Der Verfaſſer dieſes Tagebuchs unternahm die darin beſchriebene Reiſe auf Anrathen der Aerzte, und in der Hoffnung, dadurch ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen. Als er die Reiſe antrat, war er ſehr ſchwach, und mit einem ſchlei - chenden Fieber behaftet; und da er alle Abende bey guter Zeit mußte ausſpannen laſſen, fiel es ihm ein, da er ohne Geſellſchaft war, ſich den Zeitvertreib zu machen, dasjenige, was er den Tag uͤber geſehen hatte, ſich wieder ins Gedaͤcht - niß zu bringen, und das Erheblichſte davon mit einigen Anmerkungen daruͤber aufzuſchreiben.
Hiebey hatte er nun freylich die Abſicht, etwas zu ſchreiben, das an das Tageslicht kommen ſoll - te, gar nicht. Denn was konnte er ſich zu einer ſolchen Abſicht von einer Reiſe verſprechen, auf welcher er aus dem Wagen in die Gaſthoͤfe, und aus dieſen wieder in den Wagen ſtieg, ohne Hoff - nung etwas anders zu ſehen und zu erfahren, als was er auf der Landſtraße wuͤrde gewahr werden?
DaVorbericht.Da indeſſen nach ſeiner Zuruͤckkunft einige ſeiner Freunde von dem Tagebuche etwas gehoͤrt hatten, und es zu leſen verlangten, fand ſich einer darunter, der es der Muͤhe werth hielt, etwas davon auszuziehen, und durch das deutſche Mu - ſeum bekannt zu machen. Dieſes veranlaßte an - dere Freunde, und beſonders auch die Verleger, dem Verfaſſer ernſtlich anzuliegen, das ganze Ta - gebuch bekannt zu machen. Ob er nun gleich keinen Trieb dazu fuͤhlte, gab er doch nach.
Dieſes iſt die wahre Geſchichte des Buches, die hier deswegen erzaͤhlt wird, damit billige Le - ſer das Magere und Unerhebliche, was hier und da darin vorkommt, entſchuldigen. Der Ver - faſſer haͤtte es freylich koͤnnen ausſtreichen, und nur das Wichtigere ſtehen laſſen; dazu aber hatte er wegen der unaufhoͤrlich anhaltenden Leibesbe - ſchwerden keine Luſt. Und uͤberdem denkt er, daß es manchem Leſer eben ſo gehen wird, wie ihm ſelbſt: naͤmlich daß ihn auch Kleinigkeiten, wenn ſie nur nichts Ungereimtes oder Unartiges enthalten, in ſo weit unterhalten, daß er die Zeit, darin er ſie geleſen hat, nicht fuͤr ganz verloren achtet.
Das Monument, welches Jhre Majeſtaͤt der Koͤnig von Preuſſen dem Herrn Marquis d'Argens zu Aix errichten ließ, und deſſen der Herr Verfaſſer dieſes Werks S. 111 erwaͤhnt, wurde von Herrn Bridan, Profeſſor der Bild - hauerkunſt in Paris, verfertigt: „ Die Unſterb - „ lichkeit ſtellet den Medaillon des Marquis auf „ ihren Altar, und nimmt den Schleyer weg, der „ ihn bedeckt zu haben ſcheint. “ Dieß Kupfer hat man dem Titel des Buchs als eine Zierde beygefuͤgt.
Der ungemeinen Gefaͤlligkeit des Herrn Doct. Raſts in Lyon haben wir es zu verdanken, daß wir auch die S. 81 ſo ſehr geruͤhmten beyden an - tiken Denkmaͤler dieſem Werke beyfuͤgen koͤnnen.
Wir wollen hieruͤber Herrn Doct. Raſts ei - gene Nachricht hier einruͤcken.
Die -Nachricht.Dieſe Steine ſind im Jahre 1766 von Herrn Valle - ton du Caſtelet aus Lyon, einem Freunde des Herrn D. Raſt, dem er ein Geſchenk damit gemacht, aus Aegypten mitgebracht worden. Man hat ſie dort aus den Hoͤhlen der Mumien bey Cairo, von der andern Seite des Nils, nicht weit von den Pyramiden, gezogen.
Der Abt Berand, ein Exjeſuit und guter Alterthums - kenner, legte der Akademie von den Aufſchriften des groſ - ſen Steins eine Erklaͤrung vor. Er behauptete, er ſtelle das Urtheil uͤber einen derjenigen, die dort begraben wor - den, vor, und glaubte auf dem obern Plane die Zueignung und die Gebete zu ſehen, in dem mittlern den Anfang zu dem Gerichte, und in dem unterſten das Endurtheil. Die Akademie aber gab ſeiner Erklaͤrung keinen Beyfall.
Herr Raſt hat eine andere Erklaͤrung von dieſem Denkmale gegeben; und ſie hat, ſelbſt in Gegenwart des Herrn Berand, in den Augen der Antiquare den Vorzug vor jener erhalten.
Nach ſeiner Meinung ſtellet der obere Plan in der Mit - te die Hieroglyphe des hoͤchſten ewigen Weſens vor, das alles umfaßt: ein Scarabaͤus in einem Zirkel. Dieſe Hieroglyphe iſt mit keiner großen Schwierigkeit verbunden. Zur Seite des Ewigen ſieht man Windhunde, ein Sinn - bild der Treue in ſeinen Verſprechungen; ſie tragen Maſ - ſen von Waſſer, zum Zeichen der Macht; uͤber ihnen ſind Augen, Zeichen der Vorherſehung. Den Windhunden gegenuͤber liegen Prieſter auf den Knien, in der ehrerbie - tigſten Stellung; ſie ſcheinen die Gebete, die in einer hie - roglyphiſchen Schrift unter ihnen ſtehen, vorzutragen.
JnNachricht.Jn dem mittelſten Plane ſieht man die Jſis und den Oſiris mit ihrem gewoͤhnlichen Schmuck in Niſchen; ihr Koͤrper ſowohl als die aͤußerſten unteren Theile ſind wie Mumien gebunden: dies beweiſet, daß die Aegypter glaubten, ſie muͤßten gelebt haben. Die Blenden oder Niſchen, worinnen ſie liegen, koͤnnte man mit aufgeſtuͤtz - ten Bahren vergleichen. Prieſter, die da vor ihnen im An - geſichte ſtehen, thun Gebete zu ihnen, die durch die obere Schrift ausgedruͤckt ſind; Jſis und Oſiris ſcheinen ihnen das zu antworten, was unter ihnen ſteht. Man bemerkt hier, daß die Prieſter den Kopf und das Kinn, wie ge - woͤhnlich, geſchoren haben, mit einem Blatt vom Lotus, oder vielmehr von dem Baume Muſa (oder Piſang), dem ſchoͤnſten Blatte in der Welt, in der Hand. Sie haben eine lange Stole oder Binde an dem Vorderarme, die der - jenigen vollkommen aͤhnlich iſt, deren ſich die katholiſchen Prieſter bis ins 14 oder 15te Seculum bedienten. Jhr Chorhemde liegt obenher in kleinen Falten: ein Zeichen des Ueberfluſſes. An dem untern Theile iſt es mit Franzen beſetzt, wie der Leviten ihres. Die Fußbekleidung dieſer Prieſter verdient beſonders bemerkt zu werden. Man hat uns verſichert, daß die Malabaren ſich noch jetzt einer ſol - chen Bekleidung bedienten. Sie iſt ohne Abſatz und ohne Quartiere, und endigt ſich, wie die Schrittſchuhe, durch ein aufgekruͤmmtes Eiſen; vermuthlich um zu hindern, daß ſich nicht der Fuß an den Steinen verletze.
Auf dem unterſten Plane ſieht man zur Linken 1) eine ſitzende Frau mit einem Kleide in ſehr kleinen Faͤltchen, und einem aͤgyptiſchen Kopfputze, in Anſehung des unge - heuren Halsbandes von Perlen. Die Zuſammenfuͤgung dieſer Perlen kommt in ihren Abſaͤtzen ſehr, ſo wie dasje -nigeNachricht. nige der Prieſter der Jſis und des Oſiris, mit dem Hals - bande uͤberein, das man dem Manus beylegt. Dieſe Frau haͤlt einen Priap in der Hand, ein Zeichen der Fruchtbar - keit und des Eheſtandes. 2) Vor ihr ſteht ein Greis, der ſich von den Prieſtern unterſcheidet, weil er einen Bart hat; er haͤlt in ſeiner Hand eine Maſſe Waſſers, ein Zei - chen der Macht, und ſteht hierinnen mit den Windhunden in einem Range, die den Ewigen bewachen. Jn ſeiner linken Hand haͤlt er eine Art von Palmblatte, in Geſtalt eines Paraſols oder Faͤchers. 3) Dieſe beyden Perſonen nehmen die Gebete und brennbaren Opfer eines Prieſters von einer geringen Ordnung an. Die Gebete ſind durch Schrift, ſo wie die Antwort, bemerkt. 4) Dieſer Prieſter beut auf einem Credenztiſchchen, wie der in der katholiſchen Kirche gewoͤhnliche, Brodte dar, ſo wie man die Schau - brodte der Juden vorſtellet. Er haͤlt in der rechten Hand einen aͤgyptiſchen Apfel, und in der linken ein Jnſtrument, deſſen Erklaͤrung viel Muͤhe gekoſtet hat. Herr Raſt haͤlt es fuͤr ein hohles Rohr von warmem Metall. Dieſe Roͤh - re nimmt vermittelſt eines kleinen Trichters das Raͤucher - werk auf, das ſich verzehret, indem es den Dampf vor den Halbgoͤttern, Helden oder Koͤnigen herausſtoͤßt, denen man das Opfer darbringt. Unter dem Credenztiſche ſind zwo Urnen oder Kruͤge zu Waſſer oder Wein; an der Sei - te des Tiſchfußes iſt eine Vorſtellung von vier doppelten Zinnen. Man hat dieſe nicht anders erklaͤren koͤnnen, als daß man es fuͤr in einandergeſetzte Becher angenommen.
Wir bemerken bey dieſem Opfer, daß man blos le - benden Weſen Raͤucherwerk, Speiſen und Getraͤnke darge - bracht hat; man kann annehmen, daß dies der Koͤnig und die Koͤniginn waren, die damals in Aegypten herrſchten.
WirNachricht.Wir bemerken noch in Anſehung der hieroglyphiſchen Schrift, die bey den Prieſtern der Jſis und des Oſiris ſteht, daß ſie auf der Rechten ſo wie auf der Linken von oben perpendicular herablaͤuft, daß ſie aber darnach von der Linken zur Rechten nach der rechten Seite zu, und von der Rechten zur Linken nach der linken Seite zu geht. Die erſte folget dem Gange der chineſiſchen Art zu ſchreiben; die zwote der tatariſchen.
Der zweyte Stein ſtellt ein Opfer der Jſis, einen Kalbskopf, durch einen Prieſter, mit einer Stole oder Handbinde, der mit einem Knie auf der Erde ruht, vor. Es iſt leicht, dieſen zu erklaͤren.
Der Schrank, worinnen dieſe Steine aufbehalten wer - den, traͤgt folgende Aufſchrift:
Tabulae ſepulchrales Aegyptiae pro Mortuis Deo ſacratae; Antiquam de immortalitate animae fidem adſtruentes. Ex Mumiarum cryptis juxta Cayrum. A D. Franciſco Valleton du Caſtelet Lugdunenſi anno 1766 erutae.
Amiens ex Egypto redux I. B. A. Raſt Doctori Medico Lugdunenſi Beneficii Memori D. D. anno 1774.
DieNachricht.Die uͤbrigen eingedruckten Kupfer ſind nach des Herrn Verfaſſers Entwuͤrfen, ſo wie obige, von unſerm Herrn Profeſſor Oeſer gezeichnet, und von Herrn Geyſer in Kupfer geſtochen worden.
Leipziger Jubilatemeſſe 1780.
Die Verleger.
Weil mir verſchiedentlich angerathen worden, zuVeranlaſ - ſung der Reiſe. Wiederherſtellung meiner Geſundheit einen Winter in den mittaͤglichen und waͤrmern Gegenden von Europa zuzubringen, und nach eingezogenen Nachrichten die Stadt Nizza, als der vortheilhafte - ſte Ort, zu dieſer Abſicht gewaͤhlt worden, ſo trat ich den 23 Auguſt die Reiſe nach dieſem Ort an.
Da ich ſowohl durch die ſeit drey Jahren anhal - tende Bruſtkrankheit, als durch ein kurz vor meiner Abreiſe ausgeſtandenes gefaͤhrliches dreytaͤgiges Fieber ſehr geſchwaͤcht war, nahm ich mir vor, gemaͤchlich und ſo zu reiſen, daß ich anhalten koͤnnte, wo ich es fuͤr gut finden wuͤrde. Zu dem Ende miethete ich ei - nen Lohnkutſcher in Berlin, der mich in kurzen Tag - reiſen nach Leipzig bringen ſollte.
Meine erſte Tagreiſe war alſo uͤber Potsdam nachVon Berlin nach Pots - dam und Treuenbri - tzen. Treuenbritzen. Auf dieſem Wege habe ich nichts an - merkungswuͤrdiges beobachtet. Er iſt meiſt eben, durchgehends, beſonders von Potsdam aus, ſehr ſan - dig, folglich weit tuͤchtiger zu Fichtenwaldungen, der -Aglei -2Tagebuch von einer nach Nizzagleichen es viel auf dieſem Striche giebt, als zum Ackerbau. Von Potsdam aus trifft man betraͤchtliche Strecken Landes an, die wegen der Unfruchtbarkeit des Bodens ganz wuͤſte liegen.
Von Treuenbritzen aus geht der Weg meiſtens uͤber ſehr magere, auch ganz unbebaute Felder. Alle Fremde, die von Leipzig aus nach Berlin reiſen, be - kommen einen ſehr nachtheiligen Begriff von der Mark Brandenburg, weil ſie von Wittenberg aus bis nach Berlin nichts als unfruchtbares Land und Fichtenwaͤlder ſehen. Doch iſt dagegen unweit davon an dem rechten Ufer der Havel das ſogenannte Havelland in einem hohen Grade fruchtbar.
Weil ich zu ſchwach war herumzugehen, und eini - ge mir bekannte gelehrte Maͤnner in Wittenberg zu be - ſuchen, ſo blieb ich den Mittag uͤber in einem ſchlech - ten Gaſthofe vor der Stadt, und mußte alſo dieſe be - ruͤhmte und gegenwaͤrtig mit verſchiedenen ſehr ge - ſchickten Maͤnnern beſetzte Univerſitaͤt vorbeyreiſen.
Sobald man uͤber die Elbe gekommen iſt, trifft man ſchon merklich beſſeres Land an. Jch habe ſo - wohl hier, als bey vielen andern Reiſen bemerkt, daß bey der zufaͤllig ſcheinenden Eintheilung der Laͤnder doch meiſtentheils zwiſchen groͤßern benachbarten Staa - ten natuͤrliche Graͤnzen geſetzt ſind, und daß gemei - niglich die groͤßern an einander ſtoßenden Provinzen durch die Verſchiedenheit ihres Bodens und andre na - tuͤrliche Eigenſchaften ſich von einander unterſcheiden. Daraus laͤßt ſich einigermaßen begreifen, warum in ganz alten Zeiten ein Volk, das einem Lande den Na -men3gethanen Reiſe. men gegeben, ſich nicht weiter, als ſeine jetzigen Graͤn - zen ſind, ausgebreitet habe.
Jn einer geringen Entfernung von der ElbeDer Duͤbbe - ner Wald. kommt man in den Duͤbbener Wald, der einen groſ - ſen Umfang hat, und fuͤrtrefflich mit Holz beſetzt iſt. Das Land iſt etwas bergig, und der Wald hat hier und da ein ziemlich wildes Anſehen; aber mitten dar - in trifft man auch kleine und ſchmale hoͤchſt angenehme Thaͤler an, wo das Holz ausgeradet, das Land zu etwas Acker und Wieſen angebaut, und Jagdhaͤuſer oder Meyereyen angelegt worden, die ungemein an - genehme einſiedleriſche Wohnſitze ſind. Auf einem ſolchen recht romantiſchen Meyerhofe mitten in dem Walde nahm ich mein Nachtlager, und wurde beſſer bewirthet, als in mancher großen Stadt zu geſchehen pflegt; wie denn uͤberhaupt das ſaͤchſiſche Volk, und beſonders die Gaſtwirthe, verſtaͤndiger und weit gefaͤl - liger ſind, als im Brandenburgiſchen.
Faſt die Haͤlfte des Weges geht noch durch den ſchoͤnen Duͤbbener Wald, aus dem die Stadt Leip - zig einen großen Theil ihres Brennholzes zieht, das von den Bauren auf Wagen dahin gefahren wird, folglich etwas theuer zu ſtehen kommt.
Von Berlin nach Leipzig rechnet man 20 deut -Gemeſſener Weg zwi - ſchen Berlin und Leipzig. ſche Meilen. Jch hatte zu Meſſung der Wege eine von dem ſeligen Holfeld erfundene und verfertigte Ma - ſchine bey mir, die an ein Rad angeſchnallt wird, und die Umgaͤnge deſſelben zaͤhlt. Wenn man alſo den Diameter des Rades mißt, ſo kann man die Laͤn - ge des gemachten Weges im Fußmaaß haben. AufA 2die -4Tagebuch von einer nach Nizzadieſem Wege fand ich die Entfernung der Oerter fol - gendermaßen:
Von meinem Garten *)Mitten zwiſchen Berlin und Charlottenburg. *) bis Treuenbritzen | 206617 Fuß |
Von Treuenbritzen bis auf die Meyerey im Walde | 169498 |
Von da nach Leipzig | 144599 |
Folglich in allem | 520714 Fuß. |
Rechnet man nun die deutſche Meile zu 25000 rheinlaͤndiſche Fuß, welches noch gegen die eigentliche geographiſche Meile, zu 15 auf den Grad, etwas zu viel iſt**)Wenn 15 deutſche Meilen auf einen Grad ſollen gerechnet werden, ſo iſt die Meile nur 23497⅗ rheinl. Fuß., ſo betraͤgt alſo der Weg
Von meinem Garten nach Treuenbritzen | 8¼ Meilen. |
Von da nach der Meyerey | 6 $$\frac {19}{25}$$ |
Von da nach Leipzig | 5⅘ |
Jn allem ohngefaͤhr | 20⅘ Meilen. |
Jch brachte den Tag meiſtentheils in Geſellſchaft verſchiedener Gelehrten angenehm zu. Ein beſonderes Vergnuͤgen aber machte es mir, in Bekanntſchaft mit Hrn. D. Semler aus Halle zu kommen, der mit dem Herrn Profeſſor Thunmann nach Leipzig heruͤber ge - kommen war, um mir eine gluͤckliche Reiſe zu wuͤn - ſchen. Jch war dieſen Tag ſo ſchwach, daß meine Freunde wegen Fortſetzung meiner Reiſe ſehr beſorgt waren. Nur ich hatte das gute Zutrauen, daß ich die Reiſe nicht nur aushalten, ſondern in Abſicht auf meine Geſundheit Vortheil daraus ziehen wuͤrde. Jch miethete hier wieder einen Fuhrmann, der, weil nocheini -5gethanen Reiſe. einige Kaufleute von Leipzig auf die Meſſe nach Frankfurt reiſen wollten, außer einer halben Chaiſe, darin ich fuhr, eine vierſitzige Kutſche fuͤhrte, in wel - cher die Kaufleute waren, in deren Geſellſchaft ich die - ſe Reiſe machte. Fuͤr mich und meinen Bedienten bezahlte ich nicht mehr als ſechs alte Louisd'or, da ich von Berlin nach Leipzig ſieben Louisd'or hatte bezah - len muͤſſen.
Der Weg iſt bis hinter Weißenfels meiſt ganz eben und durchaus angenehm. Auf dieſem We - ge ſah ich von weitem einige Gebaͤude, die zu den vor einigen Jahren bey Merſeburg entdeckten Salzquel - len gehoͤren. Weil die Saale durch dieſe Gegend fließt, ſo wird das Holz zur Salzkocherey auf dieſem Fluß gefloͤßt. Er hat hier ein ziemlich tiefes Thal ausgeſchwemmt, in welchem einige Doͤrfer liegen, wel - che von der Hoͤhe herunter eine angenehme Ausſicht machen. Das ganze Thal aber iſt oͤftern Ueber - ſchwemmungen ausgeſetzt, welche oft große Verwuͤ - ſtungen anrichten, und nicht ſelten dem Landmann die ganze Aerndte verderben. Aus dieſem Grunde ſind auch die Landeigenthuͤmer dieſes Thales von den mei - ſten Abgaben, die ſonſt in Sachſen ſo ſehr betraͤchtlich ſind, frey.
Die Landſtraße geht mitten uͤber das ehemaligeLuͤtzen. Schlachtfeld bey Luͤtzen. Man zeiget noch jetzt dicht neben der Landſtraße einen Stein, bey welchem der große Guſtav Adolph ſein Leben ſoll eingebuͤßt ha - ben. Aber der preußiſche Officier, der die ſchoͤnen Anmerkungen zu der franzoͤſiſchen Ueberſetzung des Gualdo gemacht, hat gezeigt, daß die Sage falſchA 3iſt,6Tagebuch von einer nach Nizzaiſt, und daß der Koͤnig auf der andern Seite der Land - ſtraße geblieben.
Weißenfels iſt eine artige kleine Stadt, die aber, ſeitdem kein Hof mehr da iſt, an ihrer Nah - rung viel verloren hat. Das Schloß iſt ein großes und feines Gebaͤude, das aber jetzt zerfaͤllt, weil auf die Unterhaltung deſſelben nicht das Geringſte verwen - det wird. Dies iſt der Fall von noch mehr andern ſchoͤnen Gebaͤuden, die vor nicht langer Zeit abgefun - denen Fuͤrſten von Nebenlinien der regierenden Haͤu - ſer zum Aufenthalte dienten. Es ſcheinet mir nicht wohl gethan, daß gegenwaͤrtig faſt durchgehends in ganz Europa die naͤchſten Anverwandten der regieren - den großen Herren ſich an dem Hofe des regierenden Fuͤrſten aufhalten muͤſſen. Dadurch werden zwar die Hauptſtaͤdte praͤchtig und ihre Buͤrger reich; aber die Provinzſtaͤdte leiden darunter. Wuͤrden die abgefun - denen Prinzen in die Provinzſtaͤdte geſetzt, zumal in ſolche, da ſchon anſtaͤndige Palaͤſte zu ihrem Hofſtaat gebauet ſind: ſo wuͤrde ihr Aufenthalt daſelbſt den Staͤdten mehr Nahrung geben; der herumliegende Adel genoͤſſe mehr Annehmlichkeit; unter den gemei - nen Buͤrger kaͤme mehr Cultur, und alle Kuͤnſte wuͤr - den dadurch im Lande mehr ausgebreitet. Es faͤllt uͤberhaupt in einigen Provinzen von Deutſchland ſehr auf, daß man ſo viele halb verfallene und faſt ganz verarmte kleine Staͤdte antrifft, von deren ehemaligem Wohlſtand doch noch Spuren anzutreffen ſind. Die - ſes kommt von mehr als einer Urſache her; die vor - nehmſte aber iſt die Vergroͤßerung der Hauptſtaͤdte und das Zuſammendraͤngen der unternehmendſten Ein - wohner an den Ort, wo der Hof ſeine Reſidenz auf -geſchla -7gethanen Reiſe. geſchlagen hat. Die Sache waͤre einer naͤhern Be - leuchtung um ſo mehr werth, da die Entdeckung der wahren Urſachen, die den Verfall einzeler Staͤdte be - wirkt haben, ohne Zweifel ein merkliches Licht uͤber den Verfall und die Aufnahme ganzer Laͤnder verbreiten wuͤrde. Man giebt ſich zwar ſeit einigen Jahren faſt in allen großen Staaten ſehr viel Muͤhe, die wahren Quellen des Nationalwohlſtandes zu erforſchen, und aus dieſen Unterſuchungen Grundſaͤtze und Maximen einer guten Staatsverwaltung herzuleiten. Dennoch hat man es meines Erachtens eben noch nicht ſehr weit darin gebracht. Die vornehmſten Schriftſteller in dieſem wichtigen Fach widerſprechen einander nicht ſel - ten, ſogar uͤber die erſten Grundſaͤtze der Staats - wirthſchaft: ein offenbarer Beweis, daß dieſe Wiſ - ſenſchaft in ihren erſten Gruͤnden noch ſehr ungewiß iſt. Man wird ſich aber daruͤber gar nicht wundern, wenn man bedenkt, wie ſehr ſchwer es iſt, genau zu beſtimmen, was fuͤr Folgen eine allgemein getroffene Landesanſtalt auch in der Folge der Zeit haben werde. Gewiß ſind alle mathematiſche Aufgaben, deren Auf - loͤſung dem großen Newton den Ruhm des erſten Genies der Welt erworben hat, Kleinigkeiten da - gegen.
A 4Ge -*)Die Erwaͤgung der unuͤberwindlichen Schwierigkei - ten, die ſich der Feſtſetzung einer wahren Theorie der Staatswirthſchaft entgegenſtellen, bringt mich alle - mal auf den Gedanken, ob es nicht beſſer waͤre, daß man die ganze Unterſuchung aufgaͤbe, und das große Problem durch einen Umweg aufloͤſete. Jch ſtelle mir wenigſtens vor, daß ein Land, deſſen Einwohner uͤberhaupt verſtaͤndige, arbeitſame, ſparſame und da - bey redliche Menſchen waͤren, ohne viele Polizey - undFi -
8Tagebuch von einer nach NizzaGegen Naumburg zu wird das Land bergig, und ſowohl wegen der ſchoͤnen und mannichfaltigen Ausſichten, als wegen verſchiedener ſehr artigen Sce - nen, welche von großen Felſen gebildet werden, ſehr angenehm.
Verdruͤßlich war es mir auf dieſem ganzen We - ge zu ſehen, daß die groͤßern und kleinern ſteinernen Obelisken, die Auguſt der zweyte auf allen Landſtraßen in ſeinem Lande zu Ausmeſſung der Wege hat ſetzen laſſen, faſt durchgehends eingeſtuͤrzt ſind.
Naumburg iſt eine geringe, unanſehnliche, aber in einer fruchtbaren und ſehr angenehmen Gegend gelegene Stadt. Die ganze da herum liegende Ge - gend beſteht aus kleinen Bergen, und dazwiſchen liegen - den Ebenen und Thaͤlern. Sowohl dieſe als die Ber - ge ſind mit fruchtbarer Erde bedeckt, und zeigen folg - lich eine Mannigfaltigkeit von Waͤldern, Baͤumen, Wieſen, Weinbergen und Feldern, die ſich hier und da in Gegenden bilden, die man nicht leicht in irgend einem Lande ſchoͤner ſehen kann. Der Wein, derbey*)Finanzgeſetze ſo gluͤcklich und ſo maͤchtig ſeyn wuͤr - de, als es ſeine natuͤrliche Beſchaffenheit erlaubt. Dennoch wuͤrde das große Problem ſich auf dieſes leichtere zuruͤckfuͤhren laſſen: Wie iſt es zu veran - ſtalten, daß ein ganzes Volk verſtaͤndig, arbeit - ſam, ſparſam und redlich werde? Waͤre dieſe Fra - ge aufgeloͤſt, welches ich nicht fuͤr unmoͤglich halte, und eine Nation waͤre ſo weit gekommen, daß ſie den erwaͤhnten Charakter angenommen haͤtte, ſo koͤnnte man im Handel, im Ackerbau und andern Betrieb - ſamkeiten nur jedem die Freyheit laſſen, nach ſeinem Gutduͤnken zu verfahren; das Land wuͤrde unfehlbar in den hoͤchſten Wohlſtand kommen. Aldenn aber wuͤrde es keine ſehr ſchwere Sache ſeyn, die noͤthi - gen Landeseinkuͤnfte zuſammenzubringen.9gethanen Reiſe. bey Naumburg waͤchſt, iſt ſehr ſchlecht; nicht blos ſauer, wie alle im noͤrdlichen Deutſchland wachſende Weine, ſondern noch uͤberdem von ganz ſchlechtem Geſchmack. Dieſes aber koͤnnte wohl aus der ſchlech - ten Zubereitung deſſelben und von ſorgloſer Aufbe - wahrung herruͤhren.
Der Weg geht uͤber Berge und durch ſchoͤ - ne fruchtbare Thaͤler; iſt uͤberhaupt angenehm, wiewohl hier und da wegen der ziemlich ſteilen Anhoͤhen beſchwerlich. Eine Stunde von Naum - burg kommt man neben der Schulpforte, einer derSchulpforte. anſehnlichſten Schulen in Deutſchland, vorbey. Die zu dieſer Schule gehoͤrigen Gebaͤude ſind nebſt ver - ſchiedenen dabey liegenden Gaͤrten, Wieſen und Ae - ckern mit einer Mauer umgeben. Außerhalb der Mauer iſt das Land ſehr angenehm, und hat ſchoͤne Spaziergaͤnge. Kann man alſo hier der Jugend ei - nen Geſchmack an den laͤndlichen Scenen der Natur beybringen, ſo kann es ihr in den guten Jahrszeiten an angenehmem Zeitvertreib in den Stunden der Er - holung nicht fehlen. Angenehm war mir, als ich an dieſem Ort vorbey fuhr, die Vorſtellung, daß Klop - ſtok ſeine erſten Juͤnglingsjahre hier zugebracht, und auf dieſen Spaziergaͤngen ſeine Phantaſie und Em - pfindung allmaͤhlig zu dem hohen poetiſchen Schwung, den wir in der Meßiade bewundern, geſtimmt hat.
Es war mir auf dieſem Wege doch auffallend,Geringe Aerndte in gutem Bo - den. daß des fuͤrtrefflichen Bodens ungeachtet die Aerndte, wie ich aus dem theils noch ſtehenden, theils abge - maͤhten und noch auf den Feldern liegenden Korn ur -A 5thei -10Tagebuch von einer nach Nizzatheilen konnte, nur mittelmaͤßig war. Jch habe im Brandenburgiſchen in weit ſchlechterem Boden eben ſo reiche Aerndten geſehen als hier, wo der Boden in der That fuͤrtrefflich iſt. Hieraus konnte ich ſchließen, daß hier der Feldbau nicht mit der erforderlichen Sorg - falt und Einſicht getrieben wird. Eine beſondere Pro - be hievon ſah ich ganz deutlich auf vielen Brachaͤckern, die eben zur kuͤnftigen Herbſtausſaat geduͤngt worden waren. Der Duͤnger beſtund mehr aus blos trockenem Stroh, als aus wirklichem Miſt. Wie das Duͤn - gen ohne Ueberlegung geſchieht, ſo mag es im Pfluͤ - gen vielleicht eben ſo gehen. Jch glaube uͤberhaupt auf meinen verſchiedenen Reiſen bemerkt zu haben, daß der Landmann in den noͤrdlichen Gegenden von Deutſchland den Ackerbau mit weniger Fleiß, minder Ueberlegung und geringerm Nachdenken treibt, als in Oberdeutſchland geſchieht.
Jn der Naͤhe von Erfurt iſt das Land ſo gut, daß es vorzuͤglich zum Anbau der Kuͤchengewaͤchſe die - net, davon mehrere Arten hier beſſer als in den be - nachbarten Laͤndern fortkommen. Ueberhaupt muß man die Gegend um Erfurt unter die Gegenden Deutſch - lands zaͤhlen, die ſich durch ihre Fruchtbarkeit beſon - ders auszeichnen.
Von Erfurt aus iſt der Weg anfaͤnglich rauh, geht durch hohle Straßen und uͤber Berge. Jſt man aber einmal daruͤber hinaus, ſo wird er eben, und bey trockenem Wetter ſehr gut. Weil aber die Straßen durch viel fettes und leimiges Land gehen,und11gethanen Reiſe. und hier noch keine ordentlich gedaͤmmte Wege oderSchlimme Landſtraßen. Chauſſées ſind, ſo muͤſſen bey naſſem Wetter, beſon - ders im Fruͤhling und Herbſt, die Wege hoͤchſt be - ſchwerlich ſeyn. Man ſiehet dieſes auch deutlich an den hier und da aus den naſſen Jahrszeiten uͤbrig ge - bliebenen ſehr tiefen Geleiſen; denn dieſe Straße muͤſ - ſen die Fuhrleute nehmen, die aus Sachſen und Brandenburg Guͤter nach Frankfurt, oder von da nach dieſen Laͤndern fuͤhren. Es iſt kaum glaublich, was fuͤr Muͤhe und Beſchwerlichkeiten dieſe Fuhrleu - te bey lange anhaltender Naͤſſe auf ſolchen Straßen ausſtehen. Dieſes vertheuert natuͤrlicher Weiſe die Frachten gar ſehr, ſo daß es eine wahre Barbarey iſt, dergleichen wichtige Landſtraßen in ſo elendem Zuſtande zu laſſen. Es ſcheint, daß unter den guten menſchli - chen Anſtalten nichts langſamer zur Vollkommenheit komme, als die allgemeine Landespolizey.
Man ſiehet auf dieſer Straße von weitem ein paar zerſtoͤrte Bergſchloͤſſer, die ehedem den Grafen von Gleichen gehoͤrt haben. Und bey dieſer Gele - genheit erfuhr ich, daß in dieſen Gegenden das An - denken des beruͤhmten Grafen von Gleichen, der eine ſaraceniſche Gemahlinn von ſeinem Zuge nach Palaͤ - ſtina zuruͤckgebracht haben ſoll, ſich durch Ueberliefe - rung unter dem gemeinen Volk erhalten hat. Denn mein Fuhrmann ſagte mir, als er mir dieſe Schloͤſſer wies: ſie haben einem Grafen gehoͤrt, der mit zwey Frauen zugleich verheirathet geweſen ſey.
Auf der ganzen Straße hat man ſchoͤne Ausſich - ten in die gegen Mittag liegenden, mit vielen angeneh - men Hoͤhen beſetzten Laͤnder.
Den12Tagebuch von einer nach NizzaBey Eiſenach faͤhrt man nun in die Gebuͤrge hinein, die das mittaͤgliche Deutſchland von dem noͤrdlichen trennen, und die ſich faſt ununterbrochen vom Rhein bis an das ſchwarze Meer erſtrecken. Ehe - dem waren die Straßen uͤber dieſes Gebuͤrge von Ei - ſenach bis in das Fuldaiſche ſehr beſchwerlich; jetztSchoͤne Landſtraßen. aber, ſeitdem die da herumliegenden Fuͤrſten ſich ver - einigt haben, ſie zu beſſern, und uͤberall, wo es thunlich war, gedaͤmmte Wege anzulegen, ſind ſie durchgehends ſchoͤn und bequem. Gegenwaͤrtig kann man auf ſehr guten Wegen von Eiſenach bis Frank - furt, und von da bis an die aͤußerſten Graͤnzen von Frankreich kommen. Man ſagte mir, daß der jetzi - ge Fuͤrſt Biſchof von Fulda es durch ſeine Vorſtel - lungen bey den benachbarten Fuͤrſten dahin gebracht habe, daß die Straßen ſo gut gemacht worden. Eben dieſem Herrn ſoll man es auch zu danken haben, daß gegenwaͤrtig dieſe Straßen, die ehedem durch die Raͤu - ber hoͤchſt unſicher geweſen ſind, voͤllige Sicherheit ge - nießen. Die verſchiedenen Fuͤrſten, deren Laͤnder hier zuſammenſtoßen, unterhalten Huſarenpatrouillen auf den Feldern; und die Huſaren eines Herrn haben die Freyheit, einen Raͤuber auch bis innerhalb den Graͤnzen eines andern Herrn zu verfolgen, und dort noch ihn mit Gewalt wegzunehmen.
Der ganze Weg von Eiſenach bis Huͤnefeld geht beſtaͤndig uͤber Berg und Thal, und iſt wegen angenehmer Abwechſelungen der Ausſichten und ein -zeler13gethanen Reiſe. zeler geſperrter, zum Theil recht romantiſcher Gegen - den ungemein ergoͤtzend.
Jn Huͤnefeld erneuerte ſich auf eine lebhafte Art in mir das Andenken einer verdruͤßlichen Scene, die ich vor 13 Jahren an dieſem Orte gehabt hatte. Da - mals kam ich eben an dem Tage hier an, da die hier gelegenen franzoͤſiſchen leichten Truppen von den Hu - ſaren der alliirten Armee verjagt worden. Wegen der Verwirrung, die dieſer Auftritt verurſacht hatte, und der Gefahr, von hier durch feindliche Partheyen nach Fulda zu fahren, konnte ich keine Pferde bekommen, und mußte zwey Tage an dieſem elenden Orte liegen bleiben. Den zweyten Tag nach meiner Ankunft war ich auf dem Punkt, meinen Wagen von Huſaren der alliirten Armee gepluͤndert zu ſehen, als ein Officier, der von Geburt ein Berliner war, und mich kannte, dazu kam, und mich nicht nur vor der Pluͤnderung verwahrte, ſondern durch ernſtliche Drohung, die er gegen den Poſtmeiſter aͤußerte, mir Pferde zur Fort - ſetzung meiner Reiſe verſchaffte.
Eine beſondere Annehmlichkeit genoß ich diesmalSchoͤnes Obſt. auf dem ganzen Wege von Leipzig aus durch Sach - ſen, Thuͤringen und das Fuldaiſche dadurch, daß die vielen in der Nachbarſchaft aller Doͤrfer gepflanz - ten Obſtbaͤume, vornehmlich die Aepfelbaͤume, ſehr reichlich mit Fruͤchten beladen waren. Je weiter man gegen die Wetterau vorruͤckt, je mehr nimmt auch der Obſtbau zu. Jn dieſer Gegend iſt das Obſt ſchon ſo haͤufig, daß man es in fruchtbaren Jahren nichtan -14Tagebuch von einer nach Nizzaanders nutzen kann, als daß man Moſt daraus preßt. Zwiſchen Fulda und Salmuͤnſter wird in manchem Jahr ſehr viel von dieſem Getraͤnke gewonnen. Jn dieſen Gegenden faͤngt auch der Weinbau an. Ueber - haupt iſt der Theil des Bisthums Fulda, durch den die große Landſtraße nach Frankfurt geht, ſehr an - genehm und fruchtbar, obgleich ziemlich bergig.
Jch fuhr Fulda vorbey. Die Straße aber geht dicht neben dem Thore fort, in deſſen Naͤhe der bi - ſchoͤfliche Palaſt iſt, der auch von ferne Pracht undAnmerkung uͤber die Reſi - denzen geiſt - licher Fuͤr - ſten. große Annehmlichkeit zeiget. Jch habe bey mehr Ge - legenheiten bemerkt, daß die Reſidenzen reicher geiſtli - cher Fuͤrſten durchaus, wo nicht mehr Pracht, doch mehr Annehmlichkeit, und, wenn ich mich ſo ausdruͤ - cken kann, ein friſcheres, ergoͤtzenderes und feſtlicheres Anſehen haben, als die Palaͤſte der großen weltlichen Fuͤrſten. Waͤre die Beobachtung allgemein wahr, ſo koͤnnte ſie aus der Verſchiedenheit des Charakters der geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten und ihrer Regierun - gen leicht erklaͤrt werden. Ein großer weltlicher Fuͤrſt hat freylich ganz andere Sorgen, Geſchaͤffte und Gelegenheiten ſeine Einkuͤnfte anzuwenden, als daß das Bauen ſein Hauptgeſchaͤfft ausmachen und eine ſeiner vornehmſten Ausgaben ſeyn koͤnnte. Ubrigens will ich noch anmerken, daß ich hier und da in dem Fuldaiſchen ungemein viel Gutes und Ruͤhmliches von dem jetzigen Biſchof gehoͤrt habe.
Der Weg von Salmuͤnſter nach Gelnhauſen iſt wegen der ſich mannigfaltig abaͤndernden ſchoͤnenAus -15gethanen Reiſe. Ausſichten angenehm. Die ehemalige Reichsſtadt, jetzt aber den Grafen von Hanau unterworfene Stadt Gelnhauſen iſt mit Bergen umgeben, und ſcheinet ziemlich ſtarken Weinbau zu haben. Von hieraus faͤngt der Anbau des ſogenannten tuͤrkiſchen Korns und des Tabaks an. Von beyden ſieht man große Felder beſetzt. Jenes brauchen weder die hieſigen Ein - wohner, noch, ſo viel ich weiß, irgend ein Landvolk in andern Gegenden Deutſchlands, zur Nahrung, wo - zu es in Jtalien dient, ſondern blos zur Viehmaſt. Der hanauiſche Tabak wird ſeit langer Zeit fuͤr den beſten in Deutſchland gehalten, und macht einen an - ſehnlichen Theil der Landesguͤter aus.
Jn der Gegend um Hanau ſind viel ſchoͤneHanau. Maulbeerbaͤume, aber, wie es ſcheint, erſt ſeit eini - gen Jahren gepflanzt, die ſo gut und ſchoͤn gewachſen ſind, als man ſie irgendwo ſehen kann. Es iſt kein Zweifel, daß nicht in wenig Jahren der Seidenbau hier werde betraͤchtlich werden. Ueberhaupt ſieht man im Hanauiſchen viel, das von der Thaͤtigkeit und dem Fleiß der Einwohner einen vortheilhaften Begriff giebt. Der Grund liegt ohne Zweifel darin, daß die Einwohner der Stadt Hanau ein Gemiſche von da - hin gefluͤchteten Wallonen, Franzoſen, Juden und andern fleißigen und unternehmenden Menſchen ſind, denen die Landesherren viele Freyheiten ertheilt haben; daher die Stadt ein bluͤhender, volkreicher und angenehmer Ort iſt. Hier iſt auch die Hauptnie - derlage des ſehr anſehnlichen Holzhandels, der auf dem Mayn getrieben wird. Jch werde an einem andern Orte Gelegenheit haben, dieſes wichtigen Handels umſtaͤndlicher zu erwaͤhnen.
Die16Tagebuch von einer nach NizzaDie Stadt Hanau liegt in einer großen und fruchtbaren Ebene, die den auf dieſer Straße Herun - terreiſenden ſo viel angenehmer wird, da der bisherige Weg uͤber und zwiſchen Bergen gegangen. Es ſchien mir, daß ſeit 13 Jahren, binnen welcher Zeit ich dieſe Gegend nicht geſehen habe, der Bau des tuͤrki - ſchen Kornes merklich abgenommen habe. Jch ver - gaß aber, mich nach der Urſache dieſer Veraͤnderung zu erkundigen.
Der ganze Weg von Leipzig nach Frankfurt betraͤgt Tag fuͤr Tag nach meinen Ausmeſſungen fol - gende Weiten:
Von Leipzig nach Naumburg | 164646 Fuß od. 6 $$\frac {7}{12}$$ Meil. |
‒ Naumburg — Erfurt | 178777 — — 7⅛ — |
‒ (Erfurt — Gotha) | (72832) — — — — |
‒ Erfurt — Eiſenach | 162252 — — 6½ — |
‒ Eiſenach — Huͤnefeld | 165465 — — 6⅗ — |
‒ Huͤnefeld — Salmuͤnſter | 182745 — — 7 $$\frac {8}{25}$$ — |
‒ (Salmuͤnſter — Hanau) | (126515) — — (5) — |
‒ Salmuͤnſter — Frankfurt | 183641 — — 7 $$\frac {8}{25}$$ — |
Von Leipzig nach Frankfurt | 1037526 — — 41½ — |
Alſo 41 und eine halbe Meile, die Meile zu 25000 Fuß gerechnet. Nimmt man aber die Meile zu 23497 Fuß, welches die eigentliche geographiſche Meile zu 15 auf einen Grad iſt, ſo betraͤgt der Weg uͤber 44 Meilen.
Jch fand noͤthig, mich ein paar Tage in Frank - furt auszuruhen; da ich aber noch nicht ſtark genugwar17gethanen Reiſe. war herumzugehen, und vornehmlich keine Treppen beſteigen konnte, ſo kam ich nicht aus dem Hauſe, außer daß ich einmal um die Stadt herum ſpazieren fuhr. Die Lage dieſer anſehnlichen und ſchoͤnen Stadt iſt aͤußerſt angenehm, und die vielen ſchoͤnen Gaͤrten und Landhaͤuſer, womit ſie ganz umgeben iſt, vermeh - ren die Annehmlichkeiten des Orts, und zeugen zu - gleich von ſeinem Wohlſtande. Jn der That iſt ſie in dem ſuͤdlichen Theile Deutſchlands die einzige Reichs - ſtadt, an welcher man keinen Verfall gewahr wird. Nuͤrnberg iſt ſtark gefallen, und auch in Augsburg faͤngt man an den Verfall gewahr zu werden. Ulm faͤngt an, ein unbedeutender Ort zu ſeyn; und die kleinern Reichsſtaͤdte in Franken und Schwaben ſind nichts mehr.
Jch hatte doch in Frankfurt das Vergnuͤgen,Doct. Goͤthe. des bereits in ſeinen jungen Jahren durch verſchiedene Schriften in Deutſchland beruͤhmt gewordenen Doct. Goͤthens Beſuch zu genießen. Dieſer junge Ge - lehrte iſt ein wahres Originalgenie von ungebundener Freyheit im Denken, ſowohl uͤber politiſche als gelehr - te Angelegenheiten. Er beſitzt bey wirklich ſcharfer Beurtheilungskraft eine feurige Einbildungskraft und ſehr lebhafte Empfindſamkeit. Aber ſeine Urthei - le uͤber Menſchen, Sitten, Politik und Geſchmack ſind noch nicht durch hinlaͤngliche Erfahrung unter - ſtuͤtzt. Jm Umgange fand ich ihn angenehm und lie - benswuͤrdig.
Jn Frankfurt miethete ich einen Kutſcher, der mich in ſechs Tagen durch die Bergſtraße und die an dem rechten Ufer des Rheins liegenden Reichslaͤn - der nach Baſel bringen ſollte; dafuͤr bezahlte ich ihmBſieben18Tagebuch von einer nach Nizzaſieben franzoͤſiſche Louisd'or oder 77 Gulden leichtes Reichsgeld. Jch zog dieſen Weg dem andern etwas kuͤrzern und bequemern an dem linken Ufer des Rheins vor, weil nach meinem Beduͤnken die meiſten Laͤnder, durch welche der von mir gewaͤhlte Weg gehet, unter die angenehmſten in Deutſchland gehoͤren.
Der Weg durch das Darmſtaͤdtiſche iſt etwas arm an Gegenſtaͤnden; der Bodeniſt von geringer Frucht - barkeit und meiſt ſandig. Jch fuhr an den Mauern von Darmſtadt vorbey, und hatte keine Luſt, die Stadt wieder zu ſehen, die ich ehedem etwas tod gefun - den habe. Sobald man aber in das Maynziſche kommt, wird das Land beſſer, und ſchien mir außer - ordentlich ſtark bevoͤlkert zu ſeyn, wenigſtens wimmel - te alles von Menſchen in den ſchoͤnen und großen Doͤr - fern und Flecken, durch die ich gekommen bin. Jch beſinne mich nicht, außer der Schweiz, irgendwo ſo ſtarke Bevoͤlkerung geſehen zu haben, als in dieſer Gegend.
Jch kenne keine angenehmere Landſtraße, als die iſt, durch welche ich heute gefahren bin, und die un - ter dem Namen der Bergſtraße bekannt iſt. Sie geht laͤngſt einer Reihe mittelmaͤßig hoher, aber meiſt ſchoͤn bewachſener Berge durch die herrliche und fruchtbare Ebene, die zwiſchen dieſen Bergen und dem Rhein liegt. Eigentlich ſind zwey neben einan -der19gethanen Reiſe. der hinlaufende Straßen: die obere, dicht am Fuß der Berge; und die untere, welche in einer geringen Entfernung von den Bergen ganz durch die Ebene geht. Dieſe nahm ich jetzt, da ich ehedem ſchon durch die andere gereiſt war, die ich doch noch fuͤr an - genehmer als die untere halte. Die ſchoͤnen, uͤber - all bewachſenen, hier und da mit alten, theils noch wohnbaren, theils verlaſſenen oder zerſtoͤrten Schloͤſ - ſern beſetzten Berge einerſeits, dann die hoͤchſtfrucht - bare Ebene anderſeits, geben dem Auge eine große Man - nichfaltigkeit der ſchoͤnſten Gemaͤlde zu ſehen. Die Landſtraße ſelbſt, ſo wie auch alle Nebenſtraßen, ſind durchaus mit hohen ſehr waldigen Wallnußbaͤumen, auch andern Obſtbaͤumen beſetzt. Selbſt die Felder ſind an vielen Orten mit fuͤrtrefflichen Obſtbaͤumen be - pflanzt. Dadurch bekommt das ganze Land das An - ſehen eines fruchtbaren Gartens. Jetzt war eben ſchoͤnes, aber ſehr heißes Wetter. Das Fahrenhei - tiſche Thermometer ſtieg im Schatten in freyer Luft uͤber 80 Grade.
Dieſe Landſchaft iſt, ſo viel ich weiß, die gelin - deſte in ganz Deutſchland; vielleicht deswegen, weil die Reihe Berge, deren ich bereits erwaͤhnt habe, die kalten Oſt - und Nordoſtwinde abhaͤlt. Man ſieht des - wegen hier den Caſtanienbaum, der an andern Orten Deutſchlands nur als eine Seltenheit gepflanzt wird, unter den gewoͤhnlichen Fruchtbaͤumen. Daß keine Maulbeerbaͤume zum Seidenbau hier angelegt ſind, befremdete mich. Außerdem ſcheint es mir, daß das Land die große Menge der Wallnußbaͤume beſſer nutzen koͤnnte, wenn man ſich die Muͤhe gaͤbe, feinesNußoͤl. Oel fuͤr den Gebrauch der Tafel, anſtatt des ſchlechtenB 2Oe -20Tagebuch von einer nach NizzaOeles, zu preſſen. Wenn das Wallnußoͤl mit Sorgfalt gepreßt wird, ſo kann es das feine Oel aus der Provence erſetzen. Jch habe etliche Tage lang taͤglich den Sallat mit feinem Nußoͤl angemacht gegeſ - ſen, und habe gefunden, daß es jenem gar nichts nachgiebt; und doch war dieſes Oel bereits zwey volle Jahr alt. Die Nuͤſſe geben allemal ſo feines Oel, wenn ſie gut, an einem ſchattigen, trockenen, aber zugleich luftigen Ort getrocknet, hernach beym Auf - knacken die, welche ſchon etwas angegangen ſeyn moͤchten, auf die Seite gethan, die guten aber kalt gepreßt werden. Denn ſo wie man in der Provence von denſelben Olivenbaͤumen gutes und ſchlechtes Oel gewinnt, nachdem man damit umgeht, ſo verhaͤlt es ſich auch mit den Wallnuͤſſen. Wenn man es ernſt - lich darauf anlegte, ſo koͤnnte Deutſchland uͤberhaupt das feine Olivenoͤl miſſen, ohne am Wohlleben etwas zu verlieren, wenn man ſich befliſſe, mehr Wallnuß - baͤume zu pflanzen, und auch feines Oel daraus zu verfertigen. Dieſe Art wuͤrde noch uͤber die Oliven - cultur den betraͤchtlichen Vortheil haben, daß man wegen des Preſſens an keine Zeit gebunden waͤre, weil die getrockneten Nuͤſſe ſich aufbehalten laſſen, da man die Oliven bald, nachdem ſie eingeſammelt worden, preſſen muß.
Bey Heidelberg, wohin ich gegen Mittag kam, ruͤhrte mich die ſonderbare Lage dieſer Stadt. Der Necker kommt hier in einem ſehr breiten, aber bey trockner Zeit halb trockenen, mit Steinen und mit groſ - ſen Felſenſtuͤcken angefuͤllten Bette aus dem Schlund der Berge heraus, um ſeinen uͤbrigen Lauf in der Ebe - ne fortzuſetzen. Die an ſeinen beyden Ufern liegen -den21gethanen Reiſe. den Berge ſind ziemlich hoch und ſteil; das Bett des Fluſſes aber nimmt die ganze Breite des Thales ein, das von der Ebene her gerade nach Morgen zwiſchen die Berge hineingeht. Die Landſtraße, auf der ich kam, geht an dem Berge des rechten Ufers als eine Terraſſe hoch uͤber dem Bette des Fluſſes in dieſen Schlund herein, und uͤber der Straße iſt der Berg mit Weinreben bepflanzt. An dem gegenuͤberſtehen - den linken Ufer liegt Heidelberg auf einer hohen Ter - raſſe, nach der Richtung des Ufers in die Laͤnge ge - baut. Neben dem obern oder oͤſtlichen Ende der Stadt erhebet ſich ein beſonderer von dem Hauptge - buͤrge etwas abſtehender hoher Huͤgel, auf welchem die ehemalige Burg oder Reſidenz der Churfuͤrſten von der Pfalz halb ruinirt liegt. Ueber der Stadt zwi - ſchen den Bergen hinein wird der Schlund immer en - ger, und dem Anſchein nach zu einer unfruchtbaren Wildniß, welche gegen die Schoͤnheit und Frucht - barkeit des außerhalb dieſes Schlundes liegenden Lan - des einen ſchoͤnen Contraſt macht. Dem Schloß ge - genuͤber iſt eine hoͤlzerne bedeckte Bruͤcke uͤber den Ne - cker gebaut, uͤber welche man nach der Stadt kommt. Dieſe ſchien mir etwas dunkel, da der Berg, der ge - rade hinter der Mittagsſeite ſich empor hebt, einen großen Theil von dem Licht des Himmels, das aus der ſuͤdlichen Gegend kommen ſollte, abhaͤlt.
Von Heidelberg aus nehmen die Berge, die man bis dahin dicht neben dem Wege gehabt, all - maͤhlig ab. Die Straße bleibt noch immer ange - nehm und das Land fruchtbar. Doch findet das Au - ge den Reichthum des Reizes, den es durch die Berg - ſtraße genoſſen hat, nicht mehr.
Langenbruͤck iſt ein ſehr ſchoͤnes, großes, und, aus der Groͤße und guten Beſchaffenheit der Haͤuſer zu ſchließen, reiches Dorf, das dem Biſchof von Speyer gehoͤrt. Von dieſem Ort aus nimmt die große Fruchtbarkeit des Landes allmaͤhlig etwas ab, und wird endlich in dem Baadenſchen bis Raſtadt und weiter hinaus noch geringer. Der Weg bleibt aber immer noch ganz angenehm.
Als ich nach Bruchſal kam, wurde ich bey der Einfahrt in die Vorſtadt, die eigentlich die Reſidenz des Biſchofs ausmacht, von der Reinlichkeit, Schoͤn - heit und da herrſchenden Ordnung recht lebhaft ge - ruͤhrt. Schon das Thor, dadurch man in dieſe Vorſtadt kommt, iſt von edler Bauart, und kuͤndigt einen Ort an, wo der gute Geſchmack der Bauart herrſcht. Beym Eintritt in dieſe Vorſtadt kommt man auf einen ziemlich großen Platz, der mit vielen zum biſchoͤflichen Palaſt, deſſen Vorhof rechter Hand dieſes Platzes liegt, gehoͤrigen ſehr artigen Gebaͤuden umgeben iſt. Von dieſem Platz aus geht eine breite gerade Straße gegen das Thor der Stadt. Es herr - ſchet in dieſer Vorſtadt eine ſolche Reinlichkeit, Net - tigkeit und Zierlichkeit in allen, auch den geringſten Nebengebaͤuden, daß man beynahe eher eine Opern - decoration als einen wirklichen Platz in einer Stadt zu ſehen glaubt. Jch habe viele groͤßere und praͤch - tigere Plaͤtze geſehen, aber keinen ſo anmuthigen als dieſen. Jn dem Staͤdtchen ſelbſt ſah ich viele neue, theils fertige, theils angefangene kleine Buͤrgerhaͤuſer,alle23gethanen Reiſe. alle maſſiv und nach der beſten Art gebaut. Alles die - ſes machte einen ſo angenehmen Eindruck auf mich, daß ich mich den ganzen Weg uͤber bis nach Durlach damit beſchaͤfftigte.
Es macht mich allemal ſehr vergnuͤgt, wenn ichVom guten und ſchlech - ten Ge - ſchmack in Wohnungen Werke menſchlicher Haͤnde ſehe, die von guter Ueber - legung, Geſchmack und Fleiß zeugen, und wenn es auch nur, wie ich nachher auf dieſer Reiſe erfahren habe, ein beſonders wohl gepfluͤgter Acker, oder ein mit Ueberlegung bepflanzter Baumgarten waͤre. Hin - gegen macht mich nichts ſchneller und gewiſſer traurig, als wenn ich in einen ſchmuzigen, finſtern, uͤbel ge - bauten und ſchlecht im Bau unterhaltenen Ort kom - me, dergleichen man in dem noͤrdlichen Deutſchland, beſonders in Weſtphalen, ſo viele ſieht. Es beun - ruhigt mich ſehr, wenn ich mir dabey vorſtelle, wie ſchlecht es in den Koͤpfen und Herzen der Menſchen ausſehen muͤſſe, die ſo elend wohnen, ohne gewahr zu werden, daß ihnen in einem ſo weſentlichen Beduͤrf - niſſe etwas fehle. Solche Menſchen ſind nothwendig dumm und unempfindlich, es ſey, daß Armuth und Duͤrftigkeit, oder brutale Tyranney, oder irgend eine andere Peſt der Seelen ſie dahin gebracht habe.
Nichts iſt natuͤrlicher, als daß der etwas ruhige, und dabey denkende und empfindende Menſch etwas zur Verſchoͤnerung der Dinge, die ihn taͤglich umge - ben, unternehme. Selbſt wilde Voͤlker lieben den Schmuck an ihrer Kleidung. Die Wohnungen aber ſind gewiß ein eben ſo wichtiger Theil unſrer Beduͤrf - niſſe, als die Kleider. Wer darin Unordnung, Ver - fall und Unreinlichkeit nicht bemerkt, der muß beyna - he eine viehiſche Seele haben.
B 4We -24Tagebuch von einer nach NizzaWeniger traurig, aber aͤrgerlich iſt es mir, wenn ich an Haͤuſern oder Geraͤthſchaften Arbeiten von ver - kehrtem Geſchmack ſehe: Zierrathen, fuͤr welche ſich gar kein Grund erdenken laͤßt, oder ſolche, die gera - de der Natur der Sache entgegengeſetzt ſind, die das Gerade krumm, und das Starke ſchwach machen. Dieſes zeuget geradezu von Narrheit und Wahnwitz.
Ueberhaupt kann man von dem Geſchmack, der an einem Ort in Gebaͤuden herrſcht, viel von dem Charakter des Volks erkennen, ſo wie man ein ge - lehrtes oder leſendes Volk aus dem Geſchmack der Werke, die es vorzuͤglich liebt, beurtheilen kann. Viele Gelehrte ſelbſt, die ſich nur mit hoͤhern Wiſſen - ſchaften, oder blos mit hiſtoriſchen Kenntniſſen abge - ben, ſehen die Werke des Geſchmacks mit einem ganz oder halb veraͤchtlichen Blick an. Aber ſie beweiſen dadurch, daß ſie den Menſchen nur ſchlecht kennen, da ſie nicht wiſſen, wie genau der gute Geſchmack mit der Urtheilskraft und den ſittlichen Empfindungen zu - ſammenhaͤngt.
Unter dieſen und vielen andern Gedanken, wozu mir Bruchſal Gelegenheit gegeben hatte, kam ich nach Durlach. Auf dieſer Straße ſah ich zum er - ſtenmal ein mit einer Art Bohnen (lupinus) ange - ſaͤtes Feld, die blos zum Duͤngen des Ackers dahin geſaͤt werden. Denn wenn die Bohnen abge - bluͤht haben, welches um dieſe Zeit geſchieht, ſo wer - den ſie auf dem Felde, wo ſie ſtehen, untergepfluͤgt. Dieſes iſt eine uralte Art, die Felder zu duͤngen, de - ren die alten Roͤmer ſich ſchon bedient haben*)Frutex lupini ſucciſus optimi ſtercoris vim prae - bet; ſagt Columella. S. auch Plin. Hiſt. Nat. L. XVII. c. 7.. Jchhabe25gethanen Reiſe. habe nachher in der Provinz Dauphine dieſes Duͤn - gen uͤberall angetroffen. So gut kann es freylich nicht ſeyn, als wenn der Acker mit gutem Miſt uͤberfahren wuͤrde; aber es verkuͤrzt die Arbeit gar ſehr, da ein Scheffel ſolcher Bohnen, der zur Beſaͤung eines Mor - gens hinlaͤnglich iſt, mit ungleich weniger Muͤhe aus - geſaͤt wird, als etliche Fuhren Duͤnger erforderten.
Durlach liegt in einer ſchoͤnen und fruchtbarenDurlach. Ebene. Der Ort kam mir etwas todt vor; ohne Zweifel hat er viel von ſeiner Nahrung verloren, ſeit - dem der Hof ſeinen Aufenthalt in Carlsruh feſtge - ſetzt hat. Man ſagte mir, daß die Durlacher die - ſes durch etwas mehr Gefaͤlligkeit gegen den Hof und eine demſelben zur rechten Zeit angebotene Summe Geldes haͤtten verhindern koͤnnen. Allem Anſehen nach wuͤrden ſie ſehr wohl daran gethan haben. Aber es iſt nur gar zu gewoͤhnlich, daß die Menſchen ihr Jntereſſe zu ſpaͤt einſehen.
Von hieraus geht eine ſchoͤne, in gerader Linie fort - laufende Chauſſée nach Carlsruh. Sie iſt zu bey - den Seiten mit italiaͤniſchen Pappeln beſetzt, die hier als Pyramiden gezogen ſind, und wegen ihres ſchoͤnen und lebhaften Wuchſes der Straße ein gutes Anſehen geben. Jch habe dieſen Baum nirgend in ſo ſchoͤnem Wachsthum geſehen, als hier. Neben der Chauſſée iſt ein ſchmaler Canal mit Schleußen angelegt, auf dem kleine Kaͤhne fahren koͤnnen.
Carlsruh, wo ich gegen Mittag anlangte, iſt anCarlsruh. ſich ein ſchlechter Ort, und gleichet mehr einem Luſtſchloß eines großen Herrn, als einer fuͤrſtlichen Reſidenz. Die Straßen zwar ſind breit und gerade, aber die Haͤuſer klein und ſchlecht. Hingegen iſt das Schloß und dasB 5zu -26Tagebuch von einer nach Nizzazunaͤchſt um daſſelbe liegende Quartier der Stadt wirk - lich ſchoͤn. Das Schloß liegt in dem Garten, an welchen ein ſehr ſchoͤner Wald ſtoͤßt, durch den viele ihrer Laͤnge halber faſt unabſehbare Alleen durchge - hauen ſind, die alle von der Mitte des Schloſſes, als ihrem Mittelpunkt, ausgehen. Das Schloß iſt groß, und ſonſt wohl gebaut; doch hat es die ſonderbare An - lage, daß die von dem Hauptgebaͤude laͤngſt dem Vor - hof herauslaufenden Seitenfluͤgel nicht in rechten, ſon - dern ſtumpfen Winkeln an daſſelbe ſtoßen. Ob dieſes ein Einfall des Baumeiſters geweſen, dem Gebaͤude dadurch ein perſpectiviſches Anſehen zu geben, oder ob es daher kommt, daß man alte Fundamente hat nutzen wollen, habe ich nicht erfahren.
Von hieraus bis Raſtadt iſt der Boden ſandig und von geringer Fruchtbarkeit. Jch blieb die Nacht in Raſtadt, kam aber nicht aus dem Gaſthofe, wo ich abgetreten war. Es ſchien mir aber, daß der Ort ſeit 13 Jahren, binnen welcher Zeit ich ihn nicht geſehen, ſtark abgenommen habe. Es iſt auch ganz natuͤrlich, da die ehemalige Herrſchaft, die auf dem wirklich praͤchtig angelegten Schloß ihre Reſidenz hat - te, ausgeſtorben iſt.
Dieſen Tag hatte ich große Hitze auszuſtehen. Mein Thermometer ſtieg Nachmittags im Schatten und in freyer Luft beynahe auf 88 Fahrenheitiſche Grade. Jch hatte deswegen auch keine Luſt, mich nach irgend etwas umzuſehen. Jn Offenburg ſpei -ſete27gethanen Reiſe. ſete ich zu Mittag. Der Ort ſchien mir lebhaft und voll Menſchen, aber doch gering und arm.
Auf dieſem Wege ſchien mir das Land durchge - hends ſehr angenehm, fruchtbar und wohl bevoͤlkert; die Einwohner arbeitſam und verſtaͤndig. Das Land iſt ſehr gut angebaut; auch hier und da fand ich es mit Waid beſetzt. Beſonders aber trifft man auf die -Schoͤne Wieſen. ſem Wege fuͤrtreffliche Wieſen an, mit ſehr guten An - ſtalten zum Waͤſſern. Dieſe ſind, wo ich es nicht anderswo uͤberſehen habe, die erſten guten Wieſen, die ich auf dieſer Reiſe angetroffen habe.
Jch wuͤßte keinen Grund anzugeben, warum in den noͤrdlichern Theilen von Deutſchland die Cultur der Wieſen ſo ſehr vernachlaͤßigt wird. Jch habe doch genug Gegenden dort geſehen, die leicht zum ordent - lichen Waͤſſern eingerichtet werden koͤnnten. Das meiſte Heu, welches im Brandenburgiſchen einge - ſammelt wird, ſelbſt das, was man dort fuͤr ſehr gut haͤlt, wuͤrde in Schwaben und in der Schweiz blos zum Unterſtreuen gebraucht werden. Ueberhaupt glaube ich beobachtet zu haben, daß das Landvolk ar - beitſamer und verſtaͤndiger wird, je weiter man ge - gen die ſuͤdliche Graͤnze von Deutſchland hinkommt. Die meiſten Doͤrfer in Schwaben ſind, gegen die ſaͤchſiſchen und brandenburgiſchen gehalten, Staͤd - te, und die Bauernhaͤuſer beynahe Palaͤſte, in Ver - gleichung der elenden Huͤtten in Niederdeutſchland. Der Ackerbau wird in Schwaben beſſer getrieben; das Landvolk ſcheint hier durchaus verſtaͤndiger, arbeit -ſamer,28Tagebuch von einer nach Nizzaſamer, gerader und ehrlicher, und iſt auch weit beſ - ſer gekleidet als dort.
Freyburg, eine ehedem ſo ſtarke Feſtung, iſt jetzt ein offener Ort. Und obgleich oͤſterreichiſche Be - ſatzung darin liegt, ſo ſind keine Wachen an den Tho - ren; denn wer nicht durch die Thore aus - und einge - hen wollte, koͤnnte uͤber die niedergeriſſenen Waͤlle ge - hen. Die Einwohner haben noch nicht Zeit gehabt, oder es fehlet ihnen an Mitteln, den Platz der ehema - ligen Feſtungswerke eben zu machen, und in Gaͤrten oder Aecker zu verwandeln. Das, was ich davon ge - ſehen habe, liegt noch unter dem Druck der Zerſtoͤ - rung. Es fieng an finſter zu werden, als ich in die Stadt kam, und den andern Morgen reiſete ich mit Anbruch des Tages wieder ab; folglich kann ich nichts von der Stadt ſagen. Die Straße, wo ich abſtieg, iſt breit und ſchoͤn, und gab mir durch die Lebhaftig - keit, die bis in die Nacht hinein darauf herrſchte, ei - nen guten Begriff von dem Orte.
Die ehemals ſchoͤnen Dammwege (Chauſſées) von Freyburg aus fangen an, wegen Mangel der Unterhaltung, etwas ſchlecht zu werden. Die oͤſter - reichiſche Regierung hat, wo ich nicht irre, in Deutſch - land zuerſt das Beyſpiel guter Dammwege gegeben; aber es ſcheinet, daß die Anſtalten zur Unterhaltung derſelben verſaͤumt worden. Beſſer iſt fuͤr die neu angelegten, auf denen ich von Eiſenach aus herauf - gekommen bin, geſorgt; dieſe werden ſchon jetzt auf das fleißigſte unterhalten. An gar vielen Orten liegen Haufen zerſtoßener Kieſelſteine von 20 bis 30 Schrittvon29gethanen Reiſe. von einander neben dem Wege, und dazu beſtellte Leu - te bringen ſie dahin, wo etwa ein Anfang von Gelei - ſen erſcheinet, und ſtampfen ſie da feſt.
Das Land zwiſchen Freyburg und Baſel iſt ber -Schoͤne Aus - ſicht. gig, und zeiget dem Auge des Reiſenden, ſowohl in den Thaͤlern als auf den Hoͤhen, mannichfaltige Aus - ſichten. Hier und da ſieht es ſchon etwas wild aus, doch iſt guter Boden. Etwa zwey Stunden, ehe man nach Baſel koͤmmt, geht der Weg uͤber den breiten Ruͤcken eines maͤßigen Berges. Von dieſer Hoͤhe hat man eine hoͤchſt reizende Ausſicht auf die Stadt Baſel, das herumliegende ebene Land, durch wel - ches der Rhein in manchen Kruͤmmungen fließt, und auf die dieſen Canton und den Elſaß von der uͤbrigen Schweiz ausſchließenden hoͤheren Berge. Die Stadt nebſt der Menge um dieſelbe zerſtreuter Landhaͤuſer, verſchiedene Doͤrfer, der Rhein und ein allgemeiner Wald von Obſtbaͤumen und Weinbergen, aus deren Gruͤn die Doͤrfer und Luſthaͤuſer hervorſtechen, macht dieſes zu einer der ſchoͤnſten Ausſichten, die mir vorge - kommen ſind. Der Haupteindruck, den ſie macht, iſt die Vorſtellung von unbeſchreiblicher Mannichfal - tigkeit und von Reichthum der Natur. Jn der That iſt dieſes auch eine uͤberaus fruchtbare Landſchaft, und daher ſtark bewohnt.
Gegen vier Uhr Nachmittags langte ich in Baſel an. Der Weg, den ich von Frankfurt aus genom - men habe, wird weit ſeltener genommen, als der an - dre uͤber Oppenheim, Speyer, Worms und Straßburg. Er iſt etwas laͤnger als dieſer, und man findet auch in den Gaſthoͤfen nicht ſo gute Be - dienung, als auf der andern Straße; aber man wirddurch30Tagebuch von einer nach Nizzadurch die Schoͤnheit des Landes, wodurch man reiſet, reichlich entſchaͤdigt.
Von Frankfurt nach Baſel zeigte mein Wege - meſſer 63700 Umgaͤnge des Rades; der Diameter deſſelben war 5 Fuß 2 Zoll 10 Linien: folglich der Umfang 16. 44 Fuß. Demnach betraͤgt der ganze Weg 1046228 Fuß, oder 41 $$\frac {21}{25}$$ Meilen zu 25000 Fuß. Von Berlin nach Baſel aber ſind ohngefaͤhr 104 Meilen. Die beſondern Weiten ſind folgende:
Von Frankfurt nach Darmſtadt | 3 $$\frac {14}{25}$$ Meilen. |
‒ Darmſtadt — Hoͤppenheim | 3 $$\frac {7}{25}$$ — |
‒ Hoͤppenheim — Heidelberg | 3 $$\frac {17}{25}$$ — |
‒ Heidelberg — Langenbruͤck | 3 $$\frac {21}{25}$$ — |
‒ Langenbruͤck — Bruchſal | 1⅕ — |
‒ Bruchſal — Carlsruh | 2⅗ — |
‒ Carlsruh — Raſtadt | 2 $$\frac {23}{25}$$ — |
‒ Raſtadt — Offenburg | 5 $$\frac {18}{25}$$ — |
‒ Offenburg — Kenzing | 4½ — |
‒ Kenzing — Freyburg | 3 $$\frac {6}{25}$$ — |
‒ Freyburg — Baſel | 7½ — |
Vom 10 bis zum 12 Sept. Aufenthalt in Baſel.
Jch hatte nach dieſer Reiſe noͤthig mich ein paar Tage auszuruhen, und konnte es in Baſel mit aller Ge - maͤchlichkeit thun. Noch hatte ich nicht Kraͤfte ge - nug, in einem ſo weitlaͤuftigen Ort, als Baſel iſt, herumzugehen und Beſuche zu machen. Jch hielt mich alſo zu Hauſe auf, um mich deſto beſſer auszu - ruhen. Am Herrn Stadtſchreiber Jſelin hatte ich ei - nen angenehmen und beſtaͤndigen Geſellſchafter daſelbſt. Auch hatte ich da das Vergnuͤgen, mit dem beruͤhm - ten Hofrath Koͤhlreuter aus Carlsruh in Bekannt -ſchaft31gethanen Reiſe. ſchaft zu kommen, der ſich eben in Baſel, wo er ſich vor kurzem verheirathet hatte, aufhielt. Da er hoͤr - te, daß ich Willens ſey, meinen Weg uͤber Bern zu nehmen, entſchloß er ſich, mich bis dahin zu be - gleiten, und bey dieſer Gelegenheit den beruͤhmten Haller daſelbſt zu beſuchen.
Jch miethete eine Kutſche, die mich in andert - halb Tagen nach Bern bringen ſollte. Jn der Schweiz ſind die Fuhren um ein betraͤchtliches theurer, als in Deutſchland; und man muß ſich dieſes gefal - len laſſen, weil durch dieſes Land keine oͤffentlichen Po - ſten angelegt ſind, außer den reitenden zu Fortſchaf - fung der Briefe, und einigen Landkutſchen.
Den 12 September Nachmittags reiſete ich al -Von Baſel nach Langen - bruͤck. ſo in der mir hoͤchſt angenehmen Geſellſchaft des Hrn. Koͤhlreuters von Baſel ab, und wir kamen auf den Abend etwas ſpaͤt nach Langenbruͤck. Der Weg geht von Baſel aus erſt eine Zeit lang durch ein ebe - nes und fuͤrtreffliches Land; hernach kommt man an die Berge, die hier die natuͤrliche Graͤnze zwiſchen Deutſchland und Helvetien ausmachen. Oben auf dieſem Gebuͤrge liegt das Dorf Langenbruͤck. Die Straße dahin iſt gegenwaͤrtig durchaus ſehr gut, und ſo bequem, als es in Bergen nur moͤglich zu machen war. Noch nicht vor langer Zeit waren die Land - ſtraßen durch die Schweiz faſt uͤberall enge und ſehr holprig, ſo daß man nicht wohl anders als zu Pfer - de oder in Litieren fortkommen konnte. Jetzt ſind ſie ſchoͤn und ſo bequem, als in irgend einem Lande; da faſt durchgehends ſehr gute Chauſſées gemacht ſind. Der Stand Bern fieng vor ohngefaͤhr 20 Jahren an den andern Staͤnden mit dem guten Beyſpiel dazu vor -zu -32Tagebuch von einer nach Nizzazugehen; und ſeit einigen Jahren ſind dieſe nachge - folget, ſo daß man jetzt mit viel Bequemlichkeit durch das ganze Land reiſen kann, und um ſo viel angeneh - mer, da man uͤberall, auch in Doͤrfern, reinliche Gaſthoͤfe antrifft, wo man recht gut bedient wird.
Man findet faſt auf allen Doͤrfern dieſes Cantons in den Haͤuſern des Landvolks ſogenannte Muͤhlenſtuͤh - le, worauf ſeidene Baͤnder verfertiget werden. Die - ſe Fabriken haben der Stadt Baſel betraͤchtlichen Reichthum erworben; und allem Anſehen nach werden ſie noch lange reiche Geldquellen fuͤr dieſe Stadt ſeyn; denn man wuͤrde in wenig andern Laͤndern ſie ſo wohl - feil machen koͤnnen. Man kann uͤberhaupt ſagen, daß die Schweiz zu vortheilhafter Betreibung der Fa - briken große Vorzuͤge vor vielen andern Laͤndern habe, weil man die zum Landbau uͤberfluͤßigen Arme dazu brauchen kann. Der Landmann hat durchgehends we - nig Acker und viel Kinder, die durch Feldarbeit nicht hinlaͤnglich koͤnnten beſchaͤfftiget werden. Man kann deswegen da Fabriken anlegen, ohne dem Feldbau Arbeiter zu entziehen. Dieſes iſt ohne Zweifel die ein - zige wahre Lage der Sachen, um die Fabriken einem Lande vortheilhaft zu machen.
Man reiſet von Langenbruͤck immer bergab, bis an die ſogenannte Clus, wo man auf das ebene Land herauskommt. Der Weg bis an die Clus iſt wegen der mannichfaltig abwechſelnden Ausſichten in die Gebuͤrge, durch welche er geht, ganz ange - nehm. Sehr uͤberraſchend und reizend aber wird dieAus -33gethanen Reiſe. Ausſicht, wenn man gegen die Clus kommt, wo man nach den geſperrten und eng eingeſchraͤnkten Aus - ſichten, die man gehabt hat, ploͤtzlich eine ganz fuͤr - treffliche ebene Landſchaft uͤberſieht, die einen Theil der Cantone Solothurn und Bern ausmacht. Von da an iſt der Weg nach Solothurn meiſt eben und ſehr angenehm durch ein fruchtbares wohl angebautes Land.
Sobald man von dieſer Seite zum Thore bemeld -Solothurn. ter Stadt hereinkommt, wird man durch die praͤchti - ge neue Hauptkirche in nicht geringe Verwunderung geſetzt, in einer ſo kleinen Stadt ein ſo herrliches Ge - baͤude anzutreffen. Das Anſehen dieſer Kirche wird dadurch vermehrt, daß ſie frey auf einer hohen Terraſſe ſteht, dahin eine breite praͤchtige Treppe fuͤhret, an deren beyden Seiten ſchoͤne ſpringende Brunnen ſte - hen. Man verſicherte mich, daß der Bau dieſer Kir - che der Stadt, außer den daran geſchehenen Frohnar - beiten, 600000 Pfund, oder ohngefaͤhr eine Million franzoͤſiſcher Livres, gekoſtet habe. Die Stadt iſt nicht groß, aber ſowohl innerhalb, als wegen ihrer ſchoͤnen Lage, eine der artigſten Staͤdte in der Schweiz, auch regelmaͤßig und gut befeſtiget. Hier habe ich den be - ſten Gaſthof in Anſehung der guten Bedienung und de - licaten Eſſens angetroffen, den ich auf dieſer ganzen Reiſe geſehen habe.
Von Solothurn faͤhrt man in fuͤnf Stunden nach Bern durch eine bequeme Straße, die dadurch noch angenehmer wird, daß man uͤberall die fruchtbar - ſten Felder und fuͤrtrefflichſten Wieſen antrifft, in den Doͤrfern aber die deutlichſten Anzeigen des guten Wohl - ſtandes des dortigen Landvolks gewahr wird.
CGanz34Tagebuch von einer nach NizzaGanz nahe bey Bern faͤhrt man einen Berg her - unter, um an das dieſſeitige Thor an der Aare zu kommen. Ehedem war dieſer Weg ſteil und hoͤchſt beſchwerlich; jetzt iſt er mit koͤniglichem Aufwand ſo be - quem gemacht, als ob man auf der Ebene fuͤhre. Es iſt uͤberhaupt das Genie der Regierung in Bern, daß alles, was ſie zu allgemeinem Nutzen des Landes an Gebaͤuden und andern Unternehmungen veranſtaltet, das Gepraͤg einer edlen Groͤße ohne Prahlerey hat.
Von Baſel nach Bern habe ich den Weg nicht gemeſſen; er wird 18 Stunden gerechnet; und ich be - zahlte die Fuhre mit anderthalb franzoͤſiſchen Louisd'or, oder 9 Rthlr.
Das gleich den Tag nach meiner Ankunft einge - fallene kalte Regenwetter that eine ſo uͤble Wirkung auf mich, daß ich mich zu Bette legen mußte. Die ganze Zeit meines Aufenthalts in Bern mußte ich mich im Zimmer aufhalten; auch waren meine mei - ſten Bekannten abweſend. Doch hatte ich das Ver - gnuͤgen, meinen fuͤrtrefflichen Freund, den Hrn. Leib - arzt Zimmermann aus Hannover, da anzutreffen; und weil der alte Herr von Haller nahe an dem Gaſt - hofe, in dem ich abgetreten war, wohnet, ſo konnte ich doch mich ſo viel ermuntern, ihn zu beſuchen. Jch traf ihn zwar im Bett, aber bey voͤlliger Munterkeit des Geiſtes an. Ganz Europa kennt und verehrt das herrliche Genie, die erſtaunlich ausgebreiteten Kenntniſſe, und die bewundernswuͤrdige Arbeitſam - keit dieſes in der That großen Mannes: wer aber Ge -legen -35gethanen Reiſe. legenheit hat, mit ihm uͤber verſchiedene Dinge zu ſprechen, erſtaunet uͤber ſeine Kenntniſſe jeder Art, auch in Dingen, die eigentlich nicht zu ſeinen Studien ge - hoͤren, und uͤber die ungemeine Leichtigkeit, womit er uͤber jeden Gegenſtand ſpricht. Er iſt gleichſam ein lebendiges Lexicon der allgemeinen menſchlichen Kennt - niſſe. Es war mir uͤberaus erfreulich, dieſen fuͤr - trefflichen Mann noch einmal zu ſehen. Aber ich konnte wohl merken, daß er meinen Zuſtand ſehr be - denklich fand, und keine Hoffnung zu meiner Wieder - herſtellung hatte. Durch die Gefaͤlligkeit verſchiede - ner Freunde und Goͤnner, die mir die Ehre thaten, mich zu beſuchen, brachte ich doch die drey Tage, ob ich mich gleich inne halten mußte, ſehr angenehm zu; und da ich am vierten Tage mich wieder etwas geſtaͤrkt fand, entſchloß ich mich, die Reiſe fortzuſetzen.
Die Gegend um Bern herum iſt von NaturVon Bern nach Payerne wild, mit mannichfaltiger Abwechſelung von Bergen, Thaͤlern, Waͤldern, Aeckern und Triften. Ehe das Land angebaut worden, mag es eine fuͤrchterliche Wildniß geweſen ſeyn; aber durch den Fleiß der Men - ſchen und die Veranſtaltungen einer weiſen Regierung iſt dieſe Wildniß in ein hoͤchſt angenehmes, dem Auge eine große Mannichfaltigkeit ergoͤtzender Gegenſtaͤnde darſtellendes Land verwandelt worden. Außer den nahen Ausſichten uͤber ein reiches, wohl angebautes und mannichfaltig abwechſelndes Gelaͤnde, hat man von Bern aus die Ausſicht in die hoͤchſten Alpen, die ſowohl durch ihre nackten, ſich weit uͤber die Wolken er -C 2he -36Tagebuch von einer nach Nizzahebenden kahlen Felſen, als durch andre mit ewigem Schnee, den man ganz in der Naͤhe glaubt, bedeck - te Hoͤhen, eine, ganz wunderbare Anſicht geben, die gewiß niemand ohne eine Art von Entzuͤckung ſehen kann.
Des beſtaͤndigen Herauf - und Herunterfahrens ungeachtet, iſt der Weg von Bern nach Murten oder Morat hoͤchſt angenehm. Man ſiehet alle Ar - ten der Schoͤnheit der Natur in beſtaͤndig veraͤnderten Scenen; bald von der Hoͤhe herunter uͤber benachbar - te Huͤgel, Thaͤler, kleine Ebenen, Doͤrfer und ein - zelne Haͤuſer, ja nahe an der Straße liegende Waͤl - der, wo alles von geſundem Wachsthum gleichſam ſtrotzet, und wo die wilde Natur ſich in der hoͤchſten Fruchtbarkeit zeiget. Dazu kommt, daß ſowohl die Menſchen als ihre Wohnungen und ihr Vieh durch ihre Schoͤnheit, Reinlichkeit und Munterkeit noch mehr zum Vergnuͤgen einladen. Dieſe erquickenden Gegenſtaͤnde ſieht man auf einer ſehr ſchoͤnen und be - quemen Landſtraße in immer abwechſelnden Geſtalten.
Die Bauerhaͤuſer dieſer Gegend ſind in ihrer Bauart und ganzen Einrichtung von denen in Deutſch - land ganz unterſchieden. Es fiel mir, ſo oft ich in einer andern Provinz andre Landanſtalten und eine an - dre Bauart der Haͤuſer des Landvolks ſah, allemal ein Gedanke ein, der mich immer eine Zeit lang intereſ - ſirte. Jede Provinz, und bald jeder kleine Diſtrikt durch Europa, hat im Charakter, in der Lebensart, der Bildung, der Kleidung und dem ganzen Anſehen des Landvolks, in der Bauart der Bauerhaͤuſer, in der Anlage ganzer Doͤrfer, in der taͤglichen Haus - und Feldarbeit, in dem Ackergeſchirr u. a. etwas ei -ge -37gethanen Reiſe. genes und charakteriſtiſches. Es macht einem auf - merkſamen Reiſenden nicht geringes Vergnuͤgen, die - ſe Verſchiedenheiten zu beobachten und gegen einander zu halten. Wenn nun ein geſchickter Landſchaftmaler verſchiedene Laͤnder durchreiſete, und in jedem Diſtrikt ein Dorf mit der umliegenden Gegend zeichnete; wenn er dabey nahe an dem Vorgrunde ein Haus ſo ausfuͤhr - te, daß man das Beſondere ſeiner Anlage und Ein - richtung ſehen koͤnnte; wenn er endlich mit dem wah - ren Ausdruck der Natur, ſo wie Chodowiecki, eine Familie vor dem Hauſe in verſchiedenen laͤndlichen Verrichtungen zeichnete: ſo wuͤrde jede Zeichnung die Landesart und faſt alles, was das Landvolk daſelbſt charakteriſtiſches hat, getreulich darſtellen. Eine Sammlung dergleichen Landſchaften wuͤrde hoͤchſt an - genehm, und in mehr als einer Abſicht ſehr intereſ - ſant ſeyn. Dieſes wuͤrde freylich großen Aufwand und eine betraͤchtliche Zeit erfordern; doch vermuthlich von beyden nicht mehr, als auf die merianiſche Topo - graphie verwendet worden. Merian hat die Staͤdte gezeichnet; und hier muͤßten Doͤrfer gezeichnet werden. Ein ſolches Werk, vollkommen nach der Natur gezeich - net und gut radirt, wuͤrde mir mehr Vergnuͤgen ma - chen, als manche große Bildergallerie.
Jch komme von dieſer Ausſchweifung wieder auf meinen Weg zuruͤck. Wenn man allmaͤhlig von dem hoͤhern Lande gegen Murten heranruͤckt, hat man ei - ne herrliche Ausſicht uͤber den Murterſee und die ihn umgebenden Huͤgel. Sie hat ſo viel Anmuth, daß man wuͤnſcht, einen ganzen Tag auf der Straße zu verweilen, um dieſe Ausſicht ganz und lange genug zu genießen.
C 3Jch38Tagebuch von einer nach NizzaJch kam in der Mittagsſtunde in Murten an. Hier nimmt das Pais de Vaud ſeinen Anfang: ein Land, das ſeiner Schoͤnheit und vieler natuͤrlichen Vor - zuͤge halber beruͤhmt iſt. Hier iſt auch die Graͤnze, auf der die deutſche und welſche oder franzoͤſiſche Spra - che zuſammenſtoßen. Beyde Sprachen ſind um Murten herum dem Volke gleich gelaͤufig; das Land faͤngt hier an weniger bergig zu ſeyn. Jenſeit Mur - ten iſt eine ziemlich große Ebene; die Berge werden zu niedrigern Huͤgeln und die Luft wird milder.
Bald nachdem man uͤber dieſen Ort heraus iſt, kommt man auf das durch die Niederlage des maͤch - tigen Herzogs Carl von Burgund beruͤhmte Schlacht - feld an dem Murter See, den man rechter Hand die - ſes Schlachtfeldes hat. An dem Wege ſieht man ein Gebaͤude in Form einer Capelle, in welchem die Ge - beine des erſchlagenen burgundiſchen Heeres zuſam - men geſammelt worden. Die ſchoͤne lateiniſche Auf - ſchrift, welche die beyden Cantone Bern und Frey - burg, unter deren Herrſchaft dieſe Gegend jetzt ſteht, (nunc rerum dominae, wie ſie in der Aufſchrift ſich nennen,) bey Erneuerung des Gebaͤudes haben ſetzen laſſen, iſt bekannt.
Unweit von dieſer Capelle wohnet gegenwaͤrtig auf einem ſchoͤnen und großen Landgute der beruͤhmte Arzt Herrenſchwand, Geheimerrath und erſter Leibarzt des jetzigen Koͤnigs von Polen. Als vor etlichen Jahren die noch immer anhaltenden Unruhen in Polen ange - fangen hatten ernſtlich zu werden, verließ er dies Land, und begab ſich hieher in ſein Vaterland. Weil ich bey ſeiner Durchreiſe durch Berlin Bekanntſchaft mit ihm gemacht hatte, und nun dicht an ſeinem Gutevor -39gethanen Reiſe. vorbey mußte, ſtieg ich ab, um ihm einen Beſuch zu machen. Er noͤthigte mich ſehr freundſchaftlich, einige Tage bey ihm zu verweilen; aber ich ſah mich durch das heraneilende Ende der guten Jahrszeit genoͤthiget, meine Reiſe ohne Aufhaltung fortzuſetzen, weil ich einmal feſt entſchloſſen war, mich in Lauſanne eine Zeit lang aufzuhalten, um dem beruͤhmten Tiſſot Zeit zu laſſen, meinen Zuſtand kennen zu lernen.
Bald darauf kam ich durch Avanches, das ehe -Avanches. malige Averticum, welches eine betraͤchtliche roͤmi - ſche Colonie und die Hauptſtadt dieſes Landes geweſen. Von ſeiner ehemaligen Groͤße zeiget der Ort nur noch wenige Spuren, da der groͤßte Theil der ehemaligen Stadt jetzt mit dem Pfluge bearbeitet wird. Des Abends kam ich nach Payerne, einer artigen kleinen,Payerne. auch ſehr alten Stadt des ehemaligen burgundiſchen Koͤnigreichs. Es war hier ehedem ein beruͤhmtes Be - nedictinerkloſter, welches die Koͤniginn Bertha im zehnten Jahrhunderte geſtiftet hat. Dieſe Koͤniginn, ihr Gemahl Koͤnig Rudolf und verſchiedene Prinzen des alten burgundiſchen Hauſes ſind hier begraben.
Man kommt meiſtentheils durch ein ſchmales und ſehr angenehmes Thal nach Moudon, einer artigen und volkreichen kleinen Stadt am Ende des Thales. Die nicht hohen Berge, die dieſes Thal einſchließen, ſind meiſtentheils unbebaut. Die Hoͤhen ſcheinen uͤberhaupt in dieſer Gegend rauh und unfruchtbar. Viele kleine Berge ſind zu ſteil, um angebaut zu wer - den. Jndeſſen iſt gewiß, daß ſie, wo es nicht anC 4Ein -40Tagebuch von einer nach NizzaEinwohnern und an Fleiß fehlte, gar leicht in Terraſ - ſen abgetheilet und bebaut werden koͤnnten. Aber es iſt auf dieſem Wege von Payerne bis Lauſanne ziem - lich ſichtbar, daß das Land weder ſo gut bevoͤlkert, noch ſo fruchtbar iſt, als in dem deutſchen Theil desAnmerkung uͤber das Landvolk im Pais de Vaͤud. Cantons Bern. Das Landvolk ſieht hier etwas arm - ſelig aus, und man entdeckt ohne Muͤhe, daß es bey weitem nicht ſo arbeitſam und ſo ordentlich iſt, als ſei - ne deutſche Nachbarn. Vielleicht traͤgt auch der Hang des jungen Landvolks, außer Landes ſein Gluͤck zu ſuchen, gar viel zur Vernachlaͤßigung des Landbaus bey. Die jungen Bauern lieben fremde Kriegsdien - ſte; andre von beyden Geſchlechtern vermiethen ſich in den groͤßern Staͤdten, wo man gern welſche Bediente hat; gar viele geben nach England, um ihr Gluͤck zu ſuchen, und man findet ſie faſt in allen vornehmen Haͤuſern in London, wo ſie den einheimiſchen Be - dienten wegen ihres biegſamern Charakters und ihrer Sprache weit vorgezogen werden.
Auch iſt uͤberhaupt in dem Pais de Vaud das Gebluͤt bey weitem nicht ſo ſchoͤn noch ſo geſund, als in dem deutſchen Theil des Cantons, wo man unter dem Landvolk die ſchoͤnſten Manns - und Weibsperſo - nen antrifft. Jch zweifle, daß irgend eine Stadt in Europa ſey, wo man ſo viel ſchoͤne, und dabey einen weit uͤber ihren Stand und ihre Geburt erhabenen An - ſtand beſitzende Dienſtmaͤdchen ſiehet, als in Bern. Ein Fremder moͤchte in Verſuchung gerathen, ſie fuͤr verkleidete Damen von Stande zu halten*)Der geſchickte Landſchaftmaler Aberli aus Winter - thur, der ſich in Bern aufhaͤlt, hat vor ein paarJah -.
Von41gethanen Reiſe.Von Moudon geht der uͤbrige Theil des Weges bis Lauſanne uͤber einen Berg, der ein Nebenaſt des Jura iſt. Die Straße uͤber denſelben iſt gut und ſo bequem, als es irgend die Beſchaffenheit des Berges zugelaſſen hat. Jm Herunterfahren, wenn man ſich der Stadt Lauſanne, die an der ſuͤdweſtlichen Seite dieſes Berges liegt, naͤhert, hat man eine Aus -Schoͤne Aus - ſicht gegen Lauſanne. ſicht von unbeſchreiblicher Mannichfaltigkeit und Schoͤn - heit. Man uͤberſieht den großen Genfer See faſt ganz, einen großen Theil ſeines dieſſeitigen reichen und mit vielen Staͤdten und Doͤrfern beſetzten Ufers. Jenſeit des Sees faͤllt der ſchoͤnſte Theil des Herzog - thums Chablais mit verſchiedenen Staͤdten, Doͤr - fern und mit abwechſelnden Huͤgeln und Ebenen, hin - ter dieſen die erſtaunlich hohen und ganz mit Schnee bedeckten ſavoyiſchen Alpen, und weiter gegen Morgen die wilden Gebuͤrge von Wallis, nebſt den daran ſtoſ - ſenden Berner Alpen, alles dieſes auf einmal ins Ge - ſicht. Jch zweifle daran, daß irgend an einem Orte des Erdbodens eine reichere und mannichfaltigere Aus - ſicht anzutreffen ſey. Man ſieht ein Stuͤck Landes von etwa 40 deutſchen Quadratmeilen vor ſich, auf dem ſich die hoͤchſte Fruchtbarkeit und der hoͤchſte Grad der Cultur, neben den wildeſten Gegenden der WeltC 5zei -*)Jahren angefangen, von dem Landvolke des Can - tons Bern aus jedem Diſtrikt eine Manns - und eine Weibsperſon genau in dem Eigenthuͤmlichen ihres Nationalcharakters zu malen, und auf einzelne Blaͤt - ter radirt und hernach uͤbermalt herauszugeben. Dieſe Blaͤtter (davon jetzt erſt ſechs heraus ſind,) beſtaͤtigen das, was ich hier von dem berniſchen Landvolke ſage.42Tagebuch von einer nach Nizzazeigen; beyde um einen ſehr großen, doch von der Hoͤ - he ganz zu uͤberſehenden See herum in der reizendſten Abwechſelung.
Gegen Abend traf ich in Lauſanne ein. Der Weg von Bern hieher wird 18 Stunden gerechnet. Jch habe ihn in der Ausmeſſung von Stadt zu Stadt folgender maßen gefunden:
Von Bern nach Morat | 87848 Fuß oder | 3 $$\frac {13}{25}$$ Meil. |
‒ Morat nach Avanches | 27128 — — | 1 $$\frac {2}{25}$$ — |
‒ Avanches nach Payerne | 32990 — — | 1 $$\frac {8}{25}$$ — |
‒ Payerne nach Moudon | 85952 — — | 3 $$\frac {11}{25}$$ — |
‒ Moudon nach Lauſanne | 60861 — — | 2 $$\frac {11}{25}$$ — |
294779 oder | 11⅘ Meil. |
Demnach kaͤmen auf dieſem Wege auf 1 Stunde 16376 Rheinl. Fuß.
Fuͤr die Fuhre von Bern nach Lauſanne bezahl - te ich 2 franzoͤſiſche Louisd'or, oder 12 Rthl.
Jch ließ gleich meine Ankunft dem Herrn Tiſſot melden, dem ich als ein kuͤnftiger Patient bereits durch meinen Freund Zimmermann war empfohlen wor - den. Er hatte die Gefaͤlligkeit mich gleich den andern Morgen zu beſuchen, und ſich ſehr genau nach den Umſtaͤnden meiner Krankheit zu erkundigen. Er fand mich doch noch mit einem ſchleichenden Fieber behaftet. Meiner bisherigen Lebensart und dem taͤg - lichen Gebrauch der Molken, ſo wie meinem Vorha - ben den Winter in einem waͤrmern Lande zuzubringen,gab43gethanen Reiſe. gab er ſeinen Beyfall, verordnete mir vorerſt auch weiter nichts, als ein gelinde abfuͤhrendes Mittel und einen taͤglichen Genuß der beſten Weintrauben aus den Weinbergen von la Vaud, oder dem ſogenann - ten Ryffthal, die unter die beſten Weintrauben in Europa gehoͤren. Nach wenig Tagen verlor ſich das ſchleichende Fieber, und ich befand mich die ganze Zeit uͤber in Lauſanne ziemlich wohl. Hr. Tiſſot beſuch - te mich taͤglich, ohne weiter etwas zu verordnen; und bey meiner Abreiſe gab er mir eine ſchriftliche Anwei - ſung, wie ich mich in den etwa zu erwartenden Faͤllen zu verhalten habe: alles mit ſo viel Freundſchaft, und mit ſolcher Entfernung von Eigennutz, daß er mich fuͤr immer ſich verbindlich gemacht hat.
Dieſer wuͤrdige Mann ſcheinet anfaͤnglich, ehe man naͤher mit ihm bekannt wird, in ſeinem Weſen etwas kalt und gleichguͤltig. Aber jeden Tag wird er waͤrmer und intereſſanter, ſo daß die Freundſchaft und Hochachtung fuͤr ihn immer zunimmt, je laͤnger man mit ihm umgeht.
Da ich mir vorgenommen hatte, einige Zeit hier zu bleiben, und meine eigene Nahrungsart hier zu be - folgen, ſo miethete ich mir ein paar Zimmer in einem angenehmen Landhauſe, ganz nahe an der Stadt, und nahm eine Koͤchinn an, um da voͤllig nach meiner Art leben zu koͤnnen.
Lauſanne liegt, wie ich ſchon geſagt habe, anBeſchrei - bung der Stadt Lau - ſanne und der umliegenden Gegend. dem Abhange eines Berges, der ſich von da laͤngſt dem See hinauf bis nach Vevay erſtrecket, gleich unter - halb Lauſanne aber gegen die ſogenannte Cote in ei - ne Ebene auslaͤuft. Von der Stadt aus geht der Fuß des Berges noch etwa eine halbe Stunde weither -44Tagebuch von einer nach Nizzaherunter bis an den See. Dieſes Vorland zwiſchen der Stadt und dem See beſteht aus Weinbergen, et - was Ackerland und ganz fuͤrtrefflichen Wieſen, Gaͤr - ten und Landhaͤuſern, und iſt uͤberall ſehr reichlich mit Obſt - und Wallnußbaͤumen beſetzt, welches ihm ein uͤberaus angenehmes Anſehen giebt. Es iſt ſehr un - eben, und beſtehet aus breiten natuͤrlichen Terraſſen, und dazwiſchen liegenden tiefen Tobeln*)Ein Tobel iſt ein ſchmales, an einem Berge herauf - laufendes und oben in eine Spitze ausgehendes Thal, oder Ravin., durch welche verſchiedene Baͤche fließen; wie denn uͤberhaupt auch der ganze Fuß des Berges voll ſchoͤner Waſſerquellen iſt. Dieſes kleine Stuͤck Land, das von der Hoͤhe, worauf die Stadt liegt, bis an den See nicht voͤllig eine halbe Stunde breit und keine ganze Stunde lang iſt, hat ſo viel Mannichfaltigkeit, ſo viel beſuchte und lebhafte, auch einſame und voͤllig wilde Wege zum Spazierengehen und Reiten, daß ein Fremder ſich lange Zeit nicht darein finden kann.
Die Stadt ſelbſt iſt auf eine Stelle gebaut, die ehedem ſehr wild muß ausgeſehen haben; denn ſie iſt auf drey ziemlich hohe und ſpitzige Huͤgel und die da - zwiſchen liegenden betraͤchtlichen Tiefen gebaut. Wenn man im Wagen in der Stadt herumfaͤhrt, ſo muß man an verſchiedenen Stellen ein Rad hemmen, um ohne Gefahr die ſteilen Straßen herunter zu kom - men. Noch beſchwerlicher wird das Herauffahren. Deſſen ungeachtet hat die Stadt auch an ſich ſelbſt viel Angenehmes, fuͤrnehmlich in dem obern Theil um die Gegend des großen Muͤnſters, oder der ehemaligen biſchoͤflichen Kirche. An der Abendſeite außerhalbder45gethanen Reiſe. der Stadt iſt eine von Natur gemachte ſehr große Ter - raſſe, die reichlich mit Baͤumen beſetzt iſt, und einen der ſchoͤnſten Spaziergaͤnge der Welt macht; denn da ſie noch hoch uͤber den See erhaben iſt, ſo hat man von derſelben die praͤchtigſte Ausſicht, die ſich erden - ken laͤßt. Der Genfer See bildet da gerade einen Ellbogen, und beuget ſich von hier aus rechts und links, oder auf der Morgen - und Abendſeite etwas ge - gen die mittaͤgliche Gegend herein, ſo daß man von hier gerade den ganzen See uͤberſehen kann. Wenn das Wetter zur Ausſicht guͤnſtig iſt, ſo ſiehet man von dieſem Platz eine Menge Staͤdte, Schloͤſſer und Doͤr - fer. An dem gerade gegen Lauſanne uͤber liegenden Ufer des Sees ſiehet man die Staͤdte Evian und To - non, das ſchoͤne Kloſter Ripaille, und dann von da gegen Genf herunter eine reiche, mit den angenehm - ſten niedrigen Huͤgeln und abwechſelnden fruchtbaren Ebenen beſetzte Kuͤſte, mit unzaͤhligen Doͤrfern und einzelen Haͤuſern. Oſtwaͤrts an derſelben Kuͤſte erhe - ben ſich allmaͤhlig hoͤhere an den See ſtoßende Berge, die ſich am obern Ende des Sees an die Walliſer und Berner Alpen anſchließen. Oben an dem See zei - get ſich Ville neuve, im Gouvernement Aigle. An dem dieſſeitigen Ufer uͤberſieht man die ganze ſoge - nannte Cote mit den Staͤdten Morges, Rolle, Nyon, Copet, und den ſich hinter dieſen allmaͤhlig erhebenden Hoͤhen, die mit den ſchoͤnſten Weinbergen und unzaͤhligen Landhaͤuſern bedeckt ſind.
Nahe um die Stadt ſiehet man eine Menge an - genehmer Landhaͤuſer, theils mitten in Weinbergen, theils mit den ſchoͤnſten Wieſen umgeben. Alles die - ſes macht eine bezaubernde Mannichfaltigkeit und Ab -wech -46Tagebuch von einer nach Nizzawechſelung der angenehmſten Gegenſtaͤnde aus. Man hat ſich alſo nicht zu verwundern, daß ſo viele vermoͤ - gende Fremde, die kein anderes Jntereſſe haben, als ihr Leben ruhig und vergnuͤgt zuzubringen, ſich in Lauſanne oder in der dortigen Gegend niederlaſſen.
Die verbuͤrgerten Einwohner von Lauſanne ſe - hen dieſe Stadt gleichſam als den Hof des Landes an. Die vornehmen Einwohner fuͤhren eine hofmaͤßige Le - bensart, indem ſie taͤglich geſellſchaftliche Zuſammen - kuͤnfte halten, darin der Abend mit Spielen und geſell - ſchaftlichen Unterredungen zugebracht wird. Fremde ſind in dieſen Geſellſchaften allezeit willkommen, und koͤnnen alſo das ganze Jahr durch taͤglich dieſen Zeit - vertreib genießen. Die Lebensart iſt uͤbrigens ſehr frey, und unter dem vornehmen Frauenzimmer viel - leicht zu frey. Bey dem allen bemerkt man doch oh - ne genaues Nachforſchen, daß dieſe Stadt uͤberhaupt ſich nur in mittelmaͤßigem Wohlſtand befindet, und daß die dortige Ueppigkeit mehr von dem Hange der Einwohner, als von Ueberfluß herkommt.
Selbſt der gemeine Buͤrger in Lauſanne haͤlt ſich zu vornehm, durch irgend ein Handwerk ſeinen Unterhalt zu verdienen. Die Handwerksleute ſind Fremde, meiſt deutſche Schweizer. Handlung iſt in Lauſanne wenig, und der gemeine Buͤrger lebt zum Theil von dem Einkommen kleiner Bedienungen bey der Stadt, auch bey der Landesregierung; zum Theil von dem Ertrag ſeiner liegenden Gruͤnde, die hier fuͤrtrefflich angebaut und hoch genutzt werden. Andre haben ihr Einkommen von Vermiethung ihrer Haͤuſer und von Penſionen der ſich da aufhaltenden fremden Studirenden. Ueberhaupt wiſſen ſie ſich ſoein -47gethanen Reiſe. einzuſchraͤnken, daß ſie bey einem geringen jaͤhrlichen Einkommen doch ohne Duͤrftigkeit leben.
Die hieſige Akademie iſt im Grunde blos ein Seminarium, zur Bildung junger Geiſtlichen fuͤr das Pais de Vaud. Fremde, die hier ſtudiren, muͤſſen beſondern Unterricht von den hieſigen Gelehr - ten nehmen, und denſelben ziemlich theuer bezahlen. Es halten ſich aber immer junge deutſche Fuͤrſten und reiche Edelleute hier auf, die außer den gewoͤhnlichen Leibesuͤbungen im Reiten, Fechten, Tanzen, auch in Wiſſenſchaften Unterricht genießen. Außer dieſen kommen auch viel junge Englaͤnder in gleicher Abſicht hieher, ſo daß der Ort allezeit ziemlich lebhaft iſt.
Um die Stadt herum ſind ſehr viele Landhaͤuſer, auf denen die Eigenthuͤmer ſich entweder das ganze Jahr oder den Sommer uͤber aufhalten. Sie ſind durchgehends gut und feſt gebaut, auch wohl einge - richtet, haben aber ſelten Luſtgaͤrten von einigem Be - lang. Das Land iſt hier zu koſtbar, als daß man be - traͤchtliche Stuͤcke blos zur Annnehmlichkeit widmen ſollte; zumal da die ganze umliegende Gegend ſelbſt als ein Luſtgarten kann angeſehen werden. Ein gutes bequemes Wohnhaus mit einem kleinen Blumengar - ten, in oder an einer ſchoͤnen mit vielen Obſtbaͤumen be - ſetzten Wieſe, oder an einem Weinberge, iſt das ge - woͤhnliche Landhaus der Lauſanner. Man ſiehet uͤbrigens in der ganzen Gegend herum uͤberall Proben einer ungemein fleißigen und guten Cultur, wodurch jeder Fuß breit Landes auf das beſte genutzt wird.
Da mein Zuſtand mir nicht erlaubte, in Geſell - ſchaften zu gehen und Beſuche zu machen, ſo brachte ich meine Zeit mit Spazieren ſowohl zu Fuß als zuPfer -48Tagebuch von einer nach NizzaPferde zu. Dabev mangelte es mir eben nicht an Geſellſchaft, da mir verſchiedene Herren von der hie - ſigen Akademie und andere die Ehre thaten, mich bis - weilen zu beſuchen. Unter dieſen muß ich beſonders die Guͤtigkeit und Freundſchaft des Herrn Polliers de Bottens, der Doyen oder Vorſteher der Geiſtlich - keit im Pais de Vaud iſt, der Herren Profeſſoren d'Apples und Traittorens, und des Hrn. de Mey - rolles, mit dankbarer Empfindung ruͤhmen. Auch hatte ich das Vergnuͤgen, den Hrn. de Luc aus Ge - neve hier kennen zu lernen, der jetzt Lecteur der Koͤni - ginn von England iſt, und ehedem in den letzten Un - ruhen in Genf ſich als den hauptſaͤchlichſten Verfech - ter der buͤrgerlichen Freyheit, in der gelehrten Welt aber durch ſein ſchoͤnes Werk uͤber die Barometer und Thermometer bekannt gemacht hat; ein liebenswuͤr - diger und ſehr verſtaͤndiger Mann. Er hielt ſich jetzt mit einem Frauenzimmer Namens Schwellenberg, einer Favoritinn der Koͤniginn von England, hier auf, die ihrer Geſundheit halber auf Reiſen gegangen war. Dieſes Frauenzimmer hatte ſich den verwichenen Win - ter mit Hrn. de Luc in Hieres aufgehalten, und bey - de machten mir von der Annehmlichkeit und dem ſchoͤ - nen Klima dieſes Orts eine ſo reizende Beſchreibung, daß ich mich entſchloß, einen Theil des Winters da - ſelbſt zuzubringen.
Hier lernte ich auch den Englaͤnder Brydon, der ſich durch ſeine ſchoͤne Beſchreibung von Sicilien und dem Berge Aetna bekannt gemacht hat, kennen: ei - nen jungen Mann voll Lebhaftigkeit, und von einem freundſchaftlichen offenen Charakter.
Un -49gethanen Reiſe.Unter dieſen Umſtaͤnden brachte ich meine Zeit in Lauſanne auf eine ſehr angenehme Weiſe zu, und fand auch eine merkliche Beſſerung meiner Geſund - heit. Gern wuͤrde ich mich laͤnger an einem ſo ange - nehmen Ort aufgehalten haben, wenn nicht Hr. Tiſ - ſot ſelbſt mir gerathen haͤtte, vor dem ungewiſſen Ein - bruch des kalten Herbſtwetters die Provence zu er - reichen.
Hier bekam ich auch einige authentiſche Nachrich - ten von dem beruͤhmten Mr. Court de Gebelin, deſ - ſen großes Unternehmen, welches er unter dem Titel le Monde primitif bekannt gemacht, die Aufmerk - ſamkeit der Liebhaber der Litteratur auf ſich zieht. Er iſt in Lauſanne geboren, dahin ſich ſein Vater, ein proteſtantiſcher Prediger aus Languedoc, gefluͤchtet hatte. Nachdem der junge Court de Gebelin ſeine Studia da ſo weit getrieben hatte, daß er zum Pre - diger ordinirt worden, kehrte er wieder nach Frank - reich zuruͤck, und ließ ſich in Paris nieder, in Hoff - nung, da Gelegenheit zu finden, ſeinen Glaubensge - noſſen in Languedoc einige Dienſte zu leiſten.
Waͤhrend meines Aufenthalts in LauſanneWeg von Lauſanne nach Vevay. machte ich mir einen Tag den Zeitvertreib einer Spa - zierfahrt nach Vevay, einen Ort, von deſſen ſonder - barer Annehmlichkeit ich ſo oft habe ſprechen gehoͤrt. Dieſe Stadt liegt drey ſtarke Stunden ober - halb Lauſanne an dem obern Theil des Gen - fer Sees. Der Weg dahin iſt ſehr angenehm an dem Fuß des Berges, der ſich dicht an dem See von Lauſanne bis nach Vevay erſtreckt. Dieſer ganze Berg iſt an der Mittagsſeite, die eigentlich die Kuͤſte des Sees ausmacht, mit Weinreben beſetzt, einigeDweni -50Tagebuch von einer nach Nizzawenige ſchmale Striche ausgenommen, wo die herun - terlaufenden Baͤche tiefe Tobel ausgehoͤhlt haben. Weil aber der Berg durchaus ſehr ſteil iſt, ſo iſt er durch eine unzaͤhlbare Menge kleiner Mauren in Ter - raſſen abgetheilet, welche verhindern, daß das Re - genwaſſer die Erde nicht herunter ſpuͤhlet. Man muß die erſtaunliche Arbeit bewundern, die dieſen Berg durch ſo viele tauſend Mauren zum Anbau des Weins tuͤchtig gemacht hat. Es fiel mir bey dieſer Gelegenheit wieder ein, was ich gar oft bey aͤhnlichen Veranlaſſungen gedacht habe, naͤmlich: daß wenig cultivirte Grundſtuͤcke ſind, deren jetziger Werth, wenn ſie verkauft werden, die Arbeit bezahlt, die dar - an hat muͤſſen gewendet werden, um ſie urbar zu ma - chen, und in urbarem Stande zu erhalten. Hier hat es nicht nur erſtaunliche Arbeit gekoſtet, die Mauern aufzufuͤhren, und jede Terraſſe abzuebnen; ſondern es koſtet ſeit ſo viel Jahrhunderten faſt jedes Jahr neue Arbeit, ſie im Stande zu erhalten. Denn oft druͤckt die durch langen Regen weich gewordene Erde nach, und macht hier und da die Mauren berſten. Auch ſtuͤrzen an verſchiedenen Orten große Felſenſtuͤcke, die ſich auf der Hoͤhe des Berges losge - riſſen, uͤber dieſe Terraſſen herunter, und ſchlagen die Mauren ein, ſo daß man mit der Arbeit daran nie fertig wird. Durch dieſe Weinberge geht der Weg nach Vevay meiſtens in einer kleinen Erhoͤhung uͤber den See; nur hier und da geht die Straße herunter, und eine Zeit lang an dem Ufer deſſelben.
Etwa eine Stunde oberhalb Lauſanne faͤngt der kleine Diſtrikt an, der eigentlich La Vaud, im Deut - ſchen das Ryffthal genennt wird; wiewohl man einenan51gethanen Reiſe. an einem Berge fortlaufenden Strich Landes nicht ſchick - lich ein Thal nennen kann. Zu dieſem Diſtrikt ge - hoͤren die drey kleinen an dem Ufer des Sees liegenden Staͤdtchen Lutri, Cuilly, St. Saphorin und das Dorf Corſier oder Corſi. Dieſe Gegend iſt wegen ihres Weines beruͤhmt, der unſtreitig alle andre in der Schweiz wachſende Weine weit uͤbertrifft. Von den Weintrauben dieſer Gegend aber behaupten erfahrne Kenner, daß ſie allen andern Weintrauben den Vor - zug ſtreitig machen; und ich habe nichts dagegen ein - zuwenden, da ſie mir vor allen ſpaniſchen, franzoͤſi - ſchen und italiaͤniſchen Weintrauben, die ich ge - geſſen, den Vorzug zu haben ſchienen. Sie haben nicht einen ſo zaͤhen Honigſaſt, wie viele ſpaniſche Trauben, aber bey einer ſehr duͤnnen Haut und einem ganz fluͤßigen Saft eine ausnehmende Lieblichkeit.
Dieſes Weins halber ſind die Weinberge in laTheures Land. Vaud in ſehr hohem Werth, und vielleicht das theu - reſte Land von der Welt, wenn man die ſeltenen Laͤn - dereyen dicht an großen Staͤdten ausnimmt, die zu Gaͤrten oder zu Luſthaͤuſern gebraucht werden, und darum außer aller Proportion mit großen Laͤndereyen ſtehen. Ein Arpent oder Poſe, wie es hier genennt wird, (ohngefaͤhr vierzigtauſend rheinlaͤndiſche Qua - dratfuß,) iſt bisweilen mit 8 auch 10000 Pfund, das iſt, mit 13 bis 16000 franz. Livres bezahlt wor - den. Eine ſehr große Summe in Vergleichung deſ - ſen, was in den beſten und fruchtbarſten Gegenden Deutſchlands fuͤr ſo viel Land bezahlt wird.
Jch beſinne mich ehedem in Bruͤſſel von einem dortigen Finanzrath gehoͤrt zu haben, daß in derſel - ben Gegend ein Bonnier des beſten Landes, (ohngefaͤhrD 2zwey52Tagebuch von einer nach Nizzazwey ſolche Arpens oder Poſes, von denen ich geſpro - chen habe,) wenn es auf das vortheilhafteſte beſtellt wird, bis 1100 Gulden flamaͤndiſches Geld eintra - gen koͤnne. Nach dieſem erſtaunlichen Ertrag zu ur - theilen, muͤßte das Land um Bruͤſſel eben ſo theuer als hier ſeyn.
Unterwegens zeigte man mir einen Ort, wo ſich vor wenig Jahren eine ſeltſame Naturbegebenheit zu - getragen hat. Man fand naͤmlich an einem Morgen, daß ein kleines an dem ſteilen Berge liegendes Stuͤck Landes mit dem darauf ſtehenden Hauſe, nebſt den dar - auf ſtehenden Obſtbaͤumen und Weinreben, eine ziem - liche Strecke herunter geruͤckt war, ohne daß weder in dem Hauſe, noch an den Baͤumen die geringſte Ver - aͤnderung wahrzunehmen geweſen.
Nach einer ſehr angenehmen Fahrt von etwa vierthalb Stunden kam ich in Vevay an. Dieſe kleine Stadt hat eine ganz beſondere Lage, wodurch ſie zum Wohnſitz ſtiller, von der Welt abgeſonderter und an romantiſchen Schoͤnheiten der Natur ſich ergoͤ - tzender Menſchen beſtimmt zu ſeyn ſcheinet. Der Genfer See iſt an ſeinem obern Ende mit ſehr hohen und ſteilen Bergen umgeben, die ganz an die Ufer deſſelben ſtoßen. Zu oberſt an dem rechten oder noͤrd - lichen Ufer entfernen ſich dieſe Berge etwas von dem See, und laſſen da ohngefaͤhr eine halbe Stunde We - ges laͤngſt dem Ufer ein niedriges Vorland, von dieſen Bergen umgeben, und nur an der Suͤdſeite oder ge - gen den See offen. Von dem Ufer an erhebt ſich dieſes niedrige Vorland allmaͤhlig gegen die es umge - benden Berge, und bildet durch verſchiedene Huͤgel ein gegen den See ſtehendes Amphitheater, in deſſenGrund53gethanen Reiſe. Grund die Stadt Vevay gebaut iſt. Die Berge, welche den hintern Grund deſſelben ausmachen, wer - den an der Nordſeite etwas niedriger, und dort geht von dem See aus der Weg nach dem Canton Frey - burg hinuͤber.
Durch dieſe Lage iſt alſo die Stadt von allen Sei - ten mit hohen Bergen umgeben, welche die Winde abhalten. Nur gegen Mittag, wo der See liegt, iſt es offen. Daher kommt es ohne Zweifel, daß die Winter hier gelinder ſind, als in den herumliegenden Gegenden. Das von der Stadt an gegen die Berge ſich allmaͤhlig erhoͤhende Land iſt ſowohl auf den ver - ſchiedenen Huͤgeln, als den dazwiſchen liegenden Tie - fen, ſehr fruchtbar, mithin in ſchoͤne Gaͤrten, Wie - ſen, Weinberge und Acker eingetheilt, und mit einer Menge artiger Luſthaͤuſer und anderer einzeler Wohn - haͤuſer beſetzt. Hinter dieſen aber ſieht man an den Hoͤ - hen und Bergen ganze Doͤrfer, ſo daß die Ausſicht von dem Ufer des Sees in dieſes Amphitheater eine große Mannigfaltigkeit von Gegenſtaͤnden zeiget. Gerade gegen der Stadt uͤber ſieht man an dem jenſeitigen Ufer des Sees die hohen, ſehr ſteilen und wilden Berge, die theils in Savoyen, theils im Gebiete der Republik Wallis liegen. Nach der ſuͤdweſtlichen Gegend aber hat man eine freye Ausſicht uͤber den See herunter, die ſo weit geht, als das Auge reichen kann.
Die Stadt ſelbſt beſteht aus wenigen langen und nicht breiten Straßen. Die Haͤuſer aber ſind durch - gehends wohl gebaut, und kuͤndigen einen betraͤchtli - chen Wohlſtand der Einwohner an. Dieſe ſelbſt ſcheinen ein freyes, vergnuͤgtes, ſeinen Wohlſtand fuͤhlendes, dabey angenehmes und gefaͤlliges Volk zuD 3ſeyn.54Tagebuch von einer nach Nizzaſeyn. Die betraͤchtliche Anzahl vermoͤgender Einwoh - ner, und die verſchiedenen fremden reichen Familien, die ſich hier blos der Annehmlichkeit dieſes Aufenthalts halben niedergelaſſen, haben in dem Ort den Ton ei - ner guten und angenehmen Lebensart eingefuͤhrt. Ein Fremder wird auf eine angenehme Weiſe uͤberraſcht, in einem ſo einſamen, von wilden Bergen eingeſchloſſe - nen und abgelegenen Winkel eine ſo artige, reinliche, nach Verhaͤltniß ihrer Groͤße reiche Stadt, und in derſelben ſo viel gute Lebensart, Hoͤflichkeit und gefaͤl - lige Sitten zu finden.
Der Ort iſt deswegen ſehr nahrhaft, weil hier die Niederlage vieler aus der Schweiz auf Genf und von da nach Frankreich gehender Waaren und Guͤ - ter iſt, die hier eingeſchifft werden, und weil das da herumwohnende wohlhabende Landvolk der beyden Can - tone Bern und Freyburg, wie auch der Republik Wallis, hier ſeine von außen herkommende Beduͤrf - niſſe einkaufet. Ein der Sachen ſehr kundiger Mann hat mich verſichert, daß hier jaͤhrlich nur an dem aus dem Canton Freyburg kommenden Kaͤſe, den man Gruyere nenut, fuͤr zwey Millionen Livres nach Frankreich eingeladen werde. Jn der That ſah ich auch in einem großen, an dem Hafen liegenden offenen Gebaͤude eine erſtaunliche Menge Faͤſſer liegen, die alle mit dieſem Kaͤſe angefuͤllt waren.
An der Abendſeite der Stadt liegt ein großer an den See ſtoßender offener Platz, der von der Stadt ſelbſt und von der ihr gegen Abend liegenden betraͤcht - lichen Vorſtadt eingeſchloſſen iſt, und den hieſigen Marktplatz ausmacht. Es war eben Wochenmarkt, als ich da war, und dieſer Platz war ſehr voll Men -ſchen55gethanen Reiſe. ſchen und Waaren. Ein beſonders angenehmes Schauſpiel fuͤr mich war es, viel gemeines Landvolk aus den umliegenden Gegenden hier zu ſehen, jedes in ſeiner eigenen Kleidungstracht und ſeiner von andern verſchiedenen Bildung und Geſtalt: Savoyarden, Walliſer, Deutſche und Welſche, Berner und Frey - burger, alle nahe Nachbarn, aber in allen Stuͤcken ſo von einander verſchieden, als wenn es Menſchen von verſchiedenen weit von einander entlegenen Laͤndern waͤ - ren. Von dieſen ſind die Deutſchen, Berner und Freyburger an Geſtalt und Bildung die anſehnlich - ſten, und ihre Kleidung kuͤndiget Leute von gutem Wohlſtand an. Hingegen hat das hoͤchſt elende An - ſehen der Savoyarden, die mit ganzen Schiffsladun - gen leichter, aus Tannenholz verfertigter, großer und kleiner Kiſten hieher kommen, mir Ekel und ſogar Entſetzen verurſachet. Dieſe elenden Geſchoͤpfe, be - ſonders die Weiber, ſind mit ſo ſchmuzigen und ſo gar keine beſtimmte Form an ſich habenden Lappen behan - gen, an Geſtalt und von Geſicht ſo haͤßlich, daß man in der That Muͤhe hat, die edle menſchliche Geſtalt an ihnen zu entdecken.
Man kann hier auf das deutlichſte ſehen, was fuͤr Einfluß eine gute und reichliche Nahrung, Freyheit und Wohlſtand auf die Bildung des menſchlichen Koͤr - pers haben. Dieſe elenden Geſchoͤpfe bewohnen eine Vevay gerade gegenuͤber an dem mittaͤglichen Ufer des Sees liegende wilde Gegend in den Bergen. Zu ihrer Nahrung waͤchſt da nichts als Caſtanien; und andern Verdienſt haben ſie auch nicht, als daß ſie Holzkohlen brennen, und aus den Tannen, womit ihre Berge bewachſen ſind, Kiſten von jeder GroͤßeD 4ver -56Tagebuch von einer nach Nizzaverfertigen, und beydes nach Vevay zu Markte bringen. Und doch muͤſſen dieſe armſeligen Geſchoͤpfe das Recht, in dieſer unfruchtbaren Wildniß zu wohnen und von Caſtanien zu leben, ihrem Landesherrn noch mit ſchwe - ren Abgaben bezahlen.
Die traurigen Vorſtellungen, die mir dieſe Leute erweckten, wurden durch angenehmere verdraͤngt, als ich neben erwaͤhntem Marktplatz unter hohen Caſtanien - baͤumen laͤngſt dem Ufer des Sees ſpazierte, und ge - genuͤber die Felſen von Meillerie im Geſicht hatte, die jedem, der Rouſſeaus neue Heloiſe geleſen hat, un - vergeßlich ſeyn muͤſſen. Jetzt fiel mir der verliebte St. Preux ein*)S. die neue Heloiſe 28 Br. des 1 Theils., wie er mit dem Fernglas in der Hand von dieſen Felſen her nach Vevay heruͤber ſah, um das Haus ſeiner geliebten Julie zu entdecken. Die Gegend des Sees, die jetzt vor mir lag, war die Scene der ſonderbaren Auftritte, die Rouſſeau in dem 17 Br. des 4 Theils der neuen Heloiſe beſchreibt; und als ich mich auf meinem Spaziergang umwende - te, ſah ich gegen Morgen die Gegend um das Dorf Clarens, die Hauptſcene des ſonderbaren Romans. Alles dieſes machte einen ſo lebhaften Eindruck auf mich, daß ich in dieſem Augenblick geneigt war, den ganzen Roman von Julie und St. Preux fuͤr wah - re Geſchichte zu halten, die ſich vor wenig Jahren hier zugetragen. Man findet hier, daß Rouſſeau die Hauptſcene zu ſeinem Roman ſehr gut gewaͤhlt hat; die ganze Gegend hat etwas romantiſches. Ge - gen Abend fuhr ich wieder nach Lauſanne zuruͤck.
Es machte mir Muͤhe, den angenehmen Ort, an dem ich mich nun drey Wochen lang aufgehalten hat - te, zu verlaſſen; aber die zum Ende eilende gute Jahrszeit erinnerte mich, nicht laͤnger zu verweilen, zumal da ich noch durch Oerter zu reiſen hatte, wo ich mich auch einige Tage aufhalten mußte. Gleich von Lauſanne aus geht die Straße nach Genf an das ebene Ufer des Sees herunter, und hernach laͤngſt demſelben ſo fort, daß man ſich nie mehr als wenige hundert Schritte von dem See entfernet. Man koͤmmt durch einige ſehr artige an dem See liegende Staͤdte und Doͤrfer; rechter Hand aber hat man die fuͤrtrefflichen, meiſtens mit Weinbergen beſetzten Huͤ - gel, die eigentlich die Cote genennt werden. Auf und an dieſen Huͤgeln ſind viel ſchoͤne Doͤrfer, adliche Schloͤſ - ſer und eine Menge Landhaͤuſer gebaut, die groͤßten - theils wohlhabenden Privatperſonen von Bern gehoͤ - ren, die denn im Herbſt ſich hier aufhalten, und das Land durch ihre Gegenwart um ſo viel lebhafter ma - chen. Der ganze Strich Landes zwiſchen Lauſanne und Genf iſt zum Entzuͤcken ſchoͤn, und unter die an - genehmſten Gegenden der Welt zu rechnen.
Eine gute Meile von Lauſanne liegt Morges,Morges. dicht an dem See; eine kleine, aber uͤberaus angeneh - me Stadt, der zweyte Hafen des Sees und eine be - traͤchtliche Ablage der nach Frankreich und Pie - mont gehenden und von da her kommenden Waaren. Die Straßen ſind breit, angenehm und ausnehmend gut gepflaſtert; die Haͤuſer wohl gebaut, von einemD 5rein -58Tagebuch von einer nach Nizzareinlichen und guten Anſehen. Alles lacht und floͤßt hier Vergnuͤgen ein. Dies waͤre nach meinem Ge - ſchmack der Ort im Pais de Vaud, den ich vorzuͤg - lich zu meinem Aufenthalt waͤhlen wuͤrde.
Ohngefaͤhr eine Stunde unterhalb Morges ver - ließ ich die Landſtraße, um gerade gegen die Hoͤhe her - auf nach Aubonne zu fahren, um daſelbſt dem Hrn. von Tſcharner, der gegenwaͤrtig Landvogt von Au - bonne iſt, zu beſuchen*)Dieſer fuͤrtreffliche Mann, von deſſen Einſichten, warmem Eifer fuͤr alles Gute und großer Betriebſam - keit die Republik Bern die wichtigſten Dienſte erwar - ten konnte, iſt das vorige Jahr in der Bluͤhte des Alters geſtorben.. Man kann ſich von der bezaubernden Lage des Staͤdtchens und des daruͤber lie - genden Schloſſes daraus einen Begriff machen, daß der beruͤhmte Tavernier, der durch ſo viele Laͤnder des Erdbodens gereiſt war, als er ſich zur Ruhe be - geben wollte, dieſen Ort, als den ſchoͤnſten, den er geſehen, zu ſeinem Aufenthalt gewaͤhlt hat. Er hat - te die Herrſchaft Aubonne kaͤuflich an ſich gebracht, und an dem Schloſſe viel gebaut. Der mit einem Saͤulengang umgebene Vorhof des Schloſſes iſt von ihm angelegt worden. Jetzt gehoͤrt die Herrſchaft dem Stande Bern, der ſie durch einen Landvogt, der auf dieſem Schloſſe ſeinen Sitz hat, regieren laͤßt. Der jetzige Landvogt, Hr. von Tſcharner, ein Mann von großen Verdienſten und einem verehrungswuͤrdigen Charakter der Großmuth und Menſchenliebe, und ſeine, eines ſolchen Mannes wuͤrdige Gemahlinn, ei - ne geborne von Bonſtaͤtten, empfiengen mich mit ausnehmender Freundſchaft und Guͤte.
Aus59gethanen Reiſe.Aus dem, was ich bereits von der Lage des Orts geſagt habe, kann man ſich uͤberhaupt einen Begriff von den verſchiedenen herrlichen Ausſichten machen, die man aus den Zimmern dieſes Schloſſes hat. Sie uͤbertreffen noch die Ausſicht von Lauſanne aus, die ich beſchrieben habe, und ſind uͤber allen Ausdruck ſchoͤn: weil man hier von einer etwas betraͤchtlichen Hoͤhe den Genfer See, das ganze gegenuͤber liegende Chablais, ſo wie das dieſſeitige Ufer des Sees mit allen ſeinen Staͤdten, Doͤrfern, Schloͤſſern und Land - haͤuſern uͤberſiehet.
Es that mir wehe, Nachmittags eine ſo gute Ge - ſellſchaft und einen ſo reizenden Aufenthalt, die ich nur wenige Stunden genoſſen hatte, wieder zu verlaſſen. Jch kam denſelbigen Abend uͤber Rolle, eine kleine aber ebenfalls angenehme Stadt am See, nach Nyon,Nyon. wo ich uͤbernachtete. Hier wurd ich eine halbe Stun - de nach meiner Ankunft angenehm uͤberraſcht, da ich einen ehemaligen Bekannten, den ſachſengothai - ſchen Hofrath Hrn. Schmidt von Arau, der ſich hier niedergelaſſen, in mein Zimmer treten ſah, und mit ihm den Hrn. Eſpinaſſe, einen aus dieſem Orte ge - buͤrtigen ſehr geſchickten Naturforſcher, der die Ehre gehabt, den jetzigen Koͤnig von England und ſeine Herren Bruͤder in der Experimentalphyſik zu unter - richten.
Den folgenden Morgen beſuchte ich dieſe beyden Herren wieder, und hielt mich beſonders eine Zeit lang bey Hrn. Eſpinaſſe auf, um ſein ſehr merkwuͤr - diges Cabinet von allen Arten zur Experimentalphy - ſik gehoͤriger Jnſtrumente zu ſehen. Außer verſchie - denen von ſeiner eigenen Erfindung und Arbeit beſitzter60Tagebuch von einer nach Nizzaer die bekannten zum Elektriſiren gehoͤrigen Jnſtru - mente in einer Vollkommenheit, die ich ſonſt nirgend geſehen habe. Er ſelbſt hat in den engliſchen Trans - actionen eine Beſchreibung von den Verbeſſerungen ge - geben, die er an dem elektriſchen Apparatu gemacht hat. Viele andre in dieſes Fach einſchlagende Jn - ſtrumente ſind von ſeiner Erfindung, und von ihm ſelbſt auf das vollkommenſte ausgearbeitet.
Unter vielen zur Bewunderung gut gearbeiteten Jnſtrumenten, ſchien mir ein kleines Mikrometer von Glas, das Hr. Eſpinaſſe von dem Duc de Chaul - nes bekommen hatte, auf deſſen Theilungsmaſchine es verfertigt worden iſt, von beſonderer Merkwuͤrdig - keit. Eine Quadratlinie des Pariſer Zolles iſt auf demſelben mit der Diamantſpitze in 400 Quadrate ein - getheilt. Jch betrachtete die Theilungen unter einem Vergroͤßerungsglas, und bewunderte nicht nur die vollkommene Gleichheit derſelben, ſondern auch die Feinheit der mit dem Diamant eingeriſſenen Striche. Der geuͤbteſte Zeichner koͤnnte mit der Reißfeder und Tuſch ein großes Quadrat auf dem Papier nicht mit groͤßerer Nettigkeit in kleinere Quadrate theilen, als hier auf dem Glaſe geſchehen iſt. Ungern verließ ich ein Cabinet, wo ich noch nicht die Haͤlfte der merk - wuͤrdigen Jnſtrumente, aus denen es beſteht, geſehen hatte.
Herr Bonnet, der beruͤhmte Naturforſcher und Philoſoph, hatte mir einen ſehr verbindlichen Brief nach Lauſanne geſchrieben, um mich einzuladen, ei - nige Tage bey ihm in Genthod zuzubringen, wo erſich61gethanen Reiſe. ſich ſeit den letzten Unruhen in Genf, nach deren Aus - gang er ſeine Stelle im großen Rath aufgegeben hatte, aufhaͤlt. Jch nahm alſo meinen Weg dahin. Der Weg geht durch die beruͤhmte Baronie Copet, und das franzoͤſiſche Dorf Verſoy, und iſt, ſo wie der ganze Weg am See herunter, reich an Gegenſtaͤnden, die das Auge eines Reiſenden ergoͤtzen. Jn VerſoyVerſoy. ſah ich noch die an dem See von Bretern aufgeſchla - genen Cabanen, worin vor einigen Jahren die Solda - ten und Arbeiter einquartiert waren, als der franzoͤſi - ſche Hof auf Anſtiften des Duc de Choiſeul zur Zuͤch - tigung der Genfer hier einen Hafen und Handlungs - platz, und wie man glaubte, zugleich eine Feſtung anlegen wollte. Es iſt wirklich ſchon eine betraͤchtli - che Arbeit zur Befeſtigung des Ufers, wo der Hafen ſollte angelegt werden, ausgefuͤhret; und ohne die Re - volution, die den Herzog von der Staatsverwaltung entfernt hat, waͤre ohne Zweifel jetzt das ganze Werk zu Stande gebracht. Gleich uͤber Verſoy liegt Genthod auf einer Anhoͤhe einige hundert Schritte uͤber dem See; ein Dorf, das der Stadt Genf ge - hoͤrt, von der es nur eine Stunde weit abliegt, und in welchem verſchiedene große und ſchoͤne Landhaͤuſer mit betraͤchtlichen dazu gehoͤrigen Guͤtern liegen. Jch kam Nachmittags um 2 Uhr hier an. Fuͤr die Fuhre von Lauſanne bis hieher (ſo wie bis nach Genf) iſt der gewoͤhnliche Preis 30 franzoͤſiſche Livres, oder achthalb Rthlr. Jch fand auf dieſem Wege die Wei - ten der Oerter folgendermaßen:
Von62Tagebuch von einer nach NizzaVon Lauſanne | nach Morges | 37777 oder | 1 $$\frac {13}{25}$$ Meilen. |
‒ Morges | — Aubonne | 20822 — | ⅘ — |
‒ Aubonne | — Nyon | 62977 — | 2 $$\frac {11}{25}$$ — |
‒ Nyon | — Copet | 27869 — | 1 $$\frac {3}{25}$$ — |
‒ Copet | — Verſoy | 16939 — | $$\frac {17}{25}$$ — |
‒ Verſoy | — Genthod | 5801 | — — |
172185 | 6 $$\frac {22}{25}$$ Meilen. |
So weit kann man es auch von Lauſanne auf Genf rechnen. Denn ſo weit dieſe Stadt noch von Genthod iſt, ſo weit war ungefaͤhr der Umweg, den ich gemacht hatte, um uͤber Aubonne zu gehen.
Jn Genthod wurde ich von Herrn Bonnet und ſeiner liebenswuͤrdigen Gemahlinn mit recht herzlicher Freundſchaft und Guͤte aufgenommen. Sie bewoh - nen da ein mehr praͤchtig als blos ſchoͤnes Landhaus. Die Ausſicht iſt, wie hier gewoͤhnlich, reich und praͤchtig; und was ihr uͤber die, deren ich bisher er - waͤhnt habe, noch einen Vorzug giebt, iſt dieſes, daß man nicht nur die Stadt Genf mit der umliegenden herrlichen und mit einer großen Menge ſchoͤner Luſthaͤu - ſer angefuͤllten Gegend, ſondern auch den ſchoͤnſten und bewohnteſten Theil des Chablais, das hier eine wirklich reizende Landſchaft ausmacht, von den Fen - ſtern des Hauſes im Geſicht hat.
Hier brachte ich alſo fuͤnf Tage zu, die ich unter die angenehmſten meines ganzen Lebens zaͤhlen kann. Beydes, Geiſt und Herz, fanden hier ihre beſte Nah - rung; und was auch ſonſt zur Bequemlichkeit und zum Wohlleben gehoͤrt, fand ich hier im Ueberfluß. Man kennet den edlen und liebenswuͤrdigen Charakter, und den ſcharfſinnigen Geiſt des Herrn Bonnets ausſeinen63gethanen Reiſe. ſeinen Schriften: aber noch mehr ruͤhret im Umgang ſein freundſchaftliches, herzliches und redliches Weſen, das ihn zu einem der beſten Menſchen macht, in deſ - ſen Seele Liebe zur Wahrheit, zur Tugend und allem Guten herrſchende Neigungen ſind. Seine Gemah - linn iſt in allen Stuͤcken ſeiner wuͤrdig.
Hr. Bonnet machte mir unter andern Vergnuͤ -Hr. Offraine. gen auch dieſes, daß er den beruͤhmten Offraine, ei - nen der erſten Schauſpieler unſrer Zeit, der ſich jetzt eben in ſeiner Vaterſtadt Geneve aufhielt, zu uns einladete. Dieſer fuͤrtreffliche Schauſpieler machte uns das Vergnuͤgen, einige der ausgeſuchteſten Sce - nen des franzoͤſiſchen Theaters zu ſpielen. Seine groͤßte Staͤrke iſt in dem hohen Komiſchen, darin er unſtreitig alle jetzt lebende franzoͤſiſche Schauſpieler uͤbertrifft. Aber auch verſchiedene tragiſche Scenen macht er mit großer Wahrheit und Nachdruck. Er ſchien mir in verſchiedenen Stuͤcken den beruͤhmten Le Kain weit zu uͤbertreffen.
Unter die mancherley Vergnuͤgungen, die ich hierFernex. genoß, rechne ich auch eine kleine Spazierfahrt, die ich mit Hr. Bonnet allein nach Fernex machte. Die - ſer durch ſeinen jetzigen Beſitzer Voltaire beruͤhmt ge -Voltaire. wordene Ort liegt etwa eine halbe Stunde oberhalb Gen - thod, auf einer Anhoͤhe, von der man eine weite Aus - ſicht uͤber die umliegenden Gegenden und den auf der Graͤnze zwiſchen Frankreich und der Schweiz liegen - den Berg Jura hat. Ehedem war es ein ſchlechtes Dorf, jetzt aber iſt es durch den alten Dichter ſo er - weitert und verſchoͤnert, daß es ein ganz angenehmer Ort geworden. Er hat eine ſehr betraͤchtliche Anzahl Haͤuſer, ſowohl zur Landwirthſchaft, als blos zurWoh -64Tagebuch von einer nach NizzaWohnung fuͤr allerley Perſonen eingerichtet. Die letzten ſind durchgehends ſehr artig, maſſiv und in gu - tem Geſchmack gebaut. Kuͤnſtler, Handwerker oder andre Perſonen, die Luſt haben hier zu wohnen, und ſich deshalb bey dem Grundherrn melden, bekommen ein ſolches Haus, auch allenfalls mit einem daran ſtoßenden Garten, gegen eine maͤßige jaͤhrliche Abga - be, die aber nach Voltaires und ſeiner Nichte und Erbinn, Mad. Denis, Tode gaͤnzlich wegfallen, in eigenthuͤmlichen Beſitz. Dieſes hat ſchon verſchiedene Uhrmacher und einige Handwerksleute hieher gezogen, ſo daß der Ort ſich ſtark aufnimmt. Noch wird mit dem Bauen beſtaͤndig fortgefahren. Jn allen Ge - genden des Dorfes ſah ich eine Menge Menſchen da - mit beſchaͤfftiget. Man ſah hier Fundamente graben, dort halb fertige Gebaͤude weiter auffuͤhren, an andern Orten ſchon gedeckte mit inwendiger Arbeit verſehen. Verſchiedene Plaͤtze liegen voll Steine, die zum Bau verſchnitten und bearbeitet werden; andre ſind mit Bauholz bedeckt, das die Zimmerleute bearbeiten; uͤberall werden Baumaterialien und Erde zur Verbeſ - ſerung der Wege und Straßen angefahren, und der ganze Ort iſt ſo lebhaft und in ſolcher Bewegung, als wenn eine neu angekommene Colonie ſich hier anbaute. Das Schloß oder herrſchaftliche Wohnhaus ſteht am Ende und am hoͤchſten Orte des Dorfes, und iſt ein feines und ziemlich großes Gebaͤude, das Voltaire vom Grund aus neu aufgefuͤhret hat. Naͤchſt daran ſind ſchoͤne Gaͤrten und angenehme Plantagen von wil - den Baͤumen. Kurz, alles was den Ort verſchoͤnern konnte, iſt mit betraͤchtlichem Aufwand hier ange - gebracht. Daß der alte Dichter auch ſich mit neuenUn -65gethanen Reiſe. Unternehmungen im Feldbau abgebe, ſchloß ich aus einer engliſchen Saͤmaſchine, die ich im Schloßhof antraf.
Nachdem wir alles dieſes mit viel Vergnuͤgen ge - ſehen und betrachtet hatten, kehrten wir wieder nach Genthod zuruͤck. Bey dem alten Dichter ſelbſt mochte ich mich nicht melden. Herr Bonnet hat ge - rechte Urſache mit dieſem Nachbar gar nicht zufrieden zu ſeyn, und allen Umgang mit ihm zu vermeiden; und ich hatte meinerſeits auch noch beſondere Gruͤnde, ihn nicht zu ſehen.
Jch hatte mir vorgenommen, von hier nach Ge -Geneve. neve zu gehen, und mich auch ein paar Tage da auf - zuhalten. Aber ich hatte Muͤhe, mich von einer ſo guten Geſellſchaft loszureißen; und da mir Hr. Bon - net den Vorſchlag that, mich ſelbſt nach Geneve hin, und, wenn ich den Ort geſehen, wieder zuruͤckzubrin - gen, ſo gab ich meinen vorigen Vorſatz auf. Wir fuhren alſo Sonntags den 15 October ganz fruͤh nach dieſer Stadt. Es iſt bekannt, daß Geneve nach Verhaͤltniß ſeiner geringen Groͤße unter die reichſten Staͤdte in Europa gehoͤrt. Dieſer Reichthum kuͤn - digt ſich auch an, wenn man gegen die Stadt hin - kommt. Das ganze herumliegende Land, ſo weit ſich das Gebiet der kleinen Republik erſtreckt, beſon - ders aber die beyden Ufer des Sees, ſind mit ſchoͤnen und Reichthum ankuͤndigenden Land - und Luſthaͤuſern beſetzt. Ueberall, wohin man das Auge wendet, ſie - het man die deutlichſten Anzeigen eines im Ueberfluß lebenden Volkes. Dieſe Landhaͤuſer ſind zwar nicht Palaͤſte, aber meiſtens ziemlich groß und wohl ge - baut, auch ſo gut unterhalten, daß ſie durchgehendsEwie66Tagebuch von einer nach Nizzawie ganz neue Gebaͤude ausſehen. Neben den Haͤu - ſern ſind ſchoͤne wohl unterhaltene Gaͤrten, auch gar oft Weinberge, Wieſen und Aecker. Das Gewim - mel der Menſchen auf der Landſtraße zu Fuß, zu Pferd und im Wagen war dieſen Morgen betraͤcht - lich. Die ganze Gegend um die Stadt war ſo leb - haft, wie es ſonſt an andern Orten bey großen feyer - lichen Gelegenheiten zu ſeyn pflegt.
Weil der See gegen die Stadt hin ſich merklich derſchmaͤlert, ſo kann man auf dieſem Wege das Land an dem jenſeitigen Ufer mit den vielen Luſthaͤuſern, Gaͤrten und Guͤtern deutlich ſehen. Dieſe reiche Land - ſchaft, dann die Stadt ſelbſt am Ausfluß der Rhone, die man in dieſem weiten Umkreis von Luſthaͤuſern, als den Hauptſitz, dem alles andre gehoͤrt, erblicket, hin - ter der Stadt aber ein hoher und ſehr breiter Berg, der zum Hintergrund der Landſchaft dienet, macht ein Schauſpiel aus, das ich ohne ſtarke Ruͤhrung nicht anſehen konnte. Dieſe bewundernde Empfindung wird, nachdem man in die Stadt hineingekommen, eher ſtaͤrker als geſchwaͤcht. Der Ort iſt an ſich ſelbſt wohl gebaut, beſonders die obere Stadt, wo die Vornehmern wohnen. Sie liegt auf einer betraͤchtli - chen Hoͤhe, und da ſiehet man auf hohen freyſtehen - den Terraſſen eine Menge wirklich praͤchtiger Haͤuſer, die man wohl Palaͤſte nennen koͤnnte.
Das auf den Straßen wimmelnde Volk aber macht ein neues nicht wenig intereſſantes Schauſpiel. Freyheit, Wohlſtand, froher Muth und eine beſon - ders lebhafte Phyſiognomie kuͤndigen wirklich ein außerordentliches Volk an. Eine ſolche Kraft der Geſichter, beſonders der Augen, habe ich ſonſt nir -gend67gethanen Reiſe. gend geſehen, wie hier; alles lebt, arbeitet und be - ſtrebt ſich in dieſen ſeelenvollen Geſichtern. Schwer - lich wird man irgendwo eine Stadt finden, wo der ge - meine Mann ſo viel Kenntniß, Geſchmack an Littera - tur und Luſt ſich zu unterrichten hat, als hier. Es giebt hier eine Menge Handwerksleute, die nach ver - richteter Arbeit ſich mit Leſen der beſten Buͤcher be - ſchaͤfftigen, und ſo viel Kenntniß der Geſchichte, der Geographie, der Werke des Witzes und ſelbſt der Phi - loſophie haben, als in manchen Laͤndern unter den Vornehmſten ſchwerlich angetroffen wird.
Verſchiedene Gelehrte, die ich hier gern beſucht haͤtte, waren abweſend, und hielten ſich jetzt auf dem Lande auf; wir ſtiegen alſo blos bey dem Herrn von Sauſſure und bey dem Profeſſor Bertrand, den ich ehedem in Berlin gekannt hatte, ab. Hr. Bon - net hatte den guten Einfall, um mir das Vergnuͤgen, mit dieſen Herren umzugehen, zu verlaͤngern, ſie ein - zuladen, mit uns nach Genthod herauszufahren, welches ſie auch annahmen. Alſo wandten wir die uͤbrige Zeit bis auf den Mittag an, die Stadt zu be - ſehen, und kehrten hierauf ſehr vergnuͤgt auf das Land zuruͤck.
Der Weg geht durch die Landſchaft Gex, und iſt bis Coulange ein paar Meilen weit von Geneve gut und angenehm. Man faͤhrt erſt uͤber das hohe Land an dem See weg gegen den Berg Jura hin, den man von Ferney aus mit dem tiefen daran ſtoßenden Lande beſtaͤndig im Geſicht hat. Nach einer StundeE 2kommt68Tagebuch von einer nach Nizzakommt man an den Fuß dieſes Berges, an deſſen mittaͤglicher Seite ſich die Straße durch ein angeneh - mes Land von mittelmaͤßiger Fruchtbarkeit hinzieht. Zur rechten Hand hat man den Berg, zur Linken aber den ganzen weiten Strich Landes zwiſchen dieſem und der Rhone. Nicht weit von Coulange faͤngt man an, in den Schlund der Berge hinein zu fahren, durch welchen ſich in uralten Zeiten die Rhone den Weg nach Frankreich hinein eroͤffnet zu haben ſcheint. We - nigſtens iſt der Paß queer durch den Berg ſo enge, daß die Rhone die ganze Breite deſſelben einnimmt. Man kann deutlich ſehen, wie dieſer reiſſende Strom ſich allmaͤhlig ein tieferes Bett durch die Felſen aus - gegraben hat. Jn einer ziemlichen Hoͤhe uͤber die - ſem Bett iſt die Straße an dem rechten Ufer in den Felſen ausgehauen. Nicht weit von dem EingangeFort l'Ecluſe in dieſen Schlund iſt das Fort l'Ecluſe, wo ein ein - ziges befeſtigtes Thor den Paß verſchließt. Es liegen hier wenige Jnvaliden, die aber hinlaͤnglich waͤren, einer ganzen Armee den Paß zu verſperren. Hier muß man einen Paß vorzeigen, ohne den man nicht nach Frankreich hinein kommen kann. Jnsgemein laͤßt man ſich von dem franzoͤſiſchen Reſidenten in Ge - neve einen geben. Jch bediente mich eines allgemei - nen Paſſes mit dem großen Siegel und Unterſchrift des Koͤnigs, den ich aus Berlin mitgebracht hatte. Ehe man aber an dieſes Fort kommt, wird man in Coulange ſcharf viſitirt. Jch mußte an dieſem Ort 12 Livres fuͤr den Eingang in das Koͤnigreich bezah - len, naͤmlich 6 fuͤr mich und eben ſo viel fuͤr meinen Bedienten. Vermittelſt deſſen aber iſt man hernachvon69gethanen Reiſe. von allem Wegegelde, das in Deutſchland ſo oft muß erlegt werden, frey.
Von dem Fort l'Ecluſe geht der Weg viele Meilen weit immer zwiſchen rauhen, groͤßtentheils unfruchtbaren Bergen in beſtaͤndigen Kruͤmmungen hin und her, ſo daß man in einer Stunde kaum eine halbe Stunde weit vorwaͤrts kommt. Man bekommt felten ein Stuͤck angebautes Land an dieſen Bergen zu ſehen. Faſt alles iſt wild und unbewohnt, und die Berge ſind durchgehends mit niedrigem Geſtraͤuch von Buchs bedeckt. Des Abends kam ich ziemlich ſpaͤt, und da es ſchon ganz finſter war, nach Chatillon - Bugey, einen geringen Ort, wo ich in einem ſehr ſchlechten Quartier mein Nachtlager nahm.
Der Weg geht noch immer zwiſchen rauhen Ber - gen durch; doch fangen hier und da die Thaͤler an, fruchtbar und angebaut zu ſeyn. Jn einem dieſer Thaͤler liegt Nantua, ein Staͤdtchen, das eine an - genehme Lage hat. Von da faͤhrt man laͤngſt den Bergen an einem langen und angenehmen See hin. Bey Pont Mailla, wo ich den Mittag blieb, oͤffnet ſich das Land etwas, und man bekommt wieder Aus - ſichten in die Ferne, welches nach der langweiligen Fahrt zwiſchen den Bergen ganz angenehm iſt. Des Abends kam ich nach St. Denis, einen geringen Ort.
Das Land wird offener und fruchtbarer; man trifft auch viele Weinberge an. Auf dieſer Straße traf ich zum erſtenmal auf den Aeckern abgeebnete und feſt getretene Plaͤtze an, auf denen das Korn ausge - droſchen wird. Die Landſtraßen ſind verſchiedentlich mit Maulbeerbaͤumen beſetzt, die aber hier weder groͤßer noch ſchoͤner ſind, als in dem Brandenburgi - ſchen. Doch ſcheinet das Land fruchtbar zu ſeyn. Den Mittag hielt ich in Mont Luel, einem kleinen, aber ſehr angenehm gelegenen Staͤdtchen.
Ungeachtet ich in einem großen und von außen vor den Thoren eine ziemliche Figur machenden Gaſthofe abtrat, fand ich doch inwendig alles von einer ekelhaf - ten Unreinlichkeit, die uͤberhaupt auf dieſer Straße ſehr gewoͤhnlich iſt. Es iſt ſchwer, ſich einen deutli - chen Begriff von der Unempfindlichkeit zu machen, die das Volk in Frankreich gegen alles aͤußert, was Rein - lichkeit, Annehmlichkeit und Ordnung in den Woh - nungen betrifft. Dieſe mir unbegreifliche Unempfind - lichkeit habe ich uͤberall vom Fort l'Ecluſe an bis nach Marſeille angetroffen.
Zu meiner Verwunderung uͤber dieſe Unreinlich - keit und den gaͤnzlichen Mangel an Bequemlichkeit kam noch eine andre hinzu. Jch traf auf der Straße nach der Provence unterſchiedentliche Reiſende von vor - nehmern Stand an, die ebenfalls gegen dieſe Unrein - lichkeit und Unbequemlichkeit unempfindlich ſchienen. Jch habe ſie wenigſtens nie daruͤber klagen, oder ir - gend eine Anmerkung daruͤber machen gehoͤrt. Bis - weilen preßte der Ekel mir einige unmuthige Worteaus,71gethanen Reiſe. aus, und alsdenn bemerkte ich, daß es die Geſellſchaft ſehr befremdete, daß ich unzufrieden uͤber Sachen war, an denen ſie nichts auszuſetzen fanden. So habe ich an verſchiedenen Orten, wo ſonſt die Tafel in Anſe - hung der Speiſen reichlich bedient iſt, geſehen, daß das Waſſer in ſchoͤnen Flaſchen von Cryſtallglas auf den Tiſch geſetzt ward; dieſe Flaſchen aber hatten durch den darauf ſitzenden Schmuz ihre Durchſichtigkeit voͤl - lig verloren; und es iſt wahrſcheinlich, daß ſie nie - mals weder von außen abgewaſchen, noch inwendig ausgeſpuͤlt worden. Aber genug hievon.
Von Mont Luel iſt der Weg nach Lyon ſehrAusſicht ge - gen Lyon. angenehm, und von dem Ort an, wo man dieſe Stadt zuerſt in der Ferne ſieht, hat man eine uͤber - aus praͤchtige Ausſicht. Man faͤhrt nun beſtaͤndig von dem hohen Lande, das laͤngſt dem rechten Ufer der Rhone liegt, allmaͤhlig herunter. Zur linken Seite ſiehet man dieſen Fluß durch die Ebene fortflieſ - ſen, und jenſeit deſſelben hat man erſt ein weites ebe - nes Land, hinter demſelben aber die hohen Berge der Provinz[Dauphiné]. Vor ſich ſieht man den Strom gegen Lyon hinfließen, von welcher Stadt man die an dem Ufer deſſelben liegenden hohen Haͤuſer in einer betraͤchtlichen Entfernung erblickt. Je naͤher man ge - gen die Stadt kommt, je praͤchtiger wird dieſe Ausſicht.
Das rechte Ufer der Rhone iſt hier mit Bergen und Hoͤhen beſetzt, die ſich bis Lyon und dann noch weiter herunter erſtrecken. An dieſen Bergen, in ei - ner ziemlichen Hoͤhe uͤber dem Fluß, geht die Land - ſtraße mit dem Fluß parallel, ſo daß man rechter Hand der Straße keine Ausſicht hat. Etwa eine hal -E 4be72Tagebuch von einer nach Nizzabe Stunde vor Lyon kommt man endlich von den Hoͤ - hen an den Fluß herunter. Dieſe Straße iſt vor nicht langer Zeit gemacht worden. Die Berge gien - gen ſteil bis in den Fluß herunter, ſo daß an dem Ufer keine Straße war. Jetzt hat man von dem Fuß des Berges ſo viel abgetragen und eben gemacht, daß man eine ſchoͤne und breite Heerſtraße gewonnen hat. An vielen Orten aber iſt der Berg ſo ſteil abgeſtochen, daß zu beſorgen iſt, er werde hier und da nachſinken und die Straße verſchuͤtten; denn dieſe Berge beſtehen nicht aus Felſen, ſondern aus Erde mit vielen Stei - nen vermiſcht. Vermittelſt dieſer neuen Straße kommt man jetzt von dieſer Seite her, gerade an dem fuͤrtrefflichen Kay der Rhone in die Stadt, da man ehedem oben uͤber die Berge weg erſt in den obern oder noͤrdlichen Theil der Stadt gekommen.
Nahe an der Stadt ſind viel ſchoͤne neue Haͤuſer, meiſt Gaſthoͤfe, laͤngſt der Straße ſo an die Berge gebaut, daß ſie an der hintern Seite ſich ganz an die - ſelben anſchließen. Man muß annehmen, daß die Baumeiſter die Beſchaffenheit dieſer Berge genau wer - den unterſucht haben, um ſich zu verſichern, daß ſie nicht werden nachdruͤcken und die daran gebauten Haͤu - ſer fortſtoßen. Dem Anſehen nach ſollte man dieſes beſorgen; wenigſtens koͤnnte bey dem geringſten Erdbe - ben ſich dieſer Unfall leicht zutragen.
Gegen ſechs Uhr langte ich in Lyon an. An dem Thore wurde mein Gepaͤck bis auf das kleinſte Packet durchgeſucht; und ich waͤre wegen eines kleinen Reſtes von etwa einer Unze Schnupftabak in einer bleyernen Doſe beynahe in verdrießliche Weitlaͤuftig - keit gerathen. Aber die Billigkeit des Oberaufſehersder73gethanen Reiſe. der Douane half mir nach einem halbſtuͤndigen Di - ſputiren uͤber dieſen Fall endlich heraus.
Die Weiten der auf dieſer Straße liegenden Oer - ter ſind folgende:
Von Genthod auf Coulange | 72663 Fuß od. 2 $$\frac {23}{25}$$ Meil. |
‒ Coulange auf Chatillon | 52368 — — 2 $$\frac {2}{25}$$ — |
‒ Chatillon auf Nantua | 60882 — — 2 $$\frac {11}{25}$$ — |
‒ Nantua auf Pont Mailla | 28355 — — 1 $$\frac {3}{25}$$ — |
‒ P. Mailla auf St. Denis | 102509 — — 4 $$\frac {2}{25}$$ — |
‒ St. Denis auf Mont Luel | 78484 — — 3 $$\frac {3}{25}$$ — |
‒ Mont Luel auf Lyon | 66409 — — 2 $$\frac {16}{25}$$ — |
Jn allem | 461670 Fuß od. 18½ Meil. |
Fuͤr die Fuhre von Genthod nach Lyon bezahlte ich 60 franz. Livres, oder 15 Rthlr.
Den 19 October und den 20 bis Mittag hieltLyon. ich mich in Lyon auf. Es that mir doch leid, mich noch nicht ſtark genug zu fuͤhlen, dieſe ſchoͤne Stadt und ihre Merkwuͤrdigkeiten, ſo wie ich gewuͤnſcht haͤt - te, zu beſehen. Der Hr. D. Raſt, ein Arzt und Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften in Lyon, dem ich von Geneve aus war empfohlen worden, hat - te die Gefaͤlligkeit, die kurze Zeit uͤber, die ich mich hier aufhielt, mein Geſellſchafter zu ſeyn.
Jnsgemein wird Lyon fuͤr die zweyte Stadt des Koͤnigreichs gehalten. Der untere und groͤßere Theil der Stadt, den ich allein geſehen habe, liegt auf ei - nem ganz ebenen Grunde zwiſchen der Rhone und der Saone, die ſich an der Abendſeite der Stadt vereini - gen. Der letztere dieſer Fluͤſſe fließt durch die Stadt und trennt den noͤrdlichen Theil derſelben, der auf ei -E 5ner74Tagebuch von einer nach Nizzaner betraͤchtlichen Anhoͤhe liegt, von dem ſuͤdlichen. Die Rhone fließt an der Mittagsſeite der Stadt in ge - rader Linie laͤngſt derſelben hin; an dem weſtlichen En - de der Stadt wendet ſie ſich ploͤtzlich gerade nach Nor - den hin, und beſpuͤlt ſie hier auch nach ihrer Breite, um ſich hernach mit der Saone zu vereinigen. Von da fließen die vereinigten Fluͤſſe laͤngſt der am rechten Ufer liegenden hohen, mit Weinbergen und einer Men - ge Luſthaͤuſer beſetzter Berge gerade gegen Abend fort, wenden ſich aber bald, um den Lauf gegen Mittag fortzuſetzen.
Fuͤrtrefflich iſt hier die Waſſerſtraße, oder der Kay, an der Mittagsſeite der Stadt laͤngſt der Rho - ne. Sie iſt eine halbe Stunde lang gerade an dem Fluße mit einem ſchoͤnen Ufer von Quaderſteinen ein - gefaßt, an der andern Seite aber mit lauter großen und ſchoͤnen Gebaͤuden beſetzt. Ueberall hat man von dieſem Kay die freye Ausſicht uͤber die Rhone, und uͤber ein ſehr weites jenſeit derſelben liegendes Land. Nur Schade, daß dieſe fuͤrtreffliche Straße, die den ganzen Tag uͤber den vollen Sonnenſchein hat, nicht mit Baͤumen beſetzt iſt. Denn um die Mittagsſtun - de muß im Sommer die Hitze hier ſehr beſchwerlich ſeyn. Nur an der Abendſeite der Stadt, wo die Rhone nach der Saone hinfließt, iſt das Ufer zwi - ſchen der Stadt und dem Fluß mit Baͤumen beſetzt, und zu Spaziergaͤngen bequem gemacht. Unter den großen an gedachtem Kay liegenden Gebaͤuden iſt das große Krankenhaus, oder ſogenannte Hotel de Dieu, das groͤßte und ſchoͤnſte, und gleicht von außen eher einem koͤniglichen Palaſt, als einem Kranken - hauſe.
Die75gethanen Reiſe.Die Straßen der Stadt ſind zwar etwas eng; aber durchgehends ſind die Haͤuſer wohl gebaut und von weit beſſerem Geſchmack, als in den ſchoͤnſten und groͤßten Staͤdten in Deutſchland. Hier und da ſiehet man wirklich praͤchtige Gebaͤude, wie z. B. das Hotel de Ville, das in jedem Lande von Europa fuͤr ſchoͤn wuͤrde gehalten werden; wiewohl es etwas zu viel verziert iſt. An denſelbigen Platz ſtoͤßt auch ein anderes ſehr großes und ſchoͤnes Gebaͤude, das einem Kloſter oder einer Congregation, deren Namen ich vergeſſen habe, gehoͤrt. Außer dem ſchoͤnen und groſ - ſen Marktplatz vor dem Hotel de Ville, hat die Stadt noch einen der ſchoͤnſten und groͤßten Plaͤtze von Euro - pa, der von der darauf ſtehenden Statue equeſtre Ludwigs des Vierzehnten la Place de Louis le Grand genennt wird. An einer Seite deſſelben iſt ein angenehmer, mit etlichen Reihen ſchoͤner hoher Baͤume beſetzter Spaziergang.
Meine meiſte Aufmerkſamkeit zog hier eine nochGroßes Un - ternehmen die Stadt zu erweitern. nicht ganz ausgefuͤhrte große Unternehmung zur Er - weiterung der Stadt auf ſich: eine Unterneh - mung, die durch ihre Groͤße und Kuͤhnheit merkwuͤr - dig iſt, und einen Beweis von dem unternehmenden Geiſt der Franzoſen giebt.
Jch habe geſagt, daß an dem weſtlichen Ende der Stadt die Rhone ihren Lauf von Morgen nach Abend ploͤtzlich aͤndere, und gerade nach Norden ge - gen die Saone hinfließe. Von dieſem Ellbogen an aber geht doch ein ſeichter Arm gerade fort in der Rich - tung von Morgen gegen Abend. Ohngefaͤhr eine hal - be Stunde unterhalb der Stadt vereinigt ſich dieſer Arm wieder mit dem Hauptſtrom, der nun auch dieSaone76Tagebuch von einer nach NizzaSaone aufgenommen hat. Dadurch entſtund alſo an der Abendſeite der Stadt eine lange dreyeckige Jnſel, die wegen ihrer niedrigen Lage den Ueberſchwemmun - gen ausgeſetzt und unbebaut war. Ein ſehr geſchickter lyoniſcher Kuͤnſtler und Baumeiſter, Namens Per - rache, entwarf den Plan durch Bebauung des obern und breiten Theils dieſer Jnſel, nicht nur die Stadt anſehnlich zu vergroͤßern, ſondern ihr zugleich noch an - dre betraͤchtliche Vortheile zu verſchaffen. Dieſer große und kuͤhne Plan begreift hauptſaͤchlich drey wich - tige Punkte.
Erſtlich ſollte der Hauptſtrom der Rhone gerade da, wo er den Ellbogen macht, um zwiſchen der Stadt und der Jnſel gegen die Saone hinzufließen, zu - gedaͤmmt, und dadurch gezwungen werden, ſeinen ge - raden Lauf von Morgen gegen Abend laͤngſt gedachter Jnſel fortzuſetzen, und ſich erſt an der Spitze derſel - ben mit der Saone zu vereinigen. Der Kay laͤngſt der Stadt ſollte alſo in gerader Linie bis an die untere Spitze der Jnſel verlaͤngert werden, wodurch er eine voͤllige franzoͤſiſche Lieue lang wuͤrde. An dem untern Ende der Jnſel ſollte eine ſteinerne Bruͤcke uͤber die Saone gebaut werden, vermittelſt welcher man an das rechte Ufer dieſes Fluſſes, von da aus aber durch eine neue anzulegende Straße nach den innern Provinzen von Frankreich durch einen beſſern und weit beque - mern Weg kommen ſollte. Dies waͤre der erſte Vor - theil des Projekts.
Zweytens ſollte das zuzudaͤmmende Bette der Rhone an der Abendſeite der Stadt ausgefuͤllt, mit - hin die Jnſel unmittelbar an die Stadt gehaͤngt, und da ein großes und neues Quartier der Stadt gebautwer -77gethanen Reiſe. werden, und zwar ſo, daß die jetzigen gerade von Morgen nach Abend laufenden Straßen der Stadt durch das neue Quartier in gerader Linie fortlaufen, und folglich um ein merkliches verlaͤngert werden ſollten. Von der Jnſel ſollte ſo viel neu angebaut werden, daß die - ſes neue Quartier die Stadt ohngefaͤhr um den vierten Theil ihrer jetzigen Groͤße vermehren ſollte. Dies iſt der zweyte Hauptpunkt.
Drittens ſollte mitten durch die Jnſel herunter ein aus Quaderſteinen gemauerter Canal geſuͤhrt wer - den. Dieſer ſollte aus einem großen, in dem neuen Quartier anzulegenden Waſſerbehaͤltniß, dahin aus der Rhone und Saone vermittelſt anzulegender Schleuſ - ſen das Waſſer nach Belieben geleitet werden ſollte, geſpeiſet und unterhalten werden. Das Waſſer die - ſes Canals ſollte zufolge der geſchehenen Abwaͤgung des Bodens einen hinlaͤnglichen Fall bekommen, um ſtehende Muͤhlen zu treiben; ſo daß an dieſem Canal am Ende des neuen Quartiers der Stadt 25 ſtehende Muͤhlen koͤnnten angelegt werden. Dieſes iſt einer der Hauptpunkte; denn Lyon hat gegenwaͤrtig nur Schiffmuͤhlen in dem Strom der Rhone; und es iſt ſchon mehrmals geſchehen, daß mehrere derſelben bey hohem Waſſer, oder ſtarkem Eisgang weggefuͤhrt worden, wodurch ein ploͤtzlicher Mangel an Mehl ent - ſtanden, der nothwendig in einer ſo volkreichen Stadt große Unruhen verurſachen muß. Nach Erbauung der neuen ſtehenden Muͤhlen ſollten alſo dieſe unſichern Schiffmuͤhlen eingehen.
Dieſes iſt alſo das große Projekt des Herrn Per - rache, der, nachdem alles wohl uͤberlegt worden, ei - nen Plan des ganzen Werks gezeichnet und der Stadtuͤber -78Tagebuch von einer nach Nizzauͤbergeben hat. Der Anſchlag der Koſten zur Aus - fuͤhrung deſſelben belaͤuft ſich ohngefaͤhr auf vier Mil - lionen Livres, zu deren Herbeyſchaffung eine Geſell - ſchaft von Actionairs ſollte errichtet werden. Nach unzaͤhligen Schwierigkeiten und Widerſpruͤchen iſt end - lich der ganze Plan an den Hof eingeſchickt, und in dem Staatsrath gut geheiſſen worden. Hierauf wur - de die Geſellſchaft der Actionairs errichtet, und an die Ausfuͤhrung dieſes großen Werks Hand gelegt. Bis jetzt ſollen 1600000 Livres wirklich verwendet ſeyn, und man verſicherte mich, daß nun die Actien in ih - rem Werth ſchon merklich geſtiegen ſeyn. Die Ge - ſellſchaft gedenket ſich ihrer Auslagen dadurch ſchadlos zu halten, daß ſie das Eigenthum uͤber die Jnſel, uͤber den Grund und Boden des neuen Quartiers, und uͤber die Muͤhlen bekommt. Einen Theil der Bau - ſtellen des neuen Quartiers verkauft ſie wieder an ſol - che, die Luſt haben, Haͤuſer darauf zu bauen; was auf dieſe Art nicht verkauft wird, wird die Geſell - ſchaft ſelbſt bebauen, und hernach die fertigen Haͤuſer entweder verkaufen oder vermiethen.
Da dieſe Stadt ſehr volkreich iſt, und ſich noch immer aufnimmt, ſo war dieſes der einzige Weg, ſie zu erweitern, da von keiner andern Seite als gegen dieſe Jnſel eine Vergroͤßerung der Stadt moͤglich iſt, die an der Nordſeite durch hohe Berge, an der Mit - tagsſeite durch die Rhone eingeſchraͤnkt, an der Oſt - ſeite aber, wegen der unmittelbar an die Rhone ſtoſ - ſenden Berge, keiner Erweiterung faͤhig war.
Jch fuhr auf die oft erwaͤhnte Jnſel hin, um den angefangenen Bau in Augenſchein zu nehmen. Die Zudaͤmmung der Rhone nach der Saone hinwar79gethanen Reiſe. war bereits ſchon ziemlich weit getrieben, und die bey - den Ufer des ſeichten gerade ausgehenden Stroms, durch den kuͤnftig die Rhone fließen ſoll, waren bereits befeſtiget. Sie ſind ſo gemacht, daß die Ufer eine Boͤſchung oder Abdachung von ohngefaͤhr 45 Graden haben. Um das Einreiſſen des Waſſers zu verhin - dern, ſind dieſe Ufer mit großen Steinen, die, wie bey Pflaſterung der Straßen, blos in die Erde einge - ſetzt werden, belegt. Mir ſchien dieſe Befeſtigung der Ufer eines ſo ſchnellen und ſo gewaltig anwachſen - den Stroms doch etwas unzuverlaͤßig. Doch wird die Sicherheit dadurch vermehrt, daß der Strom ſei - nen Lauf in voͤllig gerader Linie fortſetzet.
Viele hundert Menſchen waren beſchaͤfftiget, das neue Bett, wodurch die Rhone kuͤnftig fließen ſoll, auszuraͤumen und zu vertiefen. Der herausgenom - mene Schutt wird zur Erhoͤhung der Jnſel gebraucht. Die Straße am Ufer, oder der neue Kay laͤngſt der Jnſel herunter, war bereits fertig, und durchaus mit ſchoͤnen hohen Pappeln beſetzt. Auch war das große Waſſerbehaͤltniß auf der Jnſel, und ein Theil des durch dieſe zu fuͤhrenden Canals meiſt fertig, und man war mit Erbauung der Muͤhlen an dieſem Canal be - ſchaͤfftigt. Es war ein ſchoͤnes Schauſpiel, mehr als tauſend Menſchen an verſchiedenen Gegenden mit Aus - fuͤhrung eines ſo wichtigen Werks beſchaͤfftigt zu ſehen. Jch hatte das Vergnuͤgen, den Hrn. Perrache bey dieſer Gelegenheit zu ſehen, und er hatte die Gefaͤllig - keit, mir nicht nur den Hauptplan des ganzen Werks, ſondern auch die Zeichnungen der beſondern Hauptthei - le deſſelben, beſonders der Muͤhlen, wo er ſehr ſinn - reiche Erfindungen angebracht hat, zu zeigen; dabeyent -80Tagebuch von einer nach Nizzaentwickelte er alle Schwierigkeiten und die Einwendun - gen, die man gegen das Werk gemacht hat, nebſt ſeinen Beantwortungen. Es ſchien mir, daß er al - les hinlaͤnglich uͤberlegt, und zum Theil mit viel Ge - nie, die Schwierigkeiten zu uͤberwinden, hinlaͤngliche Mittel erfunden habe. Jndeſſen ſind noch immer ge - nug Leute in Lyon, die behaupten, das große Unter - nehmen werde fehlſchlagen.
Weil ich im Ruͤckwege nach meinem Gaſthof an die Kirche der Parochie d'Enay kam, ſtieg ich aus, um dieſelbe inwendig zu ſehen, weil man mir geſagt hatte, daß einige Ueberbleibſel von roͤmiſcher Bau - kunſt darin zu ſehen ſeyn. Der Chor dieſer Kirche hat eine Cupel, die auf vier ſtarken Saͤulen von Gra - nit ruhet, deren Schafft aus einem Stuͤck gehauen iſt. Da vor alten Zeiten die Ara Auguſti hier geſtanden hat, ſo vermuthet man, daß dieſe Saͤulen von der - ſelben genommen worden. Die Vermuthung iſt wahrſcheinlich; denn die Verhaͤltniſſe dieſer Saͤulen, und die Glieder an Fuß und Capital ſind wirklich an - tik. Außerdem ſiehet man deutlich, daß dieſe Saͤu - len nicht zu dieſem Bau verfertiget, ſondern von ei - nem andern genommen worden; naͤmlich zwey davon, die zunaͤchſt an dem Altar ſtehen, ſind auf einen hoͤ - hern Grund geſetzt, als die beyden andern. Weil ſie alſo zu hoch wuͤrden geweſen ſeyn, ſo hat man, um ſie mit den andern gleich hoch zu machen, unten am Stamm etwas davon abgeſchnitten; daher fehlet ih - nen der Unterſaum mit dem Anlauf, welche beyde an den andern tiefer ſtehenden vorhanden ſind. Der Diameter dieſer Saͤulen unten am Stamm iſt beynahe vier rheinlaͤndiſche Fuß.
DenDen folgenden Morgen beſuchte ich den Hrn. D. Raſt, der ganz nahe an meinem Gaſthofe wohnte. Er zeigte mir ein merkwuͤrdiges antikes Monument, das einer ſeiner Freunde vor einigen Jahren aus Ae - gypten gebracht hatte. Es iſt eine ſteinerne Tafel, etwa vier Fuß hoch, und halb ſo breit, durchaus mit gottesdienſtlichen Vorſtellungen in ganz flachem Schnitzwerk angefuͤllt. Sie ſtellet in drey uͤberein - ander ſtehenden Abtheilungen dreyerley gottesdienſtli - che Gebraͤuche vor. Jn jeder Abtheilung ſiehet man andre Gottheiten, und Prieſter in andern Stellungen, Kleidungen und Verrichtungen. Außer dieſen Figuren ſind in jeder Abtheilung hieroglyphiſche Figuren, auch Schriften, die nicht hieroglyphiſch, ſondern mit Buchſtaben geſchrieben ſind. Das ganze Monument iſt wohl erhalten, und ſo wenig abgenutzt, daß faſt uͤberall noch die Farben, womit die Figuren bemalt geweſen, zu erkennen ſind. Jch vermuthe, daß Ken - ner der aͤgyptiſchen Alterthuͤmer an dieſem Monument, wenn es einmal durch eine gute Zeichnung wird be - kannt gemacht ſeyn, wichtige Beobachtungen machen werden*)Dieſe Zeichnung fuͤgen wir hier bey, aus Achtung fuͤr den Verfaſſer und fuͤrs Publikum. d. Verleger..
Auf den Mittag trat ich die Reiſe nach Marſeil - le an. Jch hatte erſt den Gedanken, mich bis Avi - gnon des ſogenannten Coche d'eau, eines oͤffentli - chen Schiffes zu bedienen, das zweymal in der Wo - che von hier die Rhone herunter geht. Es wurde mir aber widerrathen. Man ſagte mir, daß oft ſchlechte Geſellſchaft auf dieſem Schiffe zuſammen komme,daßF82Tagebuch von einer nach Nizzadaß die Fahrt nicht ohne Gefahr ſey, daß man ſehr ſchlechte Nachtlager bekomme, und daß man zur Herbſtzeit, wenn dicke Nebel, oder widriger Wind ſich einfinden, lang unterweges bleibe. Alſo ließ ich dieſen Vorſatz fahren. Es war mir um ſo viel lieber, da in dem Gaſthofe, wo ich abgetreten war, eben drey Fuhrleute waren, die alle ledig nach Marſeille zu - ruͤckfahren wollten. Jch waͤhlte ein ſchoͤnes und be - quemes Cabriolet auf vier Raͤdern, und bedung die ganze Fuhre bis Marſeille fuͤr 54 Livres, da ſonſt der Preis eines ſolchen Fuhrwerks, wenn man nicht ſolche Gelegenheiten findet, 10 bis 12 Louisd'or iſt. Jn Lyon fehlt es ſelten an ſolchen Gelegenheiten, da die Hauptſtraßen in Frankreich beſtaͤndig mit Rei - ſenden angefuͤllt ſind. Jch hatte das Gluͤck, einen ſehr verſtaͤndigen, ungemein gefaͤlligen, und auf jeden Wink von mir aufmerkſamen Poſtillon zu bekommen.
Von Lyon aus bis nach Avignon geht die Land - ſtraße laͤngſt dem linken Ufer der Rhone. Man hat zwar den Fluß ſelten im Geſicht, aber die Berge und Huͤgel, die ſein linkes Ufer zieren, und ungemein ſchoͤne Ausſichten bilden, verliert man auf der ganzen Straße faſt nie aus dem Geſicht. Es iſt bekannt, daß die Provinz[Dauphiné], durch die dieſe Straße geht, eben nicht die fruchtbarſte iſt. Sie beſteht meiſt aus Bergen, die zwar an der Seite gegen die Rhone zu nicht ſehr hoch, aber rauh und von geringer Fruchtbarkeit ſind. Die Ruͤcken dieſer Berge ſind meiſtens breit und eben, ſo daß ſie koͤnnten bebautwer -83gethanen Reiſe. werden: aber das Ackerland darauf iſt ſehr ſteinig und trocken.
So viel man auf dem Wege von Lyon nach Vienne von dem Lande ſieht, iſt es ſchlecht und we - nig bewohnt. Einige Doͤrfer, die man nicht ſehen kann, ſollen in der Tiefe an der Rhone liegen. Auf der Hoͤhe, uͤber welche die Straße geht, trifft man nur einzelne Bauerhaͤuſer, aber auch nicht in Menge, an. Das Land iſt laͤngſt der Straße zwar uͤberall an - gebaut; es beſteht aber groͤßtentheils aus hohen, ma - gern Kornfeldern, und etwas Weinland. Wieſen ſind da gar nicht zu ſehen, auch keine Waͤlder. Das Gehoͤlze, das man von weitem an den Bergen ſieht, iſt auch ſehr mager, und beſteht mehr aus Geſtraͤuch als aus hohen Baͤumen.
Nicht weit von Vienne faͤhrt man von dem hohen Lande in ein angenehmes Thal herunter, das zwiſchen der Rhone und den daneben ſtehenden ſteilen Bergen liegt; es iſt ſchmal, aber fruchtbar und ſehr angenehm. Der Fuß der Berge iſt mit Weinreben bepflanzt; in dem Thal ſelbſt ſind Wieſen und gute Aecker; die Straße aber iſt mit Baͤumen beſetzt. Aus der Menge der vor der Stadt mir begegnenden Geiſtlichen ſchloß ich, daß dieſes kleine Gelaͤnde den muͤßigen Einwoh - nern zum Spazierengehen dienet: und dazu iſt es ganz angenehm.
Vienne liegt laͤngſt dem hier etwas hohen UferVienne. der Rhone, auf einem ſchmalen Strich ebenen Landes. Denn gleich hinter der Stadt erheben ſich ſehr ſteile, aus kahlen Felſen beſtehende, doch hier und da mit et - was Geſtraͤuch bekleidete Berge. Gegen den Fuß ſind ſie auch hier und da mit Weinreben bepflanzt. F 2Sie84Tagebuch von einer nach NizzaSie ſtehen ſo dicht neben der Stadt, daß einige et - was vorſtehende einzelne Huͤgel noch mit in den Be - zirk derſelben eingeſchloſſen ſind. Ein enger ſehr me - lancholiſcher Weg geht zwiſchen der Stadt und dieſen Bergen hin, die ein ſehr wildes und trauriges Anſe - hen haben. Dadurch aber iſt die Stadt vor den rau - hen aus den Gebuͤrgen kommenden Oſtwinden voͤllig gedeckt.
Deſto ergoͤtzender iſt die Ausſicht von dem hohen Ufer der Rhone an der Abendſeite der Stadt auf den Fluß, das gegenuͤber liegende und durch eine Bruͤcke mit Vienne verbundene Ste. Colombe, und die ſchoͤ - nen am rechten Ufer liegenden Huͤgel und Weinberge. Man hat alſo hier eine melancholiſche Wuͤſte auf der einen, und eine erquickende Gegend auf der andern Sei - te der Stadt.
Zwiſchen der Vorſtadt, durch die man von Lyon aus nach Vienne kommt, und der Stadt rauſchet ein wilder Bach nach der Rhone hin, an welchem verſchiedene Gerbereyen, Papiermuͤhlen und andere nuͤtzliche Werke angelegt ſind. Die Stadt ſelbſt iſt von finſterm melancholiſchen Anſehen, hat ſehr enge und zum Theil ekelhafte Straßen, ſo daß man froh wird, wieder zum Thor herauszukommen. Ange - nehmer iſt die Vorſtadt, wo ich auch abgetreten war. Es war mir zu ſpaͤt, die verſchiedenen in der Stadt befindlichen roͤmiſchen Alterthuͤmer zu be - ſehen.
Jch fuhr mit Anbruch des Tages durch die Stadt. Nicht weit von derſelben faͤhrt man an einem kleinen Feld an der Rhone vorbey, auf welchem ein artiges vollkommen wohl erhaltenes roͤmiſches Monu - ment ſteht, das die Einwohner das Grabmal des Pi -Grabmal des P. Pilatus. latus nennen, der nach der Tradition hieher verwie - ſen und ſich ſelbſt hier umgebracht haben ſoll. Es be - ſteht aus einer von Quaderſteinen aufgefuͤhrten etwa 30 Fuß hohen Pyramide, die auf einem auf vier Pfei - ler geſetzten, 6 bis 7 Fuß hohen Gewoͤlbe ruhet, ſo daß man unter der Pyramide durchgehen kann.
Von Vienne aus hat man eine Zeit lang die Ber - ge, an denen die Stadt liegt, linker Hand, und ei - nen ſchmalen aber guten Strich ebenes Land rechter Hand gegen die Rhone zu. An dieſen Bergen iſt et - wa eine halbe Stunde unter der Stadt die ſogenannte Cote rotie, von welcher der dort wachſende gute rothe Wein ſeinen Namen hat. Die Landſtraße iſt abwech - ſelnd, bald mit Maulbeer-bald mit Wallnußbaͤumen beſetzt. Das hoͤhere Land, woruͤber weiter hin die Straße geht, iſt ſehr rauh und ſteinig, und man fin - der hier betraͤchtliche Strecken, die gar nicht angebaut ſind; daher man auch nur wenig einzele Wohnungen fuͤr Landleute hier antrifft.
Ein paar Stunden unter Vienne kommt man durch ein kleines Staͤdtchen Auberive, das gerade in ein Ravin oder enges Tobel gebaut iſt, zur Seite aberF 3ein86Tagebuch von einer nach Nizzaein kleines ſehr reizendes und fruchtbares Thal hat, das um ſo viel mehr ergoͤtzt, weil das Land herum ſo rauh und ſo unfruchtbar iſt. Auf einem Huͤgel neben dem Staͤdtchen liegt ein großes zerſtoͤrtes Schloß, der - gleichen man in dieſer Provinz viele findet. Hiebey fiel mir ein Gedanke wieder ein, den ich ſchon oft ge - habt habe, wie angenehm es waͤre, wenn man topo - graphiſche Charten haͤtte, die von alten Zeiten her je - den ſich deſonders auszeichnenden Zuſtand der Laͤnder in einer Folge vorſtellten. Vermittelſt ſolcher Charten wuͤrde man den Zuſtand eines Landes in jedem beſon - dern Zeitalter mit einem Blick uͤberſehen. Die Fol - ge der Charten aber wuͤrde uns die allmaͤhligen Ver - aͤnderungen deſſelben anſchauend erkennen laſſen. Die - ſe Sache fuͤr die laͤngſt verfloſſenen Jahrhunderte vor - zunehmen, wuͤrde jetzt ſehr ſchwer, wo nicht unmoͤg - lich ſeyn; und doch koͤnnte, wenigſtens von den letz - ten tauſend Jahren her, von welcher Zeit noch viele Monumente und Documente vorhanden ſind, noch et - was anſehnliches geleiſtet werden. Am beſten aber koͤnnte ein ſolcher Plan zur Fortſetzung in kuͤnftigen Zeiten, in Anſehung der erſt ſeit kurzem von den Eu - ropaͤern angebauten Laͤnder in fremden Welttheilen, jetzt angefangen werden, wenn man z. B. von jeder der engliſchen Colonien in Amerika, welches nun noch ziemlich gut geſchehen koͤnnte, topographiſche Charten machte, davon die erſten den Zuſtand des Landes beym Eintritt der erſten Colonie in daſſelbe, die folgenden aber jeden merklich veraͤnderten Zuſtand von 50 zu 50, oder von 100 zu 100 Jahren vorſtellten, womit man hernach kuͤnftig ſo fortfahren wuͤrde; ſo bekaͤme die Nachwelt einen ſeltenen Schatz von topographiſchenChar -87gethanen Reiſe. Charten, von den verſchiedenen auf einander folgen - den Einrichtungen der Laͤnder.
Gegen Mittag kam ich in ein Dorf Rouſſillon,Gegend um Rouſſillon. oder Peage de Rouſſillon. Auf einer Anhoͤhe neben dem Dorfe ſiehet man noch die Ringmauern eines al - ten Staͤdtchens, und mitten in denſelben auf einem hohen einzelnen Felſen ein altes Gemaͤuer, vermuth - lich von einem feſten Thurm. Die Lage dieſes Orts ſchien mir ſo angenehm, daß ich verſuchte, waͤhrend der Zeit da mein Mittageſſen zubereitet wuͤrde, einen Spaziergang auf das Feld zu thun, da ich bereits von dieſer Reiſe eine Vermehrung meiner Kraͤfte ver - ſpuͤrte.
Die Berge und Huͤgel, die laͤngſt der Rhone am linken Ufer herunter laufen, wenden ſich von dieſem Orte an von dem Fluß ab gegen das Land hinein, zie - hen ſich dem Anſcheine nach in einem halben Zirkel herum, und wenden ſich hernach wieder bis an die Rhone. Jch hatte alſo vor dem Dorfe Rouſſillon gegen Mittag hin eine betraͤchtliche Flaͤche ebenes Lan - des in Form einer halben Zirkelflaͤche, deren Diame - ter laͤngſt der Rhone lag, vor mir. Von den An - hoͤhen bey dem Dorfe uͤberſieht man ſie ganz; und da ſie durchaus ziemlich dicht mit Maulbeerbaͤumen beſetzt iſt, ſo hat ſie das Anſehen eines einzigen ſehr großen Baumgartens. Jndeſſen iſt der Acker, wenn man ihn in der Naͤhe ſieht, ſchlecht, und ſo ſehr mit Kie - ſelſteinen bedeckt, daß man an vielen Orten zwiſchen den Steinen kaum einer Hand breit Erde ſehen kann. Verſchiedene Aecker ſehen wirklich wie ein gepflaſterter Platz in einer Stadt aus; dennoch ſind ſie mit vielen Baͤumen beſetzt, und das Land unter denſelben wirdF 4gepfluͤ -88Tagebuch von einer nach Nizzagepfluͤget, und iſt, wie aus den noch liegenden Hau - fen des kurz vor meiner Ankuͤnft abgeſchnittenen Hei - dekorns oder Buchweizens abzunehmen war, eben nicht unfruchtbar.
Es iſt hier ziemlich gemein, die Felder durch An - ſaͤung des oben (bey der Tagreiſe vom 6 Septemb.) gedachten Lupinus zu duͤngen. Denn hier fehlt es an dem gewoͤhnlichen von dem Zugvieh kommenden Duͤnger, weil wegen Mangel des Futters ſolches Vieh faſt gar nicht gehalten wird. Nichts iſt einfa - cher, als der hieſige Pflug, der hier im Proſil abge - zeichnet iſt.
Er beſteht aus einem vierkantigen, vier bis fuͤnf Zoll dicken Stuͤck Holz A B, an deſſen vorderes Ende eine ſtarke, etwa 10 Zoll lange eiſerne Spitze A C befeſtiget iſt. Dieſes Stuͤck liegt gerade auf der Er - de auf. D und E ſind hoͤlzerne in das Hauptſtuͤck ein - gelaſſene Aerme. An den vordern E wird das Vieh angeſpannt; an dem hintern D aber haͤlt der Land - mann den Pflug, um ihn zu lenken. Der hoͤlzerne Nagel F dienet, den vordern Arm, oder die Deichſel, nach der Groͤße des vorzuſpannenden Viehes, etwas hoͤher oder niedriger zu ſtellen. Wenn der Pflug von hinten ein wenig gehoben wird, dringt die eiſerne Spitze C mehr oder weniger in die Erde, und reißt ſie beym Fortruͤcken des Pfluges auf. Gegen das hin - tere Ende B wird das Holz allmaͤhlig etwas dicker, um die mit der Spitze aufgeriſſene Furche etwas zu erweitern.
Mit dieſem Pfluge bearbeitet der Landmann ſeinen Acker mit ausnehmender Genauigkeit. Die Furchen ſind ſo gerade, als wenn jede nach der Schnur gezo - gen waͤre; die Aecker ſind ſo genau im Viereck, als wenn die aͤußerſten Furchen nach einem angeſetzten Winkelmaaß abgeſtochen waͤren; der ganze Acker aber ſo eben, wie mit der Bleywaage abgewogen. Die - ſes giebt dem Felde das Anſehen eines in viereckige Beete abgetheilten Gartens, und man kann es nicht ohne Vergnuͤgen uͤberſehen.
Das Dorf, oder der Flecken Rouſſillon iſt ge - ring und ſcheint arm zu ſeyn. Es ſind eine Menge Gaſthoͤfe darin, ſo wie in allen Doͤrfern und Staͤdten auf dieſer ungemein lebhaften Landſtraße, auf der man beſtaͤndig Poſtchaiſen, Landkutſchen, zu PferdeF 5Rei -90Tagebuch von einer nach NizzaReiſende, und uͤberdem bald jede Minute mit Baum - wolle beladene Frachtwagen antrifft. Luſtig ſind ins - gemein die an dieſen Gaſthoͤfen, die ganze Breite der Vorderſeite des Hauſes einnehmenden Namen derſel - ben. Jch ſah an der Faßade einer elenden zwey Fen - ſter breiten Huͤtte mit erſtaunlich großen ſehr zierlichen Buchſtaben die Aufſchrift: Grand hotel à la belle fontaine. An einer andern Huͤtte las ich: au Caffé royal et noble jeu de Billard.
Die Haͤuſer ſind hier, wie auch an andern Orten dieſer Provinz, maſſiv von Feldſteinen aufgemauert, und ſo, daß die Mauern eine Art von Moſaique vor - ſtellen, wie aus dieſer Zeichnung zu ſehen iſt.
Zu jeder Schicht ſind Steine von einerley Groͤße und Figur ausgeſucht, und ſo eingemauert, daß ſie alle ſich nach der rechten oder linken Seite neigen, naͤmlich abwechſelnd, eine Schicht rechts, die andre links. Zwiſchen zwey ſolchen Schichten liegt allemal eine Schicht duͤnner flachliegender Steine, und ſo wird die Mauer durch ihre ganze Hoͤhe fortgeſetzt. Die Haͤuſer ſind von außen nicht mit Kalk beworfen, außer einer etwa zwey Fuß breiten Bande, die zwiſchen dem untern und erſten Stock durch die ganze Faßade geht, auf welcher Bande die vorher erwaͤhnte Aufſchrift ſteht.
Die eigentlichen Bauerhaͤuſer auf dieſer ganzen Straße ſind alle maſſiv von Feldſteinen erbaut, aber ſehr klein und aͤrmlich. Sie haben keine Nebenge - baͤude, weder Scheunen noch Staͤlle, auch keine Miſthoͤfe. Man ſieht ein ſo einzeln auf dem Felde ſtehendes Haus von weitem fuͤr einen bis nahe an die Erde abgetragenen alten Wachtthurm an, dergleichen man in den noͤrdlichen Provinzen Deutſchlands oft an - trifft. Scheunen haben dieſe Leute nicht noͤthig, weil ſie kein Heu zu verwahren haben, und ihr weniges Ge - traide gleich auf dem Felde, oder auf einem ebenen Platze neben dem Hauſe austreten laſſen. Das Korn wird ins Haus getragen, und das Stroh um einen Pfahl kegelfoͤrmig neben dem Hauſe aufgeſetzt. Ein oder zwey kleine Eſel, auch allenfalls eine Kuh, wel - ches den ganzen Viehſtand eines ſolchen Bauern aus - macht, werden leicht im Hauſe oder in einem kleinen angebauten Verſchlag untergebracht; und ſo wird der weitlaͤuftige deutſche Bauerhof hier in eine kleine ſtei - nerne Huͤtte verwandelt.
Sonſt92Tagebuch von einer nach NizzaSonſt fehlt es dem hieſigen Landmanne gewiß nicht an Fleiß und Arbeitſamkeit. Jch habe bereits des geſchickten Pfluͤgens erwaͤhnt; dieſen Nachmittag traf ich Felder an, die mit der Spathe umgegraben, und wie Gartenland behandelt wurden. Weiter hin traf ich einen Bauer an, der eben einen Acker zur Winterſaat umpfluͤgte; hinter dem Pfluge gieng ſein Weib, das alles losgemachte Unkraut auflas und ab - ſchuͤttelte. Es fehlet alſo dieſen Leuten nur an beſ - ſerm Land und an mehr Freyheit, um in gutem Wohl - ſtand zu leben.
Dieſen Abend kam ich bey guter Zeit nach St. Valier, einer alten ekelhaften Stadt. Zum Gluͤck fand ich in einer Vorſtadt einen Gaſthof, wo ich ab - ſtieg. Weil noch eine gute Stunde lang Tag war, unternahm ich einen Spaziergang, um die Lage des Orts zu ſehen. Die Vorſtadt beſteht in einer ziem - lich langen Reihe Haͤuſer, die zwiſchen der Stadt - mauer und der Rhone liegen. Jch eilte die laͤngſt an einer alten halb zerfallenen Stadtmauer hinlaufende Straße herunter, um ins Freye zu kommen. Am Ende dieſer Straße kam ich an die Rhone, und er - goͤtzte mich an der herrlichen Ausſicht uͤber dieſen Fluß und die ſchoͤnen jenſeit deſſelben liegenden Huͤgel, die meiſt aus Weinbergen beſtehen. Von hier konnte ich an einem ſchoͤnen Ufer der Rhone wieder hinter den Haͤuſern der Vorſtadt herauf gehen, und ſah alſo die Haͤuſer, an deren Vorderſeite ich herunter gegangen war, nun von hinten. Hier ſah ich zu meiner Be - ſtuͤrzung an den Hinterſeiten dieſer Haͤuſer nichts als Ekel und Elend. Kein Fenſter geht nach dieſer ſo herrlichen Gegend heraus; ſondern Abtritte, Huͤhner -ſtaͤlle93gethanen Reiſe. ſtaͤlle u. ſ. f. Die Leute wohnen alſo vornen heraus, wo ſie ein altes hohes Gemaͤuer gerade vor ihren Fen - ſtern haben; an dem hintern Theil der Haͤuſer, von da aus ſie eine der herrlichſten Ausſichten haben koͤnn - ten, ſind keine Zimmer und keine Fenſter.
Es war mir ein trauriger Gedanke, hier ein Volk anzutreffen, das fuͤr die Schoͤnheiten der Natur, fuͤr die froͤlichſten Ausſichten und fuͤr die geſundeſte Luft an ſeinen Wohnungen voͤllig unempfindlich iſt. Das iſt gerade ſo viel, als aus einer ſtinkenden Pfuͤ - tze trinken, und gleich daneben eine ſchoͤne und geſunde Quelle verabſaͤumen. Was fuͤr einen Begriff muß man ſich von dem Gemuͤthszuſtande eines ſolchen Volks machen? Vermuthlich haben die Sorgen der Nahrung ſie in dieſe viehiſche Unempfindlichkeit ge - ſetzt. Der ſonſt große Gaſthof in dieſer Vorſtadt, in dem ich eingekehrt war, iſt einer der unreinlichſten, die ich auf dieſer Straße angetroffen habe.
Von St. Valier bis Tain oder Tein, welches zwey Stunden weit davon iſt, geht die Straße uͤber einen ſehr ſchmalen Strich ebenen Landes, zwiſchen dem Ufer der Rhone und den daneben liegenden Ber - gen. Sie iſt mit ſchoͤnen und großen Maulbeerbaͤu - men beſetzt. Die Berge, an denen die Straße hin - geht, ſind meiſtentheils unfruchtbare Klumpen zuſam - mengebackener Kieſelſteine, oder Felſen, die auf den Alpen Nagelfluͤe genennt werden. Nahe bey Tain ſchließen ſich die Berge ſo dicht an die Rhone an, daß hier die Straße theils in den Felſen eingehauen, theilsin94Tagebuch von einer nach Nizzain den Fluß hineingeruͤckt, und gegen denſelben mit einer ſtarken Mauer geſtuͤtzt iſt. Wenn man durch dieſen engen Paß heraus iſt, kommt man nach Tain, einem ſchoͤnen und großen Flecken, dem gerade gegen - uͤber an dem rechten Ufer der Rhone die Stadt Tour - non im Vivarois liegt.
Von Tain aus ziehen ſich die Berge von der Rhone wieder landwaͤrts hinein, und laufen in einem halben Zirkel herum, der ſich nahe bey Valence wie - der an die Rhone hinzieht. Dadurch entſtehet hier wieder eine große und ſchoͤne Ebene, die wie ein uner - meßlicher Garten ausſieht. Die Huͤgel, die von Tain aus gegen Morgen hinlaufen, ſind an der Mit - tagsſeite mit Weinreben bepflanzt. Hier waͤchſt der fuͤrtreffliche rothe Wein, der von einer auf der HoͤheVin d'Her - mitage. gerad uͤber dem Flecken liegenden Einſiedlerey Vin d'Hermitage genennt wird. Er iſt aber ſo ſelten, und wird ſo hoch im Preis gehalten, daß man an dem Orte ſelbſt 3 Livres fuͤr eine Bouteille, wie die Pari - ſer oder Burgunder Bouteillen ſind, bezahlen muß.
Die Ebene ſelbſt iſt nicht ſo fruchtbar, als ſie fuͤr das Auge ſchoͤn iſt. Das hoͤhere Land darauf iſt ſo - gar voͤllig unbebaut; aber das ganze Land iſt mit Maulbeerbaͤumen beſetzt. Mich wunderte es doch, in einem Lande, wo der Getraidebau ſo ſchlecht iſt, un - ter ſo vielen tauſend gepflanzten Baͤumen keinen Obſt - baum zu finden.
Am Ende dieſer Ebene faͤhrt man gerade uͤber die ſich hier wieder an die Rhone anſchließenden nicht ho - hen Berge heruͤber, und kommt hernach bald nachValence. Valence. Dieſe ziemlich anſehnliche Stadt hat eine fuͤrtreffliche Lage auf einer Hoͤhe, dicht an der Rhone. Ehe95gethanen Reiſe. Ehe man an die Stadt kommt, faͤhrt man uͤber einen ſehr fruchtbaren Boden, auf dem ſchoͤne zum Waͤſſern eingerichtete Wieſen ſind; eine in dieſem Lande ſeltene Sache.
Jenſeit der Rhone, gerade vor der Stadt uͤber, erhebt ſich ein hoher, ſehr ſteiler, aus voͤllig nacken - den Felſen beſtehender Berg, an deſſen Fuß die Rho - ne anſpuͤlet. Man kann es ſich, ohne es geſehen zu haben, ſchwerlich vorſtellen, daß ein voͤllig kahler Berg eine ſo angenehme Ausſicht bilde, als man die - ſe wirklich findet. Die ſeltſam veraͤnderte Geſtalt der Felſen, die verſchiedenen Farben des Geſteines, und, ich weiß nicht was mehr, machen den Anblick wun - derbar ſchoͤn.
Dieſer Ort iſt das gewoͤhnliche Grab der Con - trebandiers, mit denen der hieſige Galgen, oder die Fourches patibulaires, wie er hier genennt wird, immer reichlich, aber zum großen Abſcheu der Vor - beyreiſenden, behangen iſt. Hier hat vor einigen Jahren der beruͤchtigte Mandrin, deſſen Andenken unter dem Volk hier noch friſch bleibet, den Lauf ſei - ner Thaten vollendet.
Von Valence aus bekommt das Land ein etwas neues und fuͤr einen aus Norden kommenden fremdes Anſehen. Man faͤngt es an zu merken, daß man gegen eine waͤrmere Gegend kommt, die andere Fruͤch - te traͤgt, und einen andern Feldbau hat, als die we - niger ſuͤdlichen Laͤnder.
Erſt trifft man unter Valence große Felder mit Weinreben bepflanzt an. Man giebt ihnen hier und weiter hin keine Stoͤcke mehr. Von der Wurzel an ſind es dicke Stubben, einen oder anderthalben Fußhoch.96Tagebuch von einer nach Nizzahoch. Oben aus dieſen Stubben laͤßt man das trag - bare Holz treiben, das jaͤhrlich bis auf zwey Augen herunter geſchnitten wird. Die neu austreibenden Schoſſe werden denn weiter nicht angebunden; und ſo erſpart man durch das ganze mittaͤgliche Frankreich die koſtbaren Rebſtoͤcke, die an andern Orten den Ge - winn des Weinbaues ſtark vermindern. Dieſe Art, die Weinreben zu ziehen, iſt ſchon in alten Zeiten ge - woͤhnlich geweſen; denn Cato oder Columella be - ſchreibt ſie deutlich.
Weiter hin faͤhrt man uͤber große Felder, die ziemlich dicht mit Maulbeer-Mandel-Caſtanien - und Nußbaͤumen beſetzt ſind, und dabey doch noch Getraide tragen. Dieſe Menge und Mannichfaltigkeit der Baͤume macht das Land angenehm.
Eine halbe Stunde vor Lauriole kommt man uͤber die Drome, einen ſeichten, aber bey Regen - und Fruͤhlingsthauwetter ſehr reiſſenden und gefaͤhrli - chen Strom, der aus den gegen Morgen liegenden Bergen herkommt, und ſich hier ein ſehr breites Bett ausgegraben hat. Es gieng ſonſt eine hoͤlzerne Bruͤ - cke daruͤber, die aber zu wiederholtenmalen vom Strom weggefuͤhrt worden iſt. Jetzt wird eine ganz praͤchtige ſteinerne Bruͤcke von großen Quaderſtuͤcken, mit Marmor bekleidet, gebaut, und wird bald fertig ſeyn; ein wahrhaftig koͤnigliches Werk. Sie hat drey Bogen, davon der mittlere 14 Toiſen oder 84 Fuß, von den beyden andern jeder 12 Toiſen weit iſt. Eine ſolche Bruͤcke wuͤrde ſelbſt der ſchoͤnſten Stadt zur Zierde gereichen.
Um97gethanen Reiſe.Um dieſe Gegend fangen die Truffles an ziem - lich gemein zu werden, und man ſetzte ſie mir in je - dem Gaſthofe vor.
Von Lauriole bis Montelimard, vier ſtarke Lieues, iſt das Land meiſtens ganz ſchlecht. Gegen den letztern Ort hin wird es aber gut, und hat ſchoͤne Wieſen. Ein paar Stunden weiter hin bey Don - zere kommt man wieder uͤber die Hoͤhen. WennGman98Tagebuch von einer nach Nizzaman von dieſen herunter faͤhrt, ſo oͤffnet ſich bey dem letztgenannten Staͤdtchen eine große Plaͤne in die ſoge - nannte Comtat von Avignon hinein. Jn dem die - ſer Gegend gegenuͤberliegenden Diſtrikt jenſeit der Rho - ne, waͤchſt ein lieblicher weiſſer Wein, der Vin de St. Perès genennt wird. Er hat einige Aehnlichkeit mit dem Champagner, iſt aber ſuͤßer als dieſer.
Von Donzere aus iſt das Land hoͤchſt elend. An - faͤnglich ſind die Felder noch ganz duͤnne mit magern Weinreben beſetzt; weiter hin aber iſt es nichts als bloßer Schutt von Kieſelſteinen und Kiesſand. Das meiſte liegt unbebaut. Hier und da ſah ich noch ein Feld mit magern Maulbeer-Mandel-Nuß - und Fei - genbaͤumen beſetzt.
Jch habe ſchon einmal uͤber die große Unreinlich - keit der franzoͤſiſchen Gaſthoͤfe auf dieſer Straße ge - klagt; aber ich haͤtte die Klage bis hieher verſparen ſollen. Jn La Palud, wo ich heute uͤber Nacht blieb, war ſie voͤllig unausſtehlich. Jch glaubte des Morgens, als ich wieder in den Wagen ſteigen konnte, aus einer Cloak errettet geworden zu ſeyn. Wehe dem, der auf dieſer Straße im Eſſen ekel iſt; er muß verhungern. Speiſen werden zwar im Ueberfluß aufgetragen, auch wirklich gute Sachen, wenn ſie reinlich behandelt wuͤrden; aber der Ekel verderbt al - les. Teller, Loͤffel, Gabeln, (denn Meſſer wer - den, ich weiß nicht warum, nie vorgelegt,) ſind in dem ſchlechteſten Zuſtande. Das Tiſchzeug iſt zwar rein, aber unausſtehlich grob. Weit beſſer waͤre es, wenn man blos reinliche Zimmer faͤnde, und jeder Rei - ſende ſein Eſſen ſelbſt anſchaffen muͤßte.
Die erſte Meile geht laͤngſt hoher felſiger Huͤgel, die linker Hand an der Straße ſtehen. Wegen der hier und da vorkommenden ſeltenen Geſtalten dieſer Huͤgel und einiger ſonderbaren Anſichten derſelben iſt der Weg nicht unangenehm, beſonders nahe bey Mont Dragon. Gleich hinter dieſem Ort bekommt man die erſten Olivenbaͤume zu ſehen. Zwiſchen Mont Dragon und Orange iſt das Land noch ziem - lich fruchtbar, und wird immer ſchoͤner, je naͤher man gegen dieſen letzten Ort hinkommt, wo man gute Aecker und ſchoͤne Wieſen in einer ziemlich weiten Ebe - ne findet.
Dieſe kleine nicht angenehme Stadt liegt an derOrange. Nordoſtſeite eines rauhen, meiſt aus kahlen Felſen be - ſtehenden, aber nicht hohen Berges. Vor ihr liegt eine fruchtbare angenehme Ebene, durch welche ver - ſchiedene kleine Baͤche fließen. Gegen Mittag iſt die - ſe ſchoͤne Gegend von kahlen, wie aus duͤrren Knochen beſtehenden Hoͤhen umgeben.
Wenn man etwa noch tauſend Schritt von der Stadt entfernt iſt, bekommt man den ſchoͤnen, nahe an der Stadt ſtehenden Triumphbogen des Marius ins Geſicht, an dem die Straße vorbey geht. Die - ſes ſchoͤne und ſehr wohl erhaltene Monument hat ein feines Anſehen, und muß, im Ganzen genommen, jedem Auge wegen der guten Verhaͤltniſſe der Theile wohl gefallen. Jch mußte mich begnuͤgen, dieſes ſchoͤne Werk nur aus dem Wagen zu ſehen, weil die -G 2ſen100Tagebuch von einer nach Nizzaſen Morgen bey dem ſchoͤnſten Wetter ſich ein heftiger und ſehr kalter Nordwind erhoben hatte. Er ſtuͤrmte ſo gewaltig, daß auch ſtarke Leute Muͤhe hatten, ſich aufrecht zu erhalten. Aus eben dieſem Grunde ließ ich hier, gegen meinen vorher gefaßten Vorſatz, nicht anhalten, weil mich dieſer ſtrenge Wind doch wuͤrde verhindert haben, die hieſigen Alterthuͤmer zu ſehen.
Dicht neben der Stadt iſt ein angenehmer, mit ſchoͤnen und ſehr großen Maulbeerbaͤumen beſetzter Spazierplatz. Die Straße geht neben der Stadt an der Seite des Berges allmaͤhlig auf die Hoͤhe, welche ſich von hier bis nach Courtezon erſtreckt. Es iſt nicht moͤglich, ſich etwas Unfruchtbarers auf dem Erd - boden vorzuſtellen, als dieſe hohe Plaͤne, die einen anſehnlichen Theil des Fuͤrſtenthums Orange aus - macht. Sie iſt eigentlich nichts, als ein ungeheurer Haufen zuſammengeſchwemmter Kieſelſteine. Jn der Naͤhe uͤber Orange haben ſich die Einwohner die Muͤ - he gegeben, das Land etwas von Steinen zu reinigen; denn man ſiehet ſehr lange, etwa ſechs Fuß hohe Hau - fen zuſammengetragener Steine, und dazwiſchen eben ſo lange mit Weinreben beſetzte Aecker. Aber die Weinſtoͤcke ſtehen ſehr mager und elend, ſo daß gewiß ein weiter Strich Landes hier erfordert wird, um ei - nen Eimer Wein zu gewinnen. Hier und da ſiehet man auch noch einen halb duͤrren Oliven - oder Maul - beerbaum auf dieſem elenden Boden ſtehen; aber et - was weiter hin iſt das Land eine weite Wuͤſte, mit ganz niedrigem, etwa zwey Spannen hohem Geſtraͤu - che bewachſen. Dieſes Geſtraͤuch beſteht groͤßten - theils aus der immergruͤnen Zwergeiche mit ſtachli - chen Blaͤttern, von der die europaͤiſche Cochenille ge -ſam -101gethanen Reiſe. ſammelt wird. Plinius gedenkt dieſer Sache (L. XVI. c. 7.) und nennt dieſen Strauch Ilex aquifolia parva. Mit dieſem Geſtraͤuch iſt das Land, ſo weit man es uͤberſehen kann, wie mit einem Teppich be - deckt. Hier und ſta ſteht eine Lavendelſtaude dazwi - ſchen.
Bey Courtezon, etwa eine Stunde hinter Oran - ge, faͤhrt man von dieſer rauhen Hoͤhe etwas herun - ter, und das Land, das in der Tiefe etwas beſſer wird, iſt um dieſen Ort herum angebaut. Bald nachher aber kommt man wieder auf hohe ziemlich unfruchtba - re Aecker, die ſich bis nahe an Avignon erſtrecken. Der Rauhigkeit ungeachtet, iſt das Land an den mei - ſten Orten angebaut, und zeiget magere Wein - und Kornfelder, mit untermengten unangebauten Plaͤtzen, die mit erwaͤhntem Geſtraͤuche beſetzt ſind.
Von dieſer Straße, die uͤber ein hohes, aber ebenes Land gehet, hat man gegen Oſt und Suͤdoſt eine fuͤrtreffliche Ausſicht uͤber einen großen Theil der Grafſchaft Venaiſſin, und auf die ſchoͤnen Huͤgel und Berge, die ſie von der Provence ſcheiden. Mit an - brechender Nacht kam ich nach Avignon, wo ich nur bis den andern Mittag blieb. Das Wetter war we - gen des beſtaͤndig anhaltenden ſtarken und ſehr kalten Windes nicht nur hoͤchſt unangenehm, ſondern fuͤr mich gefaͤhrlich.
Mein Vorſatz war geweſen, mich hier einen Tag auszuruhen, und die Merkwuͤrdigkeiten der Stadt zu beſehen. Jch gieng Vormittags auch in dieſer Ab -G 3ſicht102Tagebuch von einer nach Nizzaſicht aus, mußte aber gar bald wieder nach dem Gaſt - hofe zuruͤckkehren, weil ich den Wind und die Kaͤlte nicht ertragen konnte.
Avignon iſt eine große fuͤrtrefflich gelegene, auch innerhalb nicht unangenehme Stadt. Sie iſt mit ei - ner ſchoͤnen und hohen von Quaderſtuͤcken aufgefuͤhrten Mauer umgeben, die noch jetzt wie neugebaut ausſieht. Außerhalb der Mauer an der Landſeite hat ſie auch ei - nen nicht ſehr breiten, aber nur wenige Fuß tiefen und gruͤn bewachſenen Graben; auf der Seite der Rhone aber iſt kein Graben, ſondern ein breites und ebenes Ufer zwiſchen den Mauern und dem Fluß. Man kann um die ganze Stadt herum auf einem breiten und ſchoͤnen Wege fahren, und dieſer Weg iſt auf der oͤſtlichen oder Landſeite mit ſchoͤnen und hohen Baͤumen beſetzt. An der Weſtſeite der Stadt laͤngſt der Rhone iſt das hohe und breite Ufer etliche hundert Schritt lang mit 6 oder 8 Reihen hoher Baͤume be - pflanzt, und macht einen der ſchoͤnſten Spazierplaͤtze, die man ſehen kann. Davon uͤberſieht man die Rho - ne, die hier einen ſehr breiten und praͤchtigen Fluß ausmacht. Gerade gegenuͤber liegt an dem jenſeiti - gen, ſich allmaͤhlig in einen langen Huͤgel erhebenden Ufer die Stadt Ville neuve, die als ein Theater von uͤber einander ſtehenden Haͤuſern ins Auge faͤllt. Un - ter den Baͤumen ſind uͤberall ſchoͤne ſteinerne Baͤnke zum Ausruhen geſetzt. An dem obern Ende dieſes herrlichen Spazierplatzes ſtehen noch drey Bogen von der ehedem ſchoͤnen und beruͤhmten ſteinernen Bruͤcke, die nach Ville neuve heruͤber gieng. Die Ausſicht, die man von dem Spazierplatz unter den hohen Bo - gen dieſer Bruͤcke durch uͤber die Rhone und das jen -ſeits103gethanen Reiſe. ſeits derſelben liegende Land hat, iſt im hoͤchſten Gra - de maleriſch.
Auf der Morgenſeite der Stadt liegt eine weite und fruchtbare Ebene, die aus Aeckern, Wieſen, Weinfeldern und Baumſchulen beſteht. Es befrem - dete mich doch, in der ſo fruchtbaren und ſchoͤnen an die Stadt ſtoßenden Ebene weder Luſtgaͤrten noch kleine Landhaͤuſer zu ſehen. Ein deutlicher Beweis, daß die Einwohner mehr auf den geſellſchaftlichen Zeit - vertreib in der Stadt, als auf das Vergnuͤgen des Landlebens halten.
Ein Liebhaber der franzoͤſiſchen Litteratur findet in Avignon ſeine Rechnung, wegen der vielen wohl verſehenen Buchlaͤden, wo man die meiſten Buͤcher in viel geringern Preiſen kaufen kann, als in den franzoͤſiſchen Staͤdten. Die franzoͤſiſchen Buchhaͤnd - ler laſſen gar viel Buͤcher hier drucken, weil die Ko - ſten des Papiers und des Drucks hier weit geringer, als an andern Orten ſind.
Jn der Mittagsſtunde reiſte ich von hier ab, um noch heute nach Orgon zu kommen. Das Land iſt ein paar Stunden weit von hier aus eben, fruchtbar und ſehr angenehm, ohngefaͤhr zu gleichen Theilen in Korn - und Weinfelder eingetheilt. Bey Avignon ſind die Aecker mit hohen Maulbeerbaͤumen einge - faßt, welches dem Lande ein artiges Anſehen giebt; die Landſtraße aber iſt mit Weiden und Pappeln be - ſetzt, welches hier und in andern Gegenden der Pro - vence der Holzung halber geſchieht; denn das Holz iſt in dieſem Lande ſehr rar. Obſtbaͤume ſind hier was ſeltenes.
G 4Auf104Tagebuch von einer nach NizzaAuf dieſer Straße von Avignon nach Bonpas, wo man uͤber die Durance faͤhrt, hat man gegen Nordoſt die Ausſicht auf ein angenehmes, etwa drey Stunden weit ins Land hinein liegendes Gebuͤrge, und auf die Huͤgel, zwiſchen denen Vaucluſe liegt, das durch den platoniſchen Petrarcha, der da ſeine ſchoͤ - ne Laura ſo unnachahmlich beſang, beruͤhmt worden iſt. Bey waͤrmerm und ſtillern Wetter haͤtte ich un - fehlbar eine Wallfahrt nach dieſer reizenden Einſiede - ley vorgenommen.
Man paſſirt die Durance auf einer an einem Tau laufenden Faͤhre. Jch fand ſie nicht ſo gut ge - macht, als ſie in Deutſchland zu ſeyn pflegen, wo man das Vorder - oder Hintertheil der Faͤhre an das Ufer richtet, und ſo mit Pferd und Wagen in die Faͤhre hinein und hernach wieder heraus faͤhrt. Hier iſt die Faͤhre mit einer Bruͤcke bedeckt, und legt die Seite aus Ufer an, von welchem man denn den Wagen, nachdem die Pferde ausgeſpannt worden, auf die Bruͤcke der Faͤhre ſchiebet, die kaum breit ge - nug iſt, einem Wagen mit vier Raͤdern Raum zu ge - ben. Die Durance iſt ein ſchlimmer Fluß, der bey jedem Regenwetter gewaltig anwaͤchſt, und dann gar oft, bis ſich das Waſſer verlaufen hat, nicht kann paſſirt werden. Dadurch werden die Poſten von Pa - ris nach der Provence ſehr oft ſo aufgehalten, daß ſie von zwey Poſttagen zuſammentreffen. Man zaͤhlt deswegen dieſen Fluß unter die drey Dinge, die der Provence beſchwerlich fallen, und ſagt im gemeinen Sprichworte:
Der Miſtral oder Miſtrau iſt der ſtarke und kalte Wind, der mich ſeit ein paar Tagen auch ſo durchgekuͤhlt hatte, daß bey dem ſchoͤnſten Sonnen - ſchein ein warmer Pelzmantel, in dem ich mich ein - wickelte, mich doch nicht vor dem Frieren verwahren konnte*)Auch in dem adriatiſchen Meerbuſen wird dieſer Wind Maeſtra genennt..
Sobald man uͤber dieſen Fluß iſt, tritt man aus der Grafſchaft Venaiſſin wieder in die Provence, und trifft da ein Bureau an, wo man durchgeſucht wird. Hier waren die Commis nicht ſtrenge, und ließen ſich das Durchſuchen mit einer Piece de 24 Sols abkaufen. Von hier aus iſt der Weg ein paar Stunden lang ſehr angenehm, durch ein fruchtbares Land, das wechſelsweiſe in Wein - und Kornfelder ein - getheilt iſt. An den beyden Seiten der Straße flieſ - ſen kleine Baͤche, deren Borde dicht mit Weiden, Pappeln und auch Feigenbaͤumen beſetzt ſind, ſo daß man in gutem Schatten faͤhrt. Die Aecker ſind hier mit großem Fleiß bearbeitet, und gleichen mehr groſ - ſen Gartenbeeten als Aeckern. Jch ſah zwar hier und da einen Pflug ſtehen; verſchiedentlich ſah ich aber die Landleute den Acker mit großen und breiten Hacken umgraben. Auch ſah ich hier einen Mann auf eine beſondere Art ſeinen Acker eggen. Seine Egge be - ſtund aus einem ziemlich ſchweren Stuͤck Holz, das die Figur eines liegenden lateiniſchen T hatte, alſo T. An dem Stiel zog er es hinter ſich nach, und das Queerholz ebnete den Acker.
Bis hieher hatte ich auf einem ſo langen Wege von den Graͤnzen der Schweiz her nichts geſehen, dasG 5einem106Tagebuch von einer nach Nizzaeinem Walde, oder nur einem Buſche aͤhnlich gewe - ſen waͤre. Jetzt wurd ich angenehm uͤberraſcht, als ich von weitem ein ſchoͤnes Gehoͤlz ſah, gegen welches mein Weg hingieng. Wer nie durch ein von Hol - zungen entbloͤßtes Land gereiſet iſt, wird ſich kaum vorſtellen koͤnnen, daß Waͤlder unter die groͤßten An - nehmlichkeiten eines Landes gehoͤren. Hier erfuhr ich es ganz lebhaft; und es machte mir ausnehmendes Vergnuͤgen, nach einer langen Reiſe uͤber freye Fel - der, einmal durch einen mit ſchoͤnen Baͤumen beſetz - ten Wald zu kommen. Aber die Freude daurete nicht lange. Die Straße gieng neben dieſem kleinen Ge - hoͤlze vorbey, und in der Naͤhe ſah ich, daß es ein kleiner, zu einem adlichen Landſitz gehoͤriger Park ſey. Nicht weit davon traf ich bey einem andern Landſitze noch einen ſolchen an. Weiter hin kam ich bey ver - ſchiedenen adlichen Schloͤſſern vorbey, die ganz kahl da ſtunden, und nicht einmal irgend eine Allee von Baͤumen in der Naͤhe hatten. Dieſer faſt gaͤnzliche Mangel an ſchattigen Oertern muß die Landſitze in ei - ner ſo warmen Provinz im Sommer faſt unertraͤglich machen.
Hier ſah ich auf dieſer Straße weit mehr Wein - als Kornfelder, und alles nackend, ſehr wenige hier und da zerſtreut ſtehende Olivenbaͤume ausgenommen. Eine halbe Stunde vor Orgon geht der Weg uͤber einen ſehr großen unfruchtbaren ſandigen Anger. Aus den verwachſenen Furchen nahm ich ab, daß das Land ehedem muß gebaut worden ſeyn. Es giebt in Deutſch - land noch geringere Aecker als dieſe ſind, die doch be - ſtellt werden; aber hier fehlet es wegen Mangel des Viehes an dem benoͤthigten Duͤnger. Dieſes magereLand,107gethanen Reiſe. Land, das eine deutſche Meile im Umfang haben mag, iſt gegen Oſten und Suͤdoſten mit einer Kette nicht hoher, aber meiſt aus nackenden Kalkfelſen beſtehen - der Berge, die bis an die Durance gehen, umge - ben. Dort liegt in dieſen Huͤgeln die kleine Stadt Orgon, welche noch einige Aecker und Weinfelder hat, die mit vielen Olivenbaͤumen beſetzt ſind.
Von hier aus iſt das Land bis an das Meer her - unter ganz felſig. Es beſteht aus weit ausgedehnten Hoͤhen und einigen Bergen. Nicht nur die Subſtanz der Berge, ſondern der ganze Boden dieſes Diſtrikts beſteht aus Kalkſtein, der nur hier und da in tiefern Stellen mit etwas Erde bedeckt iſt. An einigen Or - ten, wo zwiſchen den Bergen Thaͤler ſind, hat ſich in denſelben uͤber den Steingrund etwas mehr Erde an - geſammelt. Da ſind denn fruchtbare Felder, mit Weinreben, Olivenbaͤumen und Mandelbaͤumen be - ſetzt. An vielen Orten aber faͤhrt man, auch auf dem ebenen Laͤnde, auf nackendem Felſengrunde. Bey Malemort, einem kleinen Orte, iſt der Boden ſchoͤn und fruchtbar, und da ſah ich eine betraͤchtliche Heer - de Schafe.
Der Weg von da nach Lambeſc geht uͤber ein an der Nordſeite dieſer Stadt liegendes nicht hohes Kalk - gebuͤrge, auf welchem man einen Schein von Wal - dung ſieht. Es wachſen an dieſen Bergen viele von den ſogenannten italiaͤniſchen Fichten*)Pinaſter, Pinus maritima. , deren oberer Stamm und Aeſte eine ſchoͤne glatte und aſchgraueRin -108Tagebuch von einer nach NizzaRinde haben. Die Eichen ſind die ſogenannten im - mergruͤnen Steineichen (chêne verd). Aber die Baͤu - me ſtehen ſehr weitlaͤuftig aus einander, und ſelten iſt einer uͤber 20 Fuß hoch, oder unten am Stamm ei - nen Fuß dick. Jn den Gruͤnden zwiſchen den Huͤ - geln, wohin durch die Laͤnge der Zeit die von den Bergen ausgewitterte Kalkerde durch das Regenwaſ - ſer geſammelt worden, ſieht man doch Felder, die mit viel Mandelbaͤumen beſetzt ſind.
Jm Herunterfahren von dieſen Bergen hat man eine reizende Ausſicht uͤber das tiefere Land um Lam - beſc herum. Dieſes iſt ein wahres Paradies von fruchtbaren Wein - und Kornfeldern, die mit einer er - ſtaunlichen Menge Olivenbaͤume beſetzt ſind. Was dieſe Ausſicht von der Hoͤhe her noch ſonderbarer macht, iſt die Art, wie die Felder hier abgetheilt ſind. Sie beſtehen aus langen, nur etwa 12 Fuß breiten Beeten, die wechſelsweiſe mit Weinreben beſetzt, und mit Waizen beſaͤt ſind. An einigen Orten laufen die - ſe Beete ihrer Laͤnge nach von Norden nach Suͤden, an andern von Oſten nach Weſten. Daher ſiehet die ganze Plaͤne von der Hoͤhe wie ein buntgeſtreifter, und mit Blumen beſetzter ſeidener Teppich aus. Die mit Weinreben beſetzten Beete waren jetzt aus Gruͤn, Gelb und Roth vermiſcht; die, worauf die junge Wai - zenſaͤat ſtund, waren hellgruͤn; und die Olivenbaͤume ſtellten die Blumen auf dieſem Teppich vor. Jch er - innere mich nicht, jemals eine ſo liebliche Ausſicht ge - habt zu haben, als dieſe war. Der ganze Weg an dem Berge herunter iſt dicht mit Olivenbaͤumen be - ſetzt, die jetzt eben ſo voll Fruͤchte hiengen, daß an manchen mehr Oliven als Blaͤtter waren. Jn derNaͤ -109gethanen Reiſe. Naͤhe waren dieſe Baͤume ſehr ſchoͤn anzuſehen, weil auf gar vielen reife, halbreife und dann blos ausge - wachſene Fruͤchte hiengen; demnach ſah man an ei - nem Baume Gruͤn, Gelb, Purpur, Schwarz und Weiß wunderbar durch einander gemiſcht. Dieſer ergoͤtzende Anblick und das ſchoͤnſte helle Wetter, nebſt der angenehmen Waͤrme an der Mittagsſeite eines Ge - buͤrges, that fuͤrtreffliche Wirkung auf meinen Koͤr - per, und ich fuͤhlte mich auf einmal weit munterer und ſtaͤrker als ich vorher war.
Jch ſah hier nichts als junge Olivenbaͤume, und hoͤrte, daß vor etwa acht Jahren alle alten Baͤume dieſer Gegend bis auf die Wurzeln erfroren ſind. Die jetzt ſo voll Fruͤchte ſtunden, waren junger Aufſchuß aus alten Wurzeln.
Ueber Lambeſc hin iſt das Land wieder durchaus felſig und kahl, eine beſtaͤndige Abwechſelung geringer Hoͤhen und Tiefen, und nur etwa zur Haͤlfte ange - baut. Die vielen herumliegenden Berge machen doch die Ausſicht angenehm. Es iſt ein Gluͤck fuͤr dieſes Land, daß die Winter da ſo gelinde ſind. Waͤr es hier ſo kalt als in Deutſchland, ſo muͤßte das Land wegen Mangel des Holzes unbewohnt bleiben. Jch habe faſt auf dem ganzen Wege von Lyon herunter bis Marſeille kein ander Brennholz geſehen, als Rei - ſer vom Weinſtock, duͤnne Aeſte von gekoͤpften Wei - den und Maulbeerbaͤumen, das niedrige und ſchwache Geſtraͤuch von Rosmarin und dergleichen an den Ber - gen wachſenden Straͤuchern, und denn zur Seltenheit etwa ein groͤßeres Stuͤck von einem abgeſtorbenen Oli - ven - oder Mandelbaum.
Mein110Tagebuch von einer nach NizzaMein Weg gieng eigentlich von Lambeſc nach Aix, der Hauptſtadt dieſer Provinz. Jch verließ aber die Landſtraße ein paar Stunden unter Lambeſc, um auf das Schloß Aiguille zu kommen, weil ich dieſe Gelegenheit nicht verſaͤumen wollte, die Wittwe meines verſtorbenen Freundes, des Marquis d'Ar - gens, zu beſuchen, die ſich dort aufhaͤlt. Sie war zum Gluͤck erſt ſeit wenig Tagen wieder auf ihrem hie - ſigen Wittwenſitz angekommen, und bezeigte mir eine große Freude, einen alten, ſo weit weg wohnenden Bekannten ſo unvermuthet wieder zu ſehen, noͤthig - te mich auch inſtaͤndig, ein paar Tage bey ihr zu blei - ben, welches ich aber nicht annehmen konnte. Der Praͤſident d'Aiguille, Bruder des verſtorbenen Marquis, war abweſend.
Die Marquiſe ſagte mir, daß ſie ſich einige Zeit in Aix aufgehalten, um daſelbſt in der Kirche der Minimes, wo die Familie ein Erbbegraͤbniß hat, das Grabmal aufrichten zu laſſen, wozu der Koͤnig von Preußen die Koſten hergegeben hatte, und daß das Monument jetzt bis auf die Aufſchrift, die der Koͤnig darauf zu ſetzen verordnet, fertig ſey. Dieſe Auf - ſchrift ſollte nur aus zwey Worten beſtehen:
Einige Wochen hernach, als ich ſchon in Nizza war, ſchrieb mir die Marquiſe, daß man ſich ihre Ab - weſenheit von Aix zu Nutze gemacht habe, um, an - ſtatt gedachter Aufſchrift, eine ganz andere auf das Monument zu ſetzen. Dieſe iſt freylich in einem ganz andern Ton, und lautet alſo:
Inſtan -111gethanen Reiſe.Wem gewiſſe Umſtaͤnde bekannt ſind, der wird bald errathen, woher dieſer Streich ruͤhrt.
Jch ergreife mit Vergnuͤgen dieſe Gelegenheit, denen meiner Leſer, welche dieſen beruͤhmten Mann blos als Schriftſteller kennen, ihn von ſeiner be - ſten Seite bekannt zu machen. Er war ein grund - ehrlicher Mann, und wuͤrde, wenn er das Ver - moͤgen dazu gehabt haͤtte, ſeiner Wohlthaͤtigkeit hal - ber beruͤhmt worden ſeyn. Seine Dienſtfertigkeit war ſehr groß, und ſelbſt ſeine Feinde konnten ſicher ſeyn, daß er ihnen auch da, wo er Gelegenheit dazu hatte, nicht ſchaden wuͤrde*)Der Marquis d'Argens wurde von allen ehrlichen Leuten, die ihn kannten, geliebt, weil er alle liebte. Aus Dankbarkeit gegen ihn, und aus Verehrung ge - gen den großen Koͤnig, der dieſem wuͤrdigen Mann gedachtes Zeugniß der Achtung ſtiftete, fuͤgen wir es beym Abdruck dieſer Reiſe, als eine Zierde des Ti - tels, bey. Die Verleger. .
Jch reiſete denſelbigen Abend ſpaͤt noch weiter, um in St. Pont zu uͤbernachten. Dies iſt ein an -ge -112Tagebuch von einer nach Nizzagenehmer nur aus zwey Gaſthoͤfen beſtehender, mit vielen ſchoͤnen und hohen Pappeln umgebener Ort. Jch fand aber hier den unbilligſten Gaſtwirth, den ich auf der ganzen Reiſe angetroffen habe. Er konn - te mir nichts zu eſſen geben, als eine aus Waſſer, Oel und Brod ’zuſammengekochte Suppe. Als ich den andern Morgen nach der Rechnung fragte, war er unverſchaͤmt genug 3 Livres und 10 Sols zu for - dern, welches der gewoͤhnliche Preis in allen Gaſthoͤ - fen dieſer Straße fuͤr einen Herrn und einen Bedien - ten iſt; dafuͤr man aber an ordentlichen Orten ein Abendeſſen von wenigſtens vier Schuͤſſeln hat. Jch verwies ihm ſeine Unbilligkeit, gab ihm die Haͤlfte deſſen, was er gefordert hatte, und reiſete fort.
Dieſer Morgen war bey dem noch immer anhal - tenden Nordwinde ſehr kalt. Bey Sonnenaufgang ſtund mein Thermometer auf dem 33 Grad der Fah - renheitiſchen Eintheilung, und ich fand auch auf einer Wieſe, neben der ich vorbey fuhr, daß es ſtark ge - reift hatte. Es gehoͤrt unter die Seltenheiten dieſer Provinz, daß verſchiedene ganz nahe an einander lie - gende Oerter in der Temperatur ſehr von einander ab - gehen. Die Gegend um St. Pont iſt ſo kalt, daß keine Olivenbaͤume da fortkommen, die eine Stunde davon um Aiguille haͤufig ſind. Dieſer Ort liegt nordwaͤrts von St. Pont und etwas weniges hoͤher. Dergleichen Unterſchied habe ich an mehr Orten der Provence gefunden.
Der113gethanen Reiſe.Der Weg von hier nach Marſeille iſt uneben,Ausſicht ge - gen Marſeille geht bald uͤber hohes Land, bald durch niedrigere Gruͤnde immer uͤber Felſen von Kalkſtein, die bald ganz bloß, bald mit etwas Erde bedeckt ſind. Nur die Tiefen ſind fruchtbar, und dann um ſo viel ange - nehmer, weil ſie mit duͤrrem und ganz kahlem Lande um - geben ſind. Wenn man bis auf etwa eine Meile ge - gen Marſeille angeruͤckt iſt, faͤhrt man hernach be - ſtaͤndig von der Hoͤhe herunter. Da wird denn die Ausſicht ganz praͤchtig; denn die Stadt iſt auf zwey Drittheile ihres Umkreiſes an der oͤſtlichen und nordoͤſt - lichen Seite mit hohen Bergen und einer großen Men - ge kleiner Huͤgel umgeben, und dieſe Huͤgel ſind ſo mit Landhaͤuſern bebaut, daß die Gegend von einem Umkreis von etlichen Meilen von weitem wie eine un - ermeßliche Vorſtadt von Haͤuſern und Gaͤrten ausſie - het. Jn der Mitte dieſer praͤchtigen Landſchaft liegt die Stadt, theils an der Hoͤhe der neben ſtehenden Berge, theils in der Tiefe und um den Hafen herum. Die hohen Felſen am Eingange des Hafens, und die darauf gebauten Forts, verſchiedene außerhalb des Ha - fens in der Bucht liegende hohe, auch mit Schloͤſſern beſetzte Jnſeln, das dazwiſchen liegende Gewaͤſſer, und die Menge kleiner und groͤßerer aus - und einfah - render Fahrzeuge und Schiffe geben dieſem großen und praͤchtigen Gemaͤlde ein Leben und eine Mannichfal - tigkeit, daß man es ohne Erſtaunen nicht anſehen kann.
Gegen Mittag wurde die Hitze betraͤchtlich, und der Weg wegen des gewaltigen Kalkſtaubes, der ſich von den Straßen erhebt, ſehr beſchwerlich. Es wird auf dieſem Kalkſteinboden ſo viel gefahren, daß noth -Hwen -114Tagebuch von einer nach Nizzawendig die Oberflaͤche der Steine in Mehl zermalmet wird. Dabey geht der Weg lange zwiſchen hohen Mauren, womit die Landhaͤuſer und Gaͤrten umgeben ſind, da der Wind nicht zukommen kann, den erſti - ckenden Staub, der durch das immer anhaltende Rei - ten und Fahren ſich erhebt, wegzutreiben. Man bleibt alſo immer mitten in Wolken von dieſem Stau - be, von dem alle Haͤuſer und Baͤume ſo bedeckt ſind, daß ſie ganz weiß ausſehen, als wenn ſie mitten in ei - ner Muͤhle ſtuͤnden.
Dazu kam jetzt in der Mittagsſtunde die erſtaun - liche Menge des mit Maulthieren und Eſeln aus der Stadt zuruͤckkommenden Landvolks, das ſeinen Vor - rath zu Markte gebracht hatte. Das Geklingel der Schellen, womit jedes Maulthier reichlich behangen iſt, das laute Geſchrey der Treiber, und das hoͤchſt unangenehme und immer anhaltende Gekreiſch der Weibsleute, die auf ihren Eſeln zuruͤckreiten, und die damit theils die Eſel antreiben, theils ſich Platz zu machen ſuchen, um neben andren vorbey zu kom - men: dies alles macht eine hoͤchſt unangenehme und betaͤubende Muſik.
Die jungen Dirnen von dem herumliegenden Lan - de, die ich auf ihren Eſeln nach Hauſe reiten ſah, hat - ten durchgehends bey ihrer braunen Geſichtsfarbe, durch die doch ein angenehmes Roth etwas durchſchei - net, eine ſchoͤne und gefaͤllige Bildung und einen aͤuſ - ſerſt lebhaften Blick der Augen, die aus der Dunkel - heit der großen, nicht aufgekrempten ſchwarzen Filz - huͤte gleichſam herausblitzen. Die Phyſionomien ſind faſt durchgehends intereſſant; aber die Stimmen die - ſer Schoͤnen ſind ſehr unangenehm und kreiſchend. Man115gethanen Reiſe. Man kann die Nationalphyſionomien nur an dem Landvolk ſehen, das der Natur ungezwungen nach - giebt. Jn den großen Staͤdten macht eine kuͤnſtliche Erziehung, daß die Menſchen beynahe durch ganz Eu - ropa ſich mehr oder weniger gleichen. Jch kam gleich nach Mittage in Marſeille an.
Den Weg hieher habe ich nur von Vienne aus gemeſſen, weil mein Bedienter den Meilenmeſſer in Lyon nicht recht angeſchnallt hatte, und ich den Fehler erſt gewahr wurde, nachdem ich in Vienne angekommen war. Nach dieſen Ausmeſſungen verhalten ſich die Entfernungen der verſchiedenen Oerter dieſer großen Landſtraße wie folget.
Von Vienne auf Berible | 43945 |
— Berible auf Rouſſillon | 20089 |
— Rouſſillon auf St. Valier | 71770 |
— St. Valier auf Tain | 44127 |
— Tain auf Valence | 59552 |
— Valence auf Lauriole | 53983 |
— Lauriole auf Montelimard | 74140 |
— Montelimard auf La Palud | 80037 |
— La Palud auf Courtezon | 121012 |
— Courtezon auf Avignon | 68217 |
— Avignon auf Orgon | 97104 |
— Orgon auf Lambeſc | 89175 |
— Lambeſc auf St. Pont | 65308 |
— St. Pont auf Marſeille | 84476 |
Jn allem | 972935 Fuß. |
Welches bennahe 39 deutſche Meilen macht. ThutGroͤße der franzoͤſiſchen Meilen. man noch etwa 3½ Meilen von Lyon nach Vienne hinzu, ſo macht der ganze Weg von Lyon nachH 2Mar -116Tagebuch von einer nach NizzaMarſeille 42½ deutſche Meilen. Die Laͤnge der franzoͤſiſchen Lieues, wie ſie im[Dauphiné] gerechnet werden, kann man aus Folgendem abnehmen. Von Vienne auf St. Valier ſind acht Lieues. Dieſes gaͤbe nach den gemeſſenen Weiten 16978 Fuß fuͤr die Lieue. Von St. Valier bis Lauriole werden 10 Lieues gerechnet; und darnach waͤre die Lieue nur 15766 Fuß. Das Mittel davon iſt 16372 Fuß, oder 15826 franzoͤſiſche Pieds de Roy. Die Lieues de Provence ſind aber weit ſtaͤrker. Man rech - net von La Palud nach Avignon acht ſtarke Lieues. Nach dieſer Rechnung betruͤge eine Lieue de Provence 23653 Fuß, beynahe eine deutſche Meile. Jch habe nachher auf dem Wege von Marſeille nach Hie - res die Lieue de Provence nur von 19090 Fuß gefun - den. Man kann ſie alſo von ohngefaͤhr 20000 rheinl. Fuß rechnen. Der ganze Weg von Berlin nach Marſeille betraͤgt ohngefaͤhr 193½ deutſche Meilen.
Jch habe mir den Aufenthalt an dieſem Orte we - nig zu Nutze gemacht. Der noch immer anhaltende Miſtral verurſachte eine merkliche Kaͤlte, die auch ge - ſunde Leute krank machte. Damals fieng in Mar - ſeille eben die Krankheit an zu herrſchen, welche die Franzoſen la Grippe nennen, und die dieſen Herbſt faſt durch ganz Frankreich viel Menſchen ins Grab ge - bracht hat. Alſo hatte ich Urſach mich ſehr in Acht zu nehmen. Ganz Marſeille war mit Huſten und Schnupfen geplagt. An einem Abend war ich in der Comoͤdie, und konnte kein Wort darin verſtehen, weildas117gethanen Reiſe. das beſtaͤndig anhaltende Huſten aus den Logen und dem Parterre die Schauſpieler uͤberſtimmte. Jch durfte mich alſo nur in der Mittagsſtunde, um welche Zeit es immer ſchoͤn warm war, in die Luft wagen. Deſſen ungeachtet haͤtte ich doch mehr ſehen und erfah - ren koͤnnen, wenn ich jemanden bey der Hand gehabt haͤtte, um mich in Geſellſchaften zu fuͤhren. Es mangelte mir aber dazu an Addreſſen, wodurch ich mir haͤtte Bekanntſchaften machen koͤnnen. Wer ſich den Aufenthalt an ſo großen Orten recht zu Nutze ma - chen will, muß ſich nicht begnuͤgen, Empfehlungs - ſchreiben an Kaufleute bey ſich zu haben. Es iſt un - umgaͤnglich noͤthig, daß man Perſonen, die weniger beſchaͤfftiget ſind, und die mit dem vornehmern Theil der Einwohner in Bekanntſchaft ſtehen, empfohlen werde. Man genießt zwar in den Handlungshaͤuſern alle moͤgliche Hoͤflichkeit; aber man erfaͤhrt durch ſie ſelten, was man am meiſten zu wiſſen verlangt, und kommt auch durch ſie in keine andre Geſellſchaften, als die von ihrem Stande ſind. Dazu kommt noch, daß ſie, alles guten Willens gegen einen Fremden unge - achtet, nicht Zeit haben, ihn den ganzen Tag uͤber zu begleiten, welches doch noͤthig waͤre.
Jch habe demnach von den hieſigen Einwohnern, ihrer Lebensart und ihrem Charakter nichts erfahren, oder ſelbſt geſehen. Das Wenige, was ich ſonſt an dieſem merkwuͤrdigen Orte geſehen habe, will ich hier anzeigen.
Die Seekuͤſte, an der Marſeille liegt, laͤuft ge - rade von Norden nach Suͤden hin, und eine große Bucht liegt an der Abendſeite dieſer Kuͤſte; von dieſer Bucht aber iſt der raͤumliche und beynahe runde Ha -H 3fen118Tagebuch von einer nach Nizzafen durch eine zwiſchen zwey hohen Felſen durchgehen - de enge Einfahrt abgeſondert, ſo daß man aus der of - fenen Bucht von der Abendſeite her in den Hafen kommt. An der oͤſtlichen Seite des Hafens laͤuft al - ſo die vorher erwaͤhnte aus ziemlich hohen Bergen be - ſtende Kuͤſte von Norden nach Suͤden hin. An die - ſen Bergen und der ſchmalen Ebene unten an denſel - ben iſt die Stadt gebaut: die aͤltere Stadt in der Hoͤhe gegen den Berg an, die neuere in der Tiefe an dem Hafen, um welche ſie ſich ſo herum zieht, daß ſie ihn beynahe ganz einfaſſet.
Eine ſehr lange, ganz gerade und ſchoͤne Straße, die von Norden nach Suͤden laͤuft, ſcheidet die alte oder obere Stadt von der neuern oder untern. Die noͤrdliche Haͤlfte dieſer Straße iſt ſehr breit, und nur an beyden Seiten gepflaſtert; in der Mitte aber iſt ein breiter, auf beyden Seiten mit hohen Baͤumen beſetzter Platz zum Spazierengehen ungepflaſtert ge - laſſen. Eine ſolche Straße wird von den Franzoſen Cours genannt, von dem italiaͤniſchen Namen Cor - ſo, eine Rennbahn, vermuthlich, weil in den aͤltern Zeiten, da man noch mehr als jetzt auf ſtarke Leibes - uͤbungen hielt, in ſolchen Straßen Rennſpiele gehal - ten worden. Die andre ſuͤdliche Haͤlfte dieſer Straße iſt etwas weniger breit, ohne Cours und ohne Baͤu - me, folglich ganz gepflaſtert, hat aber an beyden Sei - ten hohe ſchoͤne und nach ſehr guter, wiewohl einfacher Art gebaute Haͤuſer. Die ganze Straße ſchien mir beynahe eine Stunde Weges lang.
Mitten aus dieſer Straße laͤuft eine andre ſehr breite Straße gerade gegen Abend hin nach dem Ha - fen. Sie iſt ebenfalls in der Mitte ungepflaſtert,und119gethanen Reiſe. und an beyden Seiten mit hohen Baͤumen beſetzt. Der ungepflaſterte Platz dienet zum taͤglichen Markt - platz der Leute, die Obſt, Gartengewaͤchſe und ande - re zum taͤglichen Gebrauch noͤthige Dinge verkaufen; deswegen er immer ſehr mit Menſchen angefuͤllt iſt. Wenn man dieſe Straße herunter geht, wuͤrde man den am Ende derſelben liegenden Hafen gerade im Ge - ſichte haben, wenn nicht das große Arſenal an dem Hafen vorgebaut waͤre. Von dieſem Arſenal zieht ſich die Stadt rechts und links, das iſt, auf der ſuͤd - lichen und noͤrdlichen Seite, an dem Hafen herum. Die noͤrdliche Seite des Hafens aber iſt die Hauptſei - te. Der Kay oder Platz zwiſchen den Haͤuſern und dem Hafen iſt ziemlich breit; vor dem Rathhauſe aber, das gerade in der Mitte dieſes Kay liegt, iſt ein ſehr raͤumlicher Platz mit großen ſteinernen Platten ge - pflaſtert.
Man kann ſich die unbeſchreibliche Menge der Menſchen, die an dieſem Kay und auf dem großen Platz deſſelben ſich durcheinander draͤngen, kaum vorſtel - len, wenn man es nicht geſehen hat. Weil die mei - ſten Schiffe an dieſer Seite des Hafens anlegen, ſo ſiehet man beſtaͤndig eine erſtaunliche Menge Waaren aus - und einladen, und folglich hin und her ſchleppen. Das ſaͤmmtliche Schiffsvolk von einigen hundert Schiffen haͤlt ſich auch meiſt in dieſer Gegend auf, wo man Menſchen von vielen europaͤiſchen und aſiatiſchen Nationen durcheinander ſieht. Dazu kommen nun die Kaufleute, die ihre taͤglichen Zuſammenkuͤnfte oder Boͤrſe hier haben, und denn, wenigſtens um die - ſe Jahrszeit, der muͤßige Theil der Einwohner geiſt - lichen und weltlichen Standes, der in der Mittags -H 4ſtun -120Tagebuch von einer nach Nizzaſtunde zum Spazieren hieher kommt. Alles dieſes macht ein unbeſchreibliches Gedraͤng und Getuͤmmel aus, in dem aber doch alles ohne Unordnung und Zaͤn - kerey ablaͤuft, obgleich die hin und hergehenden be - ſtaͤndig an einander ſtoßen, und ſich, ſo gut es in ei - nem ſolchen Gedraͤnge ſeyn kann, Platz machen muͤſ - ſen. Der Hafen lag gegenwaͤrtig ſo voll Schiffe, daß bey weitem nicht alle am Lande anlegen konnten, ſo daß an vielen Orten drey auch vier hintereinander ſtunden, und man ſelten hier und da zwiſchen den Schiffen durch in den Hafen hineinſehen konnte.
Ein beſonderes Schauſpiel fuͤr mich war an die - ſer Seite des Hafens der Ort, wo die koͤniglichen Ga - leren und die auf dieſelben verurtheilten Sclaven lie - gen. Gegenwaͤrtig liegen nur 2 Galeren in dem Ha - fen; die andern ſind nach Toulon geſchickt worden. Sie liegen zwiſchen zwey auf beſondere Art gebauten, und uͤber dem Verdeck mit einem hoͤlzernen Dache ver - fehenen Wachtſchiffen, worauf die Mannſchaft von Seeſoldaten liegt, die taͤglich da auf die Wacht zie - hen. Zwiſchen dieſen beyden Wachtſchiffen ſtehet laͤngſt dem Kay eine Reihe kleiner hoͤlzerner Buden, deren Fenſter gegen das Waſſer, die Thuͤren aber ge - gen die Straße gehen. Dieſe Buden ſind Werkſtel - len und kleine Kramlaͤden fuͤr diejenigen Galerenſcla - ven, welche die Freyheit, fuͤr ſich zu arbeiten, oder Gewerbe zu treiben, erkaufen koͤnnen. Man trifft da Schuſter, Schneider, Tiſchler, Peruͤckenmacher und Barbierer, Hoͤker oder Troͤdler, ſogar Notarien an, die in dieſen Buden wie freye Leute ihr Gewer - be treiben, nur daß ſie Ketten tragen, und nicht von der Stelle gehen duͤrfen. Man trifft da immer eineMen -121gethanen Reiſe. Menge gemeines Volk an, das mit dieſen Leuten ſeinen Verkehr hat. Einer kauft etwas, ein andrer laͤßt ſich barbiren, oder waͤhlt ſich eine Peruͤcke, ein Drit - ter laͤßt ſich ein Memorial aufſetzen u. ſ. f.
Die Einfahrt in den Hafen iſt ziemlich enge, und eine Fregatte wuͤrde ſchon mit großer Behutſamkeit muͤſſen durchgefuͤhrt werden. Sie geht zwiſchen zwey hohen Felſen durch, die beyde mit ſtarken Forts beſetzt ſind, ſo daß die Stadt von der Seeſeite her fuͤr jeden feindlichen Anfall geſichert iſt.
Die lange Straße zwiſchen der obern und untern Stadt, deren ich vorher erwaͤhnt habe, wird gegen - waͤrtig vor das ſuͤdliche Thor faſt um ein Drit - tel ihrer jetzigen Laͤnge weiter hinausgefuͤhrt. Vor dieſem Thore war der Boden außerhalb der Stadt ſehr uneben, hatte betraͤchtliche Hoͤhen und Tiefen; hier und da ſtund ein einzeles Haus mit einem Garten. Nun wird das ganze Revier eben gemacht. Die Hoͤ - hen werden abgetragen und die Tiefen ausgefuͤllt, und eine neue Vorſtadt auf dieſen Grund gebaut. Schon ſtehen viel große und ſchoͤne Haͤuſer fertig da, und zu Erbauung anderer wurden jetzt die Materialien herbey - gefahren. Am ſuͤdlichen Ende dieſer neuen Straße wird ein großer runder Marktplatz angelegt, um wel - chen jetzt ſchoͤne und große Gebaͤude aufgefuͤhrt werden.
Dieſer Platz wird dem Marquis de Caſtellane zu Ehren la Place Caſtellane genennt werden; denn der ganze Boden, worauf der neue Bau angelegt wird, gehoͤrt dieſem Herrn, und die Arbeit an der Einrichtung des Platzes geſchieht auf ſeine Koſten, ſo wie ein großer Theil der Gebaͤude ebenfalls von ihm aufgefuͤhrt wird. Seinen Vorſchuß bekommt erH 5da -122Tagebuch von einer nach Nizzadadurch wieder, daß er die Bauſtellen und ſchon auf - gefuͤhrten Gebaͤude verkauft, und von andern kuͤnftig die Miethe ziehen wird. Es laͤßt ſich um ſo viel we - niger zweifeln, daß der Marquis guten Vortheil aus dieſem großen Unternehmen ziehen werde, weil Mar - ſeille unſtreitig fuͤr die Menge ſeiner Einwohner und den großen Handel, der da getrieben wird, zu klein iſt. Dieſes Projekt hat etwas aͤhnliches mit dem, das in Lyon ausgefuͤhrt wird. Dergleichen Unter - nehmen zeugen von dem großen Reichthume an dieſen Orten, und gehoͤren in der That unter die ruͤhmlich - ſten Bemuͤhungen, die Privatperſonen in einem Lande unternehmen koͤnnen. Es ſind wahre Verbeſſerungen des Landes; doch ſind vielleicht die noch wichtiger, die ſeit einigen Jahren in England ausgefuͤhrt wer - den, ich meine die vielen ſchiffbaren Canaͤle, wodurch der innere Verkehr von einer Stadt und von einer Grafſchaft zur andern ſo ſehr erleichtert wird.
Jch hatte hier das Vergnuͤgen, in dem Gaſtho - fe, wo ich abgetreten war, den Herrn Ellis, ehema - ligen Gouverneur von Neuyork, wieder anzutreffen, den ich gerade vor 11 Jahren in Spaa kennen ge - lernt habe. Er iſt eben der beruͤhmte Seefahrer, von dem man eine ſchoͤne Reiſebeſchreibung nach der Hudſonsbay hat. Er ſagte mir, daß er nun alle Seereiſen aufgegeben habe, aber jetzt deſto mehr zu Lande in Europa herum reiſe. Dieſe koſtbare, aber auch ſehr angenehme Art des Zeitvertreibes machen ſich viele Englaͤnder, und man trifft beſonders in dem mittaͤglichen Frankreich und in Jtalien in allen großen Staͤdten einige von dieſen Herren an; daher wird be - ſonders in der Provence bald jeder reiſende Auslaͤnder,der123gethanen Reiſe. der nicht ein Kaufmann iſt, von dem Volke fuͤr einen Englaͤnder gehalten. Nach der Vorſtellung des Poͤbels ſind ſie alle Mylords. Hiebey faͤllt mir ein, daß mein Poſtillon einsmals in einem Geſpraͤch mit einem Wirth eines engliſchen Lords erwaͤhnte, den er auch durch dieſe Straße gefuͤhrt habe. Der Wirth, der nur von Mylords wußte, fragte den Poſtillon, was denn ein Lord fuͤr ein Herr ſey. Dieſer ſchien uͤber dieſe Frage erſt etwas verlegen zu ſeyn, ſagte aber doch endlich ganz zuverſichtlich, ein Lord ſey ein vornehmer Herr, etwas mehr als ein Mylord, und der vornehmſte in England.
Das kalte Wetter trieb mich von Marſeille weg, und ich ſehnte mich doch auch nach der Ruhe in einer warmen Gegend. Jch miethete einen Kutſcher, der mich in einem Tage nach Hieres bringen ſollte; da man gewoͤhnlich anderthalb Tage dazu nimmt, und die Nacht in Toulon bleibet. Weil ich mir aber vorgenommen hatte, dieſe Stadt von Hieres aus zu beſuchen, ſo wollte ich ſie diesmal vorbeygehen.
Von Marſeille aus faͤhrt man eine gute MeileWeg von Marſeille nach Toulon und Hieres. weit zwiſchen ziemlich hohen Gartenmauern, die keine Ausſicht verſtatten. Die Anzahl der kleinern und groͤßern Landhaͤuſer, oder Baſtides, um Marſeille herum, iſt erſtaunlich groß, und belaͤuft ſich auf viele Tauſende. Die meiſten davon ſind nicht groß, ha - ben auch nur kleine Gaͤrten ohne Schatten, und noch etwa ein wenig Weinland mit Olivenbaͤumen beſetzt. Nur zur Seltenheit ſiehet man in dieſen kleinen Land -guͤtern124Tagebuch von einer nach Nizzaguͤtern etwa eine Allee von Pappeln, oder von dem Neſſelbaum oder Alizier, wie er hier genennt wird. (Celtio fructu nigro, Tournef.) Die Haͤuſer ſind alſo das Vornehmſte, und dienen den Eigenthuͤmern insgemein vom Sonnabend Abend bis an den naͤchſten Montag zur Ergoͤtzlichkeit. Mit einer Familie im Sommer da zu wohnen, wuͤrde wegen der großen Hi - tze und Mangel des Schattens nicht angehen.
Eine Meile von Marſeille erweitert ſich das enge Thal, wodurch man faͤhrt, etwas; man ſiehet jetzt linker Hand am Wege einige angenehme Wieſen, ei - ne in dieſem Lande ſeltene Sache; und das Land iſt ſtark mit Baͤumen beſetzt. Bey jetziger Jahreszeit, da die Blaͤtter der Baͤume ihre Farbe veraͤndern, iſt hier die Ausſicht ſehr angenehm. Von beyden Sei - ten der Straße ſieht man ſteile Berge, zwiſchen de - nen die Straße geht. Auf dieſen wechſelt die weißli - che und graue Farbe der Felſen mit dem hellen Gruͤn der uͤberall dazwiſchen wachſenden Pinaſter, und dem dunkeln Gruͤn der Steineiche ab. Jm Grunde ge - ben die Weinreben, die jetzt gruͤne, gelbe und rothe Blaͤtter haben, das blaſſe Gruͤn der Olivenbaͤume, die Maulbeerbaͤume, die Wieſen, Aecker, und die uͤberall herum zerſtreuten kleinen Gebaͤude eine große Mannichfaltigkeit von Formen und Farben zu ſehen.
Ueber Aubagne hin wird das Thal wieder enger, und etwa eine Stunde weit hinter dieſem Orte ſtoßen die Berge, die man bis dahin zur Seite gehabt hat, zuſammen, und verſchließen das Thal. Nun geht der Weg allmaͤhlig in die Hoͤhe und uͤber dieſe Berge weg. Sie ſind hier etwas dichter mit Pinaſternbe -125gethanen Reiſe. beſetzt, die einen zwar duͤnnen und niedrigen, aber doch angenehmen Wald ausmachen.
Wenn man von dieſer Hoͤhe auf der Morgenſeite herunter faͤhrt, hat man ein ganz rundes Thal vor ſich, rings herum von maͤßig hohen Bergen umgeben, das von der Hoͤhe wie der Boden eines großen Keſ - ſels ausſieht. Gerade der Straße gegenuͤber an dem jenſeitigen Ende des Thales ſieht man das Staͤdtchen Cujes liegen. Sonſt iſt das Thal, die in der Mitte der durch daſſelbe gehenden Landſtraße gepflanzten Baͤume ausgenommen, ganz kahl. Der Acker aber ſcheinet fruchtbar zu ſeyn. Es ſind hier viel Aecker mit der Capernſtaude in verſchoͤbenen Reihen (en quinconce) etwa vier Fuß weit auseinander bepflanzt. Dieſe Staude ſtirbt im Herbſte bis etwa eine Spanne von der Wurzel ab, alsdenn wird das duͤrre Holz abge - ſchnitten. Hier wird die Wurzel mit den kurz be - ſchnittenen Zweigen im Herbſt mit Erde bedeckt, die ziemlich hoch daruͤber angehaͤuft wird, damit die Naͤſ - ſe und der Froſt nicht eindringen; welche beyde dieſen Stauden verderblich ſind. Eine angenehme Ausſicht in dieſem ebenen Thale machen die an der Nordſeite liegenden Berge, die bis etwa auf den vierten Theil ihrer Hoͤhe in ſchmale, aber genau wagrecht laufende Straßen abgetheilt ſind. Sie haben gerade das An - ſehen eines alten Schauplatzes, deſſen herumlaufende Sitze durch dieſe Terraſſen vorgeſtellt werden. Hier faͤngt alſo dieſe nuͤtzliche Erfindung, die ſteilſten Berge zum Wein - und Feldbau tuͤchtig zu machen, an, und erſtreckt ſich laͤngſt den Kuͤſten des mittellaͤndiſchen Meeres bis uͤber Genua hin; denn dieſer ganze Strich Landes iſt ſehr bergig, und die Berge durchge -hends126Tagebuch von einer nach Nizzahends ſehr ſteil. Es verurſacht ein wahres Vergnuͤ - gen, an ſolchen Anſtalten die Arbeitſamkeit und den erfinderiſchen Witz der Menſchen zu ſehen, die gegen die Ungemaͤchlichkeiten der Natur kaͤmpfen, um ſich Land zum Feldbau zu verſchaffen, wo die Natur es verſagt hatte. Nil mortalibus arduum.
Jn Cujes, einem Flecken, wo ich zu Mittag ſpei - ſete, fand ſich allmaͤhlig eine ziemlich anſehnliche Ge - ſellſchaft Reiſender ein, die ebenfalls da ausſpannten. Es kamen da Land - und Seeofficiere, Edelleute, rei - ſende Ordensleute und Kaufleute, worunter auch ein Armenier war, zum Eſſen zuſammen. Ungeachtet in jedem kleinen Orte mehrere Gaſthoͤfe ſind, ſo iſt es mir doch von Lyon aus bis Hieres, einem Wege von mehr als 50 deutſchen Meilen, auf dem ich ſieben Tage zugebracht habe, nur ein einzigesmal begegnet, daß ich des Mittags und Abends allein geſpeiſet habe. Ueberall finden ſich mehrere Reiſende zuſammen. Es war hier ziemlich reinlich und gut; wie denn uͤberhaupt in dieſem untern Theile der Provence die Unreinlichkeit nicht mehr ſo ſehr herrſchet, als im[Dauphiné].
Von Cujes aus geht eine gerade, ganz ebene mit ſchoͤnen jungen Maulbeerbaͤumen beſetzte Straße, zwiſchen den ſchoͤnſten Wein - und Kornfeldern durch, bis man etwa eine Stunde weit hinter gedachtem Orte allmaͤhlig auf eine Hoͤhe heranfaͤhrt, von der man ſich hernach einem gar ſeltſamen und fuͤrchterlichen Felſen - ſchlund naͤhert, durch welchen die Straße gehet. Die - ſes iſt einer der wildeſten und fuͤrchterlichſten engen Paͤſſe, die ich jemals geſehen habe.
Die Berge, die man von Cujes aus rechter und linker Hand der Straße geſehen, ſtoßen hier zuſam -men;127gethanen Reiſe. men; und hier wuͤrde der Weg nach Toulon voͤllig verſperrt ſeyn, wenn nicht ein Waldſtrom, wie man augenſcheinlich ſieht, mitten durch die Felſen eine Oeff - nung gemacht haͤtte. Ueber dieſe Berge zu kommen, waͤre den Gemſen ſelbſt unmoͤglich; denn ſie ſind ſteil wie Mauren, und ſo kahl, daß nicht eine Spur irgend eines aus den Spitzen der Felſen herauswachſen - den Kraͤutchens zu finden iſt.
Ganz tief zwiſchen dieſen Felsklumpen hat ein reiſſender Bach, der aber jetzt wenig Waſſer hatte, ſich ſein Bett ausgegraben, das durch hundert Kruͤm - mungen zwiſchen dieſen rauhen Felſen durchgeht. Man ſollte denken, die Berge waͤren hier durch ein Erdbeben von oben an bis auf den Grund geſpalten worden, und haͤtten ſich ein wenig auseinander gege - ben. Denn die tiefe Kluft iſt noch ſehr enge, und nicht uͤber 30 bis 50 Fuß weit.
Durch dieſe Kluft geht nun die Landſtraße, die an der ſuͤdlichen Seite, oder am rechten Bord gedach - ten Baches, etwa 10 bis 12 Fuß uͤber ſeinem Bett, in den Felſen ausgehauen, und gegen den Bach mit einer Mauer befeſtiget iſt. An dieſem Wege gehen die Felſen ſenkrecht einige hundert Fuß in die Hoͤhe. An einigen Orten hangen ſie gegen den Weg merklich uͤber, und ſo iſt auch die gegenuͤber ſtehende Felſen - wand. Man muß den Kopf merklich ruͤckwaͤrts le - gen, um aus dieſer Kluft heraus einen ſpannenbreiten Streifen des Himmels zu ſehen. Nun geht dieſe Straße ziemlich ſteil immer tiefer in dieſe Kluft herab, ſo daß man nicht nur weiter herein, ſondern auch im - mer tiefer in den Abgrund herunter kommt. Und weil der Weg ſich gar oft und ſchnell kruͤmmt, ſo ſiehtman128Tagebuch von einer nach Nizzaman immer nur wenige Schritte vor ſich, ſieht alles mit graͤulichen Felſen verſperrt, und glaubt, dort, wo man ihn nicht weiter ſehen kann, werde man in ein tiefes Loch herabſtuͤrzen.
Dieſer ſonderbare Weg iſt uͤbrigens gemaͤchlich genug, wenigſtens gar nicht holprig, und etwa eine Viertelmeile lang. Bey dieſer Durchfahrt fiel mir der Wunſch ein, daß Homer moͤchte durch eine ſol - che Kluft gereiſet ſeyn. Was fuͤr ein erſtaunliches Ge - maͤlde wuͤrde er nicht irgendwo in der Odyſſee daraus gemacht haben! Jch fuhr bey dem ſchoͤnſten hellſten Wetter hier durch, und hatte folglich, da die Felſen weißgrau ſind, uͤberall ein gutes Tageslicht. Aber ich ſtelle mir vor, wie es bey truͤbem Himmel, wenn es regnet und ſtuͤrmt, auch allenfalls noch donnert, hier ausſehen muͤſſe.
Wenn man durch dieſen Paß heraus iſt, kommt man in ein zwar immer noch ganz ſchmales und tiefes, aber fruchtbares mit vielen ungemein ſchoͤnen Olivenbaͤu - men bepflanztes Thal, das an ſich eine Wildniß iſt, jetzt aber, nachdem man aus dieſer hoͤlliſchen Kluft in die Oberwelt kommt, als ein Paradies erſcheint.
An dem Ausgange dieſes Thales gegen die Ebene von Toulon liegt die kleine Stadt Ollioules, die durch die aͤrgerliche Geſchichte des Jeſuiten Girard mit der Nonne Cadiere beruͤhmt geworden. Es ſind hier betraͤchtliche Seifenſiedereyen, wozu meiſt alles hierherum gepreßte Oel gebraucht wird. Jm Durchfahren durch das Staͤdtchen ſah ich, daß die Leute hier vermittelſt tragbarer, wiewohl ziemlich groſ - ſer Preſſen, den Wein vor ihren Haͤuſern auf der Straße keltern.
Von129gethanen Reiſe.Von Ollioules bis nach Toulon iſt der Weg zwar Anfangs wegen vieler auf der Straße losliegen - der Steine etwas holprig, wird aber bald beſſer, und iſt wegen der herrlichen Ausſicht uͤber eine weite Stre - cke Landes auf das offene Meer hinein, wegen der la - chenden Schoͤnheit des Landes und der erſtaunlichen Menge ungemein großer und ſchoͤner Olivenbaͤume ſehr angenehm. Jn dieſer Gegend wird das meiſte Oel gewonnen, das wegen ſeiner geringern Guͤte mei - ſtentheils zu Seifenſiedereyen gebraucht wird.
Um Toulon herum ſind ebenfalls, wie um Mar - ſeille, eine Menge Baſtides, die durchgehends eine angenehme Lage haben. Je naͤher man an die Stadt kommt, je ſchoͤner wird die Gegend; und an einigen im Freyen ſtehenden Dattelbaͤumen ſiehet man, daß hier eine waͤrmere Luft ſeyn muͤſſe, als in den Gegen - den, durch welche man bis hieher gekommen iſt. Doch ſah ich auch hier, daß die Capernſtaude auf den Feldern mit Erde bedeckt wird. Jch fuhr um das Glacis der Feſtung die Stadt vorbey, und kam mit anbrechender Nacht nach La Valette, einer artigen klei - nen Stadt, und gegen acht Uhr langte ich in Hieres an.
Jch hattte von Marſeille bis nach Cujes 95179 Fuß. — Cujes bis nach Hieres 152640 —
Jn allem 247819 oder 9 ⅞ Meilen.
Jch hatte das Gluͤck, gleich den Tag nach mei - ner Ankunft ein ſehr artiges, neugebautes und bequem eingerichtetes Gartenhaus zu miethen, fuͤr welchesJmonat -130Tagebuch von einer nach Nizzamonatlich nur 40 Livres Miethe genommen wurden. Jch zog alſo gleich ein, und machte Anſtalt, mich fuͤr ein paar Monate hier einzurichten. Herr de Luc hatte mir in Lauſanne ein Empfehlungsſchreiben an Herrn Alhiet, einen der angeſehenſten Einwohner in Hieres, mitgegeben. Da ich hoͤrte, daß er ſich ge - genwaͤrtig auf ſeinem Landgute, eine Stunde von der Stadt, aufhielt, ſchickte ich gleich einen Boten mit meinem Empfehlungsſchreiben an denſelben. Er hat - te die Gefaͤlligkeit, gleich den andern Tag nach der Stadt zu kommen, und mir zu den kleinen Einrich - tungen, die ich zu veranſtalten hatte, mit ausnehmen - der Dienſtfertigkeit behuͤlflich zu ſeyn. Man erfaͤhrt bey dergleichen Gelegenheiten, was fuͤr einen hohen Werth man auf Gefaͤlligkeit und Dienſtfertigkeit zu ſetzen habe. Jch wuͤrde ohne den Beyſtand dieſes rechtſchaffenen Mannes hier mich in großer Verlegen - heit befunden haben, da ich voͤllig allen Menſchen un - bekannt war, und nicht einmal ihre Sprache verſtund; denn die hieſige pronvenzaliſche Sprache, die dem Volk allein bekannt iſt, ſcheinet faſt gar keine Aehnlichkeit mit der franzoͤſiſchen Sprache zu haben Er richtete meine kleine Haushaltung ein, und verſchaffte mir ei - ne Koͤchinn, die beynahe die einzige in ganz Hieres war, die franzoͤſiſch ſprechen konnte. Bald ſollte ich auf die Gedanken kommen, daß Redlichkeit und Dienſt - fertigkeit angeborne Tugenden der hieſigen Einwohner ſeyn. Die wenigen Perſonen, mit denen ich hier zu thun hatte, beſaßen beyde in einem vorzuͤglichen Gra - de, und haben ihr Andenken in meinem Gemuͤthe mit Hochachtung und Dankbarkeit hinterlaſſen. Bey meiner Ankunft trat ich in einem ſchlechten Gaſthofevor131gethanen Reiſe. vor dem Thore der Stadt ab, und blieb nur eine Nacht in demſelben. Alſo hatten dieſe Leute eben kei - nen Genuß von mir. Dennoch fand ich die ganze Zeit meines hieſigen Aufenthalts hindurch die Wirthin, ein altes gutes Muͤtterchen, ihre Tochter, ein ange - nehmes Maͤdchen, und ihren Sohn, der der Koch im Hauſe iſt, ſo ausnehmend dienſtfertig, als wenn ich ihr naͤchſter Anverwandter geweſen waͤre. Jch konnte uͤber alles, was ich nur noͤthig hatte, ihnen nur einen Wink geben, ſo gaben ſie ſich gleich alle Muͤhe, es mir zu ſchaffen. So war die Koͤchinn, die man fuͤr mich gemiethet hatte, ein zartes ſchwaͤch - liches Maͤdchen von 20 Jahren; ſo die Leute, wel - che ein kleines Nebengebaͤude des Hauſes bewohnten, in dem ich mich aufhielt. Nirgend habe ich ſo viel herzliche Dienſtfertigkeit angetroffen als hier.
Jch kann mich nicht enthalten, noch ein Beyſpiel hievon anzufuͤhren. Denn ſo gering dieſe Dinge ſcheinen, ſo gehoͤren ſie wirklich unter die merkwuͤrdig - ſten Beobachtungen eines Reiſenden. Jch hatte mich eines Tages mit meinem Bedienten auf einem Spa - ziergange ziemlich weit von der Stadt in den Bergen ſo verirret, daß ich nirgends einen Weg mehr vor mir ſah. Von der Hoͤhe herunter wurde ich eine kleine Huͤtte gewahr, auf die ich herunter zu kommen ſuch - te, um von dort aus wieder auf einen guten Weg nach der Stadt zu gelangen. Es war ſchwer, den Berg herunter zu kommen, weil man an verſchiede - nen Orten ploͤtzlich an jaͤhe Felſen kam, uͤber die nicht herunter zu kommen war. Jch kam endlich an be - bautes Land herunter, und befand mich alſo mitten in dem kleinen zu bemeldeter Huͤtte gehoͤrigen Guͤtchen,J 2muß -132Tagebuch von einer nach Nizzamußte queer uͤber angebautes Land herunter gehen, mich durch die da angepflanzten Weinreben durcharbei - ten, und mich oft an Weinreben oder kleinen Baͤu - men feſthalten, um auf dem ſteilen Boden nicht zu fallen. Auf einmal wurde ich einen Mann gewahr, der der Eigenthuͤmer dieſes Guͤtchens war. Jch be - ſorgte, er wuͤrde unwillig ſeyn, zwey ihm unbekannte Menſchen anzutreffen, die von einer ſo ungewoͤhnli - chen Seite her in ſein Eigenthum eingedrungen wa - ren, und ſich nun mitten durch daſſelbe einen Weg bahnten. Aber hoͤchſt angenehm und ruͤhrend fand ich mich uͤberraſcht, als ich den Mann mit heiterem freundlichen Geſicht auf mich zukommen ſah, um mir, wo das Abſteigen beſchwerlich war, die Hand zu bie - ten, und mir herunter zu helfen. Jch konnte ihn wenig verſtehen; aber die Zeichen machten ſeine Spra - che verſtaͤndlicher. Er noͤthigte mich mit Gutherzig - keit in ſeine Huͤtte, um mir Erfriſchung anzubieten. Weil es eben in der Mittagsſtunde war, und ich nach Hauſe eilte, ſo mußte ichs verbitten. Er wandte ſich darauf an meinen Bedienten, und verlangte, daß dieſer wenigſtens ſeinen Wein koſten ſollte u. ſ. w. Jch geſtehe, daß dieſes menſchenfreundliche Betragen mich ungemein ruͤhrte. Und ſo fand ich auch die Ei - genthuͤmer der Kuͤchengaͤrten, in welche ich gar oft, da ich der Wege unkundig war, heruͤberſteigen muß - te, um wieder auf einen gebahnten Weg zu kommen. Jn manchem andern Lande wuͤrden die Leute den ſehr unfreundlich empfangen, der ſo, wie ich hier biswei - len aus Noth that, in ihre Gaͤrten eingedrungen waͤ - re. Aber hier fand ich die Leute uͤberall hoͤflich und gefaͤllig, und ich habe den vortheilhafteſten Begriffvon133gethanen Reiſe. von dem leutſeligen Charakter der hieſigen Einwohner davon getragen.
Die Gegend um Hieres beſteht aus einem ganz ebenen niedrigen Lande, das rings herum von Bergen eiegeſchloſſen iſt, außer an der Mittagsſeite, wo es an das Meer ſtoͤßt. Dieſe Plaͤne iſt ohngefaͤhr eine gute Stunde Weges lang und breit. Wenn man mitten darauf iſt, ſo glaubet man ſo gaͤnzlich von Bergen umringt zu ſeyn, daß nirgends ein Ausgang ſey. Jndeſſen geht doch von hier aus gegen Abend hin ein ſchmales Thal bis nach Toulon. Das ebene Land wird durch einen kleinen Fluß, Gapaud genannt, der von Norden her tief aus den Gebuͤrgen kommt, und ins Meer fließt, in zwey Haͤlften getheilt, davon beſonders die an der Abendſeite, oder rechter Hand des Fluſſes, ſehr fruchtbar iſt.
Die dies kleine Land umgebenden Berge theilen ſich in eine große Menge von Huͤgeln verſchiedener Groͤße und Formen. Viele dieſer Huͤgel ſind nacken - de Felſen. Andere ſind mit dem Pinaſter und man - cherley Geſtraͤuch bewachſen. Alle dieſe Berge ſind durchgehends ſehr ſteil. Der untere Theil derſelben iſt meiſtentheils angebaut, mußte aber uͤberall zu die - ſem Behuf in Terraſſen eingetheilt werden; doch iſt das an dieſen Bergen bebaute Land rauh und ſehr ſtei - nig. Nur die Olivenbaͤume, mit denen es uͤberall reichlich beſetzt iſt, kommen ſehr gut darauf.
Das ebene Land laͤuft gegen die See allmaͤhlig aus, und wird moraſtig, ſo daß man nur an wenig Orten wirklich bis an die See heran kommen kann. Vor dieſem Lande, etwa eine Stunde weit ins Meer hinein, liegen die ziemlich hohen hieriſchen Jnſeln,J 3zwi -134Tagebuch von einer nach Nizzazwiſchen denen und dem feſten Lande eine weite, aber ſeichte und vollkommen ſichere Bucht liegt. Nur an ein paar Orten ſiehet man zwiſchen den Jnſeln auf das hohe Meer hinaus.
Es ſcheinet allerdings, daß dieſe ganze Ebene um Hieres ehedem eine Bucht der See geweſen ſey. Herr Buͤſching ſagt in ſeiner Geographie, daß ehe - dem bey Hieres ein Hafen geweſen, und daß hernach die See ſich auf zweytauſend Schritt zuruͤckgezogen ha - be. Man kann hier wohl errathen, was es mit die - ſem Zuruͤcktreten des Meeres, ſo wie vermuthlich auch an vielen andern Orten, wo ſich dieſes zugetragen haben ſoll, fuͤr eine Bewandtniß hat. Die Bucht war ſehr ſeicht, und iſt allmaͤhlig durch die von dem bey Regen - wetter ſehr anſchwellenden Fluſſe hergefuͤhrten Steine und Erde ausgefuͤllt worden. Alſo mußte freylich das Waſſer zuruͤckweichen, da es von Erde und Stei - nen verdraͤngt wurde. Dergleichen Ausfuͤllungen ſeichter Buchten, in welche ſich Fluͤſſe ergießen, muß - ten nothwendig mit der Laͤnge der Zeit ſeltener werden, weil endlich nach viel tauſendmal wiederholten Auf - ſchwellungen der Fluͤſſe, und der von den Seiten in dieſelben ſtroͤmenden Baͤche, alle an den Ufern befind - liche Steine und Erde weggefuͤhrt worden, ſo daß ge - genwaͤrtig dieſe Fluͤſſe und Baͤche feſte Ufer haben. Es geſchieht noch jetzt, daß nach langem Regenwet - ter, oder bey ploͤtzlichem Aufthauen des den Winter uͤber in den Bergen geſammelten Schnees, der ge - dachte Fluß aus ſeinem Ufer tritt, und das Land her - um auf 5 bis 6 Fuß hoch uͤberſchwemmt. Da er aber jetzt nur noch wenig Stein und Erde auf ſeinem Laufe mit fortreißt, ſo laſſen ſolche Ueberſchwemmun -gen135gethanen Reiſe. gen auch keinen betraͤchtlichen Bodenſatz mehr zu - ruͤcke.
Da man in den neuern Zeiten von dergleichen Er - weiterungen des feſten Landes gegen das Meer nichts mehr hoͤrt, ſo laͤßt ſich daraus abnehmen, daß der Erdboden, auf dem ehedem ſo gewaltſame Revolutio - nen vorgefallen, jetzt vielleicht in dem Zuſtande ſemer Beharrlichkeit ſey. Jn den aͤltern Zeiten waren der - gleichen Anſpuͤhlungen gemein. Herr Robert Wood beweiſet in ſeinen ſchoͤnen Anmerkungen uͤber den Homer, daß die Kuͤſte von Niederaͤgypten ge - genwaͤrtig um eine betraͤchtliche Strecke weiter ins mittellaͤndiſche Meer herein tritt, als zu den Zei - ten jenes Dichters; und Herr Chandler macht aͤhn - liche Bemerkungen uͤber die joniſchen Kuͤſten in Klein - aſien. Steigen wir noch einige Jahrhunderte uͤber die Zeiten des Homers herauf, ſo treffen wir weit wichtigere Veraͤnderungen dieſer Art an, wie die Fluth zu Deucalions Zeiten, den Durchbruch des Pon - tus in das aͤgeiſche Meer, deſſen Polybius geden - ket, u. a. m. Daraus laͤßt ſich doch nicht unwahr - ſcheinlich abnehmen, daß der Erdboden, oder wenig - ſtens ſeine gegenwaͤrtige Geſtalt uͤberhaupt betrachtet, von ſo erſtaunlichem Alter nicht ſey, wie einige neuere Naturforſcher haben behaupten wollen. S. Bry - dons Reiſe nach Sicilien.
Außer dem erwaͤhnten Fluß kommen noch hier und da aus einigen zwiſchen den Bergen liegenden To - beln kleine ſehr magere Baͤche heraus, die ſich nach und nach in etwas groͤßere ſammeln, und, nachdem, ſie von den fleißigen Einwohnern zur Waͤſſerung ih -J 4rer136Tagebuch von einer nach Nizzarer Gaͤrten und Wieſen gebraucht worden, durch die Ebene ins Meer fließen.
An der nordweſtlichen Seite der dieſes kleine Land umgebenden Berge, gerade da, wo ſich das enge ge - gen Toulon heruntergehende Thal oͤffnet, liegt die Stadt Hieres, an einen der hoͤchſten, ſehr ſteilen und oben ganz ſpitzigen Berg angebaut. Gerade uͤber der Stadt laͤuft dieſer Berg in eine voͤllig nackende Felſenſpitze aus, die man in einiger Entfernung fuͤr Mauren und Thuͤrme einer uͤber die Stadt gebauten Citadelle halten moͤchte. Von der Ebene her hat die Stadt wegen der ſteilen Anhoͤhe, an die ſie gebaut iſt, ein ziemlich praͤchtiges Anſehen; und verſchiedene Kir - chen und Gebaͤude fallen von der Hoͤhe herunter ſehr gut ins Auge. Jn der Naͤhe aber und innerhalb iſt der Ort ſehr unangenehm. Er hat zwar hohe und maſſiv gebaute Haͤuſer, aber ſehr enge, daher finſte - re und an einigen Orten ſehr ſteile Straßen. Der obere Theil der Stadt liegt auf einem hohen und ſehr ſchwer zu erſteigenden Felſengrunde. Daſelbſt liegt ein adeliches Fraͤuleinſtift, und ein Collegialſtift von 12 Chorherren. Es wohnen auch verſchiedene ade - liche und einige wohlhabende buͤrgerliche Familien dar - innen. Aber bey weitem der groͤßte Theil der Ein - wohner beſteht aus Ackerleuten, einigen Handwerks - leuten und Kraͤmern.
Nicht nur etwas ſeltene, zum feinern Leben gehoͤ - rige, ſondern auch alltaͤgliche gemeine Beduͤrfniſſe ſind hier nicht zu kaufen, ſondern muͤſſen aus Tou - lon, das 3 Lieues von Hieres liegt, dahin geholt werden. Dazu aber zeiget ſich die Gelegenheit faſt alle Tage. Jch hatte eine Frau beſtellt, die meinePour -137gethanen Reiſe. Pourvoyeuſe war, und dreymal die Woche den Zed - del bey mir abholte, auf dem das Noͤthige, was ich brauchte, verzeichnet war, und hernach dieſe Sachen mir ins Haus brachte. Zur Belohnung gab ich ihr jedesmal nach Gutduͤnken einige wenige Sols, und ſie war allemal wohl zufrieden. Auf dieſe Weiſe laͤßt man Fleiſch, Fiſche, Obſt, Caffee, Zucker u. dgl. aus Toulon holen. Sogar Tinte konnte ich in Hie - res nirgend zu kaufen bekommen. Aber an ſehr gu - ten Gartengewaͤchſen iſt hier ein Ueberfluß, und das Brod iſt das beſte, das ich jemals gegeſſen habe. Holz iſt etwas ſelten, und wird centnerweiſe gekauft, der Centner fuͤr 9 Sols.
Gegen die Ebene herunter, und ganz auf der Ebene, beſonders in dem gegen Toulon hinlaufenden engen Thal, iſt die Stadt mit unzaͤhligen Gaͤrten um - geben, in deren jedem eine Baſtide, das iſt, ein nach den Umſtaͤnden mehr oder weniger großes, allezeit aber maßives Wohnhaus iſt. Die naͤchſten Gaͤrten an der Stadt ſind meiſtentheils blos mit Citronen - und Orangenbaͤumen beſetzt, auch mit hohen Mauern um - geben. Eine Menge ganz enger Gaͤßchen gehen ins Kreuz und in die Queer zwiſchen dieſen Mauern durch, ſo daß das Ganze einem Labyrinth gleich wird, aus dem ſich ein Fremder nicht wohl herausfinden kann. Dieſes macht das Spazierengehen etwas beſchwerlich, weil man, um etwas ins Freye zu kommen, erſt durch dieſes Labyrinth hinaus muß.
Dieſe Citronen - und Pommeranzengaͤrten ſind meiſt durchgehends blos auf die Nutzung dieſer Baͤu - me eingerichtet, die man durch den ganzen Garten ſo nahe an einander ſetzet, als moͤglich iſt. Der Gar -J 5ten,138Tagebuch von einer nach Nizzaten, in dem ich wohnte, war gar nichts, als ein mit ſolchen Baͤumen bepflanzter Platz; ſie waren uͤberall acht Fuß auseinander geſetzt. Man konnte alſo nir - gend darin herum gehen, weil keine Gaͤnge gelaſſen waren. Jch bin auch nur ein einzigesmal auf zwey Minuten darin geweſen. Die etwas weiter entlege - nen Gaͤrten ſind beſſer eingerichtet, in Quartiere und dazwiſchen liegende Gaͤnge eingetheilt. Da werden die Pommeranzenbaͤume ſo geſetzt, wie bey uns die Obſtbaͤume in Kuͤchengaͤrten. Und man goͤnnet auch andern Baͤumen, als Obſtbaͤumen, Mandel-Feigen - und Kirſchbaͤumen Platz; das Land aber wird zu Pflanzung der Kuͤchengewaͤchſe gebraucht. Jn ganz entlegenen Orten werden wenig Pommeranzenbaͤume geſetzt; und die Gaͤrten dienen da fuͤrnehmlich zum An - bau der Kuͤchengewaͤchſe und der Blumen. Eigent - liche Luſtgaͤrten, oder auch nur einzelne kleine Luſtre - viere, findet man hier auch in groͤßern Gaͤrten nicht; alles iſt lediglich auf den Gewinn eingerichtet. Zur Luſt ſieht man etwa ein paar hohe traurige Cypreſſen - baͤume am Eingange des Gartens, und wo rechte Pracht ſeyn ſoll, etwa ein paar Dattelbaͤume.
Der Handel mit Citronen und Orangen macht hier ein betraͤchtliches Gewerb aus. Alles wird in Kiſten verpackt und verſchickt. Der Ertrag iſt nam - haft. Man hat mir einen Garten gezeigt, den ich 9 bis hoͤchſtens 10 Morgen, jeden von 180 rheinl. Quadratruthen ſchaͤtzte; aus dieſem ſollen in mittel - maͤßigen Jahren fuͤr 8 bis 9000 Livres Citronen und Pommeranzen verkauft werden; in ganz frucht - baren Jahren ſoll der Ertrag auf 14000 Livres ge - ſtiegen ſeyn. Doch wird das Hundert ſolcher Fruͤchtenur139gethanen Reiſe. nur fuͤr 1 Livre oder 6 Groſchen ſaͤchſiſches Geld ver - kauft. Aber auch aus den abfallenden Bluͤhten wird Nutzen gezogen. Sie werden geſammelt, und den Parfumeurs verkauft. Denn es giebt in Marſeille und allen großen Staͤdten dieſer Seekuͤſte viel Fabri - ken, wo Parfums und wohlriechende Pommaden ge - macht werden. Man hat deswegen in den Gaͤrten auch andere wohlriechende Straͤuche und Baͤume, wie Jasmin, die Acacia Mimoſa u. ſ. w. deren Blumen einen ſehr lieblichen Geruch haben.
Auch mit Kuͤchengewaͤchſen und Blumen wird hier ein ſtarker Handel getrieben. Alle Arten Kohl ſind hier ſehr delicat, und es werden ganze Felder mit Ar - tiſchocken bepflanzt. Faſt alles dieſes wird nach Tou - lon und Marſeille geſchickt, ſo wie auch die Blu - men, die hier zu einer Jahrszeit aufbluͤhen, da man an dieſen weniger warmen Orten keine mehr hat. Alſo iſt die Gaͤrtnerey hier ein betraͤchtlicher Nahrungszweig.
Meiſt alle Gaͤrten koͤnnen hier gewaͤſſert werden; es iſt angenehm zu ſehen, wie artige und kuͤnſtliche Einrichtungen hier gemacht ſind, das wenige laufen - de Waſſer zu nutzen. Man ſieht uͤberall laͤngſt den Gartenmauern kleine gemauerte Waſſerleitungen, die ſo angelegt ſind, daß man das Waſſer nach Erfor - derniß kann in die Gaͤrten leiten, oder vorbey fließen machen.
Der groͤßte Theil des ebenen Landes aber beſteht aus Aeckern und Wieſen, deren Boden ſehr fruchtbar ſcheinet. Das Ackerland iſt, wie in dieſer Provinz durchgehends, in ſchmale Streifen eingetheilt, die wechſelsweiſe mit Weinreben bepflanzt ſind, und mit Waizen angeſaͤt werden. Außerdem aber ſind ſienoch140Tagebuch von einer nach Nizzanoch reichlich mit Olivenbaͤumen, Feigen - und auch etwas Mandelbaͤumen beſetzt. Die Weinreben wer - den hier nicht angeheftet. Sie beſtehen aus alten di - cken Staͤmmen, von etwa einer haͤlben Elle hoch. Dieſe treiben jaͤhrlich Schoſſe aus, welche denn bis auf zwey Augen beſchnitten werden. Der Landmann weiß dieſes ſo gut zu regieren, daß immer junges tragbares Holz austreibt, ohne daß der dicke Stamm durch Anwachs erhoͤhet wird*)Palladius haͤlt dieſes fuͤr die beſte Art, die Weinre - ben zu ziehen. Vineae, ſagt er, in provinciis mul - tis generibus fiunt; ſed optimum genus eſt, ubi vitis velut arbuſcula ſtat brevi crure fundata. .
Man findet haͤufig in den Weinfeldern kleine vier - eckige Plaͤtze, etwa 10 Fuß ins Gevierte, die mit Steinen gepflaſtert und denn mit Kalk uͤbergoſſen ſind, ſo daß der Boden feſt und eben iſt. Um drey Sei - ten eines ſolchen Platzes ſind kleine etwa dritthalb Fuß hohe Mauren geſetzt, an der vierten ſind ſie offen. Der Boden iſt von der offenen Seite gegen die hinte - re Mauer etwas abhaͤngig, und mitten an der hintern Mauer dicht am Boden geht ein kleiner gemauerter Canal durch die Mauer. Dieſe Plaͤtze dienen dazu, daß bey der Weinleſe die abgeſchnittenen Trauben dar - auf zuſammengetragen werden. Hier werden ſie her - nach abgeholt, und auf Eſeln in die Stadt unter die Preſſe gebracht. Das Loch an der hintern Mauer dienet, den Traubenſaft, der etwa auslaͤuft, durch - zulaſſen; da denn außerhalb der Mauer ein Gefaͤß vorgeſetzt wird, ihn aufzufaſſen.
Wo die Ebene anfaͤngt an die Berge zu ſtoßen, und am untern Theil der Berge ſelbſt, faͤngt dasLand141gethanen Reiſe. Land an rauh zu werden. Es iſt da in breitere und ſchmalere Terraſſen abgetheilt, und dieſe dienen meiſt zum Weinbau. Außerdem aber iſt alles hoͤhere Land noch reichlich mit Olivenbaͤumen beſetzt. Hier und da ſieht man auch wohl noch auf etwas breiten, nicht ſehr ſteilen Hoͤhen Waizenacker. Die oberſten Hoͤhen der Berge ſind entweder kahle Felſen, oder ſie ſind mit ſchlechten, naͤmlich niedrigen und uͤbelgewachſenen Pinaſtern, und verſchiedenen Arten der Eichen, dann mit kleinem Geſtraͤuche, Wacholdern, Rosmarin, Ciſtus ꝛc. bewachſen.
Der Theil, der jenſeit des Gapaud liegt, iſt rauher, aber reichlich mit Olivenbaͤumen beſetzt; und einen betraͤchtlichen Theil dieſer Ebene nehmen die weitlaͤuftigen Salinen, davon ich hernach ſprechen werde, und die da herum liegenden Moraͤſte ein.
Die ganze Gegend iſt uͤberhaupt ſehr angenehm, und in den Wintermonaten ſehr geſund. Daher kommen alljaͤhrlich verſchiedene kraͤnkliche Perſonen aus andern Laͤndern hieher. Es giebt fuͤr Perſonen, die gut zu Fuße ſind, angenehme Spaziergaͤnge, de - nen es aber bey hellem Wetter an Schatten fehlt. Ein Auslaͤnder, der ſich hier aufhalten will, und an But - ter und Milch gewohnt iſt, thut wohl, wenn er ei - nen Vorrath von Butter und eine Kuh dahin bringen laͤßt; denn Butter iſt da gar nicht zu haben, und kei - ne andre Milch als von Ziegen. Kuͤhe ſind hoͤchſt ſelten, ſo wie die Pferde. Das einzige Vieh, das man hier hat, ſind Eſel und Ziegen. Jn einer ganz abgelegenen Gegend habe ich einmal einige Ochſen auf einer Weide geſehen.
Jch142Tagebuch von einer nach NizzaJch ſuchte meinen taͤglichen Zeitvertreib hier im Spazierengehen, und erfuhr dadurch, daß ich taͤglich etwas ſtaͤrker wurde, ſo daß ich bald nach meiner An - kunft eine gute Stunde weit auf die herumliegenden Berge gehen konnte.
Außer den ſchoͤnen Gegenden und mannichfalti - gen Ausſichten, die dieſe Spaziergaͤnge angenehm machen, fand ich ein beſonderes Vergnuͤgen daran, hier ſo vielerley Baͤume und Gewaͤchſe anzutreffen, die wir in Deutſchland in Gewaͤchshaͤuſern uͤberwintern muͤſſen. An den Wegen, und uͤberall wo hohe Boor - te ſind, trifft man vornehmlich folgende Geſtraͤuche an: den Granatapfelbaum, den Maſtixſtrauch oder Lentiſcus, die Myrte mit dem großen Blatt, den gelben Jasmin, Caprifolium, verſchiedene Arten im - mergruͤner Roſenſtauden u. a. m. Hoͤchſt angenehm aber werden die Spaziergaͤnge durch eine in allen Hecken haͤufig wachſende Staude mit lieblich riechen - der Bluͤhte*)Smilax aſpera fructu rubente. C. B. , wovon im Herbſt die ganze Gegend parfumirt wird. Nicht weniger ergoͤtzend fuͤr das Au - ge iſt der unter anderm dichten Geſtraͤuch, ſonderlich an etwas feuchten Orten wachſende Ruſcus, ein klei - nes Geſtraͤuch, deſſen ſteife, wie Pergament glatte Blaͤtter ein fuͤrtreffliches Gruͤn zeigen, das durch das hohe Roth der mitten aus dem Blatt herauswach - ſenden Frucht, einer großen runden Beere, noch er - hoͤhet wird.
Auf dem obern und rauhern Theile der Berge fin - det man den oft erwaͤhnten Pinaſter, die immergruͤ - nen Eichen mit ſtachlichen Blaͤttern, die Korkeiche, deren aͤußerſte Rinde das Pantoffelholz giebt, dieaber143gethanen Reiſe. aber hier nicht ſehr groß wird. Unter den kleinen Ge - ſtraͤuchen iſt beſonders der Erdbeerbaum (Arbutus unedo) ſehr angenehm. Jm ſpaͤten Herbſt findet man insgemein Bluͤhten, halb und ganz reife Fruͤch - te zugleich darauf, und alle ſchoͤn. Die reife Frucht ſieht wie eine große Erdbeere aus, hat auch beynahe den Geſchmack, doch weniger fein und etwas ſaͤuer - lich. Sie haͤngt an langen Stielen wie die Kirſchen. Die ausgewachſenen noch nicht reifen Fruͤchte ſind von ſchoͤner gelber Farbe. Der Wachholderſtrauch iſt hier auch ſchoͤn, und traͤgt ſehr große Beeren von braunro - ther Farbe.
Jch habe vorhin der großen Salzwerke gedacht, die eine Stunde weit von Hieres am ſuͤdoͤſtlichen En - de dieſer Ebene liegen, und will hier eine Beſchreibung davon geben. Sie beſtehen uͤberhaupt aus vielen na - he an der See liegenden, in die Erde ausgegrabenen Baſſins oder Waſſerbehaͤltniſſen, die mit Meerwaſ - ſer koͤnnen angefuͤllt werden, welches darin ausduͤn - ſtet, und das Salz zuruͤcklaͤßt. Der ganze Platz zu dieſen Anſtalten iſt ein großes Viereck, das etwa eine Stunde Weges im Umfange hat, mit einem tiefen Graben mit Seewaſſer angefuͤllt, und mit einem Wall verwahrt iſt, daß niemand heimlich heruͤberkommen koͤnne. Der Eingang auf dieſen Platz geht durch ein Thor, neben dem noch verſchiedene Gebaͤude fuͤr die Arbeiter ſtehen.
Dieſer Wall umſchließt alle Waſſerbehaͤltniſſe, deren jedes mit einem beſondern Damm umgeben iſt, folglich ſein Waſſer ohne Ausfluß behaͤlt. Neben die - ſen Daͤmmen ſind uͤberall wieder beſondere Canaͤle, vermittelſt deren man mit kleinen Kaͤhnen an jedesWaſ -144Tagebuch von einer nach NizzaWaſſerbehaͤltniß anfahren kann, um das Salz abzu - holen. Ferner iſt allemal zwiſchen zwey Behaͤltniſ - ſen ein Platz, auf welchem verſchiedene halb in Gru - ben eingeſenkte Schoͤpfraͤder angebracht ſind, die von Pferden getrieben werden. Dieſe dienen dazu, daß das Waſſer aus einem Behaͤltniß in das andere heruͤ - ber geſchoͤpft werden koͤnne.
Aus den Canaͤlen werden die Behaͤltniſſe mit Seewaſſer angefuͤllt, um darin auszudunſten. Um aber aus einem Behaͤltniß auf einmal deſto mehr Salz zu erhalten, wird die Sohle, wenn das Waſſer bis auf einen gewiſſen Grad ausgeduͤnſtet iſt, mit neuem Waſſer vermehrt, bis man ſie fuͤr ſtark genug haͤlt, da ſie denn der voͤlligen Ausduͤnſtung uͤberlaſſen wird. Wenn dieſe geſchehen, ſo wird das zuruͤckgebliebene Salz geſammelt, und auf trockenen Plaͤtzen in Hau - fen geſchlagen; worauf denn das Behaͤltniß wieder mit neuem Waſſer angefuͤllt wird. Wenn das Waſ - ſer ſchon meiſt ausgedunſtet und das Salz ſchon da liegt, muß man ſich in Acht nehmen, daß kein Re - gen darauf falle, der es wieder aufloͤſen wuͤrde. Die - ſes wird dadurch verhindert, daß man bey einfallendem Regen das Salz mit neuer Sohle bedeckt. Dieſe loͤ - ſet nichts von dem ſchon vorhandenen auf, und wird auch von dem Regen nicht ſo verduͤnnet, daß etwas aufgeloͤſet wuͤrde.
Das fertige Salz wird von den Haufen nach dem Magazin geſchafft. Dieſes iſt ein ſehr langes mit ſtarken Mauern, die ein laͤnglicht viereckiges Fort ausmachen, umgebenes Gebaͤude, das dicht am Meere ſteht. Von da wird es denn in die Schiffe geladen, die es weiter bringen.
Es145gethanen Reiſe.Es werden jaͤhrlich 90 bis 100000 Minots Salz hier gemacht. Der Minot haͤlt gerade einen Centner. Der Koͤnig oder vielmehr die Generalpach - ter bezahlen dem Eigenthuͤmer dieſer Werke fuͤr jeden Minot 5 Sols. Dafuͤr muß er das Salz an die Schiffe liefern, und die koſtbare Unterhaltung der Werke auf ſeine Rechnung nehmen. Die Unkoſten, oder jaͤhrlichen Auslagen belaufen ſich auf 14000 Li - vres; folglich bleiben dem Eigenthuͤmer wenige tau - ſend Livres jaͤhrliche reine Einkuͤnfte von dieſem ſchoͤ - nen Werk uͤbrig. Die Fermiers verkaufen fuͤr einen Louisd'or, was ihnen 5 Sols koſtet. Vermuthlich fragt jeder, der dieſes lieſt, ob die Vorfahren des je - tzigen Beſitzers, die dieſes Werk angelegt haben, ſich die Muͤhe wuͤrden gegeben haben, es einzurichten, wenn ſie vorher geſehen haͤtten, daß ihren Nachkom - men nur etwa der hundertſte Theil des Ertrags wuͤrde gelaſſen werden.
Bey dem Magazin wohnet ein Officier, der we - nige Mannſchaft zur Bedeckung dieſer Werke unter ſich hat.
Von den Bergen, welche die Ebene bey Hieres umgeben, bleiben mir noch einige Anmerkungen zu machen uͤbrig. Die, welche an der Nordſeite liegen, beſtehen aus einem grauen, etwas ins Roͤthliche fallen - den Glimmerſchiefer, der ſich etwas fettig anfuͤhlt, und an der Luft ziemlich verwittert. Die Erde, wo - mit dieſe Berge nur duͤnne bedeckt ſind, ſcheinet blos aus dieſem verwitterten Schiefer herzuruͤhren. Seine Schichten ſind meiſtens ſehr duͤnne, ſo daß ſie nur die Dicke eines Papiers haben. Jch habe auch hier ge - funden, was ich ſchon in mehrern SchieferbergenKwahr -146Tagebuch von einer nach Nizzawahrgenommen habe, daß hier und da eine Schicht eines ganz andern Geſteines von Quarz oder Kieſelart darin vorkommt, und daß in dieſen Quarzſchichten ſich verſchiedene in Cryſtallen angeſchoſſene Steine finden. Es laͤßt ſich ſchwerlich errathen, wie dieſe fremdartigen Schichten unter die andern gekommen ſind.
Die gegen Mittag an der Seekuͤſte liegenden Berge ſind etwas weniger hoch, als die an der Nord - ſeite, und ſind von ganz anderer Art. Jhr Geſtein iſt kalkig, entweder blos gemeiner Kalkſtein, oder mehr und weniger feiner Marmor. Hier und da ſind Steingruben, wo er gebrochen wird. Die ge - meinſte dieſer Marmorarten iſt dunkelgrau und nur halb fein; der beſte iſt weiß und roͤthlich gefleckt. Dieſer iſt ſehr hart, und nimmt eine gute Politur an. Die Schichten dieſer Steine ſind von 3 bis 4 Zoll bis auf ſo viel Fuß ſtark. Zwiſchen den Schichten liegt eine feine rothe Boluserde, in welcher ſich artige Spathcryſtallen finden.
Auf einem dieſer mittaͤglichen Berge fand ich in einer vollkommen rauhen und ganz ſteinigen Gegend, unter dem Schutte der von den Felſen ſich losmachen - den und herunterfallenden Steine, ein Stuͤck feinen weiſſen ſogenannten ſaliniſchen Marmor, das offen - bar ein Bruchſtuͤck von einem antiken Werk war. Denn man ſah deutlich einige architektoniſche Glieder daran ausgehauen. Sonſt ſind da keine Spuren ir - gend eines zerfallnen Gebaͤudes zu ſehen.
Jch habe gleich vom Anfang dieſer Anmerkungen uͤber Hieres die Gemuͤthsart der hieſigen Einwohner geruͤhmt. Jch will hier noch hinzuthun, daß ſie mirein147gethanen Reiſe. ein arbeitſames und ſparſames Volk geſchienen haben. Des Morgens fruͤh ſieht man ganze Familien aus der Stadt zur Arbeit auf das Feld gehen. Die Muͤtter tragen ihre noch ſaͤugende Kinder in der Wiege auf dem Kopfe mit ſich, und auf den Abend ziehen ſie ſo wieder in die Stadt. Sie haben deswegen mitten auf ihren kleinen Ackerguͤtern kleine ſteinerne Gebaͤude, in denen ſie ſich in der Mittagsſtunde ausruhen, und wo ſie vor Hitze und Regen Schutz finden.
Die Felder ſind durchgehends gut angebaut, und werden durch Umgraben bearbeitet, weil es hier an Vieh fehlet. Hoͤchſt aufmerkſam iſt man hier, alles, was zum Duͤngen dienlich iſt, zu ſammeln und zu Ra - the zu halten. An den Bergen traf ich gar oft neu ausgeradete und zum Anbau zurecht gemachte Plaͤ - tze an.
Es fiel mir oft ein, dieſes Volk mit den Ein - wohnern kleiner Staͤdte in der Schweiz und kleiner Reichsſtaͤdte zu vergleichen; und die Vergleichung war fuͤr die letztern gar nicht vortheilhaft. Dieſe, die gemeiniglich anſehnliche Gemeinguͤter haben, davon wenigſtens ein Theil des Ertrages den Buͤrgern zu - fließt, ſind bey weitem nicht ſo arbeitſam, als die Buͤrger in Hieres. Man ſieht oft ganze Truppe muͤßig auf den Gaſſen ſtehen, oder in den Weinhaͤu - ſern ſitzen. Sie leben lieber ſehr aͤrmlich zu Hauſe, als daß ſie ſich durch Arbeit beſſer ſetzten.
Man kann hieraus abnehmen, daß der rohe na - tuͤrliche Menſch die Arbeit haſſet und den Muͤßiggang liebet, und daß nur Noth, oder Ueberlegung ihn zur Arbeit zwinget. Die Noth iſt das gemeinſte Mittel dazu; in der Ueberlegung muß man es ſchon weit ge -K 2bracht148Tagebuch von einer nach Nizzabracht haben, um zu fuͤhlen, daß eine ordentliche Ar - beit und die daher entſpringenden Vortheile die be - ſten Mittel ſind, ein vergnuͤgtes und zufriedenes Le - ben zu fuͤhren.
Es giebt Politiker, die behaupten, daß ſtarke, kaum zu erſchwingende Auflagen ein Mittel ſeyn, das gemeine Volk zur Arbeit zu zwingen. Allerdings ar - beiten durch Auflagen gedruͤckte Menſchen aus Noth mehr, als ein noch unvernuͤnftiges Volk, das ohne viele Arbeit ſeine Nothdurft zu befriedigen findet. Jn ſo fern iſt jene Behauptung wahr. Aber das wahre Mittel, immer und dauerhaften Trieb zur Arbeitſam - keit zu erwecken, iſt die Erweckung des Gefuͤhls fuͤr Wohlſtand und die Annehmlichkeit des Ueberfluſſes. Wer erſt recht fuͤhlt, daß Ordnung und Arbeit ihm nicht blos das Nothduͤrftige zuwege bringt, ſondern auch etwas Ueberfluß, woraus denn ein leichter und froͤlicher Genuß, und eine beſtaͤndige Vermehrung der Mittel zu demſelben entſteht, der wird denn gewiß Luſt zur Arbeit bekommen. Die ſo entſtandene Arbeitſam - keit aber iſt jener, die durch Noth erzwungen worden, unendlich weit vorzuziehen.
Jn dieſer angenehmen Gegend von Hieres und unter dieſem gutartigen Volke brachte ich meine Zeit vergnuͤgt zu, und meine Geſundheit ſtaͤrkte ſich merk - lich. Jch nahm mir daher vor, bis zu Ende des Jahrs hier zu bleiben. Aber nach der dritten Woche meines hieſigen Aufenthalts aͤnderte ich meinen Vor - ſatz ploͤtzlich. Es fiel den 21 November Schnee, der zwar in der Ebene nach wenig Stunden wieder zerfloß, auf den Bergen aber, wo die Sonne nicht hinkam, liegen blieb. Dies machte mir fuͤr denWin -149gethanen Reiſe. Winter etwas bange. Dazu kamen einige ſehr ſtuͤr - miſche Tage, die mir das Ausgehen ſehr beſchwerlich machten. Ueberdem hatte ich die Fatalitaͤt, daß mei - ne Koͤchinn ploͤtzlich ſtarb. Alles dieſes machte einen ſo widrigen Eindruck auf mich, daß ich ohne langes Bedenken mich entſchloß, Hieres zu verlaſſen, und nach meinem erſten Plane nach Nizza zu gehen.
Jn Hieres findet man weder Pferde noch Reiſe - wagen zum weitern Fortkommen. Jch mußte wie - der auf Toulon zuruͤck; und auch dahin zu kommen fand ich kein Fuhrwerk. Ein Edelmann aus der Nor - mandie, Hr. Grandeville de la Lande, der ſeiner Geſundheit halber hieher gekommen war, hatte die Gefaͤlligkeit, mir ſeine Chaiſe und ſeine Pferde anzu - bieten, um mich nach Toulon zu bringen; und ich nahm es mit Dank und Vergnuͤgen an.
Nov. | 60½ | truͤber Himmel; fahrendes Gewoͤlke. |
3 | 60½ | ſtarker Oſtwind. |
58½ | Regen; in der Nacht Donner. | |
56½ | fluͤchtiger Regen. | |
4 | 64½ | hell. |
59½ | truͤbe; die Nacht uͤber Regen. | |
61½ | halbhell. | |
5 | 63½ | |
60½ | truͤbe; die Nacht Sturm und Regen. |
Nov. | 61½ | truͤbe. |
6 | 66½ | hell. |
63½ | Regen; des Abends viel Regen mit Donner. | |
63½ | feuchte und truͤbe Luft. | |
7 | 64½ | truͤbe; Oſtwind. |
63½ | wie am Mittag. | |
56½ | ziemlich hell. | |
8 | 68½ | hell. |
58½ | ||
52 | hell; kuͤhler Wind. | |
9 | 61½ | ſtarker Nordweſtwind. |
55½ | ſtarker Wind. | |
52½ | hell und ſtill; bald hernach | |
10 | 62½ | ſtarker Wind aus Weſten. |
54½ | Nachmittags ſchoͤn; gegen Abend windig. | |
46½ | hell und ſtill. | |
11 | 65½ | hell; kuͤhler Weſtwind. |
57½ | ſtarker Weſtwind die ganze Nacht. | |
58 | ||
12 | 65½ | helles Wetter; meiſt ſtill; etwas Weſtw. |
62½ | ||
61½ | truͤbe; Suͤdweſtwind. | |
13 | 63 | neblicht. |
62½ | eben ſo; die Nacht Hagel. | |
57½ | meiſt hell. | |
14 | 57½ | hell; ſtarker Weſtwind. |
54½ | hell; ſtuͤrmiſcher Weſtw. die ganze Nacht. | |
45½ | halb hell; windig. | |
15 | 50½ | bedeckt; ſtarker Nordwind. |
48½ | hell; Nordwind. | |
58 | hell; ſtill. | |
16 | 66½ | hell; Weſtwind. |
62½ | hell, ſtuͤrmiſch; in der Nacht Sturm. | |
47 | ||
17 | 58½ | helles und ſtilles Wetter. |
53½ | ||
Nov. | 49 | truͤbe; Regen. |
18 | 60½ | hell; etwas Wind. |
55½ | hell. | |
47½ | ||
19 | 57½ | hell und meiſt ſtill. |
54 | ||
45½ | ||
20 | 54½ | hell; kalter Nordoſtwind. |
50½ | ||
35½ | Regen mit Schnee. | |
21 | 47½ | hell. |
44½ | eben ſo. | |
41½ | meiſt hell; Windſtoͤße aus Nordweſt. | |
22 | 51 | hell. |
49½ |
Der Weg iſt ganz eben durch das von HieresAbreiſe von Hieres. bis nach Toulon ſich herum ſchlaͤngelnde Thal. Jn der erſten Stunde, die man auf dieſem Wege zu - bringt, faͤhrt man durch ein ſchmales, aber ſehr fruchtbares Thal, das meiſtens aus Kuͤchen - und Obſt - gaͤrten beſteht, die mit großem Fleiß gebaut werden. Etwas weiter hin trifft man ſchoͤne Wein - und Korn - felder an, reichlich mit Olivenbaͤumen beſetzt. Und hier hat die Straße mit der Bergſtraße in der Pfalz einige Aehnlichkeit, nur daß das Land hier weniger bewohnt iſt, als dort.
Jn der zweyten Stunde erweitert ſich das Thal, und die herumliegenden Berge bilden hier einen Keſ - ſel, der eine Stunde Weges im Durchſchnitt hat. Die Straße geht mitten durch die Ebene, und iſt we -K 4gen152Tagebuch von einer nach Nizzagen der ſehr abwechſelnden Ausſichten auf die herum - liegenden Huͤgel ganz angenehm. Aber das Land iſt hier weniger fruchtbar, und die Felder nur ſparſam mit Olivenbaͤumen beſetzt. An den Fuͤßen der her - umliegenden Berge hingegen, wo das Land beſſer wird, ſiehet man viel zerſtreute Wohnungen und gan - ze Waͤlder von Olivenbaͤumen.
Auf der dritten Stunde wird das Thal wieder en - ger, aber auch fruchtbarer. Hier kommt man durch ein artiges offenes Staͤdtchen, la Valette, das ein lebhafter und nahrhafter Ort zu ſeyn ſcheinet, um wel - chen viel Oel und Wein gewonnen wird. Von da aus fangen bald die nach Toulon gehoͤrigen Laͤnde - reyen an, die aus Wein - und Kornfeldern beſtehen, auf denen noch viele Olivenbaͤume und Capernſtauden ſtehen. Man trifft auch da verſchiedene anſehnliche Landhaͤuſer an, denen es aber durchgehends an Schat - ten fehlet. Nahe an Toulon wird der Boden wie - der etwas mager. Die an der Nordſeite neben Tou - lon liegenden Berge ſind wenigſtens an der obern Haͤlfte voͤllig kahl, ohne Spur von Gruͤnem. Die an der ſuͤdlichen Seite laͤngſt der Seekuͤſte ſind we - niger hoch und ſteil, auch gut bewachſen, und hoch herauf angebaut, ſo daß die Ausſicht auf dieſelben ganz angenehm iſt.
Den Weg von Hieres nach Toulon fand ich von 56414 Fuß, alſo 2¼ deutſchen Meilen, die ich ſehr gemaͤchlich in 3½ Stunden zuruͤcklegte.
Toulon iſt eine artige, meiſt wohlgebaute Stadt, obgleich die Straßen durchgehends ſehr enge ſind. Jhre153gethanen Reiſe. Jhre Laͤnge erſtreckt ſich laͤngſt dem Ufer des Hafens von Oſt nach Weſten, und betraͤgt kaum tauſend Schritte. Sie iſt nicht nur an ſich wohl befeſtigt, ſondern auch alle Zugaͤnge von der See und vom Lan - de her ſind einem Feinde, durch ſehr viele und gute auf den umliegenden Bergen und Huͤgeln angebrachte Be - feſtigungswerke, faſt unmoͤglich gemacht. Die Arbeit an den Feſtungswerken der Stadt ſelbſt iſt hier und da, ehe ſie fertig war, unterbrochen worden. Der aͤußer - ſte Graben nebſt dem bedeckten Wege und dem Glacis ſind nicht ganz fertig geworden. Es laͤßt ſich ſchwer begreifen, wie dieſer Ort von der Landſeite her ſollte belagert werden koͤnnen. Der Raum zwiſchen der Stadt und den umliegenden Bergen iſt nur ſchmal, und kann uͤberall von den auf den Hoͤhen herumzer - ſtreuten Forts beſchoſſen werden. Alle dieſe erſt weg - zunehmen, die außer ihrer eigenen Befeſtigung auch wieder durch die Kanonen der Stadtwaͤlle koͤnnen be - ſchuͤtzt werden, ſcheint eine unendliche Arbeit zu erfor - dern. Der Platz ſcheint demnach unuͤberwindlich zu ſeyn, wenn nur Mannſchaft genug zur Beſetzung al - ler umliegenden Forts da iſt.
Das Wichtigſte dieſes Orts iſt, wie bekannt, ſein Hafen, in welchem ein großer Theil der franzoͤſi - ſchen Kriegsflotte liegt. Außer den Fregatten moͤ - gen jetzt 15 bis 18 Schiffe von der Linie hier ſeyn. Zaͤhlen mochte ich ſie nicht, weil es hier fuͤr einen Fremden etwas gefaͤhrlich iſt, in der untern Gegend des Hafens, wo die Flotte und die dazu gehoͤrigen Ar - ſenale liegen, zu viel Neugierde zu zeigen. Mir wurde die Erlaubniß, die Arſenale und den davon ab - hangenden Theil des Hafens zu beſehen, rund abge -K 5ſchla -154Tagebuch von einer nach Nizzaſchlagen, obgleich ein angeſehener hieſiger Kaufmann, an den ich empfohlen war, ſich alle moͤgliche Muͤhe gab, mir ſie zu verſchaffen.
Der Handlung halber bedeutet der hieſige Hafen nicht viel. Jch habe die hier liegenden zur Handlung ausgeruͤſteten Schiffe zwar nicht gezaͤhlt; aber nach ei - ner ohngefaͤhren Schaͤtzung moͤgen es kaum 50 gewe - ſen ſeyn. Sie fuͤhren fuͤrnehmlich Wein, ſchlechtes Baumoͤl, Seife, die hier in erſtaunlicher Menge ge - macht wird, Capern, Honig, Feigen, Roſinen und die aus Hieres hieher geſchafften Citronen und Oran - gen aus.
Mitten in der Reihe Haͤuſer, die laͤngſt des Ha - fens gebaut ſind, befindet ſich das Rathhaus, oder Hotel de Ville, ein ſchmales und ganz ſchlechtweg ge - bautes Haus. Die Einwohner bewundern an dem Eingange deſſelben zwey Termen, die den Balcon tra - gen; eine Arbeit des beruͤhmten Puget. Sie ſind in der That richtig gezeichnet und ſchoͤn gearbeitet; aber die Erfindung iſt ſchlecht. Die Koͤpfe ſind ohne Ausdruck, und die Action ganz gleichguͤltig. Sie gleichen eher gut gezeichneten akademiſchen Figuren, als Bildern, die etwas vorſtellen ſollen. Sie koͤn - nen mit aͤhnlichen Figuren von Sluͤtern an dem koͤ - niglichen Schloſſe in Berlin kaum in Vergleichung kommen.
Zwiſchen dem Glacis der Feſtung und den an der Nordſeite der Stadt liegenden Bergen ſiehet man viele Gaͤrten und Landhaͤuſer, die aber nichts Merkwuͤrdi - ges haben. Doch verdienet darunter der koͤnigliche Garten geſehen zu werden, der mit dem darin ſtehen - den Hauſe dem Jntendant de la Marine uͤberlaſſeniſt.155gethanen Reiſe. iſt. Er hat ſchoͤne Alleen von hohen Baͤumen, und dienet zum oͤffentlichen Spaziergange.
Ehe ich dieſen Ort verlaſſe, muß ich noch einer Merkwuͤrdigkeit der Natur in dieſer Gegend gedenken. Ein verſtaͤndiger und glaubwuͤrdiger Mann in Toulon hat mir geſagt, daß ſeit dem kalten Winter von 1709, der die Orangen und viele andre Baͤume dieſer Ge - gend getoͤdtet hat, weder die Orangen - noch die Fei - genbaͤume mit dem Vortheil koͤnnen gepflanzt werden, als ehedem geſchehen iſt. Die erſtern ſind hernach oft wieder erfroren, ſo daß man endlich des Nach - pflanzens muͤde geworden, und es gaͤnzlich aufgege - ben hat. Feigenbaͤume werden zwar noch gepflanzt, aber ſie ſollen bey weitem nicht mehr zu ihrer ehemali - gen Groͤße gelangen, ſo daß jemand, der ehedem von ſeinen alten Baͤumen jaͤhrlich 10 bis 15 Centner tro - ckene Feigen gewonnen, gegenwaͤrtig von einer glei - chen Anzahl Baͤume kaum den vierten Theil ſo viel gewinnt, weil die Baͤume abſterben, ehe ſie zu der Groͤße anwachſen, die ſie ehedem gehabt haben.
Vielleicht traͤgt die Art der Fortpflanzung dieſer Baͤume, die hier gebraͤuchlich iſt, etwas dazu bey. Beyde erwaͤhnte Arten werden jetzt nur durch abge - ſchnittene Zweige fortgepflanzt. Dieſes mag die Ur - ſache ihrer geringern Groͤße ſeyn. Denn es iſt be - reits von Naturforſchern angemerkt worden, daß die - ſe Art der Fortpflanzung nicht ſo ſtarke Baͤume gebe, als die durch den Samen geſchieht. Vielleicht macht eben dieſes den Baum auch zarter.
Den 25 fruͤh um 6 Uhr reiſte ich mit einem ge - dungenen Poſtillon, dem ich fuͤr die Reiſe von hier bis nach Nizza 20 Thaler, oder 60 Livres bezahlen mußte, ab. Weil dieſes keine Hauptroute iſt, ſo ſind die Wege auf dieſer Straße ziemlich ſchlecht und holperig, beſonders fuͤr die franzoͤſiſchen Poſtchaiſen. Es war ein Gluͤck fuͤr mich, daß ich durch meinen Aufenthalt in Hieres wieder etwas geſtaͤrkt worden; ſo wie ich vorher war, haͤtte ich dieſe kleine Reiſe nach Nizza nicht ausgehalten.
Der ganze Strich Landes zwiſchen Toulon und Nizza iſt mit Bergen und Huͤgeln durchaus angefuͤllt, und die Straße ſchlaͤngelt ſich durch die engen dazwi - ſchen liegenden Thaͤler; nur hinter Frejus muß man wirklich uͤber die Berge heruͤber fahren.
Von allen dieſen Bergen will ich einmal fuͤr alle - mal anmerken, daß ſie laͤngſt den dazwiſchen liegen - den bewohnten Thaͤlern bis an die Haͤlfte ihrer Hoͤhe bisweilen, aber ſehr ſelten bis ganz oben angebaut, wenigſtens ſtark mit Olivenbaͤumen beſetzt ſind. Man kann ſich daher eine Vorſtellung von der unermeßli - chen Menge des Oels machen, das in dieſer Provinz gewonnen wird. Wo die Berge unbebaut ſind, ſieht man entweder ganz kahle, von aller Erde und allem Gruͤnen entbloͤßte Felſen, oder duͤnne Waͤlder von dem Pinaſter und den Geſtraͤuchen, deren ich bey Beſchreibung der Berge um Hieres Erwaͤhnung ge - than habe. Mir iſt durchaus weder eine Fichte noch eine Eiche vorgekommen, die zu ordentlichem Bau - holze koͤnnte gebraucht werden.
Die157gethanen Reiſe.Die unzaͤhlige Menge der Berge und Huͤgel, die ſo verworren durcheinander liegen, verurſachen auf dieſer ſich vielfaͤltig kruͤmmenden Straße eine erſtaun - liche Menge von abwechſelnden Scenen; und dieſes macht den Weg angenehm.
Auch die Thaͤler ſind faſt durchaus einerley Art, hoͤchſtens eine Viertelmeile breit in Felder eingetheilt, die wechſelsweiſe mit Weinreben bepflanzt ſind, und mit Waizen angeſaͤt werden. Dann ſind ſie noch uͤberdem mehr oder weniger dicht mit Olivenbaͤumen beſetzt. Doͤrfer, wenigſtens Oerter, die man in Deutſch - land ſo nennt, trifft man auf dieſem Wege gar nicht an; aber hier und da ein kleines offenes Staͤdtchen, und dann viele durch die Thaͤler, oder an den Bergen zerſtreute einzele Haͤuſer.
Der Weg fuͤhrte mich zum drittenmal durch la Valette. Von da geht er auf Souliers. Bis dahin iſt das Land gut, und bis auf wenige rauhe Stellen uͤberall bebaut. Von Souliers kommt man auf Cuers. Zwiſchen dieſen beyden Orten wird gegenwaͤrtig eine ſchoͤne Chauſſee angelegt. Das Thal zeiget ſich auf dieſem Wege, wo er etwas in der Hoͤ - he geht, dem Auge in voller Pracht des Reichthums. Denn man ſiehet auf einer beynahe eine halbe Stunde breiten und ein paar Stunden langen Ebene, die man auf einmal im Auge hat, eine unendliche Menge Oli - venbaͤume; ſieht die gruͤne Saat der Felder dazwiſchen heraus ſcheinen, und glaubt in einem reichen Garten zu ſeyn. Gegenwaͤrtig wurde dieſe angenehme Aus - ſicht dadurch vermehrt, daß man uͤberall neben der Straße eine Menge Menſchen familienweiſe, alt und jung, ſogar Kinder in der Wiege, unter dieſenBaͤu -158Tagebuch von einer nach NizzaBaͤumen zerſtreut antraf, weil jetzt die Oliven einge - ſammelt wurden. Dieſe unter den Baͤumen zerſtreu - ten Familien erweckten bey mir die Vorſtellung ei - nes in einem gluͤcklichen Clima, blos unter Baͤumen wohnenden, und familienweiſe durch das Land zer - ſtreuten im Stande der Natur lebenden Volkes.
Bey dieſer Gelegenheit faͤllt es mir ein, anzumer - ken, daß der große Unterſchied, der ſich in der Guͤte des Oels findet, weniger von der Beſchaffenheit der Baͤume oder Fruͤchte und des Bodens, als von der Art, die Oliven zu ſammeln und hernach zu behan - deln, herkomme. Zum ganz feinen Tafeloͤl werden die Oliven, ehe ſie den letzten Grad der Reife erreicht haben, ſorgfaͤltig gepfluͤckt, ſehr reinlich behandelt, und nur ſchwach und ganz kalt ausgepreßt. Ueberall, wo dieſes in Acht genommen wird, bekommt man gu - tes Oel.
Aber der gemeine Landmann beobachtet dieſe Sorgfalt mit ſeinen Oliven nicht. Ein Theil wird uͤberreif und faͤllt ab, bleibt ſo lange unter den Baͤu - men liegen, bis auch die ſpaͤtern reif ſind, und kommt da ſchon in Gaͤhrung. Die andern wer - den mit Stangen heruntergeſchlagen und abgeſchuͤttelt. Die Familie, jung und alt, lieſt ſie zuſammen; dann bleiben ſie bisweilen zu Hauſe noch lange uͤbereinander liegen. Das Preſſen geſchieht auch nur ſo, daß man auf die Menge ſieht. Es wird kochend Waſſer beym Preſſen uͤber die zerquetſchten Oliven gegoſſen, um das Oel etwas fluͤßiger zu machen. Das nach der er - ſten Preſſe uͤbriggebliebene Mark wird auch nochmals mit kochendem Waſſer uͤbergoſſen, und wieder ge - preßt, und dieſes Oel, das Huile infernale genenntwird,159gethanen Reiſe. wird, kommt unter das beſſere; dadurch wird al - les ſchlecht. Was man aber durch dieſe Behandlung am Werthe deſſelben verliert, gewinnt man wieder durch die Menge und an erſparten Unkoſten. Dann iſt dieſes Oel zum Seifenſieden und anderm Manu - facturgebrauche ſo gut als das feinere. Und wenn man zuletzt lauter feines Oel machen wollte, ſo koͤnn - te es doch weder in den Kuͤchen noch auf den Tafeln al - les verzehrt werden. Folglich ſind die Leute nicht zu tadeln, die ſchlechtes Oel machen, wo ſie gutes und feines machen koͤnnten.
Von Cuers koͤmmt man nach Pignans. Zwi - ſchen dieſen beyden Orten trifft man weit weniger Oli - venbaͤume an, als vorher. Hier hat der Getraidebau die Oberhand; auch ſind weniger Weinreben hier auf dem Felde als bis dahin. Nahe an Pignans wird das Land fuͤr die Ausſicht weit intereſſanter. Es iſt hier nicht mehr ein ebenes, aus Feldern beſtehendes Thal, ſondern ein durch Hoͤhen und Tiefen unterbro - chenes, von verſchiedenen Baͤchen durchwaͤſſertes Ge - laͤnde, das von der Straße her, die etwas auf der Hoͤhe liegt, eine große Mannichfaltigkeit von Gegen - ſtaͤnden zeiget. Es hat auch ſchoͤne Wieſen, die durch verſchiedne waſſerreiche Baͤche erfriſcht werden, ſo daß es einen recht ſehr angenehmen Winkel mitten zwiſchen duͤrren Bergen ausmacht.
Hier trifft man auch wieder ziemlich viel Maul - beerbaͤume an. Dicht vor Pignans faͤhrt man durch eine praͤchtige Allee ſolcher Baͤume, deren ungewoͤhn - liche Groͤße und Dicke, da die meiſten wohl vier Fuß am Stamme dick ſind, mich vermuthen gemacht, ſie ſeyen noch von den erſten Maulbeerbaͤumen, die in diePro -160Tagebuch von einer nach NizzaProvence verſetzt worden. Dieſes ſollte, falls die Vermuthung richtig iſt, noch alte Einwohner durch die Tradition wiſſen. Jch erkundigte mich auch dar - nach, konnte aber nichts davon erfahren. Es ſchien mir deswegen merkwuͤrdig, hieruͤber Gewißheit zu be - kommen, weil ich dadurch das Alter der Baͤume, folg - lich die nach Maaßgebung des Alters erlangte Groͤße und Staͤrke derſelben erfahren haͤtte. Es ſollte uͤber - all, wo eine betraͤchtliche Anzahl Baͤume geſetzt, oder angeſaͤt wird, eine Anzeige davon zur Nachricht fuͤr die Nachkommenſchaft hinterlaſſen werden, aus der man mit der Zeit das Alter der Baͤume wiſſen koͤnnte. Es laͤßt ſich leicht einſehen, was fuͤr Nutzen daraus zu ziehen waͤre.
Jn Pignans aß ich zu Mittage, und fand ge - gen alle meine Erwartung einen ganz reinlichen Gaſt - hof. Aber das Haus war ganz neu, und hatte noch nicht Zeit gehabt, unreinlich zu werden. Jch merke hier noch eine unbegreifliche Unachtſamkeit fuͤr Be - quemlichkeiten an, die in dieſem Lande herrſcht. Von Toulon bis Nizza habe ich an keinem Orte eine Stu - benthuͤre angetroffen, die anders als mit dem Schluͤſ - ſel konnte zugehalten werden. Jſt man im Zimmer, ſo muß man ſie offen ſtehen laſſen; will man ſie zuhal - ten, ſo muß man, ſo oft jemand herein oder he aus will, mit ihm an der Thuͤre ſeyn, um ſie ihm aufzu - ſchließen, oder hinter ihm wieder zuzumachen. Auf dieſe Weiſe iſt man keinen Augenblick ſeiner Ruhe ſicher.
Von Pignans kommt man auf le Luc. Hin - ter dem erſten Orte werden die Felder freyer, weil die Olivenbaͤume da nur an die Berge geſetzt werden. Nahe161gethanen Reiſe. Nahe bey dem andern Orte aͤndert ſich der Anbau wie - der; denn um dieſe Gegend gleichet das Feld mehr ei - nem Walde als einem Ackerlande. Die Olivenbaͤu - me ſtehen da ſo dicht, und ſind dabey ſo groß, daß die Sonne ſchwerlich auf den Boden ſcheinen kann. Wirklich wuͤrde man das Land fuͤr einen großen Oli - venwald halten, wenn nicht der Boden unter den Baͤumen bearbeitet und mit Waizen beſaͤt waͤre. Die Straße geht durch dieſen Wald. Schoͤnere Oliven - baͤume als hier habe ich in der Provence nirgends geſehen, und ich wuͤrde ſie fuͤr die groͤßten gehalten ha - ben, wenn ich nicht nachher um Menton im Fuͤrſten - thum Monaco noch weit groͤßere geſehen haͤtte. Auf den Abend ſpaͤt, da die Nacht ſchon eingetreten war, kam ich nach Vidauban.
Weil die heutige Tagereiſe ziemlich ſtark ſeyn ſoll - te, ſo reiſete ich vor Tage aus. Nicht weit von Vi - dauban faͤhrt man durch einen hohlen Weg in die Hoͤhe, und kommt auf ein hohes und viel weiteres Ge - laͤnde, als das bisherige war. Es erſtreckt ſich vom Meer an zwiſchen zwey Reihen Bergen nordweſt - waͤrts in das Land hinein, und iſt groͤßtentheils rauh. Man kommt bald darauf uͤber den kleinen Fluß Ar - gens, uͤber den eine gute ſteinerne Bruͤcke geht. Nachher wird das Land noch hoͤher, felſig und ganz unfruchtbar. Doch nach einer Viertelſtunde kommt man wieder in etwas tieferes und fruchtbares Land. Die Wein - und Kornfelder ſtehen hier bloß, ohne Baͤume. Einige wenige Maulbeerbaͤume ſtehenLlaͤngſt162Tagebuch von einer nach Nizzalaͤngſt der Straße. Aber das weite offene Land ge - faͤllt jetzt, nachdem man einen ganzen Tag vorher durch enge eingeſchloſſene Thaͤler gefahren. Um den Mittag kam ich nach Frejus.
Jch fand hier in der That, daß der gute Cardi - nal Fleury, der in ſeiner Jugend hier Biſchof gewe - ſen, ſeiner geiſtlichen Braut eben nicht unrecht ge - than, als er einem ſeiner Vertrauten ſchrieb, ſie ſey etwas haͤßlich; denn der Ort iſt wirklich ſchlecht. Aber ſeine Lage iſt ſchoͤn, zwiſchen zwey oſt - und weſtwaͤrts der Stadt liegenden fruchtbaren Ebenen, nicht weit vom Meer ab. Von der Morgenſeite der Stadt hat man eine ergoͤtzende Ausſicht uͤber ein weites, flaches und fruchtbares Gelaͤnde, und auf die daſſelbe uͤberall umgebenden Berge. Vor der Stadt ſieht man noch verſchiedene Ueberbleibſel alter Gebaͤude der ehemals hier wohnenden roͤmiſchen Colonie; ſie haben aber nichts Merkwuͤrdiges.
Daß das Clima hier ſehr gelinde ſey, kann man daraus abnehmen, daß hier am Bord der Straße die große amerikaniſche Aloe unter anderm Unkraut waͤchſt.
Dieſer Nachmittag gab mir die angenehmſten Stunden, die ich auf dieſer ganzen Reiſe auf der Land - ſtraße genoſſen habe, und hat einen Eindruck von An - nehmlichkeit auf mich gemacht, der mir unvergeßlich ſeyn wird. An der Oſtſeite der Stadt liegt, wie ge - ſagt, ein ziemlich breites und etwa eine Stunde We - ges langes ebenes Thal, das ringsum von Bergen eingeſchloſſen iſt. Mitten dadurch geht die Straße; gegen Morgen hin ſind dieſe Berge am hoͤchſten, und man wird bald gewahr, daß man uͤber dieſelben weg - fahren muß.
Nicht163gethanen Reiſe.Nicht weit von der Stadt faͤhrt man eine ganze Weile neben einer alten Waſſerleitung, die ſich weit gegen das Gebuͤrge hin erſtrecket. Viele Bogen ſind noch ganz nahe an der Stadt von betraͤchtlicher Hoͤhe, die denn allmaͤhlig abnimmt, ſo wie ſich der Bau den Bergen naͤhert. Ein ſo ſehr betraͤchtliches Werk fuͤr eine eben nicht ſehr anſehnliche Stadt, um laufendes Waſſer herbey zu ſchaffen, beweiſet, von was fuͤr ei - ner großen Wichtigkeit die Roͤmer eine Sache gehal - ten, deren Mangel jetzt viele große und reiche Staͤdte nicht fuͤhlen. Das große und praͤchtige Berlin koͤnn - te dem Anſehen nach mit dem vierten Theil des Auf - wandes, den der kleinen roͤmiſchen Colonie dieſe Waſ - ſerleitung gekoſtet hat, denſelben Vortheil erhalten; und es faͤllt keinem Menſchen ein, nur zu wuͤnſchen, daß es geſchehe.
Man faͤngt bald an auf dieſer Straße gewahr zu werden, daß ſie uͤber den gerade im Geſicht liegenden hohen Berge Eſterelles weg gehe. Denn er iſt ſo ſteil, daß man die ſich an demſelben herauf ſchlaͤngeln - de Landſtraße hier und da von unten ſehen kann. Ohn - gefaͤhr eine Stunde von Frejus faͤngt ſie an etwas ſteil in die Hoͤhe zu gehen. Doch iſt ſie, ſo ſteil auch der Berg iſt, noch gemaͤchlich genug, weil ſie ſich ſehr oft wendet, ſo daß man immer durch Hin - und Her - fahren nur allmaͤhlig in die Hoͤhe kommt, bis man endlich um die noͤrdliche Seite des Berges herum auf die oͤſtliche Seite kommt, von der die Straße wieder abwaͤrts geht. Es war eben ein ſehr ſchoͤner Tag, und angenehm warmes Wetter. Dieſer und alle um - liegende Berge ſind meiſt mit den oft erwaͤhnten Pi - naſtern beſetzt, die nur duͤnne ſtehen und niedrig ſind,L 2aber164Tagebuch von einer nach Nizzaaber mir hier ſonderbar ſchoͤn vorkamen. Ein duͤn - ner, ſchlanker, nicht voͤllig gerade gewachſener Stamm hat eine nur kleine Krone. Die Aeſte deſſelben tra - gen nur gegen die Spitzen ſpannenlange Nadeln von ſchoͤnem Gruͤn, die lauter Buͤſchel, wie lange Pu - derquaſten bilden; dieſes und denn die ſehr großen, auch ſpannenlangen geſchuppten Kienzapfen von hell - brauner Farbe geben dem Baume ein voͤllig frem - des, angenehmes Anſehen. Bey dem beſtaͤndigen Hin - und Herfahren aͤndert ſich auch die Ausſicht. Bald ſieht man gegen Suͤden nach dem Meere hin, bald gegen Norden landwaͤrts hinein, bald wieder auf der weiten fruchtbaren Ebene, an deren Ende Frejus liegt, und durch deren gruͤne Felder die Straße, auf der man hieher gefahren, wie ein gerade gezogenes gelbes Band erſcheinet. Aber nichts geht uͤber die unendliche Menge und Mannichfaltigkeit der kleinern Berge und der dazwiſchen liegenden meiſt runden Thaͤ - ler, uͤber welche man von der Hoͤhe herunter viele Meilen weit weg ſiehet. Hier und da in den Gruͤn - den ein kleines mit junger Saat bedecktes Stuͤck Land; alles uͤbrige eine gaͤnzliche aber ſchimmernde Wildniß. Es ſchien mir da der Muͤhe werth viele Meilen weit zu reiſen, um das Vergnuͤgen zu genießen, bey ſchoͤ - nem Wetter uͤber dieſen Berg zu fahren.
Zwey Umſtaͤnde verſchoͤnerten dieſen Weg: die Mannichfaltigkeit ſchoͤner niedriger Geſtraͤuche, die den Boden bedecken, beſonders die Schoͤnheit des Erdbeerbaums, der hier ſehr haͤufig waͤchſt, und jetzt uͤberall voll Bluͤhten und Fruͤchte hieng. Dann kam jetzt der Umſtand hinzu, daß mir eine große Menge froͤhlicher Menſchen, beſonders ganze Trup -pe165gethanen Reiſe. pe Soldaten begegneten, die eben den Berg herun - ter kamen. An einigen Orten ſah man ſie ganz von weitem von der Hoͤhe herunter ſteigen; an andern Or - ten hoͤrte man, ehe man ſie ſah, ihr lautes Gerede, oder ihr Singen von weitem. Dieſes gab der Wild - niß ein Leben, das die andern Annehmlichkeiten noch ſehr erhoͤhte.
Es that mir leid, daß ich die oberſte Hoͤhe, von der man hernach gegen Morgen hin herunter faͤhrt, erſt bey anbrechender Nacht erreichte. Hier liegt mit - ten in dieſer Wildniß das Poſthaus Eſterelle, an welchem der Englaͤnder Smollet den Sommer und Winter zugleich geſehen hat. Von hier hat man wieder eine herrliche Ausſicht uͤber die unzaͤhligen tie - fer liegenden Huͤgel, das daran ſtoßende ebene Land, und auf den Golfo von Napoule, und die in dem - ſelben liegenden leriniſchen Jnſeln. Es war Nacht ehe ich auf die Ebene herunter kam.
Die Straße uͤber dieſen Berg war ehedem nicht ohne Gefahr wegen der Raͤuber, die ſich leicht in die - ſer Wildniß verborgen halten konnten. Man hat aber nun lange nichts von hier begangenen Raͤubereyen gehoͤrt. Das Verſtecken, wenigſtens nahe an der Straße, wuͤrde ſolchem Geſindel jetzt auch ſchwerer ſeyn, da an der obern Hoͤhe des Berges eine weite Strecke des Gebuͤſches ſeit einigen Jahren abgebrannt iſt, wodurch nun die noͤrdliche Seite ziemlich kahl ge - macht worden.
Nachdem man wieder auf die Ebene herunterge - kommen, faͤhrt man noch eine gute Stunde, den am Meer liegenden Flecken Napoule vorbey, auf einerL 3ſchoͤ -166Tagebuch von einer nach Nizzaſchoͤnen Chauſſee nach Cannes. Hier blieb ich uͤber Nacht.
Da ich heute keine volle Tagereiſe mehr zu ma - chen hatte, wartete ich, um abzureiſen, den hellen Tag ab, um die Lage von Cannes zu ſehen. Dieſe kleine Stadt, die, ſo viel ich davon geſehen habe, ziemlich wohl gebaut iſt, hat eine der angenehmſten Lagen, die ich je geſehen habe. Der Golfo de Napoule tritt hier etwas tiefer ins Land herein, und bildet ein ſchoͤnes viereckiges Baſſin, in deſſen Grund die Stadt dicht am Ufer gebaut iſt. Rechter und linker Hand der Stadt gehen zwey kleine Vorgebuͤrge, welche die Seiten dieſes Baſſins ausmachen, gegen das Meer hinein, und ſchuͤtzen daſſelbe fuͤr die Oſt - und Weſtwinde. Außerhalb des Baſſins, etwas ge - gen Suͤdoſten, liegen die gedachten leriniſchen Jnſeln.
Um die Stadt herum liegen viele Gaͤrten in ei - ner kleinen mit Bergen umgebenen Ebene. Die Ge - gend herum iſt hoͤchſt angenehm und fruchtbar, aber dem Anſehen nach mit einer Art von Wildniß umge - ben. Dieſes brachte mir die oben beſchriebene Stadt Vevay am Genfer See mit ihrer Gegend wieder ins Gedaͤchtniß. Dieſer Ort ſchien mir vorzuͤglich ange - nehm; und es wundert mich, daß ſo viele Englaͤnder, die ſich den Winter uͤber in Nizza aufhalten, nicht lieber dieſen Ort dazu waͤhlen. Der Winter muß hier auch ſehr gelinde ſeyn, da man viel Citronen - und Pommeranzenbaͤume in den Gaͤrten ſiehet.
Von167gethanen Reiſe.Von hier aus bis Antibes geht die Straße meiſt an der Seekuͤſte. Man faͤhrt zuerſt an einem felſigen Huͤgel herum, hernach aber immer neben fruchtbaren Korn - und Weinfeldern. Und hier ſieht man die bisher beobachtete Cultur des Landes etwas veraͤndert. Die Felder ſind zwar auch hier in ſchmale Beete ge - theilet; aber der Weinſtock wird nicht mehr auf dieſe Beete gepflanzt, ſondern macht die Einfaſſung derſel - ben aus. Die Weinreben ſind in langen Linien, wel - che etwa 12 oder 15 Fuß weit auseinander ſtehen, gepflanzt. Der zwiſchen zwey ſolchen Linien liegende Grund aber wird mit Getraide angeſaͤt. Jch fand dieſe Streifen Landes hier wechſelsweiſe mit junger Saat und mit Stoppeln bedeckt, woraus ich ſchloß, daß dieſelben wechſelsweiſe brache liegen und angeſaͤt werden. Die dazwiſchen liegenden Weinreben ſind wie Spaliere gezogen. Von etwa vier zu vier Fuß ſteckt ein Stock in der Erde, und queeruͤber ſind an dieſe Stoͤcke ſtarke Schilfsroͤhre (Arundo Do - nax,) die hier ſehr haͤufig wachſen, angebunden, an die denn die jungen Schoſſe der Weinreben geheftet werden. Wenn man gegen Antibes hinkommt, ſo findet man die vorher brachliegenden Streifen Landes mit Gartengewaͤchſen beſetzt, ſo daß zwiſchen den Spalieren von Weinreben die Beete wechſelsweiſe mit Waizen beſaͤt und mit Gartengewaͤchſen angepflanzt ſind. Außer den Olivenbaͤumen ſieht man hier auch ſehr viele Feigenbaͤume.
Nahe vor Antibes faͤhrt man eine kleine AnhoͤheAntibes. Schoͤne Aus - ſicht. herunter, von welcher man den ganzen Meerbuſen von Antibes, die ganze Kuͤſte von hier bis nach Nizza, dieſe Stadt ſelbſt, weiter hin die hohe Kuͤſte, die ſichL 4ge -168Tagebuch von einer nach Nizzagegen Genua hinzieht, auf einem Blick uͤberſiehet. Dieſer Anblick ſetzte mich bey dem ſchoͤnen hellen Wet - ter in Erſtaunen. Das Gemaͤlde iſt von wunderba - rer Schoͤnheit; den Vorgrund deſſelben macht die et - was rechter Hand auf einer maͤßigen Anhoͤhe liegende Feſtung Antibes mit ihren hohen Waͤllen, und noch uͤber das Parapet dieſer Waͤlle in die Hoͤhe ſtehenden gemauerten Batterien. Den zweyten Grund macht der Meerbuſen ſelbſt, der jetzt ganz ſchwarz ſchien. Linker Hand ziehet ſich die Kuͤſte in einem Bogen her - um; erſt flach, hernach mit kleinen Huͤgeln beſetzt, hinter welchen wieder hoͤhere Berge empor ſtehen. Die hinterſten ſehr weit entfernten Berge ſind die ſogenann - ten Alpes maritimes, deren Spitzen jetzt ganz mit Schnee bedeckt waren. Die ganze Kuͤſte iſt mit un - zaͤhligen zerſtreuten Haͤuſern bis oben auf die Huͤgel beſetzt. Mitten am Hintergrunde ſieht man die Stadt Nizza ſelbſt mit vielen weiſſen, an die See ſtoßenden Gebaͤuden, und mit verſchiedenen hohen Thuͤrmen ge - ziert, und neben derſelben die ſehr hohe, ſteile, aus weiſ - ſen Felſen beſtehende Seekuͤſte, ohngefaͤhr bis Ven - timiglia. Jch konnte mich an dieſem wunderbaren Gemaͤlde nicht ſatt ſehen. Zum Gluͤck hat man es, wenn man einmal Antibes vorbeygekommen iſt, eine ziemliche Zeit lang im Geſicht.
Jch fuhr, um bey guter Zeit uͤber den Varo zu kommen, Antibes vorbey. Von hier aus faͤhrt man in einem Bogen an der reizenden Kuͤſte des Golfo bis Nizza; zuerſt ganz nahe an der See, an einem flachen ſandigen Ufer, auf welchem hier und da ge - mauerte Redouten, um eine feindliche Landung zu ver - hindern, angelegt ſind.
Um169gethanen Reiſe.Um die Nordſeite von Antibes herum liegt eine voͤllig kahle Gegend von ſchoͤnen Kornfeldern. Etwas weiter hin, nordoͤſtlich von der Stadt, iſt das Land ſo ſtark mit Feigenbaͤumen beſetzt, daß ſie einen Wald ausmachen.
Etwa eine Stunde weit jenſeits Antibes, koͤmmt man nach Cagne, einem kleinen Dorfe von ſeltſa - mer, aber ausnehmend ſchoͤner Lage. Mitten in ei - nem engen, aber ſehr fruchtbaren romantiſchen Thale liegt ein ſteiler felſiger Huͤgel, auf deſſen Graat oder Kamm (Crête) dieſer Ort gebaut iſt, den man von weitem fuͤr weiſſe Felſenklippen haͤlt. Auf der ober - ſten Hoͤhe des Huͤgels erhebt ſich ein anſehnliches und ſchoͤn gebautes Schloß. Weil mein Poſtillon hier ausſpannte, hatte ich Zeit, den Ort naͤher in Augen - ſchein zu nehmen. Von weitem faͤllt er ſchoͤn in die Augen; in der Naͤhe iſt es, die reizende Lage ausge - nommen, der elendeſte Ort, den ich je geſehen habe.
Die auf kahle Felſen gebauten maſſiven Haͤuſer ſchienen mir ſelbſt in der Naͤhe bloße Ruinen ehemali - ger Haͤuſer zu ſeyn; denn es iſt kein einziges von die - ſen Haͤuſern, an dem man nicht halb eingefallenes mit Epheu bewachſenes Gemaͤuer ſaͤhe. An keinem ein - zigen ſiehet man eine ordentliche Thuͤre, oder ein rech - tes Fenſter; wirklich hielt ich, ſo wie es auch mein Bedienter that, den Ort fuͤr zerſtoͤrt und verlaſſen, bis ich zu meiner Verwunderung Leute aus den Loͤ - chern dieſer Gemaͤuer, welche ich nun fuͤr die Haus - thuͤren halten mußte, hervorkriechen ſah. Es war mir, als wenn ich ploͤtzlich in einen fremden Welttheil verſetzt worden, wo die Menſchen ihre Wohnungen ganz anders als in dem unſrigen eingerichtet haben. EsL 5iſt170Tagebuch von einer nach Nizzaiſt mir nicht moͤglich, einen deutlichen Begriff von die - ſen ſeltſamen Gebaͤuden zu geben. Der ſteile, durch dieſes Dorf heraufgehende Weg macht eigentlich den Graat des Huͤgels aus. Zu beyden Seiten des We - ges ſtehen dieſe Gebaͤude ſo, daß hinter oder neben je - dem ein ganz ſteiler Abſturz ins Thal herunter geht. Hier und da iſt hinten, oder neben den Haͤuſern eine kleine Terraſſe, auf der eine Art von kleinem Garten angelegt iſt.
Wo man zwiſchen zwey Haͤuſern hinten herum - kommen kann, es ſey rechter oder linker Hand des Weges, da hat man die Ausſicht in das Thal herun - ter, die nicht reizender ſeyn koͤnnte. Was das Selt - ſame dieſes Ortes noch vermehrt, iſt, daß man an vielen Orten aus den Felſen, und wo etwa die Felſen mit etwas Erde bedeckt ſind, die große amerikaniſche Aloe herauswachſen ſiehet. Hier faͤllt auf einmal das Reizendſte der Natur und das Elendeſte menſchlicher Anſtalten in die Augen. Der Ort gehoͤrt ei - nem Marquis Grimaldi, aus der Familie der ehe - maligen Prinzen von Monaco, der, wie ich hoͤre, gegenwaͤrtig wirklich Anſpruch auf dieſes Fuͤrſtenthum macht. Sein hieſiges Schloß ſchien mir von weitem (denn ich mochte nicht ſo hoch und ſo ſteil hinauf ſtei - gen, um es in der Naͤhe zu ſehen,) ein ſchoͤnes Ge - baͤude zu ſeyn.
Von hier kommt man in weniger als einer halben Stunde nach St. Laurent, einem kleinen Staͤdt - chen am rechten Ufer des Varo. Dieſer Fluß macht die Graͤnze zwiſchen der Provence und der Grafſchaft Nizza, zwiſchen Frankreich und Jtalien. Jn die - ſer Gegend waͤchſt ein ſehr feiner Muſcatenwein,der171gethanen Reiſe. der unter dem Namen Vin de St. Laurent bekannt genug iſt.
Jch mußte hier meinen Paß vorweiſen, um aus Frankreich heraus zu kommen, und ſollte auch mein Gepaͤcke durchſuchen laſſen. Dieſes wurde mir auf Verſicherung, daß ich keine Kaufmannswaaren bey mir fuͤhre, nachgelaſſen.
So wie man den Fuß zum Thore herausſetzt,Durchgang durch den Varo. tritt man auch in das Bette des Varo, das hier ſehr breit iſt, und das gewaltige Anlaufen dieſes Fluſſes genugſam erkennen laͤßt. Gegenwaͤrtig war kaum der ſechste Theil des Bettes mit Waſſer verſehen. Das wenige aber, das in verſchiedene Arme getheilt war, ſtroͤmte ſchnell herunter. Jn St. Laurent ſind ſtar - ke Maͤnner beſonders beſtellt, um die Reiſenden hie - her uͤber den Fluß zu bringen. Dieſe muͤſſen wiſſen, wenn es angeht, oder unmoͤglich iſt, uͤber den Fluß zu kommen. Jch bekam hier, da die Durchfahrt jetzt wegen des ſeichten Waſſers nicht gefaͤhrlich war, nur vier ſolcher Maͤnner zur Begleitung; zu andern Zeiten bekommt man viel mehrere derſelben. Einer gieng als Wegweiſer voraus, und zeigte dem Poſtil - lon die ſeichteſten Stellen zum Durchfahren, und drey blieben an der Chaiſe, um ſie zu halten, daß der Strom ſie nicht umſchlage. Das Waſſer ſtieg an wenig Orten bis an die Achſe der Raͤder. Dieſe Be - gleitung koſtete mich 4 Livres; bey groͤßerm Waſſer iſt ſie weit koſtbarer.
Von Varo kommt man in einer Stunde nach Nizza. Der Weg dahin geht unfern der Kuͤſte ne - ben ſchoͤnen und fruchtbaren, zur linken Hand derStraße172Tagebuch von einer nach NizzaStraße liegenden Huͤgeln. Nachmittags um 3 Uhr langte ich daſelbſt an.
Die Weiten der Oerter von Toulon aus habe ich folgendermaßen gefunden:
Von Toulon nach Pignans | 116740 |
— Pignans nach Vidauban | 84402 |
— Vidauban nach Frejus | 87655 |
— Frejus nach Cannes | 104802 |
— Cannes nach Cagne | 66089 |
— Cagne nach Nizza | 42102 |
Von Toulon nach Nizza etwas uͤber 20 Meilen. 17½ Poſten. | 501790 Fuß oder Dieſer Weg macht |
Und hier endiget ſich der erſte Theil meiner Reiſe, da ich den Winter uͤber in Nizza geblieben bin.
Zum Beſchluß dieſes Tagebuches will ich hier noch einige Anmerkungen beyfuͤgen, die ich auf dem Wege durch Frankreich gemacht, und noch nicht vor - getragen habe.
Das gemeine Landvolk, welches ich auf dieſem Wege zu ſehen Gelegenheit hatte, ſchien mir ein gut - herziges, geduldiges, und meiſt arbeitſames Volk zu ſeyn. Nirgends habe ich etwas von dem unfreundli - chen Weſen, das dem brandenburgiſchen Landvolke ſo gewoͤhnlich iſt, angetroffen. Auch ſchien es mir ein maͤßiges und mit ſehr wenigem vergnuͤgtes Volk zu ſeyn.
Die Poſtillone, Fuhrleute, Knechte in den Gaſt - hoͤfen, ſind mir uͤberall dienſtfertig, verſtaͤndig und geſittet vorgekommen. Von dem muͤrriſchen undbru -173gethanen Reiſe. brutalen Weſen unſrer Leute von dieſer Claſſe ſind ſie weit entfernt. Jch habe von keinem Poſtillon auf dem ganzen Wege ein einziges ungeduldiges Wort gehoͤrt. Es traf ſich doch bisweilen, daß vor einander vorbey - fahrende Wagen an einander ſtießen, oder ſich etwas muͤhſam ausweichen mußten. Anſtatt des Schim - pfens und Fluchens, das man bey dergleichen Gele - genheiten im noͤrdlichen Deutſchland nicht ſelten hoͤrt, ſah ich bey dieſem ſonſt lebhaften Volke nichts als Sanftmuth und gegenſeitige Huͤlfsleiſtung. Nie hat ein Poſtillon, der mich gefahren, unterweges ange - halten, um zu trinken, oder ſeine Pferde zu traͤnken, als da, wo er ausſpannte, naͤmlich Mittags und Abends. Die ganze Zwiſchenzeit faͤhrt man gut und ohne An - halten fort. Ein Reiſender kann den Poſtillon gera - de wie ſeinen eigenen Bedienten anſehen. Er thut ohne Widerrede, was man von ihm verlangt. Bey aufſtoßenden Schwierigkeiten, oder wenn etwas an dem Fuhrwerke reißt oder bricht, ſuchen ſie ſich zu helfen ohne ungeduldig zu werden.
Aber die Gaſtwirthe ſchienen mir uͤberall habſuͤch - tig zu ſeyn, und ſich ſehr wenig um einen Fremden zu bekuͤmmern.
Das Landvolk iſt durchgehends ſchlecht gekleidet, und ſcheinet ſehr elend. Ruft man aber auf dem Fel - de oder in den Doͤrfern jemanden an, um ſich etwa wornach zu erkundigen, ſo findet man ihn hoͤflich und gefaͤllig. Jch habe von Lyon aus bis Nizza, ob es gleich jetzt die Herbſtzeit war, und der Wein auf dem ganzen Wege ſehr gemein iſt, keinen betrunkenen Men - ſchen angetroffen. Ein einzigesmal hat ſich mein Po - ſtillon mit einem andern, der dieſelbe Straße fuhr,etwas174Tagebuch von einer nach Nizzaetwas bezecht. Der meinige ſagte mir unterweges mit viel Artigkeit, daß ihm der Wein etwas zu Ko - pfe geſtiegen ſey, und daß auch ſein Camerad davon ſo munter geworden, daß er jetzt viel beſſer zufahre, als vorher.
Auch die Weiber ſcheinen arbeitſam. Die man auf der Landſtraße antrifft, ſind unter dem Gehen mei - ſtentheils entweder mit Spinnen oder mit Struͤmpfe - knuͤtten beſchaͤfftiget.
Fuhrwerk hat der Landmann in dieſen beyden Pro - vinzen ſehr ſelten. Die Eſel oder (Bourriques) ſind ſein gewoͤhnliches Vieh. Dieſe muͤſſen in Koͤrben den Duͤnger auf die Felder tragen, Holz und andere Be - duͤrfniſſe nach Hauſe oder zu Markte ſchleppen, und dienen auch zum Reiten. Die provenzaliſchen Pferde ſind klein, wie die im Brandenburgiſchen, aber ſehr lebhaft und flink. Weil der Duͤnger beſonders in Niederprovence ſehr rar iſt, ſo trifft man vielfaͤltig Leute an, die alles, was Eſel oder Pferde auf den Straßen fallen laſſen, mit den Haͤnden aufſammeln. Jn Marſeille und in Toulon ſieht man Leute auf den Straßen, die aus den kleinen Roͤnnen, wodurch die Unreinigkeiten von den Straßen abgefuͤhrt werden, mit beyden hohlen Haͤnden den Unrath heraus langen, und in Koͤrbe ſammeln. Ein ſolches Volk verdient gluͤcklicher zu ſeyn, als es iſt.
Jch glaube ſchon angemerkt zu haben, daß die einzelnen Bauerhaͤuſer, die man an der Straße antrifft, zwar ſehr maſſiv, aber dabey ſehr elend ſind. Die wenigen Doͤrfer, durch die ich gekommen bin, ſehen ſehr aͤrmlich aus, obgleich die Haͤuſer, wie in Staͤd - ten, in Straßen an einander geſetzt, und hoch vonStei -175gethanen Reiſe. Steinen aufgebaut ſind. Dieſes iſt die alte Art der ehemaligen roͤmiſchen Doͤrfer*)Vicos locant (Germani) non in noſtrum morem connexis et cohaerentibus aedificiis: ſuam quisque domum ſpatio circumdat. Tacit. de Mor. Germ. . Man wird darin gar keine zum Behuf des Feldbaues gemachte Anſtal - ten gewahr, auch nirgends keine Scheunen. Das angenehme laͤndliche Anſehen, das die Doͤrfer in an - dern Laͤndern insgemein haben, und der gruͤne Wald von Obſtbaͤumen, in dem ſie liegen, beydes faͤllt hier ganz weg. Von weitem ſehen dieſe Doͤrfer wie Klumpen nackender und freyſtehender Felſen aus.
Auch die hielaͤndiſchen Staͤdte haben fuͤr einen aus Deutſchland kommenden von weitem ein ganz fremdes Anſehen. Die hohen und meiſt ſehr ſchma - len Haͤuſer mit ſehr flachen Daͤchern und gar wenigen Fenſtern ſind ihm etwas ungewoͤhnliches. Dabey vermißt man bey der Ausſicht auf Staͤdte die hohen Thuͤrme, die einigen deutſchen Staͤdten von weitem ein ſo gutes Anſehen geben.
Was ich auf dieſer Reiſe von Perſonen vorneh - mern Standes, als Edelleute, Officiere, Geiſtliche geſehen, dergleichen ich taͤglich mehr oder weniger, bisweilen zu 20 an einer Tafel in Gaſthoͤfen angetrof - fen habe, fand ich durchgehends von guter Lebensart. An den Tafeln in Gaſthoͤfen hoͤrt und ſieht man nichts, das nicht den Ton und Anſtand ganz guter Geſell - ſchaft haͤtte. Am wenigſten ſieht man Leute, die im Trinken zu viel thaͤten. Niemand trinkt Wein ohne Waſſer vermiſcht, es ſey denn daß man ſich zum Nachtiſch etwa eine Flaſche ganz feinen Wein geben laſſe. Dieſer wird denn unvermiſcht getrunken. EinFrem -176Tagebuch von einer nach NizzaFremder iſt ſicher, daß in einer ſolchen Tiſchgeſell - ſchaft keine zu neugierige oder unbeſcheidene Frage an ihn geſchieht.
Die einzigen Menſchen, uͤber die ich mich auf dieſer Reiſe zu beklagen fand, ſind die Barbierer, die alle zugleich Friſeurs ſind. Sie gehen mit Bart und Haaren gar unbarmherzig um, reiben, ſtoßen und reiſſen ſo brutal, als wenn ſie einen unempfindlichen Ochſenkopf unter den Haͤnden haͤtten. Jch gerieth allemal in Verſuchung, dieſen groben Kerln unter den Haͤnden zu entſpringen.
Des fuͤrtrefflichen Clima in der untern Provence ungeachtet, ſchien ſie mir doch, im Ganzen genom - men, kein angenehmes Land. Die meiſten Provin - zen von Deutſchland uͤbertreffen ſie meines Erachtens an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit ſehr weit. Nur die kalten und rauhen Winter! dafuͤr aber ſind denn auch die Sommer in der Provence deſto beſchwerlicher. Den unbeſchreiblichen Reichthum an Oel ausgenom - men, iſt die Provence ein armes Land; und jener Franzoſe, der ſie eine Gueuſe parfumée nannte, ſcheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.
Das Ufer des Meerbuſens von Antibes ziehet ſichLage der Stadt Nizza. von dieſer Stadt an gegen Nordoſt in einem Zirkelbo - gen herum, deſſen Sehne von Suͤdweſt nach Nordoſt laͤuft. An dem nordoſtlichen Ende derſelben liegt Nizza, in gerader Linie, etwa drey deutſche Meilen von Antibes. Beyde Staͤdte liegen unmittelbar am Meer, und ſo, daß man von der einen die andere gerade im Geſichte hat. Von dieſer Lage hat ver - muthlich Antibes ſeinen griechiſchen Namen Antipo - lis, die gegenuͤber liegende Stadt, von den ehe - maligen griechiſchen Einwohnern von Nicaͤa, dem heutigen Nizza, bekommen.
Die Ufer des gedachten Meerbuſens ſind ganz flach; aber in einer geringen Entfernung von der See erheben ſich kleine Huͤgel, die ſich gegen das Land her - ein an die hoͤhern Berge der Provence anſchließen. Von Nizza aus aber, gegen Genua hin, ſind die Kuͤſten meiſtentheils ſehr hoch, ſteil und felſig. Die - ſe hohe Kuͤſte faͤngt gleich neben Nizza an.
Nizza hat die Form eines Dreyecks, deſſen klei - nere gegen Suͤden gekehrte Seite an das Meer ſtoͤßt, die beyden andern aber am noͤrdlichen Ende der StadtMzu -178Tagebuch von einer nach Nizzazuſammenſtoßen. Dicht an der Abendſeite fließt der bey trockenem Wetter ſehr ſeichte, zu andern Zeiten ſehr ſtark anlaufende, und alsdenn ſehr breite Fluß Paglion, der ſich hier ins Meer ergießt*)Plinius ſagt in ſeiner Geſchichte der Natur (III B. 5. C.): Igitur ab Amne Varro Nicaea oppidum a Maſſilienſibus conditum; fluvius Padus u. ſ. w. Hier muß offenbar, wie auch in einigen Handſchriften ſteht, fluvius Palo geleſen werden; denn er meint den Paglion. Auch die gleich darauf folgenden Wor - te: Alpes, populi alpini multis nominibus, ſed ma - xime capillati; oppidum Vadiantiorum; civitas Cemenelion; portus Herculis Monoeci, gehen alle, wie aus der Beſchreibung des Plinius zu ſehen iſt, auf die nahe um Nizza liegenden Oerter.. An der Morgenſeite der Stadt aber liegt ein hoher, vom Meer an einige hundert Schritte ins Land hinein laufender und ganz einzeln ſtehender Felſenberg. Auf der be - traͤchtlichen, etliche hundert Fuß betragenden Hoͤhe dieſes Felſens lag das ehedem fuͤr unuͤberwindlich ge - haltene, aber 1704 von dem Marſchall de Catinat eingenommene und jetzt gaͤnzlich zerſtoͤrte Schloß Nizza.
Die ganze Stadt mit dieſem Berge, deſſen Grund ohngefaͤhr eben ſo viel Raum einnimmt, als die Stadt ſelbſt, kann man gemaͤchlich in weniger als einer Stunde umgehen.
Zwiſchen gedachtem Felſenberge und dem wenige hundert Schritte oſtwaͤrts gegenuͤber liegenden, ſich von der See nordwaͤrts ins Land hineinziehenden Berge Montalban, liegt der Hafen von Nizza. Seit kur - zem iſt von der Stadt aus an der Seekuͤſte ein ſehr ſchoͤner und breiter Weg, 30 bis 60 Fuß hoch uͤberdie179gethanen Reiſe. die See, an dem Felſen ausgehauen worden, durch den man von dem untern oder ſuͤdlichen Quartier der Stadt nach dem Hafen gehen und mit Wagen fah - ren kann.
Die Mittagsſeite der Stadt iſt durch einen hohen und feſten gemauerten Wall fuͤr das Anprellen der Wellen geſchuͤtzt. Jn dieſem Wall ſind Gewoͤlber ausgemauert, welche zu Magazinen der Kaufmanns - guͤter dienen; oben auf demſelben aber iſt eine Platte - forme zum Spazierengehen. Die Abendſeite der Stadt iſt gegen den Paglion mit einem hohen, auſ - ſerhalb mit einer ſtarken Mauer bekleideten Erdwall verſehen, der meiſtens mit Steinen ausgepflaſtert iſt, weil er ſowohl zum Reiten und Fahren, als zum Ge - hen dienet. Aus der Stadt fuͤhren Treppen und Rampen auf dieſen Wall, und von da gehen auch ſol - che an die ſteinerne Bruͤcke, die uͤber den Paglion nach einer Vorſtadt heruͤber geht, herunter. Man kann alſo von der Weſt - und Nordſeite der Stadt auf dieſen Wall und von da in die Stadt kommen, ſo daß ſie ein voͤllig offener Ort iſt, obgleich ſowohl in dem Wall, als an der Suͤd - und Nordſeite der Stadt Thore ſind. Wer nicht Luſt hat durch die Thore zu gehen, geht uͤber den Wall frey aus und ein.
Nichts iſt ſchoͤner als der Spaziergang um die Stadt herum. Man kann von einer breiten, laͤngſt des vorher erwaͤhnten hohen am Meer gemauerten Walles laufenden Straße, vermittelſt einer ſchoͤnen ſtei - nernen ganz neu angelegten Treppe, auf die Platte - forme dieſes Walls kommen. Von da geht man laͤngſt dem Meer auf dem Wall gegen Abend, und hat den ganzen Meerbuſen, die voͤllige Kuͤſte mit ih -M 2ren180Tagebuch von einer nach Nizzaren Huͤgeln, und die Stadt Antibes gerade vor ſich. Von dieſem gemauerten Wall kommt man auf den an ihn anſchließenden ebenfalls hohen Erdwall, auf dem man nordwaͤrts hingehet. Von dieſem hat man eine bezaubernde Ausſicht, erſt auf die kleine flache, mit viel hundert Gaͤrten und Gartenhaͤuſern beſetzte Gegend um die Stadt, und dann auf die umliegen - den kleinern, ebenfalls mit unzaͤhligen Baſtides oder Landhaͤuſern beſetzten, und mit Waͤldern von Oliven bedeckten Berge, hinter denen mehrere Reihen immer hoͤherer Berge die Haͤupter empor heben.
Wenn man auf dieſem Wall an das noͤrdliche En - de der Stadt gekommen iſt, ſo geht man herunter, und kommt auf einem ſchoͤnen breiten Wege an dem Fuß des gedachten Bergfelſens oͤſtlich an demſel - ben herum bis ans Meer. Auf dieſem Wege hat man wieder erſt einen ſchmalen Strich ebenes in Gaͤrten ein - getheiltes Land, jenſeit deſſelben den Berg Montal - ban mit der oben auf demſelben liegenden kleinen Fe - ſtung im Geſichte. Hernach kommt man an den Ha - fen, um welchen eine Menge kleiner Haͤuſer zur Be - wirthung des Schiffsvolks zerſtreut liegen. Gegen das Meer geht dann der ſehr ſchoͤne am Felſen ausgehauene Weg an, der wieder an den gemauerten hohen Wall fuͤhrt, von dem man zuerſt ausgegangen iſt. Von dieſem Wege hat man einen Theil der hohen Seekuͤſte gegen Genua im Geſicht, und das offene Meer, uͤber welches man bey hellem Wetter die hohen Ge - buͤrge auf Corſica zu ſehen bekommt. Dieſes iſt der ſchoͤnſte Spaziergang, der ſich erdenken laͤßt.
Ein uͤber die Beſchreibung praͤchtiges Schauſpiel aber geben, auf dem neuen Wege nach dem Hafen beyetwas181gethanen Reiſe. etwas hoher See, die ſich an den hervorſtehenden Klippen des Felſenberges brechenden Wellen. Das ſchaͤumende Waſſer ſpringt nach dem Anprellen in hundert Geſtalten, wie praͤchtige Springbrunnen in die Hoͤhe. Ein Theil deſſelben faͤllt auf die hoͤhern und niedrigern Felſen von mannichfaltiger Form und Geſtalt, und laͤuft davon in hundert veraͤnderten Caſ - caden wieder ab. Auf dieſe Springbrunnen und Caſ - caden ſiehet man von dem hohen daruͤber liegenden Wege herunter, und ſiehet ſich nicht ſatt.
Die Stadt ſelbſt hat innerhalb wenig Annehm -Jnnere Be - ſchaffenheit der Stadt. lichkeit. Die Straßen ſind enge, und bey den meiſt hohen Haͤuſern etwas duͤſter, bey naſſem Wetter ſehr unreinlich und von uͤbelm Geruch, obgleich ſehr gut gepflaſtert. Nur das mittaͤgliche Quartier der Stadt, das neuer iſt, hat breitere und ganz gerade Straßen, und iſt uͤberhaupt wohl gebaut, hat einen ziemlich großen ganz regulairen viereckigen Platz, wo die Wachtparade geſtellt wird.
An oͤffentlichen Gebaͤuden hat die Stadt nichts, das verdiente bemerkt zu werden, außer den ſchon er - waͤhnten hohen gemauerten Wall, und die von der Straße her darauf fuͤhrende mit Marmor bekleidete Treppe, die eben, als ich mich da auf - hielt, fertig wurde. Die Kirchen haben insgemein gute, doch mit zu viel Geſimſen und Verkroͤpfungen uͤberladene Vorderſeiten. Die Haͤuſer des neuen Quartiers, beſonders an dem Paradeplatze, ſind ſehr groß und wohl gebaut. Einige gar wenige in der Stadt ſind von guter Bauart; ſonſt ſind die Haͤuſer durchgehends ſchlecht, kuͤndigen ſchon von außen die innere Unreinlichkeit, und eine gaͤnzliche SorgloſigkeitM 3in182Tagebuch von einer nach Nizzain Anſehung der Unterhaltung und Ausbeſſerung des Schadhaften an.
Die Treppen in den Haͤuſern ſind insgemein ge - mauert, und die Tritte mit duͤnnen Platten von ſchwar - zem Schiefer belegt. Verſchiedentlich werden ſolche Platten auch zu Bekleidung der Thuͤrgewaͤnde und der Fenſter gebraucht. Sie werden aus dem Genueſi - ſchen hergebracht, und thun im Bauen große Dienſte.
Jnwendig ſind die Haͤuſer durchgehends ſehr un - reinlich, und auf den Treppen gemeiniglich genug von uͤbelm Geruch. Es wird nichts weder gewaſchen noch ausgebeſſert. Da bey den engen Straßen die Zim - mer an ſich ſchon wenig Licht haben, wird nicht einmal dafuͤr geſorget, daß die Fenſter rein gehalten werden. Jch habe, und nicht in den geringſten Haͤuſern, ſol - che geſehen, die wegen des auswendig darauf ſitzenden Staubes und inwendigen von Fliegen herkommenden Schmuzes faſt ganz undurchſichtig geworden. Man kann ſich ſchwer in die Empfindungsart ſolcher Men - ſchen ſetzen, die eine ſo ekelhafte Unreinlichkeit ertra - gen koͤnnen. Ohne Zweifel traͤgt dieſes viel zu der ungeheuern Menge Fliegen bey, die hier gezeugt wer - den. Alle Spiegel muͤſſen mit Vorhaͤngen von Flor bedeckt werden, wenn ſie nicht in ein paar Tagen von den Fliegen unbrauchbar gemacht werden ſollen. Wenn ich hoͤchſtens ein Duzend der beſten Haͤuſer in dieſer Stadt ausnehme, ſo waͤre es mir nicht moͤglich, in irgend einem der uͤbrigen zu wohnen.
Jch halte die Stadt auch im Winter fuͤr unge - ſund. Die Haͤuſer koͤnnen nicht geluͤftet werden, und ſind, weil die Sonne faſt nirgend hinkommen kann, kalt und feucht. Wenn man nun im Winter beyſchoͤ -183gethanen Reiſe. ſchoͤnem Wetter, wie taͤglich geſchieht, ſpazieren geht, ſo kommt man doch in einige Waͤrme, und wird beym Eintreten in die Haͤuſer wieder kalt, kann ſich auch in den meiſten Haͤuſern nicht einmal waͤrmen, da ſelten Camine in den Zimmern ſind.
Uebrigens ſiehet es in der Stadt lebhaft genug aus; denn ſie ſcheinet fuͤr ihre geringe Groͤße ſtark be - wohnt, und den ganzen Tag ſieht man außer den Einwohnern eine große Menge Landvolk auf den Gaſſen.
Von der Lage des Hafens habe ich bereits geſpro -Der Hafen. chen. Er iſt ganz durch Kunſt gemacht. Die Na - tur hat dazu weiter nichts gethan, als daß ſie zwiſchen dem Felſenberge, daran die Stadt liegt, und dem Berge Montalban einen ſchmalen Strich niedriges Land, das an die See ſtoͤßt, gelaſſen hat. Dieſes iſt an der See ausgegraben, und zum Hafen vertieft worden. Die Einfahrt in denſelben iſt durch zwey ſtarke in die See geſetzte gemauerte Waͤlle oder Mole ins Enge gebracht. Gegenwaͤrtig iſt der Hafen noch klein, und wuͤrde ſchwerlich 40 Handlungsſchiffe be - herbergen koͤnnen. Man kann ihn aber, ſo weit man will, ins Land hinein verlaͤngern; und gegenwaͤrtig wird wirklich an dieſer Verlaͤngerung gearbeitet. Es waͤre aber noͤthig, daß die Reede vor der Einfahrt auch tiefer gemacht wuͤrde; denn es ſind noch Felſen im Grunde, welche ganz beladenen Schiffen von 400 Tonnen und daruͤber die Einfahrt nicht verſtatten: daher dergleichen Schiffe erſt in dem unweit davon liegenden Hafen von Villa franca lichten.
Sonſt wird an dem Hafen nichts geſpart. Die Mole ſind ſchoͤn gebaut, und beſonders der, den manM 4bey184Tagebuch von einer nach Nizzabey der Ausfahrt linker Hand hat. Er hat inwen - dig gegen den Hafen viele gewoͤlbte, offene Nichen, in denen das Schiffsvolk im Trockenen ſeyn und kochen kann. Jede Niche hat eine aus der Mauer heraus - kommende aus Erz gegoſſene Roͤhre mit einem Hahn, wodurch man ſehr gutes und geſundes Waſſer, nicht nur zum taͤglichen Gebrauch, ſondern auch zum Schiffsvorrath, kann herauslaufen laſſen. Am En - de dieſes Mole neben der Ausfahrt ſtuͤrzt dieſes Waſ - ſer in einer ſehr artigen Niche aus einem Loͤwenmaul, und faͤllt in Caſcaden herunter. Dieſes ſchoͤne Quell - waſſer wird durch gemauerte Waſſerleitungen von ei - ner halben Stunde weit her nach dem Hafen geleitet.
Gleich neben dem Hafen liegt ein fuͤrtrefflicher Steinbruch, von einem weißlichen marmorartigen Kalkſtein, woraus die beyden Mole und die Ufer des Hafens gemauert ſind.
Bey Gelegenheit dieſes Steinbruchs muß ich zweyer Merkwuͤrdigkeiten gedenken. Vor ein paar Jahren hat man in dem Steinbruch, da man zwey durch eine ſehr duͤnne Schicht Thon von einander ge - trennte Steine von einander ſpaltete, einen faſt ganz verroſteten kupfernen Nagel zwiſchen dieſen Steinen gefunden, der ſich in den einen eingedruͤckt hatte. Der Baumeiſter, welcher die Aufſicht uͤber die Arbei - ten am Hafen hat, ſagte mir, der Nagel ſey ihm weggekommen; er zeigte mir aber eine wohlgezeichne - te Abbildung mit Farben, die er ſelbſt davon gemacht hatte. Kurze Zeit hernach fand man unweit vom Hafen noch mehr ſolcher ſehr wohl erhaltenen kupfer - nen Naͤgel, davon gedachter Baumeiſter mir einenſchenk -185gethanen Reiſe. ſchenkte. Jch habe ihn in das Naturaliencabinet der koͤniglichen Akademie der Wiſſenſchaften geſchenkt.
Die andre Merkwuͤrdigkeit dieſer Seekuͤſte ſind die ſogenannten Dattelmuſcheln, die ihren Namen von der einer Dattel aͤhnlichen Figur haben. Dieſe Muſcheln freſſen ſich, wenn ſie noch ganz klein ſind, in den harten im Grund des Meeres liegenden Kalk - ſtein ein, dringen darin immer tiefer, und ſo wie ſie anwachſen und aͤlter werden, erweitert ſich auch der Gang, den ſie ſich im Stein ausgraben. Er iſt aber nur um die Dicke von zwey oder drey Kartenblaͤttern weiter, als die Muſcheln dick ſind, ſo daß ſie ſich dar - in nicht umwenden koͤnnen. Ein Kalkſtein von etwa drey Fuß lang und einem Fuß dick, der vor fuͤnf Jah - ren verſenkt worden, wurde, aus Gefaͤlligkeit fuͤr mich, aus dem Grunde herauf geholt. Dieſer war ſo ſehr ſo wohl von dieſen Datteln, als auch von einer andern Art haariger Muſcheln (Muſculus) durchgefreſſen, wie irgend ein altes Stuͤck Holz von Wuͤrmern, und ich fand keinen Cubikzoll feſten Stein daran. Jch ließ den Stein zerſchlagen, behielt einige Stuͤcke mit den lebenden Muſcheln eine Zeit lang in Seewaſſer auf; die andern Datteln ſpeiſte ich wie Auſtern, und fand ſie ſehr delicat, von beſſerm Geſchmack als die fein - ſten Auſtern aus der Nordſee. Als ich einige Zeit nachher den Chevalier de Foncenex in Villa fran - ca beſuchte, ließ er in meiner Gegenwart auch ſolche Steine aus dem dortigen Hafen ausfiſchen, die eben daſſelbe zeigten; und wir verzehrten auch dieſe Dat - teln als wahre Leckerbiſſen.
Bey Gelegenheit des Hafens will ich auch hierHandlung. anfuͤhren, was ich von der hieſigen Handlung geſehenM 5ha -186Tagebuch von einer nach Nizzahabe. Sie iſt, ungeachtet der Hafen fuͤr einen Frey - hafen erklaͤrt worden, ſehr gering. Drey oder vier Handlunghaͤuſer koͤnnen alle Geſchaͤffte beſtreiten. Jn den ſechs Monaten, da ich mich hier aufhielt, ſind kaum zwoͤlf Schiffe angekommen, und auch nicht mehrere abgegangen.
Ausgefahren wird 1) eine betraͤchtliche Menge ſo - wohl ganz feines, als auch geringeres Oel, daran die Grafſchaft Nizza großen Ueberfluß hat; 2) Seide, ſowohl aus der Grafſchaft, als die aus Piemont hie - her gebracht wird; 3) eine betraͤchtliche Menge Hanf, ebenfalls aus Piemont; 4) Reis, auch daher, und in Menge; 5) der feinere in der Grafſchaft wachſen - de Wein, aber in unbetraͤchtlicher Menge; 6) Limo - nen, Citronen*)Limonen ſind die Fruͤchte, die man in Deutſchland Citronen nennt, und Citronen, was die Deutſchen bittere Pommeranzen nennen. und Pommeranzen in ſtarker Men - ge; 7) Anchois, Sardellen, Tonfiſch, und dann in kleinen Fahrzeugen auch Gartengewaͤchſe, auch etwas Leder; von Fabrikwaaren wenig oder nichts; we - nigſtens ſind in der Grafſchaft Nizza, ſo viel ich weiß, keine Fabriken.
Eingefahren wird 1) Getraide, an dem die Graf - ſchaft einen gaͤnzlichen Mangel hat. Der Getraide - handel wird aber auch hier auf Speculation getrieben, um das hier aufgeſchuͤttete Getraide in vorkommenden Faͤllen wieder nach andern Seehaͤfen zu verfahren. Es kommen ſogar Schiffe mit Getraide aus den amerikani - ſchen engliſchen Colonien hieher. 2) Alles Salz, was in der Grafſchaft und in Piemont gebraucht wird. Dieſes kommt aus Sardinien. 3) Alle Arten von Fabrik -waa -187gethanen Reiſe. waaren, und viele darunter, mit denen, wie man ſagt, ein vortheilhafter Schleichhandel nach Frankreich ge - trieben wird. 4) Bauholz, und denn die zur Noth - wendigkeit gewordenen feinern Lebensmittel, Zucker, Cacao, Caffee u. ſ. f.
Betraͤchtlich kann die Handlung hier nie werden; nicht blos wegen der Nachbarſchaft weit groͤßerer Hand - lungsplaͤtze, wie Genua und Marſeille, ſondern auch wegen Mangel fahrbarer Straßen aus den in - nern Provinzen von Jtalien oder von hier hinein.
So viel ſey von der Lage und Beſchaffenheit der Stadt geſagt. Ehe ich von den hieſigen politiſchen Einrichtungen und von den Sitten der Einwohner ſpreche, will ich die umliegende, zum Gebiet derBeſchreibung der umliegen - den Land - ſchaft. Stadt gehoͤrige Gegend beſchreiben. Ein kleiner Strich Landes an der noͤrdlichen, nordweſtlichen und weſtlichen Gegenden der Stadt iſt ebenes Land. Nach Weſten geht ein ſchmaler Strich ſolchen Landes bis an den Varo laͤngſt dem Meerbuſen. Das wenige, der Stadt gegen Nordweſt liegende ebene Land, das in allem keine Quadratſtunde ausmacht, iſt mit nicht ſehr hohen, in unzaͤhlige Huͤgel eingetheilten Bergen umgeben, hinter denen viel Meilen weit im - mer hoͤhere und hoͤhere Berge das Land beynahe zu ei - ner Wildniß machen. Von der Ausſicht auf dieſe Berge von dem Wall der Stadt habe ich bereits ge - ſprochen.
Von den naͤchſten Bergen erſtrecken ſich einige Huͤgel vom Gebuͤrge ab in die Ebene hinaus, davon einer, den die Einwohner[Cimié] nennen, laͤngſt dem rechten Ufer des Paglion bis nahe an die Stadt her - aus tritt. Zwiſchen dieſen hervortretenden Huͤgelnlie -188Tagebuch von einer nach Nizzaliegen einige ſchmale hoͤchſt angenehme Thaͤler, die in die Ebene auslaufen. An ein paar Orten aber gehen aus dieſen Thaͤlern noch andere engere in den Schooß der Berge hinein, und bilden da einſame reizende Wohnplaͤtze. Jenſeit dieſer naͤchſten Berge liegen zwiſchen dieſen und den groͤßern darhinter liegenden auch viele theils wilde, theils fruchtbare, ganz roman - tiſche Thaͤler, an denen man ſich von den Hoͤhen her - unter nie ſatt ſehen kann.
Das ebene flache Land zunaͤchſt an der Stadt iſt in Gaͤrten eingetheilt, die mit ziemlich hohen Mauern umgeben ſind, zwiſchen denen eine Menge enger Gaͤß - chen durchgehen. Dieſe Gaͤrten haben nichts Ange - nehmes, als die große Menge der Citronen - und Pom - meranzenbaͤume, womit ſie beſetzt ſind, und die ſchoͤnſten Kuͤchengewaͤchſe, die hier auch den ganzen Winter uͤber in großem Ueberfluß darin angetroffen werden. Das Land in dieſen Gaͤrten ruhet nie; ſo wie ein Stuͤck ſeine Nutzung gegeben hat, wird es auch gleich wieder umgegraben, und aufs neue be - pflanzt oder beſaͤt. Außerdem haben die Gaͤrten keine Annehmlichkeit, keinen Schatten, keine Spazier - gaͤnge, kurz nichts zum bloßen Vergnuͤgen.
Jn jedem Garten ſteht ein mehr oder weniger groſ - ſes und gutes Wohnhaus, ſowohl fuͤr die Familie des Gaͤrtners, als fuͤr den in der Stadt wohnenden Ei - genthuͤmer. Denn nur wenige Gaͤrtner ſind ſelbſt Beſitzer der Gaͤrten, die ſie bearbeiten. Einige ſitzen auf Pacht darin; andere, und dieſe ſind die meiſten, bearbeiten und benutzen ſie fuͤr die Haͤlfte des jaͤhrli - chen Ertrages. Einige wenige dieſer Gartenhaͤuſer ſind raͤumlich, wohlgebaut und gut unterhalten. Dieſeſind189gethanen Reiſe. ſind im Winter meiſt von Englaͤndern bewohnt, die ihrer Geſundheit halber, oder aus Laune hieher kom - men. Bisweilen kommen auch andre Fremde. Auch ich hatte mir ein ſolches Gartenhaus gemiethet. Hier und da ſind auch gute Wieſen zwiſchen den Gaͤrten.
Das uͤbrige, etwas von der Stadt entferntere ebene Land, das in den Thaͤlern und an den Bergen, iſt in unzaͤhlige kleine Guͤter eingetheilt, die ich we - der Ackerguͤter, noch Gaͤrten nennen kann; ſie ſind von beyden etwas. Jhre Groͤße iſt gering, von vier und ſechs, bis zehen, funfzehen und zwanzig Mor - gen Landes, das zum Gartenbau, zum Wein - und Kornbau eingerichtet iſt. Jedes dieſer Guͤtchen hat ſein maſſives Haus; einige ſehr wenige ganz ſchoͤne Landhaͤuſer. Auf dieſe Weiſe iſt die ganze Gegend und die Anhoͤhen der ſie umgebenden Berge, ſogar die oberſte Hoͤhe derſelben mit unzaͤhligen zerſtreuten Ge - baͤuden bedeckt, die von der Stadt aus, wo man al - les uͤberſehen kann, eine erſtaunliche Anſicht geben. An den Bergen ſiehet man ganze Waͤlder von Oliven - baͤumen, und auch in der Ebene ſind ſie in großer Menge gepflanzt. Andre Baͤume, als Maulbeer - Feigen - und Obſtbaͤume, ſind etwas ſparſam ange - bracht. Von Waldung aber iſt gar nichts zu ſehen, als hier und da an den wildeſten und hoͤchſten Stellen der Berge duͤnne ſtehende Pinaſter und Geſtraͤuch, ſo daß das Holz in dieſer Gegend rar iſt.
Die groͤßte Mannichfaltigkeit geben dem Auge die vielen tauſend Terraſſen, in welche die ziemlich ſteilen Anhoͤhen der Berge eingetheilt ſind, damit dies ſteile Land konnte bebaut werden. Alle werden durch trock - ne, das iſt, ohne Kalk aufgefuͤhrte Mauren unter -ſtuͤtzt.190Tagebuch von einer nach Nizzaſtuͤtzt. Wohin man auch das Auge gegen dieſe Ber - ge wendet, ſieht man eine erſtaunliche Menge uͤber - einander ſtehender Terraſſen, und bewundert dabey die geduldige Arbeitſamkeit der ehemaligen Einwohner, die dieſe duͤrren Anhoͤhen dadurch zum Anbau tuͤchtig gemacht haben. Ohne Zweifel hat Ueberfluß an ar - beitenden Haͤnden und Mangel an Nahrungsmitteln ſie zu dieſer erſtaunlichen Arbeit gezwungen.
Wenn man in Gedanken alle dieſe Terraſſen weg - reißt, und dieſe Berge ſich in ihrer urſpruͤnglichen Ge - ſtalt, mit meiſt rauhem und ziemlich unfruchtbarem Boden vorſtellt, ſo denkt man, es haͤtte niemand vor - herſehen koͤnnen, daß ſo viel Menſchen an dieſen Ber - gen wohnen und ihre Nahrung finden koͤnnten. Eine vor der Bewohnung des Landes dahin geſchickte Co - lonie wuͤrde vermuthlich berechnet haben, daß dieſes kleine Stuͤckchen Landes, wo jetzt uͤber tauſend Fami - lien wohnen, nicht hinreichend ſey, viel uͤber hundert Familien zu naͤhren. Nichts, als einige ganz ſteile Felſen, iſt hier ungenutzt gelaſſen.
Einige hundert, vielleicht tauſend kleinere und groͤßere Wege durchkreuzen Ebenen und Berge, wo - durch die Gegend zu einer Art von Labyrinth wird. Auf dieſen kann man uͤberall hinkommen, und man wuͤrde das ganze Jahr durch taͤglich auf neuen Wegen und in andre Gegenden ſpazieren koͤnnen. Wer das Ge - hen liebt, und gut ſteigen kann, findet die Gegend unerſchoͤpflich an immer neuen und ſehr veraͤnderten Spaziergaͤngen. Aber im Wagen kann man ſie aus Mangel der Straßen nicht genießen, auch nicht zu Pferde, weil auch dafuͤr wenige Wege breit und ge - bahnt genug ſind.
Das191gethanen Reiſe.Das Land iſt durchgehends, einige halb m oraſti - ge Tiefen ausgenommen, duͤrre. Nichts iſt ſeltener, als eine Waſſerquelle mitten in ſo vielen Bergen. Man trifft etliche wenige ſehr ſeichte Baͤchelchen an, deren weniges Waſſer aber ſehr gut genutzt wird, wie ich hernach melden werde, wenn ich den hieſigen Land - bau beſchreiben werde. So viel von dem aͤußern An - ſehen des Landes.
Nun will ich verſuchen, von den Einwohnern der Stadt und des Landes, ihren Beſchaͤfftigungen, ih - rer Lebensart und ihren Sitten, das, was ich geſehen, oder doch zuverlaͤßig erfahren habe, deutlich vor - zuſtellen.
Man rechnet die Anzahl der Einwohner in derEinwohner von Nizza. Stadt auf 25000, aber die Zahl ſcheint mir zu groß; wiewohl ich nicht laͤugnen kann, daß auf den Straßen es ziemlich von Menſchen wimmelt. Der Adel iſt hier ziemlich zahlreich, aber groͤßtentheils un -Der Adel. vermoͤgend. Wenn man drey oder vier der erſten Haͤuſer ausnimmt, die man hier reich nennen kann, weil ſie von 20 bis 50000 Lire*)Eine Lire de Piemont iſt ohngefaͤhr 7 Groſchen in ſaͤchſiſchem Gelde. Einkuͤnfte haben, und dann eine kleine Anzahl derer, die von Bedienun - gen leben, ſo iſt der uͤbrige Theil des Adels aͤrmlich, und ein Theil ganz arm und elend.
Man ſiehet deswegen hier nichts von der in groſ - ſen Staͤdten durch ganz Europa herrſchenden Ueppig - keit, keine reichen Equipagen, die man ohnedem in einem Lande wo keine Fahrwege, und in einer Stadt, wo wenig Straßen ſind, durch die man in Kutſchen fahren koͤnnte, entbehren kann; keine oͤffentliche koſt -bare192Tagebuch von einer nach Nizzabare Luſtbarkeiten; keine Schauſpiele; keine Tafeln von Aufwand, als etwa zur Seltenheit bey ganz be - ſondern Veranlaſſungen. Es ſind drey oder vier ade - liche Haͤuſer, bey denen im Carneval der uͤbrige Adel des Abends in die ſogenannten Converſationi zuſam - menkommt, wo man ſich mit Geſpraͤch, mit Spie - len, auch bisweilen mit Tanzen die Zeit vertreibt. Auch werden zu derſelben Zeit woͤchentlich in dazu ge - mietheten Saͤlen, in die man den Eingang bezahlt, maskirte Baͤlle gegeben.
Anſehnlichere koͤnigliche Bediente und auch die Advocaten rechnen ſich ſelbſt mit zum Adel, wenn ſie gleich nicht von adelicher Geburt ſind, und unterſchei - den ſich von den andern nicht adelichen durch das Tra - gen des Degens, den man hier fuͤr ein Zeichen des Adels haͤlt; deswegen auch kein Edelmann, ſo elend und arm er auch iſt, und ſo ein abgenutztes und zerriſ - ſenes Kleid er traͤgt, ohne Degen ausgeht. Jch ha - be ſolche geſehen, die ſo alte und abgenutzte Degen trugen, daß die Scheide nicht mehr daran halten woll - te. Da ſie das Vermoͤgen nicht hatten, eine neue machen zu laſſen, banden ſie die alte mit Bindfaden, um ſie nur nicht in Stuͤcken fallen zu laſſen. Das gemeine Volk bezeuget jedem, der einen Degen traͤgt, große Ehrerbietigkeit.
Unter dieſem zahlreichen Adel ſind denn auch viele Neugeadelte. Man kann den Adel vom Landesherrn gleichſam kaufen, und dann wird jeder, der von dem Koͤnige oder auch von einem Beſitzer ein ſolches ver - fallenes Lehn kauft, unter den Adel gerechnet. Man kann durch dieſen Weg fuͤr wenige tauſend Thaler Conte oder gar Marcheſe werden. Deſſenunge -193gethanen Reiſe. ungeachtet iſt der Adel auch hier auf die Vorzuͤge ſei - nes Standes ſtolz.
Die Geiſtlichkeit, als der zweyte Stand, iſt hierDie Geiſtlichkeit. zahlreich, aber eben nicht anſehnlich; denn die Pfruͤn - den der Weltgeiſtlichen ſind gering, die meiſten Kloͤ - ſter aber ſehr arm. Selbſt der Biſchof hat nur gerin - ge Einkuͤnfte, und fuͤhrt deswegen gar keinen Staat. Er geht gar oft in ſeinem ehemaligen Ordenshabit, wie ein gemeiner Moͤnch, ſpazieren; bisweilen ſieht man ihn in einer ſehr ſchlechten Kutſche mit zwey uͤbel - gekleideten Lakayen fahren. Bey ſchoͤnem Wetter ſind des Nachmittags alle Straßen voll Geiſtliche, und ſie gehen wirklich ſchaarenweiſe ſpazieren. Waͤren die hieſigen Landeseinwohner nicht ſo gar ſehr beſorgt, nach ihrem Tode bald aus dem Fegefeuer zu kommen, ſo muͤßte gewiß die Haͤlfte der hieſigen Geiſtlichen ver - hungern, oder wegziehen. Aber alle Altaͤre ſind ſo reichlich mit Seelmeſſen beſetzt, daß jeder Prieſter doch taͤglich 10 Sols*)Ohngefaͤhr vier Groſchen. fuͤr eine Meſſe verdienet. Zur hoͤchſten Noth kann einer hievon leben. Ein ſehr edler freymuͤthiger Ordensgeiſtlicher, ein wirklicher Philoſoph, der mich hier mit ſeiner Freundſchaft be - ehrte, hat mich verſichert, daß unter der großen An - zahl Geiſtlichen in Nizza nur etwa drey ſeyen, die Litteratur oder Wiſſenſchaft beſitzen.
Die Kaufleute machen die dritte Claſſe der Ein -Die Kauf - mannſchaft. wohner aus. Jch habe bereits oben angemerkt, daß gar wenig Haͤuſer hier alle große Handlung in ihren Haͤnden haben. Die uͤbrigen ſind Commiſſionairs und Kraͤmer. Doch ſcheinen verſchiedene dieſer letz -Ntern,194Tagebuch von einer nach Nizzatern, aus ihren Waarengewoͤlbern zu urtheilen, gut zu ſtehen. Fabrikanten giebt es in Nizza gar nicht.
Der große Haufe, oder das geringere Volk, ſchei - net hier durchgehends ſehr arm zu ſeyn. Anſehnliche Handwerksleute giebt es hier gar nicht. Man kann auch darum hier in keinem Stuͤcke recht gute Arbeit be - kommen. Die Reichern laſſen ſich, wenn ſie etwas Vorzuͤgliches haben wollen, es aus Frankreich oder aus Genua, oder gar aus England kommen. Die - ſes geſchieht mit Huͤten, Struͤmpfen, Schuhen u. dgl. gemeinen Sachen. Weil ſie alle insgemein im unterſten Theil des Hauſes ihre offenen Werkſtellen haben, ſo kann man ohne großes Nachforſchen ſehen, in was fuͤr ſchlechter Verfaſſung ſie ſind.
Tageloͤhner, außer denen, die ſich mit Hin - und Herſchleppen der Waaren nach dem Hafen, und von da nach der Stadt abgeben, giebt es hier dem Anſe - hen nach ſehr wenige. Jch ſchloß dieſes daher, daß zu dem Bau am Hafen, ſogar im Steinbruch und bey andern oͤffentlichen Arbeiten, Weiber, junge Maͤd - chen, und ſogar Kinder in großer Zahl, und immer 10 gegen eine Mannsperſon, zum Stein-Kalk - und Sandherbeyſchaffen gebraucht werden. Deſto mehr Bettler aber giebt es, die durchgehends mit ſo gar elenden Lappen behangen ſind, daß ein Fremder ſie oh - ne Entſetzen nicht anſehen kann.
Eine Claſſe des niedrigen Volks verdienet einer beſondern Erwaͤhnung, naͤmlich die Fiſcher. Sie machen einen beſondern Stamm aus, aus dem ihre Kinder nicht heraus heirathen. Jch hoͤrte, als eine gemeine Sage, daß dieſe Leute ſich von allen an - dern durch einen guten Lebenswandel und beſſere Sit -ten195gethanen Reiſe. ten unterſcheiden. Jch erkundigte mich bey Maͤnnern, denen ich trauen konnte, nach der Wahrheit dieſer Sa - ge; und ſie wurde beſtaͤtiget, mit dem Zuſatze, daß bey Menſchengedenken kein Fiſcher, oder ſonſt jemand aus einer Fiſcherfamilie, einer Criminalſache halber ſey belangt worden.
Von dem Kriegsſtande ſage ich nichts, weil er eigentlich nicht unter die Landeseingebornen gehoͤrt.
Ueberhaupt ſind die Einwohner der Stadt, wie man ſchon aus dem Angefuͤhrten abnehmen kann, we - der reich noch wohlhabend zu nennen. Jch habe mir auch ſagen laſſen, daß man durchgehends zu Hauſe ſehr aͤrmlich lebt, und beſonders auf Eſſen und Trin - ken ſehr wenig wendet. Und da es uͤberhaupt hier ziemlich wohlfeil iſt, ſo kommen ſie alſo mit wenigem aus. Der groͤßte Theil der in dem Gebiete der Stadt liegenden Guͤter gehoͤrt den Einwohnern der Stadt, und ſie ziehen die Haͤlfte des jaͤhrlichen Ertrages der - ſelben, die ihnen denn nebſt dem, was ſie etwa in der Stadt verdienen, oder an Beſoldung haben, durch - hilft.
Weil ich uͤberhaupt wenig Umgang mit den Ein -Sitten und Charakter der Einwoh - ner. wohnern gehabt habe, und nur ſelten nach der Stadt gekommen bin, da meine Hauptſorge hier die Pflege meiner Geſundheit war, ſo getraue ich mir nicht viel Entſcheidendes von den Sitten und dem Charakter die - ſes Volks zu ſagen. Verſchiedenes aber habe ich doch wohl bemerken koͤnnen.
So kann ich ziemlich ſicher ſagen, daß in Abſicht auf die Religion faſt durchgehends große Unwiſſenheit, blinder Aberglaube, aber ſehr wenig herzliche Andacht unter dieſen Leuten herrſche. Jch koͤnnte von LeutenN 2von196Tagebuch von einer nach Nizzavon nicht geringem Stande, und die uͤbrigens nach ihrer Art eine gute Erziehung gehabt haben, ſtarke Beweiſe hievon anfuͤhren. Die aͤußerlichen Reli - gionsgebraͤuche ordentlich mitzumachen, dienet ihnen ſtatt Kenntniß und Froͤmmigkeit. Man ſieht den Menſchen durchgehends bey ihren gottesdienſtlichen Ue - bungen an, daß ſie nichts dabey denken. Jhre Pro - ceßionen und die Umzuͤge der verſchiedenen Bruͤder - ſchaften, die man Buͤßende (Penitenti) nennt, geſchehen mit ſolcher Achtloſigkeit und mit ſolchem Leichtſinn, daß ſie mir aͤußerſt anſtoͤßig waren. Haͤt - te ich nicht gewußt, was es ſeyn ſollte, ſo haͤtte ich es beynahe fuͤr Faſtnachtsluſtbarkeiten gehalten. Und doch ſind dieſes Dinge, die ſie ſelbſt fuͤr hoͤchſtwichtig ausgeben.
Gelehrte und philoſophiſche Kenntniſſe, ſelbſt blos hiſtoriſche uͤber den allgemeinen Zuſtand der Welt, Bemuͤhungen den Geiſt aufzuklaͤren, oder den Ge - ſchmack zu erhoͤhen, ſind hier gar ſeltene Dinge; und Buͤcher ſind hier ſehr ſchwer zu bekommen. Jch bin in dem vornehmſten der hieſigen zwey Buchlaͤden ge - weſen, habe aber außer den Gebet - und Litaneybuͤ - chern kein anderes darin geſehen, als Woͤrterbuͤ - cher der Sprachen. Es iſt nur ein einziger Edelmann in Nizza, der eine Bibliothek beſitzt, in welcher man die Werke der beruͤhmteſten Schriftſteller, ſowohl in Wiſſenſchaften als in Werken des Geſchmacks, antrifft. Eine andre mit guter Wahl geſammelte kleine Samm - lung von Buͤchern habe ich bey einem ſehr geſchickten Advocaten angetroffen. Jch will auch nicht verſchwei - gen, daß ich ein paar Frauen, die eine vom erſten Stande, und die andre vom zweyten Range, geſe -hen197gethanen Reiſe. hen habe, die begierig nach Kenntniſſen, und wirklich von aufgeklaͤrtem Geiſte waren. Dieſes ſind aber ſo ſeltene Dinge hier, daß ſie der allgemeinen Anmer - kung uͤber den Mangel an Kenntniſſen, der hier herr - ſchet, kaum eine Einſchraͤnkung geben.
Alle Thaͤtigkeit und Aufmerkſamkeit der Men - ſchen ſcheinet hier blos auf den ſehr engen Kreis der ihnen zunaͤchſt vor den Augen liegenden Gegenſtaͤnde gerichtet. Daher macht jedes kleine Familien - oder Geſellſchaftsgeſchichtchen, und was etwa taͤglich in der Stadt vorgeht, viel Aufſehens. Ein kleines Hiſtoͤr - chen von Galanterie, oder ein ganz unbedeutender Vorfall, der ſich etwa in der Converſatione oder beym Ball geaͤußert hat, iſt viele Tage lang faſt der einzi - ge Jnhalt der Geſpraͤche. Auch macht der Mangel an wichtigern Beſchaͤfftigungen, daß bey dem gering - ſten kleinen Vorfall alles in Bewegung kommt. Bey den in der That nichtsbedeutenden Feſtins des gemei - nen Volks, wovon ich hernach ſprechen werde, ſieht man gemeiniglich alle Vornehmere als Zuſchauer ver - ſammelt. Waͤhrend meines Aufenthalts in Nizza wurde das hier in Beſatzung liegende Bataillon abge - wechſelt; und ich ſah beym Einmarſch des ankommen - den Bataillons alle Straßen vor der Stadt auf eine halbe Stunde Weges weit mit den Einwohnern der Stadt vornehmern und geringern Standes beſetzt, um an einer ſo merkwuͤrdigen Begebenheit Theil zu neh - men. Eben ſo ſieht man in den letzten Tagen des Carnevals, da der Poͤbel einige Mummereyen und Faſtnachtsluſtbarkeiten vornimmt, alles auf den Straſ - ſen der Stadt, um das abgeſchmackte Schauſpiel zu ſehen. Alles zeiget eine ungemeine Gierigkeit nachN 3Zeit -198Tagebuch von einer nach NizzaZeitvertreib, und beweiſet, wie wenig hier die Men - ſchen ſich zu Hauſe zu beſchaͤfftigen, oder zu ergoͤtzen wiſſen. Jm Winter macht das Spazierengehen ei - nen Theil des Zeitvertreibes aus; und dabey ſieht man gemeiniglich die Damen in dem beſten Putz.
Von Jnduſtrie oder Beſtrebung Neues zu erfinden, oder das Gebraͤuchliche zu verbeſſern, habe ich hier keine Spur angetroffen. Die gemeinſten alltaͤglichen Kuͤnſte haben hier nur einen geringen Grad der Vollkommenheit erreicht. Die Muͤhlen, das Ge - traide zu mahlen, ſind vermuthlich hier noch in dem Grad der Unvollkommenheit, in dem ſie zuerſt nach den Abendlaͤndern gekommen ſind. Das durch den langſam herumlaufenden Stein zermalmte Getraide, das alsdenn aus Mehl, Gries und Kleyen beſteht, wird in einen Kaſten ausgeleert, und ſo dem Eigen - thuͤmer zugeſtellt, der nun nach Belieben es ſo brau - chen, oder durch Siebe das Mehl herausnehmen kann.
Auch hier ſiehet man ſchon einige Spuren von dem in Genua und vielen andern Staͤdten in Jtalien eingefuͤhrten Cicisbeat. Es giebt verheirathete Frauen, die man allezeit an den Armen der von ihnen gewaͤhlten Aufwaͤrter, und nie mit ihren eigenen Maͤn - nern gehen ſieht, mit denen ſie uͤbrigens in guter Ei - nigkeit leben.
Daß die hieſigen Einwohner durchgehends wenig auf Reinlichkeit und Gemaͤchlichkeit in ihren Woh - nungen ſehen, habe ich bereits erinnert. Es moͤgen auch hier einige wenige Ausnahmen ſtatt haben: aber in Anſehung des weit groͤßten Theils iſt es gewiß wahr. Dieſer ſcheinet fuͤr die Annehmlichkeit, gemaͤchlich zuwoh -199gethanen Reiſe. wohnen, und um ſich her alles in guter Ordnung, und, ich will nicht ſagen zierlichem, ſondern nur reinli - chem Stande zu ſehen, keine Empfindung zu haben. Beſonders befremdete es mich, hier in guten Haͤuſern zum taͤglichen Gebrauch der Chocolate und des Caffee ſo wenig Porcellain anzutreffen. Man trinkt aus Taſſen von Fayence. Der gemeinere Buͤrger wohnt durchgehends hoͤchſt elend, und erſtickt beynahe in Staub und Schmuz.
Jn Anſehung der Kleidung der vornehmen und gemeinern Einwohner der Stadt, findet man hier nichts, als was man uͤberall in Frankreich und Deutſch - land ſieht. Eine einzige Sache habe ich hier an Mannsperſonen geſehen, die mir nicht uͤbel gefallen hat. Bey etwas kaltem Wetter ſieht man ſie mit Muͤffen von Tuch, worin ſie die Haͤnde waͤrmen. Jſt es etwas warm, wie in den Mittagsſtunden, ſo tragen ſie dieſe Muͤffe unter dem Arm; wird es kaͤlter, ſo wickeln ſie dieſelben auseinander, und dann ſind es Maͤntel, die ſie ſich umhaͤngen.
Ueberhaupt ſieht man an den Manieren der hieſi - gen Einwohner noch wenig von dem, was die Jtaliaͤ - ner ſonſt beſonders an ſich haben. Darin gleichen ſie mehr den Franzoſen, als den Jtaliaͤnern. Auch iſt die franzoͤſiſche Sprache hier ziemlich gemein. Sonſt kommt die hieſige Landesſprache ziemlich mit der pro - venzaliſchen uͤberein; obgleich in oͤffentlichen Geſchaͤff - ten, vor den Gerichten und im Predigen die italiaͤni - ſche Sprache eingefuͤhrt iſt. Am Ende dieſer Be - ſchreibung werde ich eine Probe der nizzardiſchen Sprache geben.
N 4Un -200Tagebuch von einer nach NizzaUnter dem hieſigen Landvolke, von dem ich jetzt ſprechen werde, verſtehe ich nicht das ganze Landvolk der Grafſchaft Nizza, ſondern die in dem Gebiete der Stadt, welches ich vorher beſchrieben habe, zerſtreut herum wohnenden Gaͤrtner und Bauren. Wenige derſelben ſind die Eigenthuͤmer der Guͤter, die ſie be - arbeiten; die meiſten ſind Pachter, die entweder um eine jaͤhrliche Rente, oder um die Haͤlfte des Ertra - ges das Land bauen und nutzen.
Da es ſchon in der Stadt etwas aͤrmlich ausſie - het, ſo wird man ſich leicht vorſtellen, daß bey dieſen Leuten kein großer Wohlſtand herrſche. Jhre Woh - nungen ſind durchgehends elend; zwar maſſive Haͤu - ſer, die groß und raͤumlich genug ſind, aber von den ehemaligen Bequemlichkeiten wenig uͤbrig behalten haben. Gar ſehr ſelten iſt an einem ſolchen Hauſe noch ein Fenſter, oder eine ganze Thuͤre. Wer ſie ſieht, ohne Menſchen darin zu ſehen, wuͤrde glauben, ſie waͤren von langer Zeit her verlaſſen. Jnwendig ſehen ſie mehr Viehſtaͤllen, als menſchlichen Wohnun - gen gleich. Sie ſind meiſtentheils ſo raͤumlich, daß außer dem Pachter auch der in der Stadt wohnende Eigenthuͤmer darin wohnen, wenigſtens ein paar Zim - mer darin haben koͤnnte. Aber dieſes geſchieht hoͤchſt ſelten. Der Eigenthuͤmer kommt entweder gar nicht hin, oder haͤlt ſich wenigſtens nicht darin auf. Darum wird auch nichts ausgebeſſert.
Eben dieſe Leute, die man in ihren Haͤuſern fuͤr halbes Vieh haͤlt, findet man in ihrer Arbeit ganz or - dentlich. Die Gaͤrten werden mit großem Fleiß be - ſtellt, und in ſehr gutem Stande gehalten, ſo daß das ganze Jahr durch immer und taͤglich etwas kanndar -201gethanen Reiſe. daraus gezogen werden. Es wird taͤglich eine un - glaubliche Menge Kuͤchengewaͤchſe nach der Stadt ge - bracht. Das Gepflanzte wird mit Duͤngen und Waͤſſern wohl beſorget.
Viele Gaͤrten koͤnnen gewaͤſſert werden, wozu das wenige aus den Bergen kommende Waſſer mit groſ - ſem Fleiß genutzt wird. Man laͤßt die kleinen Baͤ - chelchen nicht in ihren ſelbſtgegrabenen Betten laufen, und ſich halb in die Erde verlieren; man hat kleine Waſſerleitungen gemauert, in denen kein Tropfen verloren geht. Wo ſich eine kleine Waſſerader zeiget, die nicht reich genug iſt, ein Baͤchelchen zu bilden, da wird es gleich in raͤumliche gemauerte Waſſerbehaͤlt - niſſe oder Ciſternen geſammelt; und aus dieſen wird es, wenn es noͤthig iſt, auf das Land geleitet. Man findet außerdem noch viele dergleichen gemauerte Be - haͤltniſſe oder Ciſternen, in die man das Regenwaſſer zu demſelben Behuf aufſammelt. Darin zeiget das Landvolk Fleiß und Aufmerkſamkeit.
Man hat hier einen unſchaͤtzbaren Vortheil fuͤr die Waſſerleitungen und Ciſternen dadurch, daß in der Gegend um Nizza eine Art Kalkſteine gegraben wer - den, davon ein Kalk gebrennt wird, der von dem Waſſer undurchdringlich iſt, und doch ſehr hart wird. Er vertritt alſo die Stelle des Cements. Die damit gemauerten Waſſerleitungen werden von außen nicht einmal feuchte, und die Ciſternen halten das Waſſer ſo gut, als metallene Gefaͤße thun wuͤrden.
Jch habe vorher des Duͤngens erwaͤhnt. Auch dieſer Artikel verdient hier eine beſondere Anzeige, weil ich in keinem Lande gefunden habe, weder daß man al - les hiezu dienliche ſo gut zu Rathe haͤlt, noch ſo gutN 5an -202Tagebuch von einer nach Nizzaanwendet. Der Landmann hat hier kein Vieh, als etwa einen oder zwey Eſel, ſelten noch ein paar Ziegen; eine Kuh iſt etwas ſehr ſeltenes: daher muß nothwen - dig der Duͤnger ſelten ſeyn. Aber der Fleiß erſetzt den Mangel. Alles was irgend von Unreinigkeit, die in Faͤulniß uͤbergeht, in einem Hauſe faͤllt, wird ſorgfaͤltig in große in die Erde eingegrabene Kruͤge ge - ſammelt, dort mit Waſſer vermengt, und wenn es auf einen gewiſſen Grad der Gaͤhrung gekommen iſt, zum Begießen der Wurzeln der Gewaͤchſe gebraucht.
Gemeiniglich hat jeder an einen gangbaren Weg ſtoßende Garten ein kleines, gegen den Weg offenes, nach dem Garten aber ganz zugemauertes Haͤuschen, deſſen ſich die Vorbeygehenden bey anſtoßender Noth - durft bedienen koͤnnen. Dergleichen Haͤuschen ſind nach Kaͤmpfers Berichte in Japan an allen Land - ſtraßen. Den meiſten Duͤnger aber holt der Land - mann aus der Stadt. Daſelbſt werden alle faulende Materien mit der Sorgfalt aufbehalten, mit der man ſonſt die Lebensmittel zu Rathe haͤlt. Dieſer geſam - melte Unrath wird verkauft und theuer bezahlt. Es giebt Haͤuſer, die jaͤhrlich hundert Lire und druͤber hier - aus ziehen. Der Eigenthuͤmer des Gartens, in dem ich wohnte, hatte die Haͤlfte des Unraths von dem Ge - faͤngniß der auf die Galeren verurtheilten Miſſethaͤter fuͤr 300 Lire in jaͤhrlicher Pacht. Dieſer Duͤnger wird von dem Landvolke, fuͤrnehmlich von den Gaͤrt - nern, in kleine Tonnen gefaßt, und auf Eſeln nach den Gaͤrten gebracht. Damit wird nicht das noch unbe - ſtellte Land geduͤngt, ſondern das ſchon gepflanzte Kuͤ - chengewaͤchs um die Wurzeln herum angegoſſen. Auch die jungen oder neugeſetzten Orangenbaͤume wer -den203gethanen Reiſe. den damit begoſſen. Der Unrath, welcher in Berlin taͤglich in die Spree geworfen wird, wuͤrde in Nizza jaͤhrlich gewiß mit 30000 Reichsthalern bezahlt werden.
Die Gaͤrten ſind hier von einem ſehr ſtarken Er - trag. Der Eigenthuͤmer des Gartens, darin ich wohnte, der ihn um die Haͤlfte des Ertrages vermie - thet hatte, ſagte mir, daß ſein jaͤhrlicher Antheil dar - an, ein Jahr ins andre gerechnet, ſich auf 1000 Lire belaufe. Dieſer Garten iſt 180 gemeine Schritte lang, und 156 Schritte breit, und beſteht faſt ganz aus Kuͤchenland; denn es ſind wenig Citronen - und Pommeranzenbaͤume darin. Ein Gaͤrtner, mit dem ich da Bekanntſchaft gemacht hatte, gab von ſeinem gepachteten Garten, der 150 Schritte lang und 125 Schritte breit iſt, jaͤhrlich 700 Lire Pacht.
Die andern etwas weiter von der Stadt abliegen - den Guͤter werden weder ſo ſorgfaͤltig bearbeitet, noch ſo gut genutzt, als die Gaͤrten. Die meiſten ſind als Pachtguͤter zu klein, und vielleicht kaum groß ge - nug, die darauf wohnende und arbeitende Familie reichlich zu ernaͤhren. Jch konnte es in der That nicht begreifen, wie ſo kleine Guͤter den Pachter und ſeine Familie ernaͤhren, und auch noch dem Eigen - thuͤmer ohngefaͤhr eben ſo viel einbringen koͤnnten. Freylich lebt dieſes Pachtervolk ſehr elend. Der An - bau des Landes ſelbſt leidet darunter. Denn da die Pachter unmoͤglich vom Landbau allein leben koͤnnen, ſo ſuchen ſie durch muͤhſame Nebenwege etwas Geld aus der Stadt zu ziehen, und verſaͤumen dadurch die Arbeit am Lande. Einige raffeln kleines Geſtraͤuche, Baumreiſer, abgeſchnittene Weinranken oder Kien -aͤpfel204Tagebuch von einer nach Nizzaaͤpfel zuſammen, laden es auf einen Eſel, und fahren damit zu Markte, um etliche wenige Sols nach Hau - ſe zu bringen, die ihnen die Verſaͤumniß am Feldbau ſchwerlich bezahlen. Andre bringen Eyer, weichen Ziegenkaͤſe und ſaure Milch nach der Stadt. Man trifft deswegen, zu welcher Jahrszeit es ſey, allezeit mehr Menſchen mit ihren Eſeln auf den Wegen nach der Stadt, als auf dem Felde an.
Um einigen Begriff von dem hieſigen Landbau zu geben, will ich Folgendes uͤber die faſt allgemeine Ein - richtung dieſer Guͤter anmerken.
Neben dem zum Gute gehoͤrigen Hauſe, von dem man ſich aus dem, was ich bereits uͤber dieſe Haͤuſer geſagt habe, einen Begriff machen kann, iſt ein klei - ner ebener Platz, auf dem das Getraide ausgedroſchen oder vielmehr ausgetreten wird. Dicht daneben wird das gewonnene Stroh in einem Schober, oder um ei - ne hohe Stange in einen ſpitzigen Haufen aufgeſetzt, auf - behalten. Zunaͤchſt an dem Hauſe iſt auch ein kleiner Platz, der einen Garten vorſtellt, weil man etwa eine Laube von Weinreben, ein paar Pommeranzenbaͤume, oder einige Feigenbaͤume, nebſt etwas von Kuͤchenge - waͤchſen darauf ſieht. Alles andre zum Gute gehoͤri - ge Land iſt in ſchmale Beete von 10 bis 14 Fuß breit eingetheilt. Wo das Land eben oder doch nicht zu ſteil iſt, ſind laͤngſt den Abtheilungen der Beete Weinreben, wie Spaliere gepflanzt, ſo daß jedes Beet von zwey Weinſpalieren eingeſchloſſen iſt; wo aber das Land ſteil iſt, daß man es hat in Terraſſen abtheilen muͤſſen, da iſt jede Terraſſe ein ſolches Beet, und an der Mauer, welche die folgende Terraſſe un - terſtuͤtzt, ſind die Weinreben gepflanzt.
Die205gethanen Reiſe.Die Beete, in welche der Boden eingetheilt iſt, werden wechſelsweiſe mit Getraide und mit Sauboh - nen beſtellt. Selten ſtehen ſtatt der Saubohnen Erb - ſen, Kohl, Artiſchocken, oder andere Kuͤchengewaͤchſe. Der groͤßte Theil des Landvolks ſcheinet keine Feld - fruͤchte zu kennen, als Getraide und Saubohnen.
Auf einigen Guͤtern, doch ſelten, ſtehen in den Weinſpalieren auch Obſtbaͤume, als Kirſchen-Pflau - men-Pfirſchen-Mandel-Feigen-Aepfelbaͤume ꝛc. Aber dieſe Baͤume laͤßt man durchgehends wild aufwachſen, ohne ſich die geringſte Muͤhe mit Pfropfen oder Be - ſchneiden derſelben zu geben; weswegen auch das Obſt hier ſehr ſchlecht iſt. Statt dieſer Obſtbaͤume ſtehen auf einigen Guͤtern Maulbeerbaͤume zum Seidenbau.
Gemeiniglich ſtehen um die Graͤnzen des Guts herum, auch uͤberall auf rauhen Stellen, wo derglei - chen ſind, die Olivenbaͤume. Auf hohen Guͤtern, die viel rauhes Land haben, ſind betraͤchtliche Plaͤtze, wie Baumgaͤrten, durchaus mit Olivenbaͤumen beſetzt. Doch wird auch hier das Land unter den Baͤumen noch mit Korn beſaͤt.
Dieſes iſt nun die ganze Herrlichkeit eines um Nizza liegenden Landgutes. Von Wieſen, Wei - dung, Holzung weiß man hier nichts. Wo etwa ein ſteiler hoher Bord iſt, der nicht angebaut werden konnte, da wachſen einige wilde Baͤume, als Eichen, Ruͤſtern und verſchiedenes kleinere Geſtraͤuch. Dieſes wird als Holzung genutzt; und das wenige an ſolchen Borden wachſende Gras iſt die Weide fuͤr Ziegen und Eſel. Zum Brennen hat der Landmann kein anderes Holz, als die jaͤhrlich abgeſchnittenen Weinranken und vertrocknete Aeſte von Baͤumen. Die Staͤmme ab -geſtor -206Tagebuch von einer nach Nizzageſtorbener Baͤume werden zu Brennholz gehauen und in die Stadt verkauft. Die wenigen Reiſer, die der Landmann fuͤr ſich behaͤlt, ſind zu ſeiner Nothdurft hinreichend. Denn es wird nicht nur im Winter kein Zimmer geheizt, ſondern auch zum taͤglichen Gebrau - che ſieht man ſelten einen Schorſtein rauchen. Das Brod laͤßt der Bauer in der Stadt backen, und ſo braucht er faſt gar kein Holz.
Demnach tragen die hieſigen Guͤter etwas Korn und Bohnen, etwas Wein, Obſt, oder auch Seide und einige Gartengewaͤchſe; der Hauptertrag aber iſt das Oel. Sehr ſelten ſieht man ein Stuͤckchen Land mit Hanf oder Flachs beſtellt. An weiter in die Berge hinein liegenden Orten findet man ganze Wein - berge und betraͤchtliche Olivenwaͤlder; und dorthin ſind die Guͤter auch meiſtentheils groͤßer.
Alles Land, worauf geſaͤt und gepflanzt wird, be - arbeitet der Bauer mit einer ſehr breiten Hacke, wo - mit er es wenigſtens anderthalb Fuß tief umgraͤbt. Von den Beeten, in die das Land eingetheilt iſt, wird jaͤhrlich eins von zweyen geduͤngt. Das Geduͤngte wird mit Getraide beſaͤt, das andre mit Bohnen be - pflanzt, und damit wird jaͤhrlich abgewechſelt.
An den meiſten Orten habe ich das Getraide ſehr ſchoͤn gefunden. Auf den Ebenen fand ich es hier und da außerordentlich ſchoͤn, und ſo fett, daß man den Waizen beynahe fuͤr Schilfrohr haͤtte halten koͤnnen. Auf dem beſten Lande ſoll die Erndte die Saat funf - zehnfaͤltig wieder geben.
An dieſer Landwirthſchaft finde ich folgendes aus - zuſetzen. Erſtlich ſcheint es mir ſehr uͤbel gethan, daß die Haͤlfte des Landes mit Saubohnen beſtellt wird,einer207gethanen Reiſe. einer Frucht, die, ſo lange die Bohne gruͤn iſt, zwar gut ſchmeckt, aber getrocknet eine der rauheſten Spei - ſen iſt, die ich kenne. Jch habe mir dieſe Haupt - ſpeiſe des hieſigen Landmannes einmal kochen laſſen, konnte ſie aber durchaus nicht eſſen. Dies Volk iſt aber ſo in dieſe elende Koſt verliebt, daß gar viele ſolche Bohnen gekocht in den Taſchen tragen, um, ſo oft ihnen die Luſt ankommt, davon zu eſſen. Jch ha - be auch geſehen, daß ſie den Bettlern auf der Straße etwas davon ſtatt eines Almoſens geben. Erbſen oder Pataten waͤren meiner Meinung nach weit vorzuͤgli - cher anzubauen. Zweytens iſt die Verabſaͤumung des Obſtes ein großer Fehler. Wenn die Baͤume ge - pfropft und ordentlich geſchnitten wuͤrden, koͤnnte man einen weit vortheilhaftern Ertrag davon erwarten. Drittens zeiget der hieſige Landmann ſogar in Anſe - hung des Hauptartikels, naͤmlich des Oels, große Nachlaͤßigkeit. Er laͤßt die Olivenbaͤume ebenfalls wild aufwachſen, und hilft ihnen ſehr ſelten durch Be - ſchneiden oder durch Ausputzen*)Es ſcheinet, daß dieſe Leute noch ſo wie die Ein - wohner auf Minorca denken, die ſich noch nicht ha - ben einfallen laſſen, ihre Fruchtbaͤume zu beſchneiden. Wenn man mit ihnen davon ſpricht, ſo ſagen ſie: Gott wiſſe am beſten, wie ein Baum wachſen ſolle. S. Arm - ſtrongs Beſchr. von Minorca.. Daher die Oli - ven hier durchgehends ſehr viel kleiner ſind als in der Provence. An rauhen Orten habe ich ſie ſo klein als die kleinſte wilde Vogelkirſche, auch ſogar nicht groͤßer als Erbſen geſehen.
Ungemein aͤrgerlich aber war es mir zu ſehen, daß der Landmann ſo gar viel Oliven umkommen laͤßt. Sie208Tagebuch von einer nach NizzaSie fallen, ehe er ſie ſammelt, in großer Menge ab, und bleiben liegen, bis die Haupteinſammlungszeit kommt, da denn die Haͤlfte der abgefallenen ſchon zer - treten oder verfault iſt. Jch habe an gar vielen Or - ten mit alten vertrockneten Oliven von vorhergehenden Jahren den Boden ganz bedeckt geſehen. Der hieſi - ge Landmann iſt alſo in ſeiner Arbeit zwar muͤhſam, aber nicht nachdenkend. Mir ſchien es, daß mit mehr Nachdenken und Sorgfalt der Ertrag eines ſol - chen Gutes koͤnnte verdoppelt werden. Aber dieſe Leute ſcheinen zufrieden zu ſeyn, wenn ſie auf die kuͤm - merlichſte Weiſe die elende Nahrung, die ſie haben, er - werben. Darum iſt das Landvolk durchgehends ſehr arm.
Aber in Anſehung ſeines Charakters ſcheinet es ein gutes, ſanftmuͤthiges, arbeitſames, aber hoͤchſt unwiſſendes und faſt gedankenloſes Volk zu ſeyn. Bey der unzaͤhligen Menge dieſer Leute, die taͤglich unter meinen Fenſtern hin - und herzogen, habe ich nie Streit oder Zank gehoͤrt, obgleich oft Betrunkene darunter waren. Die Weiber und die jungen Dirnen, die man haͤufig auf ihren Eſeln nach der Stadt, oder von da nach Hauſe reitend antrifft, zeigen ihre Arbeitſam - keit dadurch, daß ſie waͤhrend dem Reiten ſich mit Spin - nen beſchaͤfftigen. Dieſes thun ſie auch, wenn ſie zu Fuße gehen; denn was ſie zu tragen haben, tragen ſie in Koͤrben auf dem Kopfe, ohne es zu halten.
Munterkeit und Froͤhlichkeit zeiget das junge Land - volk dadurch, daß es ſich an den Feyertagen des Abends verſammelt, um unter freyem Himmel zu tanzen. Sie machen ſich dabey luſtig, ohne in Aus - gelaſſenheit auszuſchweifen. Aber ihr Tanzen hatnichts209gethanen Reiſe. nichts Merkwuͤrdiges. Eine beſondere Art Luſtbar - keit genießt hier das Landvolk waͤhrend der Faſtenzeit, durch die ſogenannten Feſtins, dabey es folgender - maßen zugeht.
An gewiſſen Sonntagen, auch wohl an andern Kirchenfeyertagen, verſammelt ſich das ganze Land - volk, auch das gemeine Volk aus der Stadt, gleich nach Mittage bey gewiſſen Kirchen oder Capellen, die in der Gegend um Nizza liegen. Auf einem raͤum - lichen Platze neben der Kirche oder Capelle ſind eine Menge Tiſche aufgeſtellt, wie zu einem Jahrmarkt; und dieſe ſind mit allerhand Eßwaaren, Kuchen, Ro - ſinen, Mandeln, gekochten Caſtanien, und andre mit Wein reichlich beladen. Hier verſammelt ſich alſo jung und alt in dem beſten Staat, mit Blumenſtraͤuſ - ſen, Baͤndern, Flittergold und andern Zierraten be - hangen, ſind vergnuͤgt, kaufen ſich, was zu eſſen und zu trinken da iſt, draͤngen ſich hin und her, um zu ſehen, und geſehen zu werden. Wo Platz dazu iſt, da la - gern ſie ſich in zerſtreuten Haufen unter Baͤume, oder an gruͤne Borde, und laſſen da das Weinglas fleißig herumgehen. Jnzwiſchen wird auch in der Kirche oder Capelle Veſper gehalten. Da ſieht man beſtaͤn - dig an den Kirchthuͤren ein Gedraͤnge von Aus - und Eingehenden, waͤhrend der Zeit, daß die, welche draußen ſind, ſich luſtig machen.
Die Buͤrger aus der Stadt und auch der Adel ſind als Zuſchauer dabey. Das Gedraͤnge iſt insge - mein ſehr groß, und alles iſt munter und froͤhlich oh - ne zu wiſſen warum, und blos deswegen, weil viel muͤßige Menſchen da zuſammenkommen, die ſich vor - geſetzt haben, dieſen Nachmittag ſorgenlos und froͤhlichOzu210Tagebuch von einer nach Nizzazu ſeyn, auch außerordentlich etwas zur Erquickung zu genießen. Auf den Abend kehrt alles vergnuͤgt nach Hauſe zuruͤck. Den gegen die Stadt Zuruͤckkommen - den ziehen denn die Einwohner der Stadt, die nicht ſo weit haben gehen wollen, um das Feſtin in der Naͤhe zu ſehen, haufenweiſe entgegen, um die zuruͤckkom - menden, oft wohlbezechten Truppe zu ſehen.
Jch habe geſagt, daß man bey dieſer Gelegen - heit das Landvolk in ſeinem beſten Putze ſehe; von die - ſem will ich noch etwas hinzuthun, weil er mir ſehr wohl gefallen hat.
Den Mannsperſonen ſteht ihre Feyertagskleidung ſehr gut. Sie tragen ſehr kleine, enge am Leibe ſitzen - de, und nur bis an den Guͤrtel reichende Camiſoͤler von Tuch, und uͤber dieſe artige Weſtchen, oder ſehr kurze Roͤcke von demſelben Tuche. Dieſe haben ſehr enge Aermel mit ganz kleinen Aufſchlaͤgen, ſehr kur - ze etwa eine Spanne lange Schoͤße mit Taſchen. Um die Camiſoͤler winden ſie am Unterleib eine rothe oder blaue Schaͤrpe (Eſcarpe). Die Unterkleider ſind von demſelben Tuche und ſehr enge; dann folgen braune oder blaue wollene Struͤmpfe. Am ganzen Leibe iſt bey dieſer-Kleidung keine Falte zu ſehen, und ſie ſtehet auch wohlgewachſenen Mannsperſonen ſehr gut. Die Haare binden ſie hinten zuſammen, ohne einen Zopf zu flechten. Die rechten Staat machen, ſtecken noch etwa ein ſeidenes Band durch ein paar Knopfloͤcher der Oberweſte, oder einen Strauß von Blumen, oder eine Zierrath von Flittergolde. Die Huͤte ſind wie die unſrigen.
Auch die Weibsperſonen ſind ganz artig gekleidet. Die jungen verheiratheten Frauen kann man von denun -211gethanen Reiſe. unverheiratheten Maͤdchen daran unterſcheiden, daß jene ſeidene Kleider tragen. Dieſen Staat muß jeder junge Bauer ſeiner Braut ſchaffen, und der wird fuͤr ein ſo unumgaͤnglich nothwendiges Stuͤck zum Heira - then gehalten, als das Bette in Deutſchland.
Die weibliche Kleidung beſteht aus einem engen Bruſtleibchen, auf der Bruſt mit Baͤndern ausgeziert und mit Blumenſtraͤußen beſteckt, insgemein von ge - ſtreiftem Taffet und einem ziemlich langen ſeidnen Rock oder Jupe, mit einer Schuͤrze, beyde ohne andre Ver - zierung oder Garniture. Die Unverheiratheten haben dergleichen Kleider aus gemaltem baumwollenen oder geſtreiften leinenen Zeug. Der Kopfputz iſt ſehr artig. Die durchgehends pechſchwarzen Haare werden in ei - nen Zopf zuſammengebunden; dieſer wird mit einem weiſſen, rothen oder gruͤnen Bande dergeſtalt umwun - den, daß die Haare zwiſchen zwey Umgaͤngen des Bandes bloß bleiben; daraus entſtehen alſo bunte ſchwarz und weiſſe, oder ſchwarz und rothe u. ſ. f. Zoͤ - pfe, die ſo um die Schlaͤfe und Stirne herumgefuͤhrt werden, daß ſie eine Krone um den Kopf herum bil - den. Uebrigens bleibt der Kopf bloß. Das gemei - ne Volk beyderley Geſchlechts traͤgt, wenn es ſich nicht putzen will, die Haare in einem gruͤnen Netze, wel - ches ſtatt der Muͤtze dienet, und ganz loſe den Kopf bedeckt. Dieſes Haarnetz iſt eine ſehr alte, und wo ich mich recht beſinne, ſchon bey den alten Griechen ge - braͤuchliche Tracht, die gegenwaͤrtig uͤberall laͤngſt der dieſſeitigen Kuͤſte des mittellaͤndiſchen Meeres im Ge - brauch iſt. Der Englaͤnder Twiß gedenkt derſelben in ſeiner Reiſe durch Portugal und Spanien. Die Portugieſen nennen dies Haarnetz Redecilla.
O 2Ue -212Tagebuch von einer nach NizzaUebrigens iſt das weibliche Geſchlecht hier wohl - gebildet. Der Kopf iſt klein, nach einem ſehr ſchoͤ - nen Oval gerundet, von einem wirklich edeln Profil. Die Naſen ſind beſonders ſehr wohl gebildet, mit ei - ner ſehr ſanften Erhoͤhung von der Stirn gegen die Spitze, welche genau das Mittel haͤlt zwiſchen dem, was man eine ſpitzige und eine ſtumpfe Naſe nennt. Die Augen ſind meiſtens ſchwarz und von lebhaftem, witzigem, ſogar etwas muthwilligem Blick. Offen - bar hat dieſes Landvolk eine Nationalbildung, die ohn - gefaͤhr dieſelbe iſt, die man in der Provence ſieht. Jn der Stadt aber wird man ſie nicht gewahr.
Das Landvolk ſcheinet durchgehends hoͤflich, dienſt - fertig und gegen Vornehmere ſehr ehrerbietig, und waͤ - re ohne Zweifel in der Bildung ſehr viel ſchoͤner, und im Charakter munterer, wenn es den Druck der Duͤrftigkeit weniger fuͤhlte, und beſſere Nahrung haͤt - te. Man muß ſich in der That wundern, daß es bey ſeinen elenden Umſtaͤnden noch ſo ſchoͤn und ſo munter iſt. Dieſes kann nur von dem Clima herruͤhren.
Ueber die hieſigen Landesguͤter, als den eigent - lichen Reichthum des Landes, und deſſen Verhaͤltniß gegen die Beduͤrfniſſe der Einwohner, habe ich fol - gendes erfahren.
Das Hauptſaͤchlichſte der hieſigen Landesguͤter, wie ſchon aus dem bisher Geſagten abzunehmen, iſt das Oel. Jch glaube verſichern zu koͤnnen, daß in dem Lande um Nizza herum ſo viel Olivenbaͤume ſte - hen, als es bey den uͤbrigen Umſtaͤnden zu pflanzen moͤglich war. Man trifft auf allen umliegenden Ber - gen keinen Platz an, wo noch einer koͤnnte geſetzt wer - den. Hingegen findet man ſehr viele, die ihre Stelleund213gethanen Reiſe. und das bischen Erde, das ſie noͤthig hatten, durch muͤhſame Arbeit erhalten haben. Oft iſt an ſteilen felſigen Anhoͤhen ein Plaͤtzchen, wo ſich die Wurzeln des Baumes nicht einmal voͤllig ausbreiten koͤnnen, muͤhſam mit einer Mauer eingefaßt, welche wie einen großen gemauerten Kuͤbel bildet, der mit zuſammen - geſammelter Erde gefuͤllt, und mit einem Olivenbaum bepflanzt worden. Es iſt wirklich ein Vergnuͤgen, zu ſehen, wie hier nicht nur keine Spanne breit nutzba - res Land ungenutzt geblieben, ſondern der Fleiß der Menſchen an felſigen Anhoͤhen, durch ihre Abthei - lung in Terraſſen, uͤberall Land gemacht hat, wo die Natur keines gelaſſen hatte. Dieſes iſt nicht nur vom Gebiete der Stadt Nizza, ſondern auch von der gan - zen Provinz oder Grafſchaft, von dem daran graͤnzen - den Fuͤrſtenthum Monaco und der ganzen Seekuͤſte gegen Genua zu merken.
Das Oel vertritt den Einwohnern der Stadt und des Landes die Stelle der Butter, die hier wenig bekannt iſt; folglich iſt es eines der vornehmſten Nahrungs - mittel. Der Ueberfluß, den das Land nicht ſelbſt braucht, wird in andre Laͤnder verfahren. Aus dem Hafen von Nizza geht, ein Jahr ins andre gerechnet, fuͤr ohngefaͤhr eine Million Lire Oel in fremde Laͤnder. Dieſes kommt blos aus der Grafſchaft Nizza. Das hieſige Oel iſt ſehr fein, und wuͤrde dem allerbeſten den Vorzug ſtreitig machen, wenn man ſich hier we - gen des reinlichen und zeitigen Einſammelns und ſorg - faͤltigern Preſſens die erforderliche Muͤhe geben wollte. Aber ich habe ſchon erinnert, daß darin viel verſaͤumt wird. Dieſes Gewerbe mit dem Oel macht die Stadt und die Gegend um Nizza den Winter durch ſehr be -O 3lebt,214Tagebuch von einer nach Nizzalebt, weil taͤglich eine Menge deſſelben in Schlaͤuchen von Bocksfellen auf Eſeln nach der Stadt gebracht wird. An verſchiedenen Orten der Stadt und auf allen Wegen vor derſelben ſtehen die Aufkaͤufer des Oels, um jede Ladung zu koſten, und was ihnen an - ſteht, zu kaufen. Dieſes Oel iſt natuͤrlicher Weiſe hellgelb. Das was nach Norden, beſonders nach Daͤnemark beſtimmt iſt, wird in offenen Gefaͤßen an der Sonne gebleicht, und wird alsdenn beynahe ſo klar als Waſſer; aber es verliert in der Guͤte.
Das zweyte Landesgut, was ganz ausgefuͤhrt wird, iſt die Seide. Sie wird aber hier nicht haͤu - fig gezogen; und es ſchien mir, daß die Einwohner in dieſem Punkte zu nachlaͤßig ſeyen. Es iſt in der That ſeltſam und widerſinnig, daß das rauhe Land an den Bergen mit der aͤußerſten Sparſamkeit zu den Olivenbaͤumen genutzt, das gute und fettere Land der Ebenen aber nur nachlaͤßig zur Maulbeerbaumpflanzung gebraucht wird. Vielleicht liegt der Grund davon in der allgemeinen Traͤgheit der Menſchen, ſich durch Ein - fuͤhrung neuer Arbeit neues Nachdenken und neue Sor - gen zu machen. Denn die Cultur der Olivenbaͤume iſt oh - ne Zweifel hier uralt, und ſchon zu den Zeiten der ehe - mals hier wohnenden Griechen, wenigſtens der Roͤ - mer, eingefuͤhrt geweſen. Aber der Seidenbau iſt hier in neuern Zeiten aufgekommen. Den hier ein - gezogenen zuverlaͤßigſten Nachrichten zufolge, wird jaͤhrlich etwa fuͤr 150000 Lire rohe Seide aus Nizza ausgefuͤhrt.
Von den hier wachſenden Limonen und Pommeran - zen wird auch bey weitem der groͤßte Theil aus dem Lan - de geſchickt. Die Wichtigkeit dieſes Artikels kann manaus215gethanen Reiſe. aus Folgendem beurtheilen. Jn einem kleinen Gar - ten, der meiner Schaͤtzung nach nicht zweyhundert Quadratruthen groß war, habe ich eine unglaubliche Menge dieſer Fruͤchte an den Baͤumen geſehen. Der Eigenthuͤmer verſicherte mich, daß er ſchon 60000 Stuͤck in einem Jahre daraus verkauft habe. Der Mittelpreis von 1000 Stuͤck iſt 21 bis 22 Lire oder 6 Rthlr. Da nun die ganze Ebene um Nizza, auch einige Anhoͤhen meiſtens mit Pommeranzenbaͤumen beſetzt ſind, ſo laͤßt ſich abnehmen, daß der Verkauf derſelben betraͤchtlich ſeyn muͤſſe. Man hat mir ei - nen Baum gezeigt, von dem vor ein paar Jahren 5000 Pommeranzen gepfluͤckt worden*)Der Baum war von betraͤchtlicher Groͤße, und ſo, wie bey uns ein voͤllig ausgewachſener Birnbaum. Twiß gedenkt in ſeiner Reiſe durch Portugal und Spanien eines Orangenbaums bey O-Porto, der 16000 Fruͤchte in einem Jahre ſoll getragen haben. Dies iſt ſchwer zu glauben. Bleiben wir bey 5000 Stuͤck ſtehen, ſo trug der Baum ſelbiges Jahr dem Eigenthuͤmer ohngefaͤhr 5 franz. Louisd'or oder 30 Rthl. ein. Zu des Plinius Zeiten gab es um Rom Fruchtbaͤume, die ohngefaͤhr noch einmal ſo viel ein - trugen. (Arborum) multarum circa ſuburbana fru - ctu annuo addicto binis millibus nummum, majore ſingularum reditu, quam erat apud antiquos prae - diorum. Hiſt. Nat. I. XVII. c. I. . Jndeſſen iſt doch dieſer Artikel der Cultur etwas unſicher, weil es bisweilen Jahre giebt, wo entweder die halbreifen Fruͤchte im Winter, oder die Bluͤhte im Fruͤhjahre erfrieret. Ein Benedictinermoͤnch, der ein großer Liebhaber und fleißiger Bearbeiter der Gaͤrten iſt, ſag - te mir, daß ſolche Zufaͤlle ſeit einigen Jahren oͤfter kommen, als ehedem; daß aber Baͤume vom FroſteO 4in216Tagebuch von einer nach Nizzain dieſer Gegend ausgegangen ſeyen, davon wiſſe er keine Beyſpiele.
Auch an Wein wird etwas außer Land gefahren. Der beſte iſt ein ſehr feiner, hellrother, duͤnner, aber ziemlich feuriger Wein von feinem Geſchmack. Der meiſte geht nach Turin; hingegen kommt der gerin - gere Wein, den hier das gemeine Volk trinkt, meiſt aus der Provence. Alles zuſammen genommen, wuͤrde in dieſer Gegend, wenn auch kein Wein aus - gefuͤhrt wuͤrde, nicht ſo viel wachſen, als da getrun - ken wird. Denn auch der aͤrmſte Pachter trinkt hier Wein. Die Buͤrger in der Stadt, die nicht ſelbſt Guͤter haben, kaufen im Herbſt Weintrauben zuſam - men, und preſſen ſie ſelbſt, um einen Vorrath fuͤr ihr Haus zu haben.
Wie betraͤchtlich die Fiſcherey ſeyn moͤchte, habe ich nicht erfahren. Jch halte ſie aber fuͤr geringe. Nur der Tonfiſchfang iſt im Fruͤhling bisweilen be - traͤchtlich; aber er iſt ein Regale des Koͤnigs, das gegenwaͤrtig auf 6 Jahre fuͤr 60000 Lire verpach - tet iſt.
Dieſes ſind, ſo viel ich weiß, alle Landesguͤter, die verfahren werden und Geld in das Land bringen. Aber die Summen, die dafuͤr eingehen, reichen ge - wiß nicht hin, zu bezahlen, was die Stadt und das Land zu ſeinem Verbrauch kaufen muß. Denn es hat an vielen Dingen Mangel.
Das wenige Getraide, das hier waͤchſt, iſt fuͤr nichts zu achten, und iſt kaum hinreichend, dem Land - mann ſein noͤthiges Brod zu geben. Alſo muß we - nigſtens alles, was die Stadt braucht, von außen herkommen.
Groſ -217gethanen Reiſe.Großes Schlachtvieh wird hier auch nicht gezo - gen, und kommt, wie das meiſte Gefluͤgel, aus Piemont.
An Bauholz hat dieſe Gegend einen gaͤnzlichen Mangel. Die Tannenbaͤume, die zur Zimmerar - beit und zu andern, dem Wetter nicht ausgeſetzten Ar - beiten gebraucht werden, werden auf der See herge - bracht. Fenſterrahme, und was an einem Hauſe der Luft ausgeſetzt iſt, wird insgemein von Lerchenholze gemacht, das ſchon in kurze Bretter geſchnitten aus dem Jnnern der piemonteſiſchen Alpen auf Eſeln hie - her gebracht wird, vielleicht auch noch von andern Or - ten her.
Auch faſt alles, was zur Kleidung gehoͤrt, kommt von außen herein, nebſt den vielen mehr oder weniger noͤthigen indianiſchen Waaren.
Alles dieſes erfordert Summen, welche diejeni - gen, die durch ausgefuͤhrte Landesguͤter eingehen, nothwendig uͤbertreffen. Deswegen iſt die Graf - ſchaft Nizza ein Land, das ſeine Einwohner nicht er - naͤhren kann, oder das nach Verhaͤltniß ſeiner Frucht - barkeit zu ſtark bevoͤlkert iſt.
Dieſes muͤßte die natuͤrliche Folge haben, daß ein Theil der Einwohner wegziehen, oder daß ſie ſich auf Fabriken legen muͤßten, von denen außerhalb Landes ein Abſatz waͤre. Aber keines von beyden geſchieht hier. Es war ein drittes Mittel uͤbrig, das fehlende Geld zu erſetzen. Dieſes kommt von Turin aus, zur Bezahlung der Beſatzung in Nizza, der kleinen in Villa franca liegenden Marine, zu den Beſol - dungen der koͤniglichen Juſtiz - und Civilbedienten, und nun auch ſeit einigen Jahren zu dem oͤffentlichenO 5Bau218Tagebuch von einer nach NizzaBau an dem Hafen. Jch habe zuverlaͤßig erfahren, daß gegenwaͤrtig dieſe Summe ſich jaͤhrlich ohngefaͤhr auf 700000 Lire belaͤuft. Rechnet man zu dieſer Summe eine Million jaͤhrlich fuͤr Oel, etwa 300000 Lire fuͤr Seide, Fruͤchte und Wein, und eben ſo viel was etwa durch die Handlung, das Aus - und Durch - fuͤhren der Waaren, und von Fremden, die ſich hier aufhalten, gewonnen wird, ſo belaͤuft ſich die jaͤhrli - che Summe des umlaufenden Geldes auf 2 Millio - nen und 300000 Lire.
Daß das Land dem Koͤnig gegenwaͤrtig viel weni - ger einbringe, als es an Ausgaben koſtet, iſt aus dem monatlichen Tranſport, der aus Turin hieher kommenden Gelder offenbar. Die Grafſchaft Nizza bezahlt zwar dem Koͤnig eine maͤßige Landtaxe; davon aber iſt das Gebiet der Stadt Nizza, der anſehnlichſte und fruchtbarſte Theil der Provinz, ausgenommen. Die Stadt bezahlt nichts, als 12000 Lire fuͤr alle Abgaben der Stadt und ihres Gebietes. Dieſe Summe bezahlt der Municipalmagiſtrat, der dafuͤr die Baͤckerey und Schlaͤchterey der Stadt verpachtet, und die Summe auf dieſe Art durch eine geringe Er - hoͤhung des Preiſes des Brodtes und Fleiſches wieder einziehet*)Das Brodbacken iſt alſo hier ein Monopolium fuͤr die Stadt, und vielleicht das einzige nuͤtzliche Mo - nopolium. Denn wenn, wie anderswo, jeder Land - mann und gemeine Buͤrger ſelbſt backen wollte, ſo waͤre nicht Holz genug in dem Lande. Es ſind nur wenige Backofen in der Stadt, die aber Tag und Nacht die ganze Woche durch, den Sonntag und ei - nige Feyertage ausgenommen, warm bleiben. Jeder bringt ſeinen Teig dahin und laͤßt ihn backen. Es iſt leicht zu erachten, wie betraͤchtlich die Erſparung des Holzes dabey ſeyn muͤſſe..
Außer -219gethanen Reiſe.Außerdem hat der Koͤnig noch ſeine Einkuͤnfte vom Verkauf des Salzes und des Tabaks. Das Pfund Salz aber koſtet hier nur 1 Sol. Dazu kom - men noch die Einkuͤnfte vom Hafen, die bey der ge - ringen Handlung auch unbetraͤchtlich ſind.
Der Werth des angebauten Landes um Nizza wird aus folgendem zuverlaͤßigen Verzeichniß erhellen, welches die Preiſe der verſchiedenen Laͤndereyen enthaͤlt, wie ſie gerichtlich taxirt werden. Der Sextier, das hier gewoͤhnliche Maaß der Laͤndereyen, wird nach ei - nem piemonteſiſchen Maaßſtabe, Trabucco genennt, ausgemeſſen, deſſen genaues Verhaͤltniß gegen den englichen Fuß mir bekannt war. Ein Sextier haͤlt 15890 engliſche Fuß.
Jch kann mich nicht enthalten, zur WarnungJumarts. der Reiſenden, die ſich auf Zeugniſſe und Ausſage an - derer verlaſſen, hier den Erfolg einer kleinen Unterſu -chung,220Tagebuch von einer nach Nizzachung, die ich uͤber die vorgeblichen Jumarts angeſtellt habe, zu erzaͤhlen.
Die Wirklichkeit dieſer Thiere, welche von einem Stier und einer Stute ſollen erzeuget werden, wird von verſchiedenen Schriftſtellern behauptet, von an - dern aber gelaͤugnet, oder doch ſehr zweifelhaft gemacht. Jch habe irgendwo geleſen, daß dergleichen Thiere in der Grafſchaft Nizza ſollen angetroffen werden.
Eines Tages, da mich einige Bekannte beſuchten, fiel es mir ein, mich nach dieſer Sache zu erkundigen. Einer dieſer Herren verſicherte mich, daß dergleichen Thiere dort wirklich vorhanden ſeyen, und daß es bey mir ſtehen wuͤrde, eines in einem gewiſſen Landhauſe, wo es unterhalten wuͤrde, zu ſehen. Er machte mir, da ihm das Thier bekannt war, eine Beſchreibung da - von; und ich fieng an, von der Wirklichkeit des Ju - marts uͤberzeugt zu ſeyn. Sogleich konnte ich, we - gen damaliger Unpaͤßlichkeit, nicht an den Ort hinge - hen. Jch bat aber einen der andern Herren, dieſen Weg fuͤr mich zu thun, und das ſeltene Thier genau zu beobachten. Dieſes geſchah gleich den folgenden Tag; und nach dieſer Beſichtigung verſicherte mich der Augenzeuge, daß dieſer Jumart nichts anders ſey, als ein ziemlich wildes ſardiniſches Pferd, das ſich außer den langen und rauhen Haaren, die dieſe Pfer - de immer haben, und einer mehrern Wildheit, in keinem Stuͤck von den gewoͤhnlichen Pferden unter - ſcheide.
Nun will ich auch anfuͤhren, was ich von der po - litiſchen Verfaſſung von Nizza erfahren habe. Die Einwohner der Stadt und des zu ihrem Gebiete gehoͤ - rigen Landes, machen eine kleine Municipalrepublikaus,221gethanen Reiſe. aus, deren Verfaſſung ich fuͤr merkwuͤrdig genug hal - te, hier angefuͤhrt zu werden.
Das ganze Volk iſt in vier Claſſen getheilt, den Adel, die Kaufleute, die Handwerksleute und die Bauren. Aus dieſen vier Claſſen wird auch der Mu - nicipalmagiſtrat beſetzt. Er beſteht aus drey Conſuln und 24 Raͤthen. Der erſte Conſul wird aus dem Adel gewaͤhlt, der zweyte aus der Kaufmannſchaft, und der dritte wechſelsweiſe aus den Handwerkern und dem Baurenſtande. Ehedem waren alle Stellen der Conſuln und der Raͤthe nur auf ein Jahr, ſeit kurzem aber hat der Hof ſie lebenslang gemacht. Die Raͤthe werden ebenfalls aus den vier Claſſen gewaͤhlt, ſieben von jeder Claſſe mit Jnbegriff des Conſuls.
Die taͤglichen Geſchaͤffte werden allein durch die Conſuln beſorget, denen ein Advocat oder Rechtsge - lehrter wegen vorfallender Rechtshaͤndel zugegeben iſt. Nur in wichtigen, die ganze Stadt angehenden Ge - ſchaͤfften werden die Raͤthe verſammelt. Vom Hofe iſt ein Jntendant fuͤr die ganze Grafſchaft geſetzt, und dieſer hat in der Rathsverſammlung den Vorſitz, aber ohne Stimme. Der jetzige adeliche Conſul iſt der Graf von St.[André], ein ſehr braver und auch an - genehmer Mann.
Dieſe Municipalregierung beſorgt die Policeyan - ſtalten, und verwaltet die Einkuͤnfte der Stadt. Das Collegium der Conſuln aber, oder, wie es hier genennt wird, das Conſulat, ſchlichtet die Zwiſtigkeiten zwi - ſchen den Einwohnern.
Jch habe zuverlaͤßig erfahren, daß die jaͤhrlichen Einkuͤnfte der Stadt ſich ohngefaͤhr auf 150000 Lire belaufen, worunter aber die Domaineneinkuͤnfte nichtmit222Tagebuch von einer nach Nizzamit begriffen ſind. Jene Summe kommt von Ver - pachtung der Fleiſchbaͤnke und Baͤckerey, auch verſchie - denen andern kleinen Gefaͤllen. Außerdem hat die Stadt anſehnliche Domainenguͤter, die ſie verpachtet. Der feindliche Einfall von 1744 hat die Stadt in be - traͤchtliche Schulden geſetzt, die durch ſchlechte Veran - ſtaltungen, die der Rath vor einigen Jahren mit Auf - kaufung fremden Getraides getroffen, um ein merkli - ches ſind vermehrt worden. Deswegen hat der Rath im vorigen Jahre vom Koͤnige die Erlaubniß erhalten, verſchiedene Domainenguͤter zu veraͤußern, um die Schulden zu bezahlen.
Der Hof hat hier folgende Bediente fuͤr die gan - ze Grafſchaft: 1) Den Gouverneur, welche Stelle aber ſeit langer Zeit nicht beſetzt geweſen. Denn ſie kann nur ein Prinz aus dem regierenden Hauſe bekleiden. Dieſes wuͤrde freylich der Stadt wohl thun: aber es iſt gegen die heutige Politik der Souveraine, daß Prinzen von ihrem Hauſe in den Provinzen ihre Hof - ſtatt aufſchlagen. Jnzwiſchen vertritt der Commen - dant der Stadt ihre Stelle. 2) Den Commendant von Nizza, der zugleich auch Oberbefehlshaber uͤber die Feſtung St. Alban iſt, die auf dem hohen, na - he an der Stadt liegenden Berge dieſes Namens liegt, und woraus nicht nur die Ebene um Nizza, ſondern auch die jenſeit des Berges liegende Stadt Villa franca und ihr Hafen kann beſchoſſen werden. Der Commendant iſt immer ein Kriegsbedienter von an - ſehnlichem Range, und hat in der That großes Anſe - hen in der Stadt und auf dem Lande. Jn ſeinen oͤf - fentlichen Policeyverordnungen bedient er ſich der For - mul: Wir N. N. u. ſ. f. befehlen ꝛc. Um den klei -nen223gethanen Reiſe. nen Militairdienſt aber bekuͤmmert er ſich nicht, ſon - dern uͤberlaͤßt dieſen dem Commandeur des Batallions. Der jetzige Commendant iſt der Chevalier de Blo - nay, ein Savoyard, oder wie er mir aus Hoͤflich - keit ſagte, ein halber Schweizer. Jn der That iſt ein Theil dieſer Familie, naͤmlich derjenige, welcher ſeine Guͤter in dem Pais de Vaud hatte, mit dieſem Land unter den Canton Bern gekommen, und bluͤhet noch gegenwaͤrtig da. 3) Den Jntendant des Koͤnigs, der das Jntereſſe des Hofes in der ganzen Provinz be - ſorgt. 4) Fuͤr die wichtigern Civil - und Criminal - rechtshaͤndel iſt hier ein ſouverainer Gerichtshof nieder - geſetzt, der das Parlament, auch der Senat genannt wird. Die Senatoren werden vom Hofe aus dem Adel beſtellt. Selbſt die meiſten Advocaten bey die - ſem oberſten Gerichte ſind Edelleute.
Die Anſtalten zum Studiren ſind hier ziemlich ſchlecht. Zwar iſt außer dem biſchoͤflichen Seminario, darin die Geiſtlichen ſtudiren, ein Gymnaſium, auf welchem außer den ſogenannten litteris humanioribus, auch Mathematik, Phyſik und Philoſophie gelehret werden, und uͤber welches der Hof einen Reformatore aus dem hieſigen Adel ſetzet. Aber es iſt in etwas ſchlechtem Zuſtande.
Jch hatte ein zuverlaͤßiges Verzeichniß der Staͤd - te, Flecken und Doͤrfer der ganzen Grafſchaft in den Haͤnden, habe aber verſaͤumt, daraus etwas aufzu - zeichnen. So viel ich mich erinnere, belief ſich die Zahl doch uͤber zweyhundert und funfzig. Jch kann mir aber keinen Begriff davon machen, wie ſo viel Leute in einem ſolchen Lande, das keine Aecker und ſoſehr224Tagebuch von einer nach Nizzaſehr wenig Wieſen hat, leben koͤnnen. Denn die ganze Grafſchaft iſt durchaus mit hohen, ſehr ſteilen, und faſt voͤllig unfruchtbaren Bergen ſo beſetzt, daß nicht nur kein ebenes Land, ſondern gar ſelten ein klei - nes ganz enges Thal dazwiſchen iſt. Denn an den meiſten Orten ſtoßen die Berge zu unterſt am Fuß ſo an einander, daß nach dem letzten Schritt, den man von einem herunter gethan, ſogleich der erſte Schritt gegen die Hoͤhe des andern herauf geht. Nur hier und da fließt etwa ein Bach zwiſchen zwey Bergen durch. Faſt alle dieſe Berge ſind wenigſtens zur Haͤlf - te ganz kahle Felſen. Gegen die Tiefe haben ſie et - was Erde, ſind aber ſo ſteil, daß uͤberall haben Ter - raſſen muͤſſen aufgemauert werden, um die Erde vor dem Abſpuͤlen ſicher zu ſtellen. Und dieſe meiſt ſehr ſchmale Terraſſen ſind das getraidetragende Land.
Ehe ich von dem hieſigen Klima ſpreche, will ich der hieſigen Alterthuͤmer gedenken. Denn auf dem kleinen Grunde des Gebiets der Stadt Nizza haben ehedem zwey griechiſche, hernach roͤmiſche Staͤdte ge - ſtanden. Nizza iſt, wie bekannt, das alte Nicaͤa, von den maßiliſchen Griechen gebaut. Von den er - ſten griechiſchen Einwohnern aber hat ſich bis jetzt kein Ueberbleibſel, weder Schrift noch Gebaͤude, noch ir - gend ein geſchnitztes oder gegoſſenes Bild gefunden, da noch verſchiedenes von den roͤmiſchen Zeiten her da vorhanden iſt. Jn und nahe um Nizza ſind zwar keine roͤmiſche Gebaͤude mehr, aber verſchiedene Stei - ne mit roͤmiſchen Jnſchriften.
Die zweyte nur eine halbe Stunde weit von Ni - caͤa gelegene griechiſche Stadt Cemeneta oder Ceme -nete225gethanen Reiſe. nete*)Plinius nennet ſie Cemenetion. Sie war einmal der Sitz des Praefecti Alpium maritimarum. Hiſt. Nat. L. III. c. 5., lag ganz oben auf dem Berge, deſſen ich ſchon gedacht habe, der aus dem Kreis der die Ebene um - gebenden Berge heraustritt, und laͤngſt dem rechten Ufer des Paglion ſich bis nahe an die Stadt heran erſtreckt. Die oberſte Hoͤhe dieſes Berges, auf wel - cher jetzt ein Barfuͤßerkloſter ſteht, ſcheint der Mittel - punkt dieſer Stadt geweſen zu ſeyn. Ein hohes und feſtes Gemaͤuer an einem in dem Garten des Kloſters liegenden Huͤgel iſt, der Sage nach, ein Ueberbleibſel von dem ehemaligen Schloß oder Capitolio dieſer Stadt. Es iſt zu vermuthen, daß hier noch uner - oͤffnete Gewoͤlber unter dem Schutte dieſes ehema - ligen Schloſſes liegen. Wenigſtens verurſacht es ein hohles Getoͤne, wenn man ganz oben auf dem Huͤgel hart auf die Erde auftritt. An den um das Kloſter herumliegenden Terraſſen und andern Mauren, inglei - chen an den im Garten befindlichen Treppen, ſieht man hier und da Steine mit roͤmiſchen Namen uͤberſchrie - ben. Und man wird gewahr, daß die meiſten Mau - ren dieſer Gegend, welche die Terraſſen unterſtuͤtzen, oder die Guͤter einſchließen, aus den Steinen der ehe - maligen Gebaͤude dieſer zerſtoͤrten Stadt aufgemauert ſind.
Gleich neben dem Kloſter liegt die Villa des Marcheſe Ferreri, in welcher die vier Mauren eines kleinen viereckigen Tempels ſtehen. Nahe dabey liegt ein kleines Amphitheatrum in ſeinen Ruinen, deſſen Arena noch ganz und beynahe unverſehrt iſt. WennPder226Tagebuch von einer nach Nizzader Legende des heil. Pontius zu trauen iſt, ſo war der erwaͤhnte kleine Tempel dem Apollo geweihet; denn es heißt dort, der Praͤſes Claudius habe dem Heiligen, der jetzt eben in dieſer Arena wilden Thie - ren ſollte Preis gegeben werden, geſagt: Ecce proxi - me venerabile Apollinis templum; accede et ſacri - fica*)Die Geſchichte dieſes und anderer nicaͤiſchen Maͤrty - rer befindet ſich in einem Werke, das ein Prieſter aus Nizza, Petrus Goffredi, unter dem Titel: Nicaea civitas, ſacris monumentis illuſtrata etc. im Jahr 1658 herausgegeben hat. Das Werk iſt in Turin in klein Folio gedruckt, und enthaͤlt unter andern auch alle damals bekannte in dieſer Gegend noch befindli - che roͤmiſche Jnſchriften.. Das Haus der gedachten Villa liegt zwi - ſchen dem Tempel und dem Amphitheater. An dem Auftritt auf die Terraſſe, auf welcher das Haus ſteht, ſieht man rechter und linker Hand zwey Steine, wie Poſtamente geſtaltet. Der zur linken Hand laͤßt noch undeutliche Spuren eines alten flachen Schnitzwerks ſehen, auf dem ich einen Hahn und den Caduceus des Mercurius wahrnehmen konnte. Der rechter Hand ſtehende Stein enthaͤlt in ſchoͤnen Buchſtaben folgende Schrift:
CORNELIAE SALO NINAE SANCTISSIM AVG CONIVG GALLIENI IVNIORIS AVG N ORDO GEMENEL CVRANT AVRELIO IANVARIO V E
Etwa227gethanen Reiſe.Etwa eine Viertelſtunde hinter gedachtem Bar - fuͤßerkloſter, wo der Berg ſich an das herumliegende Gebuͤrge anſchließt, liegt die Abtey St. Pont Be - nediktinerordens. Dichte hinter derſelben ſteht auf einem Huͤgel ein ebenfalls noch meiſt ganzer kleiner Tempel von viereckiger Form. An dem innern Ge - maͤuer kann man ſehen, daß das Dach, das jetzt ein - geſtuͤrzt iſt, daruͤber gewoͤlbt geweſen. Sonſt zeiget dieſer kleine Tempel nichts Merkwuͤrdiges.
Man trifft uͤbrigens ziemlich weit in dieſer Ge - gend herum zerſtreute Ueberbleibſel unterirdiſcher ge - woͤlbter Gaͤnge an, durch welche vielleicht ehedem Waſſer irgend wohin in Baͤder geleitet worden. Die weit herum zerſtreuten Ueberbleibſel alter Gebaͤude ſcheinen doch einen ziemlich großen Ort, der hier ge - ſtanden hat, anzuzeigen. Aber auch hier iſt außer dem Namen der ehemaligen Stadt ſonſt keine Spur ihres griechiſchen Urſprungs anzutreffen.
Jch kann dieſe Gegend nicht verlaſſen, ohne desKlima. fuͤrtrefflichen Klima derſelben zu gedenken. Die Eng - laͤnder, deren jaͤhrlich eine betraͤchtliche Anzahl im Herbſt nach den mittaͤglichen und waͤrmern Gegenden von Europa reiſet, um der Kaͤlte und andern Unan - nehmlichkeiten des Winters zu entgehen, haben ſeit einigen Jahren dieſe Gegend in guten Ruf gebracht; und ich halte dafuͤr, daß ſie denſelben auch wirklich verdienet. Wer im Winter, ohne die rauſchenden Ergoͤtzlichkeiten großer Staͤdte zu ſuchen, einen Ort zu finden wuͤnſcht, wo er, vor der Kaͤlte, dem Schnee und den Nebeln geſichert, Fruͤhlingstage genießen koͤnne, findet dieſes hier. Der Winter, der am En - de von 1775 und Anfang 1776 den groͤßten TheilP 2nicht228Tagebuch von einer nach Nizzanicht nur von dem noͤrdlichen Europa, ſondern von Jtalien ſelbſt, ſo ſchwer gedruͤckt hat*)Jch halte es der Muͤhe werth, aus einem von Par - ma unterm 2 April 1776 nach Nizza geſchriebenen Briefe folgendes hier anzufuͤhren: Le Profeſſeur de Phyſique m'a dit que ſon ther - mometre après avoir été expoſé à l'air pendant toute la nuit, eſt deſcendu le 30 ou 31 Janv. jus - qu'à 16° au deſſous la glace du therm. de Réaumur. Mais cela ne convient point avec ce que j'ai entendu dire à une autre perſonne, qui ne vit deſcendre ſon therm. qu'à 11 degr. ½. Mais le premier therm. a été expoſé dans un air fort ouvert de tout côté, l'autre dans un endroit bas et entouré de murailles. Ce qui eſt ſúr c'eſt que le froid a été extrême - ment fort, de ſorte que les payſans qui ſe portent à la ville le grand matin, chemin faiſant entendirent quelquefois les arbres éclater, comme ſi le fen y avoit pris. , war hier ſehr gelinde, ob er gleich, nach Ausſage der hieſigen Einwohner, außerordentlich rauh und unfreundlich ge - weſen.
Aus den hiernaͤchſt in eine Tabelle geſammelten ſehr genauen Beobachtungen der Temperatur vom An - fange des Decembers bis Ende des Maͤrz, iſt zu ſe - hen, wie wenig beſchwerlich die Kaͤlte hier geweſen. Schnee ſah man den ganzen Winter nicht, außer auf den umliegenden Hoͤhen; und nur an drey Morgen dieſes Winters war es ſo kalt, daß das ſtehende Waſ - ſer mit Eis uͤberzogen wurde, welches aber gegen 9 Uhr des Morgens wieder verſchwunden war. Die Unannehmlichkeiten dieſes ſtrengen Winters beſtun - den darin, daß im Jenner und Anfang des Hornungs viel Regen mit unangenehmem Wind eingefallen war. Nichts229gethanen Reiſe. Nichts konnte hingegen ſchoͤner und angenehmer ſeyn, als die herrlichen Tage waͤhrend des Decembers, ei - nen Theil des Jenners und des Hornungs. Ueber - haupt glich hier jeder Tag des Winters, an dem es nicht regnete, den ſchoͤnen Fruͤhlingstagen in Deutſch - land. Aber die Luft iſt hier viel heller und reiner, als ich ſie ſonſt irgendwo geſehen habe. Man erkennt dieſes an dem lebhaften Funkeln der Sterne bey jeder heller Nacht, und an der Menge kleiner Sterne, die man hier ſiehet, und die in Deutſchland nur in den hellſten und reinſten Winternaͤchten ſichtbar werden. Zur Beobachtung der Sterne waͤre Nizza einer der vorzuͤg - lichſten Oerter in Europa; denn ſelbſt bey anhalten - dem Regenwetter merkt man nicht, daß die Luft ſehr feucht oder dick geworden.
Demnach finden kraͤnkliche Perſonen, denen eine reine trockne Luft zutraͤglich iſt, und die dabey noͤthig haben, ſich taͤglich durch Spazierengehen in Bewe - gung zu ſetzen, den Winter uͤber hier, was ſie noͤthig haben. Man muß aber doch Kraͤfte genug beſitzen, etwas in die Weite zu gehen und Berge zu ſteigen. Zwar iſt der oben beſchriebene Spaziergang um die Stadt herum hoͤchſt angenehm, und nicht lang; wer aber die Mannichfaltigkeit und taͤgliche Abwechslung liebet, muß ſeine Wege in die umliegenden Thaͤler und auf die Hoͤhen nehmen. Denn hier iſt die Man - nichfaltigkeit der Wege, der Ausſichten und immer neuer Gegenſtaͤnde unerſchoͤpflich. Man mag ſich auf den Hoͤhen befinden wo es auch ſey, ſo hat man eine Ausſicht von unbeſchreiblicher Annehmlichkeit vor ſich.
Die Natur iſt hier den Winter uͤber nie ganz in Ruhe. Die Gaͤrten ſind beſtaͤndig gruͤn, und taͤg -P 3lich230Tagebuch von einer nach Nizzalich wird darin gepflanzet oder geſaͤt. Auf den unbe - bauten Stellen der Berge, und an den hohen Borten auf dem ebenen Lande, ſieht man den ganzen Winter gruͤnes Gras, hier und da aufbluͤhende Blumen, im - mergruͤne Baͤume mit Fruͤchten, oder mit allmaͤhlig aufbrechenden Bluͤhten; beſonders haͤngen die Oliven - baͤume und der Lorbeerbaum den ganzen Winter uͤber voll Fruͤchte; des herrlichen Schauſpieles der mit bald reifen Fruͤchten behangenen Citronen - und Pom - meranzenbaͤume nicht zu gedenken.
Fuͤr Perſonen, die aus einem noͤrdlichern Klima hieher kommen, ſind dieſe Spaziergaͤnge um ſo viel angenehmer, weil ſie ihnen faſt lauter ganz neue Ge - genſtaͤnde zeigen. Selbſt die Ausſicht auf die voͤllig kahlen, duͤrren und alles Gruͤnen beraubten Gipfel der umliegenden Berge und Felſenhoͤhen hat, wegen der Ungewoͤhnlichkeit dieſes Schauplatzes, etwas An - genehmes. Man hat die beyden aͤußerſten Graͤnzen der Armuth und des Reichthums der Natur hier zu - gleich vor ſich, jene auf den Hoͤhen, dieſen in den Ebe - nen und Thaͤlern.
Ferner iſt faſt alles, was man von Kraͤutern, Blumen und Baͤumen ſieht, neu und fremd; und man findet hier in der Wildniß der Berge Blumen, Geſtraͤuch und Baͤume, die man in noͤrdlichern Gegen - den mit großer Sorgfalt, zur Verſchoͤnerung der Luſt - gaͤrten, den Winter uͤber in Gewaͤchshaͤuſern verwah - ret, und im Sommer in Toͤpfen oder Kuͤbeln herausſe - tzet. Die große americaniſche Aloe, von der ich hier auf einem der rauheſten Berge einen ganzen Wald an - getroffen habe; die Opuntia oder Ficus indica, die hier an einigen Orten die Stelle eines Zaunes vertritt;die231gethanen Reiſe. die Myrte, der Lorbeerbaum, das lieblich riechende Smilax, der gelbe Jasmin, der Lentiſcus, der Gra - natenbaum, der Sumach, der Erdbeerbaum, oder Arbutus, und viel andre bey uns ſeltene Gewaͤchſe ſind hier uͤberall neben den Wegen oder in Wildniſſen zu ſehen. An einigen der rauheſten Stellen der Berge findet man den ſogenannten Carroubier (Siliqua dulcis,) einen ſehr ſchoͤnen immergruͤnen Baum, ge - pflanzet, deſſen lange Schoten, die in Deutſchland unter dem Namen St. Johannisbrod bekannt ſind, hier den Eſeln zum Futter dienen*)Man rechnet hier den jaͤhrlichen Ertrag eines ſol - chen Baumes, einen in den andern gerechnet, drey piemonteſiſche Lire. Es iſt mir daher voͤllig unglaub - lich, was Twiß von einem ſolchen Baume, der bey Alicante in Spanien ſtehen ſoll, meldet, daß er 130 Arroben Fruͤchte (jede Arrobe haͤlt 26 Pfund) ſoll ge - tragen haben, die fuͤr 70 Rthlr. verkauft worden. Jn Spanien wird dieſer Baum Garofero genennt..
Jn den Gaͤrten ſiehet man auch hier und da den Dattelbaum, den Jujubenbaum, die aͤgyptiſche Aca - cia mimoſa, und den Azedarach, aus deſſen ſehr artig geſtaltetem, ſteinharten Kern Roſenkraͤnze ver - fertigt werden. Aus den der Sonne recht ausgeſetz - ten Mauern, und aus hohen ſteinigen Borten, ſieht man die Capernſtaude ſich zwiſchen den Steinen her - ausdraͤngen. Kurz es zeigen ſich hier uͤberall ſo viel neue dem deutſchen Auge fremde Gewaͤchſe, daß die - ſe allein einem Gartenliebhaber die Spaziergaͤnge den ganzen Winter uͤber angenehm machen koͤnnen.
Etwas beſchwerlich iſt hiebey doch der Umſtand, daß die ſchmalen Wege nicht nur hier und da ſehr ſteil, ſondern durchaus mit kleinen losliegenden Steinen ſoP 4be -232Tagebuch von einer nach Nizzabedeckt ſind, daß man ſich in Acht nehmen muß, nicht darauf zu treten, weil man gar leicht ausglitſchen und fallen kann. Jch glaube auch, daß dieſes dem hieſi - gen Volke oft geſchieht, und daß es ſchweren Scha - den davon nimmt. Wenigſtens habe ich an keinem Orte eine ſolche Menge hinkender Menſchen wie hier angetroffen, und ich ſchreibe es dem Ausglitſchen uͤber dieſe in den Wegen liegende Steine zu. Eine an - dre Unbequemlichkeit kommt von dem hieſigen Boden her, der meiſt aus fettem Thon beſteht, und daher bey Regenwetter ſehr ſchluͤpfrig wird.
Das Geſtein der hieſigen Berge iſt zwar mannich - faltig, doch groͤßtentheils Kalk und Gips, die hier beyde von ausnehmender Guͤte ſind. Der ganze Berg, den die Einwohner[Cimié] nennen, worauf die Stadt Cemenetion geſtanden hat, iſt ein einziger Klumpen von Gipsſtein. Hier und da ſind auch Adern von Marmor und von weiſſem Kieſel. Daß uͤbrigens die - ſe Berge durchgehends ſehr duͤrre, und die Waſſer - quellen daran etwas ſeltenes ſeyn, habe ich bereits erinnert.
So ſchoͤn aber die Winter in dieſer Gegend ſind, ſo unangenehm iſt der Fruͤhling, wegen der großen Unbeſtaͤndigkeit des Wetters. Man iſt ſelten zwey Stunden lang ſicher, ſchoͤnes Wetter zu behalten. Oft folget auf das herrlichſte Wetter ploͤtzlich Wind und Regen; und eben ſo ſchnell legen ſich auch Wind und Regen wieder, um dem lieblichſten Wetter Platz zu machen. Ueberhaupt aber wuͤrde ich den Fruͤhling in den gemaͤßigten Gegenden von Deutſchland dem hieſigen weit vorziehen. Deswegen reiſen auch diemei -233gethanen Reiſe. meiſten Englaͤnder, die den Winter hier zugebracht haben, im Maͤrz wieder davon.
Die Stadt oder vielmehr der Flecken VillaVilla franca. franca liegt nahe bey Nizza, jenſeit des Berges Montalban. Die auf dieſem Berge liegende kleine Feſtung, dienet ſowohl der einen als der andern zum Schutz. Zu Waſſer faͤhrt man in einer Stunde von Nizza nach Villa franca; denn ſo bald man um den neben dem Hafen der erſten Stadt etwas ins Meer hineintretenden Fuß des Berges Montalban herum iſt, befindet man ſich an der Einfahrt des Hafens von Villa franca, der ſich zwiſchen dem Montalban und dem Cap di St. Hoſpitio etwa eine halbe Stunde weit in Form eines laͤnglichen Vierecks ins Land hin - einzieht. Die Einfahrt iſt ſehr weit; welches dieſen Hafen gerade gegen den Suͤdwind offen laͤßt. Er iſt ſo raͤumlich, daß eine betraͤchtliche Kriegsflotte darin liegen koͤnnte. Hinten im Grunde, der Einfahrt ge - rade gegenuͤber, liegt Villa franca an dem Fuße ei - nes ſehr ſteilen und hohen Felſens; daneben etwas zur linken Hand, auf einer maͤßigen Anhoͤhe, das da - zu gehoͤrige feſte Schloß oder die Citadelle; und noch etwas weiter linker Hand herum, naͤmlich gegen die weſtliche Seite des Hafens, liegen die verſchiedenen zu der hieſigen kleinen Marine gehoͤrigen Gebaͤude. An dieſer Seite iſt durch einen langen Molo ein kleiner Hafen, oder eine Darte, von dem großen abgeſon - dert; und hier liegen die koͤniglichen Fregatten und die Galeren. Auch koͤnnen Kauffartheyſchiffe hier ankern.
Die weſtliche Kuͤſte des Hafens, welche die oͤſtli - che Seite des Berges Montalban iſt, erlaubet keine Anfahrt; denn ſie beſteht aus ſteilen Felſen. An der -P 5ſel -234Tagebuch von einer nach Nizzaſelben aber kann man in kleinen Kaͤhnen Corallen fiſchen. Das weſtliche Ufer des Hafens iſt flacher, und erhebt ſich allmaͤhlig in kleine ſehr angenehme und fruchtbare Huͤgel, die auf einer ſchmalen Erdzunge ſich ins Meer hinein erſtrecken, und den Hafen von der Oſtſeite ſchuͤtzen.
Von der Mitte des Hafens aus macht Villa franca mit den umliegenden Landhaͤuſern eine uͤber - aus ſeltene Anſicht. Die Haͤuſer ſcheinen an dem auch bis an den Fuß herunter ſteilen Felſen mehr an - gehaͤngt, als auf feſten Grund gemauert. Und auf verſchiedenen uͤber der Stadt hangenden ſteilen, und daher unerſteiglich ſcheinenden Hoͤhen ſieht man Landhaͤuſer, wie in der Luft ſchwebend, faſt ſo, wie man bisweilen auf chineſiſchen Malereyen Haͤuſer auf ſchwebenden Felſen gemalt ſieht. Ueber der Stadt und linker Hand derſelben iſt alles, bis auf eine ge - wiſſe Hoͤhe, faſt kahler Felſen; rechter Hand aber (immer vom Hafen aus gerechnet) werden die Berge allmaͤhlig gruͤn und niedriger.
Von der Stadt aus gehet man auf einem ſchoͤnen, meiſt in Felſen ausgehauenen und langen Kay nach dem Schiffwerft, und den zur Marine gehoͤrigen Ge - baͤuden. Gegenwaͤrtig beſteht die ganze Marine des Koͤnigs aus einer Fregatte von 36 Kanonen (an ei - ner zweyten wird jetzt gebaut,) und zwey Galeren; und hiezu gehoͤren drey Compagnien Seeſoldaten, welche in Villa franca liegen. Die Fregatte kreuzet den Sommer uͤber meiſt in den Gewaͤſſern um Sardinien, um die dortige Schifffahrt fuͤr die barbariſchen See - raͤuber zu ſichern. Das Commando uͤber die Marine hat gegenwaͤrtig der, aus den Schriften der koͤniglichenGe -235gethanen Reiſe. Geſellſchaft der Wiſſenſchaften in Turin, als ein fuͤr - treffliches Genie bekannte Chevalier de Foncenex, deſſen mir erwieſene Freundſchaft und Guͤte, und deſ - ſen lehrreichen und angenehmen Umgang ich in dank - barem und vergnuͤgtem Andenken behalten werde.
Jch muß hier einer beſondern Art irdener Gefaͤße Meldung thun, die ich bey erwaͤhntem Chevalier de Foncenex zuerſt geſehen habe. Sie ſind von ſchwarzbrauner Erde gebrannt, und dienen, das Waſſer zum Trinken in der groͤßten Sommerhitze ab - zukuͤhlen. Dazu wird weiter nichts erfordert, als daß das Gefaͤß mit Waſſer angefuͤllt, und hernach in die freye Luft, allenfalls an die Sonne geſetzt werde: da wird es ſo kuͤhl, als wenn es in einer Eisgrube ge - ſtanden haͤtte. Die kuͤhlende Kraft dieſer Gefaͤße oder Kruͤge kommt ohne Zweifel daher, daß etwas von dem darin ſtehenden Waſſer durchſchwitzt, ſo daß die Kruͤge auch von außen immer etwas naß ſind. Daß ein naſſes an der Luft ſtehendes Gefaͤß ſehr kalt wer - de, iſt eine ſchon ſehr lange bekannte Sache.
Man kann von Nizza auch zu Fuß oder zu Pfer - de in weniger als einer Stunde nach Villa franca kommen; man hat blos uͤber den Montalban wegzu - gehen. Der Weg iſt ziemlich gut. Nicht weit von dieſem Wege ab liegt ohngefaͤhr an der halben Hoͤhe des Berges ein Landhaus, welches la Caſa forte ge - nennt wird. Als die Franzoſen und Spanier im Jahr 1744 in die Grafſchaft eingefallen waren, und Niz - za beſetzt hielten, auch ein Theil von ihnen an dem Montalban unter den Kanonen der oben darauf lie - genden Feſtung ſich gelagert hatte, war dieſes Haus mit piemonteſiſchen Jnvaliden beſetzt, die dem Feindebe -236Tagebuch von einer nach Nizzabetraͤchtlichen Schaden thaten. Dieſer that alſo ei - nen Angriff auf dieſes Haus, um die Piemonteſer von da zu vertreiben. Die wenige Mannſchaft wehr - te ſich ſo tapfer, und richtete ſo viel Schaden unter den Angreifenden an, daß ihr endlich der freye Abzug mußte zugeſtanden werden. Nachdem ein Unteroffi - cier mit 15 Mann aus dieſer Caſa forte ausgezogen war, und weiter niemand herauskam, wurde der ſpa - niſche (franzoͤſiſche) Befehlshaber, unter dem der Angriff geſchehen war, ungeduldig, und befahl, daß die uͤbrige Mannſchaft das Haus ebenfalls unverzuͤg - lich raͤumen ſollte. Als der brave Unterofficier ihm ſagte, es ſey niemand mehr darin, er und ſeine 15 Jnvaliden haben die ganze Beſatzung des Hauſes aus - gemacht, wollte er es erſt nicht glauben, wurde aber bald zu ſeiner groͤßten Verwunderung und Beſchaͤ - mung davon uͤberzeuget.
Jch waͤre gern zu Anfang des Aprils von Nizza abgereiſet; weil ich aber auf Turin gehen wollte, und man mir ſagte, daß der Weg uͤber den Col di Ten - da um dieſe Jahrszeit wegen des zu vielen Schnees, und der im Fruͤhjahre nicht ſelten herunterfallenden Schneelaurinnen oder Lavanches, gefaͤhrlich ſey, ſo ſetzte ich meine Abreiſe bis Anfangs May aus. Und da ich einen Theil dieſes Weges nicht anders als auf einem Maulthier machen konnte, wollte ich durch eine vorlaͤufige kleine Ausflucht meine Kraͤfte zu dieſer Rei - ſe verſuchen, und nahm mir vor, das Fuͤrſtenthum Monaco zu ſehen. Jch hatte viel von den ſehr ſchlimmen und gefaͤhrlichen Wegen, die zu Lande von Nizza nach Genua fuͤhren, gehoͤrt; und der, den ich mir zu machen vornahm, war ein Theil derſelben.
Alſo237gethanen Reiſe.Alſo reiſte ich an einem ſchoͤnen Tage in einer klei - nen Geſellſchaft, die ich dazu angeworben hatte, von Nizza aus. Wir waren alle auf Maulthieren; und da wir uns vorgenommen hatten, erſt den geraden Weg nach Menton, am oͤſtlichen Ende des Fuͤrſten - thums, zu nehmen, und dann den folgenden Tag von da uͤber Monaco wieder zuruͤckzukehren, ſo nahmen wir auch unſre Mittagsmahlzeit mit, um unterweges, wo es uns etwa gefallen wuͤrde, im Freyen zu ſpeiſen.
Man kann nicht leicht etwas ſeltſamers, erſchreck - lichers und zugleich ſchoͤners in dieſer Art ſehen, als dieſen Weg. Er geht uͤber hohe, ſehr duͤrre, mei - ſtentheils aus voͤllig kahlen Felſen beſtehende Berge, und ſo ſeltſam zwiſchen den oberſten Gipfeln dieſer Berge herum, daß man beſtaͤndig neue und ſeltſame Ausſichten vor ſich hat. Bald ſieht man ſich in einer erſtaunlichen, nirgend einen Ausgang anzeigenden Wuͤſte von Felſenklippen, wo man ſich ſehr weit von allem was lebt und gruͤnt entfernt glaubt; wo man nichts als eine voͤllig erſtorbene Natur, ſo weit das Auge reichen kann, um ſich ſiehet. Dann kommt man ploͤtzlich wieder auf eine Stelle, wo man zwiſchen den Felſengipfeln durch das Meer und etwas von der Kuͤſte, manche ſeltſame Bucht und in das Meer hin - eintretende Erdſpitzen von einer betraͤchtlichen Hoͤhe herunter ſieht. Beſonders iſt die Ausſicht auf das Cap di St. Hoſpitio ſehr angenehm. Man hat auf dieſem Wege die Ausſicht auf daſſelbe herunter oft, und zuletzt noch ganz in der Naͤhe, nachdem man glaubt, ſich ſchon weit davon entfernt zu haben.
Auf dieſen Bergen kommt man nach anderthal - ben oder zwey Stunden an ein Dorf Torbie genannt,wo238Tagebuch von einer nach Nizzawo man einen halb eingefallenen hohen runden Thurm ſiehet, der noch von den Roͤmern herruͤhren ſoll. Dort herum ſind zwiſchen den oberſten Huͤgeln der Berge einige Thaͤler, die angebaut werden, und noch ziem - lich fruchtbar ſchienen. Wir verließen hier den Weg, der nach Monaco herunter fuͤhrt, um links an den Bergen fortzureiten, und den geradeſten Weg nach Menton zu nehmen.
Nicht weit von dieſem Orte kommt man auf eine Stelle, von der man zwiſchen zwey Bergen durch auf Monaco herunter ſieht. Man uͤberſieht die ganze Stadt, und kann bis in die Straßen hinein ſehen. Hier und da wird der Weg ſehr beſchwerlich, wegen der vielen losliegenden Steine, und des jaͤhen Ab - ſturzes in Abgruͤnde, die man zur Seite hat. Wo man von der Hoͤhe etwas weiter an den Bergen her - unter kommt, ſieht man hier und da einige duͤrre Pflan - zen aus den Ritzen der Felſen heraus wachſen: mei - ſtentheils ein paar Arten einer ziemlich hohen und holzi - gen Euphorbia.
Gegen Mittag kamen wir an einen Ort, wo ein kleiner von der Hoͤhe herunterfallender Bach ſich ein tiefes Tobel, oder eine Kluft zwiſchen zwey Bergen ausgehoͤhlt hatte, welche ſich allmaͤhlig gegen das Meer herunter erweitert. An dieſem Bache, der gleich am Wege einen ſehr artigen Waſſerfall bildet, hielten wir in dieſem romantiſchwilden Tobel an, um unſre Mittagsmahlzeit einzunehmen; beſonders weil wir da ſchoͤnes Waſſer zum Trinken hatten. Die Hitze war betraͤchtlich, und machte uns das Waſſer deſto nothwendiger.
Nicht239gethanen Reiſe.Nicht weit von dieſem Orte hat man die Ausſicht auf den breiten Ruͤcken eines gegen das Meer zu nordwaͤrts von Monaco liegenden Berges, der mir wegen einer erſtaunlichen Menge darauf liegender, zum Theil ſehr großer viereckig und auch zu Saͤulen rund gehauenen Steine, die weit herum zerſtreut lie - gen, merkwuͤrdig ſchien. Dieſer Ort ſieht gerade ſo aus, als wenn man zu einem ſehr großen Bau die Steine und Saͤulen hier gehauen und hernach liegen gelaſſen haͤtte. Aber ein mitten aus dieſen Steinen ſich empor hebender Saͤulenſtamm ſcheint anzuzeigen, daß dieſes Ruinen zerſtoͤrter Gebaͤude ſeyen. Viel - leicht hat hier ein Tempel des Hercules Monoͤcus von dem Monaco den Namen hat, geſtanden. Aber fuͤr einen Tempel ſind die Ruinen zu weit verbreitet. Jch konnte auf dieſer kleinen Reiſe niemand, weder in Menton noch in Monaco antreffen, der mir einiges Licht uͤber dieſe Sache gegeben haͤtte.
Als wir Nachmittags unſre Reiſe fortſetzten, ka - men wir endlich von dem bisher beſchwerlichen Wege auf den ſogenannten Prinzenweg, eine ſchoͤne mit vie - len Koſten gemachte fahrbare Straße, die von Mo - naco nach Menton fuͤhret. Sie iſt, laut einer ohn - gefaͤhr mitten zwiſchen beyden Staͤdten an der Straße auf eine marmorne Tafel eingegrabenen Jnſchrift, 1722 von dem Prinzen Anton gemacht worden.
Von hier aus iſt der Weg nach Menton hoͤchſt angenehm. Er geht in einer ziemlichen Hoͤhe laͤngſt der Seekuͤſte, aber ohne Gefahr. Man hat alſo ei - ne voͤllig freye Ausſicht auf das weite Meer herunter. Ganz unten an der Kuͤſte ſiehet man hier und da ein kleines Stuͤckchen flaches Land, und auf demſelben einHaus240Tagebuch von einer nach NizzaHaus mit etwas Acker und Baͤumen umgeben, wel - ches gegen die ſonſt meiſt kahle felſige Kuͤſte ſehr an - genehm abſticht.
Wir hatten auf dieſem Wege ein artiges Schau - ſpiel vor uns, das uns lange in Ungewißheit ließ, was wir daraus machen ſollten. Die See war ganz glatt; in einer ziemlichen Entfernung von der Kuͤſte ſah man von Zeit zu Zeit ploͤtzlich einen hellen Schein, als wenn von einem Spiegel die volle Sonne ins Auge blitzte. Dieſer blitzende Schein entſtund und vergieng ploͤtzlich, und immer an andern Stellen. Durch ein Fernglas entdeckte ich endlich, daß dieſes Blitzen von ſpielenden Delphinen herkam.
Eine kleine Stunde vorher, ehe man nach Menton kommt, faͤngt die hohe Kuͤſte an etwas niedriger zu werden; die kahlen Berge entfernen ſich etwas von dem Meer, und laſſen da ein kleines Gelaͤnde, das einen unebenen, aber ſehr fruchtbaren Boden hat. Man faͤhrt durch einen Wald von Olivenbaͤumen, die er - ſtaunlich groß ſind; gar viele davon ſind unten am Stamm ſechs Fuß dick und daruͤber; inwendig aber ſind die meiſten hohl. Sie muͤſſen von ſehr hohem Alter ſeyn, denn dieſer Baum waͤchſt ſehr langſam. Gleich neben dem Wege ſieht man da ein Gemaͤuer, das ohne Zweifel ein Ueberbleibſel eines alten, von den roͤmiſchen Coloniſten hier aufgefuͤhrten Gebaͤudes iſt. Man trifft hier auch etwas gutes Ackerland an, das reichlich mit Maulbeerbaͤumen beſetzt iſt. Naͤher gegen die Stadt kommt man ganz in die Ebene, und auf eine ſchoͤne breite Straße, die zu beyden Seiten mit einigen Reihen ſchoͤner und großer Maulbeerbaͤu - me beſetzt iſt. Endlich kommt man zwiſchen vielenGaͤr -241gethanen Reiſe. Gaͤrten, deren jeder ein Citronenwald iſt, nach Men - ton, wo wir gegen 6 Uhr des Abends anlangten.
Dieſe kleine ſehr angenehme Stadt liegt auf derMenton. Graͤnze des Fuͤrſtenthums Monaco, nahe bey Ven - timiglia, und dicht an der See. Sie hat aber kei - nen Hafen; die Schiffe muͤſſen in einer kleinen Ent - fernung auf der Rhede vor Anker liegen bleiben. Ge - gen Nordoſt und Norden iſt ſie von den wilden und kahlen Bergen umgeben, womit dieſe Kuͤſte beſetzt iſt. An der Abendſeite der Stadt ziehet ſich ein ſehr enges Thal oder Tobel tief zwiſchen den Bergen nord - waͤrts hinein; und es iſt nicht ſchwer abzunehmen, daß das niedrige Gelaͤnde an der Abendſeite von Men - ton ehedem eine Bucht des Meeres geweſen, die all - maͤhlig mit Steinen und Erde, die der aus bemelde - ter Kluft herauskommende, bey Regenwetter hoch an - ſchwellende Bach mit ſich gefuͤhrt hat, ausgefuͤllt und erhoͤht worden.
Dieſe kleine Stadt ſcheinet einige reiche Einwoh - ner zu haben; man ſieht etliche große Reichthum an - kuͤndigende Haͤuſer. Nach dem Verhaͤltniß ihrer Groͤße ſchien ſie mir ſehr volkreich; wenigſtens wim - melten alle Gaſſen von Volk, (es war aber den Tag nach unſrer Ankunft eben Sonntag,) das ſehr mun - ter und vergnuͤgt ausſah. Es kam mir hier beſon - ders vor, daß an dieſem Tage ſchon des Morgens al - le Kramladen offen ſtunden, und es in den Hauptſtraſ - ſen ausſah, als wenn an dieſem Tage ein Jahrmarkt gehalten wuͤrde. Man ſah zu gleicher Zeit eine Men - ge Menſchen auf den Straßen und an den Kramladen, und andre truppweiſe in die Kirchen gehen, und aus denſelben herauskommen.
QDie242Tagebuch von einer nach NizzaDie Einwohner ſcheinen ihren Unterhalt blos von dem Oel, den Citronen und Pommeranzen zu haben, welche Guͤter hier in erſtaunlicher Menge gewonnen werden. Auch der Seidenbau muß etwas eintragen. Die Handlung ſcheint in den Haͤnden von ein paar Handlungshaͤuſern zu ſeyn.
Nachdem wir uns den Morgen nach unſerer An - kunft ein paar Stunden lang in der Stadt umgeſehen hatten, ſetzten wir uns wieder auf unſre Maulthiere, um noch zum Mittageſſen nach Monaco zu kommen. Wir beſahen auf dem Ruͤckwege das eine halbe Stun -Fuͤrſtliches Luſtſchloß. de von Menton liegende fuͤrſtliche Luſtſchloß, auf dem ſich der Prinz, ſo oft er ſein kleines Fuͤrſtenthum be - ſucht, den Sommer uͤber aufhaͤlt. Es liegt dicht an dem Meer, hat aber nichts Vorzuͤgliches, als ſeine fuͤrtreffliche Lage. Jn dem Tafelzimmer ſah ich eine Anſtalt, die mir wohl ausgedacht ſchien, ob ſie gleich auch ihre Unbequemlichkeit haben mag.
Es haͤngt naͤmlich mitten uͤber der Tafel an zwey von der Decke herunterhangenden Latten eine Art von Ventilator, oder Windfaͤcher, von reichem Stoff mit Frangen beſetzt, der, vermittelſt einer an der Wand des Zimmers herunterhaͤngenden dicken Schnur, laͤngſt der Tafel wie eine Glocke hin und her bewegt wird. Dieſes dienet nicht nur die an der Tafel Sitzenden zu faͤchern und abzukuͤhlen, ſondern zugleich die Fliegen, welche in dieſen warmen Laͤndern unglaublich beſchwer - lich ſind, von der Tafel abzuhalten. Um das Schloß herum liegt ein Luſtgarten, der aber, obgleich der Prinz ſich den verwichenen Sommer hier aufgehalten, ſo ſehr verwildert iſt, daß man Muͤhe hat, den Buchsbaum, womit die Blumenbeete des Parterreein -243gethanen Reiſe. eingefaßt ſind, unter dem hohen Unkraute zu erkennen. Dieſes ſchien mir deutlich anzuzeigen, daß der Prinz, ſo lange er ſich hier aufhaͤlt, nicht nur keinen Fuß in den Garten ſetzet, ſondern auch nicht einmal aus den Fen - ſtern in denſelben herunter ſiehet. Ein ſolches Som - merhaus dienet auch zu weiter nichts, als daß man ſich den Tag uͤber bey vorgezogenen dicken Vorhaͤngen in die Zimmer verſchließen, und allenfalls nach Un - tergang der Sonne etwas Luft ſchoͤpfen koͤnne. Beſſer wuͤrde man es zu einem Winterſitze machen.
Von hier aus kommt man auf dem fuͤrſtlichen We - ge, deſſen ich gedacht habe, bis nach Monaco. Das Felſengebuͤrge, welches hier laͤngſt der Kuͤſte hinlaͤuft, und an welchem der Weg eingehauen iſt, wird an ei - nigen Orten durch ſehr enge und tiefe Kluͤfte oder Ra - vins, die von kleinen bey ſtarkem Regen ſehr anlaufen - den Baͤchen nach und nach ausgehoͤhlt worden ſind, unterbrochen. An dieſen mußten hohe und ſtarke Mauren aufgefuͤhrt, und Bruͤcken daruͤber gewoͤlbt werden. Darin beſtund die Hauptſchwierigkeit bey Anlegung dieſer Straße; doch mußten freylich auch viele Felſen mit Pulver weggeſprengt werden.
An den meiſten Orten geht der Felſenberg ſteil bis an die See herab. Zur Seltenheit iſt etwa ein kleines Stuͤck flaches Vorland an der Kuͤſte; und die - ſes nebſt den unten am Meer etwas erweiterten Kluͤf - ten, wo ſich etwas Erde angeſetzt hat, ſind die weni - gen Stellen, die angebaut und mit einzelnen Haͤuſer - chen beſetzt ſind. Sonſt iſt das ganze Fuͤrſtenthum Monaco, das wenige Land um Menton an dem ei - nen und um Monaco an dem andern Ende ausge -Q 2nom -244Tagebuch von einer nach Nizzanommen, ein bloßer Felſenklumpen, auf dem nichts waͤchſt noch wachſen kann.
Jn der Naͤhe von Monaco findet ſich ſowohl linker Hand des Weges gegen die See herunter, als rechter Hand gegen den Berg heran, wieder etwas an - gebautes Land, das reichlich mit ſchoͤnen Olivenbaͤu - men beſetzt iſt. Dicht vor Monaco geht die Straße allmaͤhlig bis an das Meer herunter, und neben einer kleinen ſchmalen Bucht, welche die Stelle eines Ha - fens vertritt, vorbey. Als wir an dieſer Bucht vor - bey ritten, hatten wir das artige Schauſpiel, mitten in derſelben eine große Heerde Delphine zu ſehen, die ſich, man moͤchte ſagen, in vollem Muthwillen da herumwaͤlzten, und oft die Koͤpfe aus dem Waſſer her - ausſtreckten.
Monaco liegt auf einem ziemlich hohen, von den Bergen weit in das Meer heraustretenden Felſen, der eine hohe Halbinſel ausmacht. Der Weg von dem Hafen an dem Felſen herauf, als der Eingang nach der Stadt, iſt ſehr gut und breit, kann aber, weil er hier und da in breite Stufen abgetheilt iſt, gar. nicht befahren, auch ſchwerlich beritten werden. Die - ſer Eingang iſt wohl befeſtiget und mit ein paar Wach - ten beſetzt. Oben iſt der Felſen von Natur, oder durch Kunſt eben gemacht, und auf dieſer Ebene liegt die Stadt. An der Nordſeite liegt das fuͤrſtliche Schloß; vor demſelben iſt ein großer ſehr ſchoͤner Platz, von dem man in die Hauptſtraßen der Stadt geht. Der Ort iſt nicht groß, aber wohl gebaut, gut bevoͤlkert, und auch innerhalb angenehm. Faſt uͤberall erhebt ſich dieſer Felſen ſenkrecht aus dem Meer in die Hoͤhe, ſo daß es nicht moͤglich waͤre, den Ortzu245gethanen Reiſe. zu erſteigen, als von der Nordweſtſeite, wo er ſich ge - gen einen hohen Berg anlehnet, naͤmlich hinter dem Schloſſe. Ueberall aber, wo es noͤthig ſchien, iſt er mit guten Befeſtigungswerken verſehen. Einige Batterien gehen nach dem Meere heraus, ſowohl feind - liche Schiffe abzuhalten, als vorbeyfahrende Kauf - mannsſchiffe anzuhalten, hier beyzulegen und den Zoll abzutragen, der ein uraltes Recht des Fuͤrſten von Monaco iſt.
Es liegt hier immer ein Bataillon franzoͤſiſcher Kriegsvoͤlker, weil dieſer ſouveraine Prinz von Mo - naco ſich unter den Schutz des Koͤnigs von Frank - reich begeben hat. Die Stadt hat den Vortheil da - von, daß ſie von dem Gelde, welches das Bataillon verzehrt, etwas gewinnet. Man begreift ſchwerlich, wovon dieſer Ort, in welchem es in der That gar nicht aͤrmlich ausſieht, ſich ernaͤhre; denn hiezu ſcheinen die wenigen auf den Bergen und in der Tiefe herumliegen - den Gaͤrten, ſo fruchtbar ſie auch ſind, und das we - nige mit Olivenbaͤumen beſetzte Ackerland in der That bey weitem nicht hinreichend. Mir kam der Ort ziemlich lebhaft vor, und die Einwohner zeigen einen muntern Geiſt und ein froͤhliches Gemuͤthe. Es ſoll wirklich auch gute Geſellſchaft darin ſeyn. Merk - wuͤrdig iſts, daß einer der angeſehenſten hieſigen Ein - wohner, Hr. Rey, 34 Kinder gezeuget, davon ge - genwaͤrtig noch 17 am Leben ſind, alle ſchoͤn, wohl - gewachſen und anſehnlich.
Das fuͤrſtliche Schloß iſt von anſehnlicher Groͤße, hat aber ſonſt nichts Merkwuͤrdiges, als ſeine herrli - che Lage. Man zeigte uns, als eine Merkwuͤrdigkeit, das Zimmer und das Bette, darin vor wenig JahrenQ 3der246Tagebuch von einer nach Nizzader Herzog von York geſtorben iſt. Der Hof vor dem Schloſſe iſt mit einem Portico umgeben, an wel - chem alte, aber ſehr ſchadhafte Freſcomalereyen zu ſe - hen ſind, die von einem großen Meiſter herruͤhren muͤſſen. Aber niemand konnte mir ſagen, von wem ſie ſeyen. An dem großen Paradeplatze vor dem Schloſſe ſtehet an der Abendſeite gegen das Meer hin eine lange Reihe ſehr ſchoͤner metallener Kanonen von 24 Pf. Caliber, alle auf eiſernen Lavetten. Von dieſem Platze hat man eine herrliche Ausſicht gegen Abend uͤber den Golfo nach Antibes, und gegen Morgen auf die Kuͤſte, die ſich von Ventimiglia nach Oſten hinzieht. Gegen Suͤdoſt konnten wir auch von dieſem Platze die Jnſel Corſica ſehen.
Die ſaͤmtlichen Einkuͤnfte dieſes Fuͤrſtenthums ſollen ſich nicht viel uͤber 100000 Livres franzoͤſiſches Geld belaufen. Und dieſes iſt ſehr glaublich; denn im ganzen Fuͤrſtenthume ſind nur die zwey Staͤdte, die ich beſchrieben habe, und dann ein elendes, an der Hoͤhe der beſchriebenen kahlen Berge gelegenes Dorf, das ich nur von weitem geſehen habe, ohne errathen zu koͤnnen, wovon dieſe mitten unter kahlen Felſen woh - nende Menſchen ihre Nahrung her bekommen. Jch glaube, daß in Deutſchland viele Doͤrfer ſind, zu de - nen mehr angebautes Land gehoͤrt, als das ganze Fuͤr - ſtenthum hat.
Das Juſtizcollegium, welches die Rechtshaͤndel des Fuͤrſtenthums entſcheidet, hat, wie es in mehr Laͤndern in Jtalien gebraͤuchlich iſt, immer einen frem - den Rechtsgelehrten zum Praͤſidenten. Der Fuͤrſt nimmt ihn gewoͤhnlichermaßen nur fuͤr drey Jahr in ſeine Dienſte. Bisweilen aber wird die Zeit ſeinesDien -247gethanen Reiſe. Dienſtes, wenn die drey Jahre um ſind, noch um ein paar Jahr verlaͤngert. Der jetzige Praͤſident iſt, wo ich mich recht beſinne, ein Florentiner, und dienet ſchon zwey Jahre uͤber die gewoͤhnliche Zeit.
Gegen Abend traten wir unſere Ruͤckreiſe nachRuͤckreiſe nach Nizza. Nizza an. Der Weg geht uͤber den nordweſtwaͤrts der Stadt liegenden Berg, und iſt unbeſchreiblich muͤhſam. Man muß mehr als eine halbe Stunde weit an dem Berge, der da ſo ſteil iſt, als das ſteil - ſte Kirchendach in Deutſchland, gerade in die Hoͤhe. Der Boden, auf den man tritt, iſt der bloße Felſen, aber durchaus mit losliegenden Steinen bedeckt, ſo daß man die Stellen zwiſchen den Steinen, wo man den Fuß ſetzen ſoll, zu ſuchen hat. Es verſteht ſich, daß man dieſen Weg nur zu Fuße machen kann. Jch bewunderte die Maulthiere, welche gar oft die Vor - ſicht brauchten, erſt mit dem Fuß, mit dem ſie jetzt auftreten wollten, den Grund auszuforſchen, ob er auch feſt ſey, oder ob der Fuß auf einen beweglichen Stein trete. Wenn man uͤber dieſe beſchwerliche Hoͤ - he weg iſt, ſo kann man ſich wieder aufſetzen, um den Weg nordwaͤrts an dem Berge herum fortzuſetzen. Da ſtoͤßt man aber auf neue Gefahr. Man koͤmmt an ein paar Orten neben tiefen Abgruͤnden vorbey, aus denen der Berg ſenkrecht in die Hoͤhe ſteigt. Um al - ſo an den Abgruͤnden herumzukommen, mußte ein Weg an dem Felſen eingehauen werden; er iſt aber ſo ſchmal, daß gerade ein Maulthier darauf gehen kann. Jndem alſo der eine Fuß des Reuters an die Felſen anſtoͤßt, haͤngt der andere gegen den Abgrund herun - ter. Es iſt wahr, daß die Maulthiere einen ſichern Gang haben und nie ſtolpern, wie etwa den PferdenQ 4wider -248Tagebuch von einer nach Nizzawiderfaͤhrt; aber ſie fallen auch bisweilen aus Muͤdig - keit um, wovon ich eben auf dieſem Wege, zum Gluͤck aber, als wir uͤber die gefaͤhrlichen Oerter ſchon weg waren, Proben geſehen, da das Maulthier, auf dem mein Bedienter ritt, etlichemal unter ihm einge - ſunken iſt. Nach einer Stunde kamen wir an das Dorf Torbia, deſſen ich ſchon Erwaͤhnung gethan; und ſpaͤt, gegen 10 Uhr des Abends, langten wir gluͤcklich wieder in Nizza an.
Zur Probe der gemeinen nizzardiſchen Sprache kann folgendes Lied dienen. Der Verfaſſer deſſelben iſt der Advocat Chriſtini in Nizza, ein ſehr gelehr - ter und gruͤndlicher Mann, der auch die daneben ſte - hende italiaͤniſche Ueberſetzung, die ſehr woͤrtlich iſt, gemacht hat.
Per lo Mariage dou Prinſe de Piemont embe Madamo Clotildo de Franſſo. Canſſon.
Per il Matrimonio del Prencipe di Piemonte con Madama Clotilda di Francia. Canzone.
Hier iſt nun auch das Tageregiſter meiner Beob - achtungen uͤber das Wetter in Nizza.
December | 1775. | |
2 | 48½ 61. 99 54 | ſehr helle Luft. |
3 | 45 60. 85 50½ | eben ſo. |
4 | 37½ 57½. 97 51½ | eben ſo. |
5 | 36½ 56½. 89 48 | eben ſo. |
6 | 38 55½. 93 49½ | eben ſo. |
7 | 45½ 57½. 81 52½ | eben ſo. gegen Abend Windſtoͤße. |
8 | 39½ 55½. 93 48½ | Vormittag einige zerſtreute Wolken. von Mittag an ganz helle Luft. |
9 | 38 51½. 73 — | duͤnnes Gewoͤlke den ganzen Tag. |
10 | 38½ 54½. 72 49 | kuͤhler Suͤdweſtwind. etwas zerſtreutes Gewoͤlke. die Nacht Oſtwind. |
11 | 36½ 48. 69 41 | helles Wetter. kalter Nordweſtwind. Miniſtran. |
12 | 35½ 47½. 73 41½ | Eis im ſtehenden Waſſer. ſehr helles Wetter. |
December | 1775 | |
13 | 40½ 58½. 81 43½ | Eis im ſtehenden Waſſer. ſehr helles Wetter. |
14 | 38½ 58. 69 44 | eben ſo. |
15 | 40½ 59½. 89 — | eben ſo. |
16 | 42½ 62½. 81 — | eben ſo. von 4 Uhr Nachmittags bis Mitter - nacht Sturm aus Suͤdoſt. |
17 | 35½ 52½. 77 40½ | den ganzen Tag helle. |
18 | 35½ 57. 65 41 | eben ſo; kuͤhler Nordwind. |
19 | 37½ 58. 69 43½ | eben ſo. |
20 | 41½ 60½. 73 45½ | eben ſo. |
21 | 39½ 55½. 65 — | duͤnnes Gewoͤlke; ſchwacher Son - nenſchein. |
22 | 47 45 — | uͤberzogen. duͤnner Regen den ganzen Nach - mittag. |
23 | 42½ 58. 69 46½ | meiſt hell. einige zerſtreute Wolken. truͤbe. |
December | 1775. | |
24 | 39½ 66½. 89 51½ | meiſt helle. helle. duͤnner Regen. |
25 | 50½ 60½ 52½ | in der Nacht viel Regen. den Tag uͤber duͤnnes Gewoͤlke. |
26 | 51½ 65. 77 54½ | truͤbe. Sonnenſchein zwiſchen den Wolken durch; ſehr angenehme Luft. |
27 | 50 66½. 83 54½ | feuchte Luft. blaſſer Sonnenſchein. duͤnnes Gewoͤlke; in der Nacht Reg. |
28 | 53 55 54 | Regen. truͤbe. Regen. |
29 | 37½ 57½. 73 47 | helle. zerſtreutes Gewoͤlke. eben ſo. |
30 | 42 58½. 89 50 | helle. |
31 | 42 62½. 81 47 | helle. |
Jan. 1776 1 | 37½ 53½. 77 46½ | zerſtreutes Gewoͤlk; rauher Nordw. |
2 | 45 54½ 51 | uͤberzogen. |
3 | 48 51½ 50½ | ſehr truͤbe; Staubregen. |
Januar | 1776. | |
4 | 40½ 60. 73 49 | helle. |
5 | 42½ 52 48 | zerſtreutes Gewoͤlk. bedeckt. meiſt helle; Windſtoͤße von Oſten. |
6 | 38½ 55½. 71 49½ | helle; Nordwind. einige zerſtreute Wolken. bedeckt. |
7 | 45½ 49 48½ | oͤfters Regen. |
8 | 44 50½ 50½ | in der Nacht Sturm, Reg. u. Hagel. truͤbe und ſtuͤrmiſch. |
9 | 44½ 60. 77 50½ | Regen. zerſtreute duͤnne Wolken. in der Nacht |
10 | 46 58½. 83 54½ | viel Regen; meiſt uͤberzogen. helle. halb helle; Regen und |
11 | 47½ 56½. 85 42½ | ſtuͤrmiſch; uͤberzogen. meiſt heller Himmel mit Nordwind. |
12 | 42½ 60½. 79 46½ | helle; Nordwind. |
13 | 41½ 45½ 43½ | ſtuͤrmiſches Regenwetter; Nordoſtw. Donner. truͤbes Regenwetter. |
14 | 39½ — 41½ | helle; kalter Nordweſtwind. |
Januar | 1776. | |
15 | 37½ 53 63 41½ | helle; rauher Nordwind. |
16 | 39½ 46½ 44½ | uͤberzogen und windig; unbeſtaͤndig. |
17 | 41½ 46½ 44½ | Nebel, Regen. den ganzen Tag neblicht. |
18 | 32½ 29½ 48½. 56 41 | helle; Eis. kalter Nordweſtwind. |
19 | 34½ 48½ 46½ | zerſtreute Wolken. ſtuͤrmiſcher Suͤdoſtwind. |
20 | 41½ 50 — | uͤberzogen. Suͤdoſtwind. |
21 | 43½ 50½ 46½ | uͤberzogen. |
22 | 42½ 45 43½ | Regen. |
23 | 40 52 44 | ſtuͤrmiſch aus Nordoſt. Regen. |
24 | 39½ 43 40 | gebrochenes Gewoͤlke. truͤbe; Donner. truͤbe. |
25 | — 44½ 43½ | das Wetter klaͤrt ſich auf. helle. |
Januar | 1776. | |
26 | 42½ 46½ 43½ | zerſtreute Wolken. windig. ſtuͤrmiſch. |
27 | — 41 39½ | neblicht, aber ſtill. |
28 | 40 46 43 | Regen. uͤberzogen. um den Horizont etwas hell. |
29 | 38½ 41 38 | ſtuͤrmiſch mit Regen; Nordoſtwind. bedeckt, aber ſtill und ohne Regen. |
30 | 36½ 43 36½ | neblicht; Schnee. das Wetter klaͤrt ſich auf. halb helle. |
31 | 32½ 47. 60 38 | meiſt helle. ganz heller Himmel. |
Febr. 1 | 31 52½. 72 38½ | helles Wetter. |
2 | 37 46 45½ | zerſtreutes Gewoͤlke. uͤberzogen. |
3 | 44½ 53 49 | uͤberzogen. das Wetter klaͤrt ſich allmaͤhlig auf. |
4 | 45½ 53 49 | uͤberzogen. etwas Regen. |
5 | 48 53½ 51[½] | Staubregen. truͤbe. Regen. |
Februar | 1776. | |
6 | 50½ 53 51 | viel Regen. ſeit 3 Uhr helle. |
7 | 44½ 53½ 54 | duͤnnes zerſtreutes Gewoͤlke. uͤberzogen. klaͤrt ſich etwas auf; ſtarker Weſtw. |
8 | 46 59½ 50½ | meiſt hell; ſtill. ſehr hell. |
9 | 40½ 56. 78 | zerſtreutes duͤnnes Gewoͤlke. ſeit 9 Uhr ganz helle; Oſtwind. |
10 | 46 48½ 50½ | uͤberzogen. umhaͤngt; viel Regen. es klaͤret ſich auf. |
11 | 48½ 56½ 54½ | faſt ganz helle. es uͤberziehet ſich. ganz truͤbe. |
12 | 50 55 47 | Sturm aus Suͤdoſt mit Regen. unbeſtaͤndig. Suͤdweſtwind ohne Regen. |
13 | 39½ 57½ 49 | halb helle; Schnee auf den Bergen. ſchwacher Sonnenſchein. ganz helle. |
14 | 41½ 56½ — | helle. duͤnnes Gewoͤlke. |
15 | 44 — 49 | den ganzen Tag meiſt helle. |
16 | 42 — 50 | meiſt helle. |
Februar | 1776. | |
17 | 44 51½ 49½ | meiſt helle. ganz uͤberzogen. feiner Staubregen. |
18 | 46 51½ 49½ | umhaͤngt; viel Regen; Oſtwind. es klaͤret ſich auf. ganz hell und ſtille. |
19 | 46½ 57½. 90 50½ | meiſt helle. |
20 | 43½ 59½. 82 50½ | helle. |
21 | 44½ 59½. 80 50 | meiſt helle. ganz helle. |
22 | 40½ — 53 | meiſt helle. |
23 | 49½ 63. 72 51 | ganz helle; ſtarker Weſtwind. ohne Wind; ſtuͤrmiſche Nacht. |
24 | 45 59½. 68 49 | helle. helle; Weſtwind. |
25 | 44 63½. 90 52 | helle. Weſtwind. |
26 | 40 60 51 | meiſt helle; Oſtwind. duͤnnes Gewoͤlke. |
27 | 46½ 59 54½ | uͤberzogen. gegen die Nacht feiner Regen. |
Februar | 1776. | |
28 | 54½ 57½ 53½ | umhaͤngt; Regen. der Himmel klaͤrt ſich auf. |
29 | 47½ 64½. 86 53½ | helle. Nordwind. |
Maͤrz 1 | 45 55 52 | in der Nacht etwas Regen. ganz uͤberzogen. |
2 | 51½ 60½ 63 | halb aufgeklaͤrt. |
3 | 45 — 46½ | gebrochenes Gewoͤlke. |
4 | 38½ 60½. 68 | ganz helle. helle; ſtarker Weſtwind. |
5 | 46 61½. 92 51½ | ganz helle. |
6 | 51 61. 84 53 | duͤnnes Gewoͤlke. ganz helle. |
7 | 46½ 61. 82 54½ | meiſt helle. |
8 | 44½ — 57 | helle. ſtarker Oſtwind. duͤnne Nebelwolken. |
9 | 53 62½ 57½ | duͤnnes Gewoͤlke. Weſtwind. |
Maͤrz | 1776. | |
10 | 50½ 72 — | helle. ſtarker unbeſtaͤndiger Wind. |
11 | 53 58 53½ | bedeckt. oͤftere Windſtoͤße. |
12 | 44 63. 78 54½ | meiſt hell und ganz ſtill. |
13 | 52½ 62 62 | uͤberzogen. veraͤnderliche Winde. |
14 | 52½ 63 55½ | gebrochenes Gewoͤlke. |
15 | 50 53 53½ | gebrochenes Gewoͤlk. etwas Regen. etwas aufgeklaͤrt. |
16 | 50 62½ 53 | gebrochenes Gewoͤlke. zertheilte Gewitterwolken. etwas Regen. |
17 | 46 63 — | duͤnnes zerſtreutes Gewoͤlke. Nachmittags etwas Regen. Donner von weitem. |
18 | 48½ 69. 84 56 | gebrochenes Gewoͤlke. ganz helle. |
19 | 47½ 62 56½ | helle. etwas Gewoͤlke. |
20 | 46 64. 80 56 | helle. |
Maͤrz | 1776. | |
21 | 45½ 65. 80 56 | helle. Weſtwind. |
22 | 44½ 64. 76 55 | helle. Weſtwind. |
23 | 46½ 64. 100 53 | helle. Nordwind. |
Meine Abreiſe war auf den erſten May angeſetzt; das eingefallene Regenwetter aber noͤthigte mich, dieſelbe bis auf den Nachmittag des folgenden Tages zu verſchieben. Man kann von Nizza nicht anders als auf Maulthieren nach Piemont heruͤber reiſen; es gehet kein fahrbarer Weg dahin. Jch hat - te drey Maulthiere gemiethet, die mich nach Limone, und allenfalls, wenn ich es verlangen wuͤrde, bis nach Coni bringen ſollten; dafuͤr bezahlte ich 45 Lire und drittehalb Lire taͤglich fuͤr den Treiber, die Ruͤckreiſe deſſelben mitgerechnet.
Jch reiſte alſo den 2 May Nachmittags um drey Uhr in Geſellſchaft des Herrn Vierne, eines Bru - ders des preußiſchen Conſuls in Nizza, und des Hrn. Bertaud, deſſen Landhaus ich den Winter uͤber be - wohnt hatte, welche beyde mich bis Scarena beglei - teten, ab. Wir kamen des Abends um 7 Uhr in dieſem Orte an. Der Weg dahin geht an dem Ufer des Paglion immer zwiſchen den Bergen durch, und iſt alſo meiſt eben; wir ritten einen guten Theil des Weges in dem gegenwaͤrtig beynahe trockenen Bette dieſes Fluſſes.
Die263Tagebuch von der Ruͤckreiſe nach ꝛc.Die Berge, zwiſchen denen man durchkommt, ſind, wie alle andre dieſes Landes, meiſt kahle Felſen von Kalk - und Gipsſteinen. Vom unterſten Fuß an, bis auf den ſechsten, vierten, auch wohl den dritten Theil der Hoͤhe ſind ſie in Terraſſen abgetheilet; die ſchmalen, mit trockenen Mauren unterſtuͤtzten Terraſ - ſen ſind uͤberall mit Olivenbaͤumen beſetzt; das Land darunter wird mit Korn beſaͤet. Ohne dieſe mit er - ſtaunlicher Arbeit getroffene Anſtalten, wuͤrde das ganze Land eine Wuͤſte ſeyn. Was die Anſicht dieſer Berge noch trauriger macht, iſt die faſt gaͤnzliche Duͤrre derſelben. Ueberaus ſelten ſieht man hier Waſſerquellen, oder herabfallende Baͤche, die ſonſt ſolchen gebuͤrgigen Wildniſſen ein Leben mittheilen.
Auf halbem Wege nach Scarena kommt man durch den Flecken Drappo, der dem biſchoͤflichen Sitz von Nizza gehoͤret, und dem Biſchof den Titel eines Grafen von Drappo giebt. Die letzte halbe Stunde dieſes Weges ſteiget man laͤngſt dem Fuße eines Ber - ges etwas in die Hoͤhe. Der ganze Fuß des Berges iſt rechts und links des Weges mit einem Walde von Olivenbaͤumen bepflanzet.
Scarena iſt ein ziemlich großer Flecken auf ei -Scarena. ner maͤßigen, mitten in einem engen und ſehr einſamen Thal liegenden Anhoͤhe. Dieſes iſt eines von den we - nigen kleinen Thaͤlern, die zwiſchen den Gebuͤrgen die - ſes Landes liegen. Es iſt einige hundert Schritte breit, und man ſiehet von Scarena aus eine gute halbe Stunde weit in daſſelbe hinein. Es beſteht meiſtens aus ſchoͤnen Wieſen, und die Terraſſen an den daran ſtoßenden Bergen ſchienen mit fetter Saat bekleidet. Man ſiehet aber durch das ganze ThalR 4hin -264Tagebuch von der Ruͤckreiſehinauf weder Baum noch Strauch. Die Einwohner ziehen ihren meiſten Unterhalt vom Oelbau, von den durchgehenden Maulthiertreibern, und auch von Fort - ſchaffung der Waaren, die ſie ſelbſt uͤbernehmen. Denn die Straße zwiſchen Nizza und Turin iſt be - ſtaͤndig mit beladenen Maulthieren angefuͤllt, die Salz, Oel, Wein und alle auslaͤndiſche Waaren von Niz - za nach Turin, dagegen Getraide, Hanf, Reis und andere Waaren aus Piemont nach Nizza tragen. Davon haben die auf dieſem Wege liegenden Oerter ihre gute Nahrung, ſowohl durch Bewirthung der Durchziehenden, als durch ſelbſt uͤbernommenen Tranſport.
Nachdem ich von meiner Geſellſchaft Abſchied ge - nommen, reiſte ich um 6 Uhr des Morgens aus, und Abends um 6 Uhr langte ich in Giandola an. Die - ſe Tagereiſe iſt ſehr beſchwerlich, weil man uͤber zwey, nicht nur hohe, ſondern auch ganz ſteile Berge weg muß. Dennoch iſt ſie bey ſo ſchoͤnem Wetter, wie ich es getroffen habe, nicht ohne Annehmlichkeit.
Von Scarena aus geht der Weg beynahe eine halbe Stunde lang an einem Berge, an deſſen Fuß, 50, 100 auch bisweilen wohl 200 Fuß tief unter dem Wege, ein klarer Bach hinrauſcht. Man rei - tet durch einen Wald von Oliven, hat dieſen Bach mit artigen Kruͤmmungen und kleinen Waſſerfaͤllen, und jenſeit deſſelben einen terraſſirten Berg beſtaͤndig im Geſicht. Man weiß, daß alle Ausſichten von der Hoͤhe herunter, ſo eingeſchraͤnkt ſie auch ſind, ſehr er -goͤ -265von Nizza nach Deutſchland. goͤtzen, und um ſo viel mehr, je tiefer das Thal und je ſteiler die Anhoͤhe daran iſt. Eine ſolche Annehm - lichkeit genießt man auf dieſem Wege gar vielfaͤltig. Denn allmaͤhlig kommt man an der Seite des Ber - ges hoͤher, und hat nun ziemlich tiefe Abgruͤnde dicht neben ſich, doch ohne Gefahr; denn der Weg iſt gut gebahnt. Man hat von dieſer Hoͤhe die zunaͤchſt her - umliegenden Berge von der Spitze bis an den Fuß voͤllig im Geſichte, weil ſie ganz kahl ſind.
Fuͤrtrefflich wird die Ausſicht, wenn man uͤber die Haͤlfte dieſes Berges, der Colle di Braus ge - nennet wird, heraufgekommen iſt. Alsdenn hat man die obere Haͤlfte deſſelben, uͤber die man noch zu ſtei - gen hat, voͤllig im Geſichte. Sie zeiget ſich wie ein ſtei - les Dach, an dem der Weg wohl zwoͤlf - oder gar zwan - zigmal hin - und hergehet, wodurch er, der ſehr ſtei - len Hoͤhe ungeachtet, gemaͤchlich genug wird; denn man geht immer etliche hundert Schritte mit maͤßigem Steigen laͤngſt der Seite des Berges: dann wendet man ſich um, und ſteigt eben ſo in einer der vorigen gerad entgegengeſetzten Richtung, und ſo abwechſelnd, bis man ganz herauf gekommen iſt. Durch dieſes oͤf - tere Wenden hat man auch eine beſtaͤndig abwechſeln - de Ausſicht nach Oſten und nach Weſten; (denn die Flaͤche des Berges ſieht gegen Mittag;) zwar kommt dieſelbe Ausſicht immer wieder, aber veraͤndert, weil man jedesmal hoͤher ſteht.
Eine wunderbare Annehmlichkeit bekommt die Ausſicht auf dieſem Berge, ehe man ihn beſteiget, da - durch, daß man auf allen hin - und hergehenden We - gen deſſelben von weitem eine Menge Maulthiere mit ihren Treibern ſieht, davon wegen der oͤftern Wen -R 5dun -266Tagebuch von der Ruͤckreiſedungen einige Truppe nach der rechten, andere nach der linken Hand gehen, und immer ein Trupp hoͤher, folglich Menſchen und Thiere kleiner, als der andre, ſo daß es beynahe laͤßt, als wenn ſie einander uͤber die Koͤpfe wegſchritten. Dieſes ſonderbare Schau - ſpiel ſchien mir einigermaßen einem großen Ballet zu gleichen, wozu die unzaͤhligen Schellen, womit die Maulthiere behangen ſind, die Muſik machten. Es ergoͤtzte mich ſo ſehr, daß ich nur ganz langſam gegen dieſe Hoͤhe heranruͤckte, um das Schauſpiel deſto laͤn - ger zu genießen. Jndem ich ſelbſt dieſen Berg her - auf ritt, war es eine neue Annehmlichkeit, einige Zuͤ - ge uͤber meinem Kopfe, andre unter meinen Fuͤſſen zu ſehen. Jch vergaß daruͤber die Beſchwerlichkeit die - ſes Weges, und das Traurige, das ſonſt dergleichen ganz kahle Berge haben. Denn man findet uͤberaus wenig Gruͤnes darauf. Hier und da einen magern Strauch von Geniſta, oder eine halbduͤrre Rosmarin - oder Lavendelſtaude, oder eine Euphorbia.
Auf eine aͤhnliche Weiſe ſteiget man auf der an - dern Seite wieder von der Hoͤhe herunter; doch ſind hier die Wege ſteiler, folglich zum Herunterreiten viel beſchwerlicher. Auch da ſieht man den Weg auf eine Stunde weit vor ſich ſchlaͤngelnd heruntergehen, und auf demſelben heranſteigende Zuͤge von Maulthieren. Die Straße war jetzt weit ſtaͤrker als ſonſt mit Maul - thieren angefuͤllt, weil der Paß uͤber den Colle di Tenda wegen des ſehr haͤufig gefallenen Schnees ver - ſperrt geweſen, daher ſich die Zuͤge von drey Tagen zuſammengefunden hatten.
Sobald man den Berg voͤllig herunter iſt, kommt man nach Soſpello. Der Ort iſt gering, wie manes267von Nizza nach Deutſchland. es in einer ſolchen Wuͤſte erwartet, und wird durch einen mitten durchfließenden ſehr breiten Bach in zwey Haͤlften getrennt. Das etliche hundert Schritt breite, aber ganz ſeichte und beynahe trockene ſteinige Bett die - ſes Baches, nimmt beynahe die ganze Breite dieſes zwiſchen hohen Bergen ſich durchſchlaͤngelnden Thales ein. An beyden Borten des Baches ſind ſchmale Streifen von Wieſen - und Ackerland. Die anliegenden Berge ſind, nach hieſiger Landesart, mehr oder weniger hoch heran in Terraſſen abgetheilet, und dienen zum Korn - Wein - und Oelbau. Die Olivenbaͤume ſtehen hier noch in großer Menge. Wie wichtig aber den hieſigen Einwohnern eine Hand voll Korn ſeyn muͤſſe, ſiehet man aus der erſtaunlichen Muͤhe, die ſie ſich geben es zu gewinnen. Jch habe hoch an den Bergen und weit von dem Orte abgelegen, ſehr muͤhſam aufgemauerte Terraſſen angetroffen, die nur etwa vier bis fuͤnf Quadratruthen Landes einfaß - ten, das dabey noch rauh und ſteinig war, auch ohne Duͤnger ſchwerlich konnte genutzt werden. Duͤnger heraufzuſchleppen, muß aber hier hoͤchſt beſchwerlich ſeyn.
Hier ſiehet man alſo uͤberzeugend, wie eine große Lehrmeiſterinn die Noth ſey, um die Menſchen erfin - deriſch und arbeitſam zu machen. Vermuthlich haben aͤhnliche Beobachtungen einige Politiker auf die unge - raͤumte Maxime gefuͤhret, daß der Landmann beyna - he uͤber Vermoͤgen mit Abgaben muͤſſe beſchwert wer - den, damit er aus Noth fleißig und arbeitſam werde. Jch nenne dieſe Maxime ungereimt, weil Erfahrung und Kenntniß der Menſchen uns lehren, daß dieſe aus Unterdruͤckung erzeugte Noth jene gute Wirkungnicht268Tagebuch von der Ruͤckreiſenicht hervorbringe. Es gelinget der brutalſten Poli - tik doch nie, den Landmann durch Unterdruͤckung bis zur gefuͤhlloſen Geduld des Viehes zu erniedrigen. Der Unterdruͤckte behaͤlt doch das Gefuͤhl des Unrechts, das er leiden muß, wird tuͤckiſch, faul, und verab - ſcheut eine Arbeit, die nur ſeinem Unterdruͤcker zu gu - te kommen wuͤrde. Hingegen eine natuͤrliche mit Freyheit verbundene Noth, die daher ruͤhret, daß das Schickſal mehr Menſchen an einen Ort zuſammen - gebracht hat, als das wenige Land ernaͤhren kann; dieſe Noth reizet ſie, Leibes - und Gemuͤthskraͤfte an - zuſtrengen, um ſich ſo gut, als moͤglich iſt, zu helfen.
Jch kam um 11 Uhr in Soſpello an, und rei - ſete um 1 Uhr wieder ab. Weil ich von weitem ſah, daß die erſte halbe Stunde des Weges ſich durch das enge Thal allmaͤhlig gegen den Berg hinzog, den ich zu uͤberſteigen hatte, ſo nahm ich mir vor, dieſes Stuͤck des Weges zu Fuße zu machen. Der Spa - ziergang war ſehr angenehm. Der Weg geht, wiewohl etwas an der Seite eines Berges, durch ein Thal unmerklich in die Hoͤhe. Zu beyden Seiten deſ - ſelben iſt etwas angebautes Land, das zum Theil mit Weinreben bepflanzt iſt, zum Theil Ackerland und Wieſen. Durch das Thal fließt ein angenehmer brei - ter und klarer Bach, der artig uͤber die darin liegen - den Steine herabrieſelt. Dieſes ſchmale Thal iſt et - wa eine Stunde lang, und ſteiget allmaͤhlig gegen ei - nen im Grunde deſſelben ſtehenden hohen Berg heran, uͤber den man nun weg muß. Dieſes iſt der Colle di Brois. Am Fuße iſt er angebaut und reichlich mit Olivenbaͤumen beſetzt. Der Weg geht auch uͤber dieſen Berg im Zikzak hin und her, wie uͤber denvor -269von Nizza nach Deutſchland. vorherbeſchriebenen, und eben ſo auf der noͤrdlichen Seite wieder herunter.
Jm Herunterreiten bemerkte ich eine Stelle die - ſes Berges, von der ich fuͤrs kuͤnftige Ungluͤck befuͤrch - te, wofern man ihm nicht vorbeugt. Bis hieher ſind die Berge feſte und wohl zuſammenhangende Felſen, die nur an dem Fuß mit Erde bedeckt ſind; hier aber iſt ein betraͤchtlicher Strich hoch mit natuͤrlichem Schutt uͤberdeckt. Jch verſtehe unter dieſem Aus - drucke ein Erdreich, das groͤßtentheils aus kleinern und groͤßern abgerundeten Steinen beſteht, wie man ſie an den Ufern und in den Betten der Fluͤſſe findet, mit leimiger Erde vermengt, die dieſem Schutt eini - ge Feſtigkeit giebt. Unter dieſem Schutt iſt ohne Zweifel wieder der harte Felſen. Man ſiehet aber, daß da, wo der Berg am ſteilſten iſt, hie und da groſ - ſe Maſſen dieſes Schuttes ſchon etwas geſunken, oder an dem Berge etwas herunter geklitſcht ſind, wodurch große Ritzen in dieſem Erdreiche entſtanden ſind. Bey lange anhaltendem Regen dringet das von der Hoͤhe ab - laufende Waſſer durch dieſe Ritzen ein, und macht die darein gemengte Erde weich, da es denn gar leicht ge - ſchehen kann, daß ſie ſich von dem unten liegenden Felſen abloͤſet und den Berg herunter ſtuͤrzt. Eben dieſes wuͤrde bey einer geringen Erſchuͤtterung dieſes Berges erfolgen. Nun geht die Straße gerade unter einem ſchon etwas geſunkenen, einige Morgen großen Stuͤck ſolches Erdreichs weg; bald aber wendet ſie ſich, ſo daß man nochmals, und hernach wegen der vielen Zikzake etwas tiefer wohl noch fuͤnf - oder ſechsmal unter eben demſelben Stuͤck Lande vorbeyreiten muß; daher die Gefahr, von einem einſtuͤrzenden Erd -reich270Tagebuch von der Ruͤckreiſereich verſchuͤttet zu werden, eine ziemliche Zeit lang dauret.
Außer dieſer Gefahr iſt das Herunterreiten an die - ſer noͤrdlichen Seite des Berges ſehr beſchwerlich, weil der Weg ſteil, und uͤberdem mit vielen losliegenden Steinen angefuͤllt iſt.
Sobald man ganz herunter iſt, kommt man in ein kleines elendes Staͤdtchen Breiglio, das zwiſchen vier oder fuͤnf hier zuſammenſtoßenden hohen Bergen, wie in einem Sodbrunnen verſenkt iſt. Neben dem Staͤdtchen fließt ein ziemlich waſſerreicher ſchneller Strom, die Roja, vorbey, der ſich bey Ventimi - glia ins Meer ergießt. Man glaubt hier in dieſer Wuͤſte am Ende der Welt, oder wenigſtens der be - lebten Natur zu ſeyn. Jſt man aber durch das Staͤdtchen durch, und wieder am rechten Ufer der Roja, ſo befindet man ſich in einem ſehr ſchmalen, gerade von Suͤden nach Norden laufenden hoͤchſt ein - ſamen und ſtillen Thale, wo man ſchoͤnes Gras und einige gut gewachſene Baͤume antrifft. Rechter Hand des Weges aber, jenſeit des Stroms, hat man eine ſteile ſehr hohe Felſenwand. Am hintern Ende dieſes etwa eine Viertelſtunde langen Thales liegt derGiandola. Ort, La Giandola genennt, in einer wahren Wild - niß. Er beſteht nur aus zwey Haͤuſern, die Gaſt - hoͤfe fuͤr die Durchreiſenden ſind. Man richtet die Reiſe ſo ein, daß man immer auf den Mittag oder zum Nachtlager hieher kommt, weil man da eine ziemlich gute Mahlzeit, und beſonders fuͤrtreffliche Forellen haben kann.
Dicht an dem einen Hauſe, darin ich abgetreten war, fließt ein wilder Bach, der von Abend her auseinem271von Nizza nach Deutſchland. einem engen Schlund der Berge herauskommt, und ſich hier in die Roja ergießt. Jch verſuchte, neben dieſem Bache etwas gegen den Schlund der Berge, daher er kommt, hineinzugehen, konnte aber nicht weit kommen, weil das Ufer ſteil und wild mit Ge - ſtraͤuch bewachſen iſt. Doch wurde mir der Gang dadurch belohnet, daß ich etwa hundert Schritte weit hinter meinem Gaſthofe einen andern ganz kleinen Bach antraf, der ſich von einer Hoͤhe von 50 bis 60 Fuß in einem Waſſerſtrahl in den groͤßern Bach her - unter ſtuͤrzt.
Jn dieſem Bache fand ich einen ſchwaͤrzlichen Stein, der durchaus aus platten zirkelrunden verſtei - nerten Schnecken beſteht, und unter dem Namen lapis nummularis bekannt iſt. Dieſes iſt die einzige Spur von verſteinerten Seethieren, die ich in der Grafſchaft Nizza, und uͤberhaupt auf den ſogenann - ten mittaͤglichen Alpen (alpes maritimes) angetroffen habe. Bey dieſer Gelegenheit faͤllt mir ein, einige auf dieſer Reiſe uͤber die Schichten der Berge gemach - te Beobachtungen anzufuͤhren.
Einige Gelehrte, die nicht weit aus ihren Cabi -Schichten der Berge. netten gekommen, ſcheinen ſehr verlegen zu ſeyn, wie ſie die meiſtentheils ſchiefe Lage der Felſenſchichten, die ehedem nothwendig wagerecht muͤſſen gelegen haben, erklaͤren ſollen. Dem, der mit einem etwas for - ſchenden Auge uͤber viele Berge gereiſet iſt, bleiben hieruͤber wenig Zweifel uͤbrig.
Freylich haben alle Felſenſchichten urſpruͤnglich wagerecht gelegen, und ſind aus wiederholten Ueber - ſchwemmungen eines mit Erde vertruͤbten Waſſers entſtanden. Selbſt dieſe Entſtehung, die an einigenOrten272Tagebuch von der RuͤckreiſeOrten viel tauſendmal wiederholte Ueberſchwemmung, woraus eben ſo viel Schieferſchichten entſtanden ſind, kann ein Kenner der Gebuͤrge ohne Suͤndfluth, und ohne das Meer auf den Hoͤhen der Berge noͤthig zu haben, gar natuͤrlich erklaͤren. Allein uͤber dieſen Punkt, der mich zu weit abfuͤhren wuͤrde, mag ich mich jetzt nicht einlaſſen, ſondern will nur von der ſchiefen Lage der Schichten ſprechen.
Sobald man bemerkt hat, daß die Thaͤler und Kluͤfte zwiſchen den Bergen nichts anders ſeyen, als Aushoͤhlungen, die das herunterlaufende Waſſer ge - macht hat, und dieſes wird man gar bald gewahr: ſo begreift man, daß dieſes Aushoͤhlen und Untergraben der Berge nicht hat geſchehen koͤnnen, ohne daß die Seiten der Berge, an denen es gemacht worden, hier und da haben einſtuͤrzen muͤſſen; naͤmlich da, wo ſie nicht von voͤllig harten, durchaus ohne Schichten zu - ſammenhangenden Felſen waren, wie die Granitfelſen ſind. Dergleichen Felſen koͤnnen ſtark unterhoͤhlt wer - den, ohne daß ſie einſtuͤrzen; weichere Felſen aber, und ſo ſind alle, die ſchichtenweiſe liegen, muͤſſen noth - wendig, wenn ſie ſtark untergraben worden, ein - ſtuͤrzen.
Geſchiehet dieſes nun ſo, daß nur einzelne kleine Stuͤcke nach und nach herunterfallen, ſo werden dieſe meiſtentheils bey ſtark anlaufenden Gewaͤſſern aus dem angefangenen Thale herausgefuͤhrt. Daher kommt der aus Steinen, Sand und Erde vermiſchte Schutt, welcher faſt uͤberall den Grund und Boden der ebenen Laͤnder ausmacht. Dieſer Boden machte ehedem ei - nen Theil der Berge aus, der nach und nach in die Thaͤler herunter gefallen, und durch die anlaufendenWaſ -273von Nizza nach Deutſchland. Waſſer auf die Ebene herausgeſpuͤlt worden. Doch dieſes im Vorbeygange.
Wo auf einmal ſehr betraͤchtliche Strecken von den unterhoͤhlten Seiten der Berge eingeſtuͤrzt, und an dem Berge liegen geblieben ſind, da mußten noth - wendig die Schichten, die vorher in dem Berge wage - recht lagen, durch das Sinken oder voͤllige Einſtuͤrzen in alle moͤgliche Lagen kommen. Der Einſturz kann ſo geſchehen, daß das eingeſtuͤrzte Stuͤck des Berges, das vorher wagerecht gelegen hat, jetzt gerade in die Hoͤhe ſtehen geblieben, und nun ſind die Schichten ſenkrecht; in allen uͤbrigen Faͤllen haben ſie eine ſchiefe Lage behalten. Alſo kommt es von dieſem Einſtuͤr - zen der untergrabenen Seiten der Berge her, daß die ehedem wagerecht gelegenen Schichten jetzt faſt uͤber - all eine ſchiefe Lage haben.
Jch habe auf dem vorher beſchriebenen Wege, wo ich mich recht beſinne, zwiſchen Scarena und So - ſpello an der rechten Seite des Weges einen Berg ge - ſehen, an dem gar deutlich wahrzunehmen iſt, wie ein Theil des Berges gegen Suͤden, der andre gegen Norden geſunken. Folgende Abzeichnung wird die Sache deutlicher machen.
An der Mitte des Berges a ſind die Schichten wage - recht, ſo wie ſie urſpruͤnglich alle geweſen. An der noͤrdlichen Seite des Berges b und an der ſuͤdlichen c liegen ſie ſchief, und zwar ſo, daß ſie wie die zwey Flaͤchen. eines Satteldaches gegen einander ſtehen. Da iſt alſo ſehr deutlich zu ſehen, wie ein Theil des Berges gegen das nach Suͤden, der andre gegen das noͤrdlich liegende Thal herabgeſunken iſt.
Jch habe auf dieſem Wege auch an mehr als ei - nem Orte Schichten angetroffen, die nicht mehr gera - de geſtreckt, ſondern wellenfoͤrmig gebogen waren.
Dieſes beweiſet, daß damals, als dieſer Theil herabgeſunken, die Materie, woraus die Schichten beſtehen, noch weich geweſen, und im Sinken durch den Druck ihrer eigenen Schwere dieſe wellenfoͤrmige Geſtalt angenommen habe.
An einem an dieſem Wege liegenden Berge habe ich etwas aͤußerſt ſeltſames geſehen. Der ganze Berg beſtehet aus ſenkrecht an einander ſtehenden Schichten von Kalkſtein. Sie ſind wechſelsweiſe von weiſſem und blaͤulichem Stein, ſo daß der Berg in lauter weiſſe und blaͤuliche, parallel an einander laufen - de Streifen eingetheilt iſt. Die weiſſen Schichten be - ſtehen aus ſehr feſtem und hartem Stein, die blaͤuli - chen aus einem weichern, der in der Luft auswittert undzer -275von Nizza nach Deutſchland. zerfaͤllt. Alſo waren hier alle blaͤuliche Schichten auf 3 bis 10 Fuß tief ausgewittert und vom Regenwaſſer ausgeſpuͤlt, ſo daß der ganze Berg in tiefe Furchen oder Graben, und dazwiſchen ſtehende hohe Borte eingetheilt war.
Dieſes iſt eine hoͤchſt merkwuͤrdige Beobachtung, die uns von dem uralten Zuſtande des Erdbo - dens etwas Wichtiges errathen laͤßt. Es iſt der Muͤ - be wohl werth, daß ich dieſe Sache hier etwas be - leuchte.
Man kann, wie ich bereits angemerkt habe, die verſchiedenen Felſen - und Erdſchichten nicht anders als aus ehemaligen wiederholten Ueberſchwemmungen er - klaͤren. Jede Schicht iſt der Bodenſatz eines truͤben Waſſers; und ſo viel Schichten an einem Berge uͤber - einander liegen, ſo viel verſchiedene Ueberſchwemmun - gen muͤſſen ſich an dieſem Orte zugetragen haben.
Hieraus folget aber, daß an dem Orte, wovon hier die Rede iſt, dieſe verſchiedenen Ueberſchwem - mungen ſehr regelmaͤßig muͤſſen abgewechſelt haben, indem allemal auf eine, aus deren Bodenſatz das weiſ - ſe Geſtein entſtanden iſt, eine folget, die den blaͤu - lichen Stein angeſetzt hat. Denn dieſe beyden Schich - ten wechſeln ganz regelmaͤßig mit einander ab. Und daher laͤßt ſich auch errathen, daß die Ueberſchwem - mungen von zwey verſchiedenen Orten hergekommen ſeyn muͤſſen, weil der Schlamm, den das Waſſer heran gefuͤhret, von verſchiedener Natur iſt.
Da entſteht nun die Frage, wie es natuͤrlicher Weiſe hat zugehen koͤnnen, daß an dieſem Orte zwey von verſchiedenen Gegenden herkommende Ueber - ſchwemmungen auf eine ſo regelmaͤßige Weiſe abge -S 2wech -276Tagebuch von der Ruͤckreiſewechſelt haben, ſo daß nach einer, die aus der einen Gegend eingeſtroͤmt, immer die andere von einer an - dern Seite her erfolget? Dieſes einem bloßen Zufalle zuzuſchreiben, ſcheint mir ganz unſinnig. Man muß nothwendig die Urſache davon in einer beſtaͤndigen und regelmaͤßigen Abwechſelung in der Natur ſuchen.
Wenn ich eine Muthmaßung hieruͤber wagen ſoll - te, ſo wuͤrde ich denken, daß die eine dieſer Ueber - ſchwemmungen im Sommer, und die andere im Win - ter erfolgt ſey. Dieſes wuͤrde die regelmaͤßige Ab - wechſelung erklaͤren. Ferner wuͤrde ich vermuthen, daß die Sommeruͤberſchwemmung einer großen Hitze zuzuſchreiben ſey, die den auf benachbarten hohen Bergen, die jetzt nicht mehr da ſind, ſich angehaͤuf - ten Schnee ploͤtzlich geſchmolzen, und dadurch eine ge - waltſame Ueberſchwemmung verurſachet habe; wie dergleichen noch jetzt bisweilen vorfallen*)Z. B. kann die angefuͤhrt werden, die ſich 1762 durch einen von Regen begleiteten ſehr warmen Wind in der Schweiz zugetragen hat. Einige Gegenden des Cantons Bern ſind durch dieſe Ueberſchwem - mung mit einem Erd - und Steinſchutt 10 bis 20 und mehr Fuß hoch uͤberdeckt worden.. Die Winteruͤberſchwemmungen aber wuͤrde ich warmen Re - gen in einer andern, weniger mit Schnee beladenen Ge - gend zuſchreiben.
Hieraus aber wuͤrde wieder eine neue Frage ent - ſtehen, warum in jenen Zeiten jeder Sommer ſo heiß, und jeder Winter ſo regenreich geweſen ſey. Vielleicht ließen ſich auch hieruͤber nicht ganz ungegruͤndete Muth - maßungen angeben. Aber dieſe Sache wuͤrde einer weit -laͤuf -277von Nizza nach Deutſchland. laͤuftigen Ausfuͤhrung beduͤrfen, wozu ſich dieſes Ta - gebuch nicht ſchicket.
Es iſt Zeit, daß ich von dieſer Ausſchweifung wieder zuruͤckkomme. Jch habe von dieſem wilden Orte, la Giandola, nur noch einen Umſtand anzu - merken. Jch ſah eine ſeltſame Art hoher und ſehr ſchmaler Gebaͤude von Stein, die ſowohl auf einigen Anhoͤhen als in dem Thale herum zerſtreut ſtunden. Sie ſahen aus wie hohe aus der Erde herauskom - mende Schornſteine; doch waren hier und da kleine Oeffnungen in der Mauer, wie Fenſter. Es war mir unmoͤglich, die Beſtimmung dieſer Gebaͤude zu errathen. Jch erfuhr von meinem Wirth, daß ſie zu Einfangung junger wilder Tauben dienten. Die Alten machen ihre Neſter in gedachten Oeffnungen, und geben alſo Gelegenheit, die Jungen auszunehmen, ehe ſie ausfliegen koͤnnen.
Von Giandola bis an das Staͤdtchen Tenda iſtVon Gian - dola nach Li - mone. der Weg von fuͤnftehalb Stunden faſt durchaus eben, weil er unvermerkt in die Hoͤhe ſteigt; er geht durch ein ſehr enges Thal, das oft nur eine Kluft iſt, faſt gerade von Suͤden nach Norden. Man ſiehet ganz deutlich, daß die Roja, ein ſehr rauſchendes Waſſer, ſich dieſes tiefe Thal allmaͤhlig ausgehoͤhlt hat. Die Berge, zwiſchen denen dieſer Strom durchlaͤuft, ſte - hen ſo nahe an einander, daß man mit einer Piſtole von den Gipfeln der rechter Hand liegenden auf die Gipfel der linker Hand liegenden heruͤber ſchießen koͤnnte.
S 3Durch278Tagebuch von der RuͤckreiſeDurch dieſe Kluft geht der Weg dicht an dem Ufer der gewaltig rauſchenden Roja. Da wo die Berge aus feſtem Steine ſind, daß nichts davon her - unterſtuͤrzen konnte, verwandelt ſich dieſes enge Thal in eine noch weit engere Felſenkluft, durch welche der Weg an dem Felſen eingehauen iſt. Folgende Zeich - nung des Profils dieſer Kluft wird einen Begriff davon geben.
a und b ſind die gegen einander uͤber ſtehenden Berge, deren Felſenwaͤnde ohngefaͤhr ſenkrecht in die Hoͤhe ſtehen. Die zwiſchen beyden liegende tiefe Kluft iſt an vielen Orten nicht mehr als 20 bis 30 Fußweit.279von Nizza nach Deutſchland. weit. Jn der Tiefe bey d laͤuft die Roja mit groſ - ſem Geraͤuſche. Jn einer Hoͤhe von 10, 20 auch wohl bis 50 Fuß uͤber dem Waſſer iſt an dem Felſen linker Hand bey c der Weg eingehauen, der insge - mein von dem uͤberhangenden Felſen bedeckt iſt, wie das Profil zeiget.
Hieraus kann man ſich leicht die Vorſtellung ma - chen, daß dieſer Weg fuͤrchterlich ausſieht. Das wenige Tageslicht, das gewaltige Rauſchen des Stroms, und die uͤber dem Kopf des Reiſenden han - genden und faſt uͤberall geſpaltenen Felſen, die den Einſturz drohen, machen ihn ſehr melancholiſch, ob er gleich ſonſt gut gebahnt iſt. An den Orten, wo die Berge nicht ſo ſenkrecht ſtehen, und etwa ſo, wie in der Figur die punktirten Linien anzeigen, aus einander liegen, iſt der Weg zwar weniger melancholiſch, in der That aber gefaͤhrlicher, weil die Berge aus weni - ger feſten Felſen beſtehen, davon ſich bisweilen große Stuͤcke losmachen und herunterſtuͤrzen. Ein ſolcher Fall geſchah etwa vier Wochen ehe ich dieſe Straße bereiſte, und ich traf den heruntergefallenen und ge - rade auf dem Wege liegen gebliebenen Klumpen Fel - ſen noch da an. Man hatte noch nicht Zeit gehabt, ihn zu ſprengen und wegzuraͤumen, und nur vorlaͤufig etwas davon weggeſprengt, um den dadurch verſchuͤt - teten Weg wieder in etwas zu oͤffnen.
Auf der Haͤlfte dieſes traurigen Weges kommt man an eine ganz oben auf und an dem Berge liegende Burg Saorge oder Saorgio, die von unten herauf einen ganz ſonderbaren Anblick giebt. Man glaubt, daß die Haͤuſer an den ſteilen Felſen angehangen ſind; auch begreift man nicht, wie die dem Anſehen nachS 4ſenk -280Tagebuch von der Ruͤckreiſeſenkrecht uͤber den Weg emporſteigende Seite des Ber - ges von unten bis oben mit Olivenbaͤumen beſetzt ſeyn koͤnne. Man kann ſich nicht enthalten, indem man unten an dieſem Orte wegreitet, einige Beſorg - niß zu fuͤhlen, dieſe Baͤume und die daruͤber hangen - den Haͤuſer moͤchten herunterſtuͤrzen, und die Vorbey - reiſenden zerquetſchen.
Gleich hinter Saorgio wird die Kluft zwiſchen den Felſen wieder ſehr eng und dunkel. Mitten in dieſer Kluft iſt an dem jenſeit des Stroms liegenden Felſen eine große marmorne Tafel eingemauert, auf welcher eine Jnſchrift von der Eroͤffnung dieſes Weges, die der Koͤnig Victor Amadeus hat machen laſſen, Nachricht giebt. Jch konnte im Vorbeyreiten, weil es ohnedem hier dunkel iſt, nur wenige Worte davon leſen; denn es war mir nicht moͤglich, mein eigenſin - niges Maulthier, das ſeinen ſchon eine Strecke des Weges voraushabenden Cameraden nacheilte, zum Stilleſtehen zu bewegen. Der unuͤberwindliche Ei - genſinn dieſer Thiere iſt dem Reiſenden bisweilen ſehr verdruͤßlich. Kein Menſch iſt ſtark genug, eine ſolche Beſtie, die andern ihres gleichen, die voraus ſind, nacheilet, ſtillſtehen zu machen. Will man Gewalt brauchen, ſo laͤuft man Gefahr, ſie wild zu machen und aus dem Sattel gehoben zu werden. An den Orten, da neben dem Wege Abgruͤnde ſind, ge - hen ſie gerne gerade an der gefaͤhrlichen Seite des We - ges gegen den Abgrund, als wenn ſie Gefallen daran faͤnden, in die Tiefe herunter zu ſehen. Wer ſich nicht halb todt martern, oder gar in noch groͤßere Ge - fahr ſtuͤrzen will, muß dieſem halsſtarrigen Vieh nur ſeinen Willen laſſen.
Wenn281von Nizza nach Deutſchland.Wenn man aus der engen Kluft nicht weit von Saorgio herausgekommen, befindet man ſich am Eingange eines zwar auch noch engen, aber ſehr ange - nehmen Thales, in welchem man bald durch das Dorf Fontana kommt. Hier ſiehet man die letzten Oli - venbaͤume; denn bald hinter dem Dorfe nehmen die Kaſtanienbaͤume ihren Platz ein. Dieſes Thal iſt ein paar Stunden lang, und man hat noch immer den er - waͤhnten Strom zur rechten Hand des Weges. Eine halbe Stunde vor Tenda wird es etwas weiter, und man trifft da ſchon artige Wieſen und Anger an, auf denen man Vieh weiden ſieht.
Tenda iſt ein kleines offenes Staͤdtchen auf einerTenda. maͤßigen Anhoͤhe, mitten in dem erwaͤhnten Thale. Die umliegenden Berge ſind nicht ſo ſteil, als alle bisherige, aber doch voͤllig unfruchtbar und wuͤſte, ſo wie auch das Thal ſelbſt, wenige darauf befindliche Wieſen ausgenommen. Die Einwohner muͤſſen alſo ihre Nahrung blos von den hier Durchreiſenden, und von dem Tranſport der durchgehenden Guͤter haben. Nur hier und da ſieht man magere Weinreben an den Bergen gepflanzet. Es liegt eine kleine Beſatzung hier; hauptſaͤchlich zur Verhuͤtung der Contrebande, und zur Sicherheit des Weges.
Jch erfuhr hier und ſah zum Theil mit eigenen Augen, daß ſeit einigen Tagen ſehr viel Schnee auf den herumliegenden Alpen gefallen war, wodurch der Weg uͤber den Colle di Tenda verſperrt, aber ſeit geſtern wieder gangbar worden war. Jch hatte in Nizza viel von dem gefaͤhrlichen Paß uͤber dieſen Berg ge - hoͤrt. Man pflegt im Fruͤhjahre insgemein es ſo ein - zurichten, daß man in der Nacht, oder doch ganz fruͤhS 5am282Tagebuch von der Ruͤckreiſeam Morgen, ehe denn die Sonne den Schnee erwei - chet, heruͤber komme. Dieſes geſchiehet eines Theils, weil alsdenn der Schnee gefroren iſt und uͤbertraͤgt, andern Theils, weil man um dieſe Zeit die Lavanges oder Schneelauwinnen nicht zu fuͤrchten hat. Außer dieſer Gefahr hat man bey dem Paß uͤber dieſen Berg auch einen Sturmwind, den ſie hier la Tormenta nennen, zu beſorgen, dem weder Men - ſchen noch Vieh widerſtehen koͤnnen. Dieſen aber ſol - len die Einwohner von Tenda mit ziemlicher Gewiß - heit vorausſehen koͤnnen, um die Fremden in Zeiten abzuhalten, ſich uͤber den Berg zu wagen.
Da ich in der Mittagsſtunde in Tenda angekom - men, und es eben ſehr warmes Wetter war, ſtund ich an, ob ich heute meinen Weg fortſetzen, oder erſt nach Mitternacht, wie es gewoͤhnlich geſchieht, an - treten ſollte. Die Furcht vor der Kaͤlte der Nacht und des fruͤhen Morgens war bey mir groͤßer, als die andern Bedenklichkeiten, und ich entſchloß mich, noch heute uͤber den Berg zu gehen. Jch miethete ſechs Traͤger, die mich auf einem Stuhle heruͤber tragen ſollten; der gewoͤhnliche Preis iſt, daß jeder 3 Lire bekommt. Jch ſchickte ſie aber etwa eine Stun - de weit voraus, weil ich nicht eher wollte getragen ſeyn, als bis ich an den Ort gekommen, wo der Schnee angeht.
Von Tenda aus ritt ich noch eine gute Stunde weit durch ein ſehr angenehmes, allmaͤhlig in die Hoͤ - he gehendes Bergthal, das ſchoͤne Wieſen hat, durch die ein cryſtallener Bach herunter fließt. Auf dem Wege durch dieſes Thal ſah ich die erſten in ſchoͤnen Caſcaden von den Bergen herunterſtroͤmenden Baͤche,die283von Nizza nach Deutſchland. die auf den Alpen ſo gewoͤhnlich ſind. Ueberhaupt bekommt hier das Land eine ziemliche Aehnlichkeit mit andern Alpen. Ueberall herum ſind die Gipfel der Berge, und hier und da die Tiefen, wo die Sonne nicht hinkommt, mit Schnee bedeckt. Jndem ich gerade gegen den Colle di Tenda heran ritt, ſahColle di Tenda. ich, daß der ganze Berg fuͤrchterlich ſteil und von oben herunter bis auf zwey Drittel der ganzen Hoͤhe ſo voͤllig mit Schnee bedeckt war, daß gar nichts, als eine ununterbrochene weite Flaͤche von Schnee zu ſehen war. Die Vorſtellung, daß ich uͤber dieſe Schnee - wuͤſte hinauf muͤßte, machte mir eben kein Vergnuͤgen.
Jch blieb bis an den dritten Theil der Hoͤhe des Berges, die ſchon meiſt frey von Schnee war, auf meinem Maulthier. Der Berg iſt aͤußerſt ſteil, faſt wie das Dach eines Kirchthurms. Durch das be - ſtaͤndige Hin - und Herwenden aber iſt der Weg noch ertraͤglich gemacht. Jch ſtieg bey einem an dieſem Berge liegenden großen Gebaͤude, welches Caa, oder eigentlich la Caſa genennt wird, ab. Hier liegt ei - ne Beſatzung von 20 Mann mit einem Officier, ſo - wohl zur Sicherheit des Weges, als zur Verhinde - rung der Contrebande. Jch ſetzte mich da auf einen gemeinen ſchlechten Lehnſtuhl, an dem zwey Stangen zum Tragen angebunden waren; etwa eine Elle weit vom Stuhl ab wurde ein Strick uͤber die beyden Stan - gen angezogen, auf den man die Fuͤße aufſetzet. Meine ſechs Traͤger hatten ſich ſo vertheilet, daß zwey, einer vornen und einer hinten, zwiſchen den Stangen giengen, und mit beyden Haͤnden die zwey Stangen hielten. Eigentlich trugen ſie die Laſt vermittelſt ei - nes breiten, von der Schulter herunter um die Stangegehen -284Tagebuch von der Ruͤckreiſegehenden Riemens. Neben jedem dieſer zwey Traͤger giengen zwey andere, die bisweilen den Traͤger hiel - ten, daß er ſelbſt nicht fallen konnte, bisweilen die Stangen etwas hoben, um den eigentlichen Traͤgern die Laſt zu erleichtern. Die Plaͤtze wurden von Zeit zu Zeit abgewechſelt, daß jeder einmal zwiſchen die Stangen kam.
Der Weg von der Caſa bis auf den Gipfel des Berges geht, wegen der ſehr ſteilen Flaͤche, beſtaͤndig im Zikzak. Durch den Schnee war nur ein ſchma - ler Fußſteig durch Eintreten deſſelben gebahnet. Auf dieſem konnten nur die Traͤger zwiſchen den Stangen treten; die ihnen zur Seite ſtunden, mußten in dem lockern Schnee gehen, indem ſie auf jeden Tritt bis an die Knie einſanken. Dennoch hatten die Einge - ſpannten immer den ſchlimmern Weg. Weil es ſehr warmes Wetter war, und dieſe Seite des Berges ge - rade gegen Mittag hinſteht, ſo thaute der Schnee ſtark, und an vielen Stellen des Weges waren von den heute daruͤber getriebenen Maulthieren viel Loͤcher eingetreten, die denn voll Waſſer gelaufen waren, ſo daß dieſe Leute ſehr oft bis uͤber die Knoͤchel ins Waſ - ſer traten.
Anfangs beſorgte ich ſehr, dieſe Leute wuͤrden ver - drießlich werden, und den Weg uͤber muͤrriſch ſeyn. Aber ich erſtaunte, zu erfahren, mit was fuͤr Mun - terkeit und unter welchen froͤhlichen Scherzen ſie alle dieſe Beſchwerlichkeiten ausſtunden, und mit welcher Schnelligkeit ſie mit mir forteilten. Es waͤhrte keine Viertelſtunde, daß ich meine Maulthiere, die den Weg zugleich mit mir angetreten hatten, ſchon weit hinter mir zuruͤck ſah.
Als285von Nizza nach Deutſchland.Als ich nahe an die oberſte Hoͤhe gekommen war, und mich nach meinen Leuten und Thieren umſah, wurde ich gewahr, daß das Maulthier, das mein Ge - paͤcke trug, ganz in dem Schnee verſunken war und abgepackt wurde. Zum Gluͤck arbeiteten an verſchie - denen Stellen des Berges hieher berufene Bauren an Feſtmachung der Wege. Auf die Verſicherung mei - ner Traͤger, daß dieſe Leute den meinigen zu Huͤlfe kommen wuͤrden, ließ ich mich durch dieſen Zufall nicht aufhalten, ſondern ſetzte meinen Weg auf der andern Seite herunter fort.
So wie man den oberſten Gipfel des Berges er - reicht hat, faͤngt man auf den erſten Schritt ſchon an, herunter zu ſteigen, ſo daß der Berg oben eben ſo keilfoͤrmig zugeſpitzt iſt, als ein Dach. Die noͤrdliche Seite des Berges iſt weniger ſteil als die ſuͤdliche; ſie war aber auch mit tieferm Schnee bedeckt. Mich kam einiges Grauſen an, als ich eine weite Wuͤſte von Schnee vor mir ſah, uͤber die ich nothwendig herunter mußte. Aber meine Traͤger, ohne einen Augenblick auszuruhen, eilten muthig und luſtig mit mir davon. Jn Zeit von etwa anderthalb Stunden befand ich mich endlich uͤber den Schnee weg, und meine Traͤger konnten wieder auf feſten Boden treten. Jch hatte nun den ganzen Weg, ſo weit er uͤber den Schnee gieng, in weniger als drey Stunden zuruͤckgelegt; aber von meinen Leuten ſah ich noch nichts, ob ich gleich dieſe ganze Seite des Berges bis an die Spitze uͤberſehen konnte. Das Wetter war zum Gluͤck warm und voͤllig ſtill geweſen. Vom Schnee an hat - ten wir etwa noch eine Stunde herunter zu ſteigen, und Abends gegen 7 Uhr kam ich in Limone am Fußdes286Tagebuch von der Ruͤckreiſedes Berges an. Etwa eine Stunde nachher kamen auch meine Leute, Mann und Vieh und Gepaͤck un - beſchaͤdigt nach.
Es war mir eine nicht unangenehme Ueberra - ſchung, in dem Gaſthofe einen Officier anzutreffen, der ein Schweizer aus der Stadt Rheinek iſt, und einer Familie angehoͤrt, davon ich einen Theil kenne. Alſo konnte ich in dieſer Wildniß und in einer ſo wei - ten Entfernung von meinen alten Bekannten mich doch mit einem Einwohner dieſer Gegend von gemeinſchaft - lichen Bekannten unterhalten. Dieſer Officier com - mandirte ein kleines Detaſchement hier liegender Sol - daten, die alle 6 Wochen abgeloͤſet werden. Seine Bekanntſchaft uͤberhob mich der Beſchwerde, meine Sachen hier durchſuchen zu laſſen; denn dieſes iſt der erſte Ort in Piemont. Auf ſein Wort, daß er mich kenne, daß ich kein Kaufmann ſey, und nichts ſteu - erbares bey mir habe, bekam ich eine Bolleta, oder einen Viſitationsſchein, vermittelſt deſſen ich uͤberall in Piemont frey durchkam.
Limone iſt ein ſehr kleines Staͤdtchen, am En - de eines ſich bis an den Fuß des Colle di Tenda er - ſtreckenden engen Bergthales; es iſt gleichſam das Thor, durch welches man aus Piemont nach der Grafſchaft Tenda kommt, und hat ſeine fuͤrnehmſte Nahrung von den Durchreiſenden. Doch hat dieſes noch ziemlich hohe Bergthal auch ſchon Wieſen, eini - gen Acker und viel Kaſtanien.
Jch hatte zwar die Maulthiere bis Coni gemie - thet, auf allen Fall aber auch eine Poſtchaiſe oderCam -287von Nizza nach Deutſchland. Cambiatura von Coni aus hieher beſtellt. Da ich dieſe hier wirklich fand, ſo entließ ich meinen Maul - thiertreiber hier gar gerne.
Man kommt von Limone noch zwey Stunden lang, oder etwa fuͤnf piemonteſiſche Meilen weit durch ein ſchmales, ſich zwiſchen den Bergen ſchlaͤngelndes und allmaͤhlig ſich herab ſenkendes Thal, dadurch der Weg ganz angenehm iſt. Die zu beyden Seiten lie - genden Berge werden allmaͤhlig niedriger, und end - lich zu bloßen Huͤgeln, und man merkt, daß man bald aus den Gebuͤrgen herauskommen wird. Die kleinern Berge und Huͤgel, neben denen man hier vor - bey kommt, ſind faſt durchaus mit Kaſtanienbaͤumen beſetzt, und die Natur gewinnt hier eine ganz andere Geſtalt, als die man waͤhrend der Reiſe durch die kah - len und duͤrren Gebuͤrge geſehen hat. Alles iſt gruͤn und verkuͤndigt Fruchtbarkeit.
Endlich kommt man bey Borgo, einem ſchoͤnen Flecken am Eingange des erwaͤhnten Thales, auf die herrlichen Ebenen von Piemont heraus. Hier fand ich mich alſo, nach einer ſehr beſchwerlichen und auch zum Theil gefaͤhrlichen Reiſe durch einen der un - fruchtbarſten und wildeſten Striche von Europa, ziem - lich ploͤtzlich in die ſchoͤnſte und fruchtbarſte, recht pa - radieſiſche Ebene, aus den rauheſten elendeſten We - gen auf eine fuͤrtreffliche Landſtraße, und von einem ſteifen und eigenſinnigen Maulthiere in eine bequeme Poſtchaiſe verſetzt. Man muß in aͤhnlichen Umſtaͤn - den geweſen ſeyn, um ſich die Erleichterung des Ge - muͤths und die Erweiterung der Bruſt vorzuſtellen, die bey einer ſolchen Abwechſelung empfunden wird. Jch glaubte in einer andern Welt zu ſeyn. Jetzt konnteich288Tagebuch von der Ruͤckreiſeich mich ſorglos und bequem ſitzend fortziehen laſſen, und ſah vor und um mich nichts als Fruchtbarkeit, Reichthum der Erde und Annehmlichkeit, die ich jetzt ohne irgend einen ſorgſamen Gedanken genießen konnte. Es fiel mir natuͤrlicher Weiſe dabey ein, wie dem Heer des Hannibals muß zu Muthe geweſen ſeyn, als dieſer Heerfuͤhrer ihm nach einem unendlich beſchwer - lichen Zuge uͤber die Alpen, von denen ich jetzt einen Theil uͤberſtiegen hatte, von der Hoͤhe herunter dieſes herrliche Land zeigte.
Gegen Mittag kam ich in Coni an. Dieſes iſt eine wohlgebaute, angenehme Stadt, zwiſchen den Fluͤſſen Geſſo und Stura, und, wie bekannt, eine der wichtigſten Feſtungen in Piemont, die zwar eini - gemal belagert, aber nie erobert worden iſt. Denn es iſt ein Verſehen, wenn Hr. Buͤſching in ſeiner Erdbeſchreibung meldet, daß die Franzoſen 1641 die Feſtung eingenommen haben. Sie wird darum auch Coni la vergine genannt. An der Nordſeite der Stadt haben die erwaͤhnten, ſich hier in viel Arme vertheilten Fluͤſſe eine betraͤchtliche Strecke Landes der - geſtalt vertiefet, daß die Feſtung von dieſer Seite ei - nen 50 bis 60 Fuß tiefen und einige tauſend Fuß brei - ten natuͤrlichen Graben vor ſich hat. Wenn man aus dieſem vertieften Grunde auf die Ebene herauf kommt, ſo hat man von da bis nach Turin ein voll - kommen ebenes und wie mit der Waſſerwage abgewo - genes Land vor ſich. Auch die Landſtraße iſt breit und ſchoͤn. Doch glaube ich, daß ſie bey naſſem Wetter etwas weich wird, weil der Damm mehr aus harter Erde, als aus Steinen zuſammengeſchla - gen iſt.
Man289von Nizza nach Deutſchland.Man glaubt den ganzen Weg uͤber, daß man durch einen Garten fahre. Dieſes Anſehen hat das Land um ſo mehr, da die meiſten Aecker und Wieſen rings herum mit ſchoͤnen Baͤumen eingefaßt ſind, wel - ches ihnen das Anſehen von Gartenbeeten giebt. Waldungen ſieht man hier nicht, weil alles Land voͤl - lig angebaut iſt. Die um die Aecker gepflanzten Baͤume ſind Maulbeerbaͤume, Pappeln und Weiden, durchgehends von fuͤrtrefflichem Wuchs, der ſchon al - lein ein hinlaͤngliches Zeugniß von der Guͤte des Landes giebt.
Nach 7 Uhr des Abends kam ich in SaviglianoSavigliano. an. Dieſes iſt eine ziemlich große, angenehme und ſehr ſchoͤn gelegene Stadt; ſie ſchien mir volkreich; wenigſtens ſah ich einige tauſend Menſchen ſowohl vor, als in der Stadt ſpazieren gehen, (es war eben Sonn - tag,) und unter dieſen eine betraͤchtliche Anzahl Vor - nehmere. Jch hoͤrte auch hernach, daß viel adeliche Familien, fuͤr welche die Lebensart in Turin zu koſt - bar iſt, ſich hier aufhalten. Das Volk ſchien mir durchgehends frey und vergnuͤgt.
Hier hatte ich die angenehme Ueberraſchung, beym Abſteigen im Poſthauſe von dem Chevalier de Saorge auf das hoͤflichſte bewillkommt zu werden, der mich noͤthigte, bey ihm einzukehren, welches ich aber ablehnte. Jch erfuhr, daß der Pater Roffre - di aus Nizza, ein juͤngerer Bruder des Chevalier, ihm geſchrieben hatte, daß ich dieſen Abend hier ein - treffen wuͤrde. Jn der Geſellſchaft dieſes liebenswuͤr - digen, in Wiſſenſchaften und Litteratur wohl erfahr - nen Edelmanns brachte ich dieſen Abend ſehr ver - gnuͤgt zu.
Das Land ſcheinet immer ſchoͤner und reicher zu werden, je naͤher man gegen Turin kommt. We - nige Meilen von Savigliano kommt man durch Ra - conigi, wo der Prinz von Carignan ein großes Land - haus mit einem praͤchtigen Garten hat. Außen um den Garten, beſonders an der Straße, die von Turin hieher fuͤhret, ſind die fuͤrtrefflichſten weiſſen Pappeln gepflanzt, die ich jemals geſehen habe. Sie thun eine bewunderungswuͤrdige Wirkung auf das Auge. Da ſie etwas dicht an einander gepflanzt ſind, (etwa acht Fuß aus einander,) voͤllig gerade und gleichhoch, graͤulich weiſſe Staͤmme und hohe dicht gewachſene Kronen haben, glaubte ich mich in einem mit natuͤrli - chen Saͤulen umgebenen Portico zu befinden. Die Staͤmme ſind in der That ſo gerade, ſo glatt, und von ſolchem Verhaͤltniß der Dicke gegen die Hoͤhe, und ſo auseinander, daß man ſie fuͤr Saͤulen halten kann. Da, wo etliche Reihen ſolcher Baͤume neben einander ſtehen, bildet man ſich ein, in dem doppel - ten Periſtylio eines alten griechiſchen Tempels zu ſeyn. Niemals habe ich in Gaͤrten oder Luſtwaͤldern etwas geſehen, das einen ſo feyerlichen Eindruck auf mich gemacht haͤtte, als dieſe herrlichen Alleen von Pap - peln.
Auf den Mittag kam ich nach Carignan, einen nicht großen, aber ebenfalls ganz angenehmen Ort. Je naͤher man gegen Turin kommt, je mehr findet man uͤberall angepflanzte ſchoͤne Baͤume, und nahe an dieſer Hauptſtadt denkt man in einem unermeßli - chen Luſtgarten zu ſeyn. Die vielen aus verſchiedenenGe -291von Nizza nach Deutſchland. Gegenden der Provinz nach der Hauptſtadt fuͤhrenden geraden Landſtraßen ſind alle nach der Schnur gezogen, und an beyden Seiten mit doppelten, auch dreyfachen Reihen der ſchoͤnſten Baͤume beſetzt. Hier und da ſieht man kleinere und groͤßere, in der ſchoͤnſten Ord - nung gepflanzte Waͤldchen von ungemein hohen Pap - peln. Gegen Abend traf ich in Turin ein.
Jch will hier noch einige auf dieſer Straße ge - machte Beobachtungen nachholen. Auf dem ganzen Wege trifft man keinen unbebauten Fleck Landes an, nur ein paar Stellen ausgenommen, wo etwas weni - ges als Anger fuͤr bloße Weide gelaſſen worden. Wo etwa ein kleines Stuͤck Land etwas rauher als das gewoͤhnliche iſt, da hat man kleine Waͤlder von Pap - peln, Eſpen und Weiden gepflanzt. Dies ſind die einzigen Holzungen, die man auf dieſer Ebene ſieht. Man wuͤrde kaum begreifen, wo der hieſige Land - mann ſein zum taͤglichen Gebrauch noͤthiges Holz her - naͤhme, wenn man nicht bald die ſorgfaͤltigſte Wirth - ſchaft mit dieſer Nothduͤrftigkeit wahrnaͤhme. Jch habe ſchon angemerkt, daß alle Aecker und Wieſen mit Baͤumen umſetzt ſind. Die Borte der kleinen Baͤche ſind ebenfalls dicht damit bepflanzt. Alle die - ſe Baͤume werden von Zeit zu Zeit gekoͤpft. Die ab - gehauenen Aeſte und Zweige nebſt den jaͤhrlich abge - ſchnittenen Weinranken ſind das Brennholz des Land - manns.
Nirgends habe ich von Seiten des Landmanns ſo viel Fuͤrſorge in Anſehung der Anpflanzung und Un - terhaltung der Baͤume geſehen, als hier. Alle jun - gen Baͤume werden mit Stricken, die aus Stroh ge - flochten ſind, durch die ganze Hoͤhe des Stammes be -T 2wun -292Tagebuch von der Ruͤckreiſewunden, und ſind dadurch fuͤr allen Schaden, den das Vieh daran thun koͤnnte, geſichert. Dieſes ge - ſchieht mit der Sorgfalt und Artigkeit, wie an eini - gen Orten die glaͤſernen Flaſchen mit Stroh umwun - den werden. Nichts ſiehet artiger aus, als eine Rei - he friſch gekoͤpfter Weiden, wie man ſie auf dieſer Straße antrifft. Sie werden alle vollkommen gleich - hoch abgeſchnitten; alle Schnitte der Aeſte ſind hori - zontal, und, wie es ſcheint, mit ſcharfen Meſſern glatt gemacht. Man glaubt von weitem Reihen von freyſtehenden Saͤulen mit ihren Capitaͤlen zu ſehen; denn alle ſind auch gleichdicke. Und die Baͤume, die nach dem Koͤpfen die erſten Zweige treiben, haben von weitem das Anſehen der Palmbaͤume. Man muß aber dieſes geſehen haben, um zu begreifen, was fuͤr große Annehmlichkeit ſolche Baͤume dem Lande geben. Man kann in der That ſagen, daß hier das Land mit der Zierlichkeit aufgeputzt werde, die ſonſt nur auf Luſtgaͤrten gewendet wird; und man muͤßte ganz un - empfindlich ſeyn, wenn man den Fleiß des Land - manns, der ſich darin zeiget, und die gluͤckliche Wir - kung deſſelben, ohne inniges Vergnuͤgen ſehen koͤnnte. Was fuͤr ein erſtaunlicher Abſtand von einem ſolchen Volke auf andere, deren Laͤndereyen ſo vernachlaͤßiget, ich moͤchte bald ſagen, ſo ſchmuzig ausſehen, als die ekelhaften Huͤtten, die ſie bewohnen! Jch habe hier auch bemerkt, daß der Landmann keine ganz jungen Baͤume ſetzet; er laͤßt ſie in der Baumſchule ſo ſtark werden, daß ſie ohngefaͤhr die Dicke einer Fauſt ha - ben, ehe er ſie verpflanzet.
Aecker und Wieſen ſind durchaus mit dem ſchoͤn - ſten Getraide und Gras ſo dicht bewachſen, daß maneinen293von Nizza nach Deutſchland. einen hohen Begriff von der Fruchtbarkeit des Landes bekommt. Jeder Acker wird hier in demſelben Jah - re auf mehrere Arten genuͤtzt. Er traͤgt Getraide oder Hanf, zugleich Wein, und Maulbeerbaͤume zur Gewinnung der Seide, und Holz zur Feuerung. Denn hier wird der Weinbau ſo getrieben, daß er dem Korn - bau des Ackers keinen Abbruch thut.
Die Weinreben werden in ſchnurgeraden Reihen, die 16, 20 bis 30 Fuß weit von einander ſtehen, gepflanzet. Man laͤßt ſie etwa auf 3 bis 4 Fuß hoch einen dicken Stamm treiben, der ſich ſelbſt zu tragen vermoͤgend iſt. Die jaͤhrlichen Ranken, an denen die Trauben wachſen, werden in der Hoͤhe von 5 bis 6 Fuß uͤber dem Boden wie Feſtone gegen einander ge - zogen, und ſo befeſtigt. Dadurch benehmen ſie dem Getraide weder die Luft noch den Sonnenſchein, we - der Thau noch Regen; und das Land bedarf des Wein - baus halber keiner beſondern Bearbeitung. Denn indem der Acker geduͤngt und gepfluͤget wird, wird eben dadurch auch der Weinſtock gepflegt. Auf dieſe Weiſe ſieht man auf einem Grunde gleichſam zwey Felder uͤbereinander, das untere fuͤr Getraide, das obere in der Luft ſchwebende fuͤr Wein.
Man ſiehet uͤberall in Piemont großes und ſchoͤ - nes Rindvieh, und nur ſelten trifft man einen mit Pferden beſpannten Bauerwagen an. Alle Doͤrfer, die ich geſehen habe, und alle einzelne Bauerhaͤuſer ſind groß und voͤllig maſſiv gebaut. Die Haͤuſer ha - ben große Hoͤfe, die mit Wirthſchaftsgebaͤuden umge - ben ſind. Die Scheunen ſind gegen den Hof offene, mit hohen auf gemauerten Pfeilern ruhenden DaͤchernT 3bedeck -294Tagebuch von der Ruͤckreiſebedeckte Schoͤpfe. Nachſtehende Figur wird einen Begriff davon geben.
a c iſt die Vorderſeite eines ſolchen Gebaͤudes ge - gen den Hof, a b eine Mauer, b c ein gemauerter Pfeiler, d f e die hintere maſſive Mauer gegen das Feld hinaus, c e das Dach. Der obere Raum 1 iſt gegen den Hof offen, und dienet Heu und unaus - gedroſchenes Getraide aufzubewahren; 2 iſt ein Stall, oder eine zur Wirthſchaft gehoͤrige Kammer. Jn Kriegs - zeiten koͤnnte bald jeder einzeln liegende Bauerhof fuͤr eine oder ein paar Compagnien Soldaten ſtatt einer Redoute dienen, ſo raͤumlich und ſo feſt ſind ſie gebaut.
Jch295von Nizza nach Deutſchland.Jch hatte von Coni aus meinen Meilenmeſſer an dem Rade befeſtigen laſſen; weil er aber, ich weiß nicht wie, in Unordnung gekommen war, die ich erſt in Savigliano gewahr worden, ſo habe ich auch nur von da aus bis Turin ein richtiges Maaß des We - ges genommen. Jch fand dieſen Weg von 159180 rheinl. Fuß, oder 6½ deutſche Meilen. Da er ge - nau zwanzig piemonteſiſche Meilen ausmachen ſoll, ſo giebt dieſes 7959 Fuß fuͤr die piemonteſiſche Meile. Man rechnet aber zwey ſolche Meilen fuͤr eine Lieue de France, und zehen fuͤr funfzehn gemeine italiaͤniſche Meilen, welches fuͤr die gemeine italiaͤniſche Meile 5306 Fuß giebt.
Vom 6 bis zum 21 May. Aufenthalt in Turin.
Der Marquis de Breze’, Generaladjutant derAufenthalt in Turin. Cavallerie, den ich vor einigen Jahren in Berlin ken - nen gelernt, hatte mich, da ich mich noch in Nizza aufhielt, auf eine ſo guͤtige als dringende Weiſe genoͤ - thiget, bey meiner Ruͤckreiſe uͤber Turin in ſeinem Hauſe abzutreten, daß ich nicht umhin konnte, die Einladung anzunehmen. Durch die offenherzige Freundſchaft, womit ich in dieſem Hauſe aufgenom - men wurde, durch die auserleſene Geſellſchaft und den intereſſanten Umgang, die ich taͤglich durch die Guͤ - tigkeit des Marquis da genoß, und durch ſeine Auf - merkſamkeit, mich mit den Merkwuͤrdigkeiten dieſer ſchoͤnen Hauptſtadt bekannt zu machen, wurden die 14 Tage, die ich hier zubrachte, mir ſo ſehr ange - nehm, daß ich ſie unter die beſten Tage meines Lebens zaͤhlen kann. Die vielfaͤltigen Annehmlichkeiten, die ich hier genoſſen, habe ich, außer dem Marquis,T 4dem296Tagebuch von der Ruͤckreiſedem[Abbé] Vaſco, der bey dem Finanzdepartement arbeitet, dem Chevalier Debutet, Capitain bey der Artillerie, einem Manne von ganz fuͤrtrefflichem Genie, und den Herren Profeſſoren bey der Univer - ſitaͤt, D. Cigna, Allione und[Abbé] Denina zu danken.
Jch will mich ſelbſt der unnoͤthigen Muͤhe uͤber - heben, von der Stadt Turin, ihren merkwuͤrdigen Gebaͤuden und den koͤniglichen Luſtſchloͤſſern eine Be - ſchreibung zu machen, da man dieſe Dinge in zwan - zig Buͤchern leſen kann. Es iſt bekannt genug, daß Turin ſowohl nach ihrer Lage, als nach der Schoͤn - heit ihrer Straßen, und den durchgehends wohlge - bauten Haͤuſern unter die ſchoͤnſten Staͤdte von Euro - pa gehoͤret. Daruͤber habe ich nichts beſonders an - zumerken. Alſo begnuͤge ich mich, der Dinge, deren ich mich am lebhafteſten erinnere, und wovon andre Reiſende wenig oder nichts geſchrieben haben, Erwaͤh - nung zu thun.
Ein paar Tage nach meiner Ankunft in Turin verließ der Koͤnig mit der ſaͤmtlichen Hofſtatt die hie - ſige Reſidenz, um nach der Venerie zu ziehen. Die - ſer Auszug, der nach Art des hieſigen Hofes gar nichts außerordentliches hatte, ſondern nach der ge - woͤhnlichen Art geſchah, gab mir doch zu bemerken, daß dieſem Hofe eine feyerliche Pracht gewoͤhnlich iſt. Man ſah den groͤßten Theil der Einwohner auf den Gaſſen, wodurch der Zug gieng, und auf der Straße vor der Stadt, die nach der Venerie fuͤhret, zuſam - mengedraͤngt. Vor und neben und hinter jeder Car - roſſe, darin Perſonen vom koͤniglichen Hauſe fuhren, ſah man ein anſehnliches Geleite von Cavalieren,Stall -297von Nizza nach Deutſchland. Stallmeiſtern, Pagen und der koͤniglichen Leibwache, in vollem Staat zu Pferde. Der Zug gewann da - durch das Anſehen eines feſtlichen Aufzuges, ob er gleich nach der dieſem Hofe gewoͤhnlichen Art, ſich nach einem der Landſitze zu erheben, geſchah. Jch glaube hiebey bemerkt zu haben, daß das hieſige Volk großen Antheil an den gewoͤhnlichen Vergnuͤgungen des Hofes nimmt, und daß der Koͤnig das Zuſam - menlaufen des Volks bey ſolchen Gelegenheiten nicht ohne inniges Vergnuͤgen ſiehet.
Hierin wurde ich ein paar Tage nachher beſtaͤrkt, da der Koͤnig zu Bewillkommung des Hofes in der Venerie ein praͤchtiges Feuerwerk abbrennen ließ. Faſt ganz Turin war dahin gekommen, und auf dem Geſichte und in dem Betragen des Monarchen konnte man deutlich das Vergnuͤgen ſehen, mit dem derſelbe ſeinem Hof und ſeinem Volke dieſe Beluſtigung mach - te. Es war mitten im Garten, am Ende des Par - terre, und der an das Schloß gebauten ſehr langen Gallerie gerade gegenuͤber, ein ſehr breites und artiges Gebaͤude mit einem Thurm in der Mitte zur Haupt - ſcene dieſes Feuerwerks aufgefuͤhrt. Der Hof ſah es durch die Fenſter gedachter Gallerie; die Terraſſe vor der Gallerie und das ganze Parterre des Gartens war fuͤr die Zuſchauer aus der Stadt beſtimmt. Es mach - te einen ruͤhrenden Eindruck auf mich, den Koͤnig mit ſehr ſichtbarem Ausdruck des Vergnuͤgens im Geſichte zu ſehen, das ihm ſein zu einer Luſtbarkeit verſammel - tes Volk machte. Jch glaube bemerkt zu haben, daß nicht das Feuerwerk, ſondern die Luſt der Zuſchau - er den Monarchen vergnuͤgt machte.
T 5Vor298Tagebuch von der RuͤckreiſeVor dem Feuerwerke hatte ich die Ehre, durch den Marquis de[Brezé] dem Koͤnige vorgeſtellt zu werden; und auch dabey hatte ich Gelegenheit, von der ausnehmenden Guͤtigkeit geruͤhrt zu werden, wel - che den Hauptzug in dem Charakter dieſes Prinzen ausmacht. Se. Majeſtaͤt ließen ſich bis zu verbind - lichen Reden gegen mich herunter. Man wird wenig große Herren ſehen, deren Phyſiognomie zugleich ſo viel Verſtand, ſo viel Guͤtigkeit, und ſo viel innere Ruhe und Zufriedenheit anzeigen, wie die, welche dieſem Herrn eigen iſt.
Außer dieſen an einem Monarchen weit mehr als an andern Menſchen ſchaͤtzbaren Eigenſchaften, einem ſcharfen Verſtand, einer innigen Guͤte des Gemuͤths, und einem zufriedenen Herzen, beſitzt dieſer Koͤnig auch eine große Arbeitſamkeit, wodurch er in Stand geſetzt wird, nicht nur, zur allgemeinen Aufklaͤrung des Geiſtes und zur Kenntniß der Wiſſenſchaften, viel zu leſen, ſondern auch von allen zur Regierung gehoͤ - rigen Geſchaͤfften genaue Kenntniß zu nehmen. Nur Schade, daß ſo viel fuͤrtreffliche Eigenſchaften nicht mit etwas mehr Entſchloſſenheit verbunden ſind!
Das erwaͤhnte Feuerwerk war ſehr ſchoͤn, und nach einem wohl ausgedachten Plan in viele auf ein - ander folgende, gegen einander angenehm abſtechende, und ſehr deutlich charakteriſirte Scenen abgetheilt, wodurch es zu einem verſtaͤndlichen, nicht blos confu - ſes Geraͤuſch und fuͤrchterlichen Ausbruch des Feuers und des alles zerſtoͤrenden Pulvers anzeigenden Schau - ſpiel ward. Bey dieſer Gelegenheit war auch die ſchoͤ - ne lange Straße vor dem Schloſſe, und der großeMarkt -299von Nizza nach Deuſchland. Marktplatz am Ende derſelben mit Lampen ſehr ſchoͤn erleuchtet.
Von der Menge der Sachen, die ich in Turin geſehen, will ich nur, weil ich wenig Neues daruͤber zu ſagen haͤtte, das, was ich beſonders dabey ange - merkt habe, kurz anfuͤhren.
So ſchoͤn die Stadt uͤberhaupt iſt, und ſo lebhaftBemerkun - gen uͤber Turin. es in einigen Hauptſtraßen ausſieht, ſo ſiehet es hin - gegen in einigen ſchoͤnen und langen Straßen, die et - was von dem Mittelpunkt entfernt ſind, etwas todt aus; daher ich urtheile, daß die Stadt nach Maßge - bung ihrer Groͤße doch nicht ſehr volkreich iſt. Am ſtillſten ſind einige von den etwas entlegenen Straßen, darin einige Geſandte und andere Vornehme vom Adel wohnen, woraus allein ſchon abzunehmen, daß die Vornehmern hier nicht, wie etwa in andern Haupt - ſtaͤdten, ſich einer glaͤnzenden und Aufſehen machen - den Lebensart uͤberlaſſen. Dieſe iſt hier etwas ein - gezogen.
Die anſehnlichſten und groͤßten Haͤuſer des Adels, und auch die oͤffentlichen Gebaͤude, zeigen innerhalb mehr, als man nach dem aͤußerlichen Anſehen erwar - tete. Zwar ſind ſie auch von außen meiſt wohl ge - baut, viele davon ſehr anſehnlich und recht ſchoͤn; mehrere aber, die von außen blos als große, doch nur gemeine Haͤuſer in die Augen fallen, haben in - wendig ſchoͤne mit Saͤulengaͤngen umgebene Hoͤfe, große und mit Pracht angelegte Treppen, und wenig - ſtens einen uͤberaus hohen und großen praͤchtig ausge - ſchmuͤckten Saal.
Kleine Buͤrgerhaͤuſer ſind, außer in den von der alten Stadt noch ſtehenden Straßen, hier etwas ſel -tenes;300Tagebuch von der Ruͤckreiſetenes; die gemeinſten Haͤuſer ſind groß, hoch und ſehr maſſiv in Mauren von gebrannten Steinen. Der Hof hat ſich vorgeſetzt, die Stadt durchaus ſchoͤn zu machen. Es wird deswegen beſtaͤndig ſtark gebaut. Ganze Straßen werden niedergeriſſen, um ſogleich ſchoͤner wieder aufgebaut zu werden. Wer in einer ſolchen Straße ein Haus beſitzt, und entweder den Willen oder das Vermoͤgen nicht hat, es neu aufzu - bauen, muß es an einen, der es bauen will, verkau - fen. Das Eigenthum eines Hauſes wird hier, we - gen der ſtarken Miethgelder, die dafuͤr bezahlt wer - den, fuͤr das ſicherſte Capital gehalten.
Die Straßen ſind ziemlich reinlich; und ein Quartier der Stadt hat die Bequemlichkeit, daß die Straßen, vermittelſt einiger aus der Doire kommen - den Canaͤle, mit reinem durchfließenden und gleich wieder ablaufenden Waſſer koͤnnen abgeſpuͤlt werden; welches waͤhrend der Nacht geſchieht.
Ueber die oͤffentlichen Gebaͤude habe ich uͤber - haupt folgendes angemerkt. Die Kirchen zeigen durchgehends mehr Pracht und in die Augen fallenden Reichthum an Marmor, Vergoldungen und Aus - zierungen, als großen und reinen Geſchmack der Baukunſt. Jch habe keine einzige geſehen, die von außen von untadelhafter Bauart, innerhalb aber nicht mit architektoniſchen Zierrathen uͤberladen waͤre, und die das Auge gleich beym erſten Eintritt in Verwirrung ſetzen, eine einzige Capelle in dem großen Hoſpital aus - genommen, wovon ich hernach ſprechen werde. Ue - berhaupt fehlt es den hieſigen oͤffentlichen Gebaͤuden an der einfachen Majeſtaͤt und der ſtillen Groͤße, die denCha -301von Nizza nach Deutſchland. Charakter der oͤffentlichen Gebaͤude des Alterthums in den ſchoͤnſten Zeiten der Kunſt ausmachten.
Den Liebhabern der Baukunſt iſt der beſondere Geſchmack des beruͤhmten Pater Guarini bekannt, der hier ſo viel oͤffentliche Gebaͤude angegeben, und darin er immer etwas beſondres und außerordentliches angebracht hat. Er hatte ein großes Wohlgefallen an Gebaͤuden von beſonderer Kuͤhnheit, davon die große Theatinerkirche ein ſehr auffallendes Beyſpiel iſt, und von beſonderer Figur. Er war ein groͤßerer Liebhaber von krummen als von geraden Linien, wo - von man an dem Palaſte des Prinzen von Carignan beſondere und ganz widerſinnige Beyſpiele ſieht, da - von ich der Seltenheit wegen nur eines anfuͤh - ren will.
Die ſonſt praͤchtige Haupttreppe geht von zwey Seiten des Vorhauſes in die Hoͤhe. Beyde Trep - pen wenden ſich nicht nur uͤberhaupt in einem Bogen um, ſondern auch die Tritte ſelbſt ſind nach Bogen ausgeſchweift; die eine hat lauter auswaͤrts oder con - ver geſchweifte, die andere einwaͤrts oder concav aus - geſchnittene Stufen; und auf den erſten Blick ſcheinet es ſogar, daß die Stufen durchaus nicht gerade wa - gerecht geſtreckt, ſondern auf der einen dieſer Treppen in Form eines Gewoͤlbes erhoͤhet, an der andern als eine Mulde ausgehoͤhlt waͤren. Dergleichen Unge - reimtheiten liebte dieſer ſonſt erfindungsreiche und kuͤh - ne geiſtliche Baumeiſter.
Zwey ſich mehr an die Regeln bindende gute Bau - meiſter hat Turin an dem Abt Philipp Juvara und dem Chevalier Alfieri gehabt. Von dem erſten iſt die praͤchtige, aber doch zu reiche Faßade an dem Pa -laſte302Tagebuch von der Ruͤckreiſelaſte des Prinzen von Piemont, von dem andern der Opernſaal und die koͤnigliche Reitbahn, eines der vorzuͤglich guten Gebaͤude dieſer Stadt.
Ueberhaupt ſieht man an allen koͤniglichen Gebaͤu - den, in und um Turin, eher einen Ueberfluß, als Mangel von Aufwand. Das Gebaͤude der Univerſi - taͤt, die Hoſpitaͤler, das Zeughaus und das Gieß - haus, die Tabaks - und Papiermanufactur und die Superga ſind. Beweiſe davon. Alle dieſe Gebaͤu - de verdienen ſowohl wegen ihrer großen Anlagen, als wegen der guten Bauart und der fuͤrtrefflichen dazu gehoͤrigen Anſtalten, von einem Reiſenden beſucht zu werden.
Das große Hoſpital vom heil. Johannes iſt ein praͤchtiges Gebaͤude. Ohne mich in andere Dinge, die dazu gehoͤren, einzulaſſen, will ich nur der beyden großen Saͤle, darin die Kranken liegen, und der daran ſtoßenden ſchoͤnen Capelle gedenken. Dieſe beyden Saͤle liegen mitten in dieſem großen Gebaͤude uͤbereinander; ihre ins Kreuz gehende Form, und die Lage und Form der Capelle iſt aus nachſtehender Fi - gur zu ſehen.
Das303von Nizza nach Deutſchland.Das Kreuz ſtellt den innern Raum eines ſolchen Saales vor, in dem die raͤumlichen mit guten Vor - haͤngen verſehenen Betten in zwey Reihen laͤngſt den Mauern geſetzt ſind, ſo daß zwiſchen den zwey Reihen Betten noch ein weiter Raum mitten durch den Saal frey bleibet. Jn der Mitte des Saales ſteht ein Al - tar mit dem Crucifix, das jeder, der in einem dieſer Betten liegt, im Auge haben kann. Der am obern Ende gezeichnete Zirkel ſtellt die Capelle vor, in die man unmittelbar aus dem Saale hineintritt. Sie iſt zirkelrund, und eine Reihe im Zirkel herum geſetz -ter304Tagebuch von der Ruͤckreiſeter Saͤulen ſondert den mittlern Raum mit dem Al - tar, von dem an der Seite herumlaufenden Gange ab. Dieſer Gang iſt der Platz der aus dem untern Saal ſich in die Capelle verſammelnden Maͤnner; und auf einem aͤhnlichen daruͤber liegenden Gange oder ei - ner Gallerie verſammeln ſich die im obern Saale lie - genden Weiber zum Gottesdienſte.
Die Capelle iſt im reinſten und edelſten Geſchmack der Baukunſt angelegt. Die Saͤulen ſind von ſehr ſchoͤnem bunten gruͤnen Marmor, der dem Verde An - tico ſehr nahe kommt, und in Piemont ſelbſt gebro - chen wird*)Ein ſolcher gruͤner Marmor wird auch in den um die Stadt Granada liegenden Bergen gebrochen. S. Twiß Reiſe durch Spanien.. Der Baumeiſter dieſer ſchoͤnen Capel - le heißt Caſtelli, ein noch junger in Turin lebender Mann. Der verſtorbene Marquis de[Brezé], aͤl - terer Bruder des jetzigen Marquis, hat dieſe Capelle auf ſeine Koſten bauen laſſen. Weil er uͤber dem Bau geſtorben iſt, ſo iſt manches an der Cupel und an der innern Auszierung, das noch von Marmor haͤt - te ſeyn ſollen, nur von gebackenen Steinen und von Stuk gemacht worden.
Man zeigte mir in dieſem Hoſpital das Bette, darin unlaͤngſt der ungluͤckliche d'O, welcher im letz - ten Kriege Commendant in Glaz geweſen, geſtorben iſt. Dieſe beynahe unuͤberwindliche Feſtung kam durch ſeine Unvorſichtigkeit in die Haͤnde der oͤſterrei - chiſchen Truppen; der Commendant wurde hernach mit Ungnade entlaſſen, und gieng nach ſeinem Vater - lande, wo er ſein Leben in dieſer Armenanſtalt beſchloß.
Von305von Nizza nach Deutſchland.Von dem großen Armenhauſe, das den Namen der[Charité] hat, und von andern Reiſenden hinlaͤng - lich beſchrieben worden, will ich nur den einzigen Um - ſtand anmerken, daß unter den um die innere Hoͤhe herumlaufenden Saͤulengaͤngen die Bruſtbilder aller Wohlthaͤter dieſer Stiftung in Marmor, jeder in ei - ner kleinen Bilderblinde, aufgeſetzt ſind. An meh - rern Orten in Jtalien hat ſich dieſe gute Gewohnheit, verdiente Buͤrger auf dieſe Weiſe zu ehren, aus dem Alterthume erhalten, und iſt ſehr ſelten nach Norden, oder Weſten uͤber die Alpen weg gekommen.
Zu den Armenanſtalten kann man auch das rechnen, was hier L'albergo delle Virtù genennt wird. Jn einem großen dem Koͤnige gehoͤrigen Hauſe genießen verſchiedene Meiſter in Handwerken und Kuͤnſten freye Wohnung und andre Vortheile mit dem Bedinge, daß jeder einige arme Knaben umſonſt in die Lehre nimmt, und zu ſeiner Profeſſion anzieht. Ferner iſt auch in Turin eine andre Anſtalt von ganz beſonderer Art, darin arme junge Maͤdchen aufgenommen, und ſo lange es ihnen gefaͤllt unterhalten werden. Dieſes iſt eine Art von Arbeitshaus, dazu unter der vorigen Re - gierung eine Frauensperſon, la Signora Roſa, den Entwurf gemacht hat, zu deſſen Ausfuͤhrung ihr der verſtorbene Koͤnig betraͤchtliche Summen Geldes vorgeſchoſſen, auch hernach einige Gebaͤude geſchenkt hat. Gegenwaͤrtig iſt es ein großes und weitlaͤuftiges Werk. Eine große Anzahl armer Maͤdchen genießet da freyen Unterhalt in Nahrung, Kleidung, Woh - nung ꝛc. und wird unter der Anfuͤhrung einiger un - verheiratheten Frauensperſonen zu verſchiedenen wich - tigen Fabrikarbeiten angehalten.
UDie306Tagebuch von der RuͤckreiſeDie vornehmſte dieſer Arbeiten iſt eine ſehr betraͤcht - liche Wollenfabrik, darin allerley Arten von Tuͤchern und andern wollenen Zeugen, hauptſaͤchlich fuͤr die Armee des Koͤnigs, verfertiget werden. Alle Arbeit, außer das Faͤrben und die uͤbrigen letzten Zuruͤſtungen, wird von jungen Maͤdchen verrichtet. Jch habe ge - ſehen, daß zwey Kinder von 12 bis 14 Jahren ein Stuͤck einige Ellen breites Tuch auf einem Weberſtuh - le verfertigten. Die Arbeiten geſchehen in verſchiede - nen großen Saͤlen, in deren jedem eine betraͤchtliche Anzahl Arbeiterinnen ſind.
Außer den Wollenarbeiten wird auch Seide auf den bekannten Seidenmuͤhlen gezwirnt, gehaſpelt und zum Gebrauch in den Fabriken zurechte gemacht. Jn andern Zimmern werden geſtrickte Spitzen von Zwirn und andre dergleichen kleinere Arbeiten verfertiget.
Saͤmtliche Arbeiterinnen werden hier wie in ei - nem Waiſenhauſe, aber gut und reichlich unterhalten. Sie ſind aber wie in ein Kloſter eingeſchloſſen. Nie - mand kann in das beſtaͤndig verſchloſſen gehaltene Haus hinein, noch von da herauskommen, ohne die Ober - aufſeherinn, welche die Schluͤſſel bey ſich traͤgt. Mir hat die gute Policeyordnung dieſes Hauſes ſehr gefal - len. Die Arbeitsſaͤle ſind groß und wohl geluͤftet; die Schlafzimmer ſehr raͤumlich und ganz reinlich; und die Maͤdchen werden wohl geſpeiſet und ſehr gut in Kleidung unterhalten. Findet eine erwachſene Perſon Gelegenheit ſich zu verheirathen, ſo wird ſie ganz neu und ſehr gut gekleidet aus dem Hauſe entlaſſen.
An die weitlaͤuftigen Gebaͤude, worin dieſe Ar - beiterinnen verſchloſſen ſind, ſtoßen noch andere, wo die Tuͤcher und wollenen Zeuge durch Mannsperſonenvoͤllig307von Nizza nach Deutſchland. voͤllig fertig gemacht und in Magazinen aufbehalten werden. Aber alle Thuͤren zwiſchen dieſen und den andern Gebaͤuden ſind beſtaͤndig verſchloſſen, und koͤnnen nur durch die Oberaufſeherinn geoͤffnet werden.
Zu den oͤffentlichen Anſtalten gehoͤrt auch die Maler - und Bildhauerakademie, die aber nicht viel bedeutet. Neben derſelben iſt auch die koͤnigliche Ta - petenfabrik fuͤr haute et baſſe liſſe, darin in der That ganz fuͤrtreffliche Arbeiten von beyden Arten ge - macht werden.
Zuletzt will ich noch von der wichtigſten oͤffentli -Univerſitaͤt. chen Anſtalt, naͤmlich der Univerſitaͤt, und den damit verbundenen das Studiren betreffenden Anſtalten ſpre - chen. Von dem fuͤrtrefflichen Univerſitaͤtsgebaͤude, darin alle Lectionen gehalten werden, von dem dazu gehoͤrigen Muſeo und der Bibliothek werde ich nicht viel ſagen, weil dieſe Dinge von andern hinlaͤnglich beſchrieben worden. Jch werde mich hauptſaͤchlich bey der innern Einrichtung aufhalten, beſonders weil dieſelbe von den aͤhnlichen Anſtalten in Deutſchland ſehr verſchieden iſt.
Die Univerſitaͤt in Turin iſt der Mittelpunkt, von dem alle andere im Lande befindlichen oͤffentlichen weltlichen Erziehungsanſtalten ausgehen, und in dem ſie ſich wieder von allen Seiten her vereinigen, ſo daß alle Schulen und Gymnaſia ſaͤmtlicher Staaten des Koͤnigs auf dem feſten Lande, nur die Kloſterſchulen und die biſchoͤflichen Seminaria ausgenommen, mit der Univerſitaͤt in Verbindung ſtehen.
Alle zum Studiren gehoͤrigen Anſtalten durch das ganze Land ſtehen unter der Oberaufſicht und Regie - rung des Magiſtrato della Riforma, der vom Koͤ -U 2nig308Tagebuch von der Ruͤckreiſenig ernennet wird. Er beſteht aus dem Großkanzler, vier Riformatori, die anſehnliche koͤnigliche Raͤthe ſind, und einem Cenſore, denen noch ein Beyſitzer, der ein Rechtsgelehrter ſeyn muß, und ein Secretair zugeordnet ſind. Dieſes Collegium hat alſo die Ober - aufſicht und Regierung uͤber die Univerſitaͤt und alle andern weltlichen Schulen des Landes, und beſtellt auch in den Provinzen die beſondern Riformatori und Aufſeher der groͤßern und kleinern Provinzialalſchulen. Es beſetzt alle zu dieſen Anſtalten erforderlichen Stel - len und Aemter, und entſetzt auch von dieſen Stellen. Nur die Profeſſoren der Univerſitaͤt bekommen ihre Pa - tente von dem Koͤnige, und koͤnnen auch nur auf koͤ - niglichen Befehl entſetzt werden. Sie werden aber dem Koͤnig von dem Magiſtrato della Riforma vorgeſchlagen. Dieſer ſchreibet auch die beſondern Verordnungen uͤber alle Geſchaͤffte und Arbeiten, der koͤniglichen Fundamentalconſtitution gemaͤß, vor.
Allezeit nach drey Jahren uͤberreicht dieſes Colle - gium dem Koͤnig einen Bericht uͤber den allgemeinen Zuſtand der Erziehungsanſtalten, uͤber die darin ſich aͤußernden Maͤngel, und die darin etwa zu treffenden Hauptveraͤnderungen. Zu Anfang jedes akademi - ſchen Jahres, der auf den 3 November faͤllt, wird jeder Profeſſor der Univerſitaͤt vor dieſem Collegio aufs neue beeidigt, und muß beſonders auch darauf ſchwoͤ - ren, daß er in den vorkommenden Pruͤfungen der Can - didaten unpartheyiſch ſeyn, und keinem die Fragen und Ausarbeitungen, wodurch er gepruͤft wird, vor - her wolle zukommen laſſen.
Taͤglich muß einer der vier Riformatori ſich auf der Univerſitaͤt einfinden, um die eingehenden ſchriftli -chen309von Nizza nach Deutſchland. chen Klagen der Profeſſoren oder Studenten anzuneh - men, und um bey der Hand zu ſeyn, ſo oft es ihm beliebt in die Lectionen zu gehen, und ſowohl den oͤf - fentlichen als Privatpruͤfungen der Studirenden bey - zuwohnen.
Eine Hauptperſon bey dieſem Collegio iſt der Cen - ſor, der die naͤhere Aufſicht uͤber alle zur Univerſitaͤt gehoͤrige Perſonen hat, und von dem beſonders die Unterbedienten abhangen. Er muß taͤglich ſich auf der Univerſitaͤt einfinden, um uͤberall gute Ordnung zu erhalten; und an ihn muͤſſen alle Bittſchriften der Univerſitaͤtsverwandten eingereicht werden. Er unter - ſucht die Zeugniſſe, auf welche die jungen Leute aus den andern Schulen in die Univerſitaͤt ſuchen aufgenommen zu werden; desgleichen auch die Zeugniſſe, auf wel - che ein Student zum Examen zur Befoͤrderung in ei - ne andre Claſſe, oder zu einem akademiſchen Grade zugelaſſen werden ſoll. Jhm muß jaͤhrlich von den Profeſſoren ein Verzeichniß von den Studenten, wel - che die groͤßte Hoffnung von ſich geben, eingereicht werden. Dieſe Verzeichniſſe werden bey ihm aufbe - halten. Auch muß er dafuͤr ſorgen, daß die Regi - ſtratur der Univerſitaͤt in guter Ordnung gehalten wer - de, muß alljaͤhrlich die Verzeichniſſe der der Univerſi - taͤt gehoͤrigen Geraͤthſchaften, Jnſtrumente, des Muſei, der Anatomie, und des großen Krankenhau - ſes (Spedale di S. Gioanni), davon ich oben ge - ſprochen habe, nachſehen, und mit den wirklich vor - handenen Sachen vergleichen. Noch hat er die be - ſondere Aufſicht auf die Lehrer der untern Schulen der Hauptſtadt, und muß, ſo oft der Magiſtrato della Riforma es fuͤr gut findet, die Schulen in den Pro -U 3vin -310Tagebuch von der Ruͤckreiſevinzen viſitiren. Endlich muß er allen Verſammlun - gen beywohnen, welche die verſchiedenen Facultaͤten der Univerſitaͤt halten.
Der Aſſeſſor des Magiſtrats der Reforme, der alle drey Jahre abgeaͤndert wird, iſt einigermaßen der Juſtitiarius und Fiſcal der Univerſitaͤt. Er rich - tet in Civil - und geringern Criminalſachen. Auch die Klagen, welche die Univerſitaͤt, oder die gerin - gen Schulen gegen Leute, die Penſionen halten, ge - gen Hauswirthe, gegen Buchhaͤndler oder Kaufleute anbringen, kommen vor ihn. Von ſeinen Urtheilen kann nicht an das hoͤchſte Landesgericht appellirt werden, es ſey denn daß die ſtreitige Summe ſich uͤber 400 Lire beliefe. Jn ſchwerern Criminalfaͤllen kann er die Beklagten gefaͤnglich einſetzen laſſen; aber der Proceß wird durch den koͤniglichen Fiſcal bey dem hoͤchſten Landesgericht anhaͤngig gemacht.
Der Rector der Univerſitaͤt wird alljaͤhrlich von dem Koͤnige ſelbſt ernannt, nicht aus den Profeſſoren, ſondern aus den juͤngern Doctoren der drey Facultaͤ - ten. Zwoͤlf Beyſitzer der Facultaͤten (Conſiglieri,) welche von ſaͤmtlichen Studenten gewaͤhlt werden, ſchlagen dem Koͤnig vier Perſonen zum Rectorat vor, aus denen denn einer ernannt wird.
Der Rector hat die Matrikel, ſchlichtet alle klei - nen Haͤndel unter den Studenten, und bringt die Kla - ge gegen Strafbare an den Aſſeſſor. Um ein beſon - deres Auge auf die Studenten zu haben, muß er taͤg - lich Vor - und Nachmittags, außer in Ferien, ſich auf der Univerſitaͤt einfinden. Die zwoͤlf Aſſeſſoren oder Conſiglieri der Facultaͤten ſind ihm wegen derAuf -311von Nizza nach Deutſchland. Aufſicht auf die Studenten zu Gehuͤlfen gegeben. Von dieſen wird hernach das Naͤhere geſagt werden.
Die Profeſſoren ſind wie auf den deutſchen Uni - verſitaͤten in vier Facultaͤten eingetheilet. Nach einem 14jaͤhrigen Dienſte kann ein Profeſſor zum Veteran erklaͤrt werden, und genießt alsdenn ohne Arbeit die Haͤlfte ſeines Profeſſorgehalts. Fuͤr die Theologie ſind vier Profeſſoren beſtellt: einer fuͤr die Auslegung der heil. Schrift, zwey fuͤr die dogmatiſche Theologie, die nach der Lehre des heil. Thomas muß vorgetragen werden, und einer fuͤr die theologiſche Moral, oder vielmehr fuͤr die Gewiſſensfaͤlle. Fuͤr die medicini - ſche Facultaͤt ſind fuͤnf Profeſſoren; außer denen noch zwey fuͤr die Wundaͤrzte da ſind, und noch ein außer - ordentlicher von der letzten Claſſe, der zugleich Wund - arzt des großen Hoſpitals iſt.
So ſind auch fuͤnf Lehrſtellen in der Juriſtenfa - cultaͤt: eine fuͤr das canoniſche Recht, zwey fuͤr das buͤr - gerliche Recht, eine fuͤr die canoniſchen Jnſtitutionen, und einer fuͤr die Jnſtitutionen des Civilrechts.
Jn der philoſophiſchen Facultaͤt ſind ſieben Lehrer: ein Profeſſor der Logik und Metaphiſik, einer fuͤr die Experimentalphyſik, einer fuͤr die Moral, zwey fuͤr die Mathematik, einer fuͤr die lateiniſche, und einer fuͤr die italiaͤniſche Beredtſamkeit, welcher zugleich auch die griechiſche Sprache lehret.
Alle Lectionen werden oͤffentlich gehalten, in den Stunden, die jaͤhrlich in dem akademiſchen Kalender angezeiget werden. Dieſe Anzeige der Lectionen ver - fertigt der Secretair des Magiſtrato della Rifor - ma. Jeder Profeſſor hat fuͤnf Viertelſtunden Zeit fuͤr ſeine Lection, davon er drey zum Dictiren, und zweyU 4zur312Tagebuch von der Ruͤckreiſezur Erklaͤrung des Dictirten anwenden ſoll. Jeder muß ſeinen Curſum ſchriftlich aufſetzen, und wenn er ſelbſt Krankheit oder anderer Urſachen halber ſeine Lectionen nicht halten kann, ſo ſchickt er ſeine Papiere einem außerordentlichen oder andern Profeſſor, der die Lectionen fuͤr ihn haͤlt, und nach ſeinen Papieren ſie den Studenten dictirt. Die Curſus ſind nach der Weitlaͤuftigkeit der Materien verſchieden: z. E. der von der bibliſchen und dogmatiſchen Theologie iſt von 5 Jahren, andre ſind von 3, von 2 und von einem Jahre.
Kein Student wird aufgenommen, wenn er nicht mit gehoͤrigen Zeugniſſen von den Gymnaſiis verſehen iſt; und den Reformatoren liegt ob, zu verhindern, daß ganz arme und ſolche, die von ganz niedriger Ge - burt ſind, angenommen werden. Doch iſt deshalb fuͤr vorzuͤglich gute Koͤpfe ihnen eine Ausnahme zu ma - chen erlaubt. Jeder Student muß, um irgend ei - nen akademiſchen Grad, als Magiſter, Licentiat, Doctor, zu erhalten, die geſetzmaͤßige Zeit auf der Univerſitaͤt ſtudirt haben. Denjenigen, die auf Gym - naſiis der Provinzen ſchon einige zum Unterricht der Univerſitaͤt gehoͤrige Theile ſtudirt haben, werden ein paar Jahr dafuͤr erlaſſen.
Jede Facultaͤt macht einen beſondern Koͤrper der Univerſitaͤt aus, und aus deren Vereinigung erwaͤchſt das Ganze. Zu einem ſolchen Koͤrper gehoͤren erſt - lich die Profeſſoren derſelben Facultaͤt, dann noch dreyſ - ſig Doctoren, die erſt zwey Jahre, nachdem ſie den Gradum angenommen, ſich zur Aufnahme in die Fa - cultaͤt melden koͤnnen, und endlich die Studenten. Jedes dieſer vier Collegien der Facultaͤten hat ſeinenPrior313von Nizza nach Deutſchland. Prior und drey Raͤthe. Erſterer wird vom Koͤnige ſelbſt ernennt, die andern werden von den Studenten erwaͤhlt. Jede Facultaͤt kann beſondere Statute fuͤr ſich machen. Dem Prior jeder Facultaͤt liegt beſon - ders ob, darauf zu ſehen, daß die Geſetze in Anſe - hung ſeiner Facultaͤt genau beobachtet werden. Bey den verſchiedenen Pruͤfungen der Studenten hat er den Vorſitz; er ſetzt die Zeit der Pruͤfung an, ſchreibet die Materien dazu vor, und hat dabey beſonders Ach - tung zu geben, daß die Profeſſoren die Pruͤfung mit der erforderlichen Schaͤrfe anſtellen.
Endlich wird auch aus der mediciniſchen Facultaͤt das Protomedicat beſtellt: ein Collegium, welches die Oberaufſicht uͤber die Ausuͤbung der Arzney und Wundarzeneywiſſenſchaft hat, die Apotheken jaͤhrlich zweymal viſitirt u. ſ. f.
Jn den ſaͤmtlichen koͤniglichen Staaten kann ſich niemand als Baumeiſter oder Feldmeſſer brauchen laſ - ſen, der nicht auf der Univerſitaͤt die Mathematik ſtu - dirt, und nach ausgeſtandener Pruͤfung eine Beſtal - lung von dem Magiſtrat der Reforme bekommen hat. Auch darf bey ſchwerer Strafe keiner die Graͤn - zen ſeiner Kunſt uͤberſchreiten. Den Agrimenſori iſt nicht erlaubt die Geſchaͤffte der Miſuratori zu treiben, und dieſe duͤrfen ſich nicht mit Geſchaͤfften abgeben, die den Architetti zukommen.
Die zur Univerſitaͤt gehoͤrigen Perſonen genießen anſehnliche Vorrechte, unter andern auch dieſes beſon - dere, daß ihnen bey Vermiethung der Wohnungen allemal der Vorzug muß gelaſſen werden, wenn ſie eben die Miethe anbieten, die der vorige letzte Miether bezahlt hat.
U 5Je -314Tagebuch von der RuͤckreiſeJeder Profeſſor kann einmal eine Stelle in dem Collegio der Provinzen, von dem ich ſogleich ſprechen werde, vergeben, und der, welcher fuͤnf Jahr im Amte geſtanden hat, erlanget dadurch das Vorrecht, das ſonſt nur der Adel hat, ein Fideicommiß zu ſtif - ten. Dieſes Vorrecht erlangt auch der, welcher zehn Jahr lang Mitglied einer der Facultaͤten geweſen iſt.
Mit der Univerſitaͤt iſt auch das Collegium der Provinzialſtudenten verbunden: eine beſondere Stif - tung, die ihr eigenes anſehnliches Gebaͤude hat, darin ar - me Studenten aus den Provinzen frey unterhalten werden.
Die Conſtitutionen dieſer Univerſitaͤt haben mir merkwuͤrdig genug geduͤnkt, um hier angefuͤhrt zu wer - den. Sie ruͤhren groͤßtentheils von dem Koͤnig Vi - ctor Amadeus her; der letzt verſtorbene Koͤnig hat noch einiges darin veraͤndert und hinzugeſetzt, und im Jahr 1772 ſowohl die Conſtitutionen, als die be - ſondern Verordnungen des Magiſtrats der Reforme durch den Druck bekannt machen laſſen. Aus dem, was ich ſelbſt bey der Univerſitaͤt geſehen habe, urtheilte ich, daß die Geſetze ſtrenge beobachtet werden.
Mir gefaͤllt vorzuͤglich an dieſer Einrichtung, daß die Profeſſoren faſt aller Nebengeſchaͤffte entladen ſind, und alſo Zeit und Aufmerkſamkeit ganz allein auf ihre Lectionen verwenden koͤnnen. Sie ſind uͤbrigens ſo gut beſoldet, daß ſie ganz anſtaͤndig davon leben koͤnnen.
Von dem Muſeo und der Bibliothek haben an - dere Reiſende ſo viel geſchrieben, daß mir wenig dar - uͤber nachzuholen bleibt. Wegen des erſtern will ich nur anmerken, daß die wenigen alten Monumente, die aus den Ruinen der nicht vor langer Zeit entdeck - ten Stadt Jnduſtria hervorgezogen worden, in Ab -ſicht315von Nizza nach Deutſchland. ſicht auf die Vollkommenheit der Kunſt unter die vor - zuͤglichſten Ueberbleibſel des Alterthums zu rechnen ſind; nur Schade, daß es meiſt bloße Fragmente ſind. Unter dieſen ſind zwey von ehemals herrlichen Wer - ken. Ein kleines Bruchſtuͤck von einem Kopfe von gegoſſenem Metall, das die Naſe, die Augenbraunen und die Unterlippe enthaͤlt, und ohne Zweifel von ei - nem Jupiterskopfe von hohem Styl weit uͤber Le - bensgroͤße iſt. Das andere iſt ein Fuß von einem metallenen Pferde von großer Schoͤnheit in Lebens - groͤße. Fuͤr die aͤgyptiſchen Alterthuͤmer iſt bey dem Muſeo ein beſonderes Zimmer, darin die beruͤhmte Tabula iſiaca das Hauptſtuͤck iſt. Jn eben die - ſem Zimmer iſt eine weibliche Buͤſte von Baſalt, auf der einige Charaktere eingegraben ſind, die nach Des Guignes Meinung die Uebereinſtimmung der aͤgypti - ſchen Schrift mit der chineſiſchen beweiſen ſollen. Mir ſchien ſowohl die Arbeit an dieſer Buͤſte, beſonders aber die Art der Charaktere, das Alterthum dieſes Stuͤcks verdaͤchtig zu machen.
Fuͤr die Bibliothek ſind jaͤhrlich 2700 Lire be - ſtimmt. Jn einem beſondern