PRIMS Full-text transcription (HTML)
366
〈…〉〈…〉

Oeffentliche Charaktere.

Uebersichten über gewisse Entwickelungsperioden der Zeit knüpfen sich am be¬ quemsten an Personen an. In der Persönlichkeit ist ein Bleibendes, während die Ereignisse vergehen. Wir beabsichtigen, eine Reihe von Bildern aufzustellen: Männer, in denen der Geist der Zeit Fleisch geworden ist. Wir wollen weder anklagen noch preisen; sie sind uns eine bestimmende Berechnung des Lichtes, das nur in der Mannigfaltigkeit der Farben zur Erscheinung kommt.

Wir beginnen mit drei Anführern der demokratischen Partei: Robert Blum, Arnold Ruge, Johann Jacobi.

1. Robert Blum.

Man wird in neuester Zeit wieder auf die Portraits berühmter Männer auf¬ merksam wie in den Zeiten Lavater's, wo man Götzendienst trieb mit der schlech¬ ten Individualität. Unsere heutige Demokratie sieht sich auch gern im Spiegel. In Leipzig sträubte sich im Anfang das souveraine Volk, Blum's Bild zu kaufen: weil es bereits in Aller Herzen sei, später hat es doch seinen Weg gefunden. Wir geben hier ein Daguerrotyp des Volksmannes par excellence, von einem seiner Verehrer aufgenommen*)Aus dem Demokraten von Kalisch..

Robert Blum ist ein wahres Muster für jene grotesken Köpfe, die man, aus Holz oder Elfenbein geschnitzt, zu Stockgriffen benutzt. Blum's Kopf sieht aus wie eine Satyre auf sich selber. Denkt euch eine platte, sattelförmige Nase, zwei kleine graue, tiefliegende Augen, eine flache, holperige Stirne, einen Mund, der sich unter der Nase in sich selbst verkriecht und einen struppigen, urwalddich -367 ten, rothblonden Bart und ihr habt ungefähr einen Umriß des Blum'schen Kop¬ fes. Und dieser Kopf scheint gar nicht, wie bei andern Sterblichen, auf einem Hals zu sitzen, sondern ist unmittelbar zwischen die breiten Schultern gequetscht, zwischen denen er sich langsam wie eine schwere Kerkerthüre bewegt. Die ganze Gestalt des trefflichen Volksmannes hat etwas Plumpes, Schwerfälliges, Un¬ beholfenes.

Man sieht, es ist nicht sehr geschmeichelt, aber es trifft. Man hat Blum's Aeußeres häufig zu schlechten Vergleichen benutzt, z. B. hat man in seiner Nase eine unreife Pflaume sehen wollen, wie Louis Philipp von der Birne nicht los¬ kommt. Wir wollen uns eleganter ausdrücken und Blum einen in eine Satyr - maske verschlossnen Sokrates nennen.

Ueber sein früheres Leben gibt uns ein anderer Freund*)Aus demselben Blatte. Auskunft.

Blum, am 10. November 1807 zu Köln geboren, hat alle die Kenntnisse, die ihn als praktischen Volksmann auszeichnen, sich durch sich selbst erworben; denn weder sein Vater, ein verdorbener Theologe, der sich später als Böttcher kümmerlich nähren mußte und 1815 starb, noch sein Stiefvater, noch auch seine Mutter, die vor ihrer ersten Ehe der dienenden Klasse angehörte, hatten die Mit¬ tel, die Fähigkeit oder den Willen, auch nur einige Sorgfalt auf seine Erziehung zu verwenden. Blum's Jugend bis zu seinem zehnten Jahre ist ein düsteres Nachtbild, in dem alle Arten des menschlichen Elends in den schrecklichsten Schat - tirungen abwechseln. Nicht genug, daß er bei den niedrigsten häuslichen Arbeiten die härtesten Entbehrungen ertragen mußte, hatte er auch noch von seinem rohen Stiefvater die grausamsten Mißhandlungen zu erdulden, und doch behielt er in solcher Lage Muth und Selbstgefühl genug, um die Zumuthungen seiner Gro߬ mutter, die Noth seiner Eltern durch Betteln zu mildern, entschieden zurückzu¬ weisen. In seinem zehnten Jahre, nachdem die Hungersnoth von 1817 glücklich überstanden war, erhielt er zum ersten Male in einer Elementarschule Gelegenheit, sich geistig zu beschäftigen; zwei Jahre später, nachdem er zur Communion gegan¬ gen, wurde er Messediener und hatte als solcher freien Unterricht in der Pfarr¬ schule. In dieser untergeordneten Stellung gerieth der Knabe Blum sehr bald mit der Geistlichkeit in Streit, und wegen seiner Zweifel an der Transsubstantia - tion wurde er sogar vor eine Art Inquisitionstribunal gestellt, dem er die Zwei¬ fel mit um so größerer Entschiedenheit aussprach, da dieselben nur durch Ver¬ letzung des Beichtgeheimnisses mehreren Geistlichen bekannt geworden sein konnten, und er hieraus schloß, daß, wenn man mit dem Sakrament der Beichte solch ar¬ ges Spiel treibe, auch der Glaube an alle übrigen Lehrsätze erschüttert werden müsse. Die starke Logik des Knaben versetzte seine geistlichen Richter in großen Zorn, und einer derselben wollte ihn aus der Stelle dafür züchtigen; aber er ent -47*368floh den strafenden Händen und schnitt sich damit die Rückkehr zu seiner kirchlichen Stellung ab. Blum mußte sich nun zu einem Handwerk entschließen; er versuchte es mit der Goldschmiedekunst, zeigte aber dafür so wenig Sinn, daß er sie bald aufgab, zu einem Gürtler in die Lehre trat und es bei diesem, trotz der entsetz¬ lichsten Behandlung, aushielt. Nach überstandener Lehrzeit, während welcher er wenig gelernt hatte, ging er auf die Wanderschaft, erfuhr aber an verschiedenen Plätzen, wo er in Arbeit trat, auf bittere Weise, daß er, um ein tüchtiger Gürt¬ ler zu sein, noch manche Lücke auszufüllen habe. Er kehrte nach Köln zurück und fand endlich hier in der Laternenfabrik von F. W. Schmitz eine Stellung, in der er zum ersten Male die ihm verliehenen geistigen Gaben mit Erfolg zur Anwen - dung bringen konnte. Der Besitzer der Fabrik erkannte sehr bald Blum's Fähig¬ keiten; er schenkte ihm sein volles Vertrauen und nahm ihn mit auf Reisen durch einzelne Staaten des südlichen Deutschlands. Während dieser Reisen verweilte Blum ein halbes Jahr in München und zum ersten Male erkannte er, daß das Leben, das für ihn bisher ein Dornenpfad gewesen, auch Freuden biete. (?) Der Fabrikant Schmitz ging nach Berlin, Blum folgte ihm dorthin und war hier be¬ müht, durch unablässiges Selbststudium den bis dahin noch dürftigen Schatz sei¬ nes Wissens zu vermehren. Die Erfüllung der Militärpflicht, dann die Reise des Schmitz nach Belgien und Frankreich, störten Blum's Verhältnisse; er ging im August 1830 mit einem dürftigen Reisegeld nach Köln, und mußte hier, um seine, mit dem bittersten Mangel kämpfenden Eltern unterstützen zu können, die untergeordnete Stelle eines Theaterdieners bei dem Direktor Ringelhardt anneh¬ men, der ihn jedoch ein Jahr später, nachdem er die Direktion des Leipziger Theaters übernommen, dorthin berief und ihn als Theatersekretär, Bibliothekar und Hilfskassirer anstellte. Von diesem Augenblicke an widmete sich Blum der schriftstellerischen Thätigkeit durch Mitwirkung an verschiedenen Zeitschriften und größeren Werken, und seit dem Jahre 1837 betrat er auch das politische Feld, zunächst als Sprecher derjenigen Deputation Leipziger Bürger, welche den sächsi¬ schen Abgeordneten Todt und Dieskau einen Ehrenbecher zu überreichen hatte.

Soweit der befreundete Biograph. Wir setzen nun aus eigner Anschauung weiter fort.

Die Wirksamkeit eines Volksmanns wird stets unter localen Bedingungen stehen. Die eigenthümliche Stellung, welche Leipzig in der Politik einnimmt, gab der Thätigkeit des angehenden Demagogen Stoff und Richtung.

Leipzig geht den übrigen sächsischen Städten in der politischen Betriebsamkeit voran. Dresden lebt zum großen Theil vom Hof und von den Fremden, es läßt sich durch die schöne Natur seiner Umgebungen, seine Kunstschätze und Kuriositäten erhalten. Leipzig, als bedeutende Handelsstadt, hat ein autonomes Leben; es ist zwar auch eine bewegliche Kolonie von Fremden, aber die Meßjuden wie die Li - teraten, Gesellen und Studenten werden genöthigt, in nähere Beziehungen zu369 den praktischen Zuständen der Stadt zu treten, als die reichen Engländer nebst Künstlern und Dilettanten, die in Dresden nur die Localität benutzen, im übrigen ihre Comforts oder ihre Ideale außerhalb der deutschen Spießbürgerpolitik ha¬ ben. Leipzig ist die eigentlich demokratische Stadt, es gibt keinen Adel, und man macht nur Unterschied zwischen großen und kleinen Buchhändlern, zu welchen letzteren man denn auch die fremden Zugvögel rechnet, die sich nicht eben goldner Federn erfreuen. Was also das Wesen der sächsischen Politik ausmacht, drängt sich in Leipzig zusammen.

Schon die alten Traditionen bedingen eine Abneigung Sachsens gegen Preu¬ ßen. Im siebenjährigen Krieg wurde Sachsen von den Soldaten des alten Fritz maltraitirt, nach dem Befreiungskriege ward ein Theil Sachsens zu Preußen ge¬ schlagen. Man hat uns die besten Provinzen geraubt, sagt noch heute der Leipziger Philister, als ob Halle und Merseburg ihnen Zins getragen hätten.

Diese Abneigung hatte in neuerer Zeit einen bessern Grund. Sachsen hatte sich eine vernünftige Verfassung errungen, während Preußen die absolute Regierungsform beibehielt. Aber es konnte zu einer freien Ausübung derselben nicht kommen, so lange das Gespenst des Bundestages sich zwischen das Volk und seine Herrscher drängte. Aufgeklärt ist der Sachse, vor einem Gespenst, vor einer Vogelscheuche hätte er sich nicht lange gefürchtet, aber hinter dieser Vogelscheuche stand die derbe Realität der preußischen Bajonette. Wenn man ein freisinniges Institut durch die bloße Formel: der Bundestag verbietet es! hätte hintertreiben wollen, so wäre ein solches Verbot auf die Dauer nicht stichhaltig gewesen. So aber hieß es in den äußersten Fällen immer: die Preußen kommen! und man knirschte gegen die Uebermacht einer despotischen Regierung, welche die liebenswürdigen Polen ge¬ knechtet, sich mit den russischen Barbaren verbündet und dem Königreich die schönsten Provinzen entzogen hatte. Tauchte trotz der Censur ein liberales Blatt in Leipzig auf, so wurde es früher oder später in Preußen verboten, da doch in Preußen der beste Absatz buchhändlerischer Speculationen war.

Gegen Oestreich war man weniger aufgebracht, theils weil es zu fern lag, theils weil die Oestreicher persönlich weniger arrogant auftraten. Man sah einer - seits ans die Preußen herab, denn man fühlte sich liberaler, aufgeklärter, höflicher, humaner; dann aber konnte man nicht recht concurirren, es war trotz aller Despotie selbst das politische Leben in einem großen Staat mannigfaltiger, großstädtischer, man mußte es doch beneiden.

Zudem stimmt das sächsische Naturel schlecht zu dem preußischen ich will lieber sagen, zu dem Berliner. In Sachsen ist Alles Anstand, Würde, Pathos, Bedächtigkeit, von Gellert bis auf die Abendzeitung ist das auch der Charakter seiner Literatur; der Berliner ist immer excentrisch, bald lästert er Gott und die Welt, bald schwärmt er für Jenny Lind und küßt die in Wachs poussirten Hände des großen Claviervirtuosen. Wo der Sachse recht gründlich seiner lang -370 athmigen Begrüßung freien Lauf läßt, fährt der behende Berliner mit seiner Fri¬ volität und seinem Witze dazwischen.

Dazu kommt die locale Eifersucht. Seit den Eisenbahnen ist Leipzig wie eine Vorstadt Berlins, und Theater, Concert, Handel und Wandel geben hinläng¬ lichen Stoff zu Vergleichungen, zu neidischen Kritiken.

Bei dieser Volksstimmung fand der angehende Volksmann einen bestimmten Stoff vor, populär zu werden: nämlich Lästerung auf den preußischen Staat, und Apotheose der sächsischen Humanität, Aufklärung und Höflichkeit. Dem Rheinlän¬ der war eine solche Stimmung gegen Preußen schon geläufig, er durfte nur dem Drange seines Herzens folgen, um populär zu werden.

Ein zweites Moment war mehr localer Natur. Ich sagte schon, der demo¬ kratische Sinn Leipzigs erkennt nur den Unterschied von großen und kleinen Buch¬ händlern. Aber auch schon dieser Unterschied ist ihm zuwider. Die großen Kauf¬ leute geben Soiréen, es wird Thee getrunken, sie tragen ein officielles Interesse für Beethoven und Mendelssohn zur Schau, sie haben Verbindungen in Dresden und Berlin, und literarische Notabilitäten Professoren und dramatische Dichter, welche mehr als drei Stücke auf die Bühne gebracht, haben bei ihnen Zutritt. Gegen diesen Luxus reagirt die Bierbank der kleinen Philister. Es scheint hier unangemessen, durch überflüssige Buchgelehrsamkeit, durch Kennermienen oder durch Equipagen dem schlichten Verstand eines gebildeten Mannes imponiren zu wollen, der die Leipziger Zeitung und das Tageblatt liest, und darin ziemlich Alles findet, was zum richtigen Leben und zur wahren Bildung nothwendig ist. Wer in diesen Kreisen sich Geltung verschaffen will, darf nur zwei Seiten seines Wesens hervor¬ kehren: Biederkeit und guten Periodenbau; im Uebrigen muß er sich hüten, irgend etwas zu sagen, was die Uebrigen nicht schon ebensogut wissen und fühlen. Jede Notiz, die noch nicht im Tageblatt gestanden, wird mit Mißtrauen aufgenommen, als ein Attentat auf die Gleichheit des Wissens.

Die Stelle eines Theater-Einnehmers gibt dieser Popularität einen sichern Halt. Alle Freunde von der Bierbank gehen Abends an der Loge vorüber, Jedem wird ein besonderer, auf den Charakter und Stand des Mannes berechneter Hände¬ druck zu Theil, mit obligater Frage nach Frau, Kindern, Geschäften und Stadtbe¬ gebenheiten, und eingestreutem bedenklichem Kopfschütteln über den Lauf der Welt, und dazu die beständige Maske einer gutmüthig resignirten leidenden Miene, die Jeden zu dem mitleidigen Gedanken veranlaßt: mein Gott, wie kann ein solcher Mann in so untergeordneten Verhältnissen leben!

Ein solcher Mann! Denn seines Gleichen durfte man zwar nicht imponiren, doch hatte die Abneigung gegen Fürsten, Minister, Soldaten und Preußen, gegen die russische Knute und die Gewandhausconcerte, gegen Censur und Adel verschie¬ dene Grade; je größer die Intensivität dieser Abneigung, je länger und tönender die Perioden, in denen man ihr Luft machte, je blumenreicher die Gleichnisse, in371 denen man sie erschöpfte, desto achtungswerther der Mann. Und Niemand konnte mit Blum an Strenge gegen Censur und Knute, an Länge der Perioden und an Reichthum der Blumen und Figuren wetteifern, Niemand declamirte mit reinerem Pathos, was Jeder wußte. Und dazu der leidende Zug in dem vollen Gesicht: seht, Mitbürger, so gut bin ich, und so wenig versteht mich meine Zeit! Ei, da wurden ja sämmtliche Freunde und Glaubensgenossen zum Range der Unbegriffnen erhoben, denn sie dachten und fühlten ja alle dasselbe, was ihr Vorredner ihnen auseinandersetzte! Sie kamen sich gewissermaßen aristokratisch vor, und konnten zugleich über die Wohlfeilheit des Preises staunen, um den sie diese Stellung gewonnen!

Als dem Volksmann ein Söhnlein geboren ward, verhieß er in den öffent¬ lichen Blättern, dasselbe solle ein echter Deutscher, ein tüchtiger Sohn des Vater¬ landes werden. So wurde, wie sich geziemt, auch das Privatleben des Patrioten eine beständige Aufopferung für seine Mitbürger.

Die Beredsamkeit Robert Blum's erhielt ihre rechte Weihe erst bei den Schil¬ lerfesten. Diese Feste hatten für Leipzig zugleich eine demokratische und eine locale Bedeutung. Der letzte Umstand ist nicht unwichtig; denn der Leipziger hat ein großes Mißtrauen gegen alle Fremden, und Schiller wurde ihm dadurch wesentlich legitimirt, daß er sich einige Monate in Gohlis aufgehalten und daselbst sein Lied an die Freude gedichtet hat, wie eine allen Augen sichtbare Inschrift es bezeugt. Damals war es von Seiten der tugendhaften Deutschen Sitte geworden, Schiller, den Dichter der Demokratie, dem Minister Herrn von Goethe entgegenzusetzen; zugleich wurde damit Leipzigs Aristokraten, den großen Buchhändlern und ihren Sympathien für die stofflose Kunst eines Goethe und Mendelssohn, ein Tort an¬ gethan. Blum hielt damals am ersten Schillerfest jene berühmte Rede, die er darauf Jahr aus Jahr ein mit geringen Variationen wiederholt hat: Schiller ein Dichter der Jugend, Jugend ist Freiheit, das Fest im Frühling, wo die Blumen blühen, die Kinder der Freiheit ꝛc. Schiller hat in seinen Räubern und in Fiesco für die Republik geschwärmt, in Kabale und Liebe den reactionären Ministern eins auf den Zopf gegeben, als Marquis Posa den Despoten die Wahrheit gesagt, im Tell auf einen Landvogt geschossen u. s. w., man kennt das aus Menzel und Börne. Die Hauptsache ist dieses Pathos, dem sich Schiller ohne Rücksicht über¬ läßt, und das ihn stets populärer machen wird, als jene Dichter, die auch in der Leidenschaft die Objectivität nicht verlieren. Man bewunderte in diesen Reden nicht nur die Reinheit der Periode niemals fällt Blum aus der Construction, nie macht er Sprünge, nicht nur die Masse der Bilder, die sich freilich meist in den populären Kreisen der Blumen, Sterne, des Feuers, der Luft u. s. w. bewegten, sondern auch die mächtige Fülle des Brustkastens, die den langsamen, feierlichen Vortrag, der gegen zwei Stunden währte, einem Publicum vernehmlich machte, das sich in der letzten Zeit bis ans 20,000 steigerte. Gemüthliche Kinder -372 spiele, bei denen den zur Popularität unvermeidlichen Herzensseiten des Redners Rechnung getragen wird, dann zum Schluß ein heiteres Gelage, in dem sich die liberale Gesinnung durch Toaste, Brüderschaft und schnelles Leeren der Gläser Luft machen konnte, gaben dem Fest den deutsch-vaterländischen Charakter.

Man freute sich das ganze Jahr voraus auf dieses Fest, in welchem Liebe und Haß in ungestörter Flamme aufschlagen konnten, und in dieser Vorausempfin - dung ging man ruhig seinen Tagesgeschäften nach.

Es war die Zeit, in welcher die Zweckessen als große, wenn auch friedliche Demonstrationen ihre Reise durch ganz Deutschland machten. Damals hielt Georg Herwegh, nachdem er mit seinem Gott und seinem König gegrollt, den großen Triumphzug durch alle liberalen Gaue des Vaterlandes, der in Preußen mit einer königlichen Audienz und Hinweisung auf einen zweiten Tag von Damaskus begann, darauf aber ein Ende mit Schrecken, d. h. mit Gensdarmen nahm. Noch sehe ich Sir Robert, wie er auf dem Leipziger Herweghfeste dem Dichter einen großen Kranz auf's Haupt setzte mit den Worten: Du hast gesungen, Du wünschest Dir einen Lorbeer der Partei, hier drücke ich Dir nun im Namen der Partei den Kranz aufs Haupt; wie darauf dieser Genius des Ruhms ein verwundertes Gesicht machte, als der Sänger nicht recht zufrieden war, etwas von unthätigen Reden murmelte, und der That! ein Vivat brachte; wie dann alle Mißverständnisse im Weine hinabgespült wurden, und wie endlich der Mann des Volks in einer blut¬ rothen Sammetweste er trug sie bei feierlichen Gelegenheilen und Hemds¬ ärmeln, im trauten Kreise der Freunde, aufgestützt, mit seiner Stentorstimme und seinem stereotypen gemüthlichen Schmunzeln den Refrain sang:

Denen lasset die freie Wahl,
Guillotine oder Laternenpfahl!

Wie behaglich fühlten sich die braven Bursche in diesen Phantasien der Zukunft, die zu einer etwas sentimentalen Melodie gesungen wurden, etwa wie der Wandrer vor einem hellglühenden Kamine und der summenden Theemaschine, während es draußen mit Schlossen gießt. Wie erstaunte der Zinngießer über sich selbst, und über die Kühnheit seiner Phantasie! Diese schönen Tage des singenden Liberalis¬ mus sind nun vorüber, wenigstens theilweise.

Feste sind nur für Sonntage, wenn man auch diese christliche Norm sich in den abstracten Decadi oder die revolutionäre Sansculottide verwandelte. In den Mußestunden der Werkeltage beschäftigte sich Robert literarisch. Er war Haupt - mitarbeiter an den sächsischen Vaterlandsblättern. Der Horizont dieser Blätter war damals noch ziemlich eng umgrenzt, er ging nicht weit über das sächsische Vater¬ land hinaus, und blickte nur zuweilen nach Preußen hinüber, um über die dortige Teufelswirthschaft die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Preußen war der Prügeljunge der sächsischen Politik, wie Rußland es für Preußen ist. Die Vaterlandsblätter waren eines der ersten Organe des Radicalismus, d. h. der373 Bierbankpolitik; der Politik, welcher es weniger aus den Inhalt ankam, als auf das Schlagende der Sentenzen und die Kraft, mit der man bei jedem Stichwort die nervige Faust auf den Tisch schlug. Es lag ihnen nicht daran, voller Erfin¬ dung zu sein, wenn sie nur Feuer zeigten. Der Radicalismus spricht etwa so: Wir sehen gar nicht ein, warum wir uns cujoniren lassen sollen! Und wir sind gar nicht die Leute danach! Und so ein Gelbschnabel braucht nicht mehr zu wissen, als wir! Wir sind ansässige Bürger, und bezahlen unser Töpfchen, und fragen den Henker nach so einem überstudirten Professor! Wir ziehen den Hut vor keinem Polizeidirector, ich sage, wer hat uns etwas zu befehlen? Donnerwetter! und so mit Grazie in infinitum. Dazwischen noch eine Erklärung: Hans geht in ein anderes Bierhaus, er ist ein schmachvoller Verräther, ein erkaufter Söldling, ein entarteter Sohn des Vaterlandes, ein Spitzbube u. s. w. aber: Kunz geht in unsere Kneipe, er ist ein Biedermann, dessen Herz warm für das Volk schlägt u. s. w.

Durch Blum's Beitritt kam in diese Polemik etwas Methode; der biedere, ungezwungene Ton des Bierbank-Radicalismus wurde beibehalten, dazwischen kam aber etwas vom Sterberöcheln der Freiheit , vom blutenden Herzen der Mensch¬ heit , von der Morgenröthe der Zukunft , und so wurde das Nützliche mit dem Angenehmen vereinigt. Die Propheten des Radicalismus waren einfältige Leute, schlecht und recht; sie kümmerten sich nicht um die Weisheit dieser Welt, sie nah¬ men höchstens einmal eine Redensart auf, die sich aus dem Rotteck'schen Staats - lexicon in irgend ein Leipziger Journal verirrt hatte, und ersetzten das Uebrige durch Grobheit. War nicht gerade ein Edelmann, ein verthierter Söldling oder ein Jesuit, den man in majorem Dei gloriam herunter machen konnte, so mußte die Censur herhalten. Wenn dieser Wachsmuth oder Marbach nicht wäre, so wollten wir der Welt Wunderdinge verkündigen!

Ihre wahre Bestimmung erkannten die Vaterlandsblätter, als Ronge seinen berühmten Brief an den Bischof Arnoldi schrieb, wegen des heiligen Rockes. Nun war ein unerschöpflicher Stoff da: die Monstrosität des katholischen Aberglaubens, gleich gerecht für die protestantischen Sympathien und das aufgeklärte Leipzig. Gleich darauf erfolgte die Stiftung der deutschkatholischen Gemeinde. Es gelüstete den Liberalismus, zu entstehen, und da er seinem Wesen nach bis dahin sich ziemlich in der Negative gehalten, so war ihm die freie Gemeinde, zur Verehrung des guten, braven Gottes, der rechtschaffnen Vorsehung und der freien Menschheit eine unersetzliche Fundgrube. Blum erinnerte sich daran, daß er Katholik sei, und gründete eine deutschkatholische Gemeinde in Leipzig. Bei der ersten Zusammenkunft kamen auch die Römischen hin, und ein schlauer Anwalt derselben gestand zu, die Mißbräuche in der Kirche seien unleugbar, aber man solle nicht durch einsei - tigen Abfall, sondern durch gemeinsame Berathung, durch eine innerhalb der Kirche zu vollziehende Reformation denselben abhelfen. Blum wußte nicht gleich, was er darauf einwenden solle, aber ein gelehrter spiritus familiaris, der ihm schonGrenzboten. III. 1848. 48374manchmal aus Nöthen geholfen, flüsterte ihm zu: Concilien der deutschen Kirche sind durch das und das Concordat untersagt! Nun sah Robert würdevoll auf seinen Gegner herab, und sagte, nachdem er sich geräuspert, mit der ihm eignen Ruhe und Feierlichkeit: Aus vollem Herzen würde ich diesen Weg betreten ꝛc., aber meine Gegner wissen nicht, oder (heftiger) wollen vielmehr nicht wissen, denn das ist die Art der Römlinge, daß durch das und das Concordat u. s. w.

Die neue Kirche wurde gegründet, den Theater-Einnehmer machte man zum Vorstand derselben; sein Gesicht gewann einen heiligen Ausdruck und er betete seiner Gemeinde vor.

Es ist bekannt, daß der Deutschkatholicismus nicht aus einem religiösen, son¬ dern aus einem politischen Bedürfniß hervorging. Die meisten Prediger machten dem Volk nur Faxen vor, sie spielten Komödie. Es war eben eine neue Art Opposition, eine wohlfeile Methode, sich die Märtyrerkrone zu verdienen. Einzelne Stimmen unter den Liberalen sprachen sich eben ihrer politischen Natur wegen günstig über sie aus, selbst Gervinus, der in der neuen Gemeinde den Anfang eines organisirenden Liberalismus im Gegensatz zu seiner bisher blos kritischen Wirksamkeit sehen wollte: als ob organisch wirken könnte, was ohne wahres Prin¬ cip ist! Der Liberalismus, der sich als Phrase, als Redeübung, als Floskel genoß, fand allerdings in ihnen die vollste Befriedigung; denn hier konnte er salbungs¬ voller und pathetischer sich gebärden, als bei irgend einer rein politischen Opposi¬ tion; der echten Politik kommt es aber nicht blos auf Opposition und Phrase an, sondern auf einen bestimmten Zweck, den man durchsetzen will. Ein solcher lag hier nicht vor: die Glaubensfreiheit, das Einzige, was als positiv im Hintergrund liegen konnte, war innerhalb der Kirche bequemer zu erreichen. Als Katholik, als Protestant war ich unschuldig an den Sünden meiner Kirche, denn ich hatte nichts dazu gethan; ich konnte mich von ihr befreien, durch Wissenschaft oder durch welt¬ lichen Indifferentismus; an der Verdrehtheit einer neuen Secte aber die we¬ nigstens der Form nach doch ein Minimum von Jenseitigkeit bekennen mußte war ich mit schuldig; ich müßte entweder wirklich unfrei sein ober Unfreiheit heucheln.

Die damaligen Regierungen deren Verkehrtheit überhaupt in der Geschichte kein Beispiel findet waren so schwach, gegen die Mode des Tages zu intrigui - ren. Welch 'herrlicher Stoff für die Vaterlandsblätter! In Sachsen suchte man die Quelle der Reaction namentlich von der Partei der Vaterlandsblätter geschah das in dem Prinzen Johann; die Augustereignisse 1845 waren die Folge davon. In diesen finden wir unsern Helden in einem neuen Lichte.

Die verhängnißvolle Salve war gegeben, Leipzig wurde wild, Communal - garde und Volk strömte die Straßen auf und ab, um Rache zu nehmen, die Schützen anzugreifen u. s. w. Es geschah aber Nichts. Blum, jetzt schon ein an¬ sehnlicher Mann, ließ sich von einer Volksversammlung bevollmächtigen, die For -375 derungen des unzufriedenen Volks den städtischen Behörden vorzutragen, obgleich er wissen konnte, daß diese nicht im Stande waren, irgend etwas zu bewilligen. Er ermahnte das Volk, in einer gewaltigen, aber ruhigen Demonstration ihm zu folgen: ernst und feierlich, denn man begrabe einen Todten. Die Anträge gin¬ gen weit genug und die Behörden gaben eine ausweichende Antwort. Sie hatten aber auch nicht das Herz, der aufgeregten Menge, die sich auf dem Markt drängte, entgegenzutreten. Blum trat also auf den Balkon des Rathhauses und hielt eine feurige Rede, in der er die Feinde des Volks stark heruntermachte, das Volk in feiner Größe, Kraft und Mäßigung sehr lobte, im Uebrigen aber die Versiche¬ rung gab, es stände alles sehr gut, man werde die Schlachtopfer des Despotismus feierlich begraben, dabei sehr schöne Reden halten und ohne Furcht gegen die Ty¬ rannen losziehen können. Das feierliche Begräbniß fand statt, Blum konnte sei¬ nem Pathos wieder Ausdruck verleihen, er regte, nach seiner Weise, das Volk durch Schilderung der erlittenen Mißhandlungen auf und setzte hinzu, es solle durch Ordnung, Ruhe und Gesetzlichkeit seine Macht von Neuem dem staunenden Europa zu erkennen geben. Der Leipziger nimmt so etwas immer wörtlich. Es wurden noch einige wilde Reden und Versammlungen gehalten, dann besänftigte sich die Fluth der Revolution. Die Messe stand vor der Thür, der Verkehr drohte zu stocken und der Leipziger schrie: die Fremden sind an Allem Schuld! Die Fremden wurden also in Masse ausgewiesen, die Aufwiegler aus dem Volk zu schweren Strafen verurtheilt, das Militär belobt, die Behörden leisteten in der Residenz Abbitte und man zog endlich sogar den wackern Vermittler zur Verant¬ wortung. Es geschah ihm zwar nichts, aber er hatte nun seine volksthümliche Thätigkeit durch die Märtyrerkrone geheiligt. Das Strohfeuer des Liberalismus war mit sich zufrieden, denn es hatte geknistert.

Aus dem grandiosen Schlachtgewühl ging es jetzt an die Details des Fort¬ schritts. Die radikale Partei der sächsischen Kammer, deren Eigenthümlichkeit darin besteht, sich ohne allgemeinen Plan mit der Vehemenz eines wüthend gemachten Stiers auf jede einzelne Frage zu stürzen, gerieth über das Recht des außeror¬ dentlichen Landtags mit der Regierung und den Liberalen selbst in Streit und verband sich enger mit der Partei der Vaterlandsblätter in Leipzig. Blum trat jetzt, obgleich er noch keine officielle Stellung hatte, an die Spitze einer politischen Partei. Seine Gegner, die Leipziger Honoratioren, schaarten sich um Professor Biedermann, der in seinen Ansichten so weit ging als wohl die Radikalen selbst, der sich aber feiner ausdrückte und deshalb bei den Demokraten von reinem Wasser in den Geruch aristokratischer Gesinnung kam. Dadurch localisirte sich der Prin - cipienstreit und wurde plastischer: es kam nicht mehr auf die Sache an, sondern auf die Personen. Man beobachtete sich gegenseitig, wie man sich räusperte und wie man spuckte, man sah zu, ob der Gegner nicht reactionäre Gesichter schnitt. In solcher Fehde müssen die Honoratioren zu kurz kommen; sie dürfen die Mittel48*376ihrer demokratischen Gegner nicht anwenden und was sollen sie z. B. darauf ant¬ worten, wenn man ihnen zuruft: bist du nicht ein besoldeter Professor? feiler Söldling der Regierung! beschäftigst du dich nicht mit unnützen Studien, die dem Volk kein Brot geben? und was dergleichen mehr ist.

Theils die Augusttage, theils diese wichtige parlamentarische Frage erhöhten Blum's Ansehen im deutschen Vaterlande. Der enge Horizont der deutschen Con¬ stitutionen mußte zu kleinstädtischen Klatschereien führen, wenn man sich nicht in ganz allgemeinen, spirituellen Wünschen und Hoffnungen verflüchtigen wollte. Je philiströser sich also Einer auf parlamentarische Details pointirte, für desto gründ¬ licher galt seine parlamentarische Bildung. Heute mit großer Lebhaftigkeit die Frage der Menschenrechte, allgemeine Freiheit und Gleichheit, morgen mit der¬ selben Energie, ob der Präsident die Klingel in die rechte oder linke Hand neh¬ men solle, um die Debatte zu schließen. Damals fingen die Oppositionsmitglieder der verschiedenen Kammern an, sich einander zu nähern, theils knüpften sie durch Reisen persönliche Bekanntschaft an, die bekannte Fahrt von Hecker und Itz - stein gehört hieher , theils vereinigten sie sich zu einem gemeinsamen literarischen Unternehmen, z. B. das Taschenbuch Vorwärts. Blum und seine Leipziger An¬ hänger waren stets dabei betheiligt. Im Allgemeinen gingen diese Pläne sehr in's Blaue hinein und von einer eigentlichen rationellen Vorbereitung der spätern großen Erhebung kann wohl nicht die Rede sein.

Dagegen war Blum die Seele eines liberalen Localinstituts, des Redeübungs - vereins im Schießhause. Hier konnte man denn die Polizei betrug sich sehr vernünftig nach Herzenslust dem Pathos der freien Gesinnung auf die Art Luft machen, die am angenehmsten war, durch Phrasen. Blum hat dazu ein au¬ ßerordentliches Talent; er hat wenig Kenntnisse, auch wenig eigentliche Absichten, aber was er hört und sieht, verwandelt sich bei ihm in Deklamationsstoff. Aus jedem Ereigniß, aus jeder Anschauung weiß er Phrasen zu saugen, wie die Sati¬ riker überall mit ihrem Schmetterlingsnetze bei der Hand sind, Witze und Aperçus zu haschen. Die Studenten, kleinen Bürger und sonstige Theilnehmer bildeten ein sehr dankbares Publikum; sie hörten ausgesprochen, was sie sich lange im Stillen gedacht, in einem schönen Redeschluß, in ausnehmenden und dabei doch sehr populären Worten. Dabei hat Blum das Talent, leicht zu antworten, er behält stets große Ruh und greift bei dem Gegner entweder irgend ein verlorenes Wort auf, auf welches er dann einen babylonischen Thurm aufbaut, oder er zieht sich mit großer Salbung in das Gefühl seiner Biederkeit und seiner Gesinnung zurück.

Gegner fand er allerdings, auch unter den Radikalen denn die Bieder - mann'sche Partei und die Honoratioren überhaupt zogen sich in tadelnswerther Nachlässigkeit von diesem Vereine zurück. Es waren die sogenannten Socialisten, zuerst Herr Jellinek, der aus Bruno Bauer'schen Redensarten sich eine ziemlich377 wunderliche Weltanschauung gezimmert hatte und der sich ein Vergnügen daraus machte, in jeder Sitzung die Halbheiten des Liberalismus zu kritisiren. Er imponirte der strebsamen Jugend durch einen Stil, in dem jedes Wort in an¬ derem Sinn gebraucht war, als die deutsche Sprache damit verbindet, und durch Constructionen, die noch kein Grammatiker geahnt hatte. Ein herrlicher Stoff für Blum's Beredsamkeit! er stellte den Plänkeleien des Sophisten das schwere Geschütz seiner massenhaften Volksfreundschaft entgegen und spielte die Rolle des vermittelnden Bewußtseins mit Glück nach beiden Seiten hin. Als Jellinek aus¬ gewiesen wurde, trat Hermann Semmig an seine Stelle, der seinem Pathos einen freieren Zug ließ, aber eben darum bei der Masse noch mehr anstieß, denn über Communismus, Atheismus u. dergl. schüttelte der ehrsame Spießbürger denn doch den Kopf, namentlich da Blum sagte, daß nichts daran sei.

Endlich vereinigten sich Blum's politische Freunde, ihm eine Buchhandlung zu kaufen. So hörte seine[apokryphische] Stellung beim Theater auf und seine Reputation fand das entsprechende Aeußere. So ausgerüstet, empfing er den Stoß der Revolution.

Die Leipziger Revolution fing auf dem Museum an. Man stand sich einander fast auf den Köpfen und horchte auf den Vorleser, der die neuesten Pariser Jour¬ nale mittheilte. Als der Sieg der Republikaner entschieden war, fiel man sich gelegentlich in die Arme, auf der Straße sah Jeder anders aus, als einen Tag zuvor. Alles war überzeugt, daß etwas geschehen müsse, man wußte in der Ge¬ schwindigkeit nicht gleich, was.

Die nächsten Anforderungen waren negativer[Natur Abschaffung] der Censur, der polizeilichen Einmischung in die Volksversammlungen. Das letztere machte sich von selbst. Der Redeübungsverein im Schießhaus constituirte sich als Volks¬ versammlung, es wurden allabendlich Berichte über die Fortschritte der Revolution abgestattet, von dem Bundestag und den Fürsten alle menschenmöglichen Nieder¬ trächtigkeiten erzählt, Einer steigerte den Andern durch Courage, Zorn und Ge¬ sang; die Polizei drückte die Augen zu.

Die Initiative der Bewegung ergriff die Stadtverordnetenversammlung, und von ihr angeregt, der Magistrat. Man schickte mit sämmtlichen Eisenbahnzügen Deputirte nach Dresden, um Aufhebung der Censur, freies Associationsrecht und noch ein Drittes zu bitten, das durch Bassermann's Vorgang in der badischen Kammer das gemeinsame Panier der Liberalen geworden war: Vertretung des Volkes beim Bundestag. Eine große Menge drängte sich an den Eisenbahnhöfen, die jedesmalige Rückkehr der Deputirten erwartend. Blum mußte in der Regel der Sprecher sein. Bei der jedesmal abschlägigen Antwort steigerten sich von Tag zu Tag die Anforderungen. Man verlangte bald Abdankung des volksfeindlichen Ministeriums u. s. w.

Blum spielte überall eine sehr thätige Rolle. In den Versammlungen ver -378 steht es sich von selbst; hier war er wieder zugleich Anschürer und Versöhner. Als man zuerst mit dreifarbigen Fahnen und Cocarden auftrat, wußte er diese Zeichen sinnig zu erklären. Als Semmig sich erhob und von seinem Standpunkt aus erklärte, er wisse nicht recht, warum er sich mit den Liberalen verbinden solle, da diese doch zu seinen Zwecken nicht mitwirken dürften, beschwor ihn Blum, jetzt im Augenblick der gemeinsamen Noth der alten Differenzen nicht zu gedenken, und Semmig versprach es auch, worüber Alles gerührt war.

Komisch war es übrigens, wie er sich zwischen den Sympathien für das re¬ publikanische Frankreich und dem deutschen, dem Wälschen abholden Wesen, das er doch mitunter zur Schau zu tragen für gut fand, durchzuwinden wußte. So bei dem ersten Reformbanquet, wo er auf das Wohl der Franzosen trank, aber ohne sie zu nennen.

Das Hauptquartier Blum's und seiner Partei war eine kleine, entlegene Kneipe, wo sie mit einander conspirirten, d. h. sie saßen in unheimlicher verlege¬ ner Stille und sahen einander bedeutungsvoll an. In der That war man in einiger Verlegenheit: seine Forderungen hatte man gestellt, sie waren zurück¬ gewiesen, was nun weiter zu thun, war schwer zu sagen, denn in Leipzig selbst war kein Feind zu bekämpfen, höchstens brachte man Brockhaus eine Katzenmusik, die Schützen zeigten sich nirgend, und Blum rieth mit ganz richtigem Tact dem Volk, seinen frühern Feinden freundlich entgegen zu kommen, nicht sie zu necken. So zog man mehrmals vor das Schloß und brachte ihnen ein Vivat.

Blum wußte mitunter die Stimme eines weisen Politikers anzunehmen, der Alles vorher berechne. Den zweiten Tag sagte er, als er in eine kleine Gesell¬ schaft von Gleichgesinnten kam, mit dem treuherzigen Tone dumpfen Schmerzes, den man ihm nicht leicht nachmachen wird: Bürger, es verbreitet sich die un¬ heilvolle Kunde, daß man unsere Forderungen gewährt hat. Nämlich nun habe die Aufregung ein Ende.

In der Stadtverordnetenversammlung spielte Blum neben Biedermann immer nur die zweite Rolle. Er suchte einige Male durch Gelehrsamkeit zu imponiren: Ruge gab ihm die Karlsbader Conferenzbeschlüsse mit und Blum konnte nun mit historischen Documenten die Abscheulichkeit der regierenden Potentaten nachweisen, aber er machte damit kein Glück. Ein andermal wurde ihm die Pointe abge¬ schnitten. Er declamirte mit einer beliebten rhetorischen Figur: Noch halten wir die Aufregung der Leipziger in Schranken (was beiläufig nicht schwer war, denn bei dem großen Theil des Volkes sah diese Aufregung sehr bescheiden und etwas künstlich aus), aber wer will dafür bürgen, daß, wenn man noch länger ansteht, die Forderungen des Volkes zu erfüllen, dieses endlich in seinem gerechten Zorn alle Gesetze mit Füßen tritt! Wer dafür stehen will? rief Otto Wigand, der nicht eingeweiht war, heftig aus, indem er auf den Tisch schlug; ich will dafür stehn! mein Leipzig wird nie ungesetzlich sein! So war die Pointe verfehlt.

379

Nach langem Warten kam das radikale Comité endlich darauf, man solle in einer gewaltigen, aber ruhigen Demonstration nach Dresden ziehen. Ein lei¬ denschaftlicher Radikaler kein Leipziger machte den Antrag, aber in einem andern Sinne, als Blum es gewollt. Er schlug nämlich vor, Musketen mitzu¬ nehmen. Das ging über den Spaß. Schandshalber mußte sich der Vorstand der Versammlung schon der Sache annehmen, aber er zog es wieder ins Friedliche und schob den Zug von Tag zu Tag hinaus, weil er den nöthigen Schmuck, die Fahnen, Standarten und sonstigen Zeichen erst besorgen müsse. So wurde man von allen Seiten lau, ja es kam schon wieder ein gewisser Katzenjammer über Leipzig, bis sich endlich in Dresden durch die Veränderung des Ministeriums die Sache von selbst erledigte. In Dresden muß die Leipziger Bewegung viel fürch¬ terlicher ausgesehen haben.

Das Talent, die Aufregung zu nähren, hat Blum bei dieser Gelegenheit in hohem Grade gezeigt, aber nicht das höhere Talent des Revolutionärs, im rechten Augenblick die Aufregung zur That zu entzünden. Dazu fehlt es ihm nicht gerade an Muth, aber an Elasticität des Geistes. Er ist beständig Phraseur und repro - ducirt die Politik von Gestern. Auch von einer verständigen kalten Berechnung war nicht die Rede. Die ganze Partei wiegte sich in süßen Träumereien und wurde jeden Augenblick von den Ereignissen bestimmt, anstatt sie zu beherrschen.

Das beste Zeugniß ist sein Betragen bei der Vorbereitung zu dem deutschen Vorparlament. Die sächsischen Oppositionsmitglieder kamen in Leipzig zusammen und wählten unter Andern auch ihn zum Deputirten. Er lehnte die Wahl ab, weil er seine Geschäfte nicht verlassen könne. Bescheidenheit war es doch nicht, es war offenbar Unschlüssigkeit. Später besann er sich freilich anders und ließ sich nachträglich in Zwickau wählen.

Schon auf der Hinreise hatte Blum Gelegenheit, seine Popularität kennen zu lernen. Als er in der Nähe von Frankfurt die Menge haranguirte, und mit den Worten begann: Ich bin aus Leipzig und heiße Robert Blum, erhob sich ein endloser Jubel. In der Paulskirche steigerte sich diese Autorität durch seine biedre, versöhnliche Haltung. Die Versammlung war, ihrem revolutionären Charakter nach, etwas stürmisch und schwer zu zügeln; ihr Präsident Mittermaier hatte nicht das Organ, sie zu dominiren. Hier war Blum an seinem Platz. Aus seinem gewaltigen Brustkasten heraus rief er einmal über das andere der Versamm¬ lung zu: meine Herren, Sie morden den Präsidenten! und setzte durch momentane Herstellung der Ruhe sowohl seine Humanität als sein Ansehn in's rechte Licht. Was seine politische Haltung betrifft, so mußte sie ebenso dem souverainen Volk, als den Gemäßigten zusagen. Er stürmte mit den Radicalen in der Per - manenzfrage wie in dem Votum gegen den Bundestag, aber er unterließ es, mit ihnen auszutreten.

Die radicale Partei faßte die Sache, wie sie ihrer Entstehung nach war:380 sie wollte das Vorparlement zum Central-Ausschuß aller Demokraten, zum perma¬ nenten Comité d'insurrection machen. Sie wollte mit Bewußtsein den Rechtsbo¬ den aufgeben, und die Theilnahme an dem Ausschuß der Nation nicht von irgend einem rechtlichen Anspruch, sondern an dem Grade der liberalen Exaltation ab¬ hängig machen. Die Majorität verwarf diese Ansicht, ohne doch auch unbedingt den Rechtsboden festzuhalten. Sie dekretirte die Form der neuen Constituante, beauftragte mit der Ausführung dieses Decrets den alten zu purificirenden Bundestag und hinterließ einen Sicherheits-Ausschuß, über diese Ausführung zu wachen. Blum wurde mit hineingewählt und erhielt sogar die Stelle eines Vice - präsidenten.

Nachdem der Ausschuß durch sein festes Auftreten die Regierungen veranlaßt hatte, die Nationalversammlung in der Weise, wie das Vorparlement es bestimmt hatte, wirklich auszuschreiben, blieb ihm eine rein negative, langweilige Aufgabe; denn die unausgesetzte Wachsamkeit, ohne eigenthümliche Beschäftigung, macht müde. Er fühlte sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die moralische Befähigung, irgend etwas Unbestimmtes aber wesentlich Wohlthätiges für das Vaterland durchzusetzen. Nun waren alle Leute, die mit ihrer Regierung, ihrem Magistrat oder mit sonst etwas unzufrieden waren, geneigt, sich an den Ausschuß zu wenden, bei ihm ihre Regierung zu verklagen und ihn um Sonnen¬ schein und schönes Wetter zu bitten. Von einer demokratischen Behörde konnte man wenigstens eine gefällige Aufnahme aller Adressen erwerben. Da der Aus¬ schuß sonst nichts zu thun hatte, so konnte er sich damit beschäftigen, über alle Adressen und Petitionen zu berathen und Briefe abzufassen. Eine Beschäftigung, die dem Beschäftigten selber so imponirt, daß man sich nicht wundern darf, wenn der größte Theil des Ausschusses der Ansicht war, die einzige Behörde zu sein, deren Beschlüsse allgemein anerkannt wären.

Im Anfang, wo man es vorzugsweise mit der Reaction der Fürsten zu thun hatte, dominirte im Ausschuß die revolutionäre Idee. Aber schon damals ließ Robert Blum, der inzwischen bei Volksversammlungen der gefeierte Volksfreund, durch seine Reden nach alter Art der Liebling der Galerie geworden war, in den von ihm abhängigen Blättern di[e]Majorität des Ausschusses als eine reactionäre verschreien und mit der leidenden Miene eines verkannten Patrioten es sich als eine verdienstvolle Aufopferung auslegen, daß er zum Wohl des Vaterlandes noch länger in einer so schlechten Gesellschaft verbleibe. Dagegen hütete er sich wohl, sich mit den eigentlichen Republikanern zu compromittiren; er hätte dadurch seine Stellung über den Parteien gefährdet.

Anders wurde die Lage des Ausschusses, nachdem Hecker's Partei in Baden es zum offnen Aufstand brachte; jetzt mußte er den Empörern die Zähne weisen. Blum war damals von Frankfurt abwesend, an der Spitze einer Commission, die den Auftrag hatte, die Streitigkeiten zwischen den rheinischen Schiffen und den381 Schleppschifffahrern auszugleichen, die aber, wie ziemlich alle übrigen, das Unglück hatte, nichts auszurichten. Die Commissarien hatten in Cöln von den eben in Aachen ausgebrochenen Unruhen gehört, sie eilten sofort dahin und beriefen, mit den nöthigen schwarz-roth-goldnen Binden, sofort den Magistrat zusammen, um sich die Sache vortragen zu lassen. Jene tricoloren Schärpen schienen, wie Blum nach seiner Rückkehr im Ausschuß berichtete, die Behörden in Schrecken zu setzen und man empfing sie mit unverholenem Mißtrauen. Die Unruhen waren daraus hervorgegangen, daß die preußischen Kriegsreservisten von den Proletariern durch wiederholte Insulten genöthigt waren, die Stadt zu räumen. Diese Reservisten hätten sich nicht wie die Menschen, sondern wie das Vieh benommen, so hätten sie z. B. einmal eine dreifarbige Fahne abgerissen und um eine schwarz-weiße Bachanalien gefeiert! Es sei bald dahin gekommen, daß jene Reservisten sich vor der Wuth des Volks nicht auf die Straße wagen durften; man habe sie einzeln durch Bürgerwachen an den Ort ihres Abmarsches transportiren müssen. Selbst hier hätten sie ihr viehisches Betragen nicht aufgegeben, sondern der einzelne Reservist hätte auf der Straße den Bürgersoldaten, die ihn escortirten und vor der Wuth der Menge schützten, die Cocarde abgerissen!! Als sie abmarschiren wollten, sei das Volk auf sie eingedrungen, um sie umzubringen und die Bür¬ gergarde habe sich dazu hergegeben, diese schlechten Menschen gegen das Volk in Schutz zu nehmen*)Diese Angriffe der radikalen Partei gegen die verthierten Söldlinge, die bewaffneten Bourgeois und die reactionäre Polizei, welche die braven Diebe und Spitzbuden einfängt, haben neuerdings in den Berliner radikalen Blättern eine Form angenommen, gegen welche die obige Darstellung milde und versöhnlich klingt. Bei einer Sache, die so weit getrieben ist, daß man in kurzer Zeit einen sehr ernstlichen Kampf voraussagen kann, ist es schwer einen Spaß zu machen; doch kann ich mich nicht enthalten, an einen Zug aus einer republikanischen De¬ monstration einer thüringischen Stadt zu erinnern. Ein Mitglied des souveränen Volkes war in die Wade gestochen, man hob ihn auf die Schultern und rief, so oft man einem Communal - gardisten begegnete, feierlich Du Bluthund! Respect vor dieser Leiche! Wenn er vorüber war, stärkte man die Leiche durch einen guten Schluck Bier.. Wäre ich Regierungscommissär gewesen, fügte Blum hinzu, so hätte ich den Magistrat und die Stadtverordneten sofort abgesetzt, so aber begnügte ich mich, meine Vermittelung beim Volk anzubieten. Als der Magistrat diese Vermittelung ablehnte, schüttelte Blum sofort den Staub von seinen Füßen, um nicht Zeuge der Greuel zu sein, die sich nun entspinnen mußten. Freilich hatte er schon auf der nächsten Station den Verdruß, zu erfahren, daß man in der Stadt mit leichter Mühe und ohne Blutvergießen des Volkes Herr geworden sei.

Diesen Bericht hörte der Ausschuß mit Stillschweigen an. Als aber Blum einige Tage darauf ähnliche viehische Auftritte vom Nassauer Militär erzählte, wurden schon einige Bedenken rege, und als er endlich einen Brief vorlas, worin den in Baden gegen die Republikaner verwendeten Truppen grobe Excesse zurGrenzboten. III. 1848. 49382Last gelegt wurden, brach ein allgemeiner Sturm gegen ihn los, den Heckscher nur durch die bedenkliche Erklärung beschwichtigte: man möge es Herrn Blum nicht verübeln, wenn er die Thatsachen zu Gunsten seiner Partei (d. h. der Aufrührer) darstelle. Seitdem spielte Blum die Rolle des verkannten Patrioten, die er bis dahin nur incognito dargestellt hatte, offen im Ausschuß. Er war aus der Rolle gefallen.

Mittlerweile hatte sich in Leipzig Blum's Anhang im Redeübungsverein unter dem Namen eines Deutschen Vaterlandsvereins zu einer politischen Partei orga - nisirt. Blum, obgleich abwesend, wurde zum Präsidenten erwählt. Wohl noch bei keiner Partei ist die persönliche Anerkennung eines einzelnen Mannes zu einer solchen Abgötterei getrieben. Die Mehrzahl des Vereins, wenigstens im Anfang, bestand aus Arbeitern; die Zahl der Redner war sehr beschränkt; jeder Vorschlag wurde in der Regel angenommen und mit einem dreifachen Lebehoch auf Robert Blum begleitet. Der Leipziger fühlte sich geschmeichelt, daß einer seiner Mitbürger zu Frankfurt in solchem Ansehen stehe. Bei jeder wichtigen Frage schrieb man erst nach Frankfurt und holte sich das Gutachten des Herrn Präsidenten ein, der mit der ihm eignen Bescheidenheit diese Huldigungen seiner lieben getreuen Mit¬ bürger entgegennahm. Eines Abends hörte ich auf der Promenade:

Der Ritter muß zum blut'gen Kampf hinaus,
Für Freiheit, Blum und Vaterland zu streiten.

Von vornherein war das Aussehen dieses Clubs, dessen Zweigvereine sich übri¬ gens sehr schnell über ganz Sachsen ausbreiteten, ziemlich demokratisch, d. h. die Debatte hatte einen stürmischen Charakter, und es entschied nicht der Verstand, sondern die Leidenschaft und vornämlich die Autorität. Die letztere gilt in demokratischen Formen immer mehr als in aristokratischen. Permanente Vereine haben den Uebelstand, zuweilen an Stoff Mangel zu leiden und daher in fugam vacui zu unnützen Beschlüssen getrieben zu werden. Für den Augenblick kam die Parlamentswahl zu Statten; hier hatte man nun einen bestimmten Zweck, und demnach eine verständige Wirksamkeit. Später artete die Versammlung, vielleicht eben weil kein Gegenstand vorlag, in eine Ochlokratie aus, bis sie endlich zersplit¬ terte und entschiedenern Tendenzen den republikanischen Raum gab. Denn im Anfang hatte sich der Vaterlandsverein gar nicht republikanisch ausgesprochen; wie seine Führer, stand er über den Extremen, aber er wirkte, soviel er konnte, gegen das Bestehende.

Dem Vaterlandsvereine stellte sich, zunächst in Leipzig, nachher auch in den übrigen sächsischen Städten, ein deutscher Verein entgegen, dessen Programm wenig von jenem abwich, der aber vorzugsweise aus Honoratioren, aus den ari¬ stokratischen Demokraten zusammengesetzt war. Bei der Parlamentswahl stellte er Biedermann Blum gegenüber, und gab, als Jener anderwärts gewählt war, Bassermann seine Stimmen. Blum's Wahl schien anfangs unzweifelhaft, bis er383 sich durch eine Unbesonnenheit die der sonst so bedächtige Mann doch zuweilen begeht seinen Stand erschwerte. Ohne gewählt zu sein, ging er in die Ver¬ sammlung der in Frankfurt angekommenen Deputirten, und das benutzten in Leipzig nicht nur seine politischen Gegner, sondern auch einige seiner Parteigenossen, die ihn persönlich nicht leiden konnten, um sich gegen seine Wahl zu erklären. Den¬ noch überwog sein Anhang, und Robert Blum sitzt als Vertreter Leipzigs in der ersten deutschen Constituante.

Von jetzt an müssen wir seine Wirksamkeit genauer unterscheiden: als Partei - chef, als Redner, als Demagog und als Schriftsteller.

Er ist im Parlament der anerkannte Chef der Linken , mit Ausschluß einiger dreißig Mitglieder, die als äußerste Linke unter Ruge's Führung eine unab¬ hängige Stellung eingenommen haben. Die Programme beider Fractionen weichen im Wesentlichen nicht von einander ab; sie sind bereits in diesen Blättern kritisirt worden. Doch unterscheiden sie sich in ihrer Haltung: die äußerste Linke trägt ihre Uebereinstimmung mit der in Baden geschlagenen Partei, so wie mit den de¬ mokratischen und republikanischen Vereinen offen zur Schau, die Linke cachirt sie wenigstens in ihren officiellen Handlungen. Man muß bei ihrer Thätigkeit zwischen dem Zweck und den Mitteln unterscheiden; der angegebene Zweck, eine für die Gesammtheit Deutschlands republikanische Regierungsform, hatte wenig¬ stens bis zur Entscheidung der Sache durch die Wahl des Reichsverwesers eben so viel Berechtigung als die entgegengesetzte Ansicht, obgleich die Vorliebe für die kleinen Monarchien, namentlich für Sachsen, die Blum mit so viel Ge¬ müthlichkeit zur Schau trägt und in deren Namen er sogar die Reichsverweser - schaft bekämpfte, weil sie der Souveränität der kleinen Staaten Abbruch thue zu Gunsten der großen Häuser, in einem wunderlichen Verhältniß steht zu dem eben so zur Schau getragenen Haß gegen die Selbstständigkeit der großem Staaten, insbesondere Preußens. Dagegen sind die Mittel, welche sie anwendet, um für ihre Ansichten Propaganda zu machen, höchst verwerflicher Natur. Das erste Auftreten Blum's war die Mainzer Angelegenheit, ein schlechter Abklatsch der Aachener Geschichte, die einen um so widerwärtigern Eindruck machte, da die neue Versammlung einen wesentlich andern Charakter trug als der Fünfziger-Ausschuß. Gleich darauf die mysteriöse Erzählung von der Verschwörung des preußischen Cabinets gegen die Nationalversammlung, die durch Schaffrath's Bemerkung: ei¬ nem Volksmann wie Blum müsse man alles glauben, auch wenn er nichts bewiese, auch wenn ein Minister (jeder Minister ist eo ipso ein Ungeheuer) ihn Lügen strafe, um nichts gebessert wurde. Blum konnte sagen: Herr behüte mich vor meinen Freunden!

Nachdem durch die Einsetzung der Centralgewalt und die Einstimmung der Regierungen der neue Rechtszustand Deutschlands festgesetzt war, wurde die Stellung Blum's und seiner Partei eine mißlichere. Bis dahin stand er im Princip mit49*384der Versammlung auf gleichem Boden und er wußte das auch geltend zu machen, so sehr er sie auch durch seine Organe in schlechten Ruf zu bringen suchte. Jetzt aber ist seine Partei, die gegen die meisten Regierungen die Fahne der Central - gewalt aufpflanzt, weil sie nach ihren Ansichten und Hoffnungen hier die Fahne der Empörung ist, gezwungen, gegen die Natur dieser Centralgewalt fortwährend zu protestiren. Die äußerste Linke ist sich dieser Stellung bewußt und spricht sie offen aus; dazu ist Blum nicht der Mann: wenn er auch in der Minorität ist, so behält er doch den Instinkt der Majorität, der ihm eigen ist und liebäugelt mit dem einen Auge mit den Republikanern, mit dem andern mit dem Rechtszustande. Diese Stellung muß von Tage zu Tage unhaltbarer werden und hat ihn schon in manche, nicht gerade angenehme Widersprüche verwickelt.

In der polnischen Frage wußte er, nach seiner gewöhnlichen Weise, das Prin¬ cip zu umgehen. Ueber die Sympathien für oder wider Polen konnte man sich bequem entscheiden und die Linke hatte hier ein leichteres Spiel, theils weil das Mitgefühl mit dem Unglück hübscher aussieht, theils weil sie sich auf die entspre¬ chende Stimmung des Vorparlaments berufen konnte. So einfach war die Sache aber keineswegs; es handelte sich um einen concreten Fall: soll die Trennung des Großherzogthums Posen nach den Nationalitäten im Prinzip und in den be¬ sondern Bestimmungen anerkannt werden? Die äußerste Linke sagte: wir sind nicht competent, darüber zu entscheiden; sondern es muß durch einen Congreß aller freien Nationen geschehen. Das klang undeutsch und Blum konnte sich also dafür nicht entscheiden. Er sagte: wir sind vorläufig incompetent, denn die eine Partei sagt dies, die andere jenes, wir müssen durch eine Commission à la Aachen und Mainz die Sache untersuchen, wahrscheinlich wird die preußische Regierung gelogen haben. Er versteckte also seinen Kampf gegen das Prinzip der Theilung in eine bloße Opposition gegen das Detail derselben und forderte die Regierung auf, abzuwarten, abzuwarten in einer Zeit der schlimmsten Krisis. Das war un¬ redlich, denn es hatte nur den Zweck, die Versammlung mit sich selber und dem preußischen Staat zu veruneinigen, ohne doch ein großes Prinzip, wenn auch ein falsches, der herrschenden Ansicht offen entgegen zu stellen.

Als Parlamentsredner ist Blum noch immer der Liebling der Tribüne. Bald ergeht er sich in dem memorirten Enthusiasmus für alles Schöne, Gute und Vor¬ treffliche, was es irgend gibt oder geben soll; bald entsetzt er sich, bald sträubt sich das Haar *)Ein politischer Gegner im Tageblatt hat gezählt, wie oft sich sein Haar gesträubt habe, ich glaube, es war 16 Mal. So schlimm ist die Welt! über die Schändlichkeiten, die noch auf der Welt geduldet wer¬ den. In beiden Fällen empfiehlt er ebenso sein gutes Herz, wie sein Talent, in Gleichnissen zu reden. Das Charakteristische seines Vortrags ist der alte Predi¬ gerstyl, er geberdet sich noch immer als deutschkatholischer Gemeindevorstand. Nie385 läßt er eine Periode fallen, jedes Bild wird zu Tode gehetzt. Jeden Satz, der sonor aus seinem gewaltigen Brustkasten quillt, kündigt ein feierliches Räuspern an. Sobald er auf eine bestimmte politische Frage kommt, zeigt sich der Dilet¬ tant; er spricht wie vor dem Publikum eines Winkeljournals. Er hat keinen In¬ halt, als die alte traditionelle Antipathie gegen Alles, was nach Regierung aus¬ sieht; wenn es nicht eine große Frage, d. h. eine Frage ist, die zu Phrasen für die Galerie Veranlassung gibt, so schweigt er. Die positiven Notizen, die er gelegent¬ lich anbringt, hat er sich gestern geben lassen, man sieht es ihnen an, daß sie nicht in den Organismus seiner Deklamation gehören, sie sind als Zierrathen angeklebt. Er liebt es, mit resignirter Miene sich damit zu rühmen, daß ihn, den tugend¬ haften Mann des Volks, kein Portefeuille erwartet: wir glauben es auch nicht, denn Gott bewahre uns vor einem Staate, in dem Blum und Consorten das Heft in Händen hätten! Nicht weil sie zu radical sind, sondern weil sie von Staatsgeschäften Nichts verstehn, weil sie auch nicht den geringsten Begriff haben von irgend einem Zweig der Verwaltung, nicht die geringste Kenntniß von den bestehenden Zuständen, mit Einem Worte, keinen politischen Inhalt, als der ihnen durch gelegentliche Klatschereien zugetragen wird. Was ist das aber für eine Partei, die sich selber sagen muß, sie könne nie an die Regierung kommen! Wir haben wahrhaftig für die Radowitze und ihres Gleichen keine Sympathie, aber zur Re¬ gierung einer großen Nation gebraucht man Staatsmänner, keine Phraseurs.

Häßlicher wird das Bild dieses Helden, wenn wir ihn als Demagogen be¬ trachten. Hier redet er vor jedem Publikum anders, am Rhein fordert er zum Zermalmen aller Potentaten, Aristokraten und Bourgeois auf, in Leipzig spricht er salbungsvoll von dem heiligen Rechte des Eigenthums und von seiner Vorliebe für die constitutionelle Monarchie in Sachsen. Bald aufhetzend, bald beschwich¬ tigend, spricht er jeder Masse zu Munde. Nicht blos aus liberalem Jesuitismus, sondern weil er keinem eignen Inhalt hat, weil er nichts zu geben weiß, als was der Volkswind ihm zuweht. Er weiß und will nur was sein Audito¬ rium weiß und will, er ist nicht der Lenker des Volks, sondern sein Produkt. Wenn er verletzt oder herausfordert, so ist es, weil ihm noch die Eindrücke von gestern in die Ohren klingen, und mit dem, was er heute hört, nicht in Einklang zu brin¬ gen sind. Dabei ist er kein eigentlicher Volksredner, wie O'Connell, denn er hat keinen bewußten Humor, keine Originalität, keine Plastik; er ist drollig, aber ohne es zu wollen; er sieht trotz seiner leidenden Miene gekränkter Unschuld nach dem Falstaff aus, aber ohne es zu wissen. Er ist eben so wenig frei von seinem Pathos, als eigentlich von einem bestimmten Zwecke erfüllt; die Phrase reißt ihn hin und sein Eigenthum ist nur die Phrase.

Es ist in ihm nichts ursprünglich: bei jedem Satz fällt einem ein: wo hat er das Citat her! Er ist der Enthusiasmus der Trivialität, das Philisterthum in seinem klassischen Ausdruck.

386

Ist dieser Proteus eigentlich Republikaner? oder Communist? oder Constitu - tionell? ist er deutscher oder sächsischer Patriot? oder gar Kosmopolit! Er ist Nichts von dem und Alles. Was sich ihm als gute oratorische Wendung dar¬ bietet, das ist sein Prinzip.

Blum ist kein Mann der Zukunft. Gäbe man ihm heute ein Porte¬ feuille, so würde ihn in 3 Wochen das Volk mit Koth bewerfen. Aber das Ex¬ periment wäre zu bedenklich.

Blum ist auch nicht eigentlich gefährlich. Er ist ein reines, unverfälschtes Produkt seiner Zeit; würde er das Volk nicht aufreizen, so thäten es andere ganz wie er. Ein Freund sagt irgend wo von ihm: dieser Mann ist Michel in eigner Person; was das Volk denkt, fühlt, thut, das wird auch Blum fühlen, denken, thun. Das ist ziemlich richtig. Man kann sagen, wie von Alcibiades: die Natur versuchte, die abstracte Gestalt des rodomontirenden Radicalismus in Fleisch zu kleiden, und es wurde Blum.

〈…〉〈…〉

About this transcription

TextÖffentliche Charaktere
Author[unknown]
Extent21 images; 8777 tokens; 3032 types; 61020 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Bremen : Staats- und UniversitätsbibliothekNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2013-05-24T15:31:47Z Elena KirillovaChristian ThomasNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2013-05-24T15:31:47Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information Öffentliche Charaktere. I. Robert Blum.. HerbigLeipzig1848. Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst 7, 1848 (II. Semester, III. Band) pp. S. 366-386.

Identification

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:I bzw. J wurden nach Lautwert transkribiert.Langes s (ſ) wurde als s transkribiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T10:08:59Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding Library
Shelfmark
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.