Alle Rechte vorbehalten.
Meine Geschichte ist kurz, begann der plötzlich so überraschend umgewandelte Geometer, aber an Qualen ist sie ewig lang! Der Schmerz, die Scham werden endlos sein! Schon daß ich so ständig die Welt belügen muß! Aus der Lüge kommt alles Verderben! Edwina ist ein Geschöpf, das ich nicht bewältigen konnte und kann! Und nähme ich den Sturmwind zu Hülfe, den Donner und den Blitz, ihr Freiheitssinn bannt sich nicht in die Regel, und ich kann nicht ewig Scenen aufführen, wo die Straßen zusammenlaufen! Geh’ Du dorthin, ich bleibe hier! Das mußte zuletzt beschlossen werden! Sie hat herrliche, liebenswerthe Eigenschaften, aber es ist ein Wesen, um das sich einst der Himmel und die Hölle streiten werden. Was sie mir schon Alles angethan hat, im Bunde namentlich einst mit einer Ungarin, das Weib heißt Baronin Ugarti –! Ich trinke diesen Wein mit einem stillen, den unterirdischen Gottheiten vernehmbarenPereat –! Brenne dies Weib im Pfuhl der Hölle!
2Aber wie kommen Sie nach Ungarn? Ist das engelgleiche Wesen denn Ihre Frau? Ihre Tochter? Ist Graf Wilhelm ihr Vater? Alles das fragte Ottomar durcheinander, endlich erfreut, daß dem Erzähler sogar der Wein zu munden anfing.
Eine Pause trat ein; dann sagte der Alte:
Daß Graf Wilhelm Edwinas Vater ist, läßt sich nicht läugnen, obschon ich einst geschworen habe und schriftlich im Kirchenbuche bezeugte, daß sie meine Tochter ist! Wie kam’s aber zum Gegentheil? Der Graf hat ihr selbst das Geheimniß verrathen! Meinen Schwur, den ich leistete, daß ich niemals Mißbrauch mit dem mich in jenen Tagen empörenden Thatbestande machen wollte, werde ich halten. Die alte würdige Frau, die Graf Wilhelm, ein poetischer Phantast, meinetwegen ein Originalkopf, betrog, soll mir Niemand vor ihrem Tode betrüben! Wer es thäte und wär’s Edwina selbst, den erwürg’ ich! Herr, fuhr der Alte nach einer Pause fort, ich besaß ein bildschönes junges Weib, meinen damaligen Jahren angemessen, nur ein Mädchen aus dem Volke. Sie sahen soeben die ganz gewöhnliche Mutter meiner Frau! Edwina würde für sie nur Almosen haben, wenn sich die alte ehrliche Wäscherin, die mir das Haus aufgeschlossen hat, – nicht selbst ernährte! Sie nimmt Nichts von ihr als den Wäscherlohn! Ich bringe mich3 schon durch! Sie haßt in Edwina die Mörderin ihrer Tochter und verlacht ihren Hochmuth. Das sind so Helden aus dem Volke!
Unwillkürlich mußte sich Ottomar sagen: Während Edwina sich auf Polstern streckt?
Er sah wie in ein halb von Gewitterwolken, halb von Sonnenstrahlen beschienenes zerklüftetes Gebirgsthal. Welche Verhältnisse –! Welche Menschen –!
In der Palissadenstraße? fragte er nur mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens. Im Hinterhofe wohnt die Alte? Die Großmutter Edwinens?
Wohlgemuth! Dreiundsiebzig Jahre alt – fromm und sittenstreng –
Und die vornwohnende Edwina hat die Großmutter nicht selbst bei sich? Nicht in ihrer Wohnung –?
Sie können mit einander nicht auskommen! Edwinas Geburt hat ihr ihr Kind umgebracht. Edwinens Ursprung – Alles ist der ächten braven deutschen Frau ein Gräuel, aber sie liefert ihr die Wäsche – Hahahaha! lachte darauf der Alte pfiffig, sie bewacht sie mir aber auch!
Ottomar schüttelte bitter lächelnd den Kopf, aber der Geometer fuhr fort: Meine alte Schwiegermama ist glücklich in ihrem Hinterhofe! Sie sagt mir nur, wie sich Edwina, die sich zu ihrer Großmama nur herab -4 läßt, wenn sie ihre Wäsche sortirt, aufführt! Denn Sie müssen wissen, was Edwina auch weiß, es geschieht etwas, wenn sie in ihrer Emancipationsraserei bis auf die Straße geräth –
Um Gotteswillen! rief Ottomar entsetzt. Die Züge des Alten waren verzerrt. Seine mit starken Gichtknoten bezeichneten Hände krümmten sich. Zwischen den Zähnen, die noch in stattlichen Reihen standen, zog er gleichsam die Worte: Sie hat uns schon zu schaffen gemacht! Aber es ist wahr, Sonne der Nacht, zeuge Du! Ich hasse den Grafen, aber das muß ich ihm doch nachsagen: er hatte seine Tochter nur bessern, nur erziehen, zum Guten führen wollen! Warum mußte er sterben! Er würde sie anständig verheirathet haben!
Ottomar ließ in blitzschneller Beleuchtung alle Personen vor seinem geistigen Auge vorüberziehen, auf welche da wohl die Wahl des Grafen Wilhelm hätte fallen können. Es entsetzte ihn, dabei an sich selbst zu denken.
Inzwischen warf sich der räthselhafte Mann mit ausbrechenden Thränen und mit dem ganzen Haupte, den untergebreiteten Armen auf die uns wohlbekannte wachstuchne Tischdecke.
Ottomar sah den Ausbruch starker, berechtigter Gefühle, aber auch krankhafter, vielleicht fixer Ideen. 5Ein: Ich morde sie – wurde fast gesprochen,wie wenn bei Aeschylos die Eumeniden ihre Fackeln schwingen. Er war auf’s Aeußerste erschüttert und schien zugleich gerührt.Aspasia und Sokrates waren hier keine Fabel gewesen! Sie fällt zurück in die Schande! rief er jammernd. Der Graf hatte ein verwildertes Mädchen, sein eignes Kind erzogen und dies Werk nur halb vollendet! Was wird sie mit den 30,000 Thalern machen!
Vor Schmerz konnte der Alte kaum Sprache gewinnen.
Es kommt auf zwei Momente in meinem Leben an, fuhr er dann fort, als er seiner Bewegung Herr geworden war. Ich bin Geometer und habe als solcher die Welt gesehen. UmEisenbahnen zu traciren bin ich bis in die Türkei gekommen! Aber ich war auch im Vaterlande viel beschäftigt, unter Anderem beiHochlinden, nahe dem lieblichen Städtchen Weilheim, wo ich Aufträge für die Regierung landvermessender Art hatte und lange Zeit Posto faßte. Meine Frau blieb auf der Station Weilheim, während ich in der Provinz bald da, bald dort zu thun hatte. Zufällig besuchte sie das nahegelegene Schloß Hochlinden. Die Gräfin, eine vortreffliche gutmüthige Frau, sah die schlanke junge Blondine, begrüßte sie herablassend und nahm sie freundlich in ihr Schloß. Der Herr Graf kam hinzu und meine Gattin stand6 unter den unbewußten Gesetzen der Gefallsucht. Wider Willen war sie eine verführerische Schlange. Sie hatte es von ihrem früh zu Grunde gegangenen Vater. Edwina ist ihr Ebenbild! Es sind schon die Augen allein, die gar nicht anders können als kokettiren! Ihre Mutter büßte ihre Untreue mit dem Leben. Nun hatte ich ein Kind zu erziehen, das ich, warum soll ich es denn nicht gestehen, haßte! Meine Ehre schien mir beschimpft! Ich hätte das Weib während ihrer lange mir verborgen gehaltenen Schwangerschaft – ich ahnte es sogleich und sie verkündete den Thatbestand zuletzt mit beispiellosem Triumphgeschrei – von mir weisen können. Der Tod selbst kam Allem zuvor! O wie gleichgültig sah ich den Menschen zu, die den Wurm, ein schönes Kind, aufhoben und pflegten! Alles geschah heimlich, unter dem Befehl des Grafen, aber gerade seine Einmischung empörte mich. Ich wollte Alles selbst thun, das Kind sollte das meine sein und so bürdete ich mir mit dem Trotz der Ehrliebe Jahre lang, manchmal mit Hülfe meiner alten Schwiegermutter und anderer Menschen, die mit meinem Beruf schwer in Einklang zu bringende Last auf! Ich mußte reisen. Kam ich zurück, so war Alles, was ich angeordnet hatte, vergessen, die Macht der Großmutter war überwunden, listig umgangen, das Kind aus den Augen verloren, bei Fremden, bei alten Freun -7 dinnen der Mutter. Dennoch entwickelte es sich körperlich und geistig, nur daß zugleich sein Wesen Trotz und Freiheitssucht wurde. Im achten Jahre entlief sie mir! Ich hatte sie da mit nach Ungarn genommen. Meine Stationen wechselten. In Herrmannstadt hatte ich sie einer braven Pfarrersfamilie übergeben. Die wurde von ihr bei Nacht und Nebel verlassen! Zwei Jahre war das unglückliche Kind vollständig verschollen! Denken Sie sich meine Aufregung! Denn wenn auch nicht Liebe, doch Pflichtgefühl bindet mich an sie –
Ottomar hörte nur und Alles voll Staunen. Ja, wo war sie denn so lange? fragte er, unfähig, sich eine Combination zu machen.
Nach ihren späteren Aussagen, fuhr der Erzähler fort, redete sie auf der Landstraße eine in einer Carosse vorüberfahrende elegante Dame an. Die Dame hatte Dienerschaft in Livrée hinter sich. Die Frau nahm die Verschmachtete in den Wagen und reiste mit ihr südwärts, der türkischen Grenze zu. Erst später erfuhr ich den Namen der Stadt, wo die Besitzungen dieser Frau liegen sollten, Krajowa.
Ottomar schüttelte sein Haupt. Schon die fremden Namen der Städte hatten etwas Erschreckendes. Ist das die Ugarti? fragte er den Geometer, der jetzt schwieg. Und die Ankündigungen Ihres Verlustes, fuhr Ottomar8 fort, die doch erfolgt sein werden? Die Bemühungen der Polizei, die Sie benachrichtigten? Hatte denn das Alles keinen Erfolg?
Der Alte lachte. Im Ungarlande! sagte er. In Rumänien! Bei den Halbtürken!Die ungarische Nation ist Eines Stammes mit den Türken. Es sind die christlichen Türken! In einer Geschichte Ungarns las ich, daß einer der ersten Magnaten zur Zeit der Reformation, ein Mann, den die lutherische Partei Ungarns als einen ihrer ersten Glaubenshelden noch heute feiert, die Gunst des Padischah in Stambul durch ganze Wagenladungen voll junger Mädchen und Knaben zu erwerben trachtete, die er aus seinen Gütern aushob und mit sich, der händeringenden Väter und schreienden Mütter nicht achtend, nach Konstantinopel schleppte! – Die Baronin Ugarti, sagte nach einer Pause mit zwinkerndem Auge der Erzähler, las alle meine Anzeigen und Bitten – beachtete sie aber nicht! Edwina gefiel es auch unter der jungen Brut!
Ottomar sprang auf. Er fühlte es sich über den Nacken rieseln.Das historische Citat, auch für die neuere Zeit so oft beschämend bestätigt, verursachte ihm Schauer. Er mußte stehen. Der Ofen hatte noch Steinkohlengluth genug. Er blieb in dessen Nähe – Bilder boten sich seiner Combination, die dem Pinsel eines – –9Zukunftsmalers, einer in der Bayreuther Rheingoldschule gebildeten Phantasie angehören mögen.
Zwei Jahre war sie bei jener Frau! – sagte der Geometer kleinlaut. Ugarti! Natürlich – Baronin! Und eigentlich nicht zwei Jahre, sondern drei, lieber Herr! Denn Edwina lief zu ihr wieder zurück! Nach den ersten zwei Jahren dankte ich noch der „ guten Dame “für die lange Pflege auf ihrem Schloß, wo mir die große Zahl von Kindern nicht auffiel. Sie behauptete, keine Anzeige gelesen zu haben. Das Kind hätte hartnäckig seine Herkunft verschwiegen. Man hätte sie Maruzza geheißen. Als ich Edwina wieder zu mir genommen hatte und vorläufig in der Gegend von Pest zu thun hatte, entlief sie, wie gesagt, entweder auf’s Neue oder wurde durch Abgesandte der Ugarti entführt. Ich hatte einst dem Grafen Wilhelm geloben müssen, Edwina als mein Kind zu betrachten, es um eine hohe Summe, die der Graf der Mutter noch bei Lebzeiten schenkte, die aber auf die vielen Kosten hinging, die mir eine so regellose Aufführung des Kindes verursachte, für immer zu erziehen. Der treffliche Mann glaubte aller Sorge und des weitern Denkens an diese Episode eines Aufenthalts in Hochlinden entrückt zu sein. Da vertraute ich ihm Edwinens Entwickelung, das erneuerte Verschwinden des noch nicht zwölfjährigen Mädchens und bat um seine Hülfe. 10Entsetzen ergriff ihn. Die Thränen standen ihm im Auge. Nach langem Suchen wurde sie in Krajowa gefunden und in dem Augenblick, wo die Baronin Ugartiwegen verdächtigen Verkehrs mit den Paschas von Sarajowo und Skutari verhaftet und processirt wurde –!
Ottomar seufzte:Isis und Osiris, laßt eure Schleier sinken –! Man wird zu Schillers Jüngling von Sais!
Edwina, fast schon voll entwickelt, fuhr Marloff fort, wurde in eine Schweizerpension von mir gebracht, wo sie äußerst streng gehütet wurde und auch Anfangs tüchtig lernte. Die Berichte lauteten auch günstig. Aber schon nach zwei Jahren erschien sie plötzlich bei mir! Ganz ungerufen, ganz selbstständig durch die Schweiz und Deutschland gereist! Sie erklärte mir rundweg, die Lebensweise, die ich führte, würde sie nicht mitmachen! Im Laufe ihrer mit unglaublicher Sicherheit vorgebrachten Erzählung, die sie immer französisch sprechend und mit französischen Witzen unterbrach, kam auch die Mittheilung, die Ugarti hätte ihre Strafe abgebüßt. Die Dame wäre eine liebe Person, nur verleumdet, verhetzt von Feinden, kurz, ich sah keine Rettung, als den Grafen um Hülfe zu rufen und sie mit diesem zusammenzuführen. Die Enthüllung, daß sie des Grafen Tochter sei, machte einen fast feierlichen, ich möchte sagen, religiösen Eindruck auf sie! Sie weinte, sie sank vor ihm11 mit gefalteten Händen in die Knie, sie gelobte, sich von jetzt ab aller Tugenden, die es nur gäbe, zu befleißigen! Ich mußte mich abwenden vor Rührung. Der Graf, allerdings entzückt von ihrer Schönheit, nahm ihr das Gelöbniß ab, noch einmal in ein Pensionat einer kleinen Stadt zu gehen. Dort verhielt sie sich ohne Tadel, nur erwartungsvoll, daß sie nicht in meine und der alten Großmama Sphäre geriethe, sondern auf der Höhe der gräflichen Protection blieb. Als sie zurückkehren sollte, erwartete sie denn auch die Wohnung, die Sie kennen, und ein Verkehr, der seinesgleichen sucht. Aber der Tod des Grafen hat uns auf einen Punkt geführt, wo drei, vier Wege sich kreuzen und es steht kein Wegweiser da, als – die alte Großmama, die mir Bericht erstattet –!
Der Erzähler beeilte sich jetzt. Denn in diesem Augenblicke löschte der Wirth wieder eine der noch brennenden Gaslampen und mahnte mit einem zweideutigen Guten Abend! und der höflichsten Verbeugung, sich jedoch die Augen reibend, an Thoresschluß. Der Wächter hatte Drei gerufen. Die Sitte, von Bällen noch in eine „ Kneipe “zu „ stürzen “und einen oft vom zu langsamservirten Souper erst recht hervorgerufenen Jähhunger durch zwei Beefsteaks mit vier Eiern in einem Keller oder sonstwo zu befriedigen, hatte die volle Gelegenheit gehabt, andrerseits auch hier noch befriedigt zu werden. 12Da schieden denn freilich beide seltsam Verbundenen mit einem unaufgelösten Accord, aber doch mit einem aufrichtigen Handdruck von Seiten Ottomars. Der hagere Mann, dessen Gesichtszüge schon dadurch würden gezeichnet gewesen sein, daß er gewohnt war, oft in Sturm und Wetter zu arbeiten, hatte gewissermaßen zum Grafen Udo gesprochen.
Beide, der schwarzsehende Vater und der Abgesandte des Grafen hatten jeder seinen Weg nach entgegengesetzten Richtungen. Ottomar versprach, sich wieder bei ihm einzufinden, und inzwischen dem „ Fortsetzung folgt “des Märchens der gräflichen Erziehung durch ein Schachbrett, durch die Cigarre, durch die Plaudereien in französischer Sprache über Kunst und Alterthum nachzudenken –
Vergessen Sie die Küche nicht! Edwina versteht sich darauf! Der Graf nahm jeden Abend dort sein Souper –
Und trank dazu Ungarwein –? rief Ottomar aus voller Brust in einem Ton, der die Voraussetzungen der Reinheit eines solchen Verhältnisses wieder bezweifelte, ihm nach.
Der Alte hatte sich zum Gehen gewendet und hörte nicht mehr. Beide trenntedie Nacht, des uralten Chaos sternenschleierverhüllte Tochter. Alles blieb still.
Als im Wolny’schen Hause Ruhe eingetreten war, warf sich der hart geprüfte, in allen Muskeln und Nerven erschöpfte Mann auf sein Lager, konnte aber vor Aufregung kein Auge zuthun. Er hatte die Ueberwindung gehabt, aufzubleiben, bis die letzte Champagnerbowle ausgeschöpft war. Er hatte mit ironischem Triumph den drei Verbundenen die Gläser gefüllt, ihnen die Hand gereicht und wie ein guter Hauswächter zuletzt das leere Gehäusedieses „ seinsollenden “Vergnügens selbst geschlossen. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Immer sah er die Verruchtheit des Attentats. Er sah es auf dem Gipfel des Gelingens und fragte sich: Was suchte man eigentlich? Das Testament! Wollte man auch das unterschlagen? Es existirt keine weitere beglaubigte Abschrift, aber ich kann es auswendig und beschwöre seinen Inhalt! Freilich! Freilich! Man würde den Schwur – in eigner Sache – nicht annehmen! Aber was rede ich zusammen? Was ist das Ganze? Man14 kennt meine Schwäche und wollte Nichts als eine Pression auf die Mutter ausüben, sich des Sohnes zu erbarmen! Hätten sie doch die Kapsel behalten, haha! sie würden Unterhaltung gefunden haben! Ob wohl Martha den Schlüssel gegeben hat –? Dieser Gedanke trieb ihn dann wieder vom Lager auf. Der Act des Vertrauens war gegen Martha fast zu groß gewesen! Wolny beruhigte sich erst, als ihm ein inneres Wohlgefallen und die erlaubte Zufriedenheit, die der Mensch zuweilen mit sich selbst haben darf, sagte: Du hast Deine todtkranke Gattin, die Mutter dieses mißrathenen Sohnes geschont, Du hast den Bruder der lieblichen Ada, dann den Bruder Marthas geschont, einer Blume, die zerknickt wäre, wenn die That in voller Blöße, nackt und schimpflich, wie sie vom Zufall geäfft, durchkreuzt, verhöhnt wurde, offenbar worden wäre! Und doch ging er wieder im Zimmer auf und ab und stampfte mit dem Fuße auf. Selbst die Patronen mußte er ja dem Mahlo nachsehen, weil sie zu eng mit dem Familiendrama selbst zusammenhingen.
Der Morgen graute. Auf leiser Schwinge war dem Uebermüdeten endlich denn doch eine leichte Befangenheit der Sinne gekommen. Nichts merkte er von dem Frühroth, das ihm in’s Fenster schien, Nichts von dem beginnenden Tagwerk in der Fabrik. Im Hause zeigte sich reges Leben. Klingeln wurden gezogen. Tante Dora15 war bei der Schwester, die ihren Tod nahe glaubte und nach Arzneien, dem Arzt, nach Martha und ihrem Mann verlangte. Dora konnte scharf und bestimmt auftreten. Sie beschränkte mit einem energischen Gabriele! alle Wünsche der Commerzienräthin auf das Maß des Möglichen, verordnete Ruhe und Fassung, und Wolny erholte sich von der Ueberspannung seiner Kräfte bis gegen neun Uhr.
Wehlisch klopfte an Wolnys Thür. Es war schon halb zehn.
Wolny öffnete.
Auffallend! flüsterte der weißhaarige Alte. Ehlerdt ist eben in die Fabrik gekommen! Als wäre Nichts geschehen!
Was ist denn geschehen? fragte der Großmüthige, seinem System treu bleibend.
Wehlisch blickte den Principal groß an. Das Schlüsselbund mit den Dietrichen gehörte doch nicht in unser Hausinventar! sagte er, während sich Wolny ankleidete. Weiß der Himmel, wo das Diebszeug gestern hingeworfen ist!
Diebszeug? wallte der Principal künstlich auf. Habe ich die Geschichte von meinem verlegten Schlüssel so erzählt? Ich muß bitten, daß sich Niemand erlaubt, daran Zweifel auszusprechen! Es soll hier Nichts unter -16 sucht werden – der Ruhe meiner Frau wegen – selbst die dummen Knallerbsen nicht –
Brennpatronen! fiel Wehlisch ein.
Wolny zwang sich zum Lachen. Diese Uebertreibung! sagte er. Die Dinger machen Lärm und Rauch. Das ist Alles. Viele Leute finden sogar Pulvergeruch angenehm.
Wehlisch zog sich kopfschüttelnd zurück. Sein in den Corridor gerichteter Blick schien auf Marthas Kommen zu deuten. Wolny zog die Thür zu und vollendete seine Toilette.
Auf sein Frühstück legte er wenig Werth. Es war bald genommen. Flüchtig und die Augen niederschlagend, sagte ihm dann Martha im Vorübergehen: Den Schlüssel gab ich an Fräulein Dora! Dann gab die Sprecherin in auffallender Weise Wolny die Hand und verschwand. Sie hatte einen Winterhut auf und trug ihren schottisch carrirten Mantel. Verläßt sie das Haus? sagte der Hausherr bestürzt und wollte zu seiner Gattin. Er mußte sich der Gegend des Hauses nähern, wo ihn oft die zärtlichste Sorge des Nachts hatte Wache halten lassen. Er hatte dann drinnen die oft hörbaren Athemzüge der Leidenden gezählt und schrieb dabei am geöffneten Bureau oder lag auf einem Ruhesopha ausgestreckt, in einem Buche lesend.
17Kaum hatte er sich dem verhängnißvollen, schon von allen Spuren, die der gestrige Abend zurückgelassen, gesäuberten Zimmer genähert, als ihm der schreckliche Anblick seiner wie eine wandelnde Leiche ihm entgegentretenden Gattin wurde.
Gabriele! rief er aus. Was unternimmst Du? Bleibe doch im Bett!
Die Unglückliche schüttelte ihr einst so schön gewesenes, jetzt entstelltes Haupt. Ihrer älteren Schwester gab sie die Hand, um sich von dieser unterstützen zu lassen. Sanft glitt sie dann in einen großen Rollfauteuil, dessen Ueberzug einige Brandwunden davon getragen hatte, auf welche dann auch Tante Dora das Gespräch leitete. Die alte Jungfrau war empört. Sie gehörte zu den Naturen, die das Aufregende, Excentrische nur in Büchern, nicht im eignen Leben wollen. Wolny bezeichnete diese Eigenschaft, die im Hause immerfort nergelte und Alles tadelte, während sie von den grotesken Erfindungen der Romane angezogen wurde, mit demBibelwort: Hier seigen sie Mücken und dort verschlucken sie Elephanten!
Lieber Freund, stöhnte die Commerzienräthin, der gestrige Abend gab dir Gelegenheit, durch Deine Geistesgegenwart der Welt einen Einblick in unsern bis zum Aeußersten angelangten Conflict zu verschleiern! Ich danke Dir für Deine Güte, obgleich Du wohl nicht an18 die Schonung meines Sohnes und seines schlechten Rathgebers, des Barons Forbeck, gedacht hast, sondern zunächst wohl nur an das Opfer seiner Verführung, den jungen – sie stockte sogar Marthas Namen zu nennen – Ehlerdt kam endlich mühsam über ihre bleichen Lippen.
Laß doch das alles! überwand Wolny seinen aufwallenden Unmuth. Ich ließ Dir ja den Schlüssel übergeben! Untersuche selbst, was Du gefunden hast. Ich bitte Dich darum! Du willst, höre ich, nach Italien reisen. Dahin soll uns manches der Hefte, die ich darin liegen habe, aus meiner alten Studienzeit begleiten –!
Begleiten? nahm die Kranke seine Rede auf. Nein, nein, ich reise allein, will Dich aber – ja, lieber Wolny, ich will Dich beglückt zurücklassen!
Beglückt? Wodurch? fragte Wolny, der wieder den Scheidungsplan herankommen sah.
Ich gehe nach Italien, wenn ich noch die Kraft habe und finde wohl in Mentone oder San Remo mein Grab! Eine Scheidung macht Dich frei. Martha wird die Deinige werden. Die für eine Scheidung von den Gerichten verlangten gemeinen, unsittlichen Motive muß man leider zu finden suchen!
So handelte also Dein Sohn in Deinem Auftrage? rief Wolny aus. Fräulein Dora, haben etwa Sie das alles ausgeheckt? Unterstützt? Oder ist es Harry allein19 gewesen? Scheidung! Habe ich Dich je gehindert, das Testament Deines ersten Gatten umzustoßen und für Dein Theil ein neues zu machen? Denn bei Harry kommt Alles nur darauf hinaus!
Laß mich das Wort nicht hören! rief die Commerzienräthin, wie mit den Zähnen einen tiefen Schmerz verbeißend. Ich spreche von Italien und meiner Gesundheit und nicht von Harry –
Tante Dora setzte sich bei Seite, zog die Fenstervorhänge des etwas dunkel gelegenen Zimmers zurück, tastete an ihrer Rocktasche und zog einenLeihbibliothekenroman hervor, um zu lesen. Dann seufzte sie und sagte: Ja, ja,Fürst Kaunitz hat doch auch seine Sorgen gehabt!
Das aufgeregte Paar kannte schon diese Art, wie sich die seltsame alte Jungfrau der Einmischung in die häuslichen Händel zu entziehen suchte.
Siehe, die Scheidung, lieber Mann, fuhr jetzt mit kaum vernehmbarer Stimme die Commerzienräthin fort, muß Motive haben. Man ist jetzt so streng damit!
Wo ist der Schlüssel? rief Wolny wild. Fräulein Dora! Wir wollen suchen! Dein Sohn hat also in Deinem Sinne gehandelt? Scheidungsmotive? Schließen wir auf –
Wolny sprang an den Secretär. Das Schloß war unverdorben, so geschickt hatte Ehlerdt es gestern behandelt. 20Tante Dora reichte den Schlüssel wie mechanisch und murmelte:Die Reformen Josephs – ja, ja, die haben den bösen Migazzi geärgert –
Dieser Gedanke kommt von ihm! ließ sich Wolny nicht unterbrechen. Eine Scheidung ist nicht möglich, ohne den Schuldigen auf ein Pflichttheil zu setzen! fuhr er fort. Ich werde der Schuldige sein müssen, der Ungetreue, der Held dieser anonymen Briefe!
Das freiwillige Herausreißen aller Papiere, der Blechkapsel wurde unterbrochen, als Wolny etwas von seiner Frau hörte, das ihn vollends empörte.
Heute in aller Frühe schon, sagte die Kranke, habe ich Martha gefragt, sie sollte mir auf ihr Gewissen und vor Gott als Zeugen aufrichtig bekennen, ob sie Dich liebte!
Wolny war über diese Mittheilung außer sich. Nun verstand er Marthas jähen Abschied. Sie hatte einfach das Haus verlassen. Und auf’s Gerathewohl, nur mit Hut und Mantel. Alles, was ihr gehörte, war liegen geblieben. Ich stehe wie wurzellos! rief er erblassend, und kann kaum den Boden unter mir fühlen! Eine Knospe künstlich zum Aufbrechen zwingen! rief er aus. Eine Geburt der Seele, die in Gottes Schooß schlummerte, die vielleicht noch nicht einmal der keusche Mond, den die Sterne noch nicht erfuhren, so künstlich gefördert,21 an’s Licht gezerrt! Das ist ein Frevel an der Natur, größer als der war, den Dir Deine Schwester nachträgt, daß Du einen Mann nahmst, der jünger war, als Du!
Diese las laut: Cardinal Migazzi sagte darauf zur Kaiserin –
Sie wollte offenbar Ruhe stiften.
Aber ihre Schwester hörte nicht darauf. Bitter entgegnete sie: Martha wußte sich besser zu beherrschen als Du! Ihr höhnisches Schweigen, ihr Großmichansehen und mitleidiges Achselzucken waren eine diplomatischere Sprache!
Wolny ließ sich durch diesen Spott nicht werfen.
Was konnte sie denn anders thun, als sich in das Gewand ihrer Unschuld hüllen –? antwortete er und kehrte in den Ausdruck seines Schmerzes zurück. Solche Erörterungen hinter meinem Rücken! Solche Fragen an das Ungeborne im Menschen! Es ist, wie wenn manein Saatkorn in Egyptens Pyramiden gefunden hätte! Es liegt da Tausende von Jahren in einem Mumiengrabe! Es hätte Leben nur für die Sonne der Nacht gehabt! – (Der Gedanke Eltesters hatte sich immer weiter gesprochen.) Es war bestimmt, am jüngsten Tage beim allgemeinen Erwachen die erwachende Mumie zu ernähren! Aber des Forschers wühlerischer Sinn, der den Glauben der Alten verlacht, zerstört die geheimnißvolle Magie! 22Er reißt das Mumiengrab auf – die Körner zerstreuen sich, werden in die alltägliche Existenz, in die Sonne des Tages verpflanzt – und siehe da, wie lustig das viertausend Jahre alte Saatkorn vielleicht grünt, blüht, Früchte tragen wird! Heissa! Der Keim ist da! Martha ist auf und davon gegangen!
Die Commerzienräthin erhob sich zornig. Sie wußte, was Humor durch Thränen ist. Aber dieser sich eben aussprechende Humor berührte sie zu scharf. Da hört man ja die offene Sprache der Frivolität! rief sie. Das sind wohl die Folgen Deines Umganges mit dem Bildhauersohn? Von dem man hört, daß er am längsten in der Nähe sittlicher Damen gehaust haben wird? Schlimm genug, daß ihn sein Protector, der Graf, in die Nähe unseres Damenkreises brachte –
Diese Verdächtigung des Freundes war zu viel für Wolny. Mit zitternder Aufregung über die Saat von Lügen, die hier aufging, unterbrach er seine Gattin. Zuvörderst läßt sich Ottomar Althing von Niemand protegiren! sagte er. Dann fuhr er fort: Ich höre Deinen Sohn sich selbst in Andern schildern! Ich sehe ihn, wie er schleicht und horcht und gemeine Spione besoldet! Was hat das Scheusal von Menschen da wieder herausgebracht?
Eine zweideutige Person, Edwina Marloff, soll Deinen Freund in ihren Netzen haben und der Graf23 nimmt Theil daran! Tausende verschlingt der elende Verkauf, den jenes Weib mit ihren Reizen anstellt! Wenn die trauernde alte Gräfin diese Frevel eines unwürdigen Erben erführe –!
Wolny brach in den Ausdruck der schmerzlichsten Entrüstung aus. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. O daß diese große Stadt, rief er wehklagend, ein so jammervolles System befolgt,die weibliche Preisgebung nicht einzupferchen in die entlegensten Gassen und Häuser, sondern sie frei am Tage vor aller Welt, mitten unter den Behausungen der Tugend und Unschuld wohnen zu lassen! Daher diese Frechheit ihrer Umtriebe! Daher diese Lügen, daß sie diesen oder jenen Mann kenne! Mit ihm Verkehr gepflogen hätte! Daher das namenlose Unglück, das sie in die Familien bringt! Wo ist da der Spaziergang eines Mannes in den Straßen, auf einsamer Promenade, das Betreten eines Hauses noch sicher und harmlos? Immer größer wächst die Schrankenlosigkeit dieser Geschöpfe und zieht durch Rache, wenn man sie ignorirt, wenn die Tochter eines Vaters vielleicht ihre Nähe an einem Vergnügungsorte lästig findet, unbescholtene Namen in’s Verderben! Denn unsere Stadt ist kleinlich durch und durch! Alle ihre Verhältnisse sind auf ein stetes Sehen in die Fenster der Nachbarn gerichtet! Mich ruft die Arbeit! schloß er endlich zornig. 24Der Schrank ist geöffnet. Nur das Testament habe ich vor Deinem Sohne gerettet. Willst Du es ändern, ich ergebe mich in Deinen Willen. Rufe getrost Notar und Zeugen!
Damit schoß er hinaus und die Gattin war allein und weinte und rief ihm nach: Aber Otto, Otto! So höre doch –!
Er hörte es nicht, daß sie ihm auch noch nachrief: Wie liebe ich Dich! Du bist mein Gott, mein Alles!
Die Schwester schlug das Buch zu und wollte unwillig gehen.
Verlaß mich nicht! herrschte die Kranke die kleine halbbuckelige Schwester an, so daß nun auch deren scharfe Augen zu funkeln begannen und sie grimmig an den Secretair trat, die große Blechkapsel herausriß und sagte: Nun so komm doch wenigstens, daß wir uns mit den Beweisen seiner Tugend ein Labsal machen! Ich lese solche Memoiren für mein Leben gern. Das weißt Du ja! Leider ist’s Geschriebenes!
In der That schlüpften beide Frauen mit dem braunlackirten und „ Lettres “überschriebenen, mit chinesischen Zeichen charakterisirten Kasten in die Nebengemächer.
Im Hause herrschte die lebhafteste Bewegung. Fräulein Martha zieht weg –! So ging es, wie im Lauffeuer. Ein Miethswagen stand vor dem Gitterthor. Es ging25 treppauf treppab. Der alte Wehlisch kam und „ verwunderte sich des Todes “. Raimund ist wieder von der Arbeit weggelaufen, weil er plötzlich Arrestation befürchtete! Das giebt die übelste Nachrede wegen gestern!
Wolny konnte ihm nicht Unrecht geben. Aber energisch eingreifen, Martha halten, das war unter allen Umständen unmöglich. Auf Wehlisch’s Drängen, Raimund möchte sich in’s Mittel legen und dies jähe Verlassen des Hauses hintertreiben, hatte dieser selbst (Wehlisch hatte ihn im Maschinensaal gesprochen), das Weite gesucht. Seine Schwester thäte immer nur, was sie erwogen hätte! Dies Zeugniß hatte er ihr noch, kreideweiß wie die Wand geworden, zu guterletzt gegeben.
Martha war mit dem Wagen zurückgekehrt. Sie ließ sich auch noch einmal bei Wolny melden, zum Abzug gerüstet. Aber von der Commerzienräthin wollte sie keinen Abschied nehmen, nicht von Fräulein Dora. Ich thue das schriftlich! Man hat mich gekränkt! Aber ich will nicht davon sprechen. So äußerte sie sich zu Wolny.
Wohin denken Sie zu gehen? fragte dieser, seiner Stimme Kraft gebend.
Erst in ein gutes Hôtel! Der Kutscher kennt schon eines. Vielleicht ziehe ich zu meinem Bruder und suche ihn zu bessern, was nicht ganz unmöglich ist; leider nur26 dann, wenn ich ihm sage, daß der Stoff zu einem der größten Männer des Jahrhunderts in ihm lebt. Nenne ich etwas an ihm genial, so kann ich ihn um den Finger wickeln!
Sie würden ihm da nicht einmal eine Unwahrheit sagen! entgegnete Wolny sinnend. Es steckt ja Vieles in ihm! Sprachen Sie noch nicht mit Ihrem Bruder? Er war in der Fabrik!
Das Gestrige steht mir noch zu frisch vor Augen – lehnte Martha ab, beschämt niederblickend. Aber verlassen Sie sich, ich halte ihn vielleicht noch oben – lauteten die Worte eines Versuchs des Emporraffens beim Abschied.
Sie sind edel – sagte Wolny träumerisch.
Egoistisch! entgegnete Martha, gezwungen lächelnd. Mein Edelmuth ist Egoismus! Oder glauben Sie nicht auch, Herr Wolny, daß auch wir in der Achtung der Menschen Einbuße erleiden, wenn unsere Angehörigen uns durch schlechte Aufführung compromittiren?
Nur bei oberflächlichen Menschen! lehnte Wolny entschieden ab.
Aber auf die Meinung der oberflächlichen Menschen muß ja leider unser ganzes Leben gegründet sein! sagte das erfahrene, weltkluge Mädchen seufzend. Welche Thorheit wäre es, erst auf die Berichtigung derselben durch die Einsichtsvollen warten zu wollen!
27Fast möchte ich Ihnen, entgegnete Wolny, sich zum Lächeln zwingend – in Wahrheit dachte er wehmüthig an die nun gestörten Gespräche bei Tisch, zuweilen im Garten, beim Genuß des Mocca, Abends beim Thee – fast möchte ich Ihnen aus meinen Büchern da einen Band von Schopenhauer mitgeben! Sie sind auf dem besten Wege zum Pessimismus –
Die Welt höchst unvollkommen zu finden –? fragte Martha, sich stellend, als wenn sie das von Wolny gebrauchte Fremdwort nicht verstünde. Doch um von Büchern zu reden, lenkte sie ein, schreiben Sie mir lieber –
Hier zog das nur mühsam ihre Thränen verbergende Mädchen aus einer Handtasche, die sie trug, ein größeres Buch hervor, ein Album, und bat Wolny um die einfache Einzeichnung seines Namens. Keine Zumuthung an Ihren Geist! sagte sie. Denn Sie haben für einen Gedanken in diesem Augenblick kein Commando! Hier ist ein Spruch Ihrer Gemahlin, den mir diese vor längerer Zeit geschrieben. Geben Sie ihm durch Ihre Unterschrift gleichsam die Weihe!
Ihre Stimme drohte vor Bewegung zu ersticken. Sie hatte sich in den letzten Worten mit ihrer Empfindung zu weit hervorgewagt. An eine Verbindung mit Wolny konnte ja in ihren Gedanken kein Phantasiebild auftauchen. 28Er achtete sie und hatte sie gern. Das kommt ja tausendfach bei Männern vor: die eheliche Verbindung ist bei ihnen eine andere Frage.
Wolny las: „ Besuchen Sie zuweilen mein Grab, so denken Sie, wenn sich ein Schmetterling auf eine der Blumen niederläßt, die hoffentlich noch auf ihm blühen werden, daß auch ich die bunten Farben des Lebens und den heitern Sonnenschein des Glücks nur darum geliebt habe, weil ich früh erkannte, wie flüchtig der Genuß aller Erdenfreuden ist! Gabriele Wolny. “
Wolny schrieb in der That nur einfach seinen Namen darunter, nachdem er einen Augenblick mit sich gekämpft hatte, ob er nicht sagen sollte: Nein, sie zweifelt sogar, ob sich an ihrem Grabe der Blumenschmuck erneuern wird? Ich sollte eigentlich – doch er unterließ den Protest gegen diese Voraussetzung, warf Streusand auf seine einfache Aufzeichnung und entließ Martha mit den Worten: Alles, was Ihre berechtigten Ansprüche auf Geld und Zeugnisse sind und was Sie sonst begehren dürfen, wird Herr Wehlisch besorgen. Gehe es Ihnen wohl auf Ihrer Lebensbahn!
Martha wandte sich und ging. Das Hausgesinde gab ihr das Geleite bis an den Wagen. Jedermann dachte an einen Zusammenhang dieser plötzlichen Entfernung mit den Platzpatronen und dem Aufbrechen des29 Schreibbureaus. Zugleich wußte man, daß die unbescholten Dastehende in den Verdacht gebracht werden sollte, daß sie es, wie in solchen Fällen die Leute sich ausdrücken, „ mit dem Herrn hielte. “
Auf einige Stunden trat Ruhe ein. Die Wiederherstellung der alten Ordnung im Hause mußte so geräuschlos wie möglich von Statten gehen. Die Commerzienräthin hatte sich wieder vor Fieber auf’s Bett gelegt. Die Prüfung der Briefkapsel überließ sie ihrer Schwester, die ihr, während sie sich selbst in körperlichen Schmerzen wand und wehklagte, jeweilig mit zur Heiterkeit verzogener Miene etwas zu erzählen wußte. Sie war an ihrer Schwester die kalte Haltung zu ihren Leiden gewohnt, ja sie hatte ihr diese befohlen! Nicht, daß Dora nicht zu helfen bereit gewesen wäre, soweit sie konnte, im Gegentheil, sie hatte wirkliches Mitgefühl; aber die Leidende wollte von ihrem Zustande kein Aufhebens gemacht wissen. Dem jungen Hauslehrer, den sie geheirathet hatte, wollte sie das Opfer seiner Jugend nicht zu schwer gemacht haben. Mitten in dem Ausbrechen ihrer Eifersucht, die jedoch bei dieser Prüfung alter Briefschaften von Dora niedergehalten wurde, konnte sie ihrer fast athemlosen Brust die Gewalt anthun, auszurufen: Auf meinem Grabe wird man lesen, das ist die Frau, die Wittwe, die sich vor einem bösen, verwilderten30 Buben, vor betrügerischen Buchführern, vor aufsätzigen Arbeitern, vor heimlichen Verschleppern der Kundschaft in den Schutz eines – ach! das war mein Fehler! zu sehr geliebten jungen Mannes flüchtete, der der Erzieher ihres Sohnes hatte werden sollen! Sonderbar, fing sie dann zu grübeln an, immer schon hatte Wolny etwas Apartes, etwas, das deiner Spürsucht nicht entging. Aber wie sprach er so sicher, wie handelte er so charakterfest! Bei jeder Unterschrift, wo ich ihn als Wittwe um Rath fragte, zitterte ich vor Verlegenheit! Bei jeder von mir zu empfangenden Zahlung erröthete ich! Ach, wie kann ein Weib lieben, sprach sie in stoßweise vorgebrachten Sätzen, wenn es noch einmal in reiferen Jahren seine ganze Kraft der Empfindung zusammennimmt, alle seine weiblichen Unarten bekämpft, zurückdrängt, alle seine bittern Erfahrungen zur Weisheit ausnutzt und nur gut, nur hülfreich, nur hingebend sein will! Ach! dann baut man der Liebe einen Altar im Herzen nur um der Liebe willen! Dann hat man nicht mehr den Trieb der geschmeichelten Eitelkeit, den Stolz, das liebe, gehätschelte Ich, den Abglanz des Spiegels gewürdigt und gewählt zu sehen – nein –
Ein Hustenanfall erstickte ihre Rede.
Aber wer hätte das gedacht? unterbrach auch Dora plötzlich ganz prosaisch diese aufgeregten Betrachtungen31 der Schwester. Sie war in alte zusammengelegte Briefe vertieft.
Was ist? wollte die Kranke eben neugierig fragen, aber plötzlich fuhr sie auf. Ich höre Wagen rasseln – stammelte sie fiebernd, wenn nur Harry nicht kommt – der Notar – die Zeugen – der Pfarrer –
Was fürchtest Du denn? Hast Du nicht Ursache, Harry die Thür zu weisen?
Er wird mit seinem Schwager, mit dem Notar, mit dem strengen Luzius kommen. Ich soll ein Testament und den Antrag auf Scheidung machen – Scheidung aus Liebe –.
Gespenstisch erhob sich die Gefolterte.
Du redest irre – Ich höre Nichts!
Aber ich höre rollen – rollen – das Weltgericht – rufe Martha –!
Martha ist ja fort! Sie hat ja das Haus verlassen!
Wie die Glocken läuten –!
Es ist Alles still –!
Nun erhob sich die Kranke, die zum Sterben sich verlassen fühlende Frau, sah um sich. Sie besann sich auf die Situation und sagte zur Schwester: Martha ist fort?
Natürlich! lautete die Antwort.
Ich muß sie ja bewachen – schrie die Kranke plötzlich – die Schlange ist entschlüpft – Rufe sie zurück!
32Alles das kam fieberhaft in anderm Tone.
Dora erhob sich und suchte mit ihren schwachen Kräften die Schwester im Bette festzuhalten, sie zu beruhigen. Sie gab ihr Opium, ohne daß die Kranke wußte, was das Genommene war.
Allmälig phantasirte die Leidende, wie mit völligem Vergessen der augenblicklichen Sachlage. Sie verfiel in ein Lachen, als stände sie vor dem Spiegel. Dankbarkeit! Dankbarkeit! sagte Sie. Wie so denn nur Dankbarkeit? Vor allen Zeugen des Himmels und der Erde versicherte mir ja Otto, es hätte ihn eine sanfte glückliche Neigung zu mir gezogen! Warum mußte nur die Krankheit kommen! Ich wäre ihm ewig jung erschienen –!
Na, na, na, na! fiel die Schwester ein, nicht so sehr aus Kälte des Herzens, sondern weil sie aus Erfahrung wußte, daß es die Schwester bei allem Jammer ihres Befindens liebte, wenn man natürlich mit ihr verfuhr, sie reizte, sie sogar ärgerte. Leichenbittermienen, wie sie sagte, konnte sie nicht ertragen.
Dennoch sagte sie heute: Ja, drücke nur recht deinen Stachel in meine Wunden! Du, die Du mir heute noch nicht den Mann gönnst! Alle Rathschläge, die Frauen den Frauen ertheilen, haben einzig und allein im Neide ihren Ursprung!
33Ich werde wieder an meinen Joseph gehen, sagte die Schwester ärgerlich. Sie suchte ihre Lectüre.
Eine Pause trat ein. Die Kranke röchelte. Hörst Du nicht Glocken gehen? hauchte sie wieder leise. Dabei faltete sie die Hände. Sie schien wie verlassen von allen irdischen Gedanken. Sogar die Briefschaften, die ihre Schwester so ergötzt hatten, die Entdeckung, daß Harrys Frau in Wolny mit wahrhaft exaltirten Ausbrüchen ihrer Neigung verliebt gewesen, Nichts schien sie noch an die Bedingungen des Lebens zu fesseln. Eine Verklärung legte sich auf ihre Gesichtszüge. Diese waren ja von Natur edel und schön; nur durch die fortwährende Bemalung und Verschlemmung mit Puder oder Schönheitsmitteln anderer Art hatte sie sich eine Unzahl von Runzeln und Flecken erworben.
Indem rollten wirklich Wagen vor.
Nicht lange darauf kam ein Mädchen und flüsterte mit Dora.
Die Leidende, die ganz in einer andern Welt zu leben schien, rief: – Martha!
Man hörte nicht auf sie. Tante Dora ging schnell hinaus. Allmälig spürte die Kranke, daß sie allein war. Sie erhob sich, hörte sprechen, wiederum Wagen rasseln. Nun klingelte sie. Sie wäre im Stande gewesen, wenn Gräfin Treuenfels vorgefahren wäre, sich sofort auf -34 zuraffen, sich in einen mächtigen Shawl zu hüllen, eine Brillantnadel in’s Haar zu stecken und die Gräfin Excellenz, die Manche auch wohl Durchlaucht nannten, oben im kalten Salon zu empfangen.
Dora kam zurück. Hast Du gestern mit Harry wegen des Testaments gesprochen? fragte sie in der That.
Kein Wort! sagte die Kranke mit zitternder Kinnlade.
Da ist Harry mit Justizrath Luzius – auch mit zwei Zeugen – Pastor Siegfried der eine – der andere Herr Dieterici – Du hättest gestern Ja! gesagt: Antrag auf Scheidung und Testament –
Jesus! Jesus! schrie die Commerzienräthin und erhob sich, geradezuals sollte sie scheintodt begraben werden. Wo ist – denn Wolny –? Es sollte ja nur – wenn Martha offen gestand –
Was soll jetzt Wolny? entgegnete die Schwester.
Mein Mann –! Mein Mann! Mein lieber Mann! schrie die ewig schwankende, unentschlossene, nach jeder Richtung hin nachgiebige Frau, die nur Eines nicht mochte, das Unbehagen und das Unbehaglichste – den Tod!
Wolny ist ausgefahren! antwortete Dora.
Der Martha nach! Er begab sich in ihre eigne Wohnung! sagte schon Harry, der in’s Nebenzimmer getreten.
35Der Elende! So wiederholt er die anonymen Briefe – er, er hat sie geschrieben –!
Diese Worte stotternd, versuchte die Commerzienräthin aufzustehen und zu gehen. – Ich ließe allen Herren danken! Sag’ es ihnen selbst –! Ein Ander – Andermal!
Wie kann ich das? entgegnete Tante Dora ärgerlich und aus Furcht vor Harry.
Pastor Siegfried – Herr Dieterici –? stammelte die Commerzienräthin. Jenen hörte sie gern. Aber nur in der Kirche und Abends beim Thee. Auch den Referendar Dieterici mochte sie. Dieser sprach mit ihr von der neuesten Lyrik und machte sie auf Dichter aufmerksam, die sie nie las. Jetzt aber diese Herren empfangen und vollends mit dem ewig eiligen, so kurz angebundenen, groben Luzius – diesen schauerlichen Act vollziehen –! Die drei Hände voll Erde so von Jedem hörbar über’m Sarg, in dem man schon liegt, wegpoltern hören –? Das konnte sie nicht! Schaffe mir die Menschen fort! Ich bin krank! Ich werde Alle für ihre Mühe bezahlen!
Dora that endlich der Kranken ihren Willen und entfernte sich.
Die Wagen fuhren richtig wieder ab. Es wurde still nebenan. – Die Kranke wankte hinaus, fand aber doch Harry, der sich zujener jetzt sprüchwörtlich36 gewordenen Unverfrorenheit, einer Tugend der Neuzeit, Muth getrunken hatte. Er hatte sich versteckt gehabt, daß ihn Dora nicht sah. In schlottriger Kleidung trat er auf die entsetzte Mutter zu, starrte sie mit weintrunkenen Augen an und rief ihr mit wutherstickter Stimme entgegen: Na, Mama, du bist ja einzig! Gestern noch sagtest Du mir: Mach’ doch die Anstalten! Schaff’ doch die Beweise!
Er hatte sich absichtlich nicht feierlich schwarz gekleidet, sondern stand in seiner gewöhnlichen, nie besonders gepflegten Straßentracht, von der durchwachten Nacht mit mehr als gewöhnlich hohl in ihren Vertiefungen ruhenden Augen. Noch hing ein rothes Tuch um seinen Hals.
Aber seine Mutter unterbrach ihn, holte halbtaumelnd die offene Kassette aus dem Nebenzimmer, Briefe entfielen ihr. Wo ist sie denn? rief sie. Die Jammergestalt! Der Großsprecher, Intriguant, der hier in seinem eigenen Netz gefangen liegt –?
Mama, stotterte Harry, von dem entsetzlichen Anblick der sogar ihr zerzaustes Haar nicht Beachtenden ergriffen. Wir sind ja nicht ohne Zeugen!
In der That hatte sich eben die Thür geöffnet, und Wolny kam, der sein auswärtiges Geschäft rasch beendigt hatte.
37Wem kann es tröstlicher zu hören kommen, daß die Wahrheit jetzt am Tage liegt! Näher, näher, armer, bedrängter Freund – rief die Mutter ihrem Manne zu, der sich zurückziehen wollte.
Harry fiel mit höhnischer Stimme ein: Ich will hiereine Scene aus Romeo und Julia nicht stören!
Nichtswürdiger, entlarvter Dieb, Du wagst das? – rief seine Mutter, voll Reue über Martha und nun schon wieder voll Bezauberung durch Wolnys edlen Anstand, die Würde seiner Erscheinung, verglichen mit Harrys Erscheinung. Wie stand der schlanke Mann da, so edel, so sicher! Sein Haar war schon ein wenig ergraut, aber doch noch voll. Ein geistvolles Lächeln umspielte seine Lippen. Er sprach nie Unbedeutendes, Zweckloses. Frau Gabriele war wiederum stolz auf seinen Besitz –!
Mama, Familienscenen – wollte Harry ablehnend vorbringen.
Räuberscenen! Zuchthausscenen! Einbruch habt Ihr vollführt! – unterbrach ihn die Mutter.
Mama, Du strengst Dich an! Du könntest Schaden leiden –
Harry holte sich eine Cigarre aus seinem Etui und wollte gehen.
Wolny, wandte sich die fast Rasende an ihren Gatten, Du zürnst mir! Du hast Ursache dazu! Ach!38 was rennen und jagen wir Menschen nach eitlen Zielen und sehen’s nicht, wie über allem Tand und Flitter der blaue Himmel liegt und unsrer Thorheit spottet! Du blöder Thor, wandte sie sich wieder zu Harry, der beim Anzünden der Cigarre (einem Vertreibungsmittel der Mutter, das sie ihm aber heute ganz aus der Hand schlug) über irgend eine böse Unternehmung zu grübeln schien. Opfer Deiner Dummheit! Dich selbst betrifft der Raub! Deine schlechte erbärmliche Aufführung in der Jugend! Die Klagen Deiner Lehrer, der Institutsvorsteher über Dich! Die Drohungen der Polizeibehörden, gegen Dich einschreiten zu wollen, und was das Schönste –
Jetzt fiel Tante Dora ein, die wieder gekommen war, und brach in ein meckerndes Lachen aus.
Erzähle Du es ihm! sagte die erschöpfte Schwester, die in ein Canapé zurücksank.
O – lehnte Dora ironisch ab. Ich lese lieber dergleichen gedruckt! Dabei kicherte sie fort.
Deine Jenny rechnete auf meinen Tod – fuhr die Mutter offen heraus. Sie, die jetzt nicht weiß, ob sie den Baron Cohn oder den Baron Forbeck erhören soll!
Harry strich sich den Rest seiner Haare vor Zorn.
Nein, nein! berichtigte Dora. Das war ja erst später! Anfangs hatte sie den Harry Rabe nur einfach unausstehlich gefunden. Wie schreibt sie doch über ihren39 spätern Mann? Seine lange garstige Nase, seine immer ungewaschenen Hände –
Harrys Wuth steigerte sich.
Wolny wollte beruhigen. Er besorgte eine Unthat. Sanft raffte er die Briefe zusammen, suchte sie wieder in die Kapsel zurückzulegen, woran ihn Harry hindern zu wollen schien. Kein Blatt kommt in Deine Hände! sagte ihm Wolny mit plötzlichem Donnerwort und schleuderte ihn zurück. Ich wollte Dir nur und Deiner Mutter gezeigt haben, welches meine Geheimnisse gewesen und noch sind!
Später, als Frau hat die unvergleichliche Jenny plötzlich die moralische Seite ihres Lebensgefährten erkannt, fuhr Tante Dora mit bitterbösem Humor fort. Hätte der Jenny gar nicht die Gutmüthigkeit zugetraut, den Schwager vor Gefahren zu warnen, die ihm drohten – ihn um Rendez-vous zur Besprechung seiner Angelegenheiten zu bitten – hihihi!
Wie ein Tiger sprang Harry auf die Kassette, um sich ihrer zu bemächtigen. Aber Wolny packte ihn an beiden Händen. Wie er an den Tisch und das Sopha kam, wo seine Mutter erschöpft und wieder wie abwesend ausgestreckt lag, schleuderte ihn der muskelstarke Arm seines Stiefvaters zurück. Es war eine Scene, wie aus Harrys erster Jugend, wo Wolny sein Hofmeister hatte40 sein sollen, aber der Hofmeister eines Buben, der zuweilen seine Mutter schlug.
Tante Dora trotzte allen Gefahren. Die dritte Gruppe der interessanten Briefe ist die der verstellten Handschriften! sagte sie. Jennys kleine kritzliche Pfote erkennt man sogleich, Harrys orthographische Fehler ebenfalls –
Jetzt konnte Harrys Wuth nicht länger gezügelt werden. Wird der Carneval bald zu Ende sein? schrie er, unbekümmert um die Tragweite seiner Stimme. Ich sehe es, wandte er sich der Mutter zu, nie hast Du ein Herz für mich gehabt! Nie hast Du Partei für mich genommen! Immer nur in’s Gesicht hinein mir schmeichlerisch gesprochen, wenn ich die Toilette bewunderte, die Du eben anhattest –!
Die Mutter fuhr auf, wie wenn sie einen Dolchstich bekommen hätte. Die Thatsache war nur zu richtig.
Fand dann Einer noch vollends Deine gemalten Wangen schön, fuhr der Sohn mit hämischer Bosheit fort, bewunderte er Deine von drei Dienstboten, die ziehen mußten, geschnürte Taille –
Dora und Wolny standen wie gelähmt. Denn das Entsetzliche der Wahrheiten, die der Lieblose eben aussprach, war an sich nicht zu läugnen –!
41Der hatte bei Dir dann Oberwasser! fuhr Harry fort. Erwollte wie Franz Moor seine Mutter durch Schrecken tödten. So Einer, fuhr er, ihr in’s Ohr hinein, fort, hatte dann Gemüth und Verstand, wenn er Dir auch eine halbe Stunde vorher – ein Esel erschien! Auch auf Geist hattet Ihr Euch hier verstanden, Pfaffengeist! Darum lud ich Dir Deinen Seelenliebhaber ein! Er sollte Dir mit der Fackel in die schwarze Grube leuchten, wo die Engelchen stolpern, die hienieden Geweihräucherten von Furien empfangen werden. Hussa! Das wird einen Hexensabbath geben, wenn sie Dich –
Jetzt hatte Wolny den Elenden am Kragen ergriffen und war im Begriff, ihn zur Thüre hinauszuwerfen. Nur ein Blick auf seine Frau lähmte seine volle Kraft. Diese lag wie im Sterben. Sie konnte sich nicht mehr erheben. Ihre Lippen blieben geöffnet, ihre Augen standen starr.
Mörder! Mörder! wehklagte ihre Schwester.
Mit den Worten: Geld! Geld! Geld! Du Universalerbe! Oder ich stecke Dir Deine Fabrik in Brand! wurde der Schreckliche endlich zur Thür hinausgedrängt und diese schnell verriegelt.
Als die Entfernung des Unholds anzunehmen war, mußten die Leute gerufen werden, um die Commerzienräthin in’s Bett zu tragen. Eben fuhr auch der Arzt42 an. Wolny trat zurück, nachdem er vorher jene Briefkapsel mit den zur Tante Dora gesprochenen Worten eingeschlossen hatte: Gegen das schlechte Gedächtniß mancher Menschen, besonders derer, die uns Dankbarkeit schuldig sind, muß man durch die Aufbewahrung früher von ihnen empfangener Briefe immer gerüstet sein!
Gegen Abend erst konnte Ottomar, voll Theilnahme und selbst erregt von allem Erlebten und Vernommenen, seinen Freund zu besuchen kommen. Er bekam ihn aber nicht zu sprechen. Die Commerzienräthin, hieß es, läge im Sterben. Er ahnte nicht, daß sie ihn noch so arg verlästert hatte!
Der Winter war stürmisch und rauh genug gewesen. Oft hatten sich die Serapionsbrüder zahlreich versammelt gesehen. In der That, der Montag durfte für diesen Kreis ohne Zeitungen bleiben. Denn immer gab es da etwas Neues, wenn auch die Bemerkung des einzigen jüdischen Mitgliedes, des Herrn Ascher Ascherson: „ Die Zeitungen bringenin ihren telegraphischen Depeschen mit fetten Lettern oft sehr magere Nachrichten! “auf manche Thatsache paßte, die nicht sensationell war. Alles Theatralische aus dem Kunstleben der Stadt war Manchem willkommener als Mittheilungen ausBlaubüchern, Broschüren, Parlamentsreden, wenn sich auch der Reiz des Einblicks in die Coulissenwelt gegen frühere Zeiten durch den zu allgemein ersichtlichen Erwerbssinn der modernen Muse bedeutend abgestumpft hat.
Es war an einem schönen Frühlingsmontage. Der Wirth hatte die Aufmerksamkeit gehabt, dem Cigarrendampf einige Blumenstöcke auszusetzen, die auf dem44 langen Tische standen, die schönen goldnen Kaiserkronen, die stolz ihr Haupt wiegten. So erklärte sich denn auch, daß aus einer Ecke eine Stimme eine Aeußerung that, die allerdings im ersten Augenblick ein allgemeines Staunen erregte. Sie hatte gelautet: Ja gewiß,wir müssen es auch wieder zu einem neuen Klopstock bringen! Es war, so erfuhr man bald, von den Oberlehrern durch die Kaiserkrone die Frage der Erhabenheit angeregt worden.
In diesem Augenblick ging gerade die Thür auf, und das Staunen, das einem Professor der Literaturgeschichte an einer nahegelegenen Schule galt, verwandelte sich in Jubel. Meister Althing! rief man fast einstimmig. Sogar der ordenüberhäufte Hofmaler stimmte in diesen frohen Gruß des lange nicht im Verein Gewesenen mit ein. Denn seine „ staubumhüllte Parade “hatte dieser halb und halb schon fertig. Er fürchtete sich bei aller Vonsicheingenommenheit vor scharfer Kritik, die, wie die Künstler es wohl wissen, in die Tintenfässer der Recensenten meistens aus der Galle der Collegenschaft fließt. Die im Modell bereits vollendete Treuenfels’sche Grabesgruppe hatte Triesel noch nicht gesehen, hatte aber schon zu Jedermann gesagt, nur das Allergünstigste darüber vernommen zu haben.
Althing war den ganzen Winter nicht im Montag gewesen. Nicht nur der angestrengteste Fleiß hatte ihn45 ausschließlich in Anspruch genommen (waren doch kaum für die seit vier Monaten zur Ruhe bestattete Gabriele Wolny die Skizzen ihres ihm ebenfalls übertragenen Monumentes fertig), auch eine heftige Erkrankung seiner Tochter Helene hatte ihn in Anspruch genommen. Kurz vor Weihnachten stellte sich bei dem lieblichen Kindeein Nervenfieber ein, der ausgesprochene Typhus. Die feuchte Luft des großen Parks, innere Aufregung, Sorge um die Lebensauffassungen des Bruders, die ihr zu leicht erschienen, die wirklich erfolgte Verheirathung des Grafen, der sogar gewagt hatte, ihr von Liebe zu sprechen, ohne daß sie mehr dagegen konnte, als sich den Schein zu geben, seine Worte überhört zu haben, alles das kam zusammen, sie dem Tode nahe zu bringen. Der Bruder, der Vater, die Mutter wachten abwechselnd an ihrem Lager. Eine sogenannte Diaconissin mochte Althing nicht im Hause haben. Er haßte das Ordenskleid bei jedem, selbst edlem Zwecke. Da war denn Martha Ehlerdt ein wahrer Engel in der Noth geworden! Die treue Seele übernahm es, alle Liebesdienste den Angehörigen der Kranken, die Tage lang bewußtlos lag und Phantasiespiele trieb, abzunehmen, schlug muthig ihr Bett neben der im ansteckenden Fieber Liegenden auf und gönnte sich nur am Tage einige Stunden der Ruhe, um nicht selbst zu erkranken. Nach einer langen46 Zeit der größten Aufregung, in der auch der Vater sich überwinden mußte, die Gestalt des Grafen Udo Treuenfels nicht nur in den Träumen und Phantasieen der Fieberkranken auftreten, sondern auch bei ihm persönlich anklopfen zu sehen und, mit der äußersten Dringlichkeit, mit wahrer Trauer und wenn die Nachrichten gut waren, mit unverstellter Freude nach dem Befinden des ihm so werthen Mädchens fragen, hatte bei Alledem die Vermählung mit Ada von Forbeck stattgefunden. Die Feier war im adligen Casino glänzend ausgefallen. Das junge Paar war sofort nach dem Süden abgereist und befand sich jetzt in Nizza. Es wollte, wenn es die Rückreise antrat, nach einem kurzen Aufenthalt in der Residenz sofort auf eines der Güter, wohin sich auch die verwittwete Gräfin und sogar (bei dieser Stelle der betreffenden Nachrichten pflegten gewöhnlich die Hörer ein langes Gesicht zu machen) die Frau Generalin zu begeben gedachte, letztere die Vierte in dem unter Blüthenbäumen, rauschenden Waldbächen und bei allem Comfort des Schlosses dann vereinigten Bunde.
Als das fast komische Thema von Klopstock wieder aufgenommen worden war, sagte der Bildhauer mit neckender Miene zu seinem Gegenüber, dem Assessor Bucher:Haben Sie denn je die Messiade gelesen? Nee! war die ehrliche offene Antwort. Dieselbe Verneinung47 und in demselben zuweilen erlaubtenPatois wiederholte sich nach links und rechts. Ich habe die Messiade gelesen! sagte Althing. Vom Anfang bis zu Ende! Aber ich brauchte drei Jahre! Doch ich unterbreche Ihr Gespräch! verbesserte er seine Rede. Es hielt Jemand das Erhabene für unsre Zeit, unsre Bildung, Erziehung für nothwendig, trotzKladderadatsch, Wespen, Ulk, Offenbach u. s. w.
Den Satz durchzuführen war nun doch eigentlich Niemand recht gerüstet. Die Kaiserkronen auf dem Tische winkten in’s politische Gebiet. Es wurde hier nicht gern berührt, da es einige Mitglieder gab, die z. B. auch in dieser Frage das Erhabene mit dem Vornehmen oder mit dem Anspruchsvollen verwechselt haben würden. Die gewissenhafte Zeitungs-Angabe des Wildprets, das gewisse Fürstlichkeiten bei dieser oder jener Gelegenheit erlegt haben, gehörte nicht in die Schule zum Sinn für’s Erhabene.
Man blieb nun, theilweise aus einer Art Verlegenheit, bei der deutschen Bühne stehen. Man bemitleidete ihren niedrigen Stand. Sie wird doch geradezu, sagte der freisinnige Fabrikant, von der deutschen Nation mit Füßen getreten! Nirgends regt sich das ästhetische Gewissen! Die Herrschaft des Blödsinns, derAbhängigkeit von Frankreich treibt Keinem die Schamröthe in’s Gesicht! 48Auf die Fürsten, die Intendanten und die ganze nur scheinliberale Richtung der Zeit ist dabei die meiste Schuld zu werfen! Ich bin überzeugt, fuhr der Mann fort, unsere höchsten Personen, denen das Theater so viel Geld kostet, könnten einen Preis ausstellen: „ Fünfzig Mark zahle ich für jeden Brief, in welchem ein Intendant einen deutschen Dichter, wie etwaIffland gethan, in freundlicher Weise und mit entgegenkommenden Bedingungen zur Thätigkeit für die Bühne auffordert. “ Ich bin überzeugt, der Mäcen würde für diese Autographensammlung nicht 150 Mark ausgeben!
Es ist der Geist der Brutalität, fuhr, als sich das Lachen gelegt hatte, eine andere gewichtige Stimme, die des Gerichtsraths Eller fort, ein Geist, der auf fast allen Gebieten bei uns das Wort zu führen anfängt! Doch wir sprechen vom Theater. Das Theater ist der Tummelplatz der Emporkömmlinge ohne wahre innere Verantwortlichkeit! Der Geist derDecharge, die diesenThespiskarrenführern entwedervom frivolen Sinn eines Monarchen oder dem bestochenen Urtheil einer gewissenlosen Kritik täglich ertheilt wird, führt allein das Scepter! Es ist dasselbe Thema, das unsre Nation dem Franzosen und Engländer, sogar dem Schweizer, so verächtlich erscheinen läßt. Unsre Siege erscheinen ihnen unverdient und nur als zufällig gewonnen –!
49Es war erstaunlich, daß man in der frischen Erinnerung der in der Weltgeschichte unerhörten Erfolge über ein sieggewohntes starkes Volk und der Hingebung, die unsern Siegen vorausging, so sprechen, so schweigen konnte. Es trat eine lange Pause ein. Nur ein Lehrer der Schulliteraturgeschichte räusperte sich, begann von Schiller und Goethe und sprach sein Bedauern über Heinrich von Kleist aus, der sich das Leben genommen und gewiß die deutsche Bühne auf Schillerhöhe erhalten haben würde .Er wollte Klopstock, Stabreim, Nibelungen und Aehnliches hochgehalten wissen. Offenbar suchte er Bahn zu brechen, um das politische Thema zu vermeiden.
Ja, warum nahm sich denn Kleist eigentlich das Leben? brauste einer der Oberlehrer auf, die nun gewonnen Spiel hatten. Wegen derFrau Vogel doch nicht? Daß diese ihn noch zum Mörder machte, weil sie von ihm erschossen sein wollte, war die Folge einer falschen Diagnose über dasselbe Uebel, woran neulich Frau Gabriele Wolny gestorben ist! Er hätte ihr den Todesgedanken ausreden können! Aber die wahre Ursache war, wie Herr Schindler ganz richtig bemerkt, man hatte höchsten Orts keinen Sinn für sein Streben! Seinen letzten so schöngeformten, allen Anforderungen der Bühne ruhig und besonnen entgegenkommenden„ Prinzen von Homburg “erklärte man nicht für zulässig! Iffland50 wurde vorhin von Ihnen gelobt, Herr Schindler? Ich habe eine andere Ansicht. Warum ließ sich Iffland mit Schiller und Werner so weitläufig ein? Weil diese Herren in Weimar, in Hofesnähe, in Goethes, des Ministers Nähe lebten! Kleist, der arme Lieutenant, wurde kurz abgefertigt. Es geschieht aber den Poeten schon recht. Warum erwarten sie Hülfe von da, wo es keine giebt! Warum schaaren sie sich nicht zusammen und schreiben den Bühnen und dem Publikum Gesetze vor!
Das Thema wollte unter den literarischen Laien nicht recht in Fluß kommen und Triesel erntete Beifall, als er sich dem Alten im weißen Barte wieder zuwandte. Sie kennen also die Messiade! Haben sie gelesen und sind, wie wir sehen, vor Langeweile nicht gestorben! Erklären Sie mir nur Eines, wie die Menschen früher dergleichen ausgehalten haben!
Bester College, erwiderte Althing zu allgemeiner Heiterkeit, ich bin noch keine hundert Jahre alt.
Triesel sagte verlegen: Ich meine nur – nein – hundert Jahre würden kaum ausreichen, Sie zu Klopstocks Zeitgenossen zu machen –
Thut Nichts! Thut Nichts! sagte Althing beschwichtigend und fuhr fort: Ich meine, kein Zeitalter, und selbst das leichtsinnigste, das unsrige nicht, kann das Bedürfniß der Erhabenheit abweisen! Die menschliche51 Seele läßt sich die ihr zuträgliche nothwendige Nahrung nicht nehmen! Verkürzt man ihr den Werth der Religion, so hat sie das Bedürfniß, sich auf andere Art zu helfen! Nationalruhm ist etwas rasch Verbrauchtes und setzt soviel Gehässigkeit gegen andere Nationen voraus, daß man dessen bald überdrüssig wird! Die Muse, die immer mit Trophäen einherschreitet, sieht bald wie die leibhafte Anmaßung aus!Eine berühmte Siegessäule mit den blinkenden Kanonen, die da oben aufgezogen sind, werden Sie mir doch zugestehen müssen, sieht eher wie ein Denkmal für eine asiatische Nation aus, als für eine gesittete christliche! So oft ich daran vorübergehe, mußte ich an die Ausschmückungsweise der hohen Pforte, der Sultanswohnung, des Serail denken! Das ist keine Erhabenheit. Aber gewiß, die Menschen können nicht immer lachen, können nicht immer oberflächlich sein. Sie wollen verehren, sich selbst adeln durch ihr Gefühl! Es braucht da nicht immer die Kunst zu sein, nicht immer die Literatur, die unser Bedürfniß nach Erhabenheit befriedigt. Es kann auch das Leben selbst sein, das uns hebt, emporträgt, uns groß, geläutert empfinden läßt!
Jetzt ist es die Musik! meinte der jüdische Erheiterer des Clubs. Ich rede aber von meinem Abonnement für Beethoven’sche Symphonie-Concerte, nicht von meinemBayreuther Patronatsschein!
52Das Thema wurde in eine Sphäre hinübergeleitet, wo die ernste Discussion aufhörte. Bis zu dem Augenblick, wo Althing wieder aufbrach und sich entfernte, hatte das Thema vom Erhabenen und vom Verfall, vorzugsweise der Bühne, sich in der Constatirung einer psychologischen Thatsache vereinigt, daß der Sinn für Tragödie dem Schuldbewußtsein, für Comödie mehr dem harmlosen Gemüthe eigen sei. Das Schuldbewußtsein, das sich reinigen will, liebt auf der Bühne die pathetische Tirade, drapirt sich gern mit griechischem Faltenwurf, rollt die Augen und zuckt gegen die Bekrittler seiner Tugend den Dolch. So wurde hervorgehoben, daß gefallene Frauen lieber Trauer - als Lustspiele sehen. Sie fühlen eine Genugthuung in den Intriguen, die einen edlen Menschen stürzen. Sie haben zu den Teufeln, die auf der Bühne ihr Wesen treiben, immer aus ihrem eignen Leben einen entsprechenden Pendant. Es war dabei von einer Person die Rede, die den alten Bildhauer in Verlegenheit setzte. Er hatte eine unangenehme Correspondenz mit Edwina Marloff gehabt. Denn als eines Tages sein Sohn eine nähere Aufklärung über das Gerede seiner Punktirer gegeben hatte, verlangte der strenge Mann, der es, wie alle Menschen, nicht wußte, daß er etwas vom Tyrannen in sich hatte, Blaumeißel sollte seiner Micheline sagen, wenn die Josefa nicht augenblicklich den gewissen Dienst53 in der Palissadenstraße verließe, so würde seine, als Blaumeißels, Stellung beim Professor für abgelaufen gelten. Darauf hin bekam der Professor von Edwina einen Brief, den er nicht hinter den Spiegel stecken konnte. Helene und die Mutter bekamen ihn zu lesen. Die Erkrankung der Tochter war mit auf die Gemüthsverstimmung zu setzen, die ein Prahlen mit Unschuld und Tugend, das Nennen des Grafen Udo, das Erbieten zur Versöhnung mit der Bitte, sie für eine seiner „ genialen, unsterblichen Schöpfungen “als Modell zu wählen und Aehnliches bei ihr hervorbrachte. Josefa zog in der That in einen andern Dienst. Plümicke, der sie wieRitter Toggenburg liebte durch seiner Augen „ stilles Weinen “und manchmal durch etwas wie ein Paar goldene Ohrringe, brachte diesen unbedingten Gehorsam fertig. Edwina, die nun zu Mitteln gekommen schien, wollte ihre ganze Hauseinrichtung, so schrieb sie dem Professor, in einer Weise ändern, daß der vergiftende Hauch der bösen Nachrede sie nicht mehr treffen könnte! Fluch dem, der den Unschuldigen die Gewalt seiner Kraft fühlen läßt! Es war vielleicht eine Stelle aus einem Drama. Denn fast regelmäßig saß Edwina den Winter im ersten Rang derjenigen Schauspielhäuser, die ernste Sachen aufführten. Das war eben die Notiz, die im Laufe der Serapions-Unterhaltung fiel, und mit welcher der unangenehm54 davon Betroffene sich dem Kreise für heute empfahl. Das Preisen der Schönheit, der Toilette dieser „ Frau “, ihrer wahrscheinlich hohen Beschützer, das Verurtheilen ihres elenden Mannes, der sie wahrscheinlich verkauft hätte – Alles das war dazu angethan, ihn zum Austrinken des letzten Tropfens seines Glases und zum sofortigen Aufbruch zu bewegen.
Einige bei diesen Personalien mit untergelaufene Irrthümer hätte Althing berichtigen können, wenn er überhaupt nicht hätte vermeiden wollen, den erwähnten Namen in den Mund zu nehmen.
Ottomar war schon bei Gelegenheit des Leichenbegängnisses der Frau seines Freundes, das in großartiger Weise gefeiert worden war, ganz mit seiner Familie über die Irrung wegen der Marloff ausgesöhnt. Bei jener Bestattung war das Personal der Fabrik anwesend. Nur Ehlerdt fehlte. Diesen trieb es unwiderstehlich wieder in seine alten Bahnen zurück! Herrschen –! Regieren –! Wer diese Genugthuung einmal gekostet hat, der wird nie wieder dem süßen Gifte entsagen können und sollte er,wie Dionysius der Tyrann von Syrakus gethan, nach seinem Sturze in Corinth nur noch den Bakel des Schulmeisters zum Fuchteln in die Hand nehmen! Aber der Sohn, der Beförderer der Auflösung seiner Mutter fehlte nicht. Der stand wie zerknirscht! Der Geistliche55 mußte zuweilen auf ihn hinweisen! Die Rolle hatte er sich vor’m Spiegel einstudirt! Er führte sie meisterhaft durch. Seine Gattin verstellte sich weniger. Diese blieb kalt. Wolny, der ihre Briefe nicht verbrannt hatte, stand in ihrer Nähe! Ihre Blicke hüteten sich, den seinigen zu begegnen. Rache! Rache! lag in ihren Mienen. Martha Ehlerdt war nicht erschienen. Ihre Geister waren durch die Frage, die ihr die Commerzienräthin gestellt hatte, noch nicht beruhigt, nicht versöhnt. Bei starken Seelen kann selbst der Tod nicht immer Alles ausgleichen, was zu einer bestimmten Periode ihnen verhängnißvoll und verderblich erschien. Was sollte sie lügen? Sie liebte ja wirklich Wolny! Sie konnte gar kein anderes Wort für das edelste ihrer Gefühle finden. Und ein edles Weib leidet mit, wenn es einen Mann, einen Mann der Pflicht, der Treue, der Liebe, unter den Launen einer Genossin ihres Geschlechts leiden sieht. Wie gern hätte sie ihm geholfen! Wie gern ihm den Glauben an ihr Geschlecht erhalten –! Das sind Empfindungen, die, wenn sie sich zuletzt noch mit Dankbarkeit verbinden müssen, nur das Wonnegefühl der Liebe wecken können.
Wolny war der alleinige Erbe seiner Frau. Der Sohn erster Ehe war durch gerichtliche Constatirung, durch die Abschätzung des Vorhandenen, durch den Beweis, daß er seine Ansprüche befriedigt erhalten hätte, abgefunden. 56Eine Masse Erinnerungszeichen schickte Wolny an Frau Jenny Rabe. Wolny wollte die Fabrik an eine Actiengesellschaft rasch verkaufen. Unbewußt, völlig arglos, mit den edelsten Vorsätzen gerieth er unterdie damals so harmlos auftretenden „ Gründer “. Er wollte nur reisen, nur sein Trauerjahr verwenden. England, Amerika! Das war sein Ziel. Er beging eine große Thorheit. Er überließ Alles –Commissionären!
Als damals auch Ottomar heimkam vom kalten winterlichen Friedhofe, vom Grabsteine, der nun schon lange den alten Rabe deckte in einem umfriedigten Raume („ Rabe’sches Familienbegräbniß “in goldenen Lettern benannt, aber sonst schon recht kahl und ohne besondern Schmuck) – da fand er von seinem Freunde Udo einen Brief und seltsamerweise schon aus Hochlinden, worin ihm dieser seine Rückkehr aus Italien und seine bevorstehende Einkehr sogleich auf den Sommersitz seines seligen Onkels anzeigte. Die Mittheilung war überraschend, wie Alles, was mit Ada im Zusammenhang stand, für Ottomar aufregend genug. Man hatte das junge Paar erst in der Residenz erwartet. Es sollte glänzen. Ada wollte auf dem Lande bleiben. Auch dies schrieb er dem Freunde. „ Ich sprach Dir längere Zeit absichtlich nicht mehr von der Marloff! Die Schilderung Deiner Besuche bei ihr hatte mich in solchem Grade aufgeregt, daß ich fürchtete, mich nicht57 beherrschen zu können! Inzwischen erforderte die Beschaffung jener Summe, zu der ich mich, um endlich Ruhe zu haben, verstehen mußte, alle Vorsicht und Verschwiegenheit. Die hiesige Rentnerei fand ich wohlgeordnet. Die Entsendung jener Summe an die Adresse, die mir gegeben ist: „ Geometer Marloff “fand ich mit jenem geschäftlichen Mechanismus ausgeführt, als befände man sich in einem wohlgeregelten Bankinstitut. Nicht einmal gelächelt hatte der alte gräfliche Rentmeister, als ich vondem hohen Legate sprach. Und doch warGelegenheit zu jenen Gesichtern, von denen Hamlet spricht! Denn wer anders kann das wunderliche Bild eines Kindes sein, das ich hier im Schlosse auf dem Schreibtisch meines Onkels vorgefunden habe, als Edwina? Es ist in Aquarell. In Medaillonform steht es auf einem kleinen Postament von Bronce dicht vor des Onkels noch aufgeschlagener Schreibmappe. Die Tante besuchte das Gut seltener, und die Abreise des Onkels nach seinem letzten Sommeraufenthalt, der gewöhnlich auf seine Badecur in Karlsbad folgte, war so schnell gewesen, daß er, wie der alte Schließer des grandiosen Schlosses, zu meiner Verwunderung, sagte, diesmal das Bildchen wegzuschließen vergaß. Warum wegzuschließen? fragte ich. Konnte es hier in dem Zimmer ohne winterlichen Ofendunst und Cigarrenqualm nicht ruhig stehen bleiben? 58Und es bleiben doch so viele der Bilder hängen! Die Antwort war einsilbig. Ich verlor mich dabei in den lieblichen Zügen und entdeckte eine Aehnlichkeit mit meinem Oheim, die mich rührte. Daß hier ein Landvermesser Namens Marloff vor Jahren im nächsten Städtchen Weilheim von der Regierung beschäftigt wurde, eine bildschöne Frau hatte, die bei der Geburt eines Kindes starb, das wußte man. Ich werde in Weilheim forschen und entdecke gewiß noch Näheres. “
Die Geständnisse des alten Marloff in jener Ballnacht hatte Ottomar dem Freunde nicht mitgetheilt. Ottomar war dem Grafen wie entflohen, um – Ada zu entfliehen! Selbst auf der Hochzeit fehlte er – wegen seiner Schwester, die ja krank war. Furchtbare Bilder mußten nach jener Ballnacht vor Ottomars Auge getreten sein, so oft er an Edwina dachte, an die alte Frau im Hinterhofe, an den vergrämelten machtlosen Vater, der sie nächtlich besuchte –! Dann diese Verbindung zwischen dem wirklichen Vater und der Tochter! Er hielt diese für rein gewesen, unentweiht, er bereute seinen Scherz mit dem „ Souper bei Ungarwein “. Warum sollte ein verwildertes Wesen erzogen worden sein durch Bildung, gutes Beispiel! War Edwina doch schon fast reif im Nachdenken über die Welt und Menschen durch Erlebnisse der abenteuerlichsten Art! Ottomar besuchte wieder einmal Marloff. Es59 war nach Zahlung der großen Summe, die Edwina bei Justizrath Luzius deponirte. Der Alte nahm ihn freundlich auf, plauderte wieder und – Graf Wilhelm trat ihm wieder wie Sokrates entgegen, belehrend, zum Guten leitend, Schach mit seiner Tochter spielend, diese ihn zerstreuend. Die Stellung bei Luzius hatte Ottomar aufgegeben. Er arbeitete beim Gericht. Ueber die Anwendung dieser 30,000 Thaler vermochte er noch Nichts in Erfahrung zu bringen.
Der Frühling nahte sich mit allen seinen Reizen, der Himmel blieb blau, die Sonne verbarg sich nur hinter schnellvorüberziehenden Wolken, deren Erguß die Fluren tränkte und erfrischte.
Da war die Grille der jungen Gräfin Treuenfels erklärlich, daß sie, etwa im Monat April von Nizza zurückgekehrt, schon mit den Veilchen, den Schneeglöckchen in Hochlinden sich befreunden und die Residenz gar nicht wiedersehen wollte. Die Mutter war darüber außer sich. Ottomar, der sich beim Verein, wo die gemeine Anschwärzung des Assessors Rabe keinen Anklang gefunden hatte, jetzt durch Dieterici vertreten ließ, erfuhr darüber, so oft er in Gesellschaften der Generalin begegnete, die Ausbrüche des seltsamsten Erstaunens. Wo doch die Landsaison für den Adel erst im Juni anfängt! rief die erzürnte starkwillige Frau. Wenn die Rosen blühen!60 dachte Ottomar. Wenn die ersten Kartoffeln kommen! sagte die Generalin. Das Leid mit der Erkrankung seiner Schwester war überwunden. Endlich kam wenigstens Graf Udo allein in die Residenz. Das Denkmal war schon soweit, daß es im Herbst aufgestellt werden konnte. Graf Udo brachte eine Abzahlung. Meister Althing bemerkte, wie selbst der vermählte Graf noch immer auf Helenen Eindruck zu machen suchte. Sie war zu schonen und hielt sich aufrecht halb an ihrer verlegen lächelnden Freundin Martha, halb an dem Bischen Natur, das sie um das Atelier ihres Vaters, dem dürftigen Birkenpark, herum genoß. Der Graf sah mit inniger Rührung auf sie. War er mit Ada glücklich? Sein Inneres durchforschte Niemand. Sein Aeußeres war etwas voller geworden. Der auf der Reise stehen gebliebene Bart stand in einem sonderbaren Gegensatz zu dem viel lichter gewordenen Haupthaar. Er war liebenswürdig gegen Jedermann und brachte Geschenke die Hülle und Fülle. Gegen deren Annahme konnte sich Niemand sträuben, da sein zarter Takt nur charakteristische Erzeugnisse Venedigs, Roms, Neapels gewählt hatte. Selbst Martha und sogar Blaumeißel, vollends der treue Vegetarianer, wurden bedacht. Letzterem wurde ein riesiger, eben bei einem Restaurateur gekaufter und gekochter Hummer verehrt, von dem aber der Graf behauptete,61 er hätte ihn ganz so aus Neapel mitgebracht, so würden sie dort gefischt, doch nun müßte er auch sofort verzehrt werden. Es geschah dies auch Abends bei Blaumeißels, wobei Plümicke Fisch für nicht Fleisch erklärte und mitmachte. Er hatte gehört, daß sich die schwarzäugige Josefa manchmal nach ihm erkundigte.
Der Graf erfuhr nach und nach von Ottomar die Geständnisse des Pflegevaters Marloff von jenem Abende her. Dafür zeigte er ihm Briefe, die ihm die kalte Verleugnerin ihres Pflegevaters und ihrer Großmutter geschrieben hatte, Auswüchse einer verworrenen Lectüre, Ergebnisse eines schrankenlosen, durch keine Schulung gezügelten Fühlens und Denkens. Da hieß es unter Anderm: „ Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich den Namen meines wahren Vaters erfuhr! Ich blickte wie in eine Felsenwand, die sich plötzlich öffnete! Ich sah eine Landschaft voll Lieblichkeit, belebt von tanzenden Elfen! Und dieser Vater nahte sich mir einst und sah auf mich mit Thränen herab. Meine Neigung war Putz, Luxus, elegante Existenz, Diener, denen ich befehlen konnte; eine Bibliothek, diese wäre mir über Alles gegangen, aber mit kostbaren Einbänden. Ich hatte Alles schon so in Ungarn – und diese Wonne bekam ich nun wieder! Doch stellte der Graf die strengsten Bedingungen. Er verlangte von mir den absoluten62 Ausschluß jeder männlichen und weiblichen Bekanntschaft, ein Einsiedlerleben, nur die Vertiefung in die Stunden, die ich bei weiblichen Lehrmeistern nehmen mußte, die Woche zwei - oder dreimal würde er selbst, so fing er an, des Abends zu mir kommen und sich nach meinen Fortschritten erkundigen. “ „ Sie glauben nicht “, hatte sie ein andermal geschrieben, „ was wir Frauen so vernünftig sind, wenn Einer nur vertrauensvoll bei uns Vernunft voraussetzt. Und zeigt er uns dann gar, wie man’s anstellen soll, um sich nützlich zu machen, so sind wir wie die Kinder, geborene Sklavinnen, denken nicht an Herrschen! Hier galt es eine Aufgabe für mich. Ich griff sogleich an. Ich sollte einen Schauplatz schmücken, wo Abends mein Vater – Gott im Himmel, verzeih’ ihm die vielleicht glücklichste Stunde seines Lebens, die der Verführung meiner Mutter! – erschien, für mich ein höheres Wesen, dem ich mein Räucherwerk von Andacht und Liebe darbringen konnte! Er nahm nur Thee, nur leichte warme Speisen gut zubereitet! Ich war eine Frau, wie ich von den wenigen Leuten, mit denen ich umging, genannt wurde, eine Frau der Fürsorge, der selbstauferlegten Pedanterie. Mein Ehrgeiz war mein Vater. Das war mein Stolz. Alten Bäumen im Park, wenn ich mit einer alten Lehrerin, die sich für Geld dazu hergab, ausfuhr, hätte ich es zurufen mögen, jeder Blume in den63 Gebüschen, wenn wir ausstiegen, der Wagen uns langsam folgte. Ich glaubte fest daran, daß einst die Stunde kommen würde, wo mich mein Erzieher adoptiren, mir ein anständiges Loos bereiten würde. Es war der Tod Ihrer Tante, auf den ich zu warten schwören mußte, wie auch Marloff gethan hat! Oft habe ich auf des Grafen Schooß gesessen, das ist wahr, oft habe ich ihm in seinem weißen Barte gekraut und den Kamm genommen und den Friseur gemacht. Er küßte mich dafür, aber nur, wenn er ging und wenn er kam, und auf die Wange. Fast jeden Abend hatte er sich müde gesprochen; denn er belehrte mich über Alles, machte mich mit allen Zeitereignissen bekannt und prüfte meine Fortschritte. Aergerlich konnte er werden, wenn wir französisch oder englisch zu sprechen versuchten und es noch immer nicht recht vorwärts mit mir gehen wollte. Er grübelte, wie er es anstellen sollte, mit mir einmal nach Paris oder London zu reisen, ohne daß die Welt davon erfuhr. Ach! sagte er einmal, die Sonne, die uns bescheint, liebt das Große nicht, nur das Gewöhnliche! Ich sollte unter seinem Schutz eine ihm zusagende Partie, eine Heirath mit einer hervorragenden Persönlichkeit machen – da rührte ihn plötzlich der Schlag, er starb –! “ Der Brief endete elegisch. Aber an andern Tagen schrieb sie – auch wieder in herberem Tone: „ Und der Mann hatte Nichts für mich gethan! 64Oder seine Erben haben seine letzte Bestimmung unterschlagen! Meine Briefe an ihn konnten nicht für mich zeugen! Ich schrieb sie mit der einem Standesherrn zukommenden Anrede: Ew. Erlaucht! Ich setzte vor Zorn meinen Pflegevater, Marloff, in Bewegung. Dieser Hitzkopf verbot mir, muthig vorzugehen! Der Graf hätte genug für mich gethan! Ich sollte arbeiten, nähen, stricken, Stunden geben! Der Teufel! schrie ich. Ich machte ihm die Hölle heiß. Ich sollte vier Jahre meines Lebens einer Idylle geopfert haben und dafür keine Anerkennung finden, keine Weiterführung meines Lebensfadens, sowie ich’s mit dem Grafen abgemacht hatte? Nächte lang habe ich mit mir gerungen, ob ich nicht meinen Schwur brechen sollte und geradezu die Wittwe bestürmen, sie durch meine Aehnlichkeit mit dem Verstorbenen vielleicht rühren und erklären: Ich will Theil haben an seinem Namen, an seinen Gütern, seinem hinterlassenen Andenken! Ihr Onkel hatte mir oft erzählt, daß er seine Gattin so schone, weil sie einmal an sich den edelsten Charakter besäße und weil sie, eine geborene Prinzessin aus hohem Hause, nur unter heftigen Kämpfen mit den Ihrigen der Neigung und der Wahl, die sie getroffen, hätte nachgeben wollen. Sie war älter als Graf Wilhelm, „ ohne Geist und ohne Reize. “ Ueber die Verwendung der endlich errungenen 30,00065 Thaler hatte sie geschrieben: „ Sie denken wohl gar, ich werde mich mit meiner Großmama und dem alten Bär, dem Marloff, in ein Hinterstübchen setzen und von den Zinsen dieses Capitals so bemessen leben, daß ich alle Jahre allenfalls eine kleine Badereise nachKösen und Marienbad unternehmen kann? Fällt mir nicht ein! Ich bin Edwina Marloff, und ändre zuerst das Schild an meiner Thür! Die Wohnung überhaupt ist mir zu klein. Ich nehme eine größere. Für eineDuenna im Hause ist durch eine Anzeige gesorgt. Ich prüfe genau die Empfehlungen. Sie können sich denken, daß ich keine gewöhnliche alte Tante in’s Haus nehme, sondern eine Dame von Welt. Im Wesentlichen mache ich, um mein Geheimniß zu verrathen, einen Luxus, als wenn ich das Zehnfache besäße. Dann wird zwar mein Vermögen in zwei Jahren verausgabt sein, ich habe aber einen Mann und habe ich keinen – dannaprès moi le déluge. “
Das war nun zu Ottomars größtem Erstaunen die Frucht dieser sokratischen Erziehung! Dieser Weltphilosophie, oder, wie Graf Udo beim Scheiden und der Rückkehr nach Hochlinden zugestand, dieses vier Jahre lang durch den Nimbus eines gräflichen Vaters niedergehaltenen, von Kindheit an eingesogenen, unerzogenen Leichtsinns! Ob dies System wirklich zur Ausführung66 gekommen war, ob Edwina ihre Wohnung verlassen, ihre Erklärung zum Personalstand der Stadt verändert und sich Fräulein genannt hatte, ob die schützende Duenna gefunden war, die über sie hinweg die Flügel einer schützenden Gluckhenne ausgebreitet hielt, das mochten beide Freunde nicht in Erfahrung bringen. Jede Annäherung war, wie sie ja schon ersehen hatten, in derStadt des protestantischen Jesuitismus mit Gefahr verbunden.
Graf Udo hatte viel mit der Vermögensverwaltung seines Majorats, viel mit der gesellschaftlichen Rücksichtsnahme zu thun. Der große Staatsmann, der in der Nähe seines Hauses wohnte, hätte ihn ganz gern wieder in der Carrière gehabt. Aber er wich allen Anerbietungen aus, lebte am liebsten im Park bei den Althings und bei der guten Gräfin Constanze, der er keinen Beweis der ihr schuldigen Achtung entziehen mochte. Die Generalin, seine Schwiegermutter, vermied er und diese ihn, auch Forbeck ließ sich nur melden, wenn er hoffte, den Schwager nicht daheim zu treffen. Ada hatte ihm eine Last von Verpflichtungen zugeschleppt, über die sich des Grafen Gerechtigkeitsgefühl empörte. Ada heuchelte Luxusideen, nur um dem Bruder Mittel zu verschaffen! Sie mußte es! Die Aermste! Die Mutter verlangte es! Bei Alledem hielt der Graf mit dem vollen67 Geständniß über alle diese Verhältnisse, die in die traurigsten Details mit Möbel - und Tapetenhändlern gingen, vor dem Freunde zurück. Daß er diesem einst gesagt: Ada liebt ja nur Dich! und daß er sah: Ottomar lebt wirklich unter dem Widerschein des Vergangenen! darüber entfiel ihm jetzt kein Wort mehr. Denn er sah doch zu deutlich, daß Ottomar sein Princip, den Reiz des Weibes nicht früher auf sich wirken zu lassen, als bis er eine Familie zu erhalten im Stande wäre, durch die nähere Berührung mit seiner Braut geändert hatte – und den Grafen drückte sein eigenes Empfinden für Helene! Darum schwieg er über beide Verhältnisse. Beide schieden einsilbig, doch herzlich.
Ottomarhatte mit seinem „ dritten Examen “zu thun, jener gefahrvollen Klippe, die man nicht umschifft, wenn man sich im Leben zu sehr zerstreuen, den Ideenkreis erweitern, von der Welt der Bücher und geschriebenen Hefte abziehen läßt. Doch was lag nicht schon Alles lastend auf der Brust des jungen Mannes und zog ihn vom Gewöhnlichen ab, vom Herkömmlichen, diesem alleinigen Herrscher in einer Zeit, die durch sich selbst, nicht durch unser Hinzuthun so viel Außerordentliches gebiert! Die Liebe zur Gattin eines Freundes, dieser selbst befangen von dem Bilde seiner Schwester, des weitentrückten Wolny entsagender Schmerz, Marthas68 edle, nach allen Seiten hin anspruchslose Aufopferung, die wilde Spielerin am grünen Tische des Lebens, vor deren Phantasie frühempfangene Lebenseindrücke unauslöschlich zu gaukeln schienen, alles das mußte die Gefühle seiner Brust, seine Gedanken erweitern weithinaus über die leere Zweckmäßigkeit, der er bisher vorzugsweise gelebt hatte!Er war ein Realist gewesen und es zwang ihn Alles, Idealist zu werden. Das Bedürfniß eines umfassenden Grundgedankens für’s Leben fängt in bedeutenden Naturen frühe an, Platz zu greifen. Er hatte z. B. nie vor den Arbeiten seines Vaters so lange sinnend verweilt wie jetzt. Wenn er das letzte Gespräch bei den Serapionsbrüdern gehört hätte, würde er der Kunst überhaupt den Beruf zuerkannt haben, den Sinn für die Erhabenheit zu erhalten, aber mit dem Beding, daß sie nicht prahlerisch, sondern still und nur in die innere Welt belebend wirke.
Heiliger Liguori, du großer Casuist der römischen Kirche, was hättest du in deine Anleitung zum Beichthören Alles noch aufnehmen können, wenn dir die Biographieen bekannt geworden wären, die sich bei Edwina als Candidatinnen zu einer Stellung als „ Gesellschafterin “anmeldeten! Junge und alte Damen –! Nasen in allen Formaten –! Schicksale, sensationelle, von treulosen Schiffscapitänen, verschollenen Brüdern in Amerika69 an bis zu ungerecht abgesetzten Regierungspräsidenten und gemaßregelten Schulrectoren! Die reiche junge Erbin, die natürliche Tochter eines ungarischen Magnaten, eines Besitzers unermeßlicher Güter, vielleicht auch eines Erzbischofs (Edwina nannte zu dem Ende jede beliebige ungarische Stadt, die ihr einfiel), hörte jedesmal den Bewerberinnen ruhig zu, forschte, ob vollständige Armuth mit ihr sprach, oder Beschränktheit, mangelnde Lebenskenntniß, Ungeschick für ihren wahren Plan, der eben darin bestand, daß eine anständige Persönlichkeit statt ihrer in den Vordergrund rückte, mit den der Kasse derselben zugesteckten Mitteln ein gleichsam selbstregiertes Haus machte und dadurch Edwina Gelegenheit gab, gleichsam im „ Schatten edler Denkungsart “, wie sie sagte, mehr zu glänzen, als die eigentlich „ Bemutternde “. Sie suchte, wie sie dem Pflegevater, der wieder auf diesen tollen Plan von Erdrosselung zu sprechen gekommen war und ihr zugleich seine Einmiethung der Großmutter auch in ihrem neuen Hinterhofe angekündigt, ganz offen sagte, Einen, „ der mit ihr hereinfällt “, d. h. sie für unermeßlich reich hielt. Der brummische Luzius schwieg.
In diese wie von satanischen Dämonen gehütete schöne elegante Lichtwelt, die sich inzwischen Edwina schon zu schaffen begonnen hatte, verirrte sich eines Tages Martha Ehlerdt! Die Vielgeprüfte! Sie hatte70 von Wolny reichlich bekommen, worauf sie Ansprüche zu machen hatte, und mehr an Geschenken, aber sie wollte sich in der Welt bewähren. Der Familie des Bildhauers hatte sie sich wie eine barmherzige Schwester gewidmet. Der milde Glorienschein treuer Liebe zur Pflicht, der Entsagung und sittlichen Hoheit lag um ihre Stirn gebreitet, als sie zu ihrem Entsetzen das Haus betrat – noch hatte Edwina die neugemiethete Wohnung nicht bezogen – wo ihr Bruder, der mit dem ferneren Schicksal der Rabe’schen Fabrik in Verbindung geblieben war, früher gewohnt hatte. Mit zaghaftem Muthe klingelte sie und stutzte nicht wenig über die elegante junge Dame, die sie empfing. Und diese wieder horchte hoch auf, als sie von den Lippen des heroinenhaft gebildeten Mädchens gelegentlich den Namen Althing vernahm. Die Gegensätze konnten nicht schroffer aufeinanderplatzen. Martha, die bei Althings wohnte, aber ihre Wanderung „ um eine Stelle “nach dem Zeitungsblatt in aller Stille machte, und von Edwina nichts Näheres wußte, zog sich wie eineSinnpflanze zurück, als sie von dem vollgenährten, in weichem, apfelblüthfarbenem Fleische strahlenden üppigen Mädchen hörte: Ich will mich in den Strudel der Welt stürzen! Haben Sie Lust dazu, mein Compagnon zu sein? Aber ach, Sie sind zu hübsch! Sie würden mir71 zu viel Concurrenz machen! Es wird nicht gehen, liebes Fräulein!
Martha, längst einverstanden, daß es nicht ginge, war im Begriff, sich zu entfernen. Sie hatte, da es Winter war, sich zweckmäßig verhüllt. Doch erkannte Edwina sogleich die ganze gefällige Erscheinung.
Aber bleiben Sie doch noch ein Bischen! sagte sie mit einem bestimmten, wenn auch sanften Tone. Ihr Lächeln ließ ihre weißen Zähne im hellen Lichte erscheinen. Sie sind wohl die Liebe des jungen Herrn Althing? forschte sie. Mir dürfen Sie’s anvertrauen! Er hat mich einigemal besucht, eigentlich nur einmal. Wenn Sie seine Schwester pflegten, muß er Sie ja schon aus Dankbarkeit lieben! Sie sind sehr einnehmend! Ich bin selbst verliebt in Sie!
Es war Martha, wie wenn sie Wagner’sche Musik hörte, Alles war so süß und verführerisch, aber wie von der Schlange her!
Herr Althing, fuhr Edwina fort, hat bis jetzt noch über Nichts philosophirt, außer über seinen Schnurrbart! Sein Jus mag er ganz gut kennen! Er war mit in Frankreich. Das ist recht schön! Aber ich glaube, Sie, Fräulein, haben mehr Menschenkenntniß, als er!
Immer enger und enger wurde es Martha um die Brust. Die angenehme Stimme, die so verfänglich vom72 Freunde des Mannes, den sie liebte, sprach, schien ihr von dem Baume mit den gleißenden Aepfeln zu kommen. Und bei alledem hatte sie den Ehrgeiz, einer sich so keck gebenden Persönlichkeit gegenüber nicht wie auf der Flucht zu erscheinen. Edwina gab ihr ja Concessionen, wenn auch die Standpunkte zu verschiedene waren, um sich in der Eile messen zu können. Indeß klingelte es schon wieder! Schon wieder eine Anmeldung! Die Annonce hatte alle haltlosen Frauenexistenzen der Stadt wachgerufen! Die „ junge Dame, die eine gebildete Gesellschafterin wünschte, welche zugleich die obere Leitung eines Hausstandes übernehmen könnte “, war hierorts hundertfach vorhanden! Um sich des Zudrangs zu erwehren, hatte Edwina den ersten Anlauf in die Expedition einer Zeitung verwiesen und dort gebeten, alte, schwächliche, ärmliche Provinzialerscheinungen mit der Erklärung abzuweisen, die Stelle sei besetzt.
Herrn Ottomar Althings Liebe, sagte Martha, die doch nicht ganz ohne einen Trumpf scheiden wollte, istdie Göttin Themis! Er möchte es gern zum Justizminister bringen und da denkt man nicht viel an die Frauen!
Edwina hatte das Klingeln im Kopf, wollte nur draußen nachsehen und Martha durchaus zum Bleiben nöthigen. Diese hielt die Ablehnung fest, ging mit73 Edwina zugleich, beide Erscheinungen den Pinsel des Malers herausfordernd; Triesel würde gesagt haben: „ Die Schönheit zu Hause und die Schönheit beim Ausgehen. “ Anfangs schien Edwina betroffen über diese brüske Art des Abschiedes, dann aber neigte sie ihren schönen Kopf mit den aschblonden Haaren und sagte mit einem unbeschreiblich liebenswürdigem Tone der dunkeln, starkerrötheten Fremden in’s Ohr: Wenn Sie die richtige Toilette machen, stechen Sie Venus aus! Besuchen Sie mich oft! Bitte! Bitte! Bitte!
Wer stand draußen? Noch eine Nachteule, die sich Edwina doch verbeten hatte. Die Stimme war kreischend.
Ist hier –
Ja! ja! unterbrach Edwina. Die Stimme der Frau mit einem großen Seidenhut, einem vergilbten schwarzen Sammetmantel, griff ihre Nerven an.
Die Stellung, die Sie wünschen, habe ich Jahre lang bei meinem Onkel bekleidet! Er war Regierungspräsident, natürlich pensionirt –! Ich habe nur in der vornehmen Welt gelebt, Dichter, Künstler ausgenommen, die ich übrigens auch schätze! Auch bin ich sozusagen militärfromm!
Vier - ober fünfmal erwähnte sie dann die pensionirten Präsidenten, die alle zwischen Rhein und Oder lebten und von denen der Eine bald ihr Cousin, bald der74 Andre ihr Neffe war. Edwina entwand sich dieser Umstrickung mit der ihr eignenlacertenhaften Gewandtheit. Sie fand Alles, was sie da zu hören bekam, sogleich gar lieb und schön und doch bedauerte sie, sich bereits gebunden zu haben. Die Redselige mußte sich empfehlen. Edwina war es um Ruhe zu thun. Martha Ehlerdt hatte ihr einen Eindruck gemacht, von dem sie sich erholen mußte. Anders sein und glücklich! O wer das könnte! seufzte sie tiefauf.
Endlich bekam sie eine Duenna, über die sie Anfangs mit der Jungfrau von Orleans hätte ausrufen mögen:Ach, es war nicht meine Wahl! Und sie hatte sie dennoch genommen! Es war beinahe jene Nachteule von neulich! Justizrath Luzius, dieser Seltsamste, Unerklärlichste aller Menschen, war bei Auszahlung der 30,000 Thaler in Mitthätigkeit versetzt worden. Die gräflich Treuenfels’sche Familie hatte ihn von je für ihre gerichtlich zu vollziehenden Acte benutzt. Edwina, eine Menschenkennerin durch und durch, hatte sogleich herausgebracht, daß dieser vielgesuchte, wenn auch grobe Mann die Verschwiegenheit selbst war, das lebendige Pflichtgefühl, trotz der Geschwätzigkeit seiner Angehörigen. Dazu wittern die Frauen augenblicklich die Ehe-Märtyrer! Edwina hatte der Justizräthin einen Besuch gemacht. Die Frau litt, wie bekannt, an dem Uebel75 aller großen Städte, dem noch ein neuer Molière zu wünschen ist, an der Sucht, gesellige Verbindungen anzuknüpfen. Zujener Hochzeit im Evangelium wurden nicht soviel Gäste zusammengetrommelt, wie Frau Justizrath Luzius aufzuraffen verstand, ob nun im Winter zu den Bällen, oder im Sommer, in den Bädern, zu Partieen, zu Pickenicks. Sascha und Zerline brachen oft mit einem: Aber Mama! dazwischen, wenn die Mutter eine eben erst gemachte Vorstellung schon zur Anknüpfung von einer Menge Fragen und zuletzt zu einer Einladung zum Thee benutzte. Der Vater sagte dann wohl in seiner Art: Sie ist eben die Tochter eines Kunstverlegers und demzufolge auf’s Subscribentensammeln angewiesen! Die Augen der Justizräthin, z. B. im Theater,im Zoologischen Garten, gingen immer wie auf der Suche. Jäger können nicht so nach Wild lugen, Hunde nicht so schnuppern, immer suchte sie eine Entdeckung zu machen. Die Töchter waren im Grunde ebenso. Sie hatten nur etwas mehr Takt, um ihre jähe Bekanntschaftssucht zu verbergen. Du wirst noch einmal einenCartouche zum Hausfreunde machen und einen Abällino zum sonntäglichen Mittagsgaste! sagte wohl der verdrießliche Justizrath, fügte sich aber in die Art seiner Frau und bekam diese sogar von Dieterici, genannt Theodorich, überraschend anerkannt, sodaß selbst76 Jean Vogler verstummte und nicht durch sein ständiges Parodiren seines Collegen die ganze Expedition zum Gelächter reizte. Es ist der angewandte Personencultus der Varnhagen’schen Schule! hatte Dieterici bedeutungsvoll über diese Eigenschaft ihrer Principalin gesagt. Sie ist principielldie zweite Rahel, die absolute Menschenfischerin! Die Justizräthin hörte das Wort wieder und Dieterici stand bei ihr seitdem auf der Höhe der Gunst.
Daraufhin erklärte sie auch nach einem Besuche Edwina Marloffs bei ihr dies Wesen über alles dumme Gerede der Menschen hinaus geradezu für einen Engel. Sie lud das reizende „ steinreiche “Mädchen, das in glänzender Equipage, in einem schwarzen enganschließenden, mit Federbesatz reich garnirten Kleide, auf den blonden Locken ein ungarisches Käppchen etwas schiefgesetzt, in der Hand ein kostbares Spitzentaschentuch und ein Visitenkartentäschchen von edelsteinbesetztem Perlmutter, Besuch gemacht hatte, sofort zu einem geselligen Abend ein und Sascha und Zerline fanden dies „ Mädchen aus der Fremde “über die Maßen „ reizend “und hatten keinen Neid und am wenigsten Bedenken wegen Sittlichkeit. Edwina schlug ja kaum die Augen auf und gab sich wie ein sechszehnjähriges Kind. Von vier, fünf Personen wurde sie schon um ihre Photographie gebeten, und Dieterici, der Alles brühwarm erfuhr, machte im Geiste einen77 Cyclus Sonette auf sie. Justizrath Luzius kannte den geheimen Zusammenhang des Ueberganges von Frau Marloff zu einem Fräulein. Doch sprach er darüber zu Niemand. Auch von seinem Irrthum nicht, wenn er sich sagte: Die Summen, über die sie commandiren soll, sind durch meine Hand gegangen, sie sind zu hoch gegriffen! Sie ist wahrscheinlich eine Tochter des Grafen Wilhelm und Graf Udo wird einst noch seine Verwandte fesselnder finden, als die ihm durch einen lästigen Zwang angeheirathete Generalstochter! Da werden die Mittel schon fließen! Der corpulente, unter der Arbeit keuchende Mann urtheilte richtig und falsch nach seinen Erfahrungen. Seine Gattin sorgte für die Duenna. Und mit Energie! Da half kein Erbarmen! Frau Luzius hatte eine Einzigste in ihrer Art entdeckt und zwar in der Schweiz und diese mußte passen.
Sie schrieb an Edwina: „ Liebenswürdiges, gnädiges Fräulein! Ich bekomme wegen der Stelle aus Neuvorpommern eine Zuschrift von einer alten Freundin, die bisher bei einem polnischen Domprobst die Wirthschaft führte! Der Mann durfte seiner Gesundheit wegen leben, wo er wollte. Die Polen sind so. Jetzt ist der Probst todt und ich sage Ihnen aufrichtig: Frau Regierungsrath Brennicke steht allein und allerdings hülflos in der Welt. Der Pole hatte kein Vermögen und die78 Pension von ihrem seligen Regierungsrath ist gottsjämmerlich klein. Genug, Frau Regierungsrath Brennicke hat die Anzeige gelesen, mir geschrieben – “
Aber Mutter, war Sascha eingefallen, als die Mutter ihren Brief schrieb und die Töchter diesen zu lesen wünschten: Du hast ja die Dame in zehn Jahren nicht gesehen!
Zerline meinte: Wie kann sich die verändert haben!
Der Mutter stand aber die Dame aus Neuvorpommern ganz so vor Augen, wie ihr diese einstauf der „ schinnigen Platte “in der Schweiz begegnet war. Die Berge ringsum, die mächtigen Tannen, dieArven and Arven, das Heerdengeläut, das göttliche Interlaken, der Kuhreigen – Alles das – Kinder, rief die starkwillige begeisterte Frau, was Ihr mir den Kopf verrückt! Die Brennicke muß sie nehmen! Es ist eine vornehme Frau, von Verstand, von Bildung! Ihr werdet staunen und mich nicht irremachen –!
Edwina bekam denn endlich den vollendeten Brief und belachte Vieles darin. Der Engel aus der Palissadenstraße fuhr sofort zur Frau Justizräthin, sagte ihr innigsten Dank und setzte mit ihren schönen schwarzen Augenwimpern blinzelnd hinzu: Lassen Sie sie getrost kommen! Ich will mich unbesehen von ihr bemuttern lassen! Für unsere Eltern können wir ja überhaupt nicht –!
79Das weiß Gott –! riefen einstimmig die durchtriebenen Mädchen.
Allerdings war es dann eine Prüfung Gottes, diese Bekanntschaft von der „ schinnigen Platte “von Interlaken her! Der Zahn der Zeit schien die Dame, die da erschien, gerade nicht so sehr berührt zu haben; denn schön hätte sich die Regierungsräthin Brennicke zu keiner Periode nennen können. Aber das Schrecklichste der Schrecken an ihr war ihr Hochsinn, die nun wirklich bei ihr gefundeneKlopstock’sche Erhabenheit ihrer Empfindungen und die Aeußerungen ihres Selbstbewußtseins. Der Montblanc ihrer Gefühle, der Chimborasso ihrer Ansprüche ging über jede Vorstellung hinaus. Sie war nur aus Neuvorpommern, brachte jedoch eine Sicherheit mit, als wäre sie in den drei Städten Wien, London und Paris zugleich geboren und erzogen worden. Vor keiner Erscheinung in dieser großen Stadt, in die sie nun versetzt war, erschrak sie. Nichts war ihr neu, Nichts imponirte ihr. An Alles machte sie sich mit einer Siegesgewißheit, daß ihr Edwina bei dem ersten Zwiespalt, der sich beim Beziehen einer neugemietheten Wohnung und dem Placiren der Möbel, dem Schaffen von traulichen Etablissements, dem Setzender „ Pilze “, der Rollfauteuils, Chaiselongues und vor Allem bei der Wahl der Gardinenstoffe und der Ueberzugsfarben zu erkennen gab, den80 Stich versetzte: Ich begreife nicht, Sie glauben mit Ihrem seligen Regierungsrath Alles durchsetzen zu können! Warum haben Sie sich nicht um eine Stelle als Oberhofmeisterin bei Hofe beworben?
Frau Brennicke sah damals das schöne reiche Mädchen nur groß an. Aber Edwinas Augen konntenMedusa-Augen werden. „ Ich erkläre Ihnen “, fuhr sie mit fester Stimme und kreideweiß im Antlitz fort, „ daß ich Ihnen volle Freiheit zu reden und zu declamiren lasse, im Handeln aber dulde ich nicht den geringsten Widerspruch, oder wir sind geschiedene Leute! “ Das war, als wennder Tamtam in der großen Oper seine Meinung abgiebt. Gewöhnlich bekommt die Handlung dann eine andere Wendung.
Mutter Brennicke schwieg. War ihr doch das Reden und Declamiren gelassen! Letzteres bezog sich auf ihre wunderbare, ausnehmende ästhetische Bildung! Die Regierungsräthin war groß im Drapiren ihres nicht eben einen Raphael begeisternden Kopfes und ihrer kaum grade zu nennenden Schultern mit allerlei Wollenstoff und dann mit dem Heraustreten eines enormen Vorraths von Romanzen und Balladen, mit denen sie den polnischen Domprobst, der etwas Deutsch verstand, immer zum sanften Schlummer gebracht zu haben schien. Im Anordnen der neuen Wohnung, die ein ungeheures81 Geld verschlang und bei deren Herstellung eine alte Frau, Frau Müller genannt, die im Hinterhof wohnende Großmutter, mitwirkte, ließ die Regierungsräthin ihren Schützling gewähren. Bald aber erkannte sie Schwächen, besonders die Eitelkeit in Edwinas Charakter und sie hatte da die Oberhand. Es war ja auch nur durch ihre Manie für epische und sonstige declamatorische Poesie möglich, daß Edwina Marloffs „ Salon “überfüllt wurde und nach wenig Wochen sogar – ein Prinz zu ihren Füßen, wenn nicht lag, doch saß – Alles wie sie geplant hatte! Ihre Speculation schien glänzend zu gelingen.
Die Regierungsräthin Brennicke wareine noch nicht entdeckte Sappho, eine zweite Ristori, eine Ziegler, Alles zu gleicher Zeit. Zuweilen hatte sie so viel Schwung, vom Frühstück an bis zum Zubettgehen nur in Versen zu reden, Rhythmus und Reim, auch Stabreim waren dann ihre gewöhnlichen Schwimmflossen. Wie ein fliegender Fisch erhob sie sich über die Oberfläche des Wassers. Für gewöhnlich war dies die Ostsee und der Höhepunkt, der ihr immer in Sicht blieb,Stubbenkammer. In die Nordsee machte sie manchmal Abstecher, aber die Dichter mußten ihr nicht zu viel von den Möven singen, mehr vonden Seekönigen und den versunkenen Städten. Die Wikinger fuhren bei ihr hin und her; nur bis nach82 Konstantinopel ging sie mit ihnen nicht mit. Der Orient mit seiner Pracht war nicht ihr Feld. Nur der Norden mit seinen düstern Fichten, seinen hellblauen Wolken, seinen weißen Eidergänsen! Da mußte Edwina staunen. Graf Wilhelm hatte ihr nur den Voltaire und Goethe vorgelesen, nicht einmal Uhland. Es war eine ganz neue Welt, die da Edwina umgab und sie fühlte wirklich, wie die Brennicke sie mit dieser gelehrten Anmaßung drückte und dabei diese ganze, fast fürstliche Einrichtung wie etwas ihr ursprünglich Zugehöriges hinnahm. Die Frau lud Dichter und Componisten ein, arrangirte Theeabende, machteEinladungen auf Ossian, Tegner, Ingemann und Dichter, die sie erst heben wollte, begleitete ihre Schutzbefohlene in die Theater, wo ihr nur die Tragödie mundete und das Einerlei des Repertoirs in diesem Fache oft lästig genug war. Sie knixte dahin und dorthin. Mit Allen schien sie bekannt zu sein. Nur gerade die Schauspieler vermied sie zu näherem Umgang, weil ihr diese ihren besondern Cultus störten. Kein Theeabend verging, wo sie nicht auftrat und einen Löwenritt, einen Wolfsanfall oder eine ähnliche fürchterliche Begebenheit vortrug. Alles, was an Ort und Stelle zur Literatur, zur Kunst gehörte, drängte sich, in Edwinas Salon zu gelangen, zumal, seitdem fast jeden Abend dort der Fürst Ziska von Rauden erschien.
83Die Uebergänge bis zu diesem Höhepunkte im Leben Edwinas waren allmälig. Der Werth der Eroberungen steigerte sich nicht plötzlich. Erst begleiteten zuweilen Clavierspieler die Vorträge einerMazeppajagd, wo die Brennicke undder langhaarige Zukünftler etwas in sich Harmonisches vortragen wollten, der ruhiger Prüfende aber nichts Gehauenes und Gestochenes fand. Dieterici blieb mit seinem Streben nach Anerkennung und der Ueberreichung eines schon von ihm erschienenen lyrischen Bandes nicht aus. Leider hatte er nicht die Poesie Stubbenkammer, diesenUntergang Vinetas, die Nordlandsharfe ganz im Finger, mehr Heine und dessen verschiedene geheilte und wieder neu aufgebrochene Liebeswunden. Aber seine kleinen Aufmerksamkeiten: Hyacinthen-Gärtchen in Mooskörben und Aehnliches dann und wann übersandt, machten bei der Brennicke, die nichts von ihm declamiren konnte, Alles gut. War auch Anfangs der pedantische junge Mann, der nicht blos auf seine Schnurrbartspitzen, sondern auch auf seine innere Welt stolz war, erzürnt über die Mißachtung seiner Waldgänge mit Windesrauschen, Wellen mit Waldeinsamkeit, Waldliebchen mit Waldmühlen im moosigen Grunde und fuhr Jean Vogler an, wenn dieser den Wald für vollständig abgeholzt in der Poesie erklärte und wohl gar sagte: Theodorich, Poet in Versen zu84 sein, ist nur eine Frage des Sichzeitdazunehmenkönnens! so suchte er sich doch auf den Geschmack der Regierungsräthin zu verlegen und traf es zuweilen mit einem Seekönig, der wegen seiner Tochter die Krone niederlegte oder sonst etwas Verkehrtes, aber Poetisches that.
Edwina, nun blos, und dies absichtlich, die zweite Person in dem Salon der Regierungsräthin, war das Mädchen aus der Feenwelt. Wenn sie, während die Regierungsräthin empfing, erst später eintrat, bald in Weiß, bald in Rosa, den Hals, die Arme unbedeckt, den schönen Kopf mit seinen Nixenaugen zurückgeworfen und Jedem zutraulich die Hand gebend, so wurde Alles an ihr bewundert. Sie spielte mit Gewandtheit Piano, sie sang, sie malte. War sie im Theater, so richteten sich die Operngläser auf sie. Gab es auch Morgenscenen mit der Brennicke, wo die Vögel in den prächtigen Bauern mit zu schmettern begannen, ein Papagey mit seinem „ Jacob “sich heiser schrie, ein kleines Schooßhündchen, das sich Frau Brennicke mit einem rothen Bändchen, einer Klingel daran, als beständigen Begleiter ausbedungen hatte, bellte und vor Zorn in Edwinas Kleider fuhr, so wurde der Conflict doch noch zur vorläufig überbrückten Kluft, freilich aus immer schwächerem, nicht besonders haltbarem Material. Einmal brach es fast ganz. Die Regierungsräthin hatte herausgebracht, daß85 die alte Frau, die Müllern, die regelmäßig die Wäsche abholte und im Hinterhause wohnte, Edwinas Großmutter war. Edwina fühlte kalt für die alte Frau und dünkte sich einer Wäscherin nicht blutsverwandt. Ja sie mußte es für eine Bosheit Marloffs, ihres Nährvaters, halten, daß er ihr beständig diese Aufpasserin stellte. Aber sie duldete nicht, daß auch die Brennicke die alte Frau geringschätzig behandelte. Sie zwang sie sogar, der anspruchslosen Greisin, einer Frau ganz aus dem Volke, ein gebrauchtes Schmähwort geradezu abzubitten.
Fürst Rauden krönte das Gebäude eines Systems, das sich allmälig als gefährlich erwies. Die Hundertthalerscheine verschwanden wie Nichts. Die Regierungsräthin hatte den Prinzen, einen Dilettanten und ewigen Operntextsucher aufgestöbert. Man nannte ihn „ Prinz Narziß “, weil der etwa Vierzigjährige ein eitler, ganz in sich versunkener Mann war. Er war ein Angehöriger derselben fürstlichen Familie, zu welcher Gräfin Treuenfels gehörte. Aber auch er schien aus der Art geschlagen. Während die Raudens alle zum Militär übergingen und als Reiter, Attakenführer, selbst Brigadechefs einen ungewöhnlichen Muth entwickelten, war Fürst Egmont ZiskaPrinz von Rüdt und zu Rauden, wie er hieß, zwar auch unter die Fahnen eines nur zwei Drittel souveränen Staates eingetreten, gerieth aber bald86 in jeneStellung à la suite, die ihm die schönkleidende kriegerische Uniform eines Husaren, mit allerlei Silber - und Goldborten, ließ, aber kein Avancement eintrug.
Seinem Eifer nachzugeben, daß Triesel ihn ebenfalls auf der „ staubverhüllten Parade “anbrachte, war er eifrig beflissen, wenn er auch vom Schlucken jenes Triesel’schen Staubes nach jedem Suiten-Mitritt einige Tage lang krank war. Seine Leidenschaft war die Musik. Sein Wahn bestand darin, ein Componist von hohem Beruf zu sein. Wie „ der Hirsch nach frischem Wasser “, so schreit der meist ungebildete Componist von heute nach Texten. Diese fortwährende Suche nach Richard Wagners einer Hälfte, der sogenannten Dichterschaft (Wagner ist sich sein eigner Schikaneder geworden) brachte ihn auf die nordische Höhe, wo Frau Brennicke thronte und die Windharfe im Mondenschein ihre Klagetöne erschallen ließ. Die Stubbenkammerpoesie führte ihm Contingente von Dichtungen zu. Manches war darunter, das er wählte. Doch versuche sich nur Einer mit dem Genius in den höheren Kreisen der Gesellschaft! Wenn nicht über einem fürstlichen Künstler noch ein Gewaltigerer steht, der selbst von dem Gedanken der Kunst, der fortschreitenden Literatur, der täglich Neues bringenden Wissenschaft ergriffen ist, so müssen solche Erscheinungen, die an sich erfreuen könnten, elend verkümmern. Nach oben ver -87 spottet, angelte der Fürst um Halt nach unten. Ein Prinz des Hofes sollte ihm den Namen „ Narziß “, aus „ Narr “und „ Ziska “gebildet, gegeben haben, ein andrer behauptete, aus dem Tonzeichen „ Cis “und „ Narr “. Soviel stand fest, weichlicher war nie ein Mann, der sich in eine Husaren-Uniform verirrt hatte .Die Musik hatte ihn so erschlafft, wie Musik nach der Meinung der Alten ganze Völker erschlaffen kann, wenn sie so getrieben wird, wie kürzlich in Bayreuth. Fürst Rauden bewohnte ein prächtiges Palais. Dort wimmerte und jammerte er den ganzen Tag auf dem Clavier nach irgend einem vor ihm aufgeschlagenen Buche oder Manuscripte. EinContrapunktist, ein armer Teufel, der sich leider nur etwa bis vier Uhr Nachmittags gegen die dann zu mächtig anziehende Gewalt des Alkohols zu behaupten vermochte – nennen wir ihn einfach Meyer – brachte diese schwachen Motive,Melismen, Ausweichungen aus einer Tonart in die andere, kurz eine höhere Katzenmusik, in eine gesetzmäßige Form.
Diese Persönlichkeit, schlank, wohlfrisirt, immer mit einem Stern am Frack, kam jeden Abend zur Brennicke. Die Regierungsräthin wurde grade dieses immerhin reichen und hochgestellten Dilettanten wegen umschmeichelt und umworben. Aber – von Prinz Narziß selbst war Nichts zu beziehen! Er besang Edwina in schmelzenden88 Liedern, er schickte Blumensträuße aus seinen Treibhäusern, er fing an, sich schon Vormittags bei ihr ansagen zu lassen, aber aus Allem, was von ihm kund wurde, ergab sich nur ein bodenloser Egoismus. Edwina wollte durchaus die Fürstin Rauden werden. Sie liebte den Mann keineswegs, aber sie war eines Grafen natürliche Tochter und wollte eine Stellung zum Leben gewinnen und ein Resultat ihrer kühnen Speculation.
Wie verstand sie in den schönsten Toiletten aus den Zimmergärten herauszutreten, Jedermann im überfüllten Salon, wie eine Fürstin, etwas Artiges zu sagen! Auch andere Anbeter schienen sich in Bewerber um Edwinas Hand zu verwandeln. Aber der täglich kommende Fürst! Ich möchte ihn morden! schrie Edwina eines Morgens, als er ihr wieder eine seinerReverieen im Manuscript geschickt hatte. Was will er damit? Doch nicht blos unsern, von mir theuer erhaltenen Salon, um sich, sich zu zeigen, sich mit der Welt zu vermitteln, sich Publikum,Claqueurs zu erwerben? Ja er ist zu feige, rief sie, zu geizig, selbst einen Salon zu eröffnen für Alles, was hierorts die Stadt an Geist besitzt, was die tonangebenden Mächte vernachlässigen! So macht er sich eine Winkelexistenz, läßt sich dort die von der Brennicke zusammengetrommelten Berühmtheiten vorstellen, bildet sich ein, ihnen einen unvergeßlichen Eindruck89 hinterlassen zu haben, wofür er mit Blumen und Noten bezahlt!
So zornig konnte Edwina über die ausweichende Erklärung des