PRIMS Full-text transcription (HTML)
Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau.
Nürnberg,Verlag von Gottfr. Löhe. 1870.

§. 1. Erste Anfänge des Anstaltslebens von Neuendettelsau.

Verein für weibliche Diaconie.

Das Gedächtnis des Menschen ist, insonders wenn es in Acht genommen wird, eine gewaltige Kraft, durch welche die Dinge, die sonst schnell entschwinden können, auf lange Zeiten hin erhalten werden. Aber es ist auch nicht zu leugnen, daß, wenn man es nicht pflegt, Dinge ganz schnell entschwinden, die werth gewesen wären, im Andenken behalten zu werden. So ist es auch mit den Anfängen der hiesigen Diaconissenanstalt, über die auch die innigsten Freunde der Sache dermaßen in Ungewißheit und Unwißenheit gerathen sind, daß sie kaum mehr zu sagen wißen, wie alles gekommen und geworden ist.

Die Diaconissenanstalt Neuendettelsau, nunmehr ein in die Augen fallendes und großes Ganze, das seinen eignen Anfang verloren und in die Vergeßenheit gesenkt hat: zwar will ich nicht sagen, daß man ein hohes Bedauern deshalb faßen müßte. Manche Dinge haben Anfänge gehabt, an denen nichts gelegen ist, und so mag es auch mit unsrer Diaconissenanstalt gewesen sein. Die Anfänge mancher Sache sind an sich dunkel und unklar, und manchen Menschen und Sachen ist es wie angethan, mit allen ihren Sachen erst allmählich sich selber und andern klar zu werden. Indes wird man sich mit einem solchen Schicksal doch nicht in jedem Fall zufrieden geben4 müßen, und hie und da wird man gewiß recht thun, sich seiner Anfänge zu besinnen, oder wenn diese auch fraglich sind, kann es doch zuweilen einigen Nutzen bringen, sich seines Anfanges und seines Herkommens zu erinnern.

Wir wollen annehmen, daß es auch mit der hiesigen Diaconissenanstalt so sei. Sie selbst, die Diaconissenanstalt, wie sie auch bis jetzt geworden sei, ist doch nicht das Erste und Beste von ihrer Anfangszeit zu nennen. Ihr selbst voran geht etwas, an das man kaum mehr denkt oder das man wenigstens gar nicht mehr in den rechten Zusammenhang setzt. Der erste Anfang der hiesigen Diaconissenanstalt liegt in dem Vereine für weibliche Diaconie, aus dem heraus die Anstalt geboren und geworden ist. Man könnte sich denken, daß die Anstalt gar nicht entstanden wäre, der Verein für weibliche Diaconie aber so um sich gegriffen hätte, daß eine Anstalt wie die Diaconissenanstalt gar nicht nöthig geworden wäre. Was der Verein gewollt hat, erscheint mir gegenwärtig noch weit größer und bedeutender zu sein, als die Diaconissenanstalt selbst. Oder ist das nicht leicht darzustellen und zu faßen? Wenn es dahin gekommen wäre, daß der Funke, der sich hier entzündete, sich zündend in dem ganzen Lande verbreitet hätte, und daß allenthalben Vereinigungen für weibliche Diaconie entstanden wären und sich ausgebreitet hätten, Ein Feuer der Liebe und der Barmherzigkeit unser Volk ergriffen und umfaßt hätte, wäre das in der That nicht weit mehr gewesen, als wenn eine Diaconissenanstalt, wie es nun der Fall ist, ihr Haupt und Licht nach allen Seiten hin erhoben hätte, während die Bevölkerung zu keinem eigentlichen Vereine für weibliche Diaconie emporgegangen wäre?

Was man gegen Ende des Jahres 1853 angestrebt hat, war in erster Linie keine Diaconissenanstalt, wohl aber ein Verein für weibliche Diaconie. Wenn es so gekommen5 wäre, wie wir es gewollt haben, so würde man sich zu Einem solchen Vereine mit aller Kraft in unserm ganzen Vaterlande vereinigt haben, überall würde man in den mannigfaltigsten Formen sich zu Werken der Liebe und der Barmherzigkeit vereinigt haben, und man würde sich leicht haben trösten können, wenn nirgends ein Diaconissenhaus entstanden wäre, dagegen aber allenthalben mit Lust und Eifer das geschehen wäre, was Gott und Christo gefallen hätte.

Als wir uns gegen das Ende des Jahres 53, Männer und Frauen in der Diöcese Windsbach, zusammenfanden, und an unsre Regierung in Ansbach wendeten, begehrten wir weiter nichts als die Erlaubnis, in unsrem fränkischen Heimathlande einen Verein für weibliche Diaconie zu stiften. Und als wir von der Obrigkeit belehrt wurden, daß das gar kein Bedenken hätte, und daß wir eine staatspolizeiliche Genehmigung erst dann bedürften, wenn es zu Anstalten und Krankenhäusern käme, und der Sinn, den wir hätten, in’s concrete Leben hervortreten würde, da waren wir schon hoch erfreut und rasch constituirte sich ein Verein für weibliche Diaconie in Bayern. Der Name weibliche Diaconie wurde gleich vornherein so gefaßt, daß die Geschäfte sammt und sonders von Frauen geschehen und Männer blos als Helfer zum Gelingen weiblicher Werke herbeigezogen werden sollten. Drei Vorsteherinnen sollten an der Spitze stehen und den innersten Mittelpunkt des Ganzen bilden. Diejenigen Frauen und Männer, die in der Diöcese Windsbach sich zusammenfinden würden, wurden als Muttergesellschaft angesehen, zu der sich allenthalben Zweig - oder Töchter-Vereine in ganz gleicher Weise finden sollten. Die Muttergesellschaft sollte in ihrer Einrichtung und in ihrer Thätigkeit den Zweigvereinen Gestalt und Maß verleihen, und alle Zweigvereine sollten der Muttergesellschaft nachfolgen und nacharten. Das zunächst6 wollte man erreichen. Ueberall sollten sich Zweigvereine gründen, in denen Leben und Puls der Muttergesellschaft schlüge. Aller Orten das gleiche Ziel, die gleiche Absicht, die gleichen Mittel und Wege, die gleichen Formen des Lebens, das war es eigentlich, was beabsichtigt war: es war der Lutherische Verein für weibliche Diaconie in Bayern. Krankenhäuser, Diaconissenhäuser und dergleichen waren blos Mittel zum Zweck, die nicht fehlen sollten, aber keineswegs so an die Spitze treten, daß in ihnen das ganze Leben des Vereins sich ergöße. Wer das nicht faßt, der hat den Anfang unsrer ganzen Sache nicht erfaßt, oder ganz und gar vergeßen.

Am 13. März 54 trat die Muttergesellschaft dahier zu Neuendettelsau zusammen und constituirte sich. Sie bestand zuerst aus folgenden Helferinnen; denn diejenigen, denen in erster Linie geholfen sein sollte (der Frauenvorstand), existirten gar noch nicht. Nach dem Rechte, welches in der weiblichen Diaconie die Frauen haben mußten, standen folgende Helferinnen voran:

  • 1) Frau Decanin Bachmann zu Windsbach, Vorsteherin der Helferinnen durch einmüthige Wahl.
  • 2) Frau Pfarrerin Müller von Immeldorf, Untervorsteherin durch einmüthige Wahl.
  • 3) Frau Pfarrerin Kündinger zu Petersaurach.
  • 4) Frau Pfarrerin Emmerling zu Dürrenmungenau.
  • 5) Frau Inspectorin Hensolt von Windsbach.
  • 6) Fräulein Sophie v. Tucher zu Neuendettelsau.

Neben diesem Collegium der Helferinnen stand folgendes Collegium der Helfer:

  • 1) Herr Decan Bachmann zu Windsbach, Vorsitzender durch einmüthige Wahl.
  • 7
  • 2) Herr Pfarrer Müller zu Immeldorf, Rechnungsführer durch einmüthige Wahl.
  • 3) Herr Inspector Hensolt zu Windsbach, Secretär durch einmüthige Wahl.
  • 4) Herr Pfarrer Kündinger zu Petersaurach.
  • 5) Herr Pfarrer Emmerling zu Dürrenmungenau.
  • 6) Herr Pfarrverweser Fischer zu Weißenbronn.
  • 7) Herr Katechet Bauer zu Neuendettelsau.
  • 8) Pfarrer Löhe zu Neuendettelsau.

Diese Muttergesellschaft von sechs Helferinnen und acht Helfern beauftragte den Pfarrer Löhe, an ihre Spitze die folgenden drei Vorsteherinnen: Jungfrau Karoline Rheineck zu Memmingen, Diaconissin, zu Kaiserswerth gebildet, aber von Kaiserswerth ausgetreten, Jungfrau Amalie Rehm von Memmingen, Kirchenrathstochter von Memmingen, und Fräulein Helene v. Meier, Legationsrathstochter von Nürnberg zu berufen, welches auch am 14. März 54 geschah, wodurch dann die ganze Muttergesellschaft formal gebildet war. Man hatte Helfer und Helferinnen und einen Frauenvorstand von drei leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen. Zur Seite der letzteren sollten die sechs Helferinnen, und außerdem die Vorsteherinnen der Localvereine stehen, die noch nicht da waren. Diese Muttergesellschaft gab sich die Statuten, die der kgl. Regierung von Mittelfranken und dem Staatsministerium des Innern vorgelegt wurden und nach dem am 27. Februar 54 ergangenen Ministerialerlaß völlig unbeanstandet blieben. Diese Statuten umfaßen 16 Paragraphen, von denen die 10 ersten sich mit der Muttergesellschaft selbst, §§. 11 und 12 mit den Hülfs - oder Zweigvereinen, §§. 13 bis 15 mit den Formen des gesammten Vereins sich beschäftigen, während §. 16 über die Natur der Statuten handelt. Die Muttergesellschaft und die Zweigvereine haben einen allgemeinen Zweck (Erweckung8 und Bildung des Sinns für den Dienst der leidenden Menschheit in der Lutherischen Bevölkerung Bayerns, namentlich in dem weiblichen Theile desselben). Sie haben auch einerlei Mittel zum Zweck (Gründung Lutherischer, mit Diaconissen-Anstalten derselben Confession verbundener Hospitäler, Ausbildung von Diaconissen, Ausbildung der weiblichen Jugend überhaupt für den Dienst der leidenden Menschheit, Uebernahme der Krankenpflege in Heilanstalten). Ebenso ist auch die Ausführung des Zwecks (§. 3, 1 4) ganz eine und dieselbe und was §. 4 über die Mitgliedschaft und §. 5 über die Organisation gesagt wird, ist gleichfalls vollkommen mit dem zusammengehend, was über die Hilfsvereine gesagt wird. Da diese alten Statuten des Vereins für weibliche Diaconie trotz aller Mühe der Verbreitung ziemlich unbekannt geworden sind, so laßen wir sie hier in extenso abdrucken und überlaßen es den Lesern, sich aus dem Ganzen zu überzeugen, wie hoch bestrebt man von Anfang an gewesen ist, durch den Verein für weibliche Diaconie ganz ein und denselben Sinn und Geist und ganz das gleiche Leben in dem von uns als groß und weit gedachten Ganzen zu verbreiten. Dieses, nicht ein Diaconissenhaus oder dergleichen, war die eigentliche Absicht, die wir am Ende des Jahres 53 und Anfang des Jahres 1854 bei unserm ganzen Emporgehen hatten.

Beilage 1.Lutherischer Verein für weibliche Diaconie in Bayern.

In Nr. 12 des vorigen Jahrgangs 1853 dieses Blattes (Correspondenzblatt für innere Mission) findet sich ein Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissen Anstalten. Auf Grund dieses Bedenkens entschloßen sich gegen Ende des vorigen Jahres eine9 Anzahl von Männern und Frauen, sämmtlich zur Diöcese Windsbach gehörig, zur Gründung eines lutherischen Vereins für weibliche Diaconie in Bayern. Sie legten deshalb der k. Regierung von Mittelfranken die nachfolgenden Statuten vor:

Statuten.

§. 1. Allgemeiner Zweck.

Erweckung und Bildung des Sinns für den Dienst der leidenden Menschheit in der lutherischen Bevölkerung Bayerns, namentlich in dem weiblichen Theile desselben.

§. 2. Mittel zum Zweck.

  • 1) Gründung lutherischer mit Diaconissen Anstalten derselben Confession verbundener Spitäler.
  • 2) Ausbildung von Diaconissen der verschiedenen Arten, d. i. solcher, die in Heilanstalten, Missionen und Schulen, und solcher, die in Gemeinden und Familien dienen können.
  • 3) Ausbildung der weiblichen Jugend überhaupt für den Dienst der leidenden Menschheit.
  • 4) Uebernahme der Krankenpflege in Heilanstalten.

§. 3. Ausführung des Zwecks.

  • 1) Erweckung der Theilnahme für die Zwecke des Vereins.
  • 2) Genauere Kenntnisnahme des Standes der Fürsorge für Kranke und Elende in den verschiedenen Gegenden des Vaterlandes, sowie Erforschung der besten Mittel zur Abhilfe etwaiger Gebrechen.
  • 3) Auffindung und Gewinnung der für Ausführung von §. 2, 1 4 nöthigen Persönlichkeiten.
  • 4) Herbeischaffung der nöthigen Geldkräfte.

§. 4. Mitgliedschaft des Vereins.

  • 1) Mitglieder der Vereins können sowohl Männer als Frauen des lutherischen Bekenntnisses sein, wenn sie regen Antheil an den Vereinszwecken haben und denselben durch eine ihrem Vermögen10 angemeßene regelmäßige Unterstützung an Geld oder Naturalgaben bethätigen.
  • 2) Eintritt und Austritt steht frei.
  • 3) Der Austritt kann auch ein gezwungener sein, wenn die Nr. 1. dieses §. angegebenen Bedingungen der Mitgliedschaft aufhören.

§. 5. Organisation.

Der Verein besteht

  • 1) aus einer zur Ausführung der Vereinszwecke und Leitung der Vereinsangelegenheit freiwillig zusammengetretenen, sich selbst ergänzenden Muttergesellschaft,
  • 2) aus Hilfsvereinen, welche sich der Muttergesellschaft zur Förderung ihrer Zwecke organisch angeschloßen haben.

§. 6. Die Muttergesellschaft

besteht

  • 1) aus einem Collegium von männlichen Helfern,
  • 2) aus einem leitenden Frauenvorstand.

§. 7. Das Collegium von männlichen Helfern.

  • 1) Es ergänzt sich selber und besteht gegenwärtig aus den Endesunterzeichneten.
  • 2) Zu seiner Befugnis gehört
    • a. die Oberaufsicht über die gesammte Leitung der Vereinsangelegenheiten und in Folge derselben auch regelmäßige Visitation,
    • b. dass Rechnungswesen des Vereins,
    • c. die Vertretung des Vereins in allen Fällen, wo dieselbe beßer durch Männer als durch Frauen geschehen kann,
    • d. Die Bestätigung und Zurückweisung der vom Frauenvorstand gefaßten Beschlüße und vorgelegten Anträge.
  • 3) Das Collegium der männlichen Helfer bestellt nach Bedürfnis aus seiner Mitte und auf bestimmte Dauer einen Vorsitzenden, Rechnungsführer und Secretär.
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§. 8. Der Frauenvorstand.

Er besteht

  • a) aus dem Collegium der leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen,
  • b) aus den ihnen freiwillig zur Seite stehenden Helferinnen,
  • c) aus den Vorsteherinnen der Localvereine.

§. 9. Das Collegium der leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen.

  • 1) Es besteht aus einer durch das Bedürfnis begrenzten Anzahl von Jungfrauen oder Wittwen, welche von dem Helfercollegium nach Vereinbarung mit den Helferinnen und den Vorsteherinnen der Localvereine bestellt werden.
  • 2) Diesem Collegium steht zu
    • a. die Ausführung der Vereinszwecke,
    • b. die Leitung aller Vereinsangelegenheiten in organischer Verbindung mit dem Helfercollegium,
    • c. die Leitung der Vereinsanstalten und ihres Haushalts.
    • d. die Oberaufsicht und Inspection über die Anstalten der Hilfsvereine,
    • e. die Correspondenz, insonderheit mit den Vorsteherinnen der Hilfsvereine.

§. 10. Das Collegium der Helferinnen.

  • 1) Es ergänzt sich selber und besteht gegenwärtig aus dem Endesunterzeichneten.
  • 2) Diesem Collegium steht zu
    • a. die Berathung und Unterstützung des Collegiums der Vorsteherinnen,
    • b. die Controle des Haushalts der Vereinsanstalten,
    • c. gemeinschaftlich mit den Vorsteherinnen Beschluß und Antrag in Betreff des Haushalts und der Versorgung der Vereinsanstalten und des Vereins selber,
    • d. gemeinschaftlich mit dem Helfercollegium Beschluß und Antrag in Betreff des Wandels und der Amtsführung der Vorsteherinnen, sowie der Berufung und Entlaßung derselben.
  • 3) Das Collegium der Helferinnen tritt selbständig nur zusammen12 zur Ergänzung seiner selbst und zum Ausschluß seiner Mitglieder, und wählt zum Behuf des Zusammentrittes eine Vorsteherin und Untervorsteherin.

§. 11. Die Vorsteherinnen der Hilfsvereine.

  • 1) Sie sind die Mittelglieder zwischen der Muttergesellschaft und den Hilfsvereinen und haben als solche das Referat
    • a. bei den Hilfsvereinen im Namen der Muttergesellschaft,
    • b. bei der Muttergesellschaft im Namen der Hilfsvereine.
  • 2) Sie haben das Recht des Antrags in Betreff der allgemeinen Vereinsangelegenheiten, so wie der Amts und Geschäftsführung und des Wandels der Vorsteherinnen.
  • 3) Im Falle ihrer Anwesenheit haben sie bei den gemeinschaftlichen Conferenzen der Helferinnen mit den Helfern oder Vorsteherinnen eine beschließende Stimme.
  • 4) In Betreff der Berufung neuer Vorsteherinnen soll ihr Gutachten eingeholt werden, wenn sie bei den Versammlungen nicht erscheinen können.

§. 12. Die Hilfsvereine.

  • 1) Sie entstehen aus dem organischen Zusammenschluß der Vereinsglieder eines abgegrenzten Bezirks.
  • 2) Ihnen steht zu
    • a. die Erforschung des Bestandes der Fürsorge für die leidende Menschheit in ihrem Bezirk,
    • b. die Berathung der Mittel zur Hebung und Erweiterung dieser Fürsorge,
    • c. die Gründung von Localanstalten im Sinne des Vereins,
    • d. die Unterstützung und Förderung der Vereinszwecke, und insonderheit der Vereinsanstalten.
  • 3) Sie bestehen
    • a. aus einem freiwillig, jedoch unter Bestätigung der Helfer der Muttergesellschaft zusammengetretenen Helfercollegium,
    • b. aus einer mit Gutheißung der Muttergesellschaft aufgestellten Vorsteherin,
    • c. aus einem Collegium von Helferinnen,
    • d. aus den andern männlichen und weiblichen Mitgliedern.
  • 13
  • 4) Das Collegium der Helfer hat innerhalb des Hilfsvereins gleiche Befugnisse und Organisation, wie das Helfercollegium de Muttercollegiums innerhalb dieser.
  • 5) Die Vorsteherin hat
    • a. die §. 11. angegebenen Befugniße in Bezug auf die Muttergesellschaft,
    • b. die Aufsicht über die Localanstalten,
    • c. das Recht die Helferinnen zu Versammlungen zu berufen.
  • 6) Die Helferinnen werden von den weiblichen Mitgliedern unter Gutheißung der Helfer des Hilfsvereins gewählt.
  • 7) Die Helferinnen haben in Bezug auf die Hilfsvereine gleiche Rechte und Pflichten, wie die Helferinnen der Muttergesellschaft in Betreff dieser.
  • 8) Die Helferinnen schlagen, nach Vereinbarung mit den Helfern, der Muttergesellschaft jede neue Vorsteherin vor und beschließen mit den Helfern über etwaige Entlaßung einer bisher im Amte gestandenen Vorsteherin.
  • 9) Zu dem Nr. 8. benannten Behuf treten die Helferinnen mit den Helfern zu einer gemeinschaftlichen von dem Vorsitzer der Helfer geleiteten Versammlung zusammen.
  • 10) Die Hilfsvereine bringen die Mittel zu Localanstalten aus ihrer Mitte auf, ohne der Muttergesellschaft etwas zu entziehen, können jedoch, je nach Befund der Vereinsmittel um Unterstützung der Muttergesellschaft anhalten.

§. 13. Regie des Vereins.

  • 1) Alle Glieder des Vereins fördern die Zwecke des Vereins unentgeldlich mit Ausnahme derjenigen, deren Hilfleistung Lebensberuf ist, d. i. der Vorsteherinnen.
  • 2) Die Vorsteherinnen werden besoldet, wenn und soweit es ihnen ihre Vermögensumstände nicht möglich machen, dem HErrn Jesus unentgeldlich zu dienen.

§. 14. Rechnungslegung.

  • 1) Der Verein schließt monatlich seine Bücher.
  • 2) Der Verein legt alljährlich öffentliche Rechnung.
  • 14
  • 3) Revisionsbehörde des Vereins sind einige von den Hilfsvereinen, resp. deren Helfercollegium, erwählte Helfer der Hilfsvereine.

§. 15. Versammlungen.

  • 1) Das Helfercollegium der Muttergesellschaft hat das Recht je nach Ermessen allgemeine Versammlungen des Vereins anzuberaumen.
  • 2) Ebendasselbe versammelt nach Ermeßen die Glieder der Muttergesellschaft.
  • 3) Die Vorsteherinnen der Muttergesellschaft können nach Ermeßen die Helferinnen versammeln, nämlich in Betreff der den Helferinnen zugewiesenen Aufgaben.
  • 4) Die Helferinnen können Versammlungen der Helferinnen und Vorsteherinnen beantragen.
  • 5) Die Helfercollegien der Hilfsvereine können die Hilfsvereine versammeln.

§. 16. Abänderung der Statuten

behält sich bezüglich der Muttergesellschaft diese selbst vor; bezüglich der Hilfsvereine kann ohne die Muttergesellschaft und deren Zustimmung nicht geändert werden.

(Folgen die Unterschriften.)

In dem den Statuten beigelegten Bittgesuch sagten die Bittsteller unter anderem: Nach dem Vereinsgesetz genügt zur Bildung eines Vereins wohl Anzeige und Statutenvorlage, allein da dieser Verein seine Zwecke ohne Krankenhäuser nicht erreichen kann, zur Errichtung dieser aber die staatliche Genehmigung nothwendig erscheint, so glauben diejenigen, welche zu einem Vereine der bezeichneten Art zusammentreten wollen, auch diesen Verein ohne ausdrückliche Genehmigung und Gutheißung der königl. Regierung nicht gründen zu können.

Die königl. Regierung von Mittelfranken legte die Sache dem Staatsministerium des Innern vor, welches unter dem 27. v. M. folgende Entschließung in Betreff derselben erließ.

Staatsministerium des Innern.

Der k. Regierung, K. d. J., werden in dem Anschluße die Beilagen des Berichts vom 13. / 18. v. M. mit der Eröffnung zurück geschloßen,15 daß so lange der von dem k. protestantischen Decan und Stadtpfarrer Eduard Bachmann zu Windsbach und anderen Menschenfreunden beabsichtigte lutherische Verein in Bayern mit seinem allgemeinen Zwecke der Erweckung der Privatwohlthätigkeit für Krankenpflege und der Heranbildung von Krankenpflegerinnen sich befaßt, eine solche Vereinigung nicht nach Maßgabe des Art. 14 et sequ. des Gesetzes vom 26. Februar 1850 die Versammlungen und Vereine betreffend, als politischer Verein erkannt werden könne.

Nachdem der genannte Verein aber auch den besondern Zweck sich gesetzt hat, Bildungsanstalten für Krankenpflege und Krankenhäuser für Arme in der protestantischen Kirchengemeinde Bayerns zu gründen, so versteht es sich von selbst, daß für solche Institute, wenn selbe die Rechte einer öffentlichen Corporation und eigene Rechtsfähigkeit genießen sollen, die staatspolizeiliche Genehmigung und landesherrliche Bestätigung erforderlich ist. Diese ist jedoch erst dann veranlaßt, wenn es sich um die wirkliche Ausführung solcher Anstalten handelt.

In diesem Falle ist unter Vorlage der bezüglichen Verhandlungen, insbesondere des Programms und der Satzungen der Anstalt, dereinst berichtlicher Antrag zu stellen, und hienach der protestantische Decan und Stadtpfarrer Eduard Bachmann geeignet zu verständigen.

München, den 27. Februar 1854.

Auf Seiner Königlichen Majestät allerhöchsten Befehl.

Graf Reigersberg.

Epplen.

An die k. Regierung, K. D. I.

Die kgl. Regierung von Mittelfranken theilte diese Entschließung unter dem 3. März dem kgl. Landgericht Heilsbronn mit, von welchem sie unter dem 4. März dem kgl. Decan Bachmann zu Windsbach zugestellt wurde.

Der erste Theil dieser Entschließung besagt ausdrücklich, daß der Verein nicht für einen politischen zu halten sei, ohne Zweifel, weil die letztere Ansicht statt haben konnte. Zu gleicher Zeit ist aus diesem16 ersten Theile offenbar, daß von Seiten der obersten Staatsbehörde der Entstehung des Vereins keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Deshalb constituirte sich am 13. dieses Monats die Muttergesellschaft des Vereins. An der Spitze des Helfercollegiums desselben stehen: Decan Bachmann zu Windsbach als Vorsitzender, Pfarrer Müller zu Immeldorf als Rechnungsführer, Inspector Hensolt zu Windsbach als Secretär. Vorsteherinnen des Collegiums der Helferinnen sind Frau Decanin Bachmann von Windsbach und Frau Pfarrerin Müller zu Immeldorf.

Die zusammengetretene Muttergesellschaft eröffnete ihre Thätigkeit mit der Berufung der Vorsteherinnen (s. §. 8. a. der Statuten). Das Geschäft konnte nicht auf der Stelle formal erledigt werden, sowie es aber erledigt ist, wird die Anzeige bei der Polizeibehörde erfolgen und weitere Nachricht gegeben werden.

Es wäre nun wünschenswerth, daß sich Hilfsvereine nach §. 11 und 12 der Statuten bildeten. Sollten sich hie und da unsere Freunde in dieser Art zusammenschließen wollen, so werden ihnen die Helfer der Muttergesellschaft persönlich und brieflich gerne zu Hilfe sein, und bedarf es deshalb nur eines ausgesprochenen Wunsches. Geschenke, durch welche die Angelegenheiten des Vereins unterstützt werden sollen, werden am besten an den Rechnungsführer Herrn Pfarrer Müller in Immeldorf (Post Expedition Lichtenau bei Ansbach) geschickt werden.

Die erste Diaconissen Anstalt soll zu Neuendettelsau entstehen. Die Muttergesellschaft wird demnächst der königlichen Regierung von Mittelfranken das Programm und die Satzungen derselben zur Vorlage bei dem Staatsministerium des Innern und zur Genehmigung einsenden und seiner Zeit theilnehmenden Freunden in diesen Blättern weitere Nachricht geben.

Der Herr, welcher zu einem gesegneten Anfang der Sache die Herzen so gnädig gelenkt hat, wird sie auch ferner zu seiner Ehre und zum Heile der luth. Bevölkerung von Bayern, ja wohl auch zum zeitlichen Segen aller unserer Nächsten gedeihen und es ihr an Liebe, Rath und Hilfe der Glaubensgenossen nicht fehlen laßen. Ihm sei seine eigene Sache befohlen!

Selbstverständlich konnten wir nicht voraussehen, in welchem Maße unser Beispiel und unsre Aufforderung Anklang17 finden würde. Unsre Verbindungen im Lande und unsre Verhältnisse waren von gedoppelter Art: einestheils hatten wir keinen Zweifel zu glauben, daß wir Vertrauen und Nachfolge finden würden, anderntheils aber trugen wir von alten Zeiten her die Schmach Christi, Mistrauen und Argwohn begegneten uns allenthalben mit lähmender Kraft. Demgemäß waren auch unsre Erfahrungen von zwiefacher Art. Gleich in der ersten Zeit schloßen sich schnell hinter einander Zweigvereine an und zwar zu allererst, bereits am 30. März 54, der Zweigverein Nürnberg, sodann am 20. April 54 der Zweigverein Hersbruck, am 10. Juni 54 der Zweigverein Memmingen, am 6. September 54 der Zweigverein Altdorf, am 17. Dez. 54 der Zweigverein Nördlingen, am 26. Mai 56 der Zweigverein Neuendettelsau, am 17. Mai 61 der Zweigverein Fürth, und zuletzt, erst im Sommer des Jahres 69, bekam der Zweigverein Wendelstein seine volle Gestaltung. Mehr Vereine aber, als die genannten sind es bis jetzt nicht geworden, und wer dieses Maß von Gelingen mit unsern anfänglichen Wünschen und Hoffnungen vergleicht, der hat alle Ursache, sich für enttäuscht zu halten und wird zu dem Bekenntnis genöthigt, daß wir auch in Sachen der weiblichen Diaconie, wenigstens in unsern heimathlichen Kreisen, den Anklang nicht fanden, den wir gehofft hatten. Wir waren und bleiben ein geringer Haufe, fanden überall Hindernis und fast nirgends die freudige Theilnahme und Arbeit, aus die wir gehofft hatten. Die erwählten Vorsteherinnen der Zweigvereine kamen zwar alljährlich an oder um Laurentii in Dettelsau zu einem Vereinstage zusammen, aber man konnte nirgends die einschlagende Wirkung wahrnehmen, auf die man gerechnet hatte. Die Theilnahme war kühl und man hatte fast jedes Jahr zu fürchten, daß sie noch kühler und geringer werden könnte. Dennoch aber lebten die Vereine fort, und18 wenn man alljährlich die Frage erhob, ob es etwa an der Zeit wäre, die Thätigkeit der einzelnen Vereine, oder gar des gesammten Vereines abzuschließen, so war doch dazu niemand willig, sondern im Gegentheil, neue Anstrengungen wurden gemacht, und je länger je mehr wuchs doch das Vertrauen, daß die etwas schwache Pflanze des Vereins für weibliche Diaconie in Bayern noch einmal auskränkeln und noch dahin kommen könnte, mit Kraft und Freudigkeit emporzugehen. Der Hersbrucker Verein brachte es zwar nur zu einer Suppenanstalt, und sein Lichtlein löschte bald völlig aus. Auch der Memminger Verein verlor zwar nicht das Leben, aber den Zusammenhang mit der Muttergesellschaft, so daß am Ende nur eine Krippenanstalt übrig blieb, die unter der Obhut und Pflege einer Dettelsauer Schwester stand und steht. Die andern Zweigvereine aber erhielten sich, zum Theil mit großem Segen. Ein Paar Zweigvereine, und zwar nicht die unbedeutendsten, hatten ernste Prüfungszeiten, so daß man auch daran dachte, die aus ihnen entsproßenen Anstalten mit der Muttergesellschaft ganz zu vereinen, und derselben Eigenthum und Verwaltung zu übergeben. Der Herr aber schaffte dann wieder Zeiten des Glücks und des kräftigen Gedeihens, so daß gerade diese Vereine wieder flammend emporschlugen und gegenwärtig kein Mensch mehr daran denkt, ihr Licht als ein erlöschendes zu betrachten. Der Zweigverein Nürnberg ist so groß und kräftig geworden, daß er eine Pflegeanstalt für Töchter, eine Krippenanstalt, eine Mägdeanstalt besitzt und zugleich mit einem Krankenvereine ein Kinderhospital aufrecht erhält, in neuester Zeit kam eine Krankenwartanstalt und eine Kinderbewahranstalt dazu, und mit allen seinen Zweiganstalten unverkennbare Zeichen auch des äußeren Gedeihens an sich trägt. Ebenso hat sich auch der Zweigverein Altdorf emporgeschwungen, ist zu Vermögen gekommen, hat eine Rettungsanstalt, eine19 Kinderschule und denkt daran, sich noch weiterhin mit Segen auszubreiten. Der Zweigverein Fürth hat längere Zeit eine Mägdeanstalt getragen und hat auch jetzt noch eine Pflegeanstalt und eine Krankenwartstation. Der Zweigverein Nördlingen hat eine gesegnete Krippenanstalt, neben welcher unter 2 Dettelsauer Schwestern in denselben Räumlichkeiten eine große Kleinkinderschule erblüht ist. Ebenso hat sich in Heidenheim am Hahnenkamm unter dem kräftigen Vorgang des dortigen Zweig Vereins eine wohlgethane Kinderschule entfaltet. Der Zweigverein Wendelstein freut sich gleichfalls einer gesegneten Kinderschule, und der Zweigverein Neuendettelsau geht unter reichem Segen neben der Muttergesellschaft in mancherlei guten Werken einher. Man kann gewiß den verschiedenen Zweigvereinen des Vereins für weibliche Diaconie nicht nachsagen, daß es ihnen an Leben und Wirkung fehle, sondern an ihnen kann man deutlich sehen, welche reichen und seligen Früchte der Anschluß an die Muttergesellschaft bringt. Besonders aber seitdem jeder Zweigverein zu seiner besondern Pflege sich einen eignen Moderator gewählt hat, der jährlich ein oder mehrere Male die Leitung des Ganzen und den Gang der entstandenen Anstalten visitirt und prüft, kann niemand den ruhigen Fortschritt und die reifen Früchten der Zweigvereine miskennen. Auch der Zusammenhang mit der Muttergesellschaft nimmt zu und tritt je mehr und mehr in das Bewußtsein und Gewißen ein. Alle wißen, daß sie aus einer und derselben Wurzel entsproßen sind, dieselben Werke wirken und denselben hohen Namen mit ihrem Leben und Dasein preisen. Dazu gibt es auch im Lande hin und her noch andere Vereine, die, wenn auch nicht gliedlich mit dem Vereine für weibliche Diaconie, zusammenhängen, so doch sich seiner Nachbarschaft und Verwandtschaft nicht schämen, wie davon die Magdalenenvereine von Augsburg und München kräftiges Zeugnis geben. Der20 Verein für weibliche Diaconie gleicht einem reichen Lande voll würziger Kräuter, die zu Gottes Preis und Ehre und zum Heile der Menschheit allezeit blühen und in Kränzen und Sträußen neben dem siegreichen Wege des Erlösers niedergelegt sind. Die Gärtnerinnen und Pflegerinnen aber, die allenthalben der Blumen, Kräuter und Früchte warten, sind lauter Mädchen und Diaconissen von Neuendettelsau, deren Freude es ist, alles das duftende und fröhliche Leben zu pflegen, was man nun seit bereits fünfzehn Jahren unter uns zu Gottes Preis gewollt und erstrebt hat. Alle menschlichen Werke leiden an Unvollkommenheit und nie und nirgends erreicht man, was man sich vorgenommen und zum Ziele gesetzt hat. Das aber wißen wir dennoch ganz gewiß, daß man hier so lange Jahre nichts gewollt und nichts erstrebt hat, als daß die Barmherzigkeit des Herrn in mancherlei guten Werken gepriesen und gerühmt werde. So Muttergesellschaft wie Zweigvereine gehen von je her einen und denselben Weg.

Bei alle dem aber dürfen wir doch nicht verleugnen, daß wir vom Anfang an als Mittel zum Zweck und Weg zum Ziele auch Bildungsanstalten und, wenn man will, geradezu Diaconissenhäuser zum Ziele genommen hatten. Noch existirt ein in den Anfangszeiten nach allen Seiten hin verbreitetes Blatt von 8 Octavseiten, welches den Titel trägt: Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissenanstalten. Möge es uns hier gestattet sein, dieses Blatt in seinem gesammten Umfange zur Erinnerung wieder abzudrucken. Man wird demselben abmerken, daß wir es von Anfang her nicht auf ein Diaconissenhaus abgesehen hatten, wo man in moderner Nachahmung der alten klösterlichen Zeiten einen Haufen Arbeiterinnen und deren Bildung in die Absicht genommen hatte, die21 dann in ferne Weiten gehen und lehren sollten, wie man Barmherzigkeit üben solle. Uns lag wie bei dem Vereine für weibliche Diaconie, so bei den Diaconissen Anstalten die weibliche Jugend des platten Landes und deren Ausbildung für die Werke der Barmherzigkeit im Sinn. Unsre Leute, für unsre eignen nächsten Bedürfnisse wollten wir heranbilden, und hatten dazu weit weniger im Sinn, uns zu dem Ende in größeren Städten anzusiedeln, sondern im Gegentheil suchten wir stille Orte, wo wir die Töchter des Landes faßen und für die Stillung der nächsten Bedürfnisse erziehen könnten. Nicht für immer, sondern nur einstweilen wollten wir uns in Neuendettelsau selbst setzen und mit einer kleinen Anstalt für weibliche Angefochtene und mit einer kleinen Anstalt für schwachsinnige Kinder den Anfang zu einer Thätigkeit suchen, die aus kurzem Wege unsrem eignen Volke zu Nutz und Dienst kommen sollte. Es ist freilich alles anders geworden unter Gottes besonderer Führung, aber was nun geworden ist, haben wir eigentlich nicht gewollt, sondern etwas weit einfacheres und volksmäßigeres, wie es eben in dem nachfolgenden Bedenken dargelegt ist. Man kann wohl sagen, daß uns unser eigner Weg von vornherein nicht völlig klar war. Wir sind, wie schon gesagt, nach der Wahrheit suchen gegangen, und es wäre uns weit lieber gewesen, wenn wir unsern eignen Gedanken treuer und eng anschließender hätten nachgehen können. Wir haben gethan, was wir nicht laßen konnten, und legen gerne mit unserm wiedererneuerten Bedenken vor dem Herrn unser pater peccavi nieder. Wir haben mit dem Plane unsres Vereins uns zu Großes vorgenommen und auch unser eignes Bedenken nicht hinausführen können. Mögen unsre Leser aus den Statuten des von uns gewollten Vereins und aus unserm Bedenken unsre Fehler erkennen und uns gütig beurtheilen,22 wenn wir dann nach diesem Eingang einfach erzählen, wie alles und alles bei uns geworden ist. Hier also folgt zunächst unser Bedenken.

Beilage II. Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissenanstalten.

1. Wenn wir Seelsorger auf unsere Dörfer hinauskommen, die Kranken zu besuchen, so finden wir allenthalben solche weibliche Personen, welche sich der Kranken und Elenden mehr als andere annehmen, weil sie durch eine in ihnen liegende Gabe dazu angereizt werden. Sie folgen dem natürlichen Drang. Was ihnen fehlt, ist die Ausbildung der Gabe. Viele von diesen Frauenspersonen würden biblische Diaconissen sein, wenn man sich ihrer annehmen und ihnen die Ausbildung geben möchte. Ausbildung der zum Dienst der leidenden Menschheit begabten Frauen ist ein pium desiderium*)Ein frommes Verlangen, eine fromme Forderung, ein auf ein vorhandenes Bedürfnis gegründetes Ansinnen an die Kirche. und je länger je mehr eine Forderung an die Kirche.

2. Auf dem Lande giebt es viele Familien, die nicht Landleute und eben so wenig Leute von städtischer Bildung genannt werden können: sie stehen mitten inne. Man denke z. B. an Schullehrersfamilien. Die Söhne gehen den allgemeinen Gang der männlichen Berufsbildung; die Töchter aber können keine solche bereitete Bahn betreten. Da sich nun in diesem Mittelstande der Bevölkerung des platten Landes viele leiblich und geistig begabte Frauenspersonen finden, so werden sie aus Mangel an Bildung häufig misgebildet an Geist und Gemüth und benützen ihre Gaben oftmals auf eine üble Weise, zum Verderben des eigentlichen Landvolks. Würde man sich ihrer hingegen annehmen, so würden sie gerade sehr begabte und einflußreiche Trägerinnen und Vertreterinnen göttlicher Gedanken werden. Beßer könnte man sich ihrer aber nicht annehmen, als wenn man ihnen Gelegenheit eröffnete, ihre Gaben für den Dienst der leidenden Menschheit auszubilden. Sie würden dadurch auf eine heilsame Bahn gebracht, würden eine Stellung, und zwar eine heilige und segensreiche Stellung in der Kirche finden23 und die bequemsten Organe der Kirche für christliche Bildung des Landvolks sein: an ihrem Dienste an den Kranken - und Sterbebetten etc. würden viele lernen und zwar nicht bloß Krankenpflege. Also sie würden Segen haben und Segen bringen und zwar den Kranken etc. unmittelbar, mittelbar aber der ganzen, namentlich der weiblichen Bevölkerung. Christliche Bildung des weiblichen Mittelstandes auf dem platten Lande ist also auch ein pium desiderium.

3. Gäbe es Bildungsanstalten für die in Nr. 1 und 2 genannten Klassen der weiblichen Bevölkerung, so würden diese auch von Töchtern aus andern christlichen Familien besucht werden, in denen man nicht eben den Zweck hätte, die Töchter zu Diaconissen bilden zu laßen. Wie viele christliche Familien auf dem Lande würden froh sein, ihren Töchtern einen kurzen Aufenthalt in einer der weiblichen Natur so sehr zusagenden Anstalt zu ermöglichen, wo sie bestimmte Richtung zum Guten bekommen und so vieles lernen und üben könnten, was auch fürs gewöhnliche häusliche Leben von dem größten Werth ist. Es wären solche Anstalten nicht, was die Institute für die Töchter der höheren Stände, in denen alles Mögliche gelehrt wird; diese Anstalten bildeten nichts als die vorhandene Fähigkeit zu weiblich-christlichem Liebesdienst. Gerade damit aber gäben sie der mittleren Bevölkerung viel, zumal es in der menschlichen Natur liegt, daß man überhaupt und im Allgemeinen gebildet wird, wenn man für eine Seite des christlichen Lebens recht gebildet wird. Es kann aber nichts geben, was sich für Frauenspersonen mehr zum Bildungsmittel eignete als die Befähigung zum Dienste der leidenden Menschheit.

4. Diaconissenanstalten, in welchen man die Zwecke von Nr. 1 3 vor allem im Auge behielte, würden Segen für das ganze Land verbreiten und für den besten Theil des Volkes, welchen man noch immer auf dem platten Lande, auf den Dörfern und in den Landstädten wird suchen dürfen. Hier würden Diaconissen gebildet werden, welche ihre Befähigung zum Dienste der Elenden anwenden könnten, sie blieben nun im ledigen Stande oder heirateten. Namentlich die Nr. 1 und 3 genannten Klassen von Zöglingen würden auf alle Fälle und in allen Lebenslagen sein, was sie geworden, hilfreiche Rathgeberinnen ihrer Umgebungen, Beispiele und Quellen echt weiblicher Bildung.

5. Diaconissenanstalten dieser Art würden aber zugleich Seminarien für eigentliche Krankenpflegerinnen in Spitälern und Irrenhäusern, für Kleinkinderlehrerinnen, Bonnen etc., für Missionarinnen etc.24 sein. Die Nr. 1 3 angegebenen Zwecke sind gewiß beifallswerth; aber die eben Nr. 5 angegebenen sind nicht minder in’s Auge zu faßen. Wenn wir nicht von den römischen barmherzigen Schwestern überflügelt werden wollen, und wenn wir mit dem auf diesem Felde reich begabten und reich gesegneten Fliedner doch nicht gehen können, weil seine Thätigkeit uniert ist; so bleibt uns nichts übrig, als uns zum Eifer reizen zu laßen und Anstalten zu gründen, in denen wir für die unabweisbaren Bedürfnisse unserer bisher so vielen Miethlingen preisgegebenen Spitäler, unserer Irrenhäuser, Kleinkinderschulen und Missionen in kirchlicher Weise sorgen. Die Zwecke Nr. 1 3 gehen wesentlich mit den Nr. 5 genannten zusammen; diese geben jenen bei der Ausführung die bestimmte Gestaltung, durch welche die gewünschten Anstalten nur desto anziehender und anerkennenswürdiger werden könnten.

6. Der Mittelpunkt für die Anstalten, von denen wir reden, müßen Spitäler sein. Ohne Spitäler findet die Lehre keine Praxis, und ohne Praxis ist eine Belehrung über den Liebesdienst der Frauen an der leidenden Menschheit kalt und unverständlich.

7. Wollte man nun eine Wirksamkeit, wie sie Nr. 1 5 genannt ist, beginnen; so könnte man suchen, in großen Spitälern, wie sie sich in unsern ersten Städten finden, den Krankendienst zu übernehmen. Allein ganz abgesehen von dem Geist, welcher in größeren Städten die Magistrate, Armenpflegschaftsräthe etc. häufig beseelt, würde man in ein Gewebe von Rücksichten eintreten, welches die noch jugendlichen Bemühungen einschnüren und ein eigenthümliches und naturgemäßes Wachsthum der Sache nicht leicht zulaßen würde. Der Dienst an größeren, schon vorhandenen Spitälern muß wohl Ziel sein, zum Ausgangs - und Anfangspunkt wird er sich kaum eignen.

8. Man könnte auf die kleinen Spitäler in unseren Landstädten das Auge richten. Sie sind meist verkommen und Carricaturen dessen, was sie sein sollten. Die Bevölkerung der größeren Städte ist mit Fürsorge für die Kranken weit beßer versehen, als die der kleinen Städte und des sie umgebenden platten Landes. Es wäre vielleicht die größere Wohlthat, den Dienst in kleinen Spitälern zu übernehmen, neuzugebären, zu organisieren etc. Allein man würde in den kleinen, heruntergekommenen, von ihrem Zwecke ganz abgefallenen Spitälern mit nicht geringeren und wenigeren Hindernissen zu kämpfen haben. Auch würde sich aus einer Anstalt, die ihrem ursprünglichen Zweck gemäß eng und klein angelegt werden mußte,25 nur schwer etwas Größeres und Bedeutungsvolleres entwickeln können. Die kleinen Spitäler eignen sich zu Augenmerken und müßen im Interesse der Bevölkerung ganz besonders anziehen; aber Ausgangspunkte für eine Fürsorge, die in weiteren Kreisen Beachtung finden sollte könnten auch sie nicht werden.

9. Wollte man deshalb Nr. 1 5 ausführen, so müßte man, wenn man z. B. das lutherische Bayern im Auge hätte, an ein oder einige neu zu errichtende Spitäler denken.

10. Dabei fragte es sich nun, wo man solche Spitäler errichten sollte, oh in größeren Städten oder auf dem Lande? Da eine solche Anstalt ihre Hilfsmittel im eigenen Hause vereinigen muß wenigstens muß das doch der Zweck sein; so wird, was die Stadt an besonderen Vorzügen bietet, von den Vorzügen eines wohl gelegenen ländlichen Aufenthaltes überwogen werden. Ueberdies ist es recht, dem beßeren Theile unsers Volkes ein so großes Bildungsmittel, wie eine Anstalt der Art wäre, in den Schooß zu geben. Die Städte sorgen für sich und können es leichter; das Land ist verlaßen und doch gibt es der hilfebedürftigen Kranken und Elenden auf dem Lande nicht weniger als in den Städten; sie sind nur verwahrloster als die städtischen Armen und Kranken. Auch wird die Nr. 1 3 aufgezählte Reihe von Zwecken bei ländlichem Aufenthalt am besten erreicht werden, und die Nr. 5 aufgezählte ihre Befriedigung nicht minder gut als in Städten finden. Wenigstens würde die Wahl zwischen Stadt und Land eine schwere sein, und das Zünglein der Waage sich nicht leicht auf die Seite der Städte neigen.

11. Sehr erleichtert könnte die Ausführung der Sache bei der Wahl einer größern Stadt deshalb werden, weil es in Städten nicht an Lokalitäten zu mangeln pflegt, während auf dem Lande geeignete Räume sich selten finden. Dagegen aber würde, wenn ein Bau vorzunehmen wäre, das Land vorzuziehen sein, weil Platz, Material und Arbeitslohn wohlfeiler käme und überdies würde für ein naturgemäßes Wachsen vom Kleinen zum Großen ein ländlicher Aufenthalt besonders ersprießlich sein. In Städten muß man im Anfang ganz anders auftreten, als auf dem Lande, weil die Verhältnisse zu Repräsentation, um nicht zu sagen Ostentation, einladen.

12. Man wähle nun aber Stadt oder Land, so wird es vor allen Dingen darauf ankommen, einen Ort zu treffen, an welchem die rechten Leute zur Sache sich vereinigen können. So sehr26 liegt alles an Personen und nicht an den Gebäuden, daß man von allem Anfang an jede andere Rücksicht dem Zusammenfinden der Personen unterordnen muß. Von diesem Gesichtspunkt aus sind große Fonds großen Gebäuden vorzuziehen. Die Gebäude der älteren Waisenanstalten sind großen Theils große Denkmale ihrer Stifter geworden, in denen kein Leben mehr haust. Große Fonds aber laßen sich überall hin leiten und können überall ihre Wirkung beginnen, wo man die Persönlichkeiten findet.

13. Von den vorausstehenden allgemeinen Grundsätzen giengen eine Anzahl von Pfarrern und christlichen Frauen aus, als sie den Entschluß faßten, vorbehaltlich der Genehmigung unserer Obrigkeit, die Nr. 1 5 genannten Zwecke durch Gottes Barmherzigkeit sich zum Ziele einer gemeinsamen Thätigkeit zu stecken.

14. Ihr Gedanke wäre, einen Frauenverein für weibliche Diaconie zu gründen, dessen Wirkungskreis das lutherische Bayern, dessen Anfangspunkt die Gründung eines lutherischen Spitals und einer damit verbundenen Diaconissenanstalt, dessen Fortgangspunkt vielleicht die Uebernahme der Bedienung der kleineren und größeren Spitäler etc., dessen liebstes Ziel Bildung der weiblichen Jugend des Landes zum Dienste JEsu in der leidenden Menschheit wäre.

15. Die Vorsteherinnen für Spital und Diaconissenanstalt sind vorhanden, einige schon ausgebildete, der lutherischen Kirche angehörige Diaconissen werden kaum fehlen, eine große Betheiligung christlicher Frauen ist zu hoffen, an männlichem Beistand namentlich von Pfarrern und Seelsorgern, mangelt es nicht.

16. Der Natur der Sache und ihrer Entstehung gemäß ist es, wenn es von Seiten der Obrigkeit keinen Anstand findet, die Wirksamkeit in Neuendettelsau beginnen zu laßen und zwar

  • 1. mit einer kleinen Anstalt für weibliche Angefochtene,
  • 2. mit einer kleinen Anstalt für schwachsinnige Kinder.

So wie Neuendettelsau der naturgemäße Ort für die Ausgeburt und erste Formung der Sache ist, so sind dort die genannten Zwecke gegeben. Anschließen könnte sich jede andere Thätigkeit, also die Pflege anderer leiblich oder geistig Erkrankter etc. Es könnte aus dem Anfang ein Spital hervorwachsen, wie wir es wünschen, und daran sich eine Bildungsanstalt anschließen.

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17. Man hat nicht vor, Neuendettelsau zum bleibenden Sitz einer solchen Anstalt vorzuschlagen, sondern allein den Anfang da zu machen und weiter zu gehen, so wie sich die ganze Sache mehr geformt und geweitert hat.

18. Jedenfalls wird nichts begonnen, bevor die k. Regierung ihre Genehmigung zur Gründung von Spitälern und zur Gründung des obbezeichneten Vereins gegeben hat.

§. 2.Diaconissenanstalt Neuendettelsau.

Ehe wir nun zur Erzählung unsrer ersten Diaconissenzeit übergehen, dürfen wir nicht leugnen, wie wenig uns von Anfang an daran gelegen war, andern Diaconissenanstalten ähnlich zu werden. Wir haben keine Reise gemacht, um Fliedner’s große und mit Recht berühmte Arbeit anzusehen; wir haben kaum einen Bericht gelesen, wir haben uns die Gedanken je nach unsern Bedürfnissen gemacht und haben recht wohl gewußt, daß wir die Leute nicht waren, andern nachzufolgen. Obendrein waren wir ja Lutheraner, die bereits ihre Geschichte gehabt und abgeschloßen hatten, die nichts gewisseres wußten, als daß man ihnen von vielen Seiten her schon um ihrer Vergangenheit willen wenig Vertrauen schenkte. Dennoch sahen wir selbst in unsrer Vergangenheit gar kein Hindernis, unsrer Heimath zu dienen, sondern im Gegentheil glaubten wir, derselbigen unsern praktischen Dienst schuldig zu sein und es dabei getrost erwarten zu können, bis unsre Misgönner an dem von uns zu leistenden Dienst klar würden, was und wie wir es meinten. Was wir je und je gewollt hatten, schien uns recht zu sein, und daß man uns von vornherein weder glaubte noch zutraute, daß wir es gut meinten, schien uns nicht an unserm Verhalten, sondern an den Verhältnissen zu liegen, unter denen28 wir nach Gottes Willen zu leben und die wir durch seine Gnade zu überwinden hatten. Es schien uns, als sei von uns geschrieben: dazu seid ihr berufen.

Wir haben schon bemerkt, daß der Verein für weibliche Diaconie gleich in seiner ersten Zeit drei Vorsteherinnen berief, welche für seine gesammte Thätigkeit die eigentliche Mitte bilden sollten. Die ersten beiden waren Memmingerinnen, zu denen man deshalb ein besonderes Vertrauen hatte, weil sie sich in einer wichtigen Zeit vorher, da das confessionelle Leben bei uns in Bayern kräftiger emporgegangen war, trotz der schwierigen Umstände, die damals stattfanden, sehr wohl und ernst benommen hatten. Die eine von diesen, Caroline Rheineck, war zwei Mal in Kaiserswerth gewesen und hatte sich wegen ihrer Augenleiden wieder zurückziehen müßen. Sie hatte hernach mit großem Beifall die Kinderschule ihrer Heimathstadt Memmingen übernommen. Bei den bedeutenden Talenten, die sie hatte, und ihrer sittlichen Haltung, hatte sie großen Anklang gefunden, und sie war es, die zur ersten Vorsteherin des Diaconissenhauses berufen wurde. Eine zweite, eine Tochter des Kirchenraths Rehm zu Memmingen, hatte ganz andere Gaben und Talente und trat nach dem schnellen Tode der ersten Vorsteherin an deren Stelle, und sie ist es, die seitdem nicht blos die Stelle der ersten, sondern geradezu die Stelle der Vorsteherin bekleidet und mit großem Verstand und Würde als Hausmutter das Ganze regiert hat. Die Stelle der dritten Vorsteherin ging nach dem Tode der ersten, Caroline Reineck, ein und wurde nie wieder besetzt, so daß es eine längere Zeit nur zwei Vorsteherinnen gab. Die dritte Vorsteherin schied später ohne äußere Ursache, blos nach eignem Ermeßen, aus dem Diaconissen-Verbande aus, bis sie dann späterhin auch freiwillig wieder eintrat. Die ersten drei Vorsteherinnen kamen zuerst im November des Jahres 53 versuchsweise29 hierher und traten darauf im April 1854 definitiv ihren Beruf hier an. Bei dem großen Mangel an Platz, der hier je und je gewesen, wohnten sie zuerst mit sechs Diaconissenschülerinnen und zwei Hospitantinnen in den oberen Räumen des Gasthauses zur Sonne, wo früherhin auch Inspector Bauer und seine Missionsschüler gewohnt hatten, ehe er sich ein eignes Wohnhaus gekauft hatte. Ueberhaupt war das hiesige Gasthaus zur Sonne lange Jahre mit den hiesigen Anstalten verbunden, und was man auch an dieser Wohnung auszusetzen hatte, immer war sie den Anstalten erträglich und diese fanden ihr Gedeihen darin. So war es auch mit der werdenden Diaconissenanstalt. Bis zur Genehmigung des Programms und der Statuten der Anstalt wohnten die drei Vorsteherinnen mit ihrer kleinen Schaar, in der Sonne, als Privatanstalt, und man wagte es von hier aus am 9. Mai des Jahres 1854, am Tage Hiob, die Anstalt feierlich zu eröffnen. Nachmittags um 2 Uhr versammelten sich die Männer im dortigen Pfarrhause, Frauen und Jungfrauen der theilnehmenden Kreise in der Wohnung der drei Vorsteherinnen zur Sonne. Von da aus zog man in die dicht besetzte Kirche, wo sich ein zahlreiches Publicum der Umgend versammelt hatte. Nach dem Orgelpräludium brach die Versammlung in die beiden ersten Verse des Liedes: Komm heiliger Geistes aus. Zwei Zöglinge der Missionsanstalt vertraten die Stelle von Lectoren und lasen vom Orgelchor herunter als Evangelium des Tages Matth. 25, 31 46. und als Epistel Röm. 16, 1 16. Diese Lectionen fanden so tiefen Anklang im Herzen der Hörer, daß man hernach beschloß, sie beide als stehende Lectionen für den 9. Mai in der Anstalt zu behalten. Wirklich klingen seitdem die beiden großen Lectionen an Feiern und Feiertagen des Diaconissenhauses immer wieder. Darauf sang man V. 1 und 2 des Liedes30 Nun bitten wir den heiligen Geist. Hierauf Rede des Decans Bachmann als Vereins Vorstandes, an deren Schluß derselbe Namens der Muttergesellschaft dem leitenden Collegium der Diaconissenanstalt in Neuendettelsau die letztere feierlich und förmlich übergab. Nach dem dritten Verse des angefangenen Liedes antwortete der Pfarrer Löhe als Vorstand des leitenden Collegiums dem Decan und acceptirte die geschehene Uebergabe der Diaconissenanstalt, redete auch bei dieser Gelegenheit die Vorsteherinnen und die Schülerinnen der Anstalt, die sämmtlich am Altare versammelt waren, an. Nach dem vierten Verse jenes Liedes folgte noch eine Ansprache des erwählten Anstaltsarztes, Dr. Schilffarth. Darauf sang der Windsbacher Sängerchor exaudi nos domine und Katechet Bauer sprach Gebet und Segen, worauf die Versammlung den ersten Vers des Liedes Wie schön leucht uns der Morgenstern sang, und darauf zog man sich an die Orte zurück, von denen man ausgegangen war, und blieb vergnügt, bis nach 6 Uhr abends zusammen.

Von da an war die Diaconissenanstalt als eröffnet anzusehen. Der Arzt eröffnete am 12. Mai seinen physiologischen Einleitungsunterricht zur leiblichen Krankheitspflege. Ebenso begann schon vorher der Unterricht des Geistlichen, während der dritte Lehrer der Anstalt, Cantor Güttler, die Zeit zwischen Eröffnung der Anstalt und dem Beginn seines Unterrichts anwendete und zum Behuf der ihm neben dem Gesangunterricht übertragenen und bereits in’s Leben getretenen Blödenanstalt die Blödenanstalt zu Winterbach in Württemberg besuchte. Der erste Curs der Diaconissenschülerinnen bestand aus folgenden Schülerinnen:

  • Anna Dorothea Kreißel aus Habburg,
  • Margarethe Endres aus Schwabach,
  • Ursula Tieb aus Memmingen,
  • 31
  • Johanna Prey aus Augsburg,
  • Emma Tintz aus Allstätt in Thüringen,
  • Katharina Hommel aus Fürth,
  • Maria Hörner aus Schillingsfürst.

Sonst fanden sich gleich zum ersten Curse acht Schülerinnen ein, die nicht eigentlich in Absicht hatten, Diaconissen zu werden, sondern Diaconissenbildung für ihre heimathlichen Verhältnisse suchten.

Es war damals ein überaus reges und fröhliches Leben in der Diaconissenanstalt. Die Lehrer lehrten, die drei Vorsteherinnen repetierten den gesammten Unterricht und regierten das Haus, und alle Schülerinnen fügten sich herzlich gern in die engen Verhältniße zur Sonne, und wer von ihnen noch jetzt übrig ist, erschöpft sich zuweilen in das Lob und die Schönheit der ersten Zeit. Man könnte spaßend und doch im vollen Ernste sagen, so wohl sei es der Diaconissenanstalt nie gewesen als in der Sonne. Aber freilich bei aller dieser Herrlichkeit sah man schon damals, daß man in der Sonne nicht bleiben könne, sondern daß man eine ordentliche Wohnung bedürfte. Dettelsau besitzt ein altes ziemlich großes Schloß der Freiherren von Eyb mit einem angenehmen und hübsch gelegenen Garten. Dieses hätte man einfach beziehen können, wenn die Besitzer geneigt gewesen wären, es dem Diaconissenhause zu vermiethen. Das aber und alles andere gieng nicht, so daß man nothgedrungen an das Bauen denken mußte. Der Arzt des Hauses und andere unter uns besahen die nächst gelegene Umgegend und am Ende wurden alle einig, daß man den Ort wählen müsse, auf dem hernach mit eilender Entschloßenheit das Diaconissenhaus wirklich gebaut wurde. Es war der höchste Ort der Umgegend, nah am Walde, wo alle Tage die Rehe Besuch machten, eine Spitze mitteninne des Waldweges und des Petersauracher Weges, der sogenannte32 Förthner’sche Hopfenacker. Der wurde erkoren. Professor Böhrer in Nürnberg zeichnete den Plan, der bald obrigkeitlich genehmigt war. Meister Scheuenstuhl von Kloster Heilsbronn bekam die Aufgabe des Baues, die Schwestern machten eine hohe Flagge, welche die ganze Bauzeit über vom Bauplatz wehte, und es entwickelte sich nun eine rasche und unaufhaltsame Thätigkeit, die keine Ruhe mehr hatte, bis der Grundstein zum Bau gelegt wurde und bis das Gebäude selber eingeweiht werden konnte. Die Grundsteinlegung geschah bereits am 23. Juni, St. Johannis des Täufers Vorabend. Die Leiter und Freunde der Sache erachteten es für angemeßen, daß es auf eine würdige Weise unter Gebet und Segen aus Gottes Wort geschehe. Am Freitag nach Trinitatis, Nachmittags 4 Uhr, zogen sie, begleitet von einer ansehnlichen Zahl Theilnehmender aus der Nähe und Ferne hinaus zum Bauplatze. Voran der Ortspfarrer mit dem Cantor der Missions und Diaconissenanstalt, den Schülern der erstern und den Zöglingen des Pfarrwaisenhauses zu Windsbach, welchen sodann die anwesenden Geistlichen aus der Umgegend, die Vorsteherinnen mit den Diaconissen und Schülerinnen und die mitfeiernden Freunde und Freundinnen der Sache sich anreihten. Als der Zug dem emporwachsenden Gebäude sich etwa auf 100 Schritte genähert hatte, begann man mit dem Liede: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. An der südöstlichen Ecke des Baues machte man Halt, und Inspector Hensolt von Windsbach sprach: Unsere Hilfe stehet im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat und verlas sodann die erste biblische Lection Evang. Matth. 20, 20 28. von den Kindern Zebedäi. Sodann betete Pfarrer Löhe die Collecte:

Herr Jesu Christe, der du nicht kommen bist, daß du dir dienen laßest, sondern daß du dienest und gebest dein33 Leben zu einer Erlösung für viele und bist ein Herzog worden aller derer, die da lieb haben und ihr Leben für die Brüder laßen: verleihe uns, deinen Knechten und Mägden, daß wir dir zu Dienst und denen, die nach deinem Willen leiden, dies Haus bauen und, wie wir es angefangen haben, es auch zu Ende bringen. Amen!

Darauf zog die Versammlung unter dem Gesang des 5. und 6. Verses vom angefangenen Liede an der Südseite des Baues weiter bis zur Stelle des Haupteinganges. Hier folgte der 2. biblische Abschnitt Joh. 13, 4 17. vom Fußwaschen, und es wurde die weitere Collecte gesprochen:

O Herr, der du, obwohl ein Herr und Meister, deinen Jüngern die Füße gewaschen und deiner Knechte Leib und Seele mit deinem Blute gereinigt hast: gib allen denen, die in dies Haus eingehen wollen, dir in deinen Leidenden dienen zu lernen oder zu dienen, daß sie gesinnet seien, wie du, und es für Gewinn achten, deinen geringsten Brüdern die Füße zu waschen. Amen!

Darauf bewegte sich der Zug um die südwestliche Ecke des Baues bis zur Nordseite, wobei man V. 1 3 des Liedes: Herzlich lieb habe ich dich, o Herr sang und darauf die berühmte 3. Lection Matth. 25, 31 46. gelesen und die Collecte gesprochen wurde:

O Herr, der du alle Dienste, die man den geringsten deiner Kinder thut, ansehen willst als dir gethan: verleihe allen deinen Christen, daß sie deines großen Tages denken und von Herzensgrund voll himmlischer Begier nach deinen süßen Worten eifrig dienen deinen Armen. Amen!

Hierauf sang die Versammlung V. 1 3 des Liedes: Fang dein Werk mit Jesu an und zog nach der nordöstlichen34 Ecke des Baues, wo der Schluß des Grundsteines zu geschehen hatte, da an den übrigen Seiten der Bau bis über den Sockel hinausgediehen war. Hier ergriff nun Decan Bachmann von Windsbach als Vorstand des Vereins das Wort und sprach die Versammlung in der nachfolgenden Weise an:

Es ist noch nicht lange her, meine Lieben, daß wir dort in jenem freundlichen Kirchlein versammelt waren und in Gedanken herausgeblickt haben auf dieses Feld, das dazumal noch voll roher Stöcke und Steine lag. Wir haben da einem im Interesse der leidenden Menschheit gefaßten Liebesgedanken durch Eröffnung unserer Diaconissenanstalt den ersten thatsächlichen Ausdruck gegeben und dabei wie aus weiter Ferne noch nach einem Hause hinausgesehen, das dieser Anstalt wiederum zur Vermittlung ihrer Zwecke dienen möchte. Und siehe! jetzt, nach Verlauf von einigen Wochen schon, stehen wir da nicht, um etwa erst den Grundstein dieses Hauses zu legen, sondern um dieses bereits einige Schuh hoch über die Erde heraufgewachsene Gemäuer mit unsern Liedern und Gebeten zu begrüßen. Ist das nicht ein sprechender Beweis, daß der Herr Wohlgefallen hat an unserm Werk und Wege nicht ein sichtbares Unterpfand, daß Gott auch weiterhin uns gnädig sein und seine Hand nicht von uns abthun werde? Und wie könnte es auch anders sein bei einer Sache, wie die ist, der dieser Hausbau dienstbar werden will die eben darum, weil sie im Interesse der leidenden Menschheit betrieben wird, zugleich auch recht eigentlich die Sache Dessen ist, der gesagt hat: Was ihr der Geringsten Einem unter meinen Brüdern thuet, das thut ihr mir? Fürchtet nicht, daß ich mich auf’s Neue in eine Darlegung der Bestimmung dieses Hauses oder in Lob und Preis des Segens verlieren werde, den wir von demselben erwarten nein, es sind das schon wiederholt besprochene und Euch zur Genüge geläufig gewordene Dinge. Lediglich den Gefühlen, die sich beim Rückblicke in die Vergangenheit und beim Hinausblick in die Zukunft in meinem Herzen bewegen, einen kurzen schwachen Ausdruck zu geben, bin ich gegenwärtig vor Euch aufgetreten. Indem ich zu dem Ende diese Hand zum Himmel erhebe, um wenn es möglich wäre, Gottes Hand zu ergreifen und dankbar für die Freundlichkeit zu küßen, mit der Er sich bis jetzt schon zu unserem Unternehmen bekannt hat, strecke ich meine andere segnend über dieses Gemäuer aus, in der getrosten35 Zuversicht, daß, der das gute Werk angefangen hat, es auch vollführen wird bis an den Tag, von welchem an man keiner solchen Häuser mehr bedürfen, sondern in jenen Hütten wohnen wird, da kein Tod und kein Leid und kein Geschrei und kein Schmerz mehr ist, da Gott abwischen wird alle Thränen von unseren Augen. Aber nicht meinen Segen allein soll und will ich auf diese Stätte legen, sondern auch den all der lieben Brüder und Schwestern, die mit mir zu dem Liebeswerke, dem dieses Gebäude dienen soll, verbunden sind. Vernehmet deshalb mit Aufmerksamkeit den Inhalt dieses Actenstücks in meinen Händen hier, das eine wortgetreue Abschrift ist des in diese Kapsel verschloßenen, zur Einlegung in diesen Eckstein bestimmten Originals. Dasselbe ist von allen Unternehmern, Lehrern, Helfern und Helferinnen unsres Vereins für weibliche Diaconie, sowie der Diaconissenanstalt dahier unterzeichnet und lautet folgendermaßen.

Decan Bachmann las hier das Document nach seinem folgenden Wortlaut: Im Namen Jesu. Im Jahre des Heils 1854, am 23. Junius an St. Johannis des Täufers Vorabend, an einem Freitag Nachmittags 5 Uhr, ist der Grund und Sockel dieses Diaconissen - und Krankenhauses feierlich geschloßen und durch Gebet und Gottes Wort geweiht worden.

In demselbigen Jahre herrschte über diese fränkischen Gaue König Maximilian II., Herzog von Bayern. Derselbe war, obwohl der römisch-katholischen Kirche zugethan, menschlichen Rechtes summus episcopus der lutherischen Kirche in seinem Königreich, regierte aber dieselbe Kirche durch ein Oberconsistorium ihres eigenen Glaubens, an dessen Spitze er als Präsidenten gesetzt hatte den lutherischen Dr. theologiae Adolf Harleß von Nürnberg. Dieser war der erste Oberconsistorialpräsident geistlichen Standes, nachdem alle seine Vorgänger Juristen gewesen waren. Der HErr wolle das Wort der Wahrheit durch die Hand dieses Mannes fortgehen laßen und siegen in dieser armen bayerischen Landeskirche!

Neuendettelsau war zur selben Zeit eine lutherische Parochie, in deren Mitte die Pfarrkirche St. Nikolai zu Neuendettelsau stand. Zu dieser gehörten als Filialkirchen die Kirche St. Laurentii zu Wernsbach und die Kirche zu Reuth, auf deren Altar das Bildnis Johannis des36 Täufers stand. Außer den genannten Dörfern pfarrten nach Neuendettelsau das Dorf Bechhofen an der Rezat, das Dorf Haag, der Birkenhof, die Geichsenhöfe sammt Mühle und die Froschmühle. Pfarrer zu Neuendettelsau war Johann Conrad Wilhelm Löhe, von Fürth gebürtig. Cantor und Schullehrer war Andreas Kamberger von Großgründlach.

In dem Orte Neuendettelsau war damals eine Missionsschule, welche bereits viele Gemeinden von ausgewanderten Deutschen in Nordamerika mit Predigern und Schullehrern versehen hatte. Vorsteher der Missionsschule war der ordinierte Predigtamtscandidat Friedrich Bauer von Nürnberg, welcher in Gemeinschaft mit dem genannten Pfarrer und dem dritten Lehrer und Cantor der Anstalt Georg Güttler von Neuendettelsau in jenem Jahre neun Schüler für den Dienst der nach Nordamerika ausgewanderten Deutschen und der Heiden unterrichtete. Beihilfe in der Lehre leistete auch Pfarrer Johann Tobias Müller zu Immeldorf.

Auch war zu Neuendettelsau in dem genannten Jahre eine Diaconissen - und Krankenanstalt errichtet worden, die erste lutherische Anstalt für diesen Zweck in Bayern. Der genannte Pfarrer im Verein mit dem praktischen Arzte Dr. Schilffarth von Windsbach und dem Anstaltscantor Georg Güttler von Neuendettelsau unterrichtete bereits zwölf Schülerinnen, von denen sich sieben dem eigentlichen Dienste der Diaconissen geheiligt hatten, fünf aber dieselbe Ausbildung genaßen, um in ihren gewöhnlichen heimatlichen Lebenskreisen, in den Häusern ihrer Eltern oder, wohin sie Gott führen würde, zum Dienste der Unmündigen und der Leidenden tüchig zu werden.

Damit diese Diaconissenanstalt ihre Zwecke desto beßer erreichen möchte, baute der im heutigen Jahre entstandene Verein für lutherische Diaconie in Bayern dieses Haus.

Vorsteherinnen dieses Vereins und der Diaconissenanstalt waren Jungfrau Karoline Rheineck von Memmingen, Jungfrau Amalie Rehm von Memmingen und Jungfrau Helene v. Meyer von Nürnberg. Vorstand im Helfercollegium des Vereins war Eduard Bachmann, Decan der lutherischen Diöcese Windsbach und Stadtpfarrer zu Windsbach. Vorsteherin des Collegiums der Helferinnen war dessen Gattin, Frau Emilie Bachmann.

Dieses Haus ist gebaut nicht aus dem Reichthum der Unternehmer, sondern auf Wagnis des göttlichen Wohlgefallens. Die Kosten37 des Baues wurden durch Geschenke, unverzinsliche und verzinsliche Darlehen aufgebracht. Durch nach und nach einkommende Geschenke sollen die Schulden bezahlt werden. Am Tage der heutigen Feier, wo bereits Keller und Sockel sammt dem Brunnen fertig waren, und die westliche Mauer sammt einem Theile der südwestlichen mehr als Fensterhöhe erreicht hatte, war Hoffnung vorhanden, daß der Herr der barmherzige Gott alle Sorge auf sich nehmen und unserem Vorhaben sein gnädiges Gedeihen schenken werde.

Dies Haus soll sein wie ein Altar des Zeugnisses auf dieser Höhe dem HErrn, dem dreieinigen Gott, dem Vater, Sohne und Geiste, zum Ruhm und Preis und Dank für seine ewige Barmherzigkeit und Gnade gegen uns arme Menschen auferbaut. Der Herr laße sich unsere arme Stiftung wohlgefallen und laße dies Haus Sein Haus sein, bis seine Zeit vorüber ist, und es wie alle irdischen Dinge dahin fallen wird. Es kann niemand einen andern Grund legen, als den, welcher auch diesem Hause gelegt ist, unseren einigen hochgelobten HErrn und Heiland Jesum von Nazareth, den Christus Gottes. Auf diesem Grunde soll bleiben dies Haus bis an sein Ende. Gesegnet seien die in diesem Hause und über diesem Grunde wohnen, wandeln, dienen, leiten und lehren! Gesegnet seien die Lernenden, die Uebenden, die Kranken, die Sterbenden auf diesem unserem einigen Grunde! Der Segen gehe aus von diesem Hause rings in dies Land wie die Quelle Siloah, die still ist und klein, und dennoch reich und hochberühmt im Hause Gottes! Gottes Gruß und Segen gehe in barmherziger dienender Liebe von diesem Hause aus in die vier Winde auf die Berge und in die Thäler und in die Breiten unseres Heimatlandes! Es sei auch Friede mit diesem Hause und mit denen, die drin wohnen, und das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes reinige uns von aller unserer Sünde! Amen.

     Neuendettelsau, den 23. Juni am Johannisvorabend 1854.

Karoline Rheineck. Amalie Rehm. Helene v. Mayer. Eduard Bachmann, Decan und Pfarrer von Windsbach. Dr. Schilffarth. Müller, Pfarrer zu Immeldorf. Kündinger, Pfarrer zu Petersaurach. Hensolt, Inspector des Pfarrwaisenhauses zu Windsbach. Fischer, Pfarrvicar zu Weißenbronn. Friedrich Bauer, Inspector der Missionsanstalt. Johann Georg Güttler, Anstaltscantor. Löhe, Pfarrer von Neuendettelau. Wilhelmine Hensolt. Sophie v. Tucher. Julie Bauer.

38

Nach geschehener Vorlesung des Documents richtete Decan Bachmann an Pfarrer Müller von Immeldorf die Aufforderung, die Kapsel mit dem Originale in das Gemäuer einzulegen und ein Wort der Weihe darüber zu sprechen. Demgemäß sprach dieser darauf die folgenden schönen Worte:

Im Namen des dreieinigen Gottes schließen wir nun diesen Grundstein und befehlen, wie es Christen geziemt, das Werk unserer Hände der gnädigen Hilfe dessen, der gesagt hat: Ohne mich könnet ihr nichts thun. Ganz abgesehen von der besondern Bestimmung des Hauses, das hier erbaut werden soll, führt an sich schon dieser, wie jeder andere Bau uns auf geistliche Betrachtungen, die wohl werth sind, daß wir, die leibliche Arbeit unterbrechend, einige Augenblicke dabei verweilen. Wer die heilige Schrift kennt, der weiß, wie so viele lehrhafte, mahnende, trostreiche Gleichnisse dieselbe von menschlichen Bauwerken hernimmt, Bilder, in welchen Leibliches geistlich gedeutet, das Irdische und Vergängliche im Lichte des Ewigen und Unvergänglichen verklärt wird. Können wir, meine Lieben, an die Aufgabe denken, der wir uns unterzogen haben, an das Wenige, was bereits gethan, und an das Viele, was noch zu thun ist, bis wir werden sagen können: Nun Gott lob! es ist vollbracht ohne uns des Psalmspruchs zu erinnern: Wo der HErr nicht das Haus bauet, da arbeiten umsonst, die daran bauen? Ja freilich, wenn Er zerbricht, so hilft kein Bauen: darum eben heben wir jetzt betende Herzen und Hände zu dem großen Gotte Himmels und der Erde empor, damit Er zu unserm Werke seinen Segen, zu unserm Wollen das Vollbringen gebe nach seinem Wohlgefallen. Der Grund des Hauses ist gelegt, und einen guten, sichern, festen Grund, wie ihn kluge Bauleute nur immer wählen können, haben wir hier gefunden; denn diese Steine ruhen auf Felsen, die unter ihrer Last nimmer weichen werden. Aber dieser Grund genügt uns nicht; wir wißen, daß wir eines noch festern, eines unbeweglichen bedürfen. Darum freuen wir uns der Verheißung: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist. (Jes. 28, 16.), und weil wir wißen, daß unsere Sache des HErrn ist, so dürfen wir Ihn, JEsum Christum, im Glauben bitten, daß Er selber mit seiner schaffenden, wirkenden, erhaltenden Gnade der Grund und Eckstein dieses Hauses sein wolle, damit es in seiner heiligen Obhut bleibe und bestehe. 39Des Sinnes sind wir ja doch alle, daß wir in Amt, Haus und Herz keinen andern Grund legen wollen, als den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau in einander gefüget, wächset zu einem heiligen Tempel des HErrn. Das wollen wir also, neben unserm Unvermögen, ohne Gottes Hilfe etwas ausrichten zu können, laut bezeugen, daß dieses Haus nur dann seiner Bestimmung werde genügen können, wenn Christus der HErr in demselben und in allen denen wohnt, wirkt und lebt, die in diesen Räumen wohnen, wirken und leben werden. So wird dieses Haus, wie wir es ja herzlich wünschen, der Gemeinde, in deren Mitte es aufgerichtet wird, der Umgegend, welcher es einen geistlichen Halt gewähren soll, der ganzen Landeskirche, der es dienen will, und über die engen Grenzen desselben hinaus noch vielen Andern zum Segen gereichen und ein Geruch des Lebens zum Leben wird von demselben ausgehen zur Ehre des HErrn, dessen Name hier bekannt wird. Eine Anstalt, welche wie diese dem Dienste geistlich und leiblich Leidender gewidmet ist, hat man schon lange als ein Bedürfnis für unsere Zustände erkannt; aber darauf kommt es an, daß das erkannte und tiefgefühlte Bedürfnis auch in rechter Weise befriedigt werde. Nun, der Anfang dazu ist im Glauben gemacht, im Glauben soll das Werk fortgeführt werden, damit es bestehe im Lichte der göttlichen Gnade. Heute, da wir dem bereits gelegten Grunde den Schlußstein einfügen, sprechen wir: Bis hieher hat der HErr geholfen! Und dabei haben wir die Zuversicht, daß hier Seine Hilfe noch nicht aus sein, Seine Barmherzigkeit noch kein Ende haben werde. Nein, wir wißen, sie wird auch ferner alle Morgen neu werden über die, so an dem Bau mit irdischem Material arbeiten, daß kein Unfall beim Fortführen desselben sie betreffe und Schaden und Gefahr von jedem ferne bleibe; sie wird immer wieder neu werden, die Barmherzigkeit unseres großen Gottes und Heilandes über die, so in dieses Haus dereinst einziehen werden, dem HErrn in seinen armen Gliedern da zu dienen, und zumal an denen wird Seine Liebe und Treue sich nicht unbezeugt laßen, die hieher ihre Zuflucht nehmen werden, um, wie sie’s bedürfen, leibliche und geistliche Genesung hier zu suchen und, will’s Gott, auch zu finden. Wir leben alle von der Gnade des HErrn, welche bei denen ist, die Seinem Namen trauen. Laßet uns Ihm die Ehre geben, so läßt Er uns nicht zu Schanden werden; laßet uns auf Ihn uns gründen und bauen, so wird unsere Arbeit nicht vergeblich sein in dem40 HErrn! Wie dieser Bau in die Höhe steigen wird, so müße unser Glaube, unsere Liebe, unsere Hoffnung wachsen; wie da Stein an Stein gefügt wird, so müßen wir als die lebendigen Steine uns bauen zum geistlichen Hause und zum heiligen Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind, durch JEsum Christum, und wie wir dieses Hauses uns freuen werden, wenn es mit des HErrn Hilfe aufgerichtet stehen wird, so müßen wir uns noch vielmehr freuen, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Spreche der HErr dazu sein gnädiges Amen! Unsere Hilfe stehet im Namen des HErrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Und der HErr, unser Gott, sei uns freundlich, und fördere das Werk unserer Hände bei uns, ja das Werk unserer Hände wolle Er fördern.

Hiemit wurde die Kapsel in den Grundstein eingelegt und derselbe Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes mit den drei üblichen Hammerschlägen geschloßen, auf welches sodann die Hammerschläge der übrigen Anwesenden in herkömmlicher Weise folgten.

Nachdem in solcher Weise der Grundstein geschloßen war, intonirte Herr Katechet Bauer die Schlußliturgie:

Einen andern Grund kann niemand legen, denn der gelegt ist. Chor: Hallelujah! Es ist in keinem andern das Heil. Chor: Hallelujah! Der Herr sei mit euch. Chor: Und mit deinem Geiste. Laßet uns beten:

O HErr, allmächtiger Gott, verleihe, daß alle, die aus diesem Grunde bauen und solchem Bau mit reinem Herzen dienen, am Leibe stark und heil an ihren Seelen ihrer Hände Arbeit im Segen thun und wohl vollbringen. Durch unsern HErrn JEsum Christum, Deinem Sohn, der mit Dir lebet und herrschet immer und ewiglich. Chor: Amen. Der HErr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände. Chor: Hallelujah. Ja das Werk unserer Hände wolle Er fördern. Chor: Hallelujah. Der HErr sei mit euch. Chor: Und mit deinem Geist.

41

Laßet uns beten:

All unser Thun, o HErr, wollest Du mit Deinem Geiste beginnen und durch Deine Hilfe fördern, auf daß unser Thun und Vornehmen stets mit Dir beginne und durch Dich zum guten End und Ziel gelange. Durch unsern HErrn JEsum Christum. Chor: Amen. Laßet uns benedeien den HErrn. Chor: Gott sei ewiglich Dank. Der HErr segne euch und behüte euch. Der HErr erleuchte sein Angesicht über euch und sei euch gnädig. Der HErr erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden. Chor: Amen.

Der Gesang von V. 4 u. 5 des Liedes: Fang dein Werk mit Jesu an schloß den Act.

Auf diese Weise wurde die Feier der Grundsteinlegung des Diaconissenhauses gehalten.

Der Bau nahm seinen erwünschten Fortgang, so daß man hoffte, ihn bis Ende Juli unter Dach zu sehen. Das 100 Fuß lange, zweistöckige Hauptgebäude nebst dem 65 Fuß langen Flügelbau glaubte man noch frühzeitig im Herbste beziehen zu können und auch den andern Flügel wollten Freunde auf ihre Kosten gerne noch herstellen laßen, wenn es nur möglich gewesen wäre. Allein man sah voraus, daß außer den 125,000 Backsteinen, die zu dem Hauptgebäude und dem einen Flügel noch erforderlich waren, für dieses Jahr kein weiteres Baumaterial mehr herbeizuschaffen war und mußte daher den Eifer bis in das nächste Jahr kühlen.

Eine vorzüglich dankenswerthe Gabe Gottes war schon damals ein ergiebiger Brunnen mit vortrefflichem Waßer. Bei der Höhe der Lage war man ängstlich geworden, als man 50 Fuß tief graben und arbeiten mußte, ehe sich nur Waßer zeigte. Die ganze Lage von Dettelsau ist so, daß man ringsum kein lebendiges Waßer zu finden wußte, denn die spärlichen Quellen, die man später fand, kannte man damals noch gar nicht, und wenn man sie gekannt hätte, hätten auch sie keine Hoffnung gegeben. Deshalb aber kam in die Seele42 der Bauunternehmer nicht der geringste Zweifel. Man baute freudig fort und traute dem von Tag zu Tag sich mehr offenbarenden Gottessegen ohne Wanken, bis man endlich so weit gekommen war, daß man am 20. September 1854 in einer öffentlichen Ankündigung für den 12. October, den Maximilianstag, die Freunde unseres Unternehmens zur öffentlichen Einweihungsfeier einladen konnte.

Alles wurde angewendet, dies Ziel zu erreichen und wir hatten damals in der That nicht zu klagen, daß uns viele Hindernisse entgegengekommen wären. Einen solchen Fleiß und Eifer der Bauleute haben wir späterhin nicht wieder zu sehen bekommen. Insonderheit hatten wir einen Haufen Schopflocher Maurer im Dienste, denen wir alles und jedes zumuthen durften, Arbeit des Nachts, wie Arbeit am Tage und eine ausnehmende freudige Willigkeit. Ueberhaupt aber sahen wir uns von allen Seiten unterstützt. Die Landleute der Gegend halfen und frohnten, wie man es aus früheren Zeiten bei Kirchenbauten zu hören gewohnt war, und wenn man sich zuweilen erinnerte, daß man am 9. Mai noch in der Sonne wohnte, am St. Johannisabend den Grundstein legte und nun bereits am 20. September die gesicherte Hoffnung hatte, am 12. October einen verhältnißmäßig so großen Bau einzuweihen und gleich zu beziehen, so schien es, als hätte Gott der Herr selbst unmittelbar zur Sache geholfen. Alles freute sich auf das schöne Ende der schön gewesenen Bauzeit. Als nun aber der Maximilianstag herzukam, da drohte die Freude zu Waßer zu werden. Der heitere Himmel umwölkte sich und die ganze Gegend wurde in strömenden Regen eingehüllt, so daß Weg und Land durchweicht wurden und bald ernstliche Zweifel erwachten, ob es wirklich zu einem Feste, geschweige zu einem großen Festzuge würde kommen können. Dennoch aber sammelte sich’s von nah und fern zur43 Feier. Weg, Wetter und Regen boten kein Hindernis, und wir erlebten es, mitten im Schmutze eines armen Dorfes ein überaus fröhliches Freudenfest zu feiern. Am ersten November des Jahres 1854 erschien in dem Correspondenzblatt der Gesellschaft für innere Mission eine Beschreibung des fröhlichen Festes, die wir hier wiedergeben wollen und die wir, wenn es nicht des Guten gar zu viel wäre, noch dadurch erhöhen könnten, daß wir sie mit manch schöner Stelle aus einer andern damals erschienen Beschreibung (siehe das Blatt Nr. 42 vom 19. October 1854 in Wiener’s evangelisch lutherischer Kirchenzeitung in Bayern) versetzen würden. Das Correspondenzblatt referirt in folgender Weise:

Schon am Tage vor der Einweihung waren viele Freunde des Werks, so viel ihrer in den beschränkten Räumen des Dorfes Herberge finden konnten, eingetroffen. Der Nachmittag und Abend bot den versammelten Gästen, meist Geistlichen von nah und ferne, Gelegenheit, diese und jene wichtige Angelegenheit der Kirche zu besprechen und im brüderlichen Kreise der Einigkeit des Geistes und Glaubens sich recht bewußt und dessen froh zu werden.

Der Morgen des Festtages brachte der Gäste mehr, und der Gottesdienst am Morgen des Maximilianstages vereinigte sie zu ernster Feier. Pfarrer Löhe predigte über Ps. 73, 25 und 26: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde etc. und führte mit eindringlichen Worten den Hörern die Wahrheit zu Gemüthe, wie wenig der Mensch Ursache habe, und wie wenig es Befriedigung gebe, mit Wohlgefallen in seinen Werken, statt allein in Gott, zu beruhen; wie der nur der Lehre von der Rechtfertigung mit ganzem Glauben zufalle, der in Abgeschiedenheit von allen Dingen aller Dinge wahren Werth erkennend sich allein an seinem Gott in Christo Jesu genügen laße; wie eben daraus das Maß und die Kraft und der Segen der rechten Liebe fließe, daß sie nichts anderes suche, als Jesu Ehre und der Brüder Heil etc.

Mit jeder Stunde des Tages mehrte sich die Zahl der Festgäste, wiewohl vom frühen Morgen an der Himmel in Strömen sich ergoß, als wollte er Ströme des Gnadenregens für die junge Pflanzung44 weißagen, für die heute so viele Gebete zum Himmel aufsteigen sollten. So manche Beschwerde dieser Umstand auch brachte, so war doch nicht zu bemerken, daß er die freudige Feststimmung bei Gästen und Einheimischen verscheuchte.

Ein einfaches Mittagsmahl von ungefähr 80 Gedecken in dem Gasthause und in dem Locale, welches bisher den Vorsteherinnen und Schülerinnen der Diaconissenanstalt zum Aufenthalt gedient hatte, vereinigte die namhaftesten anwesenden Festgäste. Die Frauen des Hauses dienten zu Tische und alle freuten sich der lieblichen Tischgemeinschaft von glaubenseinigen Brüdern und Schwestern im HErrn.

Um 2 Uhr Nachmittags sollte die eigentliche Festfeier beginnen. Der Regen hatte es unmöglich gemacht, sie vor dem Hause, das eingeweiht werden sollte, abzuhalten. Man versammelte sich daher zu der festgesetzten Stunde im Gotteshaus. Aber dieses vermochte die Menge der Theilnehmenden nicht zu faßen, so daß viele draußen im Regen stehen mußten. Die Feier wurde eröffnet mit Gesang und der Festrede des Herrn Decans Bachmann von Windsbach, in welcher er mit Anschluß an Luc. 5, 17 26. das Verhältnis des Festhauses zum Reiche Gottes auseinandersetzte und den Inhalt der Ermahnungen, die er mit wohlthuender Wärme allen an’s Herz legte, in die ähnlich klingenden und innerlich verwandten Worte Gébet und Gebét zusammenfaßte. Darauf folgte eine Reihe von Liedern und Lectionen, welche letztere theils aus der Schrift, theils aus den Vätern unserer Kirche genommen, theils eigens dazu gefertigt waren. Sie waren gedruckt in aller Händen und wurden mit spürbar steigender Erbauung aus dem Munde der verschiedenen dazu aufgestellten Lectoren, Schülern der Missionsanstalt, von der Versammlung vernommen und aus tiefster Seele mit mächtigem Liederschall erwiedert. Ein kräftiges von der ganzen Versammlung gesungenes Te Deum machte den Schluß dieses gewis an jeder Seele gesegneten Festtheiles. Namentlich für diejenigen, welche nicht beiwohnen konnten und nicht in Besitz dieses Erinnerungsblattes sind, laßen wir den Gedankengang folgen, welcher der Wahl der Lectionen zu Grunde lag.

  • 1. Lect. Matth. 20, 20 28. Der Dienst des HErrn in der Erlösung der Welt.
  • 2. Lect. Joh. 13, 4 17. Der Dienst des HErrn im täglichen Fußwaschen.
  • 45
  • 3. Lect. Matth. 25, 31 46. Seine Forderung an die Kirche, Ihm im Dienste und in der Barmherzigkeit nachzufolgen.
  • 4. Lect. Aus Scriver’s Seelenschatz. Daß Anschlagen verwandter Saiten anzudeuten, daß die Noth des Christen im Herzen des HErrn und der Brüder wiederklingt.
  • 5. Lect. Aus Scriver. Der Barmherzigkeit Art, Beschaffenheit und verschiedene Erweisung.
  • 6. Lect. Aus Heinrich Müller. Freiwilligkeit der Barmherzigkeit.
  • 7. Lect. Das hohe Beispiel Jesu und seiner Apostel in der Barmherzigkeit.
  • 8. Lect. Das Beispiel der Helden in der Barmherzigkeit, die sich des fränkischen Volkes angenommen und es zu Christo und einem beßeren Leben führten.
  • 9. Lect. Das Beispiel heiliger Freunde, insonderheit der Diaconissin von Franken, der h. Walpurgis.

Von der Kirche aus setzte sich der Festzug in Bewegung in folgender Ordnung: Den Zug eröffneten die Werkleute, dann folgte der Chor: die Schuljugend der Gemeinde, die Schüler des Windsbacher Waisenhauses, die Missionszöglinge, dann die Kirchenvorstände der Gemeinde Neuendettelsau. Darauf folgten die Helferinnen der Muttergesellschaft, die Vorsteherinnen und Schülerinnen der Anstalt; sodann die Lehrer der Anstalt mit den Helfern der Gesellschaft. An sie schloßen sich in langen Zügen die weiblichen und endlich die männlichen Festgäste an. Der Anblick des festlich mit Blumen und Kränzen geschmückten Hauses, das in ländlicher Einfalt den erhabenen Ernst seiner Bestimmung unverkennbar an der Stirne trägt, bewegte sichtlich alle Gemüther.

Angesichts des wohlgelungenen Werkes, das aus seiner Höhe mit dem Panier des Kreuzes weit hin in die fränkischen Gauen leuchtet als ein Denkmal des Glaubens und aufopfernder barmherziger Liebe, war es ein Kleines, des durch den Regen verschlechterten Weges mit seinen Beschwerden zu vergeßen. Der Regen hatte nachgelaßen. Alles stellte sich vor dem Hause auf. Nach dem Liede Jesu geh Voran, das für diesen Zweck wie gemacht schien, betrat Decan Bachmann die obersten Stufen des Eingangs, öffnete im Namen des dreieinigen46 Gottes die Thüre und sprach in ergreifenden Worten den Segen über die Diaconissen mit ihren Vorsteherinnen, die unter allgemeiner Theilnahme und Bewegung der Versammelten ihren feierlichen Einzug in das Haus hielten. Man trat nunmehr in der Ordnung des Zugs in das Haus ein und besah sich die Räume desselben mit Lust. Von dem Betsaale, der besonders das Auge des Beschauers aus sich zog, erschallte lieblich und kräftig der Gesang geistlicher Lieder. Es waren Choräle und Sätze aus den Meisterwerken kirchlicher Tonsetzer des 16. und 17. Jahrhunderts. In einem der Zimmer, welche man durchwanderte, waren die Geschenke ausgestellt, welche die Lieben von nah und ferne dem Hause gespendet hatten. Was für Anklang dieses Werk der Liebe in den Herzen unseres Volkes gesunden, beweist der Umstand, daß an dem einzigen Tage an Geldgeschenken 433 fl. geopfert wurden.

Nach der Besichtigung des Hauses begann mit eintretender Dunkelheit der dritte Theil des Festes, der erste Hausgottesdienst im Betsaale. Zum Gebete fühlten sich alle Herzen gedrungen, zum Gebete für das Haus und für alle, die in diesen Räumen Trost und Hilfe suchen würden. Dieser Stimmung gab Pfarrer Löhe den angemessenen Ausdruck. Nach dem Liede: Christe, du Lamm Gottes setzte er in einem Vortrag auseinander, was dies Haus soll und will, zu keinem andern Zweck, als damit die Theilnehmenden recht einig um die Erfüllung der Ausgabe dieses Hauses beten könnten. Nachdem so die Andacht ihre bestimmte Richtung empfangen hatte, wurde die Litanei mit eingeschalteten Bitten, die sich auf den Zweck und das Leben in der Anstalt bezogen, von der feiernden Menge gebetet mit einer Macht und einträchtiger Gewalt der Stimmen, daß das Haus erbebte. Vaterunser und Segen und das Lied Jerusalem du hochgebaute Stadt beschloß diese reich gesegnete Stunde.

Die größte Lieblichkeit aber bot den Hausgenoßen und den ihnen zunächststehenden Freunden das Liebesmahl, welches die Herzen erst recht zur Freude und zum Dank gegen den HErrn für alle seine Liebe und Treue, die er an uns gethan und zu inniger Liebe gegen die Brüder und Schwestern, die sich nie so einig fühlten, erschloß. Angesichts des Altars mit den brennenden Kerzen, die Gegenwart des HErrn versinnbildlichend, saßen in dem geräumigen und wohlerleuchteten Betsaale die Wittwen und Armen der Gemeinde mit ihrem treuen Hirten in der Mitte, über hundert Tischgenoßen beim einfachen, aber47 vom Geiste der Jesus - und Bruder-Liebe reichlich gewürzten Mahle. Das erste Gericht, welches die dienende Liebe auftrug, war eine wohlschmeckende kräftig bereitete Rumford’sche Suppe, der Anfang einer besonderen Stiftung einer Suppenanstalt für die Armen und Kranken der Gemeinde und für die Kinder aus eingepfarrten Orten, welchen am Sonntag die Möglichkeit gewährt werden soll, zweimal den Gottesdienst zu besuchen. Mit lieblichen Gesprächen wechselten in kurzen Zwischenräumen Lob und Danklieder, und die Verlesung etlicher zu diesem Zweck gesandter Gedichte voll geistlicher Salbung. Man konnte die Gemeinschaft der Heiligen spüren und genießen, man konnte ahnen, maß es um die geistlichen Liebesmahle in der apostolischen Zeit Erhebendes und Liebliches gewesen sein mag. Man trennte sich im Gefühle geistlicher und leiblicher Befriedigung und Erquickung mit Freude und Dank gegen Gott der auch diesen Tag so gesegnet hatte, daß nichts die reine Freude stören und trüben konnte, und mit dem innigsten Wunsche, daß der Geist der Liebe und Einigkeit von diesem Haus in’s ganze Land ausgehen und insonderheit den Armen und Elenden eine reiche Trost und Segensquelle werden möge.

Damals erschien ein Erinnerungsblatt für Festgäste, welches von den Gästen nach allen Seiten hin mit fortgetragen wurde und das wir nach dem bereits oben seiner Erwähnung gethan worden ist, auch hier zur Erinnerung für unsere Freunde noch einmal abdrucken lassen wollen.

Beilage III. Lieder und Lectionen zur Eröffnungsfeierlichkeit des Diaconissenhauses zu Neuendettelsau.

I. Eingang.

1.

Nun lob, mein Seel, den Herren,
Was in mir ist, den Namen sein.
Sein Wohlthat thut er mehren:
Vergiß es nicht, o Herze mein!
48
Hat dir dein Sünd vergeben
Und heilt dein Schwachheit groß,
Errett dein armes Leben,
Nimmt dich in seinen Schooß,
Mit rechtem Trost beschüttet,
Verjüngt dem Adler gleich.
Der König schafft Recht,
Behütet die Leidenden im Reich.
Er hat uns wißen laßen
Sein heilig Recht und sein Gericht,
Dazu sein Güt ohn Maßen;
Es mangelt an Erbarmung nicht,
Sein Zorn läßt er wohl fahren,
Straft nicht nach unsrer Schuld;
Die Gnad thut er nicht sparen,
Den Blöden ist er hold.
Sein Güt ist hoch erhaben
Ob den, die fürchten ihn;
So fern der Ost vom Abend,
Ist unsre Sünd dahin.
Wie sich ein Mann erbarmet
Ueber sein junge Kinderlein:
So thut der Herr uns Armen,
So wir ihn kindlich fürchten rein.
Er kennt das arm Gemächte,
Und weiß, wir sind nur Staub,
Gleichwie das Gras, von Rechte
*)von Rechts wegen.
*),
Ein Blum und fallend Laub:
Der Wind nur drüber wehet,
So ist es nimmer da,
Also der Mensch vergehet,
Sein End das ist ihm nah.
Die Gottes Gnad alleine
Bleibt stät und fest in Ewigkeit
Bei seiner liebn Gemeine,
Die steht in seine Furcht bereit,
49
Die seinen Bund behalten.
Er herrscht im Himmelreich:
Ihr starken Engel waltet
Seins Lobs, und dient zugleich
Dem großen Herrn zu Ehren
Und treibt sein heiligs Wort:
Mein Seel soll auch vermehren
Sein Lob an allem Ort.
Joh. Gramann (Poliander) geb. 1487, 1541.

2. Eröffnungsrede des Herrn Decan Bachmann.

II. Lectionen.

3.

Mel.: Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich etc.

Wohlauf, mein Herze, sing und spring
Und habe guten Muth!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
Ist selbst und bleibt dein Gut.
Er ist dein Schatz, dein Erb und Theil,
Dein Glanz und Freudenlicht,
Dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil,
Schafft Rath und läßt dich nicht.

4. 1. Lection. Matth. 20, 20 28.

So schreibt der heilige Apostel Matthäus im 20. Kapitel:

Da trat zu ihm die Mutter der Kinder Zebedäi mit ihren Söhnen, fiel vor ihm nieder und bat etwas von ihm.

Und er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu ihm: Laß diese meine zween Söhne sitzen in deinem Reiche, einen zu deiner Rechten, und den andern zu deiner Linken.

50

Aber JEsus antwortete und sprach: Ihr wisset nicht, was ihr bittet. Könnet ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde, und euch laufen lassen mit der Taufe, da ich mit getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja wohl.

Und er sprach zu ihnen: Meinen Kelch sollt ihr zwar trinken, und mit der Taufe, da ich mit getauft werde, sollt ihr getauft werden; aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, stehet mir nicht zu, sondern denen es bereitet ist von meinem Vater.

Da das die Zehn höreten, wurden sie unwillig über die zween Brüder.

Aber JEsus rief sie zu sich und sprach: Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt.

So soll es nicht sein unter euch; sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener.

Und wer da will der vornehmste sein, der sei euer Knecht.

Gleichwie des Menschen Sohn ist nicht kommen, daß er ihm dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

5.

Mel.: An Waßerflüßen Babylon etc.

Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Der Welt und ihrer Kinder;
Es geht und träget mit Geduld,
Die Sünden aller Sünder:
Es geht dahin, wird matt und krank,
Ergibt sich auf die Würgebank,
Verzeiht sich aller Freuden;
Es nimmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod,
Und spricht: Ich will’s gern leiden.

6. 2. Lection. Joh. 13, 1 17.

So schreibt der heilige Apostel Johannes im 13. Kapitel:

Vor dem Fest aber der Ostern, da Jesue erkennete, daß seine Zeit kommen war, daß er aus dieser Welt ginge zum Vater; wie er51 hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie an’s Ende.

Und nach dem Abendessen, da schon der Teufel hatte dem Juda Simonis Ischarioth in’s Herz gegeben, daß er ihn verriethe.

Wußte JEsus, daß ihm der Vater hatte alles in seine Hände gegeben, und daß er von Gott kommen war, und zu Gott ging:

Stund er vom Abendmahl auf, legte seine Kleider ab, und nahm einen Schutz, und umgürtete sich.

Darnach goß er Waßer in ein Becken, hub an den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, damit er umgürtet war.

Da kam er zu Simon Petro, und derselbige sprach zu ihm: HErr, solltest du mir meine Füße waschen?

JEsus antwortete und sprach zu ihm: Was ich thue, das weißest du jetzt nicht; du wirst’s aber hernach erfahren.

Da sprach Petrus zu ihm: nimmermehr sollst du mir die Füße waschen. JEsus antwortete ihm: Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit mir.

Spricht zu ihm Simon Petrus: HErr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt.

Spricht JEsus zu ihm: Wer gewaschen ist, der darf nicht, denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.

Denn er wußte seinen Verräther wohl; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.

Da er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider, und setzte sich wieder nieder, und sprach abermal zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch gethan habe?

Ihr heißet mich Meister und HErr, und saget recht daran; denn ich bin’s auch.

So nun ich, euer HErr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen.

Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr, noch der Apostel größer, denn der ihn gesandt hat.

So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr’s thut.

52

7.

Herzlich lieb hab ich dich, o Herr!
Ich bitt, wollst sein von mir nicht fern
Mit deiner Güt und Gnaden!
Die ganze Welt nicht freuet mich,
Nach Himm’l und Erden nicht frag ich,
Wenn ich dich nur kann haben.
Und wenn mir gleich mein Herz zerbricht,
So bist doch du mein Zuversicht,
Mein Theil und meines Herzens Trost,
Der mich durch sein Blut hat erlöst.
Herr Jesu Christ, mein Gott und Herr,
Mein Gott und Herr,
In Schanden laß mich nimmermehr.

8. 3. Lection. Matth. 25, 31 46.

So schreibt der heilige Apostel Matthäus im 25. Kapitel:

Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heilige Engel mit ihm, dann wird er sitzen, auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit,

Und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet,

Und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, und die Böcke zur Linken.

Da wird denn der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.

Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget.

Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir kommen.

53

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: HErr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dich gespeiset? oder durstig und haben dich getränket?

Wann haben wir dich einen Gast gesehen und beherberget? oder nackend und haben dich bekleidet?

Wann haben wir dich krank oder gefangen gesehen, und sind zu dir kommen?

Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mit gethan.

Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.

Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränket.

Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet.

Da werden sie ihm auch antworten und sagen: HErr, wann haben wir dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und haben dir nicht gedienet?

Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr nicht gethan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan.

Und sie werden in die ewige Pein gehen: aber die Gerechten in das ewige Leben.

9.

Es ist ja, Herr, dein G’schenk und Gab
Mein Leib und Seel und was ich hab
In diesem armen Leben;
Damit ich’s brauch zum Lobe dein,
Zu Nutz und Dienst des Nächsten mein,
Wollst mir dein Gnade geben!
Behüt mich, Herr, vor falscher Lehr,
Des Satans Mord und Lügen wehr,
In allem Kreuz erhalte mich,
54
Auf daß ich’s trag geduldiglich!
Herr Jesu Christ, mein Herr und Gott,
Mein Herr und Gott,
Tröst mir mein Seel in Todesnoth.

10. 4. Lection.

So predigt der treue Prediger Christian Scriver in Seelenschatz:

Die Erfahrung lehrt, wenn man zwei Lauten neben einander auf den Tisch legt und auf der einen eine Saite berührt, daß sie erschallet, daß auf der anderen die Saite, welche mit der berührten gleichstimmig ist oder in einem Tone steht, sich auch bewegt, als wenn sie auch berührt wäre. Gelahrte Leute berichten, man könne das sehen, wenn man die zweite Saite mit einem Papierblättchen belege, welches alsdann bei Berührung der ersten herabfalle. Die gelahrten Naturkündiger haben über dieses Geheimnis viele Gedanken und bemühen sich, die Ursache zu erforschen, ich weiß aber nicht, ob sie einem sinnreichen Kopf mit aller ihrer Bemühung Vergnügen schaffen werden. Wir haben dieses Naturwunder darum zuvörderst auf die Bahn gebracht, daß es uns eine gute Erinnerung in unserem Christenthum geben soll, maßen es uns gar schön vorstellen kann die Gemeinschaft Christi und seiner Heiligen, wie auch dieser unter einander. Der HErr Jesus, der ewige Sohn Gottes, nachdem er aus großer Liebe zu den Menschen ein Mensch geworden, hat eine so genaue Verwandtschaft mit seinen Heiligen, daß unser Herz nichts berühren kann, das nicht zugleich sein Herz treffen sollte: wann den Seinigen hienieden auf Erden etwas widerfährt, es sei Gutes oder Böses, so empfindet er’s alsbald, ob er wohl zur Rechten der Majestät im Himmel sitzt. Wer den Seinigen eine Wohlthat erweist, der hat’s ihm selbst gethan; wer aber sie verfolgt, betrübt und beleidigt, der hat ihn verfolgt und betrübt, wie er selbst bezeugt, wenn er lehrt, daß er am großen Gerichtstage zu den milden Wohlthätern seiner Gläubigen werde sagen: Was ihr gethan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir gethan. Und wie nun zwischen dem HErrn Jesus und seinen Gläubigen eine so genaue Verwandtschaft ist, also findet sie sich auch unter den Gläubigen, denn weil sie Glieder eines geistlichen Leibes sind und Eine Seele, Christum Jesum nämlich, und seinen Geist, Ein Herz und Einen Sinn haben, so kann eines ohne das andere wie die55 Saiten auf der Laute nicht berührt werden. Sie empfinden eines des andern Noth an ihrem Herzen: sie haben ein herzliches Mitleiden mit einander, wenn’s übel geht; sie freuen sich aber mit einander, wenn’s wohl geht; sie sind barmherzig und gut, thätig und dienen einander willig mit der Gabe, die sie empfangen haben. Die Erfahrung bezeugt es, daß manchmal den Eltern das Herz weh thut, wenn es ihren Kindern, die in der Fremde oder sonst von ihnen entfernt sind, nicht wohl geht. Dergleichen widerfährt mancher christlichen Seele: Es ist oft ihr Herz so beklommen und ängstigt sich in ihnen, daß sie nicht wißen, wo sie sich laßen sollen, ob sie wohl manchmal nicht errathen können, was die Ursache sei. Ich halte aber dafür, wenn die Kirche zuweilen an einem Ort bedrängt wird, oder sonst die Trübsal vieler Orten überhand nimmt, daß die Gläubigen damit überschwemmt und hoch beschwert werden; so empfinden es die andern an ihrem Herzen, damit sie zum Seufzen und zum Beten angemahnt werden; darum auch in solcher Bangigkeit nichts Beßeres ist, als daß man seine eigenen, seiner Angehörigen, seiner Glaubensgenoßen und aller seiner Mitchristen Noth, sie seien nahe oder ferne, dem lieben Gott mit eifrigem Seufzen vortrage und um Hilf und Rettung schreie. Dies gibt nun eine Warnung an die Gottlosen, einen Trost aber und Unterricht an die Frommen. Die Gottlosen müßen wißen, daß die heiligen Kinder Gottes auf Erden alle für Einen Mann stehen: sie glauben mit einander, sie beten, sie seufzen, sie weinen, sie freuen sich mit einander, sie helfen einander nicht mit Geschoßen und Schwertern, sondern mit ihren Thränen und Flehen: wer einen betrübt, der betrübt sie alle; wer des einen Thränen und Seufzen auf sich lädt, der muß ein gleiches von allen erwarten. Dies achtet zwar und versteht die Welt nicht, sie wird es aber oftmals inne, daß die Thränen der Gläubigen zur Fluth und zum gewaltigen Strom, die Seufzer aber zum starken Sturmwind werden, dadurch alle ihre Pracht und Herrlichkeit, aller Trotz und Frevel unverhofft über den Haufen geworfen werden. Tröstlich aber ist es den Frommen, zu wißen, daß sie so viele Fürbitter haben, als rechtschaffene Christen auf Erden leben, und wenn ihnen dünkt, ihr armes Gebet sei gar zu schwach, es könne nicht viel ausrichten; so bedenken sie billig, daß viel tausend gläubige Seelen neben ihnen vor Gott mit mit ihrem Gebete liegen. Aus vielen kleinen nun wird ein großes, und wenn eines Gerechten Gebet, wenn’s ernstlich ist, so viel vermag,56 was sollte nicht die Menge der Gläubigen mit ihrem gesammten Seufzen ausrichten? Bist du dann arm, verlaßen, betrübt, angefochten, krank, verfolgt, gefangen? Gedenke, wenn etwa deine Noth so groß wäre, daß du nicht recht beten könntest, wie in Schrecken, Krankheiten und schweren Anfechtungen wohl geschieht, daß die ganze Menge der Gläubigen täglich bittet für die armen, elenden und verlaßenen, für die angefochtenen Herzen und beängstigten Gewißen, für die Kranken, für die unschuldig Gefangenen, für die Verfolgten und Bedrängten etc., welches allgemeine Gebet seinen großen Nutzen hat, dessen alle, die in der Gemeinschaft Christi sind, vornehmlich, und dann auch öfters, die noch nicht drinnen sind, genießen. Der Unterricht aber oder die Lehre ist diese, daß alle gläubigen Seelen nothwendig müßen mitleidig, barmherzig und gutthätig sein. Sie müßen ihres Nächsten Noth mit einem liebreichen Herzen ansehen und sich straks geneigt befinden, demselben mit Rath, Hilf und Trost beizuspringen. Die aber hartes Herzens sind und ihres Nächsten Noth nicht empfinden oder achten, die haben nicht Ursach, von ihrem Christenthum sich allzugroße Hoffnung zu machen.

Erster Knabe:

Das ist gewislich wahr. Christen sind Glieder am Leibe Christi. Ein Glied fühlet des andern Schmerzen. Weinen die Augen, so kommen alsbald die Hände und trocknen sie. Christen kennen sich unter einander, denn sie haben alle Christum angezogen. Kommt ein dürftiger Bruder zu ihnen, so sprechen sie: den kenn ich wohl an seinem Kleide, der ist mein HErr Jesus; sie eilen ihm entgegen und dienen ihm. Auch wohnt Ein Geist in allen Gläubigen, der verbindet ihre Herzen und zündet ein heimliches Flämmlein an, daß der eine dem andern in Gott hold und günstig wird.

Zweiter Knabe:

Amen, das ist gewislich war. Du darfst also nicht fragen, was du thun sollst äußerlich: siehe auf deinen Nächsten, da wirst du zu thun finden, und wenn dein tausend wären. Verführe dich nur selbst nicht; denke nur nicht, daß du mit Beten und Kirchengehen oder Stiften oder Gedächtnissen wirst gen Himmel kommen, so du vor deinem Nächsten übergehest. Gehst du vor ihm über, so wird er dort im Wege liegen, daß du mußt wieder vor des Himmels Pforte übergehen wie der reiche Mann.

57

11.

Mel.: Nun komm der Heiden Heiland etc.

Bind zusammen Herz und Herz;
Laß uns trennen keinen Schmerz;
Knüpfe selbst durch deine Hand
Das geweihte Brüderband.
Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit
Sei dem Höchsten allezeit,
Der, wie er ist Drei in Ein,
Uns in ihm läßt Eines sein!

12. 5. Lection.

So predigt der treue Prediger Christian Scriver:

Wir wollen nun hören und kürzlich betrachten die Beschaffenheit der Barmherzigkeit und was sie für eine Tugend sei. Die Barmherzigkeit ist eine mitleidende Liebe und eine Bereitwilligkeit, dem Nächsten mit Rath, Hilfe und Trost beizuspringen, wenn er in Noth gerathen ist. Die Liebe insgemein betrachtet den Menschen in allem Zustand und sehnt sich, ihm Gutes zu erweisen; die Barmherzigkeit aber ist vornehmlich geschäftig und erzeigt sich, wenn sie ihn in Trübsal und Elend findet. Eine Mutter liebt ihr Kind allezeit und begleitet es mit ihrem Herzen und Augen allenthalben; wird es aber krank, so wird die Liebe gleichsam heftiger und erzeigt sich auf eine ausnehmende Weise: sie hebt und trägt das Kind; sie pflegt und wartet sein; sie spricht ihm freundlich zu; sie netzt es manchmal mit ihren Thränen, wann es matt und kraftlos in ihrem Schooße liegt, sie erquickt es und hilft ihm, wie sie kann und mag und wünscht, daß es bald aus der Gefahr gerißen und zu voriger Gesundheit gelangen möge. Dies alles thut sie aus innerlichem Antrieb ihres mütterlichen Herzens, welches die Noth des Kindes empfindet und seine Schmerzen gleichsam fühlt. So ist es auch mit der christlichen Liebe. Sie ist zwar allezeit auf den Nächsten gerichtet und hält ihn theuer und werth in ihrem Herzen; wenn er aber in Krankheit, in Armuth, in Verfolgung, in hartem Gefängnis und andrer Bedrängnis steckt; so wird sie desto brünstiger und trachtet, ihm auf allerlei Art, nach äußerstem Vermögen zu helfen,58 entweder mit gutem Rath, oder mit wirklicher Hilfe, oder mit trostreichem Zusprechen, oder doch mit herzlichem Gebet und Seufzen.

Wie nun die Noth des Nächsten mancherlei ist, also findet die Barmherzigkeit auch immer zu thun, sonderlich in diesen letzten schweren und betrübten Zeiten, da ich nicht weiß, ob irgend ein recht christliches Herz jemals stille sein kann, es muß immer wallen, jammern, helfen, rathen und trösten, weil alles mit Armuth und Elend, Trübsal, Angst und Noth erfüllet ist. Bald kommt ihm vor ein armer Mensch, der mit seiner täglichen schweren Arbeit es nirgends hinbringen kann, welchen die Kriegsdrangsale, Krankheiten oder andere Unfälle ganz ausgemergelt haben, dessen Kinder nackend gehen und nach Brod schreien: da muß es helfen speisen, tränken, kleiden und das verzagte Herz stärken. Bald findet sich eine arme Wittwe mit einem Häuflein verlaßener Waisen: diese muß es in ihrer Trübsal besuchen und sich ihrer nach Vermögen treulich annehmen. Bald hört es von einem Bedrängten, und durch Ungerechtigkeit und Gewaltthätigkeit hochbeleidigten Menschen: da muß es ein Fürsprecher werden und ihn nach Möglichkeiten schützen, vertheidigen und erretten, oder doch wenigstens nebst ihm über die Bosheit der Welt seufzen und ihm tröstlich sein. Bald sagt man ihm von einem Kranken, der in einem schweren und langwierigen Lager fast kleinmüthig und trostlos geworden ist: den muß es besuchen und sein Arzt und Pfleger werden und nach Vermögen dahin sehen, daß er entweder von der Krankheit befreit oder doch mit nothwendiger Pflege versehen und nicht hilflos gelaßen werde. Zuweilen wird ihm kund gethan, daß ein angefochtenes und beängstetes Gewißen in der Nähe sei: hat es nun Erfahrung und weiß, wie einem solchen Herzen zu Muthe und wie ihm beizukommen und zu helfen ist, so hilft es mit liebreicher Seele; wo nicht, so setzt es seine Seufzer und Thränen bei ihm auf und ruft ängstiglich zu Gott um Trost und Hilfe. Hört es dann von einigen, die unschuldigerweise verstrickt oder in barbarische Dienstbarkeit verfallen sind, so gedenkt es der Gebundenen als Mitgebundener; es trägt gerne bei, was es kann, zu ihrer Erlösung mit Fürbitt und wirklicher Hilfe und ruft Gott an, daß er sie im Glauben erhalten und ihnen beständige Geduld bis an ihr Ende geben wolle. Hört es dann von einem Sterbenden, so wohnt es ihm gern mit seinem Gebete, Pflege und Trost bei bis an’s Ende; und wenn das erfolgt ist, hilft es nach allem Vermögen den Leib christlich und ehrlich zu bestatten.

59

13.

Mel.: Jesu, meine Freude etc.

Goldner Himmelsregen,
Schütte deinen Segen
Auf das Kirchenfeld;
Laße Ströme fließen,
Die das Land begießen,
Wo dein Wort hinfällt,
Und verleih,
Daß es gedeih;
Hundertfältig Frucht zu bringen,
Laß ihm stets gelingen.

14. 6. Lection.

So schreibt der treffliche Lehrer Heinrich Müller:

Es muß aber die Uebung der Barmherzigkeit geschehen mit Lust und Willen. Uebet Jemand Barmherzigkeit, spricht Paulus Röm. 12, 8., so thue er’s mit Lust. Der Wille ist das Fett in diesem Opfer. Ein barmherziger Mensch sucht und nöthigt die Dürftigen zu seiner Tafel. Am berührten Ort ermahnt Paulus, daß wir die Gastfreundschaft verfolgen sollen v. 13. Wenn die Armen vor uns fliehen, sollen wir sie verfolgen; wenn die Elenden wollen vorübergehen, sollen wir sie nöthigen, wie Lot die Engel und wie die Jünger, die nach Emmaus gingen, den HErrn Jesus: wir sollen sie um Gotteswillen bitten und so in’s Haus ziehen, denn wir bringen einen solchen Segen in’s Haus, der beßer ist als die ganze Welt. Darum sollen wir ihm nachlaufen und sprechen: Ach, lieber Bruder, warum willst du vorübergehen und mein Haus ungesegnet laßen. Ich laße Dich nicht, Du segnest mich denn. Wir sollen williger sein zu geben, als die Armen zu bitten, sollen ihnen zuvorkommen, ehe sie noch bitten, auf daß wir Gottes Natur an uns haben. Darf man doch auch vor einen guten Brunnen nicht treten und ihm sein Waßer abbitten oder abweinen, er steht allen offen und gibt sein Waßer von sich selbst, denn die innere Quelle leitet immer mehr zu. So lange inwendig die Liebesquelle nicht versiegt, ist ein Christ von außen wie ein Brunnen, der allen sein Waßer bietet: er gleichet darin dem Urbrunnen aller Güte, seinem Gott.

60

Erster Knabe:

Ja wahrlich, schreibt Heinrich Müller an einem andern Ort, keine Tugend gefällt Gott beßer, keine Tugend wird am jüngsten Tage vor aller Welt mehr gerühmt werden als die Barmherzigkeit; denn Gott ist ein Vater der Natur: wer sich der elenden Natur annimmt, der nimmt sich Gottes an. Darum hat Gott im Gesetz geboten, daß man von den Aeckern und Weinbergen die Frucht soll nicht zu genau ablesen, sondern den Armen und Fremdlingen auch ein Träublein hangen laßen, daß man alle 3 Jahre den Zehenten absondern und den armen Wittwen und Waisen geben sollte. Mit welch süßen Worten lockt uns die Schrift zur Barmherzigkeit! Salomo spricht: Wer sich des Armen erbarmet, der leihet’s dem Herrn. Sprüchw. 19, v. 17. Es ist ja alles sein, was wir sind und haben; dennoch will Gott die Almosen annehmen als ein geliehenes Gut und mit reichen Zinsen bezahlen. Was geliehen wird, das behält man nicht. Gott wird’s zu seiner Zeit wiedergeben. Wie könnten wir unsre Schätze beßer verwahren? Vielleicht hätte sie mittlerzeit ein Dieb gestohlen oder ein Unglück genommen. Sirach spricht Kap. 17, v. 18: Er behält die Wohlthaten wie einen Siegelring und die guten Werke wie einen Augapfel. Seines Siegelrings vergißt Niemand, denn er trägt ihn am Finger, und was hat man lieber, was verwahrt man sorgfältiger als seinen Augapfel? Das geringste Seufzerlein, das ich den Armen gebe, gilt vor Gott mehr, als ein ganzes großes Kaiserthum. Wer wollte seinen Augapfel