PRIMS Full-text transcription (HTML)
EA1:d
Sammlung Göschen
Deutsche Poetik
EA1:c

{Sammlung}Göschen. Je in elegantem 80 Pf. Leinwandband G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, Stuttgart. 1 9 Klassiker-Ausgaben mit Anmerkungen erster Lehrkräfte und Einleitungen von K. Goedeke.

1. Klopstocks Oden in Auswahl. 3. Aufl. 2. Lessings Emilia Galotti. 2. Aufl. 3. Lessings Fabeln nebst Abhandlungen. 3. Aufl. 4. Lessings Laokoon. 3. Aufl. 5. Lessings Minna von Barnhelm. 11. Auflage. 6. Lessings Nathan der Weise. 5. Auflage. 7. Lessings Prosa. Fabeln. Abhandl. üb. Kunst u. Kunstwerke. Dramaturg. Abhandl. Theologische Polemik. Philosoph. Gespräche. Aphorismen. 2. Aufl. 8. Lessings litterarische u. dramaturg. Abhandl. 9. Lessings antiquar. u. epigrammat. Abhandl.

10 Nibelungen und Kudrun und Mittelhochdeutsche Grammatik von Dr. Golther. 2. Auflage. 11 Astronomie von A. F. Möbius. 8. Auflage. 30 Fig. 12 Pädagogik von Prof. Dr. Rein. 2. Auflage. 13 Geologie von Dr. E. Fraas. Mit 66 Textfig. 2. Auflage. 14 Psychologie und Logik. Einführung in die Philosophie von Dr. Th. Elsenhans. 2. Auflage. 15 Deutsche Mythologie. Von Prof. Dr. F. Kauffmann. 2. Aufl. 16 Griechische Altertumskunde von Dr. R. Maisch. Mit 8 Vollbildern. 17 Aufsatz-Entwürfe v. Prof. Dr. L. W. Straub. 2. Aufl. 18 Menschliche Körper, der Bau und Thätigkeiten von Realschuldir. Rebmann mit Gesundheitslehre von Dr. Seiler. Mit Abbild. 2. Aufl. 19 Römische Geschichte von Gymn. -Rektor Dr. Bender. 20 Deutsche Grammatik und Geschichte der deutschen Sprache von Dr. O. Lyon. 2. Auflage. 21 Lessings Philotas und die Poesie des 7j. Krieges. Ausw. v. Prof. O. Güntter. 22 Hartmann von Aue, Wolfram v. Eschenbach u. Gottfr. von Straßburg. Auswahl aus dem höfischen Epos von Dr. K. Marold. 23 Walther v. d. Vogelweide mit Ausw. aus Minnesang und Spruchdichtung von Prof. O. Güntter. 2. Aufl. 24 Seb. Brant, Luther, Hans Sachs, Fischart m. Dichtungen des 16. Jahrh. von Dr. L. Pariser. 25 Kirchenlied u. Volkslied. Geistl. u. weltl. Lyrik d. 17. u. 18. Jahrh. bis Klopstock von Dr. G. Ellinger. 26 Physikal. Geographie von Prof. Dr. Siegm. Günther. Mit 29 Abbildungen. 27 Griechische u. Römische Mythologie v. Dr. H. Stending. 28 Althochdtsche Litteratur m. Grammatik, Uebersetzung u. Erläuterungen von Prof. Th. Schauffler. 29 Mineralogie v. Dr. R. Brauns, Privatdozent an der Universität Marburg. Mit 130 Abbildung. 30 Kartenkunde v. Dir. d. nautischen Schule E. Gelcich u. Prof. O. Sauter. Mit gegen 100 Abbild. 31 Deutsche Litteraturgeschichte von Max Koch, Professor an der Universität Breslau. 2. Aufl. Forts. s. nächste Seite. EA1:bSammlung Göschen. Je in elegantem 80 Pf. Leinwandband G. J. Göschen'sche Verlagshandlung. Stuttgart. 32 Deutsche Heldensage von Dr. O. L. Jiriczek. 33 Deutsche Geschichte im Mittelalter von Dr. F. Kurze. 36 Herder, Cid. Herausg. von Dr. E. Naumann. 37 Chemie, anorganische von Dr. Jos. Klein. 38 Chemie, organische von Dr. Jos. Klein. 39 Zeichenschule mit 17 Tafeln in Ton -, Farben - und Golddruck und 200 Voll - und Textbildern von K. Kimmich. 2. Auflage. 40 Deutsche Poetik von Dr. K. Borinski. 41 Geometrie von Prof. Mahler. Mit 115 zweifarb. Fig. 42 Urgeschichte der Menschheit von Dr. M. Hörnes. Mit 48 Abbildgn. 43 Geschichte des alten Morgenlandes von Prof. Dr. Fr. Hommel. Mit 6 Bildern und 1 Karte. 44 Pflanzenkunde von Dr. E. Dennert. Mit 96 Abbildungen. Jm Anschluß an die Sammlung Göschen sind erschienen:

Klopstock, Messias. Klein . 2 Teile in 1 Bd. M. 2.60.

Lessing, Hamburgische Dramaturgie. Neue 8°-Ausg. M. 1.20.

Lessing, Wie die Alten den Tod gebildet. M. 7 Holzschn. Einl. v. K. Goedeke 25 Pf. {Pla}ten, Gedichte. Auswahl. Gebunden in Leinwand M. 1.20.

{Er}laß der K. Kultministerial-Abteilung für Gelehrten - und Realschulen.

Die von der Göschen'schen Verlagshandlung in Stuttgart heraus -{geg}ebene Sammlung von Schulausgaben aus dem Kreise sämtlicher{Leh}rfächer, von welcher bis jetzt 21 Bändchen erschienen sind, zeichnet{sich}nicht nur durch ihre äußere Ausstattung, was Druck, Papier und{Ein}band betrifft, und den verhältnismäßig billigen Preis von 80 Pf. {für}das Bändchen vorteilhaft vor ähnlichen Schulausgaben aus, sondern{möch}te sich auch deshalb zur Anschaffung besonders für Schüler empfehlen,{sof}ern ihr Jnhalt die Repetition und das eigene Studium derselben zu{för}dern geeignet ist. Stuttgart, 26. Juni 1890. Dorn.

Lehrerzeitg. f. Thüringen u. Mitteldeutschland: {D}iese dauerhaft und elegant gebundenen kleinen Bücher mit dem sehr handlichen Format 16 / 11 cm. sind, wie aus obiger Aufzählung hervorgeht, für Gymnasien, Realschulen, Lehrerseminare, höhere Mädchenschulen und verwandte Anstalten bestimmt. Die von berufenster SeiteEA1:a geschriebenen Einleitungen und Anmerkungen, die im einzelnen (Band 7 10) getroffene Auswahl, nicht minder der sorgfältige, saubere Druck verdienen volle Anerkennung. Es ist ein dankenswertes Unternehmen der Verlagshandlung, in dieser wirklich schönen Ausstattung gediegene Schulbücher auch für andere Unterrichtsgegenstände mit erscheinen zu lassen, wie die bekannte, durch den Neubearbeiter noch anschaulicher gewordene Astronomie von Möbius. Der Preis ist sehr gering.

Neue deutsche Schule: Ein sehr guter Gedanke, Nibelungen und Kudrun in geschickter Auswahl darzubieten! Denn beide im Original in ihrer ganzen Ausdehnung dem Schüler darzubieten ist ein Mißgriff unter vielen anderen Gründen wegen der Gefahr der Langeweile. Dr. Golther hat seine Aufgabe vortrefflich gelöst: er bringt das Charakteristische zur Geltung, erläutert die Grammatik des Mittelhochdeutschen in gedrängter Kürze, fördert das Verständnis für die Geschichte der deutschen Sprache und fügt ein ausreichendes Wörterverzeichnis bei.

Deutsche Lehrerzeitg., Berlin: Die sogenannte Sammlung Göschen zeichnet sich schon äußerlich vor manchen Schulbüchern vorteilhaft aus. Gutes Papier, klarer Druck, handliches Taschenformat (16: 11 cm.), dauerhafter, recht hübscher Leinenband und billiger Preis! Wenn dieses alles das Unternehmen empfiehlt, so noch mehr der treffliche Jnhalt. Jn knappster, aber doch allgemein verständlicher Form bietet uns Dr. Fraas die Geologie. Besonders aber hat uns das 14. Bändchen, welches die Psychologie und Logik enthält, ungemein angesprochen. Elsenhans versteht es, für diesen Lehrgegenstand Jnteresse zu erregen. Wer größere Werke nicht durchzunehmen vermag, wer halb Vergessenes auffrischen will, wer in Kürze Logik und Psychologie in den Grundzügen in leicht faßlicher Weise sich aneignen will, der greife zu diesem Büchlein. Er wird's nicht bereuen. Lessings Philotas, der bekanntlich in antikem Gewand den Geist des siebenjährigen Krieges und vor allem die Denkart Friedrichs des Großen schildert, und die Poesie des siebenjährigen Krieges sind echt patriotische und herzerfreuliche Gaben Wir können für die Auswahl dankbar sein. Nach den vorliegenden Bändchen stehen wir nicht an, die ganze Sammlung aufs angelegentlichste nicht allein zum Gebrauch in höheren Schulen, sondern auch zur Selbstbelehrung zu empfehlen.

Schwäbischer Merkur: Der bekannte Jenaer Pädagog Prof. Dr. W. Rein giebt in der Pädagogik im Grundriß eine nicht nur lichtvolle, sondern geradezu fesselnde Darstellung der praktischen und der theoretischen Pädagogik. Jedermann, der sich für Erziehungsfragen interessiert, darf man das Büchlein warm empfehlen. Nicht minder trefflich ist die Bearbeitung, welche der Marburger Germanist Kauffmann der Deutschen Mythologie gewidmet hat. Sie beruht durchaus auf den neuesten Forschungen, wie sich an nicht wenigen Stellen, z. B. in dem schönen Kapitel über Baldr, erkennen läßt. Den tadellosen Druck und die hübsche Ausstattung der Sammlung Göschen darf man im Hinblick auf den billigen Preis doppelt betonen.

E1

Kleine Bibliothek zur deutschen Litteraturgeschichte.

[figure]

Je 80 Pfennig in eleg. Lwdbd.

[figure]

Geschichte der deutschen Litteratur von Prof. Dr.

Max Koch. Sammlung Göschen Nr. 31.

Deutsche Poetik von Dr. K. Borinski.

Sammlung Göschen Nr. 40.

Deutsche Heldensage von Dr. O. L. Jiriczek.

Sammlung Göschen Nro. 32. Althochdeutsche Litteratur mit Grammatik, Uebersetzung und Erläuterungen von Prof. Th. Schauffler. Sammlung Göschen Nr. 28. Nibelungen und Kudrun in Ausw. und Mittelhochdeutsche Grammatik mit Wörterbuch von Dr. W. Golther. 2. Aufl. Sammlung Göschen Nr. 10. Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Strassburg. Auswahl aus dem höf. Epos mit Anmerk. u. Wörterbuch v. Dr. K. Marold. Sammlung Göschen Nr. 22. Walther von der Vogelweide mit Auswahl aus Minnesang und Spruchdichtung mit Anmerk. u. Wörterbuch von Prof. O. Güntter. Sammlung Göschen Nr. 23. Seb. Brant, Hans Sachs, Luther, Fischart nebst Auswahl von Dichtungen des 16. Jahrh. mit Anmerk. von Dr. L. Pariser. Sammlung Göschen Nr. 24. Kirchenlied und Volkslied. Geistliche und weltl. Lyrik des 17. u. 18. Jahrh. bis auf Klopstock. Mit Anmerk. von Dr. G. Ellinger. Sammlung Göschen Nr. 25.

Lessing, Klopstock, Herder. Werke in Auswahl.

Sammlung Göschen Nr. 1 / 9, 21, 36 etc.

E2

Ergänzung zu jeder Litteraturgeschichte.

Graphische Litteraturtafel. Von Dr. Täsar Flaischlen.

Die deutsche Litteratur und der Einfluß fremder Litteraturen auf ihren Verlauf vom Beginn einer schriftlichen Ueberlieferung an bis heute, in graphischer Darstellung. Farbige Tafel mit erkl. Text in Karton gefalzt M. 2. . Drittes Tausend. Jllustrierte Anzeigen kostenfrei durch die Buchhandlungen.

Neue poet. Blätter: Es ist dem Verfasser gelungen, die ganze deutsche Litteraturgeschichte graphisch so deutlich und mit einem Blick übersichtlich darzustellen, wie es keine geschriebene Litteraturgeschichte jemals imstande sein kann .... Jn diesem Umstande liegt unserer Meinung nach ein großer Wert, der das vorliegende Werk für den litteraturgeschichtlichen Unterricht in den Schulen für die Zukunft geradezu unentbehrlich macht.

Neuere Litteratur. Freiligrath, ges. Dichtungen. Einzige vollständige Ausg. 6 vornehme Leinwandbände. 5. Aufl. M. 13. .

Herwegh, Gedichte eines Lebendigen. 11. Aufl. Eleg. geb. M. 4.60.

Jsolde Kurz, Gedichte. 2. stark vermehrte Aufl. Eleg. geb. M. 4. .

Phantasien und Märchen. Fein kart. M. 3. . Jnhalt: Haschisch. Der geborgte Heiligenschein. Sternenmärchen. Die goldenen Träume. König Filz. Vom Leuchtkäfer, der kein Mensch werden wollte.

Bl. f. litt. Unterhaltg. Alles ist groß, männlich gedacht und gefühlt und zum Teil mit ganz gewaltiger Phantasie und den kraftvollsten Strichen hingezeichnet ... Die Sprache ist eine wunderschöne, vollklingend, rauschend und einschmeichelnd. Es wird wenig Prosaschriften geben, die es diesem Buche hierin gleichthun, weil es nicht die Alltagssprache des Schriftstellervolkes, sondern die des echten Dichters redet.

Florentiner Novellen. 2. Aufl. 1892. M. 4. , stilvoller Originalband M. 5.50. Jnhalt: Die Vermählung der Toten. Die Humanisten. Der heilige Sebastian. Anno pestis.

Basler Nachr. Schon in ihren Gedichten hat sich Jsolde Kurz als Meisterin der Form, als eine Herrscherin im Reiche der Sprache gezeigt, daß die Erwartungen in dieser Hinsicht sehr hoch gespannt sein mußten. Wenn möglich, sind diese Erwartungen noch übertroffen worden. Denn ein solcher Stil und eine solche Beherrschung unserer Muttersprache ist nur schwer in der zeitgenössischen Litteratur zu finden.

Lingg, Dunkle Gewalten. Epische Dichtungen. Elegant gebunden M. 4.50.

Mörike, Ges. Schriften. 4 eleg. Lwdbände. Bd. I. Gedichte. 11. Aufl. Jdylle vom Bodensee. M. 5. . Bd. II. Erzählungen. 3. Aufl. Hutzelmännlein. Mozart auf der Reise nach Prag u. s. w. M. 5. .

Bd. III / IV. Maler Nolten. Roman. 4. Aufl. 2 Bände. Eleg. geb. M. 10. .

Die Kenntnis, die Schätzung Mörikes gehört heute zur Bildungsstufe der deutschen Nation.

Jak. Bächtold (Züricher Zeitung). Druck von Carl Rembold, Heilbronn. E3

Sammlung Göschen
Deutsche Poetik
StuttgartG. J. Göschen'sche Verlagshandlung1895
E4
Das Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Jnhalt.

  • Seite
  • Dokumente der Geschichte der Poetik7
  • I. Der Dichter und sein Werk.
    • Litteratur9
    • Kapitel 1. Die Dichtung als Anlage.
      • § 1. Lehre von der Dichtung10
      • § 2. Dichterisches Vermögen im allgemeinen. Jntuition. Genie10
      • § 3. Dichterisches Vermögen im besonderen11
      • § 4. Die Phantasie11
      • § 5. Das Temperament und die geistigen Gegensätze12
    • Kapitel 2. Die Dichtung als Kunst.
      • § 6. Stellung der Dichtung im Kreise der Künste14
      • § 7. Jdee, Schönheit, Geschmack14
      • § 8. Naturalismus15
      • § 9. Jdealismus und Realismus 15
      • § 10. Antik und Modern16
      • § 11. Klassisch und Romantisch17
      • § 12. Naturpoesie und Kunstpoesie18
    • Kapitel 3. Begriff des Stils.
      • § 13. Anschaulichkeit21
      • § 14. Typus. Manier22
      • § 15. Dilemma im Stilbegriff22
      • § 16. Die allumfassende poetische Ausdrucksform23
      • § 17. Der Dichter in seinen Persönlichkeiten24
      • § 18. Jnnere und äußere Charakteristik26
      • § 19. Stillosigkeit26
  • II. Jnnere Mittel der Dichtung als Kunst.
    • Litteratur27
    • Kapitel 1. Dichtung und Sprache.
      • § 20. Sprachbildung eine poetische Fähigkeit29
      • § 21. Historisches u. systematisches Verhältnis v. Poesie u. Prosa29
    • Kapitel 2. Mythologie.
      • § 22. Poetische Grundbedeutung der Mythologien30
      • § 23. Mythologisches Bedürfnis31
      • § 24. Wirksamkeit der Mythologien32
      • § 25. Vorteile der klassischen Mythologie32
    • Kapitel 3. Vergleichung.
      • § 26. Psychologische Grundbedeutung des Gleichnisses34
      • § 27. Metapher36
      • § 28. Arten des metaphorischen Ausdrucks36
      • 5
      • Seite.
      • § 29. Möglichkeit der Vergleichung37
      • § 30. Grammatische Lehre von den Tropen38
      • § 31. Das Beiwort39
      • § 32. Grammatische Grundfunktionen des Wortes in poetischer Verwendung40
    • Kapitel 4. Sprachbewegung.
      • § 33. Der poetische Satz41
      • § 34. Allgemeine Bedeutung der Figuration für die Rede41
      • § 35. Festsetzende, pointierende Figuren42
      • § 36. Emphase44
      • § 37. Sentenz46
      • § 38. Bewegungsfiguren46
      • § 39. Klangfiguren49
  • III. Äußere (musikalische) Mittel der Dichtung als Kunst.
    • Litteratur50
    • Kapitel 1. Metrik.
      • § 40. Allgemeine Begründung der metrischen Form51
      • § 41. Vers52
      • § 42. Metrik und Rhythmik53
      • § 43. Romanische und germanische Versübung54
      • § 44. Nachahmung der antiken Metrik im Deutschen56
      • § 45. Der Takt58
      • § 46. Synkopierung59
      • § 47. Auftakt61
      • § 48. Regelmäßigkeit des Verses62
    • Kapitel 2. Uebersicht der typischen Verse.
      • § 49. Jnnerer Bau des Verses66
      • § 50. Jambische Verse67
      • § 51. Trochäische Verse72
      • § 52. Daktylische Verse73
      • § 53. Anapästische Verse79
      • § 54. Freie Versformen80
      • § 55. Regelmäßige Versgestaltungen im Taktwechsel81
    • Kapitel 3. Strophen.
      • § 56. Dreiteiligkeit der Strophe86
      • § 57. Gebräuchliche antike Strophen87
      • § 58. Der Reim als Vorreim und Nach (End) reim Mittel der Strophenbindung89
      • § 59. Arten des Reims91
      • § 60. Reimstrophen92
  • IV. Gattungen der Dichtkunst.
    • Litteratur97
    • Kapitel 1. Lyrik
      • § 61. Musikalische Beziehung99
      • § 62. Der Dichter selbst als Held des lyrischen Gedichts99
      • § 63. Einteilung der Lyrik100
      • § 64. Allgemeinheit der lyrischen Dichtung100
      • 6
      • Seite.
      • § 65. Stoffwelt des Liedes101
      • § 66. Epigramm102
      • § 67. Chorlied104
      • § 68. Auseinandertreten des Chores105
    • Kapitel 2. Das Drama.
      • § 69. Jnneres Verhältnis der Lyrik zum Drama106
      • § 70. Besonderer Charakter des Dramas107
      • § 71. Bühnentechnik109
      • § 72. Dramatische Komposition110
      • § 73. Exposition und Katastrophe112
      • § 74. Tragödie113
      • § 75. Katharsis113
      • § 76. Analyse der Schillerschen Maria Stuart115
      • § 77. Das Drama mit glücklichem Ausgang117
      • § 78. Das bürgerliche Trauerspiel118
      • § 79. Die Komödie119
      • § 80. Gegensatzfiguren120
      • § 81. Die dramatische Fabel121
    • Kapitel 3. Das Epos.
      • § 82. Verhältnis des epischen zum dramatischen Dichter122
      • § 83. Stellung des epischen Dichters zu seinem Stoff122
      • § 84. Epische Technik123
      • § 85. Epischer Stil125
      • § 86. Gefahren des epischen Stiles127
      • § 87. Nationalepos127
      • § 88. Religöses Epos128
      • § 89. Das Tierepos129
      • § 90. Komisches Epos130
      • § 91. Der Roman131
      • § 92. Komischer Roman132
      • § 93. Jdee des Lebensromans133
      • § 94. Jnhalt und Umfang des Lebensromans. Novelle134
      • § 95. Jnhalt der Novelle vom Falken135
      • § 96. Poetisch herabziehende Tendenz des Romans136
      • § 97. Die Fabel138
      • § 98. Die Lehrdichtung139
      • § 99. Dichter und Denker140
E7

Dokumente der Geschichte der Poetik.

Platon, Jon, Gespräch mit einem Rhapsoden.

Ders. in seiner Lehre vom Staate (Republik) über die Staatsgefährlichkeit der Dichter.

Aristoteles, περὶ ποιητικῆς (ed. Christ 1882; Vahlen Lpz. 1885), um das Jahr 330 v. Chr.

Horaz, epistolarum Lib. II. 3. ad Pisones, an L. Piso und dessen Söhne (de arte poetica liber), nach Porphyrios Angaben aus des Dichters letzter Lebenszeit ( 8 v. Chr.).

Dante, de vulgari eloquentia libri II (auf vier Bücher angelegt, an deren Vollendung ihn wohl der Tod [1321] hinderte), wichtig für die Schöpfung der ersten modernen Dichtersprache (vulgare illustre, v. latinum) und deren Stil.

Petrarca (1304 1374): Epistolae. Invectivarum contra medicum quendam libri IV.

M. Hieronymus Vida, Bischof von Alba, aus Cremona, Poeticorum libri III an den Dauphin Franz, Sohn Franz 'I. von Frankreich. 1520, berühmte Poetik der Renaissancezeit in formvollendeten lateinischen Versen.

Julius Caesar Scaliger, der Vater des Philologen Joseph Justus S., Poetica, zuerst Genf, 1561 fol. Verbreitetes Repertorium der gesamten Renaissancepoetik in allen Kulturländern, zumal in Deutschland.

Boileau: art poétique 1674. Grundbuch des französischen Klassizismus.

Pope: Essay on criticisme 1711, Vertreter der klassizistischen Poetik in England.

Gottsched, Kritische Dichtkunst, 1730 (viermal, stets erweitert,8 aufgelegt), Compendium des französischen Klassizismus in Deutschland.

Bodmer und Breitinger (die Schweizer): Die Diskurse der Mahlern, 1721. Kritische Dichtkunst und Von dem Wunderbaren in der Poesie, 1740. Einführung der englischen Muster (Milton)

Lessing: Hamburgische Dramaturgie, 1767. Ueberwindung des französischen Geschmacks (Shakespeare).

Goethe und Schiller: Briefwechsel von 1794 1805, Canon der klassischen Tradition in der deutschen Litteratur.

Geschichte: Quadrio, Storia e ragione d'ogni Poesia, Bologna, (VII. ) vol. 1739 52. Sulzers Theorie der schönen Künste mit Blankenburgs litterarischen Zusätzen. 3 Bde. Lpz., 1796 98. Eduard Müller, Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten. 2 Bde. Breslau, 1834 37. J. A. Hartung, Die Lehren der Alten über die Dichtkunst. Hamburg, 1845. Hermann Lotze, Geschichte der Aesthetik in Deutschland. München, 1868. Karl Borinski, die Poetik der Renaissance in Deutschland. Berlin, 1886. Heinrich von Stein, Die Entstehung der Aesthetik. Stuttgart, 1887. Friedrich Braitmaier, Geschichte der poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen der Maler bis auf Lessing. Frauenfeld, 1888. 2 Teile.

E9

I. Der Dichter und sein Werk.

Litteratur.

Anne Dacier, sur les causes de la corruption de goût. Par., 1715 Muratori, riflessioni sopra il buon gusto. 2 Th. Ven., 1736. Batteux, les arts réduits sur un même principe (in Deutschland übersetzt von Joh. Ad. Schlegel 1752 und Ramler 1758). Alex. Gottl. Baumgarten, Aesthetica, 1750 1758 (erstes Dokument dieser Wissenschaft). K. Ph. Moritz, Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1790. Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung (Horen 1795 96). Solger, Erwin, Vier Gespräche über das Schöne in der Kunst. Berl., 1815. Hegel, Vorlesungen über Aesthetik, herausgeg. von Hotho 1832. Fr. Th. Vischer, Ueber das Erhabene und Komische. Stuttgart, 1837. Aesthetik, 1845. Mor. Carrière, Aesthetik (3. Aufl., 1885). Ders., Die Poesie, ihr Wesen und ihre Formen mit Grundzügen der vergleicheuden Litteraturgeschichte. 2. Aufl., 1883. Herm. Siebek, Das Wesen der ästhetischen Anschauung. Berlin, 1875. Alfred Biese, Die Entwicklung des Naturgefühls, 2 Bde. Kiel, 1882, 88. W. Scherer, Poetik (Nach Vorlesungen). Berl., 1886. Hermann Baumgart, Handbuch der Poetik. Stuttg. 1887. A. David - Sauvageot, le Réalisme et le Naturalisme dans la littérature et dans l'art. Paris 1889. O. Harnack, Die klassische Aesthetik der Deutschen. Lpz., 1892. Fr. Brentano, Das Schlechte als Gegenstand dichterischer Darstellung. Lpz. 1892.

E10

Kapitel 1. Die Dichtung als Anlage.

§ 1. Lehre von der Dichtung.

Poetik ist Lehre von der Dichtung. Eine Lehre der Dichtung, wie poesiefremde Menschen in poesielosen Zeiten sie sich vorstellen, giebt es noch weniger, als Lehre irgendwelcher anderen Kunst oder rein geistigen, selbständig schaffenden Thätigkeit.

§ 2. Dichterisches Vermögen im allgemeinen. Jntuition. Genie.

Die Dichtung stellt im allgemeinsten Sinn den Ausdruck der erfindenden und gestaltenden Kraft im Geiste dar. Vor der Dichtung als gesonderter, mit bestimmten Mitteln wirkender Kunstübung betrachten wir also das dichterische Vermögen und seine Erscheinungsweise im Menschen überhaupt, dann im dichtenden Künstler besonders.

Es giebt im menschlichen Geiste eine oberste, bestimmende Fähigkeit, welche von der unendlich bedingten Vielgestaltigkeit, in die die Welt für seine Wahrnehmung auseinanderfällt, auf unmittelbare Erfassung in reiner, unbedingter Einheit hindrängt. Wir nennen sie Anschauung (Jntuition). Sie vermittelt die Beziehungen, in denen die Dinge zu einander und zu ihren inneren Ursachen stehen. Jndem sie die dafür entscheidenden Merkmale aufdeckt, wirkt sie mithin erklärend und erfindend, wissenschaftlich und künstlerisch (theoretisch und praktisch) zugleich. Wo sie sich in einem Menschen in hohem Grade wirksam zeigt, spricht man eben im Hinblick auf jenes leitende Vermögen im Geiste (genius) von Genie und genialer Begabung.

11

§ 3. Dichterisches Vermögen im besonderen.

Diese Fähigkeit kann sich allen Bereichen und Zwecken menschlichen Bestrebens zuwenden. Wo sie sich aber gleichsam auf sich selbst, auf den Kreis ihrer Vorstellungen, die Phantasie an sich hingespannt zeigt, im freien Spiele mit dem Angeschauten ihr Genügen findet, da reden wir von Dichtung. Dichter in erster Linie ist somit jeder Künstler. Nur der Stoff, auf den er seine Anschauung sammelt, Last und Stütze, Gestalt, Bild, Ton, macht ihn je demgemäß zum Architekten, Bildhauer, Maler, Musiker. Derjenige Künstler, welcher durch das unmittelbarste Rüstzeug der Mitteilung, die Sprache, die Fülle der Vorstellungen in der Anschauung selbst in Bewegung setzt, also der eigentliche Künstler der bloßen Anschauung heißt Dichter.

§ 4. Die Phantasie. (Poetischer Wahnsinn.)

Das ganz besondere Element des Dichters ist demgemäß das Reich der Vorstellungen, die Phantasie. Sie wird bei ihm ausgebildeter, regsamer sein müssen, als in irgendwelchem anderen Geiste. Sonst würde sie ihn nicht ausschließlich beherrschen. Darin liegt eine Gefahr. Die Alten sprachen von poetischem Wahnsinn (furor poeticus) und betrachteten den Dichter im Zustande seines Schaffens als einen Besessenen. Das war ein Gleichnis, um die gänzliche Entrücktheit des Poeten in die Welt seiner Vorstellungen zu bezeichnen. Eine philiströse Anschauung unserer Zeit (Lombroso) macht aus dem Gleichnis eine Thatsache und zögert nicht, die geniale Begabung überhaupt mit dem Wahnsinn in eins zu setzen. Das ist die verkehrte Welt. Jm Genius entscheidet, wie wir gesehen haben, gerade das, was psychologisch12 als Vernunft angesprochen wird. Wenn dem Dichter in seiner alles verkörpernden, das Ueberschwengliche und Unmögliche begreifenden Phantasie eine verhängnißvolle Gabe vor allen zu Teil ward, so ward ihm entsprechend ihrer Höhe auch das Gegenmittel einer unbestechlichen, alles ordnenden und zurechtsetzenden Vernunft. Wo diese richtende, einschränkende Vernunft fehlt oder von eigenwilliger, launischer, modischer Phantastik überwuchert wird, da fehlt eben auch nach unserer Schätzung die geniale Qualifikation, oder sie ward eben dadurch zu nichte gemacht (Stürmer und Dränger, Originalgenies , Naturen wie in Deutschland Lenz, Grabbe u. a.). Daß Krankheit, Schicksal, Schuld den Dichter wie jeden andern Sterblichen dem Wahnsinn überliefern können, beweist nicht im mindesten, daß er als Dichter wahnsinnig werden muß. Alle in diesem Sinne angestellten Sammlungen von Anekdoten, Zügen aus dem Leben genialer Menschen, Statistiken u. dgl. sind unter dem angegebenen Gesichtspunkt zu beurteilen.

§ 5. Das Temperament und die geistigen Gegensätze.

Entsprechend ihrem Charakter als allgemein geistige Grundfähigkeit wird die Dichtung in ihrer Erscheinungsweise auch alle Grundgegensätze der menschlichen Natur besonders kenntlich zum Ausdruck bringen. Zunächst treten die Temperamentsunterschiede hervor. Die großen Gegensätze des Tragischen und des Komischen, des Pathetischen und des Jdyllischen, des Jubilierenden und des Elegischen, des Satirischen und des Panegyrischen spiegeln die Grundstimmungen der Temperamente, des melancholischen und sanguinischen, des cholerischen und phlegmatischen, in wechselnder Bedeutung wieder.

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Rein in geistigem Grunde wurzeln dagegen jene Unterschiede der gesamten Weltauffassung, gleichsam im Habitus der geistigen Erscheinung, der Persönlichkeit, die Schiller mit den Bezeichnungen naiv und sentimentalisch erschöpft zu haben glaubte. Sie betreffen das unmittelbare Verhältnis des Geistes zum Stoffe seiner Anschauung, der Natur. Jm Naiven fühlt sich der Geist eines mit der Natur. Jm Sentimentalischen fühlt er sich mit ihr im Widerstreit. Dort folgt er unbefangen ( naiv ) und unangefochten ihren Spuren, um ihre unendliche Mannigfaltigkeit in der Einheit seines gegenständlichen Bewußtseins zum geistigen Bilde (Jdee) zu sammeln. Hier schwingt er sich, von der Natur bedrängt und zurückgeworfen, über sie hinaus; begreift sie nur vermittelst der subjektiven Empfindung ( sentiment ), die sie ihm erregt; bringt das geistige Bild (die Jdee) fertig in sie hinein, als unerfüllbares Jdeal.

Die Dichtung der alten Völker, namentlich in ihrer kunstmäßigen Vollendung (Klassizität) bei Griechen und Römern zeigt den Typus des Naiven. Die Dichtung der Neueren, die der Natur entfremdet unter verwickelteren, mehr geistigen Verhältnissen stehen, zeigt den Typus des Sentimentalischen. Doch kann der Einzelne selbst unter diesen Umständen den naiven Charakter bewähren und eigentümlich zum Ausdrucke bringen (Goethe), wie wir wiederum auch in der klassischen Dichtung der Alten sentimentalische Persönlichkeiten und Momente nachzuweisen vermögen. Die Bezeichnungen antik und modern, realistisch und idealistisch sind zunächst diesen gegensätzlichen Beziehungen entnommen. Wir werden jedoch bald sehen, wie bei der historischen und systematischen Beurteilung der Dichtung als Kunst diese natürlichen Gegensätze sich zu verschieben, ihre Bezeichnungen unter beliebigen Schlagwörtern einander zu verwischen und auszuschließen suchen.

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Kapitel 2. Die Dichtung als Kunst.

§ 6. Stellung der Dichtung im Kreise der Künste.

Die Dichtung als Kunst wahrt natürlich ihre allgemeine beziehungsreiche Stellung im Kreise der Schwesterkünste. Auf der einen Seite in Fühlung mit jeder einzelnen Kunst, im Stande, sie alle zu deuten und als ursprünglichste Kunst sich über sie alle hinauszuschwingen durch Energie der Wirkung, steht sie auf der anderen Seite am nächsten der völligen Unkunst, dem Bedürfnis, der Lehre, der Prosa. Denn ihr Ausdrucksmittel, das abstrakte Klangbild zum Zwecke der Bezeichnung der Dinge, das Wort, ist zugleich der Vermittler des gemeinen Lebensbedürfnisses und des rein verstandesmäßigen Wissens.

§ 7. Jdee, Schönheit, Geschmack.

Schwieriger als irgend einer anderen Kunst wird es demzufolge der Poesie, immer ihre künstlerischen Rechte zu wahren. Als Aufgabe jeder Kunst erscheint Ausdruck des unbegrenzten, wirren, wüsten Daseins unter einem bestimmten, klar und rein in sich abgeschlossenen Bilde. Jhr Prinzip ist also die planmäßige, in sich übereinstimmende Form. Die Voraussetzung dazu in unserem Geiste nennt man seit Plato Jdee (Urbild); ihre sinnliche Erscheinung ist die Schönheit. Man darf diesen wissenschaftlichen Begriff der Schönheit nicht mit dem verwechseln, was nach sinnlicher Schätzung gefällt. Denn das ist individuell verschieden und für das Formungsprinzip der Kunst ohne Belang. Wohl aber für ihre Aufnahme. Es bildet sich im Laufe der Zeit überall, wo Kunst getrieben wird, ein künstlerischer Gemeinsinn (common sense,15 bon sens) der Geschmack*)Vgl. über Entstehung und Jnhalt dieses Begriffs des Verf. Baltasar Gracian und die Hoflitteratur (Halle 1894) Teil I., Kap. 4., den die Jdee des Künstlers nicht ungestraft verletzen darf.

§ 8. Naturalismus.

Ein grundsätzlicher, für die Kunst verderblicher Jrrtum ist es aber, anzunehmen, es sei die Aufgabe der Kunst, das bloße Dasein in einem beliebigen Ausschnitt wiederzugeben (falscher Naturalismus). Das Vorgeben, daß man damit das Schönheitsprinzip in der Kunst mit dem der Wahrheit vertausche, statt der Jdee nun der Natur folge, ist in diesem Sinne trügerisch. Denn die vorübergehende Erscheinung des Thatsächlichen, die Wirklichkeit, kann, wie die bloße Thatsache der Lüge beweist, weder für das allgemeingültige Prinzip der Welt, die Wahrheit, in Anspruch genommen werden, noch bedeutet die subjektive augenblickliche Wahrnehmung eines Einzelnen die Natur, wie sie sich objektiv der reinen Anschauung darstellt. Diese reine Anschauung macht aber, wie wir sahen, das Wesen des großen Künstlers. Jhm stellt sich die Natur nicht in leerer Aeußerlichkeit, sondern im Kerne, in ihrer Wahrheit dar. Darum ergreift er uns so tief und unmittelbar in seinem Werke, wie es das flüchtige, conventionelle Dasein niemals oder nur in jenen seltenen Augenblicken vermag, die bereits in diesem Sinne erhöht und verklärt erscheinen.

§ 9. Jdealismus und Realismus . (Schöner und Charakterisierender Stil.)

Daraus wird man jedoch kaum den Schluß ziehen, als sei mit dem einheitlichen Formungsprinzip nun auch die16 künstlerische Darstellungsweise, der Stil, ein für allemal gegeben und einheitlich geregelt. So vielumfassend, wie wir die Anschauung kennen lernten, so verschieden und wechselvoll kann die Art sein, wie sie in großen künstlerischen Persönlichkeiten bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten zum Ausdruck gelangt. Gewiß offenbart sich auch hier im großen ein Unterschied zwischen den einfachen, festumrissenen Verhältnissen, die das Altertum, und den vielverschränkten, an Kontrasten und Schattierungen überreichen, die die neueren Zeiten der Kunst darbieten. Der religiöse Grundgegensatz zwischen Heidentum und Christentum tritt hinzu. Shakespeare führt eine andere Welt vor, als die alten griechischen Tragiker. Gleichwohl, wenn sie auch anders erscheint und er sie auch anders vorführt, das künstlerische Formungsprinzip ist dasselbe. Fr. Theodor Vischer konnte in seiner Aesthetik in diesem Sinne von direktem (unmittelbarem) und indirektem (vermitteltem) Jdealismus reden und den Nachweis dieses Stilunterschieds durch die Geschichte aller Künste durchführen. (Schöner und Charakterisierender Stil). Heute liebt man im Gegensatz dazu alles vom Standpunkt des oben als Jrrtum erwiesenen falschen Naturalismus aufzufassen, der sich dann auch gern vornehmer Realismus nennt. Realistisch (naiv im allgemeinen geistigen Verstande) sind aber gerade die Griechen, deren Kunst das ideale Formungsprinzip am strengsten darstellt.

§ 10. Antik und Modern.

Das Antike kann demnach sehr wohl als Kunstprinzip hingestellt werden ( gleich einem gewissen Adel unter den Schriftstellern sagt Kant). Jm Gegensatz dazu aber von einem modernen Prinzip der Kunst ( der Moderne )17 reden zu wollen, ist so abgeschmackt wie verkehrt. Denn so vielfache Abweichungen vom Stil der Alten sich die Kunst der Neueren theoretisch gewöhnlich im Sinne einer zeitweiligen künstlerischen Mode (Manier) gestattet hat und, was den individuellen künstlerischen Stil anlangt, unbedenklich gestatten darf, so wenig darf man darin ein Prinzip suchen. Denn dieses ist unweigerlich in der idealen Formung gegeben, wie nur die Antike sie am strengsten und reinsten, allerdings auch am einfachsten und kargsten, zum Ausdruck bringen konnte. Ein absoluter Gegensatz dazu wäre kein Prinzip, sondern eben nur die Prinziplosigkeit schlechthin.

§ 11. Klassisch und Romantisch.

Den Unterschied des kirchlich organisierten Christentums gegen das antike Heidentum hob vorwiegend jene moderne Richtung hervor, die sich als romantische gegenüber der klassischen aufthat. Die Romantik (im Anfang dieses Jahrhunderts von Deutschland ausgehend) gab vielleicht am sinnfälligsten dem von Schiller als sentimentalisch geschilderten Dichtungscharakter Ausdruck. Sie strebte eine Empfindungskunst schlechthin an. Sie erhob die von den Klassizisten seit der Wiedererweckung des Altertums im 15. Jahrhundert als barbarisch verschrieenen Zeiten des katholischen Mittelalters zum Vorbild. Sie hat alle Künste der Poesie dienstbar gemacht, aber auf Kosten aller und der Poesie nur die eigentliche Empfindungskunst, die Musik, gefördert. Das Fragmentarische, Andeutende, Symbolische, das Versinken im Unendlichen des Gefühls, die Abwendung von der Welt selbst in krankhafter Zerrissenheit (Weltschmerz) hat sie zum Kunstcharakter der neuesten Zeit erhoben. Schließlich hat sich die Empfindung in dieser Richtung verflüchtigt, und allein die18 rohe Formlosigkeit und Zerrissenheit, die Barbarei, ist geblieben.

Nichtsdestoweniger bleibt die Romantik von allen spezifisch modernen Kunstrichtungen die einfluß - und verdienstreichste. Sie hat am eindringlichsten und nachhaltigsten den Blick auf die schlichten, innigen und großen Gebilde volksmäßigen Charakters gelenkt, die zwar der bewußten, ausgebildeten Kunst entbehren, in der Unbeholfenheit und Schmucklosigkeit ihres Ausdruckes aber ihren großen Jnhalt nur um so stärker hervortreten lassen. Die alten Heldengedichte der neueren Völker (bei den Deutschen Nibelungen und Kudrun), das Volkslied und Volksbuch, Mährchen und Sage, sind seitdem von dem Banne der klassischen Verachtung gelöst, die sie unbillig zu ihrem Nachteil mit der Blüte einer glücklicheren Kunstübung bei den Griechen (Homer) verglich. Jedoch soll man nun auch das Verhältnis nicht umkehren, und auf Grund des Unvollkommneren, weil es sich nun seine Geltung erobert hat, das Vollkommnere verachten.

§ 12. Naturpoesie und Kunstpoesie.

Ob man nun gegenüber diesen Scheidungen auch noch einen Gegensatz der Dichtung gegen sich selbst als Kunst, den Begriff einer besonderen Naturpoesie einführen dürfe, ist schwer und nur unter vielen Einschränkungen einzuräumen. Natur und Kunst sind keine Gegensätze (Goethe: Natur und Kunst sie scheinen sich zu fliehen und haben sich, eh 'man es denkt, gefunden ), sondern im reinen, wissenschaftlichen Begriffe ist die Kunst nur der höchste, notwendige Ausdruck der Natur. Die Willkür der zufälligen Naturerscheinung, das Gewöhnliche, das Gemeine giebt uns nicht die Natur selbst, sondern nur ihren Schatten. Die Kunst hebt jene Schattenhülle,19 unter der sich die Natur dem gewöhnlichen Blicke verbirgt, und zeigt sie in ihrer strahlenden Reinheit und unausdenklichen Tiefe.

Wir sprechen hier von Kunst in ihrem wahren Begriff und nicht von Künstelei und pedantischem Schulkönnen. Den Widerspruch gegen diese akademische Kunst hatte man im Auge, als man die freien Aeußerungen scheinbar des dichtenden Volksgeistes selber, wie sie aus dem Jugendalter der Völker herüberklingen, als Naturdichtung empfahl. Allein weder die Bibel noch Homer noch gar die nordische Edda oder die deutschen Nibelungen wird man sich, wie die seit einem Jahrhundert darauf gerichtete Forschung immer schärfer erkennt, als bloßes Zufallsprodukt der Laune dichtender Massen ( poetischer Zeitalter ) denken können. Es dichtet sich nichts selber . Das einfachste Volslied, das unscheinbarste Märchen, die geringfügigste Lokalsage setzt in Entstehung und Ausbildung schon das voraus, was wir Kunst nennen, nämlich den Niederschlag des vorübergehenden einzelnen Geschehens in einer einheitlichen Anschauung.

Das Einfache, Trockene und dann in bedeutenden Zügen wieder Gewaltsame im Charakter dieser Urkunst rührt und erschüttert uns besonders. Denn wir sehen hier den poetischen Geist im ersten Ansturm voraussetzungslos mit seinem Stoffe ringen und erhalten ein Gefühl von der gewaltigen Erregung und Erhebung des Gemütes, die dazu gehörte.

Den Blick hierbei kritiklos der Vergleichung halber auf die gegenwärtigen sogenannten Naturvölker , die Wilden der barbarischen Weltteile, zu richten, verwirrt und täuscht in den meisten Fällen. Der vorgebliche Naturzustand dieser Völker ist meist ein herabgekommener, an sich niedriger Kulturstand und hat mit der schönen, primitiven Selbstbildung des Kindheitsalters20 der historischen Menschheit nichts gemein, so wenig die Gassenhauer der modernen Großstädte etwas mit dem Volksliede gesunder, tüchtiger, einfacher Geschlechter zu thun haben. Hier ist überall Entartung, nicht Natur.

Die Naturdichtung, wie jede Naturkunst, charakterisiert im Gegenteil die Richtung auf das Erhabenste und Reinste, was der Menschengeist zu fassen vermag. Die Urpoesie deckt sich mit dem Begriff der Urreligion. Homer hat den Griechen ihre Götter gegeben, und dem Dichter des Altertums blieb bis ans Ende der Name des Sehers, des Propheten (vates). Auch die neuere Naturpoesie offenbart im Volkslied*)[Vergl. ]Sammlung Göschen Nr. 25. Das neuere Volkslied., im Märchen, im Spruch bei aller Schlichtheit die tiefsten und weitesten Bezüge des Menschengeistes. Das giebt diesen Gebilden ihren durch nichts zu ersetzenden Zauber, die ursprüngliche, noch unverfälschte, unentweihte Frische des Empfindens.

Selbst in der gegenwärtigen, auf die Aufregungssucht und Banalität des Pöbels spekulierenden Unterhaltungslitteratur der Menge (früher Ritter - und Räuber -, jetzt meist Kriminalgeschichten) zeigt sich höchst auffällig ein falsches, übertriebenes Bedürfnis, zu idealisieren, die Tugend riesengroß, die Unschuld engelrein, die Bosheit teuflisch geschildert zu sehen (Schillers Volksstücke: Die Räuber, Kabale und Liebe). Aehnliches läßt sich von dem sittlich unanstößigen, aber künstlerisch bedeutungslosen Unterhaltungsstoff der mittleren Stände bemerken (Familienstücke, Gartenlauberomane ). Die Frivolität des Bildungspöbels überkultivierter Zeiten mit Schaustellungen seiner geistverlassenen Trivialität, cynischen Roheit und skrupellosen Gemeinheit zu ködern, kann wohl Naturalismus heißen (im Sinne eines Jrrtums der künstlerischen Naturanschauung vgl. oben), niemals aber Natur.

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Kapitel 3. Begriff des Stils.

§ 13. Anschaulichkeit.

Wenn man sich nun nach diesen künstlichen, viel mißbrauchten Scheidungen der Poetik wiederum einen einheitlichen Gesamtbegriff von der Kunst poetischer Darstellung, dem Stil, bilden möchte, so wird man sich am besten wiederum daran halten, was wir im Eingang als den bestimmenden Faktor des künstlerischen Vermögens an sich hinstellten: an die Anschauung. Was im Künstler produktiv als unmittelbare Anschauung thätig ist, wirkt im Kunstwerk auf den künstlerisch gestimmten Beschauer ebenso unmittelbar als Anschaulichkeit. Diese muß sich als Bewußtsein von der treffenden Erschöpfung des Weltinhalts ebenso überzeugend des Beschauers bemächtigen und die analoge Stimmung in ihm erwecken, wie sie den Künstler bei seinem Werke beherrschte. Wo Aeußerlichkeiten und Allgemeinheiten sich breit machen, der innere Bezug zwischen den dargestellten Erscheinungen mangelt, eine zufällige, gleichgültige Anordnung, eine verkehrte, das innere Gefühl herausfordernde Absichtlichkeit die Jdee von der inneren Notwendigkeit des Angeschauten nicht aufkommen läßt: überall da ist jene Anschaulichkeit hintangehalten, gestört, getrübt. Mag der Poet als sogenannter Jdealist sich auf moralische Stelzen stellen, in tönenden Phrasen donnern und wüten, oder als Realist am Kleinlichen, Oberflächlichen haften bleiben und in moralischem und physischem Schmutze wühlen, er bleibt gleich unzulänglich vor dem rein künstlerischen Urteil. Er wird vom bloßen Pfuscher nur im Aufwand seiner Mittel, nicht aber in seiner Wirkung auf den Kenner unterschieden sein.

Dagegen kann auch ein begrenztes Talent an seiner22 Stelle völlig genug thun, wenn es sich auf eine Sphäre beschränkt oder in einer Form kundgiebt, die der Weite und Kraft seiner Anschauung vollkommen entspricht. Daher die Freude, die Goethe vor allen forcierten Talenten an der engen, aber fest in sich gegründeten Bauernnatur Joh. Heinrich Vossens bekundete, die wir an Joh. Pet. Hebels und Fritz Reuters kleinen, aber vollkommen erschauten Welten haben, die uns die frische Ursprünglichkeit etwa eines Paul Fleming im 17. Jahrhundert oder Ferd. Freiligraths im 19. Jahrhundert vor anspruchsvolleren Genossen bereitet.

§ 14. Typus. Manier.

Die Grade der Talente sind verschieden, wie die der Kennerschaft. Jhre Typen, gleichsam die Elemente, aus denen die künstlerische Natur zusammengesetzt erscheint, kehren zu allen Zeiten wieder. Die Litteraturgeschichte, in der das Technische nicht die Rolle spielt wie in der Geschichte der übrigen Künste, beruht mehr auf dem äußerlichen Wechsel der Lebensformen, als auf dem der dichterischen Kräfte. Große Talente sind niemals häufig, Genies selten, in ihrem Kreise einzig, Nachahmer die Regel. Diese letzteren entstellen die ganz persönliche und originale Anschauungsweise der großen Meister, deren Stil, zu berechneter Nachahmung und Uebertreibung ihrer charakteristischen Wirkungen (Effekte). Ein Surrogat aus zweiter Hand, die Manier!

§ 15. Dilemma im Stilbegriff. Sprache des Dichters und seiner Personen.

Eine Schwierigkeit aber scheint sich in die Bestimmung des Begriffes Stil einzuschleichen, die wir jetzt hervortreten lassen können, da wir uns von dem allgemeinen zu den besonderen23 Teilen der Poetik, dem Material, den Arten und Vorwürfen der Dichtung, überzugehen anschicken. Die objektiven Anforderungen, welche der dichterische Stoff, die Vorführung des immer besonderen, wechselnden Weltbildes an den Dichter stellt, scheinen sich zu kreuzen mit der Bewährung einer persönlichen Eigenart oder eines bestimmten Jdeals im Stil. Der Dichter redet selbst; aber er redet meist aus dem Sinne und durch den Mund der von ihm dargestellten Personen, die allen Ständen und Verhältnissen des Lebens angehören können. Das ist ja zum großen Teil die Kunst seiner Darstellung; seine eigenste Kunst, die er vor allen Künsten voraus hat, bei denen dies besondere Stildilemma in dieser Form denn auch nicht auftritt.

Gleichwohl beruht die sich ebensooft aufdrängende als erörterte Schwierigkeit nur auf einer unklaren und äußerlichen Auffassung des Stoffverhältnisses in der poetischen Kunst. Weil nämlich der Stoff der Dichtung das bewegte Leben unmittelbar (zumal im Drama) wiederzugeben scheint, Rede und Gegenrede, Situationen und Umstände der körperlichen Wirklichkeit vorführt, übersieht man, dadurch getäuscht, darin befangen, daß auch dieser allgemeinste und umfassendste Stoff erst den Durchgang durch eine künstlerische Anschauung gemacht hat, daß auch er in einer einheitlichen Betrachtung um - und zusammengeschmolzen ist.

§ 16. Die allumfassende poetische Ausdrucksform (gebundene Rede).

Der deutlichste Beleg hiefür ist die Durchführung einer idealen, unwirklichen Ausdrucksform, an der sich in gleicher Weise die redend eingeführten Personen beteiligen, der gebundenen Rede, der gleichartigen Versform (fünf - und24 sechsfüßiger Jambus, Hexameter in Drama und Epos), die alles umspannt. Die Dichter mußten von Natur auf dies Stilmittel verfallen, das so sinnfällig ihr souveränes künstlerisches Verhältnis zu ihrem besonderen Stoff ins Licht setzt. Jn Lied und Oper, wo zu der gebundenen Rede nun auch gar noch die gänzlich der Wirklichkeit entrückte Musik hinzutritt, erreicht die künstlerische Selbstherrlichkeit des poetischen Stils ihren schärfsten Ausdruck. Gerade dies aber ist der älteste Stil. Dichter und Sänger ist nach dem ältesten Begriff eins. Die alten Epen (und noch in neuester Zeit epische Volkslieder etwa der Serben) wurden liedmäßig mit Begleitung des Jnstruments (der griechischen Lyra, bei den Serben der Gusla) vorgetragen. Das griechische Drama war nach unserem Begriff, freilich nicht in unserem Sinne, Oper.

§ 17. Der Dichter in seinen Persönlichkeiten.

Man muß also beachten, daß, wenn der Dichter die Charaktere seiner Personen unterscheidet, den Alten alt, den Jüngling feurig, das Weib als Weib, den Helden hoch, den gemeinen Mann niedrig und jeden wiederum nach seiner besonderen ganz individuellen Art reden läßt: daß es darum doch wieder er selbst ist, der alle diese Figuren zu einem ganz bestimmten Ziele, nach einem ihm vorschwebenden Plane reden läßt. Jm großen Dichter vollzieht sich dabei die völlige Umschaffung der zufälligen im Leben stehenden Personen gleichsam zu ihren Persönlichkeiten im Sinne einer höheren sittlichen Weltordnung. Aus dem empirischen wird nach der philosophischen Ausdrucksweise Kants der intelligible Charakter offenbar.

Es ist das Höchste, was die Dichtung erreichen kann. Der ohne Vergleich größte Charakterisierer unter allen Dichtern25 der Weltlitteratur, Shakespeare, ist gerade nach dieser Richtung von einer alle konventionellen Schranken überspringenden Jdealität. Das innerste Geheimnis aller seiner Personen muß bei Shakespeare heraus, und sollten die Steine reden (Goethe). Daher für den prosaischen Sinn das Uebertriebene, Künstliche, Gewagte vieler Vergleichungen, die er seinen Gestalten in den Mund legt, ja mancher seiner Erfindungen überhaupt, wie etwa im Sturm . Daher die gänzlich freie, für den oberflächlichen Betrachter unmotivierte Art, mit der er in jedem Moment aus der nüchternsten Schilderung platter, gemeinster Wirklichkeit zu den höchsten Offenbarungen des inneren Sinnes überzugehen bereit ist, wohl erkennend und erwägend, wie die Charakterisierung der Außenseite des Lebens für den Poeten eben nur durchsichtige Schale bleibt, hinter der er jeden Augenblick die tiefe Bedeutung des Seins an sich aufzuhellen vermag. Die Masken des Lebens fallen, der Spaß des bunten Mummenschanzes von Ehre, Hoheit, Macht, Reichtum, Rang und Stand hört auf, und der nackte Mensch in der Blöße seines innersten Strebens, seines Verdienstes oder seiner Schuld, steht vor der ungeheuren Wahrheit des inneren Weltzusammenhangs. Makbeth und Richard III. prägen sich nach dieser Seite vornehmlich ein. Aber auch ohne tragischen Bezug zeigen die Lustspiele (As you like it [Wie es euch gefällt], What you will [was ihr wollt], much ado about nothing [viel Lärm um Nichts], in ganz besonderem Verstande der Kaufmann von Venedig ) jene kristallene Durchsichtigkeit der Charaktere in ihren inneren Beziehungen, die im Hamlet und Sturm ein visionär erfaßtes Geisterreich wie selbstverständlich in die Wirklichkeit hereinragen läßt. Der naturalistischen Bühnenkunst der Franzosen ist Shakespeare daher immer ein Fremder geblieben,26 während er in Deutschland tiefer und weiter einwurzelte als in seinem Heimatlande.

§ 18. Jnnere und äußere Charakteristik.

Die Franzosen schmeichelten sich, im Gegensatz zu der Unregelmäßigkeit solcher Stücke wie der Shakespeareschen, das antike Drama nachgeschaffen zu haben. Aber Lessing wies ihnen nach, daß sie dessen Grundbedingungen verkannt und in Aeußerlichkeiten umgesetzt hätten, während gerade Shakespeare in der Anlage seiner tragischen Charaktere genau auf antikem Boden steht. *)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 8. Lessings litterarische und dramaturgische Abhandlungen S. 40. 47 u. ö.Die ruhige Einfachheit und gleichmäßige Größe der antiken Welt gab der poetischen Charakteristik nicht die Notwendigkeit einer so bewegten Zusammensetzung und vielfältigen Abstufung an die Hand, wie die Zeit Shakespeares. Die antike Poetik drängt fast ausschließlich auf Beachtung der inneren Charakteristik der ἤθη (Seelenzustände). Nur gelegentlich und spät bei den Römern fällt auch eine Bemerkung darüber, daß es doch auch ein Unterschied sei, Davusne loquatur an heros , ob der komische Knecht oder der Held rede. Shakespeare ist Meister in der genauen äußeren Charakteristik seiner Personen, aber, wie hervorgehoben, auch nur zu dem tieferen Zweck, das Jnnere darauf wie auf einer Folie sich um so greifbarer herausheben zu lassen.

§ 19. Stillosigkeit.

Die Verflachung des Theaters, die mit dessen bürgerlicher Festsetzung einriß, sieht in der äußerlichen Charakterisierung ausschließlich den Beruf des Poeten, der so kaum27 noch den Dichternamen verdient. Das bunte Kleid des Lebens, die ganze Aeußerlichkeit, in der der oberflächliche Mensch sich im Leben herumbewegt, will er auch im poetischen Bilde wiederfinden, am liebsten den eigenen Stand mit seinen Tagesinteressen oder die Skandalchronik einer durchschnittlichen, geschminkten Geselligkeit. Da ist nun freilich äußere Charakteristik der Lebensgewohnheiten, der ganze Apparat der Umstände (mit einem schiefen französischen Ausdruck das milieu genannt) das letzte Ziel rein dekorativ verfahrender Handwerker. Der Stil hört damit von selbst auf. Es wird alles stoffliche Charakteristik ( Mache ). Dies ist somit der ganz notwendige Grund der so viel beklagten Stillosigkeit unserer modernen Bühne und im Gefolge davon unserer poetischen Litteratur im allgemeinen.

II. Jnnere Mittel der Dichtung als Kunst.

Litteratur.

Herder, Vom Ursprung der Sprache Berl. 1774. Wilhelm von Humboldt, Einleitung in die Kawisprache (Ueb. die Verschiedenheit des menschlich. Sprachbaues) Berl. Ak. 1836. Dess. sprachphilos. Werke, hersg. v. Steinthal, Berlin 1883. Jak. Grimm, Ueber den Ursp. der Sprache, Berl. Ak. 1851. Heyse, System der Sprachwissensch., hersg. v. Steinthal, Berl. 1856. Steinthal, Grammatik, Logik und Psychologie in ihrem Verhältnisse zu einander 1855. Ders. Ursprung der Sprache Berl. 1851. Max Müller, Vorlesungen über die Wissensch. der Sprache 2 Bde. Lpz. 1863. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 20 Bde. 1860 bis 1890. A. Kuhn, Zeitschrift für28 vergleich. Sprachwissenschaft. 1852 ff. (fortgeführt v. Ernst Kuhn und Joh. Schmidt). Herder, Ueb. die älteste Urkunde des Menschengeschlechts. 1774. G. Fr. Creuzer, Symbolik u. Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 4 Bd. 1810. 2 Aufl. fotgesetzt von Mone 6. Voll. 1819 23. Fr. Wilh. Jos. von Schelling, Ueber die Gottheiten von Samothrace Stuttg. 1815. Ders. Philosophie der Mythologie (ersch. 1857). Adalb. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers u. d. Göttertranks Berl. 1859 (Mythol. Stud. I Gütersloh 1886). L. Laistner, Das Räthsel der Sphinx, Grundzüge einer Mythengeschichte Berl. 1889. 2 Bde. Aristoteles, Rhetorik, 3 Bücher (ed. Spengel, Lpz. 1867). (Sogenannter) Longinos, περὶ ὕψους, Ueber das Erhabene des Stils (erstes Jahrh nach Christus). Cicero, de oratore l. III., Brutus s. de claris oratoribus, Orator ad M. Brutum. Rhetorica ad Herennium (nicht von Cicero). Tacitus (?) Dialogus de oratoribus. Quintilianus, Institutio oratoria (um 90 n. Chr.) Rhetores Graeci ed. Walz (Stuttg. 1832 36 9 Bde. ) ed. Spengel (Lpz. 1853 56 3 Bde.). Spengel, Ueb. das Studium des Rhetorik bei den Alten. Minden 1842. Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer in system. Uebers. 2 Aufl. Lpz. 1874. Die Rhetorik, durch die Humanisten einer der meistbehandelten Schul - und Litteraturgegenstände bis in das 18. Jh. hinein (Melanchthon, Thesaurus, Vavassor, Veranus, Rollin, Christ. Weise, Gottsched u. v. a.). K. Phil. Moritz, Grundlinien zu meinen Vorlesungen über den Stil Berl. 1791. De l'Allegorie par Winkelmann, Addison, Sulzer. 2 Voll. Paris 1799. Wilh. Wackernagel, Poetik, Rhetorik, Stilistik, herg. von L. Sieber Halle 1873. Jak. Bauer, Das Bild in der Sprache, Ansb. 1879. Max Schiessl, System der Stylistik, Straub. 1884. Georg Autenrieth, Beispiele und Regeln zur Rhetorik Nürnb. 1887. Alfr. Biese, Philosophie des Metaphorischen Kiel 1893.

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Kapitel 1. Dichtung und Sprache.

§ 20. Sprachbildung eine poetische Fähigkeit.

Wir wenden uns, bevor wir zu ihren besonderen Gattungen und Vorwürfen übergehen, zunächst zu den Mitteln der Dichtung als Kunst. Der allgemeine Träger der dichterischen Kunst ist, wie schon in Erwägung gezogen wurde, die Sprache. Jn unserem Wort dichten steckt das Jntensiv vom lateinischen dicere (sagen) dictare. Als das unentbehrliche Werkzeug des allgemeinen Lebensverkehrs scheint uns jetzt die Sprache nur zufällig und so nebenher auch der Dichtung ihre Dienste zu leihen. Diese Anschauung ändert sich von Grund aus, wenn man systematisch der Bildung der Sprache durch den Menschengeist und historisch ihren ältesten Urkunden nachgeht. Jn beiden Fällen wird man nämlich unmittelbar auf das dichterische Vermögen geführt, als dessen erster, grundbildender Ausfluß die Sprache auftritt. Die Möglichkeit, Gegenstände und Empfindungen systematisch (durch artikulirte Klangwerte: die Worte) zu bezeichnen, giebt der Erkenntnis ein Problem, das nur auf dem Boden der poetischen Fähigkeiten gelöst werden kann. *)Vergl. meine Grundzüge des Systems der artikulirten Phonetik. Stuttgart 1891.

§ 21. Historisches und systematisches Verhältnis von Poesie und Prosa.

Die Bestätigung hierfür geben die Urdenkmäler menschlicher Rede, und zwar in so höherem Grade, je älter sie sind. Sie sind poetisch, weil die erste Möglichkeit einer sprachlichen Ausdrucksweise überhaupt auf poetischen Bedingungen (der Vergleichung, Umschreibung, Verknüpfung) beruht. Erst wenn30 diese rein erfindende Stufe der Sprache völlig abgeschlossen, ihr freies Blühen abgewelkt ist, tritt der Zustand der Emanzipation der Sprache von der Poesie, die bloße Verkehrsprosa, ein. Doch selbst diese muß sich eine Kontrolle durch die künstlerische Sprache (der Bildung) gefallen lassen, weil sie sonst in ihrem Bezeichnungswerthe rasch sinken und für ihre eigenen Zwecke unbrauchbar werden würde. An der Dichtung verjüngt und richtet sich die Sprache zu allen Zeiten auf.

Die Merkmale dieses inneren Verhältnisses zwischen Dichtung und Sprache liefern zwei in ihrer Eigenart verwandte, wenngleich in ihren Beziehungen unter ganz verschiedene Kategorien fallende Erscheinungen: die Mythologie und die rednerischen Tropen und Figuren.

Kapitel 2. Mythologie.

§ 22. Poetische Grundbedeutung der Mythologien.

Beides, das völkerbeherrschende Reich der Götter und der die Meinung lenkende Schmuck der Rede, beides ist Erzeugnis der in der Sprache unmittelbar zur Einwirkung auf die Menschen gelangenden Dichtung. Die Mythologien stellen sich bei den verschiedenen Völkern als abgeschlossene, gegebene Glaubenswelten dar, von den sie vertretenden hierarchischen Verbindungen, den Priestern, ceremoniös auf das Peinlichste vertreten, eine die andere ausschließend und mit Feuer und Schwert verfolgend. Vom Standpunkt der Poetik sind sie alle gleichermaßen dogmatische Festsetzungen poetischer Niederschläge allgemeiner überweltlicher (transcendenter) Anschauungsformen. Jn allen lassen sich die gleichen Bezüge mehr oder weniger klar, mehr oder minder vernunftgemäß nachweisen. Bei vielen Völkern (den indogermanischen) stehen31 sie in gewisser Stammesverbindung, obwohl man in der Annahme einer solchen vorsichtig sein muß. Denn das dichterische Vermögen ist überall das gleiche, wenn auch verschieden wirksam und ausgebildet.

§ 23. Mythologisches Bedürfnis.

Das gilt für alle Zeiten. Denn es läßt sich auch in dieser Hinsicht nicht völlig ertöten. Jn der jüdischen Religion und ihrer rationellen Vollendung dem Christentum, wurde zwar das Jdeal einer reinen Vernunftreligion aufgestellt und mit ihrer Durchführung die alten wirksamen Mythologien, die klassische sowohl als die der germanischen Völker, prinzipiell auf das entschiedenste bekämpft und dogmatisch unwirksam zu machen gesucht. Die alten Götterbilder wurden umgestürzt, um dem Einen Unsichtbaren den Altar aufzurichten.

Gleichwohl ist es weder der jüdischen Religion (wovon sogar die Bibel, noch mehr die apokryphe und gnostische Litteratur Kunde giebt), noch dem Christentum gelungen, dem mythologischen Bedürfnis in ihrem Bereich allen Boden zu entziehen. Alle Umbildungen in der Kirchengeschichte, vor allen die bedeutendste und nachhaltigste, die Reformation, treffen das Ueberwuchern der Mythologie. Allein gänzlich ohne Mythologie giebt es keine Kirche. Das hat der Protestantismus oft und eindringlich genug erfahren müssen. Die durchschnittliche Menschennatur bleibt außer stande, ohne sinnliche Symbole mit der Gottheit zu verkehren. Die Dichtung giebt die Probe darauf durch die Art, wie sie einzig religiöse Stoffe zu behandeln in der Lage ist (Dante, Tasso, Milton, Klopstock).

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§ 24. Wirksamkeit der Mythologien.

Doch muß eine Mythologie lebendig sein, wenn sie auch nur poetisch wirksam sein soll. Daher zeigt die christliche Symbolik mit ihren Engeln und Teufeln, Heiligen und Büßern, dem Heiland mit den Seinen in der höchsten Glorie, poetische Lebenskraft (Schluß des Faust ), namentlich mit Unterstützung der Musik, während die alten heidnischen Mythologien heute leicht einen leblosen, gekünstelten Eindruck machen. Mit der Wiedererweckung der Antike in der Renaissancezeit wurde von Dichtern, Gelehrten und Künstlern um die Wette auch die klassische Mythologie des Olymps*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 27. Griechische und Römische Mythologie. für Jahrhunderte zu einer Art Scheinleben neu erweckt. Dies ging nur an, weil in jener Zeit mit den alten Dichtern und Philosophen auch eine alte Sprache, das klassische Latein, in den Lebensverkehr der Gesellschaft aufgenommen wurde. Mit der Reaktion dagegen im 17. und 18. Jahrhundert verlor auch der Olymp langsam wieder seine stehende Geltung in Dichtung und bildender Kunst. Goethe hat davon nur etwa Amor, Luna und die Musen in seiner Dichtung übrig behalten.

§ 25. Vorteile der klassischen Mythologie.

Der Gedanke, die antike Mythologie in der Dichtung durch die nordische als eine germanische und daher heimische**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 15. Deutsche Mythologie. zu ersetzen (wie er z. B. Klopstock sogar zur Umarbeitung seiner Oden veranlaßte***)Man vergleiche (Wingolf 1. und 2. Fassung): 1) Wie Hebe kühn und jugendlich ungestüm, Wie mit dem goldnen Köcher Latonas Sohn, Unsterblich sing ich, meine Freunde Feiernd in mächtigen Dithyramben. kann in verschiedener Hinsicht nicht33 als ein glücklicher bezeichnet werden. Wir sehen ab von der ungleich größeren Reichhaltigkeit, Frische und Bestimmtheit der klassischen Mythologie Homers. Die nordische der Edda hat dafür ihre erhabenen und rührenden Züge und im ganzen eine gewisse eisige Unnahbarkeit, die sie besonders geeignet für die Verkörperung mancher Seiten des Göttlichen macht. Allein ihr fehlt die Voraussetzung der allgemeinen Kenntnis, wie sie bei der antiken durch die Schule und eine mehrere Jahrhunderte lange Bildungstradition doch nun einmal vorhanden ist. Es scheint auch nicht, daß dies nachgeholt werden kann. Dazu müßte zum wenigstens ein stärkeres nationales Jnteresse für Odhin und die Götter und Helden von Walhall in ihrer ausschließlich nordischen (skandinavischen) Erscheinungsform in Deutschland vorausgesetzt werden können. Die deutsche nationale Mythologie ist in der nordischen nicht gegeben. Die Beziehungen zu ihr zu vermuten, aus Ueberresten in Dichtung, Sage und Märchen zu erschließen, bleibt lediglich ein schwieriges Problem der mythologischen Wissenschaft.

Bei epischer oder dramatischer Vorführung einer vergangenen Lebens - und Kulturform wird der Dichter natürlich***)Willst du zu Strophen werden, o Lied, oder Ununterwürfig, Pindars Gesängen gleich, Gleich Zeus 'erhabnem trunkenen Sohne, Frei aus der schaffenden Seele taumeln? 2) Wie Gna im Fluge, jugendlich ungestüm Und stolz, als reichten mir aus Jdunas Gold Die Götter, sing ich meine Freunde Feiernd in kühnerem Bardenliede. Willst du zu Strophen werden, o Haingesang, Willst du gesetzlos, Ossians Schwunge gleich, Gleich Ullers Tanz auf Meerkrystalle, Frei aus der Seele des Dichters schweben? Was ist uns neben Hebe Gna ? Was neben Latonens Sohn Apollo Jdunens Gold ? Was Uller neben Zeus und Bachus? und was schließlich Ossians Schwung neben Pindars Gesängen? Borinski, Deutsche Poetik.34 unter allen Umständen auch die betreffende (ägyptische, indische, iranische u. s. w.) Mythologie, und sei es selbst die entlegenste (wie etwa die mexikanische oder peruanische) handhaben müssen. Die Poetik kann hierbei höchstens vor Geschmacklosigkeiten warnen, zu denen die kritiklose Ausnutzung solcher Kulte mit fremden, zuweilen abenteuerlichen Namen verführen könnte. Etwas anderes aber ist es, wenn durch ausschließliche Bevorzugung solcher Stoffgebiete Mythologien Anspruch auf Festsetzung im poetischen Bewußtsein erheben. Darin nämlich besteht die ursprüngliche poetische Bedeutung der Mythologie. Wenn bei Homer Zeus grollend die ambrosischen Locken schüttelt oder die rosenfingrige Eos die Thore des Himmels öffnet, so verbinden sich damit für jede gebildete Anschauung unmittelbare Vorstellungen von Natureindrücken (des Donners, der Morgenröte). Nirgends so wie in der klassischen Dichtung steht die poetische Bedeutung der Mythologie vor ihrer religiösen so völlig im Vordergrund, so daß man sich nicht wundern kann, wenn seit der Renaissance die Dichter sie auch in spezifisch religiösen Gedichten christlichen Jnhalts ganz unbefangen anwenden (Sannazaros Epos über die Geburt der Jungfrau, aber in Ansätzen auch schon bei Dante und später bei Tasso). Hier finden wir das mythologische Bild in dichter Fühlung schon mit dem allgemein poetischen Bilde, dem Tropus (vom griechischen τρέπω wenden).

Kapitel 3. Vergleichung (Tropen).

§ 26. Psychologische Grundbedeutung des Gleichnisses.

Der Dichter beruhigt sich nicht bei dem bloßen Naturphänomen, wie es die äußere Wahrnehmung an die Hand giebt. Seine Anschauung ist sofort bereit, es auf ein Aehnliches35 oder Verwandtes in der Vorstellung zurückzuführen: es fällt ihm, wie man sagt, etwas dabei ein. Jn der mythologischen Anspielung nun giebt der Dichter der Phantasie eine Erklärung für die Wahrnehmung. Es donnert. Der Gott in den Wolken schüttelt sein erhabenes Haupt. Die Sonne geht auf. Eine göttliche Jungfrau mit rosig strahlenden Fingern öffnet ihr das Himmelsthor, hinter dem sie verborgen lag. Jn der poetischen Vergleichung begnügt sich der Dichter, die Eigenart der Erscheinung, des Vorgangs in ein möglichst helles Licht zu setzen. Die lebhafte Phantasie geht gleichsam mit ihm durch. Homerische Vergleichungen scheinen oft, unbekümmert um die Erzählung, in die sie eingeflochten werden, ihre eigenen Wege zu gehen, nur bemüht, ihren Vergleichungspunkt (tertium comparationis) ganz zu erschöpfen. Der Dichter spinnt sein Gleichnis aus. Menelaos gewahrt im dritten Gesange der Jlias seinen Todfeind Paris. So sieht ein Löwe, ruft der Dichter, seine Beute, einen Hirsch oder einen Gemsbock voll Freude. Er stürzt sich auf ihn und verschlingt ihn begierig, mögen auch Hunde und Jäger ihn zu verscheuchen suchen. Hier führt den Dichter die freudige Begier in seinem Helden, der sich in Gedanken schon auf den Feind stürzt, sich in ihn gleichsam verbeißt, auf dies ausgeführte Bild vom hungrigen Löwen und der Jagd. (Ein schönes Beispiel auffallend lang abschweifenden Gleichnisses ist das von der weinenden Kriegsgefangenen, Odyssee VIII 523 ff.)

Es ist der höchste Zweck des Gleichnisses, ein Unsinnliches zur lebendigen Anschauung zu bringen. Jn dieser Hinsicht haben wir ja auch ein evangelisches Wort vom Wert und Bedeutung der Gleichnisreden. Das Evangelium enthält höchst ausgeführte Gleichnisse, die selbst wieder ausgestaltet worden sind und das Motiv selbständiger Dichtungen durch36 die Jahrhunderte abgegeben haben (der Sämann, der Hausvater, die klugen und thörichten Jungfrauen, der verlorene Sohn).

§ 27. Metapher.

Die Ausführung des Gleichnisses dient als Beweis, wie natürlich und wohlbegründet die Vergleichung an sich in der poetischen Rede erscheint. Sie ist das Licht der Sprache überhaupt. Je höher die Rede sich schwingt, je energischer sie tönt, desto häufiger und stärker fallen die Reflexe. Note: Das kurze vorübergehende Moment der Vergleichung sind wir seit Aristoteles (Poetik Kap. 21. Rhetorik III Kap. 11) gewohnt unter dem Repräsentativbegriff der Metapher (μεταφορά = Uebertragung) abzugrenzen. Note: Zweifelsfall: verkürzte Vergleichung oder Übertragung? Übertragung hier nur als wörtliche Übersetzung von Metapher, nicht als Begriffsverständnis; Quelle (n):Aristoteles Poetik1457b (Kap. 21)http: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0086. tlg034.perseus-grc1: 1457bAristoteles RhetorikIII, Kap. 11ff.http: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0086. tlg038.perseus-grc1: 3.11.1Die Metapher hält sich nämlich nicht bei der Einführung der Vergleichung mit so wie, gleich als ob und dgl. auf. Sie setzt die vergleichbare Anschauung einfach zu oder für den verglichenen Gegenstand ein. Note: Sie nennt das Auge die Sonne des Antlitzes oder spricht direkt von dem Auge des Himmels als von der Sonne. Note:

§ 28. Arten des metaphorischen Ausdrucks.

Der Arten und Anwendungen des metaphorischen Ausdruckes können so viele sein, als es Verhältnisse und Beziehungen der Vergleichung giebt. Note: Aristoteles hat (a. a. O.) deren vier Hauptklassen abgegrenzt (\̓η ἀπὸ τοῦ γένους ἐπὶ εἶδος η ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ τὸ γένος \̓η ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ εἶδος η κατὰ ἀνάλογον). Note: Man muß seinen Ausdruck, der wie oft bei Aristoteles ziemlich sorglos die richtige logische Unterscheidung wiederspiegelt, nach seinen Beispielen so verstehen. Note:

Es erfolgt Uebertragung:

1) Vom Besonderen auf das Allgemeine (induktiv). Note: Beispiel: Das Schiff steht statt liegt vor Anker. Man gebraucht37 die allgemeine Anschauung des Stehens für die besondere des Ankerns. Note: Homer: Odyssee1. 1-1.43http: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0012. tlg002.perseus-grc1: 1. 1-1.43Aristoteles Poetik (zitiert nach) 1447ahttp: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0086. tlg034.perseus-grc1: 1447a2) Vom Allgemeinen aufs Besondere (deduktiv). Note: Beispiel: Wohl zehntausend edle Thaten vollbrachte Odysseus. Statt der allgemeinen Anschauung sehr viele, unzählbare die besondere Zahl zehntausend (schwaches Beispiel, weil dem Griechen μυρίον an und für sich eine unbestimmte Vielheit bedeutete). Note: Welches Werk? Warum zitiert nach?3) Vom Besonderen aufs Besondere (comparativ). Note: Beispiel: Mit dem Erz (Schwert) die Seele schöpfend. Die besondere Vorstellung des Schöpfens für die des Schneidens. Note: Werkannahme? Zitiert nach?4) Von einem Verhältnis auf ein anderes (analogisch). Note: Beispiel: Das Greisenalter verhält sich zum Leben wie der Abend zum Tage. Man setzt nun das Greisenalter des Tages oder den Abend des Lebens, je ein Verhältnis für das andere ein. Note: Annahmen?

§ 29. Möglichkeit der Vergleichung.

Die letzte Kategorie nennt Aristoteles die analogische im besonderen, obwohl Analogie (Uebereinstimmung) als Möglichkeit der Vergleichung überhaupt bei allen Arten der Metapher vorauszusetzen ist. Note: Wo diese Möglichkeit der Vergleichung, die Analogie, fehlt oder nur schwer entdeckt werden kann oder gestört wird, da spricht man von falschem Gebrauch des Gleichnisses, der Metapher (Katachrese), falschen oder unrichtig durchgeführten Bildern. Note: Es betrifft aber jene letzte Klasse des Aristoteles die Vergleichbarkeit des reinen Verhältnisses. Dafür ward es ihm schwer, in der Terminologie seiner Sprache ein anderes Wort zu finden, als gerade das allgemeinste, das er seiner Definition von vorn herein hätte zu Grunde legen sollen. Daher sichert er sich denn auch bei38 dieser seiner letzen Kategorie des metaphorischen Ausdruckes durch eine lange Ausführung und mehrere Beispiele. Note:

§ 30. Grammatische Lehre von den Tropen.

Es erübrigt, darauf einzugehen, wie im Anschluß an Aristoteles Rhetoriker und Grammatiker nun versucht haben, die Lehre von den Tropen auszubauen. Sie wollen wie so oft klassifizieren, bevor sie untersucht und geschieden haben. Daher jene öde Reihe starrer Bezeichnungen, mit denen sich die Poetik schleppt und, indem sie sich damit auseinander zu setzen sucht, den Lernenden verwirrt. Nichtssagende Flachheiten wie Metonymie (Namenvertauschung!), eine bare Hülflosigkeit wie die Synekdoche (Mitbegreifung), Vermengung der materiellen in die formale Unterscheidung wie bei der Personifikation (Beseelung eines leblosen Gegenstandes): all dies ungeschickte Handwerkszeug kann das innere Verständnis der in den Bildern lebenden poetischen Anschauungskraft wenig fördern. Es kommt nicht darauf an, besondere Benennungen für die Einzelheiten dieses Anschauungslebens zu schaffen (wo man so leicht wohl kein Ende finden dürfte), als den Vorgängen im ganzen nachzugehen und sie zu erklären.

Hiezu aber reicht es nicht aus, daß man beobachtet, wie sich die poetischen Wendungen gleichsam auf der Oberfläche der Sprache bilden. Es gilt, von unten auf Sprachschöpfung und Sprachgestaltung zu verfolgen, um zu erkennen, daß das poetische Bild keineswegs bloß als äußerlicher künstlicher Schmuck auf den Sprachbaum aufgepfropft wird, sondern dessen eigentümliches, natürliches Erzeugnis darstellt. Sehr wohl giebt Fr. Th. Vischer (Aesth. III. 1221) zu bedenken, daß, was vom prosaischen Standpunkte bloß anhängender Schmuck, vom39 poetischen wesentliche Anschauung des im Worte erstarrten Bildes ist.

§ 31. Das Beiwort (Epitheton).

Was man daher im Gegensatz zu den poetischen Tropen im Sinne der Grammatik und Rhetorik als Figuren bezeichnet, muß durchwegs in Beziehung auf sie als ihre wesentliche Voraussetzung aufgefaßt werden. Die ursprünglichste aller Figuren, das einfache Beiwort (Epitheton, griech. = Zugesetztes), vertritt jetzt auf der Grundlage der ausgebildeten Sprache genau dasselbe, was vor aller Sprache das Wort an und für sich bedeutete: nämlich die unterscheidende Bezeichnung eines Dinges, ebensowie die einfache Umschreibung (gr. Periphrasis) die unterscheidende Bezeichnung eines Vorgangs. Darum finden wir auch in jenen poetischen Urkunden aus der menschlichen Urzeit noch durchweg das stehende Beiwort im Gebrauch, von den Grammatikern ganz unangemessen als epitheton ornans (schmückendes Beiwort) aufgefaßt. Denn es ist eben keineswegs zufälliger Schmuck der Rede, sondern eine ganz bestimmte anschauliche Unterscheidung, die damit bezweckt wird, wenn Homer stets vom fußschnellen Achilleus , vom listenreichen Odysseus , vom gerenischen reisigen Nestor spricht; wenn die Bibel statt des einfachen Ausdrucks und Gott sprach immer ausführt: Und Gott segnete und sprach , er vertrieb sie und stieß sie aus , er schlug und schmähte sie , er antwortete und sprach , was ja Homer ganz genau so formuliert:

τὸν δ 'ἀπαμειβόμενος προσέφη

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§ 32. Grammatische Grundfunktionen des Wortes in poetischer Verwendung.

Das Beiwort, die Wurzel des poetischen Vergleiches, führt also unmittelbar auf das Wort selbst, den Baugrund der Sprache, und zwar ganz folgerichtig auf das Wort in seinen beiden grammatischen Grundfunktionen als Substantiv und als Verbum. Die poetische Sprache zeigt darin schon ihre unmittelbare Fühlung mit der Sprachschöpfung, daß sie diese lebendigen Triebkräfte der Sprache möglichst zur Geltung bringt gegenüber den übrigen erst durch immer schärfere und feinere Abstraktion aus ihnen gewonnenen Redeteilen, den Vertretern des Urteils und der reinen Kategorien des Denkens. Die poetische Sprache umgeht also, ganz verschieden von der Sprache der Konvention, Partikeln, Umstands - und Verhältniswörter in ihrem trockenen, verallgemeinernden Gebrauch. Sie hilft sich lieber mit einer gegenständlichen Beschreibung, einer sinnlichen Umschreibung, einem entschiedenen Zusatz. Sie vermeidet aus diesem Grunde die hypothetischen Formen des Zeitworts in ihrem Abhängigkeitsverhältnis von unterordnenden Konjunktionen und zieht die abrupte Einführung des abhängigen Verbums vor. Nicht: ich sage, daß ich es gethan habe sondern ich sag ', ich hab's gethan . Nur aus diesem Grunde vermeidet sie das Hilfsverb in seiner rein kategorischen Verwendung in der Konjugation. Nur darum giebt sie die damit gebildeten Formen des Perfekts, des Passivs gern verkürzt mit der Ellipse des Hilfsverbs oder in sinnlicher Verstärkung durch ein selbständiges Verb. Was ich verbrochen nicht: was ich verbrochen habe. Versunken und vergessen! nicht er ist versunken und vergessen , ihr liegt verödet statt ihr seid verödet.

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Kapitel 4. Sprachbewegung. (Figuren.)

§ 33. Der poetische Satz.

Ebenso wie im Ausdruck an und für sich sehen wir in seiner Aneinanderreihung im Satze die poetische Sprache stets darauf aus bedacht, mit dem ursprünglichen Leben und Empfinden, welches ihre Formen schuf, in genauester Fühlung zu bleiben. Jm geordneten Satze kommt der Ausdruck in Bewegung, die Sprache in Fluß. Besondere Formen dieser Sprachbewegung sind es nun, welche die alten Grammatiker mit Beziehung auf die geordneten Formen der thatsächlichen körperlichen Bewegung (im Tanze) hier ganz treffend als Figuren bezeichnet haben. Nur daß sie auch hier im Aussondern und Bezeichnen ihres richtig begriffenen Vorwurfs sehr unglücklich verfahren sind. Das Ergebnis davon ist die lächerliche Verwirrung, die in dem Schwalle grammatischer und rhetorischer, Wort - und Sinnfiguren der poetischen Kompendien herrscht.

§ 34. Allgemeine Bedeutung der Figuration für die Rede.

Zunächst muß man die dadurch leicht bewirkte Schulmeinung überwinden, als handle es sich hier um außerordentliche Kunststücke, die nur vom Poeten oder Redner exekutiert werden. Wie man sich leicht bei Durchmusterung dieses ganzen, stellenweise recht seltsamen Registers überzeugen wird, giebt es keine Figur, die nicht im gewöhnlichen Sprachverkehr unter ihren gegebenen Bedingungen vorkäme. Manche Verkehrssprachen bevorzugen und pflegen bekanntlich gewisse Redefiguren, wie die der Studenten die Hyperbel, die der Juden die Frageform (interrogatio), die der Diplomaten die Litotes u. s. w. Die kunstmäßige Rede thut nichts weiter, als daß sie diese von allen geübten Redeformen nach ihrer ursprünglich gedachten42 Wirkung, an rechter Stelle und in der geeigneten Mischung anbringt. Gleichgiltig oder gar unrichtig angebracht, ergeben sie Stillosigkeit oder Galimatias, wie wir beides gegenwärtig in unserer Zeitungslitteratur genugsam beobachten können, einseitig bevorzugt, Manier.

Beim Versuche, sich unter den Redefiguren zu orientieren, halte man fest, daß es sich nur darum handeln kann, entweder die Sprachbewegung zu variieren, sie zu beschleunigen und aufzuhalten, zu steigern und hinabzuleiten, zu entfesseln und festzusetzen, oder ihre einzelnen Ruhepunkte zu fixiren, wie man das ja ganz analog ausdrückt: zu pointieren.

§ 35. Festsetzende (pointierende) Figuren.

Dem letzeren Zweck dienen in diesem Verstande auch die Tropen, und die meisten der hierhergestellten Figuren sind auch thatsächlich nichts anderes als Tropen, die nur in ihrer Beziehung auf den Jnhalt unter eine ganz bestimmte Rubrik gebracht werden können. So enthält eben die schon berührte Hyperbel eine fühlbare Uebertreibung des bezeichneten verglichenen Verhältnisses. Zu ihr gehört daher jedes eigentliche Schimpfwort, zumal der in der hyperbolischen Sprache beliebte Tiervergleich. Der Tiervergleich der Urpoesie gehört nicht hierher. Er ist reiner Tropus. Denn wenn Homer und die Bibel ihre Helden mit Ochsen und Eseln, die Araber mit Kamelen, die Veden mit Elefanten vergleichen, so beabsichtigen sie etwas anderes, als wenn der Student Ochs, Esel, Kamel oder Elefant zur Vergleichung heranzieht. Das steht dann vielmehr hyperbolisch als bloße Redefigur für einen hohen, unmenschlich scheinenden Grad von Dummheit, Störrigkeit, Schwerfälligkeit, schimpflichen Eigenschaften.

Die Litotes (griech. = Schlichtheit, Einfachheit) will ganz43 im Gegensatz dazu nicht alles sagen, was eigentlich gesagt werden müßte. Sie sagt lieber nicht gut , wo eigentlich schlecht zu sagen wäre, sie sagt lieber ich bin nicht dieser Ansicht statt ich bestreite das . Wenn man also eine Figur der Negation (Verneinung) einführen will, so ist sie nur die Grundlage, die eigentliche Voraussetzung der Litotes, die als solche eine spät, erst im Zustande der Ueberfeinerung in die Sprache eintretende Redefigur sein wird. Den höchsten Grad von Feinheit erreicht die Litotes, wenn sie in der Abschwächung der Meinungsäußerung bis zum graden Gegenteil dessen fortschreitet, was eigentlich gesagt werden müßte. Dann wird sie Jronie (griech. wohl zum Stamme EP gehörig vgl. unser etwas so sagen ) und liegt, das was eigentlich zu sagen wäre, recht offenbar, wie man wohl sagt: schreiend zu Tage, so nennt man die Jronie Sarkasmus (vom griech. σάρξ Fleisch, ätzender Hohn). Die Jronie scheint ganz Kulturprodukt, sie kennzeichnet bekanntlich eine so überfeinerte Litteraturrichtung wie die Romantik, erschien aber auch bedeutsam im Munde des Sokrates an der großen Wende des Altertums, da die alte Naturreligion in der Oeffentlichkeit ihren ersten Stoß erhielt. Nichtsdestoweniger ist die Jronie keiner Menschen - und Gesellschaftsschicht völlig fremd. Die Sprache ist ein so durchsichtiger Schleier, daß Jronie unter gegebenen Voraussetzungen sofort und genau verstanden wird. Grade der Natur nahe Völker (Bergbewohner, Alpenvölker) üben sie mit Vorliebe (utzen, schrauben, frotzeln u. s. w.). Bezeichnet man Jndividuen und Völker dadurch gerade als natürlich, daß man sagt, sie verstehen die Jronie nicht (wie die Pommern), so ist es meist wieder Jronie.

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§ 36. Emphase.

Will man ein Repräsentativform aller dieser pointierenden Rede-Figuren, so hat man sie in der Emphase (griech. = Andeutung, Hinweisung). Jhr Begriff ist erschöpft in unserem Ausdruck etwas mit Bedeutung sagen . Die bekannte Phrase sei ein Mann, zu einem Manne gesagt, wäre sinnlos, wenn wir nicht gerade aus dem Nachdrucke, mit dem sie gesagt wird, sofort die besondere Bedeutung schlössen, die hier dem Worte Mann beigelegt wird, nämlich den Jnbegriff desjenigen, was den Mann als solchen (vor dem Knaben, dem Greise, dem Weibe) auszeichnet, was ihm ziemt.

Es ist der Jnhalt eines Wortes, im Unterschied von seiner gewöhnlichen, lediglich bezeichnenden Aufgabe, der hier wieder durchbricht. Das Wort wird gleichsam noch einmal geboren, indem es nach dem grammatischen Ausdruck im prägnanten (lat. eig. schwangeren, trächtigen) Sinne auftritt. So kann man nun alle pointierenden Redefiguren emphatisch nennen. Denn alle legen Nachdruck auf den Jnhalt eines bestimmten Wortes im Fluße der Rede.

Das sogenannte historische (besser: absolute, Praesens z. B. verdankt seine Bedeutung als Redefigur lediglich dem emphatischen Vermögen. Durch dieses nämlich wird es seiner Rolle als bloße Bezeichnung einer Verbal form (als charakterisiertes Tempus) entkleidet und in die ursprüngliche absolute (aoristische) Vertretung aller Verbalform wieder eingesetzt, aus der, wie die Geschichte der Sprache lehrt, alle Tempora und Modi durch sogenannte Differenzierung abzweigten. Also in einer Schilderung: Der Feind bricht herein. Entsetzen ergreift die Bewohner. Oder imperativisch: Du thust's! statt thu's! Oder imperativisch futurisch:45 er thut's! statt er ist im Begriffe es zu thun, er wird es thun! Negativisch (in ironischer, höhnischer Wendung): Der thut's! d. h. er thut es eben nicht, wird es nicht thun, es fällt ihm nicht ein, es zu thun. Ganz ähnlich ist es mit Anwendung des Singulars für den Plural bei kategorischer und genereller Bezeichnung (besonders in der lateinischen Sprache): Der Soldat, der Römer für die Soldaten, die Römer.

Als unmittelbar zur Emphase im engeren Sinne gehörig wird man aber schon nach dem bloßen Gehör diejenigen Redefiguren empfinden, welche zwei oder mehr Worte in gegensätzliche oder allgemein rückwirkende Beziehung zu einander setzen. Also Antithese, Oxymoron, Paradoxon sowie Klimax und Stichomythien. Hier soll nämlich überall die emphatische Hervorhebung des einen dazu dienen, das andere recht nach seinen besonderen Bezügen hervortreten zu lassen. Also: Du lachst; Jch weine (d. h. du bist im stande, bist so grausam, so fühllos, zu lachen ...) Beredtes Schweigen (kein gewöhnliches Schweigen, sondern ein Verstummen aus Gründen, die für sich selber sprechen). Noch ein solcher Sieg (der nämlich keiner ist), und ich bin verloren! Jch kam, sah und siegte , eine ungeheure Steigerung bloß durch Emphase. Die Stichomythien, in denen das Wort dramatisch zwischen Unterrednern wie ein Ball hin - und hergeworfen wird, bedienen sich aller dieser Arten von Emphasen behufs angelegentlicher Erörterung des jeweiligen Wortbegriffs. Uebermaß der Emphase, die so schließlich alles Nachdrucks beraubt, abgestumpft wird, dies allein ist es, was die Häufung solcher Redefiguren (concetti, quibbles) z. B. im poetischen Modeton gewisser Zeiten (Marinismus*)Nach dem italienischen Dichter Giambattista Marini (1589 1625)., Euphuismus*)Nach dem Roman des Engländers John Lyly: Euphues. The Anatomie of Wit (1578). Neudruck, Heilbronn 1887.),46 Kultismus**)Nach dem estilo culto der Spanier (Gongora 1561 1627). so abgeschmackt erscheinen läßt. Denn was kann es abgeschmackteres geben, als durch eben die Mittel einen Zweck zu hintertreiben, durch die man ihn erreichen will?

§ 37. Sentenz.

Schließlich sei noch bemerkt, daß die sogenannte Sentenz (sinnreicher Ausspruch) zu den Redefiguren zu rechnen, wie eine gewisse Sorte Poetik pflegt, durchaus keinen Sinn hat. Denn wenn auch im einzelnen Worte der Sinn besonders auffällig angebracht werden kann, so versteht es sich eigentlich von selbst, daß das Ganze der Rede immer sinnreich sei. Andernfalls würde der werte Poet besser schweigen. Was man in der theoretischen Sprache Sentenzen nennt, stellt keine Redefigur dar, sondern allgemeine, aus dem poetischen Vorgang abstrahirte Gedanken, welche die thatsächlichen Ausführungen des Dichters oder seiner poetischen Personen durchsetzen.

§ 38. Bewegungsfiguren.

Die Bewegungsfiguren werden es zum Unterschied von den festsetzenden nicht mit den Wörtern selbst, sondern mit der Wortfügung zu thun haben. Diese kann durch die bloße Weglassung oder Häufung der Bindewörter in ihrer Wirkung schon merklich variirt werden. Erstere, das Asyndeton, erzeugt den Eindruck einer lebhaften Beschleunigung ( alles rennet, rettet, flüchtet ), letztere, das Polysyndeton, den einer ungemeinen Macht der Bewegung ( und es wallet und siedet und brauset und zischt ). Eine besondere Energie der Bewegung wird es auch sein müssen, die im stande ist, die gewöhnliche Folge der Wortfügung47 ganz zu verändern (Jnversion). Nach Korinthus von Athen gezogen kam ein Jüngling (Goethe: Braut von Korinth); Wasserholen geht die reine, schöne Frau des hohen Brahmeu , Edel sind wir nicht zu nennen , Mich nun hast du ihrem Körper eingeimpft ... (Ders. : Parialegende).

An der großen Freiheit der Wortfügung, welche sich in Folge der größeren Bestimmtheit ihrer Flexionsformen noch die alten Sprachen überall erlauben dürfen, hat in den unseren nur noch die poetische Sprache Anteil. Für gewöhnlich macht die Erleichterung der Uebersicht und des raschen Verständnisses bei der mangelnden Flexionsunterscheidung eine um so strengere Syntax notwendig (besonders im Französischen). Die poetische Sprache nun ist durch ihre größere Anschaulichkeit und Eindringlichkeit in der Lage, weit weniger Umstände mit ihrer Wortfügung zu machen. Sie schickt die Begründung, die näheren Umstände der eigentlichen Aussage, das abhängige Wort den regierenden voraus und dergleichen. Wenn sie auch im Ein - und Durcheinanderschieben abhängiger Worte nicht mehr die Freiheit hat, wie bei den durch sich selbst kenntlichen Flexionen der alten Sprachen, so sind Einschaltungen (Parenthesen) von Ausrufen, Anreden und Zwischenbemerkungen (à part) ihr ganz gemäß und viel natürlicher als der strengen Prosa, wo die Parenthese eher einen steifen, schwerfälligen unbehilflichen Eindruck hervorruft. Saladin (in Lessings Nathan V letzter Auftritt):

Und wenn er dich verschmäht, dir's je vergißt,
Wie ungleich mehr in diesem Schritte du
Für ihn gethan, als er für dich ... Was hat
Er denn für dich gethan? Ein Wenig sich
Beräuchern lassen! ist was Rechts! so hat
Er meines Bruders, meines Assads, nichts!
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Das macht, daß das Gewand der poetischen Rede gleichsam leichter, luftiger ist, als das der Prosa, viel rascher, flüchtiger und dabei tiefere Falten zu werfen vermag, im Ganzen nachgiebiger gegen jede Art von Drapierung erscheint.

Demgemäß liegen ihr auch die Formen der strengen grammatischen Jnversion, also namentlich der Frage (interrogatio), viel näher. Sie greift ohne viele Umstände dazu, wenn sie auch keine Antwort erwartet und erwarten kann (rhetorische Frage); sie fingiert ein Frage - und Antwortspiel (Dialogismus) im Sprechenden selbst und erzeugt durch dies alles jene eigentümliche Spannung, jene lebhafte Anteilnahme am Thema, die z. B. Lessings Stil durch dies Kunstmittel den trockensten Gegenständen zu Gute kommen zu lassen wußte. *)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 9. Lessings antiquar. und epigrammat. Abhandlungen. Seite 3. Herr Klotz soll mich eines unverzeihlichen Fehlers ... überwiesen haben .... Mich eines Fehlers? Das kann sehr leicht sein. Aber eines unverzeihlichen, das sollte mir leid thun ... Denn es wäre ja doch nur ein Fehler ... Aber .. worin bestand er denn nun, dieser unverzeihliche Fehler? Oder**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 7. Lessings Prosa. Seite 140. Sie? Herr Pastor der Sie diesen ehrlichen Mann mit Steinen verfolgen? .. Und warum? Weil dieser ehrliche Mann zugleich den schriftlich gegebenen Rat eines ungenannten Baumeisters, das Gebäude lieber ganz abzutragen gebilligt? unterstützt? ausführen wollen? auszuführen angefangen? Nicht doch! nur nicht unterschlagen zu dürfen geglaubt. Aus dem gleichen Grunde scheinen ihr Störungen und Unterbrechungen der regelmäßigen Wortfolge, Auslassen von Wörtern und Satzteilen (Ellipsen), Verschweigen von Abschlüssen (Aposiopesen) nicht nur zulässig, sondern erwünscht, um49 grade dadurch ihr Publikum zur Selbstergänzung zu zwingen, es rascher mit sich fortzureißen. (Virgils quos ego ! euch werd 'ich !) Die poetische Sprache pocht hier gleichsam auf die Macht, die sie auf den Hörer ausübt. Wir sehen ihr aus diesem Grunde sogar die mangelhafte (ja falsche) Ausgestaltung der Satzfolge (Konstruktion) unbedenklich nach, die wir dem strengen Prosaiker als ein Zeichen von Nachlässigkeit der Gedankenformung (Anakoluthie) sehr verübeln würden.

§ 39. Klangfiguren.

Es entstünde nun die Frage, in welche der beiden Klassen jene Art Figuren einzureihen wäre, in denen rein durch den Wortklang eine Einwirkung auf die Sprachbewegung erzielt wird. Zählen sie zu den pointierenden oder den bewegenden Figuren? Sie stellen sich zu den pointierenden, wenn sie wie das κατ'ἐξοχήν sogenannte Wortspiel (Annominatio) und der darauf gegründete Witz einen Punkt der Rede besonders markieren. Sie treten aber wiederum zu den bewegenden, indem sie bloß durch Wiederholung der reinen Wortklänge die Wortfügung anregen. Repräsentativform dafür ist die Anaphora (griech. Zurückführen nämlich desselben Wortes), die je nach der Stellung in Satz und Vers eine Menge Unterarten zuläßt, deren Aufzählung mit ihren grammatischen Titulaturen wir dem Leser ersparen. Also: Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll ; so gleicht kein Ei dem andern, kein Stern dem andern nicht (Mörike) und so in vielen Variationen. Die eigentümliche Doppelstellung dieser Art von Figuren ist nun keineswegs zufällig. Sie findet ihre Begründung darin, daß die bloße Klangform im Wort eben schon etwas bedeutet, was über den Sinn und die Sinnfügung in der Sprache hinausgreift in das melodische Gebiet. 50Alle Onomatopoesie d. i. Verwendung der Wortklänge zu bestimmten musikalischen Wirkungen, wie sie namentlich in der Schäferpoesie des 17. Jh. bis ins Kindische und Lächerliche getrieben wurde, kann kaum noch zu den Figuren gerechnet werden, die nach unserer Definition besondere Formen der Sprachbewegung selbst darstellen. Sie fällt vielmehr bereits in das Bereich jenes Kunstmittels, welches als der selbständige Träger der poetischen Sprachbewegung von der musikalischen Seite her sich der Sprache zugesellt: in das Bereich des Verses.

III. Äußere (musikalische) Mittel der Dichtung als Kunst.

Litteratur.

Scriptores metrici graeci ed. Westphal. Antiquae musicae autores ed. Meibomius. Grammatici latini ed. Keil. Ueber antik. Metrik August Apel. Lzg. 1815. 17, Gotfried Hermann (Elementa doctrinae metricae 1816), Wilh. Christ (Metrik der Griechen u. Römer 2. A. 1879), Roßbach, Westphal und Gleditsch. Lzg. 1885. 89. Karl Lachmann, Ueber Althochdeutsche Betonung und Verskunst (Berliner Akademie 1832. 34. Klein. Schrift. I 358 406. Ed. Sievers (Altgerman. Metrik) und Herm. Paul (Deutsche Metrik) in des letzteren Grundriß der germ. Philol. II 1. 9. Abschnitt (1893). K. Phil. Moritz, Versuch einer deutschen Prosodie. Berl. 1786. Fr. Aug. Wolf, Ueber ein Wort Friedrich's II. von deutscher Verskunst. Berl. 1811. Joh. Minkwitz, Lehrbuch der deutschen Prosodik und Metrik. Lzg. 1843. Mor. Hauptmann, Natur51 der Harmonik und Metrik. Lzg. 1853. Roderich Benedix, Das Wesen des deutschen Rhythmus. Lzg. 1862. Rud. Westphal, Theorie der neuhochdeutschen Metrik. Jena 1870. Rud. Gottschall, Poetik, Die Dichtkunst u. ihre Technik. 2. A. 1870. Ernst Brücke, Die physiologischen Grundlagen der nhd. Verskunst. Wien 1871. R. Aßmus, Die äußere Form der nhd. Verskunst. Lzg. 1882. Aug. Schmeckebier, Deutsche Verslehre. Berl. 1886. Jakob Minor, Neuhochdeutsche Metrik (umfassendes Handbuch). Straßburg 1893. W. Wackernagel, Geschichte des deutschen Hexameters und Pentameters bis auf Klopstock. Berl. 1831. (Kl. Schr. II). F. Wolf, Ueber die Lais, Sequenzen u. Leiche. Heidelb. 1841. Wilh. Grimm, zur Geschichte des Reims. Berl. 1852. . (Kl. Schr. IV). Fr. Zarncke, Ueber den fünffüßigen Jambus. Lzg. 1865. Aug. Sauer, Ueber den fünffüßigen Jambus vor Lessings Nathan. Wien 1878. H. Welti, Geschichte des Sonetts in der deutschen Dichtung. Lpzg. 1884.

Kapitel 1. Metrik.

§ 40. Allgemeine Begründung der metrischen Form.

Vers sowohl als Reim, die beiden musikalischen Hilfen der poetischen Sprache, sind in den Figuren so vorbereitet, daß man darin den stetigen Uebergang vom poetischen Jnhalt zur poetischen Form genau verfolgen kann. Anaphora und Anomination regelmäßige und gleichartige Wiederholung des Wortklanges im Dienste des Wortsinnes hier haben wir fühlbar die Momente, an denen als geforderte Ergänzung die ganze sonst so unvermittelt und beziehungslos auftretende Maschinerie der Verstechnik einsetzt. Man muß sich immer gegenwärtig halten, daß der musikalische Schmuck der poetischen Rede nicht etwa als etwas Gegebenes der Musik entlehnt ist. Denn als der erste Vers sich bildete wo war da die Musik? Sondern umgekehrt:52 am Verse und durch den Vers hat sich Musik gebildet; die Kunst des reinen Klanges ist am Sinn erblüht, und in seinem Dienste haben sich jene vielgestaltigen Ordnungen des Klanges auseinandergelegt, die uns jetzt, der ursprünglichen Tönung baar, als unverständliche Künsteleien eines launenhaften Wortfügungstriebes in zahllosen dürren Schemen die Metrik überliefert.

Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige Wortfügung in festen, metrischen Gebilden vom Wortsinn ursprünglich nicht zu trennen ist. Das rein musikalische Element, das hier hinzukommt, ist der Takt. Der Takt ist der rhythmische Träger einer Bewegung, zunächst der körperlichen im Tanze, Marsche. Das wiederkehrende Zeitmaß beschwingt die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam ein Tanz der menschlichen Kehle.

§ 41. Vers.

Vers ist ein lateinisches Wort (versus) und entspricht unserm Worte Wendung. Aus der naheliegenden etymologischen Erklärung des Grundworts der metrischen Kunst braucht man jedoch nicht gleich bündig zu schließen, daß aller Vers und mit ihm jede Poesie vom Tanzlied den Ausgang genommen habe. Es liegt wie gesagt in der Sprachbewegung als solcher die Tendenz, auf den Takt als ihren beschwingenden Träger hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, ursprünglichen, später vielleicht mit Absicht auf diesem Standpunkt verharrenden heiligen Poesie der Bibel. Hier äußert53 sich das innere Streben nach der Gleichreihigkeit des Takts, wenigstens in dem ersten Ansatz zur Gegenüberstellung je zweier zeitlich begrenzter Glieder (Parallelismus). Jn dieser Weise haben wir uns nun den Ansatz aller Metrik zu denken: nicht also, daß von streng gleichmäßigen Einzelgliedern (Schritten) der Vers aufgebaut wurde, sondern so, daß in parallele Reihen die gleiche Gliederung immer mehr hinein - gebaut ward. Daß nun auf diesem Wege der zur Begleitung durch das Lied einladende Tanz mit seinem Gleichschritt den Ausbau der Gliederung begünstigt haben wird, liegt zu Tage. Man denke an die große Bedeutung der chorischen (Reigen -) Poesie bei dem wie für alle Kunst, so auch für die Metrik wichtigsten Volke, den Griechen.

§ 42. Metrik und Rhythmik.

Wir sprechen nach griechischem Gebrauch noch von Metrik (Meß kunst) als dem Prinzip der Verskunst, obwohl man im Deutschen durch die gröbere Natur der Sprache gezwungen, nur mehr im allgemeinen auf bloße dynamische Rhythmik (Taktierung nach Stärke und Schwäche*)Nicht nach Höhe und Tiefe ( Hochton und Tiefton ), was nichts weniger als ein unterscheidendes Merkmal unserer Rhythmisirung bedeutet, da es für den Rhythmus an sich nicht in Frage kommt. Nur auf Metrik oder Dynamik kann sich selbständiger Rhythmus gründen. (Vgl. des Verf. Grundz. d. Syst. der artikul. Phonetik. Anm. 40.) eine Verskunst gründen könnte. Wir können lediglich nach dem Wechsel der betonten und unbetonten, stärker und schwächer betonten Wortsilben die Gliederung der Takte, guten und schlechten Taktteil (nach Hebung und Senkung der Stimmkraft**)Hebung und Senkung in unserem Gebrauch, gegen den der Griechen (ἄρσις und θέσις) gehalten, bezeichnet das Entgegengesetzte. Jm Griechischen und Lateinischen dachte man sich die Messung durch Hebung und Senkung des Fußes ausgedrückt. Der niedergesetzte Fuß bedeutete alsdann den Ruhepunkt, die lange Silbe, der aufgehobene den flüchtigen Moment, die kurze Silbe. Aber dynamisch, nach dem Kraftaufwand bemessen, bestimmen. 54Die Griechen und ihre Schüler, die Lateiner, besaßen in der feinen Unterscheidung von langen und kurzen Silben in ihren Sprachen die Mittel, die Takte viel wechselvoller mit langen und kurzen Silbennoten auszufüllen, im Prinzip unbekümmert, wohin im Takte die Wortbetonung fiel.

Es ist klar, daß diese Betonung, wie jetzt noch im Süden, mehr musikalisch nach Höhe und Tiefe unterschieden gewesen sein muß, da Stärke und Schwäche ja gute und schlechte Taktteile auseinanderhielt. Während unsre Deklamation also im Prinzip tonlos erscheint, war die antike tonreich und bot schon an und für sich ohne Komposition ein lebhaft bewegtes Notenbild. Einst wird kommen der Tag lautet nach dem Prinzip unserer Deklamation zunächst nur in rhythmischen Schlägen:

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ἔσσεται ἧμαρ ὅταν dagegen melodisch unterschieden etwa

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§ 43. Romanische und germanische Versübung.

Diese singende Deklamation, die uns störend, ja abgeschmackt erscheint, hat sich denn auch im Süden erhalten, und die Verskunst der Romanen gründet darauf, obwohl**)kehrt sich das Verhältnis um, wie bei der Stimme besonders klar wird. Dann ist der Moment der Hebung derjenige, welcher sich geltend macht gegenüber dem der Senkung. Man sollte also, wie schon der erste Einführer dieser Ausdrucksweise (Clayus in seiner deutschen Grammatik von 1578) ἄρσις: θέσις = Senkung: Hebung setzen; oder, um Mißverständnisse ganz zu vermeiden, sich gewöhnen, von Schwachton und Starkton zu reden. (Also: diese Silbe trägt den Starkton , nicht die Hebung . Diese Silbe steht im Schwachton , nicht in der Senkung .)55 auch sie die strenge Messung der Silbe hat aufgeben müssen, die Freiheit, ihre Accente beliebig über den Vers und keineswegs bloß auf die guten Taktteile zu verteilen. Es hat lange gedauert, bis man (nachhaltig erst durch Opitz) zum theoretischen Bewußtsein dieser Unterschiede gekommen ist. Die Schwere und Korrektheit unserer Wortbetonung, die sich unter allen Umständen auf dieselben Silben, die Stammsilben wirft, hindert uns die andre Weise mitzumachen. Der alte deutsche Vers beschränkte sich ganz ausschließlich auf Jnnehaltung einer bestimmten Anzahl von starken Betonungen (Stäben), die er ursprünglich noch durch gleichen Anlaut (Allitteration) kenntlich machte, ohne gleiche Taktierung. Später wurden unter dem stetigen Einfluß der antiken und romanischen Metrik die Takte mehr ausgebaut, die Anzahl der den starktonigen Versstäben (Hebungen) beigegebenen schwach betonten Silben (Senkungen) beschränkt und ausgeglichen. Allein die Freiheit, den Schwachton (die Senkung) ganz auslassen zu dürfen, eine ganze Silbennote in den Takt zu setzen, behielt der deutsche Vers gleichsam als Wahrzeichen des ausschließlichen Starkton - (Hebungs) - prinzips in ganz anderer Ausdehnung bei, als sie sich analog in der antiken Silbenmessung findet. Ein viersilbiger Vers wie

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hat vier Takte genau wie der zehnsilbige

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56

Doch war man feinhörig genug, zu Trägern so starker Betonung auch immer nur metrisch lange Silben auszuwählen, d. h. solche mit langem Vokal oder gehäuftem Konsonantenschluß. Das alte Deutsch verfügte nämlich noch über eine Menge kurzer Stammsilben, die eben durch die schwere Betonung im Laufe der Zeit gleichsam ausgeweitet, lang geworden sind.

Also T̄́age, K̄́lage, nicht mehr: t̆́age ̆́klage.

§ 44. Nachahmung der antiken Metrik im Deutschen.

Man sieht also, daß es im älteren Deutsch, namentlich in dem noch mit sehr vielen nebeneinander liegenden (heute verschliffenen) kurzen Ableitungssilben versehenen Althochdeutsch ganz leicht war, antike metrische Verse zu bauen. Gleichwohl unterließ man es keineswegs bloß aus mönchischer und barbarischer Unwissenheit , sondern weil man über das Bedürfnis der strengen Stammsilbenbetonung auch im Verse nicht hinwegkonnte. Die humanistischen Schulmeister der Renaissancezeit, die hochmütig auf die alte Reimerei herabsahen, verfehlten es grade, da sie sich darüber hinwegzusetzen wagten zu einer Zeit, wo der Bestand an kurzen Silben, zumal neben einander liegenden, schon stark zusammengeschmolzen, beziehungsweise geschwunden war. Jhre Mißbetonung:

Ḗs m̆acht ā́ll̄ein̄́ig d̄er Ḡ́laub 'd̄ie Ḡ́läub̆iğen s̄el̆ig ..
Ā́llw̄eg ī́m M̄ens̄́chen s̄chafft ḗr k̄ein M̄́üss̆en b̆ei īhm ĭst &c. ;
Ēin V̆oğel h̄́och s̄chweb̄́et, d̄er n̄́icht w̄ie ānd̆er̆e l̄eb̆et.

wie das Außerachtlassen der festen Betonung dem deutschen Ohre nun einmal erscheint, wurde also nicht einmal mehr57 durch leichte und flüssige Metrik im Verse ausgeglichen. *)Vgl. des Verf. Poetik der Renaissance in Deutschland Berl. 1886. S. 30 ff.Diese sklavische und völlig unangemessene Art der Nachahmung des antiken Verses wurde auch schließlich überwunden, und alle Rückfälle darein bleiben für den, der in dieser Materie klar blickt, von vornherein aussichtslos.

Man fand schließlich das Auskunftsmittel, die antike Metrik der deutschen Sprache anzueignen, dadurch, daß man ihre Schemen in analogen rhythmischen nachbildete. Man muß dabei nur nach Kräften bemüht sein, nicht durch allzu grobe Verstöße gegen den ursprünglichen Sinn dieser Metren die Analogie illusorisch zu machen, also nicht durch allzugroße Schwere in den unbetonten Silben, allzu große Leichtigkeit der betonten die Beziehung auf die eigentlich notwendigen strengen Längen und Kürzen gradezu herauszufordern. Der Daktylus Holzklotzpflöck in Hexametern, wie Platen sie parodirt, ist freilich kaum geeignet, im Hörer den Eindruck antiken Metrums hervorzurufen. Ebenso wenig sollen die festen metrischen Schemen durch sprachliche Opfer, Silben - verstümmlung und Abwerfung (syllabische Synkope und Apokope: g'sagt, neid't; hab's, d'Vater, d'Mutter), Silbenzusammenziehung (Synalöphe: so'n Mensch = so ein u. dgl. ) erzwungen werden. Auch der Hiatus, das Aufeinandertreffen zweier Vokale zwischen zwei Worten, bei uns des stummen Ausgangs-e's (heutē ērwartet; zur Statuē ēntgeistert), ist im Auge zu behalten, den das feinere Gehör der Alten durchgängig vermied oder durch Verschleifung tilgte.

Die gelegentliche Schwierigkeit dieser Aufgabe kann jedoch nicht abhalten, so klassische künstlerische Gebilde, wie sie in den antiken Metren vorliegen, der Dichtung zu bewahren. 58Alle Kläffereien nationaler Verswächter von der Zeit an, da Klopstock durch sein hexametrisches Gedicht die Eintönigkeit des alexandrinischen Stelzenschritts zu unterbrechen wagte, vermögen auch nicht von dieser Aufgabe abzuschrecken. Jene Metren bewähren ihre alte Anziehungskraft immer wieder. Sie haben überdies das Gute, auch der rhythmischen Verskunst stets gegenwärtig zu halten, daß sie eine Kunst und keine mechanische Silbenbrauerei vorstelle, in der jeder Sud durch die nationale Versgewerbefreiheit gerechtfertigt werde.

Unsere gegenwärtigen rhythmischen Schemen sind nicht bloß wie in den älteren Perioden der Dichtung unbewußt nach dem klassischen Muster gemodelt, sondern sie sind theoretisch und praktisch in einer mehrhundertjährigen Uebungszeit durch die Schule der antiken Metrik gegangen. Man bedient sich also herkömmlich in der neuhochdeutschen Verskunst der antiken metrischen Terminologie, obschon man weiß, daß sie nur auf ihr Schema, nicht aber streng auf ihr inneres Prinzip anzuwenden ist. Für die Schemen selbst ist dieser Unterschied ganz ohne Belang. Denn sie stellen zunächst Taktarten und Taktreihen nach einem regelmäßigen Wechsel von schweren und leichten Silben dar, gleichviel ob dieselben als lange und kurze oder als betonte und unbetonte gegen einander abgewogen werden.

§ 45. Der Takt.

Der Takt legt sich von Natur in zwei Hauptarten auseinander, den gleichartigen und den ungleichartigen, je nachdem die Taktglieder in gradem oder in ungradem Verhältnis zu einander stehen. Also gleiche Taktarten:

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usw. je nach dem Zeitmaß.

Ungleiche Taktarten:

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usw. je nach dem Zeitmaß.

Gleiche Taktreihen:

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Ungleiche Taktreihen:

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Der Rhythmus von 2 oder 3, Doppelschlag oder Dreischlag bleibt vermöge seiner grundlegenden Einfachheit in weitaus den meisten Fällen ausschließlich das konstitutive Element des Takts. Jhre Kombination zum Fünf - und Siebenschlag wird immer den Charakter des Besonderen, außergewöhnlich Bewegten an sich tragen.

§ 46. Synkopierung.

Versetzung des schweren Taktgliedes auf den schlechten Taktteil (Synkope) erscheint als Störung des Taktes:

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Sie kann ihrer Natur nach nur vorübergehend sein. Setzt sie sich fest, so wird sehr bald das schwere Taktglied seine Rechte auf die Beherrschung des Taktes an erster Stelle geltend machen. Das leichtere Taktglied, das sich den Vortritt im Takte alsdann nur noch anmaßt, wird aus ihm herausgedrängt, in den sogenannten Auftakt verwiesen werden. Aus der synkopischen Reihe

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u. s. f. wird sehr bald

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werden. Aus

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wird

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Während nun in der reinen Musik Synkope und Auftakt keinen Anspruch auf prinzipielle Bedeutung erheben, sind sie in der Verskunst von grundlegender Bedeutung für ihre Handhabung und ihre vornehmsten Typen. Die Verwendung der Synkope bedeutet für den Dichter in seinem Verse mehr, als für den Tonkünstler in seinem melodischen Satze. Für diesen ist sie nur schöner Wechsel, für den Dichter in erster Linie eine Hilfe zur Unterbringung der metrisch oder rhythmisch61 selbständigen Wortfügungen in die Taktreihe. Ganz besonders der deutsche Dichter bedarf ihrer. Bei der Natur seiner Sprache, deren Wortfügungen starrer als die der klassischen Sprachen (zumal der griechischen) ihren Lautbestand, auf das hartnäckigste aber grade ihren Tonfall gegenüber allen Anfällen des Verses wahren, würde es ihm anders oft kaum möglich sein, größere Vorwürfe charakteristisch im Verse zum Ausdruck zu bringen. Schon vor Einführung des gleichmäßigen Ausbaus der Verstakte durch die antike Metrik finden wir daher die versetzte Betonung mit Bewußtsein im deutschen Verse angewandt, später freilich (bei den Meistersingern) zu ratloser Mißbetonung verkehrt.

Um den regelmäßigen Gang der Taktreihe dabei so wenig als möglich zu stören, ist es ein alter Kunstgriff, solche nötig werdenden Synkopierungen nach Möglichkeit an den Anfang des Verses zu verlegen, wie so oft bei Schiller:

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Hier wirkt die Pause in der Mitte (vor und) ähnlich synkopisch, um eine leichte Silbe aus dem guten Takte zu rücken. Jedoch auch am Schluß stellen sie sich ein, wie beides in dem Verse:

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§ 47. Auftakt.

Der Auftakt muß darum im Verse von einschneidenderer Wirkung sein, als in der Tonreihe, weil die Taktkette im Verse enger und gleichförmiger aneinanderschließt, als bei62 der melodischen Ausgestaltung in der musikalischen Periode. Der Auftakt erscheint hier als sich fortpflanzendes Glied der Kette, während er in der Musik gleichsam nur den Atem vorausnimmt. Er begründet auf diese Weise in der strengen Metrik gesonderte Versgeschlechter sowohl im geraden als im ungeraden Takt. Dem daktylischen (d. i. dreigliedrigen, von δάκτυλος, Finger) Geschlecht

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tritt das anapästische (eigentlich Widerschlag, ἀναπαίω) gegenüber, durch einsilbigen Auftakt (Anakrusis) eingeführt, was sehr lebhaft für die Beziehung zur synkopischen Reihe spricht:

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Dem trochäischen (d. i. laufenden, schnellen von τροχός, τρέχω) Geschlecht

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entspricht auf der andern Seite das jambische (wohl gleichfalls von der raschen Bewegung des Verses, vergl. Christ a. a. O. p. 317 ἰάπτειν senden [von Geschossen], erst danach ἰαμβίζειν; mythologische Erklärung: Jambe, Persönlichkeit des eleusinischen Demeterkults).

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§ 48. Regelmäßigkeit des Verses.

Die Regelmäßigkeit der streng gegensätzlichen Verstypen bezeichnet am kenntlichsten die Einwirkung der antiken Metrik63 auf die deutsche. Denn der alte Starkton - (Hebungsvers) kannte sie nicht, so sehr er schließlich naturgemäß auf sie hinstrebte (Konrad von Würzburg). Er konnte den (ein - oder mehrsilbigen) Auftakt setzen und beliebig weglassen (in der Liederdichtung nur an die regelmäßige Wiederkehr im Ton gebunden), desgleichen, wie wir schon wissen, den Schwachton (die Senkung). Jm Schwachton (bei der Senkung) aber hielt er prinzipiell an der Einsilbigkeit fest, so sehr er dabei auf Apokope und Verschleifung angewiesen ist und so offen mancher Dichter (Ulrich von Lichtenstein) den Ansatz zum daktylischen Rhythmus macht. Man denke nur an Walthers bekanntes Tanzlied

únder der línden
an der heide.

Es hat nicht geringe Mühe gekostet, den deutschen Vers auf die höhere Stufe zu heben. Es bedurfte des ganzen Gewichts der Schulautorität, wie nur das 17. Jahrhundert sie aufzuwenden hatte, um dem regulären Opitzischen Verse den Sieg über den alten freien Hebungsvers zu sichern. Als Knittelvers wirkte er gleichsam unter der Decke fort, stets bereit, in entgegenkommenden Jndividualitäten (Wieland, Heine) wieder ganz unverhüllt an die Oberfläche zu kommen. Und das trifft zunächst nur den regelmäßigen trochäischen und jambischen Gang der Verse! Welche Mühe das daktylische und anapästische Maß hatte und noch hat, nicht etwa durchzudringen, nein, sich überhaupt noch zu halten, dafür liefern die Belege die erregten Daktylendebatten selbst bei den entschiedenen Freunden der Opitz'schen Verskunst im 17. Jh. und die nicht minder lebhafte, immer wieder (bei Klopstocks Messias, der Homerübersetzung durch Stolberg und Voß) erneute Diskussion über den Hexameter im 18ten. Unsre Zeit möchte ja auch64 metrisch am liebsten wieder ganz in die Urwälder zurück. Doch ist der wirkliche tiefere Anteil an der Dichtung in ihr so gering, daß die antimetrischen Tendenzen erst gar nicht weiter in Betracht kommen.

Die Entscheidung der alten metrischen Streitigkeiten wird nach dem bloßen Ueberblick über die Sachlage, wie wir ihn objektiv zu geben versuchten, dem Denkenden leicht fallen. Für einen reinen urteutschen Vers sich zu begeistern, bloß weil er des gesetzmäßigen Baus, zu dem die Verskunst aufstrebt, entbehrt: das heißt, mit der graziösen Ungebundenheit zugleich die plumpe Ungeschicklichkeit theoretisch sanktionieren. Die strengen metrischen Typen bloß deshalb verbannen, weil sie bereits in vordeutscher Zeit zur Entfaltung gelangt sind, heißt der Verskunst den Reichtum und die Vielseitigkeit ihrer Wirkungen verkümmern. Denn in jenen metrischen Typen haben sich eben entgegengesetzte Grundstimmungen des Gemüts auseinandergelegt, soweit sie in reiner Bewegung zum Ausdruck gelangen können: Energie des Vorwärtsstrebens oder Nachdruck des Beharrens je nach Graden und Schattierungen. So grenzt sich der lebendige Jambenschritt von selbst ab gegen die schwere Gehaltenheit der Trochaeen, der feierliche Schwung des daktylischen Hexameters spricht für sich selbst, wie der ungestüme Anprall chorischer Anapäste. Man soll daher in der Vermischung dieser metrischen Gegensätze innerhalb des Verses nie so weit gehen, daß sie in ihrer Grundbedeutung schließlich vollständig aus der Verskunst verschwinden. Heinrich Heines Anmut in der Verswillkür darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß unter unseren Verhältnissen sein freier (nicht immer gleichmäßiger) Hebungsvers den Schritt zur Reimprosa macht:

65
Du schö́nes Físchermä́dchen,
Tréibe den Káhn ans Lánd:
Kómm zu mír und sétze dich níeder (4 Hebungen)
Wir kósen Hánd in Hánd.
Jch stánd in dúnklen Trä́umen
Und stárrte ihr Bíldnis án,
Und das gelíebte Ántlítz
Héimlich zu lében begánn.

Wir sind ohnedies schon in unserer Versgestaltung arm zu nennen gegenüber der Fülle und Gediegenheit, mit der die Griechen alle Möglichkeiten taktischer Combination in metrischer Zusammenstellung erschöpft haben. Während wir uns auf die angeführten allereinfachsten Takte als Grundlage des Verses (Versfüße) beschränken, hatten die Alten in der feinen Unterschiedenheit ihrer Silbenwerthe die Handhabe zur Darstellung zusammengesetzter Taktarten, von denen sie mit sicherem Urtheil nur die metrisch eindringlichen, charakteristischen herausgriffen. Nur die alten haben daher die Metrik wirklich ausbauen können, und nur die antike Metrik, im Zusammenhang behandelt, kann so die richtige Vorstellung metrischer Systematik geben. Soweit also in der deutschen Dichtung in Nachahmung klassischer Muster complicirtere Metren verwendet werden, wird zu ihrem bloßen Verständnis, geschweige denn zu ihrer Beherrschung, speziellere Kenntnis der antiken Metrik vorauszusetzen sein. Wir beschränken uns hier auf das durch die Versübung der letzten Jahrhunderte allgemein Angenommene und Verbreitete.

66

Kapitel 2. Uebersicht der typischen Verse.

§ 49. Jnnerer Bau des Verses.

Vers nennen wir eine in sich abgeschlossene wiederkehrende (vergl. oben versus!) metrische (rhythmische) Taktreihe. Jhre Takteinheiten charakterisirt die Metrik als Füße (Schritte). Als ästhetisches Grundgesetz für die Versgestaltung gilt für alle Versgeschlechter, daß die einzelnen Wörter nicht regelmäßig mit den Versfüßen zusammenfallen, sondern nach Möglichkeit über sie hinausgreifen, sie durchbrechen.

Also jambisch nicht:

Wohlán | frischáuf | gewágt

sondern:

Wir wól | len's freú | dig wág | en

Wir haben hier nun wieder einen fühlbaren Ausdruck der oben im Eingange der Metrik erörterten idealen Zusammengehörigkeit von kunstmäßiger Wortfügung und Wortsinn. Die Sinnglieder, die Wörter, sollen nicht aus den Versgliedern gleichsam herausfallen, sondern sich in sie verschlingen, in sie förmlich verkettet sein. Und wie mit dem engsten Sinnglied, dem Worte, steht es auch mit den weiteren, Satzteil und Satz. Der mit ihnen verbundene Ruhepunkt soll lieber innerhalb der Glieder des Verses einschneiden (Caesur), als durch den Zusammenfall mit ihnen den Vers auseinanderreißen (Diärese). Also:

Hinaús | in | re Schát | ten, | ge Wíp | fel Caesur.

Doch sind gerade in der hier mit angeführten Versart die Caesuren oft diäretisch:

67
Der Mór | gen kám; es scheúch ten seí | ne Trít | te

Ja, die Verse selbst untereinander soll so der einheitliche Sinn über den metrischen Versschluß hinaus verknüpfen (Enjambement).

Der Morgen kam; es scheuchten seine Schritte
Den leisen Schlaf, ...

Doch nicht so, daß der Sinn in unablässiger Unruhe ohne Unterlaß über den Versschluß hinweghastet, sondern den ihm hierin gebotenen natürlichen Ruhepunkt auch immer wieder benutzt. Dies war die Weise der Alten. Verbot des Enjambement gemeinsam mit klaffender Versdiärese kennzeichnet den herrschenden Vers des französischen Classizismus, den Alexandriner (siehe denselben S. 69). Uebermaß der Enjambements findet sich zwischen den durch Caesuren des Ausrufs, der Ellipse, der Frage ganz im Sinne aufgegangenen Versen des Lessingschen Nathan.

Als katalektisch unterscheidet die antike Metrik solche Verse deren letzter Fuß unvollständig bleibt, von den vollständig ausklingenden (akatalektischen) und den um eine Silbe überzähligen (hyperkatalektischen):

Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo

(vierfüßiger Trochäus, akatalektisch),

Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid

(Desgl. katalektisch),

Der Morgen kam, es scheuchten seine Schritte

(fünffüßiger Jambus, hyperkalektisch).

§ 50. Jambische Verse.

Jambische Verstypen: Ordnen wir sie nach der Anzahl der Versfüße, so stößt uns zunächst der jambische68 katalektische Viertakter, als ein früher, namentlich im Anfang des vorigen Jahrhunderts in Deutschland grassirender Vers auf. Es ist der Anakreontische Vers der auf ihn eingeschworenen zahllosen platonischen Verehrer des alten wein - und liebefrohen griechischen Sängers. Nach Kästners Parodie:

Gedankenleere Prosa
Jn ungereimten Zeilen
Jn Dreiquerfingerzeilen
Von Mädchen und von Weine
Von Weine und von Mädchen ...

Der vollständige jambische Viertakter erinnert uns an jenen Achtsilbenvers, der vor Opitz Auftreten Jahrhunderte lang der anerkannte Normalvers der deutschen Dichtung war, der herabgekommene, oft jämmerlich mißbetonte einförmige Erbe des alten wechselreichen, epischen Verses mit vier Hebungen*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 22. Auswahl aus dem höfischen Epos.. Es ist der Vers des Seb. Brandt, Hans Sachs, Fischart**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 24., der volkstümliche Vers der deutschen Reformation, später verächtlich Pritschmeistervers genannt. Der fünffüßige Jambus ist der bekannte Jdealvers des deutschen Dramas. Als solchen haben ihn die englischen Dramatiker des 16. Jh. eingeführt (blancvers d. i. ungereimter Vers), und durch Shakespeare kam er in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts schließlich auch auf die dem Verse überhaupt wenig entgegenkommende, deutsche Bühne. Jn der Lyrik hat diese zwischen Knappheit und Ueberweite gerade die rechte Mitte haltende Form der Verszeile nach romanischem Muster schon mit und vor Opitz festen Fuß gefaßt (vers communs gemeine Verse). 69Der fünffüßige Jambus mit vollständigem oder hyperkatalektischem Abschluß ist der gewöhnliche Vers berühmter Strophenformen, des Sonetts, der Terzine, der Stanze. Jnnerhalb der letzteren ward er auch epischer Vers in Dantes Terzinen und den Stanzen des italienischen cinquecento (Ariost, Tasso), vom Reime wieder emanzipiert bei Milton. Der Vers bedarf noch keines entschiedenen Einschnitts, um ihn übersichtlich zu machen. Doch stellen sich Caesuren gern im zweiten oder dritten Fuße ein:

Heraús | in Éu | re Schát | ten, | ge Wíp | fel
Ein | her Wíl | le, dém | ich mích | ergé | be

Der sechsfüßige Jambus war der Dialogvers der antiken Tragödie. Als solcher heißt er auch Senar oder, da erst zwei jambische Füße (Dipodie) ein kennbares jambisches Metrum ausmachten, auch Trimeter. Er unterscheidet sich kennbar von dem bereits berührten, ihm äußerlich gleichenden französischen Alexandriner, daß er jener Diärese am Schluße des dritten Versfußes, die der Alexandriner zur Regel erhob, grundsätzlich ausweicht.

Trimeter:

Js | ne tráu | te Schwés | ter, viél | gelíeb | tes Háupt,

Alexandriner:

Js | ne teú | res Haúpt als nä́ch | ste mír | verwándt

Man fühlt, wie der Vers dadurch auseinanderklafft und jenen wohlweise nüchternen Parallelklang erhält, der ihn den Spitzfindigkeiten und Witzspielen der französischen Poesie empfahl, beim höheren Aufschwung aber notwendig den Eindruck des auf Stelzen Geschraubten hervorrufen muß. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die unausweichliche Zusammenkoppelung70 der Verse zu aufeinderfolgenden Reimpaaren. Dadurch, daß er die ununterbrochene Folge der Alexandriner und die stete parige Reimung mied, suchte in neuerer Zeit Freiligrath dem arg in Mißkredit geratenen früheren Herrscherverse wieder aufzuhelfen.

Spring an mein Wüstenroß aus Alexandria! ..
Das ist der Renner nicht, den Boileau gezäumt
Und mit Franzosenwitz geschulet!
*)Der Alexandriner. Ferd. Freiligraths Gesammelte Dichtungen[Stuttg. ]1886 Bd. I S. 87.
*)

Die hier von Freiligrath beliebte poetische Etymologie des Alexandriners ist insofern auch wissenschaftlich nicht ganz abzuweisen, als gerade in der Zeit seines Aufkommens (13. Jh.) arabischer Einfluß wohl in Betracht zu ziehen ist, der damals der europäischen Ausdrucksweise eine Menge von Wörtern lieh (gerade solche an der Anfangssilbe al kenntliche, sonst mannigfach entstellte). Ein altfranzösisches Gedicht über Alexander den Großen oder dessen Verfasser werden sonst als Taufpathen des berühmten und berüchtigten Verses genannt.

Gänzlich unstatthaft wird gewöhnlich auch die altdeutsche epische Langzeile, mit ihrem neueren Vertreter allgemein als Nibelungenvers bezeichnet, einfach als sechsfüßiger Jambus aufgeführt Das giebt ein falsches Bild von der Entstehung und dem Charakter dieses Doppelverses. Denn er ist aus der rein äußerlichen Combination zweier metrisch selbstständiger, nur durch den Stabreim in den zwei oder drei entschiedensten Hebungen zusammengehaltener Verse entstanden. So im alten Hildebrandsliede:

w̄élaga nu w̄áltant got w̄êwurt skihit
ih wallôta s̄úmaro enti wintro s̄éhstic ur lante
71

W̄ohlan denn, w̄altender GottW̄ehsal geschieht

Jch wanderte S̄ommer und Winters̄echzig außer Lande

Daraus nun wurde nach dem oben erörterten taktischen Ausbau ein Doppelvers von je drei Hebungen, der aber dadurch, daß der erste Teil hyperkatalektisch ist (später auch durch besonderen Reim) gegen die Zusammenziehung in einen Vers von sechs Hebungen gesichert blieb. So tritt er uns in der Strophe der alten Volksepen Nibelungen und Kudrun*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 10. Nibelungen und Gudrun. entgegen, in welcher noch dazu der jemalige Schlußvers der Strophen mit vier bezw. in der Kudrun fünf Hebungen die alte Hebungsfreiheit im Gedächtnis halten zu wollen scheint. Also die bekannte, schon mit Binnenreim ausgestattete Eingangsstrophe des Nibelungenliedes:

Uns íst in álten mǽrenwúnders víl geséit
von hélden lóbebǽrenvon grốʒer árbéit
von fröúden, hốchgezî́tenvon weínen únd von klágen
von küéner récken strî́tenmuget ír nu wúnder hœ́ren ságen.

Die Erneuerer der alten Heldenstrophe in unserem Jahrhundert (Uhland) hielten sich bis auf den letzten Vers, dessen eigenwillige Hebungsüberzahl sie modernem Uniformbedürfnis opferten, genau an dies Muster. Es erscheint jetzt im regulären rhythmischen Gewande als Folge zweier jambischer Dreitakter:

Es stand vor alten Zeitenein Schloß so hoch und hehr

von denen jedoch der erste durch seine überzählige Silbe dafür sorgt, daß er niemals mit dem folgenden zu einem Sechstakter mit Diärese in der Mitte (Alexandriner) verschmelzen kann.

72

§ 51. Trochäische Verse.

Trochäische Verse. Die weitaus bemerkenswertesten unter ihnen sind die von ihrer Herrschaft in der spanischen Litteratur so genannten spanischen vierfüßigen Trochäen. Durch Herders Nachdichtung der Cidromanzen*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 36. Herders Cid. und die lebendigen Einwirkungen des großen spanischen Theaters im Zeitalter der Romantik hat der früher wenig gepflegte Vers auch in Deutschland die ihm gebührende vornehme Stellung errungen. Kürzer als der fünffüßige Jambus und daher heilsam zum Lakonismus anregend, von Natur streng und schwer gegenüber dem leicht allzu glatt fließenden jambischen Viertakter (Achtsilbenvers) bietet er gerade der deutschen Wortmacherei im Verse ein vortreffliches Gegengewicht. Freilich verfällt er auch gerade im Deutschen wiederum am leichtesten der ihm anhaftenden Gefahr der Monotonie, da die deutschen zweisilbigen Wörter alle von Haus aus Trochäen sind und der Vers daher leicht in lauter Diäresen auseinanderfällt:

Rǘckwärts | Rǘckwärts | stólzer | Cíd.

Die Dichter, die ihn im Epos verwendeten, haben daher zugleich mit Nutzen von dem Vorbild der spanischen epischen Romanzen Gebrauch gemacht und epische Gedichte in spanischen Trochäen in kürzeren liedmäßigen Abschnitten angelegt. Auf der Bühne kann man ihn trefflich unterscheidend beleben, indem man ihn im gewöhnlichen Dialog ungereimt, bei lyrischem und phantastischem Aufschwung aber gereimt verwendet. So meisterhaft Grillparzer in dem tiefsinnigen Phantasiespiel Der Traum ein Leben . Ueberhaupt kann man bemerken, daß neben dem mehr rationalen Charakter des fünffüßigen Jambus sich der spanische Trochäus auf der Bühne als vorteilhafte73 Ergänzung nach der Seite der Phantasie, des Visionären, Zauberischen, Märchenhaften darbietet (so in Ferd. Raimunds Märchendramen). Das liegt vielleicht an den oben berührten Eigenschaften seiner Kürze bei der Gehaltenheit seines Rhythmus, die den Ausdruck des Andeutenden, Ahnungsreichen begünstigen.

Jm Gegensatz dazu bringt die Combination trochäischer Viertakter zu einer trochäischen Langzeile von acht Füßen (trochäischer Oktonar) durch den überweiten Rahmen für die gewichtigen Rhythmen leicht den Eindruck der Geschwätzigkeit hervor. Die Alten verwendeten sie daher nur in kurzer Folge zu einer chorischen Zugabe, wie etwa Sophokles am Schlusse des König Oedipus . Während Opitz im 17. Jh. mit der Einführung dieses damals nach ihm benannten versus Opitianus bei tragischen Vorwürfen (in seiner Judith ) keinen guten Griff machte, hat in unserem Jahrhundert Platen ihn sehr glücklich zu den komischen Apostrophen seiner Aristophanischen Lustspiele benutzt, für die ihm die chorische Parabase des antiken Dramas das Muster bot:

Scheint sie auch geschwätzig, laßt sie; denn es ist ein alter Brauch, Gerne plaudern ja die Basen und die Parabasen auch.

Fünffüßige Trochäen, bei denen eine Diärese nach dem zweiten Fuße, eine Caesur im dritten Fuße sich gleich bemerkbar macht, sind der Vers der schönen serbischen Volkslieder, die Goethes ganz besonderen Beifall fanden. (Vgl. seine frühe Uebersetzung des Klaggesang von der edlen Frauen des Asan Aga aus dem Morlakischen.)

§. 52. Daktylische Verse.

Daktylische Verse: Jhre oben berührte heftige Bestreitung von Seiten der nationalen Metriker findet ihren74 hauptsächlichen Zielpunkt in dem vornehmsten aller antiken metrischen Schemata, dem Verse Homers, dem Hexameter. Dies wundervolle Maß, welches der Genius der Metrik selbst eingegeben zu haben scheint, in möglichst reiner Gestalt auch der modernen Dichtung zu gewinnen, ist seit dem Beginn einer tieferen Beschäftigung mit den Alten das Ziel der Poesiefreunde aller Länder gewesen. Nur die Deutschen haben es erreicht, im Vorzug vor den Romanen, da ihre Sprache in ihrer strengen Rhythmik wenigstens die für den Vers unerläßlichen festen taktischen Stützpunkte bot. Vorher mußten freilich auch hier die schon erörterten metrischen Jrrtümer in Bezug auf die Silbenmessung überwunden werden.

Der Hexameter bedarf der festen Stützpunkte vor jedem andern Versmaß wegen seiner wechselnden Bewegung bei völliger Einheit seines Grundtaktes. Diese seine wesentliche Schönheit würde eben bei jedem Verwischen seines Schemas verloren gehen. Der Hexameter ist, wie schon sein Name besagt, aus sechs und zwar daktylischen Metren zusammengesetzt. Er stellt nach unseren obigen Ausführungen das klassische Compromiß der einfachsten ungleichen Taktreihe (3×2) in der gleichen Taktart dar. Einfach in der Mannigfaltigkeit, so ruft er ähnliche Ordnungen der griechischen Archtitektur vor die Anschauung. Die grade Taktart weist auf sein direktes Erblühen aus ursprünglichster Rhythmik; die Freiheit, den Gleichtakt ganz, als Spondeus (d. i. Weihe-Opfervers von σπονδή, σπένδω),

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oder aufgelöst, als Daktylus

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zu gebrauchen, auf den schon erfolgten Durchbruch aus der archaischen Gebundenheit strenger Urform zu blühendem Leben. Das daktylische Maß, der Moment des Schwunges, soll nie ganz im Verse zurücktreten. Daher bleibt ihm der vorletzte Takt,75 der fünfte Fuß, unter allen Umständen eingeräumt. Um die Bewegung aber wiederum zusammenzuhalten, sie gleichsam nicht über die Ufer treten zu lassen, ist der letzte Fuß als Daktylus katalektisch, also ein Trochäus oder stellvertretender Spondeus. Dies ergiebt den wohlbekannten hexametrischen Abschluß

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der dem Gehör sich so aufdrängt, daß man ihn in der ernsten antiken Rede vermeiden mußte, etwa wie wir einen unfreiwilligen Reim. Ueber unsere Befugnis, das antike Schema des Daktylus und Spondeus nur rhythmisch, aber nicht metrisch streng nachzubilden, haben wir schon bei Gelegenheit des prosodischen Unterschiedes der Sprachen gehandelt. Jn Bezug auf die besondere Aufgabe sei hier bemerkt, daß es immer noch besser ist, die spondeische Senkung durch eine zu schwache Silbe auszudrücken, also einen kenntlichen Trochäus für einen Gleichtakt passieren zu lassen, als daktylische Senkungen allzustark zu bepacken. Der Grund dafür ist, daß nach dem oben auseinandergesetzten Prinzip der deutschen Verskunst die rhythmisch unbetonte Silbe keine positive metrische Bedeutung hat, ein wirklicher Spondeus in unserer Nachbildung daher nur illusorisch erscheint. Wohl aber kann sie eine negative Bedeutung durch ihre allzugroße Schwere erlangen, indem sie dann, wie auseinandergesetzt, an der Stelle der Kürze dem antiken Schema allzusehr widerspricht. Jn dem Hexameter

Únd es ságte daraúf der gúte Váter mit Náchdruck

ist z. B. der vierte Fuß gute der deutlichste Trochäus im metrischen Sinne. Er vertritt aber ohne allzu großen Widersinn in unserem rhythmischen Schema einen antiken Spondeus. Dagegen gäben Daktylen wie folgende

76
Víel Volk mit Stréitaxt und Rǘstung führt múthvoll zum
Kámpfplatz Held Héktor

einen seltsamen Hexameter, obwohl er rhythmisch richtig gebildet ist. Dazu kommt, daß nach Paul Heyse, der selbst in der Ueberwindung hexametrischer Schwierigkeiten (in seinem Epos Thekla ) Hervorragendes geleistet hat, das viele daktylische Gehüpfe dem Tone der deutschen Erzählung zuwider ist. *)[ Vergl. ]Platen, der deutsche Hexameter W. W. 2,289. P. Heyse, Epistel über den Hexameter Gedichte 3. Aufl. S. 348.Geradezu widersprechend dem rhythmischen Prinzip, also in unserem Sinne falsch erscheint aber umgekehrt die rhythmisch unbedeutende Silbe im guten Taktteil an hervorragend betonter Stelle. Was in dem oben angeführten Hexameter am leichten Anfang des Verses hingeht, nämlich die Betonung des und wird im nachstehenden zum Anstoß:

Léidend, getö́dtet únd verhérrlichet, wíeder erhö́ht hat.

Die einsilbigen Wörter bilden in dieser Hinsicht eine große und schon früh erkannte Verlegenheit wie für die Versbildung überhaupt, so zumal für den deutschen Hexameter.

Die Caesuren haben in diesem kunstvollen Versmaß bei seiner ansehnlichen Länge eine besondere Wichtigkeit. Sie fallen in die Mitte des Verses, nicht aber in die genaue Mitte nach dem dritten Takt, um ihn wie den Alexandriner platt in zwei genaue Hälften zu zerlegen, sondern um sie herum, etwas vor die Mitte und etwas darüber hinaus. Als Penthemimeres (griech. = fünfter Halbteil) in die Mitte des dritten Fußes:

Wélcher so | weít ge | írrt, nach der | héiligen | Trója
Zer | stö́rung
77

als Hephthemimeres (siebenter Halbteil) in die Mitte des vierten Fußes:

Vieler | Ménschen | Stä́dte ge | séhn, und | Sítte ge | lérnt | hat.

Noch näher an die genaue Mitte fällt eine Caesur, die dadurch, daß sie im dritten daktylischen Fuße gleichsam einen Trochäus abschneidet:

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von den Griechen die nach dem dritten Trochäus (τομὴ κατὰ τρίτον τροχαῖον) genannt wurde:

Sínge den | Zórn, o | Gö́ttin, des Pelei | áden A | chílleus.

Man achte bei dieser Caesur aus schon erörterten Gründen darauf, daß nicht im unmittelbar voraufgehenden Fuße sich gleichfalls eine solche trochäische Teilung finde. Also nicht: Príamos | Féste zu | tílgen und | wóhl nach | Háuse zu | kéhren sondern:

Priamos | Stadt zu ver | tilgen &c.;

Ueberhaupt ist das Auseinanderfallen der daktylischen Versfüße in lauter durch die Caesuren abgetrennte Trochäen zu besorgen, wie Horaz einmal sicherlich mit Absicht solch einen Hexameter durchweg so bildet:

dignum|ménte do|móque le|géntis ho|nésta Ne|rónis.

Geradezu vermieden wurde in der klassischen Verspraxis die trochäische Caesur im vierten Fuße (post quartum trochaeum), wohl wegen des dem griechischen Ohre monoton erscheinenden Gleichklangs (homophon mit dem nicht mehr entfernten Abschluß des Verses). Schiller hat auf die Ausstellung78 W.'s von Humboldt*)Vergl. Briefwechsel mit Humboldt. 2. Aufl. S. 229. seine Hexameter durchweg daraufhin geändert. Also in der Elegie (Spaziergang) V. 116

SiNote: 1 ehe da | wiNote: 2 mmeln die | Note: 3 rkte, der | Krahn von | fröhlichem | Leben

statt der ersten Form:

SiNote: 1 ehe da | wiNote: 2 mmeln von | fröhlNote: 3 ichem | LebNote: 4 en die | Krahne die | Märkte.

Eine typische Diärese pflegt sich nur dort einzustellen, wo ein Auseinanderfallen des Verses nicht mehr zu befürchten ist, nämlich nach dem vierten Fuße:

Sage hier | von auch | uns ein | weniges, Tochter Kro | nions.

Wegen seines häufigen Vorkommens in der idyllischen (bukolischen) Hirtendichtung wird dieser Abschnitt auch allgemein bukolische Caesur genannt.

Dem Hexameter eine Anakrusis vorsetzen, wie dies Ewald von Kleist in seinem Frühlingsidyll versuchte, heißt keine bloße Spielart des Verses schaffen, sondern ihn radikal aus einem daktylischen in einen anapästischen verwandeln, wenngleich dadurch, daß man den ersten Fuß nicht daktylisch gestaltet, der anapästische Einsatz etwas bemäntelt werden kann:

O | dreimal | seliges Volk das keine Sorgen beschweret,
Kein | Neid ver | suchet, kein Stolz! Dein Leben fließet verborgen.

Man hat aber dann durch ein Opfer an Bewegungsfreiheit immer noch keine Hexameter erzielt. Denn der Charakter des Hexameters ist in der Mannigfaltigkeit seiner Bewegung ein streng geschlossener. Er trägt alle Variationen in sich, und bei jeder, die über sein Schema hinausgeht, muß man sich darüber klar sein, daß man auch seinen Charakter aufgiebt.

79

§ 53. Anapästische Verse.

Anapästische Verse sind charakteristisch für die chorischen Abschlüsse im antiken Drama. Daß die Alten gerade bei diesem Anlaß zum anapästischen Verse griffen, läßt namentlich am Schlusse der Dramen (so aller erhaltenen Sophokleischen außer, wie schon oben berührt, im König Oedipus) ihre hohe Kunstweisheit wieder recht hervorleuchten. Denn der Tonfall der Anapäste, der ja zu den Taktschlüssen hineilt, hat recht etwas zum Abschluß hindrängendes; auch dann, wenn, wie im daktylischen Takt die beiden kurzen (leichten) Silben zu einer langen zusammengezogen sind, oder rhythmisch gegesprochen jambischer Takt stellvertretend eintritt. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn, wie in den angeführten Mustern, mehrere vollständige anapästische Reihen schließlich auf eine unvollständige (katalektische) hinausgeführt und so gleichsam zum Stocken gebracht werden. Der Typus für diese Anapästen ist der Viertakter:

Wohl víel | mag scháun | und im Scháu | en der Mensch |
Ausspä́hn |; doch éh | er gescháut | weisságt |
Kein Ménsch | die Geschíck | e der | kunft.

Platens komische Nachahmung in den bereits angeführten Aristophanischen Lustspielen zieht im Dialog je einen akatalektischen und katalektischen anapästischen Viertakter zu einer Langzeile zusammen, um mit den trochäischen Oktonaren der Parabase abzuwechseln. Der energischere, klassisch geweihte Rhythmus erlaubt ihm dann, aus der komischen Atemlosigkeit heraus gelegentlich ernstere Töne anzuschlagen:

Wenn streng der Poet voll feurigen Spotts | der empor sich schraubenden Ohnmacht
80
Schwerfälligen Wahn, der platt wie er ist | den begeisterten Schwärmer sogar noch
Will spielen, wie einst in die Saiten Apolls | des Silens Maulesel hineingriff:
Wenn streng der Poet ihn strafte, verdient | er den Dank und die Liebe der Mitwelt.

Doch wird niemand diese ungeschlachte Verszusammenfügung im Ernst für ein metrisches Muster nehmen.

§ 54. Freie Versformen.

Wir haben nur historisch bekannte und auffallende Verstypen geben wollen. Dem Formensinn ist für das Schwingungsmoment, das er jeweilig in der Versreihe verkörpern will, nichts verboten und alles erlaubt. Er kann vom Eintakter, ja von bloßen Taktfragmenten in der Reihe bis zu der größten Ausdehnung gehen, welche die Versreihe in Hinsicht auf Atem und Uebersicht verträgt. Meistersingerische Aufzählung solcher Töne steht der Poetik übel, wie den Dichtern ihre gezierte und gesuchte Anwendung. Muster reichen und dabei stets treffenden, ungesuchten Formenspiels ist selbst in der Zeit des damit bloß prunkenden Minnesangs Walther von der Vogelweide*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 23. Walter von der Vogelweide. Vgl. den Wechsel der Verszeilen dort z. B. in No. 13, 35., unter den äußerlichen Versvirtuosen des 17. Jahrhunderts Paul Fleming**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 25. Kirchenlied und Volkslied. S. 20 f., in unserer Zeit, nachdem die Romantik das romanische Versklangspiel wieder angeregt hat, besser, als der oft überkünstliche Formschwelger Rückert, Eduard Mörike mit seiner Kunst, die freie Gleichform des Volkslieds gleichsam in rhythmischen Momentbildern auseinanderzulegen. So in dem bekannten Liede des81 verlassenen Mägdleins (im Maler Nolten) besonders die in ihrer Sinngemäßheit metrisch unausschöpflichen Verse der dritten Strophe:

Plötzlich da kommt es mir,
Treuloser Knabe,
Daß ich die Nacht von dir

und nun mit plötzlichem Wechsel des Rhythmus:

Geträumet habe.

So auch der rhythmische Wechselruf der von Rob. Schumann chorisch komponierten Ballade Schön Rohtraut . *)S. Eduard Mörikes Gesammelte Schriften Stuttgart 1889. 1 Bd. S. 61, 58. Vgl. auch An eine Aeolsharfe S. 39. Lied vom Winde S. 59.Auf die rhythmische Bedeutung der Kehrverse, der sogenannten Refrains, ist hier besonders zu achten. Doch werden diese erst in der Lehre von den Strophen verständlich.

Freiheit im Wechsel des Verstakts ist zwischen den ähnlichen Taktgeschlechtern Daktylus und Trochäus, Anapäst und Jambus natürlich, wie schon aus der Behandlung des daktylischen Hexameters und der Anapäste erhellt haben wird. Man kann leicht bei stärkerer Erregung aus dem jambischen Versgang in anapästischen, aus trochäischen in daktylischen übergehen. Die Bewegung erscheint dann nur beschleunigt, nicht radikal verändert:

Der Ménsch ist fréi gescháffen, ist fréi
Únd vereínen, was éwig sich fliéht.

§ 55. Regelmäßige Versgestaltungen im Taktwechsel.

Unsere rhythmische Verskunst scheint auf diese leichteste Art des Taktwechsels beschränkt, während die antike metrische ein Reihe gangbarer Verstypen auf reicheren Formen gegen -82 sätzlichen Taktwechsels begründen konnte. Den Grund dafür muß man wohl in der Ausschließlichkeit suchen, mit der das unbedingte rhythmische Taktieren den einmal eingeschagenen Gang aufrecht erhält, während der durch das Metrum bedingte Takt (das Skandieren) weit geschmeidiger sich jeder Laune des rhythmischen Wechsels anschmiegt. Es charakterisiert das Verhältnis, daß von der reichen Zahl typischer Gestaltungen, welche die griechische Metrenphantasie aus der unerschöpflichen Menge möglicher Kombinationen herausgehoben hat, grade diejenigen sich unter uns lebendig erhalten, welche sich rhythmisch durch Wechsel im analogen Takt jambischanapästisch, trochäisch-daktylisch ausdrücken lassen. So ward der antike alcäische Hendekasyllabus (Elfsilbenvers) für uns ein fünffüßiger Jambus mit Anapäst im vierten Fuße und Caesur im dritten Fuße:

Jch sáh | o ságt | mir, sáh | ich was jétzt | geschíeht
*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 1. Klopstock Ode Die beiden Musen 1752. S. 26.
*)

Desgleichen bedeutet der sapphische Hendekasyllabus (Sapphicus minor) für uns einen fünffüßigen Trochäus mit Daktylus und Caesur im dritten Fuße:

Áuch wenn | stílle | Nácht mich um | scháttend | décket

Doch hat Klopstock gerade in der Ode, welcher dies Beispiel entnommen ist**)Desgl. in der Ode Der Frohsinn . Samml. Göschen Bd. 1. S. 83. (Furcht der Geliebten 1753), den Daktylus nach der Folge der Verse je im ersten, zweiten oder dritten Fuße angewandt, jene Caesur aber nicht beachtet, ebensowenig wie Platen in seiner sapphischen Ode die Pyramide des Cestius. ***)Werke Stuttg. 1853. II 157 ff.Einen vierfüßigen katalektischen Trochäus, der seinen daktylischen Wechseltakt im zweiten Fuße83 eintreten läßt, besitzen wir im Glyconeus, einem gleichfalls aus diesem Grunde noch häufigen Verse:

Fábel | háfte Ge | spíelin | nen
*)Klopstock in der Ode Der Lehrling der Griechen 1747, a. a. O. S. 1.
*)

Von den sogenannten logaödischen Versen, die aus daktylischem in trochäischen Gang übergehen, sind für uns als Ergänzungen der oben genannten zu berühmten Strophenformen (der alcäischen und sapphischen) wichtig: Der doppelt daktylisch trochäische Logaödenvers:

Heiß zu den | krönenden | Zielen | fliegen
**)Klopstock a. a. O. S. 26.
**)

Der sogenannte Adonius (d. i. Vers des Adoniskults, vgl. oben als hexametrischer Abschluß) aus Daktylus und Trochäus bestehend:

Dǘrre be | blǘtet
***)Klopstock a. a. O. S. 83.
***)

Diejenigen Metra der Griechen, die sich für uns nicht durch rhythmischen Wechsel im analogen Takt ausdrücken lassen, sind nur aus diesem Grunde in der poetischen Praxis auffallend in den Hintergrund getreten. Man hat zwar mit den Cretici (Amphibrachys

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und Amphimacer

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) und dem Choriambus (Chorius d. i. Trochaeus und Jambus)

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Verse zu komponieren versucht. Allein diese Versfüße emanzipieren sich in unserer Rhythmik zu selbständigen Versen. Jm Amphibrachys gestellte kretische Versfüße verfließen gegenüber unserem herrschsüchtigen Starktone zu daktylischen bezw. anapästischen Reihen:

Es wár mal | ein Káiser | der Káiser | war kúrrig

wird leicht zu

84
Es wár | mal ein Káis | er der Káis | er war kúr | rig

Der Creticus (Amphimacer) Wínterzeít stellt für uns einen unvollständigen (katalektischen) Doppeltrochäus dar; der Choriambus, eine Vereinigung von Trochäus und Jambus, z. B. Frǘhlingsgesáng bedeutet einen unvollständigen Doppeldaktylus. Cretici, in einer Zeile fortgeschrieben, wie dies Rückert versucht, aber auch nicht durchgeführt hat:

Wéil im Féld | Frǘhlingstháu | pérlt am júngen Gráse
Sóll ich nícht | Fréudenquéll | lássen taún vom Gláse?

werden Auge und Ohr stetig stutzen lassen, zumal das Ganze deutscher Eurhythmie zuliebe doch am Schlusse auf Trochäen hinausläuft. Angemessener verfuhr z. B. Matthisson, der Cretici als gereimte Verszeilen verwendet:

Góld'ner Schéin
Déckt den Háin

Was die Choriamben anlangt, so scheint der relativ häufigste Vers aus ihnen der sogenannte kleinere Asclepiadeus (zwei Choriamben, eingerahmt von einem Trochäus vorn und einem Jambus hinten) nur deshalb sich leichter bei uns eingeführt zu haben, weil er für das deutsche Ohr sich mit dem bald zu besprechenden Pentameter deckt. So verwendet ihn Klopstock mit dem Glykoneus als zweitem Vers in der dafür schon herbeigezogenen Ode Der Lehrling der Griechen*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 1. S. 1.

Wén des | Génius Blíck | áls er gebór | ren wárd

Der Pentameter nämlich ist ein an zwei Stellen, nach der Hauptcaesur (Penthemimeres) und am Schluß abgebrochener85 Hexameter. Durch diesen Abbruch je eines Halbfußes an den beiden Stellen erhält er vor und nach der Caesur einen Choriambus und gleicht so bei der deutschen Trochäenfreiheit im Hexameter durchaus einem kleineren Asclepiadeus. Als Vers für sich, in längerer Folge, wäre der Pentameter wegen seiner unablässigen Aufhalte in der Mitte und am Ende gar nicht zu brauchen. Aber im Wechsel mit dem Hexameter, dessen beschwingten Gang er nachdenklich unterbricht, im sogenannten Distichon (Doppelreihe) stellt er eines der ältesten (vgl. Horaz in der ars poetica über den Erfinder: et adhuc sub judice lis est ) und häufigsten Versgebilde namentlich für elegische und epigrammatische Vorwürfe dar. Dann bedeutet der Hexameter die Vorbereitung, die Erwartung der Empfindung, des Gedankens, der Pentameter die Entladung und Lösung:

Jm Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Jm Pentameter drauffällt sie melodisch herab.

Der Pentameter steht vermöge des starken Einschnittes zwischen seinen Hälften auf der Grenze jener Versbildungen, welche die Griechen wegen ihres lockeren oder ganz fehlenden metrischen Zusammenhanges asynartetisch nannten. Bei der schon erörterten leichteren Anschmiegungsfähigkeit des metrischen Systems konnte den Alten die logische Sinnreihe in diesen Fällen das Maß für den Vers abgeben, eine Freiheit, die vielleicht auch dem Begriffe des Logaödischen (λόγος ἀοιδός) zu Grunde liegt. Bei der selbstherrlichen Natur des rhythmischen Systems ist das für uns nicht mehr möglich. Auch der Pentameter schon wird für uns mehr durch den Parallelismus mit dem voraufgehenden Hexameter zusammengehalten und würde selbständig, außerhalb des86 Distichons, für unser Ohr auseinanderfallen. Ein Vers, wie ihn Horaz (Epoden XI) bildet:

s̄cribere | v̄ersicu | l̄os amō | re p̄er | cussūm | grav̄i

würde für uns rhythmisch nur Sinn haben, wenn wir ihn in die beiden Reihen, aus denen er besteht, die daktylische und die jambische, auseinanderlegen:

Zíerliche Vérselein
Zu schreíben schwér an Liébe kránk

Andernfalls fehlt ihm die rhythmische Ordnung. Es wird für uns ein Schleuder - oder Streckvers , der beliebig im Takte wechselt.

Kapitel 3. Strophen.

§ 56. Dreiteiligkeit der Strophe.

Die letzten Verserscheinungen haben bereits über die Grenze der einzelnen Versreihe hinausgeführt zu metrischen Bildungen, in denen der Vers selbst wieder Bestandteil wird. Man nennt sie Strophen, mit der griechischen Bezeichnung (στροφή) eben desselben Begriffs, den wir bei versus erörtert haben, nunmehr die Wiederkehr einer bestimmten Ordnung von Versreihen ankündigend. Noch viel enger als der Vers schließt sich der metrische Sinn der Strophe an die Musik. Es ist nämlich der Charakter des Liedes, der Abschluß einer nach verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrenden Tonbewegung, der Melodie, welcher in der Strophe zum Ausdruck gelangt.

Der weit engere Anschluß, aber auch zugleich der unverhältnismäßig niedrigere Stand der Musik im Altertum zeigt sich in der Bedeutung, welche in der antiken Strophe87 noch die rein metrischen Verhältnisse für sich in Anspruch nehmen. Verse von ganz unterschiedener, fein abgetönter metrischer Bildung wechseln miteinander ab, von denen oft keiner dem andern gleicht, und die gleichwohl nach einem langen Umschwung in der zweiten ganz gleich gebauten Strophe (Antistrophe) auf das peinlichste genau wiederkehren. Derart waren die chorischen Strophen im antiken Drama, die ganz auf musikalische Komposition gestellt waren. Aber auch außerhalb des Rahmens der Bühne wurden sie bei feierlichen Choraufführungen angewendet, so von dem kunstreichsten und kühnsten Strophenkomponisten der Alten, Pindar. Die metrische Kunst ging soweit, daß sie auch bei dieser künstlichen Chorstrophe sich nicht beruhigte, sondern nach ihrer Wiederholung in der Antistrophe ihr in einem neuen strophischen Gebilde, dem Epodos, erst den Abschluß gab. Diese ganze kunstvolle Dreiheit von Strophe, Antistrophe und Epodos wird nun festgehalten und schlingt sich durch einen ganzen Pindarischen Siegesgesang. Die metrische Feinhörigkeit, die hier bei Sängern und Publikum vorausgesetzt werden muß, ist unserem, nach ganz anderen Richtungen (der Harmonie) ausgebildeten Ohre gar nicht mehr verständlich. Doch ein Abglanz davon belebte noch die poetische Blütezeit des Mittelalters, in der freilich schon der weit gröbere Reim den Hauptanteil des strophischen Wechsels übernimmt. Jm Minne - und dem davon abhängigen Meistersang treffen wir den alten dreiteiligen Wechsel von Strophen und Epodos gleichsam verjüngt in der Anlage der Strophe selbst, in Stollen und Abgesang.

§ 57. Gebräuchliche antike Strophen.

Diese höchste Blüte des kunstvollen Strophenbaues blieb aber auch im Alterthum nur den genannten höheren poetischen88 Aufgaben vorgehalten. Diejenigen Strophen, welche die Lyra des für sich selbst singenden und sagenden Dichters wählte, sind zwar metrisch noch immer ohne Vergleich kunstvoller, als die unsrigen. Doch folgen sie für gewöhnlich ohne die chorische Dreiheit von Strophe, Antistrophe und Epodos gleichgebaut eine der anderen. Sie sind kürzer, für gewöhnlich sogar nur Zwei - und Vierzeilen (Disticha und Tetrasticha). Es waren schon damals nicht grade die schwierigsten unter ihnen, welche die größte Beliebtheit erlangten. Einige besonders glückliche von diesen populären antiken Strophen haben sich, wie wir schon bei den einzelnen Versreihen vorbereitend bemerkten, in unsere rhythmische Versübung hinübergerettet. Als typisch können wir anführen die sapphische Strophe (nach der bekannten aeolischen Dichterin Sappho), die aus drei kleineren sapphischen Versen und dem Adonius besteht:

Voller Gefühl des Jünglings weil 'ich Tage
Auf dem Roß und dem Stahl; ich seh' des Lenzes
Grüne Bäume froh dann und froh des Winters Dürre beblütet!
*)Vergl. Sammlung Göschen Bd. 1. Nr. 30. Klopstock, der Frohsinn.
*)

Die alcäische Strophe (nach dem aeolischen Dichter Alcäeus), aus zwei alcäischen Elfsilblern, einem katalektischen fünffüßigen Jambus und dem beschriebenen logaödischen Verse bestehend, den männlich anstürmenden Charakter so gut darstellend wie die Strophe Sapphos den weiblichen, ruhig abwallenden:

Der Seraph stammelt und die Unendlichkeit
Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach
89
Dein hohes Lob, o Sohn! Wer bin ich,
Daß ich mich auch in die Jubel dränge?
*)Ebend. Dem Erlöser a. a. O. No. 6.
*)

Die sogenannte fünfte Asklepiadeenstrophe, aus zwei kleineren Asklepiadeen (von einem alexandrinischen Dichter Asklepiades) dem Glykoneus (nach einem dunklen Dichter Glykon) und vor diesem aus einem um eine Silbe kürzeren Verse (dem Pherekrateus, nach dem attischen Komödiendichter Pherekrates) zusammengesetzt:

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,
Das den großen Gedanken
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.
**)Ebend. Der Zürchersee a. a. O. No. 4.
**)

Von den zweireihigen antiken Strophen (Distichen) wollen wir außer dem schon erörterten κατ 'ἐξοχήν sogenannten (elegischen) Distichon aus Hexameter und Pentameter nur die dritte asklepiadeische erwähnen. Sie besteht aus dem kleineren Asklepiadeus und dem Glykoneus. Klopstock braucht sie in seiner ersten Ode (1747) Der Lehrling der Griechen ***)Vergl. Sammlung Göschen Bd. 1. Nr. 1.:

Wen des Genius Blick, als er geboren ward,
Mit einweihendem Lächeln sah

§ 58. Der Reim als Vorreim und Nach (End -) reim Mittel der Strophenbindung.

Wir haben schon darauf vorbereitet, daß in den neueren Zeiten der Reim fast ausschließlich den strophischen Wechsel bestreitet. Die kirchliche Hymnendichtung, welche für uns die sichtbare Brücke von der antiken zur neueren Versübung bildet, kann den Uebergang Schritt für Schritt belegen, der von dem90 Wechsel künstlicher Metren zu rhythmischer Eintönigkeit und der dadurch bedingten Forderung eines neuen, rein musikalischen Formungsmittels führte. Ein solches Mittel hatte die alte rhythmische Dichtung bereits in einer Art des Reims, dem schon gekennzeichneten Stabreim oder der Allitteration. Er ist ein Vorreim, der in jener primitiven Urrhythmik die Reihen strophisch zusammenhalten konnte, aber bei strengerer rhythmischen Ausgestaltung, wie wir sahen, in den Vers (die Langzeile) zurücksank.

Nun stellte sich Ende des ersten Jahrtausends nach Christus, ganz gewiß selbständig, aber durch orientalischen (arabischen) Einfluß zweifellos gefördert, der minder wuchtige, aber klangvollere Endreim ein, um die Verszeilen strophisch zu binden. Er muß nach seiner Stellung am minder tönenden Wortausgang eine ganze Silbe für sich in Anspruch nehmen. Denn im Silbenvokal liegt seine bindende Macht; er kann daher auch als bloßer Vokalreim (Assonanz) auftreten und erscheint so wie der Stabreim in manchen dadurch gehobenen Redewendungen (Wissen und Willen, kurz und gut). Der gleiche konsonantische Ausgang, so wenig er an sich zur Reimung beiträgt, gehört aber zum Vollreim, der gleichfalls so auftritt (Knall und Fall, schlecht [schlicht] und recht). Dagegen berührt der gleiche konsonantische Anfang von Vollreimsilben das deutsche Ohr wenigstens, nicht so das romanische, als Luxus (reicher Reim), da er für uns meist nur das gleiche Wort oder eine stereotype Endsilbe (heit, keit, schaft) wiederbringt. Wie in Wíssenscháft Réchenscháft, Éitelkéit Éhrlichkeit. Jn der orientalischen Strophenform der Gasele ist diese Art Reim über das gleiche Wort (ja sogar mehrere) hinaus alleiniges Band durch beliebig viel Verse:

91
Jm Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her,
Doch irrst du, Freund, sobald du sagst, sie schwanke hin und her,
Es wurzelt ja so fest ihr Fuß im tiefen Meeresgrund,
Jhr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her.

Platen: Motto zu den Gaselen.

Ein ganz gleicher Reim ist so gut wie gar keiner. Denn er soll eben Verschiedenes wirklich binden, auf den gleichen Endklang Fernes, ja Entgegengesetztes hinausleiten. So hat sich uns ja der Reim schon bei den Figuren angekündigt. Daher die ungesuchte Beliebtheit, in der manche Reime stehen, Herz und Schmerz, Lust und Brust, aber auch der Tiefsinn, der sich wie von selbst in viele legt: heute rot morgen tot.

§ 59. Arten des Reims.

Der Reim, als kennbares Band von Rhythmen, muß insofern an ihrer Natur teilnehmen, als er unter allen Umständen den Ton, die Hebung tragen muß. Der Reim der letzten Silbe in zwei trochäischen Wörtern (haben geben) oder der beiden letzten Silben in daktylischen Wörtern (reinigen seligen) gäbe keine Bindung im Sinne des Reims oder höchstens in meistersingerischer Mißbetonung. Der Reim setzt an der letzten Hebung der rhythmischen Reihe ein; ist sie zugleich die letzte Silbe als männlicher (stumpfer) Reim (Gewált} Gestált), oder ist sie die vorletzte als weiblicher (klingender) Reim (lében gében) oder endlich im vollständigen daktylischen Rhythmus als gleitender Reim (stérblichen érblichen). Dies sind die drei rhythmischen Typen des Reims. Jhre mannigfache Verwendung im Versgeschlinge, als Binnenreim,92 Parallelreim, Kettenreim, als ganzer Satzreim (wie in der Gasele), als Echo und dergl., sowie ihre besondere lautliche Ausgestaltung, wie die poetische Situation und die Laune des Dichters sie eingeben mag, gehört keineswegs mehr in die allgemeine poetische Theorie. Was rein noch freies Phantasiespiel sein soll und nur als solches anmutig wirkt, kann nur pedantische Verkehrtheit in lächerliche Begriffe packen wollen. Ueberdies leistet sie dadurch dem nicht erst zu ermunternden leeren Spieltrieb im menschlichen Geiste Vorschub, der darin, wie die Litteraturgeschichte lehrt, leicht über jede erlaubte Grenze geht. Ganz das Gleiche gilt von der kindlichen Formenspielerei, die sich der künstlichen Strophenbildung durch das billige Mittel bloßer Reimveränderung bemächtigt hat.

Zumal der Refrain (Kehrreim), dem ganz kunstlosen Volksgesange entlehnt (wo er als stehend wiederkehrender Vers gewisse Grundempfindungen des Liedes gegenwärtig zu halten hat), gerade dies ganz freie, zwanglose Stimmungsmittel spielt hier als steifer Zeremonienmeister des Strophenganges eine große Rolle (Vergl. Sechstinne, Rondeau und dergl.). Wir verweisen für alle diese Formen und Unformen, welchen Landesmoden sie nun ihren Ursprung verdanken mögen, auf die jeweiligen Kapitel der Litteraturgeschichte, die sich mit ihnen zu beschäftigen hat. Hier wollen wir nur wenige besonders glücklich getroffene Anlagen der Reimstrophe anführen, welche zugleich durch ihre Rolle in der Geschichte der Dichtung ganz unverhältnismäßig über den übrigen Formenkram hervorragen.

§ 60. Reimstrophen.

Das Sonett, eine Strophendreiheit im Geiste der antiken chorischen Strophen. Zwei parallele vierzeilige Strophen (quatrains) schließt eine durch neue Reime in sich verschränkte93 sechszeilige (zweimal dreizeilige, sixain, Terzette) als Epodos ab. Der typische Rhythmus ist der fünffüßige Jambus. Die Reimverschränkung zeigt, durch Buchstaben ausgedrückt, unter mannigfachen Varianten den Typus:

a b b a
a b b a
c d e c d e
oder c d c d e e
Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen!
So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;
Jn der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

Goethe.

Durch ihre Ausdehnung vermag diese Strophenform einen poetischen Jnhalt vollkommen in sich abzuschließen, wobei ihr logischer Bau (gleichsam Prämissen und Konklusion) zur angemessenen Zusammendrängung eines überfließenden Stoffes förmlich die Anleitung giebt. So ward das Sonett früh (durch Petrarca) zum bevorzugten Träger des poetischen Tagebuchs, eine poetische Beichtformel, der die edelsten Geister94 aller Völker, auch solche, die sonst poetischer Gestaltung oder lyrischem Erguß ferner standen (Michel Angelo Buonarroti, Wilhelm von Humboldt, Shakespeare) ihr tiefstes Fühlen und innerstes Denken anvertrauten. Freilich hat das Sonett ebenso auch die Verflachung der Mode oft genug erfahren müssen, namentlich in dem modesüchtigen 17. Jahrh. Der Klingklang seiner Reimbindung blieb dann allein übrig, um ein Kompliment abzuzirkeln, ein Witzchen epigrammatisch herauszuarbeiten. Mit dem freieren Madrigal ward so das sonnet orgueilleux (Boileau) auch der klassische Vertreter fader, preziöser Salon - und Kliquenpoesie. Die Variationen, die in solcher Verwendung mit ihm vorgenommen werden können, mag man der Litteraturgeschichte entnehmen.

Die Abschlußstrophen des Sonetts leiten uns unmittelbar auf diejenige Strophenform, die durch Dantes Weltgedicht, la divina commedia, schon ihre hervorragende Stellung belegen kann: die Terzine. Denkt man sich den Typus der fünffüßigen jambischen Dreizeile, wie er in den zwei Terzetten des Sonetts auftritt, durch Reimverschränkung immer weiter fortgesetzt, so erhält man das Bild einer Strophe, die durch zwei Reime eingerahmt mit dem Mittelreim über sich hinausstrebt und so förmlich immer neuen Atem schöpft: in ihrem energischen Vorwärtszuge bei großer Gehaltenheit des Rhythmus so das vorbestimmte Maß für die beschwingte, poetische Durchführung eines ernsten und kühnen Gedankeninhalts. Den endlichen Abschluß muß dann natürlich eine einzelne Reimzeile abgeben, da mit der zweiten Strophe schon wieder eine neue Reimung anhebt. Dies ist also das Schema:

a b a b c b c d c d e d e ....

Die Terzine, durch das große Einleitungsgedicht der gesamten neueren Litteratur in Jtalien früh (13. Jh.) auf95 die höchste Stufe gehoben, fand trotz immer wieder erneutem Anklopfen in der Renaissancepoesie des 16. und 17. Jh. in Deutschland lange keine Pflege. Erst das mächtige Einwirken Dantes im Anfange unseres Jahrhunderts hat sie auch hier zu Lande populär gemacht. Bekannt ist Chamissos Vorliebe für diese Form.

Jch saß vor Sonnenaufgang an dem Strande,
Das Sternenkreuz verkündete den Tag,
Sich neigend zu des Horizontes Rande.
Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag
Vor mir der Osten, leuchtend mir entrollte
Zu meinen Füßen sich der Wellenschlag.
Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte ...

(Aus dessen Salas y Gomez .)

Die Stanze oder Ottaverime kann ihrer inneren Anlage nach als der Versuch angesehen werden, die Terzine strophisch zum Stillstand und Abschluß zu bringen; womit wir nicht gesagt haben wollen, daß sie sich historisch so gebildet habe, obwohl ihr zeitliches Auftreten nach der Terzine im 14. Jh. auch nicht gerade das Gegenteil beweist. Die Stanze hat sich jedenfalls weit rascher überall Bahn gebrochen (auch in Deutschland im 17. Jh.) und weit mehr Raum verschafft, als die Terzinen. Jhre epische Verwendung in den anmutigen und kühnen Rittergedichten, an denen sich die italienische Renaissance für ihre antiken Schulstudien schadlos hielt, machten sie zur modernen Heldenstrophe für alle möglichen Vorwürfe aus dem Feen - und Schäferlande. Schiller wagte sogar Virgils Aeneis in sie einzugießen. Goethes Bevorzugung der Strophe für die tiefsinnigsten Aussprachen seines Jnnern, wie Byrons dämonisch witziges Geplauder in ihr96 haben sie unserem Jahrhundert noch umfassender nahe gebracht. Das Reimschema der gleichfalls für gewöhnlich im fünffüßigen Jambus auftretenden Strophe giebt die sechs Verse der beiden Terzinen fest in sich gebunden und fügt als vollständigen Abschluß noch zwei neu mit sich reimende Versreihen an. Dies also ist der Typus:

a b a b a b c c.
Der Morgen kam; es scheuchten seine Schritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind umfing,
Daß ich, erwacht, aus meiner stillen Hütte
Den Berg hinauf mit frischer Seele ging;
Jch freute mich bei einem jeden Schritte
Der neuen Blume, die voll Tropfen hing;
Der junge Tag erhob sich mit Entzücken,
Und alles war erquickt, mich zu erquicken.

(Goethe, Zueignung zu den Gedichten.)

Es fällt auf, daß die Stanze im Norden mannigfachen Variationen ausgesetzt gewesen ist, so daß es fast den Anschein gewinnt, als ob das nordische Ohr bei längerer Dauer dem immer gleichen Anfluten der strengen Ottaverime Widerstand entgegensetze. Wieland und Schiller haben sowohl in der Länge der Versreihe als in der Folge der Reimung Abweichungen eintreten lassen, so daß nur die achtreihige dreimal gereimte Strophe als ihr Schema erscheint. Doch kehrt der Stanzentypus in der Reimung immer wieder, so daß er durch die Veränderungen hindurchschimmert. Goethe hat ein großangelegtes Gedicht in strengen Stanzen (die Geheimnisse) angefangen, doch nicht beendet. Eine ganz freie Abart, für die die Stanze nur den Ausgang abgiebt, bildete sich in England, wo Spencer im 16. Jh. einer neunzeiligen, mit einem Alexandriner97 schließenden fünffüßigen Jambenstrophe den dreifach gereimten Stanzencharakter zugrunde legte. Jn unserem Jahrhundert hat Byron diese Stanze Spencers im Childe Harold wieder erneut.

IV. Gattungen der Dichtkunst.

Litteratur.

Joh. Jac. Engel, Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten. Berl. 1804. H. Bone, Ueber den lyrischen Standpunkt bei Auffassung u. Erklärung lyrischer Gedichte. Paderborn 1852. R. M. Werner, Lyrik u. Lyriker (Beitr. zur Aesthetik hrsg. v. Th. Lipps u. R. M. Werner). Hamb. 1890. Lope de Vega, Nueva arte de hazer comedias (Spanisches Theater). Hédelin d'Aubignac, La pratique du théâtre (Grundbuch der französischen akademischen Regeln) in 3 Bdn. Amst. 1715. P. Corneille, Discours sur la tragédie 1660. Conti, Paragone della Poesia tragica (und Briefwechsel darüber mit Bodmer) 1746. Lessing, Hamburgische Dramaturgie 1767. Aug. Wilh. Schlegel, Ueb. dramatische Kunst u. Litteratur 3 Bde. 1809. Jmmermann, Theaterbriefe hersg. v. Putlitz 1851. H. Hettner, Das moderne Drama 1852. J. v. Eichendorff, Geschichte des Dramas 1854. Rob. Zimmermann, Das Tragische u. die Tragödie 1856. Jak. Bernays, Grundzüge der verlorenen Abhandlg. des Aristoteles üb. die Wirkg. der Tragödie. Breslau 1858. (Zwei Abhandlungen über die Aristotelische Theorie des Dramas. Berl. 1880.) H. Th. Rötscher, Dramaturgische Abhandlungen. Lzg. 1867. Ernst Ziel, Ueber die dramat. Exposition. Rost. 1869. G. Freytag, Die Technik des Dramas. 3. A. Lzg. 1876. Th. Lipps, Der98 Streit über die Tragödie (Beitr. zur Aesth. mit R. M. Werner Nr. 2. Hamb. 1891.) Döring, Die Kunstlehre des Aristoteles. Jena 1876. J. G. Ritter, Theorie des Trauerspiels. Lzg. 1880. Heinr. Bulthaupt, Dramaturgie der Klassiker 1882 (5 A. 1893). E. Zola, le Naturalisme au théâtre. Par. 1881. W. Henke, Vorträge über Plastik, Mimik u. Drama. Rost. 1892. Giov. Giorgio, Trissino, La poetica. Vicenza 1529. Pierre de Ronsard (1524 85, Haupt der französischen Renaiss. -Poeten la Pléïade ) Préfaces de la Franciade. Torquato Tasso, Discorsi dell'arte poetica. Ven. 1587. Le Bossu, traité de poëme épique. Par. 1693. Lessing, Laokoon, 1766. Fr. A. Wolf, Prolegomena ad Homerum, Halis 1795. Wilh. von Humbold, Ueber Goethes Hermann u. Dorothea. Aesthet. Versuche Th. I. Braunschweig 1799. Karl Lachmann, Ueber die ursprüngliche Gestalt des Gedichtes von der Nibelungen Not. Berl. 1816. Fr. Zimmermann, Ueb. d. Begriff des Epos. Darmst. 1848. Claes J. E. Aurell, Om balladen och romanzen. Upsala 1864. K. Borinski, Das Epos der Renaiss. (in der Vierteljahrsschrift für Renaissance 1885). Boileau, Dialogue sur les héros de Roman (verfaßt 1664). Huet, de l'origine des Romans 1670. Gotthard Heidegger, Mythoscopia Romantica. Zürich 1698. John Dunlop, History of the fiction. 2. A. Edinb. 1816. 3 Bde. Uebersetzt u. vermehrt von Felix Liebrecht. Berl. 1851. P. Heyse (mit Kurz u. Laistner) deutscher Novellenschatz (mit Einleitungen) Stuttg. 1872 ff. E. Zola, le Roman expérimental. Par. 1880. Detl. Fr. v. Biedermann, Der Roman als Kunstwerk. Dresden 1870. Friedr. Spielhagen, Beiträge zur Theorie und Technik des Romans. Lzg. 1883. Leo Gregorovius, Die Verwendung historischer Stoffe in der erzählenden Litteratur. Münch. 1891. Weddigen, Das Wesen und die Theorie der Fabel. Lzg. 1893.

99

Kapitel 1. Lyrik.

§ 61. Musikalische Beziehung.

Jn der Strophe erreicht die poetische Form den Punkt der Reife, wo sie das schließende Gefäß für den in sie ausströmenden Jnhalt wird. Diese vollständige Deckung der poetischen Absicht mit ihrem engsten Ausdruck scheint nur möglich in jenem ursprünglichen Momente poetischer Aussprache, wobei die Beziehung auf das musikalische Moment in ihr noch als eine notwendige und unmittelbare empfunden wird. Die Gattung poetischen Schaffens, welche hieran Teil hat, führt ihren Namen vom Gesangbegleitungsinstrument der Griechen: lyrische Dichtung, Lyrik.

§ 62. Der Dichter selbst als Held des lyrischen Gedichts.

Jch singe wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet, das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet bekennt der Goethische Sänger . Er hat damit den Kern aller Dichtung bloßgelegt, der in der Lyrik am reinsten, noch völlig unverhüllt vom umschließenden Weltstoff des Epos und Dramas, zu Tage tritt. Der Dichter selbst ist der Held des lyrischen Gedichts. Sein Lieben und Hassen, seine Lust und Qual, sein Erkennen und Wollen selbst wird Gegenstand der poetischen Anschauung. Sich davon zu befreien, die Stürme seines menschlichen Jchs aus dem reinen inneren Selbst auszuscheiden und so zu bemeistern, darum singt der echte Dichter. Es giebt keine Beziehung und keinen Zustand menschlichen Gefühls, keinen Grad menschlicher Leidenschaft, der in der Lyrik nicht zum Ausdruck gelangen könnte.

100

§ 63. Einteilung der Lyrik.

Wir haben hiermit schon die Art der Einteilung für die Lyrik angedeutet: Dem Grade nach quantitativ vom kleinsten Lied, dem Ausdruck jeweiliger Stimmung, bis zur vielumfassende Ode, die in fessellosem Schwunge frei dahinströmt; dem gegensätzlichen Zustande (der Stimmung) nach qualitativ gleichsam im Dur und Moll Satire und Elegie; der Beziehung nach (relativ), in die das Gemüt sein Erkennen und Wollen stellt, nach außen oder nach innen (expansiv oder contraktiv) weltlich und geistlich. Man wird nach dieser Einteilung die alten Scheidungen der Poetik auf dem lyrischen Gebiete verstehen, ohne sie sich dabei starr und uneingeschränkt zu eigen zu machen. Hoher Dichtergeist vermag in das kleinste, anspruchlos gestaltete Lied die Stärke des Ausdrucks, die Fülle und Breite der Anschauung zu legen, welche die schulmäßige Klassifizirung der Ode vorbehält. Jn erregten Gemütern schwankt Hoch - und Niedergang der Stimmung, Lust und Schmerz, Forderung und Nachlaß, Weltangriff und Weltflucht viel zu sehr, um sich stets in sauber abgetrennten Kapiteln gesondert auszutoben. Vollends die Scheidung zwischen geistlichem und weltlichem Gebiete läßt reine Poesie, sobald sie einmal die Fesseln der Culte von sich abgestreift hat, am ehesten verschwinden. Gott in der Welt, die Welt in Gott suchen und finden zu lehren, ist ja gerade das schöne Vorrecht des Dichters vor dem Priester.

§ 64. Allgemeinheit der lyrischen Dichtung.

Daß der oben abgehandelte Unterschied zwischen Natur - und Kunstpoesie in der Lyrik am greifbarsten hervortreten muß, erhellt schon aus der Kürze und Einfachheit der poetischen101 Form im Liede. Jhrer kann sich jedermann im geeigneten Momente bemächtigen, und sei es auch nur in der primitiven Fassung der Zwei - und Vierzeile (G'stanzeln, Schnadahüpferln unserer Gebirgsvölker). Das richtige Volkslied muß daher ein Jedermannslied sein, von jedermann, für jedermann gesungen. Höchstens Stand, Beruf, Gewerbe des Sängers darf anklingen, der sich so zum Chorführer seiner besonderen Genossen in der allgemeinen Sangeslust macht (Soldatenlieder, Studentenlieder, Müllerlieder , im allgemeinen Handwerkslieder, Bergreihen). Das Kunstlied vermittelt die Persönlichkeit seines Verfassers, seine Auffassung der Welt, seine speziellen Bezüge in ihr, zu seinem Kreise, seinen Lieben. Doch ist Simon Dachs Aennchen von Tharau volkstümlich geworden, als Typus der durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Noth erwählten Braut. Hinwiederum haben die Romantiker gar manches im Volkston gedichtet, was nur innerhalb ihres ganz besonderen Kreises verständlich wird. Goethes Kraft, gleichsam aus der Volksseele heraus zu singen, läßt ihn wirkliche Volkslieder geradezu nach - und weiter dichten ( Wie kommt's, daß du so traurig bist? ); Eichendorff, Uhland, Heine haben dem Jahrhundert seine verbreitetsten Volkslieder gegeben.

§ 65. Stoffwelt des Liedes.

Betrachten wir die Stoffwelt des Liedes. Wir werden nicht feststellen können, daß sie eingeschränkter sei, als die der Poesie überhaupt. Gegenstand des Liedes kann alles sein, auch das rein Historische, welches sich in objektivierter Behandlung das Epos zu eigen macht, oder das Szenisch-Aktuelle, das im Drama, vom Dichter abgelöst, für sich selber wirkt. Jn der Ballade, einer merkwürdigen volkstümlichen Dichtungsform,102 finden wir alle diese Momente zusammenwirkend. Entschieden lyrischer Charakter (sangmäßiger Strophenbau) historischer (sagenhafter doch auch bloß anekdotenhafter) Vorwurf, dramatische (dialogische) Form. (Zumal bei Goethe: Erlkönig, Fischer, Braut von Korinth, Gott und die Bajadere, Zauberlehrling, Hochzeitslied, Ballade vom vertriebenen und zurückkehrenden Grafen. Streng dialogisch: die Müllerinballaden, welche je den altenglischen, altdeutschen, altfranzösischen, altspanischen Balladencharakter nachbilden sollen.)

Charakteristikum des Liedes wird nur unter allen Umständen hier die Einfachheit sein müssen. Einfachheit des Vorwurfs! Denn es soll in Kürze, in einem zusammenhängenden Sangesvortrag von einem Einzelnen erschöpft werden. Daher darf er weder weitverzweigt noch unübersichtlich sein, wodurch eine Reihe spezieller Stoffe von selbst sich der Liedbehandlung entziehen werden, welche die Triumphe dramatischer und epischer Kunst bilden. Doch ersetzt das Lied vieles durch die ihm ganz besonders gemäße eigentümliche Art, Umstände, namentlich vorausliegende, anzudeuten, verwickelte Verhältnisse durch Empfindungsausdruck subintelligieren zu lassen. Hier wird der Lyriker gelegentlich Lehrer des Epikers, durchaus aber des wirkungsvollen Dramatikers. Was Fr. Th. Vischer das Punktuelle des lyrischen Gedichts nennt, das völlige Ausschöpfen einer einzigen Situation, erweist sich somit exemplarisch für die gesamte poetische Kunst.

§ 66. Epigramm.

Als das konzentrierteste Produkt der Lyrik und der Poesie überhaupt gilt uns das Epigramm*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 9. Lessings Antiquar. und Epigrammat. Abhandl. ( Jst Poesie eine Art103 Raserei, so ist sie in Epigrammen die kürzeste Wernicke) Unter dem Titel Epigramm (Aufschrift) faßt die antike Poetik alles zusammen, was in der kurzen knappen Form (gewöhnlich des einfachen Distichon: Hexameter und Pentameter s. S. 85) sich vereinigt. Da Kürze des Witzes Seele ist, so wird freilich die komische Pointe gerade hier vorzugsweise Bewährung suchen, wie wir es noch heute in den Stichelversen der Bergbewohner beobachten können. Komische Wendung zumal mit aggressiver Spitze (der Stachel des Epigrammes vgl. Goethe und Schillers Xenien nach dem Muster des römischen Epigrammatikers Martial) ist aber keineswegs der ausschließliche, ursprüngliche Charakter des Epigramms als eines kurzen Sinngedichts. Getreu seiner Grundbedeutung als Aufschrift kann es ebenso ernste und empfehlende Wendungen bringen, als komische und tadelnde. Grab - und Lobschriften auf Denkmalen sind der sinnfällige Ausdruck dieser abweichenden Grundrichtungen des Epigramms. Das Epigramm bildet so den Ausgangspunkt für drei wesentliche Richtungen der Poesie, die auch unmittelbar ins dramatische und epische Gebiet übergreifen können: nämlich die satyrische, die elegische und die panegyrische Richtung.

Jn der Satyre (von lat. satura lanx, volle Schüssel, jedenfalls unter Einwirkung der Namensform der komischen Wald - und Feldgottheiten) vereinigt sich gleichsam ein Schwarm von Stachelversen, um einen einzigen Gegenstand von allen Seiten anzufallen (Juvenal). Jn der Elegie (Erklärung ungewiß: von einem klagenden Refrain \̓ε λέγε; εὖ λέγειν?) knüpft sich eine Reihe ernster, nicht gerade immer schwermütiger Betrachtungen an eine einzige, gehaltene Empfindung abschließender Einsicht, notwendiger Resignation. Jhre Form ist das fortgesetzte Distichon des Epigramms (Elegeion). 104(Schillers Spaziergang , Goethes Euphrosyne ). Jm Panegyrikus (πανηγυρικός sc. λόγος, Lied der allgemeinen Festversammlung) wird das lobende Wort zur weitausgeführten Lobrede an Große jeder Art, zu allen Zeiten meist an Machthaber, an letztere mehr zu Lebzeiten, als nach dem Tode (poetischer Nekrolog). Erhabenes Muster eines klassischen Panegyrikus (in dialogisch-dramatischer Form) ist Schillers Huldigung der Künste (an die Erbprinzessin von Weimar Maria Paulowna, Großfürstin von Rußland).

§ 67. Chorlied.

Der gerade Gegensatz zum Epigramm, als der litterarischen Festlegung des Einzelspruches, der Gnome, ist das Chorlied, die einheitliche Zusammenfassung einer lyrischen Mehrheit. Jn unserer vielstimmigen polyphonen Musik (nicht so in der antiken homophonen, einstimmigen) tritt diese Mehrheit in der harmonischen Vielfältigkeit der Stimmen sinnfällig hervor. Jn der Poesie aber zeigt sich die Mehrheit streng zur Einheit zusammengefaßt. Jm Text weichen die Stimmen nicht, höchstens im Zeitpunkt der Einsätze, von einander ab. Jm Chor findet sich also eine einheitlich (harmonisch) gestimmte Gesamtheit ebenso streng zusammen, wie sich im Epigramm eine abweichend gestimmte Jndividualität scharf von der Masse heraushebt und sich ihr gegenüberstellt. Jm Chor schießt jene Punktualität der lyrischen Poesie gleichsam in Radien nach allen Seiten aus, teilt sich mit. Der Chor bildet den Umkreis für die lyrische Situation. Daher ist ihm der Kehrreim (Refrain) so gemäß, in welchem der Chor die Abschlüsse der Solostrophen oder ihren Grundgedanken aufgreift, sich so das Einzelgedicht durch Anteil zu eigen macht. Vergl. Goethe, Kophtisches Lied:

105
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich's gehört!

Rechenschaft:

Sollst uns nicht nach Weine lechzen,
Gleich das volle Glas heran,
Denn das Aechzen und das Krächzen
Hast du heut schon abgethan.

und Ergo bibamus.

Jm Chorlied können wir daher ebenso den Ausgang für jene Richtungen lyrischer Poesie sinden, in denen Massenempfindungen zum Ausdruck gebracht werden, wie im Epigramm für die streng subjektiven. Wo gesellige Vereinigung heiterer und ernster Natur irgendwie vorausgesetzt wird, zielt das Lied auf chorische Wiedergabe. Namentlich jener Ernst, in dem jede Gesamtheit sich trifft, bei dem persönliche und Standesbeziehungen schwinden, die religiöse Erhebung, erheischt von Natur den chorischen Ausdruck. Geistlicher Sologesang ist nur am öffentlichen Ort, am besten in der Kirche selbst, als Zwischensatz zwischen Chören angebracht. Ueber private Andachtsübungen des Einzelnen gerade vermittels Gesanges vergleiche man Kants schalkhafte Bemerkungen (Kritik der Urteilskraft I § 53 und Anm). Der katholische Hymnus, wie der protestantische Choral sind auf Massenbeteiligung angelegt und ohne sie wirkungslos.

§ 68. Auseinandertreten des Chores.

Fällt der Chor irgend auseinander, sei es in gegeneinanderstreitenden Massen (Halbchöre) oder gar in sich ablösende und selbstständig heraustretende Persönlichkeiten, so hört er auf, lyrisch zu sein. Er wird, wie es in der Natur des Vorgangs liegt und die Litteraturgeschichte auf jeder ihrer bezüglichen106 Etappen, im Altertum, Mittelalter und in der Neuzeit, schlagend bestätigt, zum Drama. Jmmer wieder hat das Drama an chorische Lyrik angeknüpft. Jm Altertum, wo dieser Uebergang in der Aeschyleischen Tragödie mit ihrer in der Wucht der Chormassen noch gänzlich eingewurzelten Handlung höchst anschaulich wird, im Mittelalter, wo aus der Teilung und Stimmenabsonderung der Oster - und Weihnachtschöre (Tropen) die kirchliche (Misterien -) Bühne hervorgeht, selbst in der Neuzeit, wo die Renaissance so lange an dem musikalisch-dramatischen Chore herumexperimentiert, bis sie unser modernes musikalisches Drama, die Oper, geschaffen hat. Der Chor bildet also, wie man sieht, historisch wie systematisch, die notwendige Vermittlung von der Lyrik zu der zweiten, wie viele (nach Aristoteles) wollen: höchsten, jedenfalls im technischen Verstande vollständigsten Gattung poetischen Schaffens, der dramatischen.

Kapitel II. Das Drama.

§ 69. Jnneres Verhältnis der Lyrik zum Drama.

Wir haben die Entstehung des Dramas damit gekennzeichnet, daß aus dem Chore Persönlichkeiten selbständig heraustreten. Schon dies Heraustreten bedeutet eine Thathandlung, und Handlungen sind es, welche die aus dem lyrischen Untergrunde losgelösten, poetisch selbständig gewordenen Persönlichkeiten im Drama durchführen. Jm antiken Drama blieb der Chor neben diesen handelnden Persönlichkeiten, den Actoren , als eine Art von lyrischer Gesamtpersönlichkeit bestehen, welche die Handlung verfolgt, sogar so, daß sie mit den handelnden Personen in Verkehr tritt, ohne jedoch107 in die Handlung selbst einzugreifen. Ein sprechender Beleg für das innere Verhältnis der Lyrik zum Drama.

§ 70. Besonderer Charakter des Dramas.

Jst die Lyrik die Dichtung der Persönlichkeit, so wird das Drama, wie wir sehen, streng vermittelt durch den Chor, zur Dichtung der Persönlichkeiten. Und zwar nicht mehr wie im Chor der Persönlichkeiten mit einander, sondern der Persönlichkeiten gegen einander. Das Drama bedeutet in der Dichtung die Auseinandersetzung handelnder Persönlichkeiten in einem bestimmten Falle, mit ausschließlich auf diesen Fall bezüglichen Voraussetzungen und notwendig daraus folgendem Endergebnis. Eine Folge von Scenen, d. h. dargestellter Lebensvorgänge, giebt noch kein Drama. Das poetische Jnteresse muß schlechterdings die ganze Scenenfolge unter sich zusammenfassen und auf einen bestimmten Mittelpunkt beziehen, um die dem Drama eigentümlichen poetischen Wirkungen zu erzielen. Dies ist die dem Drama eigentümliche Punktualität des poetischen Schaffens, die Einheit des Jnteresses, und alles was man seit des Aristoteles ersten wichtigen Sätzen über diese Frage behauptet und gestritten hat, geht darauf zurück. Ein irriger Schluß daraus sind die durch Lessings Kritik*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 8. Lessings dramaturgische Abhandlungen. S. 134 ff. aus dem dramaturgischen Kanon beseitigten drei Einheiten der Franzosen (des Orts, der Zeit und der Handlung), welche äußerliche Forderungen der theatralischen Natürlichkeit (daß ein Vorwurf sich binnen 24 Stunden an demselben Flecke abspiele) an die Stelle der dramatischen Konsequenz setzen.

108

Das Jnteresse richtet sich im Drama nicht mehr auf die Persönlichkeit des Dichters, der das Weltbild in sich trägt, sondern es geht auf Persönlichkeiten, die, von ihm losgelöst, das Weltbild durchführen , in ihrem Handeln zur Darstellung bringen. Daß hinter diesen Personen der Dichter steht, tritt vollständig zurück. Man soll es vergessen. Man soll ihn, den Dichter vor allen Dingen, seine besondere Geistesanlage, sein besonderes Verhältnis zu Welt und Menschen vollständig vergessen eben über der Welt und den Menschen, die er im Drama sich gestalten läßt. Diese Welt, diese Menschen tragen ihre Bezüge, ihren Charakter in sich. Es ist die höchste Kunst des Dramatikers, diese Welt und ihren Charakter so zum Ausdruck zu bringen, wie er in sich ist. Nicht jeder Mensch, der die Welt eben so sieht, wie sie dem platten Auge erscheint, sieht die Welt, wie sie ist, wie sie eigentlich in sich ist. Das ist es, was uns so überwältigend an den entscheidenden Stellen großer Dramen überkommt, daß uns dann für Momente die Binde vom Auge fällt und wir uns wie im Kern der Welt fühlen. Jn Shakespeare ist diese besondere dramatische Kraft des Poeten so stark wirksam, daß seine Person jetzt nach dreihundert Jahren beinahe so zur Mythe geworden ist, wie dem Altertum bereits der Name seines großen Epikers, des Homer. Ein blinder Bettelpoet, meint man, könne den Glanz des Homerischen Epos nicht ersonnen haben, ein ungelehrter Schauspieler nicht die Tiefe des Shakespeareschen Dramas.

Das Drama ist also seiner poetischen Jdee nach ein Weltbild für sich (ohne poetische Rahmen), und die Personen in ihm handeln unter sich (ohne den Dichter). Das was dieses Kunstwerk zusammenhält, muß demnach ganz in dasselbe hineinfallen. Strenger als in jedem andern poetischen109 Gebilde, wird hier die künstlerische Anordnung und Auswahl des Stoffes sein müssen.

§ 71. Bühnentechnik.

Hierin begegnet sich der Poet im Dramaturgen mit dem Techniker, der in dem engen Rahmen eines Theaterabends (2 3 Stunden) auf einem beschränkten, vielfach bedingten Lokal (der Bühne) vor einer bunt zusammengewürfelten Menge von sehr verschiedener Bildung und Fassungskraft ein Stück Welt lebendig und greifbar machen soll. Die Forderungen des inneren Baues (der Konstruktion) des Dramas werden verstärkt durch diejenigen seiner äußeren Einrichtung bei der Aufführung (seiner Oekonomie). Zeit und Raum müssen nach Kräften ausgenutzt werden, ohne daß mit der Zeit Langeweile oder Ermüdung, im Raume Leere oder Verwirrung eintrete. Die Handlung legt sich daher in Hauptstücke (Akte) und diese wieder in einheitliche Auftritte (Scenen) auseinander, in denen immer wieder je ein bestimmter Entscheidungspunkt die Spannung in Atem hält und zugleich nach Möglichkeit alles für das Gesamtbild Notwendige an seinem Teile angebracht wird. Zwischen die Akte trat als Abwechselung bei den Alten der Chor in rein lyrischer Verwendung, bei uns gegenwärtig Ruhepausen, mitunter noch mit Jnstrumentalmusik ausgefüllt. Der Bühnenraum bestreitet bei erhobenem Vorhang (während der Akte) das Phantasiebild des Zuschauers. Dies fordert die Handlung, er darf daher nicht leer bleiben ( scène vide ), es fordert Uebereinstimmung, er darf daher nicht willkürlich sein, zumal in unserer Zeit, die von den ursprünglichen allgemeinen scenischen Andeutungen zu sehr bestimmter, oft unnötiger, überladener Dekoration fortgeschritten ist.

110

§ 72. Dramatische Komposition.

Das Jnteresse muß nach Stärke und Umfang zusammengehalten werden: es darf nicht geschwächt, es darf nicht verzettelt werden. Diesem Zwecke dient das entschiedene, durch keine Abschweifungen aufgehaltene Hinaufführen der Handlung auf ihren natürlichen Höhepunkt, auf dem die in ihr zum Ausdruck gelangenden persönlichen Gegensätze voll aufeinanderprallen und so den geforderten Abschluß der Handlung in einem auffallenden Ereignis (sei es des Hasses oder der Liebe: Tod oder Versöhnung) notwendig herbeiführen. Man nennt diesen Höhepunkt der Handlung nach Aristoteles Peripetie, d. h. ihren Umschlag ins Widerspiel der Begebenheiten (Aristot. cap. 11. 1452a 23 sq. εἰς τὸ ἐναντίον τῶν πραττομένων μεταβολή). Man wird nämlich leicht bemerken, daß die Handlung im dramatischen Sinne immer so gebaut ist, daß die im Anfange sich gut anlassende schließlich ihr Widerspiel ins Schlechte erfährt, und umgekehrt anfängliche Trübsal sich am Schlusse glücklich ausgleicht. Grade dadurch wird der für fremde Schicksale notwendige, gleichsam materielle Anteil (die Spannung) gesichert und diejenigen Handlungen, die in diesem Sinne der Peripetie entbehren (Aristoteles 'einfache Handlungen im Gegensatz zu den verwickelten mit Peripetie) werden nicht diesen besonderen dramatischen Eindruck machen. (Sophokles' Oedipus in Kolonos).

Die Peripetie ist besonders eindringlich, wenn in ihr die Personen der Handlung ganz sicher auf dem Punkte zu stehen meinen, wo sich ihr Geschick ins Gute beziehungsweise ins Schlimme wenden muß, während der Zuschauer aus den angesponnenen Fäden das Gegenteil unabwendbar herankommen sieht. So hat Aristoteles schon das Beispiel des Oedipus111 herangezogen, der den alten Hirten, den einzigen lebenden Zeugen seiner Aussetzung, kommen läßt, um, wie er hofft, endgültig von der Furcht vor dem Fluche befreit zu werden, aber grade durch ihn die Gewißheit seiner Herkunft und damit die furchtbare Begründung des Fluches erfährt. Wir können hier als ebenso auffallend die Braut von Messina unseres Schiller anführen, in der die feindlichen Brüder beide die friedliche Begleicherin ihres Geschicks gefunden zu haben wähnen, während der wissende Zuschauer ahnt, daß es die eigene Schwester und die letzte, tödliche Entfesslerin ihrer Rivalität sein müsse. Hinwiederum findet die ausgestoßene, um den ermordeten Vater und die geschändete Familienehre trauernde Elektra auf den Höhepunkt der Verzweiflung den Mann, den sie als rächenden, schützenden Bruder erkennt. Ebenso findet bei Goethe der von Furien verfolgte Orest in dem Augenblicke, da er geopfert werden soll, die Schwester Jphigenie als versöhnende Priesterin der ihn heilenden Göttin.

Es ist schon aus diesen Beispielen klar, daß Erkennungen (Aristoteles: ἀναγνωρίσεις) in der Peripetie eine große Rolle spielen werden. Und zwar nicht bloß Erkennungen der entscheidenden Personen an sich, sondern der um sie verflochtenen besonderen Bezüge und Verhältnisse, die den Gang des Dramas bestimmen. Die Dramatiker sichern sich gern die augenfällige Bewährung, Bestätigung der Erkennung durch Ringe, Briefe, körperliche, sonst verhüllte Kennzeichen, Male, Wundnarben. Doch darf dies äußere Erkennen nur ein letztes Siegel des inneren Erkennens der Sympathie, der gemütlichen Bezüge sein, nicht umgekehrt diese sich an jene anspinnen. Jn diesem Sinne grade eine auf das Trügliche der Erkennungsmerkmale gegründete Peripetie sollte die des unvollendeten Schillerschen Demetrius werden.

112

§ 73. Exposition und Katastrophe.

An der Peripetie pflegt besonders scharf hervorzutreten, welche Sorgfalt der Dramatiker auf eine geschickte Einführung der vollständigen Vorgeschichte seiner Handlung, die Exposition, zu verwenden hat. Jedes fehlende, aber auch jedes überflüssige, vornehmlich aber jedes schief, d. h. ohne geraden Bezug auf das untrennbare Gewebe der Handlung eingeführte Moment wird im Verlaufe des Dramas fühlbar und demnach die Wirksamkeit, ja die Möglichkeit der Peripetie hemmen. Ein klassisches Beispiel, wie ein Motiv durch seine Emanzipation von der ursprünglichen Handlung diese überwachsen und in ihrer eigentlichen Jdee zu nichte machen kann, ist das der Freundschaft des Marquis Posa in Schillers Don Carlos . Aehnlich Weislingen in Goethes Götz . Doch hat Schillers dramatische Lebendigkeit es vermocht, die Jntention seines Helden so unmerklich und so fortreißend in die seines Freundes hinüberzuführen, daß die Veränderung der Direktive des Dramas kann an der Peripetie, freilich wohl an dem für Carlos notwendig nachteiligen Abschluß des Dramas fühlbar wird. Goethes Götz teilt sich durch die Weislingenaffaire in zwei gleichmäßige Kronen, von denen freilich die eine so schön der andern als Folie dient, daß das Stück an poetischer Wirksamkeit gewinnt, was es an dramatischer Schlagkraft verliert. Man bezeichnet diese Konzentrirung des dramatischen Fadens um einen bestimmten Mittelpunkt treffend mit dem Bilde von der Schürzung des dramatischen Knotens. Mit der Peripetie beginnt sich nun dann dieser Knoten zu entwirren, und es tritt das zu Tage, was als sein notwendiges Ende von Anfang an in ihn gelegt war, die Katastrophe.

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§ 74. Tragödie.

Dieses griechische Wort (Katastrophe) hat nun, und zwar vom Drama her, ganz die Bedeutung eines unglücklichen, erschütternden Ausgangs angenommen. Ja, man bezeichnet einen solchen Ausgang geradezu als tragisch, d. h. als den Ausgang einer Tragödie. Das griechische Wort Tragödie würde demnach einfach ein Drama mit unglücklichem Ausgang bedeuten. Dies bedeutete es jedoch den Griechen selber nicht. Die Griechen nannten ein Drama mit glücklichem Ausgange ebenso gut Tragödie, ganz einfach darum, weil bei ihnen das Wort noch die außerpoetische Bedeutung einer religiösen Kultushandlung (des Bacchusopfers, eines Bockes τράγος) besaß, während es für uns sich völlig mit der dramatischen Aufführung deckt. Aus der Bedeutung aber, die das Wort angenommen hat, kann man unschwer entnehmen, daß der tragische Ausgang seiner Jdee nach ein unglücklicher sein muß. Etwas von diesem Bewußtsein scheint trotz seiner sonstigen, die allgemeine griechische Anschauung wiedergebenden Theorie die berühmte Definition des Aristoteles von der Tragödie (6. Kap. seiner Poetik) zu erfüllen. Dieselbe läuft bekanntlich auf die merkwürdige Bestimmung der Aufgabe der Tragödie hinaus, daß sie durch Mitleid und Furcht eine Reinigung von solchen Leidenschaften (τὴν τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν) bewirke.

§ 75. Katharsis.

Diese Aristotelischen Worte von der Katharsis haben die reichste und mannigfaltigste Auslegung erfahren. Ganze Zeitalter und fast alle bedeutenden Geister haben sich mit dem ihnen zugrunde liegenden Problem auseinandergesetzt. Aus allen ihren mitunter stark abweichenden Erklärungen geht zum114 mindesten das eine hervor, wie eigentümlich, um nicht zu sagen wunderbar den Menschen ihr ästhetisches Wohlgefallen an dem Jammergeschick der tragischen Helden erscheint. Der tragische Held leidet, und er leidet unverdient gerade im Sinne der höheren Menschlichkeit. Ein auf ihm lastendes Geschick ruft die Gegenwehr seiner ganzen Natur hervor, und wo der gemeine Mensch durch Ausweichen und Nachgiebigkeit sich hindurchhilft, unterliegt der tragische Held durch die Unbeugsamkeit seines Willens. Diese Unbeugsamkeit des Willens ist die vielerörterte tragische Schuld, die auf den reinsten, edelsten Voraussetzungen beruhen kann (Antigone, Romeo und Julia, Hamlet). Es ist nur die Konsequenz des ungemeinen Charakters (die schon Aristoteles Poet. Kap. 15 als ὁμαλόν berührt); es ist das Absolute der Menschennatur, welches in der Tragödie seine Triumphe feiert. Auch im Schlechten (Richard III., Makbeth, Wallenstein)! Aber während das Schlechte, in der Verblendung des egoistischen Strebens befangen, an den Grenzen, die dem Jch gesetzt sind, scheitert, an der Unerschütterlichkeit der moralischen Weltordnung sich bricht, überwindet das Gute die Welt, wenn auch in bitterem Leiden und im selbstgewählten Tod (der tragische Wahnsinn und Selbstmord).

So führt die Tragödie das Furchtbare und Mitleiderregende in höchster Steigerung vor. Aber grade, indem sie daran das Unzukömmliche, Schwankende, Trügerische des Lebens klarlegt, im Gegensatz zu der unendlichen Aussicht, die das unzerstörbare Triebwerk unseres inneren Wesens uns eröffnet, grrade dadurch erhöht sie uns über das Leiden dieses Lebens, beruhigt uns im Jnnersten über alle Rätsel des Geschickes. Furcht und Mitleid, die härtesten aller Affekte, das Grauen vor dem allgemeinsamen Vernichter Tod und das115 Mitgefühl mit dem Leiden aller sind überwunden dadurch, daß wir in der Tragödie unserer selbst gewiß geworden sind. Daher die ganz paradoxe, aber noch von jedem gefühlte Beruhigung, die seelische Befreiung am Schlusse einer wahren Tragödie, an der selbst unser physischer Organismus teilzunehmen scheint (Medizinische, physiologische Erklärung des Katharsis: Entladung).

§. 76. Analyse der Schillerschen Maria Stuart.

Jn Schillers Drama Maria Stuart giebt die Auseinandersetzung des Wächters der in England gefangenen schottischen Königin mit ihrer alten Amme Hanna Kennedy über die grausame und ungerechte Behandlung Marias, zu der diese selbst hinzutritt, eine lebhaft bewegte Exposition. Jhre früheren Beziehungen sowie der gegenwärtige Stand der Dinge treten bei diesem Kampf um die Wahrung ihrer Würde deutlich hervor. Das Auftreten Mortimers, des in Frankreich für die katholische Sache in der Person der Maria gewonnenen Neffen des Kerkermeisters, bringt die Handlung ins Rollen. Jn ihm ersteht der Maria ein zum Aeußersten entschlossener Helfer, der mit ihrem mächtigen heimlichen Verehrer, dem Günstling der Königin Elisabeth, Grafen Leicester, in Unterhandlung tritt, zugleich so gewandt und verdachtlos, daß Elisabeth und ihr Staatsminister Burleigh ihn mit einem heimlichen Mordauftrag gegen die Maria betrauen können. Leicester giebt den Ausschlag in dem im Staatsrat der Elisabeth zum Ausdruck kommenden Verlangen, an Maria Gnade walten zu lassen. Ja, er bestimmt sie sogar, den Bitten der Gefangenen um eine Zusammenkunft in ihrem Kerkerschloß zu Fotheringhay nachzugeben.

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Das sind die beiden ersten Akte. Bis hierher läßt sich Marias Sache sehr gut an. Am Anfang des dritten Aktes sehen wir sie im Vollgenuß der aus Anlaß der Zusammenkunft erlangten Freiheit, sich wieder in der Natur, im Parke, ergehen zu dürfen. Da auf der Höhe des Stückes, in der berühmten vierten Szene dieses Aktes, erfolgt die Peripetie. Mit grausamer Kälte und unerträglichem Hochmut tritt Elisabeth im Gefühl ihrer Macht der tief gedemütigten Feindin entgegen. Sie stellt sich erstaunt, erzürnt über dies Zusammentreffen; in unedlem Stolze triumphiert sie über die ihr zu Füßen sinkende Unglückliche, so daß diese, nicht mehr fähig, an sich zu halten, nunmehr die ganze Erbitterung, den ganzen Trotz der durch die illegitime Gegnerin um ihre königlichen Rechte gebrachten rechtmäßigen Herrin austoben läßt. Nun ist alles aus. Elisabeth geht in höchster Wut. Ein mißglücktes Attentat auf sie, bei der Zurückfahrt vom Schlosse durch einen von Mortimers katholischen Genossen ausgeführt, reizt die Volkswut gegen die papistische Ruhestörerin und giebt Elisabeth die lang vermißte Rechtswaffe gegen sie in die Hand. Die Anschläge Mortimers, des rasenden Verehrers der Maria, mißlingen, da Leicester, um sich selber vom Verdacht zu reinigen, ihn festnehmen läßt. Mortimer tötet sich selbst. Leicester selbst muß die Katastrophe herbeiführen; der feigherzige, doppelsinnige Werber um zwei Königinnen muß an der Geliebten selbst die Hinrichtung vollziehen. Und jetzt, Auge im Auge mit diesem Aeußersten, im Angesicht des Todes erhebt sich Maria zu jener tragischen Höhe, die nichts mehr auf Erden hat. Leicester hört ihr Haupt im Nebenraum vom Blocke fallen und sinkt ohnmächtig nieder. Elisabeth, von ihren Getreuesten verlassen, in vergeblicher Reue über das in Leidenschaft verhängte Todesurteil muß den Verlust des Einzigen beklagen, dem ihr Herz anhing, Leicesters.

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§ 77. Das Drama mit glücklichem Ausgang.

Jst also der unglückliche Ausgang im Drama etwas seinem eigentümlichen Ernste durchaus Gemäßes, ja von ihm Gefordertes, so darf man ihn doch nicht zum charakteristischen Merkmal des ernsten Dramas machen, im Gegensatz zu seinem heiteren Pendant, der Komödie. Dies geschieht und geschah vielfach. Jm Mittelalter konnte Dante sein heiligen Ernstes volles Gedicht göttliche Komödie nennen wegen des glücklichen Ausgangs (im letzten Teil, dem Paradiso). Das Ankämpfen der edlen Natur des Helden gegen die Härte seines Geschicks, das freudige, standhafte Ertragen der Schlechtigkeit und Gemeinheit der Welt kann sittliche Mächte zu seiner Rettung oder Entschädigung heraufbeschwören, die seine tragische Schuld vor unseren Augen in ein überweltliches Verdienst verwandeln. Die Alten gaben Dem Ausdruck dadurch, daß sie die Person gewordene sittliche Macht, eine Gottheit, am Schlusse in den Gang der Tragödie eingreifen, die unlöslichen Fäden des Geschicks entwirren, den lastenden Fluch tilgen ließen (Deus ex machina wegen der szenischen Einführung des Gottes auf einer vom Himmel herabschwebenden Maschinerie). Jm Christentum hat der unsichtbare Gott seine sichtbar gewordenen Boten, Engel und Heilige, zur Verfügung. Die Genien und gütigen Feen der Märchenwelt hat es gleichfalls nicht ihres poetischen Amtes zu entsetzen vermocht. Jn beiden Fällen wird gerade hier die Beihilfe der Musik mit ihrer das Wunderbare realisierenden Macht dem Drama erwünscht sein. Die Oper ist heute der rechte Boden für solche Vermittler eines glücklichen dramatischen Ausgangs (die dei ex machina der Gluckschen Opern, der fromme Einsiedler am Schlusse des Freischütz , Carastro in der Zauberflöte ). Am reinsten118 poetisch ist es, wenn die sittliche Macht des Helden sich selbst rechtfertigt oder ihre rein menschlichen Helfer in Freundschaft und Liebe wachruft. Derartige verklärte Gebilde hat auch am vollkommensten Shakespeare geschaffen (Wintermärchen, Cymbeline, Sturm). Daß sie auch in der Oper zu ihrem Rechte gelangen können, beweist Beethovens überschwänglich herrlicher Fidelio .

§ 78. Das bürgerliche Trauerspiel.

Mit der Verflüchtigung der dramatischen Spiele zur täglich gewohnten Zerstreuung und Unterhaltung breiter Volksmassen muß die Tragödie natürlich viel von ihrer spezifischen Würde, ihrer gewissermassen transszendentalen Haltung in der Behandlung der menschlichen Geschicke einbüßen. Das Alltägliche mit seinen gewöhnlichen Gestalten und kleinlichen Verwicklungen, mit einer die Neugier oder das Tagesinteresse anlockenden (sensationellen oder aktuellen) Spitze wird hier zum Vorwurf des Dramas. Daß der idealere Boden des Mythos, den das antike Drama immer wieder neu zu gestalten liebte, oder der historischen Begebenheit verlassen wird, würde diese dramatische Gattung noch nicht so sehr von der Tragödie scheiden. Als das sogenannte bürgerliche Trauerspiel im vorigen Jahrhundert unter dem Einfluß der demokratischen Revolutionsbewegung einsetzte, verband man (Diderot und Lessing) damit die höchsten dramatischen Absichten, die unsere Klassiker zum Teil bewährten (Lessings Miß Sarah Sampson und Emilia Galotti ; Goethes Clavigo , Stella ; Schillers Cabale und Liebe ). Das äußerliche gesellschaftliche Verhältnis, das den mythologischen und historischen Helden hebt, macht ihn noch nicht zum tragischen Helden. Was ihn zum tragischen Helden macht, ist sein eigentümliches Verhältnis119 zur Welt, sein besonderes Schicksal, die transszendentale Freiheit, die er bewährt. Das hebt ihn über die gemeine Masse und dazu braucht er weder Prinz, noch Heerführer zu sein, obschon dann das Exponierte seines Standorts das Erschütternde seines Falles (die Fallhöhe ) an und für sich steigert. Das gemeine Gesellschaftsdrama (Jntriguen-Sensations-Rührstück), in dem familiäre Zerwürfnisse, ehelicher Zank, häusliches Unglück, Schulden, Krankheit, Vererbung das allgemeine Elend repräsentieren, entfernt sich vielmehr rein künstlerisch von der poetischen Aufgabe des Dramas, die das absolut persönliche Schicksal zum Gegenstande hat.

§ 79. Die Komödie.

Zu dieser Aufgabe kehrt dagegen die künstlerische Form des heiteren Dramas, die Komödie (von κῶμος fröhliches Gelage oder κώμη Dorf) wiederum zurück. Sie erwählt sich das Bereich des allgemeinen Lebens bewußt zu ihrem künstlerischen Gebiet. Aber indem sie sich darüber erhebt, indem sie die tausend Mißstände, Unfälle und Verdrießlichkeiten des Daseins in die Sphäre des Lächerlichen, des vom rein menschlichen Standpunkt gar nicht ernst zu Nehmenden rückt, dadurch wahrt sie sich von vornherein jene transszendentale Freiheit, welche sich die Tragödie, wie wir sahen, gerade durch das Auskosten der vollen Herbigkeit des Menschengeschickes erwirbt. Der tragische Held scheitert durch die Größe seiner Gesinnung an der Kleinheit, Enge und Gebundenheit der Weltverhältnisse. Demgegenüber zeigt aber nun die komische Figur, daß darin die Erbärmlichkeit, Nichtigkeit und Gemeinheit ebenso wenig zu ihrem Ziele gelangt. Sie wird gleichermaßen desavouiert, geprellt, bloßgestellt, abgeführt und giebt so wiederum dem wahren Menschheitsgefühle Gelegenheit,120 sich seiner selbst zu gewissern, hier in der Form, daß es seiner selbst froh wird. Das eben ist das Erheiternde , nach Aristoteles das unschädlich Lächerliche (γελοῖον οὐ φθαρτικόν) der Komödie.

Es ist ganz natürlich, daß die Komödie von ihrem Anfange an (in den grotesken politischen Karrikaturen des Aristophanes) darauf verfallen mußte, den komischen Figuren, überspannten Narren, eitlen Maulhelden, feigen Prahlhänsen, Windbeuteln, Schuldenmachern, Parasiten, verliebten Greisen, Kupplern, feilen Weibern u. s. f. wahre Menschen als Gegensätze gegenüber zu stellen, die dann im vollen Gefühle der Ueberlegenheit die Waffen des Witzes, der Schalkheit und Jronie gegen ihre Umgebung anwenden. So schon der von Gott Dionysos selber geführte tragische Dichter Aeschylos in den die neuere Tragödienweisheit verspottenden Wolken des Aristophanes; so das klassische Muster dieser Art, Prinz Heinz in der Falstaffkomödie Shakespeares.

§ 80. Gegensatzfiguren.

Die Gegensatzfiguren, in denen die komische Handlung sich von selbst zu größerem Ernst und vollerem Gefühl erhebt, vermögen den unlöslichen Zusammenhang zwischen Tragödie und Komödie auch äußerlich kenntlich zu machen, der den Platonischen Sokrates (im Gastmahl ) zu der Behauptung veranlaßt, daß ein guter Tragödiendichter auch ein guter Komödiendichter sein müßte. Keiner giebt ihm mehr recht als der größte aller, Shakespeare, dem diese spezifische Form, durch Gegensatzfiguren Tragödie und Komödie einander anzunähern, so eigentümlich ist, daß es dem Schulverstande von jeher schwer fiel, sie auseinander zu halten, und er lange Zeit an dieser Weise des spät ganz gewürdigten englischen121 Dramatikers den größten Anstoß nahm. Die Tragödie läßt das Possenspiel zu dadurch, daß ihre Helden zu komischen Gegensatzfiguren werden oder solche neben sich stellen. (Hamlet, Merkutio in Romeo). Und die Komödie steigert sich zur Tragödie, dadurch, daß sie tragische Gegensatzfiguren in sich aufnimmt. Ein Stück wie Shakespeares Kaufmann von Venedig erzielt, voll auf dem Boden der Komödie stehend, geradezu tragische Effekte. Der größte aller Komödiendichter, Molière, hat in seinem Misanthrope einen sonst komischen Charakter so scharf als tragische Gegensatzfigur gefaßt, daß ihm zum tragischen Helden nichts weiter fehlt als die Tragödie.

§ 81. Die dramatische Fabel.

Der abgezogene Vorwurf des Dramas (μῦθος, argumentum, Fabel, Süjet) stellt rein objektiv eine Geschichte, eine Erzählung dar und läßt sich, wie jede thatsächliche Weltbegebenheit, in einen historischen Auszug bringen. Viele Dramen, diejenigen Shakespeares voran, lehnen sich an derartige vorhandene Berichte von Historien und angeblichen Begebenheiten. Ein solcher Berichterstatter nun objektiviert thatsächlich die Begebenheit, dadurch, daß er sie als vergangen, als abgeschlossen vorbringt, während der Dramatiker sie als im Entstehen, als werdend vor unsere subjektive Anschauung bringt. Der Berichterstatter wird somit der einzige Vermittler, für uns das Durchgangsmedium für die ganze Begebenheit. Es wird gar nicht fehlen können, daß im Dichter diese Art Vermittlung wiederum eine besondere poetische Form annimmt. Es ist die Form des Epos.

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Kapitel 3. Das Epos.

§ 82. Verhältnis des epischen zum dramatischen Dichter.

Jm Epos kehrt der Dichter, der im Drama ganz hinter sein Werk zurückgetreten war, wieder gleichsam auf den poetischen Schauplatz zurück. Er selber trägt wieder seine Schöpfung vor, bleibt bei seiner eigenen Stimme, wie der Lyriker. Aber es ist nun nicht mehr seine eigene Angelegenheit, die er vorträgt. Es ist wie im Drama eine Handlung fremder Persönlichkeiten, die er aber nun als vollständige Begebenheit zu unserer Kenntnis bringt. Und seltsam! Während der Dramatiker in der gegenwärtigen Ausgestaltung seines Vorwurfs bei aller Selbstentäußerung im Ganzen sich im Einzelnen doch in jede seiner Persönlichkeiten verwandeln, sein Subjekt in sie versetzen muß, steht nun der Epiker, obwohl ihr einziger Vermittler, ihnen allen abgetrennt, streng objektiv gegenüber. Er berichtet, was er von ihnen gehört und gesehen hat. Er macht vorstellig, wie er sie gehört und gesehen hat. Sie selbst aber sind nicht er. Er leiht ihnen nicht seinen Atem wie im Drama, vergegenwärtigt sie, wie sie gewesen sein können, sondern führt sie uns vor, ihre eigenen Worte und Thaten, wie sie gewesen sind.

§ 83. Stellung des epischen Dichters zu seinem Stoff.

Das Drama ist also nach seiner äußeren Erscheinung (als Thatsächlichkeit auf den Brettern, die die Welt bedeuten ) zwar realistischer, seiner eigentlichen poetischen Bedeutung nach aber idealistischer, als das vorgeblich streng ans Vorhandene sich anschließende Epos. Nun ist dies Vorhandensein, die Wirklichkeit der epischen Fakta freilich zunächst nur ein poetisches Vorgeben. Zwar der ritterliche Erzähler des Mittelalters123 versicherte sein gläubiges Publikum, daß er die Begebenheit in einem Buche so gefunden oder noch besser von einem Gewährsmann, Augenzeugen so gehört. Aber schon der freier seines poetischen Amtes waltende Heldensang bezieht sich nur im allgemeinen auf alte Mären , und gar der antike, seines poetischen Rechts bewußte Sänger ruft die Göttin der Einbildungskraft, die Muse, an, daß sie ihn durch bloße Eingebung über die Geschichte seines Helden erleuchte. Diese Anrufung der Muse (invocatio) ist mit mannigfacher Variation des Bezugs (auf die christliche Gottheit) von der auf die antike Kunst zurückgreifenden Geistesbewegung, der Renaissance, wieder aufgenommen worden. Aeußerlich den Verhältnissen der Neuzeit und dem Glauben der Dichter nicht recht entsprechend, im Kerne aber die epische Tradition, das Anrecht des Dichters auf poetische Ausgestaltung seines Stoffes von vornherein wahrend.

§ 84. Epische Technik.

Die Ausgestaltung des Stoffes wird begreiflicherweise schon im rein technischen Verstande wesentlich anders ausfallen müssen als im Drama. Wo der Dramatiker unter allen Umständen, selbst wenn er seine Bühne noch so fern von aller Rücksicht auf das wirkliche Theater in die Luft hineinbaut, immer das feste, scenisch abgegrenzte Bühnenbild vor die Augen führt, hat der epische Dichter den freien, alles verknüpfenden Raum unserer selbstthätigen Phantasie zur Verfügung. Er wird daher ganz anders mit ihm schalten können ohne Rücksicht auf Scenen, die er mit einander zu verbinden hat, ohne Bedenken, woher er die Personen einzuführen und wohin er sie abtreten zu lassen habe, ohne stete Beziehung seines Vorwurfs auf das abgesteckte Teilchen Raum und Zeit,124 das ihm die Bühne dafür zur Verfügung stellt. Es ist daher auch meist ein epischer Zug (wie in Shakespeares historischen Stücken, Goethes Goetz und Faust), der den Dichter dazu antreibt, im Drama die bühnengerechte Form zu sprengen; wobei wir freilich bei Shakespeares kaleidoskopischem Scenenwechsel die völlig kahle, dekorationslose Bühne seiner Zeit zu berücksichtigen haben. Aristoteles fordert zwar vom Drama, daß es auch gelesen oder episch (von Einzelnen) vorgetragen seinen Eindruck mache. Aber mit dieser Forderung, die das dekorative und schauspielerische Effektstück ( Spektakelstück ) ablehnt, hat er nicht hilflose Dramenschmiede ermuntert, die ohne Gefühl oder Fähigkeit für die Gesetze des Dramas lediglich unaufführbare poetische Zwitter in dramatischer Form (Buch - oder Lesedrama) liefern.

Der epische Dichter darf also weit unbesorgter sich dem poetischen Formungstriebe an sich hingeben, weit freier vom geraden Wege der Handlung abschweifen, weit leichter die Folge seiner Bilder, die nun nicht mehr feste Scenen sind, sondern in einander übergehen, durcheinander schieben. Keine äußere Fessel bindet ihn. Die Probe auf diese epische Freiheit giebt das Auftreten der Romanze, gleichsam eines herausgesprengten Teilchens aus einem epischen Ganzen (wie der spanische Romanzencyklus vom Cid, den Herder verdeutscht hat*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 36. Herders Cid.. Wie wir in der Ballade den lyrischen Ansatz zum Drama fanden, so sehen wir hier in der Romanze das Zurückgehen des Epos in den Kreis des lyrischen Sängers. (Schillers Romanze vom Grafen von Habsburg**)Obwohl ursprünglich als Ballade bezeichnet. Nur Der Kampf mit dem Drachen trägt von Schiller selbst die Bezeichnung Romanze .. Und beides, Ansatz zum Drama, wie Bestand des Epos, enthält125 die Jdylle (richtiger: das Jdyll εἰδύλλιον Bildchen), die, wie ihr Name besagt, ein ruhendes, daher meist einfaches (ländliches) Bild aus der bewegten Folge epischer Begebenheit herausnimmt und in seinen besonderen (oft dialogisch gehaltenen) Rahmen stellt. *)Ein in neuerer Zeit seltenes Muster im Geiste der antiken Jdyllendichtung (Theokrit) bietet Mörike, dessen wesentliche Sphäre diese Dichtungsart bezeichnet, in seiner Jdylle vom Bodensee in 7 Gesängen (Ed. Mörikes Gesamm. Schr. Stuttg. 1884. Bd. I, S. 325 ff.). Hierbei ist grade im obigen Sinne das eigentümliche Rahmenbild (Martin und die Glockendiebe) zu beachten.Die Eingangs erörterte Theorie von der Entstehung des Volksepos aus Einzelgesängen (romance heißt eigentlich Gesang in der romanischen Volkssprache) stützt sich in Rücksicht auf die Poetik wesentlich auf die Freiheit des Epikers und wäre für das Drama unmöglich. Der epische Dichter schließt auch im Altertum als Vortragender seine Rhapsodie (wörtlich abgerissenes Stück Gesang ), wann es ihm paßt, und der moderne Leser kann sein Buch aus der Hand legen, wann er mag oder ihn ein Geschäft abruft, beide, um zur beliebigen Zeit wieder an der Stelle fortzufahren, wo sie aufgehört haben. Aeußere, kenntliche Abschnitte, die sich zugleich als Pausen für das Ruhebedürfnis ankündigen, dienen hier weit mehr der bloßen Uebersicht, als inneren Gesetzen der Konstruktion, die höchstens in ganz großen Partien ihre dem Drama analoge Entwicklung (Exposition, Peripetie, Katastrophe) durchscheinen läßt.

§ 85. Epischer Stil.

Diese Freiheiten sind dem epischen Dichter aus inneren Gründen seiner Form ebenso notwendig, als dem Dramatiker die Beobachtung seiner strengeren Regeln. Er, der nicht die Lebendigkeit der dramatischen Verkörperung, die Thatsächlichkeit der scenischen Aufführung für sich hat, wird jedes Mittel,126 jede Möglichkeit, seine Hörer oder Leser an sich zu fesseln, immer neu anzuregen, willkommen heißen. Daher empfiehlt gleich für die Exposition Horaz dem Epiker, sich nicht umständlich und peinlich an den zeitlichen Hergang seiner Geschichte zu halten, sondern den Leser gleich mitten in die Begebenheiten (in medias res) einzuführen, da die epische Form leicht das Nachholen jeder für die Erzählung wichtigen Vorbegebenheit auch später an geeigneter Stelle verstattet. Es ist Pflicht des epischen Dichters, die Scenerie, die äußeren Umstände seiner Vorgänge lebhaft zu verdeutlichen, die Einzelheiten im Auftreten der Personen immer wieder neu zu berühren*)Neuere Erzähler, wie Boz Dickens, übertreiben drastischer, meist komischer Wirkungen halber dies alte epische Grundgesetz, erreichen aber grade dadurch, vielleicht unbewußt, die leichte Orientierung in ihren vielfach zusammengesetzten, verwickelten und langen Geschichten., nie zu vergessen, daß einzig er es ist, der alles vor die Phantasie zu bringen hat. Aus dieser Einzigkeit seiner poetischen Vermittlung nimmt er nun aber auch das Recht, alles gleichsam in seine Sphäre zu ziehen, eine Einheit des Tones über alle Vorgänge, ja auch über die Reden der verschiedenen Persönlichkeiten auszubreiten, die der ausschließlichen Charakterisierung im Drama geradezu entgegengesetzt ist. Ganz besonders eignet diesem epischen Stile die Fähigkeit, auch mitten in den Ausführungen der handelnden Personen ohne unmittelbare Rücksicht auf den Austrag ihrer Angelegenheiten bei den Sachen selbst behaglich zu verweilen, Gleichnisse auszuspinnen, wie wir das in der Lehre von den Tropen schon gesehen haben, Gedanken, Betrachtungen, Schilderungen einzuflechten, in denen der Dichter unter oder hinter seinen Personenen durchsichtig wird. Dies eben giebt dem epischen Stile jene eigenthümliche Ruhe und Friedsamkeit, die selbst schon der Effekt der höchsten poetischen Kunst ist und ihre127 beruhigenden Wirkungen auf das Gemüt des Hörers schon in der Darstellung vorausnimmt.

§ 86. Gefahren des epischen Stiles.

Nur darf die Schilderungsfreiheit nicht so weit gehen, daß sie zur Bildersucht und Beschreibungswut führt. Dadurch kommt gerade wieder Unruhe und durch das Zuviel und das Unpassende der Beschreibung Unbildlichkeit und Verschwommenheit in die Darstellung. Denn der Dichter kann und soll niemals geradezu mit den bildenden Künsten wetteifern, sondern er kann höchstens durch seine besondere Kunst, die Darstellung der Handlungen und Bewegungen, die ruhende Darstellung des Malers und Bildners der Phantasie ersetzen. Aber auch wieder in seiner besonderen Weise! Nicht alles paßt für den Maler, was der Dichter in rasch vorübergehender Andeutung dem inneren Auge vorführen darf (Häßliches, Verzerrtes u. dgl. ), und manches, was beim Maler entzückt, würde in der Beschreibung des Dichters trocken und langweilig wirken. Diesen Jrrtümern der malenden Dichter seiner Zeit ist Lessings Laokoon*)Vollständig mit Einl. v. K. Gödeke in Sammlung Göschen Nr. 4. entgegengetreten.

§ 87. Nationalepos.

Der Vorwurf des Epos sind eben auch wie beim Drama Handlungen, nur daß getreu dem veränderten Standpunkte des Dichters das Schwergewicht weit mehr auf die Begebenheiten gelegt wird, wie sie geschehen, und weniger auf die Persönlichkeiten, wie sie sie machen. Der Held wird daher im Epos mehr von den Begebenheiten getragen, als daß er sich ihnen überordnet wie im Drama. Die Geschicke der Vielen128 (Verbindungen von Menschen, Stämme und Völker) treten daher im Epos weit mehr in den Gesichtskreis. Sein ältester und bester Vorwurf sind große Völkerschicksale, wie sie sich in den Thaten ihrer Helden spiegeln, ein großes geistiges Besitztum für jede Nation*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 32. Die deutsche Heldensage.. Doch muß dies früh und bedeutsam sich einstellen, wie im Homerischen Epos bei den Griechen**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 16. Griechische Altertumskunde. und mindestens ähnlich in den deutschen Nibelungen. Was im natürlich poetischen Jugendzeitalter des Volkes der schaffende Genius versäumt hat, kann später selbst die beste Kunst schwer ersetzen (Virgils Aeneis bei den Römern).

§ 88. Religiöses Epos.

Jnsofern das Nationalepos das Schicksal seiner Helden und des durch sie vertretenen Volkstums unmittelbar an die göttliche Fürsorge anknüpft, ja zwischen Göttern und göttergleichen, gotterzeugten Wesen dabei gar keine absolute Unterscheidung macht (Achilleus, Helena, Siegfried, Brunhilde), erscheint es bereits seinem Charakter nach als religiöses Epos. Doch hat die Erhebung des Christentums zur Weltreligion und damit die Herübernahme der Bibel als historischen Dokuments seiner Entstehung (Offenbarung!) dahingeführt, alle daran anzuknüpfenden epischen Bestrebungen unter dem besonderen Begriffe des religiösen Epos zusammenzufassen. Der Sündenfall (Miltons verlorenes Paradies ), die Thaten der Erzväter ( Patriarchaden ), Richter und Könige, die ja schon in der Bibel selbst den Charakter des nationalen Heldengesangs tragen, vor allem das Leben des Heilands als höchsten göttlichen Helden (Evangelienharmonien, Miltons wiedergewonnenes Paradies , Klopstocks Messias ), so unepisch es129 als Passion auch hierbei aufgefaßt werden kann; ebenso die Geschichte der Seinigen, seiner Eltern, vornemlich der jungfräulichen Gottesmutter, der Apostel, Heiligen und Märtyrer, endlich die symbolische und historische Erscheinung des Christentums als Weltgericht und Weltmacht (Dantes göttliche Comödie , Tassos befreites Jerusalem ): alles ist unter dem besonderen Schutze der kirchlichen Autorität zu allen Zeiten im Ueberschwang episch behandelt worden. Der Mythus, den wir oben als constitutives Prinzip der Poesie faßten, erscheint uns hier im epischen Ausbau in mündlicher Ueberlieferung für das Gebiet des Nationalepos als Sage, für das des religiösen Epos als Legende. Späte häusliche Absenker von beiden bilden den Schatz der Kinder - und Hausmärchen (von den Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm in unübertroffener Weise aus dem Munde des Volkes gesammelt und wiedergegeben).

§ 89. Das Tierepos.

Eine ganz besondere Stellung in der mythischen Welt des Epos nimmt das Tierepos ein, das schon im Anschluß an das Homerische in der griechischen Litteraturgeschichte auftaucht (βατραχομυομαχία Krieg der Frösche und Mäuse) und bei allen Völkern, besonders dem deutschen, Verständnis und Pflege gefunden hat (Reineke Fuchs, von Goethe erneuert). Es ist wohl möglich, daß sich auch im Abendlande, wie in Aegypten und im Orient, mythische Symbole in den Vorstellungen von gewissen Gottheiten geweihten Tieren niederschlugen und so ursprüngliche Göttergeschichten unter tierischer Maske fortspielen. Allein die natürliche Auffassung einer Erniedrigung des Menschlichen in der Tierwelt ließ hier sehr bald einen Kontrast zum Mythischen (der Erhöhung130 der Menschennatur in Götterbildern) und damit eine Parodie des an die Gottheit geknüpften Heroischen herausfinden. Das Tierepos wird also in seiner Jdee zu einer Parodie des Heldenepos. Wie dort das Hohe und Ungemeine der Menschennatur, so findet hier das Niedrige und ganz Gemeine des großen Weltverkehrs seinen Sittenspiegel, in dem das Menschengeschlecht sich in seiner ungeheuchelten Tierheit ganz natürlich vorträgt. (Goethe.)

§ 90. Komisches Epos.

Wir stehen somit im Tierepos bereits ganz auf dem Boden eines komischen Epos, das dem heroischen, wie auf dramatischem Gebiete die Komödie der Tragödie, gegenübertreten müßte. Doch scheint der breite Rahmen des Epos, der unbefangener als die Tragödie sogar bei den Alten (Thersites in der Jlias und die ganze Odyssee ) das Komische selbst oder eine leichte komische Beleuchtung (das Abenteuer des Odysseus mit Polyphem) zuläßt, ein derartiges Komplement nicht so entschieden zu fordern, wie die Komödie es für die Tragödie bildet. Alles was daher als komisches Epos oder unter dem Namen der Epopöe dafür auftritt (Boileaus Chorpult , Popes Lockenraub und die an ihn anschließenden deutschen Versuche: Zachariäs Renommist ), behält im Gegensatze zur poetischen Naturnotwendigkeit der großen Komödie immer etwas Kleinliches, Gemachtes, Spielerisches. Das Vornehmen, einen möglichst geringfügigen Gegenstand, also den Streit zanksüchtiger Pfaffen um ein Chorpult, den Raub einer Locke, die Contrahage zwischen einem Jenenser Burschenschafter und einem Leipziger Korpsstudenten im Tone und mit allen Mitteln des Heldengedichts zu besingen, macht eigentlich mehr die epische Dichtung überhaupt,131 als ihren Vorwurf in diesem besonderen Falle komisch. Der Begriff des Komischen, auf das Epos angewandt, entäußert dasselbe alsbald seines Grundrequisits der poetischen Sprache, die die Komödie in ihrer idealeren Voraussetzung sich wohl noch wahren kann. Das Epos tritt, wo es komisch seiner Jdee nach werden will, mit Notwendigkeit zur Prosa über, wird zum Roman.

§ 91. Der Roman.

Der Roman ist die Form, in welcher die Auflösung der Poesie in Prosa überhaupt vor sich geht: er ist noch poetische Form, aber für eine rein prosaische Sache, er ist nicht mehr Ausdruck des poetischen Standpunkts selbst, sondern erörtert, commentiert ihn höchstens, weist auf ihn hin. Die Hirten -, Zauber - und Abenteuergeschichten des Altertums (Milesische Märchen; Lucians Wahre Geschichten , Longos Daphnis und Chloe ; Apulejus goldener Esel, worin das holde Märchen von Amor und Psyche) zeigen schon früh den Ansatz zum Prosaroman. Desgleichen die italienische Novellistik des Mittelalters (Boccaccios Dekameron ). Was man im Mittelalter Romane nannte (poetische Werke in der romanischen Landessprache im Gegensatze zum kirchlichen Latein,) hatte noch Fühlung mit dem Epos, wenn es auch selbst bei seinen Klassikern (in Deutschland Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg*)Proben in Sammlung Göschen Nr. 22. den Schwerpunkt schon völlig in das Aeußerliche der bloßen Begebenheiten (die ritterlichen Abenteuer ) verlegt. Doch es wahrt mit der poetischen Sprache noch immer den poetischen Helden (den fahrenden Ritter), und merkwürdig erst mit dem Verlust des poetischen Gewandes, mit der Zunahme der Prosa132 in der Romanerzählung beginnt es auch diesen einzubüßen. Die völlige Vernichtung des epischen Helden in seiner nunmehrigen traurigen Gestalt des durch die dürre Romanprosa irrenden vorsündflutlichen Ritters bezeichnet ein unsterbliches Werk der Weltlitteratur, das erste und zugleich das Meisterwerk des komischen Romans, Cervantes 'Don Quixote.

§ 92. Komischer Roman.

Das giebt einen bemerkenswerten Fingerzeig für das Bestimmen der eigentlichen Stellung des Romans in der Poetik. Jm komischen Roman hat in der That das heroische Epos sein komisches Pendant gefunden, das ihm auf poetischem Grunde so gegenübersteht, wie die Komödie der Tragödie. Der poetische Held, dessen Thaten das Epos trägt, wird in ihm zur komischen Figur, die der unpoetischen Welt, der platten Wirklichkeit Thaten aufzwingen will, Thaten, die in ihr überflüssig, verkehrt und somit gerade im Verhältnis zu dem auf sie verwendeten Ernste um so lächerlicher erscheinen.

Hier zeigt sich nun aber im Unterschied von der Komödie die Natur des Epos schon darin vorteilhafter für den komischen Helden, als es hier im Grunde nur die Begebenheiten sind, die ihn zur komischen Figur machen, keineswegs aber sein Charakter, sein verkehrtes Streben. Diese sind vielmehr gut und tüchtig, der Schlechtigkeit der Welt überlegen, und über sie unbelehrt und gerade nach ihrem inneren Gegensatz zu ihr unbelehrbar. Daher die Meister des komischen Romans (nach dem unsterblichen spanischen Schöpfer der Gattung besonders Engländer, vornehmlich Lorenz Sterne, in Deutschland Jean Paul) ihre Helden zwar mit jener Jronie behandeln, welche die Erkenntnis ihres lächerlich erscheinenden133 Mißverhältnisses zur Welt nötig macht, im innersten Grunde aber auf ihrer Seite (ja sozusagen sie selber) sind und ihren Anteil an ihrem Geschick in jenem besonderen Humor entladen, der die lachende Thräne im Wappen führt. Wir sehen also, daß die Gegensatzfigur der Komödie gerade hier erst auf epischem Gebiete sich recht ausleben kann, zu ihrem poetischen Rechte kommt und so den Kreis der Poesie in seinem Berührungspunkte mit der Prosa gleichsam abschließt. Das Epos drohte im Roman der Prosa zu verfallen. Dadurch aber, daß die Prosa komisch wird, wird sie wieder im Jnnersten negiert, gerade dadurch wieder zur Poesie. Der komische Roman ist der Botschafter der Poesie mitten im Gebiete der Prosa.

§ 93. Jdee des Lebensromans.

Wahre Meisterwerke im Roman überhaupt sind daher durchwegs im Zeichen des komischen Romans geschaffen und nur in ihm möglich. Besonders deutlich wird dies an dem klassischen Produkte dieser Gattung, Goethes Wilhelm Meister, der nach dieser Richtung als Kanon dienen kann, da er gar nicht als komischer Roman auftritt und dennoch die beschriebenen inneren Kennzeichen desselben in verblüffendem Maße aufweist. Wilhelm Meisters Belehrung über die Unzukömmlichkeiten der Welt, denen er sein reines Streben in den wunderlichsten Formen anzupassen sucht, endet mit der Entsagung, d. h. mit der Einsicht von der Notwendigkeit ihrer inneren Ueberwindung, durchaus nicht mit der Anerkennung ihres wirklichen Treibens. Dies würde in sich zusammenfallen, in allseitiger Empörung und Zerrüttung enden ohne jenes in ihm verlachte reine Streben des unbelehrt und in diesem letzten Grunde erfreulicherweise unbelehrbar134 Guten und Tüchtigen. Diese höchste Form des Lebensromans spricht also nur trocken und ernsthaft aus, was der komische Roman in das Gewand des Humors und der Jronie kleidet, ohne doch vollständig auf dessen Farben in seiner Schilderung gänzlich verzichten zu können. Denn der Jrrende und Suchende, zumal nach einem sonst niemandem ringsum angelegenen Ziele, wirkt immer lächerlich, mag er auch am Schlusse wie jener Hirtensohn statt seines Vaters Eselinnen ein Königreich finden.

§ 94. Jnhalt und Umfang des Lebensromans. Novelle.

Man sieht also, daß der Lebensroman von diesem Standpunkte aus, der in der Prosa die Poesie zur Geltung bringt, sich aller ihrer Vorwürfe in seiner Weise bemächtigen kann und dies in unseren Zeiten der Prosa denn auch im ausgiebigsten Maße thut. Beschränkt er sich hierbei in seiner Breite und Beziehungsmöglichkeit, die sich früher gern in endlosen Bänden erging (Gutzkows Roman des Nebeneinander (!): Der Zauberer von Rom , Die Ritter vom Geist ), so wird er zur Novelle. Die Novelle stellt sich eine einzelne Begebenheit, ein isoliertes Lebensverhältnis und dessen Durchführung zu einer in ihm spezifisch vorgebildeten Katastrophe (Paul Heyses Exemplifizierung auf den Falken in der Novelle des Boccaccio) zum Vorwurf. Hierbei kann sie in der leicht verfließenden Form die Charaktere gewisser und reiner, die Situationen strenger und in sich geschlossener halten, als der uferlose Roman. Die Meisterwerke der Romankunst sind in diesem Betracht Novellen (Cervantes novelas exemplares, Goethes Werther und Wahlverwandtschaften, die reine Novellistik Gottfr. Kellers, Paul Heyses u. a.).

135

§ 95. Jnhalt der Novelle vom Falken. (Boccaccio, Decamerone II. Teil. Fünfter Tag, 9. Novelle):

Federigo degli Alberighi, ein junger, reicher Florentiner, liebte eine Dame namens Giovanna. Er verschwendet sein Vermögen in Festen und exzentrischen Aufzügen, aber ohne auch nur die Aufmerksamkeit seiner Angebeteten auf sich zu lenken. Sie, für die er sie giebt, ist die Einzige, die nicht bei seinen Festen erscheint, in übermäßiger Wahrung ihrer fräulichen Würde. Federigo richtet sich zugrunde und muß schließlich auf einem letzten Bauerngütchen höchst eingeschränkt leben, als einsamer Jäger, nur von einem vorzüglichen Falken, einem Ausbund von Schönheit und Dressur, begleitet. Da stirbt Giovannas kranker Mann, ihr Söhnchen und an dessen Stelle sie zum Erben seines großen Vermögens einsetzend. Der Zufall fügt es, daß auf einer ihrer benachbarten Besitzungen der Knabe Bekanntschaft und Freundschaft mit Federigo und seinem Falken schließt. Er ist ganz voll von diesem Falken, und als er in eine Krankheit verfällt, weiß er nur noch von diesem Falken zu sprechen und daß er ihn haben müsse, wenn er nicht sterben solle. Das veranlaßte die besorgte Muter, ihrem einstigen reichen Liebhaber einen Besuch auf seinem Höfchen zu machen. Federigo empfängt sie und ihre Begleiterin in der höchsten Freude. Aber ach! Er, der früher Unsummen für sie vergeudet hat, ohne sie zu sehen, er kann jetzt, wo sie ihm gegenübersitzt, nicht einen Bissen aufwenden, um ihn ihr vorzusetzen. Kein Geld, kein Pfand, nichts im Hause vorhanden! Da fällt sein Blick auf seinen feisten Prachtfalken, und im Nu durchzuckt ihn die Jdee, diesen zu schlachten, um ihn seiner Gebieterin auftischen zu können. Gedacht, gethan! Nach dem Mahle bringt Giovanna136 zögernd ihr Anliegen vor, und Federigo ist nun vernichtet. Thränen entstürzen seinen Augen. Er hat sich des Letzten beraubt, was er der Geliebten hätte zuliebe thun können. Giovanna, die zuerst glaubt, daß der Schmerz, sich von dem Falken trennen zu sollen, ihm die Thränen entlockt, ist von dem Sachverhalt aufs tiefste gerührt. Als das Söhnchen wirklich stirbt und die Brüder in die reiche Witwe dringen, sich wieder zu verheiraten, reicht sie nur dem Manne, der sein Letztes für sie hingegeben hat, ihre Hand. Denn wie sie den Einwürfen der Brüder über seine Bettelarmut entgegenhält: Jch will lieber einen Mann, der den Reichtum nötig hat, als Reichtum, der einen Mann nötig hat.

§ 96. Poetisch herabziehende Tendenz des Romans.

Ja, der Roman rivalisiert hierbei schon mit den ganz auf prosaischem Boden stehenden Wissenschaften, zumal denen der Menschenkunde im weitesten Sinne, der Geschichte, der Psychologie, der Aesthetik und Kunstwissenschaft, um hier den philosophischeren Standpunkt der Poesie, das φιλοσοφώτερον und καθ 'ὅλου des Aristoteles (Poet. cap. 9), das in die inneren Tiefen und wahren Verhältnisse der Stoffe einführt, zur Geltung zu bringen. Wie kläglich er hierbei als historischer Roman, Künstlerroman und namentlich in allerneuester Zeit als Seelen - (krankheits) - gemälde oft den bezüglichen Wissenschaften ins Handwerk pfuscht, kann freilich nicht unbemerkt bleiben.

Es liegt im Roman, das kann nicht verschwiegen werden und erhellt aus seiner ganzen Stellung innerhalb der Poetik, eine herabziehende Tendenz, die, sobald ihr der überlegene Standpunkt des Poeten mangelt, das so eigentümlich auf den prosaischen Grund gebaute Werk noch unter die Prosa hinabzieht. 137Das rein stoffliche Unterhaltungsbedürfnis der Menge, das sich früher lediglich am Leben genugthat, hat in unseren abstrakten Lebensverhältnissen durch die gütige Vermittlung der Buchdruckerkunst hier seine Rechnung gefunden, die nun schon seit drei Jahrhunderten Myriaden von Fabrikanten ganz geschäftsmäßig ausnutzen. So wenig dagegen im gesellschaftlichen Sinne zu sagen ist (wenn nicht eben öffentliches Aergernis dabei in irgendwelchem Sinne die Polizei einzuschreiten zwingt, was unter eine ganz andere Rubrik der Betrachtung fällt), so sehr ist es vom poetischen Standpunkt aus zu beklagen, daß dadurch der in dieser Welt allzeit hart bedrängten Poesie in unserer Zeit das Dasein noch mehr verkümmert wird, als gewöhnlich. Die Aufnahmefähigkeit des Publikums leidet unter der übermäßigen Quantität des absolut Unpoetischen und Widerpoetischen, das der Roman in Vertrieb bringt, nicht bloß im rein ökonomischen Bezuge. Auch der Sinn für das Poetische muß geradezu abgestumpft werden, dadurch, daß jahraus, jahrein diese Köder der Phantasie hinuntergeschlungen werden, welche die gemeinen Voraussetzungen und Erfahrungen der Menge, ihre stumpfen Anschauungen von Pflicht und Verdienst, ihre alberne Gier nach äußeren Glücksumständen, ihre grausame Freude am Schrecklichen und Verbrecherischen in der Form bunter Jllusionen und spannender Situationen dem Publikum auftischen. Dieses unterscheidet sich hier bald nicht mehr nach Rang, Stand und Bildung. Der Roman ist ein nivellierender Faktor in unserer demokratischen Zeit, zumal seitdem die Zeitung den Roman unter ihre ständigen Hilfstruppen zur Vertreibung der Langeweile ( unter dem Strich ) eingestellt hat. Wie derselbe Ton der Unterhaltung hier dem Salon und der Gesindestube genügt (bald der letzteren noch der gewähltere), so kann es nicht fehlen, daß auch der höherstehende138 Autor in der Romanproduktion wie von selbst auf ein Niveau geraten kann, das mit dem poetischen so gut wie nichts mehr gemein hat.

§ 97. Die Fabel.

Die Erzählung an sich, das epische argumentum, wird so im Roman leicht Selbstzweck, will rein durch sich selbst (das Aufregende, Lüsterne, Prächtige &c. der Situation), ohne jeden Bezug auf poetische Jdeen wirken und gerät so unter die Prosa, soweit diese Mittel des vernünftigen Verkehrs der Geister ist. Dagegen haben wir den Fall, daß das epische Argument durch sich selbst ohne jede poetische Beziehung doch poetisch wirke, wenn es im Ganzen nach einer Jdee angelegt ist, die sich zwar darin nicht ausspricht, aber durch naheliegenden Vergleich von uns erschlossen werden kann. Diesen Fall haben wir in der Fabel. Der spezifische Vergleichswert der Fabel tritt schon darin hervor, daß sie weitaus das oben angeführte epische Gebiet der menschenähnlichen Tierexistenz (Tierfabel) bevorzugt, aber auch das Unbelebte und rein Abstrakte, alle Reiche der Natur (Blumen, Bäume, Steine &c.) wie des Gedankens (Personifikationen aller Art) in ihren Dienst stellt und so zur ausgeführten Allegorie wird. Daß sie vergleichsweise aufzufassen sei, sagt eigentlich der Name der Parabel, die zwar auch ohne diese allegorischen Requisiten eine Geschichte durchführen kann, doch so, daß man ihrer poetischen Bescheidung und Deutungssicherheit alsbald ihr lediglich umschreibendes (parabolisches) Verhältnis zu der in ihr enthaltenen Lehre anmerkt. Derartig sind die biblischen Parabeln (kluge und thörichte Jungfrauen, der verlorene Sohn u. s. w.), und ihnen hat mit Ausnützung des heidnischen Mythus für diesen Zweck Herder139 seine Paramythien zur Seite gestellt. Jn der Fabel hört die Poesie bewußt auf, Selbstzweck zu sein. Sie spricht ihre Anschauung von der Welt nicht mehr für sich selbst aus, sondern mit direktem Bezug auf die abstrakte philosophische Wahrheit. Sie fügt denn auch diese Wahrheit als Lehre (meist moralischer Art: die Moral der Fabel ) mit gutem Recht am Schlusse an. Sie vergiebt sich dadurch nichts. Die Poesie hat aus ihrem eigensten Schatze (der Vergleichung) der strengen Lehre etwas geborgt. Die Wahrheit braucht die Anmut der Fabel sagt Lessing*)Jn der Fabel über die Fabel. Vergl. Sammlung Göschen Nr. 7 Lessings Prosa S. 2., der in diesen Anlehen bei der Poesie zum Vorteil der Wahrheit unerschöpflich war. Aber der Schwerpunkt ist dadurch in der Fabel bereits aus dem Bereiche der reinen Poesie gerückt. Er fällt in die Lehre und Lehrdichtung; an die Fabel anknüpfend ist jedes äußerlich dichterische Erzeugnis, von dem sich dies sagen läßt.

§ 98. Die Lehrdichtung.

Es ist lange Zeit hindurch ein folgenschwerer Jrrtum der Poetik gewesen, diese Grundwahrheit nicht erkannt zu haben und, durch den pädagogischen Wert der Fabel und ihre Verbreitung bei allen Völkern (der orientalische Lokman, der griechische Aesop &c.) verführt, in ihr den Kern aller Poesie zu erblicken (so auch die sonst um die Berichtigung und Aufhellung der poetischen Theorie sehr verdienten Schweizer, Bodmer und Breitinger). Aus diesem Grundirrtum folgte die für die Stellung und die Ausübung der poetischen Kunst verderbliche Ansicht, daß die Poesie erlernbar sei und behufs einer geschickten Anwendung der Wahrheit erlernt werden140 müsse. Dies schadete dem Selbstrecht der Poesie und der sehr besonderen geistigen Stellung des Dichters als Künstler. Es führte zu der seltsamen Meinung, in der vorgeblichen festen poetischen Form der Didaktik und mit der Autorität philosophisch begeisterter Alten (Lucrez, de natura deorum) alles Mögliche aus allen möglichen Lehrfächern bis zur Kuhpockenimpfung poetisch zu behandeln. Die Poesie ist nicht die Sprache des Kompendiums, und in diesem Verstande giebt es keine Lehrdichtung für die Poetik. Wohl aber ist die Wahrheit und ihr Diener, der Gedanke, für den Poeten da. Jn diesem Sinne sind Ausdrücke wie Gedankendichtung (besonders in der Form der Gedankenlyrik ) ein für den Dichter keineswegs schmeichelhafter Unsinn, da sie es so darstellen, als ob Denken und Dichten Gegensätze und ein Dichten mit Gedanken nur ein zufälliger besonderer Umstand sei.

§ 99. Dichter und Denker.

Nein, der Dichter denkt, wenn er einer ist. Er denkt den großen Gedanken der Schöpfung noch einmal wie der wissenschaftliche Denker. Nur denkt er ihn nicht abstrakt, methodisch und im historischen Verbande der gelehrten Tradition, sondern konkret, organisch und in seinem besonderen Sinne. Diesen seinen besonderen Sinn, den auch der originale Denker in die Wissenschaft hineinbringt, nur daß er ihn darin systematisch zum Ausdruck bringt, giebt ihm das tiefe Gefühl für die Einheit und Jdealität des Weltzusammenhanges, jenes besondere Organ, aus dem nach jenem Franzosen auch die großen Gedanken kommen : das Herz. Ein erhabenes Muster für die poetische Bewältigung selbst der abstraktesten Probleme des Gedankens giebt gerade in diesem Bezuge die philosophische Dichtung eines deutschen Dichters,141 unseres Schiller. Eigenste Bekenntnisse seines schmerzlichen Ringens um den Dichterberuf sind die Künstler , Pegasus im Joch , die Macht des Gesanges im Gegensatz zum verschleierten Bild von Sais der Wissenschaft. Er bekennt seine Resignation , das Scheitern der Jdeale an der harten Wirklichkeit, die ewige Unvereinbarkeit von Jdeal und Leben , aber auch seinen Glauben an den segensreichen Trost der Freundschaft und Arbeit, wie an die Würde der Frauen gegenüber dem feindlichen Streben des Mannes. Es ist vor allem eine echt Schillersche Jdee, in den Gedanken und Reden des Meisters beim Glockenguß den harmonischen Ausgleich von Natur und Freiheit in der modernen bürgerlichen Welt dem Sinne des Volkes nahezubringen, an dem ewig gleichförmigen Feierklang der Glocke, wie über einem poetischen Grundbaß, das ganze bunte Spiel des Lebens, den unendlich mannigfaltigen Tanz der Welt aufziehen zu lassen.

E142

Personenregister.

Aeschylus 120.

Aesop 139.

Alcaeus 80.

Anakreon 68.

Apulejus 131.

Ariost 69.

Aristophanes 120.

Aristoteles 7. 36 f. 106. 110 ff. 136.

Asklepiades 89.

Beethoven 118.

Boccaccio 131. 134.

Bodmer 8. 139.

Boileau 7. 94. 130.

Brant (Sebastian) 68.

Breitinger 8. 139.

Byron 95. 97.

Carrière 9.

Cervantes 132.

Chamisso 95.

Clajus 54 Anm.

Christ 50. 62.

Dach (Simon) 101.

Dante 7. 31. 94. 117. 129.

Diderot 118.

Eichendorff 101.

Fischart 68.

Fleming 22. 80.

Freiligrath 22. 70.

Gluck 117.

Goethe 8. 18. 22. 47. 73. 93. 95. 99. 101 ff. 112. 118. 124. 129 ff. 133.

Gongora 46 Anm.

Gottfried von Strassburg 55. 131.

Gottsched 7.

Grabbe 12.

Grimm (Brüder) 129.

Grillparzer 72.

Gutzkow 134.

Hartmann von Aue 131.

Hebel 22.

Heine 63. 64 f. 101.

Heyse 76. 134.

Herder 27. 72. 138.

Homer 18 f. 39. 42. 63. 74. 108. 128.

Horaz 7. 26. 33. 77. 85. 86. 126.

Humboldt, Wilh. v. 27. 78. 94.

Jambe 52.

Jean Paul 103.

Iuvenal 103.

Kästner 68.

Kant 8. 24. 105.

Keller 134.

Kleist Ewald v. 78.

Klopstock 31. 32 f. 58. 63. 82 f. 88 f. 128.

Konrad v. Würzburg 63.

Lenz 12.

Lessing 8. 26. 47. 107. 118. 127. 139.

Lokman 139.

Lombroso 11.

Longos 131.

Lueian 131.

Lukrez 140.

Lyly 46. Anm.

Marini 45.

Martial 103.

Michel Angelo 94.

Milton 8. 31. 69. 128.

Mörike 49. 80 f. 125.

Molière 121.

Mozart 117.

Opitz 56. 63. 68. 73.

Petrarca 7. 93.

Pindar 87.

Platen 57. 73. 77. 79.

Platon 7. 120.

Pope 130.

Raimund 73.

Reuter 22.

Rückert 80.

Sachs Hans 68.

Sannazaro 34.

Sappho 88.

Scaliger 7.

Schiller 8. 9. 17. 20. 57. 61. 77. 95. 103 f. 111 f. 115 f. 118. 141.

Shakespeare 16. 25 f. 94. 108. 120 f. 124.

Spenser 97.

Sterne 132.

Stolberg 63.

Tasso 31. 69. 129.

Uhland 79. 101.

Ulrich von Lichtenstein 63.

Vida 7.

Virgil 49. 95. 128.

Vischer 16. 38 f. 102.

Voss, Joh. Heinr. 22. 63.

Walter v. d. Vogelweide 63. 80.

Wernike 103.

Wieland 63.

Wolfram v. Eschenbach 131.

Zachariae 130.

E143

Sachregister.

Abgesang 87.

Act 109.

Adonius 83.

Akademisch 19.

Akatalektisch 67.

Alcaeisch (Vers) 82.

(Strophe) 88.

Alexandriner 67. 69. 71.

Allitteration 55. 70. 90.

Anakoluthie 49.

Analogie 37.

Anapäst 62. 64. 79.

Anaphora 49. 51.

Annomination 49. 51.

Anschauung 10 f.

Anschaulichkeit 21.

Antik 13. 16 f. 54. 56.

Antithese 45.

Apokope 57.

Aposiopese 48.

Arsis 53.

Asklepiadeus 84.

Assonanz 90.

Asynartetisch 85.

Asyndeton 46.

Auftakt 60 ff.

Ballade 101 f. 124.

Bibel 19. 35. 42. 52 f.

blanc vers 68.

Caesur 66 ff.

Charaktere 24 f.

Chor 53. 64. 73. 87. 104 f.

Choral 105.

Choriambus 83.

Cidromanzen 72.

Concetti 45.

Cretici 83.

Dàctylus 57. 62. 63. 73.

Dialogismus 48.

Diaerese 66 f.

Dichter 23 ff.

Dichtersprache 29 f.

Distichon 85. 89.

Drama 23. 24. 101 f. 106 ff. 222.

antikes 26.

Edda 19. 33.

Einheiten 107.

Elegeion 103 f.

Elegisch 12. 100. 103.

Ellipse 48.

Emphase 44 f.

Enjambement 67.

Epigramm 102 f.

Epitheton 39.

Epodos 87.

Epopoee 130.

Epos 24. 101. 122 ff.

Euphuismus 45.

Exposition 112. 125.

Fabel 138.

Figuren 41 ff.

Freidank 56.

Franzosen 25 f. 47. 107.

Galimathias 42.

Genie 10 f.

Geschmack 15.

Gleichniss 34 ff.

Glykoneus 83. 89.

Grammatiker 38 f. 41.

Hebung (svers) 54 ff. 63. 69 f. Hexameter 24. 57 f. 63. 74 ff. 85.

Hiatus 57.

Hildebrandslied 70.

Hyperbel 41 f.

Hyperkatalektisch 67. 71.

Humor 133.

Hymnus 105.

Jambus 28. 62. 64. 67 ff.

Idealismus 16. 20 f.

Idee (Ideal) 13 ff. 23.

Interrogatio 41. 48.

Intuition 10 f.

Inversion 47 f.

Ironie 43.

Katachrese 37.

Katalektisch 67.

Katastrophe 112 f. 117. 125.

Katharsis 113 f.

Klassisch 17.

Klimax 45.

Knittelvers 63.

Komisch 12. 103. 117. 119. 130. 132 f.

Komoedie 117. 119 f.

Kudrun 18. 71.

Kultismus 46.

Lehrdichtung 139 f.

Lied 24. 100.

Litotes 41 f.

logaœdisch 83. 85.

Lyra 24. 99.

Madrigal 94,

Märchen 18 f. 131.

Manier 22.

Meistersinger 61. 87.

Melodie 86.

Metapher 36 ff.

Metonymie 38.

Metrik 52 ff.

Milieu 27.

Minnesang 87.

Misterien 106.

Modern 13. 16 f.

Muse 123.

Musik 17. 24. 51 f. 60.

Mystik 30 f.

Naiv 13.

Naturalismus 15. 20. 25.

Naturpoesie 18 f.

Negation 43.

Nibelungen 18 f. 128.

Vers 107.

Novelle 134.

Ode 100.

Oromatopoesie 50.

Oper 24. 106. 117.

Oxymoron 45.

Panegyrikus 103 f.

Parabase 73.

Parabel 138.

Paradoxon 45·

Parallelismus 53.

Parenthese 47.

Pathetisch 12.

Pentameter 84 f.

Peripetie 110 f. 116. 125

Periphrasis 39.

144

Personification 38.

Phantasie 11 f.

Pherekrateus 87.

Pointieren 42 ff.

Polysyndeton 46.

Praegnanz 44.

Praesens (historisches) 44.

Prosa 29 f. 40.

Quibbles 45.

Realismus 15 f. 21.

Reformation 31.

Refrain 81. 92.

Renaissance 32. 56.

Rhapsode 7. 125.

Rhetorik 53. 57.

Rhetorische Frage s. Interrogatio.

Reigen 53.

Reim 89 ff.

Reineke Fuchs 129 f.

Roman 54. 131 ff.

Romantik 17 f. 43. 101.

Romanze 124.

Sapphisch (Vers) 82.

(Strophe) 88.

Sarkasmus 43.

Satire 100. 103.

Scene 108.

Schäferpoesie 50.

Schönheit 14.

Seher 20.

Senar 69.

Sentenz 46.

Sentimentalisch 13. 17.

Serbische Volkslieder 24.

Singular (emphatischer) 45.

Sonett 92 f.

Sprache 29 ff. 56.

Sprachbewegung 42. 45 f. 50.

Stanze 69. 95 f.

Stichomythie 45.

Stil 16 ff. 21 ff. 87.

Stillosigkeit 26 f. 42.

Strophe 86 ff.

Symbolisch 17.

Synekdoche 38.

Synkope 57. 59 ff.

Syntax 47. 49.

Takt 52. 58 ff.

Tanz 41. 52 f.

Temperament 124.

Terzine 69. 94.

Theater 26 f.

Thesis 53.

Tragisch 12. 113.

Tragiker (griechische) 16.

Trimeter 68.

Trochaeus 62. 64. 72 f.

Tropen (kirchliche) 106.

Typen 22.

Urpoesie 20. 29 f. 42.

Vers communs 68.

Versform 23 f. 50 ff.

Versfüsse 65. 66 ff.

Volkslied 18 ff. 24. 101.

Weltschmerz 17.

Wort 14. 29 f. 40.

Wortspiel 49.

Wunderbare (das) 8.

E145

Staatsanzeiger: Das 20. Bändchen, das einen Abriß der deutschen Grammatik und im Anhange eine kurze Geschichte der deutschen Sprache enthält, enthält ebenfalls eine gute Uebersicht der deutschen Sprachlehre und deutschen Sprachgeschichte. Die klare und knappe Darstellung giebt auf engem Raum einen überraschend reichen Stoff, sie ist mehr ins Einzelne eingehend, als das kleine Bändchen erwarten läßt.

Pfälz. Kurier: Auch in der griechischen Altertumskunde von Dr. R. Maisch ist die Darstellung concis und, ohne den wissenschaftlichen Charakter zu verleugnen, populär im besten Sinne des Wortes. Druck und Papier sind, wie bei allen Bändchen der Sammlung Göschen , vorzüglich; der Einband ist gut und geschmackvoll. Dal ei ist der Preis (80 Pf. jedes Bändchen) so niedrig, daß schwerlich ein anderes Unternehmen mit der Göschen'schen Sammlung wetteifern kann. Ja, es ließe sich denken, daß sie, was den Preis betrifft, eine vollständige Umwälzung in der Schulbücherlitteratur hervorrufen könnte.

Lehrer-Zeitung: Wenn eine kurzgedrängte physikalische Geographie aus der Feder eines so tüchtigen Fachmannes, wie es Prof. Günther in München ist, erscheint, so ist von vornherein zu erwarten, daß das nur etwas Gutes sein kann. Jeder, der das Buch liest, wird sehen, daß er sich in dieser Erwartung nicht getäuscht hat.

Ausland: Kaum je ist mir ein Buch zu Gesicht gekommen, das wie Rebmann's Anthropologie auf so kleinem Raum ein so klares Bild von dem Bau und den Thätigkeiten des menschlichen Körpers geboten hätte. Jch kenne wohl eine Anzahl tüchtiger Leitfäden der Anthropologie, aber keinen, der seine Aufgabe so elementar erfaßt und mit geringen Mitteln so glücklich gelöst hätte. Jch stehe nicht an, das Werkchen als ein für den Unterricht höchst brauchbares zu bezeichnen. Die Herren Naturwissenschaftler an Gymnasien und Realschulen mache ich auf das kleine Buch besonders aufmerksam.

Littbl. d. dtsch. Lehrerztg. : Wir haben schon mehrfach in diesen Blättern die Sammlung Göschen warm empfohlen und müßten nur wiederholen, was wir schon gesagt haben, wenn wir ihre Gediegenheit bei aller Kürze, ihre schöne Ausstattung bei dem sehr mäßigen Preise noch besonders hervorheben wollten. Die beiden Bändchen Hartmann von Aue &c. und Walther von der Vogelweide geben eine Auswahl des Besten aus dem Besten unserer altklassischen deutschen Litteratur im ursprünglichen Text und gewähren somit für ein Billiges einem jeden Gebildeten die Möglichkeit, die alten Perlen unserer Litteratur in ihrer kernigen, krastvollen Ursprache selbst kennen zu lernen. Einer weiteren Empfehlung bedürfen demnach diese beiden Bändchen nicht.

Allg. Zeitung (München): Ellinger bietet in Kirchenlied und Volkslied, geistliche und weltliche Lyrik des 17. und 18. Jahrhunderts bis auf Klopstock den Schülern ein Handbuch, das den Verständigeren für den deutschen Unterricht aewiß hochwillkommen ist. Den beidenE146 größeren Teilen des Buches sind gut orientierende Einleitungen vorangestellt; jedem Dichter ist eine kurze Notiz beigegeben, die über sein Leben und seine Bedeutung unterrichtet; Anmerkungen suchen sprachliche Schwierigkeiten zu lösen. Dem Büchlein, das seinem Zwecke völlig entspricht, sei der beste Erfolg gewünscht.

Berl. philolog. Wochenschrift: Steuding, griechische und römische Mythologie. Die überaus schwierige Aufgabe, den wesentlichsten Jnhalt auf nur 140 Kleinoktavseiten übersichtlich und gemeinverständlich darzustellen, ist von dem Verfasser des vorstehenden, in der bekannten Art der Sammlung Göschen ausgestatteten Büchleins in höchst anerkennenswerter Weise gelöst worden. Vor allem verdient die Gruppierung des überreichen Stoffes uneingeschränktes Lob. St. vertritt eine kerngesunde, von jeder Einseitigkeit freie mythologische Richtung und ist redlich beflissen gewesen, auch die Forschungsresultate der neuesten Zeit seinem Leitfaden einzuverleiben. Wir wünschen dem Büchlein die Verbreitung und Anerkennung, die es verdient.

Zeitschr. f. dtsch. Unterricht: Die Althochdeutsche Litteratur Schaufflers ist eine hocherfreuliche Gabe; sie beruht überall auf den neuesten Forschungen und giebt im Anschluß an Braune, Sievers, Paul, Müllenhoff und Scherer u. a. überall das Wichtigste und Wissenswerteste in knappster Form. Es ist stauneuswert, wie es der Verfasser verstanden hat, eine Fülle von Stoff in übersichtlicher Anordnung auf einen geringen Raum zusammenzudrängen, ohne doch jemals dürftig oder bloß statistisch zu werden.

Natur: Es ist geradezu erstaunlich, wie es der rühmlichst bekannte Verlag ermöglicht, für so eurom billige Preise so vorzüglich ausgestattete Werkchen zu liefern. Das vorliegende Bändchen bringt in knapper und verständlicher Form das Wissenswerteste der Mineralogie zum Ausdruck. Saubere Abbildungen erleichtern dem Schüler, für den es in erster Linie bestimmt ist, das Verständnis.

Globus: Es ist erstaunlich, wieviel diese kleine Kartenkunde bringt, ohne an Klarheit zu verlieren, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß viele Abbildungen den Raum stark beengen. Vortrefflich wird die Kartenprojektionslehre und die Topographie geschildert; dieselben finden sich in einer Darstellung, die für Anfänger sehr geeignet ist und dabei ist noch Platz für geschichtliche Erläuterungen vorhanden.

Nationalzeitg. : Es ist bis jetzt in der deutschen Litteratur wohl noch nicht dagewesen, daß ein Leinwandband von fast 300 Seiten in vorzüglicher Druck - und Papierausstattung zu einem Preis zu haben war, wie ihn die Sammlung Göschen in ihrem neuesten Bande, Max Koch's Geschichte der deutschen Litteratur für den Betrag von sage achtzig Pfennige der deutschen Leserwelt bietet.

Deutsche Rundschau: Es wäre höchst ungerecht, die vorliegende Geschichte der deutschen Litteratur von Professor Dr. Max Koch nach der Beschränktheit ihres Umfangs zu bemessen. Die Schwierigkeit bestand vielmehr darin, so Vieles in so knapper Form, in den 278E147 Seiten dieses schmucken Oktavbändchens die übersichtliche Darstellung eines fünfzehnhundertjährigen geistigen Entwicklungsganges zu geben ... Wir wüßten den Fremden und vielen Deutschen mit ihnen, keinen besseren Leitfaden durch das blühende Labyrinth deutscher Dichtung und Prosa zu empfehlen, als diesen kleinen Band.

Prakt. Schulmann: Ein Meisterstück kurzen und bündigen, und doch klaren und vielsagenden Ausdrucks wie die Deutsche Litteraturgeschichte von Prof. M. Koch ist auch die vorliegende Deutsche Geschichte im Mittelalter . Dr. Kurze beherrscht ersichtlich die Ergebnisse der neuesten Forschungen, begnügt sich aber bei der ihm durch den Raum auferlegten kurzgedrängten Darstellung keineswegs damit, Thatsachen und Daten trocken aneinander zu reihen, sondern er weist überall den pragmatischen Zusammenhang nach und bietet von den geschichtlichen Persönlichkeiten treffende Charakteristiken.

Natur: Diese Sammlung ist unseren Lesern schon durch das Bändchen über Mineralogie bekannt, und wir wiederholen, daß wir kaum begreifen, wie der Verlag im stande ist, so viel für so wenig Geld zu geben. Denn in der Chemie von Dr. Klein empfängt der Schüler fast mehr, wie er als Anfänger bedarf, mindestens aber so viel, daß er das Wissenswürdigste als unentbehrliche Grundlage zum Verständnisse der Chemie empfängt ... Das ist sicher mehr, als man für 80 Pfg. erwarten konnte, und vertritt zugleich das schöne Prinzip der Engländer, durch wohlfeile kurz gefaßte kleine Leitfäden das Volk zu bilden.

Kunst f. Alle (München): Jn der Folge der mit so großem Beifall aufgenommenen Sammlung Göschen ist soeben das 39. Bändchen erschienen, das, wie seine Vorgänger, weiteste Beachtung verdient. K. Kimmich behandelt in diesem Bändchen, Zeichenschule benannt, in knapper, kerniger, sachlich-zielbewußter Form das weite Gebiet des bildmäßigen Zeichens und Malens. Man empfindet auf jeder Seite und in jeder bildlichen Vorführung, daß der Verfasser Herr des Stoffes ist. Jn der übermäßig fruchtbaren Produktion kunstgewerblicher Litteratur ist Kimmichs Zeichenschule auf diesem Gebiet weitaus das Beste, das bisher geboten wurde. Gleich nutzbringend und in reichstem Maße bildend für Lehrer, Schüler und Liebhaberkünstler, möchte ich das wirklich vorzügliche Werk mit warmen anerkennenden Worten der Einführung in Schule, Haus und Werkstatt zugänglich machen. Die Ausstattung ist dabei eine so vornehme, daß mir der Preis von 80 Pfennigen für das gebundene Werk von 138 Seiten kl. wirklich lächerlich billig erscheint. Nicht weniger als 17 Tafeln in Ton -, Farben - und Golddruck, sowie 100 Voll - und Textbilder illustrieren den äußerst gesunden Lehrgang dieser Zeichenschule in feinfühlender Weise. Möge diese Zeichenschule ihrem vollen Wert nach erkannt werden und reichen Segen stiften, sie ist ein Schatzkästlein in der Flut der oberflächlichen Erscheinungen der neueren Fachlitteratur.

E148

About this transcription

TextDeutsche Poetik
Author Karl Borinski
Extent152 images; 39942 tokens; 14196 types; 310523 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Technische Universität DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-09-30T09:54:39Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDeutsche Poetik Karl Borinski. . GöschenStuttgart1895.

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LanguageGerman
ClassificationWissenschaft; Literaturwissenschaft; ready; epoetics

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Editorial principles

Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst).Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja; Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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