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Jesuitenfrage und Frauenstimmrecht. Zur Kritik der Ausnahmegesetze.

Man kann Politik mit und ohne Prinzipien machen. Jm allgemeinen werden sich aber nur diejenigen politischen Gruppen behaupten, die Prinzipien haben; denn es liegt eine große Werbekraft in der Tatsache, daß man bei einer Partei mit unbedingtem Vertrauen auf das Festhalten an einigen Grundforderungen rechnen kann. Es ist töricht, einer Partei durch ein Uebermaß an Prinzipien alle Bewegungs - freiheit zu nehmen; aber weit törichter noch ist die Selbst - täuschung, alle Politik müsse der Augenblickssituation angepaßt und könne ohne jede vorgefaßte Meinung durchgeführt werden. Die prinzipienfreieste Partei in Deutschland ist die national - liberale; sie ist zugleich innerlich und äußerlich die schwächste und bestünde längst nicht mehr, wenn Deutschland ein poli - tischeres Land wäre. Große Teile ihrer Wähler sind nämlich durch und durch unpolitische Naturen und wählen nur deshalb nationalliberal, weil ihnen diese Partei als die prinzipien - loseste zugleich gewissermaßen am unpolitischsten vorkommt und zu grundsätzlichem politischen Denken am wenigsten zwingt.

Für diejenigen Politiker, die sich auf den Boden des Grundsatzes Gleiches Recht für alle stellen, gibt es gegenwärtig zwei Prüfsteine Ausnahmegesetzen gegen - über: die Jesuitenfrage und das Frauenstimmrecht.

Man braucht nicht über jeden Politiker, der, wiewohl er die Gleichberechtigung aller im Staate verlangt, in diesen beiden Fragen versagt, für alle Zeiten den Stab zu brechen. Aber die Unbedingtheit des Vertrauens ist erschüttert, wo man dieses Versagen findet.

Wer sagt gleiches Recht für alle , der muß auch sagen: kein Ausnahmegesetz gegen irgend jemanden. Dabei muß es ganz gleichgültig sein, ob ihm das Objekt des Ausnahmegesetzes sympathisch oder unsympathisch ist. Er kämpft gar nicht für oder gegen dieses Objekt, sondern er streitet für einen Grund - satz. Darum hat er auch die Pflicht, sich mit genau demselben Eifer im einen wie im andern Falle gegen ein Ausnahmegesetz ins Zeug zu legen. Die - jenigen, die ein in den Objekten liegendes Sonderinteresse am Nichtzustandekommen oder an der Aufhebung eines Aus - nahmegesetzes haben, darf er nicht an Eifer ihn übertreffen lassen; denn grundsätzlich ist er genau so stark interessiert wie jene. Das Jesuitengesetz ist nur ein Ausnahme - gesetz. Es ist so, das mit sophistischen Argumentenbestreiten zu wollen. Die Wenigsten, die es leugnen, sind von ihren Beweisen selber überzeugt; sie wollen zu einem anderen Ergebnis kommen, weil es kein populäreres Aus - nahmegesetz je gegeben hat als das Jesuitengesetz. Der Wunsch ist der Vater des Gedankens, die Beweiskette von vornherein im Hinblick auf das Ergebnis zugeschnitten. Manche sagen auch, das Jesuitengesetz sei gewiß ein Ausnahmegesetz, aber die ganze Stellung des Staates zur Kirche sei ein einziger großer Komplex von Ausnahmegesetzen; warum solle man gerade das einzige Glied dieses Komplexes, das für den Klerikalismus ungünstig sei, beseitigen? Werde Staat und Kirche getrennt, dann wolle man gern die Jesuiten ins Land lassen. Aber auch von dieser Logik darf man sich nicht blenden lassen. Wer ernstlich gegen Ausnahmegesetze ist, hebt sie auf, wo er nur kann. Gibt es für Trennung von Staat und Kirche keine Parlaments - mehrheiten, so fange man mit der Durchführung des Grund - satzes keine Ausnahmegesetze! dort an, wo die Mehrheitsverhältnisse es gestatten, gleichviel, ob das angenehm oder unangenehm scheint.

Wer gleiches Recht für alle will, muß wollen, daß das Parlament ein getreues Spiegelbild der politischen Kräfte des Landes sei. Jhm ist darum die Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts (unter Berücksichtigung der Minderheiten durch Verhältniswahl) Selbstverständlichkeit. Er geht nicht von den Folgen aus, die dieses Wahlrecht haben kann: daß nämlich durch seine Anwendung die Politik letzten Endes auf Grund der Mehr - heitsverhältnisse eine ihm höchst unsympathische Wendung nehmen kann. Diese Folgen darf nur derjenige zur Orien - tierung seiner Stellung zum Wahlrecht benutzen, der eben im Parlament nicht ein Spiegelbild der politischen Kräfte sehen will, sondern eine zum Zwecke der gegebenenfalls auch gegen den Willen des Volkes erfolgenden Durchführung politischer Absichten getroffene Auslese. Wer aber an dem Gedanken des Spiegelbildes festhält, der darf nicht an einer beliebigen Stelle plötzlich Halt machen und fragen: diese oder jene politische Kraft muß unvertreten bleiben, weil sie noch nicht reif ist und daher immer nur bestimmten, uns partei - politisch unbequemen Richtungen zuneigen wird. Zu dem wirklichen Spiegelbild der politischen Kräfte gehört auch das allgemeine, gleiche, geheime und direkte (ev. mit Proportional -) Wahlrecht der Frauen. Wer die Frauen vom Wahlrecht ausschließen will, der gibt den Gedanken einer alle politischen Kräfte widerspiegelnden Volksvertretung auf und begibt sich damit, wie eifrig er auch an dem allgemeinen usw. 26Männerwahlrecht festhalten mag, auf den schlüpfrigen Boden der Wahlrechtsopportunisten, die von dem vorgefaßten Wunsche, ein Parlament so oder so zusammengesetzt wissen zu wollen, sich hinsichtlich der Art des von ihnen geforderten Wahlrechts bestimmen lassen. Wem hingegen der Gedanke, das Parlament müsse das Spiegelbild des Volkes sein, ein unverrückbarer Grundsatz ist, der muß konsequenter Weise auch für das allgemeine usw. Frauenstimmrecht eintreten, gleichviel, ob ihm die Folgen sympathisch sind, ob er Frauen - feind schlechthin ist, ob er meint, die Frauen läsen die Zeitungen von hinten , oder wie immer sonst er steht. Er hat kein Recht zuzulassen, daß irgend welche und wäre es auch die geringe oder gar eine negative Potenz bei der Reflexion aufs Parlament ins Leere fällt.

So liegt denn also bei der Jesuitenfrage und beim Frauenstimmrecht die Sache ganz gleichartig. Wer keine politischen Grundsätze hat, möge nach Gutdünken für Auf - hebung des Jesuitengesetzes und gegen Frauenstimmrecht oder auch gegen beides, für beides oder gegen die erstere und für das letztere sein. Wer aber das gleiche Recht für alle fordert und kein Ausnahmegesetz zulassen will und so viel Grundsätzlichkeit bringen doch eigentlich eine ganze Anzahl Menschen fertig , für den gibt es nur einen gangbaren Weg; gegen das Jesuiten - gesetz und für das Frauenstimmrecht.

Wir werden voraussichtlich in allernächster Zeit im Reichstag eine Abstimmung über die Jesuitenfrage erleben und dann beobachten können, inwieweit grundsätzliche Be - trachtung oder Einflüsse der Erziehung, Vorurteile, berech - tigte Bedenken, ehrliche Furcht ums Staatswohl usw. die Stellungnahme der Politiker beeinflussen werden. Was uns vom Standpunkt der Frauenstimmrechts - bewegung aus daran interessiert, das wird der Umstand sein, daß wenn es sich auch nicht gewisser - maßen um eine Probeabstimmung zur Stimmrechts - frage handelt, da das Zentrum im vorliegenden Falle neben den grundsätzlichen mindestens gleich starke auf den zufälligen Gegenstand der Streitfrage, die Jesuiten, ge - richtete Gründe für die Abstimmung zugunsten der Beseiti - gung des Ausnahmegesetzes hat, man immerhin bei einer ganzen Anzahl von Abgeordneten die Kraft ihrer grund - sätzlichen Überzeugung wird einschätzen lernen. Das ist für die Beurteilung der Aussichten der Stimmrechts - bewegung bei den gesetzgebenden Körperschaften von vielleicht größerer Bedeutung als bisherige gelegentliche Abstimmungen über Stimmrechtspetitionen, weil es mehr Schlüsse auf die Zukunft zulassen wird.

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About this transcription

TextJesuitenfrage und Frauenstimmrecht
Author Ludwig Heyde
Extent2 images; 1054 tokens; 505 types; 7804 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2016-08-23T07:23:33Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2016-08-23T07:23:33Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Jesuitenfrage und Frauenstimmrecht. Zur Kritik der Ausnahmegesetze.Ludwig Heyde. . M. & S. Loewenthal, VerlagsbuchhandlungBerlin1913. Die Frauenbewegung 19 (4) pp. 25-26.

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Universitätsbibliothek Frankfurt Zsq 179

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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Editorial principles

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