PRIMS Full-text transcription (HTML)
Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau.
Nürnberg,Verlag von Gottfr. Löhe. 1870.

§. 1. Erste Anfänge des Anstaltslebens von Neuendettelsau.

Verein für weibliche Diaconie.

Das Gedächtnis des Menschen ist, insonders wenn es in Acht genommen wird, eine gewaltige Kraft, durch welche die Dinge, die sonst schnell entschwinden können, auf lange Zeiten hin erhalten werden. Aber es ist auch nicht zu leugnen, daß, wenn man es nicht pflegt, Dinge ganz schnell entschwinden, die werth gewesen wären, im Andenken behalten zu werden. So ist es auch mit den Anfängen der hiesigen Diaconissenanstalt, über die auch die innigsten Freunde der Sache dermaßen in Ungewißheit und Unwißenheit gerathen sind, daß sie kaum mehr zu sagen wißen, wie alles gekommen und geworden ist.

Die Diaconissenanstalt Neuendettelsau, nunmehr ein in die Augen fallendes und großes Ganze, das seinen eignen Anfang verloren und in die Vergeßenheit gesenkt hat: zwar will ich nicht sagen, daß man ein hohes Bedauern deshalb faßen müßte. Manche Dinge haben Anfänge gehabt, an denen nichts gelegen ist, und so mag es auch mit unsrer Diaconissenanstalt gewesen sein. Die Anfänge mancher Sache sind an sich dunkel und unklar, und manchen Menschen und Sachen ist es wie angethan, mit allen ihren Sachen erst allmählich sich selber und andern klar zu werden. Indes wird man sich mit einem solchen Schicksal doch nicht in jedem Fall zufrieden geben4 müßen, und hie und da wird man gewiß recht thun, sich seiner Anfänge zu besinnen, oder wenn diese auch fraglich sind, kann es doch zuweilen einigen Nutzen bringen, sich seines Anfanges und seines Herkommens zu erinnern.

Wir wollen annehmen, daß es auch mit der hiesigen Diaconissenanstalt so sei. Sie selbst, die Diaconissenanstalt, wie sie auch bis jetzt geworden sei, ist doch nicht das Erste und Beste von ihrer Anfangszeit zu nennen. Ihr selbst voran geht etwas, an das man kaum mehr denkt oder das man wenigstens gar nicht mehr in den rechten Zusammenhang setzt. Der erste Anfang der hiesigen Diaconissenanstalt liegt in dem Vereine für weibliche Diaconie, aus dem heraus die Anstalt geboren und geworden ist. Man könnte sich denken, daß die Anstalt gar nicht entstanden wäre, der Verein für weibliche Diaconie aber so um sich gegriffen hätte, daß eine Anstalt wie die Diaconissenanstalt gar nicht nöthig geworden wäre. Was der Verein gewollt hat, erscheint mir gegenwärtig noch weit größer und bedeutender zu sein, als die Diaconissenanstalt selbst. Oder ist das nicht leicht darzustellen und zu faßen? Wenn es dahin gekommen wäre, daß der Funke, der sich hier entzündete, sich zündend in dem ganzen Lande verbreitet hätte, und daß allenthalben Vereinigungen für weibliche Diaconie entstanden wären und sich ausgebreitet hätten, Ein Feuer der Liebe und der Barmherzigkeit unser Volk ergriffen und umfaßt hätte, wäre das in der That nicht weit mehr gewesen, als wenn eine Diaconissenanstalt, wie es nun der Fall ist, ihr Haupt und Licht nach allen Seiten hin erhoben hätte, während die Bevölkerung zu keinem eigentlichen Vereine für weibliche Diaconie emporgegangen wäre?

Was man gegen Ende des Jahres 1853 angestrebt hat, war in erster Linie keine Diaconissenanstalt, wohl aber ein Verein für weibliche Diaconie. Wenn es so gekommen5 wäre, wie wir es gewollt haben, so würde man sich zu Einem solchen Vereine mit aller Kraft in unserm ganzen Vaterlande vereinigt haben, überall würde man in den mannigfaltigsten Formen sich zu Werken der Liebe und der Barmherzigkeit vereinigt haben, und man würde sich leicht haben trösten können, wenn nirgends ein Diaconissenhaus entstanden wäre, dagegen aber allenthalben mit Lust und Eifer das geschehen wäre, was Gott und Christo gefallen hätte.

Als wir uns gegen das Ende des Jahres 53, Männer und Frauen in der Diöcese Windsbach, zusammenfanden, und an unsre Regierung in Ansbach wendeten, begehrten wir weiter nichts als die Erlaubnis, in unsrem fränkischen Heimathlande einen Verein für weibliche Diaconie zu stiften. Und als wir von der Obrigkeit belehrt wurden, daß das gar kein Bedenken hätte, und daß wir eine staatspolizeiliche Genehmigung erst dann bedürften, wenn es zu Anstalten und Krankenhäusern käme, und der Sinn, den wir hätten, in’s concrete Leben hervortreten würde, da waren wir schon hoch erfreut und rasch constituirte sich ein Verein für weibliche Diaconie in Bayern. Der Name weibliche Diaconie wurde gleich vornherein so gefaßt, daß die Geschäfte sammt und sonders von Frauen geschehen und Männer blos als Helfer zum Gelingen weiblicher Werke herbeigezogen werden sollten. Drei Vorsteherinnen sollten an der Spitze stehen und den innersten Mittelpunkt des Ganzen bilden. Diejenigen Frauen und Männer, die in der Diöcese Windsbach sich zusammenfinden würden, wurden als Muttergesellschaft angesehen, zu der sich allenthalben Zweig - oder Töchter-Vereine in ganz gleicher Weise finden sollten. Die Muttergesellschaft sollte in ihrer Einrichtung und in ihrer Thätigkeit den Zweigvereinen Gestalt und Maß verleihen, und alle Zweigvereine sollten der Muttergesellschaft nachfolgen und nacharten. Das zunächst6 wollte man erreichen. Ueberall sollten sich Zweigvereine gründen, in denen Leben und Puls der Muttergesellschaft schlüge. Aller Orten das gleiche Ziel, die gleiche Absicht, die gleichen Mittel und Wege, die gleichen Formen des Lebens, das war es eigentlich, was beabsichtigt war: es war der Lutherische Verein für weibliche Diaconie in Bayern. Krankenhäuser, Diaconissenhäuser und dergleichen waren blos Mittel zum Zweck, die nicht fehlen sollten, aber keineswegs so an die Spitze treten, daß in ihnen das ganze Leben des Vereins sich ergöße. Wer das nicht faßt, der hat den Anfang unsrer ganzen Sache nicht erfaßt, oder ganz und gar vergeßen.

Am 13. März 54 trat die Muttergesellschaft dahier zu Neuendettelsau zusammen und constituirte sich. Sie bestand zuerst aus folgenden Helferinnen; denn diejenigen, denen in erster Linie geholfen sein sollte (der Frauenvorstand), existirten gar noch nicht. Nach dem Rechte, welches in der weiblichen Diaconie die Frauen haben mußten, standen folgende Helferinnen voran:

  • 1) Frau Decanin Bachmann zu Windsbach, Vorsteherin der Helferinnen durch einmüthige Wahl.
  • 2) Frau Pfarrerin Müller von Immeldorf, Untervorsteherin durch einmüthige Wahl.
  • 3) Frau Pfarrerin Kündinger zu Petersaurach.
  • 4) Frau Pfarrerin Emmerling zu Dürrenmungenau.
  • 5) Frau Inspectorin Hensolt von Windsbach.
  • 6) Fräulein Sophie v. Tucher zu Neuendettelsau.

Neben diesem Collegium der Helferinnen stand folgendes Collegium der Helfer:

  • 1) Herr Decan Bachmann zu Windsbach, Vorsitzender durch einmüthige Wahl.
  • 7
  • 2) Herr Pfarrer Müller zu Immeldorf, Rechnungsführer durch einmüthige Wahl.
  • 3) Herr Inspector Hensolt zu Windsbach, Secretär durch einmüthige Wahl.
  • 4) Herr Pfarrer Kündinger zu Petersaurach.
  • 5) Herr Pfarrer Emmerling zu Dürrenmungenau.
  • 6) Herr Pfarrverweser Fischer zu Weißenbronn.
  • 7) Herr Katechet Bauer zu Neuendettelsau.
  • 8) Pfarrer Löhe zu Neuendettelsau.

Diese Muttergesellschaft von sechs Helferinnen und acht Helfern beauftragte den Pfarrer Löhe, an ihre Spitze die folgenden drei Vorsteherinnen: Jungfrau Karoline Rheineck zu Memmingen, Diaconissin, zu Kaiserswerth gebildet, aber von Kaiserswerth ausgetreten, Jungfrau Amalie Rehm von Memmingen, Kirchenrathstochter von Memmingen, und Fräulein Helene v. Meier, Legationsrathstochter von Nürnberg zu berufen, welches auch am 14. März 54 geschah, wodurch dann die ganze Muttergesellschaft formal gebildet war. Man hatte Helfer und Helferinnen und einen Frauenvorstand von drei leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen. Zur Seite der letzteren sollten die sechs Helferinnen, und außerdem die Vorsteherinnen der Localvereine stehen, die noch nicht da waren. Diese Muttergesellschaft gab sich die Statuten, die der kgl. Regierung von Mittelfranken und dem Staatsministerium des Innern vorgelegt wurden und nach dem am 27. Februar 54 ergangenen Ministerialerlaß völlig unbeanstandet blieben. Diese Statuten umfaßen 16 Paragraphen, von denen die 10 ersten sich mit der Muttergesellschaft selbst, §§. 11 und 12 mit den Hülfs - oder Zweigvereinen, §§. 13 bis 15 mit den Formen des gesammten Vereins sich beschäftigen, während §. 16 über die Natur der Statuten handelt. Die Muttergesellschaft und die Zweigvereine haben einen allgemeinen Zweck (Erweckung8 und Bildung des Sinns für den Dienst der leidenden Menschheit in der Lutherischen Bevölkerung Bayerns, namentlich in dem weiblichen Theile desselben). Sie haben auch einerlei Mittel zum Zweck (Gründung Lutherischer, mit Diaconissen-Anstalten derselben Confession verbundener Hospitäler, Ausbildung von Diaconissen, Ausbildung der weiblichen Jugend überhaupt für den Dienst der leidenden Menschheit, Uebernahme der Krankenpflege in Heilanstalten). Ebenso ist auch die Ausführung des Zwecks (§. 3, 1 4) ganz eine und dieselbe und was §. 4 über die Mitgliedschaft und §. 5 über die Organisation gesagt wird, ist gleichfalls vollkommen mit dem zusammengehend, was über die Hilfsvereine gesagt wird. Da diese alten Statuten des Vereins für weibliche Diaconie trotz aller Mühe der Verbreitung ziemlich unbekannt geworden sind, so laßen wir sie hier in extenso abdrucken und überlaßen es den Lesern, sich aus dem Ganzen zu überzeugen, wie hoch bestrebt man von Anfang an gewesen ist, durch den Verein für weibliche Diaconie ganz ein und denselben Sinn und Geist und ganz das gleiche Leben in dem von uns als groß und weit gedachten Ganzen zu verbreiten. Dieses, nicht ein Diaconissenhaus oder dergleichen, war die eigentliche Absicht, die wir am Ende des Jahres 53 und Anfang des Jahres 1854 bei unserm ganzen Emporgehen hatten.

Beilage 1.Lutherischer Verein für weibliche Diaconie in Bayern.

In Nr. 12 des vorigen Jahrgangs 1853 dieses Blattes (Correspondenzblatt für innere Mission) findet sich ein Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissen Anstalten. Auf Grund dieses Bedenkens entschloßen sich gegen Ende des vorigen Jahres eine9 Anzahl von Männern und Frauen, sämmtlich zur Diöcese Windsbach gehörig, zur Gründung eines lutherischen Vereins für weibliche Diaconie in Bayern. Sie legten deshalb der k. Regierung von Mittelfranken die nachfolgenden Statuten vor:

Statuten.

§. 1. Allgemeiner Zweck.

Erweckung und Bildung des Sinns für den Dienst der leidenden Menschheit in der lutherischen Bevölkerung Bayerns, namentlich in dem weiblichen Theile desselben.

§. 2. Mittel zum Zweck.

  • 1) Gründung lutherischer mit Diaconissen Anstalten derselben Confession verbundener Spitäler.
  • 2) Ausbildung von Diaconissen der verschiedenen Arten, d. i. solcher, die in Heilanstalten, Missionen und Schulen, und solcher, die in Gemeinden und Familien dienen können.
  • 3) Ausbildung der weiblichen Jugend überhaupt für den Dienst der leidenden Menschheit.
  • 4) Uebernahme der Krankenpflege in Heilanstalten.

§. 3. Ausführung des Zwecks.

  • 1) Erweckung der Theilnahme für die Zwecke des Vereins.
  • 2) Genauere Kenntnisnahme des Standes der Fürsorge für Kranke und Elende in den verschiedenen Gegenden des Vaterlandes, sowie Erforschung der besten Mittel zur Abhilfe etwaiger Gebrechen.
  • 3) Auffindung und Gewinnung der für Ausführung von §. 2, 1 4 nöthigen Persönlichkeiten.
  • 4) Herbeischaffung der nöthigen Geldkräfte.

§. 4. Mitgliedschaft des Vereins.

  • 1) Mitglieder der Vereins können sowohl Männer als Frauen des lutherischen Bekenntnisses sein, wenn sie regen Antheil an den Vereinszwecken haben und denselben durch eine ihrem Vermögen10 angemeßene regelmäßige Unterstützung an Geld oder Naturalgaben bethätigen.
  • 2) Eintritt und Austritt steht frei.
  • 3) Der Austritt kann auch ein gezwungener sein, wenn die Nr. 1. dieses §. angegebenen Bedingungen der Mitgliedschaft aufhören.

§. 5. Organisation.

Der Verein besteht

  • 1) aus einer zur Ausführung der Vereinszwecke und Leitung der Vereinsangelegenheit freiwillig zusammengetretenen, sich selbst ergänzenden Muttergesellschaft,
  • 2) aus Hilfsvereinen, welche sich der Muttergesellschaft zur Förderung ihrer Zwecke organisch angeschloßen haben.

§. 6. Die Muttergesellschaft

besteht

  • 1) aus einem Collegium von männlichen Helfern,
  • 2) aus einem leitenden Frauenvorstand.

§. 7. Das Collegium von männlichen Helfern.

  • 1) Es ergänzt sich selber und besteht gegenwärtig aus den Endesunterzeichneten.
  • 2) Zu seiner Befugnis gehört
    • a. die Oberaufsicht über die gesammte Leitung der Vereinsangelegenheiten und in Folge derselben auch regelmäßige Visitation,
    • b. dass Rechnungswesen des Vereins,
    • c. die Vertretung des Vereins in allen Fällen, wo dieselbe beßer durch Männer als durch Frauen geschehen kann,
    • d. Die Bestätigung und Zurückweisung der vom Frauenvorstand gefaßten Beschlüße und vorgelegten Anträge.
  • 3) Das Collegium der männlichen Helfer bestellt nach Bedürfnis aus seiner Mitte und auf bestimmte Dauer einen Vorsitzenden, Rechnungsführer und Secretär.
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§. 8. Der Frauenvorstand.

Er besteht

  • a) aus dem Collegium der leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen,
  • b) aus den ihnen freiwillig zur Seite stehenden Helferinnen,
  • c) aus den Vorsteherinnen der Localvereine.

§. 9. Das Collegium der leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen.

  • 1) Es besteht aus einer durch das Bedürfnis begrenzten Anzahl von Jungfrauen oder Wittwen, welche von dem Helfercollegium nach Vereinbarung mit den Helferinnen und den Vorsteherinnen der Localvereine bestellt werden.
  • 2) Diesem Collegium steht zu
    • a. die Ausführung der Vereinszwecke,
    • b. die Leitung aller Vereinsangelegenheiten in organischer Verbindung mit dem Helfercollegium,
    • c. die Leitung der Vereinsanstalten und ihres Haushalts.
    • d. die Oberaufsicht und Inspection über die Anstalten der Hilfsvereine,
    • e. die Correspondenz, insonderheit mit den Vorsteherinnen der Hilfsvereine.

§. 10. Das Collegium der Helferinnen.

  • 1) Es ergänzt sich selber und besteht gegenwärtig aus dem Endesunterzeichneten.
  • 2) Diesem Collegium steht zu
    • a. die Berathung und Unterstützung des Collegiums der Vorsteherinnen,
    • b. die Controle des Haushalts der Vereinsanstalten,
    • c. gemeinschaftlich mit den Vorsteherinnen Beschluß und Antrag in Betreff des Haushalts und der Versorgung der Vereinsanstalten und des Vereins selber,
    • d. gemeinschaftlich mit dem Helfercollegium Beschluß und Antrag in Betreff des Wandels und der Amtsführung der Vorsteherinnen, sowie der Berufung und Entlaßung derselben.
  • 3) Das Collegium der Helferinnen tritt selbständig nur zusammen12 zur Ergänzung seiner selbst und zum Ausschluß seiner Mitglieder, und wählt zum Behuf des Zusammentrittes eine Vorsteherin und Untervorsteherin.

§. 11. Die Vorsteherinnen der Hilfsvereine.

  • 1) Sie sind die Mittelglieder zwischen der Muttergesellschaft und den Hilfsvereinen und haben als solche das Referat
    • a. bei den Hilfsvereinen im Namen der Muttergesellschaft,
    • b. bei der Muttergesellschaft im Namen der Hilfsvereine.
  • 2) Sie haben das Recht des Antrags in Betreff der allgemeinen Vereinsangelegenheiten, so wie der Amts und Geschäftsführung und des Wandels der Vorsteherinnen.
  • 3) Im Falle ihrer Anwesenheit haben sie bei den gemeinschaftlichen Conferenzen der Helferinnen mit den Helfern oder Vorsteherinnen eine beschließende Stimme.
  • 4) In Betreff der Berufung neuer Vorsteherinnen soll ihr Gutachten eingeholt werden, wenn sie bei den Versammlungen nicht erscheinen können.

§. 12. Die Hilfsvereine.

  • 1) Sie entstehen aus dem organischen Zusammenschluß der Vereinsglieder eines abgegrenzten Bezirks.
  • 2) Ihnen steht zu
    • a. die Erforschung des Bestandes der Fürsorge für die leidende Menschheit in ihrem Bezirk,
    • b. die Berathung der Mittel zur Hebung und Erweiterung dieser Fürsorge,
    • c. die Gründung von Localanstalten im Sinne des Vereins,
    • d. die Unterstützung und Förderung der Vereinszwecke, und insonderheit der Vereinsanstalten.
  • 3) Sie bestehen
    • a. aus einem freiwillig, jedoch unter Bestätigung der Helfer der Muttergesellschaft zusammengetretenen Helfercollegium,
    • b. aus einer mit Gutheißung der Muttergesellschaft aufgestellten Vorsteherin,
    • c. aus einem Collegium von Helferinnen,
    • d. aus den andern männlichen und weiblichen Mitgliedern.
  • 13
  • 4) Das Collegium der Helfer hat innerhalb des Hilfsvereins gleiche Befugnisse und Organisation, wie das Helfercollegium de Muttercollegiums innerhalb dieser.
  • 5) Die Vorsteherin hat
    • a. die §. 11. angegebenen Befugniße in Bezug auf die Muttergesellschaft,
    • b. die Aufsicht über die Localanstalten,
    • c. das Recht die Helferinnen zu Versammlungen zu berufen.
  • 6) Die Helferinnen werden von den weiblichen Mitgliedern unter Gutheißung der Helfer des Hilfsvereins gewählt.
  • 7) Die Helferinnen haben in Bezug auf die Hilfsvereine gleiche Rechte und Pflichten, wie die Helferinnen der Muttergesellschaft in Betreff dieser.
  • 8) Die Helferinnen schlagen, nach Vereinbarung mit den Helfern, der Muttergesellschaft jede neue Vorsteherin vor und beschließen mit den Helfern über etwaige Entlaßung einer bisher im Amte gestandenen Vorsteherin.
  • 9) Zu dem Nr. 8. benannten Behuf treten die Helferinnen mit den Helfern zu einer gemeinschaftlichen von dem Vorsitzer der Helfer geleiteten Versammlung zusammen.
  • 10) Die Hilfsvereine bringen die Mittel zu Localanstalten aus ihrer Mitte auf, ohne der Muttergesellschaft etwas zu entziehen, können jedoch, je nach Befund der Vereinsmittel um Unterstützung der Muttergesellschaft anhalten.

§. 13. Regie des Vereins.

  • 1) Alle Glieder des Vereins fördern die Zwecke des Vereins unentgeldlich mit Ausnahme derjenigen, deren Hilfleistung Lebensberuf ist, d. i. der Vorsteherinnen.
  • 2) Die Vorsteherinnen werden besoldet, wenn und soweit es ihnen ihre Vermögensumstände nicht möglich machen, dem HErrn Jesus unentgeldlich zu dienen.

§. 14. Rechnungslegung.

  • 1) Der Verein schließt monatlich seine Bücher.
  • 2) Der Verein legt alljährlich öffentliche Rechnung.
  • 14
  • 3) Revisionsbehörde des Vereins sind einige von den Hilfsvereinen, resp. deren Helfercollegium, erwählte Helfer der Hilfsvereine.

§. 15. Versammlungen.

  • 1) Das Helfercollegium der Muttergesellschaft hat das Recht je nach Ermessen allgemeine Versammlungen des Vereins anzuberaumen.
  • 2) Ebendasselbe versammelt nach Ermeßen die Glieder der Muttergesellschaft.
  • 3) Die Vorsteherinnen der Muttergesellschaft können nach Ermeßen die Helferinnen versammeln, nämlich in Betreff der den Helferinnen zugewiesenen Aufgaben.
  • 4) Die Helferinnen können Versammlungen der Helferinnen und Vorsteherinnen beantragen.
  • 5) Die Helfercollegien der Hilfsvereine können die Hilfsvereine versammeln.

§. 16. Abänderung der Statuten

behält sich bezüglich der Muttergesellschaft diese selbst vor; bezüglich der Hilfsvereine kann ohne die Muttergesellschaft und deren Zustimmung nicht geändert werden.

(Folgen die Unterschriften.)

In dem den Statuten beigelegten Bittgesuch sagten die Bittsteller unter anderem: Nach dem Vereinsgesetz genügt zur Bildung eines Vereins wohl Anzeige und Statutenvorlage, allein da dieser Verein seine Zwecke ohne Krankenhäuser nicht erreichen kann, zur Errichtung dieser aber die staatliche Genehmigung nothwendig erscheint, so glauben diejenigen, welche zu einem Vereine der bezeichneten Art zusammentreten wollen, auch diesen Verein ohne ausdrückliche Genehmigung und Gutheißung der königl. Regierung nicht gründen zu können.

Die königl. Regierung von Mittelfranken legte die Sache dem Staatsministerium des Innern vor, welches unter dem 27. v. M. folgende Entschließung in Betreff derselben erließ.

Staatsministerium des Innern.

Der k. Regierung, K. d. J., werden in dem Anschluße die Beilagen des Berichts vom 13. / 18. v. M. mit der Eröffnung zurück geschloßen,15 daß so lange der von dem k. protestantischen Decan und Stadtpfarrer Eduard Bachmann zu Windsbach und anderen Menschenfreunden beabsichtigte lutherische Verein in Bayern mit seinem allgemeinen Zwecke der Erweckung der Privatwohlthätigkeit für Krankenpflege und der Heranbildung von Krankenpflegerinnen sich befaßt, eine solche Vereinigung nicht nach Maßgabe des Art. 14 et sequ. des Gesetzes vom 26. Februar 1850 die Versammlungen und Vereine betreffend, als politischer Verein erkannt werden könne.

Nachdem der genannte Verein aber auch den besondern Zweck sich gesetzt hat, Bildungsanstalten für Krankenpflege und Krankenhäuser für Arme in der protestantischen Kirchengemeinde Bayerns zu gründen, so versteht es sich von selbst, daß für solche Institute, wenn selbe die Rechte einer öffentlichen Corporation und eigene Rechtsfähigkeit genießen sollen, die staatspolizeiliche Genehmigung und landesherrliche Bestätigung erforderlich ist. Diese ist jedoch erst dann veranlaßt, wenn es sich um die wirkliche Ausführung solcher Anstalten handelt.

In diesem Falle ist unter Vorlage der bezüglichen Verhandlungen, insbesondere des Programms und der Satzungen der Anstalt, dereinst berichtlicher Antrag zu stellen, und hienach der protestantische Decan und Stadtpfarrer Eduard Bachmann geeignet zu verständigen.

München, den 27. Februar 1854.

Auf Seiner Königlichen Majestät allerhöchsten Befehl.

Graf Reigersberg.

Epplen.

An die k. Regierung, K. D. I.

Die kgl. Regierung von Mittelfranken theilte diese Entschließung unter dem 3. März dem kgl. Landgericht Heilsbronn mit, von welchem sie unter dem 4. März dem kgl. Decan Bachmann zu Windsbach zugestellt wurde.

Der erste Theil dieser Entschließung besagt ausdrücklich, daß der Verein nicht für einen politischen zu halten sei, ohne Zweifel, weil die letztere Ansicht statt haben konnte. Zu gleicher Zeit ist aus diesem16 ersten Theile offenbar, daß von Seiten der obersten Staatsbehörde der Entstehung des Vereins keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Deshalb constituirte sich am 13. dieses Monats die Muttergesellschaft des Vereins. An der Spitze des Helfercollegiums desselben stehen: Decan Bachmann zu Windsbach als Vorsitzender, Pfarrer Müller zu Immeldorf als Rechnungsführer, Inspector Hensolt zu Windsbach als Secretär. Vorsteherinnen des Collegiums der Helferinnen sind Frau Decanin Bachmann von Windsbach und Frau Pfarrerin Müller zu Immeldorf.

Die zusammengetretene Muttergesellschaft eröffnete ihre Thätigkeit mit der Berufung der Vorsteherinnen (s. §. 8. a. der Statuten). Das Geschäft konnte nicht auf der Stelle formal erledigt werden, sowie es aber erledigt ist, wird die Anzeige bei der Polizeibehörde erfolgen und weitere Nachricht gegeben werden.

Es wäre nun wünschenswerth, daß sich Hilfsvereine nach §. 11 und 12 der Statuten bildeten. Sollten sich hie und da unsere Freunde in dieser Art zusammenschließen wollen, so werden ihnen die Helfer der Muttergesellschaft persönlich und brieflich gerne zu Hilfe sein, und bedarf es deshalb nur eines ausgesprochenen Wunsches. Geschenke, durch welche die Angelegenheiten des Vereins unterstützt werden sollen, werden am besten an den Rechnungsführer Herrn Pfarrer Müller in Immeldorf (Post Expedition Lichtenau bei Ansbach) geschickt werden.

Die erste Diaconissen Anstalt soll zu Neuendettelsau entstehen. Die Muttergesellschaft wird demnächst der königlichen Regierung von Mittelfranken das Programm und die Satzungen derselben zur Vorlage bei dem Staatsministerium des Innern und zur Genehmigung einsenden und seiner Zeit theilnehmenden Freunden in diesen Blättern weitere Nachricht geben.

Der Herr, welcher zu einem gesegneten Anfang der Sache die Herzen so gnädig gelenkt hat, wird sie auch ferner zu seiner Ehre und zum Heile der luth. Bevölkerung von Bayern, ja wohl auch zum zeitlichen Segen aller unserer Nächsten gedeihen und es ihr an Liebe, Rath und Hilfe der Glaubensgenossen nicht fehlen laßen. Ihm sei seine eigene Sache befohlen!

Selbstverständlich konnten wir nicht voraussehen, in welchem Maße unser Beispiel und unsre Aufforderung Anklang17 finden würde. Unsre Verbindungen im Lande und unsre Verhältnisse waren von gedoppelter Art: einestheils hatten wir keinen Zweifel zu glauben, daß wir Vertrauen und Nachfolge finden würden, anderntheils aber trugen wir von alten Zeiten her die Schmach Christi, Mistrauen und Argwohn begegneten uns allenthalben mit lähmender Kraft. Demgemäß waren auch unsre Erfahrungen von zwiefacher Art. Gleich in der ersten Zeit schloßen sich schnell hinter einander Zweigvereine an und zwar zu allererst, bereits am 30. März 54, der Zweigverein Nürnberg, sodann am 20. April 54 der Zweigverein Hersbruck, am 10. Juni 54 der Zweigverein Memmingen, am 6. September 54 der Zweigverein Altdorf, am 17. Dez. 54 der Zweigverein Nördlingen, am 26. Mai 56 der Zweigverein Neuendettelsau, am 17. Mai 61 der Zweigverein Fürth, und zuletzt, erst im Sommer des Jahres 69, bekam der Zweigverein Wendelstein seine volle Gestaltung. Mehr Vereine aber, als die genannten sind es bis jetzt nicht geworden, und wer dieses Maß von Gelingen mit unsern anfänglichen Wünschen und Hoffnungen vergleicht, der hat alle Ursache, sich für enttäuscht zu halten und wird zu dem Bekenntnis genöthigt, daß wir auch in Sachen der weiblichen Diaconie, wenigstens in unsern heimathlichen Kreisen, den Anklang nicht fanden, den wir gehofft hatten. Wir waren und bleiben ein geringer Haufe, fanden überall Hindernis und fast nirgends die freudige Theilnahme und Arbeit, aus die wir gehofft hatten. Die erwählten Vorsteherinnen der Zweigvereine kamen zwar alljährlich an oder um Laurentii in Dettelsau zu einem Vereinstage zusammen, aber man konnte nirgends die einschlagende Wirkung wahrnehmen, auf die man gerechnet hatte. Die Theilnahme war kühl und man hatte fast jedes Jahr zu fürchten, daß sie noch kühler und geringer werden könnte. Dennoch aber lebten die Vereine fort, und18 wenn man alljährlich die Frage erhob, ob es etwa an der Zeit wäre, die Thätigkeit der einzelnen Vereine, oder gar des gesammten Vereines abzuschließen, so war doch dazu niemand willig, sondern im Gegentheil, neue Anstrengungen wurden gemacht, und je länger je mehr wuchs doch das Vertrauen, daß die etwas schwache Pflanze des Vereins für weibliche Diaconie in Bayern noch einmal auskränkeln und noch dahin kommen könnte, mit Kraft und Freudigkeit emporzugehen. Der Hersbrucker Verein brachte es zwar nur zu einer Suppenanstalt, und sein Lichtlein löschte bald völlig aus. Auch der Memminger Verein verlor zwar nicht das Leben, aber den Zusammenhang mit der Muttergesellschaft, so daß am Ende nur eine Krippenanstalt übrig blieb, die unter der Obhut und Pflege einer Dettelsauer Schwester stand und steht. Die andern Zweigvereine aber erhielten sich, zum Theil mit großem Segen. Ein Paar Zweigvereine, und zwar nicht die unbedeutendsten, hatten ernste Prüfungszeiten, so daß man auch daran dachte, die aus ihnen entsproßenen Anstalten mit der Muttergesellschaft ganz zu vereinen, und derselben Eigenthum und Verwaltung zu übergeben. Der Herr aber schaffte dann wieder Zeiten des Glücks und des kräftigen Gedeihens, so daß gerade diese Vereine wieder flammend emporschlugen und gegenwärtig kein Mensch mehr daran denkt, ihr Licht als ein erlöschendes zu betrachten. Der Zweigverein Nürnberg ist so groß und kräftig geworden, daß er eine Pflegeanstalt für Töchter, eine Krippenanstalt, eine Mägdeanstalt besitzt und zugleich mit einem Krankenvereine ein Kinderhospital aufrecht erhält, in neuester Zeit kam eine Krankenwartanstalt und eine Kinderbewahranstalt dazu, und mit allen seinen Zweiganstalten unverkennbare Zeichen auch des äußeren Gedeihens an sich trägt. Ebenso hat sich auch der Zweigverein Altdorf emporgeschwungen, ist zu Vermögen gekommen, hat eine Rettungsanstalt, eine19 Kinderschule und denkt daran, sich noch weiterhin mit Segen auszubreiten. Der Zweigverein Fürth hat längere Zeit eine Mägdeanstalt getragen und hat auch jetzt noch eine Pflegeanstalt und eine Krankenwartstation. Der Zweigverein Nördlingen hat eine gesegnete Krippenanstalt, neben welcher unter 2 Dettelsauer Schwestern in denselben Räumlichkeiten eine große Kleinkinderschule erblüht ist. Ebenso hat sich in Heidenheim am Hahnenkamm unter dem kräftigen Vorgang des dortigen Zweig Vereins eine wohlgethane Kinderschule entfaltet. Der Zweigverein Wendelstein freut sich gleichfalls einer gesegneten Kinderschule, und der Zweigverein Neuendettelsau geht unter reichem Segen neben der Muttergesellschaft in mancherlei guten Werken einher. Man kann gewiß den verschiedenen Zweigvereinen des Vereins für weibliche Diaconie nicht nachsagen, daß es ihnen an Leben und Wirkung fehle, sondern an ihnen kann man deutlich sehen, welche reichen und seligen Früchte der Anschluß an die Muttergesellschaft bringt. Besonders aber seitdem jeder Zweigverein zu seiner besondern Pflege sich einen eignen Moderator gewählt hat, der jährlich ein oder mehrere Male die Leitung des Ganzen und den Gang der entstandenen Anstalten visitirt und prüft, kann niemand den ruhigen Fortschritt und die reifen Früchten der Zweigvereine miskennen. Auch der Zusammenhang mit der Muttergesellschaft nimmt zu und tritt je mehr und mehr in das Bewußtsein und Gewißen ein. Alle wißen, daß sie aus einer und derselben Wurzel entsproßen sind, dieselben Werke wirken und denselben hohen Namen mit ihrem Leben und Dasein preisen. Dazu gibt es auch im Lande hin und her noch andere Vereine, die, wenn auch nicht gliedlich mit dem Vereine für weibliche Diaconie, zusammenhängen, so doch sich seiner Nachbarschaft und Verwandtschaft nicht schämen, wie davon die Magdalenenvereine von Augsburg und München kräftiges Zeugnis geben. Der20 Verein für weibliche Diaconie gleicht einem reichen Lande voll würziger Kräuter, die zu Gottes Preis und Ehre und zum Heile der Menschheit allezeit blühen und in Kränzen und Sträußen neben dem siegreichen Wege des Erlösers niedergelegt sind. Die Gärtnerinnen und Pflegerinnen aber, die allenthalben der Blumen, Kräuter und Früchte warten, sind lauter Mädchen und Diaconissen von Neuendettelsau, deren Freude es ist, alles das duftende und fröhliche Leben zu pflegen, was man nun seit bereits fünfzehn Jahren unter uns zu Gottes Preis gewollt und erstrebt hat. Alle menschlichen Werke leiden an Unvollkommenheit und nie und nirgends erreicht man, was man sich vorgenommen und zum Ziele gesetzt hat. Das aber wißen wir dennoch ganz gewiß, daß man hier so lange Jahre nichts gewollt und nichts erstrebt hat, als daß die Barmherzigkeit des Herrn in mancherlei guten Werken gepriesen und gerühmt werde. So Muttergesellschaft wie Zweigvereine gehen von je her einen und denselben Weg.

Bei alle dem aber dürfen wir doch nicht verleugnen, daß wir vom Anfang an als Mittel zum Zweck und Weg zum Ziele auch Bildungsanstalten und, wenn man will, geradezu Diaconissenhäuser zum Ziele genommen hatten. Noch existirt ein in den Anfangszeiten nach allen Seiten hin verbreitetes Blatt von 8 Octavseiten, welches den Titel trägt: Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissenanstalten. Möge es uns hier gestattet sein, dieses Blatt in seinem gesammten Umfange zur Erinnerung wieder abzudrucken. Man wird demselben abmerken, daß wir es von Anfang her nicht auf ein Diaconissenhaus abgesehen hatten, wo man in moderner Nachahmung der alten klösterlichen Zeiten einen Haufen Arbeiterinnen und deren Bildung in die Absicht genommen hatte, die21 dann in ferne Weiten gehen und lehren sollten, wie man Barmherzigkeit üben solle. Uns lag wie bei dem Vereine für weibliche Diaconie, so bei den Diaconissen Anstalten die weibliche Jugend des platten Landes und deren Ausbildung für die Werke der Barmherzigkeit im Sinn. Unsre Leute, für unsre eignen nächsten Bedürfnisse wollten wir heranbilden, und hatten dazu weit weniger im Sinn, uns zu dem Ende in größeren Städten anzusiedeln, sondern im Gegentheil suchten wir stille Orte, wo wir die Töchter des Landes faßen und für die Stillung der nächsten Bedürfnisse erziehen könnten. Nicht für immer, sondern nur einstweilen wollten wir uns in Neuendettelsau selbst setzen und mit einer kleinen Anstalt für weibliche Angefochtene und mit einer kleinen Anstalt für schwachsinnige Kinder den Anfang zu einer Thätigkeit suchen, die aus kurzem Wege unsrem eignen Volke zu Nutz und Dienst kommen sollte. Es ist freilich alles anders geworden unter Gottes besonderer Führung, aber was nun geworden ist, haben wir eigentlich nicht gewollt, sondern etwas weit einfacheres und volksmäßigeres, wie es eben in dem nachfolgenden Bedenken dargelegt ist. Man kann wohl sagen, daß uns unser eigner Weg von vornherein nicht völlig klar war. Wir sind, wie schon gesagt, nach der Wahrheit suchen gegangen, und es wäre uns weit lieber gewesen, wenn wir unsern eignen Gedanken treuer und eng anschließender hätten nachgehen können. Wir haben gethan, was wir nicht laßen konnten, und legen gerne mit unserm wiedererneuerten Bedenken vor dem Herrn unser pater peccavi nieder. Wir haben mit dem Plane unsres Vereins uns zu Großes vorgenommen und auch unser eignes Bedenken nicht hinausführen können. Mögen unsre Leser aus den Statuten des von uns gewollten Vereins und aus unserm Bedenken unsre Fehler erkennen und uns gütig beurtheilen,22 wenn wir dann nach diesem Eingang einfach erzählen, wie alles und alles bei uns geworden ist. Hier also folgt zunächst unser Bedenken.

Beilage II. Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissenanstalten.

1. Wenn wir Seelsorger auf unsere Dörfer hinauskommen, die Kranken zu besuchen, so finden wir allenthalben solche weibliche Personen, welche sich der Kranken und Elenden mehr als andere annehmen, weil sie durch eine in ihnen liegende Gabe dazu angereizt werden. Sie folgen dem natürlichen Drang. Was ihnen fehlt, ist die Ausbildung der Gabe. Viele von diesen Frauenspersonen würden biblische Diaconissen sein, wenn man sich ihrer annehmen und ihnen die Ausbildung geben möchte. Ausbildung der zum Dienst der leidenden Menschheit begabten Frauen ist ein pium desiderium*)Ein frommes Verlangen, eine fromme Forderung, ein auf ein vorhandenes Bedürfnis gegründetes Ansinnen an die Kirche. und je länger je mehr eine Forderung an die Kirche.

2. Auf dem Lande giebt es viele Familien, die nicht Landleute und eben so wenig Leute von städtischer Bildung genannt werden können: sie stehen mitten inne. Man denke z. B. an Schullehrersfamilien. Die Söhne gehen den allgemeinen Gang der männlichen Berufsbildung; die Töchter aber können keine solche bereitete Bahn betreten. Da sich nun in diesem Mittelstande der Bevölkerung des platten Landes viele leiblich und geistig begabte Frauenspersonen finden, so werden sie aus Mangel an Bildung häufig misgebildet an Geist und Gemüth und benützen ihre Gaben oftmals auf eine üble Weise, zum Verderben des eigentlichen Landvolks. Würde man sich ihrer hingegen annehmen, so würden sie gerade sehr begabte und einflußreiche Trägerinnen und Vertreterinnen göttlicher Gedanken werden. Beßer könnte man sich ihrer aber nicht annehmen, als wenn man ihnen Gelegenheit eröffnete, ihre Gaben für den Dienst der leidenden Menschheit auszubilden. Sie würden dadurch auf eine heilsame Bahn gebracht, würden eine Stellung, und zwar eine heilige und segensreiche Stellung in der Kirche finden23 und die bequemsten Organe der Kirche für christliche Bildung des Landvolks sein: an ihrem Dienste an den Kranken - und Sterbebetten etc. würden viele lernen und zwar nicht bloß Krankenpflege. Also sie würden Segen haben und Segen bringen und zwar den Kranken etc. unmittelbar, mittelbar aber der ganzen, namentlich der weiblichen Bevölkerung. Christliche Bildung des weiblichen Mittelstandes auf dem platten Lande ist also auch ein pium desiderium.

3. Gäbe es Bildungsanstalten für die in Nr. 1 und 2 genannten Klassen der weiblichen Bevölkerung, so würden diese auch von Töchtern aus andern christlichen Familien besucht werden, in denen man nicht eben den Zweck hätte, die Töchter zu Diaconissen bilden zu laßen. Wie viele christliche Familien auf dem Lande würden froh sein, ihren Töchtern einen kurzen Aufenthalt in einer der weiblichen Natur so sehr zusagenden Anstalt zu ermöglichen, wo sie bestimmte Richtung zum Guten bekommen und so vieles lernen und üben könnten, was auch fürs gewöhnliche häusliche Leben von dem größten Werth ist. Es wären solche Anstalten nicht, was die Institute für die Töchter der höheren Stände, in denen alles Mögliche gelehrt wird; diese Anstalten bildeten nichts als die vorhandene Fähigkeit zu weiblich-christlichem Liebesdienst. Gerade damit aber gäben sie der mittleren Bevölkerung viel, zumal es in der menschlichen Natur liegt, daß man überhaupt und im Allgemeinen gebildet wird, wenn man für eine Seite des christlichen Lebens recht gebildet wird. Es kann aber nichts geben, was sich für Frauenspersonen mehr zum Bildungsmittel eignete als die Befähigung zum Dienste der leidenden Menschheit.

4. Diaconissenanstalten, in welchen man die Zwecke von Nr. 1 3 vor allem im Auge behielte, würden Segen für das ganze Land verbreiten und für den besten Theil des Volkes, welchen man noch immer auf dem platten Lande, auf den Dörfern und in den Landstädten wird suchen dürfen. Hier würden Diaconissen gebildet werden, welche ihre Befähigung zum Dienste der Elenden anwenden könnten, sie blieben nun im ledigen Stande oder heirateten. Namentlich die Nr. 1 und 3 genannten Klassen von Zöglingen würden auf alle Fälle und in allen Lebenslagen sein, was sie geworden, hilfreiche Rathgeberinnen ihrer Umgebungen, Beispiele und Quellen echt weiblicher Bildung.

5. Diaconissenanstalten dieser Art würden aber zugleich Seminarien für eigentliche Krankenpflegerinnen in Spitälern und Irrenhäusern, für Kleinkinderlehrerinnen, Bonnen etc., für Missionarinnen etc.24 sein. Die Nr. 1 3 angegebenen Zwecke sind gewiß beifallswerth; aber die eben Nr. 5 angegebenen sind nicht minder in’s Auge zu faßen. Wenn wir nicht von den römischen barmherzigen Schwestern überflügelt werden wollen, und wenn wir mit dem auf diesem Felde reich begabten und reich gesegneten Fliedner doch nicht gehen können, weil seine Thätigkeit uniert ist; so bleibt uns nichts übrig, als uns zum Eifer reizen zu laßen und Anstalten zu gründen, in denen wir für die unabweisbaren Bedürfnisse unserer bisher so vielen Miethlingen preisgegebenen Spitäler, unserer Irrenhäuser, Kleinkinderschulen und Missionen in kirchlicher Weise sorgen. Die Zwecke Nr. 1 3 gehen wesentlich mit den Nr. 5 genannten zusammen; diese geben jenen bei der Ausführung die bestimmte Gestaltung, durch welche die gewünschten Anstalten nur desto anziehender und anerkennenswürdiger werden könnten.

6. Der Mittelpunkt für die Anstalten, von denen wir reden, müßen Spitäler sein. Ohne Spitäler findet die Lehre keine Praxis, und ohne Praxis ist eine Belehrung über den Liebesdienst der Frauen an der leidenden Menschheit kalt und unverständlich.

7. Wollte man nun eine Wirksamkeit, wie sie Nr. 1 5 genannt ist, beginnen; so könnte man suchen, in großen Spitälern, wie sie sich in unsern ersten Städten finden, den Krankendienst zu übernehmen. Allein ganz abgesehen von dem Geist, welcher in größeren Städten die Magistrate, Armenpflegschaftsräthe etc. häufig beseelt, würde man in ein Gewebe von Rücksichten eintreten, welches die noch jugendlichen Bemühungen einschnüren und ein eigenthümliches und naturgemäßes Wachsthum der Sache nicht leicht zulaßen würde. Der Dienst an größeren, schon vorhandenen Spitälern muß wohl Ziel sein, zum Ausgangs - und Anfangspunkt wird er sich kaum eignen.

8. Man könnte auf die kleinen Spitäler in unseren Landstädten das Auge richten. Sie sind meist verkommen und Carricaturen dessen, was sie sein sollten. Die Bevölkerung der größeren Städte ist mit Fürsorge für die Kranken weit beßer versehen, als die der kleinen Städte und des sie umgebenden platten Landes. Es wäre vielleicht die größere Wohlthat, den Dienst in kleinen Spitälern zu übernehmen, neuzugebären, zu organisieren etc. Allein man würde in den kleinen, heruntergekommenen, von ihrem Zwecke ganz abgefallenen Spitälern mit nicht geringeren und wenigeren Hindernissen zu kämpfen haben. Auch würde sich aus einer Anstalt, die ihrem ursprünglichen Zweck gemäß eng und klein angelegt werden mußte,25 nur schwer etwas Größeres und Bedeutungsvolleres entwickeln können. Die kleinen Spitäler eignen sich zu Augenmerken und müßen im Interesse der Bevölkerung ganz besonders anziehen; aber Ausgangspunkte für eine Fürsorge, die in weiteren Kreisen Beachtung finden sollte könnten auch sie nicht werden.

9. Wollte man deshalb Nr. 1 5 ausführen, so müßte man, wenn man z. B. das lutherische Bayern im Auge hätte, an ein oder einige neu zu errichtende Spitäler denken.

10. Dabei fragte es sich nun, wo man solche Spitäler errichten sollte, oh in größeren Städten oder auf dem Lande? Da eine solche Anstalt ihre Hilfsmittel im eigenen Hause vereinigen muß wenigstens muß das doch der Zweck sein; so wird, was die Stadt an besonderen Vorzügen bietet, von den Vorzügen eines wohl gelegenen ländlichen Aufenthaltes überwogen werden. Ueberdies ist es recht, dem beßeren Theile unsers Volkes ein so großes Bildungsmittel, wie eine Anstalt der Art wäre, in den Schooß zu geben. Die Städte sorgen für sich und können es leichter; das Land ist verlaßen und doch gibt es der hilfebedürftigen Kranken und Elenden auf dem Lande nicht weniger als in den Städten; sie sind nur verwahrloster als die städtischen Armen und Kranken. Auch wird die Nr. 1 3 aufgezählte Reihe von Zwecken bei ländlichem Aufenthalt am besten erreicht werden, und die Nr. 5 aufgezählte ihre Befriedigung nicht minder gut als in Städten finden. Wenigstens würde die Wahl zwischen Stadt und Land eine schwere sein, und das Zünglein der Waage sich nicht leicht auf die Seite der Städte neigen.

11. Sehr erleichtert könnte die Ausführung der Sache bei der Wahl einer größern Stadt deshalb werden, weil es in Städten nicht an Lokalitäten zu mangeln pflegt, während auf dem Lande geeignete Räume sich selten finden. Dagegen aber würde, wenn ein Bau vorzunehmen wäre, das Land vorzuziehen sein, weil Platz, Material und Arbeitslohn wohlfeiler käme und überdies würde für ein naturgemäßes Wachsen vom Kleinen zum Großen ein ländlicher Aufenthalt besonders ersprießlich sein. In Städten muß man im Anfang ganz anders auftreten, als auf dem Lande, weil die Verhältnisse zu Repräsentation, um nicht zu sagen Ostentation, einladen.

12. Man wähle nun aber Stadt oder Land, so wird es vor allen Dingen darauf ankommen, einen Ort zu treffen, an welchem die rechten Leute zur Sache sich vereinigen können. So sehr26 liegt alles an Personen und nicht an den Gebäuden, daß man von allem Anfang an jede andere Rücksicht dem Zusammenfinden der Personen unterordnen muß. Von diesem Gesichtspunkt aus sind große Fonds großen Gebäuden vorzuziehen. Die Gebäude der älteren Waisenanstalten sind großen Theils große Denkmale ihrer Stifter geworden, in denen kein Leben mehr haust. Große Fonds aber laßen sich überall hin leiten und können überall ihre Wirkung beginnen, wo man die Persönlichkeiten findet.

13. Von den vorausstehenden allgemeinen Grundsätzen giengen eine Anzahl von Pfarrern und christlichen Frauen aus, als sie den Entschluß faßten, vorbehaltlich der Genehmigung unserer Obrigkeit, die Nr. 1 5 genannten Zwecke durch Gottes Barmherzigkeit sich zum Ziele einer gemeinsamen Thätigkeit zu stecken.

14. Ihr Gedanke wäre, einen Frauenverein für weibliche Diaconie zu gründen, dessen Wirkungskreis das lutherische Bayern, dessen Anfangspunkt die Gründung eines lutherischen Spitals und einer damit verbundenen Diaconissenanstalt, dessen Fortgangspunkt vielleicht die Uebernahme der Bedienung der kleineren und größeren Spitäler etc., dessen liebstes Ziel Bildung der weiblichen Jugend des Landes zum Dienste JEsu in der leidenden Menschheit wäre.

15. Die Vorsteherinnen für Spital und Diaconissenanstalt sind vorhanden, einige schon ausgebildete, der lutherischen Kirche angehörige Diaconissen werden kaum fehlen, eine große Betheiligung christlicher Frauen ist zu hoffen, an männlichem Beistand namentlich von Pfarrern und Seelsorgern, mangelt es nicht.

16. Der Natur der Sache und ihrer Entstehung gemäß ist es, wenn es von Seiten der Obrigkeit keinen Anstand findet, die Wirksamkeit in Neuendettelsau beginnen zu laßen und zwar

  • 1. mit einer kleinen Anstalt für weibliche Angefochtene,
  • 2. mit einer kleinen Anstalt für schwachsinnige Kinder.

So wie Neuendettelsau der naturgemäße Ort für die Ausgeburt und erste Formung der Sache ist, so sind dort die genannten Zwecke gegeben. Anschließen könnte sich jede andere Thätigkeit, also die Pflege anderer leiblich oder geistig Erkrankter etc. Es könnte aus dem Anfang ein Spital hervorwachsen, wie wir es wünschen, und daran sich eine Bildungsanstalt anschließen.

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17. Man hat nicht vor, Neuendettelsau zum bleibenden Sitz einer solchen Anstalt vorzuschlagen, sondern allein den Anfang da zu machen und weiter zu gehen, so wie sich die ganze Sache mehr geformt und geweitert hat.

18. Jedenfalls wird nichts begonnen, bevor die k. Regierung ihre Genehmigung zur Gründung von Spitälern und zur Gründung des obbezeichneten Vereins gegeben hat.

§. 2.Diaconissenanstalt Neuendettelsau.

Ehe wir nun zur Erzählung unsrer ersten Diaconissenzeit übergehen, dürfen wir nicht leugnen, wie wenig uns von Anfang an daran gelegen war, andern Diaconissenanstalten ähnlich zu werden. Wir haben keine Reise gemacht, um Fliedner’s große und mit Recht berühmte Arbeit anzusehen; wir haben kaum einen Bericht gelesen, wir haben uns die Gedanken je nach unsern Bedürfnissen gemacht und haben recht wohl gewußt, daß wir die Leute nicht waren, andern nachzufolgen. Obendrein waren wir ja Lutheraner, die bereits ihre Geschichte gehabt und abgeschloßen hatten, die nichts gewisseres wußten, als daß man ihnen von vielen Seiten her schon um ihrer Vergangenheit willen wenig Vertrauen schenkte. Dennoch sahen wir selbst in unsrer Vergangenheit gar kein Hindernis, unsrer Heimath zu dienen, sondern im Gegentheil glaubten wir, derselbigen unsern praktischen Dienst schuldig zu sein und es dabei getrost erwarten zu können, bis unsre Misgönner an dem von uns zu leistenden Dienst klar würden, was und wie wir es meinten. Was wir je und je gewollt hatten, schien uns recht zu sein, und daß man uns von vornherein weder glaubte noch zutraute, daß wir es gut meinten, schien uns nicht an unserm Verhalten, sondern an den Verhältnissen zu liegen, unter denen28 wir nach Gottes Willen zu leben und die wir durch seine Gnade zu überwinden hatten. Es schien uns, als sei von uns geschrieben: dazu seid ihr berufen.

Wir haben schon bemerkt, daß der Verein für weibliche Diaconie gleich in seiner ersten Zeit drei Vorsteherinnen berief, welche für seine gesammte Thätigkeit die eigentliche Mitte bilden sollten. Die ersten beiden waren Memmingerinnen, zu denen man deshalb ein besonderes Vertrauen hatte, weil sie sich in einer wichtigen Zeit vorher, da das confessionelle Leben bei uns in Bayern kräftiger emporgegangen war, trotz der schwierigen Umstände, die damals stattfanden, sehr wohl und ernst benommen hatten. Die eine von diesen, Caroline Rheineck, war zwei Mal in Kaiserswerth gewesen und hatte sich wegen ihrer Augenleiden wieder zurückziehen müßen. Sie hatte hernach mit großem Beifall die Kinderschule ihrer Heimathstadt Memmingen übernommen. Bei den bedeutenden Talenten, die sie hatte, und ihrer sittlichen Haltung, hatte sie großen Anklang gefunden, und sie war es, die zur ersten Vorsteherin des Diaconissenhauses berufen wurde. Eine zweite, eine Tochter des Kirchenraths Rehm zu Memmingen, hatte ganz andere Gaben und Talente und trat nach dem schnellen Tode der ersten Vorsteherin an deren Stelle, und sie ist es, die seitdem nicht blos die Stelle der ersten, sondern geradezu die Stelle der Vorsteherin bekleidet und mit großem Verstand und Würde als Hausmutter das Ganze regiert hat. Die Stelle der dritten Vorsteherin ging nach dem Tode der ersten, Caroline Reineck, ein und wurde nie wieder besetzt, so daß es eine längere Zeit nur zwei Vorsteherinnen gab. Die dritte Vorsteherin schied später ohne äußere Ursache, blos nach eignem Ermeßen, aus dem Diaconissen-Verbande aus, bis sie dann späterhin auch freiwillig wieder eintrat. Die ersten drei Vorsteherinnen kamen zuerst im November des Jahres 53 versuchsweise29 hierher und traten darauf im April 1854 definitiv ihren Beruf hier an. Bei dem großen Mangel an Platz, der hier je und je gewesen, wohnten sie zuerst mit sechs Diaconissenschülerinnen und zwei Hospitantinnen in den oberen Räumen des Gasthauses zur Sonne, wo früherhin auch Inspector Bauer und seine Missionsschüler gewohnt hatten, ehe er sich ein eignes Wohnhaus gekauft hatte. Ueberhaupt war das hiesige Gasthaus zur Sonne lange Jahre mit den hiesigen Anstalten verbunden, und was man auch an dieser Wohnung auszusetzen hatte, immer war sie den Anstalten erträglich und diese fanden ihr Gedeihen darin. So war es auch mit der werdenden Diaconissenanstalt. Bis zur Genehmigung des Programms und der Statuten der Anstalt wohnten die drei Vorsteherinnen mit ihrer kleinen Schaar, in der Sonne, als Privatanstalt, und man wagte es von hier aus am 9. Mai des Jahres 1854, am Tage Hiob, die Anstalt feierlich zu eröffnen. Nachmittags um 2 Uhr versammelten sich die Männer im dortigen Pfarrhause, Frauen und Jungfrauen der theilnehmenden Kreise in der Wohnung der drei Vorsteherinnen zur Sonne. Von da aus zog man in die dicht besetzte Kirche, wo sich ein zahlreiches Publicum der Umgend versammelt hatte. Nach dem Orgelpräludium brach die Versammlung in die beiden ersten Verse des Liedes: Komm heiliger Geistes aus. Zwei Zöglinge der Missionsanstalt vertraten die Stelle von Lectoren und lasen vom Orgelchor herunter als Evangelium des Tages Matth. 25, 31 46. und als Epistel Röm. 16, 1 16. Diese Lectionen fanden so tiefen Anklang im Herzen der Hörer, daß man hernach beschloß, sie beide als stehende Lectionen für den 9. Mai in der Anstalt zu behalten. Wirklich klingen seitdem die beiden großen Lectionen an Feiern und Feiertagen des Diaconissenhauses immer wieder. Darauf sang man V. 1 und 2 des Liedes30 Nun bitten wir den heiligen Geist. Hierauf Rede des Decans Bachmann als Vereins Vorstandes, an deren Schluß derselbe Namens der Muttergesellschaft dem leitenden Collegium der Diaconissenanstalt in Neuendettelsau die letztere feierlich und förmlich übergab. Nach dem dritten Verse des angefangenen Liedes antwortete der Pfarrer Löhe als Vorstand des leitenden Collegiums dem Decan und acceptirte die geschehene Uebergabe der Diaconissenanstalt, redete auch bei dieser Gelegenheit die Vorsteherinnen und die Schülerinnen der Anstalt, die sämmtlich am Altare versammelt waren, an. Nach dem vierten Verse jenes Liedes folgte noch eine Ansprache des erwählten Anstaltsarztes, Dr. Schilffarth. Darauf sang der Windsbacher Sängerchor exaudi nos domine und Katechet Bauer sprach Gebet und Segen, worauf die Versammlung den ersten Vers des Liedes Wie schön leucht uns der Morgenstern sang, und darauf zog man sich an die Orte zurück, von denen man ausgegangen war, und blieb vergnügt, bis nach 6 Uhr abends zusammen.

Von da an war die Diaconissenanstalt als eröffnet anzusehen. Der Arzt eröffnete am 12. Mai seinen physiologischen Einleitungsunterricht zur leiblichen Krankheitspflege. Ebenso begann schon vorher der Unterricht des Geistlichen, während der dritte Lehrer der Anstalt, Cantor Güttler, die Zeit zwischen Eröffnung der Anstalt und dem Beginn seines Unterrichts anwendete und zum Behuf der ihm neben dem Gesangunterricht übertragenen und bereits in’s Leben getretenen Blödenanstalt die Blödenanstalt zu Winterbach in Württemberg besuchte. Der erste Curs der Diaconissenschülerinnen bestand aus folgenden Schülerinnen:

  • Anna Dorothea Kreißel aus Habburg,
  • Margarethe Endres aus Schwabach,
  • Ursula Tieb aus Memmingen,
  • 31
  • Johanna Prey aus Augsburg,
  • Emma Tintz aus Allstätt in Thüringen,
  • Katharina Hommel aus Fürth,
  • Maria Hörner aus Schillingsfürst.

Sonst fanden sich gleich zum ersten Curse acht Schülerinnen ein, die nicht eigentlich in Absicht hatten, Diaconissen zu werden, sondern Diaconissenbildung für ihre heimathlichen Verhältnisse suchten.

Es war damals ein überaus reges und fröhliches Leben in der Diaconissenanstalt. Die Lehrer lehrten, die drei Vorsteherinnen repetierten den gesammten Unterricht und regierten das Haus, und alle Schülerinnen fügten sich herzlich gern in die engen Verhältniße zur Sonne, und wer von ihnen noch jetzt übrig ist, erschöpft sich zuweilen in das Lob und die Schönheit der ersten Zeit. Man könnte spaßend und doch im vollen Ernste sagen, so wohl sei es der Diaconissenanstalt nie gewesen als in der Sonne. Aber freilich bei aller dieser Herrlichkeit sah man schon damals, daß man in der Sonne nicht bleiben könne, sondern daß man eine ordentliche Wohnung bedürfte. Dettelsau besitzt ein altes ziemlich großes Schloß der Freiherren von Eyb mit einem angenehmen und hübsch gelegenen Garten. Dieses hätte man einfach beziehen können, wenn die Besitzer geneigt gewesen wären, es dem Diaconissenhause zu vermiethen. Das aber und alles andere gieng nicht, so daß man nothgedrungen an das Bauen denken mußte. Der Arzt des Hauses und andere unter uns besahen die nächst gelegene Umgegend und am Ende wurden alle einig, daß man den Ort wählen müsse, auf dem hernach mit eilender Entschloßenheit das Diaconissenhaus wirklich gebaut wurde. Es war der höchste Ort der Umgegend, nah am Walde, wo alle Tage die Rehe Besuch machten, eine Spitze mitteninne des Waldweges und des Petersauracher Weges, der sogenannte32 Förthner’sche Hopfenacker. Der wurde erkoren. Professor Böhrer in Nürnberg zeichnete den Plan, der bald obrigkeitlich genehmigt war. Meister Scheuenstuhl von Kloster Heilsbronn bekam die Aufgabe des Baues, die Schwestern machten eine hohe Flagge, welche die ganze Bauzeit über vom Bauplatz wehte, und es entwickelte sich nun eine rasche und unaufhaltsame Thätigkeit, die keine Ruhe mehr hatte, bis der Grundstein zum Bau gelegt wurde und bis das Gebäude selber eingeweiht werden konnte. Die Grundsteinlegung geschah bereits am 23. Juni, St. Johannis des Täufers Vorabend. Die Leiter und Freunde der Sache erachteten es für angemeßen, daß es auf eine würdige Weise unter Gebet und Segen aus Gottes Wort geschehe. Am Freitag nach Trinitatis, Nachmittags 4 Uhr, zogen sie, begleitet von einer ansehnlichen Zahl Theilnehmender aus der Nähe und Ferne hinaus zum Bauplatze. Voran der Ortspfarrer mit dem Cantor der Missions und Diaconissenanstalt, den Schülern der erstern und den Zöglingen des Pfarrwaisenhauses zu Windsbach, welchen sodann die anwesenden Geistlichen aus der Umgegend, die Vorsteherinnen mit den Diaconissen und Schülerinnen und die mitfeiernden Freunde und Freundinnen der Sache sich anreihten. Als der Zug dem emporwachsenden Gebäude sich etwa auf 100 Schritte genähert hatte, begann man mit dem Liede: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. An der südöstlichen Ecke des Baues machte man Halt, und Inspector Hensolt von Windsbach sprach: Unsere Hilfe stehet im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat und verlas sodann die erste biblische Lection Evang. Matth. 20, 20 28. von den Kindern Zebedäi. Sodann betete Pfarrer Löhe die Collecte:

Herr Jesu Christe, der du nicht kommen bist, daß du dir dienen laßest, sondern daß du dienest und gebest dein33 Leben zu einer Erlösung für viele und bist ein Herzog worden aller derer, die da lieb haben und ihr Leben für die Brüder laßen: verleihe uns, deinen Knechten und Mägden, daß wir dir zu Dienst und denen, die nach deinem Willen leiden, dies Haus bauen und, wie wir es angefangen haben, es auch zu Ende bringen. Amen!

Darauf zog die Versammlung unter dem Gesang des 5. und 6. Verses vom angefangenen Liede an der Südseite des Baues weiter bis zur Stelle des Haupteinganges. Hier folgte der 2. biblische Abschnitt Joh. 13, 4 17. vom Fußwaschen, und es wurde die weitere Collecte gesprochen:

O Herr, der du, obwohl ein Herr und Meister, deinen Jüngern die Füße gewaschen und deiner Knechte Leib und Seele mit deinem Blute gereinigt hast: gib allen denen, die in dies Haus eingehen wollen, dir in deinen Leidenden dienen zu lernen oder zu dienen, daß sie gesinnet seien, wie du, und es für Gewinn achten, deinen geringsten Brüdern die Füße zu waschen. Amen!

Darauf bewegte sich der Zug um die südwestliche Ecke des Baues bis zur Nordseite, wobei man V. 1 3 des Liedes: Herzlich lieb habe ich dich, o Herr sang und darauf die berühmte 3. Lection Matth. 25, 31 46. gelesen und die Collecte gesprochen wurde:

O Herr, der du alle Dienste, die man den geringsten deiner Kinder thut, ansehen willst als dir gethan: verleihe allen deinen Christen, daß sie deines großen Tages denken und von Herzensgrund voll himmlischer Begier nach deinen süßen Worten eifrig dienen deinen Armen. Amen!

Hierauf sang die Versammlung V. 1 3 des Liedes: Fang dein Werk mit Jesu an und zog nach der nordöstlichen34 Ecke des Baues, wo der Schluß des Grundsteines zu geschehen hatte, da an den übrigen Seiten der Bau bis über den Sockel hinausgediehen war. Hier ergriff nun Decan Bachmann von Windsbach als Vorstand des Vereins das Wort und sprach die Versammlung in der nachfolgenden Weise an:

Es ist noch nicht lange her, meine Lieben, daß wir dort in jenem freundlichen Kirchlein versammelt waren und in Gedanken herausgeblickt haben auf dieses Feld, das dazumal noch voll roher Stöcke und Steine lag. Wir haben da einem im Interesse der leidenden Menschheit gefaßten Liebesgedanken durch Eröffnung unserer Diaconissenanstalt den ersten thatsächlichen Ausdruck gegeben und dabei wie aus weiter Ferne noch nach einem Hause hinausgesehen, das dieser Anstalt wiederum zur Vermittlung ihrer Zwecke dienen möchte. Und siehe! jetzt, nach Verlauf von einigen Wochen schon, stehen wir da nicht, um etwa erst den Grundstein dieses Hauses zu legen, sondern um dieses bereits einige Schuh hoch über die Erde heraufgewachsene Gemäuer mit unsern Liedern und Gebeten zu begrüßen. Ist das nicht ein sprechender Beweis, daß der Herr Wohlgefallen hat an unserm Werk und Wege nicht ein sichtbares Unterpfand, daß Gott auch weiterhin uns gnädig sein und seine Hand nicht von uns abthun werde? Und wie könnte es auch anders sein bei einer Sache, wie die ist, der dieser Hausbau dienstbar werden will die eben darum, weil sie im Interesse der leidenden Menschheit betrieben wird, zugleich auch recht eigentlich die Sache Dessen ist, der gesagt hat: Was ihr der Geringsten Einem unter meinen Brüdern thuet, das thut ihr mir? Fürchtet nicht, daß ich mich auf’s Neue in eine Darlegung der Bestimmung dieses Hauses oder in Lob und Preis des Segens verlieren werde, den wir von demselben erwarten nein, es sind das schon wiederholt besprochene und Euch zur Genüge geläufig gewordene Dinge. Lediglich den Gefühlen, die sich beim Rückblicke in die Vergangenheit und beim Hinausblick in die Zukunft in meinem Herzen bewegen, einen kurzen schwachen Ausdruck zu geben, bin ich gegenwärtig vor Euch aufgetreten. Indem ich zu dem Ende diese Hand zum Himmel erhebe, um wenn es möglich wäre, Gottes Hand zu ergreifen und dankbar für die Freundlichkeit zu küßen, mit der Er sich bis jetzt schon zu unserem Unternehmen bekannt hat, strecke ich meine andere segnend über dieses Gemäuer aus, in der getrosten35 Zuversicht, daß, der das gute Werk angefangen hat, es auch vollführen wird bis an den Tag, von welchem an man keiner solchen Häuser mehr bedürfen, sondern in jenen Hütten wohnen wird, da kein Tod und kein Leid und kein Geschrei und kein Schmerz mehr ist, da Gott abwischen wird alle Thränen von unseren Augen. Aber nicht meinen Segen allein soll und will ich auf diese Stätte legen, sondern auch den all der lieben Brüder und Schwestern, die mit mir zu dem Liebeswerke, dem dieses Gebäude dienen soll, verbunden sind. Vernehmet deshalb mit Aufmerksamkeit den Inhalt dieses Actenstücks in meinen Händen hier, das eine wortgetreue Abschrift ist des in diese Kapsel verschloßenen, zur Einlegung in diesen Eckstein bestimmten Originals. Dasselbe ist von allen Unternehmern, Lehrern, Helfern und Helferinnen unsres Vereins für weibliche Diaconie, sowie der Diaconissenanstalt dahier unterzeichnet und lautet folgendermaßen.

Decan Bachmann las hier das Document nach seinem folgenden Wortlaut: Im Namen Jesu. Im Jahre des Heils 1854, am 23. Junius an St. Johannis des Täufers Vorabend, an einem Freitag Nachmittags 5 Uhr, ist der Grund und Sockel dieses Diaconissen - und Krankenhauses feierlich geschloßen und durch Gebet und Gottes Wort geweiht worden.

In demselbigen Jahre herrschte über diese fränkischen Gaue König Maximilian II., Herzog von Bayern. Derselbe war, obwohl der römisch-katholischen Kirche zugethan, menschlichen Rechtes summus episcopus der lutherischen Kirche in seinem Königreich, regierte aber dieselbe Kirche durch ein Oberconsistorium ihres eigenen Glaubens, an dessen Spitze er als Präsidenten gesetzt hatte den lutherischen Dr. theologiae Adolf Harleß von Nürnberg. Dieser war der erste Oberconsistorialpräsident geistlichen Standes, nachdem alle seine Vorgänger Juristen gewesen waren. Der HErr wolle das Wort der Wahrheit durch die Hand dieses Mannes fortgehen laßen und siegen in dieser armen bayerischen Landeskirche!

Neuendettelsau war zur selben Zeit eine lutherische Parochie, in deren Mitte die Pfarrkirche St. Nikolai zu Neuendettelsau stand. Zu dieser gehörten als Filialkirchen die Kirche St. Laurentii zu Wernsbach und die Kirche zu Reuth, auf deren Altar das Bildnis Johannis des36 Täufers stand. Außer den genannten Dörfern pfarrten nach Neuendettelsau das Dorf Bechhofen an der Rezat, das Dorf Haag, der Birkenhof, die Geichsenhöfe sammt Mühle und die Froschmühle. Pfarrer zu Neuendettelsau war Johann Conrad Wilhelm Löhe, von Fürth gebürtig. Cantor und Schullehrer war Andreas Kamberger von Großgründlach.

In dem Orte Neuendettelsau war damals eine Missionsschule, welche bereits viele Gemeinden von ausgewanderten Deutschen in Nordamerika mit Predigern und Schullehrern versehen hatte. Vorsteher der Missionsschule war der ordinierte Predigtamtscandidat Friedrich Bauer von Nürnberg, welcher in Gemeinschaft mit dem genannten Pfarrer und dem dritten Lehrer und Cantor der Anstalt Georg Güttler von Neuendettelsau in jenem Jahre neun Schüler für den Dienst der nach Nordamerika ausgewanderten Deutschen und der Heiden unterrichtete. Beihilfe in der Lehre leistete auch Pfarrer Johann Tobias Müller zu Immeldorf.

Auch war zu Neuendettelsau in dem genannten Jahre eine Diaconissen - und Krankenanstalt errichtet worden, die erste lutherische Anstalt für diesen Zweck in Bayern. Der genannte Pfarrer im Verein mit dem praktischen Arzte Dr. Schilffarth von Windsbach und dem Anstaltscantor Georg Güttler von Neuendettelsau unterrichtete bereits zwölf Schülerinnen, von denen sich sieben dem eigentlichen Dienste der Diaconissen geheiligt hatten, fünf aber dieselbe Ausbildung genaßen, um in ihren gewöhnlichen heimatlichen Lebenskreisen, in den Häusern ihrer Eltern oder, wohin sie Gott führen würde, zum Dienste der Unmündigen und der Leidenden tüchig zu werden.

Damit diese Diaconissenanstalt ihre Zwecke desto beßer erreichen möchte, baute der im heutigen Jahre entstandene Verein für lutherische Diaconie in Bayern dieses Haus.

Vorsteherinnen dieses Vereins und der Diaconissenanstalt waren Jungfrau Karoline Rheineck von Memmingen, Jungfrau Amalie Rehm von Memmingen und Jungfrau Helene v. Meyer von Nürnberg. Vorstand im Helfercollegium des Vereins war Eduard Bachmann, Decan der lutherischen Diöcese Windsbach und Stadtpfarrer zu Windsbach. Vorsteherin des Collegiums der Helferinnen war dessen Gattin, Frau Emilie Bachmann.

Dieses Haus ist gebaut nicht aus dem Reichthum der Unternehmer, sondern auf Wagnis des göttlichen Wohlgefallens. Die Kosten37 des Baues wurden durch Geschenke, unverzinsliche und verzinsliche Darlehen aufgebracht. Durch nach und nach einkommende Geschenke sollen die Schulden bezahlt werden. Am Tage der heutigen Feier, wo bereits Keller und Sockel sammt dem Brunnen fertig waren, und die westliche Mauer sammt einem Theile der südwestlichen mehr als Fensterhöhe erreicht hatte, war Hoffnung vorhanden, daß der Herr der barmherzige Gott alle Sorge auf sich nehmen und unserem Vorhaben sein gnädiges Gedeihen schenken werde.

Dies Haus soll sein wie ein Altar des Zeugnisses auf dieser Höhe dem HErrn, dem dreieinigen Gott, dem Vater, Sohne und Geiste, zum Ruhm und Preis und Dank für seine ewige Barmherzigkeit und Gnade gegen uns arme Menschen auferbaut. Der Herr laße sich unsere arme Stiftung wohlgefallen und laße dies Haus Sein Haus sein, bis seine Zeit vorüber ist, und es wie alle irdischen Dinge dahin fallen wird. Es kann niemand einen andern Grund legen, als den, welcher auch diesem Hause gelegt ist, unseren einigen hochgelobten HErrn und Heiland Jesum von Nazareth, den Christus Gottes. Auf diesem Grunde soll bleiben dies Haus bis an sein Ende. Gesegnet seien die in diesem Hause und über diesem Grunde wohnen, wandeln, dienen, leiten und lehren! Gesegnet seien die Lernenden, die Uebenden, die Kranken, die Sterbenden auf diesem unserem einigen Grunde! Der Segen gehe aus von diesem Hause rings in dies Land wie die Quelle Siloah, die still ist und klein, und dennoch reich und hochberühmt im Hause Gottes! Gottes Gruß und Segen gehe in barmherziger dienender Liebe von diesem Hause aus in die vier Winde auf die Berge und in die Thäler und in die Breiten unseres Heimatlandes! Es sei auch Friede mit diesem Hause und mit denen, die drin wohnen, und das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes reinige uns von aller unserer Sünde! Amen.

     Neuendettelsau, den 23. Juni am Johannisvorabend 1854.

Karoline Rheineck. Amalie Rehm. Helene v. Mayer. Eduard Bachmann, Decan und Pfarrer von Windsbach. Dr. Schilffarth. Müller, Pfarrer zu Immeldorf. Kündinger, Pfarrer zu Petersaurach. Hensolt, Inspector des Pfarrwaisenhauses zu Windsbach. Fischer, Pfarrvicar zu Weißenbronn. Friedrich Bauer, Inspector der Missionsanstalt. Johann Georg Güttler, Anstaltscantor. Löhe, Pfarrer von Neuendettelau. Wilhelmine Hensolt. Sophie v. Tucher. Julie Bauer.

38

Nach geschehener Vorlesung des Documents richtete Decan Bachmann an Pfarrer Müller von Immeldorf die Aufforderung, die Kapsel mit dem Originale in das Gemäuer einzulegen und ein Wort der Weihe darüber zu sprechen. Demgemäß sprach dieser darauf die folgenden schönen Worte:

Im Namen des dreieinigen Gottes schließen wir nun diesen Grundstein und befehlen, wie es Christen geziemt, das Werk unserer Hände der gnädigen Hilfe dessen, der gesagt hat: Ohne mich könnet ihr nichts thun. Ganz abgesehen von der besondern Bestimmung des Hauses, das hier erbaut werden soll, führt an sich schon dieser, wie jeder andere Bau uns auf geistliche Betrachtungen, die wohl werth sind, daß wir, die leibliche Arbeit unterbrechend, einige Augenblicke dabei verweilen. Wer die heilige Schrift kennt, der weiß, wie so viele lehrhafte, mahnende, trostreiche Gleichnisse dieselbe von menschlichen Bauwerken hernimmt, Bilder, in welchen Leibliches geistlich gedeutet, das Irdische und Vergängliche im Lichte des Ewigen und Unvergänglichen verklärt wird. Können wir, meine Lieben, an die Aufgabe denken, der wir uns unterzogen haben, an das Wenige, was bereits gethan, und an das Viele, was noch zu thun ist, bis wir werden sagen können: Nun Gott lob! es ist vollbracht ohne uns des Psalmspruchs zu erinnern: Wo der HErr nicht das Haus bauet, da arbeiten umsonst, die daran bauen? Ja freilich, wenn Er zerbricht, so hilft kein Bauen: darum eben heben wir jetzt betende Herzen und Hände zu dem großen Gotte Himmels und der Erde empor, damit Er zu unserm Werke seinen Segen, zu unserm Wollen das Vollbringen gebe nach seinem Wohlgefallen. Der Grund des Hauses ist gelegt, und einen guten, sichern, festen Grund, wie ihn kluge Bauleute nur immer wählen können, haben wir hier gefunden; denn diese Steine ruhen auf Felsen, die unter ihrer Last nimmer weichen werden. Aber dieser Grund genügt uns nicht; wir wißen, daß wir eines noch festern, eines unbeweglichen bedürfen. Darum freuen wir uns der Verheißung: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist. (Jes. 28, 16.), und weil wir wißen, daß unsere Sache des HErrn ist, so dürfen wir Ihn, JEsum Christum, im Glauben bitten, daß Er selber mit seiner schaffenden, wirkenden, erhaltenden Gnade der Grund und Eckstein dieses Hauses sein wolle, damit es in seiner heiligen Obhut bleibe und bestehe. 39Des Sinnes sind wir ja doch alle, daß wir in Amt, Haus und Herz keinen andern Grund legen wollen, als den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau in einander gefüget, wächset zu einem heiligen Tempel des HErrn. Das wollen wir also, neben unserm Unvermögen, ohne Gottes Hilfe etwas ausrichten zu können, laut bezeugen, daß dieses Haus nur dann seiner Bestimmung werde genügen können, wenn Christus der HErr in demselben und in allen denen wohnt, wirkt und lebt, die in diesen Räumen wohnen, wirken und leben werden. So wird dieses Haus, wie wir es ja herzlich wünschen, der Gemeinde, in deren Mitte es aufgerichtet wird, der Umgegend, welcher es einen geistlichen Halt gewähren soll, der ganzen Landeskirche, der es dienen will, und über die engen Grenzen desselben hinaus noch vielen Andern zum Segen gereichen und ein Geruch des Lebens zum Leben wird von demselben ausgehen zur Ehre des HErrn, dessen Name hier bekannt wird. Eine Anstalt, welche wie diese dem Dienste geistlich und leiblich Leidender gewidmet ist, hat man schon lange als ein Bedürfnis für unsere Zustände erkannt; aber darauf kommt es an, daß das erkannte und tiefgefühlte Bedürfnis auch in rechter Weise befriedigt werde. Nun, der Anfang dazu ist im Glauben gemacht, im Glauben soll das Werk fortgeführt werden, damit es bestehe im Lichte der göttlichen Gnade. Heute, da wir dem bereits gelegten Grunde den Schlußstein einfügen, sprechen wir: Bis hieher hat der HErr geholfen! Und dabei haben wir die Zuversicht, daß hier Seine Hilfe noch nicht aus sein, Seine Barmherzigkeit noch kein Ende haben werde. Nein, wir wißen, sie wird auch ferner alle Morgen neu werden über die, so an dem Bau mit irdischem Material arbeiten, daß kein Unfall beim Fortführen desselben sie betreffe und Schaden und Gefahr von jedem ferne bleibe; sie wird immer wieder neu werden, die Barmherzigkeit unseres großen Gottes und Heilandes über die, so in dieses Haus dereinst einziehen werden, dem HErrn in seinen armen Gliedern da zu dienen, und zumal an denen wird Seine Liebe und Treue sich nicht unbezeugt laßen, die hieher ihre Zuflucht nehmen werden, um, wie sie’s bedürfen, leibliche und geistliche Genesung hier zu suchen und, will’s Gott, auch zu finden. Wir leben alle von der Gnade des HErrn, welche bei denen ist, die Seinem Namen trauen. Laßet uns Ihm die Ehre geben, so läßt Er uns nicht zu Schanden werden; laßet uns auf Ihn uns gründen und bauen, so wird unsere Arbeit nicht vergeblich sein in dem40 HErrn! Wie dieser Bau in die Höhe steigen wird, so müße unser Glaube, unsere Liebe, unsere Hoffnung wachsen; wie da Stein an Stein gefügt wird, so müßen wir als die lebendigen Steine uns bauen zum geistlichen Hause und zum heiligen Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind, durch JEsum Christum, und wie wir dieses Hauses uns freuen werden, wenn es mit des HErrn Hilfe aufgerichtet stehen wird, so müßen wir uns noch vielmehr freuen, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Spreche der HErr dazu sein gnädiges Amen! Unsere Hilfe stehet im Namen des HErrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Und der HErr, unser Gott, sei uns freundlich, und fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das Werk unserer Hände wolle Er fördern.

Hiemit wurde die Kapsel in den Grundstein eingelegt und derselbe Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes mit den drei üblichen Hammerschlägen geschloßen, auf welches sodann die Hammerschläge der übrigen Anwesenden in herkömmlicher Weise folgten.

Nachdem in solcher Weise der Grundstein geschloßen war, intonirte Herr Katechet Bauer die Schlußliturgie:

Einen andern Grund kann niemand legen, denn der gelegt ist. Chor: Hallelujah! Es ist in keinem andern das Heil. Chor: Hallelujah! Der Herr sei mit euch. Chor: Und mit deinem Geiste. Laßet uns beten:

O HErr, allmächtiger Gott, verleihe, daß alle, die aus diesem Grunde bauen und solchem Bau mit reinem Herzen dienen, am Leibe stark und heil an ihren Seelen ihrer Hände Arbeit im Segen thun und wohl vollbringen. Durch unsern HErrn JEsum Christum, Deinem Sohn, der mit Dir lebet und herrschet immer und ewiglich. Chor: Amen. Der HErr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände. Chor: Hallelujah. Ja das Werk unserer Hände wolle Er fördern. Chor: Hallelujah. Der HErr sei mit euch. Chor: Und mit deinem Geist.

41

Laßet uns beten:

All unser Thun, o HErr, wollest Du mit Deinem Geiste beginnen und durch Deine Hilfe fördern, auf daß unser Thun und Vornehmen stets mit Dir beginne und durch Dich zum guten End und Ziel gelange. Durch unsern HErrn JEsum Christum. Chor: Amen. Laßet uns benedeien den HErrn. Chor: Gott sei ewiglich Dank. Der HErr segne euch und behüte euch. Der HErr erleuchte sein Angesicht über euch und sei euch gnädig. Der HErr erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden. Chor: Amen.

Der Gesang von V. 4 u. 5 des Liedes: Fang dein Werk mit Jesu an schloß den Act.

Auf diese Weise wurde die Feier der Grundsteinlegung des Diaconissenhauses gehalten.

Der Bau nahm seinen erwünschten Fortgang, so daß man hoffte, ihn bis Ende Juli unter Dach zu sehen. Das 100 Fuß lange, zweistöckige Hauptgebäude nebst dem 65 Fuß langen Flügelbau glaubte man noch frühzeitig im Herbste beziehen zu können und auch den andern Flügel wollten Freunde auf ihre Kosten gerne noch herstellen laßen, wenn es nur möglich gewesen wäre. Allein man sah voraus, daß außer den 125,000 Backsteinen, die zu dem Hauptgebäude und dem einen Flügel noch erforderlich waren, für dieses Jahr kein weiteres Baumaterial mehr herbeizuschaffen war und mußte daher den Eifer bis in das nächste Jahr kühlen.

Eine vorzüglich dankenswerthe Gabe Gottes war schon damals ein ergiebiger Brunnen mit vortrefflichem Waßer. Bei der Höhe der Lage war man ängstlich geworden, als man 50 Fuß tief graben und arbeiten mußte, ehe sich nur Waßer zeigte. Die ganze Lage von Dettelsau ist so, daß man ringsum kein lebendiges Waßer zu finden wußte, denn die spärlichen Quellen, die man später fand, kannte man damals noch gar nicht, und wenn man sie gekannt hätte, hätten auch sie keine Hoffnung gegeben. Deshalb aber kam in die Seele42 der Bauunternehmer nicht der geringste Zweifel. Man baute freudig fort und traute dem von Tag zu Tag sich mehr offenbarenden Gottessegen ohne Wanken, bis man endlich so weit gekommen war, daß man am 20. September 1854 in einer öffentlichen Ankündigung für den 12. October, den Maximilianstag, die Freunde unseres Unternehmens zur öffentlichen Einweihungsfeier einladen konnte.

Alles wurde angewendet, dies Ziel zu erreichen und wir hatten damals in der That nicht zu klagen, daß uns viele Hindernisse entgegengekommen wären. Einen solchen Fleiß und Eifer der Bauleute haben wir späterhin nicht wieder zu sehen bekommen. Insonderheit hatten wir einen Haufen Schopflocher Maurer im Dienste, denen wir alles und jedes zumuthen durften, Arbeit des Nachts, wie Arbeit am Tage und eine ausnehmende freudige Willigkeit. Ueberhaupt aber sahen wir uns von allen Seiten unterstützt. Die Landleute der Gegend halfen und frohnten, wie man es aus früheren Zeiten bei Kirchenbauten zu hören gewohnt war, und wenn man sich zuweilen erinnerte, daß man am 9. Mai noch in der Sonne wohnte, am St. Johannisabend den Grundstein legte und nun bereits am 20. September die gesicherte Hoffnung hatte, am 12. October einen verhältnißmäßig so großen Bau einzuweihen und gleich zu beziehen, so schien es, als hätte Gott der Herr selbst unmittelbar zur Sache geholfen. Alles freute sich auf das schöne Ende der schön gewesenen Bauzeit. Als nun aber der Maximilianstag herzukam, da drohte die Freude zu Waßer zu werden. Der heitere Himmel umwölkte sich und die ganze Gegend wurde in strömenden Regen eingehüllt, so daß Weg und Land durchweicht wurden und bald ernstliche Zweifel erwachten, ob es wirklich zu einem Feste, geschweige zu einem großen Festzuge würde kommen können. Dennoch aber sammelte sich’s von nah und fern zur43 Feier. Weg, Wetter und Regen boten kein Hindernis, und wir erlebten es, mitten im Schmutze eines armen Dorfes ein überaus fröhliches Freudenfest zu feiern. Am ersten November des Jahres 1854 erschien in dem Correspondenzblatt der Gesellschaft für innere Mission eine Beschreibung des fröhlichen Festes, die wir hier wiedergeben wollen und die wir, wenn es nicht des Guten gar zu viel wäre, noch dadurch erhöhen könnten, daß wir sie mit manch schöner Stelle aus einer andern damals erschienen Beschreibung (siehe das Blatt Nr. 42 vom 19. October 1854 in Wiener’s evangelisch lutherischer Kirchenzeitung in Bayern) versetzen würden. Das Correspondenzblatt referirt in folgender Weise:

Schon am Tage vor der Einweihung waren viele Freunde des Werks, so viel ihrer in den beschränkten Räumen des Dorfes Herberge finden konnten, eingetroffen. Der Nachmittag und Abend bot den versammelten Gästen, meist Geistlichen von nah und ferne, Gelegenheit, diese und jene wichtige Angelegenheit der Kirche zu besprechen und im brüderlichen Kreise der Einigkeit des Geistes und Glaubens sich recht bewußt und dessen froh zu werden.

Der Morgen des Festtages brachte der Gäste mehr, und der Gottesdienst am Morgen des Maximilianstages vereinigte sie zu ernster Feier. Pfarrer Löhe predigte über Ps. 73, 25 und 26: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde etc. und führte mit eindringlichen Worten den Hörern die Wahrheit zu Gemüthe, wie wenig der Mensch Ursache habe, und wie wenig es Befriedigung gebe, mit Wohlgefallen in seinen Werken, statt allein in Gott, zu beruhen; wie der nur der Lehre von der Rechtfertigung mit ganzem Glauben zufalle, der in Abgeschiedenheit von allen Dingen aller Dinge wahren Werth erkennend sich allein an seinem Gott in Christo Jesu genügen laße; wie eben daraus das Maß und die Kraft und der Segen der rechten Liebe fließe, daß sie nichts anderes suche, als Jesu Ehre und der Brüder Heil etc.

Mit jeder Stunde des Tages mehrte sich die Zahl der Festgäste, wiewohl vom frühen Morgen an der Himmel in Strömen sich ergoß, als wollte er Ströme des Gnadenregens für die junge Pflanzung44 weißagen, für die heute so viele Gebete zum Himmel aufsteigen sollten. So manche Beschwerde dieser Umstand auch brachte, so war doch nicht zu bemerken, daß er die freudige Feststimmung bei Gästen und Einheimischen verscheuchte.

Ein einfaches Mittagsmahl von ungefähr 80 Gedecken in dem Gasthause und in dem Locale, welches bisher den Vorsteherinnen und Schülerinnen der Diaconissenanstalt zum Aufenthalt gedient hatte, vereinigte die namhaftesten anwesenden Festgäste. Die Frauen des Hauses dienten zu Tische und alle freuten sich der lieblichen Tischgemeinschaft von glaubenseinigen Brüdern und Schwestern im HErrn.

Um 2 Uhr Nachmittags sollte die eigentliche Festfeier beginnen. Der Regen hatte es unmöglich gemacht, sie vor dem Hause, das eingeweiht werden sollte, abzuhalten. Man versammelte sich daher zu der festgesetzten Stunde im Gotteshaus. Aber dieses vermochte die Menge der Theilnehmenden nicht zu faßen, so daß viele draußen im Regen stehen mußten. Die Feier wurde eröffnet mit Gesang und der Festrede des Herrn Decans Bachmann von Windsbach, in welcher er mit Anschluß an Luc. 5, 17 26. das Verhältnis des Festhauses zum Reiche Gottes auseinandersetzte und den Inhalt der Ermahnungen, die er mit wohlthuender Wärme allen an’s Herz legte, in die ähnlich klingenden und innerlich verwandten Worte Gébet und Gebét zusammenfaßte. Darauf folgte eine Reihe von Liedern und Lectionen, welche letztere theils aus der Schrift, theils aus den Vätern unserer Kirche genommen, theils eigens dazu gefertigt waren. Sie waren gedruckt in aller Händen und wurden mit spürbar steigender Erbauung aus dem Munde der verschiedenen dazu aufgestellten Lectoren, Schülern der Missionsanstalt, von der Versammlung vernommen und aus tiefster Seele mit mächtigem Liederschall erwiedert. Ein kräftiges von der ganzen Versammlung gesungenes Te Deum machte den Schluß dieses gewis an jeder Seele gesegneten Festtheiles. Namentlich für diejenigen, welche nicht beiwohnen konnten und nicht in Besitz dieses Erinnerungsblattes sind, laßen wir den Gedankengang folgen, welcher der Wahl der Lectionen zu Grunde lag.

  • 1. Lect. Matth. 20, 20 28. Der Dienst des HErrn in der Erlösung der Welt.
  • 2. Lect. Joh. 13, 4 17. Der Dienst des HErrn im täglichen Fußwaschen.
  • 45
  • 3. Lect. Matth. 25, 31 46. Seine Forderung an die Kirche, Ihm im Dienste und in der Barmherzigkeit nachzufolgen.
  • 4. Lect. Aus Scriver’s Seelenschatz. Daß Anschlagen verwandter Saiten anzudeuten, daß die Noth des Christen im Herzen des HErrn und der Brüder wiederklingt.
  • 5. Lect. Aus Scriver. Der Barmherzigkeit Art, Beschaffenheit und verschiedene Erweisung.
  • 6. Lect. Aus Heinrich Müller. Freiwilligkeit der Barmherzigkeit.
  • 7. Lect. Das hohe Beispiel Jesu und seiner Apostel in der Barmherzigkeit.
  • 8. Lect. Das Beispiel der Helden in der Barmherzigkeit, die sich des fränkischen Volkes angenommen und es zu Christo und einem beßeren Leben führten.
  • 9. Lect. Das Beispiel heiliger Freunde, insonderheit der Diaconissin von Franken, der h. Walpurgis.

Von der Kirche aus setzte sich der Festzug in Bewegung in folgender Ordnung: Den Zug eröffneten die Werkleute, dann folgte der Chor: die Schuljugend der Gemeinde, die Schüler des Windsbacher Waisenhauses, die Missionszöglinge, dann die Kirchenvorstände der Gemeinde Neuendettelsau. Darauf folgten die Helferinnen der Muttergesellschaft, die Vorsteherinnen und Schülerinnen der Anstalt; sodann die Lehrer der Anstalt mit den Helfern der Gesellschaft. An sie schloßen sich in langen Zügen die weiblichen und endlich die männlichen Festgäste an. Der Anblick des festlich mit Blumen und Kränzen geschmückten Hauses, das in ländlicher Einfalt den erhabenen Ernst seiner Bestimmung unverkennbar an der Stirne trägt, bewegte sichtlich alle Gemüther.

Angesichts des wohlgelungenen Werkes, das aus seiner Höhe mit dem Panier des Kreuzes weit hin in die fränkischen Gauen leuchtet als ein Denkmal des Glaubens und aufopfernder barmherziger Liebe, war es ein Kleines, des durch den Regen verschlechterten Weges mit seinen Beschwerden zu vergeßen. Der Regen hatte nachgelaßen. Alles stellte sich vor dem Hause auf. Nach dem Liede Jesu geh Voran, das für diesen Zweck wie gemacht schien, betrat Decan Bachmann die obersten Stufen des Eingangs, öffnete im Namen des dreieinigen46 Gottes die Thüre und sprach in ergreifenden Worten den Segen über die Diaconissen mit ihren Vorsteherinnen, die unter allgemeiner Theilnahme und Bewegung der Versammelten ihren feierlichen Einzug in das Haus hielten. Man trat nunmehr in der Ordnung des Zugs in das Haus ein und besah sich die Räume desselben mit Lust. Von dem Betsaale, der besonders das Auge des Beschauers aus sich zog, erschallte lieblich und kräftig der Gesang geistlicher Lieder. Es waren Choräle und Sätze aus den Meisterwerken kirchlicher Tonsetzer des 16. und 17. Jahrhunderts. In einem der Zimmer, welche man durchwanderte, waren die Geschenke ausgestellt, welche die Lieben von nah und ferne dem Hause gespendet hatten. Was für Anklang dieses Werk der Liebe in den Herzen unseres Volkes gesunden, beweist der Umstand, daß an dem einzigen Tage an Geldgeschenken 433 fl. geopfert wurden.

Nach der Besichtigung des Hauses begann mit eintretender Dunkelheit der dritte Theil des Festes, der erste Hausgottesdienst im Betsaale. Zum Gebete fühlten sich alle Herzen gedrungen, zum Gebete für das Haus und für alle, die in diesen Räumen Trost und Hilfe suchen würden. Dieser Stimmung gab Pfarrer Löhe den angemessenen Ausdruck. Nach dem Liede: Christe, du Lamm Gottes setzte er in einem Vortrag auseinander, was dies Haus soll und will, zu keinem andern Zweck, als damit die Theilnehmenden recht einig um die Erfüllung der Ausgabe dieses Hauses beten könnten. Nachdem so die Andacht ihre bestimmte Richtung empfangen hatte, wurde die Litanei mit eingeschalteten Bitten, die sich auf den Zweck und das Leben in der Anstalt bezogen, von der feiernden Menge gebetet mit einer Macht und einträchtiger Gewalt der Stimmen, daß das Haus erbebte. Vaterunser und Segen und das Lied Jerusalem du hochgebaute Stadt beschloß diese reich gesegnete Stunde.

Die größte Lieblichkeit aber bot den Hausgenoßen und den ihnen zunächststehenden Freunden das Liebesmahl, welches die Herzen erst recht zur Freude und zum Dank gegen den HErrn für alle seine Liebe und Treue, die er an uns gethan und zu inniger Liebe gegen die Brüder und Schwestern, die sich nie so einig fühlten, erschloß. Angesichts des Altars mit den brennenden Kerzen, die Gegenwart des HErrn versinnbildlichend, saßen in dem geräumigen und wohlerleuchteten Betsaale die Wittwen und Armen der Gemeinde mit ihrem treuen Hirten in der Mitte, über hundert Tischgenoßen beim einfachen, aber47 vom Geiste der Jesus - und Bruder-Liebe reichlich gewürzten Mahle. Das erste Gericht, welches die dienende Liebe auftrug, war eine wohlschmeckende kräftig bereitete Rumford’sche Suppe, der Anfang einer besonderen Stiftung einer Suppenanstalt für die Armen und Kranken der Gemeinde und für die Kinder aus eingepfarrten Orten, welchen am Sonntag die Möglichkeit gewährt werden soll, zweimal den Gottesdienst zu besuchen. Mit lieblichen Gesprächen wechselten in kurzen Zwischenräumen Lob und Danklieder, und die Verlesung etlicher zu diesem Zweck gesandter Gedichte voll geistlicher Salbung. Man konnte die Gemeinschaft der Heiligen spüren und genießen, man konnte ahnen, maß es um die geistlichen Liebesmahle in der apostolischen Zeit Erhebendes und Liebliches gewesen sein mag. Man trennte sich im Gefühle geistlicher und leiblicher Befriedigung und Erquickung mit Freude und Dank gegen Gott der auch diesen Tag so gesegnet hatte, daß nichts die reine Freude stören und trüben konnte, und mit dem innigsten Wunsche, daß der Geist der Liebe und Einigkeit von diesem Haus in’s ganze Land ausgehen und insonderheit den Armen und Elenden eine reiche Trost und Segensquelle werden möge.

Damals erschien ein Erinnerungsblatt für Festgäste, welches von den Gästen nach allen Seiten hin mit fortgetragen wurde und das wir nach dem bereits oben seiner Erwähnung gethan worden ist, auch hier zur Erinnerung für unsere Freunde noch einmal abdrucken lassen wollen.

Beilage III. Lieder und Lectionen zur Eröffnungsfeierlichkeit des Diaconissenhauses zu Neuendettelsau.

I. Eingang.

1.

Nun lob, mein Seel, den Herren,
Was in mir ist, den Namen sein.
Sein Wohlthat thut er mehren:
Vergiß es nicht, o Herze mein!
48
Hat dir dein Sünd vergeben
Und heilt dein Schwachheit groß,
Errett dein armes Leben,
Nimmt dich in seinen Schooß,
Mit rechtem Trost beschüttet,
Verjüngt dem Adler gleich.
Der König schafft Recht,
Behütet die Leidenden im Reich.
Er hat uns wißen laßen
Sein heilig Recht und sein Gericht,
Dazu sein Güt ohn Maßen;
Es mangelt an Erbarmung nicht,
Sein Zorn läßt er wohl fahren,
Straft nicht nach unsrer Schuld;
Die Gnad thut er nicht sparen,
Den Blöden ist er hold.
Sein Güt ist hoch erhaben
Ob den, die fürchten ihn;
So fern der Ost vom Abend,
Ist unsre Sünd dahin.
Wie sich ein Mann erbarmet
Ueber sein junge Kinderlein:
So thut der Herr uns Armen,
So wir ihn kindlich fürchten rein.
Er kennt das arm Gemächte,
Und weiß, wir sind nur Staub,
Gleichwie das Gras, von Rechte
*)von Rechts wegen.
*),
Ein Blum und fallend Laub:
Der Wind nur drüber wehet,
So ist es nimmer da,
Also der Mensch vergehet,
Sein End das ist ihm nah.
Die Gottes Gnad alleine
Bleibt stät und fest in Ewigkeit
Bei seiner liebn Gemeine,
Die steht in seine Furcht bereit,
49
Die seinen Bund behalten.
Er herrscht im Himmelreich:
Ihr starken Engel waltet
Seins Lobs, und dient zugleich
Dem großen Herrn zu Ehren
Und treibt sein heiligs Wort:
Mein Seel soll auch vermehren
Sein Lob an allem Ort.
Joh. Gramann (Poliander) geb. 1487, 1541.

2. Eröffnungsrede des Herrn Decan Bachmann.

II. Lectionen.

3.

Mel.: Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich etc.

Wohlauf, mein Herze, sing und spring
Und habe guten Muth!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
Ist selbst und bleibt dein Gut.
Er ist dein Schatz, dein Erb und Theil,
Dein Glanz und Freudenlicht,
Dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil,
Schafft Rath und läßt dich nicht.

4. 1. Lection. Matth. 20, 20 28.

So schreibt der heilige Apostel Matthäus im 20. Kapitel:

Da trat zu ihm die Mutter der Kinder Zebedäi mit ihren Söhnen, fiel vor ihm nieder und bat etwas von ihm.

Und er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu ihm: Laß diese meine zween Söhne sitzen in deinem Reiche, einen zu deiner Rechten, und den andern zu deiner Linken.

50

Aber JEsus antwortete und sprach: Ihr wisset nicht, was ihr bittet. Könnet ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, und euch laufen lassen mit der Taufe, da ich mit getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja wohl.

Und er sprach zu ihnen: Meinen Kelch sollt ihr zwar trinken, und mit der Taufe, da ich mit getauft werde, sollt ihr getauft werden; aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, stehet mir nicht zu, sondern denen es bereitet ist von meinem Vater.

Da das die Zehn höreten, wurden sie unwillig über die zween Brüder.

Aber JEsus rief sie zu sich und sprach: Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt.

So soll es nicht sein unter euch; sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener.

Und wer da will der vornehmste sein, der sei euer Knecht.

Gleichwie des Menschen Sohn ist nicht kommen, daß er ihm dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

5.

Mel.: An Waßerflüßen Babylon etc.

Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Der Welt und ihrer Kinder;
Es geht und träget mit Geduld,
Die Sünden aller Sünder:
Es geht dahin, wird matt und krank,
Ergibt sich auf die Würgebank,
Verzeiht sich aller Freuden;
Es nimmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod,
Und spricht: Ich will’s gern leiden.

6. 2. Lection. Joh. 13, 1 17.

So schreibt der heilige Apostel Johannes im 13. Kapitel:

Vor dem Fest aber der Ostern, da Jesue erkennete, daß seine Zeit kommen war, daß er aus dieser Welt ginge zum Vater; wie er51 hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie an’s Ende.

Und nach dem Abendessen, da schon der Teufel hatte dem Juda Simonis Ischarioth in’s Herz gegeben, daß er ihn verriethe.

Wußte JEsus, daß ihm der Vater hatte alles in seine Hände gegeben, und daß er von Gott kommen war, und zu Gott ging:

Stund er vom Abendmahl auf, legte seine Kleider ab, und nahm einen Schutz, und umgürtete sich.

Darnach goß er Waßer in ein Becken, hub an den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umgürtet war.

Da kam er zu Simon Petro, und derselbige sprach zu ihm: HErr, solltest du mir meine Füße waschen?

JEsus antwortete und sprach zu ihm: Was ich thue, das weißest du jetzt nicht; du wirst’s aber hernach erfahren.

Da sprach Petrus zu ihm: nimmermehr sollst du mir die Füße waschen. JEsus antwortete ihm: Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit mir.

Spricht zu ihm Simon Petrus: HErr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt.

Spricht JEsus zu ihm: Wer gewaschen ist, der darf nicht, denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.

Denn er wußte seinen Verräther wohl; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.

Da er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider, und setzte sich wieder nieder, und sprach abermal zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch gethan habe?

Ihr heißet mich Meister und HErr, und saget recht daran; denn ich bin’s auch.

So nun ich, euer HErr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen.

Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr, noch der Apostel größer, denn der ihn gesandt hat.

So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr’s thut.

52

7.

Herzlich lieb hab ich dich, o Herr!
Ich bitt, wollst sein von mir nicht fern
Mit deiner Güt und Gnaden!
Die ganze Welt nicht freuet mich,
Nach Himm’l und Erden nicht frag ich,
Wenn ich dich nur kann haben.
Und wenn mir gleich mein Herz zerbricht,
So bist doch du mein Zuversicht,
Mein Theil und meines Herzens Trost,
Der mich durch sein Blut hat erlöst.
Herr Jesu Christ, mein Gott und Herr,
Mein Gott und Herr,
In Schanden laß mich nimmermehr.

8. 3. Lection. Matth. 25, 31 46.

So schreibt der heilige Apostel Matthäus im 25. Kapitel:

Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heilige Engel mit ihm, dann wird er sitzen, auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit,

Und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet,

Und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, und die Böcke zur Linken.

Da wird denn der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.

Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget.

Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir kommen.

53

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: HErr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dich gespeiset? oder durstig und haben dich getränket?

Wann haben wir dich einen Gast gesehen und beherberget? oder nackend und haben dich bekleidet?

Wann haben wir dich krank oder gefangen gesehen, und sind zu dir kommen?

Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mit gethan.

Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.

Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränket.

Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet.

Da werden sie ihm auch antworten und sagen: HErr, wann haben wir dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und haben dir nicht gedienet?

Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr nicht gethan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan.

Und sie werden in die ewige Pein gehen: aber die Gerechten in das ewige Leben.

9.

Es ist ja, Herr, dein G’schenk und Gab
Mein Leib und Seel und was ich hab
In diesem armen Leben;
Damit ich’s brauch zum Lobe dein,
Zu Nutz und Dienst des Nächsten mein,
Wollst mir dein Gnade geben!
Behüt mich, Herr, vor falscher Lehr,
Des Satans Mord und Lügen wehr,
In allem Kreuz erhalte mich,
54
Auf daß ich’s trag geduldiglich!
Herr Jesu Christ, mein Herr und Gott,
Mein Herr und Gott,
Tröst mir mein Seel in Todesnoth.

10. 4. Lection.

So predigt der treue Prediger Christian Scriver in Seelenschatz:

Die Erfahrung lehrt, wenn man zwei Lauten neben einander auf den Tisch legt und auf der einen eine Saite berührt, daß sie erschallet, daß auf der anderen die Saite, welche mit der berührten gleichstimmig ist oder in einem Tone steht, sich auch bewegt, als wenn sie auch berührt wäre. Gelahrte Leute berichten, man könne das sehen, wenn man die zweite Saite mit einem Papierblättchen belege, welches alsdann bei Berührung der ersten herabfalle. Die gelahrten Naturkündiger haben über dieses Geheimnis viele Gedanken und bemühen sich, die Ursache zu erforschen, ich weiß aber nicht, ob sie einem sinnreichen Kopf mit aller ihrer Bemühung Vergnügen schaffen werden. Wir haben dieses Naturwunder darum zuvörderst auf die Bahn gebracht, daß es uns eine gute Erinnerung in unserem Christenthum geben soll, maßen es uns gar schön vorstellen kann die Gemeinschaft Christi und seiner Heiligen, wie auch dieser unter einander. Der HErr Jesus, der ewige Sohn Gottes, nachdem er aus großer Liebe zu den Menschen ein Mensch geworden, hat eine so genaue Verwandtschaft mit seinen Heiligen, daß unser Herz nichts berühren kann, das nicht zugleich sein Herz treffen sollte: wann den Seinigen hienieden auf Erden etwas widerfährt, es sei Gutes oder Böses, so empfindet er’s alsbald, ob er wohl zur Rechten der Majestät im Himmel sitzt. Wer den Seinigen eine Wohlthat erweist, der hat’s ihm selbst gethan; wer aber sie verfolgt, betrübt und beleidigt, der hat ihn verfolgt und betrübt, wie er selbst bezeugt, wenn er lehrt, daß er am großen Gerichtstage zu den milden Wohlthätern seiner Gläubigen werde sagen: Was ihr gethan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir gethan. Und wie nun zwischen dem HErrn Jesus und seinen Gläubigen eine so genaue Verwandtschaft ist, also findet sie sich auch unter den Gläubigen, denn weil sie Glieder eines geistlichen Leibes sind und Eine Seele, Christum Jesum nämlich, und seinen Geist, Ein Herz und Einen Sinn haben, so kann eines ohne das andere wie die55 Saiten auf der Laute nicht berührt werden. Sie empfinden eines des andern Noth an ihrem Herzen: sie haben ein herzliches Mitleiden mit einander, wenn’s übel geht; sie freuen sich aber mit einander, wenn’s wohl geht; sie sind barmherzig und gut, thätig und dienen einander willig mit der Gabe, die sie empfangen haben. Die Erfahrung bezeugt es, daß manchmal den Eltern das Herz weh thut, wenn es ihren Kindern, die in der Fremde oder sonst von ihnen entfernt sind, nicht wohl geht. Dergleichen widerfährt mancher christlichen Seele: Es ist oft ihr Herz so beklommen und ängstigt sich in ihnen, daß sie nicht wißen, wo sie sich laßen sollen, ob sie wohl manchmal nicht errathen können, was die Ursache sei. Ich halte aber dafür, wenn die Kirche zuweilen an einem Ort bedrängt wird, oder sonst die Trübsal vieler Orten überhand nimmt, daß die Gläubigen damit überschwemmt und hoch beschwert werden; so empfinden es die andern an ihrem Herzen, damit sie zum Seufzen und zum Beten angemahnt werden; darum auch in solcher Bangigkeit nichts Beßeres ist, als daß man seine eigenen, seiner Angehörigen, seiner Glaubensgenoßen und aller seiner Mitchristen Noth, sie seien nahe oder ferne, dem lieben Gott mit eifrigem Seufzen vortrage und um Hilf und Rettung schreie. Dies gibt nun eine Warnung an die Gottlosen, einen Trost aber und Unterricht an die Frommen. Die Gottlosen müßen wißen, daß die heiligen Kinder Gottes auf Erden alle für Einen Mann stehen: sie glauben mit einander, sie beten, sie seufzen, sie weinen, sie freuen sich mit einander, sie helfen einander nicht mit Geschoßen und Schwertern, sondern mit ihren Thränen und Flehen: wer einen betrübt, der betrübt sie alle; wer des einen Thränen und Seufzen auf sich lädt, der muß ein gleiches von allen erwarten. Dies achtet zwar und versteht die Welt nicht, sie wird es aber oftmals inne, daß die Thränen der Gläubigen zur Fluth und zum gewaltigen Strom, die Seufzer aber zum starken Sturmwind werden, dadurch alle ihre Pracht und Herrlichkeit, aller Trotz und Frevel unverhofft über den Haufen geworfen werden. Tröstlich aber ist es den Frommen, zu wißen, daß sie so viele Fürbitter haben, als rechtschaffene Christen auf Erden leben, und wenn ihnen dünkt, ihr armes Gebet sei gar zu schwach, es könne nicht viel ausrichten; so bedenken sie billig, daß viel tausend gläubige Seelen neben ihnen vor Gott mit mit ihrem Gebete liegen. Aus vielen kleinen nun wird ein großes, und wenn eines Gerechten Gebet, wenn’s ernstlich ist, so viel vermag,56 was sollte nicht die Menge der Gläubigen mit ihrem gesammten Seufzen ausrichten? Bist du dann arm, verlaßen, betrübt, angefochten, krank, verfolgt, gefangen? Gedenke, wenn etwa deine Noth so groß wäre, daß du nicht recht beten könntest, wie in Schrecken, Krankheiten und schweren Anfechtungen wohl geschieht, daß die ganze Menge der Gläubigen täglich bittet für die armen, elenden und verlaßenen, für die angefochtenen Herzen und beängstigten Gewißen, für die Kranken, für die unschuldig Gefangenen, für die Verfolgten und Bedrängten etc., welches allgemeine Gebet seinen großen Nutzen hat, dessen alle, die in der Gemeinschaft Christi sind, vornehmlich, und dann auch öfters, die noch nicht drinnen sind, genießen. Der Unterricht aber oder die Lehre ist diese, daß alle gläubigen Seelen nothwendig müßen mitleidig, barmherzig und gutthätig sein. Sie müßen ihres Nächsten Noth mit einem liebreichen Herzen ansehen und sich straks geneigt befinden, demselben mit Rath, Hilf und Trost beizuspringen. Die aber hartes Herzens sind und ihres Nächsten Noth nicht empfinden oder achten, die haben nicht Ursach, von ihrem Christenthum sich allzugroße Hoffnung zu machen.

Erster Knabe:

Das ist gewislich wahr. Christen sind Glieder am Leibe Christi. Ein Glied fühlet des andern Schmerzen. Weinen die Augen, so kommen alsbald die Hände und trocknen sie. Christen kennen sich unter einander, denn sie haben alle Christum angezogen. Kommt ein dürftiger Bruder zu ihnen, so sprechen sie: den kenn ich wohl an seinem Kleide, der ist mein HErr Jesus; sie eilen ihm entgegen und dienen ihm. Auch wohnt Ein Geist in allen Gläubigen, der verbindet ihre Herzen und zündet ein heimliches Flämmlein an, daß der eine dem andern in Gott hold und günstig wird.

Zweiter Knabe:

Amen, das ist gewislich war. Du darfst also nicht fragen, was du thun sollst äußerlich: siehe auf deinen Nächsten, da wirst du zu thun finden, und wenn dein tausend wären. Verführe dich nur selbst nicht; denke nur nicht, daß du mit Beten und Kirchengehen oder Stiften oder Gedächtnissen wirst gen Himmel kommen, so du vor deinem Nächsten übergehest. Gehst du vor ihm über, so wird er dort im Wege liegen, daß du mußt wieder vor des Himmels Pforte übergehen wie der reiche Mann.

57

11.

Mel.: Nun komm der Heiden Heiland etc.

Bind zusammen Herz und Herz;
Laß uns trennen keinen Schmerz;
Knüpfe selbst durch deine Hand
Das geweihte Brüderband.
Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit
Sei dem Höchsten allezeit,
Der, wie er ist Drei in Ein,
Uns in ihm läßt Eines sein!

12. 5. Lection.

So predigt der treue Prediger Christian Scriver:

Wir wollen nun hören und kürzlich betrachten die Beschaffenheit der Barmherzigkeit und was sie für eine Tugend sei. Die Barmherzigkeit ist eine mitleidende Liebe und eine Bereitwilligkeit, dem Nächsten mit Rath, Hilfe und Trost beizuspringen, wenn er in Noth gerathen ist. Die Liebe insgemein betrachtet den Menschen in allem Zustand und sehnt sich, ihm Gutes zu erweisen; die Barmherzigkeit aber ist vornehmlich geschäftig und erzeigt sich, wenn sie ihn in Trübsal und Elend findet. Eine Mutter liebt ihr Kind allezeit und begleitet es mit ihrem Herzen und Augen allenthalben; wird es aber krank, so wird die Liebe gleichsam heftiger und erzeigt sich auf eine ausnehmende Weise: sie hebt und trägt das Kind; sie pflegt und wartet sein; sie spricht ihm freundlich zu; sie netzt es manchmal mit ihren Thränen, wann es matt und kraftlos in ihrem Schooße liegt, sie erquickt es und hilft ihm, wie sie kann und mag und wünscht, daß es bald aus der Gefahr gerißen und zu voriger Gesundheit gelangen möge. Dies alles thut sie aus innerlichem Antrieb ihres mütterlichen Herzens, welches die Noth des Kindes empfindet und seine Schmerzen gleichsam fühlt. So ist es auch mit der christlichen Liebe. Sie ist zwar allezeit auf den Nächsten gerichtet und hält ihn theuer und werth in ihrem Herzen; wenn er aber in Krankheit, in Armuth, in Verfolgung, in hartem Gefängnis und andrer Bedrängnis steckt; so wird sie desto brünstiger und trachtet, ihm auf allerlei Art, nach äußerstem Vermögen zu helfen,58 entweder mit gutem Rath, oder mit wirklicher Hilfe, oder mit trostreichem Zusprechen, oder doch mit herzlichem Gebet und Seufzen.

Wie nun die Noth des Nächsten mancherlei ist, also findet die Barmherzigkeit auch immer zu thun, sonderlich in diesen letzten schweren und betrübten Zeiten, da ich nicht weiß, ob irgend ein recht christliches Herz jemals stille sein kann, es muß immer wallen, jammern, helfen, rathen und trösten, weil alles mit Armuth und Elend, Trübsal, Angst und Noth erfüllet ist. Bald kommt ihm vor ein armer Mensch, der mit seiner täglichen schweren Arbeit es nirgends hinbringen kann, welchen die Kriegsdrangsale, Krankheiten oder andere Unfälle ganz ausgemergelt haben, dessen Kinder nackend gehen und nach Brod schreien: da muß es helfen speisen, tränken, kleiden und das verzagte Herz stärken. Bald findet sich eine arme Wittwe mit einem Häuflein verlaßener Waisen: diese muß es in ihrer Trübsal besuchen und sich ihrer nach Vermögen treulich annehmen. Bald hört es von einem Bedrängten, und durch Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit hochbeleidigten Menschen: da muß es ein Fürsprecher werden und ihn nach Möglichkeiten schützen, vertheidigen und erretten, oder doch wenigstens nebst ihm über die Bosheit der Welt seufzen und ihm tröstlich sein. Bald sagt man ihm von einem Kranken, der in einem schweren und langwierigen Lager fast kleinmüthig und trostlos geworden ist: den muß es besuchen und sein Arzt und Pfleger werden und nach Vermögen dahin sehen, daß er entweder von der Krankheit befreit oder doch mit nothwendiger Pflege versehen und nicht hilflos gelaßen werde. Zuweilen wird ihm kund gethan, daß ein angefochtenes und beängstetes Gewißen in der Nähe sei: hat es nun Erfahrung und weiß, wie einem solchen Herzen zu Muthe und wie ihm beizukommen und zu helfen ist, so hilft es mit liebreicher Seele; wo nicht, so setzt es seine Seufzer und Thränen bei ihm auf und ruft ängstiglich zu Gott um Trost und Hilfe. Hört es dann von einigen, die unschuldigerweise verstrickt oder in barbarische Dienstbarkeit verfallen sind, so gedenkt es der Gebundenen als Mitgebundener; es trägt gerne bei, was es kann, zu ihrer Erlösung mit Fürbitt und wirklicher Hilfe und ruft Gott an, daß er sie im Glauben erhalten und ihnen beständige Geduld bis an ihr Ende geben wolle. Hört es dann von einem Sterbenden, so wohnt es ihm gern mit seinem Gebete, Pflege und Trost bei bis an’s Ende; und wenn das erfolgt ist, hilft es nach allem Vermögen den Leib christlich und ehrlich zu bestatten.

59

13.

Mel.: Jesu, meine Freude etc.

Goldner Himmelsregen,
Schütte deinen Segen
Auf das Kirchenfeld;
Laße Ströme fließen,
Die das Land begießen,
Wo dein Wort hinfällt,
Und verleih,
Daß es gedeih;
Hundertfältig Frucht zu bringen,
Laß ihm stets gelingen.

14. 6. Lection.

So schreibt der treffliche Lehrer Heinrich Müller:

Es muß aber die Uebung der Barmherzigkeit geschehen mit Lust und Willen. Uebet Jemand Barmherzigkeit, spricht Paulus Röm. 12, 8., so thue er’s mit Lust. Der Wille ist das Fett in diesem Opfer. Ein barmherziger Mensch sucht und nöthigt die Dürftigen zu seiner Tafel. Am berührten Ort ermahnt Paulus, daß wir die Gastfreundschaft verfolgen sollen v. 13. Wenn die Armen vor uns fliehen, sollen wir sie verfolgen; wenn die Elenden wollen vorübergehen, sollen wir sie nöthigen, wie Lot die Engel und wie die Jünger, die nach Emmaus gingen, den HErrn Jesus: wir sollen sie um Gotteswillen bitten und so in’s Haus ziehen, denn wir bringen einen solchen Segen in’s Haus, der beßer ist als die ganze Welt. Darum sollen wir ihm nachlaufen und sprechen: Ach, lieber Bruder, warum willst du vorübergehen und mein Haus ungesegnet laßen. Ich laße Dich nicht, Du segnest mich denn. Wir sollen williger sein zu geben, als die Armen zu bitten, sollen ihnen zuvorkommen, ehe sie noch bitten, auf daß wir Gottes Natur an uns haben. Darf man doch auch vor einen guten Brunnen nicht treten und ihm sein Waßer abbitten oder abweinen, er steht allen offen und gibt sein Waßer von sich selbst, denn die innere Quelle leitet immer mehr zu. So lange inwendig die Liebesquelle nicht versiegt, ist ein Christ von außen wie ein Brunnen, der allen sein Waßer bietet: er gleichet darin dem Urbrunnen aller Güte, seinem Gott.

60

Erster Knabe:

Ja wahrlich, schreibt Heinrich Müller an einem andern Ort, keine Tugend gefällt Gott beßer, keine Tugend wird am jüngsten Tage vor aller Welt mehr gerühmt werden als die Barmherzigkeit; denn Gott ist ein Vater der Natur: wer sich der elenden Natur annimmt, der nimmt sich Gottes an. Darum hat Gott im Gesetz geboten, daß man von den Aeckern und Weinbergen die Frucht soll nicht zu genau ablesen, sondern den Armen und Fremdlingen auch ein Träublein hangen laßen, daß man alle 3 Jahre den Zehenten absondern und den armen Wittwen und Waisen geben sollte. Mit welch süßen Worten lockt uns die Schrift zur Barmherzigkeit! Salomo spricht: Wer sich des Armen erbarmet, der leihet’s dem Herrn. Sprüchw. 19, v. 17. Es ist ja alles sein, was wir sind und haben; dennoch will Gott die Almosen annehmen als ein geliehenes Gut und mit reichen Zinsen bezahlen. Was geliehen wird, das behält man nicht. Gott wird’s zu seiner Zeit wiedergeben. Wie könnten wir unsre Schätze beßer verwahren? Vielleicht hätte sie mittlerzeit ein Dieb gestohlen oder ein Unglück genommen. Sirach spricht Kap. 17, v. 18: Er behält die Wohlthaten wie einen Siegelring und die guten Werke wie einen Augapfel. Seines Siegelrings vergißt Niemand, denn er trägt ihn am Finger, und was hat man lieber, was verwahrt man sorgfältiger als seinen Augapfel? Das geringste Seufzerlein, das ich den Armen gebe, gilt vor Gott mehr, als ein ganzes großes Kaiserthum. Wer wollte seinen Augapfel um ein Kaiserthum geben? Christus selber ermahnt Matth. 6, v. 19 20: Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie Motten und der Rost freßen, und da die Diebe nachgraben und stehlen. Sammlet euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost freßen, und da die Diebe nicht nachgraben und stehlen.

Zweiter Knabe:

Lob sei dem Herrn Jesus. O wie eine kräftige Anreizung zur Barmherzigkeit und zum Almosen liegt in seinen Worten! Wer will nicht gerne weinen, seufzen und beten, wenn er weiß, daß alle Thränen in Gottes Register, und wer will nicht gern den Armen geben, wenn er versichert ist, daß alles bei Heller und Pfennig in Gottes Buch gezeichnet wird und daß nicht ein Waßertrunk, den Seinigen im Glauben und in der Liebe gereicht, wird vergeßen und unbelohnt bleiben!

(Scriver.)
61

Der Lector und die 2 Knaben zusammen: Lob sei Dir ewig, o Jesu.

15.

Lied: Mel. O Durchbrecher aller Bande etc.

Halleluja, Ja und Amen!
Herr, du wollest auf mich sehn,
Daß ich mög in deinem Namen
Fest bei deinem Worte stehn!
Laß mich eifrig sein beflißen,
Dir zu dienen früh und spat,
Und zugleich zu deinen Füßen
Sitzen wie Maria that.

16. 7. Lection.

Nachdem wir also Gottes Wort und die Ermahnung heiliger Lehrer von der Barmherzigkeit vernommen haben, so laßet uns aufschauen auf diejenigen, die uns zum Wort heiliges Beispiel gegeben haben. Vor allen laßt uns aufsehen auf den Herzog der Barmherzigkeit, unsern HErrn Jesus, der obwohl arm, dennoch reich gewesen ist an Barmherzigkeit. Er hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegen konnte, aber er hat uns ewige Wohnungen im Hause seines Vaters bereitet. Er lebte von der Wohlthat der Frauen, die ihm folgten, er hungerte in der Wüste und durstete am Kreuze, aber er speiste doch barmherzig 5000 Mann und 4000 mit der Speise der Nothdurft und tränkte die Hochzeitleute von Kana mit Freudenwein. Er machte die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Sprachlosen redend, den Lahmen gab er gesunde Glieder, die mit Krankheit und Seuchen behaftet waren, heilte er; die Todten weckte er auf; und unter allen seinen Wundern ist nur eines, das man versucht sein könnte, mehr ein Wunder der Gerechtigkeit als der Barmherzigkeit zu nennen. Er war ein Tröster der Wittwen, der Wittwe von Nain und der Wittwe unter dem Kreuze, ein Tröster der Gefangenen, des gefangenen Täufers Johannes, ein Seelsorger der Sterbenden, sogar im eigenen Sterben, denn er führte den sterbenden Schächer zum Paradies. St. Petrus faßt seinen ganzen Lebenslauf zusammen in die Worte: Er ist umhergegangen und hat wohlgethan, d. i. Barmherzigkeit erwiesen. Und ist sein Leben nichts anders als eitel Barmherzigkeit, welch einen62 Ruhm und Preis der Barmherzigkeit soll man alsdann seinem Tode geben und seiner Auferstehung und seinem Leben in der Majestät, sintemal er sein Leben gegeben hat zu einer Erlösung für Viele, um unsrer Gerechtigkeit willen auferstanden ist und im ewigen Heiligthum immerdar lebt und für uns bittet? Darum wir auch ohne Ende zu ihm rufen und schreien: Kyrie eleison.

Alle Lectoren:Christe eleison.
Lector:Kyrie eleison.
Alle Lectoren:Amen.

Erster Knabe:

Seinen heiligen Aposteln verhieß der Herr, daß sie dieselbigen Wunder der Barmherzigkeit auch thun sollten: ja er verhieß ihnen größere dazu. Darum giengen sie auch hinaus, zwar in Armuth, wie er selber, aber auch in demselben Reichthum wie ihr Herr. Allenthalben und unter allen Völkern, zu denen sie kamen, sahen die Blinden, hörten die Tauben, redeten die Stummen, sprangen die Lahmen, genaßen die Kranken, standen die Todten auf, die Traurigen wurden getröstet, Barmherzigkeit speiste die Hungernden, tränkte die Durstigen, besuchte die Gefangenen, tröstete die Sterbenden. Ihr ganzer Lebenslauf war lauter Barmherzigkeit und über ihren Gräbern erblühte die Kirche, d. i. ein Paradies der Barmherzigkeit.

Alle Lectoren zusammen: Halleluja.

Zweiter Knabe:

Und ein Amt der Barmherzigkeit stifteten sie im Namen unsers HErrn Jesus. Denn auch für Apostel war es zuviel, zugleich das Wort des Amts und der Barmherzigkeit zu führen. Schön ist sie und groß, reich und gesegnet, die Schaar der heiligen Diener Christi unter den Leidenden; gesegnet von den ersten Sieben zu Jerusalem an bis zu Laurentius, dem hellen Stern, und bis in die späteren Zeiten.

Alle Lectoren zusammen: Lob sei Dir ewig, o Jesu.

17.

Gesang: Mel. Schmücke dich, o liebe Seele.

O Monarch in dreien Reichen,
Dir ist Niemand zu vergleichen
An dem Ueberfluß der Schätze,
An der Ordnung der Gesetze,
63
An Vollkommenheit der Gaben,
Welche deine Bürger haben;
Du beschützest deine Freunde,
Du bezwingest deine Feinde.

18. 8. Lection.

Seht um euch, lieben Brüder und Schwestern, hinaus in die 4 Enden des Landes, denkt an die Zeit, wo Niemand von dieser Höhe in die Ferne sehen konnte, wo Urwald und Sumpf den Boden bedeckte, wo der Nordgau und dies Land zu Franken eine wilde traurige Wüste gewesen ist und die Seelen der Bewohner dieser Gegenden dem Lande glichen. Wer hat das Land gelichtet, den Boden bebaut, heimatlich und behaglich und zu einem Garten Gottes gemacht? Wer hat die Einwohner in ihrer Wildnis besucht, in ihre Herzen das Licht und den Trost des h. Geistes gebracht, aus Wilden nicht blos Menschen, sondern Christen und Heilige Gottes gemacht? Es waren die Jünger des barmherzigen Jesus, getrieben vom Geiste Jesu, das ist vom Geist der Barmherzigkeit, die da kamen, nichts für sich begehrten, sondern arm und gering, krank, matt und schwach wurden und starben, nur daß wir sähen und hörten und sprächen und sängen und genäßen und lebten hie zeitlich und dort ewiglich. Es waren die Helden der Barmherzigkeit, Kilian und Totnan, Winfried und Willibald und Wunnibald, Sola und Deokar, Gumbert und Sebald und wie sie Alle hießen, deren Namen im Himmel angeschrieben sind, im Verzeichnis der Barmherzigen, die unsern Vätern Segen brachten, deren wir dankbar gedenken und ihre Namen vererben sollen auf Kindeskind, denn sie sind’s werth.

Alle Lectoren: Amen.

19.

Gesang: Mel. Valet will ich dir geben etc.

Ermuntert euch, ihr Frommen,
Zeigt eurer Lampen Schein!
Der Abend ist gekommen,
Die finstre Nacht bricht ein.
Es hat sich aufgemachet
Der Bräutigam mit Pracht;
Auf! betet, kämpft und wachet,
Bald wird es Mitternacht.
64

20. 9. Lection.

Ja sollen wir denn nun der edlen Frauen vergeßen, die den berühmten Helden in die Arbeit der Barmherzigkeit nachgiengen und zum starken Wein der männlichen Barmherzigkeit das milde Oel der weiblichen Barmherzigkeit brachten? Stehen wir nicht also, daß wir von diesem Hause, das der Barmherzigkeit geweiht ist, hinüberschauen in die Gegend, wo neben den heiligen Brüdern Willibald und Wunnibald die hehre Dienerin Jesu Walburgis lebte und wirkte und starb, die da fleißig war in der Arbeit ihrer Hände, fleißiger noch im Lesen und Betrachten der h. Schrift, am allerfleißigsten im Gebete, von deren Andenken unzertrennlich ist Oel und Wein des guten Samariters und die Lampe der wachsamen Jungfrau, die wie eine Prophetin nach dem Tod, des Bruders auch unter den Männern waltete und heimgegangen ist unter Freuden der Engel und Klagen der Menschen am 25. Febr. 777?

Alle Lectoren:Der Tod seiner Heiligen ist werth gehalten vor dem HErrn.

Erster Knabe:

Es ist nicht mehr, wie es ist gewesen in der Zeit der Helden, und wie schwach und klein sind unsre Tage in den Werken und Thaten der Barmherzigkeit, wenn man sie mit der Vorzeit vergleicht! Aber dennoch, ragen auch keine Bäume der Barmherzigkeit, so sproßt es doch allenthalben wieder von Gras und Kraut der Barmherzigkeit, der HErr läßt aus seinen Odem der Barmherzigkeit und verneuert die Gestalt der Erde. Gesegnet seien, die dem Triebe Seines Odems und Geistes folgen, die ihre Kleider schürzen und ihre Hände rüsten zu Werken der Barmherzigkeit in unsern Tagen, auf daß Christus an ihnen und sie an Christo und von Ihm gepriesen werden am großen Tage.

Alle Lectoren: Amen.

Zweiter Knabe:

Ueber eine Weile, so sind wir nicht mehr da, sondern schauen Sein Angesicht in Gerechtigkeit und genießen seine Freuden in Ewigkeit. Aber so lang es währt auf dieser armen Erde, laßt uns dem barmherzigen Jesu in Barmherzigkeit dienen. Es ist uns hier ein Haus der Barmherzigkeit erbaut und eine Stätte der Andacht und65 Liebesarbeit: Da laßt uns einziehen mit Freuden und die Barmherzigen sollen Besitz ergreifen mit Frohlocken. Der HErr aber zeige seinen Knechten seine Werke und seine Ehre ihren Kindern und der HErr unser Gott sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das Werk unserer Hände wolle er fördern.

Erster Knabe: Amen.

Alle Lectoren: Halleluja.

21. Der ambrosianische Lobgesang.

Erster Chor. Herr Gott, dich loben wir, Dich, Vater in Ewigkeit, All Engel und Himmelsheer auch Cherubim und Seraphim Heilig ist unser Gott!Zweiter Chor. Herr Gott, wir danken dir, ehrt die Welt weit und breit. und was dienet deiner Ehr, singen immer mit hoher Stimm Heilig ist unser Gott!
Beide Chöre.
Heilig ist unser Gott,der Herre Zebaoth!
Erster Chor. 2. Dein göttlich Macht und Herrlichkeit Der heiligen zwölf Boten Zahl die theuren Märtrer allzumal Die ganze werthe Christenheit dich, Gott Vater, im höchsten Thron, den heiligen Geist und Tröster werth 3. Du König der Ehren, Jesu Christ, der Jungfrau Leib nicht hast verschmäht, du hast dem Tod zerstört sein MachtZweiter Chor. geht über Himmel und Erden weit. und die lieben Propheten all, loben dich, Herr, mit großem Schall. rühmt dich auf Erden allezeit: deinen rechten und einigen Sohn, mit rechtem Dienst sie lobt und ehrt. Gott Vaters ewiger Sohn du bist; zu ’rlösen das menschlich Geschlecht; und all Christen zum Himmel bracht;
Erster Chor. du sitzst zur Rechten Gottes gleich ein Richter du zukünftig bistZweiter Chor. mit aller Ehr in’s Vaters Reich; alles, das todt und lebend ist.
4. Nun hilf uns, Herr, den Dienern dein, laß uns im Himmel haben Theil hilf deinem Volk Herr Jesu Christ, wart und pfleg ihr zu aller Zeit, 5. Täglich, Herr Gott, wir loben dich Behüt uns heut, o treuer Gott, Sei uns gnädig, o Herre Gott, Zeig uns deine Barmherzigkeit, Auf dich hoffen wir, lieber Herr,mit deim theurn Blut erlöset sein; mit den Heiligen in ewigem Heil; und segen, was dein Erbtheil ist; und heb sie hoch in Ewigkeit. und ehrn dein Namen stetiglich. vor aller Sünd und Missethat! sei uns gnädig in aller Noth! wie unser Hoffnung zu dir steht; in Schanden laß uns nimmermehr.
Beide Chöre. Amen!
Dr. Martin Luther.

§. 3. Betsaalbau.

Als der erste Abendgottesdienst im ersten Betsaal des neugeweihten Hauses vorüber war, verwandelte sich der Betsaal in einen Speisesaal und die reiche Festversammlung hielt, die Armen der Gemeinde von Dettelsau in ihrer Mitte, in der stillen und finstern Nacht ein dem Eindruck nach gewiß glorios zu nennendes Liebesmahl. Auf dem Altare brannten noch alle die reichen Kerzen vom Abendgottesdienste und unter den vielen scheinenden Lichtern saß fröhlich vor Gott dem Herrn die Schaar derjenigen, die nun miteinander aßen und tranken. Die Erinnerung an dieses Eßen und Trinken vor Gottes Angesicht übertrifft alle Erinnerungen des schönen Tages. Und während nun jeder von den Anwesenden dem neuen Hause irgend eine Gabe bot, ein Hochzeitgeschenk zum neuen Haushalt, kamen auch zwei, eine adelige Jungfrau und eine fromme christliche Ehefrau, der später das Büchlein von der weiblichen Einfalt gewidmet wurde. Die Erste, sonst keine Dichterin, brachte sinnig dem Hause sieben Brote und ein Lied, und die andere, auch sonst keine Dichterin, neben67 treuen Gaben frommer Liebe gleichfalls ein Lied und diese beiden Lieder haben wir dieser kleinen Erinnerungsschrift am Schlusse beigefügt.

Wer so, wenn auch nur so, wie es im vorigen Stück geschehen, den schnellen Gang des Bau’s und die Entwickelung der Diaconissenanstalt in’s Auge gefaßt hat, oder auch wirklich miterlebt, ohne an die Baukosten zu denken, der hat freilich leichten Gang. Ganz anders aber ist der schnelle Lauf der Begebenheiten dem an’s Herz gefallen, der die Zahlungen zu leisten hatte, die so viele Tausende betragen haben. Ich will einmal hierher schreiben, was man im Jahre 1854 für den Bau zu zahlen hatte.

Das Grundstück, worauf wir bauten, sammt der Handablösung hat 745 Gulden betragen, die Erde - und Brunnen-Arbeiten 586 Gulden und 31 Kreuzer, die Bruchsteine sammt Fuhrlohn 1283 Gulden und 59 Kreuzer, die Backsteine mit Fuhrlohn 3018 Gulden und 38 Kreuzer, das Bauholz 1501 Gulden und 57 Kreuzer. Für Solenhofer Steine mit Fuhrlohn 162 Gulden und 52 Kreuzer, für verschiedene Materialien wurden 66 Gulden und 37 Kreuzer, für Maurerarbeit 2188 Gulden und 43 Kreuzer, für Zimmermannsarbeit 523 Gulden und 44 Kreuzer bezahlt. Der Schreiner bekam 813 Gulden und 3 Kreuzer, der Schlosser 323 Gulden und 50 Kreuzer, der Schmied 127 Gulden und 23 Kreuzer. Für Dach und Dachrinnen hatte man 1242 Gulden und 54 Kreuzer zu entrichten. Das gemalte Betsaalfenster kostete 87 Gulden 18 Kreuzer, gewöhnliche Glaserarbeit 34 Gulden. Zimmermalerei und Zimmerschmuck 137 Gulden und 57 Kreuzer. Die Kosten der Waßerheizung beliefen sich gleichfalls auf fast 1000 Gulden. Für Kücheneinrichtung hatte man 118 Gulden und 34 Kreuzer zu zahlen, für Bewirthung der Fuhr - und Arbeitsleute 89 Gulden und 34¼ Kreuzer, für68 verschiedene Ausgaben 132 Gulden und 23 Kreuzer, für eine Menge unbelegter Kleinigkeiten 351 Gulden. Von dieser gesammten Bausumma waren nur 1196 Gulden und 35 Kreuzer Geschenke vorhanden, alles andere war geliehenes Geld. Der den Bau wagte, war ein völlig armer Mann. Als ihn der Beamte fragte, wie viel bereits Aussicht auf Baucapital da war, sagte er: 7000 Gulden. Der Beamte fragte weiter, ob das Geschenke seien, er aber sprach: nein, verzinsbares Darlehen und erinnert sich noch, was für ein geringschätziges Gesicht er darauf davontrug. Und in der That, war es doch ein reines Wagniß, aus einer solchen Armuth sich zum Bau zu entschließen. Da könnte man freilich denken, der Glaube sei eben so groß gewesen, daß man sich vor der Schuldenlast nicht gefürchtet habe. Der Bauunternehmer hatte aber seinen Glauben nicht gewogen, oder vielleicht überhaupt nicht gewußt, was er that. Er war niemals mit viel Geld umgegangen und hatte noch wenig Erfahrung gemacht, wie schwer es herbeizuschaffen sei, und dennoch wagte er, was er wagte, und die ihm das Geld liehen, wagten selbstverständlich auch. Dennoch ist weder der Bauunternehmer, noch der Gelddarleiher zu Schanden geworden, und wenn auch mehr als einmal dem ersteren die Waßer der Sorge bis an den Hals giengen, so ist ihm doch nicht blos zu der Bausumma, sondern zu noch weit mehr geholfen worden, nämlich zu all dem großen Haufen Geld, den er auch ferner zum Ankauf so vieler Grundstücke und zum Bau so vieler Häuser bedurft hat. Man kann sagen, er sei dem Schwimmer gleich gewesen, der, je länger er schwamm, desto mehr Kraft fühlte, weiter zu schwimmen. Obendrein hatte er gar kein Talent zu betteln und Geschenke aufzubringen und hatte auch kaum Jemand um Gaben angesprochen. Er glich nicht dem großen und reich gesegneten Bettler, dem, wie ich gehört habe, ein69 großer frommer König mit lachendem Munde auswich, weil er das Kalb aus der Kuh nähme. Man kann auch nicht sagen, daß die Erzählungen August Hermann Franke’s sich wiederholt hätten, dem so oft das Geld, das er brauchte, unverhofft und wunderbar zu Händen kam. Im Gegentheil hat er je und je die Last der Sorgen schwer empfunden und getragen und dennoch wurde ihm geholfen. An Allerseelen des Jahres 1868 hat er die Geschenke zusammenschreiben laßen, die ihm seit 1854 für das Diaconissenhaus gemacht worden sind und siehe es war nur an Geld 33,601 Gulden und 21 Kreuzer und als er um Allerseelen 1869 zusammenzählte, wie viele Geldgeschenke ihm im Jahreslaufe zu gleichem Zweck übergeben worden waren, waren es in dem einen Jahre 11,866 Gulden und 30 Kreuzer. Wenn der, auf dem im Grunde die ganze Last der Sorgen liegen blieb zurückdenkt und sich die Frage vorlegt, ob er es noch einmal wagen möchte, all das Geld aufzubringen, das er früherhin für die amerikanische Mission und späterhin für das Diaconissenhaus aufgebraucht hat, so schaudert er vor einem ja zurück. Er hat für sich gar nichts erworben und nichts davon gebracht und doch ist eine solche große Summa von Geld durch seine armen Hände zum Reiche Gottes gefloßen, ich meine nicht allein die Geldgeschenke und die Naturalgeschenke der Menschen, sondern den gesammten und reichen Gottessegen, der über sein Thun gekommen ist. Als ich ein junger Prediger war, ergriff mich einmal ein Schmied bei meiner Hand, führte mich auf seinen Kornboden und zeigte mir seine reiche Ernte. Der rauhe Mann fing an zu weinen und sagte: da sehen Sie die Menge meiner Sünden! Wie oft habe ich an den Schmied gedacht und an sein Schuldgefühl, das beim Anblick meiner Ernten, die ich für Gott und sein Reich einheimsen durfte, noch 1000 Mal größer sein sollte. Wie gesagt,70 ich kann mich nicht rühmen, ein Nachfolger August Hermann Franke’s, oder eines anderen etwa noch größeren Geldsammlers für das Reich Gottes zu sein. Ich werde wohl auch sagen dürfen und müßen, daß meine Waßer im Vergleich mit denen anderer der stillen Quelle Siloah’s glichen, aber in Wahrheit, es ist mir doch soviel durch Gott gelungen, daß ich es nicht zählen noch wiegen kann, und ich bin doch auch eines von den vielen Beispielen, an denen Gott bewiesen hat, was seine Mutter sagte: die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßet die Reichen leer. Ich bin ja kein Crösus und überhaupt kein Geldmensch, aber die Unterstützung des großen Gottes habe ich dennoch oft genug zu schauen bekommen. Ich möchte jedermann auf dem Wege der Barmherzigkeit vor Leichtsinn und Uebermuth warnen, aber auch keinen züchtigen, der in seiner Liebesarbeit seine Hoffnung und sein Vertrauen auf den reichen Gott zu setzen wagt. Es lebt noch immer der alte Gott, der die Hungrigen mit seinen Gütern füllt und die Reichen leer läßt.

Seitdem das Mutterhaus der Schwestern von Dettelsau entstanden ist, sind fünfzehn Jahre vergangen, und seitdem kann man sagen, ist aus dem einen Hause eine ganze Colonie entstanden. Das jüngste Gebäude, schöner und vortheilhafter aufgebaut, als andere, verdanken wir, wie es geht und steht, einem großen Geschenke, und niemals haben wir Baues halber es leichter gehabt als dieses Mal. Man hat ja immer nur einfach zum Bankier in Nürnberg schicken dürfen, wenn man Geld bedurfte. Dennoch hat eine mit der Führung betraute Schwester ihren Mitschwestern schriftlich versichert, daß es keine ärmeren Anstalten gebe, als die Dettelsauer, aber die Schwester weiß eben doch nicht, was leere Kassen sind, und die länger in der Arbeit und Mühsal stecken als sie, vertragen es zwar, daß Schwestern so etwas sagen oder schreiben,71 aber beistimmen werden sie nicht. Das, was die edle Schwester meint, von der ich rede, haben wir nun schon oft genug erlebt. Leere Häuser füllen sich mit Inventar und zusehends werden durch den Segen des Herrn allmählich die armen Kassen voller. Wer nun das öfter gesehen und erfahren hat, der hat sein Auge auf dieselbe Erfahrung immer neu gespannt, wird selber immer ärmer und freut sich dennoch des zunehmenden Gelingens des Ganzen. Wir können getrost die Armuth merken und erfahren, wenn wir dabei dennoch leben und gedeihen, die Sorgen zerrinnen und der Glaube triumphiert. Als das erste Jahr sich wendete, baute ein treuer Freund, unser lieber Hausmeister Johannes Wegmann von Memmingen auf eigne Kosten den östlichen Flügel des Diaconissenhauses, bewohnte ihn auch eine Zeit lang, bis er ihn dem Diaconissenhause ganz überließ und das Haus dafür sein Schuldner wurde. Da war wörtlich geschehen, was wir vom Schluß des ersten Jahres bemerkt hatten, daß sich treue Freunde vorgenommen hätten, im nächsten Jahre den fehlenden Flügel zu bauen. Unter diesem immer zunehmenden Zuwachs an Gebäuden, an Besitz und Habe und allerdings auch an Schulden schwoll die Einwohnerschaft des Diaconissenhauses immer mehr an, bis die kleine Pfarrkirche, in welcher diese zunehmende Menge ihre Bergung suchte, keinen Platz mehr hatte. Ein Zimmermann von Handwerk meinte, vor all den Leuten werde die Kirche feucht. Wenn nun aber die Kirche feucht wird und vor lauter Diaconissen und Schülerinnen kein Platz mehr sein wird, was fängt man dann an? Der Pfarrer lachte über die naß werdende Kirche, sah aber doch wohl ein, daß bei der Zunahme der Anstalt eine Fürsorge für das andächtige Publikum getroffen werden müße. Nun aber wird, wenn einmal wirklich die Dettelsauer Kirche zu klein werden wird, dem armen Gebäude sehr schwer zu72 helfen sein. Nach Osten hin steht es fast schon am Wege und man kann es nicht rücken, weil da der beste Theil des ganzen Hauses, der im Jahre 1692 gebaute Kirchthurm, steht. Nach Westen kann man auch nicht rücken, denn da ist der Schloßgraben. Nach Norden kann man nicht rücken, wenn man nicht erst das Mesnerhaus und seine Pertinentien wegrückt, und ebenso wenig kann man nach Süden rücken, da müßte es eine neue Kirche geben. Da handelte es sich bei der Kirchennoth um eine schwierige Erweiterung an Ort und Stelle. Jedes Räumchen mußte benützt werden, um für das Allgemeine eine erkleckliche Erweiterung herzustellen. Wirklich begab sich Professor Böhrer, der Baumeister des Diaconissenhauses, in die Noth und zeichnete eine neue Kirche, die den Beifall von allen denen hatte, die gerne geholfen hätten. Der Pfarrer versammelte die Kirchenverwaltung und stellte den Umbau der alten Kirche sehr plausibel vor, die Kirchenverwaltung aber wollte nicht warum? Weil sie wußte, daß die Gemeinde Hand - und Spannfrohn leisten müßte. Der Pfarrer meinte, er wolle besondere Anstrengungen machen und gerade aus der augenblicklichen Verlegenheit könnten solche Umstände hervorgehen, daß die Gemeinde außer Hand - und Spannfrohn wenig oder nichts aufwenden müßte, um eine neue Kirche zu bekommen, aber die Kirchenverwaltung traute nicht; der Pfarrer warnte, weil vielleicht die günstige Gelegenheit, wenn man sie einmal vorübergehen ließe, nicht wieder kommen könnte. Die Kirchenverwaltung aber blieb bei dem Mistrauen, so daß wirklich von dem Plane im Ernste keine Rede mehr sein konnte. Wie viele haben das schon bedauert, aber ändern hat man es nicht mehr können. Aus dieser wahren Geschichte kann man die Nothwendigkeit eines eignen Betsaals für die Diaconissen erkennen. Unter solchen Umständen konnte man sich nicht wundern, daß allmählich in der73 Conferenz des Hauses der Gedanke Platz griff, den Diaconissen einen eigenen Betsaal zu bauen, einen Entschluß, der seine natürlichen Feinde in den Herzen der Baulustigen selber haben mußte, weil doch immer noch die Frage nicht siegreich beantwortet werden konnte, ob denn überhaupt das Diaconissenwerk zu Neuendettelsau Stand haben werde und zu Kräften kommen könnte. Häuser wurden zwar, eines nach dem andern gebaut, und Diaconissen wurden ausgesegnet, aber das Ganze stand doch nur auf wenigen Augen, und was dann? Aber genug, am 25. Februar des Jahres 1858 wurden wirklich die ersten Steine zum Bau des Betsaals auf den Bauplatz gefahren. Die Genehmigung zum Bau eines Betsaals wurde wirklich gegeben. In Bechhofen brach man die Steine zu den Grundmauern und die Meinung war, der ganze Bau solle nicht mit Schulden aufgeführt werden, sondern als freies Opfer aus seinem Grunde hervorwachsen können. Es wurde daher auch an der Treppe des Diaconissenhauses eine Kasse angebracht und mit einer passenden Ueberschrift versehen, um die Leute eines guten Willens zur Unterstützung des Werkes einzuladen. Am 20. August 1858, da der Pfarrer des Ortes gar nicht einmal anwesend war, sondern seiner Gesundheit wegen in einem Bade (Karlsbad), wurde der Grundstein zum Betsaal gelegt. Die Chronistin der Diaconissenanstalt schreibt darüber das Folgende: Das Wetter war günstig. Um ½5 Uhr Abends versammelten sich in dem bisherigen Betsaale die Glieder des Hauses, die zu der Anstalt gehörigen und andere dem Hause befreundeten Bewohner des Dorfes. Vor aller Augen wurden nun folgende Schriftstücke in die blecherne Büchse gebracht, welche in den Grundstein eingeschloßen werden sollte. Zuerst eine Urkunde, welche also lautet: Im Namen Jesu. Urkunde bei der Grundsteinlegung dieses Betsaales.

74

Am 23. Juni 1854 wurde der Grundstein zum Diaconissenhause gelegt.

Am 12. October 1854 wurde es eingeweiht und eröffnet.

Am 1. October 1855 wurde die Küche und Waschküche vollendet.

Am 10. November 1855 wurde der östliche Flügel fertig.

Am 14. Dezember 1855 wurde die Anstalt für Blöde und Schwachsinnige eingeweiht.

Am 1. November 1856 wurde das Backhaus zu Ende gebracht.

Am 14. August 1857 wurde die Pfründeanstalt eröffnet.

Am 20. August 1858 wurde der Grundstein zu diesem Betsaal gelegt.

Die Diaconissenanstalt besaß an Aeckern 21 Tagewerk und 11 Decimalen, Wiesen 1 Morgen 17 Decimalen. Siebenundfünfzig waren ausgesegnete Diaconissen.

Präsenzstand des Hauses am Tage der Grundsteinlegung war 94.

Rector war Johann Conrad Wilhelm Löhe. Conrector Ernst Friedrich Lotze.

Oberin Amalie Eleonore Auguste Rehm.

Lehrer waren Doctor Ignaz Enzler, Cantor Georg Güttler, Maler Albert Schramm.

Pfarrer war der Rector des Hauses.

Zu dieser Zeit herrschte über das Königreich Bayern, zu welchem Neuendettelsau gehört, Maximilian II.

Ferner wurde in den Grundstein gelegt: Der Bauplan des Hauses, einige Photographien, eine Ansicht des Diaconissenhauses und eine Liste mit den Namen aller Diaconissen und Schülerinnen des Hauses.

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Hierauf zog man aus dem Betsaal, um den Bauplatz herum, bis an den Grundstein und sang hiezu mehrere Verse des Liedes: Dir, Dir Jehovah etc. Der Zug bewegte sich in folgender Ordnung: Voran giengen die kleinen Schülerinnen, geführt von der ersten Lehrdiaconissin. Diesen schloßen sich die beiden fungierenden Geistlichen mit den männlichen Gliedern der Muttergesellschaft und den Lehrern des Hauses an. Hierauf folgte die Frau Oberin mit den ausgesegneten Diaconissen und den weiblichen Gliedern der Muttergesellschaft, und an diese reihten sich dann die Diaconissenschülerinnen und die Kranken. Den Schluß des Zuges bildeten die Schüler der Missionsanstalt.

Als man an die Stelle der Grundsteinlegung, an der nordöstlichen Ecke des Chors, angekommen war, sang man alternierend den 133. Psalm, der von einer der Feier entsprechenden Collecte gekrönt wurde. Darnach legte Herr Inspector Bauer, als Vorsitzender der Muttergesellschaft in einer kurzen Rede der Versammlung die Veranlaßung und den Zweck dieses Baues auseinander, that die blecherne Büchse in den Grundstein und ließ den deckenden Stein darüber legen. Hierauf ergriff er den Hammer und that im Namen des rechten Baumeisters unseres Bethauses, im Namen des Vaters und des Sohnes und des h. Geistes die üblichen drei Hammerschläge. Dieselben wurden sodann wiederholt von Herrn Conrector Lotze, von der Baucommission, von einigen Gliedern der Muttergesellschaft, von der Frau Oberin, der Haushaltungs -, Kranken - und Lehrdiaconissin der Anstalt. Nachdem man den 122. Psalm mit abermaliger Collecte gesungen, gieng der Zug wieder in den Betsaal zurück. Hier wurde ein für die Festfeier von Herrn Cantor Güttler eigens componirter und trefflich eingeübter Kunstgesang nach den Worten des 84. Psalms angestimmt. Nach der Weise unserer täglichen Abendgottesdienste wurden hierauf drei Lectionen gelesen. Die erste von Jakobs Traum und der Salbung des Steins, 1. Mos. 28. Die zweite von dem geistlichen Bau der Kirche, da JEsus Christus der Eckstein ist, 1. Cor. 3. Die dritte von der Beschreibung des himmlischen Jerusalems, deren Mauern von Jaspis sind, Offenb. 21.

An diese Lectionen schloß sich eine Ansprache, die der Herr Conrector Lotze als Vertreter des Vorstands hielt. Er stellte zuerst den vielfältigen reichen Segen dar, den uns der treue GOtt in dem bisherigen Betsaal, an diesem theuern Ort, seit seinem Bestehen bis hieher erwiesen hat. Nun hat er auch zum Bau eines neuen Betsaals, der76 ein so hohes Bedürfnis der Anstalt ist, Muth und Freudigkeit gegeben und einen guten Anfang dazu, wieder ein Zeichen seiner Gnade, die alle Morgen neu ist. Wo aber Gott so reichlich giebt, soll auch der Mensch geben und darbringen, was Gott gefällig ist. Und dazu wünschte Herr Conrector den Gliedern des Hauses zweierlei: heilige Einsamkeit und heilige Gemeinschaft. Rechte Einsamkeit ist ein seltenes hohes Glück, das viele in Wüsteneien gesucht und nicht gefunden haben, da ihr Herz voll Welt mit ihnen gieng. Die einsame Seele vergißt sich selber und die Welt, und legt sich betend JEsu zu Füßen. Nur aus der Vereinigung solcher einsamer Seelen entsteht die rechte Gebetsgemeinschaft, eine wunderbare Gebetsgemeinschaft der streitenden und triumphirenden Kirche vor dem Throne Gottes. Die Zeit des Baues bis zur Einweihung soll uns eine Zeit treuer Uebung sein in beiden seligen Tugenden rechter Beterinnen.

Hierauf sang man zwei Verse des Liedes: Komm heiliger Geist etc. Auf den Gesang folgte das gewöhnliche Abendgebet mit besonderen, auf das Fest sich beziehenden Fürbitten. Dann wurde der Segen ertheilt und zum Schluß noch das Lied: Nun lob mein Seel den HErren gesungen mit freudevollem Herzen.

Von dem 20. August an flackerte eine blauweiße Fahne mit schwarzem Kreuz auf rothem Grund, unter welcher das Wort oremus eingenäht war, über dem Bauplatz bis zur Vollendung des Baues, der man mit fröhlicher Hoffnung entgegensah. Mit dem Bau gieng es langsamer als bei den vorigen Gebäuden, aber es hatte treue Pfleger, die mit aufmerksamen und liebevollen Augen über seiner Vollendung wachten, Herrn Conrector Lotze und insonderheit den damaligen Rechnungsführer der Diaconissenanstalt, Herrn Director Alt. Endlich am 11. April 1859 fand die Ausrichtung des Gebälkes von der Spitze des Baues herab statt. Der Zimmermann sprach damals das Folgende:

Es war am 20. August des vorigen Jahres, daß man nach vieler Mühe und Arbeit den Grund und Sockel, der diesen ganzen Bau und mich aus seiner Spitze trägt, geschloßen und feierlich gesegnet hat. Heute schreibt man den 11. April 1859, und es sind also 7 Monate77 und 22 Tage vergangen, bis ich daher treten konnte aus meinen First und vor der geehrten Versammlung meinen Spruch thun. Der Winter hat uns im Bau unterbrochen, der so schnell und mit Macht über uns gekommen ist, sonst würden wir ihm nicht erst in der österlichen Zeit dieses Jahres sein Gebälk und seine Bedachung geben. Unüberwindliche Hindernisse einer früheren Vollendung haben sich uns in den Weg gelegt, aber sehet da, wenn auch allmählich und langsam, so sind doch auch wir unaufhaltsam hindurchgedrungen, und haben uns bis auf diese Höhe gehoben. Der Eifer, dem HErrn und seinen Diaconissen ein Bethaus zu errichten, hat uns bis hieher gebracht. Der Eifer war vom HErrn, und bis hieher hat uns also der HErr geholfen. Dafür sage ich da oben dem HErrn Preis und Dank, und mein Preis und Dank wird in den Herzen der Versammlung da unten seinen Wiederhall und sein Amen finden.

Wenn ich von meiner Stelle abwärts sehe, so sehe ich freilich noch kein Bethaus, und noch nicht die ehrliche Pracht des Königreiches Christi. Gebälk und Gestein sehe ich bedeutungsvoll zusammengefügt; werden kann, was werden soll, aber noch fehlt dem Hause der Chor, das Heiligthum, und dem Ganzen die friedliche, behagliche, zur Einkehr und zur Anbetung einladende Vollendung und Schönheit. Es ist noch viel zu thun, wenn der Zimmermann auf dem First steht, viel Fleiß und Arbeit und viel Segen bedarf es noch, bis die Werkleute weggehen, und die Diaconissen da unten den Altar zur ersten Anbetung schmücken werden. Aber wenn man da oben unter freiem Himmel steht, so ist’s einem, als wäre man dem HErrn im Himmel näher, und man glaubt fröhlich, daß der, welcher das gute Werk begonnen hat, und uns zu Seinen Mitarbeitern gemacht, auch helfen werde bis zum letzten Stein, zum letzten Brett, und dem Ganzen die Krone der Vollendung geben. Darum freuen wir uns, daß wir soweit sind; schürzen und rüsten und aber auch zu weiterer Arbeit, und die Werkleute bitten die Versammlung um ihr Gebet. Noch sind wir auch mit diesem Bau, so zu sagen, in der Arbeit und in der Passion; in der ernsten Passionszeit richten wir das Gebälk auf. Die fröhliche Osterzeit vollbringen wir in fröhlicher Vollendungsarbeit dieses Baues; bis aber die Pfingstzeit herankommt, und man des Geistes gedenkt, aus dem das Schönste, was es auf Erden giebt, die Kirche Christi geboren wird, wie der Thau aus der Morgenröthe, dürfen, so hoffe ich, die Diaconissen von Dettelsau ihre Harfen stimmen und ihre Lieder zurichten,78 damit sie, wie David, ihr altes Heiligthum unter das neue Obdach bringen. In dieser Hoffnung rufe ich euch fröhlich zu: Vorwärts! Zum HErrn in der Höhe aber ruft mein ganzer Geist und mit ihm die ganze Versammlung unter mir einmüthig:

Kyrie Eleison, Christe Eleison, Kyrie Eleison. Amen.

Am 24. Dezember 1859 schreibt die Chronik: Den Bewohnerinnen des Diaconissenhauses wurde am diesjährigen Weihnachtsfeste eine ganz besondere Freude zu Theil, indem sie zum erstenmale in dem neuerbauten, obwohl noch nicht völlig vollendeten Betsaal ihren Hausgottesdienst halten durften.

Der bisherige Betsaal dient von nun an zu einem gemeinschaftlichen - und Arbeitssaal, zum Familiensaale. Durch diese Hauptveränderung bekamen auch mehrere andere Zimmer eine neue Bestimmung. Das bisherige Eßzimmer, das zugleich Aufenthaltsort der Diaconissen war, ist nun Bibliothek, Paramenten - und Conferenzzimmer geworden, in das Paramenten - und Diaconissenzimmer sollen Kranke kommen; die besuchenden Diaconissen ihren Aufenthalt in der bisherigen Kanzlei haben, da diese in das Zimmer der Haushaltungs - und Krankendiaconissin verlegt wurde. In dem Krankenzimmer Nr. 10 wohnen nun die Küchen -, Kranken - und Haushaltungsdiaconissen.

Zum ersten Male war die ganze Hausgemeinde in ihrem schön eingerichteten Reunionszimmer bei der Bescheerung am Christabend versammelt. Um 7 Uhr abends ertönte die Glocke und rief die Bewohnerinnen in den mit Guirlanden und Blumen geschmückten Saal, in dessen Mitte der im Lichterglanze strahlende Baum stand, der mit seiner Spitze durch die Dornenkrone zur Decke emporragte. Man stimmte zuerst den 2. Psalm an und las dann die drei für den Tag verordneten Lectionen. Hierauf hielt unser Herr Pfarrer eine kurze Ansprache, in welcher er die Gedanken nach Bethlehem lenkte zu der h. Familie, der wunderbaren, in welcher ein greiser Mann, ein Jungfräulein und ein neugebornes Kind vereinigt sind, und zwar ein Kind das der Vater und Schöpfer seiner Eltern ist. Die Absicht aber, in welcher Herr Pfarrer die Gedanken der Hörerinnen zur h. Familie lenkte, war insonderheit auch die, ihnen nahe zu legen, daß sie in einem Familienzimmer nun gemeinschaftlich leben und die Widersprüche vereinigen sollen, die zwischen Anstalt und Familie herrschen, indem sie eine unnatürliche Familie, zu einer übernatürlichen verklären. Nachdem79 hierauf die drei Verse des Liedes: Ermuntere dich mein schwacher Geist etc. gesungen waren, empfieng ein jedes fröhlich seine Gaben.

Am 25., als am heiligen Christtag, fand der erste Hausgottesdienst in dem schönen neuen Betsaal statt. Es war abends 5 Uhr, als man sich im Familienzimmer versammelte und hier den Versikel: Der HErr segne euern Ausgang und Eingang anstimmte mit der Antwort: Von nun an bis in ewige Zeiten. Herr Conrector sang hierauf folgende[Collecte]: Allmächtiger, ewiger GOtt, der du durch deinen Sohn, den rechten Eckstein, Juden und Heiden wie Mauern aus verschiedener Richtung vereinigt, und zwei Heerden unter Einem Hirten zusammengebracht hast, gib deinen Kindern unauflösliche Liebe, daß sie durch keine Trennung der Gedanken, durch keinerlei verkehrte Manchfaltigkeit einander entfremdet werden, sie die durch Eines Hirten Regiment und Hürde zu Einer Heerde versammelt sind. Die Versammlung sang alternatim den 24. Psalm, Vers 8 u. 10 aber wurde dreistimmig intoniert. Darauf folgte der Hymnus: Danksagen wir alle etc. der eine Danksagung für die im bisherigen Betsaal genoßenen Wohlthaten des Wortes und Sacramentes enthielt und in seinem 2. Theile zum Einstimmen in den Lobgesang der himmlischen Heerschaaren aufforderte. Nun bewegte sich der Zug in das neue Bethaus, deßen Chor besonders schön erleuchtet war. Der Altar war von vielen grünen Gewächsen umgeben, und auf demselben stand ein Cruzifix, das von einem Freunde der Anstalt geschenkt worden war.

Friede sei mit diesem Hause, das waren die ersten Worte, welche hier erklangen, denen die Antwort folgte: Von unserm Eingang immerdar. Hallelujah! Herr Conrector sang nun folgende Collecte: O HErr, all unserem Thun komm zuvor mit deinem Geiste und begleite es mit deiner Hilfe, auf daß all unser Gebet und Arbeit allezeit mit dir beginne und durch dich zu Ende komme. Durch Christum unsern HErrn. Amen. Hierauf sang ein kleiner Chor dreistimmig das Invitatorium, und dann wieder die ganze Gemeinde alternatim den 19. Psalm mit vorausgehender Antiphon. Nach dem Gloria, mit dem der Psalm schloß, wurden folgende drei Lectionen von drei Diaconissen gelesen: 1. Mos. 28, 10 22. Luc. 2, 1 14. Ebr. 1, 1 14. Nach den ersten beiden Lectionen sang man die entsprechenden Responsorien und nach der dritten den Hymnus: Lobt GOtt ihr Christen etc., an welchen sich alsdann die Ansprache des Seelsorgers anschloß. In dieser wurde den Zuhörerinnen aufs neue die Lieblichkeit des demüthigen80 weiblichen Dieners vorgestellt und gezeigt, wodurch man zur Dienerin Jesu wird, nämlich nicht allein durch irgend welche äußere Geschicklichkeit und Gewandtheit, sondern durch ein gottverlobtes Leben. Ein solches Leben zu fördern und zu pflegen, sei auch die Absicht, in der dies Haus gebaut worden, in welchem von nun an der HErr seinen Kindern oft begegnen und reiche Segensströme auf sie fließen laßen wird, die zu verheißen kein Wagnis sein wird, da immer, wenn sich’s um göttliche Dinge handelt, die Erfüllung weit über die Verheißung geht. Als höchstes Vorbild im Dienste Jesu wurde Maria, die Herzogin aller Dienerinnen dargestellt. Das neuerbaute Bethaus soll eine Krippe sein, in welcher der HErr seine Wohnung haben möge. In diesem Sinne sangen die Versammelten dann auch: Ich steh an deiner Kripp hier. Nach dem darauf folgenden Gebet und Segen stimmte der Chor der Sängerinnen dann noch einige Choräle an,[darauf] giengen wir fröhlich in unsere Wohnung zurück.

Die Krippe war diesmal in einem Hause des Dorfes aufgestellt worden, um den Bewohnern von Neuendettelsau auch eine kleine Freude zu bereiten.

Am 5. Mai des Jahres 1860 kam die lang ersehnte Erlaubniß vom königlichen Ober-Consistorium zum vollständigen Gottesdienst sammt Sacrament für das Diaconissenhaus. Am 27. Mai, dem Pfingsttag, 1860 durfte zum ersten Mal vollständiger Gottesdienst im neuen Betsaal gehalten werden, und am 28. Mai 1860 wurde zum ersten Male das h. Abendmahl gereicht. Die Chronik schreibt: Seit unser Bethaus erbaut ward, wurde der Apostel Lehre schon in reicher Fülle vorgetragen. Die Pflege der Gemeinschaft war auch nicht unterlaßen worden. Manches Gebet ist zum Throne Gottes in demselben aufgestiegen. Aber heute widerfuhr diesem Hause Heil, denn der Herr selbst gieng zu demselben ein und hielt sein h. Mahl. Lob sei ihm in Ewigkeit!

Ob nun gleich der Betsaalbau langsamer vorwärts gieng, so kam man doch auch mit ihm zum Ziele. Derselbe Architect, der uns zum Mutterhause half, Professor Böhrer in Nürnberg, machte auch Riß und Zeichnung für den Betsaal. 81Die Einrichtung dieses Saals hat das Wohlgefallen vieler Menschen auf sich gezogen, und mehr als einmal geschah es, daß Geistliche, die zu bauen hatten, ein so großes Wohlgefallen an unserm Bau aussprachen, daß man von ihnen hören konnte, wie gern sie uns nachbauen möchten. Auch wir selbst haben am Bau zumal im Anfang, großes Wohlgefallen getragen, wenn wir auch ganz willig waren, die Fehler anzuerkennen, die auch er an sich trägt. Die sämmtlichen Baukosten betrugen 10,544 Gulden und , Kreuzer, eine Summa, die selbstverständlich schwer aufzubringen war, die wir aber dennoch dermaßen überwinden konnten, daß wir ein eignes kleines Fest der Schuldenfreiheit unsres Betsaals feiern konnten. Wir hätten ihn ja gern dem Herrn zu einem Opfer gebracht und siehe, es gelang uns und wir kamen zu dem fröhlichen Gefühl, in dem Hause feiern und beten zu können, ohne daß uns ein Andenken an noch rückständige Schulden stören oder beunruhigen konnte. Der Betsaal wurde der Augenstern der Gemeinschaft. Während er seiner Vollendung entgegengieng, giengen viele von uns, wie ihr Beruf sie führte, in ferne Lande, ohne daß ihnen eine Thräne entfiel, den stillen Ort verlaßen zu müßen. Beim Weggehen waren alle nüchtern. Wenn sie aber wiederkehrten, und sich wieder sammeln konnten, dann sah man es ihnen an, daß ihnen der Betsaal süß und angenehm war. Jedermann steuerte und schenkte gern zum Betsaal und heute noch legt gar mancher irgend eine Gabe seines Wohlgefallens an seinen Stufen nieder.

Am 11. October des Jahres 1865 kam die neue Glocke an, die schon lange vorher erwartet worden war. Schon seit Wochen war der Glockenstuhl, eine Art Dachreiter auf dem westlichen Giebel des Gebäudes, durch den Zimmermann hergestellt worden. Die Glocke wiegt 2 Centner 65 Pfund, 15 Loth und hat 307 Gulden und 20 Kreuzer gekostet. Auf82 der einen Seite sieht man das Diaconissenwappen, auf der andern die Mutter mit dem Jesuskinde und um dieselbe her die Inschrift: Et verbum caro factum est. Diese doch im Grunde kleine Glocke tönt rings durch das ganze Land und ihr starker, heller Klang ist allenthalben beliebt, Kranke und Gesunde zählen nach ihrem Geläute die Stunden und loben ihren Ton. Am 14. October 1865 schreibt die Chronik: Heute wurde die Glocke des Betsaals feierlich eingeweiht und dem Gebrauche übergeben. Es war Nachmittags 4 Uhr, als man sich im Betsaale versammelte und sich von dem Pfarrer die ganze Ordnung der kommenden Feier erklären ließ. Namentlich wurden wir erinnert, daß da, wo im A. T. von Posaunen oder anderen Instrumenten die Rede ist, in unseren Zeiten immer des Glockenklangs Erwähnung geschieht. Nach diesen und ähnlichen Erklärungen trat die Versammlung heraus vor den Betsaal und stellte sich vor demselben im Halbkreis auf. In der Mitte des Halbkreises stand die mit Guirlanden und Blumen bekränzte Glocke auf einem Gerüste. Zum Eingang der Feier sang man den Hymnus: Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren. Darauf folgte eine Collecte, welche die Absicht hatte, die Glocke von dem gewöhnlichen Gebrauche abzusondern und dem Herrn darzubringen. Darauf sang man alternatim Psalm 147. Es folgten 4 Lectionen, voraus die 4. Mos. 10, 1 10., die den Posaunenbefehl des Herrn zur Versammlung, zur Pilgerfahrt und zum Kriege enthielt. Dann Jos. 6, 1 8. 15. 16. 20. vom Falle der Mauern durch die Posaunen und das Feldgeschrei Israels. Drittens 2. Chron. 5, 1 6. 1., wo die Glückseligkeit derer dargelegt wird, die im Hause Gottes versammelt sind, und an vierter Stelle die Lection Luc. 10, 38 42. zur Erinnerung, daß die Hausbewohner sich, so oft die Glocke schallt, von Martha’s Geschäften zum stillen Sitz zu Jesu Füßen wie83 Maria wenden sollten. Nach jeder Lection wurde eine Collecte gesprochen, deren Inhalt sich auf die vorausgegangene Lection bezog. Nach der letzten Collecte intonirte der Chor Psalm 150 von dem göttlichen Befehl der Instrumentalmusik. Nun folgte die eigentliche Formel der Benediction mit dem Zeichen des Kreuzes über die Glocke, und während die Gemeinde den Gesang: Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit anstimmte, wurde die Glocke in die Höhe gezogen und befestigt. Es war indeß die Zeit des Abendläutes herangekommen und nun zum ersten Male ertönte vom Betsaal herunter der Glockenton zum Gebet, unter welchem die Versammlung zum Abendgottesdienste gieng.

Garten.

Ganz in der Nähe des Betsaals, getrennt durch einen schmalen Weg, lag ein Acker, welchen die Hausconferenz zum Anstaltsgarten erkor. Dettelsau hatte damals nur Einen Garten, den Schloßgarten, der zuweilen, namentlich in der Zeit der Blumen und des Obstes von den Bewohnerinnen des Diaconissenhauses aufgesucht wurde. Sonst hatte man keinen namhaften Garten, auch um die Anstalt und den Betsaal her war kein Garten. Was jetzt in der Frühlings - und Sommerzeit um Haus und Betsaal her grünt und blüht und wächst, ist lauter junge Pflanzung und beweist nur, wie lieblich die Natur ihren Schmuck denjenigen darbeut, die einigen Fleiß auf sie wenden. Zu derselben Zeit aber, wo nun allmählich der Betsaal sich erhob, beschloß man, einen Gärtner anzustellen und zu Gottes Preis den rohen Fleck Erde zu einem lieblichen Garten umzuwandeln. Wirklich wurde der Garten gekauft und der Verkäufer gab ihn unter der Bedingung wohlfeiler, daß ihm der Name Helenenacker gegeben würde. Die Hand unsres erwählten Gärtners, der am 11. März 1859 bei uns eintrat,84 ist eine geschickte Hand und unter ihr und der seines Nachfolgers Michael Aschenneller ist uns all die Schönheit und Wohlthat zu Theil geworden, die bis auf diese Stunde je länger je mehr rings um das Diaconissenhaus und seinen Betsaal erblüht ist und immer mehr blüht. An das östliche Ende der Gartens hat man ein Leichenhaus gebaut und dabei den Gedanken festgehalten, daß der Herr seine stille Grabesruhe auch in einem Garten gefunden hat. Das Leichenhaus haben die Schwestern aus dem Erlöse einer von ihnen gehaltenen Verloosung gebaut, und es wurde zum Eigenthum des Betsaals geschlagen, wie mehrere andere Stücken Landes, womit er dotirt wurde. Seitdem ist auf der entgegengesetzten Seite des Betsaals, nach Westen hin, wo man dem Walde zugeht, ein eigener Gottesacker für die Anstalten und ihre Todten errichtet und mit einer Mauer umsäumt worden. Bereits zahlreiche Gräber, die Aussaat unsrer Krankenhäuser, und mancherlei Monumente kann man dort finden, und auch dieser Gottesacker ist Eigenthum des Betsaals. Gärtner und Todtengräber und unter deren Hand mancherlei Menschen haben sich bemüht und angestrengt, den Ort, wo die Diaconissen von Dettelsau wohnen und wo sie beten, zu einer angenehmen Stätte der Ruhe und des Friedens umzuwandeln. Wer im Frühjahr und ersten Sommer vom Treibhaus des Gärtners bis zum Leichenhause gewandelt ist, etwa zur Kirchenzeit, ehe es läutet, oder gar zur Zeit der Blüthen, der wird sich gewiß der schönen Gartenzier gefreut haben, der tausend und über tausend Blumen, unter denen er wandelt und des duftenden Wohlgeruchs, der ihn umgiebt. Ich bin Pfarrer in Dettelsau und habe dicht vor meiner Pforte nun bereits 32 Jahre einen Schnitz Gartenlandes, an dem ich mich in guten und bösen Tagen oft erfreute. Aber was ist der gegen den Diaconissengarten. Gar oft bin ich durch mein85[Pfarrgärtchen] gegangen und habe zu meiner Seele gesagt: mir ist’s schön genug da, ich brauche nichts weiter. Wenn ich aber von da hinausgieng in den Anstaltsgarten, an dem ich nichts gebaut und nichts gerichtet habe, nie eine Blume, nie eine Beere gepflückt oder gepflanzt, da habe ich oft zu meiner Seele gesagt: Aber du bist reich, du arme Seele, darfst in dem schönen Garten gehen, vor den duftenden Blumen stille stehen, und lauschen, wie sie sich entfalten und ihren Wohlgeruch geben, ganz abgesehen von dem übrigen materiellen Nutzen, den da die Küchendiaconissin und die Gartendiaconissin preisen! Dir gehört von all der Herrlichkeit nichts, und doch hast du Alles gerade so gut, als wäre es dein. Gerade so reich könntest aber auch du sein, lieber Leser und Leserin, denn es wehrt auch dir kein Mensch dasselbe zu nehmen, was ich nehme, die süße Gartenfreude und die Wohlthat des werdenden Parks und was damit zusammenhängt. Du und deine Kinder können an all dem Diaconissenwesen, Betsaal und Garten, Bildungsmittel haben, mildere Sitten gewinnen, für’s Schöne und Gute erwarmen. Denn es ist Alles für dich. Da fällt mir noch etwas ein! Wie vorigen Frühling die Blumen herzlich schön blühten, da stand ich an einem stillen Morgen bei den blühenden Sträuchern und Blumen unter der Glocke dicht am Betsaal und wünschte, daß die jungen Leute alle, die vorübergiengen, in die blühenden Blumenkelche sehen und sich ihrer freuen möchten. Da kam die Metzgersmagd daher und riß mit rohen Fäusten zu gar keinem Nutzen die schönen Blumenkelche ab, nur damit sie etwas wegzuwerfen hätte. Hat die nicht Schläge verdient für ihre Rohheit, und daß sie der Einladung und dem Geiste, der aus den Blumen an sie hinredete, sich widersetzte wie sie that? Der haben alle meine Blumen umsonst geblüht.

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§. 4. Das Diaconissenhaus als Schule.

Obgleich wir oben gesehen haben, daß es beim Diaconissenhause Neuendettelsau zunächst gar nicht auf eine Schule und eine Bildungsanstalt angelegt war, so fehlten ihr doch die Schulen nicht. Gleich anfangs wie man noch in der Sonne wohnte, zogen Schülerinnen herzu, die Bedürfniß und Verlangen hatten, für den erwählten Beruf vorgebildet zu werden, und ehe man sich es versah, hatte man eine Schule, Lehrer und Lehrerinnen. Man hatte Herrn Doctor Schilffarth zum ärztlichen Lehrer gewonnen und der hatte sich und seinem Unterrichte ein ärztliches Progamm gewählt, wie es in den ärztlichen Organismus des Königreichs Bayern paßte. Wohlwollende Vorgesetzte hatten ihn berathen und die Bildung der Diaconissen für den Beruf der Krankenpflege schien anfangs ganz der der Bayerischen Baderschulen verwandt zu sein. Dieser Gedanke war fruchtbar und an ihm entwickelte sich allmählich der ganze theoretische und practische Lehrberuf des Diaconissenarztes. Das vortreffliche Lehrbuch für Diaconissen, welches der dritte Arzt des Diaconissenhauses, Doctor Riedel, herausgegeben hat, wird seine Eigenthümlichkeit und Besonderheit nicht verleugnen, aber dennoch wird ein jeder erkennen, daß es aus der Verwandtschaft ähnlicher Gedanken entsprungen ist, und daß die anfänglichen Rathschläge der ärztlichen Behörden im allgemeinen immer noch herrschen. Dazu hatten wir immer Glück, solche Aerzte zu haben, die ferne von aller Frivolität der Diaconissenjugend niemals gefährlich wurden, sondern die Form ihres Unterrichts immer in den Schranken eines sittlichen Ernstes hielten. Ich erinnere mich, bei unsrem ersten ärztlichen Lehrer mit zugehört zu haben, wie er am Auge eines Ochsen das greifliche Walten eines schöpferischen Willens87 nachwies und wie er dadurch so wie durch eine ähnliche Darstellung des Organismus des Gehörs sein lauschendes Publikum zur Andacht und Bewunderung des Herrn erweckte. Damit gelang es ihm, seinen Vorträgen eine gewisse Weihe zu geben, und der ärztliche Unterricht hat schon seit jenen Tagen im Diaconissenhause in großem Ansehen gestanden. Der Beruf der Diaconissin erschien als heilig. Auch der Musikunterricht, für den man gleich anfangs einen für kirchliche Musik begeisterten Lehrer an Cantor Güttler gewann, war sehr wohl berathen, weil ja dem Diaconissenhause bedeutende Autoritäten helfend zur Seite standen. Der Psalmengesang erschien gleich anfangs, wie ein Eigenthum des Diaconissenhauses, weil Bezirksgerichtsrath Hommel, der als ein Vater des neuen Psalmengesangs angesehen werden konnte, in innigem Zusammenhange mit dem Diaconissenhause lebte, und demselben bis in die neueste Zeit mit Rath und That zur Seite stand. Die Art, wie man in Neuendettelsau die Psalmen singt, hat sich in verschiedenen Gegenden verbreitet und ihre Geltung gefunden, und Davids Psalmen haben gewiß von Anfang an die ganze Musik des Diaconissenhauses geheiligt, und dem Diaconissenhause selbst und seinen Gesang-Lehrern und - Lehrerinnen den edlen Ruf einer besondern Leistung erweckt. Die übrigen Lehrgegenstände im Diaconissenhause wurden sammt und sonders von allem Anfang von Einem Lehrer vorgetragen, der ganz der Meinung war, die Lehrer zukünftiger Geschlechter zu begeistern und ihnen Ideen an die Hand zu geben, die selige Frucht tragen sollten. Der Schreibunterricht wurde dadurch pastoral und eine Schule des Gehorsams; der Rechenunterricht gerieth mit aller Einfalt und Solidität, welche auf den Gymnasien von Nürnberg und Bayreuth zu jener Zeit die herrschende war, da der erste Rector und Vorstand des Diaconissenhauses auf Schulen war. Die natürliche Seite88 des Kalenders und auch die historische wurden eigens gelehrt, wie auf keiner andern Schule, und überhaupt gewann der gesammte Unterricht der deutschen Schule im Diaconissenhause durchgreifend eine solche Bedeutung, daß manche Leute schon um seinetwillen junge Mädchen der Diaconissenschule vertrauten. Alles was außer dem ärztlichen und Gesangunterrichte heute noch in den verschiedenen Schulclassen des Diaconissenhauses gelehrt wird, stammt von einem und demselbigen Anfänger und Vorgänger, wenn er gleich von den nachfolgenden Lehrern und Lehrerinnen in allen Stücken beßer verstanden wurde, als er sich selbst verstand und sein dem Diaconissenhause Vertrauter Nachlaß so ausgebaut wurde, wie er es gewißlich selbst nicht vermocht hätte. Die Diaconissenschule hatte ein eigenthümliches Gepräge und die ersten zum Theil sehr fähigen Schülerinnen, die allmählich zu Lehrerinnen heranwuchsen, waren ein für die Weise ihres ersten Lehrers begeistertes Geschlecht, ein Unterschied, der scharf bemerkt wurde, so oft eine Lehrerin von andrer Schule in das Haus eintrat. Mehr als einmal versuchte man es, auf Grund des bekannten alten Bodens die sicheren Consequenzen in allen Lehrgegenständen zu erfaßen und eine Art von Diaconissenschule herzustellen, welche als ein besonderes Kennzeichen des Hauses stehen bleiben könnte, aber es fehlte die durchdringende Kraft für die Herstellung eines gleichartigen Schulsystems, und die Diaconissenschule mit ihren Eigenheiten und Besonderheiten wird sich schwerlich für lange Zeit erhalten. So blühend und wohlthuend der Geist des Ganzen sich auch erwies, das Alles war zuerst der Schulgeist des anfangenden Diaconissenhauses, der sich allmählich abstufte und besonders ausbildete, daß eine blaue, grüne und rothe Schule daraus wurde. Mehr als einmal hat man die Kraft dieses einfachen Schulsystems geprüft und gut gefunden: Aber es blieb doch Alles zu besonders89 und gerade auf diesen Gebieten, den eigenthümlichsten von allen, wird bald eine genaue Aenderung eintreten und eintreten müßen. Zu diesen Eigenthümlichkeiten des hiesigen Lebens gehört auch die Privatbeichte, die Carcer und Strafen vermied und einen Geist der Willigkeit und des Gehorsams verbreitete, der ohne sie gar nicht möglich gewesen wäre. Zu eben demselben gehörte auch der Geist der Zucht und der Beßerung, der zuweilen die Schulen beherrschte. Zu ebenderselben gehörte auch die Macht der stillen halben Stunde, die eine Eigenthümlichkeit des Hauses bildete. Kurz das Diaconissenhaus bildete in seiner beßeren Zeit eine eigene das ganze Leben beherrschende Schule, die unter begabten Lehrerinnen eine Alles durchdringende Kraft ausübte, die aber, wenn gerade keine selbsterzogenen Lehrerinnen da waren, unglücklich dahinfiel. Kaum wird jemand im Stande sein, die Diaconissenschule in ihren Traditionen zu beschreiben und dadurch dem Gedächtniß festzuhalten, aber noch lebt sie und trägt Früchte. Wenn die Schülerinnen des Hauses nach ihrer Heimkehr sich aus dem Pflanzgarten des Hauses in die gewohnten Umgebungen versetzt sehen, so fallen alle diese schönen Eintagsfliegen hin und allmählich auch die Erinnerung an sie. Wenn der eingesogene Geist zu stark ist, sich in das gewohnte Wesen zu schicken, dann regt er zuweilen seine Flügel wieder, Flügel, wie sie die Zugvögel haben, und es kommen die Tage der Heimsuchung und der starken Erinnerung an die Schulzeit wieder. Dann kehren die Töchter von Dettelsau wieder in ihr Mutterhaus ein und feiern einen Nachfrühling, der wohl recht schön ist, aber doch auch zu abnorm, als daß er bleiben und siegen könnte.

Die bestehende Diaconissenschule darzulegen ist eine schwierige und vielleicht auch eine nutzlose Sache, weil zur Ausführung die Gelegenheit und die Bedingungen fehlen werden. 90Dagegen aber wollen wir etwas Anderes hier anführen, was wenigstens hier zu Neuendettelsau zu einer gewissen Wichtigkeit gelangt ist. Früherhin hatte das Diaconissenhaus nur einen hauptsächlichen Rechnungsführer, der mit Treue und Geschick alle Einnahme und Ausgabe verbuchte und alle Rechnung stellte. Da lag also die ganze Last der Geschäftsführung auf den Schultern eines Mannes, der sich täglich zu bestimmten Stunden im Hause einfand und nur zuweilen von der Oberin unterstützt wurde. Das war freilich eine bequeme Zeit für alle und jede Schwestern, die aber freilich auf diese Weise selbst wenig oder keine Einsicht in die Verwaltung und Rechnungsführung gewinnen konnten. Da es sich aber darum handelte, Schwestern zu erziehen, die ihre Geschäfte und Sachen nach allen Seiten hin selbst führen und verantworten könnten, so mußte der frühere Stand der Unschuld aufhören. So wie der ganze Organismus der Schule des Diaconissenhauses aus den Schulerfahrungen des gegenwärtigen Rectors hervorgieng und sich ganz an die Erinnerung des Lebens eines großen Rectors (C. L. Roth) angeschloßen hat, ohne deßen Beispiel und Vorgang nie eine ordentliche Schule des Diaconissenhauses hätte werden können, so verdankt der Rector des Diaconissenhauses seine gesammte Tüchtigkeit zur Leitung und Führung des ganzen Diaconissenhauses allein dem Umstand, daß er als bayerischer Pfarrer ganz und gar genöthigt war, das Rechnungswesen seiner Pfarrkirche und ihrer beiden Filiale kennen zu lernen und sich in die Führung desselben hineinzuleben. Von Natur hat er kein Rechentalent und was sich bei ihm auf dem Wege seines Amtes ausgebildet hat, das ist ihm in seinem höheren Alter wieder verloren gegangen; daß er es aber sich aneignen und in dem Maße anwenden konnte, das verdankt er ganz und gar seinem Pfarrersleben und dem mannigfachen Rechnungswesen, was damit verbunden war. 91Schon auf dem Gymnasium hatte Gott gesorgt, daß er rechnen lernen mußte. Nie hat er am Rechnen eine Freude gehabt und hat auch in späterer Zeit es nicht begriffen, wenn er las, wie häufig das mathematische Studium Theologen zu ihrer Bildung gedient hat. Auf dem Gymnasium gehörte es zu seiner ärgsten Lebensplage, den mathematischen Curs seines hochbegabten und strengen Lehrers, des nachmaligen Ministerialraths Hermann durchzumachen, und dieser Plage los zu werden, sehnte er sich solange, bis er ihrer los ward und rührte auf der Universität dergleichen Dinge nicht einmal mehr an. Er sieht sich heute noch mit einem Stück Kreide vor der Rechentafel der Schule stehen und hört noch jetzt die Stimme seines Lehrers klingen, der ihm aus seiner Unfähigkeit und seinem Unwillen für alles Arithmetische manchmal weissagte, es werde ihm gerade so wenig mit der Logik und Dialectik gelingen, eine Weissagung, die doch nicht hinausgieng und die derselbige Lehrer zurücknahm, als er selbst späterhin diese Wissenschaften lehren sollte, und bei dem schwächsten seiner Schüler im mathematischen Fache doch einige Begabung mehr fand. Als ich späterhin meine Thätigkeit für Amerika begann und für die Gesellschaft für innere Mission, habe ich das ganze Rechnungswesen der Amerikanischen Mission und der Gesellschaft für innere Mission geregelt und eingerichtet und erst aus meinen Händen gieng es in die Hände des späteren Cassiers, eines Kaufmanns, nemlich meines eignen Bruders, über und schon damals lernte ich anwenden, was ich bei meinem Lehrer für das mathematische Fach gelernt hatte. Späterhin kam die Zeit, wo die Zehnten abgelöst wurden, und ich hatte den Muth, alle Berechnungen, die zu machen waren, so viele 1000 Exempel ganz allein zu machen, ohne daß ich irgend einen Tadel oder eine Correctur zu erfahren hatte. Es gelang mir im Ganzen und Einzelnen und meine92 Nachfolger werden nicht Ursache haben, sich über meine damalige Wirthschaft zu beklagen. Mein mathematischer Jugendunterricht, meine Formeln kamen mir zu immer größerem Verständniß. Es gibt heute zu Tage im Diaconissenhause eine ganze Menge von Rechnerinnen und Rechnern, aber so viel ich weiß, nicht eine einzige, die nicht hauptsächlich von mir gelernt hätte. Der gesammte Unterricht vom Rechnungs - und Inventarwesen, in dem sich Alles bewegen muß, was im Diaconissenhause lebt, stammt wie die ganze Methode zu rechnen in den verschiedenen Schulen von mir und ich habe diesen meinen Nachlaß bis in mein Alter verfolgt. Was für Mühe hat mich das gekostet, die verschiedenen Schwestern allmählich in das Ganze einzuweihen. Wie hart ist es gegangen, die ganze Schaar in die Lehre vom Voranschlag und Etat einzugewöhnen, und jetzt sind wir soweit, daß alle Schwestern meinen Weg verfolgen, daß außer der Oekonomierechnung eine jede von den vielen andern von Schwestern geführt, von einer Schwester revidirt wird, und daß auch Leute, die gar keinen Willen dazu haben, doch das anerkennen müßen. Erst noch im Vorjahre habe ich die Absicht gehabt, die Lehre vom Schuldentilgungsplan wie eine Krone des Ganzen hinzuzuthun und wenn dies nicht ausgeführt wurde, so war daran blos mein zunehmendes Alter und die aus meiner Jugend zurückgekehrte Schwachheit im Rechnungssache schuld. Hier wird man Alles eher suchen, als Rechnungswesen, und wenn überhaupt von einer Dettelsauer Schule die Rede sein kann, so kann man am allermeisten beweisen, daß die Schwestern von Dettelsau wenigstens sehr häufig im Rechnen bewandert sind, und daß ihre Tüchtigkeit im Verwaltungsfach damit auf das Innigste zusammenhängt. Ein mir befreundeter Arzt hat mir erst in der jüngsten Zeit bei einer Wanderung durch die neuen Anlagen von Dettelsau vorgehalten, daß Alles,93 was ich angefangen habe, den göttlichen Segen gehabt hätte und gewiß muß man das anerkennen, ich wenigstens erkenne es an. Aber ich glaube auch sagen zu dürfen, daß dem göttlichen Segen zur Seite immer die menschliche Ueberlegung und das Rechnen gieng. Gewiß habe ich auch derbe Rechenfehler gemacht und mich sehr häufig verrechnet, aber die ganze Diaconissenschule, die unter mir verwachsen ist, wird sich doch gewiß auch als eine Rechenschule und als eine Schule der Verwaltung äußerer Angelegenheiten erkennen laßen. Wie lange wird es noch dauern, so werde ich, was das Rechnen anlangt, als ein Invalide betrachtet werden können, aber der Herr war denn doch auch mit meinem Rechenstifte und mit meinem Kalkul und viele, die mich heute überschauen und überrechnen, sind, wenn nicht meine Nachfolger, so doch meine Mitberather und Mitthäter gewesen. Wenn man jetzt Conferenz hält, so übermag mich zuweilen manche geringe Diaconissin, und ich horche auf sie, verwundert, wie gescheut sie geworden ist, und doch ärgere ich mich zuweilen weidlich über ihr größeres Geschick, und daß sie so gar nicht mehr daran denkt, daß sie außer dem Einmaleins und den vier Species am Ende doch Alles von einem hat, der ihr jetzt bereits so überflüßig und unnütz geworden ist.

Auf dem Wege meiner Lebensführung, meines Amtes und meiner eigenen practischen Thätigkeit bin ich zu diesem Selbstruhm gekommen, an den ich früherhin gewiß nicht gedacht und den ich nicht gewollt habe. Es hat so kommen müßen, aber ich habe gewissermaßen von alle dem nichts gehabt und bei alle dem nichts gesucht.

Weil ich denn einmal so in’s Rühmen gekommen bin, so will ich, damit mir von meinem Verdienst gewiß kein Jota überbleibe, auf noch etwas hinweisen. Dettelsau ist ein armer Ort, und wenn auch mancher Bau und manches94 Haus zeigt, daß die Bevölkerung sich mehr gehoben und ausgedehnt hat, so stehen doch im ganzen Ort hin und her noch arme Hütten genug, die ein dunkles Licht auf die Vergangenheit werfen. Der Ort hat kein Vermögen zu bauen, aber wenn er es auch gehabt hätte, so hätte er kein Baumaterial gehabt. Jetzt aber hat das Diaconissenhaus die Einwohnerschaft dadurch bauen gelehrt, daß auf seinen Betrieb dahier die Feldziegelei aufgekommen ist und nicht blos Zimmermeister und Bauunternehmer, sondern bald auch jeder Bauer wißen wird, wie er sich zu gutem und trocknen Baumaterial verhelfen kann. Man braucht keinen Lehmkuhl und überhaupt keinen auswärtigen Meister mehr. Die Einwohnerschaft hat selbst gelernt, Ziegel zu streichen, Brandhaufen zusammenzusetzen und sich und andern zu helfen. Das hat sie vom Diaconissenhause gelernt, das schon bei dem Bau seines Mutterhauses seine Armuth an Baumaterial erkannt und geneigt wurde, Herrn Lehmkuhl zu rufen, von dem und seinen Leuten zwar bei uns nichts hängen geblieben ist, aber der uns dennoch gelehrt hat, wie man sich auch in unsrer Gegend zu wohlfeilerem Baumaterial verhelfen könne. Welch einen Haß der Bevölkerung hat lange Zeit das Diaconissenhaus tragen müssen? Wie nützlich aber dies einzige Haus der ganzen Gegend geworden ist, kann aus mehr als einem Beispiel gezeigt werden. Diese summende und wühlende Schaar von Diaconissen hat doch Industrie und Thätigkeit unter die indolente Menge gebracht und thut es vielleicht auch noch künftig.

§. 5. Blödenanstalt.

Auch das lag in der göttlichen Vorsehung, daß die hiesige Diaconissenanstalt zugleich mit dem Gedanken an eine95 Blödenanstalt auftreten mußte. Diaconissenanstalt und Blödenanstalt sind so disparate Dinge, daß nicht die geringste Nöthigung vorhanden ist, sondern daß es rein zufällig ist, wenn sie in einem Odem zusammen ausgesprochen oder zugleich mit einander in Absicht genommen werden. Der Blöde ist einer von den tausend und aber tausenden Leidenden, für die man nach dem Sinne des Herrn arbeiten und leiden darf. Aber er ist es nicht mehr, als andere, und wenn man zuweilen die Blöden die elendsten unter den Elenden genannt hat, so gehört das unter die rhetorischen Uebertreibungen einer Sache: man kann sich an sie gewöhnen, man kann sie schön finden, aber man kann ebenso gut gegen als für sie reden. Am Schluße des Krieges 1866, da die Heere heimwärts zogen, kam einmal eine Abtheilung bayerischer Soldaten für einen Tag nach Dettelsau und wurden hier einquartiert. Alles interessirte sie, aber nichts so sehr als die Blöden. Den ganzen Tag war das Blödenhaus umlagert, so sehr, daß man eine Weile meinen konnte, es würde gestürmt, eine so große Theilnahme fanden die armen Blöden. Ein Trupp der Leute begegneten gerührt und mit Zähren dem Pfarrer und meinten, sie wollten sich doch lieber von den Preußen todtschießen laßen als blöde sein. In der That konnte man glauben, daß die Soldaten auch den Gedanken hatten, daß die Blöden unter den Elenden die Elendsten seien. Und doch ist es so gar häufig, daß diese Elenden als besonders glückliche Menschen aufgefaßt werden. Wer sie mit einander leben und umgehen sieht, der kann sich zuweilen nicht genug darüber verwundern, wie schnell sie sich an einander und zusammen gewöhnen, wie glücklich sie unter einander sind, und wie fröhlich sie Himmel und Erde anlacht. Ich der mich zwar nicht rühmen kann, dem Chore der Blöden besonders nahe zu stehen, der ich aber seit dem Anfange des96 Blödenhauses immer mein Auge auf sie gerichtet habe, und zeitenweise sehr viel mit ihnen umgegangen bin, habe manchmal gesagt, gerade so glücklich wie andere, aber auch gerade so lasterhaft und boshaft und sündenbefleckt, kurz gerade wie andere seien sie, nur unter einen niedrigeren und engeren Horizont. Daß ich nun gerade auf die Blöden verfallen bin, und ohne sie eigentlich besonders elend zu finden, sie doch so an und aufgenommen habe, als wären sie besonders erbarmenswürdig, daß ich ihr Elend zu dem ersten gemacht habe, an welchem sich meine Diaconissen abmühen, üben und plagen sollten, das halte ich rein für eine göttliche Führung; dem Herrn hat es eben gefallen, das hiesige Haus zunächst an den Freuden und Leiden der Blöden vorüberzuführen. Das war sein Wille und ist dahier sein Werk.

Hier lebte ein großer und stattlicher Mann von besonderer Art, Ortsvorsteher und angesehen: er hatte keine Kinder, nur einen einzigen Sohn, und der war blöde. Wenn man den Vater ansah, seine Art und sein Wesen, dazu auch Art und Wesen seiner Frau, so konnte man bei aller practischen Begabung, die er hatte, sich doch leicht denken, wie der zu einem blöden Sohn kam, und daß auch sonst in seiner weiteren Verwandtschaft blödsinniges Wesen wahrzunehmen war, das konnte man begreifen, ehe man nur nach Gründen und Ursachen gesucht hatte, die man jedoch auch ganz leicht ausspüren konnte. Der Mann erbarmte sich immer seines Sohnes, und so oft er seinen Pfarrer sah, reizte er ihn zum Mitleid mit dem Sohne und muthete ihm zu, sich demselben fleißiger zu widmen. Dieser Sohn war es, zu dem Gott das Herz des Pfarrers neigte, und der es ihm ganz ernstlich nahe brachte, mit dem Diaconissenhaus ein Blödenhaus zu verbinden. Aber nicht blos er zog Aufmerksamkeit und Mitleid auf sich, wenn er, groß und schlank gewachsen, wie er war, fast in die Kniee97 sinkend mit den langen Händen bis zu den Knieen greifend, mit wahrhaft blöden Gebährden dahingieng und lallte, sondern in der ganzen Gegend schien der Pfarrer einmal aufmerksam geworden, blöde Kinder zu finden. Im Trunk erzeugte, aus zu nahem Verwandtschaftsgrade stammende, mit Mohntrank beschwichtigte Kinder, namentlich solche, die unter natürlichen Umständen aufwuchsen, die zum Blödsinne sich hinneigten, besonders verwahrloste, in Onanie herangewachsene, auf der Winterseite wohnende Menschen fand ich sehr häufig blöde. Wie Cantor Güttler vor seinem Antritt bei den Blöden eine Reise nach Winterbach machte, so hatte auch ich gethan. Ich hatte das Glück, eine Unzahl von Menschen beisammen zu finden, die sich seit Guckenbühl viel mit Blöden und dem Blödsinne abgaben und die auch durch meinen Besuch und den von zwei Begleitern, mit denen ich reiste, sich besonders getrieben fühlten, von dahin einschlägigen Gegenständen zu reden. Fast in all den dargelegten Erfahrungen glaubte ich meine eigenen Erfahrungen wiederzuerkennen, und ich kam schon damals mit Gedanken heim, die mich zu einem Freunde der Blöden machten. Es war nur mit der Stiftung einer Blödenanstalt voller Ernst. Nicht daß ich mir einbildete, es mit den Blöden besonders gut zu können, aber daß ich es ganz der Mühe werth fand, daß sich Diaconissen mit ihnen abgaben. Es war mir, als müßten solche Diaconissen der Blöden Lohn empfangen, denn, wie wir später sagten, mit einer Art von Humor und Witz, aber doch auch mit voller Wahrheit: den Blöden ist Er hold.

Dazu kam es, daß uns gleich anfangs ein reicher blöder Knabe übergeben wurde, noch in bildsamen Jahren. Die Anverwandten waren gleich von Anfang sehr froh, ihn uns übergeben zu können, weil, nachdem wir einmal den Gedanken gefaßt hatten, Blöde zu erziehen, der Blödsinn uns gewissermaßen98 heilig war. An diesem Knaben hat die Blödenanstalt ihre ersten Sporen verdient: seit dem Anfange des Diaconissenhauses ist er bei uns und man kann sagen, an ihm ist uns viel gezeigt worden. Nun ist er ein reicher Jüngling, aber dennoch trotz aller unserer Mühe und Mühsal ein völliger Blöder. Jener Bauernsohn, der uns zu allererst auf die Blöden aufmerksam machte, wurde nach Jahren von den Seinen wieder zurückgenommen, weil ihnen das Geld zu viel war und der Nutzen zu gering; die wirklich vorhandenen, starken Einwirkungen der Blödenanstalt auf ihn mußten wir trauernd wieder vorübergehen sehen und konnten es seitdem nicht hindern, daß er zu einem wilden und viehischen Wesen zurücksank. Da sahen wir, was wir seitdem oft gesehen und gesagt haben, daß der Blöde in seiner Welt, das ist in der Anstalt, bleiben muß und daß man ihn nicht aus derselben nehmen darf, ohne daß das Letzte ärger wird, als das Erste. Bei dem zweiten Knaben, dem reichen Waisenkinde, dem es jedermann gönnte, die Zinsen seines Reichthums in der Blödenanstalt zu verzehren und dem zu Gefallen die frommen Verwandten gern alles Mögliche aufwendeten, sahen wir das Gegentheil. Er genoß das Leben auf eine anständige Weise und wurde wohlgehalten, beßer als andere Blöde, aber aus der Sphäre des Blödsinns ist er nie herausgewachsen, wird er auch nie herauswachsen; doch hat er sein Lebensglück, wie es eben ein Blöder haben kann, den niemand beneidet, von dem man sagt: laß ihm, gönne ihm das und das, er hat ja so nichts auf der armen Erde und ist ein Blöder. An diesen beiden Beispielen, dem Bauernknaben wie dem reichen Erben haben wir ganze Haufen von Blöden kennen lernen, wie an Typen, die sich durch Nothwendigkeit der Natur oft genug wiederholen. Ein anderer Knabe war von seiner vornehmen und reichen Mutter von Jugend auf mit aller Sorgfalt erzogen,99 später mit großem Glück in Winterbach unterrichtet und zu allem Möglichen befähigt worden. Er spielte Clavier und Violine, lernte lateinisch, machte schöne Aufsätze, zeichnete schön, war ein feiner Jüngling von gebildeten Sitten und einem frommen Herzen, hatte im Leben und Sterben Gottes und aller Menschen Gunst, mehr werden als er, kann kaum ein Blöder, aber mehr als ein Blöder war auch er nicht. Auch ihm fehlte wie so vielen andersgearteten seinesgleichen der Strich die Stirn herab, der nach der Lehre der Phrenologen die Selbstständigkeit und die Selbstbestimmung bezeichnet. Zwischen ihn und den beiden ersten, dem Bauernknaben und dem reichen Erben, ist ein Unterschied, wie zwischen Himmel und Erde, aber auch er gehörte nur zu den Blöden und in die Blödenanstalt, und Gottes Geist hat von ihm das Unglück abgewendet, daß man versucht hätte, ihn anderswo und anders zu erziehen. Er hat sein Lebensglück geschmeckt und kann man sagen, mit Geschmack alles gethan und vorgenommen. Die Klumpfüße, mit denen er mühsam gieng, haben durch Gottes Barmherzigkeit verhindern müßen, daß er einen andern Lebensweg eingeschlagen hätte. Wenn man ihm aber auch die hätte abnehmen und seinem Leib und Leben den vollen Adel einer vornehmen Erziehung in der Blödenanstalt geben können, so hätte man zwar an ihm sehen können, wie viel die Blödenschule thut, aber aufgehört hätte er doch nicht, ein Blöder zu sein. Wer blöde ist, wirklich blöde, wird nie vollsinnig und gesund. Es gibt zwar Blöde, Leute, bei denen der Blödsinn nicht eigentlich durchgedrungen ist, wo seine Wirkungen nicht tiefer gehen; manchmal könnte man sagen, wo die Hemmung und Zerstörung der armen Seele so arg nicht ist, und da mag die Blödenbildung vielleicht ganz Außerordentliches thun, und es mag vielleicht manches Mal bei einer ganzen Classe ein lebhafterer Auf und Umschwung gelingen: auch da mag100 man Gott preisen und solche Erfolge sind Glück der Blödeninstitute. Aber ich bezweifele, ob sie eigentlich da sind, um solche Stufen zu erringen und ob nicht die Arbeit, die das Blödeninstitut an denen thut, bei denen keine große Umwandlung hervortritt, gerade die schönste ist. Sie können in ihrer Sphäre und unter ihrem Horizonte für Leben und Sterben reifen, aber ob sie auf Erden jemals das werden, was ein gesunder Mensch sein und werden kann, das ist eine andere Frage. Wir in Dettelsau haben von der ersten und zweiten ja auch von der dritten Art Beispiele gehabt, aber das Glück haben wir selten gefunden, die Blöden zu den Fortschritten der Gesunden zu bringen und die Folgen des Blödsinns für dieses Leben aufzuheben.

Es mag wohl sein, daß gerade die Blöden von unseren Gegenden nicht wie die von anderen Gegenden sind, und daß man uns wenig bildungsfähige herzubringt, oder wir mögen unter welchen andern Einflüßen sein und wirken, gewiß gönnen wir jedem Blöden seinen Ort und seine gesegnete Führung. Wir bescheiden uns aber auch gern, die Blöden zu bedienen, wie sie Gott uns gibt, mit dem Mangel und Uebel, aber auch mit der Gnade und Hoffnung, wie sie Gott uns verleiht und möglich macht. Dieses unser Referat über unsre beiden Blödenanstalten, so männliche als weibliche Abtheilung, kann einigermaßen zur Traurigkeit stimmen, aber es ist am Ende wahr, und wir werden bei den Angehörigen unsrer Blöden gewiß nirgends als Heuchler erfunden werden, wobei es aber fern von uns ist, uns zu entschuldigen und andere anklagen zu wollen. Im Gegentheil wir bewundern die Erfolge anderer und pflegen, so gut wir können, das uns gegebene Maß von Gaben.

Ob man nun gleich aus dem bis jetzt Gesagten den Schluß machen könnte, wie wenn es mit der Blödenanstalt101 von Dettelsau nicht viel wäre, so ist doch die Meinung keineswegs so, sondern im Gegentheil wir halten Blödenanstalten für nothwendig und segensreich und alles, wozu wir uns unsres Ortes bekennen wollen und dürfen, besteht darin, daß wir unsern wohlgemeinten und treuen Dienst nicht unter übertriebenen Ansprüchen und großen Verheißungen leisten wollen. Wer hier bekannt ist, der weiß, mit welchem Vergnügen die hiesigen Blödenprüfungen besucht zu werden pflegen, und daß man sich vielfach über die Leistungen der Anstalt verwundert. Dem Allen aber wollen wir nicht widersprechen, sondern sind froh, daß die Lehrerinnen bei ihrer großen Mühe und Plage diese Anerkennung finden und mit gutem Gewißen dahinnehmen dürfen. Ueberhaupt gleicht die Blödenanstalt auf dem Territorium von Dettelsau einer schönen Insel, die sich rings von dem Lande und Anstaltencomplex zu ihrem Vortheil heraushebt und geltend macht. Unsere Schulanstalten stehen im Flor und es ist keine Ursache vorhanden, sie nicht zu wünschen oder nicht zu fördern, aber die Blödenanstalt hat dennoch einen Vorrang vor den Schulen und das kommt daher, daß sie einem so großen und namenlosen Elend steuert. Sie dient den Blöden aller Art und aller Stufen, sie dient Epileptischen, sie dient Geisteskranken. Also leistet sie nach einer dreifachen Seite hin ihre Dienste und gewiß vom Arzte und der Oberschwester an bis zur jüngsten Diaconissin und Dienerin sucht jedes das Mögliche zu leisten. Der Arzt steht im größten Ansehen und der Rector selber wird seine Hilfe und Dienstleistung mit vollem Willen anerkennen und ehren, und ebenso wird die Güte, Tüchtigkeit und Treue der Oberschwester das beste Lob verdienen. Es geht auch hier zuweilen der Todesengel durch’s Haus und macht die armen Blumen welken, aber ich habe noch nie gehört, daß irgend ein verständiger Mensch mit den Leistungen der Anstalt unzufrieden102 war. Wohl habe ich schon oft Anstalten wie Münchengladbach rühmen hören und ich selbst bin zum Beispiel für Ecksberg und Stetten ein begeisterter Lobredner gewesen, aber man darf doch gewiß mit Wahrheit sagen, daß auch Dettelsau sich von Jahr zu Jahr gehoben hat. Vielleicht darf man Ordnung und Reinlichkeit in eine gleiche Linie mit den berühmtesten Anstalten setzen, und vielleicht erkennen andere noch mehr als wir selbst den äußeren Aufschwung den unsre Anstalt genommen hat. Auch sie hat in der Sonne ihren Anfang genommen und hat Stadien verschiedener Art durchlaufen, aber man kann doch sagen, daß sie seit dem 11. August 1864, zehn Jahre nach dem Beginn des Diaconissenhauses wie in ein Alter der Vollkommenheit eingetreten sei. Nicht blos das große schöne dreistöckige Haus mit durchaus sonnigen und luftigen Räumen, sondern auch die Umgebung dient ihr zum Lobe. Der schöne Anstaltsgarten und seine sich rings immermehr ausbreitenden parkartigen Anlagen, die zu jeder Jahreszeit einen anmuthigen Aufenthalt bieten, überwinden je länger je mehr die Schwierigkeit der natürlichen Lage. Allerdings haben wir die Bäume von Stetten nicht und nicht Ecksberg’s prachtvollen Inn, aber die mühselige Arbeit unsrer Gärtner ist auch gesegnet, und wie wenig noch wird es bedürfen, um den Gang ringsum das Blödenhaus zum angenehmsten in der ganzen Gegend zu machen. Auch für die Epileptischen ist je länger je beßer gesorgt worden, und wenn auch die Sammlung, die wir zur Errichtung eines eignen Epileptischen Hauses gewagt haben, ihren Zweck nicht erreicht hat und wir nach gemachten Anstrengungen von dem Bau eines eigentlichen Epileptischen Hauses haben abstehen müßen, so haben wir es dennoch wagen dürfen, unser hiesiges Blödenhaus als einen Bau für Blöde und Epileptische zu rühmen und haben die eingegangenen Gaben zur Herstellung103 von Tobzellen verwenden können, ohne welche kein Haus für Epileptische bestehen kann. Auch haben wir unsre Räume bereits oft genug zur Aushülfe für Geisteskranke verwenden können, die sich in unsren reinen Lüften wohler befinden, als an manch andrem berühmteren Ort. Die ganze Anstalt für Blöde, Epileptische und Geisteskranke hat aber auch noch manch anderen Vorzug, den wir rühmen können und dürfen. Unser liebliches Bethaus, das vielleicht mit jedem anderen von dieser Art sich ganz wohl vergleichen kann, die täglichen Gottesdienste mit ihrer mannigfaltigen Lust, die Möglichkeit einer ohne Prunk und Schminke hervortretenden regelmäßigen Seelsorge, die Gelegenheit der Privatbeichte und eines oftmaligen Abendmahlsgenußes, die ganze Einrichtung und Gewöhnung, bei der man es auch den Epileptischen nicht wehren muß, den Gottesdienst zu besuchen, das gesammte friedenvolle und stille Dasein, bei dem man jede Krankheit und jedes Unwohlsein abwarten kann und darf, dazu die reiche und mannigfaltige Bewegung der ganzen Colonie hat oft schon nicht blos Kranke, sondern auch Gesunde angezogen, hier Posto zu faßen. Dazu haben wir es ja auch dahin gebracht, daß männliche Blöde, Epileptische und Geisteskranke besonders, allein von den weiblichen ihresgleichen, geführt und in dem lieblichen Polsingen, in geschützter Lage und gesunder Umgebung geführt werden können. Das Schloß in Polsingen hat einen Raum geboten für einen eignen Betsaal, in welchem dieselben Vortheile für das geistliche Leben wie[in] Dettelsau selbst sich dargeboten haben. Dazu gewährt die größere Oekonomie in Polsingen die Möglichkeit einer Vereinigung des Gebets und der Arbeit. So hilft Gott allezeit und überhaupt, wie wir die Vortheile des Aufenthalts in Dettelsau für weibliche Kranke rühmen konnten, so können und dürfen wir gewiß auch das süße Stillleben von Polsingen104 für männliche Kranke rühmen. Auch dort ist die Möglichkeit gegeben, einen eignen Seelsorger und einen eigenen Arzt zu benützen, und Dettelsau hat nichts unterlaßen, um auch sein Diaconissenfilial dem Mutterorte gleich zu machen, und Männer und Frauen an zwei verschiedenen Orten durch Aufenthalt und Pflege so glücklich zu machen, als es möglich ist. Fehlt auch hüben und drüben noch manches, so hat man doch alle Ursache, einen jeden von den beiden Orten zu preisen. Auch scheint auf beiden Orten ein göttlicher Segen zu ruhen. Die Bayerische Kirchencollecte, die wir seit 1863 erbeten haben, hat doch 5043 Gulden eingetragen und die Bauschulden sind seitdem von 18000 aus 3000 Gulden herabgesunken und Polsingen, das freilich eine so starke Erleichterung seines Daseins noch nicht gefunden hat, hat doch auch schon mehrfach solche Zeichen der göttlichen Gnade und Durchhilfe gefunden, daß man die starke Hoffnung faßen konnte, es werde auch je länger je mehr zu einem gesegneten Gang und segensreichen Dasein gelangen.

Wer mit aufrichtigem Herzen und billigem Sinne die Blödenanstalten von Dettelsau und Polsingen vergleicht, der wird sich wahrscheinlich getrieben und veranlaßt finden, Segenshände über beide Orte aufzuheben und ihnen wie Jerusalem um seiner Freunde willen Glück zu wünschen. Ueber die Einweihung des großen Blödenhauses am 11. August 1864 schreibt die Chronistin:

Die Feier des 11. August begann am Nachmittag um 2 Uhr. Wie alle unsere Häuser der Barmherzigkeit, so sollte auch dieses dem HErrn feierlich übergeben werden. Wenn ein neues Haus kirchlich behandelt werden soll, muß eine Dedication und Benediction erfolgen: dies ist von den höchsten Mustern hergenommen, von den Sacramenten. Dort werden die Elemente dem HErrn hingegeben, und wie der Mensch diese Hingabe dedicirt, so benedicirt der Allmächtige in der Consecration; denn die Spitze aller Benediction ist die Consecration, sie ist die göttliche105 Antwort auf die menschliche Dedication. Die Benediction unserer Häuser geschieht im Namen des HErrn, die Dedication geschah im Namen des Diaconissenhauses und umfaßte das Haus mit seinem Innern. Dem Festhause war geschehen, was durch äußeres Thun ihm gegeben werden konnte, es harrte nun des Hauches von oben, dadurch es geheiligt und Gott zum Dienst hingegeben werden sollte.

Der 100. Psalm: Jauchzet dem HErrn alle Welt, dienet dem HErrn mit Freuden, kommt vor Sein Angesicht mit Frohlocken erscholl aus vollem Herzen, als wir und zum Beginn der Feier im Betsaal versammelt hatten, und wie aus Einem Munde strömten die Worte des Dankes für alle Güte der zehn Jahre, die dem lobenden Munde des Vorbeters nachgesprochen wurden. Als man daraus die Verse: Nun lob mein Seel den HErrn anstimmte und zu der Strophe kam den Blöden ist Er hold da lag die Deutung so nahe, daß wohl niemand mit der Untersuchung sich abgab, wo hier die Blöden genannt sind; wir sangen im Andenken an unsere Schwachsinnigen, um derenwillen wir uns so außergewöhnlich versammelt hatten. Nach dieser einleitenden Feier ordnete sich die Prozession aus sämmtlichen Bewohnern des Hauses und den geladenen und freiwilligen Gästen. Wir sangen auf den Wegen, daß die Ehre des HErrn groß sei Ps. 138; und wie mit einem Male zerriß die Sonne das dunkle Gewölke, Sturm und Regen legten sich, heller warmer Sonnenschein begleitete die fröhlich Wallenden und umstrahlte das Bild des Gekreuzigten, das dem Zuge vorangieng. Der Psalmenschluß, das Gloria, gehörte dem andern neuen Gebäude, dem freundlichen, reinlichen Waschhause, das auch seinen Gotteshauch bekommen durfte, wenn es gleich nur untergeordneten Zwecken dient, darum wurde ihm zu Liebe so lange stille gehalten. Nun aber richteten sich die Gedanken zum Einzug in’s festliche Haus, und die Prozession stimmte die Verse an: Dir öffn ich JEsu meine Thür, ach komm und wohne du bei mir. Vor den Pforten erfolgte hierauf die Dedication: HErr ich bin nicht werth, daß du unter mein Dach gehst, und Heute ist diesem Hause Heil wiederfahren waren die Gottesworte, die wie je und je, so auch hier wieder zur Weihe dienten. Zeuch ein zu deinen Thoren flehte weiter der Gesang, indessen die Pforten von der Hausmutter der Anstalt eröffnet wurden. Es folgten nun die zwei uralten Dedicationscollecten, wie sie schon bei der Einweihung des Rettungshauses hier verzeichnet wurden.

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Im Vorplatz des Hauses erfolgte hierauf die Benedicton: Friede sei mit diesem Hause waren die ersten Worte, Amen, Friede sei mit ihm, soll fort und fort darin erschallen, Friede und Freude bei allem Elend, weil Er dabei ist, der so gerne unter den Elenden waltet. Die Lection Luc. 10, 5. 6. sprach von den Kindern des Friedens, um derenwillen der Friede im Hause bleibt; auch bei gehemmter Seele kann der Mensch ein Kind des Friedens sein, und wer kann wissen, ob nicht am Ende leichter und sicherer? Weiter lasen wir vom Einzug des HErrn in den Tempel und noch einmal von dem Heile, das dem Hause Zachäi durch den Eingang JEsu widerfuhr.

Ich will dir Freudenopfer bringen so lange sich mein Herz bewegt lobte darauf weiter der Gesang der Feiernden. Nach den Benedictionscollecten erfolgte von dem Benedicierenden eine kurze Ansprache an die Versammlung, das Thema gab die Inschrift über der Pforte des Hauses: Den Blöden ist Er hold. Fragt man nach dem biblischen Beleg des Satzes, so gehört hieher alles, was von der Beziehung des HErrn zu den Kindern geschrieben steht, denn die Blöden sind und bleiben Kinder ihr Leben lang. Die Kirche dachte lange nicht daran, sich nach den Verheißungen, welche die Pflege der Kinder hat, auch durch Fürsorge für die Blöden auszustrecken, aber in neuerer Zeit sind Augen und Herz für diese Elenden von GOtt geöffnet worden, und darum wollen wir nur recht, recht hold den Blöden sein, da Er ihnen so hold ist. Mit Gebet um Gedeihen des Wirkens derer, die hier zu wirken haben, Vaterunser und Segen schloß die Handlung ab, an welche sich sodann zur Feier des Tages einige Reden in einem der Säle des Hauses anschloßen. Die des Arztes der Anstalt, Herrn Dr. Riedel, handelte zuerst vom Entwickelungsgang der Irrenbehandlung im allgemeinen, deren traurige Gestalt in der Vergangenheit und der erfreulichen Wendung zum Humanismus seit Pinel; sodann vom Wesen des Idiotismus, dessen Behandlung und Pflege. Der zweite Vortrag, von Hrn. Conrector Lotze, besprach die Blödenschule, die mögliche Leistung derselben, und die Ansprüche, welche an solche zu machen seien. Als Trost, der wie ein Licht von oben her die gesammte Arbeit erleuchtet, wird an die Lehre der Kirche von Kinderglauben und von der Objectivität der Gnadenmittel erinnert, welche Lehre von den Erfahrungen in der Blödenschule in einer unverkennbaren und lieblichen Weise bestätigt werde. Paßende Gesänge wechselten ab, und auf diesen Theil der Feier folgte sodann die Einführung der eigentlichen107 Bewohner des Hauses, die sich in wunderlichem Zuge zusammenschloßen, Kinder und Erwachsene, vom Schwachsinn bis zum Cretinismus, alle zogen fröhlich ein in ihr schönes Haus und gaben ihre Freude auf die seltsamste Weise zu erkennen. Die Katechisation über die Bedeutung des Tages, welche hierauf mit ihnen vorgenommen wurde, gab doch bei allem Verkehrten der Antworten ein Zeugnis, wie auch diese Armen ein Gefühl der an ihnen geschehenen Wohlthaten besitzen; in rührender Weise zählten sie auf, was ihnen bisher im alten Hause zu Theil geworden, eines der Kinder legte aus eigenem Antrieb ganz richtig die Auslegung des 1. Artikels dabei zu Grunde. Darauf zerstreute sich die Versammlung, entweder um die Räume des Hauses zu durchwandern, oder der Bewirthung der Blöden zuzusehen, oder um sich selbst bewirthen zu laßen. Durch die Stiftung einer Freistelle von einem Wohlthäter für ein blödes Kind erhielt dieser Tag noch eine paßende Auszeichnung, dem es ohnehin an Dank und Freude nicht mangelte. Möge nun der Segen der Benediction auf dem Hause ruhen und in gleicher Weise sichtbar werden, wie es bei unserm Rettungshaus der Fall ist, dessen liebliches Gedeihen zuversichtlich der Kraft der Benediction zugeschrieben werden darf, daß uns die Bauschulden nicht zu einer Last, sondern vielmehr zu einem neuen Beweis werden, wie GOtt selber alle Häuser zahlt, die Ihm zu Liebe erbaut sind.

§. 6. Magdalenium.

Daß hier ein eignes Haus für Magdalenen erbaut wurde und nun bereits vier Jahre im Stand gehalten wird, verdanken wir fremder Hilfe. Denn, obwohl wir wohl allezeit, seitdem das Diaconissenhaus besteht, uns der Gesunkenen des weiblichen Geschlechtes angenommen haben, so hat man doch das Ziel früherhin nicht methodisch verfolgt, sondern nur dazu gegriffen, wo sich gerade eine Gelegenheit ergab, ohne daß man darauf ausgegangen wäre, die Bemühung anstaltsmäßig fortzusetzen. Es fehlte der Impuls der Noth und wenn der irgend ein Mal hervortrat, so nahm man sich der Hilfsbedürftigen an, so wie es gieng. Es fehlte nicht Raum und108 Gelegenheit, eine oder ein paar Magdalenen irgend wie bei den reichen Beschäftigungen des Hauses unterzubringen, und die Masse der Beßeren im Hause wirkten auf die einzelnen wenigen Verkommenen ihres Geschlechtes kräftiger und unaufhaltsamer ein, als wenn man eine größere Anzahl von derselben Art in einem Hause versammelt hätte, die dann doch von dem größeren Ganzen so hätten abgesondert werden müßen, daß sie durch die besondere Führung auffallend geworden wären. Von einem Magdalenium konnten wir anfangs nicht reden, sondern nur von einzelnen Gefallenen, auf welche die ganze Versammlung des Hauses mit erbarmungsvollem Mitleid sah und welche so in das Ganze eingefügt waren, daß sie sich gegen den Geist des Ganzen nicht wohl wehren konnten. Bei der Vereinzelung der Verlornen hatte man guten Erfolg und hatte es nie zu bereuen, sie mitgenommen zu haben. Allmählich aber wurde man genöthigt, zu überlegen, ob nicht ein anstaltsmäßiger Betrieb der Magdalenensache in größerem Maßstab dennoch vorzuziehen wäre. Das Diaconissenhaus lag in so einsamer Stille und so im Zug des Guten, daß man am Ende glaubte, die vorhandene Ueberwindungskraft lange auch für eine größere Schaar. Sehr leicht war es, die sich zusammenfindenden bei der Wäscherei, Bügelei und Flickerei und bei den übrigen Geschäften eines gesonderten Magdalenen Haushaltes unterzubringen und zu beschäftigen, ja es zeigte sich bald, welch eine Fülle von Arbeit bei den verschiedenen Anstalten und deren verschiedenen Bedürfnissen vorhanden war. An Persönlichkeiten, die geeignet waren, den Magdalenen beim Haushalt und bei ihrer Arbeit vorzustehen, fehlte es nicht, und der eine Hauptfactor eines Magdaleniums, der ihnen die Nothwendigkeit der Arbeit begreiflich machte, war vorhanden. Dazu war man nicht genöthigt, Gebet und Schule mühsam herzustellen, da109 ohnehin bei dem Ganzen der Anstalten es auch für die Magdalenen nicht an der nöthigen Fürsorge fehlte. Anderwärts, wo ein Magdalenium vereinsamt liegt und für die verlornen Töchter allein und ganz besonders jede Einrichtung getroffen werden muß, muß man mit viel größerer Anstrengung und durch eigens angestellte Leute jedes Bedürfnis der Schule und der geistlichen Führung herbeibringen, während das bei uns auf dem einfachen Wege der Theilnahme an den Veranstaltungen, die ohnehin für Alle vorhanden sind, erreicht werden kann. Die hiesigen Magdalenen haben ihre mannigfaltige Arbeit in der Wäscherei, Bügelei, Flickerei, je nachdem ihre Gesundheit und ihre verschiedenen Bedürfnisse und Stufen es verlangen. Ja es ist gar nicht schwer, in den Arbeiten und Beschäftigungen Unterschiede und Abwechselungen eintreten zu laßen. Auch haben sie ihre Sonntage, ihre stillen Abende, ihre Häuslichkeit. Auch haben sie ihre täglichen Gottesdienste, an denen sie theilnehmen und je nach Umständen besonders Theilnahme und Anregung finden können; die Matutinen am Donnerstag, die täglichen Abendgottesdienste, ein völlig geordneter Religionsunterricht, besondere Kinderlehren, die ihnen in Gemeinschaft mit den Blöden und Kranken gehalten werden, die Wohlthat der allgemeinen und der Privatbeichten, zu welch letzteren der Geistliche durch die schriftlichen Vorarbeiten der Oberschwester vorbereitet wird, und bei denen eine völlig geordnete Seelenführung statthaben kann, der Reiz des Sacramentsgenußes, soweit er nur Anwendung finden kann und darf und das gesammte Leben in einer Gemeinschaft und Gemeinde, die hunderte umfaßt, das Alles und was damit zusammenhängt, sind Vorzüge, die in andern Magdalenien schwer herzustellen sein werden, während sie hier sich ganz einfach ergeben. Im allgemeinen Bethaus, ja in den Dorf - und Filialkirchen sitzen, gehen und stehen mit den sie leitenden110 Diaconissen auch die Magdalenen und es muß ganz besondere Ursachen haben, wenn sie von irgend einer geistlichen Freude und Gemeinschaft ausgeschloßen sein sollen. Auch werden sie in der gliedlichen Theilnahme an Allem und Jedem erhalten. Wöchentlich gehen sie zu bestimmten Zeiten unter Anführung der Schwestern in das Dorfgotteshaus, um in demselben Reinlichkeit und Sauberkeit herzustellen, täglich gehen sie unter gleicher Führung in das Missionshaus, um da Ordnung und Sauberkeit und häusliche Geschäfte auszuüben. Diese Arbeiten geben ihnen eine gewisse Garantie, zum Ganzen zu gehören, und obwohl das Alles schon Jahre lang währt, ist noch nicht ein Mal die Nöthigung hervorgetreten, ihnen diese sie adelnden Geschäfte abzunehmen und die Aufsicht des Hauses hat allezeit hingereicht, sie in der Ordnung zu erhalten. Eine gewaltige Macht übt das Kleid aus, die gemeinsame Kleidung aller, die als wirkliche gefallene Magdalenen aufgefaßt werden müßen. Und so wie bei Magdalenen der beßeren Stände dies Kleid von beßerem Stoff die Gleichheit der Sünde documentirt, bei aller Verschiedenheit der übrigen Lebensverhältnisse, so ist es umgekehrt ein großer Triumph, wenn die Erlaubniß gegeben wird, das Kleid der Anstalt abzulegen und in den eigenen Kleidern etwa als Magd in der Wäscherei, oder als Hausmagd im Diaconissenhause, oder gar als dienende Schwester bei den eigentlichen Anstaltswerken angestellt zu werden, Lohn zu bekommen, sich mit größerem Vertrauen der Oberen bewegen zu können. Bei dem Allem zeigt sich der Vorzug des hiesigen Magdaleniums, den es durch die gliedliche Gemeinschaft mit so vielen Anstalten gewinnt. Allerdings könnten unsre Magdalenen, die oft durch obrigkeitliches Gebot im Magdalenium sind, oder von Magdalenenvereinen mehr oder minder im Magdalenium unterhalten werden, oder durch den Willen ihrer Eltern bei uns111 sind, nicht immer die Freiheit haben, vom Magdalenium auszutreten, aber wenn ihre Stellung so ist, daß sie nur durch ihren Willen gekommen sind, so hindert man auch keine, versteht sich nach empfangenen Ermahnungen, zu gehen, ein freieres Dasein zu erwählen, oder allenfalls auch davonzulaufen, was dann aber auch manchmal eine freiwillige Rückkehr und eine Bitte zur Wiederaufnahme zur Folge hat. Wir haben Magdalenen von sehr verschiedenem Stande und note bene wir respectiren Stand und Lebensverhältnisse und verlangen ebenso wenig, daß eine vornehme Gefallene, als daß eine kranke und schwache Gefallene am Waschfaß und aus Methode in der völligen Lebensgleichheit steht. Eine jede wird behandelt, je nachdem man es für sie für angemeßen hält und wir rechnen das zu unsrer lutherisch pastoralen Richtung. Wir haben auch sonstige große Verschiedenheiten des Lebens nicht vermieden, haben blöde und geisteskranke Magdalenen und zuweilen sogar mitten unter wirklichen Magdalenen solche Leute behalten, die blöde oder närrisch, aber gar keine Magdalenen waren, so daß die Gemeinschaft eine ziemlich bunte ist, die auch dem Seelsorger die mannigfachste Rücksicht auferlegt und von ihm fordert. Dabei dürfen wir nicht vergeßen, daß trotzdem daß wir Brüder haben, deren Beruf es verlangt, frei mit den Magdalenen zu verkehren, noch nicht ein Mal der Fall einer Versuchung für diese oder von diesen auf Magdalenen vorgekommen ist, und daß bisher Alles in den Schranken der Sitte verlaufen ist. Der Name Magdalena ist ein Schutz für diese selbst und für andere.

Es ist bekannt, was für eine schreckliche Sache für gewesene Wollüstlinge aller Stände das Recidiv ist, und die verschiedenen Erscheinungen desselben haben auch wir schon mannigfaltig zu erfahren bekommen, aber wir behandeln es ganz offen, wie eine wieder ausbrechende geistige und geistliche112 Syphilis und haben bisher immer Siegeskräfte davon gespürt und es leichter überwunden, als z. B. die Faulheit und Trägheit, welche die Magdalene so oftmals kennzeichnet. Mit alledem haben wir nichts angestrebt, als eine wahre Darstellung des hiesigen Magdaleniums, und wenn es etwa dabei so erschienen ist, daß es durch Art und Lage eigenthümliche Vortheile genieße, so ist eben auch das wahr, und wir gestehen, uns bei der Darstellung selber verwundert zu haben, daß wir so viel zu rühmen fanden, während uns doch so oftmals die Mängel und Schäden der ganzen Sache so drückend gewesen sind, daß wir manchmal versucht waren, sie für unerträglich zu halten. Wie oft habe ich den Diaconissenposten der Magdalenen-Oberschwester in vieler Beziehung für den schwierigsten unter allen erkannt und bekannt. Ich habe viele Aehnlichkeit zwischen ihm und dem Posten eines Pfarrers gefunden, aber immerhin habe ich ihn auch wie jenen größeren als preiswürdig und herrlich anerkannt, an und für sich, und ganz abgesehen von den vielen Erleichterungen, die eine Magdalenenschwester zufälliger Weise durch ihre ganze hiesige Stellung und Lage im Magdalenium genießt.

§. 7. Wege und Hospitäler.

Längst schon, ja schon seit der Einweihung des Diaconissenhauses hatte man bei dem häufig eintretenden schlechten und zum Theil rauhen Wetter das Auge auf die Wege gerichtet, welche die Einwohner und Einwohnerinnen des Diaconissenhauses bei der großen Communication mit dem Dorfe zu passiren hatten. Was hatten die jungen, zum Theil schwachen Schülerinnen des Hauses und die Kranken für Noth, wenn sie nur wöchentlich zwei, drei oder vier Mal in die113 Pfarrkirche zum Gottesdienste zu gehen hatten. Es war ganz offenbar, daß die Wege beßer werden mußten. Daher stellte man einen gepflasterten Weg bis zur Grenze des Diaconissengebietes her. Und ebenso mußte darauf gedacht werden, daß die Wege am Gartenzaun entlang und rings umher gebeßert würden. Dazu fand sich bald, als sich die Spitäler des Diaconissenhauses mehr und mehr entwickelten, ein neuer Grund und jetzt freilich gehen wir bequemer als vorher von der Pfarrkirche zum Diaconissengarten und von dem zum Betsaal und zum Mutterhause und von da am Magdalenium und Rettungshause vorüber bis zu dem neuen Gottesacker. Das ist bereits eine lange Strecke und wenn wir auch nicht sagen können, daß wir bereits nach allen Seiten hin immer trockene Wege einschlagen können, so hat Noth und Fleiß doch bereits Großes gethan, und wir haben viele Gulden und Thaler bereits auf unsere Wege gewendet. Auch hat man angefangen, für die abendliche Zeit Lichter und Laternen zu schaffen und so wenig man bis jetzt sagen kann, durch die Beleuchtung der Diaconissenanstalt dem Dorfe entflohen und zu einer städtischen Bequemlichkeit gekommen zu sein, so wird man jedoch bis zu dieser Zeit bereits nahe vorgerückt sein. Diese Sachen und die Wegesbequemlichkeiten müßen unweigerlich folgen, wenn man sich einmal entschloßen hat, so viele Häuser zu bauen, als es bereits hier der Fall gewesen ist. Man kann doch nicht eine Menge stattliche Häuser bauen, um sie sammt und sonders im Gassenschmutze stecken zu laßen. Eins bringt das Andere mit sich und wer sich noch ein Jahr lang durch unsre Weges-Noth und - Mühe dahingeschleppt haben wird, der wird nicht blos trockene Wege haben, sondern auch bei Tag und Nacht helle, lichte Wege. Dann wird man gewiß auch auf dem Hospitalwege und - Platze zufrieden gestellt werden. Schon jetzt ist die Zeit lange vorüber, wo114 die Rehe auf den Diaconissenfeldern spazierten, noch aber kann es niemand anders als ziemlich wild und unwegsam finden, wenn er nur von den Hospitälern bis zum Arzte, Dr. Riedel, wandern soll. Das muß gewiß in Baldem beßer werden. Da wo der Diaconissengarten beim Leichenhause aufhört, östlich von demselben, hat sich das Land mit großen Schritten erhoben, um eine Gestalt anzunehmen, die dem Zwecke der ganzen Colonie entspricht. Jetzt schon findest du zwei stattliche Häuser, die Wacht nach Osten halten und siehst, wie sie sich schützend nach Westen kehren. Im September des Jahres 1867 wurde das erste von diesen Häusern zum Distrikts-Männer-Hospitale eingeweiht und dicht neben diesem hat man an Allerheiligen im Jahre 1869 ein noch schöneres und neueres Haus zum Frauen-Hospital des Distrikts eingeweiht. Zwischen den beiden Häusern öffnet sich noch eine Thür, welche zu der Centralküche der beiden Distrikts-Hospitäler führt, aus welcher so Männer wie Frauen der beiden Hospitäler gespeist werden sollen. Seit dem 1. Dezember 1867 ist das Männerhospital in voller Thätigkeit gewesen und nun ist bereits seit dem 3. November dieses Jahres das Frauenhospital in voller Thätigkeit, und die Centralküche zwischen beiden mitten inne sendet durch ihre Verbindungsgänge rechts und links wohlschmeckende Speisen. Noch geht ihrer Vollendung in nächster Nähe die ungeschloßene Cisterne entgegen, welche die beiden Hospitäler von Waßer entledigen soll und noch spottet der Novemberweg des Verbindungsganges und der Wege, die auch noch ein drittes schon länger stehendes Gebäude mit der Centralküche vereinigen soll, aber bereits trägt man zu den Mahlzeiten von der Küche auch zu diesem Hause, nemlich dem Pfründhause, duftende Speisen. Bereits also stehen drei Gebäude auf Einem Platze dem Herrn zu Diensten. Das Pfründhaus soll Pfründner115 der Gemeinde Neuendettelsau aufnehmen und in den andern Räumen wird den Schulkindern und Armen von Montag bis Freitag eine Suppenanstalt und nach derselben den Mädchen Industrieschule gehalten. Ueberlege dir das, überlege, daß im Männerhospitale auch der leidende, kranke Wanderer neben dem Distriktskranken Aufnahme findet, daß im Frauenhospitale neben den weiblichen Distriktskranken auch Kranke aus anderem Stande bereits Aufnahme gefunden haben, daß die Pfründner der Gemeinde bereits das Pfründhaus füllen, die Suppenanstalt und die Industrieschule alle Tage wenigstens Stunden lang einen ganzen Haufen fröhlicher Kinder zum Empfange von Liebesdiensten sammelt, so hast du bereits den Anfang eines reichen Lebens der Barmherzigkeit, das sich nunmehr da entfaltet, wo ehedem nur Reuters Pferde die Hufe hoben, ohne daß irgendwem ein Nutzen geschafft wurde. Jetzt ist es Winter, aber wie bald wird die schönere Jahreszeit kommen. Dann werden in den bereits hergestellten Anlagen Neupert’s Bäume ausschlagen und unter den Fenstern der Distriktshospitäler seine Rosen blühen. Weggenommen wird werden alles, was noch wild ist, und auch die anliegenden Wohnungen werden sich im Chor mit allen den verschiedenen Anstaltshäusern vereinigen und Alles wird werth sein und werden, die Werke des Hospitalplatzes zu schmücken. Man kann nicht wißen, was alles noch auf demselbigen Grund und Boden erwächst und wächst, aber siehe, wir sind hier auf den eigentlichen Arbeitsfeldern der Neuendettelsauer Liebesthätigkeit. Von dem Mutterhause der Diaconissenanstalt durch alles, was dazwischen liegt, dehnt und zieht man sich zu den Hospitälern als zu dem praktischen Ziele des Ganzen. Wenn der Frühling kommt und die schmutzigen Wege vertrocknen und cultiviert werden, dann wünsche ich dir, lieber Leser, eine überlegsame Reise aus den Hospitalplatz von116 Dettelsau. Vielleicht gefällt dir alles mit einander. Die Hospitäler sind Dettelsau’s Ostende, und weiter geht es vielleicht nicht, aber es ist ja genug, wenn es in freudiger Kraft bis hieher gegangen ist. Es hat wahrlich Mühe genug gekostet, bis es nur hieher kam. Oben habe ich gesagt, von der Pfarrkirche bis zu dem Gottesacker der Diaconissen sei es ein weiter Weg und doch ist es nur eine kleine Strecke, auf der sich viel und mancherlei Werke entwickeln, Werke, nicht zur Seligkeit gewirkt oder gemeint, wohl aber zum Preis des Einzigen, der uns Allen zum ewigen Heile gelebt hat und gestorben ist.

Jetzt sind gerade fünf Jahre vorüber und die Schwestern von Dettelsau haben in den 137 Ortschaften des Distrikts zehn mühevolle Gänge und Sammlungen vollendet. Da haben sie Familie auf Familie um irgend eine Gabe für die Distriktskranken angesprochen und dabei den Kindern Bilder, den Alten Tractate gereicht mit süßen und zum Evangelium lockenden Worten. Wie viele wohlhabende und reiche Bauern haben sie dafür abgeschnauzt, mit Hunden gehetzt, mit Schimpfworten fortgeschickt und nicht begriffen, daß sie gar nichts gewollt haben, als eine vertragsmäßige Gabe für die Distriktskranken sammeln und die armen Leidenden freundlich anmahnen, ihre Gaben in kranken Tagen in Dettelsau aus den Händen der Liebe wieder heim zu holen. Wie manche junge zarte Magd des Herrn hat in Geduld bei jedem Wetter die weiten Wege gemacht, und hat unter dem Spott und Hohn von allerlei Menschen die Liebe des Erlösers gegen die Kranken gepriesen. Wie manche ist selber darüber voll Weh und Krankheit geworden, ohne Klage, aber wie manche hat auch bei ihren Sammlungen den Segen der Armen und Kranken bekommen, die mit Thränen der Sehnsucht sich für ihr Leiden und Sterben nichts Beßeres zu wünschen gewußt haben, als117 einen Aufenthalt in Dettelsau in kranker Zeit oder in Todesnoth. Nun stehen unsere Häuser gebaut und wir haben sie wohnlich und heimlich gemacht. Ochsen und Mastvieh sind geschlachtet, kommt es ist Alles bereit. Wir wollen euch segnen und euch Gottes Liebe zeigen. Kommt nur in eure Distriktshospitäler, sie sind in Wahrheit euer. Das letzte Hospital hat eine adelige Jungfrau gebaut, die in ihrem ganzen Leben keinen schöneren Gedanken gehabt hat, als Jesu nach das Ihre für unsere Kranken zu geben, seine süße Armuth zu ererben und sich dabei zu trösten, daß es andere von ihrem Gute im Leben und Sterben gut haben möchten. Wofür die edle Seele ihr Gut mit großem Eifer gegeben hat, dafür haben die meisten unter uns nie etwas gethan oder gegeben. Wir dürften roth darüber werden, aber wenn das auch nicht, so werden wir doch so roh und boshaft nicht sein, daß wir nicht fänden, eine solche Liebe zu den armen Brüdern und Schwestern Jesu sei doch auch schön und in der That doch auch wirklich nachahmenswerth. Ich freue mich, daß so etwas in Dettelsau vorgekommen ist und wünsche mir nichts als den gleichen Sinn und ein demüthiges Herz.

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Statistik des Diaconissenhauses vom Jahre 1868 / 69.

§ 1. Organisation.

Für das Jahr 1868 / 69 ohne Gegenstand.

§ 2. Bestand.

A. Vorstandschaft des Mutterhauses.

Unverändert; Pfarrer Löhe als Rector; Schwester Amalie Rehm als Oberin.

B. Personalstand des Mutterhauses.

Die im Hause angestellten Diaconissen, Probeschwestern, Gehilfinnen und Mägde waren im vergangenen Jahre folgende:

  • 1. Die Oberin.

Für die Schulen des Hauses:

  • 2. Die Lehrdiaconissin für die Diaconissenschule.
  • 3. Eine Lehrdiaconissin für die Vorschule.
  • 4. Eine Diaconissin für den Unterricht in weiblichen Handarbeiten.
  • 5. Eine Lehrdiaconissin für die deutsche Schule.
  • 6. Eine Lehrprobeschwester für die deutsche Schule.
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Für den Krankendienst:

  • 7. Eine Krankendiaconissin und
  • 8. eine Probeschwester.
  • 9. Eine Diaconissin zur Hilfe in der Apotheke, die zugleich das Inventar des Hauses führt.
  • 10. Die Registraturdiaconissin, zugleich mit der Aufsicht über die Bäckerei und Gärtnerei betraut.
  • 11. Die Haushaltungsdiaconissin, zugleich Cantorin und Gesanglehrerin.
  • 12. Die Paramentendiaconissin.
  • 13. Eine Diaconissin für die Pförtnerei.
  • 14. Eine Probeschwester für die Staatserziehungsanstalt für verwahrloste Mädchen.

Für die Küche:

  • 15. Die Küchendiaconissin mit 16. u. 17. zwei Gehilfinnen, und
  • 18. einer Magd für die Spülküche.
  • 19. Eine Gehilfin als Schneiderin.
  • 20. Eine Hausmagd.
  • 21. Eine Viehmagd.

Männliche Angestellte:

  • 1. Der Arzt der Anstalt.
  • 2. Der Vicar als Gehilfe des Rectors.
  • 3. Der Bibliothekar.

Für die Oeconomie:

  • 4. Ein Verwalter mit
  • 5 8. vier Knechten.
120

Für das Bauwesen:

  • 9. Ein Bauwart.
  • 10. Ein Holzwart mit
  • 11. einem Gehilfen.
  • 12. Ein Gärtner und
  • 13. ein Gehilfe.
  • 14. Ein Bäcker mit
  • 15. u. 16. zwei Lehrlingen.
  • 17. Ein Schuster mit
  • 18. u. 19. zwei Lehrlingen.

Am Diaconissenhause arbeiteten also: 19 männliche und 21 weibliche, in Summa 40 Personen.

C. Personal der Zweiganstalten.

  • a) Blödenanstalt:
    • 1. Eine Diaconissin als Oberschwester.
    • 2. Eine Diaconissin für die Garderobe.
    • 3. Eine Diaconissin für den Unterricht.
    • 4. Eine Diaconissin für die Krankenpflege.
    • 5. u. 6. Zwei Probeschwestern und
    • 7. u. 8. zwei Gehilfinnen für Einzelpflege.
    • 9. Eine Gehilfin für das Asyl.
    • 10. Eine Gehilfin für die Geisteskranken.
    • 11. Eine Probeschwester für Haushalt und Küche.
    • 12. Eine Gehilfin für die Küche.
  • b) Magdalenium und Wäscherei.
    • 1. Eine Diaconissin als Oberschwester.
    • 2. Eine Diaconissin zu ihrer Hilfe.
    • 121
    • 3. u. 4. Zwei Gehilfinnen für das Magdalenium.
    • 5. Eine Probeschwester für die Bügelstube.
    • 6. Eine Probeschwester für die Wäscherei.
    • 7. u. 8. Zwei Waschmägde.
  • c) Frauendistriktshospital:
    • 1. Eine Diaconissin als Oberschwester,
    • 2. eine Diaconissin zu ihrer Hilfe.
  • d) Männerdistrictshospital:
    • 1. Eine Diaconissin als Oberschwester.
    • 2. Eine Probeschwester.
    • 3. Ein Krankenpfleger.
  • e) Küche der Hospitäler:
    • 1. Eine Gehilfin.
    • 2. Eine Magd.
  • f) Industrieschule:
    • 1. Eine Diaconissin als Oberschwester.
    • 2. Eine Probeschwester.
  • g) Rettungshaus:
    • 1. Eine Diaconissin als Hausmutter.
  • h) Pfründe:
    • 1. Eine Diaconissin.
    • 2. Eine Magd.
  • i) Suppenanstalt und Dorfindustrieschule:
    • 1. Eine Diaconissin.
    • 2. Eine Magd.

Im Ganzen arbeiteten also an den Neuendettelsauer Zweiganstalten im verfloßenen Jahre: 33 weibliche, 1 männliche, in Summa 34 Personen.

122

In der ganzen Anstalt also: 20 männliche, 54 weibliche, in Summa 74 Personen.

Unter den 54 weiblichen Personen befinden sich: 25 Diaconissen, 10 Probeschwestern, 11 Gehilfinnen, 8 Mägde.

Kranke Schwestern befinden sich gegenwärtig 4 im Mutterhause.

Diaconissenstationen.

Im Laufe des vergangenen Jahres wurden 10 neue Stationen vom Mutterhause übernommen und errichtet. Aufgegeben wurden 4 Stationen.

Die gegenwärtig bestehenden sind folgende, von welchen sich jedoch 2, die Krippe zu Fürth, und die Krankenwartstation in Hof, mit Schluß dieses Jahres auflösen.

I. Bayern.

  • 1. Neuendettelsau: Das Mutterhaus mit seinen oben angeführten Branchen und Zweiganstalten mit
    Schwestern25.
    Probeschwestern10.
    Gehilfinnen11.
    Mägden8.
  • 2. Altdorf: Rettungshaus: Schwestern 1. Kleinkinderschule: Probeschwestern 1.
  • 123
  • 3. Egloffstein: Kleinkinderschule: Schwestern 1.
  • 4. Fürth:
    Hospital mit Küche:Schwestern 2. Probeschwestern 4.

    Krippe: Schwestern 1. Probeschwestern 3. Pflegeanstalt: Probeschwestern 1. Krankenwartstation: Probeschwestern 1.

  • 5. Heidenheim: Kleinkinderschule: Schwestern 1.
  • 6. Hof:
    Hospital mit Küche:Schwestern 1. Probeschwestern 2.

    Krankenwartstation: Schwestern 1.

  • 7. Kempten:
    Hospital mit Küche und Pfründe:Schwestern 1. Probeschwestern 2.

    Pflegeanstalt: Schwestern 1.

  • 8. Kitzingen:
    Kleinkinderschule:Schwestern 1. Probeschwestern 2.
  • 9. Kloster Heilsbronn: Kleinkinderschule: Probeschwestern 1. Industrieschule: Schwestern 1.
  • 10. Lindau: Hospital: Schwestern 3. Pfründe: Schwestern 1.
  • 11. Memmingen: Krippe: Schwestern 1.
  • 12. München: Diaconissenanstalt mit einem Pensionat für alte und kranke Damen,124 einer Pfründe, einer Mägdebildungsanstalt, und der Krankenpflege in der Gemeinde:      Schwestern 5.       Probeschwestern 2.
  • 13. Nördlingen: Krippe: Schwestern 1. Probeschwestern 1. Kleinkinderschule: Probeschwestern 2.
  • 14. Nürnberg: Pflegeanstalt mit Mägdebildungsanstalt:      Schwestern 1. Probeschwestern 2.
    Krippe:Schwestern 1. Probeschwestern 3.
    Kinderheilanstalt:Schwestern 1. Probeschwestern 2.
    Krankenwartstation: Probeschwestern 2.
  • 15. Oettingen: Rettungshaus: Schwestern 1.
  • 16. Polsingen: Diaconissenfilial mit einer Blöden und Epileptischenanstalt, einem Rettungshause und einem Distriktshospital:      Schwestern 2.       Probeschwestern 5.       Gehilfinnen 1.       Mägde 3.       Männliche Pfleger 4.
  • 17. Regensburg:
    Krankenwartstation:Schwestern 2. Probeschwestern 1.
  • 18. Schillingsfürst: Rettungshaus: Schwestern 1. Pfründe: Schwestern 1.
  • 125
  • 19. Thurnau: Kleinkinderschule: Schwestern 1.
  • 20. Wendelstein: Kleinkinderschule: Probeschwestern 1.
  • 21. Würzburg: Pfründe, Krankenwartstation und Industrieschule:      Schwestern 1.       Probeschwestern 2.

II. Außerhalb Bayern.

  • 22. Bernburg:
    Irrenheilanstalt:Schwestern 1. Probeschwestern 1.
  • 23. Dessau: Irrenheilanstalt: Schwestern 1. Hospital: Schwestern 1. Armenhaus: Schwestern 1.
  • 24. Eisenberg: Töchterinstitut: Schwestern 1.
  • 25. Hannover: Industrieschule: Schwestern 1.
  • 26. Hildesheim: Kleinkinderschule: Schwestern 1.
  • 27. Kloster Marienberg: Hospital: Schwestern 1.
  • 28. Lüneburg: Hospital: Schwestern 1.
    Krankenwartstation:Schwestern 1. Probeschwestern 1.
  • 29. Odessa: Waisenhaus: Schwestern 1. Pfründe: Schwestern 1.
  • 126
  • 30. Reval: Diaconissenanstalt mit Heranbildung von Schwestern, einer Krankenanstalt, Industrieschule, Elementarschule, Kleinkinderschule und Krankenpflege in der Gemeinde: Schwestern 4.
  • 31. Sarata in Beßarabien: Diaconissenanstalt mit Heranbildung von Schwestern, einer Krankenanstalt, Blödenanstalt, Hebammenschule und Krankenpflege in den Gemeinden: Schwestern 4.

III. In Amerika.

  • 32. Buffalo: Waisenhaus: Schwestern 1.

Privatpflegen wurden im Laufe des Jahres in fünf auswärtigen Familien übernommen.

Zwei Schwestern und zwei Probeschwestern sind gegenwärtig bei den Ihrigen zu Hause.

Zahl der zum Mutterhause gehörigen sämmtlichen Diaconissen.

Stand des Vorjahrs77.
Im Laufe des Jahres ausgetreten3.
Entlaßen1.
Hinzugekommen durch Aussegnung von Probeschwestern14.
Durch den Wiedereintritt einer Schwester1.
Gegenwärtiger Stand88.
127

Zahl der Probeschwestern:

Stand des Vorjahrs54.
Ausgetreten2.
Entlaßen1.
Ausgesegnet14.
Neu aufgenommen18.
Gegenwärtiger Stand55.

Gehilfinnen: 12.

Mägde: 11.

Der ganze Stand des Diaconissenhauses betrug also:

Diaconissen88.
Probeschwestern55.
Gehilfinnen12.
Mägde11.
Summa:166.

Zahl der im verflossenen Jahre verpflegten Personen auf den Neuendettelsauer Diaconissenstationen:

a)Krankenhäuser:Zahl der Pfleglinge.
1. Dessau400.
2. Fürth1343.
3. Hof405.
4. Kempten140.
5. Klostermarienberg31.
6. Lindau368.
7. Lüneburg244.
8. Neuendettelsau
  • a. Mutterhaus 61
  • b. Frauenhospital 53
  • c. Männerhospital 97
211
9. Nürnberg, Kinderhospital51.
10. Polsingen13.
11. Reval, Diaconissenhaus163.
12. Sarata22.
Summa:3391.
b)Irrenheilanstalten:
1. Bernburg43.
2. Dessau82.
Summa:125.
c)Anstalten für Blöde und Epileptische:
1. Neuendettelsau70.
2. Polsingen       (Die Polsinger Anstalt hatte im verfloßenen Jahre auch 13 Kranke und 18 Rettungshauskinder, in Summa also: 80 Pfleglinge.)49.
3. Sarata10.
Summa:129.
d)Krankenwartstationen:
1. Fürth36.
2. Hof29.
3. Lüneburg31.
4. München267.
5. Nürnberg14.
6. Regensburg60.
7. Reval12.
8. Sarata23.
9. Würzburg67.
Summa:539.
e)Pfründeanstalten:Zahl der Pfleglinge
1. Dessau, Armen und Siechenhaus62.
2. Kempten140.
3. Lindau44.
4. München8.
5. Neuendettelsau9.
6. Odessa13.
7. Schillingsfürst6.
8. Würzburg7.
Summa289.
f)Rettungshäuser und Pflegeanstalten:
1. Altdorf20.
2. Fürth16.
3. Kempten21.
4. Neuendettelsau19.
5. Nürnberg31.
6. Oettingen10.
7. Polsingen18.
8. Schillingsfürst11.
Summa146.
g)Waisenhäuser:
1. Buffalo14.
2. Odessa15.
Summa:29.
h)Krippenanstalten:
1. Fürth70.
2. Memmingen79.
3. Nördlingen24.
4. Nürnberg70.
Summa243.
i) MägdeerziehungsanstaltZahl der Pfleglinge.
1. München5.
2. Nürnberg14.
Summa:19.
k) Magdalenium:
1. Neuendettelsau22.
l) Industrieschulen:
1. Hannover12.
2. Klosterheilsbronn56.
3. Neuendettelsau:
     a. Pensionat26
     b. für Landmädchen30.
4. Reval10.
5. Würzburg65
Summa:199.
m) Kleinkinderschulen:
1. Altdorf84.
2. Egloffstein69.
3. Heidenheim59.
4. Hildesheim95.
5. Kitzingen140.
6. Klosterheilsbronn56.
7. Nördlingen200.
8. Reval60.
9. Thurnau112.
10. Wendelstein57.
Summa:932.
n) Pensionate und Schulen:
1. Eisenberg28.
2. Neuendettelsau:
     a. Diaconissenschule26.
     b. Vorschule37.
     c. Deutsche Schule16.
3. Reval, Elementarschule20.
Summa:127.
131

Zur Einweihung des Diaconissenhauses von Frau Fabricius.

Am 12. October 1854.

Hier steht der Bau! O Herr blick gnädig nieder,
Zu Dir steigt jetzt der Deinen Flehn empor
Die Selgen stimmen ein in unsre Lieder,
Ihr Harfenklang ertönt im höhren Chor!
Christus das Haupt tritt ein in unsre Mitte,
Hört, was wir kämpfend hier
Sie an dem Throne Gottes siegend bitten!
Zwar steht das Haus von Menschen auferbauet
Der aber es bereitet hat, ist Gott,
Der seiner Knechte Dienst hat oft geschauet.
Wer harrt auf ihn, wird nimmermehr zu Spott!
Des großen Hohenpriesters reicher Segen
Wird ferner dieses Hauses Wachsthum pflegen.
Sie bleiben wie verbundne Mauern stehen,
Die Du gesetzt, Herr, über dieses Haus
Laß Licht und Recht um diese Fluren wehen,
Gieb allen, die da gehen ein und aus,
Licht, Demuth, Liebe, Einfalt, Kraft und Klarheit
Der Du das Leben bist, der Weg, die Wahrheit.
132
Wird Christus einst die ird’sche Hütte brechen,
Und unser Bau von Gott erbauet sein;
Dann wird er dies Verheißungswort aussprechen,
Ihr Knecht und Mägde, geht zur Ruhe ein
Die ihr hier über wenig treu gewesen;
Mein Name ist an eurer Stirn zu lesen.
Dann singen wir im Chor der Ueberwinder
Das dreimal Heilig Gotte, unserm Lamm.
O freut euch, jauchzet all ihr Gotteskinder
Dem Herrn, der uns erkauft am Kreuzesstamm
Dann soll von uns und euren Kranken allen,
Die reich genesend sind, ein neues Lied
In Gottes Stadt erschallen!
133

Zur Einweihung des Diaconissenhauses von Fräulein Sophie v. Tucher.

(Mit Gaben).

Am 12. October 1854.

Der schöne Tag ist endlich aufgegangen,
Ihn schmückt ein holdes herbstlich mildes Licht.
Erfüllt ist nun das sehnliche Verlangen,
Und stille Lust aus jedem Ange spricht.
Von hoher Freude bin auch ich umfangen,
Und meines Herzens Drang bezähm ich nicht;
Drum bring als Zeichen ich, was ich empfinde,
In heil’ger Siebenzahl ein Angebind.
Zwar groß und reich ist nicht die schlichte Gabe,
Sie will kein Vorrath auf viel Jahre sein
Der Sinn, den ich damit verbunden habe,
Soll euch, so wünsch ich, mehr als jene sein;
Repräsentiren soll sie euch die Labe
Des Lebens, soll auch Grund und Anlaß sein,
Bei dem Verbrauche öfter dran zu denken,
Daß euch das Andre stets der Herr will schenken.
Er ist es ja, der einst durch den Propheten
Das Mehl der Wittwe mehrte wunderbar,
Der je und je aus allen Erdennöthen
Den Seinen gnädig half so manches Jahr.
134
Was soll ich doch von seiner Treue reden?
Bezeugen kann ich nur, sein Wort ist wahr
Und wandelt er in dieses Wortes Scheine,
So lebt der Mensch vom Brode nicht alleine.
Nehmt, liebe Schwestern, denn von meinen Händen
Was ich dem Herrn in Liebe dargebracht!
Mög sich fortan der Segen zu euch wenden
Der irdisch Sorgen überflüssig macht,
Damit ihr freudig könnt das Werk vollenden,
Zu dem euch Christus in dies Haus gebracht!
Wenn wieder so die Glieder Christi dienen,
Ist eine neue Segenszeit erschienen.
135

Gebet von Prinzessin Elise zu Hohenlohe.

Zum 12. October 1854.

Herr, unser Gott! Was wir in Deines Sohnes Namen bitten, das soll uns gewährt werden so bitte ich nun in Jesu Namen: gib unsrem Werke Gedeihen!

Du weißt, o Gott, welch heiße Wünsche wir für das Wohl unsrer Brüder hegen, Du weißt, daß es unser aufrichtiges Bestreben ist, junge Seelen zu Deiner Ehre zu bilden, die Elenden und Kranken zu trösten, Verirrte und Angefochtene auf die Bahn des Friedens zu leiten! So gib uns Kräfte!

Vater im Himmel! von Dir kommt alle gute und alle vollkommene Gabe! Gib Einsicht und wahre Einfalt des Herzens und Geistes. Gib unermüdlichen Fleiß, daß unsre Kniee nicht wanken, unsre Hände nicht laß werden. Laß uns täglich, stündlich, von ganzem Herzen trachten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird uns alles Andere zufallen. Ja, in fester Zuversicht glauben wir, o Herr, daß uns zufallen wird, was nöthig ist, denn Du lenkst die Herzen wie Wasserbäche und Dir sind unterthan136 alle Gewaltigen und alle Kräfte, Alles, was im Himmel und auf Erden ist.

Herr Jesu Christ! Ich beuge mich vor Dir und flehe zu Dir: Durchströme uns mit heiliger Lebenskraft. Bewahre unsre Herzen in wahrer Demuth laß uns Geduld und Ausdauer lernen an Deinem Kreuz. Dein Kreuz wollen wir umklammern mit allen Kräften; wir wollen eingewurzelt sein in demselben und auf Dein sterbendes Antlitz sehen, Dein Antlitz voll Liebe, voll heiligen Ernstes.

Dein Blick entflammt uns zu kräftiger That! Deine Wunden lehren uns still halten.

Dein Blut macht uns rein von aller Sünde und gibt uns weltüberwindende Kraft.

Ja, laß es also geschehen, Herr Jesu! Amen.

About this transcription

TextEtwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau
Author Wilhelm Löhe
Extent136 images; 35569 tokens; 7155 types; 236247 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEtwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau Wilhelm Löhe. . Gottfried LöheNürnberg1870.

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Regionalgeschichte; ready; wikisource

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Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien

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