden, lange ehe die Fürsten sie in die Landkarten eingetragen hatten. Während gegen das Ende des 12. Jahrhunderts der Wahn eines imperium romanum einen Friedrich Barbarossa noch bethörte, konnte der deutsche Dichter schon singen:

übel müeze mir geschehen, künde ich ie mîn herze bringen dar, daz im wol gevallen wolte fremeder site: tiuschiu zuht gât vor in allen!

Und als im Jahre 1232 der mächtigste aller Päpste den Feind des römischen Einflusses in England, den Oberrichter Hubert de Burgh, durch Vermittlung des Königs hatte gefangen nehmen lassen, fand sich im ganzen Land kein Schmied, der ihm Handschellen hätte anschmieden wollen; trotzig antwortete der Geselle, dem man mit der Folter drohte: » Lieber jeden Tod sterben, als dass ich je Eisen anlegen sollte dem Manne, der England vor dem Fremden verteidigt hat! « Der fahrende Sänger wusste, dass es ein deutsches Volk, der Hufeisen - beschläger, dass es ein englisches Volk gebe, als es manche grosse Herren der Politik kaum erst zu ahnen begannen.

Das Gesetz der Begrenzung.
211

Man sieht, es handelt sich nicht um Windeier, gelegt von einer geschichtsphilosophischen Henne, sondern um die allerrealsten Dinge. Und da wir nun wissen, dass wir mit dieser Gegenüberstellung von Universalismus und Nationalismus die Hand auf konkrete Grundthat - sachen der Geschichte gelegt haben, möchte ich gern dieser Sache einen allgemeineren, mehr innerlichen Ausdruck abgewinnen. Damit steigen wir in die Tiefen der Seele hinab und erwerben uns eine Einsicht, die gerade für die Beurteilung unseres eigenen Jahrhunderts663Staat.von Wert sein wird; denn jene beiden Strömungen sind noch unter uns vorhanden, und zwar nicht allein in der sichtbaren Gestalt des pontifex maximus, der im Jahre des Heiles 1864 seine zeitliche Allgewalt noch einmal feierlich behauptete,1)Siehe den Syllabus § 19 fg., 54 fg., 75 fg., sowie die vielen Artikel gegen jede Gewissensfreiheit, namentlich § 15: » Wer behauptet, ein Mensch dürfe diejenige Religion annehmen und bekennen, die er nach bestem Wissen für wahr hält: der sei gebannt «. sowie andrerseits in den immer schärfer hervortretenden nationalen Gegensätzen der Gegenwart, sondern in gar vielen Ansichten und Urteilen, die wir auf dem Lebenspfade auf - lesen, ohne zu ahnen, woher sie stammen. Im tiefsten Grunde handelt es sich eben um zwei Weltauffassungen, die sich gegenseitig so total ausschliessen, dass die eine unmöglich neben der andren bestehen könnte und es einen Kampf auf Leben und Tod zwischen ihnen geben müsste trieben die Menschen nicht so ohne Besinnung dahin, gleich vollbesegelten doch steuerlosen Schiffen, ziellos, gedankenlos dem Winde gehorchend. Ein Wort des erhaben grossen Germanen, Goethe, wird auch hier wieder das psychologische Rätsel aufhellen. In seinen Sprüchen in Prosa schreibt er von der lebendigbeweglichen Individualität, sie werde sich selbst gewahr » als innerlich Grenzen - loses, äusserlich Begrenztes «. Das ist ein bedeutungsschweres Wort: äusserlich begrenzt, innerlich grenzenlos. Hiermit wird ein Grundgesetz alles geistigen Lebens ausgesprochen. Für das menschliche Individuum heisst nämlich äusserlich begrenzt so viel wie Persönlich - keit, innerlich grenzenlos so viel wie Freiheit; für ein Volk ebenfalls. Verfolgt man nun diesen Gedanken, so wird man finden, dass die beiden Termini sich gegenseitig bedingen. Ohne die äussere Begren - zung kann die innere Grenzenlosigkeit nicht statthaben; wird dagegen äussere Unbegrenztheit erstrebt, so wird die Grenze innerlich gezogen werden müssen. Dies Letztere ist denn auch die Formel des neu - römischen kirchlichen Imperiums: innerlich begrenzt, äusserlich grenzen - los. Opfere mir deine menschliche Persönlichkeit und ich schenke dir Anteil an der Göttlichkeit, opfere mir deine Freiheit und ich schaffe ein Reich, welches die ganze Erde umfasst und in welchem ewig Ordnung und Friede herrschen, opfere mir dein Urteil und ich offenbare dir die absolute Wahrheit, opfere mir die Zeit und ich schenke dir die Ewigkeit. Denn in der That, die Idee der römischen Universalmonarchie und der römischen Universalkirche zielt auf ein äusserlich Unbegrenztes: dem Oberhaupt des Imperiums sind omnes humanae creaturae, d. h. sämt -664Der Kampf.liche menschliche Wesen ohne Ausnahme unterworfen1)Siehe die Bulle Unam sanctam. , und die Gewalt der Kirche erstreckt sich nicht allein über die Lebendigen, sondern auch über die Toten, welche sie noch nach Jahrhunderten mit Bann und Höllenqualen bestrafen oder aus dem Fegfeuer zur himmlischen Seligkeit befördern kann. Dass dieser Vorstellung Gross - artigkeit innewohnt, bestreite ich nicht; ich diskutiere sie hier nicht, sondern mir liegt daran, zu zeigen, dass jedes Hinzielen auf derartig äusserlich Unbegrenztes die innerliche Begrenzung des Individuums vor - aussetzt und bedingt. Von Konstantin an, dem ersten, der die Imperiums - idee konsequent neurömisch erfasste, bis zu Friedrich II., dem Hohen - staufen, dem letzten Herrscher, den der wahrhafte Universalgedanke be - seelte, hat kein Kaiser ein Atom persönlicher oder auch Landesfreiheit geduldet (ausser insofern Schwäche ihn dazu zwang, den Einen Zugeständ - nisse zu machen, um die Anderen matt zu setzen). Quod principi placuit, legis habet vigorem, liess sich der Rotbart von den Juristen byzan - tinischer Schulung belehren, ging hin und zerstörte die in trotziger Freiheit und bürgerlichem Fleisse aufblühenden Städte der Lombardei und streute Salz auf die rauchenden Trümmer Mailand’s. Minder ge - waltthätig, doch von derselben Grundanschauung getragen, vernichtete der zweite Friedrich die unter den Landesfürsten aufkeimenden Frei - heiten des deutschen Bürgerthums. Wie unverrückbar eng der Pontifex die » inneren Grenzen « zieht, braucht nicht erst dargethan zu werden. Das Wort Dogma hatte bei den alten Griechen eine Meinung, ein Dafürhalten, eine philosophische Lehre bezeichnet, im römischen Reich bezeichnet es eine kaiserliche Verordnung, jetzt aber, in der römischen Kirche, hiess es ein göttliches Gesetz des Glaubens, dem sämtliche menschliche Wesen bei ewiger Strafe sich bedingungslos zu unter - werfen hatten. Man mache sich keine Illusion hierüber, man lasse sich nicht durch Trugschlüsse irreführen: dem Individuum kann dieses System kein Tüttelchen freier Selbstbestimmung lassen, es ist unmög - lich, und zwar aus dem einfachen Grund gegen den keine Ka - suistik und keine noch so gute Absicht etwas vermag weil, wer » äusserlich grenzenlos « sagt, » innerlich begrenzt « hinzufügen muss, er mag wollen oder nicht. Nach aussen wird das Opfer der Per - sönlichkeit, nach innen das Opfer der Freiheit gefordert. Ebenso - wenig kann dieses System nationale Individuen in ihrer Eigenart und als Grundlage geschichtlichen Geschehens anerkennen; sie sind ihm665Staat.höchstens ein unvermeidliches Übel; denn sobald eine scharfe äussere Grenze gezogen ist, wird sich die Tendenz zur innerlichen Grenzen - losigkeit kundthun; nie wird die echte Nation sich dem Imperium unterwerfen.

Das staatliche Ideal der römischen Hierokratie ist die civitas Dei auf Erden, ein einziger, unteilbarer Gottesstaat; jede Gliederung, welche äussere Grenzen schafft, bedroht das unbegrenzte Ganze, denn sie erzeugt Persönlichkeit. Darum gehen die Freiheiten der germanischen Völkerschaften, die Königswahl, die besonderen Rechte u. s. w. unter römischem Einfluss verloren; darum organisieren die Predigermönche, sobald zu Anfang des 13. Jahrhunderts die Nationalitäten deutlich hervorzutreten beginnen, einen wahren Feldzug gegen den amor soli natalis, die Liebe zur heimatlichen Scholle; darum sehen wir die Kaiser auf die Schwächung der Fürsten bedacht, und die Päpste während Jahrhunderte unermüdlich thätig, die Bildung der Staaten zu hindern und sobald hier kein Erfolg mehr zu hoffen ihre freiheitliche Entwickelung hintanzuhalten (bei welchem Bestreben namentlich die Kreuzzüge ihnen lange Zeit zu gute kamen); darum sorgen die Konsti - tutionen des Jesuitenordens an erster Stelle dafür, dass dessen Mit - glieder gänzlich » entnationalisiert « werden und einzig der universellen Kirche angehören;1)Jedes Gespräch über einzelne Nationen ist den Jesuiten aufs Strengste ver - boten; das Ideal des Ignatius war, sagt Gothein (Ignatius von Loyola, S. 336), » alle Nationen durcheinander zu werfen «; nur wo die Staaten es zur Bedingung machten, liess er den Unterricht durch Eingeborene geben, sonst war es sein stehendes Prinzip, jedes Mitglied aus seinem Vaterlande zu entfernen, wodurch zugleich erreicht wurde, dass kein Jesuitenschüler durch ein Mitglied seiner eigenen Nation herangebildet wurde. Das System ist seither nicht geändert. Buss, der ultramontane Verfasser der Geschichte der Gesellschaft Jesu, rühmt ihr vornehmlich nach: » sie hat keinen Charakter haftend an dem Genie einer Nation oder in der Eigentümlichkeit eines einzelnen Landes «. Der französische Jesuit Juvency warnt in seiner Lern - und Lehrmethode die Ordensmitglieder ganz besonders vor dem » zu vielen Lesen in Werken der Muttersprache «, denn, so fährt er fort: » dabei wird nicht nur viel Zeit ver - loren, sondern man leidet auch leicht Schiffbruch an der Seele «. Schiffbruch an der Seele durch Vertrautheit mit der Muttersprache! Und der bayrische Jesuit Kropf stellt im vorigen Jahrhundert als erstes Prinzip für die Schule auf, dass » der Ge - brauch der Muttersprache niemals gestattet werde «. Man durchsuche das ganze Buch (ein orthodox-römisch-jesuitisches), aus dem ich diese Citate entnehme: Er - läuterungsschriften zur Studienordnung der Gesellschaft Jesu, 1898, bei Herder (für Obiges S. 229 und 417), man wird das Wort Vaterland nicht ein einziges Mal finden! (Nachtrag: Während der Drucklegung dieses Kapitels lerne ich die vor - treffliche Schrift von Georg Mertz, Die Pädagogik der Jesuiten, Heidelberg 1898, darum lesen wir in den allerneuesten, strengChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 43666Der Kampf.wissenschaftlichen Lehrbüchern des katholischen Kirchenrechts (siehe z. B. das von Phillips, 3. Aufl., 1881, S. 804) noch immer von dem Durchdringen des » Nationalitätsprinzips innerhalb der Einen und All - gemeinen Kirche Gottes « als von einem der bedauerlichsten Vorgänge der Geschichte Europa’s. Dass die grosse Mehrzahl der römischen Katholiken dennoch vortreffliche Patrioten sind, ist ein Mangel an Kon - sequenz, der ihnen zur Ehre gereicht; ähnlich hat ja gerade Karl der Grosse, der sich a Deo coronatus imperator, Romanum gubernans im - perium nannte, durch seine kulturelle Thätigkeit und seine germanische Gesinnung mehr als ein Anderer zur Entfesselung der Nationalitäten und zur Knebelung des folgerechten römischen Gedankens beigetragen; doch wird durch derartige Inkonsequenzen die einzig richtige Lehre der theokratischen Universalkirche in keiner Weise tangiert, und es ist un - möglich, dass diese Lehre und dieser Einfluss sich jemals anders als in antinationaler Richtung geltend mache. Denn, ich wiederhole es, hier handelt es sich nicht um dieses eine bestimmte Kirchen - und Imperiumsideal, sondern um ein allgemeines Gesetz menschlichen Wesens und Thuns.

Damit dieses Gesetz recht klar erkannt werde, wollen wir jetzt kurz die entgegengesetzte Weltauffassung betrachten: äusserlich be - grenzt, innerlich grenzenlos. Nur in der Gestalt des äusserlich scharf Abgegrenzten, keinem andern Menschen Gleichen, das Gesetz seines besonderen Seins sichtbar zur Schau Tragenden tritt uns die hervor - ragende Persönlichkeit entgegen; nur als streng begrenzte individuelle Erscheinung offenbart uns das Genie die grenzenlose Welt seines Innern. Hiervon war in meinem ersten Kapitel (über hellenische Kunst) so eindringlich die Rede, dass ich es jetzt nicht noch einmal auszuführen brauche; im zweiten Kapitel, dem über Rom, sahen wir dann dasselbe1)kennen, in welcher streng aktenmässig und mit wissenschaftlicher Unparteilichkeit dieses ganze Erziehungssystem dargelegt wird. Wer diese trockene, nüchterne Darstellung aufmerksam liest, wird nicht bezweifeln, dass jede Nation, welche seine Schulen den Jesuiten öffnet, einfach Selbstmord begeht. Ich verdächtige durchaus nicht die guten Absichten der Jesuiten und bestreite nicht, dass sie einen gewissen pädagogischen Erfolg erzielen; doch bezweckt dieses ganze System die prinzipielle Vernichtung der Individualität der persönlichen sowohl wie der nationalen. Andrerseits muss aber zugegeben werden, dass dieses frevelhafte Attentat auf alles Heiligste im Menschen, diese grundsätzliche Heranbildung eines Geschlechtes, das » aus dem Hellen ins Dunkle strebt «, die streng logische Anwendung der römischen Postulate ist; in der starren und erstarrenden Folgerichtigkeit liegt die Kraft des Jesuitismus.)667Staat.Gesetz schärfster Abgrenzung nach Aussen eine innerlich unerhört mächtige Nation schaffen. Und ich möchte wissen, wo man mehr als bei dem Anblick des Gekreuzigten berechtigt wäre, auszurufen: äusserlich begrenzt, innerlich grenzenlos? und aus welchen Worten diese Wahrheit deutlicher herübergetönt wäre, als aus jenen: Das Himmelreich ist nicht auswendig, in der Welt der begrenzten Gestalten, sondern innerlich, in euren Herzen, in der Welt des Grenzenlosen? Diese Lehre ist das genaue, antipodische Gegenteil der Kirchenlehre. Die Geschichte als Beobachtungswissenschaft lehrt, dass nur begrenzte, zu nationaler Eigenartigkeit aus - und eingewachsene Völker Grosses geleistet haben. Die stärkste Nation der Welt Rom verschwand und mit ihr verschwanden ihre Tugenden, sobald sie » universal « zu werden strebte. Ähnlich überall. Lebhaftestes Rassenbewusstein und allerengste Stadtorganisation waren die notwendige Atmosphäre für die unvergänglichen Grossthaten des Hellenentums; die Weltmacht Alexander’s hat nur die Bedeutung einer mechanischen Ausbreitung von hellenischen Bildungselementen. Die ursprünglichen Perser waren eine der heldenhaftesten, thatkräftigsten, in Bezug auf Poesie und Religion am tiefsten beanlagten Völker der Geschichte: als sie den Thron einer Weltmonarchie erstiegen hatten, schwand ihre Persönlich - keit und damit auch ihr Können dahin. Selbst die Türken verloren als internationale Grossmacht ihren bescheidenen Schatz an Eigen - schaften, während ihre Vettern, die Hunnen, durch rücksichtslose Be - tonung des einen einzigen nationalen Momentes und durch gewaltsame Amalgamierung ihres reichen Schatzes an tüchtigen deutschen und slavischen Elementen, im Begriffe sind, unter unseren Augen zu einer grossen Nation heranzuwachsen.

Aus dieser zwiefachen Betrachtung geht hervor, dass die Be - schränkung ein allgemeines Naturgesetz ist, ein eben so allgemeines wie das Streben nach dem Schrankenlosen. Ins Unbegrenzte muss der Mensch hinaus, seine Natur fordert es gebieterisch; um dies zu können, muss er sich begrenzen. Hier findet nun der Widerstreit der Prinzipien statt: begrenzen wir uns äusserlich in Bezug auf Rasse, Vaterland, Persönlichkeit so scharf, so resolut wie möglich, so wird uns, wie den Hellenen und den brahmanischen Indern, das inner - liche Reich des Grenzenlosen aufgehen; streben wir dagegen äusserlich nach Unbegrenztem, nach irgend einem Absoluten, Ewigen, so müssen wir auf der Grundlage eines engbegrenzten Innern bauen, sonst ist jeder Erfolg ausgeschlossen: das zeigt uns jedes grosse Imperium, das43*668Der Kampf.zeigt uns jedes sich als absolut und alleingültig gebende philosophische und religiöse System, das zeigt uns vor Allem jener grossartigste Ver - such einer universellen Weltdeutung und Weltregierung, die römisch - katholische Kirche.

Der Kampf um den Staat.
215

Der Kampf im Staat während der ersten zwölf Jahrhunderte unserer Zeitrechnung war nun in seinem tiefsten Grunde ein Kampf zwischen den genannten zwei Prinzipien der Begrenzung, die auf allen Gebieten sich feindlich gegenüberstehen und deren Gegenüberstellung hier, auf politischem Gebiete, zu einem Kampf zwischen Universalismus und Nationalismus führt. Es handelt sich um das Existenzrecht unabhängiger Nationalitäten. Um das Jahr 1200 herum konnte der zukünftige Sieg des nationalbeschränkten, d. h. also des äusserlich begrenzenden Prinzips kaum mehr zweifelhaft sein. Zwar stand das Papsttum auf seiner höchsten Höhe so versichern wenigstens die Geschichtsschreiber, übersehen jedoch, dass diese » Höhe « nur den Sieg über den internen Konkurrenten um die Weltmonarchie, den Kaiser, bedeutet, und dass gerade dieser Wettstreit innerhalb der Imperiumsidee und dieser Sieg des Papstes den endgültigen Bankrott des römischen Plans herbeigeführt hat. Denn inzwischen waren Völker und Fürsten erstarkt: der innere Abfall von den kirchlichen » Grenzen « hatte schon im ausgedehntesten Masstabe begonnen, und der äussere Abfall von dem vermeintlichen princeps mundi wurde gerade von den frommsten Fürsten mit beneidenswerter Inkonsequenz durchgeführt. So nahm z. B. Ludwig der Heilige offen Partei für den exkommunizierten Friedrich und erklärte dem Papst gegen - über: » les roys ne tiennent de nullui, fors de Dieu et d’eux-mêmes «; und auf ihn folgte bald ein Philipp der Schöne, der einen wider - spenstigen pontifex einfach gefangen nehmen liess und dessen Nach - folger zwang, in Frankreich, unter seinen Augen zu residieren und die gewünschten gallikanischen Privilegien zu bestätigen. Der Kampf ist hier ein anderer als der zwischen Kaiser und Papst: denn die Fürsten bestreiten das Existenzrecht des römischen Universalismus; in weltlichen Dingen wollen sie vollkommen unabhängig und in kirch - lichen Dingen die Herren im eigenen Lande sein. Hinfürder musste der Vertreter der römischen Hierokratie auch in seinen glanzvollen Tagen mühsam lavieren und, um sich die Glaubensdinge möglichst unterthan zu halten, seine politischen Ansprüche einen nach dem andern (einstweilen) preisgeben; dem sogenannten » römischen Kaiser deutscher Nation « (wohl die blödsinnigste contradictio in adjecto, die jemals ersonnen wurde) ging es noch schlechter, sein Titel war ein669Staat.blosser Spott, und doch musste er ihn so teuer bezahlen, dass heute, am Schlusse des 19. Jahrhunderts, sein Nachfolger der einzige Monarch Europa’s ist, der nicht an der Spitze einer Nation, sondern eines un - gestalteten Menschenhaufens steht. Wogegen der mächtigste moderne Staat dort entstand, wo die antirömische Tendenz einen so unzwei - deutigen Ausdruck gefunden hatte, dass man behaupten darf: » der dynastische und der protestantische Gedanke durchdringen einander so, dass sie kaum unterschieden werden können «. 1)Ranke: Genesis des preussischen Staates, Ausg. 1874, S. 174.Inzwischen war eben die Losung ausgegeben worden, die da lautete: weder Kaiser noch Papst, sondern Nationen.

In Wahrheit jedoch ist dieser Kampf noch heute nicht beendet; denn wenn auch das Prinzip der Nationen siegte, die Macht, welche das entgegengesetzte Prinzip vertritt, hat nie entwaffnet, ist heute in gewissen Beziehungen stärker als je, verfügt über eine weit besser disziplinierte, mehr bedingungslos unterworfene Beamtenschar als in irgend einem früheren Jahrhundert, und wartet nur auf die Stunde, wo sie rücksichtslos hervortreten kann. Ich habe nie verstanden, warum gebildete Katholiken sich bemühen, die Thatsache zu leugnen, oder hinweg zu deuten, dass die römische Kirche nicht allein eine Religion, sondern auch ein weltliches Regierungssystem ist, und dass die Kirche als Vertreterin Gottes auf Erden eo ipso in allen Dingen dieser Welt unbeschränkte Herrschaft beanspruchen darf und allezeit bean - sprucht hat. Wie kann man das glauben, was die römische Kirche als Wahrheit lehrt und trotzdem von einer Selbstständigkeit der welt - lichen Gewalt faseln wie das, um nur ein Beispiel aus beliebig vielen zu nennen, Professor Phillips in seinem Lehrbuch des Kirchen - rechts, § 297, thut, wo er doch in demselben Paragraphen auf der vorangehenden Seite ausgeführt hat: » Es ist nicht Sache des Staates, zu bestimmen, welche Rechte der Kirche zustehen, noch die Aus - übung derselben von seiner Genehmigung abhängig zu machen «? Wenn aber der Staat die Rechte der Kirche nicht bestimmt, so folgt daraus mit unwidersprechlich logischer Notwendigkeit, dass die Kirche die Rechte des Staates bestimmt. Und was hier mit einer verblüffenden » wissenschaftlichen « Naivetät geschieht, wird in hundert anderen Büchern und in immer erneuten Beteuerungen hochgestellter Prälaten wiederholt und die Kirche als ein in staatlichen Dingen unwissendes, unschuldiges Lamm hingestellt was ohne systematische Unterdrückung670Der Kampf.der Wahrheit nicht angeht. Wäre ich römischer Katholik, ich würde, weiss Gott, anders Farbe bekennen und mir die Mahnung Leo’s XIII. zu Herzen nehmen, dass man » nicht wagen solle, Unwahres zu sagen, noch Wahres zu verschweigen «. 1)In seinem Breve Saepenumero vom 18. August 1883. Diese Warnung richtet sich ausdrücklich » an die Historiker «, und der heilige Vater scheint eine ganze Sammlung neukatholischer Bücher der von mir gerügten Art vor sich liegen gehabt zu haben, denn er seufzt, ihn dünke die neuere Geschichtsschreibung eine » conjuratio hominum adversus veritatem « geworden zu sein, worin ihm Jeder, der einige Kenntnis von dieser Litteratur besitzt, von Herzen beistimmen wird. Nomina sunt odiosa, doch erinnere ich, dass schon in einer Anmerkung zum vorigen Kapitel (S. 643) darauf hingewiesen wurde, wie selbst Janssen, dessen Geschichte des deutschen Volkes so grosse Popularität und Autorität besitzt, zu dieser » Verschwörung gegen die Wahrheit « gehört. So lässt er z. B. die grosse Verbreitung der Bibel in Deutsch - land am Ende des 15. Jahrhunderts ein Verdienst der römischen Kirche sein! Wo er doch sehr gut weiss: erstens, dass das Lesen der Bibel damals seit zwei Jahrhunderten von Rom aus streng verboten war und nur die grossen Wirrnisse in der Kirche jener Zeit eine Laxheit der Disziplin verschuldeten, zweitens, dass gerade in jenem Augenblick das Bürgertum und der Kleinadel von ganz Europa bis ins innerste Herz antirömisch waren und sich deswegen mit solcher Leidenschaft auf das Studium der Bibel warfen! Wie sehr relativ diese angebliche » Verbreitung « war, geht übrigens aus der einen Thatsache hervor, dass Luther mit 20 Jahren noch nie eine Bibel gesehen hatte und mit Mühe ein Exemplar in der Universitätsbibliothek zu Erfurt auftrieb. Dieses eine Beispiel von Geschichtsfälschung ist typisch; in ähnlicher Weise » wagt « Janssen’s Buch an hundert Stellen » Unwahres zu sagen und Wahres zu verschweigen «, und doch gilt es als ein ernst wissenschaftliches. Was müsste man erst zu jener neuesten, wie Pilze aus vermodertem Boden hervorsprossenden Litteratur sagen, die sich die planmässige Besudelung aller nationalen Helden zum Ziel ge - setzt hat, von Martin Luther bis Bismarck, von Shakespeare bis Goethe? Einzig Verachtung ist hier angebracht. Ein bekanntes Sprichwort sagt: Lügen haben kurze Beine, und ein weniger bekanntes: Dem Lügner sieht man so tief ins Maul als dem Wahrsager. Mögen die Völker Europas bald so weit erwacht sein, dass sie dieser Rotte tief ins Maul sehen! Doch darf keine Empörung dazu verleiten, den grossartigen Universalgedanken eines Theodosius und eines Carolus Magnus, eines Gregor I. und eines Gregor VII., eines Augustinus und eines Thomas von Aquin mit derartigen modernen Schuftigkeiten zu identifizieren. Der wahre römische Gedanke ist ein echter Kulturgedanke, der im letzten Grunde auf dem Werk und den Traditionen der grossen Kaiserepoche von Tiberius bis Marc Aurel ruht; da - gegen knüpft das Ideal der genannten Herren bekanntlich (siehe S. 525) an die kulturbare Steinzeit an, und dasselbe gilt von ihrer tückischen Kampfesweise.Und die Wahrheit ist, dass die römische Kirche von Anfang an d. h. also von Konstantin an, der sie begründete stets die unbedingte, unbeschränkte Herrschaft über die weltlichen Dinge beansprucht hat. Ich sage, » die Kirche « hat sie beansprucht, ich sage nicht » der Papst «; denn darüber, wer die welt -671Staat.liche sowie auch darüber, wer die höchste religiöse Gewalt thatsächlich ausüben sollte, hat es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Auffassungen und manchen Streit gegeben, doch dass diese Gewalt der Kirche als einer göttlichen Institution innewohne, ist stets gelehrt worden und diese Lehre bildet, wie ich es im vorigen Kapitel zu zeigen versuchte (S. 615 fg. ), ein so grundlegendes Axiom der römischen Religion, dass das ganze Gebäude einstürzen müsste, wenn sie je diesen Anspruch im Ernst aufgeben wollte. Gerade dies ist ja der bewundernswerteste und sobald er sich in einem schönen Geiste wiederspiegelt heiligste Gedanke der römischen Kirche: diese Religion will nicht bloss für die Zukunft, sondern auch für die Gegenwart sorgen, und zwar nicht allein, weil das irdische Leben nach ihrer Meinung für den Einzelnen die Schule des ewigen Lebens bedeutet, sondern weil sie Gott zu Ehren und als Vertreterin Gottes schon diese zeitliche Welt zu einem herrlichen Vorhof der himmlischen gestalten will. Wie der tridentinische Katechismus sagt: Christi regnum in terris inchoatur, in coelo perficitur; das Reich Christi erreicht im Himmel seine Vollendung, doch beginnt es auf Erden. 1)Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich anmerken, dass auch nach lutherischer Lehre der Gläubige schon hier das ewige Leben hat; doch ist das eine Auffassung, welche (wie ich in den Kap. 5, 7 und 9 ausführlich dargethan habe) in toto von der jüdisch-römischen abweicht, da sie nicht auf chronistischer Aufeinanderfolge, sondern auf gegenwärtiger Erfahrung (wie Christus) fusst.Wie flach muss ein Denken sein, welches die Schönheit und die unermessliche Kraft einer derartigen Vorstellung nicht empfindet! Und wahrlich, ich erträume sie mir nicht; dazu besässe ich nicht die Phantasie. Doch ich schlage Augustinus: De civitate Dei, Buch XX, Kap. 9, auf und lese: » Ecclesia et nunc est regnum Christi, regnumque coelorum «. Zweimal innerhalb weniger Zeilen wiederholt Augustinus, die Kirche sei jetzt schon das Reich Christi. Auch sieht er (im Anschluss an die Apokalypse) Männer auf Thronen sitzen, und wer sind sie? diejenigen, welche jetzt die Kirche regieren. Diese Auffassung setzt eine politische Regierung voraus, und selbst wo der Kaiser diese ausübt, selbst wo er sie gegen den Papst anwendet, ist doch er, der Kaiser, ein Glied der Kirche, a Deo coronatus, dessen Gewalt auf religiösen Voraus - setzungen beruht, so dass von einer wirklichen Trennung zwischen Staat und Kirche nicht die Rede sein kann, sondern höchstens (wie schon im Vorwort zu diesem Kapitel ausgeführt) von einem Kompetenz - streit innerhalb der Kirche. Die religiöse Grundlage dieser Auffassung672Der Kampt.reicht bis auf Christus selber zurück; denn, wie ich im dritten Kapitel dieses Buches bemerkte: Leben und Lehren Christi deuten unverkennbar auf einen Zustand, der nur durch Gemeinsamkeit verwirklicht werden kann. 1)Siehe S. 247.Genau hier ist der Punkt, wo das alternde Kaisertum und das jugendliche Christentum eine gewisse Verwandtschaft miteinander entdeckten oder zu entdecken wähnten. Ohne Zweifel war ein Jeder der beiden Kontrahierenden von sehr verschiedenen Beweggründen geleitet, der eine von politischen, der andere von religiösen; ver - mutlich täuschten sich beide; das Kaisertum wird nicht geahnt haben, dass es seine weltliche Gewalt auf ewig preisgab, das reine Christen - tum der alten Zeit wird nicht bedacht haben, dass es sich dem Heiden - tum in die Arme warf und sofort von ihm werde überwuchert werden; doch gleichviel: aus ihrer Vereinigung, aus ihrer Verschmelzung und gegenseitigen Durchdringung entstand die römische Kirche. Nun umfasst die Kirche nach der als orthodox anerkannten Definition des Augustinus sämtliche Menschen der Erde,2)Ecclesia est populus fidelis per universum orbem dispersus, aufgenommen in I, 10, 2 des Catechismus ex decreto Concilii Tridentini. Da nun aber schon von Theodosius an der Glaube von Allen erzwungen werden sollte und der Un - glaube oder Irrglaube ein Majestätsverbrechen bildete, da ausserdem die Schismatiker und Häretiker dennoch » unter der Gewalt der Kirche stehen « (a. a. O. I, 10, 9), so umfasst diese Definition sämtliche Menschen ohne Ausnahme, omnes humanae creaturae, wie Bonifaz in der oben citierten Stelle richtig sagte. und jeder Mensch, gleich - viel ob er » Fürst oder Knecht, Kaufmann oder Lehrer, Apostel oder Doktor sei « hat seine Thätigkeit hier auf Erden als ein ihm in der Kirche angewiesenes Amt zu betrachten, in hac ecclesia suum munus. 3)Cat. Trid. I, 10, 25.Durch welches Schlupfloch hier ein » Staat « oder gar eine » Nation « sich sollte herausretten können, um als selbständiges Wesen sich der Kirche gegenüber aufzurichten und ihr zuzurufen: du, kümmere dich hinfürder um deine Angelegenheiten, ich werde in den Dingen dieser Welt nach eigenem Belieben herrschen! ist nicht ersicht - lich; eine derartige Annahme ist unlogisch und unsinnig, sie hebt die Idee der römischen Kirche auf. Diese Idee gestattet offenbar keinerlei Einschränkung, weder geistig noch materiell, und wenn der Papst in seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche, als deren pater ac moderator, das Recht fordert, in weltlichen Dingen das entscheidende Wort zu sprechen, so ist das eben so berechtigt und logisch, wie wenn Theodosius in seinem berühmten Dekret gegen die Häretiker behauptet,673Staat.er, der Kaiser, sei » von himmlischer Weisheit geleitet «, oder wenn Karl der Grosse aus eigener Machtvollkommenheit über dogmatische Fragen entscheidet. Denn die Kirche umfasst Alles, Leib und Seele, Erde und Himmel, ihre Gewalt ist unbegrenzt und wer sie vertritt gleichviel wer er sei gebietet folglich unumschränkt. Schon Gregor II., kein überspannter Kirchenfürst, verglich den Papst einem » Gott auf Erden «; Gregor VII. führt aus, » die weltliche Gewalt müsse der geistlichen (d. h. der römischen Kirche) gehorchen «; an Wilhelm den Eroberer schreibt er, die apostolische Gewalt müsse vor Gott Rechenschaft ab - geben über alle Könige; Gregor IX. schreibt in einem Briefe vom 23. Oktober 1236 (in welchem er speziell betont, dass die Rechte des Kaisers nur von der Kirche » übertragen « seien): » Wie der Stell - vertreter Petri die Herrschaft über alle Seelen hat, so besitzt er auch in der ganzen Welt ein Prinzipat über das Zeitliche und die Leiber und regiert auch das Zeitliche mit dem Zügel der Gerechtigkeit «; Innocenz IV. führt aus, man könne der Kirche das Recht nicht be - streiten, spiritualiter de temporalibus zu richten. Und da diese Worte, so unzweideutig sie auch sind, doch mancher kasuistischen Haarspalterei Raum liessen, zerstreute der ehrliche und fähige Bonifaz VIII. jedes Missverständnis durch seine Bulle Ausculta fili vom 5. Dezember 1301 (an den König von Frankreich gerichtet), in welcher er schreibt: » Gott hat uns unerachtet unserer geringen Verdienste über die Könige und Reiche gesetzt und uns das Joch apostolischer Knechtschaft auferlegt, um in seinem Namen und nach seiner Anweisung auszureissen, nieder - zureissen, zu zerstören, zu zerstreuen, aufzubauen und zu pflanzen .... Lass Dir also, geliebtester Sohn, von Niemandem einreden, dass Du keinen Obern habest und dem höchsten Hierarchen der kirchlichen Hierarchie nicht untergeben seiest. Wer dies meint, ist ein Thor; wer es hartnäckig behauptet, ist ein Ungläubiger und gehört nicht zum Schafstall des guten Hirten «. Weiter unten bestimmt dann Bonifaz, es sollen mehrere französische Bischöfe nach Rom kommen, damit der Papst mit ihnen bestimme, was » zur Besserung der Misstände und zum Heil und zur guten Verwaltung des Reiches erspriesslich ist « wozu der römisch-katholische Bischof Hefele sehr richtig bemerkt: » Wer aber das Recht besitzt, in einem Reiche zu ordnen, auszureissen, zu bauen und für gute Verwaltung zu sorgen, ist der wirkliche Obere desselben «. 1)Konziliengeschichte VI, 331. Der lateinische Text der Kirchenrechte lautet: ad evellendum, destruendum, disperdendum, dissipandum, aedificandum atque plantandum:Es ist ebenfalls nur konsequent, da sämtliche Menschen674Der Kampf.des Erdbodens der Kirche unterstehen und ihr einverleibt sind, dass auch die letzte Verfügung über sämtliche Länder ihr zukomme. Über gewisse Reiche, wie z. B. Spanien, Ungarn, England u. s. w. beanspruchte die Kirche ohne Weiteres die Oberlehensherrlichkeit;1)Das Eigentumsrecht auf Ungarn stützt sich auf eine angebliche Schenkung des Königs Stephan, Spanien und England (wohl auch Frankreich?) werden als in der gefälschten konstantinischen Schenkung inbegriffen betrachtet, nach welcher dem päpstlichen Stuhle » die königliche Gewalt in sämtlichen Provinzen Italiens sowie in den westlichen Gegenden (in partibus occidentalibus) « sollte überlassen worden sein (vergl. Hefele V, 11). bei allen übrigen behielt sie sich die Bestätigung und Krönung der Könige vor, sie setzte sie ab und ernannte neue Könige an Stelle der abgesetzten (wie z. B. bei den Karlingern) denn, wie Thomas von Aquin in seinem De regimine principum ausführt: » Wie der Körper Kraft und Fähigkeit erst von der Seele erhält, ebenso entfliesst die zeitliche Autorität der Fürsten aus der geistlichen des Petrus und seiner Nachfolger «. 2)Ich citiere nach Bryce: Le Saint Empire Romain Germanique, S. 134.Das königliche Amt ist eben, wie schon oben gezeigt, nichts mehr und nichts weniger als ein munus innerhalb der Kirche, innerhalb der civitas Dei. Daher ist auch kein Häretiker rechtmässiger König. Schon 1535 wurden von Paul III. alle englischen Unterthanen des Gehorsams gegen ihren König feierlich entbunden,3)Hegenröther: Hefele’s Konziliengeschichte fortgesetzt IX, 896. und im Jahre 1569 wurde von Pius V. diese Massregel noch verschärft, indem die grosse Königin Elisabeth nicht nur abgesetzt und » jeglichen Eigentums « entblösst, sondern jeder Engländer, der es wagen sollte, ihr zu gehorchen, mit Exkommunikation bedroht wurde. 4)Green: History of the English people (Eversley ed.) IV, 265, 270.In Folge dessen besteht die ganze politische Entwickelung Europa’s seit der Reformation für die Kirche nicht zu Recht; sie fügt sich in das Unvermeidliche, doch erkennt sie es nicht an: gegen den Augsburger Religionsfrieden hat sie protestiert, gegen den westfälischen Frieden erhob sie mit noch grösserer Feierlich - keit Einspruch und erklärte ihn » für alle Zukunft null und nichtig «,5)Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechts, S. 807, und die dort genannte Bulle Zelo domus. Uebrigens hat hier nicht allein der römische Papst, sondern auch der römische Kaiser protestiert, indem er seine sogenannten » Reservatrechte « sich vorbehielt, sich aber zugleich weigerte, zu erklären, was er darunter verstünde; was er sich damit wahrte, war aber ganz einfach der nie aufgegebene Anspruch auf die potestas universalis, d. h. auf die unbeschränkte Allgewalt, mit anderen1)später ordinare .... ad bonum et prosperum regimen regni. Die früheren Citate sind demselben Werke entnommen, V, 163, 154, 1003, 1131, VI, 325 327.675Staat.den Akten des Wiener Kongresses hat sie ihre Zustimmung ver - sagt. Auch über die aussereuropäische Welt hat die Kirche mit lobenswerter Konsequenz die alleinige Verfügung beansprucht und z. B. Spanien durch zwei Bullen vom 3. und 4. Mai 1493 » im Namen Gottes « alle entdeckten oder noch zu entdeckenden Länder westlich des 25. Längengrades (westlich von Greenwich) auf ewige Zeiten geschenkt, den Portugiesen Afrika, u. s. w. 1)Papst Alexander VI. sagt in diesen Bullen, die Schenkung geschehe » aus reiner Freigebigkeit « und » kraft der Autorität des allmächtigen Gottes, ihm durch den heiligen Petrus übergeben «. (Vergl. die Anmerkung auf S. 653.) Weiter kann die unbedingte Verfügung über alles Zeitliche nicht gehen, es sei denn, dass Jemand sich die Allgewalt beilegte, auch den Mond zu verschenken. Die Bulle Inter Cetera vom 4. Mai 1493 findet man abgedruckt in extenso in Fiske’s Discovery of America, 1892, II, 580 fg. Daselbst im ersten Bande, S. 454 fg., findet man eine ausführliche Darlegung der begleitenden Umstände u. s. w., zugleich eine eingehende Erörterung der durch die Undeutlichkeit des päpstlichen Textes ent - standenen Schwierigkeiten. Der Pontifex maximus nämlich, obwohl er erklärt » ex certa scientia « zu reden, verleiht den Spaniern alle entdeckten und noch zu ent - deckenden Länder (omnes insulas et terras firmas inventas et inveniendas, detectas et detegendas), welche westlich und südlich (versus Occidentem et Meridiem) eines be - stimmten Längengrades liegen; nun hat aber bisher kein Mathematiker entdecken können, welche geographische Gegend » südlich « von einem » Längengrad « liegt; und dass der Papst wirklich einen Längengrad meint, kann nicht in Frage gestellt werden, da er mit naiver Umständlichkeit sagt: » fabricando et construendo unam lineam a polo Arctico ad polum Antarcticum «. Diese von einer krass unwissenden Kurie verfügte Schenkung übte übrigens eine von ihr gar nicht vorhergesehene Wirkung aus, indem sie die Spanier zwang, immer weiter nach Westen zu suchen, bis sie die Magalhãesstrasse fanden, die Portugiesen aber nötigte, den Ostweg nach Indien um das Kap der guten Hoffnung herum zu entdecken. Näheres hierüber in dem Abschnitt » Entdeckung « des folgenden Kapitels.

Mit Absicht beschränke ich mich auf diese wenigen Andeutungen und Citate, den Büchern entnommen, die meine bescheidene Bücher - sammlung umfasst; ich brauchte nur in eine öffentliche Bibliothek zu gehen, um hunderten von vielleicht noch treffenderen Belegen auf die Spur zu kommen; so entsinne ich mich z. B., dass in späteren Bullen der Satz, der Papst besitze » über alle Völker, Reiche und Fürsten die Fülle der Gewalt «, mit geringen Abweichungen in fast formelhafter Weise wiederkehrt; doch bin ich weit entfernt, einen wissenschaftlichen Beweis erbringen zu wollen, ganz im Gegenteil möchte ich dem Leser die Überzeugung geben, dass es hier gar nicht darauf ankommt, was5)Worten, der Kaiser blieb der römisch-universalistischen Vorstellung treu. (Man lese hierüber die Ausführungen in Siegel: Deutsche Rechtsgeschichte, § 100.)676Der Kampf.dieser und jener Papst oder Kaiser, diese oder jene Kirchenversammlung oder Rechtsautorität gesagt hat (worüber schon so viel Papier geschwärzt und Zeit verloren worden ist), sondern dass das Zwingende in der Idee selbst, in dem Streben nach Absolutem, Unbegrenztem liegt. Diese Einsicht erleuchtet das Urteil ganz ausserordentlich; sie macht gerechter gegen die römische Kirche und gerechter gegen ihre Gegner; sie lehrt die wahre politische und überhaupt moralisch entscheidende Entwickelung dort suchen, wo an unzähligen Orten und bei unzähligen Gelegen - heiten Nationalismus und überhaupt Individualismus sich zeigte und sich im Gegensatz zum Universalismus und Absolutismus behauptete. Als Karl der Einfältige sich weigerte, Kaiser Arnulf den Lehenseid zu leisten, schlug er eine tiefe Bresche in das Romanum imperium, eine so tiefe, dass in keinem späteren Kaiser, die bedeutendsten nicht aus - genommen, der echte Universalplan Karl’s des Grossen ungeschmälert wieder aufzuleben vermochte. Wilhelm der Eroberer, ein recht - gläubiger, kirchlich frommer Fürst, um die strenge Kirchenzucht wie wenige verdient, erwiderte dessenungeachtet, als der Papst das neu erworbene England als Kirchengut beanspruchte und ihn damit be - lehnen wollte: » Nie habe ich einen Lehenseid geleistet, noch werde ich es jemals thun. « Das sind die Menschen, welche die weltliche Macht der Kirche nach und nach gebrochen haben. Sie glaubten an die Dreieinigkeit, an die Wesensgleichheit des Vaters und des Sohnes, an das Fegfeuer, an Alles, was die Priester wollten das römische politische Ideal aber, die theokratische civitas Dei, lag ihnen welten - fern; ihre Vorstellungskraft war noch zu roh, ihr Charakter zu un - abhängig, ihre Gemütsart eine zu ungebrochen, ja meist wild persön - liche, als dass sie es auch nur hätten verstehen können. Und solcher germanischer Fürsten war Europa voll. Geraume Zeit vor der Re - formation hatte die Unbotmässigkeit der kleinen spanischen Königreiche trotz aller katholischen Bigotterie der Kurie viel zu schaffen gegeben und hatte Frankreich, der älteste Sohn der Kirche, seine pragmatische Sanktion, den Beginn einer reinlichen Scheidung zwischen kirchlichem Staat und weltlichem Staat, durchgesetzt.

Das war der wahre Kampf im Staate.

Und wer das begreift, muss einsehen, dass Rom auf der ganzen Linie geschlagen wurde. Die katholischen Staaten haben sich nach und nach nicht minder emanzipiert als die anderen. Allerdings haben sie in Bezug auf die Investitur der Bischöfe u. s. w. wichtige Privilegien preisgegeben, doch nicht alle, und dafür haben die meisten die religiöse677Staat.Toleranz bereits so weit getrieben, dass sie mehrere Konfessionen zu - gleich als Staatsreligion anerkennen und ihre Geistlichen besolden. Schärfer kann der Gegensatz zum römischen Ideal gar nicht gefasst werden. Bezüglich des Staates ist folglich eine Statistik von » Katholiken « und » Protestanten « heute bedeutungslos. Mit diesen Worten wird fast lediglich der Glaube an bestimmte unbegreifliche Mysterien ausge - sprochen, und man darf behaupten, dass der grosse praktische und politische Gedanke Rom’s, jenes durch die Religion verklärte, lückenlos absolutistische Imperium, der überwiegenden Mehrzahl der heutigen römischen Katholiken ebenso unbekannt ist und, wenn er bekannt würde, bei ihnen eben so wenig Zustimmung fände wie bei den Nicht - katholiken. Und eine natürliche Folge hiervon und, das merke man wohl, nur hiervon! ist, dass auch die religiösen Gegensätze verschwunden sind. 1)Verschwunden, meine ich, überall, wo nicht neuerdings durch die Thätig - keit der einen einzigen Gesellschaft Jesu Hass und Verachtung gegen anders denkende Mitbürger gesäet worden ist.Denn sobald das römische Ideal lediglich ein Credo ist, steht es auf derselben Stufe wie andere christliche Sekten; eine jede glaubt ja im Besitze der alleinigen und ganzen Wahrheit zu sein; keine hat meines Wissens die also verstandene Katholizität auf - gegeben; die verschiedenen protestantischen Lehren sind durchaus nicht ein prinzipiell Neues, sondern lediglich ein Zurückgreifen auf den früheren Bestand des christlichen Glaubens, ein Abwerfen der heidnischen Infiltrationen; nur wenige Sekten erkennen das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis nicht an, welches gar nicht einmal aus Rom stammt, sondern aus Gallien und somit dem Kaisertum, nicht dem Papsttum seine Einführung verdankt. 2)Siehe Adolf Harnack: Das apostolische Glaubensbekenntnis, 27. Auflage (namentlich S. 14 fg. : » Das Reich Karl’s des Grossen hat Rom sein Symbol gegeben «).Die römische Kirche ist also, sobald sie lediglich als religiöses Bekenntnis betrachtet wird, im besten Fall ein primus inter pares, der heute schon nicht mehr die Hälfte der Christen die seinen nennt und, wenn keine Umwälzung stattfindet, in hundert Jahren kaum noch ein Drittel umfassen wird. 3)Mit Absicht richte ich mich hier nach einer äusserst mässigen Schätzung. Nach den Berechnungen Ravenstein’s hat die Zahl der Protestanten sich im Laufe unseres Jahrhunderts fast verfünffacht, die der römischen Katholiken sich nicht ver - doppelt. Der Hauptgrund liegt in der schnelleren Vermehrung der protestantischen Völker; dazu kommt aber, dass die Uebertritte zum Katholizismus nicht ein Zehntel der Austritte aus dieser Kirche erreichen, wodurch z. B. bewirkt wird, dass in denHat nun auch in678Der Kampf.getreuer Nachahmung römischer Auffassung Luther im Gegensatz zu Erasmus die prinzipielle Unduldsamkeit gelehrt und Calvin eine Schrift veröffentlicht, um darzuthun, » jure gladii coërcendos esse haereticos «, der Laie, der in einem rein weltlichen Staate lebt, wird das nie verstehen, nie zugeben, gleichviel welcher Konfession er an - gehört. Unsere Vorfahren waren nicht intolerant, wir sind es auch nicht, nicht von Natur. Die Intoleranz ergiebt sich nur aus dem Universalismus: wer ein äusserlich Unbegrenztes erstrebt, muss inner - lich die Grenzen immer enger ziehen. Dem Juden den man einen geborenen Freidenker nennen möchte war eingeredet worden, er besitze die ganze unteilbare Wahrheit und mit ihr ein Anrecht auf Weltherrschaft: dafür musste er seine persönliche Freiheit zum Opfer bringen, seine Begabung knebeln lassen und Hass statt Liebe im Herzen grossziehen. Friedrich II., vielleicht der wenigst orthodoxe Kaiser, der je gelebt hat, musste dennoch, von dem Traum eines römischen Universalreiches dazu verleitet, verordnen: alle Häretiker seien für infam und in die Acht zu erklären, ihre Güter sollten konfisziert, sie selbst verbrannt oder, im Falle des Widerrufs, mit lebenslänglichem Kerker bestraft werden; zugleich hiess er die Fürsten, die gegen seine vermeintliche imperiale Gerechtsame sich vergangen hatten, blenden und lebendig begraben.

Der Wahn des Unbegrenzten.
233

Wenn ich nun für den Kampf zwischen Nationalismus und Universalismus, für den Kampf gegen das spätrömische Erbe welcher über ein Jahrtausend ausfüllt, um erst dann dem Kampf um die innere Gestaltung des Staates freien Spielraum zu lassen wenn ich für diesen Kampf einen allgemeineren Ausdruck gesucht habe, so geschah das hauptsächlich mit Rücksicht auf unser Jahrhundert. Und wenn es auch hier noch nicht der Ort ist, näher auf unser Säculum einzu - gehen, so möchte ich doch wenigstens auf diesen Zusammenhang hindeuten. Es wäre nämlich ein verhängnisvoller Irrtum, zu wähnen, der Kampf habe damit aufgehört, dass das alte politische Ideal in die Brüche ging. Wohl werden die Gegner des Universalismus nicht mehr lebendig begraben, noch wird man heute dafür verbrannt, wenn man mit Hus (im Anschluss an Augustinus) behauptet: Petrus war nicht und ist nicht das Haupt der Kirche; Fürst Bismarck konnte auch Gesetze erlassen und Gesetze wieder zurückziehen, ohne that -3)Vereinigten Staaten Nordamerika’s, trotz der beständigen Einwanderung von Katho - liken und der Zunahme ihrer Gesamtzahl, doch ihre Relativzahl rapid abnimmt. Meine obige Schätzung ist also eine äusserst vorsichtige.679Staat.sächlich nach Canossa gehen und dort drei Tage lang im Büsserhemde vor dem Thore stehen zu müssen. Die alten Formen werden nie wiederkehren. Doch regen sich die Ideen des unbegrenzten Absolu - tismus noch mächtig in unserer Mitte, sowohl innerhalb des alt - geheiligten Rahmens der römischen Kirche, wie auch ausserhalb. Und wo wir sie auch am Werke sehen ob als Jesuitismus oder als Sozialismus, als philosophische Systematik oder als industrielles Monopol da müssen wir erkennen (oder wir werden es später auf unsere Kosten erkennen lernen): das äusserlich Grenzenlose fordert das Doppelopfer der Persönlichkeit und der Freiheit.

Was die Kirche anbelangt, so wäre es wahrlich wenig einsichts - voll, wollte man die Macht eines so wunderbaren Organismus wie der römischen Hierarchie in irgend einer Beziehung geringschätzen. Niemand vermag vorauszusagen, bis wohin sie es unter einem für sie günstigen Stern noch bringen kann. Als im Jahre 1871 gegen Döllinger die excommunicatio major » mit allen daran hängenden kanonischen Folgen « ausgesprochen worden war, musste die Polizei - direktion in München besondere Massregeln ergreifen, um das Leben des Gebannten zu schützen; eine einzige derartige Thatsache leuchtet in Abgründe des fanatischen Universalwahnes, die sich einmal in ganz anderen Dimensionen vor unseren Füssen aufthun könnten. 1)Der Gebannte ist nämlich nach katholischem Kirchenrecht vogelfrei. In Gratian findet man (Causa 23, p. 5, c. 47 nach Gibbon) den Satz aufgestellt: Homi - cidas non esse qui excommunicatos trucidant. Doch hatte die Kirche in früheren Jahrhunderten (laut Decretale von Urban II. ) dem Mörder eines Exkommunizierten eine Busse auferlegt » für den Fall, dass seine Absicht bei dem Morde eine nicht ganz lautere gewesen sei «. (!) Unser liebes 19. Jahrhundert ist aber noch weiter gegangen, und Kardinal Turrecremata, » der vornehmste Begründer der päpst - lichen Unfehlbarkeitslehre «, hat in seinem Kommentar zu Gratian sich dahin ausgesprochen: nach der orthodoxen Lehre braucht der Mörder eines Exkommuni - zierten keine Busse zu thun! (Man vergl. Döllinger: Briefe und Erklärungen über die vatikanischen Dekrete, 1890, S. 103, 131 und 140.)Doch möchte ich auf derlei Dinge nicht viel Gewicht legen, ebensowenig wie auf die Machinationen der obengenannten Verschwörung der Hetzkapläne und ihrer Kreaturen; im Guten, nicht im Bösen liegt die Quelle aller Kraft. In dem Gedanken an Katholizität, Kontinuität, Unfehlbarkeit, göttliche Einsetzung, allumfassende, fortdauernde Offen - barung, Gottes Reich auf Erden, Gottes Vertreter als obersten Richter, jede irdische Laufbahn die Erfüllung eines kirchlichen Amtes in dem allen liegt so viel Gutes und Schönes, dass der aufrichtige Glaube680Der Kampf.daran Kraft verleihen muss. Und dieser Glaube, wie ich hoffe über - zeugend dargethan zu haben, gestattet keine Scheidung zwischen Zeit - lichem und Ewigem, Weltlichem und Himmlischem. Das Unbegrenzte liegt in dem Wesen dieser Willensrichtung, es dient ihrem Gebäude als Untergrund; jede Begrenzung ist eine Störung, ein Aufenthalt, ein sobald als thunlich zu überwindendes Übel; denn die Begrenzung sobald sie als zu Recht bestehend anerkannt würde könnte nichts geringeres bedeuten als das Preisgeben der Idee selbst. Καϑολιϰός bedeutet universell, das heisst: eine Alles enthaltende Einheit. Jeder wahrhaft gläubige, denkfähige Katholik ist darum wenn auch nicht heute und thatsächlich, so doch virtualiter ein Universalist, und das heisst ein Feind der Nationen sowie jeder individuellen Freiheit. Die Allermeisten wissen es nicht und Manche werden es empört leugnen, doch steht die Thatsache trotzdem fest; denn die grossen, allgemeinen Ideen, die mathematisch notwendigen Gedankenfolgerungen und Thatenfolgen sind ungleich gewaltiger als der Einzelne mit seinem guten Willen und seinen guten Absichten; hier walten Naturgesetze. Gerade so wie aus jedem Schisma eine weitere Fraktionierung in neue Schismen mit zwingender Notwendigkeit hervorgehen muss, weil hier die Freiheit des Individuums zu Grunde liegt, ebenso übt jeglicher Katholizismus eine unüberwindbare Gewalt der Integrierung aus; der Einzelne kann ihr ebenso wenig widerstehen wie ein Eisenspan dem Magneten. Ohne die für damalige Verkehrsmittel grosse Entfernung zwischen Rom und Konstantinopel hätte das orientalische Schisma nie stattgefunden; ohne die übermenschlich gewaltige Persönlichkeit Luther’s wäre es auch Nordeuropa kaum gelungen, sich von Rom loszureissen. Cervantes, ein gläubiger Mann, führt gern das Sprich - wort an: » Hinter dem Kreuze steckt der Teufel. « Das deutet wohl darauf hin, dass der Geist, einmal in diese Bahn der absoluten Religion, des blinden Autoritätsglaubens geworfen, keine Grenze und kein Auf - halten kennt. Dieser Teufel hat ja inzwischen die edle Nation des Don Quixote zu Grunde gerichtet. Und wenn wir nun des Weiteren bedenken, dass die universalistischen und absolutistischen Ideen, aus denen die Kirche hervorging, ein Produkt des allgemeinen Verfalles, eine letzte Hoffnung und ein wirklicher Rettungsanker für ein rassen - loses, chaotisches Menschenbabel waren (siehe S. 570, 593, 634), so werden wir uns schwerlich des Gedankens erwehren können, dass aus ähnlichen Ursachen auch jetzt wieder ähnliche Wirkungen erfolgen würden, und dass demnach in unserem heutigen Weltzustand manches681Staat.geeignet wäre, die universelle Kirche in ihren Ansprüchen und Plänen neu zu bestärken. Dem gegenüber dürfte seitens Derjenigen, die mit Goethe die » innerliche Grenzenlosigkeit « erstreben, die stärkste Betonung der äusserlichen Grenzen, d. h. der freien Persönlichkeit, der reinen Rasse, der unabhängigen Nation am Platze sein. Und während Leo XIII. unsere Zeitgenossen mit vollem Recht (von seinem Stand - punkt aus) auf Gregor VII. und Thomas von Aquin hinweist, werden solche Männer mit ebenso grossem Recht auf Karl den Einfältigen und Wilhelm den Eroberer, auf Walther von der Vogelweide und Petrus Waldus, auf jenen Schmiedegesellen, der dem » fremden « Papst nicht gehorchen wollte, hinweisen, sowie auf die grosse schweigende Bewegung der Innungen, der Städtebünde, der profanen Universitäten, die an der Grenze der Epoche, von der ich hier spreche, als erstes Symptom einer neuen, nationalen, antiuniversellen Gestaltung der Gesellschaft, einer neuen, durchaus antirömischen Kultur sich in ganz Europa bemerkbar zu machen begann.

Nun handelt es sich bei diesem Kampf aber durchaus nicht lediglich um den nationalen weltlichen Staat in seinem Gegensatz zum universellen kirchlichen Staate, sondern wo auch immer wir Univer - salismus antreffen, ist Antinationalismus und Antiindividualismus sein notwendiges Korrelat. Es braucht auch gar nicht bewusster Univer - salismus zu sein, es genügt, dass eine Idee auf Absolutes, auf äusser - lich Unbegrenztes hinzielt. So führt z. B. jeder konsequent durch - dachte Sozialismus auf den absoluten Staat. Die Sozialisten kurzweg als eine » staatsgefährliche Partei « bezeichnen, wie das gewöhnlich geschieht, heisst eine jener Konfusionen hervorrufen, wie unsere Zeit sie besonders lieb hat. Freilich bedeutet der Sozialismus eine Gefahr für die einzelnen nationalen Staaten, wie überhaupt für das Prinzip des Individualismus, doch nicht für die Idee des Staates. Er bekennt ehrlich seinen Internationalismus, bekundet jedoch sein Wesen nicht im Auflösen, sondern in einer fabelhaft durchgeführten, gleichsam den Maschinen abgeguckten Organisation. In beiden Dingen verrät er die Verwandtschaft mit Rom. In der That, er vertritt dieselbe katholische Idee wie die Kirche, wenngleich er sie am anderen Ende anfasst. Darum ist in seinem System ebenfalls für individuelle Freiheit und Mannigfaltigkeit, für persönliche Originalität kein Raum. Wer die äusseren Grenzen niederreisst, richtet innere Grenzen auf. Sozialismus ist verkappter Imperialismus; ohne Hierarchie und Primat wird er sich schwerlich durchführen lassen; in der katholischen Kirche findet erChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 44a682Der Kampf.ein Muster sozialistischer, antiindividualistischer Organisation. Einer ganz analogen Bewegung ins Unbegrenzte mit derselben unausbleiblichen Folge einer Unterdrückung des Einzelnen begegnen wir im Grosshandel und in der Grossindustrie. Man lese nur in der Wirtschafts - und handelspolitischen Rundschau für das Jahr 1897 von R. E. May die Mitteilungen über die Zunahme des Syndikatwesens und über die daraus sich ergebende » internationale Centralisation der Produktion, wie des Kapitals « (S. 34 fg). Es bedeutet diese Entwickelung zur Anonymität und Massenproduktion durch Syndikate einen Krieg bis aufs Messer gegen die Persönlichkeit, welche nur innerhalb eng ge - zogener Schranken sich zur Geltung bringen kann und sei es auch als Kaufmann oder Fabrikant. Und von der einzelnen Person dehnt sich diese Bewegung, wie man sieht, auch auf die Persönlichkeit der Nationen aus. In einer Posse, die ich vor einigen Jahren sah, kommt ein Kaufmann vor, der jedem Neueintretenden stolz erzählt: » Wissen Sie schon? ich bin in eine anonyme Aktiengesellschaft umgewandelt! « Bliebe diese wirtschaftliche Tendenz ohne Gegengewicht bald könnten die Völker von sich melden: » Wir sind in eine internationale anonyme Aktiengesellschaft umgewandelt «. Und wenn ich mit einem salto mortale auf ein vom Wirtschaftlichen weit abliegendes Gebiet hinüber - springen darf, um mir dort ein weiteres Beispiel der Bemühungen des Universalismus unter uns zu suchen, so möchte ich auf die grosse thomistische Bewegung aufmerksam machen, welche durch die päpst - liche Encyklika Aeterni Patris vom Jahre 1879 hervorgerufen wurde und jetzt zu solchen Dimensionen angeschwollen ist, dass selbst wissen - schaftliche Bücher aus einem gewissen Lager sich bereits erdreisten, Thomas von Aquin für den grössten Philosophen aller Zeiten zu erklären, alles niederzureissen, was seitdem der Menschheit zu ewigem Ruhme von den grossen germanischen Denkern gedacht worden ist, und so die Menschen ins 13. Jahrhundert zurückzu - führen und ihnen die intellektuellen und moralischen Ketten wieder anzuschmieden, die sie inzwischen nach und nach, in hartnäckigem Kampfe um die Freiheit, zerbrochen und abgeworfen hatten. Und was wird denn an Thomas gelobt? Seine Universalität! die That - sache, dass er ein allumfassendes System aufgestellt hat, in welchem alle Gegensätze ihre Versöhnung, alle Antinomieen ihre Auflösung, alle Fragezeichen der menschlichen Vernunft ihre Beantwortung finden. Ein zweiter Aristoteles wird er genannt; » was Aristoteles nur ahnend stammelt, dem leiht Thomas mit voller Klarheit beredten Aus -683Staat.druck. « 1)Fr. Abert (Professor der Theologie an der Universität Würzburg): Sancti Thomae Aquinatis compendium theologiae, 1896, S. 6. Der angeführte Satz ist die panegyrische Paraphrase eines ganz anders gemeinten Urteils aus alter Zeit. Bei aller Anerkennung für die Leistung des Thomas ist seine Gleichstellung mit dem bahnbrechenden Ordner und Gestalter Aristoteles (S. 82) ein ungeheuerlicher Urteilsfehler, wenn nicht eine verdammenswerte Irreführung.Wie der Stagirit, weiss er über alles Bescheid, von der Natur der Gottheit an bis zu der Natur der irdischen Körper und bis zu den Eigenschaften des wiederauferstandenen Leibes; als Christ weiss er jedoch viel mehr als jener, denn er besitzt die Offenbarung als Grund - lage. Nun wird gewiss kein Denker geneigt sein, die Leistung eines Thomas von Aquin geringzuschätzen; es wäre Selbstüberhebung, wollte ich es wagen ihn zu loben, doch darf ich gestehen, dass ich mit staunender Bewunderung Berichte über sein Gesamtsystem gelesen und mich in einzelne seiner Schriften vertieft habe. Aber was ist für uns praktische Menschen namentlich in dem Zusammenhang dieses Kapitels das Entscheidende? Folgendes. Thomas baut sein » wie kein anderes allseitiges « System auf zwei Voraussetzungen auf: die Philosophie muss sich bedingungslos unterwerfen und ancilla ecclesiae, d. h. eine Magd der Kirche werden; ausserdem muss sie sich zur ancilla Aristotelis, zur Magd des Aristoteles erniedrigen. Man sieht, es ist immer dasselbe Prinzip: lass dir Hände und Füsse fesseln, und du sollst Wunder erleben! Hänge dir bestimmte Dogmen vor die Augen (welche durch Majoritätsbeschluss von Bischöfen, die viel - fach nicht lesen und schreiben konnten, in den Jahrhunderten der tiefsten Menschenschmach dekretiert wurden) und setze ausserdem voraus, dass die ersten tastenden Versuche eines genialen aber er - wiesenermassen sehr einseitigen hellenischen Systematikers die ewige, absolute, ganze Wahrheit zum Ausdruck bringen, und ich schenke dir ein universelles System! Das ist ein Attentat, ein gefährliches Attentat auf die innerste Freiheit des Menschen! Anstatt dass, wie Goethe es wollte, er innerlich grenzenlos wäre, sind ihm nun von fremder Hand zwei enge Reifen um die Seele und um das Hirn geschmiedet: das ist der Preis, den wir Menschen für » universelles Wissen « zu bezahlen haben. Übrigens war schon lange ehe Leo XIII. seine Encyklika erliess, der protestantischen Kirche ein auf ähnlichen Prinzipien ruhendes universelles System entwachsen, dasjenige von Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Ein protestantischer Thomas von44 a *684Der Kampf.Aquin: das sagt Alles! Und inzwischen hatte doch Immanuel Kant, der Luther der Philosophie, der Zerstörer des Scheinwissens, der Ver - nichter aller Systeme gelebt und hatte uns auf » die Grenzen unseres Denkvermögens « aufmerksam gemacht und uns gewarnt, » uns niemals mit der spekulativen Vernunft über die Erfahrungsgrenze hinauszu - wagen «; dann aber, nachdem er uns äusserlich so scharf und bestimmt begrenzt, hatte er die Thore zu der inneren Welt des Grenzenlosen wie kein früherer europäischer Philosoph weit geöffnet, die Heimat des freien Mannes erschliessend. 1)Näheres über Thomas von Aquin und Kant im Abschnitt » Welt - anschauung « des folgenden Kapitels. Der Vollständigkeit halber bleibe es nicht unerwähnt, dass wir neben dem protestantischen, auch den jüdischen Thomas von Aquin erlebt haben, den Universalsystematiker Spinoza, den » Erneuerer der alten hebräischen Kabbala «, d. h. der magischen Geheimlehre, wie ihn Leibniz nennt. Mit jenen anderen Beiden hat Spinoza auch das gemeinsam, dass er weder die Mathematik (sein Fach) noch die Wissenschaft (seine Liebhaberei) um einen einzigen produktiven Gedanken bereichert hat.

Die grundsätzliche Begrenzung.
237

Diese flüchtigen Andeutungen sollen nur als Fingerzeig dienen, auf wie vielen Gebieten der Kampf zwischen Individualismus und Anti - individualismus, Nationalismus und Antinationalismus (Internationalismus ist ein anderes Wort für dasselbe Ding), Freiheit und Unfreiheit noch heute wütet und wohl ewig wüten wird. Erst im zweiten Band werde ich näher auf die hier kaum berührten Themata (insofern sie die Gegen - wart betreffen) eingehen können. Doch möchte ich nicht, dass man mich inzwischen für einen Schwarzseher hielte. Selten hat sich das Rassen - bewusstsein und das Nationalgefühl und die argwöhnische Wahrung der Rechte der Persönlichkeit so kräftig geregt wie gerade in unseren Tagen: durch die Völker weht am Schlusse unseres Jahrhunderts eine Stimmung, die an den dumpfen Schrei des gehetzten Wildes erinnert, wenn das edle Tier sich plötzlich umwendet, entschlossen, für sein Leben zu kämpfen. Und hier bedeutet der Entschluss den Sieg. Denn die grosse Anziehungskraft alles Universalistischen liegt in der menschlichen Schwäche; der starke Mann wendet sich ab davon und findet im eigenen Busen, in der eigenen Familie, im eigenen Volk ein Grenzenloses, welches er für den gesamten Kosmos mit seinen ungezählten Sternen nicht hingäbe. Goethe, dem ich den Leitfaden für dieses Kapitel entnahm, hat an einer anderen Stelle sehr schön ausgesprochen, inwiefern das Unbegrenzte, das katholisch Absolute einer trägen Gemütsart entspricht:

685Staat.
Im Grenzenlosen sich zu finden, Wird gern der Einzelne verschwinden, Da lös’t sich aller Überdruss; Statt heissem Wünschen, wildem Wollen, Statt läst’gem Fordern, strengem Sollen, Sich aufzugeben ist Genuss.

Was wir nun von jenen nationenbildenden Germanen der früheren Jahr - hunderte lernen können, ist, dass es einen höheren Genuss giebt als sich aufzugeben, und zwar den, sich zu behaupten. Eine bewusste nationale Politik, eine Wirtschaftsbewegung, eine Wissenschaft, eine Kunst das Alles gab es damals kaum oder gar nicht; doch, was wir um das 13. Jahr - hundert herum aufdämmern sehen, dieses frisch pulsierende Leben auf allen Gebieten, diese schöpferische Kraft, dieses » läst’ge Fordern « indi - vidueller Freiheit, war nicht vom Himmel gefallen, vielmehr war der Same in den dunklen vorangegangenen Jahrhunderten gesäet worden: das » wilde Wollen « hatte den Boden aufgeackert, das » heisse Wünschen « die zarten Keime gepflegt. Unsere germanische Kultur ist eine Frucht der Arbeit und des Schmerzes und des Glaubens nicht eines kirch - lichen, wohl aber eines religiösen Glaubens. Blättern wir liebevoll in jenen Annalen unserer Altvordern, die so wenig und doch so viel berichten, nichts wird uns so auffallen wie das fast unglaublich stark entwickelte Pflichtgefühl; für die schlechteste Sache, wie für die beste, schenkt Jeder fraglos sein Leben. Von Karl dem Grossen an, der nach überbeschäftigten Tagen die Nächte mit mühsamen Schreib - übungen zubringt, bis zu jenem prächtigen Schmiedegesellen, der dem Gegner Rom’s keine Handschellen anschmieden wollte: überall das » strenge Sollen «. Haben diese Männer gewusst, was sie wollten? Das glaube ich kaum. Sie haben aber gewusst, was sie nicht wollten, und das ist der Anfang aller praktischen Weisheit. 1)Ich kann mich nicht entbrechen, hier einen unendlich tiefen politischen Ausspruch Richard Wagner’s anzuführen: » Wir dürfen nur wissen, was wir nicht wollen, so erreichen wir aus unwillkürlicher Naturnotwendigkeit ganz sicher das, was wir wollen, das uns eben erst ganz deutlich und bewusst wird, wenn wir es erreicht haben: denn der Zustand, in dem wir das, was wir nicht wollen, beseitigt haben, ist eben derjenige, in welchem wir ankommen wollten. So handelt das Volk, und deshalb handelt es einzig richtig. Ihr haltet es aber deshalb für un - fähig, weil es nicht wisse, was es wolle: was wisset nun aber ihr? Könnt ihr etwas anderes denken und begreifen, als das wirklich Vorhandene, also Erreichte?So z. B. hat Karl der686Der Kampf.Grosse in dem, was er wollte, sich manchen kindlichen Illusionen hin - gegeben und auch manche verhängnisvolle Fehler begangen; in dem, was er nicht wollte, hat er überall das Richtige getroffen: dem Papst keine Eingriffe gestatten, den Bildern keine Verehrung erweisen, dem Adel keine Privilegien gewähren, u. s. w. In seinem Wollen war Karl vielfach ein Universalist und Absolutist, in seinem Nichtwollen bewährte er sich als Germane. Genau dasselbe war uns bei Dante aufgefallen (S. 655 fg. ): sein politisches Zukunftsideal war ein Hirngespinnst, seine energische Abweisung aller zeitlichen Ansprüche der Kirche eine weithinwirkende Wohlthat.

Und so sehen wir denn, dass es hier, im Staate, wie in allen menschlichen Dingen, vor Allem auf die Grundeigenschaften der Gesinnung ankommt, nicht der Erkenntnis. Die Gesinnung ist das Steuerruder, sie giebt die Richtung, und mit der Richtung zugleich das Ziel auch wenn dieses lange unsichtbar bleiben sollte. 1)Die Wurzel des Wortes » Sinn « bedeutet eine Reise, ein Weg, ein Gehen; » Gesinnung « bedeutet folglich eine Richtung, nach welcher zu der Mensch sich bewegt.Der Kampf im Staate war nun, wie ich gezeigt zu haben hoffe, in aller - erster Reihe ein derartiger Kampf zwischen zwei Richtungen, d. h. also zwischen zwei Steuermännern. Sobald der eine das Steuerruder endgültig fest gefasst hatte, war die fernere Entwickelung zu immer grösserer Freiheit, zu immer ausgesprochenerem Nationalismus und Individualismus natürlich und unausbleiblich ebenso unausbleiblich wie die umgekehrte Entwickelung des Caesarismus und Papismus zu immer geringerer Freiheit.

Nichts ist absolut auf dieser Welt; auch Freiheit und Unfreiheit bezeichnen nur zwei Richtungen, und weder die Person noch die Nation kann allein und gänzlich unabhängig dastehen, gehören sie doch zu einem Ganzen, in welchem jedes Einzelne stützt und gestützt wird. Doch am Abend jenes 15. Juni 1215, an welchem die Magna Charta das Licht der Welt erblickte durch das » wilde Wollen « germanischer Männer in diesem einen einzigen Tage aufgesetzt, durch - gesprochen, verhandelt und unterschrieben da war für ganz Europa1)Einbilden könnt ihr es euch, willkürlich wähnen, aber nicht wissen. Nur was das Volk vollbracht hat, das könnt ihr wissen, bis dahin genüge es euch, ganz deut - lich zu erkennen, was ihr nicht wollt, zu verneinen, was verneinenswert ist, zu vernichten, was vernichtenswert ist. « (Nachgelassene Schriften, 1895, S. 118.)687Staat.die Richtung entschieden. Zwar beeilte sich der Vertreter des Univer - salismus der Vertreter der Lehre » sich aufzugeben ist Genuss « dieses Gesetz für null und nichtig zu erklären und seine Urheber samt und sonders zu exkommunizieren; doch die Hand blieb fest am Ruder: das römische Imperium musste sinken, während die freien Germanen sich rüsteten, die Herrschaft der Welt anzutreten.

[688][689]

ZWEITER TEIL DIE ENTSTEHUNG EINER NEUEN WELT

Die Natur schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie; was war, kommt nicht wieder. Goethe.
44 b[690][691]

NEUNTES KAPITEL VOM JAHRE 1200 BIS ZUM JAHRE 1800

The childhood shows the man, As morning shows the day: be famous, then, By wisdom; as thy empire must extend, So let extend thy mind o’er all the world. Milton.
[692][693]

A Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur

Wir, wir leben! Unser sind die Stunden, Und der Lebende hat Recht. Schiller.

Derselbe Zug eines unbezwinglichen Individualismus, der aufDas germanische Italien. politischem Gebiete und ebenfalls auf religiösem zur Ablehnung des Universalismus, sowie zur Bildung der Nationen führte, bedang die Erschaffung einer neuen Welt, d. h. einer durchaus neuen, dem Charakter, den Bedürfnissen, den Anlagen einer neuen Menschenart angepassten, von ihr mit Naturnotwendigkeit erzeugten Gesellschafts - ordnung, einer neuen Civilisation, einer neuen Kultur. Germanisches Blut, und zwar germanisches Blut allein (in meiner weiten Auffassung einer nordeuropäischen slavokeltogermanischen Rasse1)Siehe Kapitel 6. war hier die treibende Kraft und das gestaltende Vermögen. Es ist unmöglich, den Werdegang unserer nordeuropäischen Kultur richtig zu beurteilen, wenn man sich hartnäckig der Einsicht verschliesst, dass sie auf der physischen und moralischen Grundlage einer bestimmten Menschenart ruht. Das ist heute deutlich zu ersehen. Denn, je weniger germanisch ein Land, um so uncivilisierter ist es. Wer heute von London nach Rom reist, tritt aus Nebel in Sonnenschein, doch zugleich aus raffiniertester Civili - sation und hoher Kultur in halbe Barbarei in Schmutz, Roheit, Ignoranz, Lüge, Armut. Nun hat aber Italien nicht einen einzigen Tag aufgehört, ein Zentrum hochentwickelter Civilisation zu sein; schon die Sicherheit seiner Bewohner in Bezug auf Haltung und Gebärde bezeugt dies; was hier vorliegt, ist in der That weit weniger eine694Die Entstehung einer neuen Welt.kürzlich hereingebrochene Dekadenz, wie gemeiniglich behauptet wird, als ein Rest römischer imperialer Kultur, betrachtet von der ungleich höheren Stufe aus, auf der wir heute stehen und von Menschen, deren Ideale durchwegs anders geartet sind. Wie prächtig blühte Italien auf, den anderen Ländern voranleuchtend auf dem Wege zu einer neuen Welt, als es noch in seiner Mitte zwar äusserlich latinisierte, doch innerlich rein germanische Elemente enthielt! Viele Jahrhunderte hindurch besass das schöne Land, welches im Imperium bereits bis zur absoluten Sterilität herabgesunken war, eine reiche Quelle reinen germanischen Blutes: die Kelten, die Langobarden, die Goten, die Franken, die Normannen hatten fast das ganze Land überflutet und blieben namentlich im Norden und im Süden lange Zeit beinahe un - vermischt, teils weil sie als unkultivierte und kriegerische Männer eine Kaste für sich bildeten, sodann aber, weil (wie schon früher bemerkt, S. 499) die juristischen Rechte der » Römer « und der Germanen in allen Volksschichten verschieden blieben bis ins 13. und 14. Jahr - hundert, ja in der Lombardei bis über die Grenze des 15. hinaus, was natürlich die Verschmelzung bedeutend erschwerte. » So lebten denn «, wie Savigny hervorhebt, » diese verschiedenen germanischen Stämme mit dem Grundstock der Bevölkerung [nämlich mit den Überresten aus dem römischen Völkerchaos] zwar örtlich vermischt, aber in Sitte und Recht verschieden. « Und hier, wo der unkultivierte Germane zum erstenmal durch andauernden Kontakt mit einer höheren Bildung zum Bewusstsein seiner selbst erwachte, hier fand auch manche Bewegung für die Bildung einer neuen Welt den ersten vulkanisch-gewaltigen Herd: Gelehrsamkeit und Industrie, die hartnäckige Behauptung bürger - licher Rechte, die Frühblüte germanischer Kunst. Das nördliche Drittel Italiens von Verona bis Siena gleicht in seiner partikularistischen Entwickelung einem Deutschland, dessen Kaiser jenseits hoher Berge gewohnt hätte. Überall waren deutsche Grafen an die Stelle der römischen Provinzrektoren getreten, und immer nur flüchtig, stets eilig weggerufen, weilte ein König im Lande, indes ein eifersüchtiger Gegenkönig (der Papst) nahe und ewig intriguenlustig war: so konnte sich jene urgermanische (und in einem gewissen Sinn überhaupt charakteristisch indoeuropäische) Neigung zur Bildung autonomer Städte in Norditalien frühzeitig entwickeln und die herrschende Macht im Lande werden. Der äusserste Norden ging voran; doch bald folgte Tuscien nach und benutzte den hundertjährigen Kampf zwischen Papst und Kaiser, um das Erbe Mathildens allen beiden zu entreissen und695Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.der Welt, nebst einer Plejade ewig denkwürdiger Städte, aus denen Petrarca, Ariost, Mantegna, Correggio, Galilei und andere Unsterbliche hervorgingen, auch die Krone aller Städte zu schenken, Florenz jener ehemalige markgräfliche Fleck, der bald der Inbegriff des anti - römischen, schöpferischen Individualismus werden sollte, die Vater - stadt Dante’s und Giotto’s, Donatello’s, Leonardo’s und Michelangelo’s, die Mutter der Künste, an deren Brüsten auch alle grossen Fernge - borenen, selbst ein Raffael, erst Vollendung sogen. Jetzt erst konnte das impotente Rom sich neu schmücken: der Fleiss und der Unter - nehmungsgeist der Nordländer schüttelte schwere Summen in den päpstlichen Säckel, zugleich erwachte ihr Genie und stellte jener unter - gehenden Metropolis, welche im Laufe einer zweitausendjährigen Ge - schichte nicht einen einzigen künstlerischen Gedanken gehabt hatte, die unermesslichen Schätze morgendlicher germanischer Erfindungs - kraft zur Verfügung. Nicht ein rinascimento war das, wie die dilet - tierenden Belletristen in übertriebener Bewunderung ihres eigenen litterarischen Zeitvertreibes vermeinten, sondern ein nascimento, die Geburt eines noch nie Dagewesenen, welches wie es in der Kunst sofort seine eigenen Wege, nicht die Wege der Überlieferung ein - schlug zugleich die Segel aufspannte, um die Oceane zu durch - forschen, vor denen der griechische wie der römische » Held « sich gefürchtet hatte, und das Auge bewaffnete, um das bisher undurch - dringliche Geheimnis der Himmelskörper dem menschlichen Erkennen zu erschliessen. Sollen wir hier durchaus eine Renaissance erblicken, so ist es nicht die Wiedergeburt des Altertums, am allerwenigsten des kunstlosen, philosophiebaren, unwissenschaftlichen Rom, sondern ein - fach die Wiedergeburt des freien Menschen aus dem Alles nivellierenden Imperium heraus: Freiheit der politischen, nationalen Organisation im Gegensatz zur universellen Schablone, Freiheit des Wettbewerbes, der individuellen Selbständigkeit im Arbeiten, Schaffen, Erstreben, im Gegensatz zur friedlichen Einförmigkeit der Civitas Dei, Freiheit der beobachtenden Sinne im Gegensatz zu dogmatischen Deutungen der Natur, Freiheit des Forschens und Denkens im Gegensatz zu künst - lichen Systemen nach Art des Thomas von Aquin, Freiheit der künst - lerischen Erfindung und Gestaltung im Gegensatz zu hieratisch fest - gesetzten Formeln, zuletzt dann Freiheit des religiösen Glaubens im Gegensatz zu Gewissenszwang.

Beginne ich nun dieses Kapitel und damit zugleich eine neue Abteilung des Werkes mit dem Hinweis auf Italien, so geschieht das696Die Entstehung einer neuen Welt.nicht aus irgend einer chronologischen Gewissenhaftigkeit; es wäre überhaupt unzulässig, kurzweg zu behaupten, der rinascimento der freien germanischen Individualität habe in Italien zuerst begonnen, viel - mehr sind dort nur seine ersten unvergänglichen Kulturblüten hervor - gesprossen; ich wollte aber darauf aufmerksam machen, dass selbst hier im Süden, an den Thoren Roms, das Aufflammen bürgerlicher Unabhängigkeit, industriellen Fleisses, wissenschaftlichen Ernstes und künstlerischer Schöpferkraft eine durch und durch germanische That war, und insofern auch eine direkt antirömische. Der Blick auf die damalige Zeit (auf die ich noch zurückkomme) bezeugt es, der Blick auf den heutigen Tag nicht minder. Zwei Umstände haben inzwischen eine progressive Abnahme des germanischen Blutes in Italien bewirkt: einmal die ungehinderte Verschmelzung mit dem unedlen Mischvolk, sodann die Vertilgung des germanischen Adels in den endlosen Bürger - kriegen, in den Kämpfen zwischen den Städten, sowie durch Blut - fehden und sonstige Ausbrüche wilder Leidenschaft. Man lese nur die Geschichte irgend einer jener Städte, z. B. des in seinen oberen Gesellschaftsschichten fast ganz gotisch-langobardischen Perugia! Es ist kaum begreiflich, dass bei solch unaufhörlichem Abmorden ganzer Familien (welches begann, sobald die Stadt unabhängig ge - worden war) einzelne Zweige doch noch ziemlich echt germanisch bis ins 16. Jahrhundert verblieben; dann war aber das germanische Blut erschöpft. 1)Wer zu ausführlichen geschichtlichen Studien nicht Zeit hat, lese des Kunsthistorikers John Addington Symonds Kapitel über Perugia in seinen Sketches in Italy. Offenbar hatte die hastig errungene Kultur, die heftige Aneignung einer wesensfremden Bildung, dazu im schroffen Gegen - satz die plötzliche Offenbarung des seelenverwandten Hellenentums, vielleicht auch beginnende Kreuzung mit einem für Germanen giftigen Blute ..... offenbar hatte dies alles nicht allein zu einem mirakulösen Ausbruch des Genies geführt, sondern zugleich Raserei erzeugt. Wenn je eine Verwandtschaft zwischen Genie und Wahn - sinn dargethan werden soll, weise man auf das Italien des Tre -, Quatro - und Cinquecento! Von bleibender Bedeutung für unsere neue Kultur, macht dennoch diese » Renaissance « an und für sich eher den Eindruck des Paroxysmus eines Sterbenden, als den einer Leben verbürgenden Erscheinung. Wie durch einen Zauber schiessen tausend herrliche Blumen empor, dort, wo unmittelbar vorher die Einförmigkeit einer geistigen Wüste geherrscht hatte; alles blüht auf einmal auf; die eben697Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.erst erwachte Begabung erstürmt mit schwindelnder Eile die höchste Höhe: Michelangelo hätte fast ein persönlicher Schüler Donatello’s sein können, und nur durch einen Zufall genoss Raffael nicht den mündlichen Unterricht Leonardo’s. Von dieser Gleichzeitigkeit erhält man eine lebhafte Vorstellung, wenn man bedenkt, dass das Leben des einen Tizian von Sandro Botticelli bis zu Guido Reni reicht! Doch noch schneller als sie emporgelodert war, erlosch die Flamme des Genies. Als das Herz am stolzesten schlug, war schon der Körper in voller Verwesung; Ariost (ein Jahr vor Michelangelo geboren) nennt das Italien, das ihn umgab, » eine stinkende Kloake «:

O d’ogni vizio fetida sentina, Dormi, Italia imbriaca! (Orlando furioso, XVII, 76.)

Und habe ich bisher die bildende Kunst allein genannt, so geschah das der Einfachheit halber und um mich auf dem bestbekannten Gebiet zu bewegen, doch überall traf dasselbe zu: als Guido Reni noch sehr jung war, starb Tasso und mit ihm die italienische Poesie, wenige Jahre darauf bestieg Giordano Bruno den Scheiterhaufen, Campanella die Folterbank das Ende der italienischen Philosophie , und kurz vor Guido schloss mit Galilei die italienische Physik ihre mit Ubaldi, Varro, Tartalea u. A., vor Allem mit Leonardo da Vinci so glänzend begonnene Laufbahn. Nördlich der Alpen war der Gang der Geschichte ein ganz anderer: nie wurde dort eine der - artige Blüte, doch nie auch eine ähnliche Katastrophe erlebt. Diese Katastrophe lässt nur eine Erklärung zu: das Verschwinden der schöpferischen Geister, mit anderen Worten, der Rasse, aus der diese hervorgegangen waren. Ein einziger Gang durch die Gallerie der Porträtbüsten im Berliner Museum wird davon überzeugen, dass der Typus der grossen Italiener in der That heute völlig ausgetilgt ist. Hin und wieder blitzt die Erinnerung daran auf, wenn wir einen Trupp jener prächtigen, gigantischen Tagelöhner durchmustern, welche unsere Strassen und Eisenbahnen bauen: die physische Kraft, die edle Stirne, die kühne Nase, das glutvolle Auge; doch es sind nur arme Überlebende aus dem Schiffbruch des italienischen Germanen - tums! Physisch ist dieses Verschwinden durch die angegebenen Gründe hinreichend erklärt, dazu kommt aber als ein sehr wichtiges die moralische Zertretung bestimmter Geistesrichtungen und mit ihr der Rassenseele (so zu sagen); der Edle wurde zum Erdarbeiter herabge -Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 45698Die Entstehung einer neuen Welt.drückt, der Unedle wurde Herr und schaltete nach seinem Sinn. Der Galgen Arnold’s von Brescia, die Scheiterhaufen Savonarola’s und Bruno’s, die Folterzangen Campanella’s und Galilei’s sind nur sichtbare Symbole eines täglichen, allseitigen Kampfes gegen das Germanische, einer systematischen Ausrottung der Freiheit des Individuums. Die Dominikaner, eheweilig von Amtswegen Inquisitoren, waren nun Kirchen - reformatoren und Philosophen geworden; bei den Jesuiten war gegen derartige Verirrungen gut vorgesorgt; wer auch nur einiges über ihre Thätigkeit in Italien, gleich vom 16. Jahrhundert ab, erfährt etwa aus der Geschichte ihres Ordens von ihrem Bewunderer, Buss wird sich nicht mehr über das plötzliche Verschwinden alles Genies wundern, d. h. alles Germanischen. Raffael hatte noch die Kühnheit gehabt, dem von ihm glühend verehrten Savonarola mitten im Vatikan (im » Abendmahlstreit «) ein ewiges Denkmal zu setzen: Ignatius da - gegen verbot, den Namen des Toskaners auch nur zu nennen! 1)Für die Feststellung der Rassenangehörigkeit ist die begeisterte Ver - ehrung Savonarola’s seitens Raffael’s, sowie seines Meisters Perugino und seines Freundes Bartolommeo (siehe Eug. Müntz: Raphaël 1881, S. 133) fast ebenso be - deutungsvoll, wie die Thatsache, dass Michelangelo niemals die Madonna und nur ein einziges Mal im Scherze einen Heiligen erwähnt, so dass einer seiner genauesten Kenner ihn einen » unbewussten Protestanten « hat nennen können. In einem seiner Sonette warnt Michelangelo den Heiland, er möge nur ja nicht in eigener Person nach Rom kommen, wo man mit seinem göttlichen Blute Handel treibe E’l sangue di Cristo si vend a giumelle und wo die Priester ihm die Haut abziehen würden, um sie zu Markte zu tragen.Wer könnte heute in Italien weilen und mit seinen liebenswürdigen, reich begabten Bewohnern verkehren, ohne mit Schmerz zu empfinden, dass hier eine Nation verloren ist und zwar rettungslos verloren, weil ihr die innere treibende Kraft, die Seelengrösse, welche ihrem Talent entspräche, mangelt? Diese Kraft verleiht eben nur Rasse. Italien hatte sie, so lange es Germanen besass; ja, noch heute entwickelt seine Bevölkerung in jenen Teilen, wo früher Kelten, Deutsche und Normannen das Land besonders reich besetzt hielten, den echtger - manischen Bienenfleiss und bringt Männer hervor, welche mit ver - zweifelter Energie bestrebt sind, das Land zusammenzuhalten und es in rühmliche Bahnen zu lenken: Cavour, der Begründer des neuen Reiches, stammt aus dem äussersten Norden, Crispi, der es durch ge - fährliche Klippen zu steuern verstand, aus dem äussersten Süden. Doch, wie soll man ein Volk wieder aufrichten, wenn die Quelle seiner699Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.Kraft versiegt ist? Und was heisst das, wenn ein Giacomo Leo - pardi seine Landsleute eine » entartete Rasse « nennt, und ihnen zu - gleich » das Beispiel ihrer Ahnen « vor Augen hält. 1)Vergl. die beiden Gedichte: All Italia und Sopra il monumento di Dante. Die Ahnen der überwiegenden Mehrzahl der heutigen Italiener sind weder die wuchtigen Römer des alten Rom, jene Muster von schlichter Männlichkeit, un - bändiger Unabhängigkeit und streng rechtlichem Sinne, noch die Halb - götter an Kraft, Schönheit und Genie, welche am Morgen unseres neuen Tages gleichsam in einem einzigen Schwarm, wie Lerchen zum Sonnengruss, vom lichtgeküssten Boden Italiens in den Himmel der Unsterblichkeit hinaufflogen; sondern ihr Stammbaum führt auf die ungezählten Tausende der freigelassenen Sklaven aus Afrika und Asien, auf den Mischmasch der verschiedenen italienischen Völker, auf die überall mitten unter diesen angesiedelten Soldatenkolonien aus aller Herren Länder, kurz, auf das von dem Imperium so kunstreich her - gestellte Völkerchaos. Und die heutige Gesamtlage des Landes be - deutet ganz einfach einen Sieg dieses Völkerchaos über das inzwischen hinzugekommene und lange Zeit hindurch rein erhaltene germanische Element. Daher aber auch die Erfahrung, dass Italien vor drei Jahrhunderten eine Leuchte der Civilisation und Kultur nunmehr zu den Nachhinkenden gehört, zu denen, welche das Gleichgewicht verloren haben und es nicht wieder gewinnen können. Denn zwei Kulturen können nicht als gleichberechtigt nebeneinander bestehen, das ist unmöglich: die hellenische Kultur vermochte es nicht, unter römischem Einfluss fortzuleben, die römische Kultur schwand, als die ägyptosyrische sich in ihrer Mitte breit machte; nur wo der Kontakt ein rein äusserlicher ist, wie zwischen Europa und der Türkei, oder a fortiori zwischen Europa und China, kann Berührung ohne merk - liche Beeinflussung stattfinden, und auch hier muss mit der Zeit das Eine das Andere umbringen. Nun gehören aber solche Länder wie Italien ich könnte gleich Spanien hinzufügen auf das engste zu uns Nordländern: in den Grossthaten ihrer Vergangenheit bewährt sich die frühere Blutsverwandtschaft; unserem Einfluss, unserer ungleich grösseren Kraft können sie sich unmöglich entziehen; was sie uns aber heute nachahmen, entspringt nicht ihrem eigenen Bedürfnis, entwächst nicht einer inneren, sondern einer äusseren Not; sowohl ihre Ge - schichte, welche ihnen Ahnen vorspiegelt, von denen sie nicht ab - stammen, wie auch unser Beispiel, führt sie also auf falsche Wege45 *700Die Entstehung einer neuen Welt.und sie vermögen es zuletzt nicht, sich das Einzige, was ihnen bliebe, eine andersgeartete, vielleicht in mancher Beziehung inferiore, doch wenigstens eigene Originalität zu bewahren.

Der germanische Baumeister.
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Indem ich Italien nannte, wollte ich bloss ein Beispiel geben, ich glaube zugleich einen Beweis erbracht zu haben. Wie Sterne sagt: ein Beispiel ist ebensowenig ein Argument, wie das Abwischen eines Spiegels ein Syllogismus ist; doch macht es besser sehen, und darauf kommt es an. Möge der Leser hinblicken, wohin er will, er wird überall Beispiele dafür finden, dass die gegenwärtige Civilisation und Kultur Europa’s eine spezifisch germanische ist, grundverschieden von allen unarischen, sehr wesentlich anders geartet als die indische, die hellenische und die römische, direkt antagonistisch dem Mestizenideal des antinationalen Imperiums und der sogenannten » römischen « Richtung des Christentums. Die Sache ist so evident, dass eine weitere Aus - führung gewiss überflüssig wäre; ausserdem kann ich auf die drei vorangehenden Kapitel verweisen, die eine Menge positiver Belege enthalten.

Dies Eine musste vorausgeschickt werden. Denn unsere heutige Welt ist eine durchaus neue, und um sie in ihrem Entstehen und in ihrem augenblicklichen Zustand zu begreifen und zu beurteilen, ist die erste, grundlegende Frage: wer hat sie geschaffen? Derselbe Germane schuf das Neue, der das Alte in so eigensinnigem Kampfe abschüttelte. Nur bei diesem Einen gab es jenes » wilde Wollen «, von dem ich am Schlusse des letzten Kapitels sprach, den Entschluss, sich nicht auf - zugeben, sich selber treu zu bleiben. Er allein meinte, wie später sein Goethe:

Jedes Leben sei zu führen, Wenn man sich nicht selbst vermisst; Alles könne man verlieren, Wenn man bliebe, was man ist.

Er allein erwählte sich zum Lebensmotto, wie der grosse Paracelsus von Hohenheim der unerschrockene Vernichter arabisch-jüdischer Quacksalberei die Worte: Alterius non sit, qui suus esse potest, Der sei keines Anderen, der Selbsteigener sein kann! Man schilt diese Behauptung wohl Überhebung? Und doch ist sie nur die Anerkennung einer offenbaren Thatsache. Man wirft ein, es lasse sich kein mathe - matischer Beweis erbringen? Und auf allen Seiten leuchtet uns die - selbe Evidenz entgegen, wie die, dass zwei plus zwei gleich vier ist.

701Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.

Nichts ist in diesem Zusammenhang lehrreicher als ein Hinweis auf die sichtbare Bedeutung der Reinheit der Rasse. 1)Für alles Weitere über diesen Gegenstand verweise ich auf die Kap. 4 und 6.Wie matt schlägt heute das Herz des Slaven, der doch so kühn und frei in die Geschichte eingetreten war; Ranke, Gobineau, Wallace, Schvarcz .... alle urteils - fähige Historiker bezeugen, es gehe ihm bei grosser Begabung die eigentliche Gestaltungskraft, sowie die vollbringende Beharrlichkeit ab; die Anthropologie löst das Rätsel, denn sie zeigt uns (siehe S. 472, 491), dass weitaus die Mehrzahl der heutigen Slaven durch Vermischung mit einer anderen Menschenrasse die physischen Merkmale ihrer den alten Germanen identischen Ahnen eingebüsst hat damit zugleich natürlich die moralischen. Und trotzdem bergen diese Völker noch so viel germanisches Blut, dass sie einen der grossen civilisatorischen Faktoren der fortschreitenden Weltbewältigung durch Europa ausmachen. Allerdings überschreitet man bei Eydtkuhnen eine traurig sichtbare Grenze, und der Saum deutscher Kulturarbeit, der sich an der Ostsee entlang zieht, sowie jene tausend Stellen im Innern Russland’s, wo dieselbe Kraft reiner Rasse dem erstaunten Reisenden plötzlich entgegen - tritt, macht den Kontrast nur um so greifbarer; nichtsdestoweniger steckt hier noch ein gewisser, spezifisch germanischer Trieb, freilich nur ein Schatten, doch ein stammverwandter, und der darum auch etwas zu Stande bringt, trotz aller Opposition der erbgesessenen asiati - schen Kultur.

Ausser der Reinheit der Rasse kommt bei der germanischen noch ihre Vielgestaltigkeit für das historische Verständnis in Betracht; dafür bietet die Weltgeschichte kein zweites Beispiel. Auch im Pflanzen - und Tierreich finden wir unter den Gattungen einer Familie und unter den Arten einer Gattung eine sehr verschiedene » Plasticität «: bei den einen ist die Gestalt wie versteinert, als wären sämtliche Individuen in einer und derselben eisernen Form gegossen, bei anderen finden dagegen Schwankungen innerhalb enger Grenzen statt, und wiederum bei anderen (man denke an den Hund und an Hieracium!) ist die Mannigfaltigkeit der Gestalt eine endlose, sie bringt ewig Neues hervor, und derartige Wesen zeichnen sich ausserdem stets durch die Neigung zur unbegrenzten Hybridierung aus, woraus dann immer wieder neue und bei Inzucht (siehe S. 282) reine Rassen hervorgehen. Diesen gleichen die Germanen; ihre Plasticität ist erstaunlich, und jede Kreuzung zwischen ihren verschieden gearteten702Die Entstehung einer neuen Welt.Stämmen hat die Welt um neue Muster edlen Menschentums bereichert. Ganz im Gegenteil war das alte Rom eine Erscheinung der extremsten Konzentration gewesen, wie in der Politik,1)Siehe das zweite Kapitel. so auch in intellektueller Beziehung: die Stadtmauern die Grenzen des Vaterlandes, die Un - verletzbarkeit des Rechtes die Grenzen des Geistes. Das Hellenentum, geistig so unendlich reich, reich auch in der Bildung von Dialekten, sowie von Stämmen mit gesonderten Sitten, steht dem Germanentum viel näher; auch die arischen Inder zeigen sich in der erstaunlichen Gabe der stets schaffenden Sprachenerfindung, sowie im scharf aus - gesprochenen Partikularismus nahe verwandt; diesen beiden Menschen - arten haben vielleicht nur die historischen und geographischen Be - dingungen gefehlt, um ähnlich machtvoll einheitlich und zugleich vielgestaltig wie die Germanen sich zu entwickeln. Doch führt eine derartige Betrachtung auf das Gebiet der Hypothesen: Thatsache bleibt, dass die Plasticität des Germanenthums einzig und unvergleichbar in der Weltgeschichte ist.

Es ist nicht unwichtig zu bemerken wenn ich es auch aus Scheu vor dem Geschichtsphilosophieren nur nebenbei thue , dass der charakteristische, unvertilgbare Individualismus des echten Germanen mit dieser » plastischen « Anlage der Rasse offenbar zusammen - hängt. Ein neuer Stamm setzt das Entstehen neuer Individuen voraus; dass neue Stämme stets bereit sind, hervorzuschiessen, beweist, dass auch stets eigenartige, von anderen sich unterscheidende Individuen vor - handen sind, ungeduldig den Zaum beissend, der die freie Bethätigung ihrer Originalität zügelt. Ich möchte die Behauptung aufstellen: jeder bedeutende Germane ist virtualiter der Anfangspunkt eines neuen Stammes, eines neuen Dialektes, einer neuen Weltauffassung. 2)Vergl. die Ausführungen im vorigen Kapitel, S. 661.

Von Tausenden und Millionen derartiger » Individualisten «, d. h. echter Persönlichkeiten wurde die neue Welt aufgebaut. 3)Einige konfuse Köpfe des heutigen Tages verwechseln Individualismus mit » Subjektivität « und knüpfen daran ich weiss nicht was für einen albernen Vorwurf von Schwäche und Unbeständigkeit, wo doch hier offenbar die » objektive « An - erkennung und bei Männern wie Goethe Beurteilung der eigenen Person vorliegt, woraus Sicherheit, Zielbewusstsein und unbethörbares Freiheitsgefühl sich ergeben.

Und so erkennen wir denn den Germanen als den Baumeister und geben Jakob Grimm Recht, wenn er behauptet, es sei ein » roher703Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.Wahn «, zu glauben, irgend etwas Grosses könne » aus dem bodenlosen Meer einer Allgemeinheit « entstehen. 1)Geschichte der deutschen Sprache, 2. Aufl., S. III.In sehr verschiedenen Stammes - individualitäten und in den mannigfaltigsten Kreuzungen seiner Stämme sehen wir den Germanen am Werke, umringt dort wo die Grenzen des einigermassen reinen Germanentums überschritten sind von Völkern und auch im Innern reichlich von Gruppen und Individuen durchsetzt, welche (siehe S. 491) als Halb -, Viertel -, Achtel -, Sechzehntel - germanen zu bezeichnen wären, die aber alle unter dem nie ermüdenden Impuls dieses mittleren, schöpferischen Geistes das Ihrige beitragen zu der Gesamtsumme der geleisteten Arbeit:

Wenn die Könige bau’n, haben die Kärrner zu thun.

Um uns in der Geschichte des Werdens dieser neuen Welt zurecht -Die angebliche » Menschheit « zufinden, dürfen wir nun ihren spezifisch germanischen Charakter nie aus den Augen verlieren. Denn sobald wir von der Menschheit im Allgemeinen sprechen, sobald wir in der Geschichte eine Ent - wickelung, einen Fortschritt, eine Erziehung u. s. w. der » Menschheit « zu erblicken wähnen, verlassen wir den sichern Boden der Thatsachen und schweben in luftigen Abstraktionen. Diese Menschheit, über die schon so viel philosophiert worden ist, leidet nämlich an dem schweren Gebrechen, dass sie gar nicht existiert. Die Natur und die Geschichte bieten uns eine grosse Anzahl verschiedener Menschen, nicht aber eine Menschheit. Selbst die Hypothese, dass alle diese Menschen unter einander physisch verwandt seien, als Sprossen eines einzigen Urstammes, hat kaum so viel Wert wie die Theorie der Himmelssphären des Ptole - mäus; denn diese erklärte ein Vorhandenes, Sichtbares durch Ver - anschaulichung, während jede Spekulation über eine » Abstammung « der Menschen sich an ein Problem heranwagt, welches zunächst nur in der Phantasie des Denkers existiert, nicht durch Erfahrung gegeben ist, und welches folglich vor ein metaphysisches Forum gehört, um auf seine Zulässigkeit geprüft zu werden. Träte aber auch einmal diese Frage nach der Abstammung der Menschen und ihrer Verwandtschaft untereinander aus dem Gebiet der Phrase in das des empirisch Nachweisbaren, so wäre schwerlich damit für die Beurteilung der Geschichte etwas gewonnen; denn jede Erklärung aus Ursachen impliziert einen regressus in infinitum; sie ist wie das Aufrollen einer Landkarte: wir sehen immer Neues und zwar Neues, das zum Alten gehört, auch mag die dadurch gewonnene Erweiterung des Beobachtungs -704Die Entstehung einer neuen Welt.gebietes zur Bereicherung unseres Geistes beitragen, doch bleibt jede einzelne Thatsache nach wie vor, was sie war, und es ist sehr zweifelhaft, ob das Urteil durch die Kenntnis eines umfangreicheren Zusammen - hanges wesentlich verschärft wird das Umgekehrte ist ebenso leicht möglich. » Die Erfahrung ist grenzenlos, weil immer noch ein Neues entdeckt werden kann «, wie Goethe in seiner Kritik des Bacon von Verulam und der angeblich induktiven Methode bemerkt; dagegen ist Wesen und Zweck des Urteilens die Begrenzung. Schärfe, nicht Um - fang, bedingt die Vorzüglichkeit des Urteils; darum wird es allezeit weniger darauf ankommen, wie viel der Blick umfasst, als darauf, wie genau das Gesehene erblickt wird; daher auch die innere Berechtigung der neueren Methoden der Geschichtsforschung, welche von den erklärenden, philosophierenden Gesamtdarstellungen zu der peinlich genauen Feststellung einzelner Thatsachen übergegangen sind. Freilich, sobald die Geschichtswissenschaft sich in » grenzenlose Empirie « verirrt, bringt sie weiter nichts zu Stande als ein » Hin - und Herschaufeln von Wahrnehmungen « (wie Justus Liebig in gerechtem Grimme über gewisse induktive Forschungsmethoden schilt);1)Reden und Abhandlungen, 1874, S. 248. doch ist es andrer - seits sicher, dass die genaue Kenntnis eines einzigen Falles für das Urteil mehr nützt als der Überblick über tausend in Nebel gehüllte. Das alte Wort non multa, sed multum bewährt sich eben überall und lehrt uns auch was man ihm auf den ersten Blick nicht ansieht die richtige Methode des Generalisierens: diese besteht darin, dass wir nie den Boden der Thatsachen verlassen und dass wir uns nicht, wie die Kinder, bei angeblichen » Erklärungen « aus Ursachen beruhigen (am allerwenigsten bei abstrakten Dogmen von Entwickelung, Erziehung u. s. w.) sondern bestrebt bleiben, das Phänomen selbst in seiner autonomen Würde mit immer grösserer Deutlichkeit zu erblicken. Will man weite geschichtliche Komplexe vereinfachen und doch wahrheits - gemäss zusammenfassen, so nehme man zunächst die unbestreitbaren konkreten Thatsachen, ohne eine Theorie daran zu knüpfen; das Warum wird schon seinen Platz fordern, doch darf es immer erst in zweiter Reihe kommen, nicht in erster; das Konkrete hat den Vortritt. Bewaffnet mit einem abstrakten Begriff der Menschheit und daran geknüpften Postulaten den Erscheinungen der Geschichte entgegen - zutreten und sie zu beurteilen, ist ein wahnvolles Beginnen; die wirklich vorhandenen, individuell begrenzten, national unterschiedenen Menschen705Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.machen alles aus, was wir über die Menschheit wissen; an sie müssen wir uns halten. Das hellenische Volk ist z. B. ein derartiges Konkretum. Ob die Hellenen mit den Völkern Italia’s, mit den Kelten und Indo - eraniern verwandt waren, ob die Verschiedenheit ihrer Stämme, die wir schon in den ältesten Zeiten wahrnehmen, einer verschiedengradigen Vermischung von Menschen getrennten Ursprungs entspricht oder die Folge einer durch geographische Bedingungen bewirkten Differenzierung ist, u. s. w., das alles sind vielumstrittene Fragen, deren einstige Be - antwortung selbst wenn sie mit Sicherheit erfolgen sollte nicht das Geringste ändern würde an der grossen, unbestreitbaren Thatsache des Hellenentums mit seiner besonderen, keiner anderen gleichen Sprache, seinen besonderen Tugenden und Untugenden, seiner fabelhaften Be - gabung und den eigentümlichen Beschränkungen seines Geistes, seiner Versatilität, seinem industriellen Fleisse, seiner überschlauen Geschäfts - gebahrung, seiner philosophischen Musse, seiner himmelstürmenden Kraft der Phantasie. Eine solche Thatsache der Geschichte ist durchaus konkret, handgreiflich, sinnfällig und zugleich unerschöpflich. Eigentlich ist es recht unbescheiden von uns, dass wir uns mit einem derartigen Unerschöpflichen nicht zufrieden geben; albern aber ist es, wenn wir diese Urphänomene (um wiederum mit Goethe zu reden) nicht auf ihren Wert schätzen, sondern durch Erweiterung sie zu » erklären « wähnen, wo wir sie in Wirklichkeit nur auflösend verdünnen, bis das Auge sie nicht mehr gewahrt. So z. B. wenn man die künstlerischen Gross - thaten der Hellenen auf phönizische und andere pseudosemitische Anregungen zurückführt und sich einbildet, damit zur Erläuterung dieses beispiellosen Mirakels etwas beigetragen zu haben; das ewig unerschöpfliche und unerklärliche Urphänomen des Hellenentums wird vielmehr durch diese Thatsache nur erweitert, in keiner Weise erläutert. Denn die Phönizier trugen die babylonischen und ägyptischen Kulturelemente überall hin; warum ging denn die Saat nur dort auf, wo Hellenen sich niedergelassen hatten? und warum namentlich bei jenen Phöniziern selber nicht, welche doch auf einer höheren Bildungs - stufe gestanden haben müssen, als die Leute, denen sie angeblich die Anfänge der Bildung erst übermittelten?

Auf diesem Gebiete schwimmt man förmlich in Trugschlüssen, indem man wie Thomas Reid spottet den Tag durch die Nacht » erklärt «, weil der eine auf die andere folgt! An Antworten fehlt es Denjenigen nie, welche das grosse mittlere Problem des Daseins die Existenz des individuellen Wesens niemals begriffen, d. h. als un -706Die Entstehung einer neuen Welt.lösbares Mysterium erfasst haben. Wir fragen diese Alleswisser, wie es kommt, dass die Römer, nahe Verwandte der Hellenen (wie Philologie, Geschichte, Anthropologie uns vermuten lassen), doch fast in jeder einzelnen Begabung ihr genaues Gegenteil waren? Sie antworten mit der geographischen Lage. Die geographische Lage ist aber gar nicht einmal sehr verschieden, und für Anregungen, den phönizischen gleich - wertig, gab die Nähe von Karthago, auch die Nähe von Etrurien genügend Gelegenheit. Und wenn die geographische Lage das Be - stimmende ist, warum schwand denn das alte Rom mit den alten Römern so gänzlich und unwiederbringlich dahin? Der unvergleichlichste Tausendkünstler auf diesem Felde war Henry Thomas Buckle, der die geistigen Eigenschaften der arischen Inder durch ihr Reisessen » erklärt «. 1)History of Civilization in England, vol. I, ch. 2. Die höchst ingeniöse Kette der Schlussfolgerungen, mit den unendlich mühsam gesammelten Angaben über den Ertrag der Reisfelder, über den Stärkegehalt des Reises, über das Ver - hältnis zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff in verschiedenen Nahrungsmitteln u. s. w., muss der Leser a. a. O. nachlesen. Das ganze Kartengebäude stürzt zusammen, sobald der Verfasser die Unumstösslichkeit seines Beweises durch weitere Beispiele erhärten will und zu diesem Behuf auf Ägypten hinweist: » Da die ägyptische Civilisation, wie die indische, ihren Ursprung in der Fruchtbarkeit des Bodens und in der grossen Hitze des Klimas hat, so traten auch hier dieselben Gesetze ins Spiel, und natürlich mit genau denselben Folgen «; so schreibt Buckle. Nun wäre es aber schwer, sich zwei verschiedenere Kulturen zu denken als die ägyptische und die brahmanische; die Ähnlichkeiten, die man allenfalls nachweisen könnte, sind nur solche ganz äusserliche wie die, welche das Klima mit sich führen kann, sonst aber weichen diese Völker in allem von einander ab: in politischer und sozialer Organisation und Geschichte, in den künstlerischen Anlagen, in den geistigen Gaben und Leistungen, in Religion und Denken, in den Grundlagen des Charakters. Buckle glaubt allerdings diesen Einwurf, den er vorausgesehen zu haben scheint, durch die Behauptung widerlegen zu können: die ägyptische Civilisation verhalte sich zur indischen wie Datteln zu Reis! Woraus sich ein unterhaltendes Gesellschafts - spiel entwickeln liesse: welche Menschen verhalten sich wie Schweinefleisch zu Knoblauch? Deutsche und Italiener; welche wie Wachholderbeeren zur Kokosnuss? Holländer und Malayer u. s. w. Doch wird eine derartige Verirrung bei einem so hervorragenden und gelehrten Mann eher zu melancholischen Betrachtungen als zu Scherz anregen.Wahrhaftig, eine trostreiche Entdeckung für angehende Philosophen! Dieser Erklärung stehen jedoch zwei Thatsachen entgegen. Erstens ist der Reis » das Hauptnahrungsmittel des grössten Teils des Menschengeschlechts «; zweitens sind gerade die Chinesen die grössten Reisesser der Welt, die bis zu anderthalb Kilo davon am Tage ver -707Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.zehren. 1)Ranke: Der Mensch, 2. Aufl. I, 315 u. 334. Eine humoristische Erklärung der Hypothese, das Reisessen sei für die Philosophen besonders zuträglich, wird der Sachkundige in Hueppe’s Handbuch der Hygiene (1899) S. 247 finden.Nun bildet aber der ziemlich scharf abgegrenzte Völker - komplex der arischen Inder eine absolut einzige Erscheinung unter den Menschen, mit Gaben, wie sie keine andere Rasse ähnlich besessen hat und welche zu unvergänglichen, unvergleichlichen Leistungen führten, dabei mit so eigentümlichen Beschränkungen, dass ihre Indivi - dualität ihr Schicksal schon enthielt; warum hat das Hauptnahrungs - mittel des grössten Teils des Menschengeschlechtes nur das eine Mal so gewirkt? im Raume an dem einen Ort, in der Zeit zu der einen Epoche? Und wollten wir den ganz genauen Antipoden des arischen Inders bezeichnen, so müssten wir den Chinesen nennen: den egalitären Sozialisten im Gegensatze zum unbedingten Aristokraten, den unkriege - rischen Bauern im Gegensatz zum geborenen Waffenhelden, den Utilitarier par excellence im Gegensatz zum Idealisten, den Positivisten, der or - ganisch unfähig scheint, sich auch nur bis zur Vorstellung des meta - physischen Denkens zu erheben, im Gegensatze zu jenem geborenen Metaphysiker, dem wir Europäer nachstaunen, ohne wähnen zu dürfen, dass wir ihn jemals erreichen könnten. Und dabei isst der Chinese, wie gesagt, noch mehr Reis als der Indoarier!

Doch, habe ich hier die unter uns so verbreitete Denkart bis ins Absurde verfolgt, so geschah das nur, um an den Fällen extremster Verirrung handgreiflich darzuthun, wohin sie führt; das erwachte Miss - trauen wird aber nun rückschauend gewahr werden, dass auch die vernünftigsten und sichersten Beobachtungen in Bezug auf derartige Urphänomene, wie die Menschenrassen es sind, nicht den Wert von Er - klärungen haben, sondern lediglich eine Erweiterung des Gesichtskreises bedeuten, wogegen das Phänomen selbst, in seiner konkreten Realität, nach wie vor die einzige Quelle alles gesunden Urteilens und jedes wahren Verständnisses bleibt. Ich möchte die Überzeugung hervorgerufen haben, dass es eine Hierarchie der Thatsachen giebt, und dass wir Luftschlösser bauen, sobald wir sie umkehren. So z. B. ist der Begriff » Indoeuropäer « oder » Arier « ein zulässiger und fördernder, wenn wir ihn aus den sicheren, gut erforschten, unbestreitbaren Thatsachen des Indertums, des Eraniertums, des Hellenentums, des Römertums, des Germanentums aufbauen; damit verlassen wir nämlich keinen Augen - blick den Boden der Wirklichkeit, verpflichten wir uns zu keiner Hypothese, überbrücken wir nicht die Kluft der unbekannten Ursachen708Die Entstehung einer neuen Welt.des Zusammenhanges mit luftigen Scheinbrücken; wir bereichern aber unsere Vorstellungswelt durch sinngemässe Gliederung, und, indem wir offenbar Verwandtes verbinden, lernen wir es zugleich von dem Un - verwandten scheiden und bereiten die Möglichkeit zu ferneren Einsichten und zu immer neuen Entdeckungen. Sobald wir aber das Verfahren umkehren und einen hypothetischen Arier als Ausgangspunkt nehmen einen Menschen, über den wir nicht das Geringste wissen, den wir aus den fernsten, unverständlichsten Sagen herauskonstruieren, aus äusserst schwierig zu deutenden sprachlichen Indizien zusammenleimen, einen Menschen, den ein Jeder, wie eine Fee, mit allen Gaben aus - statten kann, die ihm belieben so schweben wir in der Luft und fällen notgedrungen ein schiefes Urteil nach dem andern, wovon wir in Graf Gobineau’s: Inégalité des races humaines ein vortreffliches Beispiel besitzen. Gobineau und Buckle sind die zwei Pole einer gleich falschen Methode: der Eine bohrt sich maulwurfartig in die dunkle Erde hinein und wähnt aus dem Boden die Blumen zu erklären ungeachtet Rose und Distel nebeneinander stehen, der Andere entschwebt dem Boden des Thatsächlichen und erlaubt seiner Phantasie einen so hohen Flug zu nehmen, dass sie Alles in der verzerrten Perspektive der Vogel - schau erblickt und sich gezwungen sieht, die hellenische Kunst als ein Symptom der Dekadenz zu deuten und das Räuberhandwerk des hypothetischen Urariers als die edelste Bethätigung des Menschentums zu preisen!

Der Begriff » Menschheit « ist zunächst nichts weiter als ein sprach - licher Notbehelf, ein collectivum, durch welches das Charakteristische am Menschen, nämlich seine Persönlichkeit, verwischt und der rote Faden der Geschichte die verschiedenen Individualitäten der Völker und Nationen unsichtbar gemacht wird. Ich gebe zu, auch der Be - griff Menschheit kann zu einem positiven Inhalt gelangen, doch nur unter der Bedingung, dass die konkreten Thatsachen der getrennten Volksindividualitäten zu Grunde gelegt werden: diese werden dann in allgemeinere Rassenbegriffe unterschieden und verbunden, die all - gemeineren wahrscheinlich noch einmal unter einander ähnlich ge - sichtet, und was dann ganz hoch oben in den Wolken schwebt, dem unbewaffneten Auge kaum sichtbar, ist » die Menschheit «. Diese Menschheit werden wir aber bei der Beurteilung menschlicher Dinge nie zum Ausgangspunkt nehmen: denn jede That auf Erden geht von bestimmten Menschen aus, nicht von unbestimmten; wir werden sie auch nie zum Endpunkt nehmen: denn die individuelle Begrenzung709Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.schliesst die Möglichkeit eines Allgemeingültigen aus. Schon Zoroaster hatte die weisen Worte gesprochen: » Weder an Gedanken, noch an Begierden, noch an Worten, noch an Thaten, weder an Religion noch an geistiger Begabung gleichen die Menschen einander; wer das Licht liebt, dessen Platz ist unter den leuchtenden Himmelskörpern, wer Finster - nis, gehört zu den Mächten der Nacht «. 1)Siehe das Buch von Zâd-Sparam XXI, 20 (in dem Band 47 der Sacred Books of the East enthalten).

Ungern habe ich theoretisiert, doch es musste sein. Denn eine Theorie die Theorie der wesentlich einen, einigartigen Mensch - heit2)Diese Theorie ist alt; Seneca z. B beruft sich mit Vorliebe auf das Ideal der Menschheit, von dem die einzelnen Menschen gewissermassen mehr oder weniger gelungene Abgüsse seien: » homines quidem pereunt, ipsa autem humanitas, ad quem homo effingitur, permanet « (Bf. 65 an Lucilius). steht jeder richtigen Einsicht in die Geschichte unserer Zeit, wie überhaupt aller Zeiten, im Wege und ist uns doch so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie wie Unkraut mühsam aus - gejätet werden muss, ehe man mit Hoffnung auf Verständnis die evi - dente Wahrheit aussprechen darf: unsere heutige Civilisation und Kultur ist spezifisch germanisch, sie ist ausschliesslich das Werk des Germanen - tums. Und doch ist dies die grosse, mittlere Grundwahrheit, die konkrete Thatsache, welche die Geschichte der letzten tausend Jahre auf jeder Seite uns lehrt. Anregungen nahm der Germane von überall, doch er assimilierte sie sich und arbeitete sie zu einem Eigenen um. So kam z. B. die Anregung zur Papierfabrikation aus China, doch nur dem Germanen gab sie sofort die Idee des Buchdrucks ein;3)Vergl. unten den Abschnitt 3, » Industrie «. Beschäftigung mit dem Altertum, dazu das Aufgraben alter Bildwerke regte in Italien zu künstlerischer Gestaltung an, doch selbst die Skulptur wich gleich von Anfang an von der hellenischen Tradition ab, indem sie das Charakteristische, nicht das Typische, das Individuelle, nicht das Alle - gorische sich zum Ziele setzte; die Architektur entnahm nur einiges Detail, die Malerei gar nichts dem klassischen Altertum. Dies ledig - lich als Beispiele; denn ähnlich verfuhr der Germane auf allen Gebieten. Selbst das römische Recht wurde nie und nirgends vollständig recipiert, ja, von gewissen Völkern namentlich von den nunmehr so mächtig emporgeblühten Angelsachsen wurde es jederzeit und allen königlich - päpstlichen Intriguen zum Trotz prinzipiell abgewiesen. Was an ungermanischen Kräften sich bethätigte, that das wie wir dies710Die Entstehung einer neuen Welt.gleich zu Anfang dieses Kapitels an dem Beispiele Italiens sahen vorwiegend als Hemmniss, als Zerstörung, als Ablenkung aus der diesem besonderen Menschentypus notwendigen Bahn. Dort dagegen, wo die Germanen durch Zahl oder reineres Blut vorwogen, wurde alles Fremde in dieselbe Richtung mit fortgerissen und selbst der Nicht - Germane musste Germane werden, um etwas zu sein und zu gelten.

Natürlich darf man das Wort Germane nicht in dem üblichen engen Sinne nehmen; diese Fraktionierung widerspricht den That - sachen und macht die Geschichte so unklar, als schaute man sie durch ein gesprungenes Augenglas an; hat man dagegen die offenbare ur - sprüngliche Identität der aus Nordeuropa herausgetretenen Völker erkannt, zugleich den Grund ihrer verschiedenartigen Individualität in der noch heute sich bewährenden, unvergleichlichen Plasticität, in der Anlage des Germanentums zur fortgesetzten Individualisierung erblicken gelernt, dann begreift man sofort, dass, was wir heute die europäische Kultur nennen, in Wahrheit nicht eine europäische, sondern eine spezifisch germanische ist. Im heutigen Rom fanden wir uns nur halb in dem Element dieser Kultur; der ganze Süden von Europa, in welchem das Völkerchaos leider nie ausgerottet wurde und wo es heute, in Folge der Naturgesetze, die wir in Kapitel 4. ausführlich studiert haben, schnell wieder zunimmt, schwimmt nur gezwungen mit: er kann der Gewalt unserer Civilisation nicht widerstehen, innerlich aber gehört er kaum mehr ihr an. Fahren wir nach Osten, so überschreiten wir die Grenze etwa 24 Stunden von Wien mit der Eisenbahn; von dort aus quer durch bis zum Stillen Ozean ist nicht ein Zoll von unserer Kultur berührt. Nördlich von der gedachten Linie zeugen lediglich Schienen, Tele - graphenstangen und Kosakenpatrouillen davon, dass ein reingermanischer Monarch an der Spitze eines Volkes, dessen thätige, schöpferische Elemente mindestens Halbgermanen sind, die Hand organisierend über dieses immense Gebiet auszustrecken begonnen hat; doch auch diese Hand reicht nur bis zu der der unseren absolut antagonistischen Civilisation und Kultur der Chinesen, Japanesen, Tonkinesen, u. s. w. Elisée Reclus, der berühmte Geograph, versicherte mir, als er soeben das Studium der gesamten Litteratur über China für seine Géographie Universelle beendet hatte, kein einziger Europäer auch diejenigen nicht, die wie Richthofen und Harte, viele Jahre dort gelebt, auch kein Missionär, der sein ganzes Leben im Innersten des Landes zu - gebracht könne von sich melden: J’ai connu un Chinois. Die Persönlichkeit des Chinesen ist eben für uns undurchdringlich, wie711Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.die unsere ihm; ein Jäger versteht durch Sympathie von der Seele seines Hundes und der Hund von der seines Herrn mehr, als dieser selbe Herr von der Seele des Chinesen, mit dem er auf die Jagd geht. 1)Selbst dieses Bild hinkt, denn der Chinese geht nicht einmal auf die Jagd!Alles Faseln über » Menschheit « hilft über derlei nüchtern sichere Thatsachen nicht hinweg. Dagegen findet Der, welcher den weiten Ozean bis zu den Vereinigten Staaten durchschifft, unter neuen Ge - sichtern, in einem neu individualisierten Nationalcharakter unsere ger - manische Kultur wieder und zwar in hoher Blüte, ebenso Derjenige, welcher nach vierwöchentlichem Reisen an der australischen Küste landet. NewYork und Melbourne sind ungleich » europäischer « als das heutige Sevilla oder Athen, nicht im Aussehen, wohl aber im Unternehmungsgeist, in der Leistungsfähigkeit, in der intellek - tuellen Richtung, in Kunst und Wissenschaft, in Bezug auf das all - gemeine moralische Niveau, kurz, in der Lebenskraft. Diese Lebens - kraft ist das köstliche Erbe unserer Väter: einst besassen sie die Hellenen, einst die Römer.

Erst diese Erkenntnis des streng individuellen Charakters unserer Kultur und Civilisation befähigt uns, uns selber gerecht zu beurteilen: uns und Andere. Denn das Wesen des Individuellen ist die Be - schränkung und der Besitz einer eigenen Physiognomie, und der Prodromus zu aller geschichtlichen Einsicht ist darum wie Schiller es schön ausspricht » die Individualität der Dinge mit treuem und keuschem Sinne ergreifen zu lernen «. Eine Kultur kann die andere vernichten, doch nicht durchdringen. Beginnen wir unsere Geschichtswerke mit Ägypten oder nach den neuesten Entdeckungen mit Babylonien und lassen dann die Menschheit sich chrono - logisch entwickeln, so errichten wir ein durchaus künstliches Gebäude. Denn die ägyptische Kultur z. B. ist ein durchaus abgeschlossenes individuelles Wesen, über das wir nicht viel besser zu urteilen ver - mögen, als über einen Ameisenstaat, und alle Ethnographen stimmen überein in der Versicherung, die Fellahim des Nilthales seien heute physisch und geistig mit denen von vor 5000 Jahren identisch; neue Menschen wurden Herren des Landes und brachten eine neue Kultur mit: eine Entwickelung fand nicht statt. Und was macht man in - zwischen mit der gewaltigen Kultur der Indoarier? Soll sie nicht mit - gerechnet werden? Wie aber soll sie eingegliedert werden, denn ihre höchste Blüte fiel etwa auf den Beginn unserer germanischen Lauf -712Die Entstehung einer neuen Welt.bahn? Sehen wir, dass in Indien auf jene hohe Kultur eine Weiter - entwickelung stattgefunden habe? Und wie steht es mit den Chinesen, denen wir vielleicht eben so viele Anregungen verdanken wie die Hellenen den Ägyptern? Die Wahrheit ist, dass, sobald wir, unserem systematisierenden Hange folgend, organisch verknüpfen wollen, wir das Individuelle vertilgen, damit aber auch das Einzige, was wir konkret besitzen. Selbst Herder, von dem ich gerade bei dieser Dis - kussion so weit abweiche, schreibt: » In Indien, Ägypten, Sina geschah, was sonst nie und nirgends auf Erden geschehen wird, ebenso in Kanaan, Griechenland, Rom, Karthago «. 1)Ideen, III, 12, 6.

Die angebliche » Renaissance «.
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Ich nannte z. B. vorhin die Hellenen und die Römer diejenigen, denen wir sicherlich die meisten Anregungen, wenn nicht für unsere Civilisation, so doch für unsere Kultur verdanken; wir aber sind weder Hellenen noch Römer dadurch geworden. Vielleicht hat man nie einen verderblicheren Begriff in die Geschichte eingeführt, als den der Renais - sance. Denn hiermit verband man den Wahn einer Wiedergeburt lateinischer und griechischer Kultur, ein Gedanke würdig der Mestizen - seelen des entarteten Südeuropa, denen » Kultur « etwas war, was der Mensch sich äusserlich aneignen kann. Zu einer Wiedergeburt hellenischer Kultur würde nichts weniger gehören als die Wiedergeburt der Hellenen; alles Andere ist Mummenschanz. Nicht allein der Begriff der Renaissance war verderblich, sondern zum sehr grossen Teil auch die Thaten, die aus dieser Auffassung entsprangen. Denn anstatt bloss Anregung zu empfangen, empfingen wir nunmehr Gesetze, Gesetze, welche unserer Eigenart Fesseln anlegten, welche sie auf Schritt und Tritt hemmten und den kostbarsten Besitz, die Originalität d. h. die Wahrhaftigkeit der eigenen Natur uns zu schmälern bestrebt waren. Auf dem Gebiet des öffentlichen Lebens ward das als klassisches Dogma verkündete römische Recht die Quelle unerhörter Gewaltthätigkeit und Freiheits - entziehung; nicht etwa als sei dieses Recht nicht auch heute noch ein Muster juristischer Technik, die ewige hohe Schule der Juris - prudenz (siehe S. 166 fg); dass es aber uns Germanen als ein Dogma aufgezwungen wurde, war offenbar ein schweres Unglück für unsere geschichtliche Entwickelung; denn nicht allein passte es nicht für unsere Verhältnisse, sondern es war ein Totes, Missverstandenes, ein Organismus dessen frühere lebendige Bedeutung erst nach Jahrhunderten, erst in unseren Tagen, durch die genaueste Erforschung römischer713Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.Geschichte aufgedeckt wurde: ehe wir das Gebilde seines Geistes wirklich begreifen konnten, mussten wir den Römer selber aus dem Grabe hervorrufen. So ging es auf allen Gebieten. Nicht allein in der Philosophie sollten wir » Mägde « (ancillae), nämlich die des Aristoteles sein (siehe S. 683), sondern in unser ganzes Denken und Schaffen wurde das Gesetz der Sklaverei eingeführt. Einzig auf wirtschaftlichem und industriellem Gebiete schritt man rüstig voran, denn hier hemmte kein klassisches Dogma; selbst die Naturwissenschaft und die Welt - entdeckung hatten einen schweren Kampf zu bestehen, alle Geistes - wissenschaften, sowie Poesie und Kunst einen viel schwereren, einen Kampf, der noch heute nicht bis zum völligen Sieg und gründlichen Abschütteln durchgefochten ist. Gewiss ist es kein Zufall, wenn der bei weitem gewaltigste Dichter aus der Zeit der angeblichen Wieder - geburt, Shakespeare, und der gewaltigste Bildner, Michelangelo, beide keine alte Sprache verstanden; man denke doch, in welcher machtvoller Unabhängigkeit ein Dante vor uns stünde, wenn er seine Hölle nicht bei Virgil erborgt und seine Staatsideale nicht aus konstantinopolitanischem Afterrecht und der Civitas Dei des Augustinus zusammengeschweisst hätte! Und warum wurde diese Berührung mit den vergangenen Kulturen, welche ungeteilten Segen hätte bringen sollen, vielfach zum Fluch? Das geschah lediglich, weil wir die Individualität einer jeden Kultur - erscheinung nicht begriffen heute noch, den Göttern sei es geklagt! nicht begreifen. So priesen z. B. die toskanischen Schöngeister die griechische Tragödie als ewigen » paragone « des Dramas, ohne ein - sehen zu können, dass bei uns nicht allein die Lebensbedingungen weit von den attischen abweichen, sondern die Begabung, die ge - samte Persönlichkeit mit ihren Licht - und Schattenseiten eine völlig andere ist; so förderten denn diese vorgeblichen Erneuerer hellenischer Kultur allerhand Monstrositäten zu Tage und vernichteten das italienische Drama in der Knospe. Hierdurch bewiesen die Schöngeister, dass sie nicht allein vom Wesen des Germanentums, sondern ebenfalls vom Wesen des Hellenentums keine Ahnung besassen. Was wir von dem Griechentum nämlich hätten lernen sollen, war die Bedeutung einer organisch gewachsenen Kunst für das Leben und die Bedeutung der ungeschmälerten freien Persönlichkeit für die Kunst; wir ent - nahmen ihm das Gegenteil: fertige Schablonen und die Zwingherr - schaft einer erlogenen Ästhetik. Denn nur das bewusste, freie Indi - viduum erhebt sich zum Verständnis der Unvergleichlichkeit anderer Individualitäten. Der Stümper glaubt, Jeder könne Alles; er begreiftChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 46714Die Entstehung einer neuen Welt.nicht, dass Nachahmung dümmste Unverschämtheit ist. Aus dieser elend stümperhaften Gesinnung und Anschauung war der Gedanke an eine Anknüpfung an Griechenland und Rom, an eine Fortsetzung ihres Werkes entsprungen, worin sich das merke man wohl eine fast lächerliche Unterschätzung der Leistungen jener grossen Völker ausspricht, zugleich mit einem völligen Verkennen unserer germanischen Kraft und Eigentümlichkeit.

Fortschritt und Entartung.
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Und noch eins. Unschwer hat soeben Jeder einsehen können, inwiefern es jene blasse Abstraktion einer allgemeinen, physiognomie - und charakterlosen, beliebig zu knetenden » Menschheit « ist, welche zur Unterschätzung der Bedeutung des Individuellen im Einzelnen wie in den Völkern führt; diese Konfusion liegt nun einer weiteren, höchst verderb - lichen zu Grunde, deren Aufdeckung mehr Aufmerksamkeit und Scharf - sinn erfordert. Aus jenem ersten Urteilsfehler ergeben sich nämlich die beiden sich gegenseitig ergänzenden Begriffe eines Fortschrittes der Menschheit und einer Entartung der Menschheit, welche alle beide auf dem gesunden Boden der konkreten historischen Thatsachen nicht zu rechtfertigen sind. Moralisch mag gewiss die Vorstellung des Fort - schrittes unentbehrlich sein, sie ist die Übertragung der Göttergabe der Hoffnung aufs Allgemeine; andererseits kann die Metaphysik der Religion das Symbol der Entartung nicht entbehren (siehe S. 560 fg. ): doch handelt es sich in beiden Fällen um innere Gemütszustände (im letzten Grunde um transscendente Ahnungen), die das Individuum auf seine Umgebung hinausprojizirt; auf die thatsächliche Geschichte als handle es sich um objektive Wirklichkeiten angewendet, führen sie zu falschen Urteilen und zur Verkennung der evidentesten Thatsachen.1)Siehe S. 10 und 32. Wie immer hat Immanuel Kant den Nagel auf den Kopf getroffen, indem er die angeblich fortschreitende Menschheit mit jenem Kranken vergleicht, der triumphierend ausrufen musste: » Ich sterbe vor lauter Besserung! « (Streit der Fakultäten, II), an anderem Orte aber ergänzend schreibt: » Dass die Welt im Ganzen immer zum Besseren fortschreitet, dies anzunehmen berechtigt den Menschen keine Theorie, aber wohl die rein praktische Vernunft, welche nach einer solchen Hypothese zu handeln dogmatisch gebietet « (Über die Fortschritte der Metaphysik, zweite Handschrift, Th. II). Also nicht eine äussere Thatsache, sondern, wie man sieht, eine innere Orientierung der Seele findet in der Vorstellung des Fortschrittes berechtigten Ausdruck. Hätte Kant die Notwendig - keit des Verfalles ebenfalls betont, anstatt » das Geschrei von der unaufhaltsam zunehmenden Verunartung « als belangloses Gerede aufzufassen (Vom Verhältnis der Theorie zur Praxis im Völkerrecht), so wäre nichts unklar geblieben und aus der Antinomie des Handelns nach der Hypothese des Fortschrittes und des Glaubens Denn715Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.fortschreitende Entwickelung und fortschreitender Verfall sind Phäno - mene, die an das individuelle Leben geknüpft sind und nur alle - gorisch, nicht sensu proprio, auf die allgemeinen Erscheinungen der Natur angewendet werden können. Jedes Individuum zeigt uns Fortschritt und Verfall, jedes Individuelle, welcher Art es auch sei, ebenfalls also auch die individuelle Rasse, die individuelle Nation, die individuelle Kultur; das ist eben der Preis, der bezahlt werden muss, um Individualität zu besitzen; wogegen bei allgemeinen, nicht individuellen Phänomenen die Begriffe Fortschritt und Entartung gänz - lich bedeutungsleer sind und lediglich eine missbräuchliche Um - schreibung für Änderung und Bewegung darstellen. Darum sagte Schiller von dem gewöhnlichen, gewissermassen » empirischen « Un - sterblichkeitsgedanken (wie ihn die orthodoxe christliche Kirche lehrt), es sei dies: » eine Forderung, die nur von einer ins Absolute strebenden Tierheit kann aufgeworfen werden «. 1)Ästhetische Erziehung, Bf. 24.Tierheit soll hier den Gegen - satz zu Individualität aussprechen: denn das Gesetz der Individualität ist jene äusserliche Begrenzung, von der uns Goethe im vorigen Kapitel sprach, und das bedeutet eine Begrenzung nicht allein im Raume, sondern auch in der Zeit; wogegen das Allgemeine also wie hier die Tierheit des Menschen, mit anderen Worten, der Mensch als Tier, im Gegensatz zum Menschen als Individuum keine notwendige, sondern höchstens eine zufällige Grenze hat. Wo aber Begrenzung fehlt, kann im eigentlichen Sinne von einem » Schreiten « nach vor - wärts oder nach rückwärts keine Rede sein, sondern lediglich von Bewegung. Desswegen lässt sich selbst aus dem konsequentesten und darum flachsten Darwinismus kein haltbarer Begriff des Fort - schrittes entwickeln: denn die Anpassung an bestimmte Verhältnisse ist nichts weiter als eine Gleichgewichtserscheinung, und die angeb - liche Evolution aus einfacheren Lebensformen zu immer komplizierteren kann eben so gut als Verfall wie als Fortschritt aufgefasst werden;2)Vom Standpunkt des konsequenten Materialismus aus ist die Monere das vollkommenste Tier, denn es ist das einfachste und darum widerstandsfähigste und ist zum Leben im Wasser, also auf der grössten Fläche des Planeten, organisiert. sie ist eben keins von beiden, sondern lediglich eine Bewegungserscheinung. Das giebt auch der Philosoph des Darwinismus, Herbert Spencer zu, indem er die Evolution als eine rhythmische Pulsation auffasst und1)nach der Hypothese des Verfalles, hätte sich klar ergeben, dass hier ein Trans - scendentes und nicht empirische Geschichte am Werke ist.46*716Die Entstehung einer neuen Welt.sehr klar auseinandersetzt, dass in jedem Augenblick das Gleich - gewicht dasselbe sei. 1)Siehe First Principles, das Kapitel über The Rythm of motion und die ersten zwei Kapitel über Evolution. Es ist in der That unerfindlich, in wiefern die Systole einen » Fortschritt « über die Diastole, die Pendelbewegung nach rechts einen » Fortschritt « über die Pendelbewegung nach links bilden sollte. Und trotzdem haben gute Köpfe, vom Strome des herrschenden Irrtumes hingerissen, gerade in der Evolution die Gewähr, ja, den Beweis der Realität des Fortschrittes erblicken wollen! Wohin es bei solch ungereimtem Beginnen mit der Logik kommt, muss ich an einem Beispiele zeigen, denn ich schwimme hier gegen den Strom und darf keinen Vorteil unbenützt lassen.

John Fiske, der mit Recht vielgerühmte Verfasser der Entdeckungs - geschichte von Amerika, führt in seinem gedankenreichen darwinistischen Werke: The destiny of Man, viewed in the light of his origin2)Des Menschen Bestimmung, im Lichte seines Ursprunges betrachtet (Boston 1884). Das sind unsere modernen Empiriker! sie kennen aller Dinge » Ursprung « und » Bestimmung « und haben folglich leicht weise sein. Der Papst zu Rom ist be - scheidener. aus: » der Kampf ums Dasein hat jenes vollendete Erzeugnis schöpferischer Kraft, die menschliche Seele, hervorgebracht «. Nun weiss ich zwar nicht, wie der Kampf die alleinig wirkende Ursache für die Entstehung irgend eines Dinges abgeben soll; diese Weltanschauung scheint mir ein bischen sehr summarisch, wie alle Evolutionsphilosophie; doch liegt es so sehr auf der Hand, dass der Kampf vorhandene Kräfte stählt, physische und geistige Anlagen hervorlockt und durch Übung entwickelt (der alte Homer lehrt es ja unseren Kindern), dass ich hier - über augenblicklich nicht streiten will. Fiske sagt weiter: » das un - aufhörliche Hinschlachten ist es, durch welches die höheren Formen des organischen Lebens entwickelt worden sind « (S. 95 fg. ); gut, wir wollen es annehmen. Nun aber, was macht der Fortschritt? Logischerweise sollte man voraussetzen, der Fortschritt bestünde in der Zunahme des Massenmordes, oder wäre wenigstens durch sie bedingt wozu allenfalls einige Erscheinungen unserer Zeit annehmbare Belege liefern könnten. Doch, weit gefehlt! Herr Fiske befindet sich solcher hausbackener Logik gegenüber im Vorteil, denn er kennt nicht allein den Ursprung, sondern auch die Bestimmung des Menschen. Er teilt uns mit: » Bei der höheren Evolution wird der Kampf ums Dasein aufhören, ein bestimmender Faktor zu sein. .... Dieses Ausser -717Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.krafttreten des Kampfes ist eine Thatsache von absolut unvergleich - licher Grossartigkeit; Worte reichen nicht aus, um eine derartige Wendung zu preisen «. Dieser paradiesische Frieden ist nun das Ziel des Fortschrittes, ja, er ist der Fortschritt selber. Fiske, der ein sehr gescheiter Mann ist, empfindet nämlich mit Recht, dass bisher Niemand gewusst hat, was er sich unter diesem talismanischen Worte » Fort - schritt « denken solle; jetzt wissen wir es. » Endlich «, sagt Fiske, » endlich ist uns klar geworden, was Fortschritt der Menschheit be - deutet «. Da muss ich aber sehr bitten! Was soll denn aus unserer so sauer und redlich verdienten Seele werden? Uns wurde soeben gelehrt, der Kampf ums Dasein habe die Seele » erzeugt «: wird sie denn hinfürder ohne Ursache entstehen? Und gesetzt den Fall, das Steckenpferd der Erblichkeit nähme sie auf seinen cheirontisch gast - lichen Rücken und führte sie eine Strecke weiter, würde nicht nach orthodoxer darwinistischer Lehre das Aufhören des Kampfes zur Ent - artung des durch ihn Erzeugten führen,1)Origin, ch. XIV, Animals and Plants, ch. XXIV. so dass unsere Seele, als blosses » rudimentary organ « (dem vielgenannten menschlichen Schwanz - ansatz vergleichbar) für künftige Micromègas in ihrer Zwecklosigkeit lediglich ein Gegenstand des Staunens sein könnte? Und warum denn, wenn der Kampf schon so Herrliches hervorgebracht hat, warum soll er jetzt aufhören? Doch nicht etwa aus blasser, blutscheuer Senti - mentalität? » Den Tod in der Schlacht «, sagte Korporal Trim und dabei schlug er ein Schnippchen » den Tod in der Schlacht fürchte ich nicht so viel! sonst aber würde ich mich in jede Ritze vor ihm verstecken. « Und ist es auch unter Professor Fiske’s Führung » ein Ergötzen, zu schauen, wie wir’s zuletzt so herrlich weit gebracht «, ich kann mir viel Herrlicheres denken und erhoffen, als was die Gegen - wart bietet, und werde darum nimmer zugeben, dass das Aufhören des Kampfes einen Fortschritt bedeuten würde; gerade hier hat die Evolutionshypothese eine Wahrheit die Bedeutung des Kampfes zufällig erwischt, es wäre wirklich unvernünftig, sie preiszugeben, bloss damit » was Fortschritt der Menschheit bedeutet, endlich klar werde «.

Zu Grunde liegt hier, wie gesagt, der Mangel einer sehr einfachen und nötigen philosophischen Einsicht: Fortschritt und Entartung können nur von einem Individuellen, niemals von einem Allgemeinen prädiziert werden. Um von einem Fortschritt der Menschheit reden zu können, müssten wir die gesamte Erscheinung des Menschen auf Erden aus so718Die Entstehung einer neuen Welt.grosser Entfernung erblicken, dass alles, was für uns Geschichte aus - macht, verschwände; vielleicht könnte der Mensch dann als ein In - dividuelles erfasst, mit anderen analogen Erscheinungen z. B. auf anderen Planeten verglichen und Fortschritt und Verfall seines Wesens beobachtet werden: doch hat derlei hypothetische Sternguckerei für uns und für den heutigen Tag keinen praktischen Wert. Unsere germanische Kultur mit der hellenischen in die organische Beziehung eines Fortschrittes oder eines Verfalles bringen zu wollen, ist kaum vernünftiger als Buckle’s vorhin genannte Gleichung zwischen Datteln und Reis, im Gegenteil, es ist weniger vernünftig; denn Datteln und Reis werden als voneinander wesentlich verschieden erkannt, ausserdem als ein Allgemeines, Unveränderliches, während wir bei jenem Vergleich gerade das Unterscheidende übersehen und nicht bedenken, dass das Individuelle ein Niewiederkehrendes, darum auch Abgeschlossenes und Absolutes ist. Kann man behaupten, Michel - angelo bedeute einen Fortschritt über Phidias? Shakespeare über Sophokles? Oder einen Verfall? Glaubt man, es sei möglich, einer derartigen Behauptung irgend eine Spur von Sinn zu entlocken? Gewiss glaubt das Keiner. Was er aber nicht einsieht, ist, dass dasselbe von den gesamten Volksindividualitäten und Kulturerscheinungen gilt, welche diese seltenen Männer zu besonders lebhaftem Ausdruck brachten. Und so stellen wir denn immerfort Vergleiche an: die grosse schwatzende Menge glaubt an den endlosen » Fortschritt der Menschheit « so fest wie eine Nonne an die unbefleckte Empfängnis, die bedeutenderen, nachdenklichen Geister ahnten zu allen Zeiten von Hesiod bis Schiller, von urbabylonischer Symbolik bis Arthur Schopenhauer eher Verfall. Beides ist nur als ungeschichtliches Bild zulässig. Man braucht nur die Grenze der Civilisation zu überschreiten: an der Last, die einem da von Haupt und Schultern fällt, an der Wonne, die sich dem Auge aufthut, merkt man sofort, wie teuer der angebliche Fort - schritt bezahlt wird. Mich dünkt, ein heutiger macedonischer Hirt führt ein ebenso nützliches und ein weit würdigeres und glücklicheres Dasein als ein Fabrikarbeiter in Chaux-de-Fonds, der von seinem zehnten Jahre ab bis an sein Grab vierzehn Stunden täglich ein bestimmtes Gangrad für Taschenuhren mechanisch herstellt. Wenn nun die In - geniosität, welche zur Erfindung und Vervollkommnung der Uhr führt, dem Menschen, der sie macht, den Anblick des grossen, Leben und Gesundheit spendenden Zeitmessers, der Sonne, raubt, so muss man einsehen, dass dieser Fortschritt wie bewundernswert er auch sei 719Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.durch einen entsprechenden Rückschritt erkauft wird. Ähnlich überall. Um den Begriff des Fortschrittes zu retten, hat man ihn » einer Kreis - bewegung « verglichen, in welcher sich der Radius verlängert «. 1)So z. B. Justus Liebig: Reden und Abhandlungen, 1874, S. 273; in ähn - licher Weise mehrere Andere.Da - mit ist aber der Fortschritt aller Bedeutung entblösst; denn jeder Kreis ist jedem anderen in allen wesentlichen Eigenschaften gleich, die grössere oder geringere Ausdehnung kann unmöglich als grössere oder geringere Vollkommenheit aufgefasst werden. Doch ist die entgegen - gesetzte Anschauung, diejenige eines Verfalles der Menschheit, ebenso - wenig stichhaltig, sobald sie das konkret Historische zu deuten unter - nimmt. So kann z. B. der Satz Schiller’s, den ich in der allgemeinen Einleitung zu diesem Buche anführte, nur auf sehr bedingte Gültigkeit Anspruch machen: » Welcher einzelne Neuere tritt heraus, Mann gegen Mann, mit dem einzelnen Athenienser um den Preis der Menschheit zu streiten? « Jeder Kundige versteht, was der edle Dichter hier meint; in welchem Sinne er Recht hat, habe ich selber anzudeuten versucht;2)Siehe S. 33 und S. 69 bis 75. und dennoch reizt der Satz zu entschiedenem Widerspruch, und zwar zu mehrfachem. Was soll dieser » Preis der Menschheit «? Es ist wieder jener abstrakte Begriff einer » Menschheit «, der das Urteil ver - wirrt! Bei den freien Bürgern Athens (und nur solche kann Schiller im Sinne haben) kamen auf einen Mann zwanzig Sklaven: da konnte man freilich Musse finden, um den Körper zu pflegen, Philosophie zu studieren und Kunst zu treiben; unsere germanische Kultur dagegen (wie die chinesische denn in solchen Dingen offenbart sich nicht Fortschritt, sondern angeborener Charakter) war von jeher eine Gegnerin des Sklaventums, immer wieder stellt sich dieses so natürliche Ver - hältnis ein, und immer wieder schütteln wir es voll Abscheu von uns ab; wie viele giebt es unter uns vom König bis zum Orgel - dreher die nicht den lieben langen Tag im Schweisse ihres Ange - sichts sich zwingen müssen, ihr Höchstes zu leisten? Sollte aber das Arbeiten nicht an und für sich mindestens ebenso veredelnd wirken wie Baden und Boxen? 3)Ohne davon zu sprechen, dass die moderne Athletik nachgewiesener - massen mehr leistet als die alte.Nicht lange würde ich nach dem von Schiller geforderten » einzelnen Neueren « herumsuchen: Friedrich Schiller selber würde ich bei der Hand nehmen und ihn mitten unter die Grössten aller hellenischen Jahrhunderte führen; nackend im Gymnasium dürfte720Die Entstehung einer neuen Welt.der ewig kranke Mann allerdings zunächst wenig Staat machen, doch sein Herz und sein Geist würden immer erhabener sich aufrichten, je mehr sie von allen Widerwärtigkeiten der zufälligen Daseinsformen entblösst dastünden, und ohne Widerlegung zu fürchten, würde ich laut behaupten: dieser einzelne Neuere ist euch allen durch sein Wissen, durch sein Streben, durch sein sittliches Ideal überlegen; als Denker überragt er euch bedeutend und als Dichter ist er euch fast ebenbürtig. Welcher hellenische Künstler, ich frage es, lässt sich in Bezug auf Schöpferkraft und Gewalt des Ausdruckes einem Richard Wagner an die Seite stellen? und wo hat das gesamte Hellenentum einen Mann hervorgebracht, würdig mit einem Goethe um den Preis der Menschheit zu streiten? Hier stossen wir auf einen weiteren Wider - spruch, den Schiller’s Behauptung hervorruft, denn wenn unsere Dichter den grössten Poeten Athen’s nicht in jeder Beziehung gleichstehen, so ist das die Schuld nicht ihres Talents, sondern ihrer Umgebung, die den Wert der Kunst nicht begreift; wogegen Schiller die Meinung vertritt, als Einzelne kämen wir den Athenern nicht gleich, als Ganzes jedoch sei unsere Kultur der ihrigen überlegen. Ein entschiedener Irrtum, hinter welchem wieder das Gespenst » Menschheit « steckt. Denn wenn auch ein absoluter Vergleich zweier Völker (wenigstens nach meiner Überzeugung) unzulässig ist, gegen eine Parallelisierung der individuellen Entwickelungsstadien kann nichts eingewendet werden, und aus dieser geht hervor, dass wir die Hellenen auf einem höchsten und (trotz aller schreienden Mängel ihrer Individualität) eigentümlich harmonischen Höhepunkt erblicken, woher der unvergleichliche Zauber ihrer Kultur, während wir Germanen noch mitten im Werden, im Widerspruch, in der Unklarheit über uns selber stehen, dazu umringt und an manchen Punkten bis ins Herz durchdrungen von ungleich - artigen Elementen, die dasjenige, was wir aufbauen, herunterreissen und uns dem eigenen Wesen entfremden. Dort hatte sich eine Volks - individualität bis zur Klarheit durchgerungen; hier, bei uns, ist alles noch Gährung; schroff isoliert stehen die höchsten Erscheinungen unseres Geisteslebens nebeneinander, fast feindlich sich anblickend, und erst nach vieler Arbeit wird es uns gelingen, als Ganzes die Stufe zu erklimmen, auf der hellenische Kultur, römische, indische, ägyptische Kultur einst standen.

Historisches Kriterium.
267

Verwerfen wir nun das Wahngebilde einer fortschreitenden und rückschreitenden Menschheit und bescheiden wir uns mit der Erkenntnis, dass unsere Kultur eine spezifisch nordeuropäische, d. h. germanische721Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.ist, so werden wir zugleich ein sicheres Urteilsprinzip für unsere eigene Vergangenheit und Gegenwart und zugleich einen sehr nützlichen Massstab für die zu erwartende Zukunft gewinnen. Denn nichts In - dividuelles ist unbegrenzt. Solange wir uns als die verantwortlichen Vertreter der ganzen Menschheit betrachten, können die Einsichts - volleren nicht anders als über unsere Elendigkeit und über unsere offenbare Unfähigkeit, ein goldenes Zeitalter vorzubereiten, verzweifeln; zugleich verrücken aber alle phrasenreiche Flachköpfe die ernsten, erreichbaren Ziele und untergraben das, was ich die historische Sitt - lichkeit nennen möchte, indem sie blind gegen unsere allseitige Beschränkung und ohne eine Ahnung von dem Werte unserer spezi - fischen Begabung uns Unmögliches, Absolutes vorspiegeln: ange - borene Menschenrechte, ewigen Frieden, allseitige Brüderlichkeit, gegen - seitiges Ineinanderaufgehen u. s. w. Wissen wir dagegen, dass wir Nordeuropäer als bestimmtes Individuum dastehen, nicht für die Menschheit, wohl aber für unsere eigene Persönlichkeit verantwortlich, so werden wir unser Werk als ein eigenes lieben und hochschätzen, wir werden erkennen, dass es noch lange nicht vollendet, sondern noch recht mangelhaft und namentlich noch lange nicht selbständig genug ist; kein Bild einer » absoluten « Vollendung wird uns ver - führen, sondern wir werden, wie Shakespeare es wollte, uns selber treu bleiben und uns bescheiden, innerhalb der Schranken des dem Germanen Erreichbaren unser Bestes zu leisten; wir werden uns ziel - bewusst gegen das Ungermanische verteidigen, und nicht nur unser Reich immer weiter über die Erdoberfläche und über die Kräfte der Natur auszudehnen suchen, sondern namentlich die innere Welt uns unbedingt unterwerfen, indem wir Diejenigen, die nicht zu uns ge - hören und die sich doch Gewalt über unser Denken erobern wollen, schonungslos zu Boden werfen und ausschliessen. Oft sagt man, die Politik dürfe keine Rücksichten kennen; gar nichts darf Rücksichten kennen; Rücksicht ist Verbrechen an sich selbst, Rücksicht ist der Soldat, der in der Schlacht davonläuft, dem Feinde seine » Rücksicht « als Zielscheibe bietend. Die heiligste Pflicht des Germanen ist, dem Germanentum zu dienen. Daraus ergiebt sich ein geschichtlicher Wert - messer. Wir werden auf allen Gebieten denjenigen Mann als den grössten, diejenige That als die bedeutendste erkennen und feiern, welche das spezifisch germanische Wesen am erfolgreichsten gefördert oder die Vorherrschaft des Germanentums am kräftigsten unterstützt haben. So nur gewinnen wir ein begrenzendes, organisierendes, durch -722Die Entstehung einer neuen Welt.aus positives Prinzip des Urteils. Um an einen allbekannten Fall anzuknüpfen: warum besitzt die Erscheinung des grossen Byron für jeden echten Germanen, trotz aller Bewunderung, die sein Genie einflösst, etwas Abstossendes? Treitschke hat diese Frage in seinem prächtigen Essay über Byron beantwortet: » weil wir in diesem reichen Leben nirgends dem Gedanken der Pflicht begegnen «. Das ist ein widerwärtig ungermanischer Zug. Dagegen nehmen wir an seinen Liebesabenteuern nicht den geringsten Anstoss; in ihnen bewährt sich vielmehr echte Rasse; und mit Genugthuung sehen wir, dass Byron im Gegensatz zu Virgil, Juvenal, Lucian und ihren modernen Nach - ahmern zwar ausschweifend war, doch nicht frivol. Den Weibern gegenüber empfindet er ritterlich. Das begrüssen wir als ein Zeugnis germanischer Eigenart. In der Politik wird sich dieses Prinzip des Urteils ebenfalls überall bewähren. Die Fürsten z. B. werden wir loben, wenn sie gegen die Ansprüche Rom’s auftreten nicht weil uns irgend ein dogmatisch-religiöses Vorurteil dazu hinreisst, sondern weil wir in jeder Abwehr des internationalen Imperialismus eine Förderung des Germanentums erblicken müssen; wir werden sie tadeln, wenn sie dazu vorschreiten, sich selber als von Gottes Gnaden eingesetzte absolute Herrscher zu betrachten, denn hiermit erweisen sie sich als Plagiatoren des erbärmlichen Völkerchaos und vernichten das urgermanische Gesetz der Freiheit, womit zugleich die besten Kräfte des Volkes gebunden werden. In vielen Fällen ist freilich die Lage eine sehr verwickelte, doch auch da hellt dasselbe regulative Prinzip alles auf. So hat z. B. Ludwig XIV. durch seine schmähliche Verfolgung der Protestanten den späteren Rückgang Frankreichs ver - ursacht; er hat damit eine That von unermesslicher antigermanischer Tragweite vollbracht und zwar in seiner Eigenschaft als Jesuitenzögling, von seinen Lehrern in so krasser Ignoranz erzogen, dass er nicht einmal seine eigene Sprache korrekt schreiben konnte und von Ge - schichte gar nichts wusste1)Vergl. den Brief 16 in dem Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Grossen. und doch bewährte sich dieser Fürst als echter Germane nach manchen Richtungen hin, z. B. in seiner herzhaften Verteidigung der Sonderrechte und der prinzipiellen Auto - nomie der gallikanischen Kirche gegenüber römischen Anmassungen (es ist wohl selten ein katholischer König so rücksichtslos bei jeder Gelegenheit gegen die Person des Papstes vorgegangen), wie auch in723Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.seiner grossen allgemein organisatorischen Thätigkeit. 1)Es thut gut, immer wieder Buckle’s Philippica gegen Ludwig XIV. zu lesen (Civilization II, 4), doch giebt Voltaire (auf den auch Buckle hinweist) ein weit gerechteres Bild in seinem Siècle de Louis XIV (siehe namentlich das 29. Kapitel über die Arbeitskraft, die Menschenkenntnis und die organisatorischen Gaben des Königs).Ein anderes Beispiel wäre Friedrich der Grosse von Preussen, der die Interessen des gesamten Germanentums in Centraleuropa nur als unbedingt auto - kratischer Kriegsführer und Staatenlenker wahren konnte, dabei aber so echt freisinnig war, dass mancher Wortführer der französischen Revolution bei diesem Monarchen hätte in die Schule gehen sollen. Und dabei fällt mir noch ein politisches Beispiel von dem Wert dieses Kardinalprinzipes ein: wer die Entwickelung und Blüte des Germanen - tums als massgebend betrachtet, wird nicht lange im Zweifel sein, welches Dokument am meisten Bewunderung verdient: die Déclara - tion des droits de l’homme oder die Declaration of Independence der Vereinigten Staaten Nordamerika’s. Hierauf komme ich noch zurück. Auf anderen Gebieten als auf dem politischen bewährt sich die Ein - sicht in die individuelle Natur des germanischen Geistes eben so sehr. Die kühne Erforschung der Erde erweiterte nicht bloss das Feld für einen Unternehmungssinn wie keine andere Rasse ihn je besessen hat, noch heute besitzt, sondern befreite unseren Geist aus der Stuben - atmosphäre der klassischen Büchereien, gab ihn sich selbst zurück; Kopernikus riss das einengende Himmelszelt herunter und damit auch den ins Christentum übergegangenen Himmel der Ägypter, und sofort stand das Himmelreich des Germanen da: » Die Menschen haben je und allewege gemeint, der Himmel sei viele hundert oder tausend Meilen von diesem Erdboden der rechte Himmel ist aber allenthalben, auch an dem Orte, wo du stehst und gehst «. 2)Jakob Böhme: Aurora 19.Der Buchdruck diente zu allererst zur Verbreitung des Evangeliums und Bekämpfung der antigermanischen Theokratie. Und so weiter ins Unendliche.

Hieran knüpft sich nun noch eine für die klare Erkenntnis undInnere Gegensätze Unterscheidung des echt Germanischen sehr wichtige Bemerkung. In den zuletzt genannten Dingen, sowie in tausend anderen entdecken wir überall jene spezifische Eigentümlichkeit des Germanen: das enge Zusammengehen wie Zwillingsbrüder, Hand in Hand des Praktischen und des Idealen (siehe S. 510). Ähnlichen Widersprüchen724Die Entstehung einer neuen Welt.werden wir überall bei ihm begegnen und sie gleich hochschätzen. Denn die Erkenntnis, dass es sich um ein Individuelles handelt, wird uns vor allem lehren, nicht die logischen Begriffe absoluter Theorien über Gutes und Böses, Höheres und Niedrigeres bei der Beurteilung zu Rate zu ziehen, sondern unser Augenmerk auf die Individualität zu richten; jede Individualität wird aber stets am besten aus ihren inneren Gegensätzen erkannt; wo sie einförmig ist, ist sie auch un - gestaltet, unindividuell. So z. B. ist für den Germanen eine noch nie dagewesene Expansionskraft charakteristisch und zugleich eine Neigung zu einer vor ihm unbekannten Konzentration. Die Expansionskraft sehen wir am Werke: auf praktischem Gebiete, in der allmählichen Besiedelung der ganzen Erdoberfläche, auf wissenschaftlichem, in der Aufdeckung des unbegrenzten Kosmos, in dem Suchen nach immer ferneren Ursachen, auf idealem, in der Vorstellung des Trans - scendenten, in der Kühnheit der Hypothesen, sowie in dem künstlerischen Adlerflug, der zu immer umfassenderen Ausdrucksmitteln führt. Zu - gleich erfolgt aber jene Rückkehr in immer enger gezogene Kreise, durch Wälle und Gräben von allem Äusseren sorglich abgegrenzt: das Stammverwandte, das Vaterland, der Gau,1)Wundervoll in Jakob Grimm’s Lebenserinnerungen geschildert, wo er beschreibt, wie die Hessen-Nassauer auf die Hessen-Darmstädter » mit einer Art von Geringschätzung herabsehen «. das eigene Dorf, das un - verletzliche Heim (my home is my castle, gleich wie in Rom), der engste Familienkreis, zuletzt das Zurückgehen auf den innersten Mittel - punkt des Individuums, welches nun, bis zum Bewusstsein der un - bedingten Einsamkeit geläutert, der Welt der Erscheinung als unsicht - bares, autonomes Wesen entgegentritt, ein höchster Herr der Freiheit (gleich wie bei den Indern); eine Konzentrationskraft, die sich auf anderen Gebieten äussert als Parzellierung in kleine Fürstentümer, als Be - schränkung auf ein » Fach « (sei es in Wissenschaft oder Industrie), als Sekten - und Schulwesen (gleich wie in Griechenland), als intimste poetische Wirkung, wie z. B. der Holzstich, die Radierung, die Kammer - musik. Im Charakter bedeuten diese durch die höhere Individualität der Rasse zusammengehaltenen gegensätzlichen Anlagen: Unternehmungs - geist gepaart mit Gewissenhaftigkeit, oder aber wenn auf Irrwege geraten Spekulation (Börse oder Philosophie, gleichviel) und eng - herzige Pedanterie und Kleinmütigkeit.

Es kann nicht mein Zweck sein, eine erschöpfende Schilderung der germanischen Individualität zu versuchen; alles Individuelle so deutlich725Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.und zweifellos erkennbar es auch sei ist unerschöpflich. » Das Beste wird nicht deutlich durch Worte «, sagt Goethe; und ist Persönlichkeit das höchste Glück der Erdenkinder, so ist wahrlich die Individualität der bestimmten Menschenart ein » Bestes «: denn sie ist es, welche alle einzelnen Persönlichkeiten trägt, wie die Flut das Schiff, und ohne welche (oder auch wenn diese Flut zu seicht ist, um Grosses spielend empor - zuheben) der bedeutendste Charakter gestrandet und gekentert, un - fähig zu Thaten, daliegen muss. Einiges zur Charakterisierung der Germanen ist ja ohnehin schon im 6. Kapitel als Anregung geboten worden, gar manches andere wird sich aus dem in der zweiten Hälfte dieses Kapitels Vorgetragenen ergeben, doch ebenfalls lediglich als An - regung, als Aufforderung, die Augen zu öffnen und selber zu schauen.

Einzig der Anblick dessen, was die Germanen geleistet haben,Die germanische Welt. wird uns gründlichere Belehrung gewähren. Dieses wäre nun die Aufgabe, die mir in diesem Kapitel noch bevorstünde; die allmähliche » Entstehung einer neuen Welt « besprechen, hiesse eine Schilderung der allmählichen Entstehung der germanischen Welt geben. Das Wichtigste zu ihrer Lösung ist aber, nach meiner Meinung, durch die Aufstellung und Begründung dieses grossen mittleren Lehrsatzes, dass die neue Welt eine spezifisch germanische ist, schon geschehen. Und zwar ist diese Einsicht eine so wichtige, eine so entscheidende für jedes Ver - ständnis der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, dass ich sie noch ein letztes Mal kurz zusammenfassen will.

Die Civilisation und Kultur, welche, vom nördlichen Europa aus - strahlend, heute einen bedeutenden Teil der Welt (doch in sehr ver - schiedenem Grade) beherrscht, ist das Werk des Germanentums: was an ihr nicht germanisch ist, ist entweder noch nicht ausgeschiedenes, fremdes Ingrediens, in früheren Zeiten gewaltsam eingetrieben und jetzt noch wie ein Krankheitsstoff im Blute kreisend, oder es ist fremde Ware segelnd unter germanischer Flagge, unter germanischem Schutz und Vorrecht, zum Nachteil unserer Arbeit und Weiterent - wickelung und so lange segelnd, bis wir diese Kaperschiffe in den Grund bohren. Dieses Werk des Germanentums ist ohne Frage das Grösste, das bisher von Menschen geleistet wurde. Es wurde nicht durch Humanitätswahn, sondern durch gesunde, selbstsüchtige Kraft, nicht durch Autoritätenglauben, sondern durch freie Forschung, nicht durch Genügsamkeit, sondern durch unersättlichen Heisshunger geschaffen. Als am spätesten geborenes, konnte das Geschlecht der Germanen sich die Leistungen Früherer zu Nutze machen, doch zeugt dies keineswegs726Die Entstehung einer neuen Welt.für einen allgemeinen Fortschritt der Menschheit, sondern lediglich für die hervorragende Leistungsfähigkeit einer bestimmten Menschen - art, eine Leistungsfähigkeit, die erwiesenermassen durch das Eindringen ungermanischen Blutes oder auch nur (wie in Österreich) ungermanischer Prinzipien progressiv abnimmt. Dass das Vorherrschen des Germanen - tums ein Glück für die sämtlichen Bewohner der Erde bedeute, kann Niemand beweisen; von Anfang an und bis zum heutigen Tage sehen wir die Germanen ganze Stämme und Völker hinschlachten oder langsam, durch grundsätzliche Demoralisation, hinmorden, um Platz für sich selber zu bekommen. Dass die Germanen mit ihren Tugenden allein und ohne ihre Laster wie da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Missachtung aller Rechte ausser ihres eigenen Rechtes zu herrschen, (S. 503) u. s. w. den Sieg errungen hätten, wird Keiner die Stirne haben, zu behaupten, doch wird Jeder zugeben müssen, dass gerade dort, wo sie am grau - samsten waren wie z. B. die Angelsachsen in England, der deutsche Orden in Preussen, die Franzosen und Engländer in Nordamerika sie dadurch die sicherste Grundlage zum Höchsten und Sittlichsten legten.

Gewappnet mit diesen verschiedenen Erkenntnissen, die alle aus der einen mittleren entfliessen, wären wir also jetzt in der Lage, das Werk der Germanen mit Verständnis und ohne Vorurteil zu betrachten, wie es vom XII. Jahrhundert an ungefähr, wo es zuerst als gesondertes Streben deutliche Gestalt zu gewinnen begann, bis zum heutigen Tage in unaufhörlichem Drange sich entwickelt hat; wir dürften sogar hoffen, selbst den grössten Nachteil den nämlich, dass wir noch mitten in einer Entwickelung stehen, folglich nur ein Bruchstück gewahren einigermassen durch die Unanfechtbarkeit unseres Standpunktes über - winden zu können. Doch gilt mein Werk dem 19. Jahrhundert allein. So Gott will, werde ich später unser Säkulum zwar nicht ausführlich schildern, wohl aber mit einiger Gründlichkeit auf seine Gesamt - leistung hin prüfen; inzwischen suche ich in diesem Bande die Grundlagen zu dem Wirken und Wähnen dieses entschwindenden Jahrhunderts in ihren Hauptzügen aufzufinden weiter nichts. Es kann mir nicht beikommen, eine Kulturgeschichte des gesamten Slavo - keltogermanentums bis zum Jahre 1800 auch nur als Skizze zu ent - werfen, ebensowenig wie es mir bei der Besprechung des Kampfes in der Religion und im Staate während des ersten Jahrtausends bei - gekommen ist, eine geschichtliche Schilderung zu versuchen. Weder liegt es im Plan dieses Buches, noch besässe ich dazu die Befähigung. Fast könnte ich also diesen Band abschliessen, jetzt, wo ich die wesent -727Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.lichste aller Grundlagen, das Germanentum, deutlich hingestellt habe. Ich thäte es, wüsste ich ein Buch, auf welches ich meinen Freund und Kollegen, den ungelehrten Leser, für eine Orientirung über die Entwickelung des Germanentums bis zum Jahre 1800, entworfen in dem von mir gemeinten umfassenden und zugleich durchaus indivi - dualisierten Sinne verweisen könnte. Ich kenne aber keines. Dass eine politische Geschichte nicht hinreicht, liegt auf der Hand: das wäre das - selbe, als wenn ein Physiolog sich mit der Kenntnis der Osteologie be - gnügen wollte. Fast noch verkehrter für gedachten Zweck sind die in letzter Zeit aufgekommenen Kulturgeschichten, in denen die Dichter und Denker als Lenker hingestellt, die politischen Gestaltungen dagegen ganz ausser Acht gelassen werden: das heisst einen Körper schildern ohne Berücksichtigung des zu Grunde liegenden Knochenbaues. Auch behandeln die ernst zu nehmenden Bücher dieser Art meist nur bestimmte Abschnitte wie das 16. und 17. Jahrhundert von Karl Grün, die Renaissance von Burckhardt, das Zeitalter Ludwig’s des XIV. von Voltaire, u. s. w., oder begrenzte Gebiete wie Buckle’s Civili - sation in England (eigentlich in Spanien, Schottland und Frankreich), Rambaud’s Civilisation Française, Henne am Rhyn’s Kulturgeschichte der Juden u. s. w., oder wiederum besondere Erscheinungen wie Draper’s Intellectual Development of Europe, Lecky’s Rationalism in Europe u. s. w. Die hierher gehörige Litteratur ist sehr gross, doch erblicke ich darin kein Werk, welches die Entwickelung des gesamten Germanentums darstellt, als das eines lebendigen, individuellen Organismus, bei dem alle Lebenserscheinungen Politik, Religion, Wirtschaft, Industrie, Kunst u. s. w. organisch mit einander ver - knüpft sind. Am ehesten würde Karl Lamprecht’s umfassend angelegte Deutsche Geschichte meinem Desideratum entsprechen, aber sie ist leider nur eine » deutsche « Geschichte, behandelt also nur ein Fragment des Germanentums. Gerade bei einem solchen Werk sieht man ein, wie misslich die Verwechslung zwischen Germanisch und Deutsch ist; sie verwirrt Alles. Denn die direkte Anknüpfung der Deutschen allein an die alten Germanen verdeckt die Thatsache, dass der nicht-deutsche Norden Europa’s fast rein germanisch ist im engsten Sinne des Wortes, und es lässt uns übersehen, dass gerade in Deutschland, im Mittelpunkt Europa’s, die Verschmelzung der drei Zweige Kelten, Germanen, Slaven stattfand, wodurch dieses Volk seine besondere National - färbung und den Reichtum seiner Anlagen erhielt; ausserdem verliert man den bis zur Revolution vorwiegend germanischen Charakter728Die Entstehung einer neuen Welt.Frankreich’s aus den Augen, sowie den organischen Grund der offenbaren Verwandtschaft zwischen dem Charakter und den Leistungen Spanien’s und Italien’s in früheren Jahrhunderten und denen des Nordens. Sowohl die Vergangenheit wie die Gegenwart wird hierdurch rätselhaft. Und da man den grossen Zusammenhang nicht überblickt, gewinnt man keine rechte Einsicht in das Leben aller jener Einzelheiten, die Lamprecht mit so viel Liebe und Verständnis darstellt. Manche glauben, seine Behandlung sei zu allumfassend und daher unübersichtlich; es ist aber im Gegenteil die Beschränktheit des Standpunktes, welche das Ver - ständnis hemmt; denn es wäre leichter, die Entwickelung des gesamten Germanentums kurz und bündig darzustellen, als die eines Bruchteiles. Wir Germanen haben uns freilich im Laufe der Zeit zu höchst charakteristisch verschiedenen, nationalen Individualitäten entwickelt, ausserdem sind wir von verschiedenen Halbbrüdern umringt, doch bilden wir eine so fest verkittete Einheit, deren Teile so unbedingt aufeinander angewiesen sind, dass schon die politische Entwickelung des einen Landes allseitig beeinflusst und beeinflussend ist, seine Civilisation und Kultur aber gar nicht als ein vereinzeltes, autonomes dargestellt werden kann. Eine chinesische Civilisation giebt es, nicht aber eine französische und nicht eine deutsche: darum kann man ihre Ge - schichte nicht schreiben.

Die Notbrücke.
271

Hier bleibt also ein Lücke auszufüllen. Und da ich weder meine Darstellung der Grundlagen unseres Jahrhunderts mit einem klaffenden Riss abbrechen kann, noch mir selber die Befähigung, eine so tiefe Kluft auszufüllen, zutrauen darf, will ich jetzt versuchen, eine kühne, leichte Brücke hinüber zu werfen, eine Notbrücke. Das Material ist ja schon längst von den vorzüglichsten Gelehrten zusammengetragen worden; ich werde ihnen nicht ins Handwerk pfuschen, sondern den Wissbegierigen für alle Belehrung auf sie verweisen; hier benötigen wir nur die Quintessenz der Gedanken, die sich aus dem geschichtlichen Stoff ergeben, und zwar auch nur insofern, als sie zu unserer Gegen - wart unmittelbare Beziehung besitzen. Die Unentbehrlichkeit einer Verbindung zwischen dem Punkt, bis wohin die vorausgegangenen Ausführungen gereicht hatten und dem 19. Jahrhundert möge die Kühnheit entschuldigen, die Rücksicht auf den möglichen Umfang eines einzigen Bandes, sowie das natürliche Prestotempo eines Finale die leichte Struktur meines Notbaues erklären.

[729]

B Geschichtlicher Überblick

Dich im Unendlichen zu finden, Musst unterscheiden und dann verbinden. Goethe.

Unmöglich ist es, Übersicht über eine grosse Anzahl von That -Die Elemente des socialen Lebens. sachen zu gewinnen, wenn man diese nicht gliedert, und gliedern heisst: erst unterscheiden und dann verbinden. Doch ist uns mit einem beliebigen künstlichen System nicht gedient, und zu den künst - lichen gehören alle rein logischen Versuche: das sieht man bei den Pflanzensystemen, von Theophrast bis Linnäus, und ebenso z. B. bei den Versuchen, Künstler nach Schulen zu klassifizieren. Etwas Will - kür wirkt freilich bei jeder systematischen Gliederung mit; denn das System entspringt dem sinnenden Gehirn und dient den besonderen Bedürfnissen des menschlichen Verstandes. Es kommt also darauf an, dass dieser ordnende Verstand nicht bloss einzelne, sondern eine mög - lichst grosse Menge Phänomene überschaue, und dass sein Auge mög - lichst scharf und treu sehe: auf diese Weise wird seine Thätigkeit ein Maximum von Beobachtung, gepaart mit einem Minimum von eigener Zuthat, ergeben. Man bewundert den Scharfsinn und das Wissen von Männern wie Ray, Jussieu, Cuvier, Endlicher: man sollte vor Allem ihren Scharfblick bewundern, denn was sie auszeichnet, ist die Unterordnung des Denkens unter die Anschauung; aus der intuitiven (d. h. anschaulichen) Erfassung des Ganzen ergiebt sich ihnen die richtige Gliederung der Teile. Goethe’s Mahnung, erst zu unter -Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 47730Die Entstehung einer neuen Welt.scheiden, dann zu verbinden, müssen wir also durch die Einsicht ergänzen, dass nur wer ein Ganzes überschaut, im Stande ist, die Unterscheidungen innerhalb des Ganzen durchzuführen. Auf diese Weise begründete der unsterbliche Bichat die moderne Gewebelehre: ein für uns hier besonders lehrreiches Beispiel. Bis auf ihn war die Anatomie des Menschenkörpers lediglich eine Beschreibung der ein - zelnen, durch ihre Verrichtungen voneinander unterschiedenen Körper - teile; er wies als Erster auf die Identität der Gewebe, aus denen die einzelnen, noch so verschiedenen Organe aufgebaut sind und ermög - lichte hierdurch eine rationelle Anatomie. Wie man bis auf ihn die einzelnen Organe des Körpers als die zu unterscheidenden Ein - heiten betrachtet und darum zu keiner Klarheit hatte durchdringen können, ebenso plagen wir uns mit den einzelnen Organen des Germanentums, d. h. mit seinen Nationen ab und übersehen dabei, dass hier ein Einheitliches zu Grunde liegt, und dass wir, um die Anatomie und Physiologie des Gesamtkörpers zu verstehen, zuerst diese Einheit als solche erkennen, sodann aber: » die verschiedenen Gewebe isolieren und jedes Gewebe, gleichviel in welchen Organen es vorkommt, untersuchen müssen, um erst zuletzt jedes einzelne Organ in seiner Eigentümlichkeit zu studieren. « 1)Anatomie Générale, § 6 und § 7 der vorausgeschickten Considérations. Bichat’s Ausführungen habe ich in obigem Satze frei zusammengezogen.Damit wir die Gegenwart und die Vergangenheit des Germanentums recht anschaulich begriffen, brauchten wir nun einen Bichat, der den Gesamtstoff gliederte und ihn uns richtig d. h. naturgemäss gegliedert vor Augen führte. Und da er zur Stunde nicht gegenwärtig ist, wollen wir uns, so gut es geht, selber helfen, und zwar nicht etwa, indem wir uns der so viel missbrauchten falschen Analogien zwischen dem tierischen Körper und dem sozialen Körper bedienen, sondern indem wir von Männern wie Bichat die allgemeine Methode lernen: zuerst das Ganze, sodann seine elementaren Bestandteile ins Auge zu fassen, die Zwischen - dinge aber einstweilen ausser Acht zu lassen.

Die verschiedenen Erscheinungen unseres Lebens lassen sich, meine ich, in drei grosse Rubriken zusammenfassen: Wissen, Civili - sation, Kultur. Das sind schon gewissermassen » Elemente «, doch so reichgestaltete, dass wir besser thun werden, sie gleich weiter auf - zulösen, wobei folgende Tafel als Versuch einer einfachsten Gliederung betrachtet werden mag:

731Geschichtlicher Überblick.
    • 1. Entdeckung
    • 2. Wissenschaft
    Wissen
    • 3. Industrie
    • 4. Wirtschaft
    Civilisation
    • 5. Politik und Kirche
    • 6. Weltanschauung (einschliesslich Religion und Sittenlehre)
    • 7. Kunst
    Kultur

Bichat’s anatomische Grundtafel blieb der Wissenschaft als end - gültiger Besitz, doch wurde sie nach und nach sehr vereinfacht und dadurch gewann der organisatorische Gedanke bedeutend an Leucht - kraft; bei meiner Tafel dürfte das umgekehrte Verfahren zur Anwendung kommen müssen; mein Wunsch, zu vereinfachen, hat mich vielleicht nicht Elemente genug anerkennen lassen. Bichat legte eben mit seiner Einteilung die Grundlage zu einem umfassenden Werke und zu einer ganzen Wissenschaft; ich dagegen teile in einem Schlusskapitel in aller Bescheidenheit einen Gedanken mit, der sich mir nützlich erwiesen hat und vielleicht auch Anderen dienen kann; es geschieht ohne wissen - schaftliche Prätention.

Ehe ich nun von dieser Einteilung praktischen Gebrauch mache, muss ich sie kurz erläutern, um Missverständnissen und Einwürfen vorzubeugen, und zwar kann ich erst dann den Wert der Gliederung in Wissen, Civilisation und Kultur zeigen, wenn wir über die Be - deutung der einzelnen Elemente einig sind.

Unter Entdeckung verstehe ich die Bereicherung des Wissens durch konkrete Thatsachen: zunächst ist hier an die Entdeckung immer grösserer Striche unseres Planeten zu denken, also an die materiell - räumliche Ausdehnung unseres Wissens - und Schaffensmaterials. Jedes andere Fernerrücken der Grenzpfähle unseres Wissens ist aber eben - falls Entdeckung: das Erforschen des Kosmos, das Sichtbarmachen des unendlich Kleinen, das Aufgraben des Verschütteten, das Auffinden bisher unbekannter Sprachen, u. s. w. Wissenschaft ist etwas wesentlich Anderes: sie ist die methodische Verarbeitung des Ent - deckten zu einem bewussten, systematischen » Wissen «. Ohne Ent - decktes, d. h. ohne anschauliches Material durch Erfahrung gegeben, durch Beobachtung genau bestimmt wäre sie lediglich ein methodo - logisches Gespenst; als Mathematik bliebe dann ihr Mantel, als Logik ihr Skelett in unseren Händen; doch ist andererseits gerade Wissen -47*732Die Entstehung einer neuen Welt.schaft die grösste Förderin der Entdeckung. Als Galvani’s Laboratorium - diener die Schenkelmuskeln eines präparierten Frosches zusammenzucken sah, hatte er eine Thatsache entdeckt; Galvani selber hatte sie gar nicht bemerkt;1)Dies berichtet Galvani mit nachahmungswerter Aufrichtigkeit in seiner De viribus electricitatis in motu musculari commentatio. als jedoch dieser Meister von der Sache erfuhr, da durchzuckte es sein Hirn nicht bloss wie der dunkle Strom die Frosch - keule oder wie das gaffende Staunen den Diener, sondern als grell leuchtender Geistesblitz: ihm, dem wissenschaftlich Gebildeten, that sich die Ahnung weitläufiger Zusammenhänge mit allerhand anderen bekannten und noch unbekannten Thatsachen auf und trieb ihn zu endlosen Experimenten und wechselnd angepassten Theorien. Der Unterschied zwischen Entdeckung und Wissenschaft leuchtet durch dieses Beispiel ein. Schon Aristoteles hatte gesagt: » erst Thatsachen sammeln, dann sie denkend verbinden «; das erste ist Entdeckung, das zweite Wissenschaft. Justus Liebig den ich in diesem Kapitel be - sonders gern vorführe, da er ein Vertreter echtester Wissenschaft ist schreibt: » Alle (wissenschaftliche) Forschung ist deduktiv oder apriorisch. Eine empirische Naturforschung in dem gewöhnlichen Sinne existiert gar nicht. Ein Experiment, dem nicht eine Theorie, d. h. eine Idee vorhergeht, verhält sich zur Naturforschung wie das Rasseln mit einer Kinderklapper zur Musik «. 2)Francis Bacon von Verulam und die Geschichte der Naturwissenschaften, 1863.Dies gilt von jeder Wissenschaft, denn alle Wissenschaft ist Naturwissenschaft. Und wenn auch häufig die Grenze schwer zu ziehen ist, schwer nämlich für Denjenigen, der nicht in der Werkstätte bei der Arbeit gegenwärtig war, so ist sie dennoch durchaus real und führt zunächst zu einer sehr wichtigen Einsicht: dass nämlich neun Zehntel der sogenannten Männer der Wissenschaft unseres Jahrhunderts lediglich Laboratoriumdiener waren, die entweder ohne jegliche vorhergegangene Idee Thatsachen zufällig entdeckten, d. h. Material zusammentrugen, oder den von den wenigen hervorragenden Männern einem Cuvier, einem Jakob Grimm, einem Bopp, einem Robert Bunsen, einem Robert Mayer, einem Clerk Max - well, einem Darwin, einem Pasteur, einem Savigny, einem Eduard Reuss, u. s. w. hinausgegebenen Ideen sich sklavisch anschlossen und nur dank dieser Beleuchtung Nützliches schufen. Diese Grenze echter Wissenschaft nach unten zu darf nie aus den Augen verloren werden. Ebensowenig die nach oben zu. Sobald nämlich der Geist733Geschichtlicher Überblick.nicht allein, wie bei Galvani, beobachtete Thatsachen durch eine » voran - gegangene Idee « unter einander verknüpft und dergestalt zu einem menschlich durchdachten Wissen organisiert, sondern über das durch die Entdeckung gelieferte Material sich zu freier Spekulation erhebt, handelt es sich nicht mehr um Wissenschaft, sondern um Philosophie. Ein gewaltiger Sprung geschieht dadurch, wie von einem Gestirn auf ein anderes; es handelt sich um zwei Welten, so verschieden von einander wie der Ton von der Luftwelle, wie der Ausdruck von dem Auge; in ihnen tritt die unüberwindliche, unüberbrückbare Duplicität unseres Wesens an den Tag. Im Interesse der Wissenschaft (welche ohne Philosophie zu keinem Kulturelement heranwachsen kann), im Interesse der Philosophie (die ohne Wissenschaft einem Monarchen ohne Volk gleicht), wäre es wünschenswert, bei jedem Gebildeten das klare Bewusstsein dieser Grenze zu finden. Doch gerade in dieser Beziehung wurde im Gegenteil und wird noch unendlich viel gesündigt; unser Jahrhundert war eine Hexenküche durcheinandergeworfener Be - griffe, widernatürlicher Paarungsversuche zwischen Wissenschaft und Philosophie, und die Attentäter konnten wie das Hexenvolk von sich melden:

Und wenn es uns glückt, Und wenn es sich schickt, So sind es Gedanken.

Die Gedanken sind denn auch danach, denn es glückt nie und es schickt sich nie. Die Industrie wäre ich für meine Person geneigt, der Gruppe des Wissens zuzurechnen, denn von allen mensch - lichen Lebensbethätigungen steht gerade sie in unmittelbarster Ab - hängigkeit vom Wissen; genau so wie die Wissenschaft, fusst sie überall auf Entdeckung, und jede industrielle » Erfindung « bedeutet eine Kombination bekannter Thatsachen durch Vermittelung einer » vorangegangenen Idee « (wie Liebig sagte). Ich fürchtete aber über - flüssigen Widerspruch zu erregen, da ja andererseits die Industrie die allerengste Bundesgenossin der wirtschaftlichen Entwickelung und somit eine bestimmende Grundlage aller Civilisation ist. Keine Gewalt der Welt vermag es, eine industrielle Errungenschaft zurückzuhalten. Die Industrie gleicht fast einer blinden Naturkraft: widerstehen kann man ihr nicht, und, tritt sie auch einem gezähmten Tiere gleich, gebändigt und dienend in die Erscheinung, es weiss doch Keiner, wohin sie führt. Die Entwickelung der Sprengstofftechnik, der Schiessgewehre,734Die Entstehung einer neuen Welt.der Dampfmaschinen sind Beispiele und Beweise. Wie Emerson treffend sagt: » Das Maschinenwesen unserer Zeit gleicht einem Luft - ballon, der mit dem Aëronauten davongeflogen ist. « 1)English Traits: Wealth. Wie unmittelbar andrerseits die Industrie auf Wissen und Wissenschaft zurückwirkt, erhellt schon zur Genüge aus dem einen Beispiel des Buchdruckes. Unter Wirtschaft verstehe ich die gesamte ökonomische Lage eines Volkes: manchmal, auch bei hoher Kultur, ein sehr einfaches Gebilde, wie z. B. im ältesten Indien, manchmal zu enormer Verwickeltheit heranwachsend, wie im alten Babylon und ebenso bei uns Germanen. Dieses Element bildet den Mittelpunkt aller Civilisation; es wirkt nach unten und nach oben zu, seinen Charakter allen Äusserungen des ge - meinschaftlichen Lebens aufprägend. Gewiss tragen Entdeckungen, Wissenschaft und Industrie mächtig zu der Gestaltung der wirtschaft - lichen Existenzbedingungen bei, doch schöpfen sie selber die Möglich - keit des Entstehens und des Bestehens, sowie Förderung und Hemmnis, aus dem wirtschaftlichen Organismus. Darum kann die Natur, die Richtung, die Entwickelungstendenz einer bestimmten wirtschaftlichen Gestaltung so anreizend wie gar nichts anderes auf das gesamte Leben des Volkes wirken, oder aber auf ewig lähmend. Alle Politik die Herren Pragmatiker mögen sagen, was sie wollen ruht im letzten Grunde auf wirtschaftlichen Verhältnissen, nur ist die Politik der sicht - bare Körper, die ökonomische Lage das ungesehene Blutgeäst. Dieses ändert sich nur langsam, doch, hat es sich einmal geändert kreist das Blut dickflüssiger als früher oder treibt es im Gegenteil neue Anastomosen lebenspendend durch alle Glieder so muss die Politik mit, ob sie will oder nicht. Niemals blüht ein Staatswesen auf durch die Politik (wie sehr der Schein auch täuschen mag), sondern trotz der Politik; nie kann Politik allein einem Staatswesen Leben dauernd sichern man betrachte nur das späte Rom und Byzanz. England soll die politische Nation par excellence sein, doch sehe man genauer zu und man wird finden, dass dieser ganze politische Apparat der Ein - dämmung der speziell politischen Gewalt und der Entfesselung der übrigen unpolitischen lebendigen Kräfte, namentlich der wirtschaftlichen gilt: schon die Magna Charta bedeutet die Vernichtung der politischen Justiz zu Gunsten der freien Rechtsprechung. Alle Politik ist ihrem Wesen nach lediglich Reaktion, und zwar Reaktion gegen wirt - schaftliche Bewegungen; nur sekundär erwächst sie zu einer formi -735Geschichtlicher Überblick.dablen, doch nie zu einer in letzter Instanz entscheidenden Macht. 1)Das Wort Reaktion verstehe ich hier natürlich wissenschaftlich, als eine Bewegung, die auf einen Reiz hin erfolgt, nicht im Sinne unserer modernen Parteibenennungen; doch ist der Unterschied nicht gar so gross und gleichen unsere sogenannten » Reaktionäre « mehr als sie es ahnen den unwillkürlich zuckenden Froschkeulen des Galvani!Und ist auch nichts auf der Welt schwerer, als über allgemeine wirt - schaftliche Fragen zu sprechen, ohne Unsinn zu reden so geheim - nisvoll weben hier die Nornen (Erwerben, Bewahren, Verwerten) das Schicksal der Nationen und ihrer einzelnen Mitglieder so vermögen wir nichtsdestoweniger leicht die Bedeutung der Wirtschaft als vor - wiegenden und mittleren Faktor aller Civilisation einzusehen. Politik bezeichnet nicht allein das Verhältnis einer Nation zu den anderen, auch nicht allein den Widerstreit im Innern des Staates zwischen den Einfluss suchenden Kreisen und Personen, sondern die gesamte sichtbare und so zu sagen künstliche Organisation des gesell - schaftlichen Körpers. Im zweiten Kapitel dieses Buches (S. 163) habe ich das Recht definiert als: Willkür an Stelle von Instinkt in den Be - ziehungen zwischen den Menschen; der Staat ist nun der Inbegriff der gesamten zugleich unentbehrlichen und doch willkürlichen Ab - machungen, und die Politik ist der Staat am Werke. Der Staat ist ge - wissermassen der Wagen, die Politik der Kutscher; ein Kutscher aber, der selber Wagner ist und an seinem Gefährt unaufhörlich herumbessert; manchmal wirft er auch um und muss sich einen neuen Wagen bauen, doch besitzt er dazu kein Material ausser dem alten, und so gleicht denn das neue Fuhrwerk gewöhnlich bis auf kleine Äusserlichkeiten dem früheren es wäre denn, das wirtschaftliche Leben hätte wirklich inzwischen noch nicht Dagewesenes herbeigeschafft. Die Kirche nenne ich auf meiner Tafel zugleich mit Politik: es ging nicht anders; ist der Staat der Inbegriff aller willkürlichen Abmachungen, so ist das, was wir gewöhnlich und offiziell unter dem Wort » Kirche « verstehen, das vollendetste Beispiel raffinirter Willkür. Denn hier ist nicht allein von den Beziehungen der Menschen untereinander die Rede, sondern der organisierende Trieb der Gesellschaft greift in das Innere des Einzelnen hinein und verbietet ihm auch hier so weit es gehen will der Notwendigkeit seines Wesens zu gehorchen, indem ihm ein willkürlich festgesetztes, bis ins Einzelne bestimmtes Glaubensbe - kenntnis, sowie ein bestimmtes Zeremoniell für die Erhebung des Gemütes zur Gottheit, als Gesetz aufgezwungen wird. Die Notwendig -736Die Entstehung einer neuen Welt.keit von Kirchen nachweisen, hiesse Eulen nach Athen tragen, doch werden wir nicht deswegen bezweifeln, dass wir hier den Finger auf den wundesten Punkt aller Politik gelegt haben, auf denjenigen, wo die Politik sich von der bedenklichsten Seite zeigt. Sonst konnte sie viele und manchmal recht mörderische Fehler begehen, hier liegt aber die Versuchung zum grössten aller Frevel nahe, zu der eigentlichen » Sünde gegen den heiligen Geist «, welche ist: die Vergewaltigung des inneren Menschen, der Raub der Persönlichkeit. Weltan - schauung habe ich statt Philosophie gesetzt, denn dieses griechische » Weisheit liebend « ist eine traurig blasse und kalte Vokabel, und gerade hier handelt es sich um Farbe und Glut. Weisheit! Was ist Weisheit? Ich werde hoffentlich nicht in die Lage kommen, Sokrates und die Pythia anführen zu müssen, damit die Ablehnung eines griechischen Wortes gerechtfertigt werde! Dagegen ist die deutsche Sprache hier, wie so oft, unendlich tief; sie nährt uns mit guten Gedanken, die uns mühelos zufliessen, wie die Muttermilch dem Kinde. » Welt « heisst ursprünglich nicht die Erde, nicht der Kosmos, sondern die Menschheit. 1)Kollektivum aus wër: Mann, und ylde: Menschen gebildet (Kluge).Streift auch das Auge durch den Raum, folgt ihm der Gedanke wie jene Elfen, die auf Strahlen reitend jede Entfernung mühelos zurücklegen: der Mensch kann doch nur sich selbst kennen, seine Weisheit wird immer Menschenweisheit sein, seine Weltan - schauung, wie makrokosmisch sie sich auch im Wahne des Allum - fassens ausdehnen mag, wird immer nur das mikrokosmische Bild in dem Gehirn eines einzelnen Menschen sein. Das erste Glied dieses Wortes Weltanschauung weist uns also gebieterisch auf unsere Menschen - natur und auf ihre Grenzen hin. Von einer absoluten » Weisheit « (wie das griechische Rezept es will), von irgend einem noch so diminutiven absoluten Wissen kann nicht die Rede sein, sondern nur von Menschenwissen, von dem, was verschiedene Menschen zu ver - schiedenen Zeiten zu wissen gemeint haben. Und nun, was ist dieses Menschenwissen? Darauf antwortet das deutsche Wort: um den Namen » Wissen « zu verdienen, muss es Anschauung sein. Wie Arthur Schopenhauer sagt: » Wirklich liegt alle Wahrheit und alle Weisheit zuletzt in der Anschauung «. Und weil dem so ist, kommt es für den relativen Wert einer Weltanschauung mehr auf die Sehkraft als auf die abstrakte Denkkraft an, mehr auf die Richtigkeit der Perspektive, auf die Lebhaftigkeit des Bildes, auf die künstlerischen Eigenschaften737Geschichtlicher Überblick.desselben (wenn ich mich so ausdrücken darf), als auf die Menge des Geschauten. Der Unterschied zwischen dem Angeschauten und dem Gewussten gleicht dem zwischen Rembrandt’s » Landschaft mit den drei Bäumen « und einer Photographie von demselben Standpunkt auf - genommen. Hiermit ist aber die Weisheit, die in dem Worte Welt - anschauung liegt, noch nicht erschöpft; denn die Sanskritwurzel des Wortes » schauen « bedeutet » Dichten «: wie das Beispiel mit Rembrandt zeigt, ist das Schauen, weit entfernt ein passives Aufnehmen von Ein - drücken zu sein, die aktivste Bethätigung der Persönlichkeit; in der Anschauung ist Jeder notgedrungen Dichter, sonst » schaut « er gar nichts, sondern spiegelt mechanisch das Gesehene wieder wie ein Tier. 1)Vergl. hierzu die grundlegenden Ausführungen am Anfang des ersten Kapitels dieses Buches über das Menschwerden des Menschen. (S. 53 bis 62.)Darum ist die ursprüngliche Bedeutung des (mit Schauen verwandten) Wortes schön nicht » hübsch «, sondern » deutlich zu sehen, hell be - leuchtet «. Gerade diese Deutlichkeit ist das Werk des beschauenden Subjektes; die Natur ist an und für sich nicht deutlich, vielmehr bleibt sie uns zunächst, wie Faust klagt, » edel-stumm «; ebensowenig wird das Bild in unserem Hirn von aussen beleuchtet: um es genau zu erblicken, muss innerlich eine helle Fackel angezündet werden. Schön - heit ist die Zugabe des Menschen: durch sie wird aus Natur Kunst, und durch sie wird aus Chaos Anschauung. Hier gilt Schiller’s Wort von dem Schönen und Wahren:

Es ist nicht draussen, da sucht es der Thor; Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.

Die Alten hatten zwar gemeint, das Chaos sei ein vorangegangener, überwundener Zustand der Welt.

Allererst ist das Chaos entstanden

singt schon Hesiod; und nun sollte die allmähliche Entwickelung zu immer vollendeterer Gestaltung gefolgt sein: der kosmischen Natur gegenüber eine offenbar ungereimte Vorstellung, da Natur gar nichts ist, wenn nicht die Herrschaft des Gesetzes, ohne welche sie gänzlich unerkennbar bliebe; wo aber Gesetz herrscht, da ist nicht Chaos. Nein, das Chaos ist im Menschenkopf nirgends anders zu Hause ge - wesen, bis es eben durch » Anschauung « zu deutlich sichtbarer, hell beleuchteter Gestalt geformt wurde; und diese schöpferische Gestaltung738Die Entstehung einer neuen Welt.ist das, was wir als Weltanschauung zu bezeichnen haben. 1)Über ihre enge Verwandtschaft mit Kunst, siehe S. 54.Wenn Herr Virchow und Andere rühmen, unser Jahrhundert » brauche keine Philosophie «, denn es sei » das Zeitalter der Wissenschaft «, so preisen sie ganz einfach die allmähliche Rückkehr aus Gestaltung zu Chaos. Doch straft sie die Geschichte der Wissenschaft Lügen, denn nie war Wissenschaft anschaulicher als in unserem Jahrhundert und das kann immer nur unter Anlehnung an eine umfassende Weltanschauung (also an Philosophie) geschehen; ja, man trieb die Verwechslung der Gebiete so weit, dass Männer wie Ernst Haeckel förmliche Religionsgründer wurden, dass Darwin immerfort mit einem Fuss in unverfälschter Empirie, mit dem anderen in haarsträubend kühnen philosophischen Voraussetzungen breitbeinig fortschreitet, und dass neun Zehntel der lebenden Naturforscher so fest an Atome und an Äther glauben, wie ein Maler aus dem Trecento an die kleine nackte Seele, die dem Mund des Gestorbenen entfliegt. Ohne alle Weltanschauung wäre der Mensch ohne jegliche Kultur: eine grosse zweifüssige Ameise. Über Religion habe ich in diesem Buche schon so viel gesagt und auch an mehr als einer Stelle auf ihre Bedeutung als Weltanschauung oder Bestandteil einer Weltanschauung hingewiesen (S. 221 fg., 391 fg., u. s. w.), dass ich das viele, was hier noch hinzuzufügen wäre, unterdrücken zu müssen glaube. Es ist unmöglich, echte, gelebte Weltanschauung von echter, gelebter Religion zu trennen; die zwei Worte bezeichnen nicht zwei verschiedene Dinge, sondern zwei Richtungen des Gemütes, zwei Stimmungen. So sehen wir z. B. bei den kontemplativen Indern die Religion fast ganz Weltanschauung werden, und folglich das Erkennen ihren Mittelpunkt bilden, wogegen bei Männern der That (Paulus, Franziskus, Luther) der Glaube die Achse der gesamten Weltan - schauung ist und die philosophische Erkenntnis eine kaum beachtete peripherische Grenzlinie bildet; der hier so grell in die Augen springende Unterschied geht in Wirklichkeit gar nicht sehr tief, wogegen der wirklich prinzipielle Unterschied der ist zwischen Idealismus und Materialismus der Weltanschauung gleichviel ob Philosophie oder Religion. 2)Siehe S. 234, 550, u. s. w.Im betreffenden Abschnitt wird die Darstellung des Werdens und Wachsens unserer germanischen Weltanschauung bis zu Kant, hoffe ich, diese verschiedenen Verhältnisse ganz klar machen und namentlich zeigen, wie Sittenlehre und Weltanschauung miteinander verwachsen sind. Die Verbindungen nach unten zu, zwischen Welt -739Geschichtlicher Überblick.anschauung und Wissenschaft, zwischen Religion und Kirche sind evident; die Verwandtschaft mit Kunst wurde schon erwähnt. Für das, was über Kunst zu sagen wäre, für den Sinn, der diesem Begriffe in der indoeuropäischen Welt beizulegen ist, sowie für die Bedeutung der Kunst für Kultur, Wissenschaft und Civilisation verweise ich vorderhand auf das ganze erste Kapitel.

Über den Sinn der von mir gebrauchten Worte sind wir uns nun, glaube ich, klar. Dass bei einem so summarischen Verfahren manches schwankend bleibt, ist ohne Weiteres zuzugeben; der Schaden ist aber nicht gross, im Gegenteil, die Knappheit zwingt zu genauem Denken. So fragt man vielleicht, unter welche Rubrik die Medizin kommt, da Etliche gemeint haben, sie sei eher eine Kunst als eine Wissenschaft. Doch liegt hier, glaube ich, eine missbräuchliche An - wendung des Begriffes Kunst vor, ein Fehler, den auch Liebig begeht, wenn er behauptet: » neunundneunzig Prozent der Naturforschung ist Kunst «. Liebig begründet seine Behauptung, indem er erstens auf die Mitwirkung der Phantasie bei aller höheren wissenschaftlichen Arbeit, zweitens auf die entscheidende Bedeutung der gerätschaftlichen Erfin - dungen für jeden Fortschritt des Wissens hinweist: Phantasie ist aber nicht Kunst, sondern nur ihr Werkzeug, und die der Wissenschaft dienenden Artefakten sind zwar ein » Künstliches «, gehören aber durch Ursprung und Zweck offenbar ganz dem Kreise des Industriellen an. Auch der oft betonte Nutzen des intuitiven Blickes für den Arzt begründet nur eine Verwandtschaft mit der Kunst, die auf jedem Gebiet des Lebens statt hat; die medizinische Disciplin ist und bleibt eine Wissenschaft. Dagegen gehört die Pädagogik, sobald sie als praktisches Schul - und Unterrichtswesen aufgefasst wird, zu » Politik und Kirche «. Durch sie werden Seelen gemodelt und in das bunte Gewebe des Überein - gekommenen fest eingeflochten; Staat und Kirche halten überall auf nichts mehr als auf den Besitz der Schule und streiten miteinander um nichts hartnäckiger als um die beiderseitigen Ansprüche auf die Beeinflussung derselben. Ähnlich wird jede Erscheinung des gesell - schaftlichen Lebens sich ohne künstlichen Zwang in die kleine Tafel einreihen lassen.

Wer sich nun die Mühe geben will, die verschiedenen uns be -Vergleichende Analysen. kannten Civilisationen im Geiste an sich vorbeiziehen zu lassen, wird finden, dass ihre so auffallende Verschiedenheit auf der Verschiedenheit des Verhältnisses zwischen Wissen, Civilisation (im engeren Sinne) und Kultur beruht, des Näheren dann in dem Vorwiegen oder in der Ver -740Die Entstehung einer neuen Welt.nachlässigung des einen oder anderen der sieben Elemente. Keine Betrachtung ist geeigneter, uns über unsere individuelle Eigenart ge - nauen Aufschluss zu geben.

Ein sehr extremes und darum lehrreiches Beispiel ist wie immer das Judentum. Hier fehlten Wissen und Kultur, also die beiden Endpunkte, eigentlich ganz: auf keinem Gebiete Entdeckungen, Wissen - schaft verpönt (ausser wo die Medizin eine lohnende Industrie war), Kunst abwesend, Religion ein Rudiment, Philosophie ein Wiederkauen missverstandener helleno-arabischer Formeln und Zaubersprüche. Da - gegen eine abnorme Entwickelung des Verständnisses für wirtschaftliche Verhältnisse, eine zwar geringe Erfindungsgabe auf dem Gebiete der Industrie, doch höchst geschickte Ausbeutung ihres Wertes, eine bei - spiellos vereinfachte Politik, indem die Kirche das Monopol sämtlicher willkürlicher Bestimmungen an sich gerissen hatte. Ich weiss nicht wer ich glaube es war Gobineau die Juden eine anticivilisatorische Macht genannt hat; sie waren im Gegenteil, und mit ihnen alle semitischen Bastarde, die Phönizier, die Karthager u. s. w., eine ausschliesslich civili - satorische Macht. Daher das eigentümlich Unbefriedigende dieser semi - tischen Erscheinungen, denn sie haben weder Wurzel noch Blüten: weder haftet ihre Civilisation in einem langsam von ihnen selbst erworbenen, also wirklich eigenen Wissen, noch entfaltet sie sich zu einer individuellen, eigenen, notwendigen Kultur. Das genau entgegengesetzte Extrem er - blicken wir in den Indoariern, bei denen die Civilisation gewissermassen auf ein Minimum reduziert erscheint: die Industrie von Parias betrieben, die Wirtschaft so einfach wie möglich belassen, die Politik nie zu grossen und kühnen Gebilden sich aufraffend;1)Oder erst sehr spät, zu spät. dagegen erstaunlicher Fleiss und Erfolg in den Wissenschaften (wenigstens in einigen) und eine tropische Entfaltung der Kultur (Weltanschauung und Dichtkunst). Über den Reichtum und die Mannigfaltigkeit indoarischer Weltanschauung, über die Erhabenheit indoarischer Sittenlehre brauche ich kein Wort mehr zu verlieren im Verlaufe dieses ganzen Werkes habe ich die Augen des Lesers auf sie gerichtet gehalten. In der Kunst haben die Indoarier zwar nicht entfernt die Gestaltungskraft der Hellenen besessen, doch ist ihre poetische Litteratur die umfangreichste der Welt, in vielen Stücken von höchster Schönheit, und von so unerschöpflichem Er - findungsreichtum, dass die indischen Gelehrten z. B. 36 Arten des Dramas unterscheiden müssen, um Ordnung in diesen einen Zweig741Geschichtlicher Überblick.ihrer poetischen Produktion zu bringen. 1)Siehe Raja Sourindro Mohun Tagore: The dramatic sentiments of the Aryas (Calcutta 1881).In dem Zusammenhang, der uns hier beschäftigt, ist aber folgende Beobachtung die wichtigste. Trotz ihrer Leistungen auf dem Gebiete der Mathematik, der Gram - matik u. s. w. übertraf die Kultur der Inder nicht allein ihre Civili - sation, sondern auch ihr Wissen um ein Bedeutendes; daher waren die Inder was der Engländer top-heavy nennt, d. h. zu schwer in den oberen Teilen für die Tragfähigkeit der unteren, und das um so mehr, als ihre Wissenschaft eine fast lediglich formelle war, der das Element der » Entdeckung « also das eigentliche Material, oder wenigstens die Herbeischaffung neuen Materials zur Ernährung der höheren Anlagen und zur fortgesetzten Übung ihrer Fähigkeiten fehlte. Schon hier bemerken wir etwas, was sich in der Folge immer wieder unserer Auf - merksamkeit aufdrängen wird: dass » Civilisation « eine verhältnismässig indifferente mittlere Masse ist, während enge Beziehungen gegenseitiger Korrelation zwischen » Wissen « und » Kultur « bestehen. Der Inder, der sehr geringe Anlagen für empirische Beobachtung der Natur besitzt, besitzt ebenfalls (und wie ich zu zeigen hoffe in Folge dessen) geringe künstlerische Gestaltungskraft; dagegen sehen wir die abnorme Ent - wickelung der reinen Gehirnthätigkeit einerseits zu einer beispiellosen Blüte der Phantasie, andererseits zu einer ebenso unerhörten Entfaltung der logisch-mathematischen Fähigkeiten führen. Wiederum ein ganz anderes Beispiel würden uns die Chinesen liefern, wenn wir Zeit hätten, diesen von unseren Völkerpsychologen so tief in den Dreck geschobenen Karren hier herauszuziehen: denn dass die Chinesen einmal anders waren als sie jetzt sind erfinderisch, schöpferisch, wissenschaftlich und dann plötzlich vor etlichen tausend Jahren den Charakter änderten und fortan unbegrenzt stabil blieben eine solche Finte schlucke wer mag! Dieses Volk steht heute im blühendsten, thätigsten Leben, zeigt keine Spur von Verfall, wimmelt und wächst und gedeiht; es war immer so wie es heute ist, sonst wäre Natur nicht Natur. Und wie ist es? fleissig, geschickt, geduldig, seelenlos. In manchen Dingen erinnert diese Menschenart auffallend an die jüdische, namentlich durch die gänzliche Abwesenheit aller Kultur und die einseitige Betonung der Civilisation; doch ist der Chinese weit fleissiger, er ist der unermüd - lichste Ackerbauer der Welt, und er ist in allen manuellen Dingen unendlich geschickt; ausserdem besitzt er, wenn nicht Kunst (in unserem742Die Entstehung einer neuen Welt.Sinne), so doch Geschmack. Ob der Chinese auch nur bescheidene Anlagen zur Erfindung besitzt, wird zwar täglich fraglicher, doch fasst er wenigstens das auf, was ihm von Anderen übermittelt wird, in - sofern sein phantasieloser Geist der Sache irgend eine utilitaristische Bedeutung abgewinnen kann, und so besass er denn lange vor uns das Papier, den Buchdruck (in primitiver Gestalt), das Schiesspulver, den Kompass und hundert andere Dinge. 1)Dass das Papier ebensowenig von den Chinesen wie von den Arabern, sondern dass es von den arischen Persern erfunden wurde, steht heute fest (siehe weiter unten, Abschnitt » Industrie «); Richthofen aber dessen Urteil durch seine rein wissenschaftliche Schärfe und Unabhängigkeit von grossem Werte ist neigt zu der Annahme, nichts was die Chinesen » an Kenntnissen und Civilisations - methoden « besitzen, sei die Frucht des eigenen Ingeniums, sondern alles sei Im - port. Er weist darauf hin, dass soweit unsere Nachrichten zurückreichen, die Chi - nesen es nie verstanden, ihre eigenen wissenschaftlichen Instrumente zu gebrauchen (siehe China, 1877, I, 390, 512 fg., etc.) und er kommt zu dem Ergebnis (S. 424 fg. ), die chinesische Civilisation sei in ihren Anfängen auf den früheren Kontakt mit Ariern in Centralasien zurückzuführen. Höchst bemerkenswert in Bezug auf die von mir vertretene These ist auch der detaillierte Nachweis, dass die erstaunlichen kartographischen Leistungen der Chinesen nur so weit reichen, als die politische Verwaltung ein praktisches Interesse daran hatte, sie auszubilden (China, I, 389); jeder weitere Fortschritt war ausgeschlossen, da » reine Wissenschaft « ein Kultur - gedanke ist.Mit seiner Industrie hält seine Gelehrsamkeit Schritt. Während wir uns mit sechzehnbändigen Kon - versationslexika durchschlagen müssen, besitzen ich weiss nicht, ob ich schreiben soll die » glücklichen « oder die » unglücklichen « Chinesen gedruckte Encyklopädien von 1000 Bänden! 2)Das ist die niedrigste Schätzung. Karl Gustav Carus behauptet in seiner Schrift Über ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschheitsstämme für höhere geistige Entwickelung, 1849, S. 67, die umfassendste chinesische Encyklopädie zähle 78,731 Bände, wovon etwa 50 auf einen Band unserer üblichen Konversations - lexika kämen.Sie besitzen so ausführliche Geschichtsannalen wie kein zweites Volk der Erde, eine naturgeschicht - liche Litteratur, welche die unsere an Massenhaftigkeit übertrifft, ganze Bibliotheken von moralischen Lehrbüchern u. s. w. ad infinitum. Und was nützt ihnen das alles? Sie erfinden (?) das Schiesspulver und werden von jeder kleinsten Nation besiegt und beherrscht; sie besitzen 200 Jahre vor Christus ein Surrogat für das Papier, nicht lange darauf das Papier selber, und bringen bis zur Stunde keinen Mann hervor, würdig darauf zu schreiben; sie drucken vieltausendbändige Realencyklopädien und wissen nichts, rein gar nichts; sie besitzen umständliche Geschichts - annalen und gar keine Geschichte; sie schildern in bewundernswerter743Geschichtlicher Überblick.Weise die Geographie ihres Landes und besitzen seit lange ein dem Kompass ähnliches Instrument, unternahmen aber keine Forschungs - reisen und entdeckten niemals einen Zoll breit Erde, erzeugten also keinen Geographen, fähig, ihren Gesichtskreis zu erweitern. Den Chinesen könnte man den » Maschine gewordenen Menschen « nennen. So lange er auf seinen kommunistisch sich selbst regierenden Dörfern bleibt mit Felderberieselung, Maulbeerbaumkultur, Kinderzeugung u. s. w. beschäftigt flösst er fast Bewunderung ein: innerhalb dieser engen Grenzen genügt eben Naturtrieb, mechanische Geschicklichkeit und Fleiss; sobald er sie aber überschreitet, wird er eine geradezu komische Figur, denn diese ganze fieberhafte industrielle und wissen - schaftliche Arbeit, dieses Materialiensammeln und Studieren und Buch - führen, diese grossartigen Staatsexamina, diese Erhebung der Gelehr - samkeit auf den höchsten Thron, diese vom Staat unterstützte fabelhafte Ausbildung der Kunstindustrie und der Technik führen zu rein gar nichts: es fehlt die Seele, das, was wir hier, im Leben des Gemein - wesens, Kultur genannt haben. Die Chinesen besitzen Moralisten, doch keine Philosophen, sie besitzen Berge von Gedichten und Dramen denn bei ihnen gehört das Dichten zur Bildung und zum bon ton, etwa wie im Frankreich des vorigen Jahrhunderts doch besassen sie nie einen Dante, einen Shakespeare. 1)Die Nichtigkeit chinesischer Poesie ist bekannt, nur in den kleinsten Formen didaktischer Gedichte hat sie einiges Hübsche hervorgebracht. Über die Musik und das musikalische Drama urteilt Ambros (Geschichte der Musik, 2. Aufl., I, 37): » Dieses China macht wirklich den Eindruck, als sehe man die Kultur anderer Völker im Reflexbilde eines Karikaturspiegels «. Dass China einen ein - zigen wirklichen Philosophen hervorgebracht hat, kann ich nach eifriger Umschau in der betreffenden Litteratur nicht glauben. Confucius ist eine Art chinesischer Jules Simon: ein edeldenkender, phantasieloser Ethiker, Politiker und Pedant. Ohne Vergleich interessanter ist sein Antipode Lâo-tze und die um ihn sich gruppierende Schule des sogenannten Tâoismus. Hier begegnen wir einer wirklich originellen, fesselnden Weltauffassung, doch auch sie zielt einzig und allein auf das praktische Leben und ist ohne die direkte genetische Beziehung zu der beson - deren Civilisation der Chinesen mit ihrer fruchtlosen Hast und ignoranten Gelehr - samkeit nicht zu begreifen. Denn der Tâoismus, der uns als Metaphysik und Theosophismus und Mysticismus geschildert wird, ist ganz einfach eine nihilistische Reaktion, eine verzweifelte Auflehnung gegen die mit Recht als nutzlos empfundene chinesische Civilisation. Ist Confucius ein Jules Simon aus dem Reich der Mitte, so ist Lâo-tze ein Jean Jacques Rousseau. » Werft von Euch Euer vieles Wissen und Eure Gelehrsamkeit, und dem Volke wird es hundert Mal besser gehen; werft von Euch Euere Wohlthuerei und Euer Moralisieren, und das Volk wird

744Die Entstehung einer neuen Welt.

Dieses Beispiel ist, wie man sieht, ungemein lehrreich, denn es be - weist, dass aus Wissen und Civilisation Kultur nicht von selbst hervorgeht als ein notwendiges Produkt, als eine folgerechte Evolution, sondern, dass Kultur durch die Art der Persönlichkeit, durch die Volksindividualität bedingt wird. Der arische Inder besitzt bei stofflich beschränktem Wissen und sehr gering entwickelter Civilisation eine himmelstürmende Kultur von ewiger Bedeutung, der Chinese, bei riesig ausgedehnten Detail - kenntnissen und raffinierter, fieberhaft thätiger Civilisation, gar keine Kultur. Und ebenso wenig wie es nach drei Jahrhunderten gelungen ist, den Neger zum Wissen, oder den amerikanischen Indianer zur1)wieder wie ehedem kindliche Liebe und Menschengüte bewähren; werft von Euch Euere künstlichen Lebenseinrichtungen und entsagt dem Heisshunger nach Reich - tum, so wird es keine Diebe und Verbrecher mehr geben « (Tâo Teh King I, 19, 1). Das ist die Grundstimmung; wie man sieht, eine rein moralische, nicht eine philo - sophische. Daraus ergiebt sich nun einerseits ein Aufbauen von utopischen Ideal - staaten, in denen die Menschen nicht mehr lesen und schreiben können und in ungestörtem Frieden, ohne jede Spur der verhassten Civilisation, glücklich dahin - leben, zugleich innerlich frei, denn, wie Kwang-tze (ein hervorragender Tâoist) sagt: » Der Mensch ist der Sklave alles dessen, was er erfindet, und je mehr Dinge er um sich ansammelt, umso unfreier sind seine Bewegungen « (XII, 2, 5). Andrer - seits führt aber dieser Gedankengang zu einer Einsicht, die wohl niemals mit ähnlicher Eindringlichkeit und Überzeugungskraft sich kundgethan hat: zu der Lehre, dass in der Ruhe die grösste Triebkraft, in der Ungelehrsamkeit das reichste Wissen, in dem Schweigen die gewaltigste Beredsamkeit, in dem absichtslosen Handeln die bestimmteste Treffsicherheit liege. » Die höchste Errungenschaft des Menschen ist zu wissen, dass wir nicht wissen; wogegen das Wähnen, dass wir wüssten, ein Siechtum ist « (Tâo Teh King, II, 71, 1). Es ist schwer, diese Stimmung denn ich kann sie nicht anders nennen kurz und bündig zu - sammenzufassen, eben weil sie eine Stimmung, nicht ein konstruktiver Gedanke ist. Man muss diese interessanten Schriften selber lesen und zwar so, dass man nach und nach, durch geduldige Hingabe, die spröde Form überwindet und in das Herz dieser um ihr armes Vaterland trauernden Weisen eindringt. Metaphysik wird man nicht finden, überhaupt keine » Philosophie «, nicht einmal Materialismus in seiner einfachsten Form, doch viel Belehrung über die grauenhafte Beschaffen - heit des civilisierten und gelehrten Lebens der Chinesen und eine praktisch - moralische Einsicht in die Natur des Menschen, die so tief ist, wie die von Con - fucius flach. Diese Negation bezeichnet den Höhepunkt des dem chinesischen Geist Erreichbaren. (Die beste Quelle zur Belehrung sind die Sacred Books of China, welche Band 3, 16, 27, 28, 39 und 40 der von Max Müller herausgegebenen Sacred Books of the East ausmachen; die Bände 39 und 40 enthalten die tâoistischen Bücher. Die kleine Schrift von Brandt: Die chinesische Philosophie und der Staats - Confucianismus, 1898, kann zur vorläufigen Orientierung dienen. Dass irgend Jemand die eigentliche Natur der tâoistischen Philosophie dargelegt habe, ist mir nicht bekannt).745Geschichtlicher Überblick.Civilisation zu erziehen, ebenso wenig wird es jemals gelingen, dem Chinesen Kultur aufzupfropfen. Ein Jeder von uns bleibt eben was er ist und war; was wir fälschlich Fortschritt nennen, ist die Ent - faltung eines bereits Vorhandenen; wo es nichts giebt, verliert der König seine Rechte. Auch etwas Anderes zeigt dieses Beispiel mit besonderer Deutlichkeit, und darauf möchte ich, zur Ergänzung des vorhin über die Inder Gesagten, besonderen Nachdruck legen: dass es nämlich ohne Kultur, d. h. ohne jene Anlage des Geistes zu all - verbindender, allbeleuchtender Weltanschauung kein eigentliches Wissen giebt! Wir können und wir sollen Wissenschaft und Philo - sophie getrennt halten; gewiss; doch sehen wir, dass ohne tiefes Denken keine Möglichkeit umfassender Wissenschaft entsteht; ein aus - schliesslich praktisches, auf Thatsachen und auf Industrie gerichtetes Wissen entbehrt jeglicher Bedeutung. 1)Wie J. J. Rousseau treffend sagt: » Les sciences règnent pour ainsi dire à la Chine depuis deux mille ans, et n’y peuvent sortir de l’enfance « (Lettre à M. de Scheyb, 15. 7. 1756).Eine wichtige Einsicht! welche durch unsere Erfahrung bei den Indoariern die Ergänzung erhält, dass, umgekehrt, bei stockender Zufuhr des Wissensmaterials das höhere Kulturleben ebenfalls stockt und sich verknöchert, was, wie mich dünkt, durch die Eintrocknung der Schöpferkraft verursacht wird; denn das Mysterium des Daseins bleibt zwar immer dasselbe, ob wir auf wenig oder auf vieles schauen, und in jedem Augenblick deckt sich der Umkreis des Unerforschlichen ganz genau mit dem Umkreis des Erforschten, doch stumpft sich die fragende Verwunderung und mit ihr zugleich die schöpferische Phantasie an unverändert Altbekanntem ab. Hierzu ein Beleg. Jene grossen Mythenerfinder, die Sumero - Akkadier, waren hervorragende Arbeiter auf dem Gebiete der Natur - beobachtung und der mathematischen Wissenschaft; ihre astronomischen Entdeckungen zeugen von erstaunlicher Präcision, also von nüchtern sicherer Beobachtung; doch, trotz aller Nüchternheit, regten offenbar die Entdeckungen die Phantasie mächtig an, und so sehen wir denn bei diesem Volke Wissenschaft und Mythenbildung Hand in Hand gehen. Wie praktisch es gewesen sein muss, geht aus den grund - legenden wirtschaftlichen und politischen Einrichtungen hervor, die sich auf uns vererbt haben: die Einteilung des Jahres nach der Stellung der Sonne, die Einrichtung der Woche, die Einführung eines Duodezimal - systems für den Verkehr beim Wiegen, Zählen u. s. w.; doch bezeugen alle diese Gedanken eine ungewöhnliche Kraft der schöpferischenChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 48746Die Entstehung einer neuen Welt.Phantasie und wir erfahren, dass sich aus ihren Sprachresten eine eigentümliche Prädisposition für das metaphysische Denken entnehmen lässt! 1)Siehe S. 399, Anmerk. I.Man sieht wie vielfach sich die Fäden verschlingen, wie all - bestimmend die Natur der besonderen Rassenpersönlichkeit mit ihren Gegensätzen und ihrem ein für allemal bestimmten Charakter ist.

Leider kann ich diese Untersuchung hier nicht weiter führen, doch ich glaube, selbst diese so äusserst flüchtigen Andeutungen werden zu manchem Nachdenken und zu mancher auch für die Gegenwart wichtigen Erkenntnis führen. Nehmen wir nun zum Schlusse noch einmal die Tafel zur Hand und schauen uns um, wo wir einen wirklich harmonischen, nach allen Richtungen hin schön und frei entwickelten Menschen finden, so werden wir in der Vergangenheit einzig und allein den Hellenen nennen können. Alle Elemente des Menschen - lebens stehen bei ihm in schönster Blüte: Entdeckung, Wissenschaft, Industrie, Wirtschaft, Politik, Weltanschauung, Kunst; überall hält er Stich. Hier steht wirklich ein » ganzer Mann « vor uns. Er hat sich nicht » entwickelt « aus dem Chinesen, der sich schon zur Blütezeit Athens2)Mehr als 2000 Jahre vor Christus beginnt die bereits historische Bericht - erstattung der Chinesen. in überflüssiger Emsigkeit abmühte, er ist nicht eine » Evolu - tion « des Ägypters, trotzdem er vor dessen angeblicher Weisheit eine ganz unberechtigte Scheu empfand, er bedeutet nicht einen » Fort - schritt « über den phönizischen Hausierer, der ihn zuerst mit einigen Rudimenten der Civilisation bekannt gemacht hatte; sondern in bar - barischen Gegenden, unter bestimmten, wahrscheinlich harten Lebens - bedingungen, hatte eine edle Menschenrasse sich noch weiter veredelt und dies schon historisch nachweisbar sich durch Kreuzung zwischen verwandten doch individualisierten Gliedern vielseitigste Be - gabung erworben. Dieser Mensch trat gleich auf als der, der er sein und bleiben sollte. Er entwickelte sich schnell. 3)In einer Rede, gehalten vor der British Association am 21. September 1896, spricht Flinders Petrie die Meinung aus, die ältesten mycenischen Kunstwerke, z. B. die berühmten goldenen Becher mit Stieren und Kühen (etwa aus dem Jahre 1200 vor Christus) seien in Bezug auf künstlerisches Empfinden, auf treue Naturbeob - achtung, auf Meisterschaft der Ausführung allen späteren Werken der sogenannten Glanzzeit ebenbürtig.Was die Welt an ererbten Entdeckungen und Erfindungen und Gedanken besass, hatte bei den Ägyptern zu einer toten hieratischen Wissenschaft, gepaart mit747Geschichtlicher Überblick.einer durchaus praktischen, phantasiebaren, redlichen Religion geführt, bei den Phöniziern zu Handel und Götzendienst: bei ihren Nachbarn, den Hellenen, führten genau dieselben Anregungen zu Wissenschaft und Kultur, ohne dass die Civilisation in ihren berechtigten Anforde - rungen zu kurz gekommen wäre. Einzig der Hellene besitzt diese Allseitigkeit, diese vollendete Plasticität, die in seinen Bildwerken künst - lerischen Ausdruck fand; daher verdient er Bewunderung und Ver - ehrung wie kein anderer Mensch, und er allein dürfte als Muster nicht zur Nachahmung aber zur Aneiferung hingehalten werden. Der Römer, den wir zugleich mit dem Hellenen in unseren Schulen nennen, ist fast noch einseitiger entwickelt als der Inder: hatte bei diesem die Kultur nach und nach alle Lebenskräfte verschlungen, so unterdrückte bei dem Römer die politische Sorge das Werk der Rechtsbildung und das Werk der Staatserhaltung von Anfang an jede andere Anlage. Die Erfüllung seiner civilisatorischen Aufgabe nimmt ihn so ganz in Anspruch, dass er weder für das Wissen noch für die Kultur Kräfte übrig hat. 1)Siehe S. 70 71.Im Laufe seiner gesamten Geschichte hat der Römer nichts entdeckt, nichts erfunden; und auch hier wieder sehen wir das vorhin genannte geheimnisvolle Gesetz der Korrelation zwischen Wissen und Kultur am Werke, denn als er Herr der Welt geworden und die Öde seines kulturbaren Lebens zu empfinden be - gann, da war es zu spät: die sprudelnde Quelle der Originalität, d. h. des freischöpferischen Könnens war für ihn gänzlich verschüttet. Schwer genug drückt noch heute sein gewaltiges, einseitig politisches Werk auf uns und verleitet uns, den politischen Dingen eine vor - wiegende und selbständig gestaltende Bedeutung beizulegen, die sie gar nicht besitzen und nur zum Nachteil des Lebens sich anmassen.

Auf diesem kleinen Umweg über China und Sumerien bis nachDer Germane. Rom werden wir, glaube ich, zu einer ziemlich deutlichen Vorstellung unserer eigenen Persönlichkeit und ihrer notwendigen Entwickelung gelangt sein. Denn wir dürfen es ungescheut aussprechen: der Ger - mane ist der einzige Mensch, der sich mit dem Hellenen vergleichen darf. Auch hier ist das Auffallende und das spezifisch Unterscheidende die gleichzeitige und gleichwertige Ausbildung von Wissen, Civilisation und Kultur. Das allseitig Umfassende unserer Anlagen unterscheidet uns von allen zeitgenössischen und von allen früheren Menschenarten mit alleiniger Ausnahme der Hellenen; eine Thatsache, die, nebenbei48*748Die Entstehung einer neuen Welt.gesagt, unsere nahe Verwandtschaft mit ihnen vermuten lässt. Gerade deswegen ist aber hier eine vergleichende Unterscheidung von grösstem Werte. So dürfen wir z. B. gewiss behaupten, dass bei den Griechen Kultur das vorwiegende Element war: sie besitzen die vollendetste und originellste Dichtung (aus der ihre ganze übrige Kunst hervorging) zu einer Zeit als ihre Civilisation noch den Stempel des zwar Pracht - liebenden, Schönheitsahnenden, doch Unselbständigen und Barbarischen an sich trägt und wo ihr Wissensdurst noch kaum erwacht ist. Später nimmt dann bei ihnen gerade die Wissenschaft plötzlich einen grossen, ewig glorreichen Anlauf, und zwar unter enger, glücklicher Anlehnung an hohe Weltanschauung (wieder jene Korrelation!). Im Verhältnis zu solchen unvergleichlichen Leistungen bleibt bei den Hellenen die Civilisation entschieden zurück. Zwar war Athen eine Fabrikstadt (wenn dieser Ausdruck keusche Ohren nicht verletzt), und der Welt wäre ebenso wenig ein Thales wie ein Plato geschenkt worden, wenn die Hellenen sich nicht als Ökonomen und unternehmende, schlaue Handelsherren, Reichtum und damit Musse erworben hätten; es sind durch und durch praktische Leute; doch zeigten sie in der Politik ohne welche keine Civilisation Dauer besitzt keine ausserordentliche Begabung, wie die Römer; Recht und Staat waren bei ihnen ein Spielball in den Händen der Ehrgeizigen; auch ist das Symptom der direkt anticivilisatorischen Massnahmen des dauerhaftesten griechischen Staates, Sparta, nicht zu übersehen. Bei uns Germanen liegen die Dinge offenbar wesentlich anders. Zwar ist auch unsere Politik bis zum heutigen Tage eigentümlich schwerfällig, roh, ungeschickt geblieben, dennoch bewährten wir uns als die unvergleichlichsten Staatenbildner der Welt was vermuten lässt, dass hier, wie bei so manchen anderen Dingen, uns mehr die aufgezwungene Nachahmung im Wege stand als fehlende Anlage. » Wer kommt früh zu dem Glücke, sich seines eigenen Selbsts ohne fremde Formen in reinem Zusammenhang be - wusst zu sein? « seufzt Goethe;1)Wilhelm Meister’s Lehrjahre, Buch VI. nicht einmal die Hellenen, wir aber noch viel, viel weniger. Besser, weil unabhängiger, entwickelten sich unsere Anlagen auf dem ganzen wirtschaftlichen Gebiete (Handel, Ge - werbe, am wenigsten vielleicht Landbau) zu nie gekannter Blüte; eben - so die schnell folgende Industrie. Was sind Phönizier und Karthagener mit ihren elenden Ausbeutungs-Faktoreien und Karavanen gegen einen lombardischen oder rheinischen Städtebund, in welchem Klugheit,749Geschichtlicher Überblick.Fleiss, Erfindung und last not least Ehrlichkeit sich die Hand reichen? 1)Siehe S. 137 fg.Bei uns bildet also Civilisation das gesamte Gebiet der eigentlichen Civilisation den Mittelpunkt: ein guter Charakter - zug, insofern er Bestand verspricht, ein nicht ganz unbedenklicher, insofern er die Gefahr birgt, » Chinese zu werden «, eine Gefahr, die eine sehr reelle werden würde, wenn die nicht, oder kaum germanischen Elemente unter uns jemals die Oberhand bekämen. 2)Speziell der Deutsche neigt in gar manchen Dingen, z. B. in seiner Sammelwut, in seinem Anhäufen von Material über Material, in seiner Neigung, den Geist über dem Buchstaben zu vernachlässigen, u. s. w. bedenklich zum Chinesentum. Das war schon früh aufgefallen und Goethe erzählte Soret lachend von einem Globus aus der Zeit Karl’s V., auf dem China zur Erläuterung die In - schrift trägt: » die Chinesen sind ein Volk, das sehr viele Ähnlichkeit mit den Deutschen hat! « (Eckermann, 26. April 1823).Denn sofort würde unser unauslöschlicher Wissenstrieb in den Dienst der blossen Civilisation gestellt werden und damit wie in China dem Banne ewiger Sterilität verfallen. Was einzig uns dagegen schützt, ist das, was uns Würde und Grösse, Unsterblichkeit, ja wie die alten Griechen zu sagen pflegten Göttlichkeit verleiht: unsere Kultur. Diese besitzt aber in unserer Begabung nicht die überwiegende Be - deutung, die ihr im Hellenentum zukam. Über letztere verweise ich auf mein erstes Kapitel. Niemand wird behaupten können, dass bei uns die Kunst das Leben gestalte, oder dass die Philosophie (in ihrem edelsten Sinne als Weltanschauung) einen ähnlichen Anteil an dem Leben unserer führenden Männer habe wie in Athen, geschweige in Indien. Und das Schlimmste ist, dass diejenige Kulturanlage, welche, nach zahllosen Erscheinungen des gesamten Slavokeltogermanentums zu urteilen, bei uns die entwickelteste ist (zugleich ein reichlicher Er - satz für das, was der Mehrzahl unter uns an künstlerischer und meta - physischer Begabung abgehen mag), ich meine die Religion, es niemals vermocht hat, die Zwangsjacke abzureissen, die ihr gleich bei dem Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte von den un - würdigen Händen des Völkerchaos aufgezwungen wurde. In Jesus Christus hatte das absolute religiöse Genie die Welt betreten: Keiner war so geschaffen, diese göttliche Stimme zu vernehmen wie der Germane; die grössten Verbreiter des Evangeliums durch Europa sind alle Germanen, und das ganze germanische Volk greift gleich, wie schon das Beispiel der rauhen Goten zeigt (S. 513), zu den Worten750Die Entstehung einer neuen Welt.des Evangeliums, jedem blöden Aberglauben (die Geschichte des Arianismus bezeugt es) abhold. Und trotzdem schwindet das Evangelium bald und verstummt die grosse Stimme; denn die Kinder des Chaos wollen von dem blutigen stellvertretenden Opfer nicht lassen, welches die besseren Geister unter den Hellenen und den Indern schon längst überwunden und die hervorragendsten Propheten der Juden vor Jahr - hunderten verspottet hatten; dazu gesellt sich allerhand kabbalistischer Zauber und stoffliche Metamorphose aus dem späten unsauberen Syro Ägypten: und das alles, durch jüdische Chronik ausstaffirt und er - gänzt, ist nunmehr die » Religion « der Germanen! Selbst die Refor - mation wirft sie nicht ab und gerät dadurch in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selber, der das Schwergewicht ihrer Bedeutung in das rein politische Gebiet verlegt, also in die Klasse der bloss civilisatorischen Kräfte, während sie es kulturell nicht weiter, als zu einer inkonsequenten Bejahung bringt (Erlösung durch den Glauben und dennoch die Beibehaltung materialistischer Superstitionen) und einer fragmentarischen Verneinung (Verwerfung eines Teiles der dogmatischen Zuthaten, Beibehaltung des übrigen1)Namentlich Luther bleibt in dieser Beziehung vollständig im religiösen Materialismus befangen; er der Glaubensheld » eliminiert den Glauben so sehr aus dem Abendmahl «, dass er lehrt, auch der Ungläubige zerbeisse den Leib Christi mit den Zähnen. Er nimmt also das an, wogegen Berengar und so viele andere streng römische Katholiken wenige Jahrhunderte früher mutig gekämpft hatten und was nicht allein den ersten Christen, sondern noch Männern wie Ambrosius und Augustinus ein Greuel gewesen wäre. (Vergl. Harnack: Grund - riss der Dogmengeschichte, § 81.). In dem Mangel einer wahr - haftigen, unserer eigenen Art entsprossenen und entsprechenden Religion erblicke ich die grösste Gefahr für die Zukunft des Germanen; das ist seine Achillesferse; wer ihn dort trifft, wird ihn fällen. Man schaue doch auf den Hellenen zurück: von Alexander geführt, zeigte er seine Befähigung, die ganze Welt zu unterwerfen; doch der schwache Punkt war bei ihm die Politik; verschwenderisch begabt auch in dieser Beziehung, hat er die ersten Theoretiker über Politik, die erfindungs - reichsten Staatengründer, die genialsten Redner über die allgemeine Sache hervorgebracht; doch blieb ihm versagt, was auf allen anderen Gebieten ihm gelungen war, hier Grosses und Dauerndes zu gestalten; hieran ging er zu Grunde; einzig seine jämmerliche politische Lage lieferte ihn dem Römer aus; mit der Freiheit verlor er das Leben; der erste harmonisch vollendete Mensch war dahin und nur sein Schatten751Geschichtlicher Überblick.wandelte noch auf Erden. Sehr ähnlich scheint mir bei uns Germanen die Lage in Bezug auf Religion. Nie hat die Geschichte eine so tief innerlich religiöse Menschenart gesehen; moralischer ist sie nicht als andere Menschen, aber viel religiöser. In dieser Beziehung nehmen wir eine Stellung ein mitteninne zwischen dem Indoarier und dem Hellenen: das uns angeborene metaphysisch-religiöse Bedürfnis treibt uns zu einer weit mehr künstlerischen d. h. lichtkräftigeren Weltan - schauung als die der Inder, zu einer weit innigeren und daher tieferen als die künstlerisch überragenden Hellenen. Genau dieser Standpunkt ist es, der den Namen Religion verdient, zum Unterschied von Philo - sophie und von Kunst. Wollte man die wahren Heiligen, die grossen Prediger, die barmherzigen Helfer, die Mystiker unserer Rasse auf - zählen, wollte man sagen, wie Viele Qual und Tod um ihres Glaubens willen erlitten haben, wollte man nachforschen, eine wie grosse Rolle religiöse Überzeugung in allen grössten Männern unserer Geschichte gespielt hat, man käme nie zu Ende; unsere gesamte herrliche Kunst entwickelt sich ja um den religiösen Mittelpunkt gleich wie die Erde um die Sonne kreist, und zwar um diese und jene besondere Kirche nur teilweise und äusserlich, überall aber innerlich um das sehnsuchts - volle religiöse Herz. Und trotz dieses regen religiösen Lebens die absoluteste Zerfahrenheit (seit jeher) in religiösen Dingen. Was sehen wir heute? Der Angelsachse von seinem unfehlbaren Lebens - instinkte getrieben klammert sich an irgend eine überlieferte Kirche an, welche sich in die Politik nicht mischt, damit er wenigstens » Religion « als Mittelpunkt des Lebens besitze; der Nordländer und der Slave lösen sich in hundert schwächliche Sekten auf, wohl wissend, dass sie betrogen sind, doch unfähig, den rechten Weg zu finden; der Franzose verkümmert vor unseren Augen in öder Skepsis oder stu - pidestem Mode-Humbug; die südlichen Europäer sind dem unge - schminkten Götzendienst nunmehr ganz verfallen und damit aus der Reihe der Kulturvölker ausgetreten; der Deutsche steht abseits und wartet, dass noch einmal ein Gott vom Himmel steige, oder er wählt verzweifelt zwischen der Religion der Isis und der Religion des Blöd - sinnes, genannt » Kraft und Stoff «.

Auf manches im Obigen Angedeutete wird in den betreffenden Abschnitten wieder zurückzukommen sein; einstweilen genügt es, wenn ich zur ferneren vergleichenden Charakterisierung unserer germanischen Welt ihre hervorragendste Anlage und zugleich ihre bedenklichste Schwäche aufgedeckt habe.

752Die Entstehung einer neuen Welt.

Nunmehr sind wir so weit, dass wir dem vorhin angerufenen künftigen Bichat mit einigen Andeutungen über den historischen Gang der Entfaltung der germanischen Welt bis zum Jahre 1800 zur Hand gehen können, und zwar indem wir auf jedes der sieben Elemente, welche wir einer besseren Übersicht wegen annahmen, der Reihen - folge nach einen Blick werfen.

1. Entdeckung (von Marco Polo bis Galvani).

Die angeborene Befähigung.
295

Die Menge des Wissbaren ist offenbar unerschöpflich. Bei der Wissenschaft im Gegensatz zum Wissensstoff könnte man sich allenfalls eine Entwickelungsstufe vorstellen, auf welcher alle grossen Gesetze der Natur aufgefunden wären; denn hier handelt es sich um ein Verhältnis zwischen den Erscheinungen und der menschlichen Ver - nunft, also jedenfalls um etwas, was in Folge der besonderen Natur dieser Vernunft streng beschränkt und sozusagen individuell ist nämlich der Individualität des Menschengeschlechtes angepasst und zugehörig. Die Wissenschaft fände in diesem Falle nur mehr nach innen zu, in der immer feineren Analyse, ein unerschöpfliches Feld. Dagegen zeigt alle Erfahrung, dass das Reich der Phänomene und der Formen ein endloses, nie auszuforschendes ist. Keine noch so wissenschaftliche Geographie, Physiographie und Geologie kann uns über die Eigentüm - lichkeiten eines noch unentdeckten Landes das Geringste aussagen; ein neu entdecktes Moos, ein neu entdeckter Käfer ist ein absolut Neues, eine thatsächliche und unvergängliche Bereicherung unserer Vorstellungs - welt, unseres Wissensmaterials. Natürlich werden wir uns beeilen, Käfer und Moos unserer menschlichen Bequemlichkeit halber in irgend eine schon aufgestellte Gattung einzurangieren, und wenn kein Drängen und Zwängen dazu ausreicht, so werden wir eine neue » Gattung « zum Zwecke der Klassifikation erdichten, sie aber wenigstens, wenn irgend thunlich, einer bekannten » Ordnung « einverleiben u. s. w.; in - zwischen bleiben der betreffende Käfer und das betreffende Moos nach wie vor ein vollkommen Individuelles, und zugleich ein Unerfindbares, ein Unauszudenkendes, gleichsam eine neue, ungeahnte Verkörperung des Weltgedankens, und diese neue Verkörperung des Gedankens be - sitzen wir jetzt, während wir sie früher entbehrten. Desgleichen mit allen Phänomenen. Die Brechung des Lichtes durch das Prisma, die753Entdeckung.Allgegenwart der Elektricität, der Kreislauf des Blutes jede entdeckte Thatsache bedeutet eine Bereicherung. » Die einzelnen Mani - festationen der Naturgesetze «, sagt Goethe, » liegen alle sphinxartig, starr, fest und stumm ausser uns da. Jedes wahrgenommene neue Phänomen ist eine Entdeckung, jede Entdeckung ein Eigentum «. Hierdurch wird die Unterscheidung innerhalb des Gebietes des Wissens zwischen Entdeckung und Wissenschaft recht deutlich; das eine betrifft die ausser uns liegenden Sphinxe, das andere unsere Verarbeitung dieser Wahrnehmungen zu einem inneren Besitz. 1)Goethe legt wiederholt grosses Gewicht auf diese Unterscheidung zwischen dem » ausser uns « und dem » in uns «; hier, um Entdeckung und Wissenschaft aus - einander zu halten, thut sie gute Dienste; doch sobald man sie auf das rein philo - sophische oder auch rein naturwissenschaftliche Gebiet überträgt, ist grosse Vorsicht am Platze, worüber Näheres am Anfang des Abschnittes » Wissenschaft «.Darum kann man den Rohstoff des Wissens, d. h. die Menge des Entdeckten, recht gut mit dem Rohstoff des Vermögens mit unserem Geld vergleichen. Schon der alte Chronist Robert of Gloucester schreibt im Jahre 1300: » for the more that a man can, the more worth he is «. Wer viel weiss ist reich, wer wenig weiss ist arm. Doch gerade dieser Vergleich der zunächst ziemlich platt dünken wird dient vortrefflich, damit wir den Finger auf den kritischen Punkt bezüglich des Wissens legen lernen; denn der Wert des Geldes hängt ganz und gar von dem Gebrauch ab, den wir davon zu machen verstehen. Dass Reichtum Macht verleiht und dass Armut verkrüppelt, ist eine vérité de La Palisse, der Dümmste beobachtet es täglich an sich und an Anderen; und doch schrieb einer der Klügsten (Shakespeare):

If thou art rich, thou’rt poor

wenn du reich bist, bist du arm! Und in der That, das Leben lehrt uns, dass zwischen Reichtum und Können kein einfaches, direktes Ver - hältnis herrscht. Wie die Hyperämie des Blutes, d. h. also des Lebens - trägers, eine Stockung der Lebensthätigkeit, zuletzt sogar den Tod her - beiführt, so bemerken wir häufig, wie leicht grosser Reichtum lähmend wirkt. Ebenso ergeht es mit dem Wissen. Wir sahen vorhin die Inder an Anämie des Wissensstoffes zu Grunde gehen, es waren gewisser - massen verhungernde Idealisten; die Chinesen dagegen gleichen auf - gedunsenen parvenus, die keine Ahnung haben, was sie mit dem enorm angehäuften Kapital ihres Wissens anfangen sollen ohne Initiative, ohne Phantasie, ohne Ideale. Die verbreitete Redensart, » Wissen ist Macht «,754Die Entstehung einer neuen Welt.gilt also durchaus nicht ohne Weiteres, sondern es kommt darauf an, wer der Wissende ist. Vom Wissen, viel mehr als vom Golde, könnte man sagen, dass es an und für sich gar nichts ist, rein gar nichts, und ebenso geeignet, dem Menschen zu schaden, ihn ganz und gar zu Grunde zu richten, wie ihn zu erheben und zu veredeln. Der unwissende chinesische Bauer ist einer der leistungsfähigsten und glück - lichsten Menschen der Erde, der gelehrte Chinese ist eine Pest, er ist der Krebsschaden seines Volkes; darum hatte jener bewunderungs - würdige Mann, Laô-tze der von unseren modernen, in Menschheits - Phrasen erzogenen Kommentatoren so schmählich Missverstandene tausendmal Recht zu schreiben: » Ach, könnten wir (d. h. » wir «, die Chinesen) nur das Vielwissen aufgeben und die Gelehrsamkeit ab - schaffen! unserem Volke ginge es hundertmal besser! « 1)Tâo Teh King XIX, 1.Also auch hier wieder werden wir auf die Individualität selber, auf ihre angeborenen Fähigkeiten, ihren angeborenen Charakter zurückgeführt. Die eine Menschenrasse kommt mit einem Minimum von Wissen vorzüglich fort, mehr ist ihr tödlich, denn sie hat kein Organ dafür; bei der anderen ist der Wissensdurst angeboren und sie verkümmert, wenn sie diesem Bedürfnis keine Nahrung zuführen kann, auch versteht sie den ewig zufliessenden Wissensstoff auf hundert Arten zu verarbeiten, nicht allein zur Umgestaltung des äusseren Lebens, sondern zu fort - währender Bereicherung des Denkens und Schaffens. In diesem Falle befinden sich die Germanen. Nicht die Menge dessen, was sie wissen, verdient Bewunderung denn alles Wissen bleibt ewig relativ sondern die Thatsache, dass sie die seltene Fähigkeit besassen, es zu lernen, d. h. ohne Ende zu entdecken, ohne Ende die » stummen Sphinxe « zum Reden zu zwingen, und dazu die Fähigkeit, das Auf - genommene gewissermassen zu absorbieren, so dass immer wieder für Neues Platz entstand, ohne dass Plethora eingetreten wäre.

Man sieht, wie unendlich kompliziert jede Individualität ist! Doch hoffe ich, dass aus diesen kurzen Bemerkungen im Verein mit denen im vorangehenden Teil dieses Kapitels der Leser unschwer die eigen - artige Bedeutung des Wissens (hier nämlich in seiner einfachsten Gestalt als Entdeckung von Thatsachen) für das Leben des Germanen begreifen wird. Er wird auch einsehen, wie vielfach diese in einem gewissen Sinne rein stoffliche Anlage mit seinen höheren und höchsten Gaben zusammenhängt. Nur eine ausserordentlich philosophische Anlage und755Entdeckung.nur ein äusserst reges wirtschaftliches Leben vermag es, so viel Wissen zu verzehren, zu verdauen und zu verwerten. Nicht das Wissen hat die Lebenskraft erzeugt, sondern die grosse überschüssige Lebenskraft hat nach immer weiterem Wissen, genau so wie nach immer weiterem Besitz auf allen anderen Gebieten unablässig gestrebt. Dies ist die wahre innere Quelle jenes Siegeslaufes der Wissbegier, der vom 13. Jahr - hundert ab nie wieder erschlafft. Wer diese Einsicht besitzt, wird auch der Geschichte der Entdeckungen nicht wie ein Kind, sondern mit Verständnis folgen.

Eine Bestätigung des Zusammenhanges der verschiedenen Seiten derDie treibenden Kräfte. Individualität drängt sich uns bei diesem so charakteristisch individualisti - schen Phänomen gleich auf. Ich habe soeben gesagt, unser Streben nach » Besitz « sei die Quelle unseres Wissensschatzes: es war nicht meine Ab - sicht, diesem Worte eine irgendwie tadelnde Bedeutung beizulegen; Besitz ist Macht, Macht ist Freiheit. Ausserdem bedeutet ein jedes derartige Streben nicht allein die Sucht, unsere Macht durch Hinzu - ziehung des ausser uns selbst Liegenden zu steigern, sondern es be - deutet zugleich die Sehnsucht der Selbstentäusserung. Hier, wie bei der Liebe, gehen die Gegensätze Hand in Hand: man nimmt, um zu nehmen, man nimmt aber auch, um geben zu können. Und genau so wie wir beim Germanen den Staatenbildner mit dem Künstler ver - wandt fanden,1)Siehe S. 503 fg. ebenso ist ein gewisses hochgeartetes Streben nach Besitz innig verschwistert mit der Fähigkeit, aus dem Besessenen Neues zu schaffen und es der ganzen Welt zur Bereicherung zu schenken. Trotz alledem soll man bei der Geschichte unserer Entdeckungen das Eine nicht übersehen: welche grosse Rolle die Sucht nach Gold ganz unmittelbar und ungeschminkt gespielt hat. An dem einen Ende des Entdeckungswerkes steht nämlich, als die einfache, breite Grundlage alles Übrigen, die Erforschung der Erde, die » Ent-deckung « des Planeten, der dem Menschen zum Wohnsitz dient: aus ihr erst hat sich mit Sicherheit Gestalt und Wesen dieses Gestirns ergeben, damit zugleich die grundlegenden Einsichten bezüglich der Stellung des Menschen im Kosmos, aus ihr erst erfuhren wir Ausführliches über die verschiedenen Geschlechter der Menschen, über die Art der Gesteine, über Pflanzen - und Tierwelt; ganz am anderen Ende desselben Werkes steht die Erforschung der inneren Beschaffenheit der sichtbaren Materie, das, was wir heute Chemie und Physik nennen, ein gar geheimnisvolles756Die Entstehung einer neuen Welt.und bis vor Kurzem bedenkliches, nach Zauberei schmeckendes Hinein - greifen in die Eingeweide der Natur, zugleich ein wichtigster Ursprung unseres heutigen Wissens und unserer heutigen Macht. 1)Die hohe Bedeutung der Alchymie als Begründerin der Chemie ist heute allseitig anerkannt; ich brauche nur auf die Bücher von Berthelot und Kopp zu verweisen.Nun, bei der Erschliessung dieser beiden Wissensgebiete, sowohl bei den Ent - deckungsreisen, wie bei der Alchymie, bildete Jahrhunderte lang das unmittelbare Suchen nach Gold die treibende Kraft. Gewiss findet man bei den grossen einzelnen Bahnbrechern immer etwas Anderes eine reine Idealkraft daneben und darüber; ein Columbus ist bereit, jeden Augenblick für seinen Gedanken zu sterben, einem Albertus Magnus schweben die grossen Weltprobleme vor; doch hätten solche Männer weder die nötige Unterstützung gefunden, noch hätte sich ihnen die Schar der für das mühsame Werk der Entdeckung nötigen Trabanten angeschlossen, wenn nicht die Hoffnung auf sofortigen Gewinn angeeifert hätte. Die Hoffnung auf Gold lehrte schärfer be - obachten, sie verdoppelte die Erfindungsgabe, sie flösste die kühnsten Hypothesen ein, sie schenkte endlose Ausdauer und Todesverachtung. Schliesslich ist es heute nicht viel anders: zwar stürzen sich die Staaten nicht mehr unmittelbar auf das Goldmetall, wie die Spanier und Portu - giesen des 16. Jahrhunderts, doch erfolgt die allmähliche Erschliessung der Welt und ihre Unterwerfung unter germanischen Einfluss lediglich nach Massgabe der Rentabilität. Selbst ein Livingstone ist im letzten Grund ein Pionier für zinsengierige Kapitalisten gewesen und diese erst führen das aus, was der einzelne Idealist auszuführen nicht ver - mochte. Ebenso könnte die moderne Chemie ohne die kostspieligen Laboratorien und Instrumente nicht bestehen, und der Staat unterhält diese, nicht aus Begeisterung für reine Wissenschaft, sondern weil die daraus hervorgehenden industriellen Erfindungen das Land bereichern. 2)Von der Erfindung neuer Kanonenpulver und Torpedosprengstoffe zu geschweigen!Der Nordpol, der selbst unserem Jahrhundert noch trotzt, wäre in sechs Monaten entdeckt und überlaufen, dächte man, dass dort Felsen aus eitel Gold den Fluten entragen.

Man sieht, nichts liegt mir ferner, als uns besser und edler hin - zustellen als wir sind; ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort; es bewährt sich auch hier. Denn aus dieser Beobachtung betreffend die Macht des Goldes ergiebt sich eine Erkenntnis, die wir einmal757Entdeckung.aufmerksam gemacht auf allen Seiten bestätigt finden werden: dass dem Germanen eine eigentümliche Gabe zu eigen ist, seine Fehler in Gutes umzusetzen; die Alten hätten gesagt, er sei ein Liebling der Götter; ich glaube darin den Beweis seiner grossen kulturellen Befähi - gung zu finden. Eine Handelsgesellschaft, die nur auf Zinsen sieht und nicht immer gewissenhaft vorgeht, unterjocht Indien, doch wird ihr Schaffen getragen und geadelt von einer glänzenden Reihe makel - loser Waffenhelden und grosser Staatsmänner, und ihre Beamten sind es, welche von heller Begeisterung dazu angefacht, durch aufopfer - ungsvoll erworbene Gelehrsamkeit dazu befähigt unsere Kultur durch die Aufschliessung der altarischen Sprache bereichern. Wir schaudern, wenn wir die Geschichte der Vernichtung der Indianer in Nordamerika lesen: überall auf Seite der Europäer Ungerechtigkeit, Verrat, wilde Grausamkeit;1)Als Beispiel nehme man die gänzliche Ausrottung des intelligentesten und durchaus freundlich gesinnten Stammes der Natchez am Mississippi durch die Franzosen (in Du Pratz: History of Louisiana), oder die Geschichte der Beziehungen zwischen den Engländern und den Cherokees (Trumbull: Hist. of the United States). Es ist immer derselbe Vorgang: eine empörende Ungerechtigkeit seitens der Euro - päer reizt die Indianer, Rache zu nehmen, und für diese Rache werden sie dann » bestraft «, d. h. hingeschlachtet. und doch, wie entscheidend war gerade dieses Zer - störungswerk für die spätere Entwickelung einer edlen, echt germa - nischen Nation auf diesem Boden! Der vergleichende Blick auf die südamerikanischen Mestizenkolonieen zeigt es uns. 2)Siehe S. 286 fg. Jene grenzen - lose Leidenschaft in der Sucht nach Gold dient aber noch zu einer weiteren Erkenntnis und zwar zu einer für die Geschichte unserer Entdeckungen grundlegenden. Die Leidenschaftlichkeit kann nämlich sehr verschiedene Teile unseres Wesens erfassen, das hängt vom Individuum ab; charakteristisch für die Rasse ist die Kühnheit, die Ausdauer, die Opferwilligkeit, die grosse Kraft der Vorstellung, welche bewirkt, dass der Einzelne in seiner Idee ganz aufgeht. Dieses Leidenschaftliche bewährt sich jedoch durchaus nicht einzig auf dem Gebiete des egoistischen Interesses: es schenkt dem Künstler Kraft, arm und verkannt weiter zu schaffen; es erzeugt Staatsmänner, Refor - matoren und Märtyrer; es gab uns auch unsere Entdecker. Rousseau’s Wort: » il n’y a que de grandes passions qui fassent de grandes choses, « ist wahrscheinlich nicht so allgemein wahr als er glaubte, doch gilt es uneingeschränkt für uns Germanen. Bei unseren grossen758Die Entstehung einer neuen Welt.Entdeckungreisen, wie bei den Versuchen, Stoffe umzuwandeln, konnte freilich die Hoffnung auf Gewinn aneifern, doch auf keinem andern Gebiete ausser höchstens auf dem der Medizin traf das zu. Hier waltete also der leidenschaftliche Trieb zwar ebenfalls nach Besitz, aber nach dem Besitz des Wissens, rein als Wissen. Es ist dies eine eigentümliche und besonders verehrungswürdige Erscheinung des rein idealischen Triebes; ich halte sie für nahe verwandt dem künstlerischen und dem religiösen Triebe; darin findet jener innige Zusammenhang zwischen Kultur und Wissen, der uns vornhin öfters an praktischen Beispielen rätselhaft auffiel,1)Siehe S. 741 und 744. seine Erklärung. Zu glauben, Wissen erzeuge Kultur (wie heute vielfach gelehrt wird) ist blöde und wider - spricht der Erfahrung; lebendiges Wissen kann aber nur in einem zu hoher Kultur prädisponierten Geiste Aufnahme finden; sonst bleibt das. Wissen wie Dünger auf einem Steinfeld auf der Oberfläche liegen es verpestet die Luft und nützt nichts. Ueber diese geniale Leiden - schaftlichkeit als Grundbedingung unseres Siegeslaufes der Entdeckungen hat einer der grossen Entdecker dieses Jahrhunderts, Justus Liebig, geschrieben: » Die grosse Masse der Menschen hat keinen Begriff davon, mit welchen Schwierigkeiten Arbeiten verknüpft sind, die das Gebiet des Wissens thatsächlich erweitern; ja, man kann sagen, dass der in dem Menschen liegende Trieb nach Wahrheit nicht ausreichen würde, die Hindernisse zu bewältigen, die sich dem Erwerbe eines jeden grossen Resultates entgegenstellen, wenn dieser Trieb sich nicht in Einzelnen zur mächtigen Leidenschaft, die ihre Kräfte spannt und vervielfältigt, steigerte. Alle diese Arbeiten werden unter - nommen ohne Aussicht auf Gewinn und ohne Anspruch auf Dank; der, welcher sie vollbringt, hat nur selten das Glück, ihre nützliche Anwendung zu erleben; er kann das, was er errungen hat, auf dem Markte des Lebens nicht verwerten; es hat keinen Preis und kann nicht bestellt und nicht erkauft werden. «2)Wissenschaft und Landwirtschaft II, am Schlusse.

Diese gänzlich uninteressierte Leidenschaftlichkeit finden wir in der That in der Geschichte unserer Entdeckungen überall wieder. 3)Ein vortreffliches Beispiel der dem unverfälschten Germanen eigenen » uninteressierten Leidenschaftlichkeit « liefert der im Jahre 1898 gestorbene englische Bauer Tyson, der als Taglöhner nach Australien ausgewandert war und als grösster Gutsbesitzer der Welt endete, mit einem Vermögen, das auf fünf Millionen Pfund Sterling geschätzt wurde. Dieser Mann blieb bis zum Tode so einfach, dass er759Entdeckung.Dem auf diesem Gebiete minder Kundigen möchte ich Gilbert zur Betrachtung empfehlen, den Mann, der zu Ende des 16. Jahrhunderts (im selben Augenblick, da Shakespeare seine Dramen schrieb) durch schier endlose Versuche die Grundlage zu unserer Kentnis der Elektricität und des Magnetismus legte. Von einer praktischen An - wendung dieser Kenntnisse selbst in fernsten Jahrhunderten konnte damals Niemand träumen; es handelte sich überhaupt um so geheim - nisvolle Dinge, dass man sie bis auf Gilbert entweder gar nicht beachtet und beobachtet, oder nur zum philosophischen Hocuspocus gebraucht hatte. Und dieser eine Mann, der als Ausgangspunkt nur die alt - bekannten Beobachtungen über den geriebenen Bernstein und das Magneteisen vorfand, experimentierte so unermüdlich und verstand es, in so genial unbefangener Weise die Natur auszufragen, dass er alle grundlegenden Thatsachen in Bezug auf den Magnetismus ein für allemal feststellte und dass er die Elektricität (das Wort stammt von ihm) als ein vom Magnetismus unterschiedenes Phänomen erkannte und ihre Ergründung anbahnte.

An dieses Beispiel Gilbert’s können wir nun eine UnterscheidungDie Natur als Lehrmeisterin. anknüpfen, die ich schon kurz begründet habe bei der Aufstellung meiner Tafel und die ich vorhin noch einmal bei der Erwähnung von Goethe’s Unterscheidung zwischen dem, was ausser uns und dem, was in uns ist, flüchtig berührte, deren Bedeutung aber aus der Praxis klarer als aus theo - retischen Erwägungen hervorgehen wird; sie ist für die rationelle Auf - fassung der Geschichte germanischer Entdeckungen wesentlich: ich meine die Unterscheidung zwischen Entdeckung und Wissenschaft. Nichts wirk[t]hier aufklärender als ein vergleichender Blick auf die Hellenen. Die Befähigung der Hellenen für die eigentliche Wissenschaft war gross, bedeutend grösser, glaube ich, als die unsere (man denke nur an Demokrit, Aristoteles, Euklid, Aristarch u. s. w.); ihre Befähigung zur Entdeckung war dagegen auffallend gering. Auch hier ist das einfachste Beispiel zugleich das belehrendste. Pytheas, der griechische Entdeckungs -3)nie ein weisses Hemd besessen hat, viel weniger ein Paar Handschuhe; nur wenn es sein musste, besuchte er vorübergehend eine Stadt; gegen alle Kirchen hatte er eine unüberwindliche Abneigung. Das Geld war ihm an und für sich gleich - gültig, er schätzte es nur als Bundesgenosse in seinem grossen Lebenswerk: dem Kampf gegen die Wüste. Befragt, antwortete er: » Nicht das Haben, sondern das Erkämpfen macht mir Freude «. Ein echter Germane! Würdig seines Lands - mannes, Shakespeare: Things won are done, joy’s soul lies in the doing. 760Die Entstehung einer neuen Welt.reisende an Kühnheit, Intuition und Verstand jedem späteren ver - gleichbar1)Siehe S. 84. steht vereinzelt da; er wurde von Allen verhöhnt und nicht ein einziger jener Philosophen, die so schönes über Gott und die Seele und die Atome und die Himmelssphären zu melden wussten, hat auch nur geahnt, welche Bedeutung die einfache Er - forschung der Erdoberfläche für den Menschen haben müsse. Dies zeigt einen auffallenden Mangel an Neugier, eine Abwesenheit alles echten Wissensdurstes, eine totale Blindheit für den Wert von That - sachen, rein als solcher. Und man glaube nicht, dass hier » Fort - schritt « erst abgewartet werden musste. Entdeckung kann überall jeden Tag beginnen; die notwendigen Werkzeuge sowohl mechani - sche wie geistige ergeben sich von selbst aus den Bedürfnissen der Forschung. Noch bis auf unsern Tag sind die fruchtbarsten Be - obachter meist nicht die gelehrtesten Männer, und häufig sind sie in der theoretischen Zusammenfassung ihres Wissens auffallend schwach. So ist z. B. Faraday (vielleicht der erstaunlichste Entdecker unseres Jahrhunderts), als Buchbindergehilfe fast ganz ungebildet aufgewachsen; seine physikalischen Kenntnisse hat er aus den Konversationslexicis, die er zu binden hatte, geschöpft, seine chemischen aus einer popu - lären Zusammenfassung für junge Mädchen; damit ausgerüstet betrat er die Bahn jener Entdeckungen, auf welchen fast die gesamte elek - trische Technik unserer Tage ruht. 2)Siehe Tyndall: Faraday as a discoverer (1870).Weder William Jones, noch Colebrooke, die beiden Entdecker der Sanskritsprache am Schlusse des vorigen Jahrhunderts, waren Philologen von Fach. Der Mann, der das vollbrachte, was kein Gelehrter gekonnt hatte, nämlich aus - findig zu machen, wie man die Pflanzen um das Geheimnis ihres Lebens zu befragen habe, der Begründer der Pflanzenphysiologie, Stephen Hales ( 1761), war ein Landgeistlicher. Wir brauchen ja nur den vorhin genannten Gilbert am Werke zu betrachten: alle seine Versuche über Reibungselektricität hätte jeder gescheidte Grieche zwei - tausend Jahre früher ausführen können; die Apparate, die er benützte, hat er sich selber erfunden; die höhere Mathematik, ohne welche heute ein volles Verständnis dieser Phänomene schwer denkbar ist, gab es zu seiner Zeit noch nicht. Nein, der Grieche beobachtete nur wenig und nie unbefangen; sofort stürzte er sich auf Theorie und Hypothese, d. h. auf Wissenschaft und Philosophie; die leidenschaftliche Geduld,761Entdeckung.welche das Entdeckungswerk erfordert, war ihm nicht gegeben. Da - gegen besitzen wir Germanen eine besondere Beanlagung für das Aus - forschen der Natur, und diese Beanlagung ist nicht etwas, was auf der Oberfläche liegt, sondern es steht in innigem Zusammenhang mit den tiefsten Tiefen unserer Natur. Als Theoretiker scheinen wir nicht ausserordentlich bedeutend zu sein: die Philologen gestehen, der Inder Pânini überträfe die grössten heutigen Grammatiker;1)Siehe S. 408. die Juristen sagen, die alten Römer seien uns in der Jurisprudenz sehr überlegen; als wir schon rings um die Welt herumgesegelt waren, musste man uns noch ausführlich beweisen und Jahrhunderte lang einpauken, sie sei rund, damit wir es glaubten, während die Griechen, die nur den mittel - ländischen Tümpel kannten, dasselbe schon längst auf dem Wege der reinen Wissenschaft dargethan hatten; mit den hellenischen Atomen, dem indischen Äther, der babylonischen Evolution finden wir noch immer, trotz der ungeheuren Zunahme des Wissens, unser Auskommen. Dagegen stehen wir als Entdecker ohne Rivalen da. Jener von mir angerufene, künftige Historiker der germanischen Civilisation und Kultur wird also hier fein und scharf unterscheiden, und dann sehr lange und ausführlich bei unserem Entdeckungswerk verweilen müssen.

Zur Entdeckung gehört vor Allem kindliche Unbefangenheit daher jene grossoffenen Kinderaugen, die in einem Gesicht wie Faraday’s fesseln. Das ganze Geheimnis der Entdeckung liegt hierin: die Natur reden zu lassen. Dazu gehört grosse Selbstbeherrschung; diese fehlte den Hellenen. Das Schwergewicht ihrer Genialität lag in der Schöpfer - kraft, das Schwergewicht der unseren in der Aufnahmefähigkeit. Denn die Natur gehorcht nicht einem Machtwort, sie spricht nicht wie wir Menschen wollen und was wir wollen, sondern durch endlose Geduld, durch unbedingte Unterordnung haben wir aus tausend tastenden Versuchen herauszufinden, wie sie befragt sein will und welche Fragen sie zu beantworten beliebt, welche nicht. Daher ist die Be - obachtung eine hohe Schule der Charakterbildung: sie übt die Aus - dauer, sie bändigt den Eigenwillen, sie lehrt unbedingte Wahrhaftig - keit. Diese Rolle hat die Naturbeobachtung in der Geschichte des Germanentums gespielt; diese Rolle würde sie morgen in unseren Schulen spielen, wenn endlich einmal die Nacht mittelalterlicher Superstitionen sich lichtete und wir zur Einsicht gelangten, dass nicht das Nachplappern veralteter Weisheit in toten, unverstandenen Sprachen,Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 49762Die Entstehung einer neuen Welt.auch nicht das Wissen angeblicher » Thatsachen « und noch weniger die Wissenschaft, sondern die Methode der Erwerbung alles Wissens, nämlich die Beobachtung, die Grundlage aller Erziehung sein sollte, als einzige Disciplin, welche zugleich den Geist und den Charakter formt, Freiheit und doch nicht Ungebundenheit schenkt, und welche die Quelle aller Wahrheit und aller Originalität einem Jeden zu - gänglich macht. Denn hier sehen wir Wissen und Kultur sich wieder berühren und lernen noch besser verstehen, inwiefern Entdecker und Dichter einer Familie angehören: wirklich originell ist nämlich nur dafür aber überall und immer die Natur. » Die Natur allein ist unendlich reich, und sie allein bildet den grossen Künstler «. 1)Goethe: Werther’s Leiden, Brief vom 26. Mai des ersten Jahres. Vergl. auch hier das S. 270 unten Gesagte.Die Menschen, die wir Genies nennen, ein Leonardo, ein Shakespeare, ein Bach, ein Kant, ein Goethe, sind unendlich fein organisierte Beobachter; freilich nicht in dem Sinne des Grübelns und Grabbelns, wohl aber im Sinne des Sehens, sowie des Aufspeicherns und Verarbeitens des Ge - sehenen. Diese Sehkraft nun d. h. die Fähigkeit des einzelnen Menschen, sich so zur Natur zu stellen, dass er innerhalb gewisser durch seine Individualität gezogener Grenzen ihre ewig schöpferische Originalität in sich aufnehme und dadurch befähigt werde, selber schöpferisch und originell zu sein diese Sehkraft kann geübt und entwickelt werden. Allerdings wird sie sich nur bei wenigen ausser - ordentlichen Menschen freischöpferisch bethätigen, doch Tausende zu originellen Leistungen befähigen.

Die hemmende Umgebung.
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Wenn der Trieb zum forschenden Entdecken dem Germanen in der beschriebenen Weise angeboren ist, warum erwachte er so spät? Er er - wachte nicht spät, sondern er wurde systematisch durch andere Mächte unterdrückt. Sobald die Wanderungen mit ihren unaufhörlichen Kriegen nur einen Augenblick Ruhe gönnen, erblicken wir den Germanen am Werke, nach Wissen dürstend und fleissig forschend. Karl der Grosse und König Alfred sind allbekannte Beispiele (S. 317 fg. ); schon von Karl’s Vater, Pippin, lesen wir bei Lamprecht,2)Deutsche Geschichte, II, 13. er sei » voll Verständnis namentlich für Naturwissenschaften gewesen «! 3)Nur im Vorbeigehen die für unsere germanische Eigenart so wichtige Ergänzung » für Naturwissenschaften und Musik! «Entscheidend ist dann die Aussage eines solchen Mannes wie Scotus Erigena (im 9. Jahrhundert), dass die Natur erforscht werden könne und erforscht werden solle;763Entdeckung.nur dadurch erfülle sie ihren göttlichen Zweck. 1)De divisione naturae V, 33. Vergl. auch oben S. 640.Wie erging es nun diesem bei aller Wissbegier doch äusserst frommen und (charakteristischer Weise!) zur schwärmerischen Mystik geneigten Manne? Auf Befehl des Papstes Nikolaus I. wurde er von seinem Lehramt in Paris verjagt und schliesslich ermordet, und noch vier Jahrhunderte später wurden seine Werke die inzwischen unter allen wirklich religiösen, antirömischen Germanen verschiedener Nationen grosse Verbreitung gefunden hatten durch die Sendlinge Honorius III. überall aufgestöbert und verbrannt. Ähnliches geschah bei jeder Regung des Wissenstriebes. Gerade im 13. Jahrhundert, im Augenblick, wo man die Schriften des Scotus Erigena so eifrig den Flammen überlieferte, wurde jener unbegreiflich grosse Geist, Roger Bacon,2)Nicht mit dem vier Jahrhunderte später lebenden, weit weniger bedeutenden Francis Bacon zu verwechseln. geboren, der zur Entdeckung der Erde durch » Hinaussegeln nach Westen, um nach Osten zu gelangen « anzufeuern suchte, der die Vergrösserungslupe konstruierte und das Teleskop in der Theorie entwarf, der als erster die Bedeutung wissenschaftlicher, streng philologisch bearbeiteter Sprachkenntnisse nachwies, u. s. w. ohne Ende, und der vor Allem die prinzipielle Bedeutung der Beobachtung der Natur als Grundlage alles wirklichen Wissens ein für alle Mal hinstellte und sein ganzes eigenes Vermögen auf physikalische Experi - mente ausgab. Welche Ermunterung fand nun dieser Geist, geeignet wie kein Anderer vor oder nach ihm, das gesamte Germanentum zum plötzlich hellen Auflodern seiner geistigen Fähigkeiten zu bringen? Zuerst begnügte man sich, ihm zu verbieten, die Ergebnisse seiner Versuche aufzuschreiben, d. h. also, sie der Welt mitzuteilen; dann wurde das Lesen der schon hinausgegangenen Bücher mit Exkommunikation bestraft; dann wurden seine Papiere die Ergebnisse seiner Studien vernichtet; zuletzt wurde er in schwere Kerkerhaft geworfen, in der er viele Jahre, bis zum Vorabend seines Todes, verblieb. Der Kampf, den ich hier an zwei Beispielen flüchtig skizziert habe, währte Jahr - hunderte und kostete viel Blut und Leiden. Im Grunde genommen ist es genau derselbe Kampf, den mein achtes Kapitel schildert: Rom gegen das Germanentum. Denn, was man auch sonst über römische Unfehlbarkeit denken mag, das Eine wird jeder unparteiische Mann zugeben: Rom hat stets mit unfehlbarem Instinkt es verstanden, das - jenige, was geeignet war, das Germanentum zu fördern, hintanzuhalten,49*764Die Entstehung einer neuen Welt.und demjenigen, wodurch es am tiefsten geschädigt werden musste, Vorschub zu leisten.

Doch um der Sache jede Spitze zu nehmen, die noch heute verletzen könnte, wollen wir sie bis auf ihren reinmenschlichen Kern verfolgen: was finden wir da? Wir finden, dass das thatsächliche, kon - krete Wissen, also das grosse Werk der mühsamen Entdeckung, einen Todfeind hat: das Alleswissen. Wir sahen das schon bei den Juden (S. 382); wenn man ein heiliges Buch besitzt, welches alle Weisheit ent - hält, so ist jede weitere Forschung ebenso überflüssig wie frevelhaft: die christliche Kirche übernahm die jüdische Tradition. Diese für unsere Geschichte so verhängnisvolle Anknüpfung geschieht unmittelbar vor unseren Augen; sie kann Schritt für Schritt nachgewiesen werden. Die alten Kirchenväter predigen einstimmig unter ausdrücklicher Be - rufung auf die jüdische Thora die Verachtung von Kunst und von Wissenschaft. Ambrosius z. B. sagt, Moses sei in aller weltlichen Weisheit erzogen gewesen und habe bewiesen, dass » Wissenschaft eine schädliche Thorheit sei, der man den Rücken kehren müsse, ehe man Gott finden könne «. » Astronomie und Geometrie treiben, dem Lauf der Sonne unter den Sternen folgen und kartographische Auf - nahmen von Ländern und Meeren veranstalten, heisst das Seelenheil für müssige Dinge vernachlässigen. « 1)De officiis ministrorum I, 26, 122 123.Augustinus erlaubt, dass man die Bahn des Mondes verfolge, » denn sonst könnte man Ostern nicht richtig bestimmen «; im Übrigen hält er die Beschäftigung mit Astronomie für Zeitverlust, indem sie nämlich die Aufmerksamkeit von nützlichen auf nutzlose Dinge lenke! Als » zu der Klasse der überflüssigen menschlichen Einrichtungen gehörend « erklärt er eben - falls die gesamte Kunst. 2)De doctrina christiana I, 26, 2 und I, 30, 2.Doch bedeutet diese noch unverfälscht jüdische Stellung der alten Kirchenlehrer eine enfance de l’art; zwar genügte sie, um Barbaren möglichst lange dumm zu erhalten; der Germane aber war nur äusserlich Barbar; sobald er zur Besinnung kam, entwickelten sich seine kulturellen Anlagen ganz von selbst und da war es notwendig, andere Waffen zu schmieden. Ein im fernen Süden geborener, zum Feind übergegangener Germane deutscher Herkunft, Thomas von Aquin, ward der berühmteste Waffenschmied; den lech - zenden Wissensdurst seiner Stammesbrüder suchte er im Auftrag der Kirche zu löschen, indem er ihm die vollendete, göttliche Allwissenheit765Entdeckung.darbot. Wohl mochte sein Zeitgenosse, Roger Bacon, spotten über » den Knaben, der alles lehre, ohne dass er selber irgend etwas gelernt habe «, denn Bacon hatte handgreiflich dargethan, dass uns die Grundlagen zum einfachsten Wissen noch völlig abgingen und er hatte gezeigt, auf welchem Wege allein diesem Mangel abzuhelfen sei; doch was nutzte Vernunft und Wahrhaftigkeit? Thomas, welcher behauptete, die heilige Kirchenlehre im Bunde mit dem kaum minder heiligen Aristoteles genüge, um jede denkbare Frage apodiktisch zu beantworten (siehe S. 683), alles weitere Forschen sei überflüssig und verdammungswürdig, wurde heilig gesprochen, Bacon wurde in den Kerker geworfen. Der Allwissenheit des Thomas gelang es auch thatsächlich, das schon begonnene Werk der mathematischen, physi - kalischen, astronomischen und philologischen Untersuchungen für drei ganze Jahrhunderte vollständig zu inhibieren! 1)Das ist der Philosoph, der heute von den Jesuiten auf den Thron er - hoben wird (siehe S. 680) und dessen Lehren hinfürder die Grundlage für die philosophische Bildung aller römischen Katholiken abgeben sollen! Wie frei sich der germanische Geist regte ehe ihm von der Kirche diese Ketten angelegt wurden, zeigt die Thatsache, dass auf der Universität zu Paris im 13. Jahrhundert Thesen wie die folgenden verteidigt wurden: » Die Reden der Theologen sind auf Fabeln gegründet « und » Es wird nichts mehr gewusst wegen des angeblichen Wissens der Theologen « und » Die christliche Religion hindert daran, etwas hinzuzu - lernen « (vergl. Wernicke: Die mathematisch-naturwissenschaftliche Forschung, etc., 1898, S. 5).

Wir sehen also ein, warum das Entdeckungswerk so spät anhub. Zugleich gelangen wir zur Kenntnis eines allgemeinen Gesetzes in Bezug auf alles Wissen: nicht die Unwissenheit, sondern die Allwissenheit ist für jede Zunahme des Wissensstoffes eine tödliche Atmosphäre. Weisheit und Ignoranz sind beides nur die Bezeichnungen für nie bestimmbare, weil rein relative Begriffe, der absolute Unterschied liegt ganz wo anders; es ist der zwischen dem Manne, der sich seiner Un - wissenheit bewusst ist und dem, der durch irgend eine Selbsttäuschung sich entweder im Besitze alles Wissens wähnt oder sich über alles Wissen erhaben dünkt. Ja, man dürfte vielleicht noch weiter gehen und die Behauptung aufstellen, jegliche Wissenschaft, selbst die echte, berge eine Gefahr für die Entdeckung, indem sie die Unbefangenheit des beobachtenden Menschen der Natur gegenüber in etwas lähmt. Hier wie anderswo (siehe S. 686) ist nicht so sehr die Menge und die Art des Wissens, als vielmehr die Richtung des Geistes das Ent -766Die Entstehung einer neuen Welt.scheidende. 1)Daher das tiefsinnige Wort Kant’s über die Bedeutung der Astronomie: » Das Wichtigste ist wohl, dass sie uns den Abgrund der Unwissenheit aufgedeckt hat, den die menschliche Vernunft ohne diese Kenntnisse sich niemals so gross hätte vorstellen können, und worüber das Nachdenken eine grosse Veränderung in der Bestimmung der Endabsichten unseres Vernunftgebrauches hervorbringen muss « (Kritik der reinen Vernunft, Anmerkung in dem Abschnitt betitelt: » Von dem transscendentalen Ideal «).In der Erkenntnis dieses Verhältnisses liegt die ganze Bedeutung des Sokrates eingeschlossen, der von den Machthabern seiner Zeit aus demselben Grunde verfolgt wurde, wie die Scotus Erigena und Roger Bacon von den Machthabern ihrer Zeit. Denn es fällt mir nicht ein, der römischen Kirche einen besonderen, nur auf sie ge - münzten Vorwurf aus ihrem Verhalten zu machen. Zwar richtet sich die Aufmerksamkeit immer in erster Linie auf sie, schon wegen der entscheidenden Macht, die sie bis vor wenigen Jahrhunderten besass, sowie auch wegen der grossartigen Konsequenz, mit der sie stets den einzig logischen Standpunkt unseres aus dem Judentum hervorgegangenen Glaubenssystems bis heute festgehalten hat; doch auch ausserhalb ihrer Gemeinschaft finden wir denselben Geist, als unabweisliche Folge jeder historischen, materialistischen Religion. Martin Luther z. B. hat folgenden horrenden Ausspruch gethan: » Der Griechischen Weisheit, wenn sie gegen der Juden Weisheit gehalten wird, ist gar viehisch; denn ausser Gott kann keine Weisheit, noch einiger Verstand und Witz sein. « Also die ewig herrlichen Leistungen der Hellenen sind » viehisch « im Verhältnis zu der absoluten Ignoranz und kulturellen Roheit eines Volkes, welches auf keinem einzigen Felde menschlichen Wissens oder Schaffens jemals das Geringste geleistet hat! Hingegen weist Roger Bacon in dem ersten Teil seines Opus majus als die vor - nehmliche Ursache der menschlichen Unwissenheit » den Stolz eines vorgeblichen Wissens « nach; womit er in der That den Kernpunkt trifft. 2)Die Ignoranz hat nach ihm vier Ursachen: den Autoritätsglauben, die Macht der Gewohnheit, die Sinnestäuschungen, den stolzen Wahnsinn einer er - träumten Weisheit. Von den Thomisten und Franziskanern, die als die grössten Gelehrten seiner Zeit galten, sagt Bacon: » Niemals hat die Welt einen so grossen Schein des Wissens gesehen wie heute, und doch war niemals in Wahrheit die Ignoranz so krass, der Irrtum so tief eingewurzelt « (nach einem Citat in Whewell: History of the inductive sciences, 3d. ed., I, 378).Der Rechtsanwalt Krebs (besser bekannt als Kardinal Cusanus und berühmt als Aufdecker des römischen Dekretalienschwindels) ver - trat zwei Jahrhunderte später dieselbe These in seinem vielgenannten767Entdeckung.Werke De docta ignorantia; er meint da: das bewusste Nichtwissen sei der erste Schritt zu allem Wissen.

Sobald diese Einsicht so weit durchgedrungen war, dass selbst Kardinäle sie vortragen durften, ohne in Ungnade zu fallen, war der Sieg des Wissens sicher. Jedoch, um die Geschichte unserer Ent - deckungen und unserer Wissenschaften zu verstehen, werden wir das hier festgestellte Grundprinzip nie aus den Augen verlieren dürfen. Inzwischen hat freilich eine Verschiebung der Machtverhältnisse statt - gefunden, nicht jedoch der Prinzipien. Unser Wissen haben wir Schritt für Schritt nicht allein der Natur abringen, sondern auch den Hinder - nissen abtrotzen müssen, welche die Mächte der nichtswissenden Allweis - heit uns auf allen Seiten entgegenstellten. Als im Jahre 1874 Tyndall, in seiner berühmten Rede vor der British Association in Belfast, die unbedingte Freiheit der Forschung gefordert hatte, erhob sich in der ganzen anglikanischen Kirche, sowie in allen Kirchen der Dissidenten ein Sturm der Empörung. Bei uns kann zwischen Wissenschaft und Kirche niemals aufrichtige Harmonie bestehen, wie das in Indien der Fall war: zwischen einem dem Judentum entlehnten, chronistischen und absolutistischen Glaubenssystem und den fragenden, forschenden Instinkten der germanischen Persönlichkeit ist dies ein Ding der Un - möglichkeit. Man mag das nicht einsehen, man mag es aus inter - essierten Gründen leugnen, man mag es wegen fernreichender Pläne zu vertuschen suchen, wahr bleibt es doch, und diese Wahrheit bildet einen der Gründe zu der tiefliegenden Zwietracht unserer Zeiten. Daher kommt es auch, dass bisher so spottwenig von unserem grossen Endeckungswerk in das lebendige Bewusstsein der Völker eingedrungen ist. Diese erblicken wohl einige Resultate des Forschens solche die zu industriell verwertbaren Neuerungen führten; doch ist es offen - bar vollkommen gleichgültig, ob wir uns mit Talgkerzen oder mit elektrischen Glühlampen leuchten; entscheidend ist nicht, wie man sieht, sondern wer sieht. Erst wenn wir unsere Erziehungsmethoden so gänzlich umgewälzt haben, dass die Heranbildung des Einzelnen von Anfang an einem Entdecken gleicht und nicht lediglich aus der Überlieferung einer fertigen Weisheit besteht, erst dann werden wir auf diesem grundlegenden Gebiet des Wissens das fremde Joch in der That abgeschüttelt haben und der vollen Entfaltung unserer besten Kräfte entgegengehen.

Der Blick aus einer solchen möglichen Zukunft zurück auf unsere noch arme Gegenwart befähigt, noch weiter zurückzuschauen und mit768Die Entstehung einer neuen Welt.Verständnis nachzufühlen, welchen Schwierigkeiten das mühsamste aller Werke, die Entdeckung, auf Schritt und Tritt begegnete. Ohne die Goldgier, und ohne die unnachahmliche Naivetät der Germanen wäre es nie gelungen. Sie verstanden es, sich sogar die kindische Kosmo - gonie des Moses zu nutze zu machen. 1)Was heute mit dem Darwinismus wieder geschieht!So sehen wir z B. wie die Theologen der Universität Salamanca mit einem ganzen Arsenal von Citaten aus der Bibel und aus den Kirchenvätern beweisen, der Ge - danke einer Westroute über den Atlantischen Ocean sei Unsinn und Blasphemie, und wie sie damit die Abweisung des Columbus seitens der Regierung durchsetzen;2)Fiske: Discovery of America, ch. V. doch Columbus selber, ein sehr frommer Mann, war hierdurch nicht irre zu machen, denn auch er verliess sich bei seinen Berechnungen mehr noch als auf die Karte des Tos - canelli und auf die Meinungen des Seneca, Plinius u. s. w., gleichfalls auf die Heilige Schrift, und zwar auf die Apokalypse Esra’s, worin gesagt wird, das Wasser bedecke nur den siebenten Teil der Erde. 3)Dies ist natürlich nur eine Anwendung der beliebten Einteilung in die heilige Siebenzahl, nach der (angeblichen) Zahl der Wandelsterne. Man vergleiche das zweite Buch Esra in den Apokryphen, VI, 42 und 52 (auch als viertes Buch Esra bezeichnet, wenn das kanonische Buch Esra und das Buch Nehemia als erstes und zweites gerechnet werden, was in früheren Zeiten üblich war.) Höchst bemerkens - wert ist es, dass Columbus alle seine Argumente für einen westlichen Weg nach Indien, sowie auch die Kenntnis dieser Stelle aus Esra dem grossen Roger Bacon verdankt! So haben wir den Trost, den armen, von der Kirche zu Tode Gehetzten, ebenso wie auf Mathematik, Astronomie und Physik, auch auf die Ge - schichte der geographischen Entdeckungen entscheidenden Einfluss ausüben zu sehen.Wahrlich, eine echt germanische Art, jüdische Apokalypsen zu etwas nütze zu machen! Hätten die Menschen damals geahnt, dass das Wasser statt ein Siebentel der Erdoberfläche wie die unfehlbare Quelle alles Wissens es lehrte fast genau drei Viertel bedecke, sie hätten sich auf den Ocean nie hinausgewagt. Auch der ferneren Geschichte der geographischen Entdeckungen kamen verschiedene der - artige fromme Konfusionen sehr zu statten. So z. B. war es die (S. 675 erwähnte) Schenkung aller Länder der Erde westlich der Azoren an Spanien durch den Papst als unbeschränkten Herrn der Welt, welche die Portugiesen zur Auffindung des östlichen Weges nach Indien um das Kap der guten Hoffnung herum förmlich zwang. Nun fanden sich aber in Folge dessen die Spanier im Nachteil; denn der Papst769Entdeckung.hatte den Portugiesen die gesamte östliche Welt zu eigen geschenkt und jetzt waren sie auf Madagascar und auf Indien gestossen mit seinen fabelhaften Schätzen an Gold, Edelsteinen, Gewürzen u. s. w., während Amerika einstweilen wenig bot; und so kannten die Spanier keine Ruhe bis Magalhães seine grosse That vollbracht, und auf dem west - lichen Wege ebenfalls bis nach Indien vorgedrungen war. 1)Magalhães erblickte Land, d. h. er vollendete den Beweis, dass unsere Erde rund sei, am 6. März 1521, am selben Tage, an dem Karl V. die Vorladung Luther’s nach Worms unterschrieb.

Auf Einzelheiten werde ich nicht eingehen. Nicht als ob esDie Einheit des Entdeckungs - werkes. hier nicht noch vieles auszuführen gäbe, was der Leser weder aus Geschichtswerken noch aus Konversationslexicis wird ergänzen können, doch sobald der ganze lebendige Organismus uns klar vor Augen steht die besondere Anlage, die treibenden Kräfte, die hemmende Um - gebung ist die an diesem Orte gestellte Aufgabe vollbracht, und das dürfte jetzt der Fall sein. Nicht eine Chronik der Vergangen - heit, sondern eine Beleuchtung der Gegenwart bezwecke ich ja. Und darum möchte ich nur noch auf das Eine mit besonderem Nachdruck die Aufmerksamkeit richten. Es verwirrt nämlich das historische Ver - ständnis völlig, wenn man die geographischen Entdeckungen, wie üblich, von dem übrigen Entdeckungswerk scheidet; ebenso entsteht eine weitere Verwirrung, wenn man diejenigen Entdeckungen, welche speziell das Menschengeschlecht betreffen ethnographische, sprach - liche, religionsgeschichtliche u. s. w. wieder in ein besonderes Fach einreiht, oder zu Philologie und Historie zählt. Die Einheit der Wissen - schaften wird täglich mehr anerkannt, die Einheit des Entdeckungs - werkes, d. h. also der Herbeischaffung des Wissensstoffes, fordert die - selbe Anerkennung. Gleichviel, was entdeckt wird, gleichviel ob ein kühner Abenteurer, ein erfindungsreicher Industrieller oder ein ge - duldiger Gelehrter es zu Tage fördert, es sind dieselben Anlagen unseres Wesens am Werke, derselbe Drang nach Besitz, dieselbe Leidenschaft - lichkeit, dieselbe Hingabe an die Natur, dieselbe Kunst der Beobachtung; es ist derselbe germanische Mann, von dem Faust sagt:

Im Weiterschreiten find er Qual und Glück, Er! unbefriedigt jeden Augenblick.

Und jede einzelne Entdeckung, gleichviel auf welchem Gebiete sie stattfindet, fördert jede andere, wie fern auch abliegende. Das ist bei770Die Entstehung einer neuen Welt.den geographischen besonders sichtbar. Aus Gier nach Besitz, zugleich aus religiösem Fanatismus hatten die Staaten Europa’s sich des geo - graphischen Entdeckungswerkes angenommen; das Hauptergebnis für den Menschengeist war aber zunächst die Feststellung, dass die Erde rund ist. Die Bedeutung dieser Entdeckung ist einfach unermessbar. Zwar war die sphärische Gestalt der Erde schon längst von den Pytha - goreern vermutet und von gelehrten Männern zu allen Zeiten vielfach be - hauptet worden; doch ist es ein gewaltig weiter Schritt von derartigen theoretischen Erwägungen bis zu einem unwiderleglichen, konkreten, augenfälligen Nachweis. Dass die Kirche nicht wirklich an die Kugel - gestalt der Erde glaubte, geht zur Genüge aus jenen Schenkungsbullen des Jahres 1493 hervor (S. 675): denn » westlich « von einem jeden Breiten - grade liegt die ganze Erde. Dass Augustinus die Annahme von Anti - poden für absurd und schriftwidrig hielt, habe ich schon früher angeführt (S. 538). Am Schlusse des 15. Jahrhunderts galt für die Gläubigen noch immer die Geographie des Mönches Cosmas Indicopleustes als massgebend, welcher die Ansicht der griechischen Gelehrten für Gottes - lästerung erklärt und die Welt sich als ein flaches Rechteck denkt, das die vier Wände des Himmels einschliessen; oberhalb der gewölbten Sternendecke wohnen Gott und die Engel. 1)Vergl. Fiske: Discovery of America, ch. III.Mag man auch heute über derartige Vorstellungen lächeln, sie waren und sind durch die Kirchenlehre geboten. So warnt z. B. Thomas von Aquin bezüglich der Hölle ausdrücklich vor der Tendenz, sie nur geistig aufzufassen; im Gegenteil, die Menschen würden dort poenas corporeas, leibliche Strafen, leiden, und die Flammen der Hölle seien secundum litteram intelligenda, d. h. buchstäblich zu verstehen, was doch die Vorstellung eines Ortes nämlich » unterhalb der Erde « bedingt.2)Compendium Theologiae, cap. CLXXIX. Dass Thomas von Aquin auch an eine bestimmte Lokalisation des Himmels glaubte, wenngleich er weniger Nach - druck darauf gelegt zu haben scheint, bezweifle ich nicht. Konrad von Megen - berg, der genau 100 Jahre nach ihm starb (1374), ein sehr gelehrter und frommer Mann, Kanonikus am Regensburger Dom und Verfasser der allerersten Naturge - schichte in deutscher Sprache, sagt ausdrücklich in dem astronomischen Teil seines Werkes: » Der erste und oberste Himmel (es giebt ihrer zehn) steht still und dreht sich nicht. Er heisst auf lateinisch Empyreum, zu deutsch Feuerhimmel, weil er in übernatürlich hellem Schein glüht und leuchtet. In ihm wohnt Gott mit seinen Auserwählten « (Das Buch der Natur, II, 1). Die neue Astronomie, fussend auf der neuen Geographie, vernichtete also geradezu die » Woh - nung Gottes «, an die bis dahin selbst gelehrte und freisinnige Männer geglaubt Ein771Entdeckung.runder, im Raume schwebender Planet vernichtet die greifbare Vor - stellung der Hölle ebenso gründlich und weit wirksamer als Kant’s Transscendentalität des Raumes. Kaum ein einziger der kühnen See - fahrer glaubte ganz fest an die Kugelgestalt der Erde und Magalhães hatte grosse Mühe, seine Leute zu beruhigen, als er den Stillen Ocean durchkreuzte, da sie täglich fürchteten, plötzlich an den » Rand « der Welt zu gelangen und direkt in die Hölle hinunter zu fallen. Und nunmehr war der konkrete Beweis erbracht; die Leute, die nach Westen hinausgesegelt waren, kehrten von Osten zurück! Das war die vorläufige Vollendung des von Marco Polo (1254 1323) begonnenen Werkes; er hatte als Erster die sichere Kunde gebracht, im Osten von Asien dehne sich ein Ocean aus. 1)Zur Verdeutlichung des im 13. Jahrhundert begonnenen geographischen Entdeckungswerkes ist umstehend eine Karte beigegeben. Der schwarze Teil zeigt, wie viel von der Welt dem Europäer aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, also vor Marco Polo, bekannt war; alles weiss Gelassene war völlig terra incognita. Die Gegenüberstellung wirkt überraschend und kann als ein Diagramm zur Ver - sinnbildlichung der entdeckenden Thätigkeit der Germanen auch auf anderen Ge - bieten dienen. Sobald man frühere Zeiten oder aussereuropäische Völker in Betracht zöge, müsste allerdings der schwarze Teil bedeutende Modifikationen er - leiden; so z. B. hatten die Phönizier die Kap Verde-Inseln gekannt, inzwischen waren aber diese so gänzlich aus den Augen verloren, dass man die alten Be - richte für Fabeln hielt; die Kalifen hatten mit Madagaskar einen regen Verkehr unterhalten, sogar angeblich den Seeweg um Indien herum nach China gekannt; christliche, nestorianische Bischöfe soll es im 7. Jahrhundert in China gegeben haben! u. s. w. Dass von allen diesen Dingen einzelne Europäer (am päpstlichen Hofe oder an Handelsemporien) dunkle Kunde auch im 13. Jahr - hundert besassen, ist anzunehmen; ich habe aber zeigen wollen, was thatsächlich und aus sicherer Anschauung damals bekannt war, und da habe ich eher zu viel als zu wenig aufgenommen. Von den Küsten Indiens z. B. hatten die Europäer damals gar keine genaue Kenntnis; drei Jahrhunderte später (z. B. auf der Karte von Johann Ruysch) sind ihre Vorstellungen noch schwankend und fehlervoll; von Innerasien kannten sie lediglich die Karawanenstrassen bis nach Samarkand und bis an den Indus. Erst wenige Jahre vor Marco Polo sind zwei Franziskaner - Mönche bis nach Karakorum, an den Hof des Grosskhans, vorgedrungen und haben von dort die erste nähere Kunde (doch auch nur vom Hörensagen) über China gebracht.

Mit einem Schlage war nunmehr rationelle Astronomie möglich geworden! Die Erde war rund; folglich schwebte sie im Raume. Schwebte sie aber im Raume, warum sollten nicht Sonne, Mond und2)hatten, und raubte den physico-theologischen Vorstellungen alle sinnlich über - zeugende Realität.[772]

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773Entdeckung.Planeten frei schweben? Somit kamen geniale Hypothesen der alten Hellenen wieder zu Ehren. 1)Gleich in der Widmung zu seinem De revolutionibus nennt Kopernikus diese Meinungen der Alten. Und als das Werk später auf den Index kam, wurde die Lehre des Kopernikus kurzweg als doctrina Pythagorica bezeichnet (Lange: Gesch. des Materialismus, 4. Aufl. I, 172).Vor Magalhães fassten derartige Speku - lationen (z. B. die des Regiomontanus) nie festen Fuss; wogegen sobald kein Zweifel mehr bestand über die Gestalt der Erde, ein Kopernikus gleich zur Hand war; denn jetzt stand die Spekulation auf dem festen Boden sicherer Thatsachen. Hierdurch wurde aber sofort die Erinnerung an jenes schon von Roger Bacon angegebene Teleskop geweckt, und die Entdeckungen auf unserem Planeten setzten sich fort durch Entdeckungen am Himmel. Kaum war die Bewegung der Erde als wahrscheinliche Hypothese aufgestellt worden, und schon sah man mit Augen die Monde um Jupiter herum kreisen. 2)Die Bewegung dieser Monde ist so leicht zu beobachten, dass Galilei sie sofort bemerkte und in seinem Briefe vom 30. Januar 1610 erwähnt.Welchen immensen Impuls die Physik durch die völlige Umgestaltung der kos - mischen Vorstellungen erhielt, zeigt die Geschichte. Dass sie bei Archimedes anknüpft, ist wahr, so dass man der Renaissance ein ge - wisses kleines Verdienst daran lassen kann, doch weist Galilei darauf hin, dass die Geringschätzung der höheren Mathematik und Mechanik mit dem Mangel eines sichtbaren Gegenstandes für deren An - wendung zusammenhing,3)So habe ich wenigstens ein Citat in Thurot: Recherches historiques sur le principe d’Archimède, 1869, gedeutet, bin aber leider augenblicklich nicht in der Lage, die Treue meines Gedächtnisses und die Richtigkeit meiner Auffassung zu prüfen. und die Hauptsache ist, dass eine mechanische Auffassung der Welt überhaupt erst dann sich den Menschen aufdrängen konnte, als sie mit Augen die mechanische Struktur des Kosmos er - blickten. Jetzt erst wurden die Gesetze des Falles sorgfältig untersucht; diese führten zu einer neuen Vorstellung und Analyse der Schwer - kraft, sowie zu einer neuen und richtigeren Bestimmung der Grundeigen - schaften aller Materie. Die treibende Kraft zu allen diesen Studien war die durch den Anblick schwebender Gestirne mächtig erregte Phantasie. Die hohe Bedeutung fortwährender Entdeckungen für das Wachhalten der Phantasie (und somit auch für die Kunst) habe ich schon früher erwähnt (S. 270); hier erblicken wir das Prinzip am Werke.

Man sieht, wie sich das Eine aus dem Anderen ergiebt, und wie der erste Anstoss zu allen diesen Entdeckungen in den Ent -774Die Entstehung einer neuen Welt.deckungsreisen zu suchen ist. Doch viel weiter noch, bis in die tiefste Tiefe der Weltanschauung und Religion, reichten bald die um diesen mittleren Impuls herum sich ausdehnenden Wellen. Denn viele Thatsachen wurden jetzt entdeckt, welche der scheinbaren Evidenz und den Lehren des sacrosancten Aristoteles direkt widersprachen. Die Natur wirkt immer in unerwarteter Weise; der Mensch besitzt kein Organ, durch das er noch nicht Beobachtetes erraten könnte, weder Gestalt noch Gesetz; es ist ihm völlig versagt. Endeckung ist immer Offenbarung. In genialen Köpfen wirkten nun diese neuen Offenbarungen diese den stummen Sphinxen entlockten Antworten auf bisher in heiliges Dunkel gehüllte Rätsel mit fliegender Eile und befähigten sie sowohl zu Anticipationen künftiger Entdeckungen wie auch zur Grundlegung einer durchaus neuen, weder hellenischen noch jüdischen, sondern germanischen Weltanschauung. So verkündete schon Leonardo da Vinci ein Vorläufer aller echten Wissenschaft » la terra è una stella «, die Erde ist ein Stern, und fügte erläuternd an anderer Stelle hinzu: » la terra non è nel mezzo del mondo «, die Erde befindet sich nicht in der Mitte des Universums; und mit einer schier unbegreiflichen Intuitionskraft sprach er das ewig denkwürdige Wort: » Alles Leben ist Bewegung «. 1)So finde ich die Stelle an verschiedenen Orten citiert, doch lautet der einzige derartige Spruch, den ich aus dem Original kenne, etwas anders: Il moto è causa d’ogni vita, die Bewegung ist Ursache alles Lebens (in den von J. P. Richter herausgegebenen Scritti letterari di Leonardo da Vinci, II, 286, Fragment Nr. 1139). Die früher genannten Stellen sind den Nummern 865 und 858 entnommen.Hundert Jahre später sah schon Giordano Bruno, der begeisterte Visionär, unser ganzes Sonnensystem sich im unendlichen Raume fortbewegen, die Erde mit ihrer Last an Menschen und Menschen - geschicken nur ein Atom unter ungezählten Atomen. Da war man freilich weit von mosaischer Kosmogonie und von dem Gott, der sich das kleine Volk der Juden herausgewählt hatte, » auf dass er geehrt werde «, und fast ebenso weit von Aristoteles mit seiner pedantisch - kindischen Teleologie. Es musste der Aufbau einer ganz neuen Welt - anschauung, einer Weltanschauung, die den Bedürfnissen des ger - manischen Gesichtskreises und der germanischen Geistesrichtung ent - sprach, begonnen werden. In dieser Beziehung ward dann Descartes geboren, ehe Bruno starb von weltgeschichtlicher Bedeutung, indem er, genau so wie seine Vorfahren, die kühnen Seefahrer, zugleich das prinzipielle Zweifeln an allem Hergebrachten und die furchtlose Er - forschung des Unbekannten forderte. Worüber später Näheres.

775Entdeckung.

Das Alles sind Ergebnisse der geographischen Entdeckungen! Natürlich nicht wie Wirkungen, die auf Ursachen folgen, wohl aber wie Ereignisse, welche durch bestimmte Vorfälle veranlasst worden sind. Hätten wir Freiheit besessen, so hätte der historische Ent - wickelungsgang unseres Entdeckungswerkes ein anderer sein können, wie dies aus dem Beispiel Roger Bacon’s deutlich genug hervorgeht; doch natura sese adjuvat: alle Wege bis auf den einen der geo - graphischen Entdeckungen waren uns gewaltsam abgesperrt worden; dieser blieb offen, weil alle Kirchen den Geruch des Goldes lieben und weil selbst ein Columbus davon träumte, mit den erhofften Schätzen eine Armee gegen die Türken auszurüsten; und so wurde die geo - graphische Entdeckung die Grundlage zu allen anderen, damit zugleich das Fundament unserer allmählichen, doch noch lange nicht vollendeten geistigen Emanzipation.

Leicht wäre es, den Einfluss der Entdeckung der Welt auf alle anderen Lebenszweige nachzuweisen: auf Industrie und Handel, da - durch aber zugleich auf die wirtschaftliche Gestaltung Europas, auf den Landbau, durch die Einführung neuer Nutzpflanzen (z. B. der Kartoffel), auf die Medizin (man denke an das Chinin!), auf die Politik, u. s. w. Ich überlasse das dem Leser und mache ihn nur darauf aufmerksam, dass auf allen diesen Gebieten der erwähnte Ein - fluss zunimmt, je näher wir unserem 19. Jahrhundert rücken; mit jedem Tag wird unser Leben im Gegensatz zum früheren » euro - päischen « in ausgesprochenerer Weise ein » planetarisches «.

Noch ein grosses Gebiet tiefgehender und in diesem Zusammen -Der Idealismus. hang wenig beachteter Beeinflussung giebt es, das nicht unerörtert bleiben darf, und zwar um so weniger als gerade hier die unaus - bleiblichen Folgen der Entdeckungen am langsamsten sich einstellen und kaum erst in unserem Jahrhundert deutliche Gestalt zu gewinnen begannen: ich meine, den Einfluss der Entdeckungen auf die Religion. In Wahrheit hat durch die Entdeckung erst der Sphäroidalgestalt der Erde, sodann ihrer Stellung im Kosmos, sodann der Bewegungs - gesetze, sodann der chemischen Struktur der Stoffe usw., usw. eine lückenlos mechanische Deutung der Natur sich als unabweislich, als einzig wahr ergeben. Sage ich » einzig wahr «, so meine ich einzig wahr für uns Germanen; andere Menschen mögen in Zukunft wie in der Vergangenheit anders denken; auch unter uns regt sich hin und wieder eine Reaktion gegen das allzu einseitige Vorwalten rein mechanischer Naturdeutung; doch lasse man sich nicht durch vor -776Die Entstehung einer neuen Welt.übergehende Strömungen irreführen; wir werden mit Notwendigkeit immer wieder auf Mechanismus zurückkommen, und so lange der Germane vorherrscht, wird er diese seine Auffassung auch den Nicht - germanen aufzwingen. Ich rede nicht von Theorien, das gehört an einen anderen Ort; wie aber auch die Theorie ausfalle, » mechanisch « wird sie hinfürder immer sein, das ist ein unweigerliches Gebot des germanischen Denkens; denn so nur vermag es das Äussere und das Innere in fruchtbarer Wechselwirkung zu erhalten. Dies gilt für uns so uneingeschränkt, dass ich mich gar nicht entschliessen kann, das Mechanische als eine Theorie und daher als zur » Wissen - schaft « gehörig zu betrachten, sondern es vielmehr als eine Entdeck - ung, als eine feststehende Thatsache auffassen zu müssen glaube. Rechtfertigen mag dies der Philosoph, doch bildet für den gemeinen Mann der Siegeslauf unserer greifbaren Entdeckungen genügende Gewähr; denn der streng festgehaltene mechanische Gedanke war von Anfang an bis zum heutigen Tage der Ariadnefaden, der uns durch alle sich querenden Irrgänge sicher hindurchführte. » Wir bekennen uns zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkeln ins Helle strebt, « schrieb ich auf das Titelblatt dieses Buches: was uns in der Welt der empiri - schen Erfahrung aus dem Dunkeln ins Helle geführt hat und noch führt, war und ist das unbeirrte Festhalten am Mechanismus. Dadurch und nur dadurch haben wir eine Menge der Erkenntnis und eine Herrschaft über die Natur erworben, wie nie eine andere Menschen - art. 1)Da man in einem philosophisch so sehr verrohten Zeitalter Missverständ - nisse in allen Dingen immer befürchten muss, setze ich hinzu (mit Kant’s Worten), dass wenn es auch, » ohne den Mechanismus zum Grunde der Nachforschung zu legen, gar keine eigentliche Naturerkenntnis geben kann «, dies doch nur für die Empirie gilt und durchaus nicht hindert, » nach einem Prinzip zu spüren und zu reflektieren, welches von der Erklärung nach dem Mechanismus der Natur ganz verschieden ist « (Kritik der Urteilskraft, § 70).Dieser Sieg des Mechanismus bedeutet nun den notwendigen, völligen Untergang aller materialistischen Religion. Das Ergebnis ist unerwartet, doch unanfechtbar. Jüdische Weltchronik konnte für Cosmas Indicopleustes Bedeutung haben, für uns kann sie es nicht; dem Universum gegenüber, wie wir es heute kennen, ist sie einfach absurd. Ebenso unhaltbar ist aber dem Mechanismus gegenüber alle Magie, wie sie dem Orient entnommen in kaum verhüllter Ge - stalt einen so wesentlichen Bestandteil des sogenannten christlichen Credos ausmacht (siehe S. 636, 640). Mechanismus in der Welt -777Entdeckung.anschauung und Materialismus in der Religion sind ein für alle Mal unvereinbar. Wer die mit den Sinnen wahrgenommene, empirische Natur mechanisch deutet, hat eine ideale Religion oder gar keine; alles Übrige ist bewusste oder unbewusste Selbstbelügung. Der Jude kannte keinerlei Mechanismus: von der Schöpfung aus Nichts bis zu seinen Träumen einer messianischen Zukunft ist bei ihm alles frei - waltende, allvermögende Willkür;1)Siehe S. 242 fg. darum hat er auch nie etwas entdeckt; nur Eines ist bei ihm notwendig: der Schöpfer; mit ihm ist alles erklärt. Die mystisch-magischen Gedanken, welche allen unseren kirchlichen Sakramenten zu Grunde liegen, stehen auf einer noch tieferen Stufe des Materialismus; denn sie bedeuten in der Haupt - sache einen Stoffwechsel, sind also weder mehr noch weniger als Seelen-Alchymie. Dagegen verträgt der konsequente Mechanis - mus, wie wir Germanen ihn geschaffen haben und dem wir nie mehr entrinnen können, einzig eine rein ideale, d. h. eine transscendente Religion, wie sie Jesus Christus gelehrt hatte: das Himmelreich ist inwendig in euch. 2)Siehe S. 199 fg., 567 fg., u. s. w.Nicht Chronik, sondern nur Erfahrung innere, unmittelbare Erfahrung kann für uns Religion sein.

Darauf ist an anderem Orte zurück zu kommen. Hier will ich nur das Eine vorwegnehmen, dass nach meinem Dafürhalten die Welt - bedeutung Immanuel Kant’s auf seinem genialen Erfassen dieses Verhältnisses beruht: das Mechanische bis in seine letzten Konse - quenzen als Welterklärung; das rein Ideale als einzigen Gesetzgeber für den inneren Menschen. 3)Für philosophisch gebildete Leser will ich bemerken, dass mir Kant’s Aufstellung einer dynamischen Naturphilosophie im Gegensatz zu einer mechanischen Naturphilosophie (Metaphysische Anfangsgründe der Natur - wissenschaft, II) nicht entgangen ist, doch handelt es sich da um Unterscheidungen, die in einem Werk wie dem vorliegenden nicht vorgetragen werden können, ausserdem bezeichnet Kant mit » Dynamik « lediglich eine besondere Auffassung einer nach dem gewöhnlichen Brauch des Wortes streng » mechanischen « Deutung der Natur. Gleich hier möchte ich auch dem Missverständnis vor - beugen, als hätte ich mich dem Kant’schen System mit Haut und Haar verpflichtet. Ich bin nicht gelehrt genug, um alle diese scholastischen Windungen mitzumachen; es wäre Anmassung, wollte ich sagen, ich gehöre dieser oder jener Schule an; die Persönlichkeit dagegen erblicke ich deutlich und ich sehe, welch mächtiger Trieb sich in ihr äussert und nach welchen Richtungen hin. Nicht auf das » Recht haben « oder » Unrecht haben « dieses ewige Windmühlen-Fechten der kleinen Geister kommt es mir an, sondern erstens auf die Bedeutung (in diesem Zu -

Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 50778Die Entstehung einer neuen Welt.

Wie viele Jahrhunderte werden wir uns noch mit der bewussten Lüge herumschleppen, wir glaubten an Absurditäten als an offenbarte Wahrheit? Ich weiss es nicht. Doch hoffe ich, es währt nicht mehr lange. Denn das religiöse Bedürfnis schwillt zu gebieterisch an in unserer Brust, als dass es nicht eines Tages das morsche, finstere Gebäude zertrümmerte, und dann treten wir hinaus in das neue, helle, herrliche, welches schon lange fertig dasteht: das wird die Krone des germanischen Entdeckungswerkes sein!

2. Wissenschaft (von Roger Bacon bis Lavoisier).

Unsere wissen - schaftliche Methode.
335

Den Unterschied zwischen Wissenschaft und dem durch die Entdeckung gelieferten Rohmaterial des Wissens habe ich schon oben hervorgehoben und verweise auf das Seite 732 Gesagte; auch auf die Grenze zwischen Wissenschaft und Philosophie machte ich aufmerk - sam. Dass man niemals die Grenzen ohne einige Willkür wird scharf ziehen können, thut dem Prinzip der Unterscheidung nicht den mindesten Abbruch. Gerade die Wissenschaften, d. h. unsere neuen germanischen wissenschaftlichen Methoden haben uns eines Besseren belehrt. Leibniz hatte gut das sogenannte Gesetz der Kontinuität wieder aufnehmen und bis in seine letzten Konsequenzen durchführen; der metaphysische Beweis ist in der Praxis entbehrlich, denn auch die Erfahrung zeigt3)sammenhang wäre man geneigt zu sagen, auf die » dynamische « Bedeutung) des betreffenden Geistes und zweitens auf seine Eigenart; und da sehe ich Kant so mächtig, dass man zum Vergleich nur Wenige aus der Weltgeschichte heranziehen kann, und so durch und durch spezifisch germanisch (selbst auch wenn man dem Worte einen beschränkenden Sinn beilegt), dass er typische Bedeutung gewinnt. Die philo - sophische Technik ist hier das Nebensächliche, das Bedingte, Zufällige, Vergäng - liche; entscheidend, unbedingt, unvergänglich ist die zu Grunde liegende Kraft, » nicht das Gesprochene, sondern der Sprecher des Gesprochenen «, wie die Upani - shad’s sich ausdrücken. Über Kant als Entdecker verweise ich den Leser auch auf F. A. Lange’s Geschichte des Materialismus (Ausg. 1881, S. 383), wo mit bewunderns - wertem Scharfsinne gezeigt wird, wie es sich für Kant gar nicht darum handelte noch handeln konnte, seine grundlegenden Sätze zu beweisen, sondern vielmehr, sie zu entdecken. In Wahrheit ist Kant ein dem Galilei oder dem Harvey zu vergleichender Beobachter; er geht von Thatsachen aus und » in Wirklichkeit ist seine Methode keine andere, als die der Induktion «. Die Verwirrung entsteht dadurch, dass er sich selber über diesen Sachverhalt nicht ganz klar ist. Jeden - falls sieht man, dass ich auch rein formell berechtigt war, den Abschnitt » Ent - deckung « mit dem Namen Kant zu beschliessen.779Wissenschaft.uns auf allen Seiten das allmähliche Ineinanderübergehen. 1)Natürlich sehe ich in diesem Augenblicke von dem rein Mathematischen ab; denn da war es allerdings eine kolossale, bahnbrechende Leistung, den Begriff des Kontinuirlichen so umzugestalten und » von der geometrischen Anschauung los - zulösen, dass damit gerechnet werden konnte « (Gerhardt: Geschichte der Mathematik in Deutschland, 1877, S. 144).Um aber Wissenschaft aufzubauen, müssen wir unterscheiden, und die richtige Unterscheidung ist diejenige, welche sich in der Praxis bewährt. Ohne Frage kennt die Natur diese Scheidung nicht: das thut nichts; die Natur kennt auch keine Wissenschaft; das Unterscheiden in dem von der Natur gegebenen Material, gefolgt vom Aufsneueverbinden nach menschlich verständlichen Grundsätzen, macht überhaupt Wissen - schaft aus.

Dich im Unendlichen zu finden, Musst unterscheiden und dann verbinden.

Darum rief ich auch Bichat an am Anfange dieses Abschnittes. Wäre die von ihm gelehrte Einteilung der Gewebe eine von der Natur als Einteilung gegebene, so hätte man sie von jeher gekannt; weit entfernt aber, hat man die von Bichat vorgeschlagenen Unterscheidungen noch bedeutend modifiziert, denn es finden sich in der That überall Über - gänge zwischen den Gewebearten, hier in die Augen springende, dort der genaueren Beobachtung sich erschliessende; und so haben denkende Forscher ausprobieren müssen, bis sie den Punkt genau feststellten, wo die Bedürfnisse des Menschengeistes und die Achtung vor den That - sachen der Natur sich harmonisch das Gleichgewicht halten. Dieser Punkt lässt sich zwar nicht sofort, doch durch die Praxis bestimmen; denn die Wissenschaft wird in ihren Methoden durch eine zwiefache Rücksicht geleitet: sie hat Gewusstes aufzuspeichern, sie hat dafür zu sorgen, dass das Aufgespeicherte in Gestalt neuen Wissens Zinsen trage. An diesem Masstabe misst sich das Werk eines Bichat; denn hier wie anderwärts erfindet das Genie nicht, mit anderen Worten es schafft nicht aus nichts, sondern es gestaltet das Vorhandene. Wie Homer die Volksdichtungen gestaltete, so gestaltete Bichat die Ana - tomie; und ebenso wird auf jedem Gebiete gestaltet werden müssen. 2)S. 77 fg. Das Suffix » schaft « bedeutet ordnen, gestalten (englisch shape); Wissenschaft heisst also das Gestalten des Gewussten.

Mit dieser rein methodologischen Bemerkung, die nur zur Recht - fertigung meines eigenen Vorgehens dienen sollte, sind wir, wie man50*780Die Entstehung einer neuen Welt.sieht, bis ins Innere unseres Gegenstandes eingedrungen; ja, ich glaube, wir haben schon unvermerkt den Finger auf dessen Mittelpunkt gelegt.

Ich machte vorhin darauf aufmerksam, dass die Hellenen uns vielleicht als Theoretiker, wir ihnen jedenfalls als Beobachter überlegen seien. Das Theoretisieren und Systematisieren ist nun nichts anderes als wissenschaftliches Gestaltungswerk. Gestalten wir nicht d. h. also theoretisieren und systematisieren wir nicht so können wir nur ein Minimum an Wissen aufnehmen; es fliesst durch unser Hirn wie durch ein Sieb. Jedoch, mit dem Gestalten hat es ebenfalls einen Haken: denn, wie soeben an dem Beispiele Bichat’s hervorgehoben, dieses Gestalten ist ein wesentlich menschliches und das heisst der Natur gegenüber einseitiges, unzureichendes Beginnen. Gerade durch die Naturwissenschaften1)Dass alle echte Wissenschaft Naturwissenschaft ist, wurde schon hervor - gehoben. (S. 732). wird die Nichtigkeit des platten Anthropo - morphismus aller Hegels dieser Welt aufgedeckt. Es ist nicht wahr, dass der Menschengeist den Erscheinungen adäquat ist, die Wissen - schaften beweisen das Gegenteil; Jeder, der in der Schule der Be - obachtung den Geist ausgebildet hat, weiss es. Auch die viel tiefere Anschauung eines Paracelsus, der die uns umgebende Natur » den äusseren Menschen « nannte, wird uns zwar philosophisch fesseln, doch wissenschaftlich von geringer Ergiebigkeit dünken; denn sobald ich es mit empirischen Thatsachen zu thun habe, ist mein innerstes Herz ein Muskel und mein Denken die Funktion einer in einem Schädel - kasten eingeschlossenen grauen und weissen Masse: alles dem Leben meiner inneren Persönlichkeit gegenüber ebenso » äusserlich «, wie nur irgend einer jener Sterne, deren Licht, nach William Herschel, zwei Millionen Jahre braucht, um an mein Auge zu gelangen. Ist also die Natur vielleicht wirklich in einem gewissen Sinne ein » äusserer Mensch «, wie Paracelsus und nach ihm Goethe meinen, das bringt sie mir und meinem spezifisch und beschränkt menschlichen Verständnis in rein wissenschaftlicher Beziehung um keinen Zoll näher; denn auch der Mensch ist nur ein » äusserliches «.

Nichts ist drinnen, nichts ist draussen: Denn was innen, das ist aussen.

Darum ist alles wissenschaftliche Systematisieren und Theoretisieren ein Anpassen, ein Adaptieren, ein zwar möglichst genaues, doch nie ganz fehlerloses und namentlich immer ein menschlich gefärbtes Über -781Wissenschaft.tragen, Übersetzen, Verdolmetschen. Der Hellene wusste das nicht. Ein Gestalter ohne gleichen, forderte er auch in der Wissenschaft das Lücken - lose, das allseitig Abgerundete, und dadurch verrammelte er sich selber das Thor, durch welches man zur Naturerkenntnis eintritt. Wahre Be - obachtung wird unmöglich, sobald der Mensch mit einseitig mensch - lichen Forderungen voranschreitet; dafür steht der grosse Aristoteles als warnendes Beispiel. Nichts wirkt in dieser Beziehung überzeugender als die Betrachtung der Mathematik; hier sieht man sofort ein, was den Hellenen gehemmt und was uns gefördert hat. Die Leistungen der Hellenen in der Geometrie kennt Jeder; eigentümlich ist es nun zu be - merken, wie der Siegeslauf ihrer mathematischen Forschung bei der Weiterentwickelung auf ein unübersteigbares Hindernis stösst. Hoefer macht auf die Natur dieses Hindernisses aufmerksam, indem er hervor - hebt, dass der griechische Mathematiker niemals ein » Ungefähr « geduldet hat: für ihn musste der Beweis eines Satzes absolut lückenlos sein, oder er galt nicht; die Vorstellung, zwei » unendlich « wenig von einander abweichende Grössen könne man in der Praxis als gleich gross an - sehen, ist etwas, wogegen sein ganzes Wesen sich empört hätte. 1)Histoire des mathématiques, 4e éd., p. 206. Daselbst ein vorzügliches Beispiel davon, wie der Grieche lieber die nicht unmittelbar überzeugende weil lediglich logische reductio ad absurdum wählte, als den Weg eines evidenten, streng mathe - matischen Beweises, in welchem eine » unendliche Annäherung « als Gleichheit betrachtet wird.Zwar ist Archimedes bei seinen Untersuchungen über die Eigenschaften des Kreises notwendiger Weise auf nicht genau auszudrückende Ergeb - nisse gestossen, doch sagt er dann einfach: grösser als soviel und kleiner als soviel; auch schweigt er sich aus über die irrationalen Wurzeln, die er hat ziehen müssen, um zu seinem Resultate zu ge - langen. Dagegen beruht bekanntlich unsere ganze moderne Mathe - matik mit ihren Schwindel erregenden Leistungen auf Rechnungen mit » unendlich nahen «, d. h. also mit ungefähren Werten. Durch diese » Infinitesimalrechnung « ist sozusagen der weite undurchdring - liche Wald irrationaler Zahlen, der uns auf Schritt und Tritt hinderte, gefällt worden;2)Irrationale Zahlen nennt man solche, die nie ganz genau ausgedrückt werden können, also arithmetisch gesprochen, solche, die einen unendlichen Bruch enthalten; zu ihnen gehören eine grosse Menge der wichtigsten, in allen Rech - nungen stets wiederkehrenden Zahlen, z. B. die Quadratwurzeln der meisten Zahlen, das Verhältnis der Diagonale zur Seite eines Vierecks, des Durchmessers eines Kreises zu dessen Peripherie, u. s. w. Letztere Zahl, das π der Mathematiker, hat man denn die grosse Mehrzahl der Wurzeln und der782Die Entstehung einer neuen Welt.bei Winkel - und Kurvenmessungen vorkommenden sogenannten » Funk - tionen « gehören hierhin. Ohne diese Einführung der ungefähren Werte wären unsere ganze Astronomie, Geodäsie, Physik, Mechanik, sowie sehr bedeutende Teile unserer Industrie unmöglich. Und wie hat man diese Revolution vollführt? Indem man einen nur im Menschen - hirn geschnürten Knoten kühn durchhaute. Gelöst hätte dieser Knoten nie werden können. Hier gerade, auf dem Gebiete der Mathematik, wo alles so durchsichtig und widerspruchslos schien, war der Mensch gar bald an der Grenze der ihm eigenen Gesetzmässigkeit angelangt; er sah wohl ein, dass die Natur sich um das menschlich Denkbare und Undenkbare nicht kümmerte und dass der Denkapparat des stolzen Homo sapiens nicht dazu ausreichte, selbst das Allereinfachste das Verhältnis der Grössen zu einander aufzufassen und auszusprechen; doch was verschlug’s? Wie wir gesehen haben, ging die Leidenschaft des Germanen viel mehr auf Besitz denn auf rein formelle Gestaltung; seine kluge Beobachtung der Natur, seine hochentwickelte Aufnahme - fähigkeit überzeugte ihn bald, dass die formelle Lückenlosigkeit des Bildes in unserer Vorstellung durchaus keine Bedingung sine qua non für den Besitz, d. h. in diesem Falle für ein möglichst grosses Ver - ständnis ist. Bei dem Griechen war der Respekt des Menschen vor sich selbst, vor seiner menschlichen Natur das Massgebende; Gedanken zu hegen, die nicht in allen Teilen denkbar waren, dünkte ihm Ver - brechen am Menschentum; der Germane dagegen empfand ungleich lebhafter als der Hellene den Respekt vor der Natur (im Gegensatz zum Menschen) und ausserdem hat er sich, wie sein Faust, niemals vor Verträgen mit dem Teufel gescheut. Und so erfand er zunächst die imaginären Grössen, d. h. die unbedingt undenkbaren Zahlen, deren Typus $$x = \sqrt{-1}$$

ist. In den Lehrbüchern pflegt man sie als » Grössen, die nur in der Einbildung bestehen «, zu definieren; richtiger wäre es vielleicht zu sagen: die überall, nur nicht in der Einbildung vorkommen können, denn der Mensch ist unfähig, sich dabei etwas vorzustellen. Mit dieser genialen Erfindung der Goten und Lombarden des nördlichsten2)schon auf 200 Decimalstellen berechnet; man könnte sie auf 2 000 000 Stellen be - rechnen, es wäre immer nur eine Annäherung. Durch ein solches einfaches Beispiel wird die organische Unzulänglichkeit des Menschengeistes, seine Unfähigkeit, selbst ganz einfache Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen, recht handgreiflich dargethan. (Über den Beitrag der Indoarier zur Erforschung der irrationalen Zahlen, siehe S. 408.)783Wissenschaft.Italiens1)Niccolo, genannt Tartaglia (d. h. der Stotterer) aus Brescia, und Cardanus aus Mailand; beide wirkten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Doch kann man hier wie bei der Infinitesimalrechnung, den Fluxionen u. s. w. schwerlich bestimmte Erfinder angeben, denn die Notwendigkeit, die (durch die geographischen Entdeckungen gestellten) astronomischen und physikalischen Probleme zu lösen, brachte die verschiedensten Menschen auf ähnliche Gedanken. erhielt das Rechnen eine früher ungeahnte Elasticität: das absolut Undenkbare diente nunmehr, um die Verhältnisse konkreter Thatsachen zu bestimmen, denen sonst gar nicht beizukommen gewesen wäre. Bald folgte dann der ergänzende Schritt: wo eine Grösse der anderen » unendlich « nahekommt, ohne sie jedoch je zu erreichen, wurde eine Brücke eigenmächtig hinübergeschlagen und über diese Brücke schritt man aus dem Reich des Unmöglichen in das Reich des Möglichen. So wurden z. B. die unlösbaren Probleme des Kreises dadurch gelöst, dass man diesen in ein Vieleck von » unendlich « vielen, folglich » unendlich « kleinen Seiten auflöste. Schon Pascal hatte von Grössen gesprochen, » die kleiner sind als irgend eine ge - gebene Grösse « und hatte sie als quantités négligeables bezeichnet;2)Von diesem kühnen Manne meint bezeichnender Weise Sainte-Beuve, er bilde für sich allein » eine zweite fränkische Invasion in Gallien «. In ihm richtet sich der rein germanische Geist noch einmal auf gegen das Frankreich über - schwemmende Völkerchaos und dessen Hauptorgan, den Jesuitenorden. Newton und Leibniz gingen aber viel weiter, indem sie das Rechnen mit diesen unendlichen Reihen die vorhin genannte » Infinitesimal - rechnung « systematisch ausbildeten. Was hierdurch gewonnen wurde, ist einfach unermesslich; jetzt erst wurde die Mathematik aus Starrheit zu Leben erlöst, denn jetzt erst war sie in den Stand gesetzt, nicht allein ruhende Gestalt, sondern auch Bewegung genau zu analy - sieren. Ausserdem waren die irrationalen Zahlen jetzt gewissermassen aus der Welt geschafft, da wir sie, wo es Not thut, nunmehr um - gehen können. Nicht das allein aber, sondern ein Begriff, der früher nur in der Philosophie heimisch gewesen war, gehörte fortan der Mathematik und ward ein Elixir, das sie zu ungeahnt hohen Thaten kräftigte: der Begriff des Unendlichen. Ebenso wie der Fall ein - treten kann, dass zwei Grössen einander » unendlich « nahekommen, so kann es auch vorkommen, dass die eine » unendlich « zunimmt oder aber » unendlich « abnimmt, während die andere unverändert bleibt: das unendlich Grosse3)In die Mathematik wird das unendlich Grosse als die Einheit dividiert durch eine » unendlich kleine « Zahl eingeführt. Berkeley bemerkt zu dieser An - und das verschwindend Kleine zwei unbe -784Die Entstehung einer neuen Welt.dingt unvorstellbare Dinge sind also jetzt ebenfalls geschmeidige Bestandteile unserer Berechnungen geworden; wir können sie nicht denken, doch wir können sie gebrauchen, und aus diesem Gebrauch ergeben sich konkrete, eminent praktische Resultate. Unsere Kenntnis der Natur, unsere Befähigung, an viele ihrer Probleme auch nur heran - zutreten, beruht zum sehr grossen Teil auf dieser einen kühnen, selbst - herrlichen That: » Keine andere Idee «, sagt Carnot, » hat uns so ein - fache und wirksame Mittel an die Hand gegeben, um die Naturgesetze genau kennen zu lernen. « 1)Réflexions sur la méthaphysique du calcul infinitésimal, 4e éd. 1860. Diese Broschüre des berühmten Mathematikers ist so krystallklar, dass man wohl schwer - lich etwas Ähnliches über diesen durch die widerspruchsvolle Natur der Sache sonst ziemlich verworrenen Gegenstand finden wird. Wie Carnot sagt, es haben viele Mathematiker mit Erfolg auf dem Felde der Infinitesimalrechnung gearbeitet, ohne sich jemals eine klare Vorstellung des ihren Operationen zu Grunde liegenden Gedankens gemacht zu haben. » Glücklicher Weise «, fährt er fort, » hat dies der Fruchtbarkeit der Erfindung nichts geschadet: denn es giebt gewisse grundlegende Ideen, welche niemals in voller Klarheit erfasst werden können, und die dennoch, sobald nur einige ihrer ersten Ergebnisse uns vor Augen stehen, dem Menschen - geist ein weites Feld eröffnen, das er nach allen Richtungen bequem durch - forschen kann. «Die Alten hatten gesagt: non entis nulla sunt praedicata, von Dingen, die nicht sind, kann nichts ausgesagt werden; was aber nicht in unserem Kopf ist, kann recht wohl ausser - halb unseres Kopfes existieren, und umgekehrt können Dinge, die unzweifelhaft einzig innerhalb des Menschenkopfes Dasein besitzen und die wir selber als flagrant » unmöglich « erkennen, uns dennoch vor - zügliche Dienste leisten, als Werkzeuge, um eine uns Menschen nicht unmittelbar zugängliche Erkenntnis auf Umwegen zu ertrotzen.

Der Charakter dieses Buches verbietet mir, diesen mathematischen Exkurs noch weiter zu verfolgen, wenn ich mich auch freue, in dem Abschnitt über Wissenschaft die Gelegenheit gefunden zu haben, dieses Hauptorgans alles systematischen Wissens gleich anfangs zu erwähnen: wir haben gesehen, dass schon Leonardo als Ursache alles Lebens die Bewegung erklärte, bald folgte Descartes, der die Materie selbst als Bewegung auffasste überall das Vordringen der im vorigen Abschnitt betonten mechanischen Deutung empirischer Thatsachen! Mechanik ist aber ein Ozean, der einzig mit dem Schiffe der Mathematik befahren werden kann. Nur insofern eine Wissenschaft auf mathematische3)nahme: » It is shocking to good sense «; das ist sie auch, doch leistet sie praktische Dienste, und darauf kommt es an.785Wissenschaft.Grundsätze zurückgeführt werden kann, dünkt sie uns exakt, und zwar weil sie nur insofern streng mechanisch und in Folge dessen » schiffbar « ist. » Nissuna humana investigatione si po dimandare vera scientia, s’essa non passa per le mattematiche dimostrationi «, sagt Leonardo da Vinci;1)Libro di pittura I, 1 (Ausg. von Heinrich Ludwig). Von anderen dies - bezüglichen Aussprüchen des grossen Mannes mache ich besonders auf die Nr. 1158 in der Ausgabe der Schriften von J. P. Richter aufmerksam (II. 289): » Nessuna certezza delle scientie è, dove non si può applicare una delle scientie matematiche e che non sono unite con esse matematiche «. und auf die Stimme des italienischen Sehers an der Schwelle des 16. Jahrhunderts ertönt das Echo des deutschen Weltweisen an der Schwelle des 19. Jahrhunderts: » Ich behaupte, dass in jeder beson - deren Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist. «2)Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede.

Doch verfolgte ich mit diesen Auseinandersetzungen, wie gleich anfangs angedeutet, einen allgemeineren Zweck; ich wollte die Eigen - artigkeit nicht allein unserer Mathematik, sondern unserer germanischen wissenschaftlichen Methode überhaupt aufzeigen; ich hoffe, es ist mir gelungen. Die Moral des Gesagten kann ich am deutlichsten ziehen, wenn ich einen Ausspruch von Leibniz anführe: » Die Ruhe kann als eine unendlich kleine Geschwindigkeit oder auch als eine unendlich grosse Verlangsamung betrachtet werden, so dass jedenfalls das Gesetz der Ruhe lediglich als ein besonderer Fall innerhalb der Bewegungs - gesetze aufzufassen ist. Desgleichen können wir zwei völlig gleiche Grössen als ungleich annehmen (falls uns damit gedient wird), indem wir die Ungleichheit als unendlich klein setzen; u. s. w. «3)Brief an Bayle, Juli 1687 (nach Höfer, 1. c. p. 482). Wie Bayle geant - wortet hat, weiss ich nicht. In seinem Dictionnaire finde ich unter Zeno einen heftigen Ausfall auf alle Mathematik: » Die Mathematik hat einen unheilbaren, un - ermesslichen Fehler: sie ist nämlich eine blosse Chimäre. Die mathematischen Punkte und folglich auch die Linien und die Flächen der Geometer, ihre Sphären, Axen u. s. w.; das alles sind Hirngespinste, die niemals eine Spur Wirklichkeit besessen haben; deswegen sind diese Phantasien auch von geringerer Bedeutung als die der Dichter, denn diese erdichten nichts an und für sich Unmögliches, wie die Mathematiker u. s. w. «. Dieser Schmähung ist keine besondere Bedeutung beizulegen; sie macht uns aber auf die wichtige Thatsache aufmerksam, dass die Mathematik nicht erst seit Cardanus und Leibniz, sondern seit jeher ihre Kraft aus der Annahme » imaginärer «, sollte heissen gänzlich unvorstellbarer Grössen geschöpft hat; wohl überlegt ist der Punkt nach Euklid’s Definition nicht weniger unvorstell - bar als $$x = \sqrt{-1}$$ Wie man sieht, es hat ein eigenes Bewenden mit unserem » exakten Hierin786Die Entstehung einer neuen Welt.liegt das Grundprinzip aller germanischen Wissenschaft ausgesprochen. Ruhe ist zwar nicht Bewegung, sondern ihr konträrer Gegensatz, eben - sowenig sind gleiche Grössen ungleich; lieber als zu solchen Annahmen zu greifen, hätte der Hellene sich den Schädel an der Wand zer - schlagen; doch der Germane hat hierin (völlig unbewusst) eine tiefere Einsicht in das Wesen des Verhältnisses zwischen dem Menschen und der Natur bekundet. Erkennen wollte er, und zwar nicht allein das rein und ausschliesslich Menschliche (wie ein Homer und ein Euklid), sondern im Gegenteil vor allem die aussermenschliche Natur;1)Das war so sehr sein Bestreben, dass er, sobald sein Studium dem Menschen selbst galt (siehe Locke), das Mögliche that, um sich zu » objektivieren «, d. h. um aus der eigenen Haut hinauszukriechen und sich als ein Stück » Natur « zu erblicken. und da hat ihn der leidenschaftliche Wissensdurst d. h. also das Vorwiegen der Sehnsucht zu lernen, nicht des Bedürfnisses zu gestalten Wege finden lassen, die ihn viel, viel weiter geführt haben als irgend einen seiner Vorgänger. Und diese Wege sind, wie ich gleich zu Beginn dieser Ausführungen bemerkte, die eines klugen Anpassens. Die Er - fahrung d. h. genaue, minutiöse, unermüdliche Beobachtung giebt das breite, felsenfeste Fundament germanischer Wissenschaft ab, gleichviel ob sie Philologie oder Chemie oder was sonst betreffe: die Befähigung zur Beobachtung, sowie die Leidenschaftlichkeit, Aufopferung und Ehrlichkeit, mit der sie betrieben wird, sind ein wesentliches Charakteristikum unserer Rasse. Die Beobachtung ist das Gewissen germanischer Wissenschaft. Nicht allein der Naturforscher von Fach, nicht allein der gelehrte Sprachenkenner und Jurist erforschen auf dem Wege der peinlich aufmerksamen Wahrnehmung, auch der Franziskaner Roger Bacon giebt sein gesamtes Vermögen auf Beobachtungen aus, Leonardo da Vinci predigt Naturstudium, Beobachtung, Experiment und widmet Jahre seines Lebens der genauen Aufzeichnung der unsichtbaren inneren Anatomie (speziell des Gefässsystemes) des Menschenkörpers, Voltaire ist Astronom, Rousseau Botaniker, Hume giebt seinem vor 160 Jahren erschienenen Hauptwerke den Untertitel » Versuch, die Experi - mentalmethode in die Philosophie einzuführen «, Goethe’s bewunderungs - würdig scharfe Beobachtungsgabe ist allbekannt und Schiller beginnt seine Lebensbahn mit Betrachtungen über » die Empfindlichkeit der Nerven und die Reizbarkeit des Muskels « und fordert uns auf, den » Mechanismus des Körpers « fleissiger zu studieren, wollen wir die3)Wissen «. Die schärfste Kritik unserer höheren Mathematik findet man in Berkeley’s The Analyst und A Defence of free-thinking in Mathematics. 787Wissenschaft.» Seele « besser verstehen! Das Erfahrene kann aber gar nicht wahrheits - gemäss zur » Wissenschaft « gestaltet werden, wenn der Mensch das Gesetz giebt, anstatt es zu empfangen. Die kühnsten Fähigkeiten seines Geistes, dessen ganze Elasticität und der unerschrockene Flug der Phantasie werden in den Dienst des Beobachteten gezwungen, damit dieses zu einem menschlich gegliederten Wissen zusammengereiht werden könne. Gehorsam auf der einen Seite, nämlich gegen die erfahrene Natur; Eigenmacht auf der anderen, nämlich dem Menschen - geist gegenüber: das sind die Charakteristika germanischer Wissenschaft.

Auf dieser Grundlage erhebt sich nun unsere Theorie und Syste -Hellene und Germane. matik, ein kühnes Gebäude, dessen Hauptcharakter sich daraus ergiebt, dass wir mehr Ingenieure als Architekten sind. Gestalter sind auch wir, doch ist unser Zweck nicht die Schönheit des Gestalteten, auch nicht die abgeschlossene, den Menschensinn endgültig befriedigende Gestaltung, sondern die Feststellung eines Provisoriums, welches das Ansammeln neuen Beobachtungsmaterials und damit ein weiteres Erkennen er - möglicht. Das Werk eines Aristoteles wirkte auf die Wissenschaft hemmend. Warum geschah das? Weil dieser hellenische Meistergeist eiligst nach Abschluss verlangte, weil er keine Befriedigung kannte ehe er ein fertiges, symmetrisches, durch und durch rationelles, menschlich plausibles Gebäude vor Augen sah. In der Logik konnte auf diesem Wege schon Endgültiges geleistet werden, da es sich hier um eine ausschliesslich menschliche und ausschliesslich formale Wissenschaft von allgemeiner Gültigkeit innerhalb des Menschentums handelte; dagegen ist schon die Poetik und Kunstlehre weit weniger stichhaltig, weil das Gesetz des hellenischen Geistes hier stillschweigend als Gesetz des Menschengeistes überhaupt vorausgesetzt wird, was der Erfahrung wider - spricht; in der Naturwissenschaft vollends und trotz einer oft erstaun - lichen Fülle der Thatsachen herrscht der Grundsatz: aus möglichst wenigen Beobachtungen möglichst viele apodiktische Schlüsse zu ziehen. Hier liegt nicht Faulheit, auch nicht Flüchtigkeit, noch weniger Dilettantis - mus vor, sondern die Voraussetzung: erstens, dass die Organisation des Menschen der Organisation der Natur durchaus adäquat sei, so dass wenn ich mich so ausdrücken darf ein blosser Wink genügt, damit wir einen ganzen Komplex von Phänomenen richtig deuten und über - sehen; zweitens, dass der Menschengeist dem in der Gesamtheit der Natur sich kundthuenden Prinzip oder Gesetz, oder wie man es nennen will, nicht allein adäquat, sondern auch äquivalent sei (nicht allein gleich an Umfang, sondern auch gleich an Wert). Daher wird dieser Menschen -788Die Entstehung einer neuen Welt.geist ohne weiteres als Mittelpunkt angenommen, von wo aus nicht allein die gesamte Natur spielend leicht überschaut, sondern auch alle Dinge gleichsam von der Wiege bis ins Grab, nämlich von ihren ersten Ursachen her bis in ihre angebliche Zweckmässigkeit verfolgt werden. Diese Annahme ist ebenso falsch wie naiv: die Erfahrung hat es be - wiesen. Unsere germanische Wissenschaft wandelte von Beginn an andere Wege. Roger Bacon, im 13. Jahrhundert, warnte (bei aller Hochschätzung) ebenso eindringlich vor Aristoteles und der ganzen durch ihn personifizierten hellenischen Methode, wie drei Jahrhunderte später Francis Bacon;1)Das entscheidende Wort Francis Bacon’s findet sich in der Vorrede zu seiner Instauratio magna und lautet: » Scientias non per arrogantiam in humani ingenii cellulis, sed submisse in mundo majore quaerat. « die Renaissance war auf diesem Gebiete glück - licher Weise bloss eine vorübergehende Krankheit und einzig im dunkel - sten Schatten der Kirche fristete seither die Teleologie des Stagiriten ein überflüssiges Dasein. Um die Sache recht anschaulich zu machen können wir einen mathematischen Vergleich gebrauchen und sagen: die Wissenschaft des Hellenen war gleichsam ein Kreis, in dessen Mitte er selber stand; die germanische Wissenschaft gleicht dagegen einer Ellipse. In einem der beiden Brennpunkte der Ellipse steht der Menschen - geist, in dem anderen ein ihm gänzlich unbekanntes x. Gelingt es dem Menschengeist in einem bestimmten Falle seinen eigenen Brennpunkt dem zweiten Brennpunkt zu nähern, so nähert sich auch seine Wissen - schaft einer Kreislinie;2)Eine Ellipse, deren zwei Brennpunkte genau zusammenfallen, ist ein voll - kommener Kreis. meist ist aber die Ellipse eine recht lang - gezogene: an der einen Seite dringt der Verstand sehr tief in die Summe des Gewussten hinein, an der anderen liegt er fast an der Peripherie. Gar häufig steht der Mensch mit seinem Brennpunkt (seiner bescheidenen Fackel!) ganz allein; alles Tasten reicht nicht hin, um die Verbindung mit dem zweiten aufzufinden, und so entsteht eine blosse Parabel, deren Zweige sich zwar in weiter Ferne zu nähern scheinen, doch ohne je sich zu begegnen, so dass unsere Theorie keine geschlossene Kurve abgiebt, sondern nur den Ansatz zu einer möglichen, doch einstweilen unausführbaren.

Unser wissenschaftliches System ist, wie man sieht, die Ver - leugnung des Absoluten. Kühn und glücklich sagt Goethe: » Wer sich mit der Natur abgiebt, versucht die Quadratur des Zirkels «.

789Wissenschaft.

Dass ein mathematisches Verfahren auf andere Gegenstände,Das Wesen unserer Systematik. namentlich auf die Beobachtungswissenschaften nicht unmittelbar über - tragbar ist, versteht sich von selbst; ich halte es kaum für nötig, mich oder Andere hier gegen ein derartiges Missverständnis in Schutz zu nehmen. Weiss man aber, wie wir in der Mathematik vorgegangen sind, so weiss man auch, wessen man sich bei uns anderwärts zu gewärtigen hat, denn derselbe Geist wird, wenn nicht ähnlich, da der Gegenstand dies unmöglich macht, doch analog verfahren. Unbe - dingten Respekt vor der Natur (d. h. vor der Beobachtung) und kühne Unbefangenheit in der Anwendung der Mittel, welche uns der Menschen - geist zur Deutung und Bearbeitung an die Hand giebt: diese Prinzi - pien finden wir überall wieder. Man besuche ein Kolleg über Pflanzen - systematik: der Neophyt wird erstaunt sein, von Blumen reden zu hören, die gar nicht existieren, und ihre » Diagramme « aufs schwarze Brett zeichnen zu sehen; das sind sogenannte Typen, rein » imaginäre Grössen «, durch deren Annahme die Struktur der wirklich vorhandenen Blüten erläutert, sowie der Zusammenhang des in dem besonderen Falle zu Grunde liegenden strukturellen (also eigentlich mechanischen) Planes mit anderen verwandten oder abweichenden Plänen dargethan wird. Das rein Menschliche an einem solchen Verfahren muss jedem noch so wenig wissenschaftlich Gebildeten sofort auffallen. Doch man glaube beileibe nicht, dass was hier vorgetragen wird, ein durchaus künstliches, willkürliches System sei; ganz im Gegenteil. Künstlich war der Mensch verfahren und hatte sich dadurch jede Möglichkeit abgeschnitten, neues Wissen anzusammeln, so lange er mit Aristoteles die Pflanzen nach dem wesenlosen abstrakten Prinzipe einer relativen (angeblichen) » Vollkommenheit « sichtete, oder auch nach der lediglich der menschlichen Praxis entnommenen Scheidung in Bäume, Sträucher, Gräser und dergleichen mehr. Unsere heutigen Diagramme dagegen, unsere imaginären Blüten, unsere ganzen pflanzensystematischen Grund - sätze dienen dazu, wahre Verhältnisse der Natur, aus abertausend treuen Beobachtungen nach und nach entnommen, dem menschlichen Verstand nahe zu bringen und klar zu machen. Das Künstliche ist bei uns ein bewusst Künstliches; es handelt sich wie bei der Mathe - matik um » imaginäre Grössen «, mit Hilfe derer wir aber der Natur - wahrheit immer näher und näher kommen und ungezählte wirkliche Thatsachen in unserem Geiste koordinieren; dies eben ist das Amt der Wissenschaft. Dort dagegen, bei den Hellenen, war die Grund - lage selbst eine durch und durch künstliche, anthropomorphistische,790Die Entstehung einer neuen Welt.und gerade sie wurde mit naiver Unbewusstheit für » Natur « ange - sehen. Die Entstehung der modernen Pflanzensystematik liefert übrigens ein so vortreffliches und leicht verständliches Beispiel unserer ger - manischen Art, wissenschaftlich zu arbeiten, dass ich dem Leser einige Anhaltspunkte zum weiteren Nachdenken darüber geben will.

Julius Sachs, der berühmte Botaniker, berichtet über die Anfänge unserer Pflanzenkunde in der Zeit zwischen dem 14. und dem 17. Jahr - hundert, dass sie, solange der Einfluss des Aristoteles vorwaltete, nicht einen Schritt weiter zu bringen war; einzig den ungelehrten Kräuter - sammlern verdanken wir das Erwachen echter Wissenschaft. Wer gelehrt genug war, um Aristoteles zu verstehen, » richtete in der Natur - geschichte der Pflanzen nur Unheil an «. Dagegen kümmerten sich die ersten Verfasser der Kräuterbücher darum nicht weiter, sondern sie häuften Hunderte und Tausende möglichst genauer Einzelbeschrei - bungen von Pflanzen an. Die Geschichte zeigt, dass auf diesem Wege im Laufe weniger Jahrhunderte eine neue Wissenschaft entstanden ist, während die philosophische Botanik des Aristoteles und Theophrast zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt hat. 1)Geschichte der Botanik, 1875, S. 18.Der erste gelehrte Systematiker von Bedeutung unter uns, Caspar Bauhin, (Basel, zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts), der an manchen Orten ein lebhaftes Gefühl für natürliche, d. h. strukturelle Verwandtschaft zeigt, wirft alles wieder durcheinander, weil er (durch Aristoteles beeinflusst) glaubt: » von dem Unvollkommensten zu dem immer Vollkommeneren « fortschreiten zu müssen als ob der Mensch ein Organ besässe, um relative » Voll - kommenheit « zu bemessen! und nun natürlich (nach Aristoteles Vor - gang) die grossen Bäume für das Vollkommenste, die kleinen Gräser für das Unvollkommenste hält und derlei menschliche Narrheiten mehr. 2)Sachs: a. a. O., S. 38.Doch ging das treue Ansammeln des thatsächlich Beobachteten immer weiter, sowie das Bestreben, das enorm anwachsende Material derartig zusammenzufassen, dass das System (d. h. auf deutsch » Zusammen - stellung «) den Bedürfnissen des Menschengeistes entspräche und zugleich den Thatsachen der Natur möglichst genau sich anschmiege. Dies ist der springende Punkt; so entsteht die uns eigentümliche Ellipse. Das logisch Systematische kommt zuletzt, nicht zuerst, und (was selbst ein Julius Sachs in Folge seines beschränkten, charakteristisch jüdischen Gesichtskreises nicht einsieht) wir sind jeden Augenblick bereit, unsere Systematik, wie791Wissenschaft.früher unsere Götter, über Bord zu werfen, denn im Grunde genommen bedeutet sie für uns immer nur ein Provisorisches, einen Notbehelf. Die ungelehrten Kräutersammler und - beschreiber hatten die natür - lichen Verwandtschaften der Pflanzen durch Übung des Auges heraus - gefunden, lange ehe die Gelehrten an die Errichtung von Systemen gingen. Und aus diesem Grunde: weil nicht das Logische (immer ein beschränkt Menschliches), sondern das Intuitive (d. h. das Geschaute und gleichsam durch Verwandtschaft mit der Natur vom Menschen Erratene) bei uns das Grundlegende ist, darum besitzen nachher unsere wissenschaftlichen Systeme einen so grossen Teil Naturwahrheit. Der Hellene hatte nur an die Bedürfnisse des Menschengeistes gedacht; wir aber wollten der Natur beikommen und ahnten, dass wir ihr Geheimnis niemals durchdringen, dass wir ihr eigenes » System « nie würden darstellen können. Trotzdem waren wir entschlossen, ihr möglichst nahe zu kommen und zwar auf einem Wege, der uns auch weiterhin immer grössere Annäherung gestatten würde. Darum warfen wir jedes rein künstliche System, wie das des Linnäus, von uns; es enthält viel Richtiges, führt aber nicht weiter. Inzwischen hatten Männer wie Tournefort, John Ray, Bernard de Jussieu, Antoine Laurent de Jussieu gelebt,1)Das grundlegende Werk des Letzteren, Genera plantarum secundum ordines naturales disposita, erschien an der Grenze unseres Jahrhunderts, 1774. sowie Andere, die hier nicht zu nennen sind, und aus ihren Arbeiten hatte sich die Thatsache ergeben, dass es absolut unmöglich ist, die der Natur abgeschaute Klassifikation der Pflanzen auf nur einem anatomischen Charakter aufzubauen, wie das die menschliche Vereinfachungssucht und logische Manie durchsetzen wollten und wofür das System des Linnäus das bekannteste und auch gelungenste Beispiel bildet. Vielmehr stellte es sich heraus, dass man für verschiedengradige Unterordnungen verschiedene und für be - sondere Pflanzengruppen besondere Merkmale wählen muss. Ausser - dem entdeckte man eine merkwürdige und für die weitere Ent - wickelung der Wissenschaft ausserordentlich bedeutungsvolle That - sache: dass nämlich, um die durch geschärfte Anschauung bereits er - kannte natürliche Verwandtschaft der Pflanzen auf irgend ein einfaches, logisches, systematisches Prinzip zurückzuführen, der allgemeine äussere Habitus für den Kenner ein so sicheres Indicium gar nicht zu gebrauchen sei, sondern lediglich Merkmale aus dem verborgensten Innern der Struktur dienen können, und zwar zum grössten Teil solche,792Die Entstehung einer neuen Welt.welche dem unbewaffneten Auge gar nicht sichtbar sind. Bei den blühenden Pflanzen kommen hauptsächlich Verhältnisse des Embryos, des Weiteren dann Verhältnisse der Fortpflanzungsorgane, Beziehungen der Blütenteile u. s. w. in Betracht, bei den nichtblühenden die aller - unsichtbarsten und scheinbar gleichgültigen Dinge, wie die Ringe an den Farnsporangien, die Zähne um die Sporenbehälter der Moose u. s. w. Hiermit hatte uns die Natur einen Ariadnefaden in die Hand gegeben, an dem wir tief in ihr Geheimnis eindringen sollten.

Was sich hier ereignete, verdient genaue Beachtung, denn es lehrt uns viel über den geschichtlichen Gang aller unserer Wissenschaften. Selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, muss ich darum die Aufmerksamkeit des Lesers in noch eindringlicherer Weise auf das, was bei der Pflanzensystematik vorgegangen war, richten. Durch treues Sichversenken in ein sehr grosses Material hatte sich das Auge des Beobachters geschärft und er war dahin gelangt, Zusammenhänge zu ahnen, sie gewissermassen mit Augen zu sehen, ohne sich jedoch genaue Rechenschaft darüber abgeben zu können, und namentlich ohne dass er ein einfaches, sozusagen » mechanisches «, sichtbares und nach - weisbares Merkmal gefunden hätte, woran er das Beobachtete end - gültig überzeugend hätte nachweisen können. So z. B. kann jedes Kind einmal aufmerksam gemacht Monokotyledonen und Dikotyledonen unterscheiden; es kann aber keinen Grund dafür an - geben, kein bestimmtes, sicheres Kennzeichen. Intuition liegt also hier (wie überall) offenbar zu Grunde. Über John Ray, den eigent - lichen Urheber der neueren Pflanzensystematik, berichtet sein Zeitgenosse, Antoine de Jussieu, ausdrücklich, er habe sich immer in den äusseren Habitus plantae facies exterior versenkt;1)Nach dem Citat in Hooker’s Anhang zu der englischen Ausgabe von Le Maout and Decaisne: System of Botany, 1873, p. 987. derselbe John Ray war es nun, der die Bedeutung der Kotyledonen (Samenlappen) für eine natürliche Systematik der blühenden Pflanzen entdeckte, zugleich das einfache und unfehlbare anatomische Merkmal, um die Monokotyle - donen von den Dikotyledonen zu unterscheiden. Hiermit war ein ver - borgenes, meistens mikroskopisch winziges anatomisches Merkmal als massgebend, um die Bedürfnisse des Menschengeistes in Einklang mit den Thatsachen der Natur zu bringen, nachgewiesen. Dies führte nun zu weiteren Studien bezüglich der Anwesenheit oder Abwesenheit des Eiweisses im Samen, bezüglich der Lage des Keimchens im Ei -793Wissenschaft.weiss u. s. w. Alles systematische Charaktere von grundlegender Bedeutung. Also, aus Beobachtung, gepaart mit Intuition, hatte sich zuerst eine Ahnung des Richtigen ergeben; der Mensch hatte aber lange getastet, ohne seine » Ellipse « ziehen zu können; denn der andere Brenn - punkt, das x fehlte ihm gänzlich. Zuletzt wurde es gefunden (d. h. an - nähernd gefunden), doch nicht dort, wo die menschliche Vernunft es gesucht hätte und ebensowenig an einem Orte, wo blosse Intuition je - mals hingelangt wäre: erst nach endlosem Suchen, nach unermüdlichem Vergleichen verfiel endlich der Mensch auf die Reihe von anatomischen Charakteren, die für eine naturgemässe Systematisierung massgebend sind. Jetzt aber merke man wohl, was des weiteren aus dieser Ent - deckung erfolgte, denn jetzt erst kommt das, was den Ausschlag giebt und den unvergleichlichen Wert unserer wissenschaftlichen Methode zeigt. Jetzt, wo der Mensch sozusagen der Natur auf die Spur gekommen war, wo er mit ihrer Hilfe eine annähernd richtige Ellipse gezogen hatte, jetzt entdeckte er Hunderte und Tausende von neuen Thatsachen, die alle » unwissenschaftliche « Beobachtung und alle Intuition der Welt ihm nie - mals verraten hätten. Falsche Analogien wurden als solche aufgedeckt; ungeahnte Zusammenhänge zwischen durchaus heterogen scheinenden Wesen wurden unwiderleglich dargethan. Jetzt hatte der Mensch eben wirklich Ordnung geschaffen. Zwar war auch diese Ordnung eine künst - liche, wenigstens enthielt sie ein künstliches Element, denn Mensch und Natur sind nicht synonym; hätten wir die rein » natürliche « Ordnung vor Augen, wir wüssten nicht, was damit anfangen, und Goethe’s be - rühmtes Wort: » natürliches System ist ein widersprechender Aus - druck « fasst alle hier zu machenden Einwürfe wie in einer Nussschale zusammen; doch war diese menschlich-künstliche Ordnung, im Gegen - satz zu der des Aristoteles, eine solche, in welcher der Mensch sich möglichst klein gemacht und in die Ecke gedrückt hatte, während er bestrebt gewesen war, die Natur, soweit der menschliche Verstand ihre Stimme irgend verstehen kann, zu Worte kommen zu lassen. Und dieses Prinzip ist ein progressives Prinzip; denn auf diesem Wege lernt man die Sprache der Natur nach und nach immer besser verstehen. Jede rein logisch-systematische, sowie auch jede philosophisch-dogmatische Theorie bildet für die Wissenschaft ein unübersteigliches Hindernis, wogegen jede der Natur möglichst genau abgelauschte und dennoch nur als Provisorium aufgefasste Theorie Wissen und Wissenschaft fördert.

Dieses eine Beispiel der Pflanzensystematik muss für viele stehen. Bekanntlich dehnt sich Systematik, als ein notwendiges Organ zur Ge -Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 51794Die Entstehung einer neuen Welt.staltung des Wissens, auf alle Gebiete aus; selbst die Religionen werden jetzt zu Ordnungen, Gattungen und Arten zusammengefasst. Das Durchdringen der an der Botanik exemplifizierten Methode bildet überall das Rückgrat unserer geschichtlichen Entwickelung im Wissenschaft - lichen zwischen 1200 und 1800. In Physik, Chemie und Physiologie, sowie in allen verwandten Zweigen walten dieselben Prinzipien vor. Schliesslich muss alles Wissen systematisiert werden, um Wissenschaft zu werden; wir treffen also immer und überall Systematik an. Bichat’s Gewebelehre welche einen Erfolg anatomischer Entdeckungen und zugleich die Quelle zu neuen Entdeckungen bedeutet ist ein Bei - spiel, dessen genaue Analogie mit John Ray’s Begründung des so - genannten natürlichen Pflanzensystems und der weiteren Geschichte dieser Disciplin sofort in die Augen fällt. Überall sehen wir peinlich genaues Beobachten, gefolgt von kühnem, schöpferischem, doch nicht dogmatischem Theoretisieren.

Idee und Theorie.
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Ehe ich diesen Abschnitt schliesse, möchte ich aber noch einen Schritt weiter gehen, sonst fehlt eine sehr wichtige Einsicht unter denen, die als leitende für das Verständnis der Geschichte unserer Wissenschaft, sowie für das Verständnis der Wissenschaft unseres Jahrhunderts zu dienen haben. Wir müssen noch etwas tiefer in Wesen und Wert des wissenschaftlichen Theoretisierens eindringen, und zwar wird das am besten durch Anknüpfung an das Experiment geschehen, an jene unvergleichliche Waffe germanischer Wissenschaft. Doch handelt es sich lediglich um eine Anknüpfung, denn das Experiment ist nur einigen Disciplinen eigen, während ich hier tiefer zu greifen habe, um gewisse leitende Prinzipien aller neueren Wissenschaften aufzudecken.

Das Experiment ist zunächst einfach » methodisches « Beobachten. Es ist aber zugleich theoretisches Beobachten. 1)Kant sagt über das Experiment: » die Vernunft sieht nur das ein, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, sie muss mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen, auf ihre Fragen zu ant - worten. « (Vorrede zur zweiten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft).Daher erfordert seine richtige Anwendung philosophische Überlegung, sonst wird leicht aus dem Experiment weniger die Natur als der Experimentator reden. » Ein Experiment, dem nicht eine Theorie, d. h. eine Idee vorher - geht, verhält sich zur Naturforschung wie das Rasseln mit einer Kinder - klapper zur Musik «, sagt Liebig, und in höchst geistreicher Weise ver - gleicht er den Versuch mit der Rechnung: in beiden Fällen müssen795Wissenschaft.Gedanken vorausgehen. Doch, welche Vorsicht ist hier nicht nötig! Aristoteles hatte über den Fall der Körper experimentirt; an Scharfsinn fehlte es ihm wahrlich nicht; doch die » vorhergehende Theorie « machte, dass er falsch beobachtete, total falsch. Und nehmen wir nun Galilei’s Discorsi zur Hand, so werden wir aus dem fingierten Gespräch zwischen Simplicio, Sagredo und Salviati die Überzeugung gewinnen, dass an der Entdeckung des wahren Fallgesetzes die gewissenhafte, möglichst voraussetzungslose Beobachtung den Löwenanteil gehabt hat, und die eigentlichen Theorien viel eher hinterdreingekommen als » vorherge - gangen « sind. Hier liegt, meine ich, eine Konfusion seitens Liebig’s vor, und wo ein so bedeutender, auch um die Geschichte der Wissen - schaft verdienter Mann irrt, werden wir voraussetzen dürfen, dass nur aus der feinsten Analyse wahres Verständnis hervorgehen kann. Und zwar ist dieses Verständnis um so unentbehrlicher, als wir erst aus ihm die Bedeutung des Genialen für die Wissenschaft und ihre Geschichte erkennen lernen. Das soll hier versucht werden.

Liebig schreibt: » eine Theorie, d. h. eine Idee «; er setzt also, wie man sieht, » Theorie « gleich » Idee «, was eine erste Quelle des Irrtums ist. Das griechische Wort Idee welches in eine moderne Sprache lebendig zu übertragen allerdings nie gelungen ist bedeutet ausschliesslich ein mit den Augen Geschautes, eine Erscheinung, eine Gestalt; auch Plato versteht unter Idee so sehr die Quintessenz des Sichtbaren, dass ihm das einzelne Individuum zu blass erscheint, um für mehr als den Schatten einer wahren Idee gehalten zu werden. 1)Man glaubt Plato’s Ideen seien Abstraktionen; ganz im Gegenteil, für ihn sind sie allein das Konkrete, aus dem die Erscheinungen der empirischen Welt abstrahiert sind. Es ist das Paradoxon eines nach intensivster Anschauung sich sehnenden Geistes.Theorie dagegen hiess schon im Anfang nicht das Anschauen, sondern das Zuschauen ein gewaltiger Unterschied, der in der Folge immer zunahm, bis die Bedeutung einer willkürlichen, subjektiven Auffassung, eines künstlichen Zurechtlegens dem Wort » Theorie « zu eigen geworden war. Theorie und Idee sind also nicht synonym. Als John Ray durch vieles Beobachten ein so klares Bild der Gesamtheit der blühenden Pflanzen erlangt hatte, dass er deutlich wahrnahm, sie bildeten zwei grosse Gruppen, hatte er eine Idee; dagegen als er seinen Methodus plantarum (1703) veröffentlichte, stellte er eine Theorie auf und zwar eine Theorie, die weit hinter seiner Idee zurückblieb; denn hatte er auch die Bedeutung der Samenlappen als Wegweiser für die Syste -51*796Die Entstehung einer neuen Welt.matik entdeckt, manches Andere (z. B. die Bedeutung der Blütenteile) war ihm entgangen, so dass der Mann, der die Gestaltung des Pflanzen - reiches in ihren Hauptzügen bereits vollkommen richtig übersah, den - noch ein unhaltbares System entwarf: unsere Kenntnisse waren damals eben noch nicht eingehend genug, damit Ray’s » Idee « in einer » Theorie « entsprechende Ausgestaltung hätte finden können. Bei der » Idee « ist, wie man sieht, der Mensch selber noch ein Stück Natur; es spricht hier wenn ich den Vergleich wagen darf jene » Stimme des Blutes «, welche das Hauptthema der Erzählungen des Cervantes aus - macht; der Mensch erblickt Verhältnisse, über die er keine Rechen - schaft geben kann, er ahnt Dinge, die er nicht im Stande wäre zu beweisen. 1)Kant hat dafür einen prächtigen Ausdruck gefunden und nennt die Idee, in dem Sinne, wie ich hier das Wort nehme: » eine inexponible Vorstellung der Einbildungskraft « (Kritik der Urteilskraft, § 57, Anm. 1).Das ist kein eigentliches Wissen; es ist der Wiederschein eines transscendenten Zusammenhangs und ist darum auch eine un - mittelbare, nicht eine dialektische Erfahrung. Die Deutung solcher Ahnungen wird immer sehr unsicher sein; auf objektive Gültigkeit können weder die Ahnungen noch ihre Deutungen Anspruch machen, sondern ihr Wert bleibt auf das Individuum beschränkt und hängt durchaus von dessen individueller Bedeutung ab. Hier ist es, wo das Geniale schöpferisch auftritt. Und ist unsere ganze germanische Wissenschaft eine Wissenschaft der treuen, peinlich genauen, durch und durch nüchternen Beobachtung, so ist sie zugleich eine Wissen - schaft des Genialen. Überall » gehen die Ideen vorher «, da hat Liebig vollkommen recht; wir sehen es ebenso deutlich bei Galilei wie bei Ray,2)Dass bei Ray, dem Urheber rationeller Pflanzensystematik das echt Geniale vorwog, beweist schon der eine Umstand, dass er auf dem weit entfernten und bis zu ihm gänzlich verwahrlosten Gebiet der Ichthyologie genau dasselbe leistete. Hier ist Anschauungskraft die Göttergabe. bei Bichat wie bei Winckelmann, bei Colebrooke wie bei Immanuel Kant; nur muss man sich hüten, Idee und Theorie zu verwechseln; denn diese genialen Ideen sind durchaus keine Theorien. Die Theorie ist der Versuch, eine gewisse Erfahrungsmenge oft, vielleicht immer mit Hilfe einer Idee gesammelt so zu organisieren, dass dieser künstliche Organismus den Bedürfnissen des spezifischen Menschen - geistes diene, ohne dass er den bekannten Thatsachen widerspreche oder Gewalt anthue. Man sieht sofort ein: der relative Wert einer Theorie wird stets in direktem Verhältnis zu der Anzahl der bekannten797Wissenschaft.Thatsachen stehen; was von der Idee durchaus nicht gilt, deren Wert vielmehr allein von der Bedeutung der einen Persönlichkeit abhängt. Leonardo da Vinci hat z. B. in Anlehnung an sehr wenige That - sachen die Grundprinzipien der Geologie so genau richtig erfasst, dass erst unser Jahrhundert die nötige Erfahrung besass, um die Richtig - keit seiner Intuition wissenschaftlich (und das heisst theoretisch) darzu - thun; er hat ebenfalls den Kreislauf des Blutes nicht dargethan, im Einzelnen auch gewiss sich nicht richtig vorgestellt noch mechanisch begriffen, doch erraten, d. h. also, er hatte die Idee der Zirku - lation, nicht die Theorie.

Auf die unvergleichliche Bedeutung des Genies für unsere ganze Kultur komme ich später in anderem Zusammenhang zurück; zu er - klären giebt es da nichts; es genügt darauf hingewiesen zu haben. 1)Ich will nur den in philosophischen Dingen minder Bewanderten schon hier darauf aufmerksam machen, dass am Schlusse der Epoche, die uns in diesem Kapitel beschäftigt, diese Bedeutung des Genies erkannt und mit unvergleichlichem Tiefsinn analysiert ward: der grosse Kant hat nämlich als das spezifisch Unter - scheidende des Genies das relative Vorwalten der » Natur « (also gewissermassen des Ausser - und Übermenschlichen) im Gegensatz zu der » Überlegung « (d. h. also zum beschränkt Logisch-Menschlichen) bestimmt (siehe namentlich die Kritik der Urteilskraft). Damit soll natürlich nicht gesagt sein, das geniale Individuum besitze weniger » Überlegung «, sondern vielmehr, dass bei ihm zu einem Maximum an logischer Denkkraft noch ein Anderes hinzukomme; dieses Andere ist gerade die Hefe, die den Teig des Wissens in die Höhe treibt.Hier aber, für das Verständnis unserer Wissenschaft, bleibt noch die eine Hauptfrage zu beantworten: wie entstehen Theorien? und auch hier wieder hoffe ich durch die Kritik eines bekannten Ausspruches Liebig’s (in welchem eine weit verbreitete Ansicht zu Worte kommt) den richtigen Weg weisen zu können; wobei es sich herausstellen wird, dass unsere grossen wissenschaftlichen Theorien weder ohne das Genie denkbar sind, noch dem Genie allein ihre Ausgestaltung verdanken.

Der berühmte Chemiker schreibt: » Die künstlerischen Ideen wurzeln in der Phantasie, die wissenschaftlichen im Verstande. « 2)Gleich dem früheren Citat aus der Rede über Francis Bacon vom Jahre 1863. Damit er Liebig nicht ungerecht beurteile, bitte ich den Leser, seinen ganz anders lautenden Ausspruch auf S. 732 wieder zu lesen. Den lapsus calami des grossen Naturforschers benutze ich hier nicht, weil ich ihn zurechtweisen will, sondern weil diese Polemik meiner eigenen These zu voller Deutlichkeit verhilft.Dieser kurze Satz wimmelt, wenn ich nicht irre, von psychologischen Ungenauigkeiten, doch hat für uns hier nur das Eine besonderes Inter - esse: die Phantasie soll angeblich der Kunst allein dienen, Wissenschaft798Die Entstehung einer neuen Welt.käme also ohne Phantasie zu Stande; woraus dann die weitere wirklich ungeheuerliche Behauptung entsteht: » Kunst erfindet That - sachen, Wissenschaft erklärt Thatsachen. « Nie und nimmer erklärt Wissenschaft irgend etwas! Das Wort » erklären « hat für sie keine Bedeutung; es wäre denn, man verstünde darunter ein blosses » klarer sichtbar machen «. Entschlüpft mir der Federhalter aus den Fingern, so fällt er zu Boden: das Gesetz der Gravitation ist eine Theorie, welche alle hierbei in Betracht kommenden Verhältnisse unübertrefflich schematisiert; doch was erklärt es? Hypostasiere ich die Anziehungskraft, so bin ich gerade so weit wie im ersten Buche Mosis, Kap. 1, Vers 1, d. h. ich stelle eine vollkommen undenkbare, unerklärbare Wesenheit als Erklärung hin. Sauerstoff und Wasserstoff verbinden sich zu Wasser; gut: welche Thatsache ist hier die erklärende, welche die erklärte? Erklären Hydrogen und Oxygen Wasser? oder werden sie durch Wasser erklärt? Man sieht, dieses Wort hat gerade in der Wissenschaft nicht den Schatten eines Sinnes. Bei verwickelteren Phänomenen leuchtet dies freilich nicht sofort ein, doch je tiefer die Analyse eindringt, um so mehr schwindet der Wahn, dass mit dem Erklären eine wirkliche Zunahme nicht bloss an Wissen, sondern auch an Erkenntnis stattge - funden habe. Sagt mir der Gärtner z. B., » diese Pflanze sucht die Sonne «, so glaube ich zunächst, ebenso wie der Gärtner es glaubt, eine vollgültige » Erklärung « zu besitzen. Meldet aber der Physiolog: starkes Licht hemmt das Wachstum, darum wächst die Pflanze schneller auf der Schattenseite und wendet sich in Folge dessen zur Sonne, zeigt er mir den Einfluss der Streckungsfähigkeit des betreffenden Pflanzenteils, der verschieden gebrochenen Strahlen u. s. w., kurz, deckt er den Mechanismus des Vorganges auf, und fasst er alle be - kannten Thatsachen zu einer Theorie des » Heliotropismus « zusammen, so empfinde ich, dass ich zwar enorm viel dazu gelernt habe, doch dass der Wahn einer » Erklärung « bedeutend verblasst sei. Je deut - licher das Wie, um so verschwommener das Warum. Dass die Pflanze » die Sonne sucht «, hatte den Eindruck einer vollgültigen Erklärung gemacht, denn ich selber, ich Mensch, suche die Sonne; doch dass starke Beleuchtung die Zellteilung und damit die Verlängerung des Stengels auf der einen Seite hemmt und dadurch Biegung verursacht, ist eine neue Thatsache, die wieder treibt, Erläuterung aus ferneren Ursachen zu suchen und meinen ursprünglichen naiven Anthropomor - phismus so gründlich verscheucht, dass ich mich zu fragen beginne, durch welche mechanische Verkettung ich veranlasst werde, mich799Wissenschaft.selber so gern zu sonnen. Auch hier wieder hat Goethe Recht: » Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem. « 1)Gespräch mit Kanzler von Müller, 8. Juni 1821.Und sind wir einst so weit, dass der Physiko-Chemiker das Problem des Heliotro - pismus in die Hand nimmt und das Ganze eine Berechnung und zu - letzt eine algebraische Formel wird, dann wird diese Frage in das - selbe Stadium getreten sein, wie schon heute die Gravitation, und Jeder wird auch hier erkennen, dass Wissenschaft nicht Thatsachen erklärt, sondern sie entdecken hilft und sie möglichst naturgemäss, möglichst menschengerecht schematisiert. Sollte dies Letztere, also das eigentliche Werk der Wissenschaft, wirklich (wie Liebig will) ohne die Mitwirkung der Phantasie möglich sein? Sollte das Schöpfe - rische und das ist, was wir Genie nennen keinen notwendigen Anteil an dem Aufbau unserer Wissenschaft nehmen? Auf eine theo - retische Diskussion brauchen wir uns gar nicht einzulassen, denn die Geschichte beweist das Gegenteil. Je exakter die Wissenschaft, um so mehr bedarf sie der Phantasie, und ganz ohne sie kommt keine fort. Wo findet man kühnere Gebilde der Phantasie als jene Atome und Moleküle, ohne die es keine Physik und keine Chemie gäbe? oder als jenen » physikalischen Scherwenzel und Hirngespinnst «, wie Lichtenberg ihn nennt, den Äther, der zwar Materie ist (sonst nützte er für unsere Hypothesen nichts), dem aber die wesentlichsten Prädi - kate der Materie, wie da sind Ausdehnung und Undurchdringlichkeit, abgesprochen werden müssen (sonst nützte er ebenfalls nichts), eine wahre » Wurzel aus minus eins! « Ich möchte wirklich wissen, wo es eine Kunst giebt, die dermassen » in der Phantasie wurzelt? « Liebig sagt, die Kunst » erfindet Thatsachen «: niemals thut sie das! Sie hat es gar nicht nötig; ausserdem würde man sie, wenn sie es thäte, nicht ver - stehen. Freilich verdichtet sie das Auseinanderliegende, fügt sie zu - sammen, was wir nur getrennt kennen und scheidet aus, was an dem Wirklichen ihr im Wege ist, hierdurch gestaltet sie das Unübersicht - liche, und teilt sie Licht und Schatten nach Gutdünken aus, doch über - schreitet sie nie die Grenze des der Vorstellung Vertrauten und des denkbar Möglichen; denn Kunst ist im genauen Gegensatz zur Wissenschaft eine Thätigkeit des Geistes, welche sich lediglich auf das rein Menschliche beschränkt: vom Menschen stammt sie, an Menschen wendet sie sich, das Menschliche allein ist ihr Feld. 2)Offenbar ist z. B. Landschafts - oder Tiermalerei niemals etwas AnderesGanz anders,800Die Entstehung einer neuen Weltwie wir gesehen haben, die Wissenschaft: diese geht darauf aus, die Natur zu erforschen, und die Natur ist nicht menschlich. Ja, wäre sie es, wie die Hellenen vorausgesetzt hatten! Doch die Erfahrung hat diese Voraussetzung Lügen gestraft. In der Wissenschaft wagt sich somit der Mensch an etwas heran, das zwar nicht unmenschlich ist, da er selber dazu gehört, doch aber zum grossen Teil ausser - und übermenschlich. Sobald er also ernstlich Natur erkennen und sich nicht mit dem Dogmatisieren in usum Delphini begnügen will, ist der Mensch gerade in der Wissenschaft, und vor allem in der Natur - wissenschaft im engeren Sinne des Wortes, zu einer höchsten An - spannung seiner Phantasie genötigt, die unendlich erfindungsreich und biegsam und elastisch sein muss. Ich weiss es, die Behauptung wider - spricht der allgemeinen Annahme: mich dünkt es aber eine sichere und beweisbare Thatsache, dass Philosophie und Wissenschaft höhere Ansprüche an die Phantasie stellen, als Poesie. Das rein schöpferische Element ist bei Männern wie Demokrit und Kant grösser als bei Homer und Shakespeare. Gerade deswegen bleibt ihr Werk nur äusserst Wenigen zugänglich. Freilich wurzelt diese wissenschaftliche Phantasie in den Thatsachen, das thut aber notgedrungen alle Phan - thasie;1)Siehe S. 192, 404 und 762. und die wissenschaftliche Phantasie ist gerade darum besonders reich, weil ihr ungeheuer viele Thatsachen zu Gebote stehen und weil ihr Repertorium von Thatsachen durch neue Entdeckungen unauf - hörlich bereichert wird. Ich habe schon früher (S. 773) auf die Be - deutung neuer Entdeckungen als Nahrung und Anregung für die Phantasie kurz hingewiesen; diese Bedeutung reicht hinauf bis in die höchsten Regionen der Kultur, offenbart sich aber zunächst und vor allem in der Wissenschaft. Das wunderbare Aufblühen der Wissen - schaft im 16. Jahrhundert von dem Goethe geschrieben hat: » die Welt erlebt nicht leicht wieder eine solche Erscheinung «2)Geschichte der Farbenlehre, Schluss der dritten Abteilung. Eine Behauptung, die Liebig gegenzeichnet: » nach diesem 16. Jahrhundert giebt es gar keines, welches reicher war an Männern von gleichem schöpferischem Geiste « (Augsburger Allg. Zeitung, 1863, in den Reden und Abhandlungen, S. 272). leitet sich2)als eine Darstellung von Landschaften oder Tieren, wie sie dem Menschen erscheinen; die kühnste Willkür eines Turner oder irgend eines allerneuesten Symbolisten kann nie etwas anderes sein als eine extravagante Behauptung menschlicher Autonomie. » Wenn Künstler von Natur sprechen, subintelligieren sie immer die Idee, ohne sich’s deutlich bewusst zu sein. « (Goethe)801Wissenschaft.durchaus nicht aus der Erneuerung verfehlter hellenischer Dogmatik her, wie man uns das einreden möchte, vielmehr hat diese uns, wie in der Pflanzensystematik, so auch überall, nur irregeführt, sondern dieses plötzliche Aufblühen wird direkt durch die Entdeckungen an - geregt, über die ich im vorigen Abschnitte sprach: Entdeckungen auf Erden, Entdeckungen am Himmel. Man lese nur die Briefe, in denen Galilei, zitternd vor Aufregung, über seine Entdeckung der Monde des Jupiter und des Ringes um Saturn berichtet, Gott dankend, dass er ihm » solche nie geahnte Wunder « geoffenbart habe, und man wird sich eine Vorstellung machen, welche mächtige Wirkung das Neue auf die Phantasie ausübte und wie es zugleich antrieb, weiter zu suchen und das Gesuchte dem Verständnis näher zu führen. Zu welchen herrlichen Tollkühnheiten sich der Menschengeist in dieser berau - schenden Atmosphäre einer neu entdeckten übermenschlichen Natur hinreissen liess, sahen wir bei Besprechung der Mathematik. Ohne jene der Phantasie doch wahrhaftig nicht der Beobachtung, nicht, wie Liebig will, den Thatsachen entkeimten, absolut genialen Einfälle wäre höhere Mathematik (damit zugleich die Physik des Himmels, des Lichtes, der Elektricität, etc.) unmöglich gewesen. Ähnlich aber überall, und zwar aus dem vorhin genannten einfachen Grunde, weil sonst diesem Aussermenschlichen gar nicht beizukommen wäre. Die Geschichte unserer Wissenschaften zwischen 1200 und 1800 ist eine ununterbrochene Reihe solcher grossartigen Einfälle der Phantasie. Das bedeutet das Walten des schöpferisch Genialen.

Ein Beispiel.

Wissenschaftliche Chemie war unmöglich (wie wir heute zurück - blickend einsehen), solange der Sauerstoff als Element nicht entdeckt war; denn es ist dies der wichtigste Körper unseres Planeten, der - jenige, von dem sowohl die organischen wie die unorganischen Phäno - mene der tellurischen Natur ihre besondere Farbe erhalten. In Wasser, Luft und Felsen, in allem Verbrennen (vom einfachen, langsamen Oxydieren an bis zum flammenspeienden Feuer), in der Atmung aller lebenden Wesen kurz, überall ist dieses Element am Werke. Gerade darum entzog es sich der unmittelbaren Beobachtung; denn die hervorstechende Eigenschaft des Sauerstoffes ist die Energie, mit welcher er sich mit anderen Elementen verbindet, mit anderen Worten, sich der Beobachtung als selbständigen Körper entzieht; auch wo er nicht an andere Stoffe chemisch gebunden, sondern frei vorkommt, wie z. B. in der Luft, wo er nur ein mechanisches Gemenge mit802Die Entstehung einer neuen Welt.Stickstoff eingeht, ist es dem Unwissenden unmöglich, den Sauerstoff zu gewahren, denn nicht nur ist dieses Element (bei unseren Temperatur - und Druckverhältnissen) ein Gas, sondern es ist ein farbloses, geruch - loses, geschmackloses Gas. Durch die blossen Sinne konnte dieser Körper also nicht gefunden werden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahr - hunderts lebte nun in England einer jener dem Gilbert (S. 759) ähn - lichen, echten Entdecker, Robert Boyle, der durch eine Schrift, betitelt Chemista scepticus, dem aristotelischen Vernünfteln und dem alche - mistischen Firlefanz auf dem Gebiete der Chemie den Garaus machte und zugleich ein doppeltes Beispiel gab: das nämlich der strengen Beob - achtung und das der Gliederung und Sichtung des schon stark an - gewachsenen Beobachtungsstoffes durch die Einführung einer schöpfe - rischen Idee. Als Angebinde schenkte Boyle der jetzt erst entstehenden echten Chemie die neue Vorstellung der Elemente, eine weit kühnere als die alte empedokleische, mehr aus dem Geist des grossen Demokrit geborene. Diese Idee stützte sich damals auf keine Beobachtung; sie entsprang der Phantasie; wurde aber nunmehr die Quelle zahlloser Entdeckungen, die noch heute ihren Gang lange nicht beendet haben: man sieht, welche Wege unsere Wissenschaft stets wandelt. 1)Es verdient Erwähnung, dass Boyle’s ausserordentliche Beanlagung zu phantastischen Erfindungen in theologischen Schriften aus seiner Feder Ausdruck fand und auch sonst im täglichen Leben auffiel!Nun aber kommt erst das Beispiel, das ich im Sinne habe. Boyle’s Idee hatte eine schnelle Vermehrung des Wissens bewirkt, Entdeckung hatte sich an Entdeckung gereiht, doch je mehr sich die Thatsachen häuften, um so konfuser wurde das Gesamtergebnis; wer wissen will, wie un - möglich Wissenschaft ist ohne Theorie, vertiefe sich in den Zustand der Chemie zu Beginn des 18. Jahrhunderts; er wird ein chinesisches Chaos finden. Wenn nun, wie Liebig meint, Wissenschaft es ohne Weiteres vermag, Thatsachen zu » erklären «, wenn der phantasielose » Verstand « hierzu ausreicht, warum geschah das damals nicht? Waren Boyle selber und Hooke und Becher und die vielen anderen tüchtigen Thatsachensammler jener Zeit unverständige Leute? Gewiss nicht; doch Verstand und Beobachtung reichen allein nicht aus, und » erklären « Wollen ist ein Wahn; was wir Verständnis nennen, setzt immer einen schöpferischen Beitrag des Menschen voraus. Es kam also jetzt darauf an, aus Boyle’s genialer Idee die theoretischen Konsequenzen zu ziehen, und das geschah durch einen fränkischen Arzt, einen Mann » von803Wissenschaft.transscendental-spekulativer Denkweise «,1)Diese Worte entnehme ich Hirschel’s Geschichte der Medizin, 2. Ausg., S. 260; ich besitze eine Anzahl chemischer Bücher, doch berichtet keines über Stahl’s geistige Anlagen, dazu sind ihre Verfasser viel zu nüchterne Handwerker. durch den ewig denkwürdigen Georg Ernst Stahl. Er war nicht Chemiker von Fach, er sah aber was fehlte: ein Element! Konnte dessen Existenz nachgewiesen werden? Nein, damals nicht. Sollte ein kühner germanischer Geist deswegen zurückschrecken? Gottlob, nein! Also erfand Stahl aus eigener Macht - vollkommenheit ein imaginäres Element und nannte es Phlogiston. Und jetzt war auf einmal Licht im Chaos; jetzt hatte der Germane den Zauberaberglauben in einer seiner letzten Vesten zerstört und die Salamander auf immer erdrosselt. Durch die Aufstellung eines rein mechanischen Prinzips waren nunmehr die Menschen befähigt, den Vorgang der Verbrennung sich richtig vorzustellen, d. h. jenes zweite x, den zweiten Brennpunkt zu finden, oder ihm mindestens nahe zu kommen, so dass sie beginnen konnten, die menschlich be - greifliche Ellipse zu ziehen. » Die Phlogistontheorie gab der Ent - wickelung der wissenschaftlichen Chemie einen mächtigen Antrieb, denn nie zuvor war eine solche Anzahl chemischer Thatsachen als analoge Vorgänge zusammengefasst und in so klarer und einfacher Weise miteinander verknüpft worden «. 2)Roscoe und Schorlemmer: Ausführliches Lehrbuch der Chemie, 1877, I, 10.Wenn das nicht ein Werk der Phantasie ist, haben Worte keinen Sinn mehr. Doch muss man zugleich beachten, dass hier mehr der theoretisierende Verstand als die Anschauung am Werke gewesen war. Boyle war ein geradezu fabel - haft feiner Beobachter gewesen; Stahl dagegen war zwar ein eminent scharfer, erfindungsreicher Kopf, doch ein schlechter Beobachter. Der angedeutete Unterschied erhellt hier mit besonderer Deutlichkeit; denn diesem Einfall des Phlogistons der das ganze vorige Jahrhundert beherrschte, der seinem Verkünder den Ehrentitel eines Begründers der wissenschaftlichen Chemie eintrug und in dessen Licht thatsächlich alle Fundamente zu unserer späteren, der Natur besser entsprechenden Theorie gelegt wurden diesem Einfall lagen (neben der theore - tischen Verwertung von Boyle’s Idee) flagrant falsche Beobachtungen zu Grunde! Stahl meinte, die Verbrennung sei ein Zersetzungs - vorgang; statt dessen ist sie ein Vereinigungsprozess. Dass bei Ver - brennung eine Gewichtszunahme stattfindet, war aus verschiedenen Versuchen zu seiner Zeit schon bekannt; trotzdem nahm Stahl (der, wie gesagt, ein sehr unzuverlässiger Beobachter war, und den beson -804Die Entstehung einer neuen Welt.deren Eigensinn des theoretisierenden Verstandesmenschen in hohem Grade besass), an, das Brennen bestehe in dem Entweichen des Phlo - gistons u. s. w. Als darum Priestley und Scheele den Sauerstoff aus gewissen Verbindungen endlich herausgelöst hatten, glaubten sie fest, das berühmte Phlogiston, auf das man seit Stahl’s Zeit fahndete, in Händen zu halten. Doch bald zeigte Lavoisier, dass das gefundene Element, weit entfernt, die Eigenschaften des hypothetischen Phlo - gistons zu besitzen, genau entgegengesetzte aufweise! Der nunmehr entdeckte, der Beobachtung zugänglich gewordene Sauerstoff war eben etwas gänzlich Anderes, als was die menschliche Phantasie in ihrer Not sich vorgestellt hatte. Ohne die Phantasie kann der Mensch keine Verbindung zwischen den Phänomenen, keine Theorie, keine Wissen - schaft herstellen, jedoch immer wieder erweist sich die menschliche Phantasie der Natur gegenüber als unzulänglich und andersgeartet, der Korrektur durch empirische Beobachtung bedürftig. Darum ist auch alle Theorie ein ewiges Provisorium und Wissenschaft hört auf, sobald Dogmatik die Führung übernimmt.

Die Geschichte unserer Wissenschaft ist die Geschichte solcher Phlogistons. Die Philologie hat ihre » Arier «, ohne welche ihre gross - artigen Leistungen in unserem Jahrhundert undenkbar gewesen wären. 1)Vergl. S. 268 u. s. w.Goethe’s Lehren von der Metamorphose im Pflanzenreiche und von den Homologien zwischen den Schädel - und den Wirbelknochen haben einen ungeheuer fördernden Einfluss auf die Vermehrung und auf die Ordnung des Wissens ausgeübt, doch hatte Schiller vollkommen Recht, als er den Kopf schüttelte und sagte: » Das ist keine Erfahrung, (und er hätte hinzufügen können, auch keine Theorie), das ist eine Idee! « 2)Goethe: Tag - und Jahreshefte, 1794. Übrigens hat Goethe das selber später anerkannt und ist auch für die Schattenseiten seiner » Idee « durchaus nicht blind geblieben. In dem » supplementaren Teil « der Nachträge zur Farbenlehre, unter der Rubrik Probleme, findet man folgenden Ausspruch: » Die Idee der Metamorphose ist eine höchst ehrwürdige, aber zugleich höchst gefährliche Gabe von oben. Sie führt ins Formlose, zerstört das Wissen, löst es auf. «Und ebenso Recht hatte Schiller, als er hinzufügte: » Ihr Geist wirkt in einem ausserordentlichen Grade intuitiv, und alle Ihre denkenden Kräfte scheinen auf die Imagination, als ihre gemein - schaftliche Repräsentantin, gleichsam kompromittiert zu haben. « 3)Brief an Goethe vom 31. August 1794. Schiller setzt hinzu: » Im Grund ist dies das Höchste, was der Mensch aus sich machen kann, sobald es ihm gelingt, seine Anschauung zu generalisieren und seine Empfindung gesetzgebend zu machen «.» Die805Wissenschaft.mathematische Analyse «, sagt Carnot, » ist voller enigmatischer An - nahmen, und aus diesen Enigmen schöpft sie ihre Kraft. « 1)A. a. O., S. 27.Von unserer Physik sagt ein Berufener, John Tyndall: » das mächtigste ihrer Werkzeuge ist die Phantasie. « 2)On the scientific use of the imagination, 1870.In den Wissenschaften des Lebens schreiten heute eben so wie gestern, überall wo wir bestrebt sind, neue Gebiete dem Verständnis aufzuschliessen und ungeordnete Thatsachen zu Wissen zu gestalten, phantasiebegabte, schöpferische Männer voran: Haeckel’s Plastidüle, Wiesner’s Plasomen, Weissmann’s Biophoren u. s. w. entspringen demselben Bedürfnis wie Stahl’s meisterliche Erfindung. Zwar ist die Phantasie dieser Männer durch die Fülle exakter Beobachtungen genährt und angeregt; pure Phantasie, für welche die Theorie der » Signaturen « als Beispiel dienen kann, hat für die Wissenschaft dieselbe Bedeutung wie für die Kunst das Gemälde eines Mannes, der die Technik des Malens nicht kennt; doch sind ihre hypothetischen Annahmen nicht Beobachtungen, also nicht Thatsachen, sondern Versuche, Thatsachen zu ordnen und neue Beobachtungen hervorzurufen. Das eklatanteste Phlogiston unseres Jahrhunderts war ja nichts geringeres als Darwin’s Theorie der natür - lichen Zuchtwahl.

Vielleicht darf ich, um diese Ausführung zusammenfassend zu beschliessen, mich selbst citieren. Ich hatte einmal Gelegenheit, einen bestimmten naturwissenschaftlichen Gegenstand eingehend zu studieren, nämlich den aufsteigenden Saft der Pflanzen. Mit Interesse unter - suchte ich bei dieser Gelegenheit die geschichtliche Entwickelung unserer diesbezüglichen Kenntnisse und fand, dass nur drei Männer Hales (1727), Dutrochet (1826) und Hofmeister (1857) unsere Kenntnisse in Bezug auf diese Frage wirklich um je einen Schritt weiter gebracht haben, und zwar trotzdem es an fleissigen Arbeitern nicht gefehlt hat. Bei den drei seltenen Männern, sonst sehr ver - schieden von einander, ist die Übereinstimmung folgender Charakte - ristika sehr auffallend: alle sind vortreffliche Beobachter, alle sind Männer von sehr weitem Gesichtskreis und von hervorragend leb - hafter, kühner Phantasie, alle sind als Theoretiker etwas einseitig und flüchtig. Mit Imagination hochbegabt, waren sie eben, wie Goethe, geneigt, ihren schöpferischen Ideen eine zu weit gehende Bedeutung zuzuschreiben; so Hales der Kapillarität, Dutrochet der Osmose, Hof -806Die Entstehung einer neuen Welt.meister der Gewebespannung; dieselbe Kraft der Phantasie, welche diese bedeutenden Männer befähigte, uns zu bereichern, hat sie also selber in einem gewissen Sinne eingeschränkt, so dass sie von Geistern, die ihnen durchaus untergeordnet waren, sich haben in dieser Beziehung zurechtweisen lassen müssen. » Solchen Männern «, schrieb ich, » ver - danken wir alle wirklichen Fortschritte der Wissenschaft; denn, was man auch über ihre Theorien denken mag, sie haben nicht allein unsere Kenntnisse durch die Auffindung zahlreicher Thatsachen, sondern ebenfalls unsere Phantasie durch die Aufstellung neuer Ideen be - reichert; die Theorien kommen und gehen, doch was die Phantasie einmal besitzt, ist unvergänglich. « Es ergab sich aber für mich aus dieser Untersuchung ein zweites Ergebnis, prinzipiell von noch grösserer Bedeutung: unsere Phantasie ist sehr beschränkt. Wenn man die Wissen - schaften bis ins Altertum zurückverfolgt, fällt es auf, wie wenige neue Vorstellungen zu den nicht sehr zahlreichen alten im Laufe der Zeiten hinzugekommen sind; dabei lernt man einsehen, dass einzig und allein die Beobachtung der Natur unsere Phantasie bereichert, wogegen alles Denken der Welt kein Samenkörnchen hinzusteuert. 1)Houston Stewart Chamberlain: Recherches sur la Sève ascendante, Neuchatel, 1897, p. 11. Dass die Armut an » Ideen « (wie auch er sie nennt) eine Haupt - ursache der Beschränktheit unseres Wissens sei, hebt schon Locke hervor (Human Understanding, Buch 4, Kap. 3, § 23).

Das Ziel unserer Wissenschaft.
378

Noch ein letztes Wort.

Die Mathematiker nie verlegene Leute, wie wir gesehen haben belieben zu sagen: der Kreis ist eine Ellipse, in der beide Brennpunkte zusammenlaufen. Wird dieses Zusammenlaufen der Brenn - punkte in unseren Wissenschaften jemals stattfinden? Ist es anzunehmen, dass menschliche Anschauung und Natur jemals sich genau decken werden, dass also unser Erkennen der Dinge absolute Erkenntnis sein wird? Was vorhergeht, zeigt, wie wahnwitzig eine derartige Voraus - setzung ist; ich bin auch überzeugt, behaupten zu dürfen, kein einziger ernster Naturforscher unserer Tage hege sie, gewiss kein germanischer. 2)Bei unseren vielen vortrefflichen jüdischen Gelehrten mag die Sache freilich anders liegen; denn wenn ein Volk während Jahrtausenden, ohne jemals etwas gelernt zu haben, alles gewusst hat, ist es bitter, nunmehr mühsame und glänzende Studien zu machen, um schliesslich zugeben zu müssen, unser Wissen sei durch die menschliche Natur ewig und eng beschränkt. Nachsicht ist hier am Platze.Selbst dort wo (wie heute leider so häufig der Fall) die philosophische Ausbildung des Geistes zurückgeblieben ist, finden wir diese Einsicht,807Wissenschaft.und vielleicht gewinnt sie gerade dadurch an Gewicht, dass sie ganz naiv zu Worte kommt. So z. B. machte einer der anerkannt bedeutendsten Naturforscher unseres Jahrhunderts, Lord Kelvin, als er 1896 sein fünfzig - jähriges Professorenjubiläum feierte, das denkwürdige Geständnis: » Ein einziges Wort fasst das Ergebnis alles dessen zusammen, was ich während 55 Jahre gethan habe, um die Wissenschaft zu fördern: dieses Wort ist Misserfolg. Ich weiss heutigen Tages nicht ein Jota mehr, was elektrische oder magnetische Kraft ist, wie Äther, Elektricität und wägbare Materie in ihrem Verhältnis zu einander zu denken sind, oder was wir uns unter chemischer Verwandtschaft vorstellen sollen, als dazumal, wie ich meinen ersten Vortrag hielt. « Das ist das Wort eines ehrlichen, wahrheits - liebenden, echt germanischen Mannes, desselben Mannes, der uns die hypothetischen, undenkbaren Atome so nahe gebracht zu haben schien, indem er in einer gutgelaunten Stunde es unternommen hatte, sie der Länge und der Breite nach genau zu messen. Wäre er dazu ein klein bischen Philosoph gewesen, so hätte er freilich nicht nötig gehabt, in so melancholischer Weise von Misserfolg zu sprechen; denn dann hätte er der Wissenschaft nicht ein gänzlich unerreichbares Ziel gesteckt, nämlich die ihr ewig verschlossene absolute Erkenntnis, welche im innersten Herzen wohl keimen mag, nie aber in Gestalt eines that - sächlichen, empirischen » Wissens « wird in der Hand gehalten werden können; und so hätte er sich denn ohne Rückhalt über jene glänzende, freie Gestaltungskraft freuen können, die sich zu bethätigen begann im Augenblick, wo der Germane gegen die bleierne Gewalt des Völker - chaos sich auflehnte, die so reichen civilisatorischen Segen seither ge - bracht hat und die zu noch weit höheren Geschicken bestimmt ist. 1)In diesem Zusammenhang möchte ich die besondere Aufmerksamkeit des Lesers auf den Umschwung der Anschauungen in Bezug auf das Wesen des Lebens lenken. Am Anfang unseres Jahrhunderts hatte man die Kluft zwischen dem Organischen und dem Unorganischen, wenn nicht schon für ausgefüllt, so doch fast für überbrückt gehalten (S. 78); am Schlusse unseres Jahrhunderts gähnt sie für alle Kundigen weiter als jemals zuvor. Weit entfernt, dass wir im Stande wären, Homunculi auf chemischem Wege in unseren Laboratorien herzustellen, er - fuhren wir zuerst (durch die Arbeiten der Pasteur, Tyndall etc.), dass es nirgendswo generatio spontanea giebt, sondern alles Leben einzig durch Leben gezeugt wird; dann lehrte uns die feinere Anatomie (Virchow), dass jede Zelle eines Körpers nur aus einer schon vorhandenen Zelle entstehen kann; jetzt wissen wir (Wiesner), dass selbst die einfachsten organischen Gebilde der Zelle nicht durch die chemische Thätigkeit des Zelleninhaltes, sondern nur aus den gleichen organisierten Gebilden entstehen, z. B. ein Stärkekorn nur aus einem schon vorhandenen Stärkekorn. Die

808Die Entstehung einer neuen Welt.

Mit den Auseinandersetzungen dieses Abschnittes hoffe ich etwas Nützliches zum Verständnis der Geschichte unserer germanischen Wissen - schaften und zu der genauen Beurteilung ihrer Erscheinungen in unserem Jahrhundert beigetragen zu haben. Wir sahen, dass Wissenschaft nach unserer durchaus neuen und individuellen Auffassung die mensch - liche Gestaltung eines Aussermenschlichen ist; wir stellten in einigen Hauptzügen und an der Hand einzelner Beispiele fest, wie diese Ge - staltung bisher bei uns stattgefunden hat. Mehr kann man von einer » Notbrücke « nicht fordern.

3. Industrie (von der Einführung des Papieres bis zu Watt’s Dampfmaschine).

Vergänglichkeit aller Civilisation.
380

Wir betreten jetzt das Gebiet der Civilisation; hier kann ich und werde ich mich äusserst kurz fassen, denn das Verhältnis der Gegen - wart zur Vergangenheit ist hier ein gänzlich anderes als bei Wissen und Kultur. Bei der Besprechung des Wissens habe ich Boden auf - brechen und Grundlagen im Interesse des Verständnisses unseres Jahr - hunderts vorbereiten müssen; denn unser heutiges Wissen hängt mit der Arbeit der vorangegangenen sechs Jahrhunderte so eng zusammen, entwächst ihr so genau bedingt, dass sich die Gegenwart nur im Zu - sammenhang mit der Vergangenheit dem Urteil erschliesst; ausserdem1)Gestalt, nicht der Stoff, ist das Grundprinzip alles Lebens. Und so musste denn der früher so kühne Herbert Spencer vor Kurzem als ehrlicher Forscher gestehen: » Die Theorie einer besonderen Lebenskraft ist unzulässig, die physikalisch-chemische Theorie hat sich aber ebenfalls als unhaltbar erwiesen, woraus sich die Folgerung mit Not - wendigkeit ergiebt, dass das Wesen des Lebens überhaupt unerforschlich ist « (Brief vom 12. Oktober 1898 in der Zeitschrift Nature, Bd. 58, S. 593). Auch hier hätte ein bischen metaphysisches Denken den schmerzhaften Rückzug erspart. In dem Sinne wie Spencer es hier meint, ist überhaupt die gesamte empirische Welt un - erforschlich. Das Mysterium erscheint nur darum beim Leben in so besonders schlagender Gestalt, weil gerade das Leben das einzige ist, was wir aus un - mittelbarer Erfahrung selber wissen. Kraft des Lebens treten wir an das Problem des Lebens heran und müssen nun bekennen, dass die Katze sich zwar in die Spitze des Schwanzes beissen kann (falls dieser lang genug ist), aber mehr nicht; sie kann sich nicht selber aufessen und verdauen. Welchen stolzen Flug wird unsere Wissenschaft an dem Tage nehmen, wo der letzte Rest semitischen Er - kenntniswahnes von ihr abgestreift sein wird, und sie zur reinen, intensiven An - schauung übergeht, verbunden mit der freien, bewusst-menschlichen Gestaltung. Dann wahrlich » wird der Mensch durch den Menschen in das Tageslicht des Lebens eingetreten sein «! (Siehe das Motto zu Kapitel 1.)809Industrie.waltet dort ein Genius der Ewigkeit: der Wissensstoff wird niemals » überwunden «, nie können Entdeckungen rückgängig gemacht werden, ein Columbus steht dem Bewusstsein unseres Jahrhunderts näher als dem seines eigenen, und auch die Wissenschaft enthält, wie wir ge - sehen haben, Elemente, die an Unsterblichkeit mit den vollendetsten Gebilden der Kunst wetteifern; dort lebt also das Vergangene als Gegenwärtiges weiter. Von der Civilisation kann man dasselbe nicht behaupten. Natürlich schliesst sich auch hier Glied an Glied, doch tragen die früheren Zeiten die jetzige nur mechanisch, gleichwie bei den Korallenpolypen die abgestorbenen verkalkten Geschlechter den neuen als Unterlage dienen. Zwar ist auch hier das Verhältnis der Vergangenheit zur Gegenwart akademisch von höchstem Interesse, auch kann dessen Erforschung belehrend wirken; doch bleibt in der Praxis das öffentliche Leben stets eine ausschliesslich » gegenwärtige « Er - scheinung: die Lehren der Vergangenheit sind dunkel, widerspruchs - voll, unanwendbar; der Zukunft wird ebenfalls wenig gedacht. Eine neue Maschine vertilgt die früheren, ein neues Gesetz hebt das bis - herige auf; hier gebietet der Augenblick mit seiner Not und die Hast des kurzlebenden Einzelnen. So z. B. in der Politik. In der Betrachtung über » den Kampf im Staate « entdeckten wir gewisse grosse Unter - strömungen, die heute wie vor tausend Jahren am Werke sind; darin bethätigen sich allgemeine Rassenverhältnisse, physische Grundthat - sachen, welche in dem Wellenkampf des Lebens das Licht vielfältig brechen und darum vielfarbig in die Erscheinung treten, nichtsdesto - weniger aber aufmerksamen Beobachtern in ihrer dauernden, organischen Einheit erkennbar sind; nehmen wir aber die eigentliche Politik, so finden wir ein Chaos von sich durchkreuzenden und durchquerenden Ereignissen, in denen der Zufall, das Unberechnete, das Unvorher - gesehene, das Inkonsequente massgebend sind, in denen der Rückprall aus einer geographischen Entdeckung, die Erfindung eines Webstuhles, das Aufdecken eines Steinkohlenlagers, die Waffenthat eines genialen Feldherrn, die Dazwischenkunft eines mächtigen Staatsmannes, die Geburt eines schwachen oder starken Monarchen, alles in Jahrhunderten Errungene zerstört oder wieder alles an Andere Verlorene in einem einzigen Tage zurückerobert. Weil die Byzantiner sich schlecht gegen die Türken verteidigen, geht die mächtige Handelsrepublik Venedig zu Grunde; weil der Papst die Portugiesen von den westlichen Meeren ausgeschlossen, entdecken sie die Ostroute und in Folge dessen blüht Lissabon plötzlich auf; Österreich geht dem Deutschtum verloren,Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 52810Die Entstehung einer neuen Welt.Böhmen büsst auf immer seine Nationalbedeutung ein, weil eine geistige und moralische Nullität, Ferdinand II, von Kindheit auf in den Händen einiger ausländischer Jesuiten steht; Karl XII. schiesst wie ein Komet durch die Geschichte, stirbt mit 21 Jahren, und doch hat sein unver - hofftes Auftreten eingreifend auf die Karte Europa’s und die Geschichte des Protestantismus gewirkt; was die Gottesgeissel Napoleon Bonaparte geträumt hatte die Welt umzugestalten vollbringt in weit gründ - licherer Weise der einfache, ehrliche James Watt, der das Patent auf seine Dampfmaschine im selben Jahre nimmt (1769), in welchem jener Condottiere das Licht der Welt erblickte. Und inzwischen besteht die eigentliche Politik aus einem ewigen Anpassen, aus einem ewigen Ausklügeln von Kompromissen zwischen dem Notwendigen und dem Zufälligen, zwischen dem was gestern war und dem was morgen wird sein müssen. » Demütigend für die Politik ist alle Ge - schichte; denn das Grösste führen die Umstände herbei «, bezeugt der verehrungswürdige Historiker Johannes von Müller. 1)Vierundzwanzig Bücher allgemeiner Geschichte, Buch 14, Kap. 21.Sie hindert das Neue so lange es geht und fördert es sobald der Strom ihren eigenen Widerstand gebrochen hat; sie feilscht um Vorteile mit dem Nachbarn, beraubt ihn, wenn er schwach wird, kriecht vor ihm, wenn er er - starkt. Von ihr beraten, belehnt der mächtige Fürst die Grossen, auf dass sie ihn zum König oder Kaiser erwählen, und fördert nachher die Bürger, damit diese ihm gegen den Adel, der ihm auf den Thron half, beistehen; die Bürger sind königstreu, weil sie hierdurch aus der Tyrannei eines einzig auf Ausbeutung bedachten Adels erlöst werden, doch wird der Monarch Tyrann, sobald keine mächtigen Geschlechter mehr da sind, um ihn im Zaume zu halten, und das Volk erwacht unfreier als ehedem; darum empört es sich, enthauptet seinen König und vertreibt dessen Angehörige; allein jetzt regt sich vertausendfacht der Ehrgeiz, zu herrschen, und mit bleierner Unduldsamkeit erhebt die dumme » Mehrzahl « ihren Willen zum Gesetz. Überall die Herrschaft des Augenblicks, d. h. der augenblicklichen Not, des augenblicklichen Interesses, der augenblicklichen Möglichkeit, und in Folge dessen ein reiches Nacheinander ganz verschiedener Zustände, die zwar genetisch zu einander gehören und vom Historiker in ihrer Reihenfolge vor unseren Augen aufgerollt werden können, doch so, dass die eine Gegenwart die andere vernichtet, wie die Raupe das Ei, die Puppe die Raupe, der Schmetterling die Puppe; der Schmetterling wiederum811Industrie.stirbt, indem er Eier legt, so dass die Geschichte von Neuem an - heben kann.

O weh! hinweg! und lasst mir jene Streite Von Tyrannei und Sklaverei bei Seite! Mich langeweilt’s: denn kaum ist’s abgethan, So fangen sie von vorne wieder an.

Und was hier von der Politik gezeigt wird, gilt genau im selben Masse von dem gesamten gewerblichen und wirtschaftlichen Leben. Einer der fleissigsten heutigen Bearbeiter dieses weiten Gebietes, Dr. Cunningham, macht wiederholt darauf aufmerksam, wie schwer es für uns sei er nennt es an einer Stelle » hoffnungslos «1)The growth of English industry and commerce during the early and middle Ages, 3d ed., p. 97. die ökono - mischen Zustände vergangener Jahrhunderte und namentlich die dies - bezüglichen Vorstellungen, wie sie unseren Ahnen vorschwebten und ihre Handlungen und gesetzlichen Massregeln bestimmten, wirklich zu verstehen. Civilisation, das blosse Gewand des Menschen, ist eben ein so durchaus vergängliches Ding, dass es spurlos dahin schwindet; wenn auch die Töpfe und Ohrgehänge und dergleichen mehr als Zierde unserer Museen, und allerhand Kontrakte und Wechselbriefe und Diplome in dem Staube unserer Archive aufbewahrt bleiben, das Lebendige daran ist dahin und kehrt nicht wieder. Wer sich mit dem Studium dieser Verhältnisse nie abgegeben hat, ahnt auch nicht, wie schnell ein Zustand den andern verdrängt. Wir hören von einem Mittelalter reden und glauben, das sei eine grosse einheitliche tausend - jährige Epoche, zwar durch Kriege in ewiger Gährung gehalten, doch ziemlich stabil, was Ideen und soziale Zustände betrifft; dann sei die Renaissance gekommen und daraus habe sich nach und nach der heutige Tag entwickelt: dagegen hat es in Wirklichkeit seit dem Augenblick, wo der Germane die Weltbühne betrat und namentlich seit jenem, wo er in Europa der massgebende Faktor geworden war, nie einen Moment Ruhe auf wirtschaftlichem Gebiete gegeben; jedes Jahrhundert zeigt ein eigenes Gesicht und es kommt manchmal vor z. B. zwischen dem 13. und dem 14. Jahrhundert dass ein einziges Säculum noch tiefer greifende Umwälzungen der ökonomischen Zu - stände aufweist, als diejenigen, welche das Ende des 19. vom Ende des 18. Jahrhunderts wie durch eine gähnende Kluft scheiden. Ich hatte einmal Gelegenheit, mich mit dem Leben in jenem herrlichen52*812Die Entstehung einer neuen Welt.14. Jahrhundert eingehend zu beschäftigen; es geschah nicht vom Standpunkte des pragmatisierenden Historikers aus, sondern lediglich, um ein recht lebhaftes Bild jener energischen Zeit, in welcher Bürger - tum und Freiheit so prächtig aufblühten, zu erlangen; dabei fiel mir das eine sehr auf: dass die grossen Männer dieses stürmisch vorwärts drängenden Jahrhunderts, des Jahrhunderts » des kühn - verwegenen Fortschrittes «1)Lamprecht, Deutsches Städteleben am Schluss des Mittelalters, 1884, S. 36. ein Jakob von Artevelde, ein Cola Rienzi, ein John Wyclif, ein Etienne Marcel von ihren in den ererbten Vor - stellungen des 13. Jahrhunderts erzogenen Zeitgenossen nicht verstanden wurden und daran zu Grunde gingen; sie hatten ihre Gedanken zu schnell in eine neue Form gekleidet. Ich glaube fast, die Hastigkeit, die uns als Kennzeichen des heutigen Tages so auffällt, war uns immer zu eigen; wir haben uns nie Zeit gelassen, uns auszuleben: die Verteilung des Vermögens, das Verhältnis der Klassen zu einander, sowie überhaupt alles, was das öffentliche Leben der Gesellschaft ausmacht, bleibt bei uns in einem beständigen Hin - und Herschaukeln befangen. Im Verhältnis zur Wirtschaft ist sogar die Politik noch stabil, denn die grossen dyna - stischen Interessen, später die Interessen der Völker bilden doch einen gewichtigen Ballast, während Handel, Städteleben, der relative Wert des Landbaues, das Auftreten und Verschwinden des Proletariats, die Concentrierung und die Verteilung der vorhandenen Kapitalien u. s. w. fast lediglich der Wirkung der in meiner Allgemeinen Einleitung ge - nannten » anonymen Mächte « unterliegen. Aus allen diesen Erwägungen erhellt, dass vergangene Civilisation kaum in irgend einer Beziehung als eine noch lebende » Grundlage « der Gegenwart zu betrachten ist.

Autonomie unserer neuen Industrie.
384

Was nun speziell die Industrie anbelangt, so ist es klar, dass sie nicht allein in ihren Existenzbedingungen von den Launen der proteus - artigen Wirtschaft und der flatterhaften Politik betroffen, sondern dass ihre Möglichkeit und besondere Art in erster Reihe von dem Zustand unseres Wissens bedingt wird. Hier enthält also die Gleichung wie der Mathematiker sagen würde zwei veränderliche Faktoren, von denen der eine (die Wirtschaft) nach jeder Richtung variabel ist, der andere (das Wissen) zwar nur in einer bestimmten Richtung, doch mit wechselnder Geschwindigkeit wächst. Man sieht, es handelt sich bei der Industrie um ein gar bewegliches Ding, dem oft wie heute ein sehr intensives, doch stets ein unsicheres, unbeständiges Leben innewohnt. Zwar kann es sich ereignen, dass die Industrie mit grosser813Industrie.Gewalt auf Leben und Politik einwirkt; man denke nur an Dampf und Elektricität; trotzdem ist sie keine eigentlich selbständige, sondern nur eine abgeleitete Erscheinung, welche aus den Bedürfnissen der Gesellschaft einerseits, aus den Fähigkeiten der Wissenschaft anderer - seits hervorwächst. Darum sind ihre verschiedenen Etappen kaum oder gar nicht organisch miteinander verbunden, denn eine neue Industrie entwächst nur selten einer alten, sondern sie wird durch neue Bedürf - nisse und durch neue Entdeckungen ins Leben gerufen. Vollends in unserem Jahrhundert waltet eine ganz und gar neue Industrie, die, als eine der grossen, neuen » Kräfte « (siehe S. 21), der Civilisation unseres Jahrhunderts ihr besonderes, individuelles Gepräge verlieh und auf weite Gebiete des Lebens wie vielleicht keine frühere Industrie von Grund aus umgestaltend einwirkte. Diese Industrie wird im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ersonnen und tritt erst in unserem Säculum ins Leben ein; was früher bestand, schwindet wie vor einem Zauber - stabe und hat also für uns ich wiederhole es nur akademisches Interesse. Allerdings wird der Wissbegierige die Idee der Dampf - maschine auch in früheren Zeiten auffinden, wobei er nicht wie üblich allein auf den hundert Jahre vor Watts lebenden Papin und auf den genau zweitausend Jahre vor Papin lebenden Hero von Alexandrien den Blick richten wird, sondern namentlich auf jenen unbegreiflichen Wundermann Leonardo da Vinci, der hier wie anderwärts seiner tief in Kirchenkonzilien und Inquisitionsgerichten steckenden Zeit mit Riesen - schritten vorausgeeilt war: Leonardo hat uns die genaue Zeichnung einer durch Dampfkraft getriebenen, mächtigen Kanone hinterlassen und er hat sich ausserdem namentlich noch mit zwei Problemen be - schäftigt: wie man Dampfkraft zur Fortbewegung der Schiffe und wie man sie zum Pumpen des Wassers verwenden könnte gerade die zwei Gegenstände, bei denen die Lösung drei Jahrhunderte später, als erste Anwendung der Dampfkraft, gelang. Doch waren weder seine Zeit und ihre Bedürfnisse und politischen Zustände, noch die damalige Wissenschaft und ihre Mittel genügend entwickelt, um diese genialen Eingebungen in die Praxis überführen zu können. Als der günstige Augenblick kam, waren Leonardo’s Gedanken und Versuche inzwischen längst der Vergessenheit anheimgefallen und sind erst vor wenigen Jahren von Neuem ans Tageslicht gebracht worden. Die Anwendung des Dampfes, wie wir sie heute erleben, ist ein ganz Neues, dessen Besprechung zu unserem Jahrhundert gehört, da wir uns hier ebenso wie im früheren Verlauf dieses ganzen Buches hüten wollen, unser814Die Entstehung einer neuen Welt.Denken und Urteilen durch künstliche Zeiteinteilungen befangen zu lassen. Das Gesagte gilt aber nicht allein von der durch den Dampf bewirkten Umgestaltung sowie natürlich in noch höherem Grade von der Elektricität, zu deren industrieller Verwertung es vor hundert Jahren nicht einmal Ansätze gab sondern ebenfalls von dem Gebiete jener grossen, ausschlaggebenden Industrien, welche die Be - kleidung der Menschen besorgen, und in Folge dessen auf diesem Felde etwa das bedeuten, was in der Agrikultur der Bau des Kornes. Die Methoden des Spinnens, des Webens und des Nähens haben eine völlige Umwandlung erlitten, deren entscheidende Schritte ebenfalls erst am Schluss des vorigen Jahrhunderts beginnen. Hargreaves patentiert seine Spinnmaschine 1770, Arkwright die seinige fast im selben Augen - blicke, der grosse Idealist George Crompton schenkt der Welt die voll - kommene Spinnmaschine (die sogenannte Mule) etwa zehn Jahre später; Jacquard’s Webstuhl ward erst 1801 fertiggestellt; die erste praktisch brauchbare Nähmaschine (diejenige Thimonnier’s) liess trotz Ver - suchen, die am Schlusse des 18. Jahrhunderts begannen noch volle dreissig Jahre länger auf sich warten. 1)Eine wirklich praktische, umfassende Geschichte der Industrie habe ich in keiner Sprache ausfindig machen können; man muss aus fünfzig verschiedenen Specialschriften die Daten mühsam zusammensuchen und kann froh sein, wenn man überhaupt etwas findet, denn die Industriellen leben ganz in der Gegenwart und kümmern sich blutwenig um Geschichte. Für den zuletzt erwähnten Gegen - stand vergleiche man jedoch Hermann Grothe: Bilder und Studien zur Geschichte vom Spinnen, Weben, Nähen (1875).Auch hier fehlt es natürlich nicht an vorangegangenen Ideen und Versuchen, und zwar treffen wir wieder in erster Reihe auf den grossen Leonardo, der eine Spinn - maschine erfand, welche die ruhmreichsten Einfälle der späteren Zeit schon alle enthielt, so dass sie » unseren heutigen Spindelkonstruktionen vollkommen ebenbürtig gegenübersteht «, und der sich ausserdem mit der Konstruktion von Webstühlen, Tuchschermaschinen u. s. w. ab - gab. 2)Grothe: a. a. O., S. 21 und für Ausführlicheres, Grothe: Leonardo da Vinci als Ingenieur, 1874, S. 80 fg. Leonardo war überhaupt unerschöpflich in der Erfindung von Mechanismen, wovon man sich in dem zuletzt genannten Werke überzeugen kann.Doch blieb dies alles auf unsere Zeit einflusslos und gehört folglich nicht hierher. Und noch eine Thatsahe darf nicht unbeachtet bleiben: dass nämlich noch heute auf einem überwiegend grossen Teil der Welt gesponnen und gewoben wird, wie vor Jahrhunderten; gerade in diesen Dingen ist der Mensch zäh konservativ;3)Grothe: Bilder und Studien, S. 27. nimmt er aber815Industrie.das Neue an, so geschieht es wie dessen Erfindung auf einen Sprung.

Innerhalb des Rahmens dieses ersten Bandes bleibt also wenigDas Papier. über Industrie zu sagen. Doch ist dieses Wenige nicht bedeutungslos. Genau so, wie unsere Wissenschaft eine » mathematische « genannt werden kann, so besitzt auch unsere Civilisation von Anfang an einen bestimmten Charakter, oder, wenn man will, eine bestimmte Physio - gnomie; und zwar ist es eine Industrie, welche an jenem entscheidenden Wendepunkt des 12. 13. Jahrhunderts unserer Civilisation dieses be - sondere Gepräge verlieh, das in der Folge dann immer weitere Aus - bildung erfuhr: unsere Civilisation ist eine papierne.

Es ist falsch und darum für das historische Urteil irreführend, wenn man, wie das gewöhnlich geschieht, die Erfindung des Buch - druckes als den Beginn eines neuen Zeitalters hinstellt. Zunächst muss gegen eine derartige Behauptung erinnert werden, dass der lebendige Quell eines neuen Zeitalters nicht aus dieser oder jener Erfindung, sondern in den Herzen bestimmter Menschen fliesst; sobald der Germane begann, selbständige Staaten zu gründen und das Joch des römisch - theokratischen Imperiums abzuschütteln, da begann auch ein neues Zeitalter; ich habe das ausführlich gezeigt und brauche nicht darauf zurückzukommen. Wer mit Janssen meint, es sei der Buchdruck, der » den Geist beflügelt habe «, erkläre doch gefälligst, warum dem Chinesen noch keine Flügel angewachsen sind? Und wer mit Janssen die kühne These verficht, diese » den Geist beflügelnde « Erfindung, sowie über - haupt die » Entfaltung des geistigen Lebens « vom 14. Jahrhundert ab, sei einzig und allein der römisch-katholischen Lehre von der Ver - dienstlichkeit der guten Werke zuzuschreiben, der sei doch so gut, zu erklären, warum der Hellene, der weder Buchdruck noch Werkheiligkeit kannte, es dennoch vermochte, auf Flügeln des Gesanges und der ge - staltenden Weltanschauung so hoch sich hinaufzuschwingen, dass es uns erst mühsam und spät (und erst nach Abwerfung der römischen Fesseln) gelang, eine vergleichbare Höhe zu erreichen. 1)Vergl. Janssen: Geschichte des deutschen Volkes, 16. Aufl., I, 3 und 8. Diese fleissige und darum nützliche Zusammenstellung wird wirklich übermässig gepriesen; im Grunde genommen ist sie ein sechsbändiges Tendenzpamphlet, welches weder durch Treue noch durch Tiefe es verdient hätte, ein Hausbuch zu werden. Der deutsche Katholik hat ebensowenig wie irgend ein anderer Deutscher Grund, die Wahrheit zu fürchten; Janssen’s Methode ist aber die systematische Entstellung der Wahrheit und die planmässige Besudelung der besten Regungen des deutschen Geistes.Lassen wir also816Die Entstehung einer neuen Welt.diese dummen Phrasen. Doch auch auf dem Gebiet einer konkreten und wahrhaftigen Geschichtsbetrachtung wird die Einsicht in den histo - rischen Gang unserer Civilisation durch die einseitige Betonung der Erfindung des Druckes verdunkelt. Die Idee des Druckes ist eine uralte; jeder Stempel, jede Münze geht aus ihr hervor; das älteste Exemplar der gotischen Bibelübersetzung, der sogenannte Codex argenteus, ist mit Hilfe glühender Metalltypen auf Pergament » gedruckt «; entscheidend weil unterscheidend ist nur die Art und Weise, wie die Germanen dazu kamen, gegossene, zusammenstellbare Lettern und damit den praktischen Buchdruck zu erfinden, und dies hängt wiederum mit ihrer Wert - schätzung des Papiers zusammen. Denn der Buchdruck entsteht als Ver - wendung des Papiers. Sobald das Papier d. h. also ein brauchbarer, billiger Stoff zur Vervielfältigung da ist, fangen an hundert Orten (in den Niederlanden, in Deutschland, in Italien, in Frankreich) die fleissigen, findigen Germanen an, nach einer praktischen Lösung des alten Problems, wie man Bücher mechanisch drucken könne, zu fahnden. Es verlohnt sich, das, was hier vorging, genauer in Augenschein zu nehmen, namentlich da Kompendien und Lexika über die früheste Geschichte unseres Papiers noch sehr schlecht informiert sind. Erst durch die Arbeiten von Joseph Karabacek und Julius Wiesner ist nämlich volle Klarheit in diese Sache gekommen, und zwar mit dem Ergebnis, dass hier eines der interessantesten Kapitel zu der Erkennt - nis germanischer Eigenart vorliegt. 1)Vergl. Karabacek: Das Arabische Papier, eine historisch-antiquarische Unter - suchung, Wien 1887 und Wiesner: Die mikroskopische Untersuchung des Papiers mit besonderer Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere, Wien 1887. Die beiden Gelehrten haben zusammen, jeder in seinem Fache, diese Untersuchung geführt, so dass ihre Arbeiten, wenn auch getrennt erschienen, sich gegenseitig ergänzen und zusammen ein Ganzes bilden. Von entscheidender Wichtigkeit ist die Feststellung, dass Papier aus baumwollenen Hadern nirgends vorkommt, sondern die ältesten Stücke arabischer Manufaktur aus Leinenlumpen gemacht sind, so dass dem Germanen (im Gegensatz zur bisherigen Annahme) nicht einmal der bescheidene Einfall, Leinen an Stelle von Baumwolle zu gebrauchen, zu eigen bleibt. Die Einzelheiten in meinen folgenden Ausführungen sind zum grossen Teil diesen zwei Schriften entnommen.

Auf die Idee, eine billige, handliche, allgemein verwendbare Unter - lage für die Schrift zu fabrizieren (an Stelle des kostspieligen Pergamentes, der noch kostspieligeren Seide, des verhältnismässig seltenen Papyrus, der assyrischen Schreibziegel u. s. w.) scheinen jene emsigen Utilitarier, die Chinesen, zuerst verfallen zu sein; doch entspricht die Behauptung,817Industrie.sie hätten » das Papier erfunden «, nur teilweise den Thatsachen. Die Chinesen, die selber einen dem unsrigen durchaus ähnlichen Papyrus benutzten,1)Der Papyrus der Chinesen ist das dünngeschnittene Markgewebe einer Aralia, wie der Papyrus der Alten das dünngeschnittene Markgewebe der Cyperus papyrus war. Der Gebrauch davon hat sich in China für das Malen mit Wasser - farben u. s. w. noch bis heute erhalten. Für Einzelheiten vergleiche man Wiesner: Die Rohstoffe des Pflanzenreiches, 1873, S. 458 fg. und die Nachteile hiervon kannten, verfielen darauf, aus geeigneten Pflanzenfasern auf künstlichem Wege ein dem Papier ana - loges Schreibmaterial herzustellen: das ist ihr Beitrag zur Erfindung des Papieres. Chinesische Kriegsgefangene brachten nun (etwa im 7. Jahr - hundert?) diese Industrie nach Samarkand, einer Stadt, die dem arabischen Khalifat unterstand und meist von fast unabhängigen türkischen Fürsten regiert wurde, deren Einwohnerschaft aber damals zum überwiegenden Teil aus persischen Iraniern bestand. Diese Iranier unsere indo - europäischen Vettern fassten die unbeholfenen chinesischen Versuche mit dem höheren Verständnis einer ungleich reicheren und phantasie - volleren Begabung auf und verwandelten sie gänzlich, indem sie » fast sofort « die Bereitung des Papieres aus Hadern oder Lumpen erfanden ein so auffallender Vorgang (namentlich wenn man bedenkt, dass die Chinesen bis zum heutigen Tage nicht weiter gekommen sind!), dass Herr Karabacek wohl berechtigt ist, auszurufen: » ein Sieg des fremden Ingeniums über die Erfindungsgabe der Chinesen! « Das ist also die erste Etappe: ein indoeuropäisches Volk, angeregt durch das praktische, doch sehr besckränkte Geschick der Chinesen, erfindet » fast sofort « das Papier; Samarkand wird auf längere Zeit die Metropole der Papier - fabrikation. Nun folgt die zweite und ebenso lehrreiche Etappe. Im Jahre 795 liess Harûn-al-Raschîd (der Zeitgenosse Karl’s des Grossen) Arbeiter aus Samarkand kommen und eine Papierfabrik in Bagdad er - richten. Die Zubereitung wurde als Staatsgeheimnis bewahrt; doch überall, wohin Araber kamen, begleitete sie das Papier, namentlich auch nach dem maurischen Spanien, jenem Lande, wo die Juden so lange das grosse Wort führten und wo nachgewiesenermassen Papier seit Anfang des 10. Jahrhunderts im Gebrauch stand. Dagegen gelangte fast gar kein Papier nach dem germanischen Europa, und wenn auch, dann nur als geheimnisvoller Stoff unbekannter Herkunft. Das dauerte bis in das 13. Jahrhundert. Fast ein halbes Jahrtausend haben also die Semiten und Halbsemiten das Monopol des Papiers gehabt, Zeit genug, wenn sie ein Fünkchen Erfindungskraft besessen, wenn sie nur818Die Entstehung einer neuen Welt.die geringste Sehnsucht nach geistigen Thaten gekannt hätten, um diese herrliche Waffe des Geistes zu einer Macht auszubilden. Und was haben sie in diesem Zeitraum der eine grössere Frist umspannt als von Gutenberg bis heute damit geleistet? Nichts, rein gar nichts. Nur Schuldscheine haben sie darauf anzubringen gewusst, und ausser - dem etliche hundert öde, langweilige, geisttötende Bücher: die Er - findung des Iraniers zur Verballhornung der Gedanken des Hellenen in erlogener Gelehrsamkeit dienend! Doch nun folgte die dritte Etappe. Im Verlauf der Kreuzzüge wurde das mit so viel Geistesarmut gehütete Manufakturgeheimnis gelüftet; was der arme Iranier, zwischen Semiten, Tataren und Chinesen eingekeilt, erfunden, das übernahm jetzt der freie Germane. In den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts gelangte die genaue Kunde, wie Papier zu bereiten sei, nach Europa; wie ein Lauffeuer verbreitete sich das neue Gewerbe durch alle Länder; in wenigen Jahren genügten schon die einfachen Geräte des Orients nicht mehr; eine Verbesserung folgte der anderen; im Jahre 1290 stand schon die erste regelrechte Papiermühle (in Ravensburg); kaum hundert Jahre dauerte es, bis der Holzdruck (auch ganzer Bücher) sich ein - gebürgert hatte, und in weiteren fünfzig Jahren war der Buchdruck mit beweglichen Typen schon im Gang. Und glaubt man wirklich, dieser Buchdruck habe erst unseren Geist » beflügelt «? Welcher Hohn auf die Thatsachen der Geschichte! welche Verkennung des hohen Wertes germanischer Eigenart! Wir sehen doch, dass ganz im Gegen - teil der beflügelte Geist es war, der die Erfindung des Buchdruckes geradezu erzwungen hat. Während die Chinesen es niemals über den schwerfälligen Holztafeldruck hinausbrachten (und dies erst nach viel - leicht tausendjährigem Herumtappen), während die semitischen Völker das Papier so gut wie unbenutzt hatten liegen lassen, war im ganzen germanischen Europa und namentlich in seinem Mittelpunkt, Deutsch - land, » die Massenherstellung wohlfeiler Papierhandschriften « sofort ein Gewerbe geworden. 1)Vogt und Koch: Geschichte der deutschen Litteratur, 1897, S. 218. Ein - gehenderes in jedem grösseren Geschichtswerke.Selbst Janssen meldet, dass man in Deutschland, lange ehe der Druck mit gegossenen Lettern begonnen hatte, zu billigen Preisen die bedeutendsten Erzeugnisse mittelhochdeutscher Poesie, Volks - bücher, Sagen, volkstümlich-medizinische Schriften u. s. w. feilgeboten - habe. 2)A. a. O., I, 17.Und was Herr Janssen verschweigt, ist, dass schon vom 13. Jahr - hundert ab das Papier die Bibel, namentlich das neue Testament, durch819Industrie.viele Teile von Europa, übersetzt in die Volkssprachen, verbreitet hatte, so dass die Sendlinge der Inquisition, die selber nur zugestutzte Brocken aus der heiligen Schrift kannten, erstaunt waren, Bauern zu begegnen, welche die vier Evangelien von Anfang bis zu Ende auswendig her - sagten. 1)Vergl. S. 643, Anm. 1.Zugleich verbreitete das Papier, wie wir sahen (S. 763), solche Werke wie die des Scotus Erigena befreiend unter den vielen tausend Menschen, die so viel Bildung besassen, um lateinisch lesen zu können. Sobald das Papier da war, erfolgte durch alle Länder Europa’s die mehr oder weniger ausgesprochene Empörung gegen Rom, und sofort, als Reaktion darauf, das Verbot des Bibellesens und die Einführung der Inquisition (S. 643). Doch die Sehnsucht nach geistiger Befreiung, der Instinkt des zum Herrschen geborenen Stammes, die gewaltige Gährung jenes Geistes, den wir heute an seinen seither vollbrachten Thaten er - kennen, liessen sich nicht bemeistern und eindämmen. Das Verlangen nach Lesen und Wissen wuchs mit jedem Tage; noch gab es keine Bücher (in unserem Sinne) und schon gab es Buchhändler, die von Messe zu Messe reisten und massenhaften Absatz ihrer sauberen, billigen Abschriften auf Papier erzielten; die Erfindung des Buchdruckes wurde geradezu erzwungen. Darum auch die eigentümliche Geschichte dieser Erfindung. Sonst müssen neue Ideen viel kämpfen, ehe sie Anerkennung finden: man denke nur an die Dampfmaschine, an die Nähmaschine u. s. w.; auf den Druck harrte man dagegen schon aller - orten mit solcher Ungeduld, dass es heute kaum möglich ist, dem Fortgang seiner Verbreitung zu folgen. Im selben Augenblick, als Gutenberg das Giessen der Lettern in Mainz probiert, versuchen es andere in Bamberg, in Haarlem, in Avignon, in Venedig! Und als der grosse Deutsche das Rätsel endlich gelöst, versteht man seine Er - findung sofort überall zu schätzen und nachzuahmen, zu verbessern und auszubilden, weil sie einem allgemeinen dringenden Bedürfnis entsprach. 1450 begann Gutenberg’s Druckerei ihren Betrieb und 25 Jahre später blühte der Buchdruck in fast allen Städten Europa’s! Ja, in einzelnen Städten Deutschland’s, z. B. in Augsburg, Nürnberg, Mainz, gab es bald zwanzig und mehr Druckereien. Mit welchem Heiss - hunger greift der unter dem schweren Drucke Rom’s schmachtende Germane nach jeder Äusserung freien Menschentums! Es gleicht fast der Raserei eines Verzweifelten. Man schätzt die Zahl der zwischen 1470 und 1500 in Druck gelegten, verschiedenen Werke auf zehn -820Die Entstehung einer neuen Welt.tausend; sämtliche damals bekannte lateinische Autoren lagen noch vor Ende des Jahrhunderts gedruckt vor; in weiteren zwanzig Jahren folgten alle irgend zugänglichen griechischen Denker und Dichter. 1)Green: History of the English people, III, 195.Doch man verharrte nicht allein bei Vergangenem; sofort griff der Germane die Erforschung der Natur an und zwar am rechten Ende, bei der Mathematik: Johannes Müller aus Königsberg in Franken, genannt Regiomontanus, begründete zwischen 1470 und 1475 eine besondere Druckerei zur Herausgabe mathematischer Schriften in Nürnberg;2)Gerhardt: Geschichte der Mathematik in Deutschland, 1877, S. 15. zahlreiche deutsche, französische und italienische Mathematiker wurden dadurch zur Bearbeitung der Mechanik und Astronomie angeregt; 1525 gab der grosse Nürnberger Albrecht Dürer die erste darstellende Geometrie in deutscher Sprache heraus, und im selben Nürnberg er - schien bald darauf das De revolutionibus des Copernicus. Auch auf den anderen Gebieten der Entdeckung war man inzwischen nicht müssig gewesen und die erste Zeitung, die im Jahre 1505 erschien, » bringt schon Nachrichten aus Brasilien «. 3)Lamprecht: Deutsche Geschichte, VI., 122.

Ich wüsste nichts, was so geeignet wäre wie diese Geschichte des Papiers, uns die hohe Bedeutung vor Augen zu führen, welche eine Industrie für alle Lebenszweige gewinnen kann; zugleich sehen wir, wie alles darauf ankommt, in wessen Hände eine Erfindung gelangt. Der Germane hat das Papier nicht erfunden; was aber bei Semiten und Juden ein belangloser Wisch gewesen war, wurde, dank seinen unver - gleichlichen und durchaus individuell eigenartigen Gaben, das Panier einer neuen Welt. Man sieht, wie Recht Goethe hat, zu schreiben: » Das erste und letzte am Menschen ist Thätigkeit, und man kann nichts thun, ohne die Anlage dazu zu haben, ohne den Instinkt, der uns dazu treibt Wenn man es genau betrachtet, wird jede, auch nur die geringste Fähigkeit uns angeboren, und es giebt keine unbestimmte Fähigkeit «. 4)Lehrjahre, 8. Buch, Kap. 3.Wer die Geschichte des Papiers kennt und da noch von der Gleichartigkeit der Menschenrassen schwärmt, dem ist nicht zu helfen.

Die Einführung des Papiers ist ohne jede Frage das folgen - schwerste Ereignis unserer gesamten industriellen Geschichte. Alles Übrige ist im Verhältnis von sehr geringer Bedeutung. Erst der zu Beginn dieses Abschnittes genannte Umschwung in der Textilindustrie,821Wirtschaft.und in noch weit höherem Masse die Erfindung der Dampfmaschine, des Dampfschiffes und der Lokomotive haben ähnlich eingreifend auf das Leben wie das Papier gewirkt; doch auch sie in bedeutend ge - ringerem Grade, da selbst die Ausgestaltung der Lokomotion durch welche die Welt (wie früher durch den Buchdruck die Gedanken) einem Jeden zugänglich gemacht worden ist nicht direkt, sondern nur indirekt zur Vermehrung des geistigen Besitzes beiträgt. Doch bin ich über - zeugt, dass der aufmerksame Beobachter überall jene selben Anlagen am Werke finden wird, die uns hier, bei der Geschichte des Papiers, so glänzend entgegentraten. Und so mag es denn genügen, wenn an diesem einen Beispiel nicht allein die wichtigste Errungenschaft, sondern zugleich die entscheidenden individuellen Eigenschaften der Industrie in unserer neuen Welt hervorgehoben worden sind.

4. Wirtschaft (vom Lombardischen Städtebund bis zu Robert Owen, dem Begründer der Kooperation).

Vor wenigen Seiten citierte ich den Ausspruch eines namhaftenKooperation und Monopol. Sozialökonomen, wonach es » fast hoffnungslos « sein soll, die wirt - schaftlichen Zustände vergangener Jahrhunderte verstehen zu wollen. Das dort Ausgeführte brauche ich nicht zu wiederholen. Doch hat gerade das Gefühl von der kaleidoskopartigen Mannigfaltigkeit, von der vergänglichen Beschaffenheit dieser Verhältnisse mir die Frage auf - gedrängt, ob trotz alledem sich nicht ein einheitliches Lebenselement auffinden liesse, ich meine irgend ein in den verschiedensten Formen sich stets gleichbleibendes Lebensprinzip unserer ewig veränderlichen wirtschaftlichen Verhältnisse. In den Schriften eines Adam Smith, eines Proudhon, eines Karl Marx, eines John Stuart Mill, eines Carey, eines Stanley Jevons, eines Böhm-Bawerk und Anderer habe ich es nicht ge - funden; denn diese Gelehrten reden (und zwar von ihrem Standpunkte aus mit Recht) von Kapital und Arbeit, Wert, Nachfrage u. s. w., in ähnlicher Weise wie früher die Juristen von Naturrecht und göttlichem Recht, als ob das für sich seiende, übermenschliche Wesenheiten wären, die über uns allen thronen, während es mir im Gegenteil sehr wesent - lich darauf anzukommen scheint, » wer « das Kapital besitzt und » wer « die Arbeit leistet und » wer « einen Wert zu schätzen hat. Luther lehrt: nicht die Werke machen den Menschen, sondern der Mensch macht die822Die Entstehung einer neuen Welt.Werke; hat er Recht, so werden wir auch innerhalb des bunt wechseln - den wirtschaftlichen Lebens am meisten zur Aufhellung von Vergangen - heit und Gegenwart beitragen, wenn es uns gelingt, einen in dieser Beziehung grundlegenden Charakterzug des germanischen Menschen nachzuweisen; denn die Werke wechseln je nach den Umständen, der Mensch aber bleibt derselbe, und die Geschichte einer Menschen - art wirkt aufklärend, nicht durch die Gliederung in angebliche Zeit - alter, die immer das Äussere betreffen, sondern durch den Nachweis der strengen Kontinuität. Sobald mir die Wesensgleichheit mit meinen Ahnen vor Augen geführt wird, verstehe ich ihre Handlungen aus den meinen, und die meinen erhalten wiederum durch jene eine ganz neue Färbung, denn sie verlieren den beängstigenden Schein eines willkürlichen Entschlüssen unterworfenen Nochniedagewesenen und können nunmehr mit philosophischer Ruhe als altbekannte, stets wiederkehrende Phänomene untersucht werden. Hier erst fassen wir Fuss auf einem wirklich wissenschaftlichen Standpunkt: moralisch wird die Autonomie der Individualität im Gegensatz zum allgemeinen Menschheitswahn betont, geschichtlich tritt die Notwendigkeit (d. h. die notwendige Handlungsweise bestimmter Menschen) in ihre Rechte als gesetzgebende Naturmacht.

Betrachten wir nun die Germanen vom Beginn an, so finden wir in ihnen zwei gegensätzliche und sich ergänzende Züge stark aus - gesprochen: zunächst den heftigen Trieb des Individuums, sich herrisch auf sich selbst zu stellen, sodann seinen Hang, durch treue Vereinigung mit Anderen sich den Weg zu Unternehmungen zu bahnen, die nur durch gemeinsames Wirken bewältigt werden können. In unserem gegenwärtigen Leben umringt uns diese Doppelerscheinung auf allen Seiten und die Fäden, die hüben und drüben gesponnen werden, bilden ein wunderlich kunstvolles, fest geschlungenes Gewebe. Monopol und Kooperation: das sind unstreitig die beiden Gegenpole unserer heutigen wirtschaftlichen Lage und Niemand wird leugnen, dass sie unser ganzes Jahrhundert beherrscht haben. Was ich nun behaupte, ist, dass dieses Verhältnis, diese bestimmte Polarität,1)So hätte Goethe sie genannt; siehe die Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz, die Natur (in den meisten Ausgaben das allerletzte Blatt des letzten Bandes). von Anfang an unsere wirt - schaftlichen Zustände und ihre Entwickelung beherrscht hat, so dass, trotz der Aufeinanderfolge nie wiederkehrender Lebensformen, wir, dank dieser Einsicht, doch ein tiefes Verständnis für die Vergangenheit823Wirtschaft.und dadurch auch für die Gegenwart gewinnen; allerdings kein wissen - schaftlich nationalökonomisches (das müssen wir den Fachgelehrten überlassen), doch ein solches, wie es der gewöhnliche Mensch für die richtige Auffassung seiner Zeit gebrauchen kann.

Zu Grunde liegt eine einfache, unwandelbar sich gleichbleibende, konkrete Thatsache: die wechselnde Form, welche wirtschaftliche Ver - hältnisse bei bestimmten Menschen annehmen, ist ein direkter Ausfluss ihres Charakters, und der Charakter des Germanen, dessen allgemeinste Grundzüge ich im sechsten Kapitel gezeichnet habe, führt notwendiger Weise zu bestimmten, wenn auch wechselnden Gestaltungen des wirt - schaftlichen Lebens und zu ewig in ähnlicher Weise sich wiederholenden Konflikten und Entwickelungsphasen. Man glaube nur ja nicht, dass hier etwas allgemein Menschliches vorliege; die Geschichte bietet uns im Gegenteil nichts Ähnliches, oder wenigstens nur oberflächliche Ähn - lichkeiten. Denn das, was uns auszeichnet und unterscheidet, ist das gleichzeitige Vorwalten der beiden Triebe zur Absonderung und zur Vereinigung. Als Cato fragt, was Dante auf seinem beschwer - lichen Wege suche, erhält er zur Antwort:

Libertà va cercando!

Dieses Suchen nach Freiheit liegt jenen beiden Äusserungen unseres Charakters gleichmässig zu Grunde. Um wirtschaftlich frei zu sein, verbinden wir uns mit Anderen; um wirtschaftlich frei zu sein, scheiden wir aus dem Verband und setzen das eigene Haupt gegen die Welt aufs Spiel. Daraus ergiebt sich für die Indoeuropäer ein so ganz anderes wirt - schaftliches Leben, als für die semitischen Völker,1)Siehe Mommsen über Karthago z. B., oben S. 141 fg. die Chinesen u. s. w. Doch, wie ich S. 504 fg. zeigte, weicht der germanische Charakter und namentlich sein Freiheitsbegriff nicht unwesentlich auch von dem seiner nächsten indoeuropäischen Verwandten ab. Wir sahen in Rom die grosse » kooperative « Volkskraft zermalmend auf jeglicher autonomen Entwickelung der geistigen und moralischen Persönlich - keit lasten; als dann später die ungeheuren Reichtümer einzelner Indi - viduen das System des Monopols einführten, diente dies nur dazu, den Staat zu Grunde zu richten, wo dann nichts übrig blieb als physio - gnomieloses Menschenchaos; denn die Römer waren so beanlagt, dass sie einzig im Verband Grosses leisteten, dagegen aus dem Monopol kein wirtschaftliches Leben zu entwickeln vermochten. In Griechenland finden wir allerdings eine grössere Harmonie der Anlagen, doch hier824Die Entstehung einer neuen Welt.mangelt (im Gegensatz zu den Römern) die Bindekraft in einem be - dauerlichen Masse: die hervorragend energischen Individuen erblicken nur sich und begreifen nicht, dass ein aus verwandtschaftlicher Um - gebung losgerissener Mensch kein Mensch mehr ist; sie verraten den angestammten Verband und richten dadurch sich und ihr Vaterland zu Grunde. Im Handel mangelt aus den angegebenen Gründen dem Römer die Initiative, jene voranleuchtende Fackel des bahnbrechenden Einzelnen, dem Hellenen die Redlichkeit, d. h. jenes öffentliche, Alle verbindende und für Alle verbindliche Gewissen, welches später in dem » rechten Kaufmannsgut « des aufblühenden deutschen Gewerbes einen ewig verehrungswürdigen Ausdruck fand. Hier übrigens, in dem » rechten Kaufmannsgut «, halten wir schon ein treffliches Beispiel der Wechselwirkungen germanischen Charakters auf wirtschaftliche Gestaltungen.

Innungen und Kapitalisten.
399

In hundert Büchern wird der Leser das Leben und Wirken der Innungen zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert (etwa) geschildert finden; es ist das prächtigste Muster geeinten Wirkens: Einer für Alle, Alle für Einen. Sehen wir nun, wie in diesen Verbänden Alles genau bestimmt und von dem Vorstand der Innung, sowie auch von besonderen dazu eingesetzten Kontrollbehörden, vom Stadtmagistrat u. s. w. beauf - sichtigt wird, so dass nicht allein die Art und die Ausführung einer jeglichen Arbeit in allen Einzelheiten, sondern auch die Maximalmenge der Tagesleistung festgestellt ist und nicht überschritten werden darf, weil man nämlich fürchtete, der Arbeiter möchte aus Geldgier zu schnell und darum schlecht arbeiten, so sind wir geneigt, mit den meisten Autoren entsetzt auszurufen: dem Einzelnen blieb ja keine Spur Initiative, keine Spur Freiheit! Und doch ist dieses Urteil einseitig bis zur direkten Ver - kennung der historischen Wahrheit. Denn gerade durch das Zusammen - treten vieler Einzelnen zu einer festgefügten, einheitlichen Vielheit hat der Germane die durch den Kontakt mit dem römischen Imperium eingebüsste bürgerliche Freiheit wiedererworben. Ohne den angeborenen Instinkt zur Kooperation wären die Germanen ebensolche Sklaven geblieben wie die Ägypter, die Karthager, die Byzantiner, oder wie die Bewohner des Khalifats. Das vereinzelte Individuum ist einem chemischen Atom mit geringer Bindekraft zu vergleichen; es wird aufgesogen, vernichtet. Dadurch, dass der Einzelne freiwillig ein Gesetz annahm und sich ihm unbedingt fügte, erwarb er sich ein sicheres und anständiges Leben, ja, ein anständigeres Leben als das unserer heutigen Arbeiter, und hiermit zugleich die grundlegende Mög -825Wirtschaft.lichkeit zu aller geistigen Freiheit, was sich auch bald vielerorten bewährte. 1)Dass es dem Arbeiter im 13., 14. und 15. Jahrhundert durchschnittlich so viel besser als heute ging, erklärt Leber in seinem Essai sur l’appréciation de la fortune privée au moyen-âge, 1847, durch den Nachweis, dass » das Geld des Armen damals verhältnismässig mehr wert war als das des Reichen, da nämlich Luxusgegenstände exorbitant hohe Preise erreichten, unerschwinglich für solche, die nicht ein sehr grosses Vermögen besassen, wogegen alles Unentbehrliche, wie einfache Nahrungs - mittel, Wohnung, Kleider u. s w., äusserst billig war « (citiert nach Van der Kindere: Le siècle des Artevelde, Bruxelles, 1879, S. 132).Das ist die eine Seite der Sache. Der Unternehmungs - geist des Einzelnen ist aber bei uns zu stark, als dass er sich durch noch so strenge Verordnungen bändigen liesse, und so sehen wir auch damals, trotz der Herrschaft der Innungen, einzelne energische Männer ein ungeheures Vermögen erwerben. Im Jahre 1367 wandert z. B. ein armer Leinwebergeselle, Hans Fugger, nach Augsburg ein; hundert Jahre später sind seine Erben in der Lage, dem Erzherzog Siegmund von Tirol 150 000 Gulden vorzuschiessen. Allerdings hatte Fugger neben seinem Gewerbe auch Handel getrieben und zwar mit so viel Glück, dass sein Sohn Bergwerksbesitzer geworden war; doch wie war es möglich, da die Innungsgesetze dem einen Gesellen verboten, mehr als die anderen zu arbeiten, dass Fugger zu so viel Geld kam, um in diesem Masse Handel treiben zu können? Ich weiss es nicht; Niemand weiss es; aus jenem Anfang der Familie Fugger giebt es keine genauen Nachrichten. 2)Aloys Geiger: Jakob Fugger, Regensburg 1895.Jedenfalls sieht man, dass es möglich war. Und bildet auch die Familie Fugger durch den enormen Reichtum, den sie bald erwarb und durch die Rolle, welche sie dadurch in der Geschichte Europa’s spielte, ein Unikum, so fehlte es an reichen Bürgern in keiner Stadt, und man braucht nur Ehrenberg’s Zeitalter der Fugger (Jena 1896) oder Van der Kindere: Le siècle des Artevelde (Brüssel 1879) zur Hand zu nehmen, um zu sehen, wie überall Männer aus dem Volke, trotz des Innungszwanges, zu wohlhabender Selbständigkeit sich hinaufarbeiteten. Ohne die Innungen, d. h. also ohne Kooperation, wäre es überhaupt nie zu einem gewerblichen Leben bei uns ge - kommen das liegt auf der Hand; die Kooperation hinderte aber den Einzelnen nicht, sondern diente ihm als Sprungbrett. Nun aber, sobald der Einzelne fest und stark auf eigenen Füssen stand, benahm er sich genau so wie unsere damaligen Könige sich Fürsten und Volk gegenüber benahmen; er kannte nur ein Ziel: Monopol. Reich sein genügt nicht, frei sein befriedigt nicht:

Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 53826Die Entstehung einer neuen Welt.
Die wenigen Bäume, nicht mein eigen, Verderben mir den Weltbesitz!

Dass dieses germanische Hinausstreben ins Grenzenlose viel Unheil mit sich führt, dass es auf der einen Seite Verbrechen, auf der anderen Elend gebiert: wer möchte es leugnen? Niemals ist die Geschichte eines ungeheuren Privatvermögens eine Chronik makelloser Ehre. In Süddeutschland nennt man noch heute eine überschlaue, an Betrug grenzende Geschäftsgebahrung » fuggern «. 1)Nach Schoenhof: A history of money and prices, New-York 1897, p. 74.Und in der That, kaum sind die Fuggers durch Gold mächtig geworden, und schon sehen wir sie mit anderen reichen Handelshäusern Ringe bilden zur Beherrschung der Weltmarktpreise, ganz genau so wie wir das heute erleben, und solche Syndikate bedeuten damals wie jetzt den systematischen Diebstahl nach unten und nach oben: der Arbeiter wird in seinem Lohn beliebig gedrückt, der Käufer zahlt mehr als der Gegenstand wert ist. 2)Siehe Ehrenberg, a. a. O., I, 90. Es handelte sich namentlich um die Beherrschung des Kupfermarktes; die Fugger waren aber so gierig nach alleinigem Monopol, dass das Syndikat sich bald auflösen musste.Fast drollig bei aller Widerwärtigkeit ist es zu erfahren, dass die Fuggers an dem Ablassschacher finanziell interessiert waren. Der Erzbischof von Mainz hatte nämlich vom Papste die zu erwartenden Einnahmen des Jubelablasses für gewisse Teile von Deutschland gegen eine prä - numerando Zahlung von 10 000 Dukaten gepachtet; er schuldete aber den Fuggers von früher her 20 000 Dukaten (von den 30 000, die er der Kurie für seine Ernennung zum Erzbischof hatte bezahlen müssen), und so war denn in Wahrheit der Erzbischof nur ein vorgeschobener Strohmann und der wirkliche Pächter des Ablassjubels war die Firma Fugger! Der durch Luther unvergesslich gewordene Tetzel durfte denn nicht anders reisen und predigen, als in Begleitung des Geschäfts - vertreters dieses Handelshauses, der sämtliche Einkünfte einkassierte und allein den Schlüssel zum » Ablasskasten « besass. 3)Ludwig Keller: Die Anfänge der Reformation und die Ketzerschulen, S. 15 und Ehrenberg: a. a. O., I, 99.Ist es nun schon nicht sehr erbaulich, zu sehen, auf welche Weise ein solches Vermögen er - worben wird, so ist es einfach entsetzlich, zu gewahren, welch schnöder Gebrauch davon gemacht wird. Losgerissen aus dem heilsamen Ver - bande gemeinsamer Interessen, lässt der Einzelne die ungezügelte Will - kür walten. Die stumpfsinnige Vorteilsberechnung eines elenden Weber - sohnes bestimmt, wer Kaiser sein soll; nur dank dem Beistand der827Wirtschaft.Fugger und Welser wird Karl V. gewählt, nur durch die Unterstützung der Fugger und Welser wird er in den Stand gesetzt, den unseligen schmalkaldischen Krieg zu führen, und in dem nun folgenden Kampf der Habsburger gegen deutsches Gewissen und deutsche Freiheit spielen wieder diese gesinnungslosen Kapitalisten eine entscheidende Rolle; und zwar bekennen sie sich zu Rom und bekämpfen sie die Reformation, nicht aus religiöser Überzeugung, sondern ganz einfach, weil sie mit der Kurie ausgedehnte Geschäfte führen und bei ihrer eventuellen Niederlage grosse Einnahmen zu verlieren fürchten. 1)Alle Einzelheiten findet man ausführlich belegt durch archivarisches Material in Ehrenberg’s Buch. Dass die Fugger, sowie die anderen katholischen Kapitalisten jener Zeit, samt und sonders an den Habsburgern zu Grunde gingen, da diese Fürsten immer borgten und nie zurückzahlten (den Fuggers blieben sie 8 000 000 Gulden schuldig), wird mancher gemütvollen Seele einen platonischen Trost gewähren!

Und dennoch werden wir zugeben müssen, dass dieser rücksichts - lose, vor keinem Verbrechen zurückschreckende Ehrgeiz des Einzelnen ein wichtiger und unentbehrlicher Faktor unserer gesamten civilisatorisch - ökonomischen Entwickelung gewesen ist. Ich nannte vorhin die Könige und will hier den Vergleich aus dem nahe verwandten politischen Ge - biete noch einmal heranziehen. Wer kann die Geschichte Europa’s von dem 15. Jahrhundert bis zur französischen Revolution lesen, ohne dass sein Blut vor Empörung fast beständig kocht? Alle Freiheiten werden geraubt, alle Rechte mit Füssen getreten; schon Erasmus ruft voll In - grimm aus: » Das Volk baut die Städte, die Fürsten zerstören sie! « Und er hatte noch lange nicht das Schlimmste erlebt. Und wozu das alles? Damit eine Handvoll Familien sich das Monopol über ganz Europa erringen. Eine schlimmere Rotte gewohnheitsmässiger Ver - brecher als unsere Fürsten kennt die Geschichte nicht; juristisch be - trachtet, gehörten sie fast alle ins Zuchthaus. Und doch, welcher ruhig denkende, gesund urteilende Mensch wird nicht heute in dieser Entwickelung einen Segen erblicken? Durch die Konzentrierung der politischen Gewalt um einige wenige Mittelpunkte herum haben sich grosse, starke Nationen gebildet: eine Grösse und eine Stärke, an denen jeder Einzelne teilnimmt. Und als nun diese wenigen Monarchen jede andere Gewalt geknickt hatten, da standen sie allein; nunmehr war die grosse Volksgemeinde in der Lage, ihre Rechte zu fordern, und das Ergebnis ist ein so weithin reichendes Mass von individueller Freiheit, wie es keine Vorzeit gekannt hatte. Der Einherrscher ward828Die Entstehung einer neuen Welt.(wenn auch unbewusst) der Freiheit Schmied; der masslose Ehrgeiz des Einen ist Allen zu gute gekommen; das politische Monopol hat der politischen Kooperation die Wege geebnet. Diese Entwickelung die noch lange nicht beendet ist erhellt in ihrer eigenartigen Bedeutung, wenn man sie mit dem Entwickelungsgang des imperialen Rom kontrastiert. Wir sahen, wie dort alle Rechte, alle Privilegien, alle Freiheiten nach und nach aus den Händen des Volkes, welches die Nation errichtet hatte, in die Hand eines einzelnen Mannes übergingen;1)Siehe S. 148. die Germanen haben den umgekehrten Weg eingeschlagen: sie haben sich dadurch aus dem Chaos zu Nationen hinaufgearbeitet, dass sie die Summe der Macht vorläufig in einigen wenigen Händen konzentrierten; nunmehr fordert die Gesamtheit das ihre zurück: Recht und Ge - rechtigkeit, Freiheit und grösstmögliche Ungebundenheit für jeden ein - zelnen Bürger. Dem Monarchen wohnt in vielen Staaten schon heute nicht viel mehr als eine geometrische Bedeutung inne: er ist ein Mittelpunkt, der dazu dienen durfte, den Kreis zu ziehen. Viel ver - wickelter gestalten sich freilich die Verhältnisse auf wirtschaftlichem Gebiete und ausserdem sind sie noch lange nicht so weit herangereift wie die politischen, doch glaube ich, dass sie viel Analogie mit ihnen bieten. Es ist eben der selbe Menschencharakter hier wie dort am Werke. Bei den Phöniziern hatte der Kapitalismus zur unbedingten Sklaverei geführt, bei uns nicht; im Gegenteil: er bringt Härten, wie das Königtum auch Härten in seinem Werden brachte, ist aber überall der Vorläufer kommunistischer Regungen und Erfolge. In dem kom - munistischen Staat der Chinesen herrscht tiermässige Einförmigkeit; bei uns sehen wir überall aus kräftiger Gemeinsamkeit starke Individuen hervorgehen.

Wer sich nun die Mühe giebt, die Geschichte unseres Gewerbes, unserer Manufaktur, unseres Handels zu studieren, wird überall diese beiden Mächte am Werke finden. Überall wird er die Kooperation als Grundlage entdecken, vom denkwürdigen Bunde der lombardischen Städte an (bald gefolgt von dem rheinischen Städtebund, der deutschen Hansa, der Londoner Hansa), bis zu jenem überspannten aber genialen Robert Owen, der an der Schwelle unseres Jahrhunderts den Samen der grossartigen Kooperationsgedanken säete, der erst jetzt langsam auf - zugehen beginnt. Nicht minder jedoch wird er allerorten und zu allen Zeiten die Initiative des sich aus dem Zwange der Gemeinsam -829Wirtschaft.keit losreissenden Individuums am Werke erblicken, und zwar als das eigentlich schöpferische, bahnbrechende Element. Als Kaufleute, nicht als Gelehrte, führen die Polos ihre Entdeckungsreisen aus; auf der Suche nach Gold entdeckt Columbus Amerika; die Erschliessung Indiens ist (wie heute die Afrika’s) lediglich das Werk der Kapitalisten; fast überall wird der Betrieb der Bergwerke durch die Verleihung eines Monopols an unternehmende Einzelne ermöglicht; bei den grossen gewerblichen Erfindungen am Schlusse des vorigen Jahrhunderts hatte stets der Einzelne gegen die Gesamtheit sein Leben lang zu kämpfen und wäre ohne die Hilfe des unabhängigen, gewinnsüchtigen Kapitals erlegen. Die Verkettung ist eine unendlich mannigfaltige, weil jene beiden Triebkräfte stets gemeinsam am Werke bleiben und sich nicht etwa bloss ablösen. So sahen wir Fugger, nachdem er sich kaum aus dem Innungszwang herausgearbeitet hatte, freiwillig neue Verbindungen mit Anderen eingehen. Immer wieder, in jedem Jahrhundert, in welchem grosse Kapitalien sich ansammeln (wie jetzt in der zweiten Hälfte des unsrigen) sehen wir die Bildung von Syndikaten, d. h. also eine be - sondere Form von Kooperation; dadurch raubt aber der Kapitalist dem Kapitalisten jede individuelle Freiheit; die Macht der einzelnen Persön - lichkeit erlischt, und nun bricht sie sich an einem anderen Orte durch. Andererseits besitzt die eigentliche Kooperation nicht selten von Anfang an die Eigenschaften und die Ziele einer bestimmten Individualität: das sieht man besonders deutlich an der Hansa während ihrer Blüte - zeit und überall da, wo eine Nation zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen politische Massregeln ergreift.

Ich hatte Material vorbereitet, um das hier Angedeutete näher auszuführen, doch gebricht es mir dazu an Raum und ich begnüge mich damit, den Leser noch auf ein besonders lehrreiches Beispiel aufmerksam zu machen. Ein einziger Blick auf das hier noch nicht berührte Gebiet des Landbaues genügt nämlich, um das genannte Grundgesetz unserer wirtschaftlichen Entwickelung besonders deutlich am Werke zu zeigen.

Im 13. Jahrhundert, als die Germanen an den Ausbau ihrerBauer und Gross - grundbesitzer. neuen Welt gingen, war der Bauer fast in ganz Europa ein freierer Mann, mit einer gesicherteren Existenz als heute; denn die Erbpacht war die Regel, so dass z. B. England heute eine Heimat des Gross - grundbesitzes sich noch im 15. Jahrhundert fast ganz in den Händen von Hunderttausenden von Bauern befand, die nicht allein juristische Besitzer ihrer Scholle waren, sondern auch weitgehende unentgeltliche830Die Entstehung einer neuen Welt.Rechte an gemeinsamen Weiden und Wäldern besassen. 1)Gibbons: Industrial history of England, 5. ed., p. 40 fg. und 108 fg. Wir finden die Erbpacht noch heute im östlichen Europa, wo unter türkischer Herrschaft alles seit dem 15. Jahrhundert unverändert blieb; auf den grossherzoglichen Domänen in Mecklenburg Schwerin wurde sie im Jahre 1867 wieder eingeführt.Diese Bauern sind inzwischen alle ihres Besitzes beraubt worden; einfach beraubt. Jedes Mittel war dazu gut genug. Gab kein Krieg den Anlass, sie zu verjagen, so wurden bestehende Gesetze gefälscht und neue Gesetze von den Machthabern erlassen, welche das Gut der Kleinen zu Gunsten der Grossen konfiszierten. Doch nicht die Bauern allein, auch die kleinen Landwirte mussten vertilgt werden: das ge - schah auf indirektem Wege, indem sie durch die Konkurrenz der Grossen ruiniert und ihre Güter aufgekauft wurden. 2)Ein Vorgang, der besonders leicht in England zu verfolgen ist, weil die politische Entwickelung dort eine geradlinige war und das Innere des Landes vom 15. Jahrhundert ab nicht mehr durch Kriege verheert worden ist; hierzu leistet das berühmte Werk von Rogers: Six centuries of work and wages vorzügliche Dienste. (Ich citiere nach der wenig befriedigenden deutschen Übersetzung von Pannwitz, 1896.) Doch war der Prozess in allen Ländern Mitteleuropa’s wesentlich derselbe; die heutigen grossen Besitzungen sind samt und sonders gestohlen und erschwindelt worden, da sie den Grundherren zwar als juristisches Eigentum unterstanden, doch der thatsächliche, rechtliche Besitz der Erbpächter waren. (Man schlage in jedem Rechtslehrbuch nach unter Emphyteusis.)Welche grosse Härten das mit sich führte, mag ein einziges Beispiel veranschaulichen: im Jahre 1495 verdiente der englische Landarbeiter, der auf Tagelohn ausging, genau dreimal so viel (an Kaufwert) als hundert Jahre später! Wie man sieht, mancher tüchtige Sohn hat bei allem Fleiss nur ein Drittel so viel wie sein Vater verdienen können. Ein so plötzlicher Sturz, der gerade die produzierende Klasse des Volkes trifft, ist einfach furchtbar; man begreift nicht, dass bei einer derartigen wirtschaft - lichen Katastrophe der ganze Staat nicht aus den Fugen ging. Im Laufe dieses einen Jahrhunderts waren fast alle Bauern zu Tage - löhnern herabgedrückt worden. Und in der ersten Hälfte des 18. Jahr - hunderts war der wenige Jahrhunderte früher unabhängige Bauern - stand so tief gesunken, dass seine Mitglieder ohne die milden Gaben der » Herren « oder den Zuschuss der Gemeindekasse nicht auskommen konnten, da das Maximalverdienst des ganzen Jahres nicht hinreichte, um die Minimalmenge des zum Leben Unentbehrlichen zu kaufen. 3)Rogers, a. a. O., Kap. 17. Dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts an dieser unwürdigen Stellung des Landarbeiters nichts geändert worden war (wenigstens nicht in England), findet man ausführlich belegt in Herbert Spencer: The man versus831Wirtschaft.Nun darf man aber in allen diesen Dingen wie überhaupt bei jeder Betrachtung der Natur weder dem abstrakten Theoretisieren, noch dem blossen Gefühl eine Beeinflussung des Urteils einräumen. Der berühmte Sozialökonom Jevons schreibt: » Der erste Schritt zum Ver - ständnis besteht darin, dass wir den Wahn, als gäbe es in sozialen Dingen abstrakte Rechte , ein für allemal verwerfen. « 1)The state in relation to labour (nach Herbert Spencer citiert).Und was das moralische Gefühl anbelangt, so weise ich darauf hin, dass die Natur überall grausam ist. Unsere Empörung vorhin gegen die ver - brecherischen Könige, und jetzt gegen den gaunerhaften Adel, ist nichts gegen die Empörung, welche jedes biologische Studium ein - flösst. Sittlichkeit ist eben eine ausschliesslich innere, d. h. eine trans - scendente Intuition; das » Vater vergieb ihnen « findet keinen Beleg ausserhalb des menschlichen Herzens; daher auch die Absurdität jeder empirischen, induktiven, antireligiösen Ethik. Lassen wir aber wie es hier unsere Pflicht ist das Moralische bei Seite und beschränken wir uns auf die Bedeutung dieser wirtschaftlichen Entwickelung für das Leben, so genügt es, ein Fachbuch zur Hand zu nehmen, z. B. die Geschichte der Landbauwissenschaft von Fraas, und wir sehen bald ein, dass eine vollkommene Umgestaltung des Landbaues not - wendig war. Ohne sie hätten wir längst in Europa so wenig zu essen gehabt, dass wir gezwungen gewesen wären, uns gegenseitig aufzufressen. Diese kleinen Bauern aber, die gewissermassen ein kooperatives Netz über die Länder ausbreiteten, hätten die notwendig gewordene Reform der Landwirtschaft niemals durchgeführt; hierzu war Kapital, Wissen, Initiative, Hoffnung auf grossen Gewinn nötig. Nur Männer, die nicht aus der Hand in den Mund leben, sind in der Lage, derartige Umgestaltungen vorzunehmen; es gehörte auch dazu die diktatorische Gewalt über grosse Gebiete und zahlreiche Arbeits -3)the state, Kap. 2. Man ersieht aus solchen Thatsachen, welche zu hunderten vor - liegen ich will nur das Eine erwähnen, dass der Handwerkerstand noch niemals so elend gestellt war, wie um die Mitte unseres 19. Jahrhunderts wie eigen - tümlich es um jenen Begriff eines beständigen » Fortschrittes « bestellt ist. Für die grosse Mehrzahl der Einwohner Europa’s war der Entwickelungsgang der letzten vier Jahrhunderte ein » Fortschritt « zu immer grösserem Elend. Übrigens steht sich der Handwerker am Schlusse unseres Jahrhunderts wieder besser, doch immer noch um etwa 33 % schlechter als in der Mitte des 15. Jahrhunderts (nach den vergleichenden Berechnungen des Vicomte d’Avenel in der Revue des Deux Mondes vom 15. Juni 1898).832Die Entstehung einer neuen Welt.kräfte. 1)Dies lässt sich historisch nachweisen. Pietro Crescenzi aus Bologna ver - öffentlichte sein Buch über den rationellen Landbau in den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts, bald folgten Robert Grossetête, Walter Henley u. A., welche schon eingehend die Düngung behandeln; doch zunächst fast ohne jeden Erfolg, da derartige Ausführungen bei dem Bildungsstand des Bauern diesem unzugänglich blieben. Über den geringen Ertrag des Bodens unter der primitiven Bewirtschaftung der Bauern erhält man belehrende Auskunft bei André Réville: Les Paysans au Moyen - Age, 1896, S. 9.Diese Rolle usurpierte nun der Landadel und machte einen guten Gebrauch davon. Als Stachel wirkte auf ihn das schnelle Auf - blühen der Kaufmannschaft, welches seine eigene soziale Stellung arg bedrohte. Mit so viel Fleiss und Erfolg verlegte er sich auf das zu vollbringende Werk, dass man den Ertrag des Kornfeldes gegen Schluss des 18. Jahrhunderts auf das Vierfache des Ertrages am Schluss des 13. schätzt! Und inzwischen war der Mastochse drei Mal so schwer ge - worden und das Schaf trug vier Mal so viel Wolle! Das war der Erfolg des Monopols; ein Erfolg, der notwendiger Weise über kurz oder lang der Gemeinsamkeit zu gute kommen musste. Denn wir Germanen dulden nie auf die Dauer karthaginische Ausbeutung. Und während die Grossgrundbesitzer alles einsackten, sowohl den recht - mässigen Lohn ihrer Arbeiter, wie auch den Verdienst, der früher den Familien von Tausenden und Tausenden von gebildeten Landwirten bescheidenen Wohlstand verliehen hatte, suchten sich diese Kräfte auf anderen Wegen menschenwürdig durchzuarbeiten. Die Erfinder in den Textilindustrien am Schlusse des vorigen Jahrhunderts sind fast alle Bauern, welche sich mit Weben abgaben, weil sie sonst nicht genug zum Leben verdienten; andere wanderten in die Kolonien aus und bauten auf ungeheuren Flächen Korn an, das mit dem heimischen in Konkurrenz trat; wieder andere wurden Matrosen und Handelsherren. Kurz, der Wert des monopolisierten Landbesitzes sank nach und nach, und sinkt noch immer wie der Wert des Geldes2)Im Jahre 1694 zahlte die englische Regierung % für Geld, im Jahre 1894 kaum 2 %. so dass offenbar die Gegenwelle jetzt diese Verhältnisse erfasst hat und wir dem Tage ent - gegeneilen, wo die Allgemeinheit auch hier ihre Rechte wieder geltend macht und das anvertraute Gut von den grossen Besitzern wie die politischen Rechte vom König zurückfordert. Das Frankreich der Revolution ging mit dem Beispiel voran; ein vernünftigeres gab vor dreissig Jahren ein hochherziger deutscher Fürst, der Grossherzog von Mecklenburg-Schwerin.

833Wirtschaft.

Wer das mehrfach genannte Buch von Ehrenberg liest, wirdSyndikatswesen und Sozialismus. erstaunen, wie ähnlich die finanziellen Zustände vor vier Jahrhunderten, trotz aller tiefgreifenden Unterschiede des gesamten wirtschaftlichen Zustandes, denen des heutigen Tages sind. Aktiengesellschaften gab es schon im 13. Jahrhundert (z. B. die Kölner Schiffsmühlen;1)Lamprecht: Deutsches Städteleben, S. 30. Wechsel waren ebenfalls damals üblich und wurden von einem Ende Europa’s auf das andere ausgestellt; Versicherungsgesellschaften gab es in Flandern schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts;2)Van der Kindere, a. a. O., S. 216. Syndikate, künstliches Auf - schrauben und Herunterschrauben der Preise, Bankrott alles blühte damals wie heute. 3)Martin Luther weist an verschiedenen Stellen auf » die mutwillige Teuerung « des Getreides durch die Bauern, die er deswegen » Mörder und Diebe am Nächsten « schilt (siehe seine Tischgespräche), und andererseits bringt seine Schrift Von Kauf - handlung und Wucher eine ergötzliche Schilderung der damals schon blühenden Syndikate: » Wer ist so grob, der nicht sieht, wie die Gesellschaften nichts anders sind, denn eitel rechte Monopolia? .... Sie haben alle Ware unter ihren Händen und machen’s damit, wie sie wollen, und treiben ohne alle Scheu die obberührten Stücke, dass sie steigern oder niedrigen nach ihrem Gefallen und drücken und ver - derben alle geringen Kaufleute, gleichwie der Hecht die kleinen Fische im Wasser, gerade als wären sie Herren über Gottes Kreaturen, und frei von allen Gesetzen des Glaubens und der Liebe. .... Darüber muss gleichwohl alle Welt ganz aus - gesogen werden und alles Geld in ihren Schlauch sinken und schwemmen .... Alle Welt muss in Gefahr und Verlust handeln, heuer gewinnen, über ein Jahr verlieren, aber sie (die Kapitalisten) gewinnen immer und ewiglich und büssen ihren Verlust mit ersteigertem Gewinn, und so ist’s nicht Wunder, dass sie bald aller Welt Gut zu sich reissen «. Diese Worte sind im Jahre 1524 geschrieben; wie man sieht, könnten sie von heute sein.Dass der Jude dieser wichtige wirtschaft - liche Faktor blühte, versteht sich von selbst. Van der Kindere meldet lakonisch vom 14. Jahrhundert in Flandern: anständige Geld - verleiher nahmen bis %, Juden zwischen 60 % und 200 %;4)A. a. O., S. 222 23. auch die so sehr breitgetretene kurze Episode der Ghettos, zwischen 1500 und 1800, hat wenig oder nichts an der Wohlhabenheit und an den Geschäftspraktiken dieses klugen Volkes geändert.

Diese doppelte Einsicht: einerseits in das Vorwalten grundlegender, unveränderlicher Charaktereigenschaften, andrerseits in die relative Be - ständigkeit unserer wirtschaftlichen Zustände (trotz allem schmerzlichen Hin - und Herpendeln), wird sich, glaube ich, für die Beurteilung unseres Jahrhunderts sehr förderlich erweisen, weil es lehrt, Erscheinungen mit834Die Entstehung einer neuen Welt.grösserer Gelassenheit ins Auge zu fassen, die uns heute als etwas unerhört Neues entgegentreten und doch in Wahrheit nur Uraltes in neuer Kleidung, nichts weiter als natürliche, notwendige Erzeugnisse unseres Charakters sind. Die Einen weisen heute auf die grossen Syndikatsbildungen, die Anderen im Gegenteil auf den Sozialismus hin, und glauben, das Weltende herannahen zu sehen: gewiss bringen beide Bewegungen Gefahren, sobald antigermanische Mächte darin die Ober - hand gewinnen,1)Siehe S. 681 und 682. doch an und für sich sind es durchaus normale Er - scheinungen, in denen der Pulsschlag unseres wirtschaftlichen Lebens sich kundthut. Selbst ehe die sogenannte Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft abgelöst worden war, sieht man ähnliche wirtschaftliche Strömungen am Werke: so bedeutet z. B. die Periode der Leibeigenschaft und der Hörigkeit den notwendigen Übergang aus der antiken Sklaven - wirtschaft zu allgemeiner Freiheit zweifelsohne eine der grössten Errungenschaften germanischer Civilisation; hier wie anderwärts bei uns hat das egoistische Interesse Einzelner, beziehungsweise einzelner Klassen, das Wohl Aller bereitet, mit anderen Worten, es hat das Monopol der Kooperation vorgearbeitet. 2)Dies erhellt besonders deutlich aus den Ausführungen bei Michael: Kultur - zustände des deutschen Volkes während des 13. Jahrhunderts, 1897, I, der ganze Ab - schnitt » Landwirtschaft und Bauern «.Sobald aber die Geldwirtschaft eingeführt ist (was im 10. Jahrhundert beginnt, bei uns im Norden im 13. schon grosse Fortschritte gemacht hat und im 15. Jahrhundert vollständig durchgeführt ist), laufen die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich den heutigen parallel,3)Dem unter Ungelehrten verbreiteten Glauben, das Papiergeld sei eine der stolzen » Errungenschaften der Neuzeit «, ist entgegenzuhalten, dass diese Einrichtung kein germanischer Gedanke ist, sondern schon im alten Karthago und im spät - römischen Imperium üblich gewesen war, wenn auch nicht genau in dieser Form (da es kein Papier gab). nur dass natürlich neue politische Kombinationen und neue industrielle Errungenschaften den alten Adam neu aufgeputzt zeigen, sowie auch dass die Energie, mit welcher die Gegensätze auf einander stossen, das, was man in der Physik » die Amplitude der Schwingungen « nennt, abwechselnd zu - und abnimmt. Nach Schmoller z. B. war diese » Amplitude « im 13. Jahrhundert mindestens ebenso gross wie im 19., dagegen im 16. bedeutend geringer. 4)Siehe Strassburg’s Blüte, von Michael a. a. O. citiert.Den Kapitalis - mus haben wir schon an dem Beispiel der Fugger am Werke gesehen; der Sozialismus war aber viel früher ein wichtiger Bestandteil des Lebens835Wirtschaft.gewesen; fast fünf Jahrhunderte lang spielt er in der Politik Europa’s eine bedeutende Rolle, von der Empörung der lombardischen Städte gegen ihre Grafen und Könige an, bis zu den vielen Bauernorganisationen und - Aufständen in allen Ländern Europa’s. Wie Lamprecht an einer Stelle aufmerksam macht: die Organisation der Landwirtschaft war bei uns von Hause aus » kommunistisch-sozialistisch «. Echter Kommu - nismus wird auch immer im Landbau wurzeln müssen, denn hier erst, bei der Produktion der unentbehrlichen Nahrungsmittel, erhält Koope - ration umfassende und womöglich staatsgestaltende Bedeutung. Darum waren die Jahrhunderte bis zum 16. sozialistischer als das unsere, trotz des vielen sozialistischen Geredes und Theoretisierens, das wir haben erleben müssen. Doch auch dieses Theoretisieren ist nichts weniger als neu; um nur ein einziges älteres Beispiel zu nennen, gleich der Roman de la Rose, aus dem Jahrhundert des Erwachens (dem 13.), und lange Zeit hin - durch das am weitesten verbreitete Buch von Europa, greift alles Privat - eigentum an; und schon in den allerersten Jahren des 16. Jahrhunderts (1516) erhielt der theoretische Sozialismus in Sir Thomas More’s Utopia einen so wohldurchdachten Ausdruck, dass alles, was seither hinzuge - kommen ist, gewissermassen nur das theoretische Anbauen und Aus - bauen des von More deutlich abgesteckten Gebietes ist. 1)Dies giebt sogar der sozialistische Führer Kautsky zu (Die Geschichte des Sozialismus, 1895, I, 468), indem er meint, More’s Auffassung sei bis zum Jahre 1847, d. h. bis zu Marx und Engels, für den Sozialismus massgebend gewesen. Nun ist es aber klar, dass es wenig Gemeinsames geben kann zwischen den Ge - danken der beiden genannten hochbegabten Juden, welche manche der besten Ideen ihres Volkes aus Asien nach Europa herüberzupflanzen und modernen Lebens - bedingungen anzupassen versuchten, und denen eines der exquisitesten Gelehrten, welche Nordgermanien jemals hervorbrachte, einer durch und durch aristokratischen, unendlich feinfühligen Natur, eines Geistes, dessen unerschöpflicher Humor seinen Busenfreund Erasmus zum » Lob der Narrheit « anregte, eines Mannes, der in öffent - lichen Ämtern zuletzt als speaker des Parlamentes und als Schatzkanzler grosse Welterfahrung gesammelt hatte, und nunmehr freimütig und ironisch (und mit vollem Recht) die Gesellschaft seiner Zeit als » eine Verschwörung der Reichen gegen die Armen « geisselt, und einem anderen, auf echt germanischen und echt christlichen Grundlagen zu errichtenden Staat entgegensieht. Wenn More das Wort Utopia, d. h. » Nirgendswo «, für seinen Zukunftsstaat erfand, so war das auch wieder ein humoristischer Zug; denn in Wirklichkeit fasst er das gesellschaftliche Problem durchaus praktisch an, weit praktischer als manche sozialistische Doktrinäre des heutigen Tages. Er fordert: rationelle Bewirtschaftung des Bodens, Hygiene des Körpers und der Wohnung, Reform des Strafsystems, Verminderung der Arbeits - stunden, Bildung und edle Zerstreuung einem Jeden zugänglich gemacht Manches ist inzwischen bei uns eingeführt worden; in den übrigen Punkten hatUnd zwar836Die Entstehung einer neuen Welt.begann dieses Ausbauen sofort. Nicht allein besitzen wir vor dem Jahre 1800 eine lange Reihe von Sozialtheoretikern, unter denen der berühmte Philosoph Locke mit seinen klaren und sehr sozialistisch ge - arteten Auseinandersetzungen über Arbeit und Eigentum hervorragt,1)Siehe namentlich den Second Essay on Civil Government, § 27. sondern das 16., das 17. und das 18. Jahrhundert brachten eine viel - leicht ebenso grosse Anzahl Versuche über ideale kommunistische Staats - umbildungen wie das unsere. Der Holländer Peter Cornelius z. B. schlägt schon im 17. Jahrhundert die Abschaffung aller Nationalitäten vor und die Bildung einer » Centralmagistratur, « welche die Verwaltung der gemeinsamen Geschäfte der in zahlreichen » Aktiengesellschaften « (sic) vereinigten Menschengruppen besorgen soll,2)Vergl. Gooch: The history of English democratic ideas, 1898, p. 209 fg. und Winstanley entwickelt in seinem Gesetz der Freiheit (1651) ein so vollendetes kommunistisches System mit Abschaffung alles persönlichen Eigentums, Abschaffung (bei Todesstrafe) alles Kaufens und Verkaufens, Abschaffung aller spiritualisti - schen Religion, mit alljährlicher Neuwahl sämtlicher Beamten durch das Volk u. s. w., dass er wirklich für Nachfolger wenig übrig liess. 3)Ziemlich Ausführliches über Winstanley in der Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen, I, 594 fg. E. Bernstein, der Verfasser dieses Abschnittes, ist überhaupt der Wiederentdecker des Winstanley; doch hält sich Bernstein an eine einzige Schrift und hat ausserdem so gar kein Verständnis für einen germanischen Charakter, dass man über Winstanley’s Persönlichkeit in dem kleinen Werk von Gooch, p. 214 fg., 224 fg., viel mehr erfahren wird. Die schärfste Abweisung aller kommunistischen Ideen zu jener Zeit finden wir wohl bei Oliver Cromwell, der obwohl er selber ein Volksmann war den Vorschlag, das allgemeine Wahlrecht für das Parlament einzuführen, energisch verwarf, als eine Einrichtung, die » notwendig zur Anarchie führe «.

1)More, als Blut von unserem Blut, so genau gewusst, was wir brauchen, dass sein Buch, 400 Jahre alt, doch nicht veraltet ist, sondern seine Geltung behält. Gegen den damals erst in der Ausbildung begriffenen monarchischen Absolutismus wendet sich More mit der ganzen Wucht altgermanischer Überzeugung: dennoch ist er kein Republikaner, einen König soll Utopia haben. Unbeschränkte religiöse Gewissensfreiheit soll in seinem Idealstaate Gesetz sein: doch ist er nicht des - wegen wie unsere heutigen pseudomosaischen Sozialisten ein antireligiöser, ethischer Doktrinär, im Gegenteil, wer den Gott im Busen nicht empfindet, bleibt in Utopia von allen Ämtern ausgeschlossen. Was also More von Marx und Engels trennt, ist nicht ein Fortschritt der Zeit, sondern der Gegensatz zwischen Germanentum und Judentum. Die englische Arbeiterschaft des heutigen Tages, und namentlich solche führende Männer wie William Morris, stehen More offenbar viel näher als Marx; dasselbe wird sich bei den deutschen Sozialisten zeigen, sobald sie mit freundlicher Bestimmtheit ihre jüdischen Führer gebeten haben werden, sich der Angelegenheiten ihres eigenen Volkes anzunehmen.

837Wirtschaft.

Ich glaube, dass diese Betrachtungen natürlich weiter ausgeführtDie Maschine. und durchdacht Manchem für ein besseres Verständnis unserer Zeit von Nutzen sein werden. Allerdings ist in unserem Jahrhundert ein neues Element gewaltig umgestaltend hinzugetreten: die Maschine, jene Maschine, von welcher der soeben genannte gute und gedankenreiche Sozialist, William Morris, sagt: » Wir sind die Sklaven der Ungeheuer geworden, die unsere eigene Schöpferkraft geboren hat «. 1)Signs of Change, p. 33.Die Menge des Elends, das die Maschine in unserem Jahrhundert verursacht hat, lässt sich durch keine Ziffern darstellen, sie übersteigt jede Fassungskraft. Es scheint mir wahrscheinlich, dass unser 19. Jahrhundert das » schmerzens - reichste « aller bekannten Zeiten war, und zwar hauptsächlich in Folge des plötzlichen Aufschwunges der Maschine. Im Jahre 1835, kurz nach der Einführung des Maschinenbetriebes in Indien, berichtete der Vicekönig: » Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Knochen der Baumwollweber bleichen die Ebenen Indiens. « 2)Citiert nach May: Wirtschafts - und handelspolitische Rundschau für das Jahr 1897, S. 13. Harriett Martineau meldet mit bestrickender Naivetät in ihrem vielgelesenen British rule in India, p. 297, die armen englischen Beamten hätten ihre übliche allabendliche Lustfahrt einstellen müssen wegen des fürchterlichen Gestankes der Leichen.Das war im grösseren Masstabe die Wiederholung des - selben namenlosen Elends, das die Einführung der Maschine überall heraufbeschworen hat. Schlimmer noch denn jener Hungertod trifft nur die eine Generation ist die Herabdrückung Tausender und Millionen von Menschen aus relativem Wohlstand und aus Unabhängig - keit zu andauernder Sklaverei, und ihre Vertreibung aus gesundem Land - leben zum jämmerlichen licht - und luftlosen Dasein der grossen Städte. 3)Die Arbeiter der Textilindustrien lebten z. B. bis gegen Schluss des vorigen Jahrhunderts fast alle auf dem Lande und gaben sich zugleich mit Feldarbeiten ab. Dabei waren sie unvergleichlich besser gestellt als heute (siehe Gibbins: a. a. O., S. 154, und man lese auch das achte Kapitel des ersten Buches von Adam Smith’s: Wealth of Nations). Um den heutigen Zustand der Arbeiter vieler Industriezweige in demjenigen Lande Europa’s, welches die besten Löhne zahlt, nämlich England, kennen zu lernen, empfehle ich R. H. Sherard: The white slaves of England (Die weissen Sklaven Englands), 1897.Und doch darf man bezweifeln, ob diese Umwälzung (abgesehen davon, dass sie eine viel zahlreichere Bevölkerung traf) grössere Härten und eine intensivere allgemeine Krisis verursacht hat als der Übergang des Handels von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft, oder des Land -838Die Entstehung einer neuen Welt.baues von der Naturwirtschaft zur Kunstwirtschaft. Gerade die un - geheure Schnelligkeit, mit welcher das Fabrikwesen sich ausgedehnt hat, dazu die gleichzeitig fast ins Unbeschränkte erweiterte Möglichkeit der Auswanderung, hat die unumgängliche Grausamkeit dieser Ent - wickelung einigermassen gemildert.

Wir haben gesehen, wie genau dieser wirtschaftliche Umschwung durch den individuellen Charakter des Germanen vorausbedingt war. Sobald die leidige Politik nur einen Augenblick ruhig Atem schöpfen liess, sahen wir im 13. Jahrhundert Roger Bacon, im 15. Leonardo da Vinci das Werk der Erfindung anticipieren, dessen Verwirklichung Jahr - hunderte hindurch nur äusserlich verhindert werden sollte. Und eben - sowenig wie Teleskop und Lokomotive ein schlechterdings Neues, etwa die Frucht einer geistigen Entwickelung sind, ebensowenig ist irgend etwas in unserem heutigen wirtschaftlichen Zustand prinzipiell neu, und sei es noch so verschieden als Erscheinung von früheren Zuständen. Wir werden die wirtschaftliche Lage der Gegenwart erst dann richtig beurteilen, wenn wir gelernt haben werden, die Grundzüge unseres Charakters in den vergangenen Jahrhunderten überall am Werke zu erkennen: derselbe Charakter ist auch heute am Werke.

5. Politik und Kirche (von der Einführung des Beichtzwanges, 1215, bis zur französischen Revolution).

Die Kirche.
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Inwiefern ich bei diesem Überblick Politik und Kirche als zu - sammengehörig betrachte, habe ich S. 735 auseinandergesetzt; die tieferen Gründe dieser Zusammengehörigkeit sind in der Einleitung zum Abschnitt » Der Kampf « berührt. 1)Siehe auch Allgemeine Einleitung, S. 19.Ausserdem wird wohl Nie - mand leugnen, dass in der Entwickelung Europa’s seit dem 13. Jahr - hundert die thatsächlich bestehenden Beziehungen zwischen Kirche und Politik in manchen wichtigsten Dingen von ausschlaggebender Bedeu - tung waren, und praktische Politiker behaupten einstimmig, eine voll - kommene Trennung der Kirche vom politischen Staate d. h. also die Indifferenz des Staates in Bezug auf kirchliche Dinge sei auch heute noch undurchführbar. Prüft man die diesbezüglichen Argumente der konservativsten Staatsmänner, man wird sie stichhaltiger finden als die ihrer doktrinären Gegner. Man schlage z. B. das Buch Streitfragen839Politik und Kirche.der Gegenwart auf, von Constantin Pobedonoszew. Dieser bekannte russische Staatsminister und Oberprocureur des heiligen Synods kann als vollendeter Typus eines Reaktionärs gelten; ein freidenkender Mann wird nicht häufig in der Lage sein, in politischen Dingen mit ihm übereinzustimmen; ausserdem ist er ein orthodox kirchlicher Christ. Er meint nun, die Kirche könne vom Staate nicht getrennt werden, nicht auf die Dauer wenigstens, und zwar weil sie dann unfehlbar » bald das Übergewicht über den Staat gewinnen « und zu einem Um - sturz im theokratischen Sinne führen würde! Diese Behauptung seitens eines Mannes, der in kirchliche Dinge so genau eingeweiht ist, und der Kirche die grösste Sympathie entgegenbringt, scheint mir höchst beachtenswert. Er fürchtet ebenfalls, dass sobald der Staat die In - differenz gegen die Kirche als Prinzip einführt, » der Priester sich in die Familie hineindrängen wird, an die Stelle des Vaters. « 1)Deutsche Übersetzung von Borchardt und Kelchner, 3. Aufl., S. 10 fg., 24 fg.Pobedonoszew schreibt also der Kirche eine so enorme politische Bedeutung zu, dass er als erfahrener Staatsmann für den Staat, und als gläubiger Christ für die Religion fürchtet, sobald man ihr die Zügel schiessen liesse. Dies mag manchem Liberalen zu denken geben! Mir dient es einst - weilen als Rechtfertigung meines Standpunktes, wenn ich auch von ganz anderen Voraussetzungen ausgehe und auf ganz andere Ziele hin - steuere als der Ratgeber des Autokraten aller Reussen.

Ich beabsichtige nämlich, da dieser Abschnitt wie die übrigen notgedrungen sehr kurz gehalten sein muss, mein Augenmerk fast lediglich auf die Rolle der Kirche in der Politik der letzten sechs - hundert Jahre zu richten, denn gerade hiermit glaube ich dasjenige zu treffen, was als verhängnisvolles Erbe früherer Zeiten noch heute lebt. Schon Gesagtes braucht nicht wiederholt zu werden, und ebenso über - flüssig wäre es, das, was Jeder seit der Schule weiss, hier noch einmal zusammenzufassen. 2)Siehe im vorigen Abschnitt, S. 827, die Andeutung über den monarchischen Absolutismus als ein Mittel zur Erlangung der nationalen Unabhängigkeit und zur Wiedereroberung der Freiheit; ausserdem die Bemerkungen S. 809 fg. und das ganze achte Kapitel.Hier dagegen winkt uns Neues und der Lohn eines tiefen Einblickes in die innerste Werkstatt weltgestaltender Politik. Sonst ist ja Politik meist nur ein Anpassen, ein Anbequemen, das Gestern hat für das Heute wenig Interesse; hier aber erblicken wir die bleibenden Motive, und lernen einsehen, warum nur bestimmte Anpassungen glückten, nicht andere.

840Die Entstehung einer neuen Welt.
Martin Luther.
432

Die Reformation ist der Mittelpunkt der politischen Entwickelung Europa’s von 1200 bis 1800; sie hat für die Politik eine ähnliche Be - deutung wie sie die Einführung des Beichtzwanges durch die Synode des Jahres 1215 für die Religion gehabt hat. Durch die Beichte (nicht allein der grossen, öffentlich bekannten und gebüssten Sünden, wie bisher, sondern der täglichen, dem Priester im Geheimen anvertrauten Vergehen) war der römischen Religion eine doppelte sie vom Evan - gelium Christi immer weiter entfernende Richtung unabweisbar aufgezwungen: einerseits zur immer unbedingteren Priesterherrschaft, andererseits zur immer grösseren Abschwächung des inneren religiösen Momentes; kaum fünfzig Jahre nach dieser vatikanischen Synode, und schon wurde gelehrt: zum Sakramente der Busse bedürfe es nicht der Herzensreue (contritio), es genüge die Furcht vor der Hölle (attritio). Die Religion war nunmehr vollkommen veräusserlicht, der Einzelne dem Priester bedingungslos ausgeliefert. Der Beichtzwang bedeutet das vollkommene Opfer der Person. Hiergegen regten sich die Ge - wissen ernster Menschen in ganz Europa. Doch erst die Reformations - thätigkeit Luther’s hat jene religiöse Gährung, die schon Jahrhunderte die Christenheit durchdrang,1)Siehe S. 613 fg. zu einer politischen Macht umgestaltet, und zwar dadurch, dass sie die vielen religiösen Fragen zu einer kirch - lichen Frage umwandelte. Hierdurch erst ward es möglich, einen entscheidenden Schritt zur Befreiung zu thun. Luther ist vor Allem ein politischer Held; um ihn gerecht zu beurteilen, um seine über - ragende Stellung in der Geschichte Europa’s zu begreifen, muss man das wissen. Darum jene merkwürdigen, vielbedeutenden Worte: » Nun, meine lieben Fürsten und Herren, ihr eilet fast mit mir armen einigen Menschen zum Tode; und wenn das geschehen ist, so werdet ihr gewonnen haben. Wenn ihr aber Ohren hättet, die da höreten, ich wollte euch etwas Seltsames sagen. Wie, wenn des Luther’s Leben so viel vor Gott gülte, dass, wo er nicht lebete, euer Keiner seines Lebens oder Herrschaft sicher wäre, und dass sein Tod eurer Aller Unglück sein würde? « Welch ein politischer Scharf blick! Denn, dass die Fürsten, die sich nicht unbedingt Rom unterwarfen, ihres Lebens nicht sicher waren, hat die Folge häufig bestätigt; dass die anderen aber eine unabhängige Herrschaft nach römischer Lehre nicht besassen, noch jemals besitzen konnten, ist im achten Kapitel an der Hand nicht allein zahlreicher päpstlicher Bullen, sondern der841Politik und Kirche.unausbleiblichen Konsequenzen aus den imperial-theokratischen Voraus - setzungen unwiderleglich gezeigt worden. 1)Ich kenne kein packenderes Dokument über den von Rom aus betriebenen Fürstenmord als die Klage des Francis Bacon (im Jahre 1613 oder 1614?) gegen William Talbot, einen irischen Rechtsanwalt, der zwar den Treueid zu leisten bereit gewesen war, jedoch, was eine eventuelle Verpflichtung, den exkommuni - zierten König zu ermorden anbetreffe, erklärt hatte, er unterwerfe sich hierin wie in allen anderen » Glaubensdingen « den Beschlüssen der römischen Kirche. Lord Bacon giebt bei dieser Gelegenheit eine gedrängte Darstellung der Ermordung Heinrich’s III. und Heinrich’s IV. von Frankreich und der verschiedenen Attentate von derselben Seite auf das Leben der Königin Elisabeth und König Jakob’s I. Aus diesem knappen zeitgenössischen Bericht weht Einem jene Atmosphäre des Meuchelmordes entgegen, die drei Jahrhunderte lang, vom Thron bis zur Bauern - hütte, die aufstrebende Welt der Germanen umgeben sollte. Hätte Bacon später gelebt, er hätte viel Gelegenheit zur Ergänzung gehabt; namentlich Cromwell, der sich zum Vertreter des Protestantismus in ganz Europa aufgeworfen hatte, schwebte in täglicher, stündlicher Gefahr. Wenn heute ein irregeleiteter Proletarier einen Anschlag auf das Leben eines Monarchen unternimmt, schreit die ganze gesittete Welt voll Empörung laut auf und regelmässig wird verkündet, das seien die Folgen des Abfalles von der Kirche; doch früher lautete das Lied ganz anders, da waren die Mönche die Königsmörder, und Gott hatte ihnen die Hand geführt. So rief z. B. Papst Sixtus V. jubelnd im Konsistorium aus, als er die Mordthat des Dominikaners Clément erfuhr: » che’l successo della morte del re di Francia si ha da conoscer dal voler espresso del signor Dio, e che perciò si doveva confidar che continuarebbe al haver quel regno nella sua protettione « (Ranke: Päpste, 9. Aufl., II, 113). Dass Thomas von Aquin den Tyrannenmord zu den » gottlosen Mitteln « gerechnet hatte, fand hier natürlich keine Anwendung, denn es handelte sich nicht um Tyrannen, sondern um Häretiker (und diese sind vogelfrei, siehe S. 679), oder um allzu freiheitlich gesinnte Katholiken, wie Heinrich IV.Ergänzt man nun die an - geführte Stelle durch jene vielen anderen, in denen Luther die Un - abhängigkeit des » weltlichen Regiments « betont und sie aus der Hier - archie eines göttlich Eingesetzten vollkommen losreisst, wo er » das geistliche Recht von dem ersten Buchstaben bis an den letzten zu Grund ausgetilgt « wissen will, so liegt die wesentlich politisch-nationale Natur seiner Reformation klar vor Aller Augen. So spricht er z. B. an einer Stelle: » Christus machet nicht Fürsten oder Herren, Bürger - meister oder Richter, sondern dasselbige befiehlet er der Vernunft; diese handelt von äusserlichen Sachen, da müssen Obrigkeit sein. « 2)Von weltlicher Obrigkeit. Das ist doch der genaueste Gegensatz zu der römischen Lehre, nach welcher jede weltliche Stellung ob Fürst oder Knecht , jede Profession ob Lehrer oder Doktor , als ein kirchliches Amt auf - zufassen ist (siehe S. 672), und wo vor Allem der Monarch in GottesChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 54842Die Entstehung einer neuen Welt. nicht in der Vernunft Auftrag regiert. Da mag man wohl mit Shakespeare ausrufen: » Politik, o du Häretiker! « Vollendet wird dieses politische Gebäude durch die stete Betonung der deutschen Nation im Gegensatz zu den » Papisten «. An den » Adel deutscher Nation « wendet sich der deutsche Bauernsohn, und zwar, um ihn aufzurufen gegen den Fremden, nicht aber dieses oder jenes subtilen Dogmas wegen, sondern im Interesse der nationalen Unabhängigkeit und der Freiheit der Person. » Der Papst und die Seinen mögen sich nicht rühmen, dass sie deutscher Nation gross gut gethan haben mit Verleihung dieses römischen Reiches. Zum ersten darum, dass sie nichts Gutes uns darinnen gegönnt, sondern unsere Einfältigkeit dabei gemissbraucht haben, zum anderen, weil der Papst dadurch nicht uns, sondern sich selbst das Kaisertum zuzueignen gesucht hat, um sich alle unsere Gewalt, Freiheit, Gut, Leib und Seele zu unterwerfen, und durch uns (wo es Gott nicht gewehrt hätte) alle Welt. « 1)Sendschreiben an den christlichen Adel deutscher Nation. Eine Behauptung, die ein unverdächtiger Zeuge, Montesquieu, später bestätigt: » Si les Jésuites étaient venus avant Luther et Calvin, ils auraient été les maîtres du monde « (Pensées diverses). Luther ist der erste Mann, der sich der Bedeutung des Kampfes zwischen Imperialis - mus und Nationalismus vollkommen bewusst ist; Andere hatten sie nur geahnt und sich entweder, wie die gebildeten Bürger der meisten deutschen Städte, auf das religiöse Thema beschränkt, hier deutsch gefühlt und gehandelt, doch ohne die Notwendigkeit einer kirchlich - politischen Empörung einzusehen, oder aber sie führten hochfliegende, kühne Pläne im Schilde, wie Sickingen und Hutten von denen Letzterer als sein klares Ziel erkannte, » die römische Tyrannei brechen und der wälschen Krankheit ein Ziel setzen « , es fehlte ihnen aber das Verständnis für die breiten Grundlagen, welche gelegt werden mussten, sollte man einer so starken Festung wie Rom den Krieg mit Aussicht auf Erfolg erklären können. 2)Um einzusehen, wie allgemein die religiöse Empörung gegen Rom in ganz Deutschland geraume Zeit vor Luther war, sind die verschiedenen Schriften Ludwig Keller’s zu empfehlen und zwar von den mir bekannten besonders die kleinste, betitelt: Die Anfänge der Reformation und die Ketzerschulen (in den von der Comenius-Gesellschaft herausgegebenen Schriften erschienen). Ein unverdächtiger Zeuge der Stimmung, welche durch ganz Deutschland zu Zeiten Luther’s wehte, ist der berühmte Nuntius Aleander, der von Worms aus (am 8. Februar 1521) dem Papst berichtet, neun Zehntel der Deutschen seien für Luther, und das übrige Zehntel, wenn auch nicht gerade für Luther eingenommen, rufe dennoch: Tod dem römischen Hofe! Dass fast der gesamte deutsche Klerus im Herzen gegenDagegen Luther, während er843Politik und Kirche.Fürsten, Adel, Bürgertum, Volk zum Kampf aufruft, es durchaus nicht bei diesem negativen Werke der Auflehnung gegen Rom bewenden lässt, sondern im selben Augenblicke den Deutschen eine ihnen allen gemeinsame, sie alle verbindende Sprache schenkt, und die eigentliche politische Organisation an den zwei Punkten anfasst, die für die Zukunft des Nationalismus entscheidend waren: Kirche und Schule.

Wie unmöglich es ist, eine Kirche halb-national, also unabhängig von Rom zu halten, ohne sie aus der römischen Gemeinschaft ent - schlossen auszuscheiden, hat die fernere Geschichte gezeigt. Sowohl Frankreich wie Spanien und Österreich haben sich geweigert, die Be - schlüsse des Konzils von Trient zu unterschreiben, und namentlich Frankreich hat, so lange es Könige besass, wacker für die Sonderrechte seiner gallikanischen Kirche und Priesterschaft gestritten; doch nach und nach gewann die starreste römische Doktrin immer mehr Boden, und heute wären diese drei Länder froh, wenn sie den längst über - holten, verhältnismässig freiheitlichen Standpunkt der tridentiner Tage als Gnadengeschenk erhielten. Und was Luther’s Schulreformen be - trifft von ihm mit all der Macht angestrebt, über die ein vereinzelt stehender Riese verfügen kann so ist der beste Beweis seines poli - tischen Scharfblickes daraus zu entnehmen, dass die Jesuiten sofort in seine Fusstapfen traten, Schulen gründeten und Lehrbücher ver - fassten mit genau denselben Titeln und derselben Anordnung wie die Luther’s. 1)Nie fühlt man den warmen Herzschlag des prächtigen Germanen mehr, als jedesmal wenn Luther auf Erziehung zu sprechen kommt. Dem Adel hält er vor, wenn er mit Ernst nach einer Reformation trachte, so solle er vor Allem » eine gute Reformation der Universitäten « durchsetzen. In seinem Sendschreiben an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte in deutschen Landen ruft er in Bezug auf die Schulen aus: » Hier wäre billig, dass, wo man einen Gulden gäbe, wider die Türken zu streiten, wenn sie uns gleich auf dem Halse lägen, hier hundert Gulden gegeben würden, ob man gleich nur einen Knaben könnte damit auf - erziehen «, und er ermahnt jeden einzelnen Bürger, das viele Geld, das er bisher auf Messen, Vigilien, Jahrtage, Bettelmönche, Wallfahrten » und was desGewissensfreiheit ist eine schöne Errungenschaft, inso -2)Rom und für die Reformation sei, betont Aleander öfters. (Siehe die von Kalkoff herausgegebenen Depeschen vom Wormser Reichstage, 1521.) Luther’s Rolle in dieser allgemeinen Erhebung der Geister hat Zwingli genau bezeichnet, indem er ihm schrieb: » Nicht wenige Männer hat es früher gegeben, die die Summa und das Wesen der evangelischen Religion ebenso gut erkannt hatten als Du. Aber aus dem ganzen Israel wagte es Niemand, zum Kampfe hervorzutreten, denn sie fürchteten jenen mächtigen Goliath, der mit dem furchtbaren Gewicht seiner Waffen und Kräfte in drohender Haltung dastand. «54*844Die Entstehung einer neuen Welt.fern sie eine Grundlage für echte Religiosität abgiebt; doch ist die moderne Voraussetzung, jede Kirche vertrage sich mit jeder Politik, eine Tollheit. In der künstlichen Organisation der Gesellschaft bildet die Kirche das innerste Rad, d. h. einen wesentlichen Teil des poli - tischen Uhrwerkes. Freilich kann diesem Rade in dem Gesamtmecha - nismus eine grössere oder geringere Wichtigkeit zukommen, doch ist es unmöglich, dass seine Struktur und Thätigkeit ohne Einfluss auf das Ganze bleibe. Wer kann denn die Geschichte der europäischen Staaten vom Jahre 1500 bis zum Jahre 1900 betrachten, ohne zugeben zu müssen, dass die römische Kirche sichtbar einen gewaltigen Ein - fluss auf die politische Geschichte der Nationen ausübe? Man blicke auf die (der überwiegenden und massgebenden Mehrzahl nach) der römisch-katholischen Kirche angehörigen Nationen, und man blicke auf die sogenannten » protestantischen «, d. h. nicht-römischen Nationen! Das Urteil wird möglicher Weise verschieden ausfallen; doch wer wird den Einfluss der Kirche in Abrede stellen? Mancher wird viel - leicht hier einwerfen, es handle sich um Rassenunterschiede, und ich habe selber so grosses Gewicht auf die physische Gestaltung als Grund - lage der sittlichen Persönlichkeit gelegt, dass ich der Letzte wäre, die Berechtigung dieser Ansicht zu bestreiten;1)Siehe S. 313, 575, etc. doch ist nichts gefähr - licher als Geschichte aus einem einzigen Prinzipe herauskonstruieren zu wollen; die Natur ist unendlich verwickelt; was wir als Rasse be - zeichnen, ist innerhalb gewisser Grenzen ein plastisches Phänomen, und wie das Physische auf das Intellektuelle, so kann auch das Intellek - tuelle auf das Physische zurückwirken. Man nehme z. B. an, die religiöse Reform, welche im spanischen Adel gotischer Abkunft eine Zeit lang so hohe Wellen schlug, hätte in einem feurigen, verwegenen Fürsten den Mann gefunden, fähig die Nation und wäre es auch mit Feuer und Schwert gewesen von Rom loszureissen; (ob er den Lutheranern, Zwinglianern, Calvinisten oder irgend einer anderen Sekte angehört hätte, ist erwiesenermassen durchaus nebensächlich, entscheidend ist allein die vollkommene Trennung von Rom): glaubt irgend Jemand, dass Spanien, und sei seine Bevölkerung noch so sehr mit iberischen und völkerchaotischen Elementen durchsetzt, heute da stünde, wo es steht? Gewiss glaubt das Niemand, Niemand wenigstens, der, wie ich, diese edlen, tapferen Männer, diese schönen feurigen1)Geschwürms mehr ist « verloren habe, nunmehr » zur Schule zu geben, die armen Kinder aufzuziehen, das so herzlich wohl angelegt ist. «845Politik und Kirche.Frauen gesehen hat und aus eigener Anschauung weiss, wie diese arme Nation von ihrer Kirche geknechtet und geknebelt und (wie der Engländer sagt) » geritten « wird, wie dort der Klerus jede indivi - duelle Spontaneität in der Knospe knickt, wie er die krasse Ignoranz begünstigt und den kindischen entwürdigenden Aberglauben und Götzendienst systematisch grosszieht. Und dass es nicht der Glaube an und für sich ist, ich meine, dass es nicht das Fürwahrhalten dieses oder jenes Dogmas ist, sondern die Kirche als politische Organisation, welche diese Wirkung ausübt, ersieht man daraus, dass dort, wo die römische Kirche in freieren Ländern ihr Existenzrecht im Kampfe mit anderen Kirchen behaupten muss, sie auch andere Formen an - nimmt, geeignet, Männer zu befriedigen, die auf der höchsten Kultur - stufe stehen. Man ersieht es noch besser daraus, dass dem lutherischen wie auch den übrigen protestantischen Dogmengebäuden rein als solchen keine sehr hohe Bedeutung zukommt. Der schwache Punkt war bei Luther seine Theologie;1)Harnack: Dogmengeschichte, Grundriss, 2. Aufl. S. 376, schreibt: » Luther beschenkte seine Kirche mit einer Christologie, die an scholastischem Widersinn die thomistische weit hinter sich liess. « wäre sie seine Stärke gewesen, er hätte zu seinem politischen Werke nicht getaugt, seine Kirche auch nicht. Rom ist ein politisches System; ihm musste ein anderes poli - tisches System entgegengestellt werden; sonst blieb es ja bei dem alten Kampf, der schon anderthalb Jahrtausende gewährt hatte, zwischen Rechtgläubigkeit und Irrgläubigkeit. Wohl mag Heinrich von Treitschke den Calvinismus » den besten Protestantismus « nennen, wenn es ihm beliebt;2)Historische und politische Aufsätze, 5. Aufl., II., 410. Calvin war ja in der That der eigentliche rein religiöse Kirchenreformator und der Mann der unerbittlichen Logik; denn nichts folgt klarer aus der konsequent durchgeführten Lehre von der Prä - destination als die Geringfügigkeit kirchlicher Handlungen und die Nichtigkeit priesterlicher Ansprüche; doch sehen wir, dass diese Lehre Calvin’s viel zu rein theologisch war, um die römische Welt aus den Angeln zu heben; dazu war sie ausserdem zu ausschliesslich rationa - listisch. Anders ging Luther, der deutschpatriotische Politiker, zu Werke. Nicht dogmatische Tüfteleien füllten sein Denken aus; vielmehr kamen diese erst in zweiter Reihe; voran ging die Nation: » Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen! « so rief der prächtige Mann. Die Vaterlandsliebe war in ihm das Un - bedingte, die Gottesgelahrtheit das Bedingte, in welchem er die Mönchs -846Die Entstehung einer neuen Welt.kutte niemals völlig abwarf. Einer der namhaften protestantischen Theologen unseres Jahrhunderts, Paul de Lagarde, sagt von Luther’s Theologie: » In der lutherischen Dogmatik sehen wir das katholisch - scholastische Gebäude unangetastet vor uns stehen bis auf einzelne loci, die weggebrochen und durch einen neuen, mit der alten Archi - tektur nicht durch den Stil, sondern nur durch Mörtel in Verbindung gebrachten Anbau ersetzt sind «;1)Über das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion. und der berühmte Dogmatiker Adolf Harnack, ebenfalls kein Katholik, bestätigt dieses Urteil, indem er die lutherische Kirchenlehre (wenigstens in ihrer weiteren Aus - bildung) » eine kümmerliche Doublette zur katholischen Kirche « nennt. 2)Dogmengeschichte, § 81.Dies ist von den genannten protestantischen Gelehrten als Tadel ge - meint; wir aber, vom rein politischen Standpunkt aus die Sache be - trachtend, werden unmöglich tadeln können, denn wir sehen, dass diese Beschaffenheit der lutherischen Reform eine Bedingung für den politischen Erfolg war. Ohne die Fürsten war nichts zu machen. Wer wird im Ernste behaupten wollen, die reformfreundlichen Fürsten hätten in und aus religiöser Begeisterung gehandelt? Die Finger einer einzigen Hand wären schon viel zu zahlreich für diejenigen unter ihnen, auf welche eine derartige Behauptung allenfalls Anwendung fände. Politisches Interesse und politischer Ehrgeiz, gestützt auf ein Erwachen des Nationalitätsbewusstseins, waren massgebend. Doch waren alle diese Männer, sowie die Nationen alle, in der römischen Kirche aufgewachsen, deren starker Zauber noch auf ihren Geistern lag. Indem ihnen Luther nun eine » Doublette « der römischen Kirche bot, spitzte er die vorhandene Erregung auf ihren politischen Inhalt zu, ohne die Gewissen mehr als nötig zu beunruhigen. Das Lied, das mit den Worten:

Ein feste Burg ist unser Gott

beginnt, endet

Das Reich muss uns doch bleiben.

Das war die rechte Tonart. Und es ist vollkommen falsch, wenn Lagarde behauptet, » es blieb alles beim Alten «. Die Trennung von Rom, die Luther sein Leben lang mit so ungeheuerer Vehemenz ver - focht, war die gewaltigste politische Umwälzung, welche überhaupt stattfinden konnte. Durch sie ist dieser Mann der Angelpunkt der Weltgeschichte geworden. Denn wie jämmerlich auch der weitere847Politik und Kirche.Verlauf der Reformation sich in mancher Beziehung gestalten sollte wo habgierige, bigotte und (um mit Treitschke zu reden) » beispiellos unfähige « Fürsten das endlich erwachte Germanien, so weit sie es vermochten, mit Feuer und Schwert wieder entgermanisierten und der Pflege der Basken und ihrer Kinder anvertrauten Luther’s That ging doch nicht unter, und zwar deswegen nicht, weil sie auf fester politischer Grundlage ruhte. Es ist lächerlich, die sogenannten » Lutheraner « zu zählen und danach Luther’s Wirken zu ermessen; denn dieser Held hat die ganze Welt emanzipiert, und der heutige Katholik verdankt es ihm ebenso sehr wie jeder Andere, wenn er ein freier Mann ist.

Dass Luther mehr ein Politiker als ein Theolog war, schliesst natürlich nicht aus, dass die lebendige Kraft zu seinem Thun aus einem tiefinneren Quell floss: aus seiner Religion, die wir mit seiner Kirche nicht verwechseln wollen. Doch gehört das nicht in diesen Abschnitt; hier genügt es, das Eine zu sagen, dass Luther’s inbrünstige Vaterlandsliebe ein Teil seiner Religion war. Aber auch ein Weiteres ist bemerkenswert, dass nämlich, sobald die Reformation als Schild - erhebung gegen Rom aufgetreten war, die religiöse Gährung, welche schon seit Jahrhunderten die Gemüter wie in einem beständigen Fieber erhalten hatte, fast plötzlich aufhörte. Religionskriege finden freilich statt, in denen aber ganz ruhig Katholiken (wie Richelieu) sich mit Protestanten gegen andere Katholiken verbinden. Hugenotten ringen zwar mit Gallikanern um die Vorherrschaft, und Papisten und Angli - kaner köpfen sich gegenseitig fleissig: überall steht jedoch das politische Moment im Vordergrund. Der Protestant sagt nicht mehr das ganze Evangelium auswendig her, neue Interessen nehmen jetzt sein Denken in Anspruch; nicht einmal der fromme Herder kann im kirchlichen Sinne des Wortes gläubig genannt werden, er hat zu wahrhaftig auf die Stimme der Völker und auf die Stimme der Natur gelauscht; und der Jesuit, als Beichtvater der Monarchen und als Bekehrer der Völker, drückt beide Augen vor allen dogmatischen Verirrungen zu, wenn nur die Macht Rom’s gefördert wird. Man sieht. wie der mächtige Impuls, der von Luther ausgeht, die Menschen hinwegtreibt von den kirchlich - religiösen Dingen; gewiss, sie gehen nicht alle in einer Richtung, sondern stieben auseinander, doch ist die Tendenz die wir auch in unserem Jahrhundert bemerken konnten eine zunehmende Gleich - gültigkeit, und zwar eine Gleichgültigkeit, welche die nicht-römischen Kirchen, als die schwächsten, zuerst trifft. Auch dies ist ein politisch - kirchliches Moment von höchster Wichtigkeit für das Verständnis des848Die Entstehung einer neuen Welt.17., 18. und 19. Jahrhunderts, denn es gehört zu den wenigen Dingen, die nicht (wie Mephistopheles von der Politik behauptet) immer wieder von vorne anfangen, sondern einen bestimmten Gang gehen. Man sagt und man klagt und Einige frohlocken, dies bedeute ein Abfallen von der Religion. Mit nichten glaube ich das. Denn es träfe nur zu, wenn die uns überlieferte christliche Kirche der Inbegriff der Religion wäre, und dass das nicht der Fall ist, hoffe ich klar und unwiderleg - lich dargethan zu haben. 1)Siehe Kap. 7.Damit jene Behauptung zuträfe, müsste man sich ausserdem zu der Annahme erdreisten, ein Shakespeare, ein Leonardo da Vinci, ein Goethe hätten keine Religion gehabt, worüber später ein Mehreres. Nichtsdestoweniger bedeutet dieser Vorgang ohne Zweifel eine Abnahme des kirchlichen Anteils an der allgemeinen poli - tischen Verfassung der Gesellschaft; diese Tendenz zeigt sich schon im 16. Jahrhundert (z. B. in Männern wie Erasmus und More) und wächst seitdem von Jahr zu Jahr. Sie ist eine der äusserst charakteristischen Züge in der Physiognomie der im Entstehen begriffenen neuen Welt, zugleich ein echt germanischer und überhaupt alt-indoeuropäischer Zug.

So wenig es mir einfallen konnte, eine politische Geschichte von sechs Jahrhunderten auf zwanzig Druckseiten auch nur zu skizzieren, so notwendig war es, gerade diesen einen Punkt ins volle Licht zu setzen: dass die Reformation eine politische That ist und zwar die entscheidende unter allen. Sie erst hat den Germanen sich selbst wieder - gegeben. Es bedarf, glaube ich, keines Kommentars, damit die Wichtigkeit dieser Einsicht für das Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in die Augen springe. Doch möchte ich ein Ereignis in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen: die französische Revolution.

Die französische Revolution.
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Es gehört zu den erstaunlichsten Verirrungen des Menschen - urteils, diese Katastrophe als den Morgen eines neuen Tages, als einen Grenzpfahl der Geschichte zu betrachten. Lediglich dadurch, dass die Reformation in Frankreich nicht zum Durchbruch hatte kommen können, wurde die Revolution unumgänglich. Frankreich war noch zu reich an unverfälscht germanischem Blute, um wie Spanien schweigend zu verrotten, zu arm daran, um sich aus der verhängnisvollen Um - armung der theokratischen Weltmacht vollends loszuringen. Die Huge - nottenkriege haben von Anfang an das Missliche, dass die Protestanten nicht allein gegen Rom, sondern zugleich gegen das Königtum und dessen Bestrebungen, eine nationale Einheit herzustellen, ankämpfen,849Politik und Kirche.so dass wir das paradoxe Schauspiel erleben, die Hugenotten im Bunde mit den ultramontanen Spaniern, und ihren Gegner, den Kardinal Richelieu, im Bunde mit dem Protagonisten des Protestantismus, Gustav Adolf zu sehen. Nun ist aber erfahrungsgemäss ein starkes Königtum überall, auch in katholischen Ländern, das mächtigste Bollwerk gegen römische Politik; ausserdem bedeutet es (wie wir im vorigen Ab - schnitt gesehen haben) den sichersten Weg zur Erreichung weit - gehender individueller Freiheit auf Grundlage festgeordneter Verhält - nisse. So stand denn diese Sache auf schlechten Füssen. Noch schlimmer erging es aber mit ihr, als die Hugenotten sich endgültig unterworfen hatten und jede politische Hoffnung aufgebend ledig - lich als religiöse Sekte zurückgeblieben waren; denn nun wurden sie hingeschlachtet und vertrieben. Die Zahl der Ausgewanderten (der Er - mordeten gar nicht zu gedenken) wird auf über eine Million geschätzt. Man denke nur, was aus einer Million Menschen heute in einer Zwischenzeit von zweihundert Jahren für eine Macht herangewachsen wäre! Und es waren die Besten des Landes. Überall wohin sie kamen, haben sie Fleiss, Bildung, Reichtum, sittliche Kraft, Hochthaten des Geistes gebracht. Frankreich hat den Verlust dieses Kernes seiner Be - völkerung seither nie verwunden. Nunmehr war es dem Völkerchaos und (bald darauf) dem Judentum ausgeliefert. Heute weiss man ganz genau, dass die Vernichtung und Vertreibung der Protestanten das Werk nicht des Königs sondern der Jesuiten war; La Chaise ist der wirkliche Urheber und Durchführer der Hugenottenausrottung. Die Franzosen besassen früher ebensowenig wie andere Germanen eine Neigung zur Unduldsamkeit; ihr grosser Rechtslehrer Jean Bodin, einer der Be - gründer des modernen Staates, hatte im 16. Jahrhundert, obwohl selber Katholik, die unbeschränkte religiöse Toleranz und die Abweisung aller römischen Ingerenz gefordert. Inzwischen hatte sich aber der nationalitäts - lose Jesuit die » Leiche « in der Hand seiner Oberen (S. 528) bis an den Thron hinaufgeschlichen; mit der Grausamkeit und Sicherheit und Dummheit einer Bestie vertilgte er das Edelste im Lande. Und nachdem La Chaise gestorben und die Hugenotten ausgetilgt waren, kam ein anderer Jesuit, Le Tellier, daran und wusste den wollüstigen, von seinen jesuitischen Lehrern in krassester Ignoranz erzogenen König durch die Furcht vor der Hölle so ganz in seine Hände zu bekommen, dass sein Orden nunmehr zu dem nächsten Kampf im Interesse Rom’s, nämlich zur Vernichtung jeder wahrhaften, auch katholischen Religiosität schreiten konnte; es war dies der Kampf gegen den850Die Entstehung einer neuen Welt.gläubigen, doch unabhängigen katholischen Klerus Frankreich’s. Hier galt es, die von den frömmsten Königen der Vorzeit behauptete nationale Unabhängigkeit der gallikanischen Kirche zu vernichten, und zugleich die letzten Spuren des tief innerlichen, mystischen Glaubens von Grund aus zu vertilgen, der so starke Wurzeln gerade in der katholischen Kirche stets geschlagen hatte und nunmehr in Jansen und seinen Nachfolgern zu einer weitreichenden moralischen Kraft heranzuwachsen drohte. Auch dies gelang. Wer sich über die wahren origines de la France contemporaine unterrichten will, kann es auch, ohne Taine’s umfangreiches Werk zu lesen; er braucht nur die berühmte Bulle Unigenitus (1713) aufmerksam zu studieren, in welcher nicht allein zahlreiche Sätze des Augustinus, sondern die grund - legenden Lehren des Apostel Paulus als » häretisch « verdammt werden; sodann nehme er ein beliebiges Geschichtswerk zur Hand und sehe, auf welche Weise die Annahme dieser speziell auf Frankreich gemünzten Bulle durchgesetzt wurde. Es ist ein Kampf des geistig beschränkten Fanatismus, im Bunde mit dem absolut gewissenlosen politischen Ehr - geiz gegen alles, was die französische katholische Kirche noch an Gelehrsamkeit und Tugend enthielt. Die würdigsten Prälaten wurden depossediert und somit ins Elend gestürzt; andere, sowie viele Theo - logen der Sorbonne wurden einfach in die Bastille geworfen, mithin ihre Stimme zum Schweigen gebracht; andere wiederum waren schwach, sie gaben der politischen Pression und den Drohungen nach oder liessen sich mit Geld und Prebenden kaufen. 1)Von jeher war das Kaufen die beliebteste Taktik Rom’s. Über die an Luther geübten Bestechungsversuche findet man den authentischen Bericht in Aleander’s Brief an die Kurie vom 27. April 1521. Wie bei Eck und den Übrigen durch Geldgeschenke, Pfründen u s. w. der Eifer für die heilige Sache warm ge - halten wurde, kann man am selben Orte sehen, zugleich die Vorsicht, mit welcher den Beschenkten » unbedingtes Stillschweigen « auferlegt wird (15. Mai 1521).Trotzdem währte der Kampf lange. In einem ergreifenden Protest appellierten die mutigen unter den Bischöfen Frankreich’s an ein allgemeines Konzil gegen eine Bulle, welche, so sagten sie, » die festesten Grundlagen der christlichen Sitten - lehre, ja das erste und grösste Gebot der Liebe Gottes zerstöre «; des - gleichen that der Cardinal de Noailles, desgleichen die Pariser Universität und die Sorbonne kurz, alles was in Frankreich denkfähig, gebildet und ernst religiös gesinnt war. 2)Man vergl. Döllinger und Reusch: Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche I., Abt. 1., Kap. 5., Abschn. 7. Cardinal de Noailles nennt die Jesuiten immer kurzweg » die Vertreter der verderbten Moral «.Doch es geschah damals, was wir851Politik und Kirche.in unserem Jahrhundert nach dem Vatikanischen Konzil wieder erlebten: die erdrückende Macht des Universalismus siegte; einer nach dem andern brachten selbst die Edelsten das Opfer ihrer Persönlichkeit, ihrer Wahr - haftigkeit auf seinem Altar dar. Der echte Katholicismus wurde ebenso ausgerottet wie der Protestantismus ausgerottet worden war. Damit waren die Zeiten für die Revolution reif; denn sonst gab es für Frank - reich nur noch wie vorhin angedeutet spanisches Verrotten. Dazu besass aber dies begabte Volk doch noch zuviel Lebenskraft, und so erhob es sich mit der sprichwörtlichen Wut des lange geduldigen Germanen, doch bar jedes moralischen Hintergrundes und ohne einen einzigen wirklich grossen Mann. » Nie wurde ein grosses Werk von so kleinen Menschen vollbracht, « ruft Carlyle in Bezug auf die fran - zösische Revolution aus. 1)Critical Essays (Mirabeau).Und man werfe nur nicht ein, dass ich die wirtschaftliche Lage unbeachtet lasse; sie ist ja allbekannt, und auch ich schätze ihren Einfluss nicht gering; doch bietet die Geschichte kein einziges Beispiel einer mächtigen Empörung, welche einzig durch wirt - schaftliche Zustände bedingt gewesen wäre; der Mensch kann fast jeden Grad des Elendes ertragen, und je elender er ist, um so schwächer ist er; darum haben die grossen wirtschaftlichen Umwälzungen mit ihren bitteren Härten (siehe S. 830), trotz einzelner Aufstände immer einen verhältnismässig ruhigen Gang genommen, indem sich die Einen nach und nach an neue, ungünstigere Verhältnisse, die Anderen sich an neue Ansprüche gewöhnten. Die Geschichte bezeugt es ja auch: nicht der arme bedrückte Bauer hat die französische Revolution ge - macht, auch nicht der Pöbel, sondern die Bürgerschaft, ein Teil des Adels und ein bedeutender Bruchteil der noch immer national gesinnten Priesterschaft, und zwar diese alle aufgeweckt und angestachelt von der geistigen Elite der Nation. Der Sprengstoff in der französischen Revolution war » graue Hirnsubstanz «. Und da ist es für ein richtiges Verständnis vor Allem nötig, jenes innerste Rad der politischen Maschine genau im Auge zu behalten, jenes Rad, bestimmt, das innerste Wesen des einzelnen Menschen mit der Allgemeinheit in Verbindung zu setzen. In einem entscheidenden Augenblick hängt hiervon alles ab. Ob man Protestant oder Katholik oder sonst was sich nenne, mag gleichgültig sein; es ist aber nicht gleichgültig, ob man am Morgen vor der Schlacht » Ein feste Burg ist unser Gott « singt, oder lascive Operettenlieder: das sahen wir im Jahre 1870. Dem Franzosen war nun, als die852Die Entstehung einer neuen Welt.Revolution ausbrach, die Religion geraubt worden, und er fühlte so wohl, was ihm fehlte, dass er mit rührender Hast und Unerfahrenheit von allen Seiten sie aufzubauen suchte. Die assemblée nationale hält ihre Sitzungen sous les auspices de l Être suprême ab; die Göttin der Vernunft wird in Fleisch und Blut nebenbei gesagt, ein echt jesuitischer Einfall auf den Altar gehoben; die déclaration des droits de l’homme ist ein religiöses Bekenntnis: wehe Dem, der es nicht nachbetet! Noch deutlicher erblicken wir den religiösen Bestand - teil dieser Bestrebungen in dem schwärmerischesten und einflussreichsten Geist, unter denen die der Revolution vorgearbeitet haben, in Jean Jacques Rousseau, dem Idol Robespierre’s, einem Manne, dessen Gemüt von der einen Sehnsucht nach Religion erfüllt gewesen war .1)Schön und besonders anwendbar auf die Franzosen jener Zeit sind die Worte, die er seiner Héloïse in den Mund legt: » peut-être vaudrait-il mieux n’avoir point de religion du tout que d’en avoir une extérieure et maniérée, qui sans toucher le cœur rassure la conscienee « (part. 3, lettre 18.). . Doch in allen diesen Dingen zeigt sich eine derartige Unkenntnis der Menschennatur, eine solche Seichtigkeit des Denkens, dass man Kinder oder Tollhäusler am Werke zu sehen glaubt. Durch welche Verirrung des historischen Urteilsvermögens konnte unser ganzes Jahr - hundert unter dem Wahne stehen und sich davon tief beeinflussen lassen die Franzosen hätten mit ihrer » grossen Revolution « der Menschheit eine Fackel angezündet? Die Revolution ist der Ausgang einer Tragödie, die zwei Jahrhunderte gewährt hatte, deren erster Akt mit der Ermordung Heinrich’s IV. schliesst, der zweite mit der Auf - hebung des Edikts von Nantes, während der dritte mit der Bulle Unigenitus beginnt und mit der unausbleiblichen Katastrophe endet. Die Revolution ist nicht der Anfang eines neuen Tages, sondern der Anfang des Endes. Und wenn auch Manches und Grosses geleistet wurde, so darf man nicht übersehen, dass das zum nicht geringen Teil das Werk der Constituante war, in welcher der Marquis de Lafayette, der Comte de Mirabeau, der Abbé Graf Sieyès, der gelehrte Astronom Bailly lauter Männer bedeutend durch Bildung und gesell - schaftliche Stellung, die Führung inne hatten; zum anderen Teil war es aber das Werk Napoleon’s. Dank der Revolution fand dieser merk - würdige Mann das Werk der Constituante, sowie die staatsmännischen Pläne der Männer vom Schlage Mirabeau’s und Lafayette’s vor, sonst aber tabula rasa; diese Lage nutzte er aus wie nur ein genialer, gänzlich prinzipienloser und (wenn die Wahrheit gesagt werden darf) wenig tief -853Politik und Kirche.blickender Despot das konnte. 1)Wenn man von Napoleon’s staatsmännischem Genie spricht, so vergesse man doch nicht (unter vielem andern), dass er es war, der die gallikanische Kirche endgültig zertrümmerte, somit die ungeheuere Mehrzahl der Franzosen rettungslos Rom ausliefernd und jede Möglichkeit einer echten Nationalkirche zerstörend, und dass er es war, der die Juden endgültig inthronisierte. Dieser Mann baar jeg - liches Verständnisses für geschichtliche Wahrheit und Notwendigkeit, die Ver - körperung der frevelhaften Willkür ist ein Zermalmer, nicht ein Schöpfer, im besten Falle ein Kodificierer, nicht ein Erfinder; er ist ein Sendling des Chaos, die rechte Ergänzung des Ignatius von Loyola, eine neue Personifikation des Anti - germanentums.Die eigentliche Revolution le peuple souverain hat absolut gar nichts gethan als Zerstören. Doch schon die Constituante stand unter der Herrschaft des neuen Gottes, mit dem Frankreich die Welt beschenken sollte, des Gottes der Phrase. Man nehme nur jene vielgenannten droits de l’homme zur Hand gegen die der grosse Mirabeau vergeblich geeifert hatte, indem er zuletzt rief: » Nennt es wenigstens nicht Rechte; sagt einfach: im allgemeinen Interesse ist bestimmt worden ..... « die aber noch heute bei ernsten französischen Politikern als die Morgenröte der Freiheit gelten. Im Eingang steht: l’oubli ou le mépris des droits de l’homme sont l’unique cause des malheurs publics. Man kann unmöglich ober - flächlicher denken und falscher urteilen. Nicht dass die Franzosen die Menschenrechte, sondern dass sie die Menschenpflichten vergassen oder verachteten, hatte das öffentliche Unglück herbeigeführt. Das erhellt aus meiner obigen Skizze zur Genüge und wird im weiteren Verlauf der Revolution auf Schritt und Tritt bestätigt. Diese feierliche Erklärung stützt sich also gleich anfangs auf eine Unwahrheit. Man kennt das Wort, das Graf Sieyès in die Versammlung hineinwarf: » Freiheit wollt ihr besitzen, und ihr versteht es noch nicht einmal, gerecht zu sein! « Das Weitere jener Erklärung enthält dann zum Teil Sachen, die Lafayette aus der Unabhängigkeitserklärung der in Amerika angesiedelten Angelsachsen abgeschrieben hatte, zum Teil Rechtsprinzipien, betreffend den Schutz des Individuums, welche die Engländer schon 600 Jahre früher in die That umgesetzt hatten. Man begreift, dass ein so gescheiter Mann wie Adolphe Thiers in seiner Geschichte der Revolution möglichst schnell über diese Erklärung der Menschheitsrechte hinwegzugleiten sucht, indem er meint, es sei » nur schade um die Zeit, die man auf solche pseudophilosophische Gemein - plätze verschwendet habe «. 2)Kap. 3.Die Sache darf aber nicht so leicht ge -854Die Entstehung einer neuen Welt.nommen werden, denn das traurige Vorwalten von abstrakter, allgemein » menschheitlicher « Prinzipienreiterei an Stelle der staatsmännischen Ein - sicht in die Bedürfnisse und die Möglichkeiten eines bestimmten Volkes in einem bestimmten Augenblick wirkte fortan wie alles Schlechte an - steckend. Hoffentlich kommt der Tag, wo jeder vernünftige Mensch weiss, wo solche Dinge wie die Déclaration hingehören: nämlich in den Papierkorb.

Rom, Reformation, Revolution: das sind drei Elemente der Politik, die in der Gegenwart noch immer weiter wirken und darum hier zu besprechen waren. Die Völker, wie die Individuen, gelangen bisweilen an Wegscheiden, wo sie sich entschliessen müssen: rechts oder links. Das war im 16. Jahrhundert der Fall für alle europäische Nationen (mit Ausnahme Russland’s und der unter türkische Herrschaft gefallenen Slaven); das seitherige Schicksal dieser Nationen wird, bis herab zum heutigen und morgigen Tage, durch die damals erfolgte Wahl in den wesentlichsten Dingen bestimmt. Frankreich hat später gewaltsam Kehrt machen wollen, doch kommt ihm die Revolution teurer zu stehen als den Deutschen ihr furchtbarer Dreissigjähriger Krieg, und nimmermehr kann sie ihm das geben, was es sich bei der Refor - mation entgehen liess. Die Germanen im engeren Sinne des Wortes die Deutschen, die Angelsachsen, die Holländer, die Skandinavier in deren Adern noch ein bedeutend reineres Blut fliesst, sehen wir seit jenem Wendepunkt immer weiter erstarken, woraus wir entnehmen dürfen, dass die Politik Luther’s die richtige Politik war. 1)Wie wenig eine derartige Einsicht durch konfessionelle Engherzigkeit ge - trübt zu werden braucht, beweist die Thatsache, dass Bayern heute noch zu - gleich katholisch und freiheitlich gesinnt auf dem Kurfürstentag des Jahres 1640 in allerhand wichtigen Fragen nicht allein mit den Protestanten ging, sondern als diese, durch charakterlose Fürsten vertreten, ihre Ansprüche fallen liessen, dieselben wieder aufnahm und sie gegen die meineidigen Habsburger und die schlauen Prä - laten verfocht. (Vergl. Heinrich Brockhaus: Der Kurfürstentag zu Nürnberg, 1883, S. 264 fg, 243, 121 fg.)

Die Angelsachsen.
453

In dieser Beziehung wäre nun vor Allem die Ausbreitung der Angelsachsen über die Welt als die vielleicht folgenschwerste politische Erscheinung der neueren Zeit der besonderen Beachtung wert; doch hat diese Erscheinung erst im Laufe unseres 19. Jahrhunderts ihre fast unermessliche Bedeutung zu entfalten begonnen, so dass hier einige Andeutungen genügen mögen, während das Übrige zur Besprechung von Gegenwart und Zukunft gehört. Eines fällt hier sofort in die855Politik und Kirche.Augen: dass diese ungeheuere Ausdehnung des kleinen aber kräftigen Volkes ebenfalls in der Reformation wurzelt. Nirgends tritt die poli - tische Natur der Reformation so deutlich zu Tage wie in England; dogmatische Streitigkeiten hat es dort gar keine gegeben; schon seit dem 13. Jahrhundert wusste das ganze Volk, dass es nicht zu Rom gehören wollte;1)Im Jahre 1231 wurden Aufrufe durch das ganze Land verbreitet, an die Mauern angeschlagen, von Haus zu Haus getragen: » Lieber sterben, als durch Rom zu Grunde gerichtet werden! « Welche angeborene politische Weisheit! es genügte, dass der König durch recht welt - liche Erwägungen dazu bewogen die Verbindung durchschnitt, und sofort war die Trennung ohne weiteres vollbracht. Später erst erfolgte die ausdrückliche Abschaffung einiger Dogmen, die der Engländer nie im Herzen angenommen hatte, sowie die Abschaffung etlicher Cere - monien (namentlich des Marienkultus), welche zu allen Zeiten seinem Widerwillen begegnet waren. Es blieb also nach der Reformation alles beim Alten: und doch war alles von Grund aus neu. Sofort begann jetzt jene gewaltige Ausdehnungskraft des lange durch Rom gehemmten Volkes sich zu bethätigen, und damit Hand in Hand und zwar mit schnelleren Schritten, da es die Grundlage zu jener ferneren Entwicke - lung abgeben musste der Aufbau einer kräftigen, freiheitlichen Ver - fassung. Das grosse Werk wurde von allen Seiten zugleich in Angriff genommen, doch galt das 16. Jahrhundert in der Hauptsache der Durch - führung der Reformation (wobei die Bildung der mächtigen Nonkon - formisten-Sekten eine Hauptrolle spielte), das 17. dem hartnäckigen Kampf um die Freiheit, das 18. der Ausdehnung des Kolonialbesitzes. Shakespeare hat den ganzen Vorgang im richtigen Zusammenhang in der letzten Scene seines Heinrich VIII. vorherverkündet: zuerst kommt eine wahrhafte Erkenntnis Gottes (die Reformation); dann wird Grösse nicht mehr durch die Abstammung bestimmt sein, sondern da - durch, dass Einer die Wege reiner Ehre wandelt (Freiheit aus strenger Pflichterfüllung); diese also gestärkten Menschen sollen dann ausziehen, » neue Nationen « zu gründen. Der grosse Dichter hatte das Aufblühen der ersten Kolonie, Virginia, noch erlebt und in seinem Sturm die Wunder der westindischen Inseln verherrlicht die neue Welt, die sich dem Menschenblick zu eröffnen begann, mit nie gesehenen Pflanzen und nie geträumten Tiergestalten. Nur vier Jahre nach seinem Tode ward das Kolonisationswerk von den herrlichen Puritanern mit grösserer Energie in die Hand genommen; unter unsäglichen Mühsalen gründeten sie wie ihre feierliche Erklärung es bezeugt » aus Liebe zu856Die Entstehung einer neuen Welt.Gott « (nicht zum Gold) und weil sie » einen würdigen, von keinerlei Papismus gefärbten Gottesdienst « wollten, Neu-England! Innerhalb fünfzehn Jahre hatten sich schon zwanzigtausend Engländer, meist aus den bürgerlichen Ständen, dort niedergelassen. Bald darauf trat Cromwell auf, der eigentliche Urheber der englischen Marine und damit auch der englischen Weltmacht. 1)Seeley: The expansion of England, 1895, S. 146.Mit kühner Erkenntnis des Notwendigen griff er ungescheut den spanischen Koloss an, entriss ihm Jamaika und schickte sich an, Brasilien gleichfalls zu erobern, als der Tod ihn seinem Vaterlande raubte. Dann stockte eine Zeit lang die Bewegung: der Kampf gegen die Reaktionsgelüste katholisch ge - sinnter Fürsten forderte wieder alle Kräfte; in England wie anderswo waren die Jesuiten am Werke; von ihnen wurde Karl II. mit Mai - tressen und Geld versorgt; Coleman, die Seele dieser Verschwörung gegen die englische Nation, schrieb damals: » durch die gänzliche Aus - rottung des pestilentialischen Irrglaubens in England werden wir der protestantischen Religion in ganz Europa den Todesschlag ver - setzen «. 2)Vergl. Green: History of the English people VI, 293. Man hat Kapital daraus zu schlagen gesucht, dass einige Fälscher und Meineidige das ganze Land durch die Aufdeckung eines angeblichen, erlogenen Komplotts der Jesuiten irre - führten, doch wird hierdurch nichts gegen das Bestehen einer grossen internationalen Verschwörung bewiesen, welche von Paris aus geleitet wurde und durch zahl - reiche diplomatische Aktenstücke, sowie durch authentische Korrespondenz der Jesuiten ausser allem Zweifel steht.Erst gegen das Jahr 1700, als Wilhelm von Oranien die verräterischen Stuarts verjagt hatte und die Grundlagen des konstitu - tionellen Staates endgültig festgestellt waren, sowie das Gesetz, dass in Zukunft nie ein römischer Katholik den englischen Thron besteigen dürfe (auch nicht als Gemahl oder Gemahlin), erst dann begann das angelsächsische Werk der Ausbreitung von Neuem, unterstützt durch zahlreiche deutsche Lutheraner und Reformierte, welche vor Verfol - gungen flohen, sowie durch mährische Brüder. Bald (nämlich gegen 1730) lebten in den aufblühenden Kolonien England’s über eine Million Menschen, fast alle Protestanten und echte Germanen, unter denen der sehr harte Kampf ums Dasein strenge Zuchtwahl übte. Auf diese Art ent - stand eine neue grosse Nation, welche sich am Schluss des Jahrhunderts vom Mutterlande gewaltsam trennte, eine neue antirömische Macht ersten Ranges. 3)Am 3. September 1783 wurde der Vertrag unterschrieben, durch den Alt-England seine Ansprüche auf Neu-England aufgab. Wie sehr auch in diesemDoch diese Abtrennung schwächte in nichts die Expansionskraft857Politik und Kirche.der Angelsachsen, denen sich nach wie vor Deutsche und Skandinavier stets in grosser Zahl anschlossen. Kaum hatten sich die Vereinigten Staaten losgesagt, als (1788) die ersten Kolonisten in Australien landeten und Süd - afrika den zwar rüstigen, doch nicht sehr regen Händen der Holländer ent - rissen wurde. Es waren dies die Anfänge eines in unserem Jahrhundert enorm angewachsenen Weltreiches. Und zwar hat sich sowohl bei der Beherrschung fremder Völker (Indien), wie bei der weit wichtigeren Begründung solcher » neuen Nationen «, wie sie Shakespeare vorschwebten, bisher die eine Thatsache ausnahmslos bewährt: dass es nur Germanen und nur Protestanten auf die Dauer und mit vollem glänzenden Erfolg gelingen wollte. Der enorme südamerikanische Kontinent bleibt gänzlich ausserhalb unserer Politik und unserer Kultur; nirgends haben die Con - quistadores eine neue Nation ins Leben gerufen; die letzten spanischen Kolonien retten sich heute zu anderen Nationen, um nicht vollends zu Grunde zu gehen. Frankreich ist es niemals gelungen, eine Kolonie zu begründen, ausser in Canada, das aber nur Dank der Dazwischen - kunft England’s aufgeblüht ist. 1)Wie es ohne diese Dazwischenkunft gegangen wäre, kann man der einen Thatsache entnehmen, dass die katholischen Priester dort bereits das Verbot des Buchdruckes durchgesetzt hatten! und dass einem » Ketzer « der Aufenthalt im ganzen Lande streng verwehrt war!Eine wirkliche Expansionskraft existiert überhaupt nur bei Deutschen, Angelsachsen und Skandinaviern; selbst die stammverwandten Holländer haben in Südafrika mehr Beharrungs - als Ausdehnungsvermögen bewiesen; die russische Ausdehnung ist eine rein politische, die französische eine rein kommerzielle, andere Länder zeigen überhaupt keine.

Verlören sich die Menschen nicht so sehr in die Betrachtung der unübersehbaren Einzelheiten der Geschichte, sie würden schon längst über die entscheidende Wichtigkeit zweier Dinge für die Politik im Klaren sein: der Rasse nämlich und der Religion. Sie würden auch wissen, dass die politische Gestaltung der Gesellschaft namentlich die Gestaltung jenes innersten Rades, der Kirche alle geheimsten Kräfte einer Rasse und ihrer Religion ans Tageslicht bringen und so - mit die erfolgreichste Förderin von Civilisation und Kultur werden,3)Falle » etliche wenige Helden und fürtreffliche Leute « (S. 41) Herz und Hirn des Unternehmens waren, ist bekannt; gab sich auch die neue Nation vorderhand keinen König, so ehrte sie doch die Persönlichkeit ihres Gründers, indem sie das alte, von englischen Königen verliehene Wappen der Washingtons: die Sterne und Streifen, als Nationalfahne annahm. (Dieses Wappen kann man auf den Grabsteinen der Washingtons in der Kirche Little Trinity in London noch heute sehen).Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 55858Die Entstehung einer neuen Welt.oder aber, dass sie ein Volk nach und nach völlig zu Grunde richten kann, indem sie die Entwickelung seiner Fähigkeiten hemmt und die Ausbildung seiner bedenklichsten Anlagen begünstigt. Das erkannt zu haben, bezeugt die überragende Grösse Luther’s und erklärt seine Be - deutung für die politische Gestaltung der Welt. » Das römische Reich zu brechen und eine neue Welt zu ordnen, « betrachtete Goethe als die erste historische Hauptaufgabe der Deutschen;1)November 1813, Gespräch mit Luden. ohne die Witten - berger Nachtigall wäre ihre Durchführung schwerlich gelungen. Wahr - lich, wenn Diejenigen, die sich zu Luther’s Politik bekennen (und gleichviel, was sie über seine Theologie denken), heute die Weltkarte betrachten, haben sie allen Grund, mit ihm zu singen:

Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: Lass fahren dahin, Sie habens kein Gewinn; Das Reich muss uns doch bleiben!

6. Weltanschauung und Religion (von Franz von Assisi bis zu Immanuel Kant).

Die zwei Wege.
460

Eine Definition von Weltanschauung habe ich schon oben (S. 736 fg. ) gegeben, und über Religion habe ich mich in diesem Buche häufig aus - gesprochen;2)Siehe namentlich S. 220 fg., 391 fg., 441. auch auf die untrennbare Zusammengehörigkeit der beiden Begriffe machte ich S. 738 aufmerksam. Ich verfechte keineswegs die Identität von Weltanschauung mit Religion, denn das wäre ein rein logisch-formalistisches Unternehmen, welches mir durchaus ferne liegt, ich sehe aber in unserer Geschichte die philosophische Spekulation überall in der Religion fussen und in ihrer vollen Entwickelung wiederum auf Religion hinzielen, und wenn ich einerseits die Volks - individualitäten sinnend betrachte, andererseits hervorragende Männer an meinem Auge vorbeiziehen lasse, so entdecke ich eine ganze Reihe von Beziehungen zwischen Weltanschauung und Religion, welche sie mir als innig organisch verbunden zeigen: wo die eine fehlt, fehlt die andere, wo die eine kräftig blüht, blüht die andere; ein tiefreli - giöser Mann ist ein wahrer Philosoph (im lebendigen, volksmässigen859Weltanschauung und Religion.Sinne des Wortes), und die auserlesenen Geister, die sich zu umfas - senden, lichthellen Weltanschauungen erheben ein Bacon, ein Leo - nardo, ein Bruno, ein Kant, ein Goethe sind freilich selten kirchlich fromm, doch immer auffallend » religiöse « Naturen. Wir sehen also, dass sich Weltanschauung und Religion einerseits befördern, andererseits sich gegenseitig ersetzen oder ergänzen. Ich schrieb oben (S. 750): In dem Mangel einer wahrhaftigen, unserer eigenen Art entsprossenen und entsprechenden Religion erblicke ich die grösste Gefahr für die Zukunft des Germanen, das ist seine Achillesferse; wer ihn dort trifft, wird ihn fällen. Bei näherer Betrachtung werden wir nun sehen, dass die Unzulänglichkeit unserer kirchlichen Religion sich zunächst an der Unhaltbarkeit der durch sie implizierten Weltanschauung fühlbar machte; unsere frühesten Philosophen sind alle Theologen und zumeist ehrliche Theologen, die einen inneren Kampf um die Wahrheit kämpfen, und Wahrheit heisst immer die Wahrhaftigkeit der durch die besondere Natur des Individuums bedingten Anschauung. Aus diesem Kampf heraus erwuchs nach und nach unsere durchaus neue germanische Weltanschauung. Diese Entwickelung fand nicht in einer einzigen geraden Linie statt; vielmehr wurde an den verschiedensten Seiten zugleich daran gearbeitet, wie wenn an einem im Bau begriffenen Hause Maurer und Tischler und Schlosser und Maler, ein jeder sein Werk verrichtet, ohne sich mehr als gerade nötig um die Anderen zu bekümmern. Was die durchaus verschiedenartigen Bemühungen zu einem Ganzen eint, ist der Wille des Architekten; in diesem Falle ist der Architekt der Rasseninstinkt; der Homo europaeus kann nur bestimmte Wege wandeln, und sie zwingt er, als Herr, nach Mög - lichkeit auch Denen auf, die nicht zu ihm gehören. Dass das Ge - bäude fertig wäre, glaube ich nicht; ich verpflichte mich zu keiner Schule, sondern freue mich an dem Wachsen und Werden des ger - manischen Werkes und thue, was ich vermag, um es ehrerbietig mir anzueignen. Dieses Wachsen und Werden in seinen allgemeinsten Linien aufzuzeigen, wäre die Aufgabe dieses Abschnittes. Und zwar tritt hier das Historische wieder in seine Rechte ein; denn während Civilisation an Vergangenes nur anknüpft, um es zu vertilgen und durch Neues zu ersetzen, und Wissen gleichsam ein Zeitloses ist, lebt unsere ganze siebenhundertjährige philosophische und religiöse Ent - wickelung noch gegenwärtig fort und es ist eigentlich unmöglich, über das Heute zu reden, ohne das Gestern zu Grunde zu legen. Hier ist Alles noch im Werden; unsere Weltanschauung sowie namentlich55*860Die Entstehung einer neuen Welt.unsere Religion ist das Unfertigste an uns. Hier also ist die ge - schichtliche Methode geboten; nur durch sie kann es gelingen, die verschiedenen Fäden so aufzufangen und zu verfolgen, dass die Struktur des Gewebes, wie es das Jahr 1800 uns übermachte, deutlich erblickt und überblickt werde. 1)Ich werde nicht aus den Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie abschreiben, schon deswegen nicht, weil es kein einziges giebt, welches meinem Zweck an diesem Orte entspräche. Doch verweise ich hier ein für allemal auf die bekannten, vortrefflichen Handbücher, denen ich im Folgenden vieles verdanke. Hoffentlich wird in nicht allzu ferner Zeit Paul Deussen’s Allgemeine Geschichte der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Religion so weit gefördert sein, dass sie die von mir bei der Abfassung dieses Abschnittes so schmerzlich empfundene Lücke wenigstens zum Teil ausfüllt. Schon die blosse Thatsache, dass er die Religion hin - zuzieht, beweisst Deussen’s Befähigung, die neue Aufgabe zu lösen, und seine lange Beschäftigung mit indischem Denken ist eine fernere Bürgschaft. Inzwischen empfehle ich dem weniger bewanderten Leser die kurze Skizze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen, die den ersten Band von Schopenhauer’s Parerga und Paralipomena eröffnet; auf wenigen Seiten bietet sie einen leuchtend klaren Überblick des ger - manischen Denkens auf seinen höchsten Höhen, von Descartes bis Kant und Schopen - hauer. Die beste Einführung in allgemeine Philosophie, die es überhaupt giebt, ist, nach meinem Dafürhalten (und so weit meine beschränkten Litteraturkenntnisse reichen) Friedrich Albert Lange’s: Geschichte des Materialismus. Indem dieser Verfasser sich auf einen besonderen Standpunkt stellt, belebt sich das gesamte Bild des euro - päischen Denkens von Demokrit bis zu Hartmann, und in der gesunden Atmo - sphäre einer eingestandenen, zu Widerspruch reizenden Einseitigkeit atmet man wie erlöst auf aus der erlogenen Unparteilichkeit der in Masken verhüllten Akademiker.

Das kirchliche Christentum, rein als Religion, besteht wie ich das im siebten Kapitel auseinanderzusetzen bestrebt war aus unaus - geglichenen Elementen, so dass wir Paulus und Augustinus in die schlimmsten Widersprüche verwickelt fanden. Es handelt sich eben beim Christentum nicht um eine normale religiöse Weltanschauung, sondern um eine künstliche, gewaltsam zusammengeschmiedete. So - bald nun echt philosophische Regungen erwachten was beim Römer zu keiner Zeit der Fall gewesen war, beim Germanen dagegen nicht ausbleiben konnte da musste die widerspruchsvolle Natur dieses Glaubens sich mit Gewalt fühlbar machen; und in der That, es ge - währt einen geradezu tragischen Anblick, edle Männer wie Scotus Erigena im 9. und Abälard im 12. Jahrhundert sich hin - und her - winden zu sehen in dem hoffnungslosen Bestreben, den ihnen aufge - drungenen Glaubenskomplex mit sich selbst und ausserdem mit den Forderungen einer ehrlichen Vernunft in Einklang zu bringen. Da861Weltanschauung und Religion.nun die kirchlichen Dogmen für unanfechtbar galten, gab es für die Philosophie zunächst zwei Wege: sie konnte die Inkompatibilität zwischen ihr und der Theologie offen eingestehen das war der Weg der Wahrhaftigkeit; oder aber, sie konnte die handgreifliche Evidenz leugnen, sich selbst und andere betrügen, und das Unver - einbare durch tausend Kniffe und Schliche zwingen, sich doch zu ver - einigen dies war der Weg der Unwahrhaftigkeit.

Der Weg der Wahrhaftigkeit verzweigt sich gleich anfangs nachDer Weg der Wahrhaftigkeit. verschiedenen Richtungen hin. Er konnte zu einer kühnen, echt pauli - nischen, antirationalistischen Theologie führen, wie Duns Scotus (1274 1308) und Occam ( 1343) zeigen. Er konnte zu einer prinzi - piellen Unterordnung der Logik unter das intuitive Gefühl Veranlassung geben, woraus die reiche Skala der mystischen Weltauffassungen hervorging, die, von Franz von Assisi (1182 1226) und Eckhart (1260 1328) ihren Anfang nehmend, zu so weit auseinander weichenden Geistern wie Thomas von Kempen, dem Verfasser der Imitatio Christi (1380 1471) und Paracelsus, dem Begründer einer wissenschaftlichen Medizin (1493 1541) oder Stahl, dem Urheber der neueren Chemie (1660 1734)1)Siehe S. 803. führen sollte. Oder wiederum, es konnte diese rück - sichtslose Wahrhaftigkeit ein Wegwenden von jeder speziellen Be - schäftigung mit christlicher Theologie und den Erwerb einer um - fassenden, freien Weltbildung veranlassen, wie wir das schon bei dem encyklopädischen Albertus Magnus (1193 1280) angedeutet, weiter ausgebildet dann bei den Humanisten finden, z. B. bei Picus von Mirandola (1463 94), der die Wissenschaft der Hellenen für eine ebenso göttliche Offenbarung wie die Bücher der Juden hält und sie darum mit religiösem Feuereifer studiert. Schliesslich aber konnte dieser Weg die in Bezug auf Weltanschauung am tiefsten angelegten Geister dahinführen, die Grundlagen der damals als autoritativ geltenden theo - retischen Philosophie kritisch zu prüfen und zu verwerfen, um dann als freie, verantwortliche Männer an den Aufbau einer neuen, unserem Geiste und unseren Kenntnissen entsprechenden zu schreiten; diese Be - wegung die eigentlich » philosophische « geht bei uns überall von der Erforschung der Natur aus. ihre Vertreter sind naturforschende Philosophen oder philosophische Naturforscher; sie hebt mit Roger Bacon (1214 1294) an, schlummert dann lange Zeit, von der Kirche gewalt - sam unterdrückt, erhebt jedoch nach der Erstarkung der Naturwissen -862Die Entstehung einer neuen Welt.schaften von Neuem das Haupt und legt eine stolze Bahn zurück, von Campanella (vielleicht dem ersten bewusst-wissenschaftlichen Erkenntnis - theoretiker, 1568 1639) und Francis Bacon (1561 1626) an bis zu Immanuel Kant (1724 1804) an der Grenze unseres Jahrhunderts. So mannigfaltig waren die dem Menschengeiste durch treue Befolgung seiner wahren Natur eröffneten Richtungen! Und zwar ward uns auf jedem der genannten Pfade eine reiche Ernte zu teil. Aus paulinischer Theologie entsprang Kirchenreform und politische Freiheit, aus Mystik religiöse Vertiefung und Reform und zugleich geniale Naturwissenschaft, aus dem erwachten humanistischen Wissensdrange echte, freiheitliche, kulturelle Bildung, aus dem Neuaufbau der speziellen Philosophie auf Grundlage exakter Beobachtung und kritischen, freien Denkens, eine immense Erweiterung des Gesichtskreises, die Vertiefung aller wissen - schaftlichen Erkenntnisse, und die Grundlage einer vollkommenen Um - gestaltung der religiösen Vorstellungen im germanischen Sinne.

Der Weg der Unwahr - haftigkeit.
463

Der andere Weg dagegen, den ich als den der Unwahrhaftigkeit bezeichnete, blieb vollkommen unfruchtbar; denn hier herrschte ge - waltsame Willkür und willkürliche Gewalt. Schon das blosse Vor - haben, die Religion restlos zu rationalisieren, d. h. der Vernunft an - zupassen, und zugleich das Denken unter das Joch des Glaubens ge - fesselt einspannen zu wollen, bedeutet ein zwiefaches Verbrechen an der Menschennatur. Nur durch den bis zur Raserei gesteigerten dog - matischen Wahn konnte es gelingen. Eine aus den verschiedensten fremden Elementen zusammengeflickte, in den wesentlichsten Punkten sich selbst widersprechende Kirchenlehre musste als ewige, göttliche Wahrheit, eine nur aus schlechten Übersetzungen von Bruchstücken gekannte, vielfach total missverstandene, von Hause aus rein indivi - duelle, vorchristliche Philosophie musste für unfehlbar erklärt werden: denn ohne diese ungeheueren Annahmen wäre das Kunststück unmög - lich geblieben. Und nun wurden diese Theologie und diese Philo - sophie die sich ausserdem gegenseitig nichts angingen zu einer Zwangsehe genötigt, und diese Monstrosität der Menschheit als ab - solutes, allumfassendes System zur bedingungslosen Annahme aufge - zwungen. 1)Siehe S. 683.Auf diesem Wege war die Entwickelung geradlinig und kurz; denn ist die göttliche Wahrheit so mannigfaltig wie die Wesen, in denen sie sich widerspiegelt, so gelangt dagegen die frevelhafte Will - kür eines die » Wahrheit « dekretierenden und mit Feuer und Schwert863Weltanschauung und Religion.durchsetzenden Menschensystems bald ans Ziel und jeder Schritt weiter wäre seine eigene Verleugnung. Anselm, der im Jahre 1109 starb, kann als der Urheber dieser Methode, das Denken und Fühlen zu knebeln, gelten; kaum 150 Jahre nach seinem Tode hatten Thomas von Aquin (1227 1274) und Ramon Lull (1234 1315) das System bereits bis zur höchsten Vollendung ausgebildet. Ein Fortschritt war hier unmöglich. Weder enthielt eine derartige absolute theologische Philo - sophie in sich den Keim zu irgend einer möglichen Entwickelung, noch konnte sie auf irgend einen Zweig menschlicher Geistesthätigkeit anregend wirken; im Gegenteil, sie bedeutete notwendiger Weise ein Ende. 1)Siehe die Bemerkungen über das Nichtwissen als Quelle aller Zunahme der Erfahrung, S. 761, und über den Universalismus in seiner sterilisierenden Wirksamkeit, S. 765 fg.Wie unanfechtbar diese Behauptung ist, hat uns die schon mehrfach citierte Bulle Aeterni patris vom 4. August 1879 gezeigt, welche Thomas von Aquin als den unübertroffenen, einzig autorita - tiven Philosophen der römischen Weltauffassung auch für den heutigen Tag hinstellt; und damit nichts fehle, haben gewisse Liebhaber des Ab - soluten in letzter Zeit den Ramon Lull mit seiner Ars magna noch über Thomas gestellt. Denn in der That, Thomas, der ein durchaus ehr - licher germanischer Mann war, von genialer Geistesanlage, und der Alles, was er wirklich wusste, zu den Füssen des grossen Schwaben, Albert von Bollstädt, gelernt hatte, bezeichnet ausdrücklich einige wenige der höchsten Mysterien z. B. die Dreieinigkeit und die Menschwerdung Gottes als für die Vernunft unfassbar. Freilich deutet er diese Un - fassbarkeit ebenfalls rationalistisch, indem er lehrt, Gott habe sie ab - sichtlich so gestaltet, damit dem Glauben ein Verdienst zukomme! Doch räumt er die Unbegreiflichkeit wenigstens ein. Das giebt nun Ramon nicht zu, denn dieser Spanier war in einer anderen Schule gewesen, nämlich bei den Mohammedanern, und hatte dort die Grundlehre semitischer Religion eingesogen, nichts dürfe unbegreiflich sein, und so macht er sich anheischig, alles was man will, durch Vernunftgründe zu beweisen. 2)Vergl. S. 393. Sehr wichtig ist übrigens die Bemerkung, dass auch Thomas von Aquin seine Zuflucht zu den Semiten nehmen muss und vielerorten ausdrücklich bei den jüdischen Philosophen Maimonides u. A. anknüpft, worüber Näheres bei Dr. J. Guttmann: Das Verhältnis des Thomas von Aquino zum Judentum und zur jüdischen Litteratur (Göttingen 1891).Er rühmt sich auch, aus seiner Methode (der drehbaren, ver - schiedenfarbigen Scheiben mit Buchstaben für die Hauptbegriffe u. s. w.) 864Die Entstehung einer neuen Welt.könne man alle Wissenschaften deduzieren, auch ohne sie studiert zu haben. So erlebt denn der Absolutismus im selben Augenblick seine doppelte Vollendung: einerseits in dem ernsten, sittlich hochstrebenden System des Thomas, andererseits in der lückenlos konsequenten und darum absurden Lehre des Ramon. Wie Roger Bacon, der gewaltige Zeitgenosse dieser beiden irregeführten Geister, über Thomas von Aquin urteilt, habe ich schon früher berichtet (S. 765); ähnlich und ebenso treffend meinte später der Arzt, Mathematiker und Philosoph Cardanus, der viel Zeit mit Ramon Lull verloren hatte: ein wunderlicher Meister! er lehrt alle Wissenschaften, ohne selber eine einzige zu kennen. 1)Man denkt hierbei an Rousseau’s: » Quel plus sûr moyen de courir d’erreurs en erreurs que la fureur de savoir tout? « (Brief an Voltaire vom 10. 9. 1755).

Es verlohnt sich nicht, bei diesen Wahngebilden zu verweilen, wenngleich die Thatsache, dass wir noch am Schlusse unseres 19. Jahr - hunderts feierlich aufgefordert wurden, umzukehren und den Weg der Unwahrhaftigkeit zu wandeln, ihnen ein traurig gegenwärtiges Inter - esse verleiht. Lieber wenden wir uns zu jener in reichster Mannig - faltigkeit prangenden Erscheinung der vielen Männer zurück, die ihrer inneren Natur keinen Zwang anthaten, sondern in schlichter Wahr - haftigkeit und Würde Gott und die Welt zu erkennen suchten. Doch muss ich eine methodologische Bemerkung vorausschicken.

Die Scholastik.
467

Bei der Gruppierung, die ich oben skizziert habe (in Theologen, Mystiker, Humanisten und Naturforscher), ist der übliche Begriff einer » scholastischen Periode « ganz ausgefallen. In der That, ich glaube, dass er an dieser Stelle und überhaupt für eine lebendige Auffassung der philo - sophisch-religiösen Entwickelung der germanischen Welt entbehrlich, wenn nicht gar direkt schädlich ist; dem Goethe’schen Motto zu diesem » Geschichtlichen Überblick « handelt er zuwider, indem er verbindet, was nicht zusammengehört und zugleich die Glieder einer einzigen Kette auseinander reisst. Buchstäblich genommen heisst Scholastiker einfach Schulmann; der Name müsste also auf Männer beschränkt bleiben, welche ihr Wissen lediglich aus Büchern schöpfen; das ist auch in der That der Beigeschmack, den der Ausdruck in der Umgangssprache erhalten hat. Genauer ist aber Folgendes. Ein Vorwiegen dialektischer Haarspalterei zu Ungunsten der Beobachtung, ein Vorwiegen des Theo - retischen zum Nachteil des Praktischen nennen wir » scholastisch «; jede abstrakt-geistige, rein logische Konstruktion dünkt uns » Scholastik «, und jeder Mann, der solche Systeme aus seinem Gehirn oder wie865Weltanschauung und Religion.das respektlose Volk sagt, aus dem kleinen Finger zieht, ein Scholastiker. Doch in dieser Auffassung hat das Wort keinen histo - rischen Wert; derartige Scholastiker hat es zu allen Zeiten gegeben und giebt es noch heute in herrlichster Blüte. Historisch versteht man nun gewöhnlich unter diesem Namen eine Gruppe von Theologen, welche während etlicher Jahrhunderte bestrebt waren, die Beziehungen zwischen dem Denken und der schon fast fertig ausgebildeten und erstarrten Kirchenlehre festzustellen. Kirchengeschichtlich mag eine derartige Zusammenstellung ganz brauchbar sein: erst hatten die » Väter « in einem erbitterten tausendjährigen Kampf die Dogmen festgestellt; nun lagen sich während 500 Jahre die Doktoren der Theologie die » Scholastiker « in den Haaren und stritten darüber, wie diese Kirchen - lehre mit der umgebenden Welt und namentlich mit der Natur des Menschen (so weit diese aus Aristoteles zu erschliessen war) könne in Einklang gesetzt werden, bis zuletzt der unterirdisch laufende Strom der wahren Menschheit den Sanktpetersfelsen immer bedrohlicher unter - graben hatte und die Donnerstimme des Martin Luther die Theoretiker verscheuchte, wodurch hüben und drüben eine dritte Periode, die der praktischen Bewährung der Prinzipien, eingeführt wurde. Wie gesagt, kirchengeschichtlich mag sich aus einer derartigen Gliederung ein brauchbarer Begriff des Scholasticismus ergeben, doch philosophisch finde ich sie in hohem Grade irreleitend, und für die Geschichte unserer germanischen Kultur ist sie vollends unbrauchbar. Was soll das z. B. heissen, wenn uns in allen Lehrbüchern Scotus Erigena als Urheber der scholastischen Philosophie vorgeführt wird? Erigena! einer der grössten Mystiker aller Zeiten, der die Bibel Vers für Vers allegorisch deutet, der unmittelbar an die griechische Gnosis anknüpft1)Vergl. S. 640. und, genau wie Origenes, lehrt: die Hölle seien die Qualen des eigenen Gewissens, der Himmel dessen Freuden (De divisione naturae, V, 36), jeder Mensch werde zuletzt erlöst werden, » möge er in diesem Leben gut oder schlecht gelebt haben « (V, 39), die Ewigkeit sei daraus zu verstehen, dass » Raum und Zeit eine falsche Meinung sei « (III, 9), u. s. w. Welches Band knüpft diesen kühnen Germanen2)Vergl. S. 317. an Anselm und Thomas? Und selbst wenn wir einen Abälard ins Auge fassen, der als Schüler Anselm’s und unvergleichlicher Dialektiker den genannten Doktoren viel näher steht, wer sieht nicht ein, dass, wenn hier der866Die Entstehung einer neuen Welt.Zweck derselbe war nämlich Vernunft und Theologie in Einklang zu bringen Methode und Ergebnisse so weit auseinandergehen, dass es geradezu lächerlich ist, derartige Gegensätze, der äusseren Berührungs - punkte wegen, zusammen zu stellen? 1)Da ich mich nicht wiederholen will, verweise ich für Abälard auf S. 469 fg. und 246 Anm.Und was heisst das, wenn man die geschworenen Gegner, die diametralen Gegensätze des Thomas, Duns Scotus und Occam, ganz eng mit dem doctor angelicus paart? wenn man uns einreden will, es handle sich lediglich um feine meta - physische Differenzen zwischen Realismus und Nominalismus? Im Gegen - teil, gerade diese metaphysischen Tüfteleien sind die bloss äussere Schale, der wahre Unterschied ist die tiefe Kluft, welche eine Geistesrichtung von der anderen trennt, ist die Thatsache, dass verschiedene Charaktere aus demselben Metall sich ganz verschiedene Waffen schmieden. Pflicht des Historikers ist es, dasjenige hervorzuheben, was nicht ein Jeder sofort einsieht, das zu unterscheiden, was zunächst einförmig dünkt, während es in Wirklichkeit tief innerlich auseinanderstrebt, und da - gegen das zu vereinen, was, wie z. B. Duns Scotus und Eckhart, an - scheinend sich widerspricht, doch im tiefsten Wesen übereinstimmt. Martin Luther hatte den Unterschied zwischen diesen verschiedenen Doktoren recht wohl und tief empfunden; in einem Tischgespräch sagt er: » Duns Scotus hat sehr wohl geschrieben ..... und hat sich be - flissen, fein ordentlich und richtig von den Sachen zu lehren. Occam ist ein verständiger und sinnreicher Mann gewesen ..... Thomas Aquinas ist ein Wäscher und Schwätzer. « 2)Ich citiere nach der Ausgabe Jena 1591, Fol. 329; in den verbreiteten neuen Auswahlen findet man diese Stelle, sowie die übrigen » von den Scholasticis ingemein «, nicht, in denen Luther über seine Studienzeit seufzt: » da feine, geschickte Leute wären mit unnützen Lectionibus und Büchern zu hören und zu lesen be - schwert worden, mit seltsamen, undeutschen, sophistischen Worten . «Und ist es nicht vollendet lächerlich, wenn ein Roger Bacon, der Erfinder des Teleskops, der Begründer wissenschaftlicher Mathematik und Philologie, der Verkünder echter Naturforschung, in einen Topf geworfen wird mit den Leuten, die alles zu wissen vorgaben und darum diesem selben Roger Bacon den Mund stopften und ihn ins Gefängnis warfen? Zum Schluss frage ich noch: wenn Erigena ein Scholastiker ist und ebenfalls Amalrich, wie kommt es, dass Eckhart, der offenbar zu Beiden in unmittelbarem Lehnsverhältnis steht, keiner mehr ist, und zwar trotzdem er ein Zeit - genosse von Thomas und Duns ist? Ich weiss, es geschieht lediglich,867Weltanschauung und Religion.weil man eine neue Gruppe bilden will, die der Mystiker, die bis zu Böhme und Angelus Silesius führen soll; und zu diesem Behufe wird Eckhart von Erigena, von Amalrich, von Bonaventura losgerissen! Und damit nichts fehle, was die Künstlichkeit des Systems darthue, bleibt der grosse Franz von Assisi überhaupt ausgeschlossen: der Mann, der vielleicht mehr als irgend ein anderer auf die Richtung der Geister gewirkt hat, der Mann, zu dessen Orden Duns Scotus und Occam gehören, zu dem sich der Erneuerer der Naturforschung, Roger Bacon, bekennt, und der das Wiederaufleben der Mystik, wie kein anderer, durch die Macht seiner Persönlichkeit verursacht hat! Dieser Mann, der nach jeder Richtung hin eine wahre Kulturgewalt bedeutet da er auf die Kunst ebenso mächtig wie auf die Weltanschauung gewirkt hat kommt überhaupt in der Geschichte der Philosophie nicht vor, wodurch die Lückenhaftigkeit des gerügten Schemas und zugleich auch die Unhaltbarkeit der Vorstellung, Religion und Weltanschauung seien zwei prinzipiell verschiedene Dinge, klar hervortritt.

Ich meine nun, den Notbrückenbau, der mich augenblicklich be -Rom und Anti-Rom. schäftigt, wesentlich gefördert zu haben, wenn es mir gelungen ist, an Stelle jenes künstlichen Schemas eine lebendige Einsicht zu setzen. Eine derartige Einsicht muss natürlich (hier wie überall) aus dem Leben selbst, nicht aus abgezogenen Begriffen gewonnen werden. Was wir hier antreffen, ist derselbe Kampf, dieselbe Auflehnung wie an anderen Orten: auf der einen Seite das aus dem Völkerchaos hervorgegangene römische Ideal, auf der anderen germanische Eigenart. Dass Rom in der Philosophie ebenso wie in der Religion und in der Politik sich mit nichts Geringerem als dem unbedingt Absoluten zufrieden geben kann, habe ich schon früher gezeigt. Der sacrifizio dell intelletto ist das erste Gesetz, das es jedem denkenden Menschen auferlegt. Es ist das auch durchaus logisch und gerechtfertigt. Dass sittliche Höhe damit vereinbar ist, zeigt gerade Thomas von Aquin. Begabt mit jener eigentümlichen, verhängnisvollen Anlage des Germanen, sich in fremde Anschauungen zu vertiefen und sie nun, dank seiner ungleich höheren Begabung, gewisser - massen verklärt und zu neuem Leben erweckt zu gebären, hat Thomas der das südliche Gift von Kindheit auf eingesogen hatte ger - manische Wissenschaft und Überzeugungskraft in den Dienst der anti - germanischen Sache gestellt. Früher hatten die Germanen Soldaten und Imperatoren gegen ihre eigenen Völker ins Feld geschickt, jetzt stellten sie Theologen und Philosophen in den Dienst des Feindes; es ge - schieht heute noch wie seit 2000 Jahren. Doch empfindet jeder unbe -868Die Entstehung einer neuen Welt.einflusste Beobachter, dass solche Männer wie Thomas ihrer eigenen Natur Gewalt anthun. Ich behaupte nicht, dass sie bewusst und absichtlich lügen (wenn das auch bei Männern geringeren Kalibers oft genug der Fall war und ist); fasciniert aber durch das hohe (und für ein edles bethörtes Herz geradezu heilige) Ideal des römischen Wahnes, unterliegen sie der Suggestion und stürzen sich in jene Weltauffassung hinein, die ihre Persönlichkeit und ihre Würde vernichtet, wie der beflügelte Sänger sich in den Schlangenrachen stürzt. Darum nenne ich diesen Weg den der Unwahrhaftigkeit. Denn wer ihn geht, opfert das, was er von Gott empfing, sein eigenes Selbst; und wahrlich, dies ist nichts Ge - ringes; Meister Eckhart, ein guter und gelehrter Katholik, ein Pro - vinzial des Dominikanerordens, belehrt uns, der Mensch solle » got ûzer sich selber nicht ensuoche «;1)Ausgabe von Pfeiffer, 1857, S. 626. Das hier negativ Vorgebrachte wird im 53. Spruche, von den sieben Graden des schauenden Lebens, als positive Lehre ausgesprochen: » Unde der Mensch alsô in sich selber gât, vindet er got in ime selber. « wer seine Persönlichkeit opfert, verliert also zugleich den Gott, den er einzig in sich selber hätte finden können. Wer dagegen bei seiner Weltanschauung seine Per - sönlichkeit nicht opfert, wandelt offenbar die genau entgegengesetzte Richtung, gleichviel zu welcher Art der Auffassung sein Charakter ihn auch treiben mag, und gleichviel ob er sich zur katholischen oder zu einer anderen Kirche bekennt. Ein Duns Scotus z. B. ist ein geradezu fanatischer Pfaffe, den spezifisch römischen Lehren, z. B. der Werkheiligkeit ganz ergeben, hundertmal unduldsamer und einseitiger als Thomas von Aquin; dennoch weht uns aus jedem seiner Worte die Atmosphäre der Wahrhaftigkeit und der autonomen Persönlichkeit entgegen. Mit Verachtung und heiligem Zorn deckt dieser doctor subtilis, der grösste Dialektiker der Kirche, das ganze Gewebe erbärm - licher Trugschlüsse auf, aus denen Thomas sein künstliches System aufgebaut hat: es ist nicht wahr, dass die Dogmen der christlichen Kirche vor der Vernunft bestehen, viel weniger, dass sie (wie Thomas gelehrt hatte) von der Vernunft als notwendige Wahrheiten bewiesen werden können; schon die angeblichen Beweise für das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele sind elende Sophistereien (siehe die Quaestiones subtilissimae); nicht der Syllogismus hat Wert für die Religion, sondern einzig der Glaube; nicht der Verstand bildet den Kern der menschlichen Natur, sondern der Wille: voluntas superior intellectu! Mochte Duns Scotus persönlich noch so kirchlich unduldsam869Weltanschauung und Religion.sein, der Weg, den er beschritt, führte zur Freiheit; und warum? Weil dieser Angelsachse unbedingt wahrhaftig ist. Er nimmt alle Lehren der römischen Kirche fraglos an, auch diejenigen, welche ger - manischem Wesen Gewalt anthun, doch verachtet er jeglichen Betrug. Welcher lutherische Theolog des 18. Jahrhunderts hätte es gewagt, das Dasein Gottes für philosophisch unbeweisbar zu erklären? welche Verfolgungen hat nicht Kant gerade deswegen auszustehen gehabt? Scotus hatte es schon längst erhärtet. Und indem Scotus das Indivi - duum ausdrücklich als » das einzig Wirkliche « in den Mittelpunkt seiner Philosophie stellt, rettet er die Persönlichkeit; damit ist aber alles gerettet. Wie nun Diejenigen, welche in einer und derselben Richtung der Richtung der Wahrhaftigkeit sich bewegen, alle eng zusammengehören, erhellt aus diesem Beispiel besonders deutlich; denn was der Theologe Scotus lehrt, das hatte der Mystiker Franz von Assisi gelebt: das Primat des Willens, Gott eine unmittelbare Wahr - nehmung, nicht eine logische Folgerung, die Persönlichkeit » höchstes Glück «; und andererseits fand sich Occam, ein Schüler des Scotus und ein ebenso eifriger Dogmatiker wie sein Meister, veranlasst, nicht allein die Trennung des Glaubens vom Wissen noch schärfer durchzuführen und der rationalistischen Theologie durch den Nachweis, die wich - tigsten Kirchendogmen seien geradezu widersinnig, den Garaus zu machen (wodurch er zugleich ein Begründer der Beobachtungswissen - schaften wurde), sondern er verteidigte die Sache der Könige gegen den päpstlichen Stuhl, d. h. er kämpfte für den germanischen Nationa - lismus und gegen den römischen Universalismus; zugleich nahm der - selbe Occam die Rechte der Kirche gegen die Übergriffe des römischen Pontifex wacker in Schutz wofür er in den Kerker geworfen wurde. Hier knüpfen, wie man sieht, Politik, Wissenschaft und Philosophie in ihrer ferneren antirömischen Entwickelung unmittelbar an Theologie an.

Schon solche flüchtige Andeutungen werden, glaube ich, genügen, um die Überzeugung wachzurufen, dass die von mir vorgeschlagene Gruppierung auf den Kern der Sache geht. Ein grosser Vorzug ist, dass diese Einteilung nicht auf einige Jahrhunderte beschränkt ist, sondern einen tausendjährigen Überblick gestattet, von Scotus Erigena bis Arthur Schopenhauer. Ein weiterer Vorzug, den diese aus dem Leben gegriffene Klassifikation uns für unser eigenes praktisches Leben gewährt, ist, dass sie uns unbegrenzte Toleranz gegen jede wahrhaftige, echt germanische Auffassung lehrt; wir fragen nicht nach dem Was der Weltanschauung sondern nach dem Wie: frei oder unfrei? persönlich870Die Entstehung einer neuen Welt.oder unpersönlich? Dadurch erst lernen wir uns selber vom Fremden scharf zu scheiden, und gegen ihn sofort und zu allen Zeiten und gäbe er sich noch so edel und uneigennützig und triefend von Ger - manentum mit allen Waffen Front zu machen. Der Feind schleicht sich ja in die eigene Seele ein. War es denn anders bei Thomas von Aquin? und erblicken wir nicht Ähnliches bei Leibniz und bei Hegel? Doctor invincibilis nannte man den grossen Occam: möchten wir in dem Kampf, der unsere Kultur von allen Seiten bedroht, recht viele doctores invincibiles erleben!

Die vier Gruppen.
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Jetzt ist, hoffe ich, der Boden genügend vorbereitet, damit wir zu der methodischen Betrachtung der vier Gruppen von Männern übergehen können, welche ihre Lebenskraft in den Dienst der Wahrheit stellten, ohne dass sie gewähnt hätten, sie ganz zu besitzen, sie mit allen Organen umfassen zu können; durch ihre vereinte Arbeit hat die neue Weltan - schauung nach und nach immer bestimmtere Gestalt erhalten. Es sind dies die Theologen, die Mystiker, die Humanisten und die Naturforscher (zu welch letzteren die Philosophen im engeren Sinne des Wortes ge - hören). Der Bequemlichkeit halber wollen wir diese vorhin aufgestellten Gruppen beibehalten, doch ohne ihnen eine weitere Bedeutung als die einer praktisch brauchbaren Handhabe beizulegen, denn sie gehen an hundert Orten ineinander über.

Die Theologen.
472

Wäre ich im Begriff, eine künstliche These zu verfechten, so würde mir die Gruppe der Theologen viel Kopfzerbrechen machen; ausserdem würde mich das Gefühl meiner Inkompetenz martern. Doch ich begnüge mich die Augen zu öffnen, ohne die für mich unverständ - lichen technischen Einzelheiten in Betracht zu ziehen, und erblicke die Theologen von der Art des Duns Scotus als die unmittelbaren Anbahner der Reformation, und nicht allein der Reformation denn diese blieb in religiöser Beziehung ein höchst unbefriedigendes Stückwerk, oder wie Lamprecht hoffnungsfreudig sagt: » ein Ferment künftiger religiöser Haltung « sondern auch als die Anbahner einer weithin reichenden Be - wegung von grundlegender Wichtigkeit bei dem Aufbau einer neuen Weltanschauung. Man weiss, welche Fülle metaphysischen Scharfsinns Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft auf den Nachweis verwendet, » dass alle Versuche eines bloss spekulativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffen - heit nach null und nichtig sind «;1)Siehe den Abschnitt Kritik aller spekulativen Theologie und vergl. auch den letzten Absatz der Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik. für die Begründung seiner Welt -871Weltanschauung und Religion.anschauung war dieser Nachweis unentbehrlich; erst Kant hat das Trug - gebäude der römischen Theologie endgültig zertrümmert, er » der Alles - zermalmer «, wie ihn Moses Mendelssohn treffend nennt. Dasselbe hatten gleich die ersten Theologen, welche den Weg der Wahrhaftigkeit wan - delten, zu thun unternommen. Zwar waren Duns Scotus und Occam nicht in der Lage gewesen, das kirchliche Truggebäude auf dem direkten Wege des Naturforschers zu unterminieren, wie Kant, doch hatten sie für praktische Zwecke genau dasselbe und mit hinreichender Überzeugungs - kraft durch die reductio ad absurdum der entgegengesetzten Behauptung dargethan. Aus dieser Einsicht ergaben sich gleich Anfangs zwei Folgerungen mit mathematischer Notwendigkeit: erstens, die Befreiung der Vernunft mit allem, was zu ihr gehört, aus dem theologischen Dienste, da sie zu diesem doch nichts taugte; zweitens, die Zurück - führung des religiösen Glaubens auf einen anderen Kanon, da derjenige der Vernunft sich als unbrauchbar erwiesen hatte. Und in der That, was die Befreiung der Vernunft anbetrifft, so sehen wir schon Occam sich an seinen Ordensbruder Roger Bacon anschliessen und die empi - rische Beobachtung der Natur fordern; zugleich sehen wir ihn auf das Gebiet der praktischen Politik im Sinne erweiterter persönlicher und nationaler Freiheit übergreifen, was ein Gebot der befreiten Vernunft war, während die gefesselte Vernunft die universelle civitas Dei (zu Occam’s Lebzeiten durch Dante’s Mund) als eine göttliche Einrichtung nachzuweisen gesucht hatte. Und was den zweiten Punkt anbelangt, so ist es klar, dass wenn die Lehren der Religion gar keine Gewähr in den Vernunftschlüssen des Hirns finden, der Theolog mit um so grösserer Energie bestrebt sein muss, diese Gewähr an einem anderen Orte nachzuweisen, und dieser Ort konnte zunächst kein anderer sein, als die heilige Schrift. So paradox es im ersten Augenblick erscheint, Thatsache ist es doch, dass die heftige, unduldsame, engherzige Ortho - doxie des Scotus, im Gegensatz zu der bisweilen fast freigeistig sich ge - bärdenden, mit augustinischen Widersprüchen überlegen spielenden Ruhe des Thomas, den Weg zur Befreiung von der Kirche gewiesen hat. Denn die von der römischen Kirche so stark bevorzugte Richtung des Thomas emancipierte sie eigentlich ganz und gar von der Lehre Christi. Schon hatte die Kirche sich mit ihren Kirchenvätern und Konzilien so sehr in den Vordergrund gedrängt, dass das Evangelium bedenklich an Bedeutung verloren hatte; nun wurde der Beweis geliefert, die Glaubensdogmen » müssten so sein «, die Vernunft könne dies jeden Augenblick als logische Notwendigkeit darthun. Sich da noch weiter auf die Schrift berufen,872Die Entstehung einer neuen Welt.wäre ungefähr ebenso, als wenn ein Schiffskapitän, ehe er ins Meer sticht, ein paar Eimer Wasser aus dem den Ozean speisenden Fluss holen und vom Bugspriet aus hineinwerfen liesse, aus Besorgnis, er hätte sonst nicht den nötigen Tiefgang. Doch noch ehe Thomas von Aquin an die Errichtung seines babylonischen Turmes gegangen war, hatten viele gemütstiefe Geister empfunden, dass diese von der römischen Kirche in die Praxis, von Anselm in die Theorie eingeführte Richtung zum Tode jeglicher wahrhaften Religion führe; der grösste von diesen war Franz von Assisi gewesen. Gewiss gehört dieser wunderbare Mann zu der Gruppe der Mystiker, doch muss er auch hier genannt werden, denn die Ritter der echten christlichen Theologie erbten von ihm den Lebensimpuls. Auch das scheint paradox, denn kein Heiliger war weniger Theolog als Franz, doch ist es eine geschichtliche Thatsache, und das Paradoxe verschwindet, sobald man einsieht, dass hier der Hinweis auf das Evangelium und auf Jesus Christus die Verbindung bildet. Dieser Laie, der gewaltsam in die Kirche eindringt, das Sacer - dotium bei Seite schiebt und allem Volke das Wort Christi verkündet, verkörpert eine heftige Reaktion der nach Religion sich sehnenden Menschen gegen den kalten, unbegreiflichen, auf dialektischen Stelzen einherschreitenden Dogmenglauben. Franz, der von Jugend auf unter waldensischem Einfluss gestanden hatte, kannte ohne Zweifel das Evan - gelium gut;1)Siehe S. 613 und vergleiche den Schluss der Anmerkung 1 auf S. 643. dass er nicht als Ketzer verbrannt wurde, müsste als Wunder gelten, wenn es nicht offenbar ein Zufall wäre; seine Religion lässt sich in den Worten Luther’s zusammenfassen: » Das Gesetz Christi ist nicht Lehre, sondern Leben, nicht Wort, sondern das Wesen, nicht Zeichen, sondern die Fülle selbst. « 2)Von dem Missbrauch der Messe, Teil 3.Das von Franz der Vergessenheit entrissene Evangelium ist nun der Fels, auf den die nordischen Theo - logen sich zurückziehen, als ihnen sowohl die Unhaltbarkeit wie die Gefährlichkeit des theologischen Rationalismus offenbar geworden ist. Und zwar thun sie es mit der Leidenschaft der kampflustigen Über - zeugung und unter dem Antrieb des soeben erlebten Beispiels. Im direkten Gegensatz zu Thomas lehrt Duns, die höchste Seligkeit des Himmels werde nicht das Erkennen, sondern das Lieben sein. Wie eine solche Richtung mit der Zeit wirken musste, ist klar; wir sahen ja vorhin Luther mit grosser Anerkennung von Scotus und Occam sprechen, während er Thomas einen Schwätzer nannte. Die Zugrunde -873Weltanschauung und Religion.legung des biblischen Wortes, die Hervorhebung des evangelischen Lebens im Gegensatz zur dogmatischen Lehre konnte nicht ausbleiben. Selbst die mehr äusserliche Bewegung der Empörung gegen den Prunk und die Geldgier und die ganze weltliche Richtung der Kurie war eine so selbstverständliche Folgerung aus diesen Prämissen, dass wir schon Occam gegen alle diese Missbräuche ins Feld ziehen sehen und dass Jacopone da Todi, der Verfasser des Stabat Mater, der geistig bedeutendste der italienischen Franziskaner des 13. Jahrhunderts, zur offenen Empörung gegen Papst Bonifaz VIII. aufruft und dafür die besten Jahre seines Lebens im unterirdischen Kerker zubringt. Und wenn auch gerade Duns Scotus die Bedeutung der Werke so hervor - hebt wie kaum ein zweiter, während er in Bezug auf Gnade und Glaube nicht einmal so weit wie Thomas zu gehen bereit ist, so heisst es wirklich sehr oberflächlich urteilen, wenn man hierin etwas speziell römisches erblicken will und nicht begreift, wie notwendig gerade diese Lehre zu der Luther’s führt: denn diesen Franziskanern kommt alles darauf an, den Willen an Stelle der formalen Recht - gläubigkeit in dem Mittelpunkt der Religion zu inthronisieren; dadurch wird Religion zu etwas Erlebtem, Erfahrenem, Gegenwärtigem. Wie Luther sagt: » Glaube ist grundguter Wille «; und an anderer Stelle: » es ist ein lebendig, geschäftig, thätig, mächtig Ding um den Glauben, also dass es unmöglich ist, dass er nicht ohne Unterlass sollte Gutes wirken «. 1)Vergl. die Vorrede auf die Epistel Pauli an die Römer. Dieser » Wille « nun, dieses » Wirken « sind das, worauf Scotus und Occam, durch Franz belehrt, allen Nachdruck legen, und zwar im Gegensatz zu einem kalten, akademischen Fürwahrhalten. Mit den Begriffen » Glaube « und » gute Werke « wird heute von ge - wissen vielgelesenen Autoren ein recht frivoles Spiel getrieben; ohne mich mit Denjenigen einzulassen, welche das Lügen als ein » gutes Werk « betreiben, bitte ich jeden unvoreingenommenen Menschen, Franz von Assisi zu betrachten und zu sagen, was den Kern dieser Persön - lichkeit ausmacht? Jeder wird antworten müssen: die Gewalt des Glaubens. Er ist der verkörperte Glaube: » nicht Lehre, sondern Leben, nicht Wort, sondern Wesen. « Man lese nur die Geschichte seines Lebens: nicht priesterliche Ermahnung, nicht sakramentale Weihe hat ihn zu Gott geführt, sondern der Anblick des Gekreuzigten in einer verfallenen Kapelle bei Assisi und dessen Worte in dem fleissig gele - senen Evangelium. 2)Man sehe z. B. Paul Sabatier: Vie de S. François d’Assise, 1896, Kap. 4.Und doch gilt uns Franz sowie der vonChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 56874Die Entstehung einer neuen Welt.ihm gegründete Orden nicht mit Unrecht als der besondere Apostel der guten Werke. Und nun betrachte man Martin Luther den Verfechter der Erlösung durch den Glauben und sage, ob derselbe keine Werke vollbracht hat? ob dieses Leben nicht ganz und gar dem Wirken gewidmet war? und ob nicht gerade dieser Mann uns das Geheimnis der guten Werke enthüllt hat? nämlich, dass sie sein müssen: » eitel freie Werke, um keines Dings willen gethan, als allein Gott zu gefallen, und nicht um Frömmigkeit zu erlangen .... denn wo der falsche Anhang und die verkehrte Meinung darin ist, dass durch die Werke wir fromm und selig werden wollen, sind sie schon nicht gut und ganz verdammlich, denn sie sind nicht frei. « 1)Von der Freiheit eines Christenmenschen 22, 25.Mögen die Gelehrten darüber den Kopf schütteln so viel sie wollen, wir Laien begreifen recht gut, dass ein Franz von Assisi zu einem Duns Scotus geführt hat und dieser wiederum zu einem Martin Luther. Denn die Befreiung die Befreiung der Persönlich - keit liegt hier überall zu Grunde. Das ganze Leben des Franz ist Empörung des Individuums: Empörung gegen seine Familie, Empörung gegen die ganze ihn umgebende Gesellschaft, Empörung gegen eine tief korrumpierte Geistlichkeit und gegen eine von apostolischer Tradition so weit abgefallene Kirche; und während das Priestertum ihm bestimmte Wege als allein zur Seligkeit führend vorschreibt, geht er unentwegt seine eigenen und verkehrt als freier Mann unmittelbar mit seinem Gotte. In das Theologisch-philosophische übertragen, musste eine solche Auffassung zur fast ausschliesslichen Betonung der Freiheit des Willens führen, was ja bei Scotus der Fall war. Wir müssen unbedingt zugeben, dass dieser mit seiner einseitigen Hervorhebung des liberum arbitrium weniger philosophische Tiefe verrät als sein Gegner, Thomas, doch um so mehr religiöse und (wenn ich so sagen darf) politische. Denn hier - durch gelingt es dieser Theologie, den Schwerpunkt der Religion im direkten Gegensatz zu Rom in das Individuum zu verlegen: » Christus ist die Thüre zum Heil; an dir, Mensch, liegt es, hinein - zutreten oder nicht! « Das nun diese Hervorhebung der freien Persönlichkeit ist das Entscheidende, das allein und nicht die Spitz - findigkeiten über Gnade und Verdienst, über Glauben und gute Werke. Auf diesem Wege schritt man notwendiger Weise einer antirömischen, antisacerdotalen Auffassung der Kirche, und überhaupt einer anderen, nicht historisch-materialistischen, sondern innerlichen Religion entgegen. 875Weltanschauung und Religion.Das zeigte sich bald. Zwar schob gerade Luther, der politische Held, dieser natürlichen und unerlässlichen religiösen Bewegung auf lange Zeit den Riegel vor. Wie Duns Scotus hüllte auch er seine gesunde, kräftige, Freiheit atmende Erkenntnis in ein Gewebe spitzfindiger Theo - logeme und lebte ganz noch in den historischen und darum unbedingt intoleranten Vorstellungen eines aus dem Judentum hervorgewachsenen Glaubens; doch verlieh ihm diese Geistesverfassung zum rechten Werk die rechte Kraft: in seinem Kampf für das Vaterland und für die Würde der Germanen hat er gesiegt, wogegen seine starre mönchische Theo - logie wie ein irdener Topf zerbröckelte, zu klein für den Inhalt, den er selber hineingethan hatte. Erst in unserem Jahrhundert hat man bei jenen grossen Theologen wieder angeknüpft, um den Weg zur Freiheit auch auf dem Gebiete der Gottesgelehrsamkeit weiter zu wandeln.

Unterschätzen wir nicht den Wert der Theologen für die Ent - wickelung unserer Kultur! Wer das hier nur Angedeutete mit einem reicheren Wissen, als mir zu Gebote steht, weiter verfolgt, wird, glaube ich, bis in unsere Zeit hinein ihr Wirken vielfach reich gesegnet finden. Wenn ein gelehrter römischer Theolog, Abälard, im 10. Jahrhundert schon ausruft: si omnes patres sic, at ego non sic!1)Citirt nach Schopenhauer: Über den Willen in der Natur (Abschnitt » Phy - sische Astronomie «). so wäre zu wünschen, dass recht viele Theologen des 19. Jahrhunderts denselben Mannesmut besässen. Ein Savonarola der Mann, dessen Feuergeist einen Leonardo, einen Michelangelo, einen Raffael begeisterte thut mehr für die Be - freiung, wenn er von der Kanzel aus hinunterruft: » Sieh Rom an, das Haupt der Welt, und von dort sieh auf die Glieder! da ist von der Fussohle bis zum Scheitel nichts Gesundes mehr. Wir leben unter Christen, wir verkehren mit ihnen; aber sie sind keine Christen, die’s nur sind dem Namen nach; da wäre es wirklich besser, wir wären unter Heiden! «2)Predigt am Erscheinungsfest 1492 (nach der Übersetzung von Langsdorff). dieser Mönch, sage ich, wenn er zu Tausenden so spricht und seine Worte mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen besiegelt, thut mehr für die Freiheit als eine ganze Akademie von Frei - geistern; denn Freiheit wird nicht durch Ansichten, sondern durch Verhalten bewährt, sie ist » nicht Wort, sondern Wesen «. In unserm Jahrhundert hat desgleichen ein frommer, innig religiöser Schleiermacher für die Gewinnung einer lebendigen religiösen Weltanschauung gewiss mehr geleistet als ein skeptischer David Strauss.

56*876Die Entstehung einer neuen Welt.
Die Mystiker.
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Die rechte hohe Schule der Befreiung vom hieratisch-historischen Zwange ist aber die Mystik, die philosophia teutonica, wie man sie nannte. 1)Lamprecht bezeugt vom deutschen Volk im Allgemeinen, dass » die Grund - lage seines Verhaltens zum Christentum eine mystische war « (Deutsche Geschichte, 2. Aufl., 2. Bd., S. 197); dies galt uneingeschränkt bis zur Einführung des obli - gatorischen Rationalismus durch Thomas von Aquin, später ergänzt durch den Materialismus der Jesuiten.Eine bis in ihre letzten Konsequenzen durchgeführte mystische Anschauung löst eine dogmatische Annahme nach der anderen als Alle - gorie ab; was dann übrig bleibt, ist ebenfalls nur Symbol, denn Religion ist dann nicht mehr ein Fürwahrhalten, eine Hoffnung, eine Überzeugung, sondern eine Erfahrung des Lebens, ein thatsächlicher Vorgang, ein un - mittelbarer Zustand des Gemütes. Lagarde sagt irgendwo: » Religion ist unbedingte Gegenwart «; diese Erkenntnis ist mystisch. 2)Der Theologe Adalbert Merx sagt in seiner Schrift Idee und Grundlinien einer allgemeinen Geschichte der Mystik, 1893, S. 46: » Eines steht für die Mystik fest, dass sie die Erfahrungsthatsache der Religion, die Religion als Phänomenon so vollkommen besitzt, zeigt und darstellt dass ohne historische Kenntnis der Mystik von einer wirklichen Religionsphilosophie nicht die Rede sein kann. «Den voll - endetsten Ausdruck der absolut mystischen Religion finden wir bei den arischen Indern; doch scheidet unsere grossen germanischen My - stiker kaum die Breite eines Haares von ihren indischen Vorgängern und Zeitgenossen; eigentlich trennt sie nur das Eine: dass die indische Religion eine unverfälscht indogermanische ist, in welcher die Mystik ihren natürlichen, allseitig anerkannten Platz findet, während für Mystik in einem Bunde zwischen semitischer Historie und pseudoägyptischer Magie kein Platz ist, weswegen sie von unseren verschiedenen Kon - fessionen im besten Falle nur geduldet, meistens aber verfolgt wurde und wird. Von ihrem Standpunkt aus haben die christlichen Kirchen Recht. Man höre nur den 54. Spruch des Meister Eckhart; er lautet: » Ir sunt wizzen, daz alle unser vollekomenheit und alle unser sêlikeit lît dar an, daz der mensche durchgange und übergange alle geschaffen - heit und alle zîtlichkeit und allez wesen und gange in den grunt, der gruntlôs ist. « Das ist vollkommen indisch und könnte ein Citat aus der Brihadâranyaka-Upanishad sein, wogegen es keiner Sophisterei gelingen dürfte, einen Zusammenhang zwischen dieser Religion und abrahamitischen Verheissungen herzustellen, ebensowenig wie irgend ein ehrlicher Mensch leugnen wird, dass in einer Weltanschauung, welche sich über » Geschaffenheit « und » Zeitlichkeit « erhebt, Sünden -877Weltanschauung und Religion.fall und Erlösung lediglich Symbole sein müssen für eine sonst un - ausdrückbare Wahrheit der inneren Erfahrung. Folgende Stelle aus der 49. Predigt von Eckhart gehört ebenfalls hierher: » So lange ich dies und das bin oder dies und das habe, so bin ich nicht alle Dinge noch habe ich alle Dinge; sobald du aber entscheidest, dass du weder dies noch das seiest noch habest, so bist du allenthalben; sobald folg - lich du weder dies noch das bist, bist du alle Dinge. « 1)Ausg. Pfeiffer, S. 162. Diese zweite Stelle habe ich übertragen, da sie für den Ungeübten im mittelhochdeutschen Original nicht so leicht verständlich ist.Das ist die Lehre des Atman, der gegenüber die Theologie des Duns Scotus eben so irrelevant ist wie die des Thomas von Aquin. Und noch Eines muss gleich hier vorausgeschickt werden: eine derartige mystische Religion war die Religion Jesu Christi; sie spricht aus seinen Thaten und aus seinen Worten. Dass das Himmelreich » inwendig in uns « sei,2)Siehe S. 199. lässt keinerlei empirische oder historische Deutung zu.

Natürlich kann ich mich hier nicht näher auf das Wesen der Mystik einlassen, das hiesse die Menschennatur dort, wo sie » gruntlôs « ist, in einigen wenigen Zeilen ergründen wollen; ich musste bloss den Gegenstand klar hinstellen, und zwar in einer Weise, dass auch der wenigst Eingeweihte sofort einsieht, inwiefern es die notwendige Tendenz des Mysticismus ist, von Kirchensatzungen zu befreien. Zum Glück kann man wohl sagen liegt es nicht in unserer germanischen Natur, unsere Gedanken bis in ihre letzten Konsequenzen zu verfolgen, mit anderen Worten, uns von ihnen tyrannisieren zu lassen, und so sehen wir Eckhart trotz seiner Âtmanlehre einen guten Dominikaner bleiben, der zwar mit knapper Not der Inquisition entgeht,3)Erst nach seinem Tode wurden seine Lehren als häretisch verdammt und seine Schriften so fleissig von der Inquisition vertilgt, dass die meisten verloren sind. doch alle gewünschte orthodoxe Glaubensbekenntnisse unterschreibt, und wir erleben es nicht trotz aller Empfehlungen des Friedensschlafes (sopor pacis) durch Bona - ventura (1221 74) und Andere dass jemals der Quietismus uns wie den Indern die Lebensader unterbindet. Ich beschränke mich also inner - halb des engen Rahmens dieses Kapitels und will nur durch einige wenige Andeutungen zeigen, wie das Heer der Mystiker zugleich zer - störend gegen die uns überlieferte fremde Religion und als kräftige schöpferische Förderer einer unserer Eigenart entsprechenden neuen Weltanschauung wirkten. Die Verdienste dieser Männer nach beiden Richtungen hin werden in der Regel zu wenig anerkannt.

878Die Entstehung einer neuen Welt.

Sehr auffallend ist zunächst die Abneigung gegen die jüdischen Religionslehren; jeder Mystiker ist (ob er’s will oder nicht) ein geborener Antisemit. Zunächst helfen sich die frommen Gemüter, wie Bona - ventura, indem sie das ganze Alte Testament allegorisch und seine erborgten mystischen Bestandteile symbolisch deuten eine Tendenz, die wir schon fünfhundert Jahre früher bei Scotus Erigena vollkommen ausgebildet fanden, und die wir übrigens viel weiter zurückverfolgen können, bis auf Marcion und Origenes. 1)Siehe S. 570 und 608.Doch damit beruhigen sich die nach wahrer Religion dürstenden Seelen nicht. Der strenggläubige Thomas von Kempen bittet mit rührender Naivetät zu Gott: » Lass es nicht Moses sein oder die Propheten, die zu mir reden, sondern rede du selber von jenen vernehme ich wohl Worte, doch fehlt der Geist; was sie sagen, ist zwar schön, doch erwärmt es das Herz nicht. « 2)De imitatione Christi, Buch 3., Kap. 2.Diesem Gefühle begegnen wir bei fast allen Mystikern; nirgends - wo in anmutigerer Gestalt als bei dem grossen Jakob Böhme (1575 bis 1624), der sich an vielen Stellen der Bibel, nachdem er alles mögliche allegorisch und symbolisch weggedeutet hat (so z. B. die gesamte Schöpfungsgeschichte) und sieht, es geht nicht weiter, mit der Aus - kunft hilft: » Allhie lieget dem Mosi der Deckel vor den Augen «, und nunmehr die Sache nach seiner Art frei darstellt! 3)Siehe z. B. Mysterium magnum, oder Erklärung über das erste Buch Mosis, Kap. 19, § 1.Ernster wird die Opposition, wo sie die Vorstellungen von Himmel und Hölle und namentlich die letztere betrifft. Die Vorstellung der Hölle ist ja ohne Frage, wenn wir aufrichtig sprechen wollen, der eigentliche Schandfleck der kirchlichen Lehre. Geboren im kleinasiatischen Abschaum der rassen - losen Sklaven, grossgezogen in den unrettbar chaotischen, ignoranten, bestialischen Jahrhunderten des untergehenden und untergegangenen römischen Imperiums, war sie edlen Geistern stets zuwider, wenn auch nur wenige es vermochten, sie so vollkommen zu überwinden, wie Origenes und wie jener unbegreiflich hohe Geist, Scotus Erigena. 4)S. 573 und 640. Die enorme Verbreitung von Erigena’s Einteilung der Natur im 13. Jahrhundert (S. 763, 819) zeigt, wie allgemein die Sehnsucht war, diese grauenhafte Ausgeburt orientalischer Phantasie loszuwerden. Luther ist trotz aller Rechtgläubigkeit oft geneigt, sich direkt an Erigena anzuschliessen, auch er schreibt: » Der Mensch hat die Hölle in sich selbst « (Vierzehn Trostmittel I, 1).Dass Wenige es vermochten, ist leicht zu verstehen, denn das kirchliche Christentum hatte sich nach und nach zu einer Religion von Himmel879Weltanschauung und Religion.und Hölle gestaltet; alles Übrige war nebensächlich. Man greife nur zu welchen alten Chroniken man will, die Furcht vor der Hölle wird man als die wirksamste, meistens als die einzige religiöse Triebfeder am Werke sehen. Die immensen Latifundien der Kirche, ihre unberechenbaren Ein - nahmen aus Ablässen und dergleichen entstammen fast alle der Furcht vor der Hölle. Indem später die Jesuiten diese Furcht vor der Hölle ohne Umschweife zum Angelpunkt aller Religion machten,1)Siehe S. 626 u. s. w. handelten sie insofern ganz logisch, und bald ernteten sie den Lohn der kon - sequenten Aufrichtigkeit, denn Himmel und Hölle, Lohn und Strafe bilden heute mehr als je die eigentliche oder mindestens die wirksame Unterlage unserer kirchlichen Sittenlehre. 2)Die Jesuiten sind nur konsequenter als die anderen. Ich erinnere mich ein zwölfjähriges deutsches Mädchen nach einer Religionsstunde in Weinkrämpfen liegen gesehen zu haben, eine solche Furcht hatte der lutherische Duodecimopapst dem unschuldigen Kind vor der Hölle eingeflösst. Ein derartiger Unterricht ge - hört vor das Forum der Sittenpolizei.» Ôtez la crainte de l’enfer à un chrétien, et vous lui ôterez sa croyance «, urteilt nicht ganz mit Unrecht Diderot. 3)Pensées philosophiques, XVII.Bedenkt man das alles, so wird man begreifen, welche grosse Bedeutung es hatte, wenn ein Eckhart die schöne Lehre entwickelte: » Wäre weder Hölle noch Himmelreich, noch dann wollte ich Gott minnen, dich süssen Vater, und deine hohe Natur «, und wenn er hinzufügt: » das rechte, vollendete Wesen des Geistes ist, dass er Gott seiner eigenen Güte wegen liebt, und gäbe es auch weder Himmel noch Hölle. 4)Vergl. das 12. Traktat und die Glosse dazu. Auch Franz von Assisi legte fast gar kein Gewicht auf die Hölle und nicht viel mehr auf den Himmel (Sabatier a. a. O., S. 308).« Etwa fünfzig Jahre später spricht der unbekannte Ver - fasser der Theologia deutsch, jenes herrlichen Monumentes deutscher Mystik in katholischem Gewande, sich viel bestimmter aus, denn er betitelt sein zehntes Kapitel: » Wie die volkomen menschen vorloren haben forcht der helle und begerung des himelriches «, und er führt dann aus, dass eben in der Befreiung von diesen Vorstellungen sich die Vollkommenheit zeige: » es stehen diese Menschen in einer Frei - heit, also dass sie verloren haben Furcht der Pein oder der Hölle und Hoffnung des Lohnes oder des Himmelreiches, vielmehr sie leben in lauterer Unterthänigkeit und Gehorsam der ewigen Güte, in ganzer Freiheit inbrünstiger Liebe. « Es ist wohl kaum nötig, auszuführen, dass zwischen dieser Freiheit und der » schlotternden Angst «, welche880Die Entstehung einer neuen WeltLoyola als die Seele der Religion lehrt,1)Siehe S. 525 fg. eine Kluft besteht, tiefer als jene, welche einen Planeten vom anderen trennt. Es reden da zwei radikal verschiedene Seelen: eine germanische und eine un - germanische. 2)Ich erinnere daran, dass Wulfila die Begriffe Hölle und Teufel gar nicht ins Gotische zu übersetzen vermochte, da diese glückliche Sprache keine derartige Vorstellung kannte (S. 626). Hell war der Name der freundlichen Göttin des Todes, sowie auch ihres Reiches, und deutet etymologisch auf » bergen, « » ver - hüllen, « durchaus nicht auf Infernum (Heyne); Teufel ist die Verdeutschung des lateinischen Diabolus. Im folgenden Kapitel setzt nun dieser sogenannte » Frankforter « noch weiter auseinander, es existiere überhaupt keine Hölle in der gewöhnlichen, populären Auffassung des Begriffes als zukünftige Strafanstalt, sondern die Hölle sei eine Erscheinung unseres gegenwärtigen Lebens. Man sieht, dieser Priester schliesst sich genau an Origenes und Erigena an, und kommt zu dem Schlusse: » die Hölle vergeht und das Himmelreich besteht «. Und noch eine Bemerkung zeichnet seine Auffassung besonders drastisch. Er nennt Himmel und Hölle » zwei gute sichere Wege für den Menschen in dieser Zeit «; er giebt dem einen dieser » Wege « keinen grossen Vorzug vor dem anderen, und meint, dem Menschen könne auch in der Hölle » gar recht und so sicher sein als in dem Himmelreiche «! Diese Auffassung die man so oder ähnlich bei anderen Mystikern, z. B. bei Eckhart’s Schüler, Tauler und Seuse, wiederfindet erhält bei Jakob Böhme besonders häufigen und deutlichen Ausdruck, den Ausdruck eines Denkens, welches den Gedanken weiter verfolgt hat und im Begriff ist, vom Negativen zum Positiven überzugehen. So antwortet er z. B. auf die Frage: » Wo fährt die Seele denn hin, wann der Leib stirbt, sie sei selig oder verdammt? « » Sie bedarf keines Ausfahrens, sondern das äusserliche töt - liche Leben samt dem Leibe scheiden sich nur von ihr. Sie hat Himmel und Hölle zuvor in sich ..... denn Himmel und Hölle ist überall gegenwärtig. Es ist nur eine Einwendung des Willens, entweder in Gottes Liebe oder in Gottes Zorn, und solches geschieht bei Zeit des Leibes. « 3)Der Weg zu Christo, Buch 6, § 36, 37. Eine Vorstellung, die indo - germanisches Erbgut ist und die Rasse des Verfassers unzweifelhaft bezeugt. Als der Perser Omar Khyyám seine Seele auf Kundschaft ausgeschickt hat, kehrt sie mit der Kunde zurück: » Ich selbst bin Himmel und Hölle « (Rubáiyát). Hier ist nichts mehr undeutlich; denn, wie ein Jeder sieht, wir stehen bereits mit beiden Füssen auf dem Boden einer neuen Religion; insofern allerdings nicht neu, als Böhme sich gerade hier881Weltanschauung und Religion.auf die Worte Christi » das Reich Gottes kommt nicht mit äusser - lichen Gebärden « berufen kann und auch thatsächlich beruft » die englische Welt ist im Loco oder Ort dieser Welt innerlich «1)Mysterium magnum 8, 18. neu aber im Gegensatz zu allen christlichen Kirchen. » Der rechte heilige Mensch, so in dem monstrosischen verborgen ist, ist sowohl im Himmel als Gott, und der Himmel ist in ihm. « 2)Sendbrief vom 18. I. 1618, § 10.Und Böhme geht furchtlos weiter und leugnet den absoluten Unterschied zwischen Gutem und Bösem; der innere Grund der Seele, sagt er, ist weder gut noch böse, Gott selber ist beides: » Er ist selber alles Wesen, er ist Böses und Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsternis; «3)Mysterium magnum 8, 24. erst der Wille » scheidet « in der Masse der indifferenten Handlungen, erst durch den Willen des Vollbringers wird eine That gut oder böse. Das ist die reine indische Lehre; dass sie der Lehre der christlichen Kirche » schlecht - hin widerstreite «, haben die Theologen längst und ohne Mühe gezeigt. 4)Vergl. z. B. die kleine Schrift von Dr. Albert Peip: Jakob Böhme 1860, S. 16 fg.

Während nun die genannten Mystiker und die unübersehbare Schar derjenigen, welche ähnlich dachten, gleichviel ob Protestanten oder Katholiken, innerhalb der Kirche verblieben, ohne zu ahnen, wie gründ - lich sie das mühsam errichtete Gebäude unterminierten, gab es grosse Gruppen von Mystikern, welche vielleicht in der inneren Auffassung des Wesens der Religion weniger weit gingen als die Theologia deutsch und Jakob Böhme, oder als jene heilige Frau Antoinette Bourignon (1616 80), die alle Sekten durch Aufhebung der Schriftlehren und einzige Betonung der Sehnsucht nach Gott vereinigen wollte, Männer aber, welche direkt gegen alles Kirchentum und Priestertum, gegen Dogmen, Schrift und Sakrament ins Feld zogen. So verwarf z. B. Amalrich von Chartres (gest. 1209), Professor der Theologie in Paris, das gesamte Alte Testament und alle Sakramente, indem er einzig die unmittelbare Offenbarung Gottes im Herzen jedes Individuums gelten liess. Hieraus entstand der Bund der » Brüder des freien Geistes «, eine, wie es scheint, ziemlich lascive und gewaltthätige Vereinigung. Andere wiederum, wie Johannes Wessel (1419 89), errangen durch grössere Mässigung grössere Erfolge; Wessel steht durchaus auf dem mystischen Standpunkt der Religion als eines inneren, gegenwärtigen Erlebnisses, doch erblickt er in der Gestalt Christi die göttlich treibende882Die Entstehung einer neuen Welt.Kraft dieses Erlebnisses und, weit entfernt, die Kirche, welche dies kostbare Vermächtnis übermittelt hat, vernichten zu wollen, will er sie durch Vernichtung der römischen Ausgeburten reinigen. Sehr ähn - lich Staupitz, der Beschützer Luther’s. Solche Männer, die unmerk - lich in die Klasse der Theologen von der Art wie Wyclif und Hus übergehen, sind werkthätige Vorläufer der Reformation. An der Reformation selber war die Mystik insofern stark beteiligt, als Martin Luther im tiefsten Grund seines Herzens ihr angehörte: er liebte Eck - hart und veranstaltete selber die erste Druckausgabe der Theologia deutsch; vor allem ist seine mittlere Lehre von der gegenwärtigen Umwandlung durch den Glauben ohne Mystik gar nicht zu verstehen. Doch andrerseits machten ihm die » Schwarmgeister « viel Verdruss und hätten bald sein Lebenswerk verpfuscht. Mystiker nach Art des Thomas Münzer (1490 1525), die erst über die » leisetretenden Refor - matoren « schimpften und später gegen alle weltliche Obrigkeit sich offen empörten, haben mehr als irgend etwas anderes der grossen politischen Kirchenreform geschadet. Und selbst solche edle Männer, wie Kaspar Schwenkfeld (1490 1561) haben dadurch, dass sie aus der kontemplativen Mystik zur praktischen Kirchenreform übergingen, lediglich Kräfte zersplittert und böse Leidenschaften geweckt. Ein Jakob Böhme, der in seiner Kirche ruhig bleibt, aber lehrt, die Sakra - mente (auch Taufe und Abendmahl) seien » nicht das Wesentliche « am Christentum, richtet mehr aus. 1)Vergl. Der Weg zu Christo, 5. Buch, 8. Kap., und die Schrift Von Christi Testament des heiligen Abendmahles, Kap. 4, § 24. » Ein rechter Christ bringt seine heilige Kirche mit in die Gemeine. Sein Herz ist die wahre Kirche, da man soll Gottesdienst pflegen. Wenn ich tausend Jahre in die Kirche gehe, auch alle Wochen zum Sakrament, lasse mich auch gleich alle Tage absolvieren: habe ich Christum nicht in mir, so ist alles falsch und ein unnützer Tand, ein Schnitzwerk in Babel, und ist keine Vergebung der Sünden « (Der Weg zu Christo, Buch 5, Kap. 6, § 16). Und von dem Predigtamt meint Böhme: » Der heilige Geist predigt dem heiligen Hörer aus allen Kreaturen; Alles was er ansiehet, da siehet er einen Prediger Gottes « (daselbst § 14).Der Wirkungskreis des echten Mystikers ist im Innern, nicht im Äussern. Und so sehen wir denn z. B. im 17. Jahrhundert den gut protestantischen Kesselflicker Bunyan und den fromm katholischen Priester Molinos mehr und dauerhafteres für die Befreiung aus eng-kirchlichen, kalt-historischen Auffassungen der Religion leisten als ganze Rotten von Freigeistern. Bunyan, der nie einer Seele etwas zu Leide gethan, brachte den grössten Teil seines Lebens im Gefängnis zu, ein Opfer protestantischer Unduldsamkeit;883Weltanschauung und Religion.der sanfte Molinos, von den Jesuiten wie ein toller Hund verfolgt, unterwarf sich wortlos den von der Inquisition über ihn verhängten Bussübungen, und zwar so harten, dass er daran starb. Beide wirken fort und fort, um innerhalb der Kirchen die Geister der religiös Bean - lagten auf ein höheres Niveau zu heben; damit wird der Abfall sicher vorbereitet.

Habe ich nun angedeutet, wie die Mystik an hundert Orten auf die uns aufgezwungenen ungermanischen Vorstellungen zerstörend wirkte, so erübrigt es noch anzudeuten, wie unendlich reich und an - regend sie sich zu jeder Zeit für den Aufbau unserer neuen Welt und unserer neuen Weltanschauung erwiesen hat.

Hier könnte man geneigt sein, mit Kant der, gleich Luther, obwohl er mit den Mystikern intim verwachsen war, doch nicht viel von ihnen wissen mochte zwischen » Träumern der Vernunft « und » Träumern der Empfindung « zu unterscheiden. 1)Träume eines Geistersehers u. s. w., Teil 1, Hauptstück 3.Denn in der That, es kommen zwei Hauptrichtungen vor, die eine mit dem Augenmerk mehr auf das Sittlich-religiöse, die andere mehr auf das Metaphysische. Doch wäre die Unterscheidung schwer durchzuführen, denn Meta - physik und Religion lassen sich im Geiste des Germanen nie völlig trennen. Wie wichtig z. B. ist die Verlegung von Gut und Böse ganz und gar in den Willen, was wir schon (für Scharfblickende) in Duns Scotus angedeutet, in Eckhart und Jakob Böhme klar ausgesprochen fanden. Hierzu muss der Wille frei sein. Nun ist aber jeder Mystik das Gefühl der Notwendigkeit eigen und zwar weil die Mystik eng mit der Natur verwachsen ist, wo überall Notwendigkeit am Werke erblickt wird. 2)Man vergl. die Ausführungen auf S. 242 fg.Darum nennt auch Böhme die Natur ohne Weiteres » ewig « und leugnet ihre Erschaffung aus nichts: was durchaus philo - sophisch gedacht ist. Wie nun die Freiheit retten? Man sieht, hier umklammern sich ein sittliches und ein metaphysisches Problem, wie zwei Ertrinkende; und in der That, es stand schlimm darum, bis der grosse Kant, in dessen Händen die verschiedenen Fäden, die wir hier verfolgen Theologie, Mystik, Humanismus und Naturforschung zusammenliefen, zur Hilfe kam. Einzig durch die Erkenntnis der trans - scendentalen Idealität von Zeit und Raum kann die Freiheit gerettet werden, ohne dass der Vernunft Zwang angethan werde; d. h. also durch die Einsicht, dass unser eigenes Wesen durch die Welt der Er -884Die Entstehung einer neuen Welt.scheinung (mitsamt unserm Leibe) nicht völlig erschöpft wird, dass vielmehr ein direkter Antagonismus besteht zwischen der Welt, die wir mit den Sinnen erfassen und mit dem Hirn denken und den unzweifelhaftesten Erfahrungen unseres Lebens. So z. B. die Freiheit: Kant hat ein für allemal dargethan, dass » keine Vernunft die Möglich - keit der Freiheit erklären könne; «1)Über die Fortschritte der Metaphysik III. denn Natur und Freiheit sind Gegensätze; wer als eingefleischter Realist dies leugnet, wird, sobald er der Frage bis in ihre letzten Konsequenzen nachgeht, finden, dass ihm » weder Natur noch Freiheit übrig bleibt. « 2)Kritik der reinen Vernunft (Erläuterung der kosmologischen Idee der Freiheit).Der Natur gegen - über ist die Freiheit einfach ein schlechthin Undenkbares. » Was Frei - heit in praktischer Beziehung sei, verstehen wir gar wohl, in theore - tischer Absicht aber, was ihre Natur betrifft, können wir ohne Wider - spruch nicht einmal daran denken, sie verstehen zu wollen; «3)Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, 3. Stück, 2. Abt., Punkt 3 der Allgem. Anmerkung. denn: » dass mein Wille meinen Arm bewegt, ist mir nicht verständlicher, als wenn Jemand sagte, dass derselbe auch den Mond in seinem Kreise zurückhalten könnte; der Unterschied ist nur dieser, dass ich jenes erfahre, dieses aber niemals in meine Sinne gekommen ist. « 4)Träume eines Geistersehers, Teil 2, Haupstück 3.Jenes aber die Freiheit des Willens meinen Arm zu bewegen erfahre ich, und daher kommt Kant an andrem Orte zu dem unwiderlegbaren Schluss: » Ich sage nun: ein jedes Wesen, das nicht anders, als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum in praktischer Rücksicht wirklich frei. « 5)Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 3. Abschnitt.Natürlich muss ich in einem Buch wie dem vorliegenden jeder näheren metaphysischen Erörterung (wodurch allerdings erst die Sache wirklich klar und überzeugend wird) aus - weichen, doch hoffe ich genug gesagt zu haben, damit Jeder einsehe, wie eng hier Weltanschauung und Religion zusammenhängen. Ein derartiges Problem konnte den Juden nie in den Sinn kommen, da sie weder die Natur noch ihr inneres Selbst weiter als hauttief be - obachteten und auf dem kindlichen Standpunkt einer nach beiden Seiten hin mit Scheuklappen versehenen Empirie stehen blieben; von dem afrikanischen, ägyptischen und sonstigen Menschenauswurf, der die christliche Kirche aufbauen half, braucht man nicht erst zu reden. 885Weltanschauung und Religion.Hier also wo es galt, die tiefsten Geheimnisse des Menschengeistes zu erschliessen musste ein positiver Aufbau von Grund auf unter - nommen werden; denn die Hellenen hatten hierfür wenig geleistet,1)Siehe S. 110 fg. und die Inder waren noch ganz unbekannt. Augustinus seiner wahren unverfälschten Anlage nach ein echter Mystiker hatte mit seinen Betrachtungen über das Wesen der Zeit die Richtung gewiesen (S. 599), und ebenso Abälard bezüglich des Raumes (S. 469), doch erst die echten Mystiker gingen der Sache auf den Grund. Die Idealität von Zeit und Raum werden sie nie müde zu betonen. » In dem ist alle Zeit beschlossen «, sagt Eckhart mehr als einmal. Oder wiederum: » Alles was in Gott ist, das ist ein gegenwärtig , ohne Erneuerung noch Werden «. 2)Predigt 95. der Pfeiffer’schen Ausgabe.Besonders schlagend ist aber hier, wie so oft, der schlesische Schuhmachermeister, denn bei ihm verlieren solche Erkennt - nisse fast allen abstrakten Beigeschmack und reden unmittelbar aus dem Gemüte zu dem Gemüte. Ist die Zeit nur eine bedingte Form der Erfahrung, ist Gott » keiner Räumlichkeit unterworfen «,3)Beschreibung der drei Prinzipien göttlichen Wesens, Kap. 14, § 85. dann ist Ewigkeit auch nichts Zukünftiges, sondern wir fassen sie schon gegen - wärtig ganz, und so schreibt Böhme seine berühmten Verse:

Weme ist Zeit wie Ewigkeit Und Ewigkeit wie diese Zeit, Der ist befreit von allem Streit.

Das andere, eng hiermit verkettete Problem der gleichzeitigen Herr - schaft von Freiheit und Notwendigkeit war den Mystikern ebenfalls stets gegenwärtig; sie reden viel von dem » eigenen « veränderlichen Willen im Gegensatz zu dem » ewigen « unveränderlichen Willen (der Notwendigkeit) und dergleichen mehr; und fand auch Kant erst des Rätsels Lösung, so war doch ein Zeitgenosse Jakob Böhme’s, des grossen » Träumers der Empfindung «, recht nahe daran gekommen. Giordano Bruno, 1550 1600, einer der bedeutendsten » Träumer der Vernunft « aller Zeiten, stellt nämlich das Paradoxon auf: Freiheit und Notwendig - keit seien synonym! Eine kühne That echt mystischen Denkens, welches sich nicht durch die Halfter einer rein formalen Logik in seinem freien Laufe hindern lässt, sondern mit dem Auge des echten Forschers nach aussen schaut und bekennt: das Gesetz der Natur ist Notwendig - keit; dann aber das eigene Innere prüft und gesteht: mein Gesetz ist886Die Entstehung einer neuen Welt.Freiheit. 1)Man vergl. De immenso et innumerabilibus I, 11 und Del infinito, universo e mondi, gegen Schluss des ersten Dialogs. Hier wird durch geniale Intuition genau dasselbe entdeckt, was Kant zweihundert Jahre später durch geniale Kritik feststellte: » Natur und Freiheit können ohne Widerspruch ebendemselben Dinge, aber in ver - schiedener Beziehung, einmal als Erscheinung, das andere Mal als einem Ding an sich selbst beigelegt werden « (Prolegomena § 53).Soviel über den Beitrag der Mystiker zum positiven Auf - bau einer neuen Metaphysik.

Wichtiger noch ist natürlich ihr Wirken für die Gewinnung einer reinen Sittenlehre. Das Wesentlichste hierbei ist schon oben angegeben: die Verlegung des sittlichen Wertes in den Willen, rein als solchen; die Religion nicht ein Handeln mit Rücksicht auf zukünftigen Lohn und zukünftige Strafe, sondern eine gegenwärtige That, eine Erfassung der Ewigkeit im gegenwärtigen Augenblick. Hierdurch entsteht offen - bar ein ganz anderer Begriff der Sünde und folglich auch der Tugend als derjenige, den die christliche Kirche vom Judentum geerbt hat. So führt z. B. Eckhart aus: nicht der Mann könne tugendhaft ge - heissen werden, der die Werke vollbringe wie sie die Tugend gebiete, sondern der allein sei tugendhaft, der diese Werke, » aus Tugend « wirke; und nicht durch Gebet könne ein Herz rein werden, sondern aus einem reinen Herzen entfliesse das reine Gebet. 2)Spruch 43.Diesem Gedanken begegnen wir bei allen Mystikern als Mittelpunkt ihres Glaubens an tausend Orten; er bildet den Kern von Luther’s Religion;3)Vergl. die ganze Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen. Wie neu und direkt antirömisch dieser Gedanke erschien, erhellt sehr klar aus Hans Sachsen’s: Disputation zwischen einem Chorherren und Schuchmacher (1524), in welcher die Lehre, dass » gute Werke geschehen nicht den Himmel zu verdienen, auch nicht aus Furcht der Hölle « ganz speziell als » Luther’s Frucht « von dem Schuster gegen den Priester verteidigt wird. den voll - kommensten Ausdruck fand er durch Kant: » Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch ausser derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Der gute Wille ist nicht durch das, was er be - wirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, das ist, an sich gut ..... Wenngleich durch eine besondere Un - gunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütter - lichen Natur es diesem Wollen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen, wenn bei seiner grössten Bestrebung dennoch887Weltanschauung und Religion.nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der gute Wille übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Frucht - losigkeit kann diesem Werte weder etwas zusetzen, noch abnehmen. « 1)Grundlegung zur Methaphysik der Sitten, Abschn. 1. Man vergleiche ebenfalls den Schlussabsatz der Träume eines Geistersehers, und namentlich die schöne Deutung der Stelle Matthäus XXV, 35 40 als Beweis, dass vor Gott nur diejenigen Handlungen Wert besitzen, die ohne an die Möglichkeit einer Belohnung zu denken ausgeführt werden (in Religion innerhalb der Grenzen u. s. w., 4. Stück, I. Teil, Schluss des 1. Abschn.).Leider muss ich mich hier auf diesen Mittelpunkt der germanischen Sittenlehre beschränken; alles Übrige ergiebt sich daraus.

Noch eines muss ich jedoch erwähnen, ehe ich von den Mystikern Abschied nehme: ihren Einfluss auf die Naturforschung. Die inbrünstige Liebe zur Natur ist bei den meisten Mystikern ein stark ausgeprägter Charakterzug, daher bemerken wir bei ihnen eine seltene Kraft der Intuition. Häufig identifizieren sie die Natur mit Gott, manchmal stellen sie sie ihm als ein Ewiges gegenüber, fast nie verfallen sie in jenen Erbfehler der christlichen Kirche: Geringschätzung und Hass gegen sie zu lehren. Allerdings steht noch Erigena so sehr unter dem Einfluss der Kirchenväter, dass er die Bewunderung der Natur für eine dem Ehebruch vergleichbare Sünde hält,2)De div. naturae, Buch 5, Kap. 36. doch wie anders schon Franz von Assisi! Man lese dessen berühmte Hymne an die Sonne, die er kurz vor seinem Tode als letzten und vollkommensten Ausdruck seiner Gefühle aufschrieb und bis zu seinem Verscheiden Tag und Nacht sang, und zwar zu einer so sonnig-heiteren Weise, dass kirchlich-fromme Seelen empört waren, sie von einem Sterbebett aus zu vernehmen. 3)Sabatier l. c., p. 382.Hier ist von der » Mutter « Erde, von den » Brüdern « Sonne, Wind und Feuer, von den » Schwestern « Mond, Sterne und Wasser, von den tausendfarbigen Blumen und Früchten, zuletzt von der lieben » Schwester «, der morte corporale die Rede, und das Ganze schliesst mit Lob, Segen und Dank dem altissimu, bon signore.4)Durch dieses Lied bewährt sich Franz als rassenechter Indogermane im schroffen Gegensatz zu Rom. Wir finden bei den arischen Indern Abschiedslieder heiliger Männer, die fast Wort für Wort der Hymne des Franz entsprechen, z. B. das von Herder in seinen Gedanken einiger Brahmanen verdeutschte: Erde, du meine Mutter, und du mein Vater, der Lufthauch, Und du Feuer, mein Freund, du mein Verwandter, der Strom, Und mein Bruder, der Himmel, ich sag euch allen mit Ehrfurcht Freundlichen Dank u. s. w. In888Die Entstehung einer neuen Welt.diesem letzten, innigsten Lobgesang des heiligen Mannes wird nicht ein einziger Glaubenssatz der Kirche berührt. Wenige Dinge sind lehr - reicher als ein Vergleich zwischen diesem Herzenserguss des Mannes, der ganz Religion geworden war, und nun seine letzten Kräfte zusammen - nimmt, um der gesamten Natur ein überschwängliches, aus allem Kirchentum befreites tat-tvam-asi zuzujubeln, und dem orthodoxen, seelenlosen, kalten Glaubensbekenntnis des hochgelehrten, in Staatskunst und Theologie erfahrenen Dante im 24. Gesang seines Paradiso. 1)Vergl. auch S. 622, Anm. 2.Dante beschloss damit eine alte, tote Zeit, Franz eröffnete eine neue. Jakob Böhme stellt die Natur höher als die heilige Schrift: » Du wirst kein Buch finden, da du die göttliche Weisheit könntest mehr inne finden zu forschen, als wenn du auf eine grünende und blühende Wiese gehest: da wirst du die wunderliche Kraft Gottes sehen, riechen und schmecken, wiewohl es nur ein Gleichnis ist : aber dem Suchenden ist’s ein lieber Lehrmeister, er findet gar viel allda «. 2)Die drei Principien göttlichen Wesens, Kap. 8, § 12.Diese Gesinnung ist für unsere Naturforschung von bahnbrechendem Einfluss gewesen. Ich brauche nur auf Paracelsus zu verweisen, dessen grosse Bedeutung für fast das gesamte Gebiet der Naturwissenschaften täglich mehr an - erkannt wird. Das Grosse und Bleibende an dem Wirken dieses merk - würdigen Mannes ist nicht die Entdeckung von Thatsachen im Gegenteil, durch seine unselige Verbindung mit Magie und Astrologie hat er viel Absurdes in Umlauf gesetzt sondern der Geist, den er der Naturforschung einflösste. Virchow, ein für Mystik gewiss nicht voreingenommener Zeuge, der den traurigen Mut hat, Paracelsus einen » Charlatan « zu nennen, erklärt dennoch ausdrücklich, er sei es, der der alten Medizin den Todesstoss versetzt und der Wissenschaft » die Idee des Lebens « geschenkt habe. 3)Vortrag (Croonian Lecture) gehalten in London am 16. März 1893.Paracelsus ist der Schöpfer der eigentlichen Physiologie; weder mehr noch weniger; und das ist ein so hoher Ruhmestitel, dass sogar ein nüchtern-wissenschaftlicher Geschichtsschreiber der Medizin von » der erhabenen Lichtgestalt dieses Heros « spricht. 4)Hirschel: Geschichte der Medicin, 2. Aufl., S. 208. Hier findet man eine ausführliche kritische Würdigung des Paracelsus, aus welcher ein Teil der folgenden Angaben entnommen ist.Paracelsus war ein fanatischer Mystiker; er meinte: » das innere Licht steht hoch über der viehischen Vernunft «; daher grosse Einseitigkeit. So wollte er z. B. von Anatomie wenig wissen;889Weltanschauung und Religion.sie dünkte ihm » tot «, und er meinte, die Hauptsache sei: » der Schluss von der grossen Natur dem äusseren Menschen auf die kleine Natur des Individuums «. Doch um diesem äusseren Menschen bei - zukommen, stellt er zwei Prinzipien auf, die für alle Naturwissen - schaft grundlegend wurden: Beobachtung und Experiment. Hierdurch gelang es ihm, als Erster, eine rationelle Pathologie zu begründen: » Fieber sind Stürme, die sich selbst heilen, « u. s. w.; ebenfalls eine rationelle Therapie: Ziel der Medizin soll sein, das Heilbestreben der Natur zu unterstützen. Und wie schön ist nicht seine Mahnung an die jungen Ärzte: » Der höchste Grund der Arznei ist die Liebe die Liebe ist es, die die Kunst lehrt und ausser der - selbigen wird kein Arzt geboren. « 1)Vergl. Kahlbaum: Theophrastus Paracelsus, Basel 1894, S. 63. In diesem Vortrag wird viel neues Material ans Licht gebracht, welches die Lügenhaftigkeit der Anklagen gegen den grossen Mann Trunksucht, wüstes Leben u. s. w. darthut. Auch die Märe, dass er Latein nicht fliessend gesprochen und geschrieben hat, wird widerlegt.Und noch ein Verdienst dieses abenteuerlichen Mystikers bleibe nicht unerwähnt: er war der Erste, welcher die deutsche Sprache in die Universität einführte! Wahrheit und Freiheit war eben der Leitspruch aller echten Mystik; darum ver - bannte ihr Apostel die Sprache der privilegierten erlogenen Gelehrsam - keit aus den Hörsälen und weigerte sich ebenfalls standhaft, die rote Livrée der Fakultät anzuziehen: » die hohen Schulen geben allein den roten Rock, Barett und weiter einen vierecketen Narren «. Noch Vieles hat die Mystik, ganz besonders auf dem Felde der Medizin und der Chemie, geleistet. So erfand z. B. der Mystiker van Helmont, 1577 1644, das schmerzstillende Laudanum und entdeckte die Kohlen - säure; er war der Erste, der die wahre Natur der Hysterie, der Ka - tarrhe etc. erkannte. Glisson, 1597 1677, der durch seine Entdeckung der Irritabilität der belebten Faser unsere Kenntnis des tierischen Organis - mus um einen Riesenschritt förderte, war ein ausgesprochener Mystiker, bei dem, nach eigenem Geständnis, das » innere Sinnen « das Skalpell führte. 2)Dass die Lehre der Erregbarkeit von Glisson und nicht von Haller her - rührt, führt Virchow in dem obengenannten Vortrag aus.Diese Liste könnte man leicht verlängern; doch genügt es, die Thatsache hervorgehoben zu haben. Der Mystiker hat wir sehen es an Stahl mit seinem Phlogiston3)S. 803 fg. und an dem grossen Astronomen Kepler (ein ebenso eifriger Mystiker als Protestant) viele Genieblitze aufChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 57890Die Entstehung einer neuen Welt.den Weg der Naturwissenschaft und der auf Naturforschung gegründeten Philosophie geworfen. Zwar war er kein zuverlässiger Führer und kein zuverlässiger Arbeiter; man lasse ihm aber seine Verdienste auch auf diesem Gebiete. Unsere Naturkunde wird diesen Hellseher auch in Zukunft nie ganz entbehren können. Nicht allein entdeckt er Vieles, wie wir soeben gesehen haben, nicht allein füllt er mit seinem Ideen - reichtum das häufig recht leere Arsenal der sogenannten Empiriker (so schreibt z. B. Francis Bacon kapitelweise aus Paracelsus ab, ohne ihn zu citieren), sondern es ist ihm ein gewisser Instinkt zu eigen, der durch nichts auf der Welt ersetzt werden kann und den besonnenere Männer verstehen müssen, sich zu Nutz zu machen. » Die undeutliche Erkenntnis trägt Keime der deutlichen Erkenntnis in sich, « begriff schon in vorigem Jahrhundert der Philosoph Baumgarten. 1)Citirt nach Heinrich von Stein: Entstehung der neueren Ästhetik, 1886, S. 353 fg.Darüber hat Kant ein tiefes Wort. Man weiss, dass gerade dieser Philosoph keine andere Deutung der empirischen Phänomene als die mechanische anerkennt, und zwar, wie er überzeugend ausführt, » weil einzig und allein diejenigen Gründe der Welterscheinungen, welche auf den Be - wegungsgesetzen der blossen Materie beruhen, der Begreiflichkeit fähig sind «; das verhindert ihn aber nicht, über die in unseren Tagen so sehr verhöhnte Lebenskraft des oben erwähnten Stahl die beherzigens - werte Äusserung zu thun: » Gleichwohl bin ich überzeugt, dass Stahl, welcher die tierischen Veränderungen gerne organisch erklärt, oftmals der Wahrheit näher sei, als Hofmann, Boerhaave und Andere mehr, welche die immateriellen Kräfte aus dem Zusammenhange lassen und sich an die mechanischen Gründe halten. « 2)Träume eines Geistersehers, Teil I, Hauptst. 2.Und ich meine nun, diese Männer, welche » der Wahrheit näher stehen «, haben sich bei dem Aufbau unserer neuen Wissenschaft und Weltanschauung ein be - deutendes Verdienst erworben und wir können sie auch in Gegenwart und Zukunft nicht entbehren.

Hier führt ein schmaler Steg auf höchsten Höhen nur aus - erlesenen Geistern zugänglich hinüber zu jener der mystischen nahe verwandten künstlerischen Anschauung, deren Bedeutung Goethe noch vor Schluss des 18. Jahrhunderts uns erschloss. Seine Entdeckung des Zwischenknochens des Oberkiefers fand im Jahre 1784 statt, die Meta - morphose der Pflanzen erschien 1790, die Einleitung in die vergleichende Anatomie 1795. Hier war das » Schwärmen «, das Luther’s Zorn ge -891Weltanschauung und Religion.weckt, und das » Rasen mit Vernunft und Empfindung «, das den milden Kant so ausser Rand und Band gebracht hatte, zu einem Schauen geklärt; auf eine von Irrlichtern beleuchtete Nacht folgte die Dämmerung eines neuen Tages, und der Genius der neuen ger - manischen Weltanschauung durfte seiner vergleichenden Anatomie das herrliche Gedicht beidrucken, das mit den Worten beginnt:

Wagt ihr, also bereitet, die letzte Stufe zu steigen Dieses Gipfels, so reicht mir die Hand und öffnet den freien Blick ins weite Feld der Natur.

und mit den Worten schliesst:

Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur; du fühlest dich fähig, Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich aufschwang, Nachzudenken. Hier stehe nun still und wende die Blicke Rückwärts, prüfe, vergleiche, und nimm vom Munde der Muse, Dass du schauest, nicht schwärmst, die liebliche, volle Gewissheit.

Dass die Humanisten in einem gewissen Sinne den direkten Gegen -Die Humanisten. satz zu den Mystikern bilden, sticht in die Augen; doch besteht hier kein eigentlicher Widerspruch. So stellt z. B. Böhme, trotzdem er kein gelehrter Mann war, die Heiden, insofern sie » Kinder des freien Willens « seien, sehr hoch und meint, » in ihnen hat der Geist der Freiheit grosse Wunder eröffnet, als es an ihrer hinterlassenen Weisheit zu er - sehen ist «;1)Mysterium pansophicum, 8. Text, § 9. ja, er behauptet kühn: » in diesen hochverständigen Heiden spiegelieret sich das innere heilige Reich «. 2)Mysterium magnum, Kap. 35, § 24.Und andrerseits geben sich die echten Humanisten (wo sie es wagen) fast alle mit der vorhin be - sprochenen Kernfrage aller Sittlichkeitslehre viel ab und kommen ganz allgemein mit Pomponazzi (1462 1525) zu dem Schlusse: eine Tugend, welche auf Lohn ausgehe, sei keine Tugend, Furcht und Hoffnung als sittliche Triebfedern zu betrachten, sei ein kindischer Standpunkt, nur des rohen Volkes würdig, der Gedanke an Unsterblichkeit sei rein philosophisch zu untersuchen und komme für die Sittenlehre gar nicht in Betracht u. s. w. 3)Tractatus de immortalitate animae (ich referiere nach F. A. Lange).

Die Humanisten sind ebenso eifrig wie die Mystiker beschäftigt, die von Rom aufgedrungene religiöse Weltanschauung niederzureissen und eine andere an ihrer Stelle zu errichten, nur liegt der Schwerpunkt ihrer Leistungen an einem anderen Ort. Ihre Zerstörungswaffe ist die57*892Die Entstehung einer neuen Welt.Skepsis; hingegen war die der Mystiker der Glaube. Selbst wo der Humanismus nicht bis zur ausgesprochenen Skepsis führte, gab er immer die Grundlage für ein sehr unabhängiges Urteilen. 1)Vergl. namentlich Paulsen: Geschichte des gelehrten Unterrichts, 2. Aufl. I, 73 fg.Hier wäre gleich Dante zu nennen, für den Virgil mehr gilt als irgend ein Kirchenvater und der, weit entfernt Weltflucht und Askese zu predigen, » des Menschen Glück in die Bethätigung der eigenen individuellen Kraft setzt. « 2)De Monarchia III, 15.Petrarca, der gewöhnlich als erster eigentlicher Humanist ge - nannt wird, folgt dem Beispiel seines grossen Vorgängers: Rom nennt er eine » empia Babilonia, « die Kirche eine » freche Dirne «:

Fondata in casta et humil povertate, Contra i tuoi fondatori alzi le corna, Putta sfacciata!

Und ähnlich wie Dante fällt Petrarca über Konstantin her, der durch sein verhängnisvolles Geschenk, die » mal nate ricchezze «, die ehe - dem keusche, demütig arme Braut Christi zu einer schamlosen Ehe - brecherin umgewandelt habe. 3)Sonetti e canzoni (im dritten Teile). Die Ersten, welche die Unechtheit der angeblichen Konstantinischen Schenkung nachwiesen, waren der berühmte Humanist Lorenzo Valla und der Theologe Krebs (siehe S. 519). Valla erhob sich zugleich gegen jegliche weltliche Macht des Papstes, denn dieser sei » vicarius Christi et non etiam Caesaris « (siehe Döllinger: Papstfabeln, 2. Ausg. S. 118).Bald war aber die thatsächliche Skepsis das so unumgängliche Ergebnis humanistischer Bildung, dass sie das Kardinalskollegium bevölkerte und sich auf den päpstlichen Thron setzte; erst die Reformation, im Bunde mit dem beschränkten Basken - hirne, erzwang eine pietistische Reaktion. Schon zu Beginn des 16. Jahr - hunderts stellen die italienischen Humanisten das Prinzip auf: intus ut libet, foris ut moris est und veröffentlicht Erasmus sein unsterb - liches Lob der Narrheit, in welchem Kirchen, Priestertum, Dogmen, Sittenlehre, kurz, das ganze römische Gebäude, das ganze » stinkende Kraut der Theologie «, wie er es nennt, dermassen heruntergerissen wird, dass Manche gemeint haben, dieses eine Werk habe mehr als alles andere zur Reformation angeregt. 4)Alle die ersten grossen Humanisten Deutschlands sind antischolastisch (Lamprecht, a. a. O., IV, S. 69). Dass man Männern wie Erasmus, Coornhert, Thomas More u. A. einen Vorwurf daraus macht, weil sie später der Reformation sich nicht angeschlossen haben, ist ungerechtfertigt. Denn solche Männer waren infolge ihrer humanistischen Studien intellektuell ihrer Zeit viel zu weit vorangeeilt, alsGleiche Methode und Be -893Weltanschauung und Religion.gabung kommen im vorigen Jahrhundert durch Voltaire zu gleich kräftigem Ausdruck.

Der wichtigste Beitrag der Humanisten zum positiven Aufbau einer germanischen Weltanschauung ist die Wiederanknüpfung unseres geistigen Lebens an die uns verwandten Indoeuropäer, zunächst also an die Hellenen (der eigentliche Humanist unseres 19. Jahrhunderts war der Indolog), und sodann, in Anlehnung hieran, die allmähliche Ausarbeitung der Vorstellung » Mensch « überhaupt. Der Mystiker hatte die Zeit und damit auch die Geschichte vernichtet eine durchaus berechtigte Reaktion gegen den Missbrauch der Geschichte durch die Kirche; Aufgabe des Humanisten war es, wahre Geschichte von Neuem aufzubauen und dadurch dem durch das Völkerchaos heraufbeschworenen bösen Traum ein Ende zu machen. Von Picus von Mirandola an, der Gottes Führung in den Geistesthaten der Hellenen erkennt, bis zu jenem grossen Humanisten Johann Gottfried Herder, der sich fragt, » ob nicht Gott sollte in der Bestimmung und Einrichtung unseres Geschlechtes im Ganzen einen Plan haben « und der die » Stimmen « aller Völker sammelt, sehen wir diesen geschichtlichen Rahmen sich erweitern, sehen wir dieses von der Berührung mit den Hellenen angeregte Be - streben, alle Erfahrungen zu ordnen und dadurch sie zu gestalten, immer bestimmter auftreten. Und während nun bei diesem Gang nach aussen der Mensch gewiss seine Fähigkeiten mindestens ebenso überschätzte wie bei dem Gang der Mystiker nach innen, so ergab sich doch, genau so wie bei Diesen, manche unvergängliche Errungenschaft. Wir sahen bei den Mystikern die Introspektion zur Entdeckung der äusseren Natur führen, ein unerwarteter, paradoxer Erfolg; ein ähn - licher, aber in umgekehrter Richtung, entblühte dem Humanismus; denn das Studium der umgebenden Menschheit war es, welches zur Abgrenzung der nationalen Eigenart und zur entscheidenden Betonung des unermesslichen Wertes der einzelnen Persönlichkeit führte. Philo - logen, nicht Anatomen, haben zuerst die Begriffe der grundverschiedenen4)dass sie eine lutherische oder calvinistische Dogmatik einer römischen hätten vor - ziehen können. Sie fühlten ganz richtig voraus, dass die Skepsis sich immer leichter mit einer Religion der guten Werke als mit einer des Glaubens abfinden wird; sie witterten was auch wirklich eintraf eine neue Ara allseitiger In - toleranz und meinten, es würde viel leichter sein, eine einzige bis ins Mark verrottete Kirche von innen aus zu zertrümmern, als mehrere vom humanistischen Stand - punkt aus ebenso unhaltbare, doch nunmehr im Kampf gegeneinander gestählte. Von ihrem Standpunkt aus bedeutete die Reformation eine dem kirchlichen Irrtum gewährte neue Lebensfrist.894Die Entstehung einer neuen Welt.Menschenrassen aufgestellt, und mag auch heute eine Reaktion ein - getreten sein, weil die Sprachforscher geneigt waren, zu viel Gewicht auf die blosse Sprache zu legen,1)Vergl. S. 268. so bleiben nichtsdestoweniger die humanistischen Unterscheidungen für alle Zeiten bestehen; denn sie sind Thatsachen der Natur, und zwar solche, die weit sicherer aus dem Studium der geistigen Leistungen der Völker zu erschliessen sind, als aus der Katalogisierung ihrer Schädelweiten. In analoger Weise ergab sich aus dem Studium der toten Sprachen die genauere Kenntnis der lebenden. Wir sahen in Indien die wissenschaftliche Philologie geboren werden aus dem heissen Sehnen, ein halbvergessenes Idiom richtig zu verstehen (S. 408); ähnlich erging es bei uns. Auf die genaue Kenntnis fremder, doch verwandter Sprachen erfolgte die zunehmend genaue Kenntnis und Ausbildung der unseren. Dass gerade dieser Vorgang eine in sprachlicher Beziehung trübe Übergangszeit verursachte, kann nicht geleugnet werden; der urwüchsige Volksinstinkt wurde geschwächt und schale Gelehrsamkeit verübte wie gewöhnlich wahre Buben - stücke an dem heiligsten Erbe; trotzdem gingen unsere Sprachen ge - klärt aus dem klassischen Glühofen hervor, weniger gewaltig vielleicht als ehedem, doch biegsamer, lenksamer und dadurch als vollkommenere Werkzeuge für das Denken einer weiter entwickelten Kultur. Die römische Kirche war die Feindin unserer Sprachen, nicht aber (wie so häufig der Unverstand behauptet) die Humanisten; im Gegenteil, diese waren es im Bunde mit den Mystikern welche die einheimischen Sprachen in die Litteratur und in die Wissenschaft einführten: von Petrarca, dem Vollender der italienischen poetischen Sprache und Boccaccio (einem der verdientesten unter den frühen Humanisten), dem Begründer der italienischen Prosa, bis zu Boileau und Herder, sehen wir das überall, und in den Universitäten sind es neben Mystikern, wie Paracelsus, hervorragende Humanisten, wie Christian Thomasius, welche gewaltsam den Gebrauch der Muttersprachen erzwingen und sie somit auch innerhalb des Kreises der speziellen Gelehrsamkeit aus der Verachtung erretten, in welche sie durch den langanhaltenden Einfluss Rom’s verfallen waren. Was hierdurch für die Ausbildung unserer Weltanschauung gewonnen ward, ist einfach unermesslich. Die latei - nische Sprache ist wie ein hoher Damm, welcher das geistige Gebiet trockenlegt und das Element der Metaphysik ausschliesst; ihr ist die Ahnung des Geheimnisvollen, das Wandeln auf der Grenze der beiden895Weltanschauung und Religion.Reiche des Erforschlichen und des Unerforschlichen nicht gegeben; sie ist eine juristische, unreligiöse Sprache. Wir dürfen mit aller Bestimmt - heit behaupten, dass ohne das Vehikel unserer eigenen germanischen Sprachen es uns niemals hätte gelingen können, unsere Weltanschau - ung zu gestalten. 1)Eine Betrachtung, die leider hier keinen Platz finden kann, doch an auf - klärenden Ergebnissen reiche Ausbeute verspräche, wäre die über den unausbleib - lichen Einfluss unserer verschiedenen modernen Sprachen auf die Philosophie, die in ihnen Ausdruck findet. Die englische Sprache z. B., so reich wie keine zweite an poetischer Suggestionskraft, entbehrt der Fähigkeit, einem subtilen Gedanken bis in seine innersten, geheimsten Windungen zu folgen; an einem bestimmten Punkt versagt sie und es zeigt sich, dass sie nur für das nüchtern Praktisch-Empirische, oder aber für das Schwärmerisch-Poetische ausreicht; sie bleibt gleichsam auf beiden Seiten der scheidenden Grenzlinie zwischen den zwei Reichen zu fern von dieser Linie selbst, als dass ein Übergang, ein Hinüber - und Herüberschweben möglich wäre. Die deutsche Sprache, zugleich weniger poetisch und weniger kom - pakt, ist ein unvergleichlich besseres Werkzeug für die Philosophie: in ihrem Auf - bau wiegt das logische Prinzip mehr vor, ausserdem erlaubt ihre reiche Skala von Ausdrucksnüancen die feinsten Unterschiede aufzustellen, und dadurch ist sie zu - gleich für die genaueste Analyse geeignet und auch für die Andeutung nicht analysier - barer Erkenntnisse. Die schottischen Denker, so ausserordentlich begabt, haben es nie über die verneinende Kritik des Hume hinausbringen können; Immanuel Kant, dem selben schottischen Stamme entsprossen, erhielt von dem Schicksal die deutsche Sprache geschenkt und war dadurch in der Lage, ein Gedankenwerk zu vollbringen, welches durch keine Übersetzungskunst ins Englische übertragen werden kann.

Doch wie gross dieses Verdienst auch sei, es erschöpft noch nicht den Beitrag der Humanisten zu unserem Kulturwerke. Dieses Hervorheben und wenn ich so sagen darf Herausmeisseln des Unterschiedlichen, diese Betonung der Berechtigung, ja, der Heiligkeit des Individuellen, führte zum erstenmal zur bewussten Anerkennung des Wertes der einzelnen Persönlichkeit. Zwar lag diese Erkenntnis schon in der Gedankenrichtung eines Duns Scotus implicite ein - geschlossen (S. 874); doch erst durch die Arbeiten der Humanisten wurde sie Gemeingut. Die Vorstellung des Genies d. h. der Persönlichkeit in ihrer höchsten Potenz ist hier das Entscheidende. Die Männer, deren Kenntnisse ein ausgedehntes Gebiet umfassten, be - merkten nach und nach, in wie verschiedenem Masse die Persönlich - keit sich autonom und insofern durchaus original und schöpferisch kundthut. Vom Beginne der humanistischen Bewegung an kann man das Dämmern dieser unausbleiblichen Erkenntnis verfolgen, bis sie bei den Humanisten des vorigen Jahrhunderts so gewaltig durchdrang,896Die Entstehung einer neuen Welt.dass sie auf allen Seiten und in den verschiedensten Fassungen Ausdruck fand, von Winckelmann’s leuchtender Anschauung, die sich an die Werke der sichtbarsten Gestaltung hielt, bis zu Hamann’s Versuchen, in die innerste Seele der schöpferischen Geister auf dunklen Pfaden hinab - zusteigen. Das Allertrefflichste schrieb Diderot in jenem Monument des Humanismus, der grossen französischen Encyklopädie: l’activité de l’âme d. h. die höhere Wirkungskraft der Seele ist es, welche das Genie ausmacht. Was bei Anderen Erinnerung ist, ist beim Genie thatsächliche Anschauung; alles belebt sich in ihm und alles bleibt lebendig; » ist das Genie vorbeigeschritten, so ist es, als habe sich das Wesen der Dinge umgewandelt, denn sein Charakter ergiesst sich über alles, was es berührt «. 1)Siehe den Artikel » Génie « in der Encyclopédie; man muss den sechs Seiten langen Aufsatz ganz lesen. Sehr Interessantes über dasselbe Thema in Diderot’s Aufsatz De la poésie dramatique. Ähnlich Herder: » Die Genien des Menschen - geschlechts sind des Menschengeschlechts Freunde und Retter, seine Bewahrer und Helfer. Eine schöne That, zu der sie begeistern, wirkt unauslöschlich in die tiefste Ferne «. 2)Kalligone, 2. Teil, V, I.Mit Recht unterscheiden Diderot und Herder scharf zwischen Genie und dem bedeutendsten Talent. Ähnlich trennt auch Rousseau das Genie von Talent und Geist, doch, seiner Art gemäss, mehr subjektiv, indem er meint: wer nicht selber Genie besitze, werde nie begreifen, worin Genie bestehe. Ein sehr tiefes Wort enthält einer seiner Briefe: « C’est le génie qui rend le savoir utile ». 3)Lettre à M. de Scheyb, 15. Juillet 1756.Ausserdem hat Rousseau eine ganze Schrift dem Helden gewidmet, und dieser ist der Bruder des Genies, gleich ihm ein Triumph der Persönlichkeit; die Verwandtschaft zwischen beiden deutet Schiller an, indem er die Ideen des Genies als » heldenmässige « be - zeichnet. » Ohne Helden kein Volk! « ruft Rousseau aus, und verleiht dadurch germanischer Weltauffassung kräftigen Ausdruck. Und was stempelt den Mann zu einem Helden? Hervorragende Seelenkraft; nicht der tierische Mut darauf legt er grossen Nachdruck sondern die Gewalt der Persönlichkeit. 4)Dictionnaire de musique und Discours sur la vertu la plus nécessaire aux héros. Kant definiert Genie als » das Talent der Erfindung dessen, was nicht gelehrt oder gelernt werden kann «. 5)Anthropologie § 87 c.Leicht wäre es, diese wenigen Anführungen auf hunderte zu vermehren, so sehr hatte die humanistische Bildung nach und nach die Frage nach897Weltanschauung und Religion.der Bedeutung der Persönlichkeit im Gegensatz zur Tyrannei angeb - lich überpersönlicher Offenbarungen und Gesetze in den Vordergrund des menschlichen Interesses gerückt. Erst durch die Unterscheidung zwischen den Individuen (ein der Mystik gänzlich verschlossenes Thema) trat die volle Bedeutung der überragenden Persönlichkeiten als der wahren Träger jeder echten, entwickelungsfähigen, freiheitlichen Kultur zu Tage; daher war denn auch diese Unterscheidung eine der segens - reichsten Thaten aus der Entstehung und für die Entstehung unserer neuen Kultur, denn sie stellte die wahrhaft grossen Männer auf die Piedestale, auf welche sie hingehören und wo sie ein Jeder deutlich erblicken kann. Das erst ist Freiheit: die rückhaltlose Anerkennung menschlicher Grösse, diese gebe sich, wie sie wolle. Dieses » höchste Glück «, wie Goethe es nannte, haben die Humanisten uns zurück - erobert; nunmehr müssen wir es mit allen Kräften uns bewahren. Wer es uns rauben will, und stiege er auch vom Himmel herab, ist unser Todfeind.

Mehr bringe ich über die Humanisten nicht vor, denn was ich noch sagen könnte, wäre nur Wiederholung des Allbekannten; hier darf ich, was ich bei den Mystikern nicht konnte, nicht allein die Thatsachen, sondern auch ihre Bedeutung als im grossen und ganzen richtig beurteilt voraussetzen; einzig jener leuchtende Mittelpunkt die Emanzipation des Individuellen wird gewöhnlich übersehen und musste daher hier betont werden; nur durch die Augen des Genies kann uns eine leuchtende Weltanschauung zu Teil werden und einzig in unseren eigenen Sprachen kann sie Gestalt gewinnen.

Auch die letzte Gruppe der nach einer neuen WeltanschauungDie natur - forschenden Philosophen. Ringenden, die der naturforschenden Philosophen, ist jedem Gebil - deten gut bekannt; ich kann mich also auch hier auf jene Andeu - tungen beschränken, welche der Zweck dieses Kapitels erheischt. Dagegen zwingt mich die Notwendigkeit, auch dem philosophisch nicht geübten Leser diesen grundlegenden Bestandteil unserer Kultur viel eindringlicher und klarer, als sonst geschieht, nahezulegen, zu einer gewissen Ausführlichkeit; diese wird, hoffe ich, das Verständnis erleichtern.

Grundlegend ist die Thatsache, dass Menschen, um die Welt zu begreifen, sich nunmehr nicht mit angeblich autoritativen, über - weltlichen Ansprüchen begnügen, sondern sich wieder an die Welt selbst wenden und sie befragen; das war Jahrhunderte lang verpönt gewesen. Wohlbetrachtet ist das eine allen diesen verschiedenen898Die Entstehung einer neuen Welt.Gruppen des erwachenden Germanentums gemeinsame Eigenschaft. Denn der Mystiker versenkt sich in die Welt seines eigenen Innern also auch in die Welt und erfasst die unmittelbare Gegenwart seines individuellen Lebens mit so viel Kraft, dass Schriftzeugnis und Glaubenslehre zu einem Nebensächlichen verblassen; seine Methode könnte man die Objektivierung des subjektiv gegebenen Weltstoffes nennen. Aufgabe des Humanisten ist es dagegen, alle verschiedenen menschlichen Zeugnisse zu sammeln und zu prüfen wahrlich ein wichtiges Dokument der Weltgeschichte , schon das blosse Be - streben bezeugt ein objektives Interesse für die menschliche Natur überhaupt, und auf keinem anderen Wege wurde die falsche An - massung angeblicher Autorität schneller untergraben. Und selbst inner - halb der Theologie hatte sich diese Richtung Bahn gebrochen; denn indem ein Duns Scotus Vernunft und Welt vom Glauben völlig ge - trennt wissen will, befreit er sie zu selbständigem Leben, und sein Ordensbruder Roger Bacon fordert denn auch das freie, durch keine theologische Rücksicht gefesselte Studium der Natur und begründet dadurch die eigentliche naturforschende Philosophie. Ich sage » natur - forschende « Philosophie, nicht Naturphilosophie, denn dieser letzte Ausdruck wird für bestimmte Systeme in Anspruch genommen, während ich zunächst lediglich eine Methode hervorheben will. 1)Man versteht unter » Naturphilosophie « einerseits den kindlichen und kindischen Materialismus, dessen Nutzen für das Gesamtwerk, als » Mist, den Boden zu düngen für die Philosophie « (Schopenhauer) nicht geleugnet werden soll, und andererseits dessen Gegenpart, Schelling’s transscendentalen Idealismus, dessen Nutzen vermutlich unter Zugrundelegung des alten ästhetischen Dogmas beurteilt werden muss, wonach ein Kunstwerk umso höher zu schätzen ist, je weniger es irgend einem denkbaren Zwecke dienen kann.Diese Methode ist aber auch die Hauptsache, denn sie bildet das eini - gende Band und bewirkt, dass trotz der Verschiedenheit der Rich - tungen und der versuchten Lösungen unsere Philosophie doch als Gesamterscheinung sich folgerecht entwickelt hat und ein echtes Kulturelement geworden ist, indem sie eine neue Weltanschauung vorbereitet und bis zu einem gewissen Grade auch schon durchgeführt hat. Der Kernpunkt dieser Methode ist die Beobachtung der Natur, und zwar die gänzlich uninteressierte, einzig auf Wahrheit ausgehende Beobachtung. Diese Philosophie ist Philosophie als Wissenschaft; hierdurch unterscheidet sie sich nicht allein von Theologie und Mysti - cismus, sondern das merke man wohl auch von jener gefähr -899Weltanschauung und Religion.lichen und ewig unfruchtbaren Gattung: Philosophie als Logik. Theo - logie findet ihre Berechtigung darin, dass sie entweder einem grossen Gedanken oder einem politischen Zwecke dient, Mystik ist eine un - mittelbare Erscheinung des Lebens; die pure Logik aber zur Deutung der Welt (der äusseren und der inneren) heranziehen, sie und nicht die Anschauung, nicht die Erfahrung zum Gesetzgeber erheben, heisst einfach die Wahrheit mutwillig in Ketten schlagen und bedeutet im Grunde genommen (wie ich das im ersten Kapitel zu zeigen gesucht habe) nichts weniger als einen neuen Ausbruch des Aberglaubens. Darum sehen wir die neue Periode der naturforschenden Philosophie mit einer allgemeinen Empörung gegen Aristoteles beginnen. Denn dieser Hellene hatte nicht allein die formalen Gesetze des Denkens analysiert und dadurch ihren Gebrauch sicherer gemacht, wofür er die Dankbarkeit aller kommenden Geschlechter verdiente, sondern er hatte sämtliche Probleme des noch Unerforschten und des überhaupt Un - erforschlichen auf logischem Wege zu lösen unternommen; hierdurch war Wissenschaft unmöglich geworden. 1)Man vergl. die Ausführungen S. 113 fg. und unter » Wissenschaft « S. 787 fg.Denn die stillschweigende Voraussetzung der gesetzgebenden Logik ist, dass der Mensch das Mass aller Dinge sei, wogegen er in Wahrheit als bloss logisches Wesen nicht einmal das Mass seiner selbst ist. Telesius (1508 86), ein bedeutender Mathematiker und Naturforscher aus Neapel, ein Vor - arbeiter Harvey’s für die Entdeckung des Blutumlaufes, ist vielleicht der erste, der es sich zur besonderen Aufgabe machte, das arme Menschenhirn von diesem aristotelischen Spinngewebe zu säubern. Freilich hatte Roger Bacon schon schüchterne Anfänge dazu gemacht, und Leonardo hatte mit der Unverfrorenheit des Genies die aristo - telische Seelen - und Gotteslehre eine » erlogene Wissenschaft « genannt (S. 108); auch Luther soll schon in seiner frühesten Zeit, als er noch im Schosse der römischen Kirche weilte, ein heftiger Gegner des Aristoteles gewesen sein und vorgehabt haben, die Philosophie von seinem Einfluss zu säubern;2)Diese Behauptung entnehme ich dem Discours de la conformité de la foi avec la raison, § 12, von Leibniz. Später meinte Luther: » Ich darf es sagen, dass ein Töpfer mehr Kunst hat von natürlichen Dingen, denn in jenen Büchern (des Aristoteles) geschrieben steht « (Sendschreiben an den Adel, Punkt 25). doch jetzt erst kamen die Männer, welche die Lüge mit eigenen Händen wegzuräumen den Mut hatten, um für die Wahrheit Platz zu bekommen. Nicht allein und nicht hauptsächlich auf Aristo -900Die Entstehung einer neuen Welt.teles hatten sie es abgesehen, sondern auf das ganze herrschende System, wonach die Logik, anstatt die Magd zu sein, als Königin auf dem Throne sass. Unmittelbare Schüler des Telesius waren Campanella, der Erkenntnistheoretiker, und Giordano Bruno, dessen kühner Geistes - flug im voraus alles das zu einem prophetischen Gesamtüberblick zu - sammenfasste, woran zwei Jahrhunderte fleissiger Forschung zu arbeiten haben sollten; beide halfen wacker, das logische Idol auf den thönernen Füssen herabzustürzen. Francis Bacon, der, obzwar als Philosoph mit diesen beiden nicht zu vergleichen, doch einen weit grösseren Einfluss ausgeübt hat, stand in direkter Abhängigkeit, einerseits zu Telesius, anderseits zu Paracelsus, also zu zwei geschworenen Antiaristotelikern. Mit seiner Kritik alles hellenischen Denkens schoss er freilich weit über das Ziel hinaus, doch gelang es ihm gerade dadurch mehr oder weniger tabula rasa für echte Wissenschaft und wissenschaftliche Philo - sophie zu machen, für jene einzig richtige Methode, die er in der Vor - rede zu seiner Instauratio magna treffend bezeichnet als: inter empiri - cam et rationalem facultatem conjugium verum et legitimum. Es dauerte nicht lange und aus dem Schosse der römischen Kirche trat ein Gassendi (1592 1655) mit Antiaristotelischen Übungen hervor, » einem der schärfsten und übermütigsten Angriffe gegen die aristotelische Philosophie «, sagt Lange; hielt der junge Priester es auch für klüger, sein Buch bis auf Bruchstücke zu verbrennen, es bleibt doch ein Zeichen der Zeiten, um so mehr, als gerade dieser Gassendi ein Haupt - förderer der Beobachtungswissenschaften und der streng mathematisch - mechanischen Deutung der Naturphänomene wurde. Aristoteles hatte den verhängnisvollen Schritt von Naturbetrachtung zu Theologie gethan; jetzt kommt ein Theolog, zerstört die aristotelischen Trug - schlüsse und führt den Menschengeist zurück zur reinen Naturbe - trachtung.

Die Beobachtung der Natur.
545

Der Hauptpunkt in den neuen philosophischen Bestrebungen von Roger Bacon im 13. bis zu Kant an der Schwelle des 19. Jahr - hunderts ist also die prinzipielle Betonung der Beobachtung als Quelle des Wissens. Die Übung in der treuen Beobachtung der Natur bildet darum fortan die Legitimation jedes ernst zu nehmenden Philo - sophen. Das Wort Natur muss natürlich im umfassenden Sinne ge - nommen werden; so hat z. B. Hobbes hauptsächlich die menschliche Gesellschaft studiert, nicht Physik oder Medizin, er hat aber an diesem Stück Natur seine Beobachtungsgabe bewährt und auch darin seine Wissenschaftlichkeit bekundet, dass er sein Denken fast ausschliesslich901Weltanschauung und Religion.diesem ihm bestbekannten Gegenstande, dem Staate, widmete. Doch haben unsere epochemachenden Philosophen thatsächlich alle in der Disciplin der exakten Wissenschaften ihre Sporen verdient und besitzen ausserdem eine weitreichende Kultur, d. h. also sie verfügen über Methode und über Stoff. So ist z. B. René Descartes (1596 1650) von Hause aus Mathematiker und das hiess in jenen Zeiten, wo die Mathematik täglich aus den Bedürfnissen der Entdecker hervorwuchs, Physiker und Astronom. Die Natur ist ihm also in ihren Bewegungserscheinungen von Jugend auf vertraut. Ehe er zu philosophieren begann, wurde er aber noch dazu eifriger Anatom und Physiolog, so dass er nicht allein als Physiker eine Abhandlung über das Wesen des Lichtes, sondern auch als Embryolog eine andere über die Entwickelung des Foetus schreiben konnte. Ausserdem hat er mit philosophischer Absichtlichkeit » im grossen Buch der Welt fleissig gelesen «, (wie er selber berichtet); er ist Soldat, Weltmann, Hofmann gewesen; er hat die Tonkunst so erfolgreich gepflegt, dass er veranlasst wurde, einen » Grundriss der Musik « herauszugeben; das Fechten hat er so eifrig betrieben, dass er eine Theorie der Fechtkunst verfasste: das Alles, er teilt es uns mit, um richtiger denken zu lernen, als die Gelehrten, die ihr Lebenlang im Studierzimmer eingeschlossen bleiben. 1)Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences, Teil I.Und nun erst, geübt durch die genaue Beobachtung der Natur ausser ihm, kehrte der seltene Mann den Blick nach innen und beobachtete die Natur im eigenen Selbst. Dieses Verhalten ist fortan trotz aller Schattie - rungen im Einzelnen typisch. Leibniz war allerdings in der Haupt - sache auf Mathematik beschränkt, doch gerade dieser Besitz verhinderte, dass er jemals trotz allem von Jugend auf ihm eingeimpften Scho - lasticismus die mechanische Auffassung der Naturphänomene aufgab; wir haben leicht heute über die prästabilierte Harmonie lachen, vergessen wir aber nicht, dass diese monströse Annahme das treue Festhalten an naturwissenschaftlicher Methode und Erkenntnis bezeugt. 2)Das System des Leibniz ist ein letzter, heroischer Versuch, echt wissenschaft - liche Methode in den Dienst einer historischen, absoluten Gotteslehre zu stellen, welche in Wahrheit jede wissenschaftliche Naturkenntnis unbedingt aufhebt. Im Gegensatz zu Thomas von Aquin geht hier der Versuch, Glaube und Vernunft in Einklang zu bringen, von der Vernunft aus, nicht vom Glauben. Vernunft heisst aber hier nicht allein logische Ratiocination, sondern grosse mathematische Grund - prinzipien wirklicher Naturerkenntnis; und darum, weil bei Leibniz ein unüber - windliches Element empirischer, nicht wegzudeutender Wahrheit vorhanden ist,Locke ist902Die Entstehung einer neuen Welt.durch medizinische Studien auf seine philosophischen Gedanken ge - bracht worden; Berkeley, wenn auch ein Geistlicher, hat schon in jungen Jahren Physiologie eingehend studiert, und seine geniale Theory of vision errät vieles intuitiv, was exakte Wissenschaft erst viel später bestätigen sollte, zeugt also für den Erfolg der richtigen naturwissen - schaftlichen Methode bei grosser Beanlagung. Wolf war ungemein tüchtig, nicht allein auf dem Felde der Mathematik, sondern ebenfalls auf dem der Physik, und er beherrschte auch die übrige Naturwissen - schaft seiner Zeit. Hume hat allerdings, so viel mir bekannt, fleissiger » im Buche der Welt « (wie Descartes es nennt) als im Buche der Natur gelesen; einerseits Geschichte, andrerseits Psychologie nicht Physik und Physiologie waren das Feld seiner exakten Studien; gerade dies hat auch seine philosophische Spekulation nach gewissen Richtungen hin bedrückt; wessen Auge für derlei Dinge geschärft ist, wird bald beobachten, dass Hume’s Denken an dem Grundübel leidet, dass es gar nicht von aussen, sondern nur von innen gespeist wird, was stets ein Vorwiegen der Logik auf Kosten der aufbauenden, tastend erfindenden Phantasie bedeutet und wodurch das rein negative Ergebnis bei so grosser Geisteskraft erklärt wird; Hume ist als Persön -2)während Thomas auf beiden Seiten nur mit Schattenbildern operiert, darum fällt die Absurdität des von Leibniz ersonnenen Systems mehr in die Augen. Ein in Bezug auf die Natur so grundlos unwissender Mensch wie Thomas konnte sich und Andere durch sophistische Trugschlüsse irreführen; Leibniz dagegen war genötigt, die Annahme eines Doppelreiches in dem Sinne einer Natur und einer Supranatur in ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit aufzudecken und zwar gerade darum, weil er in der mathematisch-mechanischen Auffassung der Naturphänomene völlig zu Hause war. Dadurch wurde sein genialer Versuch epochemachend. Dass Leibniz als Metaphysiker zu den grossen Denkern gehört, beweist schon die eine Thatsache, dass er die transscendentale Idealität des Raumes behauptete und durch tiefsinnige mathematisch-philosophische Argumente nachzuweisen suchte, (worüber Näheres bei Kant: Methaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 2. Stück, Lehrsatz 4, Anm. 2). Wie grossartig Leibniz als rein naturwissenschaftlicher Denker war, dafür zeugt seine Theorie, dass die Summe der Kräfte in der Natur un - veränderlich sei, wodurch das sogenannte Gesetz von der Erhaltung der Energie, auf welches wir uns als Errungenschaft des 19. Jahrhunderts so viel zu Gute thun, eigentlich schon ausgesprochen war. Nicht minder bedeutsam ist der extrem in - dividualistische Charakter von Leibnizen’s Philosophie. Im Gegensatz zum Alleins des Spinozismus (das er perhorresciert) ist für ihn die » Individuation «, die » Specifikation « die Grundlage aller Erkenntnis. » In der ganzen Welt giebt es nicht zwei Wesen, die absolut ununterscheidbar wären «, sagt er. Hier sieht man den echten germanischen Denker. (Besonders gut ausgeführt in Ludwig Feuerbach’s Darstellung der Leibniz’schen Philosophie, § 3.)903Weltanschauung und Religion.lichkeit ungleich bedeutender als Locke und hat doch nicht (ich glaube mich nicht zu irren) so viele konstruktive Ideen in die Welt gesetzt. Und dennoch rechnen wir ihn zu den Naturforschern, denn innerhalb des rein menschlichen Gebietes hat er so scharf und treu beobachtet wie keiner seiner Vorgänger und ist nie abgewichen von der Methode, die er in seiner ersten Schrift aufstellte: Beobachtung und Experiment. 1)Man darf auch nicht übersehen, dass Hume seine philosophischen Resultate ohne die Errungenschaften des ihn umgebenden philosophischen Denkens, namentlich derjenigen der französischen gleichzeitigen naturwissenschaftlichen Sensualisten kaum hätte erzielen können. In mancher Beziehung scheint mir Hume eher den italienischen humanistischen Skeptikern nach Art des Pomponazzi und des Vanini geistig ver - wandt, als der echten Reihe der aus Naturbetrachtung Philosphierenden.Bei Kant schliesslich bilden umfassende Kenntnisse in allen Wissens - zweigen und eingehende Beschäftigung mit der Naturwissenschaft während eines ganzen langen Lebens einen Zug, der zu oft übersehen wird. Kant’s schriftstellerische Thätigkeit im Dienste der Naturwissen - schaft erstreckt sich von seinem 20. bis zu seinem 70. Jahre, von seinen Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, die er im Jahre 1744 auszuarbeiten begann, bis zu seinem 1794 er - schienenen Aufsatz Etwas über den Einfluss des Mondes auf die Witterung. Während dreissig Jahre waren seine besuchtesten Vor - lesungen die, welche er im Winter über Anthropologie, im Sommer über physikalische Geographie hielt; und der tägliche Genosse seiner letzten Jahre, Wasianski, erzählt, dass, bis an sein Ende, Kant’s sehr lebhafte Tischunterhaltung » grösstenteils aus der Meteorologie, Physik, Chemie, Naturgeschichte und Politik entlehnt war. « 2)Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren, 1804, S. 25.Allerdings war Kant nur ein Denker über Naturbeobachtungen, nicht (so viel ich weiss) jemals selber ein Beobachter und Experimentierender, wie dies Descartes gewesen war; doch ein wie vorzüglicher indirekter Beob - achter er war, zeigen solche Schriften wie seine Beschreibung des grossen Erdbebens vom 1. November 1755, seine Betrachtungen über die Vulkane des Mondes, über die Theorie der Winde und manche andere; und ich brauche wohl kaum daran zu erinnern, dass Kant’s philosophische Betrachtungen über die kosmische Natur zwei unsterb - liche Werke hervorgebracht haben, die (Friedrich dem Grossen ge - widmete) Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes (1755), und die Metaphysischen Anfangsgründe904Die Entstehung einer neuen Welt.der Naturwissenschaft (1786). Die der erfolgreichen Naturbeobachtung abgelauschte und durch Naturbeobachtung geübte Methode durchdringt denn auch Kant’s ganzes Leben und Denken, so dass man ihn als Ent - decker dem Kopernikus und dem Galilei hat vergleichen können (S. 778). In seiner Kritik der reinen Vernunft sagt er, seine Methode, die mensch - liche Vernunft zu analysieren, sei » eine dem Naturforscher nachgeahmte Methode «,1)Anmerkung in der Vorrede zur zweiten Ausgabe. und an anderem Orte führt er aus: » Die echte Methode der Metaphysik ist mit derjenigen im Grunde einerlei, die Newton in die Naturwissenschaft einführte und die daselbst von so nutzbaren Folgen war. « Und worin besteht diese Methode? Durch sichere Erfahrung die Regeln aufsuchen, nach welchen gewisse Erscheinungen der Natur vorgehen; auf dem Gebiete der Metaphysik also, durch sichere innere Erfahrung. 2)Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, 2. Betrachtung. Was ich hier nur in den allgemeinsten, gröbsten Zügen zu zeichnen bestrebt bin, wird jeder denkende Mensch durch nähere Be - trachtung bis ins Einzelne und Zarteste hinein verfolgen können. So z. B. ist der Mittelpunkt von Kant’s gesamtem Wirken die Frage nach dem sittlichen Kern der Individualität: um bis zu ihm zu gelangen, zerlegt er zuerst den Mechanismus des umgebenden Kosmos; nachher, durch weitere 25 Jahre ununterbrochener Arbeit, zergliedert er den inneren Organismus des Denkens; dann widmet er noch 20 Jahre der Er - forschung der also blossgelegten menschlichen Persönlichkeit. Nichts zeigt nun deutlicher, wie sehr hier Beobachtung das gestaltende Prinzip ist, als Kant’s Hochschätzung der menschlichen Individualität. Die Kirchenväter und Doktoren hatten nie Worte genug finden können für ihre Verachtung ihrer selbst und aller Menschen; es war schon ein bedeutendes Symptom gewesen, als jener Stern am Morgen des neuen Tages, Mirandola, 300 Jahre vor Kant ein Buch Über die Würde des Menschen schrieb; dass er eine solche besässe, hatte der arme Mensch unter der langen Herrschaft des Imperiums und des Pontifikats ganz vergessen; inzwischen war er nun mit seinen Leistungen, mit seiner zunehmenden Unabhängigkeit gewachsen, und ein Kant, der zwar im fernabgelegenen Königsberg mit nur einigen wenigen nicht sehr bedeutenden Leuten verkehrte, sonst aber in der alleinigen Gesell - schaft der erhabensten Geister der Menschheit und vor allem seiner selbst lebte, Kant bildete sich aus den unmittelbaren Wahrnehmungen an seiner eigenen Seele eine hohe Vorstellung von der Bedeutung der905Weltanschauung und Religion.unerforschlichen menschlichen Persönlichkeit. Dieser Überzeugung be - gegnen wir überall bei ihm und schauen damit in das tiefste Herz des wunderbaren Mannes. Schon in jener Theorie des Himmels, welche einzig die Mechanik des Weltgebäudes darthun soll, ruft er aus: » Mit welcher Art der Ehrfurcht muss nicht die Seele sogar ihr eigen Wesen ansehen! « 1)Teil 2., Hauptstück 7.Später spricht er von der » Erhabenheit und Würde, welche wir uns an derjenigen Person vorstellen, die alle ihre Pflichten erfüllt «. 2)Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Abschn. 2., T. 1.Doch immer tiefer versenkt sich der Denker in diese Betrachtung: » im Menschen eröffnet sich eine Tiefe göttlicher Anlagen, die ihn gleichsam einen heiligen Schauer über die Grösse und Erhabenheit seiner wahren Bestimmung fühlen lässt «;3)Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, I. und in seinem 70. Jahre schreibt der Greis: » das Gefühl des Erhabenen unserer eigenen Bestimmung reisst uns mehr hin, als alles Schöne «. 4)Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, St. 1 (Anm. zur Einl.).Dies nur als Andeutung, bis wohin die Methode der Naturforschung führt. Sobald sie mit Kant der Ver - nunft eine neue, der Naturforschung entwachsene und ihr darum an - gemessene Weltanschauung eröffnet hatte, erschloss sie zugleich dem Herzen eine neue Religion die Religion Christi und der Mystiker, die Religion der Erfahrung.

Doch jetzt müssen wir dieses Charakteristikum unserer neuen Weltanschauung, die rückhaltlose Hingabe an die Natur, noch von einer anderen Seite betrachten, nämlich rein theoretisch, damit wir nicht allein die Thatsache anerkennen, sondern auch ihre Bedeutung begreifen.

Ein besonders tüchtiger und durchaus nüchterner NaturforscherDas exakte Nichtwissen. unserer Tage schreibt: » Die Grenze zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten wird niemals so deutlich wahrgenommen, wie durch eine exakte Beobachtung von Thatsachen, sei es wie sie die Natur unmittelbar darbietet, sei es im künstlich angestellten Experiment. « 5)Alphonse De Candolle: Histoire des sciences et des savants depuis deux siècles, 1885, p. 10.Diese Worte sind ohne jeden philosophischen Hintergedanken gesprochen, sie können aber zur ersten Gewinnung einer Einsicht dienen, die dann nach und nach vertieft werden mag. Ein fleissiger Mann der wissen - schaftlichen Praxis hat im Laufe eines langen Lebens bemerkt, dass selbst die Naturforscher keine deutliche Vorstellung davon haben,Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 58906Die Entstehung einer neuen Welt.was sie nicht wissen, bis in jedem einzelnen Falle exakte Forschung ihnen gezeigt hat, bis wohin ihr Wissen sich erstreckt. Das hört sich sehr einfach und terre à terre an, ist aber so wenig von selbst einleuchtend, und so schwer in die Praxis des Denkens zu übertragen, dass ich vermute, kaum irgend Jemand, der die Schule der Natur - wissenschaft nicht durchgemacht hat, wird die Bemerkung De Can - dolle’s vollständig würdigen. 1)In einer Gesellschaft von Hochschullehrern hörte ich vor einigen Jahren psychologisch-physiologische Themata besprechen; anknüpfend an die Lokalisation der Sprachfunktionen in der Broca’schen Stirnwindung meinte der eine Gelehrte, jedes einzelne Wort sei » in einer besonderen Zelle lokalisiert «; er verglich diese Einrichtung sinnreich mit einem Schrank, der etliche Tausend Schübchen besässe, die auf Wunsch auf - und zugeschoben werden könnten (etwa also wie die heutigen Automaten-Restaurants); es hörte sich ganz reizend an und nicht eine Spur minder plausibel als » Tischchen deck dich «. Da meine positiven Kenntnisse in Bezug auf die Histologie des Gehirnes sich auf vor Jahren gehörte Vorträge und Demon - strationen beschränken, also äusserst gering sind, und ich aus näherer Anschauung nur die Elemente der groben Anatomie dieses Organes kenne, bat ich den be - treffenden Herrn um genauere Auskunft, wobei es sich aber herausstellte, dass er in seinem Leben keinen Seciersaal betreten und überhaupt niemals ein Gehirn (ausser auf den schönen Holzschnitten einiger Lehrbücher) gesehen hatte: daher ahnte er so ganz und gar nicht die Grenze zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten.Auf jedem anderen Gebiete nämlich ist weitgehende Selbsttäuschung bis zu völliger Verblendung möglich; die Thatsachen selber sind meist fragmentarisch oder fraglich, sie be - sitzen nicht Dauer und Unveränderlichkeit, Wiederholung ist darum unmöglich, Experiment ausgeschlossen, Leidenschaft waltet, Betrug ge - horcht ihr. Auch kann das Wissen von einem Wissen das Wissen um eine Thatsache der Natur nie ersetzen; letzteres ist eben ein Wissen von ganz anderer Art; denn hier steht der Mensch nicht dem Menschen, sondern einem inkommensurablen Wesen gegenüber, einem Wesen, über das er gar keine Macht besitzt, und welches man im Gegensatz zum ewig kombinierenden, durcheinanderwürfelnden, anthropomorphisch zurechtlegenden Menschenhirn, als die ungeschminkte, nackte, kalte, ewige Wahrheit bezeichnen kann. Wie mannigfaltig, sowohl negativ wie positiv, der Gewinn eines derartigen Verkehrs für die Erweiterung und Ausbildung des Menschengeistes sein muss, leuchtet gewiss von selbst ein. Dass der spezielle Naturforscher auf empirischem Gebiete durch das genaue Ermessen seines Nichtwissens den ersten Schritt zur Erweiterung seines Wissens thut, wurde schon früher gezeigt;2)Siehe S. 766. man907Weltanschauung und Religion.begreift aber leicht, welchen Einfluss eine derartige Schulung auch auf philosophisches Denken ausüben muss; ein ernster Mann wird nicht mehr mit Thomas von Aquin über die Beschaffenheit der Körper in der Hölle reden, wenn er sich wird gestehen müssen, über ihre Beschaffen - heit auf Erden fast nichts zu wissen. Wichtiger noch ist die positive Bereicherung, auf die ich auch schon früher hingewiesen habe (S. 752), welche daher kommt, dass die Natur allein erfinderisch ist. » Einzig die hervorbringende Natur besitzt unzweideutiges, gewisses Genie «, sagt Goethe. 1)Vorträge zum Entwurf einer Einleitung in die vergleichende Anatomie, II.Die Natur giebt uns Stoff und Idee zugleich; das be - zeugt jede Gestalt. Und nimmt man nun Natur nicht in dem engen Kinderstubensinn einer Stern - und Tierkunde, sondern in dem weiten Verstand, den ich bei Besprechung der einzelnen Philosophen ange - deutet habe, so wird man Goethe’s Ausspruch überall bestätigt finden; die Natur ist das unzweideutige Genie, die eigentliche Erfinderin. Wobei aber Folgendes wohl zu beachten ist: Natur offenbart sich nicht allein im Regenbogen, auch nicht allein in dem Auge, das diesen wahr - nimmt, sondern auch im Gemüt, das ihn bewundert und in der Vernunft, die ihm nachsinnt. Jedoch, damit das Auge, das Gemüt, die Vernunft, mit Bewusstsein das Genie der Natur erblicken und sich einverleiben, be - darf es einer besonderen Anlage und einer besonderen Schulung. Hier wie anderwärts handelt es sich also im letzten Grunde um eine Orien - tierung des Geistes;2)S. 686, 765. ist diese erst erfolgt, so fördern Zeit und Übung das Übrige mit Notwendigkeit zu Tage. Mit Schiller kann man hier sprechen: » Die Richtung ist zugleich die Vollendung und der Weg ist zurückgelegt, sobald er eingeschlagen ist. « 3)Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Bf. 9.So hätte z. B. Locke’s philosophisches Lebenswerk, sein Versuch über den menschlichen Ver - stand, jederzeit innerhalb der vorangegangenen 2500 Jahre vollbracht werden können, hätte nur irgend ein Mensch die Neigung gespürt, sich an die Natur zu wenden. Gelehrsamkeit, Instrumente, mathe - matische oder sonstige Entdeckungen werden nicht beansprucht, sondern einzig treue Selbstbeobachtung, Befragen des Selbst in derselben Art, wie man ein anderes Naturphänomen beobachten und befragen würde. Was hätte den ungleich bedeutenderen Aristoteles verhindert, dasselbe zu leisten, wenn nicht die anthropomorphische Oberflächlichkeit hellenischer Naturbeobachtung, die wie ein Komet mit hyperbolischer Bahn sich58*908Die Entstehung einer neuen Welt.jeder gegebenen Thatsache mit rasender Eile näherte, um sie bald darauf auf ewig aus den Augen zu verlieren? Was hätte Augustin verhindert, der philosophisch so tief beanlagt war, wenn nicht seine prinzipielle Verachtung der Natur? Was den Thomas von Aquin, wenn nicht einzig der Wahn, dass er ohne irgend etwas zu beobachten alles wisse? Dieses Sichwenden an die Natur diese neue Geistesorien - tierung, eine Grossthat der germanischen Seele bedeutet nun, wie gesagt, eine gewaltige, ja, eine geradezu unermessliche Bereicherung des Menschengeistes: denn es versorgt ihn unerschöpflich mit neuem Stoff (d. h. Vorstellungen) und neuen Verknüpfungen (d. h. Ideen). Nun - mehr trinkt der Mensch unmittelbar aus der Quelle aller Erfindung, aller Genialität. Das ist ein wesentlicher Zug unserer neuen Welt und wohlgeeignet, uns Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen einzuflössen. Früher glich der Mensch den Brunneneseln des südlichen Europa und musste sich den ganzen Tag im Kreise seines armseligen Selbst herum - drehen, damit er nur etwas Wasser für den Durst hinaufpumpe; nun - mehr liegt er an den Brüsten der Mutter » Natur «.

Etwas weiter, als bis wohin Herrn De Candolle’s Bemerkung hinzuweisen schien, sind wir schon gekommen; das Wissen von unserem Nichtwissen führte uns in die unerschöpfliche Schatzkammer der Natur ein und zeigte uns den verlorenen Weg zu dem ewig strömenden Quell aller Erfindung. Jetzt müssen wir aber den dornigen Pfad der reinen Philosophie wandeln und werden finden, dass dasselbe Prinzip einer exakten Scheidung zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten uns auch dort grundlegende Dienste leistet.

Wenn Locke seinen Verstand beobachtend analysiert, so entäussert er sich gewissermassen seiner selbst, um sich als ein Stück Natur be - trachten zu können; offenbar liegt aber hier ein unüberwindliches Hindernis im Wege. Womit soll er sich denn betrachten? Schliesslich ist es Natur, die Natur betrachtet. Die Richtigkeit und Tragweite dieser Erwägung begreift oder ahnt wenigstens ein Jeder sofort. Frucht - bar wird sie aber erst, wenn man sie durch eine zweite Erwägung ergänzt, die etwas mehr Überlegung erfordert. Hierzu ein zweites Beispiel. Wenn jener andere grundlegende Denker unter den ersten naturforschenden Philosophen, Descartes, im Gegensatz zu Locke, nicht sich selbst, sondern die umgebende Natur betrachtet von dem kreisenden Gestirn bis zu dem schlagenden Herzen des frisch zerlegten Tieres und überall das Gesetz des Mechanismus entdeckt, so dass er lehrt, auch den geistigen Erscheinungen müssen Bewegungen zu909Weltanschauung und Religion.Grunde liegen,1)Dass Descartes, der sämtliche geistige Erscheinungen des tierischen Lebens » durch Prinzipien der Physik erklärt « (siehe die Principia philosophiae, T. 2, § 64 mit Hinzuziehung der ersten Paragraphen), dem Menschen aus Rücksichten der Recht - gläubigkeit ausserdem eine » Seele « zuschrieb, hat für seine Weltanschauung um so weniger zu bedeuten, als er die gänzliche Trennung von Leib und Seele postuliert, so dass keinerlei Verbindung zwischen beiden besteht, der Mensch also nicht minder als jede andere sinnliche Erscheinung durchwegs mechanisch muss erklärt werden können. Es wäre sehr zu wünschen, dass man uns endlich einmal mit dem langweiligen, dummen cogito ergo sum in Ruhe liesse; nicht psychologische Analyse macht Descartes Grösse aus; im Gegenteil, er hat hier mit der grossartigen Ungeniertheit des Genies, und zum dauernden Schrecken aller kleinen logischen Lumpen, rechts und links die Bedenklichkeiten bei Seite geschoben und so sich freie Bahn durchgehauen zu dem einen grossen Prinzip, dass jede Naturdeutung notwendig mechanisch sein muss, um überhaupt dem Menschenhirn (wenigstens dem Hirn des Homo europaeus) begreiflich zu sein. so wird eine geringe Überlegung überzeugen, dass auch hier jenes selbe Hindernis im Wege liegt, wie bei Locke, und es unmöglich macht, der Folgerung unbedingte Gültigkeit zuzuerkennen; denn der Denker Descartes steht doch nicht als losgelöster Beob - achter da, sondern ist selber ein Stück Natur: hier wieder ist es also Natur, die Natur betrachtet. Wir mögen schauen wohin wir wollen, wir schauen immer nach innen. Ja, wenn wir mit den Juden und mit den christlichen Kirchendoktoren dem Menschen einen über - natürlichen Ursprung, ein aussernatürliches Wesen zuschreiben wollen, dann freilich besteht das Dilemma nicht, sondern dann stehen sich Mensch und Natur wie Faust und Helena gegenüber und können sich » über des Throns aufgepolsterter Herrlichkeit « die Hand reichen, Faust, der wirklich Lebendige, der Mensch, Helena, die scheinbar lebendige, scheinbar verständige, scheinbar redende und liebende Schattengestalt, die Natur. 2)Ein derartiges Schattendasein schreibt Thomas von Aquin thatsächlich den Tieren zu: » Die unvernünftigen Tiere besitzen einen von der göttlichen Ver - nunft ihnen eingepflanzten Instinkt, vermöge dessen sie innere und äussere ver - nunftähnliche Regungen haben «. Man sieht, welche Kluft diese Automaten des Thomas von den Automaten des Descartes trennt; denn Thomas ist bestrebt gleich seinen heutigen Nachfolgern, dem Jesuiten Wasmann (S. 59) und der ganzen katholischen Naturlehre aus den Tieren Maschinen zu machen, damit der semitische Wahngedanke einer lediglich für den Menschen erschaffenen Natur noch aufrecht erhalten werden könne, wogegen Descartes die grosse Einsicht vertritt, dass jegliches Geschehen als mechanischer Vorgang gedeutet werden müsse, die Lebensphänomene des Tieres und des Menschen nicht weniger als das Leben der Sonne.Das ist der springende Punkt; hier trennt sich Welt von910Die Entstehung einer neuen Welt.Welt, hier scheidet die Wissenschaft des Relativen von der Dogmatik des Absoluten; hier auch (darüber gebe man sich keiner Selbsttäuschung hin) zweigt die Religion der Erfahrung auf immer von historischer Religion ab. Stellen wir uns nun auf den germanischen Standpunkt und begreifen wir die zwingende Notwendigkeit von Descartes Ein - sicht durch welche erst Naturwissenschaft als ein zusammenhängendes Ganzes möglich wird so muss uns Folgendes auffallen: jener Locke, der den eigenen Verstand in seiner Entstehung und Verrichtung restlos analysieren will, ist doch selber ein Bestandteil der Natur und folglich insofern auch eine Maschine; er gleicht also einigermassen einer Lo - komotive, die sich auseinandernehmen möchte, um ihre Funktionierung zu begreifen; dass ein derartiges Vorhaben vollständig gelingen könnte, ist nicht anzunehmen, denn um selber nicht aufzuhören zu sein, müsste die Lokomotive in Thätigkeit bleiben, sie könnte also nur einmal hier, einmal dort einen Teil des Apparates durch Experiment prüfen, viel - leicht auch einiges Nebensächliche zerlegen, alles Wichtigste könnte sie aber nie berühren; ihr Wissen wäre also eher eine Beschreibung als ein Durchdringen, und diese Beschreibung selbst (d. h. die Auf - fassung der Lokomotive von ihrem eigenen Wesen) wäre nicht eine erschöpfende, den Gegenstand beherrschende Darstellung, sondern sie wäre durch den Bau der Lokomotive von vornherein bestimmt und beschränkt. Ich weiss, der Vergleich hinkt stark, doch wenn er nur hilft, genügt er. Nun haben wir aber gesehen, dass jenes Hinaus - schauen des Descartes ebenfalls nur die Selbstbetrachtung der Natur, d. h. ein Schauen nach innen bedeutet; folglich wird derselbe Ein - wurf auch hier gültig sein. Daraus erhellt, dass wir nie entwirren können, ob die Deutung der Natur als Mechanismus lediglich ein Ge - setz des Menschengeistes ist oder auch ein aussermenschliches Gesetz. Der scharfsinnige Locke hat das auch eingesehen und gesteht ausdrück - lich: » das, was unsere Gedanken erfassen können, ist im Verhältnis zu dem, was sie nicht erfassen können, kaum ein Punkt, fast Nichts «. 1)Essay concerning human Understanding, book 4, ch. 3, § 23.Der Leser, der diesen Gedankengang weiter verfolgt, was ich hier leider des Raumes wegen nicht kann, wird es begreifen, glaube ich, wenn ich das Ergebnis in folgender Formel zusammenfasse: Unser Wissen von der Natur (Naturwissenschaft im umfassendsten Sinne des Wortes und einschliesslich der wissenschaftlichen Philosophie) ist die immer ausführlichere Darlegung eines Unwissbaren.

911Weltanschauung und Religion.

Das alles bildet aber nur die eine Seite dieser Betrachtung. Un - zweifelhaft dient unsere Erforschung der Natur zunächst nur einer extensiven Erweiterung unseres Wissens: wir sehen immer mehr und immer genauer, doch nimmt dadurch unser Wissen intensiv nicht zu, d. h. wir sind wohl wissender, aber nicht weiser als zuvor, und wir sind nicht um eine Handbreite weiter in das Innere des Welträtsels eingedrungen. Doch soll der wahre Gewinn unserer Naturforschung jetzt erst genannt werden: er ist ein innerer, denn er führt uns wirklich ins Innere ein und lehrt uns das Welträtsel zwar nicht lösen, doch erfassen, und das ist viel, denn das gerade macht uns, wenn nicht wissender, so doch weiser. Die Physik ist die grosse, unmittelbare Lehrerin der Metaphysik; erst durch die Betrachtung der Natur lernt der Mensch sich selber erkennen. Doch um das mit voller Über - zeugung einzusehen, müssen wir das schon Angedeutete mit kräfti - geren Zügen noch einmal nachzeichnen.

Ich rufe dazu De Candolle’s Ausspruch ins Gedächtnis zurück: erst durch exaktes Wissen wird die Grenze zwischen Bekanntem und Un - bekanntem wahrgenommen. Mit anderen Worten: erst aus exaktem Wissen ergiebt sich exaktes Nichtwissen. Ich meine, das hat sich im Obigen in überraschender Weise bewahrheitet. Erst die Richtung auf exakte Forschung hat den Denkern die Unerforschlichkeit der Natur ge - offenbart, eine Unerforschlichkeit, die früher kein Mensch geahnt hatte. Es schien alles so einfach, man brauchte bloss zuzugreifen. Man könnte, glaube ich, leicht Zeugnisse dafür anführen, dass die Menschen vor der Ära der grossen Entdeckungen sich förmlich schämten, zu beobachten und Versuche anzustellen: es kam ihnen kindisch vor. Wie wenig irgend ein Mysterium geahnt wurde, ersieht man aus solchen ersten natur - wissenschaftlichen Versuchen wie die des Albertus Magnus und des Roger Bacon: kaum erblicken diese Männer ein Phänomen und gleich ist die Erklärung da. Zweihundert Jahre später experimentiert und be - obachtet zwar Paracelsus mit Eifer, denn er hat schon das Fieber, neue Thatsachen zu sammeln und empfindet lebhaft unsere grenzenlose Ignoranz in Bezug auf diese; um Gründe und Erklärungen aber ist er ebenfalls nie einen Augenblick verlegen. Doch je näher wir der Natur rückten, desto ferner schwand sie zurück, und als unsere besten Philo - sophen sie ganz ergründen wollten, stellte es sich heraus, dass sie unergründlich ist. Das war der Gang von Descartes bis Kant. Schon Descartes, der tiefsinnige Mechaniker, sah sich veranlasst, der Frage, » giebt es in Wirklichkeit materielle Dinge? « eine ganze Schrift zu912Die Entstehung einer neuen Welt.widmen. Nicht dass er im Ernste daran gezweifelt hätte; gerade aber die konsequent durchgeführte Einsicht, dass alle Wissenschaft Bewegungslehre sei, hatte ihm eine Erkenntnis aufgedrungen, die früher höchstens hier und dort als sophistische Spielerei aufgetreten war: » dass aus der körperlichen Natur gar kein einziges Argu - ment geschöpft werden kann, welches mit Notwendigkeit auf die Existenz eines Körpers schliessen lässt. « Und er er - schrak so sehr über die unwiderlegbare Wahrheit dieses wissenschaft - lichen Ergebnisses, dass er, um sich aus der Klemme zu helfen, zur Theologie greifen musste: » da Gott kein Betrüger ist, folgere ich mit Notwendigkeit, dass er mich auch in Bezug auf die körperlichen Dinge nicht betrogen hat. « 1)Méditations métaphysiques, 6. (Der erste Satz im zweiten Absatz, der zweite im letzten).Locke gelangte ein halbes Jahrhundert später auf einem anderen Wege zu einem ganz analogen Schluss: » ein Wissen der sinnlich wahrgenommenen Körper kann es nicht geben; wie weit auch menschlicher Fleiss die nützliche und ausführ - liche Kenntnis der körperlichen Dinge in Zukunft wird fördern können, ein Wissen davon wird stets unerreichbar bleiben, denn selbst für das Nächstliegende fehlt uns die Fähigkeit zu adäquaten Vorstellungen zu gelangen .... nie werden wir in dieser Beziehung bis auf den Grund der Wahrheit kommen können. « Und auch Locke half sich, indem er dem Problem auswich und in die Arme der Theologie flüchtete: unsere Vernunft ist die göttliche Offenbarung, durch welche Gott uns einen Teil der Wahrheit mitgeteilt hat u. s. w. 2)l. c., Buch 4., Kap. 3, § 26 und Kap. 19, § 4. In diesen theologischen Ausflüchten der ersten Bearbeiter der neuen germanischen Weltanschauung liegt offenbar der Keim zu der späteren dogmatischen Annahme der Schelling und Hegel von der Identität des Denkens und Seins. Was jenen Bahnbrechern eine blosse Rast am Wege gewesen war und zugleich eine Rettung vor der Verfolgung fanatischer Pfaffen, ward jetzt der Eckstein eines neuen Absolutismus.Der Unterschied zwischen Descartes und Locke besteht nur darin, dass der mechanisch Denkende (Descartes) die absolute Unmöglichkeit, die Existenz der Körper überhaupt wissenschaftlich zu beweisen, lebhaft empfindet, wo - gegen der Psycholog (Locke) die zwingende Kraft der mechanischen Erwägungen weniger begreift, dagegen aber durch die psychologische Unmöglichkeit gefesselt wird, auf das Wesen eines Dinges aus seinen von uns wahrgenommenen Qualitäten zu schliessen. Inzwischen ver - tiefte sich die neue Weltanschauung immer weiter, doch blieb jene913Weltanschauung und Religion.Erkenntnis unanfechtbar. Auch Kant musste bezeugen, dass jede philosophische Ergründung der mathematisch-mechanischen Körper - lehre » sich mit dem Leeren und darum Unbegreiflichen endigt. « 1)Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, letzter Absatz.Die exakte Forschung hat uns also nicht allein in empirischer Be - ziehung den dankbar anzuerkennenden Dienst geleistet, dass wir hin - fürder zwischen dem was wir kennen und dem was wir nicht kennen, genau zu unterscheiden gelernt haben, sondern ihre philosophische Vertiefung hat eine scharfe Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen gezogen: die gesamte Körperwelt kann nicht » gewusst « werden.

Nebenbei, und um ähnliche Missverständnisse beim Leser zuIdealismus und Materialismus. verhüten, sei kurz auf zwei Verirrungen hingewiesen, die aus diesem ersten grossen Ergebnis der philosophischen Naturforschung der Descartes und Locke sich entwickelten: den Idealismus und den Materialismus. Die Körperwelt, weil sie nicht » gewusst « werden kann, mit Berkeley (1685 1753) ganz wegzuleugnen, ist eine geistreiche, doch wertlose Spielerei; denn dies heisst einfach die Behauptung auf - stellen: weil ich die Sinnenwelt vermittelst meiner Sinne wahrnehme und keine andere Gewähr für ihr Dasein besitze, darum existiert sie nicht, weil ich die Rose nur vermittelst meiner Nase rieche, darum giebt es zwar eine Nase (wenigstens eine ideale) aber noch keine Rose. Ebenso wenig stichhaltig war die andere Folgerung, welche allzusehr an der Oberfläche klebende Denker zogen, und welche in Lamettrie (1709 51) und Condillac (1715 80) ihren klarsten Ausdruck fand: weil meine Sinne nur Sinnliches wahrnehmen, darum giebt es nur Sinnliches, weil mein Verstand ein Mechanismus ist, welcher das sinn - lich Wahrgenommene nur » maschinell « aufzufassen vermag, darum ist Mechanismus erschöpfende Weltweisheit. Beides Idealismus und Materialismus sind offenbare Trugschlüsse, Schlüsse, welche sich auf Descartes und Locke stützen und dennoch den klarsten Ergebnissen ihrer Arbeiten widersprechen. Ausserdem lassen diese beiden Ansichten einen wesentlichen Bestandteil der Weltanschauung der Descartes und Locke gänzlich unberücksichtigt; denn Descartes hatte nicht die ganze Welt, sondern nur die Welt der Erscheinungen mechanisch gedeutet, Locke hatte nicht die ganze Welt, sondern nur die Seele analysiert, indem er meinte, eine Wissenschaft der Körper könne es nicht geben. Solchen Missverständnissen waren die grossen Genies jederzeit ausgesetzt; lassen wir sie also bei Seite, und sehen wir zu, wie unsere neue Welt -914Die Entstehung einer neuen Welt.anschauung auf den einzig wahren Höhen des Denkens sich weiter ausbildete.

Das erste Dilemma.
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Ich bemerkte vorhin, Natur sei nicht allein der Regenbogen und das ihn wahrnehmende Auge, sondern auch das durch diesen Anblick bewegte Gemüt und der ihm nachsinnende Gedanke. Diese Erwägung liegt zu nahe, als dass sie einem Descartes und Locke nicht hätte ein - fallen sollen; doch hatten diese grossen Männer noch schwer zu tragen an der ererbten Vorstellung einer besonderen, unkörperlichen Seele; diese Last klammerte sich ihnen noch so fest an, wie das zu einem Riesen herangewachsene Kind auf den Schultern des Christophorus, und brachte ihr Denken manchmal zum Stolpern; ausserdem waren sie mit Analysen so vollauf beschäftigt, dass ihnen die Kraft der alles überblickenden Synthese abging. Doch finden wir bei ihnen, unter allerhand systematischen und systemlosen Hüllen sehr tiefe Gedanken, die den Weg zur Metaphysik wiesen. Dass man von unseren Vor - stellungen auf die Dinge nicht schliessen könne, hatten, wie gesagt, beide eingesehen: » unsere Vorstellungen von den Qualitäten der Dinge gleichen den Dingen nicht mehr, als der Schmerz dem geschliffenen Dolche gleicht, oder das Gefühl des Kitzelns der kitzelnden Feder «. 1)Descartes: Traité du monde ou de la lumière, ch. 1.Diesen Gedanken verfolgt nun Descartes weiter und gelangt zu der Überzeugung, die menschliche Natur bestehe aus zwei völlig getrennten Teilen, wovon nur der eine dem Reiche der sonst allbeherrschenden Mechanik angehöre, der andere den er Seele nennt nicht. Die Gedanken und die Leidenschaften machen die Seele aus. 2)Siehe namentlich die 6. Meditation, und in Les passions de l’âme die § 4, 17 u. s. w.Es ist nun ein Beweis nicht allein von Descartes Tiefsinn, sondern namentlich auch von seiner echt naturwissenschaftlichen Denkart, dass er jederzeit für die unbedingte, absolute Trennung von Seele und Körper heftig eintritt; man darf nicht in einer so oft und leidenschaftlich vorgetragenen Überzeugung eine religiöse Einseitigkeit erblicken; nein, Kant hat hundert und einige Jahre später haarscharf nachgewiesen, warum wir in der Praxis genötigt sind, uns » die Erscheinungen im Raume als von den Handlungen des Denkens ganz unterschieden vorzustellen « und insofern » eine zwiefache Natur anzunehmen, die denkende und die körperliche «. 3)Kritik der reinen Vernunft (Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft).Descartes wählte für diese Einsicht die Form, die ihm zur Verfügung915Weltanschauung und Religion.stand und förderte dadurch eine grundlegende doppelte Erkenntnis in durchaus anschaulicher Weise an den Tag: den unbedingten Mechanis - mus der körperlichen Natur und den unbedingten Nicht-Mechanismus der denkenden Natur. Diese Auffassung bedurfte aber einer Ergänzung. Locke, der nicht Mechaniker und Mathematiker war, konnte eher auf sie geraten. Auch er hatte eine Seele als ein besonderes, getrenntes Wesen annehmen zu müssen geglaubt; doch ist sie ihm stets im Wege, und als blosser Psycholog als wissenschaftlicher Dilettant, wenn ich den Ausdruck ohne tadelnde Nebenbedeutung anwenden darf em - pfindet er nicht die zwingende Kraft von Descartes rein wissenschaft - licher und formeller Besorgnis; er ist überhaupt ein nicht entfernt so tief blickender Geist wie Descartes; darum wirft er mit der unschul - digsten Miene von der Welt die Frage auf: warum sollten nicht die Seele und der Leib indentisch, die denkende Natur eine ausgedehnte, körperliche sein? 1)Essay, Buch 2., Kap. 27. § 27., besonders aber Buch 4, Kap. 3, § 6.Dem philosophisch nicht geschulten Leser diene Folgendes zur Erläuterung: streng wissenschaftlich genommen ist das Denken mir einzig durch persönliche innere Erfahrung gegeben; jeg - liche Erscheinung, auch solche, die ich aus Analogie mit grösster Sicherheit dem Denken und dem Fühlen Anderer zuschreibe, muss mechanisch gedeutet werden können: das festgestellt zu haben, ist gerade das unvergängliche Verdienst des Descartes. Nun kommt Locke und macht die sehr feine Bemerkung (die ich, um den Zusammenhang deutlich herzustellen, aus der etwas lockeren psychologischen Manier Locke’s in die wissenschaftliche Denkweise des Descartes übertrage): da wir jede Erscheinung selbst solche, die der Verstandesthätig - keit zu entspriessen scheinen auch ohne ein Denken voraussetzen zu müssen, erklären können, wir aber doch aus persönlicher Er - fahrung wissen, dass in einigen Fällen der Mechanismus von Denken begleitet ist, wer beweist mir, dass nicht jeder körperlichen Erscheinung Denken innewohnen und nicht jeder mechanische Vorgang von Ge - danken begleitet sein könne? 2)Man darf diesen wissenschaftlich-philosophischen Gedanken (wie ihn Kant und Andere wieder aufnehmen, siehe oben S. 114) nicht mit den Schwärmereien eines Schelling über » Geist « und » Materie « identifizieren; denn das Denken ist eine bestimmte Thatsache der Erfahrung, die nur in Begleitung ebenso bestimmter, sinnlich wahrnehmbarer, organischer Mechanismen uns bekannt ist; wogegen der Geist ein so vager Begriff ist, dass man jeden beliebigen Hokuspokus damit treiben kann. Wenn Goethe am 24. Mai 1828 an den Kanzler von Müller (offenbar unterLocke selbst ahnte offenbar weder916Die Entstehung einer neuen Welt.was er durch diesen Einfall zerstörte, noch wozu er den Weg er - öffnete; denn er fährt dann trotzdem fort, zwei Naturen zu unter - scheiden (wie hätte er als vernünftiger Mensch umhin können?), nicht jedoch eine denkende und eine körperliche, sondern eine denkende und eine nicht denkende. 1)cogitative und incogitative, Buch 4., Kap. 10, § 9.Damit verlässt Locke das Gebiet der Empirie, das Gebiet des echten naturforschenden Denkens. Denn sage ich von einer Erscheinung aus, sie ist » körperlich «, so sage ich etwas aus, was die Erfahrung mich lehrt, sage ich aber, sie ist » nichtdenkend «, so prädiziere ich etwas, was ich unmöglich je beweisen kann. Derselbe Mann, der soeben die feine Bemerkung gemacht hat, das Denken könnte eine Eigenschaft des Stoffes überhaupt sein, will jetzt zwischen denkenden und nichtdenkenden Körpern unterscheiden! Kein Wunder, dass die beiden Irrgedanken des absoluten (und in Folge dessen rein materialistischen) Idealismus und des aus einer symbolischen Hypothese hervorgegangenen (also rein » idealen «) Materialismus beide hier an - knüpfen, wo Locke so arg gestolpert ist. Doch Locke selber war nicht wie so viele seiner Nachfolger bis zum heutigen Tage an der - selben Stelle zu Boden gefallen, sondern war sofort mit der Naivetät des Genies zu einer seiner glänzendsten Leistungen geschritten: näm - lich zu dem Nachweis, dass aus nichtdenkender Materie, und sei sie noch so reich mit Bewegung ausgestattet, niemals Denken entstehen könne; das sei genau ebenso schlechthin unmöglich, meint er, wie dass aus nichts etwas werde. 2)Buch 4., Kap. 10, § 10.Hier trifft also, wie man sieht, Locke mit Descartes (und das heisst mit den Prinzipien eines streng wissen - schaftlichen Denkens) wieder vollkommen zusammen. Gerade Locke’s besonderer, individueller Gedankengang gewann nun, bei aller Fehler - haftigkeit,3)» C’est le privilège du vrai génie, et surtout du génie qui ouvre une carrière, de faire impunément de grandes fautes « (Voltaire). weithin reichende Bedeutung, denn er war geeignet, den letzten Rest von übernatürlichem Dogmatismus zu zerstören und weckte den die Natur befragenden Philosophen zu voller Besinnung auf. Hier musste Dieser entweder ganz verzichten, weiter zu gehen, sein Unter - nehmen also als gescheitert betrachten und vor den Absolutisten die Waffen strecken, oder aber er musste das Problem in seiner ganzen2)dem Einfluss Schelling’s) schreibt: » Die Materie kann nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existieren «, so wird man gut thun, mit Onkel Toby ihm darauf zu antworten: » That’s more than I know, Sir! «917Weltanschauung und Religion.Tiefe erfassen und das hiess notgedrungen metaphysischen Boden betreten.

Der Begriff » Metaphysik « hat so viel gerechtfertigten AbscheuDas metaphysische Problem. auf sich gehäuft, dass man das Wort nicht gerne anwendet; es wirkt als Vogelscheuche. Eigentlich brauchen wir das Wort auch gar nicht oder brauchten es wenigstens in dem Falle nicht, wenn es ausgemacht wäre, dass die alte Metaphysik kein Existenzrecht mehr besässe, und die neue Metaphysik die der Naturforscher einfach » Philosophie « wäre. Aristoteles nannte jenen Teil seines Lehrgebäudes, den man später Metaphysik getauft hat, Theologie; das war das richtige Wort, denn es war die Lehre vom Theos im Gegensatz zur Lehre von der Physis, Gott als Gegensatz zur Natur. Von ihm an bis auf Hume war Metaphysik Theologie, d. h. sie war eine Sammlung von unbe - wiesenen apodiktischen Sätzen, die entweder aus direkter göttlicher Offenbarung hergeleitet wurden, oder aber aus indirekter, indem man nämlich von der Voraussetzung ausging, die menschliche Vernunft selber sei übernatürlich und vermöge in Folge dessen, kraft eigener Überlegung, jede Wahrheit zu entdecken: Metaphysik gründete sich also nie unmittelbar auf Erfahrung und bezog sich auch nicht unmittel - bar auf sie, sondern sie war entweder Inspiration oder Ratiocination, ent - weder Eingebung oder reiner Vernunftschluss. Hume nun (1711 1776), lebhaft angeregt durch Locke’s paradoxe Ergebnisse, verlangte aus - drücklich, Metaphysik solle aufhören, Theologie zu sein und solle Wissenschaft werden. 1)A treatise of human nature. Einleitung. Das Dilemma der Descartes und Locke nimmt Hume in diese selbe Einleitung als ein evidentes Ergebnis genauen Denkens auf und meint: » jede Hypothese, welche die letzten Gründe der mensch - lichen Natur aufzudecken vorgiebt, ist ohne Weiteres als eine Vermessenheit und Chimäre abzuweisen. « Anstatt wie Jene aber eine hypothetische Lösung zu ver - suchen, verharrt er in prinzipieller Skepsis bezüglich dieser » Gründe «.Wohl gelang es ihm selber nicht ganz, dieses Programm durchzuführen, denn er war mehr beanlagt, falsche Wissen - schaft zu zerstören als wahre Wissenschaft aufzubauen; doch gab er eine so kräftige Anregung in dem bezeichneten Sinne, dass er Immanuel Kant » aus dem dogmatischen Schlummer aufweckte «. Von nun an haben wir unter dem Wort Metaphysik etwas ganz anderes zu verstehen als ehedem. Es bedeutet nicht einen Gegensatz zur Erfahrung, sondern die Besinnung über die uns durch die Erfahrung gelieferten Thatsachen und ihre Verknüpfung zu einer bestimmten Weltanschauung. Vier Worte Kant’s enthalten die Essenz dessen, was Metaphysik jetzt bedeutet;918Die Entstehung einer neuen Welt.Metaphysik ist die Antwort auf die Frage: » wie ist Erfahrung möglich «? Diese Frage ergab sich unmittelbar aus dem oben geschilderten Dilemma, zu welchem ehrliche, naturforschende Philosophie geführt hatte. Zwingt uns die Sorge um echte Wissenschaft der Körper, das Denken von der körperlichen Erscheinung völlig zu trennen, wie gelangt dann das Denken zu einer Erfahrung der körperlichen Dinge? Oder aber, fasse ich dasselbe Problem als Psycholog an und lege das Denken dem Körper - lichen (das mechanischen Gesetzen gehorcht) als Attribut bei, vernichte ich dann nicht durch diesen Gewaltstreich echte (das heisst mechanische) Wissenschaft ohne das Geringste zur Lösung des Problems beigetragen zu haben? Die Besinnung hierüber wird uns namentlich zu einer Besinnung über uns selbst führen, da diese verschiedenen Urteile in uns selber wurzeln, und die Antwort auf die Frage, » wie ist Er - fahrung möglich «? wird nicht gegeben werden können, ohne zugleich die Grundlinien einer Weltanschauung hinzuzeichnen. Vielleicht wird die Frage innerhalb gewisser Grenzen eine verschiedene Beantwortung zulassen, doch der Kardinalunterschied wird fortan immer sein: ob diese Frage, die aus rein naturwissenschaftlichen Erwägungen sich er - geben hat, auch wissenschaftlich beantwortet, oder nach der Methode der alten Theologen einfach zerhauen wird zu Gunsten eines beliebigen Vernunftdogmas. 1)Da Kant der hervorragendste Vertreter der rein wissenschaftlichen Be - antwortung ist, und unwissende oder boshafte Skribenten noch immer das Publikum mit der Behauptung irreführen, die Philosophie der Fichte und Hegel stehe in einem organischen Zusammenhang mit der Kant’s, wodurch jedes wahre Ver - ständnis und jede ernste Vertiefung unserer Weltanschauung unmöglich wird, so mache ich den philosophisch minder gebildeten Leser darauf aufmerksam, dass Kant in einer feierlichen Erklärung des Jahres 1799 Fichte’s Lehre als ein » gänzlich unhaltbares System « gebrandmarkt und ausserdem kurz darauf aufmerksam gemacht hat, dass zwischen seiner » kritischen Philosophie « (die kritische Besinnung nämlich über die durch die wissenschaftliche Erforschung der körperlichen und der denkenden Natur gewonnenen Ergebnisse) und derartiger » Scholastik « (so nennt er Fichte’s Philosophie) keinerlei Verwandtschaft bestehe. Die philosophische Wider - legung dieser Neoscholastik hatte Kant lange, ehe Fichte zu schreiben begann, geliefert, denn sie atmet aus jeder Seite seiner Kritik der reinen Vernunft; man sehe speziell § 27 der Analytik der Begriffe, und vergleiche hierzu namentlich auch die prächtige kleine Schrift aus dem Jahre 1796: Von einem neuerdings er - hobenen vornehmen Ton in der Philosophie. Erstere Methode fördert zugleich Wissenschaft und Religion, letztere vernichtet beide; erstere bereichert Kultur und Wissen, gleichviel ob man alle Ergebnisse eines bestimmten Philosophen (z. B. eines Kant) stichhaltig findet oder nicht, letztere ist antigermanisch und919Weltanschauung und Religion.legt der Wissenschaft in allen ihren Zweigen Handschellen an, gleich - wie seiner Zeit die Theologie des Aristoteles es gethan hatte.

Für das Verständnis unserer heranwachsenden neuen Welt und unseres ganzen 19. Jahrhunderts war es zunächst unumgänglich not - wendig, deutlich zu zeigen, wie aus einem neuen Geist und einer neuen Methode auch neue Ergebnisse entstehen und wie diese wiederum zu einem durchaus neuen philosophischen Problem führen mussten. Und das hat einige Umständlichkeit erfordert; denn der Menschheits - und Fortschrittswahn macht, dass die Geschichtsschreiber der Philosophie unsere Weltanschauung immer so darstellen, als ob sie nach und nach aus der hellenischen und scholastischen hervorgewachsen wäre, und das ist einfach nicht wahr, sondern ist ein pragmatisches Wahngebilde. Viel - mehr ist unsere Weltanschauung in direktem Gegensatz zur hellenischen und zur christ-hellenischen Philosophie entstanden. Unsere Theologen kündigten der Kirchenphilosophie den Gehorsam; unsere Mystiker schüttelten, so viel sie irgend konnten, die historische Überlieferung ab, um in die Erfahrungen des eigenen Selbst sich zu vertiefen; unsere Humanisten leugneten das Absolute, leugneten den Fortschritt, kehrten sehnsuchtsvoll in die beschimpfte Vergangenheit zurück und lehrten uns das Individuelle in seinen verschiedenen Äusserungen unterscheiden und hochschätzen; unsere naturforschenden Denker endlich richteten ihr Sinnen auf die Ergebnisse einer früher nie geahnten, nie versuchten Wissenschaft; ein Descartes, ein Locke sind von der Sohle bis zum Scheitel neue Erscheinungen, sie knüpfen nicht bei Aristoteles und Plato an, sondern sagen sich energisch von ihnen los, und was ihnen von der Scholastik ihrer Zeit anklebt, ist nicht das Wesentliche an ihnen, sondern das Nebensächliche. Diese Überzeugung hoffe ich dem Leser mitgeteilt zu haben, und ich meine, sie war es wert, dass man ein paar Druckseiten darauf verwendete. Nur auf diese Weise konnte es gelingen, begreiflich zu machen, dass das Dilemma, in welchem sich Descartes und Locke plötzlich verwickelt fanden, nicht eine alte aufgewärmte philosophische Frage war, sondern eine durchaus neue, die sich aus dem redlichen Bestreben ergeben hatte, sich von der Er - fahrung allein, von der Natur allein leiten zu lassen. Das Problem, welches jetzt auftauchte, mag wohl mit anderen Problemen, die andere Denker zu anderen Zeiten beschäftigt hatten, verwandt sein, doch nicht genetisch; und die besondere Art, wie es hier auftrat, ist ganz neu. Hier schafft der Historiker nicht durch Verbindung, sondern durch Trennung Klarheit.

920Die Entstehung einer neuen Welt.

Jetzt muss ich aber noch einen letzten Augenblick die Aufmerk - samkeit des Lesers beanspruchen. So gut es ohne grössere meta - physische Vertiefung gehen will, muss ich nämlich versuchen, jenes unserer spezifisch germanischen Weltanschauung zu Grunde liegende metaphysische Problem zu erläutern, so weit wenigstens, dass jeder Leser begreifen kann, wie berechtigt meine Behauptung war, die Er - forschung der Natur lehre den Menschen sich selbst erkennen, sie führe ihn ins Innere ein. Hier erst wird die Verbindung mit Religion sicht - bar werden, die in der That alle die Philosophen, die ich jetzt genannt habe, eingehend und leidenschaftlich beschäftigt hat. Selbst Hume, der Skeptiker, ist tief innerlich religiös. Die Wut, mit welcher er über die historischen Religionen als über » Phantastereien halbmensch - licher Affen « herfällt,1)Dialogues concerning natural religion. zeigt wie ernst es ihm um die Sache ist; und solche Ausführungen wie das Kapitel Of the immateriality of the soul,2)A treatise of human nature, book I, part 4, section 5. lassen uns in Hume auch auf diesem Felde, wie auf dem rein philosophischen, den echten Vorläufer Kant’s erkennen.

Wer nicht zu Aussernatürlichem seine Zuflucht nimmt, wird auf die Frage » wie ist Erfahrung möglich? « nicht anders als mit einer Kritik des gesamten Inhalts seines Bewusstseins antworten können. Kritik kommt von krinein, einem Wort, welches ursprünglich » scheiden «, » unterscheiden « heisst. Unterscheide ich aber richtig, so werde ich auch zusammenbringen, was zusammengehört, d. h. ich werde auch richtig verbinden. Wahre Kritik besteht also ebenso sehr im Ver - binden wie im Unterscheiden, sie ist ebenso sehr Synthese wie Analyse. Die Besinnung über das oben genau bezeichnete Doppeldilemma zeigte nun bald, dass Descartes nicht richtig geschieden und Locke nicht richtig verbunden hatte. Denn Descartes hatte aus formellen Gründen Körper und Seele geschieden und wusste nun nicht weiter, da er sie in sich selber untrennbar verbunden fand; Locke dagegen war wie ein zweiter Curtius mit seinem ganzen Verstand in die gähnende Kluft hinabgesprungen, doch ist Wissenschaft kein Märchen und die Kluft gähnte nach wie vor. Ein erster grosser Fehler ist leicht zu ent - decken. Diese frühen Naturforscher der Philosophie waren noch nicht kühn genug; sie scheuten sich, die gesamte Natur unbefangen in den Kreis ihrer Forschungen einzubeziehen; etwas blieb immer draussen, etwas, was sie Gott und Seele und Religion und Metaphysik nennen. 921Weltanschauung und Religion.Dies gilt namentlich von der Religion; diese Philosophen lassen sie aus dem Spiele, d. h. sie reden von ihr, betrachten sie aber als eine Sache für sich, die ausserhalb der gesamten Wissenschaft zu stehen habe, als etwas für den Menschen freilich Wesentliches, für die Natur - erkenntnis aber durchaus Accessorisches. Wer hierin bloss das Be - fangensein in kirchlichen Ideen erblicken wollte, würde oberflächlich urteilen; im Gegenteil, der Fehler ist viel eher eine Geringschätzung des religiösen Elementes. Denn dieses von ihnen fast gar nicht be - achtete » Etwas « umfasst den wichtigsten Teil ihrer eigenen mensch - lichen Persönlichkeit, nämlich das Allerunmittelbarste ihrer Erfahrungen und daher sicherlich einen bedeutsamen Bruchteil der Natur. Die tiefsten Beobachtungen schieben sie einfach bei Seite, sobald sie nicht wissen, wo sie dieselben in ihrem empirischen und logischen System einreihen sollen. So besitzt Locke z. B. ein so lebhaftes Verständnis für den Wert der intuitiven oder anschaulichen Er - kenntnis, dass er in dieser Beziehung geradezu ein Vorläufer Schopen - hauer’s genannt werden könnte: er nennt die Intuition, » den hellen Sonnenschein « des Menschengeistes; ein Wissen, meint er, besitze nur insofern Wert, als es sich auf unmittelbare Anschauung (d. h. wie Locke ausdrücklich erklärt » eine Anschauung, welche ohne vermit - telndes Urteil gewonnen wird «) direkt oder indirekt zurückführen lasse. Und wie wird diese » Wahrheitsquelle, welcher mehr bindende Über - zeugungskraft zu eigen ist als allen Schlüssen der Vernunft « (so spricht Locke) im Zusammenhang der Untersuchung verwertet? Gar nicht. Nicht einmal die klare Einsicht, dass die Mathematik hierher gehört, regt zu tieferen Gedanken an, und das Ganze wird schliesslich » den Engeln und den Seelen der Gerechten im zukünftigen Leben « (sic) mit vielen Beglückwünschungen zur weiteren Untersuchung anempfohlen! Uns armen Menschen wird aber gelehrt: » allgemeine und sichere Wahrheiten findet man einzig in den Beziehungen der abstrakten Begriffe «; und das sagt ein naturforschender Philosoph! 1)Essay, book 4., ch. 2, § 1 u. 7, ch. 17, § 14, ch. 12, § 7.Ebenso ergeht es den moralischen Erkenntnissen. Hier blitzt Locke während eines kurzen Augenblickes sogar als Vorläufer von Kant und dessen sittlicher Autonomie des Menschen auf. Er sagt: » moralische Ideen sind nicht weniger wahr und nicht weniger real, weil wir sie selber geschaffen haben «; man glaubt das grosse Kapitel der inneren Erfahrung aufschlagen zu sehen; doch nein, der Verfasser meint kurzChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 59922Die Entstehung einer neuen Welt.darauf: » für unseren jetzigen Gegenstand (er handelt von der Wahrheit im Allgemeinen) ist diese Erwägung ohne grosse Bedeutung; sie ge - nannt zu haben, genügt. « 1)Essay, book 4., ch. 4, § 9 fg.Auch dort, wo metaphysische Erwägungen nahegelegen hätten, streift Locke dicht heran an eine kritische Be - handlung, ohne aber sich darauf einzulassen. So meint er z. B. von dem Begriff des Raumes: » ich werde Euch sagen, was Raum ist, wenn ihr mir gesagt haben werdet, was Ausdehnung ist «, und mehr als einmal behauptet er dann, Ausdehnung sei etwas » schlechthin un - begreifliches «. 2)l. c., book. 2., ch. 13, § 15, ch. 23 § 22 u. 29.Doch wagt er es nicht, tiefer einzudringen; im Gegen - teil, dieses schlechthin Undenkbare das Ausgedehnte wird später bei ihm zum Träger des Denkens! Durch dieses eine Beispiel glaube ich deutlich gemacht zu haben, was diesen bahnbrechenden Denkern noch fehlte: die volle philosophische Unbefangenheit. Sie standen doch noch ausserhalb der Natur, wie die Theologen, und meinten, sie könnten sie von dort aus betrachten und begreifen. Sie verstanden noch nicht:

Natur in sich, sich in Natur zu hegen.

Hume machte den entscheidenden Schritt hierzu; er beseitigte diese künstliche Scheidung des Selbst in zwei Teile, von denen man vor - giebt, den einen ganz erklären zu wollen, während der andere völlig unberücksichtigt, für Engel und Verstorbene aufgehoben bleibt. Hume stellte sich auf den Standpunkt eines konsequent die Natur in sich und ausser sich Befragenden; er deckte als Erster das metaphysische Problem » Wie ist Erfahrung möglich? « auf, holte die kritischen Ein - würfe alle nacheinander herbei, und gelangte zu dem paradoxen Schluss, der sich in folgenden Worten zusammenfassen lässt: Er - fahrung ist unmöglich. Er hatte in einem gewissen Sinne vollkommen Recht, und sein glänzendes Paradoxon ist wohl doch nur als Ironie zu fassen. Blieb man nämlich auf dem Standpunkt eines Descartes und Locke stehen und schob dennoch ihren deus ex machina bei Seite, dann stürzte sofort das Gebäude ein. Und zwar stürzte es um so gründlicher zusammen, als ihre Befangenheit nicht allein darin bestanden hatte, einen grossen und wichtigsten Teil ihres Erfahrungs - materials unbenutzt liegen zu lassen, sondern ich bitte dies ganz besonders zu beachten auch darin, dass sie eine lückenlose, logische Erklärung des übrigen Teils ohne Weiteres als möglich voraussetzten. 923Weltanschauung und Religion.Das war scholastische Erbschaft. Wer sagte ihnen denn, dass die Natur würde begriffen, würde erklärt werden können? Thomas von Aquin, ja, der kann das, denn er geht von diesem Dogma aus. Doch wie kommt der Mathematiker Descartes dazu, der behauptet hat, jede überkommene Meinung aus seinem Kopf verbannen zu wollen? Wie kommt John Locke, gentleman, dazu, der am Eingang seiner Unter - suchung erklärt hat, lediglich die Grenzen des Menschenverstandes feststellen zu wollen? Descartes antwortet: Gott ist kein Betrüger, folglich muss mein Verstand den Dingen bis auf den Grund sehen; Locke antwortet: die Vernunft ist göttliche Offenbarung, folglich ist sie unfehlbar, so weit sie reicht. Das ist nicht echte Naturforschung, sondern erst ein Anlauf dazu, daher die Lückenhaftigkeit des Ergebnisses.

Im Interesse des nicht metaphysisch gebildeten Lesers habe ich die damalige Lage unserer jungen, werdenden Weltanschauung von der negativen Seite gemalt; er wird viel leichter verstehen, was jetzt geschehen musste, um sie zu retten und zu fördern. Zunächst musste sie gereinigt werden, gereinigt von den letzten Spuren fremder Bei - mengungen; sodann musste der naturforschende Philosoph den vollen Mut seiner Überzeugung haben; er musste, wie Columbus, sich zaglos dem Meere der Natur anvertrauen, und nicht (wie dessen Ma - trosen) vermeinen, er sei verloren, sobald die Spitze des letzten Kirch - turms unter dem Horizont verschwände. Dazu jedoch gehörte nicht allein Mut, wie der tollkühne Hume ihn besass, sondern zugleich das feierliche Bewusstsein grosser Verantwortung. Wer hat das Recht, die Menschen aus altgeheiligter Heimat hinwegzuführen? Nur wer die Macht besitzt, sie zu einer neuen Heimat hinzuleiten. Darum konnte das Werk einzig von einem Immanuel Kant ausgeführt werden, einem Manne, der nicht allein phänomenale Geistesgaben besass, sondern einen mindestens ebenso hervorragenden sittlichen Charakter. Kant ist der wahre rocher de bronze unserer neuen Weltanschauung. Ob man im Einzelnen mit seinen philosophischen Ausführungen übereinstimmt, ist völlig nebensächlich; er allein besass die Kraft, uns loszureissen, er allein besass die moralische Berechtigung dazu, er, dessen langes Leben in fleckenloser Ehrenhaftigkeit, strenger Selbstbeherrschung, völliger Hin - gabe an ein für heilig erkanntes Ziel verlief. Anfangs der Zwanziger schrieb er: » Ich stehe in der Einbildung, es sei zuweilen nicht unnütz, ein gewisses edles Vertrauen in seine eigenen Kräfte zu setzen. Hierauf gründe ich mich. Ich habe mir die Bahn schon vorgezeichnet, die ich halten will. Ich werde meinen Lauf antreten, und nichts soll59*924Die Entstehung einer neuen Welt.mich hindern, ihn fortzusetzen «. 1)Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, Vorrede § 7.Das hat er gehalten. Dieses Ver - trauen in die eigenen Kräfte war zugleich die Einsicht, dass wir uns auf dem rechten Wege befanden, und sofort begann er ein zweiter Luther, ein zweiter Kopernikus das uns Fremde hinwegzusäubern:

Was euch das Inn’re stört, Dürft ihr nicht leiden!

Nichts kann verkehrter sein als die vielverbreitete Sitte, Kant aus ein oder zwei metaphysischen Werken kennen zu wollen; alle Welt führt sie im Munde und kaum einer unter zehntausend versteht sie, und zwar nicht, weil sie unverständlich sind, sondern weil man eine der - artige Erscheinung wie Kant’s nur aus ihrem gesamten Wirken be - greifen kann. Wer das versucht, wird bald gewahr werden, dass Kant’s Weltanschauung überall, in allen seinen Schriften steckt, und dass seine Metaphysik nur von Demjenigen mit Verständnis aufgenommen werden kann, der mit seiner Naturwissenschaft vertraut ist. 2)Siehe hierüber Kant’s Äusserungen gegen Schlosser in dem 2. Abschnitt des Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie: » Die kritische Philosophie, die er zu kennen glaubt, ob er zwar nur die letzten, aus ihr hervorgehenden Re - sultate angesehen hat, und die er, weil er die Schritte, die dahin führen, nicht mit sorg - fältigem Fleisse durchgegangen war, notwendig missverstehen musste, empörte ihn «.Denn Kant ist immer und überall Naturforscher. Und so sehen wir ihn denn gleich am Anfang seiner Laufbahn, in seiner Allgemeinen Naturgeschichte des Himmels, eifrig beschäftigt, den Gott der Genesis und die uns so fest anhaftende aristotelische Theologie aus unserer Naturbetrachtung hinauszukehren. Er weist da haarscharf nach, dass die kirchliche Auffassung Gottes nötige: » die ganze Natur in Wunder zu ver - kehren «; in diesem Falle bleibe der seit zwei Jahrhunderten mit so glänzendem Erfolg arbeitenden Naturforschung nichts weiter übrig als einzukehren und » vor dem Richterstuhle der Religion eine feier - liche Abbitte zu thun. Es wird in der That alsdann keine Natur mehr sein; es wird nur ein Gott in der Maschine die Ver - änderungen der Welt hervorbringen «. Kant stellt uns, wie man sieht, vor die Wahl: Gott oder Natur. An derselben Stelle zieht er dann her über » die faule Weltweisheit, die unter einer andächtigen Miene eine träge Unwissenheit zu verbergen trachte «. 3)In dem genannten Werke, Teil 2, Hauptstück 8. Dass Kant nicht gegen den Glauben an eine Gottheit überhaupt und gegen Religion zu Felde zieht, braucht kaum bemerkt zu werden, die genannte Schrift selbst, sowie sein ganzesSoviel über925Weltanschauung und Religion.das Reinigungswerk, durch welches unser Denken endlich frei wurde, frei, sich selber treu zu sein. Das war aber nicht hinreichend; es genügte nicht, das Fremde entfernt zu haben, es musste das ganze Gebiet des Eigenen in Besitz genommen werden und dies bedingte wiederum vornehmlich zweierlei: eine gewaltige Erweiterung der Vor - stellung » Natur « und eine tiefe Versenkung in das eigene » Ich «. Beides hat das positive Lebenswerk Kant’s ausgemacht; bei beiden wirkte er nicht allein, sondern arbeitete vielmehr wie jeder grosse Mann die unbewussten, widerspruchsvollen Tendenzen seiner Zeitgenossen durch zu voller Klarheit.

Die Erweiterung der Vorstellung » Natur « führte ohne WeiteresDie Natur und das Ich. zur Vertiefung des Begriffes » Ich «; das Eine ergab sich aus dem Anderen.

Die Erweiterung der Vorstellung » Natur « kann man sich gar nicht zu allumfassend denken. Im selben Augenblick, wo Kant seine reine Vernunft vollendete, schrieb Goethe: » Natur! wir sind von ihr umgeben und umschlungen; die Menschen sind alle in ihr, und sie in allen; auch das Unnatürlichste ist Natur, auch die plumpste Philisterei hat etwas von ihrem Genie. Wer sie nicht allenthalben sieht, sieht sie nirgendwo recht «. 1)Die Natur (aus der Reihe Zur Naturwissenschaft im Allgemeinen).Aus dieser Erwägung mag man schliessen, wie mächtig gerade an diesem Punkte unsere nach verschiedenen Richtungen entfalteten Geistesanlagen zur Klärung und Vertiefung unserer neuen Weltanschauung beitragen konnten. Hier fand in der That die Ver - einigung statt. Die Humanisten (in dem weiten Sinne, den ich diesem Worte oben beilegte) schlossen sich hier den Philosophen an. Was ich in einem früheren Teil dieses Abschnittes über die rein-philosophische Wirksamkeit dieser Gruppe schon andeutete, war ein wichtiger Bei - trag. 2)Siehe S. 895 fg.Dazu kamen die grossen Leistungen auf dem Gebiete der Ge - schichte, Philologie, Archäologie, Naturbeschreibung. Denn die Natur, die uns unmittelbar und von Jugend auf umgiebt menschliche und aussermenschliche werden wir zunächst als » Natur « gar nicht ge - wahr. Es war die Menge des neuen Materials, die grosse Erweiterung der Vorstellungen, welche die Besinnung über uns selbst und über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur wachrief. Ein Herder mochte sich in seinen letzten Lebensjahren in ohnmächtiger Wut des Miss -3)späteres Wirken beweisen das Gegenteil; von dem historischen Jahve der Juden aber sagt er sich hier ein für allemal los.926Die Entstehung einer neuen Welt.verstandes gegen einen Kant erheben: er hatte selber doch mächtig zur Erweiterung des Begriffs Natur beigetragen; der ganze erste Teil seiner Ideen zur Geschichte der Menschheit ist vielleicht das Einfluss - reichste, was zur Verbreitung dieser antitheologischen Auffassung jemals geschah; das ganze Bestreben des edlen und genialen Mannes geht hier darauf, den Menschen mitten hinein in die Natur zu stellen, als einen organischen Bestandteil derselben, als eines ihrer noch im vollen Werden begriffenen Geschöpfe; und wenn er auch in seinem Vorwort einen kleinen Seitenhieb auf die » metaphysischen Spekulationen « aus - führt, die » abgetrennt von Erfahrungen und Analogien der Natur eine Lustfahrt sind, die selten zum Ziele führet «, so ahnt er nicht, wie sehr er selber unter dem Einfluss der neuen, werdenden Welt - anschauung steht und wie viel andererseits seine eigenen Anschauungen an Tiefe und Treffsicherheit gewonnen hätten (vielleicht allerdings auf Kosten ihrer Popularität), wenn er die Metaphysik, wie sie aus treuer Be - obachtung der Natur erschlossen worden war, eingehender studiert hätte. Dieser verehrungswürdige Mann möge als der glänzendste Vertreter einer ganzen Richtung stehen. Einer anderen Richtung begegnen wir in Männern von der Art des Buffon. Von diesem Naturschilderer schreibt Condorcet: il était frappé d’une sorte de respect religieux pour les grands phénomènes de l’univers. Also die Natur selber ist es, die Buffon religiöse Verehrung einflösst. Die encyklopädistischen Naturforscher seiner Art (die in unserem Jahrhundert in Humboldt eine weithin wirkende Fortsetzung erlebten) thaten ungeheuer viel, wenn nicht gerade zur Erweiterung, so doch zur Bereicherung der Vorstellung » Natur «, und dass sie religiöse Verehrung für sie empfanden und mitzu - teilen verstanden, war philosophisch von Bedeutung. Diese Bewegung auf eine Erweiterung des Begriffes » Natur «, liesse sich in ähnlicher Weise auf vielen Gebieten verfolgen. Selbst ein Leibniz, der doch theologische Dogmatik noch zu retten sucht, giebt die Natur im weitesten Umfang frei, denn durch seine prästabilierte Harmonie wird freilich alles Supra - natur, doch auch alles ohne Ausnahme Natur. Das Wichtigste aber und Entscheidendste war die grosse Erweiterung, welche die Natur durch die restlose Einbeziehung des inneren Ich erfuhr. Warum sollte gerade dieses ausgeschlossen bleiben? Wie wollte man das rechtfertigen? Wie hätte man fortfahren sollen, mit Descartes und Locke in der oben geschilderten Weise die sichersten Thatsachen der Erfahrung unter dem Vorwand zu umgehen, sie seien nicht mechanisch, sie liessen sich nicht begreifen, sie seien folglich von jeder Betrachtung aus -927Weltanschauung und Religion.zuschliessen? Wogegen naturwissenschaftliche Methode und Ehrlich - keit zu dem einfachen Schlusse verpflichtete: es ist nicht alles in der Natur mechanisch, es lässt sich nicht jede Erfahrung in eine logische Begriffskette hineinschmieden. Wie sollte man sich mit Herder’s halber Massregel einverstanden erklären können: den Menschen erst vollkommen mit der Natur zu identifizieren und ihn zuletzt doch wieder heraus zu eskamotieren nicht freilich den ganzen Menschen, aber seinen » Geist « dank der Annahme aussernatürlicher Kräfte und übernatürlichen Waltens? 1)Siehe Kant’s drei meisterhafte Recensionen von Herder’s Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Auch hier handelte es sich zunächst um eine einfache Orientierung des Geistes; allerdings entschied diese Orientierung über die ganze Weltanschauung. Denn so lange wir den Menschen nicht rückhaltlos zur Natur rechneten, so lange standen beide sich fremd gegenüber, und, stehen sich in Wirklichkeit Mensch und Natur fremd gegenüber, dann ist unsere ganze germanische Richtung und Methode eine Verirrung. Sie ist aber keine Verirrung, und so hatte denn die resolute Einbeziehung des Ich in die Natur sofort eine grosse metaphysische Vertiefung zur Folge.

In dieser Beziehung ist den Mystikern ein bedeutendes Verdienst zuzuschreiben. Wenn Franz von Assisi die Sonne als messor lo frate sole anruft, so sagt er: die ganze Natur ist mein Blutsverwandter, ihrem Schosse bin ich entwachsen, und erblicken einst meine Augen jenen hellglänzenden » Bruder « nicht mehr, dann ist es die » Schwester «, der Tod, die mich in den Schlaf wiegt. Was Wunder, wenn dieser Mann das Beste, was er wusste, die Kunde von dem lieben Heiland, den Vögeln im Walde predigte? Ein halbes Jahrtausend brauchten die Herren Philosophen, um auf demselben Standpunkt anzukommen, wo jener wunderbare Mann in vollster Naivetät gestanden hatte. Jedoch, übertreiben wir nichts: die Mystik hatte viele tiefe metaphysische Fragen in Bezug auf das innerste Leben des Ich aufgeworfen, auch hatte sie in dankenswertester Weise nicht allein naturwissenschaftliches Denken gefördert, sondern ebenfalls die so nötige Erweiterung des Begriffes » Natur «;2)Siehe S. 883, 887. jedoch, die eigentliche Vertiefung, wenigstens die philosophische Vertiefung, hatte sie nicht durchgeführt, denn dazu war ein wissenschaftlicher Geist nötig, der sich schwer mit ihr vereinbaren lässt. Im Allgemeinen vertieft mystische Anlage den Charakter, doch nicht das Denken, und selbst ein Paracelsus wird durch sein » inneres928Die Entstehung einer neuen Welt.Licht « verleitet, eine schwere Menge Unsinns für Weisheit auszugeben. Der mystischen, ahnungsvollen Begeisterung musste eine exaktere Denk - weise aufgepfropft werden. Und das geschah in der That innerhalb des von Franz von Assisi beeinflussten Kreises. Zu einer Amalgamierung der sonst so sorglich voneinander geschiedenen Begriffe, Natur und Ich, hat nämlich in ihren guten Zeiten die Theologie der Franzis - kaner ziemlich viel vorgearbeitet fast mehr als wünschenswert, da dadurch manches rein begriffliche Schema sich zum Nachteil eines naturforschenden Denkens festgesetzt hatte, was selbst einen Kant viel - fach hemmte. Doch verdient es, erwähnt zu werden, dass schon Duns Scotus in Bezug auf unsere Wahrnehmung der umgebenden Dinge energisch gegen das Dogma protestiert hatte, diese sei ein blosses passives Empfangen, d. h. also ein blosses Aufnehmen von Eindrücken, von welchen dann ohne weiteres angenommen wurde, sie (unsere sinn - lichen Eindrücke und die daraus sich ergebenden Vorstellungen) ent - sprächen den Dingen genau etwa, um mich äusserst populär aus - zudrücken: sie seien eine Photographie der thatsächlichen Wirklichkeit. Nein, sagte er, der menschliche Geist verhält sich bei der Aufnahme von Eindrücken (welche dann, verstandesgemäss verbunden u. s. w., die Erkenntnis ausmachen) nicht bloss passiv, sondern auch aktiv, d. h. er steuert das Seinige dazu bei, er färbt und gestaltet, was er von der Aussenwelt empfängt, er verarbeitet es nach seiner Weise und gestaltet es zu etwas Neuem um; kurz, der Menschengeist ist von Hause aus schöpferisch, und was er als ausser sich daseiend erkennt, ist zum Teil und in der besonderen Form, wie er es erkennt, von ihm selber erschaffen. Jeder Laie muss das Eine gleich verstehen: wenn der Menschengeist bei der Aufnahme und Verarbeitung seiner Wahrneh - mungen selber schöpferisch-thätig ist, so folgt mit Notwendigkeit, dass er sich selber überall in der Natur wiederfinden muss; diese Natur (wie er sie erblickt) ist ja in einem gewissen Sinne (und ohne dass ihre Wirklichkeit in Zweifel gezogen werde) sein Werk. Und so kommt denn auch Kant zu dem Schlusse: » es klingt zwar anfangs befremdlich, ist aber nichtsdestoweniger gewiss: der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor die oberste Gesetzgebung der Natur liegt in uns selbst, das heisst in unserem Verstande. « 1)Prolegomena zu einer jeden künftigen Methaphysik, § 36.Durch diese Erkenntnis wurde das Verhältnis zwischen Natur und Mensch (dieses Verhältnis in seinem nächstliegenden,929Weltanschauung und Religion.fasslichsten Sinne genommen) klar und übersichtlich. Man begriff nun - mehr, warum jede Naturforschung, auch die streng mechanische, zu - letzt überall auf metaphysische Fragen d. h. auf Fragen an das Menscheninnere zurückführe, was Descartes und Locke in eine so hilflose Bestürzung gebracht hatte. Erfahrung ist eben nichts Einfaches und kann niemals rein objektiv sein, weil es unsere eigene thätige Organisation ist, welche Erfahrung erst möglich macht, indem nicht allein unsere Sinne nur bestimmte Eindrücke aufnehmen (die sie ausser - dem bestimmt gestalten),1)Man kann den optischen Nerv reizen wie man will, der Eindruck ist immer » Licht «, und so bei den anderen Sinnen. sondern unser Verstand sie gleichsam nach bestimmten Schemen sichtet und ordnet und verknüpft. Und das ist so überzeugend evident für jeden Menschen, der zugleich Natur - beobachter und Denker ist, dass selbst ein Goethe den Niemand einer besonderen Vorliebe für derartige Spekulationen wird zeihen können zugestehen muss: » Man kann in den Naturwissenschaften über manche Probleme nicht gehörig sprechen, wenn man die Meta - physik nicht zu Hilfe ruft. « 2)Sprüche in Prosa, über Naturwissenschaft, 4.Man begriff nunmehr auch umgekehrt, mit welchem Recht die Mystiker gemeint hatten, das Menscheninnere überall in der äusseren Natur zu erblicken: diese Natur ist gleichsam das geöffnete, hellbeleuchtete Buch unseres Verstandes, nicht etwa, dass sie ein leeres Phantom dieses Verstandes sei, sie zeigt uns aber unseren Verstand am Werke und belehrt uns über seine Eigenart. Wie der Mathematiker und Astronom Lichtenberg sagt: » Man kann nicht genug bedenken, dass wir nur immer uns beobachten, wenn wir die Natur und zumal unsere Ordnungen beobachten. « 3)Schriften ed. 1844. Bd. 9, S. 34.Schopen - hauer hat der grossen Bedeutung dieser Einsicht Ausdruck verliehen: » Die möglichst vollständige Naturerkenntnis ist die berichtigte Dar - legung des Problems der Metaphysik; daher soll Keiner sich an diese wagen, ohne zuvor eine, wenn auch nur allgemeine, doch gründliche, klare und zusammenhängende Kenntnis aller Zweige der Naturwissen - schaft sich erworben zu haben. «4)Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, Kap. 17.

Wie der Leser sieht, sobald diese neue Phase des Denkens durch -Das zweite Dilemma. laufen war, befand sich der Philosoph wieder vor einem dem früheren analogen Dilemma; es war sogar dasselbe Dilemma, nur diesmal tiefer erfasst und in richtigerer Perspektive erschaut. Das Studium der Natur930Die Entstehung einer neuen Welt.führt den Menschen mit Notwendigkeit auf sich selbst zurück, und er selbst wiederum findet seinen Verstand nirgends anders » dargelegt «, als in der wahrgenommenen und gedachten Natur. Die gesamte Erscheinung der Natur ist eine spezifisch menschliche, durch den aktiven Menschen - verstand also gestaltet, wie wir sie wahrnehmen; andererseits aber wird dieser Verstand einzig und allein von aussen, d. h. durch empfangene Eindrücke genährt: als Reaktion erwacht unser Verstand, d. h. also als Rückwirkung auf Etwas, was nicht Mensch ist. Ich nannte vor - hin den menschlichen Verstand schöpferisch, doch ist er es nur in bedingtem Sinne, er vermag es nicht, wie Jahve, aus nichts etwas zu schaffen, sondern nur das Gegebene umzugestalten; unser Geistesleben besteht aus Aktion und Reaktion: um geben zu können, müssen wir empfangen haben. Daher die wichtige Erkenntnis, auf die ich häufig in diesem Buche hingewiesen habe,1)Siehe namentlich S. 270, 762, 806. zuletzt in Goethe’s Worten: » einzig die hervorbringende Natur besitzt unzweideutiges Genie «. Wie komme ich aber aus diesem Dilemma; wie beantworte ich die Frage, » wie ist Erfahrung möglich «? Das Objekt weist mich zurück auf das Subjekt, das Subjekt kennt sich selber nur im Objekt. Es giebt keinen Ausgang, keine Antwort. Wie ich vorhin sagte: unser Wissen von der Natur ist die immer ausführlichere Darlegung eines Unwissbaren; zu dieser unwissbaren Natur gehört unser eigener Verstand in erster Reihe. Doch ist dieses Ergebnis beileibe nicht als rein negatives zu betrachten; nicht allein ist auf dem Wege dahin das gegenseitige Ver - hältnis von Subjekt und Objekt aufgeklärt worden, sondern das End - ergebnis bildet die endgültige Abwehr jedes materialistischen Dogmas. Nunmehr konnte Kant das grosse Wort sprechen: » eine dogmatische Auflösung der kosmologischen Frage ist nicht etwa ungewiss, sondern unmöglich «. Was denkende Menschen zu allen Zeiten geahnt hatten bei den Indern, bei den Hellenen, sogar hier und da unter den Kirchenvätern (S. 599) und Kirchendoktoren, was die Mystiker als selbstverständlich vorausgesetzt hatten (S. 885), und worauf die ersten naturforschenden Denker, Descartes und Locke, sofort gestossen waren, ohne es sich deuten zu können (S. 912) , dass nämlich Zeit und Raum Anschauungsformen unseres tierischen Sinnenlebens sind, war jetzt durch naturwissenschaftliche Kritik erwiesen. Zeit und Raum » sind die Formen der sinnlichen Anschauung, wodurch wir aber die Objekte nur erkennen, wie sie uns (unseren Sinnen) erscheinen931Weltanschauung und Religion.können, nicht, wie sie an sich sein mögen «. 1)Prolegomena, § 10.Des weiteren hatte die Kritik an den Tag gebracht, dass auch die Verknüpfungen des Verstandes, durch welche die Vorstellung und der Gedanke einer » Natur « entsteht und besteht (oder wenn man mit Böhme reden will, » sich spiegelieret «), also in erster Reihe die allseitig ordnende Ver - knüpfung der Erscheinungen zu Ursache und Wirkung, ebenfalls auf jene von Duns Scotus geahnte aktive Bearbeitung des Erfahrungsstoffes durch den Menschengeist zurückzuführen sei. Hiermit fielen die kos - mogonischen Vorstellungen der Semiten, wie sie unsere Wissenschaft und Religion so arg bedrückten und noch bedrücken, ins Wasser. Was soll mir eine historische Religion, wenn die Zeit lediglich eine Anschauungsform meines sinnlichen Mechanismus ist? Was soll mir ein Schöpfer als Welterklärung, als erste Ursache, wenn die Wissen - schaft mir gezeigt hat: » Kausalität hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal seines Gebrauches, als nur in der Sinnenwelt «,2)Kritik der reinen Vernunft (Von der Unmöglichkeit eines kosmologischen Beweises vom Dasein Gottes). Schon zwanzig Jahre vorher hatte Kant geschrieben: » Wie soll ich es verstehen, dass, weil Etwas ist, etwas Anderes sei? Ich lasse mich durch die Wörter Ursache und Wirkung nicht abspeisen « (Versuch, den Begriff der negativen Grössen in die Weltweisheit einzuführen, Abschn. 3, Allg. Anm.). dagegen verliere dieser Begriff von Ursache und Wirkung » in bloss spekulativem Gebrauche (wie bei der Vorstellung eines Gott-Schöpfers) alle Bedeutung, deren objektive Realität sich in concreto begreiflich machen lasse «? 3)Loc. cit. (Kritik aller spekulativen Theologie.)Durch diese Einsicht wird ein Idol zerschmettert. Ich nannte in einem früheren Kapitel die Israeliten » abstrakte Götzenanbeter «;4)S. 243. jetzt wird man, glaube ich, mich gut verstehen. Und man wird begreifen, was Kant meint, wenn er erklärt, das System der Kritik sei gerade » zu den höchsten Zwecken der Menschheit unentbehrlich «,5)Erklärung gegen Fichte (Schlussatz). und wenn er an Mendelssohn schreibt: » Das wahre und dauerhafte Wohl des menschlichen Geschlechtes kommt auf Metaphysik an. « Diese ger - manische Metaphysik befreit uns vom Götzendienst und offenbart uns dadurch das lebendige Göttliche im eigenen Busen.

Hier berühren wir nicht bloss, wie man sieht, das Hauptthema dieses Abschnittes das Verhältnis zwischen Weltanschauung und Religion sondern wir sind schon mitten drin; zugleich knüpft das soeben Gesagte an den Schluss des Abschnittes » Entdeckung « an, wo932Die Entstehung einer neuen Welt.ich schon angedeutet habe, dass der Sieg einer wissenschaftlichen mechanischen Naturauffassung notwendiger Weise den völligen Unter - gang aller materialistischen Religion herbeiführt. Zugleich hatte ich geschrieben: » der konsequente Mechanismus, wie wir Germanen ihn geschaffen haben, verträgt einzig eine rein ideale, d. h. transscendente Religion, wie sie Jesus Christus gelehrt hatte: das Himmelreich ist inwendig in euch «. Zu dieser letzten Vertiefung müssen wir jetzt schreiten.

Wissenschaft und Religion.
603

Goethe singt:

Im Innern ist ein Universum auch!

Eine der unausbleiblichen Folgen der naturwissenschaftlichen Denkart war es, dass dieses innere Universum jetzt erst ins rechte helle Licht gerückt wurde. Denn indem er die ganze menschliche Persönlichkeit rückhaltlos zur Natur einbezog, d. h. sie als Naturgegenstand zu be - trachten lernte, gelangte der Philosoph nach und nach zu zwei Ein - sichten: erstens, wie wir soeben gesehen haben, dass der Mechanismus der Natur in seinem eigenen, menschlichen Verstand seinen Ursprung habe, zweitens aber, dass Mechanismus kein genügendes Erklärungs - prinzip der Natur sei, da der Mensch im eigenen Innern ein Universum entdeckt, welches völlig ausserhalb aller mechanischen Vorstellungen bleibt. Descartes und Locke hatten diese Wahrnehmung, die ihnen eine Gefahr für streng wissenschaftliche Erkenntnis zu bilden schien, da - durch überwinden wollen, dass sie dieses unmechanische Universum als ein Über - und Aussernatürliches betrachteten. Auf Grund eines so lahmen und eigenmächtigen Kompromisses war keine lebendige Weltanschauung zu gewinnen. Die wissenschaftliche Schulung, jene Gewohnheit, eine strenge Grenzscheide zwischen dem, was man weiss und dem, was man nicht weiss, zu ziehen, gebot einfach zu erklären: aus der allerunmittel - barsten Erfahrung meines eigenen Lebens erkenne ich (ausser der mecha - nischen Natur) das Dasein einer unmechanischen Natur. Diese kann man vielleicht der Deutlichkeit halber die ideale Welt nennen, im Gegensatz zur realen; nicht etwa, dass sie weniger real, d. h. wirk - lich sei, im Gegenteil, sie ist offenbar das Allersicherste, was wir be - sitzen, das einzige unmittelbar Gegebene, und es sollte insofern viel - mehr die äussere Welt die » ideale « genannt werden; doch nennt man jene die ideale, weil sie in Ideen, nicht in Gegenständen sich verkörpert. Erkennt nun der Mensch nicht als Dogma sondern aus Erfahrung eine solche ideale Welt, führt ihn die Introspektion zur Überzeugung,933Weltanschauung und Religion.dass er selber nicht bloss und nicht einmal vorwiegend ein Mechanismus ist, entdeckt er vielmehr in sich das, was Kant die » Spontaneität der Frei - heit « nennt, ein durchaus Unmechanisches und Antimechanisches, eine ganze, weite Welt, die man in einer gewissen Beziehung eine » un - natürliche « Welt nennen könnte, so sehr bildet sie einen Gegensatz zu jener mechanischen Gesetzmässigkeit, die wir aus der genauen Be - trachtung der Natur kennen gelernt hatten, wie sollte er umhin können, diese zweite Natur, die ihm mindestens ebenso offenbar und sicher ist wie die erste, nun wieder hinauszuprojizieren auf diese erste, deren innige Verknüpfung mit seinem Inneren die Wissenschaft ihm gelehrt hat? Indem er das nun thut, entwächst aus der sicheren Erfahrungs - thatsache der Freiheit ein neuer Begriff der Gottheit und ein neuer Gedanke an eine moralische Weltordnung, d. h. eine neue Religion. Neu freilich war es nicht, Gott nicht draussen unter den Sternen, sondern drinnen im Busen zu suchen, Gott nicht als eine objektive Notwendigkeit, sondern als ein subjektives Gebot zu glauben, Gott nicht als mechanisches primum mobile zu postulieren, sondern im Herzen zu erfahren ich citierte schon Eckhart’s Mahnung: Gott solle der Mensch ausser sich selber » nicht ensuoche « (S. 868), und von da bis zu Schiller’s » die Gottheit trägt der Mensch in sich « ist sie oft genug gehört worden , hier aber, in der kulturellen Entfaltung der ger - manischen Weltanschauung, war diese Erkenntnis auf einem besonderen Wege gewonnen worden, im Zusammenhang einer umfassenden und durchaus objektiven Naturerforschung. Man war nicht von Gott aus - gegangen, sondern war als letztes zu ihm hingelangt; Religion und Wissenschaft waren innig, untrennbar verwachsen, nicht die eine auf die andere zugestutzt und hineingedeutelt, sondern gleichsam die zwei Phasen eines einzigen Phänomens: Wissenschaft, was die Welt mir schenkt, Religion, was ich der Welt schenke.

Hier jedoch muss gleich eine tiefeinschneidende Bemerkung ge - macht werden, sonst verflüchtigt sich der Erfolg der Verinnerlichung, und gerade die Wissenschaft hat die Aufgabe, das zu verhindern. Denn allerdings kann Niemand die Frage beantworten, was die Natur ausser - halb der menschlichen Vorstellung, und ebensowenig, was der Mensch ausserhalb der Natur sein mag, und daraus ergiebt sich bei schwärme - rischen, ungeschulten Geistern die Neigung zu einer kritiklosen Iden - tifizierung beider. Diese Identifizierung birgt nun Gefahren, die sich aus folgender Erwägung von selbst ergeben. Während nämlich Natur - forschung zu der Erkenntnis führt, dass alles Wissen von den Körpern,934Die Entstehung einer neuen Welt.trotzdem es von dem scheinbar durchaus Konkreten, Realen ausgeht, doch mit dem schlechthin Unbegreiflichen endet, ist der Fortgang auf dem Gebiet der unmechanischen Welt der umgekehrte: das Unbegreif - liche (sobald man philosophisch darüber nachsinnt) liegt hier nicht am Ende der Bahn, sondern gleich am Anfang. Es ist der Begriff und die Möglichkeit der Freiheit, die Denkbarkeit der Ausserzeitlichkeit, der Ursprung des Gefühles sittlicher Verantwortlichkeit und Pflicht u. s. w., welches sich beim Verständnis nicht Eingang verschaffen kann, während wir alle diese Dinge sehr gut begreifen, je weiter wir sie hinausverfolgen in das Bereich des thatsächlich jeden Augenblick Erlebten. Die Freiheit ist die sicherste aller Thatsachen der Erfahrung; das Ich steht ganz ausser - halb der Zeit und merkt deren Fortgang nur an äusseren Erscheinungen;1)Das Älterwerden wird nur an dem Altern Anderer bemerkt oder aus dem Auftreten von Gebrechen also äusserlich wahrgenommen; Stunden können wie ein Augenblick verfliegen, wenige Sekunden das ausführliche Bild eines viel - jährigen Lebens gemächlich entrollen. das Gewissen, die Reue, das Pflichtgefühl sind noch strengere Herren als der Hunger. Daher nun die Neigung des unmetaphysisch beanlagten Menschen, den Unterschied zwischen den beiden Welten der Natur von aussen und der Natur von innen, wie Goethe sie nennt zu übersehen: die Freiheit z. B. in die Welt der Erscheinung hinaus zu versetzen (als kosmischen Gott, Wunder u. s. w.), einen Anfang zu supponieren (was den Begriff der Zeit aufhebt), die Moral auf be - stimmte, historisch erlassene, jeder Zeit widerrufliche Gebote zu be - gründen, (wodurch das Sittengesetz hinschwindet) u. s. w. Zwar hatten die metaphysisch Beanlagten, die Arier, diesen Fehler nie begangen:2)Siehe S. 234, 413, 553 fg. ihre Mythologien bezeugen eine wunderbare Vorausahnung metaphy - sischer Erkenntnis, oder aber (denn das können wir mit genau dem - selben Recht sagen) unsere wissenschaftliche Metaphysik bedeutet das Wiederaufleben weithinblickender Mythologie; doch hat, wie die Ge - schichte zeigt, diese höhere Ahnung vor der wuchtigen Behauptung der minder begabten, nach dem blossen Sinnenschein urteilenden und blindem historischen Aberglauben huldigenden Menschen nicht Stich gehalten, und es giebt nur ein einziges Antidot, mächtig genug, uns zu retten: unsere wissenschaftliche Weltanschauung. Aus der unkritischen Identifizierung ergeben sich auch andere schale und darum schäd - liche Systeme, sobald nämlich im Gegensatz zu dem soeben genannten Hinausversetzen der inneren Erfahrung in die Welt der Erscheinung,935Weltanschauung und Religion.diese letztere hineingetragen wird mit ihrem ganzen Mechanismus in die innere Welt. Auf letztere Weise entsteht der angeblich » wissenschaft - liche « Monismus, der Materialismus u. s. w., lauter Lehren, welche nie die Weltbedeutung des Judentums gewinnen werden, da es doch für die meisten Menschen eine zu starke Zumutung ist, das wegzuleugnen, was sie am sichersten wissen, welche aber dennoch in unserem 19. Jahr - hundert eine arge Verwirrung der Gedanken angerichtet haben. 1)Eigentümlich und bemerkenswert ist es, wie sich im Leben die Verwandt - schaft zwischen diesen beiden Irrtümern (des kritiklosen Hinausversetzens der inneren Erfahrung in die Welt der Erscheinung und des Hineintragens der Erscheinung in die innere Erfahrung) zeigt: aus Theisten werden im Handumdrehen Atheisten, was man besonders auffallend bei Juden beobachten kann, da sie, wenn sie gläubig sind (und auch als Christen noch) überzeugte, echte Theisten sind, während bei uns Gott stets im Hintergrund verbleibt und selbst das orthodoxe Gemüt entweder von dem Erlöser oder von der Mutter Gottes, den Heiligen und dem Sakrament erfüllt ist. Ich hatte nie geahnt, wie fest theistische Überzeugung im Gehirn haften kann, bis ich Gelegenheit hatte, an einem Freund, einem jüdischen Gelehrten, die Genesis und hartnäckige Kraft der scheinbar entgegengesetzten, nämlich der » atheistischen « Vorstellung zu beobachten. Es ist und bleibt absolut unmöglich, einem solchen Menschen jemals beizubringen, was wir Germanen unter Gottheit, Religion, Sittlichkeit verstehen. Hier liegt der Kern, der harte, unlösbare Kern der sogenannten » Judenfrage «. Und dies ist der Grund, warum ein unparteiischer Mann, ohne eine Spur von Missachtung für die in mancher Beziehung vortreff - lichen und alles Lobes würdigen Juden, ihre Gegenwart in unserer Mitte in grosser Zahl für eine nicht zu unterschätzende Gefahr halten kann und muss. Nicht aber der Jude allein, sondern alles, was vom jüdischen Geist ausgeht, ist ein Stoff, welcher das Beste in uns zernagt und zersetzt. Und so tadelte denn Kant mit Recht an den christlichen Kirchen, dass sie zuerst alle Menschen zu Juden um - wandeln, indem sie die Bedeutung Jesu Christi darin setzen, dass er der historisch - erwartete jüdische Messias gewesen sei! Würde uns das Judentum nicht auf diese Weise innerlich eingeimpft, die Juden in Fleisch und Blut würden eine weit ge - ringere Gefahr für unsere Kultur bedeuten.

Allem diesen gegenüber und im Gegensatz zu allem mystischen Pantheismus und Pananthropismus ist es geboten, die Scheidung in zwei Welten, wie sie sich aus der streng wissenschaftlich gehandhabten Erfahrung ergiebt, festzuhalten und stark zu betonen. Nur muss die Grenzlinie am richtigen Orte gezogen werden: diesen Ort genau bestimmt zu haben, ist eine der grössten Errungenschaften unserer neuen Weltanschauung. Man darf sie natürlich nicht zwischen Mensch und Welt ziehen; alles Vorangegangene zeigt, wie unmöglich dies ist; der Mensch mag sich hinwenden, wohin er will, auf Schritt und Tritt wird er Natur in sich, sich in Natur gewahren. Wollte man den936Die Entstehung einer neuen Welt.Strich zwischen der Welt der Erscheinung und dem hypothetischen » Ding an sich « ziehen (wie das ein berühmter Nachfolger Kant’s zu thun unternahm), so wäre das ebenfalls vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus sehr anfechtbar, denn die Grenzlinie läuft dann jenseits aller Erfahrung. Insofern die unmechanische Welt uns lediglich durch innere, individuelle (erst durch Analogie auf andere Individuen über - tragene) Erfahrung gegeben ist, darf man wohl, des einfachen Aus - druckes wegen, zwischen einer Welt in uns und einer Welt ausser uns unterscheiden, wobei nur sorgfältig darauf zu merken ist, dass die Welt » ausser uns « jegliche » Erscheinung « begreift, also auch unseren Körper, und nicht diesen allein, sondern auch den die Körperwelt wahrnehmenden und denkenden Verstand. Diesen Ausdruck: in uns und ausser uns, findet man oft bei Kant und bei Anderen. Doch, ganz einwurfslos ist auch er nicht, denn erstens werden wir unwillkür - lich getrieben wie oben gesagt diese innere Welt wenn auch nicht mit den Juden zu einer äusseren Ursache umzuwandeln, so doch aller Erscheinung als ebenfalls innere Welt beizulegen, und sodann ist es nicht recht fasslich, wie wir es fertig bringen sollen, unser denkendes Hirn in zwei Stücke zu teilen; es ist ja doch dieses selbe Gehirn, welches auch die unmechanische Welt wahrnimmt und denkt. Freilich wird die unmechanische Welt dem Verstandesorgan nicht durch eine sinnliche Vorstellung von aussen, sondern lediglich durch innere Er - fahrung gegeben, und darum vermag es der Verstand bei seinem gänz - lichen Mangel an Erfindungskraft nicht, die Wahrnehmung bis zu einer Vorstellung zu erheben, sondern alles Reden darüber bleibt notwendig symbolisch, d. h. ein Reden durch Bilder und Zeichen: doch, sahen wir nicht, dass auch die Welt der Erscheinung uns zwar Vorstellungen, doch ebenfalls nur symbolische Vorstellungen gab? Das » in uns « und » ausser uns « ist also Metapher. Die Grenzlinie wird nur dann streng wissenschaftlich gezogen, wenn wir keine Spur von dem abweichen, was die Erfahrung uns giebt. Das erstrebt Kant durch die Unter - scheidung, welche er in seiner Kritik der praktischen Vernunft (1, 1, 1, 2) aufstellt, zwischen einer Natur, » welcher der Wille unterworfen ist «, und einer Natur » die einem Willen unterworfen ist «. Diese Defini - tion entspricht genau der genannten Bedingung, hat aber den Nachteil geringer Anschaulichkeit. Besser ist es, wir halten uns an das Fassbarste, und da müssen wir sagen: was die Erfahrung uns giebt, ist einfach eine mechanisch deutbare Welt und eine mechanisch nicht deutbare Welt; zwischen diesen läuft die Grenzlinie und937Weltanschauung und Religion.scheidet sie so gänzlich von einander, dass jede Überschreitung ein Attentat gegen die Erfahrung bedeutet: Vergehen gegen Erfahrungs - thatsachen sind aber philosophische Lügen.

Im Sinne dieser Unterscheidung hat nun Kant die epochemachendeDie Religion. Behauptung aufstellen dürfen: » Religion müssen wir in uns, nicht ausser uns suchen «. 1)Religion 4. Stück, 1. Teil, 2. Abschn.Das heisst, wenn wir es in die Ausdrucksweise unserer Definition übertragen: Religion müssen wir einzig in der mechanisch nicht deutbaren Welt suchen. Es ist nicht wahr, dass man in der mechanisch deutbaren Welt der Erscheinung irgend etwas findet, was auf Freiheit, Sittlichkeit, Gottheit deute. Wer den Begriff der Freiheit in die mechanische Natur hineinträgt, vernichtet die Natur und zerstört zu - gleich die wahre Bedeutung der Freiheit (siehe S. 884); von Gott gilt ein gleiches (siehe S. 924); und was Sittlichkeit anbetrifft, so zeigt jeder unbefangene Blick und trotz aller heldenhaften Versuche der Apo - logisten von Aristoteles an bis zu Bischof Butler’s allzuberühmtem Buch im vorigen Jahrhundert über die Analogie zwischen offenbarter Religion und den Gesetzen der Natur dass die Natur weder moralisch noch vernünftig ist. Die Begriffe Güte, Mitleid, Pflicht, Tugend, Reue sind ihr ebenso fremd wie vernünftige, symmetrische, einfach zweckmässige An - ordnung. Die mechanisch deutbare Natur ist schlecht, dumm und gefühllos; Tugend, Genialität und Güte sind lediglich der mechanisch nicht deutbaren Natur zu eigen. Meister Eckhart wusste das wohl und sprach darum die denkwürdigen Worte: » Sage ich, Gott ist gut, es ist nicht wahr, vielmehr: ich bin gut, Gott ist nicht gut. Spreche ich auch, Gott ist weise, es ist nicht wahr: ich bin weiser denn er. « 2)Predigt 99.Echte Naturwissenschaft konnte über die Richtigkeit dieses Urteils keinen Zweifel übrig lassen. Religion müssen wir in der mechanisch nicht deutbaren Natur suchen.

Ich werde es nicht unternehmen, Kant’s Sitten - und Religions - lehre darzustellen, das würde zu weit führen und ist ausserdem schon oft gethan worden;3)Eines der besten Bücher dieser Art, wenngleich es früher als mehrere von Kant’s hierher gehörigen Schriften erschien und nie wieder verlegt wurde, sind Reinhold’s Briefe über die Kantische Philosophie (Leipzig 1790); dem philo - sophisch unselbständigen Leser sind sie dringend zu empfehlen. Durch Reinhold persönlich wurde Goethe in Kant eingeführt, und auch Schiller beruft sich gern (z. B. in Über Anmut und Würde) auf ihn; Kant nennt Reinhold seinen » teuersten Herzensfreund «. Demselben Leser sobald er es nur ein bischen ernst meint ich glaube meine Hauptaufgabe gelöst zu haben,Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 60938Die Entstehung einer neuen Welt.wenn es mir gelungen ist, die Genesis unserer neuen Weltanschauung in ihren allgemeinsten Linien anschaulich gemacht zu haben; hierdurch ist der Boden geebnet für eine zielbewusste, sichere Beurteilung der Philosophie des 19. Jahrhunderts. Kant selber dagegen ist erst gegen Schluss unseres Jahrhunderts dem Verständnis wieder näher gerückt, und zwar charakteristischer Weise vornehmlich durch die Anregung hervorragender Naturforscher; und die Auffassung der Religion, die in ihm gewiss noch nicht einen vollendeten, vielmehr einen in mancher Beziehung sehr anfechtbaren, doch den ersten klaren Ausdruck gefunden hat, überstieg so sehr die Fassungsgabe seiner und unserer Zeitgenossen, eilte so schnell der Entfaltung germanischer Geistesanlagen voraus, dass ihre Würdigung eher in den Abschnitt über die Zukunft, als in den über die Vergangenheit gehört. Nur wenige Worte also zur allgemeinen Orientierung.

Wissenschaft ist die von den Germanen erfundene und durch - geführte Methode, die Welt der Erscheinung mechanisch anzuschauen; Religion ist ihr Verhalten gegenüber demjenigen Teil der Erfahrung, der nicht in die Erscheinung tritt und darum einer mechanischen Deutung unfähig ist. Was diese zwei Begriffe Wissenschaft und Religion bei anderen Menschen bedeuten mögen, ist an diesem Ort ohne Belang. Zusammen machen sie unsere Weltanschauung aus. Bei dieser Weltanschauung, welche das Suchen nach letzten3)wäre sodann die Preisschrift des Prof. Kurd Lasswitz: Die Lehre Kant’s allgemein verständlich dargestellt (Berlin, 1883), als Propädeutikum zum Studium der Original - schriften sehr anzuraten. Das allerunzweckmässigste, was der Laie thun kann, ist, sich unvorbereitet auf die Kritik der reinen Vernunft zu stürzen. Dieses Werk bleibt für die Meisten am besten ganz aus, da die Prolegomena zu einer jeden künftigen Meta - physik, die als Wissenschaft wird auftreten können, klarer, kürzer und hinreichend sind. Doch sollte Jeder mit der Naturgeschichte des Himmels das Studium beginnen, dann in der Schrift von den lebendigen Kräften, in der von den negativen Grössen, und anderen aus dieser Reihe so viel lesen wie die Kenntnis der Mathematik und Mechanik es gestattet; dann etwa zu den Träumen eines Geistersehers übergehen, wobei man mit Vorteil lange verweilen wird. Jetzt erst werden die Prolegomena mit Nutzen gründlich studiert werden können, woran sich unmittelbar die Preisschrift Über die Fortschritte der Metaphysik anschliessen muss. Aus dieser metaphysischen Schule begebe man sich dann zur Kritik der praktischen Vernunft und zur Kritik der Urteilskraft: jetzt erst ist man für die Kritik der reinen Vernunft reif. Ist Einer nun erst so weit, so empfehle ich ihm auf das Allerdringendste Prof. Alexander Wernicke’s Kant und kein Ende?, eine bei Mayer in Braunschweig im Jahre 1894 erschienene kleine Schrift, welche wohl das Beste enthält, was je zu einem tieferen Verständnis von Kant’s Denken gesagt wurde und darum unvergänglichen, klassischen Wert besitzt.939Weltanschauung und Religion.Ursachen als sinnlos perhorresciert, muss die Grundlage zur Handlungs - weise des Menschen gegen sich und Andere in etwas Anderem gefunden werden als in Gehorsam gegen einen regierenden Weltmonarchen und in der Hoffnung auf eine zukünftige Belohnung. Wie ich schon früher angedeutet (S. 776) und nunmehr erwiesen habe, kann neben einer streng mechanischen Naturlehre einzig eine rein ideale Religion bestehen, eine Religion heisst das, welche sich ihrerseits streng auf die ideale Welt des Unmechanischen beschränkt. Wie schrankenlos diese Welt auch sei deren Flügelschlag aus der Ohnmacht der Erscheinung befreit und alle Sterne überfliegt, deren Kraft dem qualvollsten Tode lächelnd zu trotzen gestattet, die in einen Kuss Ewigkeit hineinzaubert, und in einem Gedankenblitz Erlösung schenkt ist sie dennoch auf ein bestimmtes Gebiet angewiesen: auf das eigene Innere; dessen Grenzen darf sie nie überschreiten. Hier also, im eigenen Innern, und nirgends anders, muss die Grundlage der Religion gefunden werden. » Religion zu haben ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst «, sagt Kant. 1)Tugendlehre § 18.Aus Erwägungen, die ich hier nicht wiederholen kann, hält Kant, wie Jeder weiss, den Gedanken an eine Gottheit hoch, doch legt er grosses Gewicht darauf, dass der Mensch seine Pflichten nicht als Pflichten gegen Gott, was ein zu schwankes Rohr wäre, sondern als Pflichten gegen sich selbst aufzufassen habe. Was eben Wissenschaft und Religion bei uns zu einer einheitlichen Weltanschauung verbindet, ist das Prinzip, dass stets die Erfahrung gebietet; nun ist Gott nicht eine Erfahrung, sondern ein Gedanke, und zwar ein undefinierbarer, nie fassbar zu machender Gedanke, wogegen der Mensch sich selber Erfahrung ist. Hier ist also die Quelle zu suchen, und darum ist die Autonomie des Willens (d. h. seine freie Selbständigkeit) das oberste Prinzip aller Sittlichkeit. 2)Kant definiert: » Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist « (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, II, 2).Sittlich ist eine Handlung nur, insofern sie aus dem innersten eigenen Willen hervorquillt und einem selbstge - gebenen Gesetz gehorcht; wogegen die Hoffnung auf Lohn keine Sittlichkeit erzeugen kann, noch auch jemals von ärgstem Laster und Verbrechen abgehalten hat, denn jede äusserliche Religion hat Ver - mittlungen und Vergebungen. Der » geborene Richter « (nämlich der Mensch selber) weiss recht gut, ob sein Herz böse oder gut fühlt, ob sein Handeln lauter oder unlauter ist, darum » ist die Selbstprüfung,940Die Entstehung einer neuen Welt.die in die schwerer zu ergründenden Tiefen oder den Abgrund des Herzens zu dringen verlangt, und die dadurch zu erhaltende Selbst - erkenntnis, aller menschlichen Weisheit Anfang. Nur die Höllen - fahrt der Selbsterkenntnis bahnt den Weg zur Himmelfahrt. «1)Kant schreibt » zur Vergötterung «, was aber bei dem heute in der Um - gangsprache üblichen Gebrauch des Wortes leicht zu einem Missverständnis führen könnte. Schiller sagt: » der moralische Wille erhebt den Menschen zur Gott - heit « (Anmut und Würde), und Voltaire: » Si Dieu n’est pas dans nous, il n’exista jamais « (Poëme sur la Loi Naturelle). Tiefsinnig ist auch Goethe’s Wort: » Da Gott Mensch geworden ist, damit wir arme, sinnliche Kreaturen ihn möchten fassen und begreifen können, so muss man sich vor nichts mehr hüten, als ihn wieder zu Gott zu machen « (Brief eines Landgeistlichen).

Betreffs dieser Autonomie des Willens und dieser Himmelfahrt bitte ich den Leser in dem Kapitel über den Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte (S. 509 fg. ) die Stelle nachzusehen, wo ich Kant’s herrlich kühnen Gedanken kurz dargelegt habe. Um den religiösen Gedanken ganz zu fassen, fehlt aber noch ein Glied in der Kette. Was giebt mir eine so hohe Meinung von dem, was ich bei jenem Hinabsteigen in den Abgrund des Herzens entdecke? Es ist das Gewahr - werden der hohen Würde des Menschen. Der erste Schritt nämlich, um den wirklich sittlichen Standpunkt betreten zu können, geschieht durch die Ausrottung der Verachtung seiner selbst und des Menschen - geschlechts, wie sie die christliche Kirche im Gegensatz zu Christus (siehe S. 44) grossgezogen hat. Das eingeborene Böse im Menschen - herzen wird nicht durch Busse vertilgt, denn diese klebt wieder an der äusseren Welt der Erscheinung, sondern dadurch, dass das Augen - merk auf die hohen Anlagen im eigenen Innern gerichtet wird. Die Würde des Menschen wächst mit seinem Bewusstsein davon. Es ist von grosser Bedeutung, dass Kant hier genau mit Goethe überein - stimmt. Man kennt dessen Lehre von den drei Ehrfurchten vor dem, was über uns ist, vor dem, was uns gleich ist und vor dem, was unter uns ist aus denen drei Arten echter Religion entstehen; die wahre Religion aber geht aus einer vierten » obersten Ehrfurcht « hervor, und sie ist die Ehrfurcht vor sich selbst; erst auf dieser Stufe gelangt, nach Goethe, » der Mensch zum Höchsten, was er zu er - reichen fähig ist. « 2)Wanderjahre, Buch 2, Kap. 1.Auf dieses Thema habe ich ebenfalls an genannter Stelle hingewiesen, und dabei auch Kant citiert; das damals Gesagte muss ich jetzt durch eine der wichtigsten und herrlichsten Stellen aus941Weltanschauung und Religion.Kant’s gesamten Schriften ergänzen; sie bildet den einzigen würdigen Kommentar zu Goethe’s Religion der Ehrfurcht vor sich selbst. » Nun stelle ich den Menschen auf, wie er sich selbst fragt: was ist das in mir, welches macht, dass ich die innigsten Anlockungen meiner Triebe und alle Wünsche, die aus meiner Natur hervorgehen, einem Gesetze aufopfern kann, welches mir keinen Vorteil zum Ersatz verspricht, und keinen Verlust bei Übertretung desselben androht; ja das ich nur um desto inniglicher verehre, je strenger es gebietet und je weniger es dafür anbietet? Diese Frage regt durch das Erstaunen über die Grösse und Erhabenheit der inneren Anlage in der Menschheit, und zugleich die Un durchdringlichkeit des Geheimnisses, welches sie ver - hüllt (denn die Antwort: es ist die Freiheit, wäre tautologisch, weil diese eben das Geheimnis selbst ausmacht), die ganze Seele auf. Man kann nicht satt werden, sein Augenmerk darauf zu richten und in sich selbst eine Macht zu bewundern, die keiner Macht der Natur weicht. Hier ist nun das, was Archimedes bedurfte, aber nicht fand: ein fester Punkt, woran die Vernunft ihren Hebel ansetzen kann, und zwar, ohne ihn weder an die gegenwärtige, noch eine künftige Welt, sondern bloss an ihre innere Idee der Freiheit, die durch das unerschütterliche moralische Gesetz, als sichere Grundlage daliegt, anzu - legen, um den menschlichen Willen, selbst beim Widerstande der ganzen Natur, durch ihre Grundsätze zu bewegen. «1)Aus der Schrift Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philo - sophie (1796).

Man sieht, diese Religion bildet den genauen Gegensatz zur Mechanik. 2)Auch natürlich zur Ethik als » Wissenschaft «; wozu S. 587, Anm. zu vergleichen ist.Germanische Wissenschaft lehrt die peinlichst genaue Fest - stellung dessen, was da ist, und lehrt, uns damit zu begnügen, da wir die Welt der Erscheinung nicht durch Hypothesen und Zauberkünste, sondern nur durch genaue, sklavenmässige Anpassung beherrschen lernen können; germanische Religion deckt dagegen ein weites Reich auf, welches als erhabenes Ideal in unserem Innern schlummert, und lehrt uns: hier seid ihr frei, hier seid ihr selber schaffende, gesetzgebende Natur; das Reich der Ideale ist nicht, durch euer Thun kann es aber wirklich werden; als » Erscheinung « seid ihr zwar an das allgemeine Gesetz der lückenlosen mechanischen Notwendigkeit gebunden, doch lehrt euch die Erfahrung, dass ihr in dem inneren Reiche Autonomie und Freiheit besitzt; so benutzt sie denn! Der Nexus zwischen den942Die Entstehung einer neuen Welt.beiden Welten der sichtbaren und der unsichtbaren, der zeitlichen und der zeitlosen , sonst unauffindbar, liegt ja euch Menschen im Busen und durch die Gesinnung der inneren Welt wird die Bedeutung der äusseren Welt bestimmt: das lehrt euch täglich das Gewissen, das lehrt euch Kunst und Liebe und Mitleid und die ganze Geschichte der Menschen; hier seid ihr frei, sobald ihr’s nur wisst und wollt; ihr könnt die sichtbare Welt verklären, selber neugeboren werden, die Zeit zur Ewigkeit umwandeln, das Himmelreich im Acker aufpflügen an euch denn, es zu thun! Religion soll für euch nicht mehr den Glauben an Vergangenes und die Hoffnung auf Zukünftiges bedeuten, auch nicht (wie bei den Indern) eine blosse metaphysische Erkenntnis, sondern die That der Gegenwart! Glaubt ihr nur an euch selber, so besitzt ihr die Kraft, das neue » mögliche Reich « wirklich zu machen; wachet auf, es nahet gen den Tag!

Christus und Kant.
616

Wem fiele nicht sofort die Verwandtschaft zwischen dieser religiösen Weltanschauung Kant’s gewonnen auf dem Wege treuer, kritischer Naturbetrachtung und dem lebendigen Kern der Lehre Christi auf? Sagte Dieser nicht, das Himmelreich sei nicht ausser uns, sondern in uns? Die Ähnlichkeit beschränkt sich jedoch nicht auf diesen Kernpunkt. Wer Kant’s viele Schriften über Religion und Sitten - gesetz durchforscht, wird sie vielerorten antreffen; so z. B. in dem Verhalten gegen die offiziell anerkannte Religionsform. Es ist das - selbe ehrfurchtsvolle Sichanschliessen an die für heilig gehaltenen Formen, verbunden mit einer gänzlichen Unabhängigkeit des Geistes, der das Alte durch seinen Hauch zu einem Neuen belebt. 1)Siehe S. 227 fg.Die Bibel z. B. verwirft Kant nicht, doch schätzt er sie nicht wegen dessen, was man aus ihr » herauszieht «, sondern dessen, » was man mit moralischer Denkungsart in sie hineinträgt «. 2)Der Streit der Fakultäten, 1. Abschn., Anhang.Und hat er auch nichts gegen die Bildung von Kirchen, » deren es verschiedene gleich gute Formen geben kann «, so hat er doch den Mut, unumwunden auszusprechen: » Diesen statutarischen Glauben nun (die historischen Anpreisungsmittel und die Kirchendogmen) für wesentlich zum Dienste Gottes überhaupt zu halten und ihn zur obersten Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am Menschen zu machen, ist ein Religionswahn, dessen Befolgung ein Afterdienst ist, d. i. eine solche vermeintliche Verehrung Gottes, wodurch dem wahren, von ihm selbst geforderten Dienste gerade ent -943Weltanschauung und Religion.gegen gehandelt wird. « 1)Die Religion u. s. w., 4. Stück, 2. Teil, Einführung. Erheiternd wirkt der der Titel des § 3 dieses Teiles: » Vom Pfaffentum als einem Regiment im After - dienst des guten Prinzips «.Kant fordert also eine Religion » im Geist und in der Wahrheit « und den Glauben an einen Gott, » dessen Reich nicht von dieser Welt (d. h. nicht von der Welt der Erscheinung) ist «. Dieser Übereinstimmung war er sich übrigens wohl bewusst. In seiner Schrift über die Religion, die in seinem 70. Lebensjahre er - schien, giebt er auf etwa vier Druckseiten eine gedrängte und schöne Darstellung der Lehre Christi, ausschliesslich nach dem Evangelium Matthäi, und schliesst: » Hier ist nun eine vollständige Religion, ..... überdies an einem Beispiele anschaulich gemacht, ohne dass weder die Wahrheit jener Lehren, noch das Ansehen und die Würde des Lehrers irgend einer anderen Beglaubigung bedürfte. « 2)4. Stück, 1. Teil, 1. Abschn. In jener Darstellung findet man eine Aus - legung, die beim » Afterdienstregiment « wenig Erfolg ernten dürfte; Kant deutet nämlich die Worte: » die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln «, auf die Kirchen!Diese wenigen Worte sind für ausserordentlich wichtig zu erachten. Denn wie er - haben und erhebend alles auch sein mag, was Kant nach dieser Richtung hin geschaffen hat, es gleicht doch mehr, meine ich, der energischen, unerschrockenen Vorbereitung auf eine wahre Religion, als der Religion selbst; es ist ein Ausjäten von Aberglauben, um dem Glauben Luft und Licht zu verschaffen, ein Hinwegräumen des Afterdienstes, um den wahren Dienst zu ermöglichen. Das plastisch Sichtbare, das Gleichnis fehlt. Schon ein solcher Titel wie Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft lässt befürchten, dass Kant sich auf falscher Fährte befunden habe. Wie Lichtenberg warnt: » Suchet einmal in der Welt fertig zu werden mit einem Gott, den die Vernunft allein auf den Thron gesetzt hat! Ihr werdet finden, es ist unmöglich. Das Herz und das Auge wollen was haben. « 3)Politische Bemerkungen. Und doch hatte gerade Kant gelehrt: » Religion zu haben ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst. « Sobald er aber auf Christus hinweist und sagt: » seht, hier habt ihr eine vollständige Religion! hier erblickt ihr das ewige Bei - spiel «! da besteht der Einwurf nicht mehr; denn dann ist Kant gleichsam ein zweiter Johannes, » der vor dem Herrn hergeht und seinen Weg bereitet «. Dahin zu einem geläuterten Christentum drängte die neue germanische Weltanschauung alle grössten Geister am Schlusse944Die Entstehung einer neuen Welt.des letzten Jahrhunderts. Für Diderot verweise ich auf S. 329, Rousseau’s Ansichten sind bekannt, Voltaire, der angebliche Skeptiker, schreibt:

Et pour nous élever, descendons dans nous-mêmes!

Auf Wilhelm Meister’s Wanderjahre verwies ich vorhin; Schiller schreibt 1795 an Goethe: » Ich finde in der christlichen Religion virtualiter die Anlage zu dem Höchsten und Edelsten, und die verschiedenen Er - scheinungen derselben im Leben scheinen mir bloss deswegen so widrig und abgeschmackt, weil sie verfehlte Darstellungen dieses Höchsten sind «. Gestehen wir es nur aufrichtig: zwischen dem Christentum, wie es uns das Völkerchaos aufzwang, und dem innersten Seelenglauben des Germanen hat es nie wirkliche Übereinstimmung gegeben, niemals. Goethe durfte aus voller Brust singen:

Den deutschen Mannen gereicht’s zum Ruhm, Dass sie gehasst das Christentum!

Und heute kommt ein erfahrener Pfarrer und versichert uns was wir längst schon ahnten der deutsche Bauer sei überhaupt niemals zum Christentume bekehrt worden. 1)Paul Gerade: Meine Beobachtungen und Erlebnisse als Dorfpastor, 1895.Ein für uns annehmbares Christen - tum ist jetzt erst möglich geworden; nicht etwa, weil es dazu einer Philosophie bedurft hätte, es bedurfte aber der Hinwegräumung falscher Lehren und der Begründung einer grossen allumfassenden wahren Welt - anschauung, von welcher Jeder so viel aufnehmen wird, wie er kann, und innerhalb welcher für den Geringsten wie für den Tüchtigsten das Beispiel und die Worte Christi zugänglich sein werden.

Hiermit betrachte ich den Notbrückenbau für den Abschnitt Weltanschauung (einschliesslich Religion) als beendet. Er ist verhältnis - mässig ausführlich geworden, weil hier nur grösste Klarheit dienen und die Aufmerksamkeit wach halten konnte. Trotz der Länge ist das ganze nur eine flüchtige Skizze, bei welcher, wie man gesehen hat, einerseits Wissenschaft, andrerseits Religion alles Interesse be - ansprucht hat; diese zwei zusammen bilden eine lebendige Welt - anschauung, und ohne eine solche besitzen wir keine Kultur; wogegen reine Philosophie, als eine Disciplin und Gymnastik der Vernunft, ledig - lich ein Werkzeug ist und hier keinen Platz finden konnte.

Was die starke Hervorhebung Immanuel Kant’s am Schlusse an - betrifft, so hat mich hierzu vor allem die Rücksicht auf möglichste Vereinfachung und Klarheit bestimmt. Ich glaube, überzeugt zu haben,945Weltanschauung und Religion.dass unsere germanische Weltanschauung nicht eine individuelle Grille ist, sondern das notwendige Ergebnis der kräftigen Entfaltung unserer Stammesanlagen; nie wird ein einzelnes Individuum, und sei es noch so bedeutend, ein derartiges Gesamtwerk nach allen Seiten hin er - schöpfen, nie wird eine solche anonyme, mit Naturnotwendigkeit wirkende. Kraft in einer einzigen Persönlichkeit so vollendet allseitige Verkörperung finden, dass nunmehr ein Jeder in diesem einen Manne einen Paragon und Propheten anerkenne. Dieser Gedanke ist semitisch, nicht germanisch; für unser Gefühl widerspricht er sich selber, denn er setzt voraus, dass die Persönlichkeit in ihrer höchsten Potenz, im Genie, unpersönlich werde. Wer wahre Ehrfurcht vor hervorragender geistiger Grösse empfindet, wird nie ein Parteigänger sein; er lebt ja in der hohen Schule der Unabhängigkeit. Eine so kolossale Lebens - arbeit wie die Kant’s, » die herkulische Arbeit des Selbsterkenntnisses «, wie er sie selber nennt, erforderte besondere Anlagen und nötigte zur Specialisation. Doch, was liegt daran? Der Mann muss wirklich im Besitze eines aussergewöhnlich polyedrischen Geistes sein, dem Kant’s Begabung » einseitig « vorkommt. 1)Gegen einen heute durch die Schriften Schopenhauer’s weitverbreiteten Vorwurf einer besonders widerwärtigen Einseitigkeit, möchte ich Kant hier in Schutz nehmen. Schopenhauer behauptet nämlich (Grundlage der Moral § 6), Kant hätte das Mitleid geradezu verpönt und stützt sich dabei auf Stellen, die entschieden nach Kant’s Absicht eine ganz andere Auslegung erfordern, da sie lediglich gegen verderbliche Gefühlsduselei gerichtet sind. Kant mag vielleicht das von J. J. Rousseau und in Anlehnung an diesen von Schopenhauer so stark betonte Prinzip des Mitleides unterschätzt haben, ganz verkannt hat er es keines - falls. Der Prüfstein ist hier das Verhalten zu den Tieren. Und da lesen wir in der Tugendlehre § 17, dass Gewaltsamkeit und Grausamkeit gegen Tiere, » der Pflicht des Menschen gegen sich selbst inniglich entgegengesetzt sei, denn dadurch werde das Mitgefühl an dem Leiden der Tiere im Menschen abgestumpft «. Dieser Standpunkt des Mitleids mit dem Tier als Pflicht gegen sich selbst, sowie der an gleicher Stelle eingeschärften » Dankbarkeit « gegen die tierischen Hausgenossen, dünkt mich ein sehr hoher zu sein. Über die Vivisektion urteilt der angeblich » lieblose, gleichgültige « und jedenfalls streng wissenschaftliche Mann: » die marter - vollen physischen Versuche zum blossen Behuf der Spekulation sind zu verabscheuen «.Goethe meinte, ihm sei beim Lesen von Kant zu Mute, als träte er in ein helles Zimmer ein; aus diesem Munde wahrlich ein gewichtiges Lob! Die seltene Leuchtkraft ist eine Folge der seltenen Intensität dieses Denkens. In diesem starken Lichte Kant’s wandelnd, ist es für uns Geisteszwerge kein Kunststück, die Grenze des noch unaufbeleuchteten Schattens zu gewahren: doch ohne den einen unvergleichlichen Mann hielten wir noch heute den Schatten946Die Entstehung einer neuen Welt.für Tageslicht. Und noch ein Grund liess mich allen Nachdruck gerade auf Kant legen. Die Entfaltung unserer germanischen Kultur, also ge - wissermassen das Facit unserer Arbeit von 1200 bis 1800, findet in diesem Mann einen besonders reinen, umfassenden und verehrungs - würdigen Ausdruck. Gleich bedeutend als Mechaniker, Denker und Sittenlehrer wodurch er mehrere grosse Zweige unserer Entwickelung in seiner Person zusammenfasst ist er das erste vollendete Muster des ganz freien Germanen, der jede Spur des römischen Absolutismus und Dogmatismus und Antiindividualismus von sich hinweggesäubert hat. Und wie von Rom, so hat er uns auch sobald wir es nur wollen vom Judentum emanzipiert; nicht auf dem Wege der Ge - hässigkeit und Verfolgung, sondern indem er historischen Aberglauben, spinozistische Kabbalistik und materialistischen Dogmatismus (dog - matischer Materialismus ist nur die Umkehrung desselben Dinges) ein für alle Mal vernichtete. Kant ist der wahre Fortsetzer Luther’s; was dieser begonnen, hat Kant weiter ausgebaut.

7. Kunst (von Giotto bis Goethe).

Der Begriff » Kunst «.
623

Über Kunst zu reden wird Einem heutzutage recht schwer ge - macht; denn einesteils hat sich, dem Beispiel aller besten deutschen Autoren zum Trotz, eine geradezu unsinnige Beschränkung des Be - griffes » Kunst « bei uns eingebürgert, andernteils hat die schematisierende Geschichtsphilosophie unsere Fähigkeit, geschichtliche Thatsachen mit offenen, Wahrheit liebenden Augen anzuschauen und mit gesundem Verstand zu beurteilen arg lahm gelegt. Einen Abschnitt wie diesen letzten wo man gern frei schweben möchte in den höchsten Regionen mit Polemik verquicken zu müssen, ist freilich traurig, doch giebt es keinen Ausweg; denn in Bezug auf Kunst sind die widersinnigsten Irrtümer ebenso fest eingewurzelt, wie in Bezug auf Religion, und wir können weder den Entwickelungsgang bis zum Jahre 1800, noch die Bedeutung der Kunst in unserem Jahrhundert richtig beurteilen, wenn wir nicht gründlich mit den falschen Begriffen und der ent - stellenden Geschichtsschreibung aufräumen. Wenigstens werde ich be - strebt sein, wo ich herunterreisse, gleich wieder aufzubauen, und die Darlegung überkommener Irrtümer sofort zur Klarlegung des wahren Sachverhaltes zu benützen.

947Kunst.

Eine allgemeine Geschichte der Kunst behandelt heute jegliche bildnerische Technik, von der Architektur bis zur Zinngiesserei; in einem derartigen Werke findet man Abbildungen von Biertopfdeckeln und Stuhllehnen, daneben Michelangelo’s Jüngstes Gericht und ein Selbstbildnis von Rembrandt. Zwei Künste fehlen jedoch ganz und gar, von ihnen ist keine Rede, sie sind, wie es scheint, » keine Kunst «: es sind jene zwei, von denen Kant sagt, sie nähmen » den obersten Rang « ein unter allen Künsten, und über die Lessing die unendlich feinsinnige Bemerkung gemacht hat: » die Natur hat sie nicht sowohl zur Verbindung, als vielmehr zu einer und ebenderselben Kunst be - stimmt «1)Zum Laokoon, IX. Dichtkunst und Tonkunst. Diese Auffassung des Begriffes » Kunst « seitens unserer Kunsthistoriker ist geradezu empörend; sie vernichtet das Lebenswerk der Lessing, Herder, Schiller, Goethe, welche gerade die organische Einheit alles schöpferischen Menschentums und das Primat des Dichters unter seinen Genossen klarzustellen be - müht waren. Vom Laokoon an bis zur ästhetischen Erziehung und bis zu den Gedanken über die Rolle der Kunst » als würdigste Aus - legerin der Natur «,2)Goethe: Maximen und Reflexionen, 3. Abteilung. zieht sich wie ein roter Faden durch alles Denken der deutschen Klassiker das eine grosse Bestreben, das Wesen der Kunst, als eines besonderen menschlichen Vermögens deutlich und bestimmt begrenzt hinzustellen, womit zugleich die Würde der Kunst, als einer höchsten und heiligsten Befähigung zur Verklärung des ganzen Lebens und Denkens der Menschen gegeben ist. Und nun kommen unsere Gelehrten und greifen wieder zu Lucian’s Auffassung der Kunst:3)Siehe S. 299. die Kunst ist für sie eine Technik, ein Handwerk, und da die Arbeit der Hände in Dichtung und Musik nichts zu bedeuten hat, so werden diese zur Kunst nicht mitgerechnet, sondern » Kunst « ist ausschliesslich die bildende Kunst, dafür aber jegliche bildende Thätig - keit, jede manuum factura, jede Herstellung von Artefakten! Der Begriff wird also nicht allein von ihnen in widersinniger Weise beschränkt, sondern auch in unsinniger Weise zu einem Synonym mit Technik erweitert. Dabei geht die Hauptsache, das einzige, worauf es bei der Kunst ankommt der Begriff des Schöpferischen ganz verloren. 4)Man vergl. die Ausführungen über Technik im Gegensatz zu Kunst und Wissenschaft, S. 158.948Die Entstehung einer neuen Welt.Betrachten wir mit kritischem Auge zuerst die entstellende Erweiterung, sodann die widersinnige Beschränkung.

Kant hat die kürzeste und zugleich erschöpfendste Definition der Kunst gegeben: » schöne Kunst ist Kunst des Genies. « 1)Kritik der Urteilskraft, § 46.Eine Ge - schichte der Kunst wäre also eine Geschichte der schöpferischen Genies, woran sich alles andere, wie die Fortschritte der Technik, der Einfluss der umgebenden Kunsthandwerker, der Wechsel des Geschmacks u. s. w. als blosses erläuterndes Beiwerk anreihen würde. Die Technik dagegen zur Hauptsache zu machen, ist lächerlich und wird nicht im mindesten dadurch entschuldigt, dass die grössten Meister zugleich die grössten Erfinder und Handhaber im Technischen waren; denn es kommt alles darauf an, warum sie im Technischen Erfinder waren, und da lautet die Antwort: weil Originalität die erste Eigenschaft des schöpferischen Geistes ist, und dieser daher sich genötigt sieht, für das Neue, das er zu sagen hat, für die eigenartige Gestaltung, die seinem persönlichen Wesen entspricht, sich auch neue Werkzeuge zu schaffen.

Gott soll mich davor behüten, dass ich mich auf den steinigen und mit lauter Dornen bewachsenen Boden der Kunstästhetik begebe! Mir ist es nicht um die Aesthetik, sondern einzig um die Kunst zu thun. 2)» Durch alle Theorie der Kunst versperrt man sich den Weg zum wahren Genusse: denn ein schädlicheres Nichts als sie ist nicht erfunden worden « (Goethe).Was die Hellenen aber schon wussten und was unsere Klassiker stets be - tonen, nämlich, dass die Poesie die Wurzel jeglicher Kunst sei, daran halte ich fest; nehme ich nun die soeben geschilderte Auffassung des Begriffes » Kunst « seitens unserer heutigen Kunsthistoriker hinzu, so erhalte ich einen so weiten und unbestimmten Begriff, dass er meinen Bierkrug und Homer’s Ilias umfasst, und dass sich jeder Taglöhner mit dem Grabstichel als » Künstler « einem Leonardo da Vinci zur Seite stellt. Damit schwindet Kant’s » Kunst des Genies « hin. Doch ist die Bedeutung der schöpferischen Kunst, wie ich sie in der Ein - leitung zu dem ersten Kapitel dieses Buches in Anlehnung an Schiller entwickelt und im weiteren Verlauf jenes Kapitels an den Hellenen exemplifiziert habe (S. 53 fg. ) eine zu wichtige Thatsache der Kultur - geschichte, als dass wir sie auf diese Weise preisgeben könnten. In der Trias Weltanschauung, Religion, Kunst welche drei zusammen die Kultur ausmachen könnten wir die Kunst am allerwenigsten entbehren. Denn unsere germanische Weltanschauung ist eine trans -949Kunst.scendente und unsere Religion eine ideale, und darum bleiben beide unausgesprochen, unmitteilbar, den meisten Augen unsichtbar, den meisten Herzen wenig überzeugend, wenn nicht die Kunst mit ihrer freischöpferischen Gestaltungskraft d. h. die Kunst des Genies vermittelnd dazwischen tritt. Darum hat die christliche Kirche wie früher der Götterglaube der Hellenen stets die Kunst zu Hilfe ge - rufen, und darum meint Immanuel Kant, nur vermittelst einer » gött - lichen Kunst « könne es den Menschen gelingen, die innerlich bewusste Freiheit dem mechanischen Zwange erfolgreich entgegenzusetzen. Wegen der Einsicht in diesen Zwang führt unsere Weltanschauung (rein als Philosophie) zu einer Verneinung; wogegen unsere Kunst aus dem inneren Erlebnis der Freiheit entstammt und darum ihrem ganzen Wesen nach Bejahung ist.

Diesen grossen, klaren Begriff der Kunst müssen wir uns also als ein Heiligstes, Lebendigstes wahren; und wenn Jemand kurzweg von » Kunst « spricht nicht von Kunsthandwerk, Kunsttechnik, Kunst - tischlerei u. s. w. so darf er mit diesem geheiligten Wort einzig Kunst des Genies bezeichnen wollen.

Sie allein die echte Kunst bildet das Gebiet, auf welchem jene beiden Welten, die wir soeben zu unterscheiden gelernt haben (S. 936) die mechanische und die unmechanische sich derartig begegnen, dass eine neue, dritte Welt daraus entsteht. Die Kunst ist diese dritte Welt. Hier bethätigt sich unmittelbar in der Welt der Erscheinung die Freiheit, die sonst nur eine Idee, eine ewig unsichtbare, innere Erfahrung bleibt. Das Gesetz, das hier herrscht, ist nicht das mechanische; vielmehr ist es in jeder Beziehung das Analogon jener » Autonomie «, welche auf sittlichem Gebiete Kant zu so staunender Bewunderung angeregt hatte (S. 941). Und was der religiöse Instinkt nur ahnt und in allerhand mythologischen Träumen sich vorführt (S. 395), das tritt durch die Kunst gewissermassen » in das Tageslicht des Lebens ein «; denn indem die Kunst aus freier innerer Notwendigkeit (Genialität) die gegebene unfreie mechanische Notwendigkeit (die Welt der Erscheinung) umbildet, deckt sie einen Zusammenhang zwischen den beiden Welten auf, der aus der rein wissenschaftlichen Beobachtung der Natur sich nie ergeben hätte. Der Künstler tritt nunmehr in einen Bund mit dem Naturforscher: denn es findet sich, dass indem er frei gestaltet, er zugleich die Natur » aus - legt «, d. h., dass er ihr tiefer ins Herz sieht, als der messende und wägende Beobachter. Auch zum Philosophen gesellt sich der Künstler:950Die Entstehung einer neuen Welt.hierdurch erst erhält das logische Skelett einen blühenden Leib und erfährt es, wozu es eigentlich auf der Welt ist, wofür ich als Beleg nur auf Schiller und auf Goethe verweisen will, die beide den höchsten Gipfel ihres Könnens und ihrer Bedeutung für das Geschlecht der Germanen im innigen Zusammengehen mit Kant erklimmen, dadurch aber zugleich in ganz anderer Weise als Schelling und Genossen der Welt zeigen, welche unermessliche Bedeutung dem Denken des grossen Königsbergers zukommt. 1)Da Goethe ohne Zweifel hie und da von Schelling beeinflusst worden ist und dies zu manchem grundfalschen Urteil geführt hat, muss es betont werden, dass er dennoch Kant stets weit über alle seine Nachfolger gestellt hat. Zur Zeit als Fichte und Schelling in hoher Blüte standen und Hegel zu schreiben begann, urteilte Goethe: » das Spekulieren über das Übermenschliche, trotz aller Warnungen Kant’s, ist ein vergebliches Abmühen «. Als Schelling’s Lebenswerk schon lange vollendet vorlag (im Jahre 1817), sagte Goethe zu Victor Cousin, er habe von Neuem begonnen, Kant zu lesen und erfreue sich an der beispiellosen Klarheit dieses Denkens; auch fügte er hinzu: » Le système de Kant n’est pas détruit «. Sechs Jahre später klagte Goethe dem Kanzler von Müller, Schelling’s » zweizüngelnde Ausdrücke « hätten die rationelle Theologie » um ein halbes Jahrhundert zurück - gebracht «. Die Persönlichkeit Schelling’s sowie gewisse Eigenschaften seines Stils und gewisse Richtungen seines Denkens haben Goethe oft gefesselt; doch konnte ein so klarer Geist niemals in den Irrtum verfallen, Kant und Schelling als kom - mensurable Grössen zu betrachten. (Für die obigen Citate siehe die von Bieder - mann herausgegebenen Gespräche, I, 207, III, 290, IV, 227.)

Kunst und Religion.
630

Und noch bleibt das Verhältnis zwischen Kunst und Religion zu nennen. Es ist dies ein so mannigfaches und inniges Verhältnis, dass es schwer fällt, es analytisch zu zergliedern. In dem Zusammenhang, der uns augenblicklich beschäftigt, wäre Folgendes zu bemerken. Religion ist bei allen Indogermanen (wie ich es an vielen Stellen dieses Buches gezeigt habe) immer schöpferisch in dem künstlerischen Sinne des Wortes und darum kunstverwandt. Unsere Religion war nie Geschichte, nie chronistische Erklärung, sondern immer eigene innere Erfahrung und Deutung dieser Erfahrung, sowie der umgebenden (und somit auch erfahrenen) Natur durch freie Neugestaltung; anderer - seits ging unsere gesamte Kunst aus religiösen Mythen hervor. Da wir aber heute es nicht mehr vermögen, dem naiven Trieb der schöpfe - rischen Mythengestaltung zu folgen, so wird unser Mythus aus dem Werk der höchsten und tiefsten Besonnenheit hervorzugehen haben. Der Stoff ist ihm gegeben. Die wahre Quelle aller Religion ist ja heute nicht eine unbestimmte Ahnung, nicht Naturdeutung, sondern die that -951Kunst.sächliche Erfahrung bestimmter menschlicher Gestalten;1)Siehe das ganze Kapitel 3, namentlich S. 195 fg. mit Buddha und mit Christus ist Religion realistisch geworden (eine Thatsache, welche von den Religionsphilosophen regelmässig übersehen wird und noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist). Doch, was diese Männer erfuhren und was wir durch sie erfahren, ist nicht ein mechanisch » Reales «, sondern ein weit Realeres als dies, ein Erlebnis des innersten Wesens. Und zwar ist uns dieser Sachverhalt erst jetzt, erst im Lichte unserer eigenen neuen Weltanschauung, ganz klar geworden; jetzt erst wo der lückenlose Mechanismus aller Erscheinung unwider - sprechlich dargethan ist vermögen wir es, die Religion auch von der letzten Spur von Materialismus zu säubern. Dadurch wird aber die Kunst immer unentbehrlicher. Denn was eine Gestalt wie Jesus Christus bedeutet, was sie offenbart, lässt sich nicht in Worten aus - sprechen; es ist ja das Innere, das Zeit - und Raumlose, durch keine rein logische Gedankenkette erschöpfend oder auch nur adäquat Aus - zudrückende; es handelt sich bei Jesus Christus lediglich um jene » Natur, die einem Willen unterworfen ist « (wie Kant sich ausdrückte, S. 936), nicht um jene, welche den Willen sich unterwirft, d. h. also, es handelt sich um jene Natur, in welcher der Künstler zu Hause ist und von wo aus er allein es versteht, eine Brücke in die Welt der Erscheinung hinüber zu schlagen. Die Kunst des Genies zwingt das Sichtbare dem Unsichtbaren zu dienen. 2)Das ist nicht ästhetische Theorie, sondern das Erlebnis der schaffenden Künstler. So sagt z. B. Eugène Fromentin in seinem exquisiten, doch ganz fach - mässigen Buche Les Maîtres d’autrefois (éd. 7. p. 2.): » L’art de peindre est l’art d’exprimer l’invisible par le visible «.Nun ist aber an Jesus Christus die leibliche Erscheinung (zu welcher auch das ganze irdische Leben gehört) das Sichtbare und insofern eine gewisser - massen nur allegorische Darstellung des unsichtbaren Wesens; doch ist diese Allegorie unentbehrlich, denn die erfahrene Persönlichkeit war es ja nicht ein Dogma, nicht ein System, beileibe nicht der Gedanke, hier ginge ein hypostasierter Logos in Fleisch und Blut herum welche den unvergleichlichen Eindruck hervorgebracht und viele Menschen innerlich völlig umgewandelt hatte; mit dem Tode schwand die Persönlichkeit also das einzig Wirksame dahin; was bleibt ist Fragment und Schema. Damit das wunderwirkende Beispiel (S. 196) weiter bestehe, damit die christliche Religion nicht ihren Charakter als thatsächliche, wirkliche Erfahrung verliere, muss die952Die Entstehung einer neuen Welt.Gestalt Christi immer wieder von neuem geboren werden; sonst bleibt eitles Dogmengewebe, und die Persönlichkeit deren ausserordentliche Wirkung die einzige Quelle dieser Religion war erstarrt zu einem abstrakten Gedankending. Sobald das Auge sie nicht erblickt, das Ohr sie nicht vernimmt, schwindet sie immer ferner, und an Stelle lebendiger und wie ich vorhin sagte realistischer Religion, bleibt entweder stupide Idolatrie, oder im Gegenteil ein aristotelisches, aus lauter abstraktem Spinngewebe errichtetes Vernunftgerüst, wie wir das bei Dante sahen, bei welchem die einzige sichere Grundlage aller uns Germanen in Wahrheit möglichen Religion die Erfahrung vollständig fehlt und der Name Christi konsequenter Weise gar nicht einmal genannt wird. Nur eine menschliche Kraft ist fähig, die Religion aus dieser Doppelgefahr der Idolatrie und des philosophischen Deismus1)Diese zwei Richtungen treten in konkreterer Gestalt vor die Vorstellung, wenn man sie sich als Jesuitismus und Pietismus (dem Korrelat des Deismus) ver - gegenwärtigt. Jeder hat nämlich in einem scheinbaren Gegensatz eine Ergänzung, in die er leicht umschlägt. Das Korrelat des Jesuitismus ist der Materialismus; wie Paul de Lagarde richtig bemerkt hat: » das Wasser in diesen kommunicierenden Röhren steht stets gleich hoch « (Deutsche Schr., Ausg. 1891, S. 49); alle jesuitische Naturwissenschaft ist ebenso streng dogmatisch materialistisch wie nur die irgend eines Holbach oder de Lamettrie; das Korrelat des abstrakten Deismus ist der Pietismus mit seinem Buchstabenglauben. zu erretten: das ist die Kunst. Denn die Kunst allein vermag es, die ursprüngliche Gestalt, d. h. die ursprüngliche Erfahrung wieder zu gebären. Ein schlagendes Beispiel von der Art, wie die Kunst des Genies zwischen jenen beiden Klippen hindurchsteuert, haben wir an Leonardo da Vinci (vielleicht der schöpferischeste Geist, der je ge - lebt); seinen Hass gegen jedes Dogma, seine Verachtung für alle Idol - atrie, zugleich seine Gewalt, den wahren Gehalt des Christentums, nämlich die Erscheinung Christi selber, zu gestalten, habe ich im ersten Kapitel hervorgehoben (S. 108); sie bedeuten den Morgen eines neuen Tages. Ähnliches könnte man an jedem Genie der Kunst von ihm bis zu Beethoven zeigen.

Hierzu eine Erläuterung, damit das Verhältnis zwischen Kunst und Religion nicht unklar bleibe.

Ich sagte (S. 777), eine mechanische Weltdeutung vertrage sich einzig mit einer idealen Religion; ich glaube dies im vorigen Abschnitt deutlich und unwiderleglich dargethan zu haben. Was kennzeichnet nun eine ideale Religion? Ihre unbedingte Gegenwärtigkeit. Wir er -953Kunst.kannten es deutlich bei den Mystikern: diese streifen die Zeit wie von den Gliedern ein Gewand ab; sie wollen weder bei der Schöpfung verweilen (in welcher die materialistischen Religionen die Gewähr für Gottes Macht finden), noch bei zukünftiger Belohnung und Strafe, ihnen ist vielmehr » diese Zeit wie Ewigkeit « (S. 885). Die wissen - schaftliche Weltanschauung, die sich aus der geistigen Arbeit der letzten Jahrhunderte ergab, hat dieser Empfindung klaren, begrifflichen Aus - druck verliehen. Von Anfang an hat die germanische Philosophie » sich um zwei Angeln gedreht «; 1. die Idealität des Raumes und der Zeit, 2. die Realität des Freiheitsbegriffes. 1)Vergl. Kant: Fortschritte der Metaphysik, Anhang. Wie man sieht: das dem Sinnenzeugnis entnommene Reale wird als eine Idee, dagegen die durch innere Erfahrung gegebene Idee als ein Reales gedeutet. Es ist ganz genau die kopernikanische Umdrehung: was man bewegt wähnte, ruht, und was man ruhend wähnte, bewegt sich.Dies ist zugleich wenn ich mich so ausdrücken darf die Formel der Kunst. Denn in ihren Schöpfungen bewährt sich die Freiheit des Willens als ein Reales und die Zeit der inneren, unmechanischen Welt gegenüber als eine verschwimmende, blosse Idee. Kunst ist ewige Gegenwart. Und zwar ist sie das in zwei Beziehungen. Erstens bannt sie die Zeit: was Homer gestaltet, ist so jung heute wie vor 3000 Jahren; wer vor das Grabmal des Lorenzo de Medici tritt, fühlt sich in unmittel - barer Gegenwart Michelangelo’s; die Kunst des Genies altert nicht. Ausserdem ist Kunst Gegenwart in dem Sinne, als nur das absolut Dauerlose wirklich Gegenwart ist. Die Zeit ist teilbar, ins Unendliche teilbar, ein Blitz ist nur relativ kürzer als ein hundertjähriges Leben, dieses nur relativ länger als jener; wogegen Gegenwart im Sinne der Dauerlosigkeit sowohl kürzer als das denkbar kürzeste, wie auch länger als alle denkbare Ewigkeit ist; dies trifft auf die Kunst zu: ihre Werke wirken schlechterdings augenblicklich und erwecken zugleich schlecht - hin die Empfindung der Unvergänglichkeit. Goethe unterscheidet einmal wahre Kunst von Traum und Schatten, indem er sagt, sie sei » eine lebendig augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen «. Auch dieses so viel missbrauchte Wort » Offenbarung « bekommt im Lichte unserer germanischen Weltanschauung einen durchaus fass - lichen, aller Überschwänglichkeit baren Sinn: es heisst das Öffnen des Thores, welches uns (als mechanische Erscheinung) von der zeit - losen Welt der Freiheit trennt. Die Kunst ist Thorhüter. Ein Werk der Kunst sagen wir, Michelangelo’s Nacht schlägt das ThorChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 61954Die Entstehung einer neuen Welt.weit auf; wir treten unmittelbar aus der Umgebung des Zeitlichen in die Gegenwart des Zeitlosen. Wie dieser Künstler selber trium - phiert: dall’arte è vinta la natura! besiegt ist Natur durch Kunst; das heisst, genötigt ist das Sichtbare, dem Unsichtbaren Gestalt zu verleihen, das Notwendige, der Freiheit zu dienen; lebendige Offen - barung des Unerforschlichen beut nunmehr der Stein.

Leicht muss ein Jeder begreifen, welche mächtige Unterstützung eine auf unmittelbarer Erfahrung beruhende Religion aus einer der - artigen Fähigkeit schöpft. Die Kunst vermag es, die einmalige Er - fahrung immer von Neuem zu gebären; sie vermag es, in der Per - sönlichkeit das Überpersönliche, in der vergänglichen Erscheinung das Unvergängliche zu offenbaren; ein Leonardo schenkt uns die Gestalt, ein Johann Sebastian Bach die Stimme Jesu Christi, ewig nun gegen - wärtig. Ausserdem deckt die Kunst jene » Religion «, die in dem Einen unnachahmliches, überzeugendes Dasein gefunden hatte, auch an anderem Orte auf, und eine tiefe Ergriffenheit bemächtigt sich unser, wenn wir in einem Selbstbildnis Albrecht Dürer’s oder Rem - brandt’s Augen erblicken, die uns in jene selbe Welt hineinführen, in welcher Jesus Christus » lebte und webte und Dasein fand «, und deren Schwelle die Worte und die Gedanken nicht überschreiten dürfen. Etwas hiervon hat jede erhabene Kunst, denn das ja ist es, was sie erhaben macht. Nicht allein des Menschen Antlitz, sondern alles, was ein Menschenauge erblickt, was ein Menschengedanke erfasst und nach dem Gesetz der inneren unmechanischen Freiheit neu gestaltet hat, öffnet jenes Thor der » augenblicklichen Offenbarung «; denn jedes Werk der Kunst stellt uns dem schöpferischen Künstler gegen - über, und das heisst dem Walten derselben zugleich transscendenten und realen Welt, aus der Christus spricht, wenn er sagt, in diesem Leben liege das Himmelreich wie ein Schatz im Acker vergraben. Man betrachte eines der vielen Christusbilder Rembrandt’s, z. B. das Hundertguldenblatt, und halte daneben seine Landschaft mit den drei Bäumen: man wird mich verstehen. Und man wird mir Recht geben, wenn ich sage, Kunst ist zwar nicht Religion denn ideale Religion ist ein thatsächlicher Vorgang im innersten Herzen jedes Ein - zelnen, jene Umkehr und Wiedergeburt, von der Christus sprach Kunst versetzt uns aber in die Atmosphäre der Religion, sie vermag es, die ganze Natur für uns zu verklären, und durch ihre erhabensten Offenbarungen regt sie unser innerstes Wesen so tief und unmittelbar an, dass manche Menschen nur durch die Kunst dazu gelangen, zu955Kunst.wissen, was Religion ist. Dass das Reciproke ebenfalls gilt, ist ohne Weiteres einleuchtend, und man begreift, dass Goethe dem man Frömmigkeit im Sinne unserer historischen Kirchen kaum vorwerfen wird behaupten konnte: nur religiöse Menschen besässen schöpfe - rische Kraft. 1)Vergl. das Gespräch mit Riemer vom 26. März 1814.

Soviel zur Bestimmung dessen, was wir unter dem Worte » Kunst « zu verstehen und zu verehren haben, und zur Abwehr einer Schwächung des Begriffes durch kritiklose Erweiterung. Die theoretische Definition der Kunst habe ich geglaubt durch den Hinweis auf das, was Kunst des Genies im allgemeinen Zusammenhang der Kultur leistet, ergänzen zu sollen; dadurch tritt die Bedeutung des Begriffes in konkreter Leb - haftigkeit vor den Geist. Wie man sieht, Polemik kann uns in kurzer Zeit weit fördern. Ich wende mich also zum zweiten Punkt: zu der von unseren Kunsthistorikern beliebten sinnwidrigen Beschränkung des Begriffes » Kunst «.

In keiner Kunstgeschichte des heutigen Tages ist von Dicht -Der tonvermählte Dichter. kunst oder Tonkunst die Rede; erstere gehört jetzt zur Litteratur (auf Deutsch » Buchstäblerei «), letztere ist eine Sache für sich, weder Fisch noch Fleisch, deren Technik zu abstrus und mühsam ist, um ausserhalb des engsten fachmännischen Kreises Interesse und Verständ - nis zu finden, und deren Wirkung zu unmittelbar physisch und all - gemein ist, als dass sie nicht als Kunst der misera plebs und der oberflächlichen dilettanti bei den Gelehrten einer gewissen Gering - schätzung anheim fallen sollte. Und doch braucht man nur die Augen zu einer umfassenden Rundschau aufzumachen, um sofort einzusehen, dass die Poesie, nicht allein schon an und für sich, wie die Philo - sophen behaupten, den » obersten Rang « unter allen Künsten ein - nimmt, sondern die unmittelbare Quelle fast jegliches künstlerischen Schaffens und der schöpferische Herd auch derjenigen Kunstwerke ist, welche nicht unmittelbar an sie sich anlehnen. Ausserdem werden wir aus jeder historischen, wie auch aus jeder kritischen Untersuchung mit Lessing die Ueberzeugung gewinnen, dass Poesie und Musik nicht zwei Künste sind, sondern vielmehr » eine und dieselbe Kunst «. Der tonvermählte Dichter ist es, der uns überhaupt zu » Kunst « erweckt; er ist es, der uns Auge und Ohr öffnet; bei ihm, mehr als bei irgend einem anderen Gestalter, herrscht jene gebietende Freiheit, welche die Natur ihrem Willen unterwirft, und als Freiester aller61*956Die Entstehung einer neuen Welt.Künstler ist er unbestritten der Erste. Die gesamte bildende Kunst könnte vernichtet werden und es bliebe die Poesie der tonvermählte Dichter unangetastet stehen; ihr Reich wäre nicht um einen Schritt enger, sondern nur hier und dort gestaltenleer. Denn im Grunde genommen drücken wir uns sehr ungenau aus, wenn wir sagen, die Dichtkunst sei » die erste « unter den Künsten: vielmehr ist sie die einzige. Die Poesie ist die allumfassende, welche jeder anderen Leben spendet, so dass, wo diese Anderen sich emanzipieren, sie dann selber wieder so gut es ihnen gelingen will » dichten « müssen. Man überlege es sich doch: wie wäre die bildende Kunst der Hellenen auch nur denkbar ohne ihre dichtende Kunst? Hat nicht Homer dem Phidias den Meissel geführt? Musste nicht der hellenische Dichter die Gestalten schaffen, ehe der hellenische Bildner sie nachschaffen konnte? Und glaubt man, der griechische Architekt hätte unnachahmlich voll - endete Gotteshäuser errichtet, wenn nicht der Dichter ihm so herrliche Göttergestalten vorgezaubert hätte, dass er sich genötigt fühlte, jede Faser seines Wesens dem Erfindungswerk zu widmen, damit er nicht zu weit hinter dem zurückbliebe, was ihm und jedem seiner Zeit - genossen in der Phantasie als ein Göttliches und der Götter Würdiges vorschwebte? Bei uns ist es aber nicht anders. Unsere bildende Kunst knüpfte teils bei der hellenischen, zum noch grösseren Teil aber bei der christlich-religiösen Dichtung an. Ehe sie der Bildner erfassen kann, müssen eben die Gestalten in der Phantasie da sein; der Gott muss geglaubt sein, ehe man ihm Häuser baut. Hier sehen wir die Religion wie Goethe es will als Quelle aller Produktivität. Doch muss historische Religion poetische Gestalt gewonnen haben, ehe wir sie bilden und im Bildnis begreifen können: das Evangelium, die Legende, das Gedicht geht voran und bildet den unerlässlichen Kom - mentar zu jedem heiligen Abendmahl, zu jeder Kreuzigung, zu jedem Inferno. Nun griff allerdings der germanische Künstler, seiner echten, unterscheidenden Eigenart gemäss, und sobald er das Technische in seine Gewalt bekommen hatte, viel tiefer; ihm war mit dem Inder der Zug zur Natur gemeinsam; daher jene doppelte Richtung, die uns in einem Albrecht Dürer so auffällt: hinaus, zur peinlich ge - nauen Beobachtung und liebevoll gewissenhaften Wiedergabe jedes Grashalmes, jedes Käferchens, hinein, in die unerforschliche innere Natur, durch das menschliche Bildnis und durch tiefsinnige Alle - gorien. Hier ist echteste Religion am Werke und wie ich es vorhin zeigte deswegen echteste Kunst. Hier spiegelt sich die Geistesrichtung957Kunst.der Mystiker (auf die Natur), die Geistesrichtung der Humanisten (auf die Würde des Menschen), die Geistesrichtung der natur - forschenden Philosophen (auf die Unzulänglichkeit der Erscheinung) genau wieder. Ein Jeder trägt eben seinen Stein herbei zur Auf - erbauung der neuen Welt, und da der einheitliche Geist einer be - stimmten Menschenart gebietet, fügt sich alles genau ineinander. Ich bin also weit entfernt zu leugnen, dass unsere bildende Kunst sich ungleich mehr von der Dichtkunst (d. h. von dem thatsächlich in Worten Gedichteten) emanzipiert hat, als das bei den Hellenen der Fall war; ich glaube sogar, es lässt sich eine zunehmende Bewegung in diesem Sinne verfolgen, vom 13. Jahrhundert bis zum heutigen Tage. Doch wird man darum nicht verkennen wollen, dass diese Kunst ohne Berücksichtigung des allgemeinen Kulturganges nicht ver - standen werden kann, und man wird einsehen müssen, dass überall die allgewaltige, freie Dichtkunst tonangebend voranging und den so vielfach gebundenen Schwestern die Wege ebnete. Ein Franz von Assisi musste die Natur an sein inbrünstiges Herz drücken und ein Gottfried von Strassburg sie begeistert schildern, ehe uns die Augen für sie aufgingen und der Pinsel sie nachzubilden versuchte; ein ge - waltiges dichterisches Werk war in allen Gauen Europa’s vollbracht von Florenz bis London ehe das Menschenantlitz vom Maler in seiner Würde erkannt ward und ehe in dessen Werken Persönlichkeit an Stelle von Typus zu treten begann. Ehe vollends ein Rembrandt wirken konnte, musste ein Shakespeare gelebt haben. Bei der Allegorie ist das Verhältnis der bildenden Künste zur Dichtkunst so auffallend, dass es wohl Keinem entgehen kann. Hier will der Bildner selbständig dichten. Ich führte in der Einleitung (S. 4) Worte von Michelangelo an, in denen dieser den Stein und den unbeschriebenen Papierbogen einander gleichstellt, in jeden käme nur das hinein, was er wolle. Er dichtet also wie mit der Feder, so auch mit Meissel und Pinsel.

the kindled marble’s bust may wear More poesy upon its speaking brow Than aught less than the Homeric page may bear! (Byron, Prophecy of Dante.)

Michelangelo’s Erschaffung des Lichtes ist seine eigene Erfindung: doch würden wir sie nicht verstehen, wenn sie sich nicht an einen allbekannten Mythus unmittelbar anlehnte. Und seine Figuren: der Tag und die Nacht, darüber Lorenzo de Medici, was sind sie, wenn958Die Entstehung einer neuen Welt.nicht Dichtungen? Es sind doch nicht bloss zwei nackte Figuren und eine bekleidete. Was also ist hinzugekommen? Etwas, was, durch die Macht, das Gemüt unmittelbar zu bewegen, der Tonkunst eben so nahe verschwistert ist, wie es sich andrerseits der Wortkunst durch die Anregung von Gedanken verwandt zeigt. Es ist ein heroischer Versuch, durch die blosse Welt der Erscheinung, ohne Anlehnung an eine bestehende poetische Fabel, also notgedrungen rein allegorisch, zu dichten. Das gewaltige Schaffen des Michelangelo kann überhaupt nur begriffen und beurteilt werden als ein Dichten (genau so wie das von Rembrandt und von Beethoven); und das viele ästhetische Gezänk darüber, sowie über die Grenzen des Ausdruckes in den verschiedenen Künsten lässt sich durch die einfache Einsicht beilegen, dass deutliche Begriffe nur durch die Sprache vermittelt werden können, woraus folgt, dass jedes bildnerische Dichten der begrifflichen Bestimmtheit ermangeln und insofern » musikalisch « wirken muss, um überhaupt zu wirken, andrerseits aber, dass dieses bildnerische Dichten, da es des Tones entbehrt, doch wiederum eine begriffliche Deutung erfordert und insofern » dichterisch « aufgefasst werden muss. Die » Nacht « ist zwar bloss ein einziges Wort, entrollt aber trotzdem, dank der magischen Gewalt der Sprache, ein ganzes dichterisches Programm. Und so sehen wir die bildende Kunst, dort wo sie ihre Selbständigkeit so weit wie nur immer möglich treibt, beide Hände nach dem ton - vermählten Dichter ausstrecken: hat sie nicht den Stoff von ihm ent - lehnt, so muss sie die Seele von ihm empfangen, damit ihr Gebilde lebe.

Es bedarf, glaube ich, keiner weiteren Ausführung, damit Jeder zugebe, eine Geschichte der Kunst mit Umgehung der Dichtkunst sei ein genau ebenso vernünftiges Beginnen wie die berühmt-berüchtigte Aufführung des Hamlet ohne Hamlet. Und doch werde ich gleich zeigen, dass die kühnsten geschichtsphilosophischen Behauptungen nam - hafter Gelehrter auf dieser Auffassung beruhen. Wenn Rosenkranz und Güldenstern in einer Scene die Bühne nicht betreten, da bleibt sie für unsere Kunsthistoriker leer. Doch, da ich vom » tonvermählten Dichter « sprach, und da des Dichters Zwillingsschwester, Polyhymnia, im selben Anathema inbegriffen und ebenfalls nicht für hoffähig ge - halten wird, so muss ich noch über ihre Kunst ein Wort sagen, ehe ich zu den geschichtlichen Wahnbildern übergehe.

Dass bei allen Mitgliedern der indoeuropäischen Gruppe in alter Zeit jede Wortdichtung zugleich Tondichtung war, ist heute allbekannt: die Zeugnisse über Inder, Hellenen, Germanen kann man in allen959Kunst.neueren Geschichtswerken finden. Von besonderem Werte für die Wiedergewinnung eines gesunden Urteils über die hohe kulturelle Be - deutung der Musik waren in unserem Jahrhundert die gelehrten Arbeiten von Fortlage, Westphal, Helmholtz, Ambros u. a. über die Musik bei den Hellenen, aus denen hervorgeht, erstens, dass die Tonkunst von den Griechen mindestens eben so hoch geschätzt wurde wie die Dicht - kunst und die bildende Kunst, zweitens, dass Musik und Poesie in der Zeit höchster Blüte griechischer Kultur so eng mit einander verknüpft und verwachsen waren, » dass die Geschichte hellenischer Musik not - wendig auch in das Gebiet hellenischer Dichtkunst hinübergreifen muss und umgekehrt «. 1)Ambros: Geschichte der Musik, 2. Aufl., I, 219.Was wir heute als hellenische Poesie bewundern, ist nur ein Torso; denn erst die organisch dazu gehörige Musik » rückte die Pindarische Ode, die Sophokleische Scene in die volle Beleuchtung des hellenischen Tages «. Nach heutigen Begriffen also, welche die Dreiteilung, Litteratur, Musik, Kunst eingebürgert und Alles, was ge - sungen wird, aus Litteratur und noch strenger aus Kunst verbannt haben, würde die gesamte griechische Poesie zur Musikgeschichte ge - hören weder zur Litteratur, noch zur Kunst! Das giebt zu denken. Inzwischen hat die Tonkunst eine ganze grosse Entwickelung durchlaufen (auf die ich in einem anderen Zusammenhang noch zurückkommen werde), wodurch sie wahrlich nicht an Würde und Selbständigkeit ver - loren hat, sondern im Gegenteil, immer ausdrucksmächtiger und dadurch künstlerischer Gestaltung fähiger geworden ist. Hier liegt nicht bloss Entwickelung vor, wie unsere Musikhistoriker es sich gern zurecht - konstruieren, sondern vornehmlich der Übergang dieser Kunst aus hellenischen Händen in germanische. Der Germane in allen Zweigen dieser Völkergruppe ist der musikalischeste Mensch auf Erden; Musik ist seine spezifisch eigene Kunst, diejenige, in welcher er unter allen Menschen der unvergleichliche Meister ist. In den ältesten Zeiten sahen wir die Germanen selbst zu Pferd die Harfe nicht aus der Hand geben und ihre tüchtigsten Könige den Gesangsunterricht persönlich leiten (S. 318); die alten Goten konnten keine andere Bezeichnung für » lesen « erfinden, als singen, » da sie keine Art sprachlich gehobener Mitteilung kannten, die nicht gesungen worden wäre «. 2)Lamprecht: Deutsche Geschichte, 2. Aufl., I, 174.Und so greift denn der Germane sobald er im 13. Jahrhundert zur Selbständigkeit erwacht und den geisttötenden Bann Rom’s nur einigermassen abgeschüttelt960Die Entstehung einer neuen Welt.hat sofort zu der nur ihm eigenen Harmonie und Polyphonie, und zwar geht diese Entwickelung von den kerngermanischen Nieder - landen (der Heimat Beethoven’s) aus und behält während mindestens dreier Jahrhunderte dort, sowie im übrigen Norden, ihren einzigen festen Halt und ihre produktive Brutstätte. 1)Die übliche ausschliessliche Betonung der Niederlande ist, wie Ambros gezeigt hat, ein geschichtlicher Irrtum; Franzosen, Deutsche, Engländer haben in grosser Zahl wacker mitgearbeitet; siehe a. a. O. III, 336, sowie den ganzen fol - genden Abschnitt und das ganze zweite Buch. Interessant ist es zu erfahren, dass Milton’s Vater Tonkünstler war.Die Italiener sind erst später und zwar als Schüler der Deutschen Musiker von Bedeutung geworden; auch Palestrina schliesst sich den Nordländern unmittelbar an. 2)Höchst bemerkenswert ist es, dass Palestrina’s Lehrer, der Franzose Gou - dimel, ein Calvinist war, der in der Bartholomäusnacht getötet wurde; denn da Palestrina sich in Stil und Schreibart seinem Lehrer auf das Genaueste anschloss (Ambros, II, S. 11 des V.), sehen wir, dass jene Reinigung der römischen Kirchen - musik » von lasciven und schlüpfrigen Gesängen « (wie das Tridentiner Concil in seiner 22. Sitzung sich ausdrückt), und ihre Zurückführung zu Würde und Schön - heit, im letzten Grunde ein nordisches, germanisch-protestantisches Werk war.Und was mit solcher Energie angefasst worden war, gedieh fortan ohne jegliche Unterbrechung. Bereits in Josquin de Près, einem Zeitgenossen Raffael’s, erlebte die neue germanische Tonkunst ein vollendetes Genie. Von Josquin an bis zu Beethoven, an der Grenze unseres Jahrhunderts, hat die Entwickelung dieser göttlichen Kunst von der Shakespeare sagt, sie allein wandle das innerste Wesen des Menschen um keine Unterbrechung erfahren. Die Musik, von Tausenden und Abertausenden fleissig gepflegt und gefördert, stellte jedem folgendem Genie stets vollkommenere Mittel zur Verfügung: eine reifere Technik, eine ver - feinerte Aufnahmefähigkeit. 3)Ich schreibe absichtlich nicht » Gehör «, denn nach manchen, jedem Musik - kundigen bekannten Thatsachen zu urteilen, lässt sich eher auf eine Ab - denn auf eine Zunahme des Gehörs innerhalb der letzten drei Jahrhunderte schliessen; so z. B. aus der Vorliebe unserer Vorfahren für vier -, acht - und womöglich noch mehrstimmige Kompositionen, sowie daraus, dass der Dilettant, der zur Laute sang, nicht die Ober - stimme vortrug (da dies für gemein galt!) sondern eine Mittelstimme. Man hat aber schon längst festgestellt, dass Schärfe des Gehörs in keinem notwendigen, direkten Verhältnis zur Empfänglichkeit für musikalischen Ausdruck steht; zum grossen Teil ist diese Schärfe lediglich eine Sache der Übung, und man trifft Völker (z. B. die Türken), bei denen die Unterscheidung eines Vierteltons all - gemein mit Sicherheit geschieht und die dennoch ohne jegliche musikalische Phantasie und Schöpferkraft sind.Und diese spezifisch germanische Kunst wurde seit Jahrhunderten als eine ebenfalls spezifisch christliche Kunst961Kunst.erkannt, häufig kurzweg » die göttliche Kunst «, la divina musica ge - nannt, und zwar mit Recht, da es die Eigentümlichkeit dieser Kunst ist, nicht aus sinnlich gegebenen Gestalten aufzubauen, sondern, mit gänzlicher Ausserachtlassung derselben, unmittelbar auf das Gemüt zu wirken. Dadurch regt sie den inneren Menschen so mächtig an. Jene tiefe Verwandtschaft zwischen Mechanik und Idealität, auf welche ich öfters hingewiesen habe (siehe namentlich S. 777 und S. 938 fg. ) tritt uns hier gleichsam in einem Gebilde verkörpert entgegen: die mathe - matische Kunst par excellence und insofern auch die am meisten » mechanische «, ist zugleich die » idealste «, von allem Körperlichen am voll - kommensten losgelöste. Hiermit hängt eine Unmittelbarkeit der Wirkung zusammen, d. h. also eine unbedingte Gegenwärtigkeit, welche eine weitere Verwandtschaft mit echter Religion bedingt: und in der That, wollte man durch ein Beispiel fasslich machen, was man unter Religion als Erfahrung meint, so wäre der Hinweis auf musikalische Erfah - rungen, das heisst, auf den unmittelbaren, überwältigenden und un - auslöschlichen Eindruck, den das Gemüt von erhabener Musik erhält, gewiss die allertrefflichste und vielleicht auch die einzig zulässige Illu - stration. Es giebt Choräle von Johann Sebastian Bach und nicht Choräle allein, doch nenne ich diese, um mich an Allbekanntes zu halten welche im schlichten, buchstäblichen Sinne des Wortes das » Christlichste « sind, was je erklungen war, seitdem die göttliche Stimme am Kreuze verstummte.

Mehr will ich in diesem Zusammenhang nicht vorbringen; es genügt, auf die hohe kulturelle Bedeutung der Tonkunst hingewiesen und an die unvergleichlichen Grossthaten, welche die » Kunst des Genies « gerade auf diesem Gebiete seit fünf Jahrhunderten vollbracht hat, erinnert zu haben. Jeder wird bereit sein, zuzugeben, dass Verallgemeinerungen über das Verhältnis zwischen Kunst und Kultur keinen Wert besitzen können, wenn diese beiden Künste, die Dichtkunst und die Tonkunst, welche wie Lessing uns belehrte in Wahrheit eine einzige, all - umfassende Kunst ausmachen, von der Betrachtung ausgeschlossen bleiben.

Nunmehr sind wir gewappnet, um der kunsthistorischen Ge -Kunst und Wissenschaft. schichtsphilosophie, wie sie unter uns heute gäng und gäbe ist, ent - gegenzutreten: ein unerlässliches Beginnen, da diese Geschichtsphilo - sophie das Verständnis des Werdens unserer germanischen Kultur völlig unmöglich macht und dadurch zugleich das Urteil über die Kunst unseres Jahrhunderts ein geradezu lächerlich schiefes wird.

962Die Entstehung einer neuen Welt.

Ein konkretes Beispiel muss gegeben werden, und da wir überall dieselbe Nachblüte Hegel’schen Wahnes finden, ist es ziemlich gleich - gültig, wohin wir greifen. Ich nehme ein unter Laien weitverbreitetes, vortreffliches Werk zur Hand, die Einführung in das Studium der neueren Kunstgeschichte von Professor Alwin Schultz, dem rühmlichst bekannten Prager Gelehrten; es liegt mir in der Ausgabe vom Jahre 1887 vor. Hier lesen wir S. 5: » Hat je zugleich die Kunst und die Wissenschaft im selben Augenblicke (sic!) ihre besten Früchte gezeitigt? ist Aristoteles nicht aufgetreten, als die heroische Zeit der griechischen Kunst bereits vorüber war? und welcher Gelehrter (sic!) hat zu Lionardo’s, zu Michelangelo’s, zu Raffael’s Zeiten gelebt, dessen Werke denen jener Meister nur annähernd an die Seite gestellt werden könnten? Nein! Kunst und Wissenschaft sind nie zu gleicher Zeit mit Erfolg von den Völkern gepflegt worden; vielmehr geht die Kunst der Wissenschaft voraus: die Wissenschaft tritt erst recht in Kraft, wenn die glänzende Epoche der Kunst schon der Vergangenheit angehört, und je mehr die Wissenschaft wächst und an Bedeutung gewinnt, desto mehr wird die Kunst in den Hintergrund gedrängt. Auf beiden Gebieten gleichzeitig hat kein Volk je etwas Grosses hervorgebracht. Wir können uns des - halb recht wohl trösten, wenn wir sehen, wie in unserem Jahrhundert, das so hervorragende, die ganze Kultur fördernde Erfolge auf dem Gebiete der Wissenschaften aufzuweisen hat, die Kunst nur minder Bedeutendes zu erreichen vermochte. « In derselben Weise geht es noch ein paar Seiten weiter. Die angeführte Stelle muss man mehrere Male hintereinander aufmerksam durchlesen; man wird immer mehr staunen über eine solche Fülle verkehrter Urteile und namentlich darüber, wie ein gewissenhafter Gelehrter zu Gunsten einer überkommenen, künst - lichen, grundfalschen Geschichtskonstruktion, weithin leuchtende, jedem Gebildeten bekannte Thatsachen einfach ignorieren kann. Kein Wunder, wenn wir arme Laien die Geschichte und in Folge dessen auch unsere eigene Zeit nicht mehr verstehen. Wir wollen sie aber verstehen. Schauen wir uns zu diesem Zwecke die soeben angeführte offizielle Geschichtsphilosophie etwas näher und mit kritischem Auge an.

Zunächst frage ich: gesetzt den Fall, es verhielte sich bei den Hellenen, wie Professor Schultz sagt, was würde das für uns beweisen? Dahinter steckt wieder der vermaledeite, abstrakte Menschheitsbegriff. Denn es ist nicht allein von den Griechen die Rede, sondern allgemeine Gesetze werden mit » je « und mit » nie « aufgestellt, als ob man uns alle Ägypter, Chinesen, Congoneger, Germanen in einen963Kunst.Topf werfen könnte; wogegen wir auf jedem Gebiet des Lebens sehen, dass selbst unsere nächsten Verwandten die Hellenen, die Römer, die Indier, die Eranier jeder einen ganz individuellen Ent - wickelungsgang durchmacht. Ausserdem stimmt das angeblich beweis - kräftige Beispiel keineswegs. Ja! hätten unsere Kunsthistoriker die These durchführen wollen, die ich selber im ersten Kapitel dieses Buches zu skizzieren versucht habe, inwiefern nämlich schöpferische Kunst die Kunst Homer’s die Grundlage der gesamten hellenischen Kultur abgegeben hat, inwiefern wir durch sie erst » ins Tageslicht des Lebens eingetreten sind «, wie sehr dies das besondere Kennzeichen der einen einzigen hellenischen Geschichte ist: dann wäre ihre Stellung unanfechtbar, und wir müssten ihnen Dank wissen; doch davon ist keine Rede. Poesie und Musik gehören bei Schultz ebensowenig wie bei irgend einem seiner Kollegen zur Kunst; mit keinem Sterbenswörtchen wird ihrer auch nur gedacht; » das ganze weite Gebiet handwerklicher Produktion « (S. 14) wird als zum Gegen - stand gehörig betrachtet, also lediglich die bildende Kunst. Und da ist denn die aufgestellte Behauptung nicht allein gewagt, sondern nach - weisbar falsch. Denn, erstens ist die Beschränkung der » heroischen Zeit « der bildenden Kunst auf Phidias kaum mehr als eine bequeme Phrase. Was besitzen wir denn von ihm, um ein derartiges Urteil darauf zu gründen? Erkennt nicht die Forschung von Jahr zu Jahr mehr die Vielseitigkeit und die Bedeutung des Praxiteles?1)Man lese z. B. die Berichte über die neuerlichen Funde in Mantinea mit den Musenreliefs des Praxiteles. und geniesst Apelles nicht den Ruf eines unvergleichlichen Malers? Beide sind Zeit - genossen des Aristoteles. Und ist man wirklich berechtigt, die herrlichen Skulpturen aus Pergamon einem vorgefassten System zuliebe als » Ware zweiter Güte « gering zu schätzen? Pergamon aber wurde 50 Jahre nach dem Tode des Aristoteles erst gegründet. Ich selber bin in diesem Buche gezwungen, immer nur wenige, hervorragendste und all - bekannte Namen zu nennen; auch habe ich den stärksten Nachdruck auf die Kunst als » Kunst des Genies « gelegt; doch ist es lächerlich, meine ich, wenn man in Fachbüchern einer derartigen Simplifikation Raum giebt; das Genie gleicht doch nicht einem Orden, den man einem bestimmten einzelnen Menschen auf die Brust hängt, sondern es schlummert, und schlummert nicht bloss, sondern wirkt auch in Hunderten und Tausenden, ehe der Einzelne sich hervorthun kann. 964Die Entstehung einer neuen Welt.Wie ich S. 70 hervorhob, Persönlichkeiten können nur in einer Um - gebung von Persönlichkeiten sich als solche bemerkbar machen; Kunst des Genies setzt weitverbreitete künstlerische Genialität voraus; in schöpferischen Werken der Kunst kommt, wie Richard Wagner be - merkt hat, » eine gemeinsame, in unendlich mannigfache und vielfältige Individualitäten gegliederte Kraft « zur Erscheinung. 1)Eine Mitteilung an meine Freunde (Ges. Schriften, 1. Ausg., IV., 309).Eine so weit - verbreitete Genialität, wie sie die Griechen bis in späte Zeiten be - kundeten, eine Genialität, die lange nach Aristoteles den Gigantenfries und die Laokoongruppe hervorbrachte, kann sich neben der Wissen - schaft namentlich neben der durchaus unheroischen Wissenschaft jener späten Periode! recht wohl sehen lassen. Doch will ich hierauf nicht weiter bestehen, sondern den Standpunkt der Kunst - historiker vorderhand zu dem meinigen machen und das Zeitalter des Perikles als den Höhepunkt der Kunst betrachten. Wie könnte ich mich aber der Erkenntnis verschliessen, dass dann die » heroische Zeit « der Wissenschaft auf genau denselben Augenblick fällt? Wie man in diesem Zusammenhang auf Aristoteles kommt, ist nämlich unerfindlich. Dieser grosse Mann hat auch die Wissenschaft seiner Zeit, wie alles andere, zusammengefasst, gesichtet, geordnet, schematisiert; doch ist seine persönliche Wissenschaft nichts weniger als heroisch, eher das Gegenteil, nämlich ausgesprochen geheimrätlich, um nicht zu sagen pfäffisch. Dagegen treten schon über ein Jahrhundert vor der Geburt des Phidias alle hellenische Denker als fachmännisch gebildete Mathe - matiker und Astronomen auf, und wirklich » heroisch « wird die Wissen - schaft durch den spätestens 80 Jahre vor Phidias geborenen Pythagoras. Ich verweise auf das S. 84 fg. nur Angedeutete. Wie genial die Pythagoreische Astronomie war, wie emsig und erfolgreich die Griechen bis zur alexandrinischen Zeit hinunter, und zwar ohne Unterbrechung, Mathematik und Astrophysik betrieben, wie abseits Aristoteles von dieser einzig echt naturwissenschaftlichen Bewegung stand, ist heute allbekannt: wie kann man es zu Gunsten einer Konstruktion übersehen? Von Thales, der 100 Jahre vor Phidias Sonnenfinsternisse voraus - berechnet, bis zu Aristarchos, dem 100 Jahre nach Aristoteles geborenen Vorläufer des Kopernikus d. h. so lange griechisches Geistesleben überhaupt blühte, vom Anfang bis zum Ende sehen wir die be - sondere hellenische Anlage für die Wissenschaft des Raumes am Werke. Abgesehen hiervon haben die Griechen überhaupt in Wissen -965Kunst.schaft nur wenig von bleibender Bedeutung geleistet, denn sie waren allzu hastige, schlechte Beobachter; doch ragen zwei Namen hoch empor, so dass sie noch heute jedem Kinde bekannt sind: Hippokrates, der Begründer wissenschaftlicher Medizin, und Demokrit, der weitaus bedeutendste aller hellenischen naturforschenden Denker, der einzige, der heute noch weiterschaffend unter uns lebt;1)Demokrit kann man nur mit Kant vergleichen: die Weltgeschichte weiss von keiner erstaunlicheren Geisteskraft zu melden. Wem das noch unbekannt, der schlage den betreffenden Abschnitt in Zeller’s Philosophie der Griechen (2. Abt. des 1. Bandes) nach und ergänze das dort Gesagte durch die Darstellung in Lange’s Geschichte des Materialismus. Demokrit ist der einzige Grieche, den man als echten Vorläufer germanischer Weltanschauung betrachten kann; denn bei ihm und bei ihm allein finden wir die rücksichtslos mathematisch-mechanische Deutung der Er - scheinungswelt, verbunden mit dem Idealismus der inneren Erfahrung und mit dem resoluten Abwehren jedweden Dogmatismus. Im Gegensatz zu dem albernen » Mittelweg « des Aristoteles lehrt er, die Wahrheit liege in der Tiefe! Eine Er - kenntnis der Dinge ihrer wirklichen Beschaffenheit nach sei, sagt er, unmöglich. Seine Ethik ist ebenso bedeutend: die Sittlichkeit liegt für ihn ganz und gar im Willen, nicht im Werke; er deutet auch schon auf Goethe’s Ehrfurcht vor sich selbst hin und weist Furcht und Hoffnung als moralische Triebfedern ab. und beide sind Zeitgenossen des Phidias!

Die Behauptung, Kunst und Wissenschaft seien nie zugleich mit Erfolg gepflegt worden, erweist sich aber als noch mehr hinfällig, sobald sie unsere aufsteigende germanische Kultur betrifft. » Welcher Gelehrte hat zu Leonardo’s, zu Michelangelo’s, zu Raffael’s Zeiten gelebt, dessen Werke denen jener Meister nur annähernd an die Seite gestellt werden könnten? « Wirklich, so ein armer Kunsthistoriker kann einem leid thun! Gleich beim ersten Namen Leonardo ruft man aus: aber, bester Mann, Leonardo selber! Wissenschaftliche Fachleute urteilen über ihn: » Leonardo da Vinci muss als der hervorragendste Vorar - beiter der galileischen Epoche der Entwickelung der induktiven Wissen - schaften betrachtet werden. « 2)Hermann Grothe: Leonardo da Vinci als Ingenieur und Philosoph, S. 93. Dass der Verfasser in dieser selben Schrift, in welcher er ausserdem darzuthun versucht hat, die wissenschaftlichen Kenntnisse seien zu Leonardo’s Zeiten über - haupt ausgedehnter und präziser als zwei Jahrhunderte später gewesen, dennoch der kunsthistorischen Hegelei das Opfer bringt, zu schreiben: » Stets haben wir die Erscheinung beobachten können, dass eine erhabene Kunstepoche der Blüte der Wissenschaft vorangeht « ist wirklich ein non plus ultra. Nichts ist schwerer zu entwurzeln, wie es scheint, als derartige Phrasen; derselbe Mann, der soeben in einem hervorragenden Falle das Gegenteil bewiesen hat, plappert sie dennoch nach, und entschuldigt die Abweichung von der vermeintlichen Regel mit einem » stets «Ich hatte oft in diesem Buche Gelegenheit,966Die Entstehung einer neuen Welt.auf Leonardo hinzuweisen, begnüge mich also hier daran zu erinnern, dass er Mathematiker, Mechaniker, Ingenieur, Astronom, Geolog, Anatom, Physiolog war. Hat auch die kurze Spanne eines Menschen - lebens nicht genügt, damit er hier überall, wie auf dem Gebiete der Kunst, Unsterbliches leiste, die vielen richtigen Ahnungen des erst viel später Entdeckten besitzen um so mehr Wert, als sie nicht luftige Intuitionen sind, sondern das Ergebnis der Beobachtung und einer streng wissenschaftlichen Denkmethode. Das grosse mittlere Prinzip unserer gesamten Naturwissenschaft: Mathematik und Experiment, hat er zuerst klar aufgestellt. » Alles wissen ist eitel «, sagt er, » welches nicht auf Erfahrungsthatsachen fusst und Schritt für Schritt bis zum wissen - schaftlich angestellten Versuch verfolgt werden kann. « 1)Libro di pittura, § 33 (ed. Ludwig).Ob Herr Schultz Leonardo einen » Gelehrten « nennen würde, weiss ich aller - dings nicht; jedoch zeigt die Geschichte, dass es auch in den Wissen - schaften etwas grösseres giebt als Gelehrsamkeit, nämlich Genie; und Leonardo ist ohne Frage eines der hervorragendsten wissenschaftlichen Genies aller Zeiten. Doch sehen wir weiter, ob es nicht einen ausschliesslich » wissenschaftlichen « Zeitgenossen Michelangelo’s und Raffael’s giebt, würdig ihnen » annähernd an die Seite gestellt zu werden. « Nichts ist schwerer, als für vergangene wissenschaftliche Grössen anerkennendes Verständnis zu wecken, und wollte ich als Beispiele von Naturforschern, deren Leben » innerhalb « des Lebens Michelangelo’s fällt, auf Vesalius, den unsterblichen Begründer der menschlichen Anatomie, auf Servet, den Vorentdecker des Blutum - laufes, auf Konrad Gessner, jenes erstaunlich vielseitige Muster aller späteren » Naturalisten «, und noch auf Andere hinweisen, so müsste ich zu jedem Namen einen Kommentar geben, und trotzdem würde ein ganzes Leben erfolgreicher Arbeit in der dunklen Vorstellung eines Laien immer noch wenig wiegen im Vergleich zu einem einzigen aus Anschauung ihm bekannten Kunstwerke. Doch zum Glück brauchen wir in diesem Falle nicht lange zu suchen, um einen Namen zu finden, dessen Glanz selbst bis in das unwissenschaftlichste Hirn ge - drungen ist. Denn bei aller grossen Verehrung für jene unsterblichen2) worauf man mit der Frage erwidern möchte, wo er denn überhaupt ausset bei uns Germanen auf eine wahre » Blüte der Wissenschaft « hinweisen könne? Er würde sehr verlegen um eine Antwort sein. Und bei uns das könnte er nicht leugnen geht die Kunst von Giotto bis Goethe ihren Gang parallel mit der Wissenschaft von Roger Bacon bis Cuvier.967Kunst.Künstler werden wir doch zugeben müssen, dass ein Nikolaus Koper - nikus einen bedeutenderen, weiter reichenden und mehr bis in die fernste Zukunft bestimmenden Einfluss auf die Kultur der gesamten Menschheit ausgeübt hat, als Michelangelo und Raffael. Georg Chri - stoph Lichtenberg ruft aus, nachdem er die wissenschaftliche und moralische Grösse des Kopernikus dargethan hat: » Wenn dieses kein grosser Mann war, wer in der Welt kann Anspruch auf diesen Namen machen? « 1)Siehe dessen Leben des Kopernikus in seinen physikalischen und mathema - tischen Schriften, Ausg. 1844, I. Teil, S. 51.Und Kopernikus ist so genau der Zeitgenosse Raffael’s und Michelangelo’s, dass sein Leben dasjenige Raffael’s einschliesst. Raffael ist geboren 1483, gestorben 1520, Kopernikus ist geboren 1473, gestorben 1543. Kopernikus war in Rom berühmt, als man Raffael’s Namen dort noch nie gehört hatte, und als der Urbinat 1508 von Julius II. berufen wurde, trug der Astronom seine Theorie des kos - mischen Weltsystems schon fertig im Kopfe, wenn er gleich, als echter Naturforscher, noch über 30 Jahre daran arbeitete, ehe er sie veröffentlichte. Kopernikus ist 21 Jahre jünger als Leonardo, 2 Jahre jünger als Albrecht Dürer, 2 Jahre älter als Michelangelo, 4 Jahre älter als Tizian; alle diese Männer standen zwischen 1500 und 1520 auf der Höhe ihres Wirkens. Nicht sie allein aber, auch der bahn - brechende Naturforscher Paracelsus2)Vergl. S. 861, 888 fg. ist nur 10 Jahre jünger als Raffael und beschloss sein ereignisreiches und für die Wissenschaft epoche - machendes Leben mehr denn 20 Jahre früher als Michelangelo. Nun darf man aber nicht übersehen, dass Männer wie Kopernikus und Paracelsus nicht vom Himmel fallen; ist selbst die Kunst des Genies eine Kollektiverscheinung, so ist es die Wissenschaft in viel höherem Grade. Schon der erste Biograph des Kopernikus, Gassendi, wies nach, dass dieser ohne seinen Vorgänger, den unsterblichen Regiomon - tanus, und Regiomontanus wieder ohne seinen Lehrer Purbach nicht möglich gewesen wäre; und andrerseits erhärtet ein Fachmann, der Astronom Bailly, dass es nur noch einiger technischer Vervollkommnung seiner Werkzeuge bedurfte, damit Regiomontanus die meisten Ent - deckungen des Galilei vorweggenommen hätte. 3)Beide Angaben entlehne ich der oben angeführten Lichtenberg’schen Biographie.

Kunst und Wissenschaft dürften überhaupt nicht in der Art zu einander in Parallele gestellt werden wie unsere Kunsthistoriker es968Die Entstehung einer neuen Welt.thun; denn Kunst Kunst des Genies » ist stets am Ziel «, wie Schopenhauer treffend bemerkt hat; es giebt keinen Fortschritt über Homer hinaus, über Michelangelo hinaus, über Bach hinaus; wogegen Wissenschaft ihrem Wesen nach » kumulativ « ist und jeder Forscher seinem Vorgänger auf den Schultern steht. Der bescheidene Purbach ebnet die Wege für das Wunderkind Regiomontanus, dieser macht Kopernikus möglich, auf ihm wieder fussen Kepler und Galilei (ge - boren im Jahre von Michelangelo’s Tode), auf diesen Newton. Nach welchem Kriterium will man hier die » beste Frucht « bestimmen? Eine einzige Erwägung wird zeigen, wie wenig die künstliche Be - stimmung nach a priori Zurechtlegungen zulässig ist. Die grossen Entdeckungen von Columbus, Vasco di Gama, Magalhães u. s. w. sind alle schon eine Frucht exakter wissenschaftlicher Arbeit. Toscanelli (geb. 1397), der Ratgeber des Columbus und vermutliche Urheber seiner Reise nach Westen, war ein sehr tüchtiger, gelehrter Astronom und Kosmograph, der die sphärische Gestalt der Erde zu beweisen unternahm und dessen Karte des Atlantischen Ozeans, die Columbus auf seiner ersten Reise benutzte, ein Wunderwerk des Wissens und der Intuition ist. Bei ihm hat der Florentiner Amerigo Vespucci noch persönlich Unterricht genommen und dadurch die Befähigung gewonnen, die ersten genauen geographischen Ortsbestimmungen der amerikanischen Küste aufzunehmen. Doch hätte das nicht genügt. Ohne die be - wundernswert genauen astronomischen Ephemeriden des Regiomon - tanus, die dieser auf Grundlage seiner astronomischen Beobachtungen und neuen Methoden für die Zeit 1475 1506 vorausberechnet und gedruckt hatte, wäre überhaupt keine transatlantische Entdeckungs - reise möglich gewesen; von Columbus an hat sie jeder Entdecker an Bord gehabt. 1)Für alle diese Angaben siehe Fiske: The discovery of America. Ich dächte, die Entdeckung der Welt, deren » heroische Zeit « ganz genau mit der höchsten Blüte der bildenden Künste in Italien zusammenfällt, wäre schon eine » Frucht «, die der Beachtung eben so wert ist wie eine Madonna des Raffael; die Wissen - schaft, welche sie vorbereitet und ermöglicht hat, ist der Kunst nicht nachgehinkt, sondern eher vorangeeilt.

Wollten wir unserem Kunsthistoriker noch weiter Schritt für Schritt nachgehen, wir würden lange mit ihm zu thun haben; doch meine ich, jetzt wo wir die Grundlagen seiner ferneren Behauptungen Wort für Wort als unstichhaltig befunden haben, dürfen wir schon969Kunst.Thür und Fenster weit aufwerfen und die dumpfe Stubenluft einer Geschichtsphilosophie, in der uns weder die Vergangenheit deutlich, noch die Gegenwart bedeutsam wird, durch den Sonnenschein der herrlichen Wirklichkeit und die frische Luft des brausenden Werdens verjagen. Ich fasse also die weitere Zurückweisung kurz zusammen.

Etwa 150 Jahre nach Raffael’s Tod Kepler und Galilei waren schon längst, Harvey vor einiger Zeit gestorben, Swammerdam war beschäftigt, ungeahnte Geheimnisse der Anatomie aufzudecken, Newton hatte bereits sein System der Gravitation ausgearbeitet und John Locke unternahm soeben als vierzigjähriger Mann seine wissenschaftliche Analyse des Menschengeistes da wurde eine Dichtung geschrieben, von der Goethe gesagt hat: » wenn die Poesie ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie aus diesem Stück wieder herstellen «; das wäre, dächte ich, Kunst des Genies im superlativsten Sinne des Wortes! Der Künstler war Calderon, das Kunstwerk Der standhafte Prinz. 1)Bf. an Schiller vom 28. Januar 1804. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts.So überschwengliche Worte aus dem Munde eines so urteils - fähigen und stets gemessen redenden Mannes lassen uns empfinden, dass die schöpferische Kraft der Kunst im 17. Jahrhundert nicht nach - gelassen hatte. Wir werden um so weniger daran zweifeln, wenn wir bedenken, dass Newton, der Zeitgenosse Calderon’s, sehr gut Rembrandt an der Staffelei hätte sehen können und vielleicht ich weiss es nicht gesehen hat, ebenso wie er bei einer Reise durch Deutschland den grossen Thomaskantor hätte eine seiner Passionen aufführen gehört, und ohne Zweifel Händel der lange vor Newton’s Tode nach England übergesiedelt war gesehen und gekannt hat. Hiermit reichen wir aber bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus; in dem Jahre als Händel starb, stand Gluck auf der Höhe seines Könnens, Mozart war geboren und Goethe hatte, wenn auch noch nicht für die Welt, so doch für seinen früh verstorbenen Bruder Jakob schon viel geschrieben und war soeben, infolge der Anwesenheit der Franzosen in Frankfurt, mit dem Theater vor und hinter den Coulissen vertraut geworden; vor Schluss desselben Jahres erblickte Schiller das Licht der Welt. Schon diese flüchtigen Andeutungen bei denen ich des blühenden Kunstlebens Englands, von Chaucer bis Shakespeare, und von diesem bis Hogarth und Byron, und der reichen Schöpfungen Frankreichs, von der Erfindung des gotischen Baustils im 12. und 13. Jahrhundert an, bis zu dem grossen Racine62970Die Entstehung einer neuen Welt.gar nicht gedacht habe genügen zum Beweise, dass in keinem Jahrhundert, seit unsere neue Welt zu entstehen begann, weder ein tief - gefühltes Bedürfnis nach Kunst, noch weitverbreitete künstlerische Genialität, noch auch ihr Emporblühen zu herrlichsten Gebilden in Kunst des Genies gefehlt hat. Calderon steht, wie wir soeben sahen, nicht allein da; was Goethe von seinem Standhaften Prinzen sagte, hätte er wohl nicht minder von Shakespeare’s Macbeth gesagt; und inzwischen wuchs die reinste aller Künste, die erst dem germa - nischen Dichter das Werkzeug, dessen er zur vollen Ausdrucksfähig - keit bedurfte, liefern sollte die Musik nach und nach zu nie geahnter Vollkommenheit heran und gebar ein Genie nach dem andern. Damit erhellt die Nichtigkeit der Behauptung, Kunst und Wissenschaft schlössen sich gegenseitig aus: eine Behauptung, die teils auf einer durchaus willkürlichen und verwerflichen Definition des Begriffes » Kunst « beruht, teils aber auf Unwissenheit bezüglich der geschicht - lichen Thatsachen und auf anerzogener Verkehrtheit des Urteils.

Wenn es ein Jahrhundert giebt, welches die Bezeichnung » das naturwissenschaftliche « verdient, so ist es das sechzehnte; diese Ansicht Goethe’s fanden wir durch das autoritative Gutachten des Justus Liebig bestätigt (S. 800); das 16. Jahrhundert ist aber das Jahrhundert Raffael’s Michelangelo’s und Tizian’s, es erlebte noch Leonardo am Anfang und Rubens am Schlusse; das Jahrhundert der Naturwissenschaft par excellence war also zugleich ein unvergleichliches Jahrhundert der bildenden Kunst. Doch sind alle diese Einteilungen als künstlich und nichtssagend zu verwerfen. 1)Liebhaber derartiger Spielereien mache ich auf Folgendes aufmerksam: im Jahre von Michelangelo’s Tod (1564) wurde Shakespeare geboren, mit Cal - deron’s Tod (1681) fällt die Geburt von Bach fast genau zusammen, und die Leben von Gluck, Mozart und Haydn führen uns bis genau zu dem Schluss des vorigen Säculums; so könnte man auf das bildende Jahrhundert ein poetisches und auf dieses ein musikalisches folgen lassen. Es hat auch Menschen gegeben, die von mathe - matischen, astronomisch-physikalischen, anatomisch-systematischen und chemischen Jahrhunderten gesprochen haben ein Unsinn, für welchen die heutigen Mathe - matiker, Physiker, Anatomen u. s. w. sich bestens bedanken werden.Es giebt ja gar keine Jahrhunderte ausser in unserer Einbildung, und es giebt auch gar keine Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft ausser einer der gegenseitigen indirekten Förderung. Es giebt einzig eine grosse, entfesselte, auf allen Gebieten zugleich emsig thätige Kraft, die Kraft einer bestimmten Rasse. Zwar wird diese Kraft das eine Mal hier, das andere Mal dort gehemmt971Kunst.oder gefördert, häufig durch reine äussere, zufällige Begebenheiten, manchmal durch grosse Ideen und durch den Einfluss hervorragender Persönlichkeiten; so erwacht z. B. die italienische Malerei zur Selb - ständigkeit und Bedeutung unter dem unmittelbaren Einfluss des Franz von Assisi und der von seinem Orden geforderten grossen Kirchen mit Wandgemälden für die Belehrung des unwissenden Volkes; so erlischt nach und nach in Deutschland, in Folge einer fast dreihundert - jährigen Epoche von Krieg und Verheerungen und inneren Zerwürf - nissen, die Lust und die Fähigkeit zu bildender Kunst, weil diese wie keine andere Reichtum und Ruhe benötigt, um leben zu können; oder wiederum, die Umsegelung der Welt fördert gewaltig die astro - nomischen Studien (S. 773), während das Aufkommen der Jesuiten die blühende Wissenschaft Italiens gänzlich ausrottet (S. 698). Das alles kann und soll uns der wissenschaftliche Geschichtsforscher und also auch der Kunsthistoriker an der Hand konkreter Thatsachen zeigen, nicht aber unser Urteil durch lendenlahme Verallgemeinerungen verblöden.

Und dennoch bedürfen wir der Verallgemeinerungen; ohne sieDie Kunst als ein Ganzes. giebt es kein Wissen, und darum pendeln wir bis zur Ankunft des so sehr ersehnten kulturhistorischen Bichat zwischen falschen Gesamt - anschauungen, welche jede einzelne Thatsache in eine unrichtige Perspek - tive rücken, und richtigen Einzelkenntnissen, welche wir unfähig sind, so zu verbinden, dass daraus ein Wissen, d. h. ein alle Erscheinungen zusammenfassendes Verstehen wird. Doch hoffe ich, die gesamte voran - gehende Darstellung, vom ersten Kapitel dieses Buches an, wird uns Material genug geliefert haben, um unseren vorläufigen Notbrücken - bau hier vollenden zu können. Die grundlegenden Erkenntnisse liegen jetzt so klar vor Augen und wurden von so vielen Seiten betrachtet, dass ich eine fast aphoristische Kürze nicht zu entschuldigen brauche.

Um die Geschichte und damit auch die Bedeutung unserer Kunst in der Zeitenfolge und inmitten der übrigen Lebenserscheinungen zu verstehen, ist das erste und unbedingte Erfordernis, dass wir sie als ein Ganzes betrachten, nicht dieses und jenes herausreissen etwa gar » das Gebiet der handwerklichen Produktion « und nun über dieses Bruchstück philosophieren. 1)Nebenbei erinnere ich an Goethe’s treffende Bemerkung: » die Technik wird zuletzt der Kunst verderblich « (Sprüche in Prosa); d. h. also der wahren, schöpferischen Kunst.Wo immer und wie immer freie schöpfe -62*972Die Entstehung einer neuen Welt.rische Neugestaltung des uns durch die Natur gegebenen inneren und äusseren Stoffes stattfindet, da ist Kunst. Da Kunst Freiheit und Schöpferkraft voraussetzt, so erfordert sie Persönlichkeit; ein Werk, welches nicht den Stempel einer besonderen, unterschiedenen Indivi - dualität trägt, ist kein Kunstwerk. Persönlichkeiten unterscheiden sich nun nicht allein der Physiognomie, sondern auch dem Grade nach; hier (wie auch sonst in der Natur) schlägt bei einem bestimmten Punkt der Gradunterschied in einen spezifischen Unterschied um, so dass wir berechtigt sind, mit Kant zu behaupten, das Genie unterscheide sich spezifisch vom gewöhnlichen Menschen. 1)Vergl. S. 61. Wie viele ästhetische Irrlehren und nutzlose Diskussionen hätte sich unser Jahrhundert sparen können, wenn es das tiefe Wort Kant’s besser erwogen hätte: » Genie ist die angeborene Gemütsanlage, durch welche die Natur der Kunst die Regel giebt daher das Genie selbst nicht beschreiben oder wissenschaftlich anzeigen kann, wie es sein Produkt zu Stande bringt, und daher der Urheber eines Produktes, welches er seinem Genie verdankt, selbst nicht weiss, wie sich in ihm die Ideen dazu herbeifinden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmässig auszudenken und anderen in solchen Vorschriften mit - zuteilen, die sie in Stand setzt, gleichmässige Produkte hervorzubringen « (Kritik der Urteilskraft, § 46. Man vergl. ausserdem § 57, Schluss der ersten Anmerkung). Die italienische Reise war damals noch nicht im Druck erschienen, sonst hätte Kant sich auf Goethe’s Brief vom 6. September 1787 berufen können: » Die hohen Kunst - werke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. «Nirgends tritt dies so klar zu Tage wie in der Kunst, welche in den Werken der authentischen Genies gewissermassen eine zweite Natur wird, und darum, wie diese, unvergänglich, unausdenkbar, unerklärlich, unnachahmlich ist. Doch liegt Verwandtschaft zum Genie in jeder freien, d. h. zur Originalität befähigten Persönlichkeit; das zeigt sich in dem feinen Verständnis für Kunst des Genies, in der Begeisterung, die sie erweckt, in der An - regung zu schöpferischen Thaten, die sie gewährt, in ihrem Einfluss auf das Schaffen von Männern, die nicht Künstler proprio sensu sind. Die Kunst des Genies lebt nicht allein in einer Atmosphäre von vor -, mit - und nachschaffender künstlerischen Genialität, sondern gerade das Genie streckt seine Wurzeln aus bis in die entlegensten Gebiete, saugt Nahrung von überall ein und strömt wiederum Lebenskraft überall hin. Ich verweise auf Leonardo und auf Goethe. Hier sieht man mit Augen, wie die künstlerische Anlage, überströmend aus jedem ihr aufgenötigten engeren Behälter, ihre Gestaltungskraft befruchtend über jedes vom Menschengeist bebaute Feld ergiesst. Bei genauerem Zu -973Kunst.sehen wird man nicht weniger staunen, wie diese Männer aus den verschiedensten, einander fernstliegenden Quellen ihren Geist zu be - rieseln verstehen: Goethe’s Nährboden reicht von der vergleichenden Knochenkunde bis zu der philologisch genauen Kritik der hebräischen Thora, Leonardo’s, von der inneren Anatomie des menschlichen Körpers bis zu der thatsächlichen Ausführung jener grossartigen Kanalbauten, von denen Goethe in seinen alten Tagen träumte. Wird man solchen Männern gerecht, wenn man ihre künstlerische Befähigung nach ihrem Schaffen innerhalb bestimmter Schablonen misst und benamst? Sollen wir es dulden, wenn geistige Pygmäen von ihrem darwinistischen Affenbaum herunterklettern, um sie in die Schranken ihres angeblichen » Kunstfaches « zurückzuweisen? Gewiss nicht. » Nur als Schöpfer kann der Mensch uns ehrwürdig sein «, sagt Schiller. 1)Über Anmut und Würde. Die Naturbetrach - tungen und die philosophischen Gedanken eines Leonardo und eines Goethe sind durch ihren schöpferischen Charakter unbedingt ehrwürdig; sie sind Kunst. Was hier nun sich sichtbar ereignet, weil wir bei diesen ausserordentlichen Männern das Nehmen und Geben direkt an dem einen Individuum beobachten können, geschieht allerorten durch mehrfache Vermittelung und darum unbemerkt. Alles kann Quelle der künstlerischen Inspiration sein, und andrerseits stehen oft, wo der hastig Lebende es am wenigsten vermutet, Erfolge, die in letzter Instanz auf künstlerische Anregung zurückzuführen sind. Nichts ist empfäng - licher als menschliche Schaffenskraft; von überall her nimmt sie Eindrücke auf, und bei ihr bedeutet ein neuer Eindruck einen Zuwachs, nicht allein an Material, sondern auch an schöpferischer Befähigung, weil eben, wie S. 192 und 762 und 806 betont wurde, die Natur allein, nicht der Menschengeist, erfinderisch und genial ist. Es besteht darum ein enger Zusammenhang zwischen Wissen und Kunst, und der grosse Künstler (wir bemerken es von Homer an bis zu Goethe) ist stets ein ungemein wissbegieriger Mensch. Aber die Kunst giebt das Empfangene mit Zinsen zurück; durch tausend oft verborgene Kanäle wirkt sie zurück auf Philosophie, Wissenschaft, Religion, Industrie, Leben, namentlich aber auf die Möglichkeit des Wissens. Wie Goethe sagt: » Die Menschen sind überhaupt der Kunst mehr gewachsen als der Wissenschaft. Jene gehört zur grossen Hälfte ihnen selbst, diese zur grossen Hälfte der Welt an; so müssen wir uns die Wissenschaft notwendig als Kunst denken, wenn wir von ihr irgend eine Art von Ganzheit erwarten. «2)Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, 1. Abteilung.974Die Entstehung einer neuen Welt.So ist z. B. Kant’s Theorie des Himmels ein genau eben so künst - lerisches Gebilde wie Goethe’s Metamorphose der Pflanzen, und zwar nicht bloss nach der positiven Seite hin, als gestaltende Wohlthat, sondern auch negativ, insofern nämlich, trotz alles mathematischen Apparates, derartige Zusammenfassungen immer menschliche Gestal - tungen und d. h. Mythen sind.

Stelle ich also als erstes Erfordernis auf, die Kunst müsse als ein Ganzes betrachtet werden, so will ich damit nichts Geringes gesagt haben. Kunsthandwerk gehört ganz und gar zur Industrie, d. h. in das Gebiet der Civilisation; es kann blühen (wie bei den Chinesen), ohne dass eine Spur von wirklicher Schöpferkraft vorhanden sei; Kunst dagegen als Kulturelement ist (in den verschiedenen Zweigen der indoeuropäischen Familie) ein pulsierendes Blutsystem des gesamten höheren geistigen Lebens. Damit unsere Kunst historisch richtig beurteilt werde, muss darum zunächst die Einheit des Impulses die aus den innersten Regungen der Persönlichkeit hervorgeht begriffen, sodann das reiche Wechselspiel von Nehmen und Geben bis in die feinsten Verzwei - ungen verfolgt werden. Wie ich S. 730 bemerkte: nur wer ein Ganzes überschaut, ist im Stande, die Unterscheidungen innerhalb des Ganzen durchzuführen; auch eine wahrhaftige Kunstgeschichte kann nicht aus der Aneinanderreihung der verschiedenen sogenannten » Kunstarten « aufgebaut werden, vielmehr muss man erst die Kunst als einheitliches Ganzes ins Auge fassen und sie bis dorthin verfolgen, wo sie mit anderen Lebenserscheinungen zu einem noch grösseren Ganzen ver - schmilzt; dann erst wird man befähigt sein, die Bedeutung ihrer ein - zelnen Erscheinungen richtig zu beurteilen.

Das wäre das erste allgemeine Prinzip.

Das Primat der Poesie.
656

Das zweite Grundprinzip zieht den unentbehrlichen engeren Kreis: jedes echt künstlerische Schaffen unterliegt dem unbedingten Primat der Poesie. In der Hauptsache kann ich mich damit begnügen, auf das S. 955 fg. Gesagte zurückzuverweisen. Weitere Bestätigung wird der Leser überall finden. So weist z. B. Springer nach, wie die ersten Regungen echter bildender Schöpfungskraft bei den Germanen (etwa im 10. Jahrhundert) nicht dort erwachten, wo sie an frühere Muster bildender Kunst sich anlehnten, sondern dort, wo die Phantasie durch poetische Schöpfungen meistens durch die Psalmen und Legenden zu freier Gestaltung angeregt war; sofort » offenbart sich eine merkwürdige poetische Anschauungskraft, sie durchdringt den Gegenstand und weiss selbst abstrakte Vorstellungen in einen greif -975Kunst.baren Körper zu hüllen «. 1)Handbuch der Kunstgeschichte (1895), II, 76.Man sieht, der bildende Künstler wird produktiv indem er an Gestalten anknüpft, welche der Dichter vor die Phantasie hingezaubert hat. Allerdings wirkt auch manche gestalten - treibende Anregung unmittelbar auf den Bildner, ohne dass sie erst durch den Griffel des Dichters ihm übermittelt worden wäre; ein hervor - ragendes Beispiel bietet sich uns dar in dem schon genannten fast unermesslichen Einfluss des Franz von Assisi; doch darf man nicht übersehen, dass nicht bloss ein Geschriebenes Poesie ist. Die poetische Gestaltungskraft schlummert weitverbreitet; » der eigentliche Erfinder war von jeher nur das Volk; der Einzelne kann nicht erfinden, sondern sich nur der Erfindung bemächtigen. « 2)Richard Wagner: Entwürfe, Gedanken, Fragmente (1885), S. 19.Kaum war diese wunderbare Persönlichkeit des Franz verschwunden, und schon hatte das Volk sie zu einer bestimmten Idealgestalt umgedichtet und verklärt; an diese poetische Gestalt knüpften Cimabue, Giotto und ihre Nachfolger an. Damit ist aber die aus diesem Beispiel zu ziehende Lehre noch nicht erschöpft. Ein Kunsthistoriker, der gerade den Einfluss des Franz auf die bildende Kunst zum Gegenstand eingehendster Studien gemacht hat, und diesen Einfluss jedenfalls eher zu überschätzen als zu unterschätzen geneigt sein muss, Professor Henry Thode, macht doch darauf aufmerksam, wie dieser Einfluss nur bis zu einem gewissen Grade gestaltend gewirkt hat; eine derartige religiöse Bewegung regt die schlummernden Tiefen der Persönlichkeit auf, bietet aber an und für sich dem Auge wenig Stoff und noch weniger Form; damit die bildende Kunst Italiens zu voller Kraft erwachsen konnte, musste ein neuer Impuls gegeben werden und das war das Werk der Dichter. 3)Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien 1885, S. 524 fg.Dante ist es, der die Italiener gelehrt hat, zu gestalten; im Bunde mit ihm die gerade im 14. und 15. Jahrhundert wieder aufgefundene Poesie des Altertums. Man darf natürlich diese Einsicht nicht klein - lich auffassen; der Miniaturmaler des 10. Jahrhunderts mag sich um frei erfinden zu dürfen Vers für Vers an einen Psalm anschliessen, später wird ein derartiger Illustrator wenig geschätzt, man verlangt freiere Erfindung; auf jedem Kunstgebiet erwächst der Künstler zu immer grösserer Selbständigkeit; das Mass der Selbständigkeit wird aber durch den Entwicklungsgrad und die Kraft der allumfassenden Poesie bedingt.

976Die Entstehung einer neuen Welt.

Hieran reiht sich nun die sehr wichtige Einsicht Lessing’s, dass Dichtkunst und Tonkunst eine einzige Kunst sind, dass sie zusammen erst eigentliche Poesie ausmachen. Das ist der springende Punkt für das Verständnis unserer germanischen Kunst auch der bildenden; wer achtlos daran vorübergeht, wird nie ins Reine kommen. Zu dem vorhin Gesagten (S. 959 fg. ) muss ich hier nur einiges Wenige als un - entbehrliche Ergänzung hinzufügen.

Die germanische Tonkunst.
659

Wo immer wir bei Indoeuropäern eine entwickelte, schöpferische Dichtkunst antreffen, da finden wir eine entwickelte Tonkunst, und zwar mit jener innig verschmolzen. Von den arischen Indern will ich nur drei Züge erwähnen. Der sagenhafte Erfinder der bei ihnen am meisten gepflegten Kunstgattung, nämlich des Dramas, Bharata, gilt zugleich als Verfasser der Grundlage des musikalischen Unterrichts, denn Musik war in Indien ein integrierender Bestandteil der drama - tischen Werke; die lyrischen Dichter pflegten ihren Versen die Melodie beizugeben, wo sie aber das nicht thaten, fügten sie wenigstens hinzu, in welcher Tonart jedes Gedicht vorzutragen sei. Diese zwei Züge sind beredt genug, ein dritter veranschaulicht die Entwickelung der Technik. Die in ganz Europa früher übliche Bezeichnung der Skala do, re, mi u. s. w. stammt aus Indien, vermittelt durch Eranien. Man sieht, wie innig verwoben Tonkunst und Dichtkunst war, und welche Rolle die Kenntnis der Musik im Leben spielte. 1)Vergl. Schröder: Indiens Litteratur und Kultur, Vorlesung 3 und 50, und Ambros: Geschichte der Musik, I. Buch 1.Über die Musik der Hellenen brauche ich nichts hinzuzufügen. Herder sagt: » Bei den Griechen waren Poesie und Musik nur ein Werk, eine Blüte des mensch - lichen Geistes «,2)Ideen zur Geschichte der Menschheit, Buch 13, Abschn. 2. und an einer anderen Stelle: » Das griechische Theater war Gesang; dazu war alles eingerichtet; und wer dies nicht ver - nommen hat, der hat vom griechischen Theater nichts gehört «. 3)Nachlese zur Adrastea, 1.Dagegen, wo es keine Dichtkunst gab, wie bei den alten Römern, da fehlte es ebenfalls ganz an Musik. In später Stunde bekamen sie für beides ein Surrogat, und da erwähnt Ambros als besonders bezeichnend den Umstand, dass das Hauptinstrument der römischen Musik die Pfeife war, wogegen bei den Indern seit den ältesten vedischen Zeiten Harfen, Lauten und andere Saiteninstrumente den Grundstock bildeten: hiermit ist eigentlich schon Alles gesagt. Ambros führt aus, wie die Römer nie mehr von der Musik verlangt hätten, als dass » es sich gut977Kunst.anhören und das Ohr ergötzen sollte « (etwa der Standpunkt der Mehr - zahl unserer heutigen Litteraten und Ästhetiker des musikalisch Schönen!), dagegen sie es niemals vermocht hätten, die hohe geistige Bedeutung zu begreifen, welche alle Griechen (Künstler und Philo - sophen) gerade dieser Kunst beimassen. Und so hatten sie als Erste den traurigen Mut, Oden (d. h. Gesänge) zu schreiben, die nicht zum Singen bestimmt waren. In der späteren Kaiserzeit erwachte dann für Musik wie für andere Dinge (S. 183) das Interesse am technischen Virtuosentum und der ziellose Dilettantismus; das ist das Werk des eindringenden Völkerchaos. 1)Ambros: a. a. O., Schluss von Band 1.

Diese Thatsachen bedürfen keines Kommentars. Was aber wohl eines Kommentars bedarf, ist die vorhin flüchtig angedeutete weitere Thatsache, dass das Vorwiegen der musikalischen Begabung ein Charakteristikum des germanischen Geistes ist, denn dies bedingt mit Notwendigkeit eine andere, eigenartige Entwickelung der Poesie und somit der gesamten Kunst. Der Kontrast mit anderen indoeuropäischen Rassen wird uns hierüber belehren. Freilich scheinen auch die Inder musikalisch sehr begabt gewesen zu sein, doch verlor sich bei ihnen Alles ins Ungeheuerliche, Übermannigfaltige und daher Gestalt - lose. So unterschieden sie z. B. 960 verschiedene Tonarten; damit war jede Möglichkeit eines technischen Ausbaues zerstört.2)Bekanntlich ist man heute geneigt, in den ungarischen Zigeunern einen früh abgeworfenen Zweig der indischen Arier zu erblicken, und musikalische Fach - männer haben in der unvergleichlichen und eigenartigen musikalischen Begabung dieser Leute das Analogon der echten indischen Musik zu finden geglaubt: eine Scala, die sich in Vierteltönen und manchmal noch kleineren Intervallen bewegt, daher harmonische Gebilde und Fortschreitungen aufweist, die unsere Tonkunst nicht kennt; ferner die leidenschaftliche Eindringlichkeit der Melodie, dazu die unendlich reich verzierte Begleitung, welche jeder Fixierung durch unser Noten - system Trotz bietet, das alles sind Charaktere, welche mit dem, was über indische Musik berichtet wird genau übereinstimmen und durch welche manches für uns Unerklärliche in den indischen musikalischen Büchern eine Deutung gewinnt. Wer jemals sich eine ganze Nacht hindurch von einem echten ungarischen Zigeuner - orchester hat vorspielen lassen, wird mir schon Recht geben, wenn ich be - haupte: hier und hier allein sehen wir die unbedingte musikalische Genialität am Werke; denn diese Musik, wenn sie sich auch an bekannte Melodien anlehnt, ist immer Improvisation, immer die Eingebung des Augenblickes; nun ist es aber die Natur der reinen Musik, nicht monumental, sondern unmittelbare Empfindung zu sein, und es ist klar, dass eine Musik, welche in dem Moment der Aufführung als Ausdruck der augenblicklichen Empfindung erfunden wird, ganz anders zu Die978Die Entstehung einer neuen Welt.Hellenen sündigten im anderen Extrem: sie besassen eine wissen - schaftlich ausgebildete, doch eng einschränkende musikalische Theorie, und ihre Tonkunst entwickelte sich in so unmittelbarer, untrennbarer Vereinigung mit ihrer Dichtkunst der Ton gleichsam des Wortes Leib , dass sie nie zu irgend einer Selbständigkeit, dadurch aber auch zu keinem höheren Ausdrucksleben gelangte. Der Sprachaus - druck bildete durchwegs die Grundlage der hellenischen Musik: aus ihm, nicht aus reinmusikalischen Erwägungen, erwuchsen sogar die Tonarten der Griechen; und anstatt, wie wir, das harmonische Gebilde von unten nach oben aufzubauen (was ja nicht Willkür ist, sondern durch die Thatsachen der Akustik nämlich durch das Vorhandensein der mitklingenden Obertöne begründet wird), baute der Grieche von oben nach unten. Oben schwebte bei ihm die Melodie der Sprache, und zwar selbständig, ungebunden durch Rücksichten auf den musikalischen Aufbau, gewissermassen also ein » gesungenes Sprechen «; an die Sing - stimme schloss sich nach unten zu, jeder Selbständigkeit bar, die in - strumentale Begleitung. Selbst der Laie wird verstehen, dass auf solcher Grundlage das Gehör nicht ausgebildet werden und die Musik zu keiner selbständigen Kunst heranwachsen konnte; die Musik blieb unter solchen Bedingungen mehr ein unentbehrliches künstlerisches Element, als eine gestaltende Kunst. 1)Insofern besteht eine Analogie zwischen der indischen und der hellenischen Musik, wie verschieden sie sonst auch seien; in dem einen Fall ist es Überwucherung des musikalischen Ausdruckes, in dem anderen Hintanhaltung desselben, der den Eindruck eines noch ungestalteten Elementaren im Gegensatz zu echter, geformter Kunst hervorbringt. Um tieferen Einblick in das Wesen der hellenischen Musik zu gewinnen, empfehle ich namentlich die kleine Schrift von Hausegger: Die Anfänge der Harmonie, 1895; aus diesen 76 Seiten lernt man mehr und Entscheidenderes, als aus ganzen Bänden.Was also bei den Indern durch eine über - triebene Verfeinerung des Gehörs vereitelt wurde, war bei den Hellenen in Folge der Zurückdrängung des musikalischen Sinnes zu Gunsten des sprachlichen Ausdrucks von vornherein ausgeschlossen. Schiller2)Herzen gehen, d. h. also absolut musikalisch wirken muss, als jede gelernte und eingedrillte. Leider aber enthält eine derartige Leistung keine Elemente, woraus dauernde Kunstwerke geschmiedet werden könnten (man braucht nur auf jene blöden Parodien ungarischer Musik, welche unter dem Namen » Ungarische Tänze « eine traurig grosse Popularität geniessen, hinzuweisen); es handelt sich überhaupt hier nicht um eigentliche Kunst, sondern um etwas, was tiefer liegt, um das Element, aus welchem Kunst erst entsteigt; es ist nicht die meergeborene Aphrodite, sondern das Meer selbst.979Kunst.hat das entscheidende Wort gesprochen: » Musik muss Gestalt werden «: die Möglichkeit hierzu fand sich erst bei den Germanen.

Wie nun der Germane es vollbrachte, aus der Musik eine Kunst seine Kunst zu machen, sie zu immer grösserer Selbständig - keit und Ausdrucksfähigkeit auszubilden, darüber muss der Leser sich durch Musikgeschichten belehren lassen. Doch, da wir hier darauf ausgehen, die Kunst als Ganzes zu betrachten, muss ich ihn auf einen grossen Übelstand aufmerksam machen. Da die Musik nämlich ihrem Wesen nach die Kundgebung des Unaussprechlichen ist, lässt sich wenig oder nichts über Musik » sprechen «; eine Musikgeschichte schrumpft darum immer in der Hauptsache zu einer Erörterung über technische Dinge zusammen. Bei den Geschichten der bildenden Künste ist dies viel weniger der Fall; Pläne, Photographien, Facsimiles geben uns eine unmittelbare Anschauung der Gegenstände; ausserdem enthalten die Handbücher der bildenden Künste nur soviel von dem Technischen, wie jeder intelligente Mensch sofort verstehen kann, wogegen musikalische Technik besondere Studien erheischt. Ähnlich ungünstig für die Musik fällt der Vergleich aus, wenn man eine Ge - schichte der Poesie zur Hand nimmt. Da erfährt man kaum, dass es überhaupt eine Technik giebt, ihre Besprechung bleibt auf den engsten Gelehrtenkreis beschränkt; die Geschichte der Poesie lernt man unmittelbar aus den Werken der Poesie selbst kennen. So werden uns denn die verschiedenen Zweige der Kunst in einer durchaus ver - schiedenen geschichtlichen Perspektive vorgeführt und das erschwert den Gesamtüberblick bedeutend. An uns liegt es also, unsere kunst - geschichtlichen Kenntnisse innerlich wieder zurechtzurücken; wozu die Erwägung nützlich sein wird, dass es gar keine Kunst giebt, bei welcher im lebendigen Werke die Technik so vollkommen gleichgültig ist, wie bei der Musik. Musikalische Theorie ist etwas durch - aus abstraktes, musikalische Instrumentaltechnik etwas rein mechanisches: beide laufen gewissermassen neben der Kunst her, stehen aber in keinem anderen Verhältnis zu ihr als Perspektivlehre und Pinselführung zum Gemälde. Was die Instrumentaltechnik anbelangt, so besteht sie lediglich aus einer Schulung bestimmter Hand - und Arm -, beziehungs - weise Gesichtsmuskeln, oder aus dem zweckmässigen Eindrillen der Stimmbänder; was ausserdem nötig ist intuitive Auffassung des von einem Anderen Empfundenen und Ausdruck lässt sich nicht lehren, und das eben ist Musik. Mit der Theorie steht es nicht anders: der genialste Musiker der ungarische Zigeuner weiss weder was980Die Entstehung einer neuen Welt.eine Note, noch ein Intervall, noch eine Tonart ist; wogegen schon bei den Griechen die tiefsinnigsten Musiktheoretiker ebenso wenig musikalische Begabung besassen, wie Herr von Helmholtz; es waren nicht Künstler, sondern Mathematiker. 1)Daher die von Ambros I, 380 und an anderen Orten erwähnten Spielereien mit erträumten musikalischen Feinheiten, die weder in der Praxis ausführbar ge - wesen wären, noch auch im Geringsten dazu beitrugen, eine Entwickelung der griechischen Musik anzubahnen. Es hat im Gegenteil die hochentwickelte Musik - theorie die Entwickelung der griechischen Musik geradezu gehemmt.Die Tonkunst ist nämlich (als einzige unter allen Künsten) eine nicht allegorische Kunst, also die reinste, die am vollkommensten » künstlerische « Kunst, diejenige, in welcher der Mensch einem absoluten Schöpfer am nächsten kommt; darum ist auch ihre Wirkung eine unmittelbare: sie wandelt den Zu - hörer zu einem » Mitschöpfer « um; bei der Aufnahme musikalischer Eindrücke ist jeder Mensch Genie; daher schwindet das Technische in diesem Falle vollkommen hin, es existiert gewissermassen gar nicht im Augenblick der Aufführung. Folglich hat gerade hier, wo wir am meisten von der Technik erfahren, sie am wenigsten zu bedeuten. 2)Um verständnislosen Missdeutungen vorzubeugen, bemerke ich, dass ich weder das Interesse noch den Wert der Musiktheorie und der Instrumentaltechnik verkenne; beides ist aber nicht Kunst, sondern lediglich Werkzeug der Kunst.

Noch wichtiger für die historische Beurteilung der Kunst als eines Ganzen wird sich folgende Bemerkung erweisen, welche wieder auf Lessing und Herder und ihre Lehre von der Einen Kunst zurück - führt: nie hat die Musik es vermocht, sich abseits von der Dichtkunst zu entwickeln. Schon bei den Hellenen fällt es auf, dass diese, trotz ihrer grossen Begabung und ihres theoretischen Hochflugs, es nicht vermochten, die Tonkunst, dort wo sie abseits von der Dichtkunst (z. B. im Tanz) gepflegt wurde, zu emanzipieren und auszubilden. Andrerseits wird man bemerken, dass alle indische Musik, instrumental so reich und vielgestaltig, ausschliesslich als Einrahmung und als viel - gestaltige Vertiefung des Ausdruckes um den Gesang herum sich ausbildet. Auch der heutige Zigeuner spielt nie etwas, wobei nicht ein bestimmtes Lied zu Grunde liegt; sagt man ihm, die Melodie gefalle Einem nicht, passe nicht in die heutige Stimmung, er wird eine neue erfinden, oder die bekannte (wie der modernste Musiker seine » Motive «) in etwas seelisch anderes umwandeln; bittet man ihn aber, frei zu phantasieren, so weiss er gar nicht, was das heissen soll: und er hat Recht, denn eine Musik, der nicht eine bestimmte poetische981Kunst.Stimmung zu Grunde liegt, ist ein blosses Gaukeln mit Schwingungs - verhältnissen. Geht man nun der Geschichte unserer germanischen Musik sorgfältig nach, so wird man etwas entdecken, was den meisten unserer Zeitgenossen gewiss unbekannt und unerwartet ist: dass sie nämlich sich von Anfang an nur in unmittelbarster Anlehnung an die Dichtkunst und mit ihr innig verschmolzen entwickelt hat. Nicht allein war alle alte germanische Poesie zugleich Wort - und Tonkunst, nicht allein waren später alle Troubadours und Minnesänger genau eben so sehr Musiker wie Dichter, sondern als vom Beginn des 11. Jahr - hunderts an, mit Guido von Arezzo, unsere Musik ihren Siegeslauf zu technischer Vollendung und nie geahntem Reichtum der Ausdrucks - fähigkeit antrat, geschah das durchwegs als Gesang. Die Ausbildung des Gehörs, die allmähliche Entdeckung der harmonischen Möglichkeiten, das erstaunliche Kunstgebäude des Kontrapunktes (durch das die Ton - kunst sich gleichsam ein eigenes Heim erbaut, in welchem sie als Herrin schalten kann): das alles haben wir uns nicht abseits erklügelt, wie die griechischen Theoretiker, auch nicht in einem instrumentalen Rausch erfunden, wie die Schwärmer für eine angeblich » absolute « Musik sich einbilden, sondern wir haben es uns » ersungen «. Schon jener Guido meinte, der Weg der Philosophen sei nicht für ihn, ihn interessiere nur die Förderung des Kirchengesanges und die Heranbildung der Sänger. Jahrhunderte lang hat es keine Musik gegeben, die nicht Gesang und Begleitung des Gesanges gewesen wäre. Und scheint auch dieser Gesang manchmal recht willkürlich und gewaltsam mit dem Worte umzugehen, schwindet auch. manchmal der Ausdruck zu Gunsten vielstimmiger kontrapunktischer Kunststücke, es braucht nur ein wahrhaft grosser Meister zu kommen und sofort erfahren wir, wozu das alles gut war: nämlich, zur technischen Bewältigung des Materials zu Gunsten der Ausdrucksfähigkeit. So schreitet unsere Ton - kunst von Meister zu Meister weiter: die Technik der Komposition immer vollkommener, die Sänger und Instrumentisten immer virtuoser, das musikalische Genie in Folge dessen immer freier. Schon von Josquin de Près hiess es unter seinen Zeitgenossen: » Andere haben thun müssen wie die Noten wollen, aber Josquin ist ein Meister der Noten, diese müssen thun, wie er will «. Und was wollte er? Wer nicht in der Lage ist, Werke dieses herrlichen Künstlers zu hören, lese bei Ambros (III, 211 fg. ), wie er es verstand, nicht allein die Ge - samtstimmung jedes poetischen Gebildes, eines Miserere, eines Te Deum, einer Motette, eines lustigen (manchmal recht frivolen) mehrstimmigen982Die Entstehung einer neuen Welt.Liedes u. s. w. festzuhalten, sondern auch » dem Inhalte des Wortes seine volle Bedeutung zu geben «, und das Wort, wo es Not thut, immer wieder vorzubringen, nicht als musikalische Spielerei, sondern um den poetischen Inhalt des Wortes von allen Seiten dem Gefühle vorzuführen. Man kennt das schöne Wort Herder’s: » Deutschland wurde durch Gesänge reformiert; «1)Kalligone, 2. Teil, IV. Der Satz scheint ein Citat aus oder nach Leibniz zu sein? wir dürfen ebenfalls sagen: die Musik selber wurde durch Gesänge reformiert. Wäre hier der Ort dazu, ich würde mich anheischig machen, zu beweisen, dass auch später, als eine reine Instrumentaltechnik entstanden war, echte, ger - manische Tonkunst sich von der Dichtkunst nie weiter hinweggewagt hat, » als man Rosen in der Hand unverwelkt mag tragen «. Sobald nämlich die Musik ganz selbständig sein will, verliert sie den Lebens - nerv; sie vermag es wohl, sich weiter in den einmal gewonnenen Formen zu bewegen, enthält aber selber kein schöpferisches, gestaltendes Prinzip. Darum ruft Herder jener wahrhaft grosse Ästhetiker mahnend aus: » Behüte uns die Muse vor einer blossen Poesie des Ohres! « denn eine solche, meint er, führe zu Gestaltlosigkeit und mache die Seele » unbrauchbar und stumpf «. 2)Über schöne Litteratur und Kunst, II, 33.Noch deutlicher hat der grösste Tondichter unseres Jahrhunderts den Zusammenhang dar - gelegt: » Die Musik ist in ihrer unendlichsten Steigerung doch immer nur Gefühl; sie tritt im Geleite der sittlichen That, nicht aber als That selbst ein; sie kann Gefühle und Stimmungen neben einander stellen, nicht aber nach Notwendigkeit eine Stimmung aus der anderen entwickeln; ihr fehlt der moralische Wille. « 3)Richard Wagner: Das Kunstwerk der Zukunft, Gesammelte Schriften, 1. Ausg., III, 112.Und darum hat es, selbst während jenes Jahrhunderts, das von Haydn’s Geburt bis zu Beethoven’s Tod reicht und die schönste Blüte reiner Instrumental - musik züchtete, niemals ein musikalisches Genie gegeben, welches nicht einen grossen Teil, meistens den grössten Teil seines künstlerischen Wirkens der Verlebendigung poetischer Werke gewidmet hätte. Das gilt von allen Komponisten vor Bach, es gilt von Bach selber im eminentesten Masse, von Händel ebenfalls, von Haydn kaum weniger, von Gluck ganz und gar, von Mozart sowohl seinen künstlerischen Thaten als seinen Worten nach, von Beethoven nur insofern scheinbar weniger, als hier die reine Instrumentalmusik einen solchen Grad der983Kunst.Bestimmtheit erreicht hatte, dass sie in tollkühner Verzweiflung es unter - nahm, selber zu dichten; doch näherte sich Beethoven immer mehr und mehr der Poesie, sei es durch das Programm, sei es durch Bevorzugung vokaler Kompositionen. Ich bestreite nicht die Berechtigung der reinen Instrumentalmusik eine Unterschiebung, gegen die Lessing sich gleich - falls ausdrücklich verwahrt , ich bin ihr glühender Bewunderer und meine, echte Kammermusik (in der Kammer, nicht im Konzertsaal gepflegt) gehöre zu den segenvollsten Bereicherungen des Seelenlebens; ich stelle aber fest, dass alle derartige Musik ihre Existenzfähigkeit von den Errungenschaften des Gesanges ableitet, und dass jede einzelne Erweiterung und Vermehrung des musikalischen Ausdruckes immer von derjenigen Musik ausgeht, welche dem » moralischen Willen « des gestaltenden Poeten unterworfen ist wir erlebten es ja wieder in unserem Jahrhundert. Was man nun leicht übersieht, bei der Be - urteilung unserer Kunst als eines Ganzen aber keinesfalls übersehen darf, ist, dass wie soeben gezeigt der Dichter auch in den Werken der sogenannten absoluten Musik überall, wenn auch oft un - bemerkt, neben dem Tonkünstler steht. Wäre diese Tonkunst nicht unter dem Fittig des Poeten herangewachsen, wir wären unfähig, sie zu verstehen, und auch jetzt kann sie des Poeten nicht entraten, nur wendet sie sich an den Zuhörer und bittet ihn, dieses Amt zu über - nehmen, was er aber nur vermag, so lange die Musik sich aus dem Kreise des aus Analogie Bekannten nicht entfernt. Goethe bezeichnet es als ein Charakteristikum germanischer Poesie überhaupt, im Gegen - satz zur hellenischen:

Hier fordert man Euch auf zu eignem Dichten, Von Euch verlangt man eine Welt zur Welt

und nirgends trifft das mehr zu, als in unserer reinen Instrumentalmusik. Eine wirklich, buchstäblich » absolute « Musik, wäre eine Monstrosität sondergleichen; denn sie wäre ein Ausdruck, der nichts ausdrückt.

Eine lebendige Vorstellung unserer gesamten Kunstentwickelung wird man nie gewinnen, wenn man sich nicht zuerst mit einem kritischen Verständnis der germanischen Musik wappnet, um sich so - dann zu einer Betrachtung der Poesie in ihrem weitesten Umfange zurück - zuwenden. Jetzt erst wird einem Lessing’s Wort: » Poesie und Musik sind eine und ebendieselbe Kunst « wirklich klar, und im Lichte dieser Er - kenntnis hellt sich unsere Kunstgeschichte im weitesten Umfange auf. Zunächst sticht es in die Augen, dass wir unsere grossen Musiker als984Die Entstehung einer neuen Welt.Dichter betrachten müssen, wollen wir ihnen gerecht werden und dadurch unser Verständnis fördern; im Reiche germanischer Poesie nehmen sie eine Ehrenstelle ein; kein Poet der Welt ist grösser als Johann Sebastian Bach. Keine Kunst, ausser der Musik, war im Stande, die christliche Religion künstlerisch zu gestalten, denn sie allein konnte diesen Blick nach innen auffangen und zurückstrahlen (siehe S. 961); wie arm ist in dieser Beziehung ein Dante einem Bach gegenüber! Und zwar geht dann dieser spezifisch christliche Charakter von den Werken, in denen das Evangelium thatsächlich zum Worte kommt, auf andere, rein instrumentale über (ein Beispiel des vorhin genannten analogischen Verfahrens); das Wohltemperierte Klavier z. B. gehört in dieser Beziehung zu den erhabensten Werken der Menschheit, und ich könnte dem Leser ein Präludium daraus nennen, in welchem die Worte: Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun oder vielmehr nicht die Worte, doch die göttliche Gemütsverfassung, aus der sie hervorgingen so deutlichen, ergreifenden Ausdruck ge - funden haben, dass jede andere Kunst verzweifeln muss, jemals diese reine Wirkung zu erzielen. Was wir aber hier christlich nennen, ist zugleich das spezifisch germanische, und wir dürfen deswegen in einem gewissen Sinne wohl behaupten, unsere echtesten, grössten Dichter seien unsere grossen Tondichter. Dies gilt namentlich für Deutschland, wo, wie Beethoven so treffend gesagt hat, » Musik National-Bedürfnis ist «. 1)Brief an Hofrat von Mosel (vergl. Nohl: Briefe Beethoven’s, 1865, S. 159).Sodann aber entdecken wir in unserer Dichtung, auch abseits von der Musik, eine Neigung oder vielmehr einen unwiderstehlichen Trieb zur Entwickelung nach der musikalischen Seite hin, der uns jetzt erst seinen tieferen Sinn enthüllt. Die Ein - führung des den Alten unbekannten Reimes z. B. ist nichts Zufälliges; sie entstammt einem musikalischen Bedürfnis. Weit bedeutender ist die Thatsache des geradezu grossartigen musikalischen Sinnes, den wir bei unseren Dichtern antreffen. Man lese nur jene wundervollen zwei Seiten, in denen Carlyle zeigt, dass Dante’s Divina Commedia durch und durch Musik ist: Musik im architektonischen Aufbau der drei Teile, Musik nicht allein im Rhythmus der Worte, sondern, wie er sagt, » im Rhythmus der Gedanken «, Musik in der Glut und Leiden - schaft der Empfindungen; » greift nur tief hinein, ihr werdet überall Musik finden «! 2)Hero-Worship, 3. Vorlesung.Unsere Dichter sind alle je bedeutender, um so985Kunst.offenbarer Musiker. Daher ist Shakespeare ein Tonkünstler von unerschöpflichem Reichtum und Calderon in seiner Art nicht minder. Gerade so wie der gelehrte musikalische Philolog Westphal bei Bach und Beethoven die kompliziertesten Rhythmen hellenischen Strophen - baues nachgewiesen hat, ebenso finden wir im spanischen Drama eine Vorliebe für musikalisch verschlungene Linien, bisweilen möchte man fast sagen, für kontrapunktische Kunststücke. Von Petrarca an bis Byron beobachten wir ausserdem eine Neigung der lyrischen Poesie zur immer weiteren Ausbildung des rein musikalischen Elementes, welche gerade durch den gefühlten Mangel an Musik bedingt ist. Über Goethe’s lyrische Gedichte hat schon mehr als ein feinfühlender Tonkünstler geurteilt, sie könnten nicht komponiert werden, denn sie seien schon ganz Musik. In der That, wir befanden uns lange Zeit in einer eigentümlichen Lage. Poesie und Musik sind von der Natur zu einer und ebenderselben Kunst bestimmt, und nun waren sie gerade bei der musikalischesten Rasse der Erde geschieden! Zwar wuchs der Tondichter in engster Anlehnung an Poesie immer mächtiger heran, doch verstummte der Gesang des Wortdichters nach und nach, zuletzt war sein Wort nur ein gedrucktes, das man still für sich lesen soll; und so rettete sich der Wortdichter entweder zur Didaktik und zu jenen umständlichen, unmöglichen Schilderungen von Dingen, denen einzig die Musik gerecht werden kann, oder aber er verlegte sein ganzes Bestreben darauf, ohne Musik doch Musik zu machen. Besonders bemerkbar machte sich das Missverhältnis bei der drama - tischen Kunst, jenem lebendigen Mittelpunkt aller Poesie. « Les poètes dramatiques sont les poètes par excellence », sagt Montesquieu;1)Lettres persanes, 137. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. doch diese waren des gewaltigsten dramatischen Ausdrucksmittels beraubt und zwar gerade in dem Augenblick, wo es sich zu nie geahnter Macht ausbildete. Herder hat das in ergreifend beredten Worten ge - schildert: » Ein Grieche, der in unser Trauerspiel träte, an die musi - kalische Stimmung des seinigen gewöhnt, müsste ein trauriges Spiel in ihm finden. Wie wortreichstumm, würde er sagen, wie dumpf und tonlos! Bin ich in ein geschmücktes Grab getreten? Ihr schreit und seufzet und poltert! bewegt die Arme, strengt die Gesichtszüge an, raisonniert, deklamieret! Wird denn eure Stimme und Empfin - dung nie Gesang? Vermisst ihr nie die Stärke dieses dämonischen Ausdruckes? Laden euch eure Sylbenmasse, ladet euer Jambus euch63986Die Entstehung einer neuen Welt.nie dann ein zu Accenten der wahren Göttersprache «? 1)Früchte aus den sogenannt goldenen Zeiten des 18. Jahrhunderts, 11. Das Drama. Es war und ist noch jetzt dieser Zustand ein geradezu tragischer. Nicht etwa, als wäre eine » absolute Dichtkunst «, welche den Musiker nur » subintelligiert « (wie Lessing sagt), nicht ebenso berechtigt wie die absolute Musik, ja, noch viel berechtigter als diese; darum handelt es sich nicht, sondern es handelt sich darum, die Einsicht zu gewinnen, wie die uns natürliche musikalische Sehnsucht, wie unser Bedürfnis nach einem Ausdruck, den nur die Musik in ihrer Gewalt hat, auch jene dichterischen Werke und jene Dichter durchdrang, die abseits von der Tonkunst standen. Dort, wo die Tonkunst ihre unver - gleichlichste Blüte getrieben hatte, nämlich in Deutschland, musste dies natürlich am tiefsten empfunden werden. Mit welcher Schärfe Lessing die Lücke in der germanischen Poesie bezeichnet, mit welcher Tiefe Herder das Missverhältnis empfindet, geht aus den angeführten Stellen deutlich genug hervor. Noch wertvoller wird aber Manchem das Zeugnis ihrer grossen schöpferischen Zeitgenossen dünken. Schiller berichtet von sich: » Eine gewisse musikalische Gemüts - stimmung geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee «;2)Brief an Goethe vom 18. März 1796. mehrere seiner Werke knüpfen unmittelbar an bestimmte musikalische Eindrücke an, z. B. die Jungfrau von Orleans an die Aufführung eines Werkes von Gluck. Das Gefühl, dass » das Drama zur Musik neige «, beschäftigt den edlen Dichter immerwährend. In seinem Brief an Goethe vom 29. Dezember 1797 geht er der Sache tief auf den Grund: » Um von einem Kunstwerk alles auszuschliessen, was seiner Gattung fremd ist, muss man notwendig alles darin ein - schliessen können, was der Gattung gebührt. Und eben darin fehlt es jetzt (dem tragischen Dichter). .... Das Empfindungs - vermögen des Zuschauers und Hörers muss einmal ausgefüllt und in allen Punkten seiner Peripherie berührt werden; der Durch - messer dieses Vermögens ist das Mass für den Poeten «; und am Schlusse dieses Briefes setzt er seine Hoffnung auf die Musik und erwartet von ihr die Ausfüllung dieser im modernen Drama so schmerz - haft empfundenen Lücke. Die Musik auf der Bühne kannte er ja nur als Oper, und so erhoffte er von dieser: » dass aus ihr, wie aus den Chören des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edleren Gestalt sich loswickeln werde «. Bei Goethe müsste man vor allem das987Kunst.Musikalische ich meine das Musikverwandte und Musikerfüllte in seinen Werken auf Schritt und Tritt nachweisen, und zwar nicht allein die so sehr häufige Anwendung von Musik in seinen Dramen, mit dem Vermerk » ahnend seltene Gefühle « und mehr dergleichen versehen, sondern es wäre leicht zu zeigen, dass schon die Konzeption seiner Bühnenwerke auf Motive, Grundlagen und Ziele deutet, die zum innerlichsten Gebiete der Musik gehören. Faust ist ganz Musik; nicht bloss weil, wie Beethoven meinte, die Musik den Worten ent - fliesst, denn dies ist nur von einzelnen Fragmenten wahr, sondern weil fast jede einzelne Situation im vollsten Sinne des Wortes » musikalisch « ersonnen ist, vom Studierzimmer bis zum Chorus mysticus. Je älter er wurde, desto höher stellte Goethe die Musik. Betreffs der Be - ziehungen zwischen Wort - und Tonkunst stimmte er mit Lessing und Herder vollkommen überein und drückte es in seiner unnachahmlichen Weise aus: » Poesie und Musik bedingen sich wechselweise und be - freien sich sodann wechselseitig «. Bezüglich des ethischen Wertes der Tonkunst, meint er: » Die Würde der Kunst erscheint bei der Musik vielleicht am eminentesten, weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müsste; sie ist ganz Form und Gehalt und erhöht und ver - edelt alles, was sie ausdrückt «. Darum wollte er die Musik in den Mittelpunkt aller Erziehung gestellt wissen: » denn von ihr laufen gleichgebahnte Wege nach allen Seiten «. 1)Siehe Wanderjahre, 2. Buch, Kap. 1, 9. Weitere Ausführungen über diesen Gegenstand, sowie namentlich über die organischen Beziehungen zwischen Dichtkunst und Tonkunst findet man in meinem Buch Richard Wagner, 1896, S. 20 fg., 187 fg., 200, sowie in meinem Vortrag über die Klassiker der Dicht - und Tonkunst, abgedruckt in den » Bayreuther Blättern «, Jahrgang 1897, 7 10. Stück.

Hier nun, nachdem Goethe uns belehrt hat, von der Musik ausDas Musikalische. (und das heisst von tonvermählter Poesie aus) laufen gleichgebahnte Wege nach allen Seiten, hier sind wir auf einem Gipfelpunkt angelangt, von wo aus wir einen weiten Ausblick auf das Werden unserer ge - samten Kunst gewinnen. Denn wir erkannten schon früher, dass die Poesie die alma mater aller schöpferischen Kunst ist, gleichviel in welcher Gestaltungsform sie sich kundthut; und nun sehen wir, dass unsere germanische Poesie eine durchaus eigene, individuelle Ent - wickelung durchlaufen hat, welche ohne Analogon in der Geschichte steht. Die unerhört hohe Ausbildung der Musik, d. h. der Kunst des poetischen Ausdruckes, kann nicht ohne Einfluss auch auf unsere bildenden Künste geblieben sein. Denn gerade so wie es das Homerische63*988Die Entstehung einer neuen Welt.Wort war, welches dem Hellenen lehrte, bestimmte Ansprüche auf Gestaltung zu erheben und ihre rohen Bildwerke zu Kunstwerken zu vervollkommnen, ebenso hat der musikalische Ton uns Germanen ge - lehrt, immer höhere Anforderungen an den Ausdrucksgehalt jeglicher Kunst zu stellen. In dem nunmehr, wie ich hoffe, ganz klaren, be - deutungsvollen, nicht phrasenhaften Sinne des Wortes kann man diese Richtung des Geschmackes und des Schaffens eine musikalische nennen. Sie hängt organisch mit jener Anlage unseres Wesens zu - sammen, welche uns auf philosophischem Gebiete zu Idealisten, auf religiösem zu Nachfolgern Jesu Christi macht, und welche als künstle - rische Gestaltung ihren reinsten Ausdruck in der Musik findet. Unsere Wege sind darum andere als die der Hellenen (worauf ich zurück - kommen werde, sobald eine notwendige Ergänzung geschehen ist); nicht als seien die Hellenen unmusikalisch gewesen, wir wissen das Gegenteil, ihre Musik war aber äusserst einfach, dürftig und dem Worte unterthan, unsere dagegen ist vielstimmig, mächtig und nur allzu geneigt, im Sturme der Leidenschaft jede bleibende Wortesgestalt hinwegzufegen. Ich glaube, der Vergleich wäre treffend, wenn wir von einem Stiche Dürer’s oder einem mediceischen Grabmal Michel - angelo’s sagten, sie seien » polyphone « Werke im Gegensatz zur strikten » Homophonie « der Hellenen, welche nota bene auch dort gebietet wo, wie auf den Friesen, zahlreiche Figuren in heftiger Bewegung stehen. Um Gefühle wirklich zum Ausdruck zu bringen, muss nämlich die Musik polyphon werden; denn der Gedanke ist seinem Wesen nach einfach, das Gefühl dagegen ist so vielfältig, dass es im selben Augen - blick das Verschiedenartige, ja, das direkt Widersprechende wie Hoffnung und Verzweiflung bergen kann. Theoretische Grenz - linien ziehen zu wollen, wäre lächerlich, doch kann man sich über die Verschiedenheit verwandter Anlagen klar werden, wenn man ein - sehen lernt: wo, wie beim Hellenen, das Wort allein die Poesie ge - staltet, da wird in den bildenden Künsten durchsichtige, homophone Klarheit bei mehr kaltem, abstrakt-symbolischem Ausdruck vorherrschen; wo dagegen die musikalische Forderung nach unmittelbarem inneren Ausdruck auf die Gestaltung grossen Einfluss gewinnt, da werden polyphone Entwürfe und verschlungene Linien auftreten, verbunden mit intensiver, logisch nicht analysierbarer Ausdruckskraft. Nur in dieser Auffassung gewinnt jene abgedroschene Phrase einer Verwandtschaft zwischen gotischer Architektur und Musik einen lebendigen, vor - stellbaren Sinn; wobei man aber dann sofort einsieht, dass die989Kunst.Architektur des so innig tonverwandten Michelangelo und überhaupt der Florentiner genau ebenso » musikalisch « ist wie jene. Im Grunde genommen ist jedoch der Vergleich, trotz Goethe, wenig treffend; man muss etwas tiefer schauen, um das Musikalische in allen unseren Künsten am Werke zu erblicken. Einer der feinsten Beurteiler bildender Kunst aus den letzten Jahren, dazu ein Mann von altklassischer Bildung und Neigung, Walter Pater, kommt bei der Betrachtung unserer germanischen Kunst zu dem Schlusse: » Was unsere Künste mit einander verbindet, ist das Element der Musik. Besitzt auch jede einzelne Kunstart ein besonderes Lebensprinzip, eine unübertragbare Skala der Empfindungen, eine nur ihr eigene Art, den künstlerischen Verstand zu affizieren, so kann man doch von jeder Kunst sagen, dass sie beständig nach jenem Ausdruck strebt, der das Lebenselement der Musik ausmacht «. 1)The Renaissance, studies in art and poetry.

Was wir hier für ein tieferes Verständnis unserer Kunst undDer Naturalismus. unserer Kunstgeschichte gewonnen haben, würde jedoch durchaus ein - seitig und daher irreleitend bleiben, wollten wir es dabei bewenden lassen; darum müssen wir jetzt von diesem einen ragenden Gipfel - punkt auf einen anderen hinüberschreiten. Sagt man, unsere Kunst strebe nach jenem Ausdruck, der das Lebenselement der Musik aus - macht, so bezeichnet man damit gewissermassen das Innere; die Kunst hat aber auch ein Äusseres, ja, selbst die Musik wird, wie Carlyle so treffend bemerkt hat, » ganz verrückt und wie vom Delirium ergriffen, sobald sie sich ganz und gar von der Realität sinnlich greifbarer, wirk - licher Dinge scheidet «. 2)Aufsatz The Opera in den Miscellaneous Essays. Für die Kunst gilt dasselbe, was für den einzelnen Menschen gilt: man kann wohl in Gedanken ein Inneres und ein Äusseres unterscheiden, in der Praxis ist es aber undurch - führbar; denn wir kennen kein Inneres, das nicht einzig und allein in einem Äusseren gegeben würde. Ja, von dem Kunstwerk können wir mit Sicherheit behaupten, es bestehe zunächst lediglich aus einem Äusseren. Ich erinnere an die S. 55 besprochenen Worte Schiller’s: das Schöne ist zwar » Leben «, sofern es in uns Gefühle, d. h. Thaten erregt, zunächst ist es jedoch lediglich » Form «, die wir » betrachten «. Erlebe ich nun bei dem Anblick von Michelangelo’s Nacht und Abend - dämmerung eine so tief innerliche und zugleich so intensive Erregung, dass ich sie nur mit dem Eindruck berückender Musik vergleichen kann, so ist das, wie Schiller sagt, » meine That «; nicht jede Seele990Die Entstehung einer neuen Welt.hätte so erzittert; mancher Mensch hätte Ebenmass und Aufbau be - wundern können, ohne dass ein Schauer des Gefühles ihn wie Ewig - keitsahnung durchbebt hätte; er hätte eben das Werk nur » betrachtet «. Gelingt es aber dem Künstler wirklich, durch die Betrachtung Gefühle zu erregen, durch Form Leben zu spenden, wie hoch müssen wir da nicht die Bedeutung der Form anschlagen! In einem gewissen Sinne dürfen wir ohne weiteres sagen: Kunst ist Gestalt. Und nennt Goethe die Kunst » eine Vermittlerin des Unaussprechlichen «, so fügen wir als Kommentar hinzu: nur das Gesprochene vermittelt das Unaus - sprechliche, nur das Geschaute das Unsichtbare. Gerade dieses Ge - sprochene und dieses sichtbar Gestaltete nicht das, was unaussprech - bar und unsichtbar bleibt macht Kunst aus; nicht der Ausdruck ist Kunst, sondern das, was den Ausdruck vermittelt. Woraus erhellt, dass keine Frage in Bezug auf Kunst wichtiger ist, als die nach ihrem » Äusseren «, d. h. nach dem Prinzip ihrer Gestaltung.

Hier liegt nun die Sache bedeutend einfacher als bei der voran - gegangenen Betrachtung; denn jenes » Musikalische « betrifft ein Un - aussprechliches, es zielt auf den » Zustand « des Künstlers (wie Schiller sagen würde), auf das innerste Wesen seiner Persönlichkeit, und zeigt an, welche Eigenschaften man besitzen müsse, um sein Werk nicht allein zu betrachten, sondern auch zu erleben, und über das alles ist es schwer, sich deutlich mitzuteilen; hier dagegen handelt es sich um die sichtbare Gestalt. Ich glaube, wir können uns sehr kurz fassen und dürfen die apodiktische Behauptung aufstellen: echte germanische Kunst ist naturalistisch; wo sie es nicht ist, ist sie durch äussere Einflüsse aus ihrem eigenen, geraden, in den Rassenanlagen deutlich vorgezeichneten Wege hinausgedrängt worden. Wir sahen ja oben (S. 786), dass unsere Wissenschaft » naturalistisch « ist und sich hier - durch wesentlich von der hellenischen, anthropomorphisch-abstrakten Wissenschaft unterscheidet. Hier ist der Schluss aus Analogie durch - aus statthaft, denn wir schliessen von uns auf uns, und wir haben ja dieselbe Anlage unseres Geistes auf weit von einander abliegenden Gebieten wiedergefunden. Ich verweise namentlich auf die zweite Hälfte des Abschnittes über Weltanschauung. Das einmütige Bestreben unserer grössten Denker ging darauf hinaus, die sichtbare Natur von allen jenen Schranken und Deutungen zu befreien, mit welchen mensch - licher Aberglaube, menschliche Furcht und Hoffnung, menschlich blinde Logik und Systematomanie sie mehr als mannshoch eingezäunt hatten. Auf der anderen Seite fanden wir Liebe zur Natur, treues991Kunst.Beobachten, geduldiges Befragen; wir fanden auch die Erkenntnis, dass einzig die Natur Denken und Träumen, Wissen und Phantasie speist und grosszieht. Wie sollte eine so ausgesprochene Anlage, die sich bei keiner Menschenrasse der Vergangenheit oder Gegenwart wiederfindet, ohne Einfluss auf die Kunst bleiben? Nein, wie sehr auch manche Erscheinung geeignet sein mag, uns irrezuführen: unsere Kunst ist von Hause aus naturalistisch, und wo auch immer wir sie in Vergangenheit oder Gegenwart sich resolut zur Natur wenden sehen, da können wir sicher sein, dass sie den rechten Weg geht.

Dass ich mit dieser Behauptung vielfachen Widerspruch erregen werde, weiss ich; die Abscheu vor dem Naturalismus in der Kunst wird uns schon von unseren Ammen eingeflösst, zugleich die Ehr - furcht vor einem angeblichen Klassizismus; doch werde ich mich nicht verteidigen, und zwar nicht allein, weil mir der Raum dazu fehlt, sondern weil die Thatsachen zu überzeugend für sich sprechen, als dass sie meiner Erläuterung bedürften. Ohne mich also auf Polemik einzulassen, will ich zum Schluss nur noch einige von diesen Thatsachen von dem besonderen Standpunkt dieses Werkes aus beleuchten und ihre Be - deutung für den Zusammenhang des Ganzen zeigen.

Wie zeitig ein herrlich gesunder, kräftiger Naturalismus in der italienischen Bildhauerei Platz griff, prägt sich uns Laien schon durch den einen Umstand ein, dass er trotzdem gerade in Italien und gerade in diesem Zweige der Kunst die Antike lähmend auf unsere eigene Art wirken musste bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Donatello einen mächtigen, überzeugenden Ausdruck gewann, den keine spätere, künstlich gezüchtete Richtung hat wegwischen können. Wer die Propheten und Könige auf dem Campanile zu Florenz, wer jene unvergessliche Büste des Niccolò da Uzzano gesehen hat, weiss, was unsere Kunst wird können, und dass sie andere Wege zu wandeln hat als die hellenische. 1)Hier wie überall in diesem Kapitel bin ich gezwungen, mich auf einzelne, allbekannte Namen zu beschränken, die uns bei der Übersicht unserer Geschichte als Leitsterne dienen können, doch zeigt gerade ein sorgfältigeres Studium der Kunstgeschichte, wie es heute mit so viel Erfolg gepflegt wird, dass kein Genie wie ein Pilz über Nacht hervorschiesst. Jene Macht Donatello’s, die gewisser - massen wie eine Elementargewalt wirkt, wurzelt in hunderten und tausenden von redlichen Gestaltungsversuchen, die zwei und drei Jahrhunderte zurückreichen und deren Herd das beachte man wohl nicht im Süden, sondern im Norden sich befand. Man sehe nur die Prophetenreliefs im Georgenchor des Doms zuDie Malerei wendet sich (wie ich das schon992Die Entstehung einer neuen Welt.S. 956 bemerkte) gleich zur Natur, sobald der Germane den orien - talisch-römischen Hieratismus abgeschüttelt hat. Nichts ist rührender, als wenn man die begabten Nordländer in einer erlogenen Civili - sation grossgezogen, von den spärlichen Resten einer grossen, aber fremden Kunst umgeben und angeregt nunmehr liebevoll und müh - sam, dem Zuge ihres Herzens folgend, der Natur nachgehen sieht: nichts ist ihnen zu gross, nichts zu gering; vom Menschenantlitz bis zum Schneckengehäuse, Alles zeichnen sie getreulich auf, und wahrlich! trotz aller technischen Gewissenhaftigkeit verstehen sie es, » das Un - aussprechliche zu vermitteln «. 1)Man weiss (siehe S. 790), wie unsere gesamte Naturwissenschaft auf der - selben Grundlage der treuen, unermüdlichen Beobachtung jeder Einzelheit beruht, und kann daraus entnehmen, wie eng verschwistert unsere Wissenschaft und unsere Kunst sind, beide die Erzeugnisse desselben individuellen Geistes.Bald war jener grosse Mann da, dessen Auge so tief in die Natur eindrang und der stets das Vorbild aller bildenden Künstler hätte bleiben sollen, Leonardo. » Kein Maler «, sagt ein heutiger Kunsthistoriker, » hatte sich so vollständig von der antiken Überlieferung frei gemacht ein einziges Mal erwähnt er in seinen vielen Schriften die Graeci e Romani und zwar nur in Bezug auf bestimmte Drapierungen. « 2)E. Muntz: Raphaël, 1881, p. 138.In seinem berühmten Buch von der Malerei schärft Leonardo den Malern beständig ein, dass sie Alles nach1)Bamberg an: hier ist Geist von Donatello’s Geist. Ein Gelehrter, der diese Skulpturen neuerdings eingehend studiert hat, sagt, man sehe wie der Künstler » der Natur mit dem Spürsinn des Entdeckers nachgehe «. Derselbe Kunsthistoriker sucht dann herauszufinden, in welcher Schule der Bamberger Bildhauer eine so erstaunliche Kraft der individuellen Charakteristik gelernt und geübt habe, und weist überzeugend nach, dass diese bedeutenden Leistungen deutscher Künstler aus den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts an eine lange Reihe ähnlicher Versuche ihrer in politischen und gesellschaftlichen Beziehungen glücklicheren, freieren, reicheren germanischen Brüder im Westen anknüpfen. Diese gestaltende Sehn - sucht, der Natur auf die Spur zu kommen, hatte schon längst einen künstlerischen Mittelpunkt im fränkischen und normannischen Norden (Paris, Reims u. s. w.), einen anderen in jenem unausrottbaren Centrum freier häretischer gotischer Kraft, in Toulouse, gefunden (vergl. Arthur Weese: Die Bamberger Domskulpturen, 1897, S. 33, 59 fg.). Wie sehr ein gleiches von der Malerei gilt, liegt für den ungelehrtesten Laien auf der Hand. Die Gebrüder van Eyck, hundert Jahre vor Dürer geboren, sind schon Meister des verehrungswürdigen, echten Naturalismus, und sie selber sind schon von ihrem Vater in dieser Schule erzogen; ohne den verhängnisvollen Ein - fluss Italiens, der immer wieder und immer wieder, wie jene periodischen Wellen des Stillen Oceans, unseren ganzen Erwerb an Eigenart wegschwemmte, wäre die Entwickelung unserer echt germanischen Malerei eine ganz andere gewesen.993Kunst.der Natur malen, niemals sich auf das Gedächtnis verlassen sollen (76); auch wenn sie nicht an der Staffelei stehen, auf Reisen und beim Spazierengehen, immer und unaufhörlich ist es Pflicht der Künstler, die Natur zu studieren; selbst an Flecken in Mauern, an der Asche eines erloschenen Feuers, am Schlamm und Schmutz sollen sie nicht achtlos vorübergehen (66); so soll ihr Auge ein » Spiegel « werden, eine » zweite Natur « (58a). Albrecht Dürer, Leonardo’s gleichgrosser Zeitgenosse, erzählte dem Melanchthon, wie er in seiner Jugend die Ge - mälde hauptsächlich als Gebilde der Phantasie bewundert und auch seine eigenen nach dem Grade ihrer Mannigfaltigkeit geschätzt habe; » als älterer Mann habe er aber begonnen, die Natur zu beobachten und deren ursprüngliches Antlitz nachzubilden und habe erkannt, dass diese Einfachheit der Kunst höchste Zierde sei. « 1)Citiert nach Janitschek: Geschichte der deutschen Malerei, 1890, S. 349.Wie peinlich genau Dürer es mit dieser Naturbeobachtung nahm, ist bekannt; wer es nicht weiss, sehe sich in der Albertina die Aquarellstudie eines jungen Hasen (Nr. 3073) an, sowie jenes unvergleichliche Meisterstück der Kleinmalerei, den Flügel einer Blaurake (Nr. 4840). 2)Dies ist der offizielle Katalogstitel; doch ist der betreffende Vogel, glaube ich, besser bekannt unter der Bezeichnung Mandelkrähe.Wie liebevoll Dürer die Pflanzen - welt studierte, ersieht man aus dem grossen Rasen und dem kleinen Rasen in derselben Sammlung. Soll ich Rembrandt noch nennen, damit man einsehen lerne, dass alle Grössten diesen selben Weg ge - wiesen haben? zeigen, wie er den Naturalismus, d. h. die Naturwahr - heit, sogar in der Komposition freierfundener bewegter Bilder so weit getrieben hat, dass bis heute nur Wenige die Kraft und den Mut besassen, ihm nachzuwandeln? Auch hier will ich einen Fachmann anführen; vom barmherzigen Samariter sagt Seidlitz: » Da ist nichts von pathetischem, an den Beschauer sich wendenden Heroentum zu gewahren; die Teilnehmer der Handlung sind ganz mit sich beschäftigt, ganz bei der Sache. In Haltung, Miene und Geberde ist jeder von ihnen durchaus von dem erfüllt, was ihn innerlich bewegt. « 3)Rembrandt’s Radierungen, 1894, S. 31. Siehe auch Goethe’s kleinen Aufsatz über dasselbe Bild, Rembrandt der Denker, (Bd. 44 der Ausgabe letzter Hand).Das bedeutet, wie man sieht, einen Höhepunkt des Naturalismus: Seelen - wahrheit an Stelle des äusserlich formalen Aufbaues nach angeblichen Gesetzen; kein Italiener hat je diesen Gipfel erstiegen. Es giebt nämlich wirklich » ewige Gesetze « auch ausserhalb der ästhetischen Handbücher;994Die Entstehung einer neuen Welt.das erste lautet: bleib dir selber treu! (S. 508). Darum steht Rem - brandt so hoch für uns Germanen und wird für lange hinaus den Markstein bilden, an dem wir erkennen, ob die bildende Kunst auf unserem echten, rechten Wege weiterschreitet oder in fremde Länder sich verirrt. Wogegen jede klassische Reaktion, wie die am Schlusse des vorigen Jahrhunderts so gewaltthätig ins Werk gesetzte, eine Ver - irrung ist und heillose Verwirrung schafft.

Der Kampf um die Eigenart.
686

Wer kann, wenn er einerseits auf Goethe’s theoretische Lehren bezüglich der bildenden Kunst, andererseits auf Goethe’s eigenes Lebens - werk schaut, zweifeln, wo die Wahrheit ist? Nie wurde ein so un - hellenisches Werk geschrieben wie Faust; müsste hellenische Kunst unser Ideal sein, so bliebe uns nur übrig zu bekennen: Erfindung, Ausführung, Alles ist an dieser Dichtung ein Greuel. Und man gehe nicht achtlos an der fortschreitenden Bewegung innerhalb dieses mäch - tigen Werkes vorbei: denn um das berühmte schale Stichwort (nicht ohne die gebührende Verachtung) zu gebrauchen » olympisch « wäre der erste Teil im Vergleich zum zweiten zu nennen. Faust, Helena, Euphorion und als Seitenstück, griechischer Klassizismus! Das homerische Gelächter, das uns bei dem Vergleich erfassen muss, ist das einzige » Griechische « an der Sache. Auch der Sümpfe-trocken - legende Held hätte allenfalls den Römern, doch nimmermehr den Hellenen gefallen. Ist unsere Poesie aber Dante, Shakespeare, Goethe, Josquin, Bach, Beethoven bis ins Mark der Knochen un - griechisch, was soll es denn heissen, wenn man unserer bildenden Kunst Ideale vorhält und Gesetze vorschreibt, jener uns fremden Poesie entlehnt? Ist nicht die Poesie der gebärende Mutterschoss jeglicher Kunst? Soll unsere bildende Kunst nicht uns selber angehören, sondern ewig als hinkender Bankert ungeliebt und unbeachtet sich hinschleppen? Hier liegt ein verhängnisvoller Irrtum der so vielfach verdienten Hu - manisten zu Grunde: sie wollten uns aus römisch-kirchlicher Be - schränkung befreien und wiesen auf das freie, schöpferische Hellenen - tum hin; doch bald stand die Altertumswissenschaft da und wir waren aus einem Dogma in das andere gefallen. Welche eigentümliche Be - schränktheit dieser verderblichen Lehre eines angeblichen Klassizismus zu Grunde liegt, sieht man an dem Beispiel des grossen Winckelmann, von dem Goethe berichtet, er habe nicht bloss kein Verständnis für die Poesie gehabt, sondern geradezu eine » Abneigung « gegen sie, auch gegen die griechische; selbst Homer und Aeschylus waren ihm ledig - lich als die unentbehrlichen Kommentatoren zu seinen geliebten Statuen995Kunst.von Wert. 1)Winckelmann (Abschnitt Poesie).Dass umgekehrt, die klassische Philologie meistens eine eigentümliche Unempfänglichkeit für bildende Kunst, wie auch für die Natur erzeugt, hat jeder von uns oft zu beobachten Gelegenheit gehabt. Über Winckelmann’s berühmten Zeitgenossen, F. A. Wolf, erfahren wir z. B., dass sein Stumpfsinn der Natur gegenüber und seine absolute Verständnislosigkeit für Werke der Kunst ihn Goethe fast unerträglich machten. 2)F. W. Riemer: Mitteilungen über Goethe (citiert nach Biedermann: Goethe’s Gespräche, 3. Band, S. 135).Wir stehen also hier bei unserem Dogma der klassischen Kunst vor einem pathologischen Phänomen; und wir müssen uns freuen, wenn der gesunde, herrliche Goethe, der auf der einen Seite der krankhaften klassischen Reaktion Vorschub leistet, auf der anderen unentwegt naturalistische Ratschläge giebt. So warnt er z. B. am 15. September 1823 Eckermann vor phantastischer Dichterei und belehrt ihn: » die Wirklichkeit muss die Veranlassung und den Stoff zu allen Gedichten hergeben; allgemein und poetisch wird ein spezieller Fall eben dadurch, dass ihn der Dichter behandelt .... der Wirklichkeit fehlt es nicht an poetischem Interesse. « Die reine Lehre der Donatello und Rembrandt! Und studieren wir nun Goethe’s Auffassung genauer wozu z. B. die Einleitung in die Propyläen gute Dienste leisten wird (aus 1798, also gerade an der Grenze unseres Gegenstandes) so werden wir finden, dass das » Klassische « bei ihm kaum mehr als ein faltiger Überwurf ist. Immer wieder schärft er das Studium der Natur als » vornehmste Forderung « ein, und verlangt nicht etwa das bloss rein künstlerische Studium, sondern exakte natur - wissenschaftliche Kenntnisse (Mineralogie, Botanik, Anatomie u. s. w.): das ist entscheidend, denn das ist absolut unhellenisch und durchaus spezifisch germanisch. Und finden wir daselbst das schöne Wort: der Künstler solle » wetteifernd mit der Natur « ein Werk hervorzubringen trachten, » zugleich natürlich und übernatürlich, « so werden wir ohne Zögern in diesem Credo einen direkten Gegensatz zum hellenischen Kunstprinzip entdecken; denn dieses letztere greift weder hinunter bis in die Wurzeltiefen der Natur, noch reicht es hinauf bis in das Übernatürliche.

Diese Gegenüberstellung verdient einen besonderen Absatz.

Wem das tönende Erz ästhetischer Phrasen nicht genügt, wer die Eigenart hellenischer Kunst durch klare Erkenntnis der besonderen, nie wiederkehrenden Individualität des besonderen Menschenstammes996Die Entstehung einer neuen Weltzu erfassen wünscht, wird gut daran thun, den griechischen Künstler nicht willkürlich aus seiner geistigen Umgebung loszutrennen, sondern immer wieder die griechische Naturwissenschaft und Philosophie zum Vergleich heranzuziehen und sie kritisch zu betrachten. Dann wird er erkennen, dass jenes Mass, welches wir an den Gebilden helle - nischer Schöpferkraft bewundern, aus einer angeborenen Beschränkung nicht Beschränktheit, aber Beschränkung hervorgeht, nicht etwa als ein besonderes, rein künstlerisches Gesetz, sondern als ein durch die ganze Natur dieser Individualität Bedingtes. Das klare Auge des Hellenen versagt, sobald der Blick über den Kreis des im engeren Sinne des Wortes Menschlichen hinüberirrt. Seine Naturforscher sind nicht treue Beobachter, und sie entdecken trotz der grossen Begabung gar nichts was zuerst sehr auffällt, jedoch leicht erklärlich ist, da Entdeckung immer nur durch Hingabe an die Natur, niemals durch eigene menschliche Kraft erfolgt (S. 760 fg.). 1)So hatte Aristoteles z. B. bemerkt, dass in einem dichten Walde der Sonnenschein runde Lichtflecken wirft; anstatt aber sich durch kindlich einfache Beobachtung zu überzeugen, dass diese Flecken Sonnenbilder und daher rund seien, konstruierte er sofort eine haarsträubend komplizierte, tadellos logische und absurd falsche Theorie, die bis auf Kepler für unanfechtbare Wahrheit galt.Hier also finden wir eine klare, scharfe Grenze nach unten zu: nur was im Menschen selbst liegt Mathematik und Logik konnte sich den Hellenen als echte Wissenschaft erschliessen; hier leisteten sie denn auch Bewunderns - wertes. Nach oben zu ist die Grenze ebenso sichtbar. Ihr Philosoph verschliesst sich von vornherein gegen alles, was ein Goethe » über - natürlich « nennen würde und was dieser in Faust’s Gang zu den Müttern und in dessen Himmelfahrt poetisch dargestellt hat. Auf der einen Seite finden wir den streng logischen Rationalismus des Aristoteles, auf der anderen die pythagoreisch-platonische, poetische Mathematik. Plato’s Ideen, wie ich schon früher bemerkt habe (S. 795), sind durch - aus real, ja, konkret. Der tiefe Blick nach innen, in jene andere, » übernatürliche « Natur der Blick in das, worüber der Inder als Âtman sann, in das, was jedem ersten besten unserer Mystiker als » das Reich der Gnade « vertraut war, und was Kant das Reich der Freiheit nannte der blieb den Hellenen durchaus versagt. Dies die scharfe Grenze nach oben. Was bleibt, ist der Mensch, der sinnlich wahrgenommene Mensch, und alles das, was dieser Mensch von seinem ausschliesslich und beschränkt menschlichen Standpunkt aus wahrnimmt. So war jenes Volk beschaffen, welches hellenische Kunst hervorbrachte. 997Kunst.Dass diese Geistesverfassung eine vortreffliche war für künstlerisches Leben: wer möchte es leugnen, wo die Thatsachen so beredt sprechen? Doch sehen wir diese hellenische Kunst aus der gesamten Geistesanlage dieses einen besonderen Menschenstammes hervorwachsen; was soll es nun für einen Sinn haben, wenn man uns, deren Geistesanlage offen - bar weit von jener abweicht, dennoch hellenische Kunstprinzipien als Norm und Ideal vorhält? Soll denn unsere Kunst um jeden Preis eine » künstliche « sein, nicht eine organische? eine gemachte, nicht eine sich selbst machende, das heisst, lebende? Sollen wir nicht das Recht haben, Goethe’s Mahnung zu folgen, in der aussermenschlichen Natur zu fussen, in die übermenschliche Natur hinaufzustreben beides den Hellenen verschlossene Gebiete? Sollen wir desselben Goethe’s Wort unbeachtet lassen: » Wir können nicht sehen wie die Griechen und werden niemals wie sie dichten und bilden. «

Die Geschichte unserer Kunst ist nun zum grossen Teil ein Kampf: ein Kampf zwischen unserer eigenen, angeborenen Anlage und der uns aufgezwungenen fremden. Man wird ihm auf Schritt und Tritt begegnen von jenem Bamberger Meister an bis zu Goethe. Bisweilen ist es eine Schule, die eine andere bekämpft; häufig wird der Kampf in der Brust des einzelnen Künstlers ausge - fochten. Er setzte sich durch unser ganzes Jahrhundert fort.

Doch giebt es noch einen anderen Kampf, und zwar ist dieserDer innere Kampf ein ungeteilt segensvoller, der die Entwickelung unserer Kunst be - gleitet und gestaltet. Um ihn zu charakterisieren, wird uns Goethe’s vorhin angeführte Wort gute Dienste leisten: unsere Kunstwerke sollten » natürlich und zugleich übernatürlich « sein. Beides zu treffen das Natürliche und das Übernatürliche zugleich ist nicht Jedermanns Sache. Auch stellt sich das Problem sehr verschieden je nach der Kunstart. Um uns klar darüber zu werden, können wir jene beiden Ausdrücke, » natürlich « und » übernatürlich «, die eigentlich beide zu Kunst nicht recht gut passen, durch naturalistisch und musikalisch wiedergeben. Der Gegensatz des Natürlichen ist das Künstliche, und da kommen wir nicht weiter; dagegen ist der Gegensatz des Naturalistischen das Idealistische, und das hellt gleich Alles auf. Der hellenische Künstler gestaltete nach der menschlichen Idee der Dinge, wir verlangen da - gegen das Naturgetreue, d. h. dasjenige Gestaltungsprinzip, welches die selbsteigene Individualität der Dinge erfasst. Was andererseits das von Goethe erforderte Übernatürliche anbetrifft, so ist darauf zu be - merken, dass unter allen Künsten einzig die Musik unmittelbar 998Die Entstehung einer neuen Welt.d. h. schon ihrem Stoffe nach übernatürlich ist; das Übernatürliche an den Werken der anderen Künste darf darum (vom künstlerischen Standpunkt aus) als ein Musikalisches bezeichnet werden. Diese beiden Richtungen, oder Eigenschaften, oder Instinkte, oder wie man sie nennen will das Musikalische einerseits, das Naturalistische andrer - seits sind nun, wie meine bisherigen Ausführungen gezeigt haben, die beiden Grundkräfte unseres ganzen künstlerischen Schaffens; sie widersprechen sich nicht, wie oberflächliche Geister zu wähnen pflegen, im Gegenteil, sie ergänzen sich, und gerade aus dem Beisammensein solcher gegensätzlichen und doch in engster Korrelation stehenden Triebe besteht Individualität. 1)Vergl. S. 724. So sehen wir z. B. die bildende Kunst der Griechen zwischen dem Typischen und dem Realistischen pendeln, während die unsere das ganze Bereich vom Phantastischen bis zum streng Naturgetreuen durchschweift.Der Mann, der den einen abgerissenen Mandelkrähenflügel so minutiös malt, als ginge es um sein Seelenheil, ist derselbe, der Ritter, Tod und Teufel konzipiert. Doch ist es ohne Weiteres klar, dass aus dieser Beschaffenheit unseres Geistes sich ein reiches inneres Leben widerstreitender oder auch in den ver - schiedensten Kombinationen sich vereinigender Kräfte ergeben musste. Die musikalische Befähigung trug uns wie auf Engelsschwingen in Regionen hinauf, wohin noch kein menschliches Sehnen jemals hin - gelangt war. Der Naturalismus war ein Rettungsanker, ohne den unsere Kunst sich bald in Phantasterei, Allegorien, Ideenkryptographie verloren hätte. Man wäre fast geneigt, auf den lebensvollen Anta - gonismus und die um so reichere Kraft der vereinigten Patrizier und Plebejer in Rom hinzuweisen (siehe S. 126).

Shakespeare und Beethoven.
690

Diese Betrachtungsweise, die ich hier nicht näher ausführen kann, empfehle ich der Beachtung: sie enthält, glaube ich, die ganze Geschichte unserer echten, lebendigen Kunst. 2)Seitdem Obiges geschrieben wurde, ist Henry Thode’s Schrift Die deutsche bildende Kunst (in Hans Meyer’s Deutsches Volkstum) erschienen und ich freue mich zu sehen, dass Gelehrter und Ungelehrter trotz aller Abweichung, welche Stoff und Behandlungsart bedingen im Wesentlichen vollkommen zusammentreffen. Ich habe jetzt den Vorzug, für alles Nähere auf Thode verweisen zu können (wenigstens insofern rein deutsche Kunst in Betracht kommt, welche aber als Paradigma für alle germanische Kunst gelten kann).Nur an zwei Beispielen will ich den soeben genannten Kampf zwischen den beiden Prinzipien der Gestaltung in seinem Wesen und in seinen Folgen exemplifizieren. Wenn der starke naturalistische Trieb unsere Dichtkunst nicht von der Musik losgerissen hätte, hätten wir nie999Kunst.einen Shakespeare erlebt. Auf hellenischem Boden wäre also eine der höchsten Erscheinungen schöpferischer Kraft ausgeschlossen gewesen. Schiller schreibt an Goethe: » Es ist mir aufgefallen, dass die Charaktere des griechischen Trauerspiels mehr oder weniger idea - lische Masken und keine eigentlichen Individuen sind, wie ich sie in Shakespeare und auch in Ihren Stücken finde. « 1)4. April 1797.Diese Zusammen - stellung von zwei Dichtern, die so weit auseinanderstehen, ist inter - essant: was Goethe und Shakespeare verbindet, ist Naturtreue. Shake - speare’s Kunst ist durchaus naturalistisch, ja, bis zur Roheit Gott Lob, bis zur Roheit. Wie Leonardo lehrt, auch den » Schmutz « soll der Künstler liebevoll studieren. Darum wurde ein Shakespeare in dem Jahrhundert erlogener Klassizität so schmählich verkannt und konnte ein so grosser Geist wie Friedrich die Tragödien eines Voltaire denen jenes gewaltigen Poeten vorziehen. Dass nun seine Darstellungs - art nicht naturgetreu im Sinne des sogenannten » Realismus « ist, wurde neuerdings von etlichen Kritikern übel vermerkt; doch wie Goethe sagt: » Kunst heisst eben darum Kunst, weil sie nicht Natur ist «. 2)Wanderjahre, 2, 9.Kunst ist Gestaltung; sie ist Sache des Künstlers und der besonderen Kunstart; unbedingte Naturtreue von einem Werke fordern, ist erstens überflüssig, da die Natur selbst das leistet, zweitens ungereimt, da der Mensch nur Menschliches schaffen kann, drittens widersinnig, da der Mensch durch die Kunst die Natur zwingen will, ein » Übernatür - liches « zur Darstellung zu bringen. In jedem Kunstwerk wird es also eine eigenmächtige Gestaltung geben;3)Mit besonders wohlthuender wissenschaftlicher Klarheit dargethan von Taine: Philosophie de l’Art, I., ch. 5. Wogegen Seneca’s omnis ars imitatio est naturae die echt römische Seichtigkeit in allen Fragen der Kunst und der Philosophie zeigt. naturalistisch kann Kunst nur in ihren Zielen, nicht in ihren Mitteln sein; der sogenannte » Realismus « ist eine tiefe Ebbe künstlerischer Potenz; schon Montesquieu sagte von den realistischen Dichtern: » Ils passent leur vie à chercher la nature, et la manquent toujours «. Von Shakespeare, dem Poeten, verlangen, seine Helden sollen keine poetische Reden halten, ist gerade so vernünftig, wie wenn Giovanni Strozzi Michelangelo’s Nacht anruft, der Stein solle auf - stehen und reden. Shakespeare selber hat (im Wintermärchen) mit unendlicher Grazie das Gespinst dieser ästhetischen Sophismen zerstört:

Yet nature is made better by no mean But nature makes that mean: so, o’er that art
1000Die Entstehung einer neuen Welt.
Which, you say, adds to nature, is an art That nature makes this is an art Which does mend nature, change it rather, but: The art itself is nature.

Da es das Ziel von Shakespeare’s Drama ist, Charaktere zu schildern, so wird der Grad seines Naturalismus an nichts anderem gemessen werden können, als an der naturgetreuen Darstellung von Charakteren. Wer vermeint, die kinematographische Wiedergabe des täglichen Lebens auf der Bühne sei naturalistische Kunst, steht zu sehr auf dem naivsten Panoptikumsstandpunkt, als dass eine Diskussion mit ihm sich verlohnen könnte. 1)Höchstens kann man einem solchen Manne die Wohlthat erweisen, ihn auf Schiller’s lichtvolle Ausführungen über diesen Gegenstand zu verweisen, welche in den Sätzen gipfeln: » Die Natur selbst ist eine Idee des Geistes, die nie in die Sinne fällt. Unter der Decke der Erscheinung liegt sie, aber sie selbst kommt niemals zur Erscheinung. Bloss der Kunst des Ideals ist es verliehen, oder viel - mehr, es ist ihr aufgegeben, diesen Geist des Alls zu ergreifen und in einer körper - lichen Form zu binden. Auch sie selbst kann ihn zwar nie vor die Sinne, aber doch durch ihre schaffende Gewalt vor die Einbildungskraft bringen und dadurch wahrer sein, als alle Wirklichkeit, und realer, als alle Erfahrung. Es ergiebt sich daraus von selbst, dass der Künstler kein einziges Element aus der Wirklichkeit brauchen kann, wie er es findet, dass sein Werk in allen Teilen ideell sein muss, wenn es als ein Ganzes Realität haben und mit der Natur übereinstimmen soll « (Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie). Mein zweites Beispiel soll von dem anderen Extrem hergenommen werden. Die Musik hatte sich bei uns, wie man sah, zwar nicht ganz, doch fast von der Dichtkunst ge - schieden; es schien, als hätte sie sich von der Erde losgelöst. Sie wurde so vorwiegend, ja, fast ausschliesslich Ausdruck, dass es bis - weilen den Anschein hatte, als höre sie auf, Kunst zu sein, denn wir haben gesehen, Kunst ist nicht Ausdruck, sondern das, was den Aus - druck vermittelt. Und in der That, während Lessing, Herder, Goethe, Schiller in der Musik ein Höchstes verehrt und Beethoven von ihr gesagt hatte, sie sei » der einzige unverkörperte Eingang in eine höhere Welt «, fanden sich bald Leute ein, welche kühn behaupteten und alle Welt belehrten, die Musik drücke gar nichts aus, bedeute gar nichts, sondern sei lediglich eine Art Ornamentik, ein kaleidoskopisches Spiel mit Schwingungsverhältnissen! So rächt es sich, wenn eine Kunst den Boden der Wirklichkeit verlässt. Doch war in Wahrheit etwas ganz Anderes geschehen, als was diese Nussschalgehirne sich für ihre be - scheidenen geistigen Bedürfnisse zurecht gelegt hatten. Unsere Ton -1001Kunst.künstler hatten inzwischen durch eine genau halbtausendjährige Arbeit nach und nach eine immer vollkommenere Beherrschung ihres Materials erreicht, es immer geschmeidiger und gefügiger, d. h. also gestaltungs - fähiger gemacht (vergl. S. 981), was bei dem engen, untergeordneten Anschluss an das Wort in Griechenland ebensowenig jemals hatte ge - lingen können, wie die Geburt eines Shakespeare. Dadurch war die Musik immer mehr echte » Kunst « geworden, da sie in zunehmendem Masse in den Stand gesetzt worden war, Ausdruck zu vermitteln. Und erst in Folge dieser Entwickelung ist auch sie die früher mehr rein formale, wie ein faltiges Gewand den lebendigen Leib der Dichtung umgebende Kunst nunmehr der uns Germanen eigenen, naturali - stischen Gestaltungsrichtung zugänglich geworden. Nichts wirkt so unmittelbar, wie die Musik. Shakespeare konnte nur durch Vermitte - lung des Verstandes Charaktere malen; gewissermassen durch doppelten Spiegelreflex; denn zuerst spiegelt sich der Charakter in Handlungen wieder, die weitläufiger Bestimmung bedürfen, um verstanden zu werden, und dann spiegeln wir unser Urteil auf den Charakter zurück. Die Musik dagegen schenkt augenblickliche Verständigung; sie giebt das Wider - spruchsvolle der momentanen Stimmung, sie giebt die schnelle Folge der wechselnden Gefühle, die Erinnerung an längst Vergangenes, die Hoffnung, die Sehnsucht, die Ahnung, das Unaussprechbare; durch sie erst und zwar mit voller Meisterschaft erst durch die an der Schwelle unseres Jahrhunderts in Beethoven kulminierende Entwickelung ist Seelennaturalismus möglich geworden.

Die unserer ganzen Kunstentwickelung zu Grunde liegendenZusammen - fassung. Faktoren fasse ich der Deutlichkeit wegen noch einmal zusammen: auf der einen Seite die Tiefe, Gewalt und Unmittelbarkeit des Aus - druckes (also das musikalische Genie) als unsere individuellste Kraft, auf der anderen, das grosse Geheimnis unserer Überlegenheit auf so vielen Gebieten, nämlich die uns angeborene Neigung, mit Wahr - haftigkeit und Treue der Natur nachzugehen (Naturalismus); diesen zwei gegensätzlichen, doch in allen höchsten Schöpfungen wechsel - seitig sich ergänzenden Trieben und Fähigkeiten gegenüber, die Tradition von einer fremden, vergangenen, in strenger Beschränkung zu hoher Vollkommenheit gelangten Kunst, die uns lebhafte Anregung und reiche Belehrung gewährt, doch zugleich durch die Vorspiegelung eines fremden Ideals immer wieder in die Irre führt und uns namentlich verleitet, gerade das, was wir am besten können das musikalisch Ausdrucksvolle und das naturalistisch Getreue zu verschmähen. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 641002Die Entstehung einer neuen Welt.Wer diesen Winken folgt, wird, davon bin ich überzeugt, auf jedem Kunstgebiete sehr lebendige Vorstellungen und fruchtbare Einsichten gewinnen. Ich möchte nur noch die Warnung hinzufügen, dass man die Dinge, wo es sich darum handelt, sie zu einem Ganzen zu ver - binden, zwar genau, doch nicht von zu nahe ansehen soll. Betrachten wir unsere Zeit z. B. als das Ende der Welt, so werden wir von der so nahen Pracht der grossen Epoche Italiens fast erdrückt; gelingt es uns dagegen, bis in die weit offenen Arme einer verschwenderisch spendenden Zukunft zu flüchten, dann wird uns vielleicht jene wunderbare Blüte bildender Kunst doch nur als eine Episode in einem viel grösseren Ganzen erscheinen. Schon die blosse Existenz eines Mannes wie Michelangelo, neben einem Raffael, weist in zukünftige Zeiten und auf zukünftige Werke. Die Kunst ist stets am Ziel: dieses Wort Schopenhauer’s habe ich mir schon früher angeeignet und bin darum in diesem Abschnitt nicht der historischen Entfaltung von Giotto und Dante bis Goethe und Beethoven nachgegangen, sondern den bleibenden Zügen der individuellen Menschenart. Einzig die Kenntnis dieser treibenden und zwingenden Züge ist es, welche ein wirkliches Ver - ständnis der Kunst der Vergangenheit und der Gegenwart ermöglicht. Von uns Germanen soll noch viel Kunst geschaffen werden, und was geschaffen wird, dürfen wir nicht an dem Masstab eines fremden Früheren messen, sondern wir müssen es mittelst einer umfassenden Kenntnis unserer gesamten Eigenart beurteilen. So nur werden wir ein Kriterium besitzen, das uns befähigt, mit Liebe und Verständnis den so weit auseinandergehenden künstlerischen Bestrebungen unseres Jahrhunderts gerecht zu werden, und jenem giftspeienden Drachen aller Kunstbetrachtung der geflügelten Phrase den Garaus zu machen.

Schlusswort.
695

Mein Notbrückenbau wäre vollendet. Nichts fanden wir für unsere germanische Kultur bezeichnender, als das Handinhandgehen des Triebes zur Entdeckung und des Triebes zur Gestaltung. Ent - gegen den Lehren unserer Historiker behaupten wir, nie hat Kunst und nie hat Wissenschaft bei uns gerastet; thäten sie es, so wären wir keine Germanen mehr. Ja, wir sahen, dass sich beide bei uns gewissermassen bedingen: die Quelle unserer Erfindungsgabe, aller unserer Genialität, sogar der ganzen Originalität unserer Civilisation,1003Schlusswort.ist die Natur; doch gaben Philosophen und Naturforscher Goethe Recht, als er sprach: » die würdigste Auslegerin der Natur ist die Kunst. «1)Maximen und Reflexionen.

Wie viel wäre gerade hier noch hinzuzufügen! Doch ich habe nicht allein den Schlusstein zu dem Notbrückenbau dieses Kapitels schon gelegt, sondern damit zugleich zu diesem ganzen Buche, welches ich auch vom Anfang bis zum Ende nicht anders als wie einen Notbrückenbau be - trachte und betrachtet wissen will. Ich sagte gleich zu Beginn (siehe die erste Seite des Vorworts), ich wolle nicht belehren; selbst an den sehr wenigen Stellen, wo ich über mehr Kenntnisse verfügte als der durch - schnittlich gebildete Mensch, der nicht in dem betreffenden Fache be - sonders bewandert ist, war ich bestrebt, dieses Wissen sich nicht hervor - drängen zu lassen; denn mein Ziel war nicht, neue Thatsachen vor - zubringen, sondern Allbekanntes zu gestalten, ich meine in der Art zu gestalten, dass es vor dem Bewusstsein ein lebendiges Ganzes bilde. Was Schiller von der Schönheit sagt sie sei zugleich unser Zustand und unsere That gestattet eine Anwendung auf das Wissen. Zunächst ist Wissen etwas rein Gegenständliches, es bildet keinen Bestandteil der wissenden Person; wird aber dieses Wissen » gestaltet «, so tritt es in das Bewusstsein als lebendiger Bestandteil desselben ein und ist nun - mehr » ein Zustand unseres Subjektes «. Dieses Wissen kann ich jetzt von allen Seiten betrachten, es gewissermassen um - und umwenden. Das ist schon viel gewonnen, sehr viel. Doch es kommt noch mehr. Ein Wissen, das ein Zustand meines Ich geworden ist, betrachte ich nicht bloss, ich fühle es; es ist ein Teil meines Lebens: » mit einem Wort, es ist zugleich mein Zustand und meine That «. Wissen zu That umwandeln! die Vergangenheit so zusammenfassen, nicht dass man mit hohler, erborgter Gelehrsamkeit über längst verscharrte Dinge prunke, sondern, dass das Wissen von dem Vergangenen eine lebendige, bestimmende Kraft der Gegenwart werde! ein Wissen, so tief ins Bewusstsein eingedrungen, dass es auch unbewusst das Urteil bestimme! Gewiss ein hohes, erstrebenswertes Ziel. Und zwar um so erstrebenswerter, je unübersichtlicher alles Wissen durch die zu - nehmende Anhäufung des Gewussten wird. » Um sich aus der grenzen - losen Vielfachheit wieder ins Einfache zu retten, muss man sich immer die Frage vorlegen: wie würde sich Plato benommen haben «? so belehrt uns unser grösster Germane, Goethe. Doch möchte man bei diesem Spruche schier verzweifeln, denn wer wagt es, zu antworten:64*1004Die Entstehung einer neuen Welt.so hätte ein heutiger, germanischer Plato die Sache angefasst, um sie wieder ins Einfache (und das heisst ins Lebensfähige) zu retten?

Dass es mir in diesem Buche gelungen sei, die Grundlagen unseres Jahrhunderts nach diesem Grundsatz zu gestalten, wäre ich der Letzte zu behaupten. Zwischen der Inangriffnahme und der Vollendung eines derartigen Unternehmens leiden zu viele Absichten und Hoffnungen an den engen, schroffen Grenzen des eigenen Vermögens Schiffbruch, als dass man nicht mit Demut den Schlusstrich ziehen sollte. Was daran gelungen sein mag, verdanke ich jenen Grössten unseres Stammes, auf die ich die Augen unwandelbar gerichtet hielt.

[1005]

REGISTER

  • Abälard, Peter13,246,431,469 fg.,478,613,860,865 fg.,875,885.
  • Aberglaube, der100 fg.,899.
  • Abert, Fr.683.
  • Ablass, der599,620,626,826.
  • Abraham,350 fg.,356,362,366.
  • Abrahams, Israel333.
  • Abu Bekr379.
  • Adam, Jean585.
  • Adam de la Halle14.
  • Aeschylus27,183,994.
  • Aeterni patris, die Bulle682 fg.,765,863.
  • Agnation, die136.
  • Ägypter, die43,69,70,80,87,383,746; ihr Monotheismus402 fg., ihre Triaden555; ihr letztes Gericht573; Buckle’s Theorie706.
  • Akiba, Rabbi243,344,382.
  • Alarodier, die (siehe Syrier).
  • Albertus Magnus13,518,756,861,863,911.
  • Albigenser, die470.
  • Albrecht, Erzbischof von Mainz826.
  • Alchymie, die756.
  • Alcibiades95.
  • Alcuin652.
  • Aleander, der Nuntius842,843,850
  • Alembert, Jean d175.
  • Alexander der Grosse124,139,213,547,667,750.
  • Alfred, König9,317 fg.,469,660,762.
  • Alityrus143.
  • Allard, Paul144.
  • Alliance Israëlite, die218,327,332.
  • Amalrich von Chartres866,881.
  • Ambros, Aug. Wilh.743,959,960,976,977,980,981.
  • Ambrosius304,442,446,549,580,597,630,750,764.
  • Ameisen, die23,57,59.
  • Amerika (siehe Engländer, Columbus, Entdeckung u. s. w.).
  • Amoriter, die354,366 fg.,371,378,387,389,484.
  • Amos342,421,423,436 fg.,447.
  • Anacharsis97.
  • Anaxagoras80.
  • Anaximander84,106,107.
  • Angelsachsen (siehe Engländer).
  • Angelus Silesius867.
  • Anonyme Kräfte24,129 fg.,185,755 fg.,822 fg,945.
  • Anquetil du Perron, A. H.29.
  • Anselm863,865,872.
  • Antisemitismus, der267,569,878.
  • Antoninus Pius147.
  • Antonius, der Einsiedler559.
  • Apelles963.
  • Apostolischen Konstitutionen, die638,643.
  • Apulejus105,301,306,636.
  • Araber, die8,140,349 fg.,380 fg.,348,390,817 fg. (siehe auch Be - duinen).
  • Aratus581.
  • Archimedes76,82,89,773,781.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 651006Register.
  • Architektur, die14,709,956,988 fg.
  • Arianismus, der512 fg.
  • Arier, die121 fg.,221 fg.,234,267 fg.,292,343,367,379,380,493,503,526,553 fg.,707 fg.,804,934.
  • Ariost695,697.
  • Aristarch (von Samos)76,86 fg,295,759,964.
  • Aristeides175.
  • Aristophanes90,172,303.
  • Aristoteles69,76,82 fg.,85,87,89,96,98,103,105,106,107,109,110,114,116,173,175,295,503,509,529,552,556,592,682 fg.,713,732,759,774,787 fg.,789 fg.,793,795,899,900,907,917,919,937,963,964,965,996.
  • Arius603.
  • Arkwright, Richard814.
  • Armenier, die43,357,358,360,389 fg.
  • Arnold von Brescia613.
  • Arnulf, Kaiser676.
  • Artaxerxes434.
  • Artevelde, Jakob van812.
  • Aruntas, die134.
  • Askese, die308 fg.,524 fg.,559,610.
  • Assyrer, die69,380.
  • Astronomie, die41 fg.,86 fg.,764,771 fg.,782,924.
  • Athener, die33,96,124,129,165,273,280,288,293.
  • Australien134,857.
  • Autonomie, die (des Willens)509 fg.,939 fg.,949.
  • Avenel, Vicomte d831.
  • Auerbach, Berthold327.
  • Augustinus129,142,189,224 fg.,244,246,256,305 fg.,307,313,515,520,525,538,563,565,566,575,578 fg.,585,588,593 600,600,614,615,616,622,632,633,637,638 fg.,648,660,670,671,672,678,713,750,764,770,850,860,885.
  • Augustus146,148,505.
  • Aurelianus572,626.
  • Avicenna85.
  • Avigdor, Isaac Samuel341.
  • Babylonier, die137,170,372,380.
  • Bach, Joh. Seb.73,74,296,502,762,954,961,968,969,970,982,984,985,994.
  • Bacon, Francis49,110,168,704,763,788,797,841,859,890,900.
  • Bacon, Roger13,20,28,381,519,763,765,766,768,773,775,778,786,788,838,861,864,866 fg.871,898,899,900,911,966.
  • Bailly, Jean852,967.
  • Bakairi, die56.
  • Balzac, Honoré de500,501,620.
  • Barnato, (Diamanten -)344.
  • Barth, A.396.
  • Bartolommeo, Fra698.
  • Baruch, Apokalypse des403,449.
  • Basken, die491,521 fg.,525 fg.
  • Bastian, Adolf56,234,274,494,521.
  • Bauer, Wilhelm86.
  • Bauern, die Geschichte unserer829 fg.
  • Bauhin, Caspar790.
  • Baumgarten, Alex. G.890.
  • Bayle, Pierre585,785.
  • Bayreuther Blätter, die81,112,987.
  • Becher, J. J.802.
  • Beda (Venerabilis)431.
  • Bédarride341.
  • Beduinen, die349 fg.,355 fg.,358,360,361,379 fg.,390,392,401. (Siehe auch Araber, Homo arabicus, Semit).
  • Beer, Adolf30.
  • Beethoven20,22,53,296,510,537,952,960,982 fg.,984,985,987,994,1000 fg.,1002.
  • Beichtzwang, der838,840.
  • Belt, 57.
  • Benfey, Theodor408.
  • Berengar von Tours641.
  • Berger, Hugo84,85.
  • Bergk, Theodor65,66,68.
  • Berkeley, George783,786,902,913.
  • Bernard, Claude107.
1007Register.
  • Bernhard von Clairvaux613,622,646.
  • Bernouilli603.
  • Bernstein, Ed.836.
  • Berosus398.
  • Berthelot, M. P. E.756.
  • Bessemer, Henry510.
  • Bethe, Albr.59.
  • Bhagavadgîtâ, die556.
  • Bibel, die233 fg.,332,400,453 fg. ; ihre Entstehung431 fg. ; die Schöpfungs - geschichte394; die zehn Gebote419; das Buch Deuteronomium425,426,430,431,448; ihre Bedeutung im geistigen Leben der Juden381 fg. ;435 fg.,453 fg. ; ihre Verbreitung in germanischen Ländern670,818 fg. ; Rom’s Verbot, sie zu lesen518 fg.,643,670,819.
  • und Christus228 fg.
  • und Cardinal Manning647.
  • und die Gnostiker570.
  • und Goethe419,454 fg.,973.
  • und die Goten512 fg.,518,626,749 fg.
  • und Herder455.
  • und Kant942.
  • und Karl der Grosse617.
  • und die Mystiker878.
  • und die Waldenser643.
  • Citate aus dem Alten Testament: Amos378,421,436 (2),439 (2); Chronica363,368; Daniel402; Deuteronomium228,324,326,331,367,402 (2),403,424,425,426,431; Esra326,354,768; Esther576; Exodus243,326,331,402,419 (2),448; Genesis245,351 (3),352 (3),362 (3),366,398 (2),399,419,798; Haggai448; Hesekiel232,243,342,368,428 (2),447,452; Hosea437,625; Jeremia47,229,331,332,374 (2),438 (2),439 (2),456; Jesaia47,226 (2),228,379,393,399,403,423,431,436,437 (2),438,439 (2),447 (6),448,452,454,574; Jesus Sirach200,402,440 (4); Joël344; Josua367,368;Klagelieder453; Könige211,213,219,425; Leviticus229,434,444; Makkabäer433; Micha437,439; Nehemia326,430,434,435 (2); Numeri366,419,453; Prediger Salomo202,234,440; Psalmen228,236,246,438 (3),444; Richter211,364,365,377; Ruth446; Samuel365 (2),366,367 (4),368 (2),369 (3),376,377,402,417,564; Tobias431; Zacharia214,417 (2).
  • Bibel, die, Citate aus dem Neuen Testa - ment: Matthäus199 fg. (9),227 (2),228,229,230,240,373,409,449 (2),564,567,595,615,622,648; Marcus204,209,227,455; Lukas449,564; Johannes200; Apostel - geschichte581,582; Jakobusbrief203,567,589; Paulus an die Römer224,458,562,563,581,584 (6),585,586 (3),590; an die Korinther203,204,579,582,583,587,589,590; an die Galater567,583,584,585,588,589 (2),591,615; an die Epheser584,590; an die Phi - lipper579,580,581,584,590; an die Colosser582,589; an Timo - theus601; an Titus585,601.
  • Bichat,28,80,730 fg.,779,780,784,796,971.
  • Biedermann, W. von950,995.
  • Bilderverehrung, der Streit um die559,612 fg.,618 fg.
  • Binding, 152.
  • Bismarck, Fürst301,342,510,610,670,678.
  • Bleichröder, Gerson335.
  • Blücher92.
  • Boccaccio620,894.
  • Bodenstedt, Fr. von474.
  • Bodin, Jean849.
  • Boerhaave, Herm.890.
  • Bogumil476.
  • Böhm-Bawerk, Eug. von821.
  • Böhme, Jakob523,723,867,878,880 fg.,883,885,888,891,931.
  • Boileau, Nicolas894.
65*1008Register.
  • Bonaventura867,877,878.
  • Bopp, Franz732.
  • Bosniaken, die45,472,476 fg.
  • Bossuet139.
  • Botanik, die789 fg.,795 fg,805 fg.
  • Botticelli, Sandro697.
  • Bourignon, Antoinette881.
  • Boyle, Robert802 fg.
  • Brandt, M. von744.
  • Brehm, A. E.57,60.
  • Brescia, Arnold von698.
  • Broca, Paul906.
  • Brockhaus, Heinrich854.
  • Brück, Heinrich625,632,641.
  • Bruckmann, Hugo XI.
  • Bruno, Giordano86,87,175,329,519,697,698,774,859,885,900.
  • Bryce, James180,674.
  • Buchdruck, der519,538,723,742,815 fg.,818 fg.
  • Buchstabenschrift, Erfindung der381.
  • Buckle, Henry Thomas288,706,708,718,723,727.
  • Buddha191,193,196,197 fg.,209,556,568,951.
  • Buddhismus, der646.
  • Budge, E. A. W.350,403,555,573.
  • Buffon, George926.
  • Bunsen, Christian von619.
  • Bunsen, Rob. Wilh.28,732.
  • Bunyan, John882 fg.
  • Burckhardt, Jacob727.
  • Burckhardt, Joh. Ludwig349,379,390,402,404.
  • Bürger, G. A.257.
  • Burgh, Hubert de662.
  • Burke, Edmund338.
  • Burns, Robert487.
  • Buss,665,698.
  • Bussell, F. W.106.
  • Butler, Bischof937.
  • Byron, Lord117,183,611,722,957,985.
  • Caesar, Julius125 fg.,142,145,148,150,296,335,468,505,652.
  • Calderon27,244,303,484,969 fg.,985.
  • Caligula143.
  • Calvin520,678,842,845.
  • Campanella, Tommaso519,697,698,900.
  • Candolle, Alphonse De289,905 fg.,908,911.
  • Candolle, Augustin Pyrame De495.
  • Canisius (De Hond)480.
  • Çankara81,103,107,111,395,407,413,524,563.
  • Canova, Antonio76.
  • Cantor, Mor.88.
  • Capito, C. Atejus174.
  • Caracalla147,153,296,298.
  • Cardanus783,864.
  • Carey, Henry Charles821.
  • Carlyle, Thomas339,375,392,407,412,851,984,989.
  • Carnot, Nicolas784,805.
  • Carus, Karl Gustav742.
  • Cato126.
  • Catull180.
  • Cavour, Camillo di698.
  • Celius142.
  • Cervantes246,680.
  • Chamberlain, Houston Stewart VII XI,471,805 fg.,987,1004.
  • Chândogya27,524.
  • Chantepie de la Saussaye, P. D.417.
  • Charcot, Jean M.524.
  • Chaucer969.
  • Chemie, die22,755 fg.,801 fg.
  • Cheyne, T.K.345,421,424,438,447,636.
  • Chinesen, die42,43,69,100,503,707,710 fg.,712,741 744,745,753 fg,816 fg.,823,828,974.
  • Chrestien de Troyes14,471.
  • Christen, die44,196,250 fg. (siehe christliche Religion, römische Kirche u. s. w.).
  • Christenverfolgungen, die143 fg.
  • Christliche Religion, die: der leben - gebende Mittelpunkt189 fg.,250 fg.,647 fg. ; der Grundgedanke559 fg., die Hauptlehre199 fg.,567 fg.,777,877,932, 933; bedeutet das Aut - treten einer neuen Menschenart204,207 fg., 942; bildet einen Gegensatz1009Register.zu aller semitischen Religion227 fg.,414 fg.,576 fg. ; enthält anarchische Tendenzen44,180.
  • Die historischen Verhältnisse am Ursprung547 fg. ; die zwei Grund - pfeiler550 fg.,576 fg., 592; das Zwitterwesen549 fg.,578 fg.,587 fg.,592,600 fg., 860; die christliche Dogmatik555,572,599,601 fg. 639; der Kampf um die Gestaltung des Glaubens540 fg., 548 647; der Wendepunkt559,594 fg. ; reiche Sektenbildung schon in frühen Zeiten578; die gewaltsame Massen - bekehrung und ihre Folgen558 fg.,594 fg. ; die drei Hauptrichtungen600 fg. ; das hellenische Christen - tum601 608; das germanische Christentum608 626; das römische Christentum626 644.
  • Christliche Religion: Einführung in die: der ägyptischen Triaden555.
  • Einführung in die: der altarischen Mythologie553 fg.,562 fg.,601 fg.
  • Einführung in die: der altheidnischen Götter612,619.
  • Einführung in die: der heidnischen Mysterien606,635 fg.
  • Einführung in die: des Isiskultus549,557 fg.,605 fg.
  • Einführung in die: der jüdischen Intoleranz571 fg.,592.
  • Einfühlung in die: der jüdischen Opfertheorie639,644.
  • Einführung in die: der jüdischen Vor - stellung von Lohn und Strafe573 fg.,587,886 u. s. w.
  • Einführung in die: der jüdischen Weltchronik570 fg.,583,586,776.
  • Einführung in die: der orientalischen Magie549,557,639 fg,776.
  • Einführung in die: des semitischen Religionswillens568 fg.,592.
  • Einführung in die: der stoischen Lebenslehren549.
  • (siehe auch Christus, römische Kirche, Glaubensbekenntnis u. s. w.).
  • Christus42,48,180,189 251,256,308,329,330,341,391,409,439,441,448,455,545 fg.,551,552,556,562,563,567,568,570 fg.,579 fg.,590 fg.,606 fg.,613,615,622,646,647 fg.,667,672,749,777,871 fg.,877,932,935,942 fg.,951 fg.,988.
  • Chrysostomus308,595,638.
  • Cicero87,117,124,130,157,159,160,171,173,184,335,549,550,580,593,637.
  • Cimabue14.
  • Cimon89.
  • Civilisation, die: Definition und Gliederung62,731; ist von Kultur ganz verschieden72,744 fg. ; be - zeichnet nur ein Relatives62 fg. ; ist durchaus vergänglich809 812; wird teuer bezahlt718; bei den Germanen749,815 fg.,1002 fg. ; ist bei uns eine » papierne «815 fg.
  • Clarac, Comte de512.
  • Claus, Carl285.
  • Clemens, von Alexandrien627.
  • Clemens, von Rom575.
  • Clément, Jacques841.
  • Clifford, William K.58.
  • Colebrooke, Henry T.112,760,796.
  • Coleman, Edward856.
  • Coligny, Admiral481.
  • Columbus756,768,775,829,923,968.
  • Concilien (und Synoden), die
  • im Jahre325 zu Nicäa603.
  • im Jahre381 zu Konstantinopel604.
  • im Jahre431 zu Ephesus604,605.
  • im Jahre449 zu Ephesus605.
  • im Jahre543 zu Konstantinopel602,634.
  • im Jahre680 zu Rom598.
  • im Jahre787 zu Nicäa618.
  • im Jahre1076 zu Worms654.
  • im Jahre1215 im Lateran644,840.
  • im Jahre1227 zu Narbonne644.
  • im Jahre1229 zu Toulouse643.
  • im Jahre1234 zu Nympha643.
  • im Jahre1545 fg. zu Trient101,181,1010Register.614,622,623,629,643,671,672,843,960.
  • Concilien (und Synoden), die im Jahre1870 im Vatikan679,851.
  • Condillac, Etienne B. de913.
  • Condorcet, Marquis de926.
  • Confucius743,744.
  • Constantius II307,558.
  • Coornhert, Dirck892.
  • Cornelius, Peter836.
  • Corpus juris, das153,168 fg.,256.
  • Correggio695.
  • Costantini, M.341.
  • Cousin, Victor950.
  • Crescenzi, Pietro832.
  • Crispi, Francesco698.
  • Crompton, Samuel510,814.
  • Cromwell469,836,841,856.
  • Cunningham, W.339,811,821.
  • Curtius, Ernst94,224 fg.,279,280.
  • Curtze, M.86.
  • Cusanus (siehe Krebs).
  • Cuvier28,114,729,732,966.
  • Cyrillus (von Alexandria)605.
  • Cyrillus (Apostel der Slaven)476.
  • Dahn, Felix103,512,513.
  • Dalberg, Fürst339.
  • Dämonenglaube, der98,112 fg.
  • Dampfmaschine, die21,810,813,821.
  • Dante13,14,20,73,499 fg.,501,502,518,614,615,617,619 fg.,621,655 fg.,686,695,713,743,823,871,888,892,975,984,994,1002.
  • Darmesteter, James337,394,399,564.
  • Darwin, Charles IX,24,56,57,107,194,220,265,278,284,482,497,717,732,738,805.
  • Darwin, George283.
  • Darwinismus, der715,786,805.
  • David, König365,366,367 fg.,369 fg.,377,402,417,419,420,487,569.
  • Decaisne, J.792.
  • Déclaration des droits de l’homme, die337,723,852 fg -
  • Declaration of Independence, die723,853.
  • Deismus, der935,952.
  • Delitzsch, Franz381,399,436.
  • Demokrit27,62,76,78,80,82,106,116,173,207,759,800,802,860,965.
  • Demosthenes,558,593.
  • Descartes, René59,79,110,223,774,784,860,901 fg.,908 fg.,911 fg.,914 fg.,917,919,920 fg.,926,929,930,932.
  • Deussen, Paul81,104,383,407,860.
  • Deuterojesaia393,399,411,435,436 fg.,438.
  • Deutschen, die171 fg.,281,294,483 fg.,530,749,857,858.
  • De Wette, W.326,345.
  • Diaspora, die143,581.
  • Dichtkunst, die14,947,948,955 fg.,974 fg. ; germanische Dichtkunst958 fg,984 fg. ; hellenische Dicht - kunst63 fg.,182,956, 959; keltische Dichtkunst470 fg. ; römische Dicht - kunst70, slavische Dichtkunst472 fg.
  • Diderot201,243,329,407,879,896.
  • Dietrich von Bern10,305,314,315 fg,517.
  • Dilettantismus, der VII fg.,915.
  • Dillmann, C. F. A.419.
  • Diocletian125,147,148,307,652.
  • Diogenes Laertius173.
  • Diokles71.
  • Dionysius von Halikarnass135,136.
  • Disraeli, Benjamin273.
  • Dogma, das83,98,406 fg.,572,593,664.
  • Döllinger, Ignaz von15,113,326,458,478,480,516,518,614,632,644,679,850,892.
  • Domitian143.
  • Donatello695,697,991 fg.
  • Drako97,175.
  • Draper, John W.727.
  • Dreieinigkeit, die98,105,554 fg.,570.
  • Dreissigjährige Krieg, der515,854.
  • Drumont, Edouard331.
  • Driver, Professor431.
  • Duhm, Bernhard345,427,438,439 fg.
1011Register.
  • Duhr, Bernhard527.
  • Duncker, Max68,92,355.
  • Duns Scotus13,469,861,866 fg.,868 fg.,870 fg,877,883,895,898,928,931.
  • Dunstan318.
  • duplex potestas, die Theorie der654 658.
  • Du Pratz, Le Page757.
  • Dürer, Albrecht504,820,954,956,967,992,993,998.
  • Duruy, Victor128.
  • Dutrochet, Henri805 fg.
  • Eck, Johann850.
  • Eckermann, Johann Peter32,92,329,486,749.
  • Eckhart, Meister861,866 fg.,868,876,877,879,880,882,883,885,886,933,937.
  • Edison, T. A.510.
  • Egibi, Brüder530.
  • Ehe, die132 fg.,176 fg.,325 fg.
  • Ehrenberg, Richard825,826,827,833.
  • Ehrenreich, Paul269.
  • Eleasar, der Galiläer216.
  • Eleaten, die79,80.
  • Elektricität, die21,538,759,814.
  • Elias416,420 fg.,436.
  • Elisa421.
  • Elisabeth, Königin674,841.
  • Emerson, Oliver F.318.
  • Emerson, Ralph Waldo279,734.
  • Emin Pascha60.
  • Empedokles85,89.
  • Endlicher, Stephan L.729.
  • Engels, Friedrich835,836.
  • Engländer, die274,279,286,291 fg.,485,734,854 fg.
  • Engzucht, die282 fg.
  • Entdeckung, die61,159,731 fg.,741,752 778,992.
  • Entwickelungstheorie, die24 fg.,74,115,132,167. (Siehe auch Darwinismus.)
  • Epikur71,73.
  • Epimenides581.
  • Epiphanius578.
  • Eranier, die561,817,818.
  • Erasmus827,835,848,892.
  • Erathostenes84.
  • Erfahrung, die918,920 fg.,929,935 fg.
  • Erfindung, die61.
  • Erlösung, die373,393,413,559 fg.,564,567 fg.,584 fg.,597,877.
  • Esau362.
  • Esmarch, Karl126,138,152,164,178,185,629.
  • Esra432,434,435,436,451,452,458.
  • Ethik, die (siehe Religion u. Sittlichkeit).
  • Eucharistie, die echte638 fg.,643.
  • Euklid76,88,295,759,785,786.
  • Eumolpos67.
  • Euripides581.
  • Eusebius308,631.
  • Ewald, Georg H. A.215,345.
  • Eyck, Brüder van992.
  • Eyre, Edward John133.
  • Ezekia, der Galiläer215.
  • Faber, Peter522.
  • Fachwissen, das VIII fg.
  • Familie, die46,133 fg.,174 fg.,179.
  • Faraday, Michael760,761.
  • Faustina147.
  • Ferdinand II810.
  • Feuerbach, Ludwig902.
  • Fichte, J. G.918,950.
  • Finlay, George273.
  • Fischart, Johann505.
  • Fiske, John11,675,716 fg.,768,770,968.
  • Flach, Hans66,90.
  • Flinders Petrie, W. M.367,557,746.
  • Flint, Robert379.
  • Florenz695.
  • Florus, Julius467.
  • Fortlage, Arnold959.
  • Fortschritt, der10,32,62,167,714 bis720,831.
  • Fraas, Karl N.831.
  • Fracastorius85.
  • Franzosen, die281,485,661,857.
  • Franz von Assisi12,13,74,613,1012Register.738,858,861,867,869,872 fg.,879,887 fg.,927 fg.,957,971,975.
  • Freiheit, die95,98,99,503 fg.,528,663,695,874,875,897,934,937,953,955,972.
  • Fremantle, W. H.478.
  • Freud, Siegmund524.
  • Friedrich I., der Rotbart654,662,664.
  • II., der Hohenstaufe336,664,668,678.
  • der Grosse296,336,461,723,903,999.
  • Wilhelm III .23.
  • Fronleichnamsfest, das635.
  • Fromentin, Eugène951.
  • Fugger, die Familie825 fg.,829,834.
  • Gaius160 fg.
  • Galater, die468.
  • Galiläer, die211 216.
  • Galilei28,86,87,519,695,697,698,773,778,795 fg.,801,904,967,968,969.
  • Gallikanische Kirche, die614,676,722,843,850,853.
  • Galvani, Luigi732,735,752.
  • Garbe, Richard80,313,398,407.
  • Gardner, E. G.622.
  • Gassendi, Petrus110,519,900,967.
  • Gegenbaur, Carl59.
  • Geiger, Aloys825.
  • Genie, das26 fg.,69 fg.,182,250,527,666,669,797 fg.,895 fg,907,945,948,951,963 fg.,966,972 fg.,980.
  • Gentz, Friedrich von339.
  • Gerade, Paul944.
  • Gerhardt (Mathematiker)779,820.
  • Germanen, die: Definition des Be - griffes464 fg.,481,486,527 fg. (Ursprung des Wortes467); Er - weiterung des Begriffes466 fg,481,710; Beschränkung des Be - griffes482 fg. ; Vielgestaltigkeit dieser Menschenart661 fg.,701 fg,710,857; Infiltration ungermanischer Rassen490 fg.,526,697 fg,703;Haarfarbe486 fg. ; Schädelform466,489 fg. ; Physiognomik499 fg. ; Gesamtrassenbild496 fg. ; all - gemeine Charakteristik und ver - gleichende Wertschätzung747 fg. ; Eintritt in die Weltgeschichte8 fg.,259 fg.,313 fg,463 531; Erretter der Kultur463 fg. ; Erretter des Christenthums623 fg.
  • Germanen, die: ihre Ideale473 fg.,504,529 fg. ; Ideal und Praxis510; ihre Em - pörung gegen römische Ideale513,609 623,642,644 fg.,700,819,842 fg.,855 fg.,879 fg. ; glaubten nicht an den Teufel626, noch an die Hölle878 fg. ; besassen kein Priesterthum626; der Konflikt zwischen Germanen und Nicht - Germanen511 fg.,520 fg.,662 fg.,668,676 fg.,684 fg.,697 fg,; wie die Germanen ihre Freiheit ver - loren516 fg,665.
  • der: Aufnahmefähigkeit761.
  • der: Civilisation749.
  • der: Entdeckungswerk752 778
  • der: Expansionskraft358,724,854 fg.,857.
  • der: Freiheit503 fg,511,517,528,529,537,695.
  • der: Gesinnung686
  • der: Gestaltungskraft787.
  • der: Goldgier755 fg.,768.
  • der: Grausamkeit726,757.
  • der: Individualismus661 fg.,702
  • der: Industrie812 821.
  • der: innere Gegensätze723,776 fg.,952,997 fg.
  • der: Konzentrationskraft724.
  • der: Kultur685, (693 1004),700 fg.,725 fg.,749,1002 fg.
  • der: Kunst (946 1004), Verehrung für Kunstwerke512, erste Regungen künstlerischer Schöpferkraft974 fg. ; Schöpfer der » Renaissance «695 fg.,991 fg. ; besondere Charakteristika979 fg,987 fg.,989 fg., 1001; germ. Tonkunst959 fg.,976 fg.
1013Register.
  • Germanen, der: Leidenschaftlichkeit757 fg.
  • der: Notwendigkeitsglaube242 fg.,244,624,776 fg.,924 u. s. w.
  • der: Pflichtgefühl528,685,855,939,941.
  • der: Politik668,676,685 fg.,809 fg.,827 fg.,838 858,869 u. s. w.
  • der: Religion623 fg.,633,645,749 751,775 fg.,933,937 946,949,950 fg.
  • der: schöpferische Anlagen503 fg.,508 fg., (siehe auch Kunst).
  • der: Toleranz512,515,678,849.
  • der: Treue504 fg.,513,528.
  • der: verräterische Politik726,757.
  • der: Weltanschauung775 fg., (858 bis946),870 fg.,945,948.
  • der: Wirtschaft822 838.
  • der: Wissenschaft778 808.
  • Germanen und Hellenen, Ver - gleiche zwischen, im Allgemeinen747 fg.,996.
  • als Seefahrer695.
  • als Staatenbildner504.
  • als Theoretiker510.
  • in Bezug auf die Entwickelungs - stufe62 fg.,719 fg.
  • in Bezug auf die Kunst74,978 fg., (Musik)988,994 997,998.
  • in Bezug auf Mathematik781 fg.
  • in Bezug auf Naturwissenschaft759 fg.,787 fg.,789 fg.,996.
  • in Bezug auf den Rassenreichtum702.
  • in Bezug auf die Treue507.
  • in Bezug auf die Weltanschauung736,751,919,996.
  • Geschichte, die6,8,42 fg.,45,48,94,494,893.
  • Geschichtsphilosophie, die4,48,118,310 fg.,729 751,961 971.
  • Gesenius, Wilhelm369.
  • Gesetz, das (siehe Recht).
  • Gessner, Konrad966.
  • Gestalten, das75 fg.,82,787,1003.
  • Geten, die102,103.
  • Gevaert, François14.
  • Gibbins, H. de B.830,837.
  • Gibbon, Edward124,265,273,512,605.
  • Giddings, Franklin H.56.
  • Gilbert, William759,760,802.
  • Giotto14,695,966,1002.
  • Glaube, der400 fg.,405 fg.,410,414,584 fg. (Siehe auch Indoarier, Juden u. s. w.)
  • Glaubensbekenntnis, das afri - kanische634.
  • apostolische409,610,677.
  • athanasische409.
  • konstantinopolitanische604.
  • nicänische603.
  • Gluck969 fg.,982,986.
  • Gnade, die393,410,413,439,440,560 fg.,564,567 fg.,584 fg.,597,598,624,640.
  • Gnosis, die241,570.
  • Gobineau, Comte de92,93,257,266 fg.,280,309,314,355,701,708,740.
  • Goethe24,25,27,32,53,64,65,71,77,114,234,244,281,300,318,336,392,405 fg.,408 fg.,419,470,502,537,539,581,663,670,681,683,702,715,759,762,786,804,805,848,859,864,890 fg.,937,940,944,947,950,956,965,966,969 fg.,972,985,986 fg.,989,994 fg.,999,1000,1002.
  • Goethe citirt VII,1,16,17,26,30,31,32,37,62,64,69,77,79,92,95,119,193,221,222,234,242,253,257,270,272,277,291,292,328 fg.,336,343,375,377,392,393,394,396, 405(2),407,413,419,454,465,482,508,509,525,527,528,530,536,554,630,663,685,689,700,704,705,725,729,733,737,748,749,753 (2),754,762,769,776,779,780 (2),788,793,799,800 (2),804,811,820,822,826,848,858,891 (2),897,907,909,915 fg.,922,924,925,929,930,932,934, 940(2),944,65a1014Register.945,947,948, 950(3),953,955,969,970,971,972,973,983,987 (3),990,993,995 (3),997,999,1003 (2).
  • Goetzendienst, der (siehe Religion).
  • Gomperz, Theodor96,107.
  • Gooch, G. P.836.
  • Goten, die103,512,518,593,694,749,959.
  • Gothein, Eberhard521,523,665.
  • Gottesgnadentum, das155,657.
  • Gottfried von Strassburg14,471,957.
  • Gottschalk, Graf640.
  • Goudimel, Claude960.
  • Graetz, Hirsch144,212,214,215,216,223,226,243,276,329,333,334,339,341,373,382,394,397,410,420,421,445,559,565,581.
  • Gratian, Kaiser627.
  • Gratian, Magister679.
  • Grau, Rud. Fr.384.
  • Green, John R.318,674,820,856.
  • Gregor von Nazianz604.
  • Griechen, die (siehe Hellenen).
  • Grimm, Jakob IX,29,103,167,177,179,554,623,702,724,732.
  • Grosse, Ernst133.
  • Grossetête, Robert832.
  • Grote, George94.
  • Grothe, Hermann814,965.
  • Grotius, Hugo161.
  • Grün, Karl727.
  • Grünwald, Seligmann228,445,452.
  • Guido von Arezzo981.
  • Guimet, Musée557.
  • Guise, Cardinal de481.
  • Gustav Adolf849.
  • Gutenberg, Joh.819.
  • Guttmann, Dr. J.863.
  • Gutzkow, Karl164.
  • Habsburg, das Haus23,614,669,827,847,854.
  • Habsburg, Rudolf von333.
  • Hadrian147,150.
  • Haeckel, Ernst87,122,282,292,409,738,805.
  • Hales, Stephen760,805 fg.
  • Halévy, Joseph381.
  • Haller, Albr. von889.
  • Hamann, Johann G.551,896.
  • Hamiten, die121.
  • Händel969,982.
  • Hannibal139.
  • Hansa, die12,828,829.
  • Hardenberg, Karl Aug. Fürst von339.
  • Hargreaves, James814.
  • Harnack, Adolf409,548,551,565,574,583,598,599,610,630,634,677,750,845,846.
  • Hartmann, Eduard von860.
  • Hartmann, R.269.
  • Hartmann von Aue14.
  • Harun-al-Raschid380,817.
  • Harvey, William778,899,969.
  • Hatch, Edwin549,570,608,627,638.
  • Hausegger, Friedr. von978.
  • Hausrath, A.246.
  • Haydn970,982.
  • Hearn, Lafcadio274.
  • Hebräer, die348,353,357,358. (siehe auch Juden und Israeliten).
  • Hefele, Karl J. von549,598,604,612,613,618,626,632,633,634,641,643,644,646,654,658,673,674.
  • Hegel, Georg W. F. IX,114,162,555,683,780,870,912,918,962.
  • Heine, Heinrich105,299,300,303,443.
  • Heinrich III841.
  • IV653,654,841,852.
  • VIII674,855.
  • Held, der22 fg.,294 fg.,478,896.
  • Helfferich646.
  • Heliogabalus298.
  • Heliozentrische Weltsystem, das41 fg.,86 fg.,538.
  • Hellenen, die: Entstehung der Rasse272 fg.,279 fg.,285 fg. ; Entartung der Rasse266,378; Schädelform490; Analyse der Individualität996 fg. ; Unvergleichlichkeit746 fg. ; be - deuten die Geburt des » Menschen «45 fg. ; Bedeutung der Persönlichkeit69 fg. Schöpferkraft761: Bedeutung1015Register.der Begrenzung667,996; die an - gebliche » Menschheit «705; Ehrbe - griffe473; Stolz530; Untreue95,473,507; angebliche Heiterkeit560,561; allgemein kritische Betrachtung63 118; Volk und Helden295; Verwandtschaft mit den Germanen702 u. s. w. ; Auffassung des Christen - tums601 608; Politik91 fg., 750; Wirtschaft823 fg. ; Metaphysik106 fg., 885; Kunst63 fg.,713 fg.,963,994 fg. ; Poesie63 fg.,182, 959; Musik959,976,979,988; Wissen - schaft83 fg,759 fg.,787 fg. 996; Religion98 106.
  • Helmholtz, Hermann von959,980.
  • Helmont, J. B. van889.
  • Helvetius92.
  • Heman, C. F.334.
  • Henke, Wilhelm470,483,485,486,489,490,502.
  • Henley, Walter832.
  • Heraklit79,80,106,107,113,116.
  • Herder17,24,25,39,82,118,128,129,222,323,324,328,336,405,430,432,454,458,463,633,712,847,887,893,894,896,925 fg.,947,976,980,982,985,986 fg.,1000.
  • Hergenröther, J.475,549,564,644,674.
  • Hermann, der Cherusker314,464.
  • Hermodorus173.
  • Hero, von Alexandrien813.
  • Herodes Antipas214.
  • Herodot67,68,71,84,90,91,92,93,95,97,102,235,242.
  • Herschel, William780.
  • Hesekiel427 fg.,432,433,434,439,451.
  • Hesiod67,89,90,100,113,561,718,737.
  • Hethiter, die354,361 fg.,376 fg.,386,389.
  • Heyne, Moriz880.
  • Hieronymus, der Kirchenvater308,513,518,559,570,633.
  • Hieronymus von Prag479.
  • Himmel, der christliche573,770,878 fg.
  • Hinde, Sidney L.140,350.
  • Hippokrates965.
  • Hirsch, Baron344.
  • Hirschel, Bernhard803,888.
  • Hiskia427.
  • Hobbes, Thomas161,900.
  • Hodgkin, Thomas515.
  • Hoefer, Ferdinand781,785.
  • Höffding, Harald581.
  • Hofmann, Friedrich890.
  • Hofmeister, Wilhelm805 fg.
  • Hogarth, David390.
  • Hohenzollern, das Haus34.
  • Holbach, Paul952.
  • Hölderlin J. C. F.53,74.
  • Holland, Thomas E.159.
  • Hölle, die christliche573,599,770 fg,878 fg.
  • Hollweck, Joseph518.
  • Holtzmann, Heinrich J.548.
  • Homer27,62,63 fg.,76,79,82,90,99,100,105,107,108,112,113,116,117,172,192,207,208,210,235,250,295,487,552,555,556,560,569,619,716,779,786,800,948,956,968,973,994.
  • Hommel, Fritz350,356,381.
  • Homo alpinus359,488 (siehe auch Iberier und Savoyard).
  • arabicus379 fg (siehe auch Beduin, Semit, u. s. w.)
  • europaeus359,366,466,478,486,859,909 (siehe auch Germane).
  • syriacus359,362,371,375 fg.,484, 503(siehe auch Syrier).
  • Hooke,802.
  • Hooker, John792.
  • Horaz146,183.
  • Hosea421,423,436 fg.,447.
  • Hosen, Kardinal481.
  • Hostie, die Adoration der635,639.
  • Huber, François57,59.
  • Hueppe, Ferdinand183,381,389,707.
  • Hugenotten, die481,847,848 fg.
1016Register.
  • Humanisten, die861 fg.,891 897,898,919,925,957.
  • Humboldt, Alexander von615,926.
  • , Wilhelm von491.
  • Hume, Thomas110,392,786,902 fg.,917,920,922,923.
  • Hus, Joh.478,479,520,654,678,882.
  • Hutten, Ulrich von529,842.
  • Huxley, Thomas VII,268.
  • Hyksos, die352.
  • Hylozoisten, die106.
  • Hypatia605.
  • Iberer, die359,484,491,521.
  • Ideal, das136,509 fg.,941 fg.
  • Idealismus, der913,916.
  • Idee, die795 fg.,802.
  • Ideen, die Macht der218,305,457,458,806,942.
  • Ignatius von Antiochien607.
  • Ilias, die27,64,80,86,88,113,242,560.
  • Imbibition, die77.
  • Index, der42,87,518 fg.
  • Indicopleustes, Cosmas770,776.
  • Indoarier, die: ihre Anthropogenie279; ihre bildende Kunst561; ihre Ehe176; ihr Einfluss auf chinesische Civili - sation742; ihre Geschichte42; ihre Götter103 fg.,245 fg. ; ihre Juris - prudenz121,172; ihre Kultur63,197 fg.,711 fg.,740 fg.,745, 753; ihre Mathematik408,782: ihr Mono - theismus224,396,402,554; ihre Musik976,977 fg. ; ihre Mystik876; ihre Philologie408; ihre Philo - sophie43,222,234,706,738; ihre Poesie408,976; ihre Religion197 fg.,230,406 fg.,410 414,624,887; ihr Sprachenreichtum63,702; ihre Treue507.
  • Indoeuropäer, die: der Begriff707; als Bildner561; sind Monotheisten224,402,554; ihre Mystik887; ihre Opfertheorie637; ihre Rechts - begriffe121; ihre religiösen An - lagen383; wirtschaftliches Leben823.
  • Indogermane, der (siehe Indoeuropäer).
  • Indologen, die29,893.
  • Industrie, die732 fg.,808 821.
  • Inguiomer464.
  • Innungen, die824 fg.
  • Inquisition, die595,644,819,877.
  • Intoleranz, die: jüdische425,428; römisch-christliche515 fg.,571 fg. ; die Intoleranz aller universalistischen Ideen678.
  • Inzucht, die274,278,282 fg.,294,701.
  • Isaak352,362.
  • Isidor’schen Dekretalien, die519,892.
  • Island318.
  • Israeliten, die: Begriffsbestimmung348 fg.,353 fg., 357; Anthropogenie der Israeliten370 fg. ; spätere Ver - mischungen364; nicht echte Se - miten347; ihre Bedeutung für die Geschichte der Juden417 fg. ; ihr Gegensatz zu den Juden389,415 fg. ; ihre Gefangenschaft212,421; an - gebliches Verhältnis zu den Eng - ländern212. (siehe Juden, Semiten).
  • Irenäus572,578,602.
  • Italiener, die8,281,289,693 700,992.
  • Jacoby, P.282.
  • Jacopone da Todi873.
  • Jacquard, Charles Marie814.
  • Jahrhundert, das elfte11,12.
  • das zwölfte11,12,815,818.
  • das dreizehnte8 fg.,19,811,817 fg.,829,832,834.
  • das vierzehnte11,811,812.
  • das fünfzehnte11,819 fg. ;829 fg.
  • das sechzehnte11,28,800,834,970.
  • das siebzehnte11,28.
  • das achtzehnte11,28,30,811,813,832.
  • das neunzehnte4 fg.,28 fg.,45,834,837.
  • Jahve117,924 fg.,930.
  • Jakob344,352,362,363,398.
  • Jakob I841.
  • Janitschek, Hubert993.
1017Register.
  • Jansenius, Cornelis614,850.
  • Janssen, Joh,519,643,670,815,818.
  • Japanesen, die274.
  • Jebb, R.65.
  • Jeremia47,331 fg.,342,399,422,426,435,436 fg.
  • Jerubbaal370,417.
  • Jerusalem: Begründung367; Zusam - mensetzung der Bevölkerung368; Zerstörung durch die Babylonier424; Theorie der alleinigen Be - rechtigung425; Vernichtung durch Rom142 fg.
  • Jesaia47,210,226,342,344,399,424,425,436 fg.,447.
  • Jesuiten, die480,481,522 fg.,567,585,599,610,626,632,641,647,665 fg.,677,679,698,722,765,783,810,842,843,847,849 fg.,856,857,876,879,909,952,971.
  • Jesus (siehe Christus).
  • Jevons, Frank Byron558.
  • Stanley821.
  • Jhering, Rudolph von IX,63,121,122,128,132 fg.,137,161,166,170,172,177,178,220,278,380,517,637.
  • Joachim, Abt614.
  • Josia424,427.
  • Josua367,370,417.
  • Johannes von Gischala215.
  • Jones, Sir William29,760.
  • Josephus440,457.
  • Josquin de Près960,981 fg.,994.
  • Jouvency, Joseph de665.
  • Juda363,419.
  • Judas, der Galiläer215.
  • Juden, die: erstes Auftreten des Be - griffes214; ihre Anthropogenie345 421; Verbot der Ehe mit Nichtjuden257 fg.,325 fg.,434, 452; Absonderung der Rasse noch heute326; Reinheit der Rasse257 fg.,273 fg.,275 fg; procentuale Angaben371 fg. ; Gestalt des Schädels361; die » Judennase «361,457; Bastardcharakter368,372,484;Rassenschuldbewusstsein372 fg., Unterscheidung zwischen Juden und Semiten267,347 fg. ; Unter - scheidung zwischen Juden und Israeliten346 fg.,415 fg., Unter - scheidung zwischen Sephardim und Aschkenazim275 fg. ; das Werden der eigentlichen » Juden «344,416 fg.,421 455; er steht höher als die anderen Semiten140; der Angel - punkt seiner Geschichte424; aus - schlaggebende Rolle des Hesekiel427 fg. ; Rolle des Esra und des Nehemia434; Verlust der hebräischen Sprache429; der » neue Bund «435 fg. ; die Bibel (siehe d. s.); die apokalyptische Litteratur449 fg. ; das » Gesetz «442,451 fg. ; die Propheten47,436 fg. ; die Rabbiner441 fg. ; späte Einführung des Mo - notheismus275,403, und zwar in verzerrter Gestalt428; Unsterblich - keitsglaube448 fg. ; Einfluss des Zoroaster399,449.
  • Juden, die: Allgemeine Charakteristik388 fg., 740; Entwickelung des Cha - rakters344; Willenskraft242 fg.,397 fg.,401,406,568 fg. ; Unvergleich - lichkeit422 fg. ; kulturelle Bedeutung46 fg,257 fg. Jüdische Religion:17 fg.,129,242,381,391 415,427 fg.,435 fg.,442, 636; ist polytheistisch224,402, ist ein Triumph des Materialismus230 fg.,247,393,398,455,564 fg.,569 fg.,776 fg., 924; bedeutet die Herrschaft der Willkür242 fg.,435,624,924 fg. ; Religion und Nation327 fg. ; die erhoffte Weltherrschaft327 fg., 448; die Messiashoffnung238 fg.,327 fg.,445 fg. ; Verwandtschaft der jüdischen Religion mit Jesuitismus445; der Begriff » Sünde « beiden Juden373 fg.,562 fg. ; die prinzipielle Intoleranz428,571 fg.,576, 678(der erste Ghetto344); grosse Glaubenskraft405 fg. ; ist allem AberglaubenChamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 661018Register.feind634,636. Jüdische Philo - sophie:381,443,450 fg.,806, 884; die Juden als Theisten und Atheisten935; ihr gänzlicher Mangel an Ver - ständnis für alle Mythologie235 fg.,397,399 fg.,562,564 fg. - dische Rechtsbegriffe170 fg.,373 fg., 453; sozialistische Tendenz247,835 fg.
  • Juden, die: ein uns fremdes Volk323 fg.,328,329 fg. ; Annäherungspunkte526; seit den ältesten Zeiten Geldwucherer430 fg., auch Rosstäuscher431; ihr Verhalten gegen Rom138,143 fg. ; ihr Verhalten auf Cypern333 fg. ; sie bereichern sich durch die Kreuz - züge333,339; erringen eine privi - legierte Stellung im Mittelalter333 fg., 833; ihr Verhalten in Spanien334; ihr Verhalten im19. Jahrhund.21 fg.,323 fg. ; ihre Beziehungen zu Fürsten und Adel338 fg. ; ihre Beziehungen zu den christlichen Kirchen340; der » reinhumanisierte « Jude458; der » äussere « und der » innere « Jude458; das » Judewerden « der Ger - manen17 fg.,457 fg.,935,946.
  • die: im Urteile grosser Männer aller Zeiten335 fg.,342.
  • die, und Kant924,946.
  • die, und Leroy-Beaulieu498.
  • die, und die Mystiker878 fg.
  • die, und Napoleon325,339,853.
  • die, und Paulus582.
  • die, und Voltaire337 fg. (siehe auch Hebräer, Israeliten u. s. w.)
  • Julianus von Eclanum565.
  • Jurisprudenz, die (siehe das Recht).
  • jus civile161,169.
  • gentium138,161,169,174.
  • gladii153.
  • naturae161 fg.
  • Jussieu, Antoine de792.
  • Antoine L. de495,729,791.
  • Bernard de791.
  • Justinian, Kaiser156,168,633.
  • Juvenal76,94,183,215,457,722.
  • Kahlbaum, Georg889.
  • Kampf ums Dasein, der716 fg.
  • Kanaaniter, die364,376.
  • Kant20,24,25,27,110,114,157,162,208,244,387,502,509,539,684,738,762,771,777 fg.,796,800,858,859,860,869,871,883,885,895,903 fg.,911,915,917,918,920,921,923 925,926,928,935,936,937 946,950,974,
  • citiert25,26,114,162,261,453,456,509 (4),510,554,684,714 (3),766,776,785,794,796,797,870 (2),883,884 (5),886 (2),887,890 (2),896,902,904 (2),905 (4),913,914,918,923 fg., 924(4),927,928,930 (2),931 (5),933,936,937,939 (2),940,941,942 (3),943 (3),945 (2),947,948,949,951,953,972.
  • Karabacek, Josef816,817.
  • Karadžic29.
  • Karl der Einfältige676,681.
  • Karl der Grosse9,317,318,334,469,514,515,617 fg.,652,656,660,661,666,670,673,676,685 fg,762,817.
  • Karl der Kahle317,640.
  • Karl Martell514.
  • Karl II856.
  • Karl V.768,827.
  • Karl XII.139,810.
  • Karthager, die137 fg.,748.
  • Kautsky, Karl835.
  • Kayserling, Meyer333.
  • Keller, Ludwig642,826,842.
  • Kelten, die: Verwandtschaft mit Ger - manen9,259,466,467 471; Haar - farbe488; Schädelform489; die Präkelten491; die Kelten in Eng - land286, in Schottland492, in Frank - reich469 fg., in Deutschland470,485,486, in Italien467,694.
  • Kelvin, Lord807.
  • Kempen, Thomas von861,878.
  • Kepler,28,42,86,889,968,969,996.
  • Kern, H.191.
1019Register.
  • Khaldun, Mohammed Ibn379,387.
  • Khayyám, Omar880.
  • Kirby, William58.
  • Kirche, die: im Allgemeinen19; Be - gründung des Begriffes425; ein Bestandteil des Staates735 fg.,839 fg.,857 fg. ; Luther und die Kirche840 fg. (Siehe Religion, römische Kirche u. s. w.)
  • Klassische, das181 fg.,994 fg.
  • Kleisthenes175.
  • Kluge, Friedrich225,381,400,561,736.
  • Knebel, K. L. von71.
  • Knuth, Paul283.
  • Koch, Max818.
  • Kollmann, Jul.490,493,494,495,498.
  • Kongoneger, die140,163.
  • König, Arthur575.
  • Konstantin148,180,513,603,621,630,664,670,892.
  • Konstantin’sche Schenkung, die519.
  • Kooperation, die822 fg.
  • Kopernikus27,28,41,42,86,87,519,773,820,904,924,953,964,967,968.
  • Kopp, Herm.756.
  • Koran, der393.
  • Krasinski, Valerian480.
  • Kraus, Franz Xaver499,620,622.
  • Krebs, Nikolaus519,766,892.
  • Kreuzzüge, die333,665,818.
  • Kropf, Franz Xaver665.
  • Kultur; die: Begriffsbestimmung62 fg. ; Analyse731,744 fg. ; Ge - gensatz zu Civilisation72; Kultur ist ein Kollektivbegriff609; Künst - lerische Kultur69 fg.,89,972 fg. ; sittliche Kultur207; Kultur und Wissen745,758; Germanische Kultur685,749,858 1004.
  • Kunst, die: Definition948,990; Be - deutung für das Menschwerden53 fg.,62 fg., 115; künstlerische Anschauung739,890 fg. ; Kunst und Natur737; Kunst und Wissen - schaft3 fg.,271,962 fg. ; Kunstund Phantasie799 fg. ; Kunst und Religion950 955: germanische Kunst946 1004; hellenische Kunst62 fg.,72 fg.,94,97,108,956,963,978 fg.,988,994 997,998. (siehe Germanen u. s. w.)
  • Kuntze, Otto XI
  • Kurfürst, der Grosse296.
  • Labeo, M. Antistius174.
  • La Chaise, Père de585,849.
  • Lafayette, Marquis de852,853.
  • Lagarde, Paul de238,483,846,876,952.
  • Laible, Heinrich330,344,449.
  • Lamennais, H. F. R. de614.
  • Lamettrie, Julien P. de913,952.
  • Lamprecht, Karl132 fg.,506,507,508,623,624,625,626,727 fg.,762,812,820,833,835,870,876,892,959.
  • Landwirtschaft, die829 832.
  • Lange, Friedrich Albert VII,101,773,778,860,891,965,
  • Lâo-tze743,754.
  • Lapouge, G. de359,378,478,486.
  • Lassen, Christian331,383 fg.,396.
  • Lasswitz, Kurd938.
  • Lavoisier28,778,804.
  • Leben, das77,78,807 fg.
  • Leber, 825.
  • Lecky, W. E. H.310,727.
  • Lehre der zwölf Apostel, die638.
  • Lehrs, K.116,117.
  • Leibniz778,783,785,870,899,901,926,982.
  • Leist, B. W.97,132 fg.,148,154,165,167,169,174,539,637.
  • Lémann, Abbé Joseph339.
  • Le Maout, Em.792.
  • Leo der Isaurier, Kaiser542,611,612,613.
  • Leon, Mose de330.
  • Leonardo da Vinci108,695,697,762,774,784,785,786,797,813,814,838,848,859.875,899,948,952,954,962,965 fg.,967,970,972 fg.,992 fg,999.
66*1020Register.
  • Leonidas,91,186.
  • Leopardi, Giacomo699.
  • Leroy-Beaulieu, Paul498.
  • Lessing31,53,947,955,961,976,980,983,986 fg.,1000.
  • Le Tellier, Père849.
  • Lichtenberg, G. Chr.42,270,799,929,943,967.
  • Liebert, Narcissus638.
  • Liebig, Justus704,719,732,733,739,758,794 fg.,800,801,802,970.
  • Linnaeus204,466,486,729,791.
  • Lipmann-Cerfberr, Salomon321.
  • Lippert, Julius101.
  • Livingstone, David756.
  • Livius138,378.
  • Locke, John110,786,806,836,901 fg,907,908 fg.,912 fg.,914 fg.,917,919,920 fg.,926,929,930,932,969.
  • Lombardei, die664,694.
  • Lombardus, Petrus180.
  • Lothar, Kaiser653.
  • Loyola, Ignatius von521 fg,528,599,626,665,698,853,880,892.
  • Lubbock, Sir John58,59 (2),101,133.
  • Lucian298 304,307,313,377,578,722,947.
  • Lucretius71,182.
  • Luden, Heinrich858.
  • Ludwig, Heinrich108,785.
  • Ludwig IX .668.
  • Ludwig XIV.23,722.
  • Ludwig XV.23.
  • Luise, Königin469.
  • Lull, Ramon106,863 fg.
  • Luschan, F. von269,359,360,371,374,377,380.
  • Luther, Martin41,181,244,369,447,468,478,480,485,501 fg.,520,527,561,563,587,589,590,599,601,623,625,633,643,670,678,680,684,738,750,769,826,840 848,850,858,865,872 fg.,882,883,886,890,899,924,946.
  • citiert:225,340,425,456,477,512,530,562,568,570,600,616,625,646,766,821,833 (2),840,841,842,843,846,858,866,872, 873(2),874,878,899.
  • Lyell, Sir Charles85.
  • Lykurg45,89,92,97,125,126.
  • Mac-Cook, H. C.58.
  • Magalhães769,771,773,968.
  • Magna Charta, die12,541,686 fg.,734.
  • Mahâbhârata, der187.
  • Mahaffy, Professor93.
  • Maimonides243,256,863.
  • Majestätsbeleidigung, die146,154.
  • Makkabäer, die214,417,422,429,433.
  • Malerei, die14,74,709,799 fg.,991 fg.
  • Manasse424.
  • Mandelstam, Prof.328.
  • Manning, Kardinal647.
  • Mantegna,695.
  • Marathon, Schlacht bei92,93,95.
  • Marc Aurel71,147,185,200,670.
  • Marcel, Étienne812.
  • Marcion241,570,582,878.
  • Marco Polo15,752,771,829.
  • Mardonius91.
  • Marius127,286.
  • Martineau, Harriett837.
  • Marx, Karl821,835,836.
  • Maschine, die734,837.
  • Maspero, G.92,297,348,350,351,352,354,366,417,555.
  • Materialismus, der230 fg.,247,455,636 fg.,715,898,913,916,935,946,951,952.
  • Mathematik, die: bei den Hellenen63,88,781 fg. ; bei den Indoariern408,782; bei den Germanen781 785.
  • Mathias von Janow479.
  • Mathilde, Markgräfin694.
  • Maxwell, Clerk732.
  • May, R. E.682,837.
  • Mayer, Robert732.
  • Medizin, die739,888 fg.
  • Megenberg, Konrad von770.
  • Melanchthon993.
  • Menahem, der Galiläer215.
1021Register.
  • Mendelssohn, Moses410,429,871,931.
  • Menschheit, die10,30,703 fg.,719 fg.
  • Menschwerden, das53 62,115,893.
  • Menzel, Wolfgang553,653.
  • Mertz, Georg665.
  • Merx, Adalbert409,876.
  • Messias, die Hoffnung auf einen238 fg.,445 fg. (Siehe auch Juden.)
  • Metaphysik, die80 fg.,106 fg.,911,914,917 fg.
  • Methodik, die X,34,762.
  • Methodius476.
  • Metternich, Fürst339.
  • Meyer, Eduard427,434.
  • Micha342,424,436 fg.,447.
  • Michael, Emil834.
  • Michael, von Bulgarien475.
  • Michelangelo4,116,695,697,698,713,718,875,947,953,957 fg.,962,966 fg.,970,988,989,999,1002.
  • Milič (aus Kremsier)479.
  • Mill, John Stuart98,821.
  • Miltiades95.
  • Milton649,691,960.
  • Mirabeau, Graf339,852,853.
  • Mirandola, Picus von861,893,904.
  • Mitford, William94.
  • Mittelalter, das9 fg.,33,315,537,811.
  • Mocatta, David333.
  • Moggridge, J. Traherne58
  • Mohammed296,329,398,400,411,441.
  • Mohammedaner, die44,45,244,387,522,863.
  • Molinos, Michael882 fg.
  • Möller, Alfred57.
  • Mommsen, Theodor121,126,128,129,134 fg.,137 fg.,151 fg.,160,183,184.215,279,334,336,468,613,629,631,823.
  • Monarch (der Begriff)151 fg.
  • Mongolen, die8
  • Monika596.
  • Monismus, der935.
  • Monopol, das: industrielles Monopol679,682; wirtschaftliches822 fg. ; politisches827 fg. ; finanzielles826 fg. ; landwirtschaftliches830 fg.
  • Monotheismus, der224 fg.,396,402,405,428,554.
  • Montefiore, C. G.229,373,374,382,392,394,399,403,410,431,437,446,448,449,452,453,455.
  • Montesquieu79,128,511,516,517,528,842,985,999.
  • More, Thomas835 fg.,848,892.
  • Morris, William836,837.
  • Mortillet, Gabriel de360,468.
  • Moses417,452,469.
  • Mozart470,969 fg.,982.
  • Müller, Etfried176.
  • Müller, Hermann (Historiker)522.
  • Müller, Hermann (Botaniker)283.
  • Müller, Johannes von810.
  • Müller, Kanzler von530,799,915,950.
  • Müller, Karl239,513,548,559,583,604.
  • Müller, Max56,81,216,408,412,554,744.
  • Muntz, Eugène698,992.
  • Münzer, Thomas882.
  • Musaeos67.
  • Musik, die (siehe Tonkunst).
  • Myron299.
  • Mysterien, die: ihre weite Verbreitung557,636; altchristliche Mysterien637 fg. ; ägyptische79,105,557; griechische558; jüdische Scheu davor236; ihr Einfluss auf die christ - liche Religion557 fg.,636 fg. ; Taufe und Agape637; sie heben die Na - tionalität auf640.
  • Mythologie, die: Begriffsbestim - mung553; äussere und innere Mythologie553 fg. ; alle Mytho - logie ist revolutionär und antidog - matisch635; Mythologie und Reli - gion221,395 fg.,553 fg. u. s. w. ; Mythologie und Wissenschaft745,974; Mythologie und künstlerische Gestaltung956,974; arische Mytho - logie im Allgemeinen221 fg.,553 fg., 934; indoarische Mythologie412 fg. ; die Mythologie in den Händen der Juden235 fg.,241,397 fg.,394 fg.,564 fg. ; die Mythologie in den1022Register.Händen der Jesuiten522 fg.,567, 626; die Mythologie in den Händen Rom’s635; David Strauss194; der Mythus der Entartung560 fg.,564,714 fg. ; der Mythus der Dreieinig - keit554,570; der Mythus des Sünden - falles241,393,399 fg,560 fg.,562,564 fg.,597,608,632,634,876 fg.
  • Napoleon23,24,124,125,139,321,325,335,339,510,810,852 fg.
  • Nation, die: Beziehung zur Rasse263,290 fg.,312, 315; ist antianar - chisch537; wird durch Mysterien aufgehoben640; Bildung der neuen Nationen291 fg.,659 fg.,661 fg. ; die römische Kirche, ihr Gegner665 fg.,669 fg. ;674 fg; die Fürsten657; Milton649; der Nationalismus im Gegensatz zum Universalismus651 fg.,654,659 fg,842 fg.
  • Natur, die: humanistische Erweiterung des Begriffes25,925 fg. ; reicht weiter als der Mensch271,288,923; besitzt einzig Genie907 fg. ; Erfindungsreichtum192,752,800 fg.,806,907 fg. ; die Natur und das Ich925 931,932 fg.,935 fg; Natur und Freiheit937; Grausam - keit der Natur831.
  • Naturalismus, der989 fg.,997 fg.
  • Naturbeobachtung, die761,767,861,887 fg.,900 fg.,911.
  • Naturrecht, das (siehe das Recht).
  • Neander, August225,476,479,513,548,595,597,604,641,643.
  • Nebuchadrezzor422.
  • Nehemia434,451,458.
  • Nelson, Admiral528.
  • Neoplatonismus, der83,102,569,593,602.
  • Nero143,146,215,505.
  • Nestorius557,605 fg.,634.
  • Neumann, Karl J.143.
  • Newton28,42,86,114,272,392,510,783,904,968,969.
  • Nicetus87.
  • Nicolo Pisano14.
  • Niebuhr, B. G.126,128.
  • Niese, J. A. B.65.
  • Nietzsche, Fr.171.
  • Nikodemus562,575.
  • Nikolaus v. Welenowič479.
  • Noailles, Cardinal de850.
  • Notre-Dame-de-Lourdes101.
  • Novalis53,394.
  • Numa149,629.
  • Occam861,866 fg.,869,870,871 fg.
  • Odoaker10.
  • Oldenberg, Hermann245,412,451.
  • Olen67.
  • Omar379,387.
  • Origenes256,306,520,540,563,570,573,574 fg.,585,589,593,601,602,603,607 fg.,610,624,633,634,638,865,878,880.
  • Originalität, die75,762,745 bis747,907.
  • Orpheus67.
  • Ostrorog, Johann480.
  • Otto I.656.
  • Otto III .653.
  • Ovid182.
  • Owen, Robert821,828.
  • Pachomius308,559.
  • Pädagogik739,762,767,843.
  • Paddan-Aram350 fg.
  • Palestrina, Giovanni P. da960.
  • Panätius549.
  • Pânini408,761.
  • Papier, das12,538,742,815 821.
  • Papin, Denis813.
  • Papinian171,184.
  • Papst Alexander VI .675.
  • Bonifaz VIII.615,642,646,657 fg.,661,672,673,873.
  • Clemens V.668.
  • Cölestin634.
  • Gregor I.618,633,639,670.
  • Gregor II.542,612,613,618,673.
  • Gregor VII.577,641,654,660,670,673,681.
1023Register.
  • Papst Gregor IX180,673.
  • Honorius I.632.
  • Honorius III763.
  • Innocenz II .653.
  • Innocenz III.333,577,622,643,645,662.
  • Innocenz IV .673.
  • Julius II .967.
  • Leo X616.
  • Leo XIII.98,518,670,681,682,683.
  • Nikolaus I.763.
  • Paul III.87,674.
  • Pius V.674.
  • Pius IX.591,633,661.
  • Sixtus V.841.
  • Sylvester II .653.
  • Urban II .679.
  • Zosimus632.
  • Papsttum, das149,595,626 629,632 fg.,641,651 fg,655 fg.,668,674 fg.,679.
  • Paracelsus700,780,861,888 fg.,894,900,911,927 fg.,967.
  • Parkman, Franz626.
  • Pascal, Blaise783.
  • Pasteur, Louis28,732,807.
  • Pater, Walter989.
  • Patrizier und Plebejer126,998.
  • Paulitschke, Philipp84.
  • Paul von Samosata607.
  • Paulsen, Fr.30,892.
  • Paulus, der Apostel143,144,203,204,224 fg.,458,468,561,563,565,570,578 fg.,580 590,597,600,601,602,608,609,615,635,738,850,860.
  • Pausanias91.
  • Peip, Albert881.
  • Pelagius (und die Pelagianer)565 fg.,568 fg.,597,632.
  • Penka, K.483.
  • Peppmüller, Rudolf90.
  • Perez, Antonio615,658.
  • Perikles89,97,175,539.
  • Perser, die91,667.
  • Persönlichkeit, die69 fg.,185,193 fg.,663,667,868,874,895 fg.,945,964, 972(siehe auch Rasse).
  • Perugia696.
  • Perugino698.
  • Peschel, Oskar382,429,521.
  • Peter, der Apostel143,615,629.
  • Petrarca695,892,894,985.
  • Petrefaktenkunde, die85.
  • Pfeiffer, Franz868,877.
  • Pfleiderer, Otto563,586,589.
  • Phantasie, die:27,77 fg.,192,270,394 fg.,404,739,773,799 fg.,802,803 806.
  • Phidias76,89,299,302,304,718,956,963,964,965.
  • Philipp der Schöne668,673.
  • Phillips, Georg517,666,669,674.
  • Philippson, Ludwig326,393,394,562.
  • Philister, die365,366,367 fg.,369.
  • Philo143,223,224,328,569.
  • Philolaus86.
  • Philologie, die vergleichende29,268,408,804.
  • Philosophie, die: ihr Wesen54, Ver - wandtschaft mit Kunst62; universali - stische682 fg. ; Unterscheidung von Weltanschauung736 fg.
  • die hellenische63,80 fg.,89,106 fg.,900.
  • die indische81,110 fg.
  • die naturforschende861 fg.,897 946,957.
  • die Natur-Philosophie898.
  • (u. Logik)899 fg. (siehe Weltanschauung).
  • Phönizier, die70,137 fg.,372,377,380,705,747,748,771,828.
  • Pietismus, der952.
  • Pilatus239,240.
  • Pippin514,762.
  • Pisistratus89,95.
  • Plato VII,27,62,76,78 fg.,87,90,97,106,107,109,111,112,113,115,116,134,172,174,192,207,271,302,391,395,398,469,550,552,560,574,748,795,919,996,1003 fg.
  • Plinius71,768.
  • Plotin105,592.
1024Register.
  • Plutarch76,86,89,95,105,125,173,177.
  • Poggio, Brac .479.
  • Polanco522.
  • Politik, die: im Allgemeinen19 fg. ; ihre Flüchtigkeit809 812; Ver - hältnis zur Wirtschaft734 fg. ; Ver - hältnis zur Rasse und Religion857; bei den Hellenen63; bei den Römern124 fg. ; bei den Germanen838 858.
  • Polybius139.
  • Polygnot89.
  • Polyklet299.
  • Pompejus127,128.
  • Pomponazzi, Pietro891,903.
  • Pontifex maximus, der149,539 fg.,572,595,615,620,622,623,627 fg.,653,658,663,664.
  • Poppaea Sabina143.
  • Poske, Fr.395.
  • Pragmatische Sanktion, die676.
  • Prätorischen Edikte, die151.
  • Praxiteles299,963.
  • Presse, die21.
  • Preussen, die281,286,292,296,485,669.
  • Priestley, Joseph804.
  • Proklos105.
  • Propheten, die47,247,420 fg.,436 441.
  • Proudhon, P. J.821.
  • Ptolemäus84,703.
  • Pufendorf, S. von161.
  • Purbach,967,968.
  • Puritaner, die855 fg.
  • Pythagoras (und die Pythagoräer)76,79,86 fg.,103,107,110,111,408,773,964,996.
  • Pytheas84,759.
  • Quenstedt, Fr. Aug.85.
  • Racine969.
  • Radbert, Paschasius640.
  • Raffael116,695,697,698,875,960,962,966 fg.,969 fg.,1002.
  • Rainer, (Dominikaner)643.
  • Râmakrishna412.
  • Rambaud, Alfred727.
  • Ramsay, W. M.345,549,582,583,612.
  • Ranke, Johannes60,268,269,289,326,355,466,489,490,493,519,707.
  • Ranke, Leop. von12,91,109,116,126,142,142,147,669,701,841.
  • Rasse, die: das Problem255 fg., dessen Untersuchung263 319; ist kein Urphänomen343; die fünf Gesetze ihres Entstehens277 288; die Vor stellung der Rasse ist ein wissenschaft - liches Ergebnis29 fg. ; sie ist ein Kol - lektivbegriff312 fg.,575 fg. ; offen - bare Verschiedenheit der Rassen820; die Bedeutung reiner Rasse272 fg.,294 fg.,310 fg.,483,518,521, 701; ihre Bedeutung für die Per - sönlichkeit265,295,348; ein ana - tomisches Symptom ihrer Reinheit326; die Rasse als ein Ganzes496; die Nase482; Wechselwirkung zwischen dem Physischen und dem Intellektuellen844; Rasse und Ideen218; die Rechtsgelehrten über Rasse121; religiöse Rasseninstinkte623 fg. (siehe auch Arier, Juden, Schädel, u. s. w.)
  • Ratramnus, Bertram640.
  • Ratzel, Friedrich121,263,269,287,350,363,382 fg.
  • Ravenstein, L.677.
  • Ray, John495,729,791,792 fg.,795 fg.
  • Realis, A.333.
  • Recht, das: Begriffsbestimmung nach Kant162; neue Definition163; ist eine Technik156 fg. ; die Schöpfung Rom’s46,122 fg.,150 fg.,166 fg.,180 fg., 186; das Naturrecht160 bis163; das Staatsrecht151 fg., 156; das Privatrecht121,150 fg., 156; römisches Recht163 fg.,709, 712; hellenisches Recht89 fg.,165,172 fg., 177; deutsches Recht166 fg.,171 fg.,177.
1025Register.
  • Reclus, Élisée179,710.
  • Reformation, die:477 fg.,840 fg. ; in Böhmen478 fg. ; in Deutschland840 fg. ; in England855 fg. ; in Polen480 fg., 614; politische Be - deutung577,647,840 fg.,848 fg., 854; erstarkte die römische Kirche623; ein sehr unvollkommenes Werk601,645,750; Augustinus639; Duns Scotus870; die Humanisten892 fg. ; Loyola527; Luther478,840 fg. ; Wyclif478 fg.,639.
  • Regeneration, die (siehe Wieder - geburt).
  • Regiomontanus41,773,820,967,968.
  • Rehabeam362.
  • Reid, Thomas705.
  • Reinach, Salomon121,269.
  • Reinhold, Carl Leonhard937.
  • Religion, die: Begriffsbestimmung221 fg.,738,751,933, 938; das Wesen der Religion441; die Macht der Religion541 fg.,857. Geschicht - liche Religion233 fg., 931; Goethe’s Religion der Ehrfurcht940; ideale Religion775 fg.,932 fg.,937 942,952 fg. ; mythologische Religion221,395 fg.,553 fg. ; realistische Religion951,952; die Religion der Erfahrung195 fg.,777,905,939 fg.,951 fg., 961; die Religion der Arier220 fg.,391 fg.,553 fg. ; die Religion der Germanen55,222,749 fg. u. s. w. (siehe Germanen); die Religion der Hellenen63,71,98 fg.,601 fg. ; die Religion der Mystiker886 fg. ; die Religion der naturforschenden Philosophen921 fg.,937 fg. ; die Religion der Semiten220 fg.,230 fg.,381,391 fg.,924,931. Religion und Aberglaube100 fg., 558; Religion und Ethik546,587,645,941; Religion und die französische Revolution852; Religion und Glaube400 414,448; Religion und Götzen - dienst230 fg.,243,259,397, 436; Religion und Kunst950 fg.,954 fg.,961; Religion und Moral440 fg.,448, 549; Religion und Philosophie108; Religion und Religionskongresse205; Religion und Staat541 fg.,735 fg.,838 fg; Religion und Welt - anschauung738,858 946.
  • Rembrandt737,947,954,957,969,993 fg.
  • Renaissance, die9 fg.,522,695,712 fg.,788,811.
  • Renan, Ernest143,144,194,195,214,215,216,218,225 fg.,235,243,290 fg.,295,324 fg.,327,352,354,363,364,365,366,367,369,370,380,381,382,385,391,392,393,394,396 fg.,399,402,403,410,411,417,419,420,457,549,569,608,612,619,624.
  • Reni, Guido697.
  • Reusch, Franz H.478,850.
  • Reuss, Eduard345,425,432,437,579,589,732.
  • Réville, Albert213,217.
  • Réville, André333,832.
  • Revolution, die französische23,838,848 fg.
  • Rheinische Städtebund, der12.
  • Rhyn, Henne am727.
  • Richelieu23,847,849.
  • Richter, Jean Paul Friedrich51,53,310.
  • Richter, J. P. (Kunsthistoriker)774,785.
  • Richthofen, Ferd. von742.
  • Rienzi, Cola812.
  • Rigveda, der71,103,222,234,245,396,556,563.
  • Robert of Gloucester753.
  • Robespierre852.
  • Rogers, J. E. T.830.
  • Rohde, Erwin66,68,89,99,103,109,112,225,636.
  • Rohde, Friedrich288.
  • Rom (und Römer): im Allgemeinen45 fg.,119 186,747; eine anonyme Kraft129 fg.,185, 823; Ursprung des Volkes135; angeblicher Ein - fluss der geographischen Lage706; als Weltreich651 fg. ; ein Muster1026Register.politischer Konzentration131,137,652,667,702; verlegt den Schwer - punkt der Civilisation nach Westen255 fg. ; Urheber des Völkerchaos127,150 fg.,255 fg,296 fg.,313,547 u. s. w. (siehe Völkerchaos); Einfluss auf die Bildung unserer neuen Nationen659 fg. ; als Illustra - tion zur Rassenfrage273,279,285 fg. ; römische Poesie70 fg.,182 fg. ; römische Musik976 fg. ; römische Treue507; künstlerische Impotenz70 fg.,182 fg,695,747; Dante’s Auffassung621 fg.,655 fg. ; Herder’s Urteil128 fg. (Siehe auch ano - nyme Kräfte, die Ehe, das Recht, Julius Cäsar, u. s. w.)
  • Romanes, J. G.56,57,60.
  • Romantik, die136,194.
  • Römische Kirche, die: Definition680; Ursprung539 fg.,626 fg., 672; Wesen626 629,679 fg. ; zwei Tendenzen611 fg. ; ist eine staat - liche Macht539 fg.,615,621 fg.,630 fg.,656 fg,669 fg.,844 fg. ; natürliche Grenzen319; Zahlen - verhältnisse677.
  • ihr Ideal des theokratischen Welt - staates540,641,646,652 fg.,658,663 fg.,665 fg.,671 fg. ; ihr De - spotismus536,611,614,642 fg,867; ihre Intoleranz515,595,598,644,664; Veränderlichkeit ihrer Dogmatik546; das angebliche » Primat «595,627 fg. ; ihre Be - kämpfung der Wissenschaft316 fg.,763 fg.,862 fg; ihre Bekämpfung alles Germanischen316 fg.,515,527,537,645,763 fg.,894, u. s. w.; ihre Bekämpfung alles Hellenischen602 fg. ; ihre stete Parteinahme für das Völkerchaos559,606,612 fg.,618,619,633 fg.,680, u. s. w.; ist nicht religiös fanatisch632,640,645; ihre grosse Macht noch heute645 fg.,669, 679; ihre Verwandt - schaft mit dem Sozialismus681 fg.
  • Römische Kirche, die: die Auflehnung gegen sie477,513,609 fg.,613 623,644 fg.,872,892,946 u. s. w.; das Untergraben ihrer Gewalt538 fg.,676 fg.
  • Roscoe, H. E.803.
  • Rothschild326,327,335,339,430.
  • Rousseau, Jean Jacques23,30,33,114,161,175,743,745,757,786,852,864,896,944,945.
  • Rubens, Peter Paul970.
  • Rubens, William442,445.
  • Rumohr, K. F. von15.
  • Russen, die474,475,476,661,710.
  • Ruysch, Johann771.
  • Saadia449.
  • Sabatier, Paul873,879,887.
  • Sabellius607.
  • Sachs, Hans886.
  • Sachs, Julius790
  • Sainte-Beuve, C. A.567,585,646,783.
  • Salamis, Schlacht bei93,95.
  • Sallust126,128.
  • Salomo202,211,344,362,369 fg.,419,420,431.
  • Sâmkhya (philosophisches System)80,313,398.
  • Samoaner, der Gott der395.
  • Samuel370,417.
  • Sanchuniathon34,235,398.
  • Satapatha-Brâhmana, der227,412.
  • Saul365,417.
  • Savigny, F. K. von15,121,124,128,154,167,180,281,485,500,514,517,537,631,659,732.
  • Savonarola, Gir.698,875.
  • Savoyard (siehe Iberier und Homo alpinus).
  • Sayce, A. H.219,350,354,355,356,366,367,376,377,389,430,431.
  • Scaliger, Julius Cäsar527.
  • Scaevola, Mucius171,173.
  • Schack, Fr. von384.
  • Schädel, der: Bedeutung seiner Ge - stalt217,360,375,489 fg.,1027Register.894; Langschädel und Rundschädel360; Langschädel360 fg.,466,489 fg.,495, 519; Rundschädel360,489 fg., 495; die Schädelgestalt der Germanen489 fg., der Kelten489 fg., der Slaven466,489 fg., der Juden361, der echten Semiten360.
  • Scharbarza216.
  • Schechter, Solomon373,419.
  • Scheele, Karl Wilhelm804.
  • Schell, Hermann647.
  • Schelling, Fr. W. von898,912,915 fg.,950.
  • Schiaparelli, Giovanni V.86,87,88.
  • Schiller33,53 fg.,64,65,83,98,281,469,470,718,719 fg.,786,937,947,948,950,969,986,990,1000.
  • citiert:33,53,54 (3),55 (2),97,103,208,223,358,463,498,541,693,703,711,715,719,737,804 (3),896,907,933,940,944,973,978 fg., 986(4),989,999,1000,1003.
  • Schlegel, A. W. und Fr. von29.
  • Schleicher, Aug.467.
  • Schleiermacher, Friedrich875.
  • Schlosser, Friedrich924.
  • Schmidt, Joh.467.
  • Schmoller, Gustav834.
  • Schoenhof, J.826.
  • Scholastik, die106,113,864 fg.,892,918.
  • Schopenhauer IX,109,172,179,201,309,387,391,398,400,562,569,581,607,718,736,860,869,875,898,921,929,936,945,968.
  • Schorlemmer, C.803.
  • Schrader, G.268.
  • Schrader, Otto483.
  • Schreiber, Emanuel236.
  • Schroeder, Leopold von80,88,111,383,408,976.
  • Schulte, Joh. F. von154.
  • Schultz, Alwin962 fg.
  • Schultze, Fritz58.
  • Schvarcz, Julius96,701.
  • Schwenkfeld, Kaspar882.
  • Scotus Erigena9,82,317,469,478,562,563,608,640,762 fg.,766,819,860,865,866 fg.,869,878,880,887.
  • Seele, die102,114,909,914 fg.,920.
  • Seelenwanderung, die Lehre von der111,134.
  • Seeley, J. R.856.
  • Segond, Louis229,326,369.
  • Seidlitz, W. von993.
  • Semiten, die: Hauptstelle379 388; der Begriff Semiten343,349; Ursprung355; Charakteristik von Burckhardt390, von Grau384, von Lassen383 fg., von Ratzel382 fg., von Renan324 fg., von Schack384; Hypothese bezüglich ihres Charakters386 fg. ; die Gestalt des Schädels360; der abnorm entwickelte Wille241 fg.,385 fg. ; der Egoismus386; ihre Religion381,391 415; Einfluss dieser Re - ligion auf andere381,388,415; ihr Materialismus393,398 fg.,455,636,863 u. s. w. ; Armut an Phan - tasie396 fg.,817 fg. ; Macht des Glaubens400 fg; ihr angeblicher Monotheismus224 fg.,399,402 405; Abneigung gegen Mystik392 fg. ; ihre Kultur380 fg.,740,817 820; ihre Sprachen385,391; ihr eigen - artiges Rechtsgefühl121 fg.,170 fg. ; ihr wirtschaftliches Leben141 fg., 823; sie bilden nie dauernde Staaten385,454,503; ihr Kampf gegen Rom137 146; ihr prozentualer Beitrag zur Bildung des echten Juden372.
  • Sénart, E.191.
  • Seneca171,709,768,999.
  • Servet, Michel520,966.
  • Seuse, Heinrich880.
  • Shakespeare27,73,77,78,79,296,394,399,499,504,508,528,533,670,713,718,721,743,753,759,762,800,842,848,855,857,957,960,969 fg.,985,994,999 fg.
1028Register.
  • Sherard, Robert H.651,837.
  • Sickingen, Franz von842.
  • Siegel, Heinrich675.
  • Siegmund, Erzherzog825.
  • Sieyès, Emanuel J.852,853.
  • Simon, Jules743.
  • Sippurim, die236.
  • Sirach, Jesus200,440.
  • Sittlichkeit, die831,879,886 fg.,891,939 fg (siehe Ethik und Religion).
  • Skandinavier, die857.
  • Sklaverei, die12.
  • Skreinka, Ludwig328.
  • Skulptur, die709.
  • Slaven, die: ursprünglich den Ger - manen nächstverwandt8,259,466,471 480; physische Gestalt472; Schädelform489; Haarfarbe488; Entstehung der heutigen sogenannten Slaven491; heutige Slaven701; Poesie473 fg. ; Religion474 fg.
  • Sozialismus, der30,679,681 fg.,834 836.
  • Smets, Wilhelm614.
  • Smith, Adam821,837.
  • Smith, William Robertson213,221,224 fg,236,349,373,393,401,402,403,410,416,418,425,437,447,451,625,636.
  • Sokrates65,79,81,90,96,109,113,117,441,766.
  • Solon45,89,95,97,124,175.
  • Sophokles73,183,718.
  • Soret, Fréd .749.
  • Spanier, die281,292,484,614,680,699,844 fg.,857.
  • Spalatin, Georg478.
  • Spartaner, die125,173.
  • Spencer, Herbert133,715 fg.,808,830.
  • Spengel, J. W.395.
  • Spiegel zum Desenberg, Graf619.
  • Spinoza25,78,170 fg.,223,408,684,902.
  • Sprache, die: bei allen Tieren56; die Humanisten894; Sprache und Welt - anschauung895; die deutsche Sprache889,895; die englischeSprache895; die indoarische Sprache63; die lateinische Sprache184,630,894 fg. ; die semitischen Sprachen216 fg., 295; die sumerische Sprache399.
  • Sprengel, Christian Konrad283.
  • Springer, Anton974.
  • Staat, der19,122,150 fg.,504,735,541 fg. ; der Kampf um den Staat651 687.
  • Stade, Bernhard354,366.
  • Stahl, Georg Ernst803 fg.,805,861,889,890.
  • Stanislaus von Znaim479.
  • Stanley, Henry Morton60,350.
  • Stanton, Vincent H.238 fg.,403.
  • Stein, Heinrich von311,890.
  • Steinen, Karl von56.
  • Stephan, König von Ungarn674.
  • der Märtyrer601.
  • Duschan473,475.
  • Sterne, Laurence700,717,916.
  • Storm, Theodor486.
  • Strack, Hermann L.445.
  • Strauss, David98,194,195,875.
  • Strozzi, Giovanni999.
  • Südamerikanischen Staaten, die286 fg.
  • Sulla127,286.
  • Sulpicius, Servius173.
  • Sumero-Akkadier, die348,356,399,561,745.
  • Sünde, die373 fg.,562 fg.
  • Sybel, Heinrich von154.
  • Syllabus, der317,621,633,663.
  • Symbolik, die394 fg.
  • Symonds, J. A.696.
  • Syndikate, die171,682,826,829,833.
  • Synedrium, das (des Jahres1807)321,325.
  • Syrien, das Land351,354.
  • Syrier, die297 fg.,357 fg.
  • Syrus, Publius178.
  • Tacitus144,297,464 fg.,466,489,496,502,506.
  • Tagore, Raja S. M.741.
1029Register.
  • Taine, Hippolyte850,999.
  • Talbot, William841.
  • Talmud, der214,223,228,236,239,326,330,332,344,378,430,437,442 445,449,452,453,454,455.
  • Talleyrand, Fürst339.
  • Tama, Diogène340.
  • Tâoismus, der743 fg.
  • Tartaglia, Niccolo697,783.
  • Tartalea, Nicolo (siehe Tartaglio).
  • Tasso697.
  • tat-tvam-asi, das237,411,888.
  • Tauler, Joh.880.
  • Taylor, Isaac483.
  • Technik, die21,158 fg.,183,947,948,979 fg.
  • Teichmann, Ernst587.
  • Teleologie, die114 fg.
  • Telesius, Bernh.899 fg.
  • Tertullian142,143,225,239,307,308,540,553,575,627,630.
  • Tetzel, Joh.826.
  • Thales89,106,107,748,964.
  • Themistokles95.
  • Theodosius (der Grosse)307,314,549,597,603,621,627,630,631,652,656,661,670,672.
  • Theodosius (der Jüngere)605.
  • Theologia deutsch, die879 fg.,882.
  • Theologie, die83,579,587,845 fg.,861 fg.,870 875,898,899 fg.,919.
  • Theophrast85,494,729,790.
  • Theorie, die795 fg.,802.
  • Theresa de Jesus524.
  • Thierry, Augustin134.
  • Thiers, Adolphe853.
  • Thimonnier, Barth .814.
  • Thode, Prof. Henry13,613,975,998.
  • Thomas von Aquin13,98,106,114,265,517,518,616,622,644,648,670,674,681,682 fg.,695,764,765,770,841,863 fg.,865 fg.,867 fg.,871 fg.,876,877,901,907 fg.,909,923.
  • Thomasius, Christian894.
  • Thorwaldsen76.
  • Thurot, J. F.773.
  • Tiberius143,146,335 fg.,342,464,670.
  • Timokratie, die124.
  • Tippu-Tib140,171.
  • Titus215.
  • Tizian697,967,970.
  • Tonkunst, die14,74,88,89,947,955,958 fg.,976 fg,989,997 fg.,1000 fg.
  • Topinard, Paul56,121,289.
  • Toscanelli, Paolo768,968.
  • Tournefort, J. P. de791.
  • Trajan146,147,652.
  • Transscendentale Idealität, die469,599,883 fg.,930 fg.,953.
  • Transsubstantion, die540 fg.,635,639,643.
  • Treitschke VII,24,182,470,485,722,845,847.
  • Tribonian539.
  • Trinität, die (siehe Dreieinigkeit).
  • Trumbull, Benjamin757.
  • Turanier, die (siehe Sumero-Akkadier).
  • Türken, die42 fg.,667,960.
  • Turner. William800.
  • Sir William493.
  • Turrecremata, Kardinal679.
  • Tycho de Brahe88.
  • Tylor, Edward B.104,395,626.
  • Tyndall, John87,760,767,805,807.
  • Tyson, der Bauer758.
  • Ubaldi, Guido697.
  • Übertragung, die politische151 fg.
  • Ujfalvi, Charles de267.
  • Ulpian, Dom.160,539.
  • Umkehr des Willens, die200,469,584 u. s. w. (siehe auch Wieder - geburt).
  • Unam sanctam, die Bulle646,657 fg.,664.
  • Ungarn, die667.
  • Unigenitus, die Bulle850,852.
  • Universalismus, der: sein Wesen663; seine zwingende Kraft676,684 fg. ; seine Intoleranz678; Ge - gensatz zum Nationalismus651 fg. ;658,660. (Siehe auch römische1030Register.Kirche, Thomas von Aquin, Sozia - lismus.)
  • Unsterblichkeit, die physische78.
  • Unsterblichkeitsglaube, der: bei den Hellenen102 fg. ; bei den Juden448 fg. ; und der Mysterien - kult636 fg.
  • Unterthan, der (als rechtlicher Be - griff)148,154.
  • Upanishad’s, die: Allgemeines29,554; Taittirîya-Upanishad81; Kaushîtaki - Upanishad383; Brihadâranyaka - Upanishad393,564,596,876; Kâtha - Upanishad567.
  • Valla, Lorenzo892.
  • Van der Kindere825,833.
  • Vanini903.
  • Varnhagen von Ense615.
  • Varro, Michael697.
  • Vasco di Gama968.
  • Vedânta, Sùtra’s des81,103,111,413,563,573.
  • Vereinigten Staaten, die856,857.
  • Vererbung, die288.
  • Vesalius, Andreas966.
  • Vespucci, Amerigo968.
  • Vigilantius559,610,612.
  • Virchow, Rudolf264 fg.,266,268,271,287,289,302,326,375,378,466,472,481,486,487,488,491,493,738,807,888,889.
  • Virgil180,182,652,713,722,892.
  • Virginius128.
  • Virtuos, der (als Gegensatz zum Künst - ler)183.
  • vis plastica, die Theorie der85.
  • Vivisektion, die945.
  • Vogt, Carl57,360.
  • Vogt, Friedrich818.
  • Völkerchaos, das: kritische Charakte - ristik296 319; Entstehung256 fg., 699; geographische Ausdehnung297; ist synonym mit » Rom «319,601; Verhältnis zur römischen Kirche319,783; raubt den Germanen die Freiheit516; allgemeiner antinatio -naler Einfluss307 fg. ; Einfluss auf alle Religion256,547; Einfluss auf das Christentum256,307,547 fg.,557 fg.,592,593,605 fg.,635 644,750; Einfluss auf die Rechtsbildung151 fg.,174,256, 307; Einfluss auf die Wissenschaft84; Einfluss auf die Kunst256; Augustinus304 fg.,578 fg. ; Lucian298 fg.
  • Voltaire23,42,85,161,244,303,337 fg.,392,452,461,717,723,727,786,893,916,940,944,999.
  • Volz, Paul238.
  • Wagner, Richard53,201,469,510,685 fg.,964,975,982.
  • Waitz, Georg652.
  • Waldenser, die613,616,642,643.
  • Waldeyer, H. W. G.487.
  • Waldus, Petrus681.
  • Wallace, Mackenzie701.
  • Walther von der Vogelweide14,660,662,681.
  • Washington857.
  • Wasiansky, E. A. C.903.
  • Wasmann, E59,909.
  • Watt, James808,810,813.
  • Weber, (Theolog)344.
  • Weese, Arthur992.
  • Weib, das: bei den Hellenen177; bei den Deutschen177; bei den Römern176,178 fg. ; bei den Slaven474.
  • Weisbach, C.472.
  • Weismann, August805.
  • Weissen Berge, die Schlacht am480.
  • Wellhausen, Julius211,345,348,350,352,354,364,365,368,373,377,380,397,402,416,417,419,420,430,432,434,446,448.
  • Wellington92,486.
  • Welser, die Familie827.
  • Weltanschauung736 fg.,738,858 946,938.
  • Wernicke, Alex.765,938.
  • Wessel, Johannes881.
  • Westgoten, die8,334.
1031Register.
  • Westphal, Rud.959,985.
  • Whewell, William766.
  • Whitney, William D.56.
  • Widukind515.
  • Wiedergeburt, die200,410,413,468,562,584 fg., 597(siehe auch Umkehr des Willens).
  • Wiesner, Julius V,78,805,807,816,817.
  • Wietersheim, Eduard von103,297,513,626.
  • Wilhelm der Eroberer673,676,681
  • Wilhelm von Oranien856.
  • Willkür, die162,242 fg.,777.
  • Wilson, E. B78.
  • Winckelmann53,796,896,994 fg.
  • Winstanley, Gerard836.
  • Wirtschaft, die12,734 fg.,811 fg.,821 838,851.
  • Wissen, das: ist ein Finden159; ist an sich Nichts754; ist ewig809; verschiedene Arten des Wissens906; das lebendige Wissen1003; das Alleswissen764 fg. ; das exakte Nichtwissen911 913; Verhältnis zur Entdeckung731 fg., zu Genie896, zu Weltanschauung745, zu Kunst758.
  • Wissenschaft, die: Begriffsbestim - mung731 fg.,779,910 fg.,933, 938; ihre zwei Ziele779.
  • und Phantasie801 806; und Leben270 fg. ; und Systematik789 fg. ; und Kunst3,54,798 fg.,962 fg., und Entdeckung752; und das19. Jahr - hundert28 fg. ; bei den Hellenen63fg.,83,787 fg. ; bei den Ger - manen778 808; ist vergänglich270 fg. ; ist unvergänglich809.
  • Wissmann, Hermann von350.
  • Wolf, Christian902.
  • Wolf, F. A.64,65,995.
  • Wolfram von Eschenbach14,471.
  • Wright, William376.
  • Wulfila512,626,880.
  • Wundt, W. M.58.
  • Wünsche, August437,442,445.
  • Wyclif, John478 fg.,480,513,639,812,882.
  • Xavier, Franz522.
  • Xenophon91,441.
  • Xenophanes85,89,106,112,113,116.
  • Yâjñavalkya523.
  • Yorubas, die395.
  • Zalmoxis103.
  • Zedekia427.
  • Zeller, Eduard79,81,82,86,107,965.
  • Zesen, Phillip von361.
  • Zigeuner, die ungarischen977 fg.,979 fg.
  • Zimmer, Heinrich176.
  • Zittel, Emil432.
  • Zöckler, Otto308,559.
  • Zoroaster396,399,415,449,543,709.
  • Zuchtwahl, die265,278,282.
  • Zwingli, Ulrich843.
  • Zwölf Tafeln, die152,168,169,185.
[1032]

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    • » 193, » 19 » oben » Höchstes Glück der Erdenkinder.
    • » 218, » 2 » » » wird deine Nacht von uns weichen.
    • » 765, Anmk. 1 lies: 682 statt 680.
    • » 805, Zeile 8 » Weismann statt Weissmann.
    • » 813, » 19 » Watt statt Watts.
    • » 814, » 13 » Samuel Crompton statt George.
    • » 820, » 13 » Kopernikus statt Copernicus.
    • » 830, Anmk. 1 » Gibbins statt Gibbons.
    • » 880, » 3 » Khayyam statt Khyyam.

About this transcription

TextDie Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts
Author Houston Stewart Chamberlain
Extent522 images; 183697 tokens; 25449 types; 1292317 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts II. Hälfte Houston Stewart Chamberlain. . 516 S. BruckmannMünchen1899.

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John P. Robarts Research Library - University of Toronto University of Toronto Libraries, CB83 .C45 1899 V.2http://go.utlib.ca/cat/3212518

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Gesellschaftswissenschaften; Wissenschaft; Gesellschaftswissenschaften; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkUniversity of Toronto Libraries, CB83 .C45 1899 V.2
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