PRIMS Full-text transcription (HTML)
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DIE SCHICKSALE DER TRANSFUSION IM LETZTEN DECENNIUM.
REDE, GEHALTEN ZUR FEIER DES STIFTUNGSTAGES DER MILITÄR - ÄRZTLICHEN BILDUNGSANSTALTEN AM 2. AUGUST 1883
BERLIN1883. VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD 68 UNTER DEN LINDEN.
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Hochgeehrte Versammlung!

Zu allen Zeiten sind die Aerzte der Versuchung erlegen, ihre[Handlungen] von den Grundlagen ihres Wissens zu befreien und loszulösen, oder wenigstens weit über diese zu erheben. Heilmittel sind angewandt worden, ohne dass auch nur eine Spur von den durch sie im Organismus bewirkten Veränderungen bekannt gewesen wäre, und Operationen ausgeführt, ehe man von der Anatomie der Organe, in die man hineinschnitt, auch nur eine Ahnung hatte.

Indem die Thaten des Arztes dem ärztlichen Wissen vorauseilten, gestalteten sie sich grossartiger, als im Banne des Erkannten ihnen vergönnt und möglich gewesen wäre. Die Leistungen umwob nicht mit Unrecht der Nimbus des Wunders. Nicht anders geschieht es auch heute noch.

Wer da weiss, wie schwer es ist, im Reagensglase die Nährflüssigkeit vor dem Hineinfallen verunreinigender Hefezellen und Bacterien zu schützen, wird der nicht den Chirurgen bewundern, welcher durch Watte und Binden-Touren die Wunden seiner Patienten den Fäulniss - und Entzündungs-Erregern zu verschliessen meint, so sicher zu verschliessen, dass er keinen Anstand nimmt unter dem Schutze seiner Antiseptik eine probatorische Laparotomie oder eine Trepanation zur Unterstützung seiner Diagnose zu wagen?.

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Noch ist kein Verband erdacht und gemacht worden, unter dem es nicht von Microorganismen aus der Gruppe der pathogenen und inficirenden geradezu wimmelte, und doch ist eine Reihe glänzender Erfolge das Eigenthum eines jeden Chirurgen der Gegenwart.

Gegenüber dem alltäglichen Gegensatze zwischen dem, was wir zu können und dem, was wir zu wissen meinen, ist es vielleicht zeitgemäss daran zu erinnern, dass die chirurgische Kunst bleibend und dauernd noch keine Förderung erfahren und keinen Gewinn bewahrt hat, der nicht aus dem festen Bestande des biologischen Wissens ihr zugeflossen wäre. So oft wir über das Erkannte hinausgriffen, griffen wir auch fehl und bewegten uns so lange in der Irre, bis wir zu den Quellen unserer Kenntnisse wieder zurückkehrten und an ihnen unsere Irrthümer zurechtstellten.

Es sei mir erlaubt diese Erfahrung heute an dem Beispiele einer Operation zu erläutern, welche noch vor wenig Jahren als die bedeutendste und wichtigste der modernen Chirurgie gepriesen wurde, welche eine neue Aera in der gesammten Medicin inauguriren sollte und auf den Verbandplätzen berufen schien, mehr als jede andere das fliehende Leben des Verwundeten zu erhalten es ist das die Operation der Ueberführung des Blutes in das Gefässsystem eines Kranken: Die Operation der Transfusion.

Mehr als ein Jahrhundert vor der Entdeckung des Kreislaufs lag Papst Innocenz VIII. im Sterben. Ganz allmählig erlosch ihm das Leben, indem er von Tag zu Tage hinfälliger und matter wurde. Da kamen seine Aerzte5 auf dieselbe Idee, welche Ovid der Medea eingiebt, um Jasons alternden Vater zu verjüngen, indem er die Zauberin sagen lässt:

Veteremque haurite cruorem Ut repleam vacuas juvenili sanguine venas!

Mit jugendlichem Blute sollten auch hier die leeren Adern des erschöpften Greises gefüllt werden. Drei römische Knaben gaben ihr frisches Blut dazu her, welches in die Venen des Hohen Priesters erfolglos geleitet wurde, denn aus seiner Lethargie erwachte der Kranke nicht mehr. Noch ehe man eine Vorstellung davon hatte, wie das Blut im Körper rinnt und fliesst, noch ehe man in Erfahrung gebracht, wohin sein Strom zu richten, hatte man durch eine kühne That ihn in ein neues Bett zu zwingen gesucht.

Wie noch heute der Sprachgebrauch Blut statt Leib, Leben, Geist und Seele setzt, so sah man, je weniger man vom Blute wusste, um so mehr in ihm die Kraft, welche alle und jede Eigenthümlichkeit wie Aeusserung des Lebens bestimmt und schafft. Was Wunder daher, dass noch im 17. Jahrhunderte nicht einzelne, sondern ganze gelehrte Körperschaften und Collegien sich mit der Frage befassten, ob ein Hund Wolle und Hörner nach der Einführung von Schafblut bekäme, ob die Gesinnung eines Leicht - und Heissblütigen durch das fromme und unschuldige Blut des Lammes gebessert werden könne!

Zu diesen fabelhaften Zwecken hat man noch im 18. Jahrhunderte transfundirt, so dass eigentlich von der Medea bis zu den Zeiten Friedrichs des Grossen, wo Mackenzie1)) meinte, die Operation könne durch ihre6 verjüngende Kraft das Leben der Menschen verlängern, die Transfusionslehre nicht wesentlich gefördert worden ist. Ein bestimmter Heilzweck, eine am Krankenbette erreichbare Aufgabe war ihr nicht gestellt worden.

Die transcendentalen Vorstellungen von der Eigenschaft des Blutes mussten beseitigt und die Scheu vor dem dämonischen Safte überwunden sein, ehe die Operation der Transfusion wieder Aufnahme finden, ja im Laufe unseres Jahrhunderts gewissermassen zum zweiten Male erfunden werden konnte. Dazu trug nach Harvey's Entdeckung in erster Stelle das durch sie so glänzend inaugurirte Thierexperiment bei und dann die Zunahme der chirurgischen Sicherheit im Operiren, welche lediglich im Beherrschen der Blutung, im Haushalten aber auch im Schalten und Walten mit dem Blute begründet war.

Gleichsam eine Probe der Lehre vom Kreislaufe war die Ueberführung des Blutes eines Thieres in das Gefässsystem eines anderen. Ein solcher Austausch ist, nach dem Vorgange Lower's2) im vorigen Jahrhunderte mehrfach ausgeführt worden und hat die Thatsache festgestellt, dass ein Thier, welches durch Eröffnung seiner Arterien nahezu verblutet ist, durch Ueberleitung des Blutes aus der Arterie eines anderen Thieres wieder zum Leben gebracht werden kann.

Dass die am Thiere gewonnene Erfahrung auch für den Menschen zutreffend sei, behaupteten Richter wie Hufeland und suchte durch eine Schrift, die alle bezüglichen Erfahrungen in seltener Ausführlichkeit und Vollständigkeit wiedergab, der dänische Arzt Scheel3) in den7 ersten Jahren dieses Jahrhunderts darzulegen. Seitdem sind allerdings Transfusionen überall und unter den mannigfachsten Indicationen ausgeführt worden, allein immer nur selten, hier einmal und dort einmal, bis erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Frequenz der Operation zu ausserordentlicher Höhe stieg.

Da aus den Experimenten der Physiologen nur eines zur Zeit sich ergeben hatte, die Thatsache, dass die Ueberführung von Blut ein durch jähen Blutverlust bedrohtes Leben retten könne, sollte man meinen, dass auch nur bei drohender Verblutung die Operation in Gebrauch gezogen worden wäre. Allein die Fälle aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts beziehen sich viel mehr auf Krankheiten der verschiedensten Organe, die man durch eine Transfusion zu heilen versuchte, als auf Blutverluste, welche durch Zuleitung neuen Blutes an Stelle des verloren gegangenen ersetzt werden sollten. Fälle von Nieren -, Lungen -, Magen-Krankheiten, von Pyämie, Typhus, namentlich aber Cholera überwiegen jene ganz bedeutend. Die Aerzte bewegten sich nicht im Kreise des Erkannten, sondern traten mit Vorliebe über denselben hinaus. Unter solchen Verhältnissen häuften sich die Misserfolge, bis erst dann die Operation an Verbreitung und Popularität gewann, als am Ende der 50er Jahre Martin4) seine durchschlagenden Erfolge in Behandlung der durch Blutverluste erschöpften Wöchnerinnen bekannt gab. Nun folgten sich die glücklichen Fälle Schlag auf Schlag, so dass etwa vor 10 Jahren die Transfusion ihre Blüthezeit erreichte und als eine Panacea dastand, die fast in allen Krankheiten,8 besonders aber den chirurgischen, berufen schien, dem Arzte wie Patienten die Unsterblichkeit zu bringen. Begeistert ruft einer ihrer Lobredner aus: "Die Thierblut-Transfusion hat in der Medicin eine neue Aera, die blutspendende geschaffen"5) und ein anderer sieht in ihr diejenige Operation, die der Kriegschirurg vor allen Dingen sich zu eigen machen solle, die wichtiger fast als die Gefässligatur auf den Verbandplätzen geworden sei! 6)Ja in demselben Jahre, da diese Bekenntnisse niedergeschrieben werden, folgt im Congresse deutscher Chirurgen hierselbst ein Vortrag über den Nutzen und die Herrlichkeit der Transfusion dem anderen. Es war, wie ein vielfach citirter Autor auf dem Gebiete der interessanten Tagesfrage sagte, leicht der Prophet zu sein, welcher dieser Operation einen Triumphzug durch die Hospitäler, wie noch keiner anderen und ein unerschütterlich dauerndes Bürgerrecht in der Chirurgie voraussagte. 7)

Wie wenig hat sich diese Prophezeiung erfüllt und bewahrheitet! Noch sind nicht 10 Jahre über sie dahingegangen und in Deutschland, wie in England ist die Begeisterung verraucht, stehen die Transfusionsapparate stille und sind die Reihen unzweifelhafter Indicationen eine nach der andern gelichtet. Man beginnt sich von den überspannten Erwartungen zu erholen und darauf zu besinnen, wie wenig Grund und Boden man zur Construction seiner kühnen Entwürfe wirklich besass.

Die Kenntnisse über die Bedeutung eines Blutverlustes und das Geschehen und Leben im Blute sind im letzten Decennium grösser geworden, mit ihnen aber wuchs die9 Einsicht in die Irrthümer, welche der Transfusion zur Unterlage gedient hatten.

Man war davon ausgegangen, dass bei jeder Blutung die Gefahr aus dem Verluste an rothen Blutkörperchen, den Trägern des Sauerstoffs erwüchse und erstünde, so dass, folgerichtig, diese dem bedrohten Organismus als das belebende Princip desselben zugeführt werden müssten.

Zunächst hat sich diese Voraussetzung als irrig erwiesen. Bei dem Tode durch Verblutung in Folge der Verletzung eines grösseren Blutgefässes, welche ja den Feldarzt vorzugsweise beschäftigt, tritt der Tod zu einer Zeit schon ein, wo der Körper noch über einen zum Leben ausreichenden Vorrath von rothen Blutkörperchen verfügt. Das ist erst im letzten Jahrzehnde durch einen kaum anstreitbaren Thierversuch bewiesen worden, einen Versuch, dessen Wiederholung unschwer ist und so unserer eigenen Anschauung die wichtige Thatsache zugänglich macht8). Bei einem starken und plötzlichen Blutverluste sinkt der arterielle Blutdruck nach einer gewissen Zeit allemal so tief, dass dadurch die Bewegung des Gefässinhalts aufgehoben wird. Das Herz arbeitet noch fort, aber seine Arbeit ist wirkungslos; es gleicht einer leeren Pumpe, es hebt und treibt nicht mehr die Blutsäule, deren Spannungsdifferenzen in den verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems aufgehört haben. Würde das Quantum Blut, welches das Gefässrohr noch birgt, wieder in Bewegung gesetzt werden, so würde es ausreichen, die Ernährung der Organe und die Erhaltung des Organismus zu besorgen. Desswegen genügt in solchen Fällen, wie Kronecker zuerst geschlossen10 und gezeigt hat, eine einfache Infusion einer Kochsalzlösung, um das Leben zu wahren und zu retten. Der Gefässinhalt wird durch sie vermehrt, eine Vermehrung, die den intravasculären Druck steigert und der Arbeit des Herzens wieder Erfolg und Wirkung schafft. Wir verstehen jetzt, warum in so vielen Fällen die Transfusion lebensrettend geworden ist, warum Lower und Boyle's grundlegender Versuch mit der Ueberführung von Blut in die Adern eines verbluteten Hundes denselben wieder in's Leben zurückrief. Die Füllung der elastischen Röhren des Gefässsystems bis zu einer gewissen Spannungshöhe war hierzu erforderlich und wurde von dem übergeleiteten Blute ebenso besorgt, wie sie von jeder anderen in gleicher Weise injicirten und relativ indifferenten Flüssigkeit zu Wege gebracht worden wäre.

Nicht in dieser, sondern in ganz anderer Weise, wie wir eben gesehen haben, war aber die lebensrettende Wirkung der Transfusion erklärt worden. Indem man annahm, dass es bei ihr nur darauf ankäme, neue respiratorische Substanz, neue Träger des Sauerstoffs in Gestalt der infundirten, rothen Blutkörperchen dem gefährdeten Organismus zuzuführen, machte man ohne Weiteres die Voraussetzung, dass die Blutkörperchen eines Individuum in den Gefässbahnen eines anderen fortzuexistiren vermöchten, mit anderen Worten, man nahm ihre Transplantation als eine ausgemachte Thatsache an.

Das Wiederaufblühen der Transfusion fällt allerdings zusammen mit den Versuchen durch Ueberpflanzung eines Gewebsstücks in gleichartige oder ungleichartige Gewebe,11 die Heilung und den Ersatz von Verlusten allerlei Art zu bewirken.

Namentlich unterstützten die Ergebnisse der Reverdinschen Hauttransplantationen die Idee, lebendes, für viele Minuten, ja selbst Stunden von seinem Boden abgetrenntes und aus aller Verbindung mit dem übrigen Organismus gesetztes Gewebe wieder zur Fortexistenz und Anheilung an fremder Stelle zu bringen.

Warum sollten, wie die Epithelzellen in den Reverdinschen Hautstückchen nicht sich auch die rothen Blutkörperchen im Kreislaufe des Blutempfängers verhalten? Man brauchte zu solcher Supposition nur zu vergessen, dass die Epithelzellen im Rete Malpighii mit einer auffällig hohen Lebensenergie begabt sind, welche sie Tage lang ihre Existenz bewahren lässt, während die rothen Blutkörperchen ein ausserordentlich hinfälliges Gebilde vorstellen man brauchte bloss davon abzusehen, dass zum Haften der Epithelzellen es einer besonderen Vorbereitung des Bodens, auf den sie gepfropft werden sollten, bedurfte, seine Verwandlung nämlich in eine gefässreiche Granulationsschicht, während bei der Transplantation der rothen Blutkörperchen der Nährboden, d. h. der Rest des Blutes in den Gefässen des Erschöpften und Kranken eher eine Minderung als eine Mehrung seiner Productionsfähigkeit erfahren hatte. Das alles vernachlässigte man ohne Weiteres und unterdrückte gegenüber dem Erfolge der Wiederbelebung alle jene Bedenken. Der Erfolg, freilich nur dieser allein, leistete Bürgschaft für die Fort-Existenz und das Fort-Functioniren der übergeleiteten Blutkörperchen. Mit dem12 Erfolge gab man sich zufrieden, er war so ausreichend, so sicher, dass ihm gegenüber eine wissenschaftliche Controle durch etwaige Zählungen der Blutkörperchen vor und nach der Operation unnütz schien. Allerdings stand es auch mit den Zählungen in den verflossenen Decennien misslich, erst vor 10 Jahren hat ja die Methode von Malassez dadurch, dass sie bloss eine minime Quantität Blut zur Bestimmung der Zahl der Blutkörperchen in Anspruch nahm, diese Controle möglich gemacht. Als man vor kaum zwei Jahren mit dem verbesserten Apparate von Thoma und Zeiss zu zählen begann, stellte sich ein ganz anderes als das erwartete Resultat heraus. Nach jedem grösseren Blutverluste sinkt die anfänglich nach demselben vorhandene Zahl der rothen Blutkörperchen noch weiter und zwar eine gewisse Zeit hindurch um ein nicht unerhebliches9). Es dauert also der Verlust, trotzdem die Blutung aufgehört hat, noch weiter fort, offenbar durch Einwirkungen, die jetzt innerhalb der Blutbahn sich geltend machen. Nach den Transfusionen so grosser Blutmengen, wie sich Worm-Müller und Lesser in ihren Experimenten bedienten, erschienen allerdings die Blutkörperchen vermehrt, allein nur für sehr kurze Zeit, bald schon sank ihre Zahl und zwar schnell, während der Harnstoff und Kali-Gehalt des Urins und die Tiefe seiner Färbung stiegen, ein Zeichen vom Zugrundegehen der im Uebermaasse zugeführten Elemente.

Die erste Erschütterung erfuhr die Lehre von der Transfusion indessen nicht durch diese Zählungen, sondern durch die Ergebnisse der directen Ueberleitungen von Thierblut,13 welche gestützt auf die staunenswerthen Kuren Hasse's ein Lieblingsmittel der Aerzte geworden waren und aller Orten ihre Wiederholung fanden. Es ist kaum glaublich, wie zäh man noch bis zum Schlusse des eben verflossenen Jahrzehends an ihnen hing, obgleich schon die ersten Fälle, in denen sie zur Anwendung kamen, uns hätten von ihrer Gefährlichkeit und Schädlichkeit überzeugen sollen. Jedesmal nämlich nach diesen Transfusionen mit Lamm - oder Hundeblut folgte bei den Patienten ein Schüttelfrost mit viele Stunden anhaltender Temperaturerhöhung und Entleerung eines Blutfarbstoff enthaltenden Urins10). Von beiden Erscheinungen wissen wir jetzt, was damals nur von der Hämaglobinurie bekannt war, dass sie Folgen der Auflösung von Blutkörperchen innerhalb des kreisenden Blutes sind.

Kaum vermögen wir heute, nachdem doch so wenig Jahre erst darüber hingegangen sind, zu verstehen, wie man sich über die Beobachtung so schwerer Störungen und über die schon von Panum gebrachten Erfahrungen, von der Gefährlichkeit der Transfusion mit fremdartigem Blute hinwegsetzen konnte, einzig und allein desswegen, weil eine und die andere Lammbluttransfusion erfolgreich schien, oder richtiger und genauer ausgedrückt, den ihr unterworfenen Patienten gerade nicht umgebracht hatte. An der Geschichte dieser Transfusionen kann man lernen, wie wenig Werth ein ärztlicher Erfolg dann hat, wenn er unvermittelt dasteht, unerkannt, und unverstanden in seinen Bedingungen und seinem Zusammenhange, ungestützt von den allein sicheren Grundlagen unseres physiologischen Wissens!

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Die schädlichen Wirkungen eines ungleichartigen, d. h. einer andern Thier-Species entnommenen Blutes bei der Transfusion, welche schon Prevost und Dumas gezeigt hatten, bezog man nur auf die ungleiche Grösse der Blutkörperchen verschiedener Thier-Gattungen. Da die Blutkörperchen des Schaafes kleiner als die des Menschen waren, hielt man das Schaafblut für unschädlich. Es ist Ponfick's Verdienst, das Unrichtige in dieser Annahme gezeigt zu haben. [11)] Nicht mechanische Momente, wie die verschiedene Grösse der Blutkörperchen, sind es, welche das ungleichartige Blut so schädlich machen, sondern noch andere und wichtigere Dinge, chemische Wirkungen, die bei einer gewissen Grösse der Dosis allemal das Schaafblut zum tödtlichen Gifte für den Hund und vice versa das des Hundes für das Schaaf machen. Etwas von der alten speculativen Weise der naturphilosophischen Medicin klingt in dem Schlussworte wieder: "fremdartiges Blut ist schädlich, eigenartiges nicht." Man hätte einfach weiter zu fragen gehabt, worin besteht denn die Bösartigkeit des fremden Blutes? Als endlich die Antwort auf diese Frage gefun -[den] war, verschwand die Transfusion aus dem Schatze der chirurgischen Heilmittel. Der Boden war ihr entzogen worden.

Schon lange bevor Panum die Transfusion mit defibrinirtem Blute den Aerzten zur Pflicht gemacht hatte, fand Magendie12) bei seinen Thierexperimenten, dass die Injectionen mit dem Filtrate geschlagenen Blutes ganz bestimmte, krankhafte Störungen zur Folge15 haben: beschleunigtes Athmen, Diarrhoe mit Tenesmen, blutige Ausschwitzungen in die Peritonealhöhle, den Herzbeutel und die Pleurasäcke. Er warnte in Folge dessen vor der Benutzung des defibrinirten Blutes und hielt den Faserstoff, den er vorgebildet und gelöst im Blute sich dachte, für nothwendig zu einer erfolgreichen Transfusion. Dass ihm die Aerzte nicht folgten, ist begreiflich, weil die Entstehung von Gerinnseln in den Spritzen und Canülen ja jederzeit die Hauptgefahr einer directen Transfusion vorstellte und im Laufe der Zeit Virchow's grundlegende Arbeiten über die Thrombose und Embolie diese Gefahr nicht mehr übersehen, oder auch nur unterschätzen liessen. Sie ist noch im Augenblicke ein Hauptgrund gegen die allein zulässige Form der Transfusion, die mit ganzem, unberührtem Menschenblute.

Magendie's schlimmen Erfahrungen mit dem defibrinirten Blute suchte man ihre Bedeutung abzusprechen, indem man zunächst wieder behauptete, er habe zur Transfusion das Blut von Thieren gewählt, deren Blutkörperchen grösser gewesen wären, als die seiner blutempfangenden Thiere, und als diese Unterschiebung sich nicht halten liess, meinte, die Mengen, welche er übergeführt, seien so grosse gewesen, dass er eine Plethora universalis erzeugt habe, welche der Diarrhoeen und wässerigen Ausscheidungen Ursache geworden sei. Jetzt weiss man, aber auch erst seit kaum 10 Jahren, durch Worm-Müller's und anderer Messungen des Blutdrucks bei experimentell erzeugter Plethora, dass die gefürchtete Blutdrucksteigerung, die bedenklich erhöhte Spannung im Aortensystem gar nicht16 eintritt. Innerhalb weiter Grenzen accomodirt sich das Gefässsystem seinem vermehrten Inhalte und passt sich einer enormen Füllung ohne Drucksteigerung und darum auch ohne ihre[Consequenzen] ausreichend an.

Wieder sind wir an einen Punkt gelangt, welcher uns zwingt, daran zu erinnern, wie sehr man immer in der Transfusionsfrage bereit gewesen ist, dem Standpunkte seines Wissens voranzueilen. Die Construction einer Plethora vera mit enorm erhöhtem Blutdrucke nach den Transfusionen gab Veranlassung in gewissen Krankheiten der Operation einen depletorischen Aderlass voranzuschicken. Ja die Heilung der Septicämie strebte man dadurch an, dass man recht viel Blut dem Septischen abzapfte, um es durch das neue, vom gesunden, blutspendenden Individuum zu ersetzen. Heute können wir beweisen, dass durch diese Art des Operirens dem Kranken ein zweifacher Schaden zugefügt wird, durch den Aderlass nämlich und durch die Transfusion. Fast unmittelbar nach diesem unglücklichen Vorschlage, der den tödtlichen Ausgang in einer - Reihe von Septicämie-Fällen wesentlich beschleunigt hat, wurde die Nicht-Existenz einer Blutdruck steigernden Plethora artificialis nachgewiesen!

Weder von der globulösen Embolie und Stase, die der Injection zu voluminöser und sich zusammenballender Blutkörperchen folgen sollte, noch von dem gesteigerten Blutdrucke waren die Fieberbewegungen, die Hämaturie, die Diarrhoeen und Transsudate an den der Thierblut-Transfusion Unterworfenen abhängig. Man musste in der Erkenntniss der Gerinnungsvorgänge innerhalb des kreisenden17 Blutes erst einen Schritt vorwärts gethan haben, um die Ursache dieser Störungen in Erfahrung zu bringen. Das Verdienst hierfür darf ich einem meiner besten, leider sehr früh verstorbenen Schüler Armin Köhler zuschreiben. Köhler13) zeigte zuerst an Kaninchen, dass nicht bloss fremdartiges, sondern auch eigenartiges, das den Kaninchen zuerst durch einen Aderlass entzogene, dann entfaserte und wieder in die Gefässe zurückgebrachte Blut in gleichem Sinne störend, schädlich und giftig, wie das fremdartige Blut wirkt. Durch sein eigenes Blut wurde das Thier getödtet. Der anfangs bestrittene Versuch ist jetzt so oft wiederholt worden, dass Cohnheim von ihm sagte: "Jeder, welcher ihn gesehen hat, wird fortan lebhaftes Bedenken tragen, die Infusion von Blut, in dem schon eine Coagulation stattgefunden hat, für einen unschuldigen Eingriff zu halten. 14)Man braucht einem Kaninchen bloss 10 12 ccm Blut aus einer Carotis zu entziehen, dasselbe gerinnen zu lassen und das Gerinnsel zwischen Leinwand auszupressen. Filtrirt man das Ausgepresste und bringt etwa 5 6 ccm davon langsam wieder zurück, demselben Thiere in seine Jugularvene oder noch besser als arterielle Transfusion in die Art. femoralis, so verendet das Thier noch während der Operation oder sehr bald nach dem Versuche. Es endet an ausgedehnten Gerinnungen in seinem kleinen Kreislaufe. Eröffnet man sofort nach eingetretenem Tode die Brust, so findet man das Herz voll von zähen, verfilzten Gerinnseln und die gesammte Verästelung der Pulmonalarterie prall und strotzend mit rothen Thromben erfüllt, die man bis in18 die kleinsten Verzweigungen der Gefässe verfolgen kann.

Das Ergebniss dieses Versuches ist die Consequenz der Schmidt'schen Gerinnungstheorie. Im[defibrinirten] Blute finden sich die fibrinoplastische Substanz und das Fibrinferment frei, werden sie in diesem Zustande ins Blut gebracht, so bewirken sie auch innerhalb der Blutbahn, im noch kreisenden Inhalte der Gefässe die Gerinnung. Wol gebietet der Organismus über eine, wie es scheint, recht wirksame Reihe von Vorrichtungen, die diese intravitale Gerinnung im Gefässbaume hindern. Allein, wie jede solche Einrichtung erweist sich auch diese wirksam bloss innerhalb gewisser Grenzen. Wird das Quantum Injectionsflüssigkeit, dessen Einfluss auf das Blut aufgehoben werden soll, zu gross, so tritt trotz der Gegenarbeit des Organismus doch die Gerinnung schon intra vitam ein und das Blut erstarrt in den Adern.

Die Köhler'schen Versuche und ihre Fortführung haben aber noch mehr ergeben. Alles, was innerhalb der Blutbahn die Blutkörperchen und zwar in erster Stelle die weissen zerstört, macht die Fibringeneratoren frei, schafft einen vitalen Fermentgehalt im Blute und bewirkt weiterhin zweierlei: bei massenhafter und höchst acuter Auflösung der Blutkörperchen die Gerinnung im Kreislaufe, bei geringerer, weniger intensiver und umfangreicher Zerstörung bloss eine Blutdecomposition, mit welcher der Organismus noch fertig werden kann, die er überwindet, jedoch nur unter Aeusserung eines bestimmten Krankheitsbildes, jenes Symptomencomplexes, den schon Magendie19 als typisch für die Transfusion mit defibrinirtem, Panum für die mit fremdartigem Blute schilderte und welche Köhler mit gutem, von ihm[ erstrittenen] Rechte "Fermentintoxication" nennt.

Man braucht nur das Schmidt'sche Blutferment,15) oder wie ich mit Angerser16) das gethan habe, reines Pepsin und Pancreatin in die Arterie oder Vene eines Thieres in grossen Dosen zu spritzen, um die Auflösung der Blutkörperchen in ihnen zu bewerkstelligen und dann genau nach der angewandten Dosis des Ferments bald leichte, schnell vorübergehende, bald schwere, lang dauernde, bald tödtlich endende Krankheitserscheinungen zu erzeugen. Nun wird es begreiflich, warum unter allen Blutarten das defibrinirte Rinderblut am schlimmsten wirkt und die schwersten Störungen nach seiner Transfusion zur Folge hat, denn sein Serum besitzt, wie Schmidt gezeigt, den relativ höchsten Fermentgehalt. 17)In keinem Blute, in dem ausserhalb des Körpers eine Gerinnung und Entfaserung zu Stande gekommen, fehlt dieses Ferment, es ist in jedem vorhanden. Desswegen wird bei jeder Transfusion mit defibrinirtem Blute ein Gift, ein die Blutkörperchen treffendes und zerstörendes in die Blutbahn gebracht. Der einer solchen Operation Unterworfene wird durch sie krank gemacht und war er früher bereits krank, so fügte der Eingriff zu der schon bestehenden noch eine zweite und neue Krankheit. Glücklicher Weise besitzt der Organismus die Möglichkeit und Fähigkeit, mit der ihm beigebrachten Noxe fertig zu werden. Das Fieber aber, an dem er in Folge der seinem Blute zugefügten Störung20 leidet und das, wie die Enthusiasten der Transfusion versichern10), regelmässig sich im Gefühle der Wärmeerhöhung und des Schüttelfrostes offenbart, dieses Fieber ist die unausbleibliche Antwort des Organismus auf den Eingriff, durch welchen man ihn zu heilen, ja wie oft sogar zu entfiebern18) versucht hat.

Wir Chirurgen sind heut zu Tage daran gewöhnt, alle Wundkrankheiten von Schädlichkeiten und Keimen abzuleiten, die ausserhalb des kranken Organismus entstanden, also von aussen auch an ihn getreten sind. In der Fermentintoxication haben wir es aber mit der Wirkung eines Stoffes zu thun, der innerhalb des betreffenden Organismus, mitten in seinem Blute sich bildete, geliefert, allein von den Producten der Auflösung seiner eigensten Bestandtheile, seiner Blutkörperchen.

Im flüssigen Gewebe, das als Blut in unseren Adern kreist, sind auch die Zellen die "Mittelpunkte seiner Thätigkeit" und ist ihre Veränderung das, was die Krankheit[vorstellt], ein richtiges Blutleiden, ein solches aber kann nicht ohne Einfluss auf den Zustand aller Organe und aller übrigen Gewebe des Körpers bleiben. Die grosse Beweglichkeit, die Mannigfaltigkeit, Veränderlichkeit und Hinfälligkeit der Blutzellen machen sie zu leicht erkrankenden Gebilden und stellen in gewissem Sinne wenigstens eine Hämatopathologie wieder her.

Aber der Gedanke führt mich zu weit. Meine Absicht war es bloss zu zeigen, in welchem Sinne jede Transfusion mit defibrinirtem Blute, auch dem der gleichen Thierspecies, insbesondere also mit defibrinirtem21 Menschenblute schädlich wird und jedesmal schädlich werden muss. So oft durch die Transfusion ein Verblutender gerettet worden ist, geschah das, weil die eingespritzte Flüssigkeit durch Spannung der Gefässwände in die stockende Blutsäule wieder Bewegung brachte, nicht aber weil neue Blutkörperchen zur Wiederaufnahme der gefährdeten respiratorischen Thätigkeit des Blutes in den Kreislauf gebracht worden waren. Im Gegentheile, diese wurden in ihrem Bestande durch die Operation, welche sie mehren sollte, geradezu erschüttert. Wir wandten allemal ein sehr bedenkliches Mittel an und nur, weil wir es meist in sehr kleiner Doses anwandten, hielten es unsere noch widerstandsfähigen Patienten aus und überwanden mit dem alten auch noch den neuen Schaden, den wir ihnen zugefügt hatten.

Wo die Gaben grösser waren, wo wir wegen fieberhafter Krankheiten, so z. B. der Septicämie transfundirten, da gossen wir Oel ins Feuer. Schon der vorausgeschickte depletorische Aderlass steigerte den vitalen Gehalt des Blutes an Fibrin-Ferment19), welcher bei jedem Fiebernden,20) insbesondere aber dem septisch Inficirten vorhanden ist. 21)Folgte nun noch die Transfusion, so führte die im Transfusionsblute neuerdings zugesetzte Menge Ferment zu einer so bedeutenden Steigerung und Anhäufung des letzteren im kreisenden Blute, dass nur ausnahmsweise das lethale Ende abgewandt werden konnte. In der That sind fast Neunzehntheil der wegen Septicämie einer Transfusion Unterworfenen wenige Stunden schon nach der Operation gestorben. Die anderen starben später.

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Wie schon gesagt, zwei Umständen danken wir es, dass so oft die Transfusion gefahrlos vorübergegangen, ja selbst ohne wahrnehmbare Störungen von unseren Patienten vertragen worden ist. In erster Stelle den kleinen Quantitäten von Blut, die zur Transfusion gewählt wurden, 20 30 Gramm, mit welchen man Phtise, Chlorose und chronische Darmkatarrhe zu heilen suchte und dann der grossen Widerstandskraft, mit welcher für gewöhnlich der Organismus gegen die Wirkungen des Fibrinferments ausgerüstet ist. Im gegebenen Falle wird es darauf ankommen, wie gross gerade diese Widerstandsfähigkeit, d. h. die Leistungen der Ausscheidung und des Ersatzes im blutempfangenden Individuum sind und dann darauf, wie gross der Fermentgehalt des zu transfundirenden, defibrinirten Blutes sich herausgestellt hat. Der letztere schwankt in weiten Grenzen.

Wenn aber die Transfusion diejenigen Gefahren besitzt, welche wir Schritt für Schritt von ihr in Erfahrung gebracht haben, so wird unser fortgeschrittenes und besseres Wissen uns zu dem Geständnisse nöthigen, dass wir unser Können in schlimmster Weise gerade bei dieser Operation überschätzt haben. Wir richteten durch das mehr als zweifelhafte, ja geradezu gefährliche Mittel nichts anderes aus, als dass wir in Fällen acuter Anämie die Thätigkeit des Herzens durch Füllung des elastischen Gefässrohrs wieder herstellten. Das zu thun sind wir aber durch Wahl weniger differenter Mittel im Stande, wie uns ein solches beispielsweise eben in der Kochsalzinfusion geböten worden ist. Schon ist durch mehrfache Erfahrungen,23 unter ihnen auch durch Fälle meiner Klinik, bestätigt worden, dass die Kochsalzinfusion beim Menschen dasselbe leistet wie die Transfusion: aus der Bewusstlosigkeit erweckt sie den Verblutenden und lässt seine unfühlbaren Pulse wieder schlagen. Es ist denkbar, dass man einmal auch durch vergifteten Trank einen Verschmachtenden erquickt, aber wenn sich die gefährliche Gabe durch eine bessere und unschädliche ersetzen lässt, so begrüssen wir diese Wendung mit Freuden.

Nur eine Transfusion liesse sich vielleicht rechtfertigen: die Ueberführung des Blutes aus der Arterie eines Menschen unmittelbar in die Vene eines anderen Hülfsbedürftigen. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob ein Eingriff, der so viel Opfer eines Mitmenschen fordert, jemals zu allgemeiner Verbreitung kommen würde, ich will auch davon schweigen, dass dieselben Schwierigkeiten, welche im Anfange des Jahrhunderts eine Gerinnselbildung in den überleitenden Canülen befürchten liessen, auch heute noch fortbestehen es ist genug, dass ein Weiterleben der rothen und weissen, durch die Operation übergeführten Blutkörperchen im Kreislaufe des Blutempfängers in Frage gezogen werden kann, ja werden muss. Wenigstens lässt sich, wo volles Thierblut einem Menschen oder einer anderen Thierspecies zugeleitet wird, mit Sicherheit darthun und nachweisen, dass beide Arten Blutkörperchen in grösster Menge zu Grunde gehen.

Die Infusion einer concentrirten Lösung des Blutferments in die Gefässe eines Thieres bewirkt zunächst und in erster Stelle die Auflösung der weissen Blutkörperchen und24 wol auch nur eines bestimmten Theils und einer bestimmten Art derselben. Wie diese Auflösung wirkt, ist Gegenstand der Studien Köhler's, Edelberg's22), Angerer's23) und anderer geworden. Allein in dem transfundirten Blute sind noch andere destruirende Factoren als das Schmidt'sche Ferment vorhanden. Es ist schon wiederholentlich erwähnt worden, dass der Ueberleitung fremdartigen Blutes ausser dem Fieber, der Dyspnoe, dem Icterus, dem Erbrechen und den Tenesmen noch sehr gewöhnlich nach Hasse's Berichten wie es scheint immer die Entleerung eines blutig tignirten Harnes folgt. Diese Hämoglobinurie ist durch Auflösung auch der rothen Blutkörperchen bedingt. Die Mischung der heterogenen Blutarten lässt die hinzugeleiteten farbigen Zellen rapide, fast augenblicklich zu Grunde gehen. Ihr Zerfall liefert aber ein Gift, das in keiner Officin so wirksam und verderblich hergestellt werden könnte, wie in dem Körper des der Transfusion unterworfenen Thieres. Das Hämoglobin nämlich, durch den erwähnten Auflösungsprocess entbunden, geräth frei in die Circulation und greift nun in energischer Weise die Existenz auch der Blutkörperchen des Empfängers an. So zerstört, statt Blutkörperchen zuzuführen die directe Thierbluttransfusion auch noch die vorhandenen Sauerstoffträger. Dem Zerfalle der rothen Blutkörperchen folgt und geht voran der der weissen. In grosser Menge wird dadurch das Ferment frei und die höchsten Grade der Fermentintoxication greifen jetzt das Leben des Operirten an.

Das fremde Hämoglobin wirkt in dieser Richtung25 gerade so, wie das eigene. Hierin besteht kein Unterschied. Die schwersten Fälle der Fermentintoxication sind allemal diejenigen, welche mit Hämoglobinurie sich verbinden.

Obgleich durch Naunyn schon die giftigen Wirkungen des Hämoglobin bekannt geworden waren, haben doch erst Alexander Schmidt's und seiner Schüler Studien die Beziehungen dieses Körpers zum Gerinnungsprocesse und namentlich der intravasculären Coagulation klar gelegt.

Die Hämoglobinämie spielt auch auf anderen Gebieten, als dem der Transfusion eine wichtige Rolle. Wie ich versucht habe, die Erscheinungen der Fermentintoxication am Krankenbette und in ihrem Verhältnisse zur Intoxication mit Fäulnissalkaloiden zu gruppiren, so hat Ponfick das auch soeben25) mit denjenigen Krankheitsfällen gethan, bei welchen freies Hämoglobin im kreisenden Blute vorhanden ist, Fälle, die er zuerst als Hämoglobinämie zusammengefasst hat. Das Analoge in beiden Krankheitsreihen liegt auf der Hand, die Begründung des Unterscheidenden bedarf weiterer Untersuchungen. Ebenso bleibt noch festzustellen, warum das Hämoglobin einzelner Thiere stärker lösend als das anderer auf dieselben Blutkörperchen wirkt, ein Verhältniss, welches den Zerfall der rothen Zellen bei Mischung heterogener Blutarten wol erklären dürfte. Zunächst steht nur so viel fest, dass das Hämoglobin ganz nahe verwandter Thierspecies sich chemisch sehr verschiedenartig verhalten kann26).

Doch auch diese Fragen liegen meinem Referate und meinen Folgerungen ferner, will ich doch nur eines26 feststellen, dass eine Thierblut-Transfusion, eine directe wie indirecte, eine mit ganzem ebenso wie eine mit defibrinirtem Blute, niemals Blut spendet, sondern immer nur Blut nimmt und raubt. Die vor noch nicht zehn Jahren prophezeite, neue, blutspendende Aera in der Medicin ist, insofern sie von der Lammblut-Transfusion ihren Ausgang nehmen wollte, bereits im Keime erstickt und schnell zu Grabe getragen worden. Wir müssen uns eben im Können bescheiden, so lange wir noch im Wissen zurückstehen.

An Versuchen, das, was die Infusion nicht leistet, durch anderweitige Zuführungen dem Blute zu bringen, wird es nicht fehlen und fehlt es auch schon jetzt nicht. Sie sind aber alle verfrüht und verfehlt. Als es bekannt wurde, dass von der Peritonealhöhle aus Flüssigkeiten ausserordentlich leicht, vollkommen und schnell resorbirt werden, hat man dieselbe mit defibrinirtem Blute zu füllen und diese Eingiessungen an Stelle der gewöhnlichen Transfusionen zu setzen gesucht. Wohl sieht man am Versuchsthiere die Lymphgefässe des Zwerchfells sich mit rothen Blutkörperchen füllen, aber auch den schönsten hämatogenen Icterus bekommt man zur Beobachtung und wird schwerlich das Urobilin im Harne vermissen, das von der Resorption grosser Extravasate herrührt und die mit diesen verbundenen Gefahren anzeigt. Angerer's und Edelberg's klinische wie experimentelle Untersuchungen über diese Gefahren brechen auch über die intraperitoneale Transfusion den Stab.

So wahr es ist, dass Geben seliger denn Nehmen thut, so mag es auch mehr Freude und Befriedigung schaffen,27 durch neue Heilmethoden das ärztliche Können zu mehren, als an den bestehenden zu rütteln und mit beizutragen, dass an sie die Axt gelegt werde.

Allein es soll der angehende Arzt nicht bloss in Kunst und Wissenschaft geübt, sondern durch die Zucht seiner Schule auch zu einer strengen Kritik und Beurtheilung einer jeden seiner Handlungen angehalten werden. Seine Pflicht gebietet ihm, diese nur im Lichte des Erkannten zu prüfen und sich allzeit an die Schranken zu erinnern, die ihm der jeweilige Stand des medicinischen Wissens zieht.

Allerdings giebt die Pflicht als solche uns noch kein schöpferisches Vermögen, denn sie ist bloss ein Zuchtmittel unseres Geistes. Ohne Zucht aber gegen sich selbst, ohne pflichtgemässe Nöthigung giebt es keine nachhaltige Thatkraft und keine Treue im Berufe.

Zu einer solchen soll gerade in dieser Bildungsanstalt der Sanitätsofficier erzogen werden, damit ihm dereinst die Fülle der ärztlichen Arbeit und die Pflicht des verantwortlichen Führers anvertraut werden können.

Das ist der erhabene Wille unseres deutschen Kriegsherrn, den zu erfüllen in Gehorsam und Aufopferung auch wir uns zur besonderen Standesehre rechnen.

Gott schützte, Gott erhalte, Gott segne Seine Majestät, den Kaiser!

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ANMERKUNGEN.

1)Mackenzie: History of Health and the art of preserving it. Edinburg 1760
1)
2)Lower nach Robert Boyle in Philosophical Transactions Vol. I p. 125.
2)
3)Scheel: Die Transfusion des Blutes und Einspritzung der Arzneien in die Adern. Kopenhagen 1802 1803.
3)
4)Martin: Ueber die Transfusion bei Blutungen Neuentbundener. Berlin 1859
4)
5)Gesellius. Zur Thierblut-Transfusion beim Menschen. Leipzig 1874. S. 17.
5)
6)Malachia de Cristoforis: La trasfusione del sangue, in Annali univ. di Med. e. Chir. 1876. Ottbr.
6)
7)Hüter: Langenbeck's Archiv für klinische Chirurgie. Bd. XII. S. l.
7)
8)U. Kronecker und J. Sander: Berliner klinische Wochenschrift 1879, Nr. 52. E. Schwarz: Ueber den Werth der Infusion alkalischer Kochsalzlösung in das Gefässsystem bei acuter Anämie. Habilitationsschrift. Halle 1881. v. Ott: Virchow's Archiv für pathologische Anatomie. Bd. 93. 1883.
8)
9)Sörensen: Undersögelser om Awtallet ot rode og huide Blodlegemer under fors kjellige physiologiske og pathologiske Tilstande. Diss. Kjöbenhavn 1876. Lion: Virchow's Archiv. Bd. 84. 1881. Hünerfauth: Virchow's Archiv. Bd. 76. 1879. S. 327.
9)
10)Hasse: Die Lammblut-Transfusion beim Menschen. St. Petersburg 1874. "Dann beginnt Dyspnoe, gefolgt von einem Gefühle von Vollsein des Leibes, von Uebelkeit, Brechneigung, ja selbst von unwiderstehlichem Stuhldrang." Auch Kopfschmerz, Schwindel und kurze29 Bewusstlosigkeit werden beobachtet. "Zehn Minuten bis eine Stunde nach der Transfusion stellte sich Frost ein, oft zum heftigen Schüttel - frost gesteigert, dann ein Hitzestadium mit Erhöhung der Körper - temperatur um mehrere Grade." "Der schon einige Stunden oder erst am nächsten Morgen nach der Operation gelassene Urin war von schwärzlich rother Farbe, enthielt Eiweiss und Blutfarbstoff. " Ueber denselben Frost 1 / 2 2 Stunden nach der Operation in fast allen seinen Fällen von Transfusion defibrinirten Menschenblutes berichtet Heyfelder: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1874. Bd. IV. S. 496. Auch Neudörfer: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1876. Bd. VI. S. 76 bezieht den nach einer Stunde eintretenden Schüttelfrost auf seine Transfusionen mit defibrinirtem Blute[. ]
10)
11)Ponfick: Virchow's Archiv. Bd. 62. S. l.
11)
12)Magendie: Lecons sur le sang et les alterations de ce liquide. Phenomènes physiques de la vie. Paris 1838. t. IV.
12)
13)Armin Köhler: Ueber Thrombose und Transfusion, Eiter und septische Infection und deren Beziehungen zum Fibrinferment. Dorpat 1877.
13)
14)Cohnheim: Vorlesungen über allgemeine Pathologie. 1877. Bd. I. S. 346.
14)
15)Köhler l. c. Birk: Das Fibrinferment im lebenden Organismus. Dorpat. Dissert. 1880.
15)
16)v. Bergmann und Angerer: Festschrift der medicinischen Facultät zum 300j. Jubiläum der Univers. Würzburg. 1882.
16)
17)A. Schmidt: Pflüger's Archiv. Bd. VI. 1872.
17)
18)Hüter: Allgemeine Chirurgie. 1873. S. 644.
18)
19)Bojanus: Experimentelle Beiträge zu Physiologie und Pathologie des Blutes der Säugethiere. Dorpat 1881. Der vitale d. h. im circulirenden Blute vorhandene Fermentgehalt des Blutes steigerte sich bei einem Schaafe nach einem Aderlasse von 1,4 auf 2,7, bei einem Hunde von 7,1 auf 28,5.
19)
20)Edelberg: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1880. Bd. 13 S. 111.
20)
21)Bojanus l. c. S. 53. Bei einem Schaafsbocke, dem faulendes Fleischwasser in eine Vene injicirt worden war und der nach 6_1 / 2 Stunden der putriden Intoxication erlag, war der vitale Fermentgehalt von 1,0 auf 20,0 gestiegen, bei einem Lamme (Exp. 12) von 8,3 auf 35,3, bei einem Kalbe (Exp. 13) von 8.7 auf 100,0. Im Fieber nimmt nach30 Maissurianz (Experimentelle Studien über die quantitativen Veränderungen der rothen Blutkörperchen im Fieber. Dorpat 1882. S. 37) der Gehalt des Blutes an farblosen Blutkörperchen ab, nicht selten auf einen Rest von 5 10%.
21)
22)Edelberg: Archiv für Pharmacologie und experimentelle Pathologie. Bd. 12. 1880. S. 283.
22)
23)Angerer: Klinische und experimentelle Studien über die Resorption grosser Blutextravasate. Würzburg 1879.
23)
24)Sachsendahl: Ueber gelöstes Hämoglobin im circulirenden Blute. Dorpat. Dissert. 1880. und Maissurianz l. c. S. 40 "Das mächtigste Mittel zur Herbeiführung eines explosionsartigen Zerfalls der farblosen Blutkörperchen und einer plötzlichen, hochgradigen Accumulation des Fibrinferments im circulirenden Blute ist das Hämoglobin im gelösten Zustande. Es ist dabei gleichgiltig, ob die Hämoglobinlösung aus dem Blute des Versuchsthieres selbst oder einer fremden Thierspecies genommen worden ist. Je frischer die Hämoglobinlösung, desto gefährlicher wirkt sie. Krystallisirtes Hämoglobin ist unwirksam. Auch Injection von destillirtem Wasser führt die geschilderten Blutveränderungen nebst fieberhaften Körpertemperaturen herbei, doch sind dazu grosse Wassermengen erforderlich und der Effect ist verhältnissmässig gering, wie das schon v. Bergmann hervorhebt, welcher Autor zuerst auf die fiebererregende Wirkung des Wassers aufmerksam gemacht hat. Das Auftreten von Hämoglobin im Harn nach Wasserinjectionen, sowie der Nachweis desselben in der Blutflüssigkeit der betreffenden Versuchsthiere führt zur Annahme, dass die schädlichen Folgen der Wasserinjectionen wesentlich auf die, durch die blutkörperchenlösende Wirkung des Wassers bedingte Gegenwart von gelöstem Hämoglobin im Blute beruhen." Nicht bloss nach Injection von Wasser und von Fermentlösungen, sondern auch nach[Injection] klar filtrirter, faulender Flüssigkeiten tritt nicht selten Hämoglobin im Harne auf. Es scheint hierfür wesentlich die Quantität der injicirten Jauche oder Fermente massgebend. Wenn defibrinirtes Blut in der indirecten Transfusion gleichartigen Blutes für gewöhnlich keine Hämoglobinurie macht, so ist der Grund hierfür der, dass es seine Wirkung auf die Auflösung der weissen Blutkörperchen beschränkt. Umgekehrt werden wir dort, wo nach direkter Transfusion von Thierblut beim Menschen Hämoglobinurie auftritt, eine hochgradige Zerstörung31 weisser sowol als rother Blutkörperchen annehmen dürfen, eine Zerstörung, die höhere und höchste Grade der Fermentintoxication zur Folge haben kann. In der Wirkung der verschiedenen Transfusionen werden wir eine gleiche Scala der Gefahr wie nach den Injectionen von Pepsin und Pancreatin (v. Bergmann und Angerer l. c. S. 13) zusammenstellen können: geringere Wirkungsgrade, die sich nur im Fieber äussern, Repräsentanten der schweren Fermentintoxication Köhler's, wo zum Fieber Dyspnoe, Erbrechen, Diarrhoeen, Hämoglobinurie treten und schwerste Fälle, die schnell durch ausgedehnte Gerinnungen in den grösseren Gefässen oder dem Capillarraume der Lungen tödten.
24)
25)Ponfick: Ueber Hämoglobinämie und ihre Folgen in der Berliner klinischen Wochenschrift 1883. No. 26.
25)
26)Körber: Ueber Differenzen des Blutfarbstoffes. Dissert. Dorpat 1866.
26)

About this transcription

TextDie Schicksale der Transfusion im letzten Decennium
Author Ernst von Bergmann
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Matthias SchulzThomas GloningNote: Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.2011-07-20T12:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDie Schicksale der Transfusion im letzten Decennium Rede, gehalten zur Feier des Stiftungstages der militär-ärztlichen Bildungsanstalten am 2. August 1883 Ernst von Bergmann. . Verlag von August HirschwaldBerlin1883.

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