Leipzig, bey Breitkopf und Härtel. 1804.
EA485:cDieses zweyte Buch, welches einen kurzen Grundriß zur besondern Poetik, oder zu einer Theorie der Dichtungsarten enthält, besteht aus folgenden Unterabtheilungen.
A) Erster Abschnitt. Von der göttlichen Poesie.
a) Erstes Kapitel. Von der göttlichen Poesie oder einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß des religiösen Glaubens überhaupt.
b) Zweytes Kapitel. Von der biblischen Poesie insbesondere.
B) Zweyter Abschnitt. Von der menschlichen Poesie.
a) Erstes Kapitel. Von der lyrischen Poesie.
1) Erster Unterabschnitt. Von der höhern lyrischen Poesie.
2) Zweyter Unterabschnitt. Von der niedern lyrischen Poesie.
486b) Zweytes Kapitel. Von der darstellenden Poesie.
1) Erster Unterabschnitt. Von der historischen Poesie.
2) Zweyter Unterabschnitt. Von der beschreibenden Poesie.
3) Dritter Unterabschnitt. Von der didaktischen Poesie.
4) Vierter Unterabschnitt. Von der allegorischen Poesie.
§. 1.
Der Jnhalt der göttlichen Poesie ist eine durch göttliche Begeisterung den Seelen offenbarte ideale Weltgeschichte, welche, wie wir oben bewiesen haben, ein unumgängliches Bedürfniß für den religiösen Glauben ist.
Anmerk. Ohne noch hier anzunehmen, was weiter unten klar werden wird, daß die Schriften, welche von den Christen unter dem Namen Bibel begriffen werden, das Bedürfniß der Offenbarung im Engern Sinne vollkommen befriedigen, betrachten wir hier den Begriff der göttlichen Poesie a priori, wie er schon von der Psychologie postulirt wird. Wer an eine solche ideale Weltgeschichte glaubt, kann auch, wenn er consequent seyn will, keine andre Quelle für dieselbe anerkennen, als göttliche Begeisterung. Das Zeugniß der Sinne kann uns ungewöhnliche Begebenheiten beurkunden, aber allein kann es490 uns über göttliche Dinge keinen Aufschluß geben, weil Gott in einem Lichte wohnt, dahin kein sinnliches Auge dringen kann, weil das ideale Prinzip der Welt in der Erscheinung als Erfahrungsobjekt nicht gefunden wird. Was die Vernunft betrifft, so offenbart sie uns zwar schon einen Aufruf zum höhern Leben im religiösen Gewissen. Der Tugendhafte, wenn er seinen Willen allein nach der Form der Gesetzlichkeit bestimmt, weiß, daß Gott sey, denn Gott, das gesetzliche Wesen, handelt durch ihn. Keinen andern Aufschluß giebt aber die Vernunft nicht. Die Vernunft kann also den religiösen Glauben, daß das gesetzliche Prinzip auch zugleich die Erscheinungswelt allmächtig lenke, nur postuliren. Will die menschliche Vernunft sich von der Wirksamkeit ihrer Willensbestimmung durch Gott in der Erfahrungswelt überzeugen, welches sie als receptives Vermögen erheischt, so bedarf sie dazu einer höhern Begeisterung, welche die sichtbaren Begebenheiten in einem idealen Lichte verklärt, und den Plan Gottes zeigt, nach welchem er die Schicksale des Menschengeschlechts nur darum anordnet, daß dasselbe zur Gemeinschaft mit ihm gelangen könne.
§. 2.
Vorausgesetzt, daß sich in der Erfahrung Traditionen und Urkunden fänden, welche auf die Würde einer göttlichen Offenbarung Anspruch machten, so fragt es sich, nach welchen Kriterien der Mensch die Aechtheit derselben zu beurtheilen habe.
491§. 3.
Da das religiöse Gewissen die höchste Quelle alles menschlichen Wissens ist, der Mensch aber nichts glauben kann noch darf, was seinem höhern Wissen widerspricht, so dürfen erstlich diese Urkunden des religiösen Glaubens dem religiösen Gewissen nicht widersprechen, sondern müssen dasselbe bekräftigen.
Anmerk. 1. Etwas anders ist zu sagen von dem niedern mehr sogenannten Wissen der gewöhnlichen nach physischen und Verstandesgesetzen geordneten Erfahrung. Dieses historische Wissen beruht ohnedieß nur auf Hypothesen, ist und bleibt ewig Stückwerk, und kann nur von falschem Witze und menschlicher Aufgeblasenheit einer Offenbarung entgegengesetzt werden. Letztere muß sogar ihrer Natur nach dem beschränkten Verstande unwahrscheinlich seyn, weil sie Gegenstände darstellt, welche nicht für sein Forum gehören.
Anmerk. 2. Der religiöse Glaube ist zwar, wie wir oben bewiesen haben, seiner Natur nach ästhetisch. Er unterscheidet sich aber eben dadurch von den profanen ästhetischen Empfindungen, daß er ein praktisches Jnteresse hat, und das Gewissen bekräftigen soll. Das höhere Leben der Tugend muß sich selbst erscheinen, muß an sich selbst glauben. Da es sich auf eine für den Verstand492 unerklärliche Jdealität der Freyheit gründet, kann es sich nicht anders objektiv werden, als im Lichte der Schönheit. Das Gefühl dieser höhern Schönheit ist aber eben deswegen heilig, weil es den Menschen stärkt, von neuem dem Aufruf zum Handeln Genüge zu thun. Dadurch widerspricht jedoch der Glaube dem Gewissen keinesweges, daß er den moralischen Zwang aufhebt, und das Gute aus Liebe vollbringen läßt. Vielmehr ist dies die natürliche Folge der Offenbarung. Der durch den Jmperativ zum zweckmäßigen Handeln aufgeforderte Mensch lernt die höchste Zweckmäßigkeit als Schönheit mit religiöser Andacht anschauen, seine Knechtschaft verwandelt sich in Kindschaft, die Achtung für den moralischen Zwang in Enthusiasmus. Auch dadurch widerspricht eine Religionslehre nicht dem Gewissen, wenn sie irrige menschliche Begriffe von Gerechtigkeit umstößt. Christus z. B. schlägt in seinen Parabeln die Anmaßung aller derjenigen nieder, welche sich auf die Verdienstlichkeit ihrer Werke berufen und deswegen einen besondern Lohn verlangen. Dieser göttliche Richter richtet gewöhnlich und auch hier die Menschen nach ihren eigenen Grundsätzen. Haben jene Menschen das Gute wegen des Lohns gethan, so war die Triebfeder ihrer Handlung nicht rein. Sie verdienen keinen Vorzug. Sie waren blos Spekulanten, die das entferntere Nützliche dem nähern vorzogen. Thaten sie das Gute aus Achtung für den moralischen Zwang, so sind sie ja nach ihrem eigenen Geständnisse unnütze Knechte. Sie thaten, was sie zu thun schuldig waren. Hätten sie aber das Gute aus Enthusiasmus,493 aus einer höhern Neigung für dasselbe gethan, so würden sie im Gelingen desselben, in der Reinheit ihres Herzens ihren Lohn finden, keinen Vorzug verlangen, den sie schon haben, und sich über die Bekehrung anderer, über die Verbreitung der Seligkeit freuen.
§. 4.
Da das Postulat des Glaubens eine befriedigende ideale Weltgeschichte ist, in welcher Gott, das gesetzliche Wesen, als Bestimmer der Weltschicksale zu gesetzlichen Zwecken erscheint, und die zum Bewußtseyn der Vernunft gekommenen Menschen in seine Gemeinschaft aufnimmt, so müssen zweytens die Offenbarungsurkunden wirklich eine solche vollständige ideale Weltgeschichte enthalten, welche die Entwicklung aller Wahrheiten der rationalen Psychologie in der Zeit symbolisch zeigt, mit den für die Sinne realen Weltbegebenheiten den genausten Zusammenhang hat, hinreichend ist, den praktischen Enthusiasmus, die höhere Begeisterung der Andacht zu erwecken, also in jedem Herzen fortgesetzt werden kann, und auf das menschliche Leben auch den entschiedensten Einfluß hat.
Anmerk. Jn diesem § wird der Begriff einer idealen Weltgeschichte näher aus einander gesetzt und nach seinen Kriterien bestimmt. 1) Jn einer solchen idealen Weltgeschichte muß Gott als das gesetzliche Wesen erscheinen494, welches die Welt zu absolut gesetzlichen Zwecken bestimmt, die Menschen immer deutlicher über diese Bestimmung belehrt, und die Menschheit in die göttliche Gemeinschaft aufnimmt. Da eine Geschichte Succession in der Zeit voraussetzt, so kann die Jdealität dieser Geschichte nicht auf einmal und in Allen Momenten der Zeit erscheinen, sondern sich nur nach und nach, je mehr sich das Ganze entwickelt, darthun. Die Seelenwelt kündigt sich hier als eine successiv sich organisirende Totalität an, die der absoluten Gesetzlichkeit immer näher kommt. Es ist daher ein sonderbarer Vorwurf, der z. B. dem alten Testamente von vielen Gegnern der Bibel gemacht worden ist, daß darin weder Gott noch die Menschen in einem rein idealen Lichte erscheinen. Gott kann sich den Menschen nicht anders zeigen, als sie ihn verstehen, als sie ihn zu sehen verdienen. Christus läßt in einer seiner Parabeln einen Knecht zum Herrn sagen: Herr, ich furchte mich vor dir, denn du bist ein harter Mann. Und der Herr antwortet: Wenn du wußtest, daß ich ein harter Mann bin, so richte ich dich aus deinem Munde, du Schalk. Eben so richtete der Nazionalgott Jehova sein Volk aus dessen Munde, weil die Menschheit einer reinern Ansicht noch nicht würdig war, und vermöge der Gesetze der geistigen Organisation noch nicht seyn konnte. Allein die ideale Geschichte muß in so fern vollständig seyn, daß alle an sich zufällige Ereignisse eine vorbereitende weissagende Beziehung auf irgend eine große Hauptbegebenheit haben, wo das menschliche Leben ganz zum göttlichen wird, wo die Menschheit erscheint im495 reinen Gegensatz mit der physischen sterblichen Welt, als selbst gesetzlich, des Anschauns, der absoluten Gesetzlichkeit Gottes gewürdigt und theilhaftig der göttlichen Natur. (2. Epist. Petri Kap. 1. V. 4.) ─ 2) Diese ideale Weltgeschichte muß ferner die Entwicklung aller Wahrheiten der rationalen Psychologie in der Zeit, symbolisch unter heiligen Mysterien zeigen. Ob sie gleich über das sinnliche reale hypothetische Wissen der Erscheinungswelt hinausgeht, und nicht vor dessen Richterstuhl gezogen werden kann, so können die Wahrheiten, welche sie vorträgt, doch nicht von den Wahrheiten der rationalen Psychologie verschieden seyn, da die rationale Psychologie, wie oben bewiesen worden, auf dem religiösen Gewissen beruht, und ganz allein aus ihm herzuleiten ist. Gerade die rationale Psychologie ist es, die eine solche Offenbarung im engern Sinne postulirt, damit sie ihre Wahrheiten in der Erscheinungswelt a posteriori wiederfinde. Sie kann zwar die Erfahrungen der empirischen Seelenkunde mit dem Verstande nach ihren Grundsätzen ordnen. Allein diese Anwendung bleibt immer Hypothese. Sie bedarf also des religiösen Glaubens, als verbindendes Mittelglied zwischen ihrem absoluten Wissen und den Erfahrungen des innern Sinnes. Dieser religiöse Glaube kann nicht anders erlangt werden, als wenn die ganze Erscheinungswelt mittelst göttlicher Begeisterung zum Symbol der absoluten psychologischen Wahrheit wird. Die höchste Wahrheit der rationalen Psychologie ist die gesetzliche Freyheit, der Wille Gottes. Dieser kann nie ganz als Objekt erscheinen in der empirischen496 Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten Schönheit als eine Organisation vorkommen können, in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie, zusammen, und die Erziehung der Menschheit erscheint als eine schöne geistige Organisation. Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt, an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt. Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische497 Natur reingesetzlich ist, wiewohl ohne moralisches Selbstbewußtseyn; zweytens in ihrem Abfall von den Gesetzen der physischen Natur, im Zustande der daraus nothwendig folgenden Erbsünde, in steter Furcht vor dem göttlichen Gesetzgeber, zu dessen höherer Natur sie sich nicht emporschwingen kann, nicht werth, ihn in seinem reinsten Lichte zu erblicken, schwankend zwischen dem niedern Jnstinkt, dem sie nur zur Hälfte entsagt hat, und der höhern Gesetzlichkeit, die sie ahnet; drittens aufgenommen in die göttliche Natur, indem sie den höhern Jnstinkt der Liebe gefunden, ihren Gesetzgeber, durch sein eigenes Veranstalten, versöhnt hat, so würde diese religiöse Weltgeschichte die einzig wahre Ansicht der Dinge enthalten. Daß der Uebertritt des Menschen vom Jnstinkt zur Selbstbestimmung als eine Sünde anzusehen sey, die an der Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied gestraft werden mußte, ist a priori eben so leicht einzusehen, als es leider durch die Erfahrung aller Zeiten bestätigt wird. Der Gang der instinktmäßigen Natur ist zugleich rein = gesetzmäßig, und wird gestöhrt, sobald ein Naturwesen sich selbst bestimmen will. Sobald der Mensch werden wollte, wie Gott, und selbst erkennen, was gut und böse sey, mußte er sich auch des Jnstinkts schämen, der ihn maschienenmäßig, wiewohl zu seinem Glücke bestimmte, und mußte sich selbst vor dem Richterstuhl der höchsten göttlichen Freyheit verachten. Gott konnte sich ihm also in der Erscheinungswelt nur als ein zürnender Gott zeigen. Der Mensch, verführt von dem bösen Dämon einer egoistischen scheinbaren Freyheit, war498 nun sich selbst überlassen, wagte mit menschlicher Klugheit seine Thierheit zu lenken und eigenmächtige Eingriffe in das Meisterwerk der Natur zu thun, blieb ihr ewiges unglückliches Spielwerk, und vermochte sich nicht einmal mit dem Verstande von seiner Selbstbestimmung zu überzeugen. Er stand also getrennt von dem moralischen Gesetzgeber, dessen Heiligkeit ihn unaufhörlich verdammte, den er umsonst durch Opfer zu versühnen suchte. Er war sich des Guten als einer ihm vorgeschriebenen Richtschnur bewußt, aber er fand in dem Guten keine Freude, und die Freuden des Jnstinkts waren für ihn nicht schuldlos mehr. Er ward ein Knecht des furchtbaren Gottes in der höhern Sphäre, in welche er durch das Schicksal hinaufgerissen war, in welcher er sich nicht behaupten konnte. Der stolze Trieb nach Selbstbestimmung, verbunden mit Sinnlichkeit, zeigt also den Menschen, der sich der höhern Moralität bewußt wird, in der Erscheinungswelt als ein unvollkommnes mit der Erbsünde behaftetes Wesen. Der heilige Gott steht dagegen von ihm getrennt, mit einer unerbittlichen Strenge, der nicht genug gethan werden kann, wie denn auch die neuere Moralphilosophie, weil sie auf eben diesem Gesichtspunkte stehen geblieben ist, das radicale Böse behauptet, und den Kontrast zwischen der Heiligkeit Gottes und der menschlichen Verkehrtheit oder Schwäche nicht aufzuheben vermag. Denn sobald der Mensch den Schein der Selbstbestimmung zu erlangen sucht, und sich als ein von der Natur getrenntes Wesen betrachtet, erklärt er sich auch fähig der Jmputation, und dieser Jmputation nach, wiewohl sie im eigentlichen499 Sinne nicht statt finden kann, muß er sich ursprünglich verachten. Mit einem Worte, das moraliche Gewissen allein als bloße Anforderung sich in das gesetzliche Wesen aufnehmen zu lassen, ohne den Glauben an eine erfolgte Aufnahme, muß a posteriori in der empirischen Psychologie als ein Uebel, als eine nothwendige Strafe dafür angesehen werden, daß der Mensch sich gegen die Naturgesetze auflehnte. Allein nach der religiösen Weltgeschichte ließ Gott die Menschen fallen und in ihren eigenen Augen verächtlich werden, um sie nun desto höher zu erheben. Es bedurfte in der Geschichte der Seelen eines feierlichen Akts der Versöhnung. Es mußte die menschliche Natur in der Erscheinungswelt der göttlichen einmal vollkommen genug thun. Dieses war nicht anders möglich, als daß sich die göttliche mit ihr vereinigte. Denn Gott kann nur Gott genug thun. Jndem der Mensch die Versöhnung annahm, indem er glaubte, daß die strenge Tugend, die göttliche Freyheit, mit voller Consequenz in Menschengestalt gewohnt, daß Ein Mensch dem niedern Leben ganz entsagt, und Gott allein gelebt habe, lernte er auch an sich selbst, an die Möglichkeit seiner Erhöhung glauben. Das moralische Gewissen durfte ihn nun nicht mehr ursprünglich verdammen. Er setzte ihr die ästhetische Evidenz entgegen, daß Gott mit der Menschheit vereinigt gewesen sey, daß Gott die Menschheit ganz in sich aufgenommen habe. Das Gesetz war erfüllt, die Strafe hinweg genommen, und an die Stelle des Gesetzes trat der Glaube. Der Mensch lernte den furchtbaren500 Gott lieben, der ihm zum erstenmal in der Erscheinungswelt im Lichte der höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit gezeigt ward. Dieser Gott der Liebe erschien ihm nicht mehr als Herr, sondern als Vater. Der Mensch lernte seine eigene vergötterte Natur lieben, denn er glaubte an ihre mögliche Reinheit. Der Glaube an Gott ward mit dem Glauben an die menschliche Natur eng verbunden. Von nun an konnte das Gesetz nicht mehr tödten, d. h. die sinnliche Natur niederschlagen. Der Glaube hatte sie lebendig gemacht. Der Glaube hatte sie geheiligt. Was nicht aus dem Glauben kam, blieb Sünde. Denn der Verstand kann sich von der Moralität keiner Handlung überzeugen. Aber der Glaube kann es. Er ist die einzige reine Triebfeder. Dieser Glaube ward das Gefühl der göttlichen Freyheit selbst, der Geist Gottes, welcher die Menschen trieb. Gott, wie Minucius Felix sagt, verließ mit dem Christenthum jeden andern Tempel, um in dem Menschen zu wohnen. Von nun an mußte die Menschheit inne werden, daß ihr Gott ein dreyeiniger Gott sey, der Vater ein Gott der Liebe, dessen liebender Wille oder Caussalität die Welt zur höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit bestimmte, um in ihr sein Bild zu finden. Er hatte einen Sohn (λογος), der ihm genug that, durch den, und um deßwillen die Schöpfung da war, die Substanz und Seele der anschaulichen innern und äußern Erscheinungswelt, beyde hält zusammen zur Totalität der Geist der Liebe, der von beyden ausging, alles belebte, heiligte und mit ihnen vereinigte. Diese501 drey ὑποϛασεις (oder προσωπα) machen nach dem Symbolo Athanasiano Eine οὐσιαν, Ein Selbstbewußtseyn, Ein göttliches Hauptwesen aus. Man sieht hieraus, wie die Mysterien der religiösen Weltgeschichte, welche die Christen bekennen, mit den Wahrheiten der rationalen Psychologie übereinstimmen, wie tief sie in der Natur des menschlichen Geistes gegründet sind. Die aus dem moralischen Gewissenssatze hergeleiteten Seelenkräfte verweisen auf vier Vernunftideen: Caussalität, Substantialität, Totalität, und absolutes göttliches Selbstbewußtseyn, deren letzte die drey ersten in sich vereiniget. Die Metaphysik, der menschliche Verstand kann diesen Jdeen keine Materie geben. Aber in den Mysterien seiner Weltgeschichte findet der religiöse Glaube, was er sucht, was das Wissen nur ahnen kann. Schon Augustin erläutert sich das Geheimniß der Dreyeinigkeit durch eine Analogie mit den Seelenkräften, und die ganze physische Natur trägt von der heiligen Trias die unverkennbarsten Spuren. Wie armselig müssen also dem tiefern Denker die Einwendungen eines Dudithius vorkommen, der in Eins und Drey einen Widerspruch findet, wie geistlos, wiewohl gutgemeynt, die Zweifel derjenigen, welchen die Jdee der Versöhnung der Gottheit unwürdig scheint ─ Diese Bemerkungen weiter auszuführen, muß der Theologie überlassen bleiben. Uebrigens fügen wir hier noch hinzu, daß mit der Behauptung, die ideale Weltgeschichte zeige die Entwicklung der psychologischen Jdeen symbolisch, keinesweges der Wirklichkeit und Wahrheit dieser Geschichte Abbruch geschieht. Wenn die ganze Natur im Raume ein502 Symbol des Geistes ist, der doch selbst der Materialist die Realität nicht abspricht, warum soll die Geschichte, die das Göttliche in der Zeit darstellt, nicht auch symbolisch und dennoch innig mit der physischen Realität verwebt seyn? Hiermit sagen wir also nicht, daß die religiöse Weltgeschichte poetische Allegorie im gemeinen Sinne dieses Worts sey. Dieses haben wohl auch zum Theil Theologen andeuten wollen, doch unsrer Meynung nach mit Unrecht. Die vom historischen Realismus verführten Sprachforscher und Aufklärer der Bibel können indeß der Sache der Religion wenig schaden, wenn sie uns aufmerksam darauf machen, daß Adam vielleicht eine mystische Person, die Menschheit bedeute, daß die Schöpfungstage sechs Zeiten gewesen, daß Elohim ein Plural sey u. s. w. Die Hauptwahrheiten der Religion bleiben immer dieselben. 3) Um der idealen Weltgeschichte ihre historische Realität zu sichern, behaupten wir im § ferner als Kriterium ihrer Aechtheit, daß sie mit der Historie im profanen Sinne in einem innigen Zusammenhange stehen müsse. Es muß den Hauptbegebenheiten, die die religiöse Geschichte erzählt, ihr wirklicher Platz in der Zeit angewiesen werden können. Sie muß nicht als das Hirngespinnst eines einzelnen müßigen Kopfes, sondern als ein Phänomen, das einen großen Theil der Menschheit betrifft, anzusehen seyn. Jhre Einwirkung auf die Seelen muß historisch als Factum erwiesen seyn. Hierzu gehört aber nicht, daß diese ideale Weltgeschichte im historischen Tageslichte erscheine. Dies würde vielmehr ihrem Wesen ganz zuwider seyn. Sie503 schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen. Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle, meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint. Denn wir beten nicht den Gott der physischen Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren, und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen Freyheit in Menschengestalt, eine fortdauernde Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch, sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden504 vieler Völker erzählen von Menschwerdungen Gottes. Brama kam vielmals auf die Erde herab, und der chinesische Foe ist durch einen Sonnenstrahl gezeugt, von einer Jnngfrau gebohren. Allein das sind phantastische Mährchen ohne idealische Wahrheit. Es fehlt ihnen das hohe Muster der Moralität, das allein im höchsten Lichte des Schönen erscheinen kann. Sie zeigen nicht die göttliche Freyheit im Gegensatze mit der menschlichen Natur und ihren siegreichen Kampf mit der Welt. Nur allein das Anschaun der höchsten Tugend in ihrer Verklärung kann die Andacht erwecken, welche der Mensch für sein höheres Leben bedarf. Die Niedrigkeit der Seelen geht zwar zu unsern Zeiten so weit, daß man alle Andacht für Schwärmerey ausgiebt, weil man die Andacht, wie alle Moralität, für eine beschwerliche Fessel hält. Jndessen ist das Bedürfniß der Andacht zu einer seligen Gemüthsstimmung unläugbar. Nun darf zwar eine ideale Weltgeschichte den Aberglauben nicht begründen. Jndessen ist es ihr auch nicht zuzurechnen, wenn Aberglaube und Hierarchie sich ihrer bemächtigt. So ist z. B. die Lehre Christi, der mit so viel Bestimmtheit wider das Pfaffenthum seines Volks aufstand, an jeder Entheiligung unschuldig, die sie in der Folgezeit entstellte. Die Quelle einer solchen idealen Weltgeschichte ist göttliche Begeisterung. Diese Geschichte ist die einzige, deren Quelle ihre Lauterkeit durch sich selbst, durch ihr alleiniges Daseyn beweisen soll. So wenig man eine Empfindung des Schönen Jemandem eindemonstriren kann, eben so wenig kann eine solche Geschichte einen stärkern Beweis505 für sich anführen, als die Andacht, welche sie erweckt. Kein Betrug, keine irdische Absicht darf da obgewaltet haben, wo sie in ihrem höchsten Lichte erscheint. Gott kann sich nur in reinen Seelen offenbaren. Muhamed ist eben deswegen ein falscher Prophet, weil er ein Egoist war, und ein irdisches Reich stiftete. Soll sich die Begeisterung andern Seelen mittheilen, so bedarf es mehr, als bloßer historischer Traditionen. Diese Traditionen müssen nicht bloß historisch, sie müssen moralisch und ästhetisch ächt seyn. Die Hülfsmittel zur Andacht, welche eine solche ideale Weltgeschichte eingiebt, müssen also den entscheidendsten Einfluß auf das Leben haben. Es muß diese Geschichte, wie z. B. durch die christlichen Sakramente, in jedem Herzen fortgesetzt werden können. Sie muß auch in so fern vollständig seyn, daß sie Weissagungen enthält, bis ans Ende der Zeit, z. B. das Gericht. ─ Nur dadurch wird sie idealisch und göttlich. Sie umfaßt das ganze ungeheure Gefild der Jahrtausende, betrachtet es unter dem höchsten Gesichtspunkte, und zeigt die Einheit, welche das Ganze zusammenhält.
§. 1.
Die Aechtheit der Bibel als Offenbarungsurkunde aus dem christlichen Gesichtspunkte nach den im vorigen Kapitel angegebenen Kriterien a priori einer Offenbarung im Engern Sinne überhaupt zu erweisen, kommt der Theologie oder Gottesgelahrheit zu, und wird auch vermöge der von uns gemachten Bemerkungen nicht schwer seyn. Die Poetik betrachtet nur die Bibel, als angenommene göttliche Poesie, ihrer Poesie nach. Ohne uns also weiter darauf einzulassen, ob die Bibel allen oben angegebenen Anforderungen an eine ideale Weltgeschichte Genüge leiste, in wie fern diese sich auf das moralische Gewissen, auf Psychologie und Geschichte als solche beziehe, liegt es uns hier nur ob darzuthun, daß die Bibel aus dem Standpunkte des Christenthums angesehen, die höchste Poesie, die vollkommenste ideale Einheit sey, der die Organisation des menschlichen Geistes fähig ist, daß507 sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.
Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre. Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung, um nur die geringste Anwendung davon auf das neue Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration, welche die Bibel begründet. Man meynte, nur ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein, daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch, philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen,508 die Hierarchie erschüttern. Aber er war so weit entfernt, der Bibel ihre poetische Kraft zu nehmen, daß seine Uebersetzung vielmehr eins der größten Kunstwerke unsrer Sprache ist. Was hilft alle Kritik, alle philologia sacra, alle Sprachkenntniß, wenn die theologischen Nachforschungen in den Nebenquellen uns die von dem Katholizismus mit standhafter Consequenz behauptete Hauptquelle der Jnspiration als einer fortgehenden Tradition rauben? Jst nicht diese Jnspiration der Seelen, als mündliche Tradition, auf welche sich Jrenäus, Origines und andre Kirchenväter berufen, weit älter, als die Sammlung des christlichen Testaments? Was hilfts, daß man die Hebraismen des neutestamentarischen Styls aufsuche, uns mit wichtiger Miene z. B. zu bemerken gebe, Gericht halten, Werke thun u. s. w. heiße lehren? wenn man mit dem Ausdruck dem Gedanken sein Mark, seinen Nerven nimmt? Der wahre Freund der Aufklärung wird ihre Wohlthaten anerkennen. Er wird sie aber keine Fehltritte thun lassen. Wenn die Aufklärung dahin geht, alle Begeisterung, allen Enthusiasmus zu tödten, den Gott in die Sprache, wie in die Seele legte, so ist sie der gerade Weg zum Materialismus.
§. 2.
Die Bibel muß von der Poetik erstlich nach ihrem Hauptinhalte, sodann nach ihren einzelnen poetischen Formen betrachtet werden. 1) Nach ihrem Hauptinhalte ist sie ein ideales Ganzes. 509Sie ist, wenn man die oben angeführte Eintheilung der menschlichen Poesie auf sie anwenden darf, ein Kunstwerk der darstellenden Poesie. Sie enthält eine die Erfahrungen der profanen Historie begründende und eng mit dem Menschenleben verwebte ideale Weltgeschichte. Daher ist sie vorzüglich als ein Werk der historischen Poesie anzusehen, wiewohl sie zu gleicher Zeit beschreibend, lehrend und symbolisch, d. h. allegorisch ist, im realsten Sinne dieses Worts. Als historische Poesie enthüllt die Bibel in allen Schicksalen der Menschenwelt eine große Organisation, bestimmt und gelenkt durch die freye Caussalität Gottes, um diese göttliche Freyheit zum Selbstbewußtseyn in der Menschheit gelangen zu lassen. Diese Jdee einer sich selbst producirenden Freyheit scheint ein Zirkel zu seyn. Allein jede Organisation oder Selbstproduktion in der Zeit ist ein geheimnißvoller Zirkel, den nur die ideale innere Einheit des Geistes, die Ewigkeit, aufheben kann. Die Hauptidee der Bibel, auf welche sich alle vorhergehenden und folgenden Begebenheiten beziehen, kann für den Christen keine andre seyn, als die Gottheit Christi.
Anmerk. Unsre alten ehrlichen Deutschen sangen in ihrem Liederbuche: „ Seele, wilt du Frieden finden, such510 bey keiner Kreatur, laß was irdisch ist dahinden, Schwing dich über die Natur, Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet, Wo alle lebendige Fülle erscheinet. “ ─ Dies war ihr Glaube, in diesem lebten und starben sie. Er war ihnen Bürge für ihre eigene Hoheit, für ihre eigne Unvergänglichkeit. ─ Späterhin ist durch eine materialistische, (doch nur halb wissenschaftliche) mathematische, physische Ansicht des Weltgebäudes, durch den sogenannten theistischen Begriff einer allmächtigen Gottheit, die alle die unzähligen Sternenheere regiert, und durch den groben historischen Realismus die wohlthätige Jdee des moralischen liebenden Gottes unsrer Väter verdrängt, alles höhere Menschengefühl bey vielen Menschen im eigentlichsten Verstande erdrückt worden. Man wagte nicht mehr sich vorzustellen, daß der, welchen der Weltkreis nicht faßt, wie Luther sagt, in einer Krippe geweint haben sollte, daß der furchtbar große Naturgott die Menschheit so geliebt haben sollte, um mit seiner ganzen Fülle in ihr zu wohnen. Gleichwol ist und bleibt der Spruch: Also hat Gott die Welt geliebt u. s. w. der Schlußstein des ganzen biblischen Systems. Nur durch diese Wahrheit erhebt sich die Bibel zur Würde einer vollkommen idealen Weltgeschichte, die in das Menschenleben den entschiedensten Einfluß haben kann. Es ist hier von keiner der unzähligen Menschwerdungen und Vergötterungen die Rede, die bey den heydnischen Nazionen geträumt worden sind. Die Heyden vergötterten aus Schmeicheley Menschen nach dem Tode, dachten sich phantastische Wunderwesen, welche zuweilen die Menschen =511 gestalt annahmen, um als bloße Erscheinungen unter uns zu wandeln. Aber diese Götter waren immer objektiv außerhalb der Menschheit hingestellt. Es war eine ewige Kluft zwischen der Gottheit und der sterblichen Natur. Das Wesen des Christenthums hingegen besteht darinnen, daß der Gott zugleich wahrer Mensch war, besteht in einer innigen engen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur. Nur dadurch, daß der Gott, der nichts als das Gute wollte, menschlich fühlte, menschlich litt, erhebt sich das Christenthum als einzig ächte Humanität über alle inhumane Fabeln des Heydenthums. Der Enthusiasmus, den die Leidensgeschichte Christi in so vielen Menschenseelen erregt, ist allein durch das Bedürfniß erklärbar, das göttliche Prinzip der Dinge, die höchste reinste Liebe im Kampfe mit der fühllosen Natur dargestellt zu sehen. Eine ideale Weltgeschichte, welche uns diesen Kampf im vollsten Glanze zeigt, welche die tiefste Erniedrigung und die größte Erhöhung neben einander stellt, ist zu gleicher Zeit die Geschichte eines jeden menschlichen Herzens. Der Sieg, den sie verkündet, muß jedes Herz zu einem ähnlichen Siege anfeuern. Auf dieses mit ästhetischer Ruhe verbundene praktische Jnteresse gründet sich vorzüglich der Glaube an ihre historische Wahrheit. ─ Und diesen Glauben verlangt sie, wie ihn unsre Natur verlangt, kein Wissen giebt sie nicht, kann und darf sie nicht geben. Was seyn soll, muß seyn. Das ist die wahre Ueberzeugung. Was in der Welt siegen soll, muß siegen. Das ist die Jdee, aus der alles göttliche Handeln kommt. Die höchste Schönheit512, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst Werth giebt. ─ Wenn es also die Hauptbegebenheit der Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten, das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt, duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk. 513Die Offenbarungen, deren sich dasselbe rühmte, waren zugleich eine vollständige religiöse Geschichte der Menschheit von Anbeginn. Sie berichten uns, der Mensch sey nicht etwa, wie es einem Diodorus Siculus vorkommt, ein αὐτοχθων aus Schlamme zufällig geboren, sondern Gott ähnlich in äußerer Gestalt, von Gottes Hand geformt worden, aber instinktmäßig, wie die übrige Natur, nur ein lebendes, begehrendes Wesen ( היח שמכ ). Nachher habe er aber Gottes Vorschrift übertreten, habe die ihm gesetzte Schranke des Naturinstinkts niedergerissen, sich dessen geschämt, wie Gott frey erkennen wollen, das Gute und Böse, sey so des Paradieses verlustig worden, und das Erbübel habe seinen Anfang genommen. Von da an beginnen schon die mysteriösen Weissagungen, welche das Volk Gottes durch alle Perioden seiner Geschichte begleiten. Es ist unbegreiflich, wie manche selbst denkende Gottesgelehrte der Vorzeit an der Aechtheit der drey ersten Kapitel in der Genesis haben zweifeln können, da sie die Grundlage der ganzen biblischen Weltgeschichte sind. Von nun an sehen wir, wie sich der Mensch von der Gottheit immer mehr entfernt, und sich vermißt, ein für sich selbst bestehendes Wesen zu seyn. Aber ganz verläßt Gott die Menschheit nicht. Er ist noch zu den Zeiten der Erzväter der Gott der Familiengeschlechter, doch er ist ein furchtbarer erzürnter Gott, der selbst große Naturbegebenheiten, wie die Sündfluth, als moralische Strafen verhängt. Späterhin ist er ein kriegerischer Gott, ein Herr der Herrschaaren. Er macht durch Mosen die Jsraeliten zum Volk, verleiht ihnen den Sieg, giebt ihnen Land, Gesetze514, Richter und Könige. Er läßt durch Samuel Prophetenschulen gründen. Gottbegeisterte Männer wohnen auf den Höhen in der freyen Natur und vereinigen den Geist der Dichtkunst mit dem Geiste der Weissagung. Sie erwecken die Helden Jsraels zu großen Thaten, strafen sie im Namen des höchsten Gesetzgebers. David versetzt die heilige Poesie auf den Berg Zion und in den Tempel, giebt ihr den feurigsten lyrischen Schwung, aber auch zugleich das wärmste Jnteresse für das Herz. Keiner dürstet, wie David, nach Offenbarung. Keiner sehnte sich, wie er, es anzuschauen das unbekannte Wesen, das sein Schicksal und die Schicksale seines Volks zu einem höhern Weltenplane hinlenkt, das seinem Saamen ein neues Reich, Jsrael einen größern Helden verspricht, als alle, die es bis jetzt beherrschten. Salomos Glanz und Reichthum giebt der heiligen Poesie ein üppiges stolzes Gewand. Aber Gott liebt nicht den eiteln Glanz dieser Welt. Er zieht seine Hand von Salomo ab. Der Glaube erlischt in Salomos Herzen. Mißmuth, zweifelnder düsterer Sinn und Abgötterey entheiligen Salomos Alter. Das Reich wird nach seinem Tode zerrüttet. Die Zeiten des Unglücks, die durch die Ueppigkeit vermehrten Bedürfnisse, das Sittenverderbniß, verdrängen die Religion aus den Seelen, aber machen auch die Sehnsucht nach den göttlichen Jdeen lebhafter im Geiste einzelner edlerer Männer. Trotz des Spottes mancher ihrer Zeitgenossen beharren diese Propheten in der Zuversicht auf das Urwesen, halten ihrem Vaterlande seine Vergehungen vor, und machen es auf seinen Verfall, aber auch auf seinen künftigen Erretter515 aufmerksam. So wie die Geschichte der Erzväter, wo Gott in der Natur dem Menschen noch näher war, eine naiv schöne Poesie ist, so hat in der prophetischen Poesie der alttestamentarische Styl die letzte Höhe der Heftigkeit und des Grausenden erreicht. Denn Gott hat sich fast ganz von seinem gesunkenen Volke getrennt, und diese Trennung des gesetzlichen Wesens von der verderbten Menschenwelt muß die Phantasie der letztern zu einer leidenschaftlichen Düsternheit stimmen. Was die Propheten weissagten, geschieht. Der Untergang des hebräischen Staats zieht auch den Tod der hebräischen Poesie, zugleich mit ihr aller wahren Religiosität nach sich. Wie bey den Römern die Jdee der Vaterlandsliebe, so war auch in der jüdischen Provinz Judäa die begeisternde Jdee der Gottheit kraftlos geworden. Nach alten von den Sternen herabgekommnen, von allen orientalischen Völkern anerkannten, von allen jüdischen Propheten wiederholten Weissagungen soll mit dem Anfang des fünften Jahrtausend ein errettender Gesalbter das göttliche Leben, das mit dem Paradiese verlohren ging, in einem höhern himmlischen Glanze herstellen, den Fürsten der Welt überwinden, und als Menschensohn die Regierung der Welt antreten. Die Juden erwarten den Geweissagten mit Ungeduld. Sie hoffen von ihm Befreyung vom ausländischen Joch, neuen weltlichen Glanz, sie hoffen, er werde ein ausschließender Wohlthäter ihrer Nazion seyn. Und dieser Messias, aber mehr als ein weltlicher Fürst der Juden, das geistige Licht aller Völker, die im Dunkeln wandelten, wird geboren. Alle Kennzeichen treffen zusammen,516 um ihn, wiewohl noch insgeheim, zu seinem furchtbaren großen Berufe einzuweihen. Der neue Messias sollte aufgehen, aus der Höhe, plötzlich erscheinen, wie ein Stern aus dunkler Nacht, aber aus Betlehem kommen, und vom Stamme Davids seyn. Und geleitet von den Sternen finden die Weisen den neugebornen Christus, aus Davids Stamm in Betlehem. Aus der Dunkelheit einer heiligen Nacht, welche symbolisch seine Wiege umschattet, in der die Himmelsgeister den Menschen einen höhern Frieden verkünden, geht auf die neue Erleuchtung der Gemüther über die Erde. Das Geräusch der unheiligen Welt verbirgt die größte Begebenheit, welche die Geisterwelt auszeichnet, die Geburt des Sohnes Gottes, durch den die einzig wahre Religion verbreitet werden sollte. Er, der bestimmt war, die göttliche Freyheit in sich zu finden, er, der aufgerufen war, das lehrende Vorbild, die neue belebende Seele der Menschheit zu seyn, mußte der Sohn einer Jungfrau seyn durch den Geist Gottes. Das Kind wird dem Herrn dargestellt in seinem Tempel, und prophetische Seelen weissagen Marien von ihm, er sey gesetzet zum Fall und zum Auferstehen vieler auf Erden, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, und ein Schwert werde dringen durch die Seele seiner Mutter, auf daß offenbar würden der Herzen Gedanken. ─ Das Kind wächst, wird stark im Geist, und seiner hohen Bestimmung sich immer deutlicher bewußt. Schon als Knabe sitzt er unter den Lehrern im Tempel. Wisset ihr nicht, sagt er zu den ihn suchenden Eltern, daß ich seyn muß in dem, das meines Vaters ist? ─ Vor ihm517 her geht Johannes, der Prediger in der Wüste, und verkündet laut, daß er dem Herrn seinen Weg bereite. Jesus läßt sich von Johannes taufen. Gott selbst erleuchtet in diesem Augenblick beyder Seelen und erklärt ihn für seinen Sohn. Von nun an ist Jesus voll des heiligen Geistes und seines höchsten Berufs gewiß. Er sieht die Menschheit um sich her in ihrer Ermattung. Alle haben den Wunsch besser zu werden, keiner den Muth, alle haben den Namen Gottes im Munde, keiner den Glauben an ihn im Herzen. Sie ringen nach zeitlichem Genuß, und verachten ihn, wollen Glück, und verstehen nicht die Kunst glücklich zu seyn. Sie dienen dem Mammon und dem Fürsten dieser Welt, und heucheln den Dienst des Ewigen. Sie besitzen in Angst und klügelnder Sorge das Leben, und zittern vor dem Tode. Sie fühlen sich unwürdig der Ewigkeit, und haben auch keine Sehnsucht nach ihr. Der Gott der Rache hatte die moralische Welt wie in Trümmern geworfen. Auf der Erde krochen nichts, wie egoistische, vom Fürsten der Finsterniß beseßne, in sich verschloßne, von sich abgewandte, von keinem Hauche der Liebe erhobene Wesen. Es war keine Einheit des Willens, keine helle lichte Jdee, an der sich die bessern Seelen erkennen, zu der sie sich sammeln konnten. Es ist ein banger Stillstand in der geistigen Natur. Und der Geist Gottes, die unbekannte Stimme, treibt Jesus hinweg von den Freuden der Erde, über welche er erhaben ist, welche ihm widerstehen, weil sie nicht mehr Freuden der schuldlosen Natur, sondern der Verderbtheit und klugen egoistischen Ueberlegung sind, treibt ihn hinweg in die Wüste. 518Und noch einmal macht der Fürst der Welt einen Versuch auf die Menschheit des Sohnes Gottes. Er tritt zu ihm, der Verführer, stellt ihn auf einen hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der ganzen Erde in einem Augenblicke. „ Bete mich an, sagt er zu ihm, so soll alles dein seyn. “ ─ Aber Jesus verschmäht das Reich eines weltlichen Messias, das die Juden erwarteten, und antwortet: „ Es steht geschrieben, du sollt Gott deinen Herrn anbeten und ihm allein dienen. “ Und mit diesem Entschlusse wird er sich ganz der eigenen Gottheit bewußt. „ Es steht geschrieben, sagt er zum Satan, du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen. “ Von nun an fühlt er, daß seine Stunde gekommen ist, von nun an zeigt sich nur Gott in seiner reinen Seele. Er tritt in die Welt, allein auf gegen die Welt, mit vollem Bewußtseyn seiner göttlichen Freyheit, mit vollem Bewußtseyn, daß er gekommen sey in dies Chaos der irdischen Geister, der neue moralische Schöpfer zu werden, die bange Hemmung in den Gemüthern, die Schranken zwischen den Seelen aufzuheben, und mit dem Hauche der Liebe die Erde von neuem zu beleben. Als Gott kann er die von Gott verlaßne Menschheit nicht achten, als ihr neuer Schöpfer muß er sie lieben, indem er in ihr den Wiederschein seiner eignen Gesetzlichkeit ahnet. Er weiß es, daß in ihm der Urgeist ist, der Himmel und Erde bewegt, er weiß es, daß er eher war, denn Abraham, daß er eine Herrlichkeit bey Gott hatte, ehe denn die Welt war, daß durch ihn alle Dinge geworden sind. Den Gott, den die Propheten nur außer sich ahneten, den die Menschen nur dem Namen nach519 nannten, um ihn zu fürchten und sich und andre mit dem Worte zu quälen, den sieht Jesus in sich von Angesicht zu Angesicht in voller Reinheit, als Gott der Liebe. Und das alte Schicksal erfüllt sich, Gott und die Menschheit, die ganz von einander getrennt waren, sind in Einem Mittler vereint. Jesus weiß, daß er von oben herab gekommen ist in die Welt, aber er weiß auch, wohin er geht. Er selbst hat sein Schicksal in und durch Gott zum Besten der Welt bestimmt, und er folgt mit freyer Selbstbestimmung diesem nothwendigen Schicksal. Die in ihren eignen Augen gesunkne Menschheit bedarf eines schuldlosen Opfers, eines Vorbilds, an das sie glauben könne, um an sich selbst zu glauben, eines wahren Menschen, der ganz allein Gott lebte und starb, der sich ganz heiligte für die menschliche Natur, damit der Geist der Wahrheit zu ihr komme. Die Menschheit bedarf die Hinwegnahme des erblichen moralischen Uebels in dieser Welt, vermöge dessen sich jeder als ein blos sinnlich kluges Wesen selbst verachten muß. Sie muß ihrer Aufnahme in die göttliche Freyheit, in die höhere vollkommne himmlische Natur sichtbar gewiß werden. Der erzürnte Gott, der mit dem Abfall der Menschen von der Natur zur Weltklugheit die Strafe der Selbstverachtung und des physischen Uebels über sie verhängt hatte, mußte ganz versöhnt werden. An die Stelle der schwachen Erkenntniß und Weltklugheit, mit welcher jene ewig strafende Selbstverachtung, die Hölle des Lebens, unauflöslich verbunden war, mußte die freye göttliche Liebe und der Glaube kommen. Darum forderten die alten Weissagungen das Leiden520 und den Tod des Messias, damit die Menschheit in ihm überwinde, mit ihm in lichterer Gestalt wieder auferstehe. Jesus geht seinen großen Gang mit Unterwerfung, mit Ergebung in den Willen des Gottes, der sein höheres Selbst ist. Er geht einher, wie der Herr der Erde, aber ohne sich der physischen Macht anders, als zur Unterstützung seiner geistigen Lehre zu bedienen. Seine Wunder sind nicht Schrecken für die sinnliche Natur, sie sind Wohlthaten, die das höhere Heil verkünden. Die Blinden sehen, die Gebrechlichen gesunden, die Todten wandern lebendig, die schwarzen Dämonen weichen von den krampfhaften beseßnen gequälten Sterblichen. Allen hilft der Glaube, der Berge versetzt. Petrus geht auf dem Meer durch den Glauben. Ein krankes Weib berührt heimlich des Messias Gewand, und von Stunde an weicht von ihr das Uebel. Die Natur huldigt dem moralisch lehrenden Gotte der Erde, dem ein staunendes begeistertes Volk durch das Land nachströmt. Aber die Schätze, die das höhere Leben tödten, und jedes Ansehn weltlicher Macht zu gebrauchen, verschmäht er. Denn eben die Schätze der Erde und die weltliche Macht sind es, die gedehmüthigt werden sollen, wie die stolze äußere Ehrbarkeit und das Wissen der Pharisäer vor seinem Richterblick. Der Sohn Gottes, dessen reine Hoheit die Demuth gebietet, der Freund der Kinder, der Trost der Mühseligen und Beladenen, der Versöhner der Gefallnen mit Gott, erscheint im Gewande der Armuth, aber das Meer giebt dem Allwissenden die Münze, die er bedarf, um den Fürsten zu steuern, denen er ihren Zepter nicht entreißen will. Die521 ganze neue Lehre des Wunderthäters ist Glauben und Liebe. Er verlangt mehr als den bloßen Glauben an das Wort Gott, das die Juden so oft entweihten. Er verlangt den Glauben an sich, an den Gott verbunden mit der Menschennatur. Er allein ist die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, als durch ihn. So erhebt und heiligt er die Menschheit wieder, die nur einen furchtbaren Gott außer sich kannte, die in ihren eigenen Augen gesunken, von der alles wechselseitige Vertraun auf Seelenreinheit gewichen war. Liebe Gott über alles, und deinen Nächsten als dich selbst, ist das ganze Gesetz, das er verkündet. Aber dies Gesetz verlangt mehr, als der alte Buchstabe. Denn Liebe thut mehr, wie der Gehorsam, und wer sein eignes Werk thut, mehr wie der Knecht. Darum legt er das Gesetz der Vorfahren aus mit furchtbarer Strenge. Mit dem begeisterten Ruf der moralischen Allmacht zieht er die wieder gebornen Menschenherzen vom Besitze des Zeitlichen, von der Sorge fürs niedere Leben ab. „ Wer den Pflug ergreift und sieht hinter sich, wer mir huldigen will und auch dem Mammon, wer Weib und Kind und Eltern mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth. Wer mich verläugnet vor den Menschen, den verläugne ich vor Gott. Wer sein Leben behalten will, der wird es verliehren, und wer es verliehren wird um meinetwillen, der wird es gewinnen. “ Die erschütterten längst verhärteten Herzen der Juden fühlen die Nähe des Reiches Gottes. Aber es kommt nicht, wie sie es erwartet hatten, es kommt nicht mit äußern Geberden. Seine Jünger hoffen auf irdischen Vorzug522 in seinem Reich. „ Jhr wisset nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? “ ─ Aber er sagt ihnen voraus, daß auch sie ihn trinken müssen diesen Kelch der Leiden für die Wahrheit seiner Lehre. Dennoch folgen sie ihm, dennoch glauben sie an ihn. Das Reich Gottes ist, wie ein Senfkorn, welches ist das kleinste unter den Saamen. Er hat dieses Saamenkorn der Ewigkeit ausgeworfen in die Furchen der Zeit, und es dem Schicksale überlassen. Doch er weiß, daß das Göttliche siegen, durchdringen muß in aller Zukunft. Darum weiht er seine Jünger zu ihrer hohen Bestimmung. Sie dürfen nicht sorgen, was sie reden werden, wenn man sie überantwortet den Richtstühlen. Er, ihr Lehrer, wird bey ihnen seyn, wohnt in ihren Seelen, und wird sprechen durch sie, so wie Gott spricht durch ihn. ─ Und nun nachdem er geordnet hat die Zwölfe und seine Lehre ausgegangen ist in die Länder, nun geht er hinab nach Jerusalem seinem großen Ziele, dem Tode für die sündige Welt zu. Denn es muß alles erfüllet werden, was geschrieben steht von des Menschen Sohn. Petrus will ihm wehren. „ Hebe dich weg von mir Satan, spricht Jesus. Denn du meynest was menschlich, nicht was göttlich ist. Er zieht ein in der heiligen Tempelstadt und des wankelmüthigen Volkes Zuruf segnet ihn. Die Palmen des Landes, in dem noch überall Spuren von der Gnade des Ewigen sind, erschallen noch einmal von dem lauten Hosianna, zum letztenmal von begeistertem feurigen Prophetengesang. „ Gesegnet sey, der kommt im Namen des Herrn! “ Aber itzt kommt kein Prophet. Der Sohn selbst,523 der Erbe zieht ein in den Weinberg seines Vaters. Das Volk Gottes hat seine Bestimmung vollendet, es soll verschwinden vom Schauplatz der Welt, zerstreut werden unter die Menschen. Das Reich ist von ihm genommen und den Heyden gegeben. Ach es muß nach dem Fluch des Schicksals verdorren, wie der Feigenbaum, der keine Früchte trägt. Christus sieht die auf ihre alte Heiligkeit stolze Stadt und weinet über sie. Dieser Tempel soll abgebrochen werden, und die menschliche Natur allein der Tempel des versöhnten Gottes seyn. Der Erbe der ewigen Wahrheit, der göttliche Richter der Erde, findet sein Erbtheil besessen von Feinden, entheiligt vom Priesterthum, von heuchelnden Predigern der nur äußern Gesetzlichkeit. Der sein Brod isset, tritt ihn mit Füßen. Er treibt aus dem Hause seines Vaters die, welche es durch niedern Eigennutz entweihen, er schilt die Pharisäer. Er ist in ihren Augen ein Aufrührer, ein Wahnsinniger. Die Stunde seiner Ueberantwortung kommt, und er weiß es. Er nimmt Abschied von seinen Jüngern in heiliger Nacht. Er, das Wort der Liebe, die allbelebende, allernährende Seele der neugeschaffnen himmlischen Welt, die neue höhere Natur, die von nun an wohnen soll in dem Menschengeschlecht, welches der niedern Natur entsagt hat, ordnet eine neue Speise, einen neuen Trank, das Fleisch und das Blut seines göttlichen Leibes, das alle seine Glieder begeistern soll zum höhern Leben. Das göttliche Blut, das für die Welt vergossen ward, soll aus dem Einen, der sich opferte, übergehen in alle, in denen er leben wird. Hier ist keine Bedeutung (wie die Reformirten524 meynen). Es ist die wirkliche Nahrung der christlichen Gemeinde. ─ Er, der die Welt überwunden hat, geht nun zum Vater, um seinen Gläubigen die Stätte zu bereiten. Mit aller Hoheit seines göttlichen Wesens duldet er nun die Leiden und den Spott blinder Weltmenschen, die nicht wissen was sie thun, duldet er nun einen Tod, zu dem er sich aus freyer Liebe im Vertraun auf das höhere Selbst des Weltalls bestimmt hat. Seine Worte am Kreuz sind Sphärengesang in den Ohren der Geister, die würdig sind sie zu fassen. Der bitterste Kelch, die trübste Minute in der ganzen Geschichte der Seelenwelt, der Augenblick, wo er ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? mit einem Ruf, der durch das innerste Mark alles Lebens dringt, geht vorüber. ─ Er befiehlt sein menschliches Jch in die Hände des Gottes der Liebe, dem er sich nach den Anordnungen des Schicksals opfert. Die Erde bebt. Er stirbt, und es ist vollbracht. Und von nun an ist alles himmlisch, von nun an kein Tod mehr, überall schöpferisches geistiges Leben in der erleuchteten Natur. Mögen die verfinsterten Juden den Leichnam bewachen, Christus, der Sohn des Unsichtbaren, der sich in Gewißheit der väterlichen Liebe dem höllischen Abgrund des Grabes übergab, hat im Bewußtseyn der Göttlichkeit durch seinen eigenen Tod den allgemeinen Tod in der Seelenwelt bezwungen. Mit allmächtiger Hand schmiedet der Gestorbene tief in der Hölle es an, das undenkbare Ungeheuer, auf daß kein Gedanke mehr an denselben in den christlichen Himmel komme. Die Verwesung kann nicht vernichten,525 was einmal vom Worte der Liebe beseelt und neugeboren war. Ohnmächtig steht der von Gott abgefallne schwarze Geist der sich frey und klug dünkenden niedern Selbstheit. Die Menschen haben kein Jch mehr, das mit Stolze von ihm besessen und gequält werden kann. Sie haben kein Jch mehr, das Vernichtung verdient. Und Christus, der Schöpfer des Himmels auf Erden, ist auch der erste, der ersteht in diesem seinen irdischen Reiche. Boten Gottes sitzen auf seinem offnen Grabe. Er selbst, der König der Geisterwelt, tritt unter seine erleuchteten Gläubigen, und legt die Hände auf sie. „ Friede sey mit Euch. Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes. Siehe ich bin bey Euch alle Tage bis an der Welt Ende. “ Dann verschwindet er auf immer sichtbar aus ihren Augen. Aber ausgegossen wird auf sie die Feuertaufe des Geistes. Und sie thun, wie ihnen geboten ward. Sie lehren in allen Sprachen der Fremde, thun Wunder, und sterben den Märtyrertod. Die Erleuchtung breitet sich aus. Der größte Theil der gebildeten Erde huldigt dem neuen Glauben. Die übermüthigen weltlichen Jdole des Götzendienstes werden umgestürzt, und das Zeichen der Demuth, der über den Stolz erhabenen göttlichen Liebe, der Trost der Leidenden, das Kreuz, an das sich so viele sterbende Geschlechter der Menschen hielten, überall erhöht. Nach langen Jahrhunderten zogen fremde noch halb rohe Nazionen, Kaiser und Könige mit abgelegten Zeichen der weltlichen Ehre an der Spitze ihres Heereshaufen, andächtig zu dem heiligen Ort, wo der526 von seinem Volke verachtete Christus litt. Aber, was mehr ist als dieses, noch nach langen Jahrhunderten erhob die wohlthätige Jdee des Gottes und Menschen, des Einzigen, in dem die Menschheit, nach dem Gesetze des Schicksals, sich selbst anbeten, sich vor dem Richter rein nennen darf, die vom niedern Leben gedemüthigten, unter der Last des Staubes erliegenden Seelen. Die vor dem Allerheiligen zitterten, lernten ihn lieben, weil er ihres Gleichen war, weil er, wie sie, kämpfte und ihre Schwächen hinwegnahm. So war das irdische Leben des Helden der biblischen Geschichte, das man nur allein in den Evangelien kurz und rein dargestellt findet. Menschliche Dichter versuchen umsonst mit dem Schwunge ihrer Einbildungskraft die Züge jener Wundergeschichte zu verschönern. Andächtler versuchen umsonst durch weitschweifige Betrachtungen die Menschen aufmerksamer darauf zu machen. Nur Christus selbst hat Worte der Ewigkeit. Aufklärer versuchen umsonst dieses Leben seiner wundervollen Wirksamkeit zu berauben und es in die gemeine Sphäre profaner Begebenheiten herabzuziehn, weil es zu innig mit allen Bedürfnissen des menschlichen Gemüths verwebt ist. Noch schallt der Name Christus in unsern Tempeln. Aber die zwey allerwärmenden Jdeen seiner Lehre und seines Wandels, Glauben und Liebe, sind nur noch in wenigen Seelen.
§. 3.
So weit von der biblischen Poesie nach ihrem Hauptinhalte. Die besondern Formen, welche527 die Poesie des alten Testaments an einzelnen Orten annimmt, sind schon von vielen Gottesgelehrten bestimmt worden, und erfordern eine eigene Bearbeitung.
Anmerk. Als Stücke der höhern lyrischen Poesie sind zu merken: 1) die hebräische Ode. Daß auch sie ursprünglich mit Musik verbunden war, zeigt die Ueberschrift vieler Psalmen: Lamnazeach, wenn dies anders richtig mit dem Vorsänger oder vorzusingen übersetzt wird. Denn die Erklärung der Worte, welche musikalische Jnstrumente u. dgl. bedeuten, ist sehr ungewiß. Zur eigentlichen Ode kann man die Psalmen rechnen, wo Einer spricht, es sey nun David oder ein anderer Verfasser. Der lyrische Jdeengang der Psalmen hat viel Aehnlichkeit mit dem horazischen. Das Gedicht beginnt mit einem Aufruf, einer begeisterten Frage, mit einer feyerlichen Vorbereitung zum Gesang, mit einer Sentenz. Die Uebergänge sind rasch und kühn, es giebt historische Digressionen, und oft verliehrt sich der Dichter in einer Episode, in einer Allegorie, und schließt mit ihr. Doch bleibt er auch wohl seinem großen Gegenstande, welcher gewöhnlich das Lob Gottes ist, getreu. Oft wechselt der erhabene Styl mit dem sanften Schönen und Reizenden ab. 2) Die hebräische Hymne. (Ode in Liederform, wo mehrere Chöre mit Jntermezzos und auch einzelnen Stimmen abwechseln, z. B. Psalm 8.) Hierher gehören auch die Siegeshymnen Mosis, der Debora und Davids. Die älteste dieser Art ist das Danklied Mosis am rothen Meer. 3) Die Prophezeyungen, Orakel und Visionen528, welche ebenfalls im höchsten Odenschwunge sind. Besonders ist hier die Sammlung zu merken, bey welcher Jesaias zum Grunde liegt. Ezechiel ist der hebräische Aeschylus. Die bilderreiche, in Ansehung der Zeiten unbestimmte Sprache der Hebräer ist für die Orakel sehr passend. Als Stücke der niedern lyrischen Poesie kann man merken: 1) die hebräische Elegie, die oft im Tone der Nänie, oft ein ruhigeres ἐπικηδειον ist. Hier sind besonders die Klagelieder des Jeremias anzuführen, eine Sammlung in Form der Todtengesänge gewöhnlich in fünf Theilen und dramatisirend. Die Verse sind alphabetisch, das Metrum langsam, schleppend, vielsylbig. Die Hebräer hatten ganze Elegieensammlungen, mehrere Psalmen sind rührende Elegieen. Vorzüglich schön ist die Elegie Davids auf Sauls und Jonathans Tod mit einem Chor. 2) Die lyrische Jdylle der Hebräer. Lyrische Gedichte im naiven Hirtenton. Hierher kann man den Propheten Amos rechnen. ─ Die einzelnen Stücke der darstellenden Poesie bey den Hebräern sind: 1) historisch. a) erhabene Geschichte. Als Heldengedicht kann man die Bücher Moses ansehen, der in mehrerm Betracht der Homer der Hebräer ist. Einzelne dramatische Stücke giebts in den Propheten, die oft personifiziren und handeln lassen. Das Buch Hiob, das hohe Lied Salomonis, sind beyde dramatisirt. Doch ist es keine eigentliche Handlung, weswegen wir das erste zum Lehrgedicht, das andre zur Allegorie zählen. ─ Erhabne Geschichte in Liederform, wie altyrinchische Hymnen ─ kleine historische Psalmen, z. B. 78. 529Einige nennen dergleichen Stücke Jdyllen, im weitsten Sinne des griechischen Worts, wo es ein kleines vollendetes Ganze heißt (εἰδυλλιον). b) Geschichte, die mehr zum niedern Schönen Stoff giebt ─ z. B. historische Jdyllen. Hierher kann man das Buch Ruth, manches aus dem Leben der Erzväter rechnen u. s. w. 2) Die darstellende Poesie der Hebräer hat auch vorzüglich didaktische Stücke aufzuweisen. Hierher gehören a) Lehrgedichte in bistorischer Form, z. B. das Buch Hiob, eins der erhabensten glänzendesten Gedichte des Alterthums, das aber nicht ganz zu den Nationalwerken der Jsraeliten zu gehören scheint. Es liegt zwar eine dramatische Geschichte zu Grunde. Allein der Hauptgegenstand ist der Streit Hiobs und seiner Freunde, und Gottes Ausspruch, eine Theodizee wegen des Uebels in der Welt, welche Ergebung in den Willen, in die höchste Weisheit und Majestät Gottes verlangt. b) Lehrende Systeme. Hierher kann man das Predigerbuch oder die predigende Weisheit Salomons rechnen. Die Hauptlehre ist Vergänglichkeit und Hinfälligkeit der menschlichen Dinge. Also ist Zusammenhang im Ganzen. c) Sammlung von Sentenzen, כילשמ . Die Sprüchwörter und kurzen Sentenzen, und überhaupt der gnomische Styl ist der hebräischen Poesie als Poesie vorzüglich eigen. ─ Hierher gehören die Sprüche Salomons. Sie haben eine Einleitung, und alsdann folgen abgerißne Parabeln und Sprüche. Nachahmungen davon sind das Buch Sirach und die Weisheit Salomons in griechischer Sprache. d) Lehrgedichte in Liederform, z. B. manche530 Psalmen, die alphabetischen. 3) Es giebt auch beschreibende Gedichte, Beschreibungen in Liederform. Manche Psalmen sind hierher zu rechnen, die nicht den freyen lyrischen Charakter haben, sondern die Majestät Gottes im Weltall schildern. 4) Endlich giebt es auch allegorische Gedichte. Hierher kann man im alten Testamente nach christlicher Auslegung besonders das hohe Lied Salomons rechnen. Es ist eine mystische Allegorie, die nur erst durch das Christenthum volle Bedeutung erhielt. Gott liebt die Seelenwelt, wie schon nach hebräischer Vorstellungsart Jehova seine Nazion, und sie wird mit ihm vermählt. ─ Christus deutet auch oft auf diese Allegorie, wie er sich überhaupt als moralischer Lehrer der Parabeln bedient.
§. 1.
Die lyrische Poesie ist diejenige, in deren Produktionen die Empfindung des Schönen ganz frey und an keinen individuell bestimmten Gegenstand gebunden erscheint.
§. 2.
Da die Gemüthsstimmung des Dichters sich entweder auf das höhere oder auf das niedere Schöne richten kann, so giebt es eine höhere und eine niedere lyrische Poesie.
§. 1.
Die Gedichte der höhern lyrischen Poesie, welche nicht durch eine zufällig hinzukommende be =534 sondere Form einen andern Namen erhalten, wollen wir im Allgemeinen Oden nennen.
Anmerk. Diese griechische Benennung ist ursprünglich musikalisch, wie die ganze lyrische Poesie von der Lyra herstammt, welche Merkur erfand. ─ Ὠδος heißt nach einigen Grammatikern der große Becher, der bey den griechischen Gastmählern mit Gesang herumgegeben wurde. Sonach wäre Ode und Skolion oder Tafellied ziemlich synonym. Man ist indeß bey allen Nazionen übereingekommen, alle lyrische Gedichte höherer Art, sobald sie durch keine besondere zufällige Form einen andern Namen bekommen, Oden zu nennen.
§. 2.
I) Theorie der Ode. 1) Da die Materie der Ode eine lyrische durch kein Objekt fixirte Gedankenreihe ist, welche die Stimmung des höhern Schönen nährt, so ist alle Einheit, welche diese Dichtungsart verlangt, nur darinnen zu suchen, daß die Empfindung des höhern Schönen in ihr herrschend bleibe. Das höhere Schöne hat mehrere Unterarten. Das Große, das Starke, das Heftige, das Erhabene. Diese können in einer Ode mit allen ihren Modificationen unter einander abwechseln. Selbst das niedere Schöne kann darein verwebt werden. Nur535 darf es nicht überwiegend seyn. Am allerwenigsten darf es unter einer Modification erscheinen, welche das höhere Schöne stöhrte.
Anmerk. Da die Stimmung zum höhern Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung ist, welche im Menschen mehr durch Leidenschaften, als durch kaltes Denken gewirkt wird, so ist begreiflich, warum einige den wesentlichen Jnhalt der Ode in Schilderung der Leidenschaft gesetzt haben. Allein die Schilderung der Leidenschaft, die dunkle heftige Empfindung macht eigentlich nicht das Gedicht, sondern der Sieg, welchen die Vorstellkraft der Phantasie ihr abgewinnt, wenn sie das Begehren des Gemüths im hellen Lichte der Schönheit zeigt. Durch die Leidenschaften kommt allerdings viel geistiges Leben in die Ode. Die eigentliche Ode muß aber doch mehr für die Fantasie, als für das Herz seyn. Darum heißt sie auch oft εἰδυλλιον, ein kleines Gemälde. Das Herz findet mehr Nahrung in der Elegie, welche bey der Leidenschaft länger verweilt. Auch ist der Odendichter oft nur in einer bewundernden Stimmung, nicht in einer begehrenden. ─ Horaz scheint in seiner Arte poetica der Ode eine bestimmte Gattung von Gegenständen anweisen zu wollen. Musa dedit fidibus Divos, puerosque Deorum et pugilem victorem, et equum certamine primum et iuvenum curas et libera vina referre. Er scheint hier vorzüglich den Pindar und die andern griechischen Lyriker in Gedanken gehabt zu haben. Allein man muß die Veranlassung536 der Ode von dem eigentlichen Hauptinhalte unterscheiden. Die Veranlassung der Ode kann bestimmt seyn. Die Gedankenreihe selbst ist und bleibt unbestimmt. Die Veranlassung erweckt im Dichter die Empfindung des Schönen, und diese nährt er durch willkührliche Gedanken. Diesen Gedanken nach wechseln im Gedicht Beschreibungen, Lehren, Erzählungen ab. Aber dies alles sind episodische Nebenideen, zusammengekettet durch eine freyere Jdeenassociation. Man hat gefragt, ob eine Ode Handlung enthalten könnte. Jm eigentlichen Sinne dieses Worts muß die Frage verneint werden. Die Darstellung einer Handlung würde die Jdeenreihe nicht durch sich selbst, sondern durch äußere Umstände ganz bestimmen. Oden sind also fehlerhaft, wo man sich den Gang der Gedanken nicht durch die Gemüthsstimmung des Dichters selbst, sondern durch vorausgesetzte äußere Veränderungen erklären soll. Wenn also z. B. in einer Ode sich der Dichter eine geliebte Nymphe denkt, die er verfolgt, und plötzlich ausruft: „ Ha, dich, flüchtiges Reh, dich hab ich erhascht! “so ist dies nicht zu billigen, weil man sich dabey äußere Umstände denken muß, die die Jdeenreihe nicht bloß veranlassen, sondern immerfort nen bestimmen. Es giebt zwar ganz erzählende Oden, der Einkleidung nach, z. B. die Weissagung des Nereus, Horaz I. 15. Allein wenn gleich die Vorbereitung historisch ist, welche uns einen Schauplatz gleichsam für die Ode bestimmt, so ist doch die Weissagung des Nereus selbst lyrisch, eine ganz freye, objektiv unbestimmte Gedankenreihe. Es giebt auch dramati =537 sirte Oden, wo mehrere historisch bestimmbare Personen sprechen, z. B. Horaz I. 28. Doch auch hier liegt keine Handlung zum Grunde. Die Gedankenreihe des Gesprächs ist lyrisch so verbunden, daß man weiter keine äußern Umstände braucht sie zu erklären. Zwey sprechen. Aber es ist, als wenn nur Einer spräche. So fließt eins aus dem andern. ─ Es giebt auch Oden, wo der Dichter sagt, daß er handeln will, wo er uns Entschlüsse bekannt macht. Z. B. „ Freund, laß die Laub uns schließen “u. s. w. Klopstock an den Rheinwein. cf. Horaz I. 27. Hier spricht Horaz mit seinen Freunden beym Gastmahl. Zwischen den Worten depone tutis auribus und ah miser kann man sich zwar eine Handlung denken, als wenn der Freund dazwischen gesprochen hätte. Allein es läßt sich auch so erklären, daß Horaz ahnet, was er antworten wird, wie Klopstock in der Rheinweinode und weiter spricht. Auch dadurch bekömmt die Ode noch keine Handlung, wenn die Phantasie des Dichters ihm etwas vergegenwärtigt, wie in Klopstocks Ode an Ebert: „ Leitet den sterbenden Greis! “ Nur muß die augenblickliche Stärke der Begeisterung so groß seyn, daß man sich die Handlung als phantastisch, nicht als wirklich denkt. Klopstocks Wingolf ist ein künstliches dramatisches Odengebäude. Für solche und ähnliche Stücke sollte man mehr den Ausdruck lyrische Scene gebrauchen. Wo wirkliche Handlung zum Grunde liegt, ist es eine historische Dichtungsart, und die lyrische Form zufällig. ─ Will man übrigens, wie Klopstock einmal in seiner Gelehrten Republik, jeden Entschluß in der Seele, jedes538 Schwanken, Zweifeln u. s. w. eine beginnende Handlung nennen, so läßt sich dawider nichts einwenden, allein dann ist das Wort nicht kunstmäßig gebraucht. ─ So viel zur Erläuterung des Satzes, daß die Ode keinen objektiv bestimmten Jnhalt habe.
Anmerk. 2. Am wirksamsten ist der Gang der ästhetischen Empfindungen in der Ode, wenn das Gedicht mit dem Heftigen, Starken, Großen oder Feyerlichen beginnt, und mit dem Erhabenen schließt. Denn dies ist der natürliche Gang des menschlichen Geistes. Doch kann man den Dichter hierin nicht beschränken. Nur müssen die Uebergänge aus einer Untergattung des Schönen in die andere nicht widernatürlich und zu kontrastirend seyn. Man kann hier viele interessante Bemerkungen machen, wenn man die schönsten Oden nach theoretischen Bestimmungen analysirt. Man nehme z. B. d. Horaz. Ode III. 11. Erst das Feyerliche ─ dann folgt ein heiteres Bild des reizend Schönen. Dann das Starke, hierauf das Schauerliche, und der Schluß ist erhaben. ─ Jn der Ode Augustam amice pauperiem pati (III. 2.) beginnt das Starke, dazwischen ist ein Lichtstrahl sanfter Liebe geworfen, dann folgt das Heftige, hierauf kommt eine hohe Empfindung. Das Bild der Tugend, welche die Erde verläßt, ist erhaben, und die Ode schließt wieder mit dem Starken. Da die Empfindung des höhern Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsstimmung voraussetzt, so wird der Odendichter seine Seelenkräfte entweder durch einen feyerlichen Anruf zu seinem Gesange sammeln, oder539 er wird mit einer heftigen und lebhaften Frage beginnen: Quo me Bache rapis? ─ Wohin wird mein Gesang verschlagen? Uz. ─ oder eine starke große Sentenz an die Spitze seiner Jdeenreihe stellen: Iustum et tenacem etc. Da die Ode eine gewisse Freyheit der ästhetischen Empfindung behauptet, so wird sie am Schlusse das Erhabene, wie ein Epiphonem lieben, das einen unbestimmbaren Nachhall in der Seele zurückläßt. Das niedere Schöne, welches sich in der Ode findet, darf die Kraft der Ode nicht ganz erweichen, es darf auch durch keine ganz kontrastirende Modification stöhren oder beleidigen. Z. B. Das Scherzhafte darf in der Ode eigentlich nicht statt finden. Klopstock hat zuweilen Scherz in seinen Oden, aber allemal unter einer edlen Form. Manche anakreontische Gedichte sind vollkommne Oden. Manche Stücke des Horaz, in welchen die Freude, die Liebe herrscht, sind nichtsdestoweniger vollkommene Oden. Denn diese Dichter verbinden immer mit der Aufmunterung zur Freude, des Gastmahls und des Bechers den Gedanken an die Vergänglichkeit des Lebens, an den Tartarus. Huc vina et unguenta, et nimium breves flores amoenae ferre iube rosae. ─ Linquenda tellus et domus et placens uxor ─ oder Anakreon führt uns vom Gastmahl zur Anschauung der ganzen Welt: ἡ γη μελαινα πινει κ. τ. λ.
§. 3.
2) Da die Ode keinen objektiv bestimmten Gegenstand hat, aber doch eine Gedankenreihe enthält,540 die, als solche, nicht ganz logisch unvollkommen seyn darf, so muß in Absicht auf die Gedanken und Bilder eine künstliche Unordnung herrschen, die auf einen verborgenen Plan hindeutet.
Anmerk. So wie der Dichter eine zufällige Veranlassung zu seiner Gemüthsstimmung haben darf, die er gleich anfangs ankündigt, so kann und muß er auch einen Hauptgedanken haben, welcher der ganzen Jdeenreihe ein gewisses Licht giebt. Nur darf dieser nicht als der Hauptgedanke angekündigt seyn und logisch durchgeführt werden, sonst würde dies der Phantasie Zwang anlegen. Daher wird er weder mit dem Hauptgedanken beginnen, noch mit ihm schließen. Denn nur dadurch bekommt die Jdeenreihe eine gewisse Unendlichkeit, daß sie zu Anfang und zu Ende frey ist. Darum verliehrt sich Horaz sehr gern am Ende seiner Gedichte in die Darstellung eines Bildes, einer Geschichte. Er will z. B. III. 11. die Lyde rühren durch seinen Gesang. Diese Absicht giebt er nicht gleich anfangs zu erkennen. Sondern er ruft den Merkur an, den Erfinder des Gesangs. Nun erwähnt er erst seine Hauptabsicht, daß er die Geliebte erweichen will. Dann verliehrt er sich ganz in die Erzählung der Geschichte eines liebenden großmüthigen Mädchens, und schließt damit. Hier scheint er sich von seinem Wege verirrt zu haben. Allein die freye lyrische Unordnung deutet auf einen verborgenen Plan. Denn Lyde kann an dieser Erzählung sich ein Beyspiel nehmen. ─ L. III. od. 4. ist die Hauptidee vielleicht, die Horaz hatte,541 den Einfluß der Musen auf die Bildung der rohen Macht dem Cäsar ans Herz zu legen. Aber sie ist nur mit einigen Worten in der Mitte angedeutet. Das Ganze ist freye Phantasie, die sich aber darauf bezieht. Die freye Gedankenreihe in den Oden, welche die größte Willkühr der Phantasie behaupten, zeigt sich auch darinnen, daß oft eine Kleinigkeit dem lyrischen Dichter Gelegenheit zu einer erhabenen Ansicht des Lebens giebt, z. B. Hor. III. 21. Am allerschwersten ist der Plan der Pindarischen Oden zu entdecken und zu behalten, weswegen Erasmus Schmid sie auch in Tabellen gebracht hat. Gleichwohl ist Pindar mehr wegen seines üppigen Ausdrucks, wegen seiner Jdeenassoziationen und Uebergänge schwer. Jm Ganzen bleibt er immer fast zu viel und zu einseitig bey seinen fürs höhere Gefühl armen Gegenständen. Er beginnt mit der Hauptidee, kehrt auch zu derselben zurück. Seine historischen Digressionen, wodurch seine Öden oft unsern Balladen ähnlich werden, sind durch die Natur der griechischen Kampfspiele bestimmt, und nur in Zusammensetzung einzelner Gedanken findet man lyrische Unordnung. Man kann dann wohl, wie die Dichterin Corinna, mitunter von ihm sagen: der Same müsse mit der Hand gestreut, nicht in ganzen Säcken ausgeschüttet werden. Klopstocks Oden sind voll tiefen Gefühls, und die herrschende Empfindung läßt seine Phantasie nicht sehr herumschweifen. Nur die einzelnen Uebergänge machen den Plan zuweilen schwer. Ramler und Uz haben mehr den Horaz nachgeahmt.
542§. 4.
3) Da die Ode eine höhere Gemüthsstimmung voraussetzt, welche durch keinen äußerlich bestimmten Gegenstand genährt wird, also nicht bleibend seyn kann, so muß sie ihrer Natur nach kurz und ihr Styl gedrängt seyn. Keiner Dichtungsart kommt die hohe Sprache zu, welche die Ode hat, weil in ihr der Dichter allein spricht, und seine erhabenen Empfindungen mittheilt.
Anmerk. Weder Pindar noch Rousseau machen von dieser Regel der Kürze eine Ausnahme. Pindars Oden nähern sich oft mehr der Natur von Erzählungen in lyrischer Form unsrer Balladen. Nur in dieser Qualität kann man sie nicht zu lang finden. Der Engländer Prior hat Oden von fünf und dreyßig zehnzeiligen Strophen. Rousseaus Oden pflegte Klopstock Dissertations lyriques zu nennen. Sie sind zuweilen mehr Lehrgedichte in lyrischer Form, als wirkliche Oden. Ueberhaupt kommt es bey Classification der Gedichte auf das an, was die Hauptsache ist. A potiori fit denominatio, wie wir schon bemerkt haben. Es kann ein Dichter erzählen und lehren wollen, und seiner Gedankenreihe dabey eine freyere lyrische Form geben, als wär er an seinen Gegenstand nicht gebunden. Dann ist er kein lyrischer Dichter, wenn er auch noch so viel lyrische Stellen einmischt. Wiederum kann ein Dichret nur erzählen. Wenn aber seine Erzählung ihrer Natur nach Nebensache, Einkleidung, und nichts als das543 Symbol einer höhern Gemüthsstimmung ist, so ist sein Gedicht dennoch eine Ode, z. B. die beyden Musen; Skulda von Klopstock; Bachum in remotis rupibus vidi. Hor. Es ist ein kleines vollendetes Gemälde von einer Empfindung des höhern Schönen, die nicht an einen äußern Gegenstand als Jdeal fixirt ist. Was erzählt wird, erregt als Handlung nicht das Hauptinteresse, ist auch nicht objektivisirte Jdee, sondern ist nur die Schilderung, das Sinnbild einer interessanten Gemüthsstimmung. ─ Uzens Theodizee, und Drydens Ode auf den Cecilientag stehen vielleicht gerade auf der Gränze zwischen dem Lehrgedicht, der Erzählung und der Ode. ─ Eben wegen der nothwendigen Kürze, welche die Ode verlangt, ist ein großer Dichter an nichts leichter zu erkennen, als an der Art, wie er zu schließen versteht. ─ Der Styl der Ode muß kräftig und gedrängt seyn, kann ans Außerordentliche gränzen. Denn in der Ode koncentrirt sich so zu sagen die Quintessenz der Dichtkunst. Wenn der Styl auch zuweilen seinem Gegenstande zufolge natürlicher ist, so darf er doch nie gedehnt seyn, wie der elegische. Daher das, was die Theoretiker bey den Uebergängen den lyrischen Sprung nennen. Alle gewöhnliche Mittelideen werden weggelassen. Kein andrer Dichter wie der Odendichter darf mehr so denken wie Rousseau: Lecteur, s'il faut tout vous dire, ne me lisez point.
§. 5.
4) Da der Styl der Ode gedrängt, kurz und kräftig ist, so paßt für sie auch nur ein Metrum von544 kurzen Versen, welches den Strom der Rede in engen Schranken hält und dadurch erhöht. Vorzüglich sind die strophischen Versarten auf sie anzuwenden, weil diese am meisten das Gepräge der Vollendung haben. Der Styl der Ode ist der vollendeteste von allen, und bedarf auch einer vorzüglich musikalischen Sprache. Die einzelnen lyrischen Sylbenmaaße, in wie fern sie für besondre lyrische Empfindungen passen, haben wir schon oben genauer bestimmt.
Anmerk. Bey den Griechen war die lyrische Poesie zuweilen nicht nur mit Musik, sondern auch mit Wendungen des Tanzes verbunden. Daher in den Oden und Chören Strophe, Antistrophe, Epodos. Daher und wegen der Musik mußte die Antistrophe dem Takt nach der Strophe correspondiren. Alcäus, Sappho, Horaz u. s. w. haben monostrophische Oden. Diese hießen eben wegen der Beziehung auf den Tanz, der hier wegfiel, auch ϛασιμα. Bey den neuern Nazionen hat man den Reim für die Ode angenommen. Aber auch hier sind Stanzen oder besondere Reimsysteme nöthig, um dem Metrum die gehörige Vollendung und Rundung zu geben. Bey den Jtalienern sind besonders die Canzonen für die höhere lyrische Poesie. Sie haben auch ihre Ballata und Contraballata, Volta, Rivolta und Stanza, wie die Griechen ihre Strophen und Antistrophen, Epoden angenommen. Manche Sonnette von Petrark sind vollkommne545 Oden, wiewohl die Form des Sonnets für den lyrischen Schwung eigentlich zu peinlich ist. Boileau sagt, es sey vom Apoll zur Marter armer Dichterseelen erfunden. Nur Petrarks hoher Geist konnte in diese niedliche Form freyes himmlisches Leben bringen. Abraham Cowley, der Vater der englischen Odenpoesie, hat die in diesem § behauptete Regel, daß die strophischen Versarten für das Wesen der Ode, als des vollendetesten Gedichts, nöthig sind, vernachlässigt. Allein pindarisch wird dadurch eine Ode nicht, wenn gar keine metrische Symmetrie statt findet. Für das griechische Ohr war gewiß Pindar musikalisch genug. Die französische Ode hat oft abwechselnd kurze und lange Verse in ihren Stanzen, und diese Mischung trägt, wie Fenelon bemerkt, viel zur Harmonie bey.
§. 6.
5) Die Ode nimmt verschiedene zufällige Formen an, oder sie bekommt auch, ihrem veranlassenden Jnhalte nach, zuweilen Nebenbenennungen, ohne daß in beyden Fällen der Hauptname Ode ganz verlohren ginge.
Anmerk. Es giebt, wie wir bemerkt haben, a) dramatisirte Oden, z. B. Selmar und Selma in Klopstock, Horaz und Lydia. Das Gespräch muß aber doch Eine einzige lyrische Jdee seyn, ohne Handlung, sonst wird es ein darstellendes historisches Gedicht, wo die lyrische Form zufällig ist, eine lyrische Scene. b) Oden in Briefform. 546Die Odendichter reden oft im Anfange ihrer Gedichte einen Freund an, den sie sich als gegenwärtig denken. Oft hat die angeredete Person ihrem Charakter nach wenig oder gar keinen Einfluß in das Gedicht, z. B. Horat. Lib. II. 3. moriture Delli, Posthume Posthume ─ Es müßte denn seyn, daß der Dichter eine gewisse Wahrheit gerade diesem Freunde ans Herz legen wollte. Zuweilen lernt man doch den Freund, an den die Ode gerichtet ist, aus dem Gedichte kennen, z. B. Albi, ne doleas. Hor. Hieraus sieht man Tibulls elegischen Charakter. Klopstocks Oden an Gleim. ─ Dieses macht noch nicht die Briefform. Zuweilen ist letztere jedoch unverkennbar, z. B. Horat. I. 20. Vile potabis etc. und Klopstocks Gedicht: Cidli, du weinest und ich schlummre sicher ─ c) Zuweilen giebt auch eine besondere Modifikation des Schönen der Ode einen eigenen Charakter. Wir haben das Satyrische zwar zum niedern Schönen gerechnet, allein bemerkt, daß es auch eine heftige Satyre gebe, die sich dem Erhabenen nähert. Es giebt daher satyrische Oden. Archilochus soll dazu den Jambus gebraucht haben. Daß Horaz auch wohl dergleichen gemacht haben mag, zeigt seine Palinodia L. I. od. 16. und sein Buch Epoden. Man hat dergleichen satyrische Oden, wo gewöhnlich ein längerer Jambe mit einem kürzern abwechselt, nach der Bemerkung des Hephästion Epoden genannt, welche Benennung auch von deutschen Dichtern gebraucht worden ist. Scaliger findet in dem Ausdruck weiter nichts, als einen Anhang von Oden. Alle Epoden des Horaz sind nicht geradezu satyrisch. Z. B.547 gleich die erste an den Mäzen ist nur ein Scherz. ─ Das schöne Gedicht: Beatus ille, hat nur einen satyrischen Schluß, der eigentlich nicht recht paßt. ─ Wegen der Veranlassung zu manchen Oden haben sie auch zuweilen eigne Benennungen erhalten. d) Epinicia, wurden bey den griechischen Spielen dem Sieger gewidmet. Daher die Pindarischen Olympionicae, Nemeonicae, Pythionicae, Isthmionicae. Man sollte dies nicht Siegeshymnen übersetzen. Denn Hymne, wenn man endlich einmal eine feste Kunstsprache einführen will, muß für die Gesänge bleiben, wo nicht blos der Dichter, sondern mehrere zusammen singen. e) Das Melos, Liebesgedichte (ἐρωτικα) in freyerm Odenschwung, soll der Lyriker Alcwan erfunden haben. Hierinnen ist Sappho vor allen berühmt. f) Die Scolia der Griechen. Zuweilen sangen mehrere zusammen bey den Gastmählern. Dann mochten es keine Oden, sondern mehr gesellige Lieder seyn. Allein zuweilen ward nach der Reihe gesungen, von jedem Einzelnen, der alsdann eine Myrte oder einen Lorbeer auf dem Haupte und in der Hand trug. Diese Scolia, wie wir aus dem sehen, was davon auf unsre Zeiten gekommen ist, sind wahre Oden im freysten lyrischen Schwung, enthielten das Lob eines berühmten Mannes, z. B. das berühmte ἐν μυρτου κλαδι auf den Aristogiton und Harmodius, auf den Aiar, oder eine Lebenssentenz. Das Scolion des Timocreon Rhodius wider den Reichthum, das gewiß bey unsern Festen nicht gesungen werden würde, weil unsre Feste gern nichts wie Beweise des Reichthums seyn möchten. ─ Der berühmte Päan (im uneigentlichen548 Sinn des Worts) des Aristoteles. ─ Woher der Ausdruck Scolion kommt, darüber ist man nicht einig. Es wird behauptet, daß dem besten Sänger ein Becher als Preis zuerkannt ward. Vielleicht kommt auch daher der Ausdruck Ode.
§. 7.
II) Die Hymne ist ein Gedicht der höhern lyrischen Poesie in Liederform, unter Voraussetzung, daß es von mehreren Menschen bey einer feyerlichen Gelegenheit gesungen werde.
Anmerk. Man muß also in genauer Kunstsprache Ode und Hymne von einander ganz unterscheiden, und der Sprachgebrauch der Dichter beobachtet auch den Unterschied. Die Ode ist eine freye erhabene Phantasie des Dichters, die eine Veranlassung haben kann und auch nicht. Die Hymne hat die bestimmte Veranlassung, bey feyerlicher Gelegenheit von einer Menge Menschen gesungen zu werden, und also die Liederform. Zwar nennen die Alten zuweilen kleine Gebete der Dichter, die an irgend eine Gottheit gerichtet sind, auch wohl Hymnen. Λαβουσα μικρον ὑμνον. Anacr. θ. Horat. L. I. 30. ist förmlich ein kleiner ὑμνος κλητικος, wie ihn die Griechen nannten, (nach Art der ersten Ode der Sappho) und so mag die Hymne, für welche Cythere das Täubchen an den Anakreon verhandelte, auch gewesen seyn. Eigentliche Hymnen sind aber Chorgesänge, wie Horat. L. I. 21. und das carmen saeculare. ─ Daß das Lob549 göttlicher Wesen die Veranlassung zu einer Hymne seyn müsse, ist dem Sprachgebrauch nach nicht nothwendig. Man hat Hymnen an das Licht (Abr. Cowley), an das Grab, auf Publicität u. s. w. Schillers Gesang an die Freude ist ganz eigentlich eine Hymne. Der Marseiller Kriegsgesang von de Lille wird auch eine Hymne genannt.
§. 8.
1) Da die Hymne ein höheres lyrisches Gedicht ist, so ist ihr Hauptinhalt eine Empfindung des höhern Schönen. Da aber die Veranlassung feyerlich ist, und vorausgesetzt wird, daß mehrere singen, so wird nicht jede Untergattung des rührend Schönen passend seyn. Diese Untergattungen werden auch nicht so unter einander abwechseln, wie bey der Ode. Denn das leicht bewegliche Gemüth des einsamen Dichters geht eher aus einer Empfindung in die andere über, als sich die Stimmung einer Menge Menschen bey einer feyerlichen Gelegenheit verändert. Es muß also mehr Einheit der Empfindung in der Hymne seyn, als in der Ode, und das Große, das Feyerliche durchaus herrschen.
Anmerk. Besonders muß der Aufang der Hymne ein προσωπον τηλαυγες seyn. Man betritt ein Heiligthum. Gewöhnlich ists ein Anruf, der die Hauptver =550 anlassung enthalten muß, die die Singenden feyerlich stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen Poesie gezählt werden. ─ Callimachus ist weit lyrischer. Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. ─ Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit eben der großen Empfindung enden, wie sie begann. Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit welcher der Dichter schließt, der Tartarus. ─ Uebrigens können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.
§. 9.
2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist, folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr551 die einzelne Gedankenreihe bestimmt, als umgekehrt die objektive Gedankenreihe die Gemüthsstimmung, so ist auch der Plan der Hymne frey und lyrischen Unordnungen unterworfen. Da aber die Hymne zugleich die Liederform hat, folglich auf mehrere Menschen berechnet ist, und mehrere Menschen, zumal bey feyerlicher Veranlassung, nicht so leicht von einem Gedanken auf den andern übergehen, so bleibt hinwiederum der Hymnendichter dem Gegenstande, der ihm Veranlassung zum Gedicht giebt, mehr getreu, als der Odendichter.
Anmerk. Die historischen Hymnen der Alten enthalten mehrentheils die Thaten eines Gottes. Diesem Gegenstande bleiben die Dichter getreu. Diese Hymnen sind hier jedoch weniger anzuführen, weil sie schon mehr darstellende Poesie sind. Davids Hymnen (s. oben) enthalten das Lob Jehovas, aber er nimmt seine Bilder ohne gezwungene Ordnung aus der ganzen Natur. Daß es bey Zeiten christliche Hymnen gegeben, beweist die Stelle beym Plinius Epp. Lib. X. 97. quod essent soliti carmen Christo, quasi Deo dicere secum invicem. Die Thaten Christi sind auch hier der Hauptgegenstand, wie wir aus den katholischen Messen sehen. Doch bestimmt ein einzelner meist die Empfindung der Gedankenreihe. Die meisten Hymnen des Prudentius sind in Ansehung der Gedankenreihe lyrisch, z. B. Cathemerinon liber. Auch von Augustin552 haben wir Hymnen. ─ Das Requiem oder die Todtenmesse: Dies irae, dies ille, ist ganz lyrisch. ─ Alle geistliche Lieder der Neuern darf man nicht unter der Kategorie von Hymnen aufführen. Die neuesten geistlichen Lieder zumal sind mehr Lehrgedichte, gnomische Gedichte in Liederform. Jn unsern ältern Gesangbüchern giebt es noch eher wahre Hymnen, weil sich darinnen noch höhere Poesie findet. ─ Popes allgemeines Gebet, Rousseaus und Cramers Psalmen sind im wahren Hymnenton; auch Klopstocks geistliche Lieder und manche seiner Oden.
§. 10.
3) Jndem die Hymne mehr die Empfindung beschäftigt, als dem Geiste eine bestimmte objektive Anschauung giebt, indem sie das Werk eines hohen lyrischen Moments ist, der die Menschen begeistern soll, verlangt sie auch eben so wie die Ode Kürze, Gedrängtheit. Da sie aber durch die Liederform etwas herabgestimmt wird, und für mehrere Menschen berechnet ist, überdem ihr Plan etwas regelmäßiger ist, als der der Ode, so leidet sie auch etwas mehr Ausdehnung als letzteres Gedicht. Die Sprache der Hymne muß wegen der feyerlichen Empfindung in hohem Styl seyn, doch nicht ganz so ungewöhnlich, wie der Odenton. Denn mehrere Menschen zusammen können seltener die freyen Wendungen des Ausdrucks nehmen, als der Dichter allein.
553Anmerk. Der historische Ton der alten griechischen Hymne ist ohne allen lyrischen Schwung. Aber man findet auch Hymnen, die wahrscheinlich in den Mysterien gesungen wurden, wie die τελεται des vorgeblichen Orpheus. Diese sind lauter Ausrufungen, lauter Epitheten, folglich ganz lyrisch. Auch in der griechischen Anthologie findet man Hymnen an den Bachus, an den Apoll in dieser Art. Natürlich dürfen solche Hymnen nur kurz seyn. Denn sie sind nichts als lyrische Benennungen des Gottes ohne Zusammenhang. Unsere Litaneyen können damit verglichen werden.
§. 11.
4) Das Metrum der Hymne darf nicht ganz so viel Mannichfaltigkeit enthalten, als das der Ode. Die Liederform verlangt eine gewisse leichtere Faßlichkeit für das Ohr.
Anmerk. Die Griechen hatten anfangs den Hexameter in ihren Hymnen. Das Metrum paßt für den historischen Styl, ist zu ausgedehnt, aber doch ziemlich gleichförmig. Doch haben die Alten auch in Strophen und Antistrophen und noch freyern Versmaaßen ihre Hymnen gesungen. Viele ihrer tragischen Chöre im Sophocles und Euripides sind vollkommne Hymnen auf das Lob eines Gottes. Horaz hat sein Carmen saeculare in Monostrophen gedichtet. Die christlichen lateinischen Dichter haben zuweilen sogar sapphisches Sylbenmaaß, oft aber auch ein leichteres554 trochäisches oder jambisches Metrum, und so ist es gewöhnlich bey den neuern Hymnendichtern geblieben, welche Stanzen und Reime angenommen haben. Manche alte Kritiker hielten den Jamben für unverträglich mit der Hymne.
§. 12.
5) Zufällige Formen und besondere Veranlassungen haben auch der Hymne zuweilen noch besondere Namen gegeben, ohne jedoch die Benennung der Gattung dabey ganz aufzuheben.
Anmerk. Hierher kann man rechnen: 1) die Kriegslieder. Tyrtäus hat zwar die elegische Form. Seine Gedichte nähern sich aber den Hymnen. Mehr romantisch sind Gleims preußische Kriegslieder ─ und Weissens Amazonenlieder. 2) Die Siegeshymnen hießen bey den Griechen Päane. Dies waren also keine Epinicia, wo Sieger in Spielen besungen wurden, sondern feyerliche Danklieder nach gewonnener Schlacht, wie unser Te Deum. Der Ausruf ἰη παιαν soll bey diesen Liedern gewöhnlich gewesen seyn. Doch brauchen die Griechen auch zuweilen das Wort Päan von andern Liedern beym Opfern, z. B. im Homer. Es giebt auch Skolien, die Päane genennt wurden, z. B. Atiphrons Päan auf die Hygieia, des Aristoteles Päan auf den Hermias, ein feuriges Loblied auf die Tugend. 3) Die gottesdienstlichen Gesänge vor dem Altar nannte man Hymnen insbesondere. Die in den Mysterien gewöhnlichen hießen dann zuweilen τελεται, und bestanden555 fast aus lauter Epitheten. 4) Dithyramben. Haben mehr den Charakter des Heftigen als des Feyerlichen. (Der Ausdruck soll daher kommen, daß Bachus zweymal geboren worden, δις θυρας ἀμειβων. Andere meynen, daher, daß, nach dem Archilochus, ein Diener des Bachus so geheißen.) Dem sey wie ihm wolle, so ist der Styl der dithyrambischen Hymnen auf den Bachus im höchsten Grade lyrisch, das Metrum wechselnd und voll kurzer Sylben gewesen. Man erfand und setzte neue lange Worte dazu zusammen. Aeschylus nennt den διθυραμβον μιξοβοαν. ─ Die Dithyramben des Pindar sind verlohren gegangen. Eine Gattung davon hieß Hyporchema. Auch Lobgesänge auf andre Götter, den Silen, die Cybele, den Priap u. s. w. heißen zuweilen Dithyramben, wiewohl auch dafür wieder andere Sylbenmaaße statt fanden (s. oben). Die Dithyramben wurden von der freysten Musik begleitet, welcher φρυγιος νομος hieß. Die dorische Harmonie hingegen (δωριϛι), welche bey den Tibiis statt fand, konnte auf den Dithyramben nicht angewendet werden. Sie war ernst und besänftigte mehr, als daß sie hinriß. ─ Die Neuern verstehen unter den Dithyramben Gedichte, wo der höchste lyrische Rausch in Sprache und Sylbenmaaß ausgedrückt ist. Sie setzen also ungewöhnliches Genie voraus. Die Ode des Horaz: Quo me Bache rapis, mag wohl noch die einzige Dithyrambe von Werth seyn. Die Jtaliener, Franzosen und Deutschen haben die dithyrambische Manier nachgeahmt, am neusten Voß und de Lisle. Klopstocks geistliche Oden nähern sich zuweilen der Dithyrambe. Nur ein solcher556 Dichter kann das mit Glück. Denn die größte Freyheit und Fessellosigkeit verlangt auch die größte Sicherheit. Sonst gilt von dem Dichter das Wort des Horaz: Vitreo dat nomina ponto. 4) Es gab hymnos κλητικους, φυσικους, μυθικους u. s. w. Man rufte die Götter, oder hypostasirte Naturerscheinungen, Tag, Nacht. Man erzählte die Reisen der Götter, (wie Homer, die des Apoll) und begleitete sie mit Segenswünschen (ἀποπεμπτικους). Man erzählte die Genealogie der Götter (γενεθλιακους) u. s. w.
§. 13.
III) Die Heroide ist ein Gedicht der höhern lyrischen Poesie in Briefform, unter Voraussetzung, daß irgend ein berühmter Held der Fabel oder Geschichte einem andern seine Empfindungen in einer merkwürdigen Situation seines Lebens schriftlich mittheile.
Anmerk. Die Heroide ist also von der Ode in Briefform noch zu unterscheiden. Dort schreibt der Dichter, hier ein fingirter Held der Geschichte. Daher auch der Ausdruck Heroide. Sulzer bestimmt das Wesen der Heroide nicht richtig, wenn er sie zur Elegie rechnet. Das elegische Sylbenmaaß und der gedehnte Ton, welchen diese Dichtart beym Ovid hat, mochte Sulzern, wie auch einen andern englischen Kunstrichter, in seinem Versuch über Pope zu dieser Behauptung bestimmen. Allein nicht allemal ist557 der Erfinder einer Dichtart gleich so glücklich, sie vollkommen zu organisiren. Wenn auch Ovid wirklich die Heroide erfunden und damit die griechische Elegie zu verbessern gemeynt hätte, so ist noch nicht die Folge, daß er in der Ausführung ganz glücklich gewesen sey. Auch zweifelt man, ob die in seinen Werken vorhandenen Heroiden alle von ihm sind. Man kennt die spielende, mehr witzige als empfindungsvolle Manier dieses Dichters. Er konnte also die Heroide nicht über den Ton der tändelnden, höchstens zärtlichen Elegie erheben. Wenn man dagegen die Jdee dieser Dichtungsart an sich betrachtet, wenn man bedenkt, daß merkwürdige Helden und Heldinnen der Geschichte ihre leidenschaftlichen Empfindungen in großen Situationen einander mittheilen sollen, (ein äußerst glücklicher Gedanke) so folgt daraus, daß diese Empfindungen solcher Seelen nothwendig zum höhern Schönen, zur höhern lyrischen Poesie führen müssen, und daß es nur ein Fehler des Dichters ist, wenn er, wie Ovid, elegisch bleibt. Man kann also behaupten, daß erst mit Popes berühmten und wahrhaft erhabenen Heroide von Heloise an Abelard diese Dichtart ganz ausgebildet worden ist. Wenn die höhere lyrische Poesie die Liederform verträgt, warum sollte sie nicht auch die Briefform vertragen? Wenn es im Fache des niedern Schönen poetische Episteln giebt, so mußte der menschliche Geist nothwendig auch auf die Erfindung erhabener poetischer Briefe verfallen. Natürlich war es da, daß man Helden und merkwürdige Menschen an einander schreiben ließ. Klopstock verweigert in seiner Gelehrtenrepublik den558 poetischen Briefen den Namen von Gedichten. Vermuthlich hatte er die Sendschreiben in Gottscheds Manier in Gedanken. Denn sonst ist kein Grund von dieser Behauptung einzusehen. „ Der Himmel selbst, spricht Pope, erfand die Schrift zur Hülfe des Unglücklichen, für irgend einen verbannten Liebenden, oder ein gefangenes Mädchen. Der Buchstabe lebt, er spricht, er haucht den Athem der Liebe, kommt warm von der Seele, und giebt treu ihr Feuer wieder. Die jungfräulichen Wünsche zeigen sich in ihm ohne Furcht. Er erspart ihnen die Schamröthe, gießt das ganze Herz aus, erhält die süße Gemeinschaft von Seele mit Seele, und bringt einen Seufzer vom Jndus zum Pole. “ Warum sollte also die Briefform eines Gedichts, selbst eines erhabenen Gedichts unwürdig seyn? ─ Freylich ist es thörig, wenn der italienische Dichter Crasso Adam an Eva, ein anderer Gott den Vater an die Jungfran Maria schreiben läßt. ─ Allein die französischen Dichter, welche den Cato an den Cäsar, Hannibal an Flamminius, Montezuma an Cortes, Carl den Ersten an seinen Sohn, Gabriele an Heinrich den Vierten, Leonora an den Tasso schreiben lassen, haben die Jdee der Heroide sehr gut gefaßt, die Ausführung sey übrigens, wie sie wolle. Es ist gar nicht nöthig, daß die Leidenschaft der Liebe in der Heroide herrsche. Eben so wenig darf die Heroide, wie Eschenburg thut, als ein dramatisches Gedicht aufgeführt werden, wenn gleich die Personen im Ovid und andern Dichtern einander antworten. Dramatisch ist blos das Gedicht, dessen Gedankenreihe durch eine dargestellte Handlung bestimmt wird. 559Die Personen in der Heroide sind aus der Geschichte. Aber ihre Briefe sind Monologen, die sich in der Seele entwickeln ohne äußere verändernde Umstände. ─ Es giebt auch Oden, wo historische Personen sprechen, z. B. Nereus im Horaz, und man nennt das doch nicht dramatisches Gedicht. ─ Da die Heroide zu den höhern lyrischen Dichtungsarten gehört, und die schreibenden Personen in großen Situationen sind, so ist das Heftige herrschend und eine außerordentliche Sprache allerdings auf sie anzuwenden. Weil aber die Natur des Briefes den lyrischen Ton wiederum mildert, so ist deshalb der Styl etwas natürlicher, die Uebergänge dürfen nicht ganz so rasch seyn, als in der Ode. Aus diesem Grunde haben auch die Dichter oft dazu das elegische Sylbenmaaß gewählt. Die Jtaliener gebrauchen dabey die Terzinen. Bey keiner Nazion hat diese Dichtungsart mehr Anhänger und auch Widerspruch gefunden, als bey der französischen.
§. 1.
Die lyrischen Gedichte, in welchen das niedere Schöne herrscht, wollen wir, wenn sie nicht durch eine besondere Form, oder Modisication des Schönen eine andere Benennung erhalten, Elegieen nennen.
Anmerk. Daß die Elegie (von ἐλεον λεγειν) ursprünglich ein Klagegesang über den Tod eines Freundes bedeute, scheint Ovid Amor. L. III, el. 9. andenten zu wollen, wo er den Tod des Tibulls beweint. Flebilis indignos, elegeia, solve capillos, ah nimis ex vero nunc tibi nomen erit. Horaz nennt die elegos miserabiles. ─ Er sagt, man kenne den Erfinder derselben nicht. Wenn die Ode zur Leyer gesungen ward, so scheint die Elegie mehr zur Tibia gesungen worden zu seyn, und auch dies zeigt ihren Ursprung in den Todtenfesten. Didymus definirt dies Gedicht θρηνον ἁδομενον προς αὐλον. Späterhin ist man dahin übereingekommen, ein jedes empfindungsvolle Gedicht, in welchem das niedere Schöne, besonders das Sanfte herrscht, Elegie zu nennen, wenn561 der Dichter selbst spricht. Die Elegie correspondirt also völlig der Ode. Sie ist für die niedere lyrische Poesie, was die Ode für die höhere ist.
§. 2.
I. Theorie der Elegie. 1) Da die Elegie ein lyrisches Gedicht ist, so wird die Gedankenreihe nicht durch einen äußern Gegenstand, der dargestellt werden soll, sondern durch die Gemüthsstimmung des Dichters bestimmt. Alle Einheit, welche diese Dichtungsart verlangt, ist, daß die Empfindung des niedern Schönen in ihr herrschend sey. Da es aber mehrere Unterarten des niedern Schönen giebt, das Sanfte, die Grazie, das Niedliche, das Naive, so können alle diese darinnen abwechseln. Selbst das höhere Schöne kann darinn statt finden. Nur muß es so modificirt seyn, daß kein Contrast, keine Stöhrung dadurch veranlaßt werde.
Anmerk. „ Die Elegie, sagt ein Kritiker, ist ein leidenschaftliches Selbstgespräch. “ Dies ist richtig, in sofern die Leidenschaft nicht heftig ist. Die Elegie unterscheidet sich von der Ode dadurch, daß der Dichter sich seiner Leidenschaft mehr überläßt. Der Schwung der Phantasie ist gebundener. Die Vorstellkraft nicht so lebhaft. ─ Das Herz ist mehr durch irgend einen begehrten Gegenstand562 interessirt. Allein dieser Gegenstand ist an sich nur die Veranlassung zum Gedicht. Nicht er soll geschildert werden, sondern die Seelenstimmung des Dichters im Lichte der Schönheit. Man darf aber auch in der Elegie eben so wenig wie in der Ode die Leidenschaft zum Hauptinhalte machen wollen. Denn die Elegie beschäftigt sich eben so oft mit Gegenständen ruhiger Neigung und Wünsche, z. B. Sehnsucht nach dem Landleben. ─ Das Sanfte scheint den Hauptton in der Elegie anzugeben, alle andere Empfindungen, welche die Elegie aufnimmt, modifiziren sich darnach. Kein Dichter hat deswegen die Einheit so gut getroffen, als Tibull, weil sich in seiner sanften Seele alles unter einem elegisch sanften Lichte darstellt. Deswegen ist es gut, daß die Elegie sanft beginnt und sanft schließt, wie ein musikalisches Stück in derselben Tonart. Wenn auch Tibull mit einer Frage, mit einer Anrede beginnt, so ist beydes doch nicht so heftig, wie beym Horaz. ─ Auch die Uebergänge aus einer Empfindung in die andere müssen eine Continuität ausdrücken, sanft und allmählig geschehn. So geht Tibull im 1. B. Eleg. 3. sogar aus dem reizend Schönen ins Grausende über. Aber es ist dieses nur sanftgrausend und der Uebergang selbst ist nicht schnell. Erst beschreibt er die Freuden Elysiums: Ac iuvenum series teneris immixta puellis ludit et assiduus proelia miscet amor. Dies Bild ist reizend und hell, nun der Uebergang: Illic est cuicunque rapax mors venit amanti, et gerit insigni myrtea serta coma. At scelerata iacet sedes in nocte profunda,563 abdita quam circum flumina nigra sonant. ─ Durch den räuberischen Tod mors rapax wird die Seele zwar vorbereitet, aber das Bild bleibt immer noch schön. Dann folgt erst die Schilderung des Tartarus. Durch jenen Uebergang, der zu gleicher Zeit schaurig und lieblich ist, wird die Continuität erhalten. Horaz hingegen stellt sogleich dem lachenden Bilde der Freude den Tartarus entgegen. Er überläßt sich also auch nicht so der Heiterkeit in seinen Bildern, wie Tibull, sondern eine starke Nebenidee stöhrt immer die frohe: huc vina et unguenta et nimium breves flores amoenae ferre iube rosae, dum res et aetas, et sororum fila trium patiuntur atra. Dagegen läßt Horaz auch oft einen plötzlich hellen Lichtstrahl entstehn, wenn das ganze Gemälde dunkel ist. Tibull bleibt traurig und klagend, wenn er einmal so begann, und geht nur nach und nach zu lichtern Bildern über. ─ Das Naive findet in der Elegie ebenfalls statt, zumal wenn sich der elegische Ton dem scherzenden nähert z. B. Tibull. L. 2. el. 3. und 6. Und auch nur unter der Gestalt der Naivität und der Grazie findet die Modification des Scherzhaften in der Elegie statt, weil sie sonst zu sehr contrastiren würde. Jn der Elegie spricht der Dichter selbst, dessen Seele nie den edeln Charakter verläugnen darf. Sein Scherz darf also nie so frey seyn, als etwa der Scherz im Lustspiel, wo eine fremde Person redend eingeführt wird. Catull und Properz gehn hier oft zu weit, auch Ovid. Tibull hingegen erhebt sich über alle diese Dichter durch das Edle seines Scherzes. ─ Die vierte564 Elegie im ersten Buche an den Priap ist voll Grazie, und man kann sie beynahe galant nennen, ungeachtet sie einen an sich nicht delicaten Gegenstand berührt. ─ Die Grazie, als die Bewegung beym niedern Schönen findet also am besten in der Mitte der Elegie statt. Der Schluß muß wieder sanft seyn, damit man nicht aus der Tonart falle. Das niedliche paßt für die Elegie am wenigsten. Es hat zu viel den Charakter der Vollendung. Eher kann eine Ode sich dem niedlichen nähern, als die eigentliche Elegie, z. B. Horaz o fons Blandusiae. ─ Die Dichter schildern die Elegie mit langen Haaren und in weiten Kleidern. Sie kann also nicht das knappe enge Gewand des Niedlichen vertragen. Unter allen Gattungen des niedern Schönen haben die Dichter das Sanfte als herrschend in ihren Selbstgesprächen gewählt, weil dieses die Wärme des Enthusiasmus am meisten nährt, am längsten erhält. Jede höhere Empfindung, die sich mit dem Sanften gar nicht amalgamiren läßt, ist eine Dissonanz für die Elegie. Ovid hat diras (Jnvectiven) gegen einen gewissen Jbis geschrieben im Elegieenton