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Jahrbuch für Volks - und Jugendspiele.
Vorsitzenden des Zentral-Ausschusses zur Förderung der Volks - und Jugendspiele in Deutschland.
Zehnter Jahrgang 1901.
Leipzig,im Jahre1901.
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R. Voigtländer’s Verlag.
283

Das Fußballspiel im Jahre 1900.

Von Professor Dr. K. Koch, Braunschweig.

Im Jahre 1900 hat das Fußballspiel einen ungeahnten Aufschwung genommen. An den höheren wie an niederen Schulen wird es eifriger als je betrieben und ebenso in den Turn - wie in den Spielvereinen. Am meisten in die Öffentlichkeit tritt, wie aus den Umständen erklär - lich, das Thun und Treiben des Sports. Die Zahl der Wettspiele in Deutschland, der Besuch fremdländischer Spieler auf deutschen Spielplätzen und endlich der Wettspielfahrten deutscher Riegen in andere Länder hat sich ganz wesentlich gesteigert. Und, was für die Zukunft am wichtigsten zu sein verspricht, selbst die deutsche Studentenschaft fängt an, dieses herrliche Vergnügen zu würdigen und um seinetwillen sich im Bierkonsum und Kneipen - besuch einzuschränken. Am wichtigsten, meine ich, ist dieser Vorgang insofern, als von dem Vorbilde der Studenten, die später zum großen Teil den leitenden Kreisen in unserem Volke angehören werden, der stärkste Einfluß auf die Volkssitte erwartet werden darf. Solange es in studentischen Kreisen nicht für ungehörig gilt, seinen Körper durch übermäßigen Biergenuß aufzuschwemmen und für kräftige Leibesübungen untauglich zu machen, ist wenig Aussicht, daß die Schüler unserer höheren Lehranstalten sich in der Beziehung gründlich bessern, und daß die sonstige heranwachsende Jugend sich von der so verhäng - nisvollen Vorliebe für das Kneipenleben frei macht.

Für die Entwickelung des Spieles selbst in Deutschland ist von einem entscheidenderem Einflusse die Begründung des Deutschen284 Fußball-Bundes. Unter der Leitung von Professor Hueppe haben sich die Vertreter der wichtigsten Spielvereine Deutschlands zu einem Bunde zusammengeschlossen, dem auch diejenigen Vereine, die das gemischte Spiel pflegen, bedingungsweise beigetreten sind. Eine der ersten Aufgaben, die sich der Bund gestellt hat, verdient jedenfalls allgemeine Anerkennung und Förderung. Man will auf den deutschen Spielplätzen gut deutsche Kunstausdrücke einführen und jenes häßliche Kauderwelsch, das leider dort vielfach herrscht, gänzlich aus - rotten. Es ist freilich unleidlich, wenn jetzt schon die kleinsten Fuß - ballspieler, oft kaum zehnjährige Knaben, mit Ausdrücken um sich werfen und darin eben eine Feinheit des Spiels suchen, die weder deutsch noch englisch sind. Jeder deutschfühlende Zuschauer kommt in Versuchung, einem solchen Bürschchen, wenn es von Goal und von Kicken spricht, handgreiflich darzuthun, wie wenig sich das für einen deutschen Jungen paßt. Übrigens möchte es sich auch empfehlen, die Namen der betreffenden Vereine selbst einmal daraufhin zu prüfen, ob sie gut deutsch sind. Warum wählen unsere deutschen Vereine mit Vorliebe Benennungen wie Voctoria , Fortuna , Con - cordia ? Auch Franconia , Britannia , Tasmania klingen in unseren Ohren nicht eben schön; noch weniger Worte wie Elite , Rapide , Training . Den stärksten Mißklang hat aber ein süd - deutscher Verein zu erzielen verstanden, der sich Die Kickers nennen zu lassen für eine Ehre zu halten scheint. An guten Vor - bildern fehlt es uns wahrlich nicht. Wir finden schon Namen wie Preußen , Frankfurt , Hohenzollern , Eintracht usw. Mich möchte dünken, daß auch Wotan , Siegfried , Hagen , Hermann nicht übele Taufpaten für Fußballvereine abgeben könnten, oder auch unsere deutschen Turnväter, wie GutsMuths, Jahn und Maßmann.

Eine gleichmäßige Ausbildung des Körpers ist auch für einen guten Fußballspieler im höchsten Grade nötig. Unsere deutschen Spieler haben das bei ihren verschiedenen Zusammentreffen mit den fremdländischen Riegen deutlich erkannt. Nicht minder wichtig ist da - neben eine mäßige Lebensweise. Die Berliner Hochschüler, die sich in den Wettkämpfen am meisten auszeichnen, haben durch ihr Beispiel glänzend erwiesen, was es hilft, wenn man sorgfältig auf seine Lebensweise achtet. Falls alle unsere deutschen Stürmer so auf sich achten wollten, würde in dem Wettspiel bald die Klage ver - stummen, daß die Hauptschwäche der Deutschen in ihrer Stürmerreihe gelegen hätte. Übrigens werden besonders die Karlsruher Spieler285 wegen ihrer Schnelligkeit gelobt. Wer jemals ein Wettlaufen von Studenten anzusehen die Gelegenheit gehabt hat, weiß ganz genau. woran es liegt, wenn so manchem gleich der Wind ausgeht. Das schnelle und niedrige Zuspielen des Balls kann nur durch fleißige Übung erlernt werden. Zum Laufen mit dem Balle gehört aber vor allem Schnelligkeit, und auch für den Stoß aufs Mal kommt es sehr wesentlich darauf an, daß er mit schnellem Entschlusse und doch sicher ausgeführt wird.

Es war vielleicht ein kühnes Unternehmen, daß ein deutscher Verein, die Preußen , eine Mannschaft nach Holland sandte, und wohl ein noch kühneres, daß eine Berliner Mannschaft über das Meer setzte und sich mit den guten Londoner Spielern maß. Indes ist nicht zu leugnen, daß, wenn beide auch nicht große Erfolge errangen, sie sich doch nicht unrühmlich geschlagen haben und daß sie diesen Wettspielen eine reiche Anregung und manche gute Lehre verdanken. Hoffentlich haben sie aber auch die Schattenseiten des eng - lischen Spiellebens nicht übersehen. Lauter als je tönt von drüben die Klage, daß der Professionalismus immer schlimmer wird und den ganzen Sport ernstlich bedroht. Um ein möglichst hohes Eintrittsgeld bei ihren Wettspielen aufzunehmen, suchen sich die dortigen Klubs durch hohe Besoldungen der besten Spieler zu überbieten. Alljährlich kommen aus Schottland eine Anzahl junger Fußballspieler nach London geradezu auf den Markt und lassen sich von dem meist - bietenden Klub anwerben. Mancher hauptstädtische Klub muß freilich, wenn dann die Wettspiele nicht genug einbringen, die allzu teueren Spieler entlassen. So wird aus der ganzen Sache ein unwürdiger Schacher, der die Spieler und das Spiel selbst entwürdigt.

Ein Schauspiel eigener Art hat das Fußballwettspiel geboten, das in Paris zwischen einer deutschen und einer französischen Mann - schaft ausgefochten ist. Die Stadt Frankfurt, die in Deut - schland ein Hauptsitz für das gemischte Fußballspiel ist, hatte eine Wett - spielmannschaft entsandt, die sich während des größeren Teiles der Spielzeit den Parisern weit überlegen zeigte. Die Stimmung im Zuschauerraume hatte aber bei dem Unterliegen ihrer Landsleute an - gefangen, sehr bedrohlich zu werden. Schon war es nicht im ge - ringsten mehr zweifelhaft, daß, wenn Frankfurt endgültig gesiegt hätte, es zu schlimmen chauvinistischen Ausschreitungen gekommen wäre. Zum guten Glück kam es in den letzten Minuten so, daß Frankreich den Sieg erhielt. Der ganze Vorgang war ersichtlich ein sehr deut - licher Beweis, wie wenig in Paris das geplante internationale Olympia286 möglich gewesen wäre. Übrigens war die ganze Spielweise an sich nicht erfreulich. Kaum hatte ein Spieler den Ball aufgenommen, so hatte ihn ein Gegner bei den Beinen, um ihn zu Falle zu bringen, und dann folgte eine wenig schöne Balgerei. Auch aus England hört man wieder Klagen über die allmählich zunehmende Verrohung des gemischten Spiels, das trotz alledem drüben immer noch an den Uni - versitäten beliebter ist als das einfach. Die langen, kühnen Läufe des alten Stils, wie sie z. B. von Hughes in Tom Browns Schul - tagen so herrlich beschrieben sind, werden immer seltener; auch das enge Zusammenhalten der Stürmermassen hört auf, um dem lockeren Spiel, wie es beim gemischten Fußall üblich ist, Platz zu machen. Hoffentlich führen diese und ähnliche Klagen endlich zu einem kräftigen Vorgehen der für das gemischte Spiel maßgebenden Union, die es vermocht hat, das Handwerkertum von ihren Spielplätzen fernzuhalten und also auch das alte Ideal des Spielplatzes von Rugby zu erneuern im Stande sein wird.

Höchst erfreulich ist die Anerkennung, die dem Fußballspiele und der Thätigkeit des Zentral-Ausschusses dafür bei den Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts in Berlin am 6. -8. Juni geworden ist. Freiherr von Seckendorff, Generalmajor, Kom - mandeur des Kadettencorps, widmete der Wirksamkeit des Zentral - Ausschusses u. a. einige anerkennende Worte, hob hervor, daß neben den altbekannten Ballspielen die neu eingeführten, Fußball, Korbball und Lawn Tennis den reichsten Beifall gefunden hätten, und führt schließlich folgende Worte des Leiters einer Kadettenanstalt an, die allgemeine Beachtung verdienen:

Sehr dankenswert erwies sich die Ausgabe von Regeln für das Fußballspiel (durch den Zentral-Auschuß); ihnen wird es zu danken sein, daß dieses öfter als gefährlich oder gar als roh bezeichnete Spiel im Kadettencorps fortdauernd ohne nennenswerte Verletzungen und mit Aufrechterhaltung guter Sitten betrieben wird.

About this transcription

TextDas Fußballspiel im Jahre 1900
Author Konrad Koch
Extent5 images; 1269 tokens; 698 types; 9197 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Jurgita BaranauskaiteThomas GloningHeike MüllerJustus-Liebig-UniversitätNote: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien, Konvertierung nach DTA-Basisformat2013-05-14T11:00:00Z Google BooksNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2013-05-14T11:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Das Fußballspiel im Jahre 1900. Konrad Koch. E. von Schenckendorff, F. A. Schmidt (eds.) . R. Voigtländer's VerlagLeipzig1901. Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele (10. Jahrgang) pp. S. 283-286.

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Sport; ready; dtae

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Anmerkungen zur Transkription:Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.

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