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Zur Entwicklung der Frauenstimmrechts - Bewegung
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An wichtigen Wendepunkten des Lebens pflegt der Mensch einmal stillstehend Rückschau zu halten aus den durchmessenen Weg: aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen pflegt er dann das Facit zu ziehen, das ihm aus seiner ferneren Lebensreife gar oft Richtschnur und Wegweiser sein kann.

Was aber für das Einzelleben gilt, ist auch für die Gemein - schaft nicht bedeutungslos. Zweifellos ist in unserer politischen Frauenbewegung das Jahr 1916 ein Markstein am Wege. Die längst sich vorbereitende Neuorientierung des deutschen Ver - bandes für Frauenstimmrecht hat sich vollzogen. Durch seine Auflösung und Verschmelzung mit der deutschen Vereinigung zum deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht ist eine Klärung der Lage und damit eine Gesundung der verworrenen Verhältnisse angebahnt. Die zielbewußten demokratischen Elemente haben sich vom Verbande gelöst und zum großen Teil dem deutschen Frauenstimmrechtsbunde angeschlossen. Bei dieser Gelegenheit dürfte ein kurzer Rückblick auf die Ent - wickelung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung nicht ohne Wert und Jnteresse sein, damit auch wir, aus der Ver - gangenheit lernend, rückwärts blickend vorwärts schauen können.

Herausgeboren aus den Stürmen des Revolutionsjahres 1848, sank die deutsche Stimmrechtsbewegung in den nachfol - genden Jahren finsterer Reaktion wieder in tiefen Schlummer, aus dem erst unsere alte Vorkämpferin, Hedwig Dohm sie im Jahr 1870 durch ihre Kampfschrift: Der Frauen Natur und Recht zu neuem Leben weckte. Der Entrüstungssturm, den sie damit heraufbeschwor, hinderte Hedwig Dohm nicht, immer aufs neue in Streitschriften und Broschüren die Frage zu er - 4 örtern und mit ihrer ganzen Wärme und Beredsamkeit sich für die politische Befreiung der Frauen einzusetzen.

1871 fanden in Leipzig und Chemnitz zuerst Frauen - versammlungen der Sozialdemokratie statt, deren Ergebnis die Gründung der ersten[politischen] Frauenorganisation war.

1876 behandelte Bebel in einer Volksversammlung in Leip - zig das Thema: Die Stellung der Frau im heutigen Staat und zum Sozialismus , und forderte die zahlreich erschienenen Frauen zur agitatorischen Mitarbeit bei den bevorstehenden Reichstagswahlen auf, natürlich zu gunsten der Sozialdemo - kratie, die als einzigste Partei für vollkommene soziale und politische Gleichberechtigung der Frauen eintrat.

1894 wurde die Frage des Frauenstimmrechts zum ersten Mal in einer öffentlichen Versammlung von bürgerlichen Frauen vertreten. Einberuferin dieser Volksversammlung war Frau Minna Cauer; die Referentin Lily von Gysziki, nach - malig Lily Braun sprach über Die Bürgerpflicht der Frau .

1895 zwang Bebel durch seinen Antrag auf Einführung des Reichstagswahlrechtes für die Frauen den deutschen Reichstag zur Stellungnahme und eingehenden Beschäftigung mit dem Frauenwahlrecht.

Seit 1895 erörterte Frau Cauer in ihrer neugegründeten Zeitschrift Die Frauenbewegung die sich mit Fragen der Ge - setzgebung und Sozialpolitik beschäftigte, die Stimmrechtsfrage nach allen Seiten. Als Forderung formuliert, erschien sie im Programm des 1899 gegründeten Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine.

Jm Bund deutscher Frauenvereine stieß die Frauenstimm - rechtsforderung auf sehr wenig Gegenliebe; man befürchtete zugestandenermaßen von ihrer Propagierung eine Beeinträch - tigung der anderen Bundesinteressen.

Nachdem der Boden so allmählich vorbereitet war, wurde am 1. Januar 1902 von Dr. Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Frau Minna Cauer der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht gegründet und zwar mit dem Sitz in Ham -5 burg, weil die Gesetze der beiden größten Bundesstaaten sein Bestehen aus ihren Territorien nicht zuließen. Dem Vorstand traten ferner bei: Charlotte Engel-Reimers, Dr. Käte Schirma - cher und Adelheid von Welczeck.

Die Frauenbewegung mit ihrem 1899 von Frau Cauer gegründeten und von Dr. Augspurg redigierten Beiblatt: Par - lamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung wurde die Zeitschrift des Vereins.

Seit 1906 war nur noch die in die Zeitschrift für Frauen - stimmrecht umgewandelte Beilage obligatorisch für die Mit - glieder: Auf der Hamburger Generalversammlung 1911 be - schloß der deutsche Verband die Gründung eines erweiterten Blattes, das als Monatsheft erscheinen und Eigentum des Ver - eins sein sollte. Dr. Augspurg wurde zur Leiterin der neuen Zeitschrift Frauenstimmrecht gewählt. Als Dr. Augspurg 1913 in Eisenach ihr Amt niederlegte, trat an ihre Stelle Adele Schreiber-Krieger, die das später unter dem Titel Die Staats - bürgerin erscheinende Verbandsorgan auch heute noch redi - giert.

Die erste öffentliche Kundgebung des neu gegründeten Vereins für Frauenstimmrecht im Jahre 1902 war eine Mani - festationsversammlung in Berlin am 12. Februar, in der in einer Resolution die Notwendigkeit des Frauenstimmrechtes vom ethischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Stand - punkte aus begründet wurde.

Jm März desselben Jahres wurde auf Veranlassung des Vorstandes eine Audienz beim Grafen Bülow, dem damaligen Reichskanzler, nachgesucht die am 20. März stattfand, und an der 35 Frauen aus allen Städten des Reiches sich beteiligten. Es wurde von der Vorsitzenden, Dr. Augspurg, ein Schriftstück verlesen, das die nächstliegenden Wünsche der Frauen enthielt. Dr. Augspurg begründete in einer längeren Ansprache diese Wünsche, die sich auf Aufhebung der Rechtsungleichheit für die Frauen im Vereins - und Strafrecht (Prostitution) sowie auf bessere Bildungsmöglichkeiten für das weibliche Geschlecht, und6 zwar auf das Anrecht auf Jmmatrikulation an den Hochschulen nach abgelegter Maturitätsprüfung, auf die Mitwirkung sach - verständiger Frauen bei der in Aussicht stehenden Mädchen - schulreform und auf die Errichtung obligatorischer Fortbil - dungsschulen für Mädchen bezogen.

Die Antwort des Reichskanzlers enthielt eine durchaus gerechte Würdigung des großen Ernstes und der Bedeutung der Frauenfrage. Graf Bülow betonte seine Abhängigkeit von den gesetzgebenden Körperschaften, versicherte aber gleichzeitig seine Bereitwilligkeit, die gewünschten Aenderungen in bezug auf das Strafgesetzbuch und das Vereinsrecht an den zuständi - gen Stellen anzuregen, und sein Jnteresse an der Mädchen - schulreform in Bundesrat und Reichstag zum Ausdruck zu bringen. *)(Siehe Frauenbewegung vom 1. April 1902).

Öffentliche Versammlungen in Berlin und Hamburg, die sich unter anderm mit den bevorstehenden Reichstagswahlen beschäftigten und bei denen auch Vertreter der politischen Par - teien zugegen waren, sowie eine Reihe von Eingaben an Be - hörden und gesetzgebende Körperschaften, von denen der erste Jahresbericht des Vereins Kunde gibt, zeugen für das rege Jnteresse und die intensive Teilnahme an allen politischen Fragen seitens der Mitglieder. An die politischen Parteien erging im April 1903 ein Anschreiben betr. Aufnahme von Frauen als ordentliche Parteimitglieder in den Bundesstaaten, in denen die Gesetze dies zulassen, sowie um Heranziehung von Frauen zu allen Parteiveranstaltungen in Preußen.

Zur gleichen Zeit wurde an den evangelischen Oberkirchen - rat in Preußen und an die Bremer Kirchenbehörde eine Ein - gabe um Verleihung des kirchlichen Wahlrechtes an die Frauen gerichtet, die im Juni 1903 auch an alle übrigen deutschen Kir - chenbehörden ging.

Jm Juni 1904 fand in Berlin die internationale Grün - dungskonferenz des Weltbundes für Frauenstimmrecht statt, die vom deutschen Verein für Frauenstimmrecht vorbereitet war.

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Am 1. Oktober desselben Jahres wurde der Verein in einen Deutschen Verband für Frauenstimmrecht umgewan - delt. Diese Umwandlung bezweckte die Gründung von Lan - desorganisationen in allen vereinsfreien Bundesstaaten, wie Baden, Bremen, Elsaß-Lothringen, Hamburg, Hessen, Lübeck, Oldenburg, Württemberg usw., die auch vollzogen wurde. Die sächsischen Städte mit dem Vorort Leipzig schlossen sich als mit - teldeutscher Verein dem Verbande an. Später, als auch der außerhalb des Verbandes in Dresden gegründete sächsische Landesverein dem Verbande beitrat, vereinigten sie sich mit diesem zum sächsischen Landesverein für Frauenstimmrecht.

1907 aus der Frankfurter Generalversammlung wurde als Grundlage der Organisation die Einteilung nach den Bundes - staaten des deutschen Reiches festgelegt. Die Landesvereine gliedern sich in Provinzialvereine und Ortsgruppen, denen ihre Geschäftsführung nach eigenen Statuten obliegt, die natürlich mit den Grundprinzipien des Verbandes im Einklang stehen müssen.

1908 beim Erlaß des Reichsvereinsgesetzes schlossen sich in Preußen die bestehenden Ortsgruppen, die bis dahin im preu - ßischen Landesausschuß zusammengefaßt waren, unter Frau Cauers Führung zusammen zum Preußischen Landesverein, der alsbald in zahlreichen Provinzialvereinen und Ortsgruppen das ganze Königreich umspannte.

Auch in Bayern führte die Befreiung von den Schranken des Vereins - und Versammlungsrechtes im Oktober 1908 zum Zusammenschluß der inzwischen zahlreich geworbenen Mitglie - der im Bayrischen Verein für Frauenstimmrecht unter der Füh - rung von Dr. Augspurg und Lida Gustava Heymann.

Der deutsche Verband breitete sich sehr bald über fast alle deutschen Bundesstaaten aus und leistete in den verschiedenen Landesvereinen wertvolle Arbeit. Nicht allein, daß er durch eifrige Propagandatätigkeit, in öffentlichen Versammlungen, durch aufklärende Flug - und Werbeschriften die Jdee des Frauenstimmrechtes in immer weitere Kreise trug; durch Diskus - sionsabende und Unterrichtskurse in Staatsbürgerkunde8 und aus andern Gebieten innerer und äußerer Politik arbeitete er an der politischen Schulung der Frauen und nahm Stellung zu allen schwebenden Zeitfragen. Petitionen und Eingaben an Reichs - und Landtage, Mitarbeit anläßlich der Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften, zu Krankenkassen und Han - delskammern ist überall zu finden.

Der bayrische Verein unterschied sich von allen andern durch die besondere Taktik seiner Kampfesweise. Er veran - staltete die erste Demonstrationsfahrt für Frauenstimmrecht in Deutschland und zwar in München in blumengeschmückten Wa - gen mit Propagandaplakaten. Er ließ bei allgemeinen Wah - len Plakatträgerinnen mit Aufschriften für Frauenstimmrecht durch die Straßen ziehen. An Wahltagen veranlaßte er die Frauen in den Wahllokalen zu erscheinen und ihre Zulassung zur Urne zu verlangen, beziehungsweise auf die Aufnahme eines Protestes gegen ihren Ausschluß im Wahlprotokoll zu bestehen, ein Vorgehen, das auch in außerbayrischen Ortsgrup -- pen Nachahmung fand. Besondere Erwähnung verdient auch sein nachdrückliches Eintreten für die Suffragettes, für deren Kampfesweise er ein gerechteres Verständnis zu wecken suchte.

Während der Verband so nach außen hin wuchs und all - mählich zu einem Faktor wurde, dem man, anstatt ihn zu be - lächeln und zu verspotten, Beachtung schenkte, bereiteten sich im Jnnern langsam Kämpfe vor, die schließlich zur Spaltung der Organisation führen mußten.

Als im Jahre 1907 auf der dritten Verbandstagung in Frankfurt a. / M. die Satzungen einer Revision unterzogen wur - den, wurde im § 3 die Forderung des allgemeinen, gleichen, ge - heimen und direkten Wahlrechts als eines verpflichtenden Prin - zips in die Satzungen aufgenommen.

Das bedeutete keineswegs eine Neuerung oder Änderung in den Grundsätzen des Verbandes, sondern diese Forderung[war den Gründerinnen Selbstverständlichkeit und stillschwei -] gende Voraussetzung gewesen. Erst als von rechts und links Zweifel daran laut wurden, glaubte der Verband es sich selbst9 schuldig zu sein, diesen seinen Grundsatz durch Einfügung in die Statuten vor aller Welt bekennen zu müssen. Gegen 2 Stim - men wurde die Wahlrechtsforderung aufgenommen, die das Ansehen der Organisation bei den politischen Parteien hob und festigte. Aus meinen eigenen Erfahrungen als Vorstandsmit - glied des Bremer Vereins kann ich bestätigen, daß niemand die Festlegung unseres Grundprinzips als Neuerung empfand. Keinerlei Opposition machte sich gegen die Aufnahme des Wahl - rechtsparagraphen geltend, der auch von der Mitgliederver - sammlung ohne jede Diskussion angenommen wurde.

Aber die allmählich in die Breite gehende Stimmrechts - bewegung nahm im Laufe der Zeit manche konservativen und nationalliberalen Elemente in sich auf, denen teils aus takti - schen, teils aus prinzipiellen Gründen die demokratische Wahl - rechtsforderung nicht paßte. So organisierte sich innerhalb des Verbandes die Opposition, und es kam zur Gründung einer zweiten Bewegung unter gemäßigtem Programm, in Schlesien unter Frau Wegener, in Rheinland und Westfalen unter Frau Fischer-Eckert.

Aus der Münchener Generalversammlung 1909 gab diese Opposition Anlaß zu den ersten Kämpfen und Auseinander - setzungen. Die ausgetretenen Gruppen schlossen sich zusammen zum schlesischen und zum nordwestdeutschen Verband und for - derten, indem sie unser Programm als parteipolitisch bezeich - neten, das Wahlrecht unter den gleichen Bedingungen wie die Männer es haben und haben werden.

1911 schlossen sich die beiden Gruppen mit dem inzwischen in Hamburg unter Frau Dehmel gegründeten Norddeutschen Verband zusammen zur Deutschen Vereinigung für Frauen - stimmrecht . An die Spitze trat Frau Fischer-Eckert.

Jnzwischen hatte die Hamburger Generalversammlung Okt. 1911 dem Verband heiße Kämpfe wegen des Wahlrechts - paragraphen gebracht. Zwar ging der hessische Antrag auf Abänderung der klaren Wahlrechtsforderung in den Satz: Der Verband erstrebt volle Staatsbürgerrechte für alle Frauen ,10 nicht durch; aber die Zahl seiner Anhänger war nicht unbe - deutend. Dagegen gelangte der bayrische Antrag, statt: erstrebt das allgemeine, gleiche usw. Wahlrecht für beide Geschlechter für die Frauen zu setzen, mit großer Mehrheit zur Annahme.

Frau Lischnewska, die damals dringend vor dem hessischen Kompromißantrag warnte, beantragte dann den Zusammen - schluß aller Stimmrechtsvereine zu einem Bund deutscher Stimmrechtsverbände . Der Vorschlag fand nur sehr kühle Aufnahme bei den anwesenden Vertreterinnen der Gegenorga - nisationen, wurde aber innerhalb des Verbandes einer Kom - mission überwiesen.

Auf dieser Generalversammlung legten die beiden Be - gründerinnen des deutschen Verbandes, Dr. Augspurg und Lida Gustava Heymann, ihre Ämter als erste und zweite Vor - sitzende nieder und an ihre Stelle traten Frau Marie Stritt und Frau Anna Lindemann.

Jm Februar 1912 erfolgte dann ein neuer Vorstoß gegen die Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechtes. Anschließend an die Tagung des vom Bunde deutscher Frauenvereine veranstalteten großen Kongresses in Berlin, berief der deutsche Verband für Frauenstimmrecht auf Betreiben einiger rheinisch-westfälischer Ortsgruppen eine außerordentliche Generalversammlung, in der der hessische An - trag der Hamburger Generalversammlung aufs neue einge - bracht wurde. Das gab Anlaß zu harten, erbitterten Kämpfen. Die Versammlung erklärte sich schließlich als inkompetent zu Satzungsänderungen . So blieb der § 3 auch diesmal noch in den Statuten. Folge dieser Tagung aber war die Gründung der sogenannten Reformpartei innerhalb des Verbandes, deren Führung in den Händen von Frau Lischnewska (Berlin), Frau Nägeli (Mainz), Fräulein Schlecker (Mecklenburg), und Frau Balzer (Magdeburg) lag. Die Reformpartei, ein Staat im Staate, sammelte innerhalb des Verbandes alle prinzipiel - len und taktischen Gegner des demokratischen Wahlrechtspara - graphen, der immer noch als verpflichtender Grundsatz in den 11 Statuten stand, und wirkte durch ihre Tätigkeit naturgemäß beschleunigend auf den Zersetzungsprozeß in der Organisation.

Die Weimarer Beiratskonferenz, Herbst 1912, brachte dann einen neuen Einigungsvorschlag von Dr. Augspurg, um der wennschon unberechtigten Kennzeichnung des § 3 als partei - politische Forderung den Boden zu entziehen. Dieser neue Vorschlag sah die Forderung des Wahlrechtsparagraphen in folgender Form vor: Der Verband erstrebt das gleiche, per - sönlich auszuübende Wahlrecht für alle Frauen . Die an - wesenden Vertreterinnen stimmten in ihrer Mehrheit dem An - trag zu, der den Landesvereinen und Ortsgruppen zur Dis - kussion vorgelegt werden sollte. Die Annahme dieses An - trages durch die Majorität hatte den Austritt von Frau Cauer und Frau Breitscheid zur Folge. Frau Cauer legte kurz darauf auch ihr Amt als Vorsitzende des preußischen Landesvereins, ihrer ureigensten Schöpfung, nieder, da sie auch dort nicht mehr die nötige Resonnanz für das von ihr stets hochgehaltene demokratische Prinzip fand.

Auch in andern Landesvereinen wurde der klaffende Riß immer tiefer, bis die Eisenacher Generalversammlung, Oktober 1913, zur Spaltung des deutschen Verbandes führte. Zwar blieb auch in Eisenach noch der § 3 in der alten Fassung be - stehen, aber nur deshalb, weil seine Gegner sich nicht einigten, und daher statt eines einheitlichen, drei verschiedene Abände - rungsanträge vorlagen, von denen keiner die nötige Stimmen - zahl erhielt. Nur dieser Zersplitterung verdankt die klare demokratische Wahlrechtsforderung das Scheindasein, das sie dann noch über 2 Jahre in den Statuten des Verbandes geführt hat. Das Prinzip hatte die Mehrheit aber nicht mehr hinter sich. Das sprach deutlich aus der Wiederwahl des Vorstandes, der dieses ganze Hin und Her mitgemacht und gestützt hatte.

So zog zuerst der Hamburger Verein die Konsequenzen und trat kurz nach der Generalversammlung 1913 in seiner Mehrheit aus dem deutschen Verbande aus. Jhm folgten in kurzen Zwischenräumen der bayrische Verein für Frauenstimm - recht, die Bremer Anhänger des offenen Bekenntnisses zum12 allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht, die meisten badischen Ortsgruppen, ein Teil der Berliner Orts - gruppe, die Ortsgruppe Darmstadt des hessischen Landesver - eins und Einzelpersonen in den verschiedensten Städten.

Viele von diesen schlossen sich zusammen zum Deutschen Bund für Frauenstimmrecht , während beispielsweise die Orts - gruppe Danzig u. a. austraten, ohne sich anzugliedern.

Die Lehren der Vergangenheit beherzigend, hob der deutsche Bund für Frauenstimmrecht in seinen Statuten die Verpflichtung der Mitglieder auf das allgemeine, gleiche, ge - heime und direkte Wahlrecht ganz scharf hervor. Jeder Vor - stoß, jede Agitation dagegen von Einzelmitgliedern oder ange - schlossenen Vereinen zieht den Verlust der Mitgliedschaft nach sich.

Charakteristisch für die Organisation ist ihre Verfassung, die auf dem streng durchgeführten Prinzip der Gleichberechti - gung aller aufgebaut ist. Man verzichtete von vornherein auf einen Vorstand und schuf eine Zentrale für die angeschlossenen Vereine in der Geschäftsstelle, der eine von den Mitgliedern zu wählende Schriftführerin vorsteht. Hierher gegen An - und Abmeldungen, hier wird die Mitgliederliste und Korrespondenz geführt. Bei gemeinsamen Unternehmungen, Konferenzen und Kongressen, stellt die Ortsgruppe die Leitung, von der die An - regung ausgeht, wie überhaupt bei aller propagandistischen und sonstigen gemeinsamen Betätigung alle Maßnahmen zur Aus - führung der antragsstellenden Ortsgruppe zufallen. Als Fach - schrift wählte der Bund Frau Cauers 1912 gegründete Beilage zur Frauenbewegung : Zeitschrift für Frauenstimmrecht ; gleichzeitig erhalten die Mitglieder in den in München erschei - nenden, von Lida Gustava Heymann redigierten Mitteilungen Berichte und Arbeitsanregungen aus den verschiedenen Orts - gruppen.

Jm Frühling 1914 erging an verschiedene Einzelpersonen in allen drei Verbänden eine Einladung zu einer Einigungs - konferenz in Düsseldorf für Oktober 1914. Einberuferinnen waren Maria Lischnewska, Cäcilie Ahlhorn, Bertha Kalischer,13 alle Mitglieder der Reformpartei , die erst einmal im kleine - ren Kreise der Einigungsfrage näher treten und dann mit offi - ziellen Vorschlägen an die verschiedenen Vorstände herangehen wollten. Es lag ein ausführlicher Satzungsentwurf bei, das ganze war gedacht als ein festgeschlossener Bund. Demgegen - über veröffentlichten Dr. Augspurg und Lyda Gustava Hey - mann in der Zeitschrift für Frauenstimmrecht vom 1. Juli 1914 einen Gegenentwurf für ein loses Kartell deutscher Stimm - rechtsverbände.

Der Krieg vereitelte diese Pläne.

Am 10. Januar 1915 griff Frau Cauer den Gedanken eines Zusammenschlusses aller deutschen Stimmrechtsorganisationen von neuem auf und wandte sich mit einer dahingehenden An - regung an alle drei Organisationen.

Der deutsche Verband begrüßte zunächst die neu auf - genommene Jnitiative dankbar, während innerhalb des Frauen - stimmrechtsbundes die Ansichten auseinander gingen. Zweifel über den richtigen Zeitpunkt und vor allem über Frau Cauers Voraussetzung, daß nach dem einmütigen Zusammenstehen des ganzen deutschen Volkes die Wahlrechtsfrage nur noch im Sinne des § 3 aufgefaßt werden könne , wurden laut. Jm Prinzip war man im Bunde nach wie vor für ein loses Kartell unter vollkommener Wahrung des prinzipiellen Standpunktes. Auch die deutsche Vereinigung antwortete in letzterem Sinne. Einige Monate später aber korrigierte der Verband seine Stel - lungnahme. Man hatte Frau Cauers Vorschlag dort als eine Verschmelzung aller Organisationen aufgefaßt und lehnte ihn nun mit dem Hinweis daraufhin ab, daß ein Kartellverhältnis schon vorgesehen und ein Zusammengehen mit dem Stimm - rechtsbund wegen dessen Stellung zum internationalen Haager Frauen-Friedens-Kongreß ausgeschlossen sei.

Am 25. Mai 1915 fand dann auf erneute Einladung von Maria Lischnewska die für Oktober 1914 geplante Erste Kon - ferenz zur Erörterung der Frage der nationalen Einigung der deutschen Stimmrechtsbewegung statt. Anwesend waren Ver - treterinnen aller drei Gruppen: des deutschen Verbandes der14 deutschen Vereinigung, und des deutschen Frauenstimmrechts - bundes. Zur Annahme gelangte mit einer kleinen Abänder - ung der von Dr. Augspurg und Lida Gustava Heymann vor - geschlagene, in der Zeitschrift für Frauenstimmrecht veröffent - lichte Entwurf. Die Anwesenden übernahmen es, in ihren Organisationen für die Durchführung des angenommenen Ent - wurfs Stimmung zu machen.

Am 1. Oktober 1915 brachte die Zeitschrift Frau und Staat einen sehr bemerkenswerten Artikel von Frau Fischer - Eckert gegen ein Kartell, das doch nur ein rein äußerlicher Zu - sammenschluß sein könne, unter dem die innere Geschlossenheit Gefahr liefe. Man solle darauf Verzicht leisten und lieber warten, bis der deutsche Frauenstimmrechtsbund zu besserer politischer Einsicht gekommen sei.

Jm November 1915 auf der Generalversammlung des deut - schen Verbandes für Frauenstimmrecht in Dresden stand die Kartellfrage auf der Tagesordnung. Man begnügte sich aber mit einer prinzipiellen Sympathiekundgebung für die natio - nale Einigung und nahm statt dessen einen Antrag auf Ver - schmelzung der beiden größten Organisationen an. Auch Frau Lischnewska betonte, daß der Kartellantrag vorläufig zurück - gestellt werden müsse, da die Verschmelzung das bessere sei. Es wurde Mitteilung an den deutschen Frauenstimmrechtsbund beschlossen. Am 28. November 1915 erging an dessen Geschäfts - stelle, Fräulein Steiner-Hamburg, die Mitteilung seitens des deutschen Verbandes, daß Kurz vor der Dresdner Hauptver - sammlung ein Antrag auf Verschmelzung seitens der Deutschen Vereinigung eingegangen sei, der die große Mehrheit des Bei - rats und der Hauptversammlung gefunden habe. Durch An - nahme der Verschmelzung sei die Kartellfrage der deutschen Stimmrechtsorganisationen vorläufig erledigt .

Am 18. März 1916, dem historischen Tage von 1848, fiel im deutschen Verband der § 3. Die Ortsgruppen Breslau, Kat - towitz, Halle, Göttingen, der schlesische Provinzialverein, sowie 20 Mitglieder der Ortsgruppe Frankfurt a. M. und andere Ein - zelpersonen traten darauf aus dem deutschen Verbande aus.

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Zur Kartellfrage erklärte die Vorsitzende, daß ihre Ver - suche, die deutsche Vereinigung zu einem Kartell mit dem deut - schen Frauenstimmrechtsbunde zu bewegen, gescheitert seien und die Verschmelzung unmöglich geworden wäre, hätte man auf dem Kartell bestanden.

Am 20. März fand in Weimar die Verschmelzung statt, aus der anstelle von Verband und Vereinigung Der deutsche Reichs - verband für Frauenstimmrecht hervorging. Den Vorsitz über - nahm Frau Marie Stritt.

Am 18. und 19. April 1916 hatte der deutsche Frauenstimm - rechtsbund seine erste Tagung in Frankfurt a / M., einberufen von der Ortsgruppe Bremen.

Die in Weimar aus dem deutschen Verband ausgeschiede - nen Ortsgruppen: Breslau, Kattowitz, Göttingen, sowie die neugegründete Ortsgruppe Frankfurt a / M. und Einzelpersonen nahmen als neugewonnene Mitglieder teil.

Auch unsere alte Vorkämpferin, Frau Cauer, wurde dort Mitglied des Bundes. Seitdem hat sich auch die Ortsgruppe Halle dem Deutschen Frauenstimmrechtsbunde angegliedert.

Was den Frauenstimmrechtsbund prinzipiell von dem deut - schen Reichsverband für Frauenstimmrecht scheidet, ist seine Überzeugung, daß die Forderung des Frauenwahlrechtes sich logischer und gerechter Weise nur aufbauen kann auf dem Prin - zip der Anteilnahme aller Volksgenossen an den Geschicken ihres Landes. Für ihn ist die Forderung des allgemeinen, glei - chen, geheimen und direkten Wahlrechts also die Grundlage der politischen Frauenrechte, nicht aber ihre in ferner Zukunft liegende Krönung, ihr Endziel.

Nur auf dieser Basis stehend scheint den Mitgliedern des deutschen Frauenstimmrechtsbundes der Kampf um die poli - tische Befreiung der Frau möglich, der Kampf, den die Frauen allzeit unter die Devise gestellt haben: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk . Jedes beschränkte Wahlrecht spricht aber aller Ge - rechtigkeit Hohn, weil es die ausschließt, die seiner am meisten bedürfen in ihrem Existenzkampf: die wirtschaftlich Schwachen. 16Ein offenes, klares Bekenntnis zu ihrem vornehmsten Grund - prinzip ist selbstverständliche Pflicht jeder Organisation.

Unter der alten Fahne des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechtes, mit den alten bewährten Führerin - nen wird, so hoffen wir, der Frauenstimmrechtsbund, unbeirrt um Gunst oder Mißgunst, seinem Ziel zustreben. Die Kämpfe und Wirren der Vergangenheit haben ihm klar bewiesen, daß nicht Zahlen und Massen Stoßkraft verleihen, sondern Über - zeugungstreue und Bekennermut. Jm Streben nach diesem innern Wachstum wollen wir allezeit den Kampf führen für Frauenrechte, für Volksrechte.

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About this transcription

TextZur Entwicklung der Frauenstimmrechts-Bewegung
Author Auguste Kirchhoff
Extent16 images; 3439 tokens; 1345 types; 26858 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen Note: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2016-11-25T17:57:43Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2016-11-25T17:57:43Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationZur Entwicklung der Frauenstimmrechts-Bewegung Auguste Kirchhoff. . BoeskingBremen1916.

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Staatsbibliothek zu Berlin

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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