Zum erstenmal aufgeführt auf dem königlichen Na - tionaltheater in Berlin, am 3ten August 1804, zur Geburtstagsfeier Sr. Majestät des Königes.
[2]Der Ort der Handlung ist im griechischen Lager im Hafen von Aulis; im zweiten Akt allein zu Argos im Pallast des Agamemnon.
Menelaus und Nestor treten auf der einen Seite aus dem Zelte, Ulysses, Achilles und Dio - medes kommen vom Hafen her auf die Buͤhne.
Noch immer tiefe Still 'in Meer und Luft. Kein Woͤlkchen schwebt am fernen Horizont Empor, die suͤße Hoffnung uns zur lang Ersehnten Abfahrt bringend. Freunde, loͤs't4 Nicht bald ein Gott des Meeres Fesseln wieder: Gebt Acht, die heiße Kampfbegier erloͤscht In aller Voͤlker Brust.
Schon wogt ein dumpfes Gemurmel durch das Lager, nicht sey hold Der Goͤtter Wille dem Beginnen, das Uns hier in Aulis Hafen laͤngst vereint. Die heilge Troja, dieser Ruͤstung Ziel, Sey ja der Goͤtter Werk. Neptun, der, sie Mit Mauern selbst umguͤrtend, einst beschirmt, Der werd 'auch jetzt nicht, was er schoͤn gebaut, Von Feindes Hand zertruͤmmern lassen; er, So spricht man laut und kuͤhn, will Troja retten, Noch eh' der Griechen Heer sich eingeschifft. –
In seinen Abgrund wuͤrd 'er, Zorn entbrannt, Durch Sturm begraben, was sich freventlich Der heilgen Veste naht. –
So spricht man, und Von uns wer will mit besserm Hofnungswort Bekaͤmpfen den erregten Zweifelssinn? Ja taͤuschen nur mit klug erdachter List Der Menge blinden Wahn; da, wie wir alle Mit Unmuth sehn, kein bloßes Ungefaͤhr Uns hier so lange ruhmlos, selbst zum Hohn Der Unsrigen, Gefangnen gleich, am Strand Des traͤgen Meers gefesselt haͤlt?
Wohl ist's Das traurigste von allen traurigen Geschicken, die den Feldherrn treffen moͤgen, Wenn schon bey einer That Beginn, die das Vertraun erheischt auf sich und ungeschwaͤchten Muth, Durch boͤs 'und trauervolle Zeichen, statt Der Hofnung nahen, gluͤcklichen Erfolgs,6 Die Furcht der Menge leicht gewandtes Herz Erfuͤllt. Vergeblich ruft der Feldherr dann Zu Ruhm und Pflicht. Das scheue Volk sieht nur Den Tod, den unvermeidlichen; es ahnet Der Goͤtter Zorn, des Schicksals unbezwungene Gewalt; es ist besiegt vom Feinde schon, Eh' es einmal den blutgen Kampf begonnen.
Nur ungern hoͤr 'ich aus so tapfrer Helden Munde, Die mir, dem juͤngeren, an Jahren weit, Weit an Erfahrung uͤberlegen sind, Das bloße Klagewort erschallen. Sagt Vielmehr, ihr Fuͤrsten, was zu thun das Maͤnner - herz Gebeut, es schnell zu thun gebeut bey der Gefahr, die uns gemeinsam droht? – Wie? Soll Unthaͤtig, schwachen Weibern gleich, die nur Mit eitlen Worten eitel kaͤmpfen moͤgen, dem Geschick ein Heldenheer erliegen? Wenn,7 Wie ihr es ahnt, und ich es selber glauben muß, Uns irgend einer Gottheit rachentflammter Zorn Verfolgt, soll dann nach soviel Zaudern nichts Geschehn, den Zorn zu wenden, den verderblichen? Geschehen nichts, um auszusoͤhnen, was Durch irgend eine Frevelthat verschuldet ist?
Sie muß, und sey es mit dem Hoͤchsten, Besten, Beim Zeus! getilget werden diese Schuld. Denn traun, bevor von uns nicht abgewaͤlzt Die Last des Zorns, eh 'nicht getilget ist, Was unrein klebt an unsern Haͤnden, ha! So lange trozt noch, ungestraft, mit neuem Hohn Des Priamiden stolzer Uebermuth, Der Stolz des schaͤndlichsten Verfuͤhrers, der, Fluch uͤber ihn und tausendfacher Fluch! Sich in mein Haus nicht nur, o Schande! selbst Sich in mein Ehbett stahl! mir raubte, die Ich mir zum Eheweib erkoren, weh! 8Und nun in Sicherheit, wie's Raͤubern ziemt, Von seiner reichen Beute schwelgend zehrt.
Befuͤrchte nichts, vor allen Griechen tief, Sehr tief gekraͤnkter Held. Sey's, daß auch jetzt Ein Misgeschick uns von des Strebens Ziel Entfernt: glaub mir, ich seh's im Geist, so lange Der Ehre treu genaͤhrtes Feuer in Der Heldenbrust von Hellas Soͤhnen lodert, So lange gluͤht auch dir der Rache Funken noch; Der Sturm erwacht urploͤtzlich einst, der ihn Zur hellen Flamme blaͤs't, die Ilium Verzehrt.
O, daß in diesem Augenblick Sie Priam's Stadt verzehrte mit der Natterbrut, Die er gezeugt! – Ach, Helena, glaubt mir,9 Ist die Bethoͤrte nur. Zwar folgte sie Mit leichtem Sinn der Stimme des Verfuͤhrers In sein verhaßtes Vaterland, des eignen Hauses Ruhmvolle Zierden lassend; doch sie waͤre Mir treu verblieben, haͤtte nicht mit tausend Verschmitzten Buhlerkuͤnsten ihr so schlau Der Phrygier das schwache Weiberherz Umstrickt.
Drum soll er buͤßen, was er schwer Verschuldet hat; nicht er allein, sein ganz Geschlecht und Volk; da er nicht dir allein, In dir zugleich dem ganzen Hellas Schmach Bereitet. Denn entnommen, hoff 'ich, wird Durch Suͤhn' und Opfer bald von unsern Schul - tern, Was jetzt uns hier so schmaͤhlig druͤckt; dann haͤlt Uns nichts mehr auf. Verderben folgt und Rache, Wo wir uns nahn, mit schnellem Schritt; und wenn10 Es dann der hohen Goͤtter Wille ist, Kehrt Helena, aus ihrem Wahn erwacht, In deinen Arm zuruͤck. – Doch nun laßt uns Zu Agamemnon gehn. Denn ihm gebuͤrts, Der Feldherrn erstem, maͤchtigstem, zu wissen, Was Volk und Heer, verzagend, waͤhnen, und Mit ihm beschließen wir, was heilsam ist Und gut.
Dort tritt er selbst aus seinem Zelt Hervor. Sein Goͤttergleiches Haupt umwoͤlkt Die finstre Sorge; doch, mit Weisheit sinnend, Waͤlzt er vor seinem Geist der schnellen Rettung Heilsamstes Mittel schon.
Die Vorigen. Agamemnon aus sei - nem Zelte heraustretend.
Was, wie es scheint, Ihr mir zu sagen kommt, Gefaͤhrten meines Ruhms, Und was mir eurer Augen truͤber Blick Verkuͤndet, das entging dem meinen nicht. – Ihr wißt, versammelt hatten sich schon laͤngst, Auf Menelaus Racheflehn und meinen Ruf, Die Voͤlker Griechenlands an diesem Strand, Auf tausend schoͤn gezierten Schiffen harrend Dem Herrscherwort, das ihnen, hoffnungsvoll, Befiehlt der Anker schwere Last zu lichten. Ein guͤnst'ger Hauch des Windes schwellet schon Gespannter Segel Busen auf; am Kiel Der Schiffe bricht sich treibend schon mit Macht Der dunklen Wellen schaumbedecktes Haupt;12 Mit ruͤstger Eile stuͤrzen sich die Schaaren Der Helden in der Schiffe holen Bauch; Ein frohes Jauchzen fuͤllt das Meer, die Luft, Und hallt vom hohen Vorgebirge wieder. Nur noch ein einzger Ruf – und hin faͤhrt sie, Die Flotte, brausend, durch die gruͤne Flut, Wie Zeus, des Donnrers, Wagen durch die Wol - ken, Im Sturm der Rache Blitze tragend, rollt. – Ha, Schrecken! Ploͤtzlich faͤllt, erschlafft, der Se - gel Gespannter Teppich ein; die Wolken fliehn; Des Windes Hauch vergeht; die Luft wird still; Es schweigt der Wogen holer Mund; gemach Verziehet sich ihr reger Tanz, und vor Uns spiegelt sich, so weit das Auge reicht, In klarer, unbewegter Meeresflaͤche Der Sonne nur zu heitres Angesicht. Gefesselt liegt schon in des Hafens Bucht Der Schiffe Schaar von neuem wieder. Wie13 An jenem Ungluͤckstag, so auch noch heut, Bewegungslos das Meer! bewegungslos Des ewig klaren Aethers blaue Hoͤhe! – Hoch zum Olympus steigt der Voͤlker Flehn; Doch ihn erreicht des Flehens Stimme nicht; Denn unerhoͤrt ist sie geblieben, und Der Krieger lang gehaltne Hoffnung sinkt. – Es zuͤrnt ein Gott, ihr Freunde, unserm Volke; Doch mehr noch, als Gebet, verlangt sein Zorn Von uns zur Suͤhne.
Eben deshalb, Koͤnig, Sind wir gekommen, um mit dir zu forschen, wer Von den Unsterblichen es sey, den wir Beleidiget mit arger Frevelthat? Wer selbst der Frevler sey? Ob hier im Heere, Ob drinnen in des Vaterlandes Flur? So wie, durch welches Opfer, welche Weihe,14 Durch welch Geluͤbde auszutilgen sey Die Schuld? –
Ich hab's zuvor bedacht. Schon forscht Der Seher Kalchas nach der Goͤtter Willen Auf mein Geheiß. Durch ihn wird Phoͤbus uns Belehren, was wir bang zu wissen streben, Und was uns schwarz der Zukunft Nacht ver - birgt. – Er kommt. – Schon leuchtet uns sein heiliges Gewand entgegen. Macht euch nun gefaßt, Der Goͤtter hohen Rath zu hoͤren. Moͤgte Sein weiser Mund uns nur, was Segen bringt Und Heil, verkuͤndigen!
Die Vorigen. Kalchas naht sich langsam und mit Blicken der Verlegenheit.
Sey uns gegruͤßt! Wir harren dein, erhabner Seher, dem, Was schon geschehen ist, und wie's geschah, Und was geschehen soll, ein Gott enthuͤllt 'In heiligen Gesichten. Oeffne nun Den Mund, und sprich ein Wort des Trostes aus.
O, daß ein Andrer euch verkuͤndigte, Was ihr zu wissen sinnlos strebt, und euch Zu wissen doch nicht frommt! –
Wie? Scheuchst du uns mit neuer Ungluͤckskunde noch des Trostes Gepflegte, letzte Hoffnung fort? – Du bist16 Bewegt; bang irrt dein Blick umher; gepreßt Wird deine Brust von einer schweren Last. Ha, noch verschließt dein heil'ger Mund uns irgend Ein schreckliches Geheimniß, das die Seel 'Umsonst zu unterdruͤcken ringt.
So ist's!
Beginne dann. Wir sind bereit, zu hoͤren; Wir sind gefaßt. Nicht bloß der frohen Botschaft Erharren wir; die Ahnung boͤser Schuld Laͤßt uns vielmehr das Traurige befuͤrchten. Das Traurigste, das Schreckliche wird ja Von uns, verschonend, noch die Gottheit wenden.
Wenn's also waͤr ', erhabner Voͤlkerfuͤrst, Wohl dir, und deinem Hause Wohl! –
Wie? Ist's Nicht das? Ist es noch mehr? –
O jammervoll Geschick!
Ich hab's beschlossen, Griechenland zu retten, Zu loͤsen ihm die Fessel, womit hier Gebunden seine Kraft erlahmt. – Wohlan!
Beschließe nichts! die Reue folgt der That! –
Beim hocherhabnen, allgewaltgen Zeus! Ich strecke meine Hand empor zu seinem Erhabnen Wolkensitz; ich schwoͤr 'es euch –
Halt, Agamemnon! –
Hoͤrt, ich schwoͤr's –
Halt ein! –
Bey Jovis ew'ger Majestaͤt! ich schwoͤr's –
Verlorner! –
daß ich, so viel liegt an mir Und steht in meiner Kraft, in aller Griechen Statt Und Namen tragen will, zur Mild'rung des Erwachten Goͤtterzorns; und daß ich eher nicht Den Herrscherstab, den ich in koͤniglicher Hand19 Bisher mit Ruhm gefuͤhrt, zum Zeichen des Befehls hinfort ausstrecken will, bis rein Getilgt ist das Verbrechen, und der Goͤtter Erzuͤrntes Antlitz hold uns wieder lacht! –
O Atreus ungluͤcksvoller Sohn!
Jetzt zoͤgre Nicht laͤnger, Kalchas, denn des Koͤnigs Zorn Ist fuͤrchterlich, wenn er einmal erwacht.
Wer ist der Frevler unter uns, und was Ist seine That?
Du willst es, Koͤnig; nun Es sey! – So hoͤre selbst, vernimm es dann20 Mit wohlgefaßtem Muth, was selber – Du Verschuldet hast. –
Wie? – Agamemnon? –
Was? Ich selbst?
Kein Andrer.
Rasender! ich selbst?
Wie ich gesagt, – du selbst. –
Rein ist mein Herz, Und unbefleckt von Lastern diese Hand.
Du irrst. Gieb Acht, daß neue Schuld dir nicht Die alte haͤufe.
Nein, so weit ich forsche Im Bilde des vergangnen Lebens, das Vor meinem Geiste sich entrollt – ich finde Der Thaten keine, die so großer Ahndung werth.
Wie sich der schwache Sterbliche so leicht Bethoͤrt!
O, groͤßter aller Koͤnige! Im Leben eines Helden, eines Herrschers Verschwindet unbemerkt und leicht und oft Dem Auge, beim Gewuͤhl der Thaten, die Sich draͤngen – wie im Meere, wo sich Wog '22An Woge bricht – die That, die zwar nur klein Und unbedeutend ist an sich, doch oft Verheerend um sich greift und waͤchst in ihrem Lauf Und Menschenrecht und goͤttliches zerstoͤrt – Drum forsche weiter nach, bis du sie trifst. Es lieben Reu' und offenes Gestaͤndniß Die Himmlischen; doch dem beharrlichen, Dem uͤbermuͤth'gen Frevler, der sein Herz Verstockt, ist die Verzeihung fern! –
Ich finde nichts! –
Der Goͤtter Aug 'sieht alles; Alles hoͤrt Ihr Ohr. Gefaͤhrdet wird ihr ewig Recht, Ihr Ruhm durch Menschenstolz und Uebermuth, Wenn er, der Sterbliche, nicht einmal selbst Die hohen Goͤtter gegenwaͤrtig waͤhnt! –
So hab 'ich, unbewußt der Schuld, gefehlt?
Du hast's. – Erinnerst du dich jenes Tages – Bald war's nach deiner Ankunft hier in Aulis – Als du am Rand des Haines, der Dianen, Latonens keuscher Tochter, heilig ist, Des scheuen Wildes Spur mit reger Lust Verfolgtest?
Wohl gedenk 'ich dieses Tages.
Des Hifthorns Klang erscholl durch Berg und Thal; Der schnellen Hunde laut Gebell erfuͤllte Den Forst; des ruͤstgen, muntern Jagdgefolges Erhobnes Siegsgeschrei durchstuͤrmte rauh24 Die Flur, den Hain. Das aufgeschreckte Wild Flieht muthlos vor dir her; und das erhitzte, Unaufgehaltne Roß reißt dich, geblendet, Im Taumel der entflammten Leidenschaft, Weit mit sich – in Dianens heilgen Hain.
Wie? – Zu Dianens heilgem Hain? – Dorthin Hat nur ein boͤser Daͤmon mich getrieben! –
Auf einmal sieht dein spaͤhend Aug 'ein schoͤn Geflecktes Reh auf gruͤner, kraͤuterreicher Au'. Nichts fuͤrchtend, schuldlos, wie ein Lamm, pfluͤckt es Mit mildem Zahn den balsamreichen Halm. Du hemmst des Rosses Flug, den Blick dir weidend An dieses Thieres wundergleichem Bau, An seines schoͤn gefleckten Felles Glanz. Doch bald erwacht die Mordbegier in deiner Brust. 25Mit lautem Schlag klopft das erregte Blut, Du hebst den starken Arm, du schwingst den Speer, Dein Roß springt wiehernd an, es schwirrt Der Speer, die Hindinn stuͤrzt, und dampfend rinnt Aus offner Brust das purpurrothe Blut.
Weh mir! Ich ahn 'es schon: ich ward getaͤuscht! Getaͤuscht, wie noch kein Sterblicher vor mir!
Und diese Hindinn? –
War Dianen heilig!
Dianen!
Weh! O dreifach Weh!
Noch nicht Genug. Drauf oͤffnest du, der stolze Sieger – denn Fuͤrwahr, der Feind, den du erlegt, war wohl Des Ruhmes werth – mit eitler Prahlerei Den schnoͤden Mund. „ Diana selbst „ riefst du, „ Wuͤrd 'sichrer nicht den Speer geworf - en haben! „
Schweig, Ungluͤcksseher! schweig, ich bitte dich! Es toͤnt in meinem Ohr von neuem wieder, Erweckt, wie Donnerschlag, der Laͤst'rung Wort, Das meinen Lippen damals kuͤhn, wenn gleich Dem Herzen schuldlos, unbewußt, enteilt.
Diana hoͤrte wohl, mit tiefem Grimme, Ob deiner schnoͤden That, die selbst das Heilige27 Nicht schonte, deiner Laͤst'rung Wort. Sie flehte Zum hocherhabnen Zeus, zum ewgen Vater Der Goͤtter und der Menschen, jedes Frevels Raͤ - cher, Nicht ungestraft zu lassen diese Schmach, Die Schmach, die ihren Ruhm nicht nur befleckt, Nein, jedes Gottes Ruhm. – Wie Zeus ge - straft, Nicht dich allein – das ganze Griechenland, – Denn was ein Koͤnig frevelt, leiden nach Des Schicksals ewigem Gesetz die Voͤlker – Das wißt ihr alle nur zu gut.
Ach, schon Zu lange buͤßen wir die That! –
Du hast mein Herz gebeugt, erhabner Seher. – Hier28 Der Schuldige steh 'ich vor euch. Es will's Das Schicksal so, und blind trift seine Wahl Ein jedes Haupt in allem Volk. – Nun sag' Auch mir das Einz'ge noch, was nur den Trost Gewaͤhren kann in meiner Noth; sag ', welch Ein Opfer fodert sie, die keusche Goͤttinn, Die ich unwissentlich geschmaͤht? Verlangt Sie's? Wie? O sprich! Es sollen Hekatomben An jedem Altar bluten. Alles Volk – Denn mich den Feldherrn liebt es – soll Gebet Und Flehn bei ihrem heilgen Namen senden; Auch hochgepriesen soll er werden durch Des heilgen Hymnus feierlichen Klang; Der ganze Antheil, der mir von der Beute Des Krieges, den wir jetzt beginnen, wird, Soll ihr geweihet seyn; in Argos soll Ein Heiligthum sich ihr erheben, und Auf immer soll, so lange das Geschlecht Des Atreus noch auf Erden lebt, ihr am Altar, in ewger Jungfrauschaft, die erst29 Geborne dienen mit der Unschuld nicht Beflecktem Glanz.
Entlaß mich, Koͤnig, jetzt In Frieden; denn, was du von mir noch ferner Begehrst zu wissen – ach! dein sonst so starkes, Dein Heldenherz ertraͤgt es nicht.
Nein! nicht Von hinnen, bis du Alles mir enthuͤllt! Ich will ihn ganz, den Kelch der Leiden, leeren. Zum Ungluͤck ist nun schon einmal ein jeder, Von Tantalus unseligem Geschlecht Entsproßner, ausersehn! ich will es dulden, Sey es das Schrecklichste, was mich bedroht.
Versuch 'nicht kuͤhn des Schicksals Grimm!
Vollende!
Ahnst du das Schreckliche noch nicht? – Sagt dir Dein Schuldbedraͤngtes Herz noch nichts? –
Vernimm, Ungluͤcklichster von allen Sterblichen! – Das Kind, das dir dein Weib zuerst geboren – Es ist zum Suͤhnungsopfer auserko - ren! –
O Erd 'und Himmel!
Iphigenia?
31Du luͤgst, Unmenschlicher! du laͤsterst kuͤhn, Mit frevelhaftem Mund, die Gottheit selbst! –
Noch einmal sprich, wenn du es sinnlos wagst, Der Unschuldvollen suͤßen Namen aus! – Was? Iphigenia des Todes Opfer? – Auf ewig dich verderbend trift mein Schwert Dein eisgrau Luͤgnerhaupt, wenn einmal noch Die Frevlerzunge den mir heilgen Namen schmaͤht! –
Halt ein, verwegner Juͤngling, daß nicht auch Dein Haupt der Goͤttinn zornentbrannte Rache treffe, Die euch durch meinen Mund befiehlt! –
Weh! Weh! So will die grausam Zuͤrnende das Liebste, Was Goͤtter Menschen je gewaͤhrten; von Dem Vater selbst das Kind des Herzens sich Geweiht zum blutgen Opfer sehn! –
Weh mir! Und weh euch Allen, die ihr graunvoll mich Umsteht, und mein Geschick mit Freundes Herzen theilt! Durch mich, durch mich, durch meine Vaterhand Faͤllt Iphigenia, des Todes Opfer! –
An dem Altare blutet selber sie – Die Goͤttinn ist versoͤhnt; gestillt die Rache; Das Heer fuͤhrst du vor Ilium; eroberst Die Stadt nach zehn muͤhvollen Jahren; raͤchst33 Den Bruder, raͤchst den Gatten, raͤchst das Vater - land, Und kehrst, mit ewgem Ruhm bedeckt und hoch In aller Voͤlker Mund gepriesen, wieder heim.
Hoͤrt ihr's, um diesen jammervollen Preis!
Ist dir zu schwer das Opfer, mehr noch werth Dein Kind, denn aller Goͤtter Huld – nun wohl, So bleibst du heim; das Heer zieht hin gen Troja; Der Sieg ist – zweifelhaft – und neigt er sich Doch endlich zu uns her, so traͤgt ein anderer, An deiner Statt gewaͤhlter Feldherr Des Ruhmes ewig gruͤnen Lorber heim. So spricht durch meinen Mund Diana selbst Zu dir.
Es kann nicht seyn! – Nein; ich ertrag34 Es nicht! – es darf das Ungeheure nicht Geschehen! –
Iphigenia!
Wie ihr Es kuͤhn von mir verlangtet, hab 'ich euch Der Goͤtter hohen Rathschluß nun enthuͤllt. –
Ich fuͤhle mit dir deinen Schmerz; er ist Gerecht. Wie ich ihn lindern soll, das weiß Ich nicht. Du bist ein weiser, großer Held; Du bist noch mehr – auch Mensch. Mir Schwa - chen ziemt Es nicht, zu rathen, wo der Gott in dir, Was Recht vor Goͤttern ist und Menschen, dir Allein gebieten mag. – Ich gehe; doch Zuvor das Eine noch. Geschehe, was35 Da will; was aber soll geschehn, vertraͤgt Den Aufschub nicht; jedwede Zoͤg'rung bringt Dir und dem Vaterlande neue Pein –
Warum, ihr Grausamen, verlangt ihr nicht Mich selbst? Warum nicht mich, den Frevler? ach! Warum das unschuldvolle Kind? –
O mit Den Goͤttern, den gerechten, den allweisen, Mit ihnen hadre nicht. – Sie wollens – das Sey dir genug. Das Reine nur vermag Zu tilgen die unreine, schnoͤde That! –
O Koͤnig! dein ist nun die Wahl, die schwere –
Und sie will bald getroffen seyn.
Denk 'an Dein Haus; doch auch an mich. Noch mehr, denk' an Dein Vaterland und an den Schwur, den du Gethan. – Zwar bist du Vater, so wie ich Mit dir durch bruͤderliches Band vereint, Und deines Hauses Wohl ist auch das meine; Doch bin ich Gatte, du bist Feldherr, dem37 Die allgemeine Sorg 'auf starken Schultern ruht. Du hast sie uͤbernommen; thu', was dir Geliebt; doch denk 'an deine Pflicht! –
Was draͤngt, Ihr Grausamen, was draͤngt ihr so mein Herz? – Verlaßt mich! Ueberlasset jetzt mich meinem Unnennbar tief gedrungnen Schmerz allein. Was ich beschließe, das erfodert Zeit. Es ist kein Rath zu einem Kampf, den ich Mit einem Feind beginne, dem ich gleich An Macht, mit dem ich gleich an Waffen streite. Nein! Der Feind, der mich bekaͤmpft, ist das Ge - schick; Zwar, wie es scheint, in meine Macht gegeben; doch38 Mit seiner Uebermacht mich draͤngend, daß, Wohin ich mich auch wend ', ich endlich doch Dem Kampf erliegen muß. – Verlaßt mich! – Geht! –
O Vater! – denn mit diesem suͤßen Namen Hofft 'ich einst dich noch zu begruͤßen – Vater!
Mein Sohn! –
Denk 'auch an mich!
Fort! – du erschwerst Mir meinen Kampf mit Zentnerlast!
Denk 'auch An mich und meine Liebe! –
O ihr erhabnen Maͤchte, die ihr des Olympus Hoͤh'n bewohnt, die Voͤlker, wie Die Koͤnige, mit einem Zepter gleich Beherrscht; die ihr, was hoch ist, fallen, und, Was niedrig ist, sich laßt erheben; die Ihr gebt dem Maͤchtigen den Uebermuth,40 Der ihm mit eigner Hand die Grube graͤbt, Worin er faͤllt; die ihr dem Weisen gebt, Was ihn begluͤckt, dem Schwachen Staͤrke zu Der Tugend Werk, und dem Verlaßnen Huͤlfe, Dem Flehenden Erhoͤrung; – gebt, o sendet In meine Brust nur einen schwachen Strahl Von eurer Weisheit ewgem Licht, damit Sich mir der dunkle Pfad erhellen moͤge, Den ich im Labyrinthe des Geschicks Betreten soll! – Denn ausgebreitet liegt Vor mir des Ungluͤcks grauenvolle Nacht. Wohin den Blick ich wende, nur erscheint Die finstre Wuͤste. Kein ersehntes Licht Winkt freundlich mir, nach langer Reise, durch Des Lebens Dornenpfade suͤße Ruh. – Laut toͤnt der Rache Ruf, die meinem Hause, Die meinem griechschen Vaterlande wieder Verlorne Ehre geben soll und Ruhm. – Hier harrt ein Heer, das ich versammelt selbst, Das meiner Herrscherstimme sich, auf meinen Ruf,41 Vertraut. Dort glaͤnzt des Sieges Lorber mir Auf Troja's Truͤmmern; dort erwartet mein Ein großer Ruhm, der mich und mein Geschlecht Verherrlichen, erheben wird. – Doch hier – Hier seh 'ich – weh! – vom eignen Blut be - spritzt Und rauchend den Altar! – von Vaters Hand Geschlachtet das geliebte Kind! – In mein Herz dringt der Opferstahl, und ewig wird Die Wunde bluten, die ich selbst mir schlug! –
Zwar daͤmmert mir ein mattes Hoffnungslicht Aus des Orakels Spruch entgegen; – leben soll Die sonst dem Tod Geweihte – leben; – Soll – Wenn neue Tuͤcken nicht das Schicksal ihr Ersinnt, nicht unaufhoͤrlich sie verfolgt – In Liebe fuͤhren an des Helden Arm, Dem schon in Mars Gefilden Lorber gruͤnt, Soll fuͤhren sie ein Leben, wie es einst42 Die Goͤtter selbst gelebt, da sie noch auf Der Erde wandelten. –
Doch ich – der Vater! – Ich, der einst war ein hochgepries'ner Koͤnig Vor dem Argiver Volk, zu dem mit Hofnung Und sicherem Vertraun das ganze Hellas Erhob den sehnsuchtsvollen Blick, – ich, der Ihm, in der Noth, zur Rettung Huͤlfe schwur, Ich soll, dem zweifelhaften, truͤgerischen Gluͤck Es uͤberlassend, ruhmlos, wie ein feiger Entflohner Miethling, leben, o der Schande! In des verrathnen Vaterlandes Schooß! – Flieh, Agamemnon! fliehe vor dir selbst! Flieh vor dem Anblick deiner Tochter! Nur Zum Zeugniß eigner Schmach wirst du ihr Da - seyn dir Verewigen; mit eigner Hand wirst du Auf ihre Stirn der Schande Brandmaal druͤcken; Auf ewig wird sie seufzen, jammern muͤssen,43 Das Agamemnon sie gezeugt, der einst So hochbegluͤckte – nun verworfne Koͤnig! – O Schicksal, deine Hand liegt schwer auf mir! Woher die Kraft, die mich erhaͤlt? Woher Der Muth, der mir das Schrecklichste zu tragen Vergoͤnnt? – Wohin ich sehe, nur die Klippe, Die meines Gluͤckes Schiff zerschellt! wohin Ich fliehe, nur der offne Schlund, der mich Und meinen schoͤnen Ruhm so tief begraͤbt! – Ihr Goͤtter, wollt ihr euer Werk nicht ganz ver - derben, So zeigt mir einen Weg aus dieses Irrsals Nacht! Durch deinen Blitz laß, Donnerer, mich lieber sterben, Eh 'ich, was schaͤndlich ist, vor mir und euch voll - bracht! –
Der Vorige. Menelaus und Ulysses
Achilles und Automedon.
Ein neues Ungluͤck, Agamemnon, treibt Uns her zu dir.
Was giebt's? Was kann es mehr Noch geben? Ist noch nicht bis auf den Grund Des Ungluͤcks Maaß erschoͤpft?
Ein schneller Tod Rafft ploͤtzlich in dem Heere unsrer Helden Bewaͤhrteste hinweg. Es fuͤllen sich Die Zelte mit den Leichnamen der Krieger; Der Sohn erblaßt in seines Vaters Arm;45 Und jammernd blickt der Sohn auf seines Vaters Entseelte Huͤlle hin. Das Angstgeschrey Verdoppelt sich; laut fodert man von dir Zur Rettung Huͤlfe, Suͤhne fuͤr die Goͤtter. Man droht mit schnellem Aufbruch; schon durch - laͤuft Das dir gewordene Orakel Heer Und Stadt.
Wohl! Ich verstehe euren Wink, Ihr Unerbittlichen! – O fasse dich, mein Herz! Es ist ja nicht dein Werk! –
Hast du beschlossen? –
Nicht ich! – Das Schicksal hat's! – Es giebt, ich seh's,46 Nun keinen Ausweg mehr. Das Loos, es ist Gefallen! bluten muß das Opfer. – Wer? Wer fuͤhrt es her zu uns? –
Wen meinst du, Koͤnig? Was fuͤr ein Opfer?
Wen? So fragst du grausam noch? –
So ist's dein Wille?
Kann ich wollen? Muß Ich nicht? Und darum, weil ich muß, kann ich Mit meines Herzens Kraft nicht widerstreiten. –
Nun dann, so schweig 'in mir des Herzens Stimme! Ich bin nicht Vater mehr, nicht Gatte mehr;47 Ich hab' auch keinen Theil mehr an dem Gluͤck Des Lebens; ich bin euer Feldherr nur; Allein ein unerbittlicher Vollzieher Des ewig furchtbar unabaͤnderlichen Gesetzes der Nothwendigkeit! –
Was willst Du denn, das nun geschehen soll?
Es sey! Ulysses geht nach Argos, fuͤhrt das Opfer Uns unverzuͤglich her; durch welche List – Gleich viel – und Kalchas zuckt den Opferstahl! –
Achilles, Automedon hervortretend.
So ist's entschieden? – Iphigenia Soll sterben, bluten am Altar; und ich Ein Zeuge des unmenschlichsten der Opfer seyn? O du, von allen Vaͤtern grausamster! Du kannst es wollen? – Schrecklich! – Schweigt in dir Die Stimme der Natur? – Auf mich hoffst du Nun, Iphigenia; denn dich verlaͤßt des Vaters Getaͤuschtes, Ruhm ergeizend Herz. – Wohl! dich Verlaͤßt die Liebe nicht. Nur sie, sie muß, Sie kann und wird dich retten. – Ja, sie solls! – Automedon! getreuer, tapfrer Freund! Auf, geh, nimm dir, doch unbemerkt den andern, Das schnellste meiner Rosse. Wirf dich drauf! 49Mit Windesfluͤgeln eile hin nach Argos. Komm dem verschlagnen, hinterlistgen Ulyß zuvor. Sag 'Iphigenien: Achilles warne sie; nicht Ohr und Herz Soll sie dem listigen Betruͤger leihn; Hier warte ihrer nur Verrath und Tod; Selbst Agamemnon, selbst der Vater, sey Betrogen, sammt dem Heer getaͤuscht! – Wohl - an! Du weißt nun alles. Geh und eile, ehe Dich Jemand sieht – verraͤth!
Wie aber, wenn Ulyß –?
Bedenke laͤnger nicht; denn nur Die Eile kann hier retten. Tod bringt die Verzoͤg'rung der Geliebten! – Geh! du thust50 Es mir; du rettest mir das eigne Leben; Du kannst des Lebens hoͤchstes Gluͤck mir geben!
Und sollt 'ich auch die eigne Seele lassen, Nicht unter Priesters Hand soll sie erblassen!
Verweile laͤnger nicht, mein Fuß, im dunkeln Gemach! – Es schwebt der Morgen schon em - por; Mit Rosenfingern faͤrbt er Land und Meer; Auf jedem Baume, jedem Rasen glaͤnzt Sein Perlenthau, und balsamreich Geduͤft '52Entsteigt der Flur, dem Hain. – Hinaus, hinaus! Hin an den Busen der Natur! – Es quillt Die Freude mir aus ihrer Mutterbrust; Von ihrem holden Angesichte lacht Mir hell und ungetruͤbt die Wonn' entgegen; Mit keinem Klageton vermischt, erschallt Ihr heiliger Gesang in mein erfreutes Herz. – Wie sie mir winken, mit dem hold verschaͤmten Blick, Die keuschen Rosen! Wie sich so bescheiden Der Lilien balsamreicher Kelch geoͤffnet, Gekleidet in der Unschuld reinstem Glanz! – Der Lorbeer rauscht, und Zephyr's sanfter Hauch Durchsaͤuselt mir der Liebe heilig Laub. – Fort! hin zu euch, ihr Freunde meiner Jugend! Gepfluͤckt mit reiner Hand – von euch, und nur Von euch erborgt die Jungfrau ihren schoͤnsten Schmuck. –
Iphigenia im Hintergrunde. Nach einer Weile tritt Klytaͤmnestra mit angstvollen Blicken auf.
Wo ist sie? – Weh! Aus meinen Armen schon Entrissen? – Schreckt des finstern Traumes Bild Noch immerfort mein muͤtterliches Herz? Wie? Oder hat die raͤuberische Hand, Die ich dem Lager der Unschuldigen Sich naͤhern sah, mit kuͤhnem Frevel mir Mein Kind nur zu gewiß entwandt? – Wo bin Ich? – Traͤum 'ich, oder glaͤnzt in Wahrheit schon Des Lichtes Strahl, von Phoͤbus Angesicht, In mein erwachtes Aug'? –
Wohl mir! – O Dank,54 Ihr guten Goͤtter! Dank! – dort – dort er - blick 'Ich sie, ein wohlbewahrtes Kleinod, in Dem heilgen Mutterschooße der Natur. – Wie unbewußt des muͤtterlichen Kummers, Die Nymphe dieses Thals, sie froh durchtanzt Die Blumenau'! – O gluͤcklich, selig Loos Der unschuldvollen Jugend, die noch nichts Empfindet von des Lebens schwerer Muͤh '; Von jenem Sturme noch nichts ahnet, der, Mit ungebeugter Kraft, das Gluͤck der Sterblichen Zerstoͤrt! – Nur sie, die guten Goͤtter, sieht Ihr Aug', verehrt ihr liebend Herz mit heilger Scheu; Nicht jene furchtbarn Maͤchte fuͤrchtet sie, Die, sonder Maaß und Ziel, verhaͤngen uͤber das Geschlecht der Erdenkinder ihres Zorns Unaufgehaltne Wuth. – O laßt, ihr Himm - lischen, Ihr ganzes Leben seyn, wie ihres Daseyns hell55 Erwachten Morgen! Sichert ihr mit Huld Der Unschuld theuren Schatz! Gebt Freud 'und Ruh' Der reinen Seele immerdar! Staͤrkt ihr Den hohen Sinn, mit dem sie fuͤr die Tugend Rrgluͤht, und kroͤnt durch eines Helden Liebe, Der einst der Stolz des Vaterlandes wird, Des tugendhaften Weibes hoͤchstes Gluͤck! –
Bist du mir schon gefolgt, geliebte Mutter? So fruͤhe schon dem Arm des Schlafs entflohn?
Ein banger Traum entriß mich seinem Arm.
Der boͤse Traum! Warum mußt 'er dich wecken! 56Ich wuͤnschte doch, du schlummertest noch sanft. – Sieh, diese Blumen wollt' ich dir, bevor Du noch erwacht, aufs muͤtterliche Lager streun, Damit ihr suͤßer Duft dein Herz erquickte, Und wenn der erste Strahl Aurorens dein Gemach erhellen wuͤrde, gleich dein Blick Auf meiner Liebe schuldlos Opfer fiele. –
Nimm diesen Kuß zum Dank dafuͤr. Wie lohnt Mich deiner reinen Liebe Hochgenuß! – Wie suͤßt er jede Bitterkeit des Lebens mir! – Und dennoch, Iphigenia, – vergieb Dem Mutterherzen diese bange Furcht – Wenn einst des Schicksals maͤchtge Hand – denn ach! Zu schwer traf sie von jeher das Geschlecht, Dem du entsprossen – auch sich wider dich Erhoͤb ', auch du dem zuͤrnenden Geschick Ein unverschuldet Opfer fielst –
Warum, Geliebte Mutter, sollten mir erzuͤrnt Die Goͤtter seyn? Mir, die ich nichts vollbracht, Was ihrem heilgen Willen widerstrebt? Send 'ich nicht taͤglich mein Gebet zu dem Olymp? Bring' ich nicht Opfer dar, zum Dank Fuͤr ihre Huld? Wallt nicht mein Hymnus mit Der Weihrauch Wolk ', die dem Altar entsteigt, Rein zu des Aethers Hoͤh' empor? – Ach! haͤtt 'Ich je der Menschheit Recht entehrt? – haͤtt' ich, Was goͤttlich ist, entweiht? – haͤtt 'ich den Zorn –
Beruhige dein Herz, mein Kind. Noch sind Dir hold die guten Goͤtter; doch aus des Verhaͤngnisses geheimnißvoller Urne Faͤllt oft dem Sterblichen ein Loos, dem er58 Umsonst nur widerstrebt; faͤllt unverhofft, Ihm unbewußt, bis an dem Tag des Wehs Sich ihm die Hand des Schicksals offenbart. – Denk nur an deines Stammes ungluͤckliche Entsproßne, Tantal's tief gefallne Schaar. –
Ach, wohl erinnr 'ich mich, wie du mir oft Vom grausen Falle meines Stamms erzaͤhlt. Doch Tantalus und Pelops und Thyest Und Atreus, der Erzeuger meines Vaters, Die des unseligen Geschicks so viel Betraf, die, wie von Furien gepeitscht, Selbst wider eignes Blut mit wilder Hand ge - tobt – Nur Frevler waren sie, und trugen keine Scheu Vor Goͤttlichem und Menschlichem. Was sie Erduldet, war's nicht mehr der eignen Schuld Erzwungene, gerechte Ahndung, als Des unverschuldeten Geschickes Last? –59 Sie sind dahin, und ihre Enkelinn Beweint nur ihren Fall. – Doch auf ein schoͤn' - res, Erhabnes Beispiel laß mich schauen mit Vertrauensvollem Sinn. Noch preiset es Der Saͤnger Hochgesang, und ewig wird's Gepriesen werden in der Nachwelt Mund. Wie hebt sich meine Brust! wie, mit Begeisterung Erfuͤllt, erweitert mir die Seele sich, Wenn ich Alzeste'ns Namen hoͤre, von Des Saͤngers Lyra laut ihr Lob ertoͤnt! Wie sie das eigne Leben gern und willig dem Gemahl geopfert, zu dem Tartarus Freiwillig stieg, um frei zu loͤsen, weil's Des Schicksals Spruch also gefodert, von Dem stygischen Gestade seinen Geist.
O viel, viel giebt's der edlen Dulder noch, Die, von der Goͤtter Hand erhoͤht, und zu60 Genossen der Freuden des Olymps geweiht, Nachdem des Schicksals Last sie hier zermalmt. – Laß sie die hohen Muster seyn, woran Dein Geist sich bildet, sich dein Muth bewaͤhrt; Denn ach! vielleicht – vielleicht bedarfst du sein! –
Was ist's, das meiner Mutter Herz so bang 'Bewegt? – Ist's boͤse Ahnung? Kann ein Traum Der Seele Heiterkeit ihr rauben? Nur Mit schwarzen Bildern das Gemuͤth erfuͤllen? – Ich mag's nicht denken, daß dem Vater, daß Dem Heer ein Unfall zugestoßen sey,61 Von dem die Kunde sie mir noch entzieht. – Waͤr's moͤglich? Koͤnnte selbst die Kraft des Hel - den Ein Ungluͤck beugen, das sein Haupt bedroht? – Wenn's mein unschuldig Flehn vermag zu wen - den, Wie gern streck' ich die Hand empor Zum Himmel fuͤr des besten Vaters Wohl. Doch mehr als Weihrauch und den suͤßen Duft Von diesen selbst gepflegten Blumen kann Die Jungfrau euch nicht weihn, ihr Himmlischen, Da sie des eignen Hauses sich noch nicht Erfreut; doch dies bring 'ich mit reinem Sinn.
Ihr Goͤtter, denen dieser Altar heilig, Die ihr des Hauses Schutz und Beistand seyd, Nehmt diese reinen Gaben huldvoll an! Nehmt diesen Lorbeer, womit ich den Thron62 Des ruhmerhoͤhten Koͤniges zu schmuͤcken Gedacht, nehmt ihn, ein kleines Opfer, an Von meiner schwachen Hand! – Euch, euch ge - buͤrt Sein Ruhm, sein Gluͤck! – Zu euren Fuͤßen leg 'Ich diesen Siegerschmuck. Kraͤnzt ihr damit Sein koͤnigliches Haupt, und fuͤhrt ihn, unver - letzt, Aus heißem Kampf und dem Gewuͤhl der Schlacht In dieses Haus, in seiner Tochter Arm, Wenn ihr's bey euch beschlossen habt, zuruͤck! –
Iphigenia. Ulysses. Diomedes.
Das ist sie selbst. Nun laß uns naͤher treten.
Die Goͤtter, edle Jungfrau, moͤgen dein Gebet erhoͤren; denn der fromme Blick, Den du, voll innigen Vertrau'ns, zum Himmel Erhobst, sagt uns, daß du, was recht nur ist, Von ihnen hast erfleht; und sie gewaͤhren Des Frommen Bitte gern. – Doch sag 'uns, ob Wir recht vermeinen, dies sey Agamemnon's Haus, Des hochbegluͤckten Koͤniges, – den lange Der Goͤtter Huld erhalten mag! – denn wir Sind fremd und unbekannt in Argos, heut Zum erstenmale hier; obgleich des Hauses, Vor andern schoͤn geschmuͤckte, Halle und64 Der Raum, den prachtvoll es erfuͤllt, uns kaum Noch zweifeln laͤßt, daß wir gefunden, was Wir suchten.
Wohl. Ihr irret nicht. Wer ihr Auch seyd, geliebte Maͤnner, seyd gegruͤßt An dieser Schwelle! Dies ist Agamemnon's Haus, Des hochbegluͤckten Fuͤrsten der Argiver. Doch er, der Koͤnig selbst, ist nicht daheim. Er fuͤhrt des Vaterlandes Heer gen Troja, Damit er selbst die Schmach vertilge, die Ein Frevler seinem Hause zugefuͤgt. Doch drinnen waltet sie, die Koͤniginn, An seiner Statt, die euch, wie's Fremdlingen Gebuͤrt, der Gastfreundschaft uns heilges Recht Gewaͤhren wird.
Nur sie, die Koͤniginn, Begehren wir zu sprechen, denn vom Koͤnige Sind selbst wir abgesandt.
Ihr kommt vom Heer? Von Agamemnon selbst? – O, so verzeiht Der Jungfrau, daß sie laͤnger noch bey euch, Den Fremdlingen, verweilt! o, sagt mir, sagt, Eh 'weiter ihr noch geht: der Koͤnig lebt? Und alles stehet wohl?
Der Koͤnig lebt.
So sey den hocherhabnen Goͤttern Dank! – Ihr kommt von Aulis – harrt das Heer noch dort? 66Es ist schon lange, daß ihr da gelagert! Haͤlt euch ein Unfall gar zuruͤck? –
Ein Heer Bedarf zur großen Ruͤstung Zeit; und wenn Zumal die Rache draͤngt, ist jede, selbst Die kleinste Rast, die in der noͤthigen, Verstaͤnd'gen Vorbereitung liegt, zuwider – Ein Unfall, wenn du willst. Doch kuͤhlt sie nim - mer Der Griechen Feuer, das sie staͤrker nur Entflammt.
Wird aber nicht der laͤngere Verzug euch selbst zur Last? Der Helden Seele liebt Ja wohl die Ruhe nicht, und lange Muße, sagt Man, laͤhmt des Koͤrpers und der Seele Kraft.
Du wuͤrdest, edle Jungfrau, saͤhest du Das Lager nur mit eignen Augen an, Das Treiben und das Wogen uͤberall Der Maͤnner und der Schiffe staunend sehn, Und in der Muße selbst, fuͤrwahr, die Ruh 'Vermissen. Denn was oft der Wanderer, Auf langer Reise, hier und dort nur sieht, In Staͤdten und in Laͤndern fern zerstreut, Das wuͤrdest du, von einer Hoͤh' zumal, Mit einem Blick umfassen; wie von Kuͤnstlers Hand, Auf einem praͤcht'gen Teppich, mit der Farben Glanz Gezaubert, unserm Aug 'im kleinen Raum, Ein reiches, mannichfalt'ges Bild sich zeigt.
Wenn euch die Eil 'nicht draͤnget, ihr nicht zuͤrnt Der Neugier eines unerfahrnen Maͤdchens,68
So sag mir, guter Fremdling – denn du scheinst Ein kluger, wohlerfahrner Mann zu seyn, Und ich vernehm 'es gern – was sich im Heere, Was sich im Lager, wo der Koͤnig waltet, Und das der Freunde unsers Hauses mehr Noch birgt, was sich dort alles froh begiebt; Denn eines Helden Tochter bin ich zwar, Doch dieses Aug' sah nie ein Heer, sah nie Ein Lager, nie des Kriegesgottes wild Bewegten Tummelplatz.
Sehr gern erfuͤll 'Ich deinen Wunsch. Es ziemt des Helden Toch - ter, daß Sie auch nach dem wohl frage, was dem Vater Lust Und Freude giebt, und wo des Hauses Ruhm Erwaͤchst. – Weit hinter Aulis, wisse, dehnt,69 Bis an Euboͤa's unscheinbare Kuͤste, Die Meeresflaͤche des Euripus sich. Zwei Busen, einen groͤßern, einen kleinern, Gewann der Meeresgott, zu Schutz und Schirm Der Schiffenden, zwei sichre Hafen, einst Dem felsigten Gestade ab. Der groͤß're nur Umfaßt der Schiffe zahllos Heer; denn mehr Als tausend birget schon sein weiter Raum. Ein dichter Wald von Masten starret aus Der Meeresfluth empor. Geordnet nach Der Voͤlker Vaterland, und ausgezeichnet durch Der Fuͤhrer sinnreich ausgedachtes Waffenbild, Siehst du, in langen Reihn, die Flotte liegen. Nah am Gestade, zwischen Aulis Meer - Umwogten Mauern und Diane'ns Haine, Bedeckt das offne Feld der Zelte leicht Erbaute, leicht zerstoͤrte Stadt, weil nirgends Erbaut der Krieger sich ein festes Haus, Wie's ihm die Ruh' des Friedens wohl vergoͤnnt. Dies ist der Hoffnung und des truͤgerischen Gluͤcks,70 Des jugendlichen Leichtsinns, wie der Feldherrn Ernsthafter Ueberlegung, wie der Kurzweil, Des edlen Heldenspiels, der Rache und Der gluͤhend heißen Tapferkeit, mit Laͤrm Und Klang und weit erschallendem Getoͤs 'Furchtbar erfuͤllte Lagerstatt. – Dort hoͤrt Dein Ohr der muth'gen Rosse Wiehern; hier Ertoͤnt der Schild' und Panzer, Schwerter, Lan - zen Gemischtes, heiseres Geklirr; dort schallt, Aus weiter Fern ', ein rauher Schlachtgesang; – Hier freut beym reichern Mahl der Fuͤrst, dort bei Dem kaͤrglichern, wie's Gluͤck und Ort gewaͤhren, Ein Haufen Krieger sich des Bacchus Gaben, vergißt das vaͤterliche Haus, den Krieg Mit allen seinen Schrecken, traͤumt ein Gott, Ein Buͤrger des Olympus sich. – Doch hier Zieht jetzt dein Aug' der goͤttergleichen Fuͤrsten71 Erhabene Gestalt an sich. Wie sich Im Wald, mit niederem Gestraͤuch vermischt, Hoch uͤber der unedlen Haͤupter weg, Die schlanke Palm 'erhebt mit edlem, Frucht - Geziertem Wipfel, und dein Auge ruht Mit Lust auf dieses koͤniglichen Baumes, Zum Himmel stolz gekehrtem Wuchs; so ragen, Vor allen andern erzumschirmten Griechen, Achaja's Fuͤrsten deinem Blicke vor. Dort mit gewandtem Arm treibt Patroklus Des Diskus glaͤnzend Erz hoch in die Luft, Und labt sich an dem wohlgelenkten Fall. Hier siehst du unter jenes Zeltes bunt Gewirktem Teppichdach die beiden Ajax, Den Sohn des Telamon, und den Dileus hat Erzeugt, in bruͤderlicher Eintracht, mit Der bunt gefleckten Wuͤrfel Spiel die Zeit Verkuͤrzend tilgen, die annoch die Schlacht Nicht fuͤllt. Den du dort siehst, im schnellsten Lauf, Dem ferngesteckten Ziel entgegen stuͤrzen,72 Das ist Meriones aus Kreta, dem Im Wettlauf keiner je den Preis entrang.
Und der, der hier, mit hochumbuschtem Helm, Am Arm den goldnen Schild, ein andrer Mars An Muth und an Gestalt, den schweren Spieß Mit sausendem Geraͤusch, wie Zeus herab Die Blitze, schleudert, das ist Peleus Sohn, Des weisen Chiron kunstgeuͤbter Zoͤgling Und Fthia's hoffnungsreicher Fuͤrst, Achill –
Achill! Achill! O, nenne seinen Namen mir Noch einmal, theurer Mann! Wie du ihn schil - derst, ja, So tritt er kuͤhn einher, ein Kriegesgott Im Streit, und in des Friedenshuͤtte ein Apoll, wenn suͤß von seiner Leier toͤnt Der sanften Liebe hoher Lobgesang. –
Die Vorigen. Klytaͤmnestra schnell ein - tretend und Iphigenien zuruͤckziehend.
Was hoͤr 'ich, Iphigenia? Was fuͤr Ein Rausch ergreift dein schwindelnd Herz? – Was seh' ich! – Wie? Wer sind die Fremdlinge?
Vernimm, wie dieses Mannes honigsuͤßer Mund Vom Lob des Heißgeliebten uͤberstroͤmt. –
Sprich weiter! rede mehr –
Hinweg! – Du bist Von Sinnen.
Ihr verzeiht die Schwaͤrmerei. –74 Wer aber seyd ihr, und was fuͤhrt euch her Zu mir? Von wannen kommet ihr?
Heil dir, erhabne Koͤniginn, und deiner Tochter! denn Ich seh's an dieser schoͤnen Flamme, die In ihrem reinen Herzen brennt, sie ist Die Tochter Agamemnon's, Iphigenia, Achill's verlobte, holde Braut. –
Wer bist Du, Mann? Und wer gab Kunde dir von dem, Was nur bis jetzt war ein Geheimniß in Des naͤchsten Freundes Brust?
Es war uns kein Geheimniß laͤngst, o Koͤniginn. Schon harrt75 Das ganze Heer der Griechen – denn ich komme Von Aulis her – mit Ungeduld auf dich Und deiner Tochter Ankunft dort.
Ich bin Erstaunt. Wie, guter Freund, kommst du dazu, Mir solche Maͤhr zu bringen? Weiß ich selbst Doch nicht, was mich dahin zu gehen koͤnnte Bewegen; denn ich bin ein Weib, und trage Des eignen Hauses Sorge. Dort im Lager Herrscht rauhes Kriegsgetoͤs ', das nur das Ohr Des Weibes und der Jungfrau uͤbertaͤubt, Und ihren sanftern Sinn verletzt, statt zu Ergoͤtzen.
Staune nicht. Uns sendet dein Gemahl. Ich bin Ulyß, Laertes Sohn,76 Des felsenreichen Ithaka's, auch dir Nicht unbekannter, Koͤnig.
Wie?
Ulyß?
Ich bin's; und dieser hier ist Diomed, Des Tydeus Sohn.
Wenn ihr es seyd, so gruͤß 'Ich euch, geehrte Helden, wie es sich Ggebuͤrt. Was aber kann zu uns euch fuͤhren, Da jetzt die Heldenkraft des ganzen Hellas Mit Eil' sich ruͤstet, zu der Rache Werk;77 Wie ich vermeinte, schon von Aulis fern, Gelandet an des Feindes Kuͤste, Sturm Und Fall der stolzen Pergama bedroht?
Noch weilen wir in Aulis, auf der fern Entlegnen Voͤlker Ankunft harrend; doch Wird bald der Anker Last gelichtet seyn, Und nichts mehr hemmen unsern Siegesflug, Wenn noch zuvor sich froh erfuͤllen wird, Was uns des Schicksals Spruch, zum Unterpfand Des Sieges, gnaͤdig hat verkuͤndiget.
Deshalb schickt Agamemnon uns zu euch.
Zu uns? – Was koͤnnen wir dem Heer gewaͤhren, Das ihm den Sieg gewinne? Was verlangt Von uns des Schicksals Spruch?
Kein Opfer; nur Beschleunigung des frohen Bundes, der Schon laͤngst beschlossen war. Der Koͤnig, dein Gemahl, will Iphigenien, noch vor Des Heeres bald'ger Abfahrt, mit Achill Vermaͤhlet sehn. –
Ihr Goͤtter! hoͤr 'ich recht?
So schnell? – So unverhofft? – Das war sein Wille nicht, Da er von uns geschieden.
Auch Achill Wuͤnscht es, und freuet sich des nahen Gluͤcks.
Das uͤberrascht mich; ich gesteh 'es frei.
Das Heer soll Zeuge seyn des frohen Bundes; Ganz Griechenland, durch seiner Helden tapfersten, Soll Theil an dieser Feier nehmen, die Ein Fest des ganzen Vaterlandes wird. Dies Fest soll jener maͤcht'gen Gottheit Zorn, Die Helena so tief, durch jenen Bruch Des eng geschloßnen Bund's, beleidiget, Versoͤhnen nach der Goͤtter hohem Rath, Austilgen diese Schmach. Denn eher wird Der Sieg nicht unser Theil, nicht eher faͤllt Durch unsre Hand die stolze Priamsburg.
Was ihr mir sagt, geliebte Maͤnner, sey's So schoͤn, so groß und freudenvoll es wolle, Es kommt mir unerwartet doch, bestuͤrmt80 Auf einmal fast zu sehr das weibliche Gemuͤth.
Ich glaub's; doch ist es nicht zu aͤndern, Und es erleidet nicht Verzug. Wir sind Bereit, dich und die wohlgeschmuͤckte Braut Und die Geschenk ', die sie dem Manne bringt, Nach Aulis sicher zu geleiten; denn So will's der Vater, will's Achill, die euch Der Freunde Schutz vertraun.
Zuvor raͤumt mir, Der Mutter, eine Frage billig ein. Der Zeiten Faͤhrlichkeit ist groß, zumal Im Krieg, wo Freund und Feind die List nicht scheut. Nie hab 'ich euch zuvor gesehn; woher Soll ich es wissen, daß ihr seyd gesandt81 Von Agamemnon, daß du bist Ulyß, Laertes Sohn, und dein Gefaͤhrte, wie Du sagst, des Tydeus, Diomed? – Was gebt Ihr mir zum sichern Unterpfand fuͤr das, Was ihr gesagt? Den Fremdlingen kann sich Das Weib, die Mutter ihre Tochter nicht Vertraun.
An deinem Argwohn, Koͤniginn, Der so gerecht und billig ist, erkenn 'Ich Agamemnon's kluge Gattinn. Ich Erfuͤlle dein Verlangen. Auch sind wir, Um ihm zu gnuͤgen, selbst vom Koͤnige Geruͤstet.
Hier leg 'ich in deine Hand Sogleich den koͤniglichen Siegelring,82 Den er an seinem Finger traͤgt. Du wirst In jenem Kleinod, das der goldne Reif Umschließt, das Sinnbild nicht verkennen, das, Mit kunstgeuͤbter Hand, der Meister hat Darauf gebildet, eine schoͤne Zier. –
Ich seh's; er ist des Koͤniges. – Ich kann Dir ganz nunmehr vertraun; ich muß.
Und der Geliebten schickt der Held, der dein mit heißem Wunsch Begehrt, der dich als Gattinn bald begruͤßen wird, Dies festlich glaͤnzende Gewand, damit Dein holdes Antlitz zu verhuͤllen, wie Von den Verlobten heilge Sitt 'es heischt.
Sieh, Mutter! sieh, dies koͤstliche Gewand! – Mir schickt's Achill! – Nein, Mann, du taͤu - schest nicht; Mir sagt mein klopfend Herz, du kommst von ihm. –
So folgt mir denn, geliebte Freund ', ins Haus, Damit ich euch vermag die heilge Pflicht Der Gastfreundschaft bei frohem Mahl zu leisten. Dann wollen wir, zur schnellen Abfahrt, mit Bedacht uns ruͤsten, und dem guten Gluͤck, Im Schutz so tapfrer Helden, uns vertraun! –
Den Goͤttern Dank, die sonder Rast mich her Gefuͤhrt, die meinen Weg mit Huld geschuͤtzt! – Zur rechten Zeit betret 'ich diesen Ort. Noch find' ich der Betruͤger Spuren nicht; Dem Freunde hoff 'ich die Geliebte noch Zu retten. – Stilles Haus! fuͤr jetzt der Un - schuld Sitz, Der heilgen Liebe Pflegerinn! noch fuͤllt Kein Seufzer deine Hallen; noch ergoͤtzt Vielleicht ein holder Traum auf sanftem Lager Mit des Geliebten Bild die keusche Jungfrau. Der Zukunft Gluͤck umfaßt, vom Argwohn leer, Der Mutter Seele ganz. – Doch bald wird euch Der Warnung Stimme schrecken; bald ertoͤnt, Vom Angstgeschrei der Mutter, der Geliebten,85 Von Klagetoͤnen der Verzweifelung, Die alte Burg der Tantaliden wieder. – Ich darf, ich kann's nicht hindern. Mein Ge - schick Treibt mich, des Ungluͤcks Bote nur zu seyn. – Wacht auf! Es droht Verderben euch! Die List Schleicht eurem Lager zu! – Was zaudert ihr? – Ich sehe Niemand; Niemand kommt heraus. Fort! Fort! hinein in den Pallast! – Achill Ruft mir! es draͤnget die Gefahr! – Wohlan! –
Automedon. Ulysses und Diomedes.
Es ist geschehn! – Sie ist verloren! – Weh!
Hier naͤhert sich Gefahr. Es gilt. –
Was bringst Du, Freund, so unerwartet uns in Argos?
Unsel'ge! welche Furie trieb euch an, Mit Windesfluͤgeln euren Lauf zu foͤrdern? –
Bist du gekommen, zu vernichten, was Wir klug gethan; dann rath 'ich dir: kehr wieder heim, Woher du kamst. Fuͤr dich giebt's kein Geschaͤft Mehr hier.
So habt, ihr Hinterlistigen,87 Schon den Betrug gespielt? Die Unschuld schon Beruͤckt? Gefallen ist in euer Netz Das Opfer rettungslos?
Was nennst du List? Betrug? Gilts meinen Vortheil hier?
den seinen? Ist's nicht das Vaterland, nicht Agamemnon, der Uns sendet? Ist es nicht der ewge Ruhm Des griechschen Volks, den wir, so viel an uns Ist, foͤrdern? Ist es nicht der Goͤtter Wille? – Das Nennst du Betrug? Und traͤgst nicht Scheu, der kleinern, Unmaͤnnlicheren Leidenschaft zu froͤhnen?
O schweig! Dein eignes, truͤgerisches Herz88 kennt nicht die Schaam. Ihr wollt den Doppel - sinn Des Goͤtterspruchs nicht sehn. Wer hat euch denn Gelehrt, zu eurem Vortheil nur zu waͤhlen, wenn Es gleich dem Andern Tod, Verderben bringt? Es gilt des koͤniglichen Hauses Wohl; Es gilt das Leben einer Griechinn hier; Des Freundes Gluͤck. Barbaren ziemt es nur, In eignes Blut die Hand zu tauchen. Seyd Ihr Menschen? Seyd des Vaterlandes Freunde, Wenn ihr zu seiner Toͤchter Mord die Hand Gereicht?
Wir haben uns're Pflicht gethan. Nur uns sind wir zur Rechenschaft verbunden.
Ich thu 'die meine. Wagt es nicht, zu hindern! 89Mit Donnerstimme will ich das Sirenenlied Vernichten, womit ihr die Unschuld in Den Todesschlaf gesungen. Kost' es selbst Das Hoͤchste! –
Fort von hier!
Nein! Keinen Schritt, Verraͤther, thust du weiter!
Ha! du willst Gewalt!
Euch Meuchelmoͤrder will ich mit Dem Schwert entlarven.
Wenn du's vermagst.
Du wagst, Unsinniger, das Aeußerste? – Halt ein!
Es gilt den Tod; es gilt das Leben; gilt Den Freund!
So fall ', ein Opfer deiner blinden Wuth!
Weh! Weh! – Ihr habt's erreicht, ihr Schaͤnd - lichen!
Der Schaͤndliche bist du! – Du hast den Lohn.
Der eure wartet euch. – Es ist geschehn!
Verrath! – Betrogne Iphigenia!
Wir sind verloren, wenn man ihn gehoͤrt. – O, daß es dahin kommen mußte, Diomed! –
Es konnt 'nicht anders! Sinnlos trieb die Wuth92 Ihn in das Werkzeug der Vertheidigung; Und meines Schwertes Spitze lenkte Ein Gott zu des Verraͤthers Untergang.
Nicht zaudernd laß uns nun den Leichnam dort In jene Kluft verbergen. –
Horch! Man kommt! –
Fort, fort! eh 'uns des Mordes Spur entdeckt!
Hoͤrt 'ich nicht meinen Namen nennen? – War's93 Mir doch, als wenn ich Schwerter Klang ver - nahm. – Ich hoͤre nichts, denn nur der Baͤume Rau - schen. – Wo sind die Fremdlinge? – Mir wird so bang'! Und doch ist mir so wohl, wie nie zuvor. – Die freudenvolle Bangigkeit, womit Das Gluͤck der Zukunft mich erfuͤllt, spannt hoͤher Die Saiten der Empfindung an. – O, mich Umschwebt ja uͤberall des Freundes Geist. Ich habe nichts zu fuͤrchten; Alles darf Ich hoffen. Halt 'ich nicht in meiner Hand Der treusten Liebe schoͤnes Unterpfand? Mein Herz und dies Gewand sagt es mir laut: Bald, bald wird Hymen's Wonnefest beginnen. – Mich reißt der Liebe Hand mit Macht von hin - nen; Der Braͤutigam erwartet schon die Braut. Die Fackeln lodern, und der Hymnus schallt;94 Zu frohen Taͤnzen reihen sich die Schaaren; Die Schoͤnheit will sich mit der Liebe paaren; Der frohe Zug mir schon entgegen wallt! – Leb' wohl! Leb 'wohl, du vaͤterliches Haus! Lebt wohl, des Vaterlandes schoͤne Fluren! Einmal vertilgt die Zeit doch meine Spuren – Jetzt fuͤhrt mich noch ein hold Geschick hinaus. Ein andres Haus nimmt eure Freundinn auf; Mein harren andre, suͤße Liebesfreuden. Ihr goͤnnt sie mir. Lebt wohl! Wir muͤssen scheiden; lebt wohl! – Ein Gott beschleunigt meinen Lauf! –
Achilles. Patroklus.
Noch hoff 'ich viel von Agamemnon's doch Der Menschlichkeit nicht abgewandtem Herzen. Eh' du das Aeußerste beginnst, Gewalt Willst der Gewalt im kuͤhn gewagten Kampf Entgegenstellen, so versuch den sanftern Weg Der Ueberredung noch zuvor. Als Mensch Sprich zu dem Herzen noch einmal des Va - ters,96 Wie's dich des eignen Herzens Stimme lehrt; Und menschlich wird der Mensch dem Menschen seyn.
Nun wohl. Ich will's versuchen; will den Fel - sensinn Des ruhmbegiergen Koͤnigs mit der Menschheit, will Ihn mit der Liebe Flehn erweichen; will ein Vaterherz beschwoͤren, und vielleicht Giebt er den grausen Vorsatz auf.
Gewiß giebt noch derselbe Mund, der Iphigenien Das Todesurtheil sprach, des neuen Lebens Verlorne Hofnung wieder.
Ja, nur auf97 Den Vater, dessen Liebesflamme sonst Sein Kind so heiß umfing, werf 'ich allein Der Hofnung sehnsuchtsvolle Blicke. Denn, So gern ich auch der Rettung suͤßem Traum Mich uͤberlasse; dem erprobten Eifer Automedon's mich gern und ganz ergebe; So berg' ich's nicht, daß bange Furcht vor der Verschlagnen List des Trug ersinnenden Ulyß mich peinlich quaͤlt; daß finstre Sorge Den Blick vor Diomed's verwegner Kuͤhnheit mir Umnachtet.
Mir nicht minder. Wo Betrug, Vom Gluͤck beguͤnstiget, sich uͤberdies Noch mit dem Honigseim der Rede suͤßt, Da freilich schluͤrft der unbefang'ne Mensch Das Gift mit heitrer Miene, waͤhnend gar, Daß Lebensbalsam ihm, von Freundes Hand Gereicht, erquicken wird das kranke Herz. 98Doch rettungslos faͤllt er, der Sichere, Ein Opfer des Verraths.
Wenn ich es denke: so Verrathen die Geliebte! hergeschleppt In's wilde Lager Iphigenia! Geweiht dem Tode, selbst von Vaters Hand! Ergriffen von des Priesters Arm an dem Altar, sie nur umsonst die stummen Blicke Auf's thraͤnenlose Aug 'des Vaters wendet! Umsonst das Aug' erhebt zum Himmel, der Nur Rache fodert! –
Auf, Achilles! auf! Daß es nicht dahin komme, sey dein Werk! – Ermanne dich, o Freund! der Koͤnig naht.
Die Vorigen. Agamemnon auf dem Wege nach seinem Zelte.
Du hier, Achill?
Ich harre dein. Doch mit Dem Koͤnig nicht, – nur mit dem Vater will ich jetzt Ein Wort der Liebe reden. Goͤnnst du mir's?
Wozu der Umweg? – Schon errath 'ich dein Beginnen.
Wohl mir dann, wenn es dein Herz Dir sagt, das treue Vaterherz.
Du schwaͤrmst, Erhitzter Juͤngling. Hier im Lager waltet nur Der Koͤnig, nur der Feldherr; denn der Vater Verblieb daheim in seinem Hause. Hier Kennt Agamemnon nur die Pflicht, die ihm Das Vaterland gebeut.
So willst du mir Den Weg, der einzig noch zur Rettung fuͤhrt, Verschließen?
Nur im treuen Dienst der Pflicht Ist Schutz zu finden vor dem Untergang. Gehorsam fodert das Gebot der Goͤtter. – Ihm folgt der Koͤnig.
Taͤusche dich nicht selbst. Denn einst kehrt auch der Vater wieder heim In sein verlaßnes Haus; einst sucht sein Blick Auch die Verlorne wieder; und – wenn er Sie nicht mehr findet, die sein Auge sucht, Nach der sein Herz sich sehnt, o, wehe dann Dem Koͤnig und dem Feldherrn! – Sieht er selbst, Mit Kindesblut bespritzt, den Lorbeer an Der oͤden Mauer welken, ach! es moͤgte Der Thraͤnen ungehemmter Strom das Blut Nicht waschen von dem welken Laub!
Ha, ist Es das, Achill, was dich fuͤr mich bewegt? – Sey ruhig, junger Held. Was in der Zeiten Entferntem Lauf das Schicksal mir noch bringt, Sey's gut, sey's boͤse, das gewahrt so bald Dein schwaches Auge nicht.
O, du entfliehst Mir nicht mit deinem liebeleeren Wort. Ich will's nicht glauben, daß dein Herz so kalt, Wie deine Zunge, spricht. Es kann der Mensch Nicht ganz an dir sein Recht verlaͤugnen, nicht Der Vater; grausam kannst du nicht dein Kind Vernichten, das du einst so heiß geliebt, Das deine Hand so sorgsam auferzog, Das deines Hauses schoͤnste Zierde war, Die Wonne deines Maͤnnerthums, der Trost, Des Alters Freude! – nein, das kannst du nicht! –
Laß ab, mich laͤnger zu bestuͤrmen. Du Erreichst es nicht. Der Jugend Leidenschaft Laͤßt dich das Unvermeidliche nicht sehn. – Ich trage mein Geschick. Erdulde du Das deine.
Was wagst du, mit kuͤhnem Wort, Das Unvermeidliche zu nennen? – Wie? Wo das Geschick in deine Hand die Wahl Gelegt, da nennst du unvermeidlich das, Wozu nur stolzen Geistes Drang dich treibt?
Was ich bedacht, was ich im schweren Kampf Der Pflicht dem Herzen nur mit Kummer hab 'Entrungen, das verhoͤhnt durch dich der Jugend Zu unbesonnene Vermessenheit Mir freventlich zu Stolz und Grausamkeit.
Ich will nicht Unrecht deiner Weisheit thun; Bis dahin hat das Leben sie bewaͤhrt. Allein der Glanz des Ruhmes, der von fern, Im ungemeßnen Raume dir entgegen strahlt, Worin dein koͤniglich Gemuͤth sich sonnt104 Mit Lust, der ist's, der dich geblendet hat, Der dir den Blick gestumpft fuͤr das, was nur Der enge, nahe Raum vom sanftern Gluͤck Des Lebens dir im mattern Schimmer zeigt.
Wie? Glaubst du nicht, daß auf der laͤngern Reise Des Lebens sich mein Aug 'geuͤbt? daß ich Der Zukunft Truggestalten von dem Bilde, Das mit bestimmter Form die Gegenwart Begrenzt, gelernt zu unterscheiden? Hast Du mich und mein Gemuͤth schon so erspaͤht? Hast du, mit fester Hand, des Urtheils Wage schon So recht ergriffen, daß du denkst das Herz Des Vaters und die schwere Last der Pflicht Darauf zu waͤgen mit Gerechtigkeit?
Ja, Koͤnig! wo mit lauter Stimme die105 Natur gebeut, da spricht auch laut die Pflicht. Es wird die Nachwelt dich darum nicht preisen, Daß du die Tochter hast dem Koͤnige Geopfert, hast den Vater mit des Feldherrn Gewalt'ger Stimme uͤbertoͤnt. Glaub mir, Durch mich spricht die Natur. Sie hat in mir Den heiligsten der Triebe nicht umsonst Erweckt, um durch der Liebe Feuer, das In meinem Busen lodert, auch in dir Das schon im rauhen Sturm des Herrscherlebens Erkaltete Gemuͤth fuͤr Kindesliebe Und fuͤr der Menschheit Recht von neuem zu Erwaͤrmen. Sey, o sey ein guter Vater! Sey Mensch, und du bist auch ein guter Koͤ - nig!
Du gehst zu weit. Ein jedes neue Wort, Das deinen Lippen kuͤhn entstroͤmt, zeugt von Entflammter Leidenschaft. Weil du vielleicht106 Hier auf der Stirn des Koͤniges das nur Mit Kampf zuruͤckgehaltene Gewoͤlk des Grams Nicht siehst, meinst du, daß hier im Innern schweige Das Toben des erwachten Sturms? – Lern 'erst Von mir, zu kuͤhner Juͤngling, was es heißt, Die Last des Schicksals tragen, wie es ziemt Dem Manne, wie dem Helden – mit Ver - nunft! –
Bleib, Agamemnon! –
Ach! es ist zu spaͤt.
Achilles. Patroklus.
Schlag, wenn du lechzest, an den harten Fels Der Wuͤste; sprich: gieb Wasser meinem Durst! So uneroͤffnet dir verbleibt, was tief In seinem Innern quillt, so fest verschließt Die Brust des harten Vaters jedes Wort Des Trostes mir! –
Hier giebt es keine Rettung mehr. Dahin ist jede Hofnung, die ich noch Auf ihn gepflanzt, und alles ist verloren, Wenn auch die letzte Huͤlfe mir versagt! – Nun dann, des Hofnungslosen einz'ger Hort, Gewalt! Empoͤrung! steht mir bei! denn die Natur hat keine Waffen mehr fuͤr mich. –
Du sprichst, Achill, ein furchtbar schweres Wort Im heißen Zorn; doch folge nicht sogleich Die rasche That dem zuͤgellosen Willen. Befluͤgelt reißt er jene mit sich fort, Und auf die schnelle Bahn einmal gefuͤhrt, Stuͤrzt unaufhaltsam sie zum blutgen Ziel.
Vernimm mit wenig Worten, denn es draͤngt Die That, was ich nunmehr im Herzen mir Beschließe. Wohl nicht ohne Grund bau 'ich Auf meiner treuen Myrmidonen Huͤlfe; Auf dich, der Freunde, manches andern Helden Gewicht'gen Beistand. Nun zuerst will ich Der Untergebnen Sinn erforschen. Es Bedarf nur eines Worts, das an des Haufens Gemeiner Vorurtheile Leidenschaft Sich schmiegt, und es gewinnt das Ganze mir. Hab' ich sie so gewonnen, uͤberlassen109 Sie meiner Willkuͤhr sich, sodann beruf 'Ich alle Fuͤrsten her zu mir, und fodre Sie auf, dem Koͤnig zu erklaͤren, daß, An seiner Statt erkoren, Menelaus Dem Heer gebiete, und wir ohne Mord – Ach! ohne der Geliebten Mord! – von hinnen ziehn.
Auf meinen Beistand trauest du gewiß. Nie wird der Freund den Freund verlassen! nie! Auch wohl vertraust du Einem und dem Andern. Doch nie gewinnst du sie, der Fuͤrsten ganze Schaar; Denn fuͤrchten sie nicht schon das bloße Herrscher - wort? Und rechnest du die Leidenschaft fuͤr nichts? Die Leidenschaft, die selbst den Kluͤgsten blind, Verstockt den Thoren macht? – Im Heere giebt's110 Der wilden, nur von blinder Leidenschaft Getriebnen Maͤnner viel; der weisen wenig. – Womit hoffst du die Ajax beid 'und selbst Ulyß und Diomedes zu gewinnen?
Ulyß und Diomed! Wohl, du erinnerst Zu rechter Zeit an diese mich! – Ich seh's, Eh 'sie zuruͤck gekehrt, eh' sie das Opfer, Gefesselt mit der List und des Betruges fein Gestrickten Banden, wie den Stier der Priester, Hierher gefuͤhrt, muß es entschieden seyn, Wenn sich's also entscheiden kann. – Ich eile Deshalb von hier, um schnell zu thun, was nicht Den laͤngeren Verzug vertraͤgt. Bleib du In dieses Ortes Naͤhe, um zu spaͤhn, Was sich begiebt. Ich fuͤrchte der Betruͤger Nur allzu schnelle Ruͤckkehr und den gluͤcklichen Erfolg der List. Gieb mir sogleich, wenn sie Sich zeigen, einen Wink. Ich gehe zu111 Den Schiffen; dort wirst du mich finden, wenn's Geschieht, was ich mit banger Ahnung fuͤrchte.
Es soll geschehen, was du wuͤnschest. – Doch Vielleicht befuͤrchten wir zuviel, und Alles Wird enden besser noch, als wir gedacht. Befuͤrchte die Gefahr; doch gieb der Furcht Nicht ganz dich Preis, damit der Muth, der nur Entscheidet, dir nicht mangle, wenn es gilt. – So geh dann hin, und wirke fuͤr die Liebe! Ich sorge fuͤr den Freund.
Mein Patroklus! –
Der Menschheit hoͤchstes, goͤttliches Gefuͤhl Belebt des Freundes tapfern Heldengeist, Und mischt zum ehr'nen Muth des Herzens Waͤr - me. Daraus entspringt der Thaten kuͤhnste dir, Der Thaten schwerste, die ein Juͤngling je Begann. Ob Sieg verleihn die Himmlischen Dem Kuͤhnen, ob der widerwaͤrt'gen Macht – Ist nur im Rath der Goͤtter vorbedacht! –
Der Vorige. Nestor.
Wo weilt der Koͤnig? Zu mir drang der Ruf Des Volks, es naͤhere sich schon dem Lager113 Die Koͤniginn mit Iphigenia; Und laut Getuͤmmel draͤngte sich mit Eil 'Den Kommenden entgegen.
Hast du recht Gehoͤrt?
Man rief es uͤberlaut. Ich sah Der Menge Strom; doch oft taͤuscht das Ge - ruͤcht.
O haͤtt 'es diesmal dich getaͤuscht! – Und du Willst selbst der Ungluͤcksbote seyn, der es Dem Koͤnige verkuͤndigt?
Sehen wird Er selbst doch bald genug, was sich begiebt. Damit er's doch nicht unbereitet sehe, So ging ich schnell, wie es des Fußes Kraft Vermag, um mit der leisern Rede, wie sie Die Klugheit uns gebietet und die Pflicht, Zuvor zu kommen des Geruͤchtes lautem Ruf, Das stets, am Herzen und Verstande leer, Voll Trug und Hohn, das unbereitete Gemuͤth mit Schreck und Angst bestuͤrmt.
Und du Glaubst, daß erschuͤttern werde diese Kunde Des Koͤnigs Herz?
Ist Agamemnon nicht Der Vater?
Ha! der Vater sprach ja selbst Das Todesurtheil aus!
Es that's der Koͤnig; Und was der Herrscher thut, weil es die Pflicht Gebeut, die harte, das zerreißt dem Menschen Wohl oft das weichgeschaffne Herz. Doch fest Und unbeweglich steht, ein Fels im Meer Der Leidenschaft, des Mannes Muth. –
Hier spricht Nur die Vernunft. In diesem Graukopf, armer Freund, Ist dir ein Helfer nicht erkoren. – Horch!
Schon nahet sich der Laͤrm. – Es jauchzt das Volk.
Ein ungluͤcksschwangres Zeichen! –
Fort! ich darf's Dem Freunde laͤnger nicht verschweigen! –
Nestor. Volk und Krieger auf die Buͤhne stuͤrzend, und sich im Hintergrunde sammelnd.
Ja! sie ist's!
Der Zug geht auf des Koͤnigs Zelt!
Hierher!
Gemach, gemach, ihr Maͤnner! Schreckt das Ohr Des Koͤnigs nicht mit eurem Wuthgeschrey!
Die Vorigen. Agamemnon tritt aus dem Zelte.
Was fuͤr Getoͤs 'erhebt ihr Unverstaͤndigen, In dieses Zeltes Naͤh'? Was treibt euch her?
Heil dir, dem Koͤnig!
Agamemnon Heil! Dem Retter Griechenlandes!
Was ist's, das dieser Tobenden Geschrei Verkuͤndigt? Loͤs't in Freude sich die Trauer auf?
Bereite dich, erhabner Voͤlkerfuͤrst! Es naht, was sie gewuͤnscht – was du ge - lobt – Und was die Goͤtter wollen.
Wie? Wer naht? Wer kommt?
Was du zu holen selbst geboten.
Das Opfer? – Ha! so bald? – Sprich! ist sie's selbst?
Sie selbst, zusammt der Mutter.
Klytaͤmnestra? – Weh! O, war es nicht an meinem Schmerz genug? –
Die Gattinn theilt gerecht den Schmerz mit dir.
Wo ist sie? – Laß mich fort, damit an's Herz120 Ich das geliebte Kind vermag zu druͤcken; Daß ich in meinen Arm die Holde schließe, Daß er sie schuͤtze vor Gewalt und Mord!
Bleib, Agamemnon! bald siehst du sie hier.
O, warum zaudern sie? Was haͤlt sie auf?
Daß es nur keiner wage, sie mir zu Entreißen!
Willst du nicht, daß ich das Volk Entlasse? Denn der uͤberlaͤst'gen Zeugen Bedarf der Schmerz des Vaters nicht.
Wie sie mir froh entgegen huͤpfen wird! Mich „ Vater! Vater! „ hold begruͤßen wird!
Verlaßt uns! Geht an euer Werk! Es ziemt Der muͤß'ge Blick den Maͤnnern nicht. Fort! – Geht!
Ach, ihrer suͤßen Stimme Klang, der sonst Mein Ohr entzuͤckt, wird jetzt der Wehmuth Thraͤne Nur meinem Aug 'entlocken, mir das Herz Durchbohren ihr unschuld'ger Blick!
Gebiete Dem Schmerz mit Heldenmuth! Wenn du er - zitterst, Wer mag es wehren, daß nicht die Verzweiflung Des zarten Opfers banges Herz zerbricht!
Ja, Nestor, ja! Ich will mich waffnen, will Die Brust mir staͤhlen mit der Hoͤllenrichter Empfindungslosem Ernst. – Wer sagt, daß ich Noch eine Tochter habe? Ich, der Koͤnig?
Sie kommen.
Goͤtter! – Ja, sie sinds! – Wer steht Mir bey! – Wohin verberg 'ich meinen Blick!
Die Vorigen. Klytaͤmnestra. Iphi - genia. Beide verschleiert. Gefolge von Weibern und Maͤdchen, die kostbaren Gefaͤße und an - dere hochzeitliche Geschenke tragen.
Sey mir gegruͤßt, o mein Gemahl! – Wie du Befohlen, fuͤhr 'ich Iphigenien Zur frohen Hochzeitfeier her; zur guten, Mit Gluͤck bekraͤnzten Stunde, geben es Die Goͤtter!
O mein Vater!
Seyd willkommen mir!
Wie sich's geziemt, bring ich dem Eidam die Geschenk '; hier goldene Gefaͤß' und anderes Geraͤth, dort Teppiche, von eigner Hand Gewirkte Tuͤcher hier; denn viel und mancherlei Bedarf das Haus zur reinen Zier und zum Gebrauch fuͤr Mann und Weib. – Doch truͤgt mich nicht Mein Blick, so lastet Sorge dir das Herz, Und truͤbt das Antlitz dir mit einer Kummerwolke. Wohl andres noch, als Hymens Feste, sinnt dein Innerstes?
Hier, in dem Lager, hier125 Pflegt freilich nicht der Held des Friedens Ruh ', Wie an dem vaͤterlichen Herd. Wohl manch Geschick, mit Unheil schwanger, drohend naht Es sich, ohn' Unterschied, dem Hoͤchsten, wie Dem Kleinsten; unverschonend bricht es aus, Wenn seine Stunde toͤnt und sich erfuͤllt Sein Maaß. Das ist nun einmal schon des Kriegs Geschick.
Des Helden Heimath ist der Krieg, Und Schlacht und Kampf sind sein Geschaͤft; doch in Gefahren waͤchst sein Ruhm. Den Frauen gnuͤgt's Im stillen Haus, entfernt vom Schauplatz der Gefahr, sich zu erfreun der Maͤnner Sieg 'Und ihres Ruhms. Wohl mir, daß ich's ver - mag! Und Heil dem koͤniglichen Helden, den126 Zum Gatten mir das gute Gluͤck erkor, Und den, lorbeerbekraͤnzt, den Sieg zur Ernte Des neuen Ruhmes fuͤhrt!
Fuͤhl 'es mit mir, Wie hoch des Vaters Ruhm den Stolz Der Gattinn mir in tief bewegter Brust Erhebt. O segne dein Geschick, das diesen Mann Und Helden dir zum liebevollen Vater gab! –
Ich fuͤhl 'es ganz, welch großes Gluͤck durch dich Die Goͤtter mir gewaͤhrt. O, moͤchten sie Es mir noch lang' gewaͤhren!
Gutes Kind!
Ich geh 'auf einen Augenblick ins Zelt, Um die Geschenke dort zu ordnen. Bald Kehr' ich zu euch zuruͤck. Dann wollen wir Der nahen Feier im Gespraͤch mit Lust gedenken
und der Braut.
Wir wollen es.
Agamemnon. Iphigenia.
Lang 'ist's, mein Vater, daß ich dich nicht sah.
Wohl lang ', und laͤnger wird uns noch der Krieg, Und das Verhaͤngniß wohl noch laͤnger tren - nen.
Warum denkst du sogleich der Trennung wieder Im ersten Augenblick des Wiedersehns? Ich freue mich, daß mich das Schicksal jetzt Mit dir vereint, daß ich des Vaters Antlitz Kann wiedersehn, an deinen Arm mich haͤngen, Die starke Heldenhand in meine legen, und Mit dir im Schatten des Gezelts ein Wort129 Des Scherzes plaudern kann. – Mir wird so wohl An deiner Brust! – Warum soll ich das Gluͤck Des Augenblicks mir durch die Furcht, selbst vor Dem nahen Abschied, rauben? – Doch, du bist So still! so ernst! –
Das Werk, das ich bereite, Gebietet Ernst.
Du freust dich nicht, wie sonst, Wenn ich dir froh entgegen kam, den Schweiß Von heißer Stirne trocknete, das Schwert Dem goldnen Guͤrtel dir entband, doch diesen Gewicht'gen, schoͤn gezierten Helm umsonst Vom Haupte dir zu heben trachtete; Denn klein und zart war noch des Maͤgdleins Hand. 130Doch lohntest du die unverstaͤnd'gen Dienste Mit einem Kusse mir, und haschtest wohl Die lose Waffentraͤgerinn, zogst sie Auf deinen Schooß, sahst hold sie an, und nann - test Mich oft die kleine Omphale, dein liebes Kind. – Bin ich's nicht mehr?
Mein Herz! –
Du bist's auch noch.
Erfreut es dich, daß du mich wieder siehst?
Ich freue mich des Wiedersehns. –
Weh mir! –
Und blickst doch mit so kummervollem Aug 'Auf mich herab?
Den Koͤnig und den Feldherrn Bedruͤckt der Sorgen schwere Last.
Denk 'jetzt An mich! O, schenke mir dich ganz; ich habe So lange dich entbehrt. Erheitere Den Blick; ich komme ja zu froher Zeit.
Auch bin ich froh, und gebe dir mich ganz Dahin.
Und dennoch rinnen Zaͤhren dir Die Wang 'herab?
Daß ich dich bald verlassen muß.
Weh uͤber Troja und die Pflichtvergeßne, Die dich jetzt mir zum zweiten Male raubt!
Noch etwas haͤlt das Heer und mich zuruͤck.
Ich weiß es, Vater. Schließen soll ich noch Zuvor den heilgen Bund der Ehe mit Achill. Die Gottheit will's. Nicht wahr, so ist's?
O, uͤber den Betrug! – Ein Opfer muß Ich noch zuvor den Goͤttern bringen – dann –
Nun wohl! Dies ist ja nur der Priester Werk, Die es den Goͤttern weihn. –
Nein; – selbst wirst du Es schaun, – wirst bey dem heilgen Altar stehn.
Wir Jungfraun singen heilge Hymnen am Altar?
O, Brust und Wangen dieses unschuldvollen, Geliebten Kindes! O, ihr goldnen Locken Der Jungfrau! wie des Jammers voll und des Verderbens ward euch fruͤh der Troer Stadt!
Was jammerst du, mein Vater, uͤber mich? 134Und wie so raͤthselhaft sind deine Worte? O, was beginnst du? Sprich! Mir wird so bang 'In deinem Arm! – Wo ist die Mutter? – Laß mich hin zu ihr! –
Nein, Iphigenia! Noch laß ich dich aus meinen Armen nicht. Ach, nur zu bald entreißt man ihnen dich!
O laß mich! – Immer hoͤher steigt die Angst In meiner Brust. – Du bist so fuͤrchterlich; Und doch bist du mein Vater. –
Iphigenia!
Die Vorigen. Achilles
Wo ist sie? Wo?
Achilles!
Iphigenia!
Aus diesem Arm entreißt sie Niemand mehr!
Verwegner! du hast keinen Theil an ihr! Den Goͤttern ist fortan ihr Haupt geweiht. –
Mein Vater!
Nicht verdient den suͤßen Namen mehr Der Mann, den du dort siehst in koͤniglicher Gestalt. Er ist dein Vater nicht. Es luͤgt Sein Angesicht; es luͤgt sein kuͤhner Mund. Nur den Verderber deines Lebens sieh In ihm.
Ihr guten Goͤtter, steht mir bey!
Ich bin entwaffnet! Weh!
Sie ist entseelt!
Die Vorigen. Klytaͤmnestra schnell aus dem Zelte tretend. Einige Frauen. Bald dar - auf Kalchas von der andern Seite.
Was hoͤr 'ich! Welch ein Angstgeschrei! – Was fuͤr Ein Anblick! – Iphigenia! – O mein Gemahl! –
Fort! Flieh, ungluͤcklich Weib, die du138 Zum Todesopfer nur dein Kind geboren! So weit dich deine Fuͤße tragen, flieh Von diesem Ort des schreckenvollen Greuels! Dein Kind ermordet dir der eigne Gatte, Und mir die holde, laͤngst verlobte Braut! –
Hinweg! – Sie ist das Eigenthum der Goͤtter. Auf Erden fesselt nichts mehr ihren Geist. Geloͤs't hat der Olymp die Erdenbande; Sie geht, ein Retter ihrem Vaterlande! –
O trauriges Geschick der Pelopiden, Um deren koͤnigliches Haupt die Freude So kurz, auf wenig Augenblicke nur, Den rosenfarbnen Fittig schwingt, und dann Aeonen lang von ihnen flieht, und selten, Oft nimmer wiederkehrt! – Hier sitz 'ich ganz Allein mit meinem tiefen, wilden Gram Im Herzen, der, Prometheus Geier gleich,140 Mir an dem Mark des Lebens nagt. – Ich blicke Mit feuchtem Aug' des Himmels blau Gewoͤlbe, Die Quelle meiner Leiden an, und schick 'Umsonst, ob mir der Goͤtter einer Trost Und Huͤlfe sendete, die bangen Seufzer in Die heitre, sternbesaͤte Hoͤh'. – Hier in Dem Zelt bejammert ihrer Tochter Loos Das edle, liebevolle Weib; und dort In jenem, scharf bewacht von Kalchas Aug ', Erliegt der Angst und der Verzweifelung Mein unschuldvolles Kind!
Es ist dahin Des Hauses Gluͤck, und niemals find 'ich's wie - der! Die Meinen schelten grausam mich und stolz, Und sehen nicht, was ich mit Qual erdulden muß; Daß ich ja nur ein leidend Werkzeug bin141 In maͤcht'ger Goͤtter Hand. – Kann denn der Sterbliche Sich waffnen gegen den Olymp? Schlug nicht Selbst der Titanen Kraft der Donnrer Zeus? Und waͤlzt' auf ihre kuͤhne, starre Nacken Des Erdballs Last? – Und wir, das schwaͤ - chere Geschlecht, vom ersten Athemzug ein Spiel Feindsel'ger Maͤchte und des truͤgerischen Gluͤcks – Wir wollen murren gegen ihr Gebot, Da doch die freie Wahl, wie sie der Mensch Sich traͤumt, der ew'gen Noth Gesetz erzwingt?
Agamemnon. Klytaͤmnestra bleich und abgehaͤrmt, mit einer Leuchte in der Hand, tritt aus dem Zelt.
Hoͤrt 'ich nicht eines Mannes Stimme hier, Der klagt? – Fast toͤnt's, wie meines Gatten Stimme; Doch der ist fern zum Meeresstrand geeilt, Und seine Felsenbrust bewegen Seufzer nicht; Sie kennt den Schmerz, sie kennt das Mitleid nicht; Ihn ruͤhrt der eignen Tochter Ungluͤck nicht.
O Weib, was klagst du ungerecht mich an! Und wie verkennt dein bloͤder Sinn mein Herz!
Wie, mein Gemahl? bist du's, der einsam hier Sein Leid den himmlischen Gestirnen klagt? Vergieb, wenn ich dir Unrecht that. – Mich treibt Die Angst; Verzweiflung laͤßt mir nirgends Ruh '; Vor meine Augen draͤngt sich unablaͤssig Ein Bild des Schreckens, blutig, ungeheuer. Es jagt mich auf vom thraͤnenvollen Lager; Ich suche Schutz vor ihm; ich suche Huͤlfe, Und finde nirgend sie! – O faͤnd' ich sie In deiner Brust! –
Du kannst sie finden, wenn Dir Mitleid gnuͤgt.
Nichts mehr als Mitleid willst Du geben?
Was verlangst du mehr?
Beim Zeus! Das Mitleid schenkt ein jeder gern, der auch Nicht Gatte mir, nicht meines Kindes Vater ist.
Verlange deiner Tochter Leben nicht Von mir! Das stehet nicht bey mir. Das andre will Ich thun. Mein Leben fodre! wenn's die Goͤttinn nimmt, Ich geb 'es hin, und rette dir das Kind, Das meine. Doch, so lang' ich leben soll, So lang 'ich Koͤnig bin und Feldherr, nicht Fuͤr dich allein der Gatte, fuͤr mein Kind Der Vater nicht allein; so lang' es auch Fuͤr mich ein Vaterland noch giebt; die Furcht145 Vor Goͤttern, die das Zepter ihrer Macht Weit uͤber uns gestreckt, mich zum Gehorsam mahnt, Und mich dem hoͤhern Willen unterwirft; So lange zwar kann ich mit dir beweinen Ein Mißgeschick, das hart uns trift, das uns Des Gluͤckes Hofnung raubt auf immer; doch Verhindern kann ich nichts, ich Schwacher, nichts! Nur dulden, das ist uns're Pflicht, bis einst Ein guͤt'ger Gott von uns die schwere Last Des Lebens nimmt.
Wohl, wenn du wolltest, koͤnntest du Ein Retter deinem Kinde seyn. Die Goͤttinn ließ Dir freie Wahl. –
O Weib! was ist die Wahl? Des Schicksals Tuͤcke nur! nichts mehr! – Nun wohl! Soll ich das Heer verlassen? Wird's mich las - sen? Und wenn's mich ließe, wuͤrd 'ich nicht von Furcht, Von schnoͤder Furcht ein Beispiel geben ihm, Des ungelaͤhmter Muth allein nur Troja Vernichten mag? – Soll Troja siegen, und In seinem Sieg', in seinem ungebeugten Stolz Das Recht der Voͤlker ferner noch durch Frevel - that Verhoͤhnen, selbst an ihrer Fuͤrsten Recht Veruͤbt? Soll das, was einem freien Volk Die theure, hochverehrte Zierde bleibt, Das Weib, des Mannes heilig Eigenthum, Der keuschen Jungfraun Sicherheit, ein Spiel Des uͤbermuͤthigen Barbaren werden? 147Und soll der Knechtschaft Joch, das schmaͤhliche Der fremden Dienstbarkeit, allmaͤhlig sich An uns're Nacken schmiegen? Soll denn kein Gefuͤhl der Schande mehr den muth'gen Geist Zur Rachethat bewegen, die mit Blut Des Frevlers waͤscht das Mahl der Schande von Der Ehre Kleinod, von dem heiß errungnen Durch tapfrer Maͤnner Kraft? – Dein einzig Kind Soll leben, und dein Volk soll – untergehn?
Wer hilft aus diesem Zwiespalt mir der Pflicht Und Liebe das gepreßte Herz? – Ich selbst Vermag es nicht. Ich bin ein schwaches Weib. Entfernt von der Gefahr, waͤhnt 'ich mich einst Wohl stark. Der Sicherheit entbehr' ich nun. Jetzt bebt die Mutter fuͤr ihr Kind, das sie Gebar. Es war mein Stolz, mein Gluͤck; war einst148 Ein schoͤner, hofnungsvoller Baum. Die Axt Wird jetzt an seinen Stamm gelegt; er faͤllt, Und seine Bluͤte welket in den Staub.
Noch wehre deinen Klagen einen Augenblick! Bald nahet Nestor sich, auf den ich harre. Achill versammelte die Fuͤrsten und Das Heer, um zu versuchen, ob er wohl Durch sie des Opfers blutgen Ausgang hemme. Mir war's bewußt; doch ließ ich's gern ge - schehn. Es mag der Schluß des Heeres noch zuletzt Entscheiden, was geschehen soll. Ich that Mehr als ich durfte. – Nun, es sey! Oft spricht Ja durch der Voͤlker Mund die Gottheit selbst.
Ach ungluͤcksel'ger, hoffnungsloser Trost! Fern sey von meinem Ohr die Kunde des Verderbens, des entsetzlichen! Was kann Ein Heer beschließen, als Verderben – Tod!
Beklagenswerthes Weib! Wie gern loͤs't ich Den Jammer dir vom Mutterherzen ab! Doch welch ein Gott hebt mir die Kummerlast Vom eigenen hinweg? – Wohl ist's dem Freien Ein leicht Geschaͤft, die Bande des Gefangenen Zu loͤsen; doch wem selbst an matter Hand Die schwere Fessel klirrt, der waͤlzt, beginnend Des Mitgefangenen Erloͤsungswerk, Bergauf die Felsenlast des Sisyphus. –150 Horch! – Nestor kommt. – Nun waffne dich, mein Herz, Mit neuem Muth!
Agamemnon. Nestor.
Schon bricht die Nacht herein; Und du harrst noch der Botschaft, die ich dir Verkuͤnden soll?
Ist es entschieden durch Der Fuͤrsten Rath? Verlangt des Heeres Stimme Das Opfer Iphigenie'ns? –
Darf ich Dir sagen, wie es sich begab?
Du darfst; Denn eben deshalb harrt 'ich dein.
Das Heer Verlangt's; weil der gewisse Sieg, weil ihm Das Vaterland noch mehr beduͤnken, als Ein einz'ger, zarter Sproͤßling deines Stamms.
Genug. – Es sey! – Ich darf nicht murren. – Mich Draͤngt alles. Kein Verzug mehr!
Niemand sprach Fuͤr meines Kindes Leben?
Mancher wohl; Denn maͤchtig traf das Herz des Juͤnglings Rede, Und wunderbar bewegte sie die Hoͤrenden. Bald hier, bald dorthin wogte laut die Fluth Des aufgeregten Elements der Leidenschaft, Und lange kaͤmpfte der Parteien Macht. Doch endlich siegte weis'rer Rede Kraft. Die Menge schwieg, und beugte ihren Sinn Dem Rathschluß hoͤherer Gewalten. Du, So riefen endlich Alle laut, du sollest, Kein andrer, hin gen Troja fuͤhren alle, Die dir hierher gefolgt. Durch dich allein Erwarten sie den Sieg; von dir das Opfer. Sie brachen stuͤrmisch auf; und nur Achill Mit wenig Andern stand verlassen da, Voll Wuth, verzweifelnd uͤber sein Geschick.
Ihm helf's ein Gott ertragen, wie ich hoffe,153 Daß mir es auch ein Gott gewaͤhren wird. – Jetzt laß, eh 'noch die Nacht in tiefen Schlaf Der Menschen muͤde Glieder senkt, uns gehn, Und das, was noͤthig ist, mit Eil bereiten; Denn eh' der Morgen noch dem hellen Licht Des Tages weicht, sey es vollbracht das schwere Werk! –
Kalchas Zelt, erleuchtet durch einen Kandelaber, auf welchem eine große Flamme brennt.
Iphigenia, weinend und erschoͤpft, wird von zwey Maͤdchen schweigend ins Zelt gefuͤhrt. Sie laͤßt sich auf einen Sessel nieder. Nach einer Weile giebt sie den Maͤd - chen mit der Hand ein Zeichen, sich zu entfernen.
Laßt mich allein. Es stoͤre Niemand mich In meinem Jammer. 154
Was hab 'ich verschuldet, Zeus, Daß, tief mich beugend, du so hart mich strafst? –
Noch immer tiefer Schmerz in deiner Brust? – Von Thraͤnen immer noch getruͤbt das Auge, Und deine Sprache bange Seufzer nur? –
O laß den Jammer mir! er ist ja noch Das Einzge, was das Schicksal mir nicht raubt. –
Dein Jammer ist gerecht; es ist die Klage155 Des Menschen um das Menschliche. Doch fester Muth, Ein gottergebner Sinn hilft uns die Last, Den Schmerz, der hart danieder wirft, ertragen; Treuft Balsam in des kranken Herzens Wunden, Und richtet unsern Geist mit suͤßer Hofnung auf.
O, taͤusche mich mit leerer Hofnung nicht! Sprich, rettet Niemand mich? Von Menschen, von Den Goͤttern kommt kein Retter mir? Verlaͤßt Der Vater mich, die Mutter mich, auch der Geliebte? Wie? verlaͤßt mich alles? –
Sey Gefaßt! die Gottheit will's. – Es darf nicht anders seyn.
So laß, o Mann, die Thraͤnen mir! laß mir Den Jammer! denn womit vermag sich sonst Wohl noch zu waffnen unter Priesters Hand Das Opferthier? –
O, du bist mehr als das!
Entsprossen einst von koͤniglichem Stamm Bin ich erkoren einem Helden zum Gemahl! – Genug, ein menschliches Geschoͤpf – Und ohne Rettung doch des Todes Opfer? –
Warum siehst du den dunkeln Ausgang nur, Den fruͤh der Eine, spaͤt der Andre findet? 157Doch alle gehn wir durch des Todes Pforte! Wirf deinen Blick zuruͤck auf's helle Leben! Vergiß des Guten nicht, was dir geworden! Bis dahin lebtest du in Unschuld froh, Des Kummers unbewußt. Des Lebens Guͤter, Von allen Seiten lachten sie nur hold Dich an. Der Freude Bluͤten pfluͤcktest du, Wo sie dir winkten, unverletzt von ihrem Dorn. Entsprossen vom Geschlecht der Koͤnige Wardst du geehrt in deiner Unschuld Glanz. Ihn haben Laster nicht befleckt, die oft Das laͤngre Leben zeugt. Mit ihnen waͤchst Der Menschen, waͤchst der Goͤtter Fluch her - vor, Und keine Reue tilget seine Schmach, Die, bis in ferne Zeiten hin, den Staub Noch selbst im dunkeln Grab entehrend druͤckt. Du gehst voruͤber der Gefahr, ein reiner Geist, Rein zu den Himmlischen zuruͤck; und Segen wird158 Dein Tod fuͤrs Vaterland. – Des Gluͤckes viel Gewaͤhrten dir die Goͤtter in so kurzer Frist.
Und doch des Ungluͤcks noch weit mehr. – War - um Muß finster enden, was so hell begann? Warum verbluten dieses Herz am Stahl Des Priesters, das so heiß fuͤr jede Liebe schlaͤgt? – O Zeus, und all' ihr Himmlischen, erbarmt Euch meiner Noth! Was hab 'ich euch gethan, Daß ihr mit eures Zornes Blitzen mich, Selbst bis zum Tod, verfolgt!
Verzweifle nicht! Nicht laͤstre sie, die hohen, die unsterblichen, Die es also beschlossen uͤber dich,159 Nach jener ew'gen Weisheit, die das Wohl Der Welt regiert.
Weh! so ist Untergang Ihr Segen? nur Vernichtung ihrer Weisheit Ziel?
Nicht Untergang ihr Segen, nicht das Ziel, Wohin sie alles lenkt, Vernichtung! Nein! Die schwache Menschheit klaget nur die Goͤtter an. Des Weisen Herz verehrt des Schicksals Hand. Den Tod sieht nur das bloͤde Aug '. Es stirbt Der Leib; der weise, fromme Dulder sieht Den Geist sich schoͤner schwingen aus den Truͤm - mern Des Sterblichen zu dem Unsterblichen Empor.
Ach, noch umstricken mich so fest Des Lebens, noch der frohen Jugend Bande! Die Freuden der Natur erfuͤllen noch So ganz dies frische Herz! der suͤße Traum Der Liebe schwebte noch zu neu um dieses Haupt! Die muͤtterliche Zaͤrtlichkeit umfaßt Mich noch so warm! Mein Geist verweilet noch So gern auf dieser schoͤnen Welt, die kaum Vor mir den heitern Morgen ihres Lichts Entfaltet! Noch hab 'ich den vollen Glanz Des Mittags nicht gesehn – und schon bricht sie, Die schwarze Nacht des Todes, uͤber mich Herein! –
Jenseits winkt dir ein neues Licht, Das nie des Ungluͤcks duͤstre Wolken mehr Verdunkeln. – O, blick auf! Erheitere Das Aug '! Es winket dir der Siegerkranz,161 Der ewig dir auf Erden, ewig dir In jenen seligen Gefilden gruͤnt. Ergreif mit fester Hand den schoͤnen Preis! So siegt kein Weib in Hellas mehr, wie du! –
Was sagst du? – Sprich! von welchem Sie - ge toͤnt Geheimnißvoll, prophetisch mir dein Mund?
O, moͤgt 'ein Gott mir seine Stimme leihen, Um wuͤrdig auszusprechen, welch ein Ruhm, Eelch glorreich Leben, deiner Asch' entsteigend, noch In fernster Zeit das Vaterland erfuͤllen wird!
Mein Tod, erhabner Seher! – wie? – er koͤnnte mehr162 Noch seyn, als Sterben? – Laͤnger wuͤrd 'ich leben In dem Gedaͤchtniß derer, die mich lieben? – Nicht fluchbeladen, nicht vergessen wuͤrd' Ich mit den andern Todten ruhen in Der ew'gen Nacht? Ich wuͤrde leben mit Den Herrlichen, die hochverdient um Volk Und Vaterland die Nachwelt preis't?
Kind Agamemnon's! großer Helden Enkelinn! Du stirbst den Heldentod fuͤr's Vaterland! Du trittst an den Altar, ein goͤttlich Unter - pfand, Daß Troja faͤllt, und deines Volkes Haupt Sich aus des Fluches Schmach erhebt! mit dir Schwingt sich dein Volk zum neuen, ew'gen Ruhm! –
Ha! – mich ergreift, erhoͤrend, goͤttliche Gewalt. –163 Horch! – Schwindend weicht vor mir das Bild der Gegenwart! – Sieh! – Meinem Aug 'enthuͤllt der Zukunft Dunkel sich! – Gesichte schau' ich großer Thaten, fern vor mir – Und Worte toͤnen in mein Ohr, noch unerhoͤrt – Es leiht der Gott von Delphi seine Stimme mir! –
Vom Stamme der Atriden welkt ein edles Reis, Den Stamm erhaltend, hier an Aulis Strand. – Von ihm Ausgehend zuͤndet sich verzehrend Feuer an In des Scamander's Flur. – Bis zu dem Gip - fel selbst Der stolzen, thurmumschirmten Felsenburg, die dort An seinen Ufern hoͤhnend ragt, schwingt raͤchend sich164 Die helle Flamm 'empor. – In Staub und Asche sinkt, Was einst des Landes Stolz, des Volkes Schutz - wehr stand – Selbst Hellas furchtbar – unbezwinglich nicht. – Es liegt Dahin gestreckt ein stolzes Koͤnigshaus! – Was nicht Des Siegers Schwert getroffen, folgt, in Fesseln, ihm; Ihm, beutereich und ruhmgekroͤnt heimkehrend in Des Vaterlandes Flur! – – Ein neu, ruhm - volleres Geschlecht der Helden waͤchst empor aus jener Saat, Und traͤgt der Soͤhne Hellen's Namen hochbe - ruͤhmt Zu fernen Kuͤsten ferner Laͤnder hin! – es steigt In kommenden Jahrhunderten zum Gipfel an165 Des hoͤchsten Ruhms, der hoͤchsten Macht! – Doch nimmer sinkt Ins Dunkel der Vergessenheit, was einst vom Stamm Des Atreus hier an Aulis Kuͤste suͤhnend fiel; – Den heilgen Namen preis't des spaͤtsten Saͤngers Lied. –
Mit Ehrfurcht hoͤr 'ich deinen Willen an, O Gott, der du zu mir durch dieses Sehers Mund In heiligen Orakeln sprichst; der du Auf meinem sturmbewegten Ungluͤcksmeere Den Glanz des sichern Pharus mir gezeigt – Ein fernes Ziel! – Wie gern ging' ich dahin! Wie gern, koͤnnt 'ich's erringen! boͤt' ich frei Zur Suͤhne meines Volks das freie Leben dar! – Doch schwach ist dieser lebensvolle Geist,166 Und vor dem Riesenwerk des edlern Willens Entsinkt der zarten Jungfrau jeder Muth.
Verzage nicht! Denn mit dem redlich Wollenden Ist stets der Gottheit Kraft. Sie wirkt Allmaͤch - tiges Selbst durch die schwache Hand. Was unter Menschen groß Und Herrliches geschieht, es ist ihr goͤttlich Werk. Erhebe dich! Denn du wirst hingehn fuͤr Den Vater, fuͤr den Ruhm des eigenen Geschlechts und fuͤr das Vaterland, o du, Des Vaterlandes Toͤchter edelste! Du Gott erwaͤhlte Hofnung deines Volks! –
So staͤrkt mit eurer Kraft der Jungfrau Herz, Zeus und ihr Himmlischen, die sie verehrt! Erweckt in ihrer zarten, keuschen Brust167 Den Heldensinn des Mannes, und laßt sie Das große Werk der Rettung Griechenlandes Vollenden mit erhabnem, festem Muth! –
Wie wird mir? – Wohin seh 'ich mich ge - fuͤhrt Durch dieser Goͤtterstimme Zauberklang? Und welch ein Feuer zuͤndet sich auf einmal an in meiner Brust? – Das schon erstorbne Herz Beginnet wieder seinen Schlag, das Auge Des Geistes oͤffnet sich; es sinkt das Band, Der Schleier faͤllt von meinen truͤben Sinnen; Werd' ich entruͤckt durch Goͤtterkraft von hin - nen? –
168Dich, Land, seh 'ich mit der Begeist'rung Blicken, Wo mir zuerst der Sonne Strahl erschien; Wo ich zuerst mit himmlischem Entzuͤcken Gefuͤhlt in mir des Lebens Funken gluͤhn; Wo ich den goͤttlichen Gedanken dachte, Der Liebe Zartgefuͤhl dies Herz umfing; Mir die Natur mit Mutterblicken lachte, Und mich umschlang der Menschheit heilger Ring; Die Gottheit mir erschien am festlichen Altare, Sich hell mir wechselten der Jugend frohe Jahre.
Dies Land, das seines reichen Segens Fuͤlle Auf mich, die es erzeugt in seinem Schooß, Die es bedeckt mit muͤtterlicher Huͤlle, Auf mich mit liebevoller Hand ergoß. – Dies Land seh 'ich bedraͤngt vom Zorn der Goͤt - ter, Belastet mit des Schicksals schwerem Fluch; – Und mich verlangt zu meines Volkes Retter169 des goͤttlichen Orakels ernster Spruch. Ich soll des Fluches Last von meinem Volke wen - den, Und vom Olymp zuruͤck die Huld der Goͤtter sen - den. –
Zwar steh 'ich an des Lebens Bluͤtenpfaden; Mir gruͤnt noch uͤberall der Jugend Lust, Wozu Natur und Menschheit mich geladen, Und keines Frevels bin ich mir bewußt. Ich tanze noch der frohen Unschuld Reigen, Zum Himmel heb' ich reine Haͤnd 'empor, Zu mir herab die goldnen Freuden steigen, Das Gluͤck sich mich zur Guͤnstlinginn erkor; Auf sicherm Nachen schien es mich zu tragen, Mir keinen Glanz des Lebens zu versagen. –
Da schwaͤrzt sich ploͤtzlich dieser Freudenhim - mel; Die dunkle Nacht des Schicksals bricht herein;170 Gerissen werd 'ich in des Kriegs Getuͤmmel; Mein Blut soll meines Volkes Suͤhne seyn; Vertilgen soll ich des Erzeugers Schande, In Sieg verwandeln meiner Bruͤder Noth, Und Heil erflehn dem theuren Vaterlande, Und sterben fuͤr das Vaterland den Tod. – Ich kann ihm nun die große Schuld bezah - len; – Was fuͤrcht' ich laͤnger noch des Todes Qua - len? –
Wohlan! Nicht muthlos saͤum 'ich mehr, zu sterben! Dem Tode sey dies reine Haupt geweiht! Auf mich, Erzuͤrnte, stuͤrzet das Verderben! Es sey mein Volk, mein Vaterland befreit! Ihm geb' ich wieder die entrißne Ehre; Schon droht dem Sitz des Raͤubers Untergang. Es winkt der neue Sieg dem Griechenheere; Es toͤnt von neuem seines Ruhmes Klang. –171 Triumph! Triumph! Fuͤr euch entstroͤmt mein Blut! Zur Rache flamm 'es euren Heldenmuth!
Hervor, ihr Priester! Laßt die heilgen Hymnen schallen! Bekraͤnzt das Opfer! Fuͤhrt es zu des Tempels Hallen! Auf! ruͤstet den Altar! Es lodre Die heilge Flamme; denn Ich fodre Den Suͤhnungstod von euren reinen Haͤnden! Dies freie Leben will ich segnend enden! –
Kalchas Zelt. Fruͤh Morgens.
Iphigenia, mit einem festlichen Gewande bekleidet. Zwei Maͤdchen, die sich noch mit ihrem An - zuge beschaͤftigen.
Wie wird so schwer die letzte, traur'ge Pflicht, Die ich, Gebieterinn, dir leisten soll!
Vollendet das Geschaͤft! –
Es ist geschehn, Wie du befahlst.
So unterdruͤcket doch Der Thraͤnen heiße Flut! Was ihr beweint, Wird euch zur lauten Freude noch. Auch Ihr sollt meines Todes euch erfreun.
O Goͤtter!
Nein, wir vermoͤgen's nicht! – Wir lieben dich So innigst, ach, so schwesterlich! dein Tod – Wie koͤnnt 'er uns erfreun!
Ihr habt geschmuͤckt Zu einem Freudenfeste mich; drum stellt Die Klagen ein, die Thraͤnen! freuet euch Mit mir!
Wie koͤnnen wir's! – Ach, wir gedachten, dir Mit treuer Hand den hochzeitlichen Kranz Ins goldne Haar zu flechten, dich zu schmuͤcken Zum frohen Bundesfest, zu fuͤhren dich Zum goldnen Torus, eine schoͤne Braut!
Es ist nun anders. – Schweigt! –
Nein, wuͤnscht mir Gluͤck Vielmehr; denn bald vermaͤhlt mein Geist sich mit Den himmlischen, und meines Ruhmes wird Die Erde voll.
O, wie bekuͤmmert uns Dein hartes Loos! –
Wie gern stuͤrb 'ich fuͤr dich!
Ihr sollt nicht jammern; denn mein Loos ist nicht So thraͤnenvoll. Es ist des Neides werth. Doch ihr vermoͤgt es nicht zu fassen, ach, Ihr habt kein Vaterland! Darum verzeih 'Ich euren Thraͤnen. – Nun, es ist vollbracht. Geht – und gedenket mein. –
O, segne uns!
Ja, segne uns, denn du bist keine Sterbliche!
Geht! – Lebt wohl! – Nehmt meinen Dank fuͤr eure Treue – Fuͤr eure Liebe! – Denket mein! – Lebt wohl! –
Ich fuͤhl's, die Thraͤnen dieser Jungfraun sagen's mir: Die ernste, feierliche Stunde naht, Die mich dem Liebesarm der Meinen, mich Dem Mutterschooß der Erde bald entreißen wird. 177Sey nur getrost, mein Herz, und staͤhle dich! Zerbrich nicht bey dem muͤtterlichen Jammer! – Beim Angstgeschrei des Vaters hoͤr 'nicht auf Zu schlagen! Du, der Augen helles Licht, Erlisch nicht bey des Liebenden Verzweiflung! Erstarre nicht, o Blut, in meinen Adern Beim Anblick des Altars! – – Wenn mich deine Stimme, Diana, den Frevel Des Vaters zu tilgen, Wird rufen zum Tempel; Wenn du meinen Leib dir Erkoren zum Opfer, Geweihet zur Suͤhne Die Jungfrau dem Volke; Wenn du mich gewuͤrdigt Des heiligen Todes An deinem Altare: So gieb, o Erhabne, Zu sterben auch Kraft mir,178 Mit Wuͤrde zu enden Das Werk der Versoͤhnung! – Entferne die Schrecken Des Todes, und laß mich Im Stahle des Priesters Mit Ruhe nur schauen Den Boten des Friedens, Den du mir gesendet Zum segnenden Hingang! – Und steigt dann mein Schatten Hinab zu der finstern Behausung der Todten, Und trinkt aus den Fluten Des Lethe, der tilget, Was irdisch beschweret Den Aether des Geistes: Dann leuchte, Diana, Mit heiliger Fackel Den dunkelen Pfad mir, Und fuͤhr' zu den lichten179 Gefilden der Wonne Die sehnende Psyche! – – Wer kommt? – Achill! Ich hoͤre seine Stim - me. – Er ist's! – Ungluͤcklicher! was kann ich dir Gewaͤhren? was du mir? – Wir sind getrennt. Des Schicksals Hand zerriß die feste Kette, Womit einst Liebe mich dir eng verbunden. Geloͤset ist der Bund; – die Liebe bleibt; Denn sie ist ewig, wie des Menschen Geist! –
Iphigenia. Achilles bleibt betroffen bey ih - rem Anblick stehen.
So ist es wahr! – so taͤuscht mich kein Geruͤcht! So schließt schon ein verderblich Festgewand Die schoͤnen Glieder ein! So wallt das Haar Herab schon auf den jungfraͤulichen Nacken, den180 Der Opferstahl so bald durchschneiden soll! – Und du stehst da, das Opfer wilder Rache – Stehst ohne Thraͤnen, ohne Jammer da?
Geflossen sind der Thraͤnen schon so viel; Die Quell 'ist nun versiegt; des Jammers Klag' Ist laut erschollen; – nun ist sie verstummt.
Und du ertraͤgst des Ungluͤcks schwere Last? –
Mich staͤrkt der Goͤttinn Kraft, die meinen Tod Begehrt; denn sonst vermoͤgt 'ich's nicht durch mich.
So willst du sterben, Iphigenia? Bist selbst entschlossen zu dem grausen Tod?
Ich bin's. –
Bei allen Goͤttern! ich beschwoͤre dich, Ungluͤckliche, gieb den Gedanken auf! Noch hast du nicht erprobt, was Rettung dir Gewaͤhren kann. – Ein gleicher Wahn bethoͤrt Auch dir die Seele, wie den stolzen Geist Des Vaters. Er nur ist's, der uͤber dich Die Wolke des Verderbens fuͤhret, die Dein schuldlos Haupt mit ihrem Blitz bedroht.
Kein blinder Wahn, Achill; ein furchtbar, doch Gewisses Wort ist des Orakels Spruch Aus Kalchas heilgem Mund '. –
Und doch nicht so182 Gewiß, als es der Glaube nur dir heuchelt. Nicht so gewiß, daß es dir jeden Strahl Der Hofnung raubt. – Erzittre nicht vor ihm! Verzweifle nicht! Durch mich bricht dir ein neues Licht Hervor. Zu retten komm 'ich, wenn du willst; Und du wirst wollen, wenn du mich geliebt.
Du willst mich retten? Wie vermagst du es!
Ha! Felsen ebnet treuer Liebe Kraft. Weit uͤber Meere dringt sie hin, durch Sturm Und Fluten hin zum fernen Port; steigt in Den Tartarus, erweicht der Hoͤllenrichter Fuͤhlloses Herz und Pluto's, des Gewaltigen; An's Licht des Lebens fuͤhrt der Juͤngling die Geliebte siegreich wieder. Und ich sollte Aus diesem Lager dich, aus schwacher Hand183 Des Priesters dich nicht retten? die Geliebte Ich seinem Moͤrderstahle nicht entziehn?
O, denke nicht daran! Nur groͤßres Leid Bringt dir, bringt mir die kuͤhne That.
Schon ist's An dem, sie auszufuͤhren. Weigre nicht Die Hand dem Freunde, der gekommen ist, Dich aus des Grabes Schlunde zu befreien! – Es harren vor des Zeltes Eingang die Gefaͤhrten. Zu dem Meere fuͤhret uns Ein sichrer Weg. Bereit liegt schon, entfernt Vom Hafen, ein befreundet Schiff. Mit Muth Besteigst du es, und sicher traͤgt es dich Nach Fthia's fester Burg. Dort lebst du un - Entdeckt in treuer Freundschaft Schooß, bis daß Ich, wiederkehrend, die Gerettete184 Und meine Gattinn dich dem Vater, dich Der Mutter, dich dem Vaterlande, die Verlorne, wiedergebe.
Was beginnst Du? hoͤr 'ich recht? Aus diesem Lager willst Du mich entfuͤhren? willst zum fernen Lande Mich, die Entfuͤhrte, senden?
Duͤnkt es dir So frevelhaft? unmoͤglich gar?
Ich kenne Den Muth, der dich beseelt; ich fuͤhl's mit Dank, Mit heißer Liebe Dank, was du fuͤr mich Beginnst; doch dir zu folgen – das vermag Ich nicht. Mir sagt's der Geist, der mich ergreift:185 „ Geh nicht! „ – Ich folge dieser Stimme, denn Es ist der Gottheit Stimme, die mich sich Geweiht.
Du saͤumst? Du siehst das drohende Gewitter Sich immer naͤher deinem Haupte ziehn? Verschmaͤhst das Dach, das, freundlich schirmend, dir Zur Seite winkt? Es ist das letzte in Der finstern, weiten Oede, das dein Aug 'Erblickt. Gehst du voruͤber, so ereilt Des Sturmes Fluͤgel dich, und ohn' Erbarmen Schlaͤgt er mit Wuth dein wehrlos Haupt.
Was liegt Daran, ob ich, das zarte Maͤdchen, falle, Ein fluchbeladnes Opfer; rett 'ich Euch, Die Starken, rett' ich nur das Vaterland?
Es wird nicht unterliegen dem Geschick. Sein Wohl haͤngt nicht an deinem Tod allein, Dem schmaͤhlichen, unmenschlichen; es giebt – Vertraue mir! – zur Rettung andre Mittel noch.
Kein andres, als mein Opfer; und wer dies Verhindert, hindert Hellas Ruhm und Gluͤck. Beginne nicht den Kampf mit dem Unmoͤglichen! Du strebst umsonst. Ein andrer Feind bestuͤrmt Dich in der eignen Brust. Ihn zu besiegen, Bringt dir den groͤßern, herrlicheren Lohn. Erdulde meinen Tod! Ergieb dich dem Geschick! Dem Helden sey das Vaterland Ein noch viel groͤß'res Gut! Auch mir muß es Das Hoͤchste seyn, jetzt da die Pflicht es will.
Mit Staunen hoͤr 'ich deiner Rede Wort. 187Woher der Geist in eines schwachen Maͤdchens Brust? Leiht die Verzweifelung dir diese Worte? Ist es der Nachhall nur aus Kalchas Munde? – Verwirf ihn nicht den Rettungsarm! komm! folge mir! –
So willst du mich denn nicht verstehn, Achill? O, hoͤre mich! – Ich bin ein Weib. Mich schuf Mit weichem Herzen die Natur. Der Schmerz, So wie die Freude, fand in meiner Brust Den gleichen, weiten Raum. Des Fremden Gluͤck Erfreute, wie das eigne, mich. Das Leid Des Menschen außer mir schlug auch in mir Des Mitleids zarte Saiten an. Noch mehr: Die Liebe selbst ergriff mein fuͤhlend Herz; Sie wohnt auch noch darin. Genug. – Ihr seyd188 Das rauhere Geschlecht, das maͤnnliche; Vermoͤgt durch List und Schwert, wo euch Gefahr Des lauten Ruhmes Lorbeer zeigt. Wo euch Die Leidenschaft den schwelgenden Genuß Zum Lohn des Kampfs verheißt, da eilt und stuͤrmt Ihr sonder Rast, seyd stark und groß. – Doch schwach Ist nicht das Weib. Wo es zu dulden giebt, Wo die Entbehrung auch ihr Opfer fodert, Wo selbst die hoͤh're Pflicht nur fern den un - Gewissen Lohn uns zeigt, da fuͤhlen wir Mit tiefem Sinn den maͤcht'gen Drang der Pflicht, Und still entwickelt sich der Tugend Frucht Zur freien, muthgen That. Wie schwer sie auch Dem Herzen wird, dem liebenden – sie reift, Erquickt den, dem sie reift. – Doch oft er - stirbt Der Stamm, an dem sie wuchs! 189
Ich bin der Stamm; Mein Tod die Frucht; das Vaterland, dem sie Gebuͤhrt. – Nichts mehr von Liebe! nichts mehr von Dem Leben! – Einst erscheinet auch der Tag, An dem dein Schicksal sich erfuͤllt. – Wir muͤssen scheiden. Leb 'wohl! –
Nein! Nein! Ich scheide nicht von dir. Nicht ohne dich geh 'ich von hinnen! – Nein! Mich trennt kein Schwert, kein Gott trennt mich von dir! Selbst vom Altare reiß' ich dich, die Braut!
So soll ich andre Worte mit dir reden? –190 Wie sehr es auch die Freundinn schmerzt, ich muß. – Mich willst du um das Vaterland nicht lassen? Soll ich dich feig und muthlos schelten, Krieger? Der Held, der Troja siegreich stuͤrzen soll, Der einen Weiberraub zu raͤchen ging, Der will den Goͤttern rauben eine Jungfrau, Die sie sich selbst zum Eigenthum geweiht? – Geh, Schwacher! – Nie hast du dein Vater - land Geliebt, die Goͤtter nie geehrt! Und wenn Du es nicht liebtest, sie nicht fuͤrchtetest – So warst du nie auch meiner Liebe werth! –
Nimm es zuruͤck, das harte Wort! – Du schlaͤgst Mit schaͤrfern Waffen mich, als ich geahnt. Ha, du verwundest meiner Seele Tiefen! –191 Ich fuͤhle deine Kraft. Anstaunen muß Ich deinen Heldengeist. – O, zuͤrne nicht! Unwuͤrdig deiner Liebe sollst du mich Nicht schaun! des Vaterlands unwuͤrdig nicht!
Nun, so entspreche dem Entschluß die That!
Welch ungluͤckselger Streit, worin du mich Gefuͤhrt! – Ich seh's: dich treibt ein Gott; dem kann Ich Sterblicher nicht widerstehn! – Wohl - an! – Geh hin! – Ich will nicht jammern uͤber dich. Nur Laͤst'rung waͤr's der Gottheit, die dich rief. Doch raͤchen will ich deinen Tod! – den Schat - ten Der Jungfrau, die Helena mir entreißt,192 Die Unheilbringende – die in Helenen Mir Paris hat geraubt – den will ich raͤchen Mit tausendfaͤlt'gem Tod an seinem Volk. Das sey statt froher Hochzeitfeier mir! Ihr Todesroͤcheln sey mir Brautgesang!
Man kommt. – So laß uns scheiden! – Lebe wohl!
Geh zu den Goͤttern! – Troja stuͤrzend, werd 'Ich fallen – dann im Schattenreich dich wieder - sehn. –
Es ist geschehn. – Auch dies Band ist geloͤs't! –193 Doch klage nicht, mein Mund! – Hier reift nicht mehr Fuͤr mich der Liebe goldne Frucht. –
Was seh 'Ich! Ach, die Mutter mit dem Jammerblick! –
Die Vorige. Klytaͤmnestra. Eini - ge Frauen, die im Hintergrunde bleiben.
Gieb, theure Mutter, dich dem Schmerz nicht ganz Dahin! – Gieb dich zufrieden! Sieh, ich bin Gefaßt. –
O mein geliebtes, mir nun bald Entrißnes Kind! –
Es will der zuͤrnende Olymp den freien Tod, und ich erduld 'Ihn gern.
Mit dir loͤs't sich des Lebens selbst Ein Theil von meinem Leben los! – Dich soll Ich hinfort nicht mehr sehn! – Soll deine Stimme, Der Tochter Stimme nimmer hoͤren! – Soll Ohne Tochter, ohne Gatten leben! in Des oͤden Hauses oͤden Raͤumen leben!
Dir bleibt Orest, dir bleibt Elektra; und195 Ich fuͤhre dir den Gatten bald zuruͤck Ins ruhmerfuͤllte Haus.
O eitler Ruhm Des Siegers, den mit seinem hoͤchsten Schatze Der stolze Held erkauft! der Unerbittliche, Den seiner Gattinn Thraͤnen nicht erweichen, Den seines eignen Kindes Anblick nicht Bewegt! –
Bedenk, daß ja nicht er den Tod Der Tochter giebt. Der Goͤtter Zorn gebeut – Und Agamemnon folgt dem hoͤheren Gebot.
Nein! Ich ertrag 'ihn nicht, den schmaͤhli - chen Gedanken, nicht die ungeheure That! –196 Ich fass' es nicht! – Aus diesem Arm kann dich Selbst ein Barbar nicht reißen! – und dein Va - ter! –
O zuͤrne nicht auf ihn, den Zornbelasteten Von Goͤtter Hand! – Nur schmerzvoll giebt er mich Dahin. Hilf menschlich ihm den Schmerz ertra - gen, Den seine starke Seele dir verschließt. Sey du ihm Trost vielmehr! O stuͤtze seinen Gepruͤften Muth, wenn er zu sinken droht! – – Dies eine noch: Erzieh den Bruder mir Zum Helden, daß sich seiner einst erfreue Das Land, das ihn gebar! Und meinen Tod Betraure nicht, durch Klagen nicht, nicht durch Ein finsteres Gewand! Mich deckt kein Grab. Ich werde gluͤcklich, Griechenlands Erretterinn! –
Die Vorigen. Kalchas
Priestern ins Zelt. Klytaͤmnestra faͤhrt heftig zusammen.
Bist du mir jetzt zu folgen schon bereit?
Ich bin bereit.
O ihr Allmaͤchtigen!
O Mutter! Theure Mutter! 198
Lebe wohl! Zum letzten Mal fass 'ich die Hand, die mich So liebevoll erzog! zum letzten Mal Druͤck' ich sie an mein dankbar Herz!
Es ist Der letzte Kuß, mit dem ich sterbend von Dir scheide.
Nun lebt wohl! – Sorgt fuͤr ihr Leben!
Jetzt, Vaterland, bin ich die deine ganz. Und du, o Goͤttinn, die du mich zum Altar rufst, Nimm mich zum Opfer gnaͤdig auf, und wandle, Versoͤhnt, den Zorn, womit du raͤchend strafst, In Heil und Sieg fuͤr Griechenland! – Kommt, Priester! –
Das Opfer ist bereitet. Mit festem Muthe schreitet Das Heilge zum Altar.
Die Schuld wird uns entnommen. Der Retter ist gekommen Von schrecklicher Gefahr.
Dort, wo Kronion thronet, Unsterblichkeit belohnet Die hohe Dulderinn.
Ihr Geist sich aufwaͤrts hebet, Dem Irdischen entschwebet Hoch zum Olympus hin!
Klytaͤmnestra stuͤrzt auf die Buͤhne; einige Frauen ihres Gefolges bemuͤhen sich, sie zuruͤckzuhal - ten. Volk und Krieger im Hintergrunde und auf den Stufen, die zum Tempel fuͤhren.
Zuruͤck, ihr Kuͤhnen! Haltet mich nicht auf! Die Loͤwinn wuͤthet, der man ihre Jungen raubt; Und ich, ich sollte dulden, daß man mir Das Kind des Herzens mordet?
Koͤniginn, Es ist umsonst!
Bist du der Moͤrder einer, Daß kalt du sagst, umsonst? – Laßt mich hin - auf! Mit diesen Mutterhaͤnden will ich sie Den Tigerklaun entreißen. Dieser Leib, Der sie getragen, diese Brust, die sie Gesaͤugt, die sollen sie beschuͤtzen! – Ha! Mein Blut muß eher fließen, als das ihrige Verspritzt! – Laßt sehn, ob Agamemnon auch Die Gattinn toͤdten wird mit eigner Hand.
O bleib! – Entweihe nicht den Tempel, nicht Den heilgen Hain, den du betrittst!
Wo bin Ich? – Wohnt Diana hier in diesem Haine? Ist das der Goͤttinn Heiligthum, wodurch Sie Aulis schuͤtzt? – Schuͤtzt sie die Menschen noch? Du luͤgst. – Sie schuͤtzt nicht mehr! Die Goͤt - tinn ist Entflohn – ob einer schwarzen Greuelthat Entflohn! – Die Vaͤter morden ihre Toͤch - ter! – Laßt mich hinein! Fort! Fort! –
O fasse dich, Gebieterinn! du laͤsterst diesen Ort.
Hoͤrt ihr der Moͤrder Stimmen? Hoͤrt ihr wohl Der wilden Rotte Mordgeschrei? – Fort! Fort! Es wird zu spaͤt.
Wir lassen dich nicht fort. Es darf nicht seyn. – O, schone dich! Er - spare Den Anblick dir! – du stoͤrst die heilge Feier.
Mich schonen? Und warum? – Was mir er - sparen? Es blutet ja mein heiß geliebtes Kind. Fuͤr wen leb 'ich auf Erden ferner noch? – Verflucht ist Agamemnon und sein Haus. Sind wir nicht Alle dem Untergang geweiht?
205Horch, das ist meines Kindes Stimme! – horch! Sie klagt, sie jammert laut! – Hoͤrt ihr? sie fleht Die Goͤtter, fleht die Menschen an um Ret - tung. – Ist kein Erbarmen? – Weh! – Und du ver - huͤllst Dein Antlitz nicht, Apoll? Mit hellem Auge Blickst du herab auf diese That? – O seht! – Dort steht der Vater mit dem Felsenherzen – Achilles dort, der feige – Menelaus dort! – Sie jammern nicht; sie retten nicht; sie blicken kalt Auf Iphigenien! – dort steht der heuchelnde Ulyß – der morderfuͤllte Diomed. –
Jetzt schleppen sie das Opfer hin! – Zerrissen wird Ihr Haar – der jungfraͤuliche Nacken wird Entbloͤßt, – der Priester hebt den scharfen Stahl! 206Ihr Angstgeschrei ertoͤnt umsonst! – Halt ein!
Halt ein! – Es ist mein Kind! ist Iphigenia!
Ihr Goͤtter, steht uns bey! Erbarmt euch ihres Jammers! –
Hoͤrt ihr Kronion's Stimm '?
Es ist vollbracht.
Wo ist mein armes Kind? – Ist schon ihr Geist Entflohn? – Hat ihren schoͤnen Leib die Flam - me schon Verzehrt? – O, sammelt mir die heilge Asche! – Mir her den Aschenkrug, damit ich ihn Mit meinen Thraͤnen netze! Raubt mir doch Die theuren, heilgen Ueberreste nicht! –
Die Vorigen. Patroklus tritt eilig aus dem Tempel.
O seht! man kommt; das Opfer ist geschehn.
Geschehn? – Sprich! was ist hier geschehn?
Wo ist Achill? – Was seh 'ich! – Klytaͤmnestra hier? –
Lebt Iphigenia nicht mehr? – – O sprich! Ist sie nicht mehr? – Gieb mir die schreckliche Gewißheit, und mein Herz verblutet bald!
Sie ist hinaufgegangen zu den Goͤttern. Ihr Ruhm lebt ewig unter Hellas Volk.
So fahre hin auf immer jede Gunst, Die mir die Erde beut! – Fuͤr mich ist kein Geschick zu hart. – Willkommen jeder Schmerz, Der auch in mir das Band des Lebens loͤs't! – Du bist dahin, die mir ein zweites Leben war; – Das Schicksal hat's genommen; – nun, es nehme Mein Leben auch mit mordbegier'ger Hand! – Ihr Unerbittlichen, o seyd noch nicht Versoͤhnt! Hier dieses muͤtterliche Haupt Sey auch fuͤr euch der Rache Ziel! O laßt Auch mich ein Opfer fallen am Altar! Ich folge willig eurem Ruf. Dann deckt Auch dieses matte Aug 'mit Todesnacht! Ha, siegreich, im Triumph steigt dann mein Schatten Hinab zur Finsterniß des Erebus! –210 Dort, dort herrscht ewig tiefes Schweigen; dort Ist doch wohl Ruhe vor des Lebens Qual? –
O Koͤniginn, entmanne nicht durch dein So banges Klaggeschrey der Krieger Herz! Entehre nicht den Heldentod der Tochter! –
Sie starb als Heldinn? – Ohne Angstge - schrei? Sie bat, sie flehte nicht um Schonung? – Nicht Den Lilienarm erhob sie, Rettung suchend, Zur Moͤrderbrust des Priesters – Agamemnon's nicht?
Kein Laut des Jammers toͤnt 'aus ihrem Munde.
Wohl! – Nun bin ich gefaßt. – Verbirg mir nichts; Denn alles will, denn alles kann ich hoͤren. –
Vernimm! – Kaum waren wir getreten in Den Tempel, hatten uns genahet dem Altar der Tochter Zeus, der zuͤrnenden, Als Agamemnon, dein Gemahl, begann Den lauten Jammer; Seufzer tief an Seuf - zer Gedraͤngt, sich seiner Vaterbrust entrangen, Das Haupt gewendet von der Jungfrau ab - waͤrts, Mit dem Gewand 'es sich verhuͤllend, nicht Zu schaun den Opfertod der Tochter. – Doch Sie stand in stiller Majestaͤt, und sprach Also: Sey ruhig, Vater! Sieh, hier bin212 Ich schon. Getrost biet' ich den Leib zum Opfer dar. Mich schreckt nicht der Altar. Versoͤhnend den Olymp Mit dir, mit meinem Volk, geh 'ich dahin. Du aber sey begluͤckt, und kehr', mit Sieg Gekroͤnt und Ruhm, zum Hause deiner Vaͤter Bald wieder heim! – Und Alle staunten ob Der Jungfrau Heldenmuth und ihrer hohen, Erhabnen Tugend Kraft. – Und Ruh 'gebot Der Herold nun dem Volk. Und Kalchas trat Hervor, und kraͤnzte deiner Tochter Haupt, Besprengte mit dem heilgen Wasser sie, Und rief und flehete zur Gottheit laut, Und weihete der Jungfrau keusches Blut Den Goͤttern, und erbat den Sieg dem Heer' Und Gluͤck dem Vaterlande. – Nahm darauf Den Opferstahl – ein Jeder hoͤrte laut Und bang 'den starken Schlag ertoͤnen –
Da sandte Zeus, zum Zeichen der Versoͤhnung, Uns heft'gen Donner vom Olymp. Verliehn Ist nun von Aulis frohe Abfahrt uns Und Troja's Sturz. – Schon nahet dein Ge - mahl.
Die Vorigen. Agamemnon von den uͤbri - gen Helden begleitet, tritt aus dem Tempel. Er bleibt ei - nen Augenblick vor demselben auf den Stufen stehen.
Es ist vollendet das Gebot der Goͤtter –214
Und gute Zeichen giebt uns Meer und Luft. –
Wohin soll ich entfliehn vor seinem Blick?
O Klytaͤmnestra! – Theures, armes Weib! – Fuͤr dich find 'ich kein Wort des Trostes mehr! Wo faͤnd' ich's fuͤr mich selbst bey diesem Schmerz! –
Gewaͤhre mir das Wort: verlaß uns bald! – Denk 'an Orest, Elektra! denk' an Argos! – Mich ruft nach Troja das Geschick. – Leb 'wohl, Geliebtes Weib, und zuͤrn' auf Keinen mehr! 215Die Goͤtter sind ja selbst mit uns versoͤhnt. – Leb 'wohl, bis zu dem frohern Tag der Wieder - kehr! –
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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