PRIMS Full-text transcription (HTML)
Schloß und Fabrik.
Dritter Band.
Leipzig, Verlag vonAdolph Wienbrack. 1846.
Schloß und Fabrik.
Dritter Band.

I. Ueberraschung.

Mein Herz, ich will Dich fragen,
Was ist die Liebe? Sag!
Zwei Seelen, ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag.
Friedrich Halm.

Jaromir fühlte ein neues Leben, einen neuen Lenz in sich. Es gab für ihn Stunden, wo er sich selbst nicht mehr erkannte, wo er sich ganz wie verwandelt vorkam. Mit welch neuem Reiz lag jetzt das Leben wieder vor ihm, wie füllte wieder ein seliger Hochgedanke seine ganze Seele aus, ein Hochgefühl, an das er lange nicht mehr geglaubt, das er oft im bittern Unmuth seines unbefriedigten Herzens, im Uebermuth seines stolzen Geistes verspottet und verlacht hatte. Und wieder gab es andere Stunden für ihn, wo eine ganze Reihe zuletzt verlebter Jahre vor ihm wie ein böser Traum versunken, wo er sich wieder Jüngling fühlte und alle Begeisterung, alle süßen Schwärmereien seiner Jugendjahre wieder empfand. Er war wieder6 Poet aus der Fülle seines Herzens, und jene seligen Momente kamen ihm wieder, wo in lauter, rauschender Sphärenmusik ein ganzer Himmel urewiger Harmonieen im Innern einer Menschenbrust aufweckt, die so lange wogen und dringen und nicht zur Ruhe kommen wollen, bis sie eine äußere Erscheinung gefunden ein Lied, das jubelndes Zeugniß ablegt von ihrem Dasein, ihrer Macht und Herrlichkeit.

Ein seliges Liebeleben vereinigte ihn mit Elisabeth.

Und sie, die ernste, verschlossene Jungfrau, weihte ihm die ersten vollsten Blüthen eines Gefühls, dem bisher ihr Herz kaum eine leise Ahnung gezollt hatte. Man konnte ihr Inneres einer hohen weißen Lilie vergleichen, die schlank aufgesprossen ist und deren Blüthen über Nacht in heiliger, schweigender Ruhe bei melodischem, gleichförmigem Quellengeriesel träumend groß geworden sind und im weißen silberreinen Glanze viel heilige Geheimnisse in sich selbst noch ungeahnt und schlummernd verschlossen halten. Da strahlt der Morgenstern hell und tagverheißend auf die Blüthenkrone, der erste Morgenthau hängt sich an sie, mit einem zarten, durchsichtigen Perlenschleier sie noch verklärend, vorahnend schlägt die erste Lerche ihr Lied ihr vorüber im dunkeln Morgengrauen empor es klingt mit seltsamer Bewegung wieder im Blumenkelch er richtet sehnsüchtig sein Haupt noch höher auf aber er bleibt verschlossen. 7Nun graut es im Osten nun fallen alle Nebel, wirbeln und singen alle Vögel zugleich ein heiliges Schauern zieht erschütternd durch die ganze Natur, regt sich in der höchsten Eiche, wie im kleinsten Halme ein tausendstimmiger Jubel bricht los als plötzlich die Sonne aufgegangen und mit viel Tausend strahlenden Liebesbändern die ganze Schöpfung an ihr unsterbliches Herz zieht. Und einer dieser allmächtigen Strahlen rührt auch an den verschlossenen Lilienkelch und die Blüthenseele wacht aus ihrem Traum auf, thut ihre verhüllenden Blätter auseinander, öffnet sich dem heißen Lichtglanz und läßt ihn segnend eindringen in ihre goldenen Tiefen, daß köstliche Nektartropfen darinnen hervorperlen. Dieser hohen Lilie glich Elisabeth. Gleich einem strahlenden Morgensterne hatte einst Gustav Thalheim ihr nahe gestanden, zu dem sie mit heiligen Vorgefühlen emporschaute aber Jaromir war ihr als eine leuchtende Sonne aufgegangen, ihr tief in’s Herz gedrungen, so daß es all seiner Schönheit Fund seines Reichthums sich dadurch erst selbst bewußt geworden war und immer vollendeter Beides entfaltete.

So war denn das ganze Maileben glühender keuscher Liebe für sie angebrochen.

In den ersten sonnigen Stunden des Nachmittags eilte Jaromir täglich in den Park von Hohenthal und in die stille, von Bäumen verschwiegen beschattete Rotunde, in8 welcher er Elisabeth zuerst seine Liebe gestanden hatte. Dort harrte er dann und harrte selten vergebens bis die Geliebte unter den Bäumen hervor ihm entgegentrat und zart erröthend in seine geöffneten Arme sich warf. Nur zuweilen, wenn Gäste zu Mittag im Schloß waren, blieb sie aus oder flog nur eilend hin zu ihm, um ihn nach wenig Momenten wieder fortzutreiben. Denn noch lag der zarte Schleier des Geheimnisses über ihrer Liebe und es war, als hätte Keines von Beiden ihn heben mögen. Zwar machte er jetzt noch öfter als vorher Besuche in Elisabeths Familie und ihre Eltern empfingen ihn gern, obwohl es schien, als ob sie Aarens noch mit freundlicherer Auszeichnung willkommen hießen.

So waren denn auch eines Nachmittags Elisabeth und Jaromir in der Rotunde bei einander. Er hatte ihr einen Strauß Rosen mitgebracht und wollte jetzt, daß sie diese sich zum Kranze winde.

Wir wollen hier die kleinen Marmorsäulen unsers heiligen Liebestempels umkränzen, sagte sie, wir dürfen wohl heute ein geheimes Fest feiern, denn heut ist es ein Jahr, daß wir zuerst uns sahen.

Sei mir nicht böse, sagte er und küßte sie innig, aber ich brachte Dir dazu die Rosen mit, um zu sehen, ob Du auch diesen Tag im treuen Gedächtniß bewahrt haben würdest.

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Nun, dafür, daß Du mich erst prüfen wolltest, verdientest Du wohl eine Strafe geh, pflücke mir Eichenlaub, indeß ich die Kränze zu winden beginne erwiderte sie lächelnd.

Er gehorchte. Das ist ja eine Scene, wie aus dem Sohn der Wildniß, sagte er, als er mit den gepflückten Zweigen sich zu ihren Füßen setzte und ihr die Blumen zureichte.

Sie lachte und begann, um das Bild zu vervollständigen, mit ihrer schönen melodischen Stimme zu singen:

Mein Herz, ich will Dich fragen,
Was ist denn Liebe? Sag!
Zwei Seelen, ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag!

Er hatte sie noch niemals singen hören sie liebte es nicht, vor fremden Zuhörern auf Bitte oder Geheiß zu singen, sie that es nur in den Stunden, wo es ihr innerstes Bedürfniß war, dann lag ihre ganze Seele in ihrem Gesange, und so auch jetzt. Von Bewunderung hingerissen lauschte er bezaubernd den hellen Tönen, die so frei und freudig wie jubelschlagende Lerchen hervorflatterten aus der Brust seines theuern Mädchens. Er ließ sie das Lied vollenden, ohne sie zu unterbrechen, und bat dann nur einfach:

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Sing es noch ein Mal!

Und sie antwortete der Bitte nur dadurch, daß sie es noch ein Mal sang.

Die Augen halb geschlossen vor sich niedergesenkt hörte er ihr träumend zu wie oft hatte er sonst Bella’s Töne bezaubert gelauscht aber nie hatten sie ihn so im tiefsten Innern angegriffen, wie dieser einfache seelenvolle Gesang Elisabeths. Es war die Sprache glühender, oft wilder Leidenschaft, welche er aus Bella’s Tönen hörte, Sirenenklänge, die mit wunderreichem Zauber verderbendrohend ihn umstricken die ihn erst hinschmelzen ließen in weicher Wollust, rasend vor glühendem Verlangen, dann vernichtet in sich selbst zusammensinkend bis er plötzlich ernüchtert, besonnen, aber innerlich ermattet und zerrissen aufwachte wie aus einem fieberheißen Traum. Aber jetzt, wo Elisabeth sang, war ihm als stimmten droben im Himmel alle Engel dazu ihre Harfen und spielten dazu auf ihren feinsten Saiten Elisabeths einfache Worte als heilige Gebete nach, es war ihm, als stimme die ganze Schöpfung vor leisem Jubel zitternd sanft mit ein in das Liebeslied. Wie Orgelgetön und Glockenklang, wie Vögelgesang im Mai, wie ein Liebespäan einer seligen Schöpfung, den fromme betende Menschen und eine ganze gottdurchgeisterte Natur zusammenstimmend aufsteigen lassen so zog es jetzt durch seine Seele.

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Und als sie geendet hatte und er noch immer träumend vor sich niederblickte, sagte sie lächelnd:

Nun, mein Lied hat wohl gar das große Kind in Schlummer gesungen? Und wie sie ihre Wange an die seinige lehnte, sah sie eine helle Thräne in seinem Auge sie küßte sie ihm hinweg, und unaussprechlich selig hielten sie einander in den Armen.

Sie hatte zwei Guirlanden vollendet und wand sie um die Marmorsäulen. Die schönsten Rosen hatte sie noch zurückbehalten.

Aus diesen winde Dir selbst eine Krone! bat er.

Sie begann das anmuthige Geschäft von Neuem. Er saß neben ihr; sie umschlungen haltend, sah er über ihre Schultern hinweg ihren regen Fingern zu.

Da rauschte es plötzlich wie von Tritten und im Grase schleppendem Seidenzeuge Elisabeth sah auf, sprang erschrocken empor die Rosen fielen von ihrem Schoos zu ihren Füßen ein Ausruf der Ueberraschung drang aus ihrem Munde.

Du streust mir Blumen, Elisabeth! rief lachend eine jugendfrische Stimme. Sie kam von einer jungen Dame mit einem hübschen muntern Gesicht, zu dem schwarze Locken und ein blumengeschmückter Strohhut recht gut paßten.

Aurelie! rief Elisabeth und die jungen Verwandtinnen12 umarmten und bewillkommten sich mit Herzlichkeit.

Jaromir ging einstweilen in dem nächsten Gange etwas unbehaglich hin und her.

Aber wie kommst Du hierher?

Gerade hierher? Nun sieh ich wollte Dich überraschen, obwohl ich nicht wissen konnte, daß meine Ueberraschung für uns Beide so groß sein würde.

Du bist noch immer muthwillig. Aber wie kamst Du gerade hierher?

Durch meinen vortrefflichen Ortssinn und Deine getreue Beschreibung diese Platzes. Du hattest mir in einem Deiner Briefe diese Rotunde beschrieben und erzählt, daß Du alle erste Nachmittagsstunden hier allein zubrächtest was freilich der Wahrheit nicht ganz gemäß war

Aurelie, doch damals!

So, nur jetzt ist es anders ich nahm mir also vor, ehe Du etwas von meiner Ankunft erführest, ehe ich das Schloß beträte und Deine Eltern begrüßte, Dich hier zu überfallen. Im Park war ich noch ziemlich bekannt und so ist es gerade kein Wunder, daß ich mich zurecht fand.

Und Tausend Mal willkommen, Du Gute! Wir werden uns Viel zu erzählen haben !

Ja, nun beichte Dein Ritter dort wird seiner Irrgänge müde werden

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Ich werde Dich ihm vorstellen aber Eins, Aurelie! Du bist die Vertraute unsers Geheimnisses vergiß das nicht wir lieben uns aber Du bist die Erste, welche es erfährt

Das würde für mich sehr schmeichelhaft sein, wenn es minder zufällig wäre um so neugieriger bin ich Dein romantischer Hang hat Dich am Ende einem Dichter oder Künstler entgegengeführt, der nicht recht in unsere Verwandtschaft paßt. Hab ich Recht oder nicht?

Beides zugleich und Elisabeth rief Jaromir und stellte ihm Elisabeth vor: Meine Cousine, Aurelie, von Treffurth. Dann nannte sie ihr seinen Namen

Sie war fröhlich erstaunt Ich begreife Deine Wahl, sagte sie halblaut zu Elisabeth und gegen Jaromir gewendet, fügte sie hinzu:

Und über die Ihrige erstaun ich gar nicht auch hört ich Manches aus der Schule schwatzen Elisabeth wollte immer nur Gedichte von einem neuesten Dichter lernen und war deshalb auf einem ihrer Hauslehrer gar nicht gut zu sprechen, welcher behauptete: die neuen Dichter taugten alle nicht und gerade die, welche die Besten hießen, wären der Leute Verderben was würde er gesagt haben, wenn er jetzt, wie sonst so oft, mich auf der Wanderung hierher begleitet hätte.

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So scherzte Aurelie ungezwungen und muthwillig, wie immer ihre Weise gewesen war.

Die Drei nahmen auf den Moosstufen neben einander Platz, so gut es eben gehen mogte.

Aber nun erzähle, wie Du eigentlich hierher kommst, sagte Elisabeth zu Aurelie, so allein und überraschend und Du siehst eher aus, als ob Du von einem Spaziergang kämst, als von einer Reise!

Aurelie nahm ihren Hut ab, knöpfte die Handschuh auf, zog sie aus, wickelte sich aus der seidnen Mantille heraus, warf Alles zusammen neben sich in’s Gras und sagte lächelnd:

Sieh, da wirst Du Dich wundern; ich bin nicht etwa gekommen, um wie sonst Euer Gast zu sein ich bin nun Eure Nachbarin und wahrscheinlich Ihre nächste, Herr Graf!

Ich wohne in der Wasserheilanstalt; sagte dieser.

So ist mir, hab ich gehört, fuhr Aurelie fort, und ich wohne auch da

Du? Nicht möglich! rief Elisabeth.

Ich glaube, ich bin noch im Stande, Deinen Neid zu erregen, plauderte Aurelie neckend weiter, ich bin mit Oberst Treffurth hier, meinem Onkel. Die Tante ist schon lange kränklich, wie Du weißt, und der Arzt rieth ihr die Wasserkur. Seit der Verheirathung ihrer Tochter fühlt15 sie sich sehr verlassen und einsam, und da sie zu kränklich ist, um nur irgendwie dem Hauswesen noch vorstehen zu können, hingegen einer weiblichen Pflege und Umgebung bedarf, so hat sie sich eine Gesellschafterin in’s Haus genommen. Erst hatte die Tante ihre Tochter in deren neue Heimath begleitet, mit dem festen Entschluß, sich selbst dort anzusiedeln allein das gebirgige Klima hat ihr nicht zugesagt, die Aerzte haben es ihr als eine Unmöglichkeit geschildert, daß sie dort länger als ein paar Wochen zubringen könne, ohne ihre Gesundheit ganz zu untergraben. So hat sie denn nachgeben und ihren frühern Wohnort behalten müssen. Sehr verstimmt kam sie dahin zurück und bat mich zu ihr zu kommen, um ihr wenigstens auf kurze Zeit die Tochter zu ersetzen zu suchen. Wie ich nun ankam, war bereits davon die Rede, daß sie eine Wasserheilanstalt besuchen solle es fragte sich nur welche? Ich war natürlich gleich für Hohenheim um Deiner Nähe willen, doch flüsterte man sich in der Residenz leise zu: eigentlich sei die hiesige Anstalt erbärmlich, und Alles, was man darüber geschrieben und lobpreisend gefabelt, sei Nichts als eine Mystification des Publikums, eine neue Art Markschreierei, welche der Wasserdoctor von Hohenheim zu seinem Vortheil erfunden habe.

Jaromir lachte und sagte: Man thut dem guten Doctor Unrecht an der ganzen Mystification sind Sie16 allein Schuld, Elisabeth, das will ich Ihnen ein Mal später erklären, da Sie jetzt ungläubig lächeln.

Aurelie sagte: das wäre wirklich so allerliebst, als seltsam aber um meine Erzählung fortzusetzen: die Nähe von Hohenthal in dem neuen Badeort wirkte endlich auch entscheidend auf meine Tante und schneller als mit dem Entschluß ging es mit unsrer Abreise, daher erhieltst Du auch keine vorbereitende Nachricht. Gestern am späten Abend sind wir hier eingetroffen und haben uns nothdürftig placirt. Onkel und Tante folgen mir in einem Stündchen zu Euch nach. Unterdeß mag die Doctor Thal Aurelie unterbrach sich plötzlich: Ach, das hab ich Dir noch gar nicht einmal gesagt. Die Gesellschafterin meiner Tante ist nämlich niemand Anders, als die Doctor Thalheim, die Frau unsers Lehrers, welchen Du so schwärmerisch verehrtest und welcher

Elisabeth fiel ihr in’s Wort: Nicht möglich! rief sie. So haben sie sich ganz und für immer getrennt? Und hat er ihr auch sein Kind nicht länger anvertrauen mögen? Sie war zu sehr überrascht von Aureliens Neuigkeit, zu gespannt auf deren Antwort, als daß sie hätte bemerken sollen, wie ein leises, bitteres Zucken, eine vorübergehende schauernde Blässe der Bestürzung über Jaromirs vorhin so glückstrahlende Züge flog auch ward er bald dieser äußern Bewegung Meister; doch Aureliens Blick war zufällig17 während derselben auf ihn getroffen; jetzt fuhr sie fort:

Ich glaube, die Thalheim hat gesagt, sie sei von ihrem Mann geschieden, ihr Kind ist gestorben das mag sie noch zusammengehalten haben, jetzt soll er gar nicht mehr nach ihr fragen. Man könnte wirklich neugierig sein zu wissen, was eigentlich zwischen den beiden Menschen vorgefallen, es hieß ja immer, er sei der beste Gatte von der Welt, und auf einmal, als sie kaum von der schwersten Krankheit genesen, verläßt er sie, um sich auf einer Reise zu amüsiren. Verdenken kann ich’s ihm nicht, denn häßlich ist sie und furchtbare Langeweile mag er auch bei ihr gehabt haben. Aber daß er das nicht schon viele Jahre vorher empfunden hat! Da nannte man aber die Armuth sein einziges Unglück! Du weißt es ja selbst.

Aber vielleicht ist sie doch nicht sein größtes gewesen, oder vielleicht war sie es allein, die ihn bestimmte, die Reiseofferte von Graf Golzenau anzunehmen; sagte Elisabeth.

Sie lebten in Noth? fuhr Jaromir hastig heraus und Golzenau ich besinne mich dieser Thalheim, welcher mit meinem Vetter Eduin Golzenau reist, ist derselbe, dessen Gattin jetzt hierher kommt, ist Ihr Lehrer, von dem Sie, Elisabeth, mir noch jüngst mit Begeisterung sprachen. Sie hatten mir seinen Namen nicht genannt.

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Der nämliche, Jaromir, sagte Elisabeth. Aber Sie sind so bewegt, nehmen Antheil an diesem Thalheim? Sie kennen ihn ja vor einem Jahr, als wir uns zuerst sahen, kamen Sie von ihm.

Und eine neue Liebe ging in meinem Herzen auf! rief er, den ganzen Sturm seiner aufgeregten Empfindungen in diese Worte pressend und zog ihre Hand heftig an seine zuckenden Lippen.

Sie nahm diese Aufwallung für den einfachen Ausdruck der überwältigenden Erinnerung an jene erste Stunde, wo zwei Menschen sich begegnen, welche trotz der Bewegung ihrer Herzen dabei und der wunderbaren, unerklärten Empfindung, welche in ihre Seelen schlägt, auch nicht ahnen können, daß einst ein Himmelsgefühl und ein Himmelsglück sie vereinigen werde und so blickte sie ihn zärtlich an und vergaß darüber, was sie und er noch im letztverwichenen Moment gesprochen.

Nach einem Augenblick des Schweigens sagte Elisabeth zu Aurelie: Durch den Rittmeister von Waldow, der mir zuweilen von der Reise seines Sohnes erzählte, habe ich auch von Thalheim sprechen hören auch lebt ihm ein Bruder hier

Ein Bruder? sagte Aurelie. Nun da wird die Doctor Thalheim gewiß um so weniger ausgehen, als sie dies schon zum voraus erklärt hat es wird ihr unangenehm19 sein, da ihr Gatte Nichts mehr von ihr wissen will, in der Gesellschaft mit einem Schwager zusammentreffen.

In der Gesellschaft? Das wird sie nicht! lächelte Elisabeth. Franz Thalheim ist Fabrikenarbeiter

Aurelie schlug ein lautes Gelächter auf und sagte ungläubig: Du bist sogar witzig geworden, Elisabeth.

Unterdeß hatte Jaromir an seine Uhr gesehen: Man wird Sie im Schloß erwarten, es ist Zeit, daß ich gehe, sagte er und entfernte sich nach kurzem Abschied.

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II. Die Brüder.

Ich bin gewandert, hab gesehen,
Es steigt empor ein böses Zeichen,
Ein Kampf liegt in den ersten Wehen,
Ein Kampf der Armen und der Reichen.
Alfred Meißner.

Der Geheimrath von Bordenbrücken hatte seine Mission vollkommen erfüllt. Gewiß hatte er den Orden, um den er sich bewarb, schon jetzt verdient. Wenigstens hatte er sich alle mögliche Mühe darum gegeben und kein Mittel gescheut, zu irgend einem Resultat zu gelangen, durch das er sich den Dank seiner Regierung verdiene. Um jeden Preis wollte er Entdeckungen von der größten Wichtigkeit über staatsgefährliche Verbindungen und Umtriebe machen. Wo er nur einen Keim dazu fand, wollte er daraus wo möglich eine Giftpflanze erziehen und sie dann frohlockend ausreißen.

So hatte der Geheimrath auch den unheimlichen Funken in die Seele des Fabrikherrn geworfen war er dort einmal eingedrungen, so werde es ihm, daß wußte er, an weiterem Brennmaterial und Zündstoff nicht fehlen.

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Der Geheimrath war ein geschickter Rechenmeister, sein Exempel traf bei der Probe.

Herr Felchner hatte Tag und Nacht keine Ruhe mehr. Er theilte seine Unterredung mit dem Geheimrath seinem Sohn mit. Georg war von Charakter fast noch finsterer und hartherziger als sein Vater. Herr Felchner, der Vater, war ein Thrann gegen Alle, die von ihm abhingen, aber er war es um eines Zweckes willen: er war es aus Ehrgeiz, der reichste und industriellste Mann in seinem Vaterland zu sein. Alles, was er war und besaß, hatte er seiner Klugheit, seinem Fleiß und seiner Ausdauer zu verdanken, denn er hatte zuerst mit einem geringen Geschäft und klein angefangen. Darauf war er stolz und auf diesem sichern Fundament baute er nun mit rastlosem, unermüdlichem Eifer weiter. Es war seine Freude, wenn er durch seine Geldmacht den Adel demüthigen konnte, es war sein Stolz, bei dem großen Grundbesitz, den er sich nach und nach erworben, bei der Masse der Leute, welche er beschäftigte und welche dadurch Alle von ihm abhängig waren, selbst eine Art von Souverain vorzustellen, es war sein Ruhm, die Industrie durch alle zweckmäßige Neuerungen zu bereichern und sie in seinen Fabriken und durch dieselben auf eine immer höhere Stufe zu heben und es war so seine Lebensaufgabe, in Allen diesem noch weiter zu schreiten : das Mittel dazu war erhöhter Reichthum:22 Sich diesen zu verschaffen, war ihm kein Mittel zu gering, zu kleinlich und schimpflich so bald sich dies Alles nur unter einem Schein des Rechtes verbergen ließ. So lag seinem Handeln immer noch eine Idee, ein Zweck zum Grunde, und so war er nicht hart und grausam, weil er es unter allen Verhältnissen gewesen sein würde, sondern er war es nur unter den gegebenen, er glaubte so sein zu müssen, wenn er den Platz ganz ausfüllen wollte, auf den er sich gestellt, den er für sich gehörig in Anspruch genommen.

Aber anders war es mit Georg. Er war Nichts als eine todte Maschine. Er hatte nicht einmal einen Ueberblick über den weiten Geschäftskreis seines Vaters er stand still auf dem Platz, auf welchen ihn dieser gestellt. Er war einer jener Zahlenmenschen, welche ihr Leben lang niemals gedacht, sondern immer nur gerechnet haben. Aber darüber waren alle edleren Regungen seines Herzens erstorben. Der Grundzug seines Characters war böse Härte geworden. Glückliche und heitere Gesichter waren ihm förmlich unerträglich sobald er solchen begegnen mußte, ward er noch mürrischer als gewöhnlich; daß es so kam, war der Neid seines Herzens, weil er selbst für Freude und Glück ganz unempfindlich geworden war; aber er war dies auch für Schmerz und Trauer. In ihm war immer nur eine Empfindung lebendig: der Aerger und seine Aeußerungen23 bestanden in Härte und Grausamkeit. So ärgerte er sich stets über die Fabrikarbeiter, und weil er sich über sie ärgerte, haßte er sie, und weil er sie haßte, mißtraute er ihnen, und weil er ihnen mißtraute, behandelte er sie mit der ausgesuchtesten Strenge.

Es war natürlich, daß er jetzt, als ihm sein Vater die Warnungen des Geheimrathes mittheilte dieselben begierig in sich aufnahm, das Mißtrauen des Vaters vergrößern half und zu verstärkter Strenge gegen die Arbeiter rieth.

Und so kam es, daß am nächsten Lohntag jedem der ledigen Arbeiter angekündigt ward, daß man ihm am nächsten Lohntag ein paar Groschen von seinem Lohn abziehen werde, dafern er wieder in den Arbeiterverein in die Schänke gehe, hinter dessen gefährliche und aufrührerische Zwecke man endlich gekommen sei. Man wolle keine weiteren Nachforschungen anstellen, aber Jeder möge sich hüten, wieder Aehnliches zu versuchen und der Verein sei jetzt ein für alle Mal unwiderruflich aufgelöst.

Der Eindruck, welchen diese Maaßregel auf Alle, welche sie betraf, machte, war ein sehr verschiedener.

Das leiden wir nicht! Wir sind freie Arbeiter! Wir sind keine Sclaven, keine Bedienten! Man darf uns keine solchen Vorschriften machen! Wir wollen doch sehen, wer dazu ein Recht hat!

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So redeten die Arbeiter unter einander hin und her im ernsten lauten Zorn.

Nachher klang es anders da kamen all die Aber hinterdrein, gar viel und mannichfaltig all die Aber der armen Leute.

Da hieß es nun wohl so:

Aber was wollen wir thun? Wie wollen wir’s anfangen uns zu widersetzen? Leicht zwar ist’s gethan, zusammenzukommen wie gewöhnlich; aber dann, dann kommt der Lohntag, dem wir jedes Mal so sehnsüchtig entgegen harren kommt der Lohntag und kein Lohn! Denn wird unser Lohn noch mehr geschmälert, so müssen wir verhungern und elend zu Grunde gehen. Wollen wir klagen vor Gericht? Die Gerichtsklagen sind theuer und den armen Leuten helfen sie nicht! Wer die Macht hat, hat das Recht!

So sprachen die Arbeiter hin und her und sahen traurig und nachdenklich vor sich nieder.

Anton hatte seine Ohren überall.

Wilhelm hörte mit innrer Freude all das Murren der Zornigen, sah vergnügt all die große Bestürzung. Nun werden sie es wohl einsehen, sagte er für sich, nun werden sie’s nicht mehr lange tragen! Aber laut und zu den Andern sprach er nur:

Da seht Ihr es! Wir sind freie Arbeiter, wir können25 die Freiheit haben zu verhungern wir sind keine Sclaven unser Herr kann uns fortjagen, wenn wir ihm nicht zu Willen sind aber so ist es einmal, dem Reichen gehört die Welt bis sich einmal das Ding umkehren und der Reiche der Welt gehören wird. Zu Franz sagte er dann halblaut: Was meinst Du nun, Bruder? Was Du mühsam Jahre lang ringend aufgebaut, um Deine Kameraden für Menschenwürde zu erziehen, um sie zu sittlicher Erstarkung zu führen, um sie vor der äußersten Noth zu bewahren das sinkt nun Alles in Nichts zusammen vor dem Machtwort des reichen Tyrannen. Was meinst Du nun? Glaubst Du nun, daß es für uns besser werden könne, so lange wir die Sclaven der Reichen bleiben, so lange wir vor jeder Selbsthülfe feig zurückschaudern?

Laß mich jetzt, Wilhelm! bat Franz mit wehmüthiger Stimme, laß mich, bis ich mit mir selbst zu Rathe gegangen; zu unerwartet kam der Schlag.

Wilhelm lachte höhnisch.

Nach dem Feierabend ging Franz auf der Straße nach Hohenheim. So entmuthigt, so niedergeschlagen wie jetzt, war er noch niemals gewesen. Wie ein Schlag aus blauem Himmel war ihm diese neue unerhörte Strenge des Fabrikherrn gekommen. Er hatte ja von Anfang an Nichts gegen den Verein gehabt, als ihn Franz zuerst davon benachrichtigt26 und sogar um seine Zustimmung gebeten hatte. Woher nun dieses plötzliche Mißtrauen gegen eine Sache, welche man nie mit dem Schleier irgend eines Geheimnisses umhüllt gehabt hatte? Woher diese plötzliche Härte?

Franz sann lange darüber nach, doch immer vergebens. Und je weniger er einen Grund herausfand, welcher diese außerordentliche und unerwartete Maasregel des Fabrikherrn hätte rechtfertigen können, desto trüber und unheimlicher ward ihm zu Muthe eine ungeheure Angst vor kommenden Dingen begann sich wie ein drückender Alp auf seine Seele zu lagern. Diese Ankündigung, die ihm und allen Arbeitern heute geworden, war sie nicht der Vorbote nahenden großen Unheils? Glich sie nicht dem ersten schmetternden Blitz, dem ersten rasch abbrechenden Donnerschlag, die ohne die Gewitterschwüle der Luft durch lindernde Regentropfen zu kühlen aus finsterm Gewölk hervorbrechen? Und dann ist es wieder still, todtenstill und keine Bewegung am Horizont. Nur daß die schwarzen Wolken immer größer wachsen, immer höher sich aufthürmen, ohne doch sichtlich weiter von ihrer Stelle zu rücken, ihre dunkeln Massen mit schneehellen Spitzen schmücken, mit rothschillernden Streifen durchziehen so daß der Beobachter des Wetters wohl sieht: das ist mehr als ein Gewitter, das mit vorübergehenden Schrecken der Erde Segen bringt das verkündet schlimmen Hagel, das wird sich nicht27 eher entladen, als im gräßlichen Wolkenbruch. Auf die todesängstliche stille Erde, die unter dieser drohenden schwarzen Last sich nicht zu rühren wagt, wird plötzlich das Entsetzen hereinbrechen und sie wird ohnmächtig aufschreien unter den fürchterlichen Kampf der Elemente, aber unhaltbar werden die großen Hagelkörner herunterstürzen und die Bäume zerbrechen, die nicht geduldig sich beugen wollen, die junge Saat zerstampfen, die hilflos dasteht, und unter allen Früchten ringsum eine furchtbare Ernte halten vor der Zeit. Und tosende Wasserschlünde wird der Himmel öffnen, die werden zusammenströmen mit den Wassern auf der Erde und sie aus ihren friedlichen Betten aufjagen, heraushetzen auf blumige Wiesen und Felder und über sie hinweg bis hinein in die schutzlosen Häuser armer Menschen. Und dann, wenn das Werk der Zerstörung vollendet sein wird, dann wird von droben ein ruhiger blauer Himmel herniederlachen auf all den Jammer unten, und kleine Silberwölkchen werden im spielenden Tanz erzählen: das Unwetter sei nun vorbei und komme nicht wieder, es herrsche nun wieder lauter Klarheit und Ruhe. Als ob nun Alles gut sei! Als ob es Nichts sei, eine zertrümmerte Ernte! Als ob die vernichteten Hoffnungen von Tausenden Nichts wären!

So zog es durch Franzens Seele. So hatte er das bestimmte Vorgefühl wie vor solch gräßlichem Gewitter. 28So legte es sich wie ein drückender Alp auf seine Brust. Da drinnen fühlte er es bestimmt: so werde es kommen.

Wer so die niedern Arbeiter tagtäglich freiwillig und friedlich sieht an ihre einförmigen und schweren Geschäfte gehen, der ahnt wohl nicht, welch ungeheuere Kämpfe oft mögen ausgekämpft werden in diesen stummen Herzen, die hinter einem groben grauen Hemd und unter einer zerrissenen Jacke schlagen. Und wenn auch öfter noch vielleicht diese Herzen kein Verlangen haben, weil der hungernde Magen daneben eine beredtere Sprache als sie gelernt hat, wenn auch all diese Sinne durch frühe Gewöhnung thierisch abgestumpft sind und nur aus Gewohnheit ein lästiges Leben fortführen, ohne ein anderes zu begehren, weil ihnen von ihrer Geburt an vorgesagt worden ist: das sei ihr Loos und sie für sich niemals ein anderes erstreb’bar hielten: ach, so trifft doch doppelte Qual diejenigen, welche aus ihrer dumpfen Lebensnacht aufgewacht sind und sich doch ausgeschlossen sehen von All dem, was man eigentlich Leben nennt. Dann beginnt jenes Ringen des innern Menschen wider das Loos, zu dem der äußere Mensch durch seine Geburt verdammt ist. Und wer nun frommer Sieger bleibt in solchen Kämpfen, vielleicht der härtesten von allen, welche den Menschen beschieden sind, dessen wartet dafür kein Wort der Anerkennung, kein29 Hauch der Bewunderung, kein leuchtendes Ziel und kein ehrender Kranz kaum daß von ihm die Welt sagt: er thut seine Pflicht; sie sagt entweder: es ist so seine Bestimmung, was kann er Anderes wollen? Oder sie spricht gar nicht von ihm denn von dumpfen Maschinen, die man sich nur zu einem bestimmten Gebrauch hält, pflegt man nicht zu sprechen.

Wer mogte diese Kämpfe ahnen, in welchen Franz täglich mit sich selber rang? Wer diese Versuchungen, welche gleich der lernäischen Hydra, wenn er sich Sieger wähnte, ihm immer wieder ein neues Haupt züngelnd und gifthauchend entgegenbäumten?

Und jetzt rang er wieder.

Er hatte sich jenseit des Grabens der Straße, auf welcher er ging, unter einen Baum geworfen und starrte, die Hände krampfhaft vor seine Brust gedrückt, vor sich nieder. Zwei große schwere Thränen rannen ungehemmt über seine bleichen Wangen.

Da ist er ja! rief plötzlich eine Stimme und ein Mann sprang rasch über den Straßengraben hinweg und stand vor Franz.

Der Wandrer glich ihm und doch auch wieder nicht. Er war größer als Franz, seine Haare waren von lichterem Braun, seine Augen hatten einen sanfteren und milderen Glanz. Der Schnitt der Gesichter war gleich wie30 ihre Blässe und in den Furchen Beider las man große geistige Kämpfe verzeichnet. Aber während man es Franz ansah, daß eben jetzt diese Kämpfe am Heftigsten tobten, schienen sie bei dem Andern überwunden und der Ausdruck eines ruhigen Schmerzes lagerte auf seinem Antlitz, welches beinah etwas Heiliges und Verklärtes hatte. Einem fremden Beobachter wäre vielleicht noch aufgefallen, daß diese Beiden, die sich bis auf den Unterschied der Jahre, denn Franz mogte um zehn Jahre weniger zählen als Jener, so ähnlich sahen, in ihrer Kleidung um so unähnlicher erschienen. Denn während Franz Beinkleider von grobem Tuch, eine geflickte und zerknitterte Leinwandblouse und einen alten rothen Shawl um den Hals unter den groben Hemdkragen geschlungen trug, erschien jener in dem feinen, modernen und netten Anzug eines Mannes von Welt.

Aber die Bruderherzen schlugen in gleicher Liebe zu einander, gleichviel ob unter feinen Stoffen, ob unter Lumpen.

Franz!

Gustav!

So riefen sie sich gleichzeitig einander zu. Und sie schüttelten einander die Hände und sahen sich an mit allen Freudenzeichen des Wiedersehens.

Du bist schneller wieder zurückgekommen, als ich dachte, sagte Franz.

31

Waldow bekam auf einmal das Heimweh und ward kränklich. Befragte Aerzte riethen zur Heimkehr; Golzenau trieb auf einmal auch dazu an und so reisten wir Alle hierher zurück, da Waldows Heimath unserm Wege näher lag, als Golzenau. Ich begleite Eduin nach einigen Tagen, welche wir hier zu bringen, zu den Seinigen. Er will sich durchaus nicht von mir trennen, wahrscheinlich treten wir dann nach ein paar Wochen des Weilens im Vaterland eine neue Reise nach Norden an, da er den Süden so bereitwillig aufgab. Aber Franz, Du weintest, wie ich Dich zuerst sah? sagte Gustav Thalheim.

Weint ich? Nun es kann wohl sein wundern muß man sich freilich, wie man noch weinen kann! Ach, es ist gut, daß Du da bist ich muß Viel mit Dir reden, vielleicht weißt Du Rath, wo ich rathlos bin! Aber nicht hier um diese Fabrik herum muß jetzt die Luft verpestet sein, muß einen neuen Wellengang erfunden haben für den Schall, daß er gleich bis in die Ohren des Fabrikherrn trägt, was man spricht, aber verändert, verschlimmert auch weht der Herbstwind schon rauh über die Stoppeln Du wirst frieren, weil Du aus Süden kommst. Aber wo gehen wir hin in meiner Kammer ist’s vielleicht auch nicht mehr geheuer wer kann’s denn wissen?

Komm mit mir, antwortete der Doctor Thalheim,32 ich bewohne bei Waldow eine einsame Stube, dort wird uns Niemand belauschen, wenn Du Etwas zu fürchten hast, dort können wir uns einander näher erklären, denn noch verstehe ich Dich nicht.

So gingen sie denn zusammen dem Gute des Rittmeisters von Waldow zu.

Unterwegs fragte der Doctor Franz, ob er Etwas von Amalien wisse.

Franz verneinte. Er wußte es selbst noch nicht einmal, daß das Kind gestorben war weder Amalie noch Bernhard hatten ihm geschrieben.

Von diesen traurigen Verhältnissen sprachen sie zusammen, bis sie an das Ziel ihrer Wanderung kamen. Gustav führte den Bruder in seine Stube:

Hier sind wir ungestört, sagte er und zog ihn neben sich auf das Sopha.

Die Stube war zwar etwas altmodisch eingerichtet, Gardinen und Meubles waren von ziemlich verblichener Pracht aber es war doch immer einst Pracht gewesen und die eingedruckten Polster gaben noch immer weich und elastisch genug nach, um in ihrer Bequemlichkeit einem Proletarier ziemlich wunderlich vorzukommen. Er schüttelte den Kopf darüber wie über all die zierlichen, künstlichen Geräthe des Zimmers. Es mischte sich kein Neid und keine Bitterkeit in seine Worte, als er zu dem Bruder sagte:33 Du gehörst jetzt zu der Classe der Reichen und vornehmen Leute denn er gönnte ihm das Alles; aber er sagte es doch.

Bruder, sagte Jener, ich weiß wohl, daß Du unglücklich bist aber noch, als ich vor Jahresfrist hier von Dir Abschied nahm, versichertest Du mir: Zuweilen habest Du doch Stunden, wo die Arbeit Deine Lust sei, Du strebtest nicht über Dein Loos hinaus und drück es Dich auch ein Mal hart, nun so erhebe Dich doch der Gedanke, daß Du all Dein Streben Deinen Kameraden weihtest und daß es Dich erhöbe, danach zu trachten, soviel, als Dir möglich sei, zur Verbesserung der Lage der arbeitenden Classen beizutragen. Denkst Du nun anders?

Du hältst mir ein Bild meines Selbst vor, wie es einst war und wie es bald ganz zertrümmert sein wird Ja! Ich bildete mir das ein! Was ich schrieb, sollte die Augen einflußreicher Menschen, der Schriftsteller, der Bürger auf die Noth der Armen lenken was ich that, sollte, da ich anders nicht helfen konnte, die Kameraden hier eines besseren Looses werther machen. Und so geschah es auch. Mit einem von ihnen, Wilhelm, welcher fühlte und dachte wie ich, stiftete ich einen Verein unter uns unverheiratheten Arbeitern. Ich habe Dir einmal seine Statuten mitgetheilt. Dadurch ward Vieles besser. Trunkenheit und Spiel verschwanden bei den Jüngern. Dadurch, daß34 wir aus einer gemeinschaftlichen Casse uns unterstützten, wenn Einer in unverschuldete Noth kam, so daß wir nicht nöthig hatten, uns unsere Arbeit von den Factoren vorausbezahlen zu lassen, büßten wir weniger an unserm Verdienst ein. Wir redeten ein vernünftiges Wort zusammen, sangen kräftige Lieder zu Trost und Erheiterung, lasen wohl auch hier und da ein nützliches Buch zusammen und so kam manches Gute. Das Alles ist nun hin! Wir dürfen nicht mehr in unsrer besondern Stube zusammenkommen, keine Lieder mehr singen Alles nicht mehr, was wir bisher gethan spielen und uns betrinken aber ja das dürfen wir!

Gustav bat erschrocken theilnehmend um weitere Erklärung. Franz wußte seine Worte durch weiter Nichts zu ergänzen, als durch den außerordentlichen, drohenden Befehl von diesem Morgen. Dann fuhr er fort:

Aber ist denn das etwa Alles? Unter diesem kleinen Haufen elender Arbeiter, von deren Dasein die Classe der bevorrechteten Menschen kaum mehr Notiz nimmt, als von einem Ameisenbau werden die seelenerschütterndsten Trauerspiele aufführend gedichtet. Es giebt auch bei uns nicht nur äußerliches Elend und körperliche Schmerzen wir haben all die andern auch in fürchterlicher Größe. Ich bekam einst ein Schreiben von Ungenannten, das die Gleichheit aller Menschen predigte, von unsern Rechten sprach den35 Reichen gegenüber und das endlich zum Widerstand gegen sie alle Armen aufforderte Wilhelm ward ein Opfer dieser Ideen wir sind seitdem unserer Freundschaft nicht mehr froh geworden.

Aber Du, Franz Du? So will der wahnsinnige Communismus auch hier sich einnisten?

Ich habe oft Tag und Nacht gerungen aber davon nachher. Nach einigen Wochen bekam ich einen zweiten Brief er zeigte mir an, daß die Eisenbahnarbeiter hier in der Nähe aufstehen würden der Sieg müsse den Armen bleiben, sobald sie nur wollten wir wären ja einige Hundert es gelte, ein Heldenbeispiel zu geben die Andern würden folgen der Tag der Erlösung sei nahe für die Armen

Franz und was thatest Du ?

Meine Antwort war Schweigen. Du bist der Erste, der von diesem Brief erfährt

Gott sei Dank, daß Du aushieltest in der Versuchung, mein starker Bruder!

Sie war groß und wenn nun gar noch Reue käme? Die Eisenbahnarbeiter haben es nun schlimmer als früher, Einige von ihnen sind im Gefängniß. Und wir? Wir haben es nun auch schlimmer. Und was hatten wir denn weiter zu verlieren? Und wenn ich nun aus dem Brief kein Geheimniß gemacht hätte und die Kameraden36 wären seiner Mahnung alle beigesprungen und viel Hundert Arme wären plötzlich aufgestanden wie ein Mann und hätten ihr Recht gefordert von den Reichen was hätten sie denn beginnen wollen im ersten Schrecken? Nun büßen jene armen Brüder traurig ihre Kühnheit; und wenn nun ich daran Schuld wäre? Sie hatten Vertrauen zu mir, sonst hätten sie ja an einen Andern von uns ihre Mahnung schicken können und ich habe ihr Vertrauen gemißbraucht ach, das ist ein häßlicher Vorwurf

Franz, um Gottes Willen, Deine Gefühle verirren sich gräßlich, Deine Gedanken werden wirr

Und laß mich Alles sagen, dann richte, ob es mir nicht zu vergeben, wenn es so wäre, daß meine Seele die gewohnten Gedankengänge verlernte. Du kennst ja Paulinen, Du bist ihr Lehrer gewesen ich liebe sie ja, ja und sie liebt mich auch!

Die Tochter des Fabrikherrn? rief Gustav in äußerster Erschütterung.

Ja, und wer anders ist Schuld daran als Du? Du hast ihr Mitleid gelehrt mit den Armen und Gleichheit der Menschen und so bist Du es, dem wir unsre Seligkeit und unsern Jammer danken!

Es verging lange Zeit, bevor die Brüder wieder zusammensprachen, sie waren Beide zu schmerzlich bis in ihre innersten Seelentiefen durchschüttert. Der Eine von der37 Mittheilung, wie er sie noch niemals über seine Lippen hatte gleiten lassen, der Andere von dem Ueberraschenden und Erschreckenden des Gehörten.

Endlich begann Franz wieder gefaßt: Du bist ja jetzt weit herumgekommen, Du bist ja in jenen Staaten gewesen, wo die Bürger freier sind, als bei uns, und die Arbeiter nur desto gedrückter dort sagt man ja, es gähre überall, dort wohne das, was Du Communismus nennst? Erzähle!

Ja, es will sich überall regen mit unheilvollen Zeichen. Gefährliche Verbindungen gründen sich auf gefährliche Systeme, die auf den Umsturz aller bestehenden Verhältnisse hinaus laufen

Aber, Gustav, was soll endlich werden? Du nennst jene Systeme gefährlich gefährlich sind sie für die wenigen Tausende, welche jetzt im Besitz und im Rechte sind aber für die Millionen Rechtloser und Enterbter sind sie doch die einzige Rettung! Meine Geduld geht zu Ende; ich schwöre sie ab. Wenn ein edles Volk unter schändlichen Tyrannen Fessel nach Fessel um sich schlagen sieht so empört es sich endlich gegen seine übermüthigen Herrscher die Armen sind alle ein großes unglückliches Brudervolk warum sollen sie es nicht auch thun? Warum sollen die Armen nicht: Freiheit und Gleichheit! rufen? Wir wollen ein großes Brudervolk werden brüderlich38 die Arbeit theilen, brüderlich den Genuß und hat man uns jetzt mit Gewalt unglücklich gemacht warum sollen wir nicht versuchen, durch Gewalt glücklich zu werden?

Du appellirst an die Gewalt Dein Gefühl sagt Dir, daß die Gewalt der Reichen ein Unrecht, ein Verbrechen ist und was würde die Gewalt der Armen Anders sein? Gustav griff nach einem Buche, das unter andern Büchern und Papieren auf dem nächsten Tische lag. Jene Leute, sagte er, deren Lehren zum Theil in dem Schreiben enthalten sind, welches man an Dich gerichtet hat, meinen es vielleicht redlich mit der Menschheit, ich will sie nicht verdächtigen. Sie lieben die Menschheit und ihre Noth hat ihnen in’s Herz geschnitten und so haben sie einen Plan ausgesonnen, die ganze Welt zu beglücken, welcher auf den ersten Anschein viel Bestechendes hat, weil er durch ein allgemeines Band der Liebe die Menschen zu vollkommner Gleichberechtigung vereinen will. Aber darin ginge die persönliche Freiheit zu Grunde und eine solche Gemeinschaft, in der ein Jeder seine bestimmte Arbeit zu genießen bekäme, dafür aber nie mehr zu hungern und zu frieren, nie für sich selbst zu sorgen brauchte hat ihre Vorbilder bei dem Loos der Amerikanischen Sclaven und der Russischen Leibeigenen. Dawider empört sich der freigeborene Mensch, dessen Glück im Streben beruht. Und empörte sich nicht Dein Herz dagegen, als man Dir Deinen Gott und Dein39 Vaterland nehmen wollte? Jenes System des Communismus macht die Menschen zu Sclaven, denn es zwingt einen Jeden zur Arbeit, es macht sie zu Kindern, denn es nimmt ihnen die Freiheit des persönlichen Willens aber noch mehr es macht sie zu Thieren, denn es nimmt ihnen Gott und mit ihm alle Menschenwürde, es nimmt ihm die Familie und würdigt die Liebe der Gatten herab zu einem gemeinen sinnlichen Triebe ja, es würdigt den Menschen noch unter das Thier, denn es reißt auch die Kinder von den Eltern und spricht ein Verdammungsurtheil aus über diese heiligsten Bande des Blutes! Aber es giebt noch Andere, welchen die Noth der Erde eben so an’s Herz geht, welche es auch ehrlich mit der Menschheit meinen, welche aber statt wahnsinnig zu zerstören mit klarem Blick und regem Fleiße fortbauen. Höre wie ein Solcher spricht. Und Gustav schlug das Buch, das er ergriffen hatte, auf und las:

Die Aufgabe der Menschen ist Vervollkommnung; Vollkommenheit würde sie tödten. Dem Gang der Vervollkommnung durch rohe Gewalt vorgreifen wollen, heißt nur die Unvollkommenheit verlangen. Die Ansprüche aller Menschen auf politische Rechte wie auf Glück und Gut sind gleich; die Theilung aber durch Gewalt bewerkstelligen wollen heißt nur die Rollen tauschen und den Bevorrechteten zum Rechtlosen, den Besitzenden zum Armen machen40 um den Kampf der Gewalt auf’s Neue hervorzurufen. So lang es Vernunft giebt, muß auf sie vertraut, so lang es ein Recht giebt, muß an seinen Sieg geglaubt werden. Wer Vernunft und Recht verwirklichen will, wende auch Vernunft und Recht dazu an.

Das Gewordene hat auch sein Recht. Es muß umgewandelt, nicht zerstört werden. Ist das Gewordene als Zweck nicht gut, so ist es gut als Mittel. Man denke nur daran es zu gebrauchen. Die Lage von Millionen unsrer Brüder ist beklagenswerth. Aber wie sie mit dem Gewordenen zusammenhängt, so muß sie auch in dem Gewordenen ihre Heilung finden. Das Gewordene in unserm Ganzen ist der Staat. Im Staat müssen wir die Mittel zur Besserung suchen. Gebt kein Gehör jenem leichtfertigen, die Nothwendigkeit des Entwicklungsgesetzes überspringenden Zerstörungsgeist, welcher glaubt die Welt zu bessern, wenn er sie umkehrt. Halten wir die gewordene Welt fest, aber reformiren wir sie durch Vernunft und Recht, durch Ueberzeugung und Gesinnung. Wir alle zusammen haben wenig Rechte im Staat, aber die Armen haben gar keine; so streben wir dahin, ihnen Rechte zu verschaffen, damit sie sich Glück verschaffen können. Wir haben wenig Mittel dazu, so gebrauchen wir um so mehr diejenigen, die wir haben. Es giebt noch viel vernünftige und rechtliche Leute unter den Besitzenden. die sich uneigennützig41 dem Streben anschließen, dem Menschen zu erringen, was dem Menschen gehört, und die zu Opfern wie zu Kämpfen bereit sind. Und diejenigen, die fühllos genug sind, sich aus Eigennutz diesem Streben entgegenzusetzen, werden wir zu überzeugen wissen, daß gerade der Eigennutz sie bewegen soll, sich ihm anzuschließen. Wir werden jener Blindheit den Staar stechen, welche glaubt, ihren Besitzstand zu sichern, indem sie ihm durch feindliche Abwehr gegen die Gleichberechtigung nur erbitterte Gegner schafft; wir werden sie besiegen jene Blindheit des Besitzes, welche ihr Interesse zu wahren glaubt, indem sie sich der Blindheit der Gewalt anschließt und dienstbar macht. Wir werden sie verbannen, jene Verstocktheit des Egoismus, welche Alles behalten will, um endlich Alles zu verlieren.

Nur ernsten redlichen Willen, aber keine Gewalt! Die Gewalt stürzt aus der Luft, sobald sie nicht mehr umgangen werden kann; aber wer sie herabruft, ist ein Frevler an der Vernunft und an der Menschheit. Welche einzelne Gestaltungen ein friedlicher Kampf um die Besserung unserer Zustände uns noch bringen wird und wie viel Geduldproben wir noch zu bestehen haben werden, das vermag kein Mensch vorher zu bestimmen. Das aber präge man sich ein: es giebt keinen zweiten Schritt ohne den ersten, es giebt keinen wahren Fortschritt ohne Ueberzeugung,42 und die Früchte des gesellschaftlichen Fortschrittes haben keine Dauer ohne den politischen!

Und wenn auch das Billigste als Verbrechen betrachtet wird, wir dürfen dennoch die Geduld nicht verlieren; je mehr Hindernisse desto festeren Willen! Ein schlechter Soldat im Kampf der Politik, der wegen eines Flintenschusses aus der Festung die Belagerung aufgiebt! Aber es war bis jetzt unser erster Fehler, daß wir kämpften wie die Wilden: im Anlauf sind sie stürmisch, in Schlichen sind sie thätig, aber in ehrlicher, offener Schlacht nehmen sie die Flucht, so bald der erste Mann fällt.

Gustav hielt inne. Franz sagte: Es beginnt schon wieder ruhiger in mir zu werden vielleicht wird mir das Loos: der erste Mann zu sein welcher fällt. Könnt es die Sache der Armen fördern! Aber hier meine Hand, Bruder ich will die Geduld nicht verlieren!

Noch lange sprachen die Brüder zusammen und Franz stärkte die edle Seele an der gestählteren und zuversichtlicheren des ältern Bruders.

43

III. Mutter und Tochter.

Fester ist der Seelen Band als Eisen,
Heiliger als Opfer ihre Gluth.
Karl Haltaus.

Einige Tage nach Aureliens Ankunft saß Elisabeth allein in ihrem Zimmer. Sie warf wehmüthige Blicke zum Fenster hinaus auf die abgemäheten Saatfelder, von denen die Stoppeln öde und starr gleichsam zum Himmel in trostloser Eintönigkeit aufklagten, daß man ihnen ihre goldenen Halme genommen, mit denen sie einst ein wogendes Spiel aufführen konnten zur Ehre der Schöpfung. Auch drüben der Wald begann sich schon zu färben, rothe und gelbschillernde Stellen wurden darin bemerkbar, wo vorher nur grüne Schattirungen sich gezeigt hatten. Und recht still war’s draußen geworden, kaum daß noch hier und da eine wirbelnde Lerche aufflatterte oder ein Heimchen still verborgen im Grase zirpte auf der Wiese, die schon zum zweiten Male gemäht ward aber stumm geworden waren all44 die fliegenden Sänger im Walde, auf dem Felde und im Garten. Die im Lenz den ganzen Tag lang von Zweig zu Zweig geflogen waren, um vom frühen Morgen bis zum späten Abend sorglos frei und froh ihre Lieder zu singen, die saßen jetzt still in den heimischen Nestern bei der jungen Brut und lehrten ihr, sich putzen und fliegen und Nahrung suchen Lieder lernten sie ihnen nicht, das nutzlose Singen trage doch Nichts ein, meinten sie, das lernten sie schon allein und dächten dann, sie hätten nichts Anders zu thun, so leichtsinnig und schlimmgeartet sei nun jetzt einmal die Jugend. Die klugen alten Vögel! Sie betrügen sich nur selbst aber sie sind nicht klug genug, um diese Rolle lange durchzuführen im neuen Lenz suchen sie all ihre alten Lieder wieder hervor und probiren und musiciren, daß es eine Lust ist. Aber jetzt waren sie alle still und schwiegen verständig. Die Pyrolen schüttelten gar schön die goldenen Gefieder, breiteten die glänzenden schwarzen Schwingen aus und riefen einander mit ihrem verabredeten Zeichen, dem Pfeifenaccord zusammen zum großen Fluge nach Süden. Unten am Teiche wanderten zwei Sötrche bedächtig nebeneinander und setzten mit ernsthaftem Geklapper Tag und Stunde der Reise fest.

Elisabeth sah dem Allen träumend zu, und wie jetzt auch noch ein herbstlich kalter Wind ihr entgegen wehte, so zog auch ein unheimlicher Schauer durch ihre Seele, der ihr bisher45 fremd gewesen. Die Vögel, die sich zur Reise rüsteten, mahnten sie daran, daß bald nach ihnen ihr Sänger fortziehen, daß ihr Jaromir die sterbende Natur mit der lebendigen Stadt vertauschen werde. Sie malte es sich aus, wie der Park veröden werde ohne ihn.

Auch ein kleiner Auftritt von gestern kam ihr nicht wieder aus dem Gedächtniß und trug dazu bei, ihre trübe Stimmung zu erhöhen. Sie hatte nämlich gestern im Gesellschaftszimmer einen Band Gedichte von Jaromir liegen lassen. Aarens war dagewesen und hatte ihn zur Hand genommen, man hatte über die Gedichte und den Dichter gesprochen und der Graf Hohenthal hatte Aarens aufgefordert, eines oder das andere davon vorzulesen, da ihm noch alle unbekannt seien. Aarens hatte mit lächelnder Miene ein Freiheitslied aufgesucht und vorgetragen, das dem Grafen wegen seiner radicalen Tendenz höchlichst mißfiel er wollte ein anderes hören, Aarens suchte ein anderes: An die Frauen und sagte, der Titel lasse doch auf einen zarteren Inhalt schließen aber in diesem Lied wurden die Worte: Frau und frei als zwei Synonymen gebraucht und die Frauen aufgefordert, auch nicht zurückzubleiben im würdigen Dienst der neuen Zeit dies Lied empörte die Gräfin noch mehr als den Grafen, sie fand es ganz unverträglich mit der Achtung und zarten Ergebenheit, welche sie für ihr ganzes Geschlecht in Anspruch46 nahm, Aarens machte bittere Bemerkungen, fügte bei: an Achtung gegen die weibliche Würde dürfe man bei einem Menschen wie Szariny nicht denken blätterte dann in dem Buch und erklärte nachher: die Gedichte wären alle in dieser Weise und warf es mit verächtlicher Miene weg. Elisabeth hatte während dessen unaussprechlich gelitten, jetzt wußte sie sich nicht mehr zu fassen sie nahm das Buch und sagte erzwungen ruhig: Ich kenne diese Gedichte besser als Sie, Herr von Aarens, und werde nun selbst eins vorlesen ihr Vater wollte das erst überflüssig finden, sie ließ sich aber nicht abbringen und las eine Ballade, welche ein mittelalterliches Sujet behandelte und nun wirklich dem Grafen sehr gefiel. Sobald sie dieselbe aber zu Ende gelesen, entfernte sie sich mit dem Buch, um es nicht länger entweihen zu lassen. Der angenehme Eindruck verwischt sich aber schneller, als der unangenehme, und so ging es auch dem Elternpaar mit Jaromirs Gedichten. Später, als Aarens ging, sagte er beim Abschied zu Elisabeth mit einer besonders feierlichen und zärtlichen Miene, daß er am andern Tag wiederkommen werde und bis dahin bitte er alle guten Genien bei ihr ein freundliches Wort für ihn zu reden.

Dies Alles zusammen machte Elisabeth heute wehmüthig, verstimmt, unruhig.

Da ging die Thüre ihres Zimmers auf und ihre47 Mutter trat ein. Es war dies ungewöhnlich auch sah sie besonders feierlich aus und deshalb schrak Elisabeth bei ihrem Kommen unwillkürlich leise zusammen.

Mein Kind, sagte die Gräfin, sie umarmend, Du bist mir seit einiger Zeit ausgewichen, Du hast bemerkbar ein Alleinsein mit mir vermieden und so komme ich denn zu Dir in Dein Zimmer

Liebe Mutter! rief Elisabeth und schmiegte sich mit Vergebung suchenden Augen an sie und zog sie neben sich auf das Sopha.

Wir sind hier am Ungestörtesten, begann die Gräfin, wir können hier gegen einander Alles aussprechen, was wir auf unsern Herzen haben und die Scheidewand wird fallen, welche sich seltsam zwischen uns aufgerichtet hat.

Elisabeths Augen senkten sich zu boden, sie schwieg, obwohl die Mutter eine Antwort von ihr zu erwarten schien. Letztere fuhr endlich fort:

Nicht nur, daß Du seit einiger Zeit verschlossen gegen mich geworden bist, Dein ganzes Wesen hat sich verändert, zuweilen habe ich Dich weich und gefühlsinnig gesehen oder kindlich heiter wie sonst niemals aber dann wieder bist Du ernst und kalt und loderst dennoch dabei mit einer Art Feuerbegeisterung für Dinge auf, für welche ich diese Begeisterung am Allerwenigsten billigen kann.

48

Mutter, sagte Elisabeth, diesen letzten Punkt gerade festhaltend, um dadurch das Gespräch vielleicht auf eine allgemeinere Bahn zu bringen und sich ein Examen zu ersparen, welches ihr jetzt zu drohen schien, Du siehst die Dinge in einem andern Lichte, als wir, die Jugend von heute, sie sehen. Wenn Du statt in dieser Zurückgezogenheit mit der Welt fortgelebt hättest, so würde Dir Vieles weder auffallend noch befremdlich vorkommen, das mich in tiefinnerster Seele bewegt. Du hast es oft selbst gesagt, daß die Welt anders geworden sei seit Deiner Jugend, und daß Du deshalb Dich von ihr zurückgezogen, um so Wenig als möglich von diesen Veränderungen gewahr zu werden das durftet Ihr wohl thun, Du und der Vater, Ihr hattet Eurer Zeit gelebt und ihr genug gethan und sie Euch aber die nach Euch kommen, müssen nun wieder ihrer Zeit leben und dürfen nicht nach Vergangenem zurücksehen und so geht es von Geschlecht zu Geschlecht

Elisabeth, unterbrach sie die Gräfin in zürnendem Ton, diese Sprache hätte ich nie gewagt gegen meine Mutter zu führen.

Das Mädchen sah bestürzt vor sich nieder und küßte mit einem Seufzer die Mutterhand es fühlte eben, daß es nichts Unehrerbietiges gesagt und daß nun nie ein inneres Verstehen mehr möglich sei, wo nicht zwei verschiedene49 Menschen, sondern zwei verschiedene Zeiten sich einander unvereinbar gegenüberstanden.

Nach einer kleinen Pause begann die Mutter wieder: Ich meinte, es gebe für Frauen nur ein Gefühl, welches die Charaktere verwandeln, die Herzen aufregen und erheben könne ich dachte, diese Zeit sei jetzt für Dich gekommen aber Dein ungleiches Benehmen machte mich wieder irre nun sah und seh ich oft, wie unweiblich Du an männlichen Dingen Interesse findest und nun weiß ich nicht, was ich denken soll!

Nenne nicht unweiblich, Mutter, was

Suche mich nicht wieder von dem abzuleiten, was ich jetzt mit Dir zu besprechen habe. Ich habe mir nun Dein Wesen erklärt: Du siehst Dich geliebt aber weil Dein Herz kalt und stolz ist, so will es keinem sanften Gefühl Einlaß geben, es wehrt sich dagegen

Ach Mutter wie kannst Du so Dein Kind verkennen? Wie seltsam denkst Du von mir!

Ich glaube nicht, daß ich mich täusche Du siehst, wie zärtlich und ergeben Dich Aarens liebt

Aarens?!

Wie ihn selbst Deine Kälte nicht ändert, wie geduldig er Deine Launen erträgt ende dies unwürdige Spiel Deines Uebermuthes! Aarens warb gestern um Deine50 Hand er hat das Jawort Deiner Eltern und heute wird er sich das Deinige holen.

Elisabeth sprang auf: Ist das Dein Ernst? Kann das Dein Ernst sein?

Welche Frage! Hast Du mich jemals scherzen hören über solche Dinge?

Und wie soll ich glauben, daß Aarens, nachdem ich es ihm nie verborgen, so weit dies Zartgefühl und feine Sitten erlauben, daß ich nicht eine einzige Sympathie für ihn habe daß er eitel und thörigt genug ist, sich einzubilden, ich werde ihm meine Hand geben?

Elisabeth diese Einbildung theilen Deine Eltern!

Ich weiß vor Verwunderung nicht, was ich sagen soll um Liebe kann man doch nur bei dem Herzen werben, das man feix nennen möchte! Und Du und der Vater, Ihr konntet Euch so in mir täuschen, um ein Wort zu geben, das Ihr heute doch wieder zurücknehmen müßt? Ihr glaubtet, ich liebe ihn, denn sonst

Wir werden Aarens mit Freuden Sohn nennen und Dein verletzter Eigensinn wird sich endlich darüber beruhigen, daß wir so handelten, wie es von jeher bei unsern Ahnen Sitte gewesen auch meinen Gatten bestimmte mir die Wahl meiner Eltern und ich lernte ihn innig und treu lieben weil er mir bestimmt war. Das Beispiel einer Mutter heischt Ehrfurcht und Nachahmung51 von der einzigen Tochter. Ich erwarte das von Dir. Jetzt will ich Dich allein lassen, damit Dir Zeit wird zu überlegen, daß hoffentlich auch Deine neue Zeit den Gehorsam für den Elternwillen nicht zum Mährchen gemacht hat.

Die Gräfin war aufgestanden und nach der Thüre gegangen, um sich zu entfernen. Sie ward jetzt von Elisabeth zurückgehalten, durch deren aufgeregte Seele jetzt plötzlich ein Gedanke schoß. Meine Mutter, sagte sie stumm zu sich selbst, ist zu mir gekommen, damit ich kindlich mein Herz vor ihr öffne sie muß meine Liebe zu Jaromir errathen haben und es kränkt sie, daß ich ein Geheimniß vor ihr habe. Und es mir zu entlocken, sprach sie vorhin von Liebe, ich schwieg und um mich dafür zu bestrafen, um mir zu zeigen, daß dieser Mangel an Vertrauen von mir, mir selbst verderblich werden könne, hat sie das Mährchen von Aarens ersonnen vielleicht auch hat er wirklich um mich angehalten und sie droht nun mit dem Jawort, wenn meine Weigerung keinen andern Grund angiebt, als den, ihn nicht zu lieben.

Und wie Elisabeth dies Alles mit Blitzesschnelle gedacht hatte, warf sie sich um den Hals der Mutter und sagte weich und zärtlich, beinahe fröhlich:

Vergebung, meine Mutter, für meine Verschlossenheit aber Du hast das Mittel gefunden, sie zu beendigen, und mein Jaromir wird mir vergeben! Aber wenn52 Du es wußtest, daß ich ihn liebte, so hättest Du auch denken sollen, daß ein Herz, das einem Jaromir gehört, niemals auch nur an den Vorschlag einer Verbindung mit einem Aarens glauben kann!

Mädchen! rief die Gräfin in äußerster Bestürzung. Bist Du bei Sinnen? Was denkst Du? Von wem sprichst Du?

Mutter, magst Du mir Wahres gesagt haben oder Erdichtetes, sagte Elisabeth ernst, nun doch wieder in ihrer Voraussetzung irre gemacht, ich habe Dir auf Beides nur eine Antwort zu geben: vergieb mir, daß ich Dir nicht schon früher die unendliche Seligkeit meines Herzens gestand: Jaromir von Szariny liebt mich und keine Gewalt der Erde kann mich zwingen, einem andern Mann anzugehören.

Szariny! O, ich hätt es denken sollen daß ein poetischer Schwärmer und Schwindler auch mein Kind bethören sollte!

Mutter!

Und der Graf warb um Deine Hand!

Er gestand mir seine Liebe.

Und Du?

Was ich ihm erwiderte, weiß ich nicht, nur daß ich ihm bewieß, ich fühle wie er meine Seligkeit überwältigte mich.

53

Und er warb um Deine Hand?

Elisabeth schwieg.

Er warb bei Dir um Deine Hand?

Mutter, wir lebten selige Stunden im Genuß der Gegenwart.

Ich weiß nicht, ob ich staunen, zürnen oder weinen soll Du hast eine Liebesverbindung im Geheimen mit einem Abenteuerer eingegangen ohne daß er von Dir oder Deinen Eltern Deine Hand begehrt und zugesagt erhalten hätte?

Ich kenne ihn besser als Alle.

Hat er Dir erzählt, wie viel Frauen er schon vor Dir betrogen?

Mutter!

Bist Du kindisch genug zu glauben, Du wärest die erste Liebe eines solchen Menschen?

Darnach habe ich nicht zu fragen.

Und wenn er frühere Verhältnisse leichtsinnig knüpfte und löste?

So hatten ihm die Herzen, die er fand, nicht genügt und er durfte sie brechen für ein armes Mädchenherz ist es schon Glück, um einen Jaromir zu verbluten.

Welche widerliche Schwärmerei und dies beneidenswerthe Loos will mein verblendetes Kind sich schaffen!

Elisabeth brach in Thränen aus und sank erschöpft54 in das Sopha, weinend sagte sie: es ist umsonst wir verstehen einander nicht. Du weißt nicht, wie man liebt Du hast es niemals gewußt, oder doch vergessen ich liebe Jaromir und ich bin stolz genug, es Dir zu wiederholen, daß ich seine Liebe besitze weiter habe ich Nichts zu sagen durch dies Geständniß ist schon Alles bestimmt, wie ich handeln werde.

Ich werde Deinen Vater von Deinem Geständniß benachrichtigen.

Thue es vielleicht ist er mir ein milder Richter und ein gütiger Vater wie immer.

Die Gräfin öffnete die Thüre, um hinaus zu gehen. Plötzlich blieb sie zwischen der Thüre stehen und starrte streng vor sich aus.

In der That, Herr Graf, sagte sie im Tone strafenden Erstaunens.

Jaromir von Szariny verneigte sich ehrerbietig und ohne Bestürzung.

Sie verzeihen, sagte die Gräfin sehr kalt und stolz, daß ich frage, was Sie in diesen Theil des Schlosses führt?

Ich wollte um die Gunst einer Unterredung mit Ihnen bitten man sagte mir, daß Sie Sich in das Zimmer der Gräfin Elisabeth begaben aber, fügte er sich unterbrechend schnell hinzu, kann ich die Ehre haben,55 Sie auf Ihr Zimmer zu begleiten, wo ich mich entschuldigen will?

Elisabeth, als sie diese Stimme hörte, eilte zur Thüre und sagte: Treten Sie ein, Graf.

Sie wollte hinzufügen, daß sie kein Geheimniß vor ihrer Mutter habe, aber mit stolzer Scheu hielt sie plötzlich das Wort zurück: die Zimmer sind ja gleich und das nächste wohl das beste, setzte sie erzwungen leicht hinzu.

Die Gräfin nahm stumm auf dem Sopha Platz und sah ihn nun mit durchbohrenden Blicken an, als woll te sie sagen: erklären sie mir endlich, mein Herr!

So hab ich es gewollt, sagte Jaromir, ich hoffte, Elisabeth bei Ihnen zu finden, gnädige Gräfin, als ich vorhin kam, um endlich mein volles Herz auch vor Ihnen zu entlasten es war nicht so ich durfte hoffen, Sie hier zu finden, ich eile hierher, und im Augenblick, wo ich die Thüre öffnen will, um zu der großen Kühnheit meiner Bitte auch diese kleinere zu fügen treten Sie mir entgegen aber Ihre Tochter ist neben Ihnen! Das giebt mir meinen Muth wieder nicht ich allein wollte vor Sie hintreten und um Ihr schönstes Kleinod Sie bitten nur neben Elisabeth finde ich den Muth, Ihnen zu sagen: Segnen Sie mit Ihrem mütterlichen Seegen unsre Liebe.

Er hatte die Hand der bestürzten Gräfin gefaßt und küßte sie. Elisabeth sank zu ihren Füßen und richtete56 die überströmenden Augen mit flehenden Blicken zu ihr empor.

Die Gräfin erhob sich kalt Elisabeth sprang rasch von ihren Knieen empor, schmiegte sich, als wollte sie gleichsam im Liebestrotz ihres stolzen Herzens dem Geliebten eine Genugthuung geben, innig an ihn und verbarg von der Mutter abgewendet ihre weinenden Augen an seiner Brust.

Die Gräfin sagte mit frostiger Höflichkeit: Herr Graf, Sie verzeihen, Ihr Antrag selbst wie seine Art und Weise haben mich überrascht, so muß ich, bevor ich Ihnen eine Antwort darauf gebe, mit meinem Gemahl Rücksprache nehmen, der anders über die Hand meiner Tochter verfügt hatte.

Jaromirs Stolz war verletzt er sagte mit erzwungener Ruhe: So erlauben Sie mir, Sie zu dem Herrn Grafen zu begleiten.

Begleiten Sie mich in das Empfangzimmer ich werde ihn auf Ihr Erscheinen vorbereiten, sagte die Gräfin.

Elisabeths Herz schlug stürmisch, jetzt brach sie beinah heftig in die Worte aus: Nein, Mutter wo die Herzen so laut schlagen, müssen sie auch einmal ein Recht haben und an kein Ceremoniel sich binden. Komm, Jaromir Hand in Hand wollen wir zu unserm Vater gehen und ihn bitten: segne Deine Kinder. Wir wollen ihm erzählen57 von unsern seligen Herzen, wie sie in einander jubelnd zusammenschlagen und wie sie brechen müssen, das eine getrennt von dem andern. Ich will ihn daran erinnern, wie oft er gesagt hat, er kenne kein andres Glück, als das meine zu schaffen und wie jetzt dazu die Stunde gekommen sei. Er hat mir noch keinen Wunsch verweigert, warum denn gerade diesen einen? Und wie muß ihn die Wahl seiner Tochter ehren, wie stolz muß sie ihn machen! Komm, mein Jaromir, mein Vater wird uns segnen und dann meine Mutter auch Du wirst es ihr vergeben, wenn sie nicht anders über uns entscheiden will als zugleich mit dem Vater! Sie hing ihren Arm in den seinen, um mit ihm der Mutter zu folgen, die in tiefem Unmuth schweigend vor ihnen herging.

Elisabeth, rief Jaromir begeistert erst jetzt, wo ich um Deinen Besitz werben will, zeigst Du mir, welche Kühnheit es ist, Dich für ewig sein nennen zu wollen.

Sie standen an der Thüre zu des Grafen Zimmer Elisabeth öffnete.

58

IV. Zwei Werber.

O sich, es schließt mein ganzes Leben
Vor Dir sich auf, mein bestes Sein:
Um Dich zu werben und zu streben,
Dir meine ganze Kraft zu weih’n.
Franz Dingelstedt.

An jenem Morgen, an welchem Jaromir um Elisabeths Hand warb, war er vorher dem Geheimrath von Bordenbrücken begegnet, welcher so eben den zehnten Becher kalten Brunnenwassers glücklich hinabgewürgt hatte. Getreu seinem Plan, sich so viel als möglich an den Grafen zu drängen, hatte auch jetzt der Geheimrath ein Gespräch mit ihm angeknüpft und seinem Spaziergange sich angeschlossen.

So kam es, daß sie zusammen an dem Haus vorübergingen, welches der Oberst Treffurth mit seinen Angehörigen bewohnte. In der Stube des Parterres stand ein Fenster auf und eine Dame lehnte in demselben. Der Geheimrath59 sagte fragend zu ihm: Bieten wir der Frau Oberst einen Morgengruß?

Jaromir warf einen Blick in das Fenster er sah auf Amalien er hätte sie wohl kaum erkannt, wenn er nicht gewußt hätte, daß sie hier sei und dies Haus bewohne in diesem Augenblick begegneten Amaliens Blicke den seinigen und im Moment darauf stieß sie einen Schrei aus und warf das Fenster zu.

Jaromir blieb stumm.

Der Geheimrath aber hatte Alles beobachtet. Er hatte recht wohl gesehen, daß nicht die Oberst, sondern Amalie am Fenster war. Daß ein Verhältniß zwischen Beiden bestanden hatte, wußte er vom Doctor Schuhmacher Dank dessen Haussuchung bei Thalheim! er wußte nur nicht, ob es noch jetzt bestand, oder ob Jaromir es gelöst hatte; er glaubte das Letztere, zugleich auch, daß Amalie ihn nicht aufgeben wolle und absichtlich ihm hierher nachgereist sei. Dies schien ihm das Wahrscheinlichste und so hatte er es auch bereits Aarens erzählt. Da er nun gern Jaromir sich verpflichten wollte und ihm auch zugleich zeigen, daß er selbst ihm vielleicht auch gefährlich werden könne, so sagte er jetzt vertraulich leise zu ihm:

Die Erscheinung dieser Person hier in unsrem kleinen Kreis, wo wir Alle wie eine Familie leben könnten, ist mir in Ihre Seele zuwider.

60

Jaromir sah mit unverstellter Verwunderung den Sprecher an und sagte unbefangen: Man sieht sie ja nicht einmal in Gesellschaft.

Aber dennoch hüten Sie Sich ich habe in diesem Punkte traurige Erfahrungen gemacht, und wie mir scheint, werden dieselben auch für Sie nicht ausbleiben.

Jaromir ward jetzt wirklich etwas verlegen, da er sich die Worte des Geheimraths gar nicht zu deuten wußte, obwohl sie ihn als wahr trafen. So hatte vielleicht Amalie selbst sich ihres früheren Verhältnisses gerühmt? Der Geheimrath, als er dies bemerkte, hatte sich für jetzt selbst genug gethan und hatte vollkommen Grund, es zu vermeiden, daß Jaromir von ihm Rechenschaft fordere, wie er in den Besitz seines Geheimnisses gekommen deshalb eilte er sogleich auf den daherkommenden Aarens zu und sprach mit ihm leise einige Worte, während welcher der jenen begleitende Wasserdoctor, der lange dürre Hofrath Wispermann, seine Worte an Jaromir richtete.

Aarens und der Hofrath waren nicht sobald vorüber, als der Geheimrath sich mit leuchtenden Augen zu Jaromir wendete denn jetzt hatte er die Gelegenheit in Händen, diesen zugleich zu verwunden und doch auch ihm einen Dienst zu leisten, der Anspruch auf die größte Dankbarkeit hatte.

Ich mißbrauche das Vertrauen, sagte der Geheimrath,61 welches Aarens in mich setzt aber der Wunsch, Ihnen, theurer Freund, einen Dienst leisten zu können, läßt mich alle andern Rücksichten vergessen.

Ich bitte, antwortete Jaromir kalt und stolz, beschweren Sie meinetwegen Ihr Gewissen nicht.

Sie werden bald anders denken Aarens flüsterte mir zu, daß er gestern vom Grafen Hohenthal und seiner Gemahlin das Jawort zu einer Verbindung mit ihrer Tochter erhalten habe.

Wie? Das ist nicht möglich!

Er versichert es auf seine Ehre.

Das ist seine gewöhnliche Redensart.

Aber bedenken Sie, Graf.

Es ist unmöglich! Das ist Alles, was ich bedenken kann!

Dennoch bedenken Sie wie kann er heute erzählen, was ihn, wenn er es widerrufen müßte, in den Augen aller Welt lächerlich machte? Dazu ist er viel zu stolz und eitel.

Seine Eitelkeit verführt ihn selbst, sich das als gewiß zu denken, was er wünschen mag.

Sprechen Sie vielleicht aus Erfahrung?

Herr Geheimrath!

Ereifern Sie Sich nicht glauben Sie mir, Ihrem alten Freund, ich meine es aufrichtig mit Ihnen und sehe62 als unparteiisch und unbetheiligt ganz klar in dieser Angelegenheit: Sie sind vielleicht des Herzens der jungen Gräfin gewiß Aarens ist, wie er mir sagt, des Willens der Eltern gewiß und daraus entsteht ein sehr natürlicher Conflict und jetzt haben Sie Beide gleiche Macht auf dem Kampfplatze. Es ist gewissermaßen die neue und die alte Zeit, welche hier zusammenkämpfen sehen wir zu, welche in den Gesetzen des Schlosses Hohenthal vertreten wird: Sonst warb man zuerst bei den Eltern, die Einwilligung der Tochter war Nebensache jetzt will man es umgekehrt machen mir scheint aber, als widersetzte man sich auf Schloß Hohenthal sehr standhaft dem neuerungssüchtigen Zeitgeist.

Jaromir war wirklich zu bestürzt, als daß er den Geheimrath hätte unterbrechen sollen auch fühlte er nur zu gut, daß dieser eigentlich vollkommen Recht habe. Wie er dazu kam, von diesem Manne so in allen seinen Geheimnissen, in den ältesten wie in den neuesten ausgekundschaftet zu sein, dieser Umstand vermehrte zwar im Allgemeinen seine Bestürzung, aber es fiel ihm doch jetzt weit weniger auf, als es zu anderer Stunde der Fall gewesen sein würde, und darüber nachzudenken, hatte er gleich gar keine Zeit er drückte dem Geheimrath wirklich herzlich die Hand und rief:

Ich muß sie jetzt veranlassen Tausend Dank für63 Ihre Theilnahme, für Ihre Nachricht und ein ander Mal bessere als jetzt.

Er stürmte fort in seine Wohnung.

Der Geheimrath sah ihm lachend nach und war jetzt außerordentlich mit sich selbst zufrieden.

Jaromir warf sich schnell in einen eleganten Anzug und eilte nach Schloß Hohenthal.

Er lief eine Seitentreppe hinauf, von welcher er wußte, daß sie gleich aus dem Garten nach Elisabeths Zimmer führte. Er hatte es noch nie betreten, nur ein Mal Elisabeth bis hinauf begleitet. Die Vormittage brachte sie dort meist allein zu, das wußte er. Seine plötzlich erregte Angst, die Dringlichkeit des Momentes, sagte er sich, berechtigte ihn zu Allem Elisabeth werde ihm verzeihen und im Uebrigen vertraute er seinem guten Stern. Er lauschte an der Thüre wie erschrak er, als er Elisabeths weinende Stimme hörte darauf die aufgeregte der Gräfin er hörte die ganze letzte Hälfte ihrer Unterredung wie gering die Gräfin von ihm dachte, mit welch zuversichtlicher Liebe, welch zärtlicher Begeisterung Elisabeth von ihm sprach und so faßte er seinen Entschluß.

Als die Gräfin öffnete, hatte er bereits die kleine Lüge ersonnen, als sei er mit dem Vorsatz gekommen, bei64 ihr um Elisabeths Hand zu werben aber er segnete den Zufall, der Alles so für ihn gefügt hatte.

Nun waren sie zusammen zu dem Grafen geeilt. Er war nicht wenig verwundert, als er so unangemeldet und zu so ziemlich früher Stunde Jaromir eintreten sah und noch dazu an Elisabeths Hand.

Mein Gemahl Du wirst, begann die Gräfin.

Elisabeth fiel ihr in’s Wort und sagte gleichzeitig: Du wirst verwundert sein, mein theurer Vater, über unser Kommen sollen wir es entschuldigen, aufklären mit vielen Worten? Unsre Herzen sind dazu zu voll, wir haben nur ein Wort zu sagen: Laß Jaromir durch mich Deinen Sohn werden! Und sie hing sich an den Vater mit süßer schmeichelnder Umarmung und einer Thräne in den sanften Augen.

Zugleich faßte Jaromir nach der Hand des Grafen und sagte: Vergeben Sie dem liebebangenden Herzen, wenn ich nicht nach hergebrachten Formen, sondern mit dem Ungestüm allmächtiger Gefühle um die Hand Ihrer Tochter werbe.

Die Gräfin stand äußerlich ruhig und kalt fern von der Gruppe und sah auf ihren Gemahl er warf einen fragenden Blick auf sie, denn er stand bestürzt und unschlüssig und wußte so zu sagen gar nicht, woran er eigentlich war.

65

Elisabeth bemerkte diesen Blick und sagte: Die Mutter hat uns auf Deine Entscheidung verwiesen sie sagte, Du habest etwas anders über meine Hand verfügt. Du hattest Dich in mir getäuscht, als Du das thatest, denn Du wußtest nicht, daß ich Jaromir liebte; denn das weißt Du, daß ein Herz, welches liebt wie ich, nicht mit einem Andern und also ohne Herz zum Traualtare treten kann diese Schmach, dieses Elend, dieses Verbrechen könntest Du nie auf mich bürden wollen und nie würdest Du mich willig finden, ein solches Verbrechen zu begehen! Nein, so hast Du niemals von mir gedacht, Du willst mein Glück und weiter Nichts segne uns jetzt und so machst Du mich selig so selig wie es weiter kein Herz ist auf der Welt.

Als das meine! rief Jaromir und sank mit ihr zu den Füßen des Grafen.

Er stand noch immer regungslos auch die Gräfin stand regungslos nur daß sie jetzt nicht mehr auf den Grafen, sondern zu Boden sah das Herz der Mutter begann in ihr eine Sprache zu reden für die flehende Tochter, welche jetzt leise zu schluchzen begann.

Aber als der Graf noch immer schwieg, erwachte Jaromir’s stolzer Sinn, und er sprang auf er zog Elisabeth mit sich empor und rief:

Hör auf zu bitten, Elisabeth sie verstehen uns66 nicht sie haben nie geliebt sie verstehen unsre Sprache nicht sie wissen nicht, was sie thun! Zum letzten Mal denn, rief er mit verzweifelnder Stimme, indem er sie küßte.

Jaromir! rief sie und umschlang ihn fest.

Er machte sich los und führte sie zu ihrer Mutter er machte dieser eine kalte Verbeugung und wollte gehen.

Aber das Mutterherz ertrug nicht den brechenden Blick der zusammensinkenden Tochter. Sie ging auf Jaromir zu:

Ihr Stolz, sagte sie, bezeichnet Sie als einen Verwandten und Theilnehmer an unsrem größten Familienfehler, und wenn Stolz dem Stolz begegnet, so müssen sie sich an einander brechen oder es giebt ein Unheil. Bedenken Sie, mein Sohn, daß, wenn Sie Sich darüber empören wollen, daß Eltern über ihr heiligstes Eigenthum nach ihrem besten Ermessen verfügen wollen es sie wohl kränken kann, wenn sie ohne ihr Wissen sich ihres Rechtes über ihr schönstes Kleinod schon verlustig sehen.

Zugleich war der Graf zu Elisabeth getreten und führte sie jetzt in Jaromir’s Arme.

Du brichst das Wort, das ich gestern gab, sagte er, ich will es zurücknehmen ich betrachte Euch als Verlobte, als meine Kinder und die Welt betrachte Euch so aber unter Jahresfrist dürfen Sie mir mein Kind nicht entführen und den Elternsorgen dürfen Sie es67 nicht verargen, wenn wir den, dem wir unser einziges Kleinod anvertrauen, eh dies unwiderruflich geschieht, noch näher kennen lernen mögten.

Kaum hörten die Beseligten den ziemlich ernst gesprochenen Nachsatz vor Glück und Ueberraschung.

Jetzt aber laßt mich allein, sagte der Graf Hohenthal, vielleicht habe ich noch Zeit, mein gegebenes Wort schriftlich zurückzunehmen. Sie, Szariny, bleiben doch den Tag über bei uns, und wir besprechen und erörtern dann alles Nähere, was unser neues Verhältniß betrifft.

Die Gräfin blieb noch bei ihrem Gatten.

Jaromir und Elisabeth entfernten sich.

Wir gehen doch in den Park? fragte sie und so lenkten sie ihre Schritte die breite Treppe vor dem Schloß hinab. Sie gingen Arm in Arm und konnten jetzt auch nicht sprechen, sondern waren nur Eines verloren im Anschaun des Andern. So hatten sie nicht gleich bemerkt, wie so eben Aarens mit festen, siegesbewußten Schritten aus dem großen Hofthor trat und der Treppe zuschritt. Elisabeth an Jaromir’s Arm! Das brachte ihn außer Fassung aber er baute zu fest auf seinen Sieg es konnte nur eine Höflichkeit sein, wie sie Elisabeth ja auch von ihm selbst schon zuweilen angenommen hatte.

Jetzt stand Aarens grüßend vor dem Paare.

Elisabeth überlegte schnell, daß sie, wenn sie jetzt68 unbefangen Jaromir als ihren Bräutigam vorstelle, ihrem Vater eine schwere Pflicht und Aarens eine Kränkung ersparen könne, indem er dann glauben werde, Jaromir habe um sie angehalten, eh sie selbst von Aarens Werbung erfahren im Augenblick bedachte sie nicht, daß jener um so beleidigter sich fühlen könne, wenn man nicht einmal seine Werbung gegen die Jaromir’s in die Waagschaale geworfen, und so stellte sie, bedacht und unbedacht zugleich, Jaromir als ihren Bräutigam vor und fügte bei:

Und so bitt ich denn den werthen Freund unsres Hauses, uns auch in Zukunft ein solcher zu bleiben! Sie sagte dies mit der freundlichsten, herzlichsten Stimme, denn so glücklich, wie sie jetzt war, hätte sie gern auch nur lauter glückliche Menschen um sich gesehen, und empfand daher Mitleid für den Getäuschten.

Er stand wie vom Donner gerührt.

Nach einer Weile sagte er sehr gezwungen: Ich werde nachher die Ehre haben, Ihnen Glück zu wünschen jetzt erwartet mich Ihr gnädiger Herr Vater.

Damit eilte er die Treppe hinauf.

Die beiden Glücklichen aber gingen in die Rotunde, welche so oft schon zum Tempel ihrer Liebe geworden war um auch jetzt dort vor einander die selig klopfenden Herzen zu entlasten.

Zu derselben Stunde, in der Jaromir nach Schloß69 Hohenthal ging, hatte sich Gustav Thalheim nach der Fabrik des Herrn Felchner begeben, um dort seinen Besuch zu machen. Zwar hatte der Rittmeister von Waldow versucht, ihn zurückzuhalten, hatte Herrn Felchner als einen gemeinen, groben und unerträglichen Menschen geschildert, mit dem ein wohlerzogener Mensch gar nicht verkehren könne denn der Rittmeister konnte es niemals vergessen, daß sein schöner Wald mit all seinen stolz und aristokratisch hochgewachsenen Bäumen ein Eigenthum des Fabrikanten geworden war, der mit diesen Bäumen nun seine Fabrik heizte. Zwar hatte der Rittmeister Paulinen, die ihm einst für seinen Sohn eine so wünschenswerthe als nun unerreichbare Partie gewesen als eine überspannte Närrin geschildert, welche mit den untergeordnetsten Arbeitern auf eine seltsame Weise verkehre aber Thalheim ließ sich nicht in seinem Entschluß irre machen und seufzte nur innerlich, daß auch hier in dieser Abgeschiedenheit gerade das Edelste und Weiblichste einer zarten weiblichen Natur so falsch beurtheilt werden konnte.

Als Thalheim in die Fabrik kam und nach Herrn Felchner fragte, sagte man ihm, daß er in die Stadt gefahren sei und vor Abend nicht zurückkäme.

Er fragte nach dem Fräulein.

Ich will sie suchen, antwortete die Magd, warten70 Sie unten wird gescheuert, weil der Herr nicht da ist kommen Sie mit herauf.

Thalheim folgte der vorauseilenden Magd und sie schob ihn in eines jener Prachtgemächer des oberen Stockes, welche gar nicht benutzt wurden und in denen daher eine schwüle, dumpfe Luft herrschte.

Die Ueberladung, der Luxus dieses Gemaches, dessen Einrichtung in einer geschmacklosen Ueberhäufung prachtvoller Meubles und kostbarer Kleinigkeiten bestand, machte einen höchst widrigen Eindruck auf Thalheim und versetzte ihn in eine peinliche Stimmung.

Pauline ließ lange auf sich warten.

Endlich trat sie ein die Magd hatte ihr nur gesagt, ein Herr warte auf sie wie groß war ihr Erstaunen, als sie jetzt den Lehrer wieder erkannte! Sie bot ihm herzlich die Hand und hieß ihn mit froher Ueberraschung willkommen.

Thalheim erzählte, wie es gekommen, daß er jetzt für einige Tage hier sei.

Sie treffen außer mir noch zwei Menschen hier, die sich innig dieses Wiedersehens freuen werden, sagte sie leise erröthend, Ihren Bruder und Elisabeth, und hastig fügte sie bei: waren Sie schon auf Schloß Hohenthal?

Ich beabsichtige, von hier dorthin zu gehen.

71

Das trifft sich gut so darf ich hoffen, daß wir zusammen dahin fahren ich beabsichtigte dies schon, da ich Elisabeth lange nicht gesehen.

Sie leben hier in gut nachbarlichem Verhältniß?

Nicht mehr so ganz es gab Differenzen zwischen unsern Eltern Sie hatten nur zu Recht: unsrer Freundschaft standen Kämpfe bevor aber wir hielten sie aus Elisabeth kam dann wohl noch zu mir aber ich mußte des Vaters Geheiß befolgen heute aber ist er in die Stadt gefahren in Geschäften, weil ihm eine neue Handelsspeculation gelungen ist er war sehr vergnügt und sagte ich möge ihm eine Bitte nennen, er werde sie gewähren, und so

So baten Sie darum, die freundlichen Beziehungen zum Schloß wieder anknüpfen zu dürfen?

Sie schwieg und sah vor sich nieder, wie um zu prüfen, ob sie Etwas sagen oder verschweigen solle dann begann sie und eine Thräne glänzte in ihrem Auge:

Sie kennen ja doch einmal die Einrichtungen in unsrer Fabrik, warum Ihnen nicht die Wahrheit sagen? Die Freundschaft gilt mir viel aber ihrer bin ich ja doch sicher und selbst wenn es nicht wäre, warum nicht ein Gefühl meines Herzens der Zufriedenheit vieler Unglücklicher zum Opfer bringen? Ich bat meinen Vater:72 den Arbeitern, denen er gestern gebot, ihren Verein aufzuheben denselben doch wieder zu gestatten.

Thalheim ergriff ihre Hand und drückte sie mit warmer Herzlichkeit, indem er wehmüthig fragte: Es war umsonst?

Umsonst er ward zornig er sagte, das sei keine Bitte für mich und so that ich erschreckt die zweite, die er gewährte.

Und da wir denn einmal auf diese beängstigenden Zustände gekommen sind waren es nicht fremde Einflüsterungen, welche Ihren Vater dahin brachten, etwas zu verbieten, das er Jahre lang wenigstens als unschädlich geduldet hatte?

Ja, ein Fremder sagte ihm, daß communistische Principien sich hier eingeschlichen, daß er das Schrecklichste erleben würde er war lange ungläubig, und je schwerer er sich erst zum Mißtrauen bringen ließ, um so hartnäckiger beharrt er nun in demselben.

Aber wenn ein Fremder ihn nach der einen Seite hin mißtrauisch machen konnte vermöchte nun nicht ein andrer Fremder dasselbe nach der andern Seite? Sollte es ihm nicht einleuchten, daß es gefährlich ist, den Unglücklichen durch Härte zur Verzweiflung zu treiben? Sollte man nicht von dieser Seite ihn warnen können? Ich73 gestehe, um deswillen thut es mir leid, Sie allein getroffen zu haben.

O, wagen Sie das nicht Sie am Wenigsten er mißtrauet Ihrem Bruder er könnte das Schrecklichste vermuthen. Es ist Alles vergebens! Er hört auch kein Wort von mir mehr an über diesen Punkt und mein Bruder ist noch mißtrauischer und strenger als der Vater. Ach, ich sehe das Fürchterlichste kommen aber der Blick der ungehörten Kassandra ändert Nichts an dem kommenden Unheil es wird kommen, schrecklich kommen über uns Alle und seine Opfer fordern und dann wird Alles sein wie vorher! Pauline sagte dies mit so tiefem Grausen, daß kalte Schauer über ihren Körper rieselten und sie sichtbar zu zittern anfing.

Sie haben ein trauriges Loos, Pauline, nur weil Sie ein Herz für die Menschheit haben.

Sie raffte sich zusammen und stand auf: Wir wollen einander nicht erweichen, sagte sie, ich glaube, ich werde noch viel Kraft brauchen! Drunten läutet eben die Mittagsglocke. Wollen Sie vielleicht mit Franz sprechen? Unterdeß mach ich mich zur Fahrt zurecht und bestelle den Wagen.

Er stand auf, stimmte bei und ging.

Unten traf er bald auf Franz, der mit gesenktem74 Haupt daher kam. Er schüttelte ihm die Hand und sagte, daß er von Paulinen komme.

Franzens Augen leuchteten: Begreifst Du nun, wie Alles kommen mußte? fragte er traurig.

Andere Arbeiter gingen vorüber, machten böse Gesichter und murmelten mit einander:

Habt Ihr gesehen was er für einen Bruder hat, sieht aus, wie was Rechtes.

Der bringt ihm vielleicht noch den Verstand zu Recht, das ist so Einer, die’s mit dem Volke halten, wenn’s der Franz auch nicht zugeben will ich weiß es besser! Er kommt aus der Schweiz, wo die armen Leute viel aufgeklärter sind als hier und besser zusammenhalten und wo auch Leute, die fein angezogen gehen wie er, mit denen zusammenkommen, die in schlechten Blousen und geflickten Lumpen gehen wie wir! sagte Anton.

Was Du nicht immer wissen willst! meinte ein Anderer.

Wißt Ihr’s, zischelte ein Dritter, der Alte ist heute verreist, und wenn die Katze nicht zu Hause ist nun da wißt Ihr schon.

Bleibt er über Nacht weg?

Nein das nicht.

Nun, da ist auch Nichts die Mäuse können nur75 die Nacht tanzen und pfeifen die Nacht muß es losgehen!

Ja, die Nacht! Und mag der alte Kater selber das Zusehen umsonst haben!

Pst, Brüder, pst! ermahnte Wilhelm. Wenn Jemand Euch hört und wenn Ihr auch murmelt jetzt, hat jedes Steinchen im Wege ein Ohr.

Die Burschen gingen ruhiger vorüber.

Jetzt fuhr der Wagen vor und Pauline stieg ein der ältere Thalheim kehrte um und setzte sich zu ihr. Franz blieb am Wege stehen, bis der Wagen vorbeifuhr. Seit jenem Abend, wo sie von ihrem Gefühl überwältigt an seine Brust gesunken war, hatte er noch weniger als vorher gewagt, sich ihr wieder zu nähern aber jetzt in dieser Entfernung, in diesem Moment konnte er es schon wagen, ihr einen Blick zuzuwerfen, in dem seine ganze Seele lag und sie erwiderte ihn mit einem gleichen.

Dann besprachen die Beiden noch Manches, das sie einander nur immer werther machte und näher brachte.

So kamen sie gerade kurze Zeit nach Aarens im Schloß an. Man sagte ihnen, daß der Graf und die Gräfin im Augenblick nicht zu sprechen wären, die Comtesse aber sei in der Rotunde.

Dorthin eilte Pauline mit dem Lehrer.

76

V. Ein Blick hinter die Coulissen.

Ich will Euch sagen was in’s Ohr:
Die Hungersnoth ist vor dem Thor,
Die Leute klagen nicht, sie jodeln und scherzen,
Und das ist schlimm! Ich kenne die Menschenherzen.
Wollt ihr, daß noch zu dieser Noth
Ein Glaubenskrieg mit überreizten Nerven
In stille Hütten mag den Pechkranz werfen?
K. Beck.

Schreiben des Pater Xaver an den Pater Valentinus.

Gesegnet sei der heilige Loyola! Er läßt die Seinen niemals sinken und die Seinen niemals ihn.

Verleugnen müssen wir ihn zuweilen aber dafür straft er uns nicht das vergilt er uns tausendfach.

Du in Deiner glücklichen Einsamkeit, welche Dir gestattet, in friedlicher Stille den Pflichten unsers heiligen Ordens zu leben, Deinen frommen Wandel mit einen freudigen Gehorsam fortzusetzen, der keine Selbstverleugnung von Dir fordert, da Alles, was er Dir auferlegt, als natürlich von Dir übernommen werden77 kann wirst Dir kaum einen Begriff machen können von all den künstlichen Mitteln und mühevollen Combinationen, zu welchen unser Orden oft greifen muß, um sich seine Weltherrschaft nicht entreißen zu lassen. Du in einem glücklichen, gesegneten Lande lebend, das wir als unsere Heimath betrachten dürfen und in dem Alles still, gläubig, fromm und friedlich zugeht, wirst Dir auch davon keinen Begriff machen können, wie unser Leben in einem Lande ist, in dem das verderbliche Licht der Aufklärung täglich größere Fortschritte macht, in einem Lande, in dem der größere Theil der Einwohner aus Ketzern besteht!

Hier war der Spruch unsers Heiligen schon eingetroffen: sie hatten uns verjagt wie Wölfe, aber wir hatten uns verjüngt wie Adler.

Schon wagten wir es wieder die Länder siegesbewußt in unsere Klauen zu fassen, schattend unsere weitreichenden Flügel über die Völker auszubreiten, daß es Nacht ward bei ihnen schon dachten wir, es sei die Zeit gekommen, daß wir zugreifen könnten, uns unserer Beute zu versichern, sie zu zerfleischen, ihr das Herz zu entreißen, das doch ein Mal unwillig und aufrührerisch gegen uns schlagen könnte.

Aber wir hatten uns getäuscht, schrecklich getäuscht!

Wir erlebten nur einen kurzen Triumpf und dann eine um so schmerzlichere Niederlage.

78

Die Franzosen hatten ein entsetzliches Buch gegen uns geschrieben das in das verführerische Gewand eines Romans gekleidet, berechnet war, unsern heiligen Namen auf’s Neue vor aller Welt zu brandmarken. Das war schon entsetzlich! Und auf den Namen Eugen Sue ward der tausendstimmige, einhellige Fluch unsrer ganzen Brüderschaft für alle Zeiten geworfen! Ach, ein Fluch, der leider ohnmächtig abgeprallt ist, denn er hat uns vorher verflucht und alle Welt mit ihm.

Vor den Büchern der Deutschen fürchteten wir uns nicht, obwohl sie wie eine große Schneelawine über uns hereinbrachen! Es begann damit förmlich in Deutschland ein ganz besonderer Zweig der Literatur zu grünen und zu blühen, den man höhnisch geradezu Jesuitenliteratur nannte als ob unser heiliger Orden selbst solche gotteslästerliche Bücher verfaßt hätte, oder als ob sie recht für ihn allein bestimmt gewesen wären!

Nun, wir dachten die deutschen Bücher sind ja immer so ziemlich unschädlich gemacht wir fürchten diese guten Deutschen nicht, die theils aus Schwärmerei, theils aus Speculation der Buchhändler so viel abscheuliche Bücher zur Welt bringen! Wir ließen sie schreiben und phantasieren.

Aber wer hätte das diesem Büchervolke zugetraut? Die Franzosen hatten nur ein Buch gegen uns gehabt die Deutschen hatten diesmal gar eine That.

79

Es war entsetzlich an allen Ecken und Enden brannte es plötzlich lichterloh.

Das wenigstens weißt Du die Kunde von diesem plötzlichen Unheil ist auch bis in Deine glückliche Abgeschiedenheit gedrungen, wiewohl das schöne Land, in dem Du lebst, von ihren traurigen Folgen unberührt geblieben ist. Ich wiederhole Dir nicht erst das allgemein Bekannte.

Wär es ein Ketzer gewesen, der sich so gegen uns empört hätte! Man ist ihr Zetergeschrei schon gewohnt, es macht keinen Eindruck auf das Herz der heiligen Mutterkirche!

Aber es war ein Priester unsers Glaubens, ein Priester von Rom geweiht, ein Kind und Diener unsrer Kirche, der das Herz der Mutter und Herrin mit dem weitreichenden Speer seines Wortes traf.

Das war’s.

Das Kind entlief der Amme und sagte, es sei mündig.

Wie dies Alles geschah, sahen wir nur eine Aussicht, die uns reizte und lockte es gab Gährung in den Gemüthern der Bruder fing schon an wider den Bruder zu murren das Volk blickte mit ängstlicher Spannung zu seinen Fürsten.

Das war das Einzige, was wir bei all dem, was geschehen war, mit Jubel sahen.

Vielleicht riefen wir vielleicht kann das zu Etwas führen.

80

Bürgerkrieg! Religionskrieg! Worte, vor denen die andern Menschen schaudern unsern Ohren haben sie immer wie Musik geklungen! Ja, das war immer unser Element; wenn es jetzt über die Lande hereinbräche, so würden wir uns dabei wohl befinden und bei der allgemeinen Verwirrung wieder im Trüben fischen können vielleicht in blutiger Weise beides: Seelen und Geld.

Die Hauptsache ist, auf alle Dinge gefaßt zu sein.

Betrachtet man die Gegenwart mit klarem, ruhigem Blick, so kann man sich eigentlich keine Aussicht auf einen Bürgerkrieg und Religionskrieg machen die Civilisation und die Begriffe der Menschenwürde sind dazu zu weit vorgeschritten. Man liebt den Frieden. Man glaubt an die friedliche Entwicklung aller Dinge. Auch sogar diejenigen Regierungen, welche dem Zeitgeist nur die allergeringsten Concessionen machen, suchen wenigstens immer den Schein zu bewahren, als wären sie dem Fortschritt hold und überall geht es so, wenn auch ziemlich unmerklich, gleich dem Wachsthum der Eiche allmählich vorwärts. An diese friedliche Erfüllung ihrer Wünsche, einer Entfaltung segensreicher Zustände gleichsam von innen heraus glauben die meisten politischen Parteien in Deutschland und von ihrem Standpunkt aus die Sache besehen, muß man es mit glauben und so sind, wie gesagt, gar keine81 Aussichten zu blutigen Kriegesscenen im deutschen Lande, wie man sie früher erlebt hat.

So scheint für uns denn die Zeit gekommen, wo wir auch in unsrer Macht uns bedroht sehen, wo diese zu wanken scheint, wie die ganze alte Zeit selbst, auf welche wir sie gründen.

So müssen wir uns denn neue Stützen suchen für unsre Macht, da die alten morsch werden und zu zerfallen drohen, trotz all unsrer Bemühungen ihnen eine ewige Dauer zu sichern.

Wir wollen zusehen, wie weit wir mit unserm alten Systeme noch kommen mit dem Systeme, wonach wir durch Krummstäbe, Kronen, Thronen und Scepter die Welt regierten.

Aber daneben wollen wir noch ein neues System verfolgen, das wir sofort in Bereitschaft haben, wenn das alte uns keine guten Dienste mehr thun will. Diesem Systeme gemäß wollen wir es mit dem Volke halten.

Jenes alte System gründet sich auf die alte Zeit unser neues System wird sich auf die neue Zeit gründen. Wenn dann der Tag käme, wo die Freunde des Fortschrittes und Lichtes in Deutschland meinten, gesiegt zu haben, und nun jubelnd die alte Zeit zu Grabe trügen, so würden wir doch der allgemeinen Vernichtung entgangen sein wir würden unerkannt der Siegesfahne82 der neuen Zeit folgen wir würden unerkannt hinter dem Sarge der alten Zeit hergehen und nicht etwa als Leidtragende, sondern als lachende Erben.

Und wenn man uns jetzt vertreiben will als Wölfe, so werden wir uns dennoch wieder einschleichen wie Lämmer und verjüngt wiederkommen wie Adler.

Es war von jeher eine unsrer bewährtesten Ordensregeln: divide et impera.

Halten wir daran fest.

Es könnte doch sein, daß die neue Zeit, von welcher jetzt die Radicalen nur so viel in fieberhafter Aufregung träumen und schwärmen, einst doch vielleicht von diesen Radicalen heraufgeführt und zur Wirklichkeit werden könnte.

Nun denn, wohlan! Wir wollen gemeinschaftliche Sache mit diesen Radicalen machen!

Ich sehe meine Brüder erschrocken zurückfahren. Gemeinschaftliche Sache mit dieser Partei, welche mit ihrer verwegnen Leuchte all unser Thun der Welt gezeigt hat, durch deren Bestrebungen es so hell geworden ist, daß wir wenn dieses Licht noch heller und strahlender brennt, kaum noch einen dunklen Schlupfwinkel finden werden, in den wir uns verkriechen können und aus dem wir uns doch niemals wieder werden heraus wagen dürfen, um in unserm eignen Interesse zu wirken?

Ihr Kurzsichtigen, ihr Kleinmüthigen!.

83

Wißt Ihr denn nicht, daß man aus einer Leuchte eine Brandfackel machen kann, die mit rother, unheimlicher Gluth Alles niederbrennt und verwüstet? Und solche zerstörende Gluth, wobei es viel schwarzen Rauch, graue Wolken und erstickenden Dunst giebt ist denn nicht sie auch gerade unser Element?

So wollen wir es machen mit dem Lichte der Aufklärung der Radicalen und sie sollen, ohne daß sie selbst es bemerken, uns noch dazu vortrefflich in die Hände arbeiten.

Also: divide et impera!

Reform! ist jetzt das allgemeine Loosungswort des Tages geworden. Alle, die dem Fortschritte huldigen, verlangen Reform darin sind die Parteien einig aber höchst uneinig sind sie über die Begriffe, welche sich mit diesem allgemeinen Ausdruck verbinden lassen.

Die Liberalen wollen Volksvertretung, den sogenannten constitutionellen Fortschritt sie wollen neben einer Reform des Staates auch eine Reform der Kirche.

Die Radicalen wollen Volksherrschaft Glaubensfreiheit nach der Kirche fragen sie weiter nicht.

Die Sozialen wollen Reform der Gesellschaft und die Eifrigsten unter ihnen nicht erst Reform, sondern Aufhebung des Staates und der Kirche allgemeine Gleichheit.

84

Das sind die Communisten.

Mit den Communisten müssen wir es halten.

In den Communisten müssen wir unsere Helfershelfer suchen, die unsere Sache am Besten fördern helfen es giebt keine andere Partei, von welcher wir gleiche für uns segensreiche Dienste erwarten könnten. Gelingt ihr Werk, so ist auch das unsere gelungen so ist die Zeit nicht fern, da wir uns abermals verjüngen werden wie Adler. Gerade unter diesen Menschen, welche als unsre fürchterlichsten Gegner erscheinen, indem sie die heilige Kirche selbst, in der ja bisher all unser Heil und der Grund unserer Herrschaft und Macht ruhte, nicht erst bekämpfen sondern auf eine gotteslästerliche, abscheuliche Weise geradezu negiren und deshalb aufheben wollen gerade unter diesen werden wir unsere Erretter suchen und finden man denke an das alte Wort: daß die Extreme sich berühren.

Diese Communisten gehen damit um, die Ordnung der bestehenden Dinge umzukehren. Nun! Bielleicht ist auch für uns die Zeit gekommen, wo wir dies wünschen müssen wo es mit all unsrer Kraft ein vergebliches Bemühen ist, den Rossen der Zeit, die wir so lange glücklich zurückhielten, noch länger in die Zügel zu fallen und ihren Lauf und den Fortschritt aufzuhalten. Trotz unseres unermüdlichen Widerstandes sind sie dennoch unmerklich vorwärts gegangen und haben uns selbst mit nahe bis an85 einen Abgrund gezogen. Nun denn! Man muß sich in Alles zu schicken wissen. Wollen die Rosse nicht wieder zurück, wollen sie nicht sich wieder einfangen lassen, um noch länger still zu stehen : so hetzen wir sie selbst nur um desto schneller vorwärts, daß sie wilde Sprünge machen, Alles zerschlagen und zerstampfen und, das rechte Ziel verfehlend, endlich todtmüde niederstürzen dann sind wir wieder schnell und dienstfertig bei der Hand, die gestürzten Rosse aufzurichten und zu ewigem Stillstand wieder zurückzuführen in den alten Stall.

Um nun auf das Nähere und auf Thatsachen überzugehen: der Communismus predigt das Himmelreich auf Erden. Und mit dieser Predigt wendet er sich an alle Diejenigen, welchen freilich bis jetzt die Erde nichts weniger sein kann als ein Himmel! An die Armen, Niedriggeborenen, Unerzogenen, Entsittlichten wendet man sich zuvörderst mit dieser neuen Lehre mit einem Wort an die niedrigsten Classen, an die untersten Schichten der Gesellschaft, deren Hefe: die Proletarier, den Pöbel. Also an die Mehrzahl der Menschen an den großen Haufen. Und an den Orten, wo sich dieser in der tiefsten Erniedrigung, Verwahrlosung, Rohheit und Unwissenheit befindet, wird es am leichtesten sein, ihn zu alle den Dingen aufzureizen, welche endlich wenn auch auf langen Umwegen zu uns führen.

86

Wir haben bisher unsere Herrschaft doch meist auf die Macht und den Glanz der Hochgestellten gebaut jetzt müssen wir sie neu gründen, auf das Elend, auf den Schlamm der in Gemeinheit und Erniedrigung Versunkenen. Einzelne passende Werkzeuge für unsere Zwecke mußten wir uns immer unter ihnen wählen aber jetzt gilt es mehr, jetzt gilt es nicht bloß Einzelne passend zu verwenden, jetzt gilt es, sich der Menschen zu bemächtigen, durch die Massen zu wirken.

Es ist keine Frage: die Massen leiden

Alles Unglück macht die Menschen zu Verbrechen fähig, von denen sie im Glück sich nimmer Etwas träumen ließen der Hunger aber vollends macht die Menschen zu reißenden Thieren.

Trachten wir also uns allen Reformen zu widersetzen gleichviel, ob sie von weisen Regierungen oder von schwärmerischen Oppositionsparteien ausgehen welche sich damit beschäftigen, den Nothstand der armen Arbeiter zu lindern und durch Volkserziehung und eben so milde als weise Gesetze auf eine allmähliche Hebung der untern Classen hinzuwirken. Führen wir in der Stille Krieg mit diesen Regierungen, mit dieser Opposition und halten wir es nur mit einer Partei mit den Communisten. Aber diese dürfen nicht ahnen, daß wir ihre Freunde sind, so wenig als jene, daß wir ihre Feinde. Es gilt, sich jetzt87 mehr als jemals in undurchdringliches Dunkel zu hüllen.

So groß als die Communisten sie schildern wollen, ist die allgemeine Noth nicht besonders sind die Massen noch gar nicht zum Bewußtsein ihres Elendes gekommen. Wir müssen also streben, sowohl sie dahin zu bringen, als auch die allgemeine Noth der Armen und Arbeitenden selbst noch in der Wirklichkeit zu vergrößern.

Der Communismus predigt das Himmelreich auf Erden. Er will es in seinem Wahnsinn dadurch verwirklichen, daß er Staat und Kirche als von ihm unmenschlich und unnatürlich genannte Einrichtungen aufhebt, daß er Politik, Religion, Volkssitte, Vaterlandsliebe alle diese Dinge, für welche Jahrtausende lang die Menschen aller Zonen und Zeiten lebten und starben als Trugschlüsse verwirrter Menschengeister erklärt, aus denen endlich die ganze zu Verstande gekommene Menschheit wieder heraus müsse, wenn sie nicht länger ein sinnloses Treiben fortsetzen und darüber zu Grunde gehen wolle. Der Communismus will das Himmelreich auf Erden verwirklichen, indem er ferner Gütergemeinschaft verlangt, Aufhebung des Capitals, Abschaffung des Geldes, jenes wesenlosen Dinges, welches nach ihrer Meinung als ein entseeltes Gespenst, das vergebens nach seinem Leibe jagt, (denn es hat eigentlich Beides: Seele und Körper und doch auch88 wieder Beides nicht!) und die Menschen von einander trennt, indem es ihre Verbindung vermitteln will. So sollen künftig diese verbrüderten Menschen (was, nebenbei gesagt, unendlich langweilig sein muß!) zusammen wohnen in schönen bequemen Palästen, wo Niemand mehr zu hungern und zu frieren braucht, sondern für Alle das Haus geheizt und der Tisch gedeckt ist. Ihr ganzes Leben soll Genuß sein, Genuß der freien Liebe und aller andern sinnlichen Freuden, und dafür soll ein Jeder nur täglich zwei Stunden arbeiten und diese Arbeit ihm selbst ein Genuß sein.

Das ist das Ideal der Communisten.

Trachten wir danach, dieses Ideal verwirklichen zu helfen, oder lassen wir vielmehr sie mit ihrem redlichen Willen und ihrem verblendeten Verstand danach streben denn sobald sie terra rasa gemacht haben für die ganze Menschheit, sobald sie die Millionen friedlich eingepfercht haben in die großen Ställe, in welchen sie ausruhen und sich nähren können von der gleichen Weide zu gleichem Theil alsbald werden sie auch des Hirten wieder bedürfen, die Heerde in Ordnung zu halten.

Damit diese Gleichheit in Arbeit und Genuß niemals gestört werde, wird eine so organisirte Gesellschaft einer Beaufsichtigung, einer Bewachung bedürfen, wie sie bisher ohne Beispiel gewesen in der ganzen Welt denn die89 ganze Weltgeschichte weiß nichts Aehnliches! Und dann werden wir an unserm Platz sein.

Wir werden dann diese Aufsichtsführungen uns zu verschaffen wissen und dann wird die Zeit unsrer glänzendsten Herrschaft kommen.

Lange Jahrhunderte hindurch haben wir die menschliche Gesellschaft über uns zu täuschen gewußt so wird es uns auch nicht an Mitteln fehlen, diese neue Gesellschaft zu täuschen. Wir werden das Regiment über sie in unsere Hände bringen, ohne daß sie ahnt, in welchen Händen es ist.

Und wenn sie gleich auf einige Zeit unsere Kirche abgeschafft haben, so werden wir sie doch in Kurzem wieder herrlich aufbauen.

Denn das bezeugt die Geschichte und alle Erfahrung: es wohnt tief in jeder Menschenbrust ein religiöses Bedürfniß. Ein Bedürfniß, für sich selbst ein höheres Wesen zu fühlen und zugleich ein verwandtes Höchstes über sich anzuerkennen.

Dieses Bedürfniß wird auch in dieser Gesellschaft wieder erwachen, denn der Mensch von heute ist immer noch gleich dem Menschen von Jahrtausenden und bei aller Fähigkeit zu Vervollkommnung ist doch die Menschennatur an sich keiner Veränderung fähig.

Wenn nun dieses religiöse Bedürfniß wieder erwachen, sich zur Geltung bringen und seine alten Rechte fordern90 wird um so ungestümer und brünstiger als man sie ihm ganz nehmen wollte und genommen hatte und hier berühren die Extreme sich wieder dann werden wir unsere Masken und Mäntel von uns werfen können! Dann werden wir wieder vor der sehnsüchtigen Menge erscheinen und werden wieder zu ihr reden: Sehet da die Herrlichkeit des Herrn, seiner Diener und seiner Kirche wir sind bei Euch gewesen allezeit, auch da Ihr es nicht ahntet und werden bei Euch bleiben bis an der Welt Ende! Und wir werden erzählen, wie man den jetzigen Zustand der Dinge uns allein verdanke und es wird leicht sein, ihnen weiß zu machen: Jesus sei der erste Communist gewesen denn wir haben uns ja niemals gescheut, diesen heiligen Namen zu manchen frevelhaft scheinenden Dingen zu gebrauchen, welche aber eben durch seinen Namen geheiligt wurden und wir werden uns als seine treuesten Diener bekennen und sagen, es sei gleich, ob wir nun Jesuiten oder Communisten hießen. Wir thätten ja schon seit Jahrhunderten Gütergleichheit gehabt und gleiche Arbeit in unsrer Gemeinschaft, damals habe die Welt, die böse Welt, die ja eben damals in so großer Unordnung befangen gewesen, uns dafür oft verfolgt wir wären längst die Märtyrer für den Communismus gewesen nun aber mit seiner Verwirklichung habe unser System gesiegt. Und man wird uns glauben und zujauchzen,91 man wird sich wieder betrügen lassen, wie vordem, und mit Freuden das Regiment unsern geweihten Haiden übergeben.

Dann werden wir unser Ziel erreicht haben! Vieler Selbstverleugnung wird es bis dahin bedürfen aber sie wird uns herrlich vergolten werden und der heilige Loyola wird seine treuen Diener nicht verlassen.

Wir werden siegen in diesem Zeichen.

Jetzt gilt es also, auf dieses große Ziel hinzuwirken.

Ueber den Blick in diese große Zukunft dürfen wir das Nächste nicht übersehen.

Wir müssen die Parteien wider einander aufstacheln.

Wir müssen den Communismus überall in der Stille ausbreiten helfen und wo er noch gar nicht da ist, da müssen wir den Teufel an die Wand malen, damit er komme. Dies ist eine Maxime, eben so schön und bewährt, als es das Sprichwort selbst ist.

Um zu zeigen, wie man dies machen muß und wie nützlich für unsern Zweck dies Verfahren ist, will ich unter Hunderten nur ein kleines Beispiel aus einem deutschen Staate anführen, in dem wir jenes Verfahren kürzlich mit viel Glück in Anwendung brachten.

Wir wußten gleichzeitig durch anonyme Briefe, welche wir ganz und gar nur mit Stellen aus communistischen Büchern von den entschiedensten Verfechtern dieser Doctrinen ausfüllten damit man sie um so weniger für ein92 Werk unsers frommen und rechtgläubigen Ordens halte Eisenbahnarbeiter und Fabrikarbeiter aufzuhetzen, ihnen communistische Lehren beizubringen, ihr eignes Elend vorzuhalten und sie wider die bestehenden Verhältnisse aufzureizen. Die Eisenbahnarbeiter waren für unsere Lehren ziemlich zugänglich, es waren Ausländer unter ihnen, denen diese Dinge bereits nichts Neues waren und welche, wenn sie auch an der Möglichkeit ihrer Ausführung zweifelten, doch die Inländischen mit aufreizen halfen und so kam es, daß sie jüngst aufstanden, ihre Arbeiten einstellten und einen höhern Lohn