PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804.
Zweytes Baͤndchen.
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Das Thal von Montmorency und die Abtei St. Denis.

Wollen Sie sehen, wo Rousseau gewohnt hat? frag - te mich eines Tages Madame Recamier. Ob ich das sehen will? ist das auch eine Frage? Nun so finden Sie sich morgen fruͤh bei mir ein, ich will Sie hinfuͤh - ren. Fruͤh ist es eigentlich bei einer Pariser Dame noch um 1 Uhr Nachmittags, wo sie aufzustehen pflegt; doch die Grazien hatten sich diesesmal fruͤher bey der Toi - lette eingefunden, und wir saßen um 11 Uhr schon im Wagen. An der Barriere vertauschten wir die staͤdtische Equipage mit einer laͤndlichen, den verschlossenen Wagen mit einem offenen, die beiden stolztrabenden Kutschpferde mit einem raschen Postzuge. Obgleich in den letzten Ta - gen des Novembers, gab es doch freundliche Sonnen - blicke, eine frische erquickende Luft, welche die Wangen meiner schoͤnen Begleiterinn schminkte, und sie zwang, den indischen Shawl fester um die, wie gewoͤhnlich, leichte Bekleidung zu schlingen. Rasch flogen mir die Straße entlang, nach einiger Zeit kamen wir in ein Staͤdtchen, es war St. Denis. Haben sie die Ruinen der Abtei schon gesehen? die Graͤber unserer vormaligen Koͤ - nige? Nein. So lassen Sie uns einen Augen - blick aussteigen. Auch ich bin so oft hier durchgefahren, und habe meine Neugier noch nie befriedigt.

Wir nahmen den Weg zur Abtei. Ha! welch 'ein imposanter Anblick! Diese tausendjaͤhrigen Mauern, von4 keinem Dache mehr geschuͤtzt, die dem Himmel zu sagen schienen: Wir beduͤrfen keiner Decke, um deinen Wettern zu trotzen diese praͤchtigen, gleich Spitzen durchbroche - nen Waͤnde, die gestern fuͤr ein heutiges Fest erbaut schie - nen diese gothischen Saͤulen, die seit zwoͤlf Jahrhun - derten die ausgespannten Gewoͤlbe so leicht tragen, wie der Aetna die Wolken dazwischen an der Außenseite die verstuͤmmelten Zierrathen, die von den Vandalen ge - koͤpften Heiligenbilder und endlich, beim Hineintre - ten, die oͤde Groͤße, die truͤmmerreiche Wuͤste, durch wel - che die nistenden Voͤgel flattern, und in der die Mehlfaͤs - ser aufgeschichtet stehen. Sonderbarer Wechsel der Dinge! Hier wo sonst nur der Wurm an Koͤnigen schmaus'te, wird jetzt den Menschen Brod verwahrt.

Ein alter Schweizer fand sich ein, der schon seit 40 Jahren seinen Dienst hier verwaltet, und die Abtey in ihren letzten herrlichen Tagen gesehen hatte. Er wan - delt hier wie ein gespenstischer Anherr in der wuͤsten Burg, deren Pracht in seines Lebens Jugend ihm unverwuͤstbar schien. Seine Augen hingen an den kahlen Mauern mit einem bedeutenden Knopfnicken, als sey er da und dort von einem alten Freunde geschieden, dessen Bild jetzt vor ihm schwebe. Es waren die verschiedenen Denkmaͤler, die da gestanden, und einen lebendigen Abdruck in seiner See - le zuruͤckgelassen hatten. Der Mann war ein vollstaͤndi - ges Regiester alles Dessen, was vormals diese weiten Ge - woͤlbe enthielten. Bei jedem Schritte hielt er uns auf: Hier stand einer Koͤnigin Monument bey jeder Gru - be, in die er uns zu fallen warnte, mußten wir verwei - len: Hier ruhte ein Koͤnig oder Held. Wir folgten ihm, manche Stufe hinab, in einen Dunkeln unterirdi - schen Gang. Zu beiden Seiten desselben ragten noch aus5 der Mauer die steinernen Postamente hervor, auf welchen einst die Saͤrge standen, und beengten dermaßen den Gang, daß die schoͤne Lebendige an meinem Arm sich fe - ster an mich draͤngen mußte, um dem Ruhesitze der Tod - ten auszuweichen.

Hier in dieser Dunkelheit, wo nur ein fernes Licht, gleich einer bessern Zukunft, uns entgegen daͤmmerte, schien des alten Mannes Stimme aus der Unterwelt her - auf zu rufen: Hier lag Ludwig XJV. und dort Tuͤ - renne hier lag Ludwig XJJJ., dort Bertrand du Gues - clin und als wir fast durch den schmalen Gang hin - durch waren, in dem Hoheit und Ehrgeiz von dreißig Koͤ - nigen Raum gefunden hatten, da blieb er mit gefalte - nen Haͤnden und gesenktem Haupte stehen und sprach halb in sich hinein: Diese Bank trug den Sarg Heinrich des Vierten!

Sein und unser duͤsteres Schweigen ehrte den Platz und fuͤllte einige Minuten, in welchen Jeder mit seiner Wehmuth fertig zu werden suchte. Der Alte unterbrach die Stille, denn ihm lag noch auf dem Herzen uns zu erzaͤhlen, daß er dabei gestanden, als man Heinrichs Sarg oͤffnete; daß der Leichnam unversehrt in wohlbekannter Gestalt da gelegen; daß die entschlossensten umherstehen - den Boͤsewichter, selbst Roberspierre, bei diesem Anblicke unwillkuͤhrlich von ehrfurchtsvollem Schauder ergriffen worden; daß Dieser und Jener sich leise genaͤhert, und verstohlen einige Haare aus Heinrichs Bart gezogen, die sie seitdem als kostbare Reliquien in Ringen tragen.

Aber wo blieben all' diese Leichen? Auf Ro - bespierr's Befehl sollten sie, Tuͤrenne ausgenommen, saͤmmtlich verbrannt werden. Und sind wirklich ver - brannt worden? Hier stockte der Alte. doch da er6 in mir wohl den Fremdling erkannte, und meine schoͤne Begleiterinn so herzlich bewegt sah, faßte er Zutrauen, und bekannte, er habe die Gebeine nicht verbrannt, son - dern sie etwa hundert Schritte von der Abtey in stiller Nacht begraben. Wir baten ihn, uns dahin zu fuͤhren. Er versprachs.

Wir traten jetzt aus der langen finstern Gruft in eine helle unterirdische Kapelle, wo noch viele Bildsaͤu - len von Heiligen in Lebensgroͤße standen. Der Schwei - zer machte uns aufmerksam auf eine Jungfrau Maria, die, durch einen seltsamen Zufall, der ungluͤcklichen Koͤ - niginn Maria Antoinette so aͤhnlich sieht, daß Jeder, der diese nur einmal sah, bekennen muß, es gebe kein aͤhn - licheres Bild von ihr.

Aus dem beraubten Tempel des Todes stiegen wir wieder hinauf in die oͤden Hallen, an welchen die Zeit zum erstenmal es wagt ihre Sichel zu wetzen. Der Alte schmeichelt sich es noch zu erleben, daß die Abtey wieder hergestellt werde; seine Hoffnung gruͤndet sich auf einige Worte, die Bonaparte einst soll geaͤußert haben. Da der Bau aber große Summen kosten wuͤrde, so ist wenigstens vor der Hand nicht daran zu denken; doch wohl dem guten Greise, daß er noch hienieden an einer Hoffnung haͤngt! sie ist das letzte Oehl zu seinem Lebens - tochte; wer die ihm heute raubt, der findt ihn morgen todt.

Als wir die Abtey verließen, erfuͤllte er sein Ver - sprechen, und fuͤhrte uns, etwa hundert Schritt von da, auf einen kleinen Grasplatz, der sich durch Nichts, durch gar Nichts anszeichnete. Hier, auf einem Raume, den meine ausgebreitete Arme umspannten, lagen unter mei - nen Fuͤßen die Gebeine von mehr als vierzig Koͤnigen,7 Koͤniginnen, Prinzen und Helden. Was in einer Reihe von Jahrhunderten die Oberwelt bewegt, oft umgekehrt, geplagt, oder begluͤckt hatte, dem Allem hatte die Unter - welt ein Plaͤtzchen zugestanden, eben groß genug fuͤr ein Kind, das seine Puppe herumtummelt. Wen Ueber - muth und Ruhmsucht quaͤlen, der fliehe auf diese heilige Staͤtte! Denn, gleichwie die Furien den Orest am Eingang von Dianens Hayn verließen, so werden diese Leiden - schaften ihm bis hieher nicht zu folgen wagen; ja viel - leicht werden selbst, wenn er schon vom einfachen Gras - platze hinwegging, die lauernden ihm nicht mehr schaden.

Sind dann die Gebeine hier all' unter einander ge - mischt? fragte ich den Schweizer, Ach ja! sagte er, ich hatte nicht Zeit sie zu sondern, ich machte schnell eine Grube, und warf sie hinein. Den Einzigen, den Einzi - gen, den ich mir herauszufinden getraue, ist Heinrich der Vierte, denn ihn habe ich zuerst hinab geworfen, seine Knochen liegen ganz unten. Jch vermuthe wohl, daß diese Thatsache Mehreren in Paris bekannt seyn mag; da aber noch manches Jahr, vielleicht noch manches Jahrzehend, verstreichen kann, ehe die Zeit wiederkehrt, wo jeder Franzose laut wuͤnschen darf, die Gebeine des guten Heinrichs einer empoͤrenden Verges - senheit zu entreißen, so will ich, was ich erfuhr, in diese Blaͤtter niederlegen. Und sollte der alte Schwei - zer, sammt Allen, die etwa den Ort kennen, indessen sterben, so kann der Platz doch, so lange ich lebe, nicht verloren gehn, denn ich vergesse ihn nie!

Der Alte begleitete uns bis an den Wagen, und man sah ihm an, wie wohl es ihm gethan, sich einmal von Herzen ausreden zu koͤnnen. Wir saßen lange stumm, und bewegten in der Brust, was wir gesehen, gehoͤrt. Es8 war eine wuͤrdige Vorbereitung auf den Anblick von Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu - schigten Huͤgel uns bescheiden winkte. Als wir uns naͤ - herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau auf den Anhoͤhen unter den Baͤumen, oder als gutmuͤthi - gen Zuschauer neben den Tanzplaͤtzen der Bauern. Das Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswuͤrdi - gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein - fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und ein junges Maͤdchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan - den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer fuͤhrte, dessen Tapeten noch die naͤmlichen sind, wie zu seiner Zeit. Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor - chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten - faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em - pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm auch gleich die Sprache. Fuͤr die Gegenwart gab der Himmel uns Toͤne, fuͤr die Vergangenheit nur Seuf - zer. Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie war so zahm, so gut wir oͤffneten ihr vergebens das Fenster. Gern haͤtten wir an die Seelenwanderung geglaubt.

Wir stiegen hinab in das Gaͤrtchen, wo Rousseau oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht seine Buͤste hinter einer Glasthuͤr, darunter ein artiger Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen9 Namen unter Rousseau's Buͤste gekritzelt finden, mich ei - ner laͤcherlichen Eitelkeit beschuldigen moͤchten, erwaͤhne ich, daß nicht mir, sondern der schoͤnen Hand meiner muthwilligen Begleiterinn, diesen Suͤnde zugerechnet wer - den muß.

Ein wenig durchfrohren traten wir in die Kuͤche, setzten uns vor den Kamin, und hoͤrten die einfach ruͤh - renden Klagen des guten huͤbschen Maͤdchens mit an, dem man vor wenig Tagen seinen Bruder von der Seite ge - nommen, und als Soldat zu einer fernen Bestimmung versandt hatte. Nur zwei Soͤhne besaß die alte Mutter; der aͤltere war schon laͤngst hinaus, ich glaube an die spanische Graͤnze, und sie hatte Nichts wieder von ihm gehoͤrt. Den juͤngern, jetzt den einzigen, hoffte sie zu behalten, weil er ihr Stuͤckchen Feld baute und sie er - naͤhrte aber vergebens! er mußte fort. Von der Graͤnze der naͤchsten Provinz schrieb er noch einmal ein klaͤgliches Lebewohl, und nun meinte die Schwester mit feuchten Augen nun werden wir wohl auch Nichts mehr von ihm zu hoͤren bekommen.

Schon manchmal hat die Frage sich mir aufgedraͤngt: wenn Rousseau zu den Zeiten der Revolution und nach - her gelebt haͤtte, was wuͤrde er gesagt haben? Die Einsiedeley im Thal Montmorency haͤtte ihn nicht vor traurigen Eindruͤcken geschuͤtzt.

Wir flohen bald, wie der Mensch zu thun pflegt, den Anblick eines Kummers, dem wir nicht abhelfen konnten. Auch wurde es spaͤt, wir rollten nach Paris zuruͤck. Eine heitere Wehmuth bezeichnete den Rest dieses schoͤnen Tages.

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Das Kabinet der Antiken.

Die Zeit, deren Arme sich ins Unendliche dehnen, um Alles zu umspannen, und, uͤber das Meer der Vergessen - heit hoch hinrauschend, Alles hinabzuwerfen, laͤßt selten hie und da am Ufer dieses Meeres ein Staͤubchen aus dem Arme schluͤpfen, das der Mensch gierig auffaͤngt und heilig bewahrt, als Erinnerung an Das, was in den Wel - len begraben liegt. Das Beste und Schoͤnste, was von entwichenen Jahrtausenden uns uͤbrig blieb, bewahrt das herrliche, mit der Nationalbibliothek verbundene Kabinet der Antiken zu Paris. Noch ist leider kein Verzeichniß davon zu haben, aber der wackere zuvorkommende Jn - spektor des Kabinets, der beruͤhmte Millin, ersetzt die - sen Mangel dem Fremden vollkommen, und bei seiner un - ermuͤdeten Hoͤflichkeit und Regsamkeit wird man nie ge - wahr, daß er selbst seine Zeit zum kostbarsten Opfer bringt. Vormals standen die gelehrten Antiquare in dem Rufe der Pedanterie, sie mogten, außer ihrem Fache, von Nichts wissen und mit Nichts zu thun haben, am we - nigsten paßten sie in muntere Gesellschaften; die Dichter hingegen schwatzten uͤber Alles, lachten gern, und waren die Seele froher Geselligkeit. Heut zu Tage hat sich, wie Alles, auch dieß geaͤndert. Drei der gelehrtesten Anti - quare, die ich persoͤnlich zu kennen so gluͤcklich bin, Mil - lin, Boͤttiger und Koͤhler, sind zugleich die hu - mansten Maͤnner, die nicht allein keine Gesellschaft ver - derben, sondern wohl im Stande sind, eine verdorbene11 Gesellschaft, wie verschiedene Weinhaͤndler ihren umge - schlagenen Wein, zu verbessern. Hingegen kenne ich große Dichter, die ihre zahl - und maaßlosen Anspruͤche in Gesellschaften mit einer so steifen Derbheit zur Schau stellen, daß jede zarte Freude davon flattert. Millin ist ein sehr lebhafter, geistreicher Mann, mit blitzenden Augen. Sein Thé litéraire, zu dem an jedem Mitt - woche sich so manche ausgezeichnete, einheimische und fremde Gelehrte versammeln, ist schon oft beschrieben worden. Die Waͤnde des Gesellschaftssaals sind durch die seltensten Werke kostbar tapezirt, und in der Mitte desselben steht eine große Tafel, auf welcher man bestaͤn - dig das Neueste und Beste aus Literatur und Kunst, aus allen Sprachen, zur Schau ausgelegt findet. Man steht, sitzt, liest, blaͤttert, schwatzt in großen oder kleinen Gruppen, oder unter vier Augen, wenns beliebt, ißt und trinkt dabei, wenn man hungert oder durstet; kurz, man erfreut sich des vielfachsten Genusses, mit groͤßter Unge - zwungenheit verbunden.

Dem biedern Millin verdanke ich es, daß ich das Kabinet der Antiken mehr als einmal, theils allein, theils durch seinen Unterricht mir fruchtbar gemacht, gesehen habe. Als Kenner davon zu sprechen, ziemt mir nicht; aber der Leser wird es wohl gerne hoͤren, wenn ich ihm historisch aufzaͤhle, was sich etwa in mein Gedaͤchtniß grub, und das fromme Staunen, mit welchem ich diese Ueberreste des hohen Alterthums betrachtet habe, wird vielleicht sich Manchem mittheilen. An egyptischen Sel - tenheiten ist das Kabinet besonders reichhaltig. Jch schweige von der Menge der Goͤtzenbilder, unter welchen die Jsis mit ihrem Sohn Horus auf den Knieen, of - fenbar unsrer heiligen Jungfrau zum Vorbild gedient zu12 haben scheint. Die beruͤhmte, wohlerhaltene Jsista - fel, auf welcher die Figuren mit Silber eingelegt sind, ist schon laͤngst ein Gegenstand gelehrter Nachforschungen gewesen. Ein egyptisches Buch hat Bonaparte ge - schenkt; Schade, daß noch Niemand es zu lesen versteht. Mehrere Schriften auf Papyrus sind von Mumien abgeloͤs[e]t und sorgfaͤltig aufgeklebt worden. Die auch noch vorhandenen Mumien sehen ziemlich zerlumpt aus, weil Cuͤvier sie anatomirt hat, um die Speze - reien zu erforschen, mit welchen sie einbalsamirt worden. Allerlei Schmuck und kleines Hausgeraͤth der Egy - pter versetzt die Phantasie ploͤtzlich in ihre Wohnungen, in ihr haͤusliches Leben. Da sind Loͤffel, Gabeln, Re - chentafeln, Wuͤrfel u. dergl. Ein paar Mumien des Vogels Jbis, der bekanntlich von den Egyptern goͤtt - lich verehrt wurde, weil er ihre Gefilde von dem schaͤd - lichen Gewuͤrm befreiete. Ein Altar, (eins der sel - tensten Stuͤcke) mit Hieroglyphen beschrieben.

Der beruͤhmte Sardonix*)Jst seitdem gestohlen worden., Kaiser Augustus Apotheose darstellend, ist bekanntlich der groͤßte geschnit - tene Stein in der Welt. Germanicus steht vor dem Ti - ber, und in den Wolken schwebt die Familie, lauter Por - traits. Gluͤcklicher Weise haben die frommen Christen in dieser Vorstellung den Joseph zu erkennen geglaubt, wie er den Traum auslegt, und so ist dieses Kunstwerk dem heiligen Zerstoͤrungseifer entgangen. Dasselbe Gluͤck hat eine allerliebste Buͤste von gleicher Materie gehabt, Valentinian vorstellend. Der ehrliche Heide ist lan - ge bei christlichen Prozessionen als Heiliger herumgetra - gen worden. Ein kostbarer Kelch, gleichfalls ein Sar - donix, mag den frommen Kommunikanten wohl oft Heil13 und Trost auf die Lippen getraͤufelt haben, ist aber doch wohl vormals bei den Mysterien des Bacchus gebraucht worden, wie die eingeschnittenen Figuren zur Genuͤge offenbaren.

Jn demselben Schranke liegt die alte Krone der longobardischen Koͤnige, auch die kleinere der Koͤniginnen. Es sind nur Reife. Auf der ersten ist Agilulphus Name eingegraben. Das Ceremonien-Schwert des Großmeisters von Maltha, wird durch die Erinne - rung merkwuͤrdig, wie es hieher gekommen. Auf ei - ner großen silbernen Schaale sind Scenen aus der griechischen Geschichte, zwar sehr kuͤnstlich, aber mit ge - waltigen Zeitverdrehungen dargestellt. Jnteressanter noch war daran ein teursches Turnier, an welchem das Co - stum sehr treu ausgedruͤckt worden. Einen halben Schritt weiter findet man eine Menge kostbarer Dinge aufbewahrt, die aus dem Grabe des Koͤnigs Clovis, Childerichs Vater, genommen worden. Der ehemalige Gebrauch mehrerer derselben laͤßt sich bloß vermuthen, nicht mit Gewißheit bestimmen. Ein sehr altes Schwert und der koͤnigliche Siegelring befinden sich darunter. Gleich daneben liegt eine goldene Kapsel in Form ei - nes Herzeus, in welcher vormals das Herz der Anna von Bretagne verschlossen war. Eine Jnschrift sagt, daß es das beste Herz von der Welt gewesen. Ach! die besten Herzen, die hienieden liebevoll geschlagen ha - ben, bekommen selten goldne Kapseln.

An antiken geschnittenen Steinen ist die Sammlung hier so reich, wie wohl sonst nirgend, und was man hier, als zur zweyten oder dritten Klasse gehoͤrig, nur fluͤchtig uͤbersieht, das wuͤrde an andern Orten fuͤr Schaͤtze erster Ordnung gelten. Millin hat in seinen monumens an -14 tiques die vorzuͤglichsten und seltensten Steine beschrie - ben; auf dieß treffliche Werk verweise ich den lernbe - gierigen Leser. Michel Angelo's Siegelring aber hat, außer der Kunst, auch noch ein menschliches Jn - teresse. Dasselbe gilt von mehreren Portraͤts bekann - ter Personen, derer Aehnlichkeit geruͤhmt wird. Die Koͤ - niginn Elisabeth ist mir durch ihre Haͤßlichkeit, und Maria Stuart durch ihre Schoͤnheit aufgefallen. Daß uͤbrigens im Steinschneiden die Neuern sich wohl noch dann und wann mit den Alten messen duͤrfen, hat der Tyroler Pichler bewiesen, von welchem man hier einen Stein bewundert, mit dem er den groͤßten Kenner, Winkelmann selbst, so vollkommen angefuͤhrt, daß dieser eine eigene Abhandlung daruͤber geschrieben, und den Stein in Kupfer hat stechen lassen.

Die roͤmischen Alterthuͤmer, groß und klein, sind unzaͤhlig. Altaͤre und Grabsteine, Lampen aller Art, Urnen, Thraͤnen - Vasen, Pferdgeschirre, Schluͤssel, Schnallen, Glocken, Fingerhuͤte ein Rad, vermuth - lich von einem Staatswagen, die ersten Muͤnzen der Roͤmer, auffallend durch Groͤße und Plumpheit. Daneben die seltensten greichischen Muͤnzen. Auf der Erde stehen vier große steinerne Tafeln, uͤber und uͤber mit sehr kleinen griechischen Schriften bedeckt. Sie enthalten das noch vollstaͤndige Testament einer Griechinn, die ihr Vermoͤgen zu einer Sammlung von Kunstsachen vermacht. Daß sie zugleich eine gute gefaͤl - lige Gattinn gewesen, beweist die Ursache, welche sie von diesem Vermaͤchtnisse anfuͤhrt, ihr Mann habe es naͤm - lich gewuͤnscht. Viele, in Herculanum ausgegrabene Alterthuͤmer werden jeden Beschauer interessiren. Es befinden sich unter andern ein paar plumpe goldene Arm -15 baͤnder darunter, welche man einem Skelett abgenom - men, die aber doch bei weitem nicht so schwer sind, als sie aussehen. Ferner Dames-Ohrringe, die mir sehr unbequem geschienen.

Seltsam aufgefallen ist mir eine Tafel, auf wel - cher die Megarenser, auf Befehl des Orakels von Del - phos, einem gewissen Orippos ein Ehrendenkmaal er - richtet, weil er den Preis des Laufens in den olympi - schen Spielen zum erstenmal ganz nackend errungen. Vorher pflegte man immer Etwas um die Lenden zu be - halten, das wenigstens die Stelle eines Feigenblattes er - setzen konnte. Doch je nackender der Preisbewerber war, je leichter mußte ihm wohl das Laufen werden; das Ora - kal hat also wahrscheinlich nicht die groͤßere Geschicklich - keit des Orippos, sondern vielleicht seine Verachtung der Vorurtheile belohnen wollen.

Neben einem merkwuͤrdigen Stein mit phoͤnizi - scher Schrift steht eine sehr alte, und ausdrucksvolle Buͤste eines methodischen Arztes, medicus asiaticus ge - nannt, von dem die Jnschrift ruͤhmt, er habe viel Gu - tes und viel Boͤses in seinem Leben erfahren, und sey Oberhaupt der methodischen Sekte gewesen.

Aeußerst interessant ist ein schoͤner Stein, groͤßer als ein Kopf, mit Figuren und persepolitanischer Keilschrift, die, wo ich nicht irre, der gelehrte Lich - tenstein in Helmstaͤdt bereits zu erklaͤren versucht hat. Es soll ein Klagelied seyn; ich begreife aber nicht, wozu der Stein gedient haben kann? Zum Aufrechtste - hen ist er nicht gerichtet, denn er laͤuft oben und unten schmal zu; man sieht auch nicht, daß er irgend worin oder worauf befestigt gewesen. Zum Liegen ist er auch nicht eingerichtet, denn dann wuͤrde die Schrift auf einer16 Seite verdeckt werden. Jch verweise den Leser auf eine Abhandlung im teutschen Merkur.

Jch will Manches und Mannichfaltiges noch kurz zusammen fassen, um nicht lange bei Gegenstaͤnden zu verweilen, die gesehen und derer Werth empfun - den werden muß.

Mehrere Kleinigkeiten aus Persepolis eine kostbare, aber geschmacklose Schuͤssel eines persischen Fuͤrsten, Mumiensaͤrge, eine große Bade - wanne von Porphyr. Eine große, zu Rheims gefundene und mit Goldstuͤcken angefuͤllte goldene Schuͤssel, die vermuthlich in einem Tempel diente. Man erblickt darauf den Wettstreit im Saufen zwischen Herkules und Bacchus, der erstere ist offenbar schon bene - belt; auf dem Rande der Schuͤssel ist des Bacchus Tri - umphzug dargestellt, und Herkules wird betrunken nach Hause geschleppt. Ein Aschenkrug von Porphyr, in welchem die goldene Bulle eines jungen roͤmischen Patriciers gefunden wurde. Allerlei christliche Alterthuͤmer, Bischofsstaͤbe u. dgl., die durch den bereits gehabten Genuß etwas unschmackhaft werden. Die franzoͤsische Koͤnigskrone. Aufgestellte Ruͤstungen von Heinrich JV., Suͤlly und Mehreren. Chineser in ihren Trachten. Ein chinesisches Haus, in dem ein Hollaͤnder einen Besuch abstattet. Die ganze kaiserl. chinesische Familie, wovon eine Prinzessinn Tochter mit dem Kopfe wackelt. Ein chine - sisches Gebaͤude von Elfenbein, so fein gearbeitet, daß man darauf schwoͤren sollte, es waͤren Spitzen. Waf - fen, Pfeile, Kleider, Federn u. s. w. von Wil - den aus allerlei Nationen u. s. w. Auch eine neuere Merkwuͤrdigkeit befindet sich in dieser Art von Rumpel -17 kammer, naͤmlich die sehr zusammengesetzte Platte zu den vormaligen Assignaten.

Noch ein großer Schatz, mit dessen fluͤchtiger Er - waͤhnung ich meine kurze Nachricht beschließe, ist das herrliche Muͤnzkabinet, welches man gleichfalls hier aufgestellt findet. Es ist musterhaft eingerichtet. Die Staͤdte liegen nicht mehr, wie vormals, in alphabeti - scher Ordnung, sondern die Laͤnder beisammen, dann wiederum in jedem Lande die Staͤdte einzeln, und zuletzt die Koͤnige und Herren. Was man gewoͤhnlich schon in einzelnen Exemplaren fuͤr sehr selten haͤlt, findet sich hier bei halben Dutzenden, z. E. die Muͤnzen von Otho, doch nur Goldmuͤnzen (denn kupferne giebt es nicht von ihm. ) Mit Bewunderung des Fortschreitens der Kuͤn - ste betrachtet man die Kindheit der Stempelschneide - kunst in den ersten Muͤnzen der mazedonischen Koͤnige.

Moͤgte doch unser brave Landsmann, Winkler, der gleichfalls bey der Nationalbibliothek angestellt ist, seinem Amte so viel Zeit entwenden koͤnnen, um ein Ver - zeichniß dieses einzigen Kabinets anzufertigen, oder viel - mehr moͤchte es ihm zur belohnten Amtspflicht gemacht werden! Gewiß waͤre, durch Fleiß und Kenntnisse, Nie - mand geschickter dazu als er.

Der Pariser Laufbericht.

So hieß eine schlechte deutsche Zeitung, die bis zu An - fange dieses Jahres in Paris herauskam, und, wie man sagt, von einem gewißen Doktor Seyffert, einem Sach -18 sen, geschrieben wird, der vormals Leibarzt des Herzogs von Orleans war, und sich waͤhrend der Revolution durch gemaͤßigte Gesinnungen empfohlen (Andere behaupten, nicht empfohlen) haben soll. Doch das koͤnnte uns jetzt gleichviel gelten, wenn er nur unsre Muttersprache nicht revolutioniren, und den Parisern weiß machen wollte, er schreibe eine deutsche Zeitung fuͤr die Franzosen. Sie ist nun zwar schon zu Grabe gegangen, diese drollige Miß - geburt, aber es verlohnt der Muͤhe, sie noch einmal aus der Vergessenheit hervor zu ziehen, damit sie den einzig moͤglichen Nutzen stifte, naͤmlich unser Lachen errege.

Diese Afterzeitung erschien mehrere Male wochentlich, nie versaͤumte ich sie zu lesen, und immer bemerkte ich mir auf ein Zettelchen die auffallendsten Worte. Daraus ent - stand endlich ein drolliges Woͤrterbuch, welches wohl am meisten unterhalten wird, wenn ich versuche, es in einen Zusammenhang zu bringen. Jch habe daher Briefe im Styl des Pariser Laufberichts und mit dessen eige - nen Worten entworfen, die ich zum Scherz hier mittheile.

Mein Herr!

Ein Hirnfluß1)Katharr., der daher entstanden ist, daß ich im Traͤubler2)Vendemiaire. meine Baarhouke3)Peruͤcke. nicht aufge - setzt, und der mir sogar einen Saftkrampf4)Fieberparoxismus. zuzog, hat mich abgehalten, Jhnen mein Schaͤtzgefuͤhl5)Achtung. zu bezeigen, wie auch Jhnen die Merkgeschichtel6)Anekdoten. des hiesigen Freithums der Franzosen7)Franzoͤsiche Republik. mitzu - theilen. Der Oberregsrath8)Erster Konsul. und seine Feldge - huͤlfen9)Adjutant. und Nachschalter10)Substitut., sind jederzeit uͤb -19 schaͤftlich11)praktisirend. bemuͤht, bald Staatsrenner12)Kourier, fortzusenden, bald das Hinterhaltsheer13)Reservearmee. vor Ablaufer14)Desertion. zu schuͤtzen. Jn der Kriegskran - ken-Pflegerey15)Militaͤrhospital. ist waͤhrend des Hitzers16)Thermidor. und Oebstlers17)Fruktidor. ein Seuchdunst18)Miasma. und Luft - verdurb19)Miasma. entstanden, welche den Traulingen20)Patienten. des Stadtnaturforschers21)Stadtphysikus. uͤbel bekommen, und von den Gesundheitsbesorgern22)Officier de Santé. durch ihre Schriftfuͤhrer23)Sekretaͤr. regschaͤftlich24)offiziell angezeigt wor - den. Der kriegerische Vorschwung25)ist schwer zu erklaͤren. ist dem Schrift - thum26)Literatur. fristfaͤltig27)soll wohl heißen von Zeit zu Zeit. unguͤnstig. Man sagt, im Keimer28)Germinal. oder Bluͤmner29)Florial. werde es losgehn, und so gar das buhlseuchige30)kokett. Hofgeweibe31)Hofdame. belobklatscht32)applaudiren. diesen Vorsatz. Jch lebe unterdes - sen ganz unfaͤltig33)simpel., besehe die Oltdinge34)Antiquitaͤten., und gehe oft auf die Laͤngenheitsfachstube35)Bureau de longitudes. des Sternbeobachtungsthurmes36)Observatorium.. Jm hel - feyderschen Freythum37)Helvetische Republik. soll es jetzt unruhig aus - sehen. Wenn die guten Leute nur ihre Wortstaͤ - bung38)Sprache. fuͤr Verbuntung und Sprachkraͤtze39)Verunreinigung. huͤteten, gleich

Jhrem

Freunde, Hans Reinteutsch.

20

Ein dito.

Meine Frau! 40)Madam.

Jch eile, Sie von der neusten Schmuͤcklaune41)Mode und Behaͤublung42)Coeffuͤre. zu unterhalten. Auf Spazier - gaͤngen traͤgt man Heldinroͤcke43)Amazonen. wie auch Zaͤrtel - und Froͤstelroͤcke44)Douilletten. mit Knuͤpffluͤgeln45)Zum Zuknoͤpfen.. Die Lauschhaͤubchen46)Kornetten. empfangen jetzt große Gunst47)sind beliebt., auch die Tuͤrkenwickel48)Turban., und der wallschwester Putz49)weis ich nicht zu er - klaͤren. wird mit Blitzsteinen und Putzeicheln verziert, findet aber selten An - wand50)wird wenig getragen.. Nilschlaͤmmig und duͤrrlaubfarbig wird geliebt, das ist Alles, was ich von der Putz - tracht51)Mode. zu sagen weis. Jetzt komme ich auf mich selbst. Seit dem Windner52)Ventose. hat mich die Liebe zu Jhnen ganz rippsichtig53)Hypochonder. gemacht. Jch habe eine Stocksaͤftigkeit in den Schluͤpferdruͤsen, und oft solche Suchtsfaͤlle54)Paroxysmen., daß ich hundert Walz - stoͤße55)Pulsschlaͤge. in einer Zaude56)Minute. zaͤhle, mags57)obgleich. die Abflatung58)Stuhlgang. mit Huͤlfe des Arzeneyvermitt - lers59)Apotheker. und seiner Wißgenossen60)Kollegen. gehoͤrig unter - halten wird. O jeder meiner Blutwalze61)Puls. schlaͤgt fuͤr Sie! wann werden Sie einmal gesaͤnftet62)sanfter. werden! wann werde ich mit holder Abmundung63)Accent. das Wort von Jhnen hoͤren: Jch liebe dich! Jch bin21 zwar nur ein armer lehrwißlicher64)theoretischer. Schriftthum - ler65)Schriftsteller., aber durch viele Anheischige66)Abonnenten. habe ich gute Einnahme. Sprechen Sie, von welchem Augen - blicke darf ich mein Gluͤck bezeiten67)datiren.? O haͤtt 'ich Eilreuter68)Kourier., oder lieber noch eine Wortschleu - der69)Telegraph., um Jhnen taͤglich in jeder Selbe70)Sylbe. zu wiederholen, wie sehr mein Herz Sie in Eraͤchtniß nimmt71)Eigene Ausdruͤcke des Laufberichts., und wie ich mich fuͤr eingekaysert72)Eigene Ausdruͤcke des Laufberichts. und eingekoͤnigt73)Eigene Ausdruͤcke des Laufberichts. halten werde, so bald ich mich ganz nennen darf

Jhren

Hans Reinteutsch.

Damit man jedoch nicht glaube, ich wolle mich bloß uͤber den guten Hans Reinteutsch lustig ma - chen, und mehr auf seine Schultern buͤrden, als er zu tragen verdient, so will ich eine von ihm selbst gebaute Periode ganz unveraͤndert hieher setzen.

Die Sprachreinigung, Freund, ist tiefdenkend be - trachtet, vielleicht der staͤrkste Mittheil einer wahren Grundanlage der Gluͤckseligkeit eines gesitteten Volkes; sie bereitet das Grab des von der Wildniß uͤberbrachten und gesittet so kostlaͤstigen Betruges, vermindert die den Voͤlkern so laͤstige Streitfechterey u. s. w. kurz, ein ge - meiner Verstand reiner Sprache vermehrt das Vernunft - licht, vermindert die wilde Macht der Einbildung, er - klaͤrt das reiche Vorgetuͤmmel (?) und schwaͤcht die Menge des in gesitteten Staatsversellungen uͤberleiben - den Untertuͤmmels. (?) Was sagen nun meine Leser zu diesem Vorgetuͤmmel und Untertuͤmmel?

22

Hier auch ein Proͤbchen seines Witzes.

Die Schuͤlerinn und der Rechenmeister.

Die Schuͤlerinn. Bin ich schon weit im Rechnen, Herr Lehrer?

Rechenmeister. Gewiß, meine Schoͤne, schon an der 9.

Endlich auch noch ein Beweis, wie gut der Mann von Allem unterrichtet ist, was, die deutsche Sprache betreffend, in seinem Vaterlande vorgeht.

Friedrich der Zweite, sagt er, sey bis zum sieben - jaͤhrigen Kriege ein Feind der deutschen Sprache gewesen, dann aber habe er Gellerts Schriften alle gele - sen, und ihm versprochen, gleich nach dem Kriege in seinen Staaten alles Moͤgliche fuͤr die hochdeutsche Sprache zu thun. Er habe auch Wort gehalten, und seitdem bluͤhe das Hochdeutsche in den preußischen Staaten. Aus dieser Liebe endlich, fuͤr das Deutsche, habe Friedrich darauf bestanden, daß der Teschner Friedensschluß deutsch geschrieben werde. Das Lateinische werde jetzt nur noch von Quacksalbern gebraucht.

Natuͤrlich konnte ein solches dem Unsinn geweihte Blatt sich keine lange Dauer versprechen; es ist aber seitdem, durch einen andern Redakteur besser ausgestat - tet, aus dem Dunkel wieder ans Licht getreten.

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Kriminal-Justiz.

Die Neubegier trieb mich in das Palais de justice, um dem gerichtlichen Verhoͤr eines Delinquenten beizuwohnen. Jm Hintergrunde eines großes Saales erblickte ich drei Richter in langen schwarzen Amtskleidern, mit Baretten auf den Koͤpfen, sitzend an einer Tafel. Hinter ihnen an der Wand las ich die mit großen goldenen Buchsta - ben eingegrabenen Gesetze, welche den Richtern einschaͤrf - ten, daß sie nie ungehoͤrt verdammen, nie eine haͤrtere Strafe auflegen sollten, als das Gesetz vorschreibe u. s. w. Den Richtern zur Rechten, auf erhoͤhten Baͤnken, saßen die Geschwornen in gewoͤhnlichen Kleidern. Zur Linken, den Geschwornen gerade gegenuͤber, und noch erhoͤhter, befand sich der Angeklagte zwischen zwei Soldaten. Zu den Fuͤßen des Angeklagten saßen zwei Rechtsgelehrte, seine Vertheidiger. Vor der Tafel der Richter, und mit dem Ruͤcken gegen dieselben gekehrt, schrieb ein Protokollist; links und rechts, wo die erhabenen Sitze aufhoͤrten, befanden sich abermals zwei Schreiber, hinter welchen die Huissiers standen, die, so oft es noͤthig war, laut, Silence! riefen. Den Richtern gerade gegenuͤber waren niedrige Schranken, die sie vom Volke schied, und an derer innern Seite eine Bank herlief, welche fuͤr die Zeugen bestimmt war. Hinter diesen Schranken befand sich abermals ein ein - geschlossener Raum, welcher drei oder vier Baͤnke faßte, theils um die Zeugen nach abgelegtem Zeugnisse aufzu -24 nehmen, theils fuͤr distinguirte Personen unter den Zu - schauern. Dann folgten noch eine Menge Baͤnke hinter einander, die von einer niedern Volksklasse eingenommen waren, und endlich ein großer Raum zum Stehen fuͤr den Poͤbel. Das Ganze gewaͤhrte in der That einen im - posanten Anblick. Der Saal war sehr angefuͤllt, und auch oft geraͤuschvoll, doch konnte man sehr deutlich be - merken, daß, so oft ein Geraͤusch entstand, es nicht auf fremde Gegenstaͤnde, sondern auf die verhandelte Sache sich bezog, deren Untersuchung der ganze Haufe aufmerk - sam verfolgte. Jch muß hier abermals die gastliche Hoͤflichkeit der Franzosen ruͤhmen. Als ich kam, war das Verhoͤr schon im vollen Gange, und ich mußte mit einem Platze hinter dem Poͤbel vorlieb nehmen. Kaum aber hatte mein Lohnlaquay dem naͤchsten Huissier einen Wink davon gegeben, daß ich ein Fremder sey, als die - ser mir sogleich bis zu den Baͤnken der gemeinen Leute verhalf; und kaum hatte mich hier wiederum Einer der Protokollisten wahrgenommen, als er mir Platz machen und die Schranken der naͤchsten Baͤnke oͤffnen ließ, wo ich dann zum Theil unter den Zeugen saß, und Alles recht gut sehen und hoͤren konnte.

Der Delinquent war ein junger muthwilliger Ban - queroutier. Ein Zeuge nach dem andern wurde vorge - rufen, der mittelste Richter oder Praͤsident that die ge - woͤhnlichen Fragen an ihn, nach Namen, Alter, Stand, Verhaͤltnissen mit dem Angeklagten u. s. w. Dann fuͤgte er eine kurze Ermahnung hinzu, die Wahrheit getreulich zu berichten, ließ ihn aber nicht schwoͤren. Endlich schloß er mit den Worten: Erklaͤren Sie, Buͤrger, (denn hier allein hoͤrt man noch Etwas von Citoyen, und hier ist es auch ganz an seiner Stelle)25 erklaͤren Sie, Buͤrger, den Geschwornen, was Sie von der Sache wissen.

Der Zeuge wendet sich hierauf an die Geschwornen und erzaͤhlt. Die Geschwornen bleiben stumme Zuhoͤrer, der Praͤsident aber thut, wo es ihm noͤthig scheint, Fra - gen dazwischen, und, wenn er Nichts mehr zu fragen weis, ersucht er den Zeugen sich wieder auf seinen Platz zu verfuͤgen. Dann kehrt er sich zu dem Angeklagten, sprechend: Habt ihr Etwas gegen die Aussage des Zeugen einzuwenden? Worauf dann dieser seine Einwendungen vorbringt, der Zeuge auch wohl zum zweitenmal aufgerufen wird, und so gewißermaßen ein Gespraͤch zwischen dem Angeklagten, dem Praͤsidenten, und dem Zeugen entsteht, wobei alle Drei sich einer ge - wißen Urbanitaͤt befleißen, und das Harte, was sie et - wa zu sagen hatten, doch immer in einem hoͤflichen, voͤl - lig leidenschaftlosen Tone vortragen.

Der junge Banqueroutier, ein Meubelhaͤndler, schien mir ein großer Spitzbube. Trotz seiner Jugend wußte er sich immer sehr gut zu fassen, schob Alles und Alles auf seine Mutter, deren Geschaͤfte er bloß gefuͤhrt, da er selbst das erforderliche Alter noch nicht habe; und wenn er nicht weiter konnte so laͤugnete er gerade - zu. Der Richter wußte ihn jedoch einigemal ganz fein in seiner Aussage zu verwickeln, und dann entstand jedes - mal eine Art von Beifallsgemurmel unter dem versam - melten Volke, das einen sehr richtigen Takt voraussetzte.

Mit wahrem Vergnuͤgen brachte ich wohl einige Stunden hier zu; da aber die Zahl der abzuhoͤrenden Zeugen sehr groß war, so konnte ich das Ende nicht er - warten. Als der mir am naͤchsten sitzende Schreiber merkte, daß ich gehen wollte, naͤherte er sich mir sehr26 hoͤflich, und benachrichtigte mich, daß am dritten des kommenden Monats ein noch weit interessanteres Ver - hoͤr statt finden werde, als das heutige, zu welchem er mich einlade, wenn es mir Vergnuͤgen gewaͤhre. Dieses Zuvorkommen, welches ich schwerlich irgendwo in Deutsch - land haͤtte erwarten duͤrfen, uͤberraschte mich in der That. Jch dankte ihm herzlich, und ermangelte nicht mich am bestimmten Tage einzufinden.

Diesesmal waren der Angeklagten nicht Weniger als vierzehn. Da nun jeder seinen eignen Soldaten bei sich hatte, so war auf den fuͤr sie bestimmten Baͤnken kaum Platz fuͤr alle. Dazu kam noch, daß die rothen Federbuͤsche der Soldaten viele Gesichter der Delinquen - ten verbargen, und dadurch manche physiognomische Be - merkung verhinderten. Sie hatten saͤmmtlich an der fa - brikation falscher Banknoten Theil genommen. Ein Ku - pferstecher Namens Duclos, der sich anheischig gemacht hatte, die Platten zu stechen, spielte die verhaßte Rolle des Angebers, und wurde so eben abgehoͤrt, als ich hineintrat. Aus mehreren Aeußerungen der Angeklagten erhellte ziemlich deutlich, daß der Patron sich schwerlich verrathen haben wuͤrde, wenn er so viele Vorschuͤsse be - kommen haͤtte, als er unaufhoͤrlich verlangte. Nach sei - ner Anzeige an die Obrigkeit bediente sich die Polizey seiner, um die Uebrigen zu fangen. Er lockte saͤmmtli - che Spießgesellen zu einem Diner in Lyon. Keiner ahnete den Verrath, und so fielen sie alle auf einmal den Auf - passern in die Haͤnde.

Die Vertheidiger der Angeklagten warfen ihm diese Hinterlist bitter vor. Sie fuͤhrten unter andern an (und er konnte es nicht laͤugnen), daß Einige der Ver - hafteten mehreremal gegen ihn geaͤußert: sie wollten die27 Sache aufgeben, es reue sie, sie wollten Nichts weiter darmit zu thun haben. Warum, so apostrophirten sie den Angeber sehr feierlich, warum sagtet ihr diesen nicht, was ihr vorhattet? Traten diese auch bei, so so mußten die Uebrigen von selbst auseinander gehn, und vierzehn Hausvaͤter waͤren nicht in dieses unabsehbare Elend gestuͤrzt worden.

Duclos stotterte und wußte Nichts zu erwiedern. Ein allgemeines Gemurmel des Unwillens unter dem Volke antwortete statt seiner.

Der erste Delinquent war ein kecker Patron, er laͤugnete Alles frisch weg trotz der buͤndigsten Beweise. Seine immer wiederholte und einzige Antwort war: Jch weis von allem Dem Nichts. Der zweite machte es beina - he eben so. Der Richter verstand aber das Fragen sehr gut, und verwickelte die Laͤugner oft in ihre eigene Aus - sagen. Der Dritte erzaͤhlte die ganze Geschichte sehr aufrichtig, und wurde einigemal von seinen Thraͤnen un - terbrochen. Nachdem er die Erzaͤhlung vollendet hatte, fuͤgte er die ruͤhrenden Worte hinzu: Zu meiner Ent - schuldigung weis ich weiter Nichts zu sagen, als: Jch kam aus St. Domingo, hatte Alles verloren, Niemand wollte mir helfen, und meine Kinder hungerten. Der Mensch war gewiß mehr Ungluͤcklicher als Boͤse - wicht. Die Meisten wurden verdammt, mit ei - nem F. auf der Schulter gebrandmarket zu werden und sechs Jahre Ketten zu tragen. Ob, wenn diese sechs Jahre um sind, der Monsieur Duclos nicht noch die Fol - gen seiner Angeberei spuͤren wird, steht zu erwarten. Die Delinquenten schienen sehr erbittert gegen ihn und das Volk nicht minder. Es war sehr merklich, daß es, vor dem Richterstuhle des Gewissens, ihn fuͤr strafbarer hielt, als Jene.

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Jm Ganzen habe ich von der jetzigen Prozedur der Franzosen bei Kriminalverhoͤren eine sehr guͤnstige Mei - nung bekommen, und ich wuͤßte in der That nicht, wie sie zweckmaͤßiger eingerichtet werden koͤnnte.

Das Nachmachen des gemuͤnzten sowohl, als des Papiergeldes, ist jetzt ein haͤufig vorkommendes Verbre - chen, zu welchem das große Elend treibt. Aber je sinn - reicher die Fabrikanten sind, je wachsamer ist die Polizey. Am 22sten Oktober wurde Einer Namens Pescio St. Si - mon guillotinirt, weil er die neuen Fuͤnffrankenstuͤcke mit Bonaparte's Bildnisse nachgemacht hatte. Er kaufte zum erstenmal fuͤr 6 Sous Gemuͤse, und wechselte einen sei - ner falschen Thaler, den man sogleich fuͤr falsch erkannte, dem Wechsler nachsetzte, und ihn einholte, als er aber - mals 4 Sous Toback mit seiner fabrizierten Muͤnze be - zahlen wollte. Sobald er jedoch merkte, daß er in Ge - fahr sey, ließ er sein Geldstuͤck fallen, und entsprang gluͤcklich. Einige Tage nachher trieb ihn der Hunger doch wieder heraus, er wagte sich zu einem Fruchthaͤnd - ler, in dem Augenblicke, als nur die Frau desselben in der Bude war, von der er vermuthlich wußte, daß sie ein bloͤdes Gesicht habe. Jhr gab er ein Fuͤnffrankenstuͤck, sie verließ sich aber nicht auf ihre Augen, sondern rief ihren Mann herbei, der es sogleich fuͤr falsch erkannte, und den Pescio ersuchte, mit ihm zum Polizeykommis - sair zu gehen. Statt der Einladung zu folgen, lief er davon, der Fruchthaͤndler hinter ihm her, aus vollem Halse schreiend. Sogleich arretirten ihn die Voruͤberge - henden; als sie aber hoͤrten, warum man ihn der Po - lizey ausliefern wollte, bemuͤhten sie sich, (welches sehr merkwuͤrdig ist,) ihn wieder durchschluͤpfen zu lassen. Offenbar sieht also das Volk dieses Verbrechen nicht fuͤr so29 schwarz an, als es sollte, und es bestaͤttigt sich hier aber - mals, daß der groͤßere oder mindere Abscheu dagegen, bloß von der Art und Weise abhaͤngt, wie die Staats - gelder uͤberhaupt eingetrieben, oder verwandt werden.

Pescio kam dennoch nicht mehr durch. Jn dem Augenblicke seiner Verhaftnehmung machte er sich noch verdaͤchtiger, indem er ein Papier wegwarf, in welches noch vier falsche Frankenstuͤcke gewickelt waren. Er be - kannte sogleich Alles, nannte auch einen Mitschuldigen, einen Gensd'arme, von der sogenannten élite à cheval. Am 29sten Vendemiaire wurde er guillotinirt.

Sehr loͤblich scheint mir die Gewohnheit, den gan - zen Prozeß, mit sammt dem Urtheile, durch oͤffentlichen gedruckten Anschlag bekannt zu machen.

Gemuͤthsstimmung der Pariser.

Wenn man nicht wuͤßte, daß es uͤberhaupt eine unver - tilgbare Unart der Menschen ist, immer die Zukunft, nie die Gegenwart zu genießen, und folglich, wenn nun die Zukunft wirklich zur Gegenwart wird, des Ge - nusses bereits uͤberdruͤßig zu seyn; wenn, sage ich, diese Erbsuͤnde nicht auf allen Adamskindern haftete, so soll - te man die Franzosen fuͤr inkonsequenter halten, als die uͤbrigen Erdbewohner, denn ihre Revolutionen sammt al - len daraus entsprungenen Folgen haben sie herzlich satt, und die Meisten wuͤnschen die gute alte Zeit zuruͤck.

Jn einer Diligenze fuͤhrte der Zufall zehn Personen von verschiedenen Staͤnden zusammen: einen Unteroffizier,30 Landeigenthuͤmer, Kuͤster, Arzt, Zeitungsschreiber, Au - tor, Holzhaͤndler, Advokaten und Juden.

Schade, daß wir Frieden haben, hub der Sol - dat an, im Kriege hoffte ich mein Gluͤck zu machen, so aber bleibe ich nur Sergeant.

Der Landeigenthuͤmer. Freilich, die ganze Welt mag umgekehrt werden, wenn Sie nur avanziren. Jch wuͤnsche zwar auch Krieg, aber aus ganz andern Ursachen: die Kornpreise werden immer geringer, das Brod ist fast umsonst zu haben.

Der Holzhaͤndler. Ach! wenn wir nur wie - der ein paar tuͤchtige Winter erlebten! Aber der Kalen - der des Herrn Lamark verkuͤndet Nichts als Nebel, Re - gen und Suͤdwind. Ja sonst, da hatten wir noch zu - weilen 18 Grad Kaͤlte, aber jetzt

Der Advokat. Gott sey Dank, daß es warm bleibt! Die Advokaten muͤßten ja erfrieren. Man hat die Zahl der Rechtsgelehrten dermaßen vergroͤßert, man hat Friedensrichter und Vergleichsbuͤreaus eingefuͤhrt, man droht uns sogar mit einem Civilgesetzbuche wie in Preußen. Ja, sonst konnte man bei 40 Jahren sich mit 40000 Livres jaͤhrlicher Einkuͤnfte in Ruhe setzen.

Der Zeitungsschreiber. Wenn ihr klaget, was soll ich thun? Jm Kriege gab es taͤglich gewonnene und verlorne Schlachten, belagerte und eroberte Staͤdte, tausend widersprechende Verordnungen, uͤberall Aufruhr; da war keine Provinz, kein Staͤdtchen, die nicht ihr Erd - beben, ihre Ueberschwemmung gehabt haͤtten, und wie die Elemente, so kaͤmpften die Partheien mit einander; aber da ist ploͤtzlich ein Mann gekommen, der, wie Ne - ptun, Alles zum Schweigen gebracht hat. Hoͤchstens giebt es eine Hoͤllenmaschine, oder ein paar Steine, die aus dem Monde herabfallen.

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Der Arzt. Seitdem man nicht mehr Ader laͤßt, und nicht mehr soviel Tisane zu trinken giebt, ist unsre Kunst verloren. Die Vapeurs und Nervenkrankheiten sind ganz aus der Mode, keine huͤbsche Frau will auch nur ein paarmal woͤchentlich in Ohnmacht fallen, um in - teressant zu erscheinen. Jm Gegentheil sie laufen mir Nichts dir Nichts halbnackend herum, und bekommen hoͤchstens eine langweilige Schwindsucht.

Der Kuͤster. Das ist es eben, was auch mich in Verzweiflung bringt. Jch hatte das Begraben in meinem Kirchspiele gepachtet, und rechnete wenigstens auf zehn Todte woͤchentlich. Jch bin ruinirt.

Der Arzt. Meine Schuld ist es nicht. Von meinen Kranken stirbt immer richtig die Haͤlfte.

Der Jude. Uns geht es am schlimmsten. Jeder - mann will heut zu Tage Jude seyn. An jedem Hause liest man: Bureau de prêt, mont de piété, u. s. w. Der Name Jude wird ganz vergessen. Man geht, wenn man Geld braucht, zum Ersten, Besten, Christ oder Jude, und wird von Einem wie vom Andern bedient. Ueberdieß hat man den Termin der Volljaͤhrigkeit leider abgekuͤrzt, und die jungen Leute haben gar zu viele Mit - tel sich selbst zu helfen. Unter dem ancien regime hat - ten wir vier Jahre laͤnger zu arbeiten, und das wa - ren gerade die rechten Aerntejahre.

Der Autor. Und ich, meine Herren! liege ich denn auf Rosen? Meinen Sie, dem Schriftsteller fließe Milch und Honig? Seit 20 Jahren schreibe ich; und sehen Sie, wie mein Rock aussieht. Alles hab 'ich ver - sucht, Nichts ist gelungen. Jch hatte meinen Glaͤubi - gern ein herrliches Schauspiel verpfaͤndet; eh bien! es ist ausgepfiffen worden, denn man hat keinen Geschmack32 mehr. Endlich schrieb ich ein vortreffliches Werk uͤber das gelbe Fieber, als es gerade in Cadix herrschte. Was geschieht? Kaum ist mein Buch gedruckt, so hoͤrt das Fie - ber auf, und da liegen nun die Exemplare wie Blei. Ja, vor alten Zeiten, ehe man die Buchdruckerkunst er - fand, da galt ein Schriftsteller noch seinen Preis. Anno 1471 zahlte Ludwig XJ. 100 Goldthaler und 12 Mark Silber fuͤr eine Kopie eines schlechten arabischen Buchs uͤber die Arzeneikunst. Unter Ludwig XJJJ. gab der Kar - dinal Richelieu 600 Livres fuͤr sechs Verse. Das waren gute Zeiten!

Der Soldat. Unter Karl dem Kahlen gab es eine Schlacht bei Fontenay, wo 100000 Mann auf dem Platze blieben und die Unteroffiziere schnell avanzirten. Das waren gute Zeiten!

Der Landeigenthuͤmer. Anno 1336 war die Hungersnoth so groß, daß die Menschen sich unter - einander aufaßen, und das Maaß Mehl 50 Franken ko - stete. Das waren gute Zeiten!

Der Arzt. Anno 1269 herrschte eine so furcht - bare Pest in Paris, daß taͤglich 150 Personen starben. Die Aerzte konnten nicht umkommen

Der Kuͤster. Und die Kuͤster nicht Graͤber genug bestellen. Ach ja, daß waren gute Zeiten!

Der Advokat. Vor der Reform der Tribunaͤle hatte ich taͤglich wohl 10 Prozesse zu plaidiren, Bitt - schriften zu uͤberreichen etc. Zwanzig Familien weinten alle Morgen vor meiner Thuͤre. Das waren gute Zeiten!

Der Jude. Ehe die Banquiers, Maͤkler, Wechs - ler, Leihhaͤuser, Froͤmmigkeitsberge, u. s. w. in Schwang kamen, da waren gute Zeiten, denn Alles ge -33 hoͤrte uns. Damals nahm man auch die beschnittenen Thaler, heut zu Tage wiegt man Alles.

Der Zeitungsschreiber. 1793 und 94 gab es alle Tage Konspirationen, woͤchentlich drei bis vier Volksaufstaͤnde, monatlich 7 bis 8 Schlachten, in jedem Kanton einige Massakren, jeden Morgen 150 revolutio - naire Verurtheilungen, jeden Abend 50 bis 60 National - dekrete, Reden, Motionen, etc.

Obwohl dieses ganze Gespraͤch nur zum Scherz er - funden seyn mag, (da es sich in der ganzen Welt mit Wahrheit parodiren ließe) so kann man doch aͤhnliche Aeußerungen uͤberall hoͤren. Ganz zufrieden ist eigent - lich Keiner, nicht einmal der Emporkoͤmmling, denn er sieht noch einen Andern Emporkoͤmmling uͤber sich und meint, die Stelle habe ihm gebuͤhrt. Das ist der Lauf der Welt.

Die Graͤuel der Revolution werden allgemein verab - scheut, theils von Herzen, theils um die Mode mit zu machen. Diejenigen, die an jenen Graͤueln thaͤtigen An - theil genommen, werden nicht verfolgt, sondern ver - gessen; nicht einmal Groll scheint man mehr gegen sie zu hegen. Barras lebt zu Bruͤssel unter Menschen, wel - chen er viel Boͤses zugefuͤgt hat, und die dennoch freund - lich mit ihm umgehen.

Das die Pariser sich der alten Zeiten nicht ungern erinnern, wird bei hundert Gelegenheiten und aus hun - dert kleinen Zuͤgen bemerkbar. Das Portrait Ludwig XVJ. findet man in allen Bilderlaͤden. Am Abende meiner An - kunft besuchte ich die Oper Adrien, und hoͤrte mit Er - staunen die Worte: fidéle à mon roi, enthusiastisch be - klatschen. Der sogenannte Palast des Tribunats heißt wieder allgemein Palais royal, die letzte Post vor Paris,34 poste royale, die Straße de la loi wird haͤufig wieder rue Richelieu genannt. Eine Posthalterinn zwischen Lyon und Paris sagte wehmuͤthig, als sie den Stern auf meinem Kleide erblickte: en vous voyant, Mon - sieur, nous renaissons. Leute, die ihre Dienste an - bieten, zaͤhlen es unter die Empfehlungen, vormals von Adel gewesen zu seyn. Eine Dame, die einen Platz such - te, fuͤhrte ausdruͤcklich an: sie sey die Tochter ei - nes Ludwigsritters, und eine Andere ruͤhmte sich in derselben Absicht ihrer adelichen Abkunft; ja, diese Letztere ließ oͤffentlich in die Zeitung drucken: sie wuͤnsche bei einem Herrn oder Dame de sa classe die honneurs de la table zu machen. Die Minister werden wieder Exzellenz genannt; die Livreen vermehren sich taͤglich.

Die gelesensten Blaͤtter vertheidigen den Adel oft geistreich. Ein gewißer Familienstolz, sagt man, ist je - dem Rang und allen Klassen eigen. Vor der Revolution fand sich der Buͤrger, so gut als der Edelmann, durch eine Reihe rechtschaffener Ahnen geehrt, die etwa adeli - che Bedienungen gehabt hatten. Selbst der Landmann erkundigte sich sorgfaͤltig, ehe er seine Tochter verheira - thete, nach der Familie des kuͤnftigen Schwiegersoh - nes. Eine Art von Adel war selbst den Bauernhuͤtten nicht fremd, dort bestand er in der Achtung vor dem Al - ter und der anerkannten Redlichkeit einer Familie.

Die Philosophie hat jene Gefuͤhle zuweilen herabge - wuͤrdigt, die Revolution sie gar zerstoͤren wollen; Alles rief mit Juvenal: Stemmata quid faciunt? Was kuͤm - mern uns Voreltern? Die Weisheit grauer Jahrhun - derte hat diese Frage laͤngst beantwortet. Schon im Al - terthume faͤngt jeder Mensch, der uͤber seinen Namen und Stand befragt wird, darmit an, seine Vaͤter zu nennen. 35Sie sind gewißermaßen seine Buͤrgen. Die homeri - schen Helden unterlassen es nie. Plato selbst haͤlt es nicht fuͤr zu gering, zu bemerken, daß Alcibiades, durch den Eurysaces, bis zu Jupiter hinauf rechnen konnte, und daß Sokrates den Daͤdalus und Vul - kan zu Ahnherren hatte.

Was ist das fuͤr ein Volk, das bei den olympischen Spielen sich das Geschlechtsregister des Leonidas her - erzaͤhlen laͤßt? Was ist das fuͤr ein Volk, das die Ge - duld hat, von der Rednerbuͤhne herab den Caͤsar die lange Reihe seiner Ahnen nennen zu hoͤren? Die Griechen! die Roͤmer! Man waͤge auf einer Seite die Uebereinstimmung aller Voͤlker, aller Zeiten, unter allen Regierungen und Formen derselben; auf der andern die Weisheit einiger Tage, der man die große Ent - deckung verdanket, daß ein Sohn mit seinem Vater gar Nichts zu schaffen hat.

Was allgemein ist, kann kein Vorurtheil seyn. Nicht nur Europa, selbst die neue Welt haͤngt an diesem Glau - ben, und kein Wilder in Nordamerika verlaͤßt seine Woh - nung, ohne die Gebeine seiner Vaͤter mitzunehmen. Das aͤlteste bekannte Volk, die Chineser, verehrt seine Voraͤl - tern sogar noch abgoͤttisch. Vom Palast bis zur Huͤtte sucht der Mensch sein Andenken auf kommende Jahrhun - derte fortzupflanzen. Von diesem Wunsche beseelt, saͤet der Greis den Saamen eines Baumes, dessen drittes Blatt er vielleicht kaum erleben wird. Durch seine Voraͤltern (das heißt Erinnerungen) haͤngt er mit der Vergan - genheit zusammen; durch seine Kinder (das heißt Hoff - nungen) mit der Zukunft. Jn der physischen Ord - nung der Dinge gehen die Jndividuen unter, die Gattun - gen bleiben ewig; eben so in der moralischen. Der ist36 kein guter Mensch, der alle unsere Genuͤsse gleichsam iso - liren und auf den gegenwaͤrtigen Augenblick beschraͤnken will.

So raͤsonniren heut zu Tage die naͤmlichen Franzo - sen, die noch vor wenigen Jahren augenblicklich zum La - ternenpfahl mit Demjenigen gewandert seyn wuͤrden, der sich unterstanden haͤtte, Dergleichen laut werden zu lassen.

Gesellschaften und Vergnuͤgungen.

Gesellschaften giebt es freilich wohl noch, aber ohne Ge - selligkeit. Eine fremde Dame, welche schon seit meh - reren Jahren in Paris ein großes Haus macht, klagte mir einst: die Leute vom nouveau regime seyen nie uneini - ger unter sich selbst, als wenn sie mit denen vom an - cien regime zusammen kaͤmen. Die Letztern waͤren dann auch wieder gespalten, weil ein Theil der Altadelichen mit den neuen Menschen Umgang haͤlt, ein anderer hingegen zu stolz oder zu arm dazu ist. Hierzu kommt noch, daß man die liebenswuͤrdigsten Altadelichen nur sehr selten bei sich sehen kann, weil sie entlegen wohnen, nicht Soviel uͤbrig behalten haben, um einen Fiakre bezah - len zu koͤnnen, und man doch nicht wagt, ihnen einen Wagen zu schicken.

Jst es nun aber endlich gelungen, drei Menschen zu versammeln, so herrschen auch gewiß drei verschiedene Meinungen in dieser kleinen Gesellschaft. Das Mis - trauen gegen einander steht lesbar in ihren Zuͤgen, daher37 eine zerhackte Unterhaltung, Peinlichkeit des Wirths, und folglich keine Geselligkeit.

Die Mittagsgesellschaften sind noch ertraͤglich, weil die Tafelfreuden sie wuͤrzen, aber die abendlichen Zusam - menkuͤnfte, wo man kommt, geht, im halben Zirkel sitzt, wo kein Gespraͤch allgemein wird, und Jeder sich aͤngstlich nach Einem umsieht, dem er sagen koͤnne, was heute fuͤr Wetter ist; wo die Frau vom Hause, mit nicht im - mer gluͤcklich verhoͤlter Verlegenheit, bald Diesen, bald Jenen zu unterhalten strebt, indessen der Herr Gemahl bloß dadurch als Herr vom Hause kenntlich wird, daß er sich nicht die geringste Muͤhe giebt seine Langeweile zu verbergen, und sich hoͤchst nachlaͤßig auf alle Sofas streckt ja, solche Assembleen, denen ich auch ein paar - mal beizuwohnen das Gluͤck gehabt, bestaͤttigen leider auf - fallend die Bemerkungen jener geistreichen fremden Dame.

Eine geschmackvolle Wirthinn sucht natuͤrlich Alles hervor, um ihren nicht Karten spielenden Gaͤsten einen angenehmen Zeitvertreib zu verschaffen, und man bedient sich dazu vorzuͤglich dreier Mittel, die allerdings vor - trefflich, nur aber meistentheils schwer zu erlangen sind. Das erste ist der Abbe Delille, der beruͤhmte Dich - ter, der die Gefaͤlligkeit hat, in Haͤusern, wo er bekannt ist, seine Verse herzusagen, (nicht herzulesen, denn er ist fast ganz blind,) der Genuß des Zuhoͤrers beschraͤnkt sich dabei nicht bloß auf die mancherlei Gedichte selbst, die sein erstaunenswuͤrdiges Gedaͤchtniß alle auswendig weis, und die groͤßten Theils aus schoͤn versifizirten neuen Wendungen alter Gedanken bestehn; sondern man erfreut sich auch vorzuͤglich der unbefangenen Kindlichkeit des alten Mannes, die man uͤberall, und besonders in Paris, so selten trifft. Sehr gern erinnere ich mich ei -38 nes Abends, den ich mit ihm bei der eben so geistreichen als liebenswuͤrdigen russischen Fuͤrstinn Dolgorucki zuge - bracht habe. Er war gern in dem Hause und wer waͤre da nicht gern? Denn die aufmerksame Wirthinn kannte schon seine kleine Wuͤnsche und Beduͤrfnisse, und kam allen zuvor; selbst fuͤr fromage à la Crême, den er gern ißt, war gesorgt. Dagegen unterhielt er uns mit den schoͤnsten und feurigsten Bruchstuͤcken seiner un - gedruckten Werke, und so oft Einer der Mitgaͤste ihn an dieß oder jenes vormals Gehoͤrte erinnerte, war er gleich so gefaͤllig, es zu wiederholen. Schade nur, daß er so außerordentlich schnell spricht, daß selbst Franzosen Muͤhe haben, ihm zu folgen, fuͤr Auslaͤnder aber noth - wendig Vieles verloren geht.

Man begreift leicht, daß dieses treffliche Mittel, eine Gesellschaft zu unterhalten, nur in der Macht Der - jenigen steht, welche Delille mit seinem Wohlwollen beehrt. Hierzu kommt noch, daß es nicht einmal immer von ihm selbst abhaͤngt, ob er kommen will oder nicht, denn er wird, wie alle Dichter, von seiner Frau beherrscht. Ohne diese mit einzuladen, ist kein Besuch von ihm zu hoffen. Da nun Madame Delille singt und ihr Ge - sang ihren Gemahl entzuͤckt, so muß auch dafuͤr gesorgt werden, daß ein Jnstrument bereit stehe, sie zu akkom - pagniren. Waͤhrend ihr Gatte im Deklamiren eine Pau - se macht, ist es der Hoͤflichkeit gemaͤß, Madame De - lille zu ersuchen, eine Probe ihrer Kunst abzulegen; sie weigert sich ein wenig, giebt aber nach, und dann sitzt der Abbé Delille neben ihr am Klavier, hingerissen von der Schoͤnheit ihres Gesanges. Dagegen ist sie auf das Zaͤrtlichste fuͤr seine schwache Gesundheit besorgt, und giebt nicht zu, daß er zu viel Fromage à la Crême esse.

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Ein zweiter, nicht alltaͤglicher Zeitvertreib in den ersten Haͤusern von Paris ist die Gesellschaft irgend ei - nes vorzuͤglichen Schauspielers, besonders Talma oder Lafond. Diese sind so gefaͤllig, aus allen Trauer - spielen ihres Repertoirs die schoͤnsten Szenen oder Mono - loge mit allem Aufwand ihrer Kunst zu deklamiren, auch wohl andere lyrische Gedichte darunter zu mischen; und das gewaͤhrt allerdings zuweilen Stundenlang einen herr - lichen Genuß. Von Talma, dem Einzigen, werde ich noch bei einer andern Gelegenheit sprechen. Lafond zeich - net sich besonders durch ein aͤußerst angenehmes Organ und eine einnehmende jugendliche Gestalt aus, im uͤbri - gen ist er als Schauspieler ganz Franzose. Doch ist sein Spiel im Zimmer weit gemaͤßigter, und ich werde seinen Orosmann, (besonders die Worte: Zaire vous pleu - rez?) wie auch den Traum aus Athalia, nie verges - sen. Wie leicht ließe dieses treffliche Unterhaltungs - mittel sich auch in teutschen Gesellschaften einfuͤhren; wie angenehm waͤre es nicht, Bruchstuͤcke von Schil - ler oder Goͤthe gut deklamiren zu hoͤren, ohne durch ein laͤrmendes Parterre um die Haͤlfte gebracht zu wer - den; wie manchen gebildeten und wohlerzogenen Mann giebt es nicht auch unter unseren Schauspielern, der eine aus den ersten Staͤnden zusammengesetzte Gesell - schaft nicht verunzieren wuͤrde; aber da stoße ich ploͤtz - lich auf ein unuͤberwindliches Hinderniß! Unsere Schauspieler sind herzlich froh, wenn sie auf der Buͤhne ihre Rolle mit Hilfe des Souffleurs hergestottert haben, unsere Schauspieler wissen Nichts auswendig, koͤnnen den Souffleur nicht eine Minute entbehren; dem Franzosen hingegen fehlt nie ein Wort, er spricht, als ob ihm die Rede nur so eben aus dem40 Herzen floͤße, und bedarf nie einer Zurechtweisung. Das ist also fuͤr uns Teutsche Nichts.

Das dritte Unterhaltungsmittel endlich ist die Musik. Jch verstehe darunter nicht eigentliche Kon - zerte, sondern das Spielen und Singen einzelner Per - sonen, vom Klavier oder von einem andern Jnstrumente begleitet. Es waͤre undankbar, hier nicht der jungen schoͤnen Gemahlinn des Staatsraths Regnaud de St. Jean d' Angely zu erwaͤhnen, welche wirklich schoͤn und lieblich singt, und z. B. eine Szene vom Gluck mit tie - fem Gefuͤhl vortraͤgt. Wo aber die Wirthinn vom Hause solche Vorzuͤge nicht besitzt, da ist man besonders be - muͤht, den beruͤhmten Singer Garat in die Gesellschaft zu ziehen, und man wird schon mehrere Tage vorher ausdruͤcklich auf ihn, wie auf Delille, eingeladen.

Aber welch ein Unterschied zwischen ihm und Delille! Dieser ist vielleicht zu gefaͤllig, jener besitzt den unaus - stehlichsten Kuͤnstlereigensinn und Uebermuth, den ich je - mals zu verachten Gelegenheit gehabt habe. Dreimal fand ich mich ein, um ihn zu bewundern. Das erstemal hatte er sehr gewiß versprochen zu kommen, blieb aber ganz aus. Das zweitemal (bei Madame Regnaud de St. Jean d' Angely) kam er zwar, aber sobald ich ihn erblickte, wußte ich schon, woran ich war. Er trat in eine große geputzte Gesellschaft nachlaͤßig gekleidet, in Stiefeln und mit verworrenem Tituskopf, gab sich Airs, wie vormals nur ein verzogener Hoͤfling gethan haben mag, und war durch keine Bitten dahin zu bringen, daß er gesungen haͤtte. Das drittemal bei der tief - fuͤhlenden Verfasserinn der Valerie machte er es eben so. Jch sah lange von Ferne zu, wie man ihn mit Bitten bestuͤrmte; da ich aber sehr deutlich in seinen Zuͤ -41 gen las, daß diese Bitten ihm nicht unangenehm, son - dern ein nicht zu unterlassendes Vorspiel waren, das noch lange dauern konnte, ich hingegen solchen Zierereien in den Tod feind bin, so schlich ich fort, gerade einige Minu - ten vorher, ehe er zur Gnade sich neigte, kann also sein Talent nur auf Hoͤrensagen ruͤhmen.

Daß Delile, Talma, Lafond und Garat nicht gerade allein das Privilegium haben, den ersten Pariser Zirkeln einen geistigen Genuß zu gewaͤhren, ver - steht sich von selbst. Es giebt wohl wenige gute Haͤuser, in welchen nicht ein oder mehrere Vertraute der Musen heimisch waͤren; und wer nur zu essen geben kann, der hat auch gewiß, aus Mode oder Geschmack, Einige der schoͤnen Geister, von welchen Paris wimmelt, an seiner Tafel. So fand ich z. B. bei Madame von Beauhar - nois den alten Retif de la Bretonne (der einem gutmuͤthigen Faun gleicht, und dessen Romane wohl Kei - nem meiner Leser unbekannt seyn werden) Cailhava (dessen Buch l'Art de la Comédie einst gelesen, und dessen Schauspiele einst gespielt wurden), Dorat Cu - bieres (eigentlich Palmeseaux, der, ich habe ver - gessen warum, Dorats Namen angenommen) Volme - ranges, (der Verfasser verschiedener Boulevard-Stuͤcke) Vigée, (ein angenehmer Dichter und besonders guter Deklamateur) u. s. w.

Wer nun aber nicht so gluͤcklich ist, oder nicht Lust hat, seine Gesellschaften auf diese Weise zu beleben, ja, der muß wie gewoͤhnlich zu den Karten seine Zuflucht nehmen. Doch bleiben freilich in guten Haͤusern auch immer noch Leute genug uͤbrig, die nicht spielen, und unter welchen ein Fremder immer sehr interessante Be - kanntschaften macht. Da trifft man auch wohl zuweilen42 mit Fremden zusammen, denen man im Vaterlande zu begegnen nicht das Gluͤck hatte, und ich entsinne mich unter andern mit großem Vergnuͤgen, bei dem amerika - nischen Gesandten, Herrn Livingston, den Grafen Rumford gefunden zu haben, den mein Herz schon laͤngst verehrte. Die Gegenwart dieses achtungswerthen Menschenfreundes und die der hoͤchstliebenswuͤrdigen Schwiegertochter des Gesandten (einer juͤngern Schwe - ster der Venus pudique) haͤtten schon hingereicht, jede Erwartung des Fremdlings zu befriedigen.

Noch habe ich eines Hauses nicht erwaͤhnt, wo An - stand, Froͤhlichkeit und geistreiche Unterhaltung zwanglos vereiniget sind; ich meine das Haus des preußischen Mi - nisters, Marquis von Luchesini, dessen Geist sich nie erschoͤpft, wie seine Gefaͤlligkeit nie ermuͤdet. Die in der großen Welt erforderlichen Talente, die er alle in ei - nem ausgezeichneten Grade besitzt, haben einen leichten Firniß uͤber die Eigenschaften seines Herzens gezogen, der aber so durchsichtig ist, wie der Firniß auf einem koͤstlichen Gemaͤlde, und folglich nur dient, ihm Glanz zu leihen. Sein Geschmack ist so gelaͤutert, und seine Kenntnisse sind so mannichfaltig, daß er mit der groͤßten Leichtigkeit hier einen Politiker, dort einen Philosophen hier einen Dichter, dort einen Kuͤnstler, Jeden in seinem Fache unterhaͤlt, und in jedes Fach zu gehoͤren scheint. Dabei leuchtet unverkennbar eine gewiße Gutmuͤthigkeit hervor, die seinem Gaste Behaglichkeit und Zutrauen ein - floͤßt. Alle die Annehmlichkeiten, welche sein Haus ihm verdankt, weis seine geistreiche Gemahlinn noch zu erhoͤ - hen, und es wird wohl kein Fremder, der das Gluͤck ge - habt hat, ihm naͤher anzugehoͤren, Paris ohne eine blei - bende dankbare Erinnerung verlassen.

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Außer den ersten Haͤusern (wenn naͤmlich Glanz den Rang bestimmt) giebt es auch noch manche, die in an - derer Hinsicht Anspruch auf diesen Rang mit Recht machen duͤrften, und in welchen den Karten wie der Lan - genweile der Zutritt versagt ist. Dahin gehoͤren z. B. die Haͤuser mehrere Staatsraͤthe, die bekanntlich groͤß - tentheils aus dem Stande der Gelehrten gewaͤhlt worden. Des edlen Lagrange habe ich schon irgendwo erwaͤhnt. Jhm gleicht Fourcroy, der den Ruf eines großen Ge - lehrten mit dem eines hinreißenden Redners verbindet, und die gewaͤhlteste Gesellschaft an seiner runden Tafel sammelt. Auch Perrégaux, der erste Banquier der Regierung, weis durch anspruchlose Gastfreiheit sein An - denken dem Fremden lieb zu machen. Es wuͤrde mich zu weit fuͤhren, wenn ich alle die Haͤuser nennen wollte, wo aͤcht franzoͤsische Urbanitaͤt die Geselligkeit fesselt; es sind ihrer viele, und doch bleiben sie nur Ausnahmen, denn die Wuth, große Zirkel zu bilden, ist allgemein.

Einige große Maler und ihre Atteliers.

Der Ruhm von Davids Sabinerinnen ist schon durch ganz Europa geflogen, und hat nicht zu laut ge - blasen. Es ist ein herrliches Gemaͤlde! Krittler tadeln Manches, z. B. die Stellung des Roͤmers, und was weis ich was sonst noch. Jch habe vor lauter Genusse nicht zum Tadeln kommen koͤnnen. Der angreifende Sabiner ist die Schoͤpfung eines großen Meisters! und wie poe - tisch ist das Bild gedacht! welch 'eine lebendige Einbil -44 dungskraft hat es hervorgezaubert! Die Weiber rol - len ihre Kinder zwischen die Streitenden da hat sich ein zartes Weib um die Kniee des Sabiners geschmiegt kann der rauhe Mann ihr widerstehen? Ha! ein Bild voll schmerzlichen Lebens; und dennoch hat das Genie des Meisters ein Mittel gefunden, einen Kontrast von heiterer Ruhe anzubringen wie? wird man schwerlich errathen, und es ist doch so natuͤrlich. Zwischen den Fuͤßen des Roͤmers liegt Eines der hingeworfenen Kinder, welches eben seine erste Zaͤhne zu machen scheint, und deßhalb ganz unbefangen mit dem Finger im Munde spielt. Dieß zarte spielende Kind unter dem wuthschnau - benden Helden macht großen Effekt.

Wenn die deutschen Kuͤnstler konsequent sind, so duͤrfen sie das Bild freilich nicht loben, denn es sind wahrhaftig noch mehr Kinder darauf, als in meinen Hus - siten vor Naumburg vorkommen. Da nun dieses Stuͤck, besonders der Kinder wegen, so gruͤndlich bespoͤttelt wor - den, so hoffe ich, werde es dem wackern David nicht bes - ser ergehen, denn er und ich haben ganz aus der Acht gelassen, daß bei Darstellung einer Geschichte, in welcher Kinder die Haupttriebfeder der Handlung sind, durchaus keine Kinder sich zeigen muͤssen.

Man bezahlt, um die Sabinerinnen zu sehen, eine Kleinigkeit beim Eintritt, und kannzugleich eine Bro - schuͤre kaufen, in welcher David dieses Verfahren mit dem Beispiel der Alten entschuldigt, und behauptet, daß ihm vorzuͤglich daran gelegen sey, die Urtheile des Pub - likums auf diese Weise wie Apelles zu sammeln; da mag er dann auch wohl auf manchen Schuster stoßen. Nach andern Nachrichten soll es ihm nebenher gar nicht gleich - giltig seyn, auf diese Weise bereits 60000 Livres einge - nommen zu haben.

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Jndessen stehen noch ein paar Bilder in seinem At - telier, die wohl so Viel werth sind, als die Sabinerinnen, und die er einem Kunstliebhaber gratis zeigt. Die Ho - razier, die eben den feierlichen Schwur aussprechen, moͤchten wohl, in Hinsicht auf Komposition, Simplizitaͤt und Kraft, den Sabinerinnen noch vorzuziehen seyn: denn vielleicht ist es wahr, was Manche den Sabinerin - nen vorwerfen, daß man beim Anblick, besonders des Roͤ - mers, sich nicht enthalten kann, an die franzoͤsische Oper zu denken. Die Haͤnde der schwoͤrenden Horatier sind unaussprechlich schoͤn.

Minder hat mir Brutus gefallen, der seine Soͤhne zum Tode verdammt. Zwar ist der Ausdruck im Kopfe ganz gelungen, so wie die krampfige Angespanntheit sei - nes ganzen Koͤrpers, die bis in die Fußzehen sichtbar bleibt. Aber das Bild ist gleichsam in zwei Theile ge - theilt, die Mutter mit den beiden Toͤchtern und der Groß - mutter sind durch eine Saͤule und durch ein ausge - spanntes Tuch gleichsam abgesondert. Herrlich ist die zusammensinkende Figur der einen Tochter. Vielleicht wuͤrde sie etwas zu groß seyn, wenn sie sich aufrichtete. Jst es wahr, was man gewoͤhnlich behauptet, daß das Verhuͤllen den hoͤchsten Grad des Schmerzes ausdruͤ - cke, (woran ich doch zweifle,) so moͤchte es besser ge - wesen seyn, statt der Großmutter, die Mutter sich verhuͤllen zu lassen. Ein schoͤner Gedanke aber ist es, daß Brutus sich auf den Altar der Roma stuͤtzt, als seinen einzigen Trost in der schmerzlich erfuͤllten grausa - men Pflicht.

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Gerard.

Auch dieser brave Geschichtsmaler ist Dichter, das beurkundet sein herrlicher Belisar: denn die hoͤchst poetische Situation, in welche er auf diesem Bilde den blinden Greis gesetzt hat, ist seine eigene gluͤckliche, doch herzzerreißende Fiktion. Der Juͤngling, welcher dem Beli - sar zum Fuͤhrer diente, ist, durch den Stich einer Schlan - ge verwundert, gestorben. Belisar traͤgt ihn fort, die Schlange haͤngt dem Juͤnglinge noch am Fuße; die Son - ne ist eben im Untergehen begriffen. Der arme Blinde, seines Fuͤhrers beraubt, hat in unwegsamen Gegenden den Pfad verloren, die Nacht ist da, er sucht mit dem Stocke seitwaͤrts einen Weg, und weis nicht, daß ge - rade vor ihm ein Abgrund ist, dem er bereits ganz nahe steht. Das Bild erschuͤttert unglaublich. Der Athem stockt dem Beschauer. Man streckt unwillkuͤhrlich die Arme aus, um den blinden Greis vom Abgrund hinweg zu ziehen, oder man wendet sich schnell ab, um nicht Zeuge seines Sturzes zu seyn.

Da bei der bloßen Geschichtsmalerei die Kunst ei - gentlich nach Brod geht, so hat auch Gerard, wie Andere seines Gleichen, sich zum Portraitmalen herab - gelassen; doch weis sein Genie jedes Portait zu einem Tableau zu machen, das, Trotz der taͤuschenden Aehn - lichkeit, den hoͤhern bleibenden Werth durch seinen Pin - sel erhaͤlt. Jch habe treffliche Gemaͤlde der Art bei ihm gesehen. Die Generalinn Muͤrat z. B., die Schwester des ersten Konsuls, an einem Tische, halb stehend, halb sitzend, und auf dem Tische eine Wiege, mit ihrem juͤng - sten schlummernden Kinde, und das aͤltere um ihre Kniee spielend, beide Kinder voͤllig nackend. Auch Madame47 Recamiers noch nicht vollendetes Portrait in Lebens - groͤße, einer Venus gleich, unter einem duͤnnen Schleyer ruhend, ist ein sehr liebliches Gemaͤlde.

Drouais.

Leider hat der Tod diesen jungen hoffnungsvollen Kuͤnstler hingerafft. Er starb zu Rom an einem hitzigen Fieber, im 25sten Jahre, eben als er Riesenschritte zur Vollkommenheit that. Er war der einzige Sohn einer wohlhabenden Frau in Paris, der Nichts von ihm uͤbrig geblieben, als sein Marius, dargestellt in dem Augen - blicke, da der Cimbrier zu ihm hereintritt, um ihn zu er - morden; ein treffliches Bild, welches er der geliebten Mut - ter aus Rom schickte, und welches, so Viel man auch schon dafuͤr geboten, um keinen Preis ihr feil ist. Aber sie laͤßt es gern jeden Kunstliebhaber sehen, sie empfaͤngt die Fremden, die diesen Wunsch ihr aͤußern, mit vieler Hoͤflichkeit, und findet selbst einen Genuß darinn, den hier noch lebenden Geist ihres einzigen Kindes bewundert zu sehen. Wenn man das Bild lobt, so treten ihr gleich die Thraͤnen in die Augen. Die Gestalt des Marius ist wirklich ausnehmend schoͤn, aber unrichtig scheint mir die Jdee, daß der Cimbrier, weil er seinen Blick nicht ertragen kann, den Mantel vor die Augen haͤlt. So druͤckt kein mordlustiger Cimbrier seine Ehrfurcht vor ei - nem großen Manne aus.

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Jsabey.

Er ist eigentlich ein Miniaturmaler, man findet aber in seinem Attelier Stuͤcke, derer Vollendung bewunderns - wuͤrdig ist. Jch empfehle besonders einen alten Mann mit einem Juͤnglinge, das Vollkommenste was ich jemals in der Art gesehen habe. Madame Tal - lien rief aus, als sie dieß Bild sah: ça que l'huile.

Sehenswuͤrdigkeiten.

Jch werde unter dieser Rubrik noch Einiges kurz zusam - men fassen, wovon zwar Viel zu sagen waͤre, wovon aber ich gerade nicht Viel zu sagen weis.

Defaix's Denkmaal.

Es ist sehr geschmackvoll, und verziert einen Brun - nen auf einem oͤffentlichen Platze, in dem aber noch kein Wasser ist. Die Jnschriften sind kurz und kraͤftig. Was mir aber sehr misfaͤllt, ist, daß man am Fuße des Denk - maals die Namen aller Derjenigen eingegraben hat, wel - che durch Subskription zu Errichtung desselben bei - getragen. Diese steinerne Praͤnumerationsliste ist mir komisch vorgekommen. Gluͤcklicher Weise ist sie so ange - bracht, daß die Wasserschoͤpfenden sie bald ausloͤschen werden.

Les Chevaux de Conquête.

Die beruͤhmten vier Rosse, die manche artige Reise in der Welt gemacht, und, ich weis nicht wie lange,49 sogar im Wasser gelegen haben, stehen jetzt einzeln ver - theilt auf dem schoͤnen Gitter, welches den Hof der Tui - lerien vom Karousselplatze scheidet. Jch war sehr neugie - rig sie zu sehen, sie haben aber nur einen schwachen Ein - druck auf mich gemacht. Es sind vier sehr artige Klep - per, die, nach meinem Gefuͤhl, mit den vier Rossen auf dem Brandenburgerthore zu Berlin nicht zu verglei - chen sind, und die so ziemlich auf Schraͤnke gestellten Puppen aͤhneln. Vielleicht schadet es dem Effekt, daß sie nicht alle viere neben einander stehen. Man hat dieß aber unter andern auch deßwegen unterlassen muͤssen, weil sie nicht alle mit einerlei Fuß ausgreifen, und also nur paarweise gestellt werden durften.

Der Garten der Tuilerien

ist sehr reizend und freundlich. Unter den Fenstern des ersten Konsuls ist die Luft durch lange Rabatten von Reseda mit suͤßem Duft geschwaͤngert. Auf zwei schoͤ - nen Bassins schwimmen majestaͤtische Schwaͤne. Unzaͤh - lige Statuͤen, zum Theil von großem Werthe, locken den Kunstliebhaber aus einer Allee in die andere. Wenn das Wetter nur einigermaßen ertraͤglich ist, so findet man zu jeder Stunde, besonders aber um Mittag, eine wogende Menge von Spaziergaͤngern. Alte Weiber vermiethen Stuͤhle und Zeitungen. Froͤhliche Kinder - gruppen spielen in der Sonne. Wer Erquickung sucht, darf nur die Terasse des Feuillant besteigen, wo ein treff - licher Restaurateur, seinen Hunger zu stillen und seinen Gaumen zu kitzeln, bereit ist. Die ehemalige Reitbahn, in welcher ich einst Mirabeau donnern hoͤrte, ist weg - gerissen, und durch eine neue Straße wird der Platz von dieser Seite noch sehr verschoͤnert werden. Ein ruͤsti -50 ger Spaziergaͤnger, dem der große Garten dennoch nicht groß genug seyn sollte, kann, zwischen den herrlichen Pferdegruppen hinaus wandelnd, sich sogleich in die an - graͤnzenden elisaͤischen Felder begeben.

Tapetenfabrik der Gobelins.

Der herumfuͤhrende Cicerone zeigt gewissenhaft den An - fang und die Fortschritte dieser Kunst; man begreift aber dennoch Wenig davon. Weberstuͤhle hat Jedermann gese - hen, und diesen gleicht auch hier der Mechanismus; wie es aber zugehe, daß diese einzelnen Faͤden so herrliche Gemaͤlde hervorbringen, das bleibt, Trotz aller Erklaͤ - rung, des Anstaunens wuͤrdig. Es waren da schoͤne historische Gemaͤlde in der Arbeit, unter andern eine Jphigenia, wie sie den Orest erkennt, ein ausge - zeichnet schoͤnes Bild. Von dem eigentlichen Ko - stum der Jphigenia muß man wohl keine Spur mehr haben: denn so oft ich es noch, nach der Angabe von Kunstverstaͤndigen, gesehen, in Berlin, Weimar, Paris, u. s. w. so oft finde ich es ganz verschieden. Auf dem Gemaͤlde, vom welchem die Rede ist, ist ihr Gewand ganz weiß, sie traͤgt eine weiße Stirnbinde, und eine Art von Ordensband, mit Sternen und halben Monden besaͤet.

Die Gallerie der fertigen, zahlreichen Stuͤcke wird Kenner und Nichtkenner befriedigen. Die Entfuͤhrung der Orythia durch Boreas, und dann der Praͤsident Molé, unter den Frondeurs, zeichnen sich besonders aus. Alle werden jedoch durch den Mord des Ad - miral Coligny uͤbertroffen. Die dahin gehoͤrige Stelle aus der Henriade ist auf eine Tafel geschrieben und daneben aufgehaͤngt. Die Figur des Admirals ist51 seinem Geiste aͤhnlich, und weckt schaudernde Ehrfurcht. Ein paar Blumenstuͤcke und ein Fruchtstuͤck, von ei - nem Juͤnglinge von 18 Jahren, setzen in Erstaunen; man muß sich durch das Gefuͤhl uͤberzeugen, daß man bloß Bilder vor sich hat.

Diese Fabrik erfordert großen Aufwand, und muß von der Regierung ansehnlich unterstuͤtzt werden; auch ist diese es wohl, die der Fabrik den meisten Absatz ver - schafft, indem ihre erste Beamte sich keiner andern Ta - peten bedienen, auch oft Geschenke am fremde Hoͤfe da - mit gemacht werden.

Die Feuermaschine,

durch welche das Wasser aus der Seine heraufgepumpt wird, kann nur Derjenige zu besuchen wuͤnschen, der Lust hat, sich einen deutlichen Begriff von der Hoͤlle der Alten zu machen. Da sind Jxions Raͤder und Ketten, und die Faͤsser der Danaiden, und die schwarzen unterirdischen Gestalten. Halb gebraten und durch die fuͤrchterlichen Schlaͤge des Eisens betaͤubt, flieht man aus dieser Werk - staͤtte des Vulkans, deren Mechanismus uͤberdieß so zu - sammengesetzt ist, daß man mancherlei Vorkenntnisse mitbringen muͤßte, um Nutzen aus dem Beschauen zu ziehen. Dasselbe gilt auch zum Theil von der

Fabrik der Gebruͤder Perrier.

Hier werden Kanonen gegossen, und eine Menge anderer Maschinen verfertigt, z. B. Die englischen Ma - schinen zu der Baumwollenspinnerey. Sie waren, soviel ich davon verstehe, sehr gut gemacht, und kosten, nach Maaßgabe ihrer Groͤße, so viel Louis, als Spulen daran befindlich sind. Ein Mann und ein Kind setzen sie in52 Bewegung. Die Fabrik ist von großem Umfange; wenn man aber nicht schon vorher Etwas davon versteht, so gafft man bloß und lernt Wenig. Weit unterhalten - der ist

Die Spiegelfabrik,

welche 600 Menschen lustig und lebendig beschaͤfftigt, und wo man reine, klare Spiegel, von 9 Fuß Hoͤhe und 6 Fuß Breite sieht.

Die Bastille.

Der Platz, wo dieses Werkzeug gesetzloser Herrschaft einst gestanden, wird immer merkwuͤrdig bleiben. Mauern, Graben und Thore, sind noch vorhanden, auf dem gan - zen innern Raume aber ist Brennholz aufgestellt. Jch mag die Sage nicht verbuͤrgen, welche behauptet, ein republikanischer Held habe den Verlust der Bastille schon mehreremale herzlich beklagt. Ey nun! Da ist ja noch der sogenannte Tempel, wo Ludwig XVJ. gefangen saß, und der auch Raum fuͤr manchen Ungluͤcklichen hat. Er ist mit so hohen Mauern umgeben, daß man seine vier Thuͤrme, die einen fuͤnften einschließen, nur in ei - niger Entfernung erblickt. Der schrecklichen Vergangen - heit gedenkend, ergreift hier eine finstere Wehmuth den Voruͤbergehenden.

Das physikalische Kabinet des Professor Charles,

in welchem er auch seine Vorlesungen haͤlt, sollte von keinem Fremden unbesucht gelassen werden, denn es ist eines der schoͤnsten und vollstaͤndigsten in Europa. Die53 Elektrisirmaschine ist so ungeheuer groß, daß, wenn sie nur eben in Bewegung gesetzt wurde, sich in einer Ent - fernung von zwei Schritten die Haare auf meinem Kopfe empor straͤubten. Das Rad haͤlt fast 5 Fuß im Durchmesser. Hier findet man alle Jnstrumente fuͤr Physik, Mechanik, Optik, Akustik, u. s. w. auch ein Weltsystem, welches aber dem in Ber - lin weit nachsteht. Man versaͤume auch nicht einen Blick in die Camera obscura zu werfen, denn da das Kabinet im Louvre sich befindet, so gewaͤhrt das bestaͤndige Ge - wuͤhl in dieser Gegend einen sehr belustigenden Anblick. Charles war bekanntlich Einer der ersten Luftschiffer, und die Gondel, in welcher er seine Reisen vollbracht, ist auch hier zum Andenken aufgehaͤngt.

Das Hotel Dieu

wird von Sachverstaͤndigen nicht sehr geruͤhmt. Jch fand die meisten Betten leer, weis aber nicht, ob aus dem wuͤnschenswerthen Mangel an Kranken, oder aus andern Ursachen. Eine Jnschrift in Marmor, auf Befehl des ersten Konsuls eingegraben, sollte die Ver - dienste zweier Maͤnner, Desault und Bichat, ver - ewigen, derer Erster der Wiederhersteller der Wundarz - neykunst genannt, und dem Letztern große Verdienste um die Arzneykunde zugeschrieben wurden. Jch kann der - gleichen Ermunterungen zu Tugenden und Thaten nicht genug ruͤhmen, und begreife nicht, wie es zugeht, daß man derer in Deutschland so wenige findet. Ja, ich muß leider bekennen, daß die Deutschen nicht einmal empfindlich fuͤr solche Denkmaͤler zu seyn scheinen. Wenn das ist freilich, dann ist auch die Errichtung dersel - ben ganz uͤberfluͤßig: denn der Todte, den sie ehren,54 ist dahin; und der Lebende, den sie zur Nacheiferung anfeuern sollen, bleibt kalt, wie der Marmor. Eine aͤl - tere Jnschrift ruͤhmt, daß ein vornehmer Mann aus der Familie Bellievre sterbend verordnete, all' sein praͤchtiges Hausgeraͤth zum Dienste der Kranken im Hotel Dieu um - zuformen. Das ist nun wohl ganz gut; aber, da er selbst es doch nicht mehr brauchen konnte, so war das Opfer nicht groß, und verdient wohl kein Ehrendenkmaal. Wir wuͤrden ja vor lauter Denkmaͤlern bald nicht mehr gehen koͤnnen, wenn sie an solche Handlungen verschwen - det werden duͤrften. Uebrigens ist das Hotel Dieu mit der Charité in Berlin gar nicht zu vergleichen; aber es giebt in Paris sehr viel dergleichen Hospitaͤler, in Berlin nur eins. Ob es besser sey, die wichtige Sorge fuͤr hilflose Kranke unter mehrere zu vertheilen, oder nur einem anzuvertrauen? Diese Frage verdient Eroͤrterung, fuͤhrt aber zu weit.

Findelhaus. (Hospice de la maternite.)

Hier fand ich, zu meinem unaussprechlichen Ver - gnuͤgen, die naͤmliche alte Nonne wieder, die schon vor dreizehn Jahren durch ihre unbeschreibliche Muttersorge mich so geruͤhrt hatte. Nur in weltlichen Kleidern fand ich sie jetzt, und auch nur die Kleider waren ver - aͤndert an ihr. Durch Glauben und Vertrauen auf Gott war sie allen Stuͤrmen der Revolution gluͤcklich entgan - gen. Die andern Nonnen hatten sich furchtsam zu ihren Familien zuruͤckgezogen; und eben wollte auch sie, mit einem Buͤndelchen auf dem Ruͤcken, das Kloster traurig verlassen, als ihr auf der Treppe ein Volksrepraͤsentant entgegen trat, sie ersuchend, zu ihren Beschaͤftigungen zuruͤck zu kehren. Anfangs weigerte sie sich dessen; als55 man sie aber versicherte, sie solle in ihrem Glauben un - gekraͤnkt bleiben, und, die Ordenstracht ausgenommen, nach Gefallen leben, da kehrte sie muthig wieder um. Freilich erinnert sie sich mit Wehmuth des schoͤnen Klo - sters, das sie raͤumen mußten, und fuͤr das ihre jetzige Wohnung keinen Ersatz gewaͤhrt, aber sie ist dennoch heiter und zufrieden, im Bewußtseyn erfuͤllter Pflicht. Jch fand wenige Fuͤndlinge, denn sie werden, der gro - ßen Sterblichkeit halber, gleich aufs Land gegeben; nur die, welche am selbigen Morgen, und wenige Tage vor - her gebracht worden, lagen in reinlichen warmen Bet - ten. Jn einer Reihe von artigen Zellen, auf einem langen Gang, warteten die Ammen auf Fuͤndlinge, und saͤugten indessen ihre eigene Kinder. Die weibliche Be - dienung des Hauses bestand aus lauter groß gezogenen Fuͤndlingen. Ordnung, Sauberkeit, Freundlichkeit, Al - les war wie vormals.

Das Waisenhaus,

nicht weit vom Jardin des plantes, beherbergt 1100 Kin - der, wovon 600 bereits mit nuͤtzlichen Arbeiten beschaͤff - tigt werden. Ein Theil wird zu Soldaten erzogen, und diese stehen auch bereits Schildwach mit Ober - und Unter - gewehr. Die meisten sehen gesund und froh aus. Jhr Brod ist gut und schmackhaft. Ueberall herrscht Rein - lichkeit. Das Gebaͤude ist sehr weitlaͤuftig. Die Schlaf - saͤle sind luftig, doch scheinen mir die Betten einander zu nahe zu stehen. Die Schule ist in mehrere Klassen ge - theilt. Jn einer derselben, wo das Schreiben gelehrt wird, fand ich eine Menge Vorschriften angeheftet, die sehr zweckmaͤßig aus kurzen faßlichen Sentenzen bestan - den. (Jn Deutschland muß die liebe Jugend noch an56 vielen Orten mit biblischen Spruͤchen sich behelfen, und Davids Geschlechtsregister auswendig lernen.) Ganz passend waren indessen auch hier nicht alle Vorschriften: manche giengen wohl uͤber die Begriffe der Kinder, man - che konnten auch nachtheilig wirken; z. B. die Ver - soͤhnung mit einem Feinde ist selten von Dauer. Leider eine Wahrheit! aber was soll der Kna - be damit machen? Merkwuͤrdig ist, daß die Kirche dieses Waisenhauses, vermuthlich an Schaͤtzen leer, waͤh - rend der Revolution unberaubt und unberuͤhrt geblieben.

Das Haus der heiligen Perine.

ist ein neues, treffliches Jnstitut. Um darinn aufgenom - men zu werden, muß man entweder alt oder kraͤnk - lich seyn. Darinn gleicht es andern Hospitaͤlern; aber wodurch es sich von allen andern unterscheidet, und dem Geiste unsers Zeitalters Ehre macht, ist folgendes: Durch eine leichte Ersparung in juͤngern Jahren verschafft es dem hilflosen Alter ein sicheres Eigenthum, und be - darf keiner Unterstuͤtzung von der Regierung. Jeder naͤm - lich, der unterzeichnet, bezahlt zwischen dem 30sten und 40sten Jahre monatlich zwei Franken, zwischen 40 und 50 drei, zwischen 50 und 60 vier, zwischen 60 und 70 neun Franken, zusammen eine Summe von 2160 Franken, und das ist sein lebenslaͤngliches Eigenthum. Tritt er nach dem 30sten Jahre ein, so muß er dennoch das Versaͤumte nachzahlen. Doch erleichtert die Admini - stration Unbeguͤterten die Zahlung gern. Wirklich in das Haus ziehen kann der Unterzeichnete nicht fruͤher als in seinem 70sten Jahre, es waͤre denn, daß er schon vorher krank und hilflos waͤre.

Jm Hause hat Jeder sein eigenes, niedliches Zim -57 mer, (das ihm nach seinem Geschmack auszuschmuͤcken frei steht) mit einem im Fenster sinnreich angebrachten Kamin; aufmerksame Bedienung, am Tische (jede Ta - fel zu 12 Kouverts) das beste Brod und Fleisch. Des Morgens um 8 Uhr empfaͤngt er ein Brod, um 1 Uhr Suppe, Rindfleisch und Zugemuͤse, um 7 Uhr Abends Gemuͤse, Fruͤchte, Kaͤse, weißes Brod, so viel ihm be - liebt, jede Mannsperson taͤglich eine Bouteille, jedes Frauenzimmer eine halbe Bouteille Wein. Alle Mo - nat liefert ihm die Waͤscherinn ein paar reine Bettlaken, alle 5 Tage ein Hemde, Halstuch, Schnupftuch, und ein paar Struͤmpfe. Fuͤr die Kranken wird in beson - dern Zimmern gesorgt. Das Haus unterhaͤlt einen Apo - theker, Arzt, Wundarzt, Krankenwaͤchter. Was ei - ner an Mobiliarvermoͤgen mitbringt, erbt bei seinem Tode das Haus. Eine hohe gesunde Lage in der Straße Chaillot und anmuthige Gaͤrten vermehren die Annehmlichkeit des Hauses im Sommer, im Winter ein Gesellschaftssaal, in welchem Zeitungen und Jour - nale liegen. Das Resultat ist: ein Mensch muͤßte wohl sehr arm seyn und sehr Wenig verdienen, wenn er nicht im Stande seyn sollte, in einem Zeitraume von vierzig Jahren etwa 600 Thaler zuruͤck zu legen. Fuͤr eine jaͤhrliche Ersparniß von 15 Thaler also, erwirbt er sich nicht etwa Anspruch auf Barmherzigkeit sondern ein Recht, in seinen alten Tagen anstaͤndig ver - sorgt zu werden. Er genießt im Alter kein Almosen, sondern die Fruͤchte seines Fleißes. Welch ein Trost fuͤr zartfuͤhlende Seelen! Man kann auch fuͤr Andere unterzeichnen, wie bereits von Vielen gesche - hen, und gute Herrschaften finden hier ein treffliches Mittel, alte treue Diener zu versorgen.

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Die ersten Klassen der Einwohner von Paris haben sich fuͤr diese Anstalt interessirt. Zu dem Konseil, wel - ches sich dafuͤr gebildet hat, gehoͤren der Praͤfekt des Seinedepartements, der Polizei-Praͤfekt, der Erzbischof von Paris, der Bankdirektor u. s. w. Der erste Konsul hat fuͤr 30 Plaͤtze, seine Mutter fuͤr 4, und seine Gemah - linn fuͤr 25 unterzeichnet. Der zweite Konsul hat 10, der dritte 15, die verschiedenen Minister jeder 10 Plaͤtze u. s. w. Auch manche Auslaͤnder sind unter den Sub - skribenten, z. B. die russischen Generale Sprengpor - ten und Chitroff, der russische Kammerherr v. Balk, der Sekretair des Großfuͤrsten Konstantin Salrapeß - noff, u. s. w.

Der Muͤnzpalast. (Hotel des monnayes.)

Hier haͤlt in einem großen, schoͤnverzierten, auf Mar - morsaͤulen ruhenden Saale der beruͤhmte Le Sage che - mische Vorlesungen, dessen Buͤste seine dankbare Schuͤler im Nebenzimmer aufgestellt haben. Das Viereck des Saales ist in der Mitte zirkelfoͤrmig durch Glas - schraͤnke abgetheilt, in welchen auf der auswendigen Seite ein treffliches Mineralien-Kabinet verwahrt wird. Der inwendige Raum ist fuͤr die Zuhoͤrer mit bequemen und eleganten Baͤnken besetzt. Hinter dem Katheder stehen in einer Art von Hoͤhle zwei egyptische Bildsaͤu - len und zwischen ihnen alle zur Chemie gehoͤrige Oefen, Jnstrumente u. s. w. Eine breite Gallerie laͤuft um den Saal, und mehrere Zimmer graͤnzen an denselben. Man findet da viele Modelle von Fabrikgebaͤuden und Maschi - nen; alle Werkzeuge des Bergbaues im Kleinen; Schuͤs - seln von dem beruͤhmten Toͤpfer Palissy, der vor 300 Jahren lebte, der groͤßte Chemiker seiner Zeit war, und59 nie einen andern Titel annehmen wollte, als den: Mei - ster Toͤpfer.

Die chirurgische Schule.

Ein praͤchtiges Gebaͤude. Das Jnnere entspricht dem Aeußern. Die mit Wachs ausgespritzten Praͤparate sind erstaunenswuͤrdig; doch hab 'ich bey dem Geheimen - rath Loder in Halle sie eben so gut gesehen. Eine Menge in Wachs sehr taͤuschend nachgeahmter Krankhei - ten, unter andern ein vom Krebs zur Haͤlfte weggefres - sener Kopf, das Original liegt dabei, graͤßlich zu betrach - ten, und der Mensch hat dennoch gelebt, und hat immer noch leben wollen. Alles Essen wurde ihm, Gott weis wie, in die Gurgel gefloͤßt, denn Mund, Nase, Backen, Zaͤhne, Alles war weg; und dennoch hat er immer noch leben wollen. Welch eine Zauberei liegt dann im Daseyn! da selbst Der es nicht fahren lassen will, der ihm taͤg - lich fluchen muß. Skelette, Koͤpfe und Gebeine giebt es hier bei Hunderten, Misgeburten aller Art, zusam - mengewachsene Kinder, auch Eins mit einem Kroͤten - kopfe. Wenn ich ein solches elendes Geschoͤpf sehe, hoͤre ich auch immer den Jammer der armen Mutter, die mit Schmerzen gebahr, und nun, da sie den Lohn uͤberstan - dener Leiden an den vollen Mutterbusen druͤcken will, sich ploͤtzlich von einem Kroͤtenkopfe angrinsen sieht.

Allerlei Kuriositaͤten sind auch zu schauen: die Kopf - haut des beruͤchtigten Cartusch; der Zwerg des Koͤnigs von Polen, Bebe, in Wachs geformt, mit seinen eig - nen Kleidern angethan; das Skelett des vor einem Jahre verstorbenen Mannes, der weder Arme noch Beine, sondern nur Haͤnde und Fuͤße hatte, die gleich oben am Ellenbogen und unten am Leibe angewachsen wa -60 ren alle Steine die in thierischen Koͤrpern gefunden werden. Es sind fuͤrchterlich große Steine von Men - schen darunter. Das Schaf, vom ersten Augen - blicke seiner Entstehung, bis zu seiner Geburt, in mehr als fuͤnfzig Epochen. Eine kostbare Sammlung von chirurgischen Jnstrumenten aller Art, auch eine große Bibliothek, die doch nicht aus lauter zur Wissenschaft gehoͤrigen Werken besteht, denn ich fand zu meiner Ver - wunderung auch hier wieder Voltairs Werke. Das ganze Lokal, so schoͤn und groß es bereits ist, wird den - noch in diesem Augenblicke noch sehr erweitert. Jch will bei dieser Gelegenheit sogleich einige Worte uͤber die

Veterinairschule zu Charenton

einschalten. Sie ist eine Schoͤpfung des Exministers Fran - çois de Neufchateau, und wurde anfangs sehr unter - stuͤtzt, geraͤth aber jetzt immer mehr in Verfall, weil Geld fehlt, und sich Niemand darum bekuͤmmert. So geht es leider, nach der Versicherung wohlunterrichteter Leute, mit vielen hiesigen Jnstituten, die glaͤnzend wie Meteore heraufsteigen, und eben so zerplatzen. So gieng es unter andern einem kleinen Hospital, welches zu der école de medécine gehoͤrte, und zur Vervollkommnung der Zoͤglinge errichtet worden war, daher es auch le per - fectionnement genannt wurde. Man richtete mehrere Saͤle dazu ein, ein Chirurgus wurde dabei angestellt. Alles gieng eine kurze Zeit recht gut, und nun liegt Alles wieder im Schlummer begraben.

Das Jnstitut der Blindgebohrnen

ist, seitdem ich es nicht sah, noch erweitert worden. Man hat naͤmlich mit den 300 Blinden (quinzevingts),61 die Lehranstalt fuͤr junge Blinde vereinigt, in welcher sie zu allerlei Manufakturarbeiten, oder was ihnen sonst zu lernen moͤglich ist, angewiesen werden. Vom bloßen Gefuͤhle geleitet, lesen und drucken sie noch wie vor - mals, haben ihre geographische Karten en relief, ihre Musiknoten deßgleichen, lieben die Musik ganz besonders (weßhalb man auch in ihren Schlafsaͤlen fast Nichts als musikalische Jnstrumente sieht) gehen uͤberall frei um - her, ohne sich zu stoßen, sind immer lustig und guter Dinge. Die Maͤdchen spinnen. Der Unterhalt dieser gluͤcklichen Elenden schien mir aber bei weitem nicht so gut, als z. B. der der obenerwaͤhnten Waisenkinder. Das Haus ist groß und schmutzig. Man zeigt weniger Ach - tung darinn vor dem Publikum als sonst allgemein in Paris. Jch wollte einer oͤffentlichen Sitzung beiwohnen, sie war um 12 Uhr praͤzise angesagt. Das Wort praͤ - zise wird hier oft sehr uneigentlich gebraucht. Es war halb Eins, als ich hinkam, da saßen die Blinden noch und stimmten ihre Geigen. Jeder spielt sein eignes Stuͤckchen, und das waͤhrte so lange, und war so hoͤllisch anzuhoͤren, daß sie mich endlich nach J Uhr mit ihrer Teufelsmusik wirklich davon jagten, als die Sitzung noch immer nicht eroͤffnet war. Verschiedene ihrer Fabrikate lagen ausgebreitet, Bettdecken u. dgl.

Das Prytaneum.

Urspruͤnglich ist diese Erziehungsanstalt fuͤr solche Knaben bestimmt, derer Vaͤter auf dem Bette der Eh - ren fuͤrs Vaterland starben, und denen nunmehr die dankbare Nazion den Vater ersetzt. Es werden aber auch Pensionairs aufgenommen, welche fuͤr Unterricht, Kost und Kleidung jaͤhrlich die sehr maͤßige Summe von62 1000 Livres bezahlen, und, wenn sie sich auszeichnen, dem Gouvernement bei ihrem Austritte besonders empfoh - len werden. Der Zoͤglinge sind uͤberhaupt 450. Der Direktor der Anstalt ist ein sehr wackerer Mann, Na - mens Champagne. Saͤmmtliche Lehrer, so viele ich da - von gesehen, sind feingebildete Leute, und zuvorkommend bereit, Alles zu zeigen, Alles zu erklaͤren. Die sehr weitlaͤuftigen, vormals den Jesuiten gehoͤrigen Gebaͤude, enthalten mehrere große Hoͤfe, derer sich die Jugend zu Spielplaͤtzen bedient. Die verschiedenen Klassen, die Schlaf - Speise - Zeichensaͤle, die Kuͤche, Alles war ge - raͤumig, luftig, reinlich. Nur die Kleinern schlafen in Saͤlen beisamen, unter Aufsicht von Lehrern und Bedienten; die Groͤßern haben Jeder seine eigene Schlafkammer, eine seltene aber treffliche Einrichtung.

Die Zoͤglinge werden sehr gut genaͤhrt. Jch ließ mir ein Stuͤck von ihrem Brode reichen; es war besser und weißer als bei dem ersten Restaurateur Naudet im Palais royal. Alle sehen aber auch gesund und frisch aus Eine schoͤne Bibliothek von 3000 Baͤnden ist besonders reich im Fache der Geschichte. Man verdankt diese Bibliothek dem Minister Benezech, denn die vor - malige war in der Revoluzion ganz verschleppt und zer - streuet worden.

Jch habe das Prytaneum mehreremale besucht. Als ich zum erstenmale dahin kam, schlug die Uhr gerade Eins und das Hofgitter wurde eben geschlossen, weil die Zoͤglinge vom Essen kamen, und nun Erlaubniß hat - ten, eine Stunde auf den Hoͤfen herum zu spazieren, zu rennen, sich lustig zu machen. Der Thuͤrsteher fragte mich, ob ich Geduld haben wolle, bis die Rekreations - stunde voruͤber sey? Jch bejahte es, und er fuͤhrte mich63 in ein Sprachzimmer, wo ich Langeweile befuͤrchtete; doch mit Unrecht, denn hier war ich Zeuge von Szenen, die mir nie wieder aus dem Gedaͤchtniße kommen wer - den. Es war naͤmlich die Stunde, in welcher die ver - wittweten Muͤtter ihre Soͤhne besuchen. Der Saal schien darauf eingerichtet, eine Menge kleiner einzelner Grup - pen zu fassen, denn es standen rings umher wohl ein Dutzend kleiner, gruͤnbeschlagener Tische, um jeden ei - nige Stuͤhle. Die Muͤtter hatten sich schon eingefun - den, sie waren Alle fruͤher da, als die Stunde schlug, Mutterliebe eilt der Zeit voraus. Mit Sehnsucht und Erwartung waren ihre Blicke auf die Thuͤre geheftet. Ein Sohn nach dem andern wird gerufen. Er tritt ein, sein Blick schweift hastig umher, dann rennen Mutter und Kind einander in die Arme. Die Eine nahm ihren Sohn, einen derben Buben, von wenigsten 12 Jahren, auf den Schoos, und herzte ihn wie ein saͤugendes Kind. Eine Andere saß mit dem Liebling am Tische, sie hatte ihm Kastanien mitgebracht, die er mit großer Eßlust verzehrte, waͤhrend sie still weinte, und sich alle Augenblicke die Thraͤnen verstohlen abtrocknete. Eine Dritte emfieng froͤhlich ihren froͤhlichen Sohn, der aber kaum einen Augenblick am Mutterbusen gelegen hatte, als er zuerst bitterlich zu weinen begann. Alle Muͤt - ter hatten Etwas mitgebracht, in Ridikuͤles, Schnupf - tuͤchern, Koͤrben, Servietten. Manche Soͤhne nahmen das froͤhlich hin, bei manchen trocknete es die Thraͤnen nicht. Ein paar Knaben, die vermuthlich ganz ver - wais't waren, saßen ernst an einem Tische, und hoͤrten einem bejahrten Manne zu, der sehr guͤtig mit ihnen sprach, vielleicht ein Freund ihrer verstorbenen Eltern. Jhre Blicke schweiften immer nach den von ihren Muͤt -64 tern geliebkosten und beschenkten Kameraden. Auch eine Menge Schwestern, große und kleine, hatten sich eingefunden, doch sah ich keine darunter geruͤhrt. Ge - schwisterliebe ist ein Werk der Gewohnheit und nicht der Natur.

Sehr schnell verflog mir diese Stunde, Niemand nahm Notiz von mir, Alle waren nur mit sich beschaͤff - tigt, ich konnte ungestoͤrt beobachten. Endlich erschallte der Ruf der Trommel, noch eine letzte Umarmung, und Alles zerstreute sich. Der Sprachsaal war einfach, aber zweckmaͤßig, durch Buͤsten beruͤhmter Franzosen ver - ziert, zwischen welchen Zeichnungen und Risse hiengen, die von Zoͤglingen, des Hauses verfertigt worden, und welchen man, als Belohnung, diesen Platz angewiesen hatte. Jch wuͤnschte eben so viel Gutes von der

Polytechnischen Schule.

erzaͤhlen zu koͤnnen, aber ich weis Nichts weiter von ihr zu sagen, als daß die jungen Militairs daselbst zu Jn - genieurs, Wegbaumeistern u. s. w. gebildet werden. Es scheint, daß wenige Fremde dergleichen Anstalten besu - chen: denn man schickte mich lange von Einem zum An - dern; der Eine empfing mich graͤmlich, der Andere freund - lich, aber Jeder schickte mich zum naͤchsten Nachbar; und kurz, nachdem ich eine Stunde mich von Hof zu Hof, von Gang zu Gang vergebens herumgetrieben, fuhr ich weiter.

Das Athenaͤum von Paris,

ist ein seit 19 Jahren bestehendes vortreffliches Jnstitut, zu welchem sich die Herren jaͤhrlich mit 96 Franken, und die Damen mit 48 Franken abonniren. Dafuͤr er -65 halten sie nicht allein das Recht, taͤglich von 9 Uhr Morgens bis 11 Uhr Abends, in den schoͤnen Saͤlen des Athenaͤum unter gewaͤhlter Gesellschaft zuzubrin - gen, und alle daselbst befindliche periodische Schrif - ten zu lesen, ferner, den gutbesetzten Konzerten beizuwohnen, die monatlich zweimal gegeben werden, sondern was die Hauptsache ist sie koͤnnen dafuͤr auch fast alle Wissenschaften und Sprachen bei den besten Lehrern und Meistern erlernen: denn Mon - tags lesen Fourcroy und Mirbel daselbst uͤber Che - mie und Botanik; Dienstags Biot, Cuͤvier, Bol - doni, Physik, Naturgeschichte, italiaͤnische Sprache; Mittwochs Lavit, Sicard, Roberts, Perspek - tive, Grammatik, englische Sprache, auch ist derselbe Tag musikalischen Unterhaltungen bestimmt. Donners - tag Garat und Thenard, Geschichte und Chemie; Freitag Hassenfratz, Guinguené, Boldoni, Technologie, Literargeschichte, italiaͤnische Sprache; end - lich Sonnabends Biot, Suͤe, Vigée und Ro - bers, Physik, Anatomie, schoͤne Literatur, und engli - sche Sprache.

Jeder Abonnent erhaͤlt Sonntags in seiner Wohnung ein Buͤlletin von den Arbeiten der kuͤnftigen Woche; auch haͤngt in einem der Saͤle eine Tafel, auf welcher man lesen kann, was man taͤglich zu erwarten hat. Die Damen koͤnnen, wenn sie wollen, sich in ein fuͤr sie aus - druͤcklich bestimmtes Zimmer zuruͤckziehen. Außer den meist beruͤhmten Maͤnnern, welche als Lehrer bei die - sem Jnstitute angestellt sind, giebt es noch viele Andere, die zwar nicht eigentlich dazu gehoͤren, aber mit Ver - gnuͤgen dann und wann ihre Geistesfruͤchte da vorle - sen. Eine artige Bibliothek, die bestaͤndig mit den66 neuesten interessantesten Werken vermehrt wird, steht gleichfalls zum Gebrauche offen. Kurz, es ist wohl un - moͤglich, sich fuͤr kaum fuͤnf Friedrichsd'or acht Monate lang ein mannigfaltigeres und geistreicheres Vergnuͤgen zu verschaffen. Als Gast kann jedoch Niemand ein - gefuͤhrt werden, und es war allerdings eine große Aus - zeichnung, daß man bei mir eine Ausnahme von der Regel machte. Jch war bei der dießjaͤhrigen Eroͤffnung der Sitzungen gegenwaͤrtig. Garat, als Praͤsident, machte die Einleitung, Ginguené las uͤber die neuere Literaturgeschichte, Baour-Lormian gab eine Nacht von Young in Versen zum Besten. Ein großes Kon - zert machte den Beschluß. Jndessen habe ich von alle Dem sehr wenig Vortheil ziehen koͤnnen, denn ich kam etwas zu spaͤt, und fand den Saal so entsetzlich von Menschen uͤberfuͤllt, daß ich mich nicht ins Gedraͤnge wagen mogte, und folglich mir in der Ferne wenigstens aller Zusammenhang verloren gieng.

Das Athenaͤum der Fremden, (Athenée des étrangers.)

ist eine aͤhnliche Einrichtung, doch bloß mit Hinsicht auf die schoͤnen Wissenschaften. Jn einer Sitzung z. B. las Cailhava uͤber die tragische Deklamation; Lantier eine Erzaͤhlung in Versen, die undankbaren Kin - der; Bavur-Lormian Narizssens Tod nach Young; Murville eine Nachahmung einer Jnvenalschen Sa - tyre; Lancival Deidamirens Lebewohl an Achil, und Chazet eine poetische Epistel. Die Herren abon - niren sich mit 72 Franken, die Damen mit 42. Hier werden auch Baͤlle und Konzerte gegeben.

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Es giebt noch mehrere dergleichen Einrichtungen in Paris, die bald mehr bald minder vorzuͤglich sind, und man muß doch in der That bekennen, daß kein Ort in der Welt, London nicht ausgenommen, so viele Geistes - nahrung um so wohlfeile Preise darbietet. Die Aca - démie de legislation, und besonders das Collège de France, verdienen hier gleichfalls erwaͤhnt zu werden. Wenn aber in dem letztern eine Vorlesung Delille von an - gekuͤndigt worden ist, so rathe ich einem Jeden, sich 14 Tage vorher mit einem Einlaßbillet zu versehen, denn drei Tage vorher ist keines mehr zu haben.

Die Bibliothek des Arsenals

enthaͤlt in vielen, eben nicht großen Saͤlen und Zimmern 135000 sehr wohl geordnete und kondizionirte Baͤnde. Drei Zimmer sind voll Manuskripte, wovon freilich wohl die wichtigsten schon benutzt worden, doch aber noch manche interessante Nachlese zu halten waͤre. Sie soll, wie es heißt, nach dem Palais Luxembourg transpor - tirt werden, denn der Erhaltungssenat will doch auch seine eigene Bibliothek haben. Da, wo sie jetzt ist, ent - haͤlt sie noch eine besondere, nicht zu transportirende Merkwuͤrdigkeit, naͤmlich ein Zimmer und ein Kabinet, welche Suͤly bewohnte, beyde getaͤfelt, und im alten Geschmack reich vergoldet. Ueber dem Kamin befindet sich noch ein eingesetzter Spiegel, von den ersten, die aus Venedig gebracht worden, der damals sehr kostbar seyn mogte, heutzutage aber fuͤr eine Kammerjungfer zu klein waͤre. Man erkennt sein Alterthum an den geschlif - fenen Seiten. Vor diesem Kamin mag Suͤlly oft mit Heinrich JV. gesessen haben. Rings umher sind die Bilder starker und tapferer Frauen aus alten und68 neuern Zeiten, gemalt, unter Andern die Jungfrau von Orleans.

Die Mazarinsche Bibliothek.

ist 120000 Baͤnde stark, in einem sehr artig dekorirten Saale aufgestellt, aber 5000 Baͤnde liegen noch auf der Erde, denn man hat einen zweiten Saal, ich weis nicht zu welchem Gebrauche, der Bibliothek entzogen. Schoͤne antike und moderne Buͤsten stehen rings umher; was aber am merkwuͤrdigsten, ist ein ex voto mit phoͤni - zischer Schrift, welches die Tyrier bei einem Schiff - bruche gelobet hatten. Da die griechische Uebersetzung darunter steht, so hatte der Abbé Barthelemi, mit Hilfe derselben, einen Theil des phoͤnizischen Alphabets wie - der hergestellt.

Das Observatorium

ist ein großes, sehr bequem eingerichtetes Gebaͤude, mit gewaltigen Souterrains. Hier steht unter Andern ein 22fuͤßiger Teleskop mit einem Spiegel, der 22 Zoll im Durchmesser hat, aber nicht von Platina ist, wie ich anfangs glaubte. Das Geruͤste, auf welchem er ruht, sieht schwer und unbehilflich aus, ist aber durch einen einfachen Mechanismus so eingerichtet, daß ein einziger Mensch die ganze ungeheure Maschine nicht allein hin und her leicht bewegen, sondern auch hinaus auf die Platteforme schieben kann. Auf dem Dache wurden eben recht artige Kabinetchen zu Beobachtung der Ko - meten erbaut. Die Aussicht uͤber Paris ist hier schoͤn.

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Eine große, vortreffliche Sammlung von Maschinen und Modellen

sollte kein lernbegieriger Fremder unbesucht lassen. Sie ist in mehrern ungeheuern Saͤlen aufgestellt, und man findet hier alle Maschinen und Geraͤthschaften modellirt, die zur Landwirthschaft oder haͤuslichen Oekonomie gehoͤ - ren, Pfluͤge, Windmuͤhlen, Feuerspritzen, Bienenkoͤrbe, Spinnmaschinen, Kochoͤfen, Brunnen, Wagen, u. s. w. Diese treffliche Anstalt, die noch nicht ganz in Ordnung ist, und noch ansehnlich vermehrt werden soll, wird zu meinem Erstaunen wenig besucht, und es kostete mich viele Muͤhe, sie auszufragen.

Das Panstereorama.

Hier sieht man in zwei Saͤlen, Paris, Lyon und London, en relief schoͤn gearbeitet. Bei den ersten bei - den Staͤdten sind sogar die Ungleichheiten des Terrains beobachtet, und diese artige Kunst gewaͤhrt allerdings eine sehr lebhafte Vorstellung des gewaͤhlten Gegenstandes. Mehrere Panorama's uͤbergehe ich, als bekannt, mit Stillschweigen.

Das Kupferstich-Kabinet.

welches mit der Nationalbibliothek vereinigt ist, gehoͤrt auch noch unter die vorzuͤglichsten Merkwuͤrdigkeiten. Es ist eine ungeheure Sammlung, die vielleicht nahe an eine Million Kupferstiche enthalten mag. Sie ist dabei vortrefflich klasifizirt, und ein schoͤner offen da liegender Katalog gewaͤhrt den Vortheil, sie nach Wunsch benu - tzen zu koͤnnen. Auch geschieht das sehr haͤufig, denn man findet bestaͤndig beide Seiten einer langen Tafel70 mit jungen Kuͤnstlern besetzt, die kopiren oder betrach - ten. Die Kupferstiche sind in großen Portefeuille's gleich Buͤchern aufgestellt, und in Laͤnder abgetheilt. Je - des Land hat dann wieder seine Unterabtheilungen. Die merkwuͤrdigen Portaits sind unzaͤhlig, und da sie aber - mals in viele Klassen (als Fuͤrsten, Gelehrte, Kuͤnstler u. s. w.) eingetheilt sind, so kann man ein einzelnes Portrait, das man eben gerne sehen moͤchte, leicht auf - finden. Z. B. ich wuͤnschte Dr. Luthers Portrait, so suche ich zuerst die Seite der Wand, an welcher Deutsch - land aufgestellt ist, dann unter den verschiedenen Ru - briken die Portraits, dann unter den Portraits die Geistlichen, diesen Band lasse ich mir herausgeben, und befriedige meinen Wunsch in wenigen Minuten. Einst ließ ich mir zur Unterhaltung die deutschen Kuͤnst - ler reichen, und fand, zu meinem Erstauen, in dem naͤmlichen Portefeuille auch die deutschen Misgebur - ten und Narren, unter den letztern viele, die wir undankbare Deutsche ganz vergessen haben, doch auch manche alte Bekannte, z. B. Eulenspiegel, Hans - wurst, kurz, eine Menge Narren, denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie recht gescheide Leute gewe - sen waren.

Die Kirche St. Sulpice

ein sehr imposantes Gebaͤude, dessen Aeußeres, nach mei - ner Empfindung, einen erhabenern Eindruck hervor - bringt, als das der Kirche Notre Dame. Jnwendig macht die Kuppel im Hintergrunde des Tempels eine fast magische Wirkung. Durch eine große Oeffnung naͤm - lich hinter dem Hochaltar scheinen die lichten Wolken hereinzuquillen und auf ihnen die heilige Jungfrau mit71 dem Jesuskinde, Alles in Marmor gehauen, aber so schoͤn, daß in einer geringen Entfernung die Phantasie sehr gluͤcklich getaͤuscht wird.

Das Palais-Royal

gleicht noch ganz dem Gemaͤlde, welches unser Lands - mann, Friedrich Schulz, einst davon entwarf. Nur der innere Hof, 320 Schritte lang und 150 breit, ist neu bepflanzt worden. Die jetzige Generazion wird es schwerlich erleben, unter dem Schatten dieser Pflanzun - gen zu wandern. Jndessen, beschattet oder unbeschattet, bleibt das Palais-Royal doch immer ein taͤglicher Sam - melplatz vieler tausend Menschen, und unter den Arka - den desselben ist es den groͤßten Theil des Tages so voll, daß man nur mit Hilfe der Ellenbogen sich durchwinden kann. Kein Wunder, denn man findet hier 18 Kaffee - haͤuser, 10 Restaurateurs, ein halbes Dutzend Pastetenbaͤcker, eben so viele Viktualienhaͤnd - ler, mehrere Weinhaͤndler, Eisverkaͤufer, Obst - weiber, ein Paar Billards, eine Menge Zucker - baͤcker, kurz, man kann hier essen und trinken, so viel und so delikat als irgend in der Welt. Unter Andern ist auch eine eigene Waffelbude hier, wo einige Menschen, den ganzen Tag vor dem Feuer sitzend, nichts Anders thun, als Waffeln backen, und zwar ganz vor - treffliche Waffeln. Jn einem kleinen Stuͤbchen, hinter der Bude, werden sie heiß aufgetragen, und, wenn man Lust hat, ein Glas Mallaga dazu. Es war mein ge - woͤhnliches, den Magen nicht beschwerendes Fruͤhstuͤck. Wem das nicht genuͤgt, der kann aus der naͤchsten Bude sich eine kalte Pastete von rothen Rebhuͤhnern holen, oder sonst eine von den tausend kalten Speisen, die ihn,72 hoͤchst appetitlich fuͤr das Auge zubereitet, uͤberall lo - cken. Jst er satt, so kann er, eine Treppe hoch, in schoͤn geschmuͤckten Saͤlen, mit allen moͤglichen Hazard - spielen sich die Zeit vertreiben, und den Beutel fegen; oder er kann dem Gesange einer Syrene folgen, der aus den Fenstern des Entreesols ihm herabtoͤnt; oder er kann in ein Lesekabinet gehen, welches ein gewißer Jor - re haͤlt, wo man stets zwei warme Zimmer findet, und, fuͤr sechs Livres monatlich, von Morgens bis Abends einige 40 Zeitungen und Journale lesen kann. Jst er auch das uͤberdruͤßig, so mag er (man merke wohl, immer unter denselben Arkaden,) ins Thea - ter Montansier gehen, oder die Chinesischen Schatten des Monsieur Seraphin besuchen, (wo noch immer, wie vor dreizehn Jahren, die Russinn, die durch - aus von ihrem Manne gepruͤgelt seyn will, um dessen Liebe zu erkennen, den Parisern großen Spaß macht) oder eine Kinder - und Puppen-Komoͤdie, oder ein Gesellschaftstheater unten im Keller. Zu meiner Zeit waren auch Pyramus und Thisbe in Wachs zu schauen, und der guten Thisbe, die sich, vermuthlich von Pyramus, in gesegneten Leibesumstaͤnden befand, konnte der Leib aufgethan, und die Lage deß Kindes ge - zeigt werden. Vor der Thuͤre stand ein Ausrufer, den man schon von ferne den ganzen Tag schreien hoͤrte: Messieurs voyez en passant le chef d'oeuvre de l'art, curieux et intéressant, le professeur va commencer l'explication dans l'instant. Entrez! entrez! Diese Einladung wurde gleichsam nach einer Art von Melodie abgesungen, und unaufhoͤrlich wiederholt, daß man end - lich von dieser Melodie, wie von einem Gespenst, verfolgt wurde, und sie noch immer zu hoͤren glaubte, wenn73 man das Palais schon laͤngst verlassen hatte. Ern - stere Unterhaltung bietet, wie ich schon oben erwaͤhnt, einige Schritte weiter, Bertrands physikalisches Kabinet dar. Auch das Théatre Français (das erste in Pa - ris) ist dergestalt mit dem Palais-Royal verbunden, daß eine Fortsetzung der Arkaden trocknes Fußes bis da - hin fuͤhrt. Sind alle diese Zeitvertreibe erschoͤpft, so wird doch wohl Einer von den zwanzig Buchhaͤnd - lern, die unter den Arkaden hausen, eine pikante Nou - veauté haben? oder man giebt dem Drange der Ei - telkeit nach, und laͤßt sich von einem Miniaturma - ler portraͤtiren. Nicht weniger als neunzehn haben ihre Tafeln und Proben ausgehaͤngt, gut und schlecht, wohlfeil und theuer, fuͤr sechs Livres und fuͤr zehn Louisd'or. Es sind welche darnnter, die in einer Stunde ein ferti - ges Gemaͤlde zu liefern versprechen, und, wenigstens was Aehnlichkeit betrifft, Verdienst haben. So habe ich z. B. das schlecht gemalte, aber wohlgetroffene Bild - niß des Erbprinzen von Weimar, waͤhrend meines gan - zen Aufenthalts im Palais-Royal haͤngen sehen. Jst man trotz allem Dem noch immer mit seiner Zeit verlegen, (welches doch schwer moͤglich) so gewaͤhrt das Lesen der vielen tausend angeschlagenen Zedel, und das An - gaffen der schoͤn aufgeputzten Buden, schon allein Unter - haltung: denn da sind nicht weniger als sechszehn Putz - macherinnen, zwanzig Buden mit fertigen Klei - dern, dreißig mit allerlei Zeugen fuͤr Herren - und Damenputz, eine Menge der praͤchtigsten Qincaille - rien, Glas - Porzellain-Gewehrbuden, Pit - schierstecher, Kinderspielzeug u. s. w.

Hat man etwa kein Geld, um diese Herrlichkeiten zu kaufen, so giebt es hier auch zehn Leihhaͤuser, und74 zwei Lotteriebuͤreaus. Die erstere geben baares Geld fuͤr gutes Pfand, und die letztern Hoffnung fuͤr baares Geld. Kurz, man kann im Palais-Royal sich Zeitlebens einsperren lassen, und man wird, wenn man nur Geld hat, dennoch nie Etwas von allem Dem ent - behren, was das Leben angenehm macht, vom Théatre français an, bis auf die Schuhputzerbude, mit der pompoͤsen Jnschrift: aux artistes réunis.

Die Kaffeehaͤuser wetteifern mit einander im artigen Aufputz. Eins nennt sich aux milles colonnes, (zu den tausend Saͤulen,) weil seine Saͤle etwa von einem halben Dutzend Saͤulen getragen werden, die sich in den Spiegelwaͤnden rings umher zu einigen Dutzenden, und folglich Tausenden vervielfaͤltigen. Ein anderes, au mont St. Bernard, nennt sich unique, und das Mittel, wodurch es sich auszeichnet, ist auch in der That selt - sam genug. Man hat naͤmlich einen ziemlichen Raum des einen Saales aufgeopfert, um eine Art von Modell des Bernhardsberges dahin zu stellen, ungefaͤhr so verfertigt, wie die Zuckerbaͤcker in Berlin ihre Weihnachts - ausstellungen machen. Ferner sind alle Waͤnde mit ei - ner unendlichen Menge kleiner, in Handlung gesetzter Puppen, unter Glas und Rahmen verziert. Sie bilden zum Theil allerlei Nationen nach, und sind besonders aus Cooks Reisen entlehnt, zum Theil stellen sie auch franzoͤsische Landleute aus entfernten Provinzen vor, und sind wirklich sehr gut gemacht. Allerdings kann man hier, waͤhrend man eine Tasse Kaffee trinkt, sich recht angenehm unterhalten.

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Der Palast des Erhaltungssenats, vormals Palais Luxembourg.

Der Garten dieses Palastes giebt dem der Tuilerien wohl wenig nach (besonders seitdem er ansehnlich ver - groͤßert worden) und prangt gleichfalls mit herrlichen Statuͤen. Der Saal, durch welchen man zu der Gal - lerie gelangt, ist ganz mit den bekannten trefflichen Ab - bildungen aller franzoͤsischen Haͤfen von Vernerit be - haͤngt, welche vormals (wie Reichardt im Guide des Voyageurs sagt) im Hotel der Marine gefunden wur - den, in welchem Hotel jetzt aber gar nichts Sehenswuͤr - diges mehr befindlich ist.

Die Gallerie selbst ist nach Rubens genannt, weil sie zu beiden Seiten fast ganz mit den großen Gemaͤlden von Rubens angefuͤllt ist, welche die Lebensgeschichte der Maria von Medicis fortlaufend darstellen. Jch muß abermals aufrichtig bekennen, daß ich diesen Bil - dern keinen Geschmack abgewinnen kann. Jch finde da - rinn eine Zusammensetzung von Jdeen, die dichterisch seyn sollen, und von Allegorien, die sinnreich seyn sollen, gewoͤhnlich aber laͤcherlich ausfallen. Bei Mariens Ge - burt uͤbergiebt die alte Goͤtterhebamme Lucina das Kind einem Loͤwen, der die Stadt Florenz repraͤsen - tirt. Bei ihrer Erziehung spielt ihr Apoll ein Stuͤckchen auf der Baßgeige vor. Bei ihrer Verheirathung traͤgt Hymen ihr die Schleppe, und ein Hund ist gegen - waͤrtig, vielleicht als Sinnbild der Treue. Bei ihrer Ausschiffung zu Marseille verrenken sich die Syrenen fast die Ribben, um das Schiff fest zu halten, und ein Triton blaͤst fuͤrchterlich auf einer Muschel. Jn Lyon wird die Vermaͤhlung vollzogen, da erscheint sie im Ko -76 stum der Juno, und Heinrich JV. empfaͤngt sie als Ju - piter. Bei der Geburt Ludwig des XJJJ. uͤberreicht ihr die Fruchtbarkeit noch ein ganzes Nest mit fuͤnf kleinen Kindern, als Prophezeiung, daß sie derer noch so viele auf die Welt setzen werde. Bei ihrer Kroͤnung sind wie - der einige Hunde geschaͤfftig. Bei der Apotheose Hein - rich des JV. rauft sich Bellona die Haare aus, und es giebt auch da ein paar derbe Hunde, die uͤberhaupt auf den meisten dieser Bilder zu Hause sind. Bald sind es Jagd - bald Windhunde, bald Bullenbeißer, zuweilen auch ein Schooshuͤndchen. Auf dem Gemaͤlde welches Mariens Regierung versinnlichen soll, wird ein Globus (naͤmlich Frankreich) von Tauben gezogen. Die Versoͤh - nung zwischen ihr und ihrem Sohne wird abermals in Gegenwart von Hunden gefeiert. Rechnet man zu al - len diesen Laͤcherlichkeiten nun auch noch die kriechende Schmeichelei, die aus jeder dieser Allegorien hervorleuch - tet, so ist es wohl natuͤrlich, daß die Wirkung der Kunst; selbst eines Rubens, groͤßtentheils verloren geht.

Ersatz dafuͤr gewaͤhrt ein schlummernder Ein - siedler von Vien, der seine Entstehung einem Zufall verdankt. Der Kuͤnstler malte naͤmlich einen Fuß nach der Natur, und ein armer Einsiedler diente ihm dabei als Modell. Der Alte, der nicht ganz nuͤchtern seyn mogte, hatte Langeweile, wurde schlaͤfrig, wollte durch ein wenig Kratzen auf der Violine sich ermuntern, schlief aber richtig dabei ein, und seine Stellung war so auffal - lend, daß der Maler auf der Stelle, statt des Fußes den ganzen Eremiten skizzirte, und nachmals eines der vorzuͤglichsten Gemaͤlde aus dieser Skizze schuff.

Die heilige Familie, von Raphael, ist wun -77 derschoͤn, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem Zoͤgling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt, die naͤmliche heilige Familie unter dem Namen Raphael auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht irre) fast noch vorzuͤglicher. Welches ist nun das aͤchte Bild? Gleichviel, sie sind beide aͤcht.

Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der franzoͤsische Raphael genannt wird, obgleich er nie Welschlands schoͤnen Himmel sah. Hier haͤngt weiter Nichts von ihm, als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern ausgefuͤhrt. Er malte sie auf Holz fuͤr die Kartheuser - Moͤnche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu - ben oder infame Neider beschaͤdigten und zerkratzten die Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genoͤthiget waren, Thuͤren daruͤber machen zu lassen. Jetzt sind sie saͤmmt - lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden. Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spuͤre, und uͤber - haupt glaube, diese auf Befehl einer Koͤniginn gemalte, sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte Bilder koͤnnen nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen Marmorgruppe eines lebendigen Kuͤnstlers, Amor und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch glaube, um so beruͤhmt zu werden, als manches griechi - sche oder roͤmische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter Nichts, als der Tod ihres Schoͤpfers, und ein Alter von ein paar hundert Jahren.

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Der Saal, im welchem der Erhaltungssenat seine Sitzungen haͤlt, ist recht schoͤn, aber zeichnet sich eben nicht aus. Er ist auch wohl zu klein, und man soll be - reits die Veranstaltung getroffen haben, ein groͤßeres Lo - kal einzuraͤumen. Das Merkwuͤrdigste im Palais de Luxembourg ist das Zimmer, wo vormals das Direk - torium sich versammelte, vor der Revoluzion das Schlaf - zimmer von Madam, der Gemahlinn Ludwig XVJJJ. Hier sieht man noch eine große Charte von Deutschland und den angraͤnzenden Laͤndern, auf welcher noch die Po - sitionen der franzoͤsischen Armeen in dem Augenblicke des Friedensschlusses von Campo Formio mit kleinen bunten Stuͤckchen Papier und seidenen Faͤden bezeichnet sind. Die verschiedenen Farben bedeuten bald das Haupt - quartier, bald diesen oder jenen General, Posten, die leicht oder schwer zu vertheidigen sind, u. s. w. Auch die Orte, wo merkwuͤrdige Gefechte oder Schlachten vor - gefallen, sind markirt, und die Papierchen mit ganz duͤn - nen Stecknadeln befestigt. Ha! dacht 'ich, wie oft mag auf dieser Stelle der Finger eines Direktors, nach - dem er vielleicht ganz gleichgiltig eine Priese Toback in die Nase gestopft, das Elend meines Vaterlandes bezeich - net haben.

Der Saal der Fuͤnfhundert.

So muß der Versammlungsort des alten roͤmischen Senats ausgesehen haben, und wenn er nicht so ausge - sehen hat, so hat er sicher dem Saal der Fuͤnfhundert weit nachgestanden. Dieser ist praͤchtig ohne Luxus, eine einfache, aber darum imponirende Pracht. Jn einem großen halben Zirkel erheben sich amphitheatralisch 500 Sitze, hinter diesen eine Gallerie fuͤr die konstituirten79 Autoritaͤten, und uͤber derselben eine zweite fuͤr das Volk. Die Decke, die sich an letztere schließt, wird durch die Bilder alter Gesetzgeber und beruͤhmter Republikaner ge - schmuͤckt. Da sind Solon, Lykurg, Regulus, Cato, und viele Andere, stets mit Angabe der Zeit, in welcher sie gelebt haben. Jn der Mitte aller dieser Bil - der thront die Natur, mit der Umschrift: die Natur allein giebt ewige Gesetze. Das Licht erhaͤlt der Saal von Oben, und die Waͤrme von Unten, denn Fenster und Oefen hat er nicht.

Den Sitzen der Fuͤnfhundert gegen uͤber steht eine schoͤne Tribuͤne fuͤr den Praͤsidenten, ein wenig tiefer eine zweite fuͤr die Sekretairs. Die Waͤnde sind rings - umher drapirt, aber nicht mit dreifarbigem, sondern mit dunkelgruͤnem Tuche mit feuerfarbenen Verzierungen. Alles ist einfach erhaben, und es scheint mir unmoͤglich, irgend ein Lokal auf der Welt seiner Bestimmung gemaͤßer einzurichten.

Jn der That werden alle die kleinen Hilfsmittel, welche so sehr auf die Sinne, und durch diese auf den Geist wirken, von uns hypersoliden Deutschen gewaltig vernachlaͤßigt: wir spoͤtteln wohl gar daruͤber, denn wir sind viel zu vernuͤnftig dazu; deßwegen kommen wir auch vor lauter Vernunft nie zum Handeln. Der Franzose hingegen vergißt Nichts von Dem, was ihn an seine Thaten erinnern, oder zu kuͤnftigen Thaten an - feuern kann. Was er zu diesem Behuf erfindet, ist nicht immer Original, er kopirt meistens die Griechen und Roͤ - mer, aber gleichviel, wenn es nur die naͤmliche Wirkung wie damals hervorbringt. So sind z. B. in den Hallen des Palais legislatif Tafeln aufgehangen, auf welchen die verschiedenen Eroberungen und Siege der Armeen ver -80 zeichnet sind. Wer nun in diesen Hallen auf und nieder wandelt, liest unwillkuͤhrlich was, wohin er sich auch wenden mag, die Tafeln ihm vorhalten; im Soldaten erweckt es Ehrgeiz, in Buͤrger Nationalstolz; wer unter jenen Armeen diente, findet sich schmeichelhaft belohnt, wer jetzt darunter dient, genießt den Vorschmack des Lohns, der seiner wartet. Doch das Letztere wohl nie mehr, als wenn er das

Hotel der Jnvaliden

besucht. Daß schon das Aeußere dieses herrlichen Pala - stes an Pracht keinem Andern nachstehe, ist laͤngst be - kannt, und ich halte mich dabei nicht auf. Aber von einer sonderbaren, fast moͤcht 'ich sagen froͤhlichen Wehmuth wird man ergriffen, wenn man so durch den großen Garten faͤhrt, der vor dem Hotel sich ausdehnt, und die schoͤne freundliche Aussicht auf die Seine ge - waͤhrt; wenn man alle Augenblicke einem Krippel begeg - net, der froh und wohlgenaͤhrt aussieht, bequem auf ei - ner Bank frische Luft schoͤpft, oder muͤßig in den Gaͤn - gen lustwandelt. Jch war da gerade zur Mittagszeit; als die Trommel das Zeichen zum Speisen gab, sam - melte sich Alt und Jung, kriechend und hinkend, in gro - ßen Saͤlen, wo sie sich an kleinen runden Tischen zusam - men setzten, und eßlustig in die Schuͤsseln langten, die mit guter Hausmannskost gefuͤllt standen. Sie sind aber auch gar nicht gezwungen in den Speisesaͤlen zu essen, denn die dankbare Nation will ihnen nicht bloß Nahrung, sondern auch Bequemlichkeit im Alter geben; daher sah ich Viele, die sich ihre Portion holten, und sie auf ihr Zimmer trugen. Ein Jeder hat seine Karafine Wein da - bei, um sein Herz zu erfreuen. Aber wenn sie nun81 gesaͤttigt sind, was thun die braven Verstuͤmmelten dann, um die Langeweile zu vertreiben? O dafuͤr ist ge - sorgt! Sie haben eine treffliche Bibliothek, wie in mancher deutschen Residenz keine fuͤrstliche gefunden wird. Ein großer Saal ist rings umher mit saubern, schoͤn ge - arbeiteten und wohlgefuͤllten Buͤcherschraͤnken tapezirt. Zum Genusse dieser Seelenspeise laden bequeme Stuͤhle und Tische ein. Jn verschiedenen Entfernungen findet man die Bitte angeschlagen, nicht auf den sehr reinlich gehaltenen Boden zu spucken. Jm Hintergrunde der Bibliothek haͤngt das beruͤhmte Bild von David, Bona - parte, wie er uͤber die Alpen geht, und der Wind ihm den Mantel uͤber den Kopf weht. Es ist das naͤmliche, welches Bonaparte den Jnvaliden schenkte, und welches die grauen Helden, als es gebracht wurde, mit Kano - nenschuͤssen salutiren mußten. Der große segelnde Man - tel huͤllt den kleinen Mann ganz ein. Aehnlich ist es vollends gar nicht. Jndessen versteht sich, daß die Schmeichelei dafuͤr sorgte, daß es vervielfaͤltigt werde. Jch fand einen Maler und zwei junge Frauenzimmer da - vor sitzen, die es kopirten, der Maler en miniature, die Frauenzimmer bloß gezeichnet. Eine Menge Jnva - liden saßen rings umher und lasen, der Eine ein militai - risches Werk, der Andere ein Trauerspiel von Racine, der Dritte einen Roman. Dabei hatten sie immer ein Auge auf ihre Gaͤste vom schoͤnen Geschlechte, und, weil es eben ziemlich kalt war, kamen sie, und noͤthigten die Damen, sich am Ofen zu waͤrmen. Als diese, eifrig mit ihrer Arbeit beschaͤfftigt, es ablehnten, holten die galanten Kruͤppel Strohdecken herbei, und breiteten sie den Maͤdchen unter die Fuͤße, damit sie auf dem mit Steinen ausgelegten Fußboden sich nicht erkaͤlten moͤchten. Das82 haͤtten teutsche Jnvaliden nun wohl schwerlich gethan, haͤtten auch schwerlich da gesessen, um die Geschichte des siebenjaͤhrigen Krieges, oder ein Trauerspiel von Schiller zu lesen. Man muß naͤmlich dabei nicht vergessen, daß es lauter gemeine Soldaten sind. Wahrlich! wenn man eine Stunde in dem Palast herumgegangen ist, so bekommt man selber Lust, sich ein Bein abschießen zu lassen.

Besonders herzerhebend ist der große Dom, von dessen Gewoͤlben die zahllose Menge der Fahnen sich herabneigt, derer jede ein Buchstabe einer Jnschrift ist, welche die Siege der Nation verkuͤndet, Hieroglyphen, so leserlich, als es noch keine gab. Die Fahnen fast al - ler Nationen prangen da, doch preußische habe auch ich trotz alles Umherschauens nicht bemerkt. Was in Egypten an Roßschweifen, halben Monden u. dgl. er - obert worden, ist an den Saͤulen malerisch gruppirt. Der Fahnen uͤberhaupt moͤgen wohl mehrere Tausende seyn, und man wandelt wie unter einem ungeheuren Zelte. Doch man schaue nicht bloß uͤber sich, die Seitenwaͤnde sind nicht minder merkwuͤrdig. Gleich beim Hereintreten, rechts und links, sind die Mauern bis hoch hinauf mit Marmor inkrustirt, und gleich den alten griechischen Tafeln im Museum Napoleon, welche die Namen der Helden aus dem Stamme der Erechtyden ver - ewigen liest man hier die Namen aller Krieger, die sich in den verschiedenen Armeen hervorgethan haben, oder auf dem Bette der Ehre geblieben sind. Diese Ta - feln werden einst den Franzosen als Ahnenprobe dienen.

Jch schreite vorwaͤrts, um die Gemaͤlde zu betrach - ten. Das allergroͤßte Schmeichelbild, den 18. Bruͤmaire vorstellend, hat gar keinen Eindruck auf mich gemacht,83 einmal, weil ich uͤberhaupt wenig Sinn fuͤr Allegorien habe, und zweitens, weil ihm dieser Ehrenplatz viel zu fruͤh eingeraͤumt worden. Die Plaͤtze im Dom der Jn - validen sollte, wie im Pantheon, nur die Nachwelt ver - theilen. Die Schlachten Ludwig XJV. haͤngen freilich wohl an ihrer Stelle, aber es ist Wenig daran zu sehen, denn die gemalten Schlachten sehen sich alle ein - ander aͤhnlich. Das Gemaͤlde hingegen, welches die heldenmuͤthige Aufopferung des jungen Offiziers zu Nancy vergegenwaͤrtigt, (der sich bekanntlich vor die Kanone stellte, um ihr Abfeuern auf die Buͤrger zu ver - hindern, und ein Opfer seines Patriotismus wurde,) dieses Gemaͤlde ist schoͤn, und daß es hier haͤngt, ist noch schoͤner. Trete ich endlich unter die große Kup - pel, diesen runden, himmelanstrebenden, im erhaben - sten Styl erbauten Tempel, so erblicke ich seinen einzi - gen, in jeder Ruͤcksicht einzigen Schmuck, Tuͤrenne's Grabmaal. Die aus der Hoͤhle zu St. Denis geretteten Gebeine ruhen hier wirklich. Das Denkmaal ist dasselbe, welches ihm seine Kinder einst zu St. Denis errichten ließen. Etwas ist mir doch in der Kuppel dieses Tem - pels aufgefallen. Man sieht da naͤmlich die zwoͤlf Apo - stel gemalt, und unter denselben Basreliefs von Vol - taire, Rousseau, u. a. m. Wie kommen Vol - taire und Rousseau zu den Jnvaliden und Aposteln?

Der Garten der Pflanzen. (Jardin des plantes.)

Er ist groß und schoͤn, da ich aber kein Botaniker bin, so wird man in dieser Hinsicht weder Beschrei - bung noch Beurtheilung von mir erwarten. Die Treib -84 haͤuser enthalten nichts Besonders, sind klein und nied - lich. Wenn man die herrlichen Treibhaͤuser in Schoͤn - brunn bei Wien gesehen hat, so scheinen diese hier nur armselige Huͤtten. Dort ist Alles so geschmackvoll geord - net, fuͤr Auge und Nase, ohne Hintansetzung des Wissen - schaftlichen, so fast moͤchte ich sagen dichterisch gesorgt die Wasserpflanzen bluͤhen in und um schoͤne Marmorbecken, malerisch vertheilt die duftenden Blu - men sind nach ihren verschiedenen Farben so kunstreich gemischt die Baͤume und Produkte der heißesten Zo - nen erfreuen sich in eignen Haͤusern ihres gewohnten Kli - ma's und die Haͤuser alle sind so hoch, so geraͤumig, so einladend zum Spaziergange und der Obergaͤrtner oder Direktor dieser schoͤnen Anstalt verbindet so reiche Kenntnisse mit so gefaͤlligen Sitten, hat selbst alle die Laͤnder bereiset, aus welchen Flora und Pomona ihre uns fremde Kinder hieher sandten. Kurz, von allem Dem findet man im Jardin des plantes Nichts. Man kriecht gebuͤckt unter allerlei Gestraͤuchen herum, durch welche ein schmutziger Gaͤrtnergesell den Weg zeigt, und man ist am Ende froh, sich wieder unter freiem Himmel zu befinden; wo man dann auch im Voruͤbergehen die be - ruͤhmte Ceder bewundern mag, der in den Revoluzions - zeiten eine Kanonenkugel den Gipfel geraubt.

Die fremden Thiere sind ziemlich zahlreich, doch ist eben nicht Viel darunter, was man nicht sonst schon gesehen haͤtte. Ein paar Elephanten die allerlei Kuͤnste machen, die eroberten Baͤren von Bern, Loͤwen, Tiger, Leoparden, Woͤlfe, Adler, ein Strauß, ein paar Kan - guru's, ein Jchnevnon, viele Gattungen von Schafen, Ziegen, Hirschen das ist ungefaͤhr Alles. Aber sehr artig ist die Einrichtung, daß alle diejenigen Thiere,85 derer Wildheit nicht zu scheuen ist, draußen im Freien herumlaufen, und nur durch niedrige Zaͤune von einan - der getrennt sind, uͤber welche ein Mensch von ganz ge - ringer Groͤße sehr gut hinwegsehen kann.

Was aber den Pflanzengarten am interessantesten macht, und, trotz seiner Entfernung, zu wiederholten malen hinlockt, ist wohl die in der Welt einzige Galle - rie der Naturgeschichte. Ein schoͤnes Gebaͤude mit vielen geraͤumigen Saͤlen dicht am Garten faßt dieselbe. Alles ist auf das Unterrichtendste in Glasschraͤnken ge - ordnet. Jm ersten Stockwerk findet man das Mineral - und Pflanzenreich; auch viel Versteinerungen, un - ter andern eine Sammlung versteinerter Fische, unter welchen Einer sich befindet, der von der noch fluͤssigen Steinmasse in demselben Augenblicke muß umgeben wor - den seyn, als er einen andern kleinen Fisch verschlang, denn seine Beute ist ihm halb im Halse stecken geblieben, und ist hernach zugleich mit ihrem Raͤuber versteinert worden. Eines der merkwuͤrdigsten Stuͤcke ist auch ein sehr vollkommener, versteinerter Krokodillkinnbacken. Mondsteine giebt es hier in Menge, auch ein Stuͤck von dem beruͤhmten alten Ensisheimer. Weiter - hin die Holzarten, ja die Fruͤchte aller Welttheile, die man sonst nur etwa aus Reisebeschreibungen kannte. Die Fruͤchte sind theils getrocknet, theils in Weingeist aufbewahrt; einige Wenige auch in Wachs nachgebildet.

Jm zweiten Stock ist das Thierreich befindlich. Da erblickt man zuerst unter Glas die Kaͤfer, Schmet - terlinge und alles kriechende Gewuͤrm, dann kommen die Schlangen, Eidechsen, Schildkroͤten, dann die Voͤgel al - ler Art, unendlich bunt und schoͤn, zum Theil mit ihren Nestern und Eyern. Da ist der allerliebste Fliegen -86 vogel, mit einem Nest voll Jungen, die nicht groͤßer sind, als Bienen, und ihre Mutter kommt an Groͤße etwa einer Bremse gleich. Nicht weit davon stehen die Riesenvoͤgel Casuar und Strauß. Jn den herrlichen Colibris, und den zahllosen Gattungen der Papa - goyen hat die Natur ihre ganze Pracht zur Schau ge - legt. Ein großer Saal enthaͤlt die vierfuͤßigen Thiere, die Mitte des Saales fuͤllen der buntgestreifte Zebra, das Rhinoceros, der Elephant, und endlich die ungeheure Giraffe, neben welcher der Ele - phaͤnt wie ein Zwerg steht. Zwei Schritte davon findet man auch das sibirische Maͤuschen, das Kleinste aller vierfuͤßigen Thiere. Lieber Gott! wenn man in Gedanken den Fliegenvogel neben den Strauß, und das sibirische Maͤuschen neben die Giraffe stellt, und sich dabei erinnert, daß jener Koloß nicht mehr Leben von der Natur empfieng, als dieses winzige Wesen, daß die Genußfaͤhigkeit in diesem kleinen Raume eben so kunst - reich organisirt worden, als in jenem wandelnden Berge zu wie manchen ernsten Betrachtungen ergiebt sich hier der Stoff. An den Waͤnden umher stehen, außer den bekanntern Thieren, die man auch wohl an andern Orten findet, der Hippopotamus, (Nilpferd) die Seekuh, die Antelope, Faulthier, Ameisenfresser, kurz Alles, was man vorher nur im Buͤffon gemalt gesehen hatte. Auch das seltsame, erst kuͤrzlich entdeckte Schna - belthier, welches eine bisher unausgefuͤllte Stufe zwischen den Voͤgeln und vierfuͤßigen Thieren einnimmt. Doch war der Schnabel dieses Exemplars nicht so gut er - halten, als der eines andern, das ich bei dem Herrn Hofrath von Blumenbach in Goͤttingen gesehen habe.

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Das Lokal, so groß es auch scheint, ist bereits zu klein geworden, und man denkt auf Vergroͤßerung: denn fuͤr die neuen Sachen, welche Kapitain Baudin mitge - bracht, ist schon kein Platz mehr. Alle diese gehaͤuf - ten Naturschaͤtze stehen dem Schau - und Lernbegierigen taͤglich umsonst offen, und er braucht sich nicht mit dem Beschauen zu begnuͤgen, sondern er kann auch in die schoͤne, daran stoßende Bibliothek gehen, (welche durch Buͤffons Bildsaͤule geschmuͤckt wird) wo er alle in die Naturgeschichte einschlagende Werke findet, wo er sich gemaͤchlich niederlassen, nachschlagen und exzerpiren mag. Diese Anstalt ist einzig, sie entzuͤckt, sie reißt den Frem - den zum innigsten Danke gegen eine Regierung hin, die mit so lieberalen Gesinnungen Alles mittheilt, hergiebt, aufschließt, was Fremde und Einheimische zur Vervoll - kommnung der Wissenschaften ermuntern kann.

Da der beruͤhmte Cuvier am andern Ende des Gartens wohnt, so erwaͤhne ich hier sogleich seines eige - nen Kabinets, welches fuͤglich, sowohl der Groͤße als des Jnhalts wegen, auch Gallerie genannt werden koͤnnte. Der wackere Cuvier zeigt es bereitwillig und spricht sehr lehrreich daruͤber.

Hier findet man die kleinsten Geschoͤpfe, Jnsekten sogar, mit bewunderungswuͤrdiger Kunst und Geduld anatomirt, unter andern einen Seidenwurm mit seinen Eiern, der so fein bearbeitet ist, daß man fast auf der Gedanken geraͤth, Cuvier muͤsse, statt der Augen, 2 Mikroskope im Kopfe haben. Das Kuͤchlein von seiner ersten Entstehung im Ei bis zum Auskriechen. Eine Men - ge skeletirter Fische und vierfuͤßiger Thiere, unter letztern die praͤchtige Giraffe, die vormals der Erbstatthalter besaß. Ein Paar Kamele, die neben ihr stehen, koͤnnen88 ihr bequem unter dem Bauche durchkriechen. Ein Kro - kodillkopf, an dem deutlich zu gewahren, daß, ge - gen den bisherigen Glauben, der Krokodill den obern Kinnbacken auf und zu thut, der untere hingegen un - beweglich ist. Ein paar Elephantengerippe u. s. w. Mißgeburten von Menschen und Thieren. Das Ske - let des niedlichen Zwergs Bebe, eines Lieblings des Koͤnigs August von Polen. Mehrere Mumien, theils egyptische, theils der Guanchen, der Ureinwohner der Jnsel Teneriffa. Letztere haben die Zaͤhne so abgestumpft, daß man den sichern Schluß daraus ziehen kann, sie haben sich blos von Vegetabilien genaͤhrt; ihre Koͤpfe sind sehr schoͤn geformt, und Cuvier meint, dieses aus - gestorbene, oder vielmehr ausgerottete Volk muͤsse eine schoͤne, edle Menschenrace gewesen seyn. Die Samm - lung der Koͤpfe ist noch im Werden, bis jetzt steht sie der Blumenbachschen noch weit nach. Traurig ist die Be - merkung fuͤr die Seelenverfechter und allgemeinen Frei - heitsprediger, daß die Negerkoͤpfe grade die Abstuf - fung zwischen Menschen und Affen ausmachen, eben so verschoben, wie die der Affen, auch das Kinn ein - waͤrts gehend, wie bei den Thieren; also moͤchten doch wohl die Neger nicht unsere Bruͤder seyn. Von Gall's System sprach Cuvier zwar mit Jnteresse, (er korrespondirt selbst mit ihm) meinte auch, daß im Gan - zen viel Wahres darinn liege, nur lasse sich wohl im Einzelnen und Kleinen noch nicht so Viel bestimmen, als Gall thue. Jch wuͤßte doch nicht warum? Jst nur erst das Ganze erprobt, so muß das Einzelne sich ja durch Erfahrung ausmitteln lassen, und wer Gall's System nur einmal durch ihn selbst hat vortragen hoͤren, der wird unwillkuͤhrlich von der Evidenz seiner vor Augen liegen - den Beweise hingerissen.

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Sehr merkwuͤrdig ist eine Sammlung versteiner - ter Knochen, die, obwohl sie alle in der Gegend um Paris gefunden worden, doch wohl 15 Thierarten ent - halten, die heut zu Tage gar nicht existiren, und offen - bar zu einer bereits zerstoͤrten Schoͤpfung unsrer Welt gehoͤrt haben. Aehnliche Thiere hat die neue Schoͤpfung wieder hervorgebracht, doch dieselben nicht wieder. Hier ist Gelegenheit, sich in einen Abgrund verwirrender Gedanken zu stuͤrzen. Cuvier schreibt in diesem Augenblicke ein Buch uͤber diesen Gegenstand, dessen Erscheinung wohl Tausende, gleich mir, mit Ver - langen entgegen sehen werden. Eine Sammlung von Koͤpfen, vom ersten Augenblicke des Lebens an, Jahr fuͤr Jahr, bis ins hohe Alter, ist noch unvollstaͤndig. Eine Sammlung der verschiedenen Vogelfedern, nicht um der Farben, sondern um der Gestalt willen. Die Struktur des Auges, des Ohres, der Zeugungstheile, in Wachs nachgebildet, doch weniger schoͤn als bei Ber - trand, u. s. w. Ein Transport afrikanischer Thiere, vom Bey von Tunis geschenkt, ist jetzt unterwegs. Cu - vier ruͤhmt besonders, daß die in fernen Laͤndern kom - mandirenden Generale es sich sehr angelegen seyn lassen, die verschiedenen Sammlungen des Jardin des plantes zu bereichern. Ein Beutelthier war vor ein paar Tagen gestorben, und wurde eben anatomirt. Dagegen ist das Weibchen des Kanguru traͤchtig.

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Der falsche Dauphin.

Diese seltsame, in Deutschland, meines Wissens, noch nicht bekannt gewordene Geschichte wird um so mehr in Erstaunen setzen, wenn ich versichere, daß es jetzt eine Menge Menschen in Frankreich giebt, welche nicht al - lein steif und fest glauben, Ludwig der Sieben - zehnte lebe noch, sondern auch ziemlich scheinbare Gruͤnde dafuͤr anfuͤhren. Kaͤmen nicht einige offenbare Maͤhrchen dabei vor, so muͤßte man wenigstens dabei be - kennen, die Sache sey moͤglich. Die Geschichte ist uͤbrigens aktenmaͤßig bekannt gemacht worden; ich will sie dem Leser mittheilen, zuerst so, wie das Gouverne - ment und die Richterstuͤhle sie erzaͤhlen, alsdann so, wie der Held der Geschichte und seine Anhaͤnger sie glau - ben machen gewollt haben.

Jean-Marie Hervagault ist der Sohn eines Schnei - ders zu St. Lo, von einnehmender Gestalt, Gesichtszuͤ - gen, welche mit denen Ludwig des XVJ. viel Aehn - lichkeit haben, blond, schlank, lebhaft, arglos sich hin - gebend, schnell fassend, Unschuld trefflich heuchelnd; also viele gute Anlagen, aber ohne Erziehung. Man muth - maßt, er sey ein Kind der Liebe des ehemaligen Herzogs von Valentinois, welcher Guͤter in der Normandie be - saß. Die wundergleichen Begebenheiten der Revolution verruͤckten ihm den Kopf; er sah, daß Mancher aus dem Staube sich emporgeschwungen hatte, er wollte es auch versuchen. Jm September 1796 lief er aus dem vaͤter -91 lichen Hause, schweifte auf dem Lande herum und gab sich fuͤr den Sohn einer angesehenen, durch die Revolu - tion heruntergekommenen Familie aus. Jugend, Unschuld und Wahrscheinlichkeit seiner Erzaͤhlungen verschafften ihm uͤberall guͤnstige Aufnahme und Unterstuͤtzung. Er hatte keinen Paß, aber Niemand fragte ihn darnach. Er wurde dreister, wagte es, nun auch in Staͤdten sein Handwerk zu treiben, kam nach Cherburg. Hier wurde er bald als Vagabund arretirt. Sein Vater, der Schnei - der, erfuhr es, eilte herbei, ihn in Empfang zu nehmen, und wunderte sich nicht wenig, ihn mit Geld und Kleinodien reichlich versehen zu finden. Er nahm ihn wieder zuruͤck nach St. Lo, wo aber der junge lebhafte Mensch nicht lange aushielt, sondern bald zum zweitenmale davon lief, im Departement du Calvados herum irrete, und, an Leib und Geist gewachsen, sein Maͤhrchen noch besser er - sann, als das erstemal. Bald gab er sich fuͤr einen Sohn des Prinzen Monaco, bald des Herzogs von Ursel in den Niederlanden, aus. So stieg er von Stufe zu Stufe; es waͤhrte nicht lange, so war er schon ver - wandt mit Ludwig XVJ., mit Kaiser Joseph JJ. und mit dem Koͤnige von Preußen; um seiner bedrohten Sicher - heit willen reis'te er in Frauenzimmerkleidern, und gab vor, er komme eben aus England zuruͤck, wohin er sei - nem emigrirten Vater Geld gebracht.

Viele, sehr viele Leute von Rang und Erziehung wurden getaͤuscht, denn er schmeichelte ihren alten Vor - urtheilen, besonders nahmen sich die Damen seiner an, denn der schoͤne Juͤngling sprach zu ihren Herzen. Seine Ebenteuer fiengen an einiges Aufsehen zu erregen; da wurde er in Weibertracht abermals arretirt und nach Bayeux ins Gefaͤngniß gebracht. Bayeux ist nur 10 Mei -92 len von St. Lo; sein Vater kam zum zweitenmale, ihn zu befreien, und man war, in Ruͤcksicht seiner Jugend, auch zum zweitenmale so nachsichtsvoll, ihn der vaͤterlichen Gewalt auszuliefern. Er sollte nun Schneider werden; der Gedanke war ihm unertraͤglich. Er entsprang zum drittenmale.

Jm October 1797 befindet er sich auf der Diligenze zwischen Laval und Alençon, sehr einfach und seinem Geschlechte gemaͤß gekleidet. Nicht weit von Alençon steigt er ab, und geht seitwaͤrts nach einem Dorfe, ge - nannt les Joncherets. Die Nacht uͤberfaͤllt ihn, er bit - tet einen Bauer um ein Nachlager. Man weis't ihn nach dem Hause der Demoiselle Talon-Lacombe, wo er mehr Bequemlichkeit finden werde. Er geht dahin, sagt, er gehoͤre zu der Familie Montmorency, habe Schloß und Guͤter bei Dreux, irre verlassen und verfolgt umher. Die Dame interessirte sich lebhaft fuͤr ihn, giebt ihm Kleider und Geld, welches er bei seiner Ankunft zu Dreux zu er - statten verspricht. Er laͤßt sich hier eine Zeitlang wohl seyn, spielt den vornehmen Herrn, und schenkt z. B. dem Stalljungen, der ihm das Pferd zum Spazierenreiten sattelt, einen Louis.

Endlich muß er sich doch zur Abreise entschließen, und Demoiselle Lacombe begleitet ihn nach Dreux, um dort ihre Auslagen wieder zu erhalten. Sie kommen gluͤcklich dahin, aber Schloß und Guͤter sind verschwun - den. Was ist natuͤrlicher? Die Revolution erklaͤrt Al - les. Um 50 Louis aͤrmer und an Erfahrung reicher kehrt die Dame zuruͤck. Der junge Held wird immer dreister. Jm Mai 1798 wagt er sich auf der Diligenze nach Meaux (nur acht Posten von Paris) und steigt im Wirthshause ab. Hier giebt man ihm zwar zu essen, versagt ihm aber93 ein Nachtlager, weil er ohne Paß reis't. Eine pariser Kaufmannsfrau, Laravine, die sich gerade zu Meaux aufhaͤlt, erbarmt sich seiner, und erlaubt ihm in ihrem Waarenlager zu schlafen. Diese Gefaͤlligkeit giebt ihm Muth, mehr bei ihr zu wagen, und es gluͤckt. Er sagt ihr, er sey der Sohn eines reichen Paͤchters zu Damery, jetzt auf der Flucht, um der Aushebung zum Rekruten zu entgehen. Madame Laravine schenkt ihm noch 4 Louis, und er miethet sich einen Platz auf der Diligenze nach Straßburg.

Etwa eine Meile von Chalons verschwindet er, Po - stillion und Kondukteur erwarten ihn lange vergebens. Er geht nach dem Dorfe Mery, und will sein Maͤhrchen auf dem Schlosse Guignaucourt auskramen; allein, hier traut man ihm nicht, er wird arretirt und zum Friedens - richter nach Cernon gebraucht. Auf die Frage: Wer er sey? versetzt er geheimnißvoll, er habe darauf Nichts zu antworten. Man liefert ihn aus nach Chalons. Hier wird er abermals um seinen Namen gefragt, und antwor - tet stolz: Man wird ihn nur zu fruͤh erfahren. Endlich sagt er, er heiße Louis-Antoine-Jean-François de Longueville, sein Vater sey todt, seine Mutter Ma - dame Sainte-Emilie, wohnhaft zu Beuzeville bei Pont - Audemer im Departement de l Eure. Man muß geste - hen, daß man nicht umstaͤndlicher luͤgen kann.

Von jetzt an, im Arresthause zu Chalons, affektirt Hervagault einen vornehmen Ton und ein geheimnißvol - les Wesen, reizt die Neubegier, giebt Winke, und kurz, es waͤhrt nicht lange, so murmelt man sich ins Ohr: Es ist der Dauphin! der Sohn Ludwigs des Sechszehn - ten! Der Kerkermeister selbst glaubt das Maͤhrchen, und thut ihm Vorschub. Zwei Kaufmannsfrauen aus94 Chalons, Saignes und Felize, werden in das Geheim - niß eingeweiht, bald verbreitet es sich, Niemand zwei - felt mehr seine Gestalt, seine Manieren man darf ihn nur sehen, rufen die glaͤubigen Seelen, auf den ersten Blick erkennt man ihn. Alle Einwohner von Chalons, der vormals privilegirten Klas - sen, werden nach und nach zu Vertrauten und Anhaͤn - gern geworben, alle wetteifern, den letzten ungluͤcklichen Zweig ihrer Koͤnige zu unterstuͤtzen. Seine Tafel wird taͤglich mit Leckereyen aller Art besetzt, seine Zimmer werden elegant moͤblirt; man haͤlt ihm Lehrer; der Ker - kermeister ist gehorsam und ehrfurchtsvoll, sein Gefan - gener darf spazieren gehen, so oft es ihm beliebt, doch stets als Maͤdchen verkleidet; das Gefaͤngniß verwandelt sich gleichsam in ein Lustschloß.

Jndessen waren die Eingeweihten nicht immer vor - sichtig genug; sie ließen in der Freude ihres Herzens sich hier und da ein Woͤrtchen entschluͤpfen, die Obrigkeit wurde aufmerksam, und, nachdem jene Maskerade ei - nige Monate lang gespielt worden war, befragte man Hervagault schaͤrfer. Listig und mit Geberden, die das Gegentheil besagten, erklaͤrt er nun selber, er sey der Sohn eines Schneiders zu St. Lo. Man schrieb an den Vater, die Wahrheit der Aussage bestaͤttigte sich, und man verdammte ihn zu monatlichem Gefaͤngniß. Diese gelinde Strafe wurde von den Eingeweihten mehr als ein davon getragener Sieg betrachtet: sie hatten, waͤh - rend der Untersuchung, gezittert, daß der wahre Stand des Gefangenen werde entdeckt werden. Um ihn, nach uͤberstandener Strafe, der Wachsamkeit der Polizei zu entziehen, versieht man ihn reichlich mit Geld, auch Juwelen, und hilft ihm fort. Er ist sehr zufrieden95 mit diesem Ausgange, und faͤngt nunmehr an, seine Rolle im Departement Calvados, und zwar zu Vire, zu spielen. Hier macht er wenig Proselyten, wird bald aufs neue arretirt, und diesesmal mit mehrer Srenge zu zweijaͤhriger Gefangenschaft verurtheilt. Da die Einwohner von Vire ihn bloß als einen jungen Tauge - nichts betrachteten, so wuͤrde er diese zwei Jahre sehr uͤbel zugebracht haben, haͤtten nicht die Getreuen von Chalons ihn fortwaͤhrend unterstuͤtzt, wobei Madame Saignes die trostreiche Korrespondenz fuͤhrte. Diese Frau meinte es wirklich gut mit ihm, sie wuͤnschte auch, er moͤgte die Zeit seiner Gefangenschaft dazu anwenden, sich zu unterrichten; aber er gab sich dem Trunke, und verließ nach zwei Jahren das Gefaͤngniß schlechter als vorher. Madame Saignes holte ihn selbst von Vire ab, um ihn zuruͤck nach Schalons in den Kreis seiner Ge - treuen zu fuͤhren. Dort wurde Alles auf das herrlichste zu seinem Empfange vorbereitet; er kommt, wird kom - plementirt, man streut ihm Blumen, man behandelt ihn mit ausgezeichneter Ehrfurcht, das Horn des Ueberflußes wird von neuem uͤber den Schneiderssohn von St. Lo ausgeschuͤttet.

Die Polizey kam bald auf die Spur, aber die Ge - treuen erhielten Wind davon, man berathschlagte, und fand fuͤr gut, den Dauphin auf Reisen zu schicken. Seine Reiseroute richtete man so ein, daß er uͤberall Vertraute fand, die, von seinem hohen Stande unterrichtet, ihm die gebuͤhrende Aufmerksamkeit bewiesen. So war er einmal zu Rheims, und zweimal zu Vitri-le-Fran - çais, auch oft auf Landguͤtern, uͤberall wechselten Baͤlle, Konzerte, Feste aller Art. Zu Vitry wohnt er praͤchtig und bequem in dem Hause der Madame de Rambecourt96 deren Gemahl ihn wie sein Schatten begleitet, ihn aufmerksam bedient, gleichsam seinen Kammerherrn macht. Am Tage des heil. Louis giebt man ihm, als an seinem Namenstage, ein herrliches Fest, wobei die Damen Lieder ihm zu Ehren singen. Man nennt ihn im vertrauten Kreise stets mon Prince. Man laͤßt sein Por - trait als das des Dauphins herumgehen; man er - zaͤhlt, der Pabst selber habe ihm ein Zeichen auf das Bein gedruͤckt, um ihn einst wieder daran zu erkennen; man theilt sich endlich den Brief eines Bischofes mit, der, gleichfalls getaͤuscht, in den ehrerbiethigsten Ausdruͤ - cken an den jungen Landstreicher schreibt, und durch sein Beispiel Manchen, der noch wankte, uͤberzeugt. Schon bildet sich eine Art von Hof um Ludwig XVJJ., er hat Favoriten, wird bald die großen Hofchargen besetzen; unter seinen Anhaͤngern finden sich Namen von Bedeu - tung. Alle gluͤhen von Enthusiasmus, und sind bereit, ihm die groͤßten Opfer zu bringen. Maͤnner von Geburt und Rang schaͤtzen sich gluͤcklich, ihm, gleich Kammerdie - nern, die niedrigsten Dienste zu leisten. Geizhaͤlse werden verschwenderisch, wenn sie nur das Gluͤck haben koͤnnen, ihn zu bewirthen. Natuͤrlich, daß alles Das der wach - samen Polizey nicht entgehen konnte; der Polizeiminister Fouché erfuhr zu Paris Alles, was zu Vitry vorgieng, und ploͤtzlich machte ein Verhaftsbefehl der Komoͤdie ein Ende. Aber selbst bei dieser Verhaftung betrug sich Her - vagault mit einem Stolz, mit einer Wuͤrde, die Allen imponirte; seine betruͤbte Anhaͤnger umgaben ihn mit tiefstem Respekt; Einer derselben bat geruͤhrt um die Er - laubniß, ihn umarmen zu duͤrfen; da reichte ihm der Schneiderssohn nachlaͤßig die Hand zum Kuß. Gleich am ersten Abende der Verhaftung wird im Kerker ein splen -97 dides Gastmahl veranstaltet. Man bittet um seine Be - freiung und will Buͤrgschaft fuͤr ihn stellen, aber verge - bens. Man kann also Nichts weiter thun, als ihm seine Ge - fangenschaft auf alle moͤgliche Weise erleichtern. Er wurde stets auf das koͤstlichste servirt, und war schon so daran verwoͤhnt, daß, als man ihm einst zum Abendessen ein Huhn, eine Taube, Salat und ein Crême brach - te, er das nicht hinreichend fand, sondern es auf die Erde warf. Der Notarius Adnet nannte ihn selbst im Gefaͤngniß Monseigneur, und wurde dafuͤr gnaͤdig be - lohnt, durch die Benennung mon petit page, mon petit valet de chambre d'amitié.

So spielt er seine Rolle kaltbluͤtig und mit Wuͤrde fort. Geht er zu Messe, so traͤgt ihm ein Bedienter Kissen und Gebethbuch nach. Er ernennt sich ei - nen Sekretair, der in seinem Namen Louis Charles un - terzeichnen muß. Wenn man einen großen Namen traͤgt, aͤußert er gegen die Richter, so ist man der Verfolgung ausgesetzt. Der Maire von Vitry sah sich endlich genoͤthigt, um des großen Zulaufs willen, ihn enger ein - zuschraͤnken, auch den ungeheuern Lieferungen von Wein und Speisen vernuͤnftige Graͤnzen zu setzen. Die noth - wendigsten Personen ausgenommen, mußte man einen Erlaubnißschein haben, um ihn zu besuchen.

Sein Verbrechen wurde indessen noch immer aus keinem politischen Gesichtspunkte betrachtet, sondern bloß der Polizeybehoͤrde (police correctionelle) zur Unter - suchung und Bestrafung uͤbergeben. Auch Madame Saignes wurde, als seine Mitschuldige, eingezogen, da man ihr aber Nichts beweisen konnte, wieder auf freien Fuß gestellt. Hervagault hingegen wurde zu Ende des Jahre 1802 wegen Escroquerie und Misbrauch der Leicht -98 glaͤubigkeit des Volks zu vierjaͤhriger Gefaͤngniß - strafe im Zuchthause zu Ostende kondemnirt. Sowohl Hervagault, als auch der Fiskal des Gouvernements, appellirten beide von diesem Urtheil.

Die Sache sollte nun zu Rheims verhandelt wer - den. Ploͤtzlich tritt ein neuer und sehr wichtiger Schau - spieler in dieser Tragi - Komoͤdie auf. Der alte Praͤlat L. v. S. Bischof v. V. ein wegen seiner Redlichkeit, stren - gen Sitten, und Gelehrsamkeit allgemein geachteter Greis, haͤlt sich uͤberzeugt, daß Hervagault wirklich der aͤchte und rechte Dauphin sey. Er hat sogar mit den Mund - aͤrzten gesprochen, die den vermeinten Leichnam des Dau - phin im Tempel geoͤffnet, und ihn versichert haben, es sey nicht der des Dauphin gewesen. Er beschließt, sei - nen jungen Monarchen zu befreien, leiht große Summen, verlaͤßt sein Amt, kommt nach Rheims, korrespondirt durch den Kerkermeister mit dem Gefangnen, und glaubt endlich seiner Sache gewiß zu seyn. Der Tod des Dau - phin ist ihm eine politische Luͤge des Nationalkonvents. Er glaubt sich auch berufen, dem vernachlaͤßigten Prin - zen eine Erziehung zu geben, seine Absichten sind rein und vortrefflich; er schickt ihm Buͤcher, unter andern einst le Genie du Christianisme von Chateaubriant, und das Trauerspiel Athalie, worauf er zu seiner Verwunderung die Antwort erhielt: Spotten sie meiner? Alles Das weis ich auswendig.

Was der alte Praͤlat am meisten fuͤr seinen Schuͤtzling fuͤrchtet, ist Deportation. Er biethet, um dieß zu verhin - dern, alle Kraͤfte, selbst seine Freunden in Paris auf; er entwirft eine Liste der Personen, denen er des Dauphins Schicksal anvertrauen will, man findet darauf unter andern die Namen Brissac, Necker, Madame de Stael, Mon -99 tesson, Roquelaure, Angouleme, Tallenrand, Puysegur, Boufflers, Laharpe, u. s. w. Einige glauben ihm, An - dere nicht; Einige geben ihm den Namen Blondel und neuer Joab. Man bedient sich der Ziffersprache; man macht sogar das Projekt, den Dauphin mit einer weit - laͤuftigen jungen Verwandtinn des koͤniglichen Hauses zu vermaͤhlen. Hervagault weigert sich anfangs beizustim - men, denn er hat, (wie wir hernach hoͤren werden,) der liebenswuͤrdigen Schwester der Koͤniginn von Portugall Treue geschworen, er giebt aber endlich aus Staats - gruͤnden nach, und es wird beschlossen, fuͤr ihn zu werben.

Ehe aber alle diese Unterhandlungen recht in Gang kamen, wurde der Prozeß vor dem Kriminalgerichte zu Rheims noch einmal oͤffentlich untersucht, und zwar in Gegenwart eines zahlreichen Volks, welches sich offenbar auf die Seite des Beklagten neigte, laut gegen den Fis - kal des Gouvernements murrte, hingegen Hervagault's Vertheidiger mit Enthusiasmus beklatschte. Die Richter ließen sich aber nicht irre machen, sondern bestaͤttigten das erste Urtheil. Waͤhrend sie in einem andern Zimmer noch deliberirten, sah man die bangste Erwartung auf allen Gesichtern. Hervagault hoͤrte sein Urtheil mit ei - nem spoͤttischen Laͤcheln kaltbluͤtig an, und seine Anhaͤn - ger, statt von den Gruͤnden der Richter uͤberzeugt zu werden, blieben nur noch halsstarriger auf ihrer Meinung. Man fuhr fort im Gefaͤngniß ihn koͤniglich zu bedienen. Er hatte unter andern einen silbernen Becher mit den Buchstaben L. C. (Louis Charles) und der alten fran - zoͤsischen Krone geschmuͤckt; er sagte dem Kerkermeister, das sey sein Chiffre. Keiner seiner Anhaͤnger wurde abtrinnig, im Gegentheil ihr Eifer verdoppelte sich, und100 der alte ehrwuͤrdige Bischof v. V. stand immer an der Spitze. Ja, dieser letztere beschraͤnkte seinen Eifer nicht auf Geschenke und guten Rath; er wollte auch thaͤtig seyn, und, als er in Erfahrung brachte, daß man seinen illuͤstern Pupillen von Rheims nach Soissous bringen wol - le, beschloß er, ihn auf der Landstraße den Haͤnden sei - ner Verfolger zu entreißen. Dieses junge Projekt eines alten Kopfes wurde verrathen, man bemaͤchtigte sich des Bischofs, wie auch seiner Papiere, und fand darinn den Beweis, daß er wirklich den Schneiderssohn von Saint Lo die Rolle des Dauphin habe wollen spielen lassen. Er laͤugnete das auch gar nicht, sondern erklaͤrte geradezu, daß er Hervagault in der That fuͤr den Dauphin halte. Das Gouvernement hatte Mitleiden mit dem Greise, und setzte ihn in Freiheit. Auch mit Hervagault wuͤrde es milde verfahren haben, waͤre er nur irgend zu bessern ge - wesen; doch da er in Soissons sich abermals schnell einen Anhang bildete, so hat man ihn verschwinden lassen.

Um nun aber begreifflich zu finden, wie so viele an - gesehene und kluge Leute sich von diesem rohen Juͤnglinge konnten taͤuschen lassen, haͤtte man ihn selbst muͤssen er - zaͤhlen hoͤren. Mit großer Ruͤhrung erinnerte er sich, wie sein Vater Ludwig XVJ. ihm noch im Kerker Unterricht in der Geschichte und Geographie gegeben; mit dem Ton der unbefangenen Wahrheit sprach er von einer Huͤndinn, die seine Mutter, Maria Antoinette, sehr geliebt und Fi - dele genannt haͤtte. Die kleinsten Umstaͤnde malte er mit kindlicher Lebhaftigkeit, und vergaß auch nicht, daß sein Kerkermeister Simon ihn sogar des Nachts aufgeschreckt101 habe, um sich zu uͤberzeugen, daß er nicht entfuͤhrt sey. Jch mußte, fuhr er fort, die niedrigsten Arbeiten verrichten, meine Gesundheit litt darunter. Der 9te Thermidor erleichterte das Schicksal so mancher Schlacht - opfer der Revolution, auch das meinige; man gab mir bessere Kleidung, gesundere Speisen, man erlaubte mir die Spiele meines Alters. Meine Schwester durfte zu mir kommen, mit mir essen, mit mir spielen. Welch ein Augenblick, der erste unsrer Wiedereinigung! (er weinte bitterlich, wenn er davon sprach.) Jndessen wurde meine Gesundheit doch immer schwaͤcher, die Kerkerluft wuͤrde mich getoͤdtet haben; aber Gott hatte beschlossen, mir Hilfe zu senden.

Eines Tages, gegen Ende des Monats May 1795, als ich eben einschlummern wollte, naͤherte sich mir Einer meiner Waͤchter, den ich seiner Sanftmuth halben stets ge - liebt hatte, und fluͤsterte mir zu: Gutes Kind! hier im Gefaͤngniß wuͤrdest du bald sterben; aber Leute, die dich lieben, wenn du sie gleich nicht kennst, lassen dir sagen, wenn du schweigst, so wollen sie dich bald an einen Ort bringen, wo du frei seyn, und mit Kindern deines Al - ters spielen wirst. Jch verschlang seine Worte, ver - sprach, mich Nichts merken zu lassen, und harrte sehn - suchtsvoll der Erfuͤllung seines Versprechens.

Am andern Abende, um die naͤmliche Zeit, kam ein Wagen, mit weißer Wasche beladen, auf den Hof, die man gegen schmutzige Waͤsche auszutauschen gewohnt war. Unter diesem Weißzeuge lag ein sehr krank ausse - hendes Kind meines Alters verborgen. Mich nahm ein starker Mann, als Matrose gekleidet, in seinen Arm, steckte mich unter einen Haufen alter Waͤsche, und nur eine kleine Oeffnung schuͤtzte mich vor dem Ersticken. Das101 Letzte, was ich in meinem Kerker sah, war das schlafende kranke Kind, welches in mein Bett gelegt wurde. Jch wurde ziemlich unsanft auf den untenstehenden Wagen geworfen, und ohne Hinderniß nach Chaillot gefahren. Sobald wir aus dem Tempel waren, luͤftete man mich ein wenig, nur bei der Barriere wurde ich wieder ganz bedeckt. Zu Passy trug man mich, noch immer einge - wickelt, in eine niedrige Stube, wo man mich ganz in Freiheit setzte. Drei unbekannte Maͤnner sah ich hier, die sich zu meinen Fuͤßen stuͤrzten, und vor Freude außer sich schienen. Man kleidete mich schnell in Weibertracht, setzte mich in eine Postchaise, und nahm den Weg nach der Vendee zu der Armee der Royalisten. Was es ei - gentlich mit meiner Befreiung fuͤr eine Bewandtniß gehabt, habe ich erst spaͤt erfahren. Nach dem Sturze Robes - pierres naͤmlich, wurden die herrschenden Parteyen unter sich selbst uneinig, viele neigten sich zur Wiederherstel - lung der Koͤnigswuͤrde, man naͤherte sich den Royalisten in der Vendee, man pflog Unterhandlungen mit ihnen durch das Konventsmitglied Ruelle, und Einer der ersten Punkte, worauf jene bestanden, war meine Auslieferung, dem jedoch der Wohlfahrtsausschuß die Einschraͤnkung hinzufuͤgte, daß dieselbe anfangs verhoͤlt, und ein an - deres Kind an meiner Stelle untergeschoben werden muͤsse. Nach langen und heftigen Debatten gestanden die Royalisten das zu. Die Schwierigkeit war nur ein Kind zu finden, das man fuͤr mich passiren lassen konnte. Der Graf Louis de Frotté uͤbernahm es, und schickte den Abbé Laurent deßhalb nach der Normandie, begleitet von seinem Adjutanten Duͤhamel. Sie bestechen zu St. Lo einen Schneider, Namens Hervagault, seinen mir aͤhn - lichen Sohn fuͤr 200,000 Livres dem allgemeinen Besten102 zu opfern. Man versicherte den Schneider uͤbrigens, daß er fuͤr das Leben seines Sohnes Nichts zu besorgen habe, und man verschwieg ihm sogar, daß das Kind durch eine starke Portion Opium in einen tiefen Schlaf gesenkt werden sollte.

Jm Tempel war nur dreien Personen das Geheim - niß vertraut, der Frau des Kerkermeisters, dem oben erwaͤhnten Waͤchter, und dem Waͤscher des Gefaͤngnisses. Der Letztere war es, der mich heraustrug, und zu Passy an die Herren de Frotté, du Chatelier, und den Abbé Laurent ablieferte. Zwei Stunden nach meiner Be - freiung kam der beruͤhmte Arzt Dessault, dessen Sorg - falt ich anvertraut war, in den Tempel. Eine zu starke Dosis Opium hatte das Kind, das in meinem Bette lag, in einen todtenaͤhnlichen Schlaf versenkt. Dessault wollte es befuͤhlen, ohne es zu erwecken; als er aber die Hand auf den Koͤrper desselben legte, spuͤrte er eine Verschiedenheit mit dem meinigen, der ihm einen Schrey auspreßte. Sein Erstaunen verwandelte sich in das hef - tigste Schrecken, als er bei naͤherer Besichtigung nicht mehr zweifeln konnte, es sey ganz ein anderes Kind. Fast eine Stunde lang blieb er im starren Entsetzen. Er uͤberdachte seine Verantwortlichkeit, die Gefahr, in wel - cher sein Kopf schwebte, und beschloß endlich sich zu de - cken, indem er einen geheimen, der Wahrheit gemaͤßen Rapport an das Kommitté der oͤffentlichen Sicherheit sandte. Hier praͤsidirte Rovère, der im Geheimniß war, und seinen erstaunten, wuͤthenden Kollegen, nachdem ihre erste Heftigkeit sich gelegt hatte, bewies, daß Schwei - gen hier das Beste sey, zumal, da das fremde kraͤnkliche Kind wahrscheinlich sterben werde, und es dann leicht sey, ganz Europa zu uͤberreden, der wirkliche Dauphin104 sey gestorben. Dessault aber wurde vorgefodert, und mit so bittern Vorwuͤrfen uͤberhaͤuft, daß er, von Kummer und Verdruß uͤberwaͤltigt, in eine schwere Krankheit fiel und starb. Mein kleiner Stellvertreter that dasselbe. Dessaults Nachfolger oͤffnete den Leichnam, merkte auch wohl, daß es nicht der meinige sey, und bediente sich daher im Procès verbal der zweideutigen Worte: nous sommes procédes à l' ouverture d' un Cadavre, que les Commissaires nous présentèrent comme celui du fils de Louis Capet.

Jndessen rollte ich mit meinem Befreiern auf der Landstraße. Die frische Luft und das Schuͤtteln des Wa - gens zogen mir anfangs eine Ohnmacht zu. Als ich aber an beides mich gewoͤhnt hatte, machte der freie An - blick der Natur mir unaussprechliches Vergnuͤgen. Die Bewegung, deren ich so lange entbehren mußte, und die gute reichliche Nahrung, mit der man mich versah, staͤrk - ten meine Gesundheit sichtbarlich. Wir kamen gluͤcklich in das Hauptquartier der Royalisten nach Belleville, wo man mich mit einer Art von Gouvernante in das Schloß logirte. Nach Charette, der eben nicht zugegen war, wurden Bothen ausgesandt. Er besuchte mich mit Stofflet, betrachtete mich sehr genau, war kalt und einsylbig, bezeigte mir aber alle Ehrerbiethung. Wie die Friedensunterhandlungen durch die Treulosigkeit der Republikaner abgebrochen wurden, ist bekannt. Die un - gluͤckliche Expedition von Quiberon hatte einen trau - rigen Einfluß auf mein Schicksal. Das Kabinet von St. James, und die franzoͤsischen Prinzen, besonders der Graf Artois, wollten Nichts von einer be - schraͤnkten Monarchie hoͤren, zu welcher die Ro - yalisten sich verstanden, und um deren willen die Repub -105 likaner mich ausgeliefert hatten. Diesem politischen Zwie - spalt wurde ich, mit des listigen Puysaye's Hilfe, ge - opfert. Charette selbst, den ich oft zu Pferde begleitete, verboth mir ernstlich, meinen Stand zu entdecken. Der Ruf von meinem Tode fand immer mehr Glauben. Die wenigen besser Unterrichteten durften es nicht wagen, sich und mich selbst in Gefahr zu setzen. Endlich verlangte Eng - land meine Auslieferung, theils unter dem Vorwand, die Jdentitaͤt meiner Person zu bewahrheiten, theils weil ohnehin die koalisirten Maͤchte mich anerkennen muͤßten. Jch wurde also auf der Kuͤste von St. Jean de Monts eingeschifft, und, von dem Chevalier de la Roberie be - gleitet, landete ich zu Jersey, wo der Prinz von Bouillon mich mit Auszeichnung empfieng. Der Che - valier hatte eine von den Royalistenchefs, unterzeichnete Erklaͤrung bei sich, wodurch sie mich fuͤr den Sohn und Erben Ludwig des XVJ. erkannten. Dasselbe that der Herzog von Bouillon im Stillen. Das Podagra hielt ihn ab, mich vollends hinuͤber nach England zu begleiten.

Bei meiner Ankunft zu Londen wurde ich sogleich zu dem Herzog von Harcourt, Gesandten der franzoͤsi - schen Prinzen am englischen Hofe, gefuͤhrt, der mich kalt empfieng, und impertinente Fragen an mich that, auf die ich ihn keiner Antwort wuͤrdigte. Graf Artois wollte mich nicht sehen; und nun war es klar, daß man Ab - sichten hatte, denen ich im Wege stand. Jndessen be - wirkte mir der Chevalier de la Roberie eine geheime Au - dienz bei dem Koͤnige, dem man Vieles verschwiegen hatte. Ob Se. Majestaͤt gleich, dem Rath ihrer Minister zu - folge, mich nicht oͤffentlich anerkennen konnten, so ließen Sie mir doch Zimmer im Schlosse einraͤumen, mich an - staͤndig bedienen, und behandelten mich uͤberhaupt sehr106 vaͤterlich. Zuweilen spielte der Koͤnig sogar mit mir wie ein Kind, bei welcher Gelegenheit ich ihm einst eine Ohr - feige gab.

Mein Oheim, der Graf Artois, war so wuͤthend uͤber die Aufnahme, die mir widerfuhr, daß er einst durch Einen seiner Koͤche meine Suppe vergiften ließ. Man entdeckte das Vorhaben noch zu rechter Zeit, und gab mir schnell Gegengift. Der Koͤnig wollte meinen Oheim arretiren lassen, ich bat fuͤr ihn, und wendete den Blitz der Rache von ihm ab. Mein Leben war nun aber in England nicht mehr in Sicherheit; daher der Koͤnig, obgleich er sich sehr ungern von mir trennte, beschloß, mich mit dringenden Empfehlungen nach Rom und Por - tugall zu senden.

Von einem alten treuen Diener begleitet, und mit Geschenken uͤberhaͤuft, reisete ich ab. Unter den letztern befand sich eine Schachtel von Mahagony, mit Gold be - schlagen, in welcher eine Jnstruktion fuͤr Prinzen lag, die zum Thron bestimmt sind. Der Koͤnig von England hatte sie ganz eigenhaͤndig geschrieben, und der Verlust dieses Kleinods war mir am schmerzlichsten, als ich nach - her aller meiner Habseligkeiten beraubt wurde. Jch schiffte mich zu Portsmuth ein, und landete nach einer langen Fahrt, im Hafen von Ostia, von da ich nach Rom gieng, und Pius dem VJJ. ein eigenhaͤndiges Schrei - ben des Koͤnigs von England uͤberbrachte. Der Pabst erstaunte, liebkosete und segnete mich, wollte mich sogar insgeheim salben, und ließ mir, um mich stets wieder zu erkennen, das franzoͤsische Wappen auf das rechte Bein, und die Worte, vive le Roi, auf den linken Arm bren - nen. Es geschah in Beiseyn von 20 Kardinaͤlen. Hier - auf gieng ich bald durch Spanien nach Portugall.

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Jn Spanien sah ich von meinen Verwandten Nie - manden als die Herzoginn von Orleans, die sich zu mei - nen Fuͤßen warf, ohne daß ich es verhindern konnte. Jch that keinen Schritt, um am Madriter Hofe vorgestellt zu werden, da ich wohl wußte, daß er Frankreich unter - wuͤrfig sey. Jn Portugall hingegen wurde ich uͤber alle meine Erwartung aufgenommen. Nie werde ich Lissa - bon, die Ufer des Tajo und den Palast von Quelus vergessen! Dort lernte ich zuerst die Liebe kennen. Die Koͤniginn, die mir außerordentlich gewogen war, versprach mir die Hand ihrer reizenden Schwester, der Prinzessinn Benediktine, Wittwe des Prinzen von Brasilien; auch both die Koͤniginn Alles auf, um die Potentaten von Europa fuͤr mein Schicksal zu interessiren. Jhr ver - danke ich es, daß neun Souverains (Portugall, Eng - land, der deutsche Kaiser, Preußen, Sardinien, Schwe - den, Daͤnemark, Rußland und der Pabst) durch ihre Gesandte eine Erklaͤrung unterzeichnen ließen, durch welche ich foͤrmlich anerkannt, und mir Beystand ver - sprochen wurde. Diese Erklaͤrung muß in den Archiven des portugiesischen Hofes liegen.

Jndessen hatte die Ebbe und Fluth der Revolution abermals andere Begebenheiten und Entwuͤrfe herbeyge - fuͤhrt. Rovère und Pichegruͤ beriefen mich nach Frank - reich, und hielten sich ihrer Sache gewiß. Jch verließ mit schmerzlichem Lebewohl den edeln, gastfreyen Hof von Portugall und meine geliebte Benediktine, ich lande - te in Hamburg, gieng von da nach Berlin, und hatte zu Potsdam eine geheime Audienz bey dem Koͤ - nige, der mich mit Achtung und Liebe aufnahm. Von da eilte ich in die Schweiz, und erwartete daselbst auf Pichegruͤ's Landsitz Bellevau Nachrichten aus Frankreich. 108Sie kamen. Man schrieb mir, der Zeitpunkt sey guͤn - stig, ich sollte mich augenblicklich einfinden. Jch reisete in Frauenzimmerkleidung ab, und war bereits bis Auxerre gekommen, als ich vernahm, daß meine Parthey zu lan - ge gezoͤgert, und daß der 18. Fruktidor alle meine Hoff - nungen vernichtet habe. Schon gewoͤhnt an die Tuͤcke des Schicksals, blieb ich gelassen; veraͤnderte sogleich mei - ne Reiseroute, und kam in kleinen Tagreisen in das De - partement von Calvados, von da ich in einem Fischer - boote nach Jersey zu entkommen hoffte. Jch schiffte mich auch wirklich ein, aber englische Kreuzer jagten mich zu - ruͤck auf den Strand. Hier wurde ich als verdaͤchtig ar - retirt, und nach Cherbourg gebracht. Jch entwischte, fiel unter Raͤuber, kam fast nackend nach Paris, wurde von einigen alten treuen Dienern meines Vaters kaͤrglich unterstuͤtzt; wollte, ihren Rath befolgend, nach Deutsch - land fluͤchten, wurde unterwegs bey Chalons abermals angehalten, ausgeliefert, verurtheilt der Leser weis das Uebrige.

Man muß gestehen, daß es fast unbegreiflich ist, wie ein ungehobelter Schneiderssohn aus St. Lo ein so kuͤnstlich zusammengesetztes Maͤhrchen erfinden konnte. Das ist es auch, was noch jetzt seine Anhaͤnger einwen - den. Die Erzaͤhlung, sagen sie, traͤgt das Gepraͤge der Wahrheit; und hat man den Dauphin nicht ganz aus der Welt geschafft, so wird er uͤber lang oder kurz wieder erscheinen, die goldenen Zeiten auf unsere Fluren zuruͤck - und seine Getreue zu hohen Ehren bringen.

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Lucian Bonaparte's Gemaͤlde-Gallerie.

Sie steht Jedermann offen. Der Besitzer ist so gefaͤl - lig, wenn Fremde kommen, sich in andere Zimmer zuruͤck - zuziehen. Jch habe sie zweymal gesehen; das letztemal in Gegenwart des aͤußerst liebenswuͤrdigen Besitzers, der nicht allein durch seine anspruchlos geaͤußerte Kenntnisse mir merkwuͤrdig, sondern besonders auch durch sein haͤus - liches Benehmen interessant wurde. Sein Kind auf den Armen tragend, mit ihm spielend, mit mir sprechend, einfach in Kleidung und Manieren, hat er mir eine lieb - gewordene Erinnerung zuruͤckgelassen.

Seine Gallerie ist auserlesen, und hier hab 'ich ein Bild gefunden, welches unter den vielen tausend Bil - dern, die ich in meinem Leben sah, den tiefsten, bleibend - sten, unausloͤschlichsten Eindruck auf mich gemacht hat. Es ist Markus Sextus, von einem jungen, leider! kraͤnklichen Maler, Guérin. Markus Sextus kommt nach Hause, und findet seine Frau todt. Da steht er vor der Leiche, hat die blasse, erkaltete Hand zwischen den Fingern seiner beyden Haͤnde, und starrt vor sich hin. Seine Tochter schmiegt sich weinend um seine Fuͤße. Das ist die ganze Gruppe, deren Totalef - fekt durch Nichts gestoͤrt wird. Tiefer hat nie ein Ma - ler oder Dichter empfunden, als dieser Guérin; spre - chender ist nie die stumme Verzweiflung ausgedruͤckt wor - den. Die Seele des Markus Sextus ist aufgeloͤst, und nur die letzte Empfindung vor ihrer Aufloͤsung blieb im110 erstarrten Koͤrper zuruͤck. Er weis Nichts davon, daß er die todte Hand der Geliebten in der seinigen haͤlt; er weis Nichts davon, daß sein armes Kind zu seinen Fuͤ - ßen wimmert; er fuͤhlt auch nicht eigentlich sein Elend: denn er ist leblos. Großer Gott! es ist nicht moͤglich, eine Minute vor diesem Bilde zu verweilen, ohne daß Ei - nem die Thraͤnen aus den Augen stuͤrzen; und wenn man es schon laͤngst verließ, erblickt man noch lange in jedem Winkel die herzzerreißende Gestalt; selbst jetzt, indem ich dieses schreibe, steht sie lebhaft vor mir, und durchschauert mich mit unnennbarer Wehmuth.

Hieher gehoͤrt eine Anekdote, die den franzoͤsischen Kuͤnstlern zu großer Ehre gereicht. Bey der Ausstellung im Louvre erhielt, ich weis nicht mehr, welches Gemaͤl - de so vorzuͤglichen Beyfall, daß die Nebenbuhler des Malers selbst einen Kranz daruͤber hiengen. Einige Ta - ge nachher brachte Guérin seinen herrlichen Hippolite accusé par Phèdre; als der bekraͤnzte Maler dieß Mei - sterstuͤck erblickte, diese Schoͤpfung des innigsten Gefuͤhls mit der Kunst verschwistert, flog er nach seinem Kranze, riß ihn herunter, und hieng ihn auf uͤber dem Hippolite. Seine Mitbruͤder theilten den Enthusiasmus, und ver - langten, daß Guérin's Portrait, von Robert Lefe - bure sehr gut gemalt, neben dem Bilde unter dem Kran - ze aufgehaͤngt werden sollte, welches auch geschah. Als Lucian Bonaparte, der auch diejenigen Schoͤnheiten des Marcus Sextus zu fuͤhlen vermag, die außer dem Gebiethe der Kunst liegen, ihn sah, kaufte er ihn auf der Stelle fuͤr 1000 Livres. Jch prophezeihe, daß der Werth dieses Bildes in 100 Jahren zehnfach steigen, und daß jeder Mensch von Gefuͤhl hin zu ihm wallfahrten wird. Man sagt, es soll in Kupfer gestochen werden;111 das thut mir fast leid: denn unmoͤglich kann ein Kupfer - stich diese in die Farben gehauchte Seele nachbilden.

Eine heilige Familie von Raphael, eines seiner fruͤhern Bilder, ist auch eine schoͤne Bluͤthe der Ein - bildungskraft, und Davids Belisar eine reife Frucht. Es sind da mehrere kostbare Gemaͤlde aus der italieni - schen Schule, die den Kenner entzuͤcken; aber auch die Neuern hat Lucian nicht verschmaͤht, und die Nachwelt wird es ihm Dank wissen: denn sie stehen den aͤltern oft in Nichts nach, als in den Jahren; sie erreichen ihre Vorgaͤnger in der Kunst, und uͤbertreffen sie in poeti - scher Behandlung. Da sitzt unter Andern eine alte Frau, eine sogenannte Rentenierinn, das heißt, ei - ne vormals wohlhabende Frau vom Stande, welche durch die Staatsbanqueroute bis zum Betteln heruntergebracht worden ist; dabey scheint sie blind, doch ist sie noch an - staͤndig gekleidet, ihre Zuͤge verrathen nichts Gemeines; sie sitzt, auf ihren Stab gelehnt, vor einem Hause; vor ihr steht ein herrlicher Knabe, dessen Kleidung auch noch Spuren besserer Zeiten traͤgt; er ist vermuthlich ihr En - kel. Mit einem kummervollen Gesichte und nassen Au - gen haͤlt er bettelnd seinen Hut den Voruͤbergehenden hin. Der Hut ist leer, und an dem Hause, an welches die Al - te ihren Ruͤcken lehnt, liest man unter mehreren Anzei - gen von Baͤllen, Lotterien, Konzerten, auch eine ausge - bothene Belohnung von 25 Louis fuͤr einen verlorneu Hund. Dieses Bild, welches herrlich gemalt ist, ent - haͤlt eine blutige Satyre auf die franzoͤsische Revolution. Sehr artig fand ich auch einen Knaben, der beym Lesen eingeschlafen ist, und ein Maͤdchen, das aus einer Schaale Milch trinken will, von einem Kinde aber zu - ruͤckgehalten wird, daß es nicht zu Viel trinke. Der112 Kleine druͤckt mit seinen Haͤndchen ihre Stirn so herzhaft weg, und auf seinem Gesichte steht so leserlich: Es bleibt ja Nichts fuͤr mich uͤbrig. Nun komme mir Einer, und sage: Gleichviel, welchen Gegenstand die Kunst waͤhlt. Da haͤnge mir Einer einmal den heiligen Ste - phan mit den Pfeilen im Leibe neben eine solche liebliche Gruppe! Auch ein paar Schachspielerinnen von einem aͤltern Maler haben mir vorzuͤglich gefallen. Gewiß wird diese Gallerie bald Eine der Ersten in Frank - reich seyn: denn jetzt, da Lucians Geschmack bekannt ist, biethet man ihm von allen Seiten Meisterwerke zum Kaufe an, und ich fand eine Menge dergleichen an den Waͤnden umherstehen, die seiner Entscheidung harrten.

Auch mehrere schoͤne Antiken besitzt er, unter an - dern einen Amor, der von Kennern sehr hoch geschaͤtzt wird. Er kaufte alles Dieß auf einer Auktion zu Mal - laga von einem englischen Schiffe, welches ein franzoͤ - sischer Kaper genommen hatte. Die Sachen gehoͤrten ei - nem Englaͤnder, dessen Namen ich vergessen habe, und der nachher 50000 Franken Mehr both, als Lucian gege - ben hatte, wenn man ihm die Sachen zuruͤckliefern wol - le. Sogleich ließ Lucian dem Verkaͤufer die 50000 Fran - ken nachzahlen, um ihn zu eutschaͤdigen.

Beylaͤufig fuͤhre ich noch an, daß man nirgend in Paris eine so gleiche und wohltemperirte Waͤrme in allen Zimmern und Saͤlen findet, als in Lucians Palaste. Es faͤllt um so mehr auf, da man gar keinen Ofen gewahr wird, und man muß sich lange umsehen, ehe man die kleinen offenen Maͤuler bemerkt, die hier und dort, nicht hoch uͤber dem Fußboden angebracht sind, die Waͤrme aus dem untern Stocke empfangen, und hier wieder sanft aushauchen. Das ist einmal ein vernuͤnftiger Luxus,113 der, wie oben erwaͤhnt, auch in dem herrlichen Saale der Fuͤnfhundert herrscht. Fourkroy hat die naͤmliche Vorrichtung in seinem Speisesaale, gerade unter dem Tische, angebracht, welches anfangs, indem man sich zu Tische setzt, sehr wohl thut, bald aber laͤstig und so warm wird, als saͤße man in einem Bade.

Gallerie der Handschriften.

Jch schweige von der praͤchtigen Nationalbiblio - thek, die schon vor 13 Jahren uͤber 300000 Baͤnde stark war, und seitdem noch sehr ansehnlich vermehrt worden ist. Beschreiben laͤßt sich da Nichts: denn wer nicht Zeit hat, diese Schaͤtze Monate lang zu studieren, der wandelt durch die ungeheuern Buͤchersaͤle, wie durch ei - nen Wald, und kann von jenen nichts Mehr sagen, als wie von diesem: Jch habe Buͤcher, ich habe Baͤu - me gesehen. Doch auf eine Merkwuͤrdigkeit will ich, besonders die Russen, aufmerksam machen, naͤmlich auf eine Karte des kaspischen Meeres, die Pe - ter der Erste selbst gezeichnet, und bey seiner Anwe - senheit in Frankreich als Geschenk hinterlassen hat.

Jch fuͤhre den Leser sogleich in die Gallerie von 84000 Handschriften, welche der gelehrte und beruͤhmte Langlés mir mit einer Guͤte und Bereitwilligkeit gezeigt hat, die mir noch heute den innigsten Dank abnoͤthigt. Vor der Revolution belief sich die Zahl der Handschrif - ten nur auf 35000, aber das Schwert des Eroberers hat, besonders im Vatikan zu Rom und in Venedig, reiche Beute114 gesammelt. Jch will nennen, was mir noch im Gedaͤchtnisse schwebt, und auch den Ungelehrten interessiren kann. Ei - genhaͤndige Briefe Heinrich des Vierten an seine Geliebte. Sie sind zwar meist alle schon gedruckt, aber sie machen einen weit lebhaftern Eindruck, wenn man sie von Heinrichs Hand geschrieben sieht, und das naͤmliche Blatt haͤlt, auf dem die schoͤnen Augen der Geliebten ruhten.

Eben das ist der Fall mit dem eigenhaͤndigen Ma - nuskript des Telemach von Fenelon, wo auch besonders die Korrekturen des Verfassers Aufmerksamkeit verdienen.

Ein frommes Buch auf Purpurpergament, aus dem sechsten Jahrhundert, erhaͤlt freylich nur sei - nen großen Werth durch das hohe Alterthum; aber der griechische Paulus aus eben jener Zeit, wird noch durch eine besondere Anekdote merkwuͤrdig. Ein Englaͤnder ar - beitete einst taͤglich in der Bibliothek, und da man ihn fuͤr einen honetten Gelehrten hielt, so gab man nicht mehr so genau auf ihn Achtung. Der gelehrte Spitzbu - be stahl mehrere Kapitel aus diesem Paulus, die er kuͤnstlich ausschnitt, und seinen Raub nach Oxford brach - te. Es waͤhrte lange, ehe man den Diebstahl bemerkte; als es aber geschah, wurde der damalige Conservateur des manuscrits, Abbé Sallier, so sehr dadurch erschuͤt - tert, daß er erkrankte, und starb. Man spuͤrte indessen dem Thaͤter nach, entdeckte die gestohlenen Kapitel zu Oxford, reklamirte sie, und der Koͤnig von England be - fahl sogleich, sie wieder heraus zu geben.

Mir besonders interessant war eine uralte Hand - schrift des Terenz mit den Masken zu Anfang jedes Stuͤcks, und mehrern dazwischen gemalten Szenen. Es115 kommen da eine Menge Dinge vor, die sich heut zu Ta - ge, selbst von Sachverstaͤndigen, nicht mehr gut erklaͤ - ren lassen, und vermuthlich dienten, die Dekorationen anzudeuten, weil diese bekanntlich oft nur symbolisch angedeutet wurden. Z. B. Eine viereckte Maschine, nicht groͤßer als eine gewoͤhnliche Thuͤr, mit Stricken wie ein Netz bezogen, theilte das Theater gleichsam in zwey Theile.

Der Alkoran, den Karl der Fuͤnfte einst aus Ma - rocco mitbrachte. Ein indischer Roman, mit schoͤnen, lebhaften Gemaͤlden, unschaͤtzbar bey Erklaͤrung von Kostum und Gebraͤuchen. Unter andern sieht man am Schlusse eine Wittwe, die sich mit ihrem Gatten verbrennt, mit der Unterschrift: Diese Flammen sind Eis gegen meine Liebe.

Eine Menge chinesischer Portraits, seltsam anzuschauen. Ein franzoͤsisches Buch, zu welchem ein Bramine sehr huͤbsche Gemaͤlde verfertigt hat. Jndische Manuskripte auf Palmenblaͤttern, wor - unter noch viele unbekannte, unter andern ein Gedicht, welches die ganze Kosmogenie der Jndier enthaͤlt.

Eine große Tafel, aus China gebracht, beweist, daß die christliche Religion schon im siebenten Jahrhun - derte bis nach China vorgedrungen war. Jhre Aechtheit erkennt man besonders aus den syrischen Anfangsbuchsta - ben, derer sich die Bischoͤfe damals bedienten. Meh - rere Handschriften mit herrlichen Bildern praͤchtig eingebundene Meßbuͤcher u. s. w. Das waͤre es unge - faͤhr, was sicher auch jeden Ungelehrten, und selbst Da - men, einige Stunden in der Gallerie der Handschriften fesseln wird.

116

Das Taubstummeninstitut.

Der Nachfolger des beruͤhmten Abbé de l'Epée, der nicht unberuͤhmte Sicard, war eine Zeitlang krank ge - wesen, und hatte die gewoͤhnlichen oͤffentlichen Sitzungen aussetzen muͤssen, daher war die Versammlung sehr zahl - reich, als er zum erstenmal dazu einlud. Kaum faßte der große Saal die Menge der Fremden. Seine einzige Verzierung war die Buͤste des Abbé de J'Epée. Reihen von Baͤnken erhoben sich amphitheatralisch, die taubstum - men Zoͤglinge saßen auf den vordersten; Sicard selbst be - trat ein Katheder.

Trotz seiner kaum uͤberstandenen Krankheit, redete er fast ununterbrochen, von halb zwoͤlf Uhr an, bis nach vier Uhr, also fast fuͤnf Stunden, um die er uns aber gewißermaßen betrog: denn Niemanden glaubte laͤnger, als ein paar Stunden, gegenwaͤrtig gewesen zu seyn. Man hat ihm verschiedentlich in dentschen Blaͤttern den Vorwurf der Charlatanerie gemacht, ich meyne aber, man thue ihm Unrecht. Der Mann hat durchaus nichts Aehnliches mit einem Charlatan; und wenn er zuweilen in diesen Sitzungen die sinnreichsten Taubstummen einige Kuͤnste machen laͤßt, so ist ihm das wohl zu verzeihen: denn, womit soll er dann eine so große, so sehr ge - mischte Versammlung unterhalten? Er that doch an jenem Tage bey weitem Mehr, und wirklich zu Viel fuͤr ein solches, groͤßtentheils aus Damen bestan - denes Publikum. Er entwickelte seine Methode, den Zweck, (naͤmlich Menschen aus diesen Ungluͤcklichen zu117 machen,) die Hindernisse, welche ihre fehlerhafte Organisation entgegensetzt, die Mittel, sie zu besie - gen. Er zeigte, daß man nicht allein die gewoͤhnlichen - den Sinnen faßlichen Dinge, sondern auch die aller ab - straktesten Wahrheiten, die Taubstummen lehren koͤnne.

Massieu, sein geistreichster Zoͤgling, ist freylich ein außer - ordentlicher Mensch; und seine tours de force, wenn man es so nennen will, setzen in Erstaunen. Ein Gelehrter unter den Zuhoͤrern pruͤfte ihn einigemal durch schwere Aufgaben, die er mit bewundernswuͤrdigem Scharfsinne loͤsete. Er sollte z. B. den Begriff von être éternel (ewiges Wesen) ausdruͤcken, da doch der Begriff von être schon so schwer zu entwickeln ist. Der letztere war ihm indessen schon ge - laͤufig, und er fand ihn bald. Nun fragte ihn Sicard durch Zeichen, ob es wohl ein être gaͤbe, dem diese Be - nennung ganz ausschließlich zukomme? Er sann ei - ne Weile, und endlich, wie von einem Blitzstrahle ge - ruͤhrt, mit vor Freude funkelnden Augen, schrieb er an die Tafel: Dieu! einen Augenblick nachher setzte er mit einer Art von Triumph hinzu: être des êtres!

Ein anders Mal, da Massieu, von seinem Lehrer geleitet, eben das Wollen (vouloir) mit allen seinen Abtheilungen und Unterabtheilungen analysirte, foderte ein Zuhoͤrer, man soll ihn das Wort velléité finden[las - sen]. Das Wort ist bekanntlich unuͤbersetzbar, und be - deutet so Viel als Halbwille. Sicard versicherte, er habe-dieß seltene Wort nie diktirt, und Massieu es nie gele - sen; fieng aber gleich sehr bereitwillig an, ihm die Begriffe zu entwickeln, oder vielmehr sie von ihm selbst entwickeln zu lassen, um ihn auf diesen zu fuͤhren. Waͤre hier Be - trug gewesen, so muͤßte er sehr fein angelegt, und der Lehrer sowohl als der Zoͤgling große Schauspieler seyn. 118Es wurde dem Massieu offenbar sauer, das Wort zu fin - den. Nach langem Nachsinnen schrieb er: petite volon - . Sicard billigte Das, gab ihm aber zu verstehen, er muͤsse den Begriff durch ein einziges Wort ausdruͤ - cken. Nun war er in großer Verlegenheit, und schrieb endlich an die Tafel: Jch muß, um dieses Verlangen zu erfuͤllen, mir mit dem Lateinischen helfen, und nach der Analogie desselben ein Wort zu schaffen wagen. Hierauf schrieb er: velleté und vellité, fehlte also nur um einen Buchstaben.

Das letzte starke Kunststuͤck war folgendes: Massieu diktirte durch Zeichen aus einem so eben erschienenen, ihm voͤllig unbekannten Buche einem andern Taubstummen, der das Diktirte richtig Wort fuͤr Wort nachschrieb. Dann wechselten beyde die Rollen mit gleichem Erfolge; und endlich kam ein artiges kleines Maͤdchen, welches das Nachgeschriebene mit ganz vernehmlicher Stimme von der Tafel ablas. Das einzige e konnte sie nicht aus - sprechen, wenn es Schlußbuchstabe war, weil es alsdann durch die Nase gesprochen wird, und diese Ope - ration, da sie inwendig geschieht, den Taubstummen nicht beygebracht werden kann.

Ruͤhrend und merkwuͤrdig war eine Apostrophe Si - card's an die anwesenden Muͤtter, worinn er sie bath, seine Methode auch auf gesunde Kinder anzuwenden, naͤm - lich sie Dasjenige, was man sie lehren wolle, gleichsam selbst finden und erfinden zu lassen, weil es die einzige Art sey, ihnen Etwas mit Nutzen und bleibend beyzu - bringen. (Jn der deutschen Erziehungskunst ist diese Methode schon laͤngst eingefuͤhrt.) Mehreremal bath Si - card die zahlreich versammelten Damen um Verzeihung, daß er nicht umhin koͤnne, sich oft in die Hoͤhen der Me -119 taphpsik zu versteigen. Diese Bitte war zwar zum Theil uͤberfluͤssig, weil die Damen gar nicht darauf Achtung gaben, aber mich deucht, er hat Unrecht, bey einer so gemischten Versammlung so sehr ins Einzelne zu gehen; dazu sollte er sich einen engern Zirkel waͤhlen, bey dem auch weniger Stoͤrungen zu befuͤrchten waͤren, die einen aufmerksamen Zuhoͤrer an diesem Tage oft in Verzweiflung brachten. Schon laͤngst war der Saal voll, beyde Thuͤren verschlossen, die Unterhaltung in vollem Gange, als noch alle Augenblicke Jemand herein wollte, und, wenn man nicht schnell genug oͤffnete, mit Faͤusten unverschaͤmt an den Thuͤren trommelte.

Die Zoͤglinge schienen uͤberhaupt sehr lebhaft, beson - ders die Maͤdchen, die unaufhoͤrlich untereinander gesti - kulirten. Wird ein neuer Taubstummer in das Jnstitut gebracht, so geben sie ihm gleich unter sich einen Namen, das heißt, vermittelst ihres Scharfblicks bemerken sie so - gleich, wodurch der Ankoͤmmling sich etwa von den Ue - brigen unterscheidet, und darnach formiren sie ein Zei - chen. So haben sie fuͤr Sicard ein Zeichen, welches an - deutet, daß er den Kopf gewoͤhnlich etwas auf die rech - te Seite neigt. Sicards Vortrag ist klar, kraͤftig, maͤnn - lich, zuweilen sogar ein wenig in das Gebieth der Dicht - kunst schweifend; zuweilen macht er aber auch die Sa - chen allzudeutlich, als ob er lauter Strohkoͤpfe vor sich haͤtte. Sehr oft bath er um Aufmerksamkeit lei - der war es nothwendig.

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Theater der Franzosen.

Da in Paris taͤglich auf 17 oder 18 verschiedenen Buͤh - nen gespielt wird, so ist begreiflich, daß die Theater von sehr verschiedenem Werthe sind. Es giebt vortreffliche, gute, mittelmaͤßige und schlechte.

Das Erste im Range und in der Vollkommenheit ist das Théatre français. Ueber die franzoͤsische Manier, Trauerspiele darzustellen, habe ich mich schon an mehre - ren Orten erklaͤrt. Jch kann sie nicht leiden, eben weil sie Manier ist. Alle franzoͤsische Helden sind in eine Form gegossen, bey ihnen giebt es nur eine Art, Em - pfinduug und Leidenschaft auszudruͤcken; wer ein Trauer - spiel sah, der hat sie alle gesehen. Einige der ersten Mitglieder des Théatre français machen hiervon zuwei - len eine Ausnahme, der einzige Talma immer. Er selbst gesteht aber auch, daß er die deutsche und franzoͤ - sische Manier zu vereinigen suche. Seine Neider tadeln ihn deßhalb, aber die große Wirkung, die er jedes - mal hervorbringt, beweist zur Genuͤge, daß er die Her - zen trifft. Talma ist ein schoͤner Mann, mit einer sanft schwermuͤthigen Physiognomie, die jedoch jede Leideuschaft auszudruͤcken faͤhig ist. Er spricht sehr vernuͤnftig uͤber Natur und Kunst, und uͤber den großen Streit zwi - schen Teutschen und Franzosen, da sie bald dieser, bald jener ausschließlich huldigen. Die Vereinigung Beyder, sagt er mit Recht, sey Beyder Triumph. Er hat aus - laͤndische Theater gesehen. Pruͤfet Alles, das Gute be - haltet, ist auch sein Wahlspruch.

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Jch will einige Stuͤcke nennen, die ich auf dem Théa - tre français habe spielen sehen. Tancred Lafond gab ihn vortrefflich, die uͤbrige Besetzung war hoͤchst mittel - maͤßig. Armenide wurde durch eine doublirende Schauspielerinn dargestellt. Les deux frères (die Versoͤhnung oder Bruderzwist, von mir) wurde so schoͤn vorgestellt, wie ich es nie gesehen habe, und vermuth - lich nie wieder sehen werde. Baptista, als Kapitaͤn, Michot, als Hans Buller (einzig, unuͤbertrefflich), Mamsell Mars, als Lottchen (unaussprechlich lie - benswuͤrdig, eine Naivetaͤt und Sittsamkeit, Feinheit und Unschuld es ist unmoͤglich, von dieser juͤngsten Grazie nicht bezaubert zu werden); Damas, als Doktor Bluhm, La Rochelle, als Eyterborn. Ja, wahr - lich, seine Stuͤcke so spielen zu sehen, ist ein wahrer Ge - nuß! Jn Teutschland werden immer nur einzelne Rol - len hervorgehoben, das Ganze bleibt Stuͤckwerk. Jn Teuschland sollte eigentlich nie ein Schauspiel beurtheilt werden: denn man sieht es nie so, wie der Verfasser es sich dachte. Doch nehme ich in Berlin einige wenige Stuͤcke aus, z. B. Jeannette von Gotter, wo Jff - lands Kunst herrlich glaͤnzt, und dennoch die Uebrigen neben ihm sich nicht im Schatten verlieren. Es ist eine Prunkvorstellung des Berliner Theaters, das Stuͤck ist bekanntlich gut, und so oft es gespielt wird bleibt das Haus leer. Doch ich vergesse, daß ich noch in Pa - ris bin. Das Pariser Publikum erinnerte mich bey der Vorstellung der deux frères lebhaft an das Wiener: denn es hob, wie jenes, mit regem Gefuͤhle jede bessere Stelle heraus. Das Stuͤck hatte, wie man mir erzaͤhl - te, Anfangs mit großer Kabale zu kaͤmpfen, hob sich aber immer hoͤher, und ist jetzt ein Lieblingsstuͤck der Pari -122 ser. Le Tasse mit Veraͤnderungen. Jch weis nicht, wie das Stuͤck ohne Veraͤnderungen gewesen seyn mag; aber ich weis, daß es immer ein schlechtes Stuͤck bleiben wird, besonders fuͤr Jemand, der Goͤthe's Meisterwerke kennt. Einige gute Situationen hat es doch. Der Mo - ment, wo Tasse aus dem Wahnsinne nach und nach wie - der zu sich kommt, wurde von Lafond erschuͤtternd und mit großer Wahrheit dargestellt. Die Prinzessinn aber, (Mlle. Fleury) eine Vierzigerinn, machte Tasso's ver - liebten Wahnsinn voͤllig unbegreiflich. L'homme à bonnes fortunes. Heutzutage wuͤrde man dieses alte Lustspiel hoͤchstens noch als Posse durchschluͤpfen lassen. Erstaunt bin ich uͤber Dazincourt, der, wie ein franzoͤsi - scher Nachbar mir sagte, noch ein Ueberrest der alten, gu - ten Komoͤdie seyn soll, und wirklich ein trefflicher komi - scher Bedienter ist; aber als er seines Herrn Kleider anzieht, um auch bonne fortune zu suchen, als er sein Schnupftuch in eau de la vande einweicht, und es nach - her zu naß findet, ringt er es in das Souffleur - loch aus, und der Zartgeschmack der Pariser nahm dar - an keinen Anstoß. Jch aͤußerte meine Verwunderung daruͤber gegen meinen Nachbar, er wurde verlegen, und meynte, Dazincourt sey einmal so beliebt beym Publi - kum, daß man ihm Alles hingehen lasse. Freylich ken - ne ich auch in Deutschland aͤhnliche Beyspiele.

Zaire. Mademoiselle Volney, ein artiges, jun - ges Maͤdchen, spielte die Zaire so ziemlich; Lafond schrie als Orosmann entsetzlich. Nach der Vorstellung wurden Beyde herausgerufen. Der Laͤrmen dauerte laͤn - ger als eine Viertelstunde, ehe Mamsell Volney er - schien; sie trat aber kaum aus der Coulisse einen Schritt hervor, machte eine kleine Verbeugung, und verschwand. 123Lafond kam gar nicht, trotz alles Schreyens. Die Mu - sik hob an, man schrie fort. Der Vorhang rollte auf, das zweyte Stuͤck sollte beginnen; man ließ die Schau - spieler nicht zum Worte kommen. Endlich trat Einer der Mitspielenden vor, und sagte: Meine Herren! unser Ka - merad befindet sich nicht wohl. Nun waren sie zufrie - den. Les projets du mariage, von Duval, ist ein artiges Stuͤck, und wurde sehr lebhaft gespielt. An - dromaque. Heute sah ich zum erstenmale die beruͤhmte Mademoiselle Duͤchesnois als Hermione. Man hat mich oft in Paris gefragt, ob sie oder ihre schoͤne Nebenbuhlerinn, Mademoiselle Gorge, mir besser ge - fiele? Jch bin, wenn ich konnte, der Antwort gern aus - gewichen; konnt 'ich aber nicht, so gestand ich freymuͤ - thig, daß mir Keine von Beyden behage. Mademoisselle Duͤchesnois ist erstens sehr viel haͤßlicher, als einer Schauspielerinn erlaubt ist zu seyn. Zweytens, hat sie, außer allen Fehlern der franzoͤsischen Manier, auch noch einige, die ihr eigen sind, naͤmlich eine Art von Ge - sang in der Deklamation; und dann legt sie mit ihrer ganzen Schwere sich auf mehrere Sylben in jeder Zei - le, und reckt diese gewaltig. Dabey ist Alles so offenbar studiert; sie scheint immer vor dem Spiegel zu stehen; kein Ton kommt aus dem Herzen, oder ist von der Na - tur eingehaucht, lauter Kunst und abermal Kunst. Hin - gegen war Talma als Orest ganz vortrefflich; und haͤtte ich nie Etwas von ihm gehoͤrt, als den letzten Monolog in Andromache, so wuͤßte ich genug, um zu behaupten, daß er unter die groͤßten Schauspieler ge - hoͤrt, die gelebt haben und leben werden.

Uebrigens finde ich meine alte Bemerkung taͤglich be - staͤttigt, daß naͤmlich die Franzosen fuͤr den Ausdruck des124 edeln Stolzes keine andre Bewegung haben, als ein - ander den Ruͤcken zuzukehren. Auch sonst thun sie es sehr oft. Monsieur de Crac, diese lustige Posse, sah ich hier zu meiner Verwunderung weniger gut spielen, als in Genf.

L'Orphelin de la Chine. Hier zeigte sich Made - moiselle George als Jdamé, eine majestaͤtische Schoͤn - heit, obgleich heute das fatale chinesische Kostum sie ent - stellte. Sie ist groß und stark, von koͤniglichem Wuch - se; soll erst 17 Jahre alt seyn, sieht aber aus wie 25. Sie spielt gut, und schreyt bey Weitem nicht so wie ih - re Nebenbuhlerinn; auch leiht ihr die Natur zuweilen herzliche Toͤne. Sie hat mir gefallen; doch meiner Er - wartung auch nicht entsprochen. Schon wieder war unter den Schauspielern Einer, der seinen meist wichti - gen Platz schlecht ausfuͤllte. Jm Tancred mußte ich ihn als Arsire verdauen, in Zaire gar als Lusignan, und heute als Jdamé's Gemahl. Das Publikum lachte ihn ein paarmal aus. Was das Schlimmste ist, so giebt es, Monvel ausgenommen, keinen Andern fuͤr dieses Rollenfach; Monvel aber ist alt und kraͤnklich. L'Jm - pertinent wurde von St. Phal recht gut gegeben.

La Metromanie. Fleury ist ein sehr braver, fein komischer Schauspieler, und hat noch ganz den alten fei - nen Ton in seiner Gewalt. Schade, daß er fuͤr Liebha - berrollen zu alt ist. Ein neues Stuͤck von Long - champs, le pouvre garcon malade, wurde, durch graͤß - lichen Tumult unterbrochen, nicht ganz zu Ende gespielt. Die Dekoration, zwey Zimmer nebeneinander, war allerliebst, und wurde, als der Vorhang aufrollte, sehr beklatscht. Ein junger Mensch, der sich den Fuß verstaucht hat, und folglich nicht darauf treten kann, liegt125 auf einem Ruhebette, einige Schritte vor ihm steht seine goldene Dose auf dem Tische; ein Spitzbube kommt her - ein, und nimmt sie ihm vor seinen Augen weg, ohne daß er es hindern kann. (Hier wurde stark gepfiffen.) Seine Geliebte, die ihn aufsucht, ist im Nebenzimmer, ohne daß Beyde von einander wissen. Sie sieht von un - gefaͤhr die Dose in fremden Haͤnden, die sie einst selbst ihrem Liebhaber schenkte, und kauft sie. Jhr Vater, der die Dose nicht kennt, freut sich uͤber den wohlfeilen Kauf, und nimmt sie ihr weg. (Gepfiffen.) Er hat Lange - weile im Wirthshause, und moͤchte gern Schach spielen. Der Wirth fuͤhrt ihn zu dem Kranken, der auch dieß Spiel liebt, und auch Langeweile hat; Beyde kennen sich aber nicht. Sie spielen, der Alte setzt zufaͤllig die Dose neben sich, der Juͤngling erkennt sie auf den ersten Blick, und giebt seinem Gaste den Diebstahl Schuld. (Gepfif - fen.) Zum Beweise, daß die Dose ihm wirklich gehoͤre, oͤffnet er einen verborgenen Deckel, und zeigt ihm das Portrait seiner Tochter. (Geklatscht.) Wie sich das Stuͤck nun endigen werde, erraͤth Jedermann leicht. Einmal wurde so entsetzlich gepfiffen, daß die spielenden Perso - nen sich endlich genoͤthigt sahen, die Buͤhne zu verlassen nachdem sie schon lange genug die Musik mit angehoͤrt hatten. Nun aber fieng ein Theil des Publikums an zu klatschen, der andere fuhr fort mit dem Pfeifen, es war, um das Gehoͤr zu verlieren. Nach einer Weile kam Bap - tiste, der den Vater spielte, und fragte bescheiden, ob man erlauben wolle, fortzuspielen oder nicht? Ja! ja! schrie Alles. Man fuhr also fort, und alsobald toͤn - ten die Pfeifen wieder so schmetternd, daß die letzte Szene gaͤnzlich verloren gieng. Dazwischen schrie man hier: C'est mauvais! dort: Paix! Silence! und dann126 wieder: La toile! Kurz, keine Feder beschreibt den Laͤrm.

Man hat mich versichert, daß die jungen Herren im Theater Pfeifen mit Blasebaͤlgen unter beiden Armen und in beiden Schuhen haben, so, daß sie mit den Haͤnden zu klatschen scheinen, indessen sie eben durch das Klatschen beide Pfeifen unter den Armen in Bewegung setzen. So oft sie aber auf die Zehen treten, und dann die Fersen wieder sinken lassen, pfeift es in beiden Schuhen.

Die Auffuͤhrung von Menschenhaß und Reue war durch eines Schauspielers Krankheit lange verzoͤgert worden. Madame Talma (vormals Petit - Vanhove) spielte die Eulalia recht gut, St. Phal aber den Meinau sehr unter meiner Erwartung. Erstens sollte schon ein so wohlgenaͤhrter Mann mit ausgestopften Backen nie den Meinau spielen; zweitens sollte Meinau nie so fuͤrch - terlich toben, und drittens sollte er nicht angezogen seyn wie ein Handwerkspursche. Er traͤgt naͤmlich einen alt - vaͤterischen dunkelblauen Rock mit gelben Knoͤpfen, eine Scharlachweste mit großen viereckigen Taschen, schwarze Beinkleider und Siefeln uͤber die Kniee gezogen. Als ich meine Verwunderung uͤber dieses seltsame Kostum zu er - kennen gab, bestand man darauf, das sey Teutsch. Jch hatte gut reden, und zeigte vergebens auf meinen eigenen Frack, der ja noch in Teutschland gemacht sey. Man blieb dabei: c'est le costume Allemand. Jch schloß mit der Versicherung, daß nur die teutschen Flei - schersknechte sich so kleideten, und verlor kein Wort weiter. Meinau packte sich einigemal so wuͤthend bei der Brust, daß man alle Augenblicke befuͤrchten mußte, er werde sich selbst ins Parterre schleudern.

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Philinte von Moliere. Auch eine schoͤne Rolle von Fleury. Er trug heute sogar noch die alten Achselbaͤn - der auf dem reichen Kleide. Wenn man das Moliersche Kostum allgemein beobachtete, so haͤtte ich Nichts dage - gen, da aber die Damen im neuesten Geschmacke à la Grecque erscheinen, so ist diese Mischung laͤcherlich und widerlich.

Didon. Hier erscheint Mamsell George in ihrer ganzen koͤniglichen Schoͤnheit. Das Tygerfell und der Koͤcher um Schultern und Nacken, den Bogen in ihrer Hand, machen sie zur reizendsten Diane, und tausend Ak - teurs wuͤrden, aller Gefahr trotzend, der Versuchung nicht wiederstehen, sie im Bade zu belauschen. Aber ihr Spiel war sehr mittelmaͤßig. Jch kann hier einen Zug des Publikums nicht mit Stillschweigen uͤbergehen. Als man einmal ein wenig applaudirte, ließ sich ploͤtz - lich im Parterre eine Pfeife hoͤren. Das hatte sie nun wirklich nicht verdient. Das Publikum fuͤhlte auch lebhaft die Ungerechtigkeit, und da vorher kaum Einige geklatscht hatten, klatschte jetzt das ganze Haus. Der Pfeifer ließ sich nicht irre machen; kaum war es wieder stille geworden, so ertoͤnte sein Jnstrument von Neuem. Jetzt erhob sich, wie am Drath gezogen, das ganze Parterre, und schrie mehrere Minuten lang fuͤrch - terlich: à la porte! (zur Thuͤr hinaus!) Da nun aber der Pfeifer nicht auszumitteln war, und immer Einer auf den Andern zeigte, so entschloß sich das Parterre, von Einem Geiste beseelt, statt der lauten Unzufrieden - heit mit dem Pfeifer, die laute Zufriedenheit mit der Ausgepfiffenen kund werden zu lassen; es kehrte sich abermals, wie an einer Schnur gezogen, nach der Buͤhne, und schrie unter heftigem Klatschen bravo! bravo! daß128 die Saͤulen zitterten. Waͤhrend dieser ganzen Szene, die wohl fuͤnf Minuten dauern mochte, litt die arme George unbeschreiblich. Sie stand mit niedergeschlagenen Augen, gesenktem Haupte und gefaltenen Haͤnden, und das Blut in ihren Wangen uͤbergluͤhte die Schminke. Sie war wirklich ruͤhrend schoͤn.

L'Epreuve nouvelle von Marivaux ist ein unbedeu - tendes Stuͤck, wurde aber mit einem so vortrefflichen Ensemble gegeben, daß es entzuͤckte. Besonders war Mamsell Mars wieder unaussprechlich liebenswuͤrdig. Sie ist ein Liebling des Publikums, und doch so bescheiden. Jch habe keine Debuͤts gehabt, sagte sie mir, je me suis glissé au théater français mit kleinen unbedeuten - den Rollen, und das hat jetzt den Vortheil fuͤr mich, daß ich keine Reputation zu souteniren habe. Sie ist dabei ein so sittsames Maͤdchen, steht in gutem Rufe, verschmaͤht alle Antraͤge, und bleibt ihren ersten Verbin - dungen unwandelbar getreu.

Cinna. Nach einer langen Krankheit trat Monvel zum Erstenmal wieder auf. Er ist ein sehr braver Kuͤnstler, doch griff die Rolle des Kaisers ihn heute noch stark an. Schade, daß die Jahre sein Verdienst nicht respektiren. Der erste Konsul war heute gegenwaͤrtig, er soll Cinna nie versaͤumen. Man ist neugierig, zu sehen, ob er nicht in einer aͤhnlichen Lage auch sagen wird: Soyons amis, Cinna! Mamsell George war, wie gewoͤhnlich, sehr schoͤn, und nicht vielmehr. Den Cinna spielt sonst Talma, und man vergoͤttert ihn in dieser Rolle, Heute ließ er sich von Lafond doubliren. Jch muß doch im Vorbeige - hen bemerken, daß die franzoͤsischen Schauspieler seit der Revolution eine sonderbare Veraͤnderung mit der Aus - sprache vorgenommen haben; sie sagen naͤmlich nicht129 mehr mon coeur, mon sort u. s. w., sondern mun coeur, mun sort. Allgemein wird auf den Buͤhnen das mon jetzt so ausgesprochen, als wenn es vor einem Konsonauten steht, und das Drolligste ist, daß sich das so nach und nach eingeschlichen, daß sie selber Nichts da - von wissen, denn von mir erfuhren sie es zum erstenmal.

Herrmann et Werner, ou les militaires, ein schwaches Produkt, welches aber durch treffliche Dar - stellung, besonders der Mamsell Mars, dennoch hohen Genuß gewaͤhrte. Dasselbe gilt von la belle fermière, wo sie noch von dem trefflichen Michot unterstuͤtzt wurde. Le babillard. Bei solchen Rollen sollte St. Phal blei - ben und zu keinem Meinau sich verstehen. Heute sah ich wieder, wie Viel die Franzosen, und mit Recht, auf eine runde Vorstellung halten. Jch war vor Anfang des Stuͤcks im Foyer des Theaters, da fand ich den Schwaͤ - tzer umgeben von den sechs Damen, mit welchen er die Plauderszene hat, welche sie eben probirten. Dann gien - gen sie saͤmmtlich auf das Theater und parlirten sie noch zweimal hintereinander. Nun gieng es aber auch Schlag auf Schlag.

Jn Jphigénie en Tauride, feyert Talma als Orest abermals einen Triumph. Die alte Demoiselle Fleury ist in keiner Hinsicht dieser Rolle gewachsen. La - daigneuse, ein neues Lustspiel, in welchem, wie schon der Titel anzeigt, eine Kokette alle Maͤnner abweist, und endlich, wie sich's gebuͤhrt, sitzen bleibt. Zu einem Akte war hier Stoff, zu dreien nicht. Jndessen ist Demoi - selle Mezeray fuͤr solche Rollen einzig. Sie spielt mit einem Austand und einer Feinheit, die Nichts zu wuͤnschen uͤbrig lassen. Freilich zieht Mamsell Mars (die juͤngere Schwester) auch hier alle Blicke auf sich. Das Stuͤck130 war nicht ohne artige Einfaͤlle, aber im Ganzen lang - weilig. Man pfiff es aus, und Trotz der Gegenwart des ersten Konsuls, wurde der Laͤrmen so groß, daß das Ende nicht mehr gehoͤrt wurde. Bonaparte blieb aber dennoch bis zum Ende, und schien sich um Nichts zu be - kuͤmmern. Wenn, wie man sagt, die Dédaigneuse das Probestuͤck eines jungen Dichters ist, so gieng man viel zu hart darmit um. Le seducteur amoureux. Ein gluͤcklich gewaͤhlter Stoff, ziemlich gut bearbeitet. Die Hauptrolle wurde durch Fleury vortrefflich dargestellt. Das Stuͤck war, wie fast immer, mit außerordentlicher Praͤzision gespielt. Nie hoͤrte man das leiseste Fluͤstern vom Souffleur, und doch nahmen sich die Schauspieler immer die Worte aus dem Munde.

Daß man auf dem Théatre français auch noch Stuͤ - cke giebt, wie der Medécin malgré lui, und daß das ohrenzarte Publikum ein Gespraͤch, wie folgendes, vertraͤgt: va-t-elle à la chaise percée? Oui. Copieu - sement? Assez. Et la matière est-elle. u. s. w. ist mir unbegreiflich. Auch die unaufhoͤrlichen Pruͤgeleien sollten in die Hanswurstbuden verwiesen werden.

Dieses Theater naͤhrt sich, wie man sieht, ganz von alten Stuͤcken; die neuen werden fast immer ausge - pfiffen. Agamemnon ist das einzige Trauerspiel, wel - ches sich, Trotz den blutigsten und auch wohl verdienten Kritiken, zu erhalten scheint. Das Lokal ist groß und schoͤn, sieben Reihen Logen und Gallerien uͤber einan - der, denn selbst in der Decke sind noch Logen durchge - brochen. Ueberall hoͤrt man gut, an vielen Stellen sieht man aber schlecht, weil die Pfeiler in den Logen die Buͤhne verdunkeln.

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Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper, welche in manchem Betracht das erste Spektakel in der Welt genannt zu werden verdient. Orchester, Choͤre, Dekorationen, Maschinerie und Tanz werden nir - gends so gefunden. Der Gesang allein ist mehr ein Ge - schrey. Man will das durch die Groͤße des Hauses entschuldigen, aber vergebens. Warum vernimmt man dann auch von Madame Branchu jeden Ton, obwohl sie bei weitem nicht so graͤßlich schreyt als Mamsell Maillard, die man sicher einst todt vom Theater tragen wird. Sehr oft uͤberschreyt sie, bei leidenschaftlichen Rollen, sich dermaßen, daß sie nur noch unartikulierte Toͤne von sich giebt. Bediente sie sich dieser Manier, als Kunstgriff, aͤußerst selten, so wuͤrde sie einen großen Effekt darmit hervorbringen; es ist aber ihre Natur, und kommt in jeder Szene wieder vor.

Adrien. Mehuͤl's Musik scheint mir, wenigstens so vorgetragen, ein Meisterstuͤck der Deklamation. Wie stark das Orchester besetzt ist, kann man unter andern aus dem Umstande ermessen, daß sechs Kontrebaͤsse darinn sind. Ueberdieß ist in den meisten Pariser Thea - tern der Platz des Orchesters weit zweckmaͤßiger berech - net, als in den teutschen. Es ist naͤmlich weniger lang als bei uns, und hingegen viel breiter. Der Raum, der dadurch in der Mitte fuͤr die Zuschauer ver - loren geht, wird an beiden Seiten wieder gewonnen. Der Hauptvortheil aber ist, daß die Blaseinstrumente nicht zu weit entfernet sitzen, und alle Stimmen mehr konzentrirt sind. Es giebt hier keinen Souffler. Der - jenige, der das Orchester dirigirt, verwaltet auch zugleich dieses Amt. Die Saͤnger sind zugleich ziemlich gute Schauspieler, ein Talent, welches man auch der132 Schreyerinn Maillard nicht absprechen kann. Ma - dam Branchuͤ besonders spielt mit Natur und Grazie. Alles Nebenwerk war vortrefflich einstudiert. Die Statisten kamen nicht paarweise angestiegen, wie eine Prozession von Schulknaben, sondern immer grup - penweise, stellten sich nie zu beiden Seiten immer auf eine und dieselbe Manier, sondern waren stets in Gruppen malerisch vertheilt. Die Gefechte bestanden nicht aus einem elenden Geklapper in der Luft, sondern schienen in der That sehr ernsthaft. Zu dem Herabkklim - men uͤber die Felsen haͤtte man gewiß in Teutschland hin - ter der Pappe bequeme Stufen angebracht, hier gab es nur in weiten Entfernungen, bald links bald rechts, un - ordentliche Absaͤtze, und Viele ließen sich an Seilen her - ab. Praͤchtig war Adriens Triumphbogen mit allen sei - nen Umgebungen, reich und glaͤnzend das Kostum. Nie wurde, um einer Verwandlung willen, zwischen den Akten der Vorhang herabgelassen. Doch eine Unschick - lichkeit muß ich ruͤgen. Eine steinerne Bruͤcke, auf derben Pfeilern ruhend, stuͤrzte zusammen, weil 20 oder 30 Menschen daruͤber gelaufen waren. Hier haͤtte man, wie auch der Dichter vorgeschrieben, eine hoͤlzerne Bruͤcke hinstellen, oder, wenn es durchaus Stein seyn mußte, sie wenigstens sehr baufaͤllig malen sollen.

Da man, um gute Plaͤtze zu haben, in der großen Oper sehr fruͤh kommen muß, so bringen viele Leute Buͤ - cher mit, und lesen bis angefangen wird. Es versteht sich, daß die Beleuchtung so gut ist, daß man sehr be - quem dabei lesen kann. Jn Berlin muͤßte man das wohl bleiben lassen, denn da gehoͤren schon gute Augen dazu, um in den Opern die Arien nachlesen zu koͤnnen.

Der Dichter Duval hat meine Hussitten sehr133 gluͤcklich zur großen Oper umgestaltet, und wenn Mehuͤl, der sie komponiren wird, sie eben so reich mit den Schaͤ - tzen seiner Phantasie ausstattet, als diesen Adrian, so kann die Wirkung nicht fehlen.

Anakreon von Cherubini ist ein langweiliges Produkt, das allenfalls den Stoff zu einem Operettchen, nicht aber zu einer großen Oper enthaͤlt. Waͤre diese nicht durch allerlei Nebenwerk so praͤchtig aufgeputzt, es waͤre kaum der Muͤhe werth einmal hinzugehen. Das Urtheil des Paris, ein großes Ballet von Gerdel, ist schlecht erfunden, und eben so langweilig in seiner Art, wie der Anakreon. Der erste Akt gehoͤrt nicht zum Ganzen, denn er besteht bloß aus einem Schaͤferspiel, wo Paris sich mit einer Menge Maͤdchen recht artig neckt, und am Ende einen Loͤwen erlegt, der in die Heerde gefallen ist. Als ich nach Berlin zu - ruͤck kam, freute ich mich, das schon in Paris gefaͤllte Urtheil auffallend bestaͤttigt zu finden. Denn als man auch hier den Paris gab, machte man ad libitum, den ersten Akt zum zweiten, und den zweiten zum ersten, welches wohl der sicherste Beweis ist, daß der erste aus einem angeflickten hors d'oeuvre besteht. Wenn werden die Balletmeister anfangen, (im Fall sie nicht selbst Dichter sind,) sich bloß auf die Ausfuͤhrung einzuschraͤnken, nicht aber mit der Erfindung sich zu be - fassen? die letztere sollte stets einem guten Dichter uͤberlassen bleiben, denn ein guter Plan zu einem Ballet ist eben so schwer zu entwerfen, als der zu einem Schau - spiele, und ist im Grunde dasselbe. Weniger ist viel - leicht bekannt, daß, als die Musen einst in Weimar sich niederließen, weil Eine ihrer Schwestern da regierte, (es sind nun uͤber 30 Jahre) damals der selige Mu -134 saͤus viele Ballette machte, die nachher vom Balletmei - ster kunstreich ausgefuͤhrt wurden.

Sauͤl, ein sogenanntes Pasticcio, das heißt, eine Zusammensetzung von guten Musikstuͤcken mehrerer Mei - ster, machte eine vortreffliche Wirkung; besonders war ein Chor von Haͤndel darinn, das mich bis zu Thraͤnen geruͤhrt hat. Aber diese Choͤre muß man auch hoͤren, sie sind einzig. Abermals hatte ich Gelegenheit, die Sorgfalt fuͤr das Zusammenpassen alles Leblosen und Le - bendigen auf der Buͤhne zu bewundern. Wie schoͤn hier das Aufmarschiren der Truppen sich ausnimmt, das bei uns immer an eine Heerde Gaͤnse erinnert! Allerliebst war der Tanz in Davids Triumphzug, wo die Kinder tanzend Rosen streuten. Das Ballet, le noces de Gamache, ist ein albernes Ding; aber Don Quixote spielte sehr gut, und die Rosinante und Sancho Pansa's Eselinn waren lebendige Thiere, die den Parisern große Freude machten. Die Caravane von Cairo von Gretry, hat mir ein wenig Langeweile gemacht. Hingegen hat mich le devin du village von Rousseau sehr interessirt. Auch das Publikum schien heute sonder - bar bewegt, und ließ, was in der großen Oper sonst nie geschieht, ein Lied wiederholen. Madame Branchuͤ ehrte das Andenken Rousseau's, indem sie mit derjeni - gen Einfachheit sang, die er selbst gefordert hat; der Te - norist hingegen ließ sich Schnoͤrkel zu Schulden kom - men, die fast immer, hier aber besonders unverzeihlich sind. Semiramis, von einem jungen Komponi - sten, der ein Zoͤgling des Conservatoire des musique ist, und der dieser Anstalt Ehre macht. Fuͤr das Außer - wesentliche war wieder herrlich gesorgt. Der Donner - schlag, der des Ninus Grab zerschmetterte, war wahr -135 haftig ein Donnerschlag; und welche Dekorationen! diese schwebenden Gaͤrten, dieser babylonische Thurm wie verstaͤndig war bei dem letzten die Entfernung berechnet, in der man so Etwas nur allein darstellen darf. Wenn ich dagegen an unsern feuerspeienden Berg im Laby - rinth dachte! Fuͤr einen großen Fehler halte ich es, daß Semiramis zuletzt noch einmal auf das Theater gebracht wird, um singend zu sterben. Das Ballet, le retour de Zephyre, ist erbaͤrmlich erfunden, und waͤ - re in Wien unfehlbar ausgepocht worden. Hier wurde es durch einen herrlichen jungen Taͤnzer, Duport, er - traͤglich gemacht, der jetzt schon Vestris uͤbertrifft. Er besitzt unter andern eine ganz außerordentliche Staͤrke und Gewandtheit darinn, sich 40 oder 50mal auf einem Beine herum zu drehen; da er aber weis, daß er dann jedesmal so applaudirt wird, als ob die Bewohner der ganzen Welt ausdruͤcklich zum Klatschen zusammen ge - kommen waͤren, so bringt er diesen tour de force alle Augenblicke an. Die Pariser sehen sich das freilich nicht uͤberdruͤßig.

Hecube, ich habe vergessen, von welchem Meister, und das beweist schon, daß die Musik keinen tiefen Ein - druck auf mich gemacht hat; es kommen aber recht arti - ge Sachen darinn vor. Die letzte Dekoration war un - aussprechlich schoͤn. Die hintere Mauer fiel stuͤckweise ein, und nun erblickte man Troja in Flammen, und die - se Flammen waren kein gewoͤhnliches Theaterfeuer, man sah wirklich eine brennende Stadt, die Saͤulengaͤnge stuͤrz - ten nach und nach zusammen, uͤber die gluͤhenden Rui - nen trug Aeneas seinen alten Vater, mitten aus den Rauchwolken ragte das gigantische Pferd hervor. Die Taͤuschung hatte den hoͤchsten Grad erreicht. Die136 Ballets, Telemach und Psyche, werden noch immer haͤufig, doch nicht mehr mit derselben Anstrengung gege - ben, wie vor 13 Jahren.

Um kein Theater in Paris unbesehen zu lassen, ha - be ich die große Oper weniger besucht, als ich Lust hatte. Der jetzige Administrator derselben, Bonnet, wird mit beißenden Kritiken verfolgt, wie alle seine Vorgaͤnger. Das ist nun schon einmal das Loos Aller, die Gott in seinem Zorne dazu verdammt hat, ein Theater zu dirigi - ren: denn da die Wenigsten wissen, wie viel Geduld, Fleiß und Kenntnisse dazu gehoͤren, es auch nicht wissen wollen, und bey allem Tadel Jeder nur sein eigenes liebes Jch im Auge hat, so werden die ausgezeichnetesten Vorzuͤge uͤbersehen, oder kuͤhl gelobt, und die kleinsten Maͤngel bitter getadelt. Bonnet giebt sich wahrlich viele ruhmwuͤrdige Muͤhe. Jhm sind indessen die Haͤnde nicht ganz ungebunden: denn er steht unter dem préfect du palais. Es ist daher kein Wunder, daß man auch hier auf den Geschmack des ersten Konsuls gern Ruͤcksicht nimmt. Ein Beyspiel mag's beweisen. Mein Reisege - faͤhrte, der verdienstvolle Musikdirektor, Weber, aus Berlin, der so fest in Gluck's Fußstapfen tritt, hatte durch eine seiner Symphonien, welche in einem oͤffentli - chen Konzerte aufgefuͤhrt wurde, und durch die Beschei - denheit, die sein Verdienst schmuͤckt, die Administration der großen Oper so fuͤr sich eingenommen, daß man ihm, ganz ohne sein Zuthun, die Komposition einer Oper an - trug, eine Auszeichnung, die Manchem, der sich solcher ruͤhmt, nicht widerfahren ist. Es stieß sich nur noch an der Wahl eines guten Suͤjets. Jch erboth mich, ei - nen Plan zu entwerfen; ich that es, der Zufall wollte, daß die Geschichte von Eginhard und Emma mir137 passend schien, und kaum hatte die Administration die Augen auf den Titel geworfen: La fille de Charlemagne, als bei dem bloßen Namen Charlemagne sie aus guten Ursachen freudig beistimmte.

3) Die von Bonaparte reichlich und dennoch verge - bens unterstuͤtzte Opera Buffa, ist sehr mittelmaͤßig, hat einen Tenoristen, Nasari, der gut singt, und ei - nen Buffo, der gut spielt. Da ich kein Kenner bin, so schweige ich lieber von Madam Prinasachi. Man giebt meist alte, abgedroschene Opern; z. B. gli Artigiani, von Anfossi. Eben als ich in Paris war, wurde die gan - ze Entreprise auf Aktien ausgebothen, ein Nothschuß. Das Publikum interessirt sich nicht dafuͤr. Umsonst zahlt das Gouvernement jaͤhrlich 60000 Livres, umsonst Bonaparte fuͤr seine Loge 12000 Livres, man will nun einmal kei - ne Opera Buffa, und sie wird schwerlich Bestand haben.

4) Dagegen ist die franzoͤsische komische Oper, Theatre Faydeau genannt, ein allerliebstes, mit Recht haͤufig besuchtes Spektakel. Der Saal mit doppeltem Saͤulengange ist sehr huͤbsch, das Orchester gut besetzt, die Dekoration recht artig, unter den Saͤngern Viele, die mit einem angenenehmen Gesange ein gutes Spiel verbinden, besonders gilt das von Elleriou, der die Kro - ne dieser Buͤhne ist. Jch habe die Koͤniginn von Golconda gesehen, und die allerliebste kleine Oper, St. Foix ou le Coup d'Epée, Text von Duval, Musik von Darchi, und ma tante aurore, von Longchamps, Mu - sik von Bogeldieu; und die Soirée orageuse; und trente et quarante, (welches in Berlin, leider! ohne Musik gegeben wird,) und den Kalifen von Bagdad, wo Elleriou, wie im St. Foix, so schoͤn spielt, daß man ihm alle Augenblicke an den Hals springen moͤchte; alle diese138 Vorstellungen haben mich sehr angenehm unterhalten, und, was davon auf deutschen Buͤhnen noch nicht bekannt seyn moͤchte, darf ich zum Uebersetzen empfehlen.

5) Theatre Louvois, an dessen Spitze der brave Picard, der Verfasser so manches unterhaltenden Lust - spiels, steht, ist ausschließlich den Spielen der Thalia gewidmet; Melpomene erscheint hier nie. Das Haus ist ziemlich groß und artig verziert; nur scheint mir der je - tzige pariser Geschmack, die Greifen uͤberall so haͤufig anzubringen, nicht der beste. Man findet sie fast in den meisten Theatern. Mit sparsamer Hand vertheilt, thut diese Zierde allerdings die beabsichtigte Wirkung; aber wenn alle Logen von oben bis unten darmit bemalt sind, so verfehlt es den Zweck. Das Theatre Louvois be - sitzt mehrere ausgezeichnete Talente. Picard selbst und sein Bruder sind brave komische Schauspieler. Besonders aber zeichnet sich de Vigny aus. Jch sah ihn zuerst in Le Vieillard et les jeunes gens, und war entzuͤckt. Auch giebt es wohl wenige Lustspiele, die so zu rech - ter Zeit geschrieben worden sind, als dieses. Der elen - de Uebermuth der heutigen Juͤnglinge, die Alles besser wissen, ist hier treffend gezuͤchtigt. Uebersetzt kann das Stuͤck nach meiner Meynung nicht werden; aber bearbeitet, wuͤrde es auch in Teutschland sehr willkom - men seyn, da Teutschland eben so gut als Frankreich von Originalen dazu wimmelt. La Suite du menteur war mir sehr geruͤhmt worden, erfuͤllte aber meine Er - wartung nicht. Auch nahm mich Wunder, daß die sonst so delikaten Franzosen keinen Anstoß daran nahmen, ein honettes Frauenzimmer zu einem jungen Menschen, den es gar nicht kannte, ins Gefaͤngniß kommen zu sehen, um sich ihm anzubiethen. Wie wuͤrde man in Teutsch -139 land geschrien haben, wenn ich dergleichen in Einem meiner Stuͤcke gewagt haͤtte? Die Vorstellung war nur mittelmaͤßig, dennoch wurden fast alle Schauspieler applaudirt, ehe sie noch den Mund aufgethan hatten, ja selbst, wenn sie zum zweiten - oder drittenmale wieder auftraten. Das gefaͤllt mir nicht. Was soll es bedeu - ten? Auffallend ist, daß la petite ville in Berlin besser gespielt wird, als hier, wo es zuerst unter den Augen des Verfassers erschien. Mediocre et Ram - pane hingegen wurde vortrefflich exekutirt. Vom vieux comédien, den ganz Paris zu sehen nicht muͤde wird, hatte ich Mehr erwartet. Die, nach dem Urtheile der Franzosen, noch in der Kindheit liegende teutsche Buͤhne wuͤrde es nicht dulden, daß zwei Vaͤter, als Narren verkleidet, sich ploͤtzlich ihren Kindern unter die Au - gen stellen, um sie zu beschaͤmen. Uebrigens hat das Stuͤck Aehnlichkeit mit meinen Ungluͤcklichen, wel - che, nach Picard's eignem Gestaͤndnisse, ihm die erste Jdee dazu gegeben haben.

Eine eigne gluͤckliche Jdee hat aber der naͤmliche Verfasser in dem Lustspiele, Monsieur Musard, ausge - fuͤhrt. Muser, war ein mir bis dahin unbekanntes fran - zoͤsisches Wort, und bedeutet so Viel, als immer beschaͤff - tigt seyn, aber nie mit Dem, was man eigentlich thun sollte. Also ist Monsieur Musard ein geschaͤfftiger Muͤßiggaͤnger, wie Lessing ihn schon vor mehr als 40 Jahren zeichnete. Jn Paris giebt es viele Originale zu dieser Kopie. Die erste Vorstellung wurde mit rau - schendem Beifalle aufgenommen. Als der Vorhang fiel, stuͤrmte Alles, was nur irgend mit Picard bekannt war, in die Foyers und Ankleidezimmer, um ihn zu sehen, zu umarmen, zu ersticken. Ob es Alle ehrlich meynten,140 mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter. Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei - disch als bei uns. Noch bei der dritten Vorstellung mußte das Orchester ausgeraͤumt werden, um der herzu - stroͤmenden Menge Platz zu machen.

6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo - sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer - melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehoͤrt hat, der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma - tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstaͤnde, die nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir Langeweile machte, und den blinden Cassander, uͤber den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon das Leyermaͤdchen eine Ausnahme, wie auch Ber - quin, beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma - dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber, daß unsere Unzelmann sie uͤbertreffen werde. Jn dem letztgenannten Stuͤcke (Berquin) war es Schade, daß eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt - samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro - yal entlaufen zu seyn schien. Der Saal ist niedlich. eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi - kum. Kein Zipfel eines Shawls darf uͤber die Loge herabhaͤngen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre: Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick - lich, so verdoppelt sich der Laͤrm, und es heißt nun: Jettez le Shawl! Und schon oͤfter ist die Dame gezwun - gen gewesen, diesem ungestuͤmmen Verlangen nachzuge - ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren. 141Oder man ruft auch wohl: à la porte! Den Ruͤ - cken darf man in den Logen dem Publikum auch nicht zukehren, sonst heißt es gleich: Ne tournez pas le dos, c'est vilain! Eine Parodie des Agamemnon machte, waͤhrend meines Aufenthalts, auf dieser Buͤhne viel Gluͤck. Die Fehler des Stuͤcks waren mit Witz ge - ruͤgt, und mehrere Couplets sehr artig. Der Harlekin, Laporte, machte Talma's Spiel sehr gut nach. Als ich die Rosse sah, war auch gerade Mamsell Duͤchesnois gegenwaͤrtig, und sah sich selbst als Elytemnestra paro - diren, machte aber gute, lachende Miene zum boͤsen Spiele.

Die genannten Theater sind die vornehmsten in Pa - ris, diejenigen, zu welchen die schoͤne Welt ausschließ - lich wallfahrtet. Jch kann nicht umhin, dankbar zu er - waͤhnen, daß sie saͤmmtlich gewetteifert haben, mir muͤnd - lich und schriftlich auf die schmeichelhafteste Weise den freien Eintritt in ihre Saͤle und zu ihren Buͤhnen anzu - tragen, und obwohl bei einem kurzen Aufenthalte eine sol - che Freiheit gerade als ersparte Ausgabe nicht in Betrach - tung kommt, so ist sie doch ein Beweis von Achtung, der mir um so auffallender war, da ich kurz vorher in einigen Staͤdten meines Vaterlandes, um meine eigne Stuͤcke zu sehen, hatte bezahlen muͤssen.

7) Das Theatre Montansier im Palais royal fuͤhrt bekanntlich nur Possen auf, und Bruͤnet ist aller - dings ein trefflicher Possenreißer, den man schwerlich oh - ne Lachen sehen wird. Besonders als Jocrisse, ein Ka - rakter, der dem italiaͤnischen Pierrot auf ein Haar gleicht, ein toͤlpischer Mensch, der Alles verderbt, indem er alles gut machen will. Jocrissen's Verzweiflung ist auch unter uns schon bekannt. Es giebt aber noch eine142 ganze Menge solcher Spaͤßchen. Heute war z. B. une heure de Jocrisse; da sollte er Jemanden einen Vogel zum Geschenke bringen, brachte ihm aber blos den lee - ren Kaͤfig, weil der Vogel auf der Straße durch seine Ungeschicklichkeit davon geflogen war, und freute sich, als er hoͤte, daß der Vogel in den Brief geflogen sey, den er dabei uͤberreichte. Er will einen Theetopf reini - gen, kann mit der Hand nicht hinein kommen, schwenkt ihn aus, schlaͤgt ihn gegen den Tisch entzwei, und ist nur froh, daß nicht er, sondern der Tisch ihn zerbrochen hat. Ein Kleid buͤrstet er aus, faͤllt darmit auf den durch das Reinmachen des Theetopfes nassen Boden, beschmiert eineu Aermel, schneidet ihn geschwind heraus, um ihn zu einem Manne zu tragen, der Flecken ausmacht, und laͤßt sich von diesem unterdessen einen andern Aermel lei - hen, der natuͤrlich nicht zum Kleide paßt. Von aͤhn - lichem Gehalte sind Cricri dans son menage, und Vadé dans son grénier etc. etc. Es ist Alles gar zu gemein. Zwar ist Bruͤnet's komisches Talent in der That groß, aber die Spaͤßchen sind, besonders fuͤr Fremde, viel zu lokal, und mit Calembourgs so durchwebt, daß man sehr darauf geuͤbt seyn muß, um Alles zu verstehen. Von Fremden gehen auch meistens nur junge Leute in dieß Theater, wegen der schmiegsamen Jung - frauen, von welchen es wimmelt. Auf solchen Buͤhnen ist Alles erlaubt, und die derbsten Zoten werden beklatscht. So hoͤrte ich zum Beispiele im Huissier - gourdi unter großem Beifalle sagen: Une femme ne re - doute jamais une prise de corps; und die schuͤchterne, schamhafte Geliebte erklaͤrte: Qu'on peut exiger d'un époux, qu'il lui reste au moins une jambe.

8) Theatre des jeunes artistes. Jch habe da143 Harlekins Geburt aus dem Eye auffuͤhren sehen, ein Zauberspiel mit vielen Verwandlungen, Spektakel, Musik, Pantomine, Tanz, Gesang, Alles so gut, daß man in großen Staͤdten Teutschlands gewaltig herzustroͤ - men wuͤrde. Ein Gefecht zwischen sechs Personen, nach dem Takt der Musik, habe ich auf unseren Buͤhnen nie so taͤuschend darstellen sehen. Auch ein Kampf zu Pfer - de zwischen sechs Reitern, bei welchem die Pferde lustig hinten ausschlugen, und Harlekin und Pierrot mit den uͤberhaͤngenden Beinen fochten; ferner, feuerspeiende Drachen u. dgl., Alles so gut als in der Donaunymphe. Bewundernswuͤrdig schnell war Harlekin in der Kunst, sich selbst zu verwandeln, besonders nahm er zweimal hintereinander die Gestalt seines Nebenbuhlers an, wo - bei er nicht allein alle Kleider, sondern auch sogar die schwarze Larve mit seinem eignen Gesichte wechselte, wel - ches Alles zumal das zweitemal wirklich nahe an Zauberei graͤnzte. Ein Tageblatt (les annales de la politesse) beklagte sich, daß auf den kleinen Theatern der teutsche Geschmack am Wnnderbaren so sehr einrisse, und zu fuͤrchten sey, daß die Vernunft des Vol - kes dadurch werde geschwaͤcht werden, auch werde man endlich wohl gar die Ruͤckwirkung (Contre - coup) auf den großen Theatern spuͤren: denn die Volks - meynung pflanze sich fort, wie ein elektrischer Schlag, bis in die entferntesten Glieder. So ganz unrecht mag das Blatt nicht haben.

9) Theatre de la gaiété. Ein artiges Haus, sehr geschmackvoll verziert. Statt der ewigen Greifen sieht man hier uͤberall an den Logenberuͤstungen niedliche Ge - nien mit Blumenguirlanden, die in allerlei Stellungen drapirte Vorhaͤnge aufheben. Jch wuͤßte mich nicht zu144 erinnern, jemals eine lachendere Verzierung gesehen zu haben. Hier wird Madame Angot (welche das fran - zoͤsische, so wie John Bull das englische Volk repraͤ - sentirt) auf allerlei komische Weise verarbeitet. Die Rolle wird durch eine Mannsperson dargestellt, wodurch sie oft allein laͤcherlich wird; z. B. Madame Angot im Serail des Großsultans. Die gemeine Pa - riser Fischweibersprache kann man bei dieser Gelegenheit in ihrer ganzen Reinheit hoͤren. Es befinden sich unter den Schauspielern einige sehr ausgezeichnete Talente im Komischen.

Eine Jungfrau von Orleans habe ich auch auf diesem Theater spielen gesehen, von der ich doch wun - dershalben und zur Vergleichung mit der Schillerschen einen kurzen Begriff geben will. Das Stuͤck hebt an mit einem Aerntefest, wo Jacques d'Arc, der Vater, (bei Schiller, Thibault) mit seiner Familie nach vollbrach - ter Arbeit sich lustig macht. Man tanzt, man uͤber - reicht Johannen Kraͤnze, man laͤßt sie die Worte lesen: à Jeanne d'Arc, la plus belle et la plus sage. Ploͤtzlich hoͤrt man Jagdgetoͤse, ein wildes Schwein stuͤrzt herzu, Alles flieht; ein junger Jaͤger kaͤmpft mit dem Eber, unterliegt; Johanna fliegt herbei, toͤdtet den Eber, ret - tet den Juͤngling, es ist Duͤnois. Allgemeine Freude. Der Gast wird ins Haus gefuͤhrt, soll ruhen, kann aber nicht: denn an der Wand erblickt er Johannen's Bild. Er kniet davor, sagt ihm allerlei schoͤne Dinge, wird aber unvermuthet durch einen Donnerschlag unterbrochen, und eine Stimme ruft: Ritter Duͤnois, entweihe nicht durch profane Wuͤnsche die Retterinn Frankreichs! kehre zuruͤck zu deinem Koͤnige, zeige ihm den Willen Gottes an, und bringe ihm das heilige Schwert, wel -145 ches Johannens siegreichen Arm bewaffnen soll. Der Zuschauer wird in Johannens Kaͤmmerlein versetzt, sie schlummert, ein suͤßer Traum schwebt auf ihrem Ant - litze. Der Hintergrund oͤffnet sich, ein Engel, von einer leuchtenden Kugel getragen, legt ein feuriges Schwert zu Duͤnois Fuͤßen nieder; Duͤnois nimmt es, schwoͤrt, des Himmels Geboth zu erfuͤllen; der Engel steigt gen Him - mel, zwei andere Engelinnen aber umgeben die schlafen - de Johanna, und decken sie mit Fahnen; so schließt der erste Akt.

Der zweite hebt an im koͤniglichen Palaste. Karl, Agnes, und sein Hof machen sich lustig, ohne der nahen Gefahr zu gedenken. Ein Ritter zeigt an, daß die Eng - laͤnder Orleans belagern, und daß, wenn sie es erobern, Frankreich verloren sey. Große Verwirrung. Duͤnois kommt, und verkuͤndet das Mittel der Rettung. Die Hofleute spotten daruͤber. Er laͤßt Johannens Bild von zwei Pagen knieend dem Koͤnige vorhalten; der Koͤnig bleibt zweifelhaft, aber ploͤtzlich umgiebt ein feuriger Glanz das Bild, und darunter liest man die Worte: Elle vaincra; jetzt schwinden alle Zweifel. Johanna er - scheint geharnischt, ihr Anblick befeuert alle Ritter, und man fliegt zum Streite.

Die Buͤhne verwandelt sich in das franzoͤsische La - ger, wo der Koͤnig mit der Jungfrau anlangt, und sei - ne muthlose Soldaten dadurch wieder aufrichtet. Er giebt ihr den Ritterschlag, und reicht ihr das Wunder - schwert; da sie aber kein Degengehaͤng dazu hat, so haͤlt es der liebe Gott der Muͤhe werth, diesem Mangel selbst abzuhelfen; ein Regenbogen erscheint, und auf dem Regenbogen ein Engel, der ihr die Schaͤrpe bringt, ihr Sieg verkuͤndet, doch vor der Liebe sie warnt. Dann146 schlaͤgt er an einen Baum, und ein Genius tritt heraus, der ihr das Oriflamm uͤbergiebt. Darauf kehren Beide auf dem Regenbogen in den Himmel zuruͤck, und man eilt in die Schlacht. Nun erblickt der Zuschauer die Stadt Orleans, von den Englaͤndern belagert. Tal - bot ordnet seine Truppen zum Sturme, die Franzosen sind zur Gegenwehr auf den Waͤllen bereit, die Sturm - leitern werden angelegt, man stuͤrmt, man schießt Bre - sche, die Waͤlle werden erstiegen, schon hat man sich der Fahne bemeistert, die Stadt will kapituliren. Aber die Jungfrau erscheint, der Kampf erneuert sich, die Eng - laͤnder werden geschlagen, ihre Pallisaden umgestuͤrzt, die Einwohner von Orleans stroͤmen aus den Thoren, sinken zu den Fuͤßen ihrer Befreierinn, uͤberreichen ihr die Schluͤssel der Stadt. Duͤnois ist entzuͤckt und verliebt, auch Johanna nicht gleichgiltig dagegen, aber des En - gels Warnung schreckt sie noch. Ein Thron wird errich - tet, sie besteigt ihn nebst Duͤnois, festliche Taͤnze begin - nen; es wird Nacht, Johanna wird auf einem Triumph - wagen nach der Stadt gefuͤhrt, wobei man Blumen vor ihr her streut.

Der dritte Akt zeigt einen Garten, Duͤnois zu Jo - hannens Fuͤßen, sie ist entwaffnet, hat das Wunder - schwert an einen Lorbeerbaum aufgehangen, kann seinen Bitten nicht widerstehen; er schrieb mit seinem Dolche die Worte auf einen Felsen: Aimer ne peut être un crime; sie schreibt darunter: Je vou ai vu je le crois. Sogleich wimmeln Liebesgoͤtter um sie her, ein Altar erscheint mit der feurigen Jnschrift: à l'amour et à l'hymen. Die Liebesgoͤtter geleiten das junge Paar dahin, aber im Augenblicke des Schwurs geschieht ein Donnerschlag, die Genien fliehen, der Altar verschwin -147 det, eine Stimme ruft: Johanna ist meyneidig, sie zit - tere vor des Himmels Rache.

Ein Trompetenstoß kuͤndigt einen Herold der Eng - laͤnder an; Talbot und Chandos fodern Duͤnois und Jo - hanna zum Zweikampfe. Diese nehmen ihn an, und schicken ihre Handschuhe. Die Jungfrau will sich waff - nen, als sie aber nach dem Wunderschwerte greift, ver - wandelt sich der Lorbeerbaum in eine Bildsaͤule der Ra - che, welche das Schwert in ihrer Faust haͤlt. Johan - na ist zwar erschrocken, aber sie geht mit dem Geliebten, um zu siegen oder zu sterben.

Man erblickt den Kampfplatz zwischen Schranken und von den Zelten der Englaͤnder umgeben. Kampf - richter, Herolde, Soldaten, nehmen Platz, Chandos und Talbot erscheinen, Duͤnois und Johanna lassen sich nicht lange erwarten. Man schwoͤrt, ohne Hinterlist zu kaͤm - pfen. Die Heldinn und ihr Geliebter siegen, aber die Treulosigkeit der Englaͤnder mußte ja doch auch in das Stuͤck verwebt werden ein Schuß streckt Duͤnois zu Boden, und Johanna wird umringt, gefan - gen, fortgeschleppt. Nun schmachtet sie im Gefaͤng - nisse. Chandos erbiethet sich, sie zu retten, wenn sie ihn lieben wolle; sie weiset ihn mit Verachtung zuruͤck. Er laͤßt eine schwarze Fahne bringen, auf welcher sie das Urtheil liest, daß sie als Zauberinn zum Tode verdammt sey. Sie bleibt standhaft. Man fuͤhrt sie zum Schei - terhaufen. Die letzte Dekoration stellt den Markt - platz zu Rouen dar, der Scheiterhaufen ist bereit, das Volk versammelt; Johanna besteigt muthig den Holzstoß, man zuͤndet ihn an, aber kaum hat er sich entflammt, als eine Taube aus den Flammen aufsteigt. Das Feuer verlischt, der Scheiterhaufen verschwindet, nur eine Glo -148 rie bleibt nach, in der Glorie Johanna von der Un - sterblichkeit gekroͤnt. So steigt sie in die Wolken. An der Stelle, wo der Scheiterhaufen stand, erscheint ein Altar, im Hintergrunde ein transparenter Triumph - bogen, und unter demselben die Statuͤe der Jungfrau, nach dem neuen Modell verfertigt, wie sie wirklich in Kurzem zu Orleans errichtet werden soll. Unter Trom - peten und Paukenschall faͤllt der Vorhang.

Jch habe geglaubt, es koͤnne die Leser wohl interes - siren, zwischen Schiller und Cuvelier eine Parallele zu ziehen. Freilich kann hier nur vom Plane die Rede seyn, und nicht von dem Zauber der Redekunst, in wel - chem Schiller dem Franzosen so unendlich weit uͤberlegen ist. Man versuche es aber einmal, Schillers Jungfrau so zu skeletiren, wie ich so eben Couveliers Jeanne d'Arc skeletirt habe, und man wird finden, daß der Plan nicht weniger ebenteuerlich, oft noch weit schlechter ist. Wenigstens ist Johannes Liebe zu Duͤnois weit besser motivirt, als jenes alberne, ploͤtzliche Verlieben im Mo - ment des Kampfes.

10) Theatre de la porte St. Martin. Ein schoͤnes, artig verziertes Haus. Vormals spielte hier die große Oper; und statt das Haus zu verkleinern, hat man es seitdem noch vergroͤßert, der Himmel weis, warum: denn schwerlich wird es oft sich fuͤllen. Man giebt auch hier Spektakelstuͤcke. Jch habe z. B. les Charbonniers de la forêt noire darauf gesehen. Die Dekorationen sind gut, die Gesellschaft gar nicht schlecht, auch singen einige Mitglieder derselben recht artig.

11) Das Theatre des petites variétés im Palais royal, ein kleines, enges Lokal, schlecht herausgeputzt. Kinder, unter welchen Einige viel Anlage verrathen, spie -149 len kleine Stuͤcke. Dann werden die Zuschauer mit Ma - rionetten unterhalten, die recht artig sind. Aber, Him - mel! welche Unanstaͤndigkeiten erlaubt man sich hier! Da zieht z. B. eine Marionette die Beinkleider aus, und zwar so, daß man alles Das, was die Beinkleider ver - huͤllten, treulich nachgeahmt zu sehen bekommt.

12) Ambigu comique. Ein sehr geschmackloses Theater Gothische Saͤulen, griechische Basre - liefs, neufranzoͤsische Draperien. Drei Reihen Lo - gen, und vor jeder derselben noch eine Gallerie. (Diese Bauart findet man in vielen Pariser Theatern, und sie scheint mir sehr zweckmaͤßig zu Gewinnung des Raums.) Ein sehr besuchtes Stuͤck dieser Buͤhne, dem man auch in der That Reichthum der Phantasie nicht absprechen kann, ist les mines de Pologne. Die Dekorationen wa - ren vortrefflich. Unter andern schneiete es einmal im letzten Akte so taͤuschend und so dicht, daß der Schnee bald die ganze Buͤhne bedeckte, auch auf den Schildwa - chen liegen blieb. Die Schauspieler sind nicht schlecht, das Ballet taugt aber Nichts. Man giebt hier eine selt - same Gattung von Schauspielen, die man Melodra - ma nennt, wo man uaͤmlich in manchen Szenen ganz willkuͤhrlich die Sprechenden durch Musik unterbrechen laͤßt.

13) Theatre olympique. Eins der schoͤnsten und niedlichsten Theater, wohl fast so groß als das Berliner. Durch einen Kreis von Caryatiden, die den zweiten Rang der Logen, und daruͤber einen Kreis von Saͤulen, welche die Gallerie tragen, wird das Ganze sehr geputzt. Jn dem naͤmlichen Geschmacke ist auch der große Foyer er - baut, wo oft Baͤlle gegeben werden. Die Gesellschaft150 spielt aber hoͤchst mittelmaͤßig, auch schien dieses Theater wenig besucht.

14) Theatre du marais. Recht artig, im griechi - schen Geschmacke, Grau in Grau gemalt. Der Saal ist nicht klein, er hat drei Reihen Logen und Gallerien. Die Schauspieler sind aber bloße Marionetten.

15) Theatre de l'école dramatique gleicht mehr einem Gesellschaftstheater, ist jedoch recht niedlich deko - rirt. Die Schauspieler waren der aufgefuͤhrten Stuͤcke, und die Zuschauer Beider wuͤrdig. Alles unter der Kri - tik. Jn der Loge, in welcher ich mich befand, waren auch einige Herren und Damen, die sich Bier bringen ließen; zu meinem Ungluͤcke war das Bier sehr gut, es sprengte den Stoͤpsel aus der Flasche, und mir seinen Schaum auf die Kleider.

16) Theatre de la Cité. Ein huͤbsches Haus und ziemlich groß. Auch hier hielt ich einen Akt von Men - schenhaß und Reue aus. Meinau's Kostum war dassel - be wie auf dem theatre français. C'est le costume Allemand, das bleibt ausgemacht. Diese Madame Muͤller hatte gewiß nie Reue empfunden.

17) Theatre de Molière. Der Schauspielsaal ver - dient allerdings mit Moliere's Namen zu prangen. Alle Logen haben Spiegelwaͤnde, und auch die uͤbrigen Verzie - rungen sind sehr geschmackvoll, die Dekorationen gut, die Kostume reich und richtig; kurz, Nichts ist schlecht als die Schauspieler und die Stuͤcke, welche sie auffuͤhren.

Außer diesen 17 Buͤhnen giebt es, wo ich nicht sehr irre, noch ein paar, die ich nicht gesehen habe, z. B. das Theatre mareaux. Jch schließe mit einer auf - fallenden Bemerkung. Mehrmalen wurde in den Pa - riser Tageblaͤttern, ich weis nicht mehr, auf welchem151 Theater, ein neues Stuͤck angekuͤndigt: Die Gerech - tigkeit Alexander des Ersten; es durfte aber nie gegeben werden. Warum nicht?

Noten aus meiner Schreibtafel, Miszellen, abgerissene Bemerkungen.

Nicht uͤberall ißt man in Paris so spaͤt zu Mittag. Jn den stillen und entfernten Quartieren der Stadt haben sich noch die alten Sitten erhalten. Ein Schalk hat aus - gerechnet, daß ein tuͤchtiger Esser in Paris den gan - zen Tag essen kann. Zu diesem Behufe muß er um 9 Uhr Morgens nach der Vorstadt St. Germain fahren, wo die Employés und Kommis wohnen. Hier theilt er ein dejeuneur à la fourchette, welches diese verzehren, ehe sie in ihre Buͤreaus gehen. Um 11 Uhr findet er meh - rere Fruͤhstuͤcke in der Vorstadt St. Honoré bereit. Von da begiebt er sich nach der Chaussée d'Autin, zu einigen jungen Herren vom guten Tone, die um 1 Uhr spazieren reiten, vorher aber Austern essen und Cham - pagner trinken. Nun laͤßt er der schoͤnen Welt auf der Chaussée d'Autin Zeit auszuschlafen, und begiebt sich schnell au marais. Hier speisen die Familien der an - cienne robe bereits zu Mittag, er setzt sich zu ihnen, und hilft, bis die Zeit herannaht, wo die Richter und Advokaten in der cité hungrig nach Hause kommen. Er eilt dahin, und verweilt daselbst, bis die ehrlichen Leute in der Vorstadt St. Germain und au marais schon wie - der zu Abend essen. Schnell verschlingt er einige Bis -152 sen: denn diesesmal ist ihm die Zeit karg zugeschnitten; er muß zuruͤck auf die Chaussée d'Autin, wo man in den besten Haͤusern jetzt zu Mittag speiset. Dann bleibt ihm wohl noch ein Augenblick uͤbrig, um in irgend einem Theater sich mit Eis zu erquicken. Sobald aber der Vorhang gefallen ist, winkt ihm ein sogenannter Thee, wo, wie ich oben beschrieben habe, recht derbe Schuͤsseln vorkommen. So ruͤckt unvermerkt zwei Uhr in der Nacht heran, und natuͤrlich flattert er nun zu einem Souper in alter Form. Kann der Held um 4 Uhr des Morgens seinem Magen noch Etwas zumuthen, so darf man nur ins naͤchste Spielhaus gehen, wo um diese Zeit ein sogenanntes reveillon (ein Aufwecken) servirt wird, und so mag er dann endlich, wohlgesaͤttigt, um 5 Uhr zu Bette gehen, um vier Stunden auszuru - hen, und dann, wenn's beliebt, den Kreislauf von Vorne wieder anzufangen.

Vormals war es unschicklich, wenn eine petite mai - tresse in Gesellschaften zeigte, daß sie mit Appetit essen koͤnne. Sie mußte sich immer stellen, als brauche sie hoͤchstens, wie ein chinesischer Goldfisch, alle zwei Tage etwa frisches Wasser, um zu leben. Hatte ihr die Na - tur, Trotz aller Schnuͤrbruͤste, einen widerspaͤnustigen Ma - gen gegeben, so mußte sie sich lieber vorher zu Hause satt essen. Solcher Ziermagen bedarf es heut zu Tage nicht mehr. Die schoͤnen, zarten Damen essen Rindfleisch und Hammelbraten, Pasteten und Truͤffeln, daß es eine Lust ist, zuzusehen. Vormals nippten sie hoͤchstens in ein Weinglas, jetzt schluͤrfen sie Liquers, trinken Punsch, und stuͤrzen den Champagner hinunter. Vormals konn - ten sie in den engen Schuhen kaum trippeln, jetzt153 reiten sie, und Einige schwimmen sogar. Kurz, die rohen Maͤnner haben das zarte Geschlecht zu sich herun - tergezogen. Jch meyne aber, unsere schoͤne Muͤtter und Großmuͤtter hatten gar nicht Unrecht in diesem Punkte auf Ziererei zu halten, denn Goͤtter und Frauenzim - mer muͤssen, um sich den Respekt zu erhalten, keine sinn - liche Beduͤrfnisse sich abmerken lassen. Die Geliebte denkt man sich immer als ein geistiges Wesen, und es thut ordentlich weh, wenn man sie mit großem Appe - tit essen sieht.

Seit der Revolution scheint die Einbildungskraft der Maler eine duͤstere Farbe angenommen zu haben. Gue - rin's Marcus Sextus, Davids Brutus, Gerards Belisar u. s. w. haben das schon bewiesen. Einst sah ich auch bei dem Dichter Arnault eine herrliche große Zeichnung, die einen neuen Beleg dazu liefert. Aus der stuͤrmischen See ragt eine Reihe von Klippen hervor, kein Land in der Ferne. Auf eine der Klippen hat sich ein Mann aus dem Schiffbruch gerettet, vor ihm liegen sein Weib und sein Kind, beide todt. Fuͤr ihn selbst zeigt sich weit und breit weder Rettung noch Hilfe. Er ist nackt und bloß, doch das fuͤhlt er in diesem graͤßlichen Augenblicke nicht. Er kniet mit starrem Auge vor Weib und Kind, und hat die eine Hand auf die Frau gelegt, um zu fuͤhlen, ob noch Leben in ihr sey. Der Blick der Verzweiflung sagt nein! Jch moͤchte die Zeichnung nicht in meinem Wohnzimmer haͤngen haben, sie erregt Grausen und Wehmuth. Abermals ein Beweis, daß die franzoͤsischen Maler gute Dichter sind; unsere teut - sche Propylaͤisten sind bloße Kuͤnstler.

154

Noch ein Proͤbchen aus dem Pariser Laufbericht: Mein Herr! es ist zu ermaaßen1)vermuthen., daß Sie bei der entdeckten Hintertrifft2)Konspiration. mich beschiedigt und unterwickelt haben3)kompromittirt., denn man anbetrau - ert4)kondolirt. mich, und ich kann meinen Argwohn nur bei Jhnen vermitten und zukreisen5)konzentrirt.. Diese Ver - affterung6)Verlaͤumdung. haben Sie gut erziffert7)kalkulirt.; Sie kaͤ - keln und schlazen8)schwatzen. daß man sich fuͤr Jhro Ver - heiligung9)Heiligsprechung. vergeldern10)verbuͤrgen. sollte; aber Jhre franzkraͤtzige und lateinraͤudige Sprache wird Jhnen zu Nichts helfen, auch moͤgen sie den Leuten schoͤßeln und buͤseln11)liebkosen. und bei den Weibern boͤckeln, so viel sie wollen. Es geschaͤhe ihnen ganz recht, wenn man Sie wie Abelard entgeilte. Jch wuͤrde Jhnen alles Dieses muͤndlich sagen, wenn ich nicht seit einigen Tagen verhartleibet waͤre.

Unter die Erfordernisse einer guten Amme scheint in Paris zu gehoͤren, daß sie bruͤnett sey, wenigst ruͤhmt sich in den Tageblaͤttern ausdruͤcklich eine Amme dieser Eigenschaft zu ihrer Empfehlung.

Ein Tanzmeister, der Gluͤck machen will, muß zu - gleich Lektionen fuͤr den tambour de basque ankuͤndigen.

Ein gewißer Doktor Braun waͤhlte zu meiner Zeit einen noch unbekannten Weg, Aufmerksamkeit zu erregen. Er ließ naͤmlich seine ganze Lebensgeschichte, wo er studirt, herumgereiset, wer seine Lehrer gewesen u. s. w.155 auf einen großen Bogen drucken, und an allen Straßen - ecken anschlagen.

Trotz aller Charlatanerien scheinen aber doch die Leute ziemlich alt in Paris zu werden, denn ich habe in einem einzigen Tageblatt, unter 28 angezeigten Todes - faͤllen, einen Mann von 95, zwei von 81, und noch fuͤnf von 79, 76, 70, 65 und 63, also acht ziemlich alte Leute gefunden.

Viel Spaß haben mir oft die Urtheile uͤber mich selbst in den oͤffentlichen Blaͤttern gemacht, und es ver - gieng selten ein Tag, wo ich derer nicht zu lesen bekam. Der Eine beschwerte sich mit vieler Bitterkeit, daß ich der einzige Fremde sey, dessen Stuͤcke die Ehre gehabt, ganz, oder nur mit sehr geringen Abaͤnderungen, auf der franzoͤsischen Buͤhne vorgestellt zu werden; alle Uebri - ge haͤtten nur Stoffe geliefert. Wodurch, ruft er auf, erhalten sich diese mittelmaͤßigen Dramen? durch die guten Schauspieler? Nein, denn die naͤm - lichen Schauspieler koͤnnen ja nicht verhindern, das so viele andere weit bessere Stuͤcke fallen? Man kommt ja doch immer wieder, um zu weinen, und sich hintendrein uͤber Diejenigen lustig zu machen, welche geweint haben. Jn Parenthese gesteht er, daß Laharpe gesagt habe: Les épigrammes contre les pleurs sont d'assez mauvaise grace. Nun, endlich, wodurch erhalten sich dann meine Stuͤcke? Durch ihren moralischen Zweck, (gerade Das, was man ihnen in Teutschland abspricht. ) der sie von den franzoͤsischen Dramen eines Diderot und Beaumarchais zu ihrem Vortheile unterscheidet.

Jch will es den Herren besser sagen: sie erhalten sich, Trotz allen ihren Fehlern, bloß durch die Wahr -156 heit der Empfindung und Darstellung. Alle Jons und Eugenien werden sie nicht verdraͤngen. Ein natuͤrliches Veilchen ist am Ende doch immer Mehr werth, als eine gemachte Lilie, waͤre sie auch noch so kunstreich fabrizirt.

Wie ist es moͤglich, ruft ein Anderer, daß bei unserm Leichtsinne, unserm Hange zur Froͤhlichkeit, wir seit vier oder fuͤnf Jahren so viele Thraͤnen in einem schlechten teutschen Drama vergießen? Haͤtte man sie alle gesammelt, die vergossenen Thraͤnen, man haͤtte die große Trockenheit dieses Jahres darmit vermindern koͤnnen. Nun aber kommt das Merkwuͤrdigste, die Ursache naͤmlich, warum Menschenhaß und Reue in Teutschland so sehr gefallen habe. Jn Teutschland, faͤhrt er fort, war das sehr natuͤrlich, weil vor Erschei - nung von Menschenhaß und Reue die Sitten so außer - ordentlich streng waren: denn was geschah, wenn ein Frauenzimmer sich vergaß? Man heftete ihr einen Ze - del auf die Schulter, setzte ihr eine Art von Triangel mit Schellen und Gloͤcklein auf den Kopf, fuͤhrte sie so durch die Stadt, und endlich ins Zuchthaus, wo sie, mit eisernen Kugeln an den Fuͤßen, ein Jahr lang die Straßen fegen mußte. Ueberdieß mußte sie alle Sonntage in der Kirche oͤffentliche Buße thun. (Him - mel! was fuͤr reine Straßen und volle Kirchen wuͤrden wir haben, wenn das wahr waͤre!) Der Zweck von Menschenhaß und Reue sey also gewesen, die Strenge dieser Gesetze zu mildern, und darum haͤtten besonders die Weiber das Stuͤck gleich in Schutz genommen. Das aber die Franzosen ihren Corneille, Racine, Vol - taire, um eines teutschen Dichters willen, eine Zeitlang vergessen haͤtten, das sey doch gar zu arg. Das teut -157 sche Theater liege uͤberhaupt noch so sehr in der Kind - heit, und s. w.

Sollte man nicht glauben, Teutschland sey von Frankreich wenigstens so weit entfernt, als der Mond von der Erde?

Es hat indessen auch in Paris Leute genug gegeben, die, eben so albern wie in Teutschland, Menschenhaß und Reue, (eins der moralischsten Schauspiele, die je - mals geschrieben worden,) von Seite der Moralitaͤt angegriffen haben. Dagegen erschien waͤhrend meines Aufenthalts, (wenn ich nicht irre im Courier des spe - ctacles,) eine sehr gute Vertheidigung, die mir groͤßten - theils aus der Seele geschrieben worden. Giebt es wohl, sagt der Verfasser, viele Weiber, die, wenn sie aus der Vorstellung kommen, den Ehebruch als eine unbedeutende Kleinigkeit betrachten? als eine Kleinig - keit, die weder auf das Gluͤck des Gatten, noch auf die gesellschaftliche Ordnung Einfluß habe? Eula - liens Gewissensbisse, ihre Demuͤthigung und peinliche Lage in Gegenwart des beleidigten Mannes, stellen ein schauderhaftes Gemaͤlde dar, und raͤchen vielleicht die Tugend strenger, als alle Strafen und Beschimpfun - gen, welche die Voͤlker des Alterthums mit dem Ver - brechen verknuͤpften. Auch den Charakter des Meinau, (den man uͤbertrieben findet,) nimmt der Verfasser in Schutz. Kotzebue, sagt er, will wohl schwerlich alle beleidigte Ehemaͤnner uͤberreden, sich zu Anachoreten zu machen; da haͤtte er Viel zu thun, be - sonders in unsrer guten Hauptstadt; aber er will zei - gen, was ein nagender Kummer uͤber das Herz eines braven Mannes vermag, der sein ganzes Gluͤck in den Besitz einer geliebten, tugendhaften Frau gesetzt hatte. 158 Man klagt taͤglich uͤber Sittenverderbniß in den Ehen; gewiß sie entspringt oͤfter aus der Gleichgiltigkeit der Maͤnner, als aus dem Leichtsinne der Weiber. Das Land, wo Meinau fuͤr einen Narren passirt, bringt schwerlich sehr gefaͤllige Ehemaͤnner hervor. Aber, tadelt man ferner, das Suͤjet ist fehlerhaft, es lehrt junge Leute, was sie nicht wissen sollen. Wenn eine Tochter ihren Vater fragt, warum Meinau eigentlich so traurig sey? Was kann er ihr antworten? Der Einwurf ist schwach. Ein Vater, der seine Tochter ins Schauspiel fuͤhrt, muß das Stuͤck zuvor kennen; und dann sind unsere Toͤchter auch gerade keine solche Ag - nesen. Ueberdieß moͤchte das schreckliche Gemaͤlde der Folgen eines Fehltrittes leicht moralischer seyn, als die Liebeslektionen, welche sie taͤglich hoͤren, um Vaͤter und Muͤtter zu betruͤgen. Stuͤcke wie Heu - reusement, la Gageure, Figaro, u. s. w. sind bei weitem gefaͤhrlicher, aber man zieht sie dennoch vor, denn unsere Ehemaͤnner sind artiger als Meinau.

Jch moͤchte wohl wissen, was sich mit Fug und Recht auf diese Bemerkungen antworten ließe?

Das naͤmliche Blatt enthaͤlt auch eine artige Fabel, zu Nutz und Frommen manches teutschen Kritikus. Ein Papagey entfloh aus seinem Kaͤfige in den Wald, und meisterte dort den Gesang der Voͤgel. Endlich bittet man ihn, da er es so gut versteht, doch auch einmal zu singen. Da kratzte er sich im Kopfe und sagte: Meine Herren, ich pfeife wohl, aber ich singe nicht.

Die meisten cidevants sind nicht bloß arm, sondern leiden wirklich druͤckenden Mangel, der sie sogar zu bet -159 teln noͤthigt. Sie haben aber gewoͤhnlich eine Art zu betteln, die nicht zu ihrem Vortheil einnimmt. Sie lassen sich ansagen, ein bekannter, beruͤhmter Name oͤffnet ihnen sogleich die Thuͤre, sie treten herein, affek - tiren die volle Dreistigkeit ihres vormaligen Standes, lassen sich ohne Umstaͤnde am Kamin nieder, sagen dem Fremden die unverschaͤmtesten Schmeicheleien, und schwa - tzen von tausend Dingen wohl eine halbe Stunde lang, ohne mit einer Silbe ihrer Noth zu gedenken. Sie ha - ben bloß das Gluͤck haben wollen, den Fremden kennen zu lernen, u. s. w. Endlich ruͤcken sie heraus, anfangs verbluͤmt, dann deutlicher, haben auch wohl ein Buch geschrieben, auf welches sie praͤnumerieren lassen, und den Praͤnumerationsschein gleich bei der Hand haben, den sie nachlaͤßig auf den Tisch werfen, indessen sie von etwas Anderm sprechen. Mir ist dergleichen oͤfter widerfahren, und ich koͤnnte Namen nennen, die den Leser in Erstaunen setzen wuͤrden. Manche wagen es doch nicht, eine solche Rolle in Person zu spielen, sondern schreiben Briefe, die wenigstens bescheiden klingen. Jch kann mir indessen wohl vorstellen, daß Menschen, die so erzogen wurden, und so zu leben gewohnt wa - ren, wenn sie nun einmal zum Betteln gezwungen sind, auf keine andere Art betteln koͤnnen.

Speiset man unter Mannspersonen an einer großen Tafel, so kann man darauf wetten, daß unter Zwanzi - gen nicht Zwei seyn werden, die nicht Feldzuͤge mitge - macht haͤtten, wenn man sich gleich unter lauter Dich - tern, Kuͤnstlern und Schauspielern befindet. Jn der Schreckenszeit war es ein Gluͤck, wenn man Paris160 verlassen und zur Armee gehen durfte, denn nur in der Armee fand man eine Freistatt. Eben so oft trifft man, ohne es zu ahnen, auf Maͤnner, die waͤhrend der Revolution große Rollen gespielt haben, und jetzt nicht einmal den Schein davon haben moͤgen, wenn sie gleich als Maͤnner von Gefuͤhl und Ehre handelten. Da ist z. B. der brave Schauspieler des Théaters français, Michot, (der Einzige, den ich in gewißen launigten Rol - len mit Jffland vergleichen moͤchte,) der machte zwei Feldzuͤge mit, wurde blessirt, dann als Kommissair des Gouvernements an den General Montesquieu mit der Ordre geschickt, Savoyen zu besetzen. Dort machte er sich bei den Einwohnern sehr beliebt, weil er menschlich war, und nicht litt, daß man die Ceremonien der Re - ligion verspotte oder hindere. Bei seiner Zuruͤckkunft ward er zum Deputirten, und zu verschiedenen andern Aemtern gewaͤhlt, war aber so klug, Alles auszuschla - gen: denn, haͤtte er sie angenommen, so waͤre er, als ein Freund der Girondisten, sicher mit diesen guillotinirt worden. Er behielt also bloß seinen Platz unter der Na - tionalgarde, und uͤbernahm oft die Wache bei Ludwig dem XVJ. Diesem erleichterte er sein Schicksal, so viel in seinen Kraͤften stand. Sah er sich unbeobachtet, so nahm er sogleich seinen Hut ab, nannte den Koͤnig Sire und Votre Majesté. Auf sein Verlangen steckte er ihm auch den Tacitus und Gilblas zu. Der Koͤnig hatte Vertrauen zu ihm und fragte Michot einigemal, was er wohl glaube, daß man mit ihm anfangen werde? Michot troͤstete ihn stets mit der Aussicht, zu seinen Ver - wandten nach Spanien geschickt zu werden: denn Michot selbst hielt sich uͤberzeugt, daß man zu keinem Extrem schreiten werde. Er sagt noch jetzt mit einer Ueberzeu -161 gung, die aus seinem nassen Auge spricht: Jch bin ge - wiß, daß bei der Stelle in Ludwigs Testament, wo er von ames sensibles spricht, er auch an mich gedacht hat. Jch beneide den braven Mann um dieses schoͤne Bewußtseyn.

Unter manchen andern Vorzuͤgen, die selbst Feinde den Franzosen nicht absprechen koͤnnen, ist einer der schoͤn - sten der freigebige Enthusiasmus, mit dem sie Genie und Kunst aufmuntern und belohnen. Musik, Malerei, dramatische Dichtkunst und Schauspielkunst sind hier nicht, wie an den meisten Orten Teutschlands, wandernde Pil - ger, die blos geduldet werden, und allenfalls froh seyn moͤgen, wenn man sie nicht hindert, ihr Stuͤckchen Brod muͤhselig zu gewinnen; sie werden geehrt, geliebt, ge - schaͤtzt, man hat es der Muͤhe werth gehalten, Ge - setze ihrentwegen zu machen; kein Nachdrucker - Raubgesindel darf sich an den Fruͤchten des Genies vergreifen. Jeder aͤrntet da, wo er gesaͤet hat, und zwar, wenn die Aussaat anders gut war, so darf er sicher seyn, daß der Boden ihm reichlich tragen werde. Bei uns ist es umgekehrt; je besser die Aussaat, je schneller sammeln sich die Raubvoͤgel auf allen Baͤumen umher, wie auf Robinson Crusoe's Jnsel, und kaum hat der Saͤemann den Ruͤcken gekehrt, so lagert sich die verzehrende Wolke.

Der Verfasser eines Schauspiels oder der Komponist einer Oper werden in Frankreich folgendermaßen behan - delt. Jede Einnahme wird in drei Theile getheilt, und von einem Drittel erhalten sie das Siebentel. Das scheint wenig, aber sie erhalten dieses Siebentel nicht einmal, sondern so lange sie leben, und ihre Erben noch zehn Jahre nach ihrem Tode; sie empfan -162 gen es nicht blos in Paris, sondern in ganz Frank - reich von jeder Buͤhne; nicht blos so lange das Stuͤck noch Manuskript, sondern auch, wenn es schon laͤngst gedruckt ist: denn kein Direktor einer Buͤhne darf sich unterstehen, es ohne Erlaubniß des Verfassers auffuͤhren zu lassen. Auch vor dem schwer verpoͤnten Nachdruck ist er ganz sicher. Man koͤnnte einwenden, der Autor koͤnne doch oft hintergangen werden, da es ihm ja unmoͤglich sey, zu wissen, oder zu erfahren, welche Stuͤcke man in ganz Frankreich spiele? und wie oft und wie groß die Einnahme gewesen? daß es hoͤchst beschwer - lich und kostbar seyn muͤsse, dergleichen Nachrichten ein - zuziehen u. s. w.

Fuͤr alles Das ist gesorgt. Es existirt naͤmlich in Paris ein Buͤreau, ausdruͤcklich zu diesem Zwecke errich - tet. Hier meldet sich der Verfasser eines Schauspiels, zeigt sein Werk an, und laͤßt nun das Buͤreau fuͤr alles Uebrige sorgen. Dieses hat seine Korrespondenten und Kassierer im ganzen Lande, und berechnet dem Schrift - steller, gegen den maͤßigen Abzug von zwei Prozent, sei - nen Antheil gewissenhaft. Da nun in Frankreich weit uͤber hundert Schaubuͤhnen angetroffen werden, (wenn gleich viele nur klein und unbedeutend sind) so wird es begreiflich, daß der Verfasser eines beliebten Stuͤckes, in den ersten paar Jahren nach dessen Erscheinen, auf eine Einnahme von vierzigtausend Livres rechnen kann. Nachher nimmt es zwar ab, aber die Repertoirs der Franzosen sind weit weniger dem Wechsel unterwor - fen als die unsrigen, und daher bleibt dem Schriftsteller eine sichere jaͤhrliche Reuenuͤe, die auf der allergerechte - sten Basis ruht: denn ihre groͤßere oder mindere Bedeut - samkeit haͤngt einzig und allein von der Guͤte seines Wer -163 kes ab. Hatte es blos Vorzuͤge, die im ersten Augenbli - cke blendeten, so wird es selten; hat es wahren Gehalt, oft gespielt. Ein Autor, dem es gelungen, drei oder vier Stuͤcke auf das Repertoir des Théatre francais zu bringen, ist nicht allein fuͤr seine Person auf Lebenszeit anstaͤndig versorgt, sondern hinterlaͤßt auch seinen Kin - dern zehn Jahre lang eine sichere Subsistenz. Welch ei - ne ehrenvolle Pension! aber nur in Frankreich hat man Gelegenheit, sie zu verdienen.

Madame Molé, welche Menschenhaß und Reue ein wenig verbaalhornt hat, ist dadurch jetzt schon zum Besitze eines Vermoͤgens von 60000 Livres gelangt, und noch immer wird das Stuͤck haͤufig gespielt, oft in Paris allein auf verschiedenen Theatern dreimal an einem Tage. Mir, dem Verfasser, hat Men - schenhaß und Reue Summa Summarum zweihundert Thaler eingetragen. Daleyrac, der bekannte be - liebte Komponist, zieht, die Hauptstadt ungerechnet, noch jetzt monatlich aus den Provinzen ungefaͤhr 100 Louis, also jaͤhrlich uͤber 6000 Thaler, wofuͤr er keinen Feder - strich weiter zu thun braucht. Was soll man nach solchen Beispielen davon denken, wenn z. E. die Frank - furter einem dramatischen Schriftsteller gedruckt vor - werfen: er treibe einen enormen Handel mit seinen Stuͤ - cken, weil er etwa zwoͤlf Friedrichsd'or fuͤr eine Abschrift fodert? und diese kaufmaͤnnisch-gesinnten Maͤzene, die doch wahrlich auf ihren Komptoirs keinen Buchstaben umsonst schreiben, meynen, ein Schriftsteller muͤsse sich mit der Ehre, sie zu amuͤsiren, bezahlen, und koͤnne uͤbri - gens, mit Frankfurter Lorbeeren gekroͤnt, verhungern. Doch Frankfurt ist nicht der einzige Ort, wo dem Genie Kupferpfennige, und dem Zahlenschreiber Goldstuͤcke zu - gewogen werden.

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Nicht blos die Schriftsteller werden in Frankreich mit solcher Achtung behandelt, auch die erste Klasse der Schauspieler erfreut sich der Hoffnung, im Alter nicht etwa mit einer lumpigen Pension von ein paar hundert Thalern abgespeist zu werden, bei der man weder leben noch sterben, wenigstens unmoͤglich so gut leben kann, als man bis dahin gewohnt war nein, in eine Art von Wohlstand, in eine bessere Lage bei reichlichern Ein - kuͤnften versetzt zu werden. Das geht so zu: Das Théa - tre français wird von den Mitgliedern selbst dirigirt. Nach Abzug aller Kosten wird der Gewinn in 25 Theile getheilt. Die Ersten und Aeltesten haben einen ganzen Theil, Andere einen halben u. s. w. Manche werden auch blos von den Theilhabern besoldet. Wer einen gan - zen Theil hat, zieht jaͤhrlich 25 bis 30,000 Livres (et - wa 7 bis 8000 Thaler) aber er muß sich monatlich ei - nen kleinen Abzug gefallen lassen, der, von Allen zu - sammen, jaͤhrlich 72000 Livres betraͤgt. Diese Summe wird zuruͤckgelegt und verzinset. Hat nun Einer 20 Jah - re gedient, so kann er sich in Ruhe setzen, waͤre er auch kaum 40 Jahre alt. Dann erhaͤlt er, erstens, das waͤhrend seiner Dienstzeit zuruͤckgelegte Geld baar auf ei - nem Brette wieder, und es betraͤgt alsdann eine Sum - me von 30,000 Livres. Zweitens wird ihm eine Be - nefizvorstellung auf dem großen Operntheater bewilligt, die, wenn er nur irgend beliebt ist, abermals 30,000 Li - vres eintraͤgt. Drittens, empfaͤngt er von den Theil - habern eine jaͤhrliche Pension von 2000 Livres; und end - lich, viertens, eine eben so starke Pension vom Gouver - nement. Ueberdieß bleibt ihm das Recht, wenn er noch jung und gesund genug ist, seinen Platz unter den Theil - habern beizubehalten, aber das geschieht selten. So165 hatte ich mir den Schauspieler La-Rive immer als einen alten Mann vorgestellt, weil ich wußte, er habe sich in Ruhe gesetzt; aber nichts Weniger. Er ist ein Mann von etwas uͤber 40 Jahren, der, um das Leben zu ge - nießen, ein kleines Gut, Montlignon, nahe bei dem Thale von Montmorency, gekauft, und dort eine mine - ralische Quelle entdeckt hat, die als sehr magenstaͤrkend allen Leckermaͤulern empfohlen wird. Er will an dieser Quelle ein Dorf anlegen, und erboth sich, als ich in Pa - ris war, fuͤr 15000 Franken, ein fuͤr allemal bezahlt, Jedem, dem es beliebe, ein allerliebstes Haus zu bauen, und einen artigen Garten zu geben. Jch habe nicht ge - hoͤrt, ob sein Projekt Eingang gefunden hat.

Bei allen den Vortheilen, die der franzoͤsische Schau - spieler genießt, hat er weit weniger Arbeit als der teut - sche: denn man fodert nicht so oft neue Stuͤcke von ihm. Hingegen muß man gestehen, daß er sich zehenmal mehr Muͤhe giebt, ein neues Stuͤck gut und rund einzustudie - ren, Dreißig Proben werden gewoͤhnlich, alle mit der groͤßten Ordnung, gehalten, (in Teutschland zwei bis drei) der Verfasser ist, wenn er will, immer gegenwaͤr - tig. Bei der letzten Probe, selbst wenn das Stuͤck schon angekuͤndigt ist, hat er das Recht, ein Veto von sich zu geben, und zu erklaͤren: es geht noch nicht, es muß noch oͤfter probirt werden. Auch wollte ich keiner Buͤhne ra - then, ohne Einwilligung des Verfassers, auch nur ein Wort an seinem Werke zu aͤndern. Lauter Beweise ge - genseitiger Achtung und zarter Behandlung, von denen man in Teutschland nur da, wo der wackre Jffland an der Spitze steht, einen Begriff hat.

Der Minister des Jnnern, Chaptal, war bekannt -166 lich vor der Revolution ein beruͤhmter Chemist, Apothe - ker zu Montpellier. Sein ruͤhmlicher Zweck war stets, seine Wissenschaft auf die Kuͤnste und Handwerker anzu - wenden. So hatte er sich bereits einen ziemlich großen Reichthum erworben. Einst, unter Robespierre's Ty - rannei, brauchte man Pulver, man ließ Chaptal kom - men, und sagte ihm: er muͤsse nothwendig so und so viel Pulver schaffen, wozu man ihm Alles geben wolle, was er beduͤrfe; man koͤnne ihm aber auch nicht verhoͤhlen, daß dieß das einzige Mittel sey, ihn zu retten, weil er bereits als ein reicher Aristokrat denunzirt worden sey. Man gab ihm zweimal 24 Stunden Bedenkzeit. Chap - tal versprach, hielt, was er versprochen hat, und erboth sich, noch weit Mehr zu liefern, wenn man ihm einen Theil am Gewinne zugestehen wolle. Das that man; er machte nun zweimal mehr Pulver, als man begehrt hatte, und wurde unermeßlich reich dabei.

Auf gleiche Weise, doch nur dem Scheine nach, machte sich Ségur sehr verdient, indem er eine Manier, das Leder auf eine englische Art zu bereiten, erfand, die unendlich weniger Zeit kostete, als die bisherige. Fuͤr den Augenblick war das eine große Hilfe: denn die Ar - meen hatten keine Schuhe, aber das Leder haͤlt nicht.

Wenigen ist wohl bekannt, woher die Benennung fiacre fuͤr Miethkutscher entstanden. Der Erfinder dieser Bequemlichkeit war 1680 ein gewißer Nikolaus Sauvage, der in der Straße St. Martin, hôtel de St. Fiacre wohnte.

Von einem schwaͤrmerisch-liebenden Maͤdchen habe ich mir eine Anektode aufgezeichnet, die sich kuͤrzlich zu -167 getragen haben soll, und wohl die meisten Leser, wie mich, ruͤhren wird. Sie spielte das Klavier, ihr Geliebter ak - kompagnirte ihr oft auf der Harfe. Er starb. Seine Harfe war in ihrem Zimmer geblieben. Aus der ersten Verzweiflung versank sie in tiefe Schwermuth, und es waͤhrte lange, ehe sie sich entschließen konnte, sich wie - der an ihr Klavier zu setzen. Endlich that sie es, griff einige Akkorde, und horch! die gleichgestimmte Harfe toͤnte mit! Anfangs uͤberlief ein heimlicher Schauder das gute Maͤdchen, aber bald empfand sie bloß eine freundliche Wehmuth. Sie war fest uͤberzeugt, daß der Geist ihres Geliebten aus den Saiten der Harfe lispele; das Klavier war nun ihr einziger Trost: denn nur da fand sie die erfreuliche Gewißheit, daß der Geliebte noch um sie schwebe. Einst trat Einer von den herzlosen Menschen, die Alles wissen und Alles erklaͤren, zu ihr ins Zimmer das Maͤdchen gab ihm einen Wink, still zu seyn: denn die liebe Harfe toͤnte gerade so vernehmlich er erfuhr, welch 'ein lieblicher Wahn sie taͤusche, lach - te, und bewies ihr hochgelahrt aus der Experimentalphy - sik, daß das ganz natuͤrlich zugehe. Von Stunde an wurde das Maͤdchen schwermuͤthig, und starb bald nach - her. O ihr wohlweise Menschen! die ihr so man - chen suͤßen, begluͤckenden Wahn uns raubt, ohne etwas Troͤstendes an die Stelle setzen zu koͤnnen, ist es euch dann nicht moͤglich, eure Weisheit fuͤr euch zu behalten? muͤßt ihr dann durchaus dem Kitzel, mit hoͤherer Einsicht zu prahlen, die Ruhe zufriedener Menschen opfern?

Mercier, der Verfasser des tableau de Paris, des Essighaͤndlers u. s. w. ist durch Gutmuͤthigkeit und Para - doxen ein angenehmer und unterhaltender Gesellschafter. 168Er glaubt in allem Ernste, daß Newton nur ein Char - latan gewesen. Das Gesetz der Attraktion laͤugnet er ganz; die Schwerkraft ist, nach ihm, nur ein Druck der Luft. Er ist noch immer ein sehr lebhafter alter Mann, der nie vor zwei Uhr Morgens schlafen geht. Acht fer - tige Schauspiele habe ich bei ihm im Manuskripte gese - hen, von welchen auch einige vom franzoͤsischen Theater angenommen, aber noch nicht gespielt worden.

Ein gewißer Texier kuͤndigte, waͤhrend meiner An - wesenheit, Vorlesungen von englischen und franzoͤsischen uͤbersetzten Stuͤcken an, und machte den Anfang mit She - ridans Laͤsterschule, wobei ich gegenwaͤrtig war. Er hatte ein sehr artiges Lokal im Sallon des étrangers ge - waͤhlt, auch war die Versammlung glaͤnzend, aber nicht zahlreich. Er liest sehr gut, wird jedoch schwerlich sein Gluͤck auf diese Weise machen: denn theils kann der Fran - zose diesen treu uͤbertragenen englischen Produkten kei - nen Geschmack abgewinnen, theils hat Niemand Geduld, vier Stunden lang, von 8 bis 12 Uhr Abends, vorleseu zu hoͤren. Auch ist der Preis von einem Laubthaler eben nicht gering. Jn England soll Texier viel Geld mit Vor - lesung franzoͤsischer Stuͤcke verdient haben. Das will ich eher glauben. Jn Frankreich wollt 'ich ihm rathen, lie - ber Schauspieler zu werden: denn da seine Deklamation und sein Minenspiel in der That vortrefflich sind, so wuͤr - de er einen der ersten Plaͤtze ausfuͤllen koͤnnen.

Anekdoten aus der Schreckenszeit hoͤrt man noch uͤberall. Es waͤre gut, wenn ein verstaͤndiger Mann sie sammelte, doch nur solche aufzeichnete, die dem Erzaͤhler selbst begegnet sind: denn auch hier sieht es mit der hi -169 storischen Glaubwuͤrdigkeit uͤbel aus. Ein angesehener Schriftsteller versicherte mich, er habe sich oft vergebens alle ersinnliche Muͤhe gegeben, Widerspruͤche zu heben. Das Bonmotisiren, wenn man zur Guillotine gefuͤhrt wurde, war, wie in Frankreich Alles, zur Mo - de geworden; ein ehrlicher Mann konnte sich gar nicht mehr dadurch auszeichnen: denn sogar die Chauffeurs wurden witzig auf dem Schaffot. Danton's Bonmot ist graͤßlich. Einer seiner Gefaͤhrten im Tode wollte ihn vor der Hinrichtung umarmen. Laß gut seyn, sagte Danton, unsere Koͤpfe kommen ja doch gleich im Sa - cke zusammen. (Die Koͤpfe wurden naͤmlich alle in einen Sack gesteckt.)

Bei einer froͤhlichen Mahlzeit, bei welcher auch Tal - ma gegenwaͤrtig war, kam man nach Tische auf den Ein - fall, Guillotine zu spielen. Man bediente sich da - zu eines Kaminschirms, den man auf - und niederfallen lassen konnte, und unter welchen man den Kopf legte, und nachher den Schirm auf den Nacken fallen ließ. Die Gesellschaft bestand zufaͤllig groͤßtentheils aus Giron - disten, die zwei Tage nachher wirklich guillotinirt wurden.

Madam Roland war zwar am Tage ihrer Hin - richtung bekanntlich sehr standhaft, aber den Abend zu - vor in einer außerordentlichen Bewegung. Madame Talma, die mit ihr eingesperrt war, erzaͤhlte mir, die Ungluͤckliche habe die ganze Nacht auf dem Klavier ge - spielt, aber auf eine so fremde, schauerliche, fuͤrchterliche Weise, daß sie den Klang nie verges - sen werde. Der kleine Platz, auf welchem die koͤnig - liche Familie hingerichtet ward, (place de Louis XV.)170 ist noch von einem einfachen hoͤlzernen Gelaͤnder und von den Schrecken der Erinnerung umgeben.

Man nennt in Paris die Dinge so ziemlich bei ihren Namen. Nur eine gewiße Bequemlichkeit, die doch im Grunde ganz unschuldig ist, bezeichnet man durch den Ausdruck: lieu à l'angloise. Hingegen biethet ein Fri - seur im Palais Royal auf einem großen gedruckten Zedel nicht allein Wasser fuͤr die Eier aller Jnsekten an, die sich in die Haare haͤngen, sondern auch noch einen gewi - ßen Essig, den er geradezu nennt, und dadurch das vielleicht noch schuldlose Maͤdchen die Kunst lehrt, trotz aller Ausschweifungen, seinen kuͤnftigen Braͤutigam zu betruͤgen. Daher kommt es dann auch, daß man in ei - nem einzigen Tageblatte sechs Ehescheidungen an - gezeigt findet, wobei freilich die gefaͤllige Justiz gewoͤhn - lich incompatibilité d'humeur et de caractère als Grund angiebt.

Auf den Straßen, und besonders im Palais-Royal, widerfaͤhrt es Einem oft, daß ein Kerl, der Broschuͤren, Kalender u. dgl. verkauft, Einem ins Ohr zischelt: Mon - sieur, volez vous jouir de la plus belle femme de Paris? Jch weis nicht, in wie weit er sein Verspre - chen wahr zu machen im Stande seyn wuͤrde.

Eifersucht zeigt sich, wie man versichert, hier sel - ten, und nur als galante Jronie. Eine Dame, die ih - ren Mann Nachts bei einer andern wußte, ließ dieser gluͤcklichen Nebenbuhlerinn eine Nachtmusik bringen, und nach jeder Arie rief ein dazu bestellter Mensch mit lauter Stimme: Diese Nachtmusik ist fuͤr Madam X, im Na - men des Herrn Y, der in diesem Augenblicke bei ihr schlaͤft.

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Daß man auch unter den hoͤhern Staͤnden fast oh - ne Feigenblatt redet, mag folgende Anekdote beweisen: Jch saß eines Mittags in dem Hause eines Staatsrathes, neben einer huͤbschen, jungen Frau, die sich beklagte, kei - ne Kinder zu haben. Da sie ziemlich korpulent war, so rieth ich ihr, um doch Etwas zu sagen, sie solle im Som - mer eine Fußreise durch die Schweiz machen, so werde sie das uͤberfluͤssige Embonpoint, und mit demselben das Hinderniß der Erfuͤllung ihrer Wuͤnsche verlieren. Ach! antwortete sie ganz unbefangen, ich habe schon Alles versucht. Man behauptet sonst auch, es sey Nichts wirksamer, als sich eine Zeitlang vom Manne zu trennen; ich bin deßhalb 8 Monate auf dem Lande gewesen, eh bien, Monsieur, je n'ai rien fait! Das war eine Dame vom Stande, die sich uͤbrigens sehr anstaͤndig und sittsam betrug, und auch durch die Art, mit der sie jene Worte sagte, bewies, daß sie gar nichts Unschickliches zu sagen glaubte.

Man bildet sich gewoͤhnlich ein, der Reisende werde auf der Graͤnze von Frankreich, dann wieder in allen großen Staͤdten, durch welche er passirt, und endlich in Paris selbst, von Zollbeamten, Schildwachen, Polizei - spionen, auf das strengste visitirt, ausgefragt, belauert. Ob das Letztere geschehe, weis ich nicht, daß aber das Erste und Zweite nicht geschieht, kann ich verbuͤrgen. Von Genf bis Paris ist mir ein einzigesmal mein Paß abgefodert worden, als ich durch das kleine, felsen - feste Ecluse fuhr. Bei meiner Ankunft in Paris glaub - te ich wenigstens einige Stunden auf Zollhaͤusern, Poli - zeihaͤusern, Packhaͤusern zubringen zu muͤssen Nichts weniger. Jch fuhr durch die Barrieren, ohne daß sich172 irgend ein Mensch um mich bekuͤmmerte; ich nahm Platz im Wirthshause, ohne daß der Wirth mir meinen Paß abfragte. Erst am andern Tage brachte ich denselben zu unserm Gesandten, der mir einen Schein dagegen gab, damit ich diesen im Polizeibuͤreau gegen eine Aufent - haltskarte (permis de sejour) auswechseln sollte. Eine solche Karte hat bekanntlich den Vortheil, dem Jn - haber uͤberall, wo Etwas zu sehen ist, freien Eintritt, selbst an Tagen zu verschaffen, wo dem uͤbrigen Publi - kum die Thuͤren verschlossen bleiben. Außerdem dient sie noch, bei Allem, was Einem etwa zustoßen koͤnnte, sich zu legitimiren. Wer aber etwa auf diese beiden Vor - theile Verzicht leisten, und den Schein seines Gesandten nicht auswechseln wollte, der koͤnnte es auf seine Gefahr auch bleiben lassen, ohne daß Jemand darnach fragen wuͤrde. Jndessen waͤre das Niemanden zu rathen.

Die Aufenthaltskarte aber kann man nur erhalten, indem man persoͤnlich auf dem Polizeibuͤreau erscheint, und von dieser Bedingung dispensirt weder Rang, noch Geschlecht, noch Alter: denn auch Damen und Kinder muͤssen sich in Person stellen, weil man da, in der Kar - te, vom Kopfe bis zum Fuße beschrieben wird. Das geht indessen außerordentlich schnell. Der dieses Geschaͤfft verwaltende Sekretaͤr (ein hoͤflicher Mann, und Berli - ner von Geburt,) uͤberschaut und faßt die ganze Gestalt mit einem Blicke. Nicht eine halbe Minute hatte er mich angesehen, so flog seine Feder; meine Groͤße bestimmte er auf J Metre und 76 Centimetres, worinn er vermuthlich irrte: denn meinen Reisegefaͤhrten, der of - fenbar ein wenig groͤßer ist als ich, machte er eben so schnell um 2 Centimetres kleiner. Dann beschrieb er mit gleicher Genauigkeit Augen, Haar, Gesichtsform u. s. w. 173Wo eine naͤhere Bestimmung zu weitlaͤufig seyn wuͤrde, da hilft er sich mit dem Worte moyen, (mittelmaͤßig); meine Stirn z. B. war moyen, meine Nase moyen, mein Mund moyen. Alles Das geschieht gratis, mit der groͤßten Hoͤflichkeit und Schnelligkeit, in einem schoͤ - nen, großen Saale, gewiß dem einzigen Polizeisaale in der Welt, denn er ist ringsumher mit Buͤsten der be - ruͤhmtesten Redner und Dichter verziert.

Beim Abschied erinnert der Sekretair, daß man we - nigstens 8 Tage zuvor, ehe man abreisen wolle, den Paß wieder abholen und sich um einen Reisepaß bei dem Grand juge melden muͤsse. Jch rathe einem jeden Reisenden, das bleiben zu lassen: denn es wird ihm eine Menge Zeit und Geld, viel Laufens und Rennens kosten, (wo - von ich Beispiele weis) indessen er es weit schneller und bequemer haben kann. Der Gesandte naͤmlich giebt ihm einen Paß, etwa 24 Stunden vor der Abreise, den pro - duzirt er bei dem Minister der auswaͤrtigen Verhaͤltnisse, Talleyrand, der seinen Namen darunter schreibt; somit ist dann Alles geschehen, und er kann den alten Paß im Polizeibuͤreau in Gottes Namen im Stiche lassen.

Auffallende Anzeigen aus oͤffentlichen Blaͤttern. Um die Zuruͤckgabe eines verlornen Hun - des bath Einer im Namen der Menschheit. (au nom del l'humanité. ) Ein Anderer kuͤndigt an, daß fuͤr einen homme de lettres ein Dienst, der 1600 Fran - ken jaͤhrlich abwerfe, zu vergeben sey, bedingt sich aber zugleich von Demjenigen, der den Dienst erhalten wer - de, eine recompense honnête aus. Ein solches oͤffent - liches Feilbiethen von Aemtern duͤnkt mich sehr empoͤ - rend. Madame Leon erbiethet sich, in einer einzigen174 Sitzung von vier Stunden die Haare schwarz oder kasta - nienbraun zu faͤrben, so, daß die Farbe im ganzen Le - ben nicht wieder abgehen werde. Es ist also in Paris selbst einem Ehemanne unmoͤglich, zu bestimmen, von welcher Grundfarbe das Haar seiner Frau sey.

Man goͤnne mir den Spaß, die jungen Pariser Ele - gants noch einmal vor meiner Einbildungskraft vorbei - huͤpfen, oder eigentlich reiten zu lassen: denn diese Menschengattung fraternisirt jetzt einzig und allein mit den Honyehms. Jm Boulogner Holze wird geritten und einander zugerufen: quelle superbe bête! wer nicht eine solche bête hat, bedeutet gar Nichts. Ein schlechter Reiter auf einem magern Gaule gilt fuͤr einen Englaͤnder, besonders wenn er recht auswaͤrts reitet; Sporn und Reitpeitsche werden auch, ohne zu reiten, ge - tragen. Ein Modejuͤngling gruͤßt Niemanden; den huͤbschen Weibern giebt er einen Blick, den Kammermaͤd - chen einen vertrauten Wink, den Ehemaͤnnern ein bon soir, den Glaͤubigern ein kleines Hutluͤftchen, und dem Vater einen Haͤndedruck. Um Gluͤck zu machen, muß er mager und bleich aussehen, muß ein Pfeifer, Persif - lirer und Mystifizirer seyn, muß Nichts verstehen, und uͤber Alles urtheilen. Die unsittliche Mode, die Haͤnde in die Hosenklappe zu stecken, ist endlich verschwun - den, man ist bis zur Hosentasche hinuͤbergeruͤckt. Alles, was ein Elegant an seinem Leibe traͤgt, muß zer - knillt seyn, Nichts darf neu aussehen; die Struͤmpfe muͤssen herunter haͤngen, die Weste nachlaͤßig zugeknoͤpft, keine Leinwand mehr, Hemden von Baumwollenzeug, die Beinkleider am Knie so zugeknoͤpft, daß das Knie schief erscheint, nur einen Ring und eine Uhr. Ta -175 back schnupfen ist wenig mehr Mode, rauchen desto mehr: denn das hat man bei der Armee ge - lernt.

Nachlese zu dem Artikel: Gesellschaften und Vergnuͤgungen. Warum sitzt jene Dame so aͤngst - lich an ihrer Toilette? warum zittert sie vor dem Gedan - ken, daß der Friseur oder die Putzmacherinn ausbleiben koͤnnten? Bloß um sich in ein Gewuͤhl und Getuͤmmel zu werfen, Knikse und Grimassen zu machen, von tau - send kaum den Namen nach gekannten Personen immer das Naͤmliche sagen zu hoͤren, auf den Fußspitzen ste - hend, einige Taͤnzer zu bewundern, (die nur durch leich - te Verbeugungen links und rechts auf alle Lobspruͤche antworten koͤnnen), sich einen Augenblick zum Spiele zu setzen, Geld zu verlieren, zu gaͤhnen, das Gedraͤnge zu verwuͤnschen, nach dem Thee zu seufzen, endlich davon zu schleichen, aͤrgerlich, daß sie nicht genug bemerkt worden, bei Tages Anbruch zu Bette zu gehen, und Mittags zu erwachen, um den naͤmlichen Kreislauf von Vorne wieder anzufangen.

Jn gewißen Haͤusern, die gar nicht unter die letzten gerechnet werden, ist ein großer Spieltisch in der Mitte des Salons das unentbehrlichste Hausgeraͤth. Wenn dieser Tisch wohl garnirt ist, gesellt auch die Frau vom Hause sich dazu, hat die Augen uͤberall und schreit von Zeit zu Zeit: Messieurs! au Chandeliers! denn unter den Leuchter wird fuͤr die Karten so Viel abgesetzt, daß das ganze Haus mit all seinem Luxus davon unter - halten werden kann.

Die Quantitaͤt der Gaͤste, nicht ihre Quali - taͤt, leiht jetzt einem Zirkel Glanz. Man ladet Men -176 schen von allen Staͤnden ein, wenig Frauenzimmer, mei - stens Maͤnner, besonders Fremde, sonst Englaͤnder, jetzt vorzuͤglich Russen. Alle Zimmer sind offen und erleuch - tet. Der Nachbar fluͤstert dem Nachbar ins Ohr. All - gemeine Theilnahme bewirkt nur dann und wann ein ar - tiger Calembourg, der unerwartet durch die Gesellschaft blitzt. Gleich darauf wird es wieder ganz still. Ein paar junge Herren reden mit der Frau vom Hause, die Uebrigen schleichen sich hin und her, betrachten die anti - ken Kanapees, die griechischen Zimmer, das roͤmische Bett, das chinesische boudoir. Die Mystificateurs und Plaisants (vormals Spaßmacher genannt) sind noch sehr Mode, und gleichen den Lilien auf dem Felde: sie arbeiten nicht, und der himmlische Vater ernaͤhrt sie doch. Sie setzen sich an die Tafeln der Reichen, und ihre Kuͤn - ste sind: Gesichter schneiden, das Geschrei von allerlei Thieren oder das Geraͤusch einer Saͤge nachmachen, die Stimme veraͤndern, hinter einer spanischen Wand ganz allein eine Komoͤdie spielen, sich auf allerlei Art vermummen, einen honetten Mann von der Gesellschaft zum Narren halten u. dgl. m.

Zum guten Ton gehoͤrt, alle Damen zu vernachlaͤßi - gen und allein um die schoͤnste sich herzudraͤngen, sie starr anzugaffen und fast zu ersticken. Gegen 2 Uhr in der Nacht koͤmmt ein Taͤnzer par excellence, dann schreit ploͤtzlich Alles: die Gavotte! die Gavotte! Ein Pianoforte wird zurechtgesetzt, man bildet einen Kreis, man steigt auf die Stuͤhle, man klatscht, der junge Mensch, der mit der Frau vom Hause tanzt, em - pfaͤngt selbstgefaͤllig die Komplimente als schuldigen Tri - but. Er nimmt den Pas uͤber Maͤnner und Greise, praͤ - sentirt keiner Dame einen Stuhl, schwatzt von Spekta -177 kel, Literatur und schoͤnen Kuͤnsten ins Tageslicht hin - ein, macht durch einen Calembourg einen wuͤrdigen Ge - lehrten laͤcherlich, unterbricht das interessanteste Gespraͤch von soliden Dingen durch alberne Kleinigkeiten, mysti - fizirt, wenn es darauf ankommt, seinen eigenen Va - ter, ruͤhmt sich, das neueste Stuͤck ausgepfiffen zu haben, und was dergleichen modische Heldenthaten mehr sind. Vom Walzen giebt er, sich selbst zuerst belachend, eine Definition: Es ist ein vertrauter Tanz, sagt er, der die Amalgamation beider Taͤnzer erfodert, und dahin fließt wie Oel auf einem glatten Marmor. Er - blickt er beim Souper einen jener Aepfelkuchen, den die Franzosen Charlotte nennen, so bemerkt er sehr wi - tzig: Jch moͤchte wohl der Werther dieser Charlotte seyn. Es giebt Menschen, die sich uͤber einen solchen aufgeblasenen Jungen aͤrgern koͤnnen, ich selbst aͤrgerte mich vormals, doch schon seit langer Zeit hab 'ich ein treffliches Mittel dagegen: ich denke mir naͤmlich, wel - che Rolle dieser Mensch nach 10 oder 15 Jahren spielen wird? Und dann tritt jedesmal Mitleid an die Stelle des Aergers.

Der freie Ton an oͤffentlichen Orten, wo alle Klas - sen gemischt sind, lockt natuͤrlich eine Menge junger Leute dahin, die sich gar keinen Zwang auflegen moͤgen, und die finden hier ihre Schule der Hoͤflichkeit. Ma - dame Recamier kam einst nach Fraskati und be - zahlte bei dieser Gelegenheit das Vergnuͤgen schoͤn zu seyn ziemlich theuer. Man litt mit ihr, wenn man sah, wie sie in der Menge herum schwamm, sich hin und her wandte, dem Erdruͤcken zu entrennen suchte. Man stieg auf die Stuͤhle, um sie zu sehen, die Haͤlse verlaͤn - gerten sich, die Letztern draͤngten die Vordern, und ver -178 muthlich wuͤrde man den Gegenstand der laͤstigen Be - wunderung endlich erstickt haben, wenn er nicht so klug gewesen waͤre, nach einigen Minuten zu entschluͤpfen.

Man glaube uͤbrigens ja nicht, daß an solchen Or - ten eigentlich Vergnuͤgen herrsche. Der Pariser stuͤrzt sich in das Gewuͤhl, weil die stillen Freuden der Haͤus - lichkeit ihm fremd sind. Das Wort plaisir ist nur eine Redensart, eine façon de parler. Man hat das Vergnuͤgen Sie zu sehen, zu hoͤren, mit Jhnen zu sprechen, Sie sind aber Dem, der das Vergnuͤgen hat, dennoch sehr gleichgiltig. Er hatte das Vergnuͤ - gen, bei Dem oder Dem zu Mittag zu speisen, wo er graͤßlich Langeweile erduldete. Sie laden ihn ein mit großem Vergnuͤgen sagt er, und kommt nicht. Sie fordern seinen Arm mit vielem Vergnuͤgen, Ma - dame; dabei murmelt er einen Fluch zwischen den Zaͤh - nen, denn dieser Zwang ist ihm in den Tod zuwider.

Der Geschmack an den sogenannten fêtes champê - tres hat sehr abgenommen, denn die Orte, wo diese laͤndlichen Feste gegeben wurden, vermehrten sich ins Un - endliche, und laͤcherlich war es, wenn Einer das kleinste Stuͤckchen Land mit ein paar Zwergbaͤumen besetzte, ei - nen elenden Springbrunnen oder ein schlaͤngelndes Pfuͤtz - lein schuff, und dann ihm den Namen Jsle des Venus, Jardin d'Apollon, Paphos, Elysée, Frascati, les grands Maronniers, la Chaumière Jndienne u. s. w. beilegte.

Die Feuerwerke, besonders Ruggie'ri's sind sehr beliebt; und das beste Spektakel konnte dagegen nicht aufkommen. Von Liebhabertheatern hingegen hoͤrt man Wenig mehr. Jn Ranelagh spielen die jungen Leu - te so lange es die Witterung erlaubt das jeu de179 barres, und da sich immer eine Menge Damen als Zu - schauerinnen einfinden, so kann man leicht denken, daß die Eitelkeit auch hier den Vorsitz fuͤhrt.

Die oͤffentlichen Baͤlle, die stets mit vielem Pomp angekuͤndigt werden, bedeuten gar Nichts. Da ist ein Casino Venitien, eine Salle de Terpsichore u. s. w. Da wird ein grand Orchestre verkuͤndet; da wird eine mise decente (schickliche Kleidung) zur unnachlaͤßlichen Bedingung des Eintrittes gemacht; und wenn nun der Fremde, den großen Worten vertrauend, wohlgeputzt daher kommt, so findet er einen Haufen ungezogener Leute in Stiefeln, mit runden Huͤten auf den Koͤpfen, und das grand Orchestre besteht aus fuͤnf Personen, derer Einer ein Mohr ist, welcher eine laͤngliche Trommel mit der einen Hand schlaͤgt, und mit der andern auf ei - ner Pfeife spielt. Zwischen den Taͤnzen werden Fanfa - ren geschmettert. Weder Natur noch Kunst leihen dem Frauenzimmer hier Reize, und Verschaͤmtheit hab 'ich nirgend angetroffen. Ein seltsames Raffinement ist mir in mehrern dieser Tanzsaͤle aufgefallen. Es hat naͤmlich in einem Winkel ein Silhouetteur seine Bude aufgeschlagen, und silhouettirt auf der Stelle fuͤr einen maͤßigen Preis. Ein Geliebter, der etwa selten Gelegen - heit hat, seine Geliebte zu sehen, kann es wohl veran - stalten, daß sie einen Augenblick in diese Bude schleicht, und ihm wenigstens ihren Schatten zuruͤcklaͤßt.

Vormals war die Erziehung in Frankreich heil - sam streng, jetzt nennt man das pedantisch. Vormals wurde man an Arbeit gewoͤhnt, man trieb ernsthafte Studien, man lernete Mathematik, alte Sprachen, und180 nebenher schoͤne Kuͤnste und Wissenschaften. Freilich konnte dann ein junger Mensch, der eben aus der Schule kam, nicht gleich in Gesellschaften glaͤnzen; die Damen mußten erst nach und nach ihn abschleifen. Jetzt wird das gute Kind vor allen Dingen nicht durch Studiren ermuͤdet, alte Sprachen sind uͤberfluͤßig, schoͤne Kuͤnste die Hauptsache. Die vormals gewoͤhnlichen Klassen sind abgeschafft, es giebt nur Cours publiques, wo auch Damen und Fremde sich zahlreich versammeln und die ersten Plaͤtze einnehmen; die eigentlichen Zoͤglinge muͤssen hinten sitzen, wie die Kanaille bei der gerichtlichen Cere - monie in Figaro's Hochzeit. Durch das suͤße Geschwaͤtz und das Liebaͤugeln der Damen werden die Kinder auf die Stunde vorbereitet. Endlich erscheint der galante Professor, nicht mehr ein schwerfaͤlliger Pedant, wie vor - mals; er ist in allen Gesellschaften bekannt, Mitglied aller Lyzeen, artig, gewandt, kurz delizioͤs. Man empfaͤngt ihn mit frohem Gemurmel, und er zieht den Weihrauch, indem er gebuͤckt durch den Saal geht, be - scheiden in die Nase. Damit nun die Zoͤglinge lesen lernen, liest der Professor; und was? Eine Satyre von Boileau, oder einen Gesang von Gressets Vert - vert, dann auch wohl ein paar Worte uͤber einen alten Autor. Er will unterhalten, nicht unterrichten gleitet also uͤber alles Ernsthafte hinweg, und schließt endlich mit einer Vorlesung seiner eigenen Verse, unter gewaltigem Haͤndeklatschen der Zuhoͤrer. So verfließt das Jahr und die Preise werden ausgetheilt. Das ge - schah vormals mit feierlichem Pomp, jetzt in einer der niedlichsten Gesellschaften. An die Preise wird wenig gedacht. Die Damen finden sich ein, weil es Konzert und Ball giebt. Auf dem letztern glaͤnzen auch181 die Zoͤglinge vorzuͤglich, und man prophezeiht, daß die - ser oder jener bald ein großer Taͤnzer seyn werde.

Diese Art von Feierlichkeiten ist noch bedenklicher in den Maͤdchen-Pensionen. Da werden auch Schau - spiele aufgefuͤhrt, wo die Maͤdchen die reizende Bloͤdig - keit der Unschuld unterdruͤcken, um durch kuͤhne Grazie mit den erfahrensten Frauen in der Koketterie zu wettei - fern. Vormals wuͤrde ein junges Frauenzimmer es sehr uͤbel genommen haben, wenn man von ihm gesagt haͤtte: Es tanze wie auf dem Theater; jetzt ist das das einzige einer guten Taͤnzerinn wuͤrdige Lob.

Auch Kunstkennerinnen sind jetzt die heran - wachsenden Schoͤnen. Ein Maͤdchen von hoͤchstens 15 Jahren steht vor Davids Gemaͤlde und betrachtet den Sabiner, der splitternackend vor ihr steht, aufmerksam durch ihre Lorgnette, sie spricht von dieser Muskel, die gut pronunzirt, von jener, die es nicht sey; sie spricht von der Tibia, dem Abdomen, und Gott weis wovon sonst noch. Da man die artige Ziererei, den Faͤcher vor die Augen zu halten, nicht ganz hat wollen abkom - men lassen, und sie dennoch beschwerlich gefunden hat, so hat man den Ausweg ergriffen, die Lorgnette in den Faͤcherstaͤben anzubringen, wodurch Allem abgehol - fen ist.

Mutter und Tochter sind jetzt ganz gleich gekleidet, dutzen sich, und wenn sie disputiren, giebt keine nach. Beide tanzen die Gavotte, singen, spielen Karten, fah - ren einzeln nach Haus, begehen Thorheiten, bekennen sie einander, beide befehlen im Hause; das Einzige, wodurch sie sich unterscheiden, ist: Die Mutter traͤgt Diamanten im Haare, und die Tochter Blumen.

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Ein junger Mensch kam aus der Provinz, seine Braut zu besuchen, er fand sie allein mit einem jungen Manne, vor ihr eine Akademie (Gypsstatuͤe), sie nahm, des Zeichnens halber, Unterricht in der Anato - mie. Wir waren eben, sagt der Meister, bei den Mus - keln der Lenden, jetzt wollen wir zum Abdomen uͤber - gehen, und so springt des Maͤdchens Einbildungskraft von Muskel zu Muskel. Der Braͤutigam fragt nach der Mutter. O, antwortete die Braut, das ist eine kleine Libertine, sie hat in voriger Nacht zu viel ge - walzt. Jetzt ersucht sie den Braͤutigam, sie auf die Reitbahn zu begleiten. Dort schwingt sie sich auf den raschen Gaul und fliegt dahin im sausenden Gallop. Das gute Maͤnnchen aus der Provinz gafft ihr mit off - nem Munde nach.

Von der Reitbahn geht es in die Schwimm - schule (école de natation), hier begiebt sich die holde Braut in ein Kabinet, und erscheint bald darauf in einem weiten Badehemde; aber auch dieß laͤßt sie fallen, und steht da in Weste und Pantalons von Nankin, die sich fein glatt an den Leib anschmiegen, und so springt sie beherzt in's Wasser, Der Braͤutigam, der alle diese Reize nicht eher als am Hochzeittage zu sehen hoffte, laͤßt sie schwimmen, eilt nach Hause, hilft selbst anspan - nen, und kehrt uͤber Hals und Kopf ohne Abschied in seine Provinz zuruͤck.

Obige Bemerkungen ruͤhren nicht alle von mir selbst, sondern zum Theil von einem sehr unterrichteten Beob - ter her.

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Die neue Froͤmmigkeit scheint mir, wie Alles in Paris, nur eine Mode. Jch habe einem feierlichen Hoch - amte in der Kirche notre Dame beigewohnt, die gedraͤngt voll war; ich habe das Volk genau beobachtet, es gab nur wenige Andaͤchtige darunter, fast Alle hatten ihre Schauspielgesichter mitgebracht. Die Vokal-Musik war ziemlich gut, fuͤr die große Kirche aber doch wohl nicht stark genug. Der Einlaß auf der Emporkirche kostete 5 Sous. An den Pfeilern hiengen Tafeln, auf welchen die Taxen der zu vermiethenden Stuͤhle zu lesen waren. Bei einem Te Deum fand ich sie am theuersten, viel - leicht, weil ein Te Deum gewoͤhnlich sehr theuer erkauft wird. Uebrigens hoͤrte ich zum Erstenmal in Paris eine Glocke, denn dieser beruͤhmten alten Kirche hat man eine (den sogenannten Bourdon) gelassen, die einen herrlichen Klang hat.

Ludwig XVJ. und Marat, kurz, alle die ehr - wuͤrdigen und nichtswuͤrdigen Schlachtopfer der Revolu - tion, sind schon so ganz vergessen, daß alle meine Muͤhe, den Magdalenen - Kirchhof, (wo sie begraben lie - gen,) aufzufinden, vergebens war. Der Eine wies mich dahin, der Andere dorthin; mein Lohnlaquay wollte von gar Nichts wissen. Endlich hieß es, der Kirchhof sey an einen Schlosser verkauft, der einen Garten daraus ge - macht habe. Sogleich fuhr ich zu dem Schlosser, er war nicht zu Hause; die Leute im Hause wußten nicht recht, ob die Angabe wahr sey, meynten aber auf jeden Fall, es sey in ihrem Garten keine Spur mehr von Graͤ - bern, denn der Kalk, mit dem man die Leichen verschuͤt - tet, habe Alles verzehrt. Kurz, ich mußte wieder ab -184 ziehen, so sehr ich auch gewuͤnscht haͤtte, wenigstens auf dem Platze zu stehen, wo die Gebeine der Ungluͤcklichen und Boͤsewichter unter einander gemischt ruhen. Eine Dame versicherte mich nachher, der Platz sey nicht allein noch zu finden, sondern sogar mit drei Lilien be - pflanzt; allein, der Eigenthuͤmer, der zu sehr uͤberlaufen worden, habe aus Furcht sein Gaͤrtchen aller Welt ver - schlossen. Daran hat er Recht gethan.

Das Boulogner-Holz, (bois de Boulogne) wo die Eisenfresser sich herumschießen, und die Elegants ihre Gaͤule und Cabriolets tummeln, ist eigentlich kein Holz, sondern ein Gestraͤuch, das durch keine An - muth locket. Eine Menge Alleen durchkreuzen sich. Jst man einmal darinn, so mag man immer bis zu dem Schloß Bagatelle fahren, einst dem Grafen Artois gehoͤrig, wo man auf einem kleinen Raume die niedlichste Einrich - tung finden wird. Auch steht uͤber dem Eingang: Parca sed apta. Jetzt hauset ein Traiteur darinn, der sich fuͤr den Einlaß 15 Sous, und fuͤr ein Glas schlechten Ma - derawein 50 Sous bezahlen laͤßt. Die Aussicht ist rei - zend, der Park sehr angenehm, obwohl verwildert. Jn einigen Zimmern stehen noch die alten Moͤbeln, die mei - sten Zimmer aber sind ausgepluͤndert. Die Eintheilung des Hauses ist sehr bemerkenswerth. Schwerlich mag es moͤglich seyn, auf einem so beschraͤnkten Platze mehr Schoͤnheit und Bequemlichkeit zu vereinigen. Auf dem Ruͤckwege faͤhrt man an einem Schlosse des vorma - ligen Koͤnigs, Muette genannt, voruͤber. Hier schlief Maria Antoinette die Nacht vor ihrer Vermaͤhlung, und sah gewiß die Zukunft nicht im Traume.

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Ein teutscher Arzt ist in Paris eben nicht in ei - ner beneidenswerthen Lage. Die Einkuͤnfte sind gering. Man muß fordern, und dazu kann der bescheidene Teutsche sich anfangs nicht entschließen. Viele Reiche machen Banquerotte. Ueberdieß kommt eine Menge teutsches Gesindel nach Paris, in der Hoffnung, Gluͤck zu machen, findt sich getaͤuscht, erkrankt durch Mangel und Kummer, wendet sich an den teutschen Arzt, und kann oft von diesem nur durch Wein und nahrhafte Spei - sen, die er selbst bezahlen muß, geheilt werden. Dabei soll er noch Equipage halten, die ihm jaͤhrlich gegen tausend Thaler kostet; oder doch halb so Viel, wenn er sich mit einem einspaͤnnigen Kabriolet behilft, denn die vornehmsten Leute fahren jetzt, um der Schnelligkeit wil - len, in Kabriolets. Freilich entsteht aber auch daraus viel Ungluͤck, weil sie sich selbst kutschiren muͤssen, welches in den engen Straßen von Paris keine leichte Kunst ist.

Man klagt uͤber die jungen Leute, daß sie Nichts wissen, und doch uͤber Alles absprechen. Als ob das jetzt nicht uͤberall so waͤre! Niemand versteht, Niemand lernt mehr die große Kunst zu hoͤren und zu schwei - gen. Sehen Sie, sagte ein alter Franzos, da pflegte er zu sitzen, in diesem Großvaterstuhl, ich glaube ihn noch zu sehen, meinen guten Vater, er sprach Wenig, aber hoͤrte vortrefflich. Seine Aufmerksamkeit lieh Al - lem, was gesprochen wurde, ein erhoͤhtes Jnteresse, seine lebhafte Augen redeten; er sah Sie nur an, und Sie mußten glauben, er habe Jhnen geantwortet. Da haͤngt sein Bild, nach dem Leben getroffen, man sollte meynen, er hoͤrte noch zu. O ich bitte Sie, ver -186 blaͤttern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine noch aufgeschlagen liegt, an der naͤmlichen Stelle, wo mein Vater zu lesen aufhoͤrte, was er schon so oft gelesen hatte: Plutarchs Traktat, betitelt: wie man zu - hoͤren soll. Er sprach oft mit mir davon, denn mit mir brach er sein Stillschweigen, um mir das Zuhoͤren zu empfehlen. Das lernet sich nach und nach, sagte er, und ist eben so schwer zu lernen, als gut reden. Lies auch Plutarchs Traktat: uͤber den Kuͤtzel, immer zu sprechen; der kluge Kanzler l'Hopital schaͤtzte die - sen Traktat sehr hoch. Unsere junge Leute gleichen jenem Portikus mit 7 Stimmen, den man zu Olympias sah, sie wiederholen bestaͤndig, was sie gesagt haben, und Niemand horcht auf sie. Man moͤchte ihnen immer mit Aristoteles zurufen: Gott sey Dank! ich habe Beine um euch nicht anhoͤren zu duͤrfen.

Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhoͤren lernen. Die Kunst zuzuhoͤren ist der Anfang der Kunst zu gefallen. Jm Sprechen zeigt man blos das Ver - langen liebenswuͤrdig zu seyn, im Zuhoͤren ist man es wirklich. Jn den ersten Jahren der Revolution lebte mein Vater auf dem Lande, und alle Parteien seines Doͤrfchens setzten ihn auf ihre Liste unter die Zahl Derje - nigen, die gut urtheilen. Keine Partei verfolgte ihn, alle ehrten sein Schweigen. Viele haben in jenen stuͤrmischen Zeiten vom ihrem Schweigen Nutzen gezo - gen. Ohne zu reden, kann man fuͤr einen großen Redner gelten, man darf nur auf gewiße Art zuhoͤren, die Leute aufmerksam dabei ansehen, hie und da einmal mit dem Kopfe nicken; am Ende glauben die Leute, man habe ihnen gerade so geantwortet wie sie es wuͤnschten. Eines Tages, da mein Vater auf diese Art ganz stumm187 gewesen war, versicherte ihn Einer aus der Gesellschaft, es freue ihn außerordentlich zu sehen, daß er seiner Mey - nung sey. Giebt man den Leuten keine Antwort, so machen sie sich selber eine nach ihrem Wunsche. Wer nicht zuzuhoͤren versteht, sondern nur immer wiederholt, was Andere geplaudert haben, der gleicht den kleinen Eimerchen an einem Schoͤpfrade, die sich immer - waͤhrend anfuͤllen, und sogleich wieder ausleeren.

Eine Dame von Welt will zuerst gefallen, dann und wann liebenswuͤrdig seyn, endlich Hochachtung ver - dienen, das Letztere nur, wenn nichts Besseres mehr zu thun ist, oder um sich auszuzeichnen, denn es giebt eine Koketterie in der Moral, wie in der Kleidung, und gluͤcklicher Weise wird die Tugend zuweilen Mode.

Jch habe keine Zeit Sie hochzuschaͤtzen, (sagt eine solche Dame zu einem ehrlichen Manne, der ihr lange Weile macht,) wenn Sie mir gefallen koͤnn - ten, so waͤre das weit schneller geschehen.

Mit dem Ehrentitel Artiste wird eine gewaltige Maͤ - keley getrieben. Artiste en marbre, heißt ein gewoͤhn - licher Steinhauer; Artiste en peinture, ein Hausan - streicher. Monsieur Joly ist der beruͤhmteste Artiste en cheveux. Er faͤhrt in seiner Equipage vor, huͤpft her - ein, gruͤßt kaum, und scheint den Hut etwas abzuneh - men, weil es ihm zu warm ist. Er tritt vor den Spie - gel, mustert seinen Frack, seine lederne Beinkleider und Stiefeln; dann kuͤßt er der Dame die Hand, laͤßt sich eine Schachtel bringen, zieht allerlei Haarkram heraus,188 den er sentimens, souveniers u. s. w. nennt, heftet den Kram in einer Minute nachlaͤßig an das Haupt der Dame, und husch ist er wieder verschwunden. Die Schuhputzerartisten, aux trois frères, passage du panorama, fuͤhren auf ihrem Schilde folgendes Motto:

O vous quis redoutez les taches et la crotte,
Amateurs de Journaux, de proprété, de vers,
Entrez ici, lisez souffrez qu'on vous decrotte,
Et livrez à nos soins la botte et le revers.

Die Schusterartisten beweisen ihre Kunst be - sonders dadurch, daß sie die Schuhe so zerreißbar, als moͤglich, machen. Ein Nichtelegant beklagte sich gegen seinen Schuster, daß ein Paar neue Schuhe nur 14 Ta - ge gehalten haͤtten. Vierzehn Tage! rief der Artist, dann waren sie gewiß nicht von mir: denn die meinigen erreichen nie ein hoͤheres Alter, als von 8 bis 10 Tagen.

Die Wucherer zu Paris leihen auf Pfand ein Fuͤnftheil des Werthes, ziehen die Zinsen zu 5 Pro - zente monatlich sogleich ab, und fodern dann noch Steck - nadeln fuͤr ihre Frauen. Diese Stecknadeln bestehen naͤmlich in Ringen, Uhren u. dgl.

Das neue Trauerreglement gebietet der Frau, ein Jahr und 6 Wochen um ihren Mann zu trauern, dem Manne hingegen nur 6 Monate um die Frau. Den Grund dieses Gesetzes begreife ich nicht.

Das Selbststillen der Kinder war vor einigen Jahren Mode. Jetzt hat man wichtige Gruͤnde dage -189 gen. Viele Kinder koͤnnen die Milch ihrer Muͤtter nicht vertragen, und befinden sich besser bei einer Amme. Die zartnervigen Damen sind schlechte Ammen. Die Landluft bekommt den Kindern besser. Die Muͤtter verzaͤrteln sie zu sehr. Die Natur verlangt zwar das Selbststillen, aber wir haben nun einmal einen Grad der Zivilisation erreicht, der das Selbststillen verbiethet, wie so manches Andere, was die Natur verlangt. Wer koͤnnte solchen Gruͤnden widerstehen?

Eine Menge nachahmungswerther Einrichtungen ha - be ich bereits beschrieben; und wie viele, die ich nicht beschrieben habe, giebt es nicht noch. Da ist ein sejour conservatoir de santé (Gesundheitsaufenthalt) wo bei - de Geschlechter auf Monate, Jahre, oder Lebenszeit sich einmiethen koͤnnen, entweder um der Gesundheit zu pfle - gen, oder aus Oekonomie, oder aus Geselligkeit, oder um sich alle haͤusliche Sorgen zu ersparen. Fremde von jedem Range, die sich etwa wollen operiren lassen, oder die in Gasthoͤfen krank werden, auch Kindbetterinnen; kurz Alle, die, entfernt von ihren Familien, Mangel an Pflege leiden, finden hier Platz. Da giebt es auch Baͤ - der, Duschen, mineralische Waͤsser, Bequemlichkeit, gute Gesellschaft. Natuͤrlich sind die Preise sehr verschieden.

Man findet von Paris aus taͤglich Gelegenheit in die ganze Welt zu reisen, und fast immer wohlfeil, be - quem und schnell. Ein viersitziger Wagen, in Federn haͤn - gend, geht nach Lyon in 4 Tagen; nach Marseille, Gent, Grenoble oder Chambery, in 5 1 / 2, nach Turin in 9, Mai - land in 11 Tagen u. s. w. Dabei liegt man noch jede Nacht stille, und schlaͤft ordentlich aus.

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Angenehm ist es fuͤr den Fremden, daß er, wenn er irgend etwas ihm Laͤstiges verkaufen will, nicht noͤthig hat, sich selbst darum zu bekuͤmmern, sondern er beauf - tragt das Bureau des affiches, welches ihn, gegen ei - nen sehr maͤßigen Profit, dieser Muͤhe uͤberhebt. Oder will er sein Eigenthum lieber an den Meistbiethenden verkaufen, so schickt er es an das sogenannte Cabinet arbitral.

Oft biethen honette Familien von gutem Tone, in den besten Quartieren von Paris, Fremden ihren Tisch an. Freilich sind es meisteus herabgekommene Familien, ehemalige Adeliche, die jetzt einer solchen Beihilfe beduͤr - fen, um sich anstaͤndig zu ernaͤhren; aber kleinliche Vor - theile suchen sie weiter nicht dabei. Jhre Tafel ist so gut als die der bessern Restaurateurs; man findet da gewaͤhl - te Gesellschaft, kann sich in der Sprache uͤben, und den Pariser guten Ton lernen: denn man ist in solchen Haͤu - sern gleichsam zu Gaste; und gerade so behandeln sich wechselseitig die Wirthinn und der Kostgaͤnger.

Als ich in Paris war, kuͤndigte ein vormaliger Ma - jor eine Anstalt an, die er Propylée oder vestibule des voyageurs nannte. Hier sollte ein Jeder, der auf Rei - sen gehen wollte, allen ersprießlichen Unterricht dazu er - halten: naͤmlich, Reiserouten, Anzeigen von Merkwuͤr - digkeiten, Zeichnungen von schoͤnen Gegenden oder Mo - numenten, Bildnisse beruͤhmter Maͤnner und Frauen; auch sogar Empfehlungsschreiben wurden versprochen, wenn man Buͤrgen stelle. Ueberdieß sollte Unterricht ge - geben werden in Sprachen, Geschichte, Literatur, An - thropologie, Naturgeschichte, Botanik, Oditologie (Wissenschaft des Reisens); da hatte man zu erwarten: Auszuͤge aus den besten Reisebeschreibungen, und aus191 der Korrespondenz des Propylée. Endlich konnte man monatlich zwei literarischen Sitzungen und zwei Konzerten beiwohnen, das letztere, um die Musik aller Voͤlker des Erdbodens, das erstere, um den Zustand der Litteratur und Kuͤnste in ganz Europa kennen zu lernen. Mit 12 Franken monatlich (zwei Laubthalern) konnte man auf alle diese Herrlichkeiten sich, wie man Lust hatte, als Zoͤgling, Pensionair oder Amateur, abonniren, fuͤr die Haͤlfte Mehr auch Damen hinfuͤhren, um die jaͤhrlichen Preise von goldenen Medaillen konkurriren u. s. w. Der Minister des Jnnern hatte dem Erfinder dieser Anstalt einen aufmunternden Brief geschrieben, und es waͤre al - lerdings zu wuͤnschen, daß seine Propylaͤen besser ge - deihen moͤchten, als die zu Makulatur gewordenen teut - schen.

Schwangere Frauenzimmer, die Lust haben, unbe - merkt niederzukommen, finden dazu verschiedene Gelegen - heiten, bei Aerzten und Chirurgen, die sehr haͤufig ihre Wohnungen, sammt allen Bequemlichkeiten, die ach - tungsvollste Behandlung, und ihre eigene Frauen als Hebammen anbiethen.

Lernen kann man in Paris Alles, Jurisprudenz aus - uͤben, und Liederchen zu einem Vaudeville drechseln, chemische Experimente und kuͤnstliche Blumen machen. Das letztere wird in wenigen Stunden zu lehren verspro - chen. Auch die unschaͤtzbare Kunst, eine Sprache zu reden und zu schreiben, die Jedermann in alleu Laͤndern versteht und liest, (pasigraphie und pasilalie) kann man bei einem gewißen St. Demaimieux fuͤr 12 Franken in ein paar Stunden erwerben. Diese Uni - versalschrift hat nicht mehr als 12 Buchstaben und192 J2 Regeln; die darauf gegruͤndete Sprache nur drei Regeln.

Die Société des observateurs de l'homme (Ge - sellschaft der Menschenbeobachter) druͤckt den Zweck ihrer Arbeiten schon durch den gewaͤhlten Titel aus. Jhr Praͤsident ist Fourcroy; ihr Sekretaͤr, der durch seine Kinderschriften bekannte Jauffret. Jn der Sitzung, wel - cher ich beiwohnte, (und in der ich durch ein Diplom, welches mich zum Mitgliede ernannte, uͤberrascht wurde,) las Jauffret eine interessante Abhandlung uͤber die Sit - ten und Gewohnheiten der Wilden, wobei die zahlreiche Versammlung durch Vorzeigung der Kleidungsstuͤcke, Waffen und Geraͤthschaften der Wilden sehr angenehm unterhalten wurde.

Der vormalige Schauspieler La Rive hat einen Cours de l'art dramatique angekuͤndigt, und verspricht in 12 Sitzungen von den noͤthigen Eigenschaften eines Schau - spielers, der Stimme, Aussprache, dem Blicke, Gehoͤr, Gefuͤhl, Ausdruck, der Einbildungskraft, Jnspira - tion, Verfuͤhrung, (Seduction) (?) Wuͤrde, Wahrheit, Eifersucht, knechtischer Nachahmung und Af - fektation, Diktion, Deklamation, vom Muthe, (?) boͤ - sen und guten Herzen, (?) Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten der Schauspielkunst, den Ursachen ihres Verfalls, der Kritik u. s. w. zu handeln.

Jch glaube, vielen Buͤcherliebhabern einen Gefallen zu thun, indem ich beim Schlusse dieses Artikels ihnen noch die Adresse eines Buchhaͤndlers anzeige, der auf den sonderbaren, aber sehr nuͤtzlichen Einfall gerathen ist, nichts Anders zu verkaufen, als einzelne Theile von Buͤchern, die etwa Diesem oder Jenem verloren ge - gangen sind, und, wenn man sie nicht ersetzen kann,193 das ganze Werk unbrauchbar machen. Man findet bei ihm alle die besten franzoͤsischen Schriftsteller in den man - nigfaltigsten Ausgaben, und was er nicht hat, schafft er. Freilich verkauft er nicht um den gewoͤhnlichen Preis, das versteht sich; aber wie oft ist die Ergaͤnzung eines Defektes einem Buͤcherliebhaber von großem Werthe? Der Mann heißt Cordier, und wohnt in der Straße Traversière St. Honoré, Nro. 771, neben der Straße du Hazard, im ersten Stocke, im Hofe.

Es ist in Teutschland ein großes Geschrei von der Theurung, welche in Paris herrsche. Jch habe es nicht so gefunden, sondern bin vielmehr uͤberzeugt, man koͤnne auf einerlei Weise wohlfeiler in Paris als in Ber - lin leben. Mit Petersburg ist es vollends nicht zu ver - gleichen. Jch habe in der besten Gegend der Stadt, im Hôtel d'Angleterre, sehr nahe beim Palais-Royal, und bei fuͤnf oder sechs Theatern gewohnt. Meine Wohnung bestand aus einem zu heizenden Entrée, einem Gesell - schaftszimmer, Kabinet zum Schlafen, Arbeitszimmer, Kabinet zum Ankleiden, einem kleinen Zimmer fuͤr den Kammerdiener, einem Entresol fuͤr Domestiken, und Holz - raum; die Kamine waren vou Marmor, die Fußboͤden mit schoͤnen Teppichen belegt, seidene Moͤbeln, Pendu - len, große Spiegel, artige Tapeten; und fuͤr alles Das gab ich monatlich 12 Louis (72 Thaler). Jn sehr guten, aber etwas entlegenen Gegenden der Stadt, kann man alles Das um ein Achtel dieses Preises haben. Doch muß ich hinzufuͤgen, daß die Verbannung der Englaͤnder aus Paris die Preise sehr herabgesetzt hatte. Meine Woh - nung z. B. hatte noch kurz vorher 20 Louis gekostet. 194 Vom Essen und Trinken habe ich bereits gesprochen. Man kann fuͤr 12 bis 16 Groschen recht gutessen, und eine halbe Bouteille Wein dabei trinken, welches man in Berlin wohl muß bleiben lassen. Ein Kleid vom besten Tuche kann man fuͤr 25 bis 30 Thaler ha - ben, die besten Stiefeln fuͤr 4 bis 5 Thaler u. s. w.

Auch den alten, merkwuͤrdigen Lappen habe ich in Paris aushaͤngen sehen, der die Tapete der Koͤni - ginn Mathilde genannt wird, und von dieser Ge - mahlinn Wilhelms des Erobers gestickt worden ist. Schon Montfaucon hat sie in Kupferstich abbilden lassen. Sie enthaͤlt die Geschichte der Eroberung Englands, ist 800 Jahre alt, 214 Fuß lang, aber nur 18 Zoll breit. Sie befand sich vormals in der Kathedralkirche von Bayeux, wo sie an gewißen feierlichen Tagen oͤffentlich gezeigt wurde. Lateinische, zum Theile verloschene Jnschriften sind uͤber den Figuren zu lesen. Unmoͤglich konnte wohl die Koͤniginn dieß Werk allein vollbringen, alle ihre Hof - damen muͤssen ihr geholfen haben. Es ist eine interessan - te Vorstellung, wenn man sich im Geiste 800 Jahre zu - ruͤckversetzt, und den schoͤnen weiblichen Hof um die Sti - ckerei emsig beschaͤfftigt sieht. Wie manche schoͤne und vielgekuͤßte Hand, von der jetzt nicht einmal die Knochen mehr uͤbrig sind, mag hier Nadelstiche gethan haben!

Als in Paris angekuͤndigt wurde, daß, aus guten Ursachen, auf Befehl des Gouvernements, dieses Denk - maal im Museum Napoleon ausgehaͤngt, und gratis zu sehen sey, war der Zulauf ungeheuer; die Saͤle wurden nicht leer, und schon auf den Treppen mußte man sich draͤngen. Jndessen ist fuͤr Denjenigen, der nicht eine195 lebhafte Einbildungskraft mitbringt, Wenig daran zu se - hen. Die Zeichnungen sind so, wie Kinder von 4 Jah - ren sie zu machen pflegen; gut, daß immer druͤber steht, was sie bedeuten sollen, z. B. Hic Harold mare navi - gavit, oder uͤber einem Dinge, das einer Laube aͤhnlich sieht, steht ecclesia (Kirche) u. s. w.

Fuͤr Liebhaber des Studiums alter Kostuͤme ist der Lappen doch sehr merkwuͤrdig. Da reitet Harold mit dem Falken auf der Faust, und seine Hunde rennen vor ihm her. Er und sein Gefolge sind unbaͤrtig, doch tragen sie Zwickelbaͤrte. Dadurch unterscheiden sie sich von den Franken. Kleine Maͤntel, gleich der griechischen Chlamys, sind auf der rechten Schulter angeheftet. Bei einem Gastmahl sieht man Trinkhoͤr - ner. An den Schiffen, die alle nur einen Mast haben, sind zu beiden Seiten eine Reihe von Schilden aufge - stellt, gerade wie man es auf den Gemaͤlden im Her - culanum gewahr wird. Auf den Schilden der Fran - zosen erblickt man bereits Embleme, eine Art von Wappen, die jedoch damals noch nicht erblich wa - ren. Ein Zwerg (die Schrift uͤber seinem Haupte nennt ihn Turold) verrichtet Pagendienste. Die Ta - fel, an welcher Wilhelm mit seinen Baronen speist, bil - det einen halben Zirkel; man reicht ihm knieend zu trin - ken. Jn der Schlacht sieht man die Reiter ihre Lan - zen heben, das Fußvolk seine Bogen spannen, die Schil - der sind mit Pfeilen wie gespickt. Bis hieher war der Rand der Tapete mit Voͤgeln und allerlei Grotesken ge - stickt, jetzt aber ist er mit Leichnamen besaͤet. Auch eine Gewohnheit der Alten, z. B. auf dem Sarkophag, der die Schlacht der Amazonen gegen die Athenienser vor - stellt. Ein Bischof streitet mit der Keule, vermuthlich196 um kein Blut zu vergießen. Diese Schlacht, welche Wil - helm den Eroberer und seinen Stammen auf den Thron von England setzte, wurde im Jahre 1066 geliefert, und mit ihr endet auch die Tapete, doch zerrissen, und so, daß man sieht, sie sey noch laͤnger gewesen. Kunstver - staͤndige glauben, sie sey vermuthlich bis zu Wilhelms Kroͤnung fortgesetzt worden. Jede Geschichte ist, wie auf den Basreliefs der Alten, durch Baͤume, Haͤuser oder etwas Dergleichen, von der folgenden geschieden.

Unvergeßlich sollen mir die Sonntagsfruͤhstuͤcke der dramatischen Autoren bleiben, zu welchen mir der Zutritt vergoͤnnt war. Hier kommen Duval, Arnault, Andrieux, Le Gouvé und eine Menge Anderer, bald bei Diesem, bald bei Jenem zusammen, es wird à la fourchette, doch ziemlich frugal gefruͤhstuͤckt, und dann liest Einer seine neueste dramatische Arbeit vor. Dieß Vorlesen geschieht aber nicht, um der Eitelkeit des Verfassers zu schmei - cheln, sondern Jeder sagt ganz unverhohlen seine Mey - nung, die von saͤmmtlichen Anwesenden gepruͤft, bestrit - ten, gebilligt, und vom Verfasser benutzt wird. Wahr - lich, ich habe hier oft in einer Stunde mehr feine Bemer - kungen und Kritiken gehoͤrt, als ich zuweilen in einem Jahrgange einer teutschen gelehrten Zeitung finde.

L**, ein 70jaͤhriger Greis, war im Dorfe Gagny, im Departement der Seine und Oise, 25 Jahre lang Seelsorger, wurde aber, wie so viele Andere, vertrieben und deportirt. Nachdem er mehrere Jahre im Elend her - umgewandert, erlaubte ihm endlich eine mildere Regie -197 rung in sein Vaterland zuruͤckzukehren. Vor Kurzem besuch - te er den Maire zu Villemamble, einem Dorfe, welches in der Nachbarschaft von Gaguy liegt. Da er seinem vorma - ligen Wohnorte so nahe war, ergriff ihn eine unwiderstehli - che Begierde, seinen alten Glockenthurm wieder zu sehen. Der Maire begleitete ihn. Beim Anblicke des Dorfes in der Ferne gerieth der Greis in große Bewegung, und konnte nur, von seinem Freunde gestuͤtzt, weiter wanken. Kaum hat er aber die ersten Haͤuser erreicht, kaum ha - ben einige Einwohner ihn erkannt, als ein Jubelgeschrei von Straße zu Straße laͤuft: unser alte Pfarrer ist wieder da! Maͤnner und Weiber, Kinder und Greise stuͤrzen herzu, er ist umringt, wird fast erstickt von Liebkosungen und Segenswuͤnschen. Jeder will ihn bewirthen, der Eine zieht ihn in dieses Haus, der An - dere in jenes, man bringt ihm die Kinder, die unterdes - sen gebohren worden; man laͤßt ihn nicht eher wieder fort, bis er verspricht, am naͤchsten Sonntage wieder zu kommen, und Messe zu lesen. Er verspricht es, er haͤlt Wort. Zwar findet er seine geistliche Amtskleidung nicht mehr, und die vormaligen Kirchenzierrathen sind ver - schwunden; aber der ganze Altar ist mit Blumen ge - schmuͤckt, und das ganze Dorf ist in der Kirche versam - melt. Er verwaltet sein Amt mit inniger Ruͤhrung. Als er vollendet hat, wird ploͤtzlich ein Te Deum angestimmt. Er fragt, weßwegen? Seine Ruͤckkunft ist es, die man feiert. Kaum kann er so viel Liebe ertragen. Er verlaͤßt die Kirche. Eine feierliche Deputation der Ge - meinde wartet seiner, ihn flehendlich zu bitten, seine Woh - nung wieder zu beziehen, und seine Tage unter seinen Kindern zu beschließen. Es war nicht seine Absicht ge - wesen; der Greis hatte sich Ruhe gewuͤnscht, aber wie198 er solchen Bitten widerstehen koͤnnen? Man ver - sichert mich, daß aͤhnliche Szenen an vielen Orten vor - gefallen sind.

Den Schluß der in meiner Schreibtafel gezeichne - ten Bemerkungen macht eine gerechte Ruͤge. Jn den letz - ten Tagen meines Pariser Aufenthalts erschien ein Werk von Pigault le Brun, in zwei Baͤnden, le Citateur ge - nannt, welches sehr viel Aehnlichkeit mit Voltaire's Bible enfin expliquée hat, auch vielleicht ganz daraus geschoͤpft worden ist; folglich enthaͤlt es die abscheulichsten Schmaͤ - hungen gegen Religion und Bibel. Dazu hat sich der Verfasser ohne Bedenken genannt, der Buchhaͤndler Bar - ba hat es ohne Bedenken verlegt, die Zensur hat es oh - ne Bedenken drucken lassen, und die Polizei erlaubt oh - ne Bedenken, daß es oͤffentlich im Palais royal verkauft werde. Die groͤbsten Laͤsterungen gegen Christus sind also in Paris erlaubt; aber es unterstehe sich Einer, auch nur eine Zeile gegen zu schreiben, wenn er nicht et - wa neugierig ist, die Ufer von Cayenne zu sehen.

[199]

Jnhalt.

  • Das Thal von Montmorency und die Abtey St. DenisSeite 3 bis 9
  • Das Kabinet der Antiken 10 17
  • Der Pariser Laufbericht. 17 22
  • Kriminal-Justiz. 23 29
  • Gemuͤthsstimmung der Pariser. 29 36
  • Gesellschaften und Vergnuͤgungen 36 43
  • Einige große Maler und ihre Atteliers. 43 48
  • Sehenswuͤrdigkeiten. 48 89
  • Der falsche Dauphin 90 108
  • Lucian Bonaparte's Gemaͤlde-Gallerie. 109 113
  • Gallerie der Handschriften. 113 115
  • Das Taubstummen-Jnstitut. 116 119
  • Theater der Franzosen. 120 151
  • Noten aus meiner Schreibtafel, Nachrichten, abgerissene Bemerkungen. 151 198

About this transcription

TextErinnerungen aus Paris im Jahre 1804
Author August von Kotzebue
Extent200 images; 47411 tokens; 10686 types; 323881 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationErinnerungen aus Paris im Jahre 1804 Zweytes Bändchen August von Kotzebue. 3., unveränd. Aufl.. 200 FröhlichBerlin1804. (Die \"Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804\" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als \"unveränderte Auflage\" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.)

Identification

Staats- und Stadtbibliothek Augsburg SSB-Augsburg, Gs 5349

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Autobiographie; Belletristik; Autobiographie; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:27:57Z
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Holding LibraryStaats- und Stadtbibliothek Augsburg
ShelfmarkSSB-Augsburg, Gs 5349
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