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Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung
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Berlin1918Arthur Scholem, Buchdruckerei, Berlin, Beuthstr. 6.

Inhaltsverzeichnis.

  • Der geistige Zusammenhang der Frauenbewegung und Frauenstimmrechtsbewegung.
  • Einzelne Vorkämpfer der Frauenstimmrechtsbewe - gung.
  • Die Beweggründe für die Stimmrechtsbewegung in einzelnen Bevölkerungsschichten: Selbständigkeit der Frau im Familien - und öffentlichen Leben, in Haus und Beruf.
  • Darlegung der gesetzlichen Bestimmungen, betreffend Frauenwahlrecht in Reich, Staat und Gemeinde und in den Organen der Selbstverwaltung.
  • Stimmrechtsbewegung in Deutschland.
  • Gründung des Weltbundes für Frauenstimmrecht.
  • Frauenstimmrecht im Ausland.
  • Programmatische Stellung der Parteien in Deutsch - land zum Frauenstimmrecht.
  • Gegenwärtige parlamentarische Stellung der Parteien zum Frauenstimmrecht.
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Die Frauenbewegung und die Frauenstimmrechts - bewegung sind in ihrem geistigen Zusammenhang nicht voneinander zu trennen. Ueberall, wo die Frauenbewegung festen Boden gewonnen hat, wo die vielseitigen Bestrebungen zur Hebung der sitt - lichen, geistigen und rechtlichen Stellung der Frau ein klares Programm, eine feste Organisation ge - schaffen haben, wird die Frauenstimmrechtsbewe - gung einsetzen. Sie wird bewußt oder unbewußt in die Erscheinung treten, wenn es gilt, den Frauen ein Mitbestimmungsrecht auf irgendeinem Gebiet einzu - räumen, auf welchem weibliche Interessen zu ver - treten sind und auf dem der Mann bisher allein zu entscheiden hatte.

Frauenbewegung und Frauenstimmrechtsbewe - gung als organisierte Bestrebungen sind die Errun - genschaften des letzten Jahrhunderts.

Von jeher schon haben aber hervorragende Denker beiderlei Geschlechts die Anerkennung der Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen in deren eigenem Interesse und zum Wohle des Staa - tes gefordert.

Es sei an Platos Lehre vom Staat erinnert, der den Frauen die Fälligkeit zuspricht, bei glei - cher Ausbildung den besten, zur Volkserziehung be - rufenen Bürgern zugesellt zu werden, an den Aus - spruch Condorcets (1742-92), des Präsidenten der gesetzgebenden Versammlung in Paris: Wir halten es für eines der natürlichsten Rechte des Menschen, in gemeinschaftlichen Angelegenheiten ent - weder persönlich oder durch frei gewählte Reprä - sentanten zu stimmen. Ist es nicht in ihrer Eigen -6 schaft als fühlende und mit Vernunft begabte und sittlicher Ideen fähige Wesen, daß die Männer Rechte besitzen? Die Frauen sollten folglich die - selben Rechte haben. Entweder hat kein individu - elles Glied der Menschheit irgendwelches wirkliche Recht, oder alle haben das gleiche, und wer gegen die Rechte eines anderen stimmt, einerlei, welches seine Religion, seine Farbe, sein Geschlecht ist, der entsagt damit seinen eigenen Rechten. Ebenso for - derte Mary Wollstonecraftschon 1795 in ihrem Werk: Vindication of the rights of women die Befreiung der Frau. Olympe de Gougesüber - reichte dem Revolutionstribunal in Paris eine Peti - tion französischer Frauen um Gewährung politischer Gleichberechtigung, da die Déclaration des droits de l'homme nur für Männer galt. Hippel plä - diert 1772 in Deutschland in seiner Schrift über Die bürgerliche Verbesserung der Weiber für Gewäh - rung politischer Frauenrechte unter Hinweis auf die Verschiedenheit der Geschlechter, und er zeigt an geschichtlichen Beispielen, wie man von jeher den Herrscherinnen die politische Befähigung uneinge - schränkt zuerkannt hat. John Stuart Mill liefert den Frauen geistige Waffen für ihren Befreiungs - kampf mit seinem Werk Die Hörigkeit der Frau . Er unterbreitete 1866 dem englischen Parlament die erste Petition zugunsten des Frauenstimmrechts. Unter den Vorkämpfern unseres Zeitalters zog Bebel in seinem Buch Die Frau und der Sozialismus die weitgehendsten Konsequenzen. Auch Bismarck hat in späteren Jahren geäußert, er wünschte, die Wahlen ständen mehr unter weiblichem Einfluß, da - mit sie besser und nationaler ausfielen , und folgerte daraus: Halten die Frauen fest zur Politik, so halte ich die Politik für gesichert. Treitschke hat in seiner Schrift Ueber die Freiheit auf die 7 Notwendigkeit politischer Bildung der Frauen hin - gewiesen, und seine prophetischen Worte über den Anteil der Frauen am Geschick ihres Volkes dür - fen besonders für die heutige Zeit gelten.

Luise Otto-Peterswar die erste deutsche Frau, die den Forderungen nach besserer Bildung, erweiterter Erwerbsmöglichkeit und sozialer Mit - arbeit der Frauen eine geschlossene Form gab. Sie, die Begründerin des Allgemeinen Deutschen Frauen - vereins und damit der organisierten deutschen Frauen - bewegung, hat, unter dem Einfluß der 48er Jahre stehend, voll erkannt, daß eine wirkliche Er - füllung dieser Wünsche nur auf Grund staatsbürger - licher Gleichberechtigung der Frauen zu erreichen sei. Sie hat in Wort und Schrift dieser Ueberzeu - gung Ausdruck gegeben, und ihr flammender Appell: Dem Reich der Freiheit werb 'ich Bürgerinnen wird in diesem Sinne auch heute noch das Kenn - wort der Stimmrechtsbewegung sein.

Von Luise Otto-Peters, Auguste Schmidt Malvida von Meysenbugbis zur Gegenwart reiht sich eine vielgliederige Kette deutscher Frauen an, die für die Befreiung ihres Geschlechtes gewirkt, gekämpft und gelitten haben. Viele von ihnen weilen noch unter den Lebenden, und erst die Zukunft wird ihnen den Platz in der Geschichte der Frauen - bewegung zuweisen.

Materielle, soziale und geistige Not des weib - lichen Geschlechts, sowie der männliche Widerstand in allen Volksschichten gegen die Anerkennung der Frau als unabhängige Persönlichkeit führen die Ele - mente zusammen, die sich in den Ideen der Frauen - bewegung und der Frauenstimmrechtsbewegung tref - fen. Weil man selbst seine Anschauungen zunächst der Gesellschaftsklasse entlehnt, der man angehört, muß man sich das immer wieder vergegenwärtigen, um 8 die Forderungen in ihrer Vielfältigkeit zu verstehen, ihren Ursprung und ihre Entwicklung zu verfolgen. So wird z. B. die durch den Kampf ums Dasein abgestumpfte Lohnarbeiterin erst nach Eingliederung in eine Berufsorganisation, gestützt auf das einheit - liche Vorgehen mit ihren Kolleginnen, ihre Forde - rungen nach Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, nach gleichem Lohn für gleiche Leistung, nach ge - eigneten Schutzgesetzen formulieren können. Erst die persönliche Anteilnahme an den Problemen, die in den Berufsvereinen erörtert werden, führt die auf Erwerb angewiesene Frau zur Stimmrechtsforderung. Indem sie nämlich in allen Organisationen, die Be - rufsangelegenheiten berühren, das Stimmrecht an - strebt, erhält und ausübt, bereitet auch sie den Weg für die weibliche Gleichberechtigung auf allen Ge - bieten, also auch in politischer Hinsicht, vor. Ab - gesehen von einigen befähigten Ausnahmen werden solche Frauen nur auf diesem subjektiven Wege begreifen, was Frauenstimmrecht im engeren und weiteren Sinne bedeutet.

Die Frauen des Mittelstandes und der höheren Schichten werden in ihren Bemühungen um Re - formen im Schul - und Fortbildungswesen, um er - weiterte wissenschaftliche und Berufsbildung, in ihrem Bestreben nach berechtigtem Aufstieg in Amt und Stellung die Konsequenz ziehen müssen, daß zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in allen Frauenfragen unbedingt das aktive und passive Stimm - recht in Gemeinde, Staat und Reich gehört. Das erfahren auch unsere Akademikerinnen, die heute um Rechte ringen müssen, die den Frauen der Re - naissance kampflos bewilligt wurden.

Unabhängig von allen Klassenunterschieden und Gegensätzen wirken deutsche Frauen aller Schichten seit langem in unermüdlicher Agitation, damit ge - 9 setzgeberische Maßnahmen im Familienrecht und im öffentlichen Recht so geändert werden, wie sie der Anerkennung der Frau als freie Persönlichkeit ent - spricht. Wer je in der sozialen Arbeit gestanden, in der Armenpflege, Jugendfürsorge, Frauenrechts - schutz - und anderen Beratungsstellen gewirkt hat, der kennt den Leidensweg zahlloser unglücklicher Frauen, die oft unwissend und schuldlos den der Individualität der Frau nicht gerecht werdenden Ge - setzesparagraphen des Familien - und Strafrechts un - terliegen. Das Gesetz stellt alle Frauen unter Be - stimmungen, die nur Männer geschaffen haben, Män - ner auslegen und vollziehen. Abgesehen von einer Reform der Gesetzgebung kann nur die Zulassung der Frauen zu juristischen Aemtern als Richter, Ver - teidiger und Schöffen Abhilfe und ausgleichende Ge - rechtigkeit schaffen.

Alle Strafbestimmungen, die sich auf Delikte im geschlechtlichen Leben beziehen, sind daher nur dem Triebleben des Mannes angepaßt, ohne genügende Berücksichtigung der physischen und psychischen Ver - anlagung der Frau (Schutzalter, Unbescholtenheit, Prostitution). Die wenigsten Frauen sind sich vor Eingehung einer Ehe bewußt, in welchem Grade die Bestimmungen des Eherechtes sie von der Gnade und Ungnade des Ehemannes abhängig machen, und daß die Gesetzesparagraphen davon ausgehen, daß der Mann, solange die Ehe besteht, ihre Auslegung nicht mißbrauchen wird. So steht dem Mann be - kanntlich allein das Entscheidungsrecht in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu, und die Frau kann nur im Falle der Schei - dung ihre Sache vor den Richter bringen. Das schließt in sich die Bestimmung des Wohnortes, die Erlaubnis zur Berufsarbeit der Frau. Das Ver - mögen der Frau wird, wenn nicht ein besonderer10 Ehekontrakt dies ausschließt, durch Eheschließung der Nutznießung und Verwaltung des Mannes unter - stellt, auch wenn die Ehegatten getrennt leben. (For - derung: Gütertrennung als gesetzlicher Güterstand.)

Elterliche Gewalt ist auch in jedem Konflikts - fall väterliche Gewalt. Selbst bei der Scheidung behält der schuldige Vater elterliche Gewalt, auch die Vertretung des Kindes in Rechtssachen. Unsere Gesetze über die Stellung des unehelichen Kindes tragen nur den Stempel des Mannes.

Alle Bestimmungen, deren Aenderungen der Bund deutscher Frauenvereine bezüglich des Gesetzes für die Staatszugehörigkeit der Frau verlangt hat, haben in diesem Kriege zu den traurigsten Konsequenzen geführt, so daß jede an einen Deutschen verheiratete Ausländerin heute bei uns im Lande Unterstützung findet, nicht aber die an einen Ausländer verheiratete, deutschgeborene Frau. Wenn die Frauen ihren poli - tischen Einfluß anwenden werden, um zunächst in den genannten Fragen Reformen anzustreben, so wird der oberflächliche Anschein nicht vermieden werden können, als ob die Frauenstimmrechtsbewegung, von einseitigen Gesichtspunkten ausgehend, egoistische Ziele verfolge. Aber das, was sie begehrt und er - strebt, wird durch seine Erfüllung in unabsehbarer Verzweigung dem Kulturleben des ganzen Volkes zum Wohle gereichen. Unser Familienleben und Rechts - leben, unsere wirtschaftlichen Zustände, unsere Ge - meinde - und Staatsverwaltung werden davon beein - flußt werden, und die Früchte müssen dem Fort - schritt der ganzen Nation zum Nutzen gereichen.

Was die Frauen in diesen unglücklichen Kriegs - jahren hinter der Front geleistet haben, wie sie überall in die Bresche sprangen, ihr Können er - probten, ihre Kräfte übten, wie sie sich als unent - behrliche Glieder dem Ganzen einfügten, das muß 11 weite Kreise des Volkes von ihrem Anspruch auf das volle Bürgerrecht in Gemeinde und Staat über - zeugen. Wenn die Frauen in ihren engen Grenzen so viel geleistet haben, dann darf man hoffen, daß ihre Mitwirkung als freie Bürgerinnen dem Volks - körper neue belebende Kräfte zuführen wird.

Wer daher die Frauenstimmrechtsbewegung ken - nen lernen will, muß einen kurzen Ueberblick er - halten, in welchen gesetzgebenden Körperschaften und Organen der Selbstverwaltung gewisse Ansätze für das Stimmrecht der Frau in Deutschland vorhanden sind und wo die Bewegung eingreifen, ausbauen oder neu einsetzen müßte. Da ist zunächst als wich - tigste Tatsache festzuhalten: Die deutschen Frauen sind bisher von jedem politi - schen Wahlrecht zum Reichstag und den Parlamenten der Bundesstaaten verfas - sungsmäßig ausgeschlossen. Die Frage des Wahlrechts in den Stadt - und Landgemeinden ist entsprechend der Buntscheckigkeit der in Betracht kommenden Verordnungen sehr kompliziert, aber aus - sichtsreicher. Zwar sind die Frauen nirgends als Stadtverordnete, Magistratsmitglieder in den Städten oder als Mitglieder des Gemeindevorstandes und Ge - meindeverordnete in den Dörfern wählbar. Aber hier kommen neben der preußischen Städteordnung, die noch in der Verfassung vom Jahre 1808 den Frauen das Bürgerrecht gewährte, für das Reich etwa 40 Städte - und Landgemeindeordnungen in Betracht. Dieser Vielfältigkeit verdanken die Frauen, daß, ent - sprechend der historischen Entwicklung, gewisse Ausnahmen für ihr aktives Stimmrecht in Stadt - und Landgemeinden in einigen Landesbezirken vorhanden sind. Es sei aus der verwirrenden Fülle nur das Wichtigste herausgehoben: In den meisten Stadt - und Landgemeinden ist das aktive Wahlrecht von Frauen 12 an ihren Grundbesitz gebunden, und fast überall sind sie an der direkten Ausübung verhindert. Die männliche Stellvertretung hat aber für die Wähle - rinnen viele Nachteile. Die grundbesitzenden Frauen haben indirektes aktives Wahlrecht in den Städten vom rechtsrheinischen Königreich Bayern, Sachsen-Meiningen, Reuß ä. L., den beiden Schwarzburg, Waldeck und Hohenzollern. In Sachsen - Weimar-Eisenach haben sie es auch ohne Grund - besitz bei Erwerbung des Bürgerrechts indirekt. ln den Landgemeinden des Königreichs Sachsen haben dagegen Frauen unter gewissen Voraussetzun - gen ein persönliches Wahlrecht zur Ge - meindevertretung, ebenso in Hannover, Bremen und im Lübecker Landkreis. Das indirekte Ge - meindewahlrecht steht ihnen in den Landge - meinden von Hamburg, Sachsen-Altenburg, Lippe - Detmold, Preußen und den sieben östlichen Pro - vinzen zu. Die meisten Städteordnungen sehen in der Regel nur stimmfähige Bürger als Mitglie - der von Deputationen und Kommissio - nen vor, die für einzelne Verwaltungszweige als Entlastung des Magistrats gedacht sind. Trotzdem haben einige Gemeindeverwaltungen vorher und be - sonders während der Kriegszeit sich über diese Be - stimmungen hinweggesetzt. Da die Organisation der Armenfürsorge von der Städteordnung unab - hängig ist, sind die Frauen stets wählbar als Ar - menpflegerinnen, Bezirksvorsteherinnen und Mitglie - der der Armendirektion. Obwohl die Waisen - pflege ebenso wie die Armenpflege das ureigenste Fürsorgegebiet der Frau darstellt, ist sie hierfür nur beschränkt zugelassen. Während die Frauen im allgemeinen nur als Waisenpflegerinnen zur Unter - stützung des Gemeindewaisenrats wirken oder nur mit beratender Stimme an den Sitzungen der Waisen -13 deputation teilnehmen können, sind sie vom stimm - berechtigten Amt als Gemeindewaisenrat ausgeschlos - sen, und zwar mit Rücksicht auf die landesgesetz - lichen Ausführungsbestimmungen zu den §§ 1849 ff. des B. G. B. Angesichts der Unentbehrlichkeit der Frauen zu lückenloser Betätigung innerhalb der Wai - senpflege haben bereits verschiedene Großstädte we - gen Aenderung der hindernden Bestimmungen peti - tioniert. Nach dem Schulunterhaltungsgesetz von 1906 ist die Wahl von Frauen als Mitglieder städti - scher Schuldeputationen nur unter ge - wissen beschränkenden Voraussetzungen zulässig, und man muß zugeben, daß gerade hier die Frauen, und zwar ebenso Mütter wie Lehrerinnen teilzunehmen berufen sind. Die Frauen sind gänzlich von der Mitgliedschaft der Provinzialschulkollegien, denen die weiblichen Lehranstalten unterstellt sind, ausgeschlos - sen. Die Bewilligung gleicher Mittel für Knaben - und Mädchenschulen gehört zu den dringendsten For - derungen. ln dieser Beziehung ist Baden vorgeschrit - ten, wie überhaupt in der Reform der Städteordnung. Dort muß jeder Kommission, in der der Rat von Frauen wünschenswert ist, wenigstens eine Frau an - gehören, z. B. im Armen -, Unterrichts - und Gesund - heitswesen, der Marktkommission und dem Woh - nungsamt. Die Vorschläge des Bürgermeisters von Mannheim zur Reform der badischen Städteordnung beziehen sich auch auf das Gemeindewahlrecht der Frau. Auf Grund vielfacher Frauenpetitionen und Anregungen von Magistraten steht die Aenderung der Städteordnung, betreffend stimmberechtigte Wahl von Frauen in städtische Deputationen, gegenwärtig im Preußischen Abgeordnetenhaus zur Beratung. Die vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein geschaffene Zentralstelle für die Gemeindeämter der Frau in Frankfurt a. M. hat seit mehreren Jahren Erhebun - 14 gen darüber angestellt, inwieweit die Frauen zur Mitarbeit in der Gemeinde gesetzlich zugelassen oder davon ausgeschlossen sind, und welche ehrenamt - liche oder berufliche Tätigkeit sich für sie inner - halb dieser Grenzen praktisch ergeben hat. Dieser Stelle verdanken wir auch eine interessante Statistik über die kommunale Kriegsarbeit der Frau. Aus ihr ersehen wir, wie so manche Stadtverwaltungen, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, Vor - urteile überwunden und die Frauen zu den verschie - densten Kommissionen und Deputationen hinzuge - zogen haben, daß man dazu notfalls Gesetzespara - graphen ignoriert hat, die früher eine unüberwind - liche Mauer gegen manche kommunale Mitarbeit der Frauen bildeten. So hat man verschiedentlich Frauen zu den Mietseinigungsämtern, Lebensmittelkommis - sionen, Preisprüfungsstellen, auch zur Kreisorgani - sation für Kriegsbeschädigte herangezogen, sowie in den Hauptausschuß für Kriegsfürsorge. In dieser Arbeit haben die Frauen viel gegeben, aber auch viel empfangen. Dr. Altmann-Gottheiner äußert sich dazu im Kriegsjahrbuch 1916: Je fester verankert die Frauenarbeit in dem Verwaltungsappa - rat liegt, je inniger die Frauenbestrebungen mit der Gesamtleistung der Kommune verknüpft sind, eine um so vollere Resonanz werden die Frauenwünsche auf Zuerkennung der Rechte finden, deren sie zu ihrer freien Auswirkung in Gemeinde und Staat bedürfen. Die Frauen haben in den meisten städti - schen und ländlichen Gemeinden an der erweiterten Familienfürsorge und an der Lebensmittelverteilung mitgearbeitet. Die direkte Mitwirkung bei Schaffung aller kriegsgesetzlichen Maßnahmen ist jedoch bekanntlich den Frauen in allen Fragen der Familien - und Hinterbliebenen - fürsorge, der Witwen - und Waisenrenten, insbeson - 15 dere auch der Bewilligung der Renten, der neuen Bestimmungen innerhalb der Reichsversicherung und anfangs auch bei allen Anordnungen der Regierung zur Lebensmittelversorgung versagt geblieben.

Nicht unerheblich für die prinzipielle Frage des Frauenstimmrechts ist auch das kirchliche weibliche Stimmrecht. Wie steht es nun damit? Die katholische Kirche kommt dabei gar nicht in Betracht. Auch in den evangelischen Ge - meinden ist mit Ausnahme einiger Bremer Kirchen weder das aktive noch das passive Wahlrecht für die Pfarrwahl, kirchliche Gemeindevertretung oder zum Kirchenvorstand und Kirchenrat vorhanden. ln Baden wurde unlängst eine Frau zu den theologischen Prüfungen zugelassen und nach absolviertem Examen in Heidelberg für die Seelsorge in den Frauenkliniken und an den weiblichen Gefangenen angestellt. In einigen Kirchenverfassungen ist das früher vorhan - dene Wahlrecht verkümmert, und nur das weibliche Einspruchsrecht gegen die Pfarrwahl existiert allge - mein. Auch in den jüdischen Gemeinden gibt es noch kein weibliches Stimmrecht, und die Anträge einiger Gemeinden um dessen Bewilligung sind von der Regierung abschlägig beschieden worden.

Das Stimmrecht der Frau für die Handelskammern ist noch unvollkommen, inso - fern, als es mit Ausnahme von Hessen nur aktiv und überall indirekt für die weiblichen Firmeninha - berinnen besteht. Der neue preußische Handels - kammergesetzentwurf sieht für die Frauen nur das aktive Wahlrecht vor. Von einem direk - ten Wahlrecht der Frauen zu den Hand - werkskammern kann auch so lange nicht die Rede sein, als ihnen jeder Einfluß auf die Innungen fehlt, denen die Wahl obliegt. Ebenso verhält es sich mit den Landwirtschaftskammern, 16 deren Mitglieder vom Kreistag gewählt werden. Zum Kreistag haben die Frauen nur ein indirek - tes aktives Wahlrecht. Von welch zuneh - mender Bedeutung das Stimmrecht in den beruf - lichen Interessenvertretungen ist, davon kann man sich nur an der Hand der Hauptzahlen weiblicher Berufsstatistik aus den letzten Jahren einen annähern - den Begriff machen. Dabei ist zu beachten, daß es sich bei den Kaufmanns - und Gewerbegerichten um Lohnfragen, sowie Regelung der Arbeitsbedingungen handelt, andererseits bei der Reichsversicherung um den indirekten Arbeiterschutz, um Gesundheitsfür - sorge. Laut amtlicher Statistik betrug die Zunahme der weiblichen Erwerbstätigen im Deutschen Reich von 1895-1907 56,59%, dagegen die der männlichen Erwerbstätigen 19,85 %, im Jahre 1907 wurden 9 ½ Millionen berufstätiger Frauen in Deutschland ge - zählt. Auf die Landwirtschaft entfielen davon über 4 ½ Millionen, bei denen die mitarbeitende Besitzerin, Familienangehörige und ländliche Arbeiterinnen zu - sammengezählt sind. ln der Industrie waren über 2 Millionen Arbeiterinnen (Handarbeiterinnen, Arbei - terinnen, Handwerkerinnen und Besitzerinnen) be - schäftigt. Im Handels - und Verkehrsgewerbe wurden 391 373 Frauen gezählt. Am 1. Oktober 1914 be - richtet eine Anzahl Krankenkassen (Gesamtzahlen feh - len) von 2,3 Millionen weiblicher Berufstätiger, am 1. Juli 1916 war dagegen die Zahl schon auf 4,2 Millionen weitergegangen. Die jetzigen Zahlen zei - gen bereits ein Ueberwiegen der weiblichen Ver - sicherten im Verhältnis zu den männlichen. Obgleich eine umfassende Reichsstatistik fehlt, wissen wir, daß die Einbeziehung der Frauen in den freiwilligen vaterländischen Hilfsdienst die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen und Versicherten um ein Vielfaches gesteigert haben. Wesentlicher als die Zunahme ist17 aber die Höherentwicklung weiblicher Berufstätigkeit im Interesse der Individuen und der Arbeitsproduk - tion. Dazu führt unleugbar auch die gleichberechtigte Einstellung der Arbeiterinnen bei Vertretung ihrer Berufsinteressen. Beim Gewerbe - und beim Kaufmannsgericht, welche auch die Arbeit - nehmerinteressen vertreten, haben die Frauen weder Sitz noch Stimme. Sie sind also in allen Fragen männlicher Rechtssprechung unterworfen. Es ist an - zustreben, daß bei den zukünftigen Arbeits - bzw. Arbeiterkammern die Frauen gleichberechtigt sind. Die Reichsversicherungsordnung berührt in allen ihren Zweigen das Interesse der weiblichen Erwerbs - tätigkeit in hervorragendem Maße, sowohl in der Kranken -, als in der Invaliditäts -, Alters - und Unfall - versicherung. An dem Ausbau der Mutterschafts - versicherung, ihrer gesetzgebenden Grundlage und späteren Ausführung innerhalb der Reichsversiche - rungsordnung wünschen die Frauen ebenfalls direkten Anteil zu nehmen. Die Frauen sind prinzipiell von allen Aemtern der Versicherungsbehörden ausgeschlos - sen, also von der Aufsichtsinstanz in diesen höheren Verwaltungsstellen. Zu den Krankenkassen, die der Selbstverwaltung der Versicherten unter - stehen und in der Privatbeamtenversicherung be - sitzen die weiblichen Mitglieder aktives und pas - sives Wahlrecht für die Vertrauensmänner (!), die Vorstände und Ausschüsse. Bei allen Streitfällen und Rentenbewilligungen in der Alters -, Invaliditäts - und Unfallversicherung, die das Versicherungs - und Ober - versicherungsamt zu entscheiden haben, sind die Frauen auf männliche Entscheidung angewiesen. Diese Darlegungen der gesetzlichen Basis sind unerläßlich; denn die gesamte praktische Stimmrechtsarbeit be - ruht darauf. Helene Lange vertritt mit Recht die Ansicht, die Frage lautet heute nicht mehr: Müssen 18 wir das Frauenstimmrecht haben? vielmehr: Wel - ches ist der Weg zum Frauenstimmrecht? Zum Beschreiten dieses Weges ist die Kenntnis von der Entwicklung der Bewegung und den praktischen Ar - beitsgebieten ebenfalls unentbehrlich.

Die Agitation für politische Gleichberechtigung, für das Stimmrecht auch auf allen in Betracht kom - menden Gebieten hat in Deutschland spät einge - setzt, lange nachdem die Frauenbewegung für er - weiterte Bildungsmöglichkeiten, Berufstätigkeit, so - ziale Mitarbeit eintrat. Die Reform des B. G. B. gab der organisierten Frauenbewegung Gelegenheit, ihren Wünschen durch Ueberreichung einer Petition Aus - druck zu geben. Minna Cauer, Lilli Braunund Anita Augspurgwaren die ersten, die das Frauen - stimmrecht in einer öffentlichen Volksversammlung in Berlin 1894 erörterten. Dieses Unternehmen war ein Wagnis und eine mutige Tat, und damit hat die öffentliche Diskussion über das Frauenstimmrecht in Deutschland eingesetzt. Der Erörterung in breitester Oeffentlichkeit stand ein großes Bollwerk entgegen: das alte Vereinsgesetz. Bis zum Jahre 1908 durften die Frauen in den meisten Bundesstaaten weder poli - tischen Parteien angehören, noch selbst politische Vereine gründen, ebensowenig in politischen Ver - sammlungen und derartigen Vereinen sprechen, oder als Zuhörerinnen anwesend sein. Später wurde an - läßlich einer Versammlung des Bundes der Land - wirte die ministerielle Genehmigung erteilt, daß fort - an Frauen als stumme Zuhörerinnen geduldet wur - den, wenn eine sichtbare räumliche Scheidung, das sog. Segment, im Versammlungslokal sie von der politischen Männergemeinde absonderte. (Verfasserin hat selbst noch einer Versammlung beigewohnt, in der das Segment durch ein gespanntes Seil gekenn - zeichnet wurde.) Wollten die Frauen damals poli -19 tische Angelegenheiten, die ihre Interessen berühr - ten, erörtern, so halfen sie sich, indem nur Einzel - personen, statt eines Vereins, die Versammlung ein - beriefen. Damit würde die Stempelung eines Frauen - vereins zu einem politischen Verein, und damit seine etwaige Auflösung vermieden. Man gründete 1902 den ersten deutschen Stimmrechts - verein unter dem Vorsitz von Anita Augspurg, zunächst mit dem Sitz Hamburg. Das Vereinsrecht der freien Hansastadt erlaubte eine solche Organisation. Zur Mitgliedschaft waren Einzelpersonen in ganz Deutschland zugelassen, und der Verein hatte in den verschiedenen Städten Vertrauenspersonen. Die Bestre - bungen gipfelten darin, den Frauen die politische Gleichberechtigung zu erkämpfen, ihnen die Aus - übung des Stimmrechts zu sichern und die Frauen im Staate, in Gemeinden und Berufsklassen, wo ein weibliches Stimmrecht vorgesehen war, zu dessen Ausübung zu veranlassen. Nun bemühten sich die Frauenrechtlerinnen, von der Frauenbewegung aus - gehend, weitere Kreise zu überzeugen, daß alle Un - terdrückung, seelische, geistige und wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau letzten Endes dadurch doku - mentiert und immer von neuem besiegelt wurde, daß man sie nicht als vollberechtigte Glieder ihres Volkes anerkannte. Der Katechismus der Bewegung lautete etwa: Die Frauen müssen als steuerzahlende Bür - gerinnen allen Gesetzen gehorchen, sind aber von der Verwaltung und Gesetzgebung überall ausgeschlossen, in Familie und öffentlichem Leben überall nur Ob - jekt. Männer sind ihre Richter und Verteidiger, Män - ner bevormunden sie im Familien - und Erwerbsleben, Männer bestimmen die Grenzen ihrer Bildung, ihrer Anteilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens. Das Frauenstimmrecht soll den Weg zur Befreiung weisen, ihnen allmählich das erringen, was die grau - 20 same Tradition der Jahrhunderte ihnen vorenthalten hat. Die Gewährung des Frauenstimmrechts wird ihnen erst die gebührende Mitwirkung innerhalb der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung sichern. Indem die Frauen über ihre eigenen engen Interessen hinausgehen, ihren Blick für die Fragen des öffentlichen Lebens weiten, indem sie alle Probleme des Rechts -, Familien -, Berufs - und Wirtschaftslebens in ihrem Zusammenhang und ihrer Bedeutung für die ganze Nation erfassen, wird ihre Verantwort - lichkeit erhöht, ihre Schaffenskraft gefördert wer - den. Die Anwendung staatsrechtlicher, philosophi - scher, sozialpolitischer Theorien wird immer neue Argumente zur Unterstützung der Bewegung herbei - führen. Zur Lösung dieser Aufgaben sind besonders die Akademikerinnen berufen.

Im ersten Vereinsjahr sprach eine Abordnung des Stimmrechtsvereins beim Reichskanzler v. Bülow vor, um ihm einige der damals dringendsten For - derungen vorzutragen: 1. Aenderung des Vereins - gesetzes zugunsten der Frau; 2. Gewährung der Erlaubnis zur Immatrikulation studierender Frauen nach erfolgter Maturitätsprüfung; 3. Mitarbeit der Frauen bei der Reform des höheren Mädchenschul - wesens; 4. obligatorische Fortbildungsschulen, auch für Mädchen. Die ersten drei Forderungen sind er - füllt, die letztere noch nicht vollständig. Der Verein bemühte sich, zunächst festzustellen, auf welchen Gebieten Ansätze zum Stimmrecht vorhanden waren, und welche gesetzlichen Bestimmungen der Aus - übung bestehender oder zu erringender Rechte hin - derlich waren. Außerdem war man bestrebt, die Frauen politisch zu bilden und politisch interessierte Männerkreise für diese Fragen zu gewinnen. Die Reichstagswahlen von 1903 und nach der Auflösung von 1906 gaben die erste Gelegenheit zur Beteiligung 21 der Frauen an der Wahlagitation und zur Wahlhilfe bei den Parteien der Linken. Im Jahre 1904 nahm der Verein den Namen Verband für Frauen - stimmrecht an, um auch Zweigvereine bilden zu können. Zunächst konnten nur Hamburg und Bre - men als Ortsvereine sowie Einzelmitglieder aus allen Landesteilen beitreten. Angeregt durch die Agitation der Frauenstimmrechtlerinnen hatte der Bund Deutscher Frauenvereine auf seiner Ta - gung 1902 bereits folgende Resolution angenommen: Es ist dringend zu wünschen, daß die Bundesvereine das Verständnis für den Gedanken des Frauenstimm - rechts nach Kräften fördern, weil alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauenstimmrecht eines dauernden Erfolges sicher sind.

Die Forderung des kirchlichen Stimm - rechts wurde zuerst von Martha Zietzaufge - nommen. Sie richtete im Auftrage des Verbandes eine Umfrage an hervorragende Vertreter der katho - lischen und evangelischen Konfession. Das Ergebnis wurde veröffentlicht, und seitdem hat das weibliche kirchliche Stimmrecht der Frau auch bei vielen Kir - chenbehörden Förderung, aber mit Ausnahme der schon erwähnten Gemeinden von Bremen noch keine Einführung erfahren. Die denkwürdige Tagung des Internationalen Frauenbundes im Jahre 1904 führte die bedeutendsten Frauenrechtlerinnen des Auslandes nach Berlin. Mit ihnen war auch die 84jährige Susan B. Anthony, die große Füh - rerin der amerikanischen Stimmrechtsbewegung, her - übergekommen. Eine imposante Versammlung Tau - sender von Zuhörerinnen gab den Auftakt für die Begründung des Weltbundes für Frauenstimmrecht, dem sich Deutschland, Amerika, Australien, England, Holland, Norwegen und Schweden anschloß. Niemand, der der Versamm - 22 lung beiwohnte, konnte sich damals dem großen Eindruck entziehen, als die Frauen aller Länder sich einander im Kampfe zur Befreiung ihres Geschlechts verbanden und das Bekenntnis ihrer Solidarität vor der Oeffentlichkeit ablegten. Die Mitglieder des Welt - bundes dürfen stolz darauf sein, daß es ihnen unter vollster Wahrung der nationalen Würde und der vaterländischen Pflichterfüllung gelungen ist, ihre internationale Organisation aufrecht zu erhalten und in ihrem Verbandsorgan jus suffragii Berichte über die Leistungen der Frauen aller Länder im Kriege, die Fortschritte der Stimmrechtsbewegung und die Flüchtlingsfürsorge an den Frauen der Ver - bündeten und Feinde auszutauschen. Der 1911 in Stockholm gebildete Männer-Weltbund für Frauenstimmrecht hat infolge seines kurzen Bestehens die gleiche Aufgabe und weitgreifende Werbearbeit nicht leisten können. Im Anschluß an die Tagung des Weltbundes, bei der mit den füh - renden Stimmrechtlerinnen des Auslandes Frauen aus allen Teilen Deutschlands zusammentrafen, nahm die Bewegung einen lebhaften Aufschwung. Die Ereig - nisse waren stärker als das hemmende Vereinsrecht. Die Regierung duldete die Konstituierung von Stimm - rechtsvereinen in Mitteldeutschland, Baden, Hessen, Sachsen. Unabhängig davon wurde zur Vermeidung des ominösen Titels 1906 in Breslau ein Ausschuß zur Förderung der öffentlichen Rechte der Frau, also ein Ersatz für einen Stimmrechtsverein gebildet. 1907 gründete man in Liegnitz in Schlesien eine Stimm - rechtsgruppe.

Das Jahr 1908 ist mit goldenen Lettern in die Geschichte der Stimmrechtsbewegung einzuzeichnen. Die Schranken des Vereinsgesetzes fielen, und die Frauen durften sich überall in Deutschland in Stimm - rechtsvereinen und Parteien organisieren. Es wurden23 überall Stimmrechtsvereine, so auch der Schle - sische Provinzialverein für Frauen - stimmrecht gebildet, und die Frage des Frauen - wahlrechts wurde in den politischen Parteien erörtert. 1907 hatte der Deutsche Stimmrechtsverband seine an - fänglich neutralen Satzungen dahin geändert, daß er sich nicht mehr begnügte, für alle Frauen die poli - tische Gleichberechtigung zu fordern. Er erklärte zwar noch immer, von keiner politischen Partei abhängig zu sein, aber er verlangte zugleich in seinen Satzungen für die Frauen das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für Reich, Staat und Gemeinde und alle Organe der Selbstverwaltung, also eine Wahlrechtsreform, zu der sich damals ohne Einschrän - kung nur die Sozialdemokratie und die demokratische Partei bekannten. Die Belebung parteipolitischer In - teressen in Frauenkreisen nach der Aufhebung des Vereinsgesetzes brachte es mit sich, daß die An - sichten über spezielle Wahlrechtsformen auch im Ver - band durchaus verschieden waren. Es bestand also die Gefahr, daß eine Verquickung der Frauenstimm - rechtsagitation mit einer bestimmten Wahlrechtsfor - derung durch Belastung mit einseitiger Parteiforde - rung eine Zersplitterung der Bewegung herbeiführen würde. Aus diesem Grunde beschloß die konstituie - rende Versammlung des Schlesischen Provinzialver - eins, späteren Ostdeutschen Vereins, neutral gehaltene Satzungen, um Frauen verschiedener Richtung zu sammeln und für die Agitation entsprechend der je - weiligen politischen Konstellation freie Hand zu be - halten. Er forderte satzungsgemäß nur die politische Gleichberechtigung der Frau, nicht eine bestimmte Form des Wahlrechts und wurde aus diesem Grunde von dem Verband, dem er sich anschließen wollte, nicht aufgenommen. Uebereinstimmend mit den von dem schlesischen Verein vertretenen Grundsätzen wur - 24 den der west -, nord - und mitteldeutsche Verband ge - bildet und der schlesische zum ostdeutschen erweitert. Alle diese Organisationen schlossen sich 1911 zur Deutschen Vereinigung für Frauen - stimmrecht unter dem Vorsitz von Frau Fischer-Eckertzusammen. Der Deutsche Ver - band für Frauenstimmrecht gründete gleichfalls zahl - reiche Ortsgruppen, Provinzial - und Landesvereine. So haben beide Richtungen mehrere Jahre neben - einander bestanden. Allmählich gewann die Auffas - sung der Deutschen Vereinigung im anderen Lager immer mehr Anhängerinnen, und im Kriege haben beide Richtungen sich nach Annahme gemeinsamer neutraler Satzungen im Zeichen des Burgfriedens ge - einigt. Die Verschmelzung wurde am 18. März 1916 in Weimar vollzogen. Frau Marie Stritt, die Nach - folgerin von Anita Augspurg wurde, ist Vor - sitzende dieses neuen Deutschen Reichsver - bandes für Frauenstimmrecht. Als Se - zession des Deutschen Verbandes hat Anita Augs - purg, die an der allgemeinen Wahlrechtsforderung festhält, den Deutschen Frauenstimm - rechtsbund gegründet, der zwar getrennt mar - schiert, sich aber an gemeinsamen Kundgebungen des Reichsverbandes beteiligt. Es erübrigt sich, auf die unerfreulichen Konflikte einzugehen, die die Bewe - gung allzu lange gehemmt haben. Es ist viel kost - bare Zeit, und es sind viele wertvolle Kräfte dabei verbraucht worden. Manch tapfere Streiterin für die Sache hat sich damals zeitweilig enttäuscht zurück - gezogen, und es ist zu begrüßen, daß eine gemein - same Agitation ausgleichend wirkt. Im allgemeinen stimmten die Arbeitsgebiete der beiden Richtungen überein: Allgemeine Propaganda, Versammlungen, Flugblätter für alle Volksschichten und Berufskate - gorien, Werbeschriften, Eingaben an Behörden und 25 Parlamente um Gewährung des Wahlrechts für Reich, Staat und Gemeinde, anläßlich der Einführung neuer Gesetze, Einwirkung auf Abgeordnete vor Einrei - chung der Eingaben oder vor neuen, für die Frauen wichtigen Gesetzesvorlagen. So arbeitete man u. a. gelegentlich der Reform des Strafrechts, der Erwei - terung und Zusammenfassung der Reichsversiche - rung, der Einführung der Privatbeamtenversicherung. Die Beteiligung der Frauen an den Krankenkassen - wahlen wurde lebhaft betrieben. Sie bedarf noch weiter einer intensiven Bearbeitung, ebenso wie die Vertrauensmännerwahl für die Privatbeamtenversiche - rung, weil angesichts der Zunahme weiblicher Er - werbsarbeit und der damit verbundenen Anforderun - gen an die körperliche Leistungsfähigkeit der Arbei - terinnen die Wahl von Frauen als Vorstandsmitglieder der Krankenkassen von erhöhter Bedeutung ist. Auf Anregung des Preußischen Landesvereins hatten meh - rere Frauen beantragt, in die städtische Wählerliste aufgenommen zu werden. Sie haben den Prozeß bis zur letzten Instanz durchgeführt, wobei das Ober - verwaltungsgericht gegen sie entschied. Anläßlich der Jahrhundertfeier der Steinschen Reformen wurde dem Preußischen Städtetag eine Denkschrift mit der Bitte überreicht, eine Aenderung der preußischen Städte - ordnung zugunsten des weiblichen Gemeindewahl - rechts zu erwirken. Der schlesische Verband hat sich besonders zur Ausübung des Frauenstimmrechts der ländlichen Besitzerinnen mit Erfolg eingesetzt. Die Wahlbeteiligung der einfachen Frauen in den Land - kreisen war überraschend groß, wenn vorher ge - arbeitet wurde, teilweise größer als die der Männer. Eine Eingabe betreffend die Forderung des direkten Wahlrechts der grundbesitzenden Frauen in den Land - gemeinden wurde im Abgeordnetenhaus lebhaft be - fürwortet und der Regierung zur Berücksichtigung26 überwiesen. Eine andere Petition des schlesischen Stimmrechtsvereins galt der Frage des weiblichen Ge - meindewahlrechts in den Kolonien, was besonders erwähnenswert ist.

Die Wechselwirkung in der Entwicklung und in den fortschreitenden Erfolgen der Frauenstimmrechts - bewegung ist bei aller Verschiedenheit der politischen Auffassung in den einzelnen Staaten offenbar; somit kann allein die Kenntnis der internationalen Bewe - gung die Zusammenhänge der Bestrebungen und ihre Wirkungen klarlegen. Zusammengefaßt enthält das vom Weltbund für Frauenstimmrecht in mehreren Sprachen herausgegebene Werk Frauenstimmrecht in der Praxis , Verlag Heinrich Minden, Dresden und Leipzig, die Geschichte der Einführung des Frauenstimmrechts und der Form des Wahlrechts in den einzelnen Ländern, den Umfang der weib - lichen Wahlbeteiligung, den Fraueneinfluß auf die Gesetzgebung, Gutachten über die politische Bewäh - rung der Frauen und alles wichtige Material zur Kenntnis der einschlägigen Fragen. Das Verbands - organ Jus suffragii berichtet fortlaufend über den Stand der Frauenstimmrechtsbewegung. Die Einfüh - rung des Frauenstimmrechts in den einzelnen Ländern erfolgte auf ganz verschiedene Weise, in einigen Staaten auf Anregung führender Frauen oder be - stimmter Organisationen, in anderen auf Veranlas - sung von Parteien oder Regierungen. Die organi - sierte Propaganda für das Frauenstimmrecht setzte zuerst in Amerika ein. Lucretia Mottund Lady Stantonberiefen schon 1848 einen Stimmrechts - kongreß. Dem Staat Wyoming gebührt das Ver - dienst, als erster 1869 das aktive und passive Frauen - stimmrecht eingeführt zu haben. Darauf folgten: Idaho, Kolorado, Utah, im Jahre 1910 Washington, unlängst KaIifornien, Ari - 27 zona, Kansas, Nevada, Montana, Ore - gon und das Territorium Alaska. Diese Staaten haben auch kommunales Wahlrecht und lassen Frauen zu öffentlichen Aemtern zu. Stimmrecht zur Präsi - dentenwahl haben bisher Illinois und seit 1917 North Dakota, Indiana, Ohio, Michi - gan, Nebraska, Rhode Island. In Ar - kansas erlangten die Frauen 1917 das Stimmrecht zu den Urwahlen. Auch wenn man die Erfahrung des Auslandes nicht vollständig verallgemeinern will, ist es doch maßgebend, zu hören, wie die Männer in den Staaten urteilen, wo das Frauenstimmrecht am längsten eingeführt ist, und wohin sich das poli - tische Interesse der Frauen hauptsächlich wendet. Resolutionen des Parlaments in Wyoming besagen: Daß der Besitz und die Ausübung des Stimmrechts durch die Frauen von Wyoming im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts keine üblen Folgen nach sich gezogen hat und in vieler Hinsicht Gutes gewirkt hat; daß das Frauenstimmrecht wesentlich dazu bei - getragen hat, Verbrechen, Pauperismus und Laster aus diesem Staat zu verbannen, und dies ohne irgend - welche Strenge oder drückende Gesetzgebung; daß es friedliche und geordnete Wahlen, eine gute Re - gierung und einen bemerkenswerten Grad von Kultur und Ordnung im öffentlichen Leben herbeigeführt hat, und daß wir mit Stolz auf die Tatsachen hin - weisen können, daß nach 25 Jahren Frauenstimm - rechts kein einziger Distrikt von Wyoming ein Ar - menhaus besitzt; daß unsere Gefängnisse beinahe leer sind, und Verbrechen, mit Ausnahme derer, die von Fremden begangen sind, bei uns fast unbekannt sind. Im Hinblick auf das Ergebnis unserer Er - fahrung möchten wir es daher jedem zivilisierten Land der Erde dringend empfehlen, seinen Frauen unverzüglich das Stimmrecht zu gewähren. Und 28 weiter wurde beschlossen: Daß eine beglaubigte Abschrift dieser Resolution vom Gouverneur des Staa - tes an die Parlamente eines jeden Staates und Ter - ritoriums in diesem Lande und an jede gesetzgebende Körperschaft der Welt gesandt werden soll; ferner, daß wir die Presse der ganzen zivilisierten Welt ersuchen, die Aufmerksamkeit ihrer Leser darauf zu lenken. In Wyoming, Idaho, Kolorado und Utah wurde vor allem das Familienrecht zugunsten der Frauen reformiert, die weibliche Schulbildung verbes - sert, und es wurden gesetzliche Maßnahmen zur Hebung der Sittlichkeit getroffen. In Kolorado för - derte man besonders Kinderschutz und Hygiene.

Ueber die Bewährung der Frauen äußert sich der bekannte Jugendrichter Lindesay - Kolorado wie folgt:

Seit mehr als zehn Jahren ist in Kolorado das Frauenstimmrecht eingeführt, und es hat den Beweis erbracht, daß seine Gewährung ein Akt der Gerech - tigkeit ist. Keiner würde wagen, es zu widerrufen, und wenn es den Männern des Staates zustünde, das Recht, das man den Frauen verlieh, wieder zu neh - men, würden sie von einer großen Mehrheit an solchem Vorhaben gehindert werden. Viele gute Ge - setze verdankt Kolorado nur dem weiblichen Ein - fluß. Das Frauenstimmrecht entfremdet die Mut - ter nicht ihrem Heim, ihren häuslichen Pflichten oder Sorgen, wenn sie zehn Minuten dazu verwendet, um zur Wahlurne zu schreiten und den Stimmzettel abzugeben. Aber in diesen zehn Minuten leistet sie mehr für ihr Heim und alle anderen Heime jetzt und für die Zukunft, als es irgendeinem andern Ein - fluß und einer andern Macht in ganz Kolorado mög - lich wäre.

In Südamerika herrscht noch Indifferenz gegenüber der Frauenstimmrechtsfrage. Als eine be -29 merkenswerte Erscheinung erweist sich die Erfahrung, nach der die Zunahme der Einführung des Frauen - stimmrechts sich durchaus nicht immer gemäß den nationalen Zusammenhängen, vielmehr auch auf Ein - wirkung benachbarter Staaten vollzieht. So haben in Kanada durch die Vereinigten Staaten angeregt, sechs Einzelstaaten das Frauenwahlrecht noch vor dem Mutterlande England eingeführt, nämlich Al - berta, Saskatchewan, Manitoba, British Columbia, Nova Scotia und Ontario. Zum Bundesparlament (Dominium Parlament) hat gegenwärtig nur die nächststehende weibliche Angehörige der im über - seeischen Kriegsdienst abwesenden Männer das Wahl - recht, während die Gewährung des allseitigen weib - lichen Wahlrechts den Frauen erst nach Beendigung des Krieges versprochen worden ist. In Alberta wurde die Krankenschwester Miß Mac Adamsvon den im überseeischen Kriegsdienst abwesenden 38 000 Soldaten und 75 militärischen Krankenpflege - rinnen als Abgeordnete für das Staatsparlament prä - sentiert. Australien hat die ersten Anträge zur Einführung des Stimmrechts der Initiative der Män - ner zu verdanken, obwohl die Zahl der weiblichen Wähler beinahe die der Männer erreicht. Neusee - land, Südaustralien (1893), Queensland, Neu-Südwales, Tasmania, Victoria haben aktives und passives Wahlrecht zum Parlament, aber nicht überall kommunales Wahlrecht. Auch hier tra - ten zunächst die Frauen für Erhöhung des Schutz - alters und Hebung der Sittlichkeit ein. Frauen, die Ausländer heiraten, verlieren dank des Einflusses der Frauen in Australien nicht ihre Staatszugehörigkeit. Im öffentlichen Dienst wird den Frauen gleicher Lohn für gleiche Leistungen gewährt. Männer, denen nach - gewiesen wird, daß sie ihre Frauen mißhandeln oder daß sie Nährpflichtverletzer sind, sind vom Wahl - 30 recht ausgeschlossen. Australien hat seinen Stimm - rechtsbund aufgelöst und besitzt nur noch eine Or - ganisation weiblicher Wähler, die sich untereinander verständigen und ihre Erfahrungen bei der politischen Arbeit zum Besten der Stimmrechtsvereine des Welt - bundes registrieren. Vor einigen Jahren bestätigte das Bundesparlament in einer Resolution die günsti - gen Erfahrungen mit der weiblichen Wählerschaft unter besonderer Hervorhebung, daß die Frauen nicht nur ihre Spezialinteressen fördern, sondern sich in allen Reichsangelegenheiten, auch bezüglich der Lan - desverteidigung, als weitsichtig gezeigt haben. In einigen Staaten Afrikas und Asiens besitzen die Frauen kommunales Wahlrecht. In China haben anläßlich der Revolution einige Frauen an den Wah - len, sowie an der provisorischen Nationalversamm - lung teilgenommen, eine dauernde Anerkennung des politischen Frauenwahlrechts hat sich in China, daraus nicht ergeben, ln Europa war Finn - land bahnbrechend für das Frauenstimmrecht. Dort besitzen die Frauen das aktive und passive Wahlrecht zum Landtag seit 1907. Schon lange vorher hatten sie ihre Forderungen vorbereitet, aber aus Besorgnis, daß sie durch deren Verkündung die nationale Unab - hängigkeit Finnlands gefährden können, ihre Wünsche noch so lange zurückgehalten. Erst nachdem die Verfassung von Rußland aufgehoben, und die Knech - tung des Landes eine allgemeine Opposition her - vorrief, traten die Frauen in das politische Leben ein und warben für das Frauenstimmrecht. Es wurde ihnen dann unter Zustimmung aller Parteien bei Um - wandlung des Parlaments gelegentlich der Einfüh - rung des Einkammer - statt Vierkammersystems ver - liehen. Schon im ersten Jahre wurden 19, bei den letzten Wahlen 24 weibliche Abgeordnete gewählt, und auch eine große Zahl von ihnen zu Mitgliedern 31 in allen Ausschüssen ernannt. Obwohl sie verschie - denen Parteien angehörten, in den Hauptfragen auch im Sinne ihrer Partei stimmten, haben sie in allge - meinen Frauenfragen sich durch vorherige Beratung in interfraktionellen Besprechungen verständigt. Den - noch wird ihnen das Zeugnis ausgestellt, daß sie durchaus nicht lediglich Fraueninteressen bevorzugen, sich vielmehr ihrer Aufgabe bewußt sind, Volksver - treterinnen im wahren Sinne des Wortes zu sein. ln Norwegen haben wir ein Beispiel, wie das be - schränkte Wahlrecht zur Erweiterung führt. Auch dort hat den Frauen das Bekenntnis ihrer nationalen Gesinnung den Sieg errungen. Als die Frage der Loslösung Norwegens von Schweden einer Volksab - stimmung der Männer unterbreitet wurde, veranstal - teten 300 000 Frauen unter sich eine Abstimmung und erklärten sich gleichfalls für die Unabhängig - keit. Das überzeugte die Männer von der politischen Reife der norwegischen Frauen und 1907 erhielten sie das aktive und passive Wahlrecht unter Voraus - setzung einer bestimmten Steuerleistung. Den Ehe - frauen wurde die Steuerleistung des Mannes ange - rechnet. Nach der Erweiterung gab es in Norwegen 25 000 mehr Wählerinnen als Wähler. Eine Frau wurde als Ersatzdeputierte in das Storthing gewählt. Sie bewies ihr realpolitisches Verständnis, indem sie sich als grundsätzliche Anhängerin der Schiedsge - richtsidee erklärte, aber für Erhöhung des Heeres - budgets stimmte. Der Antrag auf Zulassung der Frauen zu allen Aemtern wurde im Storthing ange - nommen, so daß in Norwegen Frauen auch Mitglieder des Ministeriums sein können und bereits im diplo - matischen Dienst verwendet werden. Das Gesetz, welches die unehelichen Kinder den ehelichen gleich - stellt und ihnen den Namen des Vaters gibt, ist auch auf den Einfluß der Wählerinnen zurückzuführen. 32Schweden hat bisher nur in weitgehendstem Maße kommunales Wahlrecht gewährt. Ein Gesetzentwurf zugunsten des Frauenwahlrechts im Parlament hat bereits die Zustimmung der zweiten Kammer ge - funden. Seine endgültige Erledigung ist durch Ein - spruch der ersten Kammer gegen die Vorschläge der Kommission bis zur nächsten Wahlrechtsperiode verzögert worden. Dänemark hat der Berechti - gung zum kommunalen Wahlrecht die Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts zur Volks - vertretung folgen lassen. Dort haben die Frauen lange darum gerungen, und der Erfolg wurden ihnen zuteil, als im Jahre 1915 eine neue Konstitution ein - geführt wurde. In Dänemark wird der Erfolg auf die Aufklärungsarbeit an den unteren Volksschichten, besonders an der Landbevölkerung, die reges politi - sches Interesse bekundet, zurückgeführt. Der Stimm - rechtsverein hatte dort eine eingehende regelmäßige Preßpropaganda entfaltet, Volkshochschulkurse ver - anstaltet und den Grundsatz gepflegt: niemals inner - halb des Vereins Parteipolitik zu treiben, weil er - fahrungsgemäß die Frauenforderungen von den ein - zelnen Parteien in allen Ländern immer zuerst über Bord geworfen werden, wenn eine Aussicht auf all - gemeine Reformen schwankend geworden ist. Eine neue Majorität oder ein anderes Ministerium bringen dann oft überraschend die Entscheidung. Island hat den Frauen ebenfalls staatsbürgerliche Gleich - berechtigung zuerkannt. In England besaßen die Frauen bis vor kurzem nur das aktive und passive Wahlrecht zum Stadt - und Grafschaftsrat. Um den leidenschaftlichen Kampf für das parlamentarische Stimmrecht, das fanatische Vorgehen der Suffragetten zu verstehen, wenn auch nicht zu rechtfertigen, muß man folgendes berücksichtigen: Die Engländerinnen gehen bei ihrer Forderung auf ein altes Recht zurück, 33 weil vom Mittelalter bis zur Neuzeit die Gesetzgebung dem Wortlaut nach an keiner Stelle die Frauen aus - schloß. Erst 1832 wurde ihnen das Wahlrecht zum Parlament direkt abgesprochen. Darauf hat diese Frage seit dem Antrag Stuart Mills bis jetzt das Parlament immer wieder beschäftigt. Man hat den Frauen regelmäßig die Erfüllung ihrer Forderungen versprochen und sie stets von neuem getäuscht. Das Gesetz über die Zulassung der Frauen ist sechsmal in zweiter Lesung angenommen worden, aber die Vorlage wurde absichtlich verschleppt, und auch hier opferten die Männer ohne Bedenken die Frauen - forderungen, für die einzutreten sie sich verpflichtet hatten, um zunächst das Männerwahlrecht zu ändern. Die letzte Vorlage hatte bei zweimaliger Lesung eine Majorität gefunden, die Regierung hatte einen Ter - min zur endgültigen Beschlußfassung zur Verfügung gestellt, und durch politische Intrigen einiger Partei - führer wurde die Beratung hintertrieben. Diese Kette von Enttäuschungen hat die jüngere seit 1902 be - stehende Stimmrechtsvereinigung, die Women's Social und Political Union, unter Mrs. Pankhurstschließ - lich zu jenen unerhörten exzentrischen Missetaten ver - anlaßt, die vor dem Kriege die Methode der Suffra - getten bildeten. Leider ist die maßvolle größere und ältere Stimmrechtsorganisation, die National Union of Women's Suffrage Societies, seit 1867 unter dem Vorsitz der 70jährigen Mrs. Fawcettbestehend, im Auslande weniger bekannt. Dieser Verein hat sich niemals ein ungesetzliches Vorgehen zuschulden kommen lassen. 1916 zählte er 42 000 Mitglieder. Seine Führerinnen haben die Organisation hervor - ragend ausgebildet. Sie haben sich auch in diesem Kriege, frei von Chauvinismus, durchaus menschlich gezeigt, und sie haben mit dem Vorstande des Welt - bundes für Frauenstimmrecht in London für hilfs - 34 bedürftige Ausländerinnen, besonders für deutsche und österreichische Frauen in aufopfernder Fürsorge ge - wetteifert. Wenn wir die Suffragetten verurteilen, so müssen wir andererseits anerkennen, daß es den Eng - länderinnen an Organisationsfähigkeit und Opferwillig - keit für ihre Sache nicht gefehlt hat. Angesichts der Unentbehrlichkeit der Frauen für ihre Kriegswirt - schaft und der Abhängigkeit von der Arbeitswillig - keit dieser Frauen hat die englische Regierung das Frauenwahlrecht mit Beschränkungen zunächst für Frauen über 30 Jahre vorgesehen. Diese Maßnahme soll vorläufig das Ueberwiegen der weiblichen Wäh - lerschaft verhindern. Diese Vorlage ist kürzlich vom Haus der Lords definitiv angenommen worden, und die englischen Frauen werden bereits an den nächsten Wahlen teilnehmen können. Sie verwalten schon jetzt wichtige Aemter in militärischen Organisationen wäh - rend des Krieges. Die außerordentliche Bewährung einer Frau in der Gefangenenfürsorge veranlaßte ihre Entsendung als Delegierte zu den Haager Verhand - lungen mit Deutschland über den Gefangenenaus - tausch. Holland, dessen konstitutionelle Regierung einer Königin höchste Autorität in seinem Staats - wesen zuerkennt, zögert noch immer, seinen Frauen uneingeschränkte Rechte zuzubilligen. Dort wird sich voraussichtlich nach der Verfassungsreform zunächst die eigentümliche Lage ergeben, daß die Frauen das passive parlamentarische Wahlrecht vor dem ak - tiven erhalten. Die meist zerstreut wohnende und hauptsächlich agrarische Bevölkerung der Schweiz hat die allgemeine Bedeutung der Stimmrechtsfrage bisher nicht so gewürdigt und in die Erscheinung treten lassen, wie es eigentlich ihrem demokratischen Charakter entspräche. Jedoch entfalten die Frauen - vereine in den verschiedenen Kantonen, die alle ein - zeln über die Frage zu beschließen haben, eine rege 35 Propaganda in Spanien, Portugal, Frank - reich und Italien, den Ländern der romanischen Sprachgemeinschaft, sind die Frauen noch von allen politischen Rechten ausgeschlossen. In Portugal ist es zwar auf Grund richterlicher Erkenntnis einer Frau gelungen, als Wählerin zu fungieren. Aber dieser Fall hat zu keiner allgemeinen Einführung des gesetz - lichen Wahlrechtes geführt. In Italien und Frankreich haben die Sympathien für das Frauenwahlrecht auch in Männerkreisen bemerkenswerte Fortschritte ge - macht, ohne jedoch bisher greifbare Resultate zu er - geben. In Frankreich soll nach dem Kriege ein Gesetzentwurf für das Frauenstimmrecht in der Ge - meinde vorgelegt werden, ln Rußland, wo die alten Verhältnisse eine straff organisierte Stimmrechts - bewegung bisher hinderten, sehen wir, daß da, wo die Frauen mit Männern seit langem gemeinsam für die freiheitliche Entwicklung ihres Vaterlandes und für das Selbstbestimmungsrecht aller Volksgenos - sen gekämpft haben, sich ihre Eingliederung zur poli - tischen Selbständigkeit anläßlich einer Volkserhebung plötzlich vollzieht. Bei unseren nächsten Nachbarn, in Oesterreich-Ungarn, sind, infolge der kom - plizierten Stellung der fremdsprachlichen Nationen zu - einander, die politischen Rechte der Frauen völlig ungleich. In Ungarn mit seinem starken National - bewußtsein ist das politische Verständnis weitester Kreise der Frauenforderung so günstig gewesen, daß parlamentarische Führer und Volkswille anläßlich der Wahlrechtsreform auch einen Gesetzentwurf zum Frauenwahlrecht erlangen konnten. Nach diesem soll die politische Reife für das aktive und passive Wahl - recht allen Frauen über 24 Jahren zugesprochen wer - den, die eine vierklassige Bürgerschule besucht haben, ferner jenen Frauen, die seit zwei Jahren tätiges Mit - glied eines wissenschaftlichen, literarischen oder 36 künstlerischen Vereins sind, oder solchen Frauen, deren Gatte während des Krieges gefallen oder in - folge von Ueberanstrengung oder an seinen Wunden gestorben ist, falls sie aus dieser Ehe ein Kind haben. Böhmen, welches im österreichischen Staatenver - bande eine Sonderstellung einnimmt, hat trotz gün - stiger Wahlgesetzgebung für die Frauen eine böhmische Frau wurde dort selbst zum Landtag ge - wählt, aber die Bestätigung ihres Mandats wurde ihr vom Statthalter Fürsten Thun bis jetzt ver - sagt die größten Schwierigkeiten für die Durch - setzung bereits bestehender Rechte. Jedoch werden die Frauen von den extrem national-tschechischen Elementen außerordentlich unterstützt. Im übrigen Oesterreich verfügen die Frauen in einigen Landes - teilen über ein beschränktes aktives Parlaments - und zum Teil auch kommunales Wahlrecht. Daß trotz - dem die Entwicklung der Bewegung nur so lang - same Fortschritte macht, findet seine Erklärung darin, daß im Widerspruch zu den vorhandenen Rechten es den Frauen bisher versagt war, politischen Vereinen anzugehören.

Damit sind wir in unseren Betrachtungen bei dem gegenwärtigen Stand der Stimmrechtsfrage in Deutschland angelangt. Abgesehen von den schon erwähnten romanischen Ländern, den Balkan - staaten und Oesterreich, ist Deutschland der - jenige europäische Staat, dessen Regierung weder eine Geneigtheit zur Gewährung des parlamentari - schen Wahlrechts, noch des Gemeindewahlrechts ge - zeigt hat. Immerhin erklärt ein Vertreter des Mini - steriums des Innern in Preußen, daß die bei der Be - tätigung der Frauen gewonnenen Erfahrungen zu einer Aenderung der Verwaltungspraxis und nach dem Kriege, im Falle einer Abänderung der ge - meindlichen Verfassungsgesetze, vielleicht auch zu 37 einer gesetzgeberischen Maßnahme führen würden. Dagegen könnten hinsichtlich der politischen Wahl - berechtigung der Frauen in Staat und Gemeinde ir - gendwelche bestimmten Folgerungen aus den ver - änderten Verhältnissen nicht gezogen werden.

An konsequenter Agitation von seiten der Frauen - und Frauenstimmrechtsbewegung hat es nicht ge - fehlt. Daß nur eine kleine Anzahl von Frauen radi - kaler Richtung das Stimmrecht erstreben, ist eine durchaus unzutreffende Behauptung der Gegner. Sie wird widerlegt durch nachstehende Zahlen, die nur einen ungefähren Ueberblick ermöglichen sollen:

Der Bund Deutscher Frauenvereine, welcher poli - tische, soziale, Fach - und Bildungsvereine aller Rich - tungen umfaßt, hat in einer eindrucksvollen Denk - schrift zur Stellung der Frau in der politisch-sozialen Neugestaltung Deutschlands die Forderung des Frauenwahlrechts in Reich, Staat und Gemeinde, sowie Zuziehung sachverständiger Frauen zu allen die weib - lichen Interessen berührenden Kommissionen kürzlich bekundet. Abzüglich des dem aktiven Frauenwahl - recht noch zögernd gegenüberstehenden Deutsch - Evangelischen Frauenbundes und einschließlich des angeschlossenen Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht vertritt er insgesamt:

585800Frauen(1917)
für das Frauenstimmrecht tre - ten ferner ein:
im Deutschen Frauenstimm - rechtsbund3000(1917)
in der Fortschrittlichen Volks - partei etwa1000(1914)
in der sozialdemokratischen Frauenbewegung174754(1914)
Übertrag764554Frauen
Übertrag764554Frauen
gewerkschaftlich organisierte Frauen221071(1914)
Gegenwärtig festzustellende Gesamtzahl organisierter Frauen985625Frauen

Diese Gesamtzahl von beinahe 1 Million orga - nisierter Frauen erhöht sich um ein Vielfaches, wenn man die nichtorganisierten Gesinnungsgenossinnen, deren Zahl unter dem Eindruck des Kriegserlebnisses sich erheblich vermehrt hat, in Rechnung stellt.

Die allgemeine Auffassung, welche die Stellung - nahme deutscher Männer gegenüber der Zubilligung politischer Frauenrechte so ungünstig beeinflußt, un - terscheidet sich durchschnittlich nicht von derjeni - gen der Gegner in aller Welt. Ihre Widerlegung ist in einem amerikanischen Flugblatte enthalten:

Man will uns glauben machen, daß
  • 1. jede Frau verheiratet, geliebt, beschützt und ver - sorgt ist,
  • 2. jeder Mann allabendlich zu Hause sitzt,
  • 3. jede Frau kleine Kinder hat,
  • 4. alle Frauen, wenn sie die politischen Rechte er - halten haben, sich in die Politik stürzen und ihr Haus vernachlässigen werden.
Wie liegen die Dinge tatsächlich?
  • 1. Eine Menge Frauen ist nicht verheiratet, viele sind Witwen, die ihre Kinder erziehen und sich ihren eigenen Erwerb suchen müssen. Tausende haben kein anderes Heim als das, welches sie sich schaffen, und müssen oft noch Angehörige erhalten. Viele der Verheirateten werden weder geliebt, noch versorgt, noch beschützt.
  • 39
  • 2. Viele Manner sind so selten abends zu Hause, daß ihre Frauen sich ruhig um die Politik küm - mern könnten, ohne vermißt zu werden. Und solche Männer schreien, von den Junggesellen unterstützt, am meisten über die Auflösung der Familie durch die Politik.
  • 3. Die Kinder bleiben nicht immer klein, sie wachsen heran und verlassen die Mutter. Es mag ja sein, daß diese, statt sich politisch zu betätigen, es vorzieht, Flanellhemden für die Heiden zu nähen oder Romane zu lesen, aber man soll ihr doch die Freiheit der Wahl lassen.
  • 4. Das Wahlrecht wird die Natur der Frau nicht ändern. Wollte sie ihr Haus verlassen, so hätte sie schon andere Gelegenheiten dazu gefunden.

Der in Deutschland volkstümliche Einwurf, man wolle die Frauen nicht in die Arena des politischen Kampfes ziehen, um ihre Würde und Empfindsam - keit zu schonen, verliert bei Zubilligung einer ehr - lichen Ueberzeugung seine Eindrucksfähigkeit im Hin - blick auf die harten Realitäten des Lebens, vor denen auch auf anderen Gebieten unsere Frauen nicht von deutschen Männern geschützt und verteidigt wer - den können. Ein deutscher demokratischer Abgeord - neter und warmer Verfechter des Frauenstimmrechts hat den Widerstand deutscher Männer außerdem noch damit zu erklären versucht, daß sie nach altherge - brachtem Familienideal nicht vermögen, das Erinne - rungsbild der Mutter früherer Generationen mit der Vorstellung der politisch fortgeschrittenen Frau der Gegenwart zu verbinden.

Immerhin hat der Krieg so wandelnd gewirkt, daß sie sich der Erkenntnis nicht länger verschließen können, daß infolge der Einbeziehung der Frauen in die Kriegswirtschaft, des gemeinsamen seelischen 40 Erlebens des Weltkrieges, es fortan unmöglich ist, der Frau die tätige Anteilnahme als Volksgenossin zu versagen. Ihr bisheriges Ideal der Nur-Hausfrau kann demnach in einer Zeit nicht aufrecht erhalten werden, in welcher der Staat der freien und freu - digen Mitarbeit aller Glieder des Volkes bedarf (Osterbotschaft 1917).

Es ist offenbar, daß sich innerhalb der Par - teien ein Wandel in der Stellung zur Frauenfrage im allgemeinen und zum Frauenstimmrecht im be - sonderen vollzieht.

Dasselbe ist in Regierungskreisen der Fall, wo man die sachverständige Mitarbeit der Frau auf wich - tigsten Gebieten der Kriegswirtschaft anerkannt hat, ohne jedoch daraus die Folgerungen für die Ge - währung politischer Rechte an die Frauen zu ziehen. Die Niederschläge solcher Wandlungen werden erst im Laufe der Zeit vollkommen abzuschätzen sein.

Die programmatische Stellung der gegenwärtig führenden Parteien ist in kurzen Umrissen wie folgt darzustellen: Die sozialdemokratischen Parteien bei - der Richtungen sind die einzigen, welche die Forde - rung des Frauenstimmrechts vollständig in ihr Pro - grarnm aufgenommen haben. Bebel hatte es schon 1875 beantragt. Diese Parteien haben im Reichstag und Abgeordnetenhaus zwar das Frauenstimmrecht befürwortet, aber obgleich die sozialdemokratische Partei die größte Zahl der weiblichen Mitglieder aufweist, kann man aus der Tatsache, daß vor jedem sozialdemokratischen Parteitag besondere Frauenkon - ferenzen stattgefunden haben, schließen, daß eine gleichwertige Beurteilung den Frauenfragen nicht von seiten aller Parteigenossen zuteil wird. Die demo - kratische Partei, welche über keinen parlamentari - schen Vertreter verfügt, bekennt sich ebenfalls rück - haltslos zum Frauenstimmrecht. Was den Liberalis - 41 mus anbetrifft, so entspricht die Anerkennung poli - tischer Gleichberechtigung der Frauen unbedingt der liberalen Weltanschauung. Die Fortschrittliche Volks - partei, welche im übrigen die Vertretung liberaler Ideen und Ziele propagiert, hat in ihrem Programm diese Folgerung noch nicht vollständig gezogen. Nach der Reform des Vereinsgesetzes traten viele Frauen, darunter bekannte Führerinnen der Frauenbewegung, in die liberalen Parteien ein. Als 1910 eine Fusion der drei liberalen Parteien erfolgte, gelang es den weiblichen Mitgliedern nicht, das Frauenwahlrecht als Gegenwartsforderung dem Programm einzufügen. Die Frauen entschieden, in der Partei auszuharren, die ihrer Weltanschauung entsprach, trotzdem auch 1912 die Programmforderung noch nicht erfüllt war. Aber die Abstimmung über 13 Anträge aus männ - lichen und weiblichen Parteikreisen zeigte einen völ - ligen Umschwung der Auffassung. Man nahm eine Resolution an und verpflichtete darin die Partei - mitglieder, die Frauen im Kampf um ihre politischen Rechte bis zur vollen staatsbürgerlichen Gleichberech - tigung zu unterstützen . Die Aufnahme der Frauen - wahlrechtsforderung in das Parteiprogramm darf für den nächsten Parteitag als gesichert gelten. Der Einfluß nationalliberaler Frauen in ihrer Partei nimmt stetig zu, wenngleich ein Teil der Männer noch ihrer politischen Betätigung zögernd gegenübersteht. Die nationalliberalen Frauen sind in besonderen Frauengruppen im Rahmen der Partei zu gemeinsamer politischer Arbeit organisiert, was sich durch Zu - gehörigkeit des männlichen Ortsvorsitzenden im Vor - stand der Frauengruppen und Wahl von drei Frauen in den Hauptvorstand der Partei erweist. Das Zen - trum hat mit Ausnahme der Windhorst-Bunde bis - her keine weiblichen Mitglieder in die Männervereine aufgenommen, jedoch bestehende politisch inter - 42 essierte Frauenvereine verwandter Richtung begünstigt, bzw. der Neugründung solcher die Wege geebnet, immerhin sprechen alle Anzeichen dafür, daß man im gegebenen Moment dem Geist der Zeit gerecht werden wird. Auch die Aeußerungen bekannter an - gesehener Geistlicher und Politiker sind in dieser Hinsicht beachtenswert. Pfarrer Holzapfel hat festgestellt, daß kein Dogma das Frauenstimmrecht verbietet, ein Dominikanermönch hat dafür gepredigt, und der Prälat Gießwein in Ungarn agitiert öf - fentlich für das Frauenstimmrecht. Im bayerischen Landtag haben Zentrumsabgeordnete zugunsten des Frauenstimmrechts gesprochen. Auch die konserva - tive Partei hat es für richtig befunden, sich wenig - stens durch Schaffung besonderer konservativer Frauenvereine weibliche Gefolgschaft zu sichern. Im übrigen ist man aber dort noch gegen jedes wich - tige Zugeständnis weiblicher politischer Rechte.

Um die gegenwärtig nach außen festgelegte Stel - lungnahme der Parteien zur Frauenwahlrechtsfrage im Rahmen der Auseinandersetzungen zur gesamten Wahl - rechtsfrage richtig einzuschätzen, muß man sich an die Ergebnisse der Verhandlungen im Verfassungsaus - schuß des Reichstags vom Juni 1917, derselben im Preußischen Abgeordnetenhaus vom Dezember 1917 und der Beratungen im Januar 1918 über die Frauen - petitionen halten. Im Verfassungsausschuß haben die Vertreter der sozialdemokratischen Mehrheit und außerdem der Abgeordnete Bernstein und Ge - nossen Anträge zum Frauenstimmrecht für alle Lan - desvertretungen eingebracht. Der konservative Red - ner sprach sich im Namen seiner Partei vollständig ablehnend zu diesen Anträgen aus. Der Vertreter des Zentrums erklärte das Frauenstimmrecht für nicht angebracht und den aktiven Eintritt der Frauen in das politische Leben als nicht wünschenswert. Der 43 Sprecher der Nationalliberalen gab zu, daß der Krieg starke Argumente für das Frauenstimmrecht geliefert habe und seine Partei der Frage des Frauenstimm - rechts deshalb wesentlich sympathischer gegenüber - stände als früher, jedoch die Zustimmung zur so - fortigen Einführung von der Partei noch nicht ge - geben werden könne. Auch der Vertreter der Fort - schrittlichen Volkspartei hält es für eine ernste Zu - kunftsaufgabe, die politische Stellung der Frau ihrer wirtschaftlichen anzupassen, will aber die Frage (un - beschadet der Verpflichtung der Mannheimer Re - solution) noch offen lassen und konnte sich noch nicht entschließen, den sozialdemokratischen Anträgen zuzustimmen. Es ergibt sich daraus, daß die beiden liberalen Parteien sich wohl bewußt sind, den Zeit - ereignissen und den berechtigten Ansprüchen der Frauen ein gewisses Zugeständnis zu machen, daß sie aber die Erfüllung der diesbezüglichen Frauen - wünsche verzögern, um die Reform des Männer - wahlrechtes nicht zu gefährden. Die Grundlage der letzten Verhandlung im Abgeordnetenhaus vom 15. Ja - nuar 1918 bildeten Frauenpetitionen aus den Kreisen der Stimmrechtlerinnen bezüglich stimmberechtigter Wahl von Frauen in städtische Deputationen und Ein - gaben von seiten der konfessionell organisierten, nicht politisch wirken wollenden Frauen des Deutsch-Evan - gelischen und des Katholischen Frauenbundes, be - treffend Zuziehung sachverständiger Frauen zu par - lamentarischen Kommissionen, die sich auf Frauen - fragen beziehen. Der Gang der Beratungen ist als durchaus enttäuschend anzusprechen, nachdem der Regierungsvertreter sich nicht einmal zu dem be - scheidenen Zugeständnis bereit erklärte, die Gleich - berechtigung der Frauen in städtischen Deputationen durch sofortige Aenderung der diesbezüglichen Pa - ragraphen der Städteordnungen anzuerkennen, und 44 nur die gelegentliche Reform in Aussicht stellte. Dennoch ist ein Fortschritt in der Auffassung der Parteien gegenüber den Frauenfragen unverkennbar. Dies erwies sich einmal durch die übereinstimmende Annahme des eingeschränkten Antrags, betreffend De - putationen, dann in der verbindlichen Geneigtheit zur Prüfung der Eingaben, betreffend Zuziehung sach - verständiger Frauen zu parlamentarischen Kommis - sionen und in der uneingeschränkten Forderung des Gemeindewahlrechts für die Frauen von seiten der Fortschrittlichen Volkspartei. Als im Jahre 1908 be - reits einige Frauen die Ausübung des Gemeinde - wahlrechtes in Preußen im Prozeßwege zu erlangen suchten, wurde ihnen in der richterlichen Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichtes zugebilligt, daß sie nach § 5 der Städteordnung alle für den Erwerb des Bür - gerrechtes erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Obwohl eine ausdrückliche Erklärung, daß das weib - liche Geschlecht vom Wahlrecht ausgeschlossen werde, in der Entstehungsgeschichte der verschiedenen Städteordnungen nicht zu finden ist, sei aus diesem Schweigen zu schließen, daß der Gedanke, die Frauen an öffentlichen städtischen Wahlen teilnehmen zu lassen, an maßgebender Stelle niemals gefaßt worden ist. Auch wenn durch die mannigfachen Anregungen, die in neuerer Zeit von seiten der Frauenbewegung im öffentlichen Leben nach dieser und anderer Rich - tung gegeben worden sind, ein Umschwung in den bisherigen Rechtsanschauungen eingetreten sei, so könne er nicht dazu führen, bestehende Gesetze in einem Sinne auszulegen und anzuwenden, die dem - jenigen, in welchem sie gegeben und seit einem halben Jahrhundert angewendet worden sind, ent - gegengesetzt sein würden.

Inwieweit nun in der Osterbotschaft 1917 zur Wahlrechtsreform in Preußen der Frauen bei Fest - 45 legung des Wortlautes gedacht worden ist, entzieht sich der Beurteilung. Zweifellos hat man beim Ge - setzentwurf nebst der Begründung zur preußischen Wahlrechtsreform an der Prüfung der Frauenwahl - rechtsfrage nicht vorübergehen können. Die Formu - lierung des Gesetzes zeigt, daß man der Frauen nur mit negativem Resultat gedacht hat, indem man die tatsächlich beabsichtigte Ausschließung der Frauen vom Wahlrecht nicht einmal erwähnt hat. Nach her - gebrachter Auffassung wird noch immer vom all - gemeinen Wahlrecht , von jedem Preußen , vom ganzen Volk gesprochen, ohne die Frauen in diesen Begriff einzubeziehen. Wer sich nicht auf diese rein formale Tradition beschränkt, wer aufmerksam und vorurteilslos den Inhalt der Osterbotschaft wie der Begründung zur preußischen Wahlrechtsvorlage liest, wird es begreiflich finden, daß die Frauenstimmrecht - lerinnen daraus ihre überzeugendsten Argumente, ihre feingeschliffensten Waffen im Kampf um die Neu - orientierung mit Bezug auf politische Frauenrechte entlehnen. Unter dem Eindruck dieser Nichtbeach - tung der weiblichen Glieder des Volkes haben im Zeichen des Burgfriedens die beiden bürgerlichen Stimmrechtsorganisationen, der Deutsche Reichsver - band für Frauenstimmrecht, der Deutsche Frauen - stimmrechtsbund und die sozialdemokratischen Frauen Deutschlands eine Protestresolution an den Reichs - tag und alle Landesparlamente gesandt. In Ver - sammlungen und Eingaben werden fortgesetzt in allen Teilen Deutschlands Kundgebungen für die Ge - währung politischer Frauenrechte veranstaltet. Nach der ersten Verhandlung im Plenum steht die Wahl - rechtsvorlage nunmehr in der Kommission des Ab - geordnetenhauses zur Beratung. Die Stellungnahme der Parteien zum Frauenwahlrecht zeigte bei den Beratungen im Plenum im Dezember 1917 einige 46 fortgeschrittene Schattierungen, ohne die grundsätz - liche Haltung der Parteien zu ändern. Allenfalls prä - zisierte die Fortschrittliche Volkspartei etwas ge - nauer, warum sie trotz grundsätzlicher Sympathie für das Frauenstimmrecht auch dieses Mal die Frage vertagen wolle. Die Wahlrechtskommission besteht aus 12 Konservativen, 8 Zentrum, 4 Freikonservati - ven, 6 Nationalliberalen, 3 Fortschrittlern, 1 Sozial - demokraten und 1 Polen. Das Schicksal der Wahl - rechtsvorlage, auch bezüglich der Erfüllung des all - gemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl - rechts, ist noch unentschieden. Mit Bezug auf das Frauenwahlrecht dürften die Aussichten sich nicht erheblich günstiger gestalten, als es nach den Ver - handlungen im Verfassungsausschuß des Reichstags und im Plenum des Abgeordnetenhauses voraus - zusehen ist. Diese Erfahrungen werden die Stimm - rechtlerinnen nur veranlassen, ihre ganze Kraft darauf zu konzentrieren, den Vorläufer des parlamentarischen Wahlrechts, das Frauenwahlrecht in der Gemeinde, in absehbarer Zeit durchzuführen. Der gegebene Zeit - punkt hierfür dürfte allerdings bei Gelegenheit der Reform der Städteordnungen gekommen sein. Bis da - hin werden die Frauen sich auf ihre zukünftigen kommunalen Pflichten auch weiterhin durch intensive theoretische Schulung, durch gesteigerte freiwillige ehrenamtliche Tätigkeit in der Gemeinde und durch fortgesetzte Einwirkung auf die maßgebenden Re - gierungskreise und die Parteien vorbereiten, um letz - tere zu überzeugen, daß die Reform des Gemeinde - wahlrechts in den einzelnen Bundesstaaten nur unter voller Einbeziehung der Frauen erfolgen kann.

Denn im Gegensatz zu der Entwicklung in ver - schiedenen Staaten des Auslandes wird in Deutsch - land die Einführung des Gemeindewahlrechts der Frau der des parlamentarischen Frauenwahlrechts vor - 47 ausgehen. Ebenso wie im Ausland eine Norm nicht dafür festzustellen war, welche Parteien für die end - gültige Bewilligung des Frauenstimmrechts ausschlag - gebend waren, ebensowenig ist vorauszusehen, welche Partei in Deutschland in jedem Einzelfalle das Züng - lein an der Wage zugunsten des Frauenwahlrechts bilden wird. Die sich nach Friedensschluß bildende bewegte innerpolitische Atmosphäre wird eine in - tensive Mitwirkung der Frauen in den Parteien her - beiführen, wozu ebenso die gehobene politische An - teilnahme der Frauen, wie das einsetzende Werben der Parteien bei bevorstehenden Wahlen beitragen werden. Hierbei werden die Stimmrechtlerinnen mehr als zuvor für ihre eigene Sache wirken können, und das um so erfolgreicher, je intensiver die weiblichen Mitglieder der verschiedenen Parteien vorher in der Frauenstimmrechtsbewegung und allgemein politisch geschult wurden. Sonst werden die Parteien durch den Eintritt der Frauen wohl einen zahlenmäßigen aber ebensowenig einen qualitativen Gewinn zu ver - zeichnen haben, als die Frauen ihrerseits einen Er - folg ihrer besonderen Bestrebungen. Den Stimm - rechtlerinnen, die sich in einer Partei betätigen, wer - den Gewissenskonflikte nicht erspart bleiben. Sie werden es kaum über sich gewinnen, Kandidaten zu unterstützen, die Gegner des Frauenstimmrechts sind. Indem sie sich in solchen Fällen passiv verhalten, reformieren sie am schnellsten jede Partei, die der Hilfstruppe weiblicher Mitglieder bedarf. Anderer - seits wird das Abwägen zwischen berechtigter, sach - licher Opposition und Parteidisziplin in einzelnen Frauenfragen an die politische Reife der Frauen nicht geringe Anforderungen stellen. Diese Fragen sind individuell von den einzelnen Persönlichkeiten und grundsätzlich von den weiblichen Parteiorgani - sationen zu entscheiden. Die allgemeinen Stimm -48 rechtsorganisationen in Deutschland sollten streng neutral bleiben, niemals in das Schlepptau einzelner politischer Parteien geraten, auch wenn sichere Aus - sicht besteht, daß gerade diese Partei dem Frauen - wahlrecht zum Siege verhelfen wird. Die Stimmrechts - vereine werden durch ihre Wirksamkeit erweisen, daß sie deutsche Frauen aller Schichten und aller Richtungen vereinen, und daß ihr Kampf ums Recht in solchen Formen geführt wird, daß er ihnen nicht als ein Kampf um die Macht gilt. Es ist kein Kampf, vielmehr die Geltendmachung neuer Rechte, die befähigt, im neuen Deutschland als bewertete Per - sönlichkeiten und vollwertige Staatsbürgerinnen grö - ßere und verantwortungsvollere Pflichten zu über - nehmen.

About this transcription

TextZur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung
Author Frieda Ledermann
Extent48 images; 9878 tokens; 3218 types; 78132 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-06-26T14:08:50Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2015-06-26T14:08:50Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationZur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung Frieda Ledermann. . Arthur Scholem BuchdruckereiBerlin1918.

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Antiqua

LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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