PRIMS Full-text transcription (HTML)
Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Elfter Jahrgang. 1897.
Bern. Druck und Verlag von K. J. Wyss.1897.

Elfter Jahrgang 1897.

  • Seite
  • De Senectute, vom Herausgeber1
  • Vor fünfzig Jahren, vom Herausgeber, mit einem Anhang von bisher ungedruckten Briefen schweizerischer Staats - männer, mit Einleitung von Prof. Dr. Blösch27
  • Das Tagebuch des schweizerischen Abgesandten Hirzel bei seiner Sendung in das Hauptquartier der Alliirten, No - vember 1813, von Prof. Dr. Oechsli181
  • Frauenstimmrecht, vom Herausgeber243
  • Jahresbericht 1897. Vom Herausgeber377
  • Beilagen:
    • Die Apostolische Konstitution über den Index765
    • Ein Schreiben der Königin Elisabeth an die XIII Kantone778

Frauenstimmrecht.

[245]

Ueber die sogenannte « Frauenfrage » im Allgemeinen ist, in jüngster Zeit namentlich, eher zu viel, als zu wenig, ganz besonders von den Frauen selbst, geschrieben worden. Der menschliche Geist im einzelnen Individuum und ebenso in der Gesammtheit und in einer bestimmten Zeitperiode hat eben nur eine begränzte Aufnahmsfähigkeit und manche Fragen ver - lieren an aktueller Bedeutung, man möchte sagen an Perkus - sionskraft, wenn sie gar zu oft und in unausgesetzter Wieder - holung der gleichen Argumente behandelt werden1)Solche Beispiele sind die Alkoholfrage, die Friedensfrage, die christlich-soziale Bewegung. Man muss die besten Dinge, wenn sie einmal kräftig angeregt sind, zuweilen auch wieder ein wenig ruhen lassen und nicht immer mit den gleichen Worten darauf lostrommeln. Das ermüdet die bereits hinreichend überzeugten Anhänger einer Sache und macht die Nichtanhänger taub, sie werden des beständigen Lärmens endlich gewohnt. Es ist auch bei der Selbsterziehung des einzelnen Menschen so, er kann auch an sich selbst nicht unausgesetzt und immer nach der gleichen Richtung hin arbeiten, sondern muss sich zuweilen Ruhe und besonders Ab - wechslung in dieser inneren Arbeit gönnen..

Wir fassen daher die Frage enger, und an demjenigen Punkte an, auf den es unseres Erachtens, wenigstens in unserem Lande, wesentlich ankommt, wenn etwas Reelles aus der Diskussion hervorgehen soll, und schicken nur einige wenige allgemeinere Bemerkungen voraus, die zur Orientirung246Frauenstimmrecht.und zur Markirung des Standpunktes dienen, auf dem wir uns dabei befinden1)Aus der sehr zahlreichen Litteratur führen wir daher auch für solche Leser unseres Aufsatzes, die sich erst über die Frage zu orientiren wünschen, statt Vielem, nur das nach unserem Dafürhalten Beste an. Es sind namentlich folgende Schriften: Secrétan, Le droit de la femme, 4. Auflage, 1888; Ostrogorski, La femme au point de vue du droit public, Paris 1892; Joel, Die Frauen in der Philosophie, 1896; Elisabeth Malo, Das Recht der Frau in der christlichen Kirche; Eliza Ichenhäuser, Zur Frauenfrage, 1896. Andere weniger originale Schriften, sowie eine Reihe von Kongressberichten, Vereins - und Aktionsprogrammen, namentlich amerikanische, sind leicht zu bekommen, wenn Jemand sich für die Frage näher interessiren will, für Andere haben sie keinen be - sonderen Werth. Aus der älteren Litteratur interessiert noch etwa die revindication of womens rights von Mary Woolstonecraft, dieselbe erschien 1792 in London, mit einer Widmung an Talley - rand, sie ist 1890 von Mrs. Fawcett neu herausgegeben worden. Ferner: Hippel, Ueber die bürgerliche Verbesserung der Weiber, 1792, und Legouvé, Histoire morale des femmes. Auch die Schriften von Spencer (Sociology Cap. X) und John Stuart Mill enthalten manches Bezügliche, ebenso mehr oder weniger alle sozialistischen Schriften, be - sonders « Die Frau », von Bebel, die aber den Frauen ausserhalb der sozialistischen Kreise nicht genützt hat. Denn Alles, was an das « Eman - zipirte » streift, hallen wir nicht für überzeugend, namentlich nicht für noch in der Frage Unentschiedene. Die Frauen, welche sich mit der.

I.

Es ist uns nicht bekannt, dass es ein ganzes, civilisirtes Volk des Alterthums, oder der Neuzeit gegeben hat, in welchem die beiden Geschlechter für vollkommen rechtsgleich angesehen wurden und selten, eigentlich nur nach mehr sagenhaften Berichten von Amazonenstaaten und dergleichen, waren die Frauen der bevorrechtete Theil. Einzig die oberste Re - gierungsgewalt kam zuweilen vorzugsweise Frauen zu, ähn - lich wie dies auch in sogenannten « Thierstaaten » mitunter der247Frauenstimmrecht.Fall ist, aber ohne dass alle weiblichen Individuen an dieser bevorzugten Stellung Theil nehmen1)Bei den Bienen ist die Königin das einzige weibliche Wesen, das für die Nachkommenschaft sorgt, weibliche Anführer kommen aber unseres Wissens auch bei anderen Thiergattungen vor. Ebenso fand Stanley bei den innerafrikanischen Zwergvölkern eine Königin. Vergl. auch I. Kön. X.; Ap. -Gesch. VIII, 27..

Die Bibel motivirt die geringere Stellung der Frau theils mit einer späteren Erschaffung derselben, theils mit einer grösseren Empfänglichkeit für eine Verleitung zu Abirrungen von dem rechten Lebenswege2)I. Mose II, 18. 23 ; III, 16. Die sehr schlagfertige Frau Booth antwortet jedoch einem englischen Theologen auf diese Citation mit der Gegenbemerkung, die unbestreitbar ist, dass lauter Männer den Heiland verrathen, verurtheill und gekreuzigt hätten, während eine Frau davor warnte. (Ev. Matth. XXVII, 10.) Sie hätte noch beifügen können, was uns schon in unserem geistlosen Jugend-Religionsunter - richt auffiel, dass von den beiden Sündern im Paradiese der männ -. Dessenungeachtet enthält1)Verbesserung ihres Loses ernstlich beschäftigen wollen, müssten unseres Erachtens sich vor allen Dingen von allem Naturalismus ganz entschieden abwenden, der ihnen nur schaden kann und sie in der Achtung der sittlichen Männer herabsetzt. Die anderen allerdings lieben das um so mehr, aber aus egoistischen Gründen. Die Frauen sind geborne und prädestinirte Idealisten und wenn sie davon selber abgehen, verlieren sie leicht den Boden, auf dem sie allein mit Erfolg für ihr Recht eintreten können, sowie ganz sicher die ihnen vorläufig noch unentbehrliche Bundesgenossenschaft der Besten des anderen Geschlechts, die ihnen nicht durch den Beifall der Uebrigen ersetzt wird. Eine Frau, die für Zola oder Ibsen schwärmt, oder Darwin und Schopenhauer studirt, und davon eine Besserung in der Stellung ihres Geschlechts erhofft, verkennt die Natur der Frage und ihren Beruf darin und wird niemals das wirkliche Ziel einer Frauenbewegung erreichen, oder auch nur dessen Erreichung befördern, sondern das Misstrauen gegen diese Bestrebungen, das ohnehin in weiten Kreisen besteht, verstärken helfen.248Frauenstimmrecht.auch das alte Testament Beispiele von einer sehr gleichartigen Stellung der Frau, sobald sich dieselbe durch Geist und Charakter auszeichnete, dergestalt, dass zeitweise Frauen, und zwar sogar verheirathete, das oberste Richteramt des Volkes Israel in Händen hatten, nicht etwa Kraft einer Wahl, sondern Kraft einer allgemeinen Anerkennung, dass sie die weisesten und tüchtigsten, von Gottes Geist am meisten beseelten Individuen des zeitweiligen Volksganzen seien1)I. Mose XXI, 12; Richter IV, 4 8; V, 7; Nehemia VI, 14; Lucas II, 38; Joel III, 1; II. Chron. XXXIV, 22. Bemerkenswerth ist auch die Stelle Esther I, 16 20, wo die persischen Grossen eine sehr erhebliche Befürchtung für ihr häusliches Regiment beur - kunden. Dasselbe soll auch, wie manche Kenner versichern, in den heutigen orientalischen Familien weit mehr in den Händen der Frauen liegen, als man es bei dem Mangel an Bildung derselben und der herunterdrückenden Polygamie für möglich halten sollte. Auch in den Anfängen des Islam spielten die Frauen des Pro - pheten eine gar nicht unbedeutende Rolle, Ayescha sogar noch über die Lebenszeit Mohammeds hinaus. Im neuen Testament tritt die Rechtsungleichheit positiv erst in den bekannten Stellen der Briefe des Apostels Paulus auf. Christus selbst kennt keinen Unter - schied und hat seine tiefsinnigste Rede, an eine einzelne Frau gerichtet, nicht verschwendet. Joh. IV, 8 und folg..

Eine höhere Anerkennung der Rechtsgleichheit und des göttlichen Willens einer solchen, sobald die individuellen Voraus - setzungen dazu vorhanden sind, kann es gar nicht geben2)Deborah sagt geradezu dass es « an Regiment fehlte in Israel bis ich, Deborah, aufkam, eine Mutter in Israel ». Richter V, 7., und bis auf den heutigen Tag ist davon bei der Mehrzahl der civili - sirten Völker, da wo die monarchische Staatsform und nicht2)liche Theil offenbar der bei weitem kläglichere ist; zuerst übertreibt er willkürlich Gottes Verbot bis zum Nichtanrühren des Baumes, nachher lässt er sich ohne die geringste Einwendung verführen und zuletzt will er noch die Schuld auf Andere schieben. (I. Mos. III, 12.) Das zeigt keine besondere Begabung zum Herrschen.249Frauenstimmrecht.zugleich das sogenannte salische Gesetz besteht, die Möglichkeit für die Frauen übrig geblieben die höchste Stellung im Staate ein - zunehmen, ohne dass daraus jemals sehr erhebliche Nachtheile für dessen Wohlergehen ersichtlich geworden sind1)Wir brauchen hier bloss an Elisabeth von England, Maria Theresia und an die jetzigen Königinnen von England, Spanien und Holland zu erinnern, die ebensogut regieren, als alle ihre dermaligen männlichen Kollegen, und bei denen auch die Meinung eines älteren Schriftstellers nicht zutrifft, regierende Frauen liessen in Wirklichkeit stets Männer regieren und umgekehrt. Im Gegentheil die Königin von England wenigstens ist eine « kwaie fru » nach Ansicht des Prä - sidenten Krüger, die ihre grosse Stellung stets gehörig zu behaupten gewusst hat. In kleineren Staatenverhältnissen und bei vorüber - gehenden Vormundschaftsregierungen sind solche Fälle von guter weiblicher Staatsregierung noch öfters und auch in neuerer Zeit vorgekommen..

Auch bei den Römern und alten Deutschen galten die Frauen im Ganzen viel, und hatten mitunter als Priesterinnen oder Prophetinnen sogar eine bevorrechtete Stellung und in Be - zug auf das Vermögensrecht bei den ersteren eine bessere, als sie sie jetzt durchschnittlich haben. Nur waren eben diese Gemeinwesen so sehr auf Krieg und Wehrfähigkeit gegründet, dass dem körperlich schwächeren und dazu weniger veran - lagten Geschlechte im Ganzen naturgemäss eine untergeordnete Stellung zukam. Die geringere Körperkraft, vielleicht auch der damit in roheren Zeitaltern unmittelbar verbundene grössere Grad von Geduld, Unterwürfigkeit und Idealismus bei dem weiblichen Geschlecht erscheint uns als der wahrscheinliche historische Hauptgrund der ungleichen Rechtsstellung, der theilweise ja noch jetzt in dem Ausschluss des weiblichen Ge - schlechts von der allgemeinen Wehrpflicht in allen Staaten stattfindet, wo diese besteht2)Absolut nöthig wäre ein solcher Ausschluss ja auch nicht, es haben oft schon Frauen freiwillig im Kriege mitgefochten und nicht.

250Frauenstimmrecht.

Die Geschichte spricht also unseres Erachtens gegen eine Möglichkeit einer rechtsgleichen Stellung beider Ge - schlechter nicht, sondern nur gegen die Gebräuchlichkeit, im höchsten Falle gegen die durchschnittliche Zweckmässigkeit einer ganz allgemeinen Rechtsgleichheit und der Beseiti - gung aller Ausnahmen davon.

Es machen daher auf uns auch die physiologischen Argumente, die besonders aus einer angeblichen, oder wirk - lichen, geringeren Grösse oder Schwere des Gehirns her - genommen zu werden pflegen, nur einen sekundären Eindruck. Der Beweis einer durchschnittlichen thatsächlichen Inferiorität des weiblichen Geschlechtes müsste unseres Erachtens durch historische, oder heutige Erfahrungen geführt werden und auch diese wären nicht einmal ganz konkludent, denn der Besitz eines Rechtes erzieht und befähigt auch zum Gebrauch desselben und Niemand kann als in dieser Hinsicht unbefähigt erklärt werden, bei welchem man den Versuch noch nicht gemacht, vielmehr sehr sorgfältig ausgeschlossen hat. Es ist das die ungerechte Argumentation, welche die sogenannten « herrschenden » Völker seit jeher gegen die von ihnen Unter - drückten angewendet haben; sie liessen es niemals auf die Probe ankommen, sondern bestraften jede dahingehende Aspiration bereits als ein Majestätsverbrechen. Auf diese Weise ist sogar eine Ungleichheit mancher ganz ähnlicher,2)ohne Auszeichnung, Jeanne d'Arc, Leonore Prohasea, unsere brave Frau Oberstin Engel sind klassische Beispiele dafür. Sie kommen merkwürdigerweise sogar in den ersten Eroberungszügen des Islam vor. Vgl. Gibbon, decline and fall, Cap. 51, Episode aus der Schlacht am Jernuck 636, unmittelbar vor der Eroberung Jerusalems Es wäre auch, abgesehen davon, ganz denkbar Frauen bei der Sanität und Verwaltung zu verwenden und sie würden ohne Zweifel einen grossen Schritt zur Rechtsgleichheit vorwärts machen, wenn dies geschähe.251Frauenstimmrecht.sogar ganz stammverwandter, Völker entstanden, die noch heute vor Augen liegt. Die Einen haben eine lange frei - heitliche Geschichte hinter sich, die Anderen sind in der Un - freiheit, oder sogar in der Unterdrückung erzogen worden, und man wirft ihnen nachher, wenn sie plötzlich befreit wurden, ungerechter Weise vor, dass sie sich nicht sofort selbst regieren können1)Das ist die Geschichte der jetzigen Armenier zum Beispiel. Es ist wunderbar, dass die türkischen Rajah nicht sämmtlich noch viel geringwerthiger sind. Selbst in der Schweiz sind die Unterschiede in der Bevölkerung der alten 13 Orte und der ehemaligen Unter - thanenländer noch einigermassen bemerkbar. Die Freiheit und das Bewusstsein einer würdigen Rechtsstellung ist eben ein sehr grosses und sogar unentbehrliches Erziehungsmittel der Völker und thut nach Pasquale Paoli grössere Wunder, als selbst der heilige Antonius von Padua, bekanntlich einer der am schnellsten Heiliggesprochenen. Man müsste also zuerst, um ganz gerecht und aufrichtig urtheilen zu können, einmal einen bedeutenderen Staat sehen, in welchem die Frauen seit wenigstens einem halben Jahrhundert rechtsgleich gewesen wären. Diesen Beweis führt bisher aber, wie wir noch sehen werden, nur Amerika und in noch viel zu kleinen Ver - hältnissen.. Genau so verhält es sich mit den sogenannten natürlichen Beweisen zum Nachtheil der Frauen. Wenigstens die Anhänger Darwin's sollten es offen bekennen, dass der Nichtgebrauch von Fähigkeiten auch den völligen Verlust derselben nach sich ziehen kann und dass umgekehrt aus geringen Anfängen unter günstigen Verhältnissen höhere Organismen entstehen können.

Für uns ist das kein Argument. Wir halten dafür, es komme bei jedem Menschen, heisse er Mann oder Weib, auf die individuelle Begabung seitens Gottes, und in höchster Stufe auf die Möglichkeit der Einwohnung eines Geistes an, der nicht in jedem Sinne der unserige ist. Dass derselbe nur an das männliche Geschlecht sich binde, das ist, trotz der252Frauenstimmrecht.öfteren Geringerschätzung, die etwa in den Briefen des Apostels Paulus den Frauen zu Theil wird, keineswegs ein ausge - sprochenes Weltgesetz und am allerwenigsten etwa eine Vor - schrift des Christenthums, soweit dasselbe aus den Worten Christi selber ersichtlich ist. Wir sind in dieser Hinsicht der Ansicht einer berühmten Vertreterin der Gleichheit, dass die Anschauungen des grössten Apostels der ursprünglichen Christenheit zum Theil auf damalige Verhältnisse, na - mentlich auf eine Beschaffenheit der ersten, besonders der griechischen, Proselyten weiblichen Geschlechts zurückzuführen sind, die heute nicht mehr alle zutreffen. Wollte man das nicht annehmen, so müsste man konsequenterweise auch die Aussprüche des Apostels über die Nothwendigkeit langer Haare für Frauen und die Unzulässigkeit eines Betens derselben mit unbedecktem Kopfe1)I. Cor. XI, 4 15. Dass die erste Bekehrung in Europa die einer Frau war, dürfen wir noch heute dankbar anerkennen. (Ap. -Geschichte XVI, 14, 17.) als Gegenstand des unabänderlichen Christenglaubens betrachten, während sie, wie Jedermann zugiebt, offenbar Sitten und Anschauungen der damaligen Zeit betreffen.

Unter den jetzigen Verhältnissen und in Staaten mit alter Civilisation giebt es jedenfalls Frauen genug und sogar ganze Klassen von Frauen, die mit Unrecht von der Betheili - gung an öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen erscheinen, da sie für dieselben ebensoviel Interesse und Verständniss besitzen und mitunter mehr Gerechtigkeitssinn, Idealität und Aufopferungsfähigkeit hinzu bringen würden, als viele Männer. Es ist an und für sich schon ein Widersinn, dass den Frauen von Frauen in den Schulen Verfassungskunde und politische Geschichte vorgetragen wird, diese Lehrerinnen und Schülerinnen aber niemals in die Lage kommen in253Frauenstimmrecht.Anwendung dieser Kenntnisse an einer Abstimmung, oder Wahl theilzunehmen, an der viel weniger gebildete Klassen von Männern oft genug den Ausschlag geben. Und noch widersinniger wo möglich ist es, dass Mütter, die oft ganz allein in der Familie für die Erziehung der Kinder sich interessiren und darin etwelche Erfahrung haben, die Schul - behörden und Lehrer nicht wählen und in den Schulbehörden nicht vertreten sein dürfen, während oft Männer mit weit geringerem Verständnisse für Schulsachen darin sitzen1)Dieselben werden dann im besten Falle von ihren Frauen zu Hause instruirt, was geschehen müsse.. Der Staat thut sich selbst einen grossen Schaden, wenn er die ganze Hälfte seiner Bürger des Rechtes sich für die öffentlichen Interessen zu interessiren und damit nothwendig auch der Fähigkeit dazu beraubt, und es ist wunderbar, dass dies Söhne von Müttern und Männer von Frauen mitthun, die ganz genau wissen, dass das Beste, was sie an Geist und Charakter in sich tragen, von diesen Frauen herrührt.

Auf die besonders berühmten oder gelehrten Frauen, wie etwa im Alterthum2)Schon der Stoiker Appollonios stellt ein solches Verzeichniss im ersten Jahrhundert n. Chr. auf. Eudokia, Pamphila, Arete, Hipparchia, Leontion, Hypatia, später Hroswitha, Catharina von Siena, in neuerer Zeit Novella, Laura Bassi, Madame Dacier, Madame du Châtelet, Frau von Staël, George Sand, Sonja Kowalewska, Harriet Martineau, Frau Harriet Beecher-Stowe, Frau Booth, namentlich auf die etwas zu genialen und emanzi - pirten legen wir kein Gewicht; dieselben haben mitunter ihre ausgezeichneten Eigenschaften auf Kosten ihres weiblichen Wesens erlangt und ausgebildet, und würden uns eher von der Gleichstellung der Frauen, wenn alle so wären, wie sie, ab -254Frauenstimmrecht.schrecken. Es ist auch ohne Zweifel der natürliche Widerwille gegen diese oft recht unnatürlichen Zwitter, der viele der besten Frauen selber noch zur Zeit bewegt, gegen die sogenannte « Frauenemanzipation » im Ganzen und Grossen sich auszu - sprechen, weil ihnen das Wort und die oft sehr lauten Ver - treterinnen dieser Sache gleichmässig zuwider sind. Das Alles sind aber Mängel jeder beginnenden Freiheit. Niemals sind die ersten Vorkämpfer einer Sache fehlerfrei und namentlich nicht übertreibungsfrei; Enthusiasmus, ja Einseitig - keit und Leidenschaftlichkeit gehört zu den menschlichen Eigenschaften, die bei der Erschütterung eines bestehenden Besitzes stark mitzuwirken pflegen, und nirgends mehr als bei allen politischen Emanzipationen gilt das hoch originale Wort des Evangeliums, dass die Todten die Todten begraben müssen und die Ungerechtigkeit in der Welt nicht durch lauter mustergültige Gerechte beseitigt werden kann. Das muss bei jeder Befreiung zuerst geschehen, dann aber, auf einem so geklärten Boden, ist das beste, ja das einzige Erziehungs - mittel zum Gebrauch der Freiheit die Freiheit selbst.

Wir halten daher unsererseits dafür, die Rechtsungleichheit der Frauen sei theoretisch und prinzipiell als Forderung der menschlichen Vernunft, oder der göttlichen Weltordnung, nicht erweisbar, sondern höchstens eine Frage der Zweck - mässigkeit und in sehr hohem Grade eine solche, bei welcher der « beatus possidens » keine Veränderung wünscht und dage - gen immer Gründe finden wird, so lange er allein den Ent - scheid in Händen hat.

Daraus ergiebt sich endlich, dass ohne die Erlangung des Stimmrechts, oder in rein repräsentativen Staatsordnungen des Wahlrechts, für die Frauen, alles Reden über Frauen -255Frauenstimmrecht.rechte und jede sogenannte Frauenbewegung grösstentheils leeres Gerede bleibt. Die bessere Erziehung und Ausbildung der Frauen, ihre Zulassung zu den liberalen Berufsarten, die Vermehrung ihrer Interessen über die gewöhnliche Dressur für die Jagd auf einen Ehemann, oder noch ein wenig Litteratur und Kunst hinaus; ja selbst ihre an sich noch so berechtigte ökonomische Befreiung von einer bisherigen, oft unwürdigen Abhängigkeit ist nicht genügend um eine gründliche Besserung herbeizuführen. Niemals wird, wie die Menschen einmal beschaffen sind, eine bisher bevorrechtete Klasse einer anderen gern Rechtsgleichheit gewähren und vollends niemals ist ein solches Zugeständniss mehr als ein blosses Precarium, wenn es durch Schlussnahme des Einen Theils wieder zurückgenommen werden kann.

Wenn daher die Frauen ihr Recht bloss auf ein Civilgesetz - buch gründen wollen, das von einer Versammlung gemacht ist und wieder abgeändert werden kann, welche aus Männern besteht und nur von Männern gewählt wird, so sind sie nicht sicher, dass ein kommendes Jahrhundert alle Errungenschaften des jetzigen, oder nächsten, wieder beseitigt1)Im Strafrecht dagegen, wo es sich nicht um Vortheile, sondern um Nachtheile handelt, lässt man ihnen durchschnittlich unbeanstandet die Rechtsgleichheit, wenigstens grundsätzlich, an - gedeihen.. Wir haben in unserer alten eidgenössischen Geschichte das Beispiel vor Augen, wie aus gleichberechtigten Bürgern nach und nach Unterthanen von Städten, oder bevorrechteten Klassen ent - stehen konnten, und die Herabdrückung des ursprünglich freien germanischen Bauers unter die ursprünglich nicht einmal immer freie Klasse von Ministerial-Adligen, von welcher sich nur die thatkräftigeren Bürger der Städte frei256Frauenstimmrecht.hielten, ist ein noch grösseres Exempel. Auch in heutiger Zeit wäre der Sozialismus in Deutschland kаum entstanden, geschweige denn mächtig geworden ohne das allgemeine Stimm - recht, und ohne dasselbe würde er sieh heute noch bald wieder verlieren1)Das völlige Aufhören der ebenso grossen Chartisten-Bewegung der vierziger Jahre in England ist ein praktisches Beispiel dafür. Hätte damals ein allgemeines Wahlrecht in England bestanden, das noch heute nicht besteht, oder gar ein Abstimmungsrecht über Verfassung und Gesetzgebung in der Weise des schweizerischen, so würden sich die englischen Verhältnisse ganz anders entwickelt haben.. Die Freiheit besteht wesentlich darin, dass man an der Gesetzgebung Theil nimmt, alles Andere ist eine Ge - währung von Rechten, die auf dem guten Willen eines Dritten beruht und desshalb eine sehr zweifelhafte Errungenschaft. Wir betrachten also unsererseits das Frauenstimmrecht als den praktischen Kern der Frauenfrage.

II.

Das Stimmrecht des weiblichen Geschlechts ist in allen civilisirten Staaten, in denen überhaupt irgend eine Be - theiligung der gesammten Bevölkerung an der Gesetzgebung und Verwaltung des Staates stattfindet, die weitaus grösste der noch zur Lösung ausstehenden Staatsfragen. Denn damit allein wird einerseits das sogenannte « allgemeine Stimm - recht » aus einer täuschenden Redensart2)Jetzt sind, wo « allgemeines » Stimmrecht besteht, dennoch von 100 Einwohnern bloss etwa 22 stimmberechtigt. zu einer Wahrheit, indem dann wirklich die gesammte staatsbürgerliche Be - völkerung erwachsenen Alters (mit Ausnahme geringer Bruch - theile, wie etwa der kriminell Verurtheilten, oder sonst nicht ehrenfähigen, oder nicht selbständig handlungsfähigen Personen) daran Theil nimmt. Andererseits würde damit die257Frauenstimmrecht.Zahl der Stimmberechtigten in jedem Staate um mehr als die Hälfte erhöht und es kann eine solche Masse neuer Stimmender und Wühlender einen sehr bedeutenden, ja unter Umständen ausschlaggebenden Einfluss auf die politischen Verhält - nisse ausüben. Es giebt in unseren modernen Staaten, nachdem das politische Majorennitätsalter schon stark herabgedrückt worden ist, und andere Ausschlussgründe, sei es ökonomischer Art, oder wegen mangelnder nothdürftigster Bildung, im Verschwinden begriffen sind, keine Massregel, mit der man politisch soviel ausrichten, ja unter Umständen die ganze Politik eines Staatswesens ändern kann, wie die Einführung des Frauenstimmrechts. Dessenungeachtet (oder vielleicht gerade desswegen) besteht die politische Gleichberech - tigung der Frauen vorläufig nur in verhältnissmässig wenigen Staaten, vorzüglich in kleinen Gebieten der Ver - einigten Staaten von Nordamerika.

Politisch gleichberechtigt sind die Frauen mit den Männern in dem früheren Territorium, jetzigen Staate Wyoming (westlich von Nebrasca an der Pacificbahn), ur - sprünglich nach einem Territorial-Gesetze vom 10. Dezember 1869, das in den Beilagen abgedruckt ist, jetzt nach dem Artikel 3 der interessanten, aber wenig bekannten Staats - verfassung vom 30. Sept. 1889, die sich ebenfalls in den Beilagen findet. Es war dies der erste Staat in der Welt, welcher den Geschlechtsunterschied in Bezug auf bürgerliche Rechte be - seitigte; auch dieses Stück moderner Freiheit hat also, wie die Glaubens - und Gewissensfreiheit, seine Geburtsstätte in Amerika. Die gleiche Bestimmung bestand bereits auch in dem früheren Territorium, jetzigen Staate Washington1)Nicht zu verwechseln mit dem Bundesgebiet, auf dem die Hauptstadt Washington steht und das zu keinem der Gliederstaaten der Union gehört. Dort besteht das Frauenstimmrecht nicht.. 258Frauenstimmrecht.Dort wurde jedoch durch ein obergerichtliches Urtheil das Frauenstimmrecht beseitigt und bisher nicht wieder hergestellt. In dem ebenfalls neueren, an Wyoming an - gränzenden Staaten Colorado enthält die Verfassung den Vorbehalt das Frauenstimmrecht einzuführen, der seither zur Ausführung gelangt ist1)Die bezügliche briefliche Berichterstattung fügt hinzu: « Les finances du Colorado sont administrées, ou du moins l'ont été jusqu'à l'année dernière par une demoiselle qui, bien qu'ayant du céder pour des raisons de parti sa charge, a été, priée de conti - nuer dans une position officieuse ses soins à l'importante admi nistration. », ebenso besteht das Frauen - stimmrecht in Utah seit 1895 wieder, nachdem es zeit - weise beseitigt war und endlich in Idaho seit 1896. Das sind jetzt die 4 (oder 5) Staaten (von 45) der nord - amerikanischen Union mit politischer Rechtsgleichheit der Frauen.

Zunächst stehen vermuthlich der Einführung einer allgemeinen Rechtsgleichheit die amerikanischen Glieder - staaten Nevada und Wisconsin. Ein Nachbarstaat von Wyoming, Nebrasca, befand sich im November 1882 unmittel - bar vor der Frage, lehnte aber damals mit Mehrheit der abstimmenden männlichen Bevölkerung, trotz erheblicher Agitation dafür, das Frauenstimmrecht ab2)Dieser Misserfolg wurde dort wesentlich den deutschen Stimmberechtigten zugeschrieben. Ein diesfälliger Brief an den Herausgeber sagt darüber: « Sehr viele unter ihnen betrachten sich als die Herren der Schöpfung und schauen auf das zartere Geschlecht, nach Art der Wilden, mit Geringschätzung. Namentlich sind einige Graubündner wahre Barbaren in dieser Beziehung ».. Ebenso wurde259Frauenstimmrecht.es seither noch in Dacota1)In Süd-Dacota wurde 1890 in einer Volksabstimmung das Stimmrecht der Indianer angenommen, das der Frauen aber gleichzeitig verworfen, was wirklich nahezu an Barbarei gränzt. Die bedeutenden Abolitionisten Amerikas mit Bezug auf Neger, oder Indianer waren gewöhnlich auch Befürworter des Frauenstimm - rechts, aus den gleichen philosophischen Beweggründen.. Massachusetts, Kansas, Oregon, Californien und New-York verworfen.

In zahlreichen Gliederstaaten der amerikanischen Union (28) besitzen die Frauen das Stimmrecht in Schulsachen. Zuweilen ist dasselbe an die Bedingung geknüpft, dass sie Steuern bezahlen, oder Familienhäupter sind, oder Kinder im schulpflichtigen Alter besitzen. Wählbar zu Schulstellen sind die Frauen durchwegs, selbst für die Universitätslehrämter, wobei übrigens zu bemerken ist, dass die amerikanischen Universitäten nicht immer die gleiche Bedeutung haben, wie die europäischen, sondern mitunter mehr höheren Gymnasien zu vergleichen sind. Ebenso kommt es vor, dass ein Stimmrecht der Frauen für die Gemeindewah1en über - haupt besteht, so zum Beispiel in Kansas und durch ein im Staate Vermont im Jahre 1893 erlassenes Gesetz. In einer Stadt von Kansas soll sogar einmal die ganze Stadtverwaltung zeitweise aus Frauen bestanden haben.

Für das Bundesrecht der Vereinigten Staaten selber kam das Frauenstimmrecht auch schon ernstlich in Frage. Im Jahre 1885 sprach sich ein Senatsausschuss mit Mehrheit dafür aus, im Januar 1887 wurde jedoch ein betreffender Zusatzartikel zu der Bundesverfassung im Senat mit 34 gegen 16 Stimmen abgelehnt und dabei zur Begründung von mehreren Rednern ganz besonders angeführt, dass die Mehrheit der Frauen in Amerika selber gegen diese Massregel gestimmt sei.

260Frauenstimmrecht.

Immerhin nehmen schon jetzt die Frauen derjenigen Staaten, welche das Stimmrecht der Frauen besitzen, an den Wahlen der Elektoren für die Präsidentschaft Theil, da das Stimmrecht in Bundessachen auch in Amerika, wie bei uns, nicht durch ein allgemeines Bundesgesetz, sondern durch die Gesetze der Einzelstaaten geregelt wird. Insofern also be - steht Frauenstimmrecht bei der amerikanischen Präsidenten - wahl. Sie könnten auch selbst Elektoren werden, oder in den Senat der Vereinigten Staaten gelangen. 1)Im Jahre 1896 wurde dem Senatscomité für Frauenstimmrecht neuerdings der folgende Vorschlag eingereicht: Joint Resolution, Proposing an amendment to the Constitution of the United States. Resolved by the Senate and House of Representatives of the United States of America in Congress assembled (two-thirds of each House concurring therein), That the following article be proposed to the legislatures of the several States as an amendment to the Constitution of the United States, which, when ratified by three - fourths of the said legislatures, shall be valid as part of said Con - stitution, namely: Article. Section 1. The right of citizens of the United States to vote shall not be denied or abridged by the United Slates or by any State on account of sex. Section 2. The Congress shall have power, by appropriate legislation, to enforce the provisions of this article.

Ausserhalb Amerikas besteht das Frauenstimmrecht seit 1893 und 1896 in den englischen Kolonien Neu-Seeland2)In einer neuseeländischen Stadt wurde 1894 eine ver - heirathete Frau zum Bürgermeister des Ortes gewählt, deren Gatte früher das gleiche Amt bekleidet hatte. und Süd-Australien. In beiden war die Betheiligung des weiblichen Geschlechts an den Wahlen sofort eine sehr starke. Ferner besteht es schon lange zu Gunsten von Wittwen und unverheiratheten selbständigen Frauen für Munizipal -261Frauenstimmrecht.wahlen in der Kolonie Nova-Scotia an der Ostküste von Amerika (mit dem Hafen Halifax). Ebenso besteht seit 1881 das aktive Wahlrecht zu Gunsten selbständiger, grund - besitzender Frauen für die Ständeversammlung (house of keys) der Insel Man in der irischen See, die keine Abgeordneten in das endliche Parlament schickt. Ein Hauptgrund hiefür soll dort der gewesen sein, dass es sehr viele Wittwen auf der den Stürmen ausgesetzten Insel giebt.

In England selbst besteht das Frauenstimmrecht zu Gunsten selbständiger Frauen, die Steuern bezahlen, für die Wahl der Schulräthe und nunmehr auch der Kirchspielräthe; dagegen verwarf das englische Parlament schon mehrmals (besonders 1873, 1885, 1888, 1891, 1892) Vorschläge, welche das Frauenstimmrecht allgemein einführen, beziehungsweise gegenüber den bestehenden Bestimmungen erweitern wollten. Einmal jedoch geschah dies im Unterhaus mit der geringen Mehrheit von 23 Stimmen1)1897 wurde die zweite Lesung des Vorschlags mit 228 gegen 157 Stimmen genehmigt. Immerhin ein Achtungserfolg. John Stuart Mill proponirte das Frauenstimmrecht schon 1867 bei der zweiten Reformbill, später bildete es das amendment Woodall zu der Glad - stone'schen Wahlreform, noch später die bills Stuart, Rollit, Begg., ein anderes Mal, 1885, nahm das Unterhaus sogar an und fiel die Bill nur im Oberhause durch. Jetzt liegt die Frage wieder vor. Es ist dazu zu be - merken, dass in England auch das allgemeine Stimmrecht im gewöhnlichen,. auf die Männer beschränkten Sinne nicht besteht, sondern erhebliche, sogar noch ökonomische Voraus - setzungen, auch nach der letzten Reformbill, dazu gehören, um in das Parlament zu wählen, oder gewählt zu werden2)Aehnlich ist es auch in anderen Staaten, daher ist dort sehr begreiflich die Zeit für das Frauenstimmrecht noch nicht gekommen, das allgemeine männliche Stimmrecht muss vorausgehen.. 262Frauenstimmrecht.Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass in England das Frauenstimmrecht einen Bestandtheil eines weiteren Reform - Wahlgesetzes bilden wird, sobald sich ein solches für den Grundsatz des allgemeinen Stimmrechts (a man a vote) auszusprechen wagt. Vorgearbeitet ist hiefür durch das wichtige Gesetz « married womans property act » von 1883, wodurch die englischen verheiratheten Frauen in ihren Ver - mögensverhältnissen selbständig geworden sind, während früher ihr Vermögen durch die Heirath in des Mannes Eigen - thum übergieng1)Durch dieses Gesetz erhält die englische verheirathete Frau den Alleinbesitz und die alleinige Verwaltung ihres Vermögens, so - wohl des in die Ehe gebrachten, als des während der Ehe erworbenen, und kann darüber allein verfügen; ebenso kann sie ihren ganzen Erwerb allein behalten. Der Ehemann hat nur so viel Rechte daran, als ihm die Frau jeweilen im Sinne einer Nutzniessung ein - räumen will. Früher konnte man nur durch ein sogenanntes « settlement », eine sehr kostspielige Prozedur, der heirathenden Tochter vor der Ehe das Vermögen sichern, sonst konnte ihr Gatte sie sogar durch Testament des Vermögens berauben, das sie in die Ehe gebracht hatte. Seit 1870 aber schon konnte sie mit Zustimmung des Ehegatten ihr Vermögen behalten. Dagegen haben englische Gerichtshöfe im Jahre 1889 die Wahl einer Lady Sandhurst in den Londoner Grafschaftsrath kassirt, mit der Begründung Seitens des Lord-Oberrichters, dass seit 1869 Frauen zwar an den Gemeinderathswahlen Theil nehmen, aber nicht selbst gewählt werden können, obwohl faktisch bereits mehrere Damen in dieser Behörde sassen, u. A. eine Tochter Cobden's.. Aehnliche vorbereitende Gesetze sind in neuerer Zeit in einigen amerikanischen Staaten erlassen worden.

In anderen Ländern sind unseres Wissens nur erste Anfänge eines Frauenstimmrechts, oder hierauf bezügliche Anträge vorhanden. So in Dänemark, wo sich das Volks - thing im Jahre 1894 mit dieser Frage beschäftigte, und in263Frauenstimmrecht.Frankreich, wo die Handelsfrauen seit 1889 an den Wahlen der Handelsrichter Theil nehmen dürfen. In diesem Jahre (1897) hat der französische Senat das Recht der Frauen zur Zeugnissabgabe, von Strafsachen auf alle bürgerlichen Rechts - sachen ausgedehnt. In der ersten Revolution waren die Frauen nahe daran die Rechtsgleichheit zu erlangen, in einzelnen Sektionen von Paris nahmen sie sogar regelmässig an den Verhandlungen Theil und hatten berathende Stimme1)Taine, Les origines de 1a France contemporaine, III. 292. Singulärer Weise wurden die Frauen durch ein Dekret von 10. / 11. Juni 1793 berufen an einer Abstimmung über die Gemeindegüter, Theilung, Verkauf, Vermiethung etc. Theil zu nehmen, « tout individu de tout sexe ayant droit au partage et âgé de 21 ans aura droit de voter ». Die Staatsmänner der Revolutionsperiode waren im Uebrigen verschiedener Meinung. Condorcet war für das Frauenstimmrecht, Mirabeau und Robespierre dagegen. Vergl. die Beilagen. That - sächlich war der politische Einfluss der Frauen nicht unbedeutend, Madame Roland war sogar der eigentliche leitende Genius der Giron - disten-Partei.. Im Jahre 1885 verlangten, wohl in Erinnerung daran, zwei Damen in Paris einfach die Eintragung in die Wähler - listen auf Grund der Verfassungsbestimmung « jeder Franzose ist Wähler », worüber der Kassationshof am 5. März 1885 in ablehnendem Sinne entschied2)Aehnliche Gerichtsentscheidungen sind auch in Amerika mehr - fach vorgekommen.. Im schwedischen Reichstag war 1884 vom Frauenstimmrecht die Rede, und unterlag dasselbe mit nicht sehr grosser Mehrheit der Ver - werfenden (53 gegen 44 in der zweiten Kammer); ebenso in einer Prager Stadtverordneten-Sitzung von 1887. Auch in Island, das eine eigene Volksvertretung besitzt (wäh - rend die Faroer-Inseln in dem dänischen Volksthing mit - vertreten sind), besteht für die Wahlen in dieselbe und die264Frauenstimmrecht.Distriktsverwaltungen das Frauenstimmrecht aller selbstän - digen Frauen nach einem Gesetze vom 12. Mai 1882.

Eine historische Erinnerung ist noch, dass eine Ximena Blasquez von Avila in Spanien seiner Zeit die Rechte der Männer erhalten haben soll, weil sie als Kommandantin der Stadt einen Ueberfall der Mauren abgewendet hatte1)Solche Ehren genossen auch schon schweizerische Frauen als Gesammtheit wegen ihrer Tapferkeit, so zum Beispiel die Frauen von Lugnetz den Vortritt bei dem Kirchgang, die Frauen von Hettiswyl, Kriegstetten, Burgdorf etc. Vergl. darüber n. A. Tobler, « Kriegsthaten schweizerischer Frauen » in der Zeitschrift für Völker - psychologie und Sprachwissenschaft, 1862. In einem afrikanischen Territorium, Opoba. das unter englischem Schutze steht, ist eine Amerikanerin Premierminister des eingeborenen Königs. Ebenso soll auf der Insel Tavolara, nördlich von Sardinien, eine Art von Frauenstimmrecht bestehen..

Stimmrecht der Frauen, ausgeübt durch männliche Stellvertretung, kommt vor: in Oesterreich bei der Wählerklasse des grossen Grundbesitzes (Wahlgesetz von 1873) für den Reichsrath und auch in den einzelnen Kronländern Böhmen, Galizien, Mähren. Ferner partizipiren die Frauen in Schweden bei der indirekten Wahl der ersten Reichs - tagskammer, ebenso haben sie das Stimmrecht für die Wahlen der Gemeinderäthe und zwar persönlich, oder durch Stell - vertretung; ebenso in Finnland: in Norwegen haben sie das Schulstimmrecht.

Delegation der Censusbedingungen kommt in Italien vor, nach dem Artikel 12 des Wahlgesetzes vom 24. September 1862. Die direkte Steuer, die eine Frau, sei es Wittwe oder verheirathete Frau, entrichtet, kann sie einem ihrer Söhne, Enkel oder Grossenkel, den sie auswählt,265Frauenstimmrecht.anrechnen, so dass er dadurch stimmberechtigt wird. Selbst - verständlich ist dies in vielen Staaten gegenüber dem Ehemann der Fall; in anderen besteht es bloss für Gemeinde - angelegenheiten (Belgien. Rumänien).

Wählbar sind die Frauen in die Schulbehörden in England, Norwegen und einem Theil von Schweden, in die munizipalen Behörden in Kansas1)Auch in Schweden (Upsala) kommt es vor, dass Frauen an Universitäten Lehrämter bekleiden.. In Wyoming und Washington waren sie längere Zeit selbst in die Schwurgerichte wählbar, bis 1887 das Obergericht von Washington ein solches Urtheil kassirte. Seither ist dies in beiden Staaten, wie es scheint, nicht mehr der Fall2)Ostrogorski citirt aus jener früheren Zeit ein Wiegenliedchen, als Spottvers auf diese richterlichen Frauen: « Baby, baby don't get in a fury, Your mother's gone to sit in the jury »..

Die Frage ob sie den Advokaturberuf ergreifen können, wurde sehen öfters gestellt, in Europa aber unseres Wissens bisher stets negativ beantwortet, selbst in der Schweiz in einem Kanton, der die freie Advokatur hat (B. Ger. Ent - scheidungen XIII, S. 1). Anders in Amerika, wo sie dieses Recht besitzen; ebenso können sie dort Notare, Betreibungs - beamte, Administratoren von Massen etc. werden. Ob sie in der Schweiz vor dem Bundesgerichte plaidiren könnten, ist unausgemacht, wir halten dafür ja, weil für diese Praxis auch keine anderen Beschränkungen, durch Erfordernisse von Prüfungen etc., bestehen.

Verantwortliche Redakteure, oder Geranten von Zeitungen können die Frauen in den meisten Ländern sein,266Frauenstimmrecht.jetzt auch in Frankreich seit 1881, dagegen nicht in Spanien und Bulgarien. In der Schweiz wurde diese Frage unseres Wissens nie aufgeworfen; es besteht auch wohl keine weib - liche verantwortliche Redaktion einer politischen Zeitung, an der Berechtigung dazu ist aber nicht zu zweifeln.

Die Universitäten dürfen die Frauen mit mehr oder weniger Freiheit besuchen in Frankreich, Schweden. Norwegen, Dänemark, Italien, der Schweiz, Deutschland, Oesterreich; für die alten englischen Universitäten Oxford und Cambridge gilt dies nicht, in Amerika und den englischen Kolonien ist es grösserentheils der Fall. In England, Russland und Italien bestehen besondere höhere Schulen für Frauen.

In der schweizerischen Eidgenossenschaft besteht bisher das Frauenstimmrecht nirgends und hat diese Idee überhaupt noch nicht rechte Wurzel fassen wollen, trotz der schönen Tradition von der « Stauffacherin », welche die schweizerische Freiheit zuerst historisch entdeckte und praktisch postulirte, und obwohl die schweizerischen Frauen ganz ohne Zweifel, was politisches Verständniss und politische Bildung, sowie natürliche Begabung für solche Sachen und Charakter überhaupt anbetrifft, keinen ihrer Mitschwestern nachstehen, vielmehr den meisten überlegen sind. Wenn irgendwo dürfte man also hier einen Versuch damit wagen. Dennoch ist ein solcher noch nie ernstlich gemacht worden1)Einzig in der Gemeinde Bern bestand früher (seit 1886 auch nicht mehr) das Stimmrecht selbständig steuerzahlender Frauen, aber nur durch männliche, von ihnen zu bezeichnende Vertretung, die dann gewöhnlich Angehörige, mitunter aber auch Studenten, Milch - träger etc. ausübten. In Basel allein wurde s. Z. bereits eine An - regung für das Frauenstimmrecht in Kirchensachen gemacht Indirekt haben die Frauen oft grossen Einfluss auf die Politik aus - geübt: ohne die Entschlossenheit der adeligen Nonnen von Königs -,267Frauenstimmrecht.selbst von solchen Politikern nicht, die sich für viel geringere und jedenfalls viel weniger wirksame Stimmrechtsfragen, wie zum Beispiel für die Proportional-Vertretung, lebhaft zu be - geistern vermögen. Die Mehrzahl huldigte bisher offenbar dem alten, so viel bekannt zwar nicht bei uns entstandenen Sprichwort:

« Wo die Landsknecht sieden und braten, Pfaffen in weltliehen Dingen rathen Und Weiber sitzen im Regiment, Da nimmt es selten ein gutes End ».

Dennoch steht die Schweiz dem Frauenstimmrecht näher, als die anderen Staaten Europas ausser England. Nicht allein der obigen unzweifelhaften Eigenschaften ihrer Frauen wegen, die eigentlich nur selbst recht ernstlich dieses Ziel anzustreben brauchten, um es bei ihren selten ganz unge - fügigen männlichen Angehörigen in den Vordergrund der Diskussion zu rücken, sondern auch desshalb, weil sie das wichtigere Recht, das passive Wahlrecht, schon vielfach gewohnheitsmässig besitzen, ohne dass darüber der Staat im Geringsten aus den Fugen gekommen ist. Denn nicht allein sind die Frauen nun ziemlich allgemein zur Theilnahme an den höheren Studien in Gymnasien und Universitäten zuge - lassen, welche die natürliche Vorbedingung und Einleitung zu dieser Frage der Gleichberechtigung bilden, sondern sie sind auch schon jetzt zu manchen Schul -, Staats -, Gemeinde - und Verkehrsbeamtungen wählbar, die sicherlich grössere An - forderungen an Kenntnisse und Charakter stellen, als die1)felden wäre vielleicht die Reformation in Bern nicht so rasch vor sich gegangen. Ein etwas komisches Beispiel von Frauenstimmrecht war das Auftreten der Generalin Reding auf der Schwyzer-Lands - gemeinde. (« Betsy Schwig! »)268Frauenstimmrecht.jenigen, die für das allgemeine Stimmrecht als genügend er - achtet werden. Wo das passive Wahlrecht in so hohem Mass - stabe besteht, ist ein eigentlicher Grund, das aktive auszu - schliessen, nicht mehr vorhanden und es ist, wie schon Ein - gangs gesagt wurde, nicht recht abzusehen, warum eine Lehrerin, die in ihrer Schule schweizerische politische Geschichte und Verfassungskunde lehren darf, nicht fähig sein sollte an einer Referendums - oder Verfassungsabstimmung, oder an einer Wahl Theil zu nehmen. Es fehlt hier also die Logik in diesen Verhältnissen, wie sie sich meistens ganz that - sächlich gebildet haben und erst nachträglich gesetzgeberisch gerechtfertigt worden sind1)Wir erinnern uns z. B. an einen Fall, wo eine Eisenbahn - kassierin zuerst bloss als Stellvertretung ihres erkrankten Vaters fungirte und dann später, als die Sache nichts Auffallendes mehr besass und sich auch sonst bewährt hatte, selbständig angestellt wurde., und dieselbe wird sich Raum verschaffen, wie es ihrer Natur entspricht, sobald einzelne Vor - urtheile dagegen, durch die Praxis und das Beispiel anderer Länder, abgeschwächt, oder ganz beseitigt worden sind.

« Jeder Despotismus sagt uns ein bekannter eng - lischer Philosoph sei er politisch oder sozial, betreffe er Ge - schlecht, Kaste, Alter, oder was immer sonst, muss von einer wachsenden Civilisation schliesslich hinweggeräumt werden ».

III.

Welches sind die muthmasslichen politischen Wirkungen des Frauenstimmrechts?

Das ist eigentlich die grösste Frage dabei. In den meisten Staaten, ganz besonders bei uns, wo man dermalen in weiten269Frauenstimmrecht.Kreisen für alles Neue eine fast ebenso grosse Zuneigung besitzt, wie weiland die Athener1). -Geschichte XVII, 21., würde die Frage sehr an Bedeutung zunehmen und sogar die natürliche Abneigung aller herrschenden Klassen, ihre Macht mit anderen zu theilen, überwinden können, wenn man mit einiger Sicherheit die poli - tischen Folgen einer solchen Neuerung zu ermessen im Stande wäre. Bisher bestehen darüber keine bestimmten, oder vielmehr ganz entgegengesetzte Ansichten und das wesentlichste Mittel sich zu informiren; die Erfahrung in anderen Ländern ist entweder gar nicht, oder nur in Gebieten vorhanden, die uns einigermassen ferne stehen.

1. Eine Erfahrung besitzt eigentlich nur Amerika, wo das volle Frauenstimmrecht, überhaupt die völlige Gleich - berechtigung der Frauen nun seit beinahe 30 Jahren, man kann also sagen seit einer Generation, besteht. Thatsächlich ist dies jedoch auch nur in einem einzigen Gliederstaate der Union, Wyoming, der Fall. Dort wurde das Frauenstimm - recht in der ersten Legislatur in Vorschlag gebracht, nachdem im Jahre 1868 das Territorium mit bloss ungefähr 5000 Seelen Bevölkerung in der damaligen « grossen amerika - nischen Wüste » entstanden war, und es wird sogar erzählt, dass man die Sache von der einen Seite mehr als einen Scherz angesehen, von der anderen dagegen als ein Reklamemittel für die Kolonisation betrachtet habe, wodurch man das neue Staatswesen in der Welt bekannt machen könne. In der That votirte die zweite Session der beiden Kammern bereits die Abschaffung dieses Stimmrechts, der Gouverneur belegte jedoch die Abschaffungsbill mit seinem Veto, und die nöthige Zweidrittel-Mehrheit der Kammern zur Aufhebung des Vetos kam nicht zu Stande. Das Gesetz blieb bestehen und gieng in die Verfassung des Staates über, als derselbe im Jahre270Frauenstimmrecht.1890, als solcher, in die Union aufgenommen wurde, womit zugleich der thatsächliche Beweis geleistet war, dass der Ein - führung des Frauenstimmrechts kein Artikel der Bundes - verfassung entgegenstehe, sondern jeder Staat der Union, oder auch diese selbst, es einführen können. Ueber seine allgemeinen Wirkungen sprechen sieh offizielle Be - richte wie folgt aus:

« Woman suffrage, although resting on equity, supported by reason and confirmed by experience, has hitherto gained but partial acceptance as a principle of political philosophy. It commands more and more of public attention in many portions of our own land and in other countries, whose poli - tical institutions look toward freedom of the people. But to-day the new territory of Wyoming is the only spot on the earth where the political privileges of women are equal and identical with those of men. It was a bold and gallant stroke on the side of reason and of justice long delayed, that act of our first legislative assembly; and what wonder that the eyes of the world have been turned on Wyoming ever since.

Elsewhere objectors persist in calling this honorable statute of ours « an experiment ». We know it is not, that under it we have better laws, better officers, better institu - tions, better morals and a higher social condition in general than could otherwise exist, that not one of the predicted evils, such as loss of native delicacy and disturbance of home relations, has followed in its train, that the great body of our women, and the best of them, have accepted the elective franchise as a precious boon and exercise it as a patriotic duty, in a word, that, after twelve years of happy experience, woman suffrage is so thoroughly rooted and established in the minds and hearts of this people, that among them all no voice is ever uplifted in protest against271Frauenstimmrecht.or in question of it. For these reasons, also, there rests on us the obligation to so guard and elevate the social order as to make of Wyoming an ever-brightening star for the guidance of this new grand movement in the interest of human freedom. » (Botschaft des Gouverneurs an die Legis - lative vom 12. Januar 1882.)

In zwei frühern Botschaften des Gouverneurs von 1871 und 1873 kommen folgende Stellen über diesen Gegenstand vor:

« There is upon our statute book « an act granting to the women of Wyoming territory the right of suffrage and to hold office », which has now been in force two years. Under its liberal provisions women have voted in the territory, served on juries and hold office. It is simple justice to say that the women entering, for the first time in the history of the country, upon these new and untried duties, have conducted themselves in every respect with as much tact, sound judgment and good sense as men.

The experiment of granting to women a voice in the government, which was inaugurated, for the first time in the history of our country, by the first legislative assembly of Wyoming, has now been tried for four years. I have heretofore taken occasion to express my views in regard to the wisdom and justice of this measure and my conviction, that its adoption had been attended only by good results. Two years more of observation of the practical working of the system have only served to deepen my conviction that what we, in this territory, have done, has been well done, and that our system of impartial suffrage is an unqualified success. »

In einer englischen Zeitschrift « Fortnightly Review » findet sich folgende Betrachtung, nach dem Auszug der Berliner « Nation[ »:]

Dass ein so radikales Gesetz durchgehen konnte, ver - dankten die Frauen dem ersten Gouverneur von Wyoming. 272Frauenstimmrecht.John A. Campbell. Die Gesetzgeber hatten zum Theil den Vorschlag als eine Art « joke » betrachtet, während ein anderer Theil die Idee, den Frauen das volle Stimmrecht zu geben, als eine vortreffliche Reklame für das neue Territorium ansah. Der Gouverneur aber nahm die Sache ernst und vertheidigte das Recht der Frauen auch durch sein Veto, als zwei Jahre später eine Bill auf Beseitigung des Frauen - stimmrechts eingebracht wurde. So geschah es, dass das Territorium Wyoming bis heute die absolute politische Gleichberechtigung beider Geschlechter geniesst. Man kann also dort von einer zwanzigjährigen Erfahrung sprechen. Und in dieser Periode hat Wyoming sich allmählich zu einem Staatswesen mit mehr als 100000 Einwohnern entwickelt. Ferner wird konstatirt, dass das Experiment im Ganzen überraschend günstig ausgefallen ist. Der Prozentsatz der Frauen, welche ihr Wahlrecht ausüben, ist sehr gross (bis zu 80 Proz.). Trotzdem haben sich die Frauen nicht in aufdringlicher Weise in die Politik gemischt. In die parla - mentarische Vertretung des Territoriums ist bisher keine Frau trotz der gesetzlichen Befähigung gewählt worden. Dagegen haben sie ihr Stimmrecht dazu benutzt, um Männer in die gesetzgebenden Körper und in öffentliche Aemter zu bringen, welche sich bereit zeigten, gegen Trunk - sucht, Spiel, Prostitution, sowie politische Korruption und für eine ausgiebige, unentgeltliche öffentliche Schulerziehung einzutreten. Thatsächlich soll in Wyoming die Zahl der Analphabeten denn auch geringer sein, als in irgend einem anderen Staat oder Territorium der Union. Auch ein Gesetz über die bessere Ventilation in Bergwerken wird auf die Initiative der Frauen von Wyoming zurückgeführt. Die Frage: « Hat die politische Gleichberechtigung der Geschlechter auf das Familienleben und speziell auf das Verhältniss der Ehe -273Frauenstimmrecht.gatten zu einander einen schädigenden Einfluss ausgeübt? » wird kategorisch verneint. Es wird im Gegentheil erzählt, dass sie zu einer der letzten Präsidentschaftwahlen von ihren männlichen Angehörigen in Kutschen zu den Wahllokalen geführt worden seien.

Dagegen dürfen wir auch nicht verschweigen, dass auf eine Lobrede des Bundessenators Carey von Wyoming über das Frauenstimmrecht daselbst, ein amerikanisches Blatt, die « Omaha Bee », gelegentlich folgenden Schmähartikel enthielt:

« Weder Senator Carey, noch irgend Jemand anders, der mit den Plänen der Frauenstimmrechtler einverstanden ist, hat je feststellen können, welche Vortheile das Frauen - stimmrecht dem Volke von Wyoming in sittlicher, gesell - schaftlicher, oder finanzieller Hinsicht gebracht hat. Was hat Wyoming vom moralreformatorischen Standpunkte aus aufzuweisen? Ist die Politik dadurch gereinigt worden, dass den Frauen das Recht verliehen worden ist, zu stimmen, Aemter zu bekleiden und als Geschworne zu dienen? Ganz sicherlich nicht! Das politische Getriebe ist, wenn es sich überhaupt verändert hat, nur noch schmutziger geworden, als es früher war. Der erfolgreiche Kandidat muss nicht nur mit den schlechten Männern schachern, sondern auch mit den schlechten Weibern. Haben Verbrechen und Laster in bemerkbarer Weise abgenommen? Keineswegs. Die Städte und Ortschaften von Wyoming sind nicht freier von Ver - brechen und Lastern als diejenigen anderer Staaten. »

Kurze Zeit nachher führten die « Latter-Day Saints » in Utah das Frauenstimmrecht ein, um mittelst dieser Stimmen der Frauen der starken Einwanderung der « Heiden » in ihren Staat besser die Waage zu halten. Das bezügliche Gesetz274Frauenstimmrecht.vom 12. Februar 1870 verlieh jeder im Territorium seit sechs Monaten wohnhaften, geborenen oder naturalisirten Ameri - kanerin im Alter von 21 Jahren das Stimmrecht. Gegen dieses Gesetz, das indirekt der Polygamie diente, richteten sich nun aber die auf allmählige Abschaffung derselben zielenden Bestrebungen der Union, und der Kongress verbot daher schon durch ein Bundesgesetz vom 22. März 1882 den poly - gamen Männern und Frauen die Theilnahme an Wahlen irgendwo im Gebiet der Union, so dass das Stimmrecht nur für die monogamen Frauen erhalten blieb. Ein zweites Bundes - gesetz vom Februar 1887, die sogenannnte « Edmunds Tucker - Bill », hob dann aber auch diesen Ueberrest auf (mit welchem konstitutionellen Recht ist neben der von dem Kongress ge - nehmigten Verfassung von Wyoming allerdings schwer er - sichtlich) und es ist erst neuerlich in dem jetzigen Staate Utah wieder hergestellt worden. Aus der ersten siebzehnjährigen Periode des Frauenstimmrechts in Utah lässt sich daher nicht sehr viel schliessen, da dort die Frage zu sehr mit dem Mormonenthum verbunden war.

Das dritte, 1853 entstandene Territorium mit Frauen - stimmrecht, Washington, führte dasselbe durch ein Gesetz vom 22. November 1886 und eine Stimmregister-Verordnung von 1886 ein. Das Gesetz wurde dann von dem Territorial - Obergericht, wegen eines Formfehlers in der Ueberschrift, für nichtig erklärt, jedoch am 18. Januar 1888 neuerdings er - lassen. Auch dieses Gesetz erklärte das Obergericht aber wieder für nichtig, weil es dem Kongressakt vom 23. März 1853, durch den das Territorium organisirt worden war, widerspreche, was keinesfalls richtig ist. Der Kongress selbst hat dies niemals ausgesprochen und die Meinung der Rechts - gelehrten scheint die zu sein, dass der oberste Gerichtshof der Union die Giltigkeit des Gesetzes von 1888 anerkennen275Frauenstimmrecht.würde. 1)Ob in Washington das Frauenstimmrechl besteht, ist also theoretisch einigermassen fraglich. Faktisch ist es nicht der Fall, rechtlich aber sagt ein Bericht von 1895: « After consultation with some of the best legal talents of Chicago we are of the opinion, that all women who were voters in the territory of Washington are still voters, that a case brought and prosecuted to the supreme court of the United-States could restore to every woman the right of the elective franchise. »Immerhin ist der Bestand desselben thatsächlich aufgehoben, auch in der jetzigen Staatsverfassung nicht aus - drücklich aufgeführt, und es lassen sich daher aus diesem Staate ebenfalls keine Erfahrungen von den Wirkungen dieser Einrichtung registriren. Ebensowenig ist dies der Fall in Colorado, wo die Sache noch zu neu ist, oder in den Staaten Oregon, Nebrasca, Indiana und Süd-Dacota, wo die Legislaturen zwar das Frauenstimmrecht votirt haben, die Volksabstim - mung jedoch, soweit sie vorkam, nicht das nämliche Resultat ergab. In Nevada ist erst in diesem Februar ein dahin - zielender Beschluss, vorläufig vom Senat, angenommen worden. Man kann also sagen, in den Vereinigten Staaten von Amerika ist das Frauenstimmrecht, überhaupt die Rechtsgleichheit der Frauen, eine Frage, die sich muthmasslich in der nächsten Ge - neration zu Gunsten der Frauen entscheiden wird. Erfahrungen darüber sind jedoch einstweilen einzig in Wyoming vorhanden und der gebildetste Staat der Union, Massachusetts, hat das - selbe vorläufig abgelehnt. Es wird ganz auf die Qualität der Frauen in den Staaten, die dieses Recht ganz oder theilweise besitzen, ankommen, ob diese Neuerung dort zum Siege ge - langt. Da aber im Allgemeinen die Bildung der Frauen in Amerika derjenigen der Männer zum mindesten gleichsteht, so ist die Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden.

276Frauenstimmrecht.

Aus den anderen Ländern erfahren wir einstweilen durch den Premierminister von Neu-Seeland, Seddon, dass das Frauenstimmrecht bisher keine üblen Früchte gezeitigt hat. Bei der letzten Wahl haben 90% aller stimmberechtigten Frauen von ihrem Rechte Gebrauch gemacht. Die Konser - vativen in der Kolonie behaupten, dass das jetzige Parlament besser ist, als die letzten vier oder fünf. Die Befürchtung, dass den Frauen das « ewig Weibliche » verloren gehen würde, wenn sie sich an der Politik betheiligten, und dass sie dann keinen Sinn mehr für Häuslichkeit und Familie hätten, hat sich bisher nicht erfüllt. Im Gegentheil, es haben die Frauen durch ihren politischen Einfluss « die Herren der Schöpfung » gehoben. Die Wahlen verlaufen jetzt viel anständiger. Die Leute be - nehmen sich besser. Alles geht viel stiller und ehrbarer zu. Dessenungeachtet besteht das Frauenstimmrecht einstweilen nur in einzelnen Staaten von Australien, in andern nicht.

In England ist die allgemeine Meinung die, welche sogar Gegner theilen, dass dasselbe in Schul - und lokalen Angelegenheiten gute Wirkungen gezeigt habe. Es denkt daher dort Niemand daran, es wieder zu beseitigen, soweit es besteht, wenn auch an eine vollständige Einführung noch nicht zu denken ist.

Es ist anzunehmen, dass das Frauenstimmrecht in Amerika, Australien und England einen dauernden Bestandtheil der Verfassung, wenigstens in beschränktem Massstab, für ge - wisse Gegenstände der Gesetzgebung und Verwaltung, bilden wird. Ferner ist gewiss, dass das Frauenstudium und damit auch die Zulassung der Frauen zu gelehrten und anderen Berufsarten zunehmen wird, womit ihre Fähigkeit über öffentliche Angelegenheiten abzustimmen und öffentliche277Frauenstimmrecht.Aemter und Anstellungen zu bekleiden erhöht werden wird und eine Minderwerthigkeit in dieser Weise ausgebildeter Frauen gegenüber den oft viel weniger gebildeten Männern nicht länger behauptet werden kann. Und endlich ist anzunehmen, dass mit der zunehmenden selbständigen Erwerbsfähigkeit der Frauen, auch ihre Neigung sich mit öffentlichen Dingen aktiv zu beschäftigen zunehme, weil sie die Nothwendig - keit verspüren werden, ihren selbständigen Erwerb durch eine gute Gesetzgebung zu vertheidigen. Eine gute Gesetz - gebung in seinem Sinne erlangt nur derjenige sicher, der das Recht hat, daran selber Theil zu nehmen, sonst bleibt das mehr oder weniger illusorisch. Daher urtheilt ein englischer Philosoph völlig richtig, wenn er sagt, das allgemeine Wahlrecht sei nicht desshalb so wichtig, weil es den daran Betheiligten ein Recht, oder eine Satisfaktion ihres Selbstgefühls ver - schaffe, sondern weil es ihnen allein eine Garantie dafür biete, nicht schlecht regiert zu werden. Der weitaus grössten Zahl von Menschen in einem Staat ist es in der That gleichgültig und muss es gleichgültig sein, ob sie an der Regierung desselben aktiv Theil nehmen können, oder nicht, aber gut regiert werden, das wollen Alle und dafür müssen sie er - fahrungsgemäss selbst sorgen, das wird ihnen nicht als Ge - schenk der Götter entgegengebracht. Und dieses Interesse haben Frauen gerade so gut, wie Männer. Das wird sie allmählig in allen Ländern dazu bewegen, diese Garantie in ihre eigene Hand nehmen zu wollen.

2. Was die politische Parteinahme der Frauen anbetrifft, so bestehen darüber sehr verschiedene Ansichten, und, es ist beinahe anzunehmen, auch verschiedene Ver - hältnisse in den einzelnen Ländern. In England und Frank - reich neigt man vorzugsweise zu der Ansicht, dass die stim -278Frauenstimmrecht.menden Frauen die liberalen, oder radikalen Parteigrup - pen verstärken würden, wenigstens giengen alle Vorschläge zur Einführung des Frauenstimmrechts bisher von dieser Seite aus und sind namentlich die weiblichen Befürworterinnen in der Presse und in Versammlungen meist leidenschaftliche An - hängerinnen des politischen, sozialen und religiösen Radikalis - mus. Eine ähnliche Meinung scheint in Deutschland zu herr - schen, wo bisher bloss die sozialistische Partei1)Das Erfurterprogramm enthält das Frauenstimmrecht; vergl. Jahrbuch VI, 699. Ein Votum von Bebel im Deutschen Reichstag ist in den Beilagen abgedruckt. und die ihr näher stehenden sozialpolitischen Kreise etwas von Frauen - stimmrecht wissen wollen. Es ist daher in England bisher das Unterhaus der Erweiterung des Frauenstimmrechts ge - neigter gewesen, als das Oberhaus und die höheren Gerichtshöfe. Immerhin war auch Gladstone2)Die Argumente Gladstone's richteten sich in erster Linie gegen die Vorschläge dieses besonderen Gesetzentwurfes, welcher sämmt - lichen verheiratheten Frauen das Stimmrecht vorenthält, und es nur den unverheiratheten verleiht. Müsse doch im Grunde bei Familien - müttern das Gefühl der Verantwortlichkeit viel ausgeprägter sein; im Allgemeinen aber sei die gesammte Frauenstimmrechtsfrage noch nicht vom Volke in dem Grade aufgenommen worden, dass sie für das Parlament spruchreif sei. Einstweilen bleibe eine so tief ein - greifende Veränderung besser noch Gegenstand der Erörterung. Hätten doch selbst viele Frauen sich gegen die ihnen zugedachte Ertheilung des Stimmrechts ausgesprochen. Ehe das Parlament eine solche beschliesse, müsse festgestellt werden, dass eine überwältigende Mehrheit der britischen Frauen diese Rechtswohlthat auch wirklich im Jahre 1892 dagegen, ebenso im Jahre 1897 Harcourt, der leader der Liberalen, der Staats - rechtslehrer Bryce, der frühere Handelsminister Mundella und sogar der Radikale Labouchère, der es ursprünglich befür - wortet hatte. Uebrigens steht in England die Frage nur so,279Frauenstimmrecht.ob das allgemeine Frauenstimmrecht, namentlich also für die Parlamentswahlen, einzuführen sei; es ganz zu beseitigen, soweit es schon besteht, davon ist jetzt nicht mehr die Rede, während noch 1832, bei Anlass der ersten Reformbill, eine einzige alleinstehende Dame es in einer Petition an das Unterhaus begehrte und dasselbe darüber in Gelächter aus - brach. Am verbreitetsten ist in England die Meinung, dass die Frauen selber einstweilen eine Erweiterung des Stimmrechts nicht haben wollen, ein Standpunkt, den namentlich Bryce und Gladstone vertraten, und der in einem von 100 Damen der englischen Aristokratie bei dem letzten Anlasse ver - breiteten Aufruf seine theilweise Bestätigung fand. In Amerika (Boston) wurde daher, von dem gleichen Standpunkte aus - gehend, schon der Vorschlag gemacht, die Frauen selbst über diese Vorfrage abstimmen zu lassen.

Man kann also im Ganzen annehmen, dass man in England und Amerika das Frauenstimmrecht für eine Stärkung der liberalen, oder radikalen Bestrebungen ansieht.

2)verlange. Gewähre man den Frauen aktives und passives Wahlrecht, so folge logisch daraus die Berechtigung nur Besetzung jedes Amtes. Einzelne Frauen mögen ja allerdings für jedes Amt befähigt sein, gerade wie es Männer unter 21 Jahren gebe, die besser zur Er - füllung der Bürgerpflichten befähigt seien, als andere ältere. Aber die Ausnahme vermöge doch nimmer die allgemeine Regel umzustossen. Gladstone hegte keine Befürchtung, dass die Frauen den Machtbereich der Männer wesentlich beschränken würden: aber die Zartheit, die Reinheit und Feinheit, der Adel der weiblichen Natur, welche bisher die Quelle der Macht der Frauen bildeten, dürften verloren gehen. Der Umstand, dass man den Frauen den Besuch der Universitäten und die Ausübung verschiedener gelehrter Berufsarten geöffnet habe, möge den Bestrebungen, weiter nach dieser Richtung zu gehen, einen Schatten von Recht verleihen, aber es sei nur ein Schatten, und es wäre höchst bedenklich, die Frauen in den Wirrwarr männlicher Lebensthätigkeit zu stürzen.
2)280Frauenstimmrecht.

In Neuseeland stimmen die Frauen für die liberale Partei. Ein bezüglicher Bericht sagt darüber unter Anderem: « Die Frauen eilen in Mengen an die Wahlurne. Sie nehmen das grösste Interesse an den politischen Käm - pfen und tragen bedeutend dazu bei, dass dieselben in Ruhe und Frieden abgehen. Den Frauen haben es übrigens die Liberalen vor Allem zu danken, dass sie bei den jüngsten Wahlen einen so glänzenden Sieg davongetragen. Die Be - fürchtung, die weiblichen Wähler möchten sich von der Geistlichkeit leiten lassen, hat sich nicht bestätigt; sie traten im Gegentheil mit voller Energie für die jetzige freie, welt - liche und obligatorische Schule ein. Wahr ist allerdings, dass die Frauen in vielen Fällen ihren Eifer für die Mässigkeits - sache bezeugten, aber für gänzliches Verbot des Genusses geistiger Getränke waren die wenigsten. Im Ganzen zeigten sie bei der ersten Wahl, an welcher sie theilnahmen, eher die Tendenz, mit ihren männlichen Mitwählern zu harmoniren, als denselben Opposition zu machen. Einige Politiker schrieben es dem Einfluss der neuseeländischen Frauen zu, dass die Legislatur auch die Ernennung von Frauen zu Inspektoren von Irrenhäusern gestattet hat, dass ein Gesetz zum Schutz der Säuglinge gegeben, dass die Adoption von Kindern ge - setzlich besser geregelt worden ist und die Behörden jetzt streng gegen Bordelle vorgehen. Eines ist jedenfalls sicher, der Trunksucht und deren Förderern hat die weibliche Wähler - schaft Neuseelands den Vernichtungskrieg erklärt. »

In Holland lautet das Programm der neuen « Nieder - ländischen Volkspartei » gleich in seinem ersten Artikel: « Zweck der Niederländischen Volkspartei ist: a) die Erlangung des allgemeinen gleichen Wahlrechts für alle voll - jährigen männlichen und weiblichen Niederländer, denen das - selbe nicht durch richterliches Urtheil aberkannt ist, oder281Frauenstimmrecht.die nicht durch richterlichen Spruch die Verfügung über ihr eigenes Vermögen verloren haben. »

In dem finnländischen Landtag sprach sich im Jahre 1889 der Bischof Alopeus, bei Anlass der Frage über Zulassung der Frauen zum akademischen Studium, dahin aus, es sei ungerecht, dass man dem Weibe, nachdem die Kirche demselben die religiöse Offenbarung zu Theil werden lässt, die wissenschaftliche Offenbarung vorenthalte. Die Staats - verwaltung ferner dürfte durch die Aufnahme der Frauen in den Beamtenstand nur gewinnen, und zwar u. A. auch darum, weil die Administration dadurch mehr ruhige Elemente besitzen würde; die Frau sei nicht allein fleissiger, sondern auch bescheidener, geduldiger und duldsamer. In sozialer Beziehung endlich könne die Erweiterung der Erwerbsfähig - keit des Weibes, besonders in Rücksicht auf die unverhei - rathet Bleibenden, nur vom Guten sein. Aber auch als Gattin und Mutter würde eine höher gebildete Frau nicht Zerwürfniss in die Familie bringen, sondern im Gegentheil nur Festigung und Steigerung der geistigen und sittlichen Bande.

In Norwegen stimmten über die Einführung des so - genannten Gothenburger-Systems der Wirthschaftslizenzen die 25 Jahre alten Frauen ebenfalls mit und es wird angenom - men, dass durch diesen Einfluss Norwegen vor den Ver - wüstungen der zunehmenden Trunksucht gerettet worden sei.

Im Ganzen lässt sich vielleicht die Meinung vertreten, dass durch die Einführung des allgemeinen Frauenstimm - rechts der konservative Einfluss im besten Sinne verstärkt werden würde. Die Frauen sind von Natur kon - servativ, sie halten am treusten und am längsten an dem - jenigen fest, was sie einmal als wahr und gut erkannt haben; sie haben aber dabei auch eine ideale und selbst eine heroische282Frauenstimmrecht.Anlage, wenn dieselbe nicht durch eine schlechte Erziehung, oder durch die Männer, mit denen sie umgehen, verdorben wird, oder überhaupt, vermöge ihrer untergeordneten Rechts - stellung, gar nicht zur Geltung gelangen kann. Ihr Radikalismus hat zum grössten Theile diesen edlen Ursprung, nur bei weni - gen Emanzipirten beruht er auf einer missverstandenen Philo - sophie, oder auf schlechten Sitten. Ohne allen Zweifel würde der Staat sittlicher werden, in dem die Frauen das Stimm - recht haben, manche Abstimmungen, zum Beispiel eine solche in Genf vom vorigen Jahre über die « maisons de tolérance » würden unmöglich werden. Denn der Einfluss der Frauen (soviel sehen sie meistens ein) beruht in letzter Linie doch auf der Achtung vor ihnen und daher auf der Sittlichkeit. Wo Unsittlichkeit herrscht und den Ton angiebt, da ist die Frau rechtlich Sklavin und wenn sie den Mann faktisch wieder zu ihrem Sklaven macht, so ist das die natürliche Nothwehr, die ein solches System hervorruft. Die Frauen sind, wie schon öfters geäussert wurde, die « letzte Reserve » der Staaten, die in's Gefecht kommt und kommen muss, wenn die Männer zu sehr in Realismus und Materialismus versunken sind.

Darauf beruht unseres Erachtens überhaupt diese ganze Bewegung und auch ein Theil der Opposition gegen dieselbe. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass beides zuerst oft eine Art von Krankheitserscheinung ist. Es frägt sich nur, welches dann das Bessere ist, Krankheiten der Völker so lange als möglich zu verschweigen und durch blossen passiven Widerstand zu be - kämpfen, oder Mittel dagegen anzuwenden, die vorhanden sind.

IV.

Man darf also schliesslich die Frage wohl so stellen: Welches sind die Gründe, die gegen das Stimmrecht der Frauen, beziehungsweise gegen ihre Betheiligung an den283Frauenstimmrecht.öffentlichen Angelegenheiten sprechen? Denn als das Natür - liche und an und für sich Wünschenswerthe erscheint doch die Rechtsgleichheit aller Menschen, die dem gleichen Volke und Staate angehören und auf der nämlichen Stufe der Civilisation stehen, nicht das Gegentheil. Auch besteht ja diese Rechts - gleichheit schon in wesentlichen Theilen des Rechts, ganz besonders im Strafrecht, in welchem die Frauen im Allge - meinen als voll und gleich verantwortlich, wie die Männer, angesehen werden und ihnen nicht eine angebliche Minderwer - tigkeit in Bezug auf Anlage, oder Erziehung zu Gute kommt.

Die Hauptgründe, welche gegen die Frauen angeführt zu werden pflegen, sind die folgenden:

1. Mangelhafte Befähigung, oder Bildung. Darüber ist nur zu sagen, dass dieselbe, in unseren Verhält - nissen wenigstens, nicht vorhanden ist; die Mädchen erhalten eine Schulbildung, die sie durchaus den Knaben ebenbürtig macht und es zeigt sich auch in den Schulen keineswegs ein Unterschied der Befähigung zu Ungunsten der Mädchen, der von ihrem angeblich « kleineren Gehirn », oder dergleichen natürlichen Anlagen herrühren würde. 1)Zeitweise kann eine gewisse Inferiorität der Frauen, oder, besser gesagt, es kann eine zeitweise Behinderung derselben an einer intensiven geistigen Beschäftigung vorhanden sein, die aber nicht in den Verhältnissen ihres Gehirns ihren Ursprung hat, sondern mit andern natürlichen Ursachen zusammenhängt. Darin ist auch eine neueste Schrift, « Dr. Max Runge, Das Weib in seiner Geschlechts - individualität, 1897 » unseres Erachtens wesentlich zu berichtigen.Eine höhere Bildung, als die der Elementarschule, ist für die Ausübung des Stimmrechts nir - gends, wo dasselbe besteht, gefordert und auch selbst darin steht den Frauen dermalen entweder keine Schranke mehr ent - gegen, oder sie könnte, bei einigermassen gutem Willen, leicht weggeräumt werden. Man kann ohne Uebertreibung sagen, die284Frauenstimmrecht.Frauen haben die gleiche Bildung, wie die grosse Masse der gegenwärtig Stimmberechtigten, und was das Interesse an politischen Dingen, oder das natürliche Gefühl für das Rechte und Wahre darin anbetrifft, so sind sie im letzteren den Männern mitunter überlegen und das Interesse kommt mit der Uebung, wo es noch nicht genügend vorhanden ist. Man kann nicht von Jemand verlangen, dass er sich lebhaft für ein Gut interessire, das er niemals zu geniessen bekom - men kann. Das ist ja der ganze Vorzug der demokratischen Staatseinrichtung vor jeder anderen, dass sie die Menschen durch Theilnahme am Staatswesen erzieht und auf eine höhere Stufe hebt. Wäre das nicht der Fall, so wäre die Frage sehr offen, ob sie die Palme verdiente.

2. Die Unweiblichkeit einer Beschäftigung mit der Politik, die ferner angeführt zu werden pflegt, beruht wesentlich auf Gewohnheitsanschauungen, oder darauf, dass die jetzigen Vertreterinnen der « Frauenrechte » zuweilen einen etwas excentrischen Typus haben, wie er allen Vorkämpfern für neue Ideen eigen zu sein pflegt, der sich aber verliert, wenn dieselben Gemeingut geworden sind. Die Frauen, die stimm - berechtigt sind, werden sich so wenig ausschliesslich mit Politik beschäftigen, wie die grösste Zahl der Männer, und wenn man sie überhaupt von einer Beschäftigung mit solchen Dingen fern halten will, damit sie nur ein artiges Spielzeug, oder ein noth - wendiges materielles Mittel zur Erhaltung des Menschen - geschlechtes bleiben, so ist ihre ganze jetzige Erziehung, die sie zu höheren Aspirationen veranlasst, eine verfehlte zu nennen. Es ist dann das Beispiel der Athener zu befolgen, die ihre Frauen haremartig einsperrten und zu ihrer geistigen Unter - haltung Hetären bevorzugten. 1)Das Beispiel der Aspasia ist bekannt. Darin waren auch die gebildetsten Athener nach unseren jetzigen Begriffen etwas roh.

285Frauenstimmrecht.

Ob es daneben weiblicher, oder « schamhafter » (was hie und da auch noch angerufen wird) ist, wenn die Mädchen bloss zur Jagd auf Männer destinirt werden, das wollen wir dem « weiblichen Gefühl » zur Beurtheilung überlassen, welches an diesem Punkte der « Unweiblichkeit » der Frauen Emanzi - pationsbestrebungen den grössten Anstoss nimmt. 1)Etwas Unweiblicheres, als die Art wie diese jungen Wesen oft von ihren Müttern zu einem Ball, oder einer Hofpräsentation, man darf fast nicht mehr sagen angekleidet werden, giebt es überhaupt nicht, und die Damen der englischen Aristokratie, welche das Stimm - recht unweiblich finden, dürften sich auch das ein wenig über - legen. Eine amerikanische Zeitung sagte darüber im letzten Jahre: « When the question of woman suffrage was up in Albany last winter, there were more women who appeared against it, than in favour of it. It was the old cry. that for women to vote would unsex them. I am not here to advocate on this platform woman suffrage, hut I have seen hundreds of women educating and caring for their children and maintaining worthless husbands. The only thing I have known those husbands to do was to vote. I know ladies who manage large properties, carry on extensive charities, employ great numbers of men as superintendents, gardeners and workmen, and yet the super - intendents, the gardeners and the workmen enact the laws which govern and tax the woman, whose, income, energy, activity and in - telligence support them all, and she has no voice in the matter. »

Eigenthümlich ist es auch, dass diejenigen, welche die Beschäftigung mit Staatsangelegenheiten für unweiblich halten, oder überhaupt von der freieren Stellung der Frauen in Bezug auf Berufswahl Unglück für dieselben befürchten (was ja in Bezug auf einige Berufsarten richtig sein könnte), ihnen gerade diejenigen Berufsarten ungehindert ge - statten, die wirklich in den allermeisten Fällen ein Unglück für sie sind. Darüber sagt ein sehr berufener Zeuge1)Als die Frau des Sokrates ihn in seinem Gefängniss weinend be - suchte, halle dieser weiseste aller Männer für sie nur das eine Ab - schiedswort: « Schafft mir das Weib vom Halse ».286Frauenstimmrecht.(Alexander Dumas, nach einer Mittheilung des « Figaro »): « Madame! Wenn ein den niedrigsten Klassen der Gesellschaft entstammendes Mädchen mich bittet, ihr den Eintritt in den Bühnenberuf zu erleichtern, so gebe ich ihm die verlangte Unterstützung, falls es hübsch und begabt ist. Aber einem wohlgeborenen, ehrbaren, und mit Mitteln versehenen Fräulein schlage ich das immer ab, in Anbetracht, dass für ein junges, in solchen Verhältnissen lebendes Mädchen alles, selbst der Tod, einem so abscheulichen Dasein vorzuziehen ist. » Verbiete man den Frauen also die theatralische Laufbahn, die jeden - falls ihnen, und durch sie Anderen, mehr schadet, als das Stimmrecht. Es ist keine geringe Heuchelei bei dieser ganzen Prophylaxe vorhanden. Im Uebrigen sind Stimmrecht und völlig freie Berufswahl nicht unzertrennlich und die Frauen können sich, wenn sie einmal das Stimmrecht besitzen, selbst am allerbesten gegen diejenigen Berufe gesetzgeberisch aussprechen, die sie für unweiblich, oder schädlich erachten, worüber ihnen unseres Erachtens sogar das allein mass - gebende Urtheil zusteht.

3. Manche Schriftsteller besorgen auch lebhaft, die Frauen möchten durch die Beschäftigung mit dem Stimmzettel von ihren weiblichen Arbeiten (will sagen von der Küche) abge - halten werden. Darauf ist abermals zu erwidern, dass dies nur der Fall sein könnte, wenn sie sich ausschliesslich mit Politik beschäftigen würden, oder in Folge des passiven Wahlrechts zu zeitraubenden politischen Stellungen gelangten. Das wird stets eine grosse Ausnahme bleiben. Die Ausübung der gewöhnlichen bürgerlichen Rechte nimmt selbst bei uns so wenig Zeit in Anspruch, dass sogar an Abstimmungstagen die Küche, oder die sonstige häusliche Bequemlichkeit der Ehe - gatten, Väter und Brüder darunter nicht viel zu leiden haben wird.

287Frauenstimmrecht.

4. Ein beständig wiederkehrendes Argument liefert der Apostel Paulus mit seinem « mulier taceat in ecelesia ». Man darf dabei zugestehen, dass sich das nicht allein auf die Kirche im engeren Sinne bezieht, sondern dass überhaupt das Auftreten der Frauen in der Oeffentlichkeit verurtheilt werden will. 1)Noch vor Kurzem legte dies der Erzbischof von Paris in einem konfidentiellen Rundschreiben an die Pfarrer seiner Diöcese dahin aus, dass die Frauen bei gottesdienstlichen Handlungen auch nicht singen dürfen, was allerdings dem Wortlaut der Vorschrift und, so viel wir wissen, auch der korrekten kanonischen Regel entspricht.Dagegen glauben wir, wie schon einmal gesagt, nicht, dass der Apostel über die Verhältnisse der Frauen auf alle Zeiten und für alle Völker massgebende Ansichten aus - gesprochen habe, sondern solche, welche für die damaligen Verhältnisse, namentlich der grossen griechischen Städte und für die Art von Bevölkerung, ans der sich das erste Christen - thum rekrutirte, am Platze waren. Von Staatsangelegenheiten speziell spricht der Apostel ganz und gar nicht, was sich daraus erklärt, dass er den damaligen Staat als eine vorübergehende Erscheinung von sehr kurzer Dauer ansah, ja sogar selbst noch das Aufhören desselben, die Wiederkunft Christi zum Welt - gericht und eine ganz andere Weltordnung, zu erleben hoffte. 2)Vergl. den ersten Brief an die Thessalonicher IV, 16 18.Unter solchen Umständen verlieren diese oft citirten Worte über das « Schweigen » der Frauen an Bedeutung. Die Lehre des Apostels Paulus in Eph. V, 22 und ff. ist zwar ganz an - wendbar auch für die heutigen Zeiten, und in jeder Ehe, wie sie sein soll; aber nicht jede Frau kann einen Mann haben und der Fehler der jetzigen Männer besteht vielfach gerade darin, dass sie die Eigenschaften, die dazu ge - hören, um « Herr und Haupt, wie Christus in der Gemeinde » zu sein, gar nicht besitzen und dann blosse Haustyrannen288Frauenstimmrecht.sind, die ihre eigene Unfähigkeit zwar empfinden, aber dennoch nicht den Muth haben, den bessern Theil regieren zu lassen. Wenn endlich diese Stellen aus den Briefen des Apostels heute unbedingt verbindlich sein sollten, so müssten vor Allem die Frauen auf dem Throne1)Das Thronfolgerecht der Frauen besteht z. B. in England, Holland, Russland, Spanien, Portugal, für gewisse Fälle auch in Oesterreich, Preussen, Baiern, Sachsen und Württemberg. Gegenwärtig regieren Frauen in England, Holland und Spanien. Ohne Zweifel können schon nach heutigem Völkerrecht Frauen auch Gesandte werden. getroffen werden, die dort nicht allein eine Stellung in der Oeffentlichkeit haben, welche sich mit der Ansicht des Apostels nicht verträgt, sondern sogar in protestantischen Staaten irdisches Haupt der Kirche sind. Von Christus selbst ist, wie ebenfalls schon gesagt wurde, eine solche Lehre nicht vorhanden. Im Gegentheil eine seiner ausführlichsten und tiefsten Reden man könnte auf heutigem Standpunkte sagen Predigten rich - tete er an eine einzelne Frau und hatte auch nicht das Ge - ringste dagegen, dass dieselbe dann öffentlich als Verkündigerin dieses Evangeliums bei ihren Stadtgenossen auftrat, so dass man mit historischem Grund sagen könnte, der erste Prediger des Christenthums sei, mit Zustimmung des Herrn, nicht ein Mann, sondern eine Frau gewesen. 2)Vergl. Ev. Joh. IV, 27 30, 39. Es wird auch nicht ohne Grund die Vermuthung ausgesprochen, dass unter den ersten Chri - sten, die zu Pfingsten den hl. Geist empfiengen, ganz gleichmässig Frauen wie Männer gewesen sein müssen. Ap. -Gesch. I, 14, II, 1.Das Christenthum kennt in seinen allerwesentlichsten Vorschriften und Heilsbedingungen den ge - schlechtlichen Unterschied so wenig, dass das kanonische Rechts - buch genöthigt ist, da wo es die Rechtsungleichheit der beiden Geschlechter betont, auf das alte Testament zurückzugreifen,3)Decretalen II, 9, 23, c. 17: « Adam per Evam deceptus est, non Eva per Adam. Quem vocavit ad culpam mulier, justum est ut eum gubernatorem assumat, ne iterum feminea facilitate labetur. »289Frauenstimmrecht.welches aber, wie wir im Eingang ans der israelitischen Ge - schichte hervorhoben, ihn auch durchaus nicht immer festhält. Diese religiösen Bedenken sind daher, wenigstens bei dem grösseren Theil derer, die sie anführen, nicht ganz ernstlich zu nehmen.

Wir läugnen im Uebrigen gar nicht, dass auch jetzt noch, so gut wie in der antiken Welt, Manches vorhanden ist, was gegen die direkte Betheiligung der Frauen am Staatswesen, oder wenigstens gegen ihre sofortige und gänzliche Emanzipation spricht. 1)Wahr ist sogar, dass gegenwärtig noch an den Frauen, die stark in die Oeffentlichkeit treten (ausser in regierender Stellung), eine Art von levis nota haftet. Nicht Jedermann möchte sie zur Ehe - genossin, oder Mutter haben. Dagegen nimmt auch (als Gegengewicht) von ihnen allein die Oeffentlichkeit Notiz. Wenn eine Schauspielerin, oder Tänzerin, oder Sängerin, oder Schriftstellerin stirbt, erfährt es durch die Presse die ganze Welt, während die edelste und bedeutendste Frau anderer Art ganz unbeklagt von ihrem Volke dahingeht.Aber wo sind solche Schwierigkeiten nicht bei jeder Emanzipation vorhanden gewesen, und wollen wir desshalb die Emanzipation der Sklaven, der Leibeigenen und Hörigen des Mittelalters, der politisch unselbständigen Unterthanen, oder « Hintersässen » auch in unserer Geschichte, verurtheilen, oder als unzweckmässig erklären?

Es ist auch wahr, dass man dermalen, gerade in den gebildeten Klassen, ziemlich wenige junge Damen sieht, von denen man vollkommen überzeugt sein könnte, dass sie sich zum Stimmrecht eigneten. Aber eignen sie sieh etwa mit ihrer jetzigen Erziehung besser zum Haushalt und zur Kinder - erziehung? Die meisten haben allerlei dilettantische Liebhabereien, Musik, Malerei. Romane, oder Radfahren und anderen Sport, statt wirklicher Interessen, im Kopfe; oder290Frauenstimmrecht.sie werden durch ihre Erziehung bloss zur Genusssucht und zu « gesellschaftlichen Pflichten » angeleitet und wünschen dann lediglich zu heirathen, um in dieser Richtung ungestört fortleben zu können, keineswegs aber, um ernste Pflichten da - mit zu übernehmen. Von Seite der Männer sieht man in den unteren Schichten der Gesellschaft eine Frau als eine unbe - zahlte Magd, ohne Freiheit der Aufkündung ihrer Dienst - leistungen, oft beinahe als ein gekauftes Arbeitsthier an, in den oberen entweder als einen Luxusgegenstand, oder als ein gutes Mittel, um auf dem einfachsten Wege seine Ver - mögensumstände zu verbessern. Bei einer derartigen Sachlage erscheint das Frauenstimmrecht anfänglich schon etwas gewagt, aber es ist eben eines der besten Mittel, um diese trostlose Lebensanschauung selber zu beseitigen. « Es ist die Macht das höchste Gut des Himmels, wenn man sie braucht zu einem edeln Zweck. » Und « es ist noch keiner als ein falscher Prophet erfunden worden, der an die Möglichkeit des Edlen in der Menschheit geglaubt hat ».

Ohne allen Zweifel daher geht diese begonnene Emanzipation ihren Weg vorwärts, wie es jede andere von gedrückten, oder benachtheiligten Menschenklassen in civilisirten Staaten, einmal angefangen, auch gethan hat. 1)Stead sagt darüber in dem Leben der Josephine Butler, « la revendication des droits de l'homme s'est formulée il y a un siècle dans les célèbres déclarations de l'indépendance américaine et de l'assemblée constituante de la France, mais elle n'a pas encore trouvé son corollaire en ce qui concerne la femme ».Vorläufig ist freilich noch in fast allen Staaten das Wort wahr, dass « die Gesetze den Frauen weniger gewähren als die Gerechtigkeit es erfordert » und die Frauen sind daran nicht weniger schuld,291Frauenstimmrecht.als die Männer; sie müssen selbst auch anders werden, als sie sind, und mehr Interesse an dieser, ihrer Sache gewinnen. Richtig ist ferner im Allgemeinen, was ein moderner Schriftsteller über diesen Gegenstand sagt: es handle sich praktisch zunächst darum, die Frauen in der Sphäre des Gemeindestimmrechts zu emanzipiren, sobald sie darüber hinausgehen, so riskiren sie einen Gegenstoss. Für unsere schweizerischen Verhältnisse jedoch bleibt es fraglich, ob das Gemeindestimmrecht in seinem ganzen Umfange viel leichter zu erlangen wäre, als das politische Stimmrecht in kantonalen, oder eidgenössischen Dingen.

Unzweifelhaft aber ist, dassdas Stimmrecht und die Wählbarkeit in Schulsachen die erste Etappe des Frauenstimmrechts sein muss und dass damit in einzelnen Kantonen der Anfang gemacht werden sollte. « Wer wagt es, Rittersmann, oder Knapp? » Die jungen Männer sind dazu berufen, und es wäre eine dankbarere Aufgabe, als manche anderen politischen oder sozialen Phantasien, in denen sie sich ergehen. Den schweizerischen Frauen aber, die sich mit der Frage der « Frauenrechte » beschäftigen, ist zu sagen: alle ihre Bestrebungen sind nicht viel werth und jedenfalls nicht sicher, blosse zeitweilige Gnadengeschenke, die eine Zeit giebt und eine andere zurücknimmt, solange sie das Stimmrecht, wenigstens in beschränktem Gebiete, nicht haben. Nur der hat heutzutage die Freiheit und verdient sie, der sie selber verwalten kann und will.

Unserem eigenen Geschlechte sagen wir zum Schlusse noch Folgendes:

Ein sehr grosser Theil der Opposition gegen die Be - strebungen der Frauen zu einem menschenwürdigeren Dasein292Frauenstimmrecht.zu gelangen, ist Klassenegoismus, oder Furcht. 1)Der Klavier-Virtuose Hans von Bülow war z. B. ein solcher Gegner der Frauenrechte und hatte vielleicht Ursache dazu. Dem muss man immer zuerst nachfragen, wenn Jemand gegen irgend eine Befreiung lebhaft auftritt. Sehr viele männliche Gegner derselben haben schlimme Erfahrungen im eigenen Hause gemacht und ebenso ist bei den weiblichen die Opposition oft nichts, als eine an sich lobenswerthe Selbsterkenntniss, die aber von sich auf alle Andern schliesst.In den westafrikanischen Gebieten kommt es vor, dass die Männer den armen, geplagten Weibern, die ihre Arbeits - sklaven sind, das Essen von Hühner -, Schaf - und Ziegen - fleisch, des Besten, was sie haben, « aus Religionsgründen » verbieten, um es für sich behalten zu können. So ist es heute noch vielfach unter uns. Die Frauen sind selbst überzeugt, dass sie nicht gleichberechtigt seien und sein können, nachdem man ihnen das lange vorgesagt hat und ihr ganzes Streben nach Emanzipation geht auf die Ehe. Und mit welchem Resultat? In den grösseren romanischen Ländern ist die Frau von Rechtswegen Sklavin, so gut und oft mehr noch als im Orient. 2)Uebrigens gehen auch die orientalischen Staaten gerade an der Geringschätzung der Frauen zu Grunde. Die Türken würden ihren Staat in Europa erhalten können ohne dieselbe. Aber auch bei uns giebt es Männer, welche die Frau wie ein hübsches Thier betrachten, dem man eine Halfter umwirft und es willenlos wegführt wohin man will, und füttert, so lange man es gern haben will. In einer Bericht - erstattung eines angesehenen deutschen Blattes über einen grossen Kongress vom Jahre 1897 konnte man z. B. folgenden Passus lesen: « In dem mit den Zierrathen und Emblemen des feuchtfröhlichen Münchener Bierlebens überreich geschmückten kleinen Saal des kgl. Hofbräuhauses, der aus diesem Anlass durch eine ebenso fröhliche als trinkfeste Corona seiner eigentlichen Bestimmung übergeben wurde, fand Abends die übliche Begrüssung der Gäste statt. WieSie herrscht vielleicht durch293Frauenstimmrecht.ihre Schönheit, oder durch ihre List über Männer, aber ihre gleichberechtigte Gefährtin ist sie nicht. In anderen Ländern ist es faktisch etwas besser, aber nicht rechtlich. Ein selbständig gebliebenes weibliches Wesen, eine alte Jungfer, wie sie oft verächtlich genannt wird, ist heute in einer besseren rechtlichen Stellung, als eine verheirathete Frau, die, sobald sie mit einem unwürdigen Menschen zusammengekoppelt ist, ein Leben hat, in dem sie geistig und sittlich verkommen, oder sich beständig empören muss. Und dabei werden wir doch Alle, wenn wir die Wahrheit sagen wollen, bekennen müssen, dass die edelsten und besten Menschen, die wir in unserem Leben kennen gelernt haben, jedenfalls aber die grössere Zahl der Edeln und Guten, die wir kannten, Frauen gewesen sind .1)Die heutige Welt würde noch viel schlechter sein, als sie ist, wenn nicht die Knaben meistens ihren Müttern nacharteten und auch wesentlich von ihnen erzogen würden.. Und zwar ist das2)es fast ausnahmslos zu gehen pflegt, so erwiesen sich auch heute die für diesen Zweck gewühlten Räumlichkeiten als viel zu klein, dagegen unterschied sieh andrerseits der heutige Abend sehr zu seinem Vortheil von den üblichen Veranstaltungen dieser Art. Das war die Anwesenheit eines reichen Damenflors, die der Festlich - keit von Anfang an einen herzlichen und anmuthenden Anstrich gab und auch im Laufe des schönen Abends nur zur Erhöhung der Festesstimmung beitrug. Dabei wurde auch sehr bald der Einwand hinfällig, als ob durch eine solche Neuerung die Einnahmen des kgl. bayrischen Staatsärars irgendwie erheblich geschmälert werden könnten: vielmehr hatte man überreichlich Gelegenheit, auch auf dem Gebiet der Trink - und Sesshaftigkeit von Seiten des schönen Geschlechts ganz achtbare Leistungen zu bewundern. » Da, wo es den Männern Vergnügen macht, heisst es also nicht, die Frau gehöre in das Haus und nicht in die Oeffentlichkeit, und leider giebt sich eine immer wachsende Anzahl von gebildeten Krauen auch dazu her.294Frauenstimmrecht.keineswegs bloss in den allerengsten Familienverhältnissen der Fall. Die höchste Vollkommenheit, deren die Frauen fähig sind, liegt gar nicht, wie man es gewöhnlich annimmt, in dem Talent zur Liebe, sondern in der Fähigkeit zu der eigentlich noch viel idealeren Freundschaft. 1)Jede gute Ehe sogar löst sich in den älteren Lebensjahren in eine solche Freundschaft auf; wo dies nicht der Fall ist (weil zur Freundschaft mehr gehört, als zur Liebe) in eine anständige Gleich - gültigkeit.Als Freunde sind sie unvergleichlich in jedem Lebensalter, von der kleinen Enkelin bis zur betagten Grossmutter; bessere Freunde findet man nirgends, während sie allerdings in der völligen Isolirtheit leicht hart und unliebenswürdig werden. Ihre Bestimmung, wie schon die älteste Urkunde der Menschheit es andeutet, ist es auch, Freunde zu sein,2)Darüber findet sich in einer israelitischen Auslegung des Pentateuchs, die oft die unserigen an Scharfsinn weit übertrifft, folgende Stelle zu 1. Mos. 2, 18, die bisher den Augen der Frauenrechts - freunde entgangen zu sein scheint: « Es heisst nicht (im hebräischen Urtext): Es ist nicht gut für den Menschen, dass er allein sei, son - dern: Solange er allein steht, ist es überhaupt noch nicht gut: das Ziel der Vollkommenheit, das die Erdenwelt durch ihn erreichen soll, wird nicht vollkommen erreicht, solange er allein steht. Die Vollendung des Guten war nicht der Mann, sondern das Weib und ward erst durch das Weib dem Menschen und der Welt zugebracht…. Auch nicht die leiseste Andeutung auf eine geschlechtliche Beziehung ist darin enthalten, nur in das Gebiet des Wirkens des Mannes wird das Weib gesetzt. Und ebensowenig spricht sich eine Unter - ordnung aus, vielmehr ist damit eine völlige Gleichheit und pari - tätische Selbständigkeit ausgesprochen. Das Weib steht dem Manne parallel, auf Einer Linie, zur Seite ». Allerdings aber wird auch eine Frau nur, was sie werden kann, in der geistigen Gemeinschaft mit bedeutenden Männern. wo sie über das hinausstreben, oder unter dieser ehrenhaften Stellung gehalten werden, verkümmern sie, oder arten aus. Die Fehler der Frauen sind, nach einer295Frauenstimmrecht.langen Geschichte der Menschheit, wie sie nicht in Gottes Absicht lag, die der unterdrückten Völker ohne Freiheit, oder die von Menschen, die keine rechte Beschäftigung haben, sondern bloss zum Vergnügen verdammt sind.

Es ist ein Wunder und ein Beweis für ihre gute ursprüngliche Natur, dass sie sich dabei so lange relativ gut erhalten haben und oft genug ausdauernderer, fester, zuver - lässiger, prinzipientreuer, opferfähiger und furchtloser sind, als viele heutige Männer1)Die ungerathenen Töchter sind seltener als die ungerathenen Söhne und man kann es ruhig auf das Urtheil aller älteren Leute ankommen lassen, ob sie von ihren erwachsenen Söhnen, oder Schwiegersöhnen nur halb so viel Liebe, Freude, Trost und Hülfe erfahren haben, wie von ihren Töchtern. in allen Ländern.

In eine spätere Bundesverfassung der schweizerischen Eid - genossenschaft könnte unseres Erachtens von einer kommenden Generation ohne grosses Bedenken folgender Satz aufgenommen werden:

« Es steht den Kantonen frei, in ihren Ver - fassungen dem weiblichen Geschlechte das Stimmrecht in kantonalen, oder Gemeinde - Angelegenheiten, sowie das aktive und passive Wahlrecht mit Bezug auf kantonale und Gemeinde-Behörden, uneingeschränkt, oder mit Beschränkung auf bestimmte Gegen - stände einzuräumen, unter den gleichen all - gemeinen Voraussetzungen, wie sie für das Stimm - und Wahlrecht der männlichen Be - völkerung jeweilen bestehen. Frauen, welche296Frauenstimmrecht. Beilagen.in einem Kanton das volle Stimm - und Wahl - recht, gleich den Männern, besitzen, können dasselbe dort auch in eidgenössischen An - gelegenheiten ausüben, sind jedoch nur nach eidgenössischen Verfassungs - und Gesetzes - bestimmungen in eidgenössische Behörden wählbar ».

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About this transcription

TextFrauenstimmrecht
Author Carl Hilty
Extent56 images; 13694 tokens; 4118 types; 96601 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/KasselNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2013-07-12T09:45:20Z Thomas GloningMelanie HenßNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2013-07-12T09:45:20Z Google BooksNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate.2013-07-12T09:45:20Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationFrauenstimmrecht Carl Hilty. Carl Hilty (ed.) . WyssBern1897.

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ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

Editorial statement

Editorial principles

Anmerkungen zur Transkription:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnetDruckfehler: ignoriertfremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnetGeminations-/Abkürzungsstriche: expandiert, markiertHervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnetKolumnentitel: nicht gekennzeichnetKustoden: nicht gekennzeichnetlanges s (ſ): als s transkribiertrundes r (ꝛ): als r/et transkribiert

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