Leipzig, bey Breitkopf und Härtel 1804.
RIIRIIIJst es die Hauptaufgabe der Philosophie, durch Erklärung aller zufälligen Erscheinungen aus Gründen und Gesezzen, den Gegensatz von Willkühr und Nothwendigkeit im menschlichen Bewußtseyn aufzuheben: so wäre eine systematische Poetik, d. h. eine vollständige Theorie der willkührlichsten Launen des Geistes nach allgemeingültigen Grundsätzen das kühnste und doch unschädlichste Experiment, ob wir eine Philosophie haben.
Selbst unter dem bescheidnen Nahmen Hypothese, den alle Erklärungen von etwas empirischen führen sollten, und den gerade die gründlichsten Theorieen von jeher nicht verschmäht haben, ist dies Experiment, nach gewöhnlicher Ansicht der Dinge, ein so verzweifeltes, so nah an den Rand des Unsinns gränzendes Unternehmen, daß sich bisher noch niemand dazu hergegeben hat. Gleichwol scheint der arme gequälte Geist unsers litterarischen Zeitalters außerRIV mehreren Karrikaturen auch zu einer Poetik a priori verdammt zu seyn. Die Ursache liegt am Tage.
Wer einmal angefangen hat zu philosophiren, das gesteht selbst Cicero, kann nicht rückwärts, nicht stehn bleiben auf halben Wege. Einmal hat sich der unselige Dämon der Gründlichkeit unserer bemächtigt. Nachdem wir uns so viele Jahre hindurch mit allumfassenden philosophischen Lehrgebänden und einzig möglichen Standpunkten geplagt haben, sollen wir die ganze lange Zeit unsers mühseligen Nachforschens für verlohren erklären, sollen wir der trägen Oberflächlichkeit den Triumph zugestehn, daß bey allen diesen Anstrengungen die Seele vor wie nach eine tabula rasa geblieben sey, ein glatter Spiegel allenfalls für die gelehrte Eitelkeit, sich davor herauszuputzen?
Wir sind es müde, wie die Gespennster der verblichnen Schulen wohl noch unter der Hand fortfahren, das Korn des ewigen Lebens aus abgedroschenen Terminologieen herauszusuchen, die täglich leerer und eintöniger werden. Wir haben eingesehn, daß Erdensöhne dem Himmelreich nicht Gewalt anthun, und das System der idealen Wahrheit auf einmal zu Stande bringen können. Nur aus dem Kopfe des Zevs sprang die völlig gerüstete Minerva. Aber müssen wir deswegen schon an der Existenz der gesammten PhilosophieRV auch ausserhalb dem Gehirn müssiger Denker verzweifeln, weil uns ein vollkommenes System, ein Compendium derselben abgeht, welches vielleicht am Ende das letzte, das wenigste ist?
Wodurch beweist die Mathematik, die Philosophie der Größen, ihre wissenschaftliche Existenz? Etwa durch die Geometrie des Euklides, die auf Postulate, und zur Hälfte gar auf ein unsichres Axiom gegründet ist? Kein tiefdenkender Mathematiker hat noch daran gedacht, daß das Ansehn seiner Wissenschaft auf einem vollständigen System der idealen Prinzipien beruhe. Was man für höhere Formeln zu einem besondern Problem gerade braucht, erfindet man. So bildet sich nach und nach ein leidlich zusammenhängender Canon von rein idealen Sätzen.
Aber dadurch beweist die Mathematik ihr Daseyn, daß ihre idealen Grundsätze glückliche Hypothesen zur Erklärung der Erscheinungswelt abgeben, daß der Mathematiker eine Evidenz hat, durch Construction in Raum und Zeit, die nur wenig Mitarbeiter am Gebäude der Wissenschaft etwas ungereimtes unternehmen läßt. Kurz, während die andern Philosophen geduldig zusehn müssen, wie jeder Vorübergehende die Wetterfahne ihrer anarchischen Wissenschaft bald so, bald anders dreht, genießt die MathematischeRVI Republik, obgleich ebenfalls ohne System, die Früchte einer guten Constitution durch eine glückliche Erklärungs-Methode im praktischen, und im theoretischen durch ein festes Urtheil.
Die Philosophie unsrer Tage scheint die Metaphysik, die objektive Demonstration übersinnlicher Gegenstände, ja selbst vor der Hand den Anspruch aufgegeben zu haben, eine vollendete Transcendentalphilosophie zu seyn, welche das Gebiet des Erkenntnißvermögens ausmäß, und die Möglichkeit der Erfahrung absolut bestimmte. Es bleibt ihr also nichts übrig, wenn sie sich nicht ganz annihiliren will, als ihr Ansehn, eben so wie die Mathematik auf glückliche Experimente im Empirischen zu gründen, und sich von ihrem Daseyn mittelbar zu überzeugen.
Jede empirische Kunde, die unter dem Chaos von Kenntnissen nicht erliegen will, strebt dahin Theorie zu werden, und braucht, ohne es selbst zu wissen, philosophische Sätze als Hypothesen. So bieten ein Newton, ein Lavoisier der Philosophie die Hand. Kann die Philosophie nicht dies Anerbieten zu wechselseitiger Ausbildung, es versteht sich, mit Bescheidenheit annehmen, kann sie nicht als Organon, das den empirischen Disciplinen zur Ordnung hilft, vielleicht das Ansehen wieder gewinnen, das sie beym AufräumenRVII in ihrem eigenen Gebiet verlohr? Durch glückliche Erfolge belehrt, würde man es ihr gewiß glauben, daß sie nicht blos eine Logik (Formalphilosophie), sondern auch eine Ontologie (Materialphilosophie) sey, wenn auch letztere vor der Hand nur aus einer minder geordneten Sammlung von idealen Prinzipien bestünde, die zu Erklärung des Empirischen von Nutzen gewesen sind. Ja die Ordnung im Empirischen würde den Geist zurückweisen auf eine Ordnung im Jdealen selbst. Jede besondere Disciplin würde dankbar dazu beytragen, die allgemeine Wissenschaftslehre selbst auszubilden.
Die kühnsten Experimente wären hierzu die besten, weil sie am meisten in die Augen fallen, weil sie die verdienstlichsten und schnellsten sind. Da man leider die Menschheit daran gewöhnt hat, ihr Vertrauen auf feste Wahrheit, an das Wort Philosophie zu binden, so ist keine Zeit zu verliehren.
Aber welche empirische Gelehrte werden heutzutag ihr Gebiet gern zum Tummelplatz für die unsichern Experimente einer an sich verzweifelnden Philosophie hergeben wollen? Und verdenken kann man das auch den guten Leuten nicht. Der Gelehrte hat von der menschlichen Gesellschaft sich ein Feld acquirirt, um darauf sein Brod zu bauen. Oekonomie ist das Moralgesetz der Welt. Wer macht sich gern UnruhRVIII mit Nachdenken, so lange man mit Auswendiglernen ausauskommen kann? Ueberdem haben wir den Schaden der philosophisch genialischen Experimente in der Erziehungskunst, dem Staats = und Privatrecht, der Theologie und der Medizin vor Augen. Jn der Physik hat die neuere Philosophie gewiß nicht unglückliche Experimente gemacht. Aber auch die Physiker fangen an sich das zu verbitten, da ihre Kunde mit der Praxis so mancher Künste zusammenhängt.
Was bleibt also der armen bedrängten Philosophie a priori übrig, als sich ins ästhetische Gebiet, nahmentlich ns Feld der Dichtkunst zu werfen, welches doch auch empirisch ist. Das Experiment, die Dichtkunst philosophisch zu deduciren, ist gewiß das kühnste. Denn die Poesie des Geistes verfährt noch willkührlicher, als die äußere Natur und bildet sich ein, ein Universum im Kleinen zu seyn. Unschädlich ist dieses Experiment gewiß. Die Kunst selbst kann nicht darunter leiden. Denn diese ist eine freye Aeusserung des Genius, bedarf keiner Regeln, keiner Theorie, wie die andern wissenschaftlichen Künste, kann also dadurch auf keinen falschen Weg gebracht werden. Und wäre es auch, was liegt der heutigen menschlichen Gesellschaft daran, da bey ihr die Dichtkunst keinesweges accreditirt ist, da sie dieselbe mehr wie ein mit ihrer innern OekonomieRIX ganz contrastirendes Meerwunder anstaunt, als achtet und liebt? Ueberdem kann ein philosophisches Experiment der Art doch auch nicht ohne alle litterarische Kenntnisse angestellt werden. So könnten, da nach der ökonomischen Denkungsart der Menschen ein jedes Unternehmen, auch nützlich seyn muß, dergleichen Bücher nebenher zu Verbreitung von Kenntnissen dienen, die sich von der Philosophie nicht so leicht verwirren lassen, könnten einen Jnder haben, und Handbücher zum Nachschlagen abgeben. Gründe genug für die Philosophen die Preisaufgabe einer Poetik aufzustellen.
Unser litterarisches Zeitalter arbeitet schon lange im Stillen an der Auflösung dieses Problems. Unsre Dichter philosophiren und unsre Philosophen werden poetisch. Diese wechselseitige mystische Anneigung der Philosophie und Poesie scheint auf eine Berührung, wie auf einen Silberblick hinzudeuten, der alsdann ihre Arbeiten vielleicht um desto reiner schiede. Diese Berührung fände in dem Gebiete der Poetik statt. Die Poetik, wenn sich dies Fach vervollkommnen sollte, wär eine Sammlung idealer Grundsätze der Philosophie, mit hinzugefügtem Beweis a posteriori aus der empirischen Psychologie, eine a priori berechnete Organisation des Geistes mit hinzugefügter Probe von Richtigkeit der Rechnung.
RXNoch eine Betrachtung kommt hinzu, die Philosophen auf Bearbeitung dieses Feldes aufmerksam zu machen. Um durch Experimente im Empirischen für die Philosophie eine sichre Constitution zu Stande zu bringen, muß man für dieselbe einen Maaßstab auffinden, welcher im theoretischen ihr ein festes Urtheil zusichre. Es muß für sie etwas dem analoges aufgestellt werden, was in der Mathematik Evidenz durch Construction ist. Der Mathematiker hat keine Axiomen, als solche, die auf Evidenz beruhen. Der Philosoph, will er Axiomen erringen, muß sich auf eine andre, eine höhere Evidenz berufen können, als in den Formen der Sinnlichkeit enthalten ist.
Wie? wenn diese Evidenz, welche der Philosoph sucht, gerade nur auf der Höhe statt fände, wo Poesie und Philosophie, die größte Freyheit und die strengste Nothwendigkeit zusammentreffen? Wie, wenn die Amalgamation der Poesie und Philosophie zu einem eben nicht beliebten Mystizismus unserer Zeit gerade hierauf hindeutete, wenn eben die Erfahrung, daß jede philosophische Schule sich selbst zerstörte, sobald sie anfing uns einseitige Begriffe aufdringen zu wollen, nur bewiese, mit welcher Gewalt unser Zeitalter zu Jdeen fortgerissen wird? wenn die Evidenz dieser Jdeen, eben weil sie nur da liegen, wo Poesie und Phi =RXI losophie zusammentreffen, nie heller werden könnte, als wenn man das ganze Feld der Poesie aus einem philosophischen Standpunkt übersäh?
Dies alles zusammengenommen: Würde nicht dem, der in diesem Fache arbeitete, so manche Aussicht aufdämmern, die jedem andern auf dem gewöhnlichen Standpunkte noch verborgen ist? Würde ihm nicht der gutmüthige, wenn man will, kindische Traum zu vergeben seyn, daß bey dem größten Zwiespalt der Meynungen, da der Geist Kains des ersten Mörders in alle Gelehrten gefahren zu seyn scheint, eine allgemeine Vereinigung der Geister durch die Bande des Gedankens nie näher sey, als jetzt? Aber freylich müßte man aufhören, sich über elende Worte zu streiten, welche nur die Eitelkeit lieb hat, welche nichts als Schall und Luft sind, man müßte aufhören, durch selbstsüchtige niedrige Gemüthsstimmung die Geistescultur und jeden herzerhebenden Gedanken in den schadenfrohen Augen des großen Haufens herabzusetzen, der alles außer das Metall, was sich mit Fingern zählen läßt, verachtet.
Der erste Versuch einer philosophischen Poetik könnte, und wär er auch nicht so ganz unvollkommen, wie der gegenwärtige, bey der jetzigen Lage der Dinge nur immer eine Märtyrerkrone erwarten, er müßte, wie jeder Bürger inRXII Athen, welcher ein neues Gesetz vorschlug, sich zuvor selbst anklagen. Da er eine Combination von den glücklichsten Meynungen aller Partheyen seyn müßte, würde er natürlich die Sprache aller Partheyen reden, und würde, da die Partheywuth sich itzt an Worten, wie an farbigen Cocarden erkennt, von allen gesteinigt werden.
─ ─ Αγαθη δ'Ερις ἠδε βροτοισι. Hesiod.
Gegenwärtiger Entwurf ist so weit davon entfernt, die Preisaufgabe einer philosophischen Poetik ganz auflösen zu wollen, daß er zufrieden seyn muß, wenn ihm nur die ehrbare Märtyrerkrone des ersten Versuchs zu Theil wird. Leute, welche die Kunst verstehn, wie Luther sagt, aus Nichts flugs die höchsten und gelehrtesten Doctoren zu werden, mögen itzt runde und geglättete Werke liefern. Sie werden in diesem Buche viel Sylben zu stechen finden. Nur wenige, welche tief denken und tief fühlen, wissen, wie schwer es ist, in der jetzigen Krisis eine Bahn zu brechen und dem Lichte neuer Jdeen nachzugehn.
Da die Gedankenfolge dieser Poetik anfangs analytisch und alsdann synthetisch seyn mußte, so wird der, welcher das Ganze leicht übersehn will, die Geduld habenRXIII müssen, die kurze Darstellung des Jnhalts durchzublättern, welche unmittelbar auf diese Vorrede folgt. Wenn die schönen Geister auch das vollkommenste Recht dazu haben, sich an den pedantischen unförmlichen Collectaneen des Buchs zu ärgern, wenn scharfsinnige Aesthetiker bey Darstellung der einzelnen Dichtungsarten noch manches willkührliche, mangelhafte entdecken werden, so wird dagegen jeder Lehrer der sogenannten schönen Wissenschaften, den, bis ins kleinste Detail systematischen, einfachen Zusammenhang des Grundrisses nach Prinzipien nicht verkennen. Er wird einen festen Gang vorgezeichnet finden, den er beym Unterricht gehen kann, und die Anmerkungen werden ihm zugleich als Anleitungen zu einer Litterargeschichte dienen, welche aus mehr als Büchertitteln besteht. Die Grundlage des Systems ist die Eintheilung des Schönen, welche den Aesthetiker in dem Entwurfe einer Poetik leiten muß. Wie in der Cosmogonie des Confucius theilt sich die über dem Nichts schwebende Gestalt des Schönen erst in zwey, in vier, in acht Bilder, und diese haben auf vier Vernunftideen und Seelenkräfte, welche man, mit Pythagoras den vierfachen Quell der ewigen Natur nennen kann, und auf die Kategorien Kants eine wunderbare Beziehung.
RXIVDer schlimmste und bitterste Zwist, in welchen sich die philosophische Poetik ex professo mischen muß, weil ihr ganzes wissenschaftliches Daseyn vom Daseyn einer nothwendigen, mithin mystischen Poesie abzuhängen scheint, ist derjenige, welcher jetzt zwischen Mystikern und Aufklärern geführt wird. Es kommt so viel darauf an, daß eines Theils jede Frucht einer wahren Aufklärung gesichert, anderntheils die Stimmung zur Andacht in den Gemüthern wieder erweckt werde, daß man sich über diesen wichtigen Gegenstand nicht deutlich genug erklären kann.
Wie weit die Poetik davon entfernt sey, den Mystizismus ins wissenschaftliche Gebiet einzuführen, erhellt schon daraus, daß sie selbst die Wunder der Poesie zu erklären versucht, bis dahinauf, wo sie ans unbegreifliche, ans göttliche gränzen. Ueberdem ist den Wissenschaften als empirischen Theorien ihre völlige Existenz zugesichert worden. Dies muß man deswegen erinnern, weil die gute Sache heut zu Tage mit unter leider schlecht vertheidigt wird, weil manche Art von Schwärmerey mit Vernichtung der Wissenschaften droht, und es schon so weit geht, daß, wer sich etwa die Neunerprobe aus dem Dezimalsystem nicht zu erklären weiß, wegen des Wunders bey der Multiplication mit der Neune (hoffentlich aus Satyre) dieRXV Schwärmerey entschuldigt. Allein ein weit ehrwürdigeres Ansehn bekömmt der sogenannte Mystizismus, wenn er an die Spitze der Philosophie gestellt wird.
An der Spitze der Philosophie als reiner Vernunftwissenschaft muß etwas absolut bestimmendes stehn. Dies kann keine Erkenntniß seyn. Erkennen heißt urtheilen nach Gründen. Der nothwendige Grund der copula von Subjekt und Prädicat liegt allemal außerhalb des Urtheils. Also ist kein Urtheil selbst, das absolut nothwendige. Die mathematischen Axiomen haben ihre Nothwendigkeit nicht in sich selbst, unmittelbar, sondern in der Evidenz, mit welcher Punkt und Linie als anschauliche Begriffe in Raum und Zeit construirt werden. Eben so, wenn man ein Moralgesetz an die Spitze des Systems der Wahrheit setzte, wär in diesem Satze keinesweges das absolutnothwendige enthalten. Denn die Verbindlichkeit des Gesetzes liegt immer noch außerhalb. Diese Verbindlichkeit ist gar keine Erkenntniß. Sie beruht weder auf einem materiellen Satze, der Einsicht von etwas objektiv absolut Guten, zu dem man nothwendig verbunden wär, (alle bestimmten Objekte, z. B. Glückseligkeit, sind zufällig) noch auf einem formellen Satze (dem Satze des Widerspruchs). Denn dieser ließeRXVI mich zwar die Form einer Gesetzlichkeit, (die Uebereinstimmung) erkennen, keinesweges aber, daß ich zum Handeln, am allerwenigsten zum consequent handeln verbunden sey, weil das Handeln in der Zeit ist, und sich das Gute und Böse nach einander beym Menschen wohl denken läßt. Eine praktische unbedingte Verbindlichkeit des Menschen zum Seyn und Handeln kann also gar keine Erkenntniß mehr seyn, eben deswegen weil sie unbedingt seyn soll. Sie muß demnach eine unmittelbare höhere Evidenz seyn, daß der Mensch einem absolut nothwendigen realen Wesen angehöre, welches ihn in seine gesetzliche Einheit aufnimmt, und ihn so durch einen höheren Naturtrieb antreibet, unter der Form der Gesetzlichkeit äußere Erscheinungen darzustellen, um sich des gesetzlichen Daseyns bewußt zu werden. Das Gewissen, welches zur Strafe der Selbstverachtung wird, wenn der Mensch dieser Anforderung nicht genug thut, ist also keine bloß wesenlose Form, kein bloßes verbietendes Gesetz. Es ist eine religiöse Jdee. Als Evidenz, die höhere unmittelbare Wahrnehmung vom Daseyn eines absolut realen gesetzlichen Wesens (Gott) welches seine innern heiligen Formen auch durch unsre Handlungen äußerlich dargestellt haben will. Das religiöse Gewissen ist also eineRXVII Offenbarung im weitern Sinne, eine Offenbarung Gottes als eines gesetzlichen Urwesens, die in unserm Gemüthe geschieht. Alles was nun nothwendig aus dem evidenten Daseyn eines solchen gesetzlichen Urwesens folgt, heißt ideales Wissen, und kann einen Jmperativ oder Gewissenssatz als Hauptaxiom an der Spitze haben. So folgt aus der Evidenz, daß uns ein absolutnothwendiges Wesen in seine Einheit aufnehmen und durch uns gesetzmäßige Erscheinungen hervorbringen will, um uns zum Bewußtseyn des gesetzlichen Daseyns zu erheben: 1) Daß Gott eine Erscheinungswelt wolle, die seiner Jdealität gemäß sey. 2) Daß es ihm möglich sey, sie hervorzubringen. Denn was absolutnothwendig gefordert wird, muß möglich seyn. 3) Daß es uns möglich, und für uns Bedürfniß seyn müsse, uns des gesetzlichen Daseyns oder der Jdealität mittelst der Erscheinungen bewußt zu werden, d. h. das göttliche in der objektiven Erscheinungswelt anzuschaun. Kurz der höhere Zweck unsers Handelns und Seyns, Anschauung des Göttlichen muß möglich seyn. Hierzu bedarf es keines sogenannten Vernunftglaubens, das wissen wir. Weil nun die Jdealität oder gesetzliche Form kein innerhalb der Sphäre von Begriffen vollendbarer Gegenstand seyn kann,RXVIII so kann sie uns auch nur in der Objektenwelt als eine Begrifflose Zweckmäßigkeit überhaupt, (als ein Werden des Jdealen im Realen d. h. als Schönheit) erscheinen. Dies a priori mögliche Gefühl des Schönen an der objektiven Welt, oder die anschauliche Vorstellung einer successiv nach göttlichen Gesetzen werdenden sich bildenden Welt, um uns das göttliche erscheinen zu lassen, dieses unumgängliche Bedürfniß heißt der religiöse Glaube, eine Stimmung, deren Natur man bis hierher ganz verkannt hat. Da die Welt wegen der Zeitform im steten Werden, im Erscheinen begriffen ist, so kann ihre Harmonie mit der Jdealität noch nicht vollendet seyn, dieselbe kann also nicht nach Begriffen von Vollkommenheit gewußt werden, sondern man kann nur an diese Harmonie glauben. Der Glaube ist demnach kein Urtheil nach Begriffen aus unzureichenden Gründen, sondern ein Streben nach ästhetischer Evidenz, mit der man, wie in der Handlung eines Gedichts, aus einer Scene die folgende erräth und dabey auf die schöne Organisation des Ganzen vertraut. Das religiöse Gewissen, das uns, sobald wir zu denken anfangen, immer begleitet, beweist nicht allein die Möglichkeit, sondern rechtfertigt sogar das pflichtmäßige Bedürfniß einer Gemüthsstimmung, einer andern religiösen evi =RXIX denten Jdee, welche der Glaube heißt. Da die Erfahrung, d. h. die Erscheinungswelt unter bestimmten Begriffen des Wissens der stets geforderten Jdealität im Gewissen, nie genug thun kann, so kann allein der Glaube diesen Widerspruch aufheben, und uns mit der Objektivität wieder aussöhnen. Das Gewissen ist das Element des Wissens, der Glaube ist das Element alles höhern lebendigen Handelns in der Erscheinungswelt. Das Gewissen kann den Egoismus nur einschränken zur furchtsamen Anerkennung dessen was recht ist. Der Glaube allein kann ihn in der Wurzel vernichten. Das Gewissen zeigt uns einen furchtbar heiligen Gott, der ununterbrochen in unserm Bewußtseyn das Gute gebietet. Der Glaube ist die Evidenz in der Erscheinungswelt von eben dieses Gottes allmächtigem Beystand, wenn wir das Gute wollen. Das Gewissen läßt uns den Zweck des Daseyns nur ahnen, der Glaube läßt ihn uns mit Liebe anschauen, das Gewissen hat auch der Bösewicht, den Glauben nur der Gute.
Daher fühlten alle Völker, welche aus dem Naturstande heraustraten, das Bedürfniß einer vom religiösen Glauben sehnend verlangten Offenbarung im engern Sinne, d. h. einer Erscheinung des Göttlichen, alsRXX Objekts (des Sohnes Gottes) in der Zeit, und einer Darstellung aller Begebenheiten nach Zwecken einer höhern Weltordnung durch die Poesie der Sprache, mittelst einer Erleuchtung des Geistes, in welcher ihn das Gefühl jener zweckmäßigen Organisation durch alle Zeiten so mächtig ergreift, daß er nicht irren kann. Daher huldigt der größte Theil der gebildeten Welt mit vollem Rechte dem Glauben, daß das göttliche Prinzip der Dinge in der Zeit erschienen sey, und die Menschheit in seine Gemeinschaft aufgenommen habe.
Religiöses Gewissen und religiöser Glaube, ungetrennt vereinigt, geben das, was man Religion nennt. Die Religion allein, an die Spitze der wissenschaftlichen Systeme gestellt, setzt uns in den Stand, die Erscheinungen in der Welt philosophisch und streng wissenschaftlich zu erklären. Da Religion in diesem reinen Sinne genommen nur eine Geistesstimmung der edelsten Seelen seyn kann, so ergiebt sich hieraus eine in der Natur des Geistes gegründete Mystik, eine Evidenz a priori, nach der sich die construirten philosophischen Begriffe richten müssen, wie bey den Mathematikern, eine Evidenz ruhend auf Seelengröße, welche das Geschwätz jedes Prosanen vom Heiligthum der ernstern Wissenschaften zurück weisen muß. Es kommt eine Zeit, die für die sogenannten StarkgeisterRXXI sehr demüthigend seyn wird, die ihnen beweisen wird, daß es ihnen nicht an gutem Herzen (diesen Vorwurf würden sie sich eher gefallen lassen,) sondern an Einsichten mangelt.
Religion als Gemüthsstimmung des edlern Menschen und Offenbarung im Engern Sinn, als unmittelbares Geschenk Gottes sind also zwey Wechselbegriffe, welche dem tiefern Denker gleich ehrwürdig sind. Freundliche Hinneigung des Göttlichen zum Endlichen in der Erscheinungswelt ist Offenbarung. Gläubige Hingabe des Endlichen an das Göttliche ist Religion. Durch Offenbarung bindet sich das Göttliche an die Schicksale der Endlichkeit. Durch Religion strebt das Endliche auf aus seinen Ketten. Beyde begegnen sich zur Erlösung des Menschen mit Liebe. Gott liebt sich selbst in uns, sagt Spinoza. Darum offenbaret er sich.
Wem diese Gedanken Schwärmerey sind, der ahnt es noch nicht, daß sich das Universum im Großen und Kleinen nach gleichem Gesetz entwickelt, daß das Göttliche, welches wir in diesem geringen Planeten mittelbar anbeten, in allen Nebelsternen angebetet wird, die das Telescop Herrschels nur je entdecken kann, der versteht nicht die Worte, des größten Wesens, das je die Erde trug: NiemandRXXII kommt zum Vater, denn durch mich, der versteht nicht, warum Paulus erst blind werden mußte, eh er das Evangelium verkündete.
Aus dem engen Standpunkt des Scheins angesehn, geht der Himmel mit seinen Lichtern über uns auf im Morgen und sinkt nieder im Abend. Aus dem freyen Standpunkte der Wahrheit angesehn, wälzt sich die Erde unaufhörlich gegen ihren Morgen, dem Anschaun des himmlischen Lichtes zu.
Wer in der Astronomie auf dem engen Standpunkte des Scheins festgekettet ist, mag beobachten, nur wer sich frey auf den Standpunkt der Wahrheit gestellt hat, kann erklären.
Aus dem engen Standpunkte des weltlichen Scheins angesehn, richtet sich das Leben von dem Erdboden auf, als ein engbrüstiges Kind, wächst, erreicht seinen Mittag und sinkt wieder in den Staub.
Aus der erleuchteten Höhe der Religion angesehn, ist das Leben eine vertrauenvolle Hingabe an die Unermeßlichkeit, ein ewiges liebendes Aufstreben zum Anschaun des Allerheiligsten.
RXXIIIPhilosophen ohne Religion mögen das Leben beobachten, können zweifeln und glauben, das heißt meynen.
Nur Philosophen mit Religion können das Leben erklären, können forschen und glauben, das heißt das göttliche schaun.
C. A. H. Clodius.
§. 1. Anmerk. 1. 2. Begriff von Kunst, und Unterschied derselben von der Natur.
§. 2. Anmerk. 1─6. Freye Kunst stellt das Jdeale oder Schöne dar.
§. 3. Poesie stellt das Jdeale oder Schöne durch die Sprache dar.
Anmerk. 3. Unterschied von Wohlredenheit, Beredsamkeit.
§. 4. Poetik ist eine Theorie.
Anmerk. 1. Unterschied von Kunde und Theorie. Alle Theorien werden empirisch unter vier Hauptrubriken gebracht. Diese müssen nach philosophischen Grundsätzen, welche darinnen als Hypothesen aufgestellt werden, bearbeitetRXXV werden. Hierzu wird eine Materialphilosophie oder Ontologie postulirt, welche die Hypothesen darbiete zur Anordnung der empirischen Kenntnisse. Diese Ontologie muß vier Kapitel haben.
Anmerk. 2. Die Poetik, ein Theil der empirischen Psychologie nimmt ihre Hypothesen aus dem vierten Kapitel der Ontologie, das rationale Psychologie heißt.
§. 1. Materie und Form einer Kunst. Die Materie der Poesie ist das Schöne, die allgemeine Form die Sprache.
§. 3. Vorläufige Aufstellung eines Hauptgrundsatzes der rationalen Psychologie, als Hypothese zur Deduction des Schönen.
§. 4. 5. Vorläufige Deduction des Schönen aus demselben.
§. 6. Empirische Eintheilung des Schönen in ein höres und niederes Schöne.
§. 7. Untergattungen des höhern Schönen empirisch aufgestellt. Das Heftige, das Starke, das Große, das Erhabene sind die vier ästhetischen Hauptelemente des höhern Schönen.
Anmerk. 2. Kritische Analyse der Dichter aller Nazionen in Ansehung dieser vier Hauptele =RXXVI mente. Scheidung und Combination dieser Elemente in einzelnen Beyspielen dargestellt. Beyspiele des Starken S. 72. des Heftigen, es erscheint oft glänzend und prächtig S. 77. als Schrecklich S. 78. ängstlich, im Schmerz S. 84. (das tragische pathetische). Beyspiele des Großen S. 105. erscheint als grausend, düsterprächtig S. 112. 113. ruhig glänzend und herrlich S. 120. Beyspiele des Erhabenen S. 126. das heitere Erhabene, das hohe S. 129. das Erhabene in Bewegung, Auflösung eines Kontrasts, erhabene Wehmuth, erhabene Grazie S. 131. das himmlisch erhabene S. 138.
Anmerk. 3. Uebersicht der verschiedenen Modificationen des höhern Schönen entstehend durch die Combinationen der vier Elemente unter sich, und mit der Gemüthsstimmung. Das tragische, wunderbare, romantische u. s. w.
Anmerk. 4. Fehlerhafte Abarten des höhern Schönen, das Frostige, Abentheuerliche, Schwülstige, Ekelhafte u. s. w.
Anmerk 5. Die vier Elemente des höhern Schönen, weisen zurück auf vier Vernunftideen, absolute Caussalität, Substantialität, Totalität, absolutes Bewußtseyn, welches die drey vorhergehenden vereinigt.
§. 8. Untergattungen des niedern Schönen empirisch aufgestellt. Das Niedliche, das Sanfte, dieRXXVII Grazie, das Naive, sind die vier ästhetischen Hauptelemente des niedern Schönen.
Anmerk. 1. Sie correspondiren mit denen des höhern Schönen, und beziehn sich ebenfalls auf die vier Vernunftideen. Das niedliche correspondirt dem großen, das sanfte dem starken, die Grazie dem Heftigen, das Naive dem Erhabenen.
Anmerk. 3. Kritische Analyse der bekanntesten Dichter aller Nazionen in Ansehung der vier Elemente des niedern Schönen. Scheidung und Combination der letztern in einzelnen Beyspielen dargestellt. Beyspiele des Niedlichen S. 155. des Sanften S. 161. der Grazie und des Lebendigschönen S. 168. hohe Grazie, oder das Edle S. 176. Hierher gehört auch das Scherzhafte S. 179. das Lächerliche S. 180. das grotesk = und fein komische S. 183. das lustig = und bitter = satyrische S. 184. das Parodiren und Travestiren S. 186. das Witzige S. 187. der Humor S. 188. das Romantische (Unterschied vom Wunderbaren) S. 191. 192. das galante, Beyspiele des Naiven S. 193.
Anmerk. 4. Uebersicht der verschiedenen Modificationen des niedern Schönen entstehend durch Combination seiner vier Elemente unter einander und mit der subjektiven Gemüthsstimmung.
Anmerk. 5. Fehlerhafte Abarten des niedern Schönen. Das schlüpfrige, plumpe, fade u. s. w.
RXXVIII§. 9. Hauptaufgabe der Aesthetik, ohne deren Auflösung keine wissenschaftliche Poetik statt finden kann. a) Das Verhältniß des Schönen zu den subjektiven Seelenkräften, b) zu dem objektiven, in der Vorstellung. c) Die Untergattungen und Modificationen desselben aus Hypothesen, die von der rationalen Psychologie entlehnt sind, a priori zu bestimmen und zu erklären.
Anmerk. 1. Die bisher unternommene vorläufige größtentheils empirische Betrachtung des Schönen weist auf allgemeine psychologische Grundsätze, auf vier Vernunftideen hin. Dies veranlaßt eine neue Darstellung des Systems der rationalen Psychologie. Poetik und rationale Psychologie bilden einander wechselsweise. ─
Anmerk. 2. Grundriß der rationalen Psychologie. Das Problem derselben ist, die Thatsachen der empirischen Psychologie a priori zu erklären. Welche Grundsätze sie als ideale Wissenschaft aufstellt, diese gebraucht die empirische Psychologie als Hypothesen. Die empirische Psychologie weist ebenfalls vier Thatsachen auf als allgemeine Seelenwirkungen. a) begehren, b) anschaun, c) begreifen, d) schließen S. 216. Die rationale Psychologie soll die Nothwendigkeit dieser Seelenwirkungen aus einem allgemeinen Grundsatz erklären. Jhr Hauptgrundsatz ist der Jmperativ der Offenbarung im weitern Sinne, der an denRXXIX Menschen ergehende Aufruf zum gesetzlichen Leben, oder äußerlich realisiren des innerlich absolut nothwendigen. Hieraus ergeben sich vier ideale Seelenkräfte, a) absolute Caussalität, Wille, b) absolutes Seyn, als Anschauen des unendlichen Werdens, Phantasie, c) absolute Totalität als Begreifen, Verstand, d) absolutes Bewußtseyn der subjectiven Gesetzlichkeit, die aus dem Objekte geschlossen wird. Vernunft. Die vier idealen Seelenkräfte sind also die vier Vernunftideen, welche im Schönen objektiv gefühlt werden S. 220. Nach diesen vier idealen Seelenkräften mißt der Verstand, der das äußere mit dem innern vergleichen soll, alle Gegenstände. Daher die Stammbegriffe oder Kategorien S. 221. Deduction derselben nach den drey Handlungen des Verstandes Thesis, Antithesis Synthesis S. 221. kritische Erklärung der Anschauungsformen, der Erscheinungswelt und warum das Noumenon nie ganz erscheinen könne S. 225. Erklärung der vier metaphysischen Antinomien S. 226. Kritik der drey metaphysischen Systeme Idealismus (Thesis) Materialismus (Antithesis), Spinozismus (Synthesis) S. 227. Einschränkung der Philosophie auf vier Kapitel der Ontologie, welche aller empirischen Kenntniß hypothetische Grundsätze darbieten. DeductionRXXX dieser vier Kapitel S. 228. als Auflösung des Postulats Kap. 1. §. 4. Anmerk. 1.
§. 10. Schlüssel zum ganzen System der Poetik. Auflösung der Aufgabe des vorigen §. durch die eben aufgestellten Grundsätze der rationalen Psychologie. Genauere Deduction der Nothwendigkeit des Schönheitsgefühls aus dem Jmperativ. a) Verhältniß des Schönen zu den pier subjektiven idealen Seelenkräften. Jn Ansehung des Willens ist die Stimmung zum Schönen Liebe, in Ansehung der Phantasie begeisterte Anschauung, in Ansehung des Verstandes ästhetisches Nachsinnen und Begreifenwollen, in Ansehung der Vernunft: Glaube. b) Das Schöne objektiv in Verhältniß zu den Gegenständen ist nach der Quantität ein unerfaßliches Ganzes, (das unendliche im Endlichen), nach der Qualität ein anschauliches absolutes Werden (Jdeale im Realen) nach der Relation eine zwanglose Vollkommenheit (freye Zweckmäßigkeit, absolute Caussalität) nach der Modalität eine Harmonie des subjektiven und objektiven (absolute Wahrheit). c) die oben empirisch aufgestellten Gattungen des Schönen werden hier a priori nach ihren Graden bestimmt. S. 236. 242.
Anmerk. 3. Das Verhältniß des Schönen zu den sinnlich affizirten Seelenkräften. Der sinnliche Wille sucht im Schönen das angenehme, die empirische Vorstellkraft das romantische derRXXXI empirische Verstand das interessante, die empirische Vernunft das Wunderbare. Dies erklärt die oben empirisch angegebenen Modificationen und Abarten des Schönen.
§. 2. Die Sprache hat ein logisches und ein musikalisches Wesen.
§. 3. Die Eigenschaften der dichterischen Sprache nach ihrem logischen Wesen im allgemeinen werden durch die objektiven Eigenschaften des Schönen, mithin nach den Kategorien (Kap. 2. §. 10.) bestimmt.
§. 4. I. Der Quantität nach muß der poetische Styl Reichhaltigkeit und Ausdehnung haben (μεγεθος).
Anmerk. 1. Daher sein tropisches Verfahren.
Anmerk. 2. Lehre von den Tropen, betrachtet nach den drey Gesetzen der Jdeenassoziation, welche aus den drey Handlungen des Verstandes Thesis, Antithesis, Synthesis (K. 2. §. 9. Anm. 2.) deducirt werden, drey Haupttropen. 1) Zeichenverwechslung wegen des Beysammenseyns der Jdeen (Periphrasis, sensu lato) Umschreibung S. 253 ─ 56. Hierher gehört a) Paraphrase, b) Metonymie, c) Synecdoche, Antonomasie, κοινοτης d) Euphemismus und Antiphrasis (Jronie) 2) Zeichenverwechslung wegen der AufeinanderfolgeRXXXII der Jdeen (Hypallage, sensu lato Umändrung) S. 256 ─ 62. hierher gehört a) Catachresis, Metalepsis, λιτοτης b) einige Fälle der Metonymie c) Hypallage, sensu stricto. 3) Zeichenverwechslung wegen der Aehnlichkeit (Metaphora) S. 264. hierher gehört der לשמ der Hebräer. Syllepsis, Paronomasie.
Anmerk. 3. Fehler des tropischen Styls.
§. 5. II. Der Qualität nach muß der poetische Styl anschauliche Lebendigkeit haben (δεινοτης).
Anmerk. 1. Daher die Figuren. A) figurae minores (vulgo: dictionis) S. 271 ─ 84. a) Synonymie, b) Wortsynthesen, Tmesis, Syncope, Syllepsis grammatica, Archaismus. c) Epitheten, d) Jnversionen, e) άσυνδετον, πολυσυνδετον, f) ὑπερβατον und Parenthese, g) Anaphora, Epanalepsis, Anadiplosis, ταυτοτης. h) Pleonasmus, i) Ellipsis, k) Hypotyposis, Sermocinatio, l) Apostrophe, m) Interiectio, Interrogatio, Correctio u. s. w.
Anmerk. 2. 3. B) figurae maiores (vulgo: sententiarum) 1) Descriptio S. 285. 2 ) Comparatio S. 286. 3 ) Simile S. 286. 4 ) Collatio et Exemplum S. 290. 5 ) Prosopopoeia S. 291. 6 ) Invocatio S. 292. 7 ) Suspensio S. 293. 8 ) Praeteritio S. 294. 9 ) Anticipatio, γοργοτης, Anachronismus S. 295. 10 ) Acervatio, συναθροισμος S. 296. 11 ) Antithesis 12) Distribu -RXXXIII tio S. 299. 13 ) Sententia, 14) Epiphonema. S. 302. 15 ) Epistrophe, Refrain S. 303. 16 ) Climax S. 305. 17 ) Obtestatio, Auersio, Detestatio, Asseueratio S. 306. 18 ) Hyperbole S. 307. 19 ) Metaphora (als Figur unterschieden vom Tropus gleiches Nahmens) S. 308. Allegoria S. 309. Zweydeutigkeiten, κακοφατον S. 313. 20. Sarcasmus Ironia (als Figur, nicht als Tropus.) Paroemia (kann auch zur Sentenz gerechnet werden) Dubitatio, Confessio, Epitrophe S. 315. Zu den Spielereyen in der figurirten Rede gehört: Chiasmus, Antimetabole S. 316. Eintheilung und Werth dieser Terminologie S. 317.
§. 6. III. Nach der Relation muß der poetische Styl in der Wortfolge eine freye ungezwungene Klarheit haben (σαφηνεια)
Anmerk. 1. Unterschied von Prosa. Diese verlangt Deutlichkeit.
Anmerk. 2. Fehler wider die aufgestellte Regel. 1) Amphibolien oder Doppelsinn. 2) σκοτισον S. 324. entsteht a) aus Weitschweifigkeit, b) gezwungener Kürze κοινισμος oder zu großer Varietät des Styls.
§. 7. IV. Nach der Modalität muß der poetische Styl nothwendige Wahrheit haben (αληθεια).
§. 8. Besondere Beziehung der vier allgemeinen Eigenschaften des poetischen Styls auf die vier Untergattungen des höhern und niedern Schönen.
Anmerk. 3. Ob es genera dictionis poeticae gebe.
RXXXIV§. 9. Das musikalische Wesen der dichterischen Sprache objektivisirt das Schöne, eben so, wie die Musik, doch ohne Begriffe, muß also ebenfalls vier Eigenschaften haben, welche zwar nicht unmittelbar nach den Kategorien, aber doch nach den vier objektiven und auf die Vernunftideen bezognen Eigenschaften des Schönen (Kap. 2. §. 10.) bestimmtwerden.
§. 10. I. Die Jdee der freyen zweckmäßigen Caussalität stellt dar
der Rhythmus.
Anmerk. 1. Das Grundgesetz des Rhythmus ist proportionirliche Evolution der durch eine Kraft eingetheilten Zeit, nach Aehnlichkeit, nicht Gleichheit der Verhältnisse. Perioden. Sinn = und Wortaccent S. 340. Jctus des Rhythmus S. 341.
§. 11. II. Die Jdee des lebendigen Werdens eines idealen im realen stellt dar der Wortklang. Denn der Klang entsteht unsichtbar in der Zeit. Hierher gehört
Anmerk. 1. Der Tonausdruck, die Onomatopoeia.
Anmerk. 2. Der Wohlklang. Verhältniß der Vocalen und Consonanten zu demselben, musikalische Tonleiter der Vokalen.
Anmerk. 3. 4. Der Reim, kurze Geschichte desselben zur Bestimmung seines Wesens. versus Leonini S. 353. Grundregel. Er ist ursprünglich mehr ein Hülfsmittel des Rhythmus, als des Metrums S. 355. 356. RXXXVRegeln über seine Wiederkehr S. 357 ─ 60. rhythmischer Grund der Eintheilung in männlichen, weiblichen Reim S. 360. ob es spondäische oder daktylische Reime gebe? S. 362. Wohlklang des Reims S. 364. Regeln über die Reinheit der Reims S. 365. reiche Reime S. 365. orthographische Reime und deren Grund S. 367. Accent des Reims und daraus fließende Regel S. 367. Verschiedene Reimsysteme S. 368. a) gereimte Distichen, b) Terzinen, c) Stanzen. Ottava rima, chiave. Ueber deren Einführung im Deutschen. Esdrujuli S. 370. d) Sonette, e) Rondeau ─ Assonancia S. 373. Werth des Reims S. 374.
§. 12. III. Die Vernunftidee der Totalität (des endlichen im unendlichen) stellt dar der wiederkehrende Takt eines Metrums oder das Sylbenmaaß.
Anmerk. 1. Vorläufige Begriffe. ─ Grundmaaß S. 381. Füße ─ metrische Reihe S. 382. Metrischer Jctus. Herrschende Füße. Vertauschung derselben mit andern. Verse. Einwirkung des freyen Rhythmus ins Metrum, wodurch das Maaß wieder aufgehoben und das Unendliche hergestellt wird. Daher entspringende ανακρουσις, βασις, Caesur, catalectici, hypercatalectici S. 383. Scansion S. 384.
Anmerk. 2. Verhältniß zum Grundmaaß heißt Quantität der Sylbe. Prosodie. Die kurze Sylbe. RXXXVIS. 385. Ungewißheit der Prosodie. Einfluß des metrischen und grammatischen Accents auf dieselbe S. 386. Urtheil über die Position S. 387. Ueber die Prosodie der verschiedenen Sprachen S. 387 ─ 92.
Anmerk. 3. Metrik, allgemeine Regeln. Es giebt vier einfache metrische Reihen, trochäische, daktylische, päonische, choriambische. S. 394. je nachdem der Jctus regelmäßig eher oder später wiederkehrt. Bey Verwechslung der Füße darf der Gang des Jctus nicht gestöhrt werden S. 395. Die Zusammensetzung der metrischen Reihen muß nach dem Gesetz des Rhythmus beurtheilt werden S. 396. Das Metrum verstattet keine Pausen S. 399. Grund der Elision und Synezesis S. 400. Ueber den Hiatus S. 400 ─ 402. Ueber den Accent des Metrums und den Accent des Sinns 403.
§. 13. IV. Die Jdee der Harmonie des subjektiven und objektiven, welche alle vorhergehenden Jdeen vereinigt, wird dargestellt durch die Uebereinstimmung des Rhythmus, Klanges, Metrums mit der Empfindung des Dichters.
Anmerk. 1. 2. Ausdruck des Rhythmus und Wortklangs.
Anmerk. 3. Besondrer Theil der Metrik, oder Verhältniß der einzelnen Sylbenmaaße zur Empfindung ─ metrische Bewegung S. 405. Wortfüße, künstliche Füße S. 406. Beurtheilung einzelner Sylbenmaaße. RXXXVIIA) trochäische Metra, a) die Jamben S. 407. b) der Scazon Choliamben S. 409. c) der anakreontische Vers S. 410. d) die Hendecasyllaben S. 410. e) der Alexandriner S. 411. f) Trochäen S. 415. B) daktylische Metra a) der Hexameter S. 416-19. b) Pentameter S. 419-21. c) Tetrameter Heroicus S. 421. d) Archilochius Heptasyllabus, e) Heptameter Archilochius S. 422. f) Alcäische Strophe, rhythmische Evolution derselben, Lagäodischer Vers S. 422. g) Sapphische Strophe. Eurhythmie derselben S. 423. Adonischer Vers S. 424. 425. h) Ionici a minore. Galliamben. i) Anapästen. Systeme εξ ὀμοιων in den Chören der Alten, Basis Anapästica ─ paroemiacus S. 426. C. päonische Metra. Die Dythyramben. Beyspiele im Deutschen. D) choriambische Metra. Versus Asclepiadeus a) allein S. 428. b) abwechselnd mit dem Glyconicus S. 429. c) mit dem Pherecratius und Glyconicus in einer vierzeiligen Strophe. d) mit dem Glyconicus allein in einer vierzeiligen Strophe S. 430. ─ der Glyconicus allein S. 430. ─ E) zusammengesetzte Strophische Verse. S. 431.
§. 14. Von der Declamation oder Darstellung des musikalischen Wesens der poetischen Sprache.
Anmerk. 1. Unterschied von der rednerischen Action.
RXXXVIIIAnmerk. 2. Nothwendigkeit der Declamation zum Genuß des Gedichts.
Anmerk. 3. Theorie der Declamation. Ueber die Versuche die Declamation zur objektiven Kunst zu erheben S. 436 ─ 39. Regeln für den Declamator a) in Absicht auf den Rhythmus. ─ Ueber die Accente S. 440. b) in Absicht auf Wohllaut, Tonausdruck, Reim S. 442 ─ 43. c) in Absicht auf das Metrum S. 444. die Wortfüsse und Caesuren des Rhythmus S. 445. d) in Absicht auf die Harmonie mit der Empfindung.
§. 4. I. Eintheilung der Poesie nach der Materie. Dem Jdealen oder dem Schönen, a priori.
II. §. 10. Anm. 2. ist aus dem Jmperativ bewiesen, das Schönheitsgefühl sey der menschlichen Natur als Glaube, verbindendes Mittelglied des ideellen und reellen nothwendig. Nun soll das Schöne auch etwas objektives seyn. Alle Objekte aber sind zufällig, außer der Jdee der Totalität oder einer Erscheinungswelt in der Zeit als Gegenstand überhaupt S. 224. Folglich muß der Mensch das nothwendige Schöne in dem absolutnothwendigen Gegenstand Welt suchen. Dies gäb einen religiösen Glauben, ästhetische EvidenzRXXXIX von immer mehr erscheinender Jdealität der Objektenwelt. Eine ideale Weltgeschichte eine successive Organisation des Weltganzen nach göttlichen Gesetzen, dargestellt durch die Sprache, von höherer Begeisterung eingegeben wäre das Postulat dieses religiösen Glaubens. Eine göttliche Poesie, (Offenbarung im Engern Sinn) wird als ein nothwendig zu erwartendes Factum schon nach Grundsätzen der rationalen Psychologie postulirt.
Anmerk. 1. Bedürfniß einer religiösen Weltgeschichte, religiöses Gewissen, religiöser Glaube S. 460.
Anmerk. 2. Falscher Begriff von Offenbarung.
§. 5. Die menschliche Poesie ist nicht absolut nothwendig unmittelbar durch den Jmperativ bestimmt. Sie zeigt das Schöne an zufälligen Objekten und ist von der Theorie selbst nur als zufällig anzunehmen.
K. II. §. 10. ist das Schöne sowohl als subjektive Gemüthsstimmung, als auch als objektiv deducirt. Hieraus ergiebt sich die Eintheilung der Poesie in lyrische, (hier bestimmt das subjektive (das Gefühl) die Gegenstände) und darstellende. Hier bestimmt das objektiv Schöne, (ein Jdeal) die Empfindung.
Anmerk. 1. Höhere, niedere lyrische Poesie.
§. 6. Es giebt vier poetische Hauptideale. Die objektivisirten vier Vernunftideen. Daher die Eintheilung der darstellenden Poesie in historische, beschreibende,RXL didaktische, allegorische, je nachdem die absolute Caussalität (Freyheit), die Substanz, die Totalität (das Verstandessystem) und das Wesen der Vernunft (Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte) idealisirt wird.
Anmerk. 1. Höhere und niedere darstellende Poesie.
Anmerk. 2. Einfluß der Modificationen des Schönen auf die Dichtungsarten.
§. 7. 8. 9. II. Eintheilung der Poesie ihrer Form nach, a) ihrer nothwendigen (der Sprache). Daher Liederform, Wechselgesang, und dramatische Poesie, wo mehrere, oder eine Form, wo Einer spricht: mündlich, schriftlich, b) ihrer zufälligen Form nach verbunden mit Schauspielkunst, Musik, Bau = und Gartenkunst.
Kap. I. §. 1. Jnhalt derselben. Sie ist eine darstellende Poesie. Denn sie hat ein nothwendiges Objekt. Jhre allein mögliche Quelle ist göttliche Begeisterung. Erleuchtung, ein Zustand, in dem man über das göttliche nicht irren kann, wo die SeeleRXLI als Theil des Ganzen die nach göttlichen Zwecken organisirende Bewegung des Ganzen in der Zeit empfindet, Zukunft und Vergangenheit im Geist der Weissagung vereinigt.
§. 3. 4. Kriterien einer Offenbarung im engern Sinn überhaupt. Eine ideale Weltgeschichte muß die Erziehung des Menschengeschlechts in der Zeit zeigen, drey Perioden. Zustand der Natur, der Cultur, der Religion. S. 496.
Kap. II. Von der biblischen Poesie insbesondere. §. 2.
Anmerk. Hauptinhalt der Bibel, ein poetisches Ganzes S. 508 ─ 526. ─ §. 3. Anmerk. Besondre Dichtungsarten der hebräischen Poesie, Classification derselben S. 527 ─ 30.
Anmerk. Die menschliche folglich nicht nothwendig von Gott eingegebne, sondern zufällige Poesie beginnt nicht mit einem nothwendigen Objekt, wie die Göttliche, sondern als bloße subjektive Sehnsucht nach dem objektiv Schönen, also lyrisch.
RXLIII. Ode, das freyeste lyrische Gedicht, A) ästhetischer Jnhalt derselben, (das Erhabene herrscht) Veranlassung. S. 534. ist ohne Handlung S. 536. Gang der Empfindungen S. 538. B) Plan der objektiven Gedankenreihe künstliche Unordnung S. 540. C) Styl, Kürze S. 542. D) Metrum S. 544. E) Zufällige Formen derselben a) dramatisirte, b) Briefe, c) satyrische Epoden, d) Epinicia, e) Melos, f) Scolia.
II. Hymne S. 548. A) ästhetischer Hauptinhalt. Das Feyerliche herrscht. Gang der Empfindungen S. 549. B) objektiver Plan S. 551. C) Styl S. 552. D) Metrum S. 553. E) zufällige Formen, a) Kriegslieder, b) Päane, c) τελεται, d) Dithyramben, e) κλητικοι, αποπεμπτικοι u. s. w.
III. Heroide S. 556. Vertheidigung der Dichtungsart S. 558. ─ Styl, Metrum, das tragische herrscht.
I. Elegie (steht der Ode entgegen) S. 560. A) ästhetischer Jnhalt (das Sanfte herrscht). Gang der Empfindung S. 563. B) Plan der Gedanken S. 565. C) Styl S. 568. D) Metrum S. 569. E) Zufällige Formen S. 570.RXLIII a) dramatisirte, b) Briefe, c) elegische Jdylle, d) Sonnet als Dichtungsart S. 571. das Niedliche und zärtliche herrscht, e) Rondeau, Triolet S. 573. (das Galante Gefühl herrscht.)
II. Lied S. 574. (steht der Hymne entgegen) A) ästhetischer Jnhalt (das Edle herrscht) S. 575. B) Gedankeninhalt Refrains C) Styl, D) Metrum, 576. E) zufällige Formen 576. Epipompeutica, Hymenäen, Lais, Soulas, Syrventez, Tensones, Canzonen, Villanellen, Vaudevilles, Madrigal S. 578.
III. poetische Epistel. S. 578. (steht der Heroide entgegen) ästhetischer Jnhalt. Das scherzhafte Gefühl herrscht. ─
Anhang zum ersten Kapitel. Von dem musikalischen Gedicht oder der Kantate S. 581. Geschichte und Jdee dieser Dichtungsart S. 582. Ursachen ihrer Unvollkommenheiten S. 583. Sie ist kein Drama S. 584. Unterschied vom Liede S. 585. Anfang der Cantate, Gang der musikalischen Jdeen ─ Reim, Arie S. 586.
§. 3. Von einem Jdeal oder dargestellten schönen Gegenstande überhaupt S. 588. Vier Eigenschaften jedes Jdeals nach den vier objektiven Eigenschaften des Schönen. Erstes Buch. Kap. II. §. 10. B. (Anmerk. Da man hier von einem bestimmten Objekt ausgeht, muß man nicht, wie oben Kap. II. RXLIV§. 10. mit der Kategorie der Quantität, sondern mit der Relation beginnen. Denn bey einem bestimmten Objekte ist die erste Frage, nach seiner Wirkung.) Jedes Jdeal muß ausdrücken 1) eine frey gewirkte Zweckmäßigkeit (unbestimmte formelle Vollkommenheit) 2) eine lebendige Anschaulichkeit, 3) eine Totalität (oder Allheit als unbestimmbares Ganzes), 4) die Harmonie alles objektiven und subjektiven (Wahrheit).
§. 4. S. 589. Von den vier Hauptidealen der vier Seelenkräfte. Freyheit (Jdeal des Willens), Substanz (beharrende Erscheinung, Jdeal der Phantasie), Weltsystem (Jdeal des Verstandes) Selbstbewußtseyn mittelst der Erscheinungen (Jdeal der Vernunft). Hierauf gründet die höhere darstellende Poesie ihre Eintheilung in historische, beschreibende, didactische, allegorische.
§. 5. Niedere darstellende Poesie. Jhre Gattungen beschäftigen die Seelenkräfte im empirischen Sinne genommen, nicht den Willen, sondern das Begehrungsvermögen, nicht die Phantasie, als Streben nach Anschauen des Unendlichen, sondern die sinnliche Anschauung, nicht den Verstand, sondern den Witz, nicht die selbstbestimmende Vernunft, sondern das formelle Vermögen zum Schließen. Die niedere historische, beschreibende, didactische, allegorische Poesie erweckt die Empfindung des niedern Schönen.
RXLVI. Ueberhaupt. Sie interessirt den Willen und das Begehrungsvermögen. Theorie einer Handlung überhaupt als Jdeal nach den vier Eigenschaften eines Jdeals S. 593. 1) freye Zweckmäßigkeit der Handlung ─ zufällige Entstehung, interessanter Hauptzweck, Held, organische Aufeinanderfolge der Theile, Episoden. 2) Lebhaftigkeit der Handlung. Kürze. Schwierigkeiten δεσις, λυσις, περιπετεια, κναγνωρισις. 3) Totalität der Handlung. Ein zusammenhängendes Ganzes nach Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, a) psychologische Wahrscheinlichkeit. Karaktere. Jndividualität. Thätigkeit derselben S. 597. 98. b) kosmische Wahrscheinlichkeit S. 599. Das Wunderbare. Das Uebliche S. 600. Adäquates Ende, nicht zu wenig, noch zu viel S. 601. 4 ) Harmonie der Handlung, Ahnung von Uebereinstimmung des Schicksals mit der Ordnung im Geiste.
II. höhere historische Poesie interessirt den Willen.
A) Die Epopoe zeigt ihrer Hauptrichtung nach das Aufstreben der menschlichen Poesie, zur göttlichen (zur religiösen Weltgeschichte). a) Essenzielle Merkmahle des epischen Stoffs. Objektiver Jnhalt. 1) eine Weltbegebenheit S. 603. 2) die menschliche Freyheit im Kampf. S. 604. Das heroische. Der Hauptheld S. 605. 3) das Wunderbare. Antheil höherer Mächte S. 609. b) ästhetischer Jnhalt (Anmerk. bey der lyrischen Posie bestimmte der ästhetischeRXLVI Jnhalt die Objekte, gieng also voran. Bey der darstellenden Poesie ist es nothwendig umgekehrt). Das Große herrscht. S. 610. c) Styl, muß edel seyn, d) Metrum S. 613.
B) Das romantische Heldengedicht S. 615. a) objektiver Jnhalt. Heroischer Roman. b) ästhetischer Jnhalt das romantische. c) Styl, leicht, galant, scherzhaft, d) Metrum S. 617. e) zufällige Form, als Lied, Ballade S. 617. dramatische Biographien S. 618.
C) Die Tragödie. a) objektiver Jnhalt. Keine Weltbegebenheit, sondern eine einzelne heroische Handlung, die vorgestellt werden kann. φοβερον, ελεεινον (das tragische). Muß der Held unterliegen? S. 621. Plan der Handlung durchs Schauspiel bestimmt. Die drey Einheiten: 1) die Zeit S. 623. 2) der Ort, 3) Einfachheit der Handlung. ─ Keine Jntrigue S. 625. unthätige Nebenpersonen, Vertraute S. 626. Nebenhandlungen S. 627. Anfang, Mitte, Ende S. 628. warum fünf Akte S. 629. Scenen S. 630. b) ästhetischer Jnhalt. Das Erhabene herrscht. Gang der Empfindungen. S. 631. Schluß 634. c) Styl bestimmt durch die Natur des Chors. Ueber die Jllusion S. 635. Ueber alten und neuen Chor S. 636 ─ 42. ─ Figuren des tragischen Styls S. 643. Monologen. Prologus. Dialog S. 644. d) Metrum S. 645. e) Regeln wegen Form der Schauspielkunst. Theater, Kostum, Mimik, Nazionalgeschmack. ─ S. 646. zufällige Formen. Drama Satyricum. τετραλογια ─ Tragi-Komödien, bürgerlichesRXLVII Trauerspiel ─ Schauspiele ─ Melodramen ─ romantische Tragödie S. 648. 49.
III. niedere historische Poesie interessirt das niedere Begehrungsvermögen.
A) das komische Heldengedicht S. 651.
B) die poetische Erzählung, a) die komische Erzählung, b) der poetische Roman S. 653. steht dem romantischen Rittergedicht als Biographie aus der Bürgerwelt entgegen. Drey Gattungen. Der satyrisch komische, der humoristische, der sentimentale, je nachdem das lächerliche, oder der Humor, oder das rührende und romantische den ästhetischen Jnhalt ausmachen, c) die moralische Erzählung, Novelle. d) Romanze, in Liederform S. 656.
C) das Lustspiel S. 656. a) objektiver Jnhalt, b) ästhetischer Jnhalt S. 658. fünf Gattungen: 1) das edle Lustspiel. ─ Ueber die Commedie larmoyante S. 659. 2) das feincomische Lustspiel. Ueber Jntriguen und Charakterstücke S. 661. 3) das satyrische Lustspiel, 4) das groteskkomische romantische Lustspiel S. 663. Mysterien, Mortalitäten S. 664. die Posse. Ueber possenhafte Charaktere. Atellana - fabulae tabernariae S. 665. 5) das idyllische Lustspiel, favola boschareccia. c) Styl, Metrum, zufällige Formen S. 667.
IV. Von Verbindung der pragmatischen Poesie mit Musik. Die Oper, ein Schauspiel, wo sich Musik u. pragmatische Poesie als Haupt künste vereinigen. Ein musikalisches Gedicht a) objektiver Jnhalt. Begebenheit ausRXLVIII der Wunderwelt. St. Evremonds Meynung S. 669. opera seria, buffa, Operette S. 671. b) ästhetischer Jnhalt. das romantische. c) Styl, Metrum. d) zufällige Verbindung mit andern Künsten S. 672. Jst die Oper das höchste Kunstwerk? S. 673. Jntermezzo.
I. Ueberhaupt. Sie interessirt die Phantasie und die sinnliche Anschauung. Theorie einer idealen Beschreibung überhaupt nach den vier Eigenschaften eines Jdeals S. 676.
II. höhere beschreibende Poesie interessirt die Phantasie. Das höhere beschreibende Gedicht 678. war den Alten unbekannt S. 680. a) Plan desselben. Von poetischer Mahlerey S. 682. b) ästhetischer Jnhalt. Das große und starke. c) Styl, Metrum S. 683.
III. niedere beschreibende Poesie interessirt das sinnliche Anschauungsvermögen.
A) Das größere beschreibende Gedicht niederer Gattung S. 698.
B) die Beschreibung der menschlichen Sitten. (Das moralische beschreibende Gedicht, enthält unter sich die Natur = Jdylle, die Satyre, die religiöse Jdylle, weil der Mensch in drey Zuständen erscheint, im Zustande der Natur, Kultur und Religion S. 686.) 1) die Jdylle (im engern Sinne) a) objektiver Jnhalt: dieRXLIX Sitten des Menschen von Seiten ihrer lebendigen Schönheit. Geschichte und zufällige Materien der Dichtart S. 687 ─ 90. b) ästhetischer Jnhalt: das Naive, ob auch das tragische und satyrische? S. 691. c) Styl, Metrum S. 692. d) zufällige Formen: Schäferromane, Epopöe 693. 2) die Satyre (im engern Sinne) a) die Sitten des Menschen im Zunstande der Kultur von Seiten ihrer Lächerlichkeit, die contrastirende Jdealität und Bestialität des bürgerlichen Menschen sind der objektive Jnhalt ─ Griechische Satyre ─ Römische S. 695. Plan der Satyre S. 696. b) der ästhetische Jnhalt derselben, bittere, scherzhafte Satyre. c) Styl, Metrum. d) willkührliche Formen, Parodie, Centonen. Ursprung derselben S. 699.
C) Epigramm, als beschreibende Aufschrift S. 700.
D) Beschreibende Lieder S. 701.
I. Ueberhaupt. Sie interessirt den Verstand und den Witz. ─ Die vier Eigenschaften eines Jdeals, angewandt auf die Darstellung eines Verstandeswerks. ─ S. 703. Ob die Didaktiker wahre Dichter sind? S. 703. Das Wesen des didaktischen Gedichts liegt nicht im Styl. S. 705. Analytische Methode des Lehr-Dichters S. 703.
II. höhere didactische Poesie interessirt den spekulativen philosophirenden Verstand. Das höhere Lehrgedicht. a) objektiver Jnhalt ─ nicht immer ein SystemRL S. 707. ─ 9. Plan S. 710. b) ästhetischer Jnhalt, das Große herrscht. S. 712. Styl, Metrum, zufällige Formen S. 714.
III. niedere didactische Poesie interessirt den wissenschaftlichen Verstand und den Witz.
A) das didactische Gedicht zweyter Ordnung. Ob es auch szientifisch genannt werden könne? S. 715. a) objektiver Jnhalt. Zufällige Materien S. 717 ─ 23. b) ästhetischer Jnhalt. Die Grazie muß hier herrschend seyn. c) Styl, Metrum. d) zufällige Formen. Epistel. Gespräch. Erzählung S. 724.
B) das gnomische Gedicht. S. 725.
C) das Epigramm als Sinngedicht S. 727. a) objektiver Jnhalt: ein künstliches Gedankenspiel, Erwartung, Aufschluß, pointe, Stachel. Plan. Kürze S. 730. b) ästhetischer Jnhalt: das niedliche S. 731. c) Styl, Metrum, zufällige Formen. Jnpromptü. Devisen S. 731.
I. Ueberhaupt. Sie interessirt die Vernunft als Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte und als Vermögen zu schließen. ─ S. 733. ─ Eigenschaften der dichterischen Allegorie bestimmt nach den vier Eigenschaften eines Jdeals überhaupt. S. 734. Unterschied von Allegorie und Mythus. S. 735. Sind die christlichen Jdeen oder die heidnische Mythologie poetischer? S. 739. VereinigungRLI beyder ─ eine Aufgabe unsers Zeitalters. S. 740. Bedürfniß des Menschen, zu allegorisiren. S. 742.
II. Höhere allegorische Poesie interessirt die höhere Vernunft. Das höhere Allegorische Gedicht
a) objektiver Jnhalt. Symbole von göttlichen Dingen. Das allegorische Gedicht gränzt in dem Kreise der darstellenden Poesie an die göttliche Poesie von der andern Seite, (von der einen die Epopöe, von welcher wir ausgingen). Unterschied von der göttlichen Poesie S. 744. Ob die höhere Allegorie den Alten fehlte. S. 745. Plan des allegorischen Gedichts, zweyseitig. S. 749. Unterschied vom religiösen Gedicht, b) ästhetischer Jnhalt. Das Erhabene. S. 753. c) Styl. Metrum. 753.
III. niedere allegorische Poesie interessirt das Vermögen zu schließen.
A) Das allegorische Gedicht zweyter Gattung. S. 755.
B) Die Fabel im Engern Sinne verhält sich zum allegorischen Gedicht, wie das gnomische Gedicht zum Lehrgedicht.
a) objektiver Jnhalt, eine Regel der Lebensweisheit dargestellt durch ein analoges Sinnbild aus der nicht moralischen Welt. S. 756. Die sichtbare Natur hängt von gleichen Gesetzen ab, wie die Geisterwelt S. 757. Die Fabel ist ihrem Ursprung nach nicht rhetorisch, sondern poetisch S. 758. Unterschied von Parabeln S. 759. Plan. Stellung der Moral. S. 761. b)RLII ästhetischer Jnhalt. Das naive. c) Styl. Drey Arten. Der einfache, der scherzhafte Weltton, der epigrammatische. S. 762. d) Metrum. e) zufällige Formen. Aesopische, lybische u. s. w. αινος. Apologen S. 764. ─ ein Fabelroman ─ Fabelschauspiele. S. 765.
C) Das Räthsel verhält sich, wie das Epigramm beym Lehrgedicht zu seinen Nebenuntergattungen ─ Logogryphe, Charaden, Anagrammen. S. 766. ─ Räthsel bey den Alten und andre Spielereyen S. 767.
Allgemeine Anmerkung zur Eintheilungstafel der Dichtungsarten. S. 769. Die Organisation der Poesie ist wie die der Natur. Jm kleinen und großen dasselbe Wesen der Gattung ausgedrückt, so stellt das Sonnet zuweilen die Ode; die Ballade das Heldengedicht; die Aufschrift (das beschreibende Epigramm und Sentenz) das didaktische; das Räthsel das allegorische Gedicht dar. Wie in der Natur ist in der Poesie zuweilen mehr Ueppigkeit der Materie, in einer Gattung, zuweilen aber auch überwiegt die Form, zuweilen ist Form und Materie gleich. Daher sind gewöhnlich in jeder Hauptgattung der Poesie 3 Unterarten. Jn der Epopöe überwiegt die Materie, im Trauerspiel ist die Regel der Vollkommenheit, die Form des Schauspiels, überwiegend. Das dramatisirte romantische Gedicht steht in der Mitte. Jn Ode und Elegie ist freye Jdeenreihe. Jn Epistel und Heroide ist sie schon etwas durch den Charakter der schreibenden gebunden. Lied und Hymne hat einRLIII Gleichgewicht von Materie und Form, weil mehrere Menschen singen. Nach und nach macht der Mensch immer künstlichere Zusammenstellung von Formen, z. B. Oper u. s. w. Was in der Natur die Blüten sind, ist in der Poesie die lyrische Dichtungsart, eine subjektive Stimmung, freye noch unbegränzte Sehnsucht nach dem objektiv schönen ─ den Früchten der darstellenden Poesie.
Die göttliche Poesie giebt drey Zustände des Menschen an. 1) Zustand der Natur ist ohne Poesie. S. 771. 2 ) Zustand der Cultur. Die Poesie entsteht und ahmt die Natur nach. S. 773. 3 ) Zustand der Religion. Die Poesie stellt die Contraste der Cultur von Jdealität und Jnstinct dar. Unterschied von alter und neuer Poesie. S. 775. ─ im allgemeinen ─ in den einzelnen Dichtungsarten. S. 781. ff.
Theil 1. Seite 235. Zeile 2. von unten statt: Totalität, lies: zweckmäßigen Caussalität.
Dieses erste Buch, welches die allgemeine Poetik enthält, besteht aus vier Kapiteln: 1) Von der Poesie und Poetik überhaupt. 2) Von dem Schönen, als der allgemeinen Materie der Poesie. 3) Von der Sprache, als der allgemeinen Form der Poesie. 4) Von den Dichtungsarten, oder den besondern Materien und Formen der Poesie überhaupt.
Poesie ist eine Kunst.
Amerk. 1. Der Mensch unterscheidet Natur und Kunst. Der Natur, in so fern er sie nur theilweise und als Aggregat von Kräften betrachtet, schreibt er eine nothwendige, folglich blinde und wahllose Wirksamkeit; den Thieren (z. B. dem Biber, der Biene) Jnstinkt, höchstens Kunsttriebe zu. Jn so fern er sich aber der Natur gegenüberstellt, sich als ein von der Natur getrenntes und mit vollem Bewußtseyn begabtes Ganzes betrachtet, fühlt er eine von dieser Natur unabhängige freye Wirksamkeit, die naturähnliche Erscheinungen hervorbringen kann. Diese seine vom Jnstinkt unterschiedene Wirksamkeit nennt er Kunst.
4Anmerk. 2. Das freye Wollen ist noch keine Kunst. Kunst ist das Abstraktum vom können. Es wird vorausgesetzt, daß der Mensch naturähnliche Erscheinungen hervorbringen könne. Das ganze vom Jnstinkt freye Handeln des Menschen muß also Kunst seyn, wenn es in der Erscheinungswelt sichtbar seyn soll. Das freye ganz regellose Wirken ist auch keine Kunst. Sonst würden die Erscheinungen der Kunst nicht naturähnlich seyn, da man in der Natur Ordnung wahrnimmt. Es wird vorausgesetzt, daß ein Kunstwerk Einheit und Zusammenstimmung der Theile habe. Der Mensch gelangt zu dieser Regelmäßigkeit seiner Productionen auf eine doppelte Art, entweder er erreicht einen mit dem Verstande faßlichen Zweck, kann einen Begriff zum Muster seiner Arbeit nehmen, das, was er hervorbringt, drückt nur einen bestimmbaren Zweck, einen Begriff aus, oder sein Produkt hat neben bestimmbaren Zwecken noch einen unbestimmbaren, läßt sich in so fern nach keinem Verstandesbegriffe beurtheilen, und kündet sich dennoch dem Gefühle als regelmäßig an. Jm ersten Falle ist sein Produkt ein einzelnes Naturding, durch den individuellen Zweck und Begriff durchaus bestimmt, mit genau zu berechnenden Wirkungen, z. B. eine Maschine. Jm andern Fall trägt das Kunstprodukt, außer seinem Daseyn als Erscheinung, noch einen allgemeinen Charakter, den die Natur in keinem Jndividuum erreicht, er wirkt nur auf diejenigen, welche sich der höchsten Vorbilder der Dinge bewußt werden können, es erscheint für die Anschauung; jedoch als kein Jndividuum mit bestimmbaren Zwecken,5 in so fern ist es höchst zufällig, aber es hat von allen Jndividuen etwas, nämlich das Wesentliche, in so fern ist es höchst nothwendig, z. B. die Venus des Apelles. Man sagt in diesem Falle, der Künstler verfährt nach Jdealen. Kunst läßt sich demnach definiren, als das vom Jnstinkt unabhängige Vermögen des Menschen, Erscheinungen hervorzubringen, entweder nach Verstandesmustern, zu bestimmbaren Zwecken, oder zu einer unbestimmbaren nur fühlbaren Zweckmäßigkeit nach Jdealen.
Poesie ist eine freye Kunst.
Anmerk. 1. Eigentlich ist alle Kunst, wie wir gesehen haben, frey vom Naturinstinkt. Wenn der Künstler aber nach Begriffen und bestimmten Zwecken verfährt, so wird er durch dieselben wieder bedingt. Er kann sich nun technische Regeln vorschreiben lassen, wie sein Begriff nothwendig zu realisiren sey. Daher giebt es eine doppelte Kunst, eine bedingte Kunst, hierhin gehören alle gelehrte und ungelehrte Künste, eine unbedingte Kunst. Letztere nennt man freye Kunst im höhern Sinne dieses Worts. Durch sie erhebt sich der Künstler über die Schranken der individuellen Natur, und jeder vorgeschriebenen Zweckmäßigkeit, und bringt einen6 Wiederschein des höhern Lebens hervor, realisirt auf eine Art, die nicht gelehrt werden kann, das Jdeale.
Anmerk. 2. Da Poesie eine freye Kunst ist, das heißt sich über alle individuelle Zwecke des Lebens erhebt, die individuellen Zwecke aber leider das einzige sind, was die Menschen ernstlich zu betreiben pflegen, so begreift man, warum die Poesie auch zuweilen eine spielende Kunst genannt wird. Spiel im höhern Sinne des Worts ist jede unbedingte Thätigkeit. Wenn das junge Thier seine ersten Kräfte versucht, spielt es. Der Mensch spielt, wenn er sich zur Unterhaltung und Uebung an scheinbar willkührliche Regeln bindet. Der freye Künstler spielt, indem er das höchst Zufällige darstellt, und dabey das höchst Nothwendige findet.
Anmerk. 3. Da die Poesie eine freye Kunst ist, das heißt, weder die individuelle Natur noch vorgeschriebene Muster nachahmt, sondern mit der Natur, gleich ihr schaffend, Hand in Hand geht, so nennt man sie auch zuweilen eine schöpferische Kunst. Die Jdee der Schöpfung ist die Jdee des freyen Hervorbringens alles Zufälligen, ohne Nachahmung von etwas voraus Existirendem, so daß der Schöpfer seine innere ideale Natur in der äußern Schöpfung unwillkührlich ausspricht.
Anmerk. 4. Da die Poesie eine freye Kunst ist, das heißt, nicht gelehrt werden kann, so nennt man sie7 auch eine Fähigkeit des Genie's. Genius ist die Kraft einer höhern Natur ohne Vorschrift, Regeln und Fesseln, aus dem ganzen Felde des Möglichen nur das Nothwendige herauszufinden und zu ergreifen. Der Genius erkennt keine Ordnung, die er nachahmen könne, sondern allein die Ordnung, die er hervorbringt. ─ Zu jeder bedingten Kunst gehört ein angebornes Geschick, z. B. zum Arzte Beobachtungsgeist, Kaltblütigkeit, Gegenwart des Geistes. Man nennt dies Talent. Jn so fern jede unbedingte Kunst, auch einen in der Erscheinungswelt bestimmten Theil hat, in so fern gehört zu einer freyen Kunst auch Talent und Uebung, z. B. beym bildenden Künstler plastisches Geschick und Praktik. Aber ohne Begeisterung, ohne Berufung von Seiten einer höhern Natur, die man Genius nennt, bringt der nur talentvolle Künstler nichts, als kalte Kunstwerke hervor.
Anmerk. 5. Da die Poesie eine freye Kunst ist, das heißt, sich über die Anschauung des individuell = sinnlichen erhebt, so beschreibt man sie auch als eine Thätigkeit der Phantasie. Das Vermögen, einen äußern Gegenstand zu empfangen, gehört den Sinnen, ist er abwesend, sich ihn als gegenwärtig einzubilden, und mittelst des Gedächtnisses zu reproduciren, der Einbildungskraft, welches ein zufälliges Werk der Erinnerung seyn kann. Zwischen den Sinnen und den intellektuellen oder formellen Anlagen des Menschen liegt ein vermittelndes Vermögen, die Phantasie. Diese ist nicht passiv, wie die Sinne,8 und wie die Einbildungskraft seyn kann. Sie ist ein Streben. Sie ist das Streben nach sinnlichen Anschauungen, und als solche unendlich. Darum dehnt sie die Formen Raum und Zeit ins Unendliche aus, um dieselben von der Wirklichkeit ausfüllen zu lassen. Sie verarbeitet den Sinnenstoff zu Gemeinbildern oder Schemas, und macht dadurch dem Verstande die Anerkennung des Sinnenstoffes mittelst eines Begriffes möglich. Jn so fern sie jenen Gemeinbildern selbst die höchste Mannichfaltigkeit und Einheit für die Anschauung zu geben sucht, wird sie ein Vermögen der freyen Kunst, erhebt sie sich über die Sinnenwelt und den Verstand, und strebt nach dem Jdealen, das heißt, nach anschaulichen Vernunft = Jdeen. Das Jdeale, wornach sie strebt, ist aber nicht etwa das All der Realitäten. Sie will sich nicht aller zufälligen Vorstellungen anschaulich bewußt werden, sondern von allen Zufälligkeiten nur des Nothwendigen. Aus dieser mehreren oder mindern Leichtigkeit, im Endlichen das Absolute anzuschaun, und das Vergängliche zum Symbol des Ewigen zu erheben, entsteht das Gefühl der Schönheit. Phantasie als Kunstvermögen ist das Streben nach Jntuition des Jdealen, der energische Trieb der absoluten Vernunft sich selbst in ihrer höchsten Form anzuschaun. Was den Schein des Jdealen hat und erregt, nennen wir schön, daher ist Poesie auch eine schöne Kunst.
9Anmerk. 6. Da die Poesie eine freye Kunst ist, d. h. in der Natur, als einem Aggregat von individuellen Gegenständen keine hinreichenden Muster findet, so ist es falsch, wenn Aristoteles das Wesen der Poesie in die Nachahmung setzt. Er sagt dies zwar nur von der epischen und tragischen Poesie. Aber auch in dieser ist das eigentlich Poetische nicht die Darstellung der Wirklichkeit. Die Sache wird nicht besser, wenn man mit Batteux Nachahmung der schönen Natur als Princip annimmt. Dann fragt sich wieder, was in der Natur selbst poetisch sey? Historisch ist es wahr, daß alle Kunstversuche mit Nachahmung begannen, denn der Mensch gelangt nur durch Herumirren an das Ziel, in der Kunst, wie im Erringen der Wahrheit. Aber am Ziele selbst kann man den Weg nicht mehr für das Wesentliche ansehn. Der allertraurigste Begriff der Poesie, der für die Menschheit höchst entehrend ist, findet sich bey den Leuten, welche die Poesie für eine Kunst zu erdichten und durch Lügen zu unterhalten ansehn. Dieser Begriff scheint selbst unserm Sprachgebrauche anzuhängen. Aber man muß sich erinnern, daß Dichten ein Frequentativum von Denken ist, und ein geistiges Streben, mithin das eigentlich Charakteristische der Phantasie ausdrückt. Jndem die Poesie das Zeitliche zum Symbol des Ewigen und eigentlich Realen erhebt, und die sichtbare Welt in eine große Allegorie des Unsichtbaren umwandelt, giebt sie uns eine Vorahnung der Seligkeit. Es ist ihre höchste Bestimmung, das religiöse Gefühl, (das heilige Feuer, das die10 einzige reine Triebfeder für das Handeln ist,) in dem leicht erkaltenden Menschengeschlechte zu unterhalten, mittelst der Phantasie die Sinnlichkeit selbst zu bändigen, und zu veredeln. Poesie in diesem Sinne kann nur der Materialist für Lüge erklären. Sehr richtig bemerkt Strabo im ersten Buche seiner Geographie gegen den Eratosthenes, die Poesie sey mehr als eine ψυχαγωγια, sie sey von jeher bey den Alten als die φιλοσοφια πρωτη angesehen worden. Die Stoiker (und man kann hinzusetzen überhaupt die Griechen) hätten den Poeten ausschließend σοφος genennt, die Kinder in den griechischen Städten wären durch die Poesie zur Sittsamkeit erzogen worden, Religion und Staat hätten die Theater und die Homerischen Recitationen daselbst von jeher zur einigen Belehrung des Volks sanktionirt, und niemand könne ein Dichter seyn, der sich nicht als guter Mensch bewiese. Darum behauptet Aristophanes irgendwo, der Dichter spreche nur in seinen Werken seine eigne Natur aus. Horaz verlangt zu der Dichtkunst als erste Erforderniß die Weisheit, und der Vater der neuern deutschen Poesie, Martin Opitz, sagt in seinem Buche von der deutschen Poeterey, der Poet müsse nicht nur von sinnreichen Einfällen und Erfindungen seyn, sondern auch selbst ein großes unverzagtes Gemüth haben, hohe Sachen bey sich erdenken können, solle anders seine Rede eine Art kriegen und von der Erde emporsteigen. Denn die Poesie sey bey allen Völkern Anfangs nichts geringeres gewesen, als eine verborgene Theologie, ein Unterricht von göttlichen Sachen. Nur bey Nationen, deren Sitte und11 Sinnesart durchaus verderbt ist, nur zu den Zeiten und in den Augen eines Boileau erscheint die Poesie als eine von der Wahrheit getrennte müssige Lüge, und der Dichter, als ein geringes Wesen, welches Allotria treibt. Je mehr aber unsre Aufklärer, Wissenschaftler und Philosophen einsehen lernen, daß die göttliche Wahrheit nicht erklügelt werden kann, sondern durch Erleuchtung in die Gemüther der Menschen kommt, desto heiliger wird das Amt der Poesie. Wir, die wir uns der göttlichen Offenbarung rühmen, sollten es am leichtesten einsehen, daß sich Gott keiner wissenschaftlichen Demonstrationen, keines Systems oder Geistesgeripps von abstrakten Begriffen, sondern einer geheiligteren Poesie bedient habe, uns zu unterrichten. Nur der Profanen Auge ist es verborgen, daß unsre heiligen Bücher von Männern geschrieben wurden, welche der Geist Gottes trieb, daß nicht nur das alte Testament, sondern auch das Evangelium die höchste Poesie sey, zu deren Bewunderung sich das menschliche Gemüth erheben könne. Nur den Aufklärern, welche das Christenthum in eine mattherzige glaubenlose Kompendienmoral verwandelt haben, müssen wir es danken, wenn unsre schönen Geister darinnen keine Erhebung für die Phantasie, keine Poesie erblicken. Poesie kann also wohl unter den Heiden als eine Erdichtungskunst erscheinen, wenn man beym Herodot liest, Homer und Hesiodus hätten den Griechen ihre Götter gemacht (ποιησαντες, nach Wolf Prolegom. LIV., nicht nach Wessel, daher auch der griechische Ausdruck Poet, ein Jdeenschöpfer). Wir aber sollten in der höhern Poesie die Jdee der12 ewig unbegreiflichen Wahrheit finden. Die Verächter der Poesie, die immer noch nicht einsehen wollen, daß sie die erste und letzte Lehrerin der Menschheit sey, könnten sich vielleicht auf das Urtheil des Plato beziehen, der die Poeten ans seiner Republik verbannt wissen wollte. Allein Platos Republik war selbst eine realisirte Poesie, ein Versuch, das Jdeale in nüchterne irdische Wirklichkeit zu verwandeln. Mithin waren in dieser Republik die Poeten, denen er übrigens eine heilige Trunkenheit zuschreibt, unnütz und mit ihren Mythen sogar schädlich. Sie thaten dem λογος der Philosophie Eintrag. Nun ist aber die Realisirung einer solchen Republik, die Aristophanes schon parodirte und Aristoteles gründlich widerlegte, ein Unding. Da die Menschen in der Sinnenwelt sich als Jndividuen erscheinen, ist auch an keine Gemeinschaft der Güter, an keine allgemeine Familienvereinigung, wie sie Plato verlangte, zu denken. Das Jdeale würde also das individuelle Leben zerstören, wir würden einen Eingriff in die Rechte des Schöpfers thun, der uns als Jndividuen schuf. Gleichwohl soll der Mensch über sein Jndividuum nicht das allgemeine höhere Leben vergessen. Darum kehrt mit dem Umsturz der Platonischen Jdee auch die Poesie zurück. Sie soll uns das Jdeale vorhalten, und uns mitten in den Stürmen eines beweglichen zeitlichen Lebens, von fern einen ruhigen Abglanz des Himmlischen zeigen, dessen Anbetung uns über das Jndividuum erhebt. Darum sind wir nicht nur Menschen und Bürger, sondern auch Mitglieder einer unsichtbaren Kirche, deren alleiniges Oberhaupt Gott13 ist, und lernen in dieser Kirche die Rechte unsres Jndividuums nur unbeschadet des höhern Ganzen geltend zu machen. Daß übrigens die Poesie, wenn sie mehr als eine Dienerin der Sinnlichkeit seyn, und uns mit den göttlichen Jdeen vertrauter machen soll, wenig Freunde findet, ist natürlich. Wir hassen alles, was uns von unsrer sinnlichen Existenz abzuziehen droht, in der es uns so behaglich ist. Menschen, die den Sohn Gottes kreuzigten, die dürstende Lippe, auf welche der Ewige das himmlische Wort der Liebe legte, mit Essig und Wermuth tränken konnten, Menschen, die zulassen konnten, daß ein Socrates den Giftbecher trank, diese können ja auch wohl einen Homer, einen Tasso, einen Milton, einen Camoens, einen Buttler und Otway verhungern lassen.
Poesie ist diejenige freye Kunst, welche sich zu Hervorbringung des Jdealen der Sprache bedient.
Anmerk. 1. Hier beginnt erst der Unterschied der Poesie von den übrigen Künsten. Raphael, der ein Marienbild mit dem Christuskinde mahlt, hält uns, wie der Dichter, das Jdeale vor. Wir sehn hier keine gewöhnliche Mutter aus der Jndividuenwelt, wir sehn die mütterliche Liebe aller Zeiten, wir sehn diese Mutterliebe im höchsten14 Gefühle ihrer Würde, im Bewußtseyn das göttliche empfangen, geboren zu haben. Der Mahler spricht mit uns durch natürliche Zeichen, bey deren Gestaltung ihm die Natur nothwendige Regeln vorschreibt. Gleichwohl bezieht er sich dabey immer noch auf eine höhere Kunst, welche uns durch willkührliche von den Menschen frey erfundene Zeichen sagen kann, das ist Christus, das ist Maria! Diese Kunst ist die Poesie. Sie bedient sich der articulirten Töne, und der Schriftzeichen, der von den Menschen willkührlich bestimmten Sprache, wodurch sich dieselben Gedanken und Empfindungen mittheilen. Sie erhebt sich mehr als andere schöne Künste über die bloße Nachahmung der Natur, sie stellt nicht die Schöpfung, sondern die schaffende Kraft, nicht das Gedachte, sondern den Gedanken dar, und die geistige Bestimmung des Gegenstandes, sie wirkt auf das Bewußtseyn, nicht auf die Augen, sie ist also frey von allen Regeln der sichtbaren Welt, und sie kann, sobald sie sich nicht als Schauspielkunst, mit den bildenden Künsten verbindet, der Phantasie Gegenstände vorhalten, die nach Lessings Gränzbestimmung kein Mahler mahlen dürfte, einen hundertarmigen Briareus u. s. w. Da die Poesie nicht unmittelbar zu den Sinnen, sondern zur Einbildungskraft selbst spricht, und ein abwesender Gegenstand oft mehr Eindruck auf unsere Vorstellungsart macht, als ein nachgebildeter, den die Sinne begreifen können, so ist in so fern die Poesie wirksamer, als jede andere Kunst.
15Anmerk. 2. Alle übrigen Künste beziehen sich auf die Poesie, verweisen auf sie, als die letzte Dollmetscherin ihrer Darstellungen, müssen ihr Direktorium anerkennen. Der eine Haupttheil der Poesie, der schön Gedanke, muß in jedem Künstler vorhanden seyn, wenn ihm auch der andere Theil, der schöne Sprachausdruck, fehlt. Alle Kunstgenies haben etwas poetisches in sich, und die Künste sind nach dem Range zu ordnen, wie sie sich der Dichtkunst nähern. Der Mahler und Bildner bedarf mehr poetisches Bewußtseyn, als der Musiker, der dagegen das poetische Bewußtseyn mehr bey seinem Publikum voraussetzt und erregt. Die Dichtkunst ist ausgemacht die höchste und reinste Kunst. Sie läßt den schaffenden Geist sich vor uns hinbewegen, sie läßt den schönen Gedanken entstehen, in vollem Lichte des Bewußtseyns. Sobald sie spricht, sollten die andern Künste sie eigentlich nur unterstützen. Die Musik z. B. sollte sie niemals, wie in unsern heutigen Singstücken, übertäuben wollen, und Boileau's Gedanke, der in einem Prolog Poesie und Musik zu gleichen Rechten durch die göttliche Harmonie vereinigen läßt, ist mehr ein witziger Einfall, um sich herauszuhelfen, als ein gerechtes Urtheil. Die Alten waren bey ihrer Vereinigung der Musik mit der Dichtkunst der Wahrheit näher. Wenn die Poesie auch die höchste Kunst ist, so ist sie deswegen noch nicht die wirksamste, in Absicht auf die Stimmung des, welcher das Kunstwerk empfindet. Jn dieser Rücksicht ist die niedrigste der schönen Künste, die Musik, unter allen einfachen die wirksamste. Sie bewegt die Sinnlichkeit am16 heftigsten, und erregt, ob sie gleich selbst weniger schöpferisch ist, in dem Zuhörer das Bewußtseyn der Schöpfungskraft am meisten. Denn sie stellt ihm in der Tonreihe, die sich rythmisch entwickelt, das Schema seiner eignen in der Zeit sich auflösenden Seele dar, die nun zu einem freyen Gedankenspiele aufgefordert wird. Die übrigen Künste, in sofern sie den Gedanken im Bewußtseyn lichter entstehen lassen, bedingen mehr die Vorstellkraft ihres Publikums, und wirken also weniger auf den ganzen Menschen, wenn gleich mehr und nothwendiger auf den Geist. Uebrigens sind die zusammengesetztesten Künste, z. B. wenn sie sich unter der Aufsicht der Poesie zu einem Schauspiele vereinigen, natürlich die wirksamsten, so wie ein Gemälde wirksamer ist, als die Zeichnung. Der höhere Mensch empfindet aber mehr bey der Zeichnung, und man hört eine Sonate von Clementi lieber auf dem Clavier, als auf dem Fortepiano.
Anmerk. 3. Man könnte einwenden, durch obige Definition sey die Beredsamkeit nicht hinlänglich ausgeschlossen. Allein die Beredsamkeit ist gar keine freye Kunst, so wenig als die Baukunst. Jeder, der seine Gedanken durch die Sprache mittheilt, muß sich natürlicherweise deutlich, logisch und grammatisch richtig und den Gegenständen angemessen ausdrücken, wenn er belehren will. Dies kann man die Wohlredenheit nennen, von der uns Xenophon das beste Muster giebt. Sie sagt nicht mehr, als zur Sache gehört, damit man die Sache einsehen lerne. 17An die Regeln der Wohlredenheit ist jeder Schriftsteller gebunden, er mag die trockenste Materie abzuhandeln haben. Nun giebt es einen höhern Grad von Wohlredenheit, zu dem sich die Sprache nur dann erhebt, wenn sie nicht blos Gedanken anzeigen, sondern diesen Gedanken auch besondern Eingang bey den Zuhörern verschaffen, durch diese Gedanken die Seele der Zuhörer zu etwas bestimmen will. Dies ist denn die Beredsamkeit. Der Schriftsteller, der gelesen, der Redner in Kirchen oder Volksversammlungen und vor dem Richterstuhle, der gehört seyn will, der Feldherr, der seine Krieger zur Schlacht aufmuntert, muß die Kunstgriffe kennen, die ihm sein Publikum geneigt machen. Beredsamkeit ist also eine angewandte Psychologie, ein Theil der Politik, und wird fälschlich zu den freyen Künsten gerechnet. Dennn sie ist durch den Hauptzweck, die Gemüther zu stimmen, bedingt. Daher sind auch ihre Regeln, z. B. daß man bescheiden und mit einer captatione benevolentiae anfangen müsse, wenn man etwa keinen Catilina niederzudonnern hat, daß die Peroration concentrirt und heftig seyn solle, weil die letzten Worte den Zuhörer am meisten zur Handlung bestimmen, u. s. w. ─ alle diese Regeln sind auf die Kenntniß des menschlichen Herzens gebaut, und keine ästhetischen. Daher ist auch keine Beredsamkeit falsch, sobald sie ihren äußern Zweck nur erreicht, und wenn man ein geschmackloses verderbtes Publikum mit Floskeln hinreißen kann, so hat man das volle politische Recht, es zu thun. Wenn sich der Dichter ein Publikum denkt, so ist dies zufällig, und er thut es selten,18 ohne dafür von den Musen gestraft zu werden. Die Dichtkunst kann eben so gut als ein Monolog des Dichters angesehen werden. Sibi cantat et Musis. Hätte Tyrtäus seinen Zweck nicht erreicht, er wäre immer ein guter Dichter, wenn gleich ein schlechter Feldherr gewesen. Er hatte als Dichter keine Außenwelt zu realisiren, er realisirte die ideale Welt in sich. Nun haben aber die Redner bemerkt, daß die Dichtkunst durch ihre Anspruchlosigkeit gefällt, daß sie lehrt, ohne den Schein zu haben, daß sie lehre, daß sie oft zu Ueberzeugung hinreisse und die Gemüther erleuchte, wenn der ohnmächtige Verstand es aufgeben muß, die Menschen zu Annahme seiner Lehren zu zwingen. Hieraus entsteht die Regel der Beredsamkeit: suche dich in deiner Rede dem Dichter zu nähern, mache es zu deinem Nebenzwecke, durch ein von der Poesie entlehntes äußeres Gewand, zu gefallen, wenn das Publikum anders eines reinen Geschmacksurtheils fähig ist. Dieses macht, daß die Beredsamkeit zuweilen zu den schönen Künsten gezählt wird. Der Redner schmückt sein Gedankengebäude aus, wie der Baumeister, daß man nicht nur eingehe und darinnen wohne, sondern auch gern eingehe und darinnen wohne. Jn sofern der Dichter zuweilen eine Außenwelt nachahmt und idealisirt, kann es ihm auch in den Sinn kommen, beredte Menschen zu schildern, wie Homer den Odysseus. Dann muß er sich gefallen lassen, wie jeder darstellende Dichter vor dem Richterstuhle des Verstandes zu erscheinen. Er wird von einem Dionysius Halikarnass., von einem Quinktilian19 kritisirt, ob seine Helden auch beredt geschildert seyn. Die darüber gefällten Urtheile sind aber nicht eigentlich ästhetisch, eben so wenig, wie die Regeln, die man dem dramatischen Dichter in Absicht auf die Vollkommenheit seiner Handlung giebt. Dieser Umstand trägt viel zur Verwechslung der Begriffe bey.
Poetik, welche hier vorgetragen wird, ist keine Wissenschaft, keine Kunst im objektiven Sinne, sondern eine Theorie.
Anmerk. 1. Die Poetik wird als ein Theil der Aesthetik angesehen und zur Philosophie gerechnet. Da nun in der Philosophie zu unsern Zeiten völlige Anarchie und Begriffsverwirrung herrscht, und der Verf. sich zu keiner der bisher vorhandenen philosophischen Sekten bekennt, so sieht er sich genöthigt, um der Poetik ihren Platz anzuweisen, sein eignes System in wenigen Worten anzudeuten. Der Mensch sammelt durch die Sinne Vorstellungen und bewahrt sie im Gedächtnisse. Er bringt sie unter gewisse Rubriken, und erkennt an diesen Rubriken die Gegenstände wieder. Der Jnbegriff einer Menge von Vorstellungen unter eine Rubrik gebracht heißt Kunde, z. B. Münzkunde, Pflanzenkunde, Sternkunde (d. h. Astrognosie) u. s. w. Mit Recht braucht man auch den Ausdruck Geschichte, z. B. Naturgeschichte. Dies ist der erste Grad20 der menschlichen Kenntniß, die aus historischen Aggregaten besteht. Doch damit begnügt sich der Mensch nicht. Er will die gesammelten Vorstellungen nicht blos nach ihrer äußern Aehnlichkeit ordnen, sondern auch nach ihrem innern Wesen in einen nothwendigen Zusammenhang von Causalität bringen, theils um die wirksame Kraft der Erscheinungen zu verstehen, theils um selbst ähnliche Erscheinungen hervorbringen zu können. Nun ist er sich innerlich gewisser nothwendiger Construktionen von Anschauungen und Kraftbegriffen bewußt, die rein dargestellt, einen Zusammenhang haben, und sich wechselseitig bestimmen. Diese nothwendigen Construktionen paßt er, so gut es gehen will, an die zufälligen Naturerscheinungen an, und versucht, ob daraus eine entsprechende Einheit hervorgebracht werden könne. Es wird eine Hypothese, als Grundsatz gesetzt, ein Hauptbegriff, eine Hauptanschauung construirt, und daraus die Erscheinungen hergeleitet. Lassen sich nun auf diese Art alle ähnlichen Erscheinungen einer Art befriedigend erklären, so daß keine der vorausgesetzten Einheit widerspricht, so bestätigt sich die Hypothese durch die Erfahrung. Eine Zusammenstellung solcher zusammenhängenden Sätze mit Belegen aus der Erfahrung verbunden, heißt eine Theorie, eine vernünftige Beschauung. Dahin gehören die mechanischen, astronomischen, physischen, chemischen, psychologischen Theorieen, mit einem Worte, alle Versuche, die Erscheinungen in Raum und Zeit, in der äußern und innern Natur zu erklären. Jn so fern diese Theorieen es dem Menschen oft möglich machen, noch nicht21 bekannte zukünftige Erscheinungen glücklich vorher zu errathen, so wie Newton die Verbrennlichkeit des Diamants, Kopernikus die Phasen der Venus errieth, in so fern glaubt der Mensch von der Natur nicht zu lernen, sondern maßt sich es an, die Gesetze des Weltlaufs zu wissen. Die Theorieen werden daher oft Wissenschaften genannt, und wenn sie lehren, wie man selbst mit menschlicher Kraft in der Erscheinungswelt handeln könne, wissenschaftliche Künste, im objektiven Sinne des Worts, z. B. Arzneykunst, Staatskunst u. s. w. Allein das Wort Wissenschaft ist in diesem Sinne auf die Erfahrungswelt angewandt, ein leerer Schall. Unsre Astronomieen, Physiken, medizinischen und psychologischen Systeme werden immer und ewig Theorieen bleiben, wo nicht alles eintrifft und die Kunst oft zur Stümperey wird. Mit einem Worte, zwischen Erfahrungs-Theorieen und eigentlicher Wissenschaft liegt eine unausfüllbare Kluft. Die Theorie nimmt zwar ihre Ordnungsbegriffe und Grundsätze als Hypothesen aus den Wissenschaften, sie ist aber deswegen keinesweges angewandte Wissenschaft, sondern nur Anwendung der Wissenschaft zu nennen. Die Wissenschäftler gehen also zu weit, wenn sie die Theorieen in ihre Formen zwängen, das Experimentiren vernichten, und alles apriorisiren wollen. Allein auch die Theoretiker gehn zu weit, wenn sie das Daseyn der reinen Wissenschaft läugnen, ihre Theorieen so verwirrt und unlogisch vortragen, wie es noch immer geschieht, und sich um das Thun und Lassen im eigentlichen22 Felde des Wissens gar nicht bekümmern. Ohne die reinen Wissenschaften würden sie nicht einmal Theoretiker seyn, denn dorther nehmen sie ihre Hypothesen. Nun lassen sich alle Erfahrungstheorieen auf vier Hauptrubriken bringen, entweder betreffen sie die Größe der Erscheinung, oder die besondere Krafteigenschaft in der Erscheinung, oder die Zusammensetzung solcher Krafteigenschaften zur Erscheinung des Lebens und der Natur überhaupt, oder die Erscheinungen in so fern sie im menschlichen Bewußtseyn vorkommen. Alle Theorieen streben also hier sich zu vereinigen in ewiger Approximation 1. zu einer allgemeinen Größenlehre, 2. einer allgemeinen Bewegungs = und Elementarlehre, 3. einer allgemeinen Lebens = und Naturlehre, 4. einer allgemeinen Seelenlehre. Zur ersten Gattung gehört alle bürgerliche Mathematik, alle irdische und himmlische Mechanik. Zur zweyten Gattung alle chemische Theorieen, die eigentliche Medizin u. s. w. Zur dritten Gattung, alle physische Theorieen, alle Anthropologie, Pathologie und Physiologie. Zur vierten Gattung, alle Theorieen der empirischen Psychologie, welche den Menschen als Erscheinung betrachten. Zur empirischen Psychologie gehört also das Naturrecht, oder die rechtliche Behauptung des Jndividuums, das gesellschaftliche und Staatsrecht, das die Jndividuen in Gesellschaft und Unterwerfung betrachtet, die Kunst unter Menschen zu handeln, oder die Politik, die Erziehungskunst, die Geschichte nach weltbürgerlichen Jdeen, alle ethischen und ästhetischen Theorieen u. s. w. Diese vier23 Haupttheorieen verlangen also und setzen voraus, erstlich eine Formalphilosophie, eine Logik, oder Lehre die Begriffe zu analysiren und zu ordnen, zweytens eine materielle Quelle für ihre Hypothesen, aus der sie die reinen Construktionen schöpfen können, sie postuliren, daß ihnen ein beständiges Jdeal vorgehalten werde, nach welchem sie arbeite, das Jdeal nun aller Theorieen ist die reine eigentliche Wissenschaft, die Dingenlehre, die Ontologie, die Materialphilosophie, Scientia prima. Sie construirt ihre Materie selbst, und analysirt sie alsdann nach logischer Form. Sie ist also rein, der Materie, wie der Form nach. Jn ihr fällt Realität und Jdealität zusammen zur Jdendität. Sie ist kein Lernen von außen, erwartet keine äußere Bestätigung. Sie ist ein völliges Wissen, dessen Möglichkeit jedermann anerkennen muß, sie ist eine Verstandesreflexion über die innern absoluten Produktionen. Die Construktionen der reinen Wissenschaft nimmt nun der Theoretiker in seine Theorieen als Hypothesen auf, und sucht seine Erfahrungen eben so logisch zu ordnen, wie die Ontologie selbst, wobey aber nie eine völlige Gewißheit entstehen kann. Diese Ontologie hat vier Hauptkapitel, eben so, wie es die vierfache Theorie verlangt: 1) Eine rationale Größenlehre (Mathematik); 2) eine rationale Kraftlehre (Mechanik); 3) eine rationale Naturlehre (Physiologie); 4) eine rationale Seelenlehre (Psychologie, Transscendentalphilosophie). So wie die Theorieen alle am Ende die Ontologie postuliren, so postuliren wiederum die vier Kapitel der Ontologie einander stufenweise. Die Mathematik,24 welche die Zahlen in der Zeit, und die Gestalten in Raum construirt, postulirt die Möglichkeit, eine Gränze zu ziehen, mithin, wie Newton in seiner Vorrede zur Naturphilosophie selbst eingesteht, das Daseyn einer rationalen Mechanik, oder des zweyten Kapitels. Da nun die Mathematik nicht von Axiomen, sondern von Postulaten beginnt, überdem gar noch nicht wissenschaftlich geordnet ist, so ist der vornehme Ton, den manche Mathematiker, z. B. Kästner, gegen die übrigen Philosophen angenommen haben, nicht zu begreifen. Die Mechanik, welche die Richtung der verschiedenen Kräfte, Expansion, Attraktion und Schwere construirt, postulirt, wie Newton am Ende seiner astronomischen Mechanik ebenfalls bemerkt, eine produktive Naturkraft, oder das dritte Kapitel, und dieses die Physiologie, welche die Construktion des Lebens und der Organisation in der Natur unternimmt, postulirt als Schlußstein des ganzen Weltsystems ein allgemeines Bewußtseyn, oder das vierte Kapitel, die rationale Psychologie. Diese Seelenlehre soll den Begriff des Bewußtseyns construiren, die Möglichkeit in Vereinigung des Zufälligen und Nothwendigen, von Freyheit und Schicksal erklären, den Gegensatz vom Jch und Welt, Form und Materie (nicht für die Erfahrung, sondern für die Vernunft), durch eine letzte Einheit alles Wissens aufheben. Diese rationale Bewußtseynslehre, die letzte Höhe alles irdischen Wissens, ist keine Metaphysik. Denn das Bewußtseyn, welches ihr Gegenstand ist, liegt in der Sphäre der Erscheinungswelt, und beschließt dieselbe. Sie kann aber auch keine25 bloße Skepsis oder Kritik seyn. Skepsis und Kritik sind nur so lange gestattet, als der Wahn von einer Metaphysik da ist. Wird dieser aufgegeben, so ist Skepsis mit Ataraxie verbunden, durch das Daseyn der reinen Wissenschaft selbst widerlegt, welche die Möglichkeit einer Bewußtseynslehre postulirt, und es kann die Skepsis nur noch als ein Glaube an mehrere Perfektibilität, gegen eine besonders dargestellte Bewußtseynslehre gerichtet seyn. Was die Kritik betrifft, so ist sie ganz unnöthig, wenn man die Metaphysik fallen läßt, sie ist nichts anders, als eine Skepsis der zweyten Art, und es war eine große Jnkonsequenz der Kantischen Schule, die Kritik als eine Wissenschaft aufzustellen, und die letzten Grundsätze, nach denen man kritisirte, zu verschweigen. Man postulirte also stillschweigend den allgemeinen Vernunftcanon, die rationale Psychologie, oder vollendete Transscendentalphilosophie. Das fühlte Reinhold, und darum stellte er seinen Bewußtseyns = Satz als letzten Satz des Wissens auf. Allein in dieser Entzweyung, oder Verdreyung der Urbegriffe war kein Heil, d. h. keine Jdentität zu finden. Das fühlte Fichte, darum setzte er den Satz des identischen Jchs an die Spitze. Allein es blieb hier immer eine blos logische hypothetische Nothwendigkeit, die Nothwendigkeit des setzenden Jchs, die absolute Einheit war nicht errungen, so wenig, wie das Nichtich erklärt. Der Dualism war nicht gehoben. Das fühlte Schelling, und endete die rationale Psychologie mit einer vollkommenen Jdendität des Geistes26 und der Natur. Aber so wahr es ist, daß wir ohne Jdendität keine Wissenschaft haben, die für die Theorie Jdeal sey, so wenig kann dieser Satz Jch = = Welt theoretisch ausgedrückt an der Spitze der Systeme stehn. Jch und Welt bleiben ewig, so bald sie theoretisch ausgedrückt werden, Wechselbegriffe, die einander wechselseitig voraussetzen und aufheben, die von einem höhern unbegreiflichen Wesen, durch dessen stete Schöpferkraft unser Bewußtseyn beginnt, gehalten werden müssen. Die letzte Einheit des Wissens, die absolut seyn muß, mithin als kein Postulat mehr erscheinen kann, kann auch nicht als theoretischer Satz da stehn, dann ist sogleich Entzweyung vorhanden. Nein. Die letzte Einheit des Wissens ist der Jmperatif des höhern Lebens, der Gott, der uns schafft und trägt, gebietet uns herauszugehn in die Erscheinungswelt, zu handeln nach innern Gesetzen der höhern Natur, nicht in der Zeit, sondern in die Zeit, rüstet uns aus mit seinem göttlichen Geiste, und verheißt uns, wenn wir diesem Gebote folgen, daß dann all die scheinbare Materie der göttlichen innern Form gehorchen, daß unser Handeln unter höherer Leitung ein Schaffen werde, daß Jch und Welt zu einer seligen Jdendität zusammenfallen müsse. Das Bewußtseyn dieser praktischen Jdendität ist kein Kantischer Vernunftglaube, der in der Theorie leer gefunden und in der Praxis nur angenommen wird. Es ist kein angenommener Glaube, sondern die höchste einzige Realität des Daseyns. Es ist der Glaube, mit dem man Berge versetzt. Diese praktische Jdendität des Jchs und der Welt, ist nicht das27 Kantische höchste Gut, eine nach Würden vertheilte Glückseligkeit. Dieses höchste Gut ist ein Widerspruch der individualisirenden Erscheinungswelt, also das höchste Gut etwa für diese Welt, aber nicht für eine höhere, Entzweyung nicht Seligkeit. Die höhere Tugend, wie die Stoiker recht gut einsahen, muß den Sinn für individuelle Glückseligkeit vernichten, und die Freuden des edlern Menschen fangen an, mit der Liebe, mit der Freundschaft, mit der Vaterlands = und Menschenliebe, also da, wo sich das Jndividuum verliehrt. Diese praktische Jdendität des Jchs und der Welt ist das Gefühl einer idealen Welt, wo alles Jndividuelle sich in einem seligen Ganzen vergißt, die Ahnung eines Himmels, wo es kein erschlichenes Vorrecht, kein Eigenthum, keine Schranke des Einzelnen giebt, sondern, wo sich alles dem Heiligsten in dem Grade nähert, als es selbst heilig ist. Die Vorahnung dieser praktischen seligen Jdendität, ist die einzige mögliche reine Triebfeder für unser Handeln, nicht eine unzureichende Achtung für das Gesetz, die Kant verlangt, nicht die individuelle Glückseligkeit. Mit einem Worte, die Gewißheit, daß ein Gott durch uns schafft, und durch unsere Handlungen die widerstrebende Welt seinen innern Gesetzen gleich machen will, ist die Religion. Diese Religion, deren Jmperatif die Vernunft selbst erst begründet und zur Reflexion auf sich herausgehen heißt, kann nicht, wie die Kantianer meynen, innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft dargestellt werden. Es ist unbegreiflich, wie selbst Theologen die Stirn haben können, Kanten so blind nachzubeten, daß sie zu verstehn geben,28 Christus habe sich hier und da geirrt, Gott müsse ein gerechter, nach dem Buchstaben strafender, kein vergebender Gott, kein Vater seyn. Nein, auf den höchsten Standpunkt des Wissens, der nicht erklügelt werden kann, können wir nur durch Erleuchtung, durch Erhebung über das Jndividuum, durch ein Wunder Gottes, gestellt werden. Menschen, am Ende ihres Kreislaufs, ruft euch die Philosophie zu: Jch bin Wissenschaft, aber nur durch die Religion. Jch strebte hin, Metaphysik und Moral zu werden. Da vernichtete ich mich. Mein Forschen und Grübeln, und die Seuche der historischen sinnlichen Gelehrsamkeit, haben euch auf den umgekehrten ganz falschen Standpunkt gestellt, wir haben euch vorgespiegelt, das Wissen, das Erfahren, das Begreifen müsse dem Handeln vorausgehn. Nein. Die Natur hat euch nicht rückwärts, sondern vorwärts gerichtet. Diese Einheit, die letzte Ruhe eures reflectirenden Wissens, euer volles Wissen liegt in eurem Handeln. Sobald euer höheres Seyn erwacht, seyd ihr nicht Sklaven, sondern Helden der Geschichte, nicht Schüler der Menschheit vor euch, der Natur um euch, sondern Meister der Schöpfung, durch den Gott in euch. Dazu hat euch das Wunder Gottes, die Offenbarung berufen! Genießt nun, nach meiner Verirrung mit freyerem Sinne die Früchte der göttlichen Offenbarung!
Und was ist das nicht wissenschaftliche, nur zu ahnende Resultat jener göttlichen Offenbarung, welche neue philosophische Theologen unter dem herabwürdigenden Bilde einer29 längst vergangenen historischen Thatsache darstellen, die nur gelernt und historisch geprüft werden müsse, während sie eine immerfort wirkende That, ein immer weiter sich ausbreitendes Licht, eine von Seele zu Seele, vom Vater zum Urenkel hinabgehende wohlthätige Erschütterung seyn sollte? „ Menschheit und Natur waren von Anbeginn Geschöpfe Eines liebenden Schöpfers, der in der Schöpfung sein göttliches Bild sucht. Jn irgend einem goldenen Zeitalter der Vorwelt gehorchte die Menschheit der Leitung ihres Schöpfers, in seliger Blindheit. Aber höherm Rathschlusse zu Folge aß sie vom Baume der Erkenntniß, riß sich von der Natur los, fiel von ihrem Schöpfer ab, warf sich in die Bahn des Wissens, wollte Gott begreifen, und strebte zu werden, wie Gott. Denn um Gott zu begreifen muß man Gott seyn. Gott kann sich durch keinen Propheten, kann sich nur durch Gott offenbaren. Und die Natur widerstand diesen ohnmächtigen von Gott verlassenen Klugen, und sie versanken in den Tiefen ihres eignen Lasters, und versöhnt mußte werden die That, die höchste Kühnheit des Wissens erreicht und bestraft, oder diese Menschheit war auf ewig verloren. Da erschien er, der Einzige, dem das große Werk der Versöhnung bestimmt war, unter dessen vermittelndem Nahmen die neue höhere Schöpfung beginnen sollte. Er trat auf, um Gott den Menschen zu offenbaren, stellte sich auf die höchste Stufe des Wissens, zwischen den ewigen Vater und die Welt, lud auf sich die Sünde der abgefallenen Welt in ihrer ganzen Größe, sprach es aus das hohe einzige Wort: Jch bin Gott, wie Gott, ge =30 zeugt von Gott, strafte dafür selbst, nicht leidend, wie ein Sokrates, nein, nach freyer Willensbestimmung sein Jndividuum mit dem Tode, und gab nun rein und unbefleckt seine göttliche Natur dem Vater der Liebe, der im Sohne sein verherrlichtes Bild erblickt hatte, wieder. Aber nicht geendet war damit die Wohlthat, die Menschheit nicht verlassen. Er, der einzige berufene Lehrer der Menschheit, sandte seinen Geist, Gott, kommend von Gott, und wie Gott, daß er in der Menschheit wohne, und sie heilige zur gleichen Göttlichkeit. Und das große unbegreifliche nie auszudenkende Wunder der Offenbarung geschah, und wiedergeboren wurden die Menschen, und lernten, wie ihr großer Meister sich erheben über ihr zeitliches Selbst, und neu schaffen die Welt und aufblicken zum Himmel, und gewinnen das höhere Leben, und sich halten an das ewige Wort der Liebe, das die Welt schuf, und einsehn, daß der ungläubige Egoismus die Hölle der Schöpfung sey, daß der Glaube uns immer höher ins geistige Seyn hinaufhebt, daß wir nie geboren wurden und nie sterben, sondern von Gott, aus Gott geschaffen werden in Ewigkeit. “
So lautet das Symbolum unsres Glaubens. Es ist der Schluß aller Philosophie. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein worden.
Anmerk. 2. Aus dem vorhergehenden läßt sich nun die Erklärung des §. herleiten. Poetik ist nicht Wissenschaft. Aristoteles konnte nicht eher schreiben,31 als Homer