PRIMS Full-text transcription (HTML)
EAI:dEAI:cEAI:bEAI:aRI

Entwurf einer systematischen Poetik, nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil.

Leipzig, bey Breitkopf und Härtel 1804.

RIIRIII

Jst es die Hauptaufgabe der Philosophie, durch Erklärung aller zufälligen Erscheinungen aus Gründen und Gesezzen, den Gegensatz von Willkühr und Nothwendigkeit im menschlichen Bewußtseyn aufzuheben: so wäre eine systematische Poetik, d. h. eine vollständige Theorie der willkührlichsten Launen des Geistes nach allgemeingültigen Grundsätzen das kühnste und doch unschädlichste Experiment, ob wir eine Philosophie haben.

Selbst unter dem bescheidnen Nahmen Hypothese, den alle Erklärungen von etwas empirischen führen sollten, und den gerade die gründlichsten Theorieen von jeher nicht verschmäht haben, ist dies Experiment, nach gewöhnlicher Ansicht der Dinge, ein so verzweifeltes, so nah an den Rand des Unsinns gränzendes Unternehmen, daß sich bisher noch niemand dazu hergegeben hat. Gleichwol scheint der arme gequälte Geist unsers litterarischen Zeitalters außerRIV mehreren Karrikaturen auch zu einer Poetik a priori verdammt zu seyn. Die Ursache liegt am Tage.

Wer einmal angefangen hat zu philosophiren, das gesteht selbst Cicero, kann nicht rückwärts, nicht stehn bleiben auf halben Wege. Einmal hat sich der unselige Dämon der Gründlichkeit unserer bemächtigt. Nachdem wir uns so viele Jahre hindurch mit allumfassenden philosophischen Lehrgebänden und einzig möglichen Standpunkten geplagt haben, sollen wir die ganze lange Zeit unsers mühseligen Nachforschens für verlohren erklären, sollen wir der trägen Oberflächlichkeit den Triumph zugestehn, daß bey allen diesen Anstrengungen die Seele vor wie nach eine tabula rasa geblieben sey, ein glatter Spiegel allenfalls für die gelehrte Eitelkeit, sich davor herauszuputzen?

Wir sind es müde, wie die Gespennster der verblichnen Schulen wohl noch unter der Hand fortfahren, das Korn des ewigen Lebens aus abgedroschenen Terminologieen herauszusuchen, die täglich leerer und eintöniger werden. Wir haben eingesehn, daß Erdensöhne dem Himmelreich nicht Gewalt anthun, und das System der idealen Wahrheit auf einmal zu Stande bringen können. Nur aus dem Kopfe des Zevs sprang die völlig gerüstete Minerva. Aber müssen wir deswegen schon an der Existenz der gesammten PhilosophieRV auch ausserhalb dem Gehirn müssiger Denker verzweifeln, weil uns ein vollkommenes System, ein Compendium derselben abgeht, welches vielleicht am Ende das letzte, das wenigste ist?

Wodurch beweist die Mathematik, die Philosophie der Größen, ihre wissenschaftliche Existenz? Etwa durch die Geometrie des Euklides, die auf Postulate, und zur Hälfte gar auf ein unsichres Axiom gegründet ist? Kein tiefdenkender Mathematiker hat noch daran gedacht, daß das Ansehn seiner Wissenschaft auf einem vollständigen System der idealen Prinzipien beruhe. Was man für höhere Formeln zu einem besondern Problem gerade braucht, erfindet man. So bildet sich nach und nach ein leidlich zusammenhängender Canon von rein idealen Sätzen.

Aber dadurch beweist die Mathematik ihr Daseyn, daß ihre idealen Grundsätze glückliche Hypothesen zur Erklärung der Erscheinungswelt abgeben, daß der Mathematiker eine Evidenz hat, durch Construction in Raum und Zeit, die nur wenig Mitarbeiter am Gebäude der Wissenschaft etwas ungereimtes unternehmen läßt. Kurz, während die andern Philosophen geduldig zusehn müssen, wie jeder Vorübergehende die Wetterfahne ihrer anarchischen Wissenschaft bald so, bald anders dreht, genießt die MathematischeRVI Republik, obgleich ebenfalls ohne System, die Früchte einer guten Constitution durch eine glückliche Erklärungs-Methode im praktischen, und im theoretischen durch ein festes Urtheil.

Die Philosophie unsrer Tage scheint die Metaphysik, die objektive Demonstration übersinnlicher Gegenstände, ja selbst vor der Hand den Anspruch aufgegeben zu haben, eine vollendete Transcendentalphilosophie zu seyn, welche das Gebiet des Erkenntnißvermögens ausmäß, und die Möglichkeit der Erfahrung absolut bestimmte. Es bleibt ihr also nichts übrig, wenn sie sich nicht ganz annihiliren will, als ihr Ansehn, eben so wie die Mathematik auf glückliche Experimente im Empirischen zu gründen, und sich von ihrem Daseyn mittelbar zu überzeugen.

Jede empirische Kunde, die unter dem Chaos von Kenntnissen nicht erliegen will, strebt dahin Theorie zu werden, und braucht, ohne es selbst zu wissen, philosophische Sätze als Hypothesen. So bieten ein Newton, ein Lavoisier der Philosophie die Hand. Kann die Philosophie nicht dies Anerbieten zu wechselseitiger Ausbildung, es versteht sich, mit Bescheidenheit annehmen, kann sie nicht als Organon, das den empirischen Disciplinen zur Ordnung hilft, vielleicht das Ansehen wieder gewinnen, das sie beym AufräumenRVII in ihrem eigenen Gebiet verlohr? Durch glückliche Erfolge belehrt, würde man es ihr gewiß glauben, daß sie nicht blos eine Logik (Formalphilosophie), sondern auch eine Ontologie (Materialphilosophie) sey, wenn auch letztere vor der Hand nur aus einer minder geordneten Sammlung von idealen Prinzipien bestünde, die zu Erklärung des Empirischen von Nutzen gewesen sind. Ja die Ordnung im Empirischen würde den Geist zurückweisen auf eine Ordnung im Jdealen selbst. Jede besondere Disciplin würde dankbar dazu beytragen, die allgemeine Wissenschaftslehre selbst auszubilden.

Die kühnsten Experimente wären hierzu die besten, weil sie am meisten in die Augen fallen, weil sie die verdienstlichsten und schnellsten sind. Da man leider die Menschheit daran gewöhnt hat, ihr Vertrauen auf feste Wahrheit, an das Wort Philosophie zu binden, so ist keine Zeit zu verliehren.

Aber welche empirische Gelehrte werden heutzutag ihr Gebiet gern zum Tummelplatz für die unsichern Experimente einer an sich verzweifelnden Philosophie hergeben wollen? Und verdenken kann man das auch den guten Leuten nicht. Der Gelehrte hat von der menschlichen Gesellschaft sich ein Feld acquirirt, um darauf sein Brod zu bauen. Oekonomie ist das Moralgesetz der Welt. Wer macht sich gern UnruhRVIII mit Nachdenken, so lange man mit Auswendiglernen ausauskommen kann? Ueberdem haben wir den Schaden der philosophisch genialischen Experimente in der Erziehungskunst, dem Staats = und Privatrecht, der Theologie und der Medizin vor Augen. Jn der Physik hat die neuere Philosophie gewiß nicht unglückliche Experimente gemacht. Aber auch die Physiker fangen an sich das zu verbitten, da ihre Kunde mit der Praxis so mancher Künste zusammenhängt.

Was bleibt also der armen bedrängten Philosophie a priori übrig, als sich ins ästhetische Gebiet, nahmentlich ns Feld der Dichtkunst zu werfen, welches doch auch empirisch ist. Das Experiment, die Dichtkunst philosophisch zu deduciren, ist gewiß das kühnste. Denn die Poesie des Geistes verfährt noch willkührlicher, als die äußere Natur und bildet sich ein, ein Universum im Kleinen zu seyn. Unschädlich ist dieses Experiment gewiß. Die Kunst selbst kann nicht darunter leiden. Denn diese ist eine freye Aeusserung des Genius, bedarf keiner Regeln, keiner Theorie, wie die andern wissenschaftlichen Künste, kann also dadurch auf keinen falschen Weg gebracht werden. Und wäre es auch, was liegt der heutigen menschlichen Gesellschaft daran, da bey ihr die Dichtkunst keinesweges accreditirt ist, da sie dieselbe mehr wie ein mit ihrer innern OekonomieRIX ganz contrastirendes Meerwunder anstaunt, als achtet und liebt? Ueberdem kann ein philosophisches Experiment der Art doch auch nicht ohne alle litterarische Kenntnisse angestellt werden. So könnten, da nach der ökonomischen Denkungsart der Menschen ein jedes Unternehmen, auch nützlich seyn muß, dergleichen Bücher nebenher zu Verbreitung von Kenntnissen dienen, die sich von der Philosophie nicht so leicht verwirren lassen, könnten einen Jnder haben, und Handbücher zum Nachschlagen abgeben. Gründe genug für die Philosophen die Preisaufgabe einer Poetik aufzustellen.

Unser litterarisches Zeitalter arbeitet schon lange im Stillen an der Auflösung dieses Problems. Unsre Dichter philosophiren und unsre Philosophen werden poetisch. Diese wechselseitige mystische Anneigung der Philosophie und Poesie scheint auf eine Berührung, wie auf einen Silberblick hinzudeuten, der alsdann ihre Arbeiten vielleicht um desto reiner schiede. Diese Berührung fände in dem Gebiete der Poetik statt. Die Poetik, wenn sich dies Fach vervollkommnen sollte, wär eine Sammlung idealer Grundsätze der Philosophie, mit hinzugefügtem Beweis a posteriori aus der empirischen Psychologie, eine a priori berechnete Organisation des Geistes mit hinzugefügter Probe von Richtigkeit der Rechnung.

RX

Noch eine Betrachtung kommt hinzu, die Philosophen auf Bearbeitung dieses Feldes aufmerksam zu machen. Um durch Experimente im Empirischen für die Philosophie eine sichre Constitution zu Stande zu bringen, muß man für dieselbe einen Maaßstab auffinden, welcher im theoretischen ihr ein festes Urtheil zusichre. Es muß für sie etwas dem analoges aufgestellt werden, was in der Mathematik Evidenz durch Construction ist. Der Mathematiker hat keine Axiomen, als solche, die auf Evidenz beruhen. Der Philosoph, will er Axiomen erringen, muß sich auf eine andre, eine höhere Evidenz berufen können, als in den Formen der Sinnlichkeit enthalten ist.

Wie? wenn diese Evidenz, welche der Philosoph sucht, gerade nur auf der Höhe statt fände, wo Poesie und Philosophie, die größte Freyheit und die strengste Nothwendigkeit zusammentreffen? Wie, wenn die Amalgamation der Poesie und Philosophie zu einem eben nicht beliebten Mystizismus unserer Zeit gerade hierauf hindeutete, wenn eben die Erfahrung, daß jede philosophische Schule sich selbst zerstörte, sobald sie anfing uns einseitige Begriffe aufdringen zu wollen, nur bewiese, mit welcher Gewalt unser Zeitalter zu Jdeen fortgerissen wird? wenn die Evidenz dieser Jdeen, eben weil sie nur da liegen, wo Poesie und Phi =RXI losophie zusammentreffen, nie heller werden könnte, als wenn man das ganze Feld der Poesie aus einem philosophischen Standpunkt übersäh?

Dies alles zusammengenommen: Würde nicht dem, der in diesem Fache arbeitete, so manche Aussicht aufdämmern, die jedem andern auf dem gewöhnlichen Standpunkte noch verborgen ist? Würde ihm nicht der gutmüthige, wenn man will, kindische Traum zu vergeben seyn, daß bey dem größten Zwiespalt der Meynungen, da der Geist Kains des ersten Mörders in alle Gelehrten gefahren zu seyn scheint, eine allgemeine Vereinigung der Geister durch die Bande des Gedankens nie näher sey, als jetzt? Aber freylich müßte man aufhören, sich über elende Worte zu streiten, welche nur die Eitelkeit lieb hat, welche nichts als Schall und Luft sind, man müßte aufhören, durch selbstsüchtige niedrige Gemüthsstimmung die Geistescultur und jeden herzerhebenden Gedanken in den schadenfrohen Augen des großen Haufens herabzusetzen, der alles außer das Metall, was sich mit Fingern zählen läßt, verachtet.

Der erste Versuch einer philosophischen Poetik könnte, und wär er auch nicht so ganz unvollkommen, wie der gegenwärtige, bey der jetzigen Lage der Dinge nur immer eine Märtyrerkrone erwarten, er müßte, wie jeder Bürger inRXII Athen, welcher ein neues Gesetz vorschlug, sich zuvor selbst anklagen. Da er eine Combination von den glücklichsten Meynungen aller Partheyen seyn müßte, würde er natürlich die Sprache aller Partheyen reden, und würde, da die Partheywuth sich itzt an Worten, wie an farbigen Cocarden erkennt, von allen gesteinigt werden.

και κεραμευς κεραμει κοτεει και τεκτονι τεκτων
και πτωχος πτωχῳ φθονεει και αοιδος αοιδῳ

Αγαθη δ'Ερις ἠδε βροτοισι. Hesiod.

Gegenwärtiger Entwurf ist so weit davon entfernt, die Preisaufgabe einer philosophischen Poetik ganz auflösen zu wollen, daß er zufrieden seyn muß, wenn ihm nur die ehrbare Märtyrerkrone des ersten Versuchs zu Theil wird. Leute, welche die Kunst verstehn, wie Luther sagt, aus Nichts flugs die höchsten und gelehrtesten Doctoren zu werden, mögen itzt runde und geglättete Werke liefern. Sie werden in diesem Buche viel Sylben zu stechen finden. Nur wenige, welche tief denken und tief fühlen, wissen, wie schwer es ist, in der jetzigen Krisis eine Bahn zu brechen und dem Lichte neuer Jdeen nachzugehn.

Da die Gedankenfolge dieser Poetik anfangs analytisch und alsdann synthetisch seyn mußte, so wird der, welcher das Ganze leicht übersehn will, die Geduld habenRXIII müssen, die kurze Darstellung des Jnhalts durchzublättern, welche unmittelbar auf diese Vorrede folgt. Wenn die schönen Geister auch das vollkommenste Recht dazu haben, sich an den pedantischen unförmlichen Collectaneen des Buchs zu ärgern, wenn scharfsinnige Aesthetiker bey Darstellung der einzelnen Dichtungsarten noch manches willkührliche, mangelhafte entdecken werden, so wird dagegen jeder Lehrer der sogenannten schönen Wissenschaften, den, bis ins kleinste Detail systematischen, einfachen Zusammenhang des Grundrisses nach Prinzipien nicht verkennen. Er wird einen festen Gang vorgezeichnet finden, den er beym Unterricht gehen kann, und die Anmerkungen werden ihm zugleich als Anleitungen zu einer Litterargeschichte dienen, welche aus mehr als Büchertitteln besteht. Die Grundlage des Systems ist die Eintheilung des Schönen, welche den Aesthetiker in dem Entwurfe einer Poetik leiten muß. Wie in der Cosmogonie des Confucius theilt sich die über dem Nichts schwebende Gestalt des Schönen erst in zwey, in vier, in acht Bilder, und diese haben auf vier Vernunftideen und Seelenkräfte, welche man, mit Pythagoras den vierfachen Quell der ewigen Natur nennen kann, und auf die Kategorien Kants eine wunderbare Beziehung.

RXIV

Der schlimmste und bitterste Zwist, in welchen sich die philosophische Poetik ex professo mischen muß, weil ihr ganzes wissenschaftliches Daseyn vom Daseyn einer nothwendigen, mithin mystischen Poesie abzuhängen scheint, ist derjenige, welcher jetzt zwischen Mystikern und Aufklärern geführt wird. Es kommt so viel darauf an, daß eines Theils jede Frucht einer wahren Aufklärung gesichert, anderntheils die Stimmung zur Andacht in den Gemüthern wieder erweckt werde, daß man sich über diesen wichtigen Gegenstand nicht deutlich genug erklären kann.

Wie weit die Poetik davon entfernt sey, den Mystizismus ins wissenschaftliche Gebiet einzuführen, erhellt schon daraus, daß sie selbst die Wunder der Poesie zu erklären versucht, bis dahinauf, wo sie ans unbegreifliche, ans göttliche gränzen. Ueberdem ist den Wissenschaften als empirischen Theorien ihre völlige Existenz zugesichert worden. Dies muß man deswegen erinnern, weil die gute Sache heut zu Tage mit unter leider schlecht vertheidigt wird, weil manche Art von Schwärmerey mit Vernichtung der Wissenschaften droht, und es schon so weit geht, daß, wer sich etwa die Neunerprobe aus dem Dezimalsystem nicht zu erklären weiß, wegen des Wunders bey der Multiplication mit der Neune (hoffentlich aus Satyre) dieRXV Schwärmerey entschuldigt. Allein ein weit ehrwürdigeres Ansehn bekömmt der sogenannte Mystizismus, wenn er an die Spitze der Philosophie gestellt wird.

An der Spitze der Philosophie als reiner Vernunftwissenschaft muß etwas absolut bestimmendes stehn. Dies kann keine Erkenntniß seyn. Erkennen heißt urtheilen nach Gründen. Der nothwendige Grund der copula von Subjekt und Prädicat liegt allemal außerhalb des Urtheils. Also ist kein Urtheil selbst, das absolut nothwendige. Die mathematischen Axiomen haben ihre Nothwendigkeit nicht in sich selbst, unmittelbar, sondern in der Evidenz, mit welcher Punkt und Linie als anschauliche Begriffe in Raum und Zeit construirt werden. Eben so, wenn man ein Moralgesetz an die Spitze des Systems der Wahrheit setzte, wär in diesem Satze keinesweges das absolutnothwendige enthalten. Denn die Verbindlichkeit des Gesetzes liegt immer noch außerhalb. Diese Verbindlichkeit ist gar keine Erkenntniß. Sie beruht weder auf einem materiellen Satze, der Einsicht von etwas objektiv absolut Guten, zu dem man nothwendig verbunden wär, (alle bestimmten Objekte, z. B. Glückseligkeit, sind zufällig) noch auf einem formellen Satze (dem Satze des Widerspruchs). Denn dieser ließeRXVI mich zwar die Form einer Gesetzlichkeit, (die Uebereinstimmung) erkennen, keinesweges aber, daß ich zum Handeln, am allerwenigsten zum consequent handeln verbunden sey, weil das Handeln in der Zeit ist, und sich das Gute und Böse nach einander beym Menschen wohl denken läßt. Eine praktische unbedingte Verbindlichkeit des Menschen zum Seyn und Handeln kann also gar keine Erkenntniß mehr seyn, eben deswegen weil sie unbedingt seyn soll. Sie muß demnach eine unmittelbare höhere Evidenz seyn, daß der Mensch einem absolut nothwendigen realen Wesen angehöre, welches ihn in seine gesetzliche Einheit aufnimmt, und ihn so durch einen höheren Naturtrieb antreibet, unter der Form der Gesetzlichkeit äußere Erscheinungen darzustellen, um sich des gesetzlichen Daseyns bewußt zu werden. Das Gewissen, welches zur Strafe der Selbstverachtung wird, wenn der Mensch dieser Anforderung nicht genug thut, ist also keine bloß wesenlose Form, kein bloßes verbietendes Gesetz. Es ist eine religiöse Jdee. Als Evidenz, die höhere unmittelbare Wahrnehmung vom Daseyn eines absolut realen gesetzlichen Wesens (Gott) welches seine innern heiligen Formen auch durch unsre Handlungen äußerlich dargestellt haben will. Das religiöse Gewissen ist also eineRXVII Offenbarung im weitern Sinne, eine Offenbarung Gottes als eines gesetzlichen Urwesens, die in unserm Gemüthe geschieht. Alles was nun nothwendig aus dem evidenten Daseyn eines solchen gesetzlichen Urwesens folgt, heißt ideales Wissen, und kann einen Jmperativ oder Gewissenssatz als Hauptaxiom an der Spitze haben. So folgt aus der Evidenz, daß uns ein absolutnothwendiges Wesen in seine Einheit aufnehmen und durch uns gesetzmäßige Erscheinungen hervorbringen will, um uns zum Bewußtseyn des gesetzlichen Daseyns zu erheben: 1) Daß Gott eine Erscheinungswelt wolle, die seiner Jdealität gemäß sey. 2) Daß es ihm möglich sey, sie hervorzubringen. Denn was absolutnothwendig gefordert wird, muß möglich seyn. 3) Daß es uns möglich, und für uns Bedürfniß seyn müsse, uns des gesetzlichen Daseyns oder der Jdealität mittelst der Erscheinungen bewußt zu werden, d. h. das göttliche in der objektiven Erscheinungswelt anzuschaun. Kurz der höhere Zweck unsers Handelns und Seyns, Anschauung des Göttlichen muß möglich seyn. Hierzu bedarf es keines sogenannten Vernunftglaubens, das wissen wir. Weil nun die Jdealität oder gesetzliche Form kein innerhalb der Sphäre von Begriffen vollendbarer Gegenstand seyn kann,RXVIII so kann sie uns auch nur in der Objektenwelt als eine Begrifflose Zweckmäßigkeit überhaupt, (als ein Werden des Jdealen im Realen d. h. als Schönheit) erscheinen. Dies a priori mögliche Gefühl des Schönen an der objektiven Welt, oder die anschauliche Vorstellung einer successiv nach göttlichen Gesetzen werdenden sich bildenden Welt, um uns das göttliche erscheinen zu lassen, dieses unumgängliche Bedürfniß heißt der religiöse Glaube, eine Stimmung, deren Natur man bis hierher ganz verkannt hat. Da die Welt wegen der Zeitform im steten Werden, im Erscheinen begriffen ist, so kann ihre Harmonie mit der Jdealität noch nicht vollendet seyn, dieselbe kann also nicht nach Begriffen von Vollkommenheit gewußt werden, sondern man kann nur an diese Harmonie glauben. Der Glaube ist demnach kein Urtheil nach Begriffen aus unzureichenden Gründen, sondern ein Streben nach ästhetischer Evidenz, mit der man, wie in der Handlung eines Gedichts, aus einer Scene die folgende erräth und dabey auf die schöne Organisation des Ganzen vertraut. Das religiöse Gewissen, das uns, sobald wir zu denken anfangen, immer begleitet, beweist nicht allein die Möglichkeit, sondern rechtfertigt sogar das pflichtmäßige Bedürfniß einer Gemüthsstimmung, einer andern religiösen evi =RXIX denten Jdee, welche der Glaube heißt. Da die Erfahrung, d. h. die Erscheinungswelt unter bestimmten Begriffen des Wissens der stets geforderten Jdealität im Gewissen, nie genug thun kann, so kann allein der Glaube diesen Widerspruch aufheben, und uns mit der Objektivität wieder aussöhnen. Das Gewissen ist das Element des Wissens, der Glaube ist das Element alles höhern lebendigen Handelns in der Erscheinungswelt. Das Gewissen kann den Egoismus nur einschränken zur furchtsamen Anerkennung dessen was recht ist. Der Glaube allein kann ihn in der Wurzel vernichten. Das Gewissen zeigt uns einen furchtbar heiligen Gott, der ununterbrochen in unserm Bewußtseyn das Gute gebietet. Der Glaube ist die Evidenz in der Erscheinungswelt von eben dieses Gottes allmächtigem Beystand, wenn wir das Gute wollen. Das Gewissen läßt uns den Zweck des Daseyns nur ahnen, der Glaube läßt ihn uns mit Liebe anschauen, das Gewissen hat auch der Bösewicht, den Glauben nur der Gute.

Daher fühlten alle Völker, welche aus dem Naturstande heraustraten, das Bedürfniß einer vom religiösen Glauben sehnend verlangten Offenbarung im engern Sinne, d. h. einer Erscheinung des Göttlichen, alsRXX Objekts (des Sohnes Gottes) in der Zeit, und einer Darstellung aller Begebenheiten nach Zwecken einer höhern Weltordnung durch die Poesie der Sprache, mittelst einer Erleuchtung des Geistes, in welcher ihn das Gefühl jener zweckmäßigen Organisation durch alle Zeiten so mächtig ergreift, daß er nicht irren kann. Daher huldigt der größte Theil der gebildeten Welt mit vollem Rechte dem Glauben, daß das göttliche Prinzip der Dinge in der Zeit erschienen sey, und die Menschheit in seine Gemeinschaft aufgenommen habe.

Religiöses Gewissen und religiöser Glaube, ungetrennt vereinigt, geben das, was man Religion nennt. Die Religion allein, an die Spitze der wissenschaftlichen Systeme gestellt, setzt uns in den Stand, die Erscheinungen in der Welt philosophisch und streng wissenschaftlich zu erklären. Da Religion in diesem reinen Sinne genommen nur eine Geistesstimmung der edelsten Seelen seyn kann, so ergiebt sich hieraus eine in der Natur des Geistes gegründete Mystik, eine Evidenz a priori, nach der sich die construirten philosophischen Begriffe richten müssen, wie bey den Mathematikern, eine Evidenz ruhend auf Seelengröße, welche das Geschwätz jedes Prosanen vom Heiligthum der ernstern Wissenschaften zurück weisen muß. Es kommt eine Zeit, die für die sogenannten StarkgeisterRXXI sehr demüthigend seyn wird, die ihnen beweisen wird, daß es ihnen nicht an gutem Herzen (diesen Vorwurf würden sie sich eher gefallen lassen,) sondern an Einsichten mangelt.

Religion als Gemüthsstimmung des edlern Menschen und Offenbarung im Engern Sinn, als unmittelbares Geschenk Gottes sind also zwey Wechselbegriffe, welche dem tiefern Denker gleich ehrwürdig sind. Freundliche Hinneigung des Göttlichen zum Endlichen in der Erscheinungswelt ist Offenbarung. Gläubige Hingabe des Endlichen an das Göttliche ist Religion. Durch Offenbarung bindet sich das Göttliche an die Schicksale der Endlichkeit. Durch Religion strebt das Endliche auf aus seinen Ketten. Beyde begegnen sich zur Erlösung des Menschen mit Liebe. Gott liebt sich selbst in uns, sagt Spinoza. Darum offenbaret er sich.

Wem diese Gedanken Schwärmerey sind, der ahnt es noch nicht, daß sich das Universum im Großen und Kleinen nach gleichem Gesetz entwickelt, daß das Göttliche, welches wir in diesem geringen Planeten mittelbar anbeten, in allen Nebelsternen angebetet wird, die das Telescop Herrschels nur je entdecken kann, der versteht nicht die Worte, des größten Wesens, das je die Erde trug: NiemandRXXII kommt zum Vater, denn durch mich, der versteht nicht, warum Paulus erst blind werden mußte, eh er das Evangelium verkündete.

Aus dem engen Standpunkt des Scheins angesehn, geht der Himmel mit seinen Lichtern über uns auf im Morgen und sinkt nieder im Abend. Aus dem freyen Standpunkte der Wahrheit angesehn, wälzt sich die Erde unaufhörlich gegen ihren Morgen, dem Anschaun des himmlischen Lichtes zu.

Wer in der Astronomie auf dem engen Standpunkte des Scheins festgekettet ist, mag beobachten, nur wer sich frey auf den Standpunkt der Wahrheit gestellt hat, kann erklären.

Aus dem engen Standpunkte des weltlichen Scheins angesehn, richtet sich das Leben von dem Erdboden auf, als ein engbrüstiges Kind, wächst, erreicht seinen Mittag und sinkt wieder in den Staub.

Aus der erleuchteten Höhe der Religion angesehn, ist das Leben eine vertrauenvolle Hingabe an die Unermeßlichkeit, ein ewiges liebendes Aufstreben zum Anschaun des Allerheiligsten.

RXXIII

Philosophen ohne Religion mögen das Leben beobachten, können zweifeln und glauben, das heißt meynen.

Nur Philosophen mit Religion können das Leben erklären, können forschen und glauben, das heißt das göttliche schaun.

C. A. H. Clodius.

RXXIV

Jnhalt.

  • Erstes Buch. Allgemeine Poetik.
    • Erstes Kapitel. Von Poesie und Poetik überhaupt.

      §. 1. Anmerk. 1. 2. Begriff von Kunst, und Unterschied derselben von der Natur.

      §. 2. Anmerk. 1─6. Freye Kunst stellt das Jdeale oder Schöne dar.

      §. 3. Poesie stellt das Jdeale oder Schöne durch die Sprache dar.

      Anmerk. 3. Unterschied von Wohlredenheit, Beredsamkeit.

      §. 4. Poetik ist eine Theorie.

      Anmerk. 1. Unterschied von Kunde und Theorie. Alle Theorien werden empirisch unter vier Hauptrubriken gebracht. Diese müssen nach philosophischen Grundsätzen, welche darinnen als Hypothesen aufgestellt werden, bearbeitetRXXV werden. Hierzu wird eine Materialphilosophie oder Ontologie postulirt, welche die Hypothesen darbiete zur Anordnung der empirischen Kenntnisse. Diese Ontologie muß vier Kapitel haben.

      Anmerk. 2. Die Poetik, ein Theil der empirischen Psychologie nimmt ihre Hypothesen aus dem vierten Kapitel der Ontologie, das rationale Psychologie heißt.

    • Zweytes Kapitel. Vom Schönen, als der allgemeinen Materie der Poesie.

      §. 1. Materie und Form einer Kunst. Die Materie der Poesie ist das Schöne, die allgemeine Form die Sprache.

      §. 3. Vorläufige Aufstellung eines Hauptgrundsatzes der rationalen Psychologie, als Hypothese zur Deduction des Schönen.

      §. 4. 5. Vorläufige Deduction des Schönen aus demselben.

      §. 6. Empirische Eintheilung des Schönen in ein höres und niederes Schöne.

      §. 7. Untergattungen des höhern Schönen empirisch aufgestellt. Das Heftige, das Starke, das Große, das Erhabene sind die vier ästhetischen Hauptelemente des höhern Schönen.

      Anmerk. 2. Kritische Analyse der Dichter aller Nazionen in Ansehung dieser vier Hauptele =RXXVI mente. Scheidung und Combination dieser Elemente in einzelnen Beyspielen dargestellt. Beyspiele des Starken S. 72. des Heftigen, es erscheint oft glänzend und prächtig S. 77. als Schrecklich S. 78. ängstlich, im Schmerz S. 84. (das tragische pathetische). Beyspiele des Großen S. 105. erscheint als grausend, düsterprächtig S. 112. 113. ruhig glänzend und herrlich S. 120. Beyspiele des Erhabenen S. 126. das heitere Erhabene, das hohe S. 129. das Erhabene in Bewegung, Auflösung eines Kontrasts, erhabene Wehmuth, erhabene Grazie S. 131. das himmlisch erhabene S. 138.

      Anmerk. 3. Uebersicht der verschiedenen Modificationen des höhern Schönen entstehend durch die Combinationen der vier Elemente unter sich, und mit der Gemüthsstimmung. Das tragische, wunderbare, romantische u. s. w.

      Anmerk. 4. Fehlerhafte Abarten des höhern Schönen, das Frostige, Abentheuerliche, Schwülstige, Ekelhafte u. s. w.

      Anmerk 5. Die vier Elemente des höhern Schönen, weisen zurück auf vier Vernunftideen, absolute Caussalität, Substantialität, Totalität, absolutes Bewußtseyn, welches die drey vorhergehenden vereinigt.

      §. 8. Untergattungen des niedern Schönen empirisch aufgestellt. Das Niedliche, das Sanfte, dieRXXVII Grazie, das Naive, sind die vier ästhetischen Hauptelemente des niedern Schönen.

      Anmerk. 1. Sie correspondiren mit denen des höhern Schönen, und beziehn sich ebenfalls auf die vier Vernunftideen. Das niedliche correspondirt dem großen, das sanfte dem starken, die Grazie dem Heftigen, das Naive dem Erhabenen.

      Anmerk. 3. Kritische Analyse der bekanntesten Dichter aller Nazionen in Ansehung der vier Elemente des niedern Schönen. Scheidung und Combination der letztern in einzelnen Beyspielen dargestellt. Beyspiele des Niedlichen S. 155. des Sanften S. 161. der Grazie und des Lebendigschönen S. 168. hohe Grazie, oder das Edle S. 176. Hierher gehört auch das Scherzhafte S. 179. das Lächerliche S. 180. das grotesk = und fein komische S. 183. das lustig = und bitter = satyrische S. 184. das Parodiren und Travestiren S. 186. das Witzige S. 187. der Humor S. 188. das Romantische (Unterschied vom Wunderbaren) S. 191. 192. das galante, Beyspiele des Naiven S. 193.

      Anmerk. 4. Uebersicht der verschiedenen Modificationen des niedern Schönen entstehend durch Combination seiner vier Elemente unter einander und mit der subjektiven Gemüthsstimmung.

      Anmerk. 5. Fehlerhafte Abarten des niedern Schönen. Das schlüpfrige, plumpe, fade u. s. w.

      RXXVIII

      §. 9. Hauptaufgabe der Aesthetik, ohne deren Auflösung keine wissenschaftliche Poetik statt finden kann. a) Das Verhältniß des Schönen zu den subjektiven Seelenkräften, b) zu dem objektiven, in der Vorstellung. c) Die Untergattungen und Modificationen desselben aus Hypothesen, die von der rationalen Psychologie entlehnt sind, a priori zu bestimmen und zu erklären.

      Anmerk. 1. Die bisher unternommene vorläufige größtentheils empirische Betrachtung des Schönen weist auf allgemeine psychologische Grundsätze, auf vier Vernunftideen hin. Dies veranlaßt eine neue Darstellung des Systems der rationalen Psychologie. Poetik und rationale Psychologie bilden einander wechselsweise.

      Anmerk. 2. Grundriß der rationalen Psychologie. Das Problem derselben ist, die Thatsachen der empirischen Psychologie a priori zu erklären. Welche Grundsätze sie als ideale Wissenschaft aufstellt, diese gebraucht die empirische Psychologie als Hypothesen. Die empirische Psychologie weist ebenfalls vier Thatsachen auf als allgemeine Seelenwirkungen. a) begehren, b) anschaun, c) begreifen, d) schließen S. 216. Die rationale Psychologie soll die Nothwendigkeit dieser Seelenwirkungen aus einem allgemeinen Grundsatz erklären. Jhr Hauptgrundsatz ist der Jmperativ der Offenbarung im weitern Sinne, der an denRXXIX Menschen ergehende Aufruf zum gesetzlichen Leben, oder äußerlich realisiren des innerlich absolut nothwendigen. Hieraus ergeben sich vier ideale Seelenkräfte, a) absolute Caussalität, Wille, b) absolutes Seyn, als Anschauen des unendlichen Werdens, Phantasie, c) absolute Totalität als Begreifen, Verstand, d) absolutes Bewußtseyn der subjectiven Gesetzlichkeit, die aus dem Objekte geschlossen wird. Vernunft. Die vier idealen Seelenkräfte sind also die vier Vernunftideen, welche im Schönen objektiv gefühlt werden S. 220. Nach diesen vier idealen Seelenkräften mißt der Verstand, der das äußere mit dem innern vergleichen soll, alle Gegenstände. Daher die Stammbegriffe oder Kategorien S. 221. Deduction derselben nach den drey Handlungen des Verstandes Thesis, Antithesis Synthesis S. 221. kritische Erklärung der Anschauungsformen, der Erscheinungswelt und warum das Noumenon nie ganz erscheinen könne S. 225. Erklärung der vier metaphysischen Antinomien S. 226. Kritik der drey metaphysischen Systeme Idealismus (Thesis) Materialismus (Antithesis), Spinozismus (Synthesis) S. 227. Einschränkung der Philosophie auf vier Kapitel der Ontologie, welche aller empirischen Kenntniß hypothetische Grundsätze darbieten. DeductionRXXX dieser vier Kapitel S. 228. als Auflösung des Postulats Kap. 1. §. 4. Anmerk. 1.

      §. 10. Schlüssel zum ganzen System der Poetik. Auflösung der Aufgabe des vorigen §. durch die eben aufgestellten Grundsätze der rationalen Psychologie. Genauere Deduction der Nothwendigkeit des Schönheitsgefühls aus dem Jmperativ. a) Verhältniß des Schönen zu den pier subjektiven idealen Seelenkräften. Jn Ansehung des Willens ist die Stimmung zum Schönen Liebe, in Ansehung der Phantasie begeisterte Anschauung, in Ansehung des Verstandes ästhetisches Nachsinnen und Begreifenwollen, in Ansehung der Vernunft: Glaube. b) Das Schöne objektiv in Verhältniß zu den Gegenständen ist nach der Quantität ein unerfaßliches Ganzes, (das unendliche im Endlichen), nach der Qualität ein anschauliches absolutes Werden (Jdeale im Realen) nach der Relation eine zwanglose Vollkommenheit (freye Zweckmäßigkeit, absolute Caussalität) nach der Modalität eine Harmonie des subjektiven und objektiven (absolute Wahrheit). c) die oben empirisch aufgestellten Gattungen des Schönen werden hier a priori nach ihren Graden bestimmt. S. 236. 242.

      Anmerk. 3. Das Verhältniß des Schönen zu den sinnlich affizirten Seelenkräften. Der sinnliche Wille sucht im Schönen das angenehme, die empirische Vorstellkraft das romantische derRXXXI empirische Verstand das interessante, die empirische Vernunft das Wunderbare. Dies erklärt die oben empirisch angegebenen Modificationen und Abarten des Schönen.

    • Drittes Kapitel. Von der Sprache, als der allgemeinen Form der Poesie.

      §. 2. Die Sprache hat ein logisches und ein musikalisches Wesen.

      §. 3. Die Eigenschaften der dichterischen Sprache nach ihrem logischen Wesen im allgemeinen werden durch die objektiven Eigenschaften des Schönen, mithin nach den Kategorien (Kap. 2. §. 10.) bestimmt.

      §. 4. I. Der Quantität nach muß der poetische Styl Reichhaltigkeit und Ausdehnung haben (μεγεθος).

      Anmerk. 1. Daher sein tropisches Verfahren.

      Anmerk. 2. Lehre von den Tropen, betrachtet nach den drey Gesetzen der Jdeenassoziation, welche aus den drey Handlungen des Verstandes Thesis, Antithesis, Synthesis (K. 2. §. 9. Anm. 2.) deducirt werden, drey Haupttropen. 1) Zeichenverwechslung wegen des Beysammenseyns der Jdeen (Periphrasis, sensu lato) Umschreibung S. 253 56. Hierher gehört a) Paraphrase, b) Metonymie, c) Synecdoche, Antonomasie, κοινοτης d) Euphemismus und Antiphrasis (Jronie) 2) Zeichenverwechslung wegen der AufeinanderfolgeRXXXII der Jdeen (Hypallage, sensu lato Umändrung) S. 256 62. hierher gehört a) Catachresis, Metalepsis, λιτοτης b) einige Fälle der Metonymie c) Hypallage, sensu stricto. 3) Zeichenverwechslung wegen der Aehnlichkeit (Metaphora) S. 264. hierher gehört der לשמ der Hebräer. Syllepsis, Paronomasie.

      Anmerk. 3. Fehler des tropischen Styls.

      §. 5. II. Der Qualität nach muß der poetische Styl anschauliche Lebendigkeit haben (δεινοτης).

      Anmerk. 1. Daher die Figuren. A) figurae minores (vulgo: dictionis) S. 271 84. a) Synonymie, b) Wortsynthesen, Tmesis, Syncope, Syllepsis grammatica, Archaismus. c) Epitheten, d) Jnversionen, e) άσυνδετον, πολυσυνδετον, f) ὑπερβατον und Parenthese, g) Anaphora, Epanalepsis, Anadiplosis, ταυτοτης. h) Pleonasmus, i) Ellipsis, k) Hypotyposis, Sermocinatio, l) Apostrophe, m) Interiectio, Interrogatio, Correctio u. s. w.

      Anmerk. 2. 3. B) figurae maiores (vulgo: sententiarum) 1) Descriptio S. 285. 2 ) Comparatio S. 286. 3 ) Simile S. 286. 4 ) Collatio et Exemplum S. 290. 5 ) Prosopopoeia S. 291. 6 ) Invocatio S. 292. 7 ) Suspensio S. 293. 8 ) Praeteritio S. 294. 9 ) Anticipatio, γοργοτης, Anachronismus S. 295. 10 ) Acervatio, συναθροισμος S. 296. 11 ) Antithesis 12) Distribu -RXXXIII tio S. 299. 13 ) Sententia, 14) Epiphonema. S. 302. 15 ) Epistrophe, Refrain S. 303. 16 ) Climax S. 305. 17 ) Obtestatio, Auersio, Detestatio, Asseueratio S. 306. 18 ) Hyperbole S. 307. 19 ) Metaphora (als Figur unterschieden vom Tropus gleiches Nahmens) S. 308. Allegoria S. 309. Zweydeutigkeiten, κακοφατον S. 313. 20. Sarcasmus Ironia (als Figur, nicht als Tropus.) Paroemia (kann auch zur Sentenz gerechnet werden) Dubitatio, Confessio, Epitrophe S. 315. Zu den Spielereyen in der figurirten Rede gehört: Chiasmus, Antimetabole S. 316. Eintheilung und Werth dieser Terminologie S. 317.

      §. 6. III. Nach der Relation muß der poetische Styl in der Wortfolge eine freye ungezwungene Klarheit haben (σαφηνεια)

      Anmerk. 1. Unterschied von Prosa. Diese verlangt Deutlichkeit.

      Anmerk. 2. Fehler wider die aufgestellte Regel. 1) Amphibolien oder Doppelsinn. 2) σκοτισον S. 324. entsteht a) aus Weitschweifigkeit, b) gezwungener Kürze κοινισμος oder zu großer Varietät des Styls.

      §. 7. IV. Nach der Modalität muß der poetische Styl nothwendige Wahrheit haben (αληθεια).

      §. 8. Besondere Beziehung der vier allgemeinen Eigenschaften des poetischen Styls auf die vier Untergattungen des höhern und niedern Schönen.

      Anmerk. 3. Ob es genera dictionis poeticae gebe.

      RXXXIV

      §. 9. Das musikalische Wesen der dichterischen Sprache objektivisirt das Schöne, eben so, wie die Musik, doch ohne Begriffe, muß also ebenfalls vier Eigenschaften haben, welche zwar nicht unmittelbar nach den Kategorien, aber doch nach den vier objektiven und auf die Vernunftideen bezognen Eigenschaften des Schönen (Kap. 2. §. 10.) bestimmtwerden.

      §. 10. I. Die Jdee der freyen zweckmäßigen Caussalität stellt dar

      der Rhythmus.

      Anmerk. 1. Das Grundgesetz des Rhythmus ist proportionirliche Evolution der durch eine Kraft eingetheilten Zeit, nach Aehnlichkeit, nicht Gleichheit der Verhältnisse. Perioden. Sinn = und Wortaccent S. 340. Jctus des Rhythmus S. 341.

      §. 11. II. Die Jdee des lebendigen Werdens eines idealen im realen stellt dar der Wortklang. Denn der Klang entsteht unsichtbar in der Zeit. Hierher gehört

      Anmerk. 1. Der Tonausdruck, die Onomatopoeia.

      Anmerk. 2. Der Wohlklang. Verhältniß der Vocalen und Consonanten zu demselben, musikalische Tonleiter der Vokalen.

      Anmerk. 3. 4. Der Reim, kurze Geschichte desselben zur Bestimmung seines Wesens. versus Leonini S. 353. Grundregel. Er ist ursprünglich mehr ein Hülfsmittel des Rhythmus, als des Metrums S. 355. 356. RXXXVRegeln über seine Wiederkehr S. 357 60. rhythmischer Grund der Eintheilung in männlichen, weiblichen Reim S. 360. ob es spondäische oder daktylische Reime gebe? S. 362. Wohlklang des Reims S. 364. Regeln über die Reinheit der Reims S. 365. reiche Reime S. 365. orthographische Reime und deren Grund S. 367. Accent des Reims und daraus fließende Regel S. 367. Verschiedene Reimsysteme S. 368. a) gereimte Distichen, b) Terzinen, c) Stanzen. Ottava rima, chiave. Ueber deren Einführung im Deutschen. Esdrujuli S. 370. d) Sonette, e) Rondeau Assonancia S. 373. Werth des Reims S. 374.

      §. 12. III. Die Vernunftidee der Totalität (des endlichen im unendlichen) stellt dar der wiederkehrende Takt eines Metrums oder das Sylbenmaaß.

      Anmerk. 1. Vorläufige Begriffe. Grundmaaß S. 381. Füße metrische Reihe S. 382. Metrischer Jctus. Herrschende Füße. Vertauschung derselben mit andern. Verse. Einwirkung des freyen Rhythmus ins Metrum, wodurch das Maaß wieder aufgehoben und das Unendliche hergestellt wird. Daher entspringende ανακρουσις, βασις, Caesur, catalectici, hypercatalectici S. 383. Scansion S. 384.

      Anmerk. 2. Verhältniß zum Grundmaaß heißt Quantität der Sylbe. Prosodie. Die kurze Sylbe. RXXXVIS. 385. Ungewißheit der Prosodie. Einfluß des metrischen und grammatischen Accents auf dieselbe S. 386. Urtheil über die Position S. 387. Ueber die Prosodie der verschiedenen Sprachen S. 387 92.

      Anmerk. 3. Metrik, allgemeine Regeln. Es giebt vier einfache metrische Reihen, trochäische, daktylische, päonische, choriambische. S. 394. je nachdem der Jctus regelmäßig eher oder später wiederkehrt. Bey Verwechslung der Füße darf der Gang des Jctus nicht gestöhrt werden S. 395. Die Zusammensetzung der metrischen Reihen muß nach dem Gesetz des Rhythmus beurtheilt werden S. 396. Das Metrum verstattet keine Pausen S. 399. Grund der Elision und Synezesis S. 400. Ueber den Hiatus S. 400 402. Ueber den Accent des Metrums und den Accent des Sinns 403.

      §. 13. IV. Die Jdee der Harmonie des subjektiven und objektiven, welche alle vorhergehenden Jdeen vereinigt, wird dargestellt durch die Uebereinstimmung des Rhythmus, Klanges, Metrums mit der Empfindung des Dichters.

      Anmerk. 1. 2. Ausdruck des Rhythmus und Wortklangs.

      Anmerk. 3. Besondrer Theil der Metrik, oder Verhältniß der einzelnen Sylbenmaaße zur Empfindung metrische Bewegung S. 405. Wortfüße, künstliche Füße S. 406. Beurtheilung einzelner Sylbenmaaße. RXXXVIIA) trochäische Metra, a) die Jamben S. 407. b) der Scazon Choliamben S. 409. c) der anakreontische Vers S. 410. d) die Hendecasyllaben S. 410. e) der Alexandriner S. 411. f) Trochäen S. 415. B) daktylische Metra a) der Hexameter S. 416-19. b) Pentameter S. 419-21. c) Tetrameter Heroicus S. 421. d) Archilochius Heptasyllabus, e) Heptameter Archilochius S. 422. f) Alcäische Strophe, rhythmische Evolution derselben, Lagäodischer Vers S. 422. g) Sapphische Strophe. Eurhythmie derselben S. 423. Adonischer Vers S. 424. 425. h) Ionici a minore. Galliamben. i) Anapästen. Systeme εξ ὀμοιων in den Chören der Alten, Basis Anapästica paroemiacus S. 426. C. päonische Metra. Die Dythyramben. Beyspiele im Deutschen. D) choriambische Metra. Versus Asclepiadeus a) allein S. 428. b) abwechselnd mit dem Glyconicus S. 429. c) mit dem Pherecratius und Glyconicus in einer vierzeiligen Strophe. d) mit dem Glyconicus allein in einer vierzeiligen Strophe S. 430. der Glyconicus allein S. 430. E) zusammengesetzte Strophische Verse. S. 431.

      §. 14. Von der Declamation oder Darstellung des musikalischen Wesens der poetischen Sprache.

      Anmerk. 1. Unterschied von der rednerischen Action.

      RXXXVIII

      Anmerk. 2. Nothwendigkeit der Declamation zum Genuß des Gedichts.

      Anmerk. 3. Theorie der Declamation. Ueber die Versuche die Declamation zur objektiven Kunst zu erheben S. 436 39. Regeln für den Declamator a) in Absicht auf den Rhythmus. Ueber die Accente S. 440. b) in Absicht auf Wohllaut, Tonausdruck, Reim S. 442 43. c) in Absicht auf das Metrum S. 444. die Wortfüsse und Caesuren des Rhythmus S. 445. d) in Absicht auf die Harmonie mit der Empfindung.

    • Viertes Kapitel. Von den Dichtungsarten, oder den besondern Materien und Formen der Poesie überhaupt.

      §. 4. I. Eintheilung der Poesie nach der Materie. Dem Jdealen oder dem Schönen, a priori.

      II. §. 10. Anm. 2. ist aus dem Jmperativ bewiesen, das Schönheitsgefühl sey der menschlichen Natur als Glaube, verbindendes Mittelglied des ideellen und reellen nothwendig. Nun soll das Schöne auch etwas objektives seyn. Alle Objekte aber sind zufällig, außer der Jdee der Totalität oder einer Erscheinungswelt in der Zeit als Gegenstand überhaupt S. 224. Folglich muß der Mensch das nothwendige Schöne in dem absolutnothwendigen Gegenstand Welt suchen. Dies gäb einen religiösen Glauben, ästhetische EvidenzRXXXIX von immer mehr erscheinender Jdealität der Objektenwelt. Eine ideale Weltgeschichte eine successive Organisation des Weltganzen nach göttlichen Gesetzen, dargestellt durch die Sprache, von höherer Begeisterung eingegeben wäre das Postulat dieses religiösen Glaubens. Eine göttliche Poesie, (Offenbarung im Engern Sinn) wird als ein nothwendig zu erwartendes Factum schon nach Grundsätzen der rationalen Psychologie postulirt.

      Anmerk. 1. Bedürfniß einer religiösen Weltgeschichte, religiöses Gewissen, religiöser Glaube S. 460.

      Anmerk. 2. Falscher Begriff von Offenbarung.

      §. 5. Die menschliche Poesie ist nicht absolut nothwendig unmittelbar durch den Jmperativ bestimmt. Sie zeigt das Schöne an zufälligen Objekten und ist von der Theorie selbst nur als zufällig anzunehmen.

      K. II. §. 10. ist das Schöne sowohl als subjektive Gemüthsstimmung, als auch als objektiv deducirt. Hieraus ergiebt sich die Eintheilung der Poesie in lyrische, (hier bestimmt das subjektive (das Gefühl) die Gegenstände) und darstellende. Hier bestimmt das objektiv Schöne, (ein Jdeal) die Empfindung.

      Anmerk. 1. Höhere, niedere lyrische Poesie.

      §. 6. Es giebt vier poetische Hauptideale. Die objektivisirten vier Vernunftideen. Daher die Eintheilung der darstellenden Poesie in historische, beschreibende,RXL didaktische, allegorische, je nachdem die absolute Caussalität (Freyheit), die Substanz, die Totalität (das Verstandessystem) und das Wesen der Vernunft (Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte) idealisirt wird.

      Anmerk. 1. Höhere und niedere darstellende Poesie.

      Anmerk. 2. Einfluß der Modificationen des Schönen auf die Dichtungsarten.

      §. 7. 8. 9. II. Eintheilung der Poesie ihrer Form nach, a) ihrer nothwendigen (der Sprache). Daher Liederform, Wechselgesang, und dramatische Poesie, wo mehrere, oder eine Form, wo Einer spricht: mündlich, schriftlich, b) ihrer zufälligen Form nach verbunden mit Schauspielkunst, Musik, Bau = und Gartenkunst.

  • Zweytes Buch. Besondere Poetik oder von den Dichtungsarten.
    • Erster Abschnitt. Göttliche Poesie.

      Kap. I. §. 1. Jnhalt derselben. Sie ist eine darstellende Poesie. Denn sie hat ein nothwendiges Objekt. Jhre allein mögliche Quelle ist göttliche Begeisterung. Erleuchtung, ein Zustand, in dem man über das göttliche nicht irren kann, wo die SeeleRXLI als Theil des Ganzen die nach göttlichen Zwecken organisirende Bewegung des Ganzen in der Zeit empfindet, Zukunft und Vergangenheit im Geist der Weissagung vereinigt.

      §. 3. 4. Kriterien einer Offenbarung im engern Sinn überhaupt. Eine ideale Weltgeschichte muß die Erziehung des Menschengeschlechts in der Zeit zeigen, drey Perioden. Zustand der Natur, der Cultur, der Religion. S. 496.

      Kap. II. Von der biblischen Poesie insbesondere. §. 2.

      Anmerk. Hauptinhalt der Bibel, ein poetisches Ganzes S. 508 526. §. 3. Anmerk. Besondre Dichtungsarten der hebräischen Poesie, Classification derselben S. 527 30.

    • Zweyter Abschnitt. Menschliche Poesie.

      Anmerk. Die menschliche folglich nicht nothwendig von Gott eingegebne, sondern zufällige Poesie beginnt nicht mit einem nothwendigen Objekt, wie die Göttliche, sondern als bloße subjektive Sehnsucht nach dem objektiv Schönen, also lyrisch.

      RXLII
      • Erstes Kapitel. Von der lyrischen Poesie.
        • Erster Unterabschnitt. Höhere lyrische Poesie.

          I. Ode, das freyeste lyrische Gedicht, A) ästhetischer Jnhalt derselben, (das Erhabene herrscht) Veranlassung. S. 534. ist ohne Handlung S. 536. Gang der Empfindungen S. 538. B) Plan der objektiven Gedankenreihe künstliche Unordnung S. 540. C) Styl, Kürze S. 542. D) Metrum S. 544. E) Zufällige Formen derselben a) dramatisirte, b) Briefe, c) satyrische Epoden, d) Epinicia, e) Melos, f) Scolia.

          II. Hymne S. 548. A) ästhetischer Hauptinhalt. Das Feyerliche herrscht. Gang der Empfindungen S. 549. B) objektiver Plan S. 551. C) Styl S. 552. D) Metrum S. 553. E) zufällige Formen, a) Kriegslieder, b) Päane, c) τελεται, d) Dithyramben, e) κλητικοι, αποπεμπτικοι u. s. w.

          III. Heroide S. 556. Vertheidigung der Dichtungsart S. 558. Styl, Metrum, das tragische herrscht.

        • Zweyter Unterabschnitt. Niedere lyrische Poesie.

          I. Elegie (steht der Ode entgegen) S. 560. A) ästhetischer Jnhalt (das Sanfte herrscht). Gang der Empfindung S. 563. B) Plan der Gedanken S. 565. C) Styl S. 568. D) Metrum S. 569. E) Zufällige Formen S. 570.RXLIII a) dramatisirte, b) Briefe, c) elegische Jdylle, d) Sonnet als Dichtungsart S. 571. das Niedliche und zärtliche herrscht, e) Rondeau, Triolet S. 573. (das Galante Gefühl herrscht.)

          II. Lied S. 574. (steht der Hymne entgegen) A) ästhetischer Jnhalt (das Edle herrscht) S. 575. B) Gedankeninhalt Refrains C) Styl, D) Metrum, 576. E) zufällige Formen 576. Epipompeutica, Hymenäen, Lais, Soulas, Syrventez, Tensones, Canzonen, Villanellen, Vaudevilles, Madrigal S. 578.

          III. poetische Epistel. S. 578. (steht der Heroide entgegen) ästhetischer Jnhalt. Das scherzhafte Gefühl herrscht.

          Anhang zum ersten Kapitel. Von dem musikalischen Gedicht oder der Kantate S. 581. Geschichte und Jdee dieser Dichtungsart S. 582. Ursachen ihrer Unvollkommenheiten S. 583. Sie ist kein Drama S. 584. Unterschied vom Liede S. 585. Anfang der Cantate, Gang der musikalischen Jdeen Reim, Arie S. 586.

      • Zweytes Kapitel. Von der darstellenden Poesie.

        §. 3. Von einem Jdeal oder dargestellten schönen Gegenstande überhaupt S. 588. Vier Eigenschaften jedes Jdeals nach den vier objektiven Eigenschaften des Schönen. Erstes Buch. Kap. II. §. 10. B. (Anmerk. Da man hier von einem bestimmten Objekt ausgeht, muß man nicht, wie oben Kap. II. RXLIV§. 10. mit der Kategorie der Quantität, sondern mit der Relation beginnen. Denn bey einem bestimmten Objekte ist die erste Frage, nach seiner Wirkung.) Jedes Jdeal muß ausdrücken 1) eine frey gewirkte Zweckmäßigkeit (unbestimmte formelle Vollkommenheit) 2) eine lebendige Anschaulichkeit, 3) eine Totalität (oder Allheit als unbestimmbares Ganzes), 4) die Harmonie alles objektiven und subjektiven (Wahrheit).

        §. 4. S. 589. Von den vier Hauptidealen der vier Seelenkräfte. Freyheit (Jdeal des Willens), Substanz (beharrende Erscheinung, Jdeal der Phantasie), Weltsystem (Jdeal des Verstandes) Selbstbewußtseyn mittelst der Erscheinungen (Jdeal der Vernunft). Hierauf gründet die höhere darstellende Poesie ihre Eintheilung in historische, beschreibende, didactische, allegorische.

        §. 5. Niedere darstellende Poesie. Jhre Gattungen beschäftigen die Seelenkräfte im empirischen Sinne genommen, nicht den Willen, sondern das Begehrungsvermögen, nicht die Phantasie, als Streben nach Anschauen des Unendlichen, sondern die sinnliche Anschauung, nicht den Verstand, sondern den Witz, nicht die selbstbestimmende Vernunft, sondern das formelle Vermögen zum Schließen. Die niedere historische, beschreibende, didactische, allegorische Poesie erweckt die Empfindung des niedern Schönen.

        RXLV
        • Erster Unterabschnitt. Historische (pragmatische) Poesie.

          I. Ueberhaupt. Sie interessirt den Willen und das Begehrungsvermögen. Theorie einer Handlung überhaupt als Jdeal nach den vier Eigenschaften eines Jdeals S. 593. 1) freye Zweckmäßigkeit der Handlung zufällige Entstehung, interessanter Hauptzweck, Held, organische Aufeinanderfolge der Theile, Episoden. 2) Lebhaftigkeit der Handlung. Kürze. Schwierigkeiten δεσις, λυσις, περιπετεια, κναγνωρισις. 3) Totalität der Handlung. Ein zusammenhängendes Ganzes nach Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, a) psychologische Wahrscheinlichkeit. Karaktere. Jndividualität. Thätigkeit derselben S. 597. 98. b) kosmische Wahrscheinlichkeit S. 599. Das Wunderbare. Das Uebliche S. 600. Adäquates Ende, nicht zu wenig, noch zu viel S. 601. 4 ) Harmonie der Handlung, Ahnung von Uebereinstimmung des Schicksals mit der Ordnung im Geiste.

          II. höhere historische Poesie interessirt den Willen.

          A) Die Epopoe zeigt ihrer Hauptrichtung nach das Aufstreben der menschlichen Poesie, zur göttlichen (zur religiösen Weltgeschichte). a) Essenzielle Merkmahle des epischen Stoffs. Objektiver Jnhalt. 1) eine Weltbegebenheit S. 603. 2) die menschliche Freyheit im Kampf. S. 604. Das heroische. Der Hauptheld S. 605. 3) das Wunderbare. Antheil höherer Mächte S. 609. b) ästhetischer Jnhalt (Anmerk. bey der lyrischen Posie bestimmte der ästhetischeRXLVI Jnhalt die Objekte, gieng also voran. Bey der darstellenden Poesie ist es nothwendig umgekehrt). Das Große herrscht. S. 610. c) Styl, muß edel seyn, d) Metrum S. 613.

          B) Das romantische Heldengedicht S. 615. a) objektiver Jnhalt. Heroischer Roman. b) ästhetischer Jnhalt das romantische. c) Styl, leicht, galant, scherzhaft, d) Metrum S. 617. e) zufällige Form, als Lied, Ballade S. 617. dramatische Biographien S. 618.

          C) Die Tragödie. a) objektiver Jnhalt. Keine Weltbegebenheit, sondern eine einzelne heroische Handlung, die vorgestellt werden kann. φοβερον, ελεεινον (das tragische). Muß der Held unterliegen? S. 621. Plan der Handlung durchs Schauspiel bestimmt. Die drey Einheiten: 1) die Zeit S. 623. 2) der Ort, 3) Einfachheit der Handlung. Keine Jntrigue S. 625. unthätige Nebenpersonen, Vertraute S. 626. Nebenhandlungen S. 627. Anfang, Mitte, Ende S. 628. warum fünf Akte S. 629. Scenen S. 630. b) ästhetischer Jnhalt. Das Erhabene herrscht. Gang der Empfindungen. S. 631. Schluß 634. c) Styl bestimmt durch die Natur des Chors. Ueber die Jllusion S. 635. Ueber alten und neuen Chor S. 636 42. Figuren des tragischen Styls S. 643. Monologen. Prologus. Dialog S. 644. d) Metrum S. 645. e) Regeln wegen Form der Schauspielkunst. Theater, Kostum, Mimik, Nazionalgeschmack. S. 646. zufällige Formen. Drama Satyricum. τετραλογια Tragi-Komödien, bürgerlichesRXLVII Trauerspiel Schauspiele Melodramen romantische Tragödie S. 648. 49.

          III. niedere historische Poesie interessirt das niedere Begehrungsvermögen.

          A) das komische Heldengedicht S. 651.

          B) die poetische Erzählung, a) die komische Erzählung, b) der poetische Roman S. 653. steht dem romantischen Rittergedicht als Biographie aus der Bürgerwelt entgegen. Drey Gattungen. Der satyrisch komische, der humoristische, der sentimentale, je nachdem das lächerliche, oder der Humor, oder das rührende und romantische den ästhetischen Jnhalt ausmachen, c) die moralische Erzählung, Novelle. d) Romanze, in Liederform S. 656.

          C) das Lustspiel S. 656. a) objektiver Jnhalt, b) ästhetischer Jnhalt S. 658. fünf Gattungen: 1) das edle Lustspiel. Ueber die Commedie larmoyante S. 659. 2) das feincomische Lustspiel. Ueber Jntriguen und Charakterstücke S. 661. 3) das satyrische Lustspiel, 4) das groteskkomische romantische Lustspiel S. 663. Mysterien, Mortalitäten S. 664. die Posse. Ueber possenhafte Charaktere. Atellana - fabulae tabernariae S. 665. 5) das idyllische Lustspiel, favola boschareccia. c) Styl, Metrum, zufällige Formen S. 667.

          IV. Von Verbindung der pragmatischen Poesie mit Musik. Die Oper, ein Schauspiel, wo sich Musik u. pragmatische Poesie als Haupt künste vereinigen. Ein musikalisches Gedicht a) objektiver Jnhalt. Begebenheit ausRXLVIII der Wunderwelt. St. Evremonds Meynung S. 669. opera seria, buffa, Operette S. 671. b) ästhetischer Jnhalt. das romantische. c) Styl, Metrum. d) zufällige Verbindung mit andern Künsten S. 672. Jst die Oper das höchste Kunstwerk? S. 673. Jntermezzo.

        • Zweyter Unterabschnitt. Beschreibende Poesie.

          I. Ueberhaupt. Sie interessirt die Phantasie und die sinnliche Anschauung. Theorie einer idealen Beschreibung überhaupt nach den vier Eigenschaften eines Jdeals S. 676.

          II. höhere beschreibende Poesie interessirt die Phantasie. Das höhere beschreibende Gedicht 678. war den Alten unbekannt S. 680. a) Plan desselben. Von poetischer Mahlerey S. 682. b) ästhetischer Jnhalt. Das große und starke. c) Styl, Metrum S. 683.

          III. niedere beschreibende Poesie interessirt das sinnliche Anschauungsvermögen.

          A) Das größere beschreibende Gedicht niederer Gattung S. 698.

          B) die Beschreibung der menschlichen Sitten. (Das moralische beschreibende Gedicht, enthält unter sich die Natur = Jdylle, die Satyre, die religiöse Jdylle, weil der Mensch in drey Zuständen erscheint, im Zustande der Natur, Kultur und Religion S. 686.) 1) die Jdylle (im engern Sinne) a) objektiver Jnhalt: dieRXLIX Sitten des Menschen von Seiten ihrer lebendigen Schönheit. Geschichte und zufällige Materien der Dichtart S. 687 90. b) ästhetischer Jnhalt: das Naive, ob auch das tragische und satyrische? S. 691. c) Styl, Metrum S. 692. d) zufällige Formen: Schäferromane, Epopöe 693. 2) die Satyre (im engern Sinne) a) die Sitten des Menschen im Zunstande der Kultur von Seiten ihrer Lächerlichkeit, die contrastirende Jdealität und Bestialität des bürgerlichen Menschen sind der objektive Jnhalt Griechische Satyre Römische S. 695. Plan der Satyre S. 696. b) der ästhetische Jnhalt derselben, bittere, scherzhafte Satyre. c) Styl, Metrum. d) willkührliche Formen, Parodie, Centonen. Ursprung derselben S. 699.

          C) Epigramm, als beschreibende Aufschrift S. 700.

          D) Beschreibende Lieder S. 701.

        • Dritter Unterabschnitt. Didactische Poesie.

          I. Ueberhaupt. Sie interessirt den Verstand und den Witz. Die vier Eigenschaften eines Jdeals, angewandt auf die Darstellung eines Verstandeswerks. S. 703. Ob die Didaktiker wahre Dichter sind? S. 703. Das Wesen des didaktischen Gedichts liegt nicht im Styl. S. 705. Analytische Methode des Lehr-Dichters S. 703.

          II. höhere didactische Poesie interessirt den spekulativen philosophirenden Verstand. Das höhere Lehrgedicht. a) objektiver Jnhalt nicht immer ein SystemRL S. 707. 9. Plan S. 710. b) ästhetischer Jnhalt, das Große herrscht. S. 712. Styl, Metrum, zufällige Formen S. 714.

          III. niedere didactische Poesie interessirt den wissenschaftlichen Verstand und den Witz.

          A) das didactische Gedicht zweyter Ordnung. Ob es auch szientifisch genannt werden könne? S. 715. a) objektiver Jnhalt. Zufällige Materien S. 717 23. b) ästhetischer Jnhalt. Die Grazie muß hier herrschend seyn. c) Styl, Metrum. d) zufällige Formen. Epistel. Gespräch. Erzählung S. 724.

          B) das gnomische Gedicht. S. 725.

          C) das Epigramm als Sinngedicht S. 727. a) objektiver Jnhalt: ein künstliches Gedankenspiel, Erwartung, Aufschluß, pointe, Stachel. Plan. Kürze S. 730. b) ästhetischer Jnhalt: das niedliche S. 731. c) Styl, Metrum, zufällige Formen. Jnpromptü. Devisen S. 731.

        • Vierter Unterabschnitt. Allegorische Poesie.

          I. Ueberhaupt. Sie interessirt die Vernunft als Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte und als Vermögen zu schließen. S. 733. Eigenschaften der dichterischen Allegorie bestimmt nach den vier Eigenschaften eines Jdeals überhaupt. S. 734. Unterschied von Allegorie und Mythus. S. 735. Sind die christlichen Jdeen oder die heidnische Mythologie poetischer? S. 739. VereinigungRLI beyder eine Aufgabe unsers Zeitalters. S. 740. Bedürfniß des Menschen, zu allegorisiren. S. 742.

          II. Höhere allegorische Poesie interessirt die höhere Vernunft. Das höhere Allegorische Gedicht

          a) objektiver Jnhalt. Symbole von göttlichen Dingen. Das allegorische Gedicht gränzt in dem Kreise der darstellenden Poesie an die göttliche Poesie von der andern Seite, (von der einen die Epopöe, von welcher wir ausgingen). Unterschied von der göttlichen Poesie S. 744. Ob die höhere Allegorie den Alten fehlte. S. 745. Plan des allegorischen Gedichts, zweyseitig. S. 749. Unterschied vom religiösen Gedicht, b) ästhetischer Jnhalt. Das Erhabene. S. 753. c) Styl. Metrum. 753.

          III. niedere allegorische Poesie interessirt das Vermögen zu schließen.

          A) Das allegorische Gedicht zweyter Gattung. S. 755.

          B) Die Fabel im Engern Sinne verhält sich zum allegorischen Gedicht, wie das gnomische Gedicht zum Lehrgedicht.

          a) objektiver Jnhalt, eine Regel der Lebensweisheit dargestellt durch ein analoges Sinnbild aus der nicht moralischen Welt. S. 756. Die sichtbare Natur hängt von gleichen Gesetzen ab, wie die Geisterwelt S. 757. Die Fabel ist ihrem Ursprung nach nicht rhetorisch, sondern poetisch S. 758. Unterschied von Parabeln S. 759. Plan. Stellung der Moral. S. 761. b)RLII ästhetischer Jnhalt. Das naive. c) Styl. Drey Arten. Der einfache, der scherzhafte Weltton, der epigrammatische. S. 762. d) Metrum. e) zufällige Formen. Aesopische, lybische u. s. w. αινος. Apologen S. 764. ein Fabelroman Fabelschauspiele. S. 765.

          C) Das Räthsel verhält sich, wie das Epigramm beym Lehrgedicht zu seinen Nebenuntergattungen Logogryphe, Charaden, Anagrammen. S. 766. Räthsel bey den Alten und andre Spielereyen S. 767.

          Allgemeine Anmerkung zur Eintheilungstafel der Dichtungsarten. S. 769. Die Organisation der Poesie ist wie die der Natur. Jm kleinen und großen dasselbe Wesen der Gattung ausgedrückt, so stellt das Sonnet zuweilen die Ode; die Ballade das Heldengedicht; die Aufschrift (das beschreibende Epigramm und Sentenz) das didaktische; das Räthsel das allegorische Gedicht dar. Wie in der Natur ist in der Poesie zuweilen mehr Ueppigkeit der Materie, in einer Gattung, zuweilen aber auch überwiegt die Form, zuweilen ist Form und Materie gleich. Daher sind gewöhnlich in jeder Hauptgattung der Poesie 3 Unterarten. Jn der Epopöe überwiegt die Materie, im Trauerspiel ist die Regel der Vollkommenheit, die Form des Schauspiels, überwiegend. Das dramatisirte romantische Gedicht steht in der Mitte. Jn Ode und Elegie ist freye Jdeenreihe. Jn Epistel und Heroide ist sie schon etwas durch den Charakter der schreibenden gebunden. Lied und Hymne hat einRLIII Gleichgewicht von Materie und Form, weil mehrere Menschen singen. Nach und nach macht der Mensch immer künstlichere Zusammenstellung von Formen, z. B. Oper u. s. w. Was in der Natur die Blüten sind, ist in der Poesie die lyrische Dichtungsart, eine subjektive Stimmung, freye noch unbegränzte Sehnsucht nach dem objektiv schönen den Früchten der darstellenden Poesie.

    • Schlußanmerkung. Grundzüge einer Geschichte der Poesie. S. 771.

      Die göttliche Poesie giebt drey Zustände des Menschen an. 1) Zustand der Natur ist ohne Poesie. S. 771. 2 ) Zustand der Cultur. Die Poesie entsteht und ahmt die Natur nach. S. 773. 3 ) Zustand der Religion. Die Poesie stellt die Contraste der Cultur von Jdealität und Jnstinct dar. Unterschied von alter und neuer Poesie. S. 775. im allgemeinen in den einzelnen Dichtungsarten. S. 781. ff.

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Verbesserung

Theil 1. Seite 235. Zeile 2. von unten statt: Totalität, lies: zweckmäßigen Caussalität.

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Poetik. Erstes Buch.

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Dieses erste Buch, welches die allgemeine Poetik enthält, besteht aus vier Kapiteln: 1) Von der Poesie und Poetik überhaupt. 2) Von dem Schönen, als der allgemeinen Materie der Poesie. 3) Von der Sprache, als der allgemeinen Form der Poesie. 4) Von den Dichtungsarten, oder den besondern Materien und Formen der Poesie überhaupt.

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Erstes Kapitel. Von der Poesie und Poetik überhaupt.

§. 1.

Poesie ist eine Kunst.

Amerk. 1. Der Mensch unterscheidet Natur und Kunst. Der Natur, in so fern er sie nur theilweise und als Aggregat von Kräften betrachtet, schreibt er eine nothwendige, folglich blinde und wahllose Wirksamkeit; den Thieren (z. B. dem Biber, der Biene) Jnstinkt, höchstens Kunsttriebe zu. Jn so fern er sich aber der Natur gegenüberstellt, sich als ein von der Natur getrenntes und mit vollem Bewußtseyn begabtes Ganzes betrachtet, fühlt er eine von dieser Natur unabhängige freye Wirksamkeit, die naturähnliche Erscheinungen hervorbringen kann. Diese seine vom Jnstinkt unterschiedene Wirksamkeit nennt er Kunst.

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Anmerk. 2. Das freye Wollen ist noch keine Kunst. Kunst ist das Abstraktum vom können. Es wird vorausgesetzt, daß der Mensch naturähnliche Erscheinungen hervorbringen könne. Das ganze vom Jnstinkt freye Handeln des Menschen muß also Kunst seyn, wenn es in der Erscheinungswelt sichtbar seyn soll. Das freye ganz regellose Wirken ist auch keine Kunst. Sonst würden die Erscheinungen der Kunst nicht naturähnlich seyn, da man in der Natur Ordnung wahrnimmt. Es wird vorausgesetzt, daß ein Kunstwerk Einheit und Zusammenstimmung der Theile habe. Der Mensch gelangt zu dieser Regelmäßigkeit seiner Productionen auf eine doppelte Art, entweder er erreicht einen mit dem Verstande faßlichen Zweck, kann einen Begriff zum Muster seiner Arbeit nehmen, das, was er hervorbringt, drückt nur einen bestimmbaren Zweck, einen Begriff aus, oder sein Produkt hat neben bestimmbaren Zwecken noch einen unbestimmbaren, läßt sich in so fern nach keinem Verstandesbegriffe beurtheilen, und kündet sich dennoch dem Gefühle als regelmäßig an. Jm ersten Falle ist sein Produkt ein einzelnes Naturding, durch den individuellen Zweck und Begriff durchaus bestimmt, mit genau zu berechnenden Wirkungen, z. B. eine Maschine. Jm andern Fall trägt das Kunstprodukt, außer seinem Daseyn als Erscheinung, noch einen allgemeinen Charakter, den die Natur in keinem Jndividuum erreicht, er wirkt nur auf diejenigen, welche sich der höchsten Vorbilder der Dinge bewußt werden können, es erscheint für die Anschauung; jedoch als kein Jndividuum mit bestimmbaren Zwecken,5 in so fern ist es höchst zufällig, aber es hat von allen Jndividuen etwas, nämlich das Wesentliche, in so fern ist es höchst nothwendig, z. B. die Venus des Apelles. Man sagt in diesem Falle, der Künstler verfährt nach Jdealen. Kunst läßt sich demnach definiren, als das vom Jnstinkt unabhängige Vermögen des Menschen, Erscheinungen hervorzubringen, entweder nach Verstandesmustern, zu bestimmbaren Zwecken, oder zu einer unbestimmbaren nur fühlbaren Zweckmäßigkeit nach Jdealen.

§. 2.

Poesie ist eine freye Kunst.

Anmerk. 1. Eigentlich ist alle Kunst, wie wir gesehen haben, frey vom Naturinstinkt. Wenn der Künstler aber nach Begriffen und bestimmten Zwecken verfährt, so wird er durch dieselben wieder bedingt. Er kann sich nun technische Regeln vorschreiben lassen, wie sein Begriff nothwendig zu realisiren sey. Daher giebt es eine doppelte Kunst, eine bedingte Kunst, hierhin gehören alle gelehrte und ungelehrte Künste, eine unbedingte Kunst. Letztere nennt man freye Kunst im höhern Sinne dieses Worts. Durch sie erhebt sich der Künstler über die Schranken der individuellen Natur, und jeder vorgeschriebenen Zweckmäßigkeit, und bringt einen6 Wiederschein des höhern Lebens hervor, realisirt auf eine Art, die nicht gelehrt werden kann, das Jdeale.

Anmerk. 2. Da Poesie eine freye Kunst ist, das heißt sich über alle individuelle Zwecke des Lebens erhebt, die individuellen Zwecke aber leider das einzige sind, was die Menschen ernstlich zu betreiben pflegen, so begreift man, warum die Poesie auch zuweilen eine spielende Kunst genannt wird. Spiel im höhern Sinne des Worts ist jede unbedingte Thätigkeit. Wenn das junge Thier seine ersten Kräfte versucht, spielt es. Der Mensch spielt, wenn er sich zur Unterhaltung und Uebung an scheinbar willkührliche Regeln bindet. Der freye Künstler spielt, indem er das höchst Zufällige darstellt, und dabey das höchst Nothwendige findet.

Anmerk. 3. Da die Poesie eine freye Kunst ist, das heißt, weder die individuelle Natur noch vorgeschriebene Muster nachahmt, sondern mit der Natur, gleich ihr schaffend, Hand in Hand geht, so nennt man sie auch zuweilen eine schöpferische Kunst. Die Jdee der Schöpfung ist die Jdee des freyen Hervorbringens alles Zufälligen, ohne Nachahmung von etwas voraus Existirendem, so daß der Schöpfer seine innere ideale Natur in der äußern Schöpfung unwillkührlich ausspricht.

Anmerk. 4. Da die Poesie eine freye Kunst ist, das heißt, nicht gelehrt werden kann, so nennt man sie7 auch eine Fähigkeit des Genie's. Genius ist die Kraft einer höhern Natur ohne Vorschrift, Regeln und Fesseln, aus dem ganzen Felde des Möglichen nur das Nothwendige herauszufinden und zu ergreifen. Der Genius erkennt keine Ordnung, die er nachahmen könne, sondern allein die Ordnung, die er hervorbringt. Zu jeder bedingten Kunst gehört ein angebornes Geschick, z. B. zum Arzte Beobachtungsgeist, Kaltblütigkeit, Gegenwart des Geistes. Man nennt dies Talent. Jn so fern jede unbedingte Kunst, auch einen in der Erscheinungswelt bestimmten Theil hat, in so fern gehört zu einer freyen Kunst auch Talent und Uebung, z. B. beym bildenden Künstler plastisches Geschick und Praktik. Aber ohne Begeisterung, ohne Berufung von Seiten einer höhern Natur, die man Genius nennt, bringt der nur talentvolle Künstler nichts, als kalte Kunstwerke hervor.

Anmerk. 5. Da die Poesie eine freye Kunst ist, das heißt, sich über die Anschauung des individuell = sinnlichen erhebt, so beschreibt man sie auch als eine Thätigkeit der Phantasie. Das Vermögen, einen äußern Gegenstand zu empfangen, gehört den Sinnen, ist er abwesend, sich ihn als gegenwärtig einzubilden, und mittelst des Gedächtnisses zu reproduciren, der Einbildungskraft, welches ein zufälliges Werk der Erinnerung seyn kann. Zwischen den Sinnen und den intellektuellen oder formellen Anlagen des Menschen liegt ein vermittelndes Vermögen, die Phantasie. Diese ist nicht passiv, wie die Sinne,8 und wie die Einbildungskraft seyn kann. Sie ist ein Streben. Sie ist das Streben nach sinnlichen Anschauungen, und als solche unendlich. Darum dehnt sie die Formen Raum und Zeit ins Unendliche aus, um dieselben von der Wirklichkeit ausfüllen zu lassen. Sie verarbeitet den Sinnenstoff zu Gemeinbildern oder Schemas, und macht dadurch dem Verstande die Anerkennung des Sinnenstoffes mittelst eines Begriffes möglich. Jn so fern sie jenen Gemeinbildern selbst die höchste Mannichfaltigkeit und Einheit für die Anschauung zu geben sucht, wird sie ein Vermögen der freyen Kunst, erhebt sie sich über die Sinnenwelt und den Verstand, und strebt nach dem Jdealen, das heißt, nach anschaulichen Vernunft = Jdeen. Das Jdeale, wornach sie strebt, ist aber nicht etwa das All der Realitäten. Sie will sich nicht aller zufälligen Vorstellungen anschaulich bewußt werden, sondern von allen Zufälligkeiten nur des Nothwendigen. Aus dieser mehreren oder mindern Leichtigkeit, im Endlichen das Absolute anzuschaun, und das Vergängliche zum Symbol des Ewigen zu erheben, entsteht das Gefühl der Schönheit. Phantasie als Kunstvermögen ist das Streben nach Jntuition des Jdealen, der energische Trieb der absoluten Vernunft sich selbst in ihrer höchsten Form anzuschaun. Was den Schein des Jdealen hat und erregt, nennen wir schön, daher ist Poesie auch eine schöne Kunst.

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Anmerk. 6. Da die Poesie eine freye Kunst ist, d. h. in der Natur, als einem Aggregat von individuellen Gegenständen keine hinreichenden Muster findet, so ist es falsch, wenn Aristoteles das Wesen der Poesie in die Nachahmung setzt. Er sagt dies zwar nur von der epischen und tragischen Poesie. Aber auch in dieser ist das eigentlich Poetische nicht die Darstellung der Wirklichkeit. Die Sache wird nicht besser, wenn man mit Batteux Nachahmung der schönen Natur als Princip annimmt. Dann fragt sich wieder, was in der Natur selbst poetisch sey? Historisch ist es wahr, daß alle Kunstversuche mit Nachahmung begannen, denn der Mensch gelangt nur durch Herumirren an das Ziel, in der Kunst, wie im Erringen der Wahrheit. Aber am Ziele selbst kann man den Weg nicht mehr für das Wesentliche ansehn. Der allertraurigste Begriff der Poesie, der für die Menschheit höchst entehrend ist, findet sich bey den Leuten, welche die Poesie für eine Kunst zu erdichten und durch Lügen zu unterhalten ansehn. Dieser Begriff scheint selbst unserm Sprachgebrauche anzuhängen. Aber man muß sich erinnern, daß Dichten ein Frequentativum von Denken ist, und ein geistiges Streben, mithin das eigentlich Charakteristische der Phantasie ausdrückt. Jndem die Poesie das Zeitliche zum Symbol des Ewigen und eigentlich Realen erhebt, und die sichtbare Welt in eine große Allegorie des Unsichtbaren umwandelt, giebt sie uns eine Vorahnung der Seligkeit. Es ist ihre höchste Bestimmung, das religiöse Gefühl, (das heilige Feuer, das die10 einzige reine Triebfeder für das Handeln ist,) in dem leicht erkaltenden Menschengeschlechte zu unterhalten, mittelst der Phantasie die Sinnlichkeit selbst zu bändigen, und zu veredeln. Poesie in diesem Sinne kann nur der Materialist für Lüge erklären. Sehr richtig bemerkt Strabo im ersten Buche seiner Geographie gegen den Eratosthenes, die Poesie sey mehr als eine ψυχαγωγια, sie sey von jeher bey den Alten als die φιλοσοφια πρωτη angesehen worden. Die Stoiker (und man kann hinzusetzen überhaupt die Griechen) hätten den Poeten ausschließend σοφος genennt, die Kinder in den griechischen Städten wären durch die Poesie zur Sittsamkeit erzogen worden, Religion und Staat hätten die Theater und die Homerischen Recitationen daselbst von jeher zur einigen Belehrung des Volks sanktionirt, und niemand könne ein Dichter seyn, der sich nicht als guter Mensch bewiese. Darum behauptet Aristophanes irgendwo, der Dichter spreche nur in seinen Werken seine eigne Natur aus. Horaz verlangt zu der Dichtkunst als erste Erforderniß die Weisheit, und der Vater der neuern deutschen Poesie, Martin Opitz, sagt in seinem Buche von der deutschen Poeterey, der Poet müsse nicht nur von sinnreichen Einfällen und Erfindungen seyn, sondern auch selbst ein großes unverzagtes Gemüth haben, hohe Sachen bey sich erdenken können, solle anders seine Rede eine Art kriegen und von der Erde emporsteigen. Denn die Poesie sey bey allen Völkern Anfangs nichts geringeres gewesen, als eine verborgene Theologie, ein Unterricht von göttlichen Sachen. Nur bey Nationen, deren Sitte und11 Sinnesart durchaus verderbt ist, nur zu den Zeiten und in den Augen eines Boileau erscheint die Poesie als eine von der Wahrheit getrennte müssige Lüge, und der Dichter, als ein geringes Wesen, welches Allotria treibt. Je mehr aber unsre Aufklärer, Wissenschaftler und Philosophen einsehen lernen, daß die göttliche Wahrheit nicht erklügelt werden kann, sondern durch Erleuchtung in die Gemüther der Menschen kommt, desto heiliger wird das Amt der Poesie. Wir, die wir uns der göttlichen Offenbarung rühmen, sollten es am leichtesten einsehen, daß sich Gott keiner wissenschaftlichen Demonstrationen, keines Systems oder Geistesgeripps von abstrakten Begriffen, sondern einer geheiligteren Poesie bedient habe, uns zu unterrichten. Nur der Profanen Auge ist es verborgen, daß unsre heiligen Bücher von Männern geschrieben wurden, welche der Geist Gottes trieb, daß nicht nur das alte Testament, sondern auch das Evangelium die höchste Poesie sey, zu deren Bewunderung sich das menschliche Gemüth erheben könne. Nur den Aufklärern, welche das Christenthum in eine mattherzige glaubenlose Kompendienmoral verwandelt haben, müssen wir es danken, wenn unsre schönen Geister darinnen keine Erhebung für die Phantasie, keine Poesie erblicken. Poesie kann also wohl unter den Heiden als eine Erdichtungskunst erscheinen, wenn man beym Herodot liest, Homer und Hesiodus hätten den Griechen ihre Götter gemacht (ποιησαντες, nach Wolf Prolegom. LIV., nicht nach Wessel, daher auch der griechische Ausdruck Poet, ein Jdeenschöpfer). Wir aber sollten in der höhern Poesie die Jdee der12 ewig unbegreiflichen Wahrheit finden. Die Verächter der Poesie, die immer noch nicht einsehen wollen, daß sie die erste und letzte Lehrerin der Menschheit sey, könnten sich vielleicht auf das Urtheil des Plato beziehen, der die Poeten ans seiner Republik verbannt wissen wollte. Allein Platos Republik war selbst eine realisirte Poesie, ein Versuch, das Jdeale in nüchterne irdische Wirklichkeit zu verwandeln. Mithin waren in dieser Republik die Poeten, denen er übrigens eine heilige Trunkenheit zuschreibt, unnütz und mit ihren Mythen sogar schädlich. Sie thaten dem λογος der Philosophie Eintrag. Nun ist aber die Realisirung einer solchen Republik, die Aristophanes schon parodirte und Aristoteles gründlich widerlegte, ein Unding. Da die Menschen in der Sinnenwelt sich als Jndividuen erscheinen, ist auch an keine Gemeinschaft der Güter, an keine allgemeine Familienvereinigung, wie sie Plato verlangte, zu denken. Das Jdeale würde also das individuelle Leben zerstören, wir würden einen Eingriff in die Rechte des Schöpfers thun, der uns als Jndividuen schuf. Gleichwohl soll der Mensch über sein Jndividuum nicht das allgemeine höhere Leben vergessen. Darum kehrt mit dem Umsturz der Platonischen Jdee auch die Poesie zurück. Sie soll uns das Jdeale vorhalten, und uns mitten in den Stürmen eines beweglichen zeitlichen Lebens, von fern einen ruhigen Abglanz des Himmlischen zeigen, dessen Anbetung uns über das Jndividuum erhebt. Darum sind wir nicht nur Menschen und Bürger, sondern auch Mitglieder einer unsichtbaren Kirche, deren alleiniges Oberhaupt Gott13 ist, und lernen in dieser Kirche die Rechte unsres Jndividuums nur unbeschadet des höhern Ganzen geltend zu machen. Daß übrigens die Poesie, wenn sie mehr als eine Dienerin der Sinnlichkeit seyn, und uns mit den göttlichen Jdeen vertrauter machen soll, wenig Freunde findet, ist natürlich. Wir hassen alles, was uns von unsrer sinnlichen Existenz abzuziehen droht, in der es uns so behaglich ist. Menschen, die den Sohn Gottes kreuzigten, die dürstende Lippe, auf welche der Ewige das himmlische Wort der Liebe legte, mit Essig und Wermuth tränken konnten, Menschen, die zulassen konnten, daß ein Socrates den Giftbecher trank, diese können ja auch wohl einen Homer, einen Tasso, einen Milton, einen Camoens, einen Buttler und Otway verhungern lassen.

§. 3.

Poesie ist diejenige freye Kunst, welche sich zu Hervorbringung des Jdealen der Sprache bedient.

Anmerk. 1. Hier beginnt erst der Unterschied der Poesie von den übrigen Künsten. Raphael, der ein Marienbild mit dem Christuskinde mahlt, hält uns, wie der Dichter, das Jdeale vor. Wir sehn hier keine gewöhnliche Mutter aus der Jndividuenwelt, wir sehn die mütterliche Liebe aller Zeiten, wir sehn diese Mutterliebe im höchsten14 Gefühle ihrer Würde, im Bewußtseyn das göttliche empfangen, geboren zu haben. Der Mahler spricht mit uns durch natürliche Zeichen, bey deren Gestaltung ihm die Natur nothwendige Regeln vorschreibt. Gleichwohl bezieht er sich dabey immer noch auf eine höhere Kunst, welche uns durch willkührliche von den Menschen frey erfundene Zeichen sagen kann, das ist Christus, das ist Maria! Diese Kunst ist die Poesie. Sie bedient sich der articulirten Töne, und der Schriftzeichen, der von den Menschen willkührlich bestimmten Sprache, wodurch sich dieselben Gedanken und Empfindungen mittheilen. Sie erhebt sich mehr als andere schöne Künste über die bloße Nachahmung der Natur, sie stellt nicht die Schöpfung, sondern die schaffende Kraft, nicht das Gedachte, sondern den Gedanken dar, und die geistige Bestimmung des Gegenstandes, sie wirkt auf das Bewußtseyn, nicht auf die Augen, sie ist also frey von allen Regeln der sichtbaren Welt, und sie kann, sobald sie sich nicht als Schauspielkunst, mit den bildenden Künsten verbindet, der Phantasie Gegenstände vorhalten, die nach Lessings Gränzbestimmung kein Mahler mahlen dürfte, einen hundertarmigen Briareus u. s. w. Da die Poesie nicht unmittelbar zu den Sinnen, sondern zur Einbildungskraft selbst spricht, und ein abwesender Gegenstand oft mehr Eindruck auf unsere Vorstellungsart macht, als ein nachgebildeter, den die Sinne begreifen können, so ist in so fern die Poesie wirksamer, als jede andere Kunst.

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Anmerk. 2. Alle übrigen Künste beziehen sich auf die Poesie, verweisen auf sie, als die letzte Dollmetscherin ihrer Darstellungen, müssen ihr Direktorium anerkennen. Der eine Haupttheil der Poesie, der schön Gedanke, muß in jedem Künstler vorhanden seyn, wenn ihm auch der andere Theil, der schöne Sprachausdruck, fehlt. Alle Kunstgenies haben etwas poetisches in sich, und die Künste sind nach dem Range zu ordnen, wie sie sich der Dichtkunst nähern. Der Mahler und Bildner bedarf mehr poetisches Bewußtseyn, als der Musiker, der dagegen das poetische Bewußtseyn mehr bey seinem Publikum voraussetzt und erregt. Die Dichtkunst ist ausgemacht die höchste und reinste Kunst. Sie läßt den schaffenden Geist sich vor uns hinbewegen, sie läßt den schönen Gedanken entstehen, in vollem Lichte des Bewußtseyns. Sobald sie spricht, sollten die andern Künste sie eigentlich nur unterstützen. Die Musik z. B. sollte sie niemals, wie in unsern heutigen Singstücken, übertäuben wollen, und Boileau's Gedanke, der in einem Prolog Poesie und Musik zu gleichen Rechten durch die göttliche Harmonie vereinigen läßt, ist mehr ein witziger Einfall, um sich herauszuhelfen, als ein gerechtes Urtheil. Die Alten waren bey ihrer Vereinigung der Musik mit der Dichtkunst der Wahrheit näher. Wenn die Poesie auch die höchste Kunst ist, so ist sie deswegen noch nicht die wirksamste, in Absicht auf die Stimmung des, welcher das Kunstwerk empfindet. Jn dieser Rücksicht ist die niedrigste der schönen Künste, die Musik, unter allen einfachen die wirksamste. Sie bewegt die Sinnlichkeit am16 heftigsten, und erregt, ob sie gleich selbst weniger schöpferisch ist, in dem Zuhörer das Bewußtseyn der Schöpfungskraft am meisten. Denn sie stellt ihm in der Tonreihe, die sich rythmisch entwickelt, das Schema seiner eignen in der Zeit sich auflösenden Seele dar, die nun zu einem freyen Gedankenspiele aufgefordert wird. Die übrigen Künste, in sofern sie den Gedanken im Bewußtseyn lichter entstehen lassen, bedingen mehr die Vorstellkraft ihres Publikums, und wirken also weniger auf den ganzen Menschen, wenn gleich mehr und nothwendiger auf den Geist. Uebrigens sind die zusammengesetztesten Künste, z. B. wenn sie sich unter der Aufsicht der Poesie zu einem Schauspiele vereinigen, natürlich die wirksamsten, so wie ein Gemälde wirksamer ist, als die Zeichnung. Der höhere Mensch empfindet aber mehr bey der Zeichnung, und man hört eine Sonate von Clementi lieber auf dem Clavier, als auf dem Fortepiano.

Anmerk. 3. Man könnte einwenden, durch obige Definition sey die Beredsamkeit nicht hinlänglich ausgeschlossen. Allein die Beredsamkeit ist gar keine freye Kunst, so wenig als die Baukunst. Jeder, der seine Gedanken durch die Sprache mittheilt, muß sich natürlicherweise deutlich, logisch und grammatisch richtig und den Gegenständen angemessen ausdrücken, wenn er belehren will. Dies kann man die Wohlredenheit nennen, von der uns Xenophon das beste Muster giebt. Sie sagt nicht mehr, als zur Sache gehört, damit man die Sache einsehen lerne. 17An die Regeln der Wohlredenheit ist jeder Schriftsteller gebunden, er mag die trockenste Materie abzuhandeln haben. Nun giebt es einen höhern Grad von Wohlredenheit, zu dem sich die Sprache nur dann erhebt, wenn sie nicht blos Gedanken anzeigen, sondern diesen Gedanken auch besondern Eingang bey den Zuhörern verschaffen, durch diese Gedanken die Seele der Zuhörer zu etwas bestimmen will. Dies ist denn die Beredsamkeit. Der Schriftsteller, der gelesen, der Redner in Kirchen oder Volksversammlungen und vor dem Richterstuhle, der gehört seyn will, der Feldherr, der seine Krieger zur Schlacht aufmuntert, muß die Kunstgriffe kennen, die ihm sein Publikum geneigt machen. Beredsamkeit ist also eine angewandte Psychologie, ein Theil der Politik, und wird fälschlich zu den freyen Künsten gerechnet. Dennn sie ist durch den Hauptzweck, die Gemüther zu stimmen, bedingt. Daher sind auch ihre Regeln, z. B. daß man bescheiden und mit einer captatione benevolentiae anfangen müsse, wenn man etwa keinen Catilina niederzudonnern hat, daß die Peroration concentrirt und heftig seyn solle, weil die letzten Worte den Zuhörer am meisten zur Handlung bestimmen, u. s. w. alle diese Regeln sind auf die Kenntniß des menschlichen Herzens gebaut, und keine ästhetischen. Daher ist auch keine Beredsamkeit falsch, sobald sie ihren äußern Zweck nur erreicht, und wenn man ein geschmackloses verderbtes Publikum mit Floskeln hinreißen kann, so hat man das volle politische Recht, es zu thun. Wenn sich der Dichter ein Publikum denkt, so ist dies zufällig, und er thut es selten,18 ohne dafür von den Musen gestraft zu werden. Die Dichtkunst kann eben so gut als ein Monolog des Dichters angesehen werden. Sibi cantat et Musis. Hätte Tyrtäus seinen Zweck nicht erreicht, er wäre immer ein guter Dichter, wenn gleich ein schlechter Feldherr gewesen. Er hatte als Dichter keine Außenwelt zu realisiren, er realisirte die ideale Welt in sich. Nun haben aber die Redner bemerkt, daß die Dichtkunst durch ihre Anspruchlosigkeit gefällt, daß sie lehrt, ohne den Schein zu haben, daß sie lehre, daß sie oft zu Ueberzeugung hinreisse und die Gemüther erleuchte, wenn der ohnmächtige Verstand es aufgeben muß, die Menschen zu Annahme seiner Lehren zu zwingen. Hieraus entsteht die Regel der Beredsamkeit: suche dich in deiner Rede dem Dichter zu nähern, mache es zu deinem Nebenzwecke, durch ein von der Poesie entlehntes äußeres Gewand, zu gefallen, wenn das Publikum anders eines reinen Geschmacksurtheils fähig ist. Dieses macht, daß die Beredsamkeit zuweilen zu den schönen Künsten gezählt wird. Der Redner schmückt sein Gedankengebäude aus, wie der Baumeister, daß man nicht nur eingehe und darinnen wohne, sondern auch gern eingehe und darinnen wohne. Jn sofern der Dichter zuweilen eine Außenwelt nachahmt und idealisirt, kann es ihm auch in den Sinn kommen, beredte Menschen zu schildern, wie Homer den Odysseus. Dann muß er sich gefallen lassen, wie jeder darstellende Dichter vor dem Richterstuhle des Verstandes zu erscheinen. Er wird von einem Dionysius Halikarnass., von einem Quinktilian19 kritisirt, ob seine Helden auch beredt geschildert seyn. Die darüber gefällten Urtheile sind aber nicht eigentlich ästhetisch, eben so wenig, wie die Regeln, die man dem dramatischen Dichter in Absicht auf die Vollkommenheit seiner Handlung giebt. Dieser Umstand trägt viel zur Verwechslung der Begriffe bey.

§. 4.

Poetik, welche hier vorgetragen wird, ist keine Wissenschaft, keine Kunst im objektiven Sinne, sondern eine Theorie.

Anmerk. 1. Die Poetik wird als ein Theil der Aesthetik angesehen und zur Philosophie gerechnet. Da nun in der Philosophie zu unsern Zeiten völlige Anarchie und Begriffsverwirrung herrscht, und der Verf. sich zu keiner der bisher vorhandenen philosophischen Sekten bekennt, so sieht er sich genöthigt, um der Poetik ihren Platz anzuweisen, sein eignes System in wenigen Worten anzudeuten. Der Mensch sammelt durch die Sinne Vorstellungen und bewahrt sie im Gedächtnisse. Er bringt sie unter gewisse Rubriken, und erkennt an diesen Rubriken die Gegenstände wieder. Der Jnbegriff einer Menge von Vorstellungen unter eine Rubrik gebracht heißt Kunde, z. B. Münzkunde, Pflanzenkunde, Sternkunde (d. h. Astrognosie) u. s. w. Mit Recht braucht man auch den Ausdruck Geschichte, z. B. Naturgeschichte. Dies ist der erste Grad20 der menschlichen Kenntniß, die aus historischen Aggregaten besteht. Doch damit begnügt sich der Mensch nicht. Er will die gesammelten Vorstellungen nicht blos nach ihrer äußern Aehnlichkeit ordnen, sondern auch nach ihrem innern Wesen in einen nothwendigen Zusammenhang von Causalität bringen, theils um die wirksame Kraft der Erscheinungen zu verstehen, theils um selbst ähnliche Erscheinungen hervorbringen zu können. Nun ist er sich innerlich gewisser nothwendiger Construktionen von Anschauungen und Kraftbegriffen bewußt, die rein dargestellt, einen Zusammenhang haben, und sich wechselseitig bestimmen. Diese nothwendigen Construktionen paßt er, so gut es gehen will, an die zufälligen Naturerscheinungen an, und versucht, ob daraus eine entsprechende Einheit hervorgebracht werden könne. Es wird eine Hypothese, als Grundsatz gesetzt, ein Hauptbegriff, eine Hauptanschauung construirt, und daraus die Erscheinungen hergeleitet. Lassen sich nun auf diese Art alle ähnlichen Erscheinungen einer Art befriedigend erklären, so daß keine der vorausgesetzten Einheit widerspricht, so bestätigt sich die Hypothese durch die Erfahrung. Eine Zusammenstellung solcher zusammenhängenden Sätze mit Belegen aus der Erfahrung verbunden, heißt eine Theorie, eine vernünftige Beschauung. Dahin gehören die mechanischen, astronomischen, physischen, chemischen, psychologischen Theorieen, mit einem Worte, alle Versuche, die Erscheinungen in Raum und Zeit, in der äußern und innern Natur zu erklären. Jn so fern diese Theorieen es dem Menschen oft möglich machen, noch nicht21 bekannte zukünftige Erscheinungen glücklich vorher zu errathen, so wie Newton die Verbrennlichkeit des Diamants, Kopernikus die Phasen der Venus errieth, in so fern glaubt der Mensch von der Natur nicht zu lernen, sondern maßt sich es an, die Gesetze des Weltlaufs zu wissen. Die Theorieen werden daher oft Wissenschaften genannt, und wenn sie lehren, wie man selbst mit menschlicher Kraft in der Erscheinungswelt handeln könne, wissenschaftliche Künste, im objektiven Sinne des Worts, z. B. Arzneykunst, Staatskunst u. s. w. Allein das Wort Wissenschaft ist in diesem Sinne auf die Erfahrungswelt angewandt, ein leerer Schall. Unsre Astronomieen, Physiken, medizinischen und psychologischen Systeme werden immer und ewig Theorieen bleiben, wo nicht alles eintrifft und die Kunst oft zur Stümperey wird. Mit einem Worte, zwischen Erfahrungs-Theorieen und eigentlicher Wissenschaft liegt eine unausfüllbare Kluft. Die Theorie nimmt zwar ihre Ordnungsbegriffe und Grundsätze als Hypothesen aus den Wissenschaften, sie ist aber deswegen keinesweges angewandte Wissenschaft, sondern nur Anwendung der Wissenschaft zu nennen. Die Wissenschäftler gehen also zu weit, wenn sie die Theorieen in ihre Formen zwängen, das Experimentiren vernichten, und alles apriorisiren wollen. Allein auch die Theoretiker gehn zu weit, wenn sie das Daseyn der reinen Wissenschaft läugnen, ihre Theorieen so verwirrt und unlogisch vortragen, wie es noch immer geschieht, und sich um das Thun und Lassen im eigentlichen22 Felde des Wissens gar nicht bekümmern. Ohne die reinen Wissenschaften würden sie nicht einmal Theoretiker seyn, denn dorther nehmen sie ihre Hypothesen. Nun lassen sich alle Erfahrungstheorieen auf vier Hauptrubriken bringen, entweder betreffen sie die Größe der Erscheinung, oder die besondere Krafteigenschaft in der Erscheinung, oder die Zusammensetzung solcher Krafteigenschaften zur Erscheinung des Lebens und der Natur überhaupt, oder die Erscheinungen in so fern sie im menschlichen Bewußtseyn vorkommen. Alle Theorieen streben also hier sich zu vereinigen in ewiger Approximation 1. zu einer allgemeinen Größenlehre, 2. einer allgemeinen Bewegungs = und Elementarlehre, 3. einer allgemeinen Lebens = und Naturlehre, 4. einer allgemeinen Seelenlehre. Zur ersten Gattung gehört alle bürgerliche Mathematik, alle irdische und himmlische Mechanik. Zur zweyten Gattung alle chemische Theorieen, die eigentliche Medizin u. s. w. Zur dritten Gattung, alle physische Theorieen, alle Anthropologie, Pathologie und Physiologie. Zur vierten Gattung, alle Theorieen der empirischen Psychologie, welche den Menschen als Erscheinung betrachten. Zur empirischen Psychologie gehört also das Naturrecht, oder die rechtliche Behauptung des Jndividuums, das gesellschaftliche und Staatsrecht, das die Jndividuen in Gesellschaft und Unterwerfung betrachtet, die Kunst unter Menschen zu handeln, oder die Politik, die Erziehungskunst, die Geschichte nach weltbürgerlichen Jdeen, alle ethischen und ästhetischen Theorieen u. s. w. Diese vier23 Haupttheorieen verlangen also und setzen voraus, erstlich eine Formalphilosophie, eine Logik, oder Lehre die Begriffe zu analysiren und zu ordnen, zweytens eine materielle Quelle für ihre Hypothesen, aus der sie die reinen Construktionen schöpfen können, sie postuliren, daß ihnen ein beständiges Jdeal vorgehalten werde, nach welchem sie arbeite, das Jdeal nun aller Theorieen ist die reine eigentliche Wissenschaft, die Dingenlehre, die Ontologie, die Materialphilosophie, Scientia prima. Sie construirt ihre Materie selbst, und analysirt sie alsdann nach logischer Form. Sie ist also rein, der Materie, wie der Form nach. Jn ihr fällt Realität und Jdealität zusammen zur Jdendität. Sie ist kein Lernen von außen, erwartet keine äußere Bestätigung. Sie ist ein völliges Wissen, dessen Möglichkeit jedermann anerkennen muß, sie ist eine Verstandesreflexion über die innern absoluten Produktionen. Die Construktionen der reinen Wissenschaft nimmt nun der Theoretiker in seine Theorieen als Hypothesen auf, und sucht seine Erfahrungen eben so logisch zu ordnen, wie die Ontologie selbst, wobey aber nie eine völlige Gewißheit entstehen kann. Diese Ontologie hat vier Hauptkapitel, eben so, wie es die vierfache Theorie verlangt: 1) Eine rationale Größenlehre (Mathematik); 2) eine rationale Kraftlehre (Mechanik); 3) eine rationale Naturlehre (Physiologie); 4) eine rationale Seelenlehre (Psychologie, Transscendentalphilosophie). So wie die Theorieen alle am Ende die Ontologie postuliren, so postuliren wiederum die vier Kapitel der Ontologie einander stufenweise. Die Mathematik,24 welche die Zahlen in der Zeit, und die Gestalten in Raum construirt, postulirt die Möglichkeit, eine Gränze zu ziehen, mithin, wie Newton in seiner Vorrede zur Naturphilosophie selbst eingesteht, das Daseyn einer rationalen Mechanik, oder des zweyten Kapitels. Da nun die Mathematik nicht von Axiomen, sondern von Postulaten beginnt, überdem gar noch nicht wissenschaftlich geordnet ist, so ist der vornehme Ton, den manche Mathematiker, z. B. Kästner, gegen die übrigen Philosophen angenommen haben, nicht zu begreifen. Die Mechanik, welche die Richtung der verschiedenen Kräfte, Expansion, Attraktion und Schwere construirt, postulirt, wie Newton am Ende seiner astronomischen Mechanik ebenfalls bemerkt, eine produktive Naturkraft, oder das dritte Kapitel, und dieses die Physiologie, welche die Construktion des Lebens und der Organisation in der Natur unternimmt, postulirt als Schlußstein des ganzen Weltsystems ein allgemeines Bewußtseyn, oder das vierte Kapitel, die rationale Psychologie. Diese Seelenlehre soll den Begriff des Bewußtseyns construiren, die Möglichkeit in Vereinigung des Zufälligen und Nothwendigen, von Freyheit und Schicksal erklären, den Gegensatz vom Jch und Welt, Form und Materie (nicht für die Erfahrung, sondern für die Vernunft), durch eine letzte Einheit alles Wissens aufheben. Diese rationale Bewußtseynslehre, die letzte Höhe alles irdischen Wissens, ist keine Metaphysik. Denn das Bewußtseyn, welches ihr Gegenstand ist, liegt in der Sphäre der Erscheinungswelt, und beschließt dieselbe. Sie kann aber auch keine25 bloße Skepsis oder Kritik seyn. Skepsis und Kritik sind nur so lange gestattet, als der Wahn von einer Metaphysik da ist. Wird dieser aufgegeben, so ist Skepsis mit Ataraxie verbunden, durch das Daseyn der reinen Wissenschaft selbst widerlegt, welche die Möglichkeit einer Bewußtseynslehre postulirt, und es kann die Skepsis nur noch als ein Glaube an mehrere Perfektibilität, gegen eine besonders dargestellte Bewußtseynslehre gerichtet seyn. Was die Kritik betrifft, so ist sie ganz unnöthig, wenn man die Metaphysik fallen läßt, sie ist nichts anders, als eine Skepsis der zweyten Art, und es war eine große Jnkonsequenz der Kantischen Schule, die Kritik als eine Wissenschaft aufzustellen, und die letzten Grundsätze, nach denen man kritisirte, zu verschweigen. Man postulirte also stillschweigend den allgemeinen Vernunftcanon, die rationale Psychologie, oder vollendete Transscendentalphilosophie. Das fühlte Reinhold, und darum stellte er seinen Bewußtseyns = Satz als letzten Satz des Wissens auf. Allein in dieser Entzweyung, oder Verdreyung der Urbegriffe war kein Heil, d. h. keine Jdentität zu finden. Das fühlte Fichte, darum setzte er den Satz des identischen Jchs an die Spitze. Allein es blieb hier immer eine blos logische hypothetische Nothwendigkeit, die Nothwendigkeit des setzenden Jchs, die absolute Einheit war nicht errungen, so wenig, wie das Nichtich erklärt. Der Dualism war nicht gehoben. Das fühlte Schelling, und endete die rationale Psychologie mit einer vollkommenen Jdendität des Geistes26 und der Natur. Aber so wahr es ist, daß wir ohne Jdendität keine Wissenschaft haben, die für die Theorie Jdeal sey, so wenig kann dieser Satz Jch = = Welt theoretisch ausgedrückt an der Spitze der Systeme stehn. Jch und Welt bleiben ewig, so bald sie theoretisch ausgedrückt werden, Wechselbegriffe, die einander wechselseitig voraussetzen und aufheben, die von einem höhern unbegreiflichen Wesen, durch dessen stete Schöpferkraft unser Bewußtseyn beginnt, gehalten werden müssen. Die letzte Einheit des Wissens, die absolut seyn muß, mithin als kein Postulat mehr erscheinen kann, kann auch nicht als theoretischer Satz da stehn, dann ist sogleich Entzweyung vorhanden. Nein. Die letzte Einheit des Wissens ist der Jmperatif des höhern Lebens, der Gott, der uns schafft und trägt, gebietet uns herauszugehn in die Erscheinungswelt, zu handeln nach innern Gesetzen der höhern Natur, nicht in der Zeit, sondern in die Zeit, rüstet uns aus mit seinem göttlichen Geiste, und verheißt uns, wenn wir diesem Gebote folgen, daß dann all die scheinbare Materie der göttlichen innern Form gehorchen, daß unser Handeln unter höherer Leitung ein Schaffen werde, daß Jch und Welt zu einer seligen Jdendität zusammenfallen müsse. Das Bewußtseyn dieser praktischen Jdendität ist kein Kantischer Vernunftglaube, der in der Theorie leer gefunden und in der Praxis nur angenommen wird. Es ist kein angenommener Glaube, sondern die höchste einzige Realität des Daseyns. Es ist der Glaube, mit dem man Berge versetzt. Diese praktische Jdendität des Jchs und der Welt, ist nicht das27 Kantische höchste Gut, eine nach Würden vertheilte Glückseligkeit. Dieses höchste Gut ist ein Widerspruch der individualisirenden Erscheinungswelt, also das höchste Gut etwa für diese Welt, aber nicht für eine höhere, Entzweyung nicht Seligkeit. Die höhere Tugend, wie die Stoiker recht gut einsahen, muß den Sinn für individuelle Glückseligkeit vernichten, und die Freuden des edlern Menschen fangen an, mit der Liebe, mit der Freundschaft, mit der Vaterlands = und Menschenliebe, also da, wo sich das Jndividuum verliehrt. Diese praktische Jdendität des Jchs und der Welt ist das Gefühl einer idealen Welt, wo alles Jndividuelle sich in einem seligen Ganzen vergißt, die Ahnung eines Himmels, wo es kein erschlichenes Vorrecht, kein Eigenthum, keine Schranke des Einzelnen giebt, sondern, wo sich alles dem Heiligsten in dem Grade nähert, als es selbst heilig ist. Die Vorahnung dieser praktischen seligen Jdendität, ist die einzige mögliche reine Triebfeder für unser Handeln, nicht eine unzureichende Achtung für das Gesetz, die Kant verlangt, nicht die individuelle Glückseligkeit. Mit einem Worte, die Gewißheit, daß ein Gott durch uns schafft, und durch unsere Handlungen die widerstrebende Welt seinen innern Gesetzen gleich machen will, ist die Religion. Diese Religion, deren Jmperatif die Vernunft selbst erst begründet und zur Reflexion auf sich herausgehen heißt, kann nicht, wie die Kantianer meynen, innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft dargestellt werden. Es ist unbegreiflich, wie selbst Theologen die Stirn haben können, Kanten so blind nachzubeten, daß sie zu verstehn geben,28 Christus habe sich hier und da geirrt, Gott müsse ein gerechter, nach dem Buchstaben strafender, kein vergebender Gott, kein Vater seyn. Nein, auf den höchsten Standpunkt des Wissens, der nicht erklügelt werden kann, können wir nur durch Erleuchtung, durch Erhebung über das Jndividuum, durch ein Wunder Gottes, gestellt werden. Menschen, am Ende ihres Kreislaufs, ruft euch die Philosophie zu: Jch bin Wissenschaft, aber nur durch die Religion. Jch strebte hin, Metaphysik und Moral zu werden. Da vernichtete ich mich. Mein Forschen und Grübeln, und die Seuche der historischen sinnlichen Gelehrsamkeit, haben euch auf den umgekehrten ganz falschen Standpunkt gestellt, wir haben euch vorgespiegelt, das Wissen, das Erfahren, das Begreifen müsse dem Handeln vorausgehn. Nein. Die Natur hat euch nicht rückwärts, sondern vorwärts gerichtet. Diese Einheit, die letzte Ruhe eures reflectirenden Wissens, euer volles Wissen liegt in eurem Handeln. Sobald euer höheres Seyn erwacht, seyd ihr nicht Sklaven, sondern Helden der Geschichte, nicht Schüler der Menschheit vor euch, der Natur um euch, sondern Meister der Schöpfung, durch den Gott in euch. Dazu hat euch das Wunder Gottes, die Offenbarung berufen! Genießt nun, nach meiner Verirrung mit freyerem Sinne die Früchte der göttlichen Offenbarung!

Und was ist das nicht wissenschaftliche, nur zu ahnende Resultat jener göttlichen Offenbarung, welche neue philosophische Theologen unter dem herabwürdigenden Bilde einer29 längst vergangenen historischen Thatsache darstellen, die nur gelernt und historisch geprüft werden müsse, während sie eine immerfort wirkende That, ein immer weiter sich ausbreitendes Licht, eine von Seele zu Seele, vom Vater zum Urenkel hinabgehende wohlthätige Erschütterung seyn sollte? Menschheit und Natur waren von Anbeginn Geschöpfe Eines liebenden Schöpfers, der in der Schöpfung sein göttliches Bild sucht. Jn irgend einem goldenen Zeitalter der Vorwelt gehorchte die Menschheit der Leitung ihres Schöpfers, in seliger Blindheit. Aber höherm Rathschlusse zu Folge sie vom Baume der Erkenntniß, riß sich von der Natur los, fiel von ihrem Schöpfer ab, warf sich in die Bahn des Wissens, wollte Gott begreifen, und strebte zu werden, wie Gott. Denn um Gott zu begreifen muß man Gott seyn. Gott kann sich durch keinen Propheten, kann sich nur durch Gott offenbaren. Und die Natur widerstand diesen ohnmächtigen von Gott verlassenen Klugen, und sie versanken in den Tiefen ihres eignen Lasters, und versöhnt mußte werden die That, die höchste Kühnheit des Wissens erreicht und bestraft, oder diese Menschheit war auf ewig verloren. Da erschien er, der Einzige, dem das große Werk der Versöhnung bestimmt war, unter dessen vermittelndem Nahmen die neue höhere Schöpfung beginnen sollte. Er trat auf, um Gott den Menschen zu offenbaren, stellte sich auf die höchste Stufe des Wissens, zwischen den ewigen Vater und die Welt, lud auf sich die Sünde der abgefallenen Welt in ihrer ganzen Größe, sprach es aus das hohe einzige Wort: Jch bin Gott, wie Gott, ge =30 zeugt von Gott, strafte dafür selbst, nicht leidend, wie ein Sokrates, nein, nach freyer Willensbestimmung sein Jndividuum mit dem Tode, und gab nun rein und unbefleckt seine göttliche Natur dem Vater der Liebe, der im Sohne sein verherrlichtes Bild erblickt hatte, wieder. Aber nicht geendet war damit die Wohlthat, die Menschheit nicht verlassen. Er, der einzige berufene Lehrer der Menschheit, sandte seinen Geist, Gott, kommend von Gott, und wie Gott, daß er in der Menschheit wohne, und sie heilige zur gleichen Göttlichkeit. Und das große unbegreifliche nie auszudenkende Wunder der Offenbarung geschah, und wiedergeboren wurden die Menschen, und lernten, wie ihr großer Meister sich erheben über ihr zeitliches Selbst, und neu schaffen die Welt und aufblicken zum Himmel, und gewinnen das höhere Leben, und sich halten an das ewige Wort der Liebe, das die Welt schuf, und einsehn, daß der ungläubige Egoismus die Hölle der Schöpfung sey, daß der Glaube uns immer höher ins geistige Seyn hinaufhebt, daß wir nie geboren wurden und nie sterben, sondern von Gott, aus Gott geschaffen werden in Ewigkeit.

So lautet das Symbolum unsres Glaubens. Es ist der Schluß aller Philosophie. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein worden.

Anmerk. 2. Aus dem vorhergehenden läßt sich nun die Erklärung des §. herleiten. Poetik ist nicht Wissenschaft. Aristoteles konnte nicht eher schreiben,31 als Homer und die Tragiker gedichtet hatten und die Poesie, eine Wundererscheinung der innern Geistesnatur, läßt sich nicht weissagen, am allerwenigsten läßt sie sich durch Demonstrationen erringen. Die Poesie ist ein Werk des Genius, und der Genius ist frey von den Fesseln der Grundsätze. Man übersetzt oft das französische belles lettres im Deutschen durch schöne Wissenschaften, eine süßlichte Pedanterie, dergleichen die Sprache mehr aufzuweisen hat. Eher wär's zu dulden, wenn man die Poesie selbst Wissenschaft des Schönen, Gaya ciencia (sagt der Trobador) nennte; denn der schaffende Geist weiß allein, wiewohl oft ohne lichtes Bewußtseyn, was er schaffen wird, nicht der reflektirende. Dieser kann nur betrachten, was geschaffen ist, aber es nicht ganz erklären, eben so wenig, als die Philosophie erklären kann das Daseyn der Welt, ohne sich mittelst der Religion an den Schöpfer anzuschmiegen. Gleichwohl soll Poetik auch mehr als bloße Kunde der Gedichte seyn, wenn sie gleich bis jetzt nichts anders gewesen ist. Sie ist eine Theorie, eine Betrachtung, zusammenhängend nach Vernunftgründen. Der Poetiker betrachtet die organischen Produkte des Geistes, nicht blos äußerlich, sondern wie der physiologische Botaniker die Pflanzen, und sucht in das Jnnere ihrer Organisation einzudringen. Die Poetik ist ein Theil der allgemeinen empirischen Psychologie, wie die ganze Aesthetik. Sie bedarf der Hypothesen zur Entwicklung ihrer Theorieen und diese Hypothesen nimmt sie aus der rationalen Psychologie. Die rationale Psychologie, oder32 Transscendentalphilosophie, muß also das Bewußtseyn und die dabey handelnden Kräfte, das Gefühl des Schönen u. s. w. erklärt haben, wenn sich die Poetik ganz vervollkommnen soll.

Anmerk. 3. Kunst im objektiven Sinne ist ein Jnbegriff technischer Regeln, zu einem praktischen Zweck, zur Darstellung eines Produkts zu gelangen. Nun ist Poesie, als Schöpferkraft idealisch genommen, frey von allen vorangehenden, im Bewußtseyn begreiflichen Regeln, folglich kann Poetik eben so wenig Kunst, als Wissenschaft seyn. Jedoch hat der Dichter logische und grammatisch = mechanische Talente nöthig, die, wenn sie ihm gleich angeboren seyn müssen, doch durch Vorhaltung von Mustern, Regeln und Uebung kultivirt werden können. Jn Rücksicht dieses bedingten Theils der Poesie, kann Poetik allenfalls Kunst genannt werden. Sie verbietet die logischen und äußern Unvollkommenheiten, die Fehler in der Sprache, (denn sprechen muß der Dichter doch, also sich binden bey aller Lizenz an die Hauptregeln einer verständlichen Sprache) endlich die Fehler im Versbau. So ist z. B. Verskunst ein Theil der Poetik. Jn so fern die Poetik Kunst ist, und bestimmte Regeln giebt, ist sie aber blos verbietend, ihre Regeln negativ. Sie betreffen das, was am Kunstwerke die sinnliche Erscheinung ist. Da du die Schönheit an Begriffe, an Sprache, an äußere Verhältnisse bindest, sagt sie zum Dichter, mußt du den Verstand nicht durch logische Gedankenunvollkommenheiten33, durch Vernachläßigung der äußern Verhältnisse, z. B. im Schauspiel, beleidigen, die Hauptregeln der Sprache in Absicht auf Richtigkeit und Verständlichkeit nicht aus den Augen setzen, die Sprache für das Ohr nicht unangenehm werden lassen. Diese Regeln giebt sie; kategorisch positive Jmperative hat aber die Poetik nicht. Sie kann nicht angeben, wie ein Kunstwerk schöner zu machen, wie eine Dichtungsart zu organisiren sey. So wenig, wie sie das höchste Maaß des Schönen bestimmen kann, eben so wenig kann sie die Grade der Approximation in den einzelnen Kunstwerken durch Begriffe angeben. Jhr höchster ästhetischer Jmperativ ist schaffe, erhebe dein Kunstwerk zur schönsten lebendigsten Organisation, non satis est pulcra esse poemata, dulcia sunto. Horat. Und dieser Jmperativ ist nur ein Echo der innern Stimme, welche das Genie lange vor dem Poetiker vernahm. Was die Poetik Positives hat, ist also Theorie, classifizirte Betrachtungen, abstrahirt von den daseyenden Werken. Definitionen, nicht Urbegriffe noch Regeln. Sie beschreibt jede Dichtungsart, wie sie der menschliche Geist nach und nach organisirt zu haben scheint, nach ihrem innern Zusammenhange, entwikkelt die Begriffe, die im Keim der Dichtungsart zu liegen scheinen, ohne doch die Dichtungsarten ganz unwiderruflich bestimmen zu können, da das Genie immer neue Blumen hervorbringt. Positive für das Genie gegebene Regeln der Poetik sind Krücken, auf denen der Lahme einhergeht, während sie der Gesunde wegwirft. Wenn der Dichter bey34 seinen Schöpfungen die negativen Regeln der Poetik beobachtet, so schreibt man ihm neben dem Genie auch Geschmack zu. Jn Ansehung des Kunstpublikums hat das Wort Geschmack eine ausgedehntere Bedeutung und bezieht sich auch auf die Empfänglichkeit für das eigentliche Schöne, auf die Kenntniß der Kunstwerke, auf das Vermögen, die Organisation jeder Dichtungsart nachzufühlen, und die Grade des ästhetischen Vergnügens zu schätzen.

§. 5.

Poetik ist Theorie der Poesie überhaupt und der einzelnen Dichtungsarten insbesondere, zugleich ein Jnbegriff verbietender Regeln für die poetischen Kunstwerke, in wie fern diese neben ihrem idealischen Charakter auch als einzelne durch den Verstand bestimmbare Gegenstände erscheinen.

Anmerk. Sie ist ein Theil der Aesthetik, mithin der allgemeinen Psychologie. Als Theorie betrachtet sie die poetischen Naturerscheinungen des menschlichen Geistes nach Grundsätzen. Diese Grundsätze sind aber nur Hypothesen, aus der rationalen Psychologie entlehnt, womit eine allgemeine Erklärung jener innern Naturerscheinungen versucht35 wird. Sie deducirt aus dem innern Wesen des menschlichen Geistes die Poesie ihrer Materie und Form nach, classifizirt die einzelnen Dichtungsarten nach der Erfahrung und definirt den Begriff oder Keim einer jeden, wie sie der menschliche Geist organisirt zu haben scheint. Sie kann hierbey nicht alle Dichtungsarten a priori bestimmen, aber doch neu zu erfindende weissagen, wie der astronomische Theoretiker neue Planeten. Der Poet bleibt immer der Erfinder (Trobador). Jn wie fern die poetischen Kunstwerke in der Verstandeswelt einen individuellen Charakter haben, schränkt sie selbige ein durch negative Regeln, betreffend 1) die logische Vollkommenheit des Gedankens, z. B. Plan im Schauspiel; 2) die Sprache, den Gebrauch und das musikalische derselben; 3) die äussern Verhältnisse, z. B. Rücksichten auf die Beschränktheiten des Theaters. Nur in diesen Hinsichten kann man sie Critik nennen, wenn Critik Prüfung und Beschränkung nach Regeln heißen soll. Scaligers Critikus und Hypercritikus sind mehr subjektive Aeußerungen des Geschmacks, als objektive Theorie oder wahre Poetik.

E36

Zweites Kapitel. Vom Schönen, als der allgemeinen Materie der Poesie.

§. 1.

Jede Kunst, als eine bildende Kraft, kann in doppelter Hinsicht betrachtet werden. Man kann fragen: Was wirkt sie? Das ist ihre Materie. Wie wirkt sie es? Durch welche Mittel? Das ist die Form, die sie im Bilden annimmt. Die allgemeine Materie jeder freyen Kunst, mithin auch der Poesie, ist das zu realisirende Jdeale, oder weil dieses eigentlich nie erreicht noch befriedigend dargestellt werden kann, ein Schein des Jdealen im Realen, welches man das Schöne nennt.

37

Anmerk. Man hat oft über die römischen Rechtsgelehrten gespottet, deren Definitionen nur Etymologieen sind. Jndeß ist diese stoische Verfahrungsart der wahre Weg zur Philosophie. Die philosophische Analysis wird nie richtiger deduciren, als wenn sie, wie Sokrates im Cratylus des Plato, grammatisch derivirt. Der Sprachgebrauch ist nicht in allen Dingen ein willkührlicher Tyrann. Er wird als eine nothwendige Synthese durch die Poesie des menschlichen Geistes geschaffen, die alles Wahre hervorbringt, und die Reflexionen der Philosophie werden erst dann wahr, wenn sie mit ihm zusammentreffen. Schön stammt nach Wachter von scheinen, d. i. glänzen. Nun glänzt nichts, was nicht angeschaut wird. Was angeschaut wird, ist nicht mehr die Sache, das Urseyn, sondern eine Erscheinung, ein Abglanz, ein Widerstrahl der Sache. Wenn wir nun annehmen, daß das Jdeale in dem Wesen des schöpferischen Geistes verborgen liege, nie, so viel man darnach strebt, befriedigend angeschaut und hervorgebracht werden könne, so wird man immer nur einen schwächern oder stärkern Abglanz des Jdealen erreichen, welcher das Schöne heißt. Die freye Kunst, das Streben nach dem Jdealen, die Phantasie bringt also eigentlich nie das Jdeale hervor, wiewohl dies ihr letztes Ziel ist, sondern allein das Schöne. Das Schöne ist demnach die Materie der freyen Kunst und der Poesie. Das Jdeale ihr unerreichbares Ziel. Man könnte nach dieser Behauptung einwenden, daß der Geist nach etwas Unmöglichem oder38 Widersprechendem strebe, indem das Urseyn nie völlig angeschaut werden könnte. Allein dieser Widerspruch ist die einzige Quelle alles äußern Lebens. Wenn die äußere Anschauung das innere Urseyn erreichte, so hätte dasselbe sich noch einmal dargestellt, wir hätten zwey Urkräfte im Gleichgewicht, und das Leben ständ still. Eben darum bringt der Urgeist immer neue Möglichkeiten aus seinem Wesen hervor, um immer mehr von sich selbst in einer äußern Schöpfung zu erblicken. Jn allen freyen Künsten, so wie überhaupt im äußern Leben, ist also nur Approximation möglich ins Unendliche. Der Ausdruck Urschönheit ist ein Widerspruch, den nur die geheimnißvolle Jdee der innern seligen Gottheit aufheben kann.

§. 2.

Die Natur des Schönen zu bestimmen, gehört eigentlich für die Aesthetik, für die allgemeine Psychologie, und setzt voraus, daß es eine rationale Psychologie gebe, welche der empirischen Psychologie Grundsätze, als Hypothesen zur Erklärung der Wirklichkeit an die Hand gebe. Der gegenwärtige Zustand der Philosophie macht es nöthig, das Schöne hier genauer zu deduciren.

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§. 3.

An der Spitze der rationalen Psychologie steht als erster Satz der Jmperatif des instinktfreyen Lebens: Vernimm die Causalität der Freyheit, die in dir seyn, durch dich wirken, dich zum Bewußtseyn erheben will. Vernimm dich, werde dir bewußt zur Vernunft, indem du außer dir Reales hervorbringst, um die innere formelle idealisirende Geistesnatur darinnen anzuschaun. Laß wirken in dir den freyen Geist eine Annäherung des Jchs und der Welt, des unendlichen Subjekts und unendlichen Objekts. Folge dem gebietenden Geiste, um stets mehr wirklich zu machen das absolut Wahre und Gute.

Anmerk. 1. Das Kantische Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft heißt: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. Diese Formel hat zwey logische Fehler und Widersprüche, die jeder einsehen wird, wenn er darauf aufmerksam gemacht ist. 1) Sie kündet sich als Grundgesetz der praktischen Vernunft an; das heißt, als das höchste Gesetz, wodurch die Vernunft sich selbst und durch sie das vernunftbegabte Wesen zum Handeln bestimme. Gleichwohl gebietet die Formel nicht das Handeln selbst, sondern beschränkt nur die Handlungsweise. Wenn wir Handlungsweise Sitte nennen, so ist es also höchstens Sittengesetz zu nennen. Nun setzt aber ein solches Sittengesetz, so formell und rein es40 auch ausgedrückt sey, noch ein höheres praktisches Grundgesetz voraus, das nicht nur die Handlungsweise negativ beschränke und bestimme, sondern positiv überhaupt das Handeln gebiete. Mithin ist der erste Widerspruch dargethan. Diese Formel, welche ein bloßes Sittengesetz ist, mithin ein höheres praktisches Grundgesetz voraussetzt, ist also nicht selbst das Grundgesetz, für welches es gelten will. Wollte man vorschützen, daß der Mensch lebe und wolle und handle, sey ihm durch den Naturinstinkt gegeben, so antworte ich, daß er mit dem Bewußtseyn der Vernunftgesetzgebung auch als frey von dem Naturinstinkt angesehen werden müsse, welches Kant selbst behauptet. Jst er frey, so hört aller Bestimmungsgrund zum Leben durch die Naturtriebe auf. Und es muß ihm ein vernünftiger Bestimmungsgrund gegeben werden, nicht nur, wie er wolle und handle, d. h. lebe, sondern überhaupt auch dazu, daß er wolle und handle, d. h. lebe. Es muß also dem, der von den Banden des niedern Lebens befreyt ist, ein Bestimmungsgrund zum höhern Leben gegeben werden. Dieser Bestimmungsgrund kann keine nur beschränkende Form des Willens seyn, die der Wille nicht beleidigen darf. Das Kantische Gesetz verbietet alle subjektiven Maximen, sie verlangt also nichts, als eine formelle höchste Jdentität der Vernunft in dem Reiche vernunftbegabter Wesen. Jndem sie alle subjektiven Maximen verbietet, verbietet sie das niedere Leben, aber sie gebietet kein höheres. Jst das Kantische Gesetz41 das höchste Grundgesetz praktischer Vernunft, so giebt es keine heiligere Pflicht, als diejenige, gar nicht zu handeln, überhaupt aufzuhören zu leben. Durch jedes Handeln und Leben wird die Vernunft dann entzweyt, ihre heilige Jdentität auf's Spiel gesetzt. Wollte man vorschützen, daß die Maxime nicht zu leben nie allgemeine Gesetzgebung werden könnte, weil sonst alle Gesetzgebung aufhören würde, so frage ich: warum überhaupt zum innern Wesen der Kantischen Vernunft Gesetzgebung nöthig sey? Gesetz ist nur für das Handeln. Die innere Vernunft ist befriedigt, wenn ihre Jdentität anerkannt, ihr Verbot nicht verletzt ist. Was bedarf es dazu eines Wollens und Handelns? Die Vernunft ist, nach Kant, eine ruhige logische verbietende Form. Was braucht sie erst werden zu wollen? Sie hat ein bloßes negatives Jnteresse, in dem Schlafe ihrer Jdentität durch keinen Widerspruch gestört zu werden. Jedes Wollen, als ein Herausgehn in die Zeit, jedes Begehren nach Veränderung ist schon ein gewagtes Majestätsverbrechen gegen diese logische leere wesenlose Jdentität, wodurch sie beleidigt werden kann. Wenigstens kann mich diese Form, die blos hypothetisch negativ ist, nie nöthigen, aus mir herauszugehen. Diese Form ist weder ein Subjekt, noch ein Objekt, und soll doch wirken, soll doch praktisch seyn! Die ganze praktische auf obige Formel gebaute Moralphilosophie ist eine absolute Nullität. Nein. Wollen, handeln, leben, heißt entweder gar nichts, oder ich muß nicht blos eine Form42 wollen, sondern auch eine Materie um der Form willen, ich muß ein Objektbegehren, etwas realisiren wollen. Entweder ich habe kein höheres Leben, oder das höhere Leben muß auch ein Objekt haben, wodurch Kants vor dem Moralgesetz vorhergehende Lehrsätze widerlegt sind. Wollte man vorschützen, es werde ja doch am Ende ein Objekt postulirt, ein Zweck des Handelns, nämlich das Kantische höchste Gut, nach Würden vertheilte Glückseligkeit, so antworte ich, daß, wenn ich um der Form willen die Materie Glückseligkeit zu verachten gelernt habe, ich jener Form selbst nicht mehr achten kann, die sich als weiter nichts ankündigt, denn als Würdigkeit, glücklich zu seyn. Die Form hebt also in dem Objekt für vernunftmäßige, endliche Wesen, die Materie und die Materie die Form auf. Es ist ein Widerspruch, dieses Objekt, und es ist schon das ein Widerspruch, daß man erst das Gesetz Handlungen ohne Objekt gebieten läßt, und am Ende doch ein Objekt für endliche Wesen postulirt. Man setzt stillschweigend voraus, jedermann werde wohl glücklich seyn und überhaupt leben wollen, welches der Erfahrung widerspricht, welches auf dem Standpunkte der Freyheit nicht angenommen werden kann. Ein praktisches Grundgesetz muß mich nicht allein nöthigen, recht zu handeln, sondern überhaupt nöthigen zu handeln. Ein vernünftig freyes Wesen wird aber nur dann genöthigt zu handeln, wenn ihm, seiner innern Natur nach, ein Objekt des Handelns und Wollens gegeben ist, das durch dies Handeln nach und nach hervorgebracht werden43 soll. Denn als Vernunftwesen muß ich vernehmen, wonach ich hingehen soll, ich muß einen Zweck haben. Jn dieser Rücksicht hat schon vor Kanten Platner das praktische Gesetz weit besser ausgedrückt: Folge deiner Ueberzeugung von dem was du für wahr und gut erkennst. Nun hat Kant darinnen vollkommen recht, daß dies von dem Gesetz zur Hervorbringung aufgegebene Objekt des Handelns kein endlich bedingtes seyn könne, nichts materielles. Das endlich bedingte Objekt könnte erreicht werden, und dann wäre alles Handeln am Ende. Das Begehren von etwas Materiellen, als solchem, würde der Achtung für die Form schaden, welche allerdings höher ist, als die Materie. Daher muß das Materielle vom vernünftigen Willen gewollt werden, um die Form daran zeigen zu können, und dies Objekt muß in der Formel aufgestellt seyn. Das Objekt ist also in der Aufgabe eben so unendlich, wie die innere Form, es ist durch Begriffe unbedingbar. Der vernünftige Wille soll streben, die innern ewigen Vernunftideen wirklich zu machen, sich des Wahren und Guten (Jdealen oder innerlich Realen) immer mehr anschaulich, d. h. im äußerlich Realen bewußt zu werden, das Jdeale ausser dem Schöpfergeist zu realisiren. Das höchste Gut und Objekt, welches vom Gesetz aufgestellt wird, kann nie Begriff werden, ein materieller Zweck allein, wird ewig Ahnung bleiben. Bezeichnen kann man es mit dem Begriff und Wort ideale Welt, Seligkeit. Durch die Form geläuterte Anschauung und Sinnlichkeit, und durch44 die geläuterte Sinnlichkeit anschaulich gewordene Form. Darum ist der absolute Jmperatif des höhern Lebens, der uns allein zum Handeln bestimmen kann, besser so auszudrücken: Wirke Reales und werde dir der idealen Natur im Realen bewußt! 2) der zweyte logische Fehler oder Widerspruch in der Kantischen Formel ist folgender. Sie kündet sich als Grundgesetz an, und enthält doch keine Sanktion, keinen Ausdruck, der die moralische Verbindlichkeit für ein freyes Wesen hervorbrächte, ihr zu folgen. Sie kommt nicht etwa, nein, sie fällt im eigentlichsten Verstande vom Himmel. Jn so fern sie also die moralische Verbindlichkeit erst voraussetzt, ist sie kein Grundgesetz, wofür sie sich ausgiebt. Denn das Grundgesetz in einer Monarchie enthält den Unterwerfungsvertrag. Alle übrigen bürgerlichen Gesetze beziehen sich auf das Grundgesetz, und ihre Sanktion ist nicht blos Strafe, sondern Beziehung auf Strafrecht und Huldigung bestimmt im Grundgesetz. Auch von dieser Seite ist also die ganze Kantische Moralphilosophie eine absolute Nullität. Man wird vorschützen, es sey ja eine Huldigung der freyen Wesen hinter drein als Thatsache angegeben, nämlich die reine Triebfeder, Achtung für das Gesetz. Allein ich antworte: es ist widersinnig, für ein Gesetz, als Gesetz, Achtung zu haben, das erst durch diese Achtung zum Gesetz wird. Es ist widersinnig, wenn vernünftige Wesen einem Gesetze, als solchem, huldigen wollten, das erst dann sich als Gesetz ankünden kann, im Falle man ihm etwa huldigen wollte. Es ist, als wenn45 ein künftiger, noch nicht anerkannter Souverain spräch ': Jhr sollt mir als Souverain huldigen, weil ihr mir vielleicht huldigen werdet. Ferner wird man vorschützen, es sey ja ein Executor des Moralgesetzes angenommen und postulirt, nämlich die moralische Weltregierung, die sogar Strafe verhänge. Allein Strafen und Belohnungen sind ja selbst von Kant als unreine Triebfeder verworfen worden, also kann hieraus keine Sanktion für das Gesetz entstehn. Soll die Achtung für den Executor das Gesetz zum Gesetz erheben? Allein es wäre widersinnig, wenn freye Wesen dem Gesetze eines Executors, um des Executors willen huldigen wollten, welcher Executor blos um des Gesetzes willen da ist. Mit einem Worte, man dreht sich hier in einem ewigen logischen Cirkel herum. Die Religion wird von Kanten innerhalb den Gränzen der bloßen Vernunft eingeschlossen, und insgeheim doch wieder durch das Gesetz vorausgesetzt. Denn was ist Vernunft anders, als ein Erzeugniß des Geistes, der uns befiehlt: vernimm dich? Was ist dies Gesetz, wenn es nicht ein religiöses, d. h. ein verbindendes Gesetz ist? Was kann aber freye Wesen, die nicht durch den Naturtrieb gehalten, nicht durch Furcht bestimmt werden, verbinden? Etwa die freye Achtung für das Objekt, dessen Hervorbringung das Gesetz anbefiehlt? Aber dieses Objekt kann nie ganz dargestellt werden; es kann mich auch als ein von mir getrenntes, von mir erst hervorzubringendes Daseyn nicht verbinden. Also nur die Jdentität mit dem subjektiven Gesetzgeber, mit dem formenden Wesen, dessen höheres Naturgesetz dieses Gesetz46 ist, dem ich, als von ihm beseelt, begeistert, angehöre, und zu gleicher Zeit die gläubige Evidenz, daß das formende Wesen auch dasjenige sey, dem die Materie gehorchen müsse, der die Materie selbst hervorbringt, um an ihr die Form zu zeigen, nur allein diese kann mich verbinden, nöthigen, bestimmen, das Gesetz anzunehmen und fortdauernd zu befolgen. Mit dem Grundgesetz der praktischen Vernunft ist also zugleich die Religion, das Gefühl der Gottheit (Ehafti nennt die Religion Raban Maurus, Ehalti Notkerk, das heißt bey den alten Deutschen Verbindlichkeit zum Gesetz, damit es hafte), im Bewußtseyn als Thatsache der höhern Natur gegeben. Das Grundgesetz verbindet mich zur Pflicht, weil ich, sobald ich mich vom Jnstinkte frey mache, einem Urwesen angehöre, das durch mich handelt, dessen höheres Naturgesetz jenes Grundgesetz ist. Jenes Grundgesetz ist also zugleich mein höheres Naturgesetz, meine Handlung wird, wenn ich es befolge, mit der Handlung jenes Urwesens identisch, und meine Freyheit ist nicht, wie Reinhold glaubte, ein freyes Dazwischenstehn, Wählen zwischen Gott und dem materiellen Triebe des niedern Seyns. Nein, diese Freyheit besteht blos darinnen, daß uns Gott durch Offenbarung beseelt, zu seiner Liebe einladet, daß der Schöpfergeist, der Urgesetzgeber in uns wirkt, uns mit Bewußtseyn seine Plane befolgen läßt. Laß ich mich von den materiellen Trieben hinreissen, so bin ich nicht frey, sondern gehöre der Materie an, werde vom Schöpfergeiste wie Materie behandelt, nicht mehr von ihm47 begeistert zur Vernunft, das heißt also, ich werde gestraft. Diese Strafe ist keine Jmputation, die gegen ein ganz freyes, absolut freyes Wesen statt fände. Ein solches freyes Wesen, das zwischen Gott, der höhern Natur und der Welt, der niedern Natur zwischen inne stände, ist ein Unding, unbegreiflich für jede helle Menschenvernunft. Die Strafe ist also eine natürliche Folge dessen, daß der Schöpfergeist mich als ein materielles Wesen behandeln muß, daß der höhern Maxime nicht fähig ist. Verloren ist kein Stäubchen. Also auch nicht ich, der zum Staube herabsank. Aber bey alledem hab' ich meine höhere Natur aufgegeben, die ich jedoch mit der ersten guten Handlung wieder gewinnen kann, sobald ich der Erbsünde dieser egoistischen Freyheit (psychologischen Schein) entsage, für welche ich durch einen gleichen Schein von Jmputation gestraft werde, und die Versöhnung, die Offenbarung annehme. Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Nun fragt es sich, wie kommt die Religion ins empirische Bewußtseyn als Thatsache? Antwort: dadurch, daß ich vom Jnstinkt frey werde, und daß mich Gott in sein Wesen aufnimmt. Jst dies nur eine vergangene historische Sache, oder auch eine Thatsache in jedem Menschen? Antwort: beydes, es ist eine fortwährende Thatsache. Aber dies geschieht und kann nicht geschehen durch Demonstrationen wissenschaftlich. Nur Objekte können demonstrirt werden. Also kann es nur geschehen durch ein Geisteswunder. Denn was ich nicht demonstriren kann, ist Wunder für den Verstand. Daß ich48 von dem Jnstinkt frey werde, daß ich nicht ein halbes geistiges Seyn (die scheinbare Freyheit ohne Gesetz und Natur) (die Erbsünde), sondern das göttliche höhere Leben gewinne (die Versöhnung), das sind sowohl historische als psychologische Thatsachen. Historische, in wie fern ich dazu durch Ueberlieferung fremder Gedanken, psychologisch, in wie fern ich dazu durch Andacht und Erleuchtung selbst gestimmt werde. Beydes zusammen ist ein fortwährendes Werk der Offenbarung. Blos historisch vergangene Thatsache ist sie nicht. Historie ist Zeiterscheinung. Die Offenbarung ist ewig sich gleiche Wahrheit. Gott offenbart sich, als unbekannter Gesetz-Halter und Geber, indem er uns in sein gesetzliches, ideales Wesen aufnimmt und uns zum sehenden Werkzeuge seiner Plane macht, also bewirkt er in uns das religiöse Gewissen, den festen Pol des höhern Lebens, die Gewißheit (nicht blos Annahme oder Postulat), die absolute wundervolle Thatsache, die alles Bewußtseyn erst erklärt und hält, daß, wie Christus sagt, wir alle in Gott mit ihm identisch sind. 2) Offenbart sich Gott auch als der Executor des Gesetzes, oder als der allmächtige Schöpfer der Materie, die sich nach der Geistesform richten müsse, indem er uns tröstet und aufrecht erhält, durch Vorahnungen der zu realisirenden idealen Welt, oder der Seligkeit, durch Vorahnungen von der Jdentität des Geistes und der Natur, in einem Himmel. Diese Vorahnung ist aber keine Gewißheit, sondern ein Widerschein des innern Jdealen auf dem Objekte. (Davon49 weiter unten.) Diese Vorahuung giebt den religiösen Glauben, die gläubige Evidenz von der zu erreichenden Seligkeit aller. Dieser Glaube kann das System des idealen Wissens nicht begründen. Aber er ist dem receptiven Menschen als einzig reine Triebfeder nothwendig, damit dieser die Zuversicht habe, der Gott, dessen Werkzeug er sey, dem er sein niederes Selbst aufopfere, sey auch ein allmächtiger Gott, der die ideale Welt zu realisiren im Stande sey. Um den Menschen im Handeln zu erhalten, ist der Glaube nothwendig. Das religiöse Gewissen ist bey jedermann rege, beym Bösewicht sowohl, als beym Jndifferentisten. Aber dieses kann nur zuweilen rechtschaffene, nicht unermüdete Helden machen. Hierzu gehört der Glaube, den nicht jeder hat. Das religiöse Gewissen muß nun auch das Wissen begründen. Daher stellt es den absoluten Jmperatif (Aufruf, nicht Befehl) an die Spitze der rationalen Psychologie. Er heißt, nach obiger Erklärung: Werde dir des Jdealen im Schaffen des Realen bewußt, aufgerufen zum gesetzlichen Leben durch einen höhern Geist. Das religiöse Gewissen drückt sich logisch aus, als Jmperatif der höhern Natur an die niedere Natur, weil wir als Theile der niedern Natur erscheinen, und aufgefordert werden, diesem Schein der niedern Natur zu entsagen, vom Jnstinkt des niedern Lebens uns zu befreyen, das höhere zu gewinnen, uns an Gott und seine ideale Natur anzuhalten. Kommt der religiöse Glaube hinzu, so gehn wir in die höhere Natur über, wir werden Kinder Gottes,50 welche ihres Vaters und also ihr eignes Werk thun, durch keinen Jmperatif (so wenig wie Gott) gezwungen, sondern aus seliger Freyheit der höhern Natur. Das instinktfreye Leben ist also bedingte Kunst, in wie fern es unter dem Zwange des Jmperatifs, nach dem logischen Begriff der Gewissensnothwendigkeit, das unendliche Objekt, die ideale Welt in der Erscheinungswelt zum Bewußtseyn zu bringen sucht. Freye Kunst, in wie fern es durch den religiösen Glauben zur Genialität wird, in wie fern zuweilen eine erhabene Liebe, ein höherer Trieb, an die Stelle des Gehorsams treten kann. Bedient man sich dabey im Streben nach Jdeenanschauung der Sprache, so ist das höhere Leben Poesie. Daher sagt man z. B. von Sehern und Propheten, sie seyen poetische Menschen. Aus der obigen Gedankenreihe erhellt folgendes Resultat. Religion, als das zur Form verbindende und die verbindende Form, das Gesetz, sind identisch. Gesetz und Religion läßt sich nicht demonstriren, das hieße bedingen das Unbedingte. Beydes offenbart sich. Wer aber das eine, z. B. Gesetz annimmt, ist logisch zu zwingen, auch die Religion als verbindendes Bewußtseyn anzunehmen, das wirken soll, mithin kann. Ohne Offenbarung ist alle Heiligkeit unsrer Moralphilosophieen erschlichen.

Anmerk. 2. Die Aufgabe des höhern Lebens ist also nicht Hervorbringung des Realen. Das wird durch die niedere Natur und den Jnstinkt hervorgebracht. Der versöhnte Gott des neuen Testaments nimmt uns an zu51 freyen, aber untergeordneten Mitarbeitern an seinem Schöpfungswerk, nach einem Plane, den wir in unserm Jnnern begrifflos, aber durch Jdeale vorgezeichnet finden. Er, welcher, wie Pope sagt, die Natur an das Fatum band, und den Willen des Menschen frey ließ, läßt uns selbst das Gute vom Bösen unterscheiden, und verlangt, daß das Gute durch uns gewirkt werde. Das äußerlich Reale, das was in der Sinnenwelt ist, was gewußt wird, kann also nicht das Gute seyn, weil wir letzteres erst hervorbringen sollen. Wer also dies Reale für das Wahre erkennt, nichts als die historische Ueberzeugung hat, ist ein Materialist, ein Gestorbener. Wer aber das höhere Leben gewonnen hat, erkennt nicht das äußere Reale für das Wahre, sondern das innerlich angeschaute Wahre und Gute, oder das Jdeale, nach welchem alle Geister streben. Das zu realisirende Jdeale ist also die höchste Aufgabe alles nach außen zu strebenden wahren Seyns oder geistigen Werdens. Nun erscheint aber die Handlung des Geistes in der Sinnenwelt; sie bekommt in der Zeitlichkeit einen individuellen Charakter, einen individuellen Zweck. Die Aeußerung des freyen Willens verliehrt, wenn sie wirklich wird, wenn man darüber reflectirt, den Nahmen einer That. Also kann das Jdeale, das Höchstzweckmäßige, und rein Zwecklose nie reell werden für die Sinnenwelt. Selbst innerlich können wir die Anschauung des Jdealen nur ahnen, weil auch unser Bewußtseyn Erscheinung ist. Es bleibt eine ewige Kluft zwischen dem Jdealen und dem Realen. Das Schwanken52 zwischen dem Jdealen und Realen ist das niedere Leben, das höhere ein freyes festes Ausgehn des Jdealen auf das Reale zu, um sie beyde einander zu nähern.

§. 4.

Da nun das innere Gute, das unbedingte, absolute und Jdeale und Ewige nie in der Erscheinungswelt ganz gefunden werden kann, so wird in der Erfahrung in dem empirischen Bewußtseyn, der Geist und die Natur stets im Gegensatze seyn. Das Jdeale und das Reale wird durch eine Kluft getrennt seyn, welche durch das unendliche Leben ausgefüllt werden soll. Der Jmperatif, mit dem das höhere Leben beginnt, wird das Gesetz geben, aber es nie ganz vollstrecken. Denn dann wäre die große Arbeit des Lebens gethan, und der Sabbath begänn. Es wird also in der Erscheinungswelt zwar immer ein Reales, doch nie ein absolut Wahres, oder Gutes geben. Die idealen Wissenschaften werden immer construiren, und die Theorie wird vermitteln, aber die Wirklichkeit den Constructionen des Geistes widerstreben. Der Mensch wird handeln nach idealen Zwecken, und nichts als Jndividuelles realisiren. Es kann53 in der Wirklichkeit nur ein Analogon des Wahren und Guten bemerkt werden.

§. 5.

Die vermittelnden Theorieen und bedingten Künste des Lebens, welche in der Wirklichkeit oder Realität immer nichts, als ein schwaches Analogon des Wahren und Guten demonstriren und hervorbringen können, würden das instinktfreye Leben nicht hinlänglich nähren und im Eifer unterhalten können. Das Leben würde ermatten über dem ewigen Zwiespalt der höchsten innern Form, und der unendlichen widerstrebenden äußern Materie, gelänge es nicht dem menschlichen Geiste, in heiligen Augenblicken eine Vorempfindung, eine Ahnung davon zu haben, daß real und ideal, Geist und Natur eigentlich Eins sey, daß alles gedachte Wahre und geforderte Gute, auch wirklich sey. Daß der Mensch solche Augenblicke habe, kann nicht geläugnet werden, wie sie entstehen, kann nicht erklärt werden, weil sie über alles Bewußtseyn erhaben sind, jeden Gegensatz der Gedankenwelt aufheben, und die selige Einheit des göttlichen Seyns empfinden lassen. Soviel läßt sich54 davon psychologisch bestimmen: 1) Da diese Augenblicke ein Anschaun sind vom Uebersinnlichen, so werden sie durch die Phantasie hervorgebracht. 2) Da die Phantasie dabey ihr höchstes Leben erhält, so muß sie von allem gefühlten Zwange des Lebensimperatifs und des Verstandes frey seyn, als Theilhaberin der göttlichen Seligkeit, mit göttlicher schöpferischer Genialität gerüstet. So wenig, wie Gott selbst zu Schöpfungen gezwungen wird, und irgend einem Jmperatif oder Gesetz unterworfen ist, sondern nach freyer seliger, liebender Natur aus sich zum Schaffen herausgeht, eben so wenig kann die durch höhere Kraft erhobene Phantasie irgend einen menschlichen Zwang des bewußten individuellen Lebens fühlen. 3) Da die Phantasie selbst in diesen Augenblicken immer menschlich und beschränkt bleibt, folglich des freyen Lebensspiels, im höchsten Sinne sich nicht bewußt werden kann, kann sie auch das All der Realitäten nicht umfassen. Es wird ihr gegeben, aus dem Unendlichmöglichen, Zufälligen, Mannichfaltigen, Wirklichen, durch einen glücklichen Jnstinkt höherer Natur, durch eine genialische Leichtigkeit das Höchstnothwendige heraus zu finden, um eine Anschauung des Jdealen im Realen, oder wenigstens einen Widerschein davon hervorzubringen. Hieraus entsteht im55 reflektirenden Bewußtseyn, wegen der Harmouie des Geistes und der Natur, ein Gefühl der geistigen Lust, welches das Gefühl des Schönen genannt wird, weil es nicht das All der Realitäten idealisch umfaßt, sondern nur einen flüchtigen Widerschein von der höhern allgemeinen, im Urseyn sich sindenden Harmonie giebt. Dinge, deren Beschaffenheit dieses Gefühl des Schönen in uns nährt und erweckt, nennt man schön.

Anmerk. 1. Das Gefühl des Schönen ist der wahre Nektarkelch der Seligkeit, womit von unsichtbarer Hand das höhere Leben gestärkt wird, daß es nicht ermatte in diesem ewigen Kampfe mit der Sinnenwelt. Es ist das Bewußtseyn des Kunstgeistes, der uns allen beywohnt, von unsrer Ueberlegenheit über die Materie, die feste Zuversicht, daß das Kunstwerk doch gelingen müsse. Selbst die starre todte Außenwelt trägt das Gewand der Schönheit, um anzudeuten, daß sie die zurückgelassene Spur des mit Anmuth sich bewegenden Schöpfergeistes war. Aber mehr als alles erweckt in uns die Empfindungen der höhern Schönheit das Anschaun der menschlichen Natur, wenn sie sich selbst idealisirt darstellt. Die Ruhe, mit welcher der menschliche Heldengeist zwischen zwey Welten, der unsichtbaren und sichtbaren, in der Mitte steht, und der letzteren mit Aufopferung seines niedern Selbsts Gesetze und Gestalt giebt, die Heiligkeit, mit welcher Antigone, die göttliche56 Hoheit, mit welcher Christus stirbt. Dieses reflektirte Gefühl des höhern Schönen ist der Himmel, der aufgehobene Gegensatz im reflektirenden Bewußtseyn, der einzige Lohn des Frommen, der jede andere Belohnung verschmäht, die nur sein Jndividuum glücklich, nicht seine höhere allgemeinere Natur selig macht. Ein wiederholtes Gefühl davon läßt eine Gemüthsstimmung zurück, welche der religiöse Glaube heißt, die feste anschauliche Ueberzeugung (gläubige Evidenz), daß das Ewige durch uns wirke ins Sichtbare, und das Sichtbare nur ein Symbol des Ewigen sey. Dieser religiöse Glaube ist die einzig mögliche reine Triebfeder, die uns zum fortdauernden Handeln bewegen kann. Wäre der Mensch reine Agilität, ein blos ordnendes Vermögen, so könnte ihm die bloße Thätigkeit genügen, und der Jmperatif könnte ihn allein schon in Bewegung setzen. Allein der Mensch ist auch Receptivität, Empfänglichkeit, Jrritabilität. Er will anschann, was durch ihn gewirkt wird, und in so fern durch Reflexion seine Kraft genießen; dieses Anschaun soll seine höhere Kraft reizen, fortzufahren und nicht müde zu werden. Die Kraft soll durch das Gewirkte eine Rückwirkung empfangen, die dieselbe stärke. Die Kantische reine Triebfeder, genannt Achtung für's Gesetz, macht blos negative Helden, die das Böse unterlassen, keineswegs aber positive, die das Gute thun und nicht müde werden. Dazu muß die empfängliche oder sinnliche Natur des Menschen nicht niedergeschlagen, sondern erhoben werden. Diese Erhebung bewirkt57 der Geist Gottes und der Glaube, welchen uns Christus gab. Das Geisteswunder, welches den Menschen zum Glauben und über sein Jndividuum erhebt, heißt Offenbarung im engern Sinn. Der Weltschöpfer offenbart sich als Gott, wirft einen Abglanz seiner innern seligen Natur auf die empfängliche Seele des Menschen, und stärkt sie, im höhern Leben auszudauern, mit der Ueberzeugung, daß das Reale nur ein Werk des Jdealen sey, daß die Welt überhaupt die beste seyn müsse, weil Gott sie regiert, die beste, in so fern wir sie mit Gottes Hülfe hervorbringen sollen, wenn auch nicht die beste in der Reflexion und Erscheinung. Mit der Deduction des Schönen ist also zugleich die Religion, der Glaube und die Offenbarung psychologisch deducirt, ihre Nothwendigkeit erwiesen, ihr Begriff für den Verstand bestimmt, jede Streitfrage über Freyheit, Schicksal und Optimismus beygelegt. Die historischen, mathematischen und philosophischen Gelehrten haben durch ihre fleißige Anatomie des menschlichen Geistes, der innern und äußern Erfahrung viel dazu beygetragen, daß diese Deduction zu Stande kommen konnte. Allein sie konnten den getrennten und zerstückelten Geist, nicht wieder zum Leben zusammensetzen. Wollen sie, daß das höhere Leben nicht ganz untergehe, so müssen sie sich als edle Menschen vereinigen, und erklären, daß sie zu weit gegangen sind, daß von nun an die Kirche allein die Lehrerin der Menschen werden müsse, aber eine Kirche vom Geiste Christi erleuchtet, nicht von einer menschlichen Philosophie verfinstert. Denn nur eine solche vermag es, die ewige Aufgabe der Gesellschaft zu58 lösen, den Menschen und Bürger zu vereinigen. Die Realisten oder Historiker müssen demnach eingestehen, daß das Reale nicht das Wahre sey, daß man mit hellen Sinnen Kunde von der Materie einsammeln müsse, ohne ein Materialist zu werden. Die Mathematiker müssen eingestehn, daß ihre gerühmte mathematische Evidenz in den höchsten Principien ohne Haltung sey, und daß es eine höhere idealische Evidenz geben müsse, die auch die ihrige erst begründe. Die Philosophen endlich, daß die höchsten Grundsätze des Wissens nicht auf dem gewaltsamen Standpunkte der Spekulation errungen, sondern allein durch den Glauben und die Offenbarung gehalten werden, daß man den Begriff des Glaubens schlechterdings verkenne, so lange man den Glauben, wie Kant, für eine kalte praktische Voraussetzung, ohne theoretische Einsicht, für ein mattes Dafürhalten, die Offenbarung für eine historische vergangene Thatsache, innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft hält.

Anmerk. 2. Das Gefühl des Schönen soll das höhere Leben stärken, aber den Himmel nicht auf die Erde ziehn. Es ist die liebende Begeisterung eines Künstlers, der in seinem Kunstwerk seine Jdee erreicht zu haben glaubt. Die Seligkeit, die es uns giebt, ist daher vorübergehend. Wir kehren aus dem Schooße des Ewigen in die Zeitlichkeit zurück, enden den Sabbath und gehen mit erneuten Kräften an's Werk. Sechs Tage schuf Gott und am siebenten ruhete er, sah an, was er gethan hatte, und fand es gut,59 und so soll auch das Gefühl der Religion den Menschen nicht zum Schwärmer machen, er soll nicht im Schooße des Ewigen schwelgen wollen, sondern fortdauernd arbeiten. Er soll nicht genialisch göttlich, sondern menschlich folgsam handeln. Daher erwacht von neuem in uns der Jmperatif des höhern Lebens, und treibt uns an, das was wir im Schönen doch nur als eine oberflächliche Ahnung fühlten, zu realisiren. So besteht also das Leben des Geistes: volles Urgefühl der Jntelligenz, ein ernster Kampf des Jdealen mit dem Realen, des Guten und Wahren mit dem Wirklichen, in ewigem Schaffen und Werden des Urseyns, dann ein Rückblick anf das Gewordene im Wissen, und zu Zeiten ein begriff = und schrankenloses seliges Gefühl von der Harmonie im Urseyn, ein reflektirtes Bewußtseyn des Göttlichen im Schönen. Der ewige Geist, den wir nicht kennen, zeugt in dem Schooße des Nichts dies zeitliche Daseyn, stellt es sich gegenüber, als einen schwachen Spiegel seines undarstellbaren unerschöpflichen Selbsts, läßt sein Bild bald dunkler, bald heller aufgehen, und ruft das Gezeugte in seligen alle Zeit endenden Augenblicken in seinen Schooß zurück. Der Augenblick schwindet, und das Geschaffene geht gestärkt vom göttlichen Urquell wieder heraus, um für seinen Schöpfer immer empfänglicher, ihm an Wahrheit und Güte und Jdealität immer ähnlicher zu werden.

Anmerk. 3. Das Schöne ist höher, als alles zum Wissen realisirte Wahre. Die Phantasie bringt60 immer eine neue Ansicht hervor, welches das System des Verstandes zu Schanden macht, wenn er es für geschlossen hält. Das Schöne aber, als Schein des Jdealen, ist immer niederer, als alles Wahre, das noch realisirt werden soll, als das unerschöpflich Jdeal-Wahre.

Anmerk. 4. Da das Gefühl des Schönen nicht durch Mißbrauch profanirt werden und zu einer Verzärtlung herabsinken soll, da die Religion nicht eine fortwährende in göttlichen Jdeen schwelgende Andacht seyn darf, so ist Schönheit und Religion von dem großen anordnenden Geiste weislich in den Schleyer der Mysterie eingehüllt. So wenig der Mensch die Zukunft wissen darf, wissen kann, weil sonst sein freyes Handeln durch die Bestimmtheit des Gegenstandes allen Werth, alle Möglichkeit verlieren würde, eben so wenig darf er, kann er eine fortdauernde historische gewisse Ueberzeugung vom Himmel haben. Alle Nationen schildern ihre Seher und Dichter als von Gott begeisterte, aber dadurch unglückliche und oft wegen ihres Vorwitzes in Entschleyerung der himmlischen Dinge gestrafte Wesen. Proteus und Tiresias weissagen nur mit Widerwillen und gezwungen. Die Pythonisse ertheilt das Orakel unter sichtbarer Geistesqual. Viele Dichter, wie Thamyris beym Homer, werden von den Musen gestraft, weil sie zu hoch strebten. Gott selbst hat seine höhere Offenbarung, weil sie nicht profanirt werden sollte, in kein historisches Tageslicht gesetzt, und die ältere und neuere Weltgeschichte beginnt mit Poesie, weil die physische und moralische61 Schöpfung mit Offenbarung beginnen sollte. Die aufgeklärtesten Nationen bedecken die Erde, Kronen werden gestohlen und Reiche gegründet, Heldenheere schlagen sich um den Besitz von mehr als einem Welttheile, Geschichtschreiber und Dichter lassen auch nicht die geringste Thatsache untergehen, die nur die Sonne bescheinen und das Genie verherrlichen kann. Da singen in einer heiligen Nacht, weissagend ein neues Weltgeschick, Engel bey der Wiege eines Kindes, und die Menschen vernehmens nicht. Christus der Gott lebt, lehrt, wird gemordet, und die Menschen vernehmens nicht. Jn dem Munde einiger armen Fischer erhält sich die ehrwürdige Sage. Und siehe! auf einmal ist die Erde umgewandelt, umgeschaffen, ehe sie es selbst weiß. Es ist empörend, wenn man sieht, wie so genannte Aufklärer, wie sogar Theologen den Finger Gottes so ganz verkennen konnten, daß sie die himmlische Poesie des Evangeliums, die sich als höchst idealische Wahrheit in jedem Herzen ankündigt, einer bald stolzen, bald furchtsamen historischen Real-Kritik unterwerfen konnten. Es ist empörend, wenn man sieht, wie so viele Theologen, als wahre jüdische Schriftgelehrte, ihre ganze Theologie und Religion nur in eine historische Kenntniß der christlichen Alterthümer setzen. Unübertreflich wahr sagt Luther in seiner Vorrede zum Neuen Testament: Und gleichwie Christi Werke und Geschichte wissen, ist noch nicht das rechte Evangelium wissen, denn damit weißt du noch nicht, daß er die Sünde, Tod und Teufel überwunden hat. Also ist auch das noch nicht das Evangelium wissen, wenn du solche62 Lehre und Gebot weissest, sondern wenn die Stimme kommt, die da sagt: Christus sey dein eigen mit Leben, Lehren, Werken, Sterben, Auferstehn und allem, was er ist, hat, thut und vermag. Wer die Offenbarung für eine vergangene historische Thatsache hält, die nur historisch für wahr gehalten werden soll, wer allein um dieses historischen Real-Glaubens willen selig zu werden verlangt, dieser verdient nicht den Nahmen eines Christen, am wenigsten die Würde eines christlichen Lehrers. Er würde zu Christi Zeiten eben so gut, wie die Juden, auf welche er so stolz herabblickt, gerufen haben: Steige vom Kreuze herab, wenn du Gott bist! Nein. Die Offenbarung ist ein wohlthätiges Feuer, das Christus zu entzünden gesandt war, das von Herz zu Herz, von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzen, und die Menschheit immer höher zur Göttlichkeit hinanheben sollte: Wenn der Mensch der Macht seiner Sinnlichkeit entzogen werden soll, mnß er auch der Tyranney entzogen werden, die eine geistlose Gelehrsamkeit, und die so genannte Geschichte über ihn ausübt. Die so stolze Geschichte, die nur ein Kind, und oft nur ein lügenhaftes Kind des Augenblicks ist, diese Ephemere im unsterblichen Leben der Geister lege ihren angemaßten Scepter weg, und lerne, was schon Aristoteles sagt, daß ihr die eigentliche höhere Wahrheit von der Poesie vorgehalten werde, daß von den menschlichen Dingen nichts überbleiben darf und kann, als die Jdee einer Weltgeschichte. Jmmerhin mag man historische Kunde sammeln, aber man muß nur darauf nicht Ueberzeugungen gründen wollen, die dem Menschen63 als Menschen werth sind. Wer sich nicht überzeugen kann, daß jeder Mensch jeder Aufopferung für die Wahrheit fähig sey, sobald ihn ein höherer Geist treibt, dieser mag das Leiden der Märtyrer historisch glauben oder nicht, er wird nie ein Christ seyn. Wer die Mosaische Schöpfungsgeschichte historisch annimmt, ist deswegeu noch eben so wenig ein Christ, als der ein gefährlicher Feind der Religion, welcher historisch daran zweifelt. Aus diesen Bemerkungen erhellt, daß Mysterie, Religion und Poesie in einem engen Bunde zusammen wirken müssen, die Menschen und das Volk zu erziehn, daß eine Stimmung zum Geheimnißvollen, Heiligen und Schönen unumgänglich nöthig ist, um das Herz zu läutern und zu bessern, und daß man die Religion, deren göttliche Wahrheit erst der völlig entwickelte Geist empfinden kann, nothwendig profanire, wenn man sie in ein Machwerk von Begriffen und Formeln verwandelt, welches schon den Kindern, trotz ihres Widerwillens, unter Furcht und Zittern eingezwungen wird.

Anmerk. 5. Die so genannte Kunstillusion, welche durch das Schöne hervorgeoracht wird, ist also eigentlich keine Jllusion, sondern das Vorgefühl der höchsten Wahrheit. Die Schönheit eines Gedichts, die uns oft zu Freudethränen zwingt, erweckt in uns das Bewußtseyn von der ursprünglichen Einheit des Geistes und der Natur im Göttlichen. Die himmlische Wehmuth und Sehnsucht oder Wonne, die mancher Vers in Klopstock athmet, realisirt den Himmel. Wer eine64 gute Vorstellung des Makbeth sieht, glaubt an's Weltgericht.

Anmerk. 6. Die Fähigkeit, neue schöne geistige Formen zu erfinden, und das Jdeale so viel als möglich darzustellen, nannten wir Genie. Jeder Erfinder in einer jeden Wissenschaft bedarf also eines Grads von Genie. Er muß die Vereinigung des Mannichfaltigen zur idealischen Einheit ahnen durch das Schöne. Wer die mathematische Figur zuerst construirte, stellte den Schein von etwas Jdealischem dar, und mit Recht nannte die Platonische Philosophie den Zirkel eine schöne Figur.

Anmerk. 7. Alle von jeher gegebene Definitionen des Schönen, das Eins und Alles der Platoniker, (das eigentlich Jdeale) die sinnliche undeutlich gedachte Vollkommenheit von Baumgarten, die Einheit in der Mannichfaltigkeit, das Unendliche im Endlichen, das Absolute im Realen nähern sich mehr oder weniger der gegebenen, sagen mehr oder weniger bestimmt das Wahre.

§. 6.

Da das Jdeale oder Urbild des Schönen durch den Widerschein nie erreicht werden kann, so65 giebt es kein Maximum des Schönen. Es giebt aber Grade der Schönheit. Nach Begriffen lassen sich diese Grade nicht nothwendig begränzen. Wie in der ganzen Körper - und Geisterwelt, herrscht auch im Schönen eine ewige Continuität. Nur so viel vermag die Aesthetik zu bestimmen. Es giebt ein höheres Schöne und ein niederes Schöne. Das niedere Schöne wird schon in dem sinnlichen Menschen dargestellt, der die Jdealität der instinktmäßigen Natur fühlt. Das höhere Schöne kann sich nur dann darstellen, wenn der Mensch erst ein Gefühl der Trennung, dann der Jdentität des Geistes und der Natur oder den Himmel im Bewußtseyn erringt. Daher kann man das höhere Schöne auch das geistige Schöne, das niedere Schöne auch das Naturschöue nennen. Das niedere Schöne kann mit einer größern Leichtigkeit gefaßt werden, es reizt durch seine Lebendigkeit das Jndividuum. Das höhere Schöne giebt ein gemischtes Gefühl. Es wird vom Jndividuum, als solchem, nicht so leicht gefaßt. Man muß einen über das Jndividuum erhöhten Standpunkt errungen haben. Es schlägt unser niederes Selbst erst nieder, und dann erhebt es uns zu einem höhern Seyn. Ein solches zusammengesetztes Gefühl von Niedergeschlagenheit und Erhebung heißt66 Rührung. Daher kann man das niedere Schöne auch das reizend Schöne, das höhere Schöne auch das rührend Schöne nennen.

Anmerk. 1. Neuere Philosophen haben das niedere Schöne zuweilen das objektiv Schöne genannt, als wenn es als Gegenstand an den sichtbaren Formen wirklich existirte, das höhere Schöne aber nicht. Allerdings scheint es, daß die schöne Form der Natur ohne Rücksicht wenigstens auf den Menschen anspruchslos, jungfräulich, sich selbst genug, existire. Die dunkeln unergründlichen Höhlen des Ozeans (sagt Gray in seiner berühmten Elegie), bergen manchen edeln Stein von dem reinsten heitersten Glanze, manche Blume blüht ungesehen und haucht ihre süssen Gerüche in eine öde Luft &c. Allein ließe sich nicht eben das von den höhern schönen, von den grausend schönen Szenen der Natur behaupten, die sich erst dort verbreiten, wo noch nie der Fußtritt eines Wandrers klang? Wird nicht auch bey dem niedern Schönen allemal an die Beziehung auf ein Wesen gedacht, das dasselbe mit Lust empfinde, das selbst Schöpfergeist und Ahnung von Urideen habe? Warum soll dies allein objektiv heißen, und das so genannte Erhabene subjektiv? Giebt es nicht Grund, in der Natur überall Vorstellkraft und rückwärts affizirten Schöpfergeist vorauszusetzen, selbst da, wo kein Mensch hinkommt? Alles Schöne höherer und niederer Art, ist Widerschein, und wird mit Lust von geistigen Vorstellkräften67 empfunden. Alles Schöne ist also gleich objektiv und subjektiv. Die Deduktion des Schönen, die oben gegeben worden ist, erklärt und rechtfertigt beyde Gattungen von Empfindungen, oder ästhetischen Urtheilen.

Anmerk. 2. Die vorempfundene Harmonie des innern Schöpfergeistes und seines äußern Kunstwerks, der Natur, erregt also in dem zur Schöpfung mitberufenen Menschen ein nothwendiges Gefühl der Lust, welches bey dem niedern Schönen lebendiger und reizender ist, als bey dem höhern. Die Harmonie läßt sich in demselben geschwinder fassen, die Form ist weniger verborgen unter der Materie und vermag sie leichter zu begreifen. Daher fallen auch die einzelnen Theilvorstellungen mehr ins Licht des Bewußtseyns. Bey dem höhern Schönen fühlt das Jndividuum seine Schranke. Eine Fuge, die durch alle Töne geht und sich zuletzt befriedigend, aber nach mehrerer Verwickelung auflöst, wird schwerer von der Vorstellkraft zusammengehalten, wiewohl sie am Ende mehr belohnt, als eine tändelnde Melodie.

Anmerk. 3. Rührend heißt die gemischte Empfindung des höhern Schönen, weil sie durch ihren Contrast des Niederschlagens und Erhebens mehr das Jnnere bewegt, wiewohl sie das äußere Leben weniger reizt. Man darf also das rührend Schöne nicht mit dem traurigen oder jammervollen und schmelzenden verwechseln. Die eigentliche Rührung wird nicht durch das Niederschlagende68 bewirkt, welches auch kleinmüthige Seelen fühlen, sondern tritt erst mit der Erhebung ein, wenn die Auflösung des schwierigen Kontrasts geschieht, wenn das Gefühl der Harmonie erreicht ist. Das höhere Schöne entlockt uns Thränen, aber es sind nicht Thränen des Jammers, der überhaupt an sich nie schön ist, weil er den Menschen nicht über sein Bedürfniß und Nothdurft erhebt. Es sind Thränen der Freude. Man weint im Schauspiel, nicht bey der Verwickelung, sondern im Augenblick der Entwickelung, wenn das Unmögliche möglich wird, oder wenn der Held sich über sein Schicksal erhebt. Wenn ein sterbender Held in der Erzählung des Ossians wünscht, daß die Stimme von Cona (Ossian, der von ihm fern war) zu seinem Lobe sich erheben möge, Ossian nun sich selbst lyrisch in die Erzählung mischt, und mit den Worten einfällt: und meine Stimme soll dich loben, so weint man über die Harmonie, über das herrliche Zusammentreffen der Umstände. Man wird gerührt durch den Uebergang in Klopstocks Frühlingsfeyer bey der Schilderung des Gewitters: Und der geschmetterte Wald dampft ... Aber nicht unsre Hütte. Unser Vater gebot seinem Verderber bey unsrer Hütte vorüberzugehn. Warum? weil der niedergeschlagene Geist durch den kindlichen Glauben erhoben wird. Oft bey dem Grausenden und Wildromantischen scheint das höhere Schöne uns mehr niederzuschlagen, als zu erheben, z. B. wenn sich ein Mensch, wie in einer gewissen morgenländischen Erzählung, fern von den letzten Sternen der Schöpfung in die Urnacht verwiesen träumt. Warum hören aber selbst schon Kinder69 dergleichen grausende Mährchen mit Lust? Deswegen, weil der menschliche Geist doch auch hierbey seine Freyheit fühlt, das Entsetzliche in's Auge zu fassen, den Tod und die Vernichtung vor sich lebendig werden zu lassen. Es ist hier nicht von einem Aristotelischen Vergnügen an Nachahmung, nicht blos von einer Pythagorischen Καθαρσις in Absicht auf die Affekten die Rede. Man weidet sich an dem Grausenden, das man am Ende doch nur als eine leere Phantasie ansieht, weil man selbst in der Vorstellung des Nichtseyns, immer noch die Thätigkeit seiner Vorstellkraft empfindet, weil man einer gewissen Schöpfermacht sich bewußt wird, die weit über alle Schranken der Natur hervorragt. Nach den Gesetzen einer geistigen Elastizität ruft der höchste Grad des Schauderns unser ganzes Leben auf, sich demselben entgegenzusetzen, und aus den untersten Tiefen niederdrückender Verzweiflung hebt uns oft plötzlich der glühendste Glaube.

§. 7.

Das höhere Schöne hat seine Analogieen in der Sinnenwelt, so gut, wie das niedere. Diesen Analogieen zu Folge, bekommt es von sinnlichen Gegenständen besondere Nahmen, die nachher figürlich auf das geistige übergetragen werden. Wir wollen das höhere Schöne groß nennen, wenn der70 Gegenstand, der die Empfindung veranlaßt, durch Ausdehnung und Menge der Theilvorstellungen uns an die Vernunftidee vom All der Realitäten erinnert; stark, wenn der Gegenstand durch die Gedrängtheit der Theilvorstellungen eine Macht zu widerstehen ankündet, die uns an die Vernunftidee der absoluten Substantialität erinnert; heftig, wenn der Gegenstand mit eben dieser substantiellen Macht in accidenteller Bewegung gedacht wird, und uns an die Vernunftidee der schaffenden Allmacht erinnert; und erhaben, wenn der Gegenstand durch seine Entfernung vom niedern Gesichtskreise die Vernunftideen des höchsten unbedingten Seyns, des ersten Gliedes in der Reihe der Dinge, der göttlichen Freyheit, reinen himmlischen Vollkommenheit, unwandelbaren Seligkeit und Jdentität anschaulich macht. Diese verschiedenen Benennungen des höhern Schönen bezeichnen zu gleicher Zeit neue Grade desselben. Je weniger Differenz und hervorstechende Theile im Schönen sind, je charakterloser, indifferenter, ruhiger, seliger es wird, je näher kommt es dem idealen Urbilde. Die unterste Stufe dürfte daher das Heftige einnehmen, dann das Starke, hierauf das Große folgen, und auf der höchsten das eigentliche Erhabene stehen.

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Anmerk. 1. Beym Heftigen herrscht am meisten Zufälliges, die schnelle Bewegung des Schöpfergeistes, der gegen die Materie ankämpft, beym Starken ist mehr gesammeltes Selbstbewußtseyn, man fühlt, daß man der andrängenden Materie widersteht, nicht unterliegt, man ist aber doch im Kampfe mit ihr, sie scheint uns gleich an Kraft. Es ist eine Stille um uns her, aber ein Stillstand zweyer kriegerischer Kräfte, eine dumpfe Ruhe, wie vor dem Gewitter. Beym Großen ist schon mehr Jndifferenz. Der Schöpfergeist durchdringt die unendliche Materie, vereinigt sich mit ihr, aber verliert sich auch in ihr. Nur beym Erhabenen ist Stille und Ruhe, verbunden mit Seligkeit und Hoheit. Der Schöpfergeist hat überwunden, die Materie geläutert, und zu sich hinangehoben. Sie gehorcht ihm freywillig. Er sieht und liebt in ihr sein Bild, und sein Bild blickt liebend znrück auf ihn. Die Harmonie von Geist und Natur ist erreicht. Gott, sagen die Braminen, erblickt seinen seligen Glanz in der lebenden Schöpfung, wie der ruhige Mond sich auf den sanftbewegten Wellen spiegelt.

Anmerk. 2. Man wirft gewöhnlich alles unter die Benennung des Erhabenen zusammen. Allein sowohl in der Sinnenwelt, als in der poetischen zeigt sich der Unterschied. Groß ist die Vorstellung des Weltmeers. Stark ein Felsen, der der andrängenden Fluth entgegen tritt. Heftig ein Sturm, der in den Fichtenwäldern wühlt, ein Adler, der zur Sonne fliegt, ein Geyer, der72 sich auf die Taube stürzt. Erhaben die Pyramide, der Sonnenobelisk, der aus der fluthenden Nilüberschwemmung emporsteigt. Der Mensch nimmt, in so fern der Raum und seine Dimensionen ästhetischen Eindruck auf ihn machen, Rücksicht auf die Art, wie er in demselben gestellt ist. Er denkt sich das Herausgehen aus sich selbst mit unendlicher Kraft, als eine unendliche Linie, und sich selbst als den Punkt, der die unendliche Linie gegen sich zu begränzt. Er denkt sich das Ziehen dieser Linie, bey immer neuer Kraftäußerung beschleunigt (das Heftige), den Standpunkt, von dem er ausgeht, auf den er immer zurückkommt, fest, (das Starke). Dieser Standpunkt ist ihm ein relativer Ort, in Absicht auf alle Dimensionen des Raums, die ihn umgeben. Er verliert sich in der Unendlichkeit, er mag sich dieselbe als eine Sphäre, wie den sichtbaren Himmel, oder ohne alle Begränzung denken, welches mathematisch richtiger ist (das Große). Jn so fern er aber sein Haupt, als den edelsten Theil seines Körpers ansieht, von wo aus alle dessen Bewegungen regiert werden, in so fern denkt er sich nach oben zu, alles Göttliche, den Himmel oder den absoluten Ort, das Centrum der Weltregierung oberhalb (das Erhabene). Der Nutzen dieser Eintheilung bey Beurtheilung poetischer Gedanken ist leicht abzusehen, da die Anwendung der sinnlichen Analogieen auf die Gedankenwelt bald gemacht ist. Starke Stellen: Man fragt die Medea: wen hast du gegen diese unzähligen mächtigen Feinde? Sie antwortet: mich. Man fragt den Mahomet: welch Recht hast du, die Völker zu betrügen? Er73 antwortet: Le droit qu'un esprit vaste et ferme en ses desseins a sur l'esprit grossier des vulgaires humains. An einem andern Orte heißts: Il a droit de tromper, s'il trompe avec grandeur. Oder: Il est de ces esprits favorisés des cieux, qui sont tout par eux mêmes, et rien par leurs Ayeux. Il faut de nouveaux cultes, il faut de nouveaux fers, il faut un nouveau Dieu pour l'aveugle univers. Voltaire Mahomet. Fertur pudicae coniugis osculum, parvosque natos, vt capitis minor, a se removisse et virilem toruus humi possuisse voltum, donec labantes consilio patres firmaret auctor nunquam alias dato. Horaz vom Regulus l. 3. od. 5. Am Ende der Ode löst sich das Starke in das rein Erhabene auf. Regulus geht so ruhig zum qualvollen Tode, wie er sonst nach geendeten republikanischen Tagsgeschäften auf seine Landgüter gieng. He was a man, take him for all in all. The time is out of joint o cursed spight, that ever I was born to set it right. Hamlet. Mes pareils à deux fois ne se font pas connoitre, et pour leur coup d'essai veulent des coups de maître. Le Cid. δ'εμη ψυχη παλαι τεθνηκεν. Antigone. Τα δ'αλλα τοις κατω μυθησομαι. Ajax vs. 865. θεοις τεθνηκεν ὁυτος, ὀυ κεινοισιν, ὀυ. ὡν γαρ ῆραθη τυχειν, ἐκτησαθ 'ἁυτω, θανατον ὁνπερ ἐθελε. ibid. the bell invites me. Hear it not, Duncan; for it is a knell, that summons thee to heaven, or to hell. Though74 Birnam wood be come to Dunsinane, And thou oppos'd, being of no woman born, Yet I will try the last. Befor my body I throw my warlike shield: lay on, Macduff, And damn'd be him, that first cries, hold, enough. Makbet. Arm in Arm mit dir, so fordr' ich mein Jahrhundert in die Schranken. Schiller. Παντοιης ἀρετης μιμνησκεο, νυν σε μαλα χρη Αιχμητην τ'ἐμεναι και θαρσαλεον πολεμιϛην Ἐυδομεν, ὁπποτερω κεν ὀλυμπιος ἐυχος ὀρεξη. Iliad. XXII. Lasciate ogni speranza voi, che 'ntrate. Jn der Ueberschrift der Höllenpforte beym Dante. Jn dieser Ueberschrift geht das Große ed io eterno duro vorher und das Starke schließt. Eben so in der Hymne: Mors stupebit et natura, cum resurget creatura judicanti responsura. Zuweilen steht das Starke zwischen dem Großen mitten inne. διος αιθηρ και ταχυπτεροι πνοιαι, ποταμων τε πηγαι, ποντιων τε κυματων ἀνηριθμον γελασμα, παμμητορ τε γη, και τον πανοπτην κυκλον ἡλιοσκαλω. Ιδεθε μ' ο̃ια προς θεων πασχω θεος. δερχθηθ 'ὁιαις αικιαις διακναιομενος τον μυριετη χρονον ἀθλευσω. Aeschyl. Prometh. Weiter sagt' er und sprach: Jch hebe gen Himmel mein Haupt auf, meine Hand in die Wolken und schwöre dir bey mir selber, der ich Gott bin, wie du, ich will die Menschen erlösen. Klopstock. Bedenkt, sagt Kaiphas, es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe. Solches aber redete er nicht von sich selbst, sondern weil er desselbigen Jahrs Hoherpriester75 war, weissagete er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk. (Hier das Starke, nun wieder das Große:) Und nicht für das Volk allein, sondern daß er die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammenbrächte. Da sprach Jesus zu ihnen: Jch bin noch eine kleine Zeit bey euch, und dann gehe ich hin, zu dem, der mich gesandt hat. Jhr werdet mich suchen und nicht finden, und da ich bin, könnet ihr nicht hinkommen. Jch bin zum Gericht auf diese Welt gekommen, auf daß die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden &c. Wer mich hasset, der hasset auch meinen Vater. Folge du mir, und laß die Todten ihre Todten begraben! Jhr sollt nicht wähnen, daß ich kommen sey Frieden zu senden auf Erden, ich bin nicht kommen Friede zu senden, sondern das Schwert. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mir sammelt, der zerstreut! Wer Vater und Mutter mehr liebt, denn mich, der ist meiner nicht werth, und wer Sohn und Tochter mehr liebet, denn mich, der ist mein nicht werth. Himmel und Erde wird vergehen, aber mein Wort wird nicht vergehen. Christus im Evangelio. Zuweilen geht das Starke in das Große über, z. B. Il. χ. 91. ὀυδ Ἑκτορι θυμον ἐπειθον Αλλ ὁγε μιμν 'Αχιληα πελωριον ᾶσσον ἰοντα. Zuweilen ist der Charakter des Starken und des Großen in einem Gedanken so ganz vereinigt, daß daraus, wie ein Nachhall, das Gefühl des Erhabenen entsteht. Makduff tritt ein, den Kopf des Tyrannen auf einem Spiese, und ruft: Behold, where76 stands the usurper's cursed head. The time is free. Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr! wohin sollen wir gehn? Du hast Worte des ewigen Lebens. Die Knechte antworteten: Es hat nie kein Mensch also geredt, wie dieser Mensch. Aber am letzten Tage des Fests, der am herrlichsten war, trat Jesus auf, rief und sprach: Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer von Gott ist, der hört Gottes Wort, darum höret ihr nicht, denn ihr seyd nicht von Gott! Jn der Welt habt ihr Angst, aber seyd getrost, ich habe die Welt überwunden. Evang. Johan. Heftige Stellen: Του δ'ἐγω ἀντιος ε῏ιμι και ἐι πυρι χειρας ἐοικεν, ἐι πυρι χειρας ἐοικε μενος δ'αιθωνι σιθηρῳ. Hector Il. υ. 371. Besonders bey den heftigen Stellen findet sich die Epanalepsis oder Wiederholung derselben Rede, um desto tiefer einzudringen in die Seele. Diese Stelle ist so kräftig, daß sie selbst dem antihomerischen Skaliger göttlich schien. Der ganze Anfang vom elften Buch der Jliade gehört hierher, doch entsteht durch die Zusammensetzung so vieler heftiger Bilder der Kriegsrüstung das Große. Wenn sich auf diese Weise zuweilen das Heftige mit dem Großen verbindet, wodurch die einzelnen vielen Theilvorstellungen des Großen in Bewegung gezeigt werden, so erscheint eine Mannichfaltigkeit im Großen, die man Pracht nennt. Farewel the plumed troop and the big wars, that make ambition virtue! O farewel! Farewel the neighing steed, and the shrill trump, the spiritstirring drum, the earpierring fife, the royal banner,77 and all quality, pride, pomp and circumstance of glorious war. And o you mortal engines, whose rude throats the immortal Joves dread clamours counterfeit, Farewel! Othello's occupation's gone! Othello. Hier wird das Heftige und Prächtige plötzlich durch das Starke gehemmt, wodurch ein Anklang vom Großen entsteht. Uebrigens gränzen dergleichen prächtige Stellen, weil sie zu viel Licht auf die einzelnen Theile werfen, oft an das Schwülstige, (von welchem Fehler der poetischen Jdee weiter unten die Rede seyn wird) z. B. die Beschreibung der Schlacht im Fingal von Ossian. Erstes Buch. Man pflegt das Prächtige und Heftige zuweilen, wenn sich in den einzelnen Theilen das niedere Schöne zeigt, auch das Glänzende zu nennen. So ist im Ganzen genommen die Poesie des Aeschylus. Zuweilen geht das Große vorher und das Heftige folgt, wodurch denn das Große auf einmal in Bewegung erscheint. Dies thut oft viel Wirkung. So hat Agamemnon das ganze Heer der Griechen durchgangen, welches in Schlachtordnung steht (das Große), zuletzt hat er den Diomed angemahnt. Hier entsteht ein Wortwechsel. Diomedes springt von dem Wagen in voller Rüstung seiner Waffen auf die Erde, furchtbar rasselt das Eisen um die Brust des Königs, der sich schüttelt, und wie eine Wellenfluth stets wachsend und schäumend bewegen sich nun dicht aneinander gedrängt vorwärts die Phalangen der Danaer. Nicht glücklicher konnte die Bewegung eines ganzen Heers vor der Einbildungskraft versinnlicht werden. (Il.78 Δ. 420.) Weil das Heftige durch eine Bewegung des Starken entsteht, und also gewaltsam ist, so verzerrt es oft die Gestalten, und man nennt es alsdann wohl auch gräßlich: und schrecklich. (Der Fehler, an den es danngränzt, ist das Scheußliche und Ekelhafte, wo das Häßliche stark aufgetragen wird, davon wo anders.) Telemach endet. Jtzt brachte zu Angstgelächter die Freyer Pallas Athenä, ihr Geist ward irr, verzuckt von der grausen Lach' ihr Gesicht, da verschlangen sie blutiges Fleisch, von dem Auge stürzten Thränen, das Herz weissagte sich Jammer. Es redet Theoklümenos. Ach! ihr unglückseligen Männer, welches Elend traf euch. Das Haupt, das Antlitz, den Leib hüllt Nacht euch ein, Wehklag 'ertönt, bethränt ist die Wange, Wand und das schöne Gesäul trieft Blut. Die Flur und den Vorhof füllen Erscheinungen, wandeln hinab zu den Todten. Die Sonne ist an dem Himmel erloschen, ereilt hat euch schreckliches Dunkel. Odyss. XX. 347. nach Klopstocks Uebersetzung in den Gramatischen Gesprächen. Hierher gehört auch die Schilderung des Götterkampfs in der Jliade. Ἀμφι δ'ἐσαλπιγξεν μεγας ὀυρανος, ὀυλυμπος τε, ἐδδεισεν δ'ὑπενερθεν ἀναξ ἐνερων Αϊδωνευς. Δεισας δ'ἐκ θρονου ἀλτο, και ἰαχε, μη ὁι ἐπειτα γαιαν ἀναρρηξειε Ποσειδαων ἐνοσιχθων, ὀικια δε θνητοισ' και αθανασοισι φανειη, σμερδαλἐ ἐυρωεντα, τα τε ϛυγεουσι θεοι περ. Il. Φ. 11. Le ciel en retentit, et l'olympe en trembla. L'enfer s'emeut au bruit de Neptune en furie, Pluton sort de son throne, il pâlit, il s'écrie. Il a peur,79 que ce dieu, dans cet affreux séjour, d'un coup de son trident ne fasse entrer le jour, et par le centre ouvert de la terre ébranlée ne fasse voir du Styxe la rive désolée, ne decouvre aux vivans cet empire odieux, abhorré des mortels, et craint même des dieux. Der berühmte Furienchor beym Aeschylus hat ganz den Charakter des Schrecklichen und Gräßlichen, besonders die Stelle: Ἐπι δε τῳ τεθυμενῳ τοδε μελος, παρακοπα, παραφορα, φρενοδαλις ὑμνος ἐξ ἐριννυων, δεσμιος φρενων, αφορμικτος αυονα βροτοις. Ueber dem geweihten Opfer sey dies unser Lied. Sinneraubend, herzerschütternd, wahnsinnhauchend, schallt der Hymnos der Erinnyen, seelenfesselnd, sonder Leyer und des Hörers Mark verzehrend (nach der Humboldischen Uebersetzung). Einen Theil des Furienchors erinnere ich mich folgendermassen übersetzt zu haben. Beginne überm Haupt des Geopferten, beginne Gesang, du Sinneverrücker, Geistesirre, Brand des Gehirns, Hymnus der Erynnien, seelanschmiedend, ohne Leyer, ausdörrend das sterbliche Blut! Mutter Nacht, die mich geboren, o Mutter! mich, den Todumfinsterten und Tagsgenossen zur Henkerqual, hör 'Latos Knab hat mächtigen Schimpf mir angethan, er führt' hinweg den Hasen mir, der mein ist, mir überliefert, zu sühnen der Mutter Mord. Schalle über das Opferwild, schalle Gesang, du Sinnenverrücker, Geistesirre, Brand des Gehirns, Hymnus der Erynnien, seelanschmiedend, ohne Leyer. Ausdörrend das sterbliche Blut. Denn uns hat solch Loos von Beginn an zugetheilt die Parz und heißt80 d'rauf halten mit Strenge: Frevlern, die verfallen in des Blutfreunds Mord, Geleit zu geben, bis deren einer hinab geht unter die Erd ', und sterbend wird traun er von uns nicht frey. Schalle über das Opferwild, schalle Gesang, du Sinneverrücker, Geistesirre, Brand des Gehirns, Hymnus der Erynnien, seelanschmiedend, ohne Leyer, ausdörrend das sterbliche Blut. Als wir wurden, beschied uns dies das ewige Schicksal, aber auch von den Unsterblichen abzuhalten die Hand und ist keiner, der Nektargenährten keiner, der Tischgesell' uns wäre. Weißglänzendes Gewand ward ewig uns versagt. Denn wir lieben der Geschlechter Umsturz, lieben's, wenn der blut'ge Zwist dem Freund das Haupt zerschmettert, dann verfolgen wir den Thäter, sey er wacker gleich, ihn tilgend, ob dem neu vergossenen Blut u. s. w. Aeschyl. Eumenid. 314. seq. Man erkennt besonders in den letzten Worten eine große Aehnlichkeit mit den Bürgerschen Hexenscenen zum Makbet, welche ebenfalls als Beyspiel vom Gräßlichschönen gelten können. Wenn die guten Fürsten sterben, die Tyrannen Kronen erben, wenn erbost die Menschenschlacht, Wittwen g'nug und Waisen macht, wenn sich mörderische Seuchen zwischen Vieh und Menschen schleichen, wenn der Frost die Blüt 'erstickt, Hagelschlag die Saat zerknickt, Hungrige mit leerem Magen, sich um Knochen blutig schlagen, Lust an Unlust, das ist Lust, ha! das kitzelt uns die Brust. (Bürger.) Die Scene Shakespears, wo die Hexen dem Makbeth aus dem Kessel propheizehen lassen, zeigt eine solche Leichtigkeit Shakespears in Darstellung des Gräßlichschönen81, daß man diese Leichtigkeit mit Richardsons gewagtem Ausdruck eine schreckliche Grazie nennen möchte. Einen nicht geringern Beleg giebt der Fluch des Lear, gegen welchen der Fluch des Oedipus (Colon. vs. 1390) kaum gehalten werden kann. Hear, nature, hear! dear goddess hear! Suspend thy purpose, if thou didst intend to make this creature fruitful! Into her womb convey sterility! Dry up in her the organs of increase, and from her derogate body never spring a babe to honour her. If she must teem, Create her child of spleen, that it may live and be a thwart disnatur'd torment to her. Let it stamp wrinkles in her brow of youth, with cadent tears fret channels in her cheeks, turn all her mother's pains, and benefits, to laughter and contempt, that she may feel, Haw sharper than a serpent's tooth it is to have a thankless child! Durch die Wehmuth, die am Schlusse des Fluchs ausbricht, geht das Gräßlichschöne hier in's rein Erhabene über. Ueberhaupt wenn man alle die Schilderungen zusammen nimmt, wo Shakespear das moralische und physische Schreckliche aufstellt, diesen Lear im Wald, in der Gewitternacht, umgeben von einem Narren und dem frierenden sich verrückt stellenden Tom, wie er nach und nach selbst verrückt wird, diese nachtwandelnde, unter den Zentnerlasten des innern Gewissens tief aufstöhnende Lady Makbeth, diese blutgierige Tyrannen Richard und Makbeth, die sich mit den Geistern ihrer Gemordeten besprechen, diesen tiefsinnigen Hamlet, bey dem die Philosophie82 bis zur Anschauung des Unsichtbaren steigt, diesen Makduff, der zur Rache gegen den Tyrannen aufgemuntert wird, weil derselbe seine Kinder tödtete, und verzweifelt ausruft: He has no children, so muß man gestehen, daß kein Dichter der Welt, die hebräischen und den Dante ausgenommen, in Ansehung des Heftigschönen dem Englischen an die Seite gesetzt werden könne. Mit einer Gewalt, der selbst von dem Materialisten nicht widerstanden werden kann, reißt er die Phantasie heraus aus der gewöhnlichen Ordnung der Dinge, trennt sie von der fest gestalteten Natur und erhebt sie auf den Standpunkt des freyen Willens. Wir sehen die unsichtbare Geisterwelt mit moralisch pathologischer Evidenz vor uns, und der Stolz einer aufgeklärten ruhigen Erfahrung muß dem Gefühl von etwas wundervollem höheren weichen, das in dem Aufruhre der Leidenschaften rege wird, alle ausgebildeten Gedanken der Seele mächtig verzerrt, und die Natur in das alte Chaos zurück zu stürzen droht. Vermöchte er es eben so oft, diese furchtbar schönen Dissonanzen im Kampf der Freyheit und Natur durch eine reine Erhabenheit aufzulösen (ungefähr wie in der letzten Hexenscene durch die Erscheinung der guten Könige), so würde kein Dichter moralischer seyn. Allein nur zu sehr bleibt die Bitterkeit über das Schicksal, und Menschenhaß das Resultat des Shakespearischen Genius. Er kann uns Wunden schlagen, die nicht anders, als durch Himmelsbalsam zu heilen sind, er kann in uns die höchste Sehnsucht nach diesem Himmelsbalsam erwecken, aber selbst heilen kann er die geschlagnen Wunden nicht. Jn so fern stehen83 die Griechen über ihm, weil sie weniger die bleibenden Gestalten der Natur verrücken, und ein festes lichtes System von Weltregierung voraussetzen, das man bey dem romantischen Shakespear umsonst sucht. Deswegen vermögen sie auch nie sich zu so heftig schönen Gedanken zu erheben. Sehr oft suchen sie das Heftigschöne nur in Bildern, in Gemälden der Natur, die uns kalt lassen, wie die Pindarischen Schilderungen von Typhon und feuerspeyendem Aetna, das Roßgespann der Götter, welches mit einem Satze so weit springt, als ein Mann auf einer Warte ins Meer sieht, das Aufthürmen des Ossa auf den Pelion, und andere Dinge, welche Longin bewundert, die aber nur abentheuerlich, mährchenhaft und keineswegs in höherm Sinne des Wortes schön sind, so wenig, wie der Vogel Roc und der Magnetenberg in den Arabischen Erzählungen. So sehr sich in griechischen Dramen, im Philoktet, Ajax, Oedipus Tyrannus, zuweilen die Rede erhebt, der Streit erhitzt, es bleibt immer ein gewisses Maaß, eine gewisse Nüchternheit. Nur selten findet man so einen Zug von Aufbrausen, wie den, des ungeduldigen, kampflustigen Ajax in der Jliade: Vater Zevs, verjag dies Dunkel von den Söhnen der Achäer, laß es hell werden um uns, laß uns aus den Augen sehen und dann tödt' uns im Licht! Jm Ganzen genommen erregen die griechischen Dichter mehr einen hohen Grad des Mitleidens und der Angst, als des Entsetzens, wenn man das Gespräch der Klytemnestra als Schatten mit dem schnarchenden Furienchor und einige andere Stellen ausnimmt. Die Schilderung einer ängstlichen Stimmung kann aber84 auch zu dem Heftigen gerechnet werden, wie die ganze Stelle Iliad. XXII. wo die Ermordung des Hektors erwartet wird. ὡς δ'ἐν ονειρῳ ὀυ δυναται φευγοντα διωκειν ὀυτ 'ἀρ τον δυναται ὑποφευγειν, ὀυθ' διωκειν, ὡς τον ὁυ δυνατο μαρψαι ποσιν, ὀυθ 'ὁς αλυξαι. vs. 200. Ein hoher Grad von Angst, an welchem der für den Hektor interessirte Zuhörer Theil nimmt, der sich selbst dem zurückgehaltenen Versbau mitgetheilt zu haben scheint, gleich einem schweren Traume, solcher bietet die ganze Seelenkraft auf, mit Gewalt die Fessel zu sprengen. Hierher gehört auch die Angst der Andromache Il. XXII. 446. Κωκυτοῦ δ'ἠκουσε και ὀιμωγης ἀπο πυργου, της δ'ἐλελιχθη γυῖα, χαμαι δε ὁι ἐκπεσε κερκις. δ'ἀυτις δμωησιν ἐϋπλοκαμοισι μετηυδα: Δευτε, δυω μοι ἐπεσθον, ἰδωμ' ὁτιν εργα τετυκται, ἀιδοιης ἑκυρης ὀπος ἐκλυον, ἐν δε μοι ἀυτη, στηθεσι παλλεται ἠτορ ἀνα ϛομα, νερθε δε γοῦνα πηγνυται, ἐγγυς δη τι κακον Πριαμοιο τεκεσσιν, Und wie sie nun durch das Haus stürzt, gleich einer Mänade mit hochschlagendem Herzen, und den Thurm besteigt und um sich schaut von der Mauer, geht die Scene ganz in's Heftige über. Eben so wird bey den griechischen Menschen der Schmerz nicht selten heftigschön. Jn dem Augenblicke, da Achill das κειται Πατροκλος hört: bedeckt ihn eine schwarze Wolke des Schmerzes, er streut mit beyden Händen Staub auf sein Haupt und entehrt die reizende Gestalt seines Gesichts (denn der Gram bey den Alten opfert alles Aeußere auf). An sein nektarduftendes (oder göttliches) Gewand legt sich Erde und Asche. Er selbst85 liegt groß und weithin im Staube ausgestreckt, zerreissend mit seinen eignen lieben Händen das Haupthaar. Priamus wälzt sich im Koth vor seinen Freunden und bittet sie, ihn hinaus zu lassen vor die Stadt zu dem Mörder seines Sohnes. Und Hecuba wirft weit hinweg den Schleyer, schlägt sich die nackte Brust und reißt sich mit Schluchzen das Haar aus. Zuweilen wird die Schilderung des Elends bey den Griechen so wahr, daß sie an das Ekelhafte gränzt, den Sinnen widersteht und die Einbildungskraft tödtet. Hierher gehören einige Stellen in den Trachinerinnen, Philoktet und Oedipus Tyrannus, wo die richtige Gränze kaum gehalten ist. Hierher gehört ferner die beynahe scheußliche schon von Longin verdammte Schilderung im Hesiodus Scut. Hercul. 250 seq. (wenn Hesiodus der Verfasser ist), weil sie zu sehr als kaltes Gemälde da steht und durch kein inneres Seeleninteresse gehalten wird, besonders die ἀχλυς (es bedeute das Jammerbild, was es wolle) μακροι δ'ὀνυχες χειρεσσιν ὑπησαν, της εκ μεν ρινων μυξαι ρεον κ. τ. λ. Wahrscheinlich sind dies alles Abstraktionen eines spätern Dichters aus dem Homer. Manches wäre auch vielleicht von dem Bilde des Ugolino im Dante zu sagen, der seinem Feinde das Gehirn anfrißt. Allein wenn man bedenkt, daß die Menschennatur durch die Geschichte eines Mannes so tief empört und erschüttert wird, der seinen Feind mit seinen unschuldigen Kindern den Hungertod sterben ließ, so kann die aus ihren Gränzen gerissene Einbildungskraft wohl auch ein solches Bild überwinden. Auch ist Dante nur ein erzählender Dichter, und bringt dies nicht so unmittelbar86 auf den Schauplatz, wie Sophokles seinen kranken Philoktet, der δυσωδης ist. Bey keinem Volke ist das Heftigschöne so herrschend in der Dichtkunst, als bey den Ebräern. Jes. 34. 8. seq. Ein Rachfest hält Jehovah, ein Jahr der Vergeltung feyert Zions Rächer, Edoms Ströme werden Pech, und seine Aecker Schwefel, das ganze Land wird brennende Flamme. Und Tag und Nacht verlöscht es nicht. Ewig steigt der Rauch auf, öde bleibt's durch alle Zeiten liegen. Jn Ewigkeiten zieht kein Wanderer durch. (Oder wie Luther kräftiger es übersetzt: Und wird für und für Wüste seyn, daß niemand wird dadurch geh'n in Ewigkeit. Hier löst sich das Heftige in's Große auf.) An andern Orten: Er wird sie führen durch's Meer der Angst, daß die Wellen über sie zusammenschlagen. Es schwärzt sich Sonn 'und Mond, kein Sternstrahl blinkt, denn aus Zion tönt Jehovahs Löwenstimme, sie tönt hoch von Jerusalem. Der Himmel wird wie ein Buch gerollt, sein ganzes Heer welkt hin, wie ein Blatt vom Weinstock. Die Erde taumelt, wie ein Trunkener Jch sah mich um, da war kein Helfer und schaut umher und niemand unterstützte mich. Da mußte denn mein Arm mir helfen, und mein Zorn hielt mich. Darum hab ich die Völker zertreten in meinem Zorne, habe sie trunken gemacht in meinem Grimm, und ihr Vermögen zu Boden gestoßen. Heulet, denn nah ist Jehovahs Tag. Furchtbar bricht er an, wie Verwüstung vom Allmächtigen. Darum werden aller Hände matt, aller Herz und Muth sinkt hin. Sie entsezzen sich, sie zittern, wie Gebährende, erstarrt sehn sie87 einander an, wie Feuer glühen ihre Wangen Jehovahs Zorn bricht fürchterlich an. Männer sind seltner, wie feines Gold, Menschen sollen seltener werden, wie Ophirs Schätze, darum erschüttre ich den Himmel, die Erde bebt von ihrer Stätte auf, beym Grimm Jehovahs Zebaoth, am Tage seines glühenden Zorns. Der Herr hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen. Bin ich nicht ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht ein Gott, der ferne sey? Bin ich's nicht, der Himmel und Erde füllet? Jst mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr, und mir ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? Hierher gehört auch der Fluch beym Jeremias 20, 14. und Hiob 3. Der Tag müsse verloren seyn, an dem ich geboren bin, und die Nacht, in der es hieß: Es ist ein Knabe geworden. Derselbe Tag müsse finster seyn, und Gott von oben herab nicht nach ihm fragen, kein Glanz müsse über ihm scheinen. Finsterniß und Dunkel müsse ihn überwältigen. (Dieser συναθροισμος, diese πυκνωσις oder wie man die Figur sonst nennen will, d. h. die Anhäufung mehrerer Bilder, um eben dieselbe Sache zu sagen, weil die Seele sich fortdauernd mit den Gedanken beschäftigt ist dem Heftigschönen besonders eigen und bey den Hebräern am meisten zu finden. Hier ist es nicht allein eine Anhäufung, sondern auch Steigerung, eine Art Climar.) Dicke Wolken müssen über ihm bleiben und der Dampf mache ihn gräßlich. Nicht freuen müsse er sich unter den Tagen des Jahres, noch in die Zahl der Monate kommen Siehe! die Nacht müsse einsam seyn und kein Jauchzen darin. Sie werde verflucht88 von dem Murmeln der Zauberer, welche das Ungeheuer beschwören. Jhre Sterne müssen finster seyn in ihrer Dämmerung, sie hoffe aufs Licht und komme nicht, und müsse nicht sehn die Augenbraue der Morgenröthe, dieweil sie nicht verschlossen hat meiner Mutter Leib und hat nicht verborgen das Unglück des Lebens vor meinen Augen Warum bin ich nicht gestorben von Mutterleib an, warum bin ich nicht umkommen, da ich aus dem Leibe kam, warum hat man mich auf den Schooß gesetzt, warum bin ich mit Brüsten gesäuget? (Hier geht das Heftige durch Wehmuth auf das Bild einer allgemeinen Auflösung im Tode ins Große über.) So läge ich doch nun und wäre stille, schliefe und hätte Ruhe ... Mit den Königen und Rathsherren auf Erden, die das Wüste baun, oder mit den Fürsten, die Gold haben, deren Häuser voll Silbers sind, oder wie eine unzeitige Geburt, verborgen und nichts, wie die jungen Kinder, die das Licht nie gesehen haben. Daselbst müssen doch aufhören die Gottlosen mit Toben, daselbst ruhen doch die viel Mühe gehabt haben. Da haben doch mit einander Friede die Gefangenen, und hören nicht die Stimme des Drängers. Da sind beyde Klein und Groß, Knecht und der von seinem Herrn freygelassen ist. Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen? Die des Todes warten, und er kommt nicht, und sie grüben ihn wohl aus dem Verborgenen der Erde (welche Heftigkeit!), die sich fast freuen, daß sie das Grab bekommen ... und dem Manne, des Weg verborgen ist, wenn Gott vor ihm denselben bedeckt? ... 89So weit Hiob nach Luthers Uebersetzung. Neuere mögen mitunter richtiger übersetzen, aber die alte nationale Urkraft von Luthers poetischem Deutsch sollte man nicht verdrängen wollen. Das religiöse Gefühl und die Liebe des Volkes zur Bibel muß sinken, wenn unsere Schriftforscher fortfahren, in frostiger Geistesarmuth die Bibel nur philosophisch und kritisch zu behandeln, und Gedanken und Ausdruck zu verwässern. Wie wenig zeigt sich von Herders Geist bey den Theologen. Etwas schwächer ist der Fluch des Jeremias. Verflucht sey der Tag, welcher mich aus dem Nichts nahm. Der Tag müsse ungesegnet seyn, da mich meine Mutter gebar. Verflucht sey der, so meinem Vater gute Botschaft brachte und sprach, daß er ihn fröhlich machen wollte: es ist dir ein Sohn geboren! Bey den Deutschen ist ein hoher Grad des Heftigschönen nur in Klopstocks Oden und Bardenchören zu finden. Hier schallt unterweilen wahrer Prophetengesang. Mit wahrem Urfeuer gerüstet erhebt er sich oft zur Anschauung der ewigen Jdeen Nein, wenn sie nur bewundert, hebt sich die Seele zu schwach! Erstaunen, himmelfliegendes Erstaunen, über den, der unendlich ist (zuweilen schaden aber hier zu abstrakte Gedanken der Empfindung). Meine Seele dürstet, wie nach der Auferstehung verdorrtes Gebein, so dürstet meine Seele nach diesen Augenblicken deiner Erbarmungen. Jch liege vor dir auf meinem Angesichte. O! läg' ich Vater noch tiefer vor dir, gebückt in den Staub der untersten der Welten! (Es kann die Anbetung des Heiligen nicht kräftiger ausgedrückt werden) Jn die Wunden90 deiner Hände legt 'ich meine Finger nicht, in die Wunde deiner Seite legt' ich meine Hand nicht. Aber du bist mein Herr und mein Gott! ... Vom Staube Staub, doch wohnt ein Unsterblicher von hoher Abkunft in den Verwesungen, und denkt Gedanken, daß Entzückung durch die erschütterte Nerve schauert (hier beginnt das Erhabene und geht in das menschlichere Heftige über). Des Lebens Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten, wo Adams Enkel wird, was sein Vater war, als er sich jetzt der Schöpfung Armen jauchzend entriß und ein Leben da stand! O Feld vom Aufgang, bis wo sie niedergeht der Sonnen letzte, heiliger Todten voll, wann seh 'ich dich, wann weint mein Auge unter den tausendmal tausend Thränen? Laßt mich dort hingeh'n, daß ich die Stätte seh, mit hingesenktem trunkenem Blick sie seh! Der Ernte Blumen drüber streue, unter die Blumen mich leg' und sterbe! Das sah kein Auge, das hörte kein Ohr, das kam in keines Herz, wie sehr es auch rang, wie es auch nach Gott, nach Gott, nach dem Unendlichen dürstete! Hosianna, Hosianna! die Fülle der Gottheit wohnet in dem Menschen .. Jesus Christus (hier beginnt das Heftige und geht in das Starke über durch den Gegensatz des Göttlichen und Jrdischen, aus der Hemung entsteht ein Nachhall des Großen, der im folgenden sich zeigt:). Kaum schallet der Cherubim Harfe noch, sie bebt! Kaum tönet ihre Stimme noch, sie zittert, sie zittert! Selbst damals, da einer der Gottesstrahlen auf unsere Welt jene Blutweissagung heller leuchtete, erfüllt ward, da er verachtet und elend war, als kein anderer Mensch verachtet91 und elend war, Erblickten nicht die Sünder, aber die Engel des Vaters Klarheit in dem Angesichte des Sohns. Jch seh ', ich sehe den Zeugen. Sieben entsetzliche Mitternächte hat er gezweifelt mit der Schmerzen bängstem anbetend gerungen! Jch seh ihn, ihm erscheinet der Auferstandne. Seine Hände legt er in des Göttlichen Wunden. Himmel und Erde vergehen um ihn! Er sieht die Klarheit des Vaters im Angesichte des Sohns. Jch hör', ich hör 'ihn, er ruft, Himmel und Erde vergehen um ihn! er ruft: Mein Herr und mein Gott! (hier wechselt das Heftige mit dem Großen ab und es bleibt ein Nachhall des Erhabenen.) Welcher Gedank' ist der dem, der ihn zu denken vermag (wenn Gott selbst sichtbar sterben kann, so giebt es keinen Tod), welcher hohe Triumphgedanke, Jesus Christus ist auch gestorben, ist auch begraben. Jn folgender Stelle beginnt das Starke und Große und geht gewaltig steigend ins Heftige über. Es ist die Schilderung von der Auferstehung Christi im Messias. Wie es den tausendmal tausend der Todten Gottes einst seyn wird, hat das große Wehe vom Falle bis an den Gerichtstag ausgeklagt, steigt nicht mit jedem Tropfen der Zeit mehr der hinträuft in das Meer der Vergänglichkeit eines Gebornen Weinen oder eines Sterbenden Röcheln gen Himmel, unter die Preisgesänge der Unentweihten vom Tode. Wie es ihnen wird seyn, wenn mit des letzten der Tage Morgendämmerung nun das lange Wehe des Weinens und des Röchelns auf ewig verstummt; sie werden vor Wonne freudig erschrekken, aus ihrem erhobenen dankenden Auge Thränen der92 Seligkeit stürzen, und ihrer Jubel Triumphlied wird mit jener Posaune, der Todtenweckerin streiten, streiten und überwinden! Wie dann es wird der Gerechten tausendmal tausend seyn, so war es der kleinen Schaar jetzt, die am Grabe des Herrn vor Hoffen und vor Erwarten deß, das kommen sollte, verschmachtet war, da die Wolken rissen, da Gabriel dort, eine Flamme Gottes, herabfuhr! Da er von Betlehem über die Schädelstätte zum Grabe flog! Da von Euphrates Hütte bis hin zu dem Kreuze, vom Kreuze bis hinunter ins Grab die Erde bebte! Da Satan, wie ein Gebürge dahin, des Leichnams Hüter, wie Hügel stürzten! Da weg von dem Grabe den Fels der Unsterbliche wälzte, da mit Freuden Gottes Jehovah sich freute, da Jesus auferstand. Diese große anhaltende, immer wachsende, und in der Jdee steigende Periode gleicht einem Meere, das zum Strom wird. Das Große wird heftig, das Heftige steigt; mit der Jdee der Freuden Gottes ist das Erhabene erreicht, und mit dem letzten starken allein da stehenden Worte das Ganze in Eins gefaßt. Die Vergleichung Satans mit einem stürzenden Gebirge ist herrlich, aber sie verliert, durch die Vergleichung der Hüter des Leichnams mit Hügeln, das einzige, was man wegwünschen, geändert sehen möchte. Jn den Oden Klopstocks an Giseke, an Ebert herrscht eine melancholische Heftigkeit Die Oden: mein Vaterland, Fragen, Wir und Sie, die beyden Musen sind das aufwallende Ungestüm des sich fühlenden patriotischen Genius. Auch die kriegerischen Gedichte: Hermann und Thusnelda, Heinrich der Vogler, die zwey93 Schlachtgesänge, und die Bardenchöre in Hermanns Schlacht gehören hierher, besonders das Chor, wo die Römer verflucht werden: Entartet Romulus Geschlecht Kriecht um den hohen August, kein Seipio werd 'euch geboren, kein Gracchus geboren, geboren kein Cäsar, flucht Brutus Gebein. O! Wodan, der im nächtlichen Hain die weissen siegverkündenden Rosse lenkt, heb hoch aus Wurzel und Wipfel den tausendjährigen Eichenschild, erschüttr' ihn, daß fürchterlich sein Klang dem Eroberer sey. Wir kühnes Volk, wir haben Jünglinge, mit leichten Blumenschilden und schönen Wunden, die lieber sterben, als leben, wenns gilt für die Freyheit (durch die Beymischung der lichten lachenden Bilder zum Heftigen nähert es sich hier der erhabenen Grazie). Herbey, herbey, wo der Kühnsten Wunde blutet, wo ein Fabius mit dem helleren Schilde strahlt, dort hinein ins Gedränge der Schlacht! Ha! ihr Cherusker, ihr Katten, ihr Marsen, ihr Semnonen, ihr festlichen Namen des Kriegesgesangs! Jhr stammt von Mana, ihr stammt von Thniskon! Reißt die Lanzen aus den Todten und stürzet die Lebenden hin! Es schlägt sonst euren jungen Sohn den Blütenzweig ihr Schwert herab. Wodan, Wodan! Tyrannenblut, wegen der heiligen Freyheit, Blut wegen der heiligen Freyheit, Blut der Tyrannen! Wodan! Wodan! Auf unsern Schaubühnen hat die Nachahmung der Engländer vielen Schwulst hervorgebracht. Das Heftige verliert sogleich seine Schönheit und geht in einen unnützen Bilderschmuck der Einbildungskraft über, wenn kein psychologisch natürlicher Grund94 dazu da ist. Wenn unbesonnene Jünglinge bey ihren überspannten Leidenschaften, bey einem kleinlichen Haß und einer kleinlichen Liebe die ganze Natur aufbieten, um ihre Gefühle auszudrücken, so muß das jeden kalt lassen, der seine Einbildungskraft noch nicht künstlich erhitzt hat. Sie mögen fluchen, wie Hiob und Lear, alle Elemente zu Hülfe rufen, in dem Lächeln eines Mädchens Stoff zum Nachsinnen für Ewigkeiten finden, so kann das nicht schön genannt werden. Man findet jedoch in Gerstenberg, Klinger, Leisewitz, Babo und vorzüglich in Schillers Trauerspielen viel Heftiges, das wahrhaft schön ist, z. B. das Gesicht von Franz Moor und andere Stellen in den Räubern mehr. Bey den Englischen Tragikern steht im Heftigen keiner so nah an Shakespear als Otway. Jn ihm herrscht, wie bey jenem, eine hohe Bitterkeit. Jaffier. I 'm here, and thus, the shades of night around me, I look as if all hell were in my heart, and i in hell. Nay, surely 'tis so with me! For every step i tread, methinks some fiend knoks at my breast, and bids it not be quiet. I've heard, how desperate wretches, like myself, Have wander'd out at this dead time of night, to meet the foe of mankind in his walk. Sure i'm so curs'd, that tho' of Heav'n forsaken, no minister of darkness cares to tempt me. Hell, hell why sleepst thou? (enter Pierre) Pierre. Sure I 've staid too long: the clock has struck, and i may lose my proselyte. Speak who goes there? Jaff. A dog, that comes to howl at yonder moon, What 's95 he that asks the question? Pierre. A friend to dogs, for they are honest creatures, and ne'er betray their masters. Venice preserv'd. Ueberall blickt aus diesem Trauerspiel Otway's edler Geist, niedergedrückt und erbittert von den Verhältnissen des städtischen Lebens, wo jeder, der nicht speculiren und was ihm ehrlicher Weise gehört, erkriechen mag, arm und verachtet ist. No, this vile world and i have long been jangling and cannot part on better terms than now, when only men, like thee, art fit to live in't. Mitten durch diese schauderhafte schwarze Gemüthsstimmung leuchtet wie ein melancholisches Licht die schwärmerische Liebe Jaffiers zu Belvideren. Durch diesen Kontrast nähert sich das Heftige Otway's dem Erhabenen. Jaffier will Belvideren, die ihn verführt hat, seine Freunde, die Verschwornen, zu verrathen, ermorden, und zieht den Dolch zurück. The seal of Providence is sure upon thee, and thou wert born for yet unheard of wonders. O thou wert either born to save or damn me. By all the power, that's given thee o'er my soul, by thy resistless tears and conquering smiles, fly to thy cruel father, save my friend, or all our future quiet's lost for ever. Fall at his feet, cling round his rev'rend limbs, speak to him with thy eyes, and with thy tears, melt his hard heart, and wake dead nature in him, crush him in th' arms, torture him with softness (wie stark durch den Kontrast des Ausdrucks!), nor, till thy prayers are granted, Set him free, bot conquer him,96 as thou hast conquer'd me. Auch die Französischen Dichter sind, ihrem Volkscharakter nach, des Heftigschönen fähig, wie wir in ihren Kriegsliedern gesehen haben. Doch ihre dramatischen Werke, die durch den fest gegründeten Nationalgeschmack mehrerer Jahrhunderte nicht wenig eingeengt werden, athmen eine gewisse Kälte, die das Heftigschöne am wenigsten begünstigt. Die Französische Bühne bildete sich nicht von selbst, wie die Englische, durch Shakespear's Originalität, sondern durch Nachahmung Spanischer und Griechischer Muster. Die bizarre spanische Gravität und die Griechische Nüchternheit mußten also die Franzosen so sehr beschränken, daß sich selbst Voltaire über die Leblosigkeit der Französischen Tragödie beklagt. Richardson vergleicht in seiner Untersuchung der Shakespearischen Charaktere einen Monolog des Hamlet mit einem im Cid. Hamlet lebt selbst auf der Bühne in heftigen Empfindnngen. Aber Don Roderigo beschreibt, wie ein höheres nur zuschauendes Wesen, was er fühle. Dagegen hat aber diese Kälte in der Leidenschaft zuweilen eine gewisse romantische Größe, wie z. B. die Stelle, wo der Cid zu seiner Geliebten sagt: Ne me banissez point de votre souvenir, et puisque mon trépas conserve votre gloire, pour vous en revancher conservez ma mémoire, et dites quelquefois, en deplorant mon sort: s'il ne m'avoit aimée, il ne seroit pas mort. Oder wie Chimene ruft, als sie den geliebten Mörder ihres Vaters erstochen glaubt: Un même coup a mis ma gloire en sûreté, Mon ame en désespoire, ma flamme en liberté. Das Schöne97 nimmt bey jeder Nation und bey jedem verschiedenen Menschencharakter eine besondere Gestalt an. Es sind daher für den Kunstrichter dergleichen unterscheidende Benennungen, wie wir hier vorschlagen, nöthig, damit der Geschmack nicht einseitig, partheyisch und ungerecht werde. Sehr wahr bemerkt Voltaire in seinem temple du gout: La nature féconde, ingénieuse et sage, par ses dons partagés ornant cet univers, parle à tous les humains, mais sur des tons divers. Ainsi que son esprit tout peuple a son langage, ses sons et ses accens, à sa voix ajustés, des mains de la nature exactement notés. Voltaire selbst hat vielleicht noch am meisten heftige Stellen, besonders im Mahomet: Chargé du soin du monde, environné d'allarmes, je porte l'encensoir, et le sceptre et les armes. Ma vie est un combat et ma frugalité asservit la nature à mon austerité. J'ai banni loin de moi cette liqueur traitresse, qui nourrit des humains la brutale molesse, dans des sables brûlans, sur des rochers déserts, je supporte avec toi l'inclémence des airs. L'amour seule me console, il est ma recompense, le fruit de mes travaux, l'idole, que j'encense, le seul Dieu, qui me parle, et cette passion est egale aux fureurs de mon ambition. Je prefère en secret Palmire à mes épouses, conçois-tu bien l'excès de mes fureurs jalouses? Quand Palmire à mes pieds par un aveu fatal insulte à Mahomet, et lui donne un rival. Le glaive et l'alcoran dans mes sanglan -98 tes'mains im poseroient silence au reste des humains, ma voix feroit sur eux les effets du tonnerre, et je verrois leurs fronts attachés à la terre. (Hier endet das Heftige mit dem Erhabenen.) Mais enfin, quand j'ai vu, que Mahomet est , pour changer l'univers à ses pieds consterné, quand mes yeux éclairés du feu de son génie le virent commencer sa carrière infinie, éloquent, intrepide, admirable en tout lieu, agir, parler, punir ou pardonner en Dieu etc. Son nom seul parmi nous divise les familles, les époux, les parens, les meres et les filles. C'est lui, qui par ma voix daigne ici te parler, au nom de Mahomet, qu'on apprenne à trembler! Das Heftigschöne und Starke bey den Franzosen entsteht besonders durch eine gewisse schneidende Kraft, die den Gedanken und Ausdruck gewaltsam theilt, hemmt, beschränkt, wozu die Antithesen und die cadence des Versmaaßes nicht wenig beyträgt. Dieses incisim et membratim, diese Manier, daß, wie Boileau sagt, le sens coupant les mots suspende l'hemistiche, geht ganz verloren, wenn man, wie neuerlich geschehen ist, den Voltaire in Prosa oder in reimfreyen kürzern jambischen Reihn übersetzt und das Starke, Gedrängte des Ausdrucks in kalte Umschreibungen auflöst. Wenn man z. B. den Vers Imposteur à la Mecque et Prophète à Medine, im Deutschen folgendermaßen giebt: Aus Mekka mußt 'er als Vetrüger flüchten, Medina nahm ihn als Propheten auf, so hört sie ganz auf diese: contrainte rigoureuse, ou l'esprit semble reserré, et reçoit cette force99 heureuse, qui l'élève au plus haut degré. Man darf nicht glauben, daß eine solche Entbindung der eingeengten Rede durch das Vorbild der griechischen Tragiker gerechtfertigt werde. Die Griechen suchen in der Antithese eine gleiche Heftigkeit. Homer. Il. φ. vs. 106. ἀλλα, φιλος, θανε και συ. Sophocl. Philoctet: vs. 1016. εν με προυβαλον, ἀφιλον, ἐρημον, απολιν, ἐν ζωσιν νεκρον. Antigon. vs 88. θερμην ἐπι ψυχροισι καρδιαν ἐχεις. Aeschyl. ἑπτα ἐπι θηβαις 960 seq. Παισθεις ἐπαισας συ δ'ἐθανες κατακτανων δορι δ'εκτανες Δορι δ'ἐθανες μελεοπονος μελεοπαθης ιτω γοος ιτω δακρυα κ. τ. λ. Der ganze berühmte Chor, in dem die Schwestern um ihre im Zweykampf gefallenen Brüder klagen, besteht aus sehr wirksamen Antithesen, wiewohl sie mir, zumal in Hermanns Anordnung, zu peinlich geordnet zu seyn scheinen. Bey den Jtalienern zeigt sich der great fervour of genius seltener, auch begünstigt ihn nicht ihre Sprache. Ariosts Schilderung des aus Eifersucht rasenden Rolands kann hier billig angeführt werden. Die Heftigkeit giebt der des Othello wenig nach und ist schöner. Wie Orlando in die Höhle tritt (Canto 23. St. 111.) und in Medors Aufschrift am Eingange die Treulosigkeit seiner Angelika bestätigt findet, liest er drey, vier, sechsmal die Schrift, hofft immer, es solle eine Täuschung seyn. Aber die Wahrheit wird stets deutlicher. Jedesmal, daß er die Worte liest, fühlt er das Herz im gekränkten Busen, wie von einer kalten Hand zusammengedrückt. Endlich bleibt sein Auge,100 seine Seele an dem Stein angeheftet, vom Stein nicht mehr unterschieden, al sasso indifferente. Und damals trat sein Geist ganz aus den Gränzen des Bewußtseyns, so ganz überließ er sich zur Beute dem Schmerz. Caduto gli era sopra il petto il mento, potè aver a le querele voce, umore al pianto. Jn dem Hause, wo er die Nacht zubringt, hört er aus dem Munde eines Schäfers die Geschichte bestätigt. Das Armband entscheidet, wie beym Othello das Schnupftuch. Questa conclusion fu la secure, che' l capo a un colpo gli levò dal collo. Er vergießt einen Strom von Thränen, er seufzt, er stöhnt, er wirft sich in dem Bett umher, das ihm härter ist, als Stein, stechender, als Disteln und Nesseln. Jetzt kommt ihm in den Sinn, auf diesem Lager konnte die Undankbare mit Medor die Nächte zugebracht haben. Er springt auf, wie ein Landmann vom Rasen, wo er eben die Augen zuschliessen wollte, und eine Schlange entdeckt. Er waffnet sich mitten in der Nacht, schwingt sich auf sein Roß, verläßt die verhaßte Hütte, reitet tief in den Wald, und öffnet hier in der Einöde mit Geschrey und Heulen die Pforten seinem Schmerz. So bringt er zu die Tage, die Nächte, fern von den Dörfern und Städten, liegt unter offnem Himmel im Forst auf hartem Boden. Noch einmal trifft er am Tage auf den Ort, wo die Jnschrift steht. Kein Tropfen Bluts ist in ihm, der nicht zu Haß, Wuth, Zorn und Raserey wird. Er zieht das gewaltige Schwert, zermezzelt Schrift uud Stein und verwüstet die ganze Gegend. Endlich fällt er ermattet, erschöpft auf die Wiese nieder,101 seufzt zum Himmel und spricht kein Wort. Die Sonne kommt dreymal und geht. Er bleibt ohne Schlaf, ohne Speise. Am vierten Tage tritt die volle Raserey ein. Er zieht sich die Rüstung vom Rücken, daß die Waffen zerstreut liegen an allen Ecken des Waldes. Nachher zerreißt er sich die Kleider und zeigt nackt seine rauhhaarige Brust, seinen muskelvollen Leib. (Vergleiche Sophocl. Trachin. 750. seq. Die Schilderung des sinnlichen Schmerzes gränzt dort an das Ekelhafte und bleibt hinter der des Ariosts zurück.) Mächtige Wuth umnebelt alle seine Sinnen. Er denkt nicht mehr an den gewaltigen Degen, der so wunderbare Thaten verrichten kann. Zur Probe seiner eignen Kraft packt er eine hohe Fichte und entwurzelt sie mit der ersten Erschütterung. Jn Shakespears Othello ist das Wachsen der Leidenschaft nicht so romantisch, aber psychologisch feiner und für das Jnnere der Seele angreifender geschildert. Eine gewisse ruhige Stärke geht hier vorher, wie eine Stille vor dem Sturm. 'Tis not to make me jealous, to say my wife is fair, feeds well, loves company, is free of speech, sings plays, and dances well, where virtue is, these are more virtuous; nor from mine own weak merits will i draw the smallest fear, or doubt of her revolt. For she had eyes, and chose me. No, Jago, i 'll see, before i doubt; when i doubt, prove, and, on the proof, there is no more, but this away at once with love, or jealousy. Nach und nach wächst die Unruhe des Zweifelns, der stürmische Wunsch nach einem deutlichen Beweise. Vi -102 lain, be sure thou prove my love a whore. (Das Heftige entfernt sich, je mehr es sich dem Schrecklichen nähert, vom Schönen, die Ausdrücke werden gemeiner, wirksamer.) Be sure of it. Give me the ocular proof! (den Jago bey der Kehle packend) Or by the worth of mine eternal soul, thou hadst been better have been born a dog, than answer my wak'd wrath. By the world, i think my wife be honest, and think she is not, i think that thou art just, and think thou art not (welche Kraft in dieser einfachen nothwendigen Antithese des Zweifelns!) I'll have some proof: my name, that was as fresh, as Dians visage, is now begrim'd and black, as mine own face. If there be cords, or knives, poison, or fire, or suffocating streams, i'll not indure it. Would, i were satisfied! Was kann angreifender seyn, als das Gefühl des getäuschten Vertrauens, um so mehr, wo schon Anlage zur Eifersucht da ist. Othello hört Jago's Erzählung, unterbricht sie mit kurzen Worten der Wuth. O monstrous monstrous O, that the slave had forty thousand lives, One is too poor, too weak for my revenge. Now do i see 'tis true. Look here, Jago. All my fond love thus do i blow to heaven! 'tis gone. Und wie Jago die Geschichte vom Schnupftuch vorbringt, geräth er in volle Wuth und spricht abgebrochen, wie ein Rasender. Lie with her! lie on her! we say lie on her, when they belie her. Lie with her! thats fulsome. Handkerchief confessions handkerchief to103 confess, and be hang'd .. for his labour u. s. w. Ausser dem Ariost hat auch Petrark zuweilen heftige Stellen, welche an Leidenschaft den Oden der Sappho wenig nachgeben, wiewohl sie dem Ausdrucke nach etwas gedehnt sind. Di pensier in pensier, di monte in monte mi guida amor, ch' ogni segnato colle provo contrario alla tranquilla vita. S'en solitaria piaggia, rivo o fonte, s'en fra duo poggi siede ombrosa valle, ivi s'acqueta l'alma sbigottita, e com' amor l'invita hor ride, hor piagne, hor teme, hor s'assecura, e 'l volto, che lei segue, ov' ella il mena, si turba e rasserena, e in un esser picciol tempo dura: ondea la vista, huom di tal vita esperto diria: questi arde, e di suo stato è incerto. Per alti monte e per selve aspre trovo qualche riposo ove porge ombra un pino alto, ed un colle talor m'arresto: et pur nel primo sasso disegno con la mente il suo bel viso i' l'ho più volte (or chi sia che me 'l creda?) nell' acqua chiara, e sopra l'erba verde veduta viva, e nel troncon d'un faggio; e'n bianca nube si fatta, che Leda avria ben detto, che sua figlia perde, come stella, che 'l sol copre col raggio, e quanto in più selvaggio loco mi trovo, e'n più deserto lido, tanto più bella il mio pensier l'adombra, poi quando' l vero sgombra quel dolce error, pur li 'medesmo assido me freddo, pietra morta in pietra viva, in guisa d' uom, che pensi, e pianga e scriva Ove d'altra montagna ombra non tocchi, verso' l maggiore e 'l più spedito giogo104 tirar mi suol un desiderio intenso. Indi i miei danni a misurar con gli occhi commincio, e' n tanto lagrimando sfogo di dolorosa nebbia il cor condenso, allor ch' i miro e penso, quanta aria dal bel viso mi diparte, che sempre m'è si presso e si lontano. Poscia fra me pian piano: che fai tu lasso? forse in quella parte or di tua lontananza si sospira. Ed in questo pensier l'alma respira. Hier ist das Schmachten nach dem Schönen auf den höchsten Grad gestiegen. Petrarks Leidenschaft ist eben so heftig, wie die des Orlando und Othello, aber sie ist frey von allem Jrdischen und Gemeinen. Hier ist keine Hemmung, keine Schranke, nichts Städtisches, Convenzionelles, Menschliches, lauter Göttlichkeit und schöne Natur. Es ist das reine himmlische Licht, in welchem Seele der Seele begegnet. Zuweilen wird er eben so ἀπνους, wie die Sappho, er sitzt in hoher Vergessenheit der Liebe an einem Gebirg auf einem Stein, selbst ein kalter todter Stein, gestaltet wie ein Mensch, der denkt oder weint oder schreibt. Aber das himmlische Leben der Liebe kehrt zurück, treibt ihn auf den erhabensten Gipfel, den die Schatten der übrigen Berge umher nicht treffen können, dort mißt er mit den Augen die Größe seines Unglücks, sein Schmerz bricht in Thränen aus, er übersieht die Gegenden, welche ihn trennen von dem göttlichen Jdeale seiner Sehnsucht. Jtzt hat der Kummer die letzte Höhe erreicht, und fängt an ihn zu erheben, seine Seele athmet auf in neuer Hoffnung, und das Heftige hat sich im Erhabenen gelöst. Zuweilen mag aber auch wohl Petrark105 seine stärksten Stellen übersetzt haben, wie z. B. das 105. Sonnet, voll kräftiger Antithesen. Pace non trovo, e non ho da far guerra, e temo, e spero ed ardo, e son un ghiaccio, e volo sopra 'l ciel, e giaccio in terra, e nulla stringo, e tutto' l mondo abbraccio veggio senz 'occhi, e non ho lingua e grido, e bramo di perir, e cheggio aita ed ho in odio me stesso, ed amo altrui, pascomi di dolor, piangendo rido, egualmente mi spiace morte e vita. Und Sonnet 103. S'amor non è, che dunque è quel, ch' io sento? Man weist eine ähnliche Stelle in dem Valencianisch = Limosinischen Dichter Mossen Jordi nach: E non he pau, e no tinc quim' guerreig; vol sobre 'l Cel, e nom' movi de terra, e no estrench res, e tot lo Mon abràs, oy he de mi, e vull a altri gran be. Si no es Amor, donchs açò que serà. Beyspiele des Großen. Unendlichkeit, wer misset dich? Bey dir sind Welten Tag, und Menschen Augenblicke. Vielleicht die tausendste der Sonnen wälzt itzt sich, und tausend bleiben noch zurücke. Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht, eilt eine Sonn 'aus Gottes Kraft bewegt. Jhr Trieb läuft ab, und eine zweyte schlägt, du aber bleibst und zählst sie nicht. Der Sterne stille Majestät, die uns zum Ziel befestigt steht, eilt vor dir weg, wie Gras an schwülen Sommertagen, wie Rosen, die am Mittag jung und welk sind vor der Dämmerung, ist gegen dich der Angelstern und Wagen. (Man sieht, daß selbst schöne und lichte Bilder bey der Empfindung des Großen statt finden können, wenn106 sie nur bald wieder verlöschen.) Eh' als die Schwere noch den Weg zum Fall gelernet, und auf die Nacht des alten Nichts, sich goß der erste Strom des Lichts, warst du, so weit als itzt von deinem Quell entfernet, und wenn ein zweytes Nichts wird diese Welt begraben, wenn von dem allen selbst nichts bleibet als die Stelle, wenn mancher Himmel noch von andern Sternen helle, wird seinen Lauf vollendet haben, wirst du so jung, als jetzt von deinem Tod gleich weit, gleich ewig künftig seyn, wie heut. Die schnellen Schwingen der Gedanken, wogegen Zeit und Schall und Wiud und selbst des Lichtes Flügel langsam sind, ermüden über dir und hoffen keine Schranken. Jch häufe ungeheure Zahlen, Gebürge, Millionen auf, ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welten hin, und wenn ich auf der March des Endlichen nun bin, und von der fürchterlichen Höhe, mit Schwindeln wieder nach dir sehe, ist alle Macht der Zahl vermehrt mit tausendmalen noch nicht ein Theil von dir, ich tilge sie und du liegst ganz vor mir. (Man sieht, welche Mittel die Phantasie ergreift, sich die Vernunftidee oder vielmehr das schon zur Zeitausdehnung versinnlichte Schema der Unendlichkeit anschaulich zu machen. Sie setzt Ziele, gleichsam Marksteine, um messen zu können, sie setzt gränzenlose Fülle von Sternenhimmeln und Daseynsperioden in die Zeitstrecken und nimmt sie wieder hinweg. Sie ruft die schnellsten messenden Kräfte zu Hülfe und erklärt sie für unzulänglich. Sie fängt wirklich an zu messen, häuft Maaß auf Maaß, findet alles zu wenig, läßt das Maaß verschwinden und hat zuletzt im Nichts die anschauliche107 Jdee. Hätte der Dichter damit angefangen, zu sagen, daß jedes Messen unnütz sey, so wär 'dies die abstrakte philosophische Jdee der Unendlichkeit gewesen, wie man sie zuweilen beym Klopstock findet. Da gränzt das Große an den Fehler des Kalten. Aber nur durch den wirklich vorgenommenen Versuch bekommt die Jdee Leben, wird idealisch, ästhetisch. Jm folgenden verwandelt sich die mathematische Jdee in eine dynamische:) O Gott, du bist allein des alles Grund! Du Sonne, bist das Maaß der ungemeßnen Zeit. Du bleibst in gleicher Kraft und stetem Mittag stehen. Du gingest niemals auf und wirst nie untergehen. Ein einzig Jtzt in dir ist Ewigkeit. Ja könnten nur bey dir die festen Kräfte sinken, so würde bald mit aufgesperrtem Schlund ein allgemeines Nichts des Wesens ganzes Reich, die Zeit und Ewigkeit zugleich, als wie der Ozean ein Tropfen Wassers trinken. Haller. (Der Ausdruck Sonne ist freylich nach dem Vorhergegangenen zu wenig. Die Jdee der Größe erhält aber doch eine Haltung, durch dies Gefühl des allerrealsten Wesens, und Haller kommt hier der Wahrheit näher, hat den Schein der Ausdehnung aufgehoben, hält sich an die Urkraft. Das Starke schließt den Gedanken, das um so stärker ist, weil es das Große hält. Das folgende scheint zwar wieder das Starke aufheben zu wollen, und sich von neuem im Großen zu verlieren, allein der Fall der allgemeinen Vernichtung ist nur hypothetisch angenommen. Wirksamer ist daher die Stelle Kant's in der Kritik der reinen Vernunft, wo die Vernichtung kategorisch ausgedrückt wird. 108 Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir als den letzten Träger aller Dinge so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüth. Denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber sie trägt sie nicht. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen, daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Jch bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas ist, aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung blos vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen. (Hier wird das Urnothwendige, die Kraft erst gesetzt und durch eine starke Frage plötzlich aufgehoben. Dynamisch größer und für das Gefühl stärker dagegen ist die andere berühmte Stelle des großen Philosophen:) Zwey Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Der erste Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines thierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkte im Weltall) wieder zurück geben109 muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie?) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweyte erhebt dagegen meinen Werth, als einer Jntelligenz unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz, mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart u. s. w. (Man sieht, der fühlende Kant, spricht wahrer, als der denkende.) Dieses auf einer innern Geistesstärke beruhende Anschaun des Großen, welches man das Contemplativgroße nennen kann, ist keiner Nation, ihrem Charakter nach, so eigenthümlich, als den Deutschen. Wenn man im Heftigschönen und Schrecklichen den Britten, im himmlisch Erhabenen den Hebräern, Jtalienern und Griechen den ersten Rang zuerkennen muß, so kann man von der Originalpoesie des deutschen Geistes eine gewisse ruhige Größe und Stärke rühmen, welche kein anderes Volk in dem Maaße aufzuweisen hat. Das Große also, wie wir schon aus einigen Beyspielen gesehen haben, besteht oft in bloßen Negationen von Anschauungen, welche als nicht hinreichend verworfen, die aber um das ästhetische Leben zu erhalten doch angedeutet werden. Daher nennt Longin das Schweigen des Ajax in der Oyssee erhaben. Daher die Wirksamkeit von Glosters Yes in Thomsons Edward and Eleonora Act. III. Scene 11. als Antwort auf Edwards stockende Frage. Hierher gehört auch der berühmte Chor des Sophocles im Oedip. (Colon. 1211.) ὁϛις του πλεονος μερους χρηζει, του μετριου παρεις, ζωειν, σκαιοσυναν φυλασσων110 ἐν ἐμοι καταδηλος εσται, besonders die Schilderung des Alters, ὁτε μοιρ' ἀνυμεναιος, ἀλυρος, ἀχορος, ἀναπεφηνε, θανατος ες τελευταν und dann vor allen die Stelle: μη φυναι τον ἁπαντα νικα λογον· το δ ', επην φανη, βηναι κειθεν ὁθεν περ ἡκει πολυ δευτερον, ὡς ταχιστα· ὡς ἐυτ', ἀν το νεον παρῇ κουφας ἀφροσυνας φερον, τις πλαγχθη πολυμοχθος ἐξω; τίς ὀυ καματων ενι; φονοι, στασεις, ερις, μαχαι, και φθονος· το τε καταμεμπτον επιλελογχε πυματον, ἀκρατες, ἀπροσομιλον, γηρας ἀφιλον, ἱνα προπαντα κακα κακῶν ξυνοικεῖ: Hierher gehören alle Gedanken an die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge, z. B. ebenfalls im Oedip. Colon. vs. 607. φιλτατ 'ᾈγεως παι, μονοις ὀυ γιγνεται θεο̃ισι γῆρας ὀυδε μην θανεῖν ποτε. τα δ'ἀλλα συγχεῖ πανθ' παγκρατης χρονος. φθινει μεν ἰσχυς γῆς, φθινει δε σωματος. θνησκει δε πιϛις, βλαστανει δ'ἀπιϛια και πνεῦμα ταυτον ὀυ ποτ 'ὀυτ ἐν ἀνδρασι φιλοις βεβηκεν, ὀυτε προς πολιν πολει. τοις μεν γαρ ἠδη τοις δ'εν ὑϛερῳ χρονῳ τκ τερπνα πικρα γιγνεται, καυθις φιλα. Jn dieser Gattung des mit einer gewissen ruhigen Stärke verbundenen Großen scheint auch bey den Römern Lucretius Original. Lib. III. 967. Aufer ab hinc lacrimas, Barathro (oder Balatro. Heinsius), et compesce querelas. Grandior hic vero si jam, seniorque queratur: omnia perfructus vitai praemia, marces? Sed quia semper aves, quod abest, praesentia temnis, imperfecta tibi elapsa' st, ingrataque vita, et nec opinanti mors ad caput adstitit ante, quam satur, ac plenus possis111 discedere rerum. Nunc aliena tua tamen aetate omnia mitte, aequo animoque, agedum, jam aliis concede: necess 'est. Jure (vt opinor), agat, jure increpet, incilietque. Cedit enim rerum nouitate extrusa vetustas, semper et ex aliis aliud reparare necess' est! Nec quidquam in barathrum, nec tartara decidit atra. Materies opus est, vt crescant postera saecla: Quae tamen omnia te vita perfuncta sequentur. Nec minus ergo ante haec, quam nunc cecidere, cadentque: Sic alid ex alio nunquam desistet oriri, vitaque mancupio nulli datur, omnibus vsu. Auch im Ossian findet man häufige Spuren des Großen: I have seen the walls of Balclutha, but they were desolate. The fire had resounded in the halls, and the voice of the people is heard no more. The stream of Clutha was removed from its place, by the fall of the walls. The thistle shook there its lonely head. The moss whistled to the wind. The fox looked out, from the windows, the rank grass of the wall waved round his head. Desolate is the dwelling of Moina, silence is in the house of her fathers. Raise the song of mourning, o bards, over the land of strangers. They have but fallen before us. For, one day, we must fall Why dost thou build the hall, son of the winged days? Thou lookest from thy towers today. Yet a few years, and the blast of the desart comes, it howls in thy empty court, and whistles round thy half -112 worn shield. Fingal im Carthon. Nachher steigt aber die Rede des Königs wieder und geht in's Erhabene über. Mit eben der düstern Empfindung des Großen schließt auch das angeführte Gedicht. Auch der Sonne in ihrer Schönheit wird der Untergang angekündigt. Thou shalt sleep in thy clouds, careless of the voice of the morning Exsult then, o sun, in the strength of thy youth! Age is dark and unlovely. It is like the glimmering light of the moon, when its shines through broken clouds, and the mist is on the hills, the blast of the north is on the plain, the traveller shrinks in the midst of his journey. Wenn das Gefühl des Großen sich mit einem leisen Anklang vom Heftigen verbindet, und zwar von jenem Heftigen, das die Gestalten verwirrt und entstellt, d. h. mit dem Schrecklichen, so mildert zwar das Große das Schreckliche, allein letzteres nimmt auch dem Großen die contemplative Ruhe. Daraus entsteht ein gemischtes Gefühl, welches man das Grausende nennt. Hierher gehört der Traum des Eliphas im Hiob Kap. 3. vs. 12. seq. Und zu mir ist kommen ein heimlich Wort, und mein Ohr hat ein Wörtlein aus demselben empfangen. Da ich Gesichte betrachtete in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an, und alle meine Gebeine erschracken. Und da der Geist vor mir über ging, stunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe, da stund ein Bild vor meinen Augen, und ich kannte seine Gestalt nicht, es war stille, und ich hörete eine Stimme: Wie113 mag ein Mensch gerechter seyn, denn Gott? Oder ein Mann reiner seyn, denn der ihn schuf? Siehe, unter seinen Knechten ist keiner ohne Tadel, und zu seinen Boten sendet er Thorheit. Wie viel mehr, die in leimen Häusern wohnen, und welche auf Erden gegründet sind, und werden von den Würmern gefressen. Es währt von Morgen bis an den Abend, so werden sie ausgehauen, und ehe sie es gewahr werden, sind sie gar dahin und alle übrigen vergehen und sterben auch unversehens. Hierher ist auch die Schilderung des Todtenreichs zu rechnen, voll grausender Pracht, wie sie sich bey den Hebräischen Dichtern findet: Jn einer weiten wüsten, finstern Höhle liegen die Könige der Nationen, jeder auf seiner Ruhestatt, (Jes. 14. 9. 57. 2. Ezech. 32. 19. ) ihre Waffen neben ihnen, unter dem Haupte das Kriegsschwerdt (Ezech. 32. 27. Maccab. 1. 13. ) rund um die Familiengrabmahle (Ez. 32. 22.). Jn dieses Todtenreich läßt Jesaias (C. 14.), um seiner Nation die Befreyung aus dem Babylonischen Exil zu verkünden, den gefallenen Tyrannen von Babel eintreten. Der Fürst der Schatten regt alle die schrecklichen Gestalten seines Reichs auf, um Babels Königs zu bewillkommen. Diese schweben von ihren Stühlen auf und zittern ihm entgegen. Auch du bist Schatten worden, wie wir und gehet dir, wie uns. Deine Pracht ist herunter zur Hölle gefahren, sammt dem Klange deiner Harfen. Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern, Sohn der Dämmerung, wie bist du zur Erde gefället, der du die Völker zur Erde fälltest. Gedachtest du doch in deinem Herzen:114 Jch will in den Himmel steigen, und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen. Jch will mich setzen auf den Berg des Stifts, an der Seite gegen Mitternacht. Jch will über die hohen Wolken fahren und gleich seyn dem Allerhöchsten. Ja, zur Hölle fährest du, zur Seite der Grube. Wer dich siehet, wird dich bezeichnen mit seinen Blicken und sagen: Jst das der Mann, der die Welt zittern und Königthume wanken machte? Der den Erdboden machete zu einer Wüste, und die Städte darinnen zerbrach, und gab seine Gefangenen nicht los. Zwar alle Könige der Heiden mit einander liegen doch mit Ehren, ein jeglicher in seinem Hause. Du aber bist verworfen von deinem Grabe, wie ein verachteter Zweig, wie ein Kleid der Erschlagenen, so mit dem Schwerdt erstochen sind, die hinunter fahren zu dem Steinanger der Hölle, wie eine zertretene Leiche. Du wirst nicht, wie dieselbigen begraben werden. Denn du hast dein Land verderbet, und dein Volk erschlagen. Denn man wird der Boshaftigen Saamen nimmermehr gedenken. Richtet zu, daß man seine Kinder schlachte, um ihrer Väter Missethat willen, daß sie nicht aufkommen, noch das Land erben, noch den Erdboden voll Städte machen. Und ich will über sie kommen, spricht der Herr Zebaoth, und zu Babel ausrotten ihr Gedächtniß, ihre übrigen Neffen und Nachkommen, spricht der Herr. Und will sie machen zum Erbe der Jgeln, und zum Wassersee, und will sie mit einem Besen des Verderbens kehren, spricht der Herr Zebaoth. Der Herr Zebaoth hat geschworen und gesagt: Was gilt's, es soll gehen, wie ich denke, und soll bleiben, wie ich's115 im Sinne habe. Daß Assur zerschlagen werde in meinem Lande, und ich ihn zertrete auf meinen Bergen. Auf daß sein Joch genommen werde von meinem Volk und seine Bürde von ihrem Halse komme. Das ist der Anschlag, den er hat über alle Lande, und das ist die ausgereckte Hand über alle Heiden. Denn der Herr Zebaoth hats beschlossen. Wer wills wehren? Und seine Hand ist ausgereckt, wer will sie wenden? .... Oft entsteht das Grausende nur wie ein Nachhall, wenn das Starke vorherging, oder das Heftige. When the storms of the mountain come, when the north lifts the waves on high: i sit by the sounding shore and look on the fatal rock. Often by the setting moon i see the ghosts of my children. Half-viewless they walk in mournful conference together. Ossian. (Oder wie Göthe es herrlich übersetzt: Halb sichtbar wandeln sie zusammen in trauriger Eintracht.) Jn Bürgers Leonore: Des Leibes bist du ledig. Gott sey der Seele gnädig. Göthes Prometheus: Hier sitz 'ich, forme Menschen, ein Bild, das mir gleich sey, zu leiden, zu weinen und dein nicht zu achten, wie ich. Unter den Neuern hat wohl keiner das Grausende weiter getrieben, als Dante in der Geschichte des Ugolino: Eine Klinse in der innern Mauer des Kerkers, der noch von meinem Schicksal den Nahmen des Hungerthurms führt, hatte mir durch ihre Oeffnung bereits mehrere Monden gezeigt, als ich den bösen Traum träumte, der vor mir den Schleyer der Zukunft zerriß. Dieser Mensch da erschien mir als Herr und Gebieter auf der Jagd, indem116 er einen Wolf und seine Wölfchen nach dem Berg zu hetzte, durch welchen die Pisaner verhindert werden, Lucca zu sehen. (Il monte detto di S. Giuliano.) Vor ihm her waren Gualandi, Sismondi und Lanfranchi mit einem Schwarme von magern gierigen Hunden. Nach einem kurzen Rennen schienen mir der alte Wolf und seine Jungen (lo padre ei figli) ermattet, und schon kam es mir vor, als wenn ihnen die Seiten mit den spitzigen Zähnen ihrer Verfolger zerfleischt würden. Wie ich vor Anbruch des Tages erwachte, hörte ich meine Knaben, die mit mir waren, im Schlafe weinen und nach Brod rufen. Wohl bist du grausam, wenn es dich schon nicht schmerzt, indem du an das denkest, was damals meinem Herzen ahnte. Und wenn du nicht jetzt weinst, worüber magst du weinen? Schon waren wir alle wach, und es nahte die Stunde, wo man uns die Speise zu bringen pflegte, und jedes war wegen seines Traumes in Furcht, und ich hörte auf einmal zuschließen unten den Ausgang des schrecklichen Thurms, worüber ich meinen Söhnen ins Gesicht sah, ohne ein Wort zu sagen. Jch weinte nicht, so sehr ward ich im Jnnersten versteinert. (E per suo sogno ciascun dubitava, ed io senti chiavar l' uscio di sotto all' orribile torre: ond' io guardai nel viso a miei figliuoi senza far motto. I' non piangeva, si dentro impietrai. Diese Ruhe in den Verbindungsworten löst das Schreckliche ins Große auf, und es bleibt ein Schauer, ein Grausen zurück.) Sie aber weinten und mein Anselmuccio sagte: Du schaust so vor dich, Vater, was hast du? Dennoch117 verlor ich keine Thräne, und antwortete nichts den ganzen Tag, noch die Nacht darauf, bis die andere Sonne in der Welt heran stieg (welch ein Kontrast in diesem freyen Bilde und dem Kerker). Kaum, daß ein bleiches Tagslicht in den martervollen Kerker fiel, und ich gewahrte in den vier abgefallenen Gesichtern mein eignes. Da biß ich mich in meine beyden Hände vor Schmerz. Und sie, welche glaubten, daß ichs thät ', weil mich der Hunger trieb, rafften sich plötzlich auf und sagten: Vater, das wird uns weniger schmerzen, wenn du dich von uns sättigest. Du hast uns in dieses elende Fleisch eingekleidet, nimm du es wieder. Von nun war ich ruhig, um sie nicht mehr zu betrüben. Diesen Tag und den darauf folgenden blieben wir alle stumm. Ah harte Erde, warum hast du dich nicht geöffnet? (Ahi, dura terra, perchè non t' apriesti? Welche Ruhe selbst in der Wahl des Beyworts!) Als wir nun an den vierten Tag gekommen waren, warf sich mir Gaddo ausgestreckt vor die Füße, indem er sagte: Vater mein, warum hilfst du mir nicht? Auf der Stelle dort starb er, und so wie du mich siehst, sah ich die andern drey fallen, einen und wieder einen und den letzten, zwischen dem fünften Tage und dem sechsten. Worauf ich vor Schwäche schon blind zu jedem von ihnen hinkroch und sie noch drey Tage lang rief, als sie schon gestorben waren. Alsdann endete, was der Schmerz nicht vermocht hatte, mit mir der Hunger. Auch im Milton giebt es grausende Stellen, z. B. die Worte, mit denen Satan die Hölle begrüßt, welche ihm zur Wohnung bestimmt ist. 118Farewell happy fields, where joy for ever dwells, hail horrors! hail, infernal world! and thou profoundest hell receive thy new possessor! One, who brings a mind not to be changed by place or time. The mind is its own place, and in it self can make a heav'n of hell, a hell of heav'n. What matter where, if i be still the same, and what i should be, all but less than he, whom thunder hath made greater? Here at least we shall be free, th' Almighty hath not built here for his envy: will not drive us hence: here we may reign secure, and in my choice, to reign is worth ambition, tho' in hell. Better to reign in hell, than serve in heav'n. Das böse Princip kann nicht furchtbarer, grausender geschildert werden. Hier ist nichts, wie Selbstständigkeit, Consequenz und Herrschsucht. Satan steht dem gräßlichen Nichts gegen über, aber er umfaßt es mit starkem und ruhigem Sinn. Weit weniger gelingt das Grausende unserm deutschen Milton in der Messiade. Es fehlt seinen bösen Engeln an wahrem Charakter und Energie, und seine beschreibenden Schilderungen in dieser Art haben immer noch zu viel und zu wenig Leben. Zu viel, indem noch immer entweder sanfte oder lichte Züge in die Gemälde eingemischt sind, zu wenig, indem das Grausende oft nur in abstracten Verstandesbegriffen und mystischen Vorstellungsarten gesucht wird, denen die Anschaulichkeit fehlt. Das eilfte Buch der Odyssee, wo Ulysses sich mit den Schatten der Unterwelt bespricht, besonders die Stelle, wo Agamemnon seine Ermordung119 erzählt, die Erscheinung des Patroklus, da Achill am Meere schläft. Il. ψ. 65. der Traum des Aeneas. Virg. Aeneid. II. 267. die berühmten Verse Aeneid. VI. 264. seq. Di, quibus imperium est animarum, vmbraeque silentes etc. die Scene in den Persern des Aeschylus, wo der Schatten des Darius auftritt und einige andere nähern sich dem Grausenden. Auch manche Balladen der Engländer und Deutschen sind grausend schön, z. B. Odins Höllenfarth. Der König der Menschen erhub sich in Eil und sattelte sein schwarzes Roß. Die jähe Höh' ritt er herunter, die zu dem Schreckensgrund der Hela führt. Nach Mitternacht gekehrt sprach dreymal er den runischen Reim, in furchtbar'm Ton, den allmächtigen Spruch, der die Todten erweckt, als dumpf in der Tief 'eine Stimm' erschallte. Prophetin. Welch unbekannter Ruf, welch Zauberwort stört hier des Grabes heilige Ruh? Was quält den bangen Geist, was zieht gewaltsam ihn aus dem Schooße der Nacht heraus? Längst siegten über dies Modergebein des Winters Schnee, des Sommers Hitze, der feuchtende Thau, der Regensturm. Laß mich, laß mich wieder schlafen, weß ist die unselige Stimme, die mich ruft vom Bette der Ruh '? Hierher gehört Göthes Erlkönig, einige Balladen von Schiller, Stellen im Jean Paul u. s. w. Aber das Große ist nicht immer mit Stärke, Schauer und Dunkelheit verbunden, oft zeigt es sich auch in weiten lichten Gegenständeu, die Seele mag nun mit der Heftigkeit eines Blitzes, oder mit heiterer Ruhe das Ganze überschau'n. Das ästhetische Urtheil120 pflegt dann das Charakteristische des Gegenstandes mit den Worten Pracht, Glanz, Herrlichket zu bezeichnen. Von der Pracht, die aus der Vereinigung des Grossen und Heftigen hervorgeht, haben wir schon Beyspiele gesehen. Pindar, Aeschylus, Klopstock, Schiller liefern noch mehr Belege. Heitere Ruhe hingegen beym Anschaun der Herrlichkeiten in der Schöpfung athmet z. B. das Morgengebet von Adam und Eva in Miltons verlornem Paradiese. Dein sind diese glorreichen Werke, Vater des Guten! Allmacht! dein ist diese allumkleidende Weltgestalt (universal frame), diese wundervolle Schöne! Du selbst erst, wie wundervoll! Unaussprechlicher, der du hast deinen Sitz hoch über diesen Himmeln, unsichtbar für uns, oder nur dunkel geahnt in deinen untersten Schöpfungen. Doch erzählen auch diese deine Güte, die sich ausdehnt hinaus über die Gränze jedes Gedankens, und deine göttliche Kraft. Redet, ihr, ihr die allein ihr würdig reden könnt von ihm, Söhne des Lichts! Engel! Denn ihr schaut ihn und mit Hymnen und Harmonieen im höchsten Chor umkreist ihr wonnezitternd, so lange der Tag währt, der keine Nacht hat, seinen Thron. Und ihr stimmt zusammen im Himmel und auf Erden, alle Creatur, ihn zu erheben, ihn den ersten, und den letzten Gedanken alles Ruhms, ihn in der Zeiten Mitte, endlos ihn! Schönster unter den Sternen, letzter im Zuggefolge der Nacht, oder gehörst du vielleicht näher an dem heranbrechenden Lichte, sicherer Bürge des Tags, der du den lächelnden Morgen krönest mit deinem hellen Kreisgang, preis' ihn in deiner Sphäre, während121 aufsteigt die süsse Stunde der Frühe. Du, Sonne, dieser großen Welt beides Auge und Seele, erkenne ihn, deinen Schöpfer, und laß erklingen von seinem Preis deinen ewigen harmonischen Lauf. Zeuge von seinem Ruhm, wenn du heranklimmst, zeuge von seinem Ruhm, wenn du gewonnen hast die Höhe des Mittags, und wenn du niedersinkst. Und du, silberner Mond, der du itzt verfolgst die aufgehende Sonne, itzt sie fliehst mit allen den kleinen Sternen umher, und ihr andern ätherischen Lichter, jedes fest an seinem fliegend sich umwälzenden Bogen des Himmels, und ihr fünf wandernden Feuer, fortrückend in mystischem Tanz, nicht ohne Gesang, erschallt von dessen Preise, der zuerst aus den Tiefen der Finsterniß das Licht heraufrief. Luft und ihr Elemente, die älteste Geburt des Mutterleibes der Natur, die in vierfachem Weltlauf ihr ihn ewig umkreist vielgestaltet und mischet und nähret das All der Dinge, laßt euren endlosen Wechsel in immer neuen Harmonieen zeugen von eures großen Meisters, von eures Bildners Herrlichkeit. Jhr Dünste dort und Nebel, aufdampfend vom Hügel, oder brodelndem See, grau und düster bis wo mit Gold euren flatternden Saum die Sonne mahlt, steigt empor zu des großen Weltenvaters Ruhm, deckt mit Wolken die farbenlose Luft, oder tränkt die dürstende Erde mit fallenden Schauern, fördert steigend oder sinkend des Ewigen Preis. Seinen Preis, ihr Winde, wehend von den vier Viertheilen der Welt, mit sanfter oder lauttönender Stimme. Wogt, ihr Fichten, mit all euren sich neigenden Wipfeln, neigt euch, wie das niedere Gras und122 jede Pflanze, wogt und neigt euch zum Zeichen eurer Andacht. Quellen und ihr, die ihr girrt, so wie ihr fließt, in melodischem Murmeln, tönt girrend sein Lob. Einigt eure Stimmen, all ihr lebendigen Seelen, Vögel, die ihr singend euch erhebt, zu den Pforten des Himmels, tragt empor auf euren Fittichen und in euren Silbermelodieen den Preis des Schöpfers. Jhr alle, die ihr die Wasser durchgleitet und wandelt über die Erde mit festem Tritt oder niedrigem Kriechen, bezeugts, ob je des Menschenpaares fromme Zunge schweigt. Seyd Zeugen, ihr alle, unsres Lieds, auf Hügeln, im Thal, am Quell und an frischen Schatten, wie wir segnen die Morgensterne mit unserm Gebet und die Stille des Abends, wie den Wäldern wir lehren den Feyergesang und sie lehren den Preis des Ew'gen. Heil, heil, o Herr des allgemeinen Reichs, o Herr unser aller! Sey gnädig uns zu geben noch jedes Gut, und hat die Nacht wo aufgestört ein Unheil oder ausgebrütet, zerstreu 'es, wie dein Licht die Finsterniß zerstreut. Also beteten diese Unschuldigen und zu ihren Gedanken kehrte zurück der feste Friede, die gewohnte Ruhe. Und itzt eilten sie durch Thau und Blumen zu ihrer ländlichen Morgenarbeit. Hier ist so viel Herrlichkeit in der Beschreibung, daß es der Phantasie schwer wird, das Ganze zu fassen, aber durch die Bitte am Schluß endet das Große im Erhabenen. Viele Psalmen Davids, z. B. der 104te, auch andere morgenländische Hymnen, sind in dieser Empfindung gedichtet. Hierher gehört auch das herrliche Gedicht Gott im Halladat oder dem rothen Buche, besonders die Stelle:123 Du seine große weite schöne Welt, mit allen deinen Feuerkugeln du! Du warest nicht, du wurdest und du warst! Du schöne Welt, du warst und bist, und bist in deiner Pracht! Geschöpfe betet an! Zehntausend seiner Sonnen traten hin und gehen ewig ihren großen Gang. Zehntausend seiner Erden traten hin, und gehen ewig ihren großen Gang. Zehntausend Myriaden Geister steh'n um seinen Thron. Um seinen Thron? Hinweg mit seinem Thron! Er sitzt, er stehet nicht, er ist kein König, kein Kalif, er ist das Wesen aller Wesen! Er ist Gott, ist unser Gott! Geschöpfe betet an! Wer ist, den er zu seiner Werkstatt rief, dahin zu treten und zu sehn, zu sehn wie er es macht? Wie er den Ozean in so geschmeidigem Gehorsam hält, daß seines Wassers nicht ein Tropfen aus seiner Tiefe will! Wie er den Mond an einen dünnen Faden bindet, und in blauer Luft ihn schweben läßt! Wie er in Zeit von Rosses oder Reuters Huy! zehntausend Millionen Sonnenfernen mißt, und keines Apfels, keines Staubes fehlt u. s. w. Es ist aber hier bey dem Glanze schon mehr Heftigkeit. Dasselbe läßt sich von den Schilderungen Klopstocks sagen. Zuweilen sind aber im Prächtigen die einzelnen Theilvorstellungen heftig und der Ton des Ganzen doch ruhig, und der Eindruck ist nicht grausend, sondern licht und wohlthuend, z. B. die Stelle im Messias 1. G. Also sprach er und schwieg, indem die Ewigen sprachen, ging durch die ganze Natur ein ehrfurchtsvolles Erbeben. Seelen, die itzo wurden, noch nicht zu denken begonnen, zitterten und empfanden zuerst. Ein gewaltiger Schauer faßte den Seraph124, ihm schlug sein Herz und um ihn lag wartend, wie vorm nahen Gewitter die Erde, sein schweigender Weltkreis. Nur in die Seelen zukünftiger Christen kam sanftes Entzücken, und ein süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens. (Nach der alten Lesart. Jn den neuen Ausgaben heißt es minder natürlich: Sanftes Entzücken kam allein in der künftigen Christen Seelen und süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens.) Aber sinnlos, wider Gott was zu denken entstürzten im Abgrund ihren Thronen die Geister der Hölle. Da jeder dahin sank, stürzt' auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe ungestüm ein und donnernd erklang die unterste Hölle. Hier ist Pracht und im Einzelnen Heftigkeit. Aber die große Empfindung, die der Anfang erregt, hält das Ganze ruhig zusammen. Das Werden der Seelen, das süßbetäubende Gefühl des ewigen Lebens überwiegt alle die andern schrecklichen Theilvorstellungen. So bleibt das ganze Gemälde ruhig, groß und licht. Eine ähnliche Bemerkung läßt sich bey der Beschreibung des Schlachtmorgens im Aeschylus machen. Pers. 350. seq. Hier ist überall im Einzelnen heftige Bewegung, und das Ganze hat doch den Charakter einer heitern lichten Ruhe. ἐπει γε μεντοι λευκοπωλος ἡμερα πᾶσαν κατεσχε γαῖαν ἐυφεγγης ἰδεῖν, πρῶτον μεν ηχοῖ κελαδος ἑλληνων παρα, μολπηδον ἠυφημησεν, ὀρθιον δ'ἁμα ἀντηλαλαξε νησιωτιδος πετρας ἠχω· φοβος δε πᾶσι βαρβαροις παρῆν γνωμης ἀποσφαλεῖσιν. Ὀυ γαρ ὡς φυγῇ παιᾶν 'ἐφυμνουν σεμνον ἑλληνες τοτε, ἀλλ ἐς μαχην ὁρμωντες ευψυχῳ θρασει. Σαλπιγξ δ'ἀϋτῇ παντ' ἐκεῖν 'ἐπεφλεγεν. 125Ἐυθυς δε κωπης ροθιαδος ξυνεμβολῇ ἐπαισαν ἁλμην βρυχιον ἐκ κελευσματος, θοῶς δε παντες ἠσαν ἐκφανεῖς ἰδεῖν. Το δεξιον μεν πρῶτον ἐυτακτον κερας ἡγεῖτο κοσμῳ, δευτερον δ' πᾶσ στολος ἐπεξεχωρει, και παρῆν ὁμοῦ κλυειν πολλην βοην· πᾶιδες ἑλληνων ἰτε, ἐλευθεροῦτε πατριδ', ἐλευθερουτε δε παῖδας, γυνᾶικας, θεῶν τε πατρῳων ἑδη, θηκας τε προγονων· νυν ὑπερ παντων ἀγων· και μην παρ 'ἡμὡν περσιδος γλωσσης ροθος υπηντιαζε, κουκετ' ἦν μελλειν ἀκμη κ. τ. λ. Man fasse das Gemälde zusammen. Der Tag, der mit den weissen Rossen über die Erde herankommt, der Kriegslärm der Hellenen, der melodisch das Echo begrüßt (μολπηδον ἡυφημησεν), und das Echo, das zugleich (ἁμα) hohen und geraden Wegs durch die Lüfte (ὀρθιον ist ein verbum praegnans, wie es die Dichter so lieben, weswegen auch alle poetische Uebersetzungen ohne Umschreibung so schwer sind. Xenophon braucht es für recta, Plutarch für sublata et intenta voce. Es wird auch von Liedern gebraucht. Die Dichter, wie wir im Kapitel von der poetischen Sprache sehen werden, suchen, so viel es ohne Verwirrung geschehen kann, jede Saite anklingen zu lassen. Daher fehlen die Philologen oft, wie hier die Jnterpreten des Aeschylus, wenn sie bey einer Bedeutung stehen bleiben) von der Felseninsel zurückhallt, das Grausen, welches die Barbaren anwandelt, die Trompete, die alles umher (παντ 'ἐκειν') entzündet, der abgemessene Zusammenklang der geschlagnen Ruder, die plötzliche Erscheinung der ganzen Flotte in wohleingetheilter Schlachtordnung,126 (ἐυτακτον, κοσμῳ) der Kriegsgesang, welcher itzt hörbar wird: O! ihr Kinder der Hellenen, geht, befreyt das Vaterland, befreyt Kinder, Weiber, die Sitze der väterlichen Götter, die Gräber, wo eure Ahnen ruh'n. Nun ist Kampf über alles! (welche heitere gesammelte Stärke.) Das Entgegentönen der Persischen Zunge, der heftige bange Gedanke, daß nun nicht mehr zu zaudern war Welch ein abwechselnder Reichthum von bald starken, bald heftigen, bald großen, bald glänzenden, bald grausenden Vorstellungen. Und doch das Ganze licht und heiter, wegen des durchdringenden Hauptgefühls der Hellenen. Man scheint wie ein ruhiger Gott über dem Ganzen zu schweben, und das Schauspiel zu genießen, wie Jupiter beym Homer. Ἐισοροων πριαμοιο πολιν και νηας Ἀχαιων. Das poetische Erhabene. Dies ist die eigentliche letzte Staffel aller Kunst. Wir haben gesehn, daß alle vorher analysirten Empfindungen nur um deswillen ästhetisch oder schön genannt werden, weil sie sich dem Erhabenen nähern, ihm gleichsam den Weg bereiten, in dasselbe übergehen. Das Heftige, Schreckliche, Starke trennt unsern Geist von der niedern Natur gewaltsam, nur um eine höhere Harmonie hervorzubringen. Daher haben wir in Beyspielen gesehen, daß das Heftige, das Schreckliche, das Starke oft unmittelbar in das Erhabene aufgelöst wird. Zuweilen sind alle diese Gattungen in Einem poetitischen Gedanken vereinigt, in wenigen Worten ausgedrückt und geben dann das Erhabene. Hic murus aheneus esto, nil conscire sibi, nulla pallescere culpa. Jch127 habe dich wider dies Volk zur festen ehernen Mauer gemacht. Jeremias. Am aller leichtesten und natürlichsten scheint aber der Uebergang aus dem Großen in's Erhabene. Dazu liefert besonders Klopstock Belege, z. B in dem Bardenchore nach Hermanns Siege. Geschlagen ist die blutige Todesschlacht, erkämpft der Sieg, der Legionen drohendes Kriegsgeschrey, der Feldherrn stolzes Rufen ist stumm, wie das Grab. Wodan hat den hohen Wagen gewandt hinüber nach Walhalla. Wie des Wiederhalls in der Sommernacht ist seines Schildes Ton, wie des Mondes der Glanz. Ewiger, du bist allein in deiner Größe vollkommen, jeder Gedanke, mit dem du dein herrliches Wesen durchschauest, ist erhabner, ist heiliger, als die stille Betrachtung auf erschaffene Dinge, von dir hernieder gelassen. Mana, Mana, er nahm das Schwerdt, schatt 'o Eich' und flamm 'Altar, bekränze dich Braut, gebier o Mutter und säug' in Ruh. ' Wie das ernste Gericht furchtbar die Wage nimmt, und die Könige wägt, wenn sie gestorben sind, also wägt er sich selbst jede der Thaten vor, die sein Leben bezeichnen soll. Gedor an Cidlis Sterbelager im Messias (15. Ges. ): Herr, ihn hatt'st du erseh'n, in des dunkeln Thales Eingang sie zu geleiten, sie lag zu sterben, das glaubt er zu sehen, aber er wußte, daß du aus großen Gefahren erretten, tödten könntest in kleinen. Jtzt kam der eilende Tod, kam näher und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel, ernst ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter, wieder gen Himmel von ihm. So erhub sie zweimal ihr Auge. Niemals sah er Blicke128 wie diese, nie wurden ihm Blicke, wie die ihrigen waren, beschrieben, voll fey'rlichen Ernstes, und der innigsten Wehmuth und mächtiger Ueberzeugung jenes ewigen Lebens. Jch sterbe, verlasse dich, gehe zu der namlosen Ruh, war's, was sie redeten, war's nicht, stärker war's unaussprechlich. Hier mußt' er der Menschheit erliegen, oder ihn mußte mit mächtigem Arme der Helfer erheben, und der Erbarmende thats. Der schwache Sterbliche fühlte sich der Erde gewaltig entrissen und nahe dem Eingang zu der Herrlichkeit, welche sich seiner Cidli schon aufthat. Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude, legt 'auf ihre Stirne die Hand und begann sie zu segnen. Wandl' hinüber im Nahmen des Herrn, der Abrahams Gott war, Jsak und Jacobs, im Nahmen des angebeteten Helfers. Ja, sein Wille gescheh ', es gescheh' sein gnädiger Wille. Ferner der Tod der Maria im 12. Gesang, wie sie Lazarus segnet: Schlummre denn bald in Frieden hinüber zu den Todten Gottes, Vollendete seines Erbarmens! Werde dem Tage des Lichts geboren, dem ewigen Leben. Sieh es hänget an deinem Herzen mein Herz, doch lass 'ich deine Hütte dich gern abbrechen und dich nach Canaan hinziehn. Sey du ihr Stab im dunkeln Thal der Wüste, Hüter Jsrael, bring' sie selbst in das Land der Erquickung, wo die Thränen du all' abtrocknest, wo keine Klage, keines Jammers Geschrey, den Dank der Jubel entweihet. Erdensonne verlösch 'ihr und letzter Schlummer des Todes, komm und thu' dich ihr sanft, o Ruh'statt ihres Gebeins, auf. Nimm sie, Verwesung, daß auch ihr Leib zu dem129 Leben erwachse. Saat, dich säet der Herr, dem großen Tage der Aernte, wenn die Schnitter rufen und die Posaunen erschallen, wenn die Erd 'und das Meer mit lauterem Wehen gebähren, als einst Eden gebahr, wenn oben und unten die Himmel aller Himmel vom Preise des einen, der richtet, ertönen so weit das Große, nun das Erhabene: Chebar (Mariens Engel) sah den siegenden Tod in der Sterbenden wüthen, und erbebte vor Wonne so laut, daß lispelndes Säuseln, wie aus besserer Ferne von seinen Flügeln wehte u. s. w. und der Gedanke der Verklärten: Traum, der mit Weinen begann, und schloß mit dem Weinen des Todes. Traum des Lebens, nun bist du geträumt, und ich bin erwachet. Sehr oft findet man auch das Erhabene bey den Dichtern ohne alle vorhergehende andere Empfindung rein dargestellt. Es giebt ein gewisses stilles heiteres Erhabenes, das von allem Kampf entfernt ist, das alles Unangenehme, oder Traurige, oder Angreifende tief unter sich erblickt. Hierhin gehört die Beschreibung, die Wieland im achten Gesang des Oberon vom alten Alphonso macht. Jn seinem Ansehn war die angeborne Würde, die unverhüllbar, auch durch eine Kutte scheint, sein offner Blick war aller Wesen Freund, und schien gewohnt, wiewohl der Jahre Bürde den Nacken sanft gekrümmt, stets himmelwärts zu schaun. Der inn're Friede ruht auf seinen Augenbrau'n, und wie ein Fels, zu dem sich Wolken nie erheben, scheint über'm Erdenland die reine Stirn' zu schweben. Den Rost der Welt, der Leidenschaften Spur hat längst die Zeit von ihr130 hinweg gewaschen. Fiel eine Kron 'ihm zu und es bedürfte nur sie mit der Hand im Fallen aufzuhaschen, er streckte nicht die Hand. Verschlossen der Begier, von keiner Furcht, von keinem Schmerz betroffen, ist nur dem Wahren noch die heitre Seele offen, nur offen der Natur und rein gestimmt zu ihr. So schildert Lucrez seine epicurischen Götter. Omnis enim per se Diuûm natura necess' est immortali aevo summa cum pace fruatur, semoti ab nostris rebus, seiunctaque longe; nam priuata dolore omni, priuata periclis, ipsa suis pollens opibus, nihil indiga nostri, nec bene promeritis capitur, nec tangitur ira. So erscheint größtentheils der Zevs beym Homer. Er winkt mit dem Augenbraun und der Olymp zittert, er wägt das Loos der Helden, und sie empfangen dies Loos von seiner Hand. So schildert Homer selbst den sterblichen Achill, wenn ihm vom Hektor und seinem eignen Pferde der Tod geweissagt wird. Il. τ. 404. χ. 365. vergleiche φ. 107. seq. So sagt Hektor mit einer ruhigen Erhabenheit den Untergang Jlions voraus. η. 447. seq. Eine gleiche Gemüthsstimmung rühmt Lucrez zu Anfang des zweyten Buchs von dem Weisen. Suaue mari magno turbantibus aequora ventis e terra magnum alterius spectare laborem. Sed nil dulcius est, bene quam munita tenere edita doctrina sapientum templa serena; despicere unde queas alios, passimque videre errare atque viam palanteis quaerere vitae, certare ingenio, contendere nobilitate, nocteis atque dies niti praestante labore ad summas emergere opes,131 rerumque potiri. So will Virgil Aeneid. VI. 850. die Römer gesinnt wissen. Tu regere imperio populos, Romane, memento, hae tibi erunt artes, pacisque imponere morem, parcere subiectis, et debellare superbos. Diese Hoheit zeigt sich auch nach Ovid. Metamorph. I. 85., und Milton (Paradis. lost. B. IV. 288) in dem Aeußern der Menschengestalt. So erhaben denkt sich Mesomed (Analect T. II. p. 292.) in seinem Hymnus die Nemesis ὑπο σον τροχον ἀϛατον, ἀϛιβῆ χαροπα μεροπων ϛρεφεται τυχα, ληθουσα δε παρ ποδα βαινεις, γαυρουμενον ἀυχενα κλινεις, ὑπο πῆχυν ἀει βιοτον μετρεις κ. τ. λ. Zuweilen stellt sich auch das Erhabene bey den Dichtern mit einer gewissen Lebendigkeit dar, welche die erhabene Grazie genannt wird. Dann ist es noch nicht als gestaltet vorhanden, sondern es gestaltet sich vor unsern Blicken, und zwar mit Leichtigkeit. Es erscheint mehr in dem Augenblicke der Erhebung, als in der Vollendung. Dieses geschieht gewöhnlich durch einen gewissen Kontrast des Schrecklichen mit dem Reizendschönen. Jndem letzteres unsere Seele einnimmt, und mit Licht erfüllt, droht das Schreckliche ihm den Untergang. Dadurch wird es uns bey dem angedrohten Verluste theurer, wir können es nicht ertragen, daß es ganz untergehen soll, und wir erheben uns mit einer Art freudigem Glauben zu der Zuversicht, daß hier eine höhere Harmouie obwalten und den Kontrast auflösen müsse. Je größer z. B. der Schmerz des Menschen wird, je lauter er in Wehmuth ausbricht, desto näher ist auch der Trost und der Muth. Hierher gehört das ganze132 zwey und zwanzigste Buch der Jliade, wo unsre Theilnahme bey Hektors Tod auf das äußerste gesteigert wird. Meisterhaft weiß der Dichter in demselben das Reizendschöne immer neben das Furchtbare und Grausame zu stellen. Wie Achill den Hektor um die Stadtmauer verfolgt, und wir den Tod des letztern, mit ihm den Untergang von Troja voraussehn, kommen sie an zwey Quellen warmen und kalten Wassers, in marmorne Becken eingefaßt, wo die Weiber und schönen Töchter der Trojaner ihre glänzenden Kleider zu waschen pflegten, vordem in den Zeiten des Friedens, eh die Söhne der Achäer kamen (155. vs.). Wie sich Hektor entschließt, mit dem Achill zu fechten, den er nicht zu erbitten hofft, und er den furchtbaren Sohn der Göttin, hocherglänzend in seinen Waffen, gleich dem verderblichen Hundsgestirne herankommen sieht (vs. 30.), spricht er: Wohl ists nun nicht Zeit vom Eichbaum oder vom Felsen ruhig mit diesem zu schwatzen, wie Mädchen traulich und Jüngling schwatzen, Mädchen und Jüngling einander im Felde begegnend, sondern es gilt den Kampf der Entscheidung. (129.) vs. 360. Als so Hektor noch sprach, bedeckte der endende Tod ihn, aber die Seele entfloh den Gliedern, und gieng in den Hades, traurend über ihr Loos, verlassend Mannheit und Jugend. Achill bindet den Leichnam an den Wagen, und schleppt ihn so mit fort. Die Pferde fliegen nach den Schiffen zurück, daß eine Staubwolke aufsteigt (vs. 400.) Die dunkel geringelten Lokken hingen herab; es lag das ganze Haupt im Staube, ach! so reizend vordem, nun hatt 'es den Feinden gegeben Zevs,133 es zu beschimpfen in eigner heimischer Erde. (Mitten im eignen Vaterlande, wo jeder sich sicher glaubt. Welch ein Zug die Rührung zu vermehren!) Andromache weiß noch nichts von dem Tode ihres Gemahls, sie hatte ihren Mägden befohlen, Wasser ans Feuer zu setzen zum Bade für Hektor, wenn er zurück käme aus der Schlacht. 445. νηπιη ὀυδ ἐνοησεν, μιν μαλα τηλε λοετρων χερσιν ἀχιλληος δαμασεν γλαυκωπις Ἀθηνῃ. Als sie auf der Mauer ankommt, und den todten Hektor erblickt, der zu den Schiffen hinab geschleift wird, bedeckt eine dunkle Nacht ihre Augen (467.), sie fällt rückwärts, und haucht ihre Seele aus, und weit von dem Haupte fällt ihr das liebliche Diadem, das Haarnetz und der Schleyer, den ihr einst die goldene Aphrodite zum Geschenk gegeben hatte, an dem Tage, da der kriegerische Hektor sie heimführte. Als sie wieder von der Ohnmacht erwacht, bejammert sie das Schicksal ihres Geliebten, ihr eignes, und das ihres Sohns, des Astyanax. (vs. 500.) ὁς πριν μεν ἑου ἐπι γουνασι πατρος, μυελον ὀιον ἐδεσκε, και ὀιῶν πιονα δημον· ἀυταρ ὁθ' ὑπνος ἑλοι, παυσαιτο τε νηπιαχευων ἐυδεσκ 'ἐν λεκτροισιν, ἐν ἀγκαλιδεσσι τιθηνης ἑυνῇ ἐνι μαλακῇ, θαλεων ἐμπλησαμενος κῆρ. Nachdem Hektor im sechsten Buche den Untergang seines Volkes und die Sklaverey der Andromache geweissagt hat (vs. 466.), streckt er seine Hände aus nach dem Kinde. Aber der Knabe biegt sich schreyend zurück nach dem Busen der wohlgegürteten Wärterin, zusammenschreckend vor dem Anblick des lieben Vaters, fürchtend das Erz und die Roßmähne, die schrecklich134 von dem Helme herabwinkt. Und es lächelt der theure Vater und die verehrte Mutter, und Hektor nimmt den glänzenden Helm ab, küßt den Knaben, wiegt ihn mit den Händen, und fleht in einem feyerlichen Gebet die Götter an, diesen einmal werden zu lassen einen Mann, gleich ihm, daß dereinst man sage: der ist viel besser, wie sein Vater war! Dann setzt er das Kind wieder auf die Arme der Mutter, sie empfängt es thränenlächelnd an ihrem süßduftenden Busen, und es jammert ihn ihrer, und er streichelt sie mit der Hand und spricht ihr Muth ein. Ueberall sieht man, daß die Wirkung durch den Kontrast des Reizendschönen mit dem Heftigstarken und Schrecklichen erreicht wird. Aus dem nämlichen psychologischen Grunde erklärt sich auch die Schönheit der wirksamsten Stellen bey andern Dichtern. So geben folgende Oden Klopstocks Beyspiele von erhabener Grazie: (Ode, der Jüngling.) Schweigend sahe der May die bekränzte leicht wehende Lock' im Silberbach, röthlich war sein Kranz, wie des Aufgangs, er sah sich und lächelte sanft. Wüthend kam ein Orkan am Gebirg her! Die Esche, die Tann 'und Eiche brach, und mit Felsen stürzte der Ahorn vom bebenden Haupt des Gebirgs. Ruhig schlummert' am Bache der May ein, ließ rasen den lauten Donnersturm, lauscht 'und schlief beweht von der Blüthe, und wachte mit Hesperus auf. Jtzo fühlst du noch nichts von dem Elend, wie Grazien lacht das Leben dir: Auf und waffne dich mit der Weisheit! Denn, Jüngling, die Blume verblüht. (Die frühen Gräber.) Des Mayes Erwachen ist nur schöner noch, wie die Sommernacht135, wenn ihm Thau hell, wie Licht aus der Locke träuft, und zu dem Hügel herauf röthlich er kömmt. Jhr Edleren ach, es bewächst eure Maale schon ernstes Moos, o wie war glücklich ich, als ich noch mit euch, sahe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht. (Hermanns Schlacht. Eilfte Scene.) Hermann kemmt siegreich aus der Schlacht, umgeben von seinen Hauptleuten, Gefangenen und Kriegern, welche Trophäen tragen, Thusnelda streut Blumen mit ihren Jungfrauen, fällt vor ihm nieder, hält seine Lanze, seine Hand. Nach einem kurzen Ausruf des Danks, gerichtet gegen Wodans Altar, fährt er fort zu befehlen und anzuordnen. Thusnelda. Ach, Hermann, du siehst auch deine Thusnelda nicht an? Hermann. Edles Weib meiner Jugend noch lebe ich, meine Thusnelda! Es war heiß und blutig in der Schlacht steh' auf, du freye Fürstin Deutschlands! Jch habe dich noch nie geliebt, wie heut ' Blumen hat mir meine Thusnelda gebracht? Thusnelda. Nein, Hermann, Thusnelda, die freye Fürstin Deutschlands, soll noch nicht aufstehn. Meine Liebe zittert hier wohl in meinem Herzen, aber ich wag' es heut 'nicht dich anders, als mit Ehrfurcht anzusehn. Hermann. Steh' auf, mein edles Weib. Bald will ich bey dir im Kriegswagen sitzen. So wollen wie am Rhein hinauf eilen und vor uns und hinter uns die Schlösser der Römer brennen sehn u. s. w. Zuweilen steht das Reizendschöne nicht neben dem Schrecklichen und Traurigen. Allein letzteres steigt zu so einem hohen Grad, daß die Seele zur Wehmuth übergeht, und hier erfolgt136 nach der größten Niedergeschlagenheit von selbst die Erhebung. Auch dies kann zur erhabenen Grazie gerechnet werden. Dies ist der Fall im vier und zwanzigsten Buch der Jliade, als Priamus plötzlich vor dem Achill niederfällt. Denke deines Vaters, o göttergleicher Achilles, grau an Jahren, wie ich, an der Schwelle des drückenden Alters. Jhn vielleicht auch itzt bedrängen gefürchtete Nachbarn, und ist keiner zur Seite, von ihm das Verderben zu wehren. Dennoch jener, wenn er von dir, dem Lebenden, höret, freuet es ihn im Gemüth, und er hoffet die Tag 'und die Nächte, wieder zu sehen den theuren Erzeugten kehrend von Troja. Aber ich bin ganz zu Boden getreten vom Schicksal. Wackere Söhne hatt' ich gezeugt in Trojens Gefilden. Und nicht kann ich rühmen, es sey noch übrig mir Einer. Funfzig waren es, eh herkamen die Kinder Achaias. Neunzehn ihrer von Einem Mutterleib mir geboren, und die übrigen waren von andern Weibern im Hause. Vielen von ihnen hat der Krieg gelöset die Glieder. Aber den Einzigen, der mir war, der die Stadt und die andern schützte, diesen hast du mir jüngst, Achilles, gemordet, Hektorn, als er dir stand, für sein Vaterland im Gefechte. Seinethalben komm ich nun her zu den Schiffen der Griechen, um ihn zu lösen von dir, und bringe dir große Geschenke. Auf denn, ehre die Götter, Achilles, erbarm 'dich des Todten, denkend deines Vaters, mehr werth bin Jch des Erbarmens. Denn ich ertrug, was keiner noch je der irdischen Menschen, küßte dem Mann, dem Mörder von meinen Kindern, die Hände. ὡς φατο· τῳ137 δ'αρα πατρος ὑφ' ἱμερον ὠρσε γοοιο, ἁψαμενος δ'αρα χειρος ἀπωσατο ἠκα γεροντα, τω δε μνησαμενω, μεν ἑκτορος ἀνδροφονοιο, κλαῖ 'ἀδινα, προπαροιθε ποδων Ἀχιλῆος ἐλυσθεις· Ἀυταρ Αχιλλευς κλαῖεν ἑον πατερ', ἀλλοτε δ'ἀῦτε Πατροκλον· των δε ϛοναχη κατα δωματ 'ὀρωρει. Dieser ἱμερος γοοιο, welchen Ossian die Freude der Wehmuth nennt, der sich Freund und Feind mittheilt, bringt nothwendig eine schöne Empfindung, das wahre Erhabene hervor. Auch die Gedichte Ofsians sind reich an dieser erhabenen Grazie, welche aus dem Kontrast des Reizenden mit dem Düstern, oder aus der höchsten Wehmuth entsteht, und eine wahre Göttergabe ist, womit die elenden Sterblichen (δειλοι βροτοι) in der Tiefe ihres Jammers gestärkt werden. Es ist der Nachhall der Harfe, der jede traurige Empfindung erst in eine schöne verwandelt. Mit ihm schliessen die meisten Ossianischen Lieder, die sich nicht in einer großen und düstern Empfindung enden. Bragela will not hope thy return, or see thy sails in ocean's foam. Her steps are not on the shore: nor her ear open to the voice of thy rowers. She sits in the hall of shells, and sees the arms of him, that is no more. Thine eyes are full of tears, daughter of car-borne Sorglan! Blest be thy soul in death, o chief of shady Cromla (death of Cuchullin). Und der Schluß von Comala. Bards. See, meteors roll around the maid, and moon-beams lift her soul! Around her, from their clouds, bend the awful faces of her fathers; Sarno, of the gloomy brow, and the138 red-rolling eyes of Fidallan. When shall thy white hand arise and thy voice be heard on our rocks? The maids shall seek thee on the heath, but they will not find thee. Thou shalt come, at times, to their dreams, and settle peace in their soul. Thy voice shall remain in their ears, and they shall think with joy on the dreams of their rest. Meteors roll around the maid, and moon beams left her soul! Der höchste, reinste und heiligste Grad des Erhabenen, an den das Hohe und die erhabene Grazie und das Glänzende zuweilen gränzt, gleichsam der Schlußstein vom ganzen System ästhetischer Empfindungen kann das Himmlischerhabene genannt werden. Der Geist, der durch das Starke und Heftige sich von der Natur gewaltsam getrennt fühlt, der mit der seligen selbstgenugsamen Hoheit epikurischer Götter auf die Unvollkommenheit der Dinge unter ihm herabsah, sieht dagegen im Himmlischerhabenen in und außer sich nichts Unvollkommenes mehr, er hat die Natur, das heißt alles außer ihm, zu sich erhoben, beseelt, und erblickt in ihr, als seiner Genossin, sein ideales Selbst. Der Himmel im Bewußtseyn entsteht aus dem vollendeten Gefühl der Jdentität von Materie und Form. Aber diese Jdentität ist keine bloße Einheit, es ist eine Einheit fühlbar in der aufgehobenen Entzweyung verschiedner Welten, also eine volle Harmonie. Jn endlichen Wesen, wie wir sind, kann sich dieses Gefühl nur als ein religiöses Sehnen nach der Vereinigung mit dem höchsten Jdeal ausdrücken. Es findet sich139 auch dieses Himmlischerhabene in profanen Dichtern und bey profanen Gegenständen selten. Das Sehnen der Liebe im reinsten Sinne kommt ihm am nächsten. Sante leggi d'amore e di Natura, sacro laccio, ch' ordio fede si pura di si bel desio, tenace nodo, e forti e cari stami, soave giogo, e dilettevol salma, che fai l'umana compagnia gradita, per cui regge due corpi un core, un' alma, e per cui sempre si gioisca, ed ami sino all' amara, ed ultima partita, gioja, conforto e pace della vita fugace, del mal dolce ristoro, ed alto obblio, chi più di voi ne riconduce a Dio? (Tasso, intermed. Il. zum Amint.) Nicht so rein himmlisch, aber nicht minder begeistert, drückt es Pope aus (Elois. to Abelard): Oh happy state, when souls each other draw, when love is liberty and nature law, all then is full, possessing, and possess, no craving void left aking in the breast, ev'n thought meets thought, ere from the lips it part, and each warm wish springs mutual from the heart, this sure is bliss (if bliss on earth there be) and once the lot of Abelard and me. Wenn Philosophen die himmlische Seligkeit als eine Aufhebung der Entzweyung und des Gegensatzes im Bewußtseyn, als eine Vereinigung des unendlichen Subjekts und Objekts denken, so fühlen die Dichter sie als eine hohe Vergessenheit, wie die der glücklichen Seelen: Lethaei ad fluminis undam securos latices et longa oblivia potant. Virgil. Aeneid. VI. 715. Die Geschlechterliebe ist das einzige Symbol dieser höchsten Vereinigung140, und in so fern ist in ihr die Gränze, wo das höhere und niedere Schöne, Religion und Sinnlichkeit zusammentrifft. Man kann hieraus erklären, warum Philosophen das Wesen der Schönheit in der Geschlechterneigung gesucht haben, man kann hieraus erklären, warum es den Dichtern nie mehr gelingt, als in der Liebe, dem Uebermaaß der Leidenschaft einen gewissen heiligen Ansirich zu geben, dem der Denker nichts entgegen zu setzen hat. Toute loi est abus, tout précepte est erreur, ist das kühne Symbol der Liebenden. Nicht blos in den Augenblicken der völligen Befriedigung, deren Zauber Rousseau in seiner neuen Heloise so verführerisch schildert, auch wenn sich der sehnende Liebende ganz im Anschauen seines geliebten Gegenstandes verliert, ist dieses Himmlischerhabene zu finden. Hier, wie überhaupt in Darstellung der reinsten Liebe, übertrifft kein Dichter den Petrark. (Sonnet 127.) In qual parte del ciel, in quale idea era l'esempio, onde natura tolse quel bel viso leggiadro, in ch' ella volse mostrar quaggiù quanto lassù potea (hier ist die Vereinigung der unendlichen Form und Materie, das Wesen der Schönheit philosophisch bestimmt und zugleich poetisch ausgedrückt). Stiamo, amor a veder la gloria nostra cose sopra natura altere e nove. Vedi ben, quanta in lei dolcezza piove, vedi 'l lume, che' l cielo in terra mostra. Vedi quant 'arte dora, e' mperla, e 'nnostra l' abito eletto e mai non visto altrove, che dolcemente i piedi e gli occhi move, per questa di bei colli ombrosa chiostra. L' erbetta verde, e i141 fior di color mille sparsi sotto quell' elce antiqua e negra pregan pur, che 'l bel piè li prema o tocchi, e' l ciel di vaghe, e lucide faville s'accende intorno, e 'n vista si rallegra d' esser fatto seren da si begli occhi (160) Pasco la mente d' un si nobil cibo, ch' ambrosia e nettar no invidio à Giove, che sol mirando, oblio ne l' alma piove d' ogni altro dolce, e Lethe al fondo bibo. (161.) Questa aspettata al regno degli Dei cosa bella e mortal passa, e non dura. (211.) Levommi il mio pensier in parte, ov' era quella, ch' io cerco e non ritrovo in terra, ivi fra lor, ch' el terzo cerchio serra, la rividi più bella, e meno altera. Per man mi prese, e disse: in questa spera sarai ancor meco, se 'l desir non erra. I son colei, che ti diè tanta guerra, e compie' mia giornata innanzi sera: mio ben non cape in intelletto umano, te solo aspetto, e quel, che tanto amasti e laggiuso è rimaso il mio bel velo. Deh perchè tacque, ed allargò la mano? Ch' al suon de' detti, si pietosi e casti poco mancò ch' io non rimasi in cielo. Unter den weltlichen Dichtern, die religiöse Gegenstände dargestellt haben, verdient in Ansehung des Himmlischerhabenen Klopstock die erste Stelle. Viele Stellen in den letzten Büchern der Messiade, seine Ode an den Erlöser nach Vollendung des Messias, athmen selige Wonne. Aber was ist das Menschliche gegen das Göttliche? Hat das menschliche Bewußtseyn in der Erscheinungswelt jemals die Vereinigung der beyden Welten errungen; giebt es einen142 Himmel auf Erden, ist schon Sterblichen ein Blick in denselben zu thun vergönnt, so ist uns dieser im Evangelio nach dem Johannes, in den letzten Unterredungen Christi mit seinen Jüngern aufgethan. Wie sehr diese rein göttliche, einfache Erhabenheit, diese höchste Poesie des geistigen Lebens, in welchem sich ideale Wahrheit und Schönheit eng verschlingen, durch jeden Schmuck irdischer Poesie verliert, verlieren muß, sieht man, wenn man mit den evangelischen Worten die Klopstockische Bearbeitung im vierten Gesange der Messiade vergleicht. Daß diese höchste Stufe der Empfindung von so wenigen erreicht wird, macht, daß man die Bibel nur von Hörensagen und nicht durch sie selbst kennt. Wer kein dogmatisches System von Begriffen zum Lesen des Evangeliums mitbringt, wer nicht synthetisch durch vorhergehende Begriffe gefesselt, von der Gottheit Christi auf seine Menschheit herabsieht, sondern analytisch von der Menschheit Christi, in dem sich der Keim der vom Vater ausgegangenen göttlichen Natur entwickelte, sich zur Gottheit emporhebt, dessen Einbildungskraft wird das höchste Leben empfangen, um in den von Christus uns aufgeschlossenen Himmel des religiösen Gefühls einzudringen. Er wird jede andre irdische Schönheit und Genialität, selbst die glänzende Pracht der Hebräischen prosaischen Dichter tief unter sich sehn, und auf dem höchsten Gipfel der idealen Weltgeschichte stehn, auf dem Christus stand. Er wird vor keinem unbekannten Naturgotte, er wird vor dem Gotte knieen, der sich in der Menschheit offenbarte, vor diesem letzten Heiligthum unsers Geistes, das uns ein geheimnißvolles143 Schicksal durch Ueberlieferung aufbewahrt, er wird in dem durch das Evangelium dargestellten Christus, das einzige Wunder, den einzigen Helden der Menschheit erblicken. Er wird an die Gottheit Christi und an die zu hoffende Göttlichkeit der menschlichen Natur glauben. Diese Behauptungen werden in der Folge deutlicher werden. Hier nur einige Beyspiele vom Himmlischerhabenen aus dem Tode Christi, nachdem er seinen Jüngern die Füße gewaschen hatte. Jm Johannes (Kap. 14.): Euer Herz erschrecke nicht, glaubet ihr an Gott, so glaubet ihr auch an mich. Jn meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, wenns nicht so wär ', wollt' ich zu euch sagen, ich gehe hin euch die Stätte zu bereiten. Und wo ich hingehe, das wisset ihr, und den Weg wisset ihr auch. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehest, und wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm, ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich. Wenn ihr mich kennetet, so kennetet ihr auch meinen Vater, und von nun an kennet ihr ihn und habt ihn gesehn. Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, so genüget uns. Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bey Euch, und du kennest mich nicht? Philippe, wer mich siehet, der siehet den Vater. Glaubest du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnet, derselbige thut die Werke. Wahrlich,144 wahrlich ich sage euch, wer an mich glaubet, der wird die Werke auch thun, die ich thue, und wird größere, denn diese thun, denn ich gehe zum Vater. Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich thun, auf daß der Vater geehret werde in dem Sohne und ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben, daß er bey Euch bleibe ewiglich, den Geist der Wahrheit, welchen die Welt nicht kann empfahn, denn sie siehet ihn nicht (ὀυ θεωρεῖ ἀυτο) und kennet ihn nicht. Jhr aber kennet ihn, denn er bleibet bey euch und wird in euch seyn. Jch will euch nicht als Waisen lassen, ich komme zu Euch. Es ist noch um ein kleines, so wird mich die Welt nicht mehr sehn, ihr aber sollt mich sehn, denn ich lebe und ihr sollt auch leben. An demselbigen Tage werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und ich in Euch. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt giebt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Jhr habt gehört, daß ich euch gesagt habe, ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, daß ich gesagt habe, ich gehe zum Vater. Denn der Vater ist größer denn ich. Jch werde fort mehr nicht viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an mir. Jhr seyd itzt rein, um des Wortes willen, das ich mit euch geredet habe. Gleich wie mich mein Vater liebet, also liebe ich euch auch. Bleibet in meiner Liebe. So ihr meine Gebote haltet,145 so bleibt ihr in meiner Liebe, gleichwie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Solches rede ich zu euch, auf daß meine Freude in euch bleibe, und eure Freude vollkommen werde. Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde. Jhr seyd meine Freunde, so ihr thut, was ich euch gebiete. Jch sage hinfort nicht, daß ihr Knechte seyd, denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr thut. Euch aber habe ich gesagt, daß ihr Freunde seyd. Denn alles, was ich habe von meinem Vater gehöret, habe ich euch kund gethan. Jhr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet und gesetzt, daß ihr hingeht und Frucht bringet. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Jhre lieb, dieweil ihr aber nicht von der Welt seyd, darum hasset euch die Welt. Sie werden euch in den Bann thun. Es kommt die Zeit, daß, wer euch tödtet, wird meynen, er thue Gott einen Dienst daran. Jch sage euch die Wahrheit. Es ist euch gut, daß ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. Jch habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet's itzt nicht tragen. Solches habe ich zu euch durch Sprüchwort geredt, es kommt aber die Zeit, daß ich nicht mehr durch Sprüchwort mit euch reden werde, sondern euch frey heraus verkündigen von meinem Vater. Jch bin vom Vater ausgegangen und kommen in die Welt, wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum146 Vater. Jesus antwortete ihnen: itzt glaubet ihr. Siehe! es kommt die Stunde und ist schon kommen, daß ihr zerstreuet werdet, ein jeglicher in das seine und mich alleine lasset, aber ich bin nicht alleine, denn der Vater ist bey mir (in diesen Worten liegt die göttliche Gewißheit, daß die innere Wahrheit und Jdealität auch die allmächtige Schöpferkraft ist, der Glaube, der die Werke thut, auf den Christus bey seinen Jüngern unaufhörlich drang). Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Friede habet. Jn der Welt habt ihr Angst, aber seyd getrost. Jch habe die Welt überwunden. Solches redete Jesus und hub seine Augen auf gen Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist hier, daß du deinen Sohn verklärest, auf daß dich dein Sohn auch verkläre. Jch habe dich verkläret auf Erden und vollendet das Werk, das du mir aufgegeben hast. Und nun verkläre mich, du Vater, bey dir selbst mit der Klarheit, die ich bey dir hatte, ehe die Welt war. Jch habe deinen Nahmen offenbaret den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort behalten. Und ich bin nicht mehr in der Welt, sie aber sind in der Welt und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Nahmen. Dieweil ich bey ihnen war in der Welt, erhielt ich sie in deinem Namen. Gleich wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Jch heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seyn in der Wahrheit Jch bitte aber nicht allein für sie,147 sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden. Auf daß sie alle eines seyn, gleich wie du Vater in mir und ich in dir, daß auch sie in uns eines seyn, auf daß die Welt glaube, du habest mich gesandt und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, daß sie eins seyn, gleichwie wir eins sind. Gerechter Vater, die Welt kennet dich nicht, ich aber kenne dich, und diese erkennen, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Nahmen kund gethan und will ihnen kund thun, auf daß die Liebe, damit du mich liebest, sey in ihnen und Jch in ihnen.

Anmerk. 3. Aus der in vorhergehender Anmerkung unternommenen Analyse dichterischer Stellen ergeben sich also noch mehrere Modifikationen des höhern Schönen, welche in der Kunstsprache ihre eigenen Nahmen haben, und nun mittelst der Beyspiele verständlich seyn werden. Wenn das Heftige eines Gedankens so hoch steigt, daß dadurch in den einzelnen Theilvorstellungen eine Gestaltlosigkeit und Unförmlichkeit entsteht, so nennt man es gräßlich, in so fern es dabey Furcht erregt: schrecklich. Jst dabey Leichtigket und Lebendigkeit: schreckliche Grazie. Wird das Heftige als gehemmt betrachtet, und man fürchtet nur dessen Ausbruch, so heißt dies das Aengstliche. Verbindet sich das Starke mit dem Großen, so ist dies das contemplativ mathematisch Große oder dynamisch Große. Verbindet sich das Heftige mit dem Großen, so entsteht148 daraus das Düsterprächtige, verbindet sich das Schreckliche mit dem Großen und wird es durch das Große in den einzelnen Theilvorstellungen gemäßigt, so entsteht das Grausende. Verbindet sich das Reizendschöne mit dem Großen, schmückt und erhellt es dessen Theilvorstellungen, so nennt man dies lichte Pracht, zuweilen auch glänzend, herrlich. Jst das Erhabene dargestellt als Hervorragen der Jdealität über die Realität, so heißt dies insbesondere das Hohe, ist das Erhabene lebendig dargestellt, als plötzliche leichte Auflösung eines Kontrasts des Reizendschönen mit dem Schrecklichen, als eine Erhebung, so heißt dies erhabene Grazie, zuweilen auch, weil diese erleichterte Auflösung mittelst der Wehmuth entsteht, erhabene Wehmuth, erhabenes Sehnen. Als unbegreiflich heißt das Heftige und Große romantisch, das Erhabene wunderbar. Jst das Erhabene endlich Gefühl einer völligen friedlichen Vereinigung des unendlichen Jdealen und Realen, so nennen wir es das Himmlischerhabene.

Anmerk. 4. Das Große und Starke kann bey Abstraktion und Leerheit in den Fehler des Frostigen, das Hohe und Heftige bey Uebertreibung ins Hyperbolische, das Prächtige bey Ueberladung in den Nebenvorstellungen in den Fehler des Schwulstes, das Gräßliche ins Ekelhafte und Scheußliche, das Schreckliche und Grausende in's Abentheuerliche sich verirren.

149

Anmerk. 5. Wir haben gesehen, daß die Gränzen der verschiedenen Untergattungen des höhern Schönen sehr in einander laufen. Es kommt, will man einen Gedanken benennen, alles auf die überwiegende Hauptidee an. Ungeachtet die Benennungen nach Analogieen der Sinnenwelt, mithin zufällig gemacht scheinen, so thut sich doch bald bey Classifikation der ästhetischen Empfindungen eine gewisse logische Harmonie mit den Vernunftanlagen kund. Wir haben, als von Eintheilung der Philosophie die Rede war, bemerkt, und Kant, der scharfsinnige Anatom des menschlichen Erkenntnißvermögens, hat es zuerst bestimmt dargethan, daß sich alle Betrachtung der Dinge auf vier Rücksichten zurückführen lasse. Die Vernunft, welche zu allen diesen Rücksichten des bedingten Verstandes die volle Totalität, das Absolute, Unbedingte hinzu zu thun strebt, verlangt also eine absolute Quantität, Qualität, Causalität, und ein absolutes Bewußtseyn. Diese geforderte vierfache ideale Unbedingtheit kann in der Sphäre der Erscheinungswelt nie realisirt werden. Aber ein Wiederschein von ihr kann entstehen im Schönen, der, wiewohl begrifflos, mehr an die eine, als an die andere Vernunftidee erinnert. So entstehen vier ästhetische Empfindungen des höhern Schönen, erstlich eine Ahnung von unendlicher äußerer Realität, absoluter allmächtiger, d. h. unendlicher Causalität im Heftigen, dann eine Reflexion über die Grundkraft, die sich im Heftigen bewegt, eine Ahnung des absoluten Wesens, der innern absoluten realen Beschaffenheit, Substantialität im150 Starken. Dann eine Ahnung von der unendlichen Sphäre des Absolutseyenden und des Absolutwirkenden und Gewirkten, eine Ahnung vom All der innern und äußern Realität im Großen, endlich die Ahnung von Vereinigung des äußern und innern Realen zu einem harmonischen, alles regierenden absoluten Bewußtseyn im Erhabenen.

§. 8.

Das niedere Schöne, wodurch der Mensch, wenn er sich auch nicht über den Naturinstinkt erhoben hat, eine gewisse Jdealität der instinktmäßigen Natur fühlt, kommt ebenfalls unter verschiedenen Benennungen vor. Es heißt niedlich, wenn der Gegenstand im Kleinen die Jdee der Allheit, der Vollendung und Vollkommenheit ausdrückt; sanft (weiblich schön), wenn der Gegenstand durch die gedehnte ununterbrochene Continuität seiner Theilvorstellungen an die Jdee eines absoluten Wesens und Daseyns erinnert, das sich allmählich und unendlich entwickelt; lebendig schön (Grazie im engern Sinne des Worts), wenn der Gegenstand, sey er auch selbst in Ruhe, noch die Leichtigkeit der Bewegung ausdrückt, mit welcher ihn ein schöpferischer Geist gestaltete, wodurch die Jdee einer geistigen Allmacht auch in der niedern Natur dargestellt wird. Es heißt endlich151 naiv (jungfräulich schön), wenn das Gefühl der natürlichen Jdealität zu einer Art von Selbstbewußtseyn, jugendlicher Selbstgenugsamkeit und Selbstvertrauen steigt, und dadurch die Jdee der Seligkeit schon in der instinktmäßigen Natur anschaulich macht. Auch diese vier Benennungen können wieder als vier Grade des niedern Schönen angesehen werden. Je mehr sich das niedere Schöne dem höhern nähert, an Bewußtseyn der Unendlichkeit zunimmt, desto schöner wird es. Den untersten Grad aller Schönheit nimmt daher, wegen seiner mehr den Verstand interessirenden Beschränktheit und peinlichen Ordnung das Niedliche ein, hierauf folgt das Sanfte, dann die Grazie im engern Sinne, und dem höhern Schönen am nächsten steht das Naive.

Anmerk. 1. Auch bey Classifikation der niedern schönen Empfindungen entdeckt sich eine bewundernswürdige logische Uebereinstimmung mit den Vernunftanlagen, deren Symbol alles Schöne ist. Das Niedliche correspondirt dem Großen, zur Erinnerung an die Jdee der quantitativen Allheit; das Sanfte dem Starken, zur Erinnerung an die unendliche Qualität; die Grazie im engern Sinne dem Heftigen, zur Erinnerung an die unendliche Causalität und geistig gestaltende Kraft; das Naive endlich dem Erhabenen, zur Erinnerung an die Jdee des152 seligen Selbstbewußtseyns des Geistes mittelst der Natur. Erst mit der Deduction des Schönen, welches der Spiegel des Jdealen ist, erst mit der genauen Bestimmung der ästhetischen Gefühle wird es einleuchtend, welche Harmonie in den Anlagen des menschlichen Gemüths ist. Man wird dadurch mehr in Stand gesetzt, einen Rückblick auf den Grundriß des Erkenntnißvermögens zu thun. Kommt die Transscendentalphilosophie, oder Bewußtseynslehre, an welcher alle bessern philosophischen Köpfe selbst durch ihre Jrrthümer mitgearbeitet haben, endlich zu Stande, bekommen wir einst eine Ontologie, deren wir oben bey der Eintheilung der idealen Wissenschaften erwähnten, mit Wolfischer Genauigkeit ausgearbeitet, an deren Spitze der absolute Aufruf zum gesetzlichen Leben, zum geistigen Selbstbewußtseyn steht, so wird auch die Deduction der Vernunftideen und Kategorieen, die Kant nur halb vollendet hat, nicht schwer seyn. Dann wird es klar werden, daß das in uns, welches aufgerufen wird, sich seiner bewußt zu werden, außer sich Materie wirken muß (absolute Causalität), um seine gesetzlichen Formen darzustellen. Allein weil die Anforderung zu dieser Causalität immer von neuem geschieht, so solgt, daß eben dieses Etwas sich in dem gewirkten Gegenstande nie ganz vergessen, verlieren, von ihm abhängig machen darf, sondern zurückkehren muß und sich anhalten an das wirkende Grundwesen (absolute Substantialität). Wegen immer wiederkehrender Anforderung zu wirken, muß es die Sphäre der Wirksamkeit für unbegränzt halten, und doch durch die Wirksamkeit des Grundwesens erfüllbar, begreifbar (absolute Quantität,153 Allheit). Endlich muß es das Gewirkte mit dem Muster der Gesetzlichkeit im Grundwesen vergleichen, und im Gewirkten seine innere Jdealität anzuschauen suchen, und in dieser Reflexion oder Vergleichung das Wirkliche von dem Nothwendiggeforderten unterscheiden, den Unterschied immer verringern, und so zu einem absoluten allgemeinen Bewußtseyn in continuirlich harmonischer Action und Reaction, Vereinigung in der Vervielfachung emporstreben. Durch den absoluten Jmperatif, oder Aufruf zum gesetzlichen Leben, sind also vier Vernunftideen gegeben, von denen in der Wirklichkeit und Erfahrungswelt nur beschränkte Analogieen statt finden. Der Geist, der überall diese Jdeen sucht, wird also ihnen analoge, wiewohl beschränkte Verstandesbegriffe construiren, und darnach die Erscheinungen eintheilen. So wird eine transscendentale Logik mit allen ihren Kategorieen und Grundsätzen entstehn, und selbige nicht schwer zu deduciren seyn.

Anmerk. 2. Es giebt überhaupt also acht Grade des Schönen: das Niedliche, das Sanfte, die Grazie im engern Sinn, das Naive, das Heftige, das Starke, das Große, das Erhabene. Mit dem Heftigen, Starken und Großen trennt sich der ideale Geist von der instinktmäßigen Natur, entfernt sich von ihr, um im Erhabenen sich wieder mit ihr zu vereinigen, und eine desto höhere Harmonie zu fühlen. Das niedere Schöne versetzt uns in eine Jdyllenwelt, es entfernt uns wenig vom Regelmäßigen, aber wirkt auch weniger auf uns. Das höhere Schöne beginnt mit dem154 Uebertritt ins Geistige, mit der Freyheit vom Jnstinkt. Aber diese Freyheit muß zu einer höhern Regelmäßigkeit führen, mit ihr muß eine andere Natur beginnen, die uns den Himmel giebt. Man hat viel über das Verhältniß des Wahren zum Schöneu gestritten. Es ist nicht zu läugnen und aus obigen Beyspielen klar, daß sich das Heftige, das Starke, das Große der poetischen Gedanken, oft von dem bedingt Wahren und Guten entfernt. Allein es ist beym Schönen gar nicht um Begriffe, sondern um Jdeen zu thun. Man will sich nur der getrennten idealen Form und ihrer Unendlichkeit bewußt werden, und die Begriffe sind Mittel, um den Schein des Jdealen zu erregen. Das Erhabene gleicht jedoch dem niedern Schönen darin, daß es die Verstandeswelt am wenigsten stört, und die einmal geordneten Begriffe des Wissens nicht leicht verwirrt. Nur muß das Große, das Heftige u. s. w., also die Abweichung von der Regel, vorausgegangen seyn, wenn das Erhabene wirken soll.

Anmerk. 3. Das Niedliche, das totum teres atque rotundum, ist die niedrigste Stufe aller Kunst, gleichwohl historisch genommen nicht die erste, auf welcher der Mensch stand. Diese war das Naive. Es ist vielmehr die tiefste, auf welche der Mensch durch Ueberkultur herabsinkt. Wo der Geschmack für das Niedliche überwiegend ist, wie in Griechenland zu den Zeiten der verderbten Sitten, in Frankreich noch vor einigen Decennien und bey uns gegenwärtig, da giebts auch niedere Sinne, enge155 Herzen, bloße Verstandsmenschen, kurz Plattköpfe, schachmatte Chinesen an Leib und Seele. Da hört man von nichts, als von Logogryphen, Charaden, Räthseln, Trioletten, Bouflerschen Wort =, Reim - und Antithesenspielen, anthologischen Distichen u. s. w. Jndessen ist doch das Niedliche bey den Dichtern, wenn es nicht allein herrscht, oft nicht ohne Verdienst. In tenui labor, at tenuis non gloria. Wer wird nicht den ewigen Schöpfergeist, der den Orion mit Sternen gürtete, auch im kleinen vollendeten Vergißmeinnicht bewundern? Beyspiele des Niedlichen. Ungeachtet die Poesie der Morgenländer mehr für das gigantisch Große ist, so findet sich doch bey ihnen auch nicht selten das Niedlichschöne. Dies beweisen viele Bilder und Vergleichungen im hohen Lied Salomonis (K. 4.), z. B. das in der Atala nachgeahmte: Jhre zwo Brüste sind, wie zwey junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden. Jn Ansehung der Jndischen Poesie bezeugt es das vielleicht 1900 Jahre alte Gedicht Sakontala oder the fatal ring von Kalidas, aus der Ursprache Sanscrit und Pracrit übersetzt ins Englische von Will. Jones und ins Deutsche von Georg Forster. Hierher gehört z. B. der Zug, wo Duschmanta das Bild seiner Geliebten vor sich hat, mit einer gemahlten Biene, die sich ihr auf die Lippen setzen will. Er hält sie für lebendig, zürnt über ihre Verwegenheit, erinnert sich dann, daß das ganze ein Bild ist und weint. An einem andern Orte: Diese Lippen, deren Zartheit nur noch geahnt, noch nie erprobt worden ist, scheinen mit entzückendem Zittern ihre Einwilligung zu geben, daß156 ich meinen Durst lösche. (Hier nähert sich das Niedliche schon der Grazie.) Hierher gehört die Schilderung des Jndischen Amors (eines Sohnes des Himmels und der Täuschung), der mit Bogen und Pfeil auf einem Papagey reitet. Der Vogel, der traurig den Abschied der Sakontala empfindet Sakontalas rechtes Auge, das als eine böse Vorbedeutung zittert (hier nähert sich das Niedliche sogar dem Grausenden). Kein Volk hat aber das Niedliche schöner, reiner dargestellt, als die Griechen. Vorzüglich muß hier Anakreon genannt werden, zu dem ein Englischer Dichter den Kupido sagen läßt: All thy verse is softer far, than the downy feathers are of my wings, or of my arrows, of my mothers doves or sparrows, graceful clearly, smooth and round, all with Venus girdle bound. Jedes seiner Gedichte ist ein Miniaturgemälde, und sinkt doch nie zum Läppischen oder Gemeinen herab, welches die Klippe für das Niedliche ist; sehr oft verbindet er das Niedliche mit der Grazie, mit dem Naiven, ja sogar mit dem Erhabenen. Was kann zarter seyn, als seine Taube. Πιεῖν δε μοι διδωσι τον ὀῖνον ὁν προπινει. Πιουσα δ'αν χορευσω και δεεποτην 'Ανακρεοντα πτεροῖσι συγκαλυψω. Κοιμωμενη δ'ἐπ' ἀυτῳ τῳ βαρβιτῳ καθευδω. So erhaben die Schilderung beym Pindar ist (Pyth. α.) Ἑυδει δ'ἀνα σκαπτῳ Διος ἀιετος, ὠκεῖαν πτερυγ 'ἀμφοτερωθεν χαλαξαις, ἀρχος ὀιωνων; κελαινῶπιν δ'ἐπι ὁι νεφελαν ἀγκυλῳ κρατι (βλεφαρων ἁδυ κλαιστρον) ἐγκατεχευας. δε κνωσσων ὑγρον νῶτον157 άιωρεῖ. Die Taube Anakreons kann sich neben dem majestätischen Pindarischen Adler stellen, sie weicht ihm nicht an Vollkommenheit. Es kann ein Gedanke einem niedern Grade von Schönheit zugehören, und doch innerhalb seines Grades eben so hoch stehen, als ein anderer, der zu einem höhern Grade gerechnet wird. Wie fein ist selbst das Tändelnde, (20) Ἐγω δ'ἐσοπτρον ἐιην, ὁπως ἀει βλεπῃς με. Ἐγω χιτων γενοιμην, ὁπως ἀει φορῆς με. ὑδωρ θελω γενεθαι, ὁπως σε χρῶτα λουσω. μυρον, γυναι, γενοιμην, ὁπως ἐγω σ'ἀλειφω, και ταινιη τε μαϛῶν, και μαργαρον τραχηλω και σανδαλον γενοιμην μονον ποσιν πατει με Der Spiegel des Mädchens seyn wollen, damit man immer angesehen werde, ist ein feiner komischer, satyrischer Zug. Blos der letzte Wunsch des Dichters, eine Sandale zu seyn, damit des Mädchens Fuß ihn trete, ist zu niedrig und der Menschheit unwürdig. Hier hat sich das Niedliche ins Gemeine verwirrt. μοῦσαι τον Ερωτα, δησασαι ϛεφανοισι τω καλλει παρεδωκαν. Και νυν Κυθερεια ζητει λυτρα φερουσα, λυσαθαι τον ἐρωτα. Κ'ἀν λυσῃ δε τις ἀυτον ὀυκ ἐξεισι, μενεῖ δε δυυλευειν δεδιδακται Hier ist zugleich im Niedlichen hohe Allegorie. Dies thut gute Wirkung, wie dies z. B. in dem Göthischen Epigramm: Psyche wird älter und klug, Amor bleibt ewig ein Kind. Hier ist die Darstellung des Alls in einem niedlichen Gedanken: γη μελαινα πινει, πινει δε δενδρε ἀυτην, πινει θαλασσα δ'ἀυρας, δ'ἡλιος θαλασσαν, τον δ'ἡλιον σεληνη. Τι μοι μαχεθ' ἑταῖροι, κ'ἀυτῳ θελοντι πινειν; Hierher gehört auch die Schilderung der Rose: Ποδον φεριϛον158 ἀνθος, ροδον ἐαρος μελημα το δε γαρ θεων ἀημα, το δε και βροτῶν το χαρμα, χαρισιν τ 'ἀγαλμ' ἐν ὡραις, πολυανθεων ἐρωτων, αφροδισιον τ 'ἀθυρμα, το δε και μελημα μυθοις, χαριεν φυτον τε μουσων. Welch ein erhabener Gedanke im Niedlichen, daß die Rose die Todten im Grabe beschützt. Τοδε και νεκροῖς ἀμυνει. Von ähnlicher Schönheit ist die Beschreibung der Rose in Pervigilio Veneris: Ipsa jussit, mane ut udae virgines nubant rosae, factae Cypris (oder: Adonis) de cruore, deque amoris osculis, deque gemmis, deque flammis, deque solis purpuris. Den Deutschen ist die Nachahmung des Anakreon selten gelungen; unsere Sprache ist zu ernsthaft. Gar leicht fällt sie, wenn sie tändeln will, in das Läppische und Gemeine, z. B. das Gedicht Gleims an eine schwarze Lerche: Lerche, mit dem schwarzen Kopfe, mit dem glänzend schwarzen Schnabel. Sage! bist du nicht ein Hähnchen? Deine freye Vogelmiene ist so männlich, wie die meine. Sage! hast du denn kein Weibchen, sind dir deine Kinder ähnlich, oder hast du keine Schwestern? Wo sind deine Anverwandte? Gleicht dein Vater dir an Farbe, oder was hat ihn bewogen, daß er dich so schwarz gefärbet? Vogel, schaffe mir geschwinde junge Lerchen, die dir gleichen. Ja, du mußt dich gleich verlieben. Sieh, hier ist für dich ein Weibchen. Sieh, mein Mädchen soll dirs geben, nimms und schaffe mir Brünetten. Mädchen sieh, er wird sich paaren, Mädchen sieh, er ist kein Hähnchen. Sieh, wie artig kann man irren. Doris, ja du kannst ja159 mahlen, hurtig mahle mir den Vogel, mahl' ihn zwischen andern Lerchen, daß man sieht, wie er sich paaret. Schwerlich erkennt man hier in diesem läppischen Gedichte, den herrlichen Sänger im Halladat: Hast du die Morgendämmerung gesehn? Hast du dies sanfte Roth betrachtet, das die Wiederkunft der großen Sonne dir verkündigt? War's in deinem Herzen still, in deiner Seele heiter? Als du sie, die große Sonne, sahst, was dachtest du? Wie weit Anakreontischer ist das schöne Bild gleich zu Anfang des Halladat: Der Seher Gortes ist ein Menschenfreund. Er sähe gern, daß alles um ihn her ihm lächelte, wie dieses Kind, das ab von seiner Mutter Brust sich wendet, und nach einer schönen Rose sieht. Allein nicht immer lächelt alles um ihn her, und weniges in dieser Unschuld u. s. w. Zu dem Niedlichschönen kann auch manches in den Sapphischen Fragmenten gerechnet werden, z. B. das Bild von der Venus: Πατρος τε δομον λιποῖσα χρυσεον ἦλθες, ἁρμ 'ὑποζευξασα· καλοι δε σ' ἀγον ὠκεες ϛρουθοι, πτερυγας μελαινας πυκνα δινεοντες ἀπ 'ὠραν' ἀιθερος δια μεσσω. Die Griechische Anthologie, besonders die spätern Stücke, sind voll niedlichschöner Gedanken. Bey den Römern gehört der passer des Katulls hierher: Passer deliciae meae puellae, quam plus illa oculis suis amabat. nam mellitus erat suamque norat ipsam tam bene, quam puella matrem, nec sese a gremio illius mouebat, sed circumsiliens modo huc modo illuc ad solam dominam usque pipilabat. Ausonius und Martial160 haben verschiedene niedliche Epigrammen. Ovids Schilderungen sind oft niedlichtändelnd, z. B. wie Cupido (Amor. I. eleg. 1.) ihm einen Fuß des Sylbenmaaßes wegstiehlt. Par erat inferior versus, risisse Cupido dicitur atque vnum surripuisse pedem. Unter den Jtalienern scheint Metastasio viele Beyspiele zu liefern. Jn dem einen Epitalamio auf den Marchese von S. Vinzenzo, welches dem Claudian nachgebildet scheint, wird Mars vorgestellt, der in den Armen der Venus ausruht: Bello è il veder, qualor, deposto il peso della lorica sanguinosa e dura marte colla sua Dea giace disteso tra fioretti del prato e la verdura. Degli amorini il folto stuolo, inteso a molli scherzi, in fanciullesca cura volare a groppi, e in mille guise e mille vibrar saette, e suscitar faville. Uno deposto la faretra, e l' arco il grand 'elmo adattar procura in testa, ma sotto il grave inusitato incarco, mezzo nascosto, e quasi oppresso resta. Chi passa dell' usbergo il doppio carco, e chi sopra vi sale, e lo calpesta, chi tragge l' asta e chi su 'l tergo ignudo tenta inalzar lo smisurato scudo. Altri la ruota, che gli cadde al piede, della conca materna adatta all' asse. Ne il semplice può mai, perchè non vede, trovar via di riporla onde la trasse. Questi al german, che su l' erbosa sede dorme, a troncar le piume intento stasse. Quegli, mentre alle labbra il dito pone, che taccia a un' altro, e chi no 'l desti impone. Qual d' un alloro in su la cima ascende degli augelli a spiar la sede ignota;161 qual librato su l' ali in aria pende, qual va nel fonte a inumidir la gota. Chi l' arco acconcia, e chi la face accende, chi aguzza il dardo alla volubil ruota, altri corre, altri giace, altri s' aggira, e chi piange, e chi ride, e chi s' adira. Man meynt lauter Kindergruppen von Fiamingo oder Franz von Quesnoi dargestellt zu sehen. Bey den Deutschen haben Hölty, Mathisson, (z. B. die Kinderjahre) Salis manches niedliche Miniaturgemälde. Bey den Franzosen besteht das Niedliche oft mehr in künstlichen Begriff - und Wortspielen. Doch haben sie in ihren kleinen Liedern vieles Aechtschöne. Beyspiele des Sanften. Oft wird das Trauerspiel sanft, z. B. beym Euripides Alceste, besonders der schöne Chor: Τι ποτε ἡσυχια προθε μελαθρων; τι σεσιγηται δομος Αδμητου. Das Sanfte zeigt sich besonders in den Elegieen, und hierinnen ist Tibull bey den Römern Original. Ueberhaupt ist das Sanfte mit einer gewissen ruhigen Läßigkeit verbunden, und diese findet sich schon mehr im römischen Charakter, als bey den Griechen: Tibul. El. I. Alle die Schilderung vom Landleben, der brennende Heerd (dum meus assiduo luceat igne focus), das Landvolk, das um das Opferlamm tanzt (agna cadet vobis, quam circum rustica pubes clamet: io messes ac bona vina date!) sein Ausruhn sub umbra arboris ad rivos praetereuntis aquae. Jn den Armen des Mädchens beym Sturme: quam juuat immites ventos audire cubantem et dominam tenero detinuisse sinu, aut gelidas hibernus aquas cum fuderit auster securum somnos imbre162 iuuante sequi! Der beständige Kontrast der Kriegsunruhen: te bellare decet terra, Messala, marique, ut domus hostiles praeferat exuuias. Me retinent vinctum formosae vincla puellae et sedeo duras ianitor ante fores. Non ego laudari curo mea Delia tecum, dummodo sim quaeso segnis inersque vocer. Te spectem suprema mihi cum venerit hora, te teneam moriens deficiente manu. Flebis, et arsuro positum me, Delia, lecto tristibus et lacrimis oscula mixta dabis. Flebis, non tua sunt duro praecordia ferro vincta neque in tenero stat tibi corde silex. Tu manes ne Iaede meos, sed parce solutis crinibus et teneris, Delia, parce genis. Interea dum fata sinunt iungamus amores, jam subrepet iners aetas neque amare decebit etc. Ueberall sieht man in den Theilvorstellungen, in den Worten beym Sanften gedehnte Continuität, Ruhe. Selbst die Schilderung von Tod, Schmerz, Genuß, selbst die Traurigkeit Tibulls ist sanft. Nec quisquam multo perfusum tempora baccho excitet, infelix dum requiescit amor. Die Ruhe des Sanften ist auch dem Starken verwandt. Quisquis amore tenetur eat tutusque sacerque qualibet insidias non timuisse decet. non mihi pigra nocent hibernae frigora noctis, non mihi, cum multa decidit imber aqua. Wie leicht fließen dem sanften Tibull auch seine glänzenden Schilderungen hin. Ille licet Cilicum victas agat ante cateruas, ponat et in capto martia castra solo, totus et argento contextus, totus163 et auro insideat celeri conspiciendus equo. Was gleicht an Leichtigkeit den Versen von Elysiums Freuden? Sed me, quod facilis tenero sum semper amori, ipsa Venus campos ducet in Elysios. Hic choreae cantusque vigent, passimque vagantes dulce sonant tenui gutture carmen aves. Fert casiam non culta seges, totosque per agros floret odoratis terra benigna rosis. Hic juuenum series teneris immixta puellis ludit et assidue proelia miscet amor (hier wird das Sanfte zur Grazie). Illic est cuicunque rapax mors venit amanti et gerit insigni myrtea serta coma (itzt wird die Schilderung sanftgrausend). Sed scelerata jacet sedes in nocte profunda abdita, quam circum flumina nigra sonant. Tisiphoneque impexa feros pro crinibus angues saeuit et huc illuc impia turba fugit. tum niger in porta serpentum Cerberus ore stridit et aeratas excubat ante fores. Auch Virgil, dem Horaz das molle et facetum als charakteristisch zuschreibt Serm. I. 10. 45., in seinen Jdyllen und Georgicis hat viel Sanftes. Fortunate senex, hic inter flumina nota et fontes sacros, frigus captabis opacum. Hinc tibi, quae semper vicino ab limite saepes Hyblaeis apibus florem depasta salicti, saepe levi somnum suadebit inire susurro. Die Geschichte von Orpheus und Eurydice, am Ende des vierten Buchs der Georg. verdient vielleicht, was den Grad des Sanftschönen betrifft, vor allen den Preis. Wir sühren einiges daraus an, nach Klopstocks Uebersetzung in den Grammatischen Gesprächen:164 Er weint zu der Laute der liebenden Wehmuth, hat dich säßes Weib, dich an dem öden Gestade, dich, wenn der Tag anbrach, dich, wenn er sich neigte, gesungen, trat in des Tänarus Schlund, des Abgrunds Thor, in des Haynes schwarze Schreckennacht, kam zu den Manen, zum grausen Könige, Herzen, die eisern sind den flehenden Menschen. Jtzo kehrt er zurück, den Gefahren entronnen, schon athmet nun, nicht länger getrennt, Euridice Lüfte der Erde ... Da der Liebe Unbedacht auf einmal den Thörigen fesselt, verzeihbar, wenn die Manen verziehn (ignoscenda quidem scirent si ignoscere manes). Er stand und sah sich vom Tage schon erreicht, uneingedenk, ah! erliegend dem Herzen, nach Eurydicen um! Nun, war mißlungen sein Mühsal, war gebrochen der Bund mit dem eisernen Herrscher Es rufet mir wieder des schrecklichen Schicksals Stimme, mir schließt die gebrochenen Augen der ewige Schlummer. Lebe wohl, schon reissen mich fort umringende Nächte, ach! und die Deine nicht streck' ich nach dir die sinkenden Arm 'aus. Was beginnen? Wohin sich wenden nach zweimal geraubter Gattin? Welche Thräne gewönn' ihm die Manen? Die Götter, welches Flehn? Auch schwamm sie schon kalt in dem Nachen des Orkus. Sieben Monden lang (das Saufte liebt das Vorausgehn der stärksten Jdee, weil dann die schwächere um so leichter nachfolgt; daher ist auch der Trochäus für das sanfte Gefühl. Bey dem Heftigen steht oft die Hauptidee zum Schluß) hat er unter bedufteten Felsen, meldet die Sag ', an der Woge geweint, des verlassenen165 Strymons, allen seinen Gram in schaudernden Höhlen gesungen, Tieger besänftigt' er da und Hörerin ward ihm die Eiche. Wie die Nachtigall, von der Ulme beschattet, in ihrer Wehmuth klagt der Zöglinge Tod, die der grämliche Pflüger, Späher des Nestes, ihr nahm noch unbefiedert, sie weinet Nächte lang, erneut, an dem Zweige schwankend, das bange Lied und durchhallt das Gefild 'umher mit jammernder Trauer. Venus nicht bewegt und nicht Hymenäus das Herz ihm. Einsam bewandelt er nordisches Eis, des Tanais Flocke u. s. w. und der Schluß: Damals, da sein Haupt, von dem Marmorhalse gerissen, mitten trug, und wälzt' in dem Strom der dagrische Hebrus, rufte die Stimme Euridice noch, und die starrende Zunge, ach! dein Jammer, Euridice noch, da die Seele dahin floh und Euridice hallte zurück von des Flusses Gestaden. Da das Saufte durch den Charakter der Ruhe mit dem Großen verwandt ist, so findet es sich gerade bey solchen Nationen und Dichtern, die großer Empfindungen fähig sind. Daher ist selbst der rauhe Dante des Sanften fähig, z. B. Inferno C. 5. die Geschichte von Francesca und Paolo: Quali colombe dal disio chiamate con l' ali aperte e ferme al dolce nido volan per l' aer dal voler portate ... amor, ch' a null 'amato amar perdona mi prese del costui piacer si forte, che come vedi ancor non m' abbandona, amor condusse noi ad una morte quando legemmo il disiato riso esser baciato da cotanto amante, questi che mai da me non sia diviso, la bocca mi baciò tutto166 tremante. Petrark in seinen Elegieen auf den Tod der Laura ist sanft, zuweilen auch Tasso, Ariost sehr selten, da er zu romantisch wild und frey dazu ist. Bey den Engländern ist Milton anzuführen, besonders in seinem Penseroso: Hail thou goddess, sage and holy, hail divinest melancholy Die schöne Stelle im Paradiss. lost. B. IV. 640: Sweet is the breath of morn, her rising sweet then silent night with this her solemn bird, and this fair moon but neither breath of morn nor silent night without thee is sweet. Die Engländer sind im Ganzen genommen etwas zu bilderreich und sentenziös für das Sanfte. Wann traf ihr Barde ganz das Herz? Jn Bildern weint er. spricht Klopstock von den Britten. Wir haben das Sanfte auch das Weiblich = schöne genannt, weil das mütterliche Weib besonders den Charakter des Sanften hat. Kinder dagegen haben den Charakter des Niedlichen, Jungfrauen den des Naiven, und ausgebildete Frauen den der Grazie. O woman, lovely woman nature made thee to temper man: we had been brutes without you! Angels are painted fair, to look like you, there's in you all that we believe of heaven: amazing brightness, purity and truth, eternal joy and everlasting love. Ottway. Venice pres. Selbst große Bilder der Natur werden sanft, wenn die Jdee der Weiblichkeit dabey erregt wird, z. B. Lucret. Sic pereunt imbres, ubi eos pater aether in gremium matris terrai praecipitauuit. Grays Elegie auf einen Dorfkirchhof ist ein Muster für das167 Sanftschöne, das sich dem Großen nähert. Diese Gebeine gegen Beleidigungen zu schützen, erhebt sich über ihnen ein Denkmal, das in unzierlichen Reimen und ungestaltetem Schnitzwerk den flüchtigen Tribut eines Seufzers erfleht. Statt des Lobgedichts und der Elegie findet ihr ihre Nahmen, ihre Jahre zusammengesetzt von der ungelehrten Muse, verbunden mit einem heiligen Texte, der den ländlichen Moralisten sterben lehrt (und das steinerne Mal unter dem Fliederbusch, wo ein biblischer Spruch freudig zu sterben lehrt, und der Tod mit der Sense und ein Engel mit Palmen steht. Hölty). Denn wer hat, ganz ein Raub der stummen Vergessenheit, dieses angenehme angstvolle Daseyn jemals aufgegeben, wer hat den warmen Bezirk des lieblichen Tags verlassen, ohne einen einzigen verweilenden sehnsuchtsvollen Blick zurückzuwerfen? Auf irgend ein befreundetes Herz verläßt sich die abscheidende Seele, das Auge, das sich schließt, fordert einige fromme Thränen. Selbst aus dem Grabe ruft noch die Stimme der Natur, und noch in ihrer Asche glimmt ihr gewohntes Feuer. Und der Schluß, wo der Dichter seinen Charakter schildert: Er gab dem Elend alles, was er hatte, eine Thräne, er verlangte vom Himmel alles, was er wünschte, einen Freund. Suche nicht nach seinen Verdiensten zu forschen, noch seine Schwächen aus dem Verborgenen zu ziehn. Voll zitternder Hoffnung ruhen sie hier beysammen im Schooße seines Vaters und seines Gottes. Der deutsche Charakter, weil er für das Ruhiggroße ist, ist auch für das Sanfte: Hallers Elegie auf den Tod168 seiner Mariane und Elise, Klopstocks künftige Geliebte, die Königin Louise, Selmar und Selma, Höltys Gedicht an die Ruhe, der Wunsch von Salis u. s. w., beweisen dies hinlänglich. Beyspiele für die Grazie in der Poesie. Grazie heißt überhaupt jede Leichtigkeit im Gestalten und Werden. So nahmen wir dies Wort beym höhern Schönen. Selbst bey Gegenständen in Ruhe sindet sich die Grazie, wenn man die eben geendete Bewegung noch wahrnimmt. Jm engern Sinn wird die Grazie beym niedern Schönen dargestellt, wenn dasselbe lebendig ist. Hiervon giebt es viele Belege in der Griechischen lyrischen Poesie und in ihrem Nachahmer Horaz. Besonders mag dies der Charakter der Sapphischen Gedichte gewesen seyn. Bey dem genannten Römischen Odendichter ist die Grazie des Gedankens schon etwas gebunden durch die schwerere Sprache, indessen hat die Kunst die Schwierigkeit überwunden. Jam Cytherea choros ducit Venus, iniminente luna, junctaeque Nymphis Gratiae decentes. Alterno terram quatiunt (dieser Ausdruck ist freylich noch etwas hart) pede, dum graues Cyclopum Vulcanus ardens urit officinas. Quis multa gracilis te puer in rosa perfusus liquidis urget odoribus, grato, Pyrrha, sub antro? cui flauam religas comam simplex munditiis nos conuiuia, nos proelia virginum sectis in juuenes unguibus acrium cantamus, siue quid urimur, non praeter solitum leues nunc et campus et areae leuesque sub noctem susurri com posita repetantur hora. nunc et latentis169 proditor intimo gratus puellae risus ab angulo, pignusque decerptum lacertis, aut digito male pertinaci vitas hinnuleo me similis Chloe, quaerenti pauidam montibus aviis matrem, non sine vano aurarum et siluae metu, nam, seu mobilibus vitis inhorruit ad ventum foliis, seu virides rubum dimouere lacertae, et corde et genibus tremit. Besonders gehört hierher das herrliche Bild von der Licymnia (od. I. 12.): Dum flagrantia detorquet ad oscula ceruicem, aut facili saeuitia negat, quae poscente magis gaudeat eripi, interdum rapere occupat. Das bekannte Donec gratus eram tibi etc. Der Schluß der herrlichen Ode an den Merkur (1. 3. XI. ), wo das Mädchen ihren Geliebten entläßt: I pedes, quo te rapiunt et aurae, dum fauet nox et Venus, i secundo omine et nostri memorem sepulcro scalpe querelam. Catull hat zwar einen ziemlich männlichen Ton. Es fehlt ihm aber, vermöge seiner Genialität, nicht an Grazie: Quaeris, quot mihi basiationes tuae, Lesbia, sint satis superque? Quam magnus numerus Libyssae arenae laserpitiferis jacet Cyrenis, oraculum Jouis inter aestuosi et Batti veteris sacrum sepulcrum, aut quam sidera multa, cum tacet nox, furtiuos hominum vident amores, tam te basia multa basiare vesano satis et super Catullo est, quae nec pernumerare curiosi possint, nec mala fascinare lingua. Tibull ist in seiner Sanftmuth zu ruhig. Nicht selten erhebt er sich aber doch auch zur Grazie: Tunc veniam subito nec quisquam nun -170 tiet ante, sed videar coelo missus adesse tibi. Tunc mihi, qualis eris, longos turbata capillos, obuia nudato, Delia, curre pede. Hoc (nämlich amore) duce, custodes furtim transgressa jacentes, ad juuenem tenebris sola puella venit, et pedibus praetentat iter, suspensa timore, explorat caecas cui manus ante vias. Das lebendige Bild des Friedens: Pace bidens vomerque vigent: at tristia duri militis in tenebris occupat arma situs, rusticus e lucoque vehit, male sobrius (wie fein umschrieben!) ipse, uxorem plaustro progeniemque domum. Sed Veneris tunc bella calent, scissosque capillos femina perfractas conqueriturque fores. Flet, teneras subtusa genas, sed victor et ipse flet sibi dementes tam valuisse manus. At lasciuus amor rixae mala verba ministrat, inter et iratum lentus utrumque sedet. Auch Sulpicia und Properz verdienen hier Erwähnung. Qui caput et digitos et lumina nigra puellae et canit, vt soleant molliter ire pedes. Unter den Neuern kommen keine Dichter an Grazie den Jtalienischen bey. Wie leicht regen sich nicht schon beym sanften Petrark die Gestalten. L' aura celeste, che' n quel verde lauro spira l' aura, che 'l verde lauro e l' aureo crine soauemente sospirando move, fa con sue viste leggiadrette e nove l' anime da lor corpi pellegrine Una candida cerva sopra l' herba verde m' apparve con duo corna d' oro fra due riviere a l' ombra d' un alloro levando' l sole a la stagione acerba, era sua vista si171 dolce superba, ch' i lasciai per seguirla ogni lavoro. nissun mi tocchi (hier geht die Grazie in die Naivetät über) al bel collo d' intorno scritto havea di diamanti e di topatji ed era 'l sol gia volto al mezo giorno gli occhi miei stanchi di mirar, non satii, quand' io caddi ne l' acqua, ed ella sparve. Durch das Verschwinden dieses freyen fantastischen Bildes bleibt ein Nachhall des Erhabenen. Hier ist Grazie in der Leidenschaft und Sanftheit in der Natur im Kontrast: Hor, che 'l ciel e la terra e' l vento tace, e le fere, e gli augelli il sonno affrena, notte 'l curro stellato in giro mena, e nel suo letto il mar senz' onda giace, vegghio, penso, ardo, piango e chi mi sface, sempre m' è inanzi per mia dolce pena, guerra e 'l mio stato d' ira, e di duol piena e sol di lei pensando, ho qualche pace. Muntrer ist und lebendiger die Phantasie des Ariost. Doch verfällt sie zuweilen bey ihrer Lebendigkeit in den Fehler des Ueppigen, wo bey der Menge reizender Sinnenvorstellungen die Leichtigkeit des Gestaltens verloren geht. Man vergleiche die Schilderung der Alcina mit derjenigen der Armida im Tasso. Jm Ariost (Orlando Cant. 7.) haben wir ein etwas üppiges und zuweilen unter der Ueppigkeit ersterbendes Gemälde, das nur in einzelnen Stellen Grazie hat. Quivi si forma quel soave riso, ch' apre a sua posta in terra il paradiso due pome acerbe, e pur d' avorio fatte vengono, e van, come onde al primo margo, quando piacevol' aura il mar combatte Nachdem Ariost die einzelnen Züge ohne172 geistiges Leben mit dem Colorit eines Rubens und van der Werf dargestellt hat, wird erst das Ganze in Bewegung gesetzt: Havea in ogni sua parte un laccio teso ò parli, ò rida, ò canti, ò passo mova. Man halte dagegen das Bild von der Armida (Gerusal. c. 4.). Welch eine Lebendigkeit gleich bey seiner Erscheinung. Ein Flüstern, eine Erhebung des Blicks bey allen Zuschauern: Dopo non molti di vien la donzella, dove spiegate i franchi avean le tende. All' apparir della beltà novella nasce un bisbiglio, e 'l guardo ogn' un v 'intende. Argo non mai, non vide Cipro o Delo d' abito o di beltà forme care. D' auro ha la chioma, ed or dal bianco velo traluce involta, or discoperta appare. Così qualor si rasserena il cielo or da candida nube il sol transpare; or dalla nube uscendo, i raggi intorno più chiari spiega, e ne raddopia il giorno (welche Bewegung in dem Licht, das dies Bild giebt!) Fa nove crespe l' aura al crin disciolto, che natura per se rincrespa in onde, stassi l' avaro sguardo in se raccolto e i tesori d' amore, e i suoi nasconde. Dolce color di rose in bel quel volto fra l' avorio si sparge e si confonde. (Dieses Verschmelzen der Rose im Elfenbein zum Colorit ist kein Gemälde, sondern das Mahlen der Natur selbst. Bey Beschreibungen sollte der Dichter allemal die Grazie, und nicht blos das Sanftschöne oder Niedliche darstellen. Denn das eigentlich Poetische besteht in einem beständigen Werden. Wie todt ist hier Ariost: Con bionda chioma173 lunga e annodata oro non è, che più risplenda e lustri. Spargeasi per la guancia delicata misto color di rose, e di ligustri. Di terso avorio era la fronte lieta, che lo spatio finia con giusta meta. (Das ist Proportion, aber keine Schönheit.) Jtzt nähert sich im Tasso die Grazie an süßem Leben dem Himmlischerhabenen: Ma nella bocca, ond' esce aura amorosa sola rosseggia e semplice la rosa (wie leicht, einfach wird das Bild durch den Ausdruck semplice. Man höre dagegen den Ariost, der hier das Gesicht wie eine Landschaft beschreibt. Sotto quel (unter der Nase ohne Tadel) stà, quasi fra due vallette la bocca sparsa di natio cinabro, quivi due filze son di perle elette, quindi escon le cortesi parolette (dies alles ist mehr Abstraktion des Verstandes). Tasso. Mostro il bel petto le sue nevi ignude onde il foco d' amor si nutre e desta (man sehe oben die Schilderung des Ariosts vom Busen der Alcina, jene ist ein niedliches Dosengemälde, in der des Tasso ist Naturgeist) parte appar delle mamme acerbe e crude, parte altrui ne ricopre invida vesta, invida, ma s' agli occhi il varco chiude, l' amoroso pensier già non arresta, che non ben pago di bellezza esterna, negli occulti secreti anco s' interna. Come per acqua, o per cristallo intero trapassa il raggio, e no 'l divide, o parte, per entro il chiuso manto osa il pensiero si penetrar nella vietata parte: ivi si spazia, ivi contempla il vero di tante meraviglie a parte a parte, poscia al desio le narra e le de -174 scrive, e ne le sue fiamme in lui più vive. Kann mehr Seele in einem Bilde seyn? Hier ist nichts Materielles, wie beym Ariost und Ovid. Das Sanftschöne erregt bey Schilderungen dieser Art die Wollust, und wird dann unpoetisch und fehlerhaft. Man nennt dies das Schlüpfrige. Die Einbildungskraft erliegt, und die Sinne gewinnen die Oberhand. Nicht so ists bey der über alle Sinnlichkeit erhabenen Grazie des Tasso. Hier ist der Gedanke lebendig, von keinen Sinnen gefesselt, frey, wie die Phantasie. Er ergeht sich wonnetrunken in den Gefilden des Schönen, dringt ein in das Heiligthum, betrachtet das Wahre mit keuscher Reinheit, und erzählt es erst der Begierde wieder. Die Begierde steht hier selbst als Gedanke da, sie kann in dem Leser nicht zur Begierde werden, der Leser selbst bleibt unpartheyisch. Mit einem Worte, Tasso hat hier die Gränze gezogen, wo die keusche, die freye Kunst sich von der blos sinnlichen Nachahmung schlüpfriger Gegenstände trennt. Die Macht der Sinne wird hier durch die Einbildungskraft bezwungen, nicht genährt. Jm folgenden, wo der Dichter die Koketterie der Armida schildert, personifizirt er die Grazie, die Muse, die freye Phantasie, mit allem ihren lebendigen verführerischen Zauber selbst. Se scorge alcun, che dal suo amor ritiri l' alma, e i pensier per diffidenza affrene, gli apre un benigno riso (welches Leben im Aufgehen dieses Lächelns!) e in dolci giri volge le luci in lui liete e serene, e cosi i pigri e timidi desiri sprona ed affida la dubbiosa speme, et infiammando l'amorose voglie,175 sgombra quel gel, che la paura accoglie. Ad altri poi, ch' audace il segno varca, scorto da cieco, e temerario duce, de' cari detti, e de' begli occhi è parca e in lui timore e riverenza induce. Ma fra lo sdegno, onde la fronte è carca pur anco un raggio di pietà riluce, si ch' altri teme ben, ma non dispera, e più s' invoglia, quanto appar più altera. Fra si contrarie tempre in ghiaccio e in foco, in riso e in pianto, et fra paura e spene inforsa ogni suo stato e di lor gioco l' ingannatrice Donna a prender viene. E s' alcun mai con suon tremante e fioco osa parlando d' accennar sue pene, finge quasi in amor rozza ed inesperta, non veder l' alma ne' suoi detti aperta. Welcher Zauberreitz, welches Anziehn und Zurückstoßen, mit dem sich das Bild im Erhabenen verliert. Ma se prima negli atti ella s' accorge d' uom, che tenti scoprir le accese voglie, or gli s' invola e fugge ed or gli porge modo, onde parli, e in un tempo il ritoglie. Cosi il di tutto in vano error lo scorge stanco, e deluso poi di speme il toglie: ei si riman, qual cacciator, ch' a sera perda alfin l' orma di seguita fera. Selten wird er die Frauen anders schildern, als mit den Gaben der Charis. Di natura, d' amor, de' cieli amici le negligence sue sono artifici Keine Gemüthsbewegung nimmt bey Tasso mehr den Charakter der Grazie an, als die Sehnsucht. O fortunati miei dolci martiri, sagt Olind am Scheiterhaufen zur Sophronie, s' impetrerò, che giunto seno a seno l' anima mia nella tua176 bocca io spiri, e venendo tu meco a un tempo meno, in me fuor mandi gli ultimi sospiri. Hierher gehört auch das berühmte Chor im Amint. O bella età dell 'oro, mit dem ins Große sich verlierenden, dem Catull nachgebildeten Schluß: Amiam, che' l sol si muore, e poi renasce, a noi sua breve luce s' asconde, e 'l sonno eterna notte adduce. Auch in den kriegerischen Situationen ist bey Tasso die Lebendigkeit selten heftig, alles Grazie. E l' ordinato esercito congiunto tutte le sue bandiere al vento scioglie e nell vesillo imperiale e grande la trionfante Croce al ciel si spande. So erscheint die entwaffnete Clorinda (c. 3. st. 21.) dem Tancred e le chiome dorate al vento sparse, giovane donna in mezzo' l campo apparse. Jn folgenden Schilderungen des Rinald vereinigt sich die Grazie im engern Sinne unmittelbar mit dem Hohen. Ma il fanciullo Rinaldo è sovra questi, e sovra quanti in mostra eran condutti, dolcemente feroce alzar vedresti la regal fronte e in lui mirar sol tutti. L' età precorse, è la speranza: e presti pareano i fior, quando n' usciro i frutti. Se 'l miri fulminar nell' arme avvolto Marte lo stimi: amor, se scopre il volto: Lui nella riva d' Adige produsse a Bertoldo Sofia, Sofia la bella. A Bertoldo il possente, e pria che fusse tolto quasi il bambin dalla mammella, Matilda il volse, e nutricollo, et instrusse nell 'arti regie, e sempre ei con ella, sin ch' invaghi la giovinetta mente la tromba, che s' udia dall Oriente ferner (cant. 5.177 s. 44.) ciò detto l'armi chiede, e' l capo e 'l busto di finissimo acciajo adorno rende, e fa del grande scudo il braccio onusto, e la fatale spada al fianco appende, e in sembiante magnanimo ed augusto, come folgore suol, nell' armi splende, Marte, e rassembra te, qualor dal quinto Cielo di ferro scendi, e d'orror cinto. Aehnliche Stellen hat auch Homer: Mit eben dieser hohen Grazie endet sich das neunzehnte Buch der Jlias, wo Achill die neuen Waffen anlegt und von Nektar und Ambrosia genährt in den Krieg zieht. Γελασσε δε πᾶσα περι χθων χαλκου ὑπο Στεροπῆς, ὑπο δε κτυπος ὠρνυτο ποσσιν ἀνδρων· ἐν δε μεσοισι κορυσσετο δῖος Αχιλλευς Πειρηθη δ 'ἑο ἀυτοῦ ἐν ἐντεσι δῖος Αχιλλευς, εἰ οἱ ἐφαρμοσσειε, και ἐντρεχοι ἀγλαα γυῖα. Τῷ δ' ἐυτε πτερα γινετ ', ἀειρε δε ποιμενα λαῶν. Die ganze Beschreibung der glänzenden Waffen, die Leichtigkeit, welche sie dem Körper des Achills mittheilen, die Lebendigkeit, mit der er die Pferde gegen die Trojaner treibt, ist mehr reizend schön, als erhaben und gehört zur Grazie im Engern Sinn. Gleichwohl ist wiederum über das Ganze eine gewisse Hoheit verbreitet, welche die Schönheit im einzelnen mildert, vereinfacht. Man kann dieses Zusammenschmelzen der Grazie im Engern Sinn mit dem hohen zu Einer Kunstform das Edle nennen. Jn obigen Beyspielen nähert es sich dem Glänzenden, es ist aber einfacher. Das reizend Schöne ist hier auch nicht, wie bey der Erhabenen Grazie (siehe oben) mit dem höhern Schönen in Contrast gesetzt, sondern es ist überall178 unmittelbar mit demselben verbunden. Dadurch verliehrt das Hohe seine Rauheit, und das Reizendschöne wird nicht so hervorstechend. Dieses Edle ist die Form, unter welcher sich gewöhnlich die höhere Tugend zeigt, wenn sie mit einer gewissen angebornen Genialität ihren Kampf besteht. Daher setzt man dem Edlen das Gemeine, Niedre, Schlechte entgegen. O spettacolo grande, ove a tenzone sono amore e magnanima virtute! ove la morte al vincitor si pone in premio, e'l mal del vinto è la salute. Die Grazie oder reizende Leichtigkeit, mit der eine edlere Natur Hohes vollbringt, hat zu gleicher Zeit bey aller Lebendigkeit einen Charakter der Ruhe, den die oben erklärte erhabene Grazie nicht hat. Diese erhebt der Contrast mit Heftigkeit über alles gewöhnliche Maaß, und ihr Charakter war, wie wir gesehen haben, leidenschaftliche Wehmuth. Von der hohen Grazie, oder dem Edlen, giebt auch Pindar manches Beyspiel. Hierher gehört das Gebet des Pelops an den Posaidon. Φιλια δῶρα κυπριας ἀγ' εἰτι Ποσειδαον ἐς χαριν τελλεται, πεδασον ἐγχος Οἰνομαου χαλκεον· ἐμε δ 'ἐπι ταχυτατων πορευσον ἁρματων ἐς Α̃λιν, κρατι δε πελασον, ἐπεὶ τρεις γε και δεκ' ἀνδρας ὀλεσας ἐρῶντας, ἀναβαλλεται γαμον θυγατρος. μεγας δε κινδυνος ἀναλκιν οὐ φῶτα λαμβανει. θανεῖν δ 'οἷσιν ἀναγκα, τι κε τις ἀνωνυμον γῆρας ἐν σκοτῳ καθημενος ἑψοι ματαν, ἁπαντων καλῶν ἀμμορος; ἀλλ' ἐμοι μεν οὑτοσι ἀθλος γ 'ὑποκεισετα· τυ δε πρᾶξιν φιλαν διδοι. Hierher gehört das herrliche Fragment des Simonides (ἐκ των μελων) οὐδε γαρ179 οι προτερον ποτ' ἐπελοντο θεων δ 'εξ ἀνακτων ἐγενοντο ωἷες, ἡμιθεοι, ἀπονον οὐδε ἀφθιτον οὐδ' ἀκινδυνον βιον, ἐς γῆρας ἐξικοντο, τελεσαντες. Bey den Deutschen, wie bey allen Nazionen, welche mehr Natursinn für das Heftige, Starke, Große haben, ist die Grazie nicht häufig, weil jenen ästhetischen Empfindungen die Leichtigkeit fehlt. Jn der hohen Grazie kommt aber kein deutscher Dichter Göthe bey. Mehr noch als seine Jphigenia bezeugen dies seine kleinen lyrischen Gedichte, sein Tasso u. s. w. Hölty ist nicht so lebendig, doch erhebt er sich in der Sanftmuth oft zur Grazie, z. B. in der Elegie auf den Tod eines Landmädchens. Mathison und Salis sind hier auch zu erwähnen. Bey den Franzosen zeigt sich die Grazie besonders in Florians Gedichten in den Romances d'Estelle u. s. w. Die Engländer scheinen für die Grazie noch weniger gemacht, als die Deutschen. Jndeß hat doch Shakespear einige Stücke, wo sie herrschend ist. Z. B. Der Sommernachtstraum, der Sturm und Romeo und Julie. Zu der Grazie oder dem reizend Schönen kann man auch das Scherzhafte rechnen, welches eine bloße Modification desselben ist. Das Scherzhafte ist dem Ernst entgegengesetzt. Dies scheint eigentlich der Charakter der ganzen Dichtkunst. Darum spricht Tasso vom lusinghier Parnaso, und das Schöne scheint oft nur eine jocosa imago der innern Jdealität. Jndessen ist die Dichtkunst, wie wir schon eben bemerkt haben, an sich zu heilig, als daß man diesen Ausdruck des Spiels überhaupt von ihr brauchen dürfe. Das Scherzhafte wird180 also nur zum niedern Schönen, und zwar zur Grazie zu rechnen seyn, weil natürlich nirgends mehr Lebendigkeit der Phantasie angetroffen wird, als wenn sie im Einzelnen thätiger ist, mehr als sie es bedarf. Beym Erhabenen darf sie dee einzelnen Theilvorstellungen nicht so lebendig werden lassen, weil sie das Anschaun der höhern Jdealität zu Stande bringen muß. Sie hat also eben so wenig, wie bey Verstandesarbeiten Zeit zu scherzen. Es ist hier um eine höhere Einheit zu thun, simplex duntaxat et unum. Hingegen, wenn sie sich mehr mit den Theilvorstellungen unterhält, ohne durch eine Hauptempfindung zu sehr beherrscht zu werden, dann scherzt sie. Es ist ihr weniger ein ernsthafter idealer Zweck vorgeschrieben. Sie will sich blos im Leben erhalten. Weil aber dieses Leben, wenn es nicht ganz üppig werden soll, doch eine Art Gesetzlichkeit haben muß, so muß sich der Scherz der Phantasie, wie z. B. bey Ariost und Wieland, mit Grazie bewegen, und es muß zu gleicher Zeit in dem poetischen Gedanken dargethan werden, daß der Geist Muße habe, und durch nichts Ernstes seine höhere Einheit beschränkt sey. Zum Scherzhaften gehört auch das Lächerliche. Das Lachen ist eine körperliche Erschütterung, die aus einer Erweckung des Lebensreizes entsteht. An sich ist das Lachen nichts Unangenehmes. Das beweißt das reine Lachen der Kinder. Das ist ein Jubeln der Freude, ein ausbrechendes Gefühl der muntern Lebenskraft. Es ist ein Scherz der menschlichen Natur, die sich selbst in eine fröhliche Bewegung setzt, ohne einen andern Zweck dabey181 zu haben, als eben diese Bewegung. Bey Erwachsenen, bey zunehmender Bildung des Geistes ist das Lachen ebenfalls eine willkührliche Bewegung der Seelen - und Körperkraft. Aber diese Bewegung ist schon nicht so rein angenehm mehr. Der ans Leben gewöhnte Mensch kann nicht so leicht mehr gereizt werden. Er bedarf dazu auffallender Gegenstände, mit unter sich abstechenden Vorstellungen, die sich vom Gewöhnlichen entfernen. Daher gehört zum Lächerlichen ein gewisser Contrast in zwey doch zusammengehaltenen Vorstellungen, eine Unvollkommenheit in der Gestaltung des Begriffs. Etwas blos unpassendes ist noch nicht lächerlich. Z. B. Trophäen des Kriegs auf einem Jagdhause, das verdient wohl Winkelmanns Tadel, aber es erregt noch kein Lachen, eben so wenig das blos Häßliche und Ungestaltete. Ueber das Ungestaltete und Unpassende lachen wir erst, wenn es ganz auffallend wird, wenn der Widerspruch gerade das Entgegengesetzteste zu vereinigen droht. Thersites, der schwache, Häßliche, wird erst da lächerlich, wenn er von Gefangenen spricht, die er etwa mache, und die sich Agamemnon zueigne. Man lacht, wenn aus einer schönen Equipage mit sechs Pferden ein Tagelöhner herauskriecht, wenn eine Senfte mit vielem Pomp anlangt und ein Senftenträger heraussteigt, wenn einer einen Stutzerhut und Renomistenstiefeln trägt. Dieses ganz Auffallende setzt selbst ganz lebensmüde, gedankensatte Seelen in Bewegung. Wer sich literarisch den Magen verdorben hat, wie z. B. das deutsche Publikum, muß doch noch lachen. Daher findet182 man bey der Hypercultur eben so viel Geschmack für das Lächerliche, als für das Niedliche. Diese Unvollkommenheiten, diese Widersprüche und Jrrthümer bey lächerlichen Gegenständen würden aber unsrer Seele peinlich werden, wenn sie nicht als geringfügig erschienen, wenn wir dadurch ernstlich aufgefordert würden, dem Fehler abzuhelfen. Eben deswegen muß der Fehler so unverbesserlich groß seyn, daß man sich mit ihm nicht im Ernste die Mühe nimmt. Es muß der Contrast in Gegenstände uns nicht wehmüthig machen, wie beym Erhabenen zuweilen geschieht. Er muß uns am Ende als unwichtig erscheinen, höchstens als verächtlich. Er muß unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, eine große Erwartung, Spannung erregen, und sich dann in Nichts auflösen. So ist die Grabschrift Phaetons im Ovid beynahe lächerlich: Hic situs est Phaeton, currus auriga paterni, quem si non tenuit magnis tamen excidit ausis. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus. Horat. Nun giebt es mehrere Unterarten des Lächerlichen. Es bezieht sich entweder auf einen Contrast in der instinktmäßigen Natur, oder auf eine Unvollkommenheit in der höhern Natur des Menschen. Das Erste nennt man das Komische, das Andre das Satyrische. Die Lust an dem Ersteren ist reiner, die Lust am Letztern eine gemischte Empfindung, denn hier liegt ein moralisches Urtheil im Hinterhalt, das mit Mißbehagen verbunden ist. Doch ist dieß Mißbehagen nicht überwiegend. Denn wir erblicken, wie Platner bemerkt, eine Schwäche an den moralischen Fehlern183 der Menschen, die uns Vergnügen macht und die Nichtigleit der Jrrthümer oder Laster zeigt. Das Komische ist entweder das grotesk Komische oder das fein Komische. Das grotesk Komische, wozu man auch die Karrikaturen rechnen kann, hat die meisten auffallendesten Kontraste. Hier ist viel Leben, aber am wenigsten Gestalt. Es entfernt sich von der Grazie am meisten. Hierhin gehört das Possenhafte in der Aristophanischen und Jtalienischen Komödie oder Pantomime. Doch verfällt dieß oft in den Fehler des Plumpen, und alsdann ist es nicht mehr Gegenstand der Kunst. Es läßt sich behaupten, daß eine gewisse Grazie oder Leichtigkeit niederer Art auch hier Statt finden müsse. Wer einen guten Harlekin, eine gute Grotesktänzerin, gut gemahlte Arabesken, Hogarthische Karrikaturen u. s. w. gesehen, dichterische Possen besserer Art gelesen hat, wird nicht läugnen, daß selbst in dem Ungestalteten oder Mißgestalteten sich die Leichtigkeit zu Gestalten in und mit der Lebendigkeit zeige. Das fein Komische ist vorzüglich der Gegenstand des Lustspiels harmloserer Art, das sich besonders auf der Französischen Bühne vervollkommt hat. Hierhin gehören alle die Verwickelungen, Verlegenheiten u. s. w. in die der Mensch zuweilen durch die geselligen Verhältnisse gesetzt wird, dieselben mögen noch so unschuldig seyn. Uebrigens ist das Komische nicht geradezu blos am Menschen. Auch in den Thieren giebt es Bewegungen u. s. w. über welche wir lachen, ohne noch dabey zu denken, daß man mit der Geißel der Satyre, wie Lafontaine, unter dem Bilde184 der Thiere eigentlich Menschen züchtige. Ein Thier oder ein Mensch falle, so wird man lachen, wenn der Fall nicht gefährlich aussieht. Warum? Weil ein Kontrast darin liegt, Beine zu haben, und damit nicht gehen zu können. Aber es schreite ein eingebildeter Mann ohne eigentliche Würde in vollem Ornate daher und stolpere. So wird man auch lachen. Aber warum hier? Das Lachen wird hier satyrisch seyn. Man denkt an den ohnmächtigen Stolz, der sich blos äußerlich brüstet und gerade durch einen äußerlichen Fehltritt zu Schanden wird. Das Satyrische nähert sich oft mehr dem Lustigen, oft wiederum mehr dem Bitteren. Die lustige Satyre bezieht sich auf Fehler der Menschen, deren Betrachtung nicht so angreifend für uns ist. Dieß ist der Charakter der meisten Horazischen Satyren, der Lustspiele von Plautus, Terenz, Moliere, Foote, Baumarchais u. s. w. Auch Rabener, Zachariä, Rost u. s. w. im Deutschen gehören hierher. Wenn auch die Fehler, die ersterer persiflirt, zuweilen wichtig sind, so wird doch das moralische Gefühl bey ihrer Darstellung nicht so empört. Z. B. Der Kommentar über das Sprüchwort: Ehrlich währt am längsten, der Briefwechsel in Angelegenheiten einer alten Kokette, eines Amtmanns und seiner Tochter, eines gnädigen Herrn, der einen Hofmeister sucht u. s. w. Die bittere Satyre nähert sich schon dem Heftigen. Sie artet oft in Persönlichkeiten und Pasquille aus. Beyspiele liefern Aristophanes, Juvenal, Persius, Swift, Pope, Sheridan, Boileau (wiewohl auch dieser nicht immer schimpft, zuweilen mehr185 lustig ist) und andere mehr. Die bittere Satyre zeugt von zu viel Leidenschaft und zugleich Schwäche, sie empört zu sehr den, welchen sie trifft um wirksam zu seyn. Dagegen zeugt die lustige am meisten von Geistesenergie. Wenn sie sich mit gutem Willen vereinigt, kann sie zu einer Zeit, wo das Lächerliche der einzige Donnerkeil ist, vor den sich unsterbliche Geister fürchten, sehr nützen. Bittere Satyre zeugt von eigener Verdorbenheit, die sich gern mit dem Schlechten unterhält. Man sehe z. B. wie Aristophanes und Boileau das weibliche Geschlecht in dem Joche der Ehe schildern. Ersterer (z. B. Thesmophoriazus. Scen. II. ) überschreitet hier wirklich alle Gränzen der Sittlichkeit und zugleich der Kunst, und schon daraus ist es klar, daß sein Publikum nur aus Männern bestand. Jm Juvenal jedoch nähert sich das Lächerliche vermöge der energischen heftigen Bitterkeit nicht selten dem höhern Schönen. Ueberhaupt findet sich das Lächerliche auch zuweilen als integrirende Theilvorstellung beym höhern Schönen. Wir haben davon schon ein Beyspiel oben gehabt, die lachenden Freyer in der Odyssee. Man sehe manche Kupferstiche Hogarths, wo er z. B. ein Narrenhaus darstellt. Da sitzt einer in einem dunkeln Käfter auf Stroh halb nakt mit Krone und Zepter, und andre fatastisch gekleidet nach andern fixen Jdeen. Der Kontrast bringt uns zum Lachen. Aber es ist ein Lachen des bittersten Entsezzens. Eben dieß geschieht, wenn Juvenal in der vierten Satyre ein Senatorisches Consilium, das die Welt regieren sollte, berathschlagen läßt, wie ein Fisch zu sieden sey. 186Sehr oft erscheint im Shakespear, der das menschliche Leben am natürlichsten schildert, das Lächerliche im Kontrast mit dem Erhabenen nicht ohne tragische Wirkung. Wenn die Amme, nachdem Juliens Scheintod bekannt wird, zu den hochzeitlichen Spiellenten sagt: Lieben Leute, steckt eure Pfeifen ein! wenn Fallstaff bey Hotspurs Fall als Possenreißer auftritt, so sehen wir ganz das Leben, wie es ist, und dieses Ausruhen von der angestrengten Empfindung, diese Gleichgültigkeit des Schicksals in Zusammenstellung des Unglücks und des Scherzes vermehrt das Pathos, wenn das Tragische zurückkehrt. Zum Satyrischen kann man auch das Parodiren und Travestiren eines Gedankens rechnen. Zuweilen, wiewohl selten, ist die Parodie bloß Scherz, wo etwas Ernstem symmetrisch etwas Lustiges beygesellt wird, wie Klopstock seinen Heinrich den Vogler selbst als ein Trinklied parodirte. Gewöhnlich ist aber die Parodie und das Travestiren die allerkürzeste und beste Kritik, womit man Fehler züchtigt, die man ernsthaft anzugreifen entweder noch zu träg oder zu stolz ist. Denn das Lächerliche ist der beste Prüfstein des Wahren. Mancher Jrrthum ist noch nicht demonstrirt, aber gewiß, weil er lächerlich geworden ist. Schiller, sagt irgendwo, ganz vortrefflich: Jch kann mich mit keinem Glauben aussöhnen, den ich einmal belachte. Das Gute und Wahre läßt sich auch nicht gut travestiren. Homer wird nie Veranlassung zu einer so guten Parodie geben, wie, durch Virgils eignes Verschulden, zum Theil Blumaners und anderer travestirte Aeneiden sind. Der Ausdruck Parodie bedeutet die187 Anwendung ein und ebendesselben ernsthaften oder fehlerhaften Styls auf einen andern meist komischen Gegenstand, wie z. B. manche meisterhafte Parodieen von Göthe. Beym Travestiren bleibt ebenderselbe Gegenstand und Gedanke, und der Styl wird satyrisch verändert. Bey größern Werken dieser Art wird freylich der Witz am Ende matt und gesucht, oft wohl auch läppisch. Wenn Blumauer Infandum regina iubes etc. mit Jnfantin, omnibus his nivea cinguntur tempora vitta (L. VI. 665.) mit musselinene Schlafhaube übersetzt, so muß einem nicht selten das Original dauern, das so ungerechter Weise dadurch lächerlich wird. Doch ist bey travestirten Werken nicht immer das Original das Ziel des Witzes, auch andere Dinge, wie z. B. im Blumauer Hierarchie und Mönchswesen. Dem Scherzhaften und Lächerlichen ist auch das Witzige verwandt. Jn so fern der Witz Vorstellungen zusammenstellt, die an sich ganz entfernte Verhältnisse zu haben scheinen, und nun plötzlich auf einer ungeahnten Seite zusammentreffen, so bewirkt er auch gemeiniglich das Lachen. Der Geist wird dadurch aus der gewöhnlichen Sphäre seiner Begriffe herausgerissen und in neue unerhörte Bewegung gesetzt, und am Ende ist das Zusammenhalten disparater Dinge ein bloßer Scherz gewesen. Vom Spiele mit Worten werden wir unten bey der dichterischen Sprache reden. Es beruht aber auch auf einer Art von Witz. Jeder hohe poetische Geist muß, wie wir an Shakespear sehen, Witz haben, denn der ästhetische idealische Gedanke, kann nur erzeugt werden, durch ein schnelles Zusammenhalten188 entfernter und zugleich ähnlicher, großer und kleiner Vorstellungen aller Art. Ueberhaupt aber ist hervorstechender Witz nur bey der scherzhaften romantischen Dichtung, bey der Komödie, beym Epigramm, also beym niedern Schönen, und ins besondere beym Niedlichen anwendbar. Wenn die Deutschen noch vor nicht gar langer Zeit die dichterischen Werke Werke des Witzes nannten, so bedeutete da Witz bey ihnen so viel, wie Genie, nämlich das Vermögen, aus vielen Vorstellungen das Nothwendigste und Richtigste herauszufinden. Daher die Zusammensezzung: Mutterwitz worunter eine natürliche Anlage des Geistes verstanden wird. Auch die Laune, der sogenannte Humor, gehört hierher. Man versteht darunter die Fähigkeit eines originellen Kopfes, die Dinge von einer neuen ungewöhnlichen Seite anzusehen, wozu oft selbst eine nicht blos launige, sondern auch launische d. h. bizarre Gemüthsstimmung vieles beyträgt. Jn wie fern das Genie Original ist, d. h. sich von allen Regeln entfernt, ist ihm allerdings überhaupt bey allen ästhetischen Arbeiten Laune eigen. Ein besonders hervorstechender Humor ist aber nur da von Wirkung, wo der Effekt auf das Romantische und Lächerliche berechnet ist. Jm erstern Falle kann sich auch der Humor dem höhern Schönen nähern, und zuweilen Grausen erwecken. Wenn z. B. Tassoni, der Verfasser des komischen Heldengedichts: la Secchia rapita, Mitglied einer Akademie von Humoristen, also ein Humorist ex professo, in seinem Testamente den Wunsch, nach dem Tode zu leben, ein Fieber nennt, das189 die Menschen plage, so lautet das sreylich anders, als die gewöhnlichen Formeln in den Testamenten, wo die Seele dem Himmel empfohlen wird. Die Laune ist der eigentliche Charakter der Phantasie, welche die in Begriffen eingezwängte Wahrheit verachtet und nach neuen Ansichten ringt. Verbindet sich die Laune mit Festigkeit des Wahrheitsgefühls, so bringt sie nicht blose Paradoxien hervor, sondern sie kann eine sehr wirksame Lehrerin der Menschen werden, indem sie zeigt, daß das Wahre selbst unter der sonderbarsten Ansicht doch immer wahr bleibt. Unter allen Nazionen scheint der Engländer am meisten Laune zu haben. Er liebt Gemüthsstimmungen, z. B. den Spleen, von denen sich kein Grund angeben läßt. Dieß giebt auch sonderbare poetische Ansichten. Shakespears Personen haben viel genialische Laune. Sie scherzen und spielen mit den wichtigsten Dingen, und das macht oft ästhetischen Effekt. Zuweilen sagt der launige Mensch nur das gewöhnlich Wahre. Aber weil man das hier just nicht erwartete, fällt es auf. So sagt Gonzalo beym Schiffbruch im Tempest: Now would i give a thousand furlongs of sea for an acre of barren ground. Wie viel Laune ist nicht im Polonius, Merkutio, Fallstaff und andern Personen des dramatischen Dichters. Besonders ist den Englischen Romanschreibern, den Verfassern des Tristram Shandy, der empfindsamen Reisen, des Peregrine Pikle, des Tom Jones, Joseph Andrews u. s. w. Laune eigen. Nur sind die chaotischen Außerungen dieser Laune zuweilen zu gedehnt, um dem reinen Menschengefühl genießbar, und190 poetisch zu seyn. Bey den Spaniern ist hier Cervantes zu nennen, bey den Franzosen gehören hierher Stellen aus Montagne, Scarron, Rabelais, Lafontaine, Voltaire, Rousseau, Lesage, der jüngere Crebillon u. s. w. Bey den Jtalienern zeigt sich in Boccaccio und Ariost (die Allegorien K. 19.) viel Laune. Auch die deutschen Dichter und Prosaiker sind des Humors fähig. Göthe, Wieland, Musäus, von Thümmel, Lessing, Hermes, Müller, Lichtenberg, Kästner, Jacobi, der Philosoph und Dichter, Wezel, Nicolai, Sturz, Möser, Pfeffel, Gleim, Jünger, Anton Wall u. s. w. haben mehr oder weniger ästhetische Laune. Am meisten nähert sich der Humor dem höhern Schönen im Jean Paul, wiewohl er diesen Schriftsteller auch nicht selten zu widrigen Arabesken hinreißt. Bey den Alten findet sich die Laune im höhern Grade am seltensten, weil sie sich mehr an die sichtbare Natur hielten. Die Sokratische Jronie, die Satyre des Lucian hat den Charakter der Laune. Aristophanes, Plautus, Horaz, Petron, Marzial, Apulejus, und einige Stellen des Lukrez (L. IV. 1150.) sind hier anzuführen. Am meisten ächten Humor möchte man allenfalls in den Scherzen des Catull finden, z. B. in den Episteln an den Cornelius, Fabullus, Calvus Licinius, Furius u. s. w. Man sieht also, daß das lebendig Schöne die meisten Modificationen erleidet. Der Scherz, das Komische, das Satyrische, der Witz, die Laune arbeiten darauf hin und dürfen nicht ohne Grazie seyn, wenn sie dichterisch seyn wollen. Zum lebendig Schönen kann man auch das Romantische im engern Sinne,191 oder das wild Schöne rechnen. Das Romantische hat wahrscheinlich den Namen vom Roman und der Romanze. Romantisch sind Landschaften, wie sie Ariost beschreibt: Fugge tra selve spaventose e scure, per lochi inhabitati, ermi e selvaggi etc. Romantisch ist die Beschreibung, wie Angelica absteigt und ihr Pferd weiden läßt. Tra fiori smonta, e lascia a la pastura andare il palafren senza la briglia, e quel va errando intorno a le chiar 'onde, che di fresc' herba havean piene le sponde. Ecco non lungi un bel cespuglio vede, di spin fioriti e di vermigli rose, che de le liquid 'onde a specchio siede chiuso dal sol fra l'alte querce ombrose, così voto nel mezo, che concede fresca stanza fra l'ombre più nascose, e la foglia coi rami in modo è mista, che'l sol non v'entra non che minor vista. Man nennt Naturscenen romantisch, die am wenigsten von Anordnung zeigen, wo viel Ueberraschendes, Unbegreifliches sich findet. Menschen sind romantisch, die sich aufs geradewohl dem Schicksal überlassen, wie die alten Ritter, welche auf Ebentheuer zogen, wie ein Gilblas u. s. w. Man könnte daher romantisch auch abentheuerlich (im guten Sinne) übersetzen. Die griechischen Erotiker, Apulejus, überhaupt der Roman, das Mährchen, die Ballade, das Rittergedicht, die Spanische Schäferwelt von Cervantes und Florian, Shakespear im Sturm und Sommernachtstraum, Spenser u. s. w. haben diesen Charakter. Wir haben schon oben bemerkt, daß selbst das höhere Schöne, das Große, das Heftige,192 als unbegreiflich für den Verstand, zuweilen romantisch wird. Allein romantisch im engern Sinne wird nur das niedere, das lebendig Schöne genannt. Das Wilde, das Unbegreifliche erscheint hier im Miniaturgemälde, schlägt nicht nieder, sondern reizt, wie die grausende Einöde des Waldes, beym Ariost zu einer fresca stanza wird. Man sieht, daß das Romantische mit dem Scherzhaften sehr nahe verwandt ist, weil dabey die Fantasie nicht durch höhere Ordnung beschränkt wird. Daher läßt auch das romantische Rittergedicht einen scherzhaften Styl zu, wie wir dieß bey Ariost, Wieland und von Nicolai sehen. Vom Wunderbaren ist das Romantische ganz unterschieden, ob sie gleich beyde unbegreiflich für den Verstand sind. Das Wunderbare findet sich allein beym höhern Schönen, das Romantische auch beym Niedern. Das Wunderbare (der eigentliche Charakter der höhern Epopee) bezieht sich mehr auf die Unbegreiflichkeit des Weltganzen, und setzt einen philosophischeren Geist der Nation voraus, bey der es sich findet. Das Romantische ist das Unbegreifliche mehr in den einzelnen Begebenheiten des Schicksals. Das Wunderbare sucht den Olymp auf. Das Romantische begnügt sich mit Gnomen und Gespenstern. Homer ist zuweilen romantisch, wie viele Mährchen der Odyssee bezeugen, aber seine vorzügliche Tendenz ist das Wunderbare. Ossian, Ariost, Wieland sind romantisch. Wenn sich das Zärtliche, d. h. eine Sehnsucht, die, wie wir oben in Beyspielen aus Elegieen gesehen193 haben, sich durchs Sanftschöne äußert, mit der Grazie und dem Scherzhaften verbindet, so entsteht daraus bey der Liebe eine Stimmung, welche die Galanterie heißt im edlern Sinne des Worts. Diese Galanterie ist bey den Alten, etwa die neu entdeckte indische Poesie ausgenommen, wegen der Knechtschaft, in welcher das weibliche Geschlecht sich befand, selten. Einiges im Anacreon, Ovid, Tibull, Properz kann hierher gerechnet werden. Sie fand sich aber in den Zeiten der alten Ritterschaft, und ist daher mit dem Romantischen sehr verwandt. Die altspanische, die portugiesische (siehe Velazquez, übers. von Dieze, S. 65.), die provenzal Dichtkunst, besonders in den Zeiten der Liebeshöfe, die altitalienische Poesie, der deutsche Minnegesang haben diesen Charakter. Unter den Neuern zeichnen sich in diesem Fache Metastasio und Florian aus. Die Canzonetta, la libertà a Nice und die Palinodia (Poesie del Abate Metastasio T. VIII. p. 315.) sind Muster von Feinheit und Grazie und scherzhafter Zärtlichkeit. Unter den neuern Deutschen sind hier vorzüglich Göthe, Schiller und Mathisson zu nennen. Beyspiele des Naiven. Das Naive ist ausgemacht der Charakter der ältesten Poesie. Es besteht in der reinen, nackten, unverstellten Darstellung der instinktmäßigen Natur, mit einem Bewußtseyn ihrer Jdealität, mit einem dunklen Gefühl, daß ihre Form ein Symbol des Geistes sey. Geist und Natur ist hier noch nicht getrennt, sie werden nicht mit einander wieder vereinigt, wie im himmlisch Erhabenen, sondern die sinnliche Natur selbst trägt die noch194 unverletzte Gestalt der Göttlichkeit. Man kann das Naive daher auch das idyllisch Schöne nennen. Denn es setzt einen Zustand des goldenen Zeitalters voraus, in dem der Mensch noch nicht durch freye Erkenntniß und Leidenschaften seine Jnnerstes entzweyt hat. Wir nennen es auch das jungfräulich Schöne, weil es der Charakter der Jungfräulichkeit ist, sich selbst genug zu seyn, und in der eignen Blüte Jdealität und Natur vereinigt zu finden. So erscheint Anadyomene, die neugeborene Venus, die aus dem Meere steigt. Bey den Hebräern ist die Naivität noch ohne Kultur und Feinheit. Die Geschichte der Erzväter und das Buch Ruth sind ins besondre hier anzuführen. Die Einfachheit der Sprache thut hier sehr viel. Was kann naiver seyn, als der Anfang von Ruth: Es war in den Tagen der Richter, und es war eine Theurung im Lande [ צראב ] So setzen die Kinder voraus, jeder wisse, wovon die Rede sey. Jn der größten Vollendung zeigt sich diese Empfindung bey den Griechen. Naiv in seinen Schilderungen ist Hesiodus (z. B. εργα. vs. 110 seq.) und vorzüglich Homer. Siehe z. E. die Stelle im fünften Buch der Jlias vs. 335. wo die Venus ihren Sohn Aeneas mit ihrem glänzenden Gewand schützt und vom Diomed verwundet wird. εἰθαρ δε δορυ χροος ἀντετορησεν ἀμβροσιου δια πεπλου, ὁν οἱ χαριτες καμον αὐται πρυμνον ὑπερ θεναρρος· ῥεε δ' ἀμβροτον αἱμα θεοῖο, ἰχωρ, οἱος περ τε ρεει μακαρρεσσι θεοῖσιν δε μεγα ἰαχουσα ἀπο ἑο καββαλεν ὑιον. Und Aphrodite wird aus der Schlacht geführt, fällt in den Schoos der Dione, ihrer Mutter. 195Diese schlägt die Arme um ihre Tochter und fragt: Wer, mein Kind, hat solches gegen dich verübt, unter den Himmlischen, gleich als hättest du etwas Böses begangen? Aber ihr entgegnet Aphrodite, die das Lächeln liebt: Mich verwundete des Tydens Sohn, der übermüthige Diomedes, weil ich meinen lieben Sohn aus dem Krieg trug, den Aeneas, mir vor allen den Theuersten. Denn nun ist nicht mehr allein schweres Gefecht zwischen Achaiern und Troern, sondern die Danaen kämpfen selbst mit den Unsterblichen. Jtzt wischt die Mutter den Jchor von der Hand der Tochter, heilt sie und erzählt ihr zum Trost, wie viel die Unsterblichen von je her von den Erdenbewohnern erlitten. Juno und Minerva spotten über die Wunde. Und es lächelt zur Rede der Vater der Götter und Menschen, rufet zu sich die goldn 'Aphrodit' und ermahnt sie mit Worten: Nicht sind anvertraut, mein Kind, dir die Werke des Krieges, du umschwebe waltend der Hochzeit sehnliche Feyer, aber der rasche Aräs besorge die Schlacht und Athenä. Die Naivetät der ganzen Stelle liegt in der Aufrichtigkeit, mit der die Götter ihre Schwäche gestehn, ohne doch an Göttlichkeit zu verliehren, und in dem jungfräulichen Betragen der Venus. Die ganze Odyssee, das häusliche Gemälde der altgriechischen Menschen, hat den Charakter der Naivetät. Wie naiv ist die ganze Unterredung der Minerva mit dem Telemach im ersten Buche. Z. B. vs. 214. antwortet Telemach auf die Frage der Minerva, ob er des Odysseus Sohn sey: Τοιγαρ ἐγω τοι ξεῖνε μαλ 'ἀτρεκεως ἀγορευσω μητηρ μεν τ' ἐμε φησι τοῦ ἐμμεναι,196 αὐταρ ἐγωγε οὐκ ὀῖδ, οὐ γαρ πω τις ἑον γονον αὐτος ἀνεγνω. Dieß ist heilige aufrichtige Einfalt, ohne Rücksicht auf gesellige Verhältniß, die eine naiv schöne Empfindung giebt. Daher braucht man naiv auch in dem Sinne, als Contrast der Natur mit dem Bürgerlichen. Ein neuer französischer Dichter sagt eben diesen Gedanken, aber schalkhaft: Chacun sçait la tendre mère, dont il a reçu le jour. Tout le reste est un mystère, c'est le secret de l'amour. Hierüber lächelt man. Das ist nicht naiv, sondern scherzhaft. Odyss. α. 232. μελλεν μεν ποτε οἰκος ὁδ 'ἀφνειος και ἀμυμων ἐμμεναι, ὀφρ' ἐτι κεινος ἀνηρ ἐπιδημιος ἦεν. vs. 300. Και συ φιλος (μαλα γαρ σ 'ὀροω καλον τε μεγαν τε) αλκιμος εσσ' ἱνα τις σε και ὀψιγονων ἐυ εῖπῃ. Hier nähert sich das Naive dem Starken. An einem andern Orte sagt Telemach: Ηδη γαρ νοεω και οἰδα ἑκαϛα ἐσθλα τε και τα χερεια, παρος δ 'ἐτι νηπιος ηα. Naiv ist der Charakter der Nausicaa, und ihre Unterredung mit dem Odysseus. Z. vs. 180. Mögen verleihn dir die Götter, was du im Herzen begehrest, einen Mann und ein Haus und stille häusliche Eintracht. Denn es wird kein herrlicher Gut den sterblichen Menschen, als wenn gleichgesinnet zusammen im Hause regieren Mann und Weib, das schafft viel Schmerz dem feindlichen Neider, viele Freude dem Freund, dem Glücklichen selber, die meiste. Wie offenherzig gesteht Nausicaa ihren Wunsch: vs. 245. αἱ γαρ ἐμοι τοιοςδε ποσις κεκλημενος εἰη ἐνθαδε ναιεταων, και οἱ ἁδοι αὐτοθι μιμνειν. Selbst das traurige197 und das höhere Schöne wird durch eine gewisse Offenherzigkeit auch mit dem naiv Schönen verbunden. So weinen die Griechischen Helden selbst in der Schlacht. Achill sagt selbst einmal zum Patroclus: Il. Π. 7. τιπτε δεδακρυσαι, Πατροκλεις, ηυτε κουρη νηπιη, ἡθ' ἁμα μητρι θεουσ 'ἀνελεσθαι ἀνωγει εἱανου ἁπτομενη, και τ' ἐσσυμενην κατερυκει δακρυοεσσα δε μιν ποτι δερκεται, ὀφρ 'ἀνεληται. Wie naiv ist die traurige Unterredung des Odysseus mit seiner Mutter in der Unterwelt im eilften Buche der Odyssee, selbst die tragische Schilderung, die der Schatten des Agamemnon von seiner Ermordung macht, besonders die Warnung vs. 440. Τῷ νυν μη ποτε και συ γυναικι περ ἠπιος εἰναι, μηδ' οἱ μυθον ἁπαντα πιφαυσκεμεν, ὁν κ 'ἐῦ εἰδῆς, αλλα το μεν φασθαι, το δε και κεκρυμμενον εἰναι. Jn den Hymnen, welche dem Homer zugeschrieben werden, findet sich ebenfalls der griechische naive Charakter. Z. B. in der Geschichte der Venus und des Anchises in Vener. vs. 100. Wie naiv ist das Gebet des Anchises: Δος με μετα τρωεσσιν ἀριπρεπε' ἐμμεναι ἀνδρα, ποιει δ 'εἰσοπισω θαλερον γονον, αὑταρ ἐμ ἀυτον δηρον ἐϋζωειν, και ὁρᾶν φαος ἠελιοιο ὀλβιον ἐν λαοις, και γηραος οὐδον ἱκεσθαι. Er verlangt nicht weniger, als alles, es ist die beynah unbescheidene Kühnheit eines jungen sich fühlenden Lebens. Und wie er späterhin erfährt, daß er das Bett einer Göttin getheilt habe, fleht er: ἀλλα σε προς Ζηνος γουναζομαι Αιγιοχοιο μη με ζωντ' ἀμενηνον ἐν ἀνθρωποισιν ἐασης ναιειν, ἀλλ 'ἐλεαιρ', ἐπει οὐ βιοθαλμιος ἀνηρ γιγνεται, ὁϛε θεαισ 'ἐυναζεται ἀθα -198 νατησι. Unter den griechischen Lyrikern ist dem Anacreon besonders das Naive eigen, und ist dort mit dem Niedlichen verbunden. Offenherzig nimmt er Abschied von den Helden und gesteht, daß seine Leyer nur Liebe töne. Naiv ist Amor, der (Od. γ.) seinen Gastfreund mitten in die Brust schießt, sich freut über seinen unversehrten Bogen, und treuherzig dazusetzt: συ δε καρδιαν πονησεις. Naiv, folglich rein, sind selbst Anacreons wollüstige Schilderungen (Od. κθ.) Er befiehlt dem Mahler seinen Bathyll zu mahlen: ἁπαλων δ' ὑπερθε μηρων μηρων το πυρ ἐχοντων ἀφσλη ποιησον αἰδω, Παφιην θελουσαν ἠδη. Die Schilderung des Nackten ist bekanntlich keuscher, als der halb durchsichtige Schleyer der Zweydeutigkeiten, der immer die Begierde reitzt. Naiv lobt sich Anacreon selbst (ξδ): χαριεντα μεν γαρ ἀδω, χαριεντα δ 'οἰδα λεξαι. Mit naiver Offenherzigkeit gesteht Sappho ihre Liebe, ihre einsame Sehnsucht: γλυκεια ματερ, ουτι δυναμαι κρεκειν τον ἱστον, ποθω δαμεισα παιδος, βραδιναν δι' Αφροδιταν. δεδυκε μεν σελανα, και Πληϊαδες, μεσαι δε νυκτες, παρα δ 'ἐρχετ' ὠρα· ἐγω δε μονα καθευδω. Bey den Tragikern ist das Naive in etwas roherer Gestalt, verbindet sich zuweilen mit dem höhern Schönen. Aufrichtigkeit und Geradheit ist besonders im Gezänk der Helden, wo sie alle ihre Neigungen und Leidenschaften unverholen an den Tag legen. Das Geständniß des Oedypus (im Tyrann. vs. 1080.) verbindet Naivität mit Hoheit: ἐγω δ 'ἐμαυτον παιδα της Τυχης νεμων της ἐυ διδουσης, οὐκ ατιμασθησομαι της γαρ πεφυκα μητρος·199 οἱ δε συγγενες μηνες με μικρον και μεγαν διωρισαν. Feiner ist die Naivität im Euripides. Z. B. in Hippol. und den Jphigenien. Die Jdyllen des Theocrit tragen durchgängig den Charakter der Naivität. Natur und Menschheit erscheint hier gleich ungeschminkt unverstellt, und im Bewußtseyn einer Jdealität des Jnstinkts. Welche naive Schilderung von Pan, dem Gotte der Hirten. Es ist Mittag und sie wollen nicht singen. Τον Πανα δεδοικαμες, γαρ ἀπ ἀγρας τανικα κεκμακως ἀμπαυεται· ἐντι γε πικρος, και οἱ ἀει δριμεια χολα ποτι ρινι καθηται Wie naiv ist der Cyclope. (Idyll. 11.) Offenherzig gesteht er selbst das wunderbare Unförmliche in seiner Gestalt. (30) Demungeachtet hält er sich für einen nicht unverwerflichen Freyer wegen seines Reichthums. ἀλλ' ὠυϛος τοιουτος ἐων βοτα χιλια βοσκω, er erzählt seiner Galatea, (und hier gränzt das Naive an das Lächerliche,) daß er vier junge Bären zum Geschenk für sie ernähre; am Ende tröstet er sich damit, daß doch viele andre Mädchen ihm zulächeln und mit ihm spielen wollen, kurz, daß er auf Erden doch auch Etwas sey. δηλον ὀτ 'ἐν τᾳ γᾳ κηγων τις φαινομαι ἠμες. Jn der sechsten Jdylle, einer der schönsten im ganzen Theocrit, lobt Polyphem sogar seine Schönheit, nachdem er sich an einem heitern Tage im Wasserspiegel erblickt hat. Eben so erzählt Daphnis, (Idyll. 8.) wie ihn das Hirtenmädchen neulich gesehen habe aus der Höhle, als er die Kühe vorbey trieb, und wie sie gesagt habe, er sey schön, schön sey er, (vs. 73.) καλον καλον ημες εφασκεν, und stumm, mit niedergeschlagenen Augen sey er seines Wegs200 vorbey gezogen. Ein gewisser Ausdruck von Selbstvertraun bey einem Naturmenschen läßt also gewöhnlich eine naive ästhetische Empfindung zurück. Selbst die Demuth einer Jungfrau ist nicht ohne dieses Selbstbewußtseyn der Naivität. Dein Staunen lib ich und dein sittsam Schweigen, schaamhafte Demuth ist der Reitze Krone, denn ein Verborgenes ist sich das Schöne, und es erschrickt vor seiner eignen Macht. Schiller, Braut von Messina. So sagt Klopstock von einem Liede in der Ode Skulda: Nur eins hatte Minen der Ewigkeit, vom Gefühl seines Werths schön erröthend, voll Reitze des Jünglings und voll Stärke des Manns. (Hier nähert sich das Naive dem Starken. Sehr viel Belege dieser gemischten Empfindung geben die Bardieten eben dieses Dichters. So ist zuweilen Naivität mit dem Grausenden in Gegensatz. Ode. Mein Vaterland: Einfältiger Sitte bist du und weise, bist ernsten tieferen Geistes. Kraft ist dein Wort, Entscheidung dein Schwert. Doch wandelst du gern es in die Sichel und triefst, wohl dir! von dem Blute nicht der andern Welten.) Die Weichheit des Bion (das Epitaphium des Adonis), Moschus (der flüchtige Amor, Europa u. s. w.), und anderer erhebt sich auch nicht selten zur Naivität. Die Alexandrinischen Dichter sind zwar aus einer Zeit, wo die Poesie schon nicht mehr Natur, sondern Nachahmung ältrer Bücher war. Doch fehlt es auch den Callilimachus, Apollonius, Musäus nicht an naiven Zügen. φερβε και εἰραναν, ἱν ὁς ἀροσε, κεινος ἀμασσῃ. Callimachi Hymnus in Cerer. fin. Jm dritten Buch201 der Argonauticon des Apollonius ist besonders die Beschreibung des kindischen Amors und die Liebe der Medea hierher zu rechnen. Οἱ δ' ἠεσαν ἐκ μεγαροιο. θεσπεσιον δ 'ἐν πασι μετεπρεπεν αἰδονος ὑιος, καλλεϊ και χαριτεσσιν. επ ἀυτῳ δ'ομματα κουρη λοξα παρα λιπαρην σχομενη θηειτο καλυπτρην, κηρ ἀχεϊ σμυχουσα, νοος δε οἱ ηϋτ' ὀνειρος ἑρπυζων πεποτητο μετ 'ἰχνια νισομενοιο. Auch die griechischen Erotiker sind nicht ohne Naivität, z. B. im Sophisten Longus die Beschreibung von der Liebe: Jch, als ich noch ein junger Mensch war, verliebte mich in die Amarillis. Da dachte ich nicht ans Essen, da sorgte ich nicht fürs Trinken, da konnte ich nicht schlafen. Jch hatte Weh in der Seele, ich hatte Zittern im Herzen, mein ganzer Körper war eiskalt; ich ächzte, wie einer der auf der Folter liegt; ich war stumm, wie ein Todter, ich warf mich in den Fluß, als wär in mir eine Feuersbrunst zu löschen, ich rufte unaufhörlich den großen Pan zu Hülfe, der ja auch geliebt hatte, ich segnete das Echo, weil es mir den Namen Amarillis wiederholte, ich zerbrach voll Wuth meine Schalmeien, weil sie wohl meine Heerde anlocken, aber mir nicht mein Mädchen herbeyziehn konnten; kurz wider die Liebe gilt kein Entgegenstämmen, keine Arzeney, kein Zauberspruch. Jedes andre Mittel ist kraftlos, es müßte denn seyn zu küssen, oder sich zu umarmen, oder sich frey von allem, was noch Körper trennen kann, einander hinzugeben. Der Schluß ist wollüstig, aber reine Natur und noch lange nicht so leichtfertig, wie die bekannte 27ste Jdylle des Theocrit, das Gespräch des Daphnis mit dem Mädchen. 202Die Sehnsucht des Jnstinkts ist heftig, und erhebt sich eben so beym niedern Schönen zur höchsten Naivität, wie sich die platonische Sehnsucht eines Petrarks und Tasso beym höhern Schönen zum himmlisch Erhabenen erhebt. Die Römer sind für die jugendliche Naivität zu männlich. Terenz, Catull, Tibull, Properz haben naive Züge. Virgil ist zu sehr Nachahmer und nirgends wird mehr originelle Reinheit erfordert, als bey dem Naiven. Unter den Nenern mag sich die Naivität besonders bey den Troubadors in der Provenzalsprache haben äußern können. Die Jtaliener haben hierin vorzüglich den Amint des Tasso und Stellen aus Metastasio aufzuweisen. Die brittische Muse ist für das Naive zu philosophisch. Miltons paradiesische Schilderungen, Thomsons Jahrszeiten stellen das Naive dar, aber zuweilen mit zu viel Reflexion. Jn der größten Feinheit zeigt sich noch das Naive beym Shakespear Romeo and Juliet Act. I. Sc. V. Rom. Have not saints lips, and holy palmers too? Jul. Ay, pilgrim, lips that they must use in prayer. Act. II. Sc. II. Hier zeigt sich die Liebe Romeos und Juliens in der höchsten Naivität. Love goes toward love, as school-boys from their books, bot love from love, toward school with heavy looks. Jul. I shall forget to have thee still stand there, rememb'ring how i love thy company. Rom. And i'll still stay, to have thee still forget, forgetting any other home but this. (Die Naivität der Natur vergißt sich eben so in ihrer Jdealität, wie das himmlisch Erhabene.) Jul. 'tis almost203 morning, i would have thee gone: and yet no further than a wanton's bird, who lets it hop a little from her hand, like a poor prisoner in his twisted gyves, and with a silk thread placks in back again, so loving - jealous of his liberty. Rom. I would, i were thy bird. Jul. Sweet, so would i, get i should kill thee with much cherishing. Good night, good night! parting is such sweet sorrow, that i shall say good night, till it be morrow. s. auch III. Act. Scen. II. wo Naivität, Grazie, Erhabenheit mit einander abwechseln. Die Franzosen haben zu viel Cultur, um rein naiv seyn zu können; doch verdient Racine, Florian, und besonders Lafontaine wegen seiner Fabeln eine Ausnahme. Chateaubriands Atala hat naive Stellen, z. B. das Lied des Kriegers S. 39, im Ganzen genommen sprechen aber seine Wilden viel zu kultivirt, und Paul et Virginie ist (etwa den Schluß ausgenommen) weit naiver. Gewöhnlich ist die französische Naivität witzig und nähert sich dem Scherzhaften. Wenn z. B. ein Mädchen, das man vor dem Amor gewarnt hat, ihn in Gesellschaft ihres Geliebten suchen will: et supposez qu'il soit mechant, nous serions deux contre un enfant, quel mal pourroit il faire? so leuchtet offenbar hier das Schalkhafte durch. Was die Deutschen betrifft, so war das Naivschöne vorzüglich in den Zeiten des Minnegesangs zu finden, und hatte da etwas Heiliges und Keusches. Die treuherzige Sprache jener Zeiten trägt viel dazu bey. Wir zway bliben aine: nun verstund sich204 wol die raine, daz ich gern zu Ir was ein das schöniste gras, daz die Welt je gewan, da furte sy mich an ein wenig von den leuten bas, das liess ich, wais Got, on Has. Hie vandt ich weishait bey der Jugent, grosse Schöne und ganze Tugend. Iwain (Heldengedicht vom Ritter Hartmann um die Zeiten Friedrichs des Rothbarts) 1. Gesang. Martin Opitz ist nicht ohne Naivität, die an das sanft Schöne gränzt. Zum Beweis diene diese Stelle aus einer Jdylle nach Theocrit: Bist du gekommen dann, nachdem ich nun gewacht, nach dir mein liebstes Kind den dritten Tag und Nacht? Du bist gekommen ja. Doch wer nicht kann noch mag sein Lieb sehn, wenn er will, wird alt auff einen Tag. Ach daß die Liebe doch uns wollte beyderseits auch fügen an ihr Joch, an ihr gewünschtes Joch, und daß, die nach uns seyn, von uns mit stätem Ruhm erzehlten überein: Es ist ein liebes Paar gewesen vor der Zeit, das eine freyte selbst, das ander ward gefreyt: Sie liebten beyde gleich. Ward nicht das Volk ergetzt, wie Liebe wiederumb mit Liebe ward ersetzt u. s. w. Auch unsern Neuern Deutschen ist zuweilen die Darstellung des rein Naiven gelungen, ungeachtet wir auf unsern Bühnen viel falsche Naivität gesehen haben. Klopstocks Thusnelda ist ein naiver und zugleich wildromantischer Charakter. Die Empfindung der Liebe in den ältern Gedichten des großen Dichters hat oft die ästhetische Form des naiv Schönen. Einige Kinderscenen in den ersten Gesängen des Messias, wiewohl sie dort oft für den Plan des Ganzen zu weit ausgeführt sind, sind205 reine Jdyllen, eben so die Schilderung einer Welt unschuldiger Menschen. Jn Claudius Schriften verbindet sich Naivität mit Humor. Jn Geßner und Kleist gränzt das Naive ans rührend Schöne, verliehrt zwar dadurch an Eigenthümlichkeit, aber gewinnt von der andern Seite auch oft an Werth. Die griechische Naivität stellt sich in Göthe und Voß am reinsten dar, im erstern vereinigt sie sich zugleich mit der Grazie. Wielands Grazien sind voll naiv schöner Züge, die sich aber dem Schalkhasten nähern. Ueberhaupt kann das Naivschöne eben so wie das Edle am wenigsten die Reinheit der Sitten entbehren, Sitte ist nur da, wo eine gesetzliche Handlungsweise zur Gewohnheit, Tugend zur Natur wird. Folglich ist die ästhetische Form der Sittlichkeit Naivität und hohe Grazie.

Anmerk. 4. Aus der in vorhergehender Anmerkung unternommenen Analyse dichterischer Stellen ergeben sich also noch mehrere Modificationen des niedern Schönen, welche in der Kunstsprache ihre eignen Nahmen haben und nun mittelst der Beyspiele verständlich seyn werden. Bey diesen Benennungen nimmt man eben so, wie bey dem höhern Schönen, entweder darauf Rücksicht, wie sich eine ästhetische Form, d. h. Untergattung des Schönen, mit der andern verbindet, oder man berücksichtigt die Geisteshandlung, Gemüthsstimmungen und Leidenschaften, an denen diese ästhetische Formen gefunden werden. Jn so fern das Niedliche und Sanfte gewöhnlich den Verstand und Geschmack am wenigsten beleidigt, nennt man es oft206 zierlich. Das Sanfte erscheint zuweilen als sanftgrausend, (das Grausende mit dem Sanften) sanftheiter, (das Herrliche durch das Sanfte gemildert) traurig, zärtlich, sanfte Wehmuth, sanfte Freude. Verbindet sich die Grazie in engerm Sinne oder das lebendig Schöne mit dem hohen, so nennt man dieß hohe Grazie, oder das Edle in ästhetischem Sinn. (wovon man die erhabene Grazie [s. oben] und das Edle in moralischer oder bürgerlicher Hinsicht unterscheiden muß. Unedle Ausdrücke beleidigen auf der Bühne. Aber das ist eine negative durch die äußern Verhältnisse entstandene Regel, und unedel ist hier im bürgerlichen nicht ästhetischen Sinne zu nehmen, eben so, wie man oft mit naiv nicht das naiv Schöne, sondern blos eine mit dem bürgerlichen kontrastirende natürliche Empfindung bezeichnet.) Das hohe mildert beym Edlen die Lebendigkeit des niedern Schönen, und verliehrt zugleich durch dasselbe an Rauheit. Wenn das lebendig Schöne durch eine freyere Bewegung der Phantasie entsteht, die sich dann blos ihres Lebens und der Fähigkeit etwas zu gestalten, und weniger einer idealischen Ordnung bewußt seyn will, und in so fern den Geist unterhält, ohne ihn doch zu einer wirklichen Jllusion in Absicht auf ernsthafte, d. h. vernünftig bestimmte Zwecke und Begriffe kommen zu lassen, so erhält es den Nahmen des Scherzhaften. (Der Ausdruck Scherz ist weitumfassend in der Sprache, und steht dem Planmäßigen, Nothwendigen, Ernsthaften entgegen, ohne daß man dabey schon an das Lachen denken müßte. Man207 sagt, ein Zefyr, ein Schmetterling scherzt über die Blumen hin, wenn er sich ohne Auswahl dem Ungefähr überläßt.) Entsteht die Bewegung des Geistes beym Scherzhaften ins besondre durch auffallende Widersprüche in der Form eines Gedankens und Bildes, die durch ihre Zusammenstellung die Aufmerksamkeit erregen, und am Ende durch eben diesen scherzhaften Anstrich den Geist der Mühe überheben, die Unvollkommenheit des nichtigen Gegenstandes zu verbessern oder das Widersprechende zusammen zu reimen, so nennt man dies das Lächerliche. Bezieht sich das Lächerliche auf Jrrthümer und moralische Unvollkommenheiten des Menschen, die unter dieser ästhetischen Form dargestellt werden, so heißt es das Satyrische, welches entweder bitter und leidenschaftlich, oder blos lustig seyn kann. Entsteht das Satyrische durch Uebertragung einer im Ernst aufgestellten fehlerhaften Gedankenreihe auf einen scherzhaften Gegenstand, so heißt es parodirend, trägt es einen ernsthaften Gedanken scherzhaft vor, heißt es travestirend u. s. w. Bezieht sich das Lächerliche auf scherzhafte Kontraste, die sich schon in der instinktmäßigen Natur zeigen können, so nennt man dies das Komische, welches entweder grotesk komisch (burlesk) oder fein komisch seyn kann. Das Groteskkomische stellt sich in den scherzhaften Kontrasten dar, die besonders in die Sinne fallen, z. B. Karrikaturen. Das Feinkomische bezieht sich mehr auf die Widersprüche in der Form des Menschen als Menschen mit seinen bürgerlichen Verhältnissen208 und der Verbildung, die er durch die Eintheilung in besondere Stände erhält. (Der Ausdruck komisch steht hier ohne Rücksicht auf eine besondere Dichtungsart, die man Komödie nennt. Es giebt auch viel Komisches außer der Komödie, obgleich letztere das meiste Komische hat. Eben so hätten wir bey den Modificationen des höhern Schönen, das Aengstliche, Schreckliche, erhaben Wehmüthige und überhaupt das Pathetische tragisch nennen können, ohne damit schon an eine Tragödie zu denken. Die alten Tragiker nahmen ihr Tragisches großentheils aus dem Homer, und Homer war ein Heldendichter.) Wenn das Scherzhafte besonders darauf ausgeht, alles auf eine neue ungewöhnliche Art anzusehn, und von den festgesetzten Begriffen oder natürlichen Gemüthsstimmungen abzuweichen, so nennt man das Humor, Laune. Wenn der Scherz Gedanken verbindet, welche, so entfernt sie von einander eigentlich sind, auf einer unerwarteten Seite scheinbar zusammentreffen, so entsteht das Witzige. Wenn das lebendig Schöne in freyer höchst regelloser Bewegung der Phantasie gefällige Anschauungen darstellt, deren Zusammenhang, Ordnung, Aufeinanderfolge dem Verstand schwer zu errathen und zu begreifen ist, und den Geist überrascht, so heißt das romantisch im Engern Sinne. (Das Wunderbare findet sich blos beym höhern Schönen.) Wenn sich das Zärtliche mit dem Scherzhaften, und überhaupt mit der Grazie verbindet, so entsteht daraus das Galante. Das naive Schöne, in wiefern es besonders in einer Unschuldwelt gefunden wird, heißt auch209 das idyllisch Schöne. Weil das Sanfte, Naive und Niedliche die gewaltsamen Gedankenreihen gewöhnlich vermeidet und sich an die Natur hält, die keinen Sprung liebt, so schreibt man diesen Gattungen oft auch das Prädicat natürlich zu. Jn so fern überhaupt das niedere Schöne gewöhnlich mehr den Verstand beschäftigt, als das höhere, und ihm eine bestimmte Zweckmäßigkeit neben der idealen zu ahnen giebt, so findet bey demselben auch mehr, wie bey dem höhern, das Wahrscheinliche und Jnteressante statt. Das Sanfte und Niedliche schmeichelt den Sinnen am meisten. Daher bekommt es auch oft die subjektiv bestimmten Prädicate lieblich und angenehm.

Anmerk. 5. Das Niedliche kann oft zum Kleinlichen, Läppischen und Gezwungenen herabsinken, das Sanfte, matt, gedehnt, weichlich, und wenn es die sinnlichen Leidenschaften im Verhältnisse zur Phantasie zu mächtig werden läßt, schlüpfrig werden. Der Grazie steht das Ungeschickte entgegen. Das lebendig Schöne überhaupt verfällt bey Ueberladung in den Fehler des Ueppigen. Das grotesk Komische kann ins Plumpe und Platte, das Satyrische, wenn es auf eine illegale Weise Verbrechen vorwirft, ins Pasquillartige verfallen. Das Galante artet oft ins Fade, Abgeschmackte, Geckenartige, das Romantische ins Romanhafte, das Naive ins Gezierte, (Affektirte) oder Einfältige, Rohe und Obscöne210 aus. Dergleichen Fehler werden entweder durch Verhältnisse objectiv bestimmt, und in so fern kann sie die Kritik der Poetik in einem allgemeinen Urtheile nach ihren negativen Regeln objektiv rügen, oder sie erscheinen blos als ein minderer Grad der Schönheit, und dann ist es Sache des Geschmacks, als subjektiven Gefühls, sie anzugeben.

Anmerk. 6. Das poetisch Schöne, und das Schöne überhaupt als Materie der Kunst ist also ein Wiederschein des Jdealen oder der innern unendlichen begrifflosen Gesetzlichkeit des Geistes, welcher sich an individuellen bestimmbaren Vorstellungen und Begriffen darstellt. Was Longin von dem Erhabenen sagt: (τμημα θ) το τοιοῦτον ὑψος μεγαλοφροσυνης ἀπηχημα, das Erhabene sey an sich selbst nichts, als ein Wiederhall, Nachklang von der Größe unsers Geistes, gilt eigentlich vom Schönen überhaupt. Man mag nun das griechische Wort mit eco, rimbombo oder wie Boileau mit image geben, so drückt es eben das aus, was wir in unsrer Definition des Schönen als dessen Wesen bestimmt haben. Weil in der Poesie auch die musikalische Sprache hinzukommt, so vereinigt sich in ihr alles, was jenen allegorischen Ausdruck für die beyden höhern Sinne rechtfertigt. Es gehört demnach zum Schönen ein äußeres Reale oder anschaulich Begreifliche, d. i. individuell bestimmbare Gedankenreihe, an der sich der Schein der Vernunftidee, oder das Unbegreifliche, Unbestimmbare, Unendliche, Gesetzliche darstellt. Die Gedankenreihe, ungeachtet sie an sich aus211 Begriffen besteht, muß also so beschaffen seyn, daß sie nicht allein eine besonders angewandte Gesetzlichkeit und individuelle Zweckmäßigkeit, sondern die unbestimmbare Jdee eines gesetzlichen Seyns überhaupt ausdrückt. Jm ersten Falle ist sie ein Verstandeswerk. Jm andern Falle nur ist sie ein Werk der freyen Kunst. Die schöne Gedankenreihe muß also scheinbar zufällig entstanden seyn, nicht nach nothwendigen Gründen im deutlichen Bewußtseyn, sondern nach willkührlicher Jdeenassociation der leicht sich entwickelnden Vorstellkraft zusammenhängen, das Licht der herrschenden Hauptidee muß ohne Ordnung auf die einzelnen Theile des Gedankens vertheilt seyn. Daher die scheinbare Unordnung im Plane der Ode, der poetischen Erzählung u. s. w. So werden wir veranlaßt, nicht bloß die bestimmten Vorstellungen und Begriffe anzuschaun und zu begreifen, sondern dieses einzeln Bestimmte, als Symbol jedes anschaulich Realen und Begreiflichen überhaupt anzusehn, welches von selbst sich den idealen Formen unterwirft. Die Begriffe und Vorstellungen müssen in Absicht auf den Verstand etwas Unendliches und Unbestimmtes, in Absicht auf die Sinne etwas nicht Daseyendes, sondern Werdendes, etwas nicht Wirkliches, sondern Mögliches bey sich führen. Sie müssen weder den Verstand noch die Sinne überwiegend beschäftigen, sondern das Streben nach sinnlichen Perceptionen oder äußern Anschauungen überhaupt, das sich zu Begriffen gestalten will. Dieses Streben heißt die Phantasie. Folglich muß die schöne Gedankenreihe die Thätigkeit der212 Phantasie erwecken; eines Vermögens, welches sich von der kalten Abstraction des Verstandes und den üppigen Anschauungen der Sinne gleichweit entfernt. Die schöne Gedankenreihe muß also einen Zustand hervorbringen, der im Gegensatz von dem bestimmten Denken Empfindung (αἰσθησις) und im Gegensatz von dem nicht spontaneischen oder blos receptiven Anschaun sinnlich individueller Gegenstände Einbildung (φαντασια) heißt. Beydes zusammen, Einbildung und Empfindung, giebt eine selige Gemüthsstimmung, welche Begeisterung genannt wird. Diese wird durch das Erfinden und Dichten der Phantasie hervorgebracht, und muß nicht nur beym Künstler, sondern auch bey dem, der das Kunstwerk genießt, statt finden. Man kann also Begeisterung und ästhetische (im engern Sinne) oder phantastische Empfindung, oder Empfindung des Schönen, für eins brauchen. Denn die Begeisterung, welche sich nicht mittheilen kann, ist keine schöpferische. Begeisterung ist nicht blos stürmisches Schaffen, sondern auch Genießen. Und der Genuß ist auch mehr als ein bloßes Geschmacksurtheil, daß hier Empfindung des Schönen statt finden könne. Auch ist das eben der Charakter eines höhern Kunstwerks, daß dadurch, wer es genießt, seine Phantasie zu selbstthätigem Schaffen erweckt fühlt. Die Begeisterung setzt die Phantasie allein in den Stand, das freyste, höchste Leben zu gewinnen, gleichsam die ganze Sphäre möglicher individueller Anschauungen zu durchlaufen und durch einen himmlischen Jnstinkt des Geistes213, wie Plutarch sagt, diejenigen herauszufinden, welche die Jdeen der innern Gesetzlichkeit überhaupt nothwendig geben und das Jdeale darstellen müssen. Die Phantasie, die dem Verstande nur gezwungen und träge dient, bewegt sich in der Begeisterung rythmisch und nach freyer Gesetzlichkeit, und läßt in Zusammensetzung ihrer Bilder eine geheime Harmonie mit der idealen Einheit der Vernunftanlagen ahnen. Die Phantasie vermag es nur in der Begeisterung die Gedanken aufzufinden, welche, ungeachtet einer sie beherrschenden Haupteinheit, so reichhaltig an Nebenideen sind, daß dadurch eine ganze Gegend des Vorstellungsvermögens hell wird. Wie sich die Seele im Traum, wenn unser Wille das Steuerruder verlohren hat, ihre Vorstellungen von selbst zusammen reiht und zwar nach einer gewissen Ordnung, weil sie durch die Anstrengungen des Tags an eine ordentliche Gedankenverbindung gewöhnt war, eben so erfindet sich die Phantasie in der Begeisterung, wenn sie von den Fesseln des Verstandes frey wird, genialisch spielend von selbst eine höhere Ordnung, die gleich der im Traume etwas Geheimnißvolles und Mystisches hat. Da nun die Begeisterung eine außerordentliche Gemüthsstimmung ist, so muß jedes Mittel angewandt werden, um die Phantasie zur Lebendigkeit zu reitzen. Die schöne Gedankenreihe muß daher alles zu berühren wissen, was die Vorstellkraft in Thätigkeit zu setzen pflegt. Dahin gehört jede Art angenehmer Empfindungen, Neigungen und Leidenschaften, selbst das Unangenehme, in so fern wir es mit Heftigkeit verabschenn, dahin gehört alles neue Ueberraschende214, was die Aufmerksamkeit und den Trieb nach Gedankenbeschäftigung unterhält, dahin gehört alles, was den Verstand zum Forschen auffordert, dahin endlich alles, worüber die Vernunft staunt. Aus diesen mannichfaltigen bestimmten Gegenständen, an welchen das Schöne dargestellt wird, ergeben sich verschiedene Modificationen des Schönen, von denen wir oben sprachen. Da das Schöne oft mehr wegen seiner Lebendigkeit oder wegen seiner die Sinne reitzenden und rührenden Kraft bey dem Menschen Aufmerksamkeit findet, als wegen seiner idealen wesentlichen Form, so ist es begreiflich, warum die Menschen die Untergattungen des Schönen so oft nach subjektiven Empfindungen benennen, und ihm blos Prädikate beylegen in Verhältniß auf unsere sinnliche Natur oder unsern Verstand, z. B. angenehm, interessant u. s. w. Doch die Lust, die aus den Reitzmitteln zum Schönen in Absicht auf Sinne und Verstand entsteht, ist von der eigentlich geistigen Lust zu unterscheiden, welche bey der Begeisterung statt findet. Letztere bewirkt ein Gefühl der Seligkeit, ist also völlig uninteressirt und erweckt in uns das Bewußtseyn von Einheit des Geistes und der Natur. Die Art übrigens, wie die Gedanken und bestimmten Begriffe gewählt, gereiht, in einander gedrängt, (z. B. beym Starken) ausgedehnt (beym Großen, Sanften u. s. w.) werden, giebt für die ästhetische Form das, was man mit den Rhetorikern (jedoch in etwas anderer Bedeutung) figurae sententiarum oder schemata nennen könnte, indem dadurch eine oder eine andere näher bestimmbare Vernunftidee215 dargestellt wird. Hieraus entspringen, wie wir gesehen haben, die Untergattungen des Schönen.

§. 9.

Aufgabe. Vorausgesetzt, daß eine rationale Bewußtseynslehre die beym Bewußtseyn zusammenwirkenden aber an sich verschiedenen Geisteskräfte mit absoluter Nothwendigkeit deducirt, hiernächst die Stammbegriffe, nach denen alle denkbare Gegenstände zu betrachten sind, festgesetzt hätte: 1) das Verhältniß des Schönen zu jeder dieser verschiedenen Geisteskräfte, 2) die Eigenschaften des Schönen nach jenen Stammbegriffen, und 3) nach dem hierdurch bestimmten Wesen des Schönen die nothwendigen Untergattungen desselben a priori erschöpfend anzugeben.

Anmerk. 1. Bisher haben wir zwar gesehen, daß die empirische Betrachtung des Schönen auf gewisse höchste Grundsätze hinweise, aus denen sich sowohl das Schöne überhaupt, als auch seine Eigenschaften und Gattungen im Allgemeinen herleiten lassen, wir haben uns aber im Einzelnen bey der Erklärung des Schönen mehr an die Beyspiele gehalten und die analytische Methode befolgt. Wäre die im § aufgestellte Voraussetzung erfüllt, müßte sich die Lehre vom Schönen synthetisch und völlig systematisch aufstellen lassen, wornach die empirischen ästhetischen Theorieen ihre216 einzelnen Betrachtungen ordnen könnten. Allein die Voraussetzung ist noch nicht erfüllt, und so kann Aesthetik und Poetik nicht anders als noch höchst unvollkommen seyn. Das Folgende mag als ein Versuch gelten, die Seelenkräfte, die Vernunftideen und Kategorieen aus dem Absoluten zu deduciren.

Anmerk. 2. Die empirische Psychologie zeigt vier Thatsachen auf in dem Bewußtseyn unsers zufälligen Daseyns. 1) Ein Begehrungsvermögen, ein mit Spontaneität sich äußerndes Streben nach einem Zustande, der zum Bewußtseyn, das heißt, zu einer Selbstanschauung, oder Selbsterscheinung werden könnte. 2) Ein in Raum und Zeit empfindendes (in sich findendes) d. h. anschauendes Vermögen, ein passives Bewußtseyn unsers innern und äußern Zustandes, wo dem Jch ein Gegenstand, oder das Jch sich selbst erscheint. 3) Ein begreifendes, vergleichendes, verbindendes Vermögen, welches mit Spontaneität Anschauungen unter Begriffen anerkennt, die Begriffe mit einander vergleicht und dann mit einander nothwendig verbindet, das heißt, verknüpft. 4) ein bestimmendes Vermögen, das die absolut nothwendigen Gründe vernehmen will, warum überhaupt begehrt, angeschaut und verstanden wird. Die erste Thatsache giebt den Willen im weitsten Sinne des Worts. Die zweyte Thatsache giebt das sinnliche Vorstellungsvermögen, wozu auch Erinnerung gehört. Die dritte den Verstand, als das begreifende, reflectirende217 und urtheilende d. h. Begriffe zur Einheit verbindende Vermögen. Die vierte die Vernunft, als das aus Gründen schließende und die letzten Bestimmungsgründe aufsuchende Vermögen. So lange der Mensch noch sich an die instinktmäßige Natur hält, und nur als das edelste Thier auf der Erde erscheint, ist er sich auch nur der drey ersten Thatsachen bewußt, er empfindet das Angenehme des Lebens in sich und den angeschauten Gegenständen, sucht von eben diesem Lebensinstinkt der Natur getrieben Veränderung, vergleicht und verbindet Vorstellungen, wie das Thier und wie die Kinder, verknüpft auch wohl Gedanken mit dem Gefühle der Nothwendigkeit, aber er vernimmt sich noch nicht, er strebt noch nicht zu wissen, warum er ist, und das was ihn umgiebt. Wenn im höhern Welt = und Menschenalter der Mensch von der Herrschaft des Jnstinkts sich losreißt, so ist er nicht mehr zufrieden, daß er empirisch ist, er will wissen, d. h. aus nothwendigen Gründen a priori urtheilen, warum er ist und die Welt, er will jeden Gegenstand a priori nothwendig und allgemein seinem Wesen nach erkennen. Die empirische Psychologie, die den Menschen als zufällige Erscheinung beobachtet, bemerkt also in ihm ein Streben über die Natur und sich selbst hinauszuforschen nach den Gründen der Dinge, welches Metaphysik heißt. Die Metaphysik ist das Streben der speculirenden Vernunft, die letzten Bestimmungsgründe der Dinge und des Daseyns in erkennbaren Gegenständen außerhalb des Menschen zu suchen, eine sogenannte Wissenschaft, welche sich wegen der Widersprüche218, in die sie sich dabey verwickelt, vor der Logik als Jrrthum beweist. Die empirische Psychologie schließt also ihre philosophischen Betrachtungen mit einer Geschichte der metaphysischen Systeme, mit kritischen und sceptischen Bemerkungen und überläßt es dem Schicksal, ob der Mensch, der sich mit seinem Jnstinkte entzweyt hat, einen andern nothwendig bestimmten absoluten Grund zum Daseyn und Handeln finden werde, oder gefunden habe. Offenbarung ist die Thatsache der erweckten Vernunft, mittelst welcher das allgemein und nothwendig Bestimmende sich nicht außerhalb, sondern in der Menschheit selbst ankündigt, indem es den vom Jnstinkt getrennten und zum Vernehmen aufstrebenden Menschen beseelt, über sein zufällig Jndividuum erhebt und in das allgemein gesetzliche Daseyn aufnimmt. Das absolut nothwendige oder was dasselbe heißt gesetzliche Wesen offenbart sich dem Menschen als ein solches, welches durch das menschliche zufällige Daseyn etwas Gesetzliches (Jdeales) wirken, d. h. anschaulich und begreiflich realisiren will, und es ergeht daher ein Jmperatif oder Aufruf an die sinnliche Natur des Menschen, die innere Gesetzlichkeit in seinem Geiste nicht mit dem Verstande zu begreifen, denn sie ist unbegreiflich, sondern mit der Vernunft zu vernehmen. Sobald der Mensch sich dieses Jmperatifs oder Aufrufs zum gesetzlichen Leben bewußt wird, entsteht in ihm das absolut nothwendige d. h. verpflichtende, in die Pflicht aufnehmende Bewußtseyn, welches Gewissen heißt. Der Mensch gehört,219 wenn er die Stimme vernimmt, dem gesetzlichen Wesen an, und fühlt sich nun durch diese Aufnahme verbunden, welches das Gefühl der Religion ist. Wenn das nicht blos negative und verbietende, sondern zum Handeln antreibende, alles Wissen und Handeln bestimmende Gewissen nun an die Spitze des Wissens gestellt wird, so entsteht daraus eine rationale Psychologie, nach welcher sich die Thatsachen der empirischen Psychologie erklären, absolut nothwendig deduciren, die Seelenkräfte a priori eintheilen lassen, was bisher noch nie geschehen ist. Als Satz ausgedrückt, der in einem System der reflektirenden oder theoretischen Philosophie oben an stünde, wär der Offenbarungsimperativ folgender. Das instinktmäßige Leben wird vom absolut nothwendigen Wesen aufgefordert zu wirken, anzuschaun, zu begreifen, auf das ihn zur Wirksamkeit Auffordernde wieder zu reflektiren, und so am Bewußtseyn der absoluten Gesetzlichkeit Theil zu nehmen. Weil also das absolut nothwendig gesetzliche Wesen durch den Menschen wirken und das Jdeale darstellen will, so weiß der Mensch, warum er 1) einen Willen habe, um das Gesetzliche an dem Realen darzustellen und hervorzubringen. Der Wille erscheint nun nicht mehr als bloßes Begehrungsvermögen, sondern als der formende gesetzliche Wille Gottes. 2) Warum der Mensch ein Empfindungsvermögen habe, um das Gewirkte anzuschauen, um es mit dem Gesetzlichen vergleichen zu können. Dieses Anschauungsvermögen, das als ein Streben vom absolut Nothwendigen ausgeht, erscheint nun nicht mehr als ein blos leidendes220, empfangendes, bloße Sinnlichkeit, sondern als Phantasie, als ein Werden des Realen oder Wesentlichen unter der Form des Willens. 3) Warum der Mensch ein begreifendes, vergleichendes und urtheilendes Vermögen habe, um das, was geschehen ist, nach dem, was geschehen soll, zu messen, dieses erscheint nun nicht mehr als ein bloß begreifendes, in einzelnen Fällen urtheilendes Vermögen, als Verstand, sondern als vollendete, allgemein gültig nothwendige Urtheilskraft, die das hervorgebrachte Reale dem Jdealen unterwirft. 4) Warum er eine Vernunft habe, um die innerliche absolute Gesetzlichkeit im Bewußtseyn zu vernehmen. Diese Vernunft erscheint nun nicht mehr als ein blos speculirendes, sondern als ein bestimmendes und das Bewußtseyn zusammenhaltendes Vermögen. Das Absolute oder Jdealische kündet sich also an mittelst der vier Seelenkräfte, die es bestimmt, 1) als formend, 2) als Quell des Anschaulichen, 3) als allgemein urtheilend, 4) als absolutes Bewußtseyn. Die Seelenkräfte weisen also hin auf die vier Vernunftideen, die wir schon oben §. 8. Anmerk. 1. aufgestellt haben, unter denen das Absolute sich darstellen will, 1) auf eine absolute Caussalität, als Grund des formenden, 2) auf eine absolute Substantialität, als Grund des materiellen, 3) auf eine absolute Totalität, als Grund des begreifenden und verknüpfenden, 4) auf ein absolutes Selbstbewußtseyn des gesetzlichen Wesens, welches sich in seinen Wirkungen selbst erscheint und die vorhergehenden Jdeen alle vereinigt. 221Der Verstand, der das Amt hat das Reale oder anschaulich und begreiflich Gewirkte unter das Jdeale zu subsumiren, muß erstlich die Fähigkeit haben, ein Reales anzuerkennen, d. h. durch Abstraction ein Objekt zu construiren, zweytens die Fähigkeit zu vergleichen, zu reflectiren, über das Verhältniß vom Realen und Jdealen, drittens die Fähigkeit zu urtheilen über dieses Verhältniß. Daher hat der Verstand nothwendig 1) ein setzendes Vermögen, das durch Abstrahiren von Anschauungen durch Begriffe ein Objekt setzt, 2) ein entgegensetzendes Vermögen, 3) ein zusammensetzendes Vermögen. Da das Jdeale sich selbst unter vier Rücksichten zu erscheinen sucht, der Verstand aber das Reale unter das Jdeale subsumirt, so wird er auch das Reale in vier Rücksichten betrachten. Zuerst wird er das Etwas nach der ihm eigenthümlichen Vernunftidee der Totalität und Allheit messen, und das bestimmte Verhältniß des Gegenstandes zu diesem Maaßstabe dessen Quantität nennen, wobey er denn, vermöge seiner drey Handlungsweisen, a) auf Einheit (Thesis), b) Vielheit (Antithesis), c) Vollständigkeit (Synthesis) (der Ausdruck Allheit, den Kant braucht, ist kein Verstandesbegriff mehr) sehen wird. Zweytens wird er das Etwas nach der Vernunftidee der Substantialität messen, und das Verhältniß des Gegenstandes zu diesem Maaßstabe dessen Qualität nennen, wobey er denn a) auf Realität (Thesis), b) Negation (Antithesis) und c) Einschränkung des Wesens (Synthesis) Rücksicht nehmen wird. Drittens222 wird er das Etwas nach der Vernunftidee der absoluten Causalität messen, und das Verhältniß des Gegenstandes zu diesem Maaßstabe bestimmen, welches man die Relation des Gegenstandes nennen kann. Er wird den Gegenstand blos einzeln setzen, a) ob er der Caussalität nach überhaupt ein formendes (subsistentes) oder ein geformtes (inhärirendes) Ding sey, (Thesis); (Kants Ausdruck Substanz ist wiederum kein Verstandesbegriff, sondern eine Vernunftidee. ) b) oder er wird dem Gegenstande, ist er Ursache, die Wirkung, ist er Wirkung, die Ursache entgegensetzen und beyde in Verhältniß ansehen (Antithesis), oder c) er wird jeden von zwey Gegenständen, indem er ihn einzeln als subsistirend setzt, ihn auch als inhärirend setzen und umgekehrt, (Synthesis) (Wechselwirkung.) Endlich wird er das Etwas nach der Vernunftidee des gesetzlichen Selbstbewußtseyns im Realen messen, welche Verstandeshandlung die Kategorien der Modalität giebt. Erst wird der Verstand den realen Gegenstand blos als im denkenden Bewußtseyn enthalten setzen und erkennen, daß er im Bewußtseyn eines gesetzlichen Wesens seiner Form nach enthalten seyn könne, (möglich, Thesis.) Dann wird er ihn auch als solchen betrachten, der noch durch begreifliche Anschaulichkeit von der Form des gesetzlichen Wesens verschieden ist, (wirklich. Antithesis.) Dann wird er erkennen, daß das Wirkliche im Gegenstande auch möglich, und das Mögliche für das Bewußtseyn auch wirklich seyn müsse, im Fall es überhaupt etwas Mögliches und Wirkliches d. h. einen Gegenstand giebt, (Synthesis)223 in so fern bekommt der bestimmte Gegenstand eine hypothetische Nothwendigkeit. Die Jdee der absoluten Nothwendigkeit ist aber kein Verstandesbegriff mehr, sondern das Bewußtseyn des gesetzlichen Wesens selbst, mithin die vierte Vernunftidee. Jn Ansehung des absoluten Bewußtseyns des gesetzlichen Wesens ist jeder Gegenstand, den der Verstand darnach beurtheilt, möglich, wirklich, hypothetisch nothwendig. Mehr Ausdrücke für die Kategorieen der Modalität giebt es nicht. Was die Correlata Unmöglich, Nichtseyend, Zufällig, in der Kantischen Kategorieentafel wollen, läßt sich nicht einsehn. Kategorieen erklärt Kant selbst (Kritik der reinen Vernunft S. 128.) als Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Functionen zu urtheilen als bestimmt angesehn wird. Hätte Kant die Definitionen der einzelnen Kategorieen, der er sich nach S. 108. geflissentlich überhoben hat, aufgestellt, so würde daraus erhellen, daß die drey Correlata nicht zu den Kategorieen gehören. Sie haben auch kein Schema. Unmöglichkeit einen Begriff zu nennen ist ein Widerspruch in adiecto. Was nicht denkbar ist, kann auch nicht Gegenstand, also auch nicht Begriff werden. Unmöglichkeit ist das Gegentheil von dem absolut Nothwendigen, mithin deutet dies Wort auf keinen Begriff, sondern auf die vierte Vernunftidee. Eben so ist auch das Nichtseyn kein Begriff, denn es kann keinem Gegenstande als solchem zukommen, die Negationen in der zweyten Hauptkategorie deuten doch auf etwas Be =224 stimmbares, welches fehlt, und in so fern hat dieser Urbegriff eine Materie, aber das Nichtseyn hat gar keine Materie, ist also nie ein Begriff zu nennen, negative Eigenschaften sind Begriffe, aber das Nichts ist der Gegensatz der Vernunftidee der Totalität, und das Wort deutet wiederum auf die umgekehrte Vernunstidee des absoluten Seyns, oder der Substanz. Eben so endlich ist auch zufällig kein Begriff, sondern der Gegensatz einer Vernunftidee, nämlich der absoluten Gesetzlichkeit. Selbst das hypothetisch Nothwendige ist zufällig, wenn man es mit dem Absoluten vergleicht, d. h. das absolut Gesetzliche bedarf keines besonders bestimmten Gegenstandes, sondern allein eines Gegenstandes für die Gesetzlichkeit überhaupt. Materie und Form sind beyde gleich zufällig in jedem besonders bestimmten Gegenstande, wiewohl sie beyde einander nothwendig voraussetzen. Absolut nothwendig ist blos die Gesetzlichkeit, die sich in einem Gegenstande überhaupt bewußt werden will. Ein Gegenstand überhaupt ist aber kein Verstandesbegriff mehr, sondern die Vernunftidee der Totalität, die dem Verstande zum Grunde liegt. So weit die Deduction der Kategorieen, welche die Wahrheit der Kantischen Kategorieentafel bis auf wenige Abänderung zu begründen scheint. Eben so leicht müßte es nun der rationalen oder wenn man lieber will transcendentalen Bewußtseynslehre werden, die Formen der Anschauungen und die auf Vernunftideen sich gründenden metaphysischen Systeme erschöpfend anzugeben, und so eine Kritik der Metaphysik und Philosophie aus dem Standpunkte225 der Offenbarung zu unternehmen, welche der Kantischen ganz ähnlich, aber für den Glauben dem Ausdruck ihrer Resultate nach nicht so trostlos erscheint. Wir wollen nur folgendes, was uns in der Poetik von Nutzen seyn wird, davon bemerken. Da nach dem Satze des sich offenbarenden Gewissens das gesetzliche Wesen uns aufruft, des absoluten Seyns uns bewußt zu werden, indem wir Anschauungen der Gesetzlichkeit hervorbringen, und so aus der instinktmäßigen Natur in die höhere, göttliche überzugehen, dieser Aufruf aber praktisch ist, so ist mit dem Aufruf zum Handeln oder zur gesetzlichen Caussalität ein Uebergang aus dem Seyn in ein künftiges Werden, mithin die Zeit als erste Anschauungsform für die Reflexion erweislich gegeben. Da aber etwas von der gesetzlich werdenden Form Unterscheidbares producirt werden soll, an dem sich die Gesetzlichkeit zeige, so erscheint dieses Unterscheidbare neben und außer der Gesetzlichkeit als parallel mit der gesetzlichen Caussalität, und giebt die Form der äußern Anschauung, welche Raum heißt. Weil diese Aufforderung zum Handeln, das heißt Darstellen der Gesetzlichkeit, sich als absolut nothwendig offenbart, also nicht weggedacht werden kann, so folgt daraus, daß die Formen der Zeit und des Raums als ein Mannichfaltiges, als unbestimmbare und unbegrenzbare Continua der strebenden Anschauungskraft erscheinen müssen, in denen sich das Gesetzliche nie ganz darstellen kann. Der Verstand, welcher das anschaulich Gewordene begreifen, das Gesetzliche darin verstehen, und mit dem226 noch nicht realisirten oder geforderten Gesetzlichen vergleichen soll, wird die gewordenen Objekte unter immer allgemeinere Formen der Gesetzlichkeit subsumiren, und in der Reflexion des Wissens die höchste absolut nothwendig geforderte, also weil sie nothwendig d. h. immer gefordert wird, äußerlich nie ganz anschaulich darstellbare Gesetzlichkeit selbst als Objekt zu erkennen, zu verstehen suchen, ungeachtet sie als immer nur gefordert und für die gesetzliche Canssalität aufgegeben nie ein bedingtes Objekt der Reflexion werden kann. Da nun das Unbedingte in vier Rücksichten durch die Wesen, die es zum Handeln in Pflicht nimmt, sich darstellen will, so wird der Verstand vier Objekte als die höchsten außer sich zu erkennen suchen, eine absolute Caussalität (Freyheit), eine absolute Substantialität (Unsterblichkeit), eine absolute Totalität (Weltall), ein absolutes gesetzliches Selbstbewußtseyn (Gott). Jndem er diese vier Objekte erkennen, demonstriren und so das Unbedingte bedingen will, wird er mit der Phantasie oder dem strebenden Anschauungsvermögen in Streit gerathen, weil dieses immer noch mehr Anschauliches aufzeigen wird, als jene vermeynten Begriffe in der Reflexion enthalten, und so werden die vier Antinomieen entstehen. Es wird also nur erkennbare Objekte innerhalb der Anschauungsformen geben (Phaenomena). Das absolut nothwendige praktische Objekt wird das einzige Noumenon seyn, welches in der begreiflichen Anschauung (erkennbaren Realität) nie vollendet wird. Jndem also die Offenbarung uns in die höhere Natur des gesetzlichen Wesens aufnimmt, das227 uns zum Bewußtseyn der Gesetzlichkeit durch unsre Handlungen erheben will, so lernen wir, durch sie beseelt, das absolut Nothwendige im Subjekt, nicht außer uns suchen, und die metaphysischen Systeme des reflektirenden Verstandes, die das Unbedingte objektiv erkennbar demonstriren wollen, mit der absolut nothwendigen Urtheilskraft kritisiren. Solcher Systeme, die der Verstand versucht, oder die speculirende fälschlich sogenannte Vernunft, die nicht Offenbarung ist, giebt es nun nicht mehr wie drey, da ein System nach der Jdee der Totalität aufgeführt wird, diese aber drey Kategorieen giebt. Entweder der Verstand erklärt alles aus der Einheit des Objekts (das denkende Subjekt objektiv genommen), Idealismus, oder aus der Vielheit der Objekte, Materialismus, oder aus Einheit in der Vielheit, ἑν και πᾶν, Spinozismus. Alle andern lassen sich auf eines dieser drey zurückbringen, und sind inconsequent, wenn sie dazu nicht gehören wollen, wie sie denn alle überhaupt falsch und müßige Hirngespinnste der Reflexion sind. Jede Kritik und Skepsis, die sich nicht auf die Anerkennung der Offenbarung gründet, ist ebenfalls eine inkonsequente und müßig raisonnirende blos empirische Philosophie. Wenn man auf diesem Wege die rationale Bewußtseynslehre wissenschaftlich vollendet haben wird, so wird man auch eben so leicht die übrigen drey Kapitel der Ontologie oder Philosophia prima (Seite 22.) wissenschaftlich begründen können. Der reflektirende Verstand wird alles anschaulich Begreifliche, das er dem absoluten Bewußtseyn228 als real entgegensetzt, für bewußtlos, aber nach Kräften, die vom absoluten Bewußtseyn dependent sind, wirkend halten müssen. Mit Hinweglassung der Jdee des Selbstbewußtseyns, welche der Psychologie eigen ist, wird die Reflexion nach Maaßgabe der drey Vernunftideen Caussalität, Substantialität, Totalität, und den ihnen analogen Seelenkräften, Wille, Phantasie, Verstand, aus zwey organisirenden Kräften (Reitz und Empfänglichkeit, Jrritabilität, Sensibilität, den (höhern und niedern) Organismus der lebenden sich selbst gesetzlich erhaltenden und reproducirenden Natur construiren, (welches für den Verstand die innere Wechselwirkung der Kräfte im Objekte oder die Relation darstellt) aus Expansion und Contraktion die Schwere oder die cohärirende Materie, (welches die Qualität der Objekte giebt) hieraus Länge, Tiefe und Breite, Linie, Zahl (welches die Quantität der Objekte geben wird) idealisch construiren. So wird eine rationale Physiologie, rationale Mechanik, rationale Mathematik entstehen und das System des idealen Wissens, der Ontologie, der Materialphilosophie vollendet seyn. Sind nun mit den vier Hauptrücksichten der Gegenstände idealisch construirte Objekte wissenschaftlich erkennbar, d. h. a priori zusammenhängend in allen Theilvorstellungen gegeben, so bietet die Ontologie materielle Prinzipien für alle empirischen Theorien dar. Diese Prinzipien der reinen Wissenschaft auf die Erfahrung angewandt, werden aber im Felde der Erfahrung blos Hypothesen bleiben, weil die letzte Nothwendigkeit,229 auf der sie beruhen, für die Reflexion objektiv nicht dargestellt werden kann, die Erfahrungstheorieen aber nur objektiv erkennbare Phänomena berücksichtigen. Jndessen haben jene Prinzipien der idealen reinen Wissenschaft einen regulativen Gebrauch, und es ist bewundernswürdig, daß die Erfahrungstheorieen sich empirisch eben so auf vier Rubriken bringen lassen, (S. 22.) wozu die reine Wissenschaft vier construirte Objekte giebt. Wie wir analytisch S. 19. von den empirischen Kenntnissen bis zu einer postulirten letzten Nothwendigkeit aufsteigen, so sind wir hier synthetisch von dem letzten Grundsatze der Nothwendigkeit auf das Empirische herabgekommen, und da sich hier und dort dergleichen Resultate ergaben, so erweist der Erfolg, wie durch eine Probe, daß richtig gerechnet war. Daß die Anwendung der Mathematik auf die Erfahrung am wenigsten Fehler giebt, entsteht daraus, daß die Phänomena hier am meisten abstrakt und ideal betrachtet werden, indem nur ihre Größe in Raum und der Zeit berücksichtiget wird, welches sich schon der blos idealen Construction mehr nähert. Jndessen muß die Mathematik, wenn sie auf Astronomie und Physik angewandt wird, ihre Schwächen ebenfalls gestehen, und ihre gerühmte Evidenz, wie Neuwton sehr gut einsah, ist ohne eine Ontologie auch ganz ohne Haltung, welches sich besonders in den Definitionen von krummer und gerader Linie, in Bestimmung der Dimensionen des Raumes, und in dem Parallelensatze zeigt.

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§. 10.

A) Auflösung des ersten Theils der im vorigen § enthaltenen Aufgabe, das Verhältniß des Schönen zu den vier Kräften, welche nach dem Offenbarungsimperativ das Bewußtseyn hervorbringen, a priori zu bestimmen.

1) Da der reflektirende Verstand keinen Gegenstand aufweisen kann, der den absolut nothwendigen mithin permanirenden Anforderungen des gesetzlichen Willens Genüge leistete, sondern das Jdeale ein ewiges Noumenon bleibt, so wird kein Produkt in der Erscheinungswelt den Zweck des gesetzlichen Willens ganz ausdrücken. Da aber dieser gesetzliche Wille überhaupt, in so fern er sich auch noch nicht willkührlich an einzelne bestimmte Begriffe bindet, mit Bewußtseyn d. h. mit vorhergehender anschaulicher Vorstellung eines Zwecks wirken soll, diese aber nur aus der Erscheinungswelt zu erhalten ist, so muß der gesetzliche Wille das Unbedingte, das durch ihn realisirt werden soll, in voraus, wenn auch nicht als Objekt erkennen, doch als unbestimmbaren Zweck seiner Handlungsweise mittelst der Reflexion sich vorstellen können. Diese Vorstellung ist nicht anders zu erhalten, als durch einen unbestimmten Wiederschein seiner gesetzlichen unendlichen231 Wirksamkeit, als einer Zweckmäßigkeit überhaupt, an den bestimmten Objekten. Sein gesetzliches Streben nach Produktionen unter dem Schema dieses Wiederscheins heißt Liebe, und dieser Wiederschein des zweckmäßigen Schaffens ist ein Jngredienz des Schönen. Objekte, an denen dieser Wiederschein gefunden wird, sind schöne Objekte.

2) Da die Reflexion keinen Gegenstand darstellen kann, der der absolut nothwendigen in der Zeit continuirlichen Aufforderung das gesetzliche Seyn, oder die Substantialität als ein Werden anschaulich zu machen Genüge thät, man sich aber der gesetzlichen Substantialität in der Erscheinungswelt als einer Vorstellung bewußt werden soll, um sich nicht in den bestimmten Objekten zu verliehren, so muß für die Reflexion zwar kein Objekt, aber ein Wiederschein an den Objekten als ein unbestimmbar d. i. unendliches gesetzliches Werden überhaupt entstehen. Das Streben der Phantasie, oder des von der absoluten Substantialität ausgehenden Anschauungsvermögens unter dem Schema dieses Wiederscheins heißt Begeisterung, und dieser Wiederschein, das gesetzliche Werden selbst ist ein Jngredienz des Schönen. Objekte, die es darstellen, sind schöne Objekte.

232

3) Da die Reflexion keinen Gegenstand darstellen kann, der die absolute Anforderung, eine gesetzliche Totalität darzustellen, erfüllte, man sich aber dieser Totalität bewußt werden soll, um eine vollkommene Vergleichung zwischen dem Gewirkten und noch zu Wirkenden anstellen zu können, so muß in der Erscheinungswelt ein Wiederschein von der unendlichen Begreifbarkeit überhaupt entstehen können. Das Streben des Verstandes nach Begriffen unter dem Schema dieses Wiederscheins ist der ästhetische Gedanke, und dieser Wiederschein des gesetzlichen Denkens selbst ist ein Jngredienz des Schönen. Objekte, die ihn darstellen, sind schöne Objekte.

4) Da die Verstandsreflexion nicht hinreichend ist, eine völlige Selbstanschauung, Selbstbewußtseyn des gesetzlichen Wesens in uns durch die Objekte außer uns zu Stande zu bringen, wie sie doch absolut nothwendig fortdauernd gefordert wird, so muß, um dieser Forderung Genüge zu thun, im Bewußtseyn ein Wiederschein von der Uebereinstimmung des unbestimmbaren Objekts und unbestimmbaren gesetzlichen Subjekts entstehen können. Die Erhebung der Vernunft zu Jdeen unter dem Schema dieses Wiederscheins heißt der Glaube, ein233 mit nothwendiger Lust verbundenes Vorgefühl der absoluten Wahrheit, ein Vorschmack der Seligkeit. Dieser Wiederschein der gesetzlichen Harmonie heißt das Schöne. Objekte, die sie darstellen, sind schöne Objekte.

Die Stimmung des Schönen im Subjekte ist demnach in Ansehung des gesetzlichen Willens eine Aeußerung der Liebe, in Ansehung der Phantasie eine begeisterte Anschauung, in Ansehung des Verstandes ein ästhetisches Nachsinnen oder Begreifenwollen, für die Vernunft ein Zustand des Glaubens. Das Schöne als ein Etwas an den Objekten ist in Absicht auf den gesetzlichen Willen eine unbestimmte Zweckmäßigkeit, in Absicht auf die Phantasie ein unbestimmtes und doch für die Vorstellkraft faßliches Werden, in Absicht auf den Verstand ein unbestimmtes und doch der Begreifbarkeit gemäßes Ganzes, in Absicht auf die Vernunft ein Gegenstand, der den Glauben an eine Harmonie des Subjektiven und Objektiven erweckt. Jm Künstler, dessen Wille das Schöne hervorbringen soll, erregt es also eine genialische Liebe, im Kunstpublikum, dessen Phantasie dafür empfänglich seyn soll, erregt es Enthusiasmus es anzuschaun, im Kritiker, dessen Ver =234 stand es begreifen will, Geschmack als Urtheilskraft, und den vernünftigen Menschen, der die Synthesis von den vorigen dreyen seyn sollte, stimmt es zur religiösen Andacht. Der Künstler sehnt sich den Schein hervorzubringen. Der Mensch liebt den Schein als Mittel zur Darstellung der Wahrheit.

B) Auflösung des andern Theils der im vorigen § enthaltenen Aufgabe: das Schöne als ein unbestimmbares Objektive in der Erscheinungswelt nach den Kategorien a priori zu bestimmen.

Da das Schöne als etwas Objektives erscheint, so muß es sich für die Reflexion nach den Unbegriffen der Objekte überhaupt bestimmen lassen. Nach der Quantität, es ist keine Einheit, denn es ist als Objekt unbestimmt, es ist keine Vielheit, denn es ist ein auf die Einheit hindeutendes Etwas an Objekten, es ist auch keine Vollständigkeit, denn der Verstand kann seine Theile weder zählen noch nothwendig fassen. Es liegt aber zwischen der Einheit und Vielheit, als eine Erscheinung von der Vernunftidee der Allheit. Man kann also sagen: das Schöne ist der Quantität nach etwas Unendliches im Endlichen.

235

Nach der Qualität ist das Schöne keine Realität. Denn es ist eine unbestimmte Anschauung, eben deswegen lassen sich auch keine Bestimmungen angeben, die ihm fehlen (Negationes), und es ist kein beschränktes Wesen. Aber es liegt zwischen dem Reellen und dem was noch fehlt (den Negationen, dem Jdealen) in der Mitte. Es ist eine Erscheinung von der Vernunftidee der Substanz in der Zeit. Man kann also sagen: das Schöne ist der Qualität nach die werdende Anschauung (Erscheinung) des Jdealen (der Negation) im Realen.

Nach der Relation ist das Schöne nichts Subsistirendes, denn es erscheint an bestimmten Objekten, nichts blos Jnhärirendes, denn es besteht, als von den bestimmten Objekten unterschieden, für sich, es steht zu den bestimmten Objeken weder im Verhältniß der Ursache noch der Wirkung, das als nothwendig angegeben werden könnte. Es ist aber auch zwischen ihnen keine bestimmte Wechselwirkung. Es liegt zwischen den zwey ersten Kategorieen in der Mitte, als eine Erscheinung von der Vernunftidee der Totalität. Man kann sagen: das Schöne ist der Relation nach zu den Objekten, an denen236 es dargestellt wird, eine unbegreifliche Vollkommenheit.

Nach der Modalität ist das Schöne nicht blos etwas Mögliches, denn es ist in der Erscheinungswelt, auch nicht blos etwas Reales, denn es enthält mehr als das wirklich Erkennbare, es enthält auch das noch zu Erkennende. Es liegt zwischen beyden in der Mitte. Es ist keine hypothetische Nothwendigkeit in ihm, da es weder als Form noch als Materie nach einem Begriffe bestimmt ist. Es ist eine Erscheinung von der Vernunftidee des absolut nothwendigen und gesetzlichen Selbstbewußtseyns durch die Objekte. Man kann sagen, es ist der Modalität nach die Harmonie des Möglichen und Wirklichen, des Subjektiven und Objektiven im Bewußtseyn, oder das Gefühl der absoluten Wahrheit.

C) Auflösung des dritten Theils der im vorigen § enthaltenen Aufgabe.

1) Die Untergattungen des Schönen a priori zu bestimmen.

Zum Selbstbewußtseyn der Gesetzlichkeit zu gelangen, oder zum Bewußtseyn in das freye gesetzliche Wesen aufgenommen zu seyn, ist die in dem Offenbarungsimperativ237 enthaltene Anforderung. Dies soll durchs Handeln d. h. produziren von etwas objektiv Anschaulichem geschehen, das der subjektiven Gesetzlichkeit gemäß sey. Da nun der Verstand durch Vergleichung des Objektiven mit dem Subjektiven ein solches Selbstbewußtseyn nicht vollenden kann, indem kein bestimmtes Objekt das Geforderte darstellt, so entsteht ein Bedürfniß zu einem Zustande des anschaulichen Glaubens an die Möglichkeit des unendlich Geforderten sich bewußt zu werden. Ohne diesen Glauben ist niemand selig, durch ihn (als fortdauernder Triebfeder) sollen die Werke geschehen. Dieser Glaube, nach dem, zugleich mit dem religiöfen Gewissen ein Bedürfniß entsteht, ist das Vertrauen, daß alles Geforderte auch wirklich seyn könne, indem die Kräfte, welche das Bewußtseyn hervorbringen, als harmonisch wirkend, als dem Grund nach identisch vorgestellt werden. Nun findet sich in der Erfahrung das Schöne, welches das Bedürfniß zum Glauben befriedigt, als ein anschauliches Gefühl von der Harmonie alles Objektiven und Subjektiven. Also congruirt der a priori postulirte Glaube mit dem Schönen, welches sich zuerst als blos empirische Thatsache im Bewußtseyn findet. Das Wesen des Schönen ist demnach wie der Glaube238 a priori bestimmt, als eine Aufhebung jedes Gegensatzes im Bewußtseyn, als eine völlige Jndifferenz in Ansehung seiner Factoren. Es giebt sonach eigentlich nur Ein Schönes.

Da aber das sich offenbarende religiöse Gewissen den Menschen auffordert zu leben, d. h. zu wirken, anzuschauen, zu begreifen, um sich der absolut nothwendigen Gesetzlichkeit bewußt zu werden, so sieht man schon a priori, daß es Grade geben müsse, welche der Mensch zu durchgehen hat, eh er zu dem höhern Bewußtseyn gelangt. Das Leben, als das Mittel zum Zweck, wird nach einem dunkeln Gefühle, auch vor der völlig erwachten Vernunft schon, einen Werth für ihn haben. Es wird sich ihm selbst unter der begrifflosen Form der werdenden Gesetzlichkeit ankündigen, und so muß das Gefühl des niedern Schönen entstehen, welches statt findet, ohne daß noch ein Gegensatz vom Jnstinkt und Freyheit oder höherm Seyn im Bewußtseyn gemacht ist.

Mit völlig entwickelter Vernunft verläßt der Mensch die Objekte und das angeschaute niedere Leben, als unzureichend, die innere Form der selbst bestimmenden Gesetzlichkeit auszudrücken, und befindet sich in der Reflexion in einem beständigen Widerspruche mit239 der instinktmäßigen Natur, bis das Gefühl des höhern Schönen diesen Widerspruch aufzuheben sucht.

Je nachdem das Schöne übrigens, es sey höherer oder niederer Art, mehr die Wirksamkeit einer oder der andern von den gesetzlich sich äußernden Seelenkräften darstellt, welche das Bewußtseyn begründen, je nachdem kann es besondere Gattungen bilden. So bezieht sich das Heftige und das lebendig Schöne auf den Willen, das Starke und das Sanfte auf die Anschauung des Seyns, das Große und Niedliche auf den Verstand, und das himmlisch Erhabene und Naive auf die Vernunft. Die erstern drey Gattungen sind mehr ein Streben das Schöne zu bilden. Jn den letztern Gattungen ist das Schöne vollendet und die meiste Jndifferenz. So wie die Vernunft die übrigen Seelenkräfte in sich auflöst und vereinigt, so ist auch beym himmlisch Erhabenen und Naiven nichts Ueberwiegendes mehr und die Schönheit erreicht hier in jeder Hauptart den höchsten Grad.

Anmerk. 1. Wenn das Schöne für den gesetzlichen Willen ein Gegenstand der Liebe ist, durch dessen Anschauung er zum Hervorbringen des Jdealen gestärkt wird,240 so erhellt hieraus die Wahrheit der Definition, die Plato von der Liebe giebt. Die Liebe in dieser Bedeutung ist gleichsam nur höherer Jnstinkt, der in uus rege wird, eine Genialität zum gesetzlichen Handeln. Jn so fern die Religion nicht blos das Gewissen in uns erwecken, sondern auch anschaulichen Glauben geben soll, das heilige Urwesen uns aber nie sich darstellt, weil es in einem Lichte wohnt, wo niemand hinkommen kann, so ist die Religion als Andacht ein Streben nach einem Wiederschein Gottes, mithin Liebe. Es erhellt also, warum der Stifter der einzig wahren Religion uns befiehlt, Gott über alles zu lieben. Die Philosophie, welche nie tiefer sinkt, als wenn sie die Religion meistern will, hat besonders neuerlich den Ausdruck Liebe als unwürdig für die Religion finden wollen, und eine blos gerechte Weltregierung gepredigt. Aus dem Obigen erhellt die Falschheit dieser anmaßenden philosophischen Kritik.

Anmerk. 2. Der Glaube ist, wie aus dem Obigen erhellt, mit der Stimmung zum höhern Schönen nothwendig verbunden. Der Glaube, als kalte praktische Voraussetzung von Begriffen, die theoretisch leer gefunden werden, der Glaube, den Kant predigte, kann nie eine Religion begründen, weder Trost noch Kraft im Handeln geben. Aller Glaube ist ästhetisch, er ist das verbindende Mittelglied zwischen dem Theoretischen und Praktischen. Ohne ihn kann das religiöse Gewissen zwar rege seyn, aber ohne ihn ist keine religiöse Gemüthsstimmung241 bleibend. Wenn ein endliches Wesen wirken soll, muß es sich anschaulich von der harmonischen Wirksamkeit aller Kräfte im Bewußtseyn überzeugen können. Hieraus entsteht die einzige reine Lust, welche a priori jedes moralische Wesen, frey von allem niedern Jnteresse empfinden kann. Und diese Seligkeit des Glaubens ist mit der Lust am Schönen, welche selbst Kant für a priori bestimmbar erkennt, der Gattung nach einerley, wenn gleich im Grade verschieden. Hieraus fließt die Nothwendigkeit einer ästhetischen Liturgie bey Religionsübungen als eines Bedürfnisses für Aufgeklärte und Unaufgeklärte.

Anmerk. 3. Wie das Schöne seiner ästhetischen Form nach in Verhältniß steht zu den a priori bestimmten Seelenkräften, eben so steht es auch in Ansehung seiner Materie, der bestimmbaren Gegenstände, an denen es gefunden wird, in Verhältniß zu den sinnlich erscheinenden Seelenkräften, wenn diese blos als Thatsachen des empirischen Bewußtseyns angesehen werden. Der sinnlich afficirte Wille oder das Begehrungsvermögen sucht im Schönen die Reitzmittel des Lebens, das Angenehme. Die sinnliche Vorstellkraft sucht das anschaulich Unterhaltende, Ueberraschende, den Jdeenwechsel, das Romantische. Der blos empirische Verstand sucht im Schönen das Räthselhafte, das er begreifen will, das Jnteressante und Wahrscheinliche. Die spekulirende aber sinnliche Vernunft sucht im Schönen das Wunderbare. Hieraus sind die Benennungen des Schönen erklärbar,242 welche nicht auf rein ästhetische, sondern auf subjektive empirische Urtheile sich gründen, die wir Modifikationen des Schönen nannten. Die oben erwähnten Fehler beym Schönen, d. h. der mindere Grad des Schönen in jeder Gattung entsteht, wenn die Materie, z. B. das Angenehme, das Jnteressante u. s. w. die ästhetische Form überwiegt.

Anmerk. 4. Diejenigen, welche das Schöne als Einheit im Mannichfaltigen, als Unendliches im Endlichen definiren, betrachten dasselbe nach der Quantität, diejenigen, welche es als eine sinnlich ausgedrückte Vollkommenheit beschreiben, betrachten es nach der Relation. Als Objektiv muß es seiner Qualität nach blos definirt werden. Ein Wiederschein des Jdealen im Realen.

Anmerk. 5. Die Grade des Schönen folgen der Ordnung nach so: Das Niedliche ist der unterste Grad, mit dem man aus der bestimmten Verstandeswelt zu dem Gefühl des unbestimmt Zweckmäßigen übertritt. Dann folgt das Anschaun eines ruhigen gesetzmäßigen Seyns im Sanften. Dann das Anschaun einer gesetzmäßigen Bewegung in der Grazie. Dann das Selbstgefühl der Natur von ihrer schuldlosen Gesetzmäßigkeit im Naiven. Das Naive ist das Höchste, weil in ihm die andern Grade enthalten sind, die Grazie ist höher als das Sanfte, weil mit der Bewegung die Unbestimmtheit des Gefühls, die Unendlichkeit zunimmt. Beym243 höhern Schönen ist die Ordnung etwas anders. Dort steht die Bewegung (das Heftige) unten an, weil der Gegensatz der Natur und des Geistes nur gewaltsam geschehen kann, das Starke ist höher, weil es das Heftige in sich hält, und aus eben dem Grunde steht das Große und das Erhabene auch wiederum höher. Bey den Graden des höhern Schönen geht die Ordnung ganz, wie die der Seelenkräfte, zur Vollendung des Bewußtseyns.

E244

Drittes Kapitel. Von der Sprache, als der allgemeinen Form der Poesie.

§. 1.

Die allgemeine Form der Poesie, das formende Mittel, dessen sie sich bey Hervorbringung ihrer Materie des Schönen bedient, ist die Sprache, oder die sowohl durch Natur als Uebereinkunft bestimmte Fertigkeit des Menschen, sich mittelst artikulirt tönender Zeichen Empfindungen und Gedanken mitzutheilen.

Anmerk. Man theilt die Künste ein in solche, die durch natürliche Zeichen zu den Menschen sprechen, indem sie z. B. Naturgestalten darstellen, wie die Mahlerey, und in solche, die sich willkührlich erfundener Zeichen bedienen. Hierher rechnet man die Dichtkunst. Die Zeit ist vorbey, wo man über die Entstehung der Sprache stritt. So viel ist gewiß, die Sprache ist kein Werk der überlegten Vernunft, sondern der sich nach organischen Gesetzen des Geistes entwickelnden Vernunft. Sie stammt245 also eben sowohl von der Natur und ihrem Jnstinkt, als von der nach und nach sich zeigenden freyen Willkühr des Menschen. Ueberdem ist die Sprache als Ton ganz von der Natur bestimmt. Da die Dichtkunst einen musikalischen Theil hat, welcher ohne alle Convenzion auf alle Völker wirken muß, so halten ihre Zeichen das Mittel zwischen Natur und Willkühr. Man kann also nicht sagen, daß die Dichtkunst sich blos willkührlicher Zeichen bediene.

§. 2.

Die Sprache hat einen doppelten Theil, da sie aus Tonzeichen besteht. Schon der Ton allein bezeichnet Empfindungen bey allen Völkern und spricht zur Empfindung. Aber der willkührlich bestimmte artikulirte Ton theilt für den Verstand bestimmbare Gedanken, Jdeen und Begriffe mit. Die dichterische Sprache, die das Schöne darstellen will, und sich dadurch von der Prosa unterscheidet, welche als Hauptzweck hat, das mitzutheilen, was erkennbar ist, benutzt beyde Mittel. Die dichterische Sprache muß also in doppelter Rücksicht betrachtet werden, erstens nach ihrem logischen, zweytens nach ihrem musikalischen Wesen.

Anmerk. 1. Der Unterschied der Prosa von der Poesie ist durch das Schöne und Erkennbare nothwendig246 bestimmt. Der gemeine Sprachgebrauch folgt der Regel a potiori fit denominatio und pflegt prosaische Schriften die zu nennen, in denen weniger Poesie als Prosa ist. Daher schreibt sich die Täuschung, daß man das Musikalische an der poetischen Sprache eine Zeitlang für den wesentlichen Unterscheidungsgrund poetischer und prosaischer Werke hielt, weil die Prosaiker, etwa die Redner ausgenommen, das Musikalische der Sprache weniger benutzen.

Anmerk. 2. Es läßt sich, wie wir schon in den Beyspielen gesehen haben, das Schöne an Begriffen darstellen, ohne einen vorzüglichen Grad der musikalischen Cultur der Sprache. Jn so fern ist zwar das Musikalische nicht unumgänglich nothwendig zu dichterischen Produkten. Das Poetische kann sogar verliehren, wenn das Musikalische auf eine minder passende Art dazu kommt, wie Ossian und Geßner in Denys und Ramlers Hexametern. Jn so fern könnte auch die Declamation als nicht wesentlich erscheinen für den poetischen Genuß. Wenn aber der höchste Grad des Schönen die wesentliche Aufgabe jeder Kunst ist, so ist, wie wir bald noch deutlicher sehen werden, sowohl der musikalische Theil der Sprache, als auch die Declamation nothwendig für die Poesie.

Anmerk. 3. Jn der Entstehungszeit der Poesie, wo wir zugleich die Sprache in ihrer Wiege erblicken, war Poesie und Musik unzertrennlich verbunden, und nur so ist247 uns die große Wirksamkeit der Kunst begreiflich, an die uns Fabel und Geschichte erinnern. Das Werden der Sprache selbst, eh der Verstand in der Grammatik sie als vorhanden ansah und über sie reflektirte, ist eigentlich eine fortdauernde Poesie, und poetische Sprache umgekehrt, ist auch noch jetzt nur darum poetisch, weil sie uns das Schaffen und Werden der Sprache darstellt. Um dies Werden darzustellen, müssen die Töne nicht blos als artikulirt getrennt, sondern noch als Continua, die sich rythmisch entwickeln, erscheinen. Die Poesie muß die Töne vom Zwange des Verstandes wieder befreyen, sie in Gesang auflösen, und sie nähert sich in so fern wieder der Musik. Auf ein ungebildetes Publikum macht oft die musikalische Cadenz mehr Eindruck als die Begriffe.

§. 3.

Die Sprache, in wie fern sie das Schöne darstellt, oder der poetische Styl, kann erst nach ihren allgemeinen von der Prosa sie unterscheidenden Eigenschaften betrachtet werden, ohne noch auf die Untergattungen des Schönen Rücksicht zu nehmen, durch welche der poetische Styl Modificationen erleidet. Diese Eigenschaften des poetischen Styls, in wiefern sie sich auf das logische Wesen der Sprache beziehen, sind nothwendig durch die Eigenschaften des Schönen selbst,248 objektiv genommen, bestimmt. Denn der poetische Wortausdruck ist das Zeichen des poetischen Schönen, und muß also nach eben den Rücksichten betrachtet werden.

§. 4.

Da das Schöne, an den Objekten oder durch Begriffe dargestellt, der Quantität nach zwischen der Einheit und der Vielheit des Begriffs schwankt, und folglich als etwas Unendliches im Endlichen beschrieben wurde, so muß 1) auch der poetische Wortausdruck zwischen der Einfachheit und Mannichfaltigkeit dazwischen liegen. Die Wortzeichen müssen einen herrschenden Hauptgedanken enthalten, aber zugleich unbestimmbar reich an Nebengedanken seyn. Wir haben im Deutschen kein Wort, das diese Eigenschaft des Styls genau und ohne Mißverständnisse bezeichnete, es müßte denn das Wort reichhaltig seyn, welches mit der ersten Sylbe auf das Mannichfaltige, mit der andern auf die Einheit deutet. Vielleicht ist es das, was die Griechen, insbesondere Hermogenes, bey der Diktion μεγεθος nannten.

Anmerk. 1. Hieraus erklärt sich, warum die poetische Sprache zwischen dem κυριον (eigenthümlichen Wortausdruck)249 und dem ξενικον (fremdartigen Wortausdruck) in einem beständigen Schwanken ist, welche Bemerkung dem scharfsinnigen Aristoteles (poet. c. 12.) nicht entgehen konnte. Die eigenthümlichen Worte bezeichnen nur einen bestimmten Gegenstand, sind also für die Prosa. Die fremdartigen Worte sind neue noch wenig erhörte Anwendungen eines Worts auf Gegenstände. Man weiß also, wenn man sie hört, sie nicht sogleich ganz bestimmt zu deuten. Jndem man das fremdartige Wort zu verstehen sucht, wird man an unendlich viele Gegenstände erinnert, die dadurch bezeichnet werden können. Eine ganz fremde Sprache würde ihren Zweck verfehlen. Der Dichter, der seine Sprache ganz neu schaffen wollte, würde unverständlich seyn. Gleichwohl soll er nicht blos einfach, wie der Prosaiker, sondern vielhaltig sprechen. Also muß er sich auf eine verständliche Weise vom Eigenthümlichen entfernen und dem Fremden nähern. Das geschieht, indem er die Sprache zwar nicht neu schafft, aber umschafft, umwandelt, so daß man die Gründe einsieht, warum er ein Wort in einer neuern Bedeutung gebraucht. So wird zwar die Einbildungskraft in neuen Gegenständen herumgetrieben, aber der Verstand sieht doch einen Uebergang aus dem Eigenthümlichen ins Fremde, der begreiflich ist. Die Sprache des Dichters wird auf diese Art reich, aber der Reichthum wird zusammengehalten. Dieses Umschaffen der Sprache, welches der Dichter vor unsern Augen und mit Bewilligung unsers Verstandes vornimmt, giebt das,250 was der Grammatiker die Tropen nennt. Die Sprache des Dichters soll aber nicht gerade von Tropen wimmeln, die schon da sind. Denn schon vorhandene Tropen sind bereits geschaffen, sind nach und nach ins Eigenthümliche übergegangen. Sie soll tropisch seyn. Sie soll eine unendliche Ausdehnung der Worte vornehmen, die uns an das Jndividuelle erinnert, und zuletzt durch die herrschende Hauptidee einen Schein vom Jdealen erregt.

Anmerk. 2. Die Lehre von den Tropen, in wiefern sie schon da sind, gehört, wie Marsais richtig bemerkt, in die Grammatik. Allein das Verfahren der Sprache, die sich durch Tropen gleichsam wie durch Revolutionen organisirt, ist poetisch, und muß also von der Poetik beleuchtet werden. Eigentlich gehört das Tropische hierher nur, in so fern es der poetischen Sprache Ausdehnung giebt. Das Gefühl der Ausdehnung einer Sprache, und in so fern auch des menschlichen Geistes wird beym tropischen Reden dadurch erreicht, daß das Eigenthümliche mit dem Fremden verbunden dargestellt wird. Auf diese Art wird sich der menschliche Geist aller der dazwischen liegenden Jdeenassociationen bewußt, welche eine solche Verbindung rechtfertigen. Gleich wie es nach den oben festgestellten Grundsätzen drey Verstandeshandlungen giebt, 1) ein Anerkennen und Begreifen (Thesis), Vereinigung von Anschauungen zu einem Gegenstand, 2) ein Reflektiren, Vergleichen, welches in der Zeit nach einander geschieht, ein Ordnen mehrerer Gegenstände (Antithesis), 3) ein251 nothwendiges Verknüpfen von entgegengesetzten Gegenständen zur Einheit (Synthesis), eben so gewöhnt sich die dem Verstand vorarbeitende Einbildungskraft von selbst daran, was sie beysammen oder nach einander findet, in der Erinnerung sowohl zusammen, als nach einander sich vorzustellen, was sie für ähnlich hält, zusammen zu erwecken. So sind die drey bekannten Gesetze der Jdeenassociation 1) des Beysammenseyns, 2) der Aufeinanderfolge, 3) der Aehnlichkeit aus der Natur des Verstandes und der passiv ihm folgenden Vorstellkraft deducirt. Da nun die Sprache als Zeichen für bezeichnete Gegenstände auf der Jdeenassociation beruht, so wird sie auch nach den drey Gesetzen der Jdeenassociation bey ihren Umwandlungen und Tropen verfahren. Sie wird 1) Dinge, die immer bey einander sind, 2) Dinge, die immer nach einander folgen, 3) Dinge, die eine Vergleichung aushalten, ihre Nahmen verwechseln lassen, und dadurch eine von der eigenthümlichen sich tropisch entfernende fremde Rede hervorbringen. Hieraus entstehen dreyerley Tropen. Schon aus dem Cicero ist es bekannt, daß die griechischen und lateinischen Gelehrten in der Benennung der Tropen sich nicht immer gleich bleiben. Sie hatten kein Prinzip der Eintheilung. Warum soll man also noch länger Ehrerbietung für eine verstandlose Gelehrsamkeit haben, die nichts thut, als Köpfe verwirren und Gedächtnisse schwer, wie Gewissen, beladen. Der Pedantismus ist nicht gestorben. Er bricht, durch die Schwäche der Philosophie wieder aufgerichtet, von neuem in die Welt herein. Es ist Zeit, das Ungethüm, das gewiß252 nicht so unschädlich ist, als es scheinen möchte, vom Grund aus umzustürzen. Dies kann nicht eher geschehen, als bis man an der Hand fester Prinzipien in seinem eigenen Gebiete aufräumt, ihn in den Citadellen seiner Folianten angreift, und seinen geistlosen Terminologieen keine Gnade giebt. Besonders der Poetik, wenn sie sich vervollkommnen sollte, kommt es zu, den Werth der alten Litteratur zu bestimmen und die Philologie, die an sich nichts als eine Liebhaberey ist, welche sich wichtig machen will, anzustellen. Die Poetik ist also nicht gehalten, die scholastischen Benennungen, die auf keinen vernünftigen Grund beruhen, anzunehmen. Vielmehr ist ihr gestattet, was dem Wortsinn nach willkührlich scheint, wie z. B. Metonymie, (welches Wort für alle Tropen gelten kann) willkührlich zu gebrauchen, und zum Behuf des Systems zu bestimmen. Die dreyerley Tropen, die nach den Gesetzen der associirenden Einbildungskraft möglich sind, wollen wir also folgendermaßen benennen. 1) Wenn die Zeichenverwechslung zweyer Dinge geschieht, weil diese Dinge von der Einbildungskraft immer zusammen vorgestellt zu werden pflegen, so wollen wir dies Periphrasis, Umschreibung, im weisten Sinne des Worts nennen. Quintilian sagt: pluribus autem verbis cum id quod uno aut paucioribus certe dici potest, explicatur, περιφρασιν vocant, circuitum loquendi. Eine Umschreibung von der Umschreibung! Es ist nicht wesentlich zur Umschreibung, daß diese aus mehreren Worten bestehe, als der eigentliche Ausdruck. Wohl aber ists wesentlich, daß man ein ander Zeichen253 setzt für den Gedanken, als das eigenthümliche, und dazu ein Zeichen von einem andern Gedanken nimmt, der den ersten begleitet. Wenn Cicero von den catilinarischen Verschwornen gesagt haben soll vixerunt, so ist dieser Euphemismus eine Periphrasis von dem eigenthümlichen Wortzeichen sie sind hingerichtet, und diese Periphrase ist vielleicht um vieles kürzer, als der eigentliche Ausdruck. Sie ist aber verständlich, weil die Einbildungskraft bey dieser Nebenidee die Hauptidee denkt. Zur Periphrase als Tropus rechne ich nun olgendes. a) Die Paraphrase. Dieses ist eigentlich das Wort für die Quinctilianische Definition, weil παρα supra bedeutet. Die Dichter lieben es, eine Jdee durch Nebenideen auszudrücken, welche mehr Ausdehnung dem poetischen Gedanken geben. z. B. Die Zeit der Zefire, der Veilchengerüche für den Frühling. So sagt Virgil: Et iam summa procul villarum culmina fumant, maioresque cadunt altis de montibus umbrae. Statt: es wird Abend. So lang ein Herz an diesen Panzer schlägt, mag sich Don Philipp ruhig schlafen legen. Schiller. (statt: so lang ich lebe.) Eine Menge dunkler und passender Verstellungen gesellen sich so dazu, und der poetische Styl wird reichhaltiger. b) Wenn man das Enthaltende für das Enthaltene, die Form für die Materie, den Ort für die Sache, das Zeichen für das Bezeichnete setzt und umgekehrt. (Fälle, welche bisher zur Metonymie gerechnet wurden.) Die Erde schwieg vor Alexander. Hier sagt die Erde mehr, als wenn es hieß: die Völker der Erde. Oft ists umgekehrt: Er stieg hinab254 zu den Todten sagt mehr, als: er stieg in den Orkus. Ille impiger hausit spumantem pateram et pleno se proluit auro. Aeneid. I. vs. 743. O du der Traube Sohn der im Golde blinkt. Klopstock. Aurum steht für den Becher, wie gelidus humor im Virgil für Schnee. L'airain vomit la mort, sagt Boileau statt le canon, die Materie für die Form, und dieß sagt mehr, weil sich die Form von selbst versteht. Ueberdem steht der Becher für den Wein. Umgekehrt die Form für die Materie. Auf des Dichters Reimen auszuruhn. Göthe im Tasso. Die Stoa, das Lyceum sagt dichterisch mehr, als die Weisheit des Zeno oder Aristoteles, der heilige Berg Gottes bey David mehr, als der Tempel. Umgekehrt: Er beraubt den Altar Gottes, sagt mehr, als er ist ein Kirchenräuber. Jhr werdet meine grauen Haare mit Schmerz in die Grube schicken, sagt mehr, als mein Alter. Die römischen Adler flogen über den Rhein. Der türkische Mond zittert, sagt dichterisch in Absicht auf die Nebenideen mehr, als: die römischen Legionen u. s. w. Umgekehrt. Der Tag, da die Herrschaft der Welt auf seine Schultern gelegt ward, sagt wieder mehr, als der Krönungstag. c) Wenn man das abstractum für das concretum, nomen commune für proprium, das genus für die species, den Theil für das Ganze setzt und umgekehrt. (Fälle, welche die Rhetoriker unter dem Ausdruck συνεκδοχη begreifen. ) rus merum. Plaut. für rusticus. ferri rigor, für ferrum rigidum. Virgil. das junge Leben,255 für der Jüngling. יבש , für captivus, Jes. 49, 24. Sie verachtet alles, was uns bis zur Thräne nicht erhebet. Klopstock. statt zu Thänen rührt. Die Erde, und was darauf wohnt, das Meer und was es füllt, sagt oft, wie die Psalmen beweisen, mehr, als wenn stünd, die Thiere, Fische, Menschen u. s. w. Der Carthaginienser, statt Hannibal, der Unüberwindliche, statt Cäsar. (Dieß nennen die Grammatiker insbesondere Antonomasie, ein Tropus, über dessen Mißbrauch bey tragischen Dichtern sich Aristophanes lustig macht.) Umgekehrt, Ewigkeiten, Erdenwonnen, die Himmel, als concreta, sagen mehr, als die Ewigkeit, die Wonne, der Himmel, wenn dies in Prosa gewöhnlicher ist. Er ist ein Sardanapal, statt, er ist ein weichlicher Fürst. Irus et est subito, qui modo Croesus erat. Ovid. Trist. III. el. 7. Zephyris agitata Tempe. Hor. Lib. III. od. 1. für jedes schöne Thal. Acheloia pocula, für Wasser aus einem Flusse in Griechenland. Virg. Sie ist eine Penelope u. s. w. (umgekehrte Antonomasie.) Wenn man sagt, die Sterblichen statt die Menschen, so giebt diese Synecdoche generis oft mehr zu denken, als das eigenthümliche substantivum. Scribimus numeros. Pers. sat. I. v. 13. statt versus, welches die species ist. Umgekehrt giebt oft die Synecdoche speciei mehr zu denken. Silvestria virgulta, für arbores omnis generis. Virg. Georg. II. 1. welches aus der Verbindung erhellt. Pars pro toto. Post aliquot aristas, statt messes. Virg. Alle Seelen des256 Hauses Jacob giebt mehr zu denken, als alle Menschen. Letzteres versteht sich durch die Verbindung von selbst. Hundert Masten, hundert Segel, tausend Pferde ist ein reicherer Ausdruck als Schiffe, Reiter u. s. w. Daß man das Schiff sich vorstelle, lehrt die Verbindung, aber nun denkt man auch den bestimmten Theil mit allen seinen Nebenvorstellungen. Carum, ridiculum caput, für homo. Tum foribus divae, media testudine templi, saepta armis, solioque alte subnixa resedit. Virg. Aeneid. I. 505. foribus divae im Tempel, sonst wär das folgende ein Widerspruch, wenn nicht testudo eine Vorhalle bedeutet, armis für armatis. Kaum zwanzig Frühlingen entflogen, Schiller, statt zwanzig Jahre alt. φθεγμ 'Αθανας, statt, o Minerva. Sophocl. Aiax, init. kann auch als effectus pro causa stehen. Umgekehrt, totum pro parte. Dies findet besonders bey der hiperbolischen Diktion statt. Der Held fällt es zittert die Erde (statt der Boden. ) Das Heer ist nicht mehr. Das Weltmeer trägt mein Schiff u. s. w. Hierher gehört auch die κοινοτης λογου der Rhetoriker, wir haben keinen Muth mehr das Vaterland zu vertheidigen, sagt ein Redner, indem er vielleicht nur einige wenige meynt, die er nicht beleidigen will. d) Endlich kann man zu den umschreibenden Tropen auch den Euphemismus, die Jronie und die Antiphrasis rechnen, letztere weil man gewöhnlich bey einer Sache auch leicht an ihr Gegentheil erinnert wird. Omnia vel medium fiant mare, vivite silvae. Virg. Eclog. VIII. vs. 58. Hier ist das vivite eher eine Verwünschung257, aber umschrieben, und eigentlich das Gegentheil ausgedrückt. So heißt segnen bey den Hebräern oft fluchen u. s. w. 2) Wenn die Zeichenverwechslung zweyer Dinge geschieht, weil diese Dinge von der Einbildungskraft immer nach einander in Einer Reihe vorgestellt werden, und nur die Ordnung umgeändert wird; so wollen wir diesen zweyten Haupttropus Hypallage oder Umändrung im weitsten Sinne nennen. Hierhin rechne ich, wenn die Sprache a) eine Handlung, die einer andern vorherzugehen pflegt, für die andre setzt. Hieraus entstehen die Catachresen, welche dem Gedanken mehr Ausdehnung geben, indem sie weniger abstrakt sind. Z. B. einem beyspringen, für: ihm helfen, non ignara malis miseris succurrere disco. Doch ist dieses auch in der Prosa angenommen eben so, wie: einen mit Strafe ansehen, in eum animadvertere. Er trug die Waffen für sein Vaterland. Dic et argutae properet Neaerae myrrheum nodo cohibere crinem. Horat. III. 14. Dies ist besonders die Sprache der Eile, das Vorhergehende für das Folgende zu setzen: mach, zieh dich an! statt komm! und es ist weit poetischer, als wenn man mit Bentley, der überhaupt zu der Jnterpretation der Dichter viel zu viel logischen Scharfsinn mitbrachte, cohibente lesen wollte. Saepe stylum vertas steht für auslöschen beym Horaz u. s. w. Dies ist die Metalepsis der Rhetoriker, von der Quinctilian sagt: ex alio in aliud viam praestat. Jndem dadurch der Weg angezeigt wird, wie der Geist von einer Jdee auf die andere kommt, gewinnt der Ausdruck an Extension. Besonders258 hier zeigt sich der poetische Gang in der sich bildenden Sprache. So heißt Loos das durch das Loos erst erhaltene Schicksal in mehreren Sprachen, das Orakel u. s. w. Umgekehrt. Man setzt oft das, was folgt, für den Grund, aus dem es folgt. Quinque dies tibi pollicitus me rure futurum Sextilem totum, mendax, desideror. Hor. I. ep. 7. Es ist die Folge, daß einer vermißt wird, wenn er nicht da ist. Wenn man einen liebt, so folgt daraus, daß man ihn nicht hassen kann. Wenn man einen tadelt, so folgt daraus, daß man ihn nicht loben kann und umgekehrt. Dies ist der Ursprung der der Hyperbel entgegengesetzten λιτοτης oder Verringerung. Va je ne te hais point. Corn. le Cid. act. III. sc. 4. sagt Climene zu ihrem Geliebten, der zugleich der Mörder ihres Vaters ist. non sordidus autor naturae verique. Hor. I. 1. od. 28. b) Zweytens gehört hierher, wenn man die Ursache für die Wirkung setzt und umgekehrt, welches bisher zur Metonymie gerechnet ward. So setzt Virgil Ceres corrupta für verdorbenes Getreide, (Ovid Pallas fürs Oel. Trist. L. IV. el. 5. vs. 4.) Quo ambulas tu, qui Vulcanum in cornu conclusum geris? Plaut. Amphitr. poetisch für das Licht in der Laterne. Der Herr in Jacob achtets nicht, sagt der Psalmist in Cramers Uebersetzung. Hier steht Jacob für das Volk, das von ihm stammt. So steht animus für Zorn, animum rege sagt Horaz, (θυμος) die Schuld oft bey den Dichtern für die Strafe. Si peccaverit anima, portabit iniquitatem suam, sagt die Schrift. Κορῳ δ' ἑλεν ἀταν259 ὑπεροπλον, ταν οἱ πατηρ ὑπερκρεμασε, καρτερον αυτῳ λιθον. Pindar. Ol. α. 90. ἀτη ist hier nicht in der ursprünglichen Bedeutung genommen, als damnum, sondern als poena, und da geht die Jdee der Schuld vorher. Es ist ein verbum praegnans. Umgekehrt effectus pro causa. Pallentes morbi (Virg. VI. vs. 275.) tristisque senectus. Pallida Pirene, sagt der Satyriker Persius, um anzudenten, daß die Dichter Mühe haben, die bleich macht. Pallida mors beym Horaz kann angesehen werden, als eine wirkliche Eigenschaft des personifizirten Todes, eben so wie in der Stelle des Virgil. Der Tod ist an der Spitze seiner Klinge, er trägt in seiner Hand den Tod. Die Donner in der Rechten des Zevs für Donnerkeil sind ganz natürliche Tropen. Non habet Pelion umbras, er hat keine Bäume. c) Drittens gehört hierher, wenn man die gewöhnliche Construction des Gedankens und der Rede umändert, ein Epitheton zu einem Worte setzt, dem es eigentlich unmittelbar nicht gehört, das Zeitwort anders als gewöhnlich verbinden läßt u. s. w. Dies Verfahren nennen die Rhetoriker Hypallage, (im engern Sinn) und halten es für einen blos grammatischen Gegenstand, da es doch poetisch ist. Der Dichter sieht nur auf das Licht der Hauptidee, und entfesselt im Einzelnen die Einbildungskraft von dem Zwange der peinlichen Ordnung, wodurch die Sprache an Extension gewinnt. ἐν βραχεῖ χαλκῳ μεγιϛον σωμα δειλαιας σποδοῦ φερουσιν ἀνδρες statt μεγιϛου σωματος δειλαιαν σποδον. Sophocl. Electr. vs. 758. Jn diesem kleinen Erz (für: Urne, die Materie für die Form)260 bringen die Männer den großen Körper einer unglücklichen Asche, statt die Asche eines großen Körpers oder Mannes, Aber diese ἀντιπτωσις, wie der Scholiast ad h. l. die Redensart nennt, ist sehr weislich gesetzt, um die Antithesin, den poetischen Hauptgegensatz des kleinen Gefäßes und des großen Körpers anschaulicher zu machen. Ueberdem hat ein substantivum im genitivo zu einem andern substantivo gesetzt in der höhern Dichtersprache den Sinn eines adiectivi. Der große Körper der unglücklichen Asche heißt also soviel, wie ein in Asche gefallner großer Körper. So sagt Ossian nach Macpherson: the battle of heroes, the stone of power, the field of glory homme des ans, ein bejahrter Mann (Atala). Man sieht aus diesem allen, wie nothwendig den Grammatikern die Vervollkommnung einer wissenschaftlichen Poetik ist, wenn sie nicht länger im Finstern tappen wollen. Jn der Elektra zu Aufang μελαινα τ 'ἀϛρων ἐκλελοιπεν εὐφρονη statt ἀϛρα μελαινης νυκτος ἐκλειπω wird vom Verschwinden der Sonne, des Mondes gebraucht. Sophocles sagt also entweder die schwarze Nacht der Gestirne (d. h. der Sternenhimmel) verschwindet oder die Gestirne der schwarzen Nacht verschwinden. Eben so erklären sich die λατρευματα πονων, Trach. 357. Dienste der Arbeit κηλῖδα ξυμφορας, Oed. Tyr. 833. ὑβρις φυτευει τυραννον, Oed. Tyr. vs. 873. für τυραννις φυτευει ὑβριν, ist wohl keine Hypallage, wie Brunk meynt, sondern muß nach den Scholiasten verstanden werden Uebermuth pflanzt und erhebt den Herrscher. Ueberhaupt sind die Jnterpreten261 zu schnell mit einer Hypallage bey der Hand. Wenn Pindar (Olymp. 13.) ὑβριν κορου μητερα θρασυμυθον nennt, so denkt er vielleicht an nichts weiter, als an eine genaue Verwandschaft dieser beyden. Nun mag ein anderer Dichter, wie Schmid demerkt, sagen: τικτει τοι κορος ὑβριν, ist es gerade Folge, daß auch Pindar die Genealogie so bestimmt angebe? Ueberhaupt suchen die Dichter etwas in einer gewissen Unbestimmtheit des Ausdrucks. Virgil sagt: daro classibus austros der Prosaiker würde das unrecht finden, es ist aber poetischer, und warum am Ende kann man nicht eben so gut einer Flotte Winde geben, als Winden eine Flotte? Weil der Wind mit den Flotten spielt. Aber die Flotte gebraucht in einem andern Sinne wieder die Winde mit Kunst. Menschen sind auf der Flotte, welche die Winde mit einer Art Freyheit benutzen. Also können ja ihnen wohl Winde gegeben werden. Die Einbildungskraft des Dichters giebt immer neue Aussichten und zwingt den Verstand aus seinem Alltagsgleise. In nova fert animus mutatas dicere formas corpora. sagt Ovid. Hierzu brauchen wir noch keine nothwendige Versetzung. Formae und corpora sind hier synonym. Sehr oft setzt der Dichter die Epitheta anders, als es der Prosaiker gethan haben würde. Es ist ihm genug, daß das Bild da sey, wo es stehe, ist ihm einerley, und noch lieber ists ihm, es stehe da, wo es der gemeine Verstand gerade nicht hingestellt haben würde. Horat. Od. 14. vs. 3. Pocula Lethaeos ut si ducentia somnos traxerim. Eigentlich ist das Wasser lethäisch und nicht der Schlaf. 262Aber auch der Schlaf kaun lethäisch werden, wo die causa pro effectu steht. Ibant obscuri sola sub nocte per umbram. Virg. Eigentlich war die Nacht obscura und die Gehenden soli. Aber der Dichter verwechselt das. Er sieht das Bild im Ganzen an und läßt die Gränzen der logischen Sprache wieder in einander laufen. Herculeis sopitas ignibus aras excitat. Aeneid. VIII. 542. Die eingeschläferten Altäre, eigentlich Altäre des Herkules, auf denen die ihm heilige Flamme eingeschlafen war. Dies ist allerdings eine Hypallage in den Epithetis. Dagegen ist folgendes keine Hypallage, ungeachtet Servius es behauptet: Sin nostrum annuerit nobis victoria Martem. Der Sieg winkt, und winkt unserm Mars, d. h. effectu pro causa, unserm Kriegsheer (wie aequo Marte pugnatum est. Hier wird beyden Theilen ein Mars zugegeben.) So verwandelt die Sprache des Dichters auch die Adverbia in Epitheta. Natürlicher ist es: Aeneas schickte schnell den Achates. Virgil sagt: rapidum ad naves mittit Achatem. Oft wird das Zeitwort selbst abusive gebraucht, weil man statt des Gegenstandes einen andern neben ihm stehenden nennt. Jhr Berge rauscht in das Lob des Höchsten, sagt der Psalmist (Ps. 98.), nämlich ihr Wälder auf den Bergen. 3) Wenn die Zeichenverwechslung bey zwey Dingen geschieht, weil die Einbildungskraft eine gewisse Aehnlichkeit zwischen den Vorstellungen der zwey Dinge findet, so wollen wir diesen Haupttropus die Metapher im weitsten Sinne oder die Uebertragung eines eigenthümlichen263 Worts auf einen ähnlichen Fall nennen. Note: Dies ist nun das größte Feld für die poetische Lizenz im Styl. Hier kommt alles auf den Witz des Dichters, aber auch auf eine gesunde Urtheilskraft an, um nicht in tausend Fehler zu verfallen. Note: Bey der Metapher liegt also eine Vergleichung zum Grunde zwischen zwey Dingen, die aber nicht ausgedrückt wird. Man nimmt stillschweigend an, als wären die zwey verglichnen Gegenstände in einander übergegangen. Der gewöhnliche Ausdruck steht wieder neben dem metaphorischen, damit man den Uebergang einsehe, und so wird das μεγεθος in der dichterischen Sprache vermehrt. Note: Es versteht sich, daß die Sprache des Prosaikers eben auch voll Metaphern ist, aber von solchen, die das poetische Leben verlohren haben, weil die Gewohnheit sie schon geschwächt hat. Note: Der Dichter muß auch nicht sowohl die Metaphern selbst als vollendet hinsetzen, sondern mehr den metaphorischen Styl im Werden zeigen, so daß man die Vergleichung zwischen den Gegenständen immer von neuem anstelle. Wir betrachten hier blos die Metapher, in wie fern sie die Reichhaltigkeit des Ausdrucks vermehrt. Note: Jede Sprache hat ihre eignen Metaphern, die oft unübersetzlich sind. Note: So sagt Dafne im Amint des Tasso zur Silvia: Spero veder, ch' anco il tuo Aminta pur un giorno domestichi la tua salvatichezza. Note: Die Nebenidee von Häuslichkeit ist nicht zu übersetzen. Note: Wenn zu Anfang des Oedipus Tyr. die Pest beschrieben wird und der Priester sagt: μελας δ 'Αἰδης ϛεναγμοις και γοοις πλουτιζεται,Note: so wird durch die verborgne Vergleichung mit dem264 Reichthum auch die Jdee an die Härte des Orkus erweckt, und die Metapher giebt den andern Worten eine große Ausdehnung. Note: Vergleiche Jesaias 5, 14. Note: Invadunt urbem somno vinoque sepultam, sagt Virg. Aeneid. II. vs. 265. dem Ennius nach. Note: Hier kommt die Nebenidee des Grabes zu der Hauptidee. Note: Kein Dichter, etwa Aeschylus, Pindar und Shakespear ausgenommen, ist an metaphorischen Tropen reicher und kühner, als die Hebräer. Note: Die vierte Person sind hier die Hebräer, also eigentlich eine Personengruppe.Die Metapher ist eine Hauptingredienz ihres לשמ oder poetischen Styls. Sie nehmen ihre Bilder aus der Natur, aus ihren kirchlichen Gebräuchen, aus dem gemeinen Leben. Note: Gott macht seine Feinde trunken, tritt sie, wie in einer Kelter, dagegen sind seine Freunde Dreschschlitten um Berge zu dreschen und zu zermalmen, und Hügel zu Spreu zu machen. Note: Werkannahme: BibelVieles hört auf Metapher zu seyn bey ihnen, weil sie es oft brauchen. Note: So steht der Berg Carmel für Fruchtbarkeit, gleichsam als ein Füllhorn. Die Ceder von Libanon für Fürsten. Note: Die Flügel der Morgenröthe beym Psalmisten, דחש ימכב mögen wohl auch keine Metapher seyn, sondern ein genitivus der Art, wie wir oben erwähnten, der zum Epitheton wird. Note: implizites Werk: Buch der Psalmen - Autor: Psalmist - Abgr. zum EpithetonThe field of his promise sagt Ossian für das versprochene Feld. Note: Flügel der Morgenröthe statt Flügel zur Morgenröthe. (Gewöhnlich steht auch das Vergleichungswort bey den hebräischen Bildern.) Note: Person: Psalmist - impl. Werk: Buch der PsalmenDoch giebt es auch Flügel der Erde, welche der Blitz ergreift. Das junge Jsrael wird muthig und schlägt aus (wie ein Füllen). Bluttrunkene Pfeile u. s. w. Note: Person: Psalmist - impl. Werk: Buch der PsalmenZu den metaphorischen Tropen265 kann man auch die Syllepsis rechnen, wo dasselbe Wort im eigentlichen und metaphorischen Sinn zusammen vorkömmt. Note: Unterkategorie: SyllepsisSo sagt Pyrrhus beym Racine: Je soufre tous les maux, que j'ai faits devant Troie, vaincu, chargé de fers, de regrets consumé, brulé de plus de feux, que je n'en allumai. Note: Unterkategorie: Syllepsis; Quellenannahme: Jean Baptiste Racine: AndromaqueEr meynt die Leidenschaft für die Andromache. Doch ist das Wortspiel frostig. Note: Unterkategorie: SyllepsisZuweilen liegt der ganze Grund zur Verbindung zweyer Jdeen, oder wenigstens zum Uebergang aus der einen zur andern in der Schallesähnlichkeit der Worte, woraus die Paronomasieen entstehen. Man könnte diese Wortspiele umgekehrte Metaphern nennen. Denn so wie bey der Metapher wegen Aehnlichkeit der Jdeen die Worte verwechselt werden, so werden bey der Paronomasie wegen Aehnlichkeit der Worte Jdeen verwechselt. Nur muß dies freylich passen. Note: Abgr.: Paronomasie als ParallelkategorieSo sagt Cicero Act. II. in Verr. l. 1. c. 46. Sacerdotem exsecrabantur, qui verrem tam nequam reliquisset,Note: Bsp. für Paronomasie als Abgr.wo verres in der Bedeutung von einem Schwein auf Verres angewendet wird, und dort mit Fug und Recht. Cicero selbst rechnet dies Wortspiel an der Stelle zum Lächerlichen. Es ist aber bittrer Ernst darinnen. Note: Bekanntlich ist Shakespear sehr stark in Paronomasieen, wiewohl mehr im Komischen, z. B. Henry IV. act. II. sc. 4. zu Anfang. Note: Allein in den hebräischen und arabischen Dichtern, namentlich in den Propheten, haben Lowth und andre viele sehr ernsthafte Paronomasieen bemerkt. Note: Bsp. für Abgrenzung von Paronomasie Jm Ganzen genommen sind jedoch die Allusionen oder Anspielungen beym scherzhaften Styl häufiger, weil eine hohe266 Empfindung selten auf die Worte Acht giebt. Ce n'est pas toutefois, qu'une muse un peu fine sur un mot, en passant, ne joue et ne badine, et d'un sens détourné n'abuse avec succès, mais fuyez sur ce point un ridicule excès, sagt Boileau. Zum excès wird die Anspielung, wenn man sich zu lange dabey verweilt. Oft zeigen sich auch die Antithesen als bloße Wortspiele. So viel von den Tropen oder uneigentlichen Ausdrücken, welche sich auf Jdeenassoziation der Einbildungskraft gründen. Von ihnen muß man die Figuren oder besonders ausgezeichneten Gestalten der Rede unterscheiden, welche die dichterische Sprache annimmt. Diese beziehen sich nicht auf das μεγεθος, sondern auf die lebendige Art der dichterischen Sprache, und auf die besonders bestimmten Untergattungen des Schönen. Wir werden weiter unten von ihnen handeln.

Anmerk. 3. Der poetische Styl überhaupt genommen muß also zwischen der gewöhnlichen und ganz fremden Sprache ein Mittel zu treffen wissen. Und dieser Uebergang macht das tropische Verfahren der Einbildungskraft. Je nachdem sich der Styl zu sehr dem einen oder dem andern Pol nähert, wird er fehlerhaft. Platt ist er, wenn die Worte nichts als die gewöhnlichen oder gar niedrigen Gedanken des gemeinen Lebens in uns erwecken. So war er zu den Zeiten Gottscheds. Geziert oder schwülstig ist er, wenn er entweder ganz unbekannte, zu künstliche, gesuchte, oder sich widersprechende Bilder zusammenstellt267, oder die Theilvorstellungen des Gedankens zu sehr überladet. Molière hat in seinen Précieuse ridicules den gezierten Styl lächerlich gemacht und als Karrikatur dargestellt. Donnez des siéges heißt bey den Prezieusen voiturez nous ici les commodités de la conversation asseyez-vous: contentez l'envie, qu'a ce fauteuil de vous embrasser. Aber man findet dergleichen in vollem Ernst in der altfranzösischen Tragödie, die noch dem spanischen Geschmack blindlings folgte. So schrieb der große Corneille ein Trauerspiel Clitandre voll Verwicklungen, saillies und pointes, welches er selbst eine jugendliche Bravade nennt um den damaligen Ton zu persifliren. Ein Liebhaber wird in die Augen gestochen mit einer Haarnadel und das zwar von seiner Geliebten. Hierauf redet er das Jnstrument der blutigen That folgendermaßen an: O toi, qui secondoit son courage inhumain, loin d'orner ses cheveux deshonora ses mains, exécrable instrument de sa brutale rage, tu devais pour le meins respecter son image, ce portrait accompli d'un chef d'oeuvre des cieux, inprimé dans mon coeur, exprimé dans mes yeux. Viele dergleichen übertriebene Redensarten tadelt auch Longin in dem Kapitel περι του ψυχροῦ, wiewohl er ein wenig zu streng ist. Am aller auffallendsten wird der Fehler, wenn sich die Tropen unter einander widersprechen, wenn, wie Horaz sagt, ein Delphin an den Wald und ein Eber in den Wellen gemahlt wird, oder die Fische am Fenster, den Durchzug der Jsraeliten zu sehen. So las man268 ehemals in den Ausgaben des Cid: Malgré des feux si beaux, qui rompent ma colère, welches die Akademie tadelte. Jndessen ging sie wohl zu weit, wenn sie den andern Vers aus dem Cid angriff: Ses rides sur son front ont gravé ses exploits, welches eine Art Hypallage, kräftig und verständlich ist. Abgerechnet, daß der Cardinal Richelieu und sein Ansehn im Spiel war, so war die französische Kritik hier zu prosaisch, wie gewöhnlich, folglich ungerecht. So sind auch Klopstock und Schiller von zu prosaischen Kritikern oft nach der Logik getadelt worden, wo sie nach der Poetik Lob verdient hätten. Gehäufte Tropen übrigens, wenn sie nicht, wie der Fall im Plato, den Longin (τμημα λβ) anführt, als eine durchgeführte Allegorie angesehen werden können, ermüden die Einbildungskraft durch ihr Detail und schaden der Hauptempfindung. Der blumige Styl, dictio florida, wird für wenig Dichtungsarten passen, wiewohl sich die Regeln des Styls freylich für jede besondere Gattung besonders modificiren. Selbst Sophocles ist nicht selten zu blumig oder bilderreich. Wenn man aus der freyen großen Natur des Homer in die von Sophocles geschilderten Staatsverhältnisse eintritt, so thut es einem oft weh, jene Naturgemälde auf die kleinlichen Händel der Menschen künstlich angewandt zu sehen. Bey dem Altvater der Barden ist alles Leben, alles Person, alles hat ein Selbst. Wird z. B. auch die Versammlung mit den Wogen des Meeres verglichen, so ist es eine Vergleichung, das Vergleichungswort steht dabey, und man sieht nun in der Schilderung269 die κυματα μακρα θαλασσης selbst vor sich. Sophokles ist schon ein künstlicher Redner. Statt der Vergleichungen findet man Metaphern, die nicht mehr schildern, wo jeder Gegenstand in Relation mit einem andern steht, und am Ende keiner ein ganzes Selbst hat. Wir hören von den Wellen des Unglücks, die einen Staat erschüttern, und haben hier nichts als Verstandesabstraktionen. Aristophanes parodirt die Bildersprache des Aeschylus. Aber im Aeschylus ist die Metapher mehr Folge einer heiligen Trunkenheit. Beym Sophocles ist sie eine Folge der Ueberlegung. Note: Sophocles ist in den Chören dunkel, auch im Dialog oft gezwungen, indem er die gewöhnlichsten Dinge gern neu ausdrücken möchte. Man höre den φυλαξ, in der Antigone vs. 223. ἀναξ ἐρω μεν οὐχ ὁπως ταχους ὑπο δυςπνους ἱκανω κουφον ἐξαρας ποδα. πολλας γαρ ἐσχον φροντιδων ἐπιϛασεις, ὁδοις κυκλων ἐμαυτον εἰς ἀναϛροφην. und so gehen die Phrasen weiter, und die Antithesen, z. B. οὑτως ὁδος βραχεια γιγεται μακρα, über ganz gemeine Gedanken, ehe man die Nachricht erfährt. So braucht Sophocles auch die ironische Antiphrase, z. B. ἀγαθον Κρεοντα, Antig. vs. 31. ξενε κεφαλλην, Philoct. 791. welche etwas Unedles hat im hohen Styl und von verschrobener Cultur zeigt. Des Sophocles Diction ist nur dann meisterhaft, wenn er ganz einfach und tragisch wird. Soll man einen Charakter des poetischen Styls in abstracto annehmen, das heißt, einen solchen, der nicht durch die besondern Dichtungsarten modificirt ist, so scheint dieser von Homer, Tasso, Göthe und Mackpherson (in der270 Uebersetzung des Ossian) am reinsten dargestellt zu seyn. Man kann diesem Charakter das Attribut edel beylegen. Vielleicht ist nicht Ein Englischer Dichter, der sich so weit vom Wortschwulst entfernt hält bey allen Eigenheiten des Ausdrucks, wie der Wiedererwecker von Ossians Genius. Was kann einfacher seyn, als seine Zeitwörter, und doch zugleich gewählter? There Comala sits forlorn. two gray dogs near shake their rough ears, and catch the flying breeze. Her red check rests on her arm, and the mountain-wind is in her hair oder gleich vorher: the youth of thy love is low, and his ghost is already on our hills. Je reicher ein Dichter in Ansehung der Poesie seiner Hauptidee ist, desto einfacher wird seine Diktion. Die Poesie des Styls bey Pindar ist oft Armuth im Gegenstand.

§. 10.

Da das Schöne der Qualität nach eine werdende Erscheinung des Jdealen im Realen ist, und zwischen dem was noch fehlt und dem was schon ist schwankt, so muß auch die poetische Sprache als Ausdruck des Schönen durch Zeichen, zwischen dem was ist und dem was seyn soll das Mittel halten, und ein beständiges Werden der Gedanken ausdrücken. Sie muß die Begriffe nicht als abstrakt vollendet darstellen, sondern die Anschauun =271 gen, welche den Begriff bilden werden, selbst entstehen lassen. Sie muß nicht sowohl was geworden ist, als die lebendige Kraft, welche das Werden hervorbringt und entwickelt, zu zeigen wissen. Mit einem Worte: der Qualität nach muß sie anschaulich und sinnlich lebhaft seyn. Dies ist vielleicht die Eigenschaft des poetischen Styls, welche bey den Griechen, namentlich beym Hermogenes, δεινοτης genannt wird.

Anmerk. 1. Da der Dichter jeden Begriff mehr als werdend darstellt, als innerhalb seiner vom Verstand bestimmten Gränzen, so sieht man, warum a) die poetische Sprache eine Synonymiam verborum annimmt. Der Sprachforscher und Philosoph soll eine bestimmte Terminologie festsetzen, wodurch das Poetische oder das Werden der Sprache verlohren geht. Daher beginnt die Bildung jeder Sprache mit der Poesie, und je logischer eine Sprache wird, wie z. B. die französische, je mehr die Synonymen durch einen Gerard, Roubaud u. s. w. aufgehoben werden, desto unpoetischer wird sie auch. Wenn also Gegenstände einer Art sind, und ihre Benennungen nur durch kleine Nebenstimmungen verschieden, z. B. Hayn, Wald, Busch, Forst, so gebraucht der Dichter bald diese bald eine andere Benennung, weil er Anschauung und nicht einen Begriff von bestimmter Sfäre geben will. Hieraus entsteht die ποικιλια oder varietas styli, indem272 der Dichter ein und eben die Sache mit verschiedenen Wörtern ausdrückt. Man muß dies Verfahren nicht mit dem tropischen Verfahren der Einbildungkraft verwechseln, von dem wir weiter oben sprachen. Bey der Synonymie sind die Gegenstände einer Art, bey den periphrastischen oder metaphorischen Tropen werden Gegenstände ganz verschiedner Art, für einander gesetzt. Note: Diese Verwechslung begeht Scaliger in seiner Poetic L. IV. c. 32. wenn er als Beyspiele von Synonymie die Verse anführt: Omnes unde Amor iste rogant, Galle, quid insanis? certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas, seu quicunque furor. Hier steht effectus pro causa, also ein ganz andrer Gegenstand. Freylich werden nach und nach die Synonyme der Sprache durch das tropische Verfahren bereichert. Man wird nach und nach Segel für Schiff, aequora für mare setzen, ohne mehr an eine Synecdoche zu denken. Aber unterschieden bleiben diese Dinge doch ihrer Natur nach. Besonders wird die dichterische Sprache, um ihre Synonymie zu bereichern, diejenigen Tropen aufsuchen, welche mehr Anschauung als Begriff geben. Da nun eine Theilvorstellung immer mehr Anschaulichkeit hat, als das Ganze, da die Paraphrasis mehr Anschaulichkeit giebt, als das, was umschrieben wird, da die von sinnlichen Gegenständen hergenommene Metapher oft lebhafter ist, als der geistige Gegenstand, der eigentlich gemeynt wird, so behandelt die dichterische Sprache, der Anschaulichkeit wegen, eben diese tropischen Ausdrücke als Synonymen. Note: Periphrase als Synonym zur Metapher (wegen erhöhter Anschaulichkeit)b) Zweytens wird die dichterische Sprache, um273 sich und ihre Gedanken als werdend darzustellen, neue Worte zusammensetzen und schaffen (Synthesis), welche aber freylich nicht unverständlich seyn dürfen. Dixeris egregie, sagt Horaz, notum si callida verbum reddiderit iunctura nouum. Hierinnen sind besonders Aeschylus, Pindar und Klopstock stark. Auch wird dies dem tragischen oder Odendichter mehr zukommen, als andern Gattungen. Nur die höhern Lyriker suchen auch im Ausdruck das indictum ore alio. μελαγχιτων φρην κακομαντις θυμος χρυσογονος ἰσχυς Ἀσιατογενης ἀκροπενθης (Aeschyl. Pers. sc. 1.). Sokrates-Addisson, Schmintheus-Anakreon (Klopstock), sind alles Zusammensetzungen ungewöhnlicher Art, welche sehr lebhafte Wirkung thun, zumal da sie die Kürze mit der Lebhaftigkeit verbinden. Zuweilen geschieht es auch, um einen komischen Effekt hervorzubringen, wie in dem bekannten Epigramm des Hegesander auf die Sophisten: Ὀφρυανασπασιδαι, ρινεγκαταπηξογενειοι, σακκογενειοτροφοι και λοπαδαρπαγιδαι, ἱματανωπεριβαλλοι, νηλιποκαιβλεπελαοι νυκτιλαθραιοφαγοι, νυκταπαταπλαγιοι μειρακιεξαπαται, και συλλαβοπευσιλαβηται δοξοματαιοσοφοι, ζηταρετησιαδαι, welches Scaliger in dem Commentar ad Varron. de L. L. folgendermaßen übersetzt hat. Silonicaperones, vibrissasperomenti, manticobarbicolae exterebropatinae, planipedatquelucernitui, suffarcinamicti noctilatentivori, noctidolostudii, pullipremoplagii sutelocaptiotricae, rumigeraucupidae, nugicanoricrepi. Martin Opitz hat in seinem aus dem Holländischen274 des Daniel Heinsius übersetzten Hymnus in Bachum auch dergleichen Zusammensetzungen gemacht: Du Mörder aller Pein, du wunderstarker Gott. O Hyeu, Nysean, Paean, Jrephiot! Nachläufer, Hüftesohn, Hochschreyer, Lüfftenspringer, Gutgeber, Liebesfreund, Hauptbrecher, Löwenzwinger, Herzfänger, Herzendieb, Mundbinder, Sinnentoll, Geistrührer, Wackelfuß, Stadtkreischer, Allzeitvoll. Professor Gottsched hält sich in seiner Poetik darüber auf. Allein es paßt dies gerade in einen noch dazu scherzhaften Hymnus in Bachum, da bekanntlich die Dithyramben der Alten vielsylbige Worte liebten. Jn den ältern Zeiten einer Sprache sind die Dichter in dergleichen Zusammensetzungen kühner. Es ist bekannt, daß man dem Pacuvius harte Zusammensetzungen vorwirft, rudentisibilus, tu curuifrontes pascere armentas soles. Lucilius der alte Satyrenschreiber macht Worte, wie hippocampelephantocamelus. Ein andrer übersetzt das Homerische ἑλκεσιπλεπον mit vestitrahum. Doch im Scherz, wie Aristophanes, der vermuthlich, um den Aeschylus zu parodiren, dergleichen Sylbenbindungen bis zur Karrikatur treibt, geht dies wohl an beym Lucrez findet man oft mare navigerum, navibus velivolis. Beym Horaz findet man selten dergleichen, wie tergeminis dissociabiles. Die spätern Dichter werden schon wieder kühner, weil sie in Nebensachen neu seyn wollen. Freylich müssen solche Wortschöpfungen erstlich die Dichtungsart rechtfertigen. Denn die tiefere Empfindung: proiicit ampullas et sesquipedalia verba. Zweytens dürfen sie nicht ganz unsinnig275 widerfprechend seyn, wie zu den Zeiten der Pegnitzschäfer und Zesianer in Deutschland. Lustschlürfendes Tönen, die Nachtigall eine Baumsirene u. s. w. Neuerlich findet man in den hexametrischen Gedichten der Deutschen oft Zusammensetzungen bis zur Ermüdung, besonders in den Epitheten. Selten findet man Synthesen, die leicht sind. Der Synthesis neuer Worte steht als grammatische Figur die Tmesis entgegen, wenn gewöhnliche zusammengesetzte Sylben von den Dichtern getrennt werden. Auch hierdurch erscheint die Sprache der Dichter als neu, schöpferisch, werdend, anschaulich und lebhaft. Quae me cunque vocant terrae statt quaecunque. Der Dichter muß seine Sprache kennen, wenn er so mit ihr verfahren will. Von der Art ist die Stelle des Homer, welche Longin (Tmema ι) deswegen lobt Il. XV. vs. 624. bey der Beschreibung eines Sturms: τρομεουσι δε τε φρενα ναυται δειδιοτες· τυτθον γαρ ὑπ 'ἐκ θανατοιο φερονται. Longin findet in dieser gewaltsamen Stellung unverbundener Vorwörter einen mahlerischen Ausdruck von der Heftigkeit des Sturms. Tollius hat deshalb den Vers des Homer in der lateinischen Uebersetzung so nachgeahmt: Eripiuntur enim vix desub faucibus orci. Allein das ist eben der Charakter solcher figurarum dictionis, daß sie in der Uebersetzung gewöhnlich verschwinden. Der griechische Dichter hat einen großen Vortheil, indem er besonders die Vorwörter von den Zeitwörtern wieder trennen darf. κρατερον δ' ἐπι μυθον ἐτελλε. Allerdings lassen sich dergleichen Trennungen auch im Deutschen machen276, aber wenn zuviel dazwischen kommt, so wird der usus beleidigt, quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi. Unter den Römern soll besonders Lucilius die Tmesin sehr geliebt haben non proficit hilum welches man auch beym Lucrez findet. Circum dea fundit amictum. Virgil. Cere-fregit-brum. Zu dem poetischen Umschaffen der Wörter kann man noch andre figuras dictionis rechnen, die Syncope scuta virûm statt virorum. Die Syllepsis grammatica: turba ruunt, pars surgunt monstrum quae (Horat. L. I. 37. vs. 21.) wenn wir im Deutschen sagen, das Weib, die u. s. w. Oft sucht auch der Dichter wieder den alten Klang der Worte hervor, um seiner Sprache eine gewisse Würde zu geben. Olli subridens pro illi urbis ne invisere Caesar pro urbes aulai frugiferenteis. Deshalb sagt Horaz mit Recht: multa renascentur, quae iam cecidere vocabula. Besonders wäre dies im Deutschen zu wünschen. Die Sprache unsrer Vorfahren nicht lange vor und kurz nach Luther war weit kräftiger, reicher an Worten, volltönender als die unsrige. Klopstock klagt in der Gelehrtenrepublik: Unsre ältern Vorfahren endeten die meisten Wörter mit Selbstlauten. Die Jtaliener und Spanier haben dies angenommen. Unsre spätern Vorfahren haben die Selbstlaute bis auf das e (und auch dieses kommt eben nicht oft vor) weggeworfen. Der Verdruß über diesen Verlust hat mich darauf gebracht, die Ursache der Wegwerfung zu finden. Vielleicht war man nicht gewiß genug, welchen Selbstlaut man277 brauchen sollte. Gewiß fehlt daher dem Baum unsrer Sprache dadurch etwas an Laub. Sogar Herze beleidigt, ungeachtet man das noch hier und da findet. Man fängt itzt wieder an, die Selbstlaute und überhaupt die ältere Sprache einzuführen. Ob mit Erfolg wird die Zukunft lehren. Billig sollte doch auch dem deutschen Dichter ein eigener Dialekt gestattet seyn, wie z. B. den Hebräern, die, sobald ihre Sprache numerös wird, Sylben hinzusetzen, wegwerfen, und paragogicas particulas gebrauchen. Griechen und Lateiner haben in der Dichtkunst ihre eigene freyere Declination und Conjugation. Lavis für lavas. Ulyssei für Ulyssis. c) Ferner sucht die poetische Sprache ihr Anschauliches Werden darinnen, daß sie keinen Begriff leicht allein setzt. Sie giebt ihm ein Epitheton oder Beywort zu, das seine individuellen Eigenschaften näher ausdrückt, ohne doch ein eigentlich nothwendiges Attribut zu seyn. Vorzüglich thun dies Homer, die epischen und Jdyllendichter, und jeder Gegenstand behält dann sein Epitheton durchaus. ποδας ὠκυς Ἀχιλλευς u. s. w. Dadurch aber wird man am Ende so daran gewöhnt, daß gar nichts mehr dabey gedacht wird, und man es mehr als nomen proprium, als einen leeren Wortklang anhört. Diese Simplicität ist also nicht durchgängig und unbedingt anzunehmen, obwohl es in unsern hexametrischen Gedichten jetzt geschieht. Wenigstens wird damit wenig poetisches Leben gewonnen. Die Poesie bey kultivirten Völkern muß sehr sparsam mit dergleichen Gemälden seyn. Ueber die müßigen Epitheta macht sich Boileau in einer Epitre an Moliere lustig. 278 Nicht immer stärkt ein hinzugefügtes Epitheton den Gedanken, oft schwächt es die Rede, wenn dadurch entweder ein völliger Pleonasmus entsteht, oder wenn man dadurch an Nebenideen erinnert wird, von denen man itzt nichts wissen will. Es giebt z. B. für den, welcher ästhetisches Gefühl und philosophische Einsicht genug besitzt, keine erhabenere Stelle in der Welt, als die Worte Christi im Johannes: Philippe, wer mich sieht, siehet den Vater. Nonnus Panopolitanus in seiner Metaphrase des Evangeliums nach dem Johannes macht daraus folgenden Hexameter: Πας βροτος ὁς με νοησε, και ἀφθιτον εἰδε τοκηα. Ungerechnet, daß das πατερα in τοκηα verwandelt worden, so ist das ἀφθιτον hier ganz kraftlos. Uebrigens sind die ältern Dichter nicht einmal mit einem Epitheton zufrieden. Sie häufen sie auf einander in verschiedenen Stellungen, zumal in den Hymnen, und ohne Verbindungsworte. Man fängt an im Deutschen in den dem griechischen Styl nachgebildeten Gedichten die Epitheten nach dem Worte zu setzen. Dies wird dem Genius unserer Sprache nicht zuwider seyn, sobald das Epitheton nur bedeutend ist, und etwas Wichtiges, Unterscheidendes sagt oder nur volltönig ist. Sie kamen ans Meer, aus dunkelrollende u. s. w. Jst aber das Epitheton klanglos, unwichtig, so bekommt es durch die Stellung zu viel Accent, und die Construction wird geziert. Wenn der Dichter viele Namen zu nennen hat, die an sich nichts sagen, so hebt er sie durch Epitheten. Bey den ältesten Griechen waren oft die Gedichte versus memoriales, z. B. die Theogonie des Hesiodus279 besteht größtentheils aus Namen. Jenen Zeiten war es interessant, die nomina propria der Halbgötter u. s. w. alle zu kennen. Homer häuft auch Namen, z. E. in seinem Catalogo navium. Allein er giebt auch durch Beiwörter schon mehr zu denken. Zuweilen, wenn ein Held in der Schlacht viele Feinde erlegt, läßt der Dichter die Namen ohne Epitheten schnell auf einander folgen. Dies thut Wirkung, weil damit die Menge der Getödteten lebhaft ausgedrückt wird. Nicht selten sind die Namen selbst schon ausdrucksvoll und reich an Bildern; dann kann man sie auch ohne Epitheten mit Jnteresse anhören. Dies ist der Fall z. B. bey den Namen der Meernymfen, durch welche man an mahlerische Situationen der Seegegenden erinnert wird. Oft sind die Epitheta sehr tropisch und gewählt sub luce maligna viridis senectus. (Der Greis mit dem Blüthenhaar. Klopstock.) Dadurch werden sie auch oft geziert: mens congesta iubet Claudian. Zuweilen sind sie scheinbar pleonastisch und doch poetisch: Komm, Landesvater, komm, zeuch ein bey dunkler Nacht. Pietsch. Gelidos inficiet tibi rubro sanguine rivos. (Horat. L. III. Od. 13.) Jndessen giebt es doch auch schwarzes Blut und das Bild ist hier nicht unangenehm. Die Beywörter, welche mit aller Kürze die reichhaltigsten und lebhaftesten sind, werden auch immer die schönsten seyn; z. B. in eben der Ode das pecus vagum. (giovani vaghi. Ariost.) Widersprechende Epitheta können blos im Komischen Wirkung thun. Daß man, wenn Achill weint, an seine Schnellfüßigkeit gerade itzt erinnert wird,280 tadelt Skaliger am Homer. Doch, das Epitheton ist zugleich nomen proprium geworden, und der pius und pater Aeneas des von Scaliger vorgezogenen Virgils will auch nicht immer passen, zumal da, wo er die Dido verläßt. d) Viertens wird die poetische Sprache lebhaft durch die Veränderung der grammatischen Construction. Die Jnversion findet sich beym Redner eben so oft wie beym Poeten. Nicht jeder Dichter darf diese grammatische Figur gleich gebrauchen. Der Lyriker und Tragiker mehr als der Epiker. Denn dieser muß einfacher sprechen. Auch muß dabey der Genius jeder Sprache sehr wohl in Acht genommen werden. A mes justes desseins je vois tout conspirer et par une entreprise à son repos funeste ... Racine. Aux plus savans auteurs comme aux plus grands guerriers Apollon ne promet qu'un nom et des Lauriers. Boileau. Man sieht, daß hier die Umkehrung durch den Sinn gerechtfertigt ist. Lächerlich wird und geziert diese grammatische Figur, wenn der Sinn keinesweges einen Accent verlangt. Z. B. du palais du monarque il logeoit vis à vis. Wenn dies die Sprache auch verstattete, würde es immer komisch seyn, durch einen Accent aufmerksam geworden, auf sinnlose Worte zu stoßen. Ils s'arrêtent non loin de ces tombeaux antiques, des rois vos ayeux sont les froides reliques. Hier habe ich Accent, aber ich finde auch eine große Jdee. Am allerschlechtesten nehmen sich Jnversionen zu Anfang eines erzählenden Gedichts aus, weil sie zu große Stärke auf die ersten Worte legen. Impulit Ionios prae -281 misso lumine fluctus nondum pura dies. Claud. de rapt. Proserp. Lib. II. Conticuere omnes beym Virgil ist gut, weil der Nachsatz kurz ist, auch der Sinn die Stärke der Wortstellung rechtfertigt. Und den Todtengesang heult dumpf noch fort auf dem großen, immer offnem Grabe der Sturm. e) Zur Lebhaftigkeit der poetischen Sprache gehört auch, daß sie sich von allen Bindungspartikeln, die der ordnende Verstand erfindet, los macht. Dies ist das genus ἀσυνδετον soluta oratio. Sie findet Statt beym großen und heftigen tectum augustum ingens centum sublime columnis ferte citi flammas, date tela, impellite remos. Kann die Mutter vergessen ihres Säuglings, daß sie sich nicht über den Sohn ihres Leibes erbarme? Vergäße sie sein; ich will dein nicht vergessen. Klopstock. Oft thut aber das Gegentheil die ruhige Verbindung in einer Erzählung durch und mehr Wirkung, z. B. in der oben angeführten grausenden Erzählung des Dante vom Ugolino. f) Auch dadurch wird die Rede lebendiger, daß die Sätze mit einer gewissen Unordnung in einander geschoben werden. Hierher gehört das ὑπερβατον Aeneid. XII. 161. seq. Interea reges (Nun kommen in sieben Zwischenversen ihre Namen und Beschreibung) procedunt castris. Auch die παρενθεσις, wenn sich der Redende unterbricht, damit er etwas nicht vergesse: et lorsque quelquefois de ma rivale heureuse je me représentois l'image douloureuse, votre mort (pardonnez aux fureurs des amans) ne me paroissoit plus le plus grand des tourmens. Racin. 282Bajaz. Act. II. sc. 5. Horaz macht zuweilen zu lange Parenthesen. L. IV. od. 4. g) Das Leben der Sprache gewinnt auch durch die Wiederholungen einzelner Worte, oder ganzer Phrasen. Die Grammatiker sind hier in den Unterscheidungen äußerst subtil. Wer kann alle ihre Terminologien abschreiben? Anaphora, Epanalepsis, Anadiplosis, ah Corydon, Corydon, fugite, o miferi, fugite, (hier stehen Worte dazwischen) ἀπωλετο καλος Ἀδωνις, ὠλετο καλος Ἀδωνις, ad arma, ad arma. Dies macht Effekt beym Heftigen, weil man gleichfalls auf Eine Jdee durch die Wiederholung zu dringen scheint, beym Sanften, weil man durch die Wiederholung einen leichtern Uebergang gewinnt. Hierher ist auch die ταυτοτης zu rechnen, eine scheinbare Nachlässigkeit, indem man ein Wort wieder braucht, was man eben in einer andern Stellung gebraucht hatte, um eines Accents willen. Z. B. im Terenz: quod si is nunc me deceperit, saepe obsecrans me ut veniam, frustra veniet. h) Zum Leben der dichterischen Sprache trägt auch oft ein gewisser Pleonasmus bey, der mit ἐμφασις verbunden ist. Vidi egomet hisce auribus hausi Septem illum totos perhibent ex ordine menses flevisse. i) Oft ist dagegen die ἐλλειψις und Aposiopesis ausdrucksvoller, welche sich besonders im Heftigen finden. Quos ego ... sed motos praestat componere fluctus novimus et nos te. Sehr poetisch ist die Ellipse Virgils beym Tode der Dido: Dixerat atque illam media inter talia ferro collapsam aspiciunt. 283k) Um den Gegenstand oder die Handlung anschaulicher zu machen, setzt der Dichter oft das praesens für das futurum, läßt eine Handlung vor unsern Augen geschehen, und führt seine handelnden Personen redend ein. Dieses giebt die Hypotypose und die Sermocinatio. Cependant sur le dos de la plaine liquide, s'éleve à gros bouillons une montagne humide, l'onde aproche, se brise, et vomit à nos yeux parmi les flots d'ecume un monstre furieux. Racine Phedr. in der Beschreibung vom Tod des Hyppolite. Ἑκτωρ δε τρωεσσιν ἐκεκλετο, μακρον αὐσας, νηυσιν ἐπισσευεσθαι, ἐᾶν δ 'ἐναρα βροτοεντα· Ὁν δ' ἀν ἐγων ἀπανευθε νεων ἐθελοντα νοησω αὐτοῦ οἱ θανατον μητισσομαι (hier läßt der Dichter weg: Hektor sprach, und läßt ihn gleich selbst reden. (cf. Longin tmema κζ. Klopstocks Messias 1. G. vs. 680.) Leitet den sterbenden Greis! (Klopstocks Ode an Ebert.) Ein merkwürdiger hieher gehöriger Fall ist Virg. Ecl. VI. vs. 62. Tum Phaetontiadas musco circumdat amarae Corticis atque solo proceras erigit alnos. Silen singt diese Verwandlung der Schwestern des Phaeton. Dies wird so lebhaft dargestellt, daß man glaubt, Silen verwandle sie selbst. Dies ist zugleich ein Tropus. 1) Der Dichter redet oft den Gegenstand, von dem er erzählt, an. (Apostrophe.) Iamque stabant Thebae, poteras iam, Cadme, videri felix. Ovid. Tu quoque littoribus nostris, Aeneïa nutrix aeternam moriens famam, Caieta, dedisti. Virg. m) Zur Lebhaftigkeit der dichterischen Rede gehört auch der Ausruf,284 der besonders bey den griechischen Tragikern, namentlich beym Aeschylus, in den Chören sehr vielsylbig ist. τοτοῖ, ποποι, φευ, ηε κ. τ. λ. Auch beym Sophocles im Philoctet. Vermuthlich parodirt dies Aristophanes im Chore seiner Vögel. Ferner die Interrogatio, die Epanorthosis oder Correctio, wenn man etwas zuvor Gesagtes wiederruft, und andre mehr.

Anmerk. 2. Alle die in voriger Anmerkung aufgezählten Kunstgriffe der dichterischen Rede, sich Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit zu geben, werden unter dem Namen Figurae begriffen. Es sind Arten der Sprache sich besonders zu gestalten. Der größte Theil von ihnen bezieht sich auf die bestimmten Worte, die gebraucht worden sind, und geht verlohren, wenn man andere Worte gebraucht. Darum heißen sie insbesondre figurae dictionis, locutionis verborum, und in dieser Rücksicht werden die oben erwähnten Tropen ebenfalls zuweilen zu den figuris gezählt. Nun giebt es aber noch Gestalten der dichterischen Rede, die weniger von der einzelnen Phrase, vom einzelnen Worte abhängen, als von der ganzen Wendung des dichterischen Gedankens. Deswegen nennt man sie mannichmal figuras sententiarum. Schemata. Cicero de Oratore, sagt: Inter conformationem verborum et sententiarum hoc interest, quod verborum tollitur, si verba mutaris, sententiarum permanet, quibuscunque verbis uti velis. Jn dieser Rücksicht haben wir ihrer schon oben, als wir vom poetischen Gedanken überhaupt sprachen,285 Erwähnung gethan. Jndessen geben sie doch auch der dichterischen Sprache besondere Gestalt. Sie geben ihr ausgezeichnete Wendungen. Deswegen werden sie als besondere lumina orationis angesehen, die zuweilen auch der Redner gebraucht. Und so werden sie auch gewöhnlich in dem Kapitel von der poetischen Sprache abgehandelt. Wir wollen sie zum Unterschied von den vorigen, die weniger ausgezeichnet sind, figuras maiores, jene minores nennen. Hierher kann man rechnen 1) die Beschreibung, Descriptio. Sie ist von der Hypotyposis (in der vorigen Anmerkung) dadurch unterschieden, daß sie den dichterischen Gegenstand nach allen Theilen seiner Gestalt genau abmahlt, ohne sich ihn gerade, wie jene, als gegenwärtig zu denken. Sie ist also etwas minder Lebhaftes, als jene. Sie ist aber eben deswegen auch nicht so vorübergehend. Durch sie wird der Phantasie nach und nach die Anschauung als werdend gegeben. Besonders gebrauchen die erzählenden Dichter diese Figur. Sie fangen gemeiniglich mit einer Schilderung an, Est locus u. s. w. eh man noch weiß, warum geschildert wird. Dies erregt Aufmerksamkeit und giebt der Erzählung Würde. Mitten in der Handlung selbst hingegen sind die Beschreibungen sehr mit Vorsicht zu gebrauchen, damit sie nicht, wie Horaz sagt, ein purpureus pannus werden, die umsonst die Einbildungskraft in Thätigkeit setzen. Die Haupthandlung muß freylich glänzend beschrieben werden, z. B. der vorgebliche Tod Orests in der Electra des Sophocles, das Ungeheuer im Tod des Hyppolits beym Racine. Die Beschreibung286 Il. V. 105─155. ist nicht müßig. Sie zeigt das Zweifeln des Pandarus, ob er schießen soll, und spannt die Erwartung. Die Beschreibung bezieht sich nicht blos auf sinnliche Gegenstände. Es werden auch unsinnliche Gegenstände unter Bildern beschrieben. Alsdann wird die Beschreibung zur Form der Allegorie, wie z. B. Virgils Fama, Ariosts Grotte des Schlafs. Uebrigens muß man von der Beschreibung als Figur der Rede das eigentlich beschreibende Gedicht unterscheiden. Der Schild des Achill, das Begräbniß des Patroclus sind beschreibende Episoden. 2) Die Vergleichung, Comparatio. Eben weil der Dichter seinen Gegenstand anschaulich macht, so stellt er oft ähnliche Gegenstände neben ihn hin, die ihn vor der Phantasie versinnlichen, und macht durch ein Verbindungswort auf die Aehnlichkeit der beyden Gegenstände aufmerksam. Doch wird bey der Vergleichung das Bild, mit dem der Gegenstand verglichen wird, als Nebensache behandelt, immer nur als abhängig von ihm und vorübergehend angesehen. Z. B. Den Himmel hat er ausgespannt wie eine Decke (δερμα, pellis, besonders die Decke der Stiftshütte). Dieses hindert nicht, daß das Bild der Vergleichung ausführlich sey, nur bleibt es immer, um wie die hebräischen Grammatiker zu sprechen, in statu constructo. κινηθη δ 'ἀγορη, ὡς κυματα μακρα θαλασσης Ποντου Ἰκαριοιο, τα μεν Εὐρος τε νοτος τε ὠρορ', ἐπαιξας πατρος Διος ἐκ νεφελαων. Man muß daher von der Vergleichung unterscheiden 3) das Gleichniß, Simile. Dieses ist oft nicht wortreicher, als die Vergleichung; es steht eine Vergleichungspartikel287 ebenfalls dabey. Aber das Bild der Vergleichung steht in statu absoluto, wird einzeln als unabhängig vom Hauptgegenstande ausgeführt. ὡς δ 'ὁτε κινησει Ζεφυρος βαθυ ληιον ἐλθων λαβρος ἐπαιγιζων, ἐπι τ' ἠμυει ἀϛαχυεσσιν, ὡς των πασ 'ἀγορη κινηθη. Gewöhnlich fängt das Gleichniß die Rede an, eh man den Hauptgegenstand weiß. Dadurch gewinnt die poetische Rede an Würde und erregt Aufmerksamkeit. Z. B. Wie wenn der strenge Nord die starken Flügel hebt, und aus der Höhle steigt, der feste Grund erbebt, wenn er den rauhen Ton läßt durch das Land erschallen, bis Thürme, Thor, Pallast, Schloß, Haus und Hütten fallen, wie dieser Mauren Graus die Menschen niederschlägt, die sein gedrehter Hauch im Wirbel aufwärts trägt, wenn er die Wälder selbst aus ihren Wurzeln dränget und Stein, Baum, Thier und Mensch in einen Klumpen menget ... so reibt des Helden Arm die Saracenen auf. Pietsch. Jndeß kann das Gleichniß auch später als der Hauptgegenstand stehn, nur immer muß es als ein selbstständiger Gedanke erscheinen. Z. B. Also sieht ein wallender Seraph der blühenden Erde halb unkenntliches Antlitz an Frühlingsabenden liegen, wenn der Abendstern am einsamen Himmel heraufgeht, und ihn anzuschaun aus der dämmernden Laube den Weisen herwinkt. Klopstock. Die Vergleichung kann dagegen ebenfalls eher kommen, als der Gegenstand. Der Dichter kann sagen: wie Wölfe gingen die zwey Helden durch die Nacht. Es bleibt immer eine Vergleichung, denn das Bild ist nicht selbstständig. Was übrigens das Bild des Gleichnisses und288 der Vergleichung betrifft, so kann es kleiner seyn, als der Hauptgegenstand, und auch größer, je nachdem dadurch die Jdee anschaulicher wird. Homer vergleicht das Heer mit Bienen, denn es soll hier blos die Menge anschaulich werden, und dies ist durch ein kleiner Bild leichter zu erreichen, als durch ein größeres. Il. XV. 362. wird Apoll, der die Mauer einreißt, mit einem Knaben verglichen, der Sandhaufen einreißt, welche er baute. Dadurch wird die Macht anschaulich. Dagegen wird die Macht eines kleinern Gegenstandes oft sinnlich anschaulicher durch eine größere Vergleichung. δ' αρ ἐσθορε φαιδιμος Ἑκτωρ νυκτι θοῃ ἀταλαντος ὑπωπια, d. h. es ward schnelle Nacht vor den Augen jedem, der den Helden erblickte. Il. ν. 754. wird Hektor mit einem Schneegebirg verglichen, wobey vielleicht der Dichter an die Farbe und Höhe seines Helmbusches dachte, wie auch Pope meynt. Diese Vergleichung ist beynah hyperbolisch, allein sie ist kräftig, weil sie die Gewalt des fortstürzenden Hekrors anzeigt. Uebrigens muß ein Gleichniß zwar in der Hauptsache dem Gegenstande ähnlich seyn, in den Nebenzügen ist aber keine genaue Aehnlichkeit zu suchen. Das würde zu sehr den Verstand beschäftigen. Die Phantasie liebt eine Art Nachlässigkeit. Der Dichter setzt daher zum Ueberfluß etwas hinzu, was blos das Gleichniß angeht und auf den Hauptgegenstand keinen Bezug hat. Il. λ. 113. wird Agamemnon, der zwey Söhne des Priamus tödtet, mit einem Löwen verglichen, welcher die Kinder einer Hirschkuh mordet. Diese kann ihnen aber nicht helfen, sondern flieht durch die Wälder und Büsche. So289 vermochten auch die Trojaner nicht zu helfen u. s. w. Die Unordnung in diesem Gleichniß ist ächt poetisch. Freylich könnte man eher den Priamus mit der Hirschkuh vergleichen, als die Trojaner. Aber der Dichter geht nur auf die Aehnlichkeit im ganzen Gedanken. Il. λ. 475. kommen Menelaus und Ajax dem von Trojanern umringten Ulysses zu Hülfe. Die Trojaner entfliehn. Dies veranlaßt den Dichter zu folgendem Gleichniß: Ein Hirsch ist verwundet. Wölfe sind um ihn her. Da verjagt sie ein Löwe und frißt den Hirsch. Hier sind Nebenzüge, die nicht passen. Denn Menelaus tödtet den Ulysses nicht, sondern hilft ihm. Aber der Dichter sucht nicht so peinlich die Aehnlichkeiten herauszuheben. Gerade durch solche allgemeine Züge, die er hinzufügt, gewinnt die Einbildungskraft an Freyheit, das Bild an Unendlichkeit. Kein Epiker und überhaupt kein Poet ist glücklicher darin, eine Anschauung von der Größe des Universums durch Gleichnisse zu geben, als Homer, und gerade durch kleine Zusätze. Ströme stürzen ins Thal, των δε τε τηλοσε δουπον ἐν οὐρεσιν ἐκλυε ποιμην. Der Schall der zusammengestoßenen Schilde wird verglichen mit dem Lärmen der Holzhauer im Walde. Der Rauch steigt aus einer Jnsel fern im Meer. Bey der Beschreibung des Mittags wird hinzugefügt, itzt sey die Zeit, wo der Holzhauer auf den Bergen aufhöre zu arbeiten und sein Essen hervorhole. Wie meisterhaft wird die Einbildungskraft dadurch mitten aus dem Getümmel der Waffen gerissen und in eine andre Gegend der Welt geführt, wo vollkommne Ruhe herrscht. Ossian ist weit genauer290 und künstlicher in seinen Vergleichungen und deswegen vielleicht weniger ächt. Uebrigens ist noch die Frage, ob es unedle Gleichnisse gebe. Homer vergleicht den Ajax mit einem Esel langsam durchs Kornfeld weichend von Knaben verfolgt. Daß der Esel bey uns lächerlich geworden ist, ist Zufall, der dem Homer nicht zugerechnet werden kann. Was unästhetisch, wahrhaft ekelhaft ist, kann freylich nicht würdig seyn, in eine Vergleichung aufgenommen zu werden. Wer aber seine Gleichnisse aus der großen Natur oder aus dem häuslichen Leben nimmt, wie Homer (Il. XXI. 362.), wird hier selten in einen Fehler verfallen. Die hebräischen Dichter haben manches Bild aus dem gemeinen Leben, oder aus der kleinern Natur: Jes. 10, 14. Meine Hand hat der Völker Schätze geleert wie Nester. Jch eignete mir die Welt zu, wie verlaßne Eyer. Nichts regte die Flügel, nichts öffnete den Mund und zwitscherte. Wie wenn Salbe fleußt aus Aarons Bart auf seines Kleides Saum u. s. w. Jm Lied Salomons sind einige zu harte Vergleichungen. Z. B. Der Hals mit einem Thurm. Die Asiaten überhaupt lieben in ihrer Poesie das Auffallende. 4) Collatio et Exemplum. Diese Figur kann man noch von der Vergleichung unterscheiden. Hier wird ein ähnlicher Fall zu einem ähnlichen beyspielweise gesetzt und ohne ein vergleichendes Bindewort. Pallasne exurere classem Archivum atque ipsos potuit submergere ponto. Antenor potuit medius elapsus Achivis regna Libernorum et fontem superare Timavi. Virg. Der griechische Chor in den Trauerspielen hat oft solche historische291 Vergleichungen. 5) Prosopopoeia. Diese Figur ist eine von denen, welche in der dichterischen Sprache am häufigsten vorkommt, und zur Belebung sehr viel beyträgt. Durch sie bekommt jeder auch todte Gegenstand eine Seele und Bewegung. Durch sie wird alles Seyn in ein Werden, jedes Anschauliche in ein Erscheinen verwandelt. Ce tombeau s'ouvriroit, sagt Flechier in einer Todtenrede, ces ossemens se rejoindroient pour me dire: pourquoi viens-tu mentir pour moi, qui ne mentis jamais pour personne? Laisses moi reposer dans le sein de la vérité, et ne viens pas troubler ma paix par la flatterie, que j'ai haïe. Die Prosopopoeia als Figur ist von der Personendichtung zu unterscheiden, welche ein Theil der Fiction ist, wodurch sich der Dichter für den Stoff seines Gedichts wirklich bestimmte Wesen schafft, wie z. B. der Hunger des Ovid, die Fama des Virgil. Nur von der Figur kann hier die Rede seyn, wo unpersönliche Wesen durch die Rede, nicht durch den Jnhalt lebendig werden. Te nemus, te liquidi flevere lacus, oder wenn Turnus seine Lanze anredet. (Aeneid. XII. 93.) Keine Poesie geht in Belebung todter Dinge weiter, als die hebräische. Die Pfeile sind Söhne des Bogens und des Köchers. Das Schwert des Donners Bruder. Das Meer wird geboren wie ein Kind in Wolken gewindelt. Die Tiefe ächzt (Habacuc 4, 10. 11.). Die Höhe erhebt die Hände. An einem andern Orte (Ps. 98, 7.) singen die Berge Jubel, die Ströme klopfen in die Hände כ־ואחמי תודהכ Auch abstrakte Begriffe werden personifizirt. Die Weisheit292 bey Salomo ist eine Tochter des Weltschöpfers, sie war bey ihm, als er die Himmel ausspannte, als sein Zögling, und freute sich seiner Erde. Die Pest zieht im Habacuc vor Jehova her, wie der Φοβος beym Homer vor dem Mars. Freundschaft und Gerechtigkeit küssen sich. Die Sünde lauert vor der Thür. Die Tochter Zions (die Nazion) sitzt traurig auf der Erde und weint. Jes. 14. singt die Nazion ein Siegeslied u. s. w. Jm Ganzen genommen ist die Prosopopoeia eine lyrische Figur, die in Gedichten, wo wirkliche Personen auftreten, mit Vorsicht gebraucht werden muß. Epische Dichter haben sie selten, ausgenommen in den Stellen, wo sie selbst lyrisch sind. So sagt Klopstock zu Anfang der Messiade: Darf sich auch dir nahn aus dunkler Ferne die Dichtkunst? Weihe sie, Geist Schöpfer, ... führe sie mir als deine Nachahmerin voller Entzücken, voll unsterblicher Kraft in verklärter Schönheit entgegen. Von dieser Figur muß man die schon erwähnte Sermocinatio unterscheiden, wo wirkliche Personen als redend eingeführt werden. Die Rhetoriker werfen dies oft zusammen. 6) Nah verwandt mit der eben angeführten Figur ist die Invocatio, welche noch von der Apostrophe, einer bloßen Anrede, unterschieden ist. Epische Dichter beginnen gewöhnlich, lyrische nicht selten mit einem Anruf an irgend ein heiliges Wesen, das ihnen die Leyer stimmen, oder sie begeistern soll. Descende coelo et dic age tibia regina longum Calliope melos. Horat. Aeneadum genetrix, hominum divumque voluptas Alma Venus. Lucret. Auch scherzhafte Dichter293 ahmen dies nach. Dicite Seriades Nymphae certamina tanta Carminibus prorsus vatum illibata priorum. Vida Scacchia ludus. Doch ist der Kunstgriff im Scherzhaften schon eben so abgenutzt, wie im Ernsthaften, und man thut fast eben so gut, wie Voltaire seine Pucelle anzufangen: Il faut pourtant vous chanter cette Jeanne. 7) Für den Anfang besonders paßt auch die Figur, welche man Suspensio nennt, weil sie Aufmerksamkeit erregt, indem man von weitem anfängt und den Hauptgedanken lange erwarten läßt. Quid faciat laetas segetes, quo sidere terram vertere Maecenas ulmisque adiungere vites conveniat, quae cura boum, qui cultus habendo sit pecori, apibus quanta experientia parcis ... hinc canere incipiam. Virg. Der großen Wahrheit voll, daß alles eitel sey, womit der Mensch in seinen Frühlingsjahren, berauscht von süßer Raserey, leichtsinnig lüstern, rasch und unerfahren in seinem Paradies von Rosen und Schesmin ein kleiner Gott sich dünkt setzt Phanias der Weise, wie Herkules sich auf den Scheidweg hin. Wieland. Daß noch die ganze Welt in ihren Angeln geht, das Meer die Gränzen hält, die Erde feste steht, die Sterne und ihr Haus nicht in den Abgrund schießen, die Sonne Licht und Tag mit Mond und Menschen theilt, der kleine Bär am Pol nicht zu dem großen eilt, die Elemente sich nicht in einander gießen, die Tugend Kinder zeugt, der Purpur sich verjüngt, Geschlechter unverrückt bis auf die Nachwelt bleiben, ja daß der Weisheit nicht der Tod zu Grabe singt. ...294 dies alles ist mit Recht der Liebe zuzuschreiben. Günther. 8) Sehr lebhaft ist auch die Praeteritio. Der Dichter will etwas nicht erwähnen, aber seine Einbildungskraft zwingt ihn doch, es im Vorübergehn anzudeuten, und gerade ist das vielleicht der Hauptgedanke, der, auf diese Art versteckt, einen größern lyrischen Effekt thut, als bey einer ordentlichen Gedankenreihe. Schon säng ich seine letzte That, wie brausend ein Meer von Feinden ihn umfing, Er aber seinen Weg hindurch auf hunderttausend zertretnen Schädeln ging. Ramler. 9) Hierher rechne ich auch die Anticipatio, wenn der Dichter von der Wärme der Phantasie hingerissen eine Menge Dinge sagt, die in einer ruhigen Gedankenreihe erst später gesagt werden würden. Zum Beyspiel dient der Anfang vom Oberon. Oft geschieht dies auch aus einer gewissen Schnelligkeit (γοργοτης), die durch die leidenschaftliche Empfindung gerechtfertigt wird. Il. XXII. 213. Da sank hinunter zum Orkus Hectors Schicksalstag und Apollo Föbus verließ ihn. Gerade das Umgekehrte von der gewöhnlichen Anticipatio in diesem Sinne ist die sonderbare Erscheinung in der hebräischen Poesie, daß sie zuweilen vergangene Begebenheiten, als zukünftig vorstellt. So ist der 78ste Psalm ganz historisch, und doch wird z. B. V. 38 und 40 das futurum gebraucht. Statt: Gott war barmherzig und verzieh unsern Vätern die Missethat: er wird die Missethat verzeihn. Eine Art Anticipation auf ähnliche Umstände. Auch fortgesetzte Handlungen, die als gegenwärtig dargestellt sind, werden doch durchs futurum ausgedrückt295. Daß die Dichtersprache überhaupt tempora verwechsle, ist schon oben erwähnt worden. Allein das futurum in der göttlichen Poesie, wovon sich auch Spuren in dem neuen Testamente finden, ist weissagender Orakelton und scheint anzudeuten, daß es vor Gott keine Vergangenheit gebe, die nicht auch als Keim der Zukunft anzusehen sey. Alle Geschichte wird dadurch symbolisch, und rechtfertigt die Annahme von Weissagungen. Jn einem andern Sinn nimmt Scaliger das Wort Anticipatio, und drückt das damit aus, was wir Anachronismus nennen würden. Dies ist aber keine Figur, sondern bey nicht scherzhaften Gegenständen ein Fehler wider die logische Vollkommenheit des Gedankens. Z. B. wenn Hamlet von der Universität Wittenberg spricht. Palinurus zum Aeneas sagt portus require Velinos, weil die Stadt Velia erst später gebaut ward. Jndessen da hier ein Schatten spricht, dem man einen Blick in die Zukunft zuschreiben kann, wie dem Anchises in den Elysäischen Gefilden, so ist das eine Art prolepsis und in dieser Rücksicht eine Figur. Auch muß man immer, ehe man über Anachronismen redet, die Person des Dichters von den Gegenständen, die er abhandelt, unterscheiden. Italiam fato profugus Lavinaque venit littora. Hier spricht Virgil. Freylich Aeneas kam nicht an die Lavina littora. Denn damals hießen sie noch nicht so. Hieraus läßt sich vieles, was unpassend scheint, entschuldigen. Z. B. die griechische Mythologie beym Milton. Nämlich Milton selbst als Dichter einer spätern Zeit, der sich lyrisch ins Gedicht mischt, von seiner Blindheit296 redet u. s. w. kann wohl Gleichnisse aus der Fabelwelt hernehmen, die ihm bekannt ist. Jndessen entsteht doch oft eine Art Mißbehagen, wenn Gegenstände von ganz verschiedner ästhetischer Empfindung zusammengemischt werden, wenn z. B. ein Dichter, der eine Szene aus den alten Ritterzeiten abhandelt, von Grazien, von der Sapho u. s. w. spricht. 10) Die Aceruatio (συναθροισμος) findet sich beym Heftigen und Großen. Hic manus ob patriam pugnando vulnera passi, quique sacerdotes casti, dum vita manebat, quique pii vates et Phoebo digna loquuti, quique sui memores alios fecere merendo. Was Memphis, was Athen, was Rom, Großgriechenland, was Salem, was Byzanz, die Thems, der Cimberstrand, gethan, gelehrt, geglaubt, gemeynt, gewußt, gelogen, das kommt, das sammlet sich, das lebt, das dauret hier auf Bildern, Rinden, Bley, Stein, Leder und Papier, und wird der blinden Nacht der Barbarey entzogen. Günther. (Beschreibung eines Büchersaals.) Diese Figur sagt entweder dasselbe mit verschiedenen Ausdrücken und dann ists eine Art von Synonymia, oder sie setzt nur ähnliche Dinge zusammen in einer schnellen Uebersicht. Besonders lieben die hebräischen Dichter die Anhäufung der Bilder in diesem doppelten Sinne sehr. 11) Antithesis. Wenn der Contrast zwischen mehreren Gedanken sehr stark und kurz ausgedrückt wird, so vermehrt dies oft die Heftigkeit der Empfindung, und die Antithesen finden sich daher oft beym höhern Schönen, wie wir schon oben (S. 99.) erwähnten. Jch bin geboren nicht zum297 Hassen, nur zum Lieben, sagt Antigone nach der Uebersetzung von Opitz. Du hast eine heiße Seele bey kalten Dingen, sagt Antigones Schwester zu ebenderselben. Jn einem kleinen Gefäß bringen wir den großen Körper, sagen die Männer mit der Urne des Orests. Durch den Contrast wird das Starke, Heftige sehr herausgehoben, und es bildet sich leichter die Empfindung des Erhabenen. Bey unwichtigen Dingen dagegen ist die Antithese ein müßiges Gedanken - und Wortspiel, wie. z. B. wenn der φυλαξ im Sophocles sagt: so wurde aus einem kurzen Weg ein langer. Dies zeugt von zu viel Besonnenheit des Verstandes, und der Verstand soll bey der gewöhnlichen dichterischen Sprache nur eine versteckte Rolle haben. Blos in dem Augenblick der höchsten Empfindung tritt er zuweilen hervor, und erweckt durch einen hellen Contrast die Wehmuth in ihrer ganzen Stärke. Beym Scherzhaften und wo das Niedliche verlangt wird, z. B. in Epigrammen, haben die Antithesen ein völliges Bürgerrecht. Sie vermehren die Lebhaftigkeit des Scherzes, oder stellen mit wenigen Worten ein systematisches Ganze, eine dem Verstand gefällige Totalität dar. So spricht Romeo im ersten Akt von der Liebe in sehr wirksamen Antithesen. Denn seine ganze Stimmung giebt ihm Zeit zu so einem Verstandesspiele. Allerdings ist die Liebe auch der beste Gegenstand, um Widersprüche und Gegensätze darzustellen, weil ihr ganzes Wesen in einem Gegensatze besteht, der sich immer aufzuheben strebt. O brawling love, o loving hate, o any thing, of nothing first create! O heavy light -298 ness! Serious vanity! Mischapen chaos of well-seeming forms! Feather of lead, bright smoke, cold fire, sick health! Still-waking sleep, that is not what it is u. s. w. Ausonius sagt von der Dido in einem Epigramm: Infelix Dido nulli bene nupta marito, hoc pereunte fugis, hoc fugiente peris. Dies gefällt, weil es im Kleinen eine bestimmte Sphäre geordneter Begriffe aufzeigt. Der Verstand glaubt den Gegenstand erschöpft zu haben. Die Antithesen sind auch sehr wirksam, um kurze Lehrsätze oder Sentenzen darzustellen, welche der Dichter gern mit Nachdruck gesagt wissen will. So spricht Schiller: Was unsterblich im Gesang soll leben, muß im Leben untergehn. Zum lehrenden Styl passen die Antithesen ebenfalls. Man findet sie häufig bey Young: How poor, how rich, how abject, how august, how complicate, how wunderful is man! from diffrent natures marvellously mixd, connexion exquisite of distant worlds .... an heir of glory, a frail child of dust, helpless immortal, insect infinite, a worm a God! Hier bringt aber der Gegenstand, der selbst voll kräftiger Widersprüche ist, der Mensch, eine solche Art zu reden mit sich. Die hebräischen Dichter lieben die Antithesen, weil in ihnen der wahre Charakter des hebräischen numerus ausgedrückt ist. Das hebräische רומזמ ist ein carmen in breves sententias concisum, mit Einschnitten, wie Philomele singt. Und die Gegensätze machen eben eine so eingeschnittne Rede möglich. Hiob 11, 7. 9. Willst du Eloahs Weisheit finden? Willst du299 Schaddai's Urkraft gründen? Höhen der Himmel sinds! Was willst du thun? Tiefen der Erde sinds! Was weißt du? Jhr Maaß ist länger als die Erde und breiter als das Meer. Gutgemeynt sind die Schläge des Freundes, trügerisch die Küsse des Hassers. Sprüchwörter. 12) Distributio, die Zergliederung, ist mit der Anthitese nahe verwandt. Denn die Theile eines Ganzen sind sich einander entgegengesetzt, und die Distributio zählt sie auf. Da schreckt mich hier und dort Krieg, Hunger, Pest und Brand, in Ehen Zank und Haß, in Freundschaft, Unbestand, im Tempel, Hochmuth, Geitz, Verläumdung, Wechselbänke, in Schulen Finsterniß und leeres Wortgezänke, in Themis Heiligthum ein goldnes Spinnennest, das magre Fliegen fängt und Hummeln schwärmen läßt, im reichsten Contoir viel Fluch an schönen Wänden, und endlich überhaupt in groß und kleinen Ständen das Leben und die Zeit der hundert zwanzig Jahr, eh Noah mit dem Bau des Kastens fertig war. Günther. Diese Figur ist zum sentenziösen Vortrag sehr passend. Schiller liebt sie sehr. Seine Ode an die Freude ist eine fortwährende Distributio. Aus der Wahrheit Feuerspiegel lächelt sie den Forscher an, auf der Tugend steilen Hügel führet sie des Dulders Bahn, auf des Glaubens Sonnenbergen sieht man ihre Fahnen wehn, durch den Riß gesprengter Särge sie im Chor der Engel stehn u. s. w. 13) Der Denk - und Lehrspruch: Sententia, dictio gnomica, ist auch als besonders lebhafte Figur in allen Dichtungsarten zu finden, ein kurzer kräftiger Ausdruck irgend einer allgemeinen Wahrheit300 durch die Jdeenreihe herbeygeführt. Bey den Hebräern zeigt sich die Sentenz nicht blos im Lehrgedicht, sondern überall in den poetischen Stücken, und macht das Wesen des Numerus. Selbst das Jndividuelle bekommt die Form der Sentenz. Die Sentenzen stehen gewöhnlich in einer Art Parallelismus, und zwar bemerken die Kritiker einen dreyfachen Parallelismus. Synonyme Sentenzen, die dasselbe mit verschiedenen Worten sagen, (eine Art Coacervatio) Antithetische Sentenzen oder Gegensätze Syntactische Sentenzen, wo die Sentenzen parallel laufen, die sich nur der Form der Construction nach correspondiren. Oft stehen sich die Sentenzen in einem Colon gegenüber, oft in mehrern. Völker beben, Reiche wanken, Er donnert es bebt die Erde! Laßt ab und wisset: Jch bin Gott, erhaben über Völker erhaben über die Erde. Bey den profanen Dichtern sind die Sentenzen freylich etwas seltner, weil sie sich selten zu einer Stimmung erheben, worinnen der Mund der Menschen Orakel spricht. Doch findet sich besonders in Odendichtern und Tragikern die Sentenz, wenn die Empfindung höher steigt, und dann bekommt auch die Rede mehr Würde. Der Redende vergißt seine individuelle Lage, nimmt einen contemplativen Standpunkt über sich selbst an, und redet nun in allgemeinen Wahrheiten. Nur wenn die Sentenz auf eine solche Weise vorbereitet ist, macht sie die Rede nicht kalt. Zuweilen fängt wohl eine Ode mit der Sentenz an, aber dann ist sie mehr ein Bild. Z. B. iustum et tenacem propositi virum integer vitae. Horat. Gewöhnlich steht sie301 beym Lyriker mitten in der Jdeenreihe, auf irgend eine Veranlassung. ἁμεραι δ 'ἐπιλοιποι μαρτυρες σοφωτατοι ἀκερδια λελογχεν θαμινα κακαγορως. Pindar. Nil mortalibus arduum est. Vis consili expers mole ruit sua. Homer hat die Sentenz selten, doch ist sie dann sehr wirksam. So ruft Hektor: εἱς οἰωνος ἀριϛος, ἀμυνεσθαι περι πατρης. Bey den Tragikern und überhaupt bey den drammatischen Dichtern findet sich die Sentenz oft, wenn kurze Reden gewechselt werden, im Streit, wo man einander widerlegen will. Creon: συ δ' οὐκ ἐπαιδῃ τωνδε χωρις εἰ φρονεις; Antig. οὐδεν γαρ αἰσχρον τους ὁμοσπλαγχνους σεβειν. Antig. ὁμως γ 'Αἰδης τους νομους ἰσους ποθεῖ. Creon. αλλ' οὐχ χρηστος τῳ κακῳ λαχειν ἰσον. Dies findet sich überall im Sophocles, und läßt besonders eine starke und heftige Empfindung zurück. Erhabener ist freylich die kalte Sentenz mitten in der Leidenschaft, wenn sie nicht zu einer Widerlegung, sondern zum Ausdruck der Empfindung selbst dient, wie z. B. wenn Oedipus von der Vergänglichkeit der schönsten menschlichen Gesinnungen spricht. (s. oben S. 110.) Fehlerhaft wird der sentenziöse Styl schon bey dem zu subtilen sokratischen Euripides. Seine Personen reden nicht vier Worte zusammen, ohne eine allgemeine Wahrheit mit einzumischen. Das ist nicht allein wider die Wahrscheinlichkeit, sondern es macht auch die Rede kalt, die dadurch ihr Jndividuelles verliehrt. Den Chören ist freylich die Sentenz eigen, und mit Recht, weil sie alles aus einem allgemeinen Gesichtspunkte ansehen müssen. Besonders302 thut die Sentenz am Ende des Trauerspiels gute Wirkung, z. B. das Ende des Oedyp. Tyr. Selbst in den Jdyllen der Alten hat sich die Sentenz eingeschlichen, wohin sie im Grunde am wenigsten gehört. Allein die Wechselgesänge der Hirten (das Wiedergeben, Retributio) veranlassen sie, kurze, gedrängte, parallel laufende Ausdrücke zu suchen. Jndessen sind sie selten abstrakt. Ab Iove principium, Musae, Iovis omnia plena. Oft ist es blos die Form einer Sentenz: Triste lupus stabulis, maturis frugibus imbres, arboribus venti, nobis Amaryllidis irae. Virg. Uebrigens muß man von der Sentenz als Figur die eigentliche gnomische Dichtungsart unterscheiden. 14) Verwandt mit der Sentenz ist das Epiphonema oder der Schlußspruch. Eigentlich ist der Kunstgriff mit einem kräftigen Gedanken zu schließen mehr rednerisch als dichterisch. Die Dichter kultivirter Nazionen brauchen diese Figur bey ihren Gedichten, um den Beyfall des Publikums zu erhalten, der gegen das Ende am meisten bestimmt wird, wie eine Sängerin mit der Cadenz abgeht. Man hat viel wider dergleichen Cadenzen in der Musik einzuwenden gehabt, und vielleicht eben so viel läßt sich wider das Epiphonem im Gedichte einwenden. Homer läßt seine Personen selten am Schluß den stärksten Gedanken sagen. Zuweilen ist es nothwendig, wie z. B. in der Rede des Priamus (s. oben S. 136.). Gewöhnlich wird noch eine ruhige Nebenidee hinzugefügt. Il. φ. 113. Odyss. λ. 536. Der dichterische Effekt muß durchs Ganze gleich vertheilt seyn, die Kraft des Geistes mehr ausweiten, als koncentriren. 303Die Gedichte, die den Charakter des Starken und Niedlichen haben, machen hier freylich eine Ausnahme. Z. B. Das Epigramm hat oft einen Stachel. Der niedliche Gedanke muß nichts zu denken mehr übrig lassen, so schließen denn viele Gedichte mit einer Antithese, welche das Ganze erschöpft. Dies lieben besonders die französischen Dichter in poetischen Kleinigkeiten. Zuweilen schneidet auch in der höhern Poesie ein starker Gedanke am Ende alles ab, was sich noch hinzufügen ließe. Finstrer Gedanke laß ab, laß ab in die Seele zu donnern, wie die Ewigkeit groß, furchtbar, wie das Gericht, laß ab, die verstummende Seele faßt dich Gedanke nicht mehr. Klopstock. Mir winkt ihr eiserner Arm, ich schweige, und sinne dem edlen schrekkenden Gedanken nach, deiner werth zu seyn mein Vaterland. Cbenders. Horaz, dessen Einbildungskraft nach griechischen Mustern gebildet, ein freyeres Spiel hat, schließt selten mit so vorzüglicher Kraft, wie L. III. od. 11. in fin. L. II. od. 6. L. I. od. 1. u. s. w. Wenn auch gegen das Ende eine Sentenz steht, wie z. B. nil mortalibus arduum est, so wird sie noch durch ein Bild erläutert, das der Einbildungskraft noch Raum zum Nachsinnen giebt. Mehr davon bey der Ode. Einfacher kann nicht geschlossen werden, als zuweilen Euripides in seinen Trauerspielen: τοιονδ 'ἀπεβη τοδε πραγμα, wenn gleich die vorhergehende Sentenz tiefen Sinn hat. Bey den einzelnen Dichtungsarten wird sich näher bestimmen lassen, wie sie schließen müssen. 15) An dieser Stelle kann man auch das Wiederkehren der Verse (Epistrophe) erwähnen304, welche bey den Liedern das giebt, was man Refrain nennt. Bey den kurzen Gesellschaftsliedern, welche besonders einen gesetzmäßigen Parallelismus verrathen müssen, thut es gute Wirkung, oft denselben Vers, oft eine wenigstens ähnlich gestellte Jdee zu finden. Die Epistrophe kommt aber auch als allgemeine Figur in der Dichtkunst vor. Oft schließt ein Dichter ein Gedicht, wie er es anfing, gleichsam nach geendetem Kreislauf, weil es die Empfindung so mit sich bringt, wodurch die Uebersicht des Ganzen erleichtert wird. Z. B. Hölty: Wunder seliger Mann, welcher der Stadt entfloh. Bey lyrischen Kleinigkeiten ist es oft eine herrschende Hauptidee, z. B. der Name der Geliebten, um den herum sich wie in einem Blumenkranz die übrigen Gedanken winden. Dies giebt dann die Empfindung des Niedlichen und zeugt doch zuweilen von leidenschaftlicher Wahrheit. Z. B. Mathissons Adelaide. Man hat auch ein französisches Gedicht, wo zu Anfang und Ende der Strophe der Name der Geliebten wiederkehrt. D'Adelaide, ah que l'empire est doux, s'il-y-avoit un autre Alcide, il fileroit aux genoux d'Adelaide. Hierauf gründet sich auch die Natur des Trioletts. Z. B. le premior jour du mois de may, weil der Dichter ganz in seinen einfachen Jdeen verlohren ist. Zuweilen ist es aber auch mehr der Witz als die Empfindung, der dergleichen Gedichte hervorbringt. Sie tragen aber im Kleinen den Gedanken der vollendeten Totalität und sind also niedlich. Z. B. in Uzens Gedicht: Die alten und heutigen deutschen Sitten, schließt jede305 Strophe mit denselben Worten: zu unsrer Zeit. Jn dem Gedicht von Ebendemselben: Die Weinlese schließt jede Strophe mit dem Wort Wein, aber die Stellung des Gedankens vorher ist etwas anders. Oft liegt der Parallelismus nur in einer Aehnlichkeit der Wendung im letzten Vers der Strophe, wie in dem bekannten, von Himmel componirten Lied: Jüngling, wenn ich dich von fern erblicke u. s. w. Jede Strophe schließt mit einem Worte, das durch eine immer wiederkehrende ähnliche Wendung besondern Accent hat. 16) Zu den heftigern Figuren gehört auch der Climax, (Gradatio) die Steigerung, wenn der Dichter stufenweise von einer schwächern zur stärkern Jdee fortgeht, wobey zuweilen die vorige Jdee wiederholt wird. So sagt Opitz von der Hinfälligkeit der menschlichen Dinge: Die Welt kann nicht bestehn, die Länder nicht in ihr, in Ländern keine Stadt, in keinen Städten wir. Jn den Genealogieen der Bibel, und wo Homer die Geschichte von dem Scepter des Agamemnon (β. 102.) erzählt, wird die Verkettung der Geschlechter, und die Reihe der Besitzer auch durch eine Art Climar dargestellt, welches dem Styl einen gewissen Charakter von Einfachheit giebt. Zuweilen drückt auch der Climar nur die Schnelligkeit aus. Viderat hanc visamque cupit, potiturque cupita. Ovid. Gemeiniglich aber ist er ein Ausdruck der Leidenschaft. Non me tua fervida terrent dicta, ferox, di me terrent et Iuppiter hostis. Virgil. Mich schrecken die Götter und der mir zürnet, Jupiter. Klopstock. Quälen soll ihn die Flamm', in der Flamme306 Verzweiflung, in der Verzweiflung Jch. Ebenders. 17) Obtestatio, Aversio, Detestatio, Asseveratio, vier sehr leidenschaftliche Figuren in der Poesie, die häufig vorkommen. Per te, per talem qui te genuere parentes. Virg. λισσομ 'ὑπερ ψυχης, και γουνων, σων τε τοκηων. Homer. Favete linguis. Hor. O quae satis ima dehiscat terra mihi! Sed pater omnipotens adigat me fulmine ad umbras, pallentes umbras Erebi, noctemque profundam, ante pudor quam te violem, aut tua iura resolvam. Virg. Di meliora ferant. Tibull. Di talem terris avertite pestem. Di meliora piis, erroremque hostibus illum. Virg. Ante pererratis amborum finibus exul aut Ararim Parthus bibet aut Germania Tigrim, quam nostro illius labatur pectore vultus! Idem. Hierher gehört der Schwur, der bey den Dichtern und Rednern verschiedene Gestalten annimmt, je nachdem die Personen sind, welche reden, und die Gegenstände, die sie umgeben. Demosthenes schwört bey denen, die in Marathons Gefilden für das Vaterland fochten; denn das ist da gerade das Passende. Ein theocritischer Hirt schwört bey den Nymfen, oder seiner Heerde. Achill schwört bey dem Richterstabe, den er in seiner Hand hat: So wahr dieser nie wieder grünen werde, so wahr werde der vom Agamemnon beleidigte Achill den Griechen nie wieder beystehen können. Auch diese lebhafte Betheurung ist durch die Umstände herbeygeführt, und zu verwundern ist es, daß Virgil im 12ten Buch diesen Eid auf einen andern Fall angewandt307 hat, wo die ganze Anspielung wegfällt. Juno nimmt in der Jliade Himmel und Erde zu Zeugen, und den Styx und das heilige Haupt des Jupiters, und νωιτερον λεχος αὐτων κουριδιον (XV. vs. 35.). Auch dies ist durch die vorhergehenden Begebenheiten veranlaßt. Gott, bey Moses (Deut. XXXII. ), hebt seine Hand empor und schwört: So wahr ich lebe von Ewigkeit zu Ewigkeit und Christus schwört in der Messiade bey sich selber. 18) Hyperbole. Diese Figur gehört auch zur Lebhaftigkeit der dichterischen Sprache. La terre ne produit que du vin, nous ne naissons que pour boire, sagt ein französisches Trinklied. Dies wird gerechtfertigt durch die Erstase des dithyrambischen Gesangs. Der Dichter wirft oft seine Behauptungen ohne Einschränkung hin, und das Kühnste ist in der heftigen und muntern Rede das Wahrste, weil es das Wirksamste ist. Es giebt aber auch frostige Hyperbeln, denen man nur die Sucht, etwas Neues und Uebertriebenes zu sagen, ansieht. Se tutti gli alberi del mondo fossero penne, il cielo fosse carta, il mare inchiostro, non basteriano a descrivere la minima parte delle vostri perfettioni, sagt ein Liebhaber beym Guarini. Dies ist lächerlich, wenn es im Ernst gemeynt ist. Es giebt eine Hyperbel im Ausdruck, und eine in Gedanken. Die erste ist nur eine Sprachwendung, bey der nicht mehr so viel gedacht wird, als sie sagt. Faciam semen tuum sicut pulverem terrae. Genes. c. 13. vs. 16. Die Hyperbel in Gedanken besteht weit seltener vor der Kritik. Wenn Lucar auf die eine Seite die Meynung der Götter,308 auf die andere die des Cato stellt, wenn er behauptet, die Weltaxe müsse das Uebergewicht seines Caesars fühlen, sobald dieser unter die Sterne versetzt nicht in der Mitte des Aethers seinen Sitz nähme, so weiß man nicht, ob man lachen oder gähnen soll bey dieser Uebertreibung. Dagegen ist es nicht Hyperbel zu nennen, wenn Homer Il. XIV. 390. plötzlich den Neptun und den Hector einander entgegenstellt: Κυανοχαιτα ποσειδαων, και φαιδιμος Ἑκτωρ. Dieses ist dichterische Wahrheit. Eben so wenn Virgil von der Camilla sagt, sie würde in der Schnelligkeit ihres Laufs nicht die Kornähren krümmen, so wird dies durch das Wunderbare gerechtfertigt. Die eigentliche Hyperbel kann nur im Komischen oder zuweilen im Heftigen Wirkung thun. Beym Großen, Starken und Erhabenen macht sie die Rede frostig und schwach. 19) Von der Metapher als Tropus, die wir oben erwähnten, die sich nur im Vorübergehen eines Bildes bedient, kann die Metapher als Figur noch unterschieden werden. Hier verweilt die Rede des Dichters bey einmal gewählten Bildern und führt die Aehnlichkeit weiter aus. Dies gelingt selten. Note: Unterkategorie der Metapher: Metapher als Figur (im Gegensatz zu Metapher als Tropus)Young liebt das vorzüglich, wie überhaupt die englischen Dichter. Bey Lehrgedichten wird das auch am ersten geduldet werden können, weil hier mehr Verstand und Phantasie, als Empfindung und Leidenschaft spricht. Note: Personen: Young + englische Dichter - Bsp. für Abgrenzung: Metapher als FigurSo sagt Young, das Alter wandle gedankenvoll an dem stillen Ufer des weiten Ozeans, auf dem es bald segeln müsse, und nur wenn es gute Werke einschiffe, erwarte es ruhig den Wind, der uns in unbekannte Welten bringt. Note: Bsp. für Abgr. Metapher als FigurAm meisten wird die Phantasie angestrengt309, wenn die ausgeführten Metaphern zu schnell abwechseln. Note: Abgr. Metapher als FigurSo tadelt Blair selbst den Horaz wegen des Anfangs seiner Ode: Motum ex Metello consule civicum. Note: Quelle: Horaz, impl. Werk unklar - zitiert und bewertet nach Blair (Werk?)20) Dichterischer als die ausgeführte Metapher ist die Allegorie. Hier wird der eigentliche Sinn, auf den die Metapher noch Rücksicht nimmt, wie bey einem Räthsel, ganz verschwiegen, und der Dichter führt nur das Bild als selbstständig aus, ohne die abstrakten Jdeen, welche versinnlicht werden sollen, zu erwähnen, oder die Abstrakta werden selbst als individuelle Wesen angesehen. Note: Abgr. AllegorieMan muß die Allegorie als Figur, oder besondren Schmuck der dichterischen Rede von der eigentlichen Dichtungsart dieses Namens unterscheiden. Von dieser wird an einem andern Orte die Rede seyn. Quum fluxerunt plures continuae translationes, alia plane fit oratio, sagt Cicero, itaque genus hoc Graeci appellunt ἀλληγοριαν. Die Vergleichung ist der niedrigste, die Allegorie der höchste Grad der fremdartigen Rede. Der Dichter vertieft sich so sehr in sein Bild, daß er es für die Sache nimmt. Durch die Allegorie gränzt die poetische Rede an die poetische Erfindung und die Diktion wird zur Materie. Die allegorische Rede findet vorzüglich statt, wenn der Hauptgegenstand als etwas Heiliges und Geheimnißvolles behandelt werden soll. Die alten Philosophen philosophirten oft αἰνιντικως und κεκρυμμενως. Dadurch bekommt das Ganze eine höhere Würde. Bey den Dichtern, die zum Tone der Orakelsprüche berechtigt sind, wie die hebräischen, findet man viele Gryphen oder dunklere Sentenzen. Daß310 die Morgenländer den räthselhaften Styl von jeher liebten, erhellt schon aus der Geschichte des Simson, der den Hochzeitgästen ein Räthsel aufgiebt. Auch arabische Dichter suchen, wie Jones berichtet, etwas in versteckten allegorischen Sätzen. Die Wichtigkeit der Mysterien und Hieroglyphen trug bey den Alten viel zu diesem Geschmacke bey. Besonders muß es wegen der Verwandtschaft der Poesie und Religion als ein Haupttalent des Dichters angesehen worden seyn, Räthsel zu errathen. Das sieht man aus der fabelhaften Biographie des Homer, welche fälschlich dem Herodot zugeschrieben wurde, da die darin angegebene Chronologie mit der in Herodots Geschichte nicht übereinstimmt. Einige erzählen nämlich, Homer soll aus Verdruß darüber gestorben seyn, daß er ein von Fischern ihm aufgegebenes, dem Sinne nach sehr gemeines Räthsel nicht habe errathen können. Sehr oft hat ein allegorischer Ausdruck selbst bey Zusammenstellung gewöhnlicher Bilder etwas sehr Ernstes und Rührendes, wenn damit auf eine ernste Sache gedeutet wird, die man verschweigt. Man sieht, daß der Geist so sehr mit seinem Hauptgegenstande beschäftigt ist, daß alles, was uns umgiebt, zum Bilde desselben dienen muß. Und eben daß die Sache selbst nicht genennt wird, giebt ihr mehr Gewicht. Zum Beyspiel dient die Allegorie vom Alter im Prediger Salomonis 12, 2. 6. Jesaias liebt diese Figur ebenfalls. Kap. 28. z. B. fordert er feyerlich sein Volk auf zur Anhörung einer Allegorie, die er wie ein Räthsel und als Frage vorträgt. Sehr oft wird bey den Hebräern aus einer Vergleichung, aus einer bloßen Metapher311 eine förmliche Allegorie. Zum Beyspiel dient der 80ste Psalm, wo der Weinstock anfangs ein bloßes Bild ist, das hernach bis ans Ende durchgeführt wird. Die Allegorie erweckt eben wegen des Geheimnißvollen, das sie hat, oft auch grausende Empfindungen. Wenn z. B. Hamlet den Geist seines Vaters hört, der aus dem Grabe ruft, und ihn einen Maulwurf nennt, so muß dies Bild bey seiner weitern Ausführung auf jeden Zuschauer wirken, der den eigentlichen Sinn der Worte weiß, während Hamlets Freunde ihn nicht wissen. Zuweilen wird die Allegorie vom Dichter gebraucht, wenn er den wahren Sinn aus subjektiven, vielleicht politischen Gründen verstecken will, wie in der Ode des Horaz: o navis referent in mare te novi fluctus wo er, nach Quinctilians Meynung, die Republik unter diesem Bilde versteht. Freylich sind zuweilen auch andre Auslegungen möglich. Wird aber der wahre Sinn zu unverständlich, so ist dies ein Fehler. Die Allegorie muß nicht nur als für sich bestehendes Bild dichterischen Gehalt haben, sondern von Rechtswegen eigentlich auch nur eine durchgängig passende Auslegung verstatten, sonst ist der Gedanke logisch unvollkommen. Aus der allegorischen Diction entstehen nach und nach die eigentlichen Parabeln als Dichtungsart, der αἰνος und ἀπολογος der Griechen, wie z. B. die Allegorie von der Büchse der Pandora, die Bitten (Il. IX. 510.), der Gürtel der Venus u. s. w. Dann gränzt die Allegorie an die Personendichtung. Die Alten haben in ihren Erzählungen viel offenbar Allegorisches. Ariost läßt auch zuweilen allegorische Wesen auftreten. Wird aber eine312 blos allegorische Maschienerie in ein historisches Gedicht gebracht, so ist dies eine Vermischung heterogener Dichtungsarten und läßt gewöhnlich kalt, weil dergleichen abstrakten Personen die individuellen Züge fehlen. Voltaire glaubte dadurch seine Henriade für aufgeklärte Nationen genießbar zu machen, allein Personen, wie die Zwietracht z. B., haben nicht so viel poetisches Leben, als die ursprünglich historischen Götter des Alterthums. Sie haben weder Charakter noch Leidenschaft, und die paar sinnlichen Attribute, mit denen sie ärmlich ausgestattet werden, sind nicht hinreichend zu interessiren. Mehr davon bey der Epopee. Die Commentatoren der Dichter suchen überall Allegorieen und dehnen die Erklärung bis auf die kleinsten Umstände aus. Dies ist z. B. der Fall mit der ersten Ekloge des Virgils. Freylich liegt der Fehler hier etwas am Dichter selbst und an seiner ungleichen nicht rein idyllischen Schreibart, wie schon Heyne bemerkt. Allein wenn man annehmen könnte, daß der Dichter selbst immer einen Doppelsinn vor Augen hätte, so würde nothwendig die Phantasie zu vielen Zwang des Verstandes erleiden, um noch hinlänglich lebhaft zu seyn. Wie Harduin mit dem Horaz, die italienischen Ausleger mit dem Ariost verfahren, ist bekannt. Tasso selbst soll in seinem blos historischen Gedicht hinterdrein eine Allegorie gesucht und gefunden haben. Dies ist ein Streben nach allgemeiner Wahrheit im poetischen Geiste, der sich nur selbst mißversteht. Der Dichter möchte gern seine Phantasieen mit den einmal aufgeführten abstrakten Systemen der Menschen aussöhnen, denen zu Liebe er oft ungerecht313 beurtheilt wird. Etwas anders ist von der eigentlichen Allegorie als Dichtungsart zu sagen, welche, wie wir an einem andern Orte beweisen werden, bey aller Jndividualität nicht ohne Deutung seyn kann. Uebrigens zeigt selbst die irrige Sucht zu allegorisiren, daß von je her die Wahrheit gefühlt worden ist, das Schöne sey ein Symbol von etwas Höherem. Jndem alle Poesie eigentlich Allegorie ist, so ist auch Allegorie die älteste und zugleich die neuste Dichtungsart. Der unkultivirte Mensch allegorisirt ohne es zu wissen, ohne es zu wollen. Seine Sprache ist sinnlich. Seine Jdeen sind Ahnungen von etwas Unsinnlichen. Er denkt sich also sinnliche Gegenstände und fühlt darinnen das Höhere, ohne sich der Beziehung deutlich bewußt zu seyn. Je mehr die Jntelligenz an Selbstbewußtseyn zunimmt bey steigender Kultur, desto näher wird die Beziehung des Schönen auf das, was man weiß, bestimmt, und man sucht ein höheres Schöne auf, welches dem Grade des Wissens correspondire und genugthue. Zu der allegorischen Diktion kann man auch die Zweydeutigkeiten rechnen, welche aber nur beym Scherzhaften und Witzigen Statt finden können. Der sinnliche Mensch liebt sie wegen des Lebensreitzes, den sie erwecken, und so können sie selbst zur Lebendigkeit der Phantasie beytragen. Die Zweydeutigkeiten können auch einen muntern Verstand als witzige Aehnlichkeiten belustigen. Aber von der Kunst werden sie nur ungern und höchstens beym Scherzhaften niedrer Art geduldet werden können. Die nackte Darstellung des Jnstinkts, wenn sie nicht314 ins Plumpe fällt und die natürliche Schaamhaftigkeit ganz beleidigt, ist naiv und giebt eine wahrhaft schöne Empfindung, die heilig ist, wie alles Jdyllische. Allein die Allusionen zeigen von verdorbener Natur. Die Menschheit ist dabey im Widerspruche mit sich selbst. Es ist ein Spott über unsre eigne Thierheit und zugleich ein Vergnügen an derselben. Wir dünken uns, vermöge einer Art erkünstelter Schaamhaftigkeit, über den Jnstinkt erhaben, und können doch seinen Reitzungen nicht widerstehen. Wir verheimlichen unsre Schwäche und halten uns doch gern bey derselben auf. Kurz wir sind in einer Stimmung uns selbst zu verachten, und diese Stimmung kann nie schön seyn. Hierzu kommt, daß wenn die Zuhörer gewöhnt werden Zweydeutigkeiten zu suchen, die Sprache ein κακοφατον erhält, welches sie zu jeder freyern dichterischen Wendung unfähig macht. Wenn Ausonius in seinem bekannten Cento nuptialis aus Versen des Virgils wahre obscoena zusammensetzt, die ins Ekelhafte fallen, (exhalat opaca mephitim destillat ab inguine virus) welcher Dichter kann der malae consuetudini widerstehen, qua verba in obscoenum intellectum detorquentur. Schon Cicero bemerkt und Quinctilian wiederholt es, daß man sich hüten müsse ne obscoenius concurrant litterae. Aus Varros grammatischen Untersuchungen sieht man schon, wie tief die Sprache der Römer gegen das Ende der Republik zugleich mit ihren Sitten gesunken war. Keine neuere Sprache ist so reich an aequivocis vocabulis, als die französische. Darum ist auch der poetische Geist von ihr gewichen. Auch315 in Deutschland hat der italienische und französische Geschmack überhand genommen, das Heiligthum des Lebens und die Mysterien der Liebe mit kalten Scherzen zu entweihen, und die Kunst hat dadurch eben so verloren, als die poetische Sprache. Die höhere Kunst, wie wir von den Griechen lernen, ist eben so keusch, wie die Natur. Alle Zweydeutigkeiten dagegen, mit denen ein kultivirter Verstand seinen Scherz treibt, sind eben wegen ihrer scheinbaren Anständigkeit eine bittere Satyre auf die wahre Schaamhaftigkeit und erniedrigen den Menschen weit unter das Thier.

Anmerk. 3. So viel von den merkwürdigsten figuris maioribus der dichterischen Rede. Es giebt deren noch unzählige. Denn bey dem, welcher lebhaft spricht, tout prend un corps, une ame, un esprit, un visage. Ein Kunstrichter vergleicht die Figuren mit den Stellungen eines behenden Fechters, deren einige, die am öftersten vorkommen, man benennen, aber nicht alle angeben kann. So findet sich bey der Satyre noch die ausgeführte Jronie als Figur. Der σαρκασμος der Griechen z. B. wenn ein Held zu dem Besiegten sagt: Isthic nunc metuende iaces. Die Paroemia oder sprüchwörtliche Redensart. Die Dubitatio, die Confessio, die Epitrophe, z. B. wenn man gewisse Blößen giebt, die aber nur Finten sind u. s. w. Einige Figuren sind offenbare Spielereyen und werden äußerst selten geduldet werden können, z. B. der χιασμος. So sagt Justinian in seinen Jnstitutionen zu Anfang: Imperatoriam maiestatem non solum armis decoratam,316 sed etiam legibus oportet esse armatam, und Cujacius bemerkt hier die Eleganz einer Figur, wo nichts anders als eine Ziererey ist. Demungeachtet hat selbst Aristoteles über diese Figur im 21sten Kapitel seiner Poetik eine Untersuchung angestellt, und führt das Beyspiel an: wenn einer sagte: Das Schild ist die Trinkschaale des Mavors und die Trinkschaale das Schild des Bachus; oder: das Alter ist der Abend des Lebens, der Abend das Alter des Tages. Man wird wenig Stellen bey Dichtern finden, wo der Sinn so etwas rechtfertigte. Den Vers Aeneid. XI. 333. munera portantes aurique eborisque talenta, erklären die Grammatiker durch einen Chiasmus. Statt auri talenta et sellam eboris ferrum armare veneno. Dergleichen Spielereyen liebt auch Ovid. Z. B. eine Art Repetitio oder Antimetabole Semibovemque virum, semivirumque bovem, einen Vers, welchen seine Freunde strichen und er doch beybehielt. Zuweilen thut dies doch Wirkung. Z. E. Cedere iussit aquam iussa recessit aqua. Uebrigens hat man sehr über den Fleiß der Grammatiker gespottet, welche uns die Figuren nach der Reihe aufzählen und mit Unrecht. Wenn man freylich Poetik und Rhetorik als Künste ansieht, welche Poesie und Beredsamkeit lehren, so wird das Erklären der Figuren unnütze Arbeit seyn. Denn das Genie und die Leidenschaft erfinden sich ihre Sprache von selbst, und es kann jedem Theoretiker dann gehen, wie dem beym Rabner, der sein Buch über die Figuren ins Feuer warf, weil er einen ungelehrten Pachter sie alle anwenden hörte, als dieser seinen317 Knecht auszankte. Allein die Theorie ist eine Betrachtung; sie soll auf die Wendungen der Rede aufmerksam machen, daß man über die einzelnen Schönheiten nicht zu schnell hinweggehe. Hierzu sind Kunstwörter von Nutzen, wie bey jeder Art Kenntniß. Man klassifizirt den vorhandenen Stoff und erleichtert sich dadurch eine Uebersicht. Auch muß sich der Philolog damit bekannt machen. Unnütze Arbeit ist es aber, die Figuren unter allgemeine Eintheilungen zu bringen, da man noch nicht einmal übereingekommen ist, was man Figur nennen will. Blair schlägt vor, sie in Figuren für die Einbildungskraft und für die Leidenschaft einzutheilen. Aber giebt es deren nicht auch für den Verstand? Scaliger sagt in seiner Poetik: Significatur aut id quod est aut contrarium, si id quod est, aut aeque, aut plus, aut minus, aut aliter. Contrarium, z. B. Ironie, aeque, z. B. Descriptio plus, z. B. Hyperbel, minus, z. B. Ellipsis, aliter, z. B. Allegorie. Aber der Eintheilungsgrund ist zu eng. Wie manche von den oben bemerkten leidenschaftlichen oder lebendigen Wendungen der dichterischen Sprache wird nach diesen Klassen hierhin und dorthin passen, und so hat sie auch Scaliger selbst oft mehr als einmal setzen müssen. Wer sich in die aristotelischen Spitzfindigkeiten der griechischen Grammatiker bey der Lehre von Tropen und Figuren einlassen und ihre widereinanderlaufenden Terminologieen ordnen wollte, könnte mit eben so vielem Nutzen Gesichter in einen Pflaumenkern schneiden. Quinctilian selbst denkt darüber sehr vernünftig, wenn er sich auch gleich noch zu viel mit318 den Terminologieen abgiebt, und doch ist er dem spitzfindigen Scaliger nicht scharfsinnig genug! Scio, quam multiplicem haec habeant et scrupulosam disputationem, sed ea non pertinet ad praesens meum propositum. Nihil enim refert, quomodo appelletur utrumlibet eorum, si, quid orationi prosit, apparet.

§. 6.

Da das Schöne der Relation nach als eine unbegreifliche Vollkommenheit beschrieben wurde, als eine Erscheinung von der Vernunftidee der zweckmäßigen Caussalität, (Kap. II. §. 10. B. so muß dort statt Totalität gelesen werden) da es in Rücksicht der Objekte, an denen es gefunden wird, zwischen dem Subsistiren und Jnhäriren, der Ursache und der Wirkung als eine unbestimmbare Wechselwirkung schwankt, so muß auch die poetische Sprache als Ausdruck des Schönen zwischen einer bestimmten subsistirenden vollendeten Ordnung, und einer sich, nach logischen Gesetzen von Grund und Folge, erst entwickelnden Ordnung das Mittel halten. Die Gedankenreihe muß sich weder als vollkommen synthetisch, noch als vollkommen analytisch darstellen, und doch auf eine vollkommne, wiewohl nicht logisch bestimmbare Ordnung hindeuten. Mit einem Worte: der Relation nach319 muß die poetische Sprache klar, aber nicht deutlich seyn. Wir wollen diese Eigenschaft mit dem Worte des Hermogenes σαφηνεια benennen.

Anmerk. 1. Die Prosa hat den Zweck der Erkenntniß. Hier muß nicht blos das Ganze der Begriffe, sondern auch der Zusammenhang der Theile sich genau bestimmen, einsehen lassen. Der wissenschaftliche Styl kann entweder synthetisch verfahren, indem er das System der Begriffe als vollendet darstellt, oder er kann analytisch, aber nach einem logischen Zusammenhange verfahren und das System im Werden zeigen. Jn beyden Fällen ist Deutlichkeit die Hauptregel, d. h. Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang der Theile. Der dichterische Styl giebt keine Einsicht, aber doch ein Gefühl von der Wechselwirkung der Theile zu einem vollkommenen Ganzen, und stellt so die Zweckmäßigkeit unsrer Gedankenreihe überhaupt dar. Scaliger meynt, das Wort σαφηνεια müsse mit Quinctilian perspicuitas übersetzt werden, und wendet dies auf die die dichterische Sprache an. Sie müsse wie ein durchsichtiger Gegenstand dem Geiste die volle Ansicht der Sache gewähren. Allein dies paßt eher auf die Prosa. Deswegen haben wir den Ausdruck Klarheit gewählt.

Anmerk. 2. Dunkelheit ist also ein Fehler der dichterischen Sprache, wie der prosaischen, und erstere verfällt leichter in denselben, als die Prosa, weil sie reichhaltig320 und lebhaft, mithin neu und ungewöhnlich, und im Einzelnen anschaulich seyn soll, wodurch oft die Verständlichkeit und die Uebersicht des Ganzen leidet. Der Dichter muß also 1) die Amphibolien oder den Doppelsinn vermeiden. Quinctilian sagt: Amphiboliae species sunt innumerabiles, genera admodum pauca. Aut enim vocibus accidit singulis, aut coniunctis. Die einzelnen Worte geben Doppelsinn durch die ὁμωνυμια. Freylich muß der Zusammenhang viel bestimmen, und es wird nicht leicht einer den Tod, wenn er vom Dichter Freund Hain genannt wird, mit dem Haine verwechseln, weil er dann einen ähnlich lautenden Namen erhält. Zuweilen machen mehrere Worte neben einander gestellt einen Doppelsinn, z. B. in genua, arma mentum, wenn der Vorleser sie zusammenzieht. Auch dies muß der Dichter zu vermeiden suchen, wo etwas darauf ankommen kann. Umgekehrt kann auch der Vorleser ein zusammengesetztes Wort getrennt lesen, und auch hieraus kann Amphibolie entstehen, welches der Dichter bey Zusammensetzung neuer Worte berücksichtigen muß. Der hauptsächlichste Doppelsinn kann durch die casus geschehen bey der Construction. Hierher gehört der bekannte wohl mit Fleiß so gestellte Vers des Orakels: Aio te, Aeacida, Romanos vincere posse. Beym Klopstock findet man eine ähnliche bekannte Amphibolie: Hallers Doris, sie sang selber des Liedes werth, Hirzels Dafne, den Kleist zärtlich, wie Gleimen liebt. Für den, der Hallers Gedichte kennt, ist die Amphibolie leicht zu lösen. Auch war der Periode nicht gut anders zu wenden. Aber die321 Stellung ist doch gezwungen und nur durch den Ton der hohen Freude, die an Scherz gränzt, zu rechtfertigen. Man muß dergleichen licentias poeticas als Eigenthümlichkeiten des Dichters ansehen, die der Meister hat, die der Jünger aber nicht nachäffen darf. Wer wird Schillers Ode an die Freude nicht eben so tief empfinden, wenn gleich die Freude Tochter aus Elysium genannt wird. Wer wird hier eine Feile wünschen? Durch den Genitiv können auch sehr viel Amphilbolieen entstehen, weil er von den Dichtern oft voran gesetzt wird, und nun zum vorhergehenden oder folgenden Worte gezogen werden kann. Bey den Lateinern machen auch die ablativi consequentiae zuweilen eine Amphibolie, z. B. coelo decurrit aperto. Das kann heißen per apertum coelum, oder aperto coelo. Doch nicht selten machen dergleichen verba praegnantia, wenn der Doppelsinn, wie in diesem Fall, ziemlich auf eins hinausläuft, dichterischen Effekt. Zuweilen ist die Amphibolie von dem Zuhörer leichter zu erklären, aber die Stellung der Rede wird doch schwerfällig, wie in dem Beyspiele, das Quinctilian anführt: visum a se esse hominem librum scribentem. Jede Sprache hat hier ihre eigenen Schwierigkeiten, die der Dichter kennen muß, damit, nach Klopstocks Vergleichung, das Wort dem Gedanken so anliege, wie das Gewand dem Mädchen, welches aus dem Bade steigt. Jndessen haben hierin die alten Dichter bey uns gutes Spiel. Wir lernen die Sprache aus ihnen, und nennen treulich Eleganz, oder Figur, was zu ihren Zeiten oft Dunkelheit war. Il. α. vs. 170. sagt Achilles: οὐδε σ 'οἰω,322 ἐνθκδ' ἀτιμος ἐων, ἀφενος και πλουτον ἀφυξειν. Sey dies ein nominativus consequentiae, Amphibolie bleibt doch immer. Aeschyl. Pers. vs. 280. kann δαϊος nicht feindlich heißen. Wir lernen aus dem Scholiast des Sophocles, daß δαϊος attisch auch δυϛηνος hieß. Aber ist die griechische Sprache so arm, daß ein Dichter, wie Aeschylus, seine Zuhörer doch einen Augenblick ungewiß machen kann, welcher Sinn hier Statt finde? Aeneid. I. 570. sagt Dido: sive Ericis fines regemque optatis Acesten aus dem Vorhergehenden sieht man, daß optare hier soviel wie petere heißt (urbem cogitare). Eine Amphibolie bleibt es aber doch immer. Klopstock sagt: Veracht ihn, Leyer, der zu des Albion zu jedem edlern Stolz unfähig, fern es zu werden, noch immer nachahmt. Hier ist eine scheinbare Amphibolie, allein man muß das fähig aus dem composito unfähig wiederholen. Aeschylus in den Pers. Scen. I. vs. 12. sagt: Πασα γαρ ἰσχυς Ἀσιατογενης οἰχωκεν. νεον δ 'ἀνδρα βαϋζει. Einige Commentatoren suppliren hier Ἀσια aus dem vorigen composito. Jst dies nicht noch weit härter? Es ist höchst ungerecht, wenn die alten Dichter den unsrigen als Muster in Behandlung der Sprache vorgestellt werden. Denn wir können die Sprache jener Zeiten nicht mehr beurtheilen. Horaz ist gewiß den Römern an vielen Stellen schwerer gewesen, als Klopstock uns jemals seyn kann. Die Chöre von Sophocles, noch dazu mit Musik begleitet, müssen oft lauter Räthsel aufgegeben haben, die niemand verstanden hat. Von den mancherley Nebenbedeutungen, die nicht selten323 Stellen eines alten Dichters seinen Zeitgenossen verleidet haben, welche wir schön und der Diction nach bewundernswerth finden, will ich nichts sagen. 2) Der Dichter muß auch die Construktionen und Worte vermeiden, welche, obgleich nicht doppelsinnig, dennoch zu schwer zu fassen sind. Die schönsten und rührendsten Stellen im Sophocles und Aeschylus lassen sich auch ohne Commentar verstehen. Das Dunkle, was die Philologen mit großem zänkischen Geschrey wieder hergestellt und erklärt haben, ist von herzlich wenigem Werth. Man sieht also, daß die höchste Schönheit auch einen leichten Ausdruck liebt. Aber so wie in der Musik das wiederkehrende Thema, oder eine andere sich leicht entwickelnde Melodie erst dann Eindruck macht, wenn eine Schwierigkeit in Zusammensetzung der Töne vorhergegangen, so ist es auch in der Poesie. Und nur der Dichter, welcher das Schwere oder Ungewöhnliche auf diese Art mit dem Leichten verbindet, wird den höchsten Effekt hervorbringen. Da die Worte den Sinn nur nach und nach entwikkeln, indem sie in der Zeitreihe vorgetragen werden, so muß eine gewisse Klarheit über das Ganze verbreitet seyn. Was erstlich die Construction betrifft, so kann der Periode, wenn es die Empfindung oder der Gegenstand erfordert, zwar lang seyn, eine Suspensio oder ein ὑπερβατον, eine Parenthesis enthalten, aber die Wendung muß dann immer dieselbe seyn, daß man die aufgeschobene Conclusion doch schon zu ahnen vermag. Wenn Klopstock aber sagt: Wo Scipionen, Flaccus und Tullius, Urenkel denkend tönender redt' und sang so ist Flaccus und Tullius gewaltsam eingeschoben324, die Construction wird ungewiß, und jeder wird sie anders vermuthen, als sie ausfällt. Die Parenthesis muß nicht unnöthig, sondern durch die Empfindung herbeygeführt seyn, indem sie etwas enthält, was der Redende nicht vergessen darf und was sich wie von selbst hervordrängt, (s. das Beyspiel S. 281.) oder was zur Erklärung des Hauptgedankens gehört, wie Aeneid. VIII. vs. 643. Das σκοτισον in Ansehung des Ausdrucks, welches der praeceptor eloquentiae beym Titus Livius als Regel aufstellt, damit man unerhört und neu spreche, damit der Zuhörer nicht nur verstehe, sondern selbst erfinde, ist ebenfalls ein Fehler. Es entsteht eine Dunkelheit dieser Art besonders aus drey Ursachen: a) wenn man zu viel unnütze Worte macht, welche den Gedanken verwässern und die Umrisse desselben gleichsam verwischen. Zur Weitschweifigkeit gehört die dictio florida, aller sogenannte ornatus und Colorit der Rede, alle epitheta ornantia, descriptiones und periphrases, die uns an ein Detail erinnern, was zum Zweck nicht paßt. Gleichnisse, von unbekannten Dingen hergenommen, die dunkler sind, als die Sache selbst u. s. w. Zwar giebt es eine Art Pleonasmus und Fülle der Rede bey den griechischen Tragikern, die zuweilen selbst dem Aristophanes Anlaß zum Spott gab. Doch hat dieser größtentheils, wie wir schon oben erwähnten, seinen guten Grund, und giebt der Rede Energie. Z. B. Wenn der Ἀγγελος in den Persern Sc. III. zur Atossa sagt: Ξερξης μεν αὐτος ζη τε και φαος βλεπεῖ, so ist die Nachricht so beruhigend, daß man gern sie in mehrern325 Worten hört. Oft aber gebrauchen die Tragiker so unnütze Periphrasen von den gewöhnlichsten Dingen, daß der Sinn schwer zu fassen wird. Dieß ist das, was Quinctilian κακοζηλον nennt, alle abundantia, arcessita, exsultantia und übrigen ambitiosa ornamenta, welche zeigen, daß der Dichter, an Gedanken leer, mit Worten spiele. b) Das Entgegengesetzte, eine gezwungene Kürze, bringt auch Dunkelheit hervor, brevis esse laboro, obscurus fio. Wir haben zwar schon oben erwähnt, daß des Dichters Rede reichhaltig seyn, also im Kurzen viel sagen müsse. Daher der sentenziöse gedrängte Vortrag, die Antithesen, der Climar, das Epiphonem, wodurch oft gerade ein plötzliches Hauptlicht auf das Ganze fällt. Daher die mahlerischen Worte, die mit wenig Sylben viel Nebenideen erwecken, z. B. wenn Homer sagt: Menelaus stieg in das Pferd hinab, der Cyclop lag die Höhle entlang. Auch rechtfertigen starke heftige Empfindungen die Ellipse. Allein, wenn die Uebergänge beständig zu gewaltsam sind, zu viel der dazwischen liegenden Gedanken verschwiegen werden, so geht das Gefühl des Schönen als einer sanften Allmähligkeit zugleich mit der Klarheit verlohren. Der Zuhörer wird zu sehr angestrengt und verliehrt am Ende den Faden. c) Endlich wird die Klarheit der Hauptidee durch eine zu bunte Diktion gestöhrt, welche alte und neue, erhabene und gemeine Wörter zusammen mischt, in allen Dialekten spricht, kurz daß Horazens Menschenkopf und Pferdehals herauskömmt. Quinctilian nennt diesen Fehler κοινισμος. Jede Empfindung des Schönen hat ihren besondern Ton,326 und jede Dissonanz verhindert die Klarheit. Wenn man im Ernste sagt: Iupiter conspuit nive terras, oder wie jener alte Franzose: Phöbus pudert die Haare der Erde seiner Frau, oder: die deutschen Ritter tranken den Dank von ihrer Grazien Munde, so wird der Geist durch diese widersprechenden membra disiecti poetae so zerrissen, daß er den herrschenden Gedanken nicht herausfinden kann. Eben so wird der Dichter oft dunkel, wenn er zu verlegne Worte hervorsucht und mit modernen ohne Wahl zusammenfügt. Kurz man sieht, das alles, was wir oben unter dem Titel figurae dictionis und figurae maiores aufzählten, Anlaß zu Fehlern wider die Klarheit geben kann. Die dichterische Sprache entfernt sich zwar von dem Verstandeszwange, aber sie kann dadurch auch eben so leicht in den Fehler verfallen, daß uns die Gestaltung der Begriffe, die sie ausdrücken will, zu schwer wird. 3) Wenn der Dichter in seinen Allusionen und übrigen Zusammensetzungen ganz widersprechend oder unverständlich wird, so muß man, wie beym Lycophron und Persius denken, qui non vult intelligi, non debet legi; und hier ist die Gränze, wo sich der Schwersinn dem Unsinn nähert.

§. 7.

Da das Schöne der Modalität nach als das Gefühl der absoluten Wahrheit beschrieben wurde, als eine Erscheinung von der Vernunftidee des absolut nothwendigen Selbstbewußtseyns durch die Ob =327 jekte, da es zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen, als eine unbestimmbare Nothwendigkeit, schwankt, so muß auch die poetische Sprache, als Ausdruck des Schönen, zwischen dem was wirklich durch Zeichen erkannt wird, und dem was noch möglicher Weise dadurch zu erkennen ist, das Mittel halten. Die Gedankenreihe muß sich durch die Wortzeichen so ausdrücken, als enthielte sie in dieser zufälligen Bezeichnung alle mögliche Bezeichnungsarten, mithin auf eine absolute, wiewohl nicht vom Verstande erweisbare Nothwendigkeit des Ausdrucks hindeuten. Mit einem Worte: der Modalität nach muß die poetische Sprache für das Gefühl nothwendig wahr seyn. Diese Eigenschaft des Styls geben auch die griechischen Kritiker an. Daher rechnet Hermogenes unter die Ideas dictionis die ἀληθεια.

Anmerk. Und eben durch die ἀληθεια der Diktion unterscheidet sich der poetische Styl von der Prosa. Man möchte sagen, auch in der Prosa muß mir das Zeichen die Sache ausdrücken und einen mit meiner Meynung übereinstimmenden Gedanken bey dem andern erwecken. Das läugne ich nicht. Allein in der Prosa ist der Zweck Erkenntniß, die Sprache ein zufälliges Mittel. Jch kann einen Gedanken tausendfach wenden. Das gewählte328 Zeichen ist willkührlich. Man giebt nicht auf das Zeichen Acht, weil man blos auf die Erkenntniß des Gegenstandes sieht, und man sit nicht in Abrede, die Sache ließe sich noch anders bezeichnen. Bey einem schönen Gedicht hingegen ist es anders. Es läßt in mir das Gefühl zurück, daß sich in der und der Gemüthsstimmung der und der Gedanke nicht anders als so ausdrücken ließe. Die gewählte Diktion erregt in mir das Gefühl der absoluten Nothwendigkeit. Ueber einen Gedanken ist nur ein vollkommen schönes Gedicht möglich. Vorausgesetzt, was sich vielleicht nicht einmal voraussetzen läßt, es könnten zwey Dichter ganz denselben Gegenstand wählen. Jch behaupte: wenn jedes ihrer Gedichte vollkommen schön wäre, so müßte es mir das andre ganz entbehrlich machen, ja ich müßte im Augenblick des Anhörens überzeugt seyn, es sey kein andrer eben so schöner Ausdruck denkbar. Man möchte mich mit der Verschiedenheit der Sprachen widerlegen wollen. Allein eine Uebersetzung muß mir eigentlich, wenn das Original vollkommen schön war, eben dieselben Wendungen wieder geben, und die Diction nach einer eben so absoluten Nothwendigkeit darstellen. Nirgends fühlt sich auch die Unmöglichkeit einer Uebersetzung besser, als bey ausgemacht schönen Stellen, wo uns der Dichter die Worte gleichsam aus der Seele nahm. Es wird auch keiner einen Dichter in Ansehung der Diction ganz empfinden, der sich nicht ganz in die Originalsprache versetzen kann, der beym Anhören in Gedanken erst eine Uebersetzung vornimmt. Die Natur hat tausend verschiedene Arten ihre Empfindungen329 laut werden zu lassen. Aber die Dichtkunst drückt auf jede Sprachwendung für einen Fall der höchsten Empfindung den Stempel der Nothwendigkeit. Man nehme die Stelle im Homer, wo des Patroklus Tod angekündigt wird: Κειται Πατροκλος, νεκυος δε δη ἀμφιμαχονται, γυμνου, ἀταρ τα γε τευχε 'ἐχει κορυθαιολος Ἑκτωρ ein ἀγγελος in der wirklichen Welt, der die Nachricht ohne Empfindung überbrächte, würde blos prosaisch die Sache zu erkennen geben, und folglich eben so gut sagen können: Petroclus ist gefallen. Aber in der idealischen Welt des Dichters bestimmt die Eile des Boten, die Stärke der Empfindung, die er mittheilen will, mit der er, ohne es zu wollen, den Achill gleichsam niederschmettert, die Wendung anders. Antilochus möchte gern alles in ein Wort zusammenfassen, er wird also nothwendig den Hauptgedanken zuerst setzen, κειται, denn das ist hier der Hauptbegriff, nicht Patroclus, weil von Patroclus sich auch noch mehr sagen ließe. Jtzt erinnert sich der Sprechende erst, daß sein Wort noch unbestimmt lasse, wer liege, also fügt er hinzu: Patroclus. Ferner steht κειται im Hexameter gerade auf dem Jktus, der die ganze Sylbenreihe bestimmt. Auch dadurch wird die Wortstellung nothwendig. Die Stellung der folgenden Worte ist eben so genau bestimmt. νεκυος giebt einen schnellen und leichten Uebergang, indem es eine Wiederholung von dem κειται enthält. Es ist aber auch nothwendig als der Hauptbegriff des folgenden, und steht deswegen auch wieder zuerst. Denn Achill kann, sobald er den Tod seines Freundes weiß, vermöge der Denkungsart der Griechen,330 nach nichts schneller fragen, als nach dem Leichnam. Die beyden Wörtchen δε δη sind nicht müßig. Sie enthalten so schnell als möglich durch eine Anticipation den Trost des folgenden, daß der Leichnam aber noch nicht verlohren sey, indem man allerdings noch über ihn kämpfe. Das γυμνου ist ein neuer Donnerschlag und ist nothwendig bestimmt in dem folgenden Hexameter auf dem Hauptictus zu stehen. Jn dem γυμνου liegt wieder die ganze folgende Nachricht. Denn wenn der Leichnam nackt ist, so hat man ihn der Waffen beraubt. Das ἀταρ aber, noch dazu mit seinem jambischen dem Hexameter entgegengesetzten Metrum, kündigt mit Heftigkeit die ganze Stärke des Folgenden an, was dem Achill nach seiner Denkart gleichsam den letzten Stoß geben mußte. τευχεα, die Waffen, ist wieder der Hauptbegriff, diesmal aber für den Verstand, nicht für die Empfindung. Denn der Accent der Empfindung liegt auf dem Worte Hektor, weil dies dem Achill das Schrecklichste seyn mußte, seine Waffen in den Händen dieses Feindes zu wissen. Daher ist dies zu allerletzt gestellt. Nach einer solchen Analyse läßt sich wohl mit vollem Recht fragen: ist Homer, ist überhaupt ein Dichter zu übersetzen? Was das Deutsche betrifft, so möchte ich wenigstens nur allein aus dieser Stelle schließen, Bürgers Einfall sey der beste gewesen, der den Homer in Jamben übersetzen wollte. Da wir Artikel haben und tausend kleine Vorsetzwörtchen mit kurzer Quantität, so läßt sich der Jctus selten auf die erste Sylbe bringen, wenn man verständlich deutsch reden will, und es ist besser, man verliehrt den Hexameter, als die nothwendige Wortstellung. 331Gerade solche Stellen, wo die ἀληθεια der Diction am meisten hervorleuchtet, müssen den Uebersetzer bey der Wahl des Metrums bestimmen. Es liegt Patroclos noch umkämpfen sie den Todten den nackten, denn die Waffen hat der Krieger Hektor. Wie wenig auch diese zwey Jamben von dem Original ausdrücken, so erhalten sie doch die Wahrheit der Wortstellung mehr, als es vielleicht in irgend einem Hexameter möglich wär. Es liegt. Hier kommt auf den Jctus im Jamben der Hauptbegriff, das noch enthält das δη. Die Stellung des Worts νεκυς geht freylich verlohren, wenn man nicht lieber setzen will: um den Todten kämpfen sie. Dann geht das noch verlohren und die Construktion wird weniger natürlich. Das denn fängt ein trochäisches Maaß an, schneidet also den Jamben eben so, wie das ἀταρ den Hexameter, und drückt den Gegensatz aus.

§. 8.

Da das Schöne mehrere Grade oder Untergattungen hat, welche eine oder die andre Vernunftidee versinnlichen, so wird auch jede dieser Untergattungen ihren besonders modificirten poetischen Styl haben. Die oben bestimmten Eigenschaften der dichterischen Sprache überhaupt müssen sich aber mehr oder weniger in jeder einzelnen besonders modificirten Diction wieder finden.

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Anmerk. 1. Das Erhabene hat eine andre Sprache als das Naive, aber beyde müssen vorzüglich den Charakter der ἀληθεια haben. Das Große giebt der Sprache einen besondern Charakter, den das Niedliche nicht hat. Jn beyden aber muß das μεγεθος herrschen. Das Heftige wählt andre Worte, als die Empfindung der Grazie, beyden aber muß die σαφηνεια in der Diktion zukommen. Das Starke braucht Wendungen, welche das Sanfte nicht hat. Aber auch das Sanfte hat seine δεινοτης oder Lebhaftigkeit, Anschaulichkeit, jedoch in einem mindern Grade.

Anmerk. 2. Die verschiedenen Figuren, die wir bey dem poetischen Style bemerkten, passen auch nicht alle gleich zu eben der Untergattung des Schönen. Z. B. Die Ellipse, die Aposiopesis paßt nicht fürs Sanfte, wohl aber fürs Starke, Heftige und Große. Beym Erhabenen, beym Naiven und in Empfindung der Grazie wird auch nicht leicht weniger gesagt werden dürfen, als was gedacht wurde. Eben so wenig paßt die Antithese, die Distribution, die Sentenz für Naivität, Grazie und Sanftheit des Styls, weil sie zu sehr die Rede einschneiden, weil sie zu viel offenbare Wirksamkeit der Reflexion verrathen. Dagegen kann das Niedliche mit Antithesen spielen, und das Heftige irgend einen Kontrast durch sie lebhaft darstellen. Das Hyperbaton, der Athroismus, die Parenthese paßt fürs Heftige. Aber beym niedern Schönen werden diese Figuren selten mit Glück gebraucht werden. Jronie und Sarcasmus333 sind im Erhabenen und Naiven Dissonanzen. Beym Heftigen und Starken finden sie Statt. Die Wiederholung wird, wo der Styl Grazie verlangt, einen Mangel von Leichtigkeit verrathen, beym Sanften, Starken, Heftigen wird sie Wirkung thun.

Anmerk. 3. Besondere genera dictionis kann die Poetik an diesem Orte nicht festsetzen. Jede Dichtungsart hat ihren bestimmten Styl, an dem sich besondere Tugenden und Fehler bemerken lassen. Dies gehört also in die besondere Poetik. Cicero unterscheidet für die Beredsamkeit (Orat. 23.) 1) ein genus Atticum, summissum, humile consuetudinem imitans, 2) ein genus uberius, in quo suavitatis est plurimum, 3) ein genus amplissimum, in quo nervorum est plurimum. Ein prosaischer Schriftsteller, der auf Wohlredenheit Anspruch macht und sich dadurch dem Dichter nähert, kann vielleicht eine dieser drey Schreibarten willkührlich mehr oder weniger sich aneignen, ohne daß er dadurch fehlerhaft wird. Aber nicht so der Dichter. Vermöge der ἀληθεια des poetischen Styls giebt es für ihn in jedem Falle nur eine besondere Schreibart. Er hat keine Wahl unter mehreren, ohne fehlerhaft zu werden. Daher kann auch die allgemeine Poetik nur Eine poetische Sprache annehmen, deren Eigenschaften in allen besondern Modificationen sich wieder finden müssen. Jede Abweichung von diesen Eigenschaften sind Fehler, so ist das pingue und floridum eine Abweichung von der verlangten σαφηνεια und ἀληθεια, das humile eine Abweichung334 vom μεγεθος von der δεινοτης. Es läßt sich also keine Eintheilung des poetischen Styls im Allgemeinen machen, in eine 1) natürliche, 2) ausgeschmückte, 3) pathetische Schreibart. Freylich das Lustspiel, die poetische Epistel spricht natürlicher als die Ode, das Lehrgedicht verlangt einen geschmückteren Vortrag, das Trauerspiel einen pathetischen Styl. Allein dann giebt es eben so viel besondere Schreibarten als Gattungen der Dichtkunst. Betrachtet man aber den poetischen Styl in abstracto, so muß in ihm sich alles vereinigen. Er muß natürlich seyn vermöge der Klarheit, geschmückt, vermöge der Reichhaltigkeit, pathetisch, vermöge der Lebhaftigkeit und Wahrheit.

§. 9.

Nach ihrem musikalischen Wesen wird die dichterische Sprache als eine Reihe von Tönen betrachtet, die, auch ohne Rücksicht auf artikulirte Bezeichnung logisch bestimmter Begriffe, Empfindungen mitzutheilen vermag. Diese Empfindungen sind nicht blos angenehm, sondern ebenfalls Empfindungen des Schönen. Die Poesie gränzt durch das Musikalische ihrer Sprache an die Musik, und die Musik ist eine schöne Kunst.

Anmerk. Man hat neuerlich der Musik das Prädikat der schönen Kunst absprechen wollen, allein mit Unrecht. 335Sie schmeichelt nicht blos den Sinnen, sondern sie erweckt auch die Jdee des Schönen. Die Sprache, logisch genommen, theilt den schönen Gedanken durch Begriffe mit, die mittelst bestimmter Zeichen (der Worte) objectivisirt sind. Es läßt sich behaupten, daß man gar nicht einmal in Begriffen denken könne, ohne gewisse Zeichen für diese Begriffe wenigstens im Gedächtniß zu haben und bey sich zu wecken. Jndem ich diese Zeichen andern mittheile, bestimme ich sie, eine gewisse Reihe von Begriffen nach der Ordnung der Zeichen zu denken. Die bildenden Künste, welche sichtbare Objekte nachahmen und darstellen, nöthigen auch durch diese natürlichen Zeichen ihr Publikum, sich an bestimmte Begriffe zu erinnern. Allein der schöne Gedanke ist an sich von Begriffen unabhängig, und kann auch erweckt werden, ohne daß man eine bestimmte Begriffreihe mittheilt. Wollte man auch das Farbenspiel hier nicht anführen, so beweißt dieß wenigstens die Musik. 1) Die Jdee einer zweckmäßigen Bewegung und Wirksamkeit überhaupt giebt der Rhythmus, 2) die Jdee eines gesetzlichen Werdens giebt das Steigen und Sinken, Höhe und Tiefe der Töne, 3) die Jdee einer gesetzlichen Totalität wird vorzüglich dargestellt durch den herrschenden Takt, wiewohl auch das Rückkehren in den Hauptton, in ein Hauptthema, und die Auflösung der Dissonanzen zur Darstellung dieser Jdee beytragen kann. 4) Die Jdee eines absolut nothwendigen Selbstbewußtseyns durch die Objekte wird dargestellt durch die Harmonie als das Gefühl der Einheit in der Ton =336 verschiedenheit, aber auch durch die Analogie der Töne und rhythmischen Tonreihe mit unsern Begriffen, Empfindungen und Leidenschaften. Die Töne, als etwas Objektives, wiewohl sie eigentlich als unbenannt keine bestimmten Begriffe geben, stellen also doch schon das Schöne dar. Außerdem erwecken sie in uns auch, wiewohl zufällig, eine Reihe eigener Begriffe, die wir aber selbst ordnen müssen, und erregen in uns ein poetisches Bewußtseyn.

§. 10.

Das Schöne, das die poetische Sprache als musikalische Tonreihe darstellt, kann nun zwar nicht nach den Stammbegriffen des Verstandes betrachtet werden, weil es sich nicht an Begriffen zeigt, doch muß es sich nach seinen auf die vier Vernunftideen bezogenen Hauptingredienzen näher bestimmen lassen. Die poetische Sprache muß zuerst durch ihre Tonfolge eine gewisse gesetzliche aber unendliche freye Bewegung anschaulich machen, welche uns an die Vernunftidee der zweckmäßigen Caussalität, der gesetzlich sich entwickelnden Willenskraft erinnert und Rhythmus heißt.

Anmerk. 1. Wenn wir mehrere von einander getrennte Töne in einer Zeitfolge nach einander hören, so wird anfangs damit, wie durch fallende Tropfen, nur eine Succession337 der Zeit anschaulich gemacht. Aber man unterscheidet doch das, was sich in der Zeit bewegt, von der Zeit selbst, und in dieser Bewegung denkt sich der Geist eine freye Kraft. Jn so fern er nun nach und nach mehrere Bewegungen von einander abhängig macht, und meynt, daß die eine ihrer Zeitlänge nach so oder anders folgen müsse, in so fern schreibt er der sich bewegenden Kraft eine Art Gesetzlichkeit zu. Diese Gesetzlichkeit nennt man Rhythmus. Bey der Ton - und Wortfolge äußert sich also der Rhythmus als eine Abtheilung der Zeit durch Töne, wodurch diese Töne in Ansehung ihrer Längen durch das Vorhergehende auf eine gewisse Art bestimmt werden. Der Rhythmus setzt also voraus: 1) Zeitabtheilung durch Töne, 2) welche ihrer Länge nach mit einander verglichen durch das Ohr auf einander bezogen werden, 3) allein wohl zu merken nach keinem bestimmten nothwendig in einer Ordnung wiederkehrenden Maaße. Denn ein bleibendes Maaß gäbe die dritte Vernunftidee der Totalität. Der Rhythmus aber ist das Schema der gesetzlichen Evolution einer Kraft oder Caussalität, ohne ein Maaß, das berechnet werden könnte, und man muß ihn demnach vom Metrum unterscheiden. Niemand hat dies so bestimmt und deutlich gefühlt, als Quinctilian. Rhythmi, id est numeri, sagt er im 9ten Buche, spatio temporum constant, metra etiam ordine sunt et metrici pedes, sed hoc interest, quod rhythmo indifferens est, dactylusne priores habeat breves an sequentes, tempus enim solum metitur in versu non poni poterit pro dactylo anapaestus 338 sunt et illa discrimina, quod rhythmis libera spatia, metris finita sunt Inania quoque tempora rhythmi facilius accipient. Hieraus folgt, daß der Rhythmus allerdings Zeiten abtheile, sie mit einander der Länge nach vergleiche, aber nicht nach einem bestimmten immer wiederkehrenden Maaße messe. Die bisher aufgestellten Behauptungen kommen mit der Erfahrung überein. Man nennt einen numerösen Perioden in Prosa einen solchen, der gewisse Ruhepunkte und Cola hat, wo man Athem schöpfen kann, wo der Sinn sich schon in etwas entwickelt hat (dies sind die Zeitabtheilungen). Diese einzelnen Cola müssen eine Art Eurythmie begründen, es muß eine gewisse Proportion in den Zeitabtheilungen seyn, welche sowohl die Eintheilungen des Gedankens anschaulich macht, als auch an sich durch Aehnlichkeit (nicht Gleichheit) dem Ohr wohlgefällig wird. (Dies ist die Vergleichung oder vielmehr Beziehung der Sätze ihrer Länge nach auf einander.) Diese Eurythmie darf aber nicht bis zu einer völligen Gleichheit der einzelnen Sätze gehen, vielmehr sind die Sätze eines Perioden bald an Länge steigend, bald fallend, wenn der Gedanke, den sie ausdrükken, durch eine Art Climar steigt oder sinkt. Z. B. Dieser Held, dieser mächtige Eroberer, dieser von einem Welttheil angebetete Fürst was ist aus ihm geworden? Die Geschichte seines Lebens schließt mit der Grabschrift hier liegt er. Also gehört zum Wesen des Rhythmus, daß kein bestimmtes Maaß als wiederkehrend erscheine. Auch wird ein Periode sogleich minder schön und die Sprache verliehrt339 den rhythmischen Tanz, wenn die Eurythmie peinlich wird. Z. B. L'oeil reçoit et réflechit en même temps la lumière de la pensée, et la chaleur du sentiment, c'est le sens de l'esprit et la langue de l'intelligence. Buffon. Manche schreiben in lauter Jamben. Das mißfällt. Oft erscheint ein andrer bekannter Verstakt im Rhythmus der Prosa, z. B. es schließt der Periode mit dem Ausgang eines Hexameters: quamquam sciunt placuisse Catoni. Das tadelt Quinctilian in der Prosa. Warum? Ein bestimmtes Maaß, das zu genau wiederkehrt, stöhrt die Freyheit des Rhythmus. Gleichwohl wird eine Clausel, ein Fall des Perioden am Schluß erfordert. Non vult populus Romanus obsoletis criminibus accusari Verrem. Dieß würde unangenehm seyn zum Schluß. Das obsoletis criminibus ist zu lebhaft, und das accusari Verrem würde zu schnell enden. Also scheint dem Rhythmus noch etwas zu fehlen. Deswegen nimmt Cicero den Perioden wieder auf: noua postulat, inaudita desiderat. Also ist allerdings das Folgende auf gewisse Art durch das Vorhergehende bestimmt. Der Rhythmus selbst verlangt eine Totalität, nur läßt sich diese Totalität nach keinem gewissen Maaß angeben. Plato schließt seine Apologiam Socratis mit einem Creticus: ἀλλα γαρ ἠδη ὡρα ἀπιεναι, ἐμοι μεν, ἀποθανουμενῳ, ὑμιν δε, βιωσομενοις. Ὁποτεροι δε ἡμων ἐρχονται ἐπι ἀμεινον πραγμα, ἀδηλον παντι πλην τω θεῳ. Cicero in seiner Uebersetzung dieser Worte schließt mit einem Daktylus: sed tempus est iam hinc abire, me, ut moriar, vos, ut vitam agatis. Utrum340 autem sit melius, dii immortales sciunt: hominem quidem scire arbitror neminem. Platos Wortstellung ist offenbar besser und sein Rhythmus passender, aber der Schluß des Cicero an sich vollendet den Perioden ebenfalls. Was nun vom Rhythmus der Perioden gilt, gilt von einzelnen Wörtern nicht minder. Es giebt Worte, die numeröser sind als andre. Aber es ist dazu schlechterdings nicht nothwendig, daß der Rhythmus in ihnen, wie Quinctilian sich ausdrückt, par sey, d. h. eine gleiche Zeitabtheilung vollendet darstelle. Freylich ist die Zeit ein continuum und läßt sich, je kleiner die Theile gemacht werden, immer mehr gleich abtheilen. Aber es ist der Natur des Rhythmus ganz zuwider, daß man auf diese Gleichheit aufmerksam werde. Animadverti iudices omnem accusatoris orationem in duas divisam esse partes. Hier sind Theile der Zeit durch Worte dargestellt, die Erhebung der Stimme macht die Eintheilung. Man wird durch hinzugefügte mehr oder weniger lange Pausen die Theile einander angemeßner machen, aber zu einer völligen Gleichheit (ad strepitum digiti) wird man es nicht kommen lassen. Denn die freye Ursache, die sich erhebende Stimme stellt eine Bewegung in der Zeit vor, die zweckmäßig ist, ohne daß doch der Verstand seinen Begriff, die Einheit wiederholt hineintragen könne. Auch wird die Zweckmäßigkeit des Rhythmus, der numerus, beym Redner und Dichter nicht ganz rein formell bestimmt, sondern man nimmt dabey sowohl auf den Gedanken Rücksicht, der bald kürzere bald längere Wortreihen verlangt, als auf das341 nothwendige Bedürfniß des Vorlesers oder Sängers, Odem zu schöpfen, das zur rechten Zeit, wo es die Darstellung des Sinns erlaubt, geschehen muß. Abstrahirt man aber hiervon und nimmt den Rhythmus in blos musikalischem Sinne, so bleibt nichts übrig als die Jdee einer für das Menschenohr faßlichen Eintheilung der Zeit durch das freye Beginnen einer Tonreihe. Die Theile müssen faßlich, d. h. nicht zu lang und nicht zu kurz seyn und in einem gewissen Verhältniß zu einander stehen, das aber der Verstand nicht nach der Einheit messen darf. Sie müssen ein continuum von Größen darstellen, das sich nicht zu gewaltsam entwickelt, weil die Natur in allen Evolutionen ohne Sprünge verfährt. Hierdurch bezeichnet die Stimme hinlänglich einen gewissen zweckmäßigen Gebrauch der Zeit. Es gehört also zum Wesen des Rhythmus ein Jctus, oder das Beginnen einer Kraft, die Zeitreihen darstellen will, man nenne diesen Jctus nun ἀρσις oder θεσις, nach Art der alten oder neuen Musiker. Allein die Zeittheile selbst, die durch den wiederholten Jctus abgeschnitten werden, lassen sich nicht als gleich betrachten, sondern müssen nur in einer gewissen Proportion oder Aehnlichkeit in Absicht auf die Größe steigen, sich evolviren, oder sinkend wieder involviren. Durch proportionirliche Evolution und Jnvolution entsteht der rhythmische Periode. Und so zeigt sich die Zeit, als ein zweckmäßiges Continuum, durch eine Kraft, die sie proportionirlich, nicht gewaltsam, abtheilt. Die Zeittheile und der Jctus stehen zwar auch in einer Art ähnlichen Verhältniß, das heißt, der wiederholte Jctus nimmt an intensiver342 Kraft zu oder ab, je nachdem die Theile proportionirlich wachsen oder abnehmen. Allein auch der Jctus und das, was von ihm abgeschnitten wird, läßt sich hier nicht mit einander nach Maaß und Zahl vergleichen oder gar als völlig gleich ansehen. Denn der Jctus ist eine freye Ursache, unbestimmbar als Größe, und läßt sich als solche eben so wenig genau angeben, als sich angeben ließe, wie viel Odem zu einer Wortreihe gehört. Kurz das Grundgesetz alles Rhythmus ist: Die Zeit erscheine als zweckmäßig eingetheilt durch eine Kraft, indem die gemachten Theile nach einer gewissen nur fühlbaren Proportion oder Aehnlichkeit zu - und abnehmen (Progression, Regression). Hermann in seinem Handbuch der Metrik §. 24. drückt also das Grundgesetz des Rhythmus nicht richtig aus, wenn er sagt: die Zeitabtheilungen müssen durchgängig einander gleich seyn. Er verwechselt durch seine ganze Demonstration hindurch zwey mathematisch ganz verschiedene Begriffe, die Gleichheit mehrerer Größen und ihre Proportion, d. h. wie dies Euklides definirt, die Aehnlichkeit (nicht Gleichheit) ihrer Verhältnisse, welche sich auch auf Jrrationalverhältnisse erstrecken kann. Diese Verwechslung zeigt sich am deutlichsten in dem falschen Gebrauch, den er bey der Demonstration von den mathematischen Zeichen macht, wenn er §. 23. sagt: Es verhält sich die Wirkung von a zu der Gegenwirkung von b wie + 2 zu 1 = = + 1. Denn die Verhältniß von + 2 zu 1 ist weder geometrisch noch arithmetisch = = + 1. Ueberhaupt gehört der physische Begriff von Wechselwirkung gar nicht in die Bestimmung343 des Rhythmus, mit dem sich eine Kraft nach und nach evolvirt. Der Rhythmus besteht auch nicht in einer völligen Gleichheit der Zeittheile, nicht einmal in einer völligen Gleichheit ihrer Verhältnisse, sondern nur in einer Aehnlichkeit oder Proportion ihrer Verhältnisse, die hier als irrational angesehen werden müssen. Der Begriff der Gleichheit mehrerer Tonreihen wird erst durch das Metrum festgestellt. Quinctilian hat demnach die Jdee des Rhythmus weit richtiger bestimmt, indem er sie genau von dem Metrum unterscheidet, welches, nach Hermann, schon größtentheils im Rhythmus liegt. Nun haben zwar die Grammatiker Rhythmus und Metrum für gleichgeltend gebraucht. Allein der Philosoph muß die Begriffe von einander trennen. Das Metrum in der Poesie ist, was der bestimmte Takt in der Musik ist. Haben die Griechen Metra komponirt, so haben sie auch eine Art Takt gehabt, und so wie sich Takt und Rhythmus in der Musik von einander trennen und nur zuweilen coincidiren, so bewegt sich auch der freye Rhythmus der dichterischen Sprache fessellos selbst im Metrum, und trifft in seinen Wirkungen nur zuweilen ganz mit dem bestimmten Maaß überein.

Anmerk. 2. Bey manchen Gedichten findet der Rhythmus ohne Metrum Statt. Man pflegte dies sonst poetische Prosa zu nennen, wie Geßners Jdyllen. Jm Geßner nähert sich der rhythmische Periode zuweilen sehr dem metrischen, was Klopstock in seinen Fragmenten an dem Plato und andern lobt, Quinctilian tadelt. Allerdings344 wird das Ohr, das sich an einen bestimmten Takt durch das Metrum gewöhnt, allemal beleidigt, wenn dies aufhört. Es entsteht eine Hemmung, ein Contrast. Daher ist die freye rhythmische Prosa selbst bey Gedichten besser, als eine, die von bekannten metrischen Wendungen wimmelt. Der Rhythmus unterstützt übrigens manche von den oben erwähnten Figuren, besonders den Climar, die Sentenzen, die Antithesen und Distributio. Von dem Verhältniß des Rhythmus zum Metro weiter unten.

§. 11.

Die Vernunftidee eines gesetzlichen Werdens wird von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen nach, durch einen besondern, für die Sinne gefälligen und ausdruckvollen Klang der Worte ausgedrückt. Hierher gehört 1) der Tonausdruck oder die Nachahmung eines Gegenstandes durch den Schall der Wörter, 2) der eigentliche Wohlklang, 3) der Reim oder die periodisch wiederkehrende Aehnlichkeit im Klange der Endsylben.

Anmerk. 1. Der Mensch benannte Thiere und tönende Gegenstände in den ältern Zeiten wahrscheinlich mit einem nachahmenden Schall. Daher sind noch so viele Worte in mehreren Sprachen gleichlautend. Auch hierin zeigt sich die poetische Sprache, als Darstellung aller Sprache345 überhaupt im Werden. Sie stellt ihre Worte so, daß dadurch die Natur anschaulich nachgeahmt wird. Doch darf ein besonders mahlerischer Wortausdruck nur bey Beschreibungen Statt finden, wo man voraussetzen kann, daß die Aufmerksamkeit auf das Sinnliche gerichtet ist. Continuo ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt agitata tumescere et aridus altis montibus audiri fragor, aut resonantia longe littora misceri, et nemorum increbrescere murmur. Virg. Die vielen r würden vielleicht an einem andern Orte als Uebelklang angesehen werden, hier verlangt sie aber der Tonausdruck. Schmettert ein Donnerwagen auf tausend Rädern herunter Ἐκλαγξαν δ 'ἀρ οἰϛοι ἐπ ὠμων χωομενοιο. Wenn der Schall, der nachgeahmt wird, an sich zu einer ästhetischen Empfindung Anlaß giebt, so ist es nicht gerade Absicht, aber es ist dem Dichter natürlich, daß er ihn nachahmt. Wenn aber der Schall in der Natur selbst gleichgültig ist, so ist es eine unnütze Spielerey, wie die Mahlereyen in der Musik. Zum Scherz kann wohl ein Musiker z. B. ein Stück setzen, das eine Schlittenfahrt ausdrückt. Niemand wird aber dergleichen in einem höhern Kunstwerk dulden. Es würde fehlerhaft seyn, wenn Virgil das Laufen Eines Pferdes mit dem bekannten dem Ennius nachgebildeten Verse: Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum, ausgedrückt hätte. Allein die Vorstellung wird eines Heldengedichts würdig, da die Worte agmine facto vorangehen und von einem ganzen equitatu die Rede ist.

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Anmerk. 2. Die Buchstaben, sowohl die Selbstlauter als die Mitlauter, haben bekanntlich ein Verhältniß zur Musik. Die Vokale geben eine natürliche Tonleiter, welche die Höhe und Tiefe des Tons bezeichnet. U ist der tiefste Ton, I der höchste. Da das eigentliche Musikalische ein beständiges Werden des Tones ausdrückt, so werden auch die Gränzen der Tonleiter u und i nicht so musikalisch seyn, als die Töne, welche zwischen diesen Gränzen schweben. Dies ist der Grund, warum kein Componist den Sänger zu lang auf u und i verweilen läßt. o und a liegen über dem u am nächsten und zeigen das Beginnen der Töne am besten. Daher werden sie auch die vorzüglich musikalischen seyn. Eine Sprache, deren Worte häufig o und a haben, ist also musikalisch wohllautender, als andre. Dies ist schon ein Grund, warum das Griechische und Jtalienische vorzüglich wohllautend ist. Der Götterton o, wie ihn vermuthlich aus ähnlicher Ursache die neuern Schöpfer einer Declamationstheorie genannt haben, ist in beyden Sprachen vorzüglich zu finden, wie auch im Spanischen. Besonders die Umbiegung der Worte, Declination und Conjugation, kommt hier in Anschlag. Der Genetivus und Dativus Plural. hat im Griechischen häufig o, oder ist aus o entstanden. Und was kommt häufiger vor als diese Casus? Das Lateinische hingegen hat ein bloßes i in diesen Fällen, und das Deutsche ein e, mit dem wir schon an der Gränze der Tonleiter stehen. Die Conjugation hat im Griechischen, Lateinischen, Jtalienischen o, im Deutschen, Französischen, Englischen e. Das Jtalienische hat aus dem us der Lateiner o347 gemacht und dadurch an Wohlklang zugenommen. Das Griechische hat ebenfalls im Nominativ das o. Aus dem oben festgestellten Grundsatze fließt ferner die Bemerkung, je mehr Modificationen in Ansehung der Vocale eine Sprache hat, desto musikalischer ist sie. Denn die Uebergänge aus einem Tone in den andern sind genauer bestimmt. Hier ist keine Sprache der griechischen gleich zu setzen, wegen ihres Reichthums an Modification der Vocalen. Ἀπολλων ist musikalischer als Apollo, μυρια musikalischer als infinita. Die Diphthongen tragen hier viel dazu bey. Daher suchen die Dichter oft alte Endungen hervor, die Diphthongen haben, z. B. frugiferenteis. Aus diesem Grunde ist auch die Erasmische Aussprache der Reuchlinischen beym Lesen der griechischen Dichter vorzuziehen. Man lese ἠελιοιο nach der Erasmischen Art, welch ein Reichthum von Modificationen des Tons, die bey der andern Art zu lesen wegfallen. Um die Worte, wie Quinctilian sagt, vocaliora zu machen, thut nun besonders der Uebergang aus einem Vocal in den andern sehr viel. Die Natur liebt den Sprung nicht. Das Schöne in der Tonreihe in Absicht auf Höhe und Tiefe wird durch kein gewaltsames, sondern ein allmähliges Steigen und Sinken bewirkt. Wurdi, der Name einer alten deutschen Göttin, den Klopstock braucht, ist kein so musikalisches Wort, als tromba. Warum? Fürs erste wird bey Wurdi aus der Tiefe sogleich in das Höchste übergegangen, weswegen auch ui kein so musikalischer Diphthong ist, als oi, oder ei. Fürs andre sind hier gerade die Gränzen der Tonleiter angegeben, und der Ton selbst hat nichts348 Werdendes. Tromba hingegen hat zwey schwebende Töne, und aus dem einen ist der Uebergang zum andern leicht. Gewisse Worte bilden in Absicht auf die Tonleiter auch mehr ein vollendetes musikalisches Ganze als andre, indem sie nichts unvollendet lassen, wie Wurdi, sondern wieder herabsinken in den Grundton. σφωιτερον. Man nehme nun, wenn wir blos auf die Vocale sehen wollen, die Dichter verschiedener Sprachen, so wird sich leicht bestimmen lassen, welche dieser Sprachen musikalischer sey. Il. β. 477. μετα δε κρειων Ἀγαμεμνων ὀμματα και κεφαλην ἰκελος Διι τερπικεραυνω, Ἀρεϊ δε ζωνην ϛερνον τε Ποσειδαωνι. Welch ein Gesang durch das Ueberwiegende der ο, durch die Länge des ω, durch die weiten Diphthongen. Die Verse zeichnen sich aus, aber man findet ähnlichen Klang überall. Am allerwenigsten erscheint das ε am Ende der Worte. Man nehme dagegen Je chante ce heros, qui regna sur la France, et par droit de conquete et par droit de naissance. Wie wenig o, wie viel e. Selbst das Deutsche bey den gesangreichsten Dichtern hat einen merklichen Mangel an o. Sing unsterbliche Seele des sündigen Menschen Erlösung. Jn diesem Verse sind zwey musikalische Worte: sündigen und Erlösung. Aber der Anfang ist unmusikalisch durch die Zusammensetzung des i und u und das e ist zu herrschend. Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris, ist musikalisch, aber das e und u wird doch schon sehr hervorgehört. Canto l'armi pietose e'l Capitano Che'l gran sepolcro libero di Christo. Tasso. Auch hier triffts ein, daß349 durch das o, welches in allen Reimen assonirt, ein Merkliches für das Gehör an Wohllaut gewonnen wird. Willkommen, o silberner Mond Welchen König der Gott über die Könige mit einweihendem Blick, als er gebohren ward, sah vom hohen Olymp Diese Verse sind musikalisch, aber besonders durch die Wahl des vortönenden o. Doch wird dies uns Deutschen aus den oben angeführten Ursachen schwer, wenn gleich den Franzosen noch schwerer. Aber nicht blos die Vocalen, auch die Consonanten haben einen mehr oder minder musikalischen Charakter. Einzeln betrachtet sind einige schwer, andre leichter auszusprechen. Das r, man mag es nun für einen Zungen = oder Zähnelaut ansehen, ist der schwerste Buchstabe für das Organ. Die durch den Gaumen oder die Gurgel auszusprechenden Laute ch, g, j, k, q, machen auch viel Schwierigkeit. Jn so fern sie also den Ton zu sehr aufhalten, sind sie minder musikalisch. Die sogenannten stummen Consonanten trennen die Continuität des Tons, indem sie sich weniger mittheilen. Dies gilt auch von denen, welche hart genennt werden. Diese sind also nicht so musikalisch, als die liquidae. Diese letzteren, vorzüglich l, m, n, geben einen leichtern Uebergang aus einem Ton in den andern, und in so fern kann auch das r musikalisch genannt werden. ὠρορ 'ἐπαιξας, ρεεν αὐδη. Wohllaut, willkommen. Besonders ist der Consonant n seines Klanges wegen zu merken. Er ist unter den Consonanten ungefähr das, was o unter den Vocalen ist, und beyde zusammen geben den schönsten Laut, welchen die350 Sprache aufzuweisen hat. Dies wissen die Dichter zu benutzen. παρωχηκεν δε πλεων νυξ. Il. κ. 252. ruit Oceano nox. Virg. Suono, dono ist ein vorzüglich wohlgefälliger Reim. Folgende Strophe des Tasso ist eine der schönsten wegen des assonirenden o und des n im Hauptreim: O Musa, tu che di caduchi allori non circondi la fronte in Elicona, ma nel cielo infra i beati cori hai de stelle immortali aurea corona, tu spira al petto mio celesti ardori, tu rischiara il mio canto, e tu perdona, s'intesso fregi al ver, s' adorno in parte d' altri diletti, che de' tuoi le carte. Daß die liquidae den Fluß der Töne weniger aufhalten, erhellt auch aus denen Sprachen, welche die Regel der Position haben. Jn diesen machen zwey Consonanten einen ursprünglich kurzen Vocal lang, aber wenn eine liquida nach einer muta folgt, bleibt die Syllaba oft anceps, paͦtris, τεκνον. Jn umgekehrter Ordnung aber nicht pãrtes. Denn dann hat die muta Gewalt genug den Ton zu hemmen. Die weichen oder gelinden Mitlauter s, b, w, h, g und d theilen sich auch leichter mit, als die harten z, p, f, ch, k und t. Sie sind auch aus diesem Grunde für das Ohr angenehmer. So viel von den Consonanten, wenn sie einzeln betrachtet werden. Jhre Zusammensetzung kommt aber ebenfalls in Anschlag, wenn die Worte schön lauten sollen. Die Häufung der Consonanten, besonders der harten, zischenden und rauhen, ist in keiner Sprache angenehm. Daher suchen die Dichter ihre Zahl zu verringern. Blumige ist musikalischer, als351 blumichte. Der Sinn beyder Worte ist verschieden, doch wird der Dichter immer das erste wählen. Selbst die flüssigen Consonanten werden unangenehm, wenn sie ohne Grund aus bloßer Nachlässigkeit wiederkehren. Non il n'y - a rien, que Nanine n'honore Iam satis terris nivis atque dirae grandinis. Hor. Dieß mißfiel einigen so, daß sie tetrae lesen wollten statt terris, welches aber zu viel Aehnlichkeit mit dirae hat. Venusina digna lucerna. Iuvenal.

Anmerk. 3. Der Reim ist eine Aehnlichkeit im Klange der Sylben. Wenn diese Aehnlichkeit ohne Grund und Gesetz aus bloßer Nachlässigkeit entsteht, so fällt dies auf und verursacht eine Art Mißbehagen, weil man dergleichen nicht erwarten konnte, zumal wenn die Wortstellung besonders aufmerksam darauf macht. O fortunatam natam me Consule Romam. Cicero. μουσαι Πιεριηθεν ἀοιδησι κλειουσαι. Hesiod. ἐσπεπε νυν μοι μουσαι, ὀλυμπια δωματ 'ἐχουσαι. Homer. Non satis est pulcra esse poemata, dulcia sunto, et quocunque volent animum auditoris agunto. Horat. Quot coelum stellas tot habet tua Roma puellas. Ovid. Quin etiam absenti prosunt tibi cynthia venti. Propert. Diligo praestantem, non odi Cinna negantem. Martial. Tollentemque minas et sibila colla tumentem Sed neque currentem se, nec cognoscit euntem, tollentemve manu saxumque immane moventem. Virg. Doch scheint das ὁμοιοτελευτον hier zuweilen mit Fleiß angebracht und nicht ohne Grund352 zu seyn. Bey den Alten war also der Reim etwas Zufälliges. Die neuere Poesie scheint auf den Reim verfallen zu seyn, anfangs als ein Hülfsmittel, rhythmische Reihen abzutheilen, von einander zu trennen, wieder auf einander zu beziehen, und überhaupt dem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen, da man die Verse noch nicht niederschrieb. Der Reim muß also dem Rhythmus mehr angehören, als dem Metrum. Vielleicht ist selbst das Wort Reim aus Rhythmus entstanden. Da die Gesänge der Hebräer offenbar rhythmisch sind, so hat man auch den Reim in dem alten Testamente finden wollen. Dies war besonders die Meynung des Clericus und des Abt Fourmont. Man beruft sich dabey auf die Neigung aller Morgenländer zum Reim, auf ganze Verzeichnisse syrischer Reime, auf arabische Poesieen, älter als der Koran, auf die punischen Stellen im Poenulus des Plautus, welche Reime hat, z. B. thim lusim u. s. w. Allein es ist diese Conjektur eben so ungewiß, wie alles, was man über das Musikalische der hebräischen Poesie von je her behauptet hat. Man verwirft Vocalpunkte und Accente, als Erfindung unwissender Masorethen, corrigirt nach Wohlgefallen, und findet nach diesem gewaltsamen Verfahren freylich was man sucht, weil man es erst hineingelegt hat. Wenn dies bey Bestimmung der griechischen Maaße so oft geschieht, da man doch die griechische Sprache, ihre Vocale und Quantität genauer kennt, um wie viel freyeres Spiel hat nicht der Gelehrte im Gebiet des Hebräischen, wo das meiste terra incognita ist. Jndessen bleibt es doch unläugbar, daß der Reim sich bey353 den neuern Morgenländern findet. Nach Huetius und Massien haben die Araber ihn nach Spanien und Frankreich gebracht, und von ihnen haben ihn die Troubadours gelernt. Allein die Araber fielen im achten Jahrhundert in Spanien ein, und der Reim, als eine künstliche Zierrath der poetischen Sprache, ist in Europa, namentlich in Spanien und Jtalien, viel älter. Er kam, wie Velazquez zeigt, schon aus der lateinischen in die spanische Poesie. Auch die, welche ihn aus den Zeiten des Pabstes Leo II. (680.) herstammen lassen, machen ihn jünger, als er wirklich ist. Er findet sich bey den christlichen lateinischen Dichtern schon im vierten und fünften Jahrhundert, in der verdorbenen lateinischen Dichtkunst. Dies beweisen nicht nur Hymnen der Kirchenväter, sondern auch die Versus Leonini, oder gereimten Hexameter, z. B. Continet haec petra, quem non possent mea metra, commendare satis propter pelagus bonitatis. Hic positus tumulo fuit expers improbitatis, intus et extra fuit immensae nobilitatis. Hora novissima, tempora pessima sunt, vigilemus. Ecce minaciter imnimet arbiter, ille supremus. Wenn auch diese angeführten Beyspiele etwas neuer sind, so schreibt sich doch der Geschmack an dergleichen Spielereyen schon aus dem fünften Jahrhunderte her. Die Kirchenväter, die Gothen und Vandalen hatten also schon den Reim, doch können sie ihn auch aus dem Morgenlande erhalten haben. Weiter läßt sich sein Ursprung nicht verfolgen. Einige haben zwar behauptet, daß die alten celtischen Barden und die nordischen Scalden354 ihn schon gebraucht hätten. Die Dichter hätten Runers, ihre Gedichte Runen geheißen, und daher sey auch das Wort Reim gekommen. Wer will aber hiervon etwas wissen, da jene Barden nicht schrieben, da erst Karl der Große ihre Gesänge sammeln ließ, und wenn wir diese Sammlung auch noch besäßen, aus der Orthographie auf die Aussprache noch nicht allemal zu schließen wär? Darum läßt sich auch nicht sagen, ob in der Edda, ob im Ossian Reime zu finden seyn? wenn man gleich in den Liedern der ersten amilli, fremri, landi, in den Ossianischen Fragmenten closs, cos, dearg, shearg u. s. w. findet. Gefühl für eine Art Assonanz mögen sie freylich gehabt haben. Doch ist dies mit den Regeln der eigentlichen Reimkunst gar nicht zu vergleichen. Diese wurde erst von den Morgenländern kultivirt und nach Europa gebracht. Dem sey, wie ihm wolle, so nahm die neuere und insbesondre die deutsche Poesie den Reim als wesentlichen Begleiter des Rhythmus, ohne übrigens auf Zahl und Quantität der Sylben Rücksicht zu nehmen, zeitig an. Dies bezeugen unsre sprüchwörtlichen Redensarten, die oft gereimt sind und sich vielleicht aus den ältsten Zeiten herschreiben. Durch den Reim wurde die Sentenz ein abgeschnittnes Ganze, dessen Theile, Disticha oder Tetrasticha, sich auf einander bezogen, und verleibte sich leichter dem Gedächtnisse ein. Aus einem ähnlichen Grunde läßt Shakespear seine tragischen Personen, die vorher in reimfreyen Jamben gesprochen haben, mit einer gereimten Sentenz abgehn. Ein solches Epiphonem wird dadurch ausgezeichnet und herausgehoben. 355Auf diese Art findet sich der Reim auch vorzüglich bey den Arabern. Große Genauigkeit der Reime darf man bey den ältsten Deutschen nicht suchen. Ottfried, der in der Mitte des 9ten Jahrhunderts, um das Volk von seinen profanen Gesängen abzubringen, die Evangelien reimte, reimt snello und follo. Der Rhythmus de L. Annone Coloniens. Archiepiscopo aus dem eilften Jahrhunderte, den Opitz herausgab, und der ebenfalls die heroischen Gesänge der Vorfahren durch geistliche Gedanken zu verdrängen sucht, fängt also an: Wir horten ie dikke (öfters) singen Von alten Dingen, Wi snelle helide (Helden) vuthen (fochten) Wi si veste burge brechen, Wi sich lieb in vuiniscefte (Freundschaft) schieden, Wi riche Künige allzegiengen. Nu ist chit daz wir denken, Wi wir selve sülin ende. Crist der unser hero Güt, Wi manige ceichen her uns vure düt. Man sieht hier Reime, sogar dreyfache, und eine Art Stanze, aber auch mehr Assonanzen. So viel zur Geschichte des Reims. Hieraus ergeben sich folgende Behauptungen, die zu einer Theorie des Reims führen können. 1) Der Reim ist ein Mittel, die sich auf einander beziehenden rhythmischen Sylbenreihen zu bezeichnen. Bey den Meistersängern heißt er deswegen Bundwort, weil er verschiedene Theile der Rede bindet. Jn so fern der Reim ursprünglich mehr dem freyen Rhythmus, als dem Metrum angehört, so setzt er weder eine gleiche Zahl von Sylben, noch eine, nach fester Ordnung bestimmte Quantität derselben voraus. Zwar bedeutet Rim bey356 Ottfried auch Zahl. Aber Adelung unter dem Worte Reim bemerkt sehr richtig, daß Schall der ursprüngliche, Zahl ein späterer Begriff sey, wenn gleich das Beyspiel aus dem Griechischen: ρυθμος und ἀρυθμος, (lies: ἀριθμος) das er anführt, wegen der Orthographie nicht paßt. (ἀριθμος leiten die Etymologen von ἀρω, adapto, und ἀρμος, coagmentatio, her.) Jm Deutschen aber ist gewiß reden eher, als das Oberdeutsche reiten, rechnen, und beyde beziehen sich ursprünglich auf einen Schall. 2) Der Reim gewährt aber durch die Aehnlichkeit des Schalls an sich ein Vergnügen. Er macht uns aufmerksam, daß mehrere Theile der Rede auf einander passen, einander proportionirt sind, und das Wiederkehren eines gewissen Schalls unterstützt die Jdee des Passenden. Das Ohr ruht also gleichsam auf dieser wiederkehrenden Aehnlichkeit des Schalls aus, und fühlt eine Ordnung im Klange selbst. 3) Der Reim ist nicht, wie Gravina und Sulzer glauben, ein Surrogat des Metrums, sondern hat seine eigenen Schönheiten und Gesetze, die mit denen des freyen Rhythmus verwandt sind. 4) Jndeß, da die neuern Sprachen auch mehr oder weniger des Metrums fähig sind, so ist der Reim auch zeitig mit dem Metrum verbunden worden. Z. B. Winsbeck, ein alter deutscher Dichter aus den Zeiten Friedrich des Ersten, beginnt die Ermahnung an seinen Sohn also: Ein wiser Mann hat einen Sun Der war im lieb als mannigen ist Den wollt er leren rechte tun Und sprach also: Mein Sun du bist Mir lieb an allen falschen List 357 Bin ich dir sam du selbe dir, so volge mir ze diser Frist Dieweil du lebest es ist dir guot Ob dich ein Frömder ziehen sol, du weist nicht, wie er ist gemuot. Hier herrscht großentheils der jambische Takt, allein es giebt auch kürzere und längere Reihen, die nicht nach dem Metrum, sondern nach einem freyen Rhythmus bestimmt sind. 5) Da der Reim rhythmische Reihen bezeichnet, die sich auf einander beziehen, so dürfen diese nicht so lang seyn, daß das Ohr sie nicht mehr fassen kann. Der Reim darf also nicht zu lang verschoben werden. Die einzelnen Reihen, die der Reim verbindet, müssen einander proportionirt seyn. Ein Reim, der zu spät wiederkehrt, wenn das Ohr die Beziehung vergessen hat, ist unnütz. Eine Nazion hat zwar mehr Fassungskraft und Aufmerksamkeit in Ansehung der Reime als die andre. Jndessen giebt es doch hier ein gewisses Maaß für jedes Ohr. Zudem ist ja das Musikalische der Poesie Nebensache. Wenn das Gesetz des Reims schwer zu fassen ist, vergißt man den Gedanken darüber, und es wird aus der Poesie eine Spielerey, ein musikalisches Kunststück. Die Jtaliener verschieben ihre Reime weit. Sie haben ein größer Talent als andre Nazionen, das Musikalische der Poesie zu fassen. Jndessen ist doch der Reim bey ihnen durch eine gewisse Ordnung unterstützt. Di pensier in pensier, di monte in monte, mi guida Amor, ch'ogni segnato calle provo contrario a la tranquilla vita. Se'n solitaria piaggia rivo o fonte s'en fra duo poggi siede ombroso valle, ivi s'acqueta l'alma sbigot -358 tita. Petrarca. Hier folgen erst drey Reihen, deren Ausgänge nicht reimen. Man sollte meynen, es wäre ein reimfreyes Gedicht. Allein die folgenden drey reimen auf die drey ersten, und zwar nach eben der Ordnung, wie die ersten gestellt sind. Diese Ordnung allein macht es möglich, daß man die Reime zusammen hält. Man nehme dagegen den Anfang einer andern Strophe desselben Dichters. Non è questo'l terren, ch'i toccai pria? non è questo'l mio nido, ove nudrito fui si dolcemente, non è questa la patria, in ch'io mi fido, madre benigna, e pia, che copre l'uno, e l'altro mio parente? Hier sind auch drey Reihen die nicht reimen, die folgenden drey reimen auf sie und zwar in verschiedener Ordnung. Erst wird auf nido gereimt und dann auf pria. Aber hier ist auch diese Ordnung nicht so nöthig, wie im vorigen Beyspiel. Denn in jener Strophe waren zwischen dem ersten einfallenden Reim fonte und dem Vers, auf den er sich bezieht, monte, zwey andre nicht gereimte Verse, das Gesetz des Reims ist also gleich anfangs schwerer zu fassen. Jm zweyten Beyspiel ist zwischen dem ersten einfallenden Reim fido und dem Vers, auf den er sich bezieht, nido, nur Ein andrer Vers. Das Gesetz des Reims ist also gleich anfangs leichter zu fassen, und man läßt es nun auch eher geschehen, daß der Reim auf pria so weit verschoben wird. Hieraus ergeben sich folgende Regeln, über welche die Dichter übereingekommen zu seyn scheinen. a) Mehr als drey Zeilen, die unter einander ohne Reim sind, dürfen ein gereimtes Gedicht oder eine359 Strophe nicht anfangen, weil man sonst das eintretende Gesetz des Reims nicht bemerken und fassen kann. b) Sind drey Zeilen unter einander ohne Reim und correspondiren ihnen drey andre Zeilen, so müssen diese sogleich folgen und am besten so, daß eine gewisse Ordnung in der Stellung der Reime den Reim unterstützt. c) Zwischen zwey auf einander reimenden Zeilen dürfen höchsten drey andre stehen, weil man sonst den Einklang nicht mehr bemerken kann. d) Zeilen, die gar keinen Reim haben, dürfen nur in so fern statt finden, als sie das Gesetz der übrigen gereimten nicht zu sehr erschweren. Am besten stehen sie also an Anfang oder zu Ende einer Strophe. Wenigstens müssen sie in dieser Strophe eine feste Stelle haben, damit sie nach einer bestimmten Ordnung wiederkehren. Hat der Dichter gar keine Strophen angenommen, so ist eine nicht gereimte Zeile immer eine Nachlässigkeit. e) Die gereimten Zeilen einzeln genommen müssen nicht zu lang seyn, daß das Ohr sie fassen könne, und sie nicht ohne Proportion gegen einander erscheinen. Man möchte einwenden, daß von einem Theil dieser Regeln durch die Sechstinnen der Provenzaldichter und Jtaliener eine Ausnahme gemacht werde. Die regelmäßigen Sechstinnen bestehen nämlich aus sechs Strophen, jede Strophe besteht aus sechs Zeilen. Diese sechs Zeilen jeder Strophe sind unter einander gar nicht gereimt. Aber die Schlußwörter der Zeilen sind in allen Strophen die nämlichen und stehen nur in einer andern bestimmten Ordnung. Dies ist eine Spielerey, die bey der Ausführung eines niedlichen Gedankens allenfalls statt finden kann. Es360 wird, wie beym Triolett und andern Gedichten dieser Art, vorausgesetzt, daß sich der Dichter in gewisse Worte vertieft hat, die seine Hauptempfindung ausdrücken und immer wiederkehren. Die erste Zeile der folgenden Strophen schließt allemal mit eben dem Worte, mit welchem die letzte Zeile der vorhergehenden Strophe schloß. Dieß ist eine Art von Echo, das bey Wechselgesängen Effekt machen kann, indem der zweyte Sänger gleichsam den letzten Reim des ersten Sängers wieder auffängt und wiederholt. Allein es ist zu bemerken, daß man das Wiederholen derselben Schlußworte nicht eigentlich Reime nennen kann, weswegen auch viele Dichter noch den Reim besonders hinzugefügt haben, der zu den Sechstinnen an sich nicht wesentlich ist. Ueberdies kann nur die mühsame peinliche Ordnung die Aufmerksamkeit auf dergleichen Consonanzen erhalten, und es werden wenig Dichter ihre Zeit an solche Künsteleyen verschwenden wollen. 6) Da der Reim rhythmische Silbenreihen von einander abschneidet, so kann er nur auf den letzten Sylben stehen, weil man sonst den Jctus, der die Reihe schließt, nicht bemerken würde. Es sind aber hier zwey Fälle möglich. Entweder schließt er die Reihe auf einmal durch Eine Sylbe, auf die er seinen Accent legt, oder er schließt minder gewaltsam, indem er der Sylbe, auf welcher sein Hauptaccent liegt, noch eine, höchstens zwey ebenfalls consonirende Sylben folgen läßt. Das erste giebt natürlich durch das schnelle Abbrechen der Reihe dem Ganzen mehr Kraft. Daher hat man diese Art zu enden den männlichen Reim genannt. Jn dem Fall, wo noch eine Sylbe in der Consonanz361 nachhallt, spricht man von weiblichen Reimen; denn der Rhythmus der Reihe schließt hier sanfter, nicht abgebrochen. Der Jctus des Reims fällt auf die vorletzte Sylbe, schließt aber nicht ganz, sondern nach und nach, indem noch eine Sylbe nachkommt. Nun ist zwar die Eintheilung in männliche und weibliche Reime nicht erschöpfend. Sobria muniat, improba puniat, sind auch Reime. Was stehst du Spötter da und bausbackst, gieb Acht, daß man dich nicht hinausbaxt, spricht Voß in seiner schwer gereimten Ode. Hier ist ein spondäischer, im ersten Fall ein daktylischer Reim, weder männlich noch weiblich. Allein der spondäische Ausgang ist der eigentlichen Natur des Reimes ganz zuwider, und kann nur da statt finden, wo im Scherz schwer gereimt wird. Denn der Reim muß nur einen Hauptaccent haben, der schließt. Wird dieser Accent auf zwey sich an Quantität ziemlich gleiche Sylben ausgedehnt, so verliehrt der Reim das Musikalische. Man hält sich zu lange bey ihm auf. Er wird schwerfällig. Der Rhythmus besteht in einer beständigen fortschwebenden Theilung der Zeit. Kein Theil darf also von dem andern so getrennt seyn, daß die Theilung als geendet erschiene. Da nun der Reim ein Theilungszeichen für den Rhythmus ist, so muß er auch keine Theilung der Zeit als vollendet darstellen. Aus diesem Grunde wird es niemandem einfallen, in vollem Ernste ächte gereimte Hexameter zu machen, und aus eben diesem Grunde wird sich völlig bestimmtes Metrum und Reim selten mit einander vertragen. Was den daktylischen Ausgang362 betrifft, (z. B. Niedliche, Friedliche, piaggia n'haggia figlio consiglio. Doch ist dies eine Synecphonesis bey den Jtalienern, und mehr als ein Trochäus anzusehen. ) so wird er ebenfalls sehr selten statt finden. Er ist auch viel zu metrisch, um für den Reim zu passen. Nur in kleinen lyrischen und musikalischen Stücken mit kurzen Versen macht er Effekt. Bey längern Versen steht derselbe Grund entgegen, der den spondäischen Reim hart macht. Der Reim, als Theilungszeichen des Rhythmus, darf nicht zu lange verweilen. Hieraus folgt, daß die Eintheilung in männliche und weibliche Reime für die Theorie hinreicht, weil spondäische und daktylische Reime selten, zumal in längern Gedichten, gestattet werden. Manche Sprachen sind nun so beschaffen, daß sie mehr den weiblichen, andre wieder daß sie mehr den männlichen Reim begünstigen. Die Engländer haben eine schnelle Aussprache, welche die letzten Sylben gemeiniglich als stumme verschluckt; selten reimen sie weiblich. 'tis this, that shakes our country with alarms, and gives up Rome a prey to Roman arms, produces fraud and cruelty, and strife and robs the guilty world of Catos life. Addison. Dies sind lauter männliche Reime. Diese werden auch in einander gemischt. Immortal and divine! thy image on my soul imprest of endleß being is the rest and bids Eternity be mine. Die Jtaliener haben gerade das Gegentheil, bey ihnen herrscht der weibliche Reim, denn ihre Sprache ist trochäisch, so wie die englische jambisch ist, und sie lassen auch die verschiedenen363 weiblichen Reime abwechseln, wie die obigen Beyspiele zeigen: nido, dolcemente, fido. Was also der englische Reim zu hart ist, das ist das italienische Reimsystem, wie selbst Gottsched findet, zu klangreich und zart. Die Franzosen haben zwar auch ein stummes e, wie die Engländer, aber sie lassen es doch mehr hören. Daher haben sie hierdurch einen weiblichen Reim, dessen Accent auf der vorletzten Sylbe liegt. Mère, père, sind trochäische Ausgänge. Jn allen übrigen Fällen, wenn sie auch zweysylbig reimen, liegt der Accent des Reims doch auf der letzten Sylbe und der Reim ist männlich, weil der Ausgang jambisch ist, z. B. raison, saison, perilleux, pointilleux. Jn der Abwechslung männlicher und weiblicher Reime, die frey, nicht allemal paarweise in einander geschoben werden, besteht größtentheils die Schönheit ihrer lyrischen Stanzen. Der deutsche Reim steht zwischen dem Englischen und Jtalienischen ganz in der Mitte. Wir haben weibliche und männliche Ausgänge. Leider sind unsre weiblichen oder trochäischen Reime auch wie die französischen nur durch e bewirkt, und also nicht musikalisch. Doch sind wir nun im Stande weibliche und männliche abwechseln zu lassen, und dadurch eine Mannichfaltigkeit in das Reimsystem zu bringen. Unsre ältesten Dichter haben schon weibliche Reime, allein erst der Minnegesang war es, der eine gewisse trochäische Weichheit und längere Zeilen aus der Provenzalpoesie annahm. Bey den Minnesängern, welche noch mehr e hatten, als wir, z. B. empore statt empor, (wie die französischen Dichter encore und encor364 setzen, je nachdem es ihnen gefällt) folgen oft nichts als weibliche Reime auf einander: Wer an Zeite guete weundet sein gemuete dem folget selde und Eere das giebt gewisse lere u. s. w. Iwain zu Anfang. Die Meistersänger brachten wieder mehr die männlichen Reime auf. Die neuern deutschen Reime wurden nach dem Französischen gebildet, und lassen männliche und weibliche Ausgänge abwechseln. Seltener findet man aber im Deutschen, daß verschiedene weibliche Reime abwechseln, wie bey den Jtalienern, z. B. donna, terra, colonna, guerra. Freylich hält der weibliche Reim den freyen Rhythmus mehr auf, wenn er oft wiederholt wird, als der männliche. Jn längern Gedichten, wo ein freyerer Rhythmus herrschen soll, z. B. in erzählenden, wird jene Abwechslung blos weiblicher Ausgänge nicht gefallen, so wenig wie regelmäßige ottave rime nach Art der Jtaliener. Also wird das bey uns nur in kurzen lyrischen Stücken angehen, die sich durch ein bestimmtes Metrum dem Gesange mehr nähern. Längere Verse mit abwechselnden weiblichen Reimen werden ohne Dazwischenstellung anderer männlicher immer mißfallen. 7) Da der Reim durch seinen Jctus oder Accent das Ohr auf einem gewissen Klange ruhen läßt, so muß dieser Klang an sich angenehm seyn. Reime, wie wurzelt, purzelt, finden nur im Komischen statt und gehören in eine schwer gereimte Ode. Ein Reim wird also auch schöner lauten wie der andre, wenn seine Wiederholung auf ein (im Sinne der zweyten Anmerkung) musikalischeres Wort trifft. Es versteht sich, daß der Gedanke hier viel365 bestimmt. Denn ein sehr schön tönender Reim setzt auch ein merkwürdiges Wort voraus. Und bey gleichgültigern Theilen der Rede ist es oft besser, dem Reim einen minder ausgezeichneten Klang zu geben. 8) Da der Reim in einer Aehnlichkeit des Schalls besteht, so muß auch eine Art Einklang seyn, weil sonst der vorausgesetzte Zweck nur halb erreicht wird. Nun ist es zwar nicht allemal nöthig, daß die Consonanz des Klanges ganz vollkommen sey. Dies ist bey den sogenannten reichen Reimen der Fall, z. B. visible, risible, vengeance und engeance, petulance und balance. Hier treffen alle Consonanten und Vocalen der zwey Sylben überein. Allein eine gewisse Reinheit und Harmonie wird doch erfordert. Hieraus folgt, a) daß dasselbe Wort in der Regel nicht auf sich selber reimen kann, wenn es nicht in einer ganz andern Bedeutung vorkommt. Denn das ist nicht Einklang, sondern Monotonie. A tous ses beaux discours j'étois comme une piere Ou comme la statue est au festin de Pierre. Boileau. Jn besondern Fällen kann es aber auch gute Wirkung thun. b) Daß composita mit ihren simplicibus, Wurzelwörter mit ihren derivativis nicht auf einander reimen; z. B. tragen, vertragen, constant, inconstant. Zuweilen kann aber eine gewisse Rauheit auch hier Effekt machen. c) Daß bey weiblichen Reimen die Consonanten der zweyten Sylbe der Aussprache nach gleich seyn, die vordern der ersten Sylbe können verschieden klingen; z. B. starben, darben, aber nicht Zelten, melden. Bey männlichen Reimen müssen nur die Endconsonanten der Sylbe366 gleich seyn. Jedoch fällt hier die Unreinheit des Klanges nicht so sehr auf, zumal wenn sie nicht groß ist, da der Jctus gleich die Wortreihe schließt; z. B. Land, verwandt. Man findet sogar bey sorgsamen Dichtern Lied, glüht. d) Daß die Vokale oder Diphthongen bey männlichen Reimen in der letzten, bey weiblichen auch in der vorletzten Sylbe ähnlich lautend und von gleicher Länge und Kürze seyn. Wen und sprech en oder ewigen reimt nicht, weil hier Accentverschiedenheit statt findet. Arkadien und schön ist kein guter Reim. Alter thümern und schimmern findet sich jedoch auch bey Wieland. Verglich und kärglich würde gar nicht passen, denn der Accent der Vocale ist ganz verschieden. Fier, se fier wird verschieden ausgesprochen, denn das eine hat ein offnes e, das andre ein è fermé. Hier kommt alles auf einen guten Dialekt und Ohr des Dichters an. Lia und donna reimt nicht im Französischen, weil bloße Vocale den männlichen Reim nicht vollenden, ausgenommen in einsylbigen Worten, z. B. vu, cru aber lia und nia reimen denn hier kann man es als einen weiblichen Ausgang ansehen. Frere und severes reimt nicht, weil die Aussprache vom Singular und Plural doch verschieden ist. e) Wider die Reinheit des Reims läuft völlig die Gewohnheit einiger Völker, welche zuweilen nach der Orthographie reimen, wie man es im Englischen und Französischen hier und da findet. Denn der Reim ist nicht für das Auge, sondern für das Ohr. Selbst Voltaire, der doch das ois aus der französischen Orthographie zu verbannen suchte, reimt doch in367 der Henriade nach eben dieser Orthographie. Ah s'ecria Bourbon, quand pourront les François, voir d'un regne aussi beau fleurir les justes Loix. Jndessen läßt sich diese Gewohnheit, in zweifelhaften Fällen nach der Orthographie zu reimen, mit dem Gedanken entschuldigen, daß die Aussprache etwas Wandelbares ist, während die litera scripta manet. Bey den Engländern zumal ist die Aussprache so willkührlich, zuweilen durch die äußern Verhältnisse, die verschiedenen Stände und Umstände bestimmt, daß die Orthographie doch einen sicherern Maaßstab für den Reim giebt. 9) Da der Reim eine rhythmische Reihe abschneidet und das Ohr darauf verweilt, so kann er nicht auf einem Nebenworte stehen, das keinen hinlänglichen Sinn giebt. Bey längern Versen steht also der Reim nicht gut auf Adjectiven, zu denen die Substantiven erst im folgenden Vers folgen, auf kleinen Verbindungspartikeln, der Verstoß, in den, der alte Vater fiel, war allzuleicht begangen, allein, wie beyde sich recht in die Augen sehn u. s. w. Wieland. Dies läßt sich vertheidigen, weil der Accent auf dem den liegt. Allein wenn man in eben dem Dichter findet: Und an dem Gürtel hängt ein langer Rosenkranz, bey diesem Ansehn wars an solchem Orte ganz natürlich ihn sogleich für was er war zu halten oder: Den hohen Pelion zusammt den Wurzeln aus der Erde rissen, um ihm dem Ossa aufzuthürmen, nun wurd ein Mann von sieben Fuß daraus so ist das wider die Rege des Reims. Am allerwenigsten kann eine ganz kurze Sylbe reimen, die gar keinen Accent hat. Es ist368 also nothwendig, daß wenn der Reim ein Wort auszeichnet, dieses Wort auch durch den Sinn ausgezeichnet sey. Daher dient der Reim sehr gut manche poetische Figuren, zum Beyspiel die Antithese, die Distribution u. s. w. bemerkbar zu machen. Freylich ist in lyrischen Gedichten hier mehr Feile nöthig, als in erzählenden, zumal scherzhafter Art. 10) Da die Harmonie des Reims Mannichfaltigkeit und Einheit vereinigen muß, so darf derselbe Reim nicht zu lange beybehalten werden oder zu oft wiederkehren, weil sonst Monotonie entsteht. Drey gleiche Reime hinter einander machen zwar oft Effekt beym Starken: tuba mirum edens sonum, per sepulcra regionum, coget omnes ante thronum. Mehr als drey aber hinter einander und überhaupt mehr als drey Reime eines Schalls, geben schon Monotonie, wenn gleich andre dazwischen geschoben sind. Das Sonnet macht hiervon eine regelmüßige Ausnahme, wo von zwey Quatrains jedes vier gleiche Reime hat, und das Rondeau, wo unter dreyzehn Versen achte auf denselben Reim sind. Allein bey einem kleinen für sich bestehenden lyrischen Ganzen geht dies eher an, als bey größern Gedichten. Die männlichen Ausgänge müssen mit den weiblichen abwechseln, je nachdem mehr Stärke oder Schwäche in dem Ende der rhythmischen Reihe verlangt wird. 11) Da das Vergnügen am Einklange der Endsylbe zweyer rhythmischen Reihen mehr erreicht wird, wenn sie nicht unmittelbar auf einander folgen, so haben die Dichter durch die Ordnung, wie die Reime mit einander abwechseln, dem Reimsysteme mehr Schönheit zu geben gesucht. Hier369 sind zu merken: a) gereimte Distichen, als der unterste Grad, wo der Reim, sey er männlich oder weiblich, gleich wiederkehrt. Dies thut mehr im Scherzhaften Wirkung. Oder es wechseln ein paar männliche und ein paar weibliche ab. b) Terzinen. Che giova a me seder a mensa il primo, se per questo più sazio non mi levo. Di quel ch'è stato assiso a mezzo e ad imo? Come cibo, cosi non ricevo più quiete, più pace, o più contento se ben di cinque mitre il capo aggrevo. Ariosts 2te Satyre. Zwischen einem Distichon weiblicher Reime steht eine Zeile, die allemal den Reim des folgenden Distichons bestimmt. So entstehen immer drey gleiche Reime. Dies hat auch Dante in seiner Commedia. c) Die Stanzen. Eine Zusammenstellung mehrerer Reime, die immer wiederkehrt, giebt das, was man Strophe couplet (coplas) nennt. Bey Strophen, die noch musikalischer sind, braucht man den Ausdruck Stanza (Wohnung), Stance (Estancias). Die Art von Coplas, welche die Spanier Redondillas nennen, leitet Velazquez ebenfalls schon aus der verdorbenen lateinischen Poesie her. Die Franzosen unterscheiden Stances im Plural noch von den Oden in einem etwas andern Sinne. Diese Strophen bestehen nun aus Quatrains, Terzetten u. s. w. Die Spanier haben Decimas. Rousseau hat sieben =, neun =, zehnzeilige Strophen u. s. w. Von einer besondern Art von Sechstinnen (Sexta rima) haben wir schon weiter oben gesprochen. Die merkwürdigste Stanze ist aber die regelmäßige Ottava rima, welche die Jtaliener zu ihren370 heroischen Gedichten brauchen, weil sich ihr heroisches Gedicht, wie selbst Tasso irgendwo behauptet, der Romanze, und in so fern dem Liede nähert. Hier kehren allemal drey weibliche Reime in eilfsylbigen Versen abwechselnd wieder, und am Ende steht ein ebenfalls weibliches Distichon (chiave weil hier der Sinn sich schließt). Auf dem Reime der zweyten, vierten und sechsten Zeile liegt der Natur des Rhythmus nach allemal mehr Accent, als auf dem ersten, weil der Jctus eine Art Beschleunigung mit sich führt; und weil man nach zwey Zeilen gewöhnlich eher des Sinns wegen anhalten kann, als in der ersten. Daher fordert der zweyte, vierte und sechste Reim, die Klangähnlichkeit, und der Wohllaut desselben von Seiten des Dichters vorzügliche Aufmerksamkeit. Bey den Spaniern giebts Octaven sogar mit daktylischen Reimen (s. oben): perlicaro, semi - astrologo, picaro, prologo, capitulo, titulo u. s. w. Diese Art Reime heißen bey ihnen schlüpfrige Verse, Esdrujulos, bey den Jtalienern versi sdruccioli. Da wir im Deutschen an die Abwechslung des männlichen und weiblichen Reims gewöhnt sind, so würden wir in längern heroischen Gedichten viele Schönheit verliehren, wenn man die regelmäßige Octava mit lauter weiblichen Ausgängen einführen wollte. Für ein episches Gedicht würde sie zu lyrisch, für den Geist zu anspannend seyn, und der leichte erzählende Ton müßte darunter leiden. Auch können wir in größern Erzählungen den Alexandriner nicht ganz entbehren. Die Uebersetzer des Tasso, z. B. Diederich von dem Werder, nahmen sechsfüßige Jamben und männliche371 Reime. Das that auch Wieland und gab seiner achtzeiligen Stanze im Oberon eine freyere Form, ließ männliche und weibliche Reime in längern und kürzern Versen abwechseln und die gleichen Reime oft zusammenfallen. So ersetzte er, was der deutschen Stanze an musikalischer Weichheit abging, durch Leichtigkeit und Kraft. Das Einzige bleibt jedoch zu wünschen übrig, daß die deutsche Stanze die Chiave oder das weibliche Schlußdistichon regelmäßig beybehielte. Dadurch bekommt jeder Periode, jede Stanze einen so ruhigen Schluß, der für das erzählende Gedicht durchgängig anzurathen ist. Wieland hat dies nicht beobachtet. Allein die Stanzen, wo er es thut, sind immer vorzüglicher, als andre. Die eigentliche Ottava hat, wie Schiller vortrefflich sagt, die Liebe geschaffen. Daher muß sie auch nur für höhere lyrische Gegenstände aufbehalten werden, und vor allen Dingen für kleinere Stücke, wo eine Art Zwang zur Ründung, nicht zur Gezwungenheit wird. d) Die Sonnette haben auch ein regelmäßiges Reimsystem. Sie bestehen aus zwey Quatrains, in denen sich je vier Reime correspondiren, und zwey Terzetten, in denen sich wenigstens ein Reim correspondiren muß. Beym Petrark correspondiren sich auch gewöhnlich alle drey Reime der Terzetten. Mit diesen vierzehn Versen ist das Gedicht beschlossen. Für die Weichheit des Sonnets sind selbst im Deutschen die abwechselnden weiblichen Ausgänge anzuempfehlen. e) Das Rondeau ward besonders von den Franzosen zu den Zeiten des Marot in Aufnahme gebracht. Es besteht aus drey Couplets, das erste von fünf, das372 zweyte von drey, und das dritte wieder von fünf Versen, und aus drey Refrains, wozu die Anfangsworte des ersten Verses, z. B. Adieu Cesar, oder le bel Esprit! genommen werden, die am Ende des zweyten Couplets und zu Ende des ganzen Gedichts zu wiederholen sind. Jm regelmäßigen Rondeau sind nur zwey abwechselnd wiederkehrende Reime. Der eine kommt achtmal, der andre fünfmal wieder. Die Ordnung dieser Reime im letzten Couplet müssen den Reimen des ersten genau correspondiren. Man sieht also, daß sie ursprünglich nach Einer Melodie gesungen wurden, wie die Quatrains und Terzette in den Sonnetten, deren Entstehung auch wohl musikalisch ist, weswegen Petrark die beyden Quatrains und Terzetts in Ansehung der Reime einander genau correspondiren läßt.

Anmerk. 4. So viel von dem Reim, seinen Regeln, und den vorzüglichsten Reimsystemen überhaupt. Es giebt noch mehrere Spielereyen der Dichter mit dem Klange. Die Onomatopöia, oder die Nachahmung des Schalls, deren wir in der ersten Anmerkung erwähnten, und die zuweilen eine besondere Figur der dichterischen Sprache giebt, wird von manchen Dichtern so weit getrieben, daß sie neue Worte machen. At tuba terribili sonitu tarantantara dixit. Ennius. Virgil, der auch hier aurum de stercore Ennii zusammen las, verändert den Vers so: At tuba terribilem sonitum procul aere canoro increpuit, fand also dies für den Styl eines wirklichen Heldengedichts doch zu spielend. Jn der Ballade, welche,373 wie Boileau sagt, l'élégant badinage de Marot annehmen darf, haben neuere Dichter die Onomatopöia fleißig und mit Erfolg gebraucht. Z. B. Bürger: und immer weiter hopp, hopp, hopp, gings fort in sausendem Galopp oder: Trara, Trara, durch Flur und Wald ließ Carl sein Hifthorn schallen u. s. w. Wenn Bürger gleich eingesteht, daß er sich nicht gerade dadurch den Namen eines Volksdichters erworben habe, so bedarf er doch auch deswegen keine Entschuldigung. Das Geschmacksurtheil richtet sich nach jeder Dichtungsart. Pedantisch ist es, wenn man diese Lebhaftigkeit einer tändelnden Sprache tadelt, in Fällen, wo dergleichen Tändeleyen erlaubt sind. Die Spanier haben ferner schon in den ältesten Zeiten, wie das Cancionero general bezeugt, Verse, die sich auf ein Echo der letzten Sylbe, oder mehrerer Sylben des vorletzten Worts endigen. Man hat auch altdeutsche Lieder, wo sich der Dichter mit seinem Echo unterhält, und von der Antwort des Echo, wie in einem Gespräch des Erasmus, seinen Uebergang nimmt. Hier müssen wir auch ein Wort von den Assonanzen sagen. Die Assonancia ist nicht sowohl ein Reim, als ein Gleichlaut der Vocalen in den Endsylben. So unterscheiden sie die Spanier von der Consonancia, oder den eigentlichen Reimen, bey welchen letztern auch auf die Schallähnlichkeit der Consonanten gesehen wird. Es giebt eine weibliche und eine männliche Assonanz. Espada Casa, noble pone, reimen auf einander nach der weiblichen Assonanz, dolor, coraçon, nach der männlichen. Diese Assonanz, als ein freyerer Reim, ist in374 Spanien später aufgekommen, als die Consonanz, und kann allerdings dazu beytragen, den Wohllaut zu vermehren. Jhre Regeln richten sich nach dem, was wir in der zweyten Anmerkung von dem Wohllaut der Vocale überhaupt gesagt haben. Das o und das a wird also die Assonanz sehr musikalisch machen, wenn es sich als herrschend zeigt. Will man weiter gehen, so kann man auch auf die letzten Consonanten mit Rücksicht nehmen. Es versteht sich, daß dieser besonders ausgezeichnete Wohllaut durch den Sinn selbst herbeygeführt werde, sonst wird freylich eine unnütze Spielerey daraus. Was nun den Gebrauch des Reims überhaupt betrifft, so ist in neuern Zeiten viel darüber gestritten worden. Einige haben ihn, als ein unnützes Schellengeklingel, ganz verbannen wollen. Andere haben ihn, in Ansehung der neuern Sprachen, für unentbehrlich gehalten. Freylich ist der Reim ein Hülfsmittel, die Gedankenarmuth einen Augenblick zu verbergen, indem doch wenigstens das Ohr beschäftigt wird. Auch muß er, wenn er sich nicht, wie Boileau sagt, mit dem Verstande vertragen will, sondern offenbar unpassende, überflüssige Gedanken herbeyzieht, allerdings Popes und Rabners Spott verdienen. Allein dieser Spott trifft doch mehr diejenigen, welche den Reim nicht zu behandeln verstehn, als ihn selbst. Daß der Reim auch für nicht asthenische Dichter ein Reitzmittel sey, Gedanken zu erwecken, ist keine Frage. Sein musikalischer Ton giebt der dichterischen Sprache einen neuen Zauber, der sie von der gemeinen Rede unterscheidet, einen neuen Accent, eine neue Fessel, dem Dichter eine neue Schwierigkeit375, die er glücklich überwinden und dadurch das Schönheitsgefühl erhöhen kann. De la contrainte rigoureuse, l'esprit semble resserré il reçoit cette force heureuse, qui l'éleve au plus haut degré. Telle dans des canaux pressée avec plus de force élancée l'onde s'éleve dans les airs et la regle, qui semble austere n'est qu'un art plus certain de plaire inséparable des beaux vers. So vertheidigt La Faye den Reim gegen La Motte. La Motte, der den Homer übersetzte und doch für einen schlechten Dichter erklärte, war so paradox selbst zu reimen, und den Reim zu verwerfen. Gleichwohl findet man ihn fast bey allen, selbst den wilden Nazionen neuerer Zeit. Der heilige Patricius, der im Anfang des fünften Jahrhunderts in Jrrland das Evangelium predigte, soll ihn daselbst unter den Eingebohrnen gefunden haben. Er hat selbst gereimt, und es ist noch ein Distichon in irrischer Sprache von ihm in Usserii Antiquitat. Eccles. Britan. vorhanden. Montagne liefert uns eine Uebersetzung amerikanischer Reime. Addison hat in seinem Zuschauer eine lappländische Ode, die im Original gereimt ist. Auch die Neger sollen reimen. Zwar bewiese dies alles vielleicht nur, daß der Reim das Surrogat einer vollkommnen Prosodie und Metrik sey. Aber ich behaupte, man könne den Werth des Reims nicht eher genau bestimmen, bis man davon überzeugt ist, was ich oben dargethan habe, daß der Reim gar nicht als Surrogat des Metrums, sondern als ein Begleiter des Rhythmus anzusehen sey. Das Metrum der Griechen und Römer hat seine Schönheiten, aber es bindet376 oft die Freyheit des Rhythmus zu sehr, welche innerhalb der Fesseln des Reimes gar wohl bestehen kann. Der Reim erleichtert es, rhythmische Reihen zu fassen, sie auf einander zu beziehen, und vereinigt so Einheit und Mannichfaltigkeit. Wo ein freyerer Rhythmus herrschen muß, in leichten erzählenden und scherzhaften Gedichten, ist er unentbehrlich. Bey Liedern, Hymnen und andern Gesangstücken unterstützt er selbst das Metrum. Die Stanze ist die eigenthümliche Wohnung der romantischen Poesie. Dem Lustspiel giebt der Reim eine gewisse Würde, als Kunstwerk, die dazu dient, es von einer bloßen Nachahmung des gemeinen Lebens zu unterscheiden. Nur wo das eigentlich Erhabene herrscht, in der Epopee, dem Trauerspiel, der Ode, ist für Sprachen, die sich einer festen Prosodie rühmen können, das reimfreye Metrum vorzuziehen. Es macht dem Genie des großen Corneille darum viel Ehre, daß ihm der Reim schwer ward, der in ihm manche Gedanken unterdrückte, und Klopstocks kühner Genius verdient Bewunderung, der in Deutschland zuerst und vielleicht allein den lyrischen Maaßstab heller blitzen sah, die Fessel des Reims zerbrach, und für Gegenstände, die über alle Spielereyen des Klanges erhaben sind, eine höhere Musik schuf. Wir haben schon weiter oben erinnert, daß der Reim sich nicht mit dem Hexameter verträgt. Dasselbe läßt sich fast von allen ausgezeichneten Sylbenmaaßen sagen. Selten wird der Reim in Verbindung mit ihnen Wirkung thun. Blos bey den trochäischen Sylbenmaaßen, die sich schon der Prosa nähern, oder bey andern sehr unregelmäßigen, ist der Reim377 anwendbar. Wer auf den Reim hört, wird zu viel auf den freyen Rhythmus aufmerksam gemacht, und das Metrum verlangt dagegen gemessenes Taktgefühl. Der Reim zeichnet in einer ganzen Sylbenreihe nur eine oder zwey aus. Das Metrum verlangt einen Jctus auf jede Sylbe in der Reihe, die, dem Takte nach, wie eine gute Note anzusehen ist, und der Reim hebt durch seinen Accent diese Gleichheit auf. Der Reim bezieht Reihen auf einander, das Metrum einzelne Glieder in den einzelnen Reihen. Metrum und Reim sind also in der Regel einander immer im Wege, wenn beyde ihre ganze Kraft zeigen wollen. Auch werden Sprachen, die Reim und Prosodie haben, nie ihre Prosodie so ausbilden können, als andre, die den Reim nicht kennen. Jndessen verlöre man zu viel, wenn man ihn um deswillen ganz wegwerfen wollte. Uebrigens haben alle neueren Nazionen, auch die, welche den Reim sehr cultivirten, ihn doch immer für ihre Poesie überhaupt als entbehrlich angesehen. Die reimfreyen Verse, z. B. die eilfsylbigen, finden sich bey den Spaniern und bey den Jtalienern schon in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, wo Alonso de Fuentes und Trissino schrieben.

§. 12.

Die Vernunftidee einer gesetzlichen Totalität wird von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen nach, durch das Metrum, oder ein nach bestimmter378 Ordnung wiederkehrendes Sylbenmaaß ausgedrückt.

Anmerk. 1. Der Rhythmus, wie wir gesehen haben, erweckt nur die Jdee von zweckmäßiger Bewegung in einer proportionirlichen Eintheilung der Zeit nach irrationalen Verhältnissen. Hiermit ist aber die Jdee eines Ganzen noch nicht gegeben. Diese kann begrifflos nicht anders dargestellt werden, als wenn ein bestimmtes Maaß die Zeit in gleiche Theile theilt, welches Maaß zwar als herrschend erscheint, weil es immer wiederkehrt, aber immer wieder durch den unendlichen Rhythmus aufgehoben wird. Dies Maaß ist in der Musik der Takt und in der Dichtkunst das Metrum. Beyde erwecken das Gefühl der Vollständigkeit und Allheit. Denn wenn man anfängt etwas nach einem bestimmten Maaß zu messen, so setzt man voraus, daß es durch irgend eine Zahl dieses Maaßes gefaßt werden könne. Die Gleichheit der Zeittheile ist an sich eine ganz willkührliche Annahme. Es giebt keine absoluten Kürzen, weil die Zeit ein Continuum ist, das sich ins Unendliche theilen läßt. Da es in der Zeit also keine Einheit giebt, sondern immer kleinere Theile möglich sind, so entsteht die Jdee von Länge und Kürze nur durch ein Verhältniß, relativ. Der Musiker bestimmt seine Vierthel willkührlich, und hieraus ergeben sich seine Sechzehntheile u. s. w. Ein Aehnliches findet statt bey dem Metrum in der Sprache. Es wird willkührlich ein gewisses Maaß der Sylbe als Kürze angenommen. Das doppelte Maaß379 dieses Kürzesten giebt die Länge. Allein wenn man auch auf diese Art gleiche Zeittheile erhielte, indem bald eine Länge, bald zwey Kürzen auf einander folgten, so würde das Grundmaaß der Sylben noch zu unbedeutend und klein seyn, als daß man eine wiederkehrende Ordnung bemerken könnte. Daher haben die musikalischen Dichter größere Maaße erfunden, welche leichter ins Gehör fallen, durch Zusammenstellung mehrerer Sylben entstehen, und eine gewisse Ordnung angeben, wie Längen und Kürzen immer abwechseln sollen, woraus denn nicht nur Einheit, sondern auch Mannichfaltigkeit entsteht. Diese Maaße, welche das Gesetz angeben, wie in einer Sylbenreihe Länge und Kürzen immer mit einander abwechseln sollen, heißen pedes, Füße. An sich sind diese Füße zwar bloße Maaße, Quantitäten ohne Accent. Werden sie aber zusammengesetzt, so schneidet jeder Fuß einige Zeittheile ab, erfordert also einen Jctus. Und weil dies Maaß wiederkehrt, also das Ohr an einen bestimmten ähnlichen Gang der Sylbenreihen gewöhnt ist, so wird auch der Jctus nach einer gewissen Ordnung wiederkehren und gleiche Zeittheile abschneiden müssen. Hierdurch unterscheidet sich der Jctus des Metrums von dem des freyen Rhythmus. Natürlich wird der Jctus dahin fallen, wo die erste Länge in dem Fuße ursprünglich steht, weil auf den Kürzen die Stimme nicht verweilt. Es entsteht also durch dies Aneinanderreihen der Füße, die immer wiederkehren, metrische Reihen, und diese metrischen Reihen müssen sich auf wenige Gattungen zurückführen lassen, so vielerley auch die Füße sind. Ein einziger Fuß an380 sich bezeichnet zwar ein Gesetz , aber noch keine gesetzliche Reihe, kehrt er aber wieder, so entsteht daraus schon eine metrische Reihe, die ihren Jctus nach bestimmter Ordnung hat, ─́ | ─́ | ̆. Eine solche metrische Reihe giebt nun eigentlich das wahre Maaß oder Gesetz an, und darum sollte sie vorzugsweise Metrum heißen. Wenn einen Vers scandiren ihn in seine metra oder metrischen Reihen auflösen heißt, so wird man wenigstens mit einem dipodia oder syzygia anfangen müssen, um sich zu überzeugen, daß hier eine gesetzliche Reihe vorhanden sey. Die Alten haben auch gewöhnlich nach je zwey Füßen oder Dipodien gemessen, und diesen Dipodien den Namen Metrum vorzugsweise gegeben, weil sie das Gesetz ausdrücken, wie die accentuirte Länge oder der Jctus wiederkehrt, der die Zeit theilt und den festen Gang des Verses bezeichnet. Daher Jambi trimetri (sechsfüßige Jamben), trochaicus, anapaesticus dimeter (vierfüßige). Man hat zwar bey den Daktylen eine Ausnahme gemacht. Ein dactylicus dimeter besteht blos aus zwey Dactylen. Allein daß es einem natürlich sey, auch die dactylischen Verse nach je zwey Füßen zu messen, beweist schon die gewöhnliche Caesur, die man im Hexameter in den dritten Fuß legt, āŕmă v̆i - ŕūmqŭe cănō, und daß man den adonischen Ausgang ─́ immer accentuirt. Hier stellt sich erst eine dactylische Reihe dar. Der eigentliche Gang einer metrischen Reihe wird also durch die regelmäßige Wiederkehr des Jctus bestimmt. Denn wenn ich voraussetze, daß gleiche Theile abgeschnitten werden, wie dies beym Metrum der Fall ist,381 so muß die abschneidende Kraft immer zu Ein und eben der Zeit wiederkehren, und diese Wiederkehr bestimmt das Wesen eines jeden Metrums. Die einzelnen Füße oder die Mannichfaltigkeit in Abwechslung der Länge und Kürze trägt zwar auch das ihre dazu bey, allein da man zuweilen einen Fuß für den andern, zwey Kürzen für eine Länge und umgekehrt setzen kann, ohne die Natur der metrischen Reihe zu ändern, so sieht man, daß der Fuß, einzeln genommen, keinen Accent hat, und erst den Jctus erhält, wenn er durch Zusammensetzung zum metrischen Gesetz wird. Darum hat der Tribrachys nach Hermanns Handbuch §. 52. den Jctus auf der ersten Sylbe, wenn er, anstatt des Trochäen, auf der zweyten, wenn er anstatt des Jamben gebraucht wird, der Dactylus den Jctus auf der ersten Sylbe, in den daktylischen Versen, steht er statt des Anapästen auf der zweyten. Aus diesem allen erhellt, daß das Wesen des Metrums durch folgende Bestimmungen erschöpft wird: 1) Es wird ein Grundmaaß als das absolut Einfache angenommen, auf welches sich alle Zeittheile zurückbringen, durch welches sich alle messen lassen. Sind die Zeittheile in dieses Grundmaaß zurückgebracht, werden sie alle als gleich angesehen. Dieses Grundmaaß wird χρονος, σημειον, tempus, mora genannt, die kurze Sylbe. Das doppelte davon giebt die lange Sylbe = = Darum sagt Longin: τον μεν δακτυλον καλουμεν τετραχρονον, τον δε πυρριχιον διχρονον. Longam esse duorum temporum, brevem unius etiam pueri sciunt. Quinctil. 2) Man macht Zusammenstellungen mehrerer Sylben von382 verschiedenem Zeitmaaß oder Quantität, die man Füße nennt, und stellt wiederum diese Füße so zusammen, daß das Ohr an eine gewisse regelmäßige Wiederkehr einer Länge als Jctus in gleichen Zeiten gewöhnt wird, welche eine metrisch gesetzliche Reihe, oder ein Metrum im eigentlichen Sinne des Worts giebt. Der Gang des Jctus oder der Arsis bestimmt nun eine gewisse Thesis oder unter einander gleiche Zeittheile, die auf die ursprüngliche accentuirte Länge folgen. Die Sylben bekommen dadurch zn einander dasselbe Verhältniß, wie die guten und schlechten Noten durch den Takt in der Musik. 3) Man nimmt zwar einen Fuß als den ursprünglich herrschenden an, der eine Länge haben muß, auf die der Jctus falle, und der durch nochmalige Wiederkehr den metrischen Gang angebe. Zwey gleiche Füße dieser Art machen eine metrische Reihe. Aber dieser herrschende Fuß wird zuweilen der Mannichfaltigkeit wegen mit andern von gleicher Quantität vertauscht, doch muß dies unbeschadet des Hauptgesetzes und des Jctus geschehen. Auch muß der herrschende Fuß immer vorzüglich gehört werden. 4) Aus einer oder mehreren metrischen Reihen werden nun Verse, aus Versen Distichen und Strophen oder größere Abtheilungen zusammengesetzt, welche nach einer bestimmten Ordnung wiederkehren. 5) Jndessen muß das Metrum in jedem Verse wieder als durch den unendlichen Rhythmus aufgehoben erscheinen. Sonst bekäme man wohl die Jdee einer Vollständigkeit, aber nicht einer Vollständigkeit des Unendlichen oder der Allheit. Daher beginnen viele, besonders kürzere383 Verse ihre metrischen Reihen nicht mit der Arsis, sondern mit Zeitabtheilungen, ohne Accent, wie der Auftakt in der Musik, gleichsam Theilen einer unendlichen Reihe, die vor dem eigentlichen bestimmten Abschnitt vorausgehen, welches Hermann die ἀνακρουσις nennt. Quid hóc hic clamoris quid hóc hic tumulti est? Ennius. Daher setzen die Dichter vor Reihen, und gemeiniglich für solche, welche mit der Arsis anfangen, z. B. vor die Choriamben, noch einige Sylben von willkührlichem Maaß, welche Hermann basis nennt. ἠλθες ἐκ περατων γας ἐλεφαντιναν. ─́ ─́ . Alcaeus. Daher haben so viel Verse am Ende einer metrischen Reihe Sylben übrig, und sind in Rücksicht auf eine gewisse Art zu messen, catalectici oder hypercatalectici, je nachdem ihnen mangelt, oder sie zu viel haben. Daher endlich greift der freye unendliche Rhythmus in jeden Vers aus metrischen Reihen ein, und schneidet die metrischen Reihen durch Caesuren ab, macht aus jedem Vers Theile, welche wieder, zufolge des Hauptgesetzes der rhythmischen Schönheit, ungleich sind, wenn auch in jedem ungleichen Theile die metrische Reihe an sich nach einem gleichen bleibenden Maaße erscheint. Die eigentliche musikalische Schönheit der Verse entsteht also durch ein beständiges Entgegenwirken des Metrums und des Rhythmus. Das Metrum muß eine gleiche Zeiteintheilung einführen, und der freye Rhythmus muß sie wieder aufzuheben suchen. So giebt die Jdee des Metrums die Vollständigkeit, der Rhythmus die Unendlichkeit, beyde zusammen384 in Gegenwirkung die Allheit. Die Scansion eines Verses, die ihn in seine metrischen Reihen zerlegt, muß also, wenn sie die musikalische Schönheit andeuten will, den Vers rhythmisch in ungleiche Theile nach gewissen Hauptcäsuren zerfällen, aber in den einzelnen ungleichen Theilen, die metrische Zeitgleichung hören lassen. Néc coiére pares | altér ver | géntibus ánnis Ín senium | longóque togaé tran | qúillior usu. | Lucan. Arma virumque cano Troiae qui primus ab oris also folgendermaßen: | ─́ ─́ | ─́ | ─́ ─́ . Der zweyte Theil bekommt zwar hier nur einen Jctus, aber er zeigt doch das daktylische Gesetz an durch den Spondäus, den er abschneidet. Italiam fato profugus La vinia venit | ─́ ─́ | ─́ | ─́ ─́ . τεκνα Καδμου του παλαι νεα τροφη | ─́ | ─́ | ─́ . Die Zeitabtheilungen dieses Jamben sind verschieden an Länge, aber man hört in jedem Theile das trochäische Gesetz durch. τεκνον τυφλου γε ροντος Ἀντι γονη τινας ─́ | ─́ | ─́ . Auf diese Art lösen sich auch solche Schwierigkeiten, wie Dactylen oder Anapästen, in Jamben am leichtesten auf. Hieraus erhellt, daß man die Trimetros und jeden längern Vers überhaupt so selten als möglich nach genauen Dipodien scandiren darf. Auch ergiebt sich daraus, warum die Verse schlecht385 sind, die jeden Fuß des Verses durch ein Wort bezeichnen. Illico mulcent aures dulcia carmina divum. Hier congruiren Rhythmus und Metrum, da die Endigung der Worte sehr viel zur Bestimmung des freyen Rhythmus beyträgt, und dies ist fehlerhaft. Das Metrum bindet hier den Rhythmus und benimmt ihm völlig seine Freyheit.

Anmerk. 2. Das Metrum nimmt also eine absolute Kürze in der Zeit als Grundmaaß an. Das Verhältniß jeder Sylbe der Sprache zu diesem Grundmaaß heißt deren Quantität, und die Lehre von der Quantität der Sylben in einer Sprache, deren Prosodie, ein Theil ihrer Grammatik. Nun giebt es aber in keiner Sprache eine Quantität der Sylben, welche für alle Fälle unabänderlich bestimmt wäre. Es giebt und kann auch eigentlich keine absolute Kürze geben. Hephästion macht uns zwar eine stattliche Beschreibung von der kurzen Sylbe in der griechischen Sprache, die Longin sehr befriedigend findet. Allein selbst bey den Griechen bestimmt sehr oft das Metrum erst die Quantität und macht eine ursprünglich kurze Sylbe lang: τᾱ περι καλα ρεεθρα. Il. XXI. 352. πρ̄ος ο̄ἰκο̄ν Πηληος. Il. IX. 147. ἔπειδη νηας τε και Ἑλλησποντον ἰκοντο. Il. XXIII. 2. αἰδοιος τε μοι ἐσσι φιλέ ἑκυρέ δεινος τε. Il. III. 172. Hier macht der Jctus oder die Arsis des Verses, an deren Gang schon das Ohr gewöhnt ist, daß man eine ganz kurze Sylbe für nothwendig lang386 erkennt. Der Accent bestimmt zwar im Griechischen nicht so sehr die Quantität, wie im Deutschen, denn er geht mehr auf Höhe und Tiefe des Vokals, als auf dessen Länge. Unser Accent hingegen wird durch den Sinn bestimmt, und wir sprechen oft die Sylben nach der Quantität aus, die wir mit dem Accent vermischen. Doch hat dieser auch bey den Griechen sehr vielen Einfluß, und verwandelt oft kurze Vokale in lange, lange in kurze, zumal im Homer. Da die Griechen sehr viel kurze Vokale hatten, jedes Wort an sich doch einen gewissen Rhythmus hat, und eine Erhebung zugleich ein Verweilen der Stimme verlangt, so ist oft eine Sylbe von den Dichtern als lang angenommen worden, welche es an sich eben so wenig war, als eine der folgenden. Dieses mag zuweilen der Grund des grammatischen Accents und der hieraus veränderten Quantität seyn. Z. B. μεμαότες. Il. II. 818. | μεμαωτες. Il. II. 473. Aus allen diesem erhellt, daß die Bestimmung der Kürzen und Längen bey den Alten, wie bey uns sehr willkührlich ist. Das Metrum kennt nichts als einfache und doppelte Zeiten. Allein jede Sprache hat ancipites, die man anderthalbe Zeiten nennen könnte, wenn sie sich so genau nur messen ließen. Die wirkliche Sylbe ist eine ganz andre, als sie das Metrum a priori gleichsam setzt. Durch die Regel der Position haben die Alten zwar viel gewonnen, und die Griechen am meisten, die sie auch, einige nomina propria, wie σκαμανδρος u. s. w. ausgenommen, aufs folgende Wort erstrecken. Es ist auch, wie oben bemerkt worden ist, natürlich, daß zusammenstoßende Consonanten den Uebergang387 des Tons aufhalten. Dennoch werden sich Völker, die mehr auf den Sinn als auf den Laut sehen, schwerlich an die Position gewöhnen können, und mit Recht. Zumal bey gelindern Consonanten würde ihnen das Verlängern unausstehlich vorkommen. Klopstock fragt, welcher Deutsche einen Hexameter aushalten würde, wie folgender ist: Līebēndēr sāngēn vērbōrgene Nachtigallen. Antwort: Keiner. Warum? Fürs erste ist die Position, wenn liquidae, wie n und r, unter den Consonanten sind, schon weniger natürliche Regel. Die Sprache sey welche sie wolle, so wird doch hier die Sylbe kürzer seyn, als in andern Fällen. Fürs zweyte ist ja doch die Sprache, selbst beym Dichter, nicht des Tons, sondern des Sinnes wegen da, und eine Langsamkeit in der Aussprache bey Sylben, die nichts bedeuten, muß geziert vorkommen. Mögen die ältern Sprachen musikalischer seyn durch ihre Position, die neuern sind mehr für den Geist. Ueberhaupt ist es noch sehr die Frage, ob es nicht vielmehr selbst ein musikalischer Reichthum ist, lange, kürzere, und kurze Sylben zu haben, als bestimmt lange und bestimmt kurze. So wenig man in der Musik im Takte blos Viertel und Achtel hat, so wenig kann irgend eine Sprache der Welt hier genau messen. Vielleicht ist es gar blos ein Fehler in der Theorie der alten Sprachen, daß sie zu wenig auf den Unterschied in den Längen sahen. Klopstock giebt die Regel, beym deutschen Daktylus müsse erst die Länge, dann die kürzere, und endlich die kurze Sylbe folgen; ließe man erst die lange, dann die kurze, dann die388 längere folgen, so sey der Daktylus unrein, z. B. līebēn̆dĕr ist besser als: ōffĕnbār. Letzterer nähert sich schon dem Creticus. Die Bemerkung ist sehr wahr, denn der Jctus macht die erste Sylbe: líebender, so lang, daß die zweyte, wenn gleich etwas länger als die dritte, dennoch in Vergleichung mit der ersten kurz erscheint. Bey óffenbār aber wird die dritte Sylbe, in Vergleichung mit der zweyten kürzern, lang erscheinen müssen. Sollte nicht aber diese Bemerkung eben so gut für die griechische Sprache passen? Sind denn alle Daktylen im Homer gleich rein? τε Και προπαρο̄ιθε ποδων war vielleicht kein so reiner Daktylus, als ὀτρυνεων, und eben aus dem oben angeführten Grunde. Aus diesem allen folgt, daß die Annahme einer Kürze, als Grundmaaß der Sylben, in jeder Sprache ziemlich willkührlich ist, und daß keine einzige Sprache eine durchaus bestimmte Prosodie besitzt. Die neuern Sprachen scheinen anfangs so muthlos gewesen zu seyn, daß sie gar keine Quantität berücksichtigten, sondern blos die Sylben zählten. Man nahm jede Sylbe als einen gleichen Zeittheil an, und glaubte, Verse müßten sich correspondiren, wenn sie auf diese Weise gleiche Zeitlängen erhalten hätten. Es war damit, wie vielleicht in der ältesten griechischen Poesie. Quinctilian sagt, wie es sich denn auch denken läßt, man habe die pedes und den Grund des Wohllauts, der aus der Quantität entsteht, erst389 später erfunden. Jndessen läßt die Verbindung mit der Musik vermuthen, daß bald eine Art Takt an die Stelle des freyen Rhythmus getreten seyn werde, weil man im Gesange bald wahrnimmt, welcher Vocal mehr Länge und mehr Kürze seiner Natur nach haben kann. Mehrere neuere Nazionen haben demungeachtet noch jetzt nichts weiter als die Sylbenzahl, woran sie sich halten, und sind durch ihre Nachlässigkeit in Absicht auf die Quantität ganz unmusikalisch. Z. B. die Französische, in deren Gesange viele Sylben, z. E. stumme e, unausstehlich producirt werden, weswegen auch ihre Componisten bis auf diese Stunde auf gar kein metrisches Gesetz Rücksicht nehmen und die Worte wider alle Quantität gebrauchen. Gezählte und gereimte Verse dieser Art sind freylich ein bloßes Surrogat des Metrums. Crescimbeni, der eine Geschichte della volgar Poesia (der Ausdruck: vulgaris poesia, eloquentia findet sich in Büchern älterer Zeit sehr häufig) geschrieben hat, leitet den Ursprung des heroisches Sylbenmaaßes der Jtaliener aus den Hendecasyllaben der Alten her. Qūoi dōnō lĕpĭdūm nŏvūm̄ lĭbēllūm. Catull Nĕl mēzzō dĕl cămmīn nostra vita rītrovāĭ pĕr ūnă sēlvă oscūră. Dante. Che se venissĕ ălcūno ĭn qūestŏ lūogŏ. Trissin. Allein offenbar zählt Hesperiens Lied nur die Laute, um mit Klopstock zu reden. Denn die kurzen Sylben werden großentheils elidirt, so bleiben390 nichts als eilf Hauptsylben übrig, die von gleicher Länge angenommen werden. Giebt man ihnen Quantität, so kann man oft eben so gut Jamben herausscandiren, als den ächten Hendecasyllabus Phalaeceus. Verse, wie der: E questo pianto, ond ho i tuoi piedi aspersi, beym Tasso, nähern sich dem Alexandriner. Man findet also weder bey den Franzosen, noch bey den Jtalienern und Engländern Aufmerksamkeit auf die Quantität der Sylben. Jndessen ist zwischen allen neuern Sprachen in Ansehung des Zeitmaaßes kein kleiner Unterschied. Die italienischen Worte haben oft die Arsis auf der ersten Sylbe und trochäische Ausgänge. Dies ist allemal ein Vorzug in Absicht auf das Metrum. Daher sagt Klopstock mit Recht: Hesperien schläft. O sie wecke nie die Sayt und das Horn Bragas auf. Flögen sie einst deinen Flug Schwan des Glasoor, neidet 'ich sie. Jndessen scheint es den Jtalienern an Kürzen, die zusammen stehen, zu fehlen. Jhre Daktylen sind schon mehr cretici sola rossēggĭă e sēm̆plĭce la rosa. nel solitārĭŏ amico rio. Die englische Sprache ist durch ihr Verschlucken der letzten Sylben in den Worten sehr jambisch geworden, wenn sie gleich öfter den Jctus auf der ersten Wortsylbe hat, als die deutsche, z. B. náture, Nătur. Die Engländer haben also Längen und Kürzen, aber die Kürzen nur vorn in den Worten. Die daktylischen Metra werden für sie, eben wegen des Verschluckens der kurzen Endsylben, so schwer, und schwerer seyn, als391 für die Jtaliener. Sie schwanken daher, wie Klopstock sagt, zwischen der Zahl und dem Maaße. Ungeachtet sie reimfreye Verse haben, werden sie sich doch selten über die Jamben hinaus versteigen, und auch hier wird die Quantität nie sehr rein seyn. Frequent and full, after short silĕnce then. Milton. Still let me pierce into the midnigh̆t dēpth Thomson. Would háve confoúnded húman Vírtues pride and śhēw'd thēe á God | crūcĭfȳ'd. Cowley. Dieser Schluß einer schönen Ode an den Brutus ist zwar sehr kräftig, aber durch die Vernachlässiigung der Quantität verliehrt er unendlich. Da Jamben vorhergehen, so ist man an das trochäische Gesetz gewöhnt, nun bekommt offenbar a den Accent und God kommt in den Niederschlag. Ginge nicht ein so regelmäßiger Jambe vorher, so würde vielleicht dieser unmetrische Vers gerade wegen der Größe des Gedankens Wirkung thun. Die Deutschen haben zeitig Verse mit und ohne Auftakt unterschieden, und wir finden von beyderley Art bey den ältesten Dichtern. An Spondeen fehlt es uns offenbar, welches Klopstock in der Ode Sponda beklagt. Anch an langen Sylben zu Anfang der Worte. Wir fangen nicht oft mit einer vollen Arsis an, weil unsre Zeitwörter so viele augmenta, (sprechen, gesprochen) unsre Substantiva Artikel in der Declination und Vorsylben als Derivativa haben (Berg, Gebirg). Den Mangel an Spondäen sucht man jetzt durch zusammengesetzte392 Worte zu ersetzen. Allein es entsteht immer ein Gefühl von Gezwungenheit bey Versen wie diese: und ein Bērgschwēin, zu empfāhn wēiß. Jn Absicht auf die Längen steht also unsre Sprache der italienischen ja selbst der englischen nach. Jndessen hat sie vor beyden den Vorzug in Absicht auf die Kürzen. Sollte uns auch der Paeon schwer werden, so ist uns doch der Dactylus ganz natürlich, weil wir die Endsylben besser hören lassen können, als die Engländer und Franzosen. Auch ist er schon vor August Buchnern, welchen Enoch Hanmann in seinen Anmerkungen zu Opitzens Poetik als Erfinder der daktylischen Reime angiebt, in der deutschen Poesie vorhanden gewesen.

Anmerk. 3. So viel von der Prosodie im Allgemeinen. Was nun die Metrik anbetrifft, so ist sie in Ansehung der alten Sprachen eine eigene Kunde, die ihre höchsten Grundsätze aus der Poetik entlehnt, und besonders bearbeitet werden muß. Niemand hat hierin mehr gethan, als Hermann, der mit kritischem Scharfsinn und bewundernswürdiger Kenntniß der Alten ans Werk gegangen, und in dieser von den Grammatikern sehr verwirrten Sache Licht gemacht hat, weswegen die Philologen auf ihn zu verweisen sind. Aus den schon oben festgestellten Behauptungen über das Metrum lassen sich noch folgende allgemeine Sätze herleiten, die berücksichtigt zu werden verdienen. Sie weichen zwar von der Hermannischen Darstellung ab, können aber393 leicht damit vereinigt werden. 1) Wenn der Vers nicht blos als eine bestimmte gleiche Zahl von Sylben und als ein abgesonderter Theil des Rhythmus angesehen werden soll, wie er etwa schon bey den Hebräern statt gefunden haben kann und bey einigen Nazionen noch statt findet, welche blos Laute zählen, sondern wenn er nach der Prosodie beurtheilt wird, so muß in ihm eine metrische Reihe oder mehrere enthalten seyn. 2) Da eine metrische Reihe durch den zu gleichen Zeiten wiederkehrenden Jctus bestimmt wird, an welchen sich das Ohr gewöhnt, so muß der Vers nicht zu kurz seyn. Es muß sich wenigstens die Dipodie eines herrschenden Fußes darin entdecken lassen. Longin sagt sehr richtig: συζυγια ποιει ϛιχον. Er darf aber auch, schon als Theil des Rhythmus betrachtet, nicht zu lang seyn, denn das Ohr würde ihn dann nicht mehr zusammen fassen, und es würden von selbst aus einem Verse von dem Vorleser mehrere gemacht werden. Der Unterschied, den die Grammatiker zwischen κωλα, κομματα und eigentlichen Versen machen, ist vielleicht aus einem dunklen Gefühl dieses Grundsatzes entstanden. 3) Da der metrische Fuß einen Abschnitt von Zeittheilen andeutet, dieser Abschnitt aber, wenn er wiederkehrt, einen gewissen Jctus voraussetzt, dieser Jctus natürlich eine Art Länge macht, so wäre es besser, einige wenige Hauptfüße anzunehmen, die mit der Länge anfingen. Die vielen Füße, welche die Grammatiker erfunden haben, sind willkührliche Zusammenstellungen kurzer und langer Sylben ohne Accent, und machen durch ihre Menge nichts als Verwirrung. Werden sie zusammengereiht394, so kommen doch alle auf einige wenige zurück. So geben drey Anapästen den Gang des Daktylus mit einem Auftakte, | ─́ | ─́ . Man könnte also, je nachdem der Jctus eher oder später wiederkehrt, folgende Hauptfüße annehmen: a) den Trochäus ─́ , b) den Daktylus (gleich dem Spondäen) ─́ , c) den Paeon primus ─́ (gleich dem Creticus ─́ und Palimbachius ─́ ), d) den Choriambus ─́ ̅ (gleich dem Molossus u. s. w.). Es würde der Natur des Jctus zuwider laufen, ihn später wiederkehren zu lassen. Das Ohr würde die Gleichheit der Theile nicht mehr so leicht fassen können. Der Choriambe enthält seiner Natur nach ein vollendetes Ganze, und ist dazu gemacht, die Reihe der Füße zu schließen. Man könnte also vier einfache metrische Reihen annehmen, auf die sich alle Metra bringen lassen. Trochäische, daktylische, päonische, choriambische Reihen. Die ersten würden sanft, die zweyten stark, die dritten vorzüglich lebhaft, die vierten feyerlich seyn. Man könnte nun die Regel festsetzen, daß der herrschende Hauptfuß, dessen Gang das Metrum bestimmt, zwar mit andern gleichzeitigen verwechselt werden könne, doch nicht ganz fehlen dürfe, auch die Länge, auf die der Jctus fällt, nie in Kürzen aufgelöst werden solle, welches bey regelmäßigem Sylbenmaaße auch nicht geschieht. Darum wird ein Hexameter nicht sehr gefallen, der aus lauter Spondäen besteht. Cives Ro -395 mani tunc facti sunt Campani. Ennius. Der Spondäus ist zwar dem Daktylus gleich. Allein er kann nicht als ein Hauptfuß angenommen werden, weil der Fuß, als Grundmaaß, aus Längen und Kürzen bestehen und eine gewisse Mannichfaltigkeit haben soll. Jm Spondäus wären alle Zeiten gleich. Man könnte also keine wiederkehrende Ordnung erkennen. Deswegen ist der Daktylus als Hauptfuß anzunehmen, und muß, wie Klopstock sagt, Herrscher im Liede Mäons bleiben. Aus obiger Regel sieht man ebenfalls, warum im Hexameter eigentlich kein Anapäst für den Daktylus gesetzt werden darf. Der Anapäst läßt sich zwar, wenn er wiederkehrt, zu den daktylischen Metris zählen. Aber einzeln genommen ist sein metrischer Gang gerade dem des Daktylus entgegengesetzt, weil er den Jctus auf der letzten Sylbe hat. Es darf also bey Verwechslung der Füße der einmal angenommene Gang des Jctus nicht gestöhrt werden. 4) Da der freye Rhythmus auch noch seine Gewalt auf die Verse äußert, so wird sein Verhältniß zum Metrum folgendermaßen zu bestimmen seyn. Es giebt zweyerley Verse: einfache, wo nur ein Hauptfuß herrscht, z. B. Hexameter, wo der Daktylus, Jamben, wo das trochäische Gesetz immer wiederkehrt. Diese bilden eigentlich eine einzige metrische Reihe. Der Rhythmus, der dem Metrum entgegen wirkt, wird diese metrische Reihe in kleinere rhythmische Reihen abtheilen, die also ungleich sind, deren jede aber das metrische Gesetz enthält. Die Abschnitte des Rhythmus, wie wir schon oben bemerkt haben, dürfen nicht alle mit dem Jctus des Metrums beginnen, weil das Metrum396 als vom Rhythmus verschieden angesehen wird. Dies giebt die Cäsuren in den einfachen Versen. Weil der Rhythmus seine Reihen so stellt, daß an ihrem Ende inne gehalten werden muß, so ist es gut, wenn in der Hauptcäsur eines einfachen Verses auch das Wort endet. Weil das Ende der rhythmischen Reihe auch die metrische Reihe in Theile theilt, so wird in der Cäsur die Quantität der Sylben willkührlicher seyn, als anderswo. Daher die Regel, welche Bentley in seinem Commentar zum Horaz I. 13. und an andern Orten aufstellt: Syllabam brevem in versus caesura potestatem longae habere posse. Nun giebt es aber auch zusammengesetzte Verse, in denen mehrere metrische Hauptfüße statt finden. Diese Aufeinanderfolge mehrerer metrischen Hauptfüße ist nicht ganz willkührlich, sondern muß sich auch nach dem Hauptgesetz des Rhythmus richten. Das Hauptgesetz des Rhythmus ist: proportionirliche Evolution, verhältnißmäßiges Steigen und Sinken der Theile ihrer Größe nach. Und nach diesem Gesetz müssen die metrischen Füße zusammengestellt seyn. Man nehme Klopstocks Ode: Braga. Das Metrum des ersten Verses ist folgendes: ─́ ─́ ─́ ─́ . Erst kommt der Daktylus und dann Päonen. Hier ist also ein proportionirliches Steigen, und man wird diesen Vers zusammen lesen können, als eine einzige Reihe. Man nehme dagegen die Ode: unsre Sprache. Das Metrum des ersten Verses ist: ─́ ─́ ─́ . Hier kommt ein Päon und dann ein Trochäus. Dann wieder ein Päon. 397Diesen Vers kann der Rhythmus, seinem Gesetze nach, nicht als eine Reihe betrachten, weil kein proportionirliches Steigen statt findet. Denn der Trochäus steht zwischen zwey Päonen. Nothwendig wird also eine Cäsur zu machen seyn nach dem Trochäus, und Klopstock hat sie auch in der Ode beobachtet, hat eben deswegen die letzte Sylbe im Trochäen als anceps angenommen, wenn er gleich das Zeichen der Cäsur nicht gesetzt hat. Einige Kunstrichter haben sich an das Metrum der Ode: Siona, gestoßen: Töné mir Harfe des Palmenhayns, der Líeder Gespielin die David sang. Es erhébt steígender sich Sions Lied, wie des Quells, welcher des Hufs Stampfen entscholl. Allerdings giebt die Zusammenstellung des Anapästen und Choriamben: ĕs er̆heb̄t stēigen̆der̆ sīch u. s. w. dem Verse durch den doppelten Jctus zu viel Kraft und trennt die Zeittheile zu gewaltsam. Das vorhergehende Metrum hat uns an einen ruhigern daktylischen Gang gewöhnt, der Sprung zu den Choriamben und der dazwischen geworfne Anapäst ist zu gewaltsam und wider die proportionirliche Evolution des Rhythmus. Nun kann zwar ein lyrischer Kontrast der Füße zuweilen Wirkung thun. Auch die alten Grammatiker haben metra κατ 'ἀντιπαθειαν μικτα. Jndessen zeigt Hermann, daß die Antipathie nach richtiger Eintheilung verschwindet. Uebrigens kann man oft ungerecht werden, wenn man sich dieses Gesetz des Rhythmus zu einseitig398 vorstellt, z. B. wenn man behaupten wollte, der Rhythmus müsse am Ende einer Reihe allemal sinken, am Anfange steigen, zumal wenn der Vers noch weiter geht. Hermann findet es in der ersten Hälfte des Pentameters angenehmer, wenn auf einen Daktylus der Spondäus folgt, als umgekehrt. Er zieht (Handbuch §. 242.) unter den beyden Versen: vix Priamus tanti totaque Troia fuit und res est solliciti plena timoris amor, den ersten vor, weil sich der ermüdete Gang des Spondäen besser für das Ende als den Anfang der Reihen passe. Allein hier ist das Gesetz des Rhythmus zu einseitig angewandt. Es giebt fallende Reihen und steigende Reihen. Der zweyte Vers ist eben so rhythmisch schön, als der erste, wenn gleich die Reihe hier steigt, im ersten fällt, und noch dazu paßt der zweyte Rhythmus gar sehr zu dem Sinne. Denn die Unruhe, die Bedenklichkeit in der Liebe ist gut durch diese wachsende Lebendigkeit des Verses ausgedrückt. Auch hat ja die andre Hälfte des Pentameters noch Beziehung genug auf die erste, daß man bey dem Worte solliciti, und wenn es auch der Wortsinn verstattete, nicht ganz einhalten würde. Uebrigens sind Daktylus und Spondäus für den metrischen Gang des Jctus und in Absicht auf das Grundmaaß hier als einerley anzusehen, und es wird also kein anderer Unterschied zwischen ihnen statt finden, als daß der Daktylus ein wenig munterer ist. Jn der letzten Hälfte des Pentameters ist freylich ein zu lebhafter wachsender Rhythmus unangenehm, weil da der völlige Schluß eines Distichons ist. Doch entschuldigt, wie wir unten sehen werden, hier auch der Wortaccent, der399 zuweilen solche Verse angenehmer macht. 5) Da das Metrum einen dem Jctus und der Quantität nach immer wiederkehrenden gleichen Gang hat, so verstattet es auch, wie Quinctilian sehr richtig bemerkt, eigentlich keine solchen Pausen, wie der freye Rhythmus. Der Declamator kann die verschiedenen Theile eines prosaischen Periodens einander proportionirlich machen, indem er mehr oder weniger inne hält. Aber beym Metrum muß das gleiche Maaß auch durch eine immer gleich wiederkehrende Sylbenquantität bezeichnet werden. Der Trochäus, den die Deutschen wegen ihrer Armuth an Spondäen im Hexameter und Pentameter aufgenommen haben, verändert also die Natur dieser Verse ganz. Sie verliehren an metrischer Regelmäßigkeit. Hier war freylich ein Fall die Pausen anzuwenden, um Trochäus und Spondäus einander gleicher zu machen. Jndessen ist eigentlich der Hexameter der Deutschen ein ganz anderer Vers, als der alte. Er besitzt nicht die Fülle und ruhige Gleichmäßigkeit. Aber er giebt mehr Veränderungen und ist daher lyrischer. Er geht auch mehr nach den Gesetzen des freyen Rhythmus und verlangt größere Vorsicht, weil vom Trochäus auf den Daktylus immer ein Sprung ist, der leicht der proportionirlichen Evolution zuwider seyn kann. 6) Da im Metrum jede Sylbe ihre für sich bestehende Quantität hat, so müssen die Sylben, welche nach einem metrischen Gesetze zusammenhängen, auch von einander gehörig getrennt seyn. Die Vocale müssen also nicht in einander fließen, sondern durch Consonanten so viel als möglich von einander abgesondert seyn, wenn die Sylben als verschieden400 angesehen werden sollen. Dies ist der Grund von der Elision und der Synizesis oder Synecphonesis. Πηληιαδεω̄, wo der kleinere Vocal von dem längern verschlungen wird. Stehen zwey zu verschiedenen Worten gehörige Vocale unmittelbar nebeneinander, und trennt sie nicht etwa der Rhythmus, sondern gehören sie zu derselben metrischen Reihe, so wird jede Sprache, die sehr schnell ist, beym Metrum hier eine Elision verlangen. Die Vocale werden in einander fließen, weil der Gang des Metrums sie an einander bindet, und sie doch durch keine Consonanten von einander getrennt sind. Gleich zu Anfang des Verses wird aber freylich eine Elision nicht gefallen, weil man auf die erste Sylbe und ihre Quantität vorzüglich Acht hat. Siad vitulam spectes Virg. Eclog. III. 47. namut ferula. Horat. u. s. w. Eine zu häufige Elision läßt uns die Quantität dér Sylben gar nicht mehr erkennen, oder man versteht die Sylben nicht, weil alles in einander fließt. Quodsi in eo spatio atque ante acta aetate fuere. Lucret. I. 233. Der Hiatus findet statt, wenn der Fall der Elision da ist, und die Sylben doch einzeln gemessen werden. Dies ist oft ein Fehler, doch suchen auch die Dichter zuweilen eine Schönheit darinnen. Aeneid. V. 261. sub Ilio alto. Auch thut es Virgil gewöhnlich nur, wenn der Vocal, der nicht elidirt wird, lang ist. Credimus an quī amant, valē valē inquit Iola. Jn solchem Falle ist auch der Hiatus an sich denkbarer, weil man durch die Quantität der Sylben selbst veranlaßt wird, sie nicht zu401 verschlucken. Nun aber tritt der Fall ein, vocalis ante vocalem corripitur, und es wird wenigstens der nicht elidirte lange Vocal kürzer. Die Griechen beobachten die Regel der Elision nicht, sondern sie machen durch den Hiatus ihre langen Sylben gewöhnlich kurz. Man kann daraus abnehmen, daß sie in der Aussprache vielleicht weniger schnell waren, als die Römer, und die einzelnen Quantitäten mehr hören ließen. θοῷ ἀταλαντος Ἀρηι. Il. ν. 295. ἠ̄ ἐπι. ibid. 308. (Hier thut der Jctus viel. Auch kann man aus diesem Beyspiel schließen, daß η wenigstens nicht wie e ausgesprochen worden sey, sonst hätte es hier doch eine Elision gegeben. ) ἐπει ο̄ὐποθι ἐλπομαι οὐτω. ibid. 309. Jndessen haben die Griechen doch sehr oft den Apostroph, und elidiren also in diesen Fällen. Dies geschieht nicht blos, wenn das folgende Wort mit demselben Vocal anfängt, denn da ist der Apostroph etwas ganz natürliches. Zwar findet man Ἀτρειωνα ἀολλεες vs. 233. doch öfter τευχε' ἐπ 'αὐτω, sondern auch, wenn die Vocale verschieden sind: πολλ' ἐπιτελλε. Auch beweist Hermann in seinem Handbuche, daß gewisse Arten des Hiatus von den Griechischen Dichtern vermieden wurden. Wie sehr die Römer Endsylben ohne Accent vernachlässigten, erhellt daraus, daß ihre ältern Dichter sogar das s elidiren: horridu miles, und die mit m endigenden Sylben auch von den neuern elidirt werden. Dies läßt sich aus der Natur des m erklären. M ist vielleicht fließender als n, aber n ist fließend und bestimmt zugleich. Deswegen ist letzteres musikalischer. 402 Die Jtaliener haben auch die Elision und Synizesis als Regel, sonst würden sie ihre heroischen Verse nicht eilfsylbig nennen. Die Engländer elidiren sogar, wenn ein Consonant folgt, ihre stummen e, geschweige denn bey Vocalen. Sie haben also Elision und Synizesis. With visiŏn pūr̄e, into thĕse secrĕt stōres ŏf heālth ănd līfe ănd joy? Thomson. Die Franzosen haben alle Arten Elisionen. O qué de mon esprit triste et mal ordonné oder: Tu fais d'un sable aride une terre fertile. Boileau. Sie wagen sich aber nicht in höhere Metra. Daher wird selten ein anstößiger Hiatus bey ihnen vorkommen. Wir Deutschen haben die Griechischen Metra angenommen. Unsre Sprache ist schnell, verschluckt Sylben ohne Accent leicht. Daher müssen bey uns gewisse Hiatus, die nicht in die Cäsur fallen, eben so vermieden werden, wie bey den Alten. Und durch díe er Adams Geschlechte die Liebe der Gottheit das geht an wegen des Jctus. Es ist wie oben das Homerische ἐπι. Daur es auch lastende Ewigkeiten, doch endlich vernichten wars deine Cīdlĭ aŭch wǖrdig. Klopstock .. Ēbnĕ ĕrreichet Stollbergs Jliade 13, 139. Dies fällt schon mehr auf. 7) Da das Metrum durch seinen wiederkehrenden Gang bestimmte Sylben vor andern durch einen Jctus auszeichnet, viele Sylben aber in der Sprache durch den Hauptsinn, den sie ausdrükken, einen besondern Accent erhalten, so muß der Accent403 des Metrums so viel als möglich mit dem Accent der Bedeutung zusammentreffen. Hierwider fehlt besonders die lateinische Poesie sehr häufig. Tibull El. 11. 6. sagt: et mihi sunt vires, ēt mĭhĭ fāctă tŭba ēst. Gleichwohl liegt in der ganzen Stelle der Sinnaccent auf dem mihi, während der Jctus des Metrums das et bezeichnet. Regum timendorum in proprios greges, reges in ipsos Imperium est Iŏvis. Horat. III. Od. 1. Hier sollte Iovis accentuirt werden. Allein das Metrum macht es unmöglich.

§. 13.

Die Vernunftidee eines gesetzlichen Selbstbewußtseyns durch die Objekte wird von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen nach, durch die Harmonie oder durch die Aehnlichkeit des Rhythmus, des Klanges, und des Metrums mit der Gemüthsstimmung, welche der Dichter in sich und andern erweckt, ausgedrückt.

Anmerk. 1. Die vierte Vernunftidee entsteht aus der Vereinigung der drey vorhergehenden. Dies zeigt sich auch bey den musikalischen Eigenschaften der poetischen Sprache. Was nun erstlich den Rhythmus betrifft, so kann er immer proportionirliche Tonreihen der Sprache entwickeln, und diese Tonreihen können doch von verschiedener404 Größe seyn. Es kann mehr oder weniger Lebendigkeit, Kürze, Ernst in dem Gang eines rhythmischen Perioden herrschen. Hierzu braucht man noch kein absolnt gleiches Maaß oder Metrum, um das zu unterscheiden. Der Gang eines rhythmischen Perioden wird nun die Gemüthsstimmung des Dichters, auch ohne Rücksicht auf das Metrum, blos nach der Wortstellung schon ausdrücken. Z. B. Il. μ. 460 seqq. die kurzen Sätze bey der Beschreibung, wie Hektor das Thor stürmt, erregen eine ängstliche Empfindung.

Anmerk. 2. Der Klang der Worte ist unsern Empfindungen angemessen. Das Wort Trauer drückt schon durch den Klang eben so wohl als Wonne die Bedeutung aus, die es in Beziehung auf das Gefühl hat. Das tiefe u, in das sich der Diphthong auflöst, das Tr sagt eben so gut den Sinn, wie das W, die fließenden n und das musikalische o im andern Worte. Diese Harmonie des Klangs mit unsern Empfindungen ist von dem oben erwähnten Tonausdruck, wodurch blos Gegenstände außer uns nachgeahmt werden, zu unterscheiden. Was den Reim betrifft, so erregt er zwar schon die Jdee von einer Art Harmonie oder Einheit in der Tonverschiedenheit durch das Wiederkehren der Schallähnlichkeit. Jndessen die Harmonie, im Sinne unsers §, erreicht er nur dann, wenn der Klang, den er besonders accentuirt, für das Gefühl paßt.

Anmerk. 3. Das Metrum ist bisher nur an sich betrachtet worden, als eine Gleichheit des Taktes. Der405 regelmäßig wiederkehrende Gang von Zeitabschnitten macht an sich ein ästhetisches Vergnügen, weil es die Jdee eines Ganzen erweckt. Nun kann aber Takt und Quantität des Metrums selbst verschieden seyn, nach der Gemüthsstimmung des Dichters. Wohllaut gefällt, Bewegung noch mehr. Zur Gespielin gab dem Herzen ich sie. Diesem säumt, eilet sie nach, Bildern folgt leiseren Trittes ferne sie nur sagt Klopstock, und unter Bewegung versteht er eben den Ausdruck des Metrums, der zum Herzen spricht. Ueberhaupt enthält dieser Vers die ganze Theorie, in wie fern ein Metrum nachahmen und mahlen soll. Das Metrum muß die ganze Gemüthsstimmung des Dichters ausdrücken, nach einzelnen Bildern soll es sich weniger richten. Bey den alten Dichtern, zumal den epischen, findet man mehr Jnteresse für Darstellung der sinnlichen Natur. Daher richtet sich das Metrum auch mehr nach den einzelnen Gegenständen, z. B. Il. μ. 459. wo Hektor das Thor erobert, ist die metrische Darstellung äußerst mahlerisch: ρηζε δ 'ἀπ' ἀμφοτερους θαιρους· πεσε δ̄έ λιθος ε̄ἰσω̄ Βρῑθοσυνη μεγα δ 'ἀμφι πυλαι μυκον· οὐδ' ἀρ ὀχηες ἐσχεθετην, σανιδες δε διετμαγεν ἀλλυδις ἀλλῃ λᾱας ὑπᾱι ρῑπη̄ς. Der Stein, der in das Thor hineinfällt, die durchbrechende Schwere desselben (Βρῑθοσυνη̄), das Auseinanderfliegen der Trümmern, verursacht durch den Stoß des Steines (ὑπᾱι ρῑπη̄ς), ist sehr stark durch das406 Metrum ausgedrückt. Auch nimmt das Ohr bey dergleichen Stellen nicht blos Rücksicht auf den herrschenden künstlichen Fuß des Metrums, der hier der Daktylus ist, sondern auch auf die Füße, welche jedes einzelne Wort oder mehrere zusammen gehörige ausdrücken, z. B. auf den Choriamben , der die Schwere darstellt. Daher macht Klopstock in seinen Fragmenten S. 144. eine sehr brauchbare Unterscheidung zwischen Wortfüßen und künstlichen Füßen. Hierher gehört als Beyspiel auch der Stein, der vom Gebirg herabstürzt. Il. ν. 137. cf. Lucret. III. 1015. ὑ̄ψι τ 'ἀνᾱθρω̄σκω̄ν πετετᾱι, besonders der Vers: ἰσο πεδον, τοτε δ' οὐτι κυλῑνδεται | ἐσσυμενος περ. Die Cäsur ist hier äußerst ausdrucksvoll angebracht, und Stollberg hat in seiner Uebersetzung das Original nicht verbessert, wenn er den Ausgang des Hexameters trochäisch macht: un̄d nūn nĭcht mēhr sĭch wǟlzĕt. Denn die Cäsur im Original bezeichnet die plötzliche Hemmung, und vermehrt die Kraft des ἐσσυμενος, welches das noch immer fortdauernde Streben des Steins bedeutet. Virgils Cyclopen gehören auch hierher: Illi inter sese magna vi brachia tollunt. Ferner der Nisus Georg. I. 405. Ecce inimicus atrox magno stridore per auras īnsĕqŭitŭr Nīsūs, qua se fert Nisus ad auras, illă lĕvēm fŭgĭen̄s rāptīm sĕcăt aĕthĕră pennis. Das insequitur Nisus ist eben so bedeutend, wie das λαας ὑπαι ριπης beym Homer407. So wie das Metrum dazu dienen kann, in Jdyllen und andern die Natur nachahmenden Gedichten einzelne sinnliche Gegenstände auszudrücken, eben so kann es sich auch nach der Gemüthsstimmung des Dichters richten, und die Empfindung des Dichters überhaupt genommen ist eigentlich das, was vorzüglich die Wahl eines Metrums bestimmt. Dadurch entsteht die musikalische Bewegung des Gedichts, die wir vorzugsweise Harmonie nennen. Wenn es Sache der Metrik ist, die einzelnen Metra zu klassificiren und zu messen, so kommt es besonders der Poetik zu, das Verhältniß der verschiedenen Sylbenmaaße zur Empfindung und zu dem, was der Dichter ausdrücken will, anzugeben. Wir müssen also hier noch ein paar Worte darüber sagen. 1) Der Prosa am nächsten sind die Metra, in denen das trochäische Gesetz herrscht, und hierher rechnet Hermann mit vollem Recht auch die Jamben. Die rohsten Metra bey allen Nazionen haben Spuren davon. Man kann den jambischen Gang in Liedern der Bibel entdecken. Der alte Saturnische Vers bey den Römern, wie man aus der Grabschrift des Nävius sieht, enthält schon das jambische, folglich auch das trochäische Gesetz, wiewohl die Sprache damals nur durch den Accent ihren Sylben Quantität gab. Jamben und Trochäen passen also für Gedichte, welche sich der Sprache des gewöhnlichen Lebens mehr nähern. Als Metra dieser Gattung sind vorzüglich zu merken: a) der Iambus trimeter oder senarius, der zwölfsylbige Jambe. An sich ist dies ein sehr leichtes Metrum. Die Alten haben daher für die Tragödien den Spondäen408 aufgenommen, um den Gang ernster zu machen, doch so, daß de sede secunda quarta sexta, wie Horaz sagt, der Jambus nicht vertrieben werden darf. Denn der Vers zerfällt in mehrere rhythmische Reihen, wie wir schon oben gesehen haben, und in jeder muß das trochäische Gesetz hörbar seyn. Daß das Trauerspiel den Jamben gewählt hat, widerspricht der obigen Bemerkung nicht, daß sich die Jamben der Sprache des Lebens mehr nähern. Nur in der Ode spricht die lyrische Muse so zu sagen selbst, in dem Trauerspiel sprechen zwar Helden und Menschen in ernstern Verhältnissen, aber doch Menschen in Verhältnissen des Lebens. Durch die Aufnahme des Spondäen oder zuweilen gar des Dactylus erhebt sich der Jambus noch mehr. Zuweilen lassen die alten Tragiker auch ganze trochäische Verse ohne den jambischen Auftakt mit den Senariis abwechseln, und dann bekommt der Trochäe den Charakter einer größern Schnelligkeit und Leidenschaft, als der durch den Spondäen aufgehaltene Jambe. Z. B. Jn den Persern des Aeschylus vs. 157. Der Chor bedient sich der höhern Sylbenmaaße, weil er lyrischer spricht, als die Personen im Drama, und sprechen letztere mit ihm, oder in Augenblicken der größern Leidenschaft, so fallen sie auch zuweilen in freyere Sylbenmaaße. Shakespeare läßt seine Personen zuweilen in Prosa, in wichtigern Augenblicken in Jamben sprechen, und auch wohl mit einer gereimten Sentenz abgehn. Unter seinen sehr nachlässigen Jamben finden sich zuweilen Senarii. Gewöhnlich hat er aber den zehnsylbigen jambischen Vers, den er mit dem eilfsylbigen abwechseln läßt, und409 eben dies findet sich bey Thomson, Addison, Otway u. a. m. Der eilfsylbige jambische Vers hat wegen seines trochäischen Ausgangs eine Weichheit, die, wenn er oft hinter einander gebraucht wird, das Metrum sehr matt macht. Unsre Deutschen, etwa Lessing und Klopstock (im Salomo) ausgenommen, haben sich auch wenig Mühe mit dem Jamben gegeben, und gebrauchen besonders den eilfsylbigen im Trauerspiel zu viel. Auch fehlt es darin an reinen Kürzen nicht so sehr, als an Längen, und da der Jctus des Jamben sehr stark ist, so macht es einen schlechten Effekt, wenn er in pari sede auf eine kurze Sylbe fällt. Der zehnsylbige jambische Vers ist auch von epischen und beschreibenden Dichtern, z. B. Milton, Thomson, Glover, in Sprachen gebraucht worden, die des Hexameters nicht fähig sind. Was den Senarius insbesondre betrifft, so hat ihn Horaz auch in den Epoden, in den lyrischen Stücken, welche zum Theil Jnvectiven sind, folglich sich der Sprache des gewöhnlichen Lebens mehr nähern. Und bey der heftigen Satyre ist der Jambus an seiner ursprünglichen Stelle, wenn es wahr ist, daß Archilochus diese Versart zuerst zu Schriften wider seine Feinde mit solchem Erfolg gebraucht hat, daß sie sich voll Verdruß darüber erhenkten. b) Der Trimeter Scazon hat anstatt des sechsten Jamben einen Trochäen oder Spondäus. Dieses Metrum scheint mit Erfolg für kleine naive Erzählungen gebraucht werden zu können. Der sogenannte Babrius, oder nach Herder Valerius (Βαλεριος), hat seine Fabeln in dergleichen Choliamben geschrieben. Wir haben noch drey seiner Fabeln, die Lafontaine410 benutzt hat. Z. B. ἀηδων και χελιδων ἀγρου χελιδων μακραν ἐξεποτη̄θη̄ κ. τ. λ. Theocrit. epigr. 21. und Martial V. 29. haben sich dieses Metrums zu Epigrammen bedient. c) Der anacreontische Vers wird von einigen zu den Ionicis a maiore gezählt, weil sich die Freyheiten, welche sich die anacreontischen Dichter damit nehmen, nicht gut anders erklären lassen. Gewöhnlich erscheint er jedoch als eine kurze trochäische Reihe mit einem Auftakt. Der tändelnde Jnhalt der anakreontischen Gedichte verlangt eine leichte, fließende, nicht zu lebhafte Versification, und da paßt der Trochäus gut dazu. Jm Deutschen nimmt sich aber das reimfreye Metrum nicht aus, weil es sich von unsrer Prosa zu wenig unterscheidet. Daher keine Uebersetzung des Anakreon in der Versart des Originals ihr Glück macht. d) Die Hendecasyllaben oder der phaläceische Vers. Quoi donō lĕpĭdūm nŏvūm lĭbēllŭm. Catull. Wegen der Trochäen, mit denen er schließt, nähert er sich auch mehr der prosaischen Sprache. Er wird besonders für kleine, scherzhafte, naive Gedichte gebraucht. Catull hat ihn am meisten, und zuweilen besteht er da nur aus zehn Sylben, indem der Daktylus zum Spondäen zusammengezogen wird. Ungeachtet, wie wir schon oben erwähnt haben, der heroische Vers der Jtaliener aus den Hendecasyllaben der Alten entsprungen seyn kann, so sind letztere wegen der vielen Trochäen doch keineswegs für heroische Gegenstände passend, wenn gleich der Anfang des Verses Stärke hat. Wenn also ein deutscher Poet älterer Zeit411 folgendermaßen anhebt: Aūf Gērmānĭen̆, sōll dĕin āltĕr Schimmer und so in Hendecasyllaben fortfährt, so verkennt er den Charakter des Metrums, und man sieht daraus, wie nöthig es ist, daß die Poetik das Verhältniß der Sylbenmaaße zur Empfindung festsetzt. e) Die Alexandriner, eine mit Reimen verbundene Versart von trochäischem Gesetz. Es wechseln gewöhnlich männliche und weibliche Reime ab. Der männliche Vers hat zwölf Sylben, ist also zuweilen eine Art Senarius. Der weibliche dreyzehn Sylben, eine Art Trimeter hypercatalecticus, (welcher beym Plautus jedoch mit andern mehrsylbigen Füssen vermischt und mit andern Cäsuren vorkommt.) Die Alexandriner sind das eigenthümliche metrum heroicum der Franzosen und finden in ihren Epopeen und Tragödien statt. Ein Gedicht von den Thaten Alexanders aus dem zwölften Jahrhundert soll dieser Versart den Namen gegeben haben. Doch ist sie schon vorher vorhanden gewesen. Andre leiten sie von einem Dichter, Namens Alexander, her. Der Hauptabschnitt, nach der sechsten Sylbe, wodurch der Alexandriner ganz wider die Regeln des Rhythmus und der Cäsur der Alten in beynah gleiche Theile getheilt wird, macht den Vers freylich monoton. Nach Boilean soll der Sinn das Hemistiche genau bemerken. Auch dürfen die Abschnittsylben in der Mitte des Verses sich mit den Abschnittsylben des folgenden oder den Endsylben nicht reimen. Jndessen suchten die Dichter nach und nach die Hauptcäsur zu verbergen. Einige führten einen weiblichen Abschnitt ein, z. B. Wie zärtlich klagt der Vogel und412 ladet durch den Hain. Dies geht bey lyrischen Gedichten. Bey längern erzählenden Versen würde es eben so monoton seyn. Einige haben andre Cäsuren vorgeschlagen. Voltaire soll seine Alexandriner nach mehrern Ruhepunkten ungefähr so scandirt haben: Maís lorsqu 'enfin les eáux de la Seíne cáptive Césserent d'appórter dans ce váste sejoúr l'ordinaíre tribút des moissóns d'alentoúr ´Alors on enténdit des hurleméns affreúx ce supérbe Páris fut pleín de malheureux u. s. w. Man sieht hieraus, daß er den Alexandriner nicht als eine jambische Versart, sondern als mehrere freye metrische Reihen angesehen und sie rhythmisch getheilt hat. Es kommen Anapästen vor, z. B. Sēine vastĕ sĕjour, l'ŏrdĭnāire. Durch die Stellung des Accents in Cesserent d'appórter und Paris wird die Hauptcäsur weiblich. Auch ist es für den Sinn natürlicher so zu accentuiren, als apportér. Sollte über dem Alexandriner ein Endurtheil gefällt werden, so würden wohl folgendes die Hauptmomente seyn, auf die man Rücksicht zu nehmen hätte. Der Reim, den er bey sich führt, und welcher, wie wir bewiesen haben, kleine lyrische Verse ausgenommen, sich schlechterdings nicht mit dem genauen Metrum, sondern mit einem freyern Rhythmus verträgt, macht es unmöglich, daß man diese Versart, wie Ramler im Batteux und andere, durchaus als einen Senarius ansehe. Der Alexandriner ist nach keiner Quantität zu messen, sondern es ist ein Vers von einer gewissen Zahl Sylben ohne alle Quantität413. Man hat in der Mitte dieser Sylbenzahl einen Abschnitt gemacht, weil ein Ruhepunkt seyn muß. Dieser Abschnitt mag beobachtet werden, das heißt, das Wort mag aufhören. Aber der Abschnitt muß nur nicht durch den Sinn, noch durch die Quantität ausgezeichnet seyn, z. B. cesserent d'appórter. Sprachen, die keine ganz bestimmte Quantität haben, wie die französische, werden innerhalb der alexandrinischen Sylbenzahl nun ihren Rhythmus gut entwickeln können. Es wird also für solche Sprachen der Alexandriner bey Gedichten, die einen längern Vers verlangen, immer nothwendig seyn, und die Monotonie kann sehr vermieden werden, wenn nur die jambische Cadenz nicht zu deutlich wird und nicht in den Abschnitt fällt. Sprachen, die so ausgemacht die jambische Cadenz haben, wie die englische, werden den Alexandriner nie mit Glück gebrauchen. Man findet auch bey den englischen Dichtern häufiger die zehnsylbigen Jamben. Aus den Stanzen von längern erzählenden Gedichten wird der Alexandriner auch bey den Deutschen nie ganz vertrieben werden können, zumal da wir die Abwechslung von weiblichen und männlichen Reimen haben. Das erzählende Gedicht verlangt eine gewisse Länge des Verses. Jn kürzern Versen wird der Gedanke zu sehr eingezwängt, welches zwar beym Lyrischen gut ist, aber in der epischen Poesie Dichter und Hörer ermüdet. Da die Deutschen eine bestimmtere Quantität haben, als die Franzosen, so müssen sie noch mehr als jene vermeiden, daß der Alexandriner einen ganz jambischen Gang bekomme, auch die Abtheilung in Hemistichen verbergen414. Man ist übrigens ungerecht, wenn man den Fehler eines schlechten Declamators, der immer eine und eben dieselbe Cäsur macht, wo sie nicht hin gehört, oder den Fehler eines Dichters, der sie immer beobachtet, auf die Versart selbst überträgt und sie deshalb unbedingt verdammt. Der Hexameter selbst wird monoton, wenn der Abschnitt allemal auf der ersten Sylbe des dritten Fußes fällt. Man hat neuere deutsche Gedichte in Hexametern, wo dies immer beobachtet ist, vermuthlich, weil die Dichter es für eine Schönheit hielten. Allein es ermüdet in der Fortdauer. Kann aber der Hexameter selbst dafür? Jedoch ists ausgemacht, daß der reimfreye Jambe und der Hexameter bey erhabenen Gegenständen auch schon für das deutsche Ohr gewöhnlicher geworden ist, als die Alexandriner, in denen sonst die Tragödien geschrieben wurden. Auch wird nicht leicht ein Deutscher heut zu Tage ein ganzes Gedicht in Alexandrinern schreiben, es müßte denn ein Lehrgedicht, eine scherzhafte Comödie seyn. So viel von den vorzüglichsten Metris, in denen das trochäische Gesetz herrscht, oder die wenigstens hierher gerechnet werden. Der Unterschied übrigens zwischen Trochäen mit jambischem Auftakt und ohne denselben ist in allen Sprachen von Vedeutung. Auch die Franzosen haben rein trochäische Verse. Z. B. Quelle erreúr te vois-je suivre te ménent tant d'efforts, tu consúme sur un livre tés organes, tes ressorts? oder im Boileau: Quélle docte et sainte yvresse. Die kurze trochäische Reihe ohne Auftakt hat etwas sehr Weiches und Fließendes, auch Wehmüthiges:415 Stábat máter dolorósa, iúxta crucem lacrimósa, dum pendébat filius. Mórgen Líebe, wér die Líebe je empfand crás amét, qui núnquam amavit, quique amavit, cras amet. Bíenen summsen úm die Blǘten, und der Westwind schwärmt sich matt u. s. w. Die kurzen jambisch = trochäischen Reihen mit dem Auftakt sind weit stärker. Denn die vorangehende Kürze giebt dem Jctus mehr Kraft und dem Verse mehr Munterkeit und Stärke. Wir haben bey der Lehre vom Reime zwar behauptet, daß derselbe sich mit einem genauen Sylbenmaaße nicht vertrage, aber dabey die lyrischen kleinern Gedichte und Strophen ausgenommen, wo die Verse nicht zu lang sind. Hier muß immer zugleich mit dem Reime eine genaue Reinheit in Absicht auf die Sylbenquantität beobachtet werden. Hat ein Distichon von Reimen in lyrischen Stücken ein Gesetz, z. B. das trochäische mit oder ohne Auftakt, so gewöhnt sich das Ohr daran, und es muß fortdauernd beobachtet werden. Die Dichter setzen nun bald kürzere, bald längere Verse zusammen, aber immer nach einem Gesetz, und hat hier der erste Vers einen Auftakt, so muß ihn der andre auch haben. Z. B. Sie íst dahin, die Mayenlieder tönte die Sä́ngerin. 2) Mehr erhebt sich das Sylbenmaaß, wenn ein daktylisches Gesetz darinnen herrscht, deswegen, weil der Jctus dann etwas später wiederkehrt, folglich etwas längere Zeittheile mit einander verglichen werden, welches die Aufmerksamkeit schon mehr anspannt416, und dann auch aus dem Grunde, weil die zwey Kürzen eine größere Mannichfaltigkeit und Geschwindigkeit geben. Hier ist zu merken: a) der heroische Hexameter, ein sehr altes Metrum, das bey den Griechen zeitig zu Aufschriften, Orakelsprüchen und Sentenzen gebraucht ward. Dem Ennius konnte es nicht schwer werden, es in die römische Dichtkunst einzuführen, da es auch in dem alten Saturnischen Maaße zum Theil schon mit enthalten war. Der Daktylus ist hier herrschend. Sein Gang wird fünfmal wiederholt und mit einem Spondäen geschlossen. Der jambische Takt ist wegen seines schnellen und starken Jctus, wie Horaz sagt, natus rebus agendis. Der langsamere Takt des Daktylus und Spondäen paßt fürs Heldengedicht, wo schon ruhiger erzählt und weniger gehandelt wird. Die lange Sylbe, mit welcher der Vers beginnt, giebt ihm eine besondere Würde. Die Deutschen, z. B. Kleist in seinem Frühling, haben amphibrachische Hexameter eingeführt mit einem kurzen Auftakt, z. B. Ĕmpfangt mich heilige Schatten ihr hohen belaubten Gewölbe. Allein dann kann leicht ein Vers in den andern hinüber gezogen werden, weil bey uns wir oft mit Trochäen schließen. Man weiß also oft nicht, wenn der Vers angeht. Der Auftakt muß in der Fortdauer ermüden, er nimmt dem Hexameter ganz seinen majestätischen Gang, und verwandelt ihn in eine amphibrachische Versart, welche etwas Schlüpfriges und Weichliches hat. Daher möchte dieser Hexameter nur für lyrische Gedichte passen, wo er mit kürzern Versen abwechselt,417 wie ihn denn auch Uz mit Erfolg gebraucht hat: J̆ch will von Weine berauscht die Lust der Erde besingen J̆hr Schönen eure gefährliche Lust Freylich ists nicht zu läugnen, daß die Anfangslänge bey einem Verse von der Ausdehnung des Hexameters dem deutschen Dichter schwer wird. Klopstock hat in seinen Fragmenten S. 28. von altdeutschen Dichtern Stellen angeführt, aus denen sich ein daktylischer Gang unserer Sprache ergiebt, aus denen sich ganze Hexameter heraus scandiren lassen. Gleichwohl muß oft der Auftakt zu Hülfe genommen werden. Es ist nicht zu läugnen, daß, da unsre Substantiva Artikel, unsere Verba Pronomina und Augmenta haben, und wir nur Hauptsylben accentuiren, der Jambus uns am nächsten liegt. Voß macht die volltönendesten Hexameter, aber oft auf Unkosten der deutschen Syntax. Klopstocks Hexameter haben am meisten leidenschaftliche Bewegung, aber der gleiche griechische Takt ist doch nicht immer darinnen. Sie sind oft mehr lyrisch, als episch. Besonders müssen sich die deutschen Dichter in Acht nehmen, daß ihr Vers sich nicht doppelt scandiren lasse, daß sie sich's wegen des eingeführten Trochäen nicht zu leicht machen, daß sie dabey (s. oben) die Gesetze des Rhythmus nicht verletzen, welcher eher hier beleidigt werden kann, als bey den Spondäen, und daß sie die Füße nicht zu viel in die Cäsur fallen lassen. Jndessen ist der Hexameter bey uns schon ziemlich einheimisch geworden, und er wird uns immer besser gelingen, als jeder andern neuern Nazion, aus den oben schon aus einander gesetzten418 Gründen. Nach Massuet haben zwar auch die Franzosen Hexameter versucht, aber ohne Erfolg. Von den Hauptcäsuren des Hexameters haben wir schon an einem andern Orte gesprochen. Nebencäsuren zählen die alten Grammatiker sehr viel. (s. Herrmanns Handbuch.) Wegen der Aufnahme des Trochäen haben wir noch mehr, vielleicht einige zwanzig. Der Ausgang des Hexameters, der aus zwey Spondäen besteht, ist zuweilen sehr mahlerisch: Porrexerat Am̄phītrītē. Ovid. Incedit tardo molimine sūbsīdēndō. Vida Poet. L. III. Auch ein einsylbig Wort hinter einem vielsylbigen thut zuweilen am Schlusse des Hexameters Wirkung, z. B. geritur res. Ennius. Mit einem viersylbigen Worte endet man den Hexameter nicht gern. Besonders vermeiden dies die Römer, weil die dritte Hauptcäsur darunter leidet, welche die letzten fünf Sylben abschneidet (─́ ). Das heroische Metrum paßt wegen seiner Majestät und Ausdehnung für erzählende Gedichte, besonders ernsterer Art, für längere beschreibende und didaktische. Die Alten haben es auch in der Jdylle gebraucht, weil diese gewöhnlich die erzählende und beschreibende Form hat. Zuweilen kommt es auch in der Tragödie vor, z. B. Sophocles Trach. 1018. wo es die heroische Empfindung sehr vermehrt. Jn lyrischen Gedichten wird der Hexameter auch gebraucht in Verbindung mit kürzern Versen, die aber auch daktylisch und mit dem Hexameter ihrem Gange nach verwandt seyn müssen,419 weil sonst die Regeln leiden würden, die der Rhythmus feststellt. Zu diesen Versen, die mit dem Hexameter verbunden werden, gehört b) der Pentameter. Dieser hat eine Hauptcäsur, welche wider das Gesetz des Rhythmus den Vers in zwey ganz gleiche Reihen theilt. Vielleicht sind deswegen die Grammatiker zu entschuldigen, welche eine andere Abtheilung versuchten. Etwas verbergen läßt sich jedoch diese Gleichheit dadurch, daß man in der ersten Reihe Spondeen mit den Daktylen abwechseln läßt. Jn der zweyten Reihe müssen reine Daktylen seyn, weil der Pentameter mit dem Hexameter verbunden ein daktylisches Distichon ausmacht, und es so nach nöthig ist, daß am Ende des poetischen Perioden der daktylische Gang eben so gehört werde, wie zu Anfang. Die deutschen Dichter beobachten dies nicht immer. Allein die deutschen Distichen werden auch oft sehr nachlässig gemacht. Die römischen Dichter vermeiden die Elision in der Mitte des Pentameters. Doch finde ich einen Vers, wie den des Catulls: Si vera est Persarum impia relligio, rhythmisch schöner, weil er die Reihen weniger gleich macht. Ovid hütet sich, den Pentameter mit einem dreysylbigen Worte zu schließen. Tibull thut es: plena coronato stare boves capite. Allein Ovid fühlte sehr richtig, daß durch den contrastirenden Anapäst oder Tribrachys am Ende des Distichons der Jctus des daktylischen Ganges vermindert werde, der doch in einem solchen daktylischen Distichon bis zu Ende aushalten soll. Viersylbige Worte am Ende des Pentameters geben zwar dem Distichon mehr Munterkeit, als es am am Schlusse420 haben sollte. Jndessen wenn in Sprachen der Wortaccent von der Sylbenquantität verschieden ist, so greift der freye Rhythmus ins Metrum ein, und bringt bey viersylbigen Schlußworten gerade eine sehr gefällige, proportionirliche Evolution zu Stande. Vos mala de nostris pellite limitibus, sagt Tibull. Dem Metro ist das eigentlich etwas zuwider. Allein viersylbige Worte haben einen natürlichen Accent auf der zweyten Sylbe, weil man nicht gern zu viel Sylben in einem Athem ausspricht. Daher verwandelt der Wortaccent das Metrum des Pentameters in folgendes ─́ , ─́ , und Verse, wie der angeführte Tibullische ist, lassen sich deswegen sehr angenehm lesen. Diese Bemerkung erläutert das, was wir von der Verschiedenheit des Metrums und des freyen Rhythmus gesagt haben, zu welchem letztern der Rhythmus der einzelnen Worte durch den Accent auch gehört. Jn Sprachen, wo der Wortaccent die Quantität nicht bestimmt, kann also der freye Rhythmus ganz andere Reihen hervorbringen, als die Sylbenquantität, und manchen Fehler wider das Metrum verdecken, z. B. der oben getadelte Ausgang beym Tibull: stare bovēs căpĭte, wird durch den Wortaccent in folgenden verwandelt: stáre bóves cápite. Dies giebt eine proportionirlich steigende Reihe. Am Ende des Distichons darf freylich die Reihe nicht steigen. Allein zuweilen ist es auch angenehm, wenn der freye Rhythmus die Schranken des Distichons durchbricht. Da übrigens mit dem Distichon eine poetische Periode geschlossen wird, so muß der Sinn mit dem421 Distichon schließen, wie mit jeder Strophe. Auch erlauben sich die Dichter eher in andern lyrischen Strophen Freyheiten, wie hier, weil die zwey Verse des Distichons Läuge genug haben, um alles darinnen sagen zu können. Eben wegen dieser Ausdehnung des Distichons hat die Elegie es zum Lieblingsmetrum gewählt. Denn die Klage liebt eine sanft gedehnte Rede, und eine solche bedarf ein weites Sylbenmaaß. Ueberdem hat der Pentameter einen gehemmten Gang durch die einzelnen dazwischen geworfenen Längen, | | | | , und mildert so den starken Gang des Hexameters. Weil das Distichon eine genau geründete Periode ist, so paßt es auch für Epigrammen und Sentenzen, welche als ein vollendetes Ganze erscheinen sollen. Zu den daktylischen Versen, welche in Verbindung mit dem Hexameter in lyrischen Gedichten vorkommen, gehört auch c) der Tetrameter Heroicus oder Phaliscus, | | | , z. B. Horat. L. I. 7. dieser hat völlig den Gang des Hexameters, und da er am Ende eben so einen Fall hat, so mildert er dessen Stärke gar nicht, wenn er mit ihm verbunden wird. Horaz im angeführten Beyspiel drückt damit eine muntere heroische Empfindung aus. Klopstock hat in seiner Jugend, wo sein Ohr noch nicht so gebildet war, einen Mißgriff gethan, da er dies Metrum in der Ode Salem zum Ausdruck einer sanften schwärmerischen Empfindung brauchte. d) Der Archilochius Heptasyllabus besteht aus einer daktylischen Dipodie und noch einer Sylbe. Horat. L. IV. od. 7. Giebt, mit dem Hexameter verbunden, ein sehr munteres aber auch422 heftiges Metrum, weswegen es Klopstock zu seiner berühmten Ode an Ebert gebraucht hat. Unter den Metris, in welchen vorzüglich das daktylische Gesetz herrscht, sind noch folgende zu merken, die nicht mit dem Hexameter verbunden werden. e) Der Heptameter Archilochius: Solvitur acris hyems gratā vĭcĕ | vērīs ēt Făvōnī. Horat. Od. L. I. 4. besteht aus einem Tetrameter heroicus oder vier Daktylen, wovon der vierte ein Daktylus seyn muß, und endet dann mit drey Trochäen. Er wird mit einem Trimeter Iambicus verbunden, beginnt mit vieler Munterkeit, und endet wegen der Trochäen sehr sanft. f) Die Alcäische Strophe beginnt und endet mit dem trochäischen Gesetz, hat aber in der Mitte verschiedene daktylische Reihen. Sie ist deswegen für sanfte und hohe Empfindungen gleich geschickt, und sie entwickelt sich äußerst rhythmisch. Diese Strophe hat den Namen von dem eilfsylbigen alcäischen Verse, der aus einer trochäischen Dipodie mit dem Auftakt und zwey Daktylen besteht, in der Mitte zwischen der trochäischen und daktylischen Reihe eine Cäsur hat, und zweymal in der Strophe wiederholt wird. Dann folgt der dritte Vers, der ein Iambicus Dimeter Hypercatalecticus ist; und die Strophe schließt endlich mit einem logaödischen Verse, | | | . Dieser letzte Vers hat eine daktylische Reihe und endet mit der trochäischen, ist also gerade das Umgekehrte von dem ersten Verse der Strophe, eine Eurhythmie, die sehr angenehm ist. Denn so geht der Periode, der sich trochäisch evolvirte, durch eine Jnvolution in dasselbe Gesetz zurück. Die daktylischen423 Reihen dagegen, welche die größte Lebhaftigkeit haben, sind in der Mitte. Man sieht hieraus, daß die Griechen ein sehr gutes Gefühl von rhythmischer Proportion, vom Steigen und Sinken der Reihe bey Erfindung ihrer Strophen hatten, und diese Bemerkung giebt zugleich ein Beyspiel von dem, was wir oben von dem rhythmischen Gesetz überhaupt bey Zusammenstellung der Füße sagten. g) Noch rhythmischer als die alcäische evolvirt sich die sapphische Strophe, welche ganz Gesang ist, und wegen ihrer melodischen Grazie für die feinsten Gefühle paßt. Jm alcäischen Metro erscheint der Rhythmus in einzelnen Versen als steigend oder sinkend, aber in der sapphischen Strophe stellt jeder Vers ein leichtes Steigen und Wiedersinken dar. Es ist also das Gesetz des Rhythmus im Kleinen ausgedrückt. Die sapphische Strophe enthält den eilfsylbigen sapphischen Vers drey mal. Dieser besteht aus einem Trochäen, einem Spondäen, einem Daktylus und einer trochäischen Dipodie. Hermann tadelt den Horaz mit Recht, daß er hinter der Länge des Daktylus immer eine Cäsur beobachtet hat. Iam satis terris | nĭvĭs atque dirae. Der anapästische Anfang der zweyten Reihe stöhrt den daktylischen Jctus. Am allermeisten irrt Bentley ad Horat. III. 8. wenn er dieser Cäsur wegen gar eine kurze Sylbe statt der Länge im Daktylus verstattet: docte sermonĭs utriusque linguae. Das Feine des Metrums besteht in der ruhigen leichten Evolution, ─́ | ─́ | ─́ | | , erst der Trochäus, dann der Spondäus, dann der lebhafte Daktylus, und nun424 sinkt es wieder. Die Zeittheile werden sehr proportionirlich abgeschnitten. Hier ist gar keine Hauptcäsur anzubringen. Es ist auch deswegen schöner, wenn der zweyte Fuß ein Spondäus, als wenn er ein Trochäus ist. Jm letzten Fall ist hier die Cäsur angenehm. Die Strophe schließt endlich mit einem adonischen Verse, welcher einen herrlichen Fall giebt: . Denn er enthält noch eine Darstellung sowohl des daktylischen als des trochäischen Gesetzes, die in der Strophe herrschten, und kehrt in den Trochäen zurück, mit dem die Evolution begann. Die Deutschen haben der sapphischen Strophe diese ruhige Evolution genommen. Klopstocks Ode: die todte Clarissa, beginnt so: . Hier ist offenbar der Daktylus für den Anfang zu lebhaft, und die Reihe der Trochäen zu lang. Dies wird zwar in den folgenden Versen abgeändert, indem der Daktylus im zweyten Vers der zweyte, im dritten der dritte Fuß ist, allein durch diese Mannichfaltigkeit geht der rhythmische Bau des griechischen Metrums verlohren. Doch hat das deutsche Metrum bey weniger Grazie eine eigene Weichheit, eine steigende Geschwindigkeit. Sehr passend ist es daher z. B. für Hölty's Ode: die Geliebte, S. 155. Auch andere Dichter haben es noch gebraucht. Die Franzosen haben eine Art sapphisches Metrum, doch ohne Prosodie. Sie lassen auf drey eilfsylbige meist jambische Verse einen fünfsylbigen folgen, der auch jambisch oder anapästisch ist, z. B. dĕmeūrĕ săns voix. s. de Lille's neue Bearbeitung der Boileauschen Uebersetzung von Sapphos φαινεται μοι. Voyage d'Anachars. T. I. p. 338. 425 Was übrigens den Versus Adonicus betrifft, so ist er von Deutschen auch allein zu kleinen scherzhaften und muntern Gedichten gebraucht worden, wo er sich gut ausnimmt. Dem daktylischen Jctus verwandt sind auch h) die Ionici a minore, ein Spondäus mit einem zweysylbigen kurzen Auftakt. Horat. Od. III. 12. hat vierzig solcher ionischen Füße hinter einander, über deren Eintheilung viel gestritten worden ist. Wahrscheinlich gehören allemal je zehn in ein System ἐξ ὁμοιων (d. h. von gleichen Füßen). Gedichte in diesem Metro haben etwas Weichliches, aber auch Aengstliches, weswegen dies Metrum von den tragischen Chören gebraucht wird. Aeschyl. Pers. 691. 97. thut es, mit Anapästen verbunden, (mit dem Paroemiacus) einen herrlichen Effekt. Den Deutschen werden die Jonici schwer wegen dem Mangel an Spondäen. Denn ein Trochäus macht die Scansion ungewiß. Doch kann man sich mit Cäsuren helfen. Z. B. Klopstocks Ode: die Sommernacht, hat den Paeon tertius mit einer Cäsur, weswegen die Strophe den ionischen Takt bekommt. Dies und die Anapästen dazwischen geben eine ängstliche schauerliche Empfindung. Einige rechnen auch den Galliambischen Vers hierher, Catull. 63. womit die Priester der Cybele ihre Göttin besangen, und die auch einen weichlichen Charakter hatten. Ueberhaupt sind die Metra der Alten, wie die Poesie, mit dem Gottesdienst sehr verwandt. Daher die Benennungen Metrum Saturnium, s. Festus. Priapeium Catull. 17. 19. welche anfangs durch die Musik bey den Opfern veranlaßt und nachher Kunststück der Dichter wurden. i) Die426 Anapästen, auch noch eine daktylische Versart, sind mehr heftig als gesangreich. Jn den Chören der Alten herrscht dieser Fuß am häufigsten in Systemen ἐξ ὁμοιων. Hier geht gewöhnlich der anapästische Jctus durch Dimetros ununterbrochen fort, gegen das Ende des Systems steht ein kürzerer aber vollständiger anapästischer Vers, der dann basis anapaestica heißt, und das ganze System, zugleich der Wortsinn, schließt mit einem Dimeter catalecticus oder paroemiacus, welcher ganz den daktylischen Fall des Hexameters hat, . Ueberhaupt scheint die Clausul des Hexameters ganz vorzüglich zum Schlusse der metrischen Reihen zu passen, weil die rhythmische Evolution durch den Daktylus wieder in den Trochäen zurückkehrt. Aber eben deswegen hat sie etwas zu hart Abschneidendes. Deswegen mißfällt sie in prosaischen Perioden. Jn dem übrigens sehr rhythmischen und von Hermann berichtigten Chor von der Liebe (Antigon. vs. 788.) steht sie nicht weit vom Schluß, und da mißfällt sie etwas, weil sie nicht ganz der Schluß ist. Deswegen ließe sich vielleicht folgende Abtheilung vornehmen, wodurch das Metrum choriambischer wird: και σ' οὐτ 'άθανατων φύξιμος οὐδεις οὐδ' ἅμεριων ἐπ 'ἄνθρωπων δ' ἐχων μενηνε, welches auch in der Gegenstrophe ginge. Der Anapäst des letzten Verses würde dann mehr hervorstechen. Zwar ist der Rhythmus in diesem Chor, wie Brunk sagt, etwas dithyrambisch, und läßt gewaltsame Einschnitte zu. Aber wenn man einen bestimmten Takt durchhört, ist das Ohr doch immer befriedigter. Wenigstens müßte man annehmen,427 daß der Dichter bey dem φυξιμος οὐδεις habe schließen wollen, und nun das andere, als wär es vergessen, noch nachbrächte. Oder man müßte dem Daktylus φυξιμος den Jctus auf die zweyte Sylbe geben, indem er hier als für einen Anapästen angesehen wird, welches aber doch in dieser Stelle eine Härte ist. Daß die neuern Sprachen der Anapästen fähig sind, haben wir schon öfter bemerkt. Die französische noch mehr, als die englische, weil sie Worte, wie vision u. dgl. nicht zusammen zieht: d'une coúrse imprudénte et legére, nous foulóns temeráires humains, cette coúrte et rapide carriére, ou s'egárent nos voeúx incertáins. Freylich bildet hier mehr der Accent das Metrum, als die Quantität. Und wir Deutschen werden immer reinere Anapästen machen können. 3) Dithyrambischer sind die Metra, in welchen der Päon herrscht, wegen der vielen Kürzen, die da zusammengedrängt sind. Daß die deutsche Sprache solcher fähig sey, hat Klopstock (z. B. Thuiscon, Braga u. s. w.) und Voß gezeigt. Nur im höchsten lyrischen Schwung, oder bey äußerst heiterer Empfindung wird der Dichter päonische Metra wählen. 4) Den Schluß macht der Choriambus, der sich selbst beym Klopstock in der Ode Sponda personifizirt, Apollos Liebling nennt. Daß er von dem daktylischen Jctus noch unterschieden ist, läßt sich daraus darthun, daß die Dichter, wo der Choriambus charakteristisch ist, allemal eine Cäsur hinter ihm setzen, folglich ihn ganz vom Daktylus unterscheiden. Sein Jctus ist sehr stark, weil die Reihe, welche er abschneidet, so lang ist. Daher setzen die Dichter oft,428 ehe sie eine choriambische Reihe beginnen, eine Basis, z. B. ein oder ein paar Trochäen, und am Ende noch eine καταληξις, z. B. einen Creticus, oder einen Bachius, um nicht gleich mit dem Fuße zu schließen: Ōdĕrīt cām | pum patiens pulveris at | quĕ sōlīs. Horat. Sĭch dĕs Gārns | Tücke nicht naht | ūnd dĕn Wūrm. Klopstock. Das choriambische Metrum hat den Charakter der größten Vollendung und Majestät, weil der Fuß in die Länge, mit der er begann, zurückkehrt. Horaz hat Verse von drey Choriamben hinter einander, z. B. Od. I. 11. Am allergewöhnlichsten ist aber bey ihm das Metrum choriambicum asclepiadeum. Es besteht aus zwey Choriamben, hat einen Spondäen zur Basis, und zuletzt noch eine jambische Clausel: Maece | nas atavis edite reg | ibus. Da in der ersten Hälfte des Verses der Rhythmus bis zum Choriamben steigt, in der andern wieder sinkt, so ist die Cäsur zwischen den beyden Choriamben natürlich. Die zweyte Hälfte kann man auch daktylisch messen. Dieser Versus asclepiadeus kommt bey den lyrischen Dichtern auf mehrere Art vor: a) entweder er kehrt immer wieder, Horat. L. I. od. 1. ohne mit einem andern abzuwechseln. Durch diese Einförmigkeit entsteht eine gewisse Ruhe. Daher kann der Lyriker dies Metrum brauchen, wenn er, wie Horaz l. c. in einer contemplativen Stimmung ist. b) Oder der Asclepiadeus wechselt mit einem kürzern Verse ab, den man choriambisch oder daktylisch messen kann, und welcher Glyconicus429 heißt. Sīc | dīvă pŏtēns | Cy̆prī. Hor. I. 3. Beym Horaz steht der kürzere Vers eher und dann der längere. Dies giebt dem Rhythmus der Versart eine gewisse Unruhe und Leidenschaftlichkeit, die gewöhnlich sehr gut zum Jnhalt des Gedichts paßt, z. B. Horat. I. 13. Klopstock hat im Deutschen den Asclepiadeus eher und läßt den Glyconicus folgen. Dies giebt dem Perioden eine größere Ruhe. Z. B. s. die Ode: der Lehrling der Griechen, wo die Daktylen aber, die er als Basis vor den Choriamben braucht, mißfallen. Jhm sind die andern deutschen Dichter, z. B. Hölty, gefolgt. Ode an Miller S. 126. Miller, denk ich des Tags, welcher uns scheiden wird faßt der Donnergedanke mich; Jndessen ist dieser Anfang so kräftig, daß vielleicht das horazische Metrum, wo der kurze Glyconicus eher steht, hier besser gewesen wäre. c) Endlich wird auch der Asclepiadeus zu choriambischen Strophen verbunden. Dieser Strophen giebt es zwey, die besonders merkwürdig sind. Die eine Art choriambischer Strophen hat zwey Asclepiadeos, dann folgt ein Pherecratius: ─́ , und hierauf schließt ein Glyconicus. Horaz Od. I. 5. Klopstocks Zürchersee. Die andere Art hat drey Asclepiadeos hinter einander, und es schließt ein Glyconicus. Horaz Od. I. 6. Klopstocks Friedrich der Fünfte. Die erste Art Strophen ist für starke muntere Empfindungen geeignet. Sie entwickelt sich rhythmisch sehr gut. Der Pherecratius, welcher daktylisch gemessen werden kann, ist mit der letzten Hälfte der Asclepiadeen verwandt, welche430 auch daktylisch gemessen werden kann. Seine starke daktylische Clausul unterbricht den Strom der Choriamben. Die andre Art Strophen ist majestätischer. Die Dichter wählen diese Strophe, wie die angeführten Beyspiele zeigen, bey höhern Empfindungen. Der dreymal wiederkehrende choriambische Gang macht, daß man selbst in dem Glyconicus den Choriamben mehr vorhört. Es ist also durchgängig mehr Anspannung in dieser Strophe. Was den Glyconicus betrifft, so kommt er oft in lyrischen Gedichten als immer wiederkehrender Hauptvers allein vor, z. B. Catulls Gedicht in nuptias Iuliae et Manlii. Cōllĭs o Heliconii etc. Jn diesem Falle ist der Gang des Glyconicus mehr daktylisch. Der erste Fuß ist auch oft ein Trochäus. Ein solches System Glyconischer Verse schließt dann mit der daktylischen Clausul in einem pherecratischen Verse. Dies Metrum ist sehr melodisch und leicht. So viel von der Harmonie der einzelnen Sylbenmaaße mit der Empfindung. Aus dem, was wir angeführt haben, lassen sich wenigstens die bekanntesten Sylbenmaaße der Römer und Deutschen kennen lernen und beurtheilen. Die genauere Kunde der feinern minder bekannten Maaße gehört in die Metrik. Die Griechen haben in ihren Chören und Oden Strophen und Antistrophen, die einander correspondiren und mit einem Epodos schließen. Dies mag für die Musik nöthig gewesen seyn. Aber die gleichen einzelnen Verse stehen so von einander ab, daß schwerlich ein Ohr darauf Acht haben kann. Am meisten haben die Systeme ἐξ ὁμοιων noch wirken können, weil sich das Ohr hier an einen431 bestimmten Gang des Jctus gewöhnte. Die Eintheilung der einzelnen Verse in den strophischen Gedichten ist oft äußerst willkührlich. Daher giebt es außer den erklärten Versarten noch viele sogenannte Antispastische, Kretische, Bachrische Verse u. s. w. die sich aber vielleicht alle auf wenige Hauptgesetze bringen lassen. Ueber die Abtheilung der strophischen Verse s. Hermanns Handbuch S. 231. Man muß besonders suchen für jeden Vers in der Strophe ein metrisches Gesetz, einen regelmäßig wiederkehrenden Jctus ausfindig zu machen. Sehr oft zeigt die Empfindung an, wie die Verse einzutheilen sind. So ist z. B. die Kürze der Verse in dem äußerst tragischen Chor Oedip. Tyrann. vs. 1186. klassisch und durch den Rhythmus bestimmt. Klopstock hat freye Strophen, deren einzelne metrische Füße ganz nach den Gesetzen des Rhythmus zu beurtheilen sind. Uebrigens ist noch bey den Strophen mancher deutscher Dichter eine Nachlässigkeit zu rügen, daß sie oft am Ende des strophischen Verses einen Artikel setzen, der zum ersten Worte des folgenden Verses gehört. Selbst ein sogenanntes Beywort nimmt sich nicht aus. Dies ist auch für die Cäsur zu bemerken, in die kein Artikel fallen kann. So war in einer alten Ausgabe von Klopstock der Pentameter zu tadeln: Und ich brächte noch die Jahre voll Traurigkeit zu.

§. 14.

Die Darstellung aller musikalischen Eigenschaften der poetischen Sprache beym Hersagen der Gedichte432 heißt die Deklamation, oder der poetische Vortrag. Ein jedes Gedicht muß, wenn es seine volle Wirkung thun soll, deklamirt werden. Da auch ein Anderer als der Dichter das Gedicht deklamiren kann, so ist die Deklamation als eine besondere, der freyen Kunst dienende Kunst anzusehen, welche zwar kein Genie im eigentlichen Sinne des Worts, aber ein besonderes Talent erfordert. Der Deklamator verhält sich also zum Dichter, wie der Sänger zum Componisten. Die Theorie einer guten poetischen Deklamation ist reichhaltig genug, um als ein besonderer Zweig der Poetik für sich ausgeführt zu werden. Die Poetik giebt durch ihre Untersuchungen über das Musikalische der Sprache zu jener Theorie die höchsten Grundsätze.

Anmerk. 1. Man muß Deklamation und Aktion von einander genau unterscheiden. Gedichte müssen eigentlich, Schauspiele ausgenommen, blos deklamirt, nicht agirt werden. Die Person des Deklamators, selbst wenn er Schauspiele liest, darf schlechterdings die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht auf sich ziehen. Er darf nicht gestikuliren, und muß auf seinen Körper nur in so fern Rücksicht nehmen, daß er, wie der Conzertsänger, das πρεπον nicht verletze. Die poetische Deklamation ist also nicht mit der Schauspielkunst und dem rednerischen Vortrag zu vermengen. Redner und Schauspieler433 deklamiren auch, sie bedürfen aber noch einer andern der freyen Kunst verwandten Kunst, nämlich der Mimik. Demosthenes und Cicero verlangen mit vollkommnem Recht zu einem Redner die Aktion. Denn der Redner muß aus politischen Gründen durch seine Person selbst gefallen und Eindruck machen. Wie er sich des poetischen Gewandes bedient, um seiner Rede Eingang zu verschaffen, eben so benutzt er in einem gewissen Grade die Regeln der Schauspielkunst. Cicero beginnt seine Rede pro Milone mit einer pathetischen Beschreibung des Schauplatzes, wo er auftrat, der Krieger, welche den Gerichtshof umgaben, des Volkes, welches erwartungsvoll von allen Seiten den Gerichtsverhandlungen zusah. ἠθος und παθος wechseln also in den Bewegungen beym Redner ab, wie beym Schauspieler. Die poetische Deklamation hat es blos mit der Stimme zu thun. Man möchte einwenden, der Deklamator sey eigentlich auch ein Schauspieler, er vertrete die Stelle des Dichters. Es ist nicht zu läugnen, daß bey den Griechen dies gewissermaßen der Fall war. Athenäus berichtet uns, Demetrius Phalereus habe die Rhapsoden, oder Deklamatoren aufs Theater eingeführt. Aus dem Jon des Plato lernen wir, die Rhapsoden hätten ihren Körper besonders schmücken müssen, um schön zu sehn, sie hätten bey den Opfern und Festen herrliche Kleider und goldene Kronen getragen. Einige leiten sogar das Wort Rhapsode von dem ραβδος δαφνης, oder dem Lorbeerzweig her, den die Deklamatoren in der Hand trugen, gerade, wie ihn die Dichter nach dem Pausanias und Callimachus beym Singen434 getragen haben sollen. Allein wenn der Deklamator auch die Stelle des Dichters vertritt, so kommt es erst darauf an, zu bestimmen, ob die Person des Dichters selbst irgend einen phantastischen Eindruck machen soll. Bey Nazionen, die das Phantastische lieben, wie die Griechen, mochte dies der Fall seyn. Es gehört aber schlechterdings nicht zum Wesen der Kunst. Die Poesie ist die Darstellung des Jdealen durch Gedanken und Sprache. Wir haben schon oben gezeigt, daß der Dichter gar nicht auf ein Publikum Rücksicht zu nehmen braucht. Er ergötzt seinen eignen Geist an den Gedanken, und sein eignes Ohr an dem Wohllaut der Sprache. Selbst wenn er, wie die ältesten Sänger, seine Worte mit Saitenklang begleitet, ist sein Aeußerliches indifferent. Denn Poesie und Musik ist die Darstellung des Jdealen in der Zeit. Schauspielkunst ist ein zufälliges Jngredienz, wodurch zuweilen die Poesie an Würde verliehren kann, wenn sie gleich an Eindruck gewinnt. Da nun der Dichter selbst als ein unsichtbares Wesen spricht, so muß der Deklamator, der seine Person vertritt, sich ebenfalls als unsichtbar ansehen. Es ist also selbst dies eine falsche Meynung, daß der Deklamator das Gedicht auswendig hersagen müsse. Das auswendig Wissen hat seinen Vortheil, damit der Lesende das, was noch kommen soll, kenne und im Lesen nicht stocke. Jm übrigen aber ist ein Buch in der Hand ihm sehr nützlich, weil es ihm gerade die Gränze setzt, die ihn von der Mimik trennt, und die er nicht überspringen darf.

435

Anmerk. 2. Daß das Gedicht für das Ohr gemacht werde, ist keine Frage. Denn die mündliche Sprache ist die nothwendige Form der Poesie, und unsre Nazion ist eben deswegen so wenig poetisch, weil bey ihr die Gedichte, wie die übrigen Bücher, angesehen und höchstens einmal mit den Augen flüchtig durchgelesen werden. Das Musikalische wird zwar dann auch etwas empfunden, aber nur so, wie man Musiknoten lesen kann. Der Zauber, der im Klange liegt, geht ganz verlohren. Die poetische Sprache muß an das Wunderbare und Außerordentliche gränzen. Sie will uns durch Darstellung des Jdealen aus der gewöhnlichen Sphäre der Verstandeswelt herausreißen. Darum ist sie in ihrem logischen Wesen tropisch, d. h. sie verwechselt die Begriffe, setzt einen für den andern, zeigt, wie überall in der Natur eins das Bild vom andern, und alles das Bild von Einem ist. Eben darum ist sie aber auch musikalisch, löst die artikulirten Töne wieder in Gesang auf, nimmt die Schranken des Verstandes hinweg, und zeigt die ideale Einheit in dunklen Klängen. Diese Eigenschaft der Poesie ist also nur durch wirkliche Deklamation darstellbar.

Anmerk. 3. Die Deklamation bedarf eines besondern Talents, einer wohlgefälligen Stimme und einer Fähigkeit, diese Stimme zu beherrschen, die dem Dichter selbst fehlen kann. Jndessen muß er doch ein Gefühl für alle Modificationen der Stimme haben, wie der Componist den Gesang kennen muß. Der große Corneille soll seine Werke sehr436 schlecht gelesen haben. Vielleicht sind sie aber schon um deswillen minder musikalisch, als die des Racine.

Anmerk. 4. Sokrates im Jon des Plato scheint an der Möglichkeit einer Theorie der Deklamation zu zweifeln. Er hält den Deklamator, wie den Dichter, für einen Begeisterten durch die Götter, der sich von seiner Kunst keine Rechenschaft geben könne. Allein der platonische Sokrates ist in diesem Dialog, wie überhaupt sehr oft, etwas Sophist. Das sieht man schon aus der Behauptung, daß ein gemeiner nichtsnutziger Mensch durch die Hülfe des Gottes ein schönes Gedicht hervorbringen könne. Ohne Hoheit des Charakters ist keine Empfänglichkeit für den schöpferischen Funken der Poesie denkbar. Uebrigens zeigen allerdings die vielen Schwächen in den Charakteren der Dichter, daß die Musen sich den eigentlichen Ruhm des göttlichen Produkts vorbehalten. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen Schwächen und Niedrigkeit. (δια του φαυλοτατου ποιητου το καλλιϛον μελος ᾐσεν.) Was insbesondre den Deklamator betrifft, so muß er freylich die Genialität des Dichters theilen, und den zweyten Grad der Begeisterung, eine besondere Empfänglichkeit für das Schöne haben. So wie man durch Regeln keinen Dichter macht, wird man auch keinen vorzüglichen Deklamator durch Kunst bilden. Klopstock erhebt in seiner Ode: Teone, die Deklamation zu einer Göttin. Die kleinste Kunst des Gesangs, sagt er, ist Teonen nicht verborgen. Sie bildet das Lied dem Ohre. Jhrer Stimme Wendungen sind Melodieen, verwebt mit des Herzens437 feinstem Gefühl. Der Dichter rührt nicht allein. Sondern Teone bewegt und besänftigt das Herz. Man sieht also, daß der Deklamator nicht nur Talent, eine wohlklingende, gefühlvolle Stimme, sondern auch einen Grad genialischer Wärme haben müsse, der sich nicht durch Regeln mittheilen läßt. Jndeß, wie es eine Poetik giebt, die blos die Wunder der Poesie nach psychologischen Hypothesen betrachtet, und dem Dichter beschränkende negative Regeln giebt, so kann es auch eine Theorie der Deklamation geben, welche ihre Grundsätze aus der Poetik nimmt und dem Deklamator auf den richtigen Weg helfen kann. Man hat neuerlich mehrere Versuche gemacht, die Theorie der Deklamation festzusetzen. Jos. Steele in England und bey uns Schocher haben Vorschläge gethan, die Arten, Gänge und Beugungen der Rede anschaulich zu machen, und nach Art der Tonkunst zu zeichnen. Um Versuche dieser Art aus einem richtigen Gesichtspunkt anzusehen, bemerke man folgendes. 1) Man muß mehr, als bisher geschehen ist, die Deklamation und Action unterscheiden. Die Beredsamkeit bedarf einer andern Deklamation als die Poesie. Mithin müssen die Regeln für beyde Künste verschieden seyn. Die Action und der Vortrag des Redners wird durch tausend Nebenumstände bestimmt, auf welche bey der Recitation eines Gedichts nicht Rücksicht genommen zu werden braucht. Sie hat eine bestimmte Zweckmäßigkeit und ist gar nicht als freye Kunst zu betrachten, so wenig wie die Beredsamkeit, der sie dient. Macht man also Eintheilungen in Haupttöne, wie z. B. in den erzählenden, Lehrton,438 Schreyton, Götterton, Vernunftton u. s. w. so ist dabey das eigentlich Aesthetische der Deklamation von dem Jnhalt desjenigen, was vorgetragen wird, und oft ein Gegenstand nur der Wohlredenheit ist, nicht gehörig unterschieden. Man nimmt dabey zu viel auf Begriffe Rücksicht. 2) Wenn auch nicht zu läugnen ist, daß die Vocale, wie wir schon oben bemerkten, eine Höhe und Tiefe des Tons anzeigen, mithin eine Art Scala für jene Tonarten der Rede angeben, so kann man doch in Unterabtheilung der Töne, die dazwischen liegen, zu weit gehen. Wenn auch gleich Musik in der Rede ist, so ist die Musik doch Nebensache. Wollte man also vielleicht mehrere hundert Töne unterscheiden, sie musikalisch bezeichnen, so würde man ins kleinliche fallen. Man würde die freye Genialität des Deklamators zu sehr binden, wenn er sich immer kunstmäßig bewußt werden sollte, auf welcher von den vielen hundert Sprossen der Tonleiter er stünde. Die Subtilität würde hier weit größer werden, wie bey dem eigentlichen Gesange, weil die Modificationen der Rede weit feiner sind. 3) Die poetische Deklamation, die vom Vorlesen verschieden ist, bezieht sich ganz auf die Darstellung der musikalischen Eigenschaften der Sprache. Will man Regeln für sie aufstellen, muß man diese Regeln nicht auf Begriffe, nicht blos auf Höhe und Tiefe der Töne nach einer gewissen Scala, sondern auf die vier Vernunftideen, wie sie ästhetisch durch Töne ausgedrückt werden, beziehen. Die poetische Deklamation muß also betrachtet werden in Absicht auf Rhythmus, Wohlklang, Metrum und Harmonie. Der439 Deklamator hat folgendes in seiner Gewalt. 1) Bezeichnung gewisser Theile der Rede durch einen Accent oder Einschnitt mit Fallen und Steigen der Stimme und durch Pausen; 2) mehrern oder mindern Wohllaut; 3) eine gewisse gemeßne Quantität der Sylben; 4) eine gewisse Langsamkeit und Geschwindigkeit, und überhaupt Harmonie mit der Empfindung in Bewegung und Erhöhung der Stimme. Er muß also a) die Schönheiten des freyen Rhythmus durch Accente, Pausen, Erhöhung und Fallen der Stimme auszudrücken wissen. Das Gesetz des freyen Rhythmus besteht in einer proportionirlichen Evolution der Zeitabtheilungen durch Töne. Nichts, was hierinnen der Dichter that, darf der Deklamator entstellen. Er muß also die größern und kleinern Einschnitte und Ruhepunkte, welche der Dichter beobachtete, auch durch Accente und Jnnehalten auszeichnen. Er muß das Steigen und Fallen der Tonreihen durch Höhe und Tiefe der Stimme bemerkbar machen, er muß Sätzen, die sich auf einander beziehen, gewisse correspondirende Zeittheile geben. Hierdurch unterstützt er nicht nur die Deutlichkeit, zu welcher er schon als Vorleser verbunden ist, sondern er gefällt auch dem Ohre, das für den Rhythmus Gefühl hat. Daß schon der Rhythmus eine gewisse Erhöhung und Vertiefung der Stimme verlangt, ist leicht einzusehen. Der Rhythmus stellt die Bewegung in der Zeit dar, die nach gewissen Ruhepunkten geschieht. Die Stimme, die steigt, bewegt sich; die Stimme, die sinkt, nähert sich der Ruhe. Wollte also z. B. der Deklamator beym vollen Schlusse eines Perioden die Stimme in der Höhe440 lassen, so würde ein Contrast von Ruhe und Bewegung entstehen, der nothwendig mißfiel, und der Darstellung des Rhythmus schadete. Die Eintheilung der Tonreihen geschieht ferner durch eine gewisse plötzliche Erhöhung der Stimme, die Accent heißt. Die Erhöhung ist also da, wo die Reihe beginnt. Das Ende einer Reihe hat zwar auch ihren Accent, dieser besteht aber mehr in einer gewissen Ruhe auf der accentuirten Sylbe. Da aber der Rhythmus eigentlich als unendlich und unbegränzt betrachtet wird, so dürfen die Accente nicht zu häufig und zu sehr ausgezeichnet seyn. Dieses würde den Rhythmus zu sehr in Schranken einschließen. Ein Vorleser, der ein scharfsinniges philosophisches Werk recitirt, mag accentuiren so viel er will, so wie der Philosoph viele Worte des Sinnes wegen groß drucken läßt. Allein eben so wie im Druck eines Gedichts es mißfallen würde, viele Worte durch einen großen Druck ausgezeichnet zu sehen, eben so wird es am poetischen Deklamator mißfallen, wenn er zu viel accentuirt. Der Dichter zeichnet selten Einen Begriff vorzüglich aus. Die Schönheit liegt in der ganzen Wortreihe, wie bey einem Gemälde das Licht nicht auf einem Punkt allein ruht. Der Dichter, der zu viel in Antithesen spricht, mißfällt. Um so schlimmer ist es, wenn der Deklamator durch ein beständiges Accentuiren Antithesen macht, an welche vielleicht der Dichter nicht dachte. Es muß also die Erhöhung der Stimme nicht zu stark und zu oft bemerkbar seyn. Die Stimme selbst muß sich proportionirlich evolviren, wie der Rhythmus. Darum gefällt es am Redner, wenn er längere Reden441 mit einer gewissen Tiefe der Stimme beginnt und nur langsam steigt. Die Arsis, die die einzelnen rhythmischen Glieder abschneidet, muß zwar bemerklich seyn, aber selten sehr hervorstechend. So bleibt der Rhythmus der Rede immer ein dunkler Gesang, wie Ströme des Meeres, die wohl eine Abtheilung verrathen lassen, aber nicht nach festen Gränzen bestimmt werden können. Jndessen läßt sich nicht läugnen, daß es dichterische Stellen giebt, die viele Accente verlangen, besonders wenn eine starke und heftige Empfindung in ihnen ausgedrückt ist. Was von den Accenten gilt, daß der Deklamator sie nicht zu häufig und zu stark werden lassen dürfe, damit die Jdee des unendlichen schrankenlosen Rhythmus nicht gestört werde, läßt sich auch von den Pausen behaupten. Der Deklamator darf nicht zu häufige und lange unproportionirliche Pausen machen. Denn der Rhythmus ist ein Continuum, und zu große Lücken würden es unterbrechen. Wenn übrigens zugleich mit der Evolution und Jnvolution des Rhythmus die Stimme proportionirlich wächst und abnimmt, sich erhebt und fällt, so ist dies nicht so zu verstehen, als wenn in einem größern rhythmischen Perioden die Stimme eine Zeitlang fortdauernd steigen, dann fortdauernd sinken müsse. Das würde zu monoton seyn. Auch muß man sich, wie wir schon bemerkt haben, den Rhythmus selbst nicht wie eine Kette vorstellen, in der die Glieder an Länge immer zunehmen, dann immer abnehmen. Sondern, wie in den rhythmischen Gliedern des Perioden nur selbst eine proportionirliche Mannichfaltigkeit ist, dieselben abwechselnd bald größer, bald kleiner442 sind, kurze Commata zwischen lange eingeschoben werden u. s. w. eben so muß die Stimme des Deklamators bald sich erheben, bald sinken, um sich wieder zu erheben, jedoch alles proportionirlich, daß es nicht zu sehr absteche. So wird das Ohr durch eine gewisse Abwechslung ergötzt, die zweckmäßig ist. Jedes rhythmische Glied bekömmt seinen besondern Ton, damit man es von den andern unterscheide. Jedes Glied der Rede, das sich auf ein folgendes bezieht, muß mit der Stimme so ausgesprochen werden, daß man das folgende erwarte, und von der Jntonation bis zur Cadenz muß alles gehörig vorbereitet seyn. Endlich wird jede von den oben angegebenen Figuren der Rede, der Einwurf, die Wiederholung, die Vergleichung, die Antithese u. s. w. von dem Deklamator mit der Stimme auf eine nur fühlbare Art bezeichnet. b) Da der Deklamator auch einen besondern mehrern oder mindern Wohllaut und Tonausdruck in seiner Gewalt hat, so muß er auch alles ausdrükken, was der Dichter hiermit ausdrücken wollte, und muß zuweilen den Dichter selbst ergänzen durch feine Wendungen und Biegungen der gefühlvollen Stimme, die sich durch Wortzeichen nicht andeuten lassen. Der Tonausdruck, wie wir gesehen haben, ist dem Wohllaut zuweilen absichtlich entgegen. Der Deklamator muß also auch das Rauhe des Tons darstellen, wenn es der Dichter mit Fleiß hier angebracht wissen wollte. Uebrigens muß der Deklamator den Ton der Stimme in Schweben erhalten, nicht zu sehr an den Gränzen der Tonleiter in der höchsten Höhe, oder tiefsten Tiefe verweilen, sondern in der Mitte, weil dies,443 wie wir gezeigt haben, musikalischeren Effekt hervorbringt. Er muß, ohne ganz zu singen, doch die Rede gesangmäßig zu machen wissen, welches freylich sehr schwer ist. Er muß die artikulirte Sprache aufheben, die Töne, ohne sie jedoch unnatürlich zu dehnen, mehr als Continua darstellen, und die Schranken, die der Verstand durch die Wortbildung festsetzte, auf eine unmerkbare Art hinwegzunehmen verstehen. Er muß begrifflose Töne der Empfindung mit einzumischen wissen, wie sie die Leidenschaft verlangt, wozu denn freylich eine gefällige biegsame Stimme gehört. Da endlich die Dichter einen besondern Wohllaut in Wiederkehr ähnlicher Klänge suchen, welche man Reim nennt, so muß auch der Deklamator diesen Wohllaut herausheben. Es ist eine falsche Meynung, daß man die Reime verbergen müsse. Der Dichter hätte sich also umsonst diese Fesseln angelegt. Wenn'er den Reim richtig gebraucht hat, steht derselbe ohnedies auf Hauptgedanken, die den besondern Accent rechtfertigen. Also muß auch der Deklamator auf dem Reim etwas verweilen, geht der Sinn weiter, natürlich weniger, als sonst. Der Reim begleitet den Rhythmus und schneidet Verse ab. Dies giebt ihm einen gewissen Jctus. Da der Jctus jedoch am Ende der rhythmischen Reihe steht, so besteht selbiger weniger in einer Erhebung, als in einem gewissen Verweilen der Stimme. Der Deklamator muß also die Stimme wie das Ohr auf dem Reime ausruhen lassen. Der männliche Reim, wie wir gesehen haben, besitzt einen stärkern Accent, schließt also mehr, wie der weibliche. Der weibliche erhält die Stimme in einer444 Art Schweben, welches die Jdee des unendlich fortgehenden Rhythmus andeutet. Der Deklamator muß ihn also nicht zu sehr accentuiren, es sey denn, wo es die Cadenz des Perioden verstattet, wie in den Ottave rime am Schluß. c) Da der Deklamator ferner eine gemeßne Quantität der Sylben in seiner Gewalt hat, so muß er auch das Metrum darstellen. Er muß also ein gewisses Maaß als Grundmaaß annehmen und darnach die Sylben einrichten. Dieses Grundmaaß ist die Kürze. Sie darf weder zu lang, noch zu kurz angenommen werden. Ungeachtet es tausend Modificationen der Geschwindigkeit giebt, die die Harmonie der Rede mit der Empfindung ausmachen, so würde doch sowohl das überflüssige Ausdehnen, als auch das unmäßige Verkürzen der einzelnen Sylben der Deutlichkeit schaden, zu welcher der Deklamator schon als Vorleser verbunden ist. Was nun die Darstellung des herrschenden metrischen Gesetzes betrifft, so darf diese nicht vernachlässigt werden. Es ist eine irrige Meynung, daß der Deklamator das Metrum verbergen müsse. Dann hätte der Dichter hierinnen umsonst gearbeitet. Man hört oft das wunderbare Lob, mit welchem Vorleser beehrt werden, sie hätten so gelesen, daß man gar keine Verse bemerkt hätte. Will man damit nun soviel sagen, die Verse müssen vom Deklamator nicht kunst - und schulmäßig scandirt werden, so wird dies gern eingeräumt. Allein das schulmäßige Scandiren stellt gar nicht das Wesen des Verses dar. Das Wesen des Verses besteht, wie oben bewiesen wurde, in einem herrschenden Maaße, das aber von dem freyen Rhythmus immer445 wieder aufgehoben wird. Der Dichter hatte seinen guten Grund, warum er einen herrschenden Hauptfuß wählte. Der Deklamator muß also den Gang dieses herrschenden Fußes ausdrücken und das Ohr daran gewöhnen. Zugleich muß er aber auch alle Schönheiten der mannichfaltigen Cäsur ausdrücken, mit welcher der freye Rhythmus in das Versmaaß eingreift. Der Deklamator muß den Vers durch Hauptcäsuren ungleich eintheilen, doch in jeder so abgeschnittnen Tonreihe das metrische Gesetz hören lassen. Hat der Dichter eine Hauptcäsur zu viel gebraucht, muß der Deklamator dies freylich verbergen. Auch durch besondre Nebencäsuren, welche von den kunstmäßigen Hauptfüßen verschiedene Wortfüße bilden, muß er das Metrum zuweilen aufheben, jedoch den regelmäßigen Gang immer wieder herstellen. Was für Worte der Empfindung nach metrisch zusammen gehören, um einen vom künstlichen Fuß verschiedenen Wortfuß hervorzubringen, darüber wird dem Deklamator mehr die Natur, als die Regel Auskunft geben. So wird jeder Vorleser von Gefühl den Vers des Homer Il. α. 52 durch eine Nebencäsur folgendermaßen theilen: Βαλλ '| αἰει δε πυραι νεκυων καιοντο θαμειαι. Er wird den letzten Theil des Verses ohne alle weitere Cäsur lesen, weil dadurch das Bild der immer fort brennenden Scheiterhaufen am besten ausgedrückt wird. Die Elegie von Klopstock: Die künftige Geliebte, endet mit folgendem Distichon: Kaum daß noch die fühlende selbst, die unsterbliche Seele ganz die | volle Gewalt | dieser Empfindungen faßt. Wollte446 man kunstmäßig scandiren, so müßte man folgendermaßen lesen: | gānz dīe | vōllĕ | walt u. s. w. Aber der bessere Deklamator wird lesen: | vōllĕ Gĕwālt |. Hieraus entsteht ein Wortfuß, der von dem herrschenden künstlichen Fuße unterschieden ist, ein Choriambus, und dieser drückt den Sinn am besten aus. d) Endlich muß der Deklamator sowohl durch die Qualität des Tons, als auch durch die Art und Geschwindigkeit, wie er die Stimme bewegt, eine gewisse Harmonie des Klanges mit den Empfindungen, die der Jnhalt des Gedichts sind, zu erreichen suchen. Es ist eine ausgemachte Sache, daß die einzelnen Töne an sich der Empfindung nach verschieden sind, der eine fröhlicher klingt, der andere trauriger. Die Zärtlichkeit hat ihren Ton, wie der Abscheu. Diese Qualität des Tons muß der Deklamator dem Jnhalte des Gedichts anpassen, einen gewissen Hauptton annehmen, und innerhalb desselben die Stimme besonders modificiren, da er eine plötzliche Erhöhung und Vertiefung der Töne, und den Uebergang aus einem in den andern völlig in seiner Gewalt hat. Aber auch auf die harmonische Bewegung der Stimme kommt viel an, um die jedesmalige Gemüthsstimmung auszudrücken. Die Stimme bewegt sich bey heftigen Empfindungen schneller, beym Scherz, bey Empfindungen der Grazie leichter, nachlässiger, beym Großen langsam, schwer. Beym Starken wird mit Nachdruck accentuirt. Auch kommt die Schwäche und Stärke des Tons in Anschlag. Alles dieses lernt sich447 leichter durch Uebung, als nach Regeln. So fest und bestimmt auch die Grundsätze der Deklamation im Allgemeinen sind, so schwer läßt sich das Einzelne aus ihnen theoretisch entwickeln, ohne die Beyspiele bey der Hand zu haben.

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Viertes Kapitel. Von den Dichtungsarten, oder den besondern Materien und Formen der Poesie, überhaupt.

§. 1.

Die allgemeine Materie der Poesie ist das Schöne, die allgemeine Form die Sprache. Diese Materie und diese Form sind nothwendig. Sie müssen sich bey jedem poetischen Werke vorfinden. Nun giebt es aber auch zufällige Materien und Formen der Poesie, d. h. Gedanken besondern Jnhalts, an denen sich das Schöne darstellt, und besondere Formen, welche die poetische Sprache jenen Materien zufolge annimmt. Diese zufälligen Materien und Formen der Poesie heißen Dichtungsarten.

§. 2.

Der Erfahrung nach giebt es der Dichtungsarten unzählige, und es ist um so weniger eine Classification449 derselben möglich, je willkührlicher der Sprachgebrauch in ihren Benennungen ist, je öfter die poetischen Werke mehr als eine zufällige Form mit einander vereinigen. Wenn aber die Poetik als eine Theorie angesehen wird, welche aus der rationalen Psychologie gewisse Grundsätze entlehnt, dieselben a priori, jedoch nur als Hypothesen aufstellt, und nach ihnen den Erfahrungsstoff zu erklären sucht, so müssen sich, jenen Hypothesen zufolge, auch Eintheilungsgründe a priori auffinden lassen, um die Dichtungsarten zu classifiziren. Entsprechen die vorhandenen Data der Erfahrung jenen allgemeinen Klassen, und lassen sie sich unter dieselben bringen, so ergiebt sich daraus die Bequemlichkeit der Hypothese, und man kann nach dieser Probe annehmen, daß richtig gerechnet war.

Anmerk. Der Sprachgebrauch der Theoretiker befolgt bey Benennung und Eintheilung der Dichtungsarten gewöhnlich die Regel a potiori fit denominatio. Man sieht auf den Hauptzweck des Dichters. So heißt Wielands Musarion ein Lehrgedicht, jedoch in eine Erzählung eingekleidet. So giebt es Pastoralen, Schauspiele, die man Jdyllen nennt, wo sich mehrere Materien, Geschichte und Schilderung einer Jdyllenwelt vereinigen. Man nennt sie aber Jdyllen, weil dies der Hauptzweck ist, und das Schauspiel oder die Geschichte nur Nebensache.

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§. 3.

Die Hauptabtheilung der Dichtungsarten entspringt daraus, daß die Poesie eine Materie und eine Form hat. Es wird also besondere Materien oder Gegenstände des dichterischen Schönen geben, und diese werden besondre Dichtungsarten veranlassen, und es wird besondre Formen oder Modificationen der dichterischen Sprache geben, und auch diese werden eigene Benennungen von Dichtungsarten veranlassen.

§. 4.

I) Eintheilungen der Poesie nach ihrer Materie.

Nach den bereits in den vorhergehenden Kapiteln festgestellten höchsten Grundsätzen der rationalen Psychologie, oder des Wissens überhaupt, offenbart sich dem Menschen, als Urthatsache seiner vernünftigen Existenz, ein religiöses Gewissen, d. h. die unbedingte, alle seine Vorstellungen begleitende Anforderung, sich einer absolut nothwendigen Gesetzlichkeit durch Handlungen bewußt zu werden.

Da der Mensch durch Handlungen erst zum Bewußtseyn kommen soll, da an ihm eine Anforderung451 geschieht, erst gesetzlich zu werden, so ist er ein endliches Wesen, das der Objekte außer sich bedarf, um zum Bewußtseyn zu kommen. Er hat also nicht blos Agilität, sondern auch Receptivität oder Bedürfniß außer sich in Raum und Zeit anzuschaun. Er muß über die Folgen seiner Handlungen in der Sinnenwelt reflektiren, sie mit der praktischen Anforderung in sich vergleichen können. Der mit dem Verstande über bestimmte Objekte reflektirende Mensch, welcher darinnen die absolute Gesetzlichkeit zu erkennen sucht, findet nun zwar in den Erscheinungsobjekten eine Art von Gesetzlichkeit. Sie ist aber nur hypothetisch nothwendig, wie alles Wissen a posteriori. Denn alle Erscheinungsobjekte sind endlich bedingt. Die absolute Gesetzlichkeit hingegen selbst, welche zugleich Freyheit von allem hypothetisch Nothwendigen oder zufällig Objektiven seyn soll, ist eben deswegen äußerlich nicht darstellbar noch begreiflich für den Verstand, weil die praktische Anforderung, sie in Handlungen darzustellen, immer wiederkehrt. Der Mensch findet also sein Jnneres entzweyt, die Thatsache a priori verlangt Realisirung eines unendlichen Objekts, und die Thatsachen a posteriori geben nur endliche Objekte. Die Thatsache a priori verlangt das Bewußtseyn der absoluten Nothwenkeit452 mittelst der Objekte, die Thatsachen a posteriori liefern für den Verstand blos zufällige, oder welches dasselbe ist, hypothetisch nothwendige Objekte. Dieser ewige Widerspruch zwischen dem, was begreiflich geschieht, und dem, was geschehen soll, würde das religiöse Gewissen als eine praktische Anforderung zum handeln selbst zerstören, wenn er nicht aufgehoben werden könnte. Der Mensch würde das gesetzliche Handeln, alles Realisiren und Objektivisiren als fruchtlos aufgeben, wenn die Schranken, welche der Verstand zwischen dem Objektiven und Subjektiven setzt, unumstößlich wären. Soll also das religiöse Gewissen nicht als ein ewiger Widerspruch erscheinen, so bedarf es, um dasselbe zu unterstützen, noch einer höhern Fähigkeit, als der Verstand ist, welche den religiösen Glauben giebt. So wie das religiöse Gewissen uns die Gesetzlichkeit des Subjektiven verkündet, so hält der religiöse Glaube uns an das Objektive gefesselt, zeigt die Harmonie des Objektiven mit dem Subjektiven, erhält uns in dem Vertraun, daß das Objektive zur Darstellung der innern Gesetzlichkeit unumgänglich gehöre, und stärkt uns im Handeln. Soll die Erscheinungswelt in Harmonie mit der innern Gesetzgebung seyn, so muß in453 ihrer Bedingtheit und Beschränktheit, ein Wiederschein von der innern Freyheit, in ihrer Zufälligkeit ein Wiederschein von der absoluten Nothwendigkeit gefunden werden. Die Jdentität des Jnnern und Aeußern ist von dem Verstande nicht erkennbar. Denn er kann nur unterscheiden und trennen, er kann nur Objekte begreifen. Die Unendlichkeit aber in Objekten ist eben als Unendlichkeit unbegreiflich. Der religiöse Glaube beruht also nicht auf dem Verstande, sondern auf einem höhern Gefühl, welches nicht durch systematisches Raisonniren erlangt werden kann. Der Verstand kann dasselbe nur postuliren, um den Widerspruch in der menschlichen Natur aufzuheben. Er selbst kann es aber nicht geben. Der religiöse Glaube ist also nicht, wie Kant meynt, die postulirte Annahme eines aus Begriffen bestehenden Satzes, der theoretisch eigentlich keine Bedeutung hat, sondern eine postulirte Gemüthsstimmung, alles Zeitliche als ein Symbol von ewigen Jdeen anzusehen, in den Objekten selbst das Ewige zu finden. Dieses a priori postulirte Gefühl trifft mit dem überein, was man a posteriori das Gefühl des Schönen nennt, im reinsten, heiligsten Sinne dieses Worts. Mithin ist der religiöse Glaube eine ästhetische Gemüthsstimmung, welche nur454 durch einen höhern Geist erweckt werden kann. Jndem der religiöse Glaube uns die Objektenwelt unter dem Wiederschein der subjektiven Gesetzlichkeit zeigt, söhnt er uns mit dem Objektiven wieder aus, von dem uns der Verstand trennte, und erweckt mittelst der Schönheit eine Sehnsucht in uns zum Handeln oder objektiven Darstellen der Jdeen, welche Liebe heißt. Jn Beziehung auf das Handeln heißt also der postulirte religiöse Glaube, als Gemüthsstimmung, Religion der Liebe.

Da durch das religiöse Gewissen eine Anforderung an uns geschieht, uns in das höhere Bewußtseyn einer allgemeinen Gesetzlichkeit aufnehmen zu lassen, so ist unser Jch als endliches Wesen von dem allgemeinen gesetzlichen Bewußtseyn unterschieden. Das allgemeine gesetzliche Bewußtseyn offenbart sich also in unserm religiösen Gewissen als eine höhere von uns unterschiedene Einheit, zu deren Gemeinschaft wir emporstreben sollen. Dieses gesetzliche, im religiösen Gewissen verkündete und von uns unterschiedene Seyn, dieses heilige gesetzliche Wesen nennen wir Gott.

Da durch den religiösen Glauben ein Gefühl von Harmonie der Objekte mit dem, was geschehen455 soll, der Erscheinungswelt mit den Anforderungen des Geistes in uns erweckt wird, das religiöse Gewissen aber die Hervorbringung der Objekte um des absolut nothwendigen Bewußtseyns willen gebietet, so bestätigt der religiöse Glaube, was schon das religiöse Gewissen andeutet, daß die Objekte dem allgemeinen gesetzlichen Bewußtseyn unterworfen sind. Gott offenbart sich also im religiösen Glauben als Beherrscher der Erscheinungswelt.

Der Mensch nennt das Objektive, was er vor sich in der Zeit als vergangen denkt, Geschichte. Jn so fern er sie sich durch den Verstand zu erklären sucht, ist sie menschliche Geschichte und eine Sache der Erfahrung. Jn so fern aber der religiöse Glaube die Erscheinungswelt als ein der idealen Gesetzlichkeit unterworfenes und von ihr regiertes Ganzes ansieht, so postulirt der religiöse Glaube eine allgemeine Weltgeschichte. Diese läßt sich nicht mehr von dem Verstande erklären. Sie geht also in das Wunderbare über. Diese allgemeine ideale Weltgeschichte, welche die Begebenheiten der Erscheinungswelt in der Zeit unter göttlicher Leitung darstellt, ist nur durch eine religiöse Ansicht möglich. Sie ist keine menschliche Ge =456 schichte, sondern eine göttliche. Man hat also bisher ganz geirrt, wenn man eine sogenannte Universalhistorie mit der menschlichen Geschichte zusammen warf. Beyde müssen nach verschiedenen Prinzipien betrachtet werden. Die menschliche Geschichte ist ein äußerst beschränktes Wissen a posteriori. Die Weltgeschichte, welcher jene unterworfen seyn muß, ist ein Gegenstand des religiösen Glaubens.

Der Mensch pflanzt auf die folgenden Generationen seine Jdeen durch die Sprache, durch mündliche und schriftliche Ueberlieferungen fort. Es wird also, wenn es eine religiöse Weltgeschichte giebt, dieselbe durch die Sprache, als das einzige Mittel der Ueberlieferung, erhalten werden. Da diese Weltgeschichte ideal, d. h. wunderbar und für den Verstand unbegreiflich ist, die Darstellung des Jdealen durch die Sprache aber von uns Poesie im höchsten heiligsten Sinne des Worts genannt wurde, so postulirt der religiöse Glaube eine ideale Weltgeschichte, die uns durch höhere Begeisterung überliefert wird, eine Darstellung der Zeitbegebenheiten mittest der Sprache nach einer religiösen Ansicht, mithin eine göttliche Poesie.

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Die Traditionen einer religiösen Weltgeschichte nennt man Offenbarung im engsten Sinne des Worts. Mithin hieße jene postulirte Poesie auch Offenbarungspoesie.

Es wird also schon nach der rationalen Psychologie a priori eine Eintheilung der Poesie postulirt in göttliche und menschliche Poesie, und wird erwartet, daß ein solches Datum in der Erfahrung vorgefunden werde.

Die Materie macht der Unterscheidungsgrund. Die göttliche Poesie hat zum Jnhalt eine offenbarte göttliche Weltgeschichte, wo sich Gott, das gesetzliche Wesen, zugleich als Urheber der Erscheinungswelt, Lenker der menschlichen Schicksale ankündigt, und die Menschheit zu seiner Gemeinschaft einladet, indem er sie durch Erziehung immer fähiger macht, zum Bewußtseyn der allgemeinen Gesetzlichkeit zu gelangen.

Anmerk. 1. Wenn es das höchste Bedürfniß eines jeden einzelnen Menschen ist, der nicht blos für den Augenblick lebt, in seinen mannichfaltigen Schicksalen Einheit und Bestimmung, in seinen Austrengungen Zweckmäßigkeit zu finden, und seine Wirksamkeit unter höherer Leitung mit Erfolg belohnt zu sehen, wie unentbehrlich muß der gesammten458 Menschheit nicht eine solche Uebersicht ihrer Geschichte seyn! So wenig der einzelne Mensch, wenn er sein eigenes Schicksal mit dem Verstande begreifen und erklären will, trotz alles Raisonnirens über den Gang einer Vorsehung, Trost findet, und nur die Augenblicke seines Daseyns für selig erkennt, wo er sich mit religiösem Glauben dem unerforschlichen Grundquell des Ganzen hingiebt, eben so wenig kann sich die ganze Menschheit mit einer blos historischen, von dem Menschenverstand geordneten Ansicht der Weltbegebenheiten genügen lassen. Nur durch ein völliges Ermatten aller höheren Seelenkräfte ist es begreiflich, wie gemeine und seichte Köpfe dem Menschen das Jnteresse für eine religiöse Weltgeschichte haben hinwegschwatzen können, das so tief in unserer Natur gegründet ist. Die menschliche Geschichte, welche die Begebenheiten aus den nähern Ursachen sowohl psychologisch als physisch zu erklären sucht, erscheint schon dann so ganz lückenhaft und unvollkommen, wenn sie Geschichte der Zeit und des gegenwärtigen Augenblicks ist. Um wie viel mehr wird sie nicht zu einem erbärmlichen Flickwerk, wenn sie sich an die Darstellung eines größern Ganzen wagt. Gesetzt auch, daß es ihr gelänge, das Wundervolle aus manchen einzelnen Begebenheiten hinweg zu raisonniren, was hat sie weiter gethan, als die unentbehrliche Jdee des Wunderbaren weiter hinaus geschoben? Wo das ganze Daseyn ein unerforschliches Wunder ist, muß der menschliche Verstand seine Ohnmacht eingestehen, und die Belehrung des Menschengeschlechts einer höhern, vom Schicksal selbst459 veranlaßten Begeisterung überlassen, welche die gesetzliche Organisation des Ganzen auch in den mannichfaltigen Zeitbegebenheiten ahnen läßt. Gott, sagt ein heiliger Schriftsteller, hat die Welt geschaffen, und sie dem menschlichen Unverstande zur Beurtheilung übergeben. Tradidit mundum disputationi eorum. Aber ein andrer heiliger Schriftsteller sagt auch: Suchet Gott und er wird sich finden lassen. Und nichts ist auch trostreicher, als die psychologische Wahrheit, die jede Erfahrung bestätigt, daß schon die Sehnsucht nach religiösem Glauben zu einer religiösen Ueberzeugung führt, welche sich nicht rauben läßt. Der Jmperativ des religiösen Gewissens kann in dem Augenblick des Handelns den Menschen bestimmen. Es begründet die ganze Sphäre unsres Wissens. Allein Gewissen sowohl als Wissen erhält uns in einem Zwange, der keine höhere Ansicht des Lebens zuläßt. Was hilft es, daß unsre neuern Moralphilosophieen, nachdem sie die Sinnlichkeit des Menschen erst niederschlugen, ihr hintennach sinnliche Belohnungen versprechen, die wir schon zu verachten lernten, und dieses Versprechen noch dazu nur als Postulate aufstellen? Was hilft es, daß Kant den Menschen ein Moralgesetz auferlegt, und ihnen nicht einmal nach seiner Theorie die Ueberzeugung im Bewußtseyn als möglich gestatten kann, daß sie moralisch gehandelt haben? Der Fehler unsrer Moralphilosophieen liegt darinnen, daß sie die Religion nicht kannten, daß sie die Quelle von Ueberzeugung nicht kannten, welche weder von Erkenntniß und sinnlicher Anschauung, noch von460 Verstandespostulaten stammt, sondern in einer ästhetischen Evidenz gegründet ist, mit der die sich selbst suchende unsichtbare Vernunft an sich selbst glaubt? Der nach dem religiösen Gewissen handelnde Mensch weiß im Augenblicke der Handlung, daß Gott, das gute Prinzip, durch ihn handle. Aber der contemplative, über die Objekte reflektirende Mensch weiß es nicht. Dieser muß glauben, d. h. er muß ästhetisch fühlen, daß ein gutes Prinzip in ihm gehandelt habe. Die Form der Gesetzlichkeit muß ihm sowohl aus den übrigen Objekten, wie aus seinem Jch, das ihm auch Objekt wird, wiederstrahlen. Der contemplative Mensch muß an sich selbst glauben, er muß an die Gesetzlichkeit der Welt glauben, er muß an den selbstständigen Grund aller Heiligkeit glauben, den er Gott nennt. Der Himmel, den ihn dieser religiöse Glaube aufschließt, ist mehr als nur ein Jnbegriff sinnlicher Belohnung. Es ist der nothwendige Gegenstand der Geistesconsequenz, ohne den es überhaupt gar keine vernünftige Bestimmung giebt. Nur allein diese Religion erhebt die durch das Gesetz niedergeschlagene Receptivität oder Sinnlichkeit wieder. Durch diese Religion allein erblickt der gute Mensch erst seine eigene Hoheit. Er sieht ein, daß er durch sein moralisches Handeln, indem er Gottes Werk that, diesen Gott verherrlicht habe, und daß ihn dieser Gott zum Mitgenossen seiner Herrlichkeit machte. Er fühlt, daß er kein Knecht, sondern ein Kind Gottes sey. Er fühlt, daß er selig und gerecht werde, ohne des Gesetzes Werk, allein durch den461 Glauben. Der Zwang des Gewissens stellt das Leben als etwas durchaus Bestimmbares dar, welches erklärt werden kann nach logischer Nothwendigkeit. Der religiöse Glaube verwandelt das Leben in eine heilige Poesie, welche eine Theilhaberin ist der göttlichen Freyheit. Aus dem Standpunkte des moralischen Gewissens ist das Leben, als beschränktes Objekt, wie alles Objektive, ohne Werth, es ist ein vergängliches nichtiges Gut, das Gut dieser Welt, die zufällige Materie, welche blos der gesetzlichen Form wegen da ist. Aus dem Standpunkte des religiösen Glaubens ist das Leben als Objekt ein unendliches Objekt. Es erscheint als der Wiederstrahl der ewigen Gesetzlichkeit, als der höchste Gegenstand unsrer Liebe, es ist das ewige Symbol der unsichtbaren Göttlichkeit. Es ist das Gut der bessern Welt, das unvergängliche Erbe des Himmels. Die Erkenntniß, sagt Paulus, hört auf. Die Liebe bleibt. Alle Dinge des Lebens sind also nur in sofern von Werth, in wiefern sie ein Wiederstrahl des Ewigen sind. Jedes Objekt ist hinfällig. Nur allein das Schöne am Objekt ist bleibend, weil dieses allein das unendliche Objekt selbst, das Bild der subjektiven Gesetzlichkeit ist. Durch das Wissen und Erkennen wird alles außer uns in Nichts verwandelt, durch das ästhetische Gefühl liegt außer uns eine unendliche Herrlichkeit, ein Abglanz des innern Gottes. Wenn also schon der einzelne Mensch sich hüten muß, daß er seinem Leben nicht die Poesie, die Ansicht des Schönen raube, welche diesem Leben für die Contemplation462 allein Werth giebt, (gleichwie die Moralität im Augenblick des Handelns,) so ist es noch weit mehr Bedürfniß der Menschheit überhaupt, die Weltbegebenheiten im Ganzen nicht historisch und physisch zu erforschen, denn dann verwandelt sich die Schöpfung in ein leeres Gerippe, sondern poetisch unter einer religiösen Ansicht des Glaubens zu betrachten. Nur allein dadurch bekömmt die Geschichte einen Werth, eine Hoheit, die sie über den zufälligen wandelbaren Charakter der Zeitlichkeit erhebt. Wer es wagt, mit menschlichen Augen des Verstandes die Begebenheiten des irdischen Daseyns umfassen zu wollen, der wird für diese Keckheit mit einer Gemüthsstimmung gestraft, welcher er gewiß gern überhoben wäre. Er muß ausrufen, wie der Prediger Salomonis: Und des Volks, das vor mir ging, war kein Ende, und deß das nachging. Und wurden doch nicht froh des Lebens. Denn alles ist eitel und Jammer. Der Wind geht gen Mittag und kommt herum zur Mitternacht, und wieder herum an den Ort, da er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, noch wird das Meer nicht völler. An dem Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder hin. Mag für einen Augenblick der weltliche Glanz der Geschichte blendend seyn. Mag es selbst eine ästhetische Empfindung von Größe geben, die Völkerschaften in ewigem Kreislanfe einander verschlingen zu sehen. Das planlose ewige Einerley ermüdet. Die Empfindung der Größe ist eine unvollendete ästhetische Empfindung, die nichts als Gleichgültigkeit zurückläßt, wenn nicht das Erhabene dazu kommt. Jedes Große ist wieder klein. Denn es463 wird von einem höhern Maaße verschlungen. Nur allein das Erhabene hat nichts über sich. Es ist das Gefühl, das der Allerhöchste in uns wiederstrahlt. So wie also das Leben des einzelnen Menschen ein Jnbegriff eitler vergänglicher nichtiger Objekte ist, wenn es nicht unter religiöser Ansicht als das unendliche Objekt, als die ewige Schönheit erscheint, eben so sinken Königreiche und Welteroberungen in Nichts, und die Welt selbst vergeht wie ein Schatten, wenn der Weltgeschichte das Wunder der Religion geraubt wird. Tausend Octaviane können wieder geboren werden und auf dem nie ganz unschuldigen Wege voll fremden Blutes den Thron der Erde besteigen. Das Bild ist schimmernd. Doch kann es die Seele nicht füllen, dem Herzen nicht Ruhe geben. Aber ein Christus, der, aufgerufen von allen Weissagungen des höhern Schicksals, in sich das Jdeal der höchsten Gesetzlichkeit, die Gottheit findet, die Geschichte des Himmels an die Geschichte der Erde knüpft, und mit seinem eignen Blute die Herrschaft der unsterblichen Geister erobert, ist der einzige helle und bleibende Punkt in dem nächtlichen Strome der Zeiten. Mag seine Lehre in der Folge mißverstanden und durch Verbrecher entweiht worden seyn. Was entheiligen die Menschen nicht? Sie selbst ist rein, wie der, welcher sich für uns alle heiligte, auf daß wir heilig würden, wie Er. Sie ist der höchste Schwung, den das Leben nehmen kann. Sie schwebt, wie ein erhabenes Geheimniß über das Ganze. Das Ganze hat nur Plan und Einheit durch sie und für sie. Genug, daß sie da464 ist, und daß sie wirken, daß das Band ihrer Liebe die Gemüther zusammenhalten kann. Sie ist die ewige Schönheit selbst, der Abglanz Gottes. Der ganze Weltlauf ist durch sie eine höhere Poesie geworden, die die Seelen mit himmlischer Ruhe füllt. Ohne sie sinkt die Welt, als ein beschränktes endliches Verstandesobjekt, in den Staub. Doch ohne jetzt weiter aus einander zu setzen, was erst späterhin einleuchtend werden wird, daß die von der rationalen Psychologie postulirte religiöse Weltgeschichte, allen ihren Erfordernissen nach, mit der christlichen Ansicht der Dinge übereinstimme; wollen wir hier nur diese religiöse Weltgeschichte überhaupt als ein Requisitum des religiösen Glaubens aufstellen, welches a priori unabhängig von aller Erfahrung geschehen kann. Daß keine menschliche historische Kritik diejenigen stöhren könne, welche das Bedürfniß nach dieser religiösen Ansicht empfinden, ist aus der Jdee der Weltgeschichte an sich klar. Die Welt ist eine Vernunftidee, die von dem Verstand nicht begriffen noch erklärt werden kann. Jhre Geschichte bezieht sich auf eine Einheit, die über die Gesetze der Sinnenwelt hinaus geht. Die Weltgeschichte ist also für den Verstand Wunder, wie alles, was er nicht zu begreifen noch zu erklären vermag. Der Verstand kann das Unbegreifliche unwahrscheinlich finden. Er kann aber, um das Unbegreifliche zu erklären, keine größere Wahrscheinlichkeit an die Stelle setzen. Die Weltgeschichte muß also der physischen sinnlichen Ansicht entrückt werden, sich an die höhere ideale Wahrheit anschließen. Sie kann sich,465 wie alles Uebersinnliche, nicht blos für die Sinne, sondern für das Auge höherer Begeisterung offenbaren. Sie ist also poetisch und nicht blos eine physische Wahrnehmung, die von dem Verstande geordnet wird. Durch sie offenbart sich das gesetzliche Wesen als eine höhere Einheit, welche die Zeiten zusammen hält, wie sich dasselbe durch die Natur ahnen läßt. Nur allein Seelen können den zusammenhängenden Gang der Zeiten empfinden, also ist die Weltgeschichte eine Geschichte für die Seele; nicht für die physische Welt, sondern für die moralische. Menschliche Denkmähler und Urkunden können die Gedanken des Menschen überliefern, aber der Mensch muß sich in den Gedanken der Vorwelt erst selbst wiederfinden, wenn er die Denkmähler entziffern soll. Gott konnte auf Sinai donnern. Aber der Mensch mußte ihn verstehen. Der Glaube an eine religiöse Weltgeschichte ist also mehr denn ein blos physischer Realglaube an vergangene sinnliche Eindrücke, wozu ihn seine Verächter so gern herabwürdigen möchten, es ist ein mystischer Glaube, der durch eine höhere Begeisterung erweckt wird, in welcher sich die profanen Augen schließen, (μυω oculos claudo) um das Unsichtbare anzuschauen und den Gang des Ewigen zu hören. Diejenigen Feinde der Religion, welche, als historische Skeptiker, über sie spotten, sind Witzlinge, welche die idealen Wahrheiten nicht verstehen. Sie sind als schlechte oder verschrobene Köpfe mehr zu bemitleiden, denn als schlechte Herzen zu verdammen. Sie haben nicht philosophische Einsicht genug, das Ganze zu übersehen, und nicht ästhetischen Sinn466 genug, das Erhabene darinnen zu fassen. Sie gehören zu den Berufenen, aber nicht zu den Eingeweihten. Die Mystik der Eingeweihten erfordert aber auch keinen besondern Sinn, enthält kein besonderes Geheimniß, dessen nicht alle Menschen fähig wären. Sie ist die natürliche Mystik, welche hohe Seelen von gemeinen, denkende von nichtdenkenden, begeisterte von sinnlichen Menschen scheidet. Mag die menschliche sogenannte Weltgeschichte die unbekannten Größen, das x in die Historie einführen. Sie thut wohl daran, in so fern sie menschlich ist, und menschlich rechnet. Aber wo ihre unbekannten Länder angehen, da herrscht der religiöse Glaube. Wo die historischen Denkmähler aufhören, beginnen die poetischen, welche bis zur Wiege der Sprache selbst hinauf gehen. Der Donner verhallt, sagt Klopstock, der Sturm braust weg, das Säuseln verweht. Mit langen Jahrhunderten strömt die Sprache der Menschen fort, und verkündet jeden Augenblick, was Jehova geredet hat. Die Sprache selbst, da sie nicht als ein Werk der Ueberlegung oder menschlichen Uebereinkunft angesehen werden kann, da sie über den Verstand weit hinaus geht, ist eine poetische Organisation des Geistes, welche als ein Wunder angesehen werden muß. Auch viele heidnische Philosophen, wie wir aus dem Cratylus des Plato lernen, behaupteten, es gäbe gewisse Urworte, von mehr als menschlicher Erfindung dem Sterblichen aus dem Quelle der Wahrheit mitgetheilt. Sprache, Poesie und Offenbarungstraditionen sind also Dinge, welche das Schicksal des Menschengeschlechts nach einem höhern467 Rathschlusse eng mit einander vereinigte und die Annahme einer göttlichen Weltgeschichte rechtfertigen. Daß den Zusammenhang dieser Behauptungen die halb hellen Köpfe nicht einsehen, für welche der gemeine Menschenverstand und der Glaube, der in die Hand kommt, alles ist, darüber kann man ganz ruhig seyn. Es ist von je her so gewesen. Nam et tenebrae proponentur lumini, et mors vita utilior iudicabitur. Nemo suspiciet coelum. Religiosus pro insano, irreligiosus putabitur prudens. ( Wer sich unter euch dünket weise zu seyn, der werde ein Narr in dieser Welt, daß er möge weise seyn. Paulus an d. Corinther K. 3. V. 18.) Anima et omnia circum eam, quibus aut mortalis nata est, aut immortalitatem se consecuturam esse praesumit, non solum risus, sed etiam putabitur vanitas. Etiam periculum capitale constituitur in eum, qui se mentis religioni dederit. Nihil sanctum, nec coelo nec coelestibus dignum audietur, aut mente credetur. Fit deorum ab hominibus dolenda secessio. Soli nocentes angeli remanent, qui humanitati commisti ad omnia audaciae mala miseros compellent in bella, in rapinas, in fraudes, et in omnia, quae sunt animarum naturae contraria. Non foecunda erit tellus. Aer ipse moesto torpore languescet. Haec et talis senectus veniet. Mundi irreligio, et inordinatio, et irrationabilitas bonorum omnium. Mercurii Trismegisti Asclepius Apuleio interprete.

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Anmerk. 2. Die neuere Philosophie hat auch viele Untersuchungen über die Offenbarung angestellt, aber den Begriff der Offenbarung im engern Sinne ganz verfehlt. Gewöhnlich definirte man: Offenbarung als ein besonderes Factum in der Sinnenwelt, wodurch sich Gott als ein moralischer Gesetzgeber ankündige. So wäre die Offenbarung etwas höchst Zufälliges. Jst dieser Begriff a posteriori abstrahirt, so ist er falsch. Denn das, was die Menschen Offenbarung nennen, enthält mehr, und entspricht ganz dem von uns aufgestellten. Jst der Begriff a priori gebildet, so ist er ganz unzulänglich und der Vernunft zuwider. Ein Factum in der Sinnenwelt allein ist in Beziehung auf die Moralität nichts. Denn die Moralität ist etwas Uebersinnliches. Offenbarung muß zu gleicher Zeit eine Thatsache in der Seelenwelt seyn. Ueberdem postulirt die Vernunft mehr, als so ein einzelnes Factum, das man, nach jener Theorie, historisch annehmen, und auch nicht annehmen kann, mehr als eine Gesetzgebung, welche schon durch das innere Gefühl fest steht. Sie verlangt die Darstellung der ganzen Weltgeschichte nach idealen Ansichten, sie verlangt für den Menschen die Evidenz, daß die ganze Sinnenwelt unter der Leitung Gottes stehe und nach moralischen Zwecken regiert werde. Die Offenbarung begleitet alle Weltbegebenheiten, soll immer fort ins Leben wirken, und als Geschichte in jedem Herzen fortgesetzt werden. Uebrigens läßt sich der Glaube an Offenbarung, eben deswegen, weil sie kein bloßes Factum in der Sinnenwelt ist, niemandem469 aufdringen, so wenig wie irgend ein ästhetisches Gefühl für das Erhabene dem, der es nicht fassen kann. Wer sich mit seiner Einbildungskraft nicht erheben kann, die Weltbegebenheiten als ein ideales Ganzes zu umfassen, wer für göttliche Jdeen keine Empfänglichkeit hat, wird durch keine Beweise zu stimmen seyn. Man kann ihn nur bedauern, daß ihm das höchste Gefühl des Lebens abgeht. Aber dies kann man beweisen, daß der Glaube an Offenbarung im engern Sinne nicht blos zufällig, sondern in der menschlichen Natur nothwendig gegründet sey, wie die Anlage zum ästhetischen Gefühl des höchsten Schönen.

§. 5.

Die menschliche Poesie läßt in Ansehung ihrer zufälligen Materie mehrere Unterabtheilungen zu. Die Empfindung des Schönen erscheint in den poetischen Werken entweder ohne alle bestimmte Materie als ganz frey und an keinen individuellen Gegenstand gebunden, oder der Dichter wählt sich willkührlich irgend einen individuellen Gegenstand, den er in Beziehung auf die zu erweckende Empfindung des Schönen darstellt. Dieser Gegenstand muß die Empfindung des Schönen nothwendig bey sich führen, indem sie an ihn fixirt ist. Er muß also eine poetisch objektivisirte Jdee (Jdeal), oder einer Vernunftidee470 wenigstens analog seyn. Die freye Poesie wollen wir die lyrische, die an Objekte fixirte Poesie die darstellende nennen.

Anmerk. 1. Der Ausdruck lyrisch stammt von der Musik und wird hier sehr passend angewandt. Gleichwie in der Musik durch die Töne in uns ein poetisches Bewußtseyn erregt wird, das durch keine bestimmten Begriffe gefesselt ist, so scheint der lyrische Dichter nur im Allgemeinen zu einer schönen Empfindung gestimmt, der zufolge er eine ganz freye Gedankenreihe in sich entstehen läßt. Sehr oft beginnen daher die Odendichter mit einem Anruf an die Musen, die sie zu willkührlichem Gesange begeistern sollen. Man könnte einwenden, daß selbst lyrische Dichter oft durch besondere Vorfälle zu Gedichten veranlaßt werden. Z. B. Horaz durch den Umsturz des Baums, Pindar durch den Sieg Hierons im Wettrennen. Allein diese Vorfälle geben dem lyrischen Dichter, als solchem, nur die ästhetische Stimmung, binden aber nicht seine Gedankenreihe. Darum verweilte Simonides nicht bey der Schilderung der Thaten des Kämpfers, den er besingen wollte, sondern ging auf die Geschichte von Castor und Pollux über. Darum verwebt Pindar so viel willkührliche Jdeen in seine Siegeshymnen. Die Natur der lyrischen Poesie bringt dies so mit sich, in der die Gedankenreihe als völlig frey erscheinen soll. Da es ein höheres und ein niederes Schöne giebt, wird eine höhere und niedere lyrische Poesie statt finden. Jn beyden wird irgend eine von den oben classifizirten471 Untergattungen und Modificationen des Schönen herrschend seyn. Es wird also eben auch komische, satyrische, idyllische Gedichte u. s. w. lyrischer Art geben.

Anmerk. 2. Wir wählen den Ausdruck: darstellende Dichtkunst. Aristoteles und selbst Plato reden von einer nachahmenden Poesie. Allein die Gegenstände der wirklichen Welt sollen nicht blos nachgeahmt, sondern unter einem idealen Schein dargestellt werden, den sie für die Sinne allein nicht haben. Die Jllusion soll dadurch entstehen, daß etwas Wirkliches als ideal erscheint, nicht dadurch, daß etwas Jdeales dem Wirklichen gleicht. Dieser Begriff von Jllusion sollte immer mehr, selbst bey den dramatischen Darstellungen, zum Grunde gelegt werden, wiewohl das Publikum noch sehr an dem alten falschen Begriff von Jllusion hängt.

§. 6.

Die darstellende Poesie soll, um das Gefühl der Schönheit zu erwecken, bestimmte individuelle Objekte idealisiren, unter dem Schein der Jdeen aufführen. Das Wesen der darstellenden Poesie besteht also nicht blos in einem poetischen Styl, sondern in poetischen, d. h. idealisirten Objekten oder objektivisirten Jdeen (Jdealen). Nun sucht das Jdeale, wie wir oben bemerkt haben, unter vier objektiven Ansichten zu erscheinen. Als absolute Caussalität oder472 Freyheit, als absoluter Grund und Gegenstand aller Anschauung, Substanz, als absoluter Jnbegriff aller Begreiflichkeit, Totalität, als absolutes Selbstbewußtseyn durch die Objekte. Mithin wird alle darstellende Poesie bey Organisation ihrer Produkte nach einem von diesen vier Polen der Jdealität hinstreben müssen, welche für den metaphysischen Verstand wissenschaftlich unerreichbar sind. Sie wird entweder die Willensfreyheit in Thätigkeit, das absolut Bestimmende zeigen, historische Poesie, oder die Gegenstände ihrer unendlichen Schönheit nach, für die Anschauung (das Absolute im Werden) schildern, beschreibende Poesie, oder ein für Verstand und Vernunft begreifliches vollkommenes Ganzes von Regeln (System) aufstellen, und dadurch die Fähigkeit des Begreifens ihrer Schönheit nach schildern, didactische Poesie, oder sie wird das iunere Wesen der Vernunft, die höchste Gesetzlichkeit durch die Gegenstände, als Symbole desselben, auszudrükken suchen, allegorische Poesie.

Anmerk. 1. Es versteht sich, daß in dieser Eintheilung die höchsten Ziele der darstellenden Poesie gesteckt sind, welche durch die menschliche Natur selbst aufgegeben werden. Eben deswegen ist diese Eintheilung auch erschöpfend, und muß alle Erscheinungen des poetischen473 Geistes in sich begreifen, wenn sie auch nicht hinreicht, innerhalb dieser gesetzten Schranken das Einzelne zu klassifiziren, oder einzelne Erscheinungen in voraus zu berechnen. Weil es nun ein höheres und ein niederes Schöne giebt, wird die darstellende Poesie sich auch mit Objekten genügen lassen, die eine Analogie mit den vier Jdeal-Objekten des Geistes haben, und nur die Empfindung des niedern Schönen erwecken. Daher wird es auch historische Poesie geben, die nicht die höchste Willensfreyheit des Menschen im Kampfe zeigt, wie etwa Heldengedicht und Tragödie, sondern nur ein Analogon der Freyheit, das niedere Begehrungsvermögen in Thätigkeit darstellt, welches oft die Empfindung des Komischen, Satyrischen, Niedlichen, Sanften u. s. w. giebt. Es sind sogar historische Jdyllen möglich, wo der menschliche Wille als bestimmt durch einen schönen Naturtrieb erscheint, welches naive Empfindung erweckt. Eben so wird es eine beschreibende Poesie geben, deren Gegenstände nicht das Erhabene, das Große ausdrücken, (wie etwa Hallers Gedicht an die Ewigkeit, seine Alpen) die nicht gerade das Universum in seinen Ansichten zeigen, (wie Thomsons Jahrszeiten) sondern beschränkter sind, und die Gefühle des Niedlichen, des Sanften, des Naiven erregen. Es wird didactische Gedichte geben, die nicht das ganze Lehrgebäude des menschlichen Wissens umfassen, wie philosophische Lehrgedichte, sondern Regeln über einzelne Gegenstände in begreiflichem Zusammenhange darstellen. So kann es auch didactische Jdyllen geben, z. B. Georgika. So474 giebt es gnomische Dichtungen, Sittensprüche, Sentenzen u. s. w. Jmmer bezieht sich doch das poetische Produkt dieser Art auf die Darstellung der Begriffsfähigkeit unter idealer Form des Schönen. Endlich wird es auch allegorische Gedichte geben, die nur einzelne Wahrheiten und Begriffe bildlich darstellen, z. B. Aesopische Fabeln, la Strada della Gloria von Metastasio. Das Ziel der allegorischen Poesie ist aber erhabner, und hier liegen noch unentdeckte Welttheile für den poetischen Genius. Je mehr der Mensch zum intellectuellen Selbstbewußtseyn gelangt, desto mehr behandelt er alle Objekte nur als Symbole eines höhern rationalen Seyns. Die ganze Natur wird ihm ein Sinnbild der Gottheit. Vernunft und Phantasie gehen alsdann einen parallelen koncentrischen Kreisgang. Philosophie und Poesie arbeiten zusammen harmonisch, und doch getrennt, ohne einander ins Amt zu greifen. Nur erst, wenn das Menschengeschlecht sich aus dem durchforschten Gebiete des Wissens mit leichterm Selbstbewußtseyn wieder in das sanft dämmernde Gesilde der Schönheit zurücksehnt, kann die allegorische Poesie im höhern Sinne des Worts entstehen. Wenn das vom wissenschaftlichen Verstande lang unterdrückte Gefühl seine Rechte wieder fordert und zum Bedürfniß wird, ist es möglich, daß der menschliche Geist mit neuem Enthusiasmus aufstrebe, und in dem, was ihn in der Natur kalt ließ, weil er sich daran gewöhnte, noch unbekannte Reitze entdecke, weil er es nun als Hieroglyphe größerer Geheimnisse ansehen lernte. Die Poesie begann, als Jdylle, mit dem Naiven, sie sehnt sich nach ihm475 zurück, im rührend Schönen, und berührt das Naive wieder, indem sie das Erhabene erreicht, wenn sie sich als Allegorie vom Sentimentalen, mit dem sie amalgamirt war, wieder scheidet. Es ist begreiflich, warum man bisher die allegorische Poesie als eine Hauptgattung der Poesie gar nicht gekannt hat. Man hatte a posteriori keine Erfahrung davon. Denn in diesem Fache kann erst die Zukunft die Poesie bereichern, wenn die Verstandescultur, welche die Poesie unterdrückte, sie wieder von neuem aufruft. Das Wenige, was man von Allegorieen vor sich hatte, ließ sich leicht zur didaktischen Poesie schlagen, oder als Erscheinung einer poetischen Nebengattung aufführen. A priori konnte man diese Dichtungsart nicht ahnen, weil man das Prinzip der Eintheilung, die vier Vernunftideen, noch nicht kannte, durch welches sich ein neues Licht in der ganzen Aesthetik verbreiten wird.

Anmerk. 2. Die verschiedenen Untergattungen und Modificationen des Schönen, welche wir oben aufzählten, werden in diesen vier Hauptgattungen der darstellenden Dichtkunst abwechselnd herrschen und besondere Dichtungsarten bilden. So wird es z. B. satyrische Erzählungen und Handlungen, satyrische beschreibende Gedichte, satyrische Lehrgedichte (Sermonen) u. s. w. geben. Es sind scherzhafte Erzählungen und Handlungen (Comödien) möglich, wenn das Scherzhafte in der historischen Poesie herrscht. Es können scherzhafte Beschreibungen, Lehrgedichte, (z. B. Vidas Schachspiel) Allegorieen u. s. w. statt finden. Tragödie476 und Heldengedicht gehört zur erhabenen historischen Poesie. Das Epigramm, als Aufschrift, gehört zur darstellenden und zwar zur beschreibenden Poesie, wenn das Niedliche als herrschend angenommen wird u. s. w.

§. 7. II. Eintheilungen der Poesie ihrer Form nach.

Die nothwendige Form aller poetischen Werke ist die Sprache. Giebt es nun zufällige Formen, nach denen die Poesie eingetheilt werden kann, so müssen diese entweder in besondere Modificationen des dichterischen Vortrags, in Arten, wie die dichterische Sprache mitgetheilt wird, bestehen, oder es kommen zur dichterischen Sprache als Hauptform noch andere schöne Künste als zufällige Formen hinzu.

§. 8.

A) Die Mittheilung der dichterischen Jdeen durch die Sprache läßt verschiedene Modificationen zu. Entweder wird vom Dichter vorausgesetzt, es spreche nur Einer, und zwar entweder mündlich, oder gegen Abwesende schriftlich (poetische Briefe), oder es wird angenommen, daß Mehrere sprechen. Jn diesem Falle sprechen sie entweder abwechselnd, oder zugleich. Letzteres ist nicht anders denkbar,477 als wenn man voraussetzt, das Gedicht sey so eingerichtet, daß es von Mehreren gesungen werden könne. Dies giebt die Liederform. Sprechen Mehrere abwechselnd, so kann man dabey wieder zwey Fälle unterscheiden. Entweder die Personen, die abwechseln, sind blos als verschiedene Stimmen zu betrachten, ohne daß den redenden außer dem allgemeinen poetischen Charakter noch ein besonderer mitgetheilt wird, (z. B. Wechselgesänge, ἀμοιβαια) oder die abwechselnd redenden haben noch einen durch das Historische eines Gedichts näher bestimmten Charakter. Dies giebt die dramatisirenden Dichtungsarten.

Anmerk. Δραμα kommt von δραω facio. Also sollte der Ausdruck dramatisch eigentlich nur bey historischen Gedichten statt haben, wo um der Handlungen willen geredet wird. Jndeß findet man auch lyrische Gedichte, z. B. Horaz: donec gratus eram tibi, wo abwechselnd geredet wird, und wo die Personen, die abwechseln, besondre Charaktere haben, die zwar nicht handeln, aber doch historisch bestimmt sind, z. B. Horaz: Lydia. Auch Wechselgesänge, wie beym Virgil und Theocrit die der Schäfer, beym Horaz und Katull der Jünglinge und Mädchen, setzen doch einen besondern Charakter der Sänger voraus. Daphnis, in Theocrits achter Jdylle, hat einen andern Sinn, als Menalkas. Das Gedicht hat historische478 Einkleidung, besteht aber dem Hauptinhalt nach in einem lyrischen Wechselgesang. Katull giebt natürlich den Jünglingen andre Worte zum Lobe Hymens in den Mund, als den Mädchen. Nur in Gedichten, die ganz für die Musik gemacht sind, kann der Dichter vielleicht Stimmen abwechseln lassen, die nur musikalisch verschieden sind, z. B. in Kantaten. Doch auch hier wird die Baßstimme einen andern poetischen Charakter haben, als der Diskant. Jn den Psalmen wechseln oft Chöre ab, ohne daß man einen durchgeführten Unterschied in den Gedanken bemerken könnte. Allein auch diese Gedichte sind wahrscheinlich zu einem gottesdienstlichen musikalischen Endzweck verfertigt worden. Jn lyrischen Gedichten, die unabhängig von der Musik für sich selbst bestehen sollen, wäre es Fehler vom Dichter, der, als denkendes Wesen, seine Gedankenreihe logisch bestimmen muß, wenn er sich ganz ohne Grund mehrere Redende dächte. Wir wollen daher den Ausdruck: dramatisirende Dichtungsarten überall brauchen, wo auch ohne Handlung mehrere Redende abwechseln, weil dann doch auch eine Art historischer Sinnesverschiedenheit statt findet. So giebt es dramatisirte Oden, Jdyllen u. s. w. Von der dramatisirenden Poesie wollen wir dagegen die dramatische Poesie und das eigentliche Drama, wo wirkliche Handlung statt findet, ganz unterscheiden. Das Dramatisirte ist ein allgemeiner Gattungsbegriff vom Dramatischen. Die dramatisirende historische Poesie heißt dramatisch. Und das eigentliche Drama, eine vollkommne für das Schauspiel gedichtete479 Handlung, ist wieder eine Unterart der dramatischen Poesie.

§. 9.

B) Die Verbindung andrer Künste mit der Dichtkunst, die der Poesie mehrere zufällige Formen giebt, ist auch ein Grund zur Benennung und Unterscheidung von Dichtungsarten. So verbindet sich die Musik mit der Dichtkunst, und giebt Kantaten, Oratorien u. s. w. Die Ausdrücke: Sonnet, Madrigal u. s. w. womit besondere Reimsysteme angedeutet werden, sind auch ursprünglich musikalisch. So auch die Liederform. Jndeß bestehen manche Arten dieser Gedichte auch nun für sich ohne Musik, weswegen man sie gemeiniglich zur lyrischen Poesie zählt. Die Rücksicht auf eine mögliche Begleitung der Musik bestimmt aber doch ihr ganzes Wesen. Verbindet sich Mimik, Plastik u. s. w. mit der Poesie, so entsteht die Schauspielkunst. Die repräsentative Form der Schauspielkunst ist also von der dramatischen Form noch zu unterscheiden. Es läßt sich eine Schauspielkunst denken, die Begebenheiten blos darstellt, wie die beschreibende Dichtkunst, ohne eine eigentliche vollkommene Handlung auszudrücken. Die Recitationen der alten Rhapsoden waren eine lyrische Schauspielkunst. Die Form der Schauspielkunst ist480 also allgemein, und nicht nothwendig mit dem Drama verbunden. Zuweilen dient die Poesie auch als Nebenkunst andren Künsten, z. B. der Baukunst, Gartenkunst, durch Aufschriften. Bey der Oper sollte dies eigentlich nicht seyn.

Anmerk. 1. Man hat Schauspiele, welche poetisch ergötzen, und in denen doch die Regeln eines vollkommnen Drama nicht beobachtet sind, bloße Darstellungen ohne eigentliche Handlung, z. B. die Perser des Aeschylus, Klopstocks Hermanns Schlacht, Wallensteins Lager von Schiller. Will man also gegen dergleichen poetische Werke nicht ungerecht werden, muß man die Schauspielkunst, als eine allgemeine zufällige Form, von dem Drama ganz trennen.

Anmerk. 2. Die Eintheilung der Poesie ihrer Materie nach ist die wesentlichste. Wir werden dieselbe auch bey der besondern Poetik allein befolgen. Denn nur sie giebt eine feste durch die innere Natur des Geistes bestimmte Ordnung. Die Eintheilung der Poesie nach ihren zufälligen Formen erstreckt sich durch das ganze Feld der Dichtkunst. Wir werden sie also als Unterabtheilung bey jeder Hauptgattung der Poesie erwähnen. So giebt es lyrische Lieder, historische Lieder, (z. B. Balladen) lehrende Lieder, (geistliche Lieder, die nicht Hymnen sind). Es giebt, wie wir schon gesagt haben, dramatisirte Oden, dramatisirte Erzählungen, dramatisirte Lehrgedichte481 u. s. w. Unsre bisherigen Poetiken, welche blos aus der Erfahrung gesammelte Aggregate, ohne eigentliche allgemeine Theorie sind, haben auch keine feste Eintheilung der Dichtungsarten. Sie führen zufällige Formen, wie z. B. Lied, Schauspiel, als Hauptgattungen auf. Sie machen die Satyre, die Jdylle zu einer Hauptgattung, da das Naive und Satyrische doch nur eine Modification des niedern Schönen ist, welche bey allen Hauptgattungen statt finden kann. Es giebt lyrische und darstellende Satyren und Jdyllen u. s. w. Dadurch verwickelt man sich in unsägliche Schwierigkeiten. Man giebt einseitige Regeln, welche den Genius nothwendig beschränken, weil man z. B. Drama und Schauspiel, dramatisirende und dramatische Poesie verwechselt. Man kann keine Dichtungsart von der andern unterscheiden. Alle Gränzen laufen in einander, weil man die eigentlichen poetischen Hauptmaterien, die Jdeale, die Gattungen und Modificationen des Schönen, und die zufälligen Formen noch nicht systematisch von einander zu trennen weiß. Man sieht also die Nothwendigkeit allgemeiner Grundsätze in der Poetik, wie in allen andern Theorien.

§. 10.

So weit die allgemeine Poetik. Es ist dies der erste systematische Versuch, auf psychologische Hypothesen eine feste Theorie zu gründen, welche vermöge ihrer einfachen Richtigkeit die Organisationen482 des poetischen Geistes erkläre, ohne doch durch einseitige Regeln das Genie zu fesseln. Für die allgemeine Poetik ist bisher noch wenig gethan worden, so fleißig man auch die besondere Poetik bearbeitete. Deswegen mußte dieser erste Versuch so ausführlich seyn. Weil die Poetik vielleicht eher das Centrum, als die Tangente der Philosophie seyn dürfte, ist sie auch ein so schweres Unternehmen, daß man billiger Weise bey dem ersten Versuch nur die Hauptideen, keine Politur in den einzelnen Theilen des Systems erwarten kann. Es bleibt uns nichts übrig, als die Anwendung der aufgestellten allgemeinen Grundsätze in der besondern Poetik zu zeigen, und durch die Leichtigkeit dieser Anwendung ihre Richtigkeit zu beurkunden. Da jede einzelne Dichtungsart schon allein, wegen der dazu nöthigen historischen Kenntnisse, eine besondere ausführliche Theorie bedarf, und manche sie bereits erhalten hat, so werden wir im zweyten Buche ganz kurz seyn. Wir werden nur einen Grundriß zu Eintheilung der Poesie, und die allgemeinsten Grundsätze jeder Dichtungsart aufstellen, die sich aus der Theorie des ersten Buchs ergeben.

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About this transcription

TextEntwurf einer systematischen Poetik
Author Christian August Heinrich Clodius
Extent544 images; 130912 tokens; 34670 types; 958965 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Technische Universität Darmstadt, Universität StuttgartNote: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-09-30T09:54:39Z TextGrid/DARIAH-DENote: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe Stefan AlscherNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs Hans-Werner BartzNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung Michael BenderNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung) Leonie BlumenscheinNote: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung David GlückNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript Constanze HahnNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung Philipp HegelNote: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung Andrea RappNote: ePoetics-Projekt-Koordination CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationEntwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung Christian August Heinrich Clodius. . Breitkopf und HärtelLeipzig1804.

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