PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Die Dümmsten und die Schlauesten.

Beide kommen mit der gleichen Frage: Was sollen denn die Weiber an der Gesetzgebungsmaschine? , wenn man ihnen klar zu machen sucht, daß es keine, aber auch absolut keine einzige Materie gibt, bei deren gesetzlicher Festlegung die eine Hälfte der Menschheit die größte noch obendrein, denn das sind wir Frauen doch nun einmal nicht dasselbe, ja in ver - schiedenem ein größeres Jnteresse habe als die männliche Hälfte, daß es deshalb einfach grober Unfug ist, den Frauen das Recht vorzuenthalten, bei der Wahl von Gesetzmachern auch ihre Stimme abzugeben und selbst als Gesetzgeber gewählt zu wer - den. Was machen denn heute die Majoritäten, die edlen , hochgebildeten Männer, die Herren der Schöpfung für famose Gesetze? Sind sie jetzt nicht wieder allüberall im allerchrist - lichsten Deutschland, dem Musterland der sozialen Fürsorge mit Feuereifer darauf aus, die mit unsäglichen Mühen und größten Opfern aufgebauten Konsumentenorganisationen durch eine Umsatzsteuer zu erdrosseln?

Eine ungeheure Fülle von Beweismaterial liegt für die Not - wendigkeit vor, auch den Millionen des weiblichen Proletariats das gleiche, allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht zu geben. Von Tausenden nur ein Beispiel dafür:

Jm Eulengebirge, im Weberdorf Langenbielau, wo schon vor mehr als sechzig Jahren die ausgemergelten Weber zu Hungerrevolten gegen ihre unmenschlichen Ausbeuter ge - trieben wurden siehe Gerhart Hauptmanns Weber , tat sich vor zirka zehn Jahren eine kleine Anzahl mutiger, denkender Arbeiter zusammen. Nach dem Muster der drei - zehn Flanellweber zu Rochdale in England, den red - lichen Pionieren , gründeten sie 1900 eine Konsumgenossen - schaft. Dank unermüdlicher Agitation unter den eng zusammen - wohnenden Leidensgefährten wuchs der Verein von Woche zu Woche. Die Weber und ihre Frauen sahen bald ein, daß es vernunftgemäß sei, ihre sauer verdienten Pfennige ins eigene Geschäft zu tragen, statt so und so viel Zwischenhändler den Unternehmensprofit einsäckeln zu lassen. Darob natürlich großes Geschrei unter den geschädigten Krämern usw., die ihrem Privatprofit nachweinten. Mit Hilfe der um ihre Stimmen buhlenden Mittelstandsretter haben sie es fertig gebracht, die dortige von Gott eingesetzte Regierung ein Begriff zum Heulen schön dazu zu drängen, den aufblühenden Arbeiter - konsumverein mit einer ganz ungeheuerlichen Umsatzsteuer zu belasten. Der Ertrag davon wurde durch Beamte, die die Kom - mune bezahlt, den Krämern, Bäckern, Schlächtern, sogar dem Schnapswirt direkt ins Haus getragen! Diese Organisation von Konsumenten, die kaum das nackte Leben fristen können, muss heute infolge dieser wahnsinnigen Steuergesetzgebung die ganz ungeheure Summe von 21 095 Mk. von ihren zusammen - getragenen Spargroschen hergeben!

Vor einigen Jahren sprach ich in Langenbielau in einer Agitationsversammlung des Konsumvereins. Der Vorsitzende zeigte mir einen Mann im Saale, der ihn eines Tages auf - gefordert hatte, in der Nacht mit ihm zusammen ein Schwein wieder auszugraben, das an einer Seuche krepiert war und schon 21 Stunden in der Erde eingegraben lag im Hoch - sommer bei 20 Grad Wärme! Der Mann wollte gern einmal einen Sonntagsbraten für seine Familie haben! Er verdiente mit seiner Frau zusammen 10 Mk. pro Woche, und die beiden hatten vier Kinder. Was ist gegen das ersehnte krepierte Schwein des halb verhungerten Webers das kleine betuliche Hünd - chen , das der alte Baumert in Gerhart Hauptmanns Weber - drama schlachtet! Die Wirklichkeit ist unendlich viel grausamer und scheußlicher, als eine Dichterphantasie sie zu schildern vermag.

Und da gibt es vom Volk , das heißt von einem Teil des Männervolks gewählte Gesetzmacher , die den Konsumver - einsumsatz solcher trostlos armer Arbeiter mit einer Umsatzsteuer zu belegen wagen! Diese Steuer schluckt einen großen Teil der Ersparnisse auf, die durch den gemeinschaftlichen Wareneinkauf der Bedarfsartikel erzielt werden, die der schandhafte Zoll - und Steuerwucher so verteuert hat. Und für die Armen hat doch jeder ersparte Pfennig Bedeutung.

Jch wende mich nun an die Leser und Leserinnen und be - sonders an diejenigen unter ihnen, die heute schon aufgeklärt und vernünftig genug sind, als Mitglieder eines Konsumvereins die starke Macht ihrer Kaufkraft im proletarischen Klasseninteresse mobil machen zu wollen. Jch frage Sie: Wäre es denkbar, wenn Frauen, Proletarierfrauen in den Parlamenten säßen, daß solche himmelschreiende Gesetze erlassen werden könnten?

Es gilt alles daranzusetzen, daß wir an der Hand von Tat - sachen den Massen der uns heute noch verständnislos gegen - überstehenden Frauen die richtige Antwort beibringen auf die dumme Frage: Was sollen die Weiber an der Gesetzgebungs - maschine? Die Schlauen, die jetzigen Machtgeber, wissen die Antwort nur zu gut.

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About this transcription

TextDie Dümmsten und die Schlauesten
Author H. Steinbach
Extent1 images; 678 tokens; 425 types; 5059 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2016-06-27T18:45:26Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2016-06-27T18:45:26Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Die Dümmsten und die Schlauesten.H. Steinbach. Clara Zetkin (ed.) . DietzStuttgart1911. Frauenwahlrecht! pp. S. 10.

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Freie Universität Berlin 62 99 50908(7)

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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Shelfmark62 99 50908(7)
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