{Sammlung}Göschen. Je in elegantem 80 Pf. Leinwandband G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, Stuttgart. 1 – 9 Klassiker-Ausgaben mit Anmerkungen erster Lehrkräfte und Einleitungen von K. Goedeke.
1. Klopstocks Oden in Auswahl. 3. Aufl. 2. Lessings Emilia Galotti. 2. Aufl. 3. Lessings Fabeln nebst Abhandlungen. 3. Aufl. 4. Lessings Laokoon. 3. Aufl. 5. Lessings Minna von Barnhelm. 11. Auflage. 6. Lessings Nathan der Weise. 5. Auflage. 7. Lessings Prosa. Fabeln. Abhandl. üb. Kunst u. Kunstwerke. Dramaturg. Abhandl. Theologische Polemik. Philosoph. Gespräche. Aphorismen. 2. Aufl. 8. Lessings litterarische u. dramaturg. Abhandl. 9. Lessings antiquar. u. epigrammat. Abhandl.
10 Nibelungen und Kudrun und Mittelhochdeutsche Grammatik von Dr. Golther. 2. Auflage. 11 Astronomie von A. F. Möbius. 8. Auflage. 30 Fig. 12 Pädagogik von Prof. Dr. Rein. 2. Auflage. 13 Geologie von Dr. E. Fraas. Mit 66 Textfig. 2. Auflage. 14 Psychologie und Logik. Einführung in die Philosophie von Dr. Th. Elsenhans. 2. Auflage. 15 Deutsche Mythologie. Von Prof. Dr. F. Kauffmann. 2. Aufl. 16 Griechische Altertumskunde von Dr. R. Maisch. Mit 8 Vollbildern. 17 Aufsatz-Entwürfe v. Prof. Dr. L. W. Straub. 2. Aufl. 18 Menschliche Körper, der Bau und Thätigkeiten von Realschuldir. Rebmann mit Gesundheitslehre von Dr. Seiler. Mit Abbild. 2. Aufl. 19 Römische Geschichte von Gymn. -Rektor Dr. Bender. 20 Deutsche Grammatik und Geschichte der deutschen Sprache von Dr. O. Lyon. 2. Auflage. 21 Lessings Philotas und die Poesie des 7j. Krieges. Ausw. v. Prof. O. Güntter. 22 Hartmann von Aue, Wolfram v. Eschenbach u. Gottfr. von Straßburg. Auswahl aus dem höfischen Epos von Dr. K. Marold. 23 Walther v. d. Vogelweide mit Ausw. aus Minnesang und Spruchdichtung von Prof. O. Güntter. 2. Aufl. 24 Seb. Brant, Luther, Hans Sachs, Fischart m. Dichtungen des 16. Jahrh. von Dr. L. Pariser. 25 Kirchenlied u. Volkslied. Geistl. u. weltl. Lyrik d. 17. u. 18. Jahrh. bis Klopstock von Dr. G. Ellinger. 26 Physikal. Geographie von Prof. Dr. Siegm. Günther. Mit 29 Abbildungen. 27 Griechische u. Römische Mythologie v. Dr. H. Stending. 28 Althochdtsche Litteratur m. Grammatik, Uebersetzung u. Erläuterungen von Prof. Th. Schauffler. 29 Mineralogie v. Dr. R. Brauns, Privatdozent an der Universität Marburg. Mit 130 Abbildung. 30 Kartenkunde v. Dir. d. nautischen Schule E. Gelcich u. Prof. O. Sauter. Mit gegen 100 Abbild. 31 Deutsche Litteraturgeschichte von Max Koch, Professor an der Universität Breslau. 2. Aufl. Forts. s. nächste Seite. EA1:bSammlung Göschen. Je in elegantem 80 Pf. Leinwandband G. J. Göschen'sche Verlagshandlung. Stuttgart. 32 Deutsche Heldensage von Dr. O. L. Jiriczek. 33 Deutsche Geschichte im Mittelalter von Dr. F. Kurze. 36 Herder, Cid. Herausg. von Dr. E. Naumann. 37 Chemie, anorganische von Dr. Jos. Klein. 38 Chemie, organische von Dr. Jos. Klein. 39 Zeichenschule mit 17 Tafeln in Ton -, Farben - und Golddruck und 200 Voll - und Textbildern von K. Kimmich. 2. Auflage. 40 Deutsche Poetik von Dr. K. Borinski. 41 Geometrie von Prof. Mahler. Mit 115 zweifarb. Fig. 42 Urgeschichte der Menschheit von Dr. M. Hörnes. Mit 48 Abbildgn. 43 Geschichte des alten Morgenlandes von Prof. Dr. Fr. Hommel. Mit 6 Bildern und 1 Karte. 44 Pflanzenkunde von Dr. E. Dennert. Mit 96 Abbildungen. Jm Anschluß an die „ Sammlung Göschen “sind erschienen:
Klopstock, Messias. Klein 8°. 2 Teile in 1 Bd. M. 2.60.
Lessing, Hamburgische Dramaturgie. Neue 8°-Ausg. M. 1.20.
Lessing, Wie die Alten den Tod gebildet. M. 7 Holzschn. Einl. v. K. Goedeke 25 Pf. {Pla}ten, Gedichte. Auswahl. Gebunden in Leinwand M. 1.20.
{Er}laß der K. Kultministerial-Abteilung für Gelehrten - und Realschulen.
„ Die von der Göschen'schen Verlagshandlung in Stuttgart heraus -{geg}ebene Sammlung von Schulausgaben aus dem Kreise sämtlicher{Leh}rfächer, von welcher bis jetzt 21 Bändchen erschienen sind, zeichnet{sich}nicht nur durch ihre äußere Ausstattung, was Druck, Papier und{Ein}band betrifft, und den verhältnismäßig billigen Preis von 80 Pf. {für}das Bändchen vorteilhaft vor ähnlichen Schulausgaben aus, sondern{möch}te sich auch deshalb zur Anschaffung besonders für Schüler empfehlen,{sof}ern ihr Jnhalt die Repetition und das eigene Studium derselben zu{för}dern geeignet ist. “ Stuttgart, 26. Juni 1890. Dorn.
Lehrerzeitg. f. Thüringen u. Mitteldeutschland: „{D}iese dauerhaft und elegant gebundenen kleinen Bücher mit dem sehr handlichen Format 16 / 11 cm. sind, wie aus obiger Aufzählung hervorgeht, für Gymnasien, Realschulen, Lehrerseminare, höhere Mädchenschulen und verwandte Anstalten bestimmt. Die von berufenster SeiteEA1:a geschriebenen Einleitungen und Anmerkungen, die im einzelnen (Band 7 — 10) getroffene Auswahl, nicht minder der sorgfältige, saubere Druck verdienen volle Anerkennung. Es ist ein dankenswertes Unternehmen der Verlagshandlung, in dieser wirklich schönen Ausstattung gediegene Schulbücher auch für andere Unterrichtsgegenstände mit erscheinen zu lassen, wie die bekannte, durch den Neubearbeiter noch anschaulicher gewordene Astronomie von Möbius. Der Preis ist sehr gering. “
Neue deutsche Schule: Ein sehr guter Gedanke, Nibelungen und Kudrun in geschickter Auswahl darzubieten! Denn beide im Original in ihrer ganzen Ausdehnung dem Schüler darzubieten ist ein Mißgriff — unter vielen anderen Gründen wegen der Gefahr der Langeweile. Dr. Golther hat seine Aufgabe vortrefflich gelöst: er bringt das Charakteristische zur Geltung, erläutert die Grammatik des Mittelhochdeutschen in gedrängter Kürze, fördert das Verständnis für die Geschichte der deutschen Sprache und fügt ein ausreichendes Wörterverzeichnis bei. “
Deutsche Lehrerzeitg., Berlin: „ Die sogenannte Sammlung Göschen zeichnet sich schon äußerlich vor manchen Schulbüchern vorteilhaft aus. Gutes Papier, klarer Druck, handliches Taschenformat (16: 11 cm.), dauerhafter, recht hübscher Leinenband und billiger Preis! Wenn dieses alles das Unternehmen empfiehlt, so noch mehr der treffliche Jnhalt. Jn knappster, aber doch allgemein verständlicher Form bietet uns Dr. Fraas die Geologie. Besonders aber hat uns das 14. Bändchen, welches die Psychologie und Logik enthält, ungemein angesprochen. Elsenhans versteht es, für diesen Lehrgegenstand Jnteresse zu erregen. Wer größere Werke nicht durchzunehmen vermag, wer halb Vergessenes auffrischen will, wer in Kürze Logik und Psychologie in den Grundzügen in leicht faßlicher Weise sich aneignen will, der greife zu diesem Büchlein. Er wird's nicht bereuen. Lessings Philotas, der bekanntlich in antikem Gewand den Geist des siebenjährigen Krieges und vor allem die Denkart Friedrichs des Großen schildert, und die Poesie des siebenjährigen Krieges sind echt patriotische und herzerfreuliche Gaben Wir können für die Auswahl dankbar sein. Nach den vorliegenden Bändchen stehen wir nicht an, die ganze Sammlung aufs angelegentlichste nicht allein zum Gebrauch in höheren Schulen, sondern auch zur Selbstbelehrung zu empfehlen. “
Schwäbischer Merkur: Der bekannte Jenaer Pädagog Prof. Dr. W. Rein giebt in der „ Pädagogik im Grundriß “eine nicht nur lichtvolle, sondern geradezu fesselnde Darstellung der praktischen und der theoretischen Pädagogik. Jedermann, der sich für Erziehungsfragen interessiert, darf man das Büchlein warm empfehlen. Nicht minder trefflich ist die Bearbeitung, welche der Marburger Germanist Kauffmann der Deutschen Mythologie gewidmet hat. Sie beruht durchaus auf den neuesten Forschungen, wie sich an nicht wenigen Stellen, z. B. in dem schönen Kapitel über Baldr, erkennen läßt. Den tadellosen Druck und die hübsche Ausstattung der „ Sammlung Göschen “darf man im Hinblick auf den billigen Preis doppelt betonen.
E1Kleine Bibliothek zur deutschen Litteraturgeschichte.
Je 80 Pfennig in eleg. Lwdbd.
Geschichte der deutschen Litteratur von Prof. Dr.
Max Koch. Sammlung Göschen Nr. 31.
Deutsche Poetik von Dr. K. Borinski.
Sammlung Göschen Nr. 40.
Deutsche Heldensage von Dr. O. L. Jiriczek.
Sammlung Göschen Nro. 32. Althochdeutsche Litteratur mit Grammatik, Uebersetzung und Erläuterungen von Prof. Th. Schauffler. Sammlung Göschen Nr. 28. Nibelungen und Kudrun in Ausw. und Mittelhochdeutsche Grammatik mit Wörterbuch von Dr. W. Golther. 2. Aufl. Sammlung Göschen Nr. 10. Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Strassburg. Auswahl aus dem höf. Epos mit Anmerk. u. Wörterbuch v. Dr. K. Marold. Sammlung Göschen Nr. 22. Walther von der Vogelweide mit Auswahl aus Minnesang und Spruchdichtung mit Anmerk. u. Wörterbuch von Prof. O. Güntter. Sammlung Göschen Nr. 23. Seb. Brant, Hans Sachs, Luther, Fischart nebst Auswahl von Dichtungen des 16. Jahrh. mit Anmerk. von Dr. L. Pariser. Sammlung Göschen Nr. 24. Kirchenlied und Volkslied. Geistliche und weltl. Lyrik des 17. u. 18. Jahrh. bis auf Klopstock. Mit Anmerk. von Dr. G. Ellinger. Sammlung Göschen Nr. 25.
Lessing, Klopstock, Herder. Werke in Auswahl.
Sammlung Göschen Nr. 1 / 9, 21, 36 etc.
E2Ergänzung zu jeder Litteraturgeschichte.
Graphische Litteraturtafel. Von Dr. Täsar Flaischlen.
Die deutsche Litteratur und der Einfluß fremder Litteraturen auf ihren Verlauf vom Beginn einer schriftlichen Ueberlieferung an bis heute, in graphischer Darstellung. Farbige Tafel mit erkl. Text in Karton gefalzt M. 2. —. Drittes Tausend. Jllustrierte Anzeigen kostenfrei durch die Buchhandlungen.
Neue poet. Blätter: Es ist dem Verfasser gelungen, die ganze deutsche Litteraturgeschichte graphisch so deutlich und mit einem Blick übersichtlich darzustellen, wie es keine geschriebene Litteraturgeschichte jemals imstande sein kann .... Jn diesem Umstande liegt unserer Meinung nach ein großer Wert, der das vorliegende Werk für den litteraturgeschichtlichen Unterricht in den Schulen für die Zukunft geradezu unentbehrlich macht.
Neuere Litteratur. Freiligrath, ges. Dichtungen. Einzige vollständige Ausg. 6 vornehme Leinwandbände. 5. Aufl. M. 13. —.
Herwegh, Gedichte eines Lebendigen. 11. Aufl. Eleg. geb. M. 4.60.
Jsolde Kurz, Gedichte. 2. stark vermehrte Aufl. Eleg. geb. M. 4. —.
Phantasien und Märchen. Fein kart. M. 3. —. Jnhalt: Haschisch. — Der geborgte Heiligenschein. — Sternenmärchen. — Die goldenen Träume. — König Filz. — Vom Leuchtkäfer, der kein Mensch werden wollte.
Bl. f. litt. Unterhaltg. Alles ist groß, männlich gedacht und gefühlt und zum Teil mit ganz gewaltiger Phantasie und den kraftvollsten Strichen hingezeichnet ... Die Sprache ist eine wunderschöne, vollklingend, rauschend und einschmeichelnd. Es wird wenig Prosaschriften geben, die es diesem Buche hierin gleichthun, weil es nicht die Alltagssprache des Schriftstellervolkes, sondern die des echten Dichters redet.
Florentiner Novellen. 2. Aufl. 1892. M. 4. —, stilvoller Originalband M. 5.50. Jnhalt: Die Vermählung der Toten. — Die Humanisten. — Der heilige Sebastian. — Anno pestis.
Basler Nachr. Schon in ihren Gedichten hat sich Jsolde Kurz als Meisterin der Form, als eine Herrscherin im Reiche der Sprache gezeigt, daß die Erwartungen in dieser Hinsicht sehr hoch gespannt sein mußten. Wenn möglich, sind diese Erwartungen noch übertroffen worden. Denn ein solcher Stil und eine solche Beherrschung unserer Muttersprache ist nur schwer in der zeitgenössischen Litteratur zu finden.
Lingg, Dunkle Gewalten. Epische Dichtungen. Elegant gebunden M. 4.50.
Mörike, Ges. Schriften. 4 eleg. Lwdbände. Bd. I. Gedichte. 11. Aufl. Jdylle vom Bodensee. M. 5. —. Bd. II. Erzählungen. 3. Aufl. Hutzelmännlein. Mozart auf der Reise nach Prag u. s. w. M. 5. —.
Bd. III / IV. Maler Nolten. Roman. 4. Aufl. 2 Bände. Eleg. geb. M. 10. —.
Die Kenntnis, die Schätzung Mörikes gehört heute zur Bildungsstufe der deutschen Nation.
Jak. Bächtold (Züricher Zeitung). Druck von Carl Rembold, Heilbronn. E3
Dokumente der Geschichte der Poetik.
Platon, Jon, Gespräch mit einem Rhapsoden.
Ders. in seiner Lehre vom Staate (Republik) über die Staatsgefährlichkeit der Dichter.
Aristoteles, περὶ ποιητικῆς (ed. Christ 1882; Vahlen Lpz. 1885), um das Jahr 330 v. Chr.
Horaz, epistolarum Lib. II. 3. ad Pisones, an L. Piso und dessen Söhne (de arte poetica liber), nach Porphyrios Angaben aus des Dichters letzter Lebenszeit († 8 v. Chr.).
Dante, de vulgari eloquentia libri II (auf vier Bücher angelegt, an deren Vollendung ihn wohl der Tod [1321] hinderte), wichtig für die Schöpfung der ersten modernen Dichtersprache (vulgare illustre, v. latinum) und deren Stil.
Petrarca (1304 – 1374): Epistolae. Invectivarum contra medicum quendam libri IV.
M. Hieronymus Vida, Bischof von Alba, aus Cremona, Poeticorum libri III an den Dauphin Franz, Sohn Franz 'I. von Frankreich. 1520, berühmte Poetik der Renaissancezeit in formvollendeten lateinischen Versen.
Julius Caesar Scaliger, der Vater des Philologen Joseph Justus S., Poetica, zuerst Genf, 1561 fol. Verbreitetes Repertorium der gesamten Renaissancepoetik in allen Kulturländern, zumal in Deutschland.
Boileau: art poétique 1674. Grundbuch des französischen Klassizismus.
Pope: Essay on criticisme 1711, Vertreter der klassizistischen Poetik in England.
Gottsched, Kritische Dichtkunst, 1730 (viermal, stets erweitert,8 aufgelegt), Compendium des französischen Klassizismus in Deutschland.
Bodmer und Breitinger (die Schweizer): Die Diskurse der Mahlern, 1721. Kritische Dichtkunst und Von dem Wunderbaren in der Poesie, 1740. Einführung der englischen Muster (Milton)
Lessing: Hamburgische Dramaturgie, 1767. Ueberwindung des französischen Geschmacks (Shakespeare).
Goethe und Schiller: Briefwechsel von 1794 – 1805, Canon der klassischen Tradition in der deutschen Litteratur.
Geschichte: Quadrio, Storia e ragione d'ogni Poesia, Bologna, (VII. ) vol. 1739 – 52. — Sulzers Theorie der schönen Künste mit Blankenburgs litterarischen Zusätzen. 3 Bde. Lpz., 1796 – 98. — Eduard Müller, Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten. 2 Bde. Breslau, 1834 — 37. — J. A. Hartung, Die Lehren der Alten über die Dichtkunst. Hamburg, 1845. — Hermann Lotze, Geschichte der Aesthetik in Deutschland. München, 1868. — Karl Borinski, die Poetik der Renaissance in Deutschland. Berlin, 1886. — Heinrich von Stein, Die Entstehung der Aesthetik. Stuttgart, 1887. — Friedrich Braitmaier, Geschichte der poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen der Maler bis auf Lessing. Frauenfeld, 1888. 2 Teile.
Litteratur.
Anne Dacier, sur les causes de la corruption de goût. Par., 1715 Muratori, riflessioni sopra il buon gusto. 2 Th. Ven., 1736. Batteux, les arts réduits sur un même principe (in Deutschland übersetzt von Joh. Ad. Schlegel 1752 und Ramler 1758). Alex. Gottl. Baumgarten, Aesthetica, 1750 – 1758 (erstes Dokument dieser Wissenschaft). K. Ph. Moritz, Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788. Kant, Kritik der Urteilskraft, 1790. Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung (Horen 1795 – 96). Solger, Erwin, Vier Gespräche über das Schöne in der Kunst. Berl., 1815. Hegel, Vorlesungen über Aesthetik, herausgeg. von Hotho 1832. Fr. Th. Vischer, Ueber das Erhabene und Komische. Stuttgart, 1837. Aesthetik, 1845. Mor. Carrière, Aesthetik (3. Aufl., 1885). Ders., Die Poesie, ihr Wesen und ihre Formen mit Grundzügen der vergleicheuden Litteraturgeschichte. 2. Aufl., 1883. Herm. Siebek, Das Wesen der ästhetischen Anschauung. Berlin, 1875. Alfred Biese, Die Entwicklung des Naturgefühls, 2 Bde. Kiel, 1882, 88. W. Scherer, Poetik (Nach Vorlesungen). Berl., 1886. Hermann Baumgart, Handbuch der Poetik. Stuttg. 1887. A. David - Sauvageot, le Réalisme et le Naturalisme dans la littérature et dans l'art. Paris 1889. O. Harnack, Die klassische Aesthetik der Deutschen. Lpz., 1892. Fr. Brentano, Das Schlechte als Gegenstand dichterischer Darstellung. Lpz. 1892.
E10Poetik ist Lehre von der Dichtung. Eine Lehre der Dichtung, wie poesiefremde Menschen in poesielosen Zeiten sie sich vorstellen, giebt es noch weniger, als Lehre irgendwelcher anderen Kunst oder rein geistigen, selbständig schaffenden Thätigkeit.
Die Dichtung stellt im allgemeinsten Sinn den Ausdruck der erfindenden und gestaltenden Kraft im Geiste dar. Vor der Dichtung als gesonderter, mit bestimmten Mitteln wirkender Kunstübung betrachten wir also das dichterische Vermögen und seine Erscheinungsweise im Menschen überhaupt, dann im dichtenden Künstler besonders.
Es giebt im menschlichen Geiste eine oberste, bestimmende Fähigkeit, welche von der unendlich bedingten Vielgestaltigkeit, in die die Welt für seine Wahrnehmung auseinanderfällt, auf unmittelbare Erfassung in reiner, unbedingter Einheit hindrängt. Wir nennen sie Anschauung (Jntuition). Sie vermittelt die Beziehungen, in denen die Dinge zu einander und zu ihren inneren Ursachen stehen. Jndem sie die dafür entscheidenden Merkmale aufdeckt, wirkt sie mithin erklärend und erfindend, wissenschaftlich und künstlerisch (theoretisch und praktisch) zugleich. Wo sie sich in einem Menschen in hohem Grade wirksam zeigt, spricht man eben im Hinblick auf jenes leitende Vermögen im Geiste (genius) von Genie und genialer Begabung.
Diese Fähigkeit kann sich allen Bereichen und Zwecken menschlichen Bestrebens zuwenden. Wo sie sich aber gleichsam auf sich selbst, auf den Kreis ihrer Vorstellungen, die Phantasie an sich hingespannt zeigt, im freien Spiele mit dem Angeschauten ihr Genügen findet, da reden wir von Dichtung. Dichter in erster Linie ist somit jeder Künstler. Nur der Stoff, auf den er seine Anschauung sammelt, Last und Stütze, Gestalt, Bild, Ton, macht ihn je demgemäß zum Architekten, Bildhauer, Maler, Musiker. Derjenige Künstler, welcher durch das unmittelbarste Rüstzeug der Mitteilung, die Sprache, die Fülle der Vorstellungen in der Anschauung selbst in Bewegung setzt, also der eigentliche Künstler der bloßen Anschauung heißt Dichter.
Das ganz besondere Element des Dichters ist demgemäß das Reich der Vorstellungen, die Phantasie. Sie wird bei ihm ausgebildeter, regsamer sein müssen, als in irgendwelchem anderen Geiste. Sonst würde sie ihn nicht ausschließlich beherrschen. Darin liegt eine Gefahr. Die Alten sprachen von „ poetischem Wahnsinn “(furor poeticus) und betrachteten den Dichter im Zustande seines Schaffens als einen Besessenen. Das war ein Gleichnis, um die gänzliche Entrücktheit des Poeten in die Welt seiner Vorstellungen zu bezeichnen. Eine philiströse Anschauung unserer Zeit (Lombroso) macht aus dem Gleichnis eine Thatsache und zögert nicht, die geniale Begabung überhaupt mit dem Wahnsinn in eins zu setzen. Das ist die verkehrte Welt. Jm Genius entscheidet, wie wir gesehen haben, gerade das, was psychologisch12 als Vernunft angesprochen wird. Wenn dem Dichter in seiner alles verkörpernden, das Ueberschwengliche und Unmögliche begreifenden Phantasie eine verhängnißvolle Gabe vor allen zu Teil ward, so ward ihm entsprechend ihrer Höhe auch das Gegenmittel einer unbestechlichen, alles ordnenden und zurechtsetzenden Vernunft. Wo diese richtende, einschränkende Vernunft fehlt oder von eigenwilliger, launischer, modischer Phantastik überwuchert wird, da fehlt eben auch nach unserer Schätzung die geniale Qualifikation, oder sie ward eben dadurch zu nichte gemacht (Stürmer und Dränger, „ Originalgenies “, Naturen wie in Deutschland Lenz, Grabbe u. a.). Daß Krankheit, Schicksal, Schuld den Dichter wie jeden andern Sterblichen dem Wahnsinn überliefern können, beweist nicht im mindesten, daß er als Dichter wahnsinnig werden muß. Alle in diesem Sinne angestellten Sammlungen von Anekdoten, Zügen aus dem Leben genialer Menschen, Statistiken u. dgl. sind unter dem angegebenen Gesichtspunkt zu beurteilen.
Entsprechend ihrem Charakter als allgemein geistige Grundfähigkeit wird die Dichtung in ihrer Erscheinungsweise auch alle Grundgegensätze der menschlichen Natur besonders kenntlich zum Ausdruck bringen. Zunächst treten die Temperamentsunterschiede hervor. Die großen Gegensätze des Tragischen und des Komischen, des Pathetischen und des Jdyllischen, des Jubilierenden und des Elegischen, des Satirischen und des Panegyrischen spiegeln die Grundstimmungen der Temperamente, des melancholischen und sanguinischen, des cholerischen und phlegmatischen, in wechselnder Bedeutung wieder.
13Rein in geistigem Grunde wurzeln dagegen jene Unterschiede der gesamten Weltauffassung, gleichsam im Habitus der geistigen Erscheinung, der Persönlichkeit, die Schiller mit den Bezeichnungen naiv und sentimentalisch erschöpft zu haben glaubte. Sie betreffen das unmittelbare Verhältnis des Geistes zum Stoffe seiner Anschauung, der Natur. Jm Naiven fühlt sich der Geist eines mit der Natur. Jm Sentimentalischen fühlt er sich mit ihr im Widerstreit. Dort folgt er unbefangen („ naiv “) und unangefochten ihren Spuren, um ihre unendliche Mannigfaltigkeit in der Einheit seines gegenständlichen Bewußtseins zum geistigen Bilde (Jdee) zu sammeln. Hier schwingt er sich, von der Natur bedrängt und zurückgeworfen, über sie hinaus; begreift sie nur vermittelst der subjektiven Empfindung („ sentiment “), die sie ihm erregt; bringt das geistige Bild (die Jdee) fertig in sie hinein, als unerfüllbares Jdeal.
Die Dichtung der alten Völker, namentlich in ihrer kunstmäßigen Vollendung (Klassizität) bei Griechen und Römern zeigt den Typus des Naiven. Die Dichtung der Neueren, die der Natur entfremdet unter verwickelteren, mehr geistigen Verhältnissen stehen, zeigt den Typus des Sentimentalischen. Doch kann der Einzelne selbst unter diesen Umständen den naiven Charakter bewähren und eigentümlich zum Ausdrucke bringen (Goethe), wie wir wiederum auch in der klassischen Dichtung der Alten sentimentalische Persönlichkeiten und Momente nachzuweisen vermögen. Die Bezeichnungen antik und modern, realistisch und idealistisch sind zunächst diesen gegensätzlichen Beziehungen entnommen. Wir werden jedoch bald sehen, wie bei der historischen und systematischen Beurteilung der Dichtung als Kunst diese natürlichen Gegensätze sich zu verschieben, ihre Bezeichnungen unter beliebigen Schlagwörtern einander zu verwischen und auszuschließen suchen.
Die Dichtung als Kunst wahrt natürlich ihre allgemeine beziehungsreiche Stellung im Kreise der Schwesterkünste. Auf der einen Seite in Fühlung mit jeder einzelnen Kunst, im Stande, sie alle zu deuten und als ursprünglichste Kunst sich über sie alle hinauszuschwingen durch Energie der Wirkung, steht sie auf der anderen Seite am nächsten der völligen Unkunst, dem Bedürfnis, der Lehre, der Prosa. Denn ihr Ausdrucksmittel, das abstrakte Klangbild zum Zwecke der Bezeichnung der Dinge, das Wort, ist zugleich der Vermittler des gemeinen Lebensbedürfnisses und des rein verstandesmäßigen Wissens.
Schwieriger als irgend einer anderen Kunst wird es demzufolge der Poesie, immer ihre künstlerischen Rechte zu wahren. Als Aufgabe jeder Kunst erscheint Ausdruck des unbegrenzten, wirren, wüsten Daseins unter einem bestimmten, klar und rein in sich abgeschlossenen Bilde. Jhr Prinzip ist also die planmäßige, in sich übereinstimmende Form. Die Voraussetzung dazu in unserem Geiste nennt man seit Plato Jdee (Urbild); ihre sinnliche Erscheinung ist die Schönheit. Man darf diesen wissenschaftlichen Begriff der Schönheit nicht mit dem verwechseln, was nach sinnlicher Schätzung gefällt. Denn das ist individuell verschieden und für das Formungsprinzip der Kunst ohne Belang. Wohl aber für ihre Aufnahme. Es bildet sich im Laufe der Zeit überall, wo Kunst getrieben wird, ein künstlerischer Gemeinsinn (common sense,15 bon sens) der Geschmack*)Vgl. über Entstehung und Jnhalt dieses Begriffs des Verf. Baltasar Gracian und die Hoflitteratur (Halle 1894) Teil I., Kap. 4., den die Jdee des Künstlers nicht ungestraft verletzen darf.
Ein grundsätzlicher, für die Kunst verderblicher Jrrtum ist es aber, anzunehmen, es sei die Aufgabe der Kunst, das bloße Dasein in einem beliebigen Ausschnitt wiederzugeben (falscher Naturalismus). Das Vorgeben, daß man damit das Schönheitsprinzip in der Kunst mit dem der Wahrheit vertausche, statt der Jdee nun der Natur folge, ist in diesem Sinne trügerisch. Denn die vorübergehende Erscheinung des Thatsächlichen, die Wirklichkeit, kann, wie die bloße Thatsache der Lüge beweist, weder für das allgemeingültige Prinzip der Welt, die Wahrheit, in Anspruch genommen werden, noch bedeutet die subjektive augenblickliche Wahrnehmung eines Einzelnen die Natur, wie sie sich objektiv der reinen Anschauung darstellt. Diese reine Anschauung macht aber, wie wir sahen, das Wesen des großen Künstlers. Jhm stellt sich die Natur nicht in leerer Aeußerlichkeit, sondern im Kerne, in ihrer Wahrheit dar. Darum ergreift er uns so tief und unmittelbar in seinem Werke, wie es das flüchtige, conventionelle Dasein niemals oder nur in jenen seltenen Augenblicken vermag, die bereits in diesem Sinne erhöht und verklärt erscheinen.
Daraus wird man jedoch kaum den Schluß ziehen, als sei mit dem einheitlichen Formungsprinzip nun auch die16 künstlerische Darstellungsweise, der Stil, ein für allemal gegeben und einheitlich geregelt. So vielumfassend, wie wir die Anschauung kennen lernten, so verschieden und wechselvoll kann die Art sein, wie sie in großen künstlerischen Persönlichkeiten bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten zum Ausdruck gelangt. Gewiß offenbart sich auch hier im großen ein Unterschied zwischen den einfachen, festumrissenen Verhältnissen, die das Altertum, und den vielverschränkten, an Kontrasten und Schattierungen überreichen, die die neueren Zeiten der Kunst darbieten. Der religiöse Grundgegensatz zwischen Heidentum und Christentum tritt hinzu. Shakespeare führt eine andere Welt vor, als die alten griechischen Tragiker. Gleichwohl, wenn sie auch anders erscheint und er sie auch anders vorführt, das künstlerische Formungsprinzip ist dasselbe. Fr. Theodor Vischer konnte in seiner Aesthetik in diesem Sinne von direktem (unmittelbarem) und indirektem (vermitteltem) Jdealismus reden und den Nachweis dieses Stilunterschieds durch die Geschichte aller Künste durchführen. (Schöner und Charakterisierender Stil). Heute liebt man im Gegensatz dazu alles vom Standpunkt des oben als Jrrtum erwiesenen falschen Naturalismus aufzufassen, der sich dann auch gern vornehmer Realismus nennt. Realistisch (naiv im allgemeinen geistigen Verstande) sind aber gerade die Griechen, deren Kunst das ideale Formungsprinzip am strengsten darstellt.
Das Antike kann demnach sehr wohl als Kunstprinzip hingestellt werden („ gleich einem gewissen Adel unter den Schriftstellern “sagt Kant). Jm Gegensatz dazu aber von einem modernen Prinzip der Kunst („ der Moderne “)17 reden zu wollen, ist so abgeschmackt wie verkehrt. Denn so vielfache Abweichungen vom Stil der Alten sich die Kunst der Neueren — theoretisch gewöhnlich im Sinne einer zeitweiligen künstlerischen Mode (Manier) — gestattet hat und, was den individuellen künstlerischen Stil anlangt, unbedenklich gestatten darf, so wenig darf man darin ein Prinzip suchen. Denn dieses ist unweigerlich in der idealen Formung gegeben, wie nur die Antike sie am strengsten und reinsten, allerdings auch am einfachsten und kargsten, zum Ausdruck bringen konnte. Ein absoluter Gegensatz dazu wäre kein Prinzip, sondern eben nur die Prinziplosigkeit schlechthin.
Den Unterschied des kirchlich organisierten Christentums gegen das antike Heidentum hob vorwiegend jene moderne Richtung hervor, die sich als romantische gegenüber der klassischen aufthat. Die Romantik (im Anfang dieses Jahrhunderts von Deutschland ausgehend) gab vielleicht am sinnfälligsten dem von Schiller als sentimentalisch geschilderten Dichtungscharakter Ausdruck. Sie strebte eine Empfindungskunst schlechthin an. Sie erhob die von den Klassizisten seit der Wiedererweckung des Altertums im 15. Jahrhundert als barbarisch verschrieenen Zeiten des katholischen Mittelalters zum Vorbild. Sie hat alle Künste der Poesie dienstbar gemacht, aber auf Kosten aller und der Poesie nur die eigentliche Empfindungskunst, die Musik, gefördert. Das Fragmentarische, Andeutende, Symbolische, das Versinken im Unendlichen des Gefühls, die Abwendung von der Welt selbst in krankhafter Zerrissenheit (Weltschmerz) hat sie zum Kunstcharakter der neuesten Zeit erhoben. Schließlich hat sich die Empfindung in dieser Richtung verflüchtigt, und allein die18 rohe Formlosigkeit und Zerrissenheit, die Barbarei, ist geblieben.
Nichtsdestoweniger bleibt die Romantik von allen spezifisch modernen Kunstrichtungen die einfluß - und verdienstreichste. Sie hat am eindringlichsten und nachhaltigsten den Blick auf die schlichten, innigen und großen Gebilde volksmäßigen Charakters gelenkt, die zwar der bewußten, ausgebildeten Kunst entbehren, in der Unbeholfenheit und Schmucklosigkeit ihres Ausdruckes aber ihren großen Jnhalt nur um so stärker hervortreten lassen. Die alten Heldengedichte der neueren Völker (bei den Deutschen Nibelungen und Kudrun), das Volkslied und Volksbuch, Mährchen und Sage, sind seitdem von dem Banne der klassischen Verachtung gelöst, die sie unbillig zu ihrem Nachteil mit der Blüte einer glücklicheren Kunstübung bei den Griechen (Homer) verglich. Jedoch soll man nun auch das Verhältnis nicht umkehren, und auf Grund des Unvollkommneren, weil es sich nun seine Geltung erobert hat, das Vollkommnere verachten.
Ob man nun gegenüber diesen Scheidungen auch noch einen Gegensatz der Dichtung gegen sich selbst als Kunst, den Begriff einer besonderen Naturpoesie einführen dürfe, ist schwer und nur unter vielen Einschränkungen einzuräumen. Natur und Kunst sind keine Gegensätze (Goethe: „ Natur und Kunst sie scheinen sich zu fliehen — und haben sich, eh 'man es denkt, gefunden “), sondern im reinen, wissenschaftlichen Begriffe ist die Kunst nur der höchste, notwendige Ausdruck der Natur. Die Willkür der zufälligen Naturerscheinung, das Gewöhnliche, das Gemeine giebt uns nicht die Natur selbst, sondern nur ihren Schatten. Die Kunst hebt jene Schattenhülle,19 unter der sich die Natur dem gewöhnlichen Blicke verbirgt, und zeigt sie in ihrer strahlenden Reinheit und unausdenklichen Tiefe.
Wir sprechen hier von Kunst in ihrem wahren Begriff und nicht von Künstelei und pedantischem Schulkönnen. Den Widerspruch gegen diese „ akademische Kunst “hatte man im Auge, als man die freien Aeußerungen scheinbar des dichtenden Volksgeistes selber, wie sie aus dem Jugendalter der Völker herüberklingen, als Naturdichtung empfahl. Allein weder die Bibel noch Homer noch gar die nordische Edda oder die deutschen Nibelungen wird man sich, wie die seit einem Jahrhundert darauf gerichtete Forschung immer schärfer erkennt, als bloßes Zufallsprodukt der Laune dichtender Massen („ poetischer Zeitalter “) denken können. Es „ dichtet sich “nichts „ selber “. Das einfachste Volslied, das unscheinbarste Märchen, die geringfügigste Lokalsage setzt in Entstehung und Ausbildung schon das voraus, was wir Kunst nennen, nämlich den Niederschlag des vorübergehenden einzelnen Geschehens in einer einheitlichen Anschauung.
Das Einfache, Trockene und dann in bedeutenden Zügen wieder Gewaltsame im Charakter dieser Urkunst rührt und erschüttert uns besonders. Denn wir sehen hier den poetischen Geist im ersten Ansturm voraussetzungslos mit seinem Stoffe ringen und erhalten ein Gefühl von der gewaltigen Erregung und Erhebung des Gemütes, die dazu gehörte.
Den Blick hierbei kritiklos der Vergleichung halber auf die gegenwärtigen sogenannten „ Naturvölker “, die Wilden der barbarischen Weltteile, zu richten, verwirrt und täuscht in den meisten Fällen. Der vorgebliche „ Naturzustand “dieser Völker ist meist ein herabgekommener, an sich niedriger Kulturstand und hat mit der schönen, primitiven Selbstbildung des Kindheitsalters20 der historischen Menschheit nichts gemein, so wenig die Gassenhauer der modernen Großstädte etwas mit dem Volksliede gesunder, tüchtiger, einfacher Geschlechter zu thun haben. Hier ist überall Entartung, nicht Natur.
Die Naturdichtung, wie jede Naturkunst, charakterisiert im Gegenteil die Richtung auf das Erhabenste und Reinste, was der Menschengeist zu fassen vermag. Die Urpoesie deckt sich mit dem Begriff der Urreligion. Homer hat den Griechen ihre Götter gegeben, und dem Dichter des Altertums blieb bis ans Ende der Name des Sehers, des Propheten (vates). Auch die neuere Naturpoesie offenbart im Volkslied*)[Vergl. ]Sammlung Göschen Nr. 25. Das neuere Volkslied., im Märchen, im Spruch bei aller Schlichtheit die tiefsten und weitesten Bezüge des Menschengeistes. Das giebt diesen Gebilden ihren durch nichts zu ersetzenden Zauber, die ursprüngliche, noch unverfälschte, unentweihte Frische des Empfindens.
Selbst in der gegenwärtigen, auf die Aufregungssucht und Banalität des Pöbels spekulierenden Unterhaltungslitteratur der Menge (früher Ritter - und Räuber -, jetzt meist Kriminalgeschichten) zeigt sich höchst auffällig ein falsches, übertriebenes Bedürfnis, zu idealisieren, die Tugend riesengroß, die Unschuld engelrein, die Bosheit teuflisch geschildert zu sehen (Schillers Volksstücke: Die Räuber, Kabale und Liebe). Aehnliches läßt sich von dem sittlich unanstößigen, aber künstlerisch bedeutungslosen Unterhaltungsstoff der mittleren Stände bemerken (Familienstücke, „ Gartenlauberomane “). Die Frivolität des Bildungspöbels überkultivierter Zeiten mit Schaustellungen seiner geistverlassenen Trivialität, cynischen Roheit und skrupellosen Gemeinheit zu ködern, kann wohl Naturalismus heißen (im Sinne eines Jrrtums der künstlerischen Naturanschauung vgl. oben), niemals aber Natur.
Wenn man sich nun nach diesen künstlichen, viel mißbrauchten Scheidungen der Poetik wiederum einen einheitlichen Gesamtbegriff von der Kunst poetischer Darstellung, dem Stil, bilden möchte, so wird man sich am besten wiederum daran halten, was wir im Eingang als den bestimmenden Faktor des künstlerischen Vermögens an sich hinstellten: an die Anschauung. Was im Künstler produktiv als unmittelbare Anschauung thätig ist, wirkt im Kunstwerk auf den künstlerisch gestimmten Beschauer ebenso unmittelbar als Anschaulichkeit. Diese muß sich als Bewußtsein von der treffenden Erschöpfung des Weltinhalts ebenso überzeugend des Beschauers bemächtigen und die analoge Stimmung in ihm erwecken, wie sie den Künstler bei seinem Werke beherrschte. Wo Aeußerlichkeiten und Allgemeinheiten sich breit machen, der innere Bezug zwischen den dargestellten Erscheinungen mangelt, eine zufällige, gleichgültige Anordnung, eine verkehrte, das innere Gefühl herausfordernde Absichtlichkeit die Jdee von der inneren Notwendigkeit des Angeschauten nicht aufkommen läßt: überall da ist jene Anschaulichkeit hintangehalten, gestört, getrübt. Mag der Poet als sogenannter „ Jdealist “sich auf moralische Stelzen stellen, in tönenden Phrasen donnern und wüten, oder als „ Realist “am Kleinlichen, Oberflächlichen haften bleiben und in moralischem und physischem Schmutze wühlen, er bleibt gleich unzulänglich vor dem rein künstlerischen Urteil. Er wird vom bloßen Pfuscher nur im Aufwand seiner Mittel, nicht aber in seiner Wirkung auf den Kenner unterschieden sein.
Dagegen kann auch ein begrenztes Talent an seiner22 Stelle völlig genug thun, wenn es sich auf eine Sphäre beschränkt oder in einer Form kundgiebt, die der Weite und Kraft seiner Anschauung vollkommen entspricht. Daher die Freude, die Goethe vor allen „ forcierten Talenten “an der engen, aber fest in sich gegründeten Bauernnatur Joh. Heinrich Vossens bekundete, die wir an Joh. Pet. Hebels und Fritz Reuters kleinen, aber vollkommen erschauten Welten haben, die uns die frische Ursprünglichkeit etwa eines Paul Fleming im 17. Jahrhundert oder Ferd. Freiligraths im 19. Jahrhundert vor anspruchsvolleren Genossen bereitet.
Die Grade der Talente sind verschieden, wie die der Kennerschaft. Jhre Typen, gleichsam die Elemente, aus denen die künstlerische Natur zusammengesetzt erscheint, kehren zu allen Zeiten wieder. Die Litteraturgeschichte, in der das Technische nicht die Rolle spielt wie in der Geschichte der übrigen Künste, beruht mehr auf dem äußerlichen Wechsel der Lebensformen, als auf dem der dichterischen Kräfte. Große Talente sind niemals häufig, Genies selten, in ihrem Kreise einzig, Nachahmer die Regel. Diese letzteren entstellen die ganz persönliche und originale Anschauungsweise der großen Meister, deren Stil, zu berechneter Nachahmung und Uebertreibung ihrer charakteristischen Wirkungen (Effekte). Ein Surrogat aus zweiter Hand, die Manier!
Eine Schwierigkeit aber scheint sich in die Bestimmung des Begriffes Stil einzuschleichen, die wir jetzt hervortreten lassen können, da wir uns von dem allgemeinen zu den besonderen23 Teilen der Poetik, dem Material, den Arten und Vorwürfen der Dichtung, überzugehen anschicken. Die objektiven Anforderungen, welche der dichterische Stoff, die Vorführung des immer besonderen, wechselnden Weltbildes an den Dichter stellt, scheinen sich zu kreuzen mit der Bewährung einer persönlichen Eigenart oder eines bestimmten Jdeals im Stil. Der Dichter redet selbst; aber er redet meist aus dem Sinne und durch den Mund der von ihm dargestellten Personen, die allen Ständen und Verhältnissen des Lebens angehören können. Das ist ja zum großen Teil die Kunst seiner Darstellung; seine eigenste Kunst, die er vor allen Künsten voraus hat, bei denen dies besondere Stildilemma in dieser Form denn auch nicht auftritt.
Gleichwohl beruht die sich ebensooft aufdrängende als erörterte Schwierigkeit nur auf einer unklaren und äußerlichen Auffassung des Stoffverhältnisses in der poetischen Kunst. Weil nämlich der Stoff der Dichtung das bewegte Leben unmittelbar (zumal im Drama) wiederzugeben scheint, Rede und Gegenrede, Situationen und Umstände der körperlichen Wirklichkeit vorführt, übersieht man, dadurch getäuscht, darin befangen, daß auch dieser allgemeinste und umfassendste Stoff erst den Durchgang durch eine künstlerische Anschauung gemacht hat, daß auch er in einer einheitlichen Betrachtung um - und zusammengeschmolzen ist.
Der deutlichste Beleg hiefür ist die Durchführung einer idealen, unwirklichen Ausdrucksform, an der sich in gleicher Weise die redend eingeführten Personen beteiligen, der gebundenen Rede, der gleichartigen Versform (fünf - und24 sechsfüßiger Jambus, Hexameter in Drama und Epos), die alles umspannt. Die Dichter mußten von Natur auf dies Stilmittel verfallen, das so sinnfällig ihr souveränes künstlerisches Verhältnis zu ihrem besonderen Stoff ins Licht setzt. Jn Lied und Oper, wo zu der gebundenen Rede nun auch gar noch die gänzlich der Wirklichkeit entrückte Musik hinzutritt, erreicht die künstlerische Selbstherrlichkeit des poetischen Stils ihren schärfsten Ausdruck. Gerade dies aber ist der älteste Stil. Dichter und Sänger ist nach dem ältesten Begriff eins. Die alten Epen (und noch in neuester Zeit epische Volkslieder etwa der Serben) wurden liedmäßig mit Begleitung des Jnstruments (der griechischen Lyra, bei den Serben der Gusla) vorgetragen. Das griechische Drama war nach unserem Begriff, freilich nicht in unserem Sinne, Oper.
Man muß also beachten, daß, wenn der Dichter die Charaktere seiner Personen unterscheidet, den Alten alt, den Jüngling feurig, das Weib als Weib, den Helden hoch, den gemeinen Mann niedrig und jeden wiederum nach seiner besonderen ganz individuellen Art reden läßt: daß es darum doch wieder er selbst ist, der alle diese Figuren zu einem ganz bestimmten Ziele, nach einem ihm vorschwebenden Plane reden läßt. Jm großen Dichter vollzieht sich dabei die völlige Umschaffung der zufälligen im Leben stehenden Personen gleichsam zu ihren Persönlichkeiten im Sinne einer höheren sittlichen Weltordnung. Aus dem empirischen wird nach der philosophischen Ausdrucksweise Kants der intelligible Charakter offenbar.
Es ist das Höchste, was die Dichtung erreichen kann. Der ohne Vergleich größte Charakterisierer unter allen Dichtern25 der Weltlitteratur, Shakespeare, ist gerade nach dieser Richtung von einer alle konventionellen Schranken überspringenden Jdealität. Das innerste Geheimnis aller seiner Personen muß bei Shakespeare heraus, „ und sollten die Steine reden “(Goethe). Daher für den prosaischen Sinn das Uebertriebene, Künstliche, Gewagte vieler Vergleichungen, die er seinen Gestalten in den Mund legt, ja mancher seiner Erfindungen überhaupt, wie etwa im „ Sturm “. Daher die gänzlich freie, für den oberflächlichen Betrachter unmotivierte Art, mit der er in jedem Moment aus der nüchternsten Schilderung platter, gemeinster Wirklichkeit zu den höchsten Offenbarungen des inneren Sinnes überzugehen bereit ist, wohl erkennend und erwägend, wie die Charakterisierung der Außenseite des Lebens für den Poeten eben nur durchsichtige Schale bleibt, hinter der er jeden Augenblick die tiefe Bedeutung des Seins an sich aufzuhellen vermag. Die Masken des Lebens fallen, der Spaß des bunten Mummenschanzes von Ehre, Hoheit, Macht, Reichtum, Rang und Stand hört auf, und der nackte Mensch in der Blöße seines innersten Strebens, seines Verdienstes oder seiner Schuld, steht vor der ungeheuren Wahrheit des inneren Weltzusammenhangs. Makbeth und Richard III. prägen sich nach dieser Seite vornehmlich ein. Aber auch ohne tragischen Bezug zeigen die Lustspiele (As you like it [Wie es euch gefällt], What you will [was ihr wollt], much ado about nothing [viel Lärm um Nichts], in ganz besonderem Verstande der „ Kaufmann von Venedig “) jene kristallene Durchsichtigkeit der Charaktere in ihren inneren Beziehungen, die im „ Hamlet “und „ Sturm “ein visionär erfaßtes Geisterreich wie selbstverständlich in die Wirklichkeit hereinragen läßt. Der naturalistischen Bühnenkunst der Franzosen ist Shakespeare daher immer ein Fremder geblieben,26 während er in Deutschland tiefer und weiter einwurzelte als in seinem Heimatlande.
Die Franzosen schmeichelten sich, im Gegensatz zu der „ Unregelmäßigkeit “solcher Stücke wie der Shakespeareschen, das antike Drama nachgeschaffen zu haben. Aber Lessing wies ihnen nach, daß sie dessen Grundbedingungen verkannt und in Aeußerlichkeiten umgesetzt hätten, während gerade Shakespeare in der Anlage seiner tragischen Charaktere genau auf antikem Boden steht. *)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 8. Lessings litterarische und dramaturgische Abhandlungen S. 40. 47 u. ö.Die ruhige Einfachheit und gleichmäßige Größe der antiken Welt gab der poetischen Charakteristik nicht die Notwendigkeit einer so bewegten Zusammensetzung und vielfältigen Abstufung an die Hand, wie die Zeit Shakespeares. Die antike Poetik drängt fast ausschließlich auf Beachtung der inneren Charakteristik der ἤθη (Seelenzustände). Nur gelegentlich und spät bei den Römern fällt auch eine Bemerkung darüber, daß es doch auch ein Unterschied sei, „ Davusne loquatur an heros “, ob der komische Knecht oder der Held rede. Shakespeare ist Meister in der genauen äußeren Charakteristik seiner Personen, aber, wie hervorgehoben, auch nur zu dem tieferen Zweck, das Jnnere darauf wie auf einer Folie sich um so greifbarer herausheben zu lassen.
Die Verflachung des Theaters, die mit dessen bürgerlicher Festsetzung einriß, sieht in der äußerlichen Charakterisierung ausschließlich den Beruf des Poeten, der so kaum27 noch den Dichternamen verdient. Das bunte Kleid des Lebens, die ganze Aeußerlichkeit, in der der oberflächliche Mensch sich im Leben herumbewegt, will er auch im poetischen Bilde wiederfinden, am liebsten den eigenen Stand mit seinen Tagesinteressen oder die Skandalchronik einer durchschnittlichen, geschminkten Geselligkeit. Da ist nun freilich äußere Charakteristik der Lebensgewohnheiten, der ganze Apparat der Umstände (mit einem schiefen französischen Ausdruck das „ milieu “genannt) das letzte Ziel rein dekorativ verfahrender Handwerker. Der Stil hört damit von selbst auf. Es wird alles stoffliche Charakteristik („ Mache “). Dies ist somit der ganz notwendige Grund der so viel beklagten Stillosigkeit unserer modernen Bühne und im Gefolge davon unserer poetischen Litteratur im allgemeinen.
Litteratur.
Herder, Vom Ursprung der Sprache Berl. 1774. Wilhelm von Humboldt, Einleitung in die Kawisprache (Ueb. die Verschiedenheit des menschlich. Sprachbaues) Berl. Ak. 1836. Dess. sprachphilos. Werke, hersg. v. Steinthal, Berlin 1883. Jak. Grimm, Ueber den Ursp. der Sprache, Berl. Ak. 1851. Heyse, System der Sprachwissensch., hersg. v. Steinthal, Berl. 1856. Steinthal, Grammatik, Logik und Psychologie in ihrem Verhältnisse zu einander 1855. Ders. Ursprung der Sprache Berl. 1851. Max Müller, Vorlesungen über die Wissensch. der Sprache 2 Bde. Lpz. 1863. Steinthal, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 20 Bde. 1860 bis 1890. A. Kuhn, Zeitschrift für28 vergleich. Sprachwissenschaft. 1852 ff. (fortgeführt v. Ernst Kuhn und Joh. Schmidt). Herder, Ueb. die älteste Urkunde des Menschengeschlechts. 1774. G. Fr. Creuzer, Symbolik u. Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 4 Bd. 1810. 2 Aufl. fotgesetzt von Mone 6. Voll. 1819 – 23. Fr. Wilh. Jos. von Schelling, Ueber die Gottheiten von Samothrace Stuttg. 1815. Ders. Philosophie der Mythologie (ersch. 1857). Adalb. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers u. d. Göttertranks Berl. 1859 (Mythol. Stud. I Gütersloh 1886). L. Laistner, Das Räthsel der Sphinx, Grundzüge einer Mythengeschichte Berl. 1889. 2 Bde. Aristoteles, Rhetorik, 3 Bücher (ed. Spengel, Lpz. 1867). (Sogenannter) Longinos, περὶ ὕψους, Ueber das Erhabene des Stils (erstes Jahrh nach Christus). Cicero, de oratore l. III., Brutus s. de claris oratoribus, Orator ad M. Brutum. Rhetorica ad Herennium (nicht von Cicero). Tacitus (?) Dialogus de oratoribus. Quintilianus, Institutio oratoria (um 90 n. Chr.) — Rhetores Graeci ed. Walz (Stuttg. 1832 – 36 9 Bde. ) ed. Spengel (Lpz. 1853 – 56 3 Bde.). Spengel, Ueb. das Studium des Rhetorik bei den Alten. Minden 1842. Volkmann, Die Rhetorik der Griechen und Römer in system. Uebers. 2 Aufl. Lpz. 1874. Die Rhetorik, durch die Humanisten einer der meistbehandelten Schul - und Litteraturgegenstände bis in das 18. Jh. hinein (Melanchthon, Thesaurus, Vavassor, Veranus, Rollin, Christ. Weise, Gottsched u. v. a.). K. Phil. Moritz, Grundlinien zu meinen Vorlesungen über den Stil Berl. 1791. De l'Allegorie par Winkelmann, Addison, Sulzer. 2 Voll. Paris 1799. Wilh. Wackernagel, Poetik, Rhetorik, Stilistik, herg. von L. Sieber Halle 1873. Jak. Bauer, Das Bild in der Sprache, Ansb. 1879. Max Schiessl, System der Stylistik, Straub. 1884. Georg Autenrieth, Beispiele und Regeln zur Rhetorik Nürnb. 1887. Alfr. Biese, Philosophie des Metaphorischen Kiel 1893.
29Wir wenden uns, bevor wir zu ihren besonderen Gattungen und Vorwürfen übergehen, zunächst zu den Mitteln der Dichtung als Kunst. Der allgemeine Träger der dichterischen Kunst ist, wie schon in Erwägung gezogen wurde, die Sprache. Jn unserem Wort dichten steckt das Jntensiv vom lateinischen dicere (sagen) dictare. Als das unentbehrliche Werkzeug des allgemeinen Lebensverkehrs scheint uns jetzt die Sprache nur zufällig und so nebenher auch der Dichtung ihre Dienste zu leihen. Diese Anschauung ändert sich von Grund aus, wenn man systematisch der Bildung der Sprache durch den Menschengeist und historisch ihren ältesten Urkunden nachgeht. Jn beiden Fällen wird man nämlich unmittelbar auf das dichterische Vermögen geführt, als dessen erster, grundbildender Ausfluß die Sprache auftritt. Die Möglichkeit, Gegenstände und Empfindungen systematisch (durch artikulirte Klangwerte: die Worte) zu bezeichnen, giebt der Erkenntnis ein Problem, das nur auf dem Boden der poetischen Fähigkeiten gelöst werden kann. *)Vergl. meine Grundzüge des Systems der artikulirten Phonetik. Stuttgart 1891.
Die Bestätigung hierfür geben die Urdenkmäler menschlicher Rede, und zwar in so höherem Grade, je älter sie sind. Sie sind poetisch, weil die erste Möglichkeit einer sprachlichen Ausdrucksweise überhaupt auf poetischen Bedingungen (der Vergleichung, Umschreibung, Verknüpfung) beruht. Erst wenn30 diese rein erfindende Stufe der Sprache völlig abgeschlossen, ihr freies Blühen abgewelkt ist, tritt der Zustand der Emanzipation der Sprache von der Poesie, die bloße Verkehrsprosa, ein. Doch selbst diese muß sich eine Kontrolle durch die künstlerische Sprache (der Bildung) gefallen lassen, weil sie sonst in ihrem Bezeichnungswerthe rasch sinken und für ihre eigenen Zwecke unbrauchbar werden würde. An der Dichtung verjüngt und richtet sich die Sprache zu allen Zeiten auf.
Die Merkmale dieses inneren Verhältnisses zwischen Dichtung und Sprache liefern zwei in ihrer Eigenart verwandte, wenngleich in ihren Beziehungen unter ganz verschiedene Kategorien fallende Erscheinungen: die Mythologie und die rednerischen Tropen und Figuren.
Beides, das völkerbeherrschende Reich der Götter und der die Meinung lenkende Schmuck der Rede, beides ist Erzeugnis der in der Sprache unmittelbar zur Einwirkung auf die Menschen gelangenden Dichtung. Die Mythologien stellen sich bei den verschiedenen Völkern als abgeschlossene, gegebene Glaubenswelten dar, von den sie vertretenden hierarchischen Verbindungen, den Priestern, ceremoniös auf das Peinlichste vertreten, eine die andere ausschließend und mit Feuer und Schwert verfolgend. Vom Standpunkt der Poetik sind sie alle gleichermaßen dogmatische Festsetzungen poetischer Niederschläge allgemeiner überweltlicher (transcendenter) Anschauungsformen. Jn allen lassen sich die gleichen Bezüge mehr oder weniger klar, mehr oder minder vernunftgemäß nachweisen. Bei vielen Völkern (den indogermanischen) stehen31 sie in gewisser Stammesverbindung, obwohl man in der Annahme einer solchen vorsichtig sein muß. Denn das dichterische Vermögen ist überall das gleiche, wenn auch verschieden wirksam und ausgebildet.
Das gilt für alle Zeiten. Denn es läßt sich auch in dieser Hinsicht nicht völlig ertöten. Jn der jüdischen Religion und ihrer rationellen Vollendung dem Christentum, wurde zwar das Jdeal einer reinen Vernunftreligion aufgestellt und mit ihrer Durchführung die alten wirksamen Mythologien, die klassische sowohl als die der germanischen Völker, prinzipiell auf das entschiedenste bekämpft und dogmatisch unwirksam zu machen gesucht. Die alten Götterbilder wurden umgestürzt, um dem Einen Unsichtbaren den Altar aufzurichten.
Gleichwohl ist es weder der jüdischen Religion (wovon sogar die Bibel, noch mehr die apokryphe und gnostische Litteratur Kunde giebt), noch dem Christentum gelungen, dem mythologischen Bedürfnis in ihrem Bereich allen Boden zu entziehen. Alle Umbildungen in der Kirchengeschichte, vor allen die bedeutendste und nachhaltigste, die Reformation, treffen das Ueberwuchern der Mythologie. Allein gänzlich ohne Mythologie giebt es keine Kirche. Das hat der Protestantismus oft und eindringlich genug erfahren müssen. Die durchschnittliche Menschennatur bleibt außer stande, ohne sinnliche Symbole mit der Gottheit zu verkehren. Die Dichtung giebt die Probe darauf durch die Art, wie sie einzig religiöse Stoffe zu behandeln in der Lage ist (Dante, Tasso, Milton, Klopstock).
32Doch muß eine Mythologie lebendig sein, wenn sie auch nur poetisch wirksam sein soll. Daher zeigt die christliche Symbolik mit ihren Engeln und Teufeln, Heiligen und Büßern, dem Heiland mit den Seinen in der höchsten Glorie, poetische Lebenskraft (Schluß des „ Faust “), namentlich mit Unterstützung der Musik, während die alten heidnischen Mythologien heute leicht einen leblosen, gekünstelten Eindruck machen. Mit der Wiedererweckung der Antike in der Renaissancezeit wurde von Dichtern, Gelehrten und Künstlern um die Wette auch die klassische Mythologie des Olymps*)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 27. Griechische und Römische Mythologie. für Jahrhunderte zu einer Art Scheinleben neu erweckt. Dies ging nur an, weil in jener Zeit mit den alten Dichtern und Philosophen auch eine alte Sprache, das klassische Latein, in den Lebensverkehr der Gesellschaft aufgenommen wurde. Mit der Reaktion dagegen im 17. und 18. Jahrhundert verlor auch der Olymp langsam wieder seine stehende Geltung in Dichtung und bildender Kunst. Goethe hat davon nur etwa Amor, Luna und die Musen in seiner Dichtung übrig behalten.
Der Gedanke, die antike Mythologie in der Dichtung durch die nordische als eine germanische und daher heimische**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 15. Deutsche Mythologie. zu ersetzen (wie er z. B. Klopstock sogar zur Umarbeitung seiner Oden veranlaßte***)Man vergleiche (Wingolf 1. und 2. Fassung): 1) Wie Hebe kühn und jugendlich ungestüm, Wie mit dem goldnen Köcher Latonas Sohn, Unsterblich sing ich, meine Freunde Feiernd in mächtigen Dithyramben. kann in verschiedener Hinsicht nicht33 als ein glücklicher bezeichnet werden. Wir sehen ab von der ungleich größeren Reichhaltigkeit, Frische und Bestimmtheit der klassischen Mythologie Homers. Die nordische der Edda hat dafür ihre erhabenen und rührenden Züge und im ganzen eine gewisse eisige Unnahbarkeit, die sie besonders geeignet für die Verkörperung mancher Seiten des Göttlichen macht. Allein ihr fehlt die Voraussetzung der allgemeinen Kenntnis, wie sie bei der antiken durch die Schule und eine mehrere Jahrhunderte lange Bildungstradition doch nun einmal vorhanden ist. Es scheint auch nicht, daß dies nachgeholt werden kann. Dazu müßte zum wenigstens ein stärkeres nationales Jnteresse für Odhin und die Götter und Helden von Walhall in ihrer ausschließlich nordischen (skandinavischen) Erscheinungsform in Deutschland vorausgesetzt werden können. Die deutsche nationale Mythologie ist in der nordischen nicht gegeben. Die Beziehungen zu ihr zu vermuten, aus Ueberresten in Dichtung, Sage und Märchen zu erschließen, bleibt lediglich ein schwieriges Problem der mythologischen Wissenschaft.
Bei epischer oder dramatischer Vorführung einer vergangenen Lebens - und Kulturform wird der Dichter natürlich***)Willst du zu Strophen werden, o Lied, oder Ununterwürfig, Pindars Gesängen gleich, Gleich Zeus 'erhabnem trunkenen Sohne, Frei aus der schaffenden Seele taumeln? 2) Wie Gna im Fluge, jugendlich ungestüm Und stolz, als reichten mir aus Jdunas Gold Die Götter, sing ich meine Freunde Feiernd in kühnerem Bardenliede. Willst du zu Strophen werden, o Haingesang, Willst du gesetzlos, Ossians Schwunge gleich, Gleich Ullers Tanz auf Meerkrystalle, Frei aus der Seele des Dichters schweben? Was ist uns neben Hebe — „ Gna “? Was neben Latonens Sohn Apollo „ Jdunens Gold “? Was „ Uller “neben Zeus und Bachus? und was schließlich „ Ossians Schwung “neben Pindars Gesängen? Borinski, Deutsche Poetik.34 unter allen Umständen auch die betreffende (ägyptische, indische, iranische u. s. w.) Mythologie, und sei es selbst die entlegenste (wie etwa die mexikanische oder peruanische) handhaben müssen. Die Poetik kann hierbei höchstens vor Geschmacklosigkeiten warnen, zu denen die kritiklose Ausnutzung solcher Kulte mit fremden, zuweilen abenteuerlichen Namen verführen könnte. Etwas anderes aber ist es, wenn durch ausschließliche Bevorzugung solcher Stoffgebiete Mythologien Anspruch auf Festsetzung im poetischen Bewußtsein erheben. Darin nämlich besteht die ursprüngliche poetische Bedeutung der Mythologie. Wenn bei Homer Zeus grollend die ambrosischen Locken schüttelt oder die rosenfingrige Eos die Thore des Himmels öffnet, so verbinden sich damit für jede gebildete Anschauung unmittelbare Vorstellungen von Natureindrücken (des Donners, der Morgenröte). Nirgends so wie in der klassischen Dichtung steht die poetische Bedeutung der Mythologie vor ihrer religiösen so völlig im Vordergrund, so daß man sich nicht wundern kann, wenn seit der Renaissance die Dichter sie auch in spezifisch religiösen Gedichten christlichen Jnhalts ganz unbefangen anwenden (Sannazaros Epos über die Geburt der Jungfrau, aber in Ansätzen auch schon bei Dante und später bei Tasso). Hier finden wir das mythologische Bild in dichter Fühlung schon mit dem allgemein poetischen Bilde, dem Tropus (vom griechischen τρέπω wenden).
Der Dichter beruhigt sich nicht bei dem bloßen Naturphänomen, wie es die äußere Wahrnehmung an die Hand giebt. Seine Anschauung ist sofort bereit, es auf ein Aehnliches35 oder Verwandtes in der Vorstellung zurückzuführen: es fällt ihm, wie man sagt, etwas dabei ein. Jn der mythologischen Anspielung nun giebt der Dichter der Phantasie eine Erklärung für die Wahrnehmung. Es donnert. Der Gott in den Wolken schüttelt sein erhabenes Haupt. Die Sonne geht auf. Eine göttliche Jungfrau mit rosig strahlenden Fingern öffnet ihr das Himmelsthor, hinter dem sie verborgen lag. Jn der poetischen Vergleichung begnügt sich der Dichter, die Eigenart der Erscheinung, des Vorgangs in ein möglichst helles Licht zu setzen. Die lebhafte Phantasie geht gleichsam mit ihm durch. Homerische Vergleichungen scheinen oft, unbekümmert um die Erzählung, in die sie eingeflochten werden, ihre eigenen Wege zu gehen, nur bemüht, ihren Vergleichungspunkt (tertium comparationis) ganz zu erschöpfen. Der Dichter spinnt sein Gleichnis aus. Menelaos gewahrt im dritten Gesange der Jlias seinen Todfeind Paris. So sieht ein Löwe, ruft der Dichter, seine Beute, einen Hirsch oder einen Gemsbock voll Freude. Er stürzt sich auf ihn und verschlingt ihn begierig, mögen auch Hunde und Jäger ihn zu verscheuchen suchen. Hier führt den Dichter die freudige Begier in seinem Helden, der sich in Gedanken schon auf den Feind stürzt, sich in ihn gleichsam verbeißt, auf dies ausgeführte Bild vom hungrigen Löwen und der Jagd. (Ein schönes Beispiel auffallend lang abschweifenden Gleichnisses ist das von der weinenden Kriegsgefangenen, Odyssee VIII 523 ff.)
Es ist der höchste Zweck des Gleichnisses, ein Unsinnliches zur lebendigen Anschauung zu bringen. Jn dieser Hinsicht haben wir ja auch ein evangelisches Wort vom Wert und Bedeutung der Gleichnisreden. Das Evangelium enthält höchst ausgeführte Gleichnisse, die selbst wieder ausgestaltet worden sind und das Motiv selbständiger Dichtungen durch36 die Jahrhunderte abgegeben haben (der Sämann, der Hausvater, die klugen und thörichten Jungfrauen, der verlorene Sohn).
Die Ausführung des Gleichnisses dient als Beweis, wie natürlich und wohlbegründet die Vergleichung an sich in der poetischen Rede erscheint. Sie ist das Licht der Sprache überhaupt. Je höher die Rede sich schwingt, je energischer sie tönt, desto häufiger und stärker fallen die Reflexe. Note: Das kurze vorübergehende Moment der Vergleichung sind wir seit Aristoteles (Poetik Kap. 21. Rhetorik III Kap. 11) gewohnt unter dem Repräsentativbegriff der Metapher (μεταφορά = Uebertragung) abzugrenzen. Note: Zweifelsfall: verkürzte Vergleichung oder Übertragung? Übertragung hier nur als wörtliche Übersetzung von Metapher, nicht als Begriffsverständnis; Quelle (n):Aristoteles Poetik1457b (Kap. 21)http: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0086. tlg034.perseus-grc1: 1457bAristoteles RhetorikIII, Kap. 11ff.http: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0086. tlg038.perseus-grc1: 3.11.1Die Metapher hält sich nämlich nicht bei der Einführung der Vergleichung mit so wie, gleich als ob und dgl. auf. Sie setzt die vergleichbare Anschauung einfach zu oder für den verglichenen Gegenstand ein. Note: Sie nennt das Auge die Sonne des Antlitzes oder spricht direkt von dem Auge des Himmels als von der Sonne. Note:
Der Arten und Anwendungen des metaphorischen Ausdruckes können so viele sein, als es Verhältnisse und Beziehungen der Vergleichung giebt. Note: Aristoteles hat (a. a. O.) deren vier Hauptklassen abgegrenzt (\̓η ἀπὸ τοῦ γένους ἐπὶ εἶδος \̓η ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ τὸ γένος \̓η ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ εἶδος \̓η κατὰ ἀνάλογον). Note: Man muß seinen Ausdruck, der wie oft bei Aristoteles ziemlich sorglos die richtige logische Unterscheidung wiederspiegelt, nach seinen Beispielen so verstehen. Note:
1) Vom Besonderen auf das Allgemeine (induktiv). Note: Beispiel: Das Schiff steht statt liegt vor Anker. Man gebraucht37 die allgemeine Anschauung des Stehens für die besondere des Ankerns. Note: Homer: Odyssee1. 1-1.43http: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0012. tlg002.perseus-grc1: 1. 1-1.43Aristoteles Poetik (zitiert nach) 1447ahttp: / / data. perseus.org / citations / urn: cts: greekLit: tlg0086. tlg034.perseus-grc1: 1447a2) Vom Allgemeinen aufs Besondere (deduktiv). Note: Beispiel: Wohl zehntausend edle Thaten vollbrachte Odysseus. Statt der allgemeinen Anschauung sehr viele, unzählbare die besondere Zahl zehntausend (schwaches Beispiel, weil dem Griechen μυρίον an und für sich eine unbestimmte Vielheit bedeutete). Note: Welches Werk? Warum zitiert nach?3) Vom Besonderen aufs Besondere (comparativ). Note: Beispiel: Mit dem Erz (Schwert) die Seele schöpfend. Die besondere Vorstellung des Schöpfens für die des Schneidens. Note: Werkannahme? Zitiert nach?4) Von einem Verhältnis auf ein anderes (analogisch). Note: Beispiel: Das Greisenalter verhält sich zum Leben wie der Abend zum Tage. Man setzt nun das Greisenalter des Tages oder den Abend des Lebens, je ein Verhältnis für das andere ein. Note: Annahmen?
Die letzte Kategorie nennt Aristoteles die analogische im besonderen, obwohl Analogie (Uebereinstimmung) als Möglichkeit der Vergleichung überhaupt bei allen Arten der Metapher vorauszusetzen ist. Note: Wo diese Möglichkeit der Vergleichung, die Analogie, fehlt oder nur schwer entdeckt werden kann oder gestört wird, da spricht man von falschem Gebrauch des Gleichnisses, der Metapher (Katachrese), falschen oder unrichtig durchgeführten Bildern. Note: Es betrifft aber jene letzte Klasse des Aristoteles die Vergleichbarkeit des reinen Verhältnisses. Dafür ward es ihm schwer, in der Terminologie seiner Sprache ein anderes Wort zu finden, als gerade das allgemeinste, das er seiner Definition von vorn herein hätte zu Grunde legen sollen. Daher sichert er sich denn auch bei38 dieser seiner letzen Kategorie des metaphorischen Ausdruckes durch eine lange Ausführung und mehrere Beispiele. Note:
Es erübrigt, darauf einzugehen, wie im Anschluß an Aristoteles Rhetoriker und Grammatiker nun versucht haben, die Lehre von den Tropen auszubauen. Sie wollen wie so oft klassifizieren, bevor sie untersucht und geschieden haben. Daher jene öde Reihe starrer Bezeichnungen, mit denen sich die Poetik schleppt und, indem sie sich damit auseinander zu setzen sucht, den Lernenden verwirrt. Nichtssagende Flachheiten wie „ Metonymie “(Namenvertauschung!), eine bare Hülflosigkeit wie die „ Synekdoche “(Mitbegreifung), Vermengung der materiellen in die formale Unterscheidung wie bei der „ Personifikation “(Beseelung eines leblosen Gegenstandes): all dies ungeschickte Handwerkszeug kann das innere Verständnis der in den Bildern lebenden poetischen Anschauungskraft wenig fördern. Es kommt nicht darauf an, besondere Benennungen für die Einzelheiten dieses Anschauungslebens zu schaffen (wo man so leicht wohl kein Ende finden dürfte), als den Vorgängen im ganzen nachzugehen und sie zu erklären.
Hiezu aber reicht es nicht aus, daß man beobachtet, wie sich die poetischen Wendungen gleichsam auf der Oberfläche der Sprache bilden. Es gilt, von unten auf Sprachschöpfung und Sprachgestaltung zu verfolgen, um zu erkennen, daß das poetische Bild keineswegs bloß als äußerlicher künstlicher Schmuck auf den Sprachbaum aufgepfropft wird, sondern dessen eigentümliches, natürliches Erzeugnis darstellt. Sehr wohl giebt Fr. Th. Vischer (Aesth. III. 1221) zu „ bedenken, daß, was vom prosaischen Standpunkte bloß anhängender Schmuck, vom39 poetischen wesentliche Anschauung des im Worte erstarrten Bildes ist. “
Was man daher im Gegensatz zu den poetischen Tropen im Sinne der Grammatik und Rhetorik als Figuren bezeichnet, muß durchwegs in Beziehung auf sie als ihre wesentliche Voraussetzung aufgefaßt werden. Die ursprünglichste aller Figuren, das einfache Beiwort (Epitheton, griech. = Zugesetztes), vertritt jetzt auf der Grundlage der ausgebildeten Sprache genau dasselbe, was vor aller Sprache das Wort an und für sich bedeutete: nämlich die unterscheidende Bezeichnung eines Dinges, ebensowie die einfache Umschreibung (gr. Periphrasis) die unterscheidende Bezeichnung eines Vorgangs. Darum finden wir auch in jenen poetischen Urkunden aus der menschlichen Urzeit noch durchweg das stehende Beiwort im Gebrauch, von den Grammatikern ganz unangemessen als epitheton ornans (schmückendes Beiwort) aufgefaßt. Denn es ist eben keineswegs zufälliger Schmuck der Rede, sondern eine ganz bestimmte anschauliche Unterscheidung, die damit bezweckt wird, wenn Homer stets vom „ fußschnellen Achilleus “, vom „ listenreichen Odysseus “, vom „ gerenischen reisigen Nestor “spricht; wenn die Bibel statt des einfachen Ausdrucks „ und Gott sprach “immer ausführt: „ Und Gott segnete und sprach “, „ er vertrieb sie und stieß sie aus “, „ er schlug und schmähte sie “, „ er antwortete und sprach “, was ja Homer ganz genau so formuliert:
„ τὸν δ 'ἀπαμειβόμενος προσέφη — “
40Das Beiwort, die Wurzel des poetischen Vergleiches, führt also unmittelbar auf das Wort selbst, den Baugrund der Sprache, und zwar ganz folgerichtig auf das Wort in seinen beiden grammatischen Grundfunktionen als Substantiv und als Verbum. Die poetische Sprache zeigt darin schon ihre unmittelbare Fühlung mit der Sprachschöpfung, daß sie diese lebendigen Triebkräfte der Sprache möglichst zur Geltung bringt gegenüber den übrigen erst durch immer schärfere und feinere Abstraktion aus ihnen gewonnenen Redeteilen, den Vertretern des Urteils und der reinen Kategorien des Denkens. Die poetische Sprache umgeht also, ganz verschieden von der Sprache der Konvention, Partikeln, Umstands - und Verhältniswörter in ihrem trockenen, verallgemeinernden Gebrauch. Sie hilft sich lieber mit einer gegenständlichen Beschreibung, einer sinnlichen Umschreibung, einem entschiedenen Zusatz. Sie vermeidet aus diesem Grunde die hypothetischen Formen des Zeitworts in ihrem Abhängigkeitsverhältnis von unterordnenden Konjunktionen und zieht die abrupte Einführung des abhängigen Verbums vor. Nicht: „ ich sage, daß ich es gethan habe “sondern „ ich sag ', ich hab's gethan “. Nur aus diesem Grunde vermeidet sie das Hilfsverb in seiner rein kategorischen Verwendung in der Konjugation. Nur darum giebt sie die damit gebildeten Formen des Perfekts, des Passivs gern verkürzt mit der Ellipse des Hilfsverbs oder in sinnlicher Verstärkung durch ein selbständiges Verb. „ Was ich verbrochen “nicht: „ was ich verbrochen habe. “ „ Versunken und vergessen! “nicht „ er ist versunken und vergessen “, „ ihr liegt verödet “statt „ ihr seid verödet. “
41Ebenso wie im Ausdruck an und für sich sehen wir in seiner Aneinanderreihung im Satze die poetische Sprache stets darauf aus bedacht, mit dem ursprünglichen Leben und Empfinden, welches ihre Formen schuf, in genauester Fühlung zu bleiben. Jm geordneten Satze kommt der Ausdruck in Bewegung, die Sprache in Fluß. Besondere Formen dieser Sprachbewegung sind es nun, welche die alten Grammatiker mit Beziehung auf die geordneten Formen der thatsächlichen körperlichen Bewegung (im Tanze) hier ganz treffend als Figuren bezeichnet haben. Nur daß sie auch hier im Aussondern und Bezeichnen ihres richtig begriffenen Vorwurfs sehr unglücklich verfahren sind. Das Ergebnis davon ist die lächerliche Verwirrung, die in dem Schwalle „ grammatischer und rhetorischer, Wort - und Sinnfiguren “der poetischen Kompendien herrscht.
Zunächst muß man die dadurch leicht bewirkte Schulmeinung überwinden, als handle es sich hier um außerordentliche Kunststücke, die nur vom Poeten oder Redner exekutiert werden. Wie man sich leicht bei Durchmusterung dieses ganzen, stellenweise recht seltsamen Registers überzeugen wird, giebt es keine Figur, die nicht im gewöhnlichen Sprachverkehr unter ihren gegebenen Bedingungen vorkäme. Manche Verkehrssprachen bevorzugen und pflegen bekanntlich gewisse Redefiguren, wie die der Studenten die Hyperbel, die der Juden die Frageform (interrogatio), die der Diplomaten die Litotes u. s. w. Die kunstmäßige Rede thut nichts weiter, als daß sie diese von allen geübten Redeformen nach ihrer ursprünglich gedachten42 Wirkung, an rechter Stelle und in der geeigneten Mischung anbringt. Gleichgiltig oder gar unrichtig angebracht, ergeben sie Stillosigkeit oder Galimatias, wie wir beides gegenwärtig in unserer Zeitungslitteratur genugsam beobachten können, einseitig bevorzugt, Manier.
Beim Versuche, sich unter den Redefiguren zu orientieren, halte man fest, daß es sich nur darum handeln kann, entweder die Sprachbewegung zu variieren, sie zu beschleunigen und aufzuhalten, zu steigern und hinabzuleiten, zu entfesseln und festzusetzen, oder ihre einzelnen Ruhepunkte zu fixiren, wie man das ja ganz analog ausdrückt: zu pointieren.
Dem letzeren Zweck dienen in diesem Verstande auch die Tropen, und die meisten der hierhergestellten Figuren sind auch thatsächlich nichts anderes als Tropen, die nur in ihrer Beziehung auf den Jnhalt unter eine ganz bestimmte Rubrik gebracht werden können. So enthält eben die schon berührte Hyperbel eine fühlbare Uebertreibung des bezeichneten verglichenen Verhältnisses. Zu ihr gehört daher jedes eigentliche Schimpfwort, zumal der in der hyperbolischen Sprache beliebte Tiervergleich. Der Tiervergleich der Urpoesie gehört nicht hierher. Er ist reiner Tropus. Denn wenn Homer und die Bibel ihre Helden mit Ochsen und Eseln, die Araber mit Kamelen, die Veden mit Elefanten vergleichen, so beabsichtigen sie etwas anderes, als wenn der Student Ochs, Esel, Kamel oder Elefant zur Vergleichung heranzieht. Das steht dann vielmehr hyperbolisch als bloße Redefigur für einen hohen, unmenschlich scheinenden Grad von Dummheit, Störrigkeit, Schwerfälligkeit, schimpflichen Eigenschaften.
Die Litotes (griech. = Schlichtheit, Einfachheit) will ganz43 im Gegensatz dazu nicht alles sagen, was eigentlich gesagt werden müßte. Sie sagt lieber „ nicht gut “, wo eigentlich „ schlecht “zu sagen wäre, sie sagt lieber „ ich bin nicht dieser Ansicht “statt „ ich bestreite das “. Wenn man also eine Figur der Negation (Verneinung) einführen will, so ist sie nur die Grundlage, die eigentliche Voraussetzung der Litotes, die als solche eine spät, erst im Zustande der Ueberfeinerung in die Sprache eintretende Redefigur sein wird. Den höchsten Grad von Feinheit erreicht die Litotes, wenn sie in der Abschwächung der Meinungsäußerung bis zum graden Gegenteil dessen fortschreitet, was eigentlich gesagt werden müßte. Dann wird sie Jronie (griech. wohl zum Stamme EP gehörig vgl. unser „ etwas so sagen “) und liegt, das was eigentlich zu sagen wäre, recht offenbar, wie man wohl sagt: schreiend zu Tage, so nennt man die Jronie Sarkasmus (vom griech. σάρξ Fleisch, „ ätzender “Hohn). Die Jronie scheint ganz Kulturprodukt, sie kennzeichnet bekanntlich eine so überfeinerte Litteraturrichtung wie die Romantik, erschien aber auch bedeutsam im Munde des Sokrates an der großen Wende des Altertums, da die alte Naturreligion in der Oeffentlichkeit ihren ersten Stoß erhielt. Nichtsdestoweniger ist die Jronie keiner Menschen - und Gesellschaftsschicht völlig fremd. Die Sprache ist ein so durchsichtiger Schleier, daß Jronie unter gegebenen Voraussetzungen sofort und genau verstanden wird. Grade der Natur nahe Völker (Bergbewohner, Alpenvölker) üben sie mit Vorliebe (utzen, schrauben, frotzeln u. s. w.). Bezeichnet man Jndividuen und Völker dadurch gerade als natürlich, daß man sagt, sie verstehen die Jronie nicht (wie die Pommern), so ist es meist wieder Jronie.
44Will man ein Repräsentativform aller dieser pointierenden Rede-Figuren, so hat man sie in der Emphase (griech. = Andeutung, Hinweisung). Jhr Begriff ist erschöpft in unserem Ausdruck „ etwas mit Bedeutung sagen “. Die bekannte Phrase „ sei ein Mann, “zu einem Manne gesagt, wäre sinnlos, wenn wir nicht gerade aus dem Nachdrucke, mit dem sie gesagt wird, sofort die besondere Bedeutung schlössen, die hier dem Worte „ Mann “beigelegt wird, nämlich den Jnbegriff desjenigen, was den Mann als solchen (vor dem Knaben, dem Greise, dem Weibe) auszeichnet, was ihm ziemt.
Es ist der Jnhalt eines Wortes, im Unterschied von seiner gewöhnlichen, lediglich bezeichnenden Aufgabe, der hier wieder durchbricht. Das Wort wird gleichsam noch einmal geboren, indem es nach dem grammatischen Ausdruck „ im prägnanten (lat. eig. schwangeren, trächtigen) Sinne “auftritt. So kann man nun alle pointierenden Redefiguren emphatisch nennen. Denn alle legen Nachdruck auf den Jnhalt eines bestimmten Wortes im Fluße der Rede.
Das sogenannte historische (besser: absolute, Praesens z. B. verdankt seine Bedeutung als Redefigur lediglich dem emphatischen Vermögen. Durch dieses nämlich wird es seiner Rolle als bloße Bezeichnung einer Verbal form (als charakterisiertes Tempus) entkleidet und in die ursprüngliche absolute (aoristische) Vertretung aller Verbalform wieder eingesetzt, aus der, wie die Geschichte der Sprache lehrt, alle Tempora und Modi durch sogenannte Differenzierung abzweigten. Also in einer Schilderung: „ Der Feind bricht herein. Entsetzen ergreift die Bewohner. “ Oder imperativisch: „ Du thust's! “statt „ thu's! “ Oder imperativisch futurisch:45 „ er thut's! “statt „ er ist im Begriffe es zu thun, er wird es thun! “ Negativisch (in ironischer, höhnischer Wendung): „ Der thut's! “d. h. „ er thut es eben nicht, wird es nicht thun, es fällt ihm nicht ein, es zu thun. “ Ganz ähnlich ist es mit Anwendung des Singulars für den Plural bei kategorischer und genereller Bezeichnung (besonders in der lateinischen Sprache): „ Der Soldat, der Römer “für „ die Soldaten, die Römer. “
Als unmittelbar zur Emphase im engeren Sinne gehörig wird man aber schon nach dem bloßen Gehör diejenigen Redefiguren empfinden, welche zwei oder mehr Worte in gegensätzliche oder allgemein rückwirkende Beziehung zu einander setzen. Also Antithese, Oxymoron, Paradoxon sowie Klimax und Stichomythien. Hier soll nämlich überall die emphatische Hervorhebung des einen dazu dienen, das andere recht nach seinen besonderen Bezügen hervortreten zu lassen. Also: „ Du lachst; Jch weine (d. h. du bist im stande, bist so grausam, so fühllos, zu lachen ...) „ Beredtes Schweigen “(kein gewöhnliches Schweigen, sondern ein Verstummen aus Gründen, die für sich selber sprechen). „ Noch ein solcher Sieg (der nämlich keiner ist), und ich bin verloren! “ „ Jch kam, sah und siegte “, eine ungeheure Steigerung bloß durch Emphase. Die Stichomythien, in denen das Wort dramatisch zwischen Unterrednern wie ein Ball hin - und hergeworfen wird, bedienen sich aller dieser Arten von Emphasen behufs angelegentlicher Erörterung des jeweiligen Wortbegriffs. Uebermaß der Emphase, die so schließlich alles Nachdrucks beraubt, abgestumpft wird, dies allein ist es, was die Häufung solcher Redefiguren (concetti, quibbles) z. B. im poetischen Modeton gewisser Zeiten (Marinismus*)Nach dem italienischen Dichter Giambattista Marini (1589 – 1625)., Euphuismus*)Nach dem Roman des Engländers John Lyly: „ Euphues. The Anatomie of Wit “(1578). Neudruck, Heilbronn 1887.),46 Kultismus**)Nach dem estilo culto der Spanier (Gongora 1561 – 1627). so abgeschmackt erscheinen läßt. Denn was kann es abgeschmackteres geben, als durch eben die Mittel einen Zweck zu hintertreiben, durch die man ihn erreichen will?
Schließlich sei noch bemerkt, daß die sogenannte Sentenz (sinnreicher Ausspruch) zu den Redefiguren zu rechnen, wie eine gewisse Sorte Poetik pflegt, durchaus keinen Sinn hat. Denn wenn auch im einzelnen Worte der Sinn besonders auffällig angebracht werden kann, so versteht es sich eigentlich von selbst, daß das Ganze der Rede immer „ sinnreich “sei. Andernfalls würde der werte Poet besser schweigen. Was man in der theoretischen Sprache Sentenzen nennt, stellt keine Redefigur dar, sondern allgemeine, aus dem poetischen Vorgang abstrahirte Gedanken, welche die thatsächlichen Ausführungen des Dichters oder seiner poetischen Personen durchsetzen.
Die Bewegungsfiguren werden es zum Unterschied von den festsetzenden nicht mit den Wörtern selbst, sondern mit der Wortfügung zu thun haben. Diese kann durch die bloße Weglassung oder Häufung der Bindewörter in ihrer Wirkung schon merklich variirt werden. Erstere, das Asyndeton, erzeugt den Eindruck einer lebhaften Beschleunigung („ alles rennet, rettet, flüchtet “), letztere, das Polysyndeton, den einer ungemeinen Macht der Bewegung („ und es wallet und siedet und brauset und zischt “). Eine besondere Energie der Bewegung wird es auch sein müssen, die im stande ist, die gewöhnliche Folge der Wortfügung47 ganz zu verändern (Jnversion). „ Nach Korinthus von Athen gezogen kam ein Jüngling “(Goethe: Braut von Korinth); „ Wasserholen geht die reine, schöne Frau des hohen Brahmeu “, „ Edel sind wir nicht zu nennen “, „ Mich nun hast du ihrem Körper eingeimpft “... (Ders. : Parialegende).
An der großen Freiheit der Wortfügung, welche sich in Folge der größeren Bestimmtheit ihrer Flexionsformen noch die alten Sprachen überall erlauben dürfen, hat in den unseren nur noch die poetische Sprache Anteil. Für gewöhnlich macht die Erleichterung der Uebersicht und des raschen Verständnisses bei der mangelnden Flexionsunterscheidung eine um so strengere Syntax notwendig (besonders im Französischen). Die poetische Sprache nun ist durch ihre größere Anschaulichkeit und Eindringlichkeit in der Lage, weit weniger Umstände mit ihrer Wortfügung zu machen. Sie schickt die Begründung, die näheren Umstände der eigentlichen Aussage, das abhängige Wort den regierenden voraus und dergleichen. Wenn sie auch im Ein - und Durcheinanderschieben abhängiger Worte nicht mehr die Freiheit hat, wie bei den durch sich selbst kenntlichen Flexionen der alten Sprachen, so sind Einschaltungen (Parenthesen) von Ausrufen, Anreden und Zwischenbemerkungen (à part) ihr ganz gemäß und viel natürlicher als der strengen Prosa, wo die Parenthese eher einen steifen, schwerfälligen unbehilflichen Eindruck hervorruft. Saladin (in Lessings Nathan V letzter Auftritt):
Das macht, daß das Gewand der poetischen Rede gleichsam leichter, luftiger ist, als das der Prosa, viel rascher, flüchtiger und dabei tiefere Falten zu werfen vermag, im Ganzen nachgiebiger gegen jede Art von Drapierung erscheint.
Demgemäß liegen ihr auch die Formen der strengen grammatischen Jnversion, also namentlich der Frage (interrogatio), viel näher. Sie greift ohne viele Umstände dazu, wenn sie auch keine Antwort erwartet und erwarten kann (rhetorische Frage); sie fingiert ein Frage - und Antwortspiel (Dialogismus) im Sprechenden selbst und erzeugt durch dies alles jene eigentümliche Spannung, jene lebhafte Anteilnahme am Thema, die z. B. Lessings Stil durch dies Kunstmittel den trockensten Gegenständen zu Gute kommen zu lassen wußte. *)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 9. Lessings antiquar. und epigrammat. Abhandlungen. Seite 3.„ Herr Klotz soll mich eines unverzeihlichen Fehlers ... überwiesen haben .... Mich eines Fehlers? Das kann sehr leicht sein. Aber eines unverzeihlichen, das sollte mir leid thun ... Denn es wäre ja doch nur ein Fehler ... Aber .. worin bestand er denn nun, dieser unverzeihliche Fehler? “ Oder**)Vergl. Sammlung Göschen Nr. 7. Lessings Prosa. Seite 140. „ Sie? Herr Pastor — der Sie diesen ehrlichen Mann mit Steinen verfolgen? .. Und warum? Weil dieser ehrliche Mann zugleich den schriftlich gegebenen Rat eines ungenannten Baumeisters, das Gebäude lieber ganz abzutragen — gebilligt? unterstützt? ausführen wollen? auszuführen angefangen? Nicht doch! — nur nicht unterschlagen zu dürfen geglaubt. “ Aus dem gleichen Grunde scheinen ihr Störungen und Unterbrechungen der regelmäßigen Wortfolge, Auslassen von Wörtern und Satzteilen (Ellipsen), Verschweigen von Abschlüssen (Aposiopesen) nicht nur zulässig, sondern erwünscht, um49 grade dadurch ihr Publikum zur Selbstergänzung zu zwingen, es rascher mit sich fortzureißen. (Virgils „ quos ego “—! euch werd 'ich —!) Die poetische Sprache pocht hier gleichsam auf die Macht, die sie auf den Hörer ausübt. Wir sehen ihr aus diesem Grunde sogar die mangelhafte (ja falsche) Ausgestaltung der Satzfolge (Konstruktion) unbedenklich nach, die wir dem strengen Prosaiker als ein Zeichen von Nachlässigkeit der Gedankenformung (Anakoluthie) sehr verübeln würden.
Es entstünde nun die Frage, in welche der beiden Klassen jene Art Figuren einzureihen wäre, in denen rein durch den Wortklang eine Einwirkung auf die Sprachbewegung erzielt wird. Zählen sie zu den pointierenden oder den bewegenden Figuren? Sie stellen sich zu den pointierenden, wenn sie wie das κατ'ἐξοχήν sogenannte Wortspiel (Annominatio) und der darauf gegründete Witz einen Punkt der Rede besonders markieren. Sie treten aber wiederum zu den bewegenden, indem sie bloß durch Wiederholung der reinen Wortklänge die Wortfügung anregen. Repräsentativform dafür ist die Anaphora (griech. Zurückführen nämlich desselben Wortes), die je nach der Stellung in Satz und Vers eine Menge Unterarten zuläßt, deren Aufzählung mit ihren grammatischen Titulaturen wir dem Leser ersparen. Also: „ Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll “; „ so gleicht kein Ei dem andern, kein Stern dem andern nicht “(Mörike) und so in vielen Variationen. Die eigentümliche Doppelstellung dieser Art von Figuren ist nun keineswegs zufällig. Sie findet ihre Begründung darin, daß die bloße Klangform im Wort eben schon etwas bedeutet, was über den Sinn und die Sinnfügung in der Sprache hinausgreift in das melodische Gebiet. 50Alle Onomatopoesie d. i. Verwendung der Wortklänge zu bestimmten musikalischen Wirkungen, wie sie namentlich in der Schäferpoesie des 17. Jh. bis ins Kindische und Lächerliche getrieben wurde, kann kaum noch zu den Figuren gerechnet werden, die nach unserer Definition besondere Formen der Sprachbewegung selbst darstellen. Sie fällt vielmehr bereits in das Bereich jenes Kunstmittels, welches als der selbständige Träger der poetischen Sprachbewegung von der musikalischen Seite her sich der Sprache zugesellt: in das Bereich des Verses.
Litteratur.
Scriptores metrici graeci ed. Westphal. Antiquae musicae autores ed. Meibomius. Grammatici latini ed. Keil. Ueber antik. Metrik August Apel. Lzg. 1815. 17, Gotfried Hermann (Elementa doctrinae metricae 1816), Wilh. Christ (Metrik der Griechen u. Römer 2. A. 1879), Roßbach, Westphal und Gleditsch. Lzg. 1885. 89. Karl Lachmann, Ueber Althochdeutsche Betonung und Verskunst (Berliner Akademie 1832. 34. Klein. Schrift. I 358 – 406. Ed. Sievers (Altgerman. Metrik) und Herm. Paul (Deutsche Metrik) in des letzteren Grundriß der germ. Philol. II 1. 9. Abschnitt (1893). K. Phil. Moritz, Versuch einer deutschen Prosodie. Berl. 1786. Fr. Aug. Wolf, Ueber ein Wort Friedrich's II. von deutscher Verskunst. Berl. 1811. Joh. Minkwitz, Lehrbuch der deutschen Prosodik und Metrik. Lzg. 1843. Mor. Hauptmann, Natur51 der Harmonik und Metrik. Lzg. 1853. Roderich Benedix, Das Wesen des deutschen Rhythmus. Lzg. 1862. Rud. Westphal, Theorie der neuhochdeutschen Metrik. Jena 1870. Rud. Gottschall, Poetik, Die Dichtkunst u. ihre Technik. 2. A. 1870. Ernst Brücke, Die physiologischen Grundlagen der nhd. Verskunst. Wien 1871. R. Aßmus, Die äußere Form der nhd. Verskunst. Lzg. 1882. Aug. Schmeckebier, Deutsche Verslehre. Berl. 1886. Jakob Minor, Neuhochdeutsche Metrik (umfassendes Handbuch). Straßburg 1893. W. Wackernagel, Geschichte des deutschen Hexameters und Pentameters bis auf Klopstock. Berl. 1831. (Kl. Schr. II). F. Wolf, Ueber die Lais, Sequenzen u. Leiche. Heidelb. 1841. Wilh. Grimm, zur Geschichte des Reims. Berl. 1852. 4°. (Kl. Schr. IV). Fr. Zarncke, Ueber den fünffüßigen Jambus. Lzg. 1865. Aug. Sauer, Ueber den fünffüßigen Jambus vor Lessings Nathan. Wien 1878. H. Welti, Geschichte des Sonetts in der deutschen Dichtung. Lpzg. 1884.
Vers sowohl als Reim, die beiden musikalischen Hilfen der poetischen Sprache, sind in den Figuren so vorbereitet, daß man darin den stetigen Uebergang vom poetischen Jnhalt zur poetischen Form genau verfolgen kann. Anaphora und Anomination — regelmäßige und gleichartige Wiederholung des Wortklanges im Dienste des Wortsinnes — hier haben wir fühlbar die Momente, an denen als geforderte Ergänzung die ganze sonst so unvermittelt und beziehungslos auftretende Maschinerie der Verstechnik einsetzt. Man muß sich immer gegenwärtig halten, daß der musikalische Schmuck der poetischen Rede nicht etwa als etwas Gegebenes der Musik entlehnt ist. Denn als der erste Vers sich bildete — wo war da die Musik? Sondern umgekehrt:52 am Verse und durch den Vers hat sich Musik gebildet; die Kunst des reinen Klanges ist am Sinn erblüht, und in seinem Dienste haben sich jene vielgestaltigen Ordnungen des Klanges auseinandergelegt, die uns jetzt, der ursprünglichen Tönung baar, als unverständliche Künsteleien eines launenhaften Wortfügungstriebes in zahllosen dürren Schemen die Metrik überliefert.
Es gilt also festzuhalten, daß auch die strenge kunstmäßige Wortfügung in festen, metrischen Gebilden vom Wortsinn ursprünglich nicht zu trennen ist. Das rein musikalische Element, das hier hinzukommt, ist der Takt. Der Takt ist der rhythmische Träger einer Bewegung, zunächst der körperlichen im Tanze, Marsche. Das wiederkehrende Zeitmaß beschwingt die Bewegung, die sich danach richtet, macht sie leichter und dauerhafter. Die Gründe führen weit und liegen tief. Die Thatsache spricht für sich selbst. Dadurch nun, daß Sprache eine Bewegung ist, sucht sie am Takt teilzunehmen. Das Lied und seine sprachliche Unterlage, der Vers, ist gleichsam ein Tanz der menschlichen Kehle.
Vers ist ein lateinisches Wort (versus) und entspricht unserm Worte Wendung. Aus der naheliegenden etymologischen Erklärung des Grundworts der metrischen Kunst braucht man jedoch nicht gleich bündig zu schließen, daß aller Vers und mit ihm jede Poesie vom Tanzlied den Ausgang genommen habe. Es liegt wie gesagt in der Sprachbewegung als solcher die Tendenz, auf den Takt als ihren beschwingenden Träger hinzusteuern. Recht naiv offenbart sich dies in der sehr alten, ursprünglichen, später vielleicht mit Absicht auf diesem Standpunkt verharrenden heiligen Poesie der Bibel. Hier äußert53 sich das innere Streben nach der Gleichreihigkeit des Takts, wenigstens in dem ersten Ansatz zur Gegenüberstellung je zweier zeitlich begrenzter Glieder (Parallelismus). Jn dieser Weise haben wir uns nun den Ansatz aller Metrik zu denken: nicht also, daß von streng gleichmäßigen Einzelgliedern (Schritten) der Vers aufgebaut wurde, sondern so, daß in parallele Reihen die gleiche Gliederung immer mehr hinein - gebaut ward. Daß nun auf diesem Wege der zur Begleitung durch das Lied einladende Tanz mit seinem Gleichschritt den Ausbau der Gliederung begünstigt haben wird, liegt zu Tage. Man denke an die große Bedeutung der chorischen (Reigen -) Poesie bei dem wie für alle Kunst, so auch für die Metrik wichtigsten Volke, den Griechen.
Wir sprechen nach griechischem Gebrauch noch von Metrik (Meß kunst) als dem Prinzip der Verskunst, obwohl man im Deutschen durch die gröbere Natur der Sprache gezwungen, nur mehr im allgemeinen auf bloße dynamische Rhythmik (Taktierung nach Stärke und Schwäche*)Nicht nach Höhe und Tiefe („ Hochton und Tiefton “), was nichts weniger als ein unterscheidendes Merkmal unserer Rhythmisirung bedeutet, da es für den Rhythmus an sich nicht in Frage kommt. Nur auf Metrik oder Dynamik kann sich selbständiger Rhythmus gründen. (Vgl. des Verf. Grundz. d. Syst. der artikul. Phonetik. Anm. 40.) eine Verskunst gründen könnte. Wir können lediglich nach dem Wechsel der betonten und unbetonten, stärker und schwächer betonten Wortsilben die Gliederung der Takte, guten und schlechten Taktteil (nach „ Hebung und Senkung “der Stimmkraft**)Hebung und Senkung in unserem Gebrauch, gegen den der Griechen (ἄρσις und θέσις) gehalten, bezeichnet das Entgegengesetzte. Jm Griechischen und Lateinischen dachte man sich die Messung durch Hebung und Senkung des Fußes ausgedrückt. Der niedergesetzte Fuß bedeutete alsdann den Ruhepunkt, die lange Silbe, der aufgehobene den flüchtigen Moment, die kurze Silbe. Aber dynamisch, nach dem Kraftaufwand bemessen, bestimmen. 54Die Griechen und ihre Schüler, die Lateiner, besaßen in der feinen Unterscheidung von langen und kurzen Silben in ihren Sprachen die Mittel, die Takte viel wechselvoller mit langen und kurzen Silbennoten auszufüllen, im Prinzip unbekümmert, wohin im Takte die Wortbetonung fiel.
Es ist klar, daß diese Betonung, wie jetzt noch im Süden, mehr musikalisch nach Höhe und Tiefe unterschieden gewesen sein muß, da Stärke und Schwäche ja gute und schlechte Taktteile auseinanderhielt. Während unsre Deklamation also im Prinzip tonlos erscheint, war die antike tonreich und bot schon an und für sich ohne Komposition ein lebhaft bewegtes Notenbild. „ Einst wird kommen der Tag “lautet nach dem Prinzip unserer Deklamation zunächst nur in rhythmischen Schlägen:
„ ἔσσεται ἧμαρ ὅταν “dagegen melodisch unterschieden etwa
Diese singende Deklamation, die uns störend, ja abgeschmackt erscheint, hat sich denn auch im Süden erhalten, und die Verskunst der Romanen gründet darauf, obwohl**)kehrt sich das Verhältnis um, wie bei der Stimme besonders klar wird. Dann ist der Moment der Hebung derjenige, welcher sich geltend macht gegenüber dem der Senkung. Man sollte also, wie schon der erste Einführer dieser Ausdrucksweise (Clayus in seiner deutschen Grammatik von 1578) ἄρσις: θέσις = Senkung: Hebung setzen; oder, um Mißverständnisse ganz zu vermeiden, sich gewöhnen, von Schwachton und Starkton zu reden. (Also: diese Silbe trägt den „ Starkton “, nicht die „ Hebung “. Diese Silbe steht „ im „ Schwachton “, nicht „ in der Senkung “.)55 auch sie die strenge Messung der Silbe hat aufgeben müssen, die Freiheit, ihre Accente beliebig über den Vers und keineswegs bloß auf die guten Taktteile zu verteilen. Es hat lange gedauert, bis man (nachhaltig erst durch Opitz) zum theoretischen Bewußtsein dieser Unterschiede gekommen ist. Die Schwere und Korrektheit unserer Wortbetonung, die sich unter allen Umständen auf dieselben Silben, die Stammsilben wirft, hindert uns die andre Weise mitzumachen. Der alte deutsche Vers beschränkte sich ganz ausschließlich auf Jnnehaltung einer bestimmten Anzahl von starken Betonungen (Stäben), die er ursprünglich noch durch gleichen Anlaut (Allitteration) kenntlich machte, ohne gleiche Taktierung. Später wurden unter dem stetigen Einfluß der antiken und romanischen Metrik die Takte mehr ausgebaut, die Anzahl der den starktonigen Versstäben (Hebungen) beigegebenen schwach betonten Silben (Senkungen) beschränkt und ausgeglichen. Allein die Freiheit, den Schwachton (die Senkung) ganz auslassen zu dürfen, eine ganze Silbennote in den Takt zu setzen, behielt der deutsche Vers gleichsam als Wahrzeichen des ausschließlichen Starkton - (Hebungs) - prinzips in ganz anderer Ausdehnung bei, als sie sich analog in der antiken Silbenmessung findet. Ein viersilbiger Vers wie
hat vier Takte genau wie der zehnsilbige
Doch war man feinhörig genug, zu Trägern so starker Betonung auch immer nur metrisch lange Silben auszuwählen, d. h. solche mit langem Vokal oder gehäuftem Konsonantenschluß. Das alte Deutsch verfügte nämlich noch über eine Menge kurzer Stammsilben, die eben durch die schwere Betonung im Laufe der Zeit gleichsam ausgeweitet, lang geworden sind.
Also T̄́age, K̄́lage, nicht mehr: t̆́age ̆́klage.
Man sieht also, daß es im älteren Deutsch, namentlich in dem noch mit sehr vielen nebeneinander liegenden (heute verschliffenen) kurzen Ableitungssilben versehenen Althochdeutsch ganz leicht war, antike metrische Verse zu bauen. Gleichwohl unterließ man es keineswegs bloß aus „ mönchischer und barbarischer Unwissenheit “, sondern weil man über das Bedürfnis der strengen Stammsilbenbetonung auch im Verse nicht hinwegkonnte. Die humanistischen Schulmeister der Renaissancezeit, die hochmütig auf „ die alte Reimerei “herabsahen, verfehlten es grade, da sie sich darüber hinwegzusetzen wagten zu einer Zeit, wo der Bestand an kurzen Silben, zumal neben einander liegenden, schon stark zusammengeschmolzen, beziehungsweise geschwunden war. Jhre Mißbetonung:
wie das Außerachtlassen der festen Betonung dem deutschen Ohre nun einmal erscheint, wurde also nicht einmal mehr57 durch leichte und flüssige Metrik im Verse ausgeglichen. *)Vgl. des Verf. Poetik der Renaissance in Deutschland Berl. 1886. S. 30 ff.Diese sklavische und völlig unangemessene Art der Nachahmung des antiken Verses wurde auch schließlich überwunden, und alle Rückfälle darein bleiben für den, der in dieser Materie klar blickt, von vornherein aussichtslos.
Man fand schließlich das Auskunftsmittel, die antike Metrik der deutschen Sprache anzueignen, dadurch, daß man ihre Schemen in analogen rhythmischen nachbildete. Man muß dabei nur nach Kräften bemüht sein, nicht durch allzu grobe Verstöße gegen den ursprünglichen Sinn dieser Metren die Analogie illusorisch zu machen, also nicht durch allzugroße Schwere in den unbetonten Silben, allzu große Leichtigkeit der betonten die Beziehung auf die eigentlich notwendigen strengen Längen und Kürzen gradezu herauszufordern. Der Daktylus „ Holzklotzpflöck “in Hexametern, wie Platen sie parodirt, ist freilich kaum geeignet, im Hörer den Eindruck antiken Metrums hervorzurufen. Ebenso wenig sollen die festen metrischen Schemen durch sprachliche Opfer, Silben - verstümmlung und Abwerfung (syllabische Synkope und Apokope: g'sagt, neid't; hab's, d'Vater, d'Mutter), Silbenzusammenziehung (Synalöphe: so'n Mensch = so ein u. dgl. ) erzwungen werden. Auch der Hiatus, das Aufeinandertreffen zweier Vokale zwischen zwei Worten, bei uns des stummen Ausgangs-e's (heutē ērwartet; zur Statuē ēntgeistert), ist im Auge zu behalten, den das feinere Gehör der Alten durchgängig vermied oder durch Verschleifung tilgte.
Die gelegentliche Schwierigkeit dieser Aufgabe kann jedoch nicht abhalten, so klassische künstlerische Gebilde, wie sie in den antiken Metren vorliegen, der Dichtung zu bewahren. 58Alle Kläffereien „ nationaler “Verswächter von der Zeit an, da Klopstock durch sein hexametrisches Gedicht die Eintönigkeit des alexandrinischen Stelzenschritts zu unterbrechen wagte, vermögen auch nicht von dieser Aufgabe abzuschrecken. Jene Metren bewähren ihre alte Anziehungskraft immer wieder. Sie haben überdies das Gute, auch der rhythmischen Verskunst stets gegenwärtig zu halten, daß sie eine Kunst und keine mechanische Silbenbrauerei vorstelle, in der jeder Sud durch die nationale Versgewerbefreiheit gerechtfertigt werde.
Unsere gegenwärtigen rhythmischen Schemen sind nicht bloß wie in den älteren Perioden der Dichtung unbewußt nach dem klassischen Muster gemodelt, sondern sie sind theoretisch und praktisch in einer mehrhundertjährigen Uebungszeit durch die Schule der antiken Metrik gegangen. Man bedient sich also herkömmlich in der neuhochdeutschen Verskunst der antiken metrischen Terminologie, obschon man weiß, daß sie nur auf ihr Schema, nicht aber streng auf ihr inneres Prinzip anzuwenden ist. Für die Schemen selbst ist dieser Unterschied ganz ohne Belang. Denn sie stellen zunächst Taktarten und Taktreihen nach einem regelmäßigen Wechsel von schweren und leichten Silben dar, gleichviel ob dieselben als lange und kurze oder als betonte und unbetonte gegen einander abgewogen werden.
Der Takt legt sich von Natur in zwei Hauptarten auseinander, den gleichartigen und den ungleichartigen, je nachdem die Taktglieder in gradem oder in ungradem Verhältnis zu einander stehen. Also gleiche Taktarten:
59usw. je nach dem Zeitmaß.
Ungleiche Taktarten:
usw. je nach dem Zeitmaß.
Gleiche Taktreihen:
Ungleiche Taktreihen:
Der Rhythmus von 2 oder 3, Doppelschlag oder Dreischlag bleibt vermöge seiner grundlegenden Einfachheit in weitaus den meisten Fällen ausschließlich das konstitutive Element des Takts. Jhre Kombination zum Fünf - und Siebenschlag wird immer den Charakter des Besonderen, außergewöhnlich Bewegten an sich tragen.
Versetzung des schweren Taktgliedes auf den schlechten Taktteil (Synkope) erscheint als Störung des Taktes:
60Sie kann ihrer Natur nach nur vorübergehend sein. Setzt sie sich fest, so wird sehr bald das schwere Taktglied seine Rechte auf die Beherrschung des Taktes an erster Stelle geltend machen. Das leichtere Taktglied, das sich den Vortritt im Takte alsdann nur noch anmaßt, wird aus ihm herausgedrängt, in den sogenannten Auftakt verwiesen werden. Aus der synkopischen Reihe
u. s. f. wird sehr bald
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Während nun in der reinen Musik Synkope und Auftakt keinen Anspruch auf prinzipielle Bedeutung erheben, sind sie in der Verskunst von grundlegender Bedeutung für ihre Handhabung und ihre vornehmsten Typen. Die Verwendung der Synkope bedeutet für den Dichter in seinem Verse mehr, als für den Tonkünstler in seinem melodischen Satze. Für diesen ist sie nur schöner Wechsel, für den Dichter in erster Linie eine Hilfe zur Unterbringung der metrisch oder rhythmisch61 selbständigen Wortfügungen in die Taktreihe. Ganz besonders der deutsche Dichter bedarf ihrer. Bei der Natur seiner Sprache, deren Wortfügungen starrer als die der klassischen Sprachen (zumal der griechischen) ihren Lautbestand, auf das hartnäckigste aber grade ihren Tonfall gegenüber allen Anfällen des Verses wahren, würde es ihm anders oft kaum möglich sein, größere Vorwürfe charakteristisch im Verse zum Ausdruck zu bringen. Schon vor Einführung des gleichmäßigen