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Entwurf einer systematischen Poetik, nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. ────────────Zweyter Theil. ──────────────────

Leipzig, bey Breitkopf und Härtel. 1804.

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Poetik. ──────Zweytes Buch.

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Dieses zweyte Buch, welches einen kurzen Grundriß zur besondern Poetik, oder zu einer Theorie der Dichtungsarten enthält, besteht aus folgenden Unterabtheilungen.

A) Erster Abschnitt. Von der göttlichen Poesie.

a) Erstes Kapitel. Von der göttlichen Poesie oder einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß des religiösen Glaubens überhaupt.

b) Zweytes Kapitel. Von der biblischen Poesie insbesondere.

B) Zweyter Abschnitt. Von der menschlichen Poesie.

a) Erstes Kapitel. Von der lyrischen Poesie.

1) Erster Unterabschnitt. Von der höhern lyrischen Poesie.

2) Zweyter Unterabschnitt. Von der niedern lyrischen Poesie.

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b) Zweytes Kapitel. Von der darstellenden Poesie.

1) Erster Unterabschnitt. Von der historischen Poesie.

2) Zweyter Unterabschnitt. Von der beschreibenden Poesie.

3) Dritter Unterabschnitt. Von der didaktischen Poesie.

4) Vierter Unterabschnitt. Von der allegorischen Poesie.

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Erster Abschnitt. Von der göttlichen Poesie.

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Erstes Kapitel. Von der göttlichen Poesie oder einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß des religiösen Glaubens überhaupt.

§. 1.

Der Jnhalt der göttlichen Poesie ist eine durch göttliche Begeisterung den Seelen offenbarte ideale Weltgeschichte, welche, wie wir oben bewiesen haben, ein unumgängliches Bedürfniß für den religiösen Glauben ist.

Anmerk. Ohne noch hier anzunehmen, was weiter unten klar werden wird, daß die Schriften, welche von den Christen unter dem Namen Bibel begriffen werden, das Bedürfniß der Offenbarung im Engern Sinne vollkommen befriedigen, betrachten wir hier den Begriff der göttlichen Poesie a priori, wie er schon von der Psychologie postulirt wird. Wer an eine solche ideale Weltgeschichte glaubt, kann auch, wenn er consequent seyn will, keine andre Quelle für dieselbe anerkennen, als göttliche Begeisterung. Das Zeugniß der Sinne kann uns ungewöhnliche Begebenheiten beurkunden, aber allein kann es490 uns über göttliche Dinge keinen Aufschluß geben, weil Gott in einem Lichte wohnt, dahin kein sinnliches Auge dringen kann, weil das ideale Prinzip der Welt in der Erscheinung als Erfahrungsobjekt nicht gefunden wird. Was die Vernunft betrifft, so offenbart sie uns zwar schon einen Aufruf zum höhern Leben im religiösen Gewissen. Der Tugendhafte, wenn er seinen Willen allein nach der Form der Gesetzlichkeit bestimmt, weiß, daß Gott sey, denn Gott, das gesetzliche Wesen, handelt durch ihn. Keinen andern Aufschluß giebt aber die Vernunft nicht. Die Vernunft kann also den religiösen Glauben, daß das gesetzliche Prinzip auch zugleich die Erscheinungswelt allmächtig lenke, nur postuliren. Will die menschliche Vernunft sich von der Wirksamkeit ihrer Willensbestimmung durch Gott in der Erfahrungswelt überzeugen, welches sie als receptives Vermögen erheischt, so bedarf sie dazu einer höhern Begeisterung, welche die sichtbaren Begebenheiten in einem idealen Lichte verklärt, und den Plan Gottes zeigt, nach welchem er die Schicksale des Menschengeschlechts nur darum anordnet, daß dasselbe zur Gemeinschaft mit ihm gelangen könne.

§. 2.

Vorausgesetzt, daß sich in der Erfahrung Traditionen und Urkunden fänden, welche auf die Würde einer göttlichen Offenbarung Anspruch machten, so fragt es sich, nach welchen Kriterien der Mensch die Aechtheit derselben zu beurtheilen habe.

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§. 3.

Da das religiöse Gewissen die höchste Quelle alles menschlichen Wissens ist, der Mensch aber nichts glauben kann noch darf, was seinem höhern Wissen widerspricht, so dürfen erstlich diese Urkunden des religiösen Glaubens dem religiösen Gewissen nicht widersprechen, sondern müssen dasselbe bekräftigen.

Anmerk. 1. Etwas anders ist zu sagen von dem niedern mehr sogenannten Wissen der gewöhnlichen nach physischen und Verstandesgesetzen geordneten Erfahrung. Dieses historische Wissen beruht ohnedieß nur auf Hypothesen, ist und bleibt ewig Stückwerk, und kann nur von falschem Witze und menschlicher Aufgeblasenheit einer Offenbarung entgegengesetzt werden. Letztere muß sogar ihrer Natur nach dem beschränkten Verstande unwahrscheinlich seyn, weil sie Gegenstände darstellt, welche nicht für sein Forum gehören.

Anmerk. 2. Der religiöse Glaube ist zwar, wie wir oben bewiesen haben, seiner Natur nach ästhetisch. Er unterscheidet sich aber eben dadurch von den profanen ästhetischen Empfindungen, daß er ein praktisches Jnteresse hat, und das Gewissen bekräftigen soll. Das höhere Leben der Tugend muß sich selbst erscheinen, muß an sich selbst glauben. Da es sich auf eine für den Verstand492 unerklärliche Jdealität der Freyheit gründet, kann es sich nicht anders objektiv werden, als im Lichte der Schönheit. Das Gefühl dieser höhern Schönheit ist aber eben deswegen heilig, weil es den Menschen stärkt, von neuem dem Aufruf zum Handeln Genüge zu thun. Dadurch widerspricht jedoch der Glaube dem Gewissen keinesweges, daß er den moralischen Zwang aufhebt, und das Gute aus Liebe vollbringen läßt. Vielmehr ist dies die natürliche Folge der Offenbarung. Der durch den Jmperativ zum zweckmäßigen Handeln aufgeforderte Mensch lernt die höchste Zweckmäßigkeit als Schönheit mit religiöser Andacht anschauen, seine Knechtschaft verwandelt sich in Kindschaft, die Achtung für den moralischen Zwang in Enthusiasmus. Auch dadurch widerspricht eine Religionslehre nicht dem Gewissen, wenn sie irrige menschliche Begriffe von Gerechtigkeit umstößt. Christus z. B. schlägt in seinen Parabeln die Anmaßung aller derjenigen nieder, welche sich auf die Verdienstlichkeit ihrer Werke berufen und deswegen einen besondern Lohn verlangen. Dieser göttliche Richter richtet gewöhnlich und auch hier die Menschen nach ihren eigenen Grundsätzen. Haben jene Menschen das Gute wegen des Lohns gethan, so war die Triebfeder ihrer Handlung nicht rein. Sie verdienen keinen Vorzug. Sie waren blos Spekulanten, die das entferntere Nützliche dem nähern vorzogen. Thaten sie das Gute aus Achtung für den moralischen Zwang, so sind sie ja nach ihrem eigenen Geständnisse unnütze Knechte. Sie thaten, was sie zu thun schuldig waren. Hätten sie aber das Gute aus Enthusiasmus,493 aus einer höhern Neigung für dasselbe gethan, so würden sie im Gelingen desselben, in der Reinheit ihres Herzens ihren Lohn finden, keinen Vorzug verlangen, den sie schon haben, und sich über die Bekehrung anderer, über die Verbreitung der Seligkeit freuen.

§. 4.

Da das Postulat des Glaubens eine befriedigende ideale Weltgeschichte ist, in welcher Gott, das gesetzliche Wesen, als Bestimmer der Weltschicksale zu gesetzlichen Zwecken erscheint, und die zum Bewußtseyn der Vernunft gekommenen Menschen in seine Gemeinschaft aufnimmt, so müssen zweytens die Offenbarungsurkunden wirklich eine solche vollständige ideale Weltgeschichte enthalten, welche die Entwicklung aller Wahrheiten der rationalen Psychologie in der Zeit symbolisch zeigt, mit den für die Sinne realen Weltbegebenheiten den genausten Zusammenhang hat, hinreichend ist, den praktischen Enthusiasmus, die höhere Begeisterung der Andacht zu erwecken, also in jedem Herzen fortgesetzt werden kann, und auf das menschliche Leben auch den entschiedensten Einfluß hat.

Anmerk. Jn diesem § wird der Begriff einer idealen Weltgeschichte näher aus einander gesetzt und nach seinen Kriterien bestimmt. 1) Jn einer solchen idealen Weltgeschichte muß Gott als das gesetzliche Wesen erscheinen494, welches die Welt zu absolut gesetzlichen Zwecken bestimmt, die Menschen immer deutlicher über diese Bestimmung belehrt, und die Menschheit in die göttliche Gemeinschaft aufnimmt. Da eine Geschichte Succession in der Zeit voraussetzt, so kann die Jdealität dieser Geschichte nicht auf einmal und in Allen Momenten der Zeit erscheinen, sondern sich nur nach und nach, je mehr sich das Ganze entwickelt, darthun. Die Seelenwelt kündigt sich hier als eine successiv sich organisirende Totalität an, die der absoluten Gesetzlichkeit immer näher kommt. Es ist daher ein sonderbarer Vorwurf, der z. B. dem alten Testamente von vielen Gegnern der Bibel gemacht worden ist, daß darin weder Gott noch die Menschen in einem rein idealen Lichte erscheinen. Gott kann sich den Menschen nicht anders zeigen, als sie ihn verstehen, als sie ihn zu sehen verdienen. Christus läßt in einer seiner Parabeln einen Knecht zum Herrn sagen: Herr, ich furchte mich vor dir, denn du bist ein harter Mann. Und der Herr antwortet: Wenn du wußtest, daß ich ein harter Mann bin, so richte ich dich aus deinem Munde, du Schalk. Eben so richtete der Nazionalgott Jehova sein Volk aus dessen Munde, weil die Menschheit einer reinern Ansicht noch nicht würdig war, und vermöge der Gesetze der geistigen Organisation noch nicht seyn konnte. Allein die ideale Geschichte muß in so fern vollständig seyn, daß alle an sich zufällige Ereignisse eine vorbereitende weissagende Beziehung auf irgend eine große Hauptbegebenheit haben, wo das menschliche Leben ganz zum göttlichen wird, wo die Menschheit erscheint im495 reinen Gegensatz mit der physischen sterblichen Welt, als selbst gesetzlich, des Anschauns, der absoluten Gesetzlichkeit Gottes gewürdigt und theilhaftig der göttlichen Natur. (2. Epist. Petri Kap. 1. V. 4.) 2) Diese ideale Weltgeschichte muß ferner die Entwicklung aller Wahrheiten der rationalen Psychologie in der Zeit, symbolisch unter heiligen Mysterien zeigen. Ob sie gleich über das sinnliche reale hypothetische Wissen der Erscheinungswelt hinausgeht, und nicht vor dessen Richterstuhl gezogen werden kann, so können die Wahrheiten, welche sie vorträgt, doch nicht von den Wahrheiten der rationalen Psychologie verschieden seyn, da die rationale Psychologie, wie oben bewiesen worden, auf dem religiösen Gewissen beruht, und ganz allein aus ihm herzuleiten ist. Gerade die rationale Psychologie ist es, die eine solche Offenbarung im engern Sinne postulirt, damit sie ihre Wahrheiten in der Erscheinungswelt a posteriori wiederfinde. Sie kann zwar die Erfahrungen der empirischen Seelenkunde mit dem Verstande nach ihren Grundsätzen ordnen. Allein diese Anwendung bleibt immer Hypothese. Sie bedarf also des religiösen Glaubens, als verbindendes Mittelglied zwischen ihrem absoluten Wissen und den Erfahrungen des innern Sinnes. Dieser religiöse Glaube kann nicht anders erlangt werden, als wenn die ganze Erscheinungswelt mittelst göttlicher Begeisterung zum Symbol der absoluten psychologischen Wahrheit wird. Die höchste Wahrheit der rationalen Psychologie ist die gesetzliche Freyheit, der Wille Gottes. Dieser kann nie ganz als Objekt erscheinen in der empirischen496 Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten Schönheit als eine Organisation vorkommen können, in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie, zusammen, und die Erziehung der Menschheit erscheint als eine schöne geistige Organisation. Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt, an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt. Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische497 Natur reingesetzlich ist, wiewohl ohne moralisches Selbstbewußtseyn; zweytens in ihrem Abfall von den Gesetzen der physischen Natur, im Zustande der daraus nothwendig folgenden Erbsünde, in steter Furcht vor dem göttlichen Gesetzgeber, zu dessen höherer Natur sie sich nicht emporschwingen kann, nicht werth, ihn in seinem reinsten Lichte zu erblicken, schwankend zwischen dem niedern Jnstinkt, dem sie nur zur Hälfte entsagt hat, und der höhern Gesetzlichkeit, die sie ahnet; drittens aufgenommen in die göttliche Natur, indem sie den höhern Jnstinkt der Liebe gefunden, ihren Gesetzgeber, durch sein eigenes Veranstalten, versöhnt hat, so würde diese religiöse Weltgeschichte die einzig wahre Ansicht der Dinge enthalten. Daß der Uebertritt des Menschen vom Jnstinkt zur Selbstbestimmung als eine Sünde anzusehen sey, die an der Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied gestraft werden mußte, ist a priori eben so leicht einzusehen, als es leider durch die Erfahrung aller Zeiten bestätigt wird. Der Gang der instinktmäßigen Natur ist zugleich rein = gesetzmäßig, und wird gestöhrt, sobald ein Naturwesen sich selbst bestimmen will. Sobald der Mensch werden wollte, wie Gott, und selbst erkennen, was gut und böse sey, mußte er sich auch des Jnstinkts schämen, der ihn maschienenmäßig, wiewohl zu seinem Glücke bestimmte, und mußte sich selbst vor dem Richterstuhl der höchsten göttlichen Freyheit verachten. Gott konnte sich ihm also in der Erscheinungswelt nur als ein zürnender Gott zeigen. Der Mensch, verführt von dem bösen Dämon einer egoistischen scheinbaren Freyheit, war498 nun sich selbst überlassen, wagte mit menschlicher Klugheit seine Thierheit zu lenken und eigenmächtige Eingriffe in das Meisterwerk der Natur zu thun, blieb ihr ewiges unglückliches Spielwerk, und vermochte sich nicht einmal mit dem Verstande von seiner Selbstbestimmung zu überzeugen. Er stand also getrennt von dem moralischen Gesetzgeber, dessen Heiligkeit ihn unaufhörlich verdammte, den er umsonst durch Opfer zu versühnen suchte. Er war sich des Guten als einer ihm vorgeschriebenen Richtschnur bewußt, aber er fand in dem Guten keine Freude, und die Freuden des Jnstinkts waren für ihn nicht schuldlos mehr. Er ward ein Knecht des furchtbaren Gottes in der höhern Sphäre, in welche er durch das Schicksal hinaufgerissen war, in welcher er sich nicht behaupten konnte. Der stolze Trieb nach Selbstbestimmung, verbunden mit Sinnlichkeit, zeigt also den Menschen, der sich der höhern Moralität bewußt wird, in der Erscheinungswelt als ein unvollkommnes mit der Erbsünde behaftetes Wesen. Der heilige Gott steht dagegen von ihm getrennt, mit einer unerbittlichen Strenge, der nicht genug gethan werden kann, wie denn auch die neuere Moralphilosophie, weil sie auf eben diesem Gesichtspunkte stehen geblieben ist, das radicale Böse behauptet, und den Kontrast zwischen der Heiligkeit Gottes und der menschlichen Verkehrtheit oder Schwäche nicht aufzuheben vermag. Denn sobald der Mensch den Schein der Selbstbestimmung zu erlangen sucht, und sich als ein von der Natur getrenntes Wesen betrachtet, erklärt er sich auch fähig der Jmputation, und dieser Jmputation nach, wiewohl sie im eigentlichen499 Sinne nicht statt finden kann, muß er sich ursprünglich verachten. Mit einem Worte, das moraliche Gewissen allein als bloße Anforderung sich in das gesetzliche Wesen aufnehmen zu lassen, ohne den Glauben an eine erfolgte Aufnahme, muß a posteriori in der empirischen Psychologie als ein Uebel, als eine nothwendige Strafe dafür angesehen werden, daß der Mensch sich gegen die Naturgesetze auflehnte. Allein nach der religiösen Weltgeschichte ließ Gott die Menschen fallen und in ihren eigenen Augen verächtlich werden, um sie nun desto höher zu erheben. Es bedurfte in der Geschichte der Seelen eines feierlichen Akts der Versöhnung. Es mußte die menschliche Natur in der Erscheinungswelt der göttlichen einmal vollkommen genug thun. Dieses war nicht anders möglich, als daß sich die göttliche mit ihr vereinigte. Denn Gott kann nur Gott genug thun. Jndem der Mensch die Versöhnung annahm, indem er glaubte, daß die strenge Tugend, die göttliche Freyheit, mit voller Consequenz in Menschengestalt gewohnt, daß Ein Mensch dem niedern Leben ganz entsagt, und Gott allein gelebt habe, lernte er auch an sich selbst, an die Möglichkeit seiner Erhöhung glauben. Das moralische Gewissen durfte ihn nun nicht mehr ursprünglich verdammen. Er setzte ihr die ästhetische Evidenz entgegen, daß Gott mit der Menschheit vereinigt gewesen sey, daß Gott die Menschheit ganz in sich aufgenommen habe. Das Gesetz war erfüllt, die Strafe hinweg genommen, und an die Stelle des Gesetzes trat der Glaube. Der Mensch lernte den furchtbaren500 Gott lieben, der ihm zum erstenmal in der Erscheinungswelt im Lichte der höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit gezeigt ward. Dieser Gott der Liebe erschien ihm nicht mehr als Herr, sondern als Vater. Der Mensch lernte seine eigene vergötterte Natur lieben, denn er glaubte an ihre mögliche Reinheit. Der Glaube an Gott ward mit dem Glauben an die menschliche Natur eng verbunden. Von nun an konnte das Gesetz nicht mehr tödten, d. h. die sinnliche Natur niederschlagen. Der Glaube hatte sie lebendig gemacht. Der Glaube hatte sie geheiligt. Was nicht aus dem Glauben kam, blieb Sünde. Denn der Verstand kann sich von der Moralität keiner Handlung überzeugen. Aber der Glaube kann es. Er ist die einzige reine Triebfeder. Dieser Glaube ward das Gefühl der göttlichen Freyheit selbst, der Geist Gottes, welcher die Menschen trieb. Gott, wie Minucius Felix sagt, verließ mit dem Christenthum jeden andern Tempel, um in dem Menschen zu wohnen. Von nun an mußte die Menschheit inne werden, daß ihr Gott ein dreyeiniger Gott sey, der Vater ein Gott der Liebe, dessen liebender Wille oder Caussalität die Welt zur höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit bestimmte, um in ihr sein Bild zu finden. Er hatte einen Sohn (λογος), der ihm genug that, durch den, und um deßwillen die Schöpfung da war, die Substanz und Seele der anschaulichen innern und äußern Erscheinungswelt, beyde hält zusammen zur Totalität der Geist der Liebe, der von beyden ausging, alles belebte, heiligte und mit ihnen vereinigte. Diese501 drey ὑποϛασεις (oder προσωπα) machen nach dem Symbolo Athanasiano Eine οὐσιαν, Ein Selbstbewußtseyn, Ein göttliches Hauptwesen aus. Man sieht hieraus, wie die Mysterien der religiösen Weltgeschichte, welche die Christen bekennen, mit den Wahrheiten der rationalen Psychologie übereinstimmen, wie tief sie in der Natur des menschlichen Geistes gegründet sind. Die aus dem moralischen Gewissenssatze hergeleiteten Seelenkräfte verweisen auf vier Vernunftideen: Caussalität, Substantialität, Totalität, und absolutes göttliches Selbstbewußtseyn, deren letzte die drey ersten in sich vereiniget. Die Metaphysik, der menschliche Verstand kann diesen Jdeen keine Materie geben. Aber in den Mysterien seiner Weltgeschichte findet der religiöse Glaube, was er sucht, was das Wissen nur ahnen kann. Schon Augustin erläutert sich das Geheimniß der Dreyeinigkeit durch eine Analogie mit den Seelenkräften, und die ganze physische Natur trägt von der heiligen Trias die unverkennbarsten Spuren. Wie armselig müssen also dem tiefern Denker die Einwendungen eines Dudithius vorkommen, der in Eins und Drey einen Widerspruch findet, wie geistlos, wiewohl gutgemeynt, die Zweifel derjenigen, welchen die Jdee der Versöhnung der Gottheit unwürdig scheint Diese Bemerkungen weiter auszuführen, muß der Theologie überlassen bleiben. Uebrigens fügen wir hier noch hinzu, daß mit der Behauptung, die ideale Weltgeschichte zeige die Entwicklung der psychologischen Jdeen symbolisch, keinesweges der Wirklichkeit und Wahrheit dieser Geschichte Abbruch geschieht. Wenn die ganze Natur im Raume ein502 Symbol des Geistes ist, der doch selbst der Materialist die Realität nicht abspricht, warum soll die Geschichte, die das Göttliche in der Zeit darstellt, nicht auch symbolisch und dennoch innig mit der physischen Realität verwebt seyn? Hiermit sagen wir also nicht, daß die religiöse Weltgeschichte poetische Allegorie im gemeinen Sinne dieses Worts sey. Dieses haben wohl auch zum Theil Theologen andeuten wollen, doch unsrer Meynung nach mit Unrecht. Die vom historischen Realismus verführten Sprachforscher und Aufklärer der Bibel können indeß der Sache der Religion wenig schaden, wenn sie uns aufmerksam darauf machen, daß Adam vielleicht eine mystische Person, die Menschheit bedeute, daß die Schöpfungstage sechs Zeiten gewesen, daß Elohim ein Plural sey u. s. w. Die Hauptwahrheiten der Religion bleiben immer dieselben. 3) Um der idealen Weltgeschichte ihre historische Realität zu sichern, behaupten wir im § ferner als Kriterium ihrer Aechtheit, daß sie mit der Historie im profanen Sinne in einem innigen Zusammenhange stehen müsse. Es muß den Hauptbegebenheiten, die die religiöse Geschichte erzählt, ihr wirklicher Platz in der Zeit angewiesen werden können. Sie muß nicht als das Hirngespinnst eines einzelnen müßigen Kopfes, sondern als ein Phänomen, das einen großen Theil der Menschheit betrifft, anzusehen seyn. Jhre Einwirkung auf die Seelen muß historisch als Factum erwiesen seyn. Hierzu gehört aber nicht, daß diese ideale Weltgeschichte im historischen Tageslichte erscheine. Dies würde vielmehr ihrem Wesen ganz zuwider seyn. Sie503 schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen. Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle, meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint. Denn wir beten nicht den Gott der physischen Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren, und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen Freyheit in Menschengestalt, eine fortdauernde Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch, sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden504 vieler Völker erzählen von Menschwerdungen Gottes. Brama kam vielmals auf die Erde herab, und der chinesische Foe ist durch einen Sonnenstrahl gezeugt, von einer Jnngfrau gebohren. Allein das sind phantastische Mährchen ohne idealische Wahrheit. Es fehlt ihnen das hohe Muster der Moralität, das allein im höchsten Lichte des Schönen erscheinen kann. Sie zeigen nicht die göttliche Freyheit im Gegensatze mit der menschlichen Natur und ihren siegreichen Kampf mit der Welt. Nur allein das Anschaun der höchsten Tugend in ihrer Verklärung kann die Andacht erwecken, welche der Mensch für sein höheres Leben bedarf. Die Niedrigkeit der Seelen geht zwar zu unsern Zeiten so weit, daß man alle Andacht für Schwärmerey ausgiebt, weil man die Andacht, wie alle Moralität, für eine beschwerliche Fessel hält. Jndessen ist das Bedürfniß der Andacht zu einer seligen Gemüthsstimmung unläugbar. Nun darf zwar eine ideale Weltgeschichte den Aberglauben nicht begründen. Jndessen ist es ihr auch nicht zuzurechnen, wenn Aberglaube und Hierarchie sich ihrer bemächtigt. So ist z. B. die Lehre Christi, der mit so viel Bestimmtheit wider das Pfaffenthum seines Volks aufstand, an jeder Entheiligung unschuldig, die sie in der Folgezeit entstellte. Die Quelle einer solchen idealen Weltgeschichte ist göttliche Begeisterung. Diese Geschichte ist die einzige, deren Quelle ihre Lauterkeit durch sich selbst, durch ihr alleiniges Daseyn beweisen soll. So wenig man eine Empfindung des Schönen Jemandem eindemonstriren kann, eben so wenig kann eine solche Geschichte einen stärkern Beweis505 für sich anführen, als die Andacht, welche sie erweckt. Kein Betrug, keine irdische Absicht darf da obgewaltet haben, wo sie in ihrem höchsten Lichte erscheint. Gott kann sich nur in reinen Seelen offenbaren. Muhamed ist eben deswegen ein falscher Prophet, weil er ein Egoist war, und ein irdisches Reich stiftete. Soll sich die Begeisterung andern Seelen mittheilen, so bedarf es mehr, als bloßer historischer Traditionen. Diese Traditionen müssen nicht bloß historisch, sie müssen moralisch und ästhetisch ächt seyn. Die Hülfsmittel zur Andacht, welche eine solche ideale Weltgeschichte eingiebt, müssen also den entscheidendsten Einfluß auf das Leben haben. Es muß diese Geschichte, wie z. B. durch die christlichen Sakramente, in jedem Herzen fortgesetzt werden können. Sie muß auch in so fern vollständig seyn, daß sie Weissagungen enthält, bis ans Ende der Zeit, z. B. das Gericht. Nur dadurch wird sie idealisch und göttlich. Sie umfaßt das ganze ungeheure Gefild der Jahrtausende, betrachtet es unter dem höchsten Gesichtspunkte, und zeigt die Einheit, welche das Ganze zusammenhält.

E506

Zweytes Kapitel. Von der biblischen Poesie insbesondere.

§. 1.

Die Aechtheit der Bibel als Offenbarungsurkunde aus dem christlichen Gesichtspunkte nach den im vorigen Kapitel angegebenen Kriterien a priori einer Offenbarung im Engern Sinne überhaupt zu erweisen, kommt der Theologie oder Gottesgelahrheit zu, und wird auch vermöge der von uns gemachten Bemerkungen nicht schwer seyn. Die Poetik betrachtet nur die Bibel, als angenommene göttliche Poesie, ihrer Poesie nach. Ohne uns also weiter darauf einzulassen, ob die Bibel allen oben angegebenen Anforderungen an eine ideale Weltgeschichte Genüge leiste, in wie fern diese sich auf das moralische Gewissen, auf Psychologie und Geschichte als solche beziehe, liegt es uns hier nur ob darzuthun, daß die Bibel aus dem Standpunkte des Christenthums angesehen, die höchste Poesie, die vollkommenste ideale Einheit sey, der die Organisation des menschlichen Geistes fähig ist, daß507 sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.

Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre. Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung, um nur die geringste Anwendung davon auf das neue Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration, welche die Bibel begründet. Man meynte, nur ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein, daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch, philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen,508 die Hierarchie erschüttern. Aber er war so weit entfernt, der Bibel ihre poetische Kraft zu nehmen, daß seine Uebersetzung vielmehr eins der größten Kunstwerke unsrer Sprache ist. Was hilft alle Kritik, alle philologia sacra, alle Sprachkenntniß, wenn die theologischen Nachforschungen in den Nebenquellen uns die von dem Katholizismus mit standhafter Consequenz behauptete Hauptquelle der Jnspiration als einer fortgehenden Tradition rauben? Jst nicht diese Jnspiration der Seelen, als mündliche Tradition, auf welche sich Jrenäus, Origines und andre Kirchenväter berufen, weit älter, als die Sammlung des christlichen Testaments? Was hilfts, daß man die Hebraismen des neutestamentarischen Styls aufsuche, uns mit wichtiger Miene z. B. zu bemerken gebe, Gericht halten, Werke thun u. s. w. heiße lehren? wenn man mit dem Ausdruck dem Gedanken sein Mark, seinen Nerven nimmt? Der wahre Freund der Aufklärung wird ihre Wohlthaten anerkennen. Er wird sie aber keine Fehltritte thun lassen. Wenn die Aufklärung dahin geht, alle Begeisterung, allen Enthusiasmus zu tödten, den Gott in die Sprache, wie in die Seele legte, so ist sie der gerade Weg zum Materialismus.

§. 2.

Die Bibel muß von der Poetik erstlich nach ihrem Hauptinhalte, sodann nach ihren einzelnen poetischen Formen betrachtet werden. 1) Nach ihrem Hauptinhalte ist sie ein ideales Ganzes. 509Sie ist, wenn man die oben angeführte Eintheilung der menschlichen Poesie auf sie anwenden darf, ein Kunstwerk der darstellenden Poesie. Sie enthält eine die Erfahrungen der profanen Historie begründende und eng mit dem Menschenleben verwebte ideale Weltgeschichte. Daher ist sie vorzüglich als ein Werk der historischen Poesie anzusehen, wiewohl sie zu gleicher Zeit beschreibend, lehrend und symbolisch, d. h. allegorisch ist, im realsten Sinne dieses Worts. Als historische Poesie enthüllt die Bibel in allen Schicksalen der Menschenwelt eine große Organisation, bestimmt und gelenkt durch die freye Caussalität Gottes, um diese göttliche Freyheit zum Selbstbewußtseyn in der Menschheit gelangen zu lassen. Diese Jdee einer sich selbst producirenden Freyheit scheint ein Zirkel zu seyn. Allein jede Organisation oder Selbstproduktion in der Zeit ist ein geheimnißvoller Zirkel, den nur die ideale innere Einheit des Geistes, die Ewigkeit, aufheben kann. Die Hauptidee der Bibel, auf welche sich alle vorhergehenden und folgenden Begebenheiten beziehen, kann für den Christen keine andre seyn, als die Gottheit Christi.

Anmerk. Unsre alten ehrlichen Deutschen sangen in ihrem Liederbuche: Seele, wilt du Frieden finden, such510 bey keiner Kreatur, laß was irdisch ist dahinden, Schwing dich über die Natur, Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet, Wo alle lebendige Fülle erscheinet. Dies war ihr Glaube, in diesem lebten und starben sie. Er war ihnen Bürge für ihre eigene Hoheit, für ihre eigne Unvergänglichkeit. Späterhin ist durch eine materialistische, (doch nur halb wissenschaftliche) mathematische, physische Ansicht des Weltgebäudes, durch den sogenannten theistischen Begriff einer allmächtigen Gottheit, die alle die unzähligen Sternenheere regiert, und durch den groben historischen Realismus die wohlthätige Jdee des moralischen liebenden Gottes unsrer Väter verdrängt, alles höhere Menschengefühl bey vielen Menschen im eigentlichsten Verstande erdrückt worden. Man wagte nicht mehr sich vorzustellen, daß der, welchen der Weltkreis nicht faßt, wie Luther sagt, in einer Krippe geweint haben sollte, daß der furchtbar große Naturgott die Menschheit so geliebt haben sollte, um mit seiner ganzen Fülle in ihr zu wohnen. Gleichwol ist und bleibt der Spruch: Also hat Gott die Welt geliebt u. s. w. der Schlußstein des ganzen biblischen Systems. Nur durch diese Wahrheit erhebt sich die Bibel zur Würde einer vollkommen idealen Weltgeschichte, die in das Menschenleben den entschiedensten Einfluß haben kann. Es ist hier von keiner der unzähligen Menschwerdungen und Vergötterungen die Rede, die bey den heydnischen Nazionen geträumt worden sind. Die Heyden vergötterten aus Schmeicheley Menschen nach dem Tode, dachten sich phantastische Wunderwesen, welche zuweilen die Menschen =511 gestalt annahmen, um als bloße Erscheinungen unter uns zu wandeln. Aber diese Götter waren immer objektiv außerhalb der Menschheit hingestellt. Es war eine ewige Kluft zwischen der Gottheit und der sterblichen Natur. Das Wesen des Christenthums hingegen besteht darinnen, daß der Gott zugleich wahrer Mensch war, besteht in einer innigen engen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur. Nur dadurch, daß der Gott, der nichts als das Gute wollte, menschlich fühlte, menschlich litt, erhebt sich das Christenthum als einzig ächte Humanität über alle inhumane Fabeln des Heydenthums. Der Enthusiasmus, den die Leidensgeschichte Christi in so vielen Menschenseelen erregt, ist allein durch das Bedürfniß erklärbar, das göttliche Prinzip der Dinge, die höchste reinste Liebe im Kampfe mit der fühllosen Natur dargestellt zu sehen. Eine ideale Weltgeschichte, welche uns diesen Kampf im vollsten Glanze zeigt, welche die tiefste Erniedrigung und die größte Erhöhung neben einander stellt, ist zu gleicher Zeit die Geschichte eines jeden menschlichen Herzens. Der Sieg, den sie verkündet, muß jedes Herz zu einem ähnlichen Siege anfeuern. Auf dieses mit ästhetischer Ruhe verbundene praktische Jnteresse gründet sich vorzüglich der Glaube an ihre historische Wahrheit. Und diesen Glauben verlangt sie, wie ihn unsre Natur verlangt, kein Wissen giebt sie nicht, kann und darf sie nicht geben. Was seyn soll, muß seyn. Das ist die wahre Ueberzeugung. Was in der Welt siegen soll, muß siegen. Das ist die Jdee, aus der alles göttliche Handeln kommt. Die höchste Schönheit512, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst Werth giebt. Wenn es also die Hauptbegebenheit der Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten, das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt, duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk. 513Die Offenbarungen, deren sich dasselbe rühmte, waren zugleich eine vollständige religiöse Geschichte der Menschheit von Anbeginn. Sie berichten uns, der Mensch sey nicht etwa, wie es einem Diodorus Siculus vorkommt, ein αὐτοχθων aus Schlamme zufällig geboren, sondern Gott ähnlich in äußerer Gestalt, von Gottes Hand geformt worden, aber instinktmäßig, wie die übrige Natur, nur ein lebendes, begehrendes Wesen ( היח שמכ ). Nachher habe er aber Gottes Vorschrift übertreten, habe die ihm gesetzte Schranke des Naturinstinkts niedergerissen, sich dessen geschämt, wie Gott frey erkennen wollen, das Gute und Böse, sey so des Paradieses verlustig worden, und das Erbübel habe seinen Anfang genommen. Von da an beginnen schon die mysteriösen Weissagungen, welche das Volk Gottes durch alle Perioden seiner Geschichte begleiten. Es ist unbegreiflich, wie manche selbst denkende Gottesgelehrte der Vorzeit an der Aechtheit der drey ersten Kapitel in der Genesis haben zweifeln können, da sie die Grundlage der ganzen biblischen Weltgeschichte sind. Von nun an sehen wir, wie sich der Mensch von der Gottheit immer mehr entfernt, und sich vermißt, ein für sich selbst bestehendes Wesen zu seyn. Aber ganz verläßt Gott die Menschheit nicht. Er ist noch zu den Zeiten der Erzväter der Gott der Familiengeschlechter, doch er ist ein furchtbarer erzürnter Gott, der selbst große Naturbegebenheiten, wie die Sündfluth, als moralische Strafen verhängt. Späterhin ist er ein kriegerischer Gott, ein Herr der Herrschaaren. Er macht durch Mosen die Jsraeliten zum Volk, verleiht ihnen den Sieg, giebt ihnen Land, Gesetze514, Richter und Könige. Er läßt durch Samuel Prophetenschulen gründen. Gottbegeisterte Männer wohnen auf den Höhen in der freyen Natur und vereinigen den Geist der Dichtkunst mit dem Geiste der Weissagung. Sie erwecken die Helden Jsraels zu großen Thaten, strafen sie im Namen des höchsten Gesetzgebers. David versetzt die heilige Poesie auf den Berg Zion und in den Tempel, giebt ihr den feurigsten lyrischen Schwung, aber auch zugleich das wärmste Jnteresse für das Herz. Keiner dürstet, wie David, nach Offenbarung. Keiner sehnte sich, wie er, es anzuschauen das unbekannte Wesen, das sein Schicksal und die Schicksale seines Volks zu einem höhern Weltenplane hinlenkt, das seinem Saamen ein neues Reich, Jsrael einen größern Helden verspricht, als alle, die es bis jetzt beherrschten. Salomos Glanz und Reichthum giebt der heiligen Poesie ein üppiges stolzes Gewand. Aber Gott liebt nicht den eiteln Glanz dieser Welt. Er zieht seine Hand von Salomo ab. Der Glaube erlischt in Salomos Herzen. Mißmuth, zweifelnder düsterer Sinn und Abgötterey entheiligen Salomos Alter. Das Reich wird nach seinem Tode zerrüttet. Die Zeiten des Unglücks, die durch die Ueppigkeit vermehrten Bedürfnisse, das Sittenverderbniß, verdrängen die Religion aus den Seelen, aber machen auch die Sehnsucht nach den göttlichen Jdeen lebhafter im Geiste einzelner edlerer Männer. Trotz des Spottes mancher ihrer Zeitgenossen beharren diese Propheten in der Zuversicht auf das Urwesen, halten ihrem Vaterlande seine Vergehungen vor, und machen es auf seinen Verfall, aber auch auf seinen künftigen Erretter515 aufmerksam. So wie die Geschichte der Erzväter, wo Gott in der Natur dem Menschen noch näher war, eine naiv schöne Poesie ist, so hat in der prophetischen Poesie der alttestamentarische Styl die letzte Höhe der Heftigkeit und des Grausenden erreicht. Denn Gott hat sich fast ganz von seinem gesunkenen Volke getrennt, und diese Trennung des gesetzlichen Wesens von der verderbten Menschenwelt muß die Phantasie der letztern zu einer leidenschaftlichen Düsternheit stimmen. Was die Propheten weissagten, geschieht. Der Untergang des hebräischen Staats zieht auch den Tod der hebräischen Poesie, zugleich mit ihr aller wahren Religiosität nach sich. Wie bey den Römern die Jdee der Vaterlandsliebe, so war auch in der jüdischen Provinz Judäa die begeisternde Jdee der Gottheit kraftlos geworden. Nach alten von den Sternen herabgekommnen, von allen orientalischen Völkern anerkannten, von allen jüdischen Propheten wiederholten Weissagungen soll mit dem Anfang des fünften Jahrtausend ein errettender Gesalbter das göttliche Leben, das mit dem Paradiese verlohren ging, in einem höhern himmlischen Glanze herstellen, den Fürsten der Welt überwinden, und als Menschensohn die Regierung der Welt antreten. Die Juden erwarten den Geweissagten mit Ungeduld. Sie hoffen von ihm Befreyung vom ausländischen Joch, neuen weltlichen Glanz, sie hoffen, er werde ein ausschließender Wohlthäter ihrer Nazion seyn. Und dieser Messias, aber mehr als ein weltlicher Fürst der Juden, das geistige Licht aller Völker, die im Dunkeln wandelten, wird geboren. Alle Kennzeichen treffen zusammen,516 um ihn, wiewohl noch insgeheim, zu seinem furchtbaren großen Berufe einzuweihen. Der neue Messias sollte aufgehen, aus der Höhe, plötzlich erscheinen, wie ein Stern aus dunkler Nacht, aber aus Betlehem kommen, und vom Stamme Davids seyn. Und geleitet von den Sternen finden die Weisen den neugebornen Christus, aus Davids Stamm in Betlehem. Aus der Dunkelheit einer heiligen Nacht, welche symbolisch seine Wiege umschattet, in der die Himmelsgeister den Menschen einen höhern Frieden verkünden, geht auf die neue Erleuchtung der Gemüther über die Erde. Das Geräusch der unheiligen Welt verbirgt die größte Begebenheit, welche die Geisterwelt auszeichnet, die Geburt des Sohnes Gottes, durch den die einzig wahre Religion verbreitet werden sollte. Er, der bestimmt war, die göttliche Freyheit in sich zu finden, er, der aufgerufen war, das lehrende Vorbild, die neue belebende Seele der Menschheit zu seyn, mußte der Sohn einer Jungfrau seyn durch den Geist Gottes. Das Kind wird dem Herrn dargestellt in seinem Tempel, und prophetische Seelen weissagen Marien von ihm, er sey gesetzet zum Fall und zum Auferstehen vieler auf Erden, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, und ein Schwert werde dringen durch die Seele seiner Mutter, auf daß offenbar würden der Herzen Gedanken. Das Kind wächst, wird stark im Geist, und seiner hohen Bestimmung sich immer deutlicher bewußt. Schon als Knabe sitzt er unter den Lehrern im Tempel. Wisset ihr nicht, sagt er zu den ihn suchenden Eltern, daß ich seyn muß in dem, das meines Vaters ist? Vor ihm517 her geht Johannes, der Prediger in der Wüste, und verkündet laut, daß er dem Herrn seinen Weg bereite. Jesus läßt sich von Johannes taufen. Gott selbst erleuchtet in diesem Augenblick beyder Seelen und erklärt ihn für seinen Sohn. Von nun an ist Jesus voll des heiligen Geistes und seines höchsten Berufs gewiß. Er sieht die Menschheit um sich her in ihrer Ermattung. Alle haben den Wunsch besser zu werden, keiner den Muth, alle haben den Namen Gottes im Munde, keiner den Glauben an ihn im Herzen. Sie ringen nach zeitlichem Genuß, und verachten ihn, wollen Glück, und verstehen nicht die Kunst glücklich zu seyn. Sie dienen dem Mammon und dem Fürsten dieser Welt, und heucheln den Dienst des Ewigen. Sie besitzen in Angst und klügelnder Sorge das Leben, und zittern vor dem Tode. Sie fühlen sich unwürdig der Ewigkeit, und haben auch keine Sehnsucht nach ihr. Der Gott der Rache hatte die moralische Welt wie in Trümmern geworfen. Auf der Erde krochen nichts, wie egoistische, vom Fürsten der Finsterniß beseßne, in sich verschloßne, von sich abgewandte, von keinem Hauche der Liebe erhobene Wesen. Es war keine Einheit des Willens, keine helle lichte Jdee, an der sich die bessern Seelen erkennen, zu der sie sich sammeln konnten. Es ist ein banger Stillstand in der geistigen Natur. Und der Geist Gottes, die unbekannte Stimme, treibt Jesus hinweg von den Freuden der Erde, über welche er erhaben ist, welche ihm widerstehen, weil sie nicht mehr Freuden der schuldlosen Natur, sondern der Verderbtheit und klugen egoistischen Ueberlegung sind, treibt ihn hinweg in die Wüste. 518Und noch einmal macht der Fürst der Welt einen Versuch auf die Menschheit des Sohnes Gottes. Er tritt zu ihm, der Verführer, stellt ihn auf einen hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der ganzen Erde in einem Augenblicke. Bete mich an, sagt er zu ihm, so soll alles dein seyn. Aber Jesus verschmäht das Reich eines weltlichen Messias, das die Juden erwarteten, und antwortet: Es steht geschrieben, du sollt Gott deinen Herrn anbeten und ihm allein dienen. Und mit diesem Entschlusse wird er sich ganz der eigenen Gottheit bewußt. Es steht geschrieben, sagt er zum Satan, du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen. Von nun an fühlt er, daß seine Stunde gekommen ist, von nun an zeigt sich nur Gott in seiner reinen Seele. Er tritt in die Welt, allein auf gegen die Welt, mit vollem Bewußtseyn seiner göttlichen Freyheit, mit vollem Bewußtseyn, daß er gekommen sey in dies Chaos der irdischen Geister, der neue moralische Schöpfer zu werden, die bange Hemmung in den Gemüthern, die Schranken zwischen den Seelen aufzuheben, und mit dem Hauche der Liebe die Erde von neuem zu beleben. Als Gott kann er die von Gott verlaßne Menschheit nicht achten, als ihr neuer Schöpfer muß er sie lieben, indem er in ihr den Wiederschein seiner eignen Gesetzlichkeit ahnet. Er weiß es, daß in ihm der Urgeist ist, der Himmel und Erde bewegt, er weiß es, daß er eher war, denn Abraham, daß er eine Herrlichkeit bey Gott hatte, ehe denn die Welt war, daß durch ihn alle Dinge geworden sind. Den Gott, den die Propheten nur außer sich ahneten, den die Menschen nur dem Namen nach519 nannten, um ihn zu fürchten und sich und andre mit dem Worte zu quälen, den sieht Jesus in sich von Angesicht zu Angesicht in voller Reinheit, als Gott der Liebe. Und das alte Schicksal erfüllt sich, Gott und die Menschheit, die ganz von einander getrennt waren, sind in Einem Mittler vereint. Jesus weiß, daß er von oben herab gekommen ist in die Welt, aber er weiß auch, wohin er geht. Er selbst hat sein Schicksal in und durch Gott zum Besten der Welt bestimmt, und er folgt mit freyer Selbstbestimmung diesem nothwendigen Schicksal. Die in ihren eignen Augen gesunkne Menschheit bedarf eines schuldlosen Opfers, eines Vorbilds, an das sie glauben könne, um an sich selbst zu glauben, eines wahren Menschen, der ganz allein Gott lebte und starb, der sich ganz heiligte für die menschliche Natur, damit der Geist der Wahrheit zu ihr komme. Die Menschheit bedarf die Hinwegnahme des erblichen moralischen Uebels in dieser Welt, vermöge dessen sich jeder als ein blos sinnlich kluges Wesen selbst verachten muß. Sie muß ihrer Aufnahme in die göttliche Freyheit, in die höhere vollkommne himmlische Natur sichtbar gewiß werden. Der erzürnte Gott, der mit dem Abfall der Menschen von der Natur zur Weltklugheit die Strafe der Selbstverachtung und des physischen Uebels über sie verhängt hatte, mußte ganz versöhnt werden. An die Stelle der schwachen Erkenntniß und Weltklugheit, mit welcher jene ewig strafende Selbstverachtung, die Hölle des Lebens, unauflöslich verbunden war, mußte die freye göttliche Liebe und der Glaube kommen. Darum forderten die alten Weissagungen das Leiden520 und den Tod des Messias, damit die Menschheit in ihm überwinde, mit ihm in lichterer Gestalt wieder auferstehe. Jesus geht seinen großen Gang mit Unterwerfung, mit Ergebung in den Willen des Gottes, der sein höheres Selbst ist. Er geht einher, wie der Herr der Erde, aber ohne sich der physischen Macht anders, als zur Unterstützung seiner geistigen Lehre zu bedienen. Seine Wunder sind nicht Schrecken für die sinnliche Natur, sie sind Wohlthaten, die das höhere Heil verkünden. Die Blinden sehen, die Gebrechlichen gesunden, die Todten wandern lebendig, die schwarzen Dämonen weichen von den krampfhaften beseßnen gequälten Sterblichen. Allen hilft der Glaube, der Berge versetzt. Petrus geht auf dem Meer durch den Glauben. Ein krankes Weib berührt heimlich des Messias Gewand, und von Stunde an weicht von ihr das Uebel. Die Natur huldigt dem moralisch lehrenden Gotte der Erde, dem ein staunendes begeistertes Volk durch das Land nachströmt. Aber die Schätze, die das höhere Leben tödten, und jedes Ansehn weltlicher Macht zu gebrauchen, verschmäht er. Denn eben die Schätze der Erde und die weltliche Macht sind es, die gedehmüthigt werden sollen, wie die stolze äußere Ehrbarkeit und das Wissen der Pharisäer vor seinem Richterblick. Der Sohn Gottes, dessen reine Hoheit die Demuth gebietet, der Freund der Kinder, der Trost der Mühseligen und Beladenen, der Versöhner der Gefallnen mit Gott, erscheint im Gewande der Armuth, aber das Meer giebt dem Allwissenden die Münze, die er bedarf, um den Fürsten zu steuern, denen er ihren Zepter nicht entreißen will. Die521 ganze neue Lehre des Wunderthäters ist Glauben und Liebe. Er verlangt mehr als den bloßen Glauben an das Wort Gott, das die Juden so oft entweihten. Er verlangt den Glauben an sich, an den Gott verbunden mit der Menschennatur. Er allein ist die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, als durch ihn. So erhebt und heiligt er die Menschheit wieder, die nur einen furchtbaren Gott außer sich kannte, die in ihren eigenen Augen gesunken, von der alles wechselseitige Vertraun auf Seelenreinheit gewichen war. Liebe Gott über alles, und deinen Nächsten als dich selbst, ist das ganze Gesetz, das er verkündet. Aber dies Gesetz verlangt mehr, als der alte Buchstabe. Denn Liebe thut mehr, wie der Gehorsam, und wer sein eignes Werk thut, mehr wie der Knecht. Darum legt er das Gesetz der Vorfahren aus mit furchtbarer Strenge. Mit dem begeisterten Ruf der moralischen Allmacht zieht er die wieder gebornen Menschenherzen vom Besitze des Zeitlichen, von der Sorge fürs niedere Leben ab. Wer den Pflug ergreift und sieht hinter sich, wer mir huldigen will und auch dem Mammon, wer Weib und Kind und Eltern mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth. Wer mich verläugnet vor den Menschen, den verläugne ich vor Gott. Wer sein Leben behalten will, der wird es verliehren, und wer es verliehren wird um meinetwillen, der wird es gewinnen. Die erschütterten längst verhärteten Herzen der Juden fühlen die Nähe des Reiches Gottes. Aber es kommt nicht, wie sie es erwartet hatten, es kommt nicht mit äußern Geberden. Seine Jünger hoffen auf irdischen Vorzug522 in seinem Reich. Jhr wisset nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Aber er sagt ihnen voraus, daß auch sie ihn trinken müssen diesen Kelch der Leiden für die Wahrheit seiner Lehre. Dennoch folgen sie ihm, dennoch glauben sie an ihn. Das Reich Gottes ist, wie ein Senfkorn, welches ist das kleinste unter den Saamen. Er hat dieses Saamenkorn der Ewigkeit ausgeworfen in die Furchen der Zeit, und es dem Schicksale überlassen. Doch er weiß, daß das Göttliche siegen, durchdringen muß in aller Zukunft. Darum weiht er seine Jünger zu ihrer hohen Bestimmung. Sie dürfen nicht sorgen, was sie reden werden, wenn man sie überantwortet den Richtstühlen. Er, ihr Lehrer, wird bey ihnen seyn, wohnt in ihren Seelen, und wird sprechen durch sie, so wie Gott spricht durch ihn. Und nun nachdem er geordnet hat die Zwölfe und seine Lehre ausgegangen ist in die Länder, nun geht er hinab nach Jerusalem seinem großen Ziele, dem Tode für die sündige Welt zu. Denn es muß alles erfüllet werden, was geschrieben steht von des Menschen Sohn. Petrus will ihm wehren. Hebe dich weg von mir Satan, spricht Jesus. Denn du meynest was menschlich, nicht was göttlich ist. Er zieht ein in der heiligen Tempelstadt und des wankelmüthigen Volkes Zuruf segnet ihn. Die Palmen des Landes, in dem noch überall Spuren von der Gnade des Ewigen sind, erschallen noch einmal von dem lauten Hosianna, zum letztenmal von begeistertem feurigen Prophetengesang. Gesegnet sey, der kommt im Namen des Herrn! Aber itzt kommt kein Prophet. Der Sohn selbst,523 der Erbe zieht ein in den Weinberg seines Vaters. Das Volk Gottes hat seine Bestimmung vollendet, es soll verschwinden vom Schauplatz der Welt, zerstreut werden unter die Menschen. Das Reich ist von ihm genommen und den Heyden gegeben. Ach es muß nach dem Fluch des Schicksals verdorren, wie der Feigenbaum, der keine Früchte trägt. Christus sieht die auf ihre alte Heiligkeit stolze Stadt und weinet über sie. Dieser Tempel soll abgebrochen werden, und die menschliche Natur allein der Tempel des versöhnten Gottes seyn. Der Erbe der ewigen Wahrheit, der göttliche Richter der Erde, findet sein Erbtheil besessen von Feinden, entheiligt vom Priesterthum, von heuchelnden Predigern der nur äußern Gesetzlichkeit. Der sein Brod isset, tritt ihn mit Füßen. Er treibt aus dem Hause seines Vaters die, welche es durch niedern Eigennutz entweihen, er schilt die Pharisäer. Er ist in ihren Augen ein Aufrührer, ein Wahnsinniger. Die Stunde seiner Ueberantwortung kommt, und er weiß es. Er nimmt Abschied von seinen Jüngern in heiliger Nacht. Er, das Wort der Liebe, die allbelebende, allernährende Seele der neugeschaffnen himmlischen Welt, die neue höhere Natur, die von nun an wohnen soll in dem Menschengeschlecht, welches der niedern Natur entsagt hat, ordnet eine neue Speise, einen neuen Trank, das Fleisch und das Blut seines göttlichen Leibes, das alle seine Glieder begeistern soll zum höhern Leben. Das göttliche Blut, das für die Welt vergossen ward, soll aus dem Einen, der sich opferte, übergehen in alle, in denen er leben wird. Hier ist keine Bedeutung (wie die Reformirten524 meynen). Es ist die wirkliche Nahrung der christlichen Gemeinde. Er, der die Welt überwunden hat, geht nun zum Vater, um seinen Gläubigen die Stätte zu bereiten. Mit aller Hoheit seines göttlichen Wesens duldet er nun die Leiden und den Spott blinder Weltmenschen, die nicht wissen was sie thun, duldet er nun einen Tod, zu dem er sich aus freyer Liebe im Vertraun auf das höhere Selbst des Weltalls bestimmt hat. Seine Worte am Kreuz sind Sphärengesang in den Ohren der Geister, die würdig sind sie zu fassen. Der bitterste Kelch, die trübste Minute in der ganzen Geschichte der Seelenwelt, der Augenblick, wo er ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? mit einem Ruf, der durch das innerste Mark alles Lebens dringt, geht vorüber. Er befiehlt sein menschliches Jch in die Hände des Gottes der Liebe, dem er sich nach den Anordnungen des Schicksals opfert. Die Erde bebt. Er stirbt, und es ist vollbracht. Und von nun an ist alles himmlisch, von nun an kein Tod mehr, überall schöpferisches geistiges Leben in der erleuchteten Natur. Mögen die verfinsterten Juden den Leichnam bewachen, Christus, der Sohn des Unsichtbaren, der sich in Gewißheit der väterlichen Liebe dem höllischen Abgrund des Grabes übergab, hat im Bewußtseyn der Göttlichkeit durch seinen eigenen Tod den allgemeinen Tod in der Seelenwelt bezwungen. Mit allmächtiger Hand schmiedet der Gestorbene tief in der Hölle es an, das undenkbare Ungeheuer, auf daß kein Gedanke mehr an denselben in den christlichen Himmel komme. Die Verwesung kann nicht vernichten,525 was einmal vom Worte der Liebe beseelt und neugeboren war. Ohnmächtig steht der von Gott abgefallne schwarze Geist der sich frey und klug dünkenden niedern Selbstheit. Die Menschen haben kein Jch mehr, das mit Stolze von ihm besessen und gequält werden kann. Sie haben kein Jch mehr, das Vernichtung verdient. Und Christus, der Schöpfer des Himmels auf Erden, ist auch der erste, der ersteht in diesem seinen irdischen Reiche. Boten Gottes sitzen auf seinem offnen Grabe. Er selbst, der König der Geisterwelt, tritt unter seine erleuchteten Gläubigen, und legt die Hände auf sie. Friede sey mit Euch. Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geistes. Siehe ich bin bey Euch alle Tage bis an der Welt Ende. Dann verschwindet er auf immer sichtbar aus ihren Augen. Aber ausgegossen wird auf sie die Feuertaufe des Geistes. Und sie thun, wie ihnen geboten ward. Sie lehren in allen Sprachen der Fremde, thun Wunder, und sterben den Märtyrertod. Die Erleuchtung breitet sich aus. Der größte Theil der gebildeten Erde huldigt dem neuen Glauben. Die übermüthigen weltlichen Jdole des Götzendienstes werden umgestürzt, und das Zeichen der Demuth, der über den Stolz erhabenen göttlichen Liebe, der Trost der Leidenden, das Kreuz, an das sich so viele sterbende Geschlechter der Menschen hielten, überall erhöht. Nach langen Jahrhunderten zogen fremde noch halb rohe Nazionen, Kaiser und Könige mit abgelegten Zeichen der weltlichen Ehre an der Spitze ihres Heereshaufen, andächtig zu dem heiligen Ort, wo der526 von seinem Volke verachtete Christus litt. Aber, was mehr ist als dieses, noch nach langen Jahrhunderten erhob die wohlthätige Jdee des Gottes und Menschen, des Einzigen, in dem die Menschheit, nach dem Gesetze des Schicksals, sich selbst anbeten, sich vor dem Richter rein nennen darf, die vom niedern Leben gedemüthigten, unter der Last des Staubes erliegenden Seelen. Die vor dem Allerheiligen zitterten, lernten ihn lieben, weil er ihres Gleichen war, weil er, wie sie, kämpfte und ihre Schwächen hinwegnahm. So war das irdische Leben des Helden der biblischen Geschichte, das man nur allein in den Evangelien kurz und rein dargestellt findet. Menschliche Dichter versuchen umsonst mit dem Schwunge ihrer Einbildungskraft die Züge jener Wundergeschichte zu verschönern. Andächtler versuchen umsonst durch weitschweifige Betrachtungen die Menschen aufmerksamer darauf zu machen. Nur Christus selbst hat Worte der Ewigkeit. Aufklärer versuchen umsonst dieses Leben seiner wundervollen Wirksamkeit zu berauben und es in die gemeine Sphäre profaner Begebenheiten herabzuziehn, weil es zu innig mit allen Bedürfnissen des menschlichen Gemüths verwebt ist. Noch schallt der Name Christus in unsern Tempeln. Aber die zwey allerwärmenden Jdeen seiner Lehre und seines Wandels, Glauben und Liebe, sind nur noch in wenigen Seelen.

§. 3.

So weit von der biblischen Poesie nach ihrem Hauptinhalte. Die besondern Formen, welche527 die Poesie des alten Testaments an einzelnen Orten annimmt, sind schon von vielen Gottesgelehrten bestimmt worden, und erfordern eine eigene Bearbeitung.

Anmerk. Als Stücke der höhern lyrischen Poesie sind zu merken: 1) die hebräische Ode. Daß auch sie ursprünglich mit Musik verbunden war, zeigt die Ueberschrift vieler Psalmen: Lamnazeach, wenn dies anders richtig mit dem Vorsänger oder vorzusingen übersetzt wird. Denn die Erklärung der Worte, welche musikalische Jnstrumente u. dgl. bedeuten, ist sehr ungewiß. Zur eigentlichen Ode kann man die Psalmen rechnen, wo Einer spricht, es sey nun David oder ein anderer Verfasser. Der lyrische Jdeengang der Psalmen hat viel Aehnlichkeit mit dem horazischen. Das Gedicht beginnt mit einem Aufruf, einer begeisterten Frage, mit einer feyerlichen Vorbereitung zum Gesang, mit einer Sentenz. Die Uebergänge sind rasch und kühn, es giebt historische Digressionen, und oft verliehrt sich der Dichter in einer Episode, in einer Allegorie, und schließt mit ihr. Doch bleibt er auch wohl seinem großen Gegenstande, welcher gewöhnlich das Lob Gottes ist, getreu. Oft wechselt der erhabene Styl mit dem sanften Schönen und Reizenden ab. 2) Die hebräische Hymne. (Ode in Liederform, wo mehrere Chöre mit Jntermezzos und auch einzelnen Stimmen abwechseln, z. B. Psalm 8.) Hierher gehören auch die Siegeshymnen Mosis, der Debora und Davids. Die älteste dieser Art ist das Danklied Mosis am rothen Meer. 3) Die Prophezeyungen, Orakel und Visionen528, welche ebenfalls im höchsten Odenschwunge sind. Besonders ist hier die Sammlung zu merken, bey welcher Jesaias zum Grunde liegt. Ezechiel ist der hebräische Aeschylus. Die bilderreiche, in Ansehung der Zeiten unbestimmte Sprache der Hebräer ist für die Orakel sehr passend. Als Stücke der niedern lyrischen Poesie kann man merken: 1) die hebräische Elegie, die oft im Tone der Nänie, oft ein ruhigeres ἐπικηδειον ist. Hier sind besonders die Klagelieder des Jeremias anzuführen, eine Sammlung in Form der Todtengesänge gewöhnlich in fünf Theilen und dramatisirend. Die Verse sind alphabetisch, das Metrum langsam, schleppend, vielsylbig. Die Hebräer hatten ganze Elegieensammlungen, mehrere Psalmen sind rührende Elegieen. Vorzüglich schön ist die Elegie Davids auf Sauls und Jonathans Tod mit einem Chor. 2) Die lyrische Jdylle der Hebräer. Lyrische Gedichte im naiven Hirtenton. Hierher kann man den Propheten Amos rechnen. Die einzelnen Stücke der darstellenden Poesie bey den Hebräern sind: 1) historisch. a) erhabene Geschichte. Als Heldengedicht kann man die Bücher Moses ansehen, der in mehrerm Betracht der Homer der Hebräer ist. Einzelne dramatische Stücke giebts in den Propheten, die oft personifiziren und handeln lassen. Das Buch Hiob, das hohe Lied Salomonis, sind beyde dramatisirt. Doch ist es keine eigentliche Handlung, weswegen wir das erste zum Lehrgedicht, das andre zur Allegorie zählen. Erhabne Geschichte in Liederform, wie altyrinchische Hymnen kleine historische Psalmen, z. B. 78. 529Einige nennen dergleichen Stücke Jdyllen, im weitsten Sinne des griechischen Worts, wo es ein kleines vollendetes Ganze heißt (εἰδυλλιον). b) Geschichte, die mehr zum niedern Schönen Stoff giebt z. B. historische Jdyllen. Hierher kann man das Buch Ruth, manches aus dem Leben der Erzväter rechnen u. s. w. 2) Die darstellende Poesie der Hebräer hat auch vorzüglich didaktische Stücke aufzuweisen. Hierher gehören a) Lehrgedichte in bistorischer Form, z. B. das Buch Hiob, eins der erhabensten glänzendesten Gedichte des Alterthums, das aber nicht ganz zu den Nationalwerken der Jsraeliten zu gehören scheint. Es liegt zwar eine dramatische Geschichte zu Grunde. Allein der Hauptgegenstand ist der Streit Hiobs und seiner Freunde, und Gottes Ausspruch, eine Theodizee wegen des Uebels in der Welt, welche Ergebung in den Willen, in die höchste Weisheit und Majestät Gottes verlangt. b) Lehrende Systeme. Hierher kann man das Predigerbuch oder die predigende Weisheit Salomons rechnen. Die Hauptlehre ist Vergänglichkeit und Hinfälligkeit der menschlichen Dinge. Also ist Zusammenhang im Ganzen. c) Sammlung von Sentenzen, כילשמ . Die Sprüchwörter und kurzen Sentenzen, und überhaupt der gnomische Styl ist der hebräischen Poesie als Poesie vorzüglich eigen. Hierher gehören die Sprüche Salomons. Sie haben eine Einleitung, und alsdann folgen abgerißne Parabeln und Sprüche. Nachahmungen davon sind das Buch Sirach und die Weisheit Salomons in griechischer Sprache. d) Lehrgedichte in Liederform, z. B. manche530 Psalmen, die alphabetischen. 3) Es giebt auch beschreibende Gedichte, Beschreibungen in Liederform. Manche Psalmen sind hierher zu rechnen, die nicht den freyen lyrischen Charakter haben, sondern die Majestät Gottes im Weltall schildern. 4) Endlich giebt es auch allegorische Gedichte. Hierher kann man im alten Testamente nach christlicher Auslegung besonders das hohe Lied Salomons rechnen. Es ist eine mystische Allegorie, die nur erst durch das Christenthum volle Bedeutung erhielt. Gott liebt die Seelenwelt, wie schon nach hebräischer Vorstellungsart Jehova seine Nazion, und sie wird mit ihm vermählt. Christus deutet auch oft auf diese Allegorie, wie er sich überhaupt als moralischer Lehrer der Parabeln bedient.

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Zweyter Abschnitt. Von der menschlichen Poesie. ──────

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E533

Erstes Kapitel. Von der lyrischen Poesie. ──────

§. 1.

Die lyrische Poesie ist diejenige, in deren Produktionen die Empfindung des Schönen ganz frey und an keinen individuell bestimmten Gegenstand gebunden erscheint.

§. 2.

Da die Gemüthsstimmung des Dichters sich entweder auf das höhere oder auf das niedere Schöne richten kann, so giebt es eine höhere und eine niedere lyrische Poesie.

Erster Unterabschnitt. Von der höhern lyrischen Poesie.

§. 1.

Die Gedichte der höhern lyrischen Poesie, welche nicht durch eine zufällig hinzukommende be =534 sondere Form einen andern Namen erhalten, wollen wir im Allgemeinen Oden nennen.

Anmerk. Diese griechische Benennung ist ursprünglich musikalisch, wie die ganze lyrische Poesie von der Lyra herstammt, welche Merkur erfand. Ὠδος heißt nach einigen Grammatikern der große Becher, der bey den griechischen Gastmählern mit Gesang herumgegeben wurde. Sonach wäre Ode und Skolion oder Tafellied ziemlich synonym. Man ist indeß bey allen Nazionen übereingekommen, alle lyrische Gedichte höherer Art, sobald sie durch keine besondere zufällige Form einen andern Namen bekommen, Oden zu nennen.

§. 2.

I) Theorie der Ode. 1) Da die Materie der Ode eine lyrische durch kein Objekt fixirte Gedankenreihe ist, welche die Stimmung des höhern Schönen nährt, so ist alle Einheit, welche diese Dichtungsart verlangt, nur darinnen zu suchen, daß die Empfindung des höhern Schönen in ihr herrschend bleibe. Das höhere Schöne hat mehrere Unterarten. Das Große, das Starke, das Heftige, das Erhabene. Diese können in einer Ode mit allen ihren Modificationen unter einander abwechseln. Selbst das niedere Schöne kann darein verwebt werden. Nur535 darf es nicht überwiegend seyn. Am allerwenigsten darf es unter einer Modification erscheinen, welche das höhere Schöne stöhrte.

Anmerk. Da die Stimmung zum höhern Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung ist, welche im Menschen mehr durch Leidenschaften, als durch kaltes Denken gewirkt wird, so ist begreiflich, warum einige den wesentlichen Jnhalt der Ode in Schilderung der Leidenschaft gesetzt haben. Allein die Schilderung der Leidenschaft, die dunkle heftige Empfindung macht eigentlich nicht das Gedicht, sondern der Sieg, welchen die Vorstellkraft der Phantasie ihr abgewinnt, wenn sie das Begehren des Gemüths im hellen Lichte der Schönheit zeigt. Durch die Leidenschaften kommt allerdings viel geistiges Leben in die Ode. Die eigentliche Ode muß aber doch mehr für die Fantasie, als für das Herz seyn. Darum heißt sie auch oft εἰδυλλιον, ein kleines Gemälde. Das Herz findet mehr Nahrung in der Elegie, welche bey der Leidenschaft länger verweilt. Auch ist der Odendichter oft nur in einer bewundernden Stimmung, nicht in einer begehrenden. Horaz scheint in seiner Arte poetica der Ode eine bestimmte Gattung von Gegenständen anweisen zu wollen. Musa dedit fidibus Divos, puerosque Deorum et pugilem victorem, et equum certamine primum et iuvenum curas et libera vina referre. Er scheint hier vorzüglich den Pindar und die andern griechischen Lyriker in Gedanken gehabt zu haben. Allein man muß die Veranlassung536 der Ode von dem eigentlichen Hauptinhalte unterscheiden. Die Veranlassung der Ode kann bestimmt seyn. Die Gedankenreihe selbst ist und bleibt unbestimmt. Die Veranlassung erweckt im Dichter die Empfindung des Schönen, und diese nährt er durch willkührliche Gedanken. Diesen Gedanken nach wechseln im Gedicht Beschreibungen, Lehren, Erzählungen ab. Aber dies alles sind episodische Nebenideen, zusammengekettet durch eine freyere Jdeenassociation. Man hat gefragt, ob eine Ode Handlung enthalten könnte. Jm eigentlichen Sinne dieses Worts muß die Frage verneint werden. Die Darstellung einer Handlung würde die Jdeenreihe nicht durch sich selbst, sondern durch äußere Umstände ganz bestimmen. Oden sind also fehlerhaft, wo man sich den Gang der Gedanken nicht durch die Gemüthsstimmung des Dichters selbst, sondern durch vorausgesetzte äußere Veränderungen erklären soll. Wenn also z. B. in einer Ode sich der Dichter eine geliebte Nymphe denkt, die er verfolgt, und plötzlich ausruft: Ha, dich, flüchtiges Reh, dich hab ich erhascht! so ist dies nicht zu billigen, weil man sich dabey äußere Umstände denken muß, die die Jdeenreihe nicht bloß veranlassen, sondern immerfort nen bestimmen. Es giebt zwar ganz erzählende Oden, der Einkleidung nach, z. B. die Weissagung des Nereus, Horaz I. 15. Allein wenn gleich die Vorbereitung historisch ist, welche uns einen Schauplatz gleichsam für die Ode bestimmt, so ist doch die Weissagung des Nereus selbst lyrisch, eine ganz freye, objektiv unbestimmte Gedankenreihe. Es giebt auch dramati =537 sirte Oden, wo mehrere historisch bestimmbare Personen sprechen, z. B. Horaz I. 28. Doch auch hier liegt keine Handlung zum Grunde. Die Gedankenreihe des Gesprächs ist lyrisch so verbunden, daß man weiter keine äußern Umstände braucht sie zu erklären. Zwey sprechen. Aber es ist, als wenn nur Einer spräche. So fließt eins aus dem andern. Es giebt auch Oden, wo der Dichter sagt, daß er handeln will, wo er uns Entschlüsse bekannt macht. Z. B. Freund, laß die Laub uns schließen u. s. w. Klopstock an den Rheinwein. cf. Horaz I. 27. Hier spricht Horaz mit seinen Freunden beym Gastmahl. Zwischen den Worten depone tutis auribus und ah miser kann man sich zwar eine Handlung denken, als wenn der Freund dazwischen gesprochen hätte. Allein es läßt sich auch so erklären, daß Horaz ahnet, was er antworten wird, wie Klopstock in der Rheinweinode und weiter spricht. Auch dadurch bekömmt die Ode noch keine Handlung, wenn die Phantasie des Dichters ihm etwas vergegenwärtigt, wie in Klopstocks Ode an Ebert: Leitet den sterbenden Greis! Nur muß die augenblickliche Stärke der Begeisterung so groß seyn, daß man sich die Handlung als phantastisch, nicht als wirklich denkt. Klopstocks Wingolf ist ein künstliches dramatisches Odengebäude. Für solche und ähnliche Stücke sollte man mehr den Ausdruck lyrische Scene gebrauchen. Wo wirkliche Handlung zum Grunde liegt, ist es eine historische Dichtungsart, und die lyrische Form zufällig. Will man übrigens, wie Klopstock einmal in seiner Gelehrten Republik, jeden Entschluß in der Seele, jedes538 Schwanken, Zweifeln u. s. w. eine beginnende Handlung nennen, so läßt sich dawider nichts einwenden, allein dann ist das Wort nicht kunstmäßig gebraucht. So viel zur Erläuterung des Satzes, daß die Ode keinen objektiv bestimmten Jnhalt habe.

Anmerk. 2. Am wirksamsten ist der Gang der ästhetischen Empfindungen in der Ode, wenn das Gedicht mit dem Heftigen, Starken, Großen oder Feyerlichen beginnt, und mit dem Erhabenen schließt. Denn dies ist der natürliche Gang des menschlichen Geistes. Doch kann man den Dichter hierin nicht beschränken. Nur müssen die Uebergänge aus einer Untergattung des Schönen in die andere nicht widernatürlich und zu kontrastirend seyn. Man kann hier viele interessante Bemerkungen machen, wenn man die schönsten Oden nach theoretischen Bestimmungen analysirt. Man nehme z. B. d. Horaz. Ode III. 11. Erst das Feyerliche dann folgt ein heiteres Bild des reizend Schönen. Dann das Starke, hierauf das Schauerliche, und der Schluß ist erhaben. Jn der Ode Augustam amice pauperiem pati (III. 2.) beginnt das Starke, dazwischen ist ein Lichtstrahl sanfter Liebe geworfen, dann folgt das Heftige, hierauf kommt eine hohe Empfindung. Das Bild der Tugend, welche die Erde verläßt, ist erhaben, und die Ode schließt wieder mit dem Starken. Da die Empfindung des höhern Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsstimmung voraussetzt, so wird der Odendichter seine Seelenkräfte entweder durch einen feyerlichen Anruf zu seinem Gesange sammeln, oder539 er wird mit einer heftigen und lebhaften Frage beginnen: Quo me Bache rapis? Wohin wird mein Gesang verschlagen? Uz. oder eine starke große Sentenz an die Spitze seiner Jdeenreihe stellen: Iustum et tenacem etc. Da die Ode eine gewisse Freyheit der ästhetischen Empfindung behauptet, so wird sie am Schlusse das Erhabene, wie ein Epiphonem lieben, das einen unbestimmbaren Nachhall in der Seele zurückläßt. Das niedere Schöne, welches sich in der Ode findet, darf die Kraft der Ode nicht ganz erweichen, es darf auch durch keine ganz kontrastirende Modification stöhren oder beleidigen. Z. B. Das Scherzhafte darf in der Ode eigentlich nicht statt finden. Klopstock hat zuweilen Scherz in seinen Oden, aber allemal unter einer edlen Form. Manche anakreontische Gedichte sind vollkommne Oden. Manche Stücke des Horaz, in welchen die Freude, die Liebe herrscht, sind nichtsdestoweniger vollkommene Oden. Denn diese Dichter verbinden immer mit der Aufmunterung zur Freude, des Gastmahls und des Bechers den Gedanken an die Vergänglichkeit des Lebens, an den Tartarus. Huc vina et unguenta, et nimium breves flores amoenae ferre iube rosae. Linquenda tellus et domus et placens uxor oder Anakreon führt uns vom Gastmahl zur Anschauung der ganzen Welt: γη μελαινα πινει κ. τ. λ.

§. 3.

2) Da die Ode keinen objektiv bestimmten Gegenstand hat, aber doch eine Gedankenreihe enthält,540 die, als solche, nicht ganz logisch unvollkommen seyn darf, so muß in Absicht auf die Gedanken und Bilder eine künstliche Unordnung herrschen, die auf einen verborgenen Plan hindeutet.

Anmerk. So wie der Dichter eine zufällige Veranlassung zu seiner Gemüthsstimmung haben darf, die er gleich anfangs ankündigt, so kann und muß er auch einen Hauptgedanken haben, welcher der ganzen Jdeenreihe ein gewisses Licht giebt. Nur darf dieser nicht als der Hauptgedanke angekündigt seyn und logisch durchgeführt werden, sonst würde dies der Phantasie Zwang anlegen. Daher wird er weder mit dem Hauptgedanken beginnen, noch mit ihm schließen. Denn nur dadurch bekommt die Jdeenreihe eine gewisse Unendlichkeit, daß sie zu Anfang und zu Ende frey ist. Darum verliehrt sich Horaz sehr gern am Ende seiner Gedichte in die Darstellung eines Bildes, einer Geschichte. Er will z. B. III. 11. die Lyde rühren durch seinen Gesang. Diese Absicht giebt er nicht gleich anfangs zu erkennen. Sondern er ruft den Merkur an, den Erfinder des Gesangs. Nun erwähnt er erst seine Hauptabsicht, daß er die Geliebte erweichen will. Dann verliehrt er sich ganz in die Erzählung der Geschichte eines liebenden großmüthigen Mädchens, und schließt damit. Hier scheint er sich von seinem Wege verirrt zu haben. Allein die freye lyrische Unordnung deutet auf einen verborgenen Plan. Denn Lyde kann an dieser Erzählung sich ein Beyspiel nehmen. L. III. od. 4. ist die Hauptidee vielleicht, die Horaz hatte,541 den Einfluß der Musen auf die Bildung der rohen Macht dem Cäsar ans Herz zu legen. Aber sie ist nur mit einigen Worten in der Mitte angedeutet. Das Ganze ist freye Phantasie, die sich aber darauf bezieht. Die freye Gedankenreihe in den Oden, welche die größte Willkühr der Phantasie behaupten, zeigt sich auch darinnen, daß oft eine Kleinigkeit dem lyrischen Dichter Gelegenheit zu einer erhabenen Ansicht des Lebens giebt, z. B. Hor. III. 21. Am allerschwersten ist der Plan der Pindarischen Oden zu entdecken und zu behalten, weswegen Erasmus Schmid sie auch in Tabellen gebracht hat. Gleichwohl ist Pindar mehr wegen seines üppigen Ausdrucks, wegen seiner Jdeenassoziationen und Uebergänge schwer. Jm Ganzen bleibt er immer fast zu viel und zu einseitig bey seinen fürs höhere Gefühl armen Gegenständen. Er beginnt mit der Hauptidee, kehrt auch zu derselben zurück. Seine historischen Digressionen, wodurch seine Öden oft unsern Balladen ähnlich werden, sind durch die Natur der griechischen Kampfspiele bestimmt, und nur in Zusammensetzung einzelner Gedanken findet man lyrische Unordnung. Man kann dann wohl, wie die Dichterin Corinna, mitunter von ihm sagen: der Same müsse mit der Hand gestreut, nicht in ganzen Säcken ausgeschüttet werden. Klopstocks Oden sind voll tiefen Gefühls, und die herrschende Empfindung läßt seine Phantasie nicht sehr herumschweifen. Nur die einzelnen Uebergänge machen den Plan zuweilen schwer. Ramler und Uz haben mehr den Horaz nachgeahmt.

542

§. 4.

3) Da die Ode eine höhere Gemüthsstimmung voraussetzt, welche durch keinen äußerlich bestimmten Gegenstand genährt wird, also nicht bleibend seyn kann, so muß sie ihrer Natur nach kurz und ihr Styl gedrängt seyn. Keiner Dichtungsart kommt die hohe Sprache zu, welche die Ode hat, weil in ihr der Dichter allein spricht, und seine erhabenen Empfindungen mittheilt.

Anmerk. Weder Pindar noch Rousseau machen von dieser Regel der Kürze eine Ausnahme. Pindars Oden nähern sich oft mehr der Natur von Erzählungen in lyrischer Form unsrer Balladen. Nur in dieser Qualität kann man sie nicht zu lang finden. Der Engländer Prior hat Oden von fünf und dreyßig zehnzeiligen Strophen. Rousseaus Oden pflegte Klopstock Dissertations lyriques zu nennen. Sie sind zuweilen mehr Lehrgedichte in lyrischer Form, als wirkliche Oden. Ueberhaupt kommt es bey Classification der Gedichte auf das an, was die Hauptsache ist. A potiori fit denominatio, wie wir schon bemerkt haben. Es kann ein Dichter erzählen und lehren wollen, und seiner Gedankenreihe dabey eine freyere lyrische Form geben, als wär er an seinen Gegenstand nicht gebunden. Dann ist er kein lyrischer Dichter, wenn er auch noch so viel lyrische Stellen einmischt. Wiederum kann ein Dichret nur erzählen. Wenn aber seine Erzählung ihrer Natur nach Nebensache, Einkleidung, und nichts als das543 Symbol einer höhern Gemüthsstimmung ist, so ist sein Gedicht dennoch eine Ode, z. B. die beyden Musen; Skulda von Klopstock; Bachum in remotis rupibus vidi. Hor. Es ist ein kleines vollendetes Gemälde von einer Empfindung des höhern Schönen, die nicht an einen äußern Gegenstand als Jdeal fixirt ist. Was erzählt wird, erregt als Handlung nicht das Hauptinteresse, ist auch nicht objektivisirte Jdee, sondern ist nur die Schilderung, das Sinnbild einer interessanten Gemüthsstimmung. Uzens Theodizee, und Drydens Ode auf den Cecilientag stehen vielleicht gerade auf der Gränze zwischen dem Lehrgedicht, der Erzählung und der Ode. Eben wegen der nothwendigen Kürze, welche die Ode verlangt, ist ein großer Dichter an nichts leichter zu erkennen, als an der Art, wie er zu schließen versteht. Der Styl der Ode muß kräftig und gedrängt seyn, kann ans Außerordentliche gränzen. Denn in der Ode koncentrirt sich so zu sagen die Quintessenz der Dichtkunst. Wenn der Styl auch zuweilen seinem Gegenstande zufolge natürlicher ist, so darf er doch nie gedehnt seyn, wie der elegische. Daher das, was die Theoretiker bey den Uebergängen den lyrischen Sprung nennen. Alle gewöhnliche Mittelideen werden weggelassen. Kein andrer Dichter wie der Odendichter darf mehr so denken wie Rousseau: Lecteur, s'il faut tout vous dire, ne me lisez point.

§. 5.

4) Da der Styl der Ode gedrängt, kurz und kräftig ist, so paßt für sie auch nur ein Metrum von544 kurzen Versen, welches den Strom der Rede in engen Schranken hält und dadurch erhöht. Vorzüglich sind die strophischen Versarten auf sie anzuwenden, weil diese am meisten das Gepräge der Vollendung haben. Der Styl der Ode ist der vollendeteste von allen, und bedarf auch einer vorzüglich musikalischen Sprache. Die einzelnen lyrischen Sylbenmaaße, in wie fern sie für besondre lyrische Empfindungen passen, haben wir schon oben genauer bestimmt.

Anmerk. Bey den Griechen war die lyrische Poesie zuweilen nicht nur mit Musik, sondern auch mit Wendungen des Tanzes verbunden. Daher in den Oden und Chören Strophe, Antistrophe, Epodos. Daher und wegen der Musik mußte die Antistrophe dem Takt nach der Strophe correspondiren. Alcäus, Sappho, Horaz u. s. w. haben monostrophische Oden. Diese hießen eben wegen der Beziehung auf den Tanz, der hier wegfiel, auch ϛασιμα. Bey den neuern Nazionen hat man den Reim für die Ode angenommen. Aber auch hier sind Stanzen oder besondere Reimsysteme nöthig, um dem Metrum die gehörige Vollendung und Rundung zu geben. Bey den Jtalienern sind besonders die Canzonen für die höhere lyrische Poesie. Sie haben auch ihre Ballata und Contraballata, Volta, Rivolta und Stanza, wie die Griechen ihre Strophen und Antistrophen, Epoden angenommen. Manche Sonnette von Petrark sind vollkommne545 Oden, wiewohl die Form des Sonnets für den lyrischen Schwung eigentlich zu peinlich ist. Boileau sagt, es sey vom Apoll zur Marter armer Dichterseelen erfunden. Nur Petrarks hoher Geist konnte in diese niedliche Form freyes himmlisches Leben bringen. Abraham Cowley, der Vater der englischen Odenpoesie, hat die in diesem § behauptete Regel, daß die strophischen Versarten für das Wesen der Ode, als des vollendetesten Gedichts, nöthig sind, vernachlässigt. Allein pindarisch wird dadurch eine Ode nicht, wenn gar keine metrische Symmetrie statt findet. Für das griechische Ohr war gewiß Pindar musikalisch genug. Die französische Ode hat oft abwechselnd kurze und lange Verse in ihren Stanzen, und diese Mischung trägt, wie Fenelon bemerkt, viel zur Harmonie bey.

§. 6.

5) Die Ode nimmt verschiedene zufällige Formen an, oder sie bekommt auch, ihrem veranlassenden Jnhalte nach, zuweilen Nebenbenennungen, ohne daß in beyden Fällen der Hauptname Ode ganz verlohren ginge.

Anmerk. Es giebt, wie wir bemerkt haben, a) dramatisirte Oden, z. B. Selmar und Selma in Klopstock, Horaz und Lydia. Das Gespräch muß aber doch Eine einzige lyrische Jdee seyn, ohne Handlung, sonst wird es ein darstellendes historisches Gedicht, wo die lyrische Form zufällig ist, eine lyrische Scene. b) Oden in Briefform. 546Die Odendichter reden oft im Anfange ihrer Gedichte einen Freund an, den sie sich als gegenwärtig denken. Oft hat die angeredete Person ihrem Charakter nach wenig oder gar keinen Einfluß in das Gedicht, z. B. Horat. Lib. II. 3. moriture Delli, Posthume Posthume Es müßte denn seyn, daß der Dichter eine gewisse Wahrheit gerade diesem Freunde ans Herz legen wollte. Zuweilen lernt man doch den Freund, an den die Ode gerichtet ist, aus dem Gedichte kennen, z. B. Albi, ne doleas. Hor. Hieraus sieht man Tibulls elegischen Charakter. Klopstocks Oden an Gleim. Dieses macht noch nicht die Briefform. Zuweilen ist letztere jedoch unverkennbar, z. B. Horat. I. 20. Vile potabis etc. und Klopstocks Gedicht: Cidli, du weinest und ich schlummre sicher c) Zuweilen giebt auch eine besondere Modifikation des Schönen der Ode einen eigenen Charakter. Wir haben das Satyrische zwar zum niedern Schönen gerechnet, allein bemerkt, daß es auch eine heftige Satyre gebe, die sich dem Erhabenen nähert. Es giebt daher satyrische Oden. Archilochus soll dazu den Jambus gebraucht haben. Daß Horaz auch wohl dergleichen gemacht haben mag, zeigt seine Palinodia L. I. od. 16. und sein Buch Epoden. Man hat dergleichen satyrische Oden, wo gewöhnlich ein längerer Jambe mit einem kürzern abwechselt, nach der Bemerkung des Hephästion Epoden genannt, welche Benennung auch von deutschen Dichtern gebraucht worden ist. Scaliger findet in dem Ausdruck weiter nichts, als einen Anhang von Oden. Alle Epoden des Horaz sind nicht geradezu satyrisch. Z. B.547 gleich die erste an den Mäzen ist nur ein Scherz. Das schöne Gedicht: Beatus ille, hat nur einen satyrischen Schluß, der eigentlich nicht recht paßt. Wegen der Veranlassung zu manchen Oden haben sie auch zuweilen eigne Benennungen erhalten. d) Epinicia, wurden bey den griechischen Spielen dem Sieger gewidmet. Daher die Pindarischen Olympionicae, Nemeonicae, Pythionicae, Isthmionicae. Man sollte dies nicht Siegeshymnen übersetzen. Denn Hymne, wenn man endlich einmal eine feste Kunstsprache einführen will, muß für die Gesänge bleiben, wo nicht blos der Dichter, sondern mehrere zusammen singen. e) Das Melos, Liebesgedichte (ἐρωτικα) in freyerm Odenschwung, soll der Lyriker Alcwan erfunden haben. Hierinnen ist Sappho vor allen berühmt. f) Die Scolia der Griechen. Zuweilen sangen mehrere zusammen bey den Gastmählern. Dann mochten es keine Oden, sondern mehr gesellige Lieder seyn. Allein zuweilen ward nach der Reihe gesungen, von jedem Einzelnen, der alsdann eine Myrte oder einen Lorbeer auf dem Haupte und in der Hand trug. Diese Scolia, wie wir aus dem sehen, was davon auf unsre Zeiten gekommen ist, sind wahre Oden im freysten lyrischen Schwung, enthielten das Lob eines berühmten Mannes, z. B. das berühmte ἐν μυρτου κλαδι auf den Aristogiton und Harmodius, auf den Aiar, oder eine Lebenssentenz. Das Scolion des Timocreon Rhodius wider den Reichthum, das gewiß bey unsern Festen nicht gesungen werden würde, weil unsre Feste gern nichts wie Beweise des Reichthums seyn möchten. Der berühmte Päan (im uneigentlichen548 Sinn des Worts) des Aristoteles. Woher der Ausdruck Scolion kommt, darüber ist man nicht einig. Es wird behauptet, daß dem besten Sänger ein Becher als Preis zuerkannt ward. Vielleicht kommt auch daher der Ausdruck Ode.

§. 7.

II) Die Hymne ist ein Gedicht der höhern lyrischen Poesie in Liederform, unter Voraussetzung, daß es von mehreren Menschen bey einer feyerlichen Gelegenheit gesungen werde.

Anmerk. Man muß also in genauer Kunstsprache Ode und Hymne von einander ganz unterscheiden, und der Sprachgebrauch der Dichter beobachtet auch den Unterschied. Die Ode ist eine freye erhabene Phantasie des Dichters, die eine Veranlassung haben kann und auch nicht. Die Hymne hat die bestimmte Veranlassung, bey feyerlicher Gelegenheit von einer Menge Menschen gesungen zu werden, und also die Liederform. Zwar nennen die Alten zuweilen kleine Gebete der Dichter, die an irgend eine Gottheit gerichtet sind, auch wohl Hymnen. Λαβουσα μικρον ὑμνον. Anacr. θ. Horat. L. I. 30. ist förmlich ein kleiner ὑμνος κλητικος, wie ihn die Griechen nannten, (nach Art der ersten Ode der Sappho) und so mag die Hymne, für welche Cythere das Täubchen an den Anakreon verhandelte, auch gewesen seyn. Eigentliche Hymnen sind aber Chorgesänge, wie Horat. L. I. 21. und das carmen saeculare. Daß das Lob549 göttlicher Wesen die Veranlassung zu einer Hymne seyn müsse, ist dem Sprachgebrauch nach nicht nothwendig. Man hat Hymnen an das Licht (Abr. Cowley), an das Grab, auf Publicität u. s. w. Schillers Gesang an die Freude ist ganz eigentlich eine Hymne. Der Marseiller Kriegsgesang von de Lille wird auch eine Hymne genannt.

§. 8.

1) Da die Hymne ein höheres lyrisches Gedicht ist, so ist ihr Hauptinhalt eine Empfindung des höhern Schönen. Da aber die Veranlassung feyerlich ist, und vorausgesetzt wird, daß mehrere singen, so wird nicht jede Untergattung des rührend Schönen passend seyn. Diese Untergattungen werden auch nicht so unter einander abwechseln, wie bey der Ode. Denn das leicht bewegliche Gemüth des einsamen Dichters geht eher aus einer Empfindung in die andere über, als sich die Stimmung einer Menge Menschen bey einer feyerlichen Gelegenheit verändert. Es muß also mehr Einheit der Empfindung in der Hymne seyn, als in der Ode, und das Große, das Feyerliche durchaus herrschen.

Anmerk. Besonders muß der Aufang der Hymne ein προσωπον τηλαυγες seyn. Man betritt ein Heiligthum. Gewöhnlich ists ein Anruf, der die Hauptver =550 anlassung enthalten muß, die die Singenden feyerlich stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen Poesie gezählt werden. Callimachus ist weit lyrischer. Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit eben der großen Empfindung enden, wie sie begann. Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit welcher der Dichter schließt, der Tartarus. Uebrigens können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.

§. 9.

2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist, folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr551 die einzelne Gedankenreihe bestimmt, als umgekehrt die objektive Gedankenreihe die Gemüthsstimmung, so ist auch der Plan der Hymne frey und lyrischen Unordnungen unterworfen. Da aber die Hymne zugleich die Liederform hat, folglich auf mehrere Menschen berechnet ist, und mehrere Menschen, zumal bey feyerlicher Veranlassung, nicht so leicht von einem Gedanken auf den andern übergehen, so bleibt hinwiederum der Hymnendichter dem Gegenstande, der ihm Veranlassung zum Gedicht giebt, mehr getreu, als der Odendichter.

Anmerk. Die historischen Hymnen der Alten enthalten mehrentheils die Thaten eines Gottes. Diesem Gegenstande bleiben die Dichter getreu. Diese Hymnen sind hier jedoch weniger anzuführen, weil sie schon mehr darstellende Poesie sind. Davids Hymnen (s. oben) enthalten das Lob Jehovas, aber er nimmt seine Bilder ohne gezwungene Ordnung aus der ganzen Natur. Daß es bey Zeiten christliche Hymnen gegeben, beweist die Stelle beym Plinius Epp. Lib. X. 97. quod essent soliti carmen Christo, quasi Deo dicere secum invicem. Die Thaten Christi sind auch hier der Hauptgegenstand, wie wir aus den katholischen Messen sehen. Doch bestimmt ein einzelner meist die Empfindung der Gedankenreihe. Die meisten Hymnen des Prudentius sind in Ansehung der Gedankenreihe lyrisch, z. B. Cathemerinon liber. Auch von Augustin552 haben wir Hymnen. Das Requiem oder die Todtenmesse: Dies irae, dies ille, ist ganz lyrisch. Alle geistliche Lieder der Neuern darf man nicht unter der Kategorie von Hymnen aufführen. Die neuesten geistlichen Lieder zumal sind mehr Lehrgedichte, gnomische Gedichte in Liederform. Jn unsern ältern Gesangbüchern giebt es noch eher wahre Hymnen, weil sich darinnen noch höhere Poesie findet. Popes allgemeines Gebet, Rousseaus und Cramers Psalmen sind im wahren Hymnenton; auch Klopstocks geistliche Lieder und manche seiner Oden.

§. 10.

3) Jndem die Hymne mehr die Empfindung beschäftigt, als dem Geiste eine bestimmte objektive Anschauung giebt, indem sie das Werk eines hohen lyrischen Moments ist, der die Menschen begeistern soll, verlangt sie auch eben so wie die Ode Kürze, Gedrängtheit. Da sie aber durch die Liederform etwas herabgestimmt wird, und für mehrere Menschen berechnet ist, überdem ihr Plan etwas regelmäßiger ist, als der der Ode, so leidet sie auch etwas mehr Ausdehnung als letzteres Gedicht. Die Sprache der Hymne muß wegen der feyerlichen Empfindung in hohem Styl seyn, doch nicht ganz so ungewöhnlich, wie der Odenton. Denn mehrere Menschen zusammen können seltener die freyen Wendungen des Ausdrucks nehmen, als der Dichter allein.

553

Anmerk. Der historische Ton der alten griechischen Hymne ist ohne allen lyrischen Schwung. Aber man findet auch Hymnen, die wahrscheinlich in den Mysterien gesungen wurden, wie die τελεται des vorgeblichen Orpheus. Diese sind lauter Ausrufungen, lauter Epitheten, folglich ganz lyrisch. Auch in der griechischen Anthologie findet man Hymnen an den Bachus, an den Apoll in dieser Art. Natürlich dürfen solche Hymnen nur kurz seyn. Denn sie sind nichts als lyrische Benennungen des Gottes ohne Zusammenhang. Unsere Litaneyen können damit verglichen werden.

§. 11.

4) Das Metrum der Hymne darf nicht ganz so viel Mannichfaltigkeit enthalten, als das der Ode. Die Liederform verlangt eine gewisse leichtere Faßlichkeit für das Ohr.

Anmerk. Die Griechen hatten anfangs den Hexameter in ihren Hymnen. Das Metrum paßt für den historischen Styl, ist zu ausgedehnt, aber doch ziemlich gleichförmig. Doch haben die Alten auch in Strophen und Antistrophen und noch freyern Versmaaßen ihre Hymnen gesungen. Viele ihrer tragischen Chöre im Sophocles und Euripides sind vollkommne Hymnen auf das Lob eines Gottes. Horaz hat sein Carmen saeculare in Monostrophen gedichtet. Die christlichen lateinischen Dichter haben zuweilen sogar sapphisches Sylbenmaaß, oft aber auch ein leichteres554 trochäisches oder jambisches Metrum, und so ist es gewöhnlich bey den neuern Hymnendichtern geblieben, welche Stanzen und Reime angenommen haben. Manche alte Kritiker hielten den Jamben für unverträglich mit der Hymne.

§. 12.

5) Zufällige Formen und besondere Veranlassungen haben auch der Hymne zuweilen noch besondere Namen gegeben, ohne jedoch die Benennung der Gattung dabey ganz aufzuheben.

Anmerk. Hierher kann man rechnen: 1) die Kriegslieder. Tyrtäus hat zwar die elegische Form. Seine Gedichte nähern sich aber den Hymnen. Mehr romantisch sind Gleims preußische Kriegslieder und Weissens Amazonenlieder. 2) Die Siegeshymnen hießen bey den Griechen Päane. Dies waren also keine Epinicia, wo Sieger in Spielen besungen wurden, sondern feyerliche Danklieder nach gewonnener Schlacht, wie unser Te Deum. Der Ausruf ἰη παιαν soll bey diesen Liedern gewöhnlich gewesen seyn. Doch brauchen die Griechen auch zuweilen das Wort Päan von andern Liedern beym Opfern, z. B. im Homer. Es giebt auch Skolien, die Päane genennt wurden, z. B. Atiphrons Päan auf die Hygieia, des Aristoteles Päan auf den Hermias, ein feuriges Loblied auf die Tugend. 3) Die gottesdienstlichen Gesänge vor dem Altar nannte man Hymnen insbesondere. Die in den Mysterien gewöhnlichen hießen dann zuweilen τελεται, und bestanden555 fast aus lauter Epitheten. 4) Dithyramben. Haben mehr den Charakter des Heftigen als des Feyerlichen. (Der Ausdruck soll daher kommen, daß Bachus zweymal geboren worden, δις θυρας ἀμειβων. Andere meynen, daher, daß, nach dem Archilochus, ein Diener des Bachus so geheißen.) Dem sey wie ihm wolle, so ist der Styl der dithyrambischen Hymnen auf den Bachus im höchsten Grade lyrisch, das Metrum wechselnd und voll kurzer Sylben gewesen. Man erfand und setzte neue lange Worte dazu zusammen. Aeschylus nennt den διθυραμβον μιξοβοαν. Die Dithyramben des Pindar sind verlohren gegangen. Eine Gattung davon hieß Hyporchema. Auch Lobgesänge auf andre Götter, den Silen, die Cybele, den Priap u. s. w. heißen zuweilen Dithyramben, wiewohl auch dafür wieder andere Sylbenmaaße statt fanden (s. oben). Die Dithyramben wurden von der freysten Musik begleitet, welcher φρυγιος νομος hieß. Die dorische Harmonie hingegen (δωριϛι), welche bey den Tibiis statt fand, konnte auf den Dithyramben nicht angewendet werden. Sie war ernst und besänftigte mehr, als daß sie hinriß. Die Neuern verstehen unter den Dithyramben Gedichte, wo der höchste lyrische Rausch in Sprache und Sylbenmaaß ausgedrückt ist. Sie setzen also ungewöhnliches Genie voraus. Die Ode des Horaz: Quo me Bache rapis, mag wohl noch die einzige Dithyrambe von Werth seyn. Die Jtaliener, Franzosen und Deutschen haben die dithyrambische Manier nachgeahmt, am neusten Voß und de Lisle. Klopstocks geistliche Oden nähern sich zuweilen der Dithyrambe. Nur ein solcher556 Dichter kann das mit Glück. Denn die größte Freyheit und Fessellosigkeit verlangt auch die größte Sicherheit. Sonst gilt von dem Dichter das Wort des Horaz: Vitreo dat nomina ponto. 4) Es gab hymnos κλητικους, φυσικους, μυθικους u. s. w. Man rufte die Götter, oder hypostasirte Naturerscheinungen, Tag, Nacht. Man erzählte die Reisen der Götter, (wie Homer, die des Apoll) und begleitete sie mit Segenswünschen (ἀποπεμπτικους). Man erzählte die Genealogie der Götter (γενεθλιακους) u. s. w.

§. 13.

III) Die Heroide ist ein Gedicht der höhern lyrischen Poesie in Briefform, unter Voraussetzung, daß irgend ein berühmter Held der Fabel oder Geschichte einem andern seine Empfindungen in einer merkwürdigen Situation seines Lebens schriftlich mittheile.

Anmerk. Die Heroide ist also von der Ode in Briefform noch zu unterscheiden. Dort schreibt der Dichter, hier ein fingirter Held der Geschichte. Daher auch der Ausdruck Heroide. Sulzer bestimmt das Wesen der Heroide nicht richtig, wenn er sie zur Elegie rechnet. Das elegische Sylbenmaaß und der gedehnte Ton, welchen diese Dichtart beym Ovid hat, mochte Sulzern, wie auch einen andern englischen Kunstrichter, in seinem Versuch über Pope zu dieser Behauptung bestimmen. Allein nicht allemal ist557 der Erfinder einer Dichtart gleich so glücklich, sie vollkommen zu organisiren. Wenn auch Ovid wirklich die Heroide erfunden und damit die griechische Elegie zu verbessern gemeynt hätte, so ist noch nicht die Folge, daß er in der Ausführung ganz glücklich gewesen sey. Auch zweifelt man, ob die in seinen Werken vorhandenen Heroiden alle von ihm sind. Man kennt die spielende, mehr witzige als empfindungsvolle Manier dieses Dichters. Er konnte also die Heroide nicht über den Ton der tändelnden, höchstens zärtlichen Elegie erheben. Wenn man dagegen die Jdee dieser Dichtungsart an sich betrachtet, wenn man bedenkt, daß merkwürdige Helden und Heldinnen der Geschichte ihre leidenschaftlichen Empfindungen in großen Situationen einander mittheilen sollen, (ein äußerst glücklicher Gedanke) so folgt daraus, daß diese Empfindungen solcher Seelen nothwendig zum höhern Schönen, zur höhern lyrischen Poesie führen müssen, und daß es nur ein Fehler des Dichters ist, wenn er, wie Ovid, elegisch bleibt. Man kann also behaupten, daß erst mit Popes berühmten und wahrhaft erhabenen Heroide von Heloise an Abelard diese Dichtart ganz ausgebildet worden ist. Wenn die höhere lyrische Poesie die Liederform verträgt, warum sollte sie nicht auch die Briefform vertragen? Wenn es im Fache des niedern Schönen poetische Episteln giebt, so mußte der menschliche Geist nothwendig auch auf die Erfindung erhabener poetischer Briefe verfallen. Natürlich war es da, daß man Helden und merkwürdige Menschen an einander schreiben ließ. Klopstock verweigert in seiner Gelehrtenrepublik den558 poetischen Briefen den Namen von Gedichten. Vermuthlich hatte er die Sendschreiben in Gottscheds Manier in Gedanken. Denn sonst ist kein Grund von dieser Behauptung einzusehen. Der Himmel selbst, spricht Pope, erfand die Schrift zur Hülfe des Unglücklichen, für irgend einen verbannten Liebenden, oder ein gefangenes Mädchen. Der Buchstabe lebt, er spricht, er haucht den Athem der Liebe, kommt warm von der Seele, und giebt treu ihr Feuer wieder. Die jungfräulichen Wünsche zeigen sich in ihm ohne Furcht. Er erspart ihnen die Schamröthe, gießt das ganze Herz aus, erhält die süße Gemeinschaft von Seele mit Seele, und bringt einen Seufzer vom Jndus zum Pole. Warum sollte also die Briefform eines Gedichts, selbst eines erhabenen Gedichts unwürdig seyn? Freylich ist es thörig, wenn der italienische Dichter Crasso Adam an Eva, ein anderer Gott den Vater an die Jungfran Maria schreiben läßt. Allein die französischen Dichter, welche den Cato an den Cäsar, Hannibal an Flamminius, Montezuma an Cortes, Carl den Ersten an seinen Sohn, Gabriele an Heinrich den Vierten, Leonora an den Tasso schreiben lassen, haben die Jdee der Heroide sehr gut gefaßt, die Ausführung sey übrigens, wie sie wolle. Es ist gar nicht nöthig, daß die Leidenschaft der Liebe in der Heroide herrsche. Eben so wenig darf die Heroide, wie Eschenburg thut, als ein dramatisches Gedicht aufgeführt werden, wenn gleich die Personen im Ovid und andern Dichtern einander antworten. Dramatisch ist blos das Gedicht, dessen Gedankenreihe durch eine dargestellte Handlung bestimmt wird. 559Die Personen in der Heroide sind aus der Geschichte. Aber ihre Briefe sind Monologen, die sich in der Seele entwickeln ohne äußere verändernde Umstände. Es giebt auch Oden, wo historische Personen sprechen, z. B. Nereus im Horaz, und man nennt das doch nicht dramatisches Gedicht. Da die Heroide zu den höhern lyrischen Dichtungsarten gehört, und die schreibenden Personen in großen Situationen sind, so ist das Heftige herrschend und eine außerordentliche Sprache allerdings auf sie anzuwenden. Weil aber die Natur des Briefes den lyrischen Ton wiederum mildert, so ist deshalb der Styl etwas natürlicher, die Uebergänge dürfen nicht ganz so rasch seyn, als in der Ode. Aus diesem Grunde haben auch die Dichter oft dazu das elegische Sylbenmaaß gewählt. Die Jtaliener gebrauchen dabey die Terzinen. Bey keiner Nazion hat diese Dichtungsart mehr Anhänger und auch Widerspruch gefunden, als bey der französischen.

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Zweyter Unterabschnitt. Von der niedern lyrischen Poesie. ──────

§. 1.

Die lyrischen Gedichte, in welchen das niedere Schöne herrscht, wollen wir, wenn sie nicht durch eine besondere Form, oder Modisication des Schönen eine andere Benennung erhalten, Elegieen nennen.

Anmerk. Daß die Elegie (von ἐλεον λεγειν) ursprünglich ein Klagegesang über den Tod eines Freundes bedeute, scheint Ovid Amor. L. III, el. 9. andenten zu wollen, wo er den Tod des Tibulls beweint. Flebilis indignos, elegeia, solve capillos, ah nimis ex vero nunc tibi nomen erit. Horaz nennt die elegos miserabiles. Er sagt, man kenne den Erfinder derselben nicht. Wenn die Ode zur Leyer gesungen ward, so scheint die Elegie mehr zur Tibia gesungen worden zu seyn, und auch dies zeigt ihren Ursprung in den Todtenfesten. Didymus definirt dies Gedicht θρηνον ἁδομενον προς αὐλον. Späterhin ist man dahin übereingekommen, ein jedes empfindungsvolle Gedicht, in welchem das niedere Schöne, besonders das Sanfte herrscht, Elegie zu nennen, wenn561 der Dichter selbst spricht. Die Elegie correspondirt also völlig der Ode. Sie ist für die niedere lyrische Poesie, was die Ode für die höhere ist.

§. 2.

I. Theorie der Elegie. 1) Da die Elegie ein lyrisches Gedicht ist, so wird die Gedankenreihe nicht durch einen äußern Gegenstand, der dargestellt werden soll, sondern durch die Gemüthsstimmung des Dichters bestimmt. Alle Einheit, welche diese Dichtungsart verlangt, ist, daß die Empfindung des niedern Schönen in ihr herrschend sey. Da es aber mehrere Unterarten des niedern Schönen giebt, das Sanfte, die Grazie, das Niedliche, das Naive, so können alle diese darinnen abwechseln. Selbst das höhere Schöne kann darinn statt finden. Nur muß es so modificirt seyn, daß kein Contrast, keine Stöhrung dadurch veranlaßt werde.

Anmerk. Die Elegie, sagt ein Kritiker, ist ein leidenschaftliches Selbstgespräch. Dies ist richtig, in sofern die Leidenschaft nicht heftig ist. Die Elegie unterscheidet sich von der Ode dadurch, daß der Dichter sich seiner Leidenschaft mehr überläßt. Der Schwung der Phantasie ist gebundener. Die Vorstellkraft nicht so lebhaft. Das Herz ist mehr durch irgend einen begehrten Gegenstand562 interessirt. Allein dieser Gegenstand ist an sich nur die Veranlassung zum Gedicht. Nicht er soll geschildert werden, sondern die Seelenstimmung des Dichters im Lichte der Schönheit. Man darf aber auch in der Elegie eben so wenig wie in der Ode die Leidenschaft zum Hauptinhalte machen wollen. Denn die Elegie beschäftigt sich eben so oft mit Gegenständen ruhiger Neigung und Wünsche, z. B. Sehnsucht nach dem Landleben. Das Sanfte scheint den Hauptton in der Elegie anzugeben, alle andere Empfindungen, welche die Elegie aufnimmt, modifiziren sich darnach. Kein Dichter hat deswegen die Einheit so gut getroffen, als Tibull, weil sich in seiner sanften Seele alles unter einem elegisch sanften Lichte darstellt. Deswegen ist es gut, daß die Elegie sanft beginnt und sanft schließt, wie ein musikalisches Stück in derselben Tonart. Wenn auch Tibull mit einer Frage, mit einer Anrede beginnt, so ist beydes doch nicht so heftig, wie beym Horaz. Auch die Uebergänge aus einer Empfindung in die andere müssen eine Continuität ausdrücken, sanft und allmählig geschehn. So geht Tibull im 1. B. Eleg. 3. sogar aus dem reizend Schönen ins Grausende über. Aber es ist dieses nur sanftgrausend und der Uebergang selbst ist nicht schnell. Erst beschreibt er die Freuden Elysiums: Ac iuvenum series teneris immixta puellis ludit et assiduus proelia miscet amor. Dies Bild ist reizend und hell, nun der Uebergang: Illic est cuicunque rapax mors venit amanti, et gerit insigni myrtea serta coma. At scelerata iacet sedes in nocte profunda,563 abdita quam circum flumina nigra sonant. Durch den räuberischen Tod mors rapax wird die Seele zwar vorbereitet, aber das Bild bleibt immer noch schön. Dann folgt erst die Schilderung des Tartarus. Durch jenen Uebergang, der zu gleicher Zeit schaurig und lieblich ist, wird die Continuität erhalten. Horaz hingegen stellt sogleich dem lachenden Bilde der Freude den Tartarus entgegen. Er überläßt sich also auch nicht so der Heiterkeit in seinen Bildern, wie Tibull, sondern eine starke Nebenidee stöhrt immer die frohe: huc vina et unguenta et nimium breves flores amoenae ferre iube rosae, dum res et aetas, et sororum fila trium patiuntur atra. Dagegen läßt Horaz auch oft einen plötzlich hellen Lichtstrahl entstehn, wenn das ganze Gemälde dunkel ist. Tibull bleibt traurig und klagend, wenn er einmal so begann, und geht nur nach und nach zu lichtern Bildern über. Das Naive findet in der Elegie ebenfalls statt, zumal wenn sich der elegische Ton dem scherzenden nähert z. B. Tibull. L. 2. el. 3. und 6. Und auch nur unter der Gestalt der Naivität und der Grazie findet die Modification des Scherzhaften in der Elegie statt, weil sie sonst zu sehr contrastiren würde. Jn der Elegie spricht der Dichter selbst, dessen Seele nie den edeln Charakter verläugnen darf. Sein Scherz darf also nie so frey seyn, als etwa der Scherz im Lustspiel, wo eine fremde Person redend eingeführt wird. Catull und Properz gehn hier oft zu weit, auch Ovid. Tibull hingegen erhebt sich über alle diese Dichter durch das Edle seines Scherzes. Die vierte564 Elegie im ersten Buche an den Priap ist voll Grazie, und man kann sie beynahe galant nennen, ungeachtet sie einen an sich nicht delicaten Gegenstand berührt. Die Grazie, als die Bewegung beym niedern Schönen findet also am besten in der Mitte der Elegie statt. Der Schluß muß wieder sanft seyn, damit man nicht aus der Tonart falle. Das niedliche paßt für die Elegie am wenigsten. Es hat zu viel den Charakter der Vollendung. Eher kann eine Ode sich dem niedlichen nähern, als die eigentliche Elegie, z. B. Horaz o fons Blandusiae. Die Dichter schildern die Elegie mit langen Haaren und in weiten Kleidern. Sie kann also nicht das knappe enge Gewand des Niedlichen vertragen. Unter allen Gattungen des niedern Schönen haben die Dichter das Sanfte als herrschend in ihren Selbstgesprächen gewählt, weil dieses die Wärme des Enthusiasmus am meisten nährt, am längsten erhält. Jede höhere Empfindung, die sich mit dem Sanften gar nicht amalgamiren läßt, ist eine Dissonanz für die Elegie. Ovid hat diras (Jnvectiven) gegen einen gewissen Jbis geschrieben im Elegieenton. Allein er gesteht selbst non soleant quamvis hoc pede bella geri.

§. 3.

2) Wenn gleich die Elegie keine durch ein Objekt bestimmte Gedankenreihe hat, so muß doch diese durch zufällige Gemüthsstimmung entstandene Gedankenreihe565 als solche logisch vollkommen seyn. Nun ist das niedere Schöne mit einer ruhigern Anordnung des Verstandes verträglich, ja das Sanfte verlangt sogar in seinen Jdeen eine leicht sich entwickelnde Begreiflichkeit. Da nun der Charakter der Elegie vorzüglich sanft ist, so wird ihr Plan regelmäßiger und mehr in die Augen fallend seyn müssen, als derjenige der Ode.

Anmerk. Wenn in der Ode oft die veranlassende Hauptidee künstlich versteckt, weder gern zu Anfang gesetzt, noch am Ende wiederholt wird, so ist in der Elegie gerade das Gegentheil. Tibulls erste Elegie beginnt mit dem Verse Divitias alius fuluo tibi congerat auro, und der letzte Vers ist Despiciam dites, descipiamque famem. Der Dichter kommt also am Schlusse auf dieselbe Jdee zurück, und erleichtert so die Uebersicht. Die lyrische Freyheit der Jdeenassoziation zeigt sich also mehr in der Mitte des Gedichts, indem der Dichter seine Schilderungen verfolgt, episodische Bilder einschiebt. Doch kommt auch da Tibull immer auf seine Hauptidee zurück, und das ist der Charakter der wahren tiefen Empfindung, ohne welche, wie Boileau sagt, die Elegie uns kalt läßt. Semper eodem gyro includitur. Die Elegie ist nicht ein witziges, ein kühnes Werk der Phantasie. Sie ist weniger himmlisch, als die Ode, sie bleibt an der Erde gefesselt, unterhält das Herz mit menschlichen Wünschen und Klagen eines menschlichen Kummers. Hallers sogenannte566 Trauerode beym Absterben seiner geliebten Mariane ist eine wahre Elegie. Dies zeigt der Plan, welchen sich der Dichter gleich zu Anfang für seine Jdeen vorzeichnet. Nicht Reden, die der Witz gebieret, nicht Dichterklagen fang ich an, nur Seufzer, die ein Herz verliehret, wenn es sein Leid nicht fassen kann. Ja meine Seele will ich schildern von Lieb und Traurigkeit verwirrt, wie sie ergötzt an Trauerbildern, in Kummerlabyrinthen irrt. Und so bleibt auch Haller seinem Hauptgegenstande durch das ganze Gedicht treu. Eben so hat Klopstock in seinen Elegieen einen bestimmten Plan, den er nie verläßt, weil er durch die Empfindung an ihn gefesselt ist. Seine Elegie, die künftige Geliebte, hat eine und eben dieselbe herrschende Jdee. Jn seinem elegischen Gespräch Selmar und Selma ist nur ein rührender Hauptgedanke, der oft wiederholt wird, weil sich die zärtlich fühlende Seele des Dichters in demselben gefällt. Jn jeder Elegie des Tibulls ist ein Hauptgedanke, der auf eine leicht begreifliche Weise das Ganze zusammenhält. So ist der Jnhalt der ersten Elegie des Dichters, Zufriedenheit mit seiner Armuth bey einem ruhigen Landleben in den Armen seiner Delia. Gleich anfangs setzt er seine Lage der unruhigen des Reichen entgegen, der sich im Kriege Schätze erwirbt. Er schildert sein Landleben, die Gewissenhaftigkeit, mit welcher er seinen ländlichen Göttern dient. Die pura fictilia, aus denen die Götter seine Gaben nicht verschmähen sollen, die parva seges alles deutet auf seine Dürftigkeit. Er findet alle seine Freuden in Ruhe und Liebe. Er vergleicht567 mit diesen Freuden den kriegerischen Glanz. Er wendet alle seine Gedanken auf Delien. Er will mit ihr leben, in ihren Armen sterben. Sie soll ihn beweinen. Er sieht schon im Geist seine Todtenfeyer. Er ermahnt seine Geliebte mit ihm das Leben zu genießen, und schließt mit derselben Verachtung des Reichthums, die er zu Anfang des Gedichts zeigte. Die dritte Elegie ist in einer Krankheit auf einer Reise gemacht. Gleich anfangs giebt der Dichter seine Sehnsucht nach dem Vaterlande, nach Delien zu erkennen. Dies erinnert ihn daran, wie ungern er sich von ihr trennte. Er preist die goldne Zeit, wo man noch nicht reiste, um Schätze sich zu erwerben. Er sieht seinen Tod voraus. Er denkt sich schon hinab in die Unterwelt, schildert die Elysischen Gefilde, die Gärten der Liebenden, den Tartarus. Dann geht ein neues Licht der Hoffnung in ihm auf. Der Uebergang ist äußerst fein. Er hofft seine Delia wieder zu sehn. Er ermahnt sie zur Treue. Er denkt sich den Tag seiner Rückkehr, wie ihm seine Geliebte entgegenläuft, und schließt das Gedicht mit dem Wunsch, daß ihm die Morgenröthe dieses Tages bald aufgehn möge. So kann man alle Elegien Tibulls durchgehn. Ueberall wird man finden, daß des Dichters Jdeen sich nach einem leichtbegreiflichen Plane entwickeln, ohne harte Uebergänge, daß er immer bey einem Lieblingsgedanken verweilt, auf ihn nach jeder freyen lyrischen Digression zurückkommt. Dieses thut ein Odendichter, wie Horaz, fast nie. Uebrigens giebt es erzählende Elegien im Tibull und Properz. Von diesen gilt eben das, was wir von den erzählenden Oden bemerkt haben.

568

§. 4.

3) Da die Elegie den Charakter des niedern Schönen, insbesondere des Sanften hat, so kommt ihr ein natürlicher Styl zu, ohne solche hervorstechende Figuren, wie die Ode. Das Sanfte entwickelt sich leicht. Daher müssen keine schweren Uebergänge, und lyrische Sprünge statt finden. Jn sofern ist der Elegie auch ein etwas gedehnter Ausdruck gestattet.

Anmerk. Ovids Ton ist zwar natürlich und leicht, aber für die Elegie zu witzig. Er spielt mit Worten und Antithesen. Das mag in dem galantern Theile seiner Gedichte angehn. Aber er thut es auch, wo er die Sprache der Empfindung reden will. Die dritte Elegie im ersten Buche der Tristium ist voll Gefühl. Man sieht, daß eine wahre Situation diese Klage ausgepreßt hat. Dennoch läßt er seine Frau bey ihrer Trennung sagen te iubet e patria discedere Caesaris ira, me pietas, pietas haec mihi Caesar erit. Das ist nicht viel besser, als Hofmannswaldau, der in seinen Heldenbriefen die Emma an den Eginhard schreiben läßt, er habe mehr Dinte als Blut für den Kayser vergossen oder: dies Brieflein schließ ich zu, und meine Kammer auf. Tibull ist in der Sprache der Elegie allein classisch zu nennen. Er ist natürlich und doch nie prosaisch, wie öfters Ovid. Properz hat mehr genialische Energie, als Tibull. Sein Styl ist aber auch schwerer.

569

§. 5.

4) Das Metrum der Elegie muß dem Charakter des Sanftschönen angemessen seyn, und der Sprache Raum verstatten, sich ohne Zwang auszubreiten. Uebrigens nimmt die Elegie noch verschiedene Formen an, ohne daß dadurch die Hauptbenennung ganz verlohren gehe.

Anmerk. 1. Von den Distichen haben wir schon oben gehandelt. Die griechische Elegie, von der wir eigentlich sehr wenige Reste haben (z. B. das Fragment des Hermesianar beym Athenäus) behandelte die Distichen mit mehr Freyheit als die Römer, sie erlaubte sich mehr Nachlässigkeiten, endete nicht allemal den Sinn mit dem Distichon, brauchte oft zum Schluß vielsylbige Worte u. s. w. Außerdem haben auch die Spanier und Jtaliener in ihren Elegien Terzinen gebraucht. Die Engländer haben oft lauter männliche Reime in dieser Dichtungsart. Dies ist für den elegischen Charakter etwas zu hart. Abwechslung männlicher und weiblicher Reime, ein trochäischer Gang des Verses und Abtheilung in Strophen scheint für die deutsche Elegie am besten zu passen, wie Höltys Elegie auf den Tod eines Landmädchens beweist. Ehemals brauchte man Alexandriner. Sie haben etwas von der Natur der Distichen, besonders darinnen, daß sie der Sprache Raum geben.

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Anmerk. 2. Es giebt dramatisirte Elegien. Klopstocks Selmar und Selma. Schon beym Catull ist eine Unterredung des Dichters mit einer Thür im Elegienton. Doch verdient das Gedicht nicht den Nahmen einer Elegie. Es giebt Elegieen in Briefform, ohne daß man sie deshalb gerade schon zu den poetischen Episteln zählt. Oft redet Tibull zu Anfang seiner Elegie einen Freund an. Dies kann man sich auch ohne einen Brief erklären. Allein Catulls Elegie an den Manlius, wo er den Tod seines Bruders beklagt, hat die Briefform. Ovids Elegien, die er ex Ponto an seine Freunde schickte, haben den Nahmen epistolae. Jhr Ton ist auch oft so matt, daß man sie zu wirklichen poetischen Episteln rechnen kann. Die wirklichen poetischen Episteln haben nämlich schon mehr die Sprache des gemeinen Lebens, und wenig Lyrisches.

Anmerk. 3. Zuweilen bekömmt die Elegie durch eine besondre Untergattung und Modification des Schönen, die sie enthält, eigne Gestalt und Nahmen. So erscheint sie, wenn der Dichter die idyllischnaive Sprache der Hirtenwelt spricht, als 1) lyrische Jdylle, z. B. Kleists Amynt. Man hat die lyrischen Jdyllen zuweilen Schäferoden genannt. Wenn man Ode blos im Sinn von ειδυλλιον ein kleines vollendetes Gemälde nimmt, so mag das gehn. Da aber die Ode dem Jnhalt nach die Gemüthsstimmung des höhern Schönen voraussetzt, und eine Schäferwelt nur Empfindung571 des Naiven erwecken kann, so ist es besser, man rechnet die lyrischen Jdyllen zu den Elegieen. Hor. L. 3. od. 13. ist ein ländliches Bild. Allein der Schluß ist doch mehr im hohen als naiven Styl. Eben so L. III. 18. Also kann man sie nicht idyllische Oden nennen. Der Odendichter schildert das Landleben, wie ein philosophischer Städter, der sich gern damit unterhält, doch darüber erhaben ist. Das Niedliche will sich zwar mit der eigentlichen Elegie nicht vertragen. Wenn indeß die elegische Empfindung sich unter der Modification des Niedlichen zeigt, und ein besonderes Reimsystem dazu kommt, so erhält bey den neuern Nazionen die Elegie 2) den Nahmen Sonnet. Von dem Sonnet als Reimsystem haben wir schon eben etwas gesagt. Die dort angegebene gewöhnliche Form ist nicht die einzige. Die Jtalienischen Kritiker zählen auf 16 Species, welche das Sonnet als Reimsystem annimmt. Jndeß müssen wir doch auch ein Wort vom Sonnet, als Dichtart sagen. Man hat nämlich dem musikalischen Sonnet noch einen besondern poetischen Charakter angebildet, und darüber Regeln gegeben. Nimmt man das, was Bettinelli, Boileau und andere Kunstrichter über das Wesen des Sonnets sagen, zusammen, so ist wohl der Hauptcharakter des Sonnets eine zärtliche platonische Empfindung unter der Form des Niedlichen verbunden mit dem größten musikalischen Wohlklang. So hat wenigstens das große Original Petrark den Jnnhalt des Sonnets durch seine Werke bestimmt. Die Jtaliener und Spanier haben zwar auch572 Sonetti satirici (sonetos burlescos), sonetti pedantesci, eroici (sonetos heroicos). Man hat spanische und französische sehr schöne geistliche Sonnette (von Desbarreaur und de Modene). Doch das sind Ausnahmen von der Regel, oft auch verdorbener Geschmack, und ist dabey nur vom Reimsysteme die Rede. Das eigentliche Sonnet schwankt seinem lyrischen Jnhalte nach zwischen der Ode und Elegie. Jnsofern die Ode als Jdyllion, als Kunstwerk der Phantasie mehr Vollendung hat, als die Elegie, nähert sich das Sonnet mehr der Ode. Denn die Jtaliänischen Kunstrichter verlangen Neuheit, Einheit, Ueberraschung, unerwarteten Schluß (der zuweilen beynah epigrammatisch ist) für das Sonnet. Da soll auch nicht ein rauher Reim, ein unpoetisches Wort, eine gezwungene Wendung mit unter laufen. Es soll die größte lyrische und musikalische Vollkommenheit darinnen seyn. Jndessen, insofern die Ode mehr erhabene Gemüthsstimmung ausdrückt, das Sonnet aber zärtliche, romantische, graziöse, naive, niedliche Gefühle ausdrückt, insofern ist das Sonnet der Elegie näher, und da wir die Dichtungsarten nach ihrem gewöhnlichen Hauptinhalte bestimmen, so müssen wir das Sonnet zur Elegie zählen, wiewohl einige Sonnete Petrarks auch wahre Oden sind. Uebrigens nimmt das Sonnet noch andere zufällige Formen an. Z. B. die erzählende. Petrark erzählt, Träume, Gesichte, die er gehabt hat. Es giebt dramatisirte Sonnette, Sonnette in Briefform. Peinlich und verdienstlich ist das Sonnet für unmusikalische Sprachen573 allerdings. Für einen scherzhaften oder mit Grazie gedachten niedlichen Gedanken mag die Form auch bey uns gut seyn. Aber daß sich der glühende himmlische Genius des Petrark diese Fessel angelegt, und darinnen glücklich bewegt hat, das ist wohl zufällig mehr seinen Zeiten und seiner Sprache zuzuschreiben, als daß es bey andern Nachahmung erwecken sollte. Jnsofern die Elegie auch zuweilen die Modification des Scherzhaften und Galanten annimmt, kann sie außer dem Sonnet noch andre Reimsysteme wählen, dann erscheint sie unter den Nahmen 3) Rondeau, Madrigal u. s. w. (s. oben). Das Triolett schwankt seiner Natur nach zwischen der Elegie und dem Epigramm. Daß die dreymalige Wiederholung eben desselben Verses und Gedankens paßt, ist überraschend und sinnreich, und insofern für den Verstand unterhaltend, wie das Epigramm. Jnsofern aber der Ausdruck einer schönen Empfindung damit genährt wird, insofern ist das Triolett elegisch. Le premier jour du mois de Mai fut le plus beau jour de ma vie, je vous vis et je vous aimai le premier jour du mois de Mai. Le beau conseil, que j'y formai! S'il ne vous deplut, Silvie, le premier jour du moi de Mai fut le plus beau jour de ma vie. Dieses auch von Hagedorn nachgeahmte Triolett dient statt aller Regeln. Man sieht, die Wiederholung ist nicht bloß sinnreich, sie hat einen Grund in der elegischen Stimmung des Dichters.

574

§. 6.

II. Das Lied im engern Sinne des Worts ist ein Gedicht der niedern lyrischen Poesie, welches seiner Form nach bestimmt ist von mehreren Menschen mit und ohne gewisse Veranlassung gesungen zu werden.

Anmerk. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß alles was gesungen wird, zuweilen Lied heißt, kommt der Ausdruck Lied noch in einem doppelten Sinne vor. Das Lied im weitern Sinne heißt jedes Gedicht in Liederform. Also giebt es in diesem Sinne auch historische Lieder, Lehrlieder u. s. w. Das Lied im engern Sinn ist ein Gedicht der lyrischen Poesie. Wenn man z. B. sagt Oden und Lieder, so versteht der ästhetische Sprachgebrauch unter Lied etwas von Ode und Hymne verschiednes. Das Lied in diesem Sinne ist bey der niedern lyrischen Poesie eben das, was die Hymne für die höhere ist, und correspondirt der Hymne, wie die Elegie der Ode. Will man also eine systematische Terminologie in die poetische Theorie einführen, so muß man vom Begriff Lied vieles ausschließen, was bisher noch zu ihm gerechnet ward. Nationallieder im höhern Sinne, Kriegslieder, geistliche Lieder gehören zu den Hymnen. Einige geistliche Lieder, die meisten moralischen, gehören zu den lehrenden, also darstellenden Liedern. Nur diejenigen lyrischen Gedichte, welche eine Gemüthsstimmung des niedern Schönen575 ausdrücken, und auf einen geselligen Genuß dieser Gemüthsstimmung berechnet sind, müssen ausschließend den Nahmen Lied führen. Will man die Natur des Liedes aus der im §. gegebenen Definition näher entwickeln, so ergeben sich folgende Resultate: 1) der ästhetische Jnnhalt des Liedes ist eine Empfindung des niedern Schönen, bis zum Scherzhaften hinab. Da aber der Charakter des Liedes geselliger Genuß, wahre Humanität ist, so muß im Durchschnitt für alle Menschen eine gewisse Hauptempfindung angenommen werden, die der Menschheit würdig sey, und die gleichsam dem Lied ein Jdeal vorhalte. Die Stimmung zum niedern Schönen darf also nicht ganz ohne ein dunkel sie begleitendes Gefühl des höhern Schönen seyn, wenn der Charakter der Menschheit ganz ausgedrückt werden soll. Diese Vereinigung zweyer Gefühle giebt eine Modification, welche wir oben das Edle nannten. Daher ist der herrschende Hauptton, der im Liede statt finden muß, die Empfindung des Edlen. Feyerliche erhabene Stimmung, wie die der Hymne und Ode paßt nicht für jeden, sanftes, scherzhaftes Gefühl ist auch nicht in allen Menschenherzen. Aber das Edle soll eigentlich der Hauptzug im Charakter der Menschheit seyn, wenn wir sie aus dem ästhetischen Standpunkte im Durchschnitt ansehn. Hiermit ist keine andre Untergattung des niedern Schönen ausgeschlossen. Nur müssen sie alle durch den Hauptton des Edlen modificirt werden, auch dürfen diese Empfindungen nicht so schnell und leidenschaftlich abwechseln, wie bey der Elegie, oder der Ode, weil dies dem Haupttone576 widerspräche. Hierdurch wird auch den scherzhaften Liedern eine Schranke gesetzt, daß sie nicht des Charakters der Humanität unwürdig werden. 2) Der Gedankeninhalt des Liedes ist durch kein äußeres Objekt bestimmt, welches geschildert werden soll, sondern zufällig. Doch kann eine Veranlassung zum Rundgesange da seyn, dies muß Anfangs angegeben werden, und giebt dem Gedicht seine gewisse Einheit. Um den Plan des Liedes faßlicher zu machen, und die Hauptidee herauszuheben, scheinen die Refrains erfunden zu seyn. Die Uebergänge und Jdeenassociationen müssen leicht seyn. Die Empfindungen der Freude, der Traurigkeit, der gesellige Genuß sind der gewöhnliche Stoff der Liederdichter. 3) Der Styl muß natürlich, einfach seyn. Denn nicht der Dichter selbst spricht, sondern es ist ein Gesang für mehrere Menschen in einer gemäßigten Gemüthsstimmung. 4) Das Metrum muß so eingerichtet werden, daß es auf eine leichte faßliche Melodie gesungen werden kann. Daher verlangt keine Dichtungsart mehr Gleichmäßigkeit, fließendern Wohlklang als das Lied. Eine sehr große Mannichfaltigkeit und Lebhaftigkeit der Füße, wie sie bey der Ode statt findet ist für das Lied nicht passend. Trochäische, jambische, kurze Verse sind am besten. Die Verse müssen in Strophen seyn, deren jede die Melodie einmal darstellt. Daher muß der Sinn bey jeder Strophe enden. Noch leichter wirds für den Gesang, wenn jede Strophe aus zwey Perioden besieht, wenn dieselben Einschnitte allemal wiederkehren. 5) Das Lied kommt bey den verschiedenen Nazionen unter577 mancherley Benennungen vor, die von seinen besondern Veranlassungen hergenommen sind. Die Scolien der Alten waren mehr Oden. Doch mögen auch einige Lieder gewesen seyn. Einige Anacreontische Oden nähern sich mehr unsern Liedern. Manche Epipompeutica, die Hymenäi der Alten stehn auf der Gränze zwischen der Hymne und dem Liede. Die Gelegenheit ist festlich, aber ihr Styl, wie wir aus dem Catull und Claudian sehn, mehr scherzhaft und froh, als feyerlich. Es gab Hymenäen welche ernsthafter waren, bey andern wurde die fescennina locutio (Zweydeutigkeiten) u. s. w. mit eingemischt. Die Refrains Io Hymen, Hymenaei, Talassio und andere Acclamationen die dabey waren, sind bekannt. Jn der alten französischen Provenzalpoesie hieß das Lied Lais. Soulas bedeutete insbesondere das lustige Lied. Die Syrventez, wenn man dem Nostradamus trauen darf, mögen satyrische Lieder gewesen seyn. Die Tensonen, oder Partiencen waren Streitfragen über die Liebe, wie sie an den Liebeshöfen abgehandelt wurden, also dramatisirte Lieder. Das eine Catullische Epithalamium, der Wettgesang zwischen den Jünglingen und Mädchen hat vielleicht eine entfernte Aehnlichkeit mit den altfranzösischen Tensonen. Bey den Jtalienern, wie wir schon gesehn haben, hießen die Oden Canzonen. Es gab eine Canzone Pindarica u. s. w. Die Sylbenmaaße waren hier anfangs freyer und keinesweges in Liederform. Doch die Canzone Anacrontica gehört mehr hierher. Oft findet man in der Geschichte der neuern Poesie auch die Lieder benannt nach dem Styl, in welchem sie gedichtet578 sind. Es giebt Lieder, die sich der Jdylle nähern, im Bauernton, städtische Lieder im Volkston (Gassenhauer). So giebt es bey den Spaniern Villanellen, bey den Franzosen Vaudevilles, die bekanntlich auch in der politischen Geschichte von großem Einfluß sind. Bey den Franzosen ist die Gattung der Chansons am meisten ausgebildet worden, weil diese Nazion für alle gesellige Freude viel Sinn und Talent hat. Eine Art kleiner besonders im Jdyllenton, oder im Ton der Galanterie gedichtete Lieder ist das Madrigal. Es ist von den Provenzalen zu den Jtalienern, und dann zu andern Nazionen gekommen. Ueber den Ursprung des Nahmens wird sehr gestritten. Es besteht gewöhnlich aus 11 bis 13 Versen von ungleicher Länge, wo auch wohl einige nicht gereimte Zeilen mit unter laufen. Diese stellen zusammen eine Strophe vor. Wegen der Freyheit die hier herrscht, hat man auch längere Gedichte in madrigalischen Strophen gemacht. Es nähert sich auch deshalb mehr der Elegie, als dem Liede.

§. 7.

III. Die poetische Epistel ist ein Gedicht der niedern lyrischen Poesie in vertraulichem Briefton.

Anmerk. Sie ist also für die niedere lyrische Poesie was die Heroide für die höhere ist, und correspondirt derselben. Sie gehört zur lyrischen Poesie, freylich nicht im hohen musikalischen Sinne, aber doch insofern, weil die Gedankenreihe kein Objekt darstellt, sondern willkührlich579 ist, und eine Gemüthsstimmung ausdrückt. Die Epistolarform findet sich zwar auch bey Lehrgedichten, z. B. Horat. de Arte poetic. Pope Versuch über den Menschen. Allein eigentlich sind dies keine poetische Episteln, denn der Hauptzweck ist die Darstellung eines Systems, welches seiner zufälligen Form nach jemanden dedicirt ist. Die Natur einer poetischen Epistel verlangt eine freye vertrauliche Unterhaltung, ohne bestimmten darstellenden Jnnhalt; hohen lyrischen Ton darf man also hier nicht suchen. Vielmehr ist er dem Briefstyl zuwider. Ja es scheint zu der poetischen Epistel im engen Sinn des Worts, der Scherz nothwendig zu gehören. Denn es ist schon eine Art Scherz darinnen, in vertrauten Situationen des Lebens den poetischen Ton anzunehmen. Ovids Epistolae ex Ponto sind für wahre Elegieen nicht lyrisch genug, und für poetische Briefe zu ernsthaft. Man kann nicht begreifen, warum der Dichter gewöhnliche Klagen in Gedichte bringe. Es fällt einem dabey die Geschichte aus des Dichters Jugend ein, wie er bey den Schlägen seines Vaters, der ihm die poetischen Grillen austreiben wollte, unwillkührlich in einen Hexameter ausbrach. Eben so sind Gottscheds und anderer pindarische Lobepisteln eine traurige Jdee. Also muß der Dichter, der poetische Episteln schreibt, mit einer Art Jronie über sich selbst seinen Einfall durchführen. Wollte er auch den schwärmerischen Ton annehmen, so muß doch eine gewisse Nüchternheit durchblicken, mit der er sich selbst beurtheilt. Das Scherzhafte ist in dieser Dichtungsart sonach als herrschender ästhetischer580 Ton anzunehmen, nach dem sich alle andre Empfindungen modifiziren müssen, wie bey der Elegie das Sanfte, und bey dem Liede das Edle. Die Gemüthsstimmung des Dichters, die sie darstellt, muß Laune seyn. Jn diesem Geiste sind auch die besten Episteln der Dichter geschrieben. Horaz, Boileau, Addisson, Göcking, Gleim, Jacobi, Ebert u. s. w. liefern Beyspiele. Veranlassung und Gedankeninhalt der Epistel sind willkührlich. Horazens Episteln sind zufällige freye Werke der Laune, er erzählt, er trägt eine Lebenssentenz vor; aber alles mit sokratischer Jronie über sich selbst. Man sieht, er will nichts planmäßiges darstellen, er folgt der augenblicklichen Eingebung seines Genies. Eben wegen dieser launigen Jronie, die der Epistel eigen ist, dieser leichten Manier über das Leben zu scherzen, haben auch viele Lehrdichter, die einen ernsthaften Zweck hatten, die Form der Epistel gewählt. Der Styl der Epistel kann natürlich seyn, kann auch zuweilen höher sich heben, alles, wie es die Laune bestimmt. Das Metrum muß frey, und nicht sehr von der Sprache der Prosa entfernt seyn. Horazens Hexameter ist beynahe zu ernsthaft. Das Elegieenmaaß des Ovid hat zu viel lyrisches für die wirkliche Epistel; (etwas anders ist von der Elegie in Briefform zu sagen s. oben). Boileau hat seine Alexandriner. Die Engländer haben etwas kürzere jambische Verse in dieser Dichtungsart. Die Deutschen haben kleine kurze leichte Verse angenommen, und das paßt im Grunde am besten. Unter mehreren Modificationen von Empfindungen nimmt die Epistel das satyrische581 auch an, welches man als eine zufällige besondere Form von ihr ansehen kann. Boileau, Juvenal und Persius liefern Belege.

§. 8.

Als Anhang zum Kapitel von der lyrischen Poesie müssen wir hier noch ein Wort von den eigentlichen musicalischen Gedichten sagen, welche gewöhnlich Kantaten genannt werden. Hier erscheint die lyrische Poesie nicht, wie beym Lied und der Hymne, für sich bestehend und nur möglicher Weise auf eine musikalische Begleitung bezogen, sondern in durchgängiger nothwendiger Verbindung mit der Musik. Das musikalische Gedicht soll zwar eigentlich auch die Direction über die Musik führen. Es ist aber nicht als ein für sich bestehendes Werk zu beurtheilen, sondern die lyrischen Gedanken, verbunden mit der Composition machen ein unzertrennliches ästhetisches Ganzes aus. Die Musik selbst ist hier als eine Hauptkunst thätig, welche ihre ganze eigene ästhetische Kraft unter Anleitung der Poesie entwickelt.

Anmerk. 1. Als die Poesie und die Musik noch in der Kindheit waren, konnten sie auch noch leicht beyde als Hauptkünste neben einander bestehn. Daher sind die ältesten Gedichte lyrischer Gattung gewiß musikalisch gewesen,582 d. h. der poetische Gedanke und die Musik waren in nothwendiger Verbindung, in unzertrennlicher Wechselwirkung. Nach und nach bildeten sich diese Künste mehr aus. Jede konnte hinlänglich für sich unterhalten. Sie wurden selbstständig, sie trennten sich von einander. Die poetischen Werke wurden zwar ihrer Form nach in Liedern, Hymnen, Chören, auf die mögliche Begleitung der Musik eingerichtet. Allein sie thaten doch ihren Effekt auch ohne die Musik, und wurden als für sich bestehende Werke beurtheilt. Eben so ward die Musik, ohne Rücksicht auf einen möglichen Text, den sie begleitet, als Kunstwerk für sich angesehn. Es ist also bey der großen Cultur dieser beyden Künste eine Aufgabe entstanden: Wie können sie beyde als gebildete selbstthätige Hauptkünste wieder mit einander eng vereinigt werden? Diese Aufgabe ist um so interessanter, je gewisser es ist, daß diese enge Vereinigung und Harmonie zweyer so vervollkommten Künste unerhörte Wirkung hervorbringen müßte. Diese Aufgabe sollte nun billig das musikalische Gedicht, die Kantate lösen, wiewohl bis jetzt es noch nicht geschehn ist. Denn die Jdee des musicalischen Gedichts ist noch nicht ganz rein aufgefaßt worden. Es ist bis jetzt noch mehr der Nahme als die Sache vorhanden. Nach Crescimbeni sind die Kantaten eine Erfindung der Jtaliener aus dem siebzehnten Jahrhundert. Allein diese Nazion hatte zu viel Neigung für die Musik, als daß sie nicht der Musik dabey das Uebergewicht über die Poesie hätte einräumen sollen, und so konnte diese Dichtungsart nicht zur Vollkommenheit kommen. Daher583 die ewigen Wiederholungen und Ausdehnungen der Worte, die Vernachlässigung der Recitative, die Ungleichheit in der Melodie, die musikalische Mahlerey in Nebendingen, die Manieren, Kadenzen, der Lärm der Jnstrumente, welche den Gesang unverständlich und unwichtig machen. Noch jetzt dauert in den Kantaten, wie in den Opern, diese Despotie der Musik fort, und wird nicht eher aufhören, bis große Dichter und große Musiker zusammen arbeiten und sich wechselseitig beschränken, damit ein höheres Ziel der Kunst erreicht werde. Freylich müßte da die Musik von ihrem glänzenden Reichthum an übertäubenden Tönen etwas nachlassen. Auch nehmen sich einzelne Kantaten, wie z. B. Haydns Ariadne, nur für das Fortepiano, sehr gut aus. Die Poesie würde gewiß durch diese vereinigten nicht isolirten Arbeiten an Neuheit und Wärme und Metrum gewinnen. Wie wenig gute Kantaten haben wir, wenn man einige von Metastasio, Rousseau, Ramler, Meißner ausnimmt. Die Musiker scheinen selbst die guten Texte zur Composition zu fliehn, weil sie ihnen zu viele Schranken setzen. Das musikalische Gedicht kann sich zweytens auch deswegen noch nicht vervollkommnen, weil man noch in der Meinung steht, es müsse für sich ohne Musik bestehen, und beurtheilt werden. Dies beschränkt die Freyheit der Dichter, und macht, daß sie sich nicht so an die Musik anschmiegen können, wie es seyn müßte. Ein eigentlich musikalisches Gedicht muß aus ganz kurzen und langen Versen und Reimen bestehn können, muß aussehn dürfen, wie kein andres das für sich zu beurtheilen wäre. Die ma =584 drigalischen Strophen kommen ihm am nächsten. Auch sind die ersten Kantaten in Jtalien wahrscheinlich aus Composition der freyen Liederchen, die man Madrigale nannte, entstanden.

Anmerk. 2. Die Kantate gehört ihrer Natur nach zur lyrischen Poesie. Sie könnte die höchste Tendenz der lyrischen Poesie seyn in Absicht auf die Vereinigung der Musik und Dichtkunst, könnte vielleicht mit einer Art lyrischer Schauspielkunst (decorirten Declamation) vereinigt werden, und wäre alsdann im lyrischen Fache eben das, was die Oper für die darstellende Poesie ist. Denn sie kann den Effekt der Ode, der Hymne, des Lieds, der Elegie in sich vereinigen, und ein großes lyrisches Ganzes bilden. Rousseau hält zwar in seinem Diction. de Musique die Kantate für ein musikalisches Drama, verführt vermuthlich von dem italienischen Ausdruck Drammi musicali. Allein eigentliche Handlung, die als solche interessiren könnte, hat die Kantate nicht, sonst würde sie völlige Oper werden. J. B. Rousseaus mythologische Kantaten haben zuweilen historische Einkleidung. Doch ist dies eben das, was manche historische Oden des Horaz sind. Die Hauptrichtung des Dichters bleibt immer lyrisch. Oft, besonders in geistlichen Kantaten, (Oratorien) treten allegorische und andre Personen auf, die sich in die Stimmen theilen, z. B. Pilger am Grabe, Patriarchen. Allein ihr ganzer Dialog ist doch nur lyrisch. Einige Klopstockische Bardenoden können als Kantaten585 angesehn werden. Man erklärt sich, oder soll sich wenigstens ohne Veränderung und Handlung die Jdeenreihe erklären können. Manche Oratorien sind doch mehr lyrische dramatische Szenen, als eigentlich lyrische Gedichte.

Anmerk. 3. Jn der Kantate ist also keine Gleichmäßigkeit, wie im Liede, in der Hymne, sondern die Poesie entwickelt sich in einer freyen Versart zugleich mit der Musik. Jst es ein leidenschaftliches Selbstgespräch, so darf die Kantate freylich nicht so lang seyn, als wenn sie dramatisirt ist. Jm letztern Falle müssen die verschiedenen Stimmen, Baß Discant u. s. w. nach dem Charakteristischen ihrer Rede vertheilt seyn. Die ausführliche Theorie der Kantate gehört mehr in eine Aesthetik, als in die Poetik. Daß die Kantate mit einer Arie anfangen müsse, haben einige behauptet. Allein man kann den Grund nicht einsehn. Die Arie ist der höchste lyrische Moment. Bey sehr lyrischen Kantaten kann man mit der Arie beginnen, so wie auch die Ode gleich feyerlich und begeistert beginnt. Bey mehr elegischen und historischen Kantaten hingegen, ist es natürlicher mit dem einfachen Rezitativ anzufangen; denn auf das accompagnirte obligate Rezitativ, und so nach und nach durch Arioso und Cavatina auf die eigentliche Arie überzugehn. Freylich kommt alles auf den Jnhalt an, indeß liebt der Geist eine natürliche Abstufung der Empfindungen, ein continuirliches Steigen und Sinken. Das Recitativ erfordert eine ganz freye madrigalische Versart. Es hat kein ander Gesetz als den Rhythmus. Da der586 Reim, wie wir bewiesen haben, so viel zur Bezeichnung der rhythmischen Glieder des Perioden thut, so ist er bey dem Rezitativ nicht so unnöthig, als einige Theoretiker meynen. Ein Reim, wo die rhythmische Reihe endet, (dahin muß er kommen) thut allemal eine sehr gute Wirkung. Daß der Dichter und Musiker richtig declamiren, die Accente, die guten und schlechten Noten beobachten, daß die Worte von vorzüglichem Wohlklang seyn müssen, versteht sich von selbst. Die Arie erfordert ein gleichmäßigeres, strophisches Metrum. Sie besteht gewöhnlich aus zwey Hälften mit correspondirenden Reimen, deren erste die Caprice der Musiker mehr heraushebt, und am Ende noch einmal wiederholt. Die Wiederholungen müssen nicht blos musikalische Figuren, sondern auch dichterisch nothwendig seyn. Für die Arie muß von dem Dichter ein vorzüglich gefühlvoller Stoff gewählt werden. Wunderbar klingen die Verse von Rousseau in seiner Kantate contre l'hiver in einer Arie: tandis, qu'assis à table dans un réduit aimable sans soins et sans amour près d'un ami fidele de la saison nouvelle s'attendrai le retour. Jn den Oratorien, wo mehrere Stimmen statt finden, giebt es Duette, Terzette, Chöre, Chorale u. s. w. Die eigentlichen Kantaten sind gewöhnlich Monologen, die bey den Engländern bey Pope und Dryden die Form der Oden haben, bey den Jtalienern und Franzosen oft mehr elegisch sind.

E587

Zweytes Kapitel. Von der darstellenden Poesie. ──────

§. 1.

Die darstellende Poesie ist diejenige, welche irgend ein bestimmtes Objekt im Lichte der Schönheit, oder idealisirt schildert, und ihre Gedankenreihe an dieses Objekt bindet.

Anmerk. Bey der lyrischen Poesie ward durch die Gemüthsstimmung die objektive Gedankenreihe veranlaßt. Hier ist es umgekehrt. Der Gedanke, das Objekt geht voraus und bewirkt die Stimmung. Bey der lyrischen Poesie ist der Gedanke frey und die Empfindung gebunden. Bey der darstellenden Poesie ist die Gedankenreihe gebunden und die Empfindung frey.

§. 2.

Ein Objekt, an welches die Form und Empfindung des Schönen fixirt ist, heißt ein Jdeal im weitern Sinne des Worts.

588

§. 3.

Da das Schöne unter einem vierfachen Charakter erscheint, 1) als frey sich formend zur Gesetzlichkeit, 2) als successiv anschaulich werdend, 3) als eine leicht zu ahnende begreifliche Totalität, 4) als Symbol der innern gesetzlichen Geistesnatur, welches ein Gefühl von Harmonie des objektiven und subjektiven erweckt; so muß auch ein Objekt, das von der Poesie idealisirt, oder durch die Sprache in der Zeit dargestellt wird, diesen vierfachen Charakter haben. Es muß 1) vor den Augen unsrer Seele sich wie von selbst frey, ohne Zwang und doch gesetzlich formen, 2) es muß sich anschaulich entwickeln, 3) es muß am Ende eine begreifliche Totalität ahnen lassen, 4) es muß die Harmonie des Subjektiven und Objektiven fühlen lassen, und dadurch auf unser Selbstbewußtseyn wirken.

Anmerk. Jedes idealisirte Objekt wirkt also auf die vier Seelenkräfte. Jndem es sich frey und doch gesetzlich organisirt, beschäftigt es unsern Willen, indem es anschaulich entsteht, beschäftigt es unsre Phantasie, indem es ein begreifliches Ganzes ist, beschäftigt es unsern Verstand, indem es ein Symbol der innern Geistesnatur ist, beschäftigt es unsre Vernunft, als das höchste Selbstbewußtseyn. Mit einem Worte: es589 erregt in uns ein Gefühl von der Harmonie aller dieser Seelenkräfte, das Gefühl der Schönheit.

§. 4.

Der Mensch wird durch seine vier, im Gewissenssatze ausgedrückte Seelenkräfte, wenn er sich dieselben in der höchsten Vollkommenheit vorzustellen, und ausser sich zu objektivisiren sucht, auf vier Jdeale (im engeren Sinne des Worts) oder objektivisirte Jdeen geleitet. Das Jdeal, welches der Wille sucht, der sich bestimmen will, ist die gesetzliche Freyheit. Das Jdeal, welches die Phantasie sucht, die anschauen will, ist die Substanz, das Jdeal, welches der Verstand sucht, der verstehn will, ist eine begreiflich zusammenhängende Allheit (Welt, System). Das Jdeal, welches die Vernunft sucht, ist ein höchstes gesetzliches Selbstbewußtseyn mittelst aller Objekte. Nun ist das Schöne ein Schein vom Jdealen im Realen. Jedes Objekt, welches im Lichte der Schönheit erscheint, (Jdeal im weitern Sinne), wird also mehr oder weniger sich auf eine oder die andre Ansicht des Jdealen im engern Sinne beziehn. Die Dichtkunst, welche Gedankenobjekte idealisirt darstellt, wird also sich nach einem von diesen vier Polen aller Jdealität vorzüglich590 wenden. Sie wird entweder vorzüglich den Willen zu beschäftigen und das Jdeal desselben, die Freyheit herauszuheben suchen (historische Poesie), oder die Phantasie, und das Jdeal derselben die Substanz nach allen ihren gleichzeitig existirenden Theilen anschaulich machen (beschreibende Poesie), oder sie wird den Verstand vorzüglich beschäftigen und das Jdeal desselben (das System) darstellen (didactische Poesie) oder endlich die Vernunft, indem sie das Jdeal derselben, das Selbstbewußtseyn durch Harmonie des Objektiven und Subjektiven darzustellen sucht (allegorische Poesie).

Anmerk. Wenn also das Jdeal im weitern Sinne vermöge des Gefühls der Schönheit auch alle vier Seelenkräfte harmonisch beschäftigt, so wird es nichts destoweniger Eine vorzüglich interessiren. Und dies giebt die vier Gattungen der darstellenden Dichtkunst.

§. 5.

Da in der Erscheinungswelt von den vier Vernunftidealen Analogien existiren müssen, da alle Verstandesbegriffe sich auf sie beziehen, so wird sich die darstellende Poesie oft nur damit begnügen, ein Objekt zu schildern, das irgend eine besondre Analogie591 mit den Jdealen hat, und dadurch eine von den vier Seelenkräften interessiren. Es wird also eine historische Poesie geben, welche mehr das Begehrungsvermögen, als die Freyheit interessirt, indem sie Begebenheiten von geringern Werth darstellt. Es wird eine beschreibende Poesie sich finden, die nur einzelne Ansichten von individuellen Objekten giebt. Es wird eine didactische Poesie geben, welche nur einzelne Lehren darstellt, welche den Verstand mehr insofern er Witz oder Begriffsvermögen ist, nicht nach seiner allumfassenden Tiefe interessirt. Es wird eine allegorische Poesie geben, welche die Vernunft nur einzelne Symbole enträthseln läßt. Jn allen diesen Fällen wird sich das Objekt auch mehr im Lichte des niedern als des höhern Schönen zeigen. Es giebt also in Ansehung des Objekts und der Empfindung in jeden von den vier Gattungen eine höhere und eine niedere darstellende Poesie.

E592

Erster Unterabschnitt. Von der historischen Poesie. ──────I. Von der historischen Poesie überhaupt.

§. 1.

Die historische Poesie idealisirt Objekte, welche den Willen und das Begehrungsvermögen besonders beschäftigen. Sie stellt Handlungen dar.

Anmerk. Eigentlich sollte man eher drastische Poesie sagen, als historische. Denn der Ausdruck historisch erweckt den Nebenbegriff von Erzählung. Man muß den Ansdruck historisch hier weder von blos wirklichen, noch von blos erzählten Thatsachen verstehn. Uebrigens muß man Handlung und Begebenheit von einander wohl unterscheiden. Begebenheiten sind Erscheinungen in der Zeit, welche auf einander folgen. Diese kann auch der beschreibende Dichter darstellen. Der historische Dichter schildert Handlungen, das heißt, Kraftäußerungen vernünftiger und sinnlich begehrender Wesen nach der Jdee von Zwecken.

593

§. 2.

Da die dichterische Handlung (fabula) eine dargestellte Willensthätigkeit seyn soll, welche idealisirt als ein schönes Objekt erscheine, so muß sie alle vier Eigenschaften haben, die wir oben von einem Jdeale verlangten. Sie muß 1) ohne Zwang vor unsern Augen, wie ein bloßes Spiel des Zufalls entstehn und doch immer mehr eine gesetzliche Einheit ahnen lassen, nach der sie sich organisire, 2) sie muß anschaulich, mannichfaltig, lebhaft seyn, 3) sie muß am Ende eine vollkommene, begreifliche Totalität darstellen, 4) sie muß das Gefühl einer Weltordnung in uns erwecken, die sich nach unsern subjektiven Jdeen von Zweckmäßigkeit richte.

Anmerk. Wenn also 1) scheinbar zufällige Begebenheiten zu einer Handlung sich organisiren müssen, wenn eine gesetzliche Einheit geahnt werden soll, so kann diese in nichts anders bestehn, als in einem gewissen Hauptzweck, auf den sich die Willensthätigkeit bezieht, auf dessen Erreichung unsre Aufmerksamkeit gespannt wird. Der Zweck mag an sich gut oder böse seyn, wenn er nur wichtig ist, nur das höhere oder niedere Begehrungsvermögen zu interessiren vermag. Derjenige, für dessen Hauptzweck und Charakter wir uns interessiren, heißt der Held der Geschichte. Damit aber die Handlung, die poetisch dargestellt594 wird, einem freyen Spiele des Zufalls gleiche, muß der Plan etwas verborgenes haben, und sich nur nach und nach entwickeln. Daher Horazens Behauptung, daß man nicht den Trojanischen Krieg vom Ey der Leda anfangen müsse. Vt iam nunc dicat, iam nunc debentia dici pleraque differat et praesens in tempus omittat. Daher auch in den Erzählungen die Episoden, welche nicht zufällig, sondern künstlich verborgene Theile des Plans seyn müssen. Bey den besten Dichtern geben die Episoden Aufschluß über die Sache selbst, zeigen wichtige Folgen der Handlung, oder entwickeln verborgene Ursachen derselben. So scheint in Milton die Erzählung des Engels vom Kriege gegen die Teufel Episode. Allein sie erklärt uns den Grund, warum Satan der Zerstörer des paradisischen Glückes werden mußte. Darum wird die halbe Geschichte der Odyssee als Erzählung episodisch eingeschaltet, und die Eroberung Trojas beym Virgil. Das Mährchen im Oberon, das Scherasmin erzählt, scheint eine zusällige Episode. Es erklärt uns aber den Grund von Oberons wunderbarer Theilnahme an Hüons Schicksal. Die Episoden sind jedoch nur in erzählenden, nicht in dramatischen Gedichten zu gestatten. Hier muß mehr Ordnung seyn. Uebrigens muß bey aller Verborgenheit des Planes sich der Zusammenhang des Ganzen doch nach und nach immer mehr errathen lassen. Man muß aus dem vergangenen auf das zukünftige schliessen, und den handelnden Personen ihr Schicksal weissagen können. Nur so organisirt sich die Handlung in der Zeit frey und zweckmäßig. 2) Um die Handlung anschaulich und595 lebhaft zu machen, muß sie in einem etwas kürzern Zeitraum hineingedrängt werden, damit sich das Einzelne als werdend darstellen lasse. Auch aus diesem Grunde gebraucht der erzählende Dichter Episoden, verweist manche vorhergehenden und folgenden Begebenheiten in dieselben, und concentrirt dadurch den Moment der Willensthätigkeit. Homer ist hierin dem Virgil vorzuziehn, in zehn Haupttagen geschieht bey ihm mehr, als in einem Jahre des Virgils. Wenn der Dichter zu große Zeiträume umfaßt, sieht er sich genöthigt zu allgemeinen abstracten Begriffen seine Zuflucht zu nehmen, und dann wird das Gedicht, wie beym Silius Jtalicus, Lucanus, Voltaire, zur rednerischen Historie. Um der Anschaulichkeit willen begeht Homer oft Unordnungen, wiederholt sich u. s. w. Ferner muß, um die Handlung lebhaft zu machen, die Willensthätigkeit etwas angestrengt, die Aufmerksamkeit auf den Ausgang gespannt werden. Dies ist nicht anders möglich, als wenn dem Hauptzweck Schwierigkeiten und Hindernisse in den Weg gelegt werden. Hieraus entsteht zu gleicher Zeit eine gewisse Verwicklung (δεσις, Aristot. ein Knoten,) der am Ende die Entwicklung (λυσις) vollkommen entsprechen muß. Zur Lebhaftigkeit der Handlung bey der Verwicklung und Entwicklung gehört auch das, was Aristoteles περιπετεια und αναγνωρισις nennt. Alles dieses findet zwar in höherer Potenz nur in dramatischen Werken statt, weil hier die Hauptmomente oder Katastrophen der Handlung mehr concentrirt sind. Allein es ist auch auf andre historische Gedichte anwendbar. Die Peripetie596 ist eine plötzliche Veränderung der Glücksumstände, die überrascht und anders ausfällt, wie man erwartete, z. B. wenn der Bote, welcher ankommt, den Oedipus mit seiner Nachricht alle Furcht zu benehmen, ihn gerade einen unglücklichen Aufschluß giebt. Die Erkennung, z. B. wenn Odysseus aus seiner Narbe erkannt, und dadurch der Handlung eine plötzliche Wendung gegeben wird. Die Erkennung ist auch bey fröhlichen Begebenheiten oft als sogenannter Theatercoup sehr gewöhnlich, und trägt durch ihr Ueberraschendes zur Lebhaftigkeit der Handlung bey. Jm Oedipus Tyrannus trifft Erkennung und Peripetie zusammen, und giebt der λυσις einen fürchterlichen Effekt. 3) Die Handlung muß ferner eine begreifliche Totalität darstellen, sie muß Einheit, Zusammenhang der Theile, Vollkommenheit zeigen, wenn man bey der Auflösung auf sie zurückblickt. Dieses begreifliche Zusammenstimmen der Theile ist das, was man gewöhnlich die Wahrscheinlichkeit oder ideale Wahrheit der poetischen Handlung nennt. Aristoteles in seiner Poetik c. 10. 23. unterscheidet hierdurch die historische Poesie von der Geschichte. Sie ist gleichsam das Jdeal, welches der Geschichte vorgehalten wird. Die Geschichte soll streben so begreiflich zu werden, wie das historische Gedicht, und insofern hat Quinctilian recht, wenn er die Geschichte ein von metrischem Zwang freyes Gedicht nennt. Es wird also eine Haupteinheit verlangt, die nicht blos in der Zeit sey, ein Synchronismus der Begebenheiten, sondern in und durch die Jdee des Hauptzwecks. Alle Nebenbegebenheiten und Zwischenvorfälle597 müssen sich begreiflich auf die Hauptbegebenheit beziehn. Sind also zu viel und zu mannichfaltig verwickelte Begebenheiten aufgehäuft, die an der Leichtigkeit des Begreifens hindern, so ist dies ein Fehler. Fehlerhaft ist also hierinnen das Gedicht des Ariost, wenn gleich dessen romantischer Charakter ein größeres Herumschweifen der Phantasie entschuldigt. Denn es ist nicht anders möglich, als daß man die Schicksale des einen Ritters über den Schicksalen des andern vergesse. Zumal da die Erzählung unaufhörlich unterbrochen wird. Fehlerhaft sind Trauerspiele, wie das des Corneille Clitandre im altspanischen Geschmack, wegen der zu vielen Nebenpersonen, Nebenintriguen, Vertrauten u. s. w. Die Wahrscheinlichkeit, welche für eine poetische Handlung verlangt wird, ist doppelt. Es bedarf das historische Gedicht einer psychologischen und einer kosmischen Wahrscheinlichkeit. Denn wenn eine Handlung begriffen, logisch vollkommen erklärt werden soll, muß man die Gründe theils in den Charakteren der Denk - und Handlungsweise der Personen, theils in der kosmischen Verbindung der Begebenheiten aufsuchen. Die Handlung als Willensthätigkeit muß zugleich ein lebendes Sittengemälde seyn (διανοια und ἠθος sind die psychologischen Ursachen der Willensthätigkeit). Die Charaktere können also idealisirt, aber sie müssen wahrscheinlich, und ihren Handlungen angemessen seyn. Da der Charakter im Menschen bleibend ist, so muß er sich auch durch die ganze Handlung treu bleiben, d. h. er muß gut durchgeführt seyn. Rein vollkommne598 und eben so durchaus böse Charaktere, die ohne allen Kampf sich zum Guten oder Bösen bestimmen, giebt es vielleicht gar nicht. Der Dichter muß also dergleichen nicht darstellen, weil ihnen die Wahrscheinlichkeit fehlt. Sie haben auch keine Lebendigkeit, weil sie nicht durch Leidenschaften und Neigungen angetrieben werden. Sie erscheinen als bloße Maschienen des Dichters, um die Begebenheit herbeyzuführen. Sie sind Gedankenwesen, Abstracta. Jeder Charakter muß eine Jndividualität haben. Menschen, wie Jago, die gern hetzen, und boshaft intriguiren, giebt es. Lady Makbeth, das Weib, die aus ihrer Sphäre tritt, ist begreislich. Miltons Satan hat Charakter und Leidenschaft. Aber diese Charaktere stehn vielleicht an der Gräuze. Klopstocks Satan ist schon mehr Gedankending, der Begriff des Bösen. Daher muß sich auch der Dichter vor blos allegorischen Personen hüten, welche nicht zugleich mythologisch und historisch individuell sind, wie die alten Götter. Wenn Voltaire glaubt, das Wunderbare des Heldengedichts für aufgeklärte Nazionen durch allegorische Personen genießbar zu machen, so irrt er. Die Zwietracht u. s. w. sind wenigstens keine Personen für eine Handlung. Ferner muß sich der historische Dichter in Acht nehmen, daß er die Charaktere nicht etwa blos beschreibt. Homer läßt seine Personen selbst handeln. Die Charakteristik der Jünger im Messias ist, als lyrische Schilderung unübertrefflich schön. Aber die Handlung läßt sie kalt. Silius Jtalicus schildert den Charakter des Hannibal, wie ein Geschichtschreiber599. Auch dürfen die Dichter nicht etwa den Charakter im bloßen äußerlichen Betragen setzen. Manche dramatische Dichter glauben schon alles gethan zu haben, wenn sie einen Gecken, eine stolze Adliche Französisch reden lassen, wenn der Eilfertige eilig ist, der Schwätzer schwatzt, der Lügner lügt u. s. w. Alsdann nähert sich das Lustspiel schon mehr der Posse. Wenn es zur psychologischen Wahrscheinlichkeit gehört, daß der Charakter sich treu bleibe, so ist damit nicht gesagt, daß er seinen Entschlüssen treu bleibe. Er kann sich umstimmen lassen, wie Makbeth, wie Clavigo. Nur muß die Möglichkeit dieser Veränderung in seinen Neigungen begründet seyn. Was nun die kosmische Wahrscheinlichkeit, d. h. den Zusammenhang der Begebenheiten betrifft, so versteht es sich, daß man sie mit der physischen nicht verwechseln müsse. Der Dichter hat seine eigne Welt, die von der natürlichen ganz verschieden ist. Hat er das Wunderbare in dieselbe aufgenommen, so kann er es auch wirken lassen. Nur darf er es sich auch hier nicht zu leicht machen, und durch keinen Deus ex machina ganz unerwartet das Schicksal lenken lassen. Jupiter beym Homer wägt zwar das Loos der Helden. Es ist aber der Ausgang nicht seiner Willkühr, sondern dem Schicksal unterworfen, welches seinen festen Gang fortgeht. Wenn Wieland den Hüon auf dem Arme eines Geistes von der wüsten Jnsel dahin tragen läßt, wo Amanda ist, so ist dies ein wenig gewaltsam. Denn es ist durch nichts vorbereitet. Es scheint mehr eine Aushülfe zu seyn. Oberon lenkt das600 Schicksal der Liebenden. Allein man hätte vorher einen Blick auf seinen ganzen Plan thun müssen, um dies nicht zu mährchenhaft zu finden. Jm Oedipus entwickelt sich das Schicksal wunderbar, aber man ahnt gleich von vorn herein und nach und nach immer deutlicher den Gang der Begebenheiten. Es ist alles in einander nach Naturgesetzen gegründet, wenn gleich eine höhere wunderbare Natur zum Grunde liegt. Zur kosmischen Wahrscheinlichkeit kann man auch bey Gedichten, wo wirkliche Geschichte zu Grunde liegt, die Beobachtung eines gewissen Kostüme d. h. Ueblichen in äußerer Decoration des Gedichts rechnen, und daß man dem Geiste der dargestellten Zeit gleich bleibe. Wo man voraussetzen kann, daß die Geschichte genau bekannt ist, wird der Zuhörer durch Widersprüche verwirrt. Wenn Kamoens in seinem Gedichte die heidnischen Götter mit katholischen Helden zusammenstellt, ist dies wider die kosmische Wahrscheinlichkeit. Milton braucht die Fabel nur zu Vergleichungen. Das geht. Endlich gehört zur Totalität einer Handlung eine gehörig vorbereitete befriedigende Auflösung, die nichts zu wünschen übrig lasse. Der Verstand muß Alles, worauf seine Aufmerksamkeit gerichtet war, enträthselt haben. Das Gedicht darf hier weder zu wenig noch zu viel enthalten. Tod und Begräbniß des Hektors in der Jliade, gehört noch zum Plan des Ganzen, wenn man auch den Zorn des Achilles als den Stoff des Gedichts und überhaupt das Gedicht als ein Ganzes annimmt. Denn erst mit dem Begräbniß des Hectors konnte die gespannte Aufmerksamkeit ganz befriedigt werden. 601Zumal bey den Griechen war das Schicksal des Leichnams nicht gleichgültig. Eins fließt in der Jliade aus dem andern. Aus dem Zorn des Achills, der nicht selber kämpfen will, folgt die Niederlage der Griechen, die Absendung und der Tod des Patroclus, daraus der Tod und das Begräbniß Hectors. Nur hier endigen sich alle Folgen des Zankes im ersten Buche. Aber das Ende des Gedichts darf auch nicht zu wenig enthalten. Man tadelt es am Don Carlos, daß man über das Schicksal des Prinzen am Ende keine völlige Auskunft erhält, an Wallenstein, daß die Thecla verschwindet. So lange der Verstand noch nach etwas zu fragen hat, kann auch die Empfindung des Schönen nicht vollkommen seyn, die ihre letzte Höhe am Ende des historischen Gedichts erreichen soll. 4) Jn dem historischen Gedicht muß bey der Auflösung eine Stimmung zurückbleiben, die wenn auch der Ausgang schauerlich ist, doch eine gewisse Ruhe wegen Harmonie des Schicksals mit der Ordnung in unserm Geiste giebt. Diese höhere Harmonie giebt bey höhern historischen Gedichten die Empfindung des Erhabenen, bey niedern die des reizend und lebendig Schönen.

§. 3.

Da der historische Dichter entweder die menschliche Freyheit in ihren höhern Kämpfen darstellen, und damit die Empfindung des rührend Schönen erwecken, oder nur die Thätigkeit des niedern Be =602 gehrungsvermögens schildern, und die Empfindung des Lebendigschönen beabsichtigen kann, so giebt es eine höhere und eine niedere historische Poesie. Jn beyden Fällen wählt der Dichter eine oder mehrere von folgenden Formen. 1) Form der Erzählung, 2) dramatische Form, er läßt die handelnden Personen selbst sprechen, 3) Liederform, 4) Verbindung eines eigentlichen Dramas mit Schauspielkunst und Musik (Schauspielform).

II.

Von der höhern historischen Poesie.

§. 1.

Zu der Gattung der höhern historischen Poesie gehören: A) die Epopöe oder das eigentliche Heldengedicht. Dies ist die Erzählung einer grossen Begebenheit in der Geschichte, bey deren Entscheidung die Willensthätigkeit in höchster Anstrengung, und die Macht, welche das Schicksal der Welt nach des Dichters Begriffen lenkt, mit vorzüglichem Einfluß erscheint.

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Anmerk. Da der Stoff 1) eine große Begebenheit in der Geschichte ist, so muß der Dichter dieselbe uns wichtig zu machen wissen, indem er ihre ausgebreiteten Folgen zeigt. Daher läßt Virgil den Aeneas immer als Vater der Römer auftreten. Gleich anfangs giebt er den Zweck seiner Reisen an tantae molis erat, Romanam condere gentem. Aeneas steigt in die Unterwelt, um seine Nachkommenschaft zu sehn. Die Episode ist nicht überflüssig. Homer giebt den Zorn des Achills an, als eine Begebenheit von sehr wichtigem Einfluß μυρι Αχαιοις αλγε εθηκε. Die Odyssee enthält zwar mehr ein häusliches Sittengemälde und Reiseabentheuer. Man könnte sie wegen ihrer Naivität eine heroische Jdylle nennen. Allein sie steht doch mit der Begebenheit des trojanischen Kriegs in einem genauen Zusammenhang, das Schicksal des Odysseus ist an das seines Vaterlands geknüpft. Die Götter selbst nehmen Antheil daran. Das Heldengedicht ist also ein großes Gemälde, ein Stück aus der Weltgeschichte. Der Dichter bedarf dazu eines weiten Schauplatzes, den er mit großen und kleinen Gegenständen der Natur decorirt. Seine Beschreibungen, seine Gleichnisse müssen dazu beytragen, die Größe, die Wichtigkeit der Geschichte anschaulich zu machen, sie mit dem ganzen Weltall in Zusammenhang zu bringen. Es paßt auf ihn was Dante sagt, che non é impresa di pigliar a garbo descriver al fondo tutto l'universo. Daher äußern die epischen Dichter auch oft, daß sie der Beschreibung ihres Gegenstandes unterliegen. ἀργαλεον δε μοι εϛι θεον ὡς παντ 'ἀγορευειν. Sie möchten604 hundert Zungen haben, um alles auszusprechen. Und doch verlangen dergleichen Beschreibungen mehr Ruhe, wie die des Lyrikers, dessen Phantasie, ohne fixirt zu seyn, überall herumschweift. Weil die Begebenheit Einfluß auf einen großen Theil der Menschheit hat, und sie gleichsam von Grund aus aufrührt, so ist es natürlich, daß der Dichter dabey Sitten, Kenntnisse, Religion, Charaktere eines ganzen Zeitalters schildert, z. B. Homers und Tasso's Catalogus. 2) Da im Heldengedichte die menschliche Freyheit im Kampfe und die Willensthätigkeit in der größten Anstrengung gezeigt wird, so müssen die Begebenheiten entscheidend seyn. Daher gewöhnlich kriegerische Begebenheiten, Kampf auf Leben und Tod den Jnhalt ausmachen, wo der einzelne Mensch vergessen wird (z. B. Il. ε. 689.). Augenblicke, wie die im Homer, νυξ δ' ἡδ 'ἡε διαρραισει ϛρατον ἡε σαωσει. Venit summa dies et ineluctabile tempus una salus victis nullam sperare salutem. Virg. Daher lieben die Heldendichter den Contrast zwischen Glück, Frieden und Tod, recht fühlbar zu machen, und setzen das reizend schöne dem erhabenen entgegen, wie Homer im 6ten und 22sten Buch der Jliade. Tassos Armida. Fingal von Ossian 1stes B. zu Ende. Messias fünfter Gesang. Oft auch zeigt sich reine Kraft und Anstrengung, wie zu Anfang des eilften B. d. Jliade. Ungeachtet also die Personen, welche hier auftreten, oft Helden sind (im engsten Sinne des Worts), so giebt es doch auch Epopöen, deren Haupthelden nicht kriegerisch sind. So Adam und Eva in Milton. Denn der kriegerische Satan605 ist nicht, wie Batteux glaubt, die Hauptperson. Es ist nämlich nicht nöthig, daß in der Epopöe der Hauptheld siege und seinen Zweck erreiche. Ein Hauptheld muß indeß immer da seyn, der sich durch Charakterstärke und bewundernswürdige Eigenschaften auszeichne, um den sich die große Begebenheit dreht, dem alle andre Charaktere untergeordnet sind. Nur dadurch wird die große Begebenheit concentrirt, so zu sagen personisizirt, bekömmt Einheit und Jnteresse. Dieser Held muß, wenn wir mit ihm sympathisiren sollen, Leidenschaften haben, im Kampf mit sich selbst und dem Schicksal erscheinen, wie Achilles, nicht, wie pius Aeneas, blos eine Maschine des Dichters und der Götter seyn. Die Handlung muß dadurch an Anschaulichkeit gewinnen, daß alles auf dem Einen beruht. Der Hauptheld der Jliade handelt zwar sehr lange gar nicht. Sein Zorn ist aber doch die Ursache der ganzen Wendung, welche die Dinge nehmen. Einige behaupten, Achill zürne zu lange, sey zu lange unthätig. Allein nach dem Plane des Gedichts, sollen die Folgen des Zorns dieses Helden beschrieben werden. Dieß ist der Stoff des Gedichts. Alles hängt davon ab, und folgt daraus, selbst der Tod des Hectors. Mithin bleibt der Dichter seinem Gegenstande ganz treu, wenn er den Achill lange ruhen läßt. Er will nicht Achills Handlungen allein, er will die Folgen seiner Unthätigkeit zeigen. Gerade daß er so lange hinter der Szene bleibt, während andre Helden große Thaten verrichten, daß man nur immer hört, Er sey noch größer als sie, gerade dadurch wird die Erwartung gespannt. Jupiter606 ehrt ihn, darum begünstigt er die Trojaner. Schon daß er seinen Waffenbruder Patroclus sendet ist für die Bedrängten eine große Hülfe. Und nun endlich erscheint er, handelt kurz, und gebietet Entscheidung, wie ein Gott, wodurch er der erregten Erwartung völlig entspricht. Hector, wendet man ein, schadet dem Achill, durch das Jnteresse, das seine Liebenswürdigkeit einflößt. Es ist wahr, Achill ist rauh und wild. Es ist ein großes, wunderbares Naturwesen mit heftigen Leidenschaften, voll Rachsucht und Grimm. Doch er ist beharrlich in seinem Entschluß, er hat auch gefällige Eigenschaften. Dies zeigt sein Betragen gegen den Priamus, gegen die Herolde, welche die Briseis fortführen, seine treue anhängliche Freundschaft für den Patroclus. Uebrigens ist er ein Nazionalheld der Griechen. Was kann Homer dafür, daß Hector mehr für unsern Sinn ist? Achill ist der Sohn einer Göttin, größer, stolzer und in seiner Lage nicht schlechter. Ueberhaupt ist die innere Organisation der Jliade zu einer ganzen vollkommnen Handlung unverkennbar. Mag sie ein Werk des Zufalls, mehrerer Menschen seyn so ist sie doch weit mehr durch einen innern Schöpfergeist zusammengehalten, als die Aeneide, welche ausgemacht das Werk eines einzigen ist. Der Hauptstoff, der Zorn des Achilles als eine Ursache großer Folgen, eine Kette von Begebenheiten, ist, wie wir bewiesen haben, vollkommen bis zum Ende durchgeführt. Das Hauptinteresse ist das des Achills, der Thetis, des Jupiters, daß der ungerecht beleidigte Achill gerochen werde. Mag darinnen eine Jnhumanität607 des Schicksals liegen. Dies ist vielleicht zu tadeln. Aber dieses Hauptinteresse wird doch durchgeführt. Es zeigen sich Schwierigkeiten. Agamemnons Rede wird von den Griechen mißverstanden. Sie wollen nach Hause kehren. Aber da wäre Achill nicht gerochen worden. Ulysses hält die Einschiffenden ab mit Hülfe der Götter. Man will den Krieg durch einen Zweykampf enden. Aber dann wär Achill nicht gerochen worden. Die Götter verhindern die Erfüllung des geschloßnen Bundes. Die Griechen sind tapfer. Juno steht ihnen bey, aber die Trojaner sollen siegen. Denn sonst wär Achill nicht gerochen. Nun empfängt er aber auch die Strafe für die Erfüllung seines leidenschaftlichen Wunsches. Er verliehrt seinen Freund Patroclus. Dies ist der Weltlauf im Ganzen dargestellt. Nimmt man dazu die mannichfaltigen Leidenschaften der Menschen und Götter, ihre Jntriguen wider einander, die alle harmonisch in den Plan des Schicksals wirken, so sehr sie wider einander laufen. Sieht man auf die Mannichfaltigkeit der Charaktere, die sich immer treu bleiben, die selbst in äußern kleinen Umständen consequent geschildert werden, (z. B. in der Art, wie die Helden, der wildromantische Diomedes, der bejahrte Nestor daheim in ihren Zelten gefunden werden,) so ist die Einheit gar nicht zu läugnen. Einzelne Stellen mögen von den Rhapsoden eingeflickt seyn, der Styl ist allerdings zuweilen sehr verschieden. Das Gedicht mag selbst im Geiste des Dichters rhapsodisch existirt haben, wenn er die Schreibkunst nicht kannte. Das Ganze lag doch in seiner Seele. Einzelne Schlachtbeschreibungen608 sind zu langweilig, zumal für uns, es giebt Widersprüche in der Schilderung des Schlachtfelds, in der Geschichte der Helden. Doch sind deren wenige. Einige Wiederholungen zeigen von Schwäche, z. B. Il. VIII. 70. wo Jupiter das Loos des Treffens wägt, ist diese Jdee weit kraftloser, als wo er das Schicksal Achills und Hectors wägt, im zwey und zwanzigsten Buch. Hier ist vermuthlich Nachahmung eines andern Rhapsoden. Jm Ganzen genommen ist aber doch ein Hauptheld, ein Hauptinteresse. Wenig Dichter haben vermocht ihren Haupthelden die Würde, die Theilnahme zu verschaffen, wie Homer. Aeneas ist ohne alle Selbstthätigkeit, er ist undelicat, gefühllos gegen die Dido. Träume und Weissagungen, sein Vater Anchises leiten ihn. Klopstock hat seinen Helden zu sehr von Seiten der physischen Allmacht gezeigt. Jm Evangelio ist es der moralische Gott, verbunden mit der Menschennatur. Darum ist der Messias im Evangelio weit liebenswürdiger, als in der Messiade. Der Kampf im fünften Gesang, das Gericht ist mit den wirklichen Leiden des verlassenen Christus am Oelberg nicht zu vergleichen. Es ist erhaben und feyerlich, aber zu mystisch, zu dunkel gehalten als daß es aller Theilnahme erregen sollte. So viel von dem Helden des Heldengedichts. 3) Da das Heldengedicht gleichsam eine Periode der Universalgeschichte in einem Moment anschaulich darstellt, so muß es auch, um die Begebenheit zu erklären, die Mächte, welche das Schicksal lenken, nach der Vorstellungsart des Zeitalters schildern. Daher verlangen die609 Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher das Wunderbare zur Hauptingredienz der eigentlichen Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich in das Unbegreifliche, in die Fabelwelt verliehren. Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen, z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das höhere Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt u. s. w. Die Odyssee nähert sich schon mehr dem romantischen Gedicht; bey den Reisen des Odysseus hat man also das Abentheuerliche, die Somnia Iouis gern. Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können, wär sein Geist nicht zu idealisch gewesen, so hätte er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack, und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das Wunderbare nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen610. Allein Ossians Gesänge gehören auch mehr unter die Gattung des romantischen Gedichts, als daß sie eigentliche Epopöen seyn sollten. Glovers Leonidas ist auch ohne das Wunderbare, aber es ist auch keine eigentliche Epopöe. Uebrigens muß selbst das Wunderbare eine Art physische und psychologische Wahrscheinlichkeit haben, damit es dem Menschen begreiflich werde, die wunderbaren Kräfte müssen menschlich handeln. Es muß mehr Bewunderung als Verwunderung erregen, also zweckmäßig seyn.

§. 2.

Der im vorhergehenden angegebene objektive Stoff der Epopöe bestimmt nun auch den ästhetischen Jnnhalt derselben. Die Hauptempfindung, welche in ihr herrschen muß, ist das Große. Nach ihr modifiziren sich die übrigen.

Anmerk. Das Heldengedicht muß mit dem Großen beginnen und mit dem Großen enden, in beyden Fällen einfach seyn, der Stoff selbst ist hinlänglich, diese Empfindung zu wecken. So schließt Homer mit dem Grabe des Hektors. Ως ὁι γ 'αμφιεπον ταφον ἑκτορος ἰπποδαμοιο. Es ist als wenn man am Grabe einer Welt stünde. Die Hauptempfindung ist also nicht tragisch, wie Marmontel glaubt, nicht stark, nicht heftig, sondern Bewunderung der Größe des Schicksals. Man sieht Glanz, Herrlichkeit,611 heroisches Leben, und am Ende löst sich alles auf in eine allgemeine ruhige Jndifferenz des Schicksals. Am Ende der Jliade wird eben der Hektor bestattet, welcher im zwölften Buche, wie ein verderblicher Gott, das Lager der Griechen anzündete. Achills Zorn ist befriedigt, seine Ehre wieder hergestellt. Aber er hat auch gebüßt für seine Leidenschaft. Die allgemeine Weltordnung erscheint hier in einem Moment, unter der Ansicht eines Ganzen. Daher ist über die Epopöe eine große Stimmung verbreitet, welche sich dem Erzähler mittheilt, welche alles modificirt. Das Starke, das Heftige, das Schreckliche, findet in der Mitte der Handlung statt. Aber immer muß die Jdee der Größe jeden Contrast wieder aufheben. Auch das reizend schöne muß zuweilen gefunden werden, damit die Anspannung nicht zu groß sey. Daher führt uns Homer aus dem Schlachtgewühl ins häusliche Leben, erinnert uns an die Eltern, Weiber, Kinder, für welche gefochten wird. Nur darf man sich nicht zu sehr darein verliehren. Tasso ist selbst mit dem Rinald in die Schlingen der Armide gefallen. Da das Heldengedicht wegen seiner Länge in verschiedene Stücke, Bücher, Rhapsodien, Gesänge getheilt wird, so muß jedes Buch ebenfalls mit einer großen Empfindung schließen, und das folgende mit einer starken muntern beginnen. Das Große muß als herrschend bey jeder Pause im Gedicht angetroffen werden. Nur muß die Größe nicht so vollendete Ruhe geben, wie am Ende des Werks, sondern muß mit einer Art bangen Erwartung verbunden seyn, in Ansehung dessen, was kommen wird. Daher612 schließen die heroischen Dichter einzelne Gesänge gern mit Bildern der Nacht vor dem Schlachtmorgen, z. B. Iliad. α, besonders schön schließt Il. η. wo Jupiter die ganze Nacht durch donnert, auch Il. θ. Ossian Fingal erstes Buch, wo man die Geister in der Nacht wehklagen, und zuweilen nur den Schall des Schildes hört. Tasso 2ter Gesang, wie die christlichen Helden dem Morgen entgegen sehn, weil sie Jerusalem zu erreichen wünschen. Mirano ad or ador se raggio alcuno spunti, o rischiari della notte il bruno. Die folgenden Bücher beginnen dann mit der Morgenröthe erwartungsvoll. Das Sanfte, die Grazie, das Naive, alles findet sich im Homer, der eine lichte heitere Ansicht von der ganzen Welt giebt. Aber immer kehrt das Starke, das Schreckliche wieder, und das Große mildert den Gegensatz. Auch das Lächerliche hat Homer in seine Gedichte aufgenommen, spätere Epopöendichter haben es nicht gewagt. Vulkan, der im Olymp herumhinkt, Thersites, Ajax, der in das ονθος βοων fällt (dies hat denn doch der Nachahmer Virgil aufgefaßt und im certamine navali nachgeahmt.) Jn der heitern Phantasie des Griechen ist dies keine Dissonanz.

§. 3.

Da der Heldendichter als Erzähler sich nicht ganz in der Handlung verliehren, sondern den Faden immer in der Hand, und den Blick auf das Ganze behalten muß, sein Stoff aber so wichtig, so ausgedehn613 ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, gleichmäßiger einfacher schöner Styl, ohne lyrische Spannung. Er muß eine gewisse Hoheit und Selbstständigkeit, Ruhe beobachten, die des Jnnhalts würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des Werks ermüdet werde. Man kann also dem Styl der Erzählung den Charakter des Edlen beylegen. Das Metrum muß der Sprache die größte Ausdehnung zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig seyn.

Anmerk. Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt, ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist. Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung Il XXII. vs. 78─91. ουδ 'ἐκτορι θυμον ἐπειθον. Die Personen reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten φιλον ὑιον, δειλοι βροτοι. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz zu reden, aequam mentem in rebus arduis. Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu614 Grunde. Deswegen läßt sich Homer auch nicht darauf ein, lyrische Selbstgespräche zu halten. Er sucht seine Selbstständigkeit darin, daß er den Sinn des Lebens, die Objekte auffaßt und idealisch ausbildet. Ossians Erzählungen haben nicht den ächten epischen Ton. Es sind mehr lyrische Erinnerungen. Hier ist Odeuschwung. Dies ist eine andre Gattung. Ossians Gedichte sind auch kürzer, sie sind mehr romantische Heldengedichte, als Epopöen. Der Schauplatz ist dunkler gehalten, und läßt dem subjektiven Gefühl mehr Spielraum. Homer dagegen, bey dem alles lichte Anschauung seyn sollte, durfte sich nicht dem lyrischen Gefühl hingeben. Milton hat zwar lyrische Einleitungen. Sein Styl ist schon körnigter, sentenzenreicher, phantastischer als der des Homer. Diesen höhern Schwung erheischt der Gegenstand. Aber er hat doch den epischen ruhigen licht darstellenden Ton genauer gehalten, als Klopstock. Klopstocks Epopöe ist im religiösen Hymnenton. Es sind Blumen aus einer höhern Welt. Aber die Welt selbst ist nicht dargestellt. Der Sprachausdruck ist oft zu angespannt. Aus diesem Grunde wird das Gedicht wegen der epischen Länge für das anhaltende Lesen schwer. Doch wie viele lesen auch den Homer, den Tasso auf einmal durch? Klopstocks Gegenstand setzt in dem Erzähler ein hohes religiöses Gefühl voraus. Er muß also seine Erzählung immer unterbrechen, durch Aeußerungen der Andacht. Milton konnte seine Welt schon mehr episch darstellen, Klopstock konnte sie nur ahnen. Milton ist ein größerer Heldendichter in Ansehung615 der Handlung. Klopstock hat eine Begeisterung, die ihm einen wahren Prophetenton giebt. Jn manchen einzelnen Versen der Messiade liegt das ganze Gefühl der Ewigkeit. Das kann uns Milton nicht geben. Aber Charakter, Darstellung, lebendig epischer Styl ist mehr in dem Englischen Dichter zu finden. Was nun das Metrum betrifft, so paßt der Hexameter wegen seines majestätischen Ansangs, wegen seiner Ausdehnung am besten. Homers Hexameter in der Fortdauer gelesen sind die Fluthen des ruhig sich wiegenden Ozeans. Milton braucht die Jamben. Tassos Stanzen haben den Charakter sanfter Ruhe besonders durch die beyden Schlußzeilen und die weiblichen Endreime. Allein Tassos Gedicht giebt mehr die Empfindung der erhabenen Grazie. Dazu paßt die Stanze.

§. 4.

B. Das romantische Heldengedicht ist die poetische Erzählung abentheuerlicher und wunderbarer Begebenheiten aus kriegerischen Zeiten, welche mehr Situationen aus dem Leben einzelner Helden sind, als daß sie eine Ansicht von der Weltordnung im Ganzen geben.

Anmerk. 1. Der Zorn des Achill im Homer hat Einfluß auf ganze Nationen. Das Schicksal kriegführender Mächte ist nothwendig damit verbunden. Jm Ariost hingegen ist die eifersüchtige Liebeswuth des Orlando, die Geschichte616 des Astolfo, des Ruggiero u. s. w. Hauptsache, und daß ein großer Krieg dabey geführt wird, ist zufällig. So giebt auch Ariost seinen Jnnhalt an: Le Donne, ei Ca valier, l'arme, gli amori, le cortesie, l'audaci imprese io canto, che furo al tempo, che passaro i Mori d'Africa il muro u. s. w. Also eine Menge abentheuerlicher Begebenheiten rafft hier der Dichter zusammen, und stellt sie dar. Die Begebenheiten sind zu der Zeit des Kriegs. Aber das ist nur zufällig. Er will nicht Eine wichtige Handlung, er will recht verwickelte Begebenheiten von Privatpersonen schildern. Tasso hingegen, ob er gleich zum romantischen Gedicht sich hinüber neigt, auch in seinen discorsi keinen Unterschied zwischen Epopöe und Rittergedicht anerkennt, kündigt seinen Jnhalt doch im Ton der förmlichen Epopöe an. Die frommen Waffen singt er, und den Feldherrn, der Christi großes Grab befreyte. Das ist also Eine wichtige Handlung, und er schließt damit, daß Goffredo vor dem eroberten Grabe nieder knieet. Das Abentheuerliche, das Ueberraschende ist also im romantischen Heldengedicht die Hauptsache. Das Wunderbare was hier vorkommt ist nicht das höhere Wunderbare, das sich auf die letzten Weltursachen bezieht, sondern das niedere Wunderbare, das Mährchenhafte. Zauberer, Riesen, Gnomen u. s. w. sind hier die Haupttriebfedern, weil man keine Ansicht der ganzen Weltordnung verlangt, das höhere wunderbare würde sogar hier stöhren, weil es zu viel Licht giebt. Das romantische Gedicht will dunkel gehalten seyn. Man will sich hier gar617 nicht orientiren. Es ist dies eine besondere Richtung, welche die Poesie bey den neuern Nazionen genommen hat. Die Phantasie, die hier recht eigentlich zu Hause ist, will sich verliehren in einzelnen Situationen des Lebens. Weil oft der Stoff für dergleichen Gedichte aus den Ritterzeiten genommen wird, so nennt man sie auch Rittergedichte. Der ästhetische Jnhalt ist also das romantisch schöne, mithin die Grazie (s. oben von den Untergattungen des Schönen.) Man könnte das romantische Gedicht mehr zu den historischen Gedichten des niedern Schönen zählen, wenn nicht der kriegerische Stoff der Empfindung eine herrschende Heftigkeit und Hoheit mittheilte. Der Styl muß leicht seyn, kann ans Galante gränzen. Da die Phantasie hier vorzüglich spielt, so kommt dem Dichter sogar der Ton einer Jronie mit sich selbst und des Scherzes zu. Jhn haben Wieland und Ariost angenommen, die hier Muster sind. Wieland hat Einfachheit des Plans vor Ariost voraus, wenn er gleich minder poetisch ist. Das beste Metrum ist die Stanze.

Anmerk. 2. Kleinere romantische Gedichte in Liederform und Volkston, in welchen heroische und andere abentheuerliche besonders grausende Begebenheiten dargestellt werden, nennt man Balladen oder Romanzen im weiten Sinne. Die englischen und altschottischen Balladen geben hier das beste Muster. Der Jnnhalt muß abentheuerlich seyn, aus der Ritter =, Kloster =,618 Geisterwelt. Der Nahme mag vom Tanz herkommen, denn es ward bey diesen Volksliedern in Jtalien getanzt, und man findet hier und da noch solche rhapsodische Aufführung. Anfangs waren es nicht einmal Erzählungen. Aber späterhin wurden sie auch dramatisch. Der Volkston erlaubt hier Scherz und selbst einen Grad von Gemeinheit. Der Ausdruck poesia volgare, den die Gedichte in der italienischen Volkssprache führen, ist hier recht eigentlich angewandt. Das Metrum muß fließend, strophisch und für den gemeinschaftlichen Gesang eingerichtet seyn. Uebrigens hieß Romanze bey den Jtalienern zuweilen auch das größere romantische Gedicht. Oft besteht es auch bey ihnen wohl mehr aus einer Menge einzelner Romanzen, als daß es Ein Ganzes ausmachen sollte.

Anmerk. 3. Das romantische Gedicht wählt oft zum Jnhalt das ganze Leben irgend eines Helden, und bedient sich dabey der dramatisirenden Form. Dergleichen dialogisirte heroische Biographien, oder dramatisirte Romane werden oft von ihren eigenen Verfassern mit wirklichen Dramen verwechselt. So brachte Shakespear das Leben der Englischen Könige auf die Bühne. Szenen aus so einer Biographie darzustellen und mit Schauspielkunst zu verbinden, insofern das sich mit der Enge einer Bühne verträgt, ist nicht tadelhaft. Denn die Schauspielkunst kann vielleicht auf mehrere Arten der Poesie angewendet werden, als man bis jetzt denkt, und die Aesthetik wird wohl thun, wenn sie Drama und Schauspiel ganz619 von einander trennt. Nur muß man dergleichen dramatisirte Biographien nicht als wahre Dramen und Tragödien betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft. Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese dramatischen Geschichten zum romantischen Gedicht rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit. Warum soll sich alles unter das Joch des Aristoteles beugen? warum soll überall ein Drama seyn? das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die heroischen dramatisirten Biographien haben also noch einen weitern Jnhalt, als das gewöhnliche romantische Gedicht. Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes Leben dargestellt. Wie der eigentliche Roman, eine Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen Welt entwickelt, eben so haben die dramatisirten romantischen Biographien die Entwicklung eines heroischen Charakters zum Hauptgegenstand, der ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das Romantische. Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. Das Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal möglich ist, daß alles davon auf die Bühne gebracht werde. Der Styl kann zuweilen selbst scherzhaft seyn. Denn es ist eine Darstellung des ganzen Lebens, wie620 darinn alles bunt durch einander geht. Daß die Personen ihrem Charakter angemessen sprechen müssen, versteht sich von selbst. Ein großer Theil der Shakespearschen Stücke ist nicht zur Tragödie, sondern zum romantischen Gedicht in dramatisirender Form zu rechnen. Das beste Muster für diese Gattung giebt des Englischen Dichters Heinrich der vierte, wo der genialische Charakter des Kronprinzen geschildert wird, und Göthes Götz von Berlichingen. Am besten ists hier, wie auch Shakespear thut, daß Prosa und Metrum mit einander abwechseln, da es in einem dergleichen Gedichte bald höhere lyrische Momente, bald gemeinere Situationen giebt. Schillers Wallenstein und seine Jungfrau gehören auch hierher. Es sind mehr dramatisirte romantische Gedichte, als Tragödien.

§. 5.

IC. Die Tragödie ist die Darstellung einer heroischen Handlung, welche die Empfindungen des höhern Schönen erweckt, in vollkommner Form des Drama d. h. zu dem Zweck eingerichtet, mit der Schauspielkunst verbunden zu werden.

Anmerk. Die Tragödie ist für die darstellende Poesie ungefähr das, was die Ode für die lyrische war. Wir nannten die Ode das vollkommenste lyrische Gedicht. So ist auch die Tragödie gleichsam die höchste Potenz der darstellenden Poesie. Dem Heldendichter gehn weit621 eher Fehler hin, als dem tragischen, weil hier jeder Fehler gegen das Ganze eher gefühlt wird. Sophocles ist ein vollkommnerer Dichter, wie Homer, dieser aber ein größerer. Der Jnnhalt der Tragödie wird gewöhnlich nach dem Aristoteles in das φοβερον και ἐλεεινον gesetzt, an welches der griechische Philosoph das menschliche Auge gewöhnt wissen will. Jndessen machen weder jene Leidenschaften, noch ein unglücklicher Ausgang das Wesen des Trauerspiels aus. Einige fanden darinnen einen Unterschied zwischen Epopöe und Tragödie, daß in der ersten der Held siegen, in der letztern unterliegen müßte. Allein was heißt dies unterliegen? Soll der Hauptheld allemal sterben? Dies ist nicht immer der Fall. Brutus läßt seine Söhne hinrichten. Dies giebt dem Voltaire, dem Alfieri Stoff zu einem Trauerspiel. Brutus ist Hauptheld. Aber er stirbt nicht. Soll unterliegen heißen seinen Zweck verfehlen? Auch wieder nicht; wie oft erreicht ein Held gerade seinen Zweck durch den Tod, wie oft siegt er über seine niedere Natur, wie Antigone. Daß in der Tragödie nothwendig Fürsten und Könige handeln müssen, gehört auch nicht zu ihrem Wesen, wiewohl jene Personen öfter in tragische Verhältnisse kommen, wie andere. Man kennt längst auch das bürgerliche Trauerspiel. Also ist der Jnnhalt der Tragödie in eine heroische Handlung zu setzen, in einen großen Kampf der Frey = heit mit dem Schicksal, mit dem niedern Begehrungsvermögen.

622

§. 6.

Da die Tragödie die Form des Dramas annimmt, und zu dem Zwecke eingerichtet ist, vorgestellt zu werden, so muß der Plan der Handlung vorzüglich faßlich, dieselbe gut eingetheilt, und in jeder Rücksicht vollkommen seyn. Das Kunstwerk muß in kurzer Zeit vorgestellt werden, daher wird auch eine schnelle Uebersicht desselben erfordert, und jeder Fehler weit leichter gefühlt. Daher muß das überflüssige Episodische vermieden, und der Verstand bey aller Anschaulichkeit im Einzelnen immer auf die Einheit der Handlung aufmerksam gemacht werden. Aus ähnlichem Grunde wird die Einheit des Orts Vorzug eines guten Trauerspiels seyn, zumal da sie dazu beyträgt, das Ganze in einen Moment der Anschauung zu concentriren.

Anmerk. Die sogenannten drey dramatischen Einheiten sind allerdings Erfordernisse zu einem vollkommnen Trauerspiele, wenn gleich dadurch das Trauerspiel noch nicht schön wird. Es giebt große tragische Dichter, die sie nicht beobachten, und schlechte, die sie beobachten. Die Regel ist deshalb doch in der Natur der Sache gegründet. Was 1) die Zeit betrifft, so darf eine Vorstellung nach der Uebereinstimmung aller Dichter und Kritiker nicht viel über drey Stunden dauern, weil sonst die Anfmerksamkeit623 natürlich ermüden würde. Hieraus kann man nun zwar nicht folgern, daß die Handlung selbst wie im Oedipus, in den Horaziern u. s. w. nicht über diese Zeit hinaus währen dürfe. Das wäre die Regel der Wahrscheinlichkeit zu weit getrieben. Ueberdem kann angenommen werden, daß einige Zeit in den Zwischenakten verfließe. Die ideale Zeit, die in der wirklichen vorgestellt wird, kann also etwas länger seyn. Voltaire verstattet etwa vier und zwanzig Stunden. Corneille ist hierin auch sehr streng, und sie haben nicht unrecht. Die Tragödie ist ein concentrirtes Kunstwerk. Selbst bey der Epopöe war die Kürze der Zeit ein Vorzug, geschweige denn bey der Tragödie. Je kürzer die Zeit ist, desto mehr gewinnt die Handlung an individueller Anschaulichkeit und Einfachheit. Shakespear läßt einmal die Zeit als Chorus auftreten und erzählen, daß während dem Akt sechzehn Jahre verflossen seyn. Dies ist witzig, und paßt für das romantische dramatische Gedicht. Aber nicht für das eigentliche ernste Drama. Das Lustspiel kann eher wider diese Regeln handeln. Allein bey der Tragödie muß alles vermieden werden, wodurch der Verstand beleidigt, und nächstdem die Empfindung gestöhrt werden könnte. 2) Was den Ort betrifft, so trägt seine Einheit allerdings auch zur einfachen Faßlichkeit des Plans bey. Denn man kann aus der Decoration allein noch nicht gleich die geographische Veränderung merken, die mit Verwandlung der Szene vorgegangen ist. Wenn Shakespear seine Personen bald in Schottland, bald in England auftreten läßt, so ist das immer eine Freyheit, welche hätte vermieden werden624 können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. Pedantisch würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen, daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern strengen Kritiker verlangen also nur Eine Gegend, z. B. den Umkreis eines Pallastes. Bey den Alten war die Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig. Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung der Szene vor unsern Augen mag bey romantischen Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn. Aber beym Trauerspiel stöhrt sie die ernste Einfachheit des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren αγγελος, der das erzählte, was hinter der Szene vorging. Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten, große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen, wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel. 3) Muß die Handlung selbst im Trauerspiel einfach seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das Trauerspiel eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand625 durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände, (wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden. Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum. Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln, gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels Jntrigue. Die höhere Tragödie sollte nie zum Jnhalt eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander, daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit der Handlung wird durch Ein herrschendes Hauptinteresse, durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal weniger Personen bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der höchste Moment der Thätigkeit (ακμη). Daher muß es keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer. Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht. So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu Vertrauten genommen, z. B. Corneille in dem Horaz. Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das626 sind Behelfe des Dichters, damit man die Gesinnungen der handelnden Personen erfahre. Allein sie sind unnütz und erschweren die Uebersicht des Ganzen, weil man nicht weiß, wie viel sie zur Handlung beytragen werden. Auch hierinnen war der Chor der Alten gut. Er vertrat die Stelle der Vertrauten, die handelnden Personen klagten ihm ihr Leid, er ermahnt, tröstet sie, hierdurch ward das Unnatürliche der vielen Monologen gemildert, und dennoch die Aufmerksamkeit durch keine überflüssigen Charaktere von den Hauptcharakteren abgelenkt. Ferner wird die Einfachheit der Handlung gestöhrt, wenn zwar nicht ganz unthätige, aber doch solche Nebenpersonen mit vorkommen, die ihre Plane für sich haben, auf die man aufmerksam gemacht wird. Shakespear und andre romantische Tragiker versahn es hierinnen nicht selten, selbst Corneille im Cid hat die Liebe der Jnfantin ohne Grund mit eingewebt. Die Alten sind auch hier einfacher. Personen, wie Hämon in der Antigone kommen selten vor, und dieser ist doch auch nicht ganz unnütz. Antigone ist zwar über allen Kampf erhaben, indeß vermehrt das Verhältniß mit Hämon das Hauptinteresse, und die Heldin selbst nimmt oft auf das Glück Rücksicht, dem sie entsagen muß, z. B. 816. Αχεροντι νυμφευσω ανυμεναιος αγομαι. Auch wird Creon durch des Hämon Tod wegen seiner Halsstarrigkeit bestraft. Hämon kann also da seyn im Plane des Stücks, er hätte auch den einfachen herrlichen Charakter zeigen müssen, den er entwickelt. Er hätte aber mehr mit der Antigone selbst in Verhältnisse gebracht werden sollen. Man627 sieht, wie wenig die Alten die Liebe als eine tragische Leidenschaft ansahn. Es war noch nicht die schwärmerische Jdee von Seelenvereinigung damit verbunden. Ein neuerer würde es sich nicht haben nehmen lassen, statt eines blos lyrischen allgemein gehaltenen Chors über die Liebe, eine Szene zwischen dem Hämon und der Antigone anzubringen, und dann wär Hämon vielleicht als minder überflüssig erschienen. Die Neuern zumal die Franzosen bringen dagegen die Schilderung der Liebe selbst in die alten Fabeln. Beym Racine ist sie fast immer die Haupttriebfeder der Handlung. Allein das ist wider alle kosmische Wahrscheinlichkeit, da der übrige Charakter der alten Helden zu dieser romantischen Liebe nicht paßt. Jn Voltaires Oedipus muß wenigstens Philoklet in die Jocaste verliebt seyn. Jm Jnnius Brutus hat Titus Brutus Sohn für die Tullia eine Leidenschaft, die sich im Sinne der ächten Rittergalanterie zeigt. Durch solche Widersprüche im Hauptinteresse verliehrt auch die Handlung an Einfachheit. Voltaire hat dadurch den Titus liebenswürdiger machen, die Handlung mehr verwickeln wollen. Und darüber hat Plan und Charakter an heroischer Simplicität verloren. Um die Einheit der Handlung zu erhalten, muß der Dichter einen solchen Stoff wählen, der an sich gehörige Ausdehnung erleiden kann. Wenn er sich genöthigt sieht, mehrere Begebenheiten an einander zu reihn, mehrere Handlungen zu vereinigen, so ist dies schon Armuth in der Materie. So tadelt Corneille sich selbst wegen seines Horace. Horaz hat eine doppelte Gefahr zu bestehn,628 und das giebt gewissermaßen zwey Handlungen, die nicht nothwendig mit einander verbunden sind. Beym Shakespear ist oft genialischer Jdeenreichthum die Ursache von einer doppelten Handlung. So z. B. hat Romeo anfangs eine andere Liebe, welche ihn einen ganzen Akt durch peinigt. Jm Hamlet, welches mehr ein Charakterstück ist, fehlt der rasche Gang der Handlung. Tragischer ist Makbeth, dessen blutdürstiger Ehrgeiz von Verbrechen zu Verbrechen unaufhaltsam fortgeht. Die einfache Organisation der Handlung verlangt endlich eine proportionierliche Disposition ihrer einzelnen Theile. Da dem Zuhörer Ruhepunkte gegeben werden müssen, so hat man die Eintheilung in Akte erfunden. Jndeß muß ein Akt allemal so schließen, daß eine neue Erwartung entsteht, die im folgenden befriedigt wird, wenn gleich er auch schon den Anfang einer Auflösung erhalten muß, weil sonst keine Ruhe möglich wäre. Unrecht ists, wenn mit Einem Akte die Handlung so weit vollendet scheint, daß man keinen folgenden vermuthet, wie z. B. im Otto von Wittelsbach, im Clavigo. Die Zahl von fünf Akten ist zwar zufällig angenommen, ist aber doch in der Natur der Sache gegründet. Jede Handlung hat, wie Aristoteles sagt, einen Anfang, eine Mitte, ein Ende. Wenn man für den Anfang, und für das Ende einen Akt rechnet, so bleiben drey für die eigentliche Verwicklung übrig, und das ist eine richtige Proportion. Da in der Tragödie alles concentrirt seyn muß, so muß alles Ueberflüssige vermieden werden. Es ist keine Erzählung, es ist die Thatsache selbst,629 die idealisch nach Ursache und Wirkung verknüpft, ohne alle Episoden vor unsern Augen vorgeht. Gleich anfangs (in der Protasis) muß das Hauptinteresse angegeben werden. Oft helfen sich die Dichter auch durch einen Prologus. Jn den folgenden Akten kann das Jnteresse durch die Hindernisse immer steigen. Jm dritten Akt ist die Mitte gleichsam die letzte Höhe erreicht. Von nun an muß die Verwicklung aufhören, und die Auflösung beginnen. Diese Eintheilung ist also zugleich eine richtige proportionirliche Vertheilung der Zeit, welche der Zuhörer für den Genuß des Kunstwerks anwenden will. Er will nicht zu schnell die Auflösung des Ganzen erfahren, er will auch nicht zu lang hingehalten werden. Auch will er nicht etwa im fünften Akte Klagen über den im vierten zu früh verstorbenen Helden hören. Die Handlung selbst soll alle Zeit füllen. Man nehme den Cid des Corneille. Jm ersten Akt erfahren wir Rodrigos Liebe, und zugleich zeigt sich ein Haupthinderniß der Streit der Väter. Der erste Akt endet mit dem Kampf des Cid zwischen Ehre und Liebe. Man erwartet, ob er den Vater seiner Geliebten zum Zweykampfe fordern werde. Dies geschieht im zweyten Akte. Der Knoten schürzt sich immer mehr. Rodrigo fordert den alten Grafen und tödtet ihn. Die Geliebte verlangt vom König Gerechtigkeit gegen den Mörder ihres Vaters, den sie liebt. Ende des zweyten Akts. Der dritte Akt enthält die Mitte, die Höhe der Handlung. Die beyden Hauptpersonen, die Liebenden treten gegen einander auf, im vollen Gefühl ihrer verwickelten Situation. Rodrigo bringt sein Leben seiner Richterin. 630Hier ist eine Art Stillstand, man genießt einen der schönsten romantischen Momente, dieses merkwürdige Schauspiel, wie Elmire ruft Rodrigue devant moi! Mit dem Ende des dritten Akts wird man aufmerksam auf die Entwicklung gemacht. Die Handlung neigt sich. Der Feind greift das Vaterland an, und Rodrigo wird vom Vaterland aufgefordert, den Verlust des Feldherrn, den er tödtete, zu ersetzen. Sein Sieg veranlaßt den König selbst der Schiedsrichter zu seyn. Er tritt auf die Seite der liebenden Herzen, und versöhnt ihre durch Meynungen getrennten Gemüther. So viel von den Akten. Bey den Griechen kann man oft sieben bis acht Akte zählen, wenn man nach den Chören geht. Kleinere Abtheilungen heißen Szenen. Die Kritiker verlangen hier zu jedem Abgehn und Kommen von Personen mit Recht einen Grund im Plane des Ganzen. Sie verlangen die Verkettung der Scenen. Das Theater soll nicht ganz leer werden. Daß Personen auftreten, welche nicht zusammen in Verbindung siehn, dies würde eine zu große Abtheilung geben. Das würde einem Akt gleichen.

§. 7.

Da der objektive Jnhalt des Trauerspiels eine heroische Handlung ist, so wird der ästhetische Jnnhalt oder die subjektiven Empfindungen, welche erweckt werden sollen, nothwendig zur Gattung des höhern Schönen gehören. Alle Modificationen desselben631, die sich auf Schrecken und Mitleid gründen, und die man insbesondre tragisch nennt, finden hier statt. Die herrschende Hauptempfindung muß das eigentlich Erhabene seyn, weil die Handlung concentrirt ist, und Freyheit und Schicksal in einem Kampfe zeigt, der sich doch durch die Hoheit des Helden harmonisch enden soll. Alle andre Empfindungen müssen sich darnach richten, müssen diesen Charakter annehmen. Was den Gang in Abwechslung der ästhetischen Gefühle betrifft, so läßt sich folgende Regel behaupten. Die Tragödie muß mit einer großen Stimmung beginnen, auf das Starke, Heftige, Schreckliche fortgehn, und mit dem Erhabenen schließen.

Anmerk. Die besten Trauerspiele beginnen mit dem ästhetisch Großen. Denn es muß eine schauerliche Erwartung erregt werden von den Dingen die kommen sollen. Sophocles versteht dies am besten. Jm Oedipus Tyrannus, das bittende Volk vor dem Könige auf den Knieen mit Zweigen in den Händen. Jm Oedipus Coloneus, der hohe blinde Greis geführt von seiner Tochter in einer einsamen Gegend, sich nahend dem Ort, wo sein Schicksal erfüllt werden soll. Die Antigone, welche im Vorhof in der Nacht der Jsmene ihren Entschluß mittheilt. Jn der Elektra der Pädagog, welcher den Orest in die632 Stadt seiner Väter mit der Morgenröthe einführt. Eben so weiß Shakespear sehr gut ein Trauerspiel anzufangen. Jm Hamlet, die nächtlichen Wachen, die schon von dem Gespenst erzählen, im Makbeth der Hexentanz im Sturm, während der Schlacht. Die französischen Tragiker fangen ihre Trauerspiele mit vertraulichen Unterredungen ohne Kraft an, wo der Jnnhalt vorläufig erzählt wird. An die Stelle des großen Anfangs im griechischen Oedipus ist beym Voltaire eine Unterredung gekommen, zwischen Philoklet und Dimat, zwey Nebenpersonen. Cäsars Tod fängt besser an. César tu vas regner, eben so auch Brutus: Destructeurs des Tyrans etc. Lessings Emilia Galotti, welche nur gegen das Ende wie von Ungefähr ein Trauerspiel wird, hat zu Anfang einen schwachen Monolog. Man findet selten bey den neuern Tragikern einen guten Anfang. Wenn auch nicht allemal mit einer großen Empfindung, so sollte doch wenigstens das Trauerspiel mit einer Anstrengung beginnen, die von dem gewöhnlichen Leben abzieht. Diese Anstrengung muß aber doch ruhig seyn. Aeschylus selbst, so heftig er ist, so wild, jammervoll, kriegerisch seine ἑπτα επι θηβαις gleich anfangs sind, beginnt doch mit einer etwas gefaßten Rede des Eteokles. Hierauf kommt erst der αγγελος vs. 40. mit einer kriegerischen Erzählung, welche äußerst stark und heftig ist. Jn den Eumeniden ist auch erst mehr grausendes und großes. Das ειδωλον der Klytaimnästra und der Chor der Eumeniden zeigt sich etwas später. Prometheus beginnt mit einer starken Empfindung. Der Anfang633 des Agamemnon ist am besten decorirt. Der Wächter unter dem Sternenhimmel, der das Feuersignal von Trojas Einnahme erwartet. Sehr schön und romantisch schauerlich ist der Anfang der Jphigenia in Aulis. Agamemnon vor seinem Zelte des Nachts, in Unterredung mit seinem alten Sclaven. Dies vom Anfang. Mit der Handlung selbst nimmt nun auch der Wechsel der Empfindungen zu, die wegen des raschen Gangs der Tragödie immer steigen müssen. Es muß aber eine gewisse Continuität in diesen Empfindungen herrschen. Das Große muß immer schauerlicher, bänger werden, dann muß das Starke folgen. Denn diese Empfindung paßt am besten zur Willensthätigkeit, die sich immer mehr entwickelt. Wenn auch nun ein reizend schöner Augenblick dazwischen geworfen wird, so darf er doch nie erweichend seyn. Er darf keine Dissonanz machen. Das Lächerliche darf nicht in der eigentlichen Tragödie zu finden seyn. Jm Makbeth hat Shakespear wohl hier und da gemeine Stellen, aber doch nichts Lächerliches. Es ist ein eigentliches Trauerspiel. Hamlet ist schon mehr romantisches Gedicht, und so erträgt man die Scherze des Polonius. Jn der wichtigsten Situation, tritt nun gewöhnlich das Heftige, das schreckliche ein. Hier zeigen sich die meisten Contraste. Mit der Auflösung muß sich das Heftige zum Wehmüthigen hinneigen, und das Ganze mit dem Erhabenen schließen. Der Zorn des Schicksals ist gestillt, das Opfer ist gefallen, und mit Hoheit gefallen zur Ehre der menschlichen Natur. Der disharmonische Streit der Kräfte hat634 aufgehört. Am besten wirkt also am Schluß ein Seufzer des Chors über die Menschenschicksale im allgemeinen. Dies läßt einen erhabenen Nachklang in der Seele zurück. Starker Schluß thut selten gut. Voltaires Brutus schließt stark und affectirt Rome est libre, il suffit rendons graces aux Dieux. Der Schluß mag in den Römischen Charakter passen, denn die Römer waren, um ihre Empfindungen zu verbergen, Schauspieler, und Voltaire mag wunder gedacht haben, wie kräftig er geschlossen habe. Aber ästhetisch hat Alfieri den Schluß weit besser getroffen, weil er wehmüthig schließt del sangue libera sorge Roma infelice padre! Das Volk: Dio di Roma! Brutus sich das Antlitz bedeckend Io sono l'uom più infelice, che sia nato mai. Die Antithesen, die körnigten Sentenzen zum Schlusse sind bey den Franzosen zu finden. Die Deutschen schließen oft so matt, wie sie anfingen. Schillers Jungfrau hat einen erhabenen Schluß. Shakespear schließt immer mit einer Art Pomp, gleichsam mit einem prächtigen Trauerzug zur Ehre der Gefallenen. Auch dies kann zuweilen eine erhabne Stimmung bewirken. Doch die simple Art, wie gewöhnlich der Chor der Alten schließt, wird von keinem Neuern erreicht.

§. 8.

Da das Trauerspiel die Ansicht einer concentrirten erhabenen Handlung giebt, und die handelnden Personen, welche hier nach der dramatischen635 Form selbst sprechen, in den höchsten Situationen des Lebens sich befinden, so hat hier auch eine weit gedrängtere lyrische Sprache statt, als im Heldengedichte, welches die Form der ruhigen Erzählung hat. Jndeß darf die Sprache des Cothurns nicht so außerordentlich seyn, wie die des lyrischen Dichters. Sie muß etwas natürlicher und einfacher seyn. Denn die Personen, die sprechen, sind der wirklichen Welt näher, als der Odendichter. Der tragische Styl hält also im Ganzen genommen zwischen dem Styl der Ode und dem des Epos das Mittel. Man kann ihm den herrschenden Charakter der Hoheit geben, und er hat seine nähere Bestimmung durch den Chor der Alten bekommen. Da aber verschiedene Personen nach einander auftreten, so versteht sich, daß eine gewisse Abstufung im Styl statt haben, daß alles auf Charakter und Situation berechnet seyn muß. Denn der Mensch, den Verhältnisse und Leidenschaft auf einen höhern Standpunkt gesetzt haben, spricht anders als der kältere und gewöhnliche. Jndessen muß man auch diesem, wegen der Hauptstimmung eine von der gemeinen unterschiedene Sprache geben. Der Jnhalt des Trauerspiels giebt jeder Person eine lyrische Würde, und die Regel der Jllusion oder treuen Nachahmung der Natur darf hier nicht dagegen angeführt werden. 636Aus diesen Gründen wählt auch die Tragödie am liebsten ein Metrum, das sich zwar ursprünglich nur wenig über den rhythmischen Gang der prosaischen Sprache erhebt, aber nicht ohne herrschendes Gesetz ist, und bey zunehmender Lebhaftigkeit der Handlung, in lyrische Sylbenmaaße leicht übergehn kann.

Anmerk. Der Styl des Heldengedichts ist leichter seinem Charakter nach zu bestimmen, weil Eine Person, der Erzähler in der Regel das Wort führt, und weil, um den Contrast zu vermeiden, die redend eingeführten Personen sich nach dem Erzähler etwas richten müssen. Der Styl des Trauerspiels hingegen ist schwerer seiner Einheit nach zu charakterisiren, weil da eine Menge verschieden handelnde Personen nach einander auftreten. Die Geschichte der tragischen Dichtkunst giebt auch hier die beste Auskunft. Das Trauerspiel ist seinem Ursprunge nach bey den Griechen lyrisch. Es entstand weniger aus der Aktion der Rhapsoden, welche einzelne epische Stücke mit einer Art äußerer Decoration vortrugen, als aus den dithyrambischen und satyrischen Chören bey den gottesdienstlichen Festen. Der Chor, der den τραγος bekam, mochte wohl Anfangs nur Vorstellungen aus dem Stegreif aufführen. Erst Thespis unterschied einen bestimmten Schauspieler vom Chor, der auf der Bühne agirte, und vom Chor unterstützt ward. Nun wurden nach und nach erst die ernsthaften Trauerspiele erfunden. Aeschylus that den zweyten Schauspieler637 und eine Kleidung desselben, Sophokles den dritten und die Decoration hinzu. Und nach und nach soll man auch noch einen vierten Aktor zuweilen gebraucht haben, dessen Reden aber Horaz, vermuthlich weil er die obige Regel von Einfachheit der tragischen Handlung gefühlt hat, sehr beschränkt. Der Chor, der also der Ursprung der alten Tragödie war, hielt auch das Ganze zusammen, ungeachtet seine Gesänge immer mehr beschränkt und in die Zwischenakte verwiesen wurden, war er doch in der Regel stets zugegen. Jm Sophokles z. B. im Ajax tritt er zuweilen ab. Jm Euripides ist er immer da. Wenn er der Vertraute der handelnden Personen ist, durch den Coryphäus mit ihnen spricht, wider alle gewöhnliche Wahrscheinlichkeit der Freund von allen ist, die ihm noch so fremd sind, wie z. B. in Euripides Jphigenia in Aulis, aller Geheimnisse verschweigt, wie in der Medea des Euripides keinen an seinen Handlungen hindert, so haben einige Kunstrichter ihn für ein nothwendiges Uebel gehalten, das allein historisch zu erklären, der Jllusion schädlich gewesen sey, und das die alten Dichter der unentbehrlichen Einrichtung der Bühne wegen nicht hätten abschaffen können, so gern sie es gewollt hätten. Allein hier hat man die Natur des Chors, wie auch den Sinn der Regel von der Jllusion ganz verkannt. Der Chor, wenn ihm gleich Horaz actoris partes giebt, ist keinesweges in der vollendeten Tragödie als dramatische Person anzusehn, am wenigsten als eine assistirende Nebenperson. Aeschylus macht ihn zwar zuweilen gar zur Hauptperson, z. B. in den Supplicibus die Danaiden638. Jn den Eumeniden ist zwar Orest die Hauptperson, aber der Chor sein beständiger Begleiter. Jn dem Prometheus kommt er auf Maschienen herab. Jn den Persern ist er Prologus und klagt mit über die Niederlage der Armee. Jn den ἑπτα ἐπι θηβαις zeigt er sich gar so sehr lebendig, daß ihm Eteokles deswegen Vorwürfe macht. Allein Aeschylus war der alten ursprünglichen Tragödie näher, wo oft einige aus dem Chor aufgetreten waren und agirt hatten. Sophocles und Euripides hingegen unterscheiden den Chor schon weit mehr von den Schauspielern, und diese Form hat auch Aristoteles bey seinen Definitionen immer vor Augen. Der Chor hat hier mehr das Ansehn einer lyrischen Person, welche das Ganze zusammenhält. Er ist für die Tragödie das, was der Erzähler im Heldengedichte ist. Er giebt der Handlung einen herrschenden Ton. Dies erhellt aus folgenden Gründen: 1) der Chor ist im Sophocles und Euripides unpartheyisch und ohne Leidenschaft, er nimmt nur einen entfernten Antheil an der Geschichte. Er ist der Vertraute aller. Das sind Greise, die schon wenig Jnteresse mehr am Leben nehmen, darüber mit Ruhe reflectiren, oder Unterthanen und Bürger, die sich auf dem Standpunkte der Resignation befinden, also das Ganze mit mehr Freyheit beurtheilen können. Darum ermahnt auch der Chor in allen Dingen zur Mäßigung, er sucht die erhitzten Gemüther zu besänftigen. Er empfiehlt den Gleichmuth, die Mittelmäßigkeit, das friedliche Leben ohne Ehrgeiz nnd Leidenschaft (z. B. in Iphigen. Aul. μακαρες, ὁι μετριας θεου μετα τε σωφροσυνας μετεχον λεκτρον639 Ἁφροδιτας γαλανειᾳ χρησαμενοι κ. τ. λ.) Dieser ruhige contemplative Charakter des Chors zeigt hinlänglich, daß er keine dramatische Person sey, daß er nicht einmal mit unsern Statisten zu vergleichen sey. Als dramatische Person würde er zu kalt seyn. Es würde unbegreiflich seyn, warum er z. B. die Medea am Kindermord nicht hindert, da er doch beym Euripides davon spricht, er wolle es thun. (Freylich hätte dies der griechische Tragiker weglassen können.) Jst er aber eine poetische, lyrische Person, so kann die Regel der Jllusion auf ihn nicht in der Strenge angewendet werden, wie auf die eigentlichen Schauspieler. Alsdann ist er vielmehr gerade dazu da, uns zu erinnern, daß das ganze Schauspiel eine idealische Täuschung sey. 2) Zwischen den Akten singt der Sophokleische Chor Gesänge, welche zwar nach der Horazischen Regel auf die Handlung Beziehung haben, aber doch ohne Leidenschaft sind. Es sind Maximen, Reflexionen, die uns von dem Augenblick abziehn, und den Blick aufs Schicksal im allgemeinen richten. Diese Gesänge erhalten die hohe Empfindung in den Zuschauern, und lassen doch die Handlung ruhen. Oft sind es Hymnen auf die Götter, die gerade dahin passen, oft das Lob eines Landes z. B. Oedip. Colon. 670. oft eine Betrachtung über den Menschen Antigon. 332. u. s. w. Wäre der Chor eine dramatische Person, so würde er nicht Zeit haben solche allgemeine Reflexionen anzustellen, er würde während den Akten nicht in allgemeinen Sentenzen sprechen, sondern sich zur Fortsetzung der Handlung vorbereiten. Auch hieraus erhellt, daß der Chor nicht eine Person640 der Handlung, keine Menge von Schauspielern sey, sondern daß er ein wunderbares, ideales, lyrisches Wesen sey, welches die Theile der Handlung zu Einem poetischen Ganzen verbindet. 3) Nimmt man auf den Bau des griechischen Theaters Rücksicht, betrachtet man z. B. das Theater des Bachus, wie dessen Plan von Reisenden nach den alten Schriftstellern wieder hergestellt worden ist, so findet man, daß sich das Proscenion, wo die eigentlichen Schauspieler standen, um eine ziemliche Höhe über das Logeion oder die Thymele bey den Griechen erhob. Das Logeion, der Ort des Chors war also niedriger. Der Chor stand also auch im physischen Sinne nicht auf der Höhe der Handlung. Er glich mehr einem im Sinne des Stücks decorirten Orchester. Als lyrisches Orchester, als eine Gesellschaft von Sängern ertheilte er der Handlung eine gewisse Jdealität und verhinderte einen zu groben Begriff von Jllusion. Er verwandelte die theatralische Handlung in eine Art Concert und Oratorium. Als decorirtes Orchester gab es doch dem Auge eine Art von Jllusion, indem die Sänger im Sinne des Stücks angekleidet waren, und sich also desto eher in die Reden der Schauspieler mischen konnten. So ist also auch Horaz zu verstehn, wenn er sagt tibicen traxit vagus per pulpita vestem. Der Chor war ein decorirtes Orchester. Uebrigens mag bey den Römern (Vitruv ist freylich in Angebung der Maaße nicht bestimmt und läßt also die Sache dunkel) das pulpitum, der Ort des Chors etwas anders gewesen seyn, als bey den Griechen das Logeion, weswegen einige Alterthumsforscher auch behaupten,641 das pulpitum sey höher gewesen, als der Ort der Schauspieler. Uebrigens hat der Ausdruck pulpitum vielleicht einen weitern und engern Sinn. Nach diesen Bemerkungen läßt sich das Wesen des Chors folgendermaßen angeben: Er ist eine lyrische Person, eine Anzahl vereinigter Sänger und Rhapsoden, welche eigentlich ursprünglich das Ganze der Handlung vortragen und interpretiren. Jnsofern repräsentirt der Chor den Dichter. Er ist das Fundament, auf welchem sich das Gebäu der Handlung erhebt. Durch den Chor werden wir immer daran erinnert, das Ganze sey eigentlich eine Vorstellung, keine Wirklichkeit. Denn der Chor macht den Erzähler, wie der Heldendichter. Er zieht moralische Folgen aus der Handlung, sagt zuweilen voraus, welche Person sich nähert, was geschehn werde, und erhält dadurch die ruhige Würde des Ganzen. Die Handlung selbst ist leidenschaftlich. Die Personen sind in Leidenschaft. Wär wahre Nachahmung, und höchste Jllusion der Zweck der Tragödie, so würde alle ideale Ruhe und Nüchternheit des Kunstwerks verlohren gehn. Denn es ist keine Person da, welche die volle Besinnung hat, wie bey der Epopöe der Erzähler. Deswegen ist der Chor da, als ein außerdramatisches Wesen, das die Uebersicht des Ganzen giebt. Um nun aber doch der Jllusion etwas zu gestatten, nimmt der Chor die äußere Gestalt von Personen an, welche möglicher Weise interessirte Zuschauer bey der Handlung gewesen seyn können. Doch gehn neuere Kunstrichter zu weit, wenn sie deshalb behaupten, der Chor repräseutire ein ideales Publikum642. Allerdings benutzt der Dichter diese Gelegenheit, seinem Publikum zu zeigen, was es beym Anschaun der Handlung denken müsse. Jndem aber der Chor dem Publikum gleichsam vordenkt, nimmt er Theil an der Schöpfung des Kunstwerks und geht in die Person des Erzählers über. Wie selbst bey den gemeinsten Kunstvorstellungen immer jemand auftritt, der das Volk aufmerksam macht auf den Sinn des Schauspiels, wie selbst unter dem Pöbel Sänger mit Schildereyen herumgehen und sie erklären, so erklärt auch der Chor den Sinn des Stücks. Sonach ist der Chor der Alten mehr, als der Chor der Neuern, der nur zwischen den Akten singt, z. B. Esther von Racine Act. I. Sc. 5. oder wie der beym Shakespear, der gewöhnlich den Prologus macht. Er muß sich in die Handlung mischen, und bey der größten Lebhaftigkeit derselben die Ruhe wieder herstellen, damit Eine ästhetische Tonart im Ganzen herrsche. Da nun der Chor zum Wesen der Tragödie im höchsten Sinne des Worts nothwendig gehört, da man sich nicht einbilden muß, das Schauspiel verlange eine vollständige Jllusion, (denn man soll eben dies Bewußtseyn der Kunst haben, welche die Natur nachahmt und verschönert,) so wird auch der Chor den Styl der Tragödie nothwendig bestimmen. Er selbst wird ganz im Odenton sprechen, und die handelnden Personen müssen eine davon nicht sehr abweichende Sprache führen. Denn eine allzueinfache würde gegen den Chor zu sehr abstechen. Auch will man nicht eine wirkliche, man will eine idealisirte Natur. Auch die Neuern, welche den eigentlichen Chor nicht mehr haben,643 haben doch die etwas lyrische Rede für das Trauerspiel beybehalten. Die figurirte Sprache, welche bey dem Heldengedicht nicht statt hat, findet sich im Trauerspiel, besonders die heftigen, starken, leidenschaftlichen Figuren. Antithesen, Metaphern, Aufhäufungen, zuweilen Sentenzen, nur muß keine übertrieben werden. Die Sentenz paßt für das Trauerspiel, weil die Personen der erhabenen Handlung selbst im Momente der Leidenschaft des Schreckens einen gewissen Blick auf das Ganze und Allgemeine behalten müssen. So macht die Sophocleische Sentenz immer Eindruck, z. B. Antigone 523. Oedip. Colon. 607. Allein Euripides liebt schon mehr die philosophische Sentenz, wie sie bey Streitigkeiten in der sokratischen Schule statt hatte. Diese ist bey der Handlung unnatürlich. Die Franzosen pflegen auch zu viel allgemeine Maximen aufs Theater zu bringen, damit der Zuhörer etwas zu merken habe. Die Antithese paßt wo Kampf und Streit ist, weil sie einen Contrast gut darstellt. So braucht sie Sophocles, z. B. Antigone vs. 88. Bey den französischen Tragikern ist sie aber oft müßiges Verstandesspiel. Die Metapher, die vergleichende Zusammenstellung ist in Scenen, die Gehalt haben, dem Tragiker ganz natürlich. Denn der leidenschaftliche Mensch gebraucht die ganze ihn umgebende Natur als Sinnbild seiner Gemüthsstimmung, z. B. Othello, der das Leben der Desdemona mit dem Lichte in Vergleichung bringt, das er in der Hand hat. Wenn Lady Makbeth sagt: scheine die Blume, und sey wie die Schlange darunter. So kann das644 nicht kräftiger, und zugleich natürlicher ausgedrückt werden. Die Rede, in der Makbeth die Wunden des Dunkan mit Lücken im Weltall vergleicht, zu denen das Verderben hereinbricht, haben einige Kunstrichter zu schwülstig gefunden, und psychologisch mit der heuchlerischen Verlegenheit des Königsmörders erklären wollen. Allein sie wär auch ohnedem passend. Shakespear wendet den hohen Styl nur auf leidenschaftliche Scenen an, Sophocles und Aeschylus dagegen sind oft schwülstig in der Diction, weil sie auch ganz gewöhnliche Dinge in neuen Wendungen sagen wollen. Welch ein Metapher ist nicht z. B. επτα επι θηβαις vs. 373. σπουδη διωκων πομπιμους χνοας ποδων, um das Gehen auszudrücken. Und es ist hier nicht einmal mehr eigentlicher Chorgesang. Sophocles läßt seine Boten oft in künstlicheren Wendungen reden, als ein Pindar sprechen würde; hierinnen ist der Styl des Euripides simpler. Was nun das dramatische Gespräch der Tragödie insbesondere betrifft, so muß es allerdings idealer gehalten werden, als im Lustspiel. Die Hoheit der Verhältnisse, der heroische Charakter der Personen, giebt den Unterredungen eine gewisse Würde, die aber nach jeder Sinnesart anders modifizirt seyn muß. Monologen sind den tragischen Personen natürlich, wegen der Heftigkeit ihrer Empfindungen und den wunderbaren Situationen. Nur müssen sie, wie bey Shakespear, wahrer Ausbruch des Gefühls seyn. Mehr Jnterjektionen, als kalte Betrachtungen. Daß der Prologus und der Chor sich den Zuschauern nennt und zu erkennen giebt, ist zwar wider die Jllusion. Denn wirklich handelnde645 Personen werden nicht Dinge sagen, die ihnen selbst bekannt sind. Allein Chor und Prologus sind lyrische Personen, sollen eben die Jllusion mehr beschränken und die Vorstellung der Handlung in die ideale Welt hinüber ziehn. Die Jdeenassoziation in den Dialogen muß lyrisch seyn, nicht blos durch die Handlung und den Verstand, sondern oft durch freye willkührliche Wendungen der Phantasie bestimmt. Eine zu gemeine Lebhaftigkeit des Dialogs wird von den Griechen vermieden. Shakespear hat oft zu wenig Pathos. Dagegen haben die langen Tiraden, worinn jede Person ruhig alles abhandelt, was sie zu sagen hat, etwas unnatürliches und unterbrechen den Gang der Handlung. Hierinn fehlt besonders die französische Tragödie. Beym Sophocles finden sich zuweilen lange Reden und Erzählungen. Sie sind aber allemal durch die Handlung selbst herbeygeführt. Jn den schlechten Trauerspielen sprechen die Personen nicht um der Handlung willen, sondern weil der Dichter geschwätzig ist. Das Metrum der Tragödie wird auch durch die Natur des Chors bestimmt. Die neuern haben ein eintöniges gewählt, z. B. die Alexandriner, die Jamben. Allein die Griechen lassen Jamben, Trochäen, selbst Hexameter und lyrische Sylbenmaaße, jedoch nach einer gewissen Continuität abwechseln. Dies paßt besser für die herrschende hohe und doch lebendige Empfindung des Ganzen. Die Prosa ist nur fürs bürgerliche Trauerspiel, beym Shakespear wird sie von Jamben und Reimen unterbrochen. Für die Werke seines fessellosen Genius ist dies die beste Einkleidung. Allein viele seiner Tragödien646 sind eigentlich dramatisirte romantische Gedichte. Makbeth ist eine wahre Tragödie im höhern Sinn. Diese hat aber auch ihren Chor, der das ganze zusammenhält, nämlich die Hexen. Wird dieser Chor von der vortrefflichen Reichardischen Musik begleitet, so giebt er dem Stück eine höhere lyrische Haltung nach griechischer Art.

§. 9.

Da die tragische Poesie mit der Schauspielkunst verbunden werden soll, so muß der Dichter seine Erfindungen durch Rücksichten auf die äußern Verhältnisse beschränken. Die negativen Regeln, welche hieraus entspringen, gehören in die allgemeine Aesthetik, weil sie die Verbindung mehrerer Künste betreffen. Sie beziehn sich besonders auf die Beschaffenheit des Theaters, auf das Kostume oder Uebliche in der Decoration, auf die Mimik des Schauspielers, und auf Geschmack und Stimmung der Nazion, vor welcher die Vorstellung statt hat. Daß die Tragödie hierdurch weit mehr beschränkt werde, als die Komödie, folgt aus dem Ernst der erhabenen Empfindung, die sie erwecken soll, und der durch keine Unschicklichkeit gestört werden darf.

Anmerk. 1. Der Tragiker darf dem Theater nicht mehr Decoration zumuthen, als es nach seiner Beschränktheit647 fassen kann. Die Oper kann das abentheuerliche, das wunderbare weit mehr in den Decorationen suchen, als die ernsthafte Tragödie. Wenn dies cock-pit, wie Shakespear irgendwo sagt, die ungeheuren Gefilde von Frankreich mit allen seinen Armeen zeigen soll, so kann es nicht fehlen, daß die Anstrengung im kleinen etwas großes darzustellen, nicht Veranlassung zu Unschicklichkeiten gebe. Die ernsthafte Tragödie muß aber alles der Art beleidigende vermeiden. Da ferner die tragische Handlung vorgestellt werden soll, so darf das was auf dem Theater vor unsern Augen geschieht, nicht den Sinnen zuwider seyn, weil das sreye Spiel der Einbildungskraft nothwendig leiden muß, sobald ein wahrer Abscheu in uns rege wird. Daher die bekannte Regel des Horaz, daß Medea ihre Kinder nicht vor dem Volke umbringen müsse. Wider das Uebliche darf der tragische Dichter am wenigsten fehlen, noch den Schauspielern Gelegenheit geben, dagegen zu verstoßen. Jeder Verstoß wider die Geschichte und Sitten der vorgestellten Zeit fällt natürlich auf dem Theater mehr in die Augen. Ferner muß der Dichter den Schauspieler nicht zu Bewegungen und Gesten veranlassen, welche in Ansehung der Mimik tadelhaft oder der mahlerischen Gruppirung zuwider wären. Ein Fehler dieser Art ist die Ohrfeige im Cid. Endlich muß der Tragiker allerdings auch auf den Charakter seines Publikums Rücksicht nehmen. Voltaire klagt, daß die frivole Stimmung seiner Nazion die Bühne zu sehr beschränke. Shakespear habe viel vorstellen können, was kein französischer Dichter wagen dürfe aufs Theater zu bringen, wenn648 nicht der ganze Effekt des Stücks durch Einen witzigen Einfall verlohren gehn solle. Jeder andre Dichter kann auf den Geschmack seines Publikums wirken, kann erst ein Publikum zu sich heranheben. Der tragische Dichter kann das nicht. Denn er hat sich schon durch die Wahl der poetischen Gattung, in welcher er arbeitet, von der Laune seines Publikums abhängig gemacht. Will er ganz im Geschmack einer fremden, einer alten Nazion dichten, so wird er nie die Lebendigkeit der Darstellung erreichen. Also ist es freylich besser, es nimmt der tragische Dichter auf sein wirkliches Publikum Rücksicht.

Anmerk. 2. Die Tragödie nimmt verschiedene zufällige Formen an, um derentwillen sie zuweilen andere Beyworte erhält. Schon bey den Alten gab es ein Drama satyricum, wo der Chor aus Satyren bestand. Der Gegenstand war hier heitrer, z. B. der Poliphem des Euripides. An drey Festen wurden ernste Tragödien gegeben, im vierten eine satyrische daher der Ausdruck τετραλογια σατυρικη. Etwas dem ähnliches sind die Tragicomödien der Spanier und andern neuern Nazionen. Man hat geistliche Dramen, bürgerliches Trauerspiel, (wo die Situation aus dem gemeinen Leben genommen ist, wenn sie gleich zu einer heroischen Handlung Gelegenheit giebt.) Klopstocks Bardieten sind tragische Darstellungen aus der altdeutschen Geschichte mit Bardenchören. Man nennt manche (besonders Ritter =) Stücke, die eine Empfindung des höhern Schönen erwecken sollen, ohne daß der Ausgang649 traurig ist, Schauspiele im Engern Sinne. Unsere Melodramen, obligate Recitative nähern sich der Tragödie der Alten. Die Rezitationen derselben werden mit Musik begleitet. Da hier kein eigentlicher Gesang ist; so unterscheiden sie sich von der Oper. Der Gegenstand muß freylich aus der Wunderwelt seyn, z. B. Gerstenbergs Ariadne. Der Effekt, den diese lyrischen Dramen machen, die uns in eine höhere Welt versetzen, zeigt, was die Tragödie der Alten wirken mußte. Denn mit der eigentlichen Oper darf man die alte Tragödie nicht vergleichen, da die Musik bey den Alten nur das Gedicht unterstützte, ihre Rezitation nur eine erhöhte Declamazion war. Unsre Oper ist aber ein durchaus musikalisches Gedicht. Neuerlich ist der Ausdruck romantische Tragödie aufgekommen. Wahrscheinlich versteht man darunter eine Tragödie, welche das Wunderbare aufnimmt. Das Wunderbare gehört zwar nicht eben so zum Wesen der tragischen Handlung, wie es zum Wesen des Heldengedichts gehört. Jndeß fand es doch bey den Alten statt. Besonders Aeschylus nimmt seine Stoffe aus der Fabelwelt. Beym Sophocles sind die Erscheinungen der Götter seltener, des Schicksals Einwirkung ist mehr durch Orakel u. s. w. ins Dunkle gestellt. Da die Tragödie Charaktere im Kampfe der Handlung, im Augenblick des Entschlusses darstellt, so kann das Wunderbare hier selbst insofern eingreifen, daß unbekannte Mächte zur Willensbestimmung des Menschen beytragen; z. B. in Makbeth. Dies vermehrt das Tragische der Empfindung. Denn die Freyheit, welche der650 tragische Dichter idealisirt, erhält dadurch unsichtbare Feinde, gegen deren verführerische Eingebungen sie kämpfen muß. Wir haben indessen das höhere Wunderbare von dem Romantischen unterschieden. Die romantische Tragödie, nach Schillers Sinn, scheint mehr mit Maschienerien aus einem unsichtbaren Geisterreich, als aus einer bestimmten Götterwelt verbunden zu seyn. Sie gehört mehr zu dem, was wir dramatisirtes romantisches Gedicht nannten, als in die Gattung der Erhabenen Tragödie.

III.

Von der niedern historischen Poesie.

§. 1.

Zu den Gattungen der niedern historischen Poesie gehört A) das komische Heldengedicht, oder die Erzählung einer lächerlichen und unwichtigen Begebenheit im Tone der ernsthaften Epopöe.

Anmerk. Kant sagt vom Lächerlichen, es müsse sich eine große Erwartung in Nichts auflösen. Wenn gleich die Definition für alle Arten des Lächerlichen zu eng ist, so paßt sie doch ganz auf das komische Heldengedicht. Das Wesen desselben besteht darinnen, daß gewöhnlich der Stoff geringfügig ist, aber mit großem Pomp angekündigt und651 durchgeführt wird. 1) Der objektive Jnnhalt ist eine unwichtige Begebenheit, ein kleiner scherzhafter Vorfall, eine abentheuerliche Erdichtung, deren Helden Karrikaturen und aus widersinnigen Prädicaten zusammengesetzt sind. Z. B. Homers Batrachomyomachie, oder Frösch - und Mäuse = Krieg, der Streit zweyer Staaten über einen geraubten Wassereymer (von Tassoni) Zachariäs Renomist, Murner in der Hölle. Zuweilen ist die Begebenheit an sich auch wichtig. Voltaires Pucelle, sie ist aber doch von einer lächerlichen Seite gefaßt. 2) Der ästhetische Jnhalt ist das Lächerliche, dieses wird bewirkt, sowol durch das Komische im Stoff selbst, als auch durch den wichtigen Ton, der auf eine Kleinigkeit angewendet wird. Zuweilen herrscht eine harmlose Lustigkeit, z. B. in Thümmels Wilhelmine, zuweilen der Ton der Satyre gegen einen gewissen Stand z. B. in Boileaus Lutrin gegen die Geistlichkeit, gegen einzelne Menschen, Rosts Vorspiel gegen Gottsched. 3) Der Styl parodirt ganz das ernsthasre Heldengedicht. Feyerliche Anrufungen, Beschreibungen, Vergleichungen, alles wird angewendet, um der Erzählung eine komische Würde zu geben. 4) Das Metrum ist, wie das der Epopöe. Zuweilen thut auch eine sogenannte poetische Prosa hier gute Wirkung, wie in Thümmels Wilhelmine. Diese kann auch wohl mit Versen abwechseln. 5) Zu dem komischen Heldengedicht kann man auch als zufällige Form das travestirte heroische Gedicht rechnen. Jn der eigentlichen komischen Epopöe wird ein komischer Gedanke ernsthaft vorgetragen, folglich ist das eine parodirte Epopöe,652 Jn dem travestirten Gedicht wird der Stoff eines ernsthaften Werks auf eine lächerliche Art erzählt.

§. 2.

B) Die poetische Erzählung im engern Sinn. Hierunter rechnen wir jede andre Erzählung einer Handlung, welche die Empfindung des niedern Schönen erweckt.

Anmerk. Wie das komische Heldengedicht der Epopöe, so steht die poetische Erzählung im System dem Romantischen Rittergedicht beym höhern Schönen entgegen. Es giebt besonders zwey Gattungen, 1) die versifizirte komische Erzählung, in welcher Wieland Meister ist, und bey welcher auch oft die Modification des Satyrischen statt findet, 2) der eigentliche poetische Roman. Der Roman steht an den Gränzen zwischen den Werken der Poesie und der Beredsamkeit. Es giebt eine Gattung Romane, welche mehr den Zweck haben, zu belehren, und Charaktere jeder Art lebendig darzustellen, psychologische Biographieen, z. B. Sophiens Reisen, und wiederum andere, deren Haupttendenz ist, als Kunstwerk der freyen Phantasie zu gefallen. Der objektive Jnhalt dieser poetischen Erzählung ist gemeiniglich die Entwicklung eines poetischen Charakters, oder die Darstellung einer natürlichen Leidenschaft, und ihr Kampf mit den Verhältnissen der geselligen Welt, z. B. Werthers Leiden. Der ästhetische Jnhalt des Romans ist also vorzüglich das romantische, das sich dem rührend Schönen nähert, im pathologischen Sinne des Worts, das653 Sentimentale. Denn was sich der Konvenienz und den Sitten der Menschen entgegensetzt, hat den Charakter des Abentheuerlichen, und wird in der Gesellschaft unglücklich. Der Styl muß natürlich seyn, eine leichte Erzählung in ungebundener Rede, Briefform u. s. w. Doch giebt es auch komische Romane, welche sich von der komischen versifizirten Erzählung nur durch Mangel des Metrums unterscheiden, und dadurch daß ihre Gegenstände minder idealisch gehalten sind. Die komische Erzählung in Versen hat oft idealere Gestalten, z. B. Wielands griechische Erzählungen aus der Götterwelt. Der komische Roman dagegen nimmt die Karrikaturen der gemeinen bürgerlichen Welt, und stellt das Lächerliche davon dar, z. B. Peregrine Pikle. Zuweilen nimmt aber auch der komische Roman Gestalten aus einer wunderbaren Welt, z. B. die Werke von Rabelais, Swift, Voltaires Micromegas. Zwischen den sentimentalen und dem satyrisch komischen Romane steht eine Gattung in der Mitte, der humoristische Roman, im Geist von Sterne und Jean Paul. Er hat freylich weniger ästhetische Einheit, als seine beyden Pole zwischen denen er schwankt, er greift aber tiefer in den Geist des Lebens ein. Denn das Spiel des Schicksals ist Laune, bald Ernst bald Scherz und so eine Laune ist der ästhetische Jnnhalt des humoristischen Romans. Nur darf er nicht die Phantasie durch zu bunte Arabesken ermüden. Die Engländer sind hierinnen nüchterner als die Deutschen. Cervantes Don Quixote gehört zu den humoristi =654 schen Romanen. Der spanische Humor hat mehr Grazie, der Englische ist philosophischer. Die Alten kannten den eigentlichen Roman nicht, weil ihr innerres bürgerliches Leben weder romantisch war noch mit dem Abentheuerlichen im Kampf stand. Die Gelegenheit, die ihre Jugend vorfand, im Kriege wahre Ebentheuer zu bestehn, machte, daß das häusliche innere gesellige Leben wenig phantastisches hatte. Da nun der eigentliche ästhetische Zweck des Romans ist, das gemeine Leben in einem romantischen Lichte zu zeigen, so konnten die Alten nicht auf den sentimentalen Roman verfallen. Die großen Leidenschaften, welche die höhern bürgerlichen Verhältnisse bey ihnen erregten, ließen die andern, Liebe u. s. w. nicht aufkommen. Erst mit den Verfall der Staatsverfassungen und der Sitten wurden die jonischen, milesischen Fabeln, meistentheils schlüpfrige Romane erfunden, z. B. Apuleius de asino aureo. Aber die platonische Philosophie gab auch der Geschlechtsneigung einen andern Schwung. Man sehnte sich darnach sie zu idealisiren, und da man dies in der bürgerlichen Welt nicht konnte, so entstand eine Art von Schäferroman, der aber von dem eigentlichen Geist der Jdylle sehr wenig hat. So ist er bey den griechischen Erotikern zu finden, z. B. Longus. Bey den abendländischen Nazionen gesellte sich das Wunderbare zu den Romanen. Sie machten mit dem romantischen Gedichte Eine Gattung aus. König Artus, Karl der Große und ihre Familien waren hier die Helden, bey den Spaniern erhielt sich der Geschmack an diesen Ritterbüchern am längsten. Sie hatten655 auch Schäferromane. Allein diese sind mehr galanter Art, und haben nicht viel mehr von der eigentlichen Jdylle, als die Jtalienischen. Mit dem Don Quixotte, so wie in Deutschland mit Theuerdank hatten diese Romane ein Ende. Näher kamen dem Wesen des eigentlichen Romans die Jtaliener durch ihre Novellen oder kleine Erzählungen von Begebenheiten der geselligen Welt, z. B. der Decamerone des Boccaccio. Allein die französische Nazion scheint zuerst dem Roman seine neueste Gestalt gegeben zu haben. Jm Cleveland (von Prevot d'Exiles), in den Schriften von Lesage und andern, zeigte sich der Roman als Schilderung von Abentheuern in den geselligen Verhältnissen des Privatlebens. Noch mehr suchten Richardson und die andern Englischen Romanschreiber das häusliche und gesellschaftliche Leben in einem idealen Lichte zu zeigen. Rousseau, Göthe und andere bestimmten den Charakter des Romans noch näher, indem sie besonders den Kampf des Naturmenschen und der naiven poetischen Charaktere mit den Convenienzen und platten Gemeinheiten der Städtewelt darstellten.

Anmerk. 2. Außer dem komischen erzählenden Gedicht und dem Roman, giebt es zwar auch noch andre poetische Erzählungen, z. B. Mährchen, welche die Empfindung des niedern Schönen erwecken, und doch gehören sie meist wo anders hin. Einige dieser Art grenzen an die Fabel, z. B. Erzählungen von Gellert, Hagedorn, einige sind idyllischen Jnnhalts. Doch werden wir von der eigentlichen Jdylle an einem andern Ort handeln. Die Jdyllen haben zwar oft die Einkleidung656 von Erzählungen. An sich sind sie aber doch mehr beschreibende Gedichte. Die moralischen Erzählungen, die an die Fabeln gränzen, gehören als Fabeln zur allegorischen Poesie. Andre kleine Erzählungen sind als Novellen anzusehn, und gehören also doch zur Gattung des Romans, wenn sie gleich diesen Nahmen nicht führen.

Anmerk. 3. Zuweilen nimmt die poetische Erzählung die Form des Liedes an. Viele Volkslieder sind komische Erzählungen, z. B. John Gilpin bey den Engländern. Kleine romanhafte Erzählungen, zumal aus der Welt der Liebe in Liederform, werden zuweilen Romanzen im engern Sinne genannt, und von den Balladen unterschieden, die mehr erhabenen Jnnhalts sind. Diese Unterscheidung ist zwar nicht in der ästhetischen Litterargeschichte gegründet, kann aber doch von Nutzen seyn.

§. 3.

C) Das Lustspiel ist die Darstellung einer Handlung, bey welcher nicht sowohl die Freyheit oder die höhere Natur des Willens, als das niedere Begehrungsvermögen interessirt ist, und welche die Empfindungen des niedern Schönen erweckt: in Form des vollkommenen Drama, zu dem Endzweck eingerichtet, mit Schauspielkunst verbunden zu werden.

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Anmerk. 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen, (denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele) nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B. Jphigenie) enden traurig sondern darinnen, daß in der Tragödie die Handlung heroisch ist, die höchste menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb freylich das gesellige häusliche Leben von Privatpersonen, weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen, und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen am meisten entwickelt.

Anmerk. 2. Der objektive Jnnhalt der Komödie, in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich erdichtete Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen, häuslichen Leben. Das Jnteresse der Haupthandlung ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens. Die Charaktere interessiren nicht wegen ihrer einfachen Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit, und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der Plan der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil658 der Verstand beym niedern Schönen mehr Muße zum rathen hat, als bey erhabener Gemüthsstimmung. So wie eines Theils die Einfachheit des Plans nicht verlangt, vielmehr Mannichfaltigkeit gesucht wird, so ist auch anderntheils in Ansehung der Vollkommenheit des Ganzen der Zuschauer nicht so streng, als bey der Tragödie. Die Natur des Drama fordert zwar auch einen raschen Gang der Handlung. Allein da die Seele in geringerer Spannung ist, so läßt man sich auch eher episodische Szenen gefallen, die mehr Aufschluß über einen Charakter geben, als daß sie die Handlung weiter bringen sollten. Nur müssen sie an sich einen Werth haben und eine Stelle verdienen, z. B. die Szene mit der Dame in Trauer in Lessings Minna von Barnhelm konnte wohl füglich wegbleiben.

Anmerk. 3. Der ästhetische Jnhalt des Lustspiels ist das niedere Schöne. Da es mehrere Gattungen und Modificationen des niedern Schönen giebt, so wird eine oder die andere vorzüglich in Einem Lustspiele herrschend seyn. Es finden sich daher in dieser Rücksicht mehrere Gattungen von Lustspielen. 1) Das edle Lustspiel, wo die Empfindung des Edeln, und das sanftschöne herrschend ist, nach der sich alle übrige modifiziren müssen. Dies ist das höchste Kunstwerk der komischen Muse. Man nennt einige Stücke dieser Art zuweilen auch Schauspiele im engern Sinne, s. jedoch was wir oben bey der Tragödie von diesem Ausdruck bemerkten. Die Vollkommenheit des Drama muß hier am meisten beobachtet, wider Kostume,659 Nazivnalsitten u. s. w. nicht verstoßen, und ein gewisser Grad von Jllusion erreicht seyn. Es wird hier am meisten Charakterzeichnung verlangt. Daher steht auch gewöhnlich ein Hauptcharakter an der Spitze, z. B. Molieres Misanthrop, welches man für des Dichters Meisterwerk hält, ungeachtet es weniger gefiel, als seine Possen. Diderots Pere de famille, (von dem der deutsche Hausvater eine schwache sehr verfehlte Nachbildung ist). Der Essigkrämer u. s. w. Auch die Alten hatten das edle Lustspiel schon. Dies beweist die sogenannte neue Komödie der Griechen, von Philemon und Menander, ohne den satyrischen Chor, und der Uebersetzer des Menander Terenz. Sein Heavtontimorumenos, seine Adelphi sind hier besonders zu nennen. Bey den Deutschen ist Minna von Barnhelm als Hauptmuster anzuführen, wo der heitere Charakter der Minna und der edle des Tellheim so glücklich neben einander gestellt sind. Die sogenannten Familiengemälde unserer Bühne sind meist Versuche in dieser Gattung. Jn dem edlen Lustspiel kann das Lächerliche nur unter großer Einschränkung statt finden, und das grotesk komische, das niedere komische muß ganz daraus verbannt seyn, wenn ästhetische Einheit statt finden soll. Wenn im Edlen Lustspiel ein trauriger Ton herrschend ist, und die rührenden Verhältnisse nur am Ende einen glücklichen Ausgang gewinnen, so nennen dies die Franzosen Comédie larmoyante. Man hat diese Art Lustspiele widersinnig finden wollen, andere z. B. Gellert haben sie vertheidigt. Versteht man unter jenem Ausdruck eine Vorstellung, welche660 schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers allerdings wider die Würde der Kunst. Durch die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig. Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer Comédie larmoyante, in mißverstandenem Sinne. 2) Das feinkomische Lustspiel, die eigentliche Komödie im engern Sinn, wo das Lächerliche und insbesondere das Feinkomische herrschend ist. Hier werden die Charaktere und Verhältnisse nicht nach ganzer Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die äußere lächerliche Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell seyn muß. Das edle Lustspiel schildert Menschen, in menschlichen Lagen, die Komödie schildert nur die feinen Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter in der Gesellschaft. Das komische Talent des Dichters faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im661 edeln Lustspiel, sondern als kleinliche Labyrinthe, in die sich der bürgerliche Mensch gefangen hat, wenn er handeln will. Die Verlegenheiten, in die er dabey geräth, die klugen spitzfindigen Mittel, wie er sich durch die Convenzion zu seinem Zwecke durchzuarbeiten sucht, geben hier hauptsächlich die lächerliche Ansicht. Die Charaktere müssen also auch hier mehr als je durch die Handlung selbst gezeigt werden, weil lächerliche Gestalten durch Bewegung an Wirksamkeit gewinnen. Daher wird die Charakterzeichnung hier vorzüglich durch die Jntrigue bewirkt. Weil man den Unterschied zwischen dem edeln und dem komischen Lustspiel fühlte, in dem ersten gewöhnlich mehr tiefen Charakter, in dem letztern mehr Jntrigue fand, so machte man einen Hauptunterschied zwischen Charakterstücken und Jntriguenstücken. Allein diese Unterscheidung sollte von der Theorie nicht angenommen werden, weil sie gar leicht zu Mißverständnissen führen, und fehlerhafte Stücke entschuldigen kann. Es muß in jedem guten Stück Handlung und Charakter beysammen seyn. Die Jntriguenstücke werden fade, wenn die Charaktere zu flach, allgemein und gewöhnlich gehalten sind, wenn alles in der Verwicklung gesucht wird. Jüngers Jntriguenstücke sind vielleicht bey uns die besten. Allein die Personen sehn sich doch immer einander ähnlich. Das sind junge verschuldete Leute, verschmitzte Bediente u. s. w. Hier könnte man eben so gut, wie bey den Römern und Jtalienern Charaktermasquen brauchen. Jn Schröders Lustspielen haben die Personen schon mehr individuelles und charakteristisches662. Das beste Jntriguenstück ist Figaros Hochzeit. Allein hier sind auch alle Charaktere, wenn gleich von der äußern Seite, doch nach ganz originellen und frappanten Zügen geschildert. 3) Das satyrische Lustspiel, wo besonders das Satyrische herrschend ist, wo das Lächerliche und die Schwäche des Lasters oder der Thorheit gezeigt werden soll, die eigentliche Komödie schildert die komischen Seiten des Menschen, an welchen er eigentlich nicht Schuld ist, den Einfluß, den die verschiedenen Stände und Verhältnisse auf die Verbildung seiner äußern Gestalt haben. Das satyrische Lustspiel sucht besonders die schwache komische Seite seiner Jrrthümer und eigentlichen Fehler auf. Das satyrische Lustspiel war bey den Griechen das erste. Von den satyrischen Chören bey den ländlichen Festen (κωμη ωδη), welche mit muthwilligen Neckereyen verbunden waren, hat sie den Ursprung. Nach und nach verwandelten sich die Jnpromptus in Stücke mit ordentlicher Handlung. Jn der alten griechischen Komödie war also das satyrische herrschend, der satyrische Chor hielt das Ganze zusammen. Es war die Komödie in Rücksicht der Tragödie ungefähr das, was das komische Heldengedicht in Rücksicht der Epopöe ist. Daher parodirt Aristophanes in allen den tragischen Ton. Auch die sogenannte mittlere Comödie der Griechen nimmt noch die satyrische Richtung. Nur vermied man mehr die Personen unter ihren wirklichen Nahmen aufzuführen, und es näherte sich die mittlere griechische Komödie dem Lustspiel, das wir das komische genannt haben. Noch Aristoteles663 kannte das Lustspiel nur als Satyre nicht in allen seinen Veränderungen. Er konnte, als ästhetischer Kritiker, noch eine neue Periode derselben weissagen, die nachher erfolgte, nämlich die Zeit der neuen oder edlen Komödie. Da das satyrische Lustspiel auf eine bald bittere, bald lustige Weise über die Thorheiten der Menschen spottet, so sucht es Welt und Menschenleben nicht in einer idealen Gestalt, sondern in grotesken lächerlichen Formen zu zeigen. Es bindet sich also an keine dramatische Regel von Wahrscheinlichkeit, Einheit des Orts, der Zeit, der Handlung. Es liebt, wie man im Aristophanes sieht, in seinen Decorationen das Abentheuerliche. Das Genie folgt hier mit der größten Freyheit seinen Launen, und so wenig, wie Aristophanes Götter und Menschen schont, eben so wenig schont er irgend eine dramatische Regel. Unter allen Gattungen des Lustspiels giebt das satyrische der Phantasie am meisten Nahrung, wegen seiner humoristischen Erfindungen. 4) Das groteskkomische Lustspiel, wo nicht das feinkomische, sondern das groteskkomische herrschend ist. Hier zeigt sich das ganze menschliche Leben als auffallende Karrikatur, da in der eigentlichen Komödie nur seine feinern lächerlichen Nüancen gefunden werden. Von dem satyrischen Lustspiel unterscheidet es sich dadurch, daß es nicht wider die Thorheiten und Fehler gerichtet ist. Das satyrische Lustspiel, wie wir aber schon gesehn haben, nimmt oft die Form des groteskkomischen an. Die Gattung des groteskkomischen Lustspiels ist sehr weitumfassend. Es kann auf664 der einen Seite das romantische mit in sich enthalten, und auf der andern zum eigentlichen Possenspiel werden, und das niedere komische als herrschend aufnehmen. Wenn im satyrischen Lustspiel der Griechen, im feinkomischen den Franzosen, im edlen Lustspiel den Deutschen der Preis zuerkannt werden kann, so findet sich dagegen das groteskkomische in vollkommner Ausbildung auf dem Spanischen und Jtalienischen Theater, wo es besonders mit dem romantischen verbunden ist. Da es dabey auf auffallende Kontraste abgesehn ist, so zeigt sich hier alles in bunter Mischung, und es ist weder große Einheit des Plans, noch der ästhetischen Empfindung nöthig. Man kann hieher die sogenannten Mysterien und christlichen Schauspiele der abendländischen Völker, der Jtaliener und Spanier, die Autos, Comedias de Santos, die figure, Vangeli, geistlich allegorischen Zwischenspiele (Moralitäten), einen Theil der Tragikomödien u. s. w. rechnen. Hier geht heiliges und profanes, personnifizirte leblose Welt und wirkliche historische Person, Schäfer und König in wilder Unordnung durch einander. Den romantischen Charakter behielt das Lustspiel bey den Spaniern durchaus. Lopez de Vega und Calderone sind reich an Verwicklungen, stellen das rührende neben das niedrige, und verbinden den hochtrabenden Styl mit dem gemeinen. Bey den Jtalienern bildete sich besonders in Gozzis Geist das groteskkomische und romantische Lustspiel. Shakespears Lustspiele haben meist auch den Charakter des Groteskkomischen und Romantischen. 665Die von Foote nähern sich der Posse. Der Englische Geschmack im Lustspiel geht überhanpt mehr aufs groteske und niedrige Komische. Doch haben sie auch gute feinkomische Stücke, z. B. von Sheridan. Das Possenspiel an sich ist nicht zu verwerfen. Der menschliche Geist bedarf zuweilen eine stärkere Dosis des Lächerlichen, um erschüttert zu werden. Damit das Possenhafte jedoch in gewissen Schranken gehalten werde, damit man nicht den Stoff zum feinkomischen Lustspiel possenhaft behandle, ist es freylich am besten, wenn man wie viele Nazionen besondre possenhafte Charaktere habe, wie z. B. bey den Spaniern der Gracioso, der Gallega, bey den Jtalienern der Harlekin, Skaramuz u. s. w., bey den Deutschen das Kasperle, und das sämmtliche Personal des Marionettentheaters. Hierdurch bekommt man für das Possenhafte eine eigne besondere Welt, und geräth nicht in Gefahr, die Schranken umzuwerfen und es mit dem Feinkomischen verbinden zu wollen. Auch die Römer hatten an den fabulis Atellanis eigentliche Possenspiele, wahrscheinlich mit bleibenden Karrikaturmasken. Die Atellana hatten den Nahmen von der Stadt Atella; von ihnen waren die fabulae tabernariae noch unterschieden. Die Personen, die hier vorkamen, waren von niederm Stande. Jn den fabulis praetextatis kamen personae nobiliores vor. Uebrigens kann man auch den Plutus zu den groteskkomischen Dichtern rechnen, und ihm ist Moliere mehr, als dem Terenz gefolgt. 5) Die Pastorale oder das Schäferdrama ist ein Lustspiel, in welchem der naive Jdyllenton666 herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen ist. Die favola boscareccia ist bey den Jtalienern vorzüglich ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe, sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit, daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt, wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht. Der Ausdruck idyllisches Drama hat eben so etwas contrastirendes bey sich, als der: Schäferepopöe. Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche. Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand aus dem wirklichen ländlichen Leben genommen ist, in denen das naive herrscht.

Anmerk. 4. Was den Styl und das Metrum betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden. Das edle Lustspiel verlangt einen natürlichen einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten zu beobachten ist. Das feinkomische Lustspiel muß den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten667 kommt. Das satyrische und groteskkomische Lustspiel, wie auch die Posse, bedarf allerdings der Versifikation, des Reims, und eines gewähltern Styls, um die Würde eines Kunstwerks zu behaupten. Man hat für und wider das versifizirte Drama im allgemeinen gestritten, ohne allemal jene Gattungen des Lustspiels dabey gehörig zu unterscheiden. Der Grund gegen die Versification scheint der schwächste, der daher genommen ist, daß dadurch Jllusion und Wahrscheinlichkeit gestöhrt werde. Denn man soll bey dramatischen Werken nie das Bewußtseyn verliehren, daß das ganze Kunst sey. Auch vereinigen die französischen Lustspiele die feinsten Wendungen, die größte Leichtigkeit im Dialog mit der Versification. Uebrigens nimmt das Lustspiel im Einzelnen noch verschiedene zufällige Formen an. Es giebt pièces à scenes détachées, scenes à tiroir, d. h. einzelne Scenen ohne Verbindung zu einem Drama. Drantatische Sprüchwörter Jntermezzos Vorspiele, Nachspiele Entertainements Farcen. Jede Nazion hat besondere Nahmen für dergleichen verschiedene dramatische Lustbarkeiten. Meistentheils sind sie als Gelegenheitsgedichte zu betrachten, und die Regeln dabey nicht zu genau zu nehmen. Man kann auch eine Gattung des Lustspiels annehmen, in welchem das Niedliche herrscht, dies wäre die Kinderkomödie. Die Demidramas, welche Scenen aus der Kinderwelt enthalten, z. B. die Stücke der Frau von Genlis, von Weiße u. s. w.

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Anmerk. 5. Was die eigentliche Schauspielkunst betrifft, so gehören die dahin einschlagenden Regeln in die allgemeine Aesthetik, und insbesondere in einen Theil derselben, welcher Mimik heißt.

IV.

Von der Verbindung der historischen Poesie mit der Musik.

§. 1.

Die Oper ist die dramatische Vorstellung einer Handlung, bey welcher sich Poesie, Musik und Schauspielkunst, als Hauptkünste zu gleichen Rechten verbinden.

Anmerk. Es ist also die Oper ein durchaus musikalisches Gedicht, wie wir den Begriff oben bey der Kantate bestimmt haben, auf die historische Poesie angewandt. Sie unterscheidet sich von der alten Tragödie und dem Melodram. Denn in diesen beyden ist die Poesie die Hauptkunst und die Musik unterstützt nur die Recitationen. Sie soll aber eigentlich auch nicht so wie bis jetzt, der Musik den Vorrang einräumen, und selbige von der Poesie nur unterstützen lassen. Kurz bey der Oper, wie deren ideale Natur nach dem System festgesetzt werden kann, sind Poesie und Musik Hauptkünste, haben gleiche Rechte, müssen einander wechselsmeise beschränken.

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§. 2.

Da die Schauspielkunst mit der Oper verbunden wird, diese aber wenn auch nicht eine vollkommene Jllusion, wenigstens einen Grad von Täuschung und Wahrscheinlichkeit verlangt, so muß der Jnhalt der eigentlichen Oper so beschaffen seyn, daß man sich die Theilnahme der Musik als Hauptkunst erklären könne. Daher sollte der Stoff der wahren opera seria aus der Wunderwelt genommen seyn. Mit der opera buffa braucht man es indeß nicht so genau zu nehmen.

Anmerk. St. Evremond und mehrere Kunstrichter haben bekanntlich die Oper für eine ganz ungereimte Erfindung ausgeben wollen. Nach St. Evremond ist die Oper nichts anders, als ein lustiges Werk, worinnen Dichter und Tonkünstler sich einander im Wege stehn, und sich gleich stark bemühn, eine schlechte Arbeit zu Stande zu bringen. Dieser Kritiker findet es lächerlich, daß man das ganze Stück absingt, daß man Befehle nach dem Takt giebt u. s. w. Allein es müssen hier viele Fälle unterschieden werden. 1) Die Opera seria oder die ernsthafte Oper verlangt wegen der ernsten Empfindung, die sie in uns erhalten soll, einen Grad von Wahrscheinlichkeit, und einen sorgfältigen Plan. Die Musik soll daran als Hauptkunst Theil nehmen. Sie soll gleichsam der Aether seyn, in670 welchem sich die Personen und ihre Reden bewegen. Dazu gehört, daß der Stoff aus der Götter = und Fabelzeit, aus der romantischen Geschichte, aus der Schäfer = und Mährchenwelt wie bey Gozzi genommen werde, ohnedem ist keine Jllusion möglich. Jst das Wunderbare einmal als Princip der Handlung angenommen, so läßt sich auch die beständige Haupttheilnahme der Musik wahrscheinlich finden. Der Operndichter muß seine Materie so wählen, daß sie auch ein romantisches Kostüme und Decoration giebt. Nazionen wie die Spanier, deren Sitten noch viel romantisches haben, können allerdings Geschichte für die Oper liefern, z. B. Don Juan. Auch die morgenländischen Sitten und Kostüme paßt für die Oper, z. B. Azur. Denn es läßt sich ein Grad von Wunderbaren mit ihnen verbinden. Der Französische Axur hat durch seinen wunderbaren Prolog einen Vorzug vor dem Jtalienischen. Nimmt die opera seria ihren Stoff aus der wirklichen Geschichte, z. B. La Clemenza di Tito, so wird die Darstellung schon an Wahrscheinlichkeit und Ernst verliehren. Man wird nicht selten durch Unschicklichkeiten gestöhrt werden. Es thut der Componist alsdann gut, wenn er die Theilnahme der Musik vermindert, wenn er die historische opera seria mehr den einfachen Melodramen, den Tragödien der Alten nähert, wenn er der Poesie den Vorrang läßt und die Musik blos zu ihrer Unterstützung anbringt. Sonst wird freylich diese opera seria ein abentheuerliches Kunstwerk, und man wird es immer wider alle Wahrscheinlichkeit finden, daß ernste Helden ihre Gedanken in gedehnten Kadenzen und Manieren671 eröffnen. 2) Die opera buffa der Jtaliener hat sonst gewöhnlich ein sparsam begleitetes Recitativ. Es nähert sich also den Lustspielen der Alten, wo die Musik zur Unterstützung der Poesie da war. Szenen aus dem häuslichen Leben mit Begleitung der Musik, wenn diese hauptsächlich Theil nehmen soll, ein edles musikalisches Lustspiel wäre ein Unding, weil im edlen Lustspiel ein Grad von Jllusion verlangt wird. Allein die opera buffa soll groteskkomisch seyn, und das groteskkomische bindet sich nicht an die Regeln der Wahrscheinlichkeit. Vielmehr sollen da recht auffallende Kontraste statt finden. 3) Unsere deutschen Lustspiele mit Gesang und Operetten sind ihrer Form nach ganz unnatürlich, weil man aus der prosaischen Rede in die lyrische Arie übergehn soll. Sie können nicht vertheidigt werden.

§. 3.

Der ästhetische Jnhalt der Oper ist das romantische und das groteskkomische. Metrum und Styl müssen ganz musikalisch, d. h. auf die Haupttheilnahme der Musik berechnet seyn.

Anmerk. 1. Das Romantische muß in der opera seria herrschen. Das eigentlich große und erhabene wird in der Oper nie Glück machen. Aber das romantische kann bis zum grausenden steigen. Auch das idyllischschöne ist, insofern es mit dem romantischen zusammengränzt, Jngredienz zu einer guten Oper. Eine672 unbestimmte lyrische Decoration des Ganzen, wie z. B. in Erwin und Elmire thut hier gute Wirkung. Eine gewisse Continuität und ästhetische Einheit im Wechsel dieser Empfindungen muß immer beobachtet werden. Hier müssen Musik und Poesie einander ganz in die Hand arbeiten. So wächst nach und nach im Don Juan von Mozart das tragische, bis zum Finale des ersten Akts, und die Musik überhaupt hat selbst bey ihren heitern Momenten einen Anklang von der Geisterwelt.

Anmerk. 2. Der Operndichter muß also nie ein Kunstwerk liefern wollen, das auch ohne Musik gefalle. Sein Styl, sein Metrum muß lediglich mit beständiger Rücksicht auf die Verbindung mit der Musik ausgearbeitet seyn. Der Styl der opera seria ist höchst lyrisch, und auch die opera buffa muß nicht in zu natürlichem prosaischen Tone geschrieben seyn, denn sie muß doch, wie das groteskkomische Lustspiel, ihre Würde als Kunstwerk behaupten.

§. 4.

Da der Hauptcharakter der Oper in Darstellung einer wunderbaren romantischen Welt besteht, so wird sie bey Decoration des Theaters vorzüglich auf die Sinne zu wirken suchen, und sich mit allen übrigen Künsten, mit Tanzkunst, Plastik, Mahlerey zu dem Ende verbinden. Dieser äußere Glanz macht die Oper zu dem zusammengesetztesten aller Kunstwerke673. Doch darf man sie deswegen nicht für das höchste Kunstwerk halten.

Anmerk. 1. Durch die Zusammenwirkung so vieler Künste, die, wie Voltaire sagt, de cent plaisirs font un plaisir unique, kann zwar ein großer Sinnenrausch bewirkt werden. Allein eben durch die Menge von zusammenwirkenden Theilen verliehrt das einzelne an Kraft. Die Gestalt des Ganzen ist schwerer zu fassen, die ästhetische Wirkung der Tragödie ist weit größer, die Tragödie selbst ein weit erhabneres Kunstwerk, als die Oper mit allem ihren Sinnenreiz. Hierzu kommt, daß je mehr die Oper auf die Sinnlichkeit Einfluß hat, desto mehr auch die Phantasie an eigentlicher Freyheit verliehrt. Den moralischen Werth der Oper schildert Boileau sehr treffend in der zehnten Satyre, d'un spectacle enchanteur la pompe harmonieuse, ces danses, ces heros, à voix luxurieuse, ces discours sur l'amour seul roulants, ces doucereux Renauds, ces insensés Rolands et tous ces lieux communs de morale lubrique, (von Qvinaut) que Lulli rechauffa des sons de sa musique.

Anmerk. 2. Die Oper erscheint auch zuweilen als Jntermezzo, wo eine einfache Handlung von wenigen Personen durchgeführt wird. Vielleicht gab das Jntermezzo zum ersten Ursprung der Oper Gelegenheit, den man in Jtalien zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts setzt. Freylich674 ist die italienische Oper, gerade wie die Kantate, eine in der äußern Gestalt verfehlte Jdee, weil selbst die Poesie eines Metastasio nicht im Stande war, die Musik in ihre Schranken zurück zu weisen.

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Zweyter Unterabschnitt. Von der beschreibenden Poesie. ──────

I.

Von der beschreibenden Poesie überhaupt.

§. 1.

Die beschreibende Poesie idealisirt die Objekte, in sofern sie die Phantasie, das Anschauungsvermögen besonders beschäftigen. Sie stellt die Theile dar, welche an einem beharrlichen Ganzen erscheinen.

Anmerk. 1. Die Handlung, welche von der pragmatischen oder historischen Poesie dargestellt wird, ist zwar auch ein Ganzes. Allein es ist ein vorübergehendes Ganzes. Bey der beschreibenden Poesie liegt allemal ein beharrliches Ganzes zu Grunde, dessen einzelne Erscheinungen angegeben werden. Die Erscheinungen selbst brauchen nicht coexistirend zu seyn; sie können auch nach einander gefunden werden, z. B. Thomsons Jahrszeiten. Das Ganze ist aber etwas Beharrliches, die Natur. Die Erscheinungen, mittelst deren ein Gegenstand beschrieben676 wird, können sich auch wie eine Reihe von Ursachen und Wirkungen entwickeln. Nur muß der Verstand dabey weniger interessirt werden, als die Phantasie, sonst geht das Gedicht in ein Lehrgedicht über. Manilii Astronomicon schwankt zwischen dem beschreibenden und dem Lehrgedicht. Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist ein beschreibendes Gedicht.

§. 2.

Da der zu beschreibende Gegenstand unter einer idealen Ansicht, unter der Form des Schönen erscheinen soll, so müssen nach den oben festgestellten Grundsätzen, 1) die Theile desselben vor unsern Augen nach und nach zwanglos vorbeygeführt werden, 2) sie müssen in einem anschaulichen und lebendigen Licht erscheinen, 3) sie müssen eine begreifliche Totalität bilden, 4) Es muß dadurch ein Gefühl von Harmonie der Objekte mit unserer inneren Gesetzlichkeit und ein Selbstbewußtseyn der letztern entstehn.

Anmerk. Die erste Forderung und die dritte sind die schwersten für den beschreibenden Dichter. Es liegt hier allemal ein in der Zeit beharrlicher Gegenstand zum Grunde, von dem eine Ansicht im Ganzen gegeben werden soll. Nun kann der Dichter nicht anders als successiv die Vorstellungen aufführen. Es scheint also die Natur einer Beschreibung in Worten eine große Ordnung zu verlangen, damit man das Ganze fasse. Gleichwohl soll diese Ordnung zwanglos,677 nicht prosaisch seyn, und ganz zufällig entstehn. Ueberdem hat der beschreibende Dichter nicht einmal den Vortheil, welchen der pragmatische hat, daß sich die einzelnen Theile allemal in einer nothwendigen Verknüpfung von Ursache und Wirkung befinden. Bey der Handlung weist jedes Glied der Vorstellungskette auf das vorhergehende zurück, oder läßt das folgende ahnen. Bey der Beschreibung soll der Zusammenhang der Theile mehr die Phantasie interessiren, als den Verstand. Denn die Phantasie ist von allen Seelenkräften diejenige, welche mit dem wenigsten Zwange unterhalten seyn will, welche das Mitarbeiten des Verstandes am wenigsten duldet. Hieraus läßt sich die Folge ziehen, daß die beschreibenden Gedichte von allen darstellenden Dichtungsarten die kürzesten seyn und am meisten lyrisch gehalten seyn müssen. Die beschreibenden Dichter wählen daher auch Gegenstände, deren einzelne Theile wieder als kleinere für sich bestehende Ganze angesehn werden können, wie z. B. Thomsons Jahrszeiten. Zachariäs Stufen des weiblichen Alters. So wird der Phantasie die Uebersicht erleichtert.

§. 3.

Die Phantasie hat ihr Jdeal, im vorzüglichen Sinne dieses Worts, eben so gut, wie die übrigen drey Seelenkräfte. Da sie ein Streben nach Anschauung ist, so muß sie bey dem beständigen Zeitwechsel etwas Beharrliches suchen, das ihr678 Stoff zu beständiger Anschauung liefere. Jhr Jdeal ist die Vernunftidee der Substanz, als des bleibenden Substrats aller Anschauung. Die beschreibende Poesie wird also die Aufmerksamkeit der Phantasie entweder auf solche Gegenstände richten, unter welchen sich der menschliche Geist das beharrliche Prinzip der Dinge vorstellt, und das Absolute in dem Werden seiner Erscheinung beschreiben, oder auf solche, welche nur eine Zeitlang subsistiren, und ein der Substanz analoges kleineres Ganze ausmachen. Jm ersten Falle wird das Gefühl des höhern im andern Falle das Gefühl des niedern Schönen entstehn. Es wird also eine höhere und eine niedere beschreibende Poesie geben.

II.

Von der höhern beschreibenden Poesie.

§. 1.

Das höhere beschreibende Gedicht schildert die Erscheinungen von Gegenständen, unter denen sich die Phantasie das beharrliche Prinzip alles Werdens (die Substanz) vorzustellen sucht.

679

Anmerk. Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist vielleicht die höchste Richtung, welche die Phantasie in diesem Felde nehmen kann. Haller schildert durch lauter Negationen, so zu sagen im Schooße des Nichts das höchste Daseyn. Ueberall sieht man das Streben des Dichters, das höchste Beharrliche für die Anschauung, die Substanz darzustellen. Und wenn ein zweytes Nichts wird diese Welt begraben, wann von dem Allen selbst nichts bleibet als die Stelle, wann mancher Himmel noch, von andern Sternen helle, wird seinen Lauf vollendet haben, wirst du so jung, als jetzt von deinem Tod gleich weit, gleich ewig künftig seyn, wie heut. Wie eine Uhr beseelt durch ein Gewicht, eilt eine Sonn aus Gottes Kraft bewegt, Jhr Trieb läuft ab, und eine zweyte schlägt, du aber bleibst und zählst sie nicht. Thomsons Jahrszeiten schildern eigentlich nur veränderliche Erscheinungen. Allein das Beharrliche, was zum Grunde liegt, ist die Natur. Die Natur ist eigentlich der Gegenstand, den Thomson beschreibt, und so gehört sein Gedicht zu den höhern beschreibenden Gedichten, welchen Rang es nächst seinem Jnnhalte auch durch seinen Styl behauptet. Thomsons Frühling zeigt den bildenden Einfluß der Natur auf die leblose Materie, auf die Pflanzen, auf die wilden Thiere, zuletzt auf den Menschen. Der Sommer beginnt mit einem Blick auf die Bewegung der himmlischen Körper, als eine Ursache der Jahreszeiten. Durch alle diese Schilderungen vergänglicher Erscheinungen bekommen wir ein Gemälde von der Natur, als beharrlichem productiven Wesen. Es680 ließe sich eine interessante Untersuchung darüber anstellen, warum die Alten, welche in allen Gatrungen der darstellenden Poesie, wenigstens im pragmatischen und didaktischen Gedicht Meisterwerke aufzuweisen haben, die Jdee des höhern beschreibenden Gedichts nicht gehabt zu haben scheinen, zumal da ihre Epopöen und andere Gedichte voll Beschreibungen sind. Das erste Buch des Manilius Sphaera mundi aut de universitate gehört am meisten hierher. Jn den übrigen Büchern ist mehr die astrologische Lehre zu finden. Das Schild des Achills in Homers Jliade ist eine Welt im Kleinen. Es erregt aber mehr die Empfindung des Niedlichen, als ein erhabenes Gefühl. Das Scutum Herculis ist gar nicht zu erwähnen. Es ist eine schwache Nachahmung und auch zum Theil historisch.

Anmerk. 2. Es giebt auch kleinere beschreibende Gedichte über einen Gegenstand, der die Empfindung des Erhabenen erweckt. Z. B. Opitzens Vesuv, kriegerische Gemälde u. s. w. Doch auch hier sieht man immer das Bestreben des Dichters, eine Ansicht von Natur und Welt im Ganzen zu geben. So beginnt Opitzens Gedicht Vesuvius folgendermaßen: Natur von derer Kraft, Luft, Welt und Himmel sind, des Höchsten Meisterrecht und erstgebornes Kind, du Schwester aller Zeit, du Mutter dieser Dinge, o Göttinn gönne mir, daß mein Gemüthe dringe, in seiner Werke Reich u. s. w. Wenn man bedenkt, wie zufällig die Gedanken eines Dichters entstehn, so ist es die größte Rechtfertigung einer Theorie, wenn der Gang, den sie681 a priori den Dichterischen Jdeen als nothwendig vorzeichnet, auch a posteriori von den Dichtern bey der größten Freyheit ihres Genius, genommen wird. Die Poetik, wenn sie sich vervollkommnen sollte, wird demnach als die beste Probe der menschlichen Theorie anzusehn seyn.

§. 2.

Da die Beschreibung dichterisch seyn und von allem Zwang des Verstandes frey erscheinen muß, so wird der Dichter den Plan des Ganzen so viel als möglich verbergen, und bey aller scheinbaren Unordnung doch eine vollkommne Ansicht des Gegenstandes geben müssen.

Anmerk. Bey dem beschreibenden Gedichte soll die Phantasie besonders interessirt werden, welche sehr leicht ermüdet. Es darf der Dichter deshalb keinesweges mahlen wollen. Denn was man hinter einander nach und nach sich vorstellt, kann man sich nicht ohne Zwang und peinliche Ordnung zu Einem Hauptbilde vereinigt neben einander denken. Haller beschreibt die Alpenblumen mit der Genauigkeit des Botanisten, und geht hierinnen über die Gränzen seiner Kunst heraus. Der beschreibende Dichter muß Erzählungen, Lehren, Betrachtungen, lyrische Stücke in seine Beschreibungen als Episoden einmischen. Denn der Geist wird es satt, immer nur anzuschaun, und in Bildern sich zu verliehren. Die übrigen Seelenkräfte wollen bey682 einem längern Gedichte auch nicht ganz unbefriedigt seyn. Aber alle Episoden und Digressionen müssen doch nicht gewaltsam herbeygezogen, sondern passend seyn, und am Ende dazu beytragen, die Ansicht des Hauptgegenstandes zu erleichtern. Auch muß immer Ein Hauptgedanke im Plane durchgeführt werden, auf welchen der Dichter zurückkehrt. So ist z. B. in Thomsons Sommer der Hauptgedanke: Die Beschreibung eines Sommertags. Er beginnt mit Sonnenaufgang. Hier folgt eine lyrische Hymne an die Sonne. Weiterhin kommen noch vor als Episoden die Geschichte von Damon und Musidora eine Lobrede auf Großbrittannien, und das ganze schließt mit dem Preis der Philosophie. Alles dieses ist aber so eng in das Gemälde eines Sommertags verwebt, daß dadurch das an sich todte Gemälde poetisch lebendig wird. Der beschreibende Dichter muß also nicht dem Mahler gleichen, und mit ihm wetteifern wollen. Er muß mehr der empfindende Mensch seyn, der vor einem Gemälde steht, und seine Gedanken, als Nebenideen, die dieses Gemälde in ihm veranlaßt, mittheilt. Durch diese zufälligen Bemerkungen und Ausgüsse von Empfindungen bey jedem Theile des Gegenstandes, lernen wir am Ende ohne allen Zwang das Gemälde selbst kennen und uns vorstellen.

§. 3.

Die herrschende ästhetische Empfindung in dem höhern beschreibenden Gedicht ist das starke und683 große, welches letztere nach näherer Beschaffenheit des Gegenstandes entweder die Modification des Prächtigen oder Glänzenden, oder Schaurigen annehmen kann. Der Styl muß, wegen der freyeren Gedankenreihe im Plane sich dem höhern lyrischen Ausdrucke nähern, aber wegen der zur Beschreibung erforderlichen Ruhe, mehr edle Hoheit als heftige Erhabenheit zeigen. Das Metrum wird wegen der Größe des Gedichts eine gewisse Ausdehnung und Einfachheit nöthig haben.

Anmerk. 1. Hallers Beschreibung der Ewigkeit ist durchgängig schaurig. Eine starke Empfindung muß mit dem Großen verbunden seyn, weil die Anschauung von etwas Beharrlichen, dessen Wesen man in allen diesen Erscheinungen fassen soll, ein besonderes Gefühl der concentrirten und gesammelten Seelenkräfte erfordert. Jn Thomsons Gedicht ist die herrschende Empfindung das Glänzende, und für diese Art Gemälde der Natur paßt dies auch am besten. Denn so erscheint der Gegenstand in einem hellen Lichte. Der Geist hat eine muntere Stimmung, dehnt sich weit aus, und umfaßt ohne Anstrengung das Ganze.

Anmerk. 2. Die beschreibenden Dichter wählen gewöhnlich die Sylbenmaaße der Epopöe. Kleists Frühling ist in Hexametern. Thomson hat Jamben. Der Hexameter684 hat den Vorzug, daß er durch seine Mannichfaltigkeit Gelegenheit giebt die sinnlichen Beschreibungen durch die Bewegung des Sylbenmaaßes zu unterstützen. Der Jambe hat den Vorzug, daß er im Ganzen genommen etwas lyrischer ist, als der Hexameter. Letzterer paßt besser für Darstellung. Die Darstellungen des beschreibenden Dichters sollen aber etwas lyrisch seyn. Der Styl soll zwischen dem epischen und Odentone das Mittel halten, wie in der Tragödie. Daher sind auch die Jamben gut. Hallers beschreibende Gedichte sind gereimt. Uebrigens nimmt das höhere beschreibende Gedicht wohl auch die Liederform an, und fließt alsdenn gewöhnlich mit der Hymne zusammen. Z. B. Davids Beschreibungen von Gottes Majestät im Weltall.

III.

Von der niedern beschreibenden Poesie.

§. 1.

Es giebt A) beschreibende Gedichte niederer Gattung, welche mehr die Ansicht einzelner Gegenstände, als der Natur oder des absoluten Werdens im Ganzen geben, und die Empfindung des niedern Schönen erwecken.

685

Anmerk. Z. B. die Stufen des weiblichen Alters von Zachariä das sind Ansichten aus dem menschlichen und zumal häuslichen Leben, die mehr dazu geeignet sind, die sanftern Empfindungen zu erregen, als daß sie das höchste Jdeal für die Phantasie, die Schönheit der Natur und des Weltalls darstellen sollten.

§. 2.

B) Hierher kann man auch rechnen, das moralische beschreibende Gedicht oder die Beschreibung der menschlichen Sitten. Hiervon sind besonders zwey Unterarten bekannt, die Jdylle im engern Sinne und die Satyre im Engern Sinne, wiewohl noch eine dritte Unterart möglich ist.

Anmerk. 1. Wir haben gesehn, daß das idyllisch schöne und das satyrische bey allen Dichtungsarten vorkam und dieselbe modifizirte. Dieß gab dann allemal Jdyllen oder Satyren im weitern Sinne. Nun giebt es aber auch eine Jdylle und eine Satyre im engern Sinne, welche eigentlich sichs zum Hauptzweck machen, die Sitten des Menschen zu schildern. Diese gehören zur beschreibenden Poesie. Denn die Phantasie soll eine Ansicht von der menschlichen Lebensart dadurch bekommen. Die moralische menschliche gesellige Welt soll dargestellt werden. Nun ist ein dreyfacher Zustand686 des Menschen denkbar in Ansehung seiner Sitten: 1) der Zustand der rohern Natur, 2) der Zustand der verderbten Cultur, 3) der Zustand der Religion, die Cultur und Natur durch den höhern Jnstinct der Liebe vereinigt. Die Geschichte der Menschheit in den heiligen Büchern zeigt den Menschen unter diesen drey Ansichten. Die profane Erfahrung läßt den Menschen nur unter den zwey ersten erscheinen. Daher haben auch die Dichter gewöhnlich nur die natürlichen und die cultivirten Sitten des Menschen geschildert, und man findet nur Jdyllen oder Satyren. Doch kann sich auch der Dichter religiöse Sitten des Menschen denken, wie in den ersten Zeiten des Christenthums. Man sieht also, daß dies System der Poetik auch im Stande ist, neue Unterarten der Dichtungskunst vorauszusagen, wie wir anderswo behaupteten. Etwas ähnliches ahnte schon der tiefe Blick Schillers, indem dieser große philosophische Dichter eine Vernunftidylle postulirte. Der Ausdruck ist freylich nicht recht gut gewählt. Denn Vernunft wird gewöhnlich der Natur ganz entgegengesetzt. Allein wenn die Vernunft zum Triebe wird, heißt sie Religion, und es ist alsdann eine religiöse Jdylle möglich. Das moralische beschreibende Gedicht gehört zur niedern beschreibenden Poesie. Denn die Sitten des Naturstandes erwecken die Empfindung des naiven, die Sitten der Bürgerwelt erwecken den Spott der freyern Geister, also das Gefühl des Satyrischen. Beydes sind Empfindungen des niedern Schönen. Ueberdem ist das menschliche Leben das hier beschrieben wird, für die Anschauung687 der Phantasie zu wenig, um als Jdeal die Phantasie zu füllen. Also auch aus diesem Grunde gehört das moralische beschreibende Gedicht zu der niedern beschreibenden Poesie. Nur allein die postulirte religiöse Jdylle konnte vielleicht zum höhern beschreibenden Gedicht gerechnet werden. Denn die religiöse Welt wäre für die Phantasie bedeutend genug, um sich darunter das beharrliche Jdeal der Anschauung vorzustellen, und die Empfindung des erhabenen würde dadurch auch bewirkt werden. Die Szene des letzten Abendmahls Christi gäbe, z. B. Stoff zu so einer religiösen Jdylle. Klopstocks Gedicht nähert sich zuweilen dieser postulirten Dichtart.

§. 3.

Die Jdylle im Engern Sinne ist ein Gedicht der niedern beschreibenden Poesie, (eine Unterart der moralischen beschreibenden Dichtungsart) wodurch die Sitten des Menschen, von Seiten ihrer lebendigen unbefangenen Schönheit, also vorzüglich im Naturstande und Landleben für die Phantasie anschaulich dargestellt werden.

Anmerk. 1. Der Gegenstand ist also eine Ansicht des noch nicht cultivirten oder ländlichen Lebens. Der Ausdruck Schäfer = und Hirtengedicht ist freylich etwas eng. Denn Adam und Eva könnten füglich auch im Paradiese schon geschildert, Personen einer Jdylle seyn. 688Ueberdem giebt es Fischeridyllen, schon beym Theokrit (Jdyll. 21.) auch Deutsche von Brouner, Schnittergesänge (λυτιερσης) auch von Voß und Hölty Winzerlieder u. s. w. Vossens Louise hat zum Gegenstand die Familie eines Landgeistlichen. Die Benennung der Alten war noch eingeschränkter. Sie nannten die Jdylle carmen bucolicum απο των βουκολων, weil diese Gattung von Hirten die wichtigste und angesehenste war. Der Jdyllenton ist gewiß auch der älteste in der Poesie, weil die Poesie mit Nachahmung begann, und die ländlichen Sitten der erste Gegenstand der Nachahmung waren. Ohne Zweifel waren also die Hirten in Arkadien und Sizilien die Erfinder, da sie am meisten Muße hatten. Die Fabel hat uns sogar Nahmen solcher alten bukolischen Dichter als Helden des bukolischen Gesangs aufbehalten. Daphnis (siehe Virgils 5 Eccloge) ist für die Jdyllendichter, was Orpheus für die Odendichter war. Dieser Daphnis, einer von denen welche sich βωκολιαϛαι nannten, soll ein Sohn des Merkurs und einer Nymphe gewesen seyn. Sein Tod wurde in den bukolischen Gesängen besonders gefeyert. Hierher gehört auch Silen, der Cyclop und andre fabelhafte Personen. Das musikalische Jnstrument, womit diese Art Lieder begleitet wurden, war die σιριγξ oder fistula, der Erfinder Pan. Es waren diese Gesänge zum Theil πορευτικα, welche die Hirten beym Fortziehen der Heerden sangen, z. B. die ὁδοιποροι (Theocr. I. 5.). Späterhin mögen die Hirtengedichte bey den Festen der ländlichen Gottheiten gesungen worden seyn. Stesichorus, Theokrit und andere gaben dem689 Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck ειδυλλιον paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts als einer Beschreibung, einer kleinen Schilderung anzudeuten. Eclogae hießen hernach besonders ausgewählte Stücke. Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt er auch andre Stoffe im naiven Jdyllenton, z. B. die Hymenäen des Menelaus und der Helena die Pharmaceutria u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt, z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben. Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits, Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch wohl im Unglück geschildert. Die Jdylle, wie die Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein anschauliches Gemälde für die Phantasie seyn, von der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits sechste Jdylle das schönste Muster. Die Galatee, welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande sitzt und die Flöte spielt. Aber er bemerkt es nicht dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht eines Städters nach einer idealen verfeinerten Natur,690 als die Schilderung der lebendigen Natur selbst. Sie nähern sich schon der dritten Gattung des moralischen beschreibenden Gedichts, nämlich, der, wo eine gewisse Cultur der Seele mit dem Naturstande vereinigt gedacht wird. Theokrit hat also mehr Reiz und Leben, Geßner höhere geistige Schönheit. Voß und Göthe (in Hermann und Dorothea) stehn zwischen beyden in der Mitte. Die Menschen, die von diesen Dichtern geschildert werden, sind schon in bürgerlichen Verhältnissen. Es wird aber von diesen bürgerlichen Verhältnissen durch die Jdylle als beschreibendes Gedicht die lebendigste anschaulichste Ansicht für die Phantasie aufgefaßt. Da die Phantasie unter allen Seelenkräften die unbefangenste ist, und ihr das Anschaun und Verwundern (θαυμαζειν) zukommt, so wird jedes beschreibende Gedicht dieser Art, selbst bey einem nicht ländlichen Gegenstande, den naiven Ton haben, und sich der ländlichen Jdylle nähern. Aus diesem allen sieht man, wie sich nach und nach das Wesen der Jdylle immer bestimmter organisirt hat. Deswegen haben wir die Definition der Jdylle im eigentlichsten Sinne nicht blos auf Darstellung des Landlebens eingeschränkt, sondern ihren objektiven Zweck dahin bestimmt, die Sitten des Menschen von Seiten ihrer unbefangenen und lebendigen Schönheit, den sichtbaren Reiz des Lebens für die Phantasie zu beschreiben.

Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der Jdylle, die herrschende Empfindung ist das Naive, und691 weil auch die Schönheit der menschlichen Sitten lebendig dargestellt wird, die Grazie. Alle andern Gefühle müssen sich hiernach modifiziren. Das eigentlich lächerliche und satyrische, was eine heftige bittere Empfindung giebt, muß als Contrast, vermieden werden. Vossens Jdyllen, in denen zuweilen das unterdrückte Leben des Bauernstandes dargestellt wird, geben dann eine bittere Gemüthsstimmung, welche dem Wesen der Jdylle zuwider ist. Das Leben des Menschen soll nicht in der Unterdrückung, es soll in seiner vollen freyen schönen Thätigkeit aufgefaßt werden. Das Naive die herrschende Tonart ist das Bewußtseyn des instinktmäßigen Daseyns von seiner Gesetzlichkeit. Es ist also auch eine bürgerliche Naivität möglich, z. B. wenn der Bürger bey seinem Erwerb, Handel und Wandel sich einer gewissen Würde bewußt wird. Von dieser Seite schildert Göthe zuweilen sehr glücklich den Bürgerstand idyllisch. Tragische Empfindungen, Klagen über den Tod eines geliebten Menschen, z. B. des Adonis, des Dafnis, können auch in der Jdylle statt finden. Nur muß auch hier der Schmerz mehr von der sichtbaren lebendigen, naiven Seite gezeigt werden. Der Mensch muß dem Unglück nicht unterliegen, sondern es muß sich das Leben im Selbstbewußseyn seiner Schönheit mit unschuldigem Muth, mit einer gewissen Besonnenheit über die traurige Lage erheben. Auch hiervon giebt Hermann und Dorothea das beste Beyspiel. Die 23. Jdylle des Theokrit, wo sich ein unglücklicher Liebhaber erhenkt, die von Lafontaine und andern unter dem Nahmen Alcimadure nachgeahmt worden ist,692 ist ein Mißgriff und contrastirt mit dem eigentlichen Wesen dieser Dichtungsart. So wie die Alten zuweilen das Wunderbare in ihre Jdylle aufnahmen, so haben neuere Nazionen das romantische und galante hineingelegt, besonders die Spanier, Jtaliener, Franzosen. Dies ist der Charakter der Schäferromane von Cervantes, Florian u. s. w. Schon in Moschus und Bion ist eine Spur hiervon.

Anmerk. 3. Der Styl der Jdylle muß einfach seyn, ohne alle Figuren und Metaphern. Denn der Gegenstand im Ganzen ist schon Gemälde. Die Phantasie würde bey einem zu lyrischen Styl ermüden. Auch paßt der einfache Styl am besten für den gewöhnlichen Stoff dieser Dichtungsart. Hallers Alpen sind mehr Jdylle als erhabenes beschreibendes Gedicht. Der Styl ist aber etwas zu bunt. Eben so ist Popes Styl, zuweilen selbst Geßners Ausdruck nicht einfach genug. Das Metrum der Jdylle muß für sinnliche Beschreibungen passen. Daher die Alten und auch die meisten Neuern den Hexameter hier gewählt haben. Der Reim scheint am wenigsten hier anwendbar zu seyn, wenn die Jdylle nicht die Form des Liedes hat. Geßners Prosa ist besser, für Geßners Manier, als die Hexameter, zu welchen Ramler sie unformte.

Anmerk. 4. Die Jdylle nimmt verschiedene zufällige Formen an. Die dramatisirende, die Erzählung, die Ledersorm. Es giebt sogar Schäferromane, Schäferepopöen693, Schäferschauspiele. Man muß auch hier bey der Benennung und Classification des Gedichts auf den Hauptzweck des Dichters sehn. Jst der Hauptzweck des Gedichts Beschreibung, Schilderung der Sitten, so mag die Form immer Erzählung seyn, es bleibt doch eine Jdylle im Engern Sinne. Jst aber der Hauptzweck des Gedichts, das Hauptinteresse auf die Handlung gerichtet, so sage man lieber, es ist ein idyllisches erzählendes Gedicht. So hat z. B. Vossens Louise mehr den Zweck, naive Sitten darzustellen und zu beschreiben, als durch die Handlung zu interessiren. Mithin ist das Gedicht Jdylle im Engern Sinne. Hermann und Dorothea ist schon mehr Erzählung idyllischer Art, denn hier hat die Handlung mehr Jnteresse. Einige Formen scheinen für die Jdylle nicht sehr zu passen. Schäferroman, z. B. die ländlichen Jdeen werden darinn über die Gebühr ausgedehnt. Es ist in den Charakteren, in den Verhältnissen zu viel Einfachheit, als daß ein solcher Roman nicht langweilig werden sollte. Eben so ist Schäferepopöe eine etwas unbehülfliche Form, so schön auch zum Theil Geßners Tod Abels ist. Die Jdylle im Engern Sinn wirkt am besten als ein Miniaturgemälde, als eine flüchtige Ansicht, als eine einzelne Szene. Auch hierüber giebt uns schon der Nahme den besten Aufschluß. Gleichwohl haben alle neuere Nazionen die Jdylle in dergleichen unbehülflichen Formen. Es giebt auch französische Schäferepopöen. Doch da Epopöe eigentlich eine Erzählung erhabner Art bedeutet, so sollte man die694 größere Jdylle dieser Art lieber zu den schönen Erzählungen, als zu den Heldengedichten rechnen. Virgils Georgica haben den Endzweck zu lehren. Es ist also hier ursprünglich ein didaktisches Gedicht, jedoch in idyllischer Form keine Jdylle im Engern Sinn.

§. 4.

Die Satyre im Engern Sinn ist ein Gedicht der niedern beschreibenden Poesie (eine Untergattung des moralisch beschreibenden Gedichts) in welchem die Sitten des Menschen im Zustande der cultivirten Verderbniß von ihrer lächerlichen Seite für die Phantasie anschaulich dargestellt werden.

Anmerk. 1. Da man bisher keine Theorie hatte, so konnte man auch die Beziehungen der einzelnen Dichtungsarten auf einander nicht gehörig bemerken. Man trug die Theorie der Satyre und der Jdylle einzeln vor, und bedachte nicht, daß beyde eigentlich zu derselben Gattung, dem moralischen beschreibenden Gedicht, gehörten. Gleichwohl wird dadurch die Uebersicht erleichtert. Die Analogie, die zwischen der Jdylle im Engern Sinn und der Satyre herrscht, ist ganz klar. Der objektive Jnhalt der Satyre ist also die Sitte des Menschen im Zustande der Verfeinerung, welche in der Gesellschaft bis zur lächerlichen Karrikatur steigt, und in der äußern Gestalt viele contrastirende Züge hat, weil die Cultur den Jnstinct umsonst bemänteln will. Bey den Griechen war die695 Satyre, wie wir schon erwähnt haben, mit dem alten Schauspiel verbunden. Jhr satyrischer Chor bestand aus jungen Satyrn, welche scherzten, und alten Satyrn, die im ernstern Tone sprachen. Die Satyre stand in der Mitte zwischen Komödie und Tragödie. Schon die Römer unterschieden die Satura von der dramatischen Form. Einige haben den Ursprung des Nahmens Satyre daher von den Römern ganz herleiten wollen. Ennius habe zuerst Saturas geschrieben, mehr zum Lesen, als zum Aufführen, wiewohl noch in dramatischer Form, ein Gemisch verschiedenen Jnnhalts. Der Ausdruck Satura bey den Römern mag nun wie einige wollen a lance, vel lege oder von den Satyris kommen, dramatischen Personen, qui cum lance prodibant et canistellis pomorum omni genere plenis, quibus Nymphas allicerent. Dem sey, wie ihm wolle, so bestand die älteste Satyre der Römer, wie Diomedes sagt, ex variis poematibus und war mit den Saturninischen Versen, mit der fescennina locutione in Verbindung. Beym Terentius Varro findet man Saturas Menippeas in Jamben. Doch hat er auch ein Gemisch von Prosa und Versen (wie nachher Seneca und Petronius). Lucilius wählt für die Satyre gleichförmige Sylbenmaaße. Bey ihm ward die Satyre schon mehr ein poetisches Ganzes. Es war die Satyre ein genus διηγηματικον und kam dem beschreibenden Gedicht näher.

Anmerk. 2. Der Plan der Satyre als beschreibendes Gedicht setzt einen gewissen einfachen Hauptgedanken696 voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also, da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die Weiber gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt, eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus erste Satyre Damon, ce grand Auteur u. s. w. Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie Horaz mit dem Trebatius. Jmmer muß aber bey der Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle, und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet werde.

Anmerk. 3. Der ästhetische Hauptinhalt ist das Lächerliche, darnach modifizirt sich das übrige. Sogar das höhere Schöne, das Heftige kann statt finden, wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey Gattungen von Satyren annehmen, 1) die heftige leidenschaftliche, bittere Satyre, wie die des Juvenal und Persius; man muß sie aber nicht die ernsthafte nennen, wie einige Theoretiker thun. Denn das Lächerliche ist auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte697 Satyre wäre vielmehr ein didaktisches Gedicht. 2) Die scherzhafte Satyre im leichten Weltton, von der Horaz und Boilean die besten Beyspiele geben. Jn der ersten Gattung ist der Wechsel der Empfindungen natürlich lyrischer als in der andern, der Dichter ist höher gestimmt. Die andre hat mehr den Ton der geselligen Unterhaltung und den Lehrton. Die Schilderung der verdorbenen Sitten darf aber nicht bis ins ekelhafte gehn, weil dadurch der ästhetische Genuß gestöhrt wird. Juvenal geht hierinnen nicht selten zu weit, und Horaz hält sich nur eben an der Gränze, überschreitet sie auch zuweilen, z. B. (L. I. Sat. 5.)

Anmerk. 4. Der Styl der Satyre kann bunt und mannichfaltig seyn, und läßt die größte Freyheit zu. Die heftige Satyre verlangt mehr figurirten lyrischen Ausdruck und Gedrängtheit der Bilder. Juvenal ist hier Muster. Die scherzhafte Satyre hat weniger poetischen Styl nöthig. Es gleicht ihr Ton der vertraulichen Unterhaltung. Die erste Gattung nähert sich der Ode, die andre der poetischen Epistel. Leichtigkeit, Urbanität, Jronie, ist die vorzüglichste Tugend der scherzhaften Satyre. Horaz ist zuweilen zu schwer. Das Metrum ist so mannichfaltig, als die Einkleidung. Die Alten, wie wir gesehen haben, hatten Jamben, Hexameter, ließen Prosa abwechseln. Lucian ist ganz in Prosa, ungeachtet er viel ästhetische Darstellung hat. Die Neuern haben die Alexandriner und kürzere Verse. Swifts, Rabners Satyren sind in Prosa.

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Anmerk. 5. Die Satyre nimmt beynahe aus allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an. Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn. A potiori fit denominatio. Jst die Hauptabsicht, ein anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine Satyre im Engern Sinne nennen, die Einkleidung mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama, Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf Beschreibung, sondern auf Handlung gerichtet, soll irgend eine andre Seelenkraft außer der Phantasie, unterhalten werden, so bekommt das Gedicht einen andern Hauptnahmen, und das Wort satyrische muß blos als Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B. satyrisches Lustspiel, satyrische Erzählung. Jn der gewöhnlichsten Form hat der Ton der Satyre im Engern Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem Lehrton. Allein die Satyre ist beschreibend, schildert das Lächerliche, und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere Folge. Das Sinngedicht, von dem wir bey der didaktischen Dichtart reden werden, weil es den Verstand besonders interessirt, ist oft mit der Satyre ganz verwandt. Jndessen bleibt der witzige Einfall, der dem Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm dieser Art zu den didaktischen Arten zu zählen, und das satyrische davon ist nur eine Modification. Die Parodie und die Travestirung (den Unterschied699 haben wir schon oben bestimmt) sind auch besondere Formen der Satyre. Die Parodie bey den Alten soll davon den Nahmen haben, daß man wenn die Rhapsoden ihre Declamationen schlossen, zur Erholung, scherzhafte Anspielungen dazwischen gesungen. Hegemon bey den Atheniensern hat durch eine Gigantomachie besonders die dramatischen Parodieen in Aufnahme gebracht. Aus dem Hipponax hat man Fragmente, woraus man sieht, daß er Homerische Verse gegen seine Feinde herumgedreht hat. Er mag also die epische Parodie aufgebracht haben. Bey den Neuern haben Scarron und Blumauer den Virgil, Marivaux und andere den Homer travestirt. Man hat eine travestirte Henriade u. s. w. Die sogenannten Sillen der Griechen und die Centonen, welche wir schon oben erwähnt haben, oder Fragmente von Versen, die zu einem neuern Sinne verbunden werden, sind auch mit den Parodieen verwandt. Die Boutrimes haben auch zuweilen eine Aehnlichkeit mit dieser Dichtart.

§. 5.

Zu der beschreibenden Poesie niederer Gattung kann man endlich auch die Aufschriften rechnen (Epigrammen im ältesten Sinne des Worts) oder die kurzen Verse, welche die Bestimmung irgend eines Gegenstandes angeben, und das Wesen desselben erklären.

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Anmerk. 1. Hier erscheint die Poesie, als Nebenkunst, welche andre Künste unterstützt. Auf die Tempel der Alten, in ihre Haine, an Bildsäulen, Monumente wurden Jnschriften gesetzt, welche gewöhnlich ganz beschreibend waren. Die Aufschriften sind also ihrem Wesen nach von dem eigentlichen Sinngedicht ganz unterschieden. Die Aufschriften der Alten waren gemeiniglich kleine Gemälde des Gegenstandes für die Phantasie, späterhin nahmen sie freylich auch die Form des Sinngedichts an, das mehr für den Verstand ist. Folgende Aufschrift aus den sogenannten homerischen Epigrammen, die in der Anthologie dem Cleobulus zugeschrieben wird, ist offenbar ein beschreibendes Gedicht, weil es die Phantasie vorzüglich beschäftigt. Seht, ein Mädchen von Erz, bewach ich den Hügel des Midas, Und so lange der Quell wird rinnen, grünen des Waldes Wipfel, sich füllen der Fluß, laut rauschen das wogige Weltmeer, glänzend steigen die Sonn und lieblich leuchten der Vollmond, werd ich lehnen hier an der vielumweineten Urne, Und dem Wandrer der Fremde verkünden das Grab des Midas. Hier ist zwar auch eine Erwartung erregt und eine Auflösung gegeben. Der Verstand hat aber weniger Jnteresse dabey, als die Einbildungskraft. Das Ganze ist ein Bild, eine Beschreibung. Man setze den Fall, auf einer Bildsäule, welche die Victoria mit gebundenen Flügeln vorstellte, hätte man folgendes Epigramm gesunden: ρωμη παμβασιλεια τεον κλεος ὁυποτ 'ὀλειται νικη γαρ σε φυγειν ἀπτερος ὀυ δυναται, so ist das auch eine bloße Beschreibung für die Phantasie, welche den701 Sinn der Bildsäule erläutert. Es ist aber zugleich auch ein witziger Einfall, ein Verstandesspiel. Hier geht also das Epigramm ins eigentliche Sinngedicht über, welches wir als eine Unterhaltung des Verstandes zu den didaktischen Dichtungsarten rechnen.

Anmerk. 2. Man kann noch viele sogenannte lyrische Gedichte von dem Tadel der Unvollkommenheit retten, wenn man sie zu den kleinern beschreibenden Gedichten rechnet, welche die Liederform haben. Der Dichter kann z. B. wie oft Mathisson eine Landschaft beschreiben, wenn er nur als Dichter mahlt und nicht mit dem Mahler im eigentlichsten Sinne des Worts wetteifern will, so wird man das Gedicht mit Vergnügen lesen.

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Dritter Unterabschnitt. Von der didaktischen Poesie. ──────

I.

Von der didaktischen Poesie überhaupt.

§. 1.

Die didaktische Poesie (im weitsten Sinne des Worts) idealisirt Gegenstände, die den Verstand und das Vermögen zu begreifen, besonders beschäftigen. Sie stellt Allgemeinbegriffe in ihrer Verbindung dar.

Anmerk. Weil Allgemeinbegriffe eine Menge Fälle unter sich enthalten, worauf sie der Verstand anwenden kann, so nennt man sie auch Lehren. Diese Lehren sind entweder theoretisch oder praktisch. Die praktischen, sagen uns, was in gewissen Fällen gethan werden soll, und sind entweder kategorische oder technische Jmperative. Die erstern sind allgemeine moralische Vorschriften, die letztern sind Regeln.

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§. 2.

Da die Allgemeinbegriffe und Lehren, welche die didaktische Poesie darstellt, in einem idealen Lichte erscheinen sollen, so müssen sie nach den oben aufgestellten Grundsätzen 1) ohne Zwang des Verstandes, nicht synthetisch, wie ein vollendetes System, sondern analytisch, wie eine erst werdende Abstraction, in der Seele des Dichters entstehn, 2) sie müssen anschaulich, sinnlich, lebhaft, mit steter Rücksicht auf einzelne Fälle und Gefühle vorgetragen werden, 3) sie müssen eine begreifliche Totalität darstellen, 4) sie müssen ein Gefühl von Harmonie des subjektiven und objektiven, ein Gefühl der Wahrheit in uns erwecken.

Anmerk. Mehrere alte Kunstrichter haben den Hesiodus und Theognis blos unter die Versificateure gesetzt. Empedocles, der seine Grundsätze der Physik in Verse brachte, wird von den meisten nur als Naturkundiger aufgeführt. Plutarchus de audiendis poetis nennt den Empedocles Verfasser eines Werks in Versen, keines Gedichts. Eben so urtheilt er von Nicander, Parmenides und andern. Der Kunstrichter mag hier eben so geirrt haben, wie der Dichter. Er meynt, zum Begriff der Poesie sey eine fabelhafte Erfindung unumgänglich nothwendig. Aber hierinnen fehlt er. Alles was Jdeal ist, ist Gegenstand der Poesie. Jedes System der Wahrheit ist in seinen höchsten Regionen704 poetisch. Also muß es Lehrdichter geben. Der Verstand, der die Totalität des Daseyns zu umfassen sucht, muß sich ebenfalls zu idealisiren streben. Quinctilian scheint den Lehrdichtern, besonders dem Lucretins auch nicht sehr hold zu seyn. Allein daß die Hauptidee von Lucrez poetisch sey, zeigt schon der Anfang, der Anruf an die Venus, deren Zauberkraft das All der Dinge erhält, und die hohe Begeisterung, mit welcher er von der Weisheit, von der Erkenntniß der Weltursachen, u. s. w. spricht. Wenn so ein großer Dichter, wie Lucrez, vom Empedocles sagt, vt vix humana videatur stirpe creatus, wenn er ihn sich zum Vorbild wählt, so kann auch Empedocles kein bloßer Versificateur gewesen seyn. Vom Aratus sagt Quinctilian, seine Materie sey ohne Jnteresse (sine motu). Cicero, der jenen Dichter übersetzte, lobt dessen Verse, (eum ornatissimis atque optimis versibus scripsisse.) Ovid, der in seinen Gedichten fast vor allen Dichtern Verbeugungen macht, hält das erhabene Gedicht des Lucretius so unvergänglich, wie die Welt. Jndeß begeht freylich Lucretius in einzelnen Stellen den Fehler, daß er seine Wahrheiten mehr synthetisch und abstract, als analytisch vorträgt, und zu wenig auf Anschaulichkeit und Styl Rücksicht nimmt. Aus den im §. aufgestellten Grundsätzen erhellt auch, daß Heyne sich nicht ganz richtig ausdrückt, wann er in seinem Prooemium ad Georgica sagt: summa vis carminis didactici in ornatu posita videtur. Freylich rechnet er hernach zum ornatus fast die ganze Behandlung des Themas. Allein man könnte dieses den Worten nach doch705 so verstehn, als ob das ganze poetische Wesen des didaktischen Gedichts nur im Styl läge, und dieser Jrrthum ist nicht viel besser, wie jener der alten Kritiker, welche dasselbe in die Versification setzen. Ungeachtet der Gegenstand des Lehrgedichts aus abstracten Wahrheiten besteht, so ist er doch schon an sich eben so poetisch, als wenn er eine Handlung, eine Empfindung wäre. Denn diese abstracten Wahrheiten haben, zumal beym höhern Lehrgedicht, den genauesten Zusammenhang mit der Bestimmung des Menschen, mit allem, was ihm theuer und heilig ist. Kein wahrhaft großer Philosoph hat ohne Gefühl geschrieben, dies beweisen Plato, Spinoza und Leibnitz. Freylich muß aber der Lehrdichter sein System von der poetischen Seite darzustellen wissen. Diese Darstellung besteht nun nicht in einem überflüssigen ornatus, sondern in der Art, wie die Seele ihre abstracten Jdeen auffindet, an einander reiht, mit ihren Empfindungen und Phantasieen in Verbindungen bringt. Der Lehrdichter muß sich als ein leidenschaftlicher oder zufälliger Erfinder zeigen, der das System wie aus Nichts, vor unsern Augen entstehen läßt, doch muß er es nicht aus Grundsätzen förmlich deduciren wollen. Der Apfel des Newton, das Blatt, welches Leibnitz findet, aus dem er das principium indiscernibilium herleitet, gehört ganz eigentlich in das Lehrgedicht. Hierdurch wird auch am meisten das andere Haupterforderniß, daß alles, wie Heyne sagt, ad vivum repräsentirt seyn muß, bewirkt. Denn die Erfinder gehn allemal vom Anschaulichen aus.

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§. 3.

Das Jdeal des Verstandes, als einer ursprünglichen Seelenkraft, ist ein durchaus begreifliches Weltsystem. Er muß dahin streben die Vernunftidee der Totalität zu realisiren. Die didaktische Poesie wird also, um den Verstand zu interessiren, in ihrer höchsten Richtung die allgemeinsten Wahrheiten darzustellen suchen, welche den Weltlauf im Ganzen erklären, oder wenigstens sich auf Erklärung desselben beziehn. Sie wird sich das Absolute als allumfassend und allbegreifend vorzustellen suchen, wobey das Gefühl des höhern Schönen entstehn muß. Nächstdem wird die didaktische Poesie auch andre Begriffe und Systeme von Begriffen zu ihrem Gegenstande wählen, welche den höchsten Begriffen nur analog sind, welche eine engere Sphäre von Erfahrungen umfassen, und auch dadurch wird ein Lehrgedicht den Verstand interessiren, indem es sein Begriffsvermögen in Ansehung minder wichtiger Objekte unter der Form der Schönheit darstellt. Hier wird vorzüglich das Gefühl des niedern Schönen entstehn. Es giebt also eine höhere und eine niedere didactische Poesie.

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II.

Von der höhern didaktischen Poesie.

§. 1.

Das höhere Lehrgedicht stellt den Verstand in Aufsuchung der allgemeinsten Prinzipien dar, durch welche Welt und Daseyn überhaupt als ein Ganzes begreiflich wird.

Anmerk. 1. Da die Philosophie sich besonders mit Nachdenken über den letzten Grund und Zusammenhang aller Dinge beschäftigt, so nennt man das höhere Lehrgedicht zuweilen auch das philosophische. Allerdings wird hier von den Dichtern gewöhnlich irgend ein metaphysisches System dargestellt, z. B. von Lukrez, das atomistische, von Pope (essai on Man) der Optimism. Jndessen kann der Gesichtspunkt auch moralisch und religiös seyn. Z. B. Louis Racine la Religion, Voltaire la Religion naturelle. Man muß also Philosophie hier im weitsten Sinne des Worts nehmen.

Anmerk. 2. Nicht immer sucht die höhere didaktische Poesie ein vollkommnes System über die Welt darzustellen, wie z. B. Lukrez de rerum natura oft708 wählt sie zum Gegenstand nur einige Hauptgrundsätze, über ein besondres Kapitel der Metaphysik, die aber Licht auf das Ganze werfen, und sich also auf die Erklärung des Ganzen beziehn. Z. B. Haller über den Ursprung des Uebels. Voltaire le désastre de Lisbonne. Wenn wir Uzens Ode Theodizee zu der darstellenden Dichtkunst hinüberziehn, so gehört sie auch hierher. Youngs Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit sind hier vorzüglich anzuführen.

§. 2.

Der objektive Jnnhalt des höhern Lehrgedichts ist nicht gerade eine Reihe allgemeiner Grundsätze, über das Weltall und seine Bestimmung, deren Zusammenstellung nach einer logischen Ordnung die Schule System nennt, sondern irgend ein Hauptprinzip, das der Verstand auf analytischen Wege auffindet, welches ihm einen allumfassenden Blick auf die Erklärung des Ganzen eröffnet. Je mehr auf dieses Hauptprincip das ganze Lehrgedicht concentrirt ist, desto mehr Freyheit bekommt die Jdeenreihe bey der strengsten Einheit. Der Lehrdichter ist kein Compendienschreiber, sondern ein philosophischer Geist in dem Augenblick, da er den Grundstein zu einem System findet. Jn dieser Hinsicht muß also der Plan des höhern Lehrgedichts ausgearbeitet709 seyn. Es muß kein logisches Geripp von Begriffen darstellen, sondern einen alles belebenden Hauptgedanken, der das ganze Daseyn begreiflich gemacht. Die Art, wie der Dichter diesen Hauptgedanken findet, und ausbildet, (die analytische Methode) das Zusammenwirken aller Seelenkräfte, des Empfindungs =, Begehrungsvermögens, u. s. w. um den Verstand bey seinen Arbeiten zu unterstützen, dies ist der eigentliche Jnhalt des Gedichts, und giebt den Grund zur Disposition der Gedankenreihe.

Anmerk. Selbst Lukrez, ungeachtet er ein großes lehrendes Werk schreiben wollte, hat sich wohl gehütet, eine synthetische logische Disposition zu machen. Er spricht zwar z. B. V. 65. me huc rationis detulit ordo. Er hat auch einen gewissen Plan befolgt. Allein er verbirgt diesen doch so viel er kann. Das erste Buch handelt von den Atomen, das zweyte betrachtet sie nach ihren Affektionen und Bewegungen. Jn dem dritten Buch erklärt er daraus Seele und Lebenskraft, in dem vierten Buch erklärt er die materiellen Jdeen. Jm fünften und sechsten Buch die Wunder der Natur. Logisch müßte man das Werk also ungefähr so abtheilen. Das erste und zweyte Buch handelt von den Urkräften der Dinge. Die übrigen Bücher von dem, was aus ihnen entsteht. Jm ersten Buch werden die Urkräfte an sich, im andern nach ihren besondern Eigenschaften und Lagen betrachtet. Jm dritten und vierten Buch710 werden die sogenannten geistigen, im fünften und sechsten Buch die sogenannten körperlichen Naturerscheinungen erklärt. Das dritte Buch betrachtet die Seele selbst, das vierte Buch die Erscheinungen und Wirkungen der Seele. Das fünfte Buch betrachtet die körperliche beharrliche Natur. Das sechste Buch die Naturerscheinungen. Wahrscheinlich hat er, oder Empedocles ein philosophisches Werk bey diesen Poesien zum Grunde gelegt. Wenn auch gleich Lukrez also ziemlich logisch ist, wenn er auch oft seinen allgemeinen Jdeengang wiederholt, so beginnt er doch jedes Buch mit einer freyen lyrischen Digression, mit einem Lobe der Weisheit, des Epikur u. s. w. Er macht nie logische Eintheilungen, wenn er sie auch befolgt. Nur hierinn sucht er die Einheit seines Werks, daß er Ein Hauptprinzip durchführt, welches er auch gleich anfangs als das Licht des Ganzen aufstellt. Principium hinc cuius nobis exordia sumet, ex nihilo nihilum in nihilum nil posse reverti. Er ist immer von der ganzen Jdee des epikurischen Systems durchdrungen, bringt dieses Licht in den Schauplatz der Natur, und eröffnet uns von derselben dadurch eben so lebendige als begreifliche Ansichten. So oft er kann, giebt er mittelst seiner Hauptidee keine logische, sondern eine poetische und eigentlich philosophische Uebersicht des Ganzen. Eben so herrscht Eine Hauptempfindung in dem lukrezischen Gedicht, das hohe Gefühl von der Würde der Weisheit, die sich über den menschlichen Wahn erhebt, und in die innere Werkstatt der Natur dringt. Jndessen ist der Plan des Werks doch vielleicht zu abstract711 gefaßt. Ueberhaupt scheint es besser, wenn der höhere Lehrdichter die Wahrheit nicht als ein weitumfassendes System darzustellen unternimmt, wenn er sich auf irgend einen einzelnen metaphysischen Standpunkt stellt, wie z. B. die Frage vom Uebel, vom Selbstmord, von der Bestimmung des Menschen, wie Pope, und von da aus den Blick ins unermeßliche Ganze hinaus erweitert. Es ist eben so, wie beym Heldengedichte. Der Heldendichter thut gut, seine Handlung auf eine einzige That zu concentriren, der Lehrdichter thut gut, sein System in der Anwendung auf irgend einem Hauptfall zu zeigen. Die Uebergänge des Lehrgedichts müssen ohne Zwang des Verstandes nicht wissenschaftlich seyn, mehr durch willkührliche Jdeen = Assoziation der Phantasie und der Empfindung bewirkt. Haller fängt sein Lehrgedicht über das Uebel mit Beschreibung einer Landschaft an, in welcher die wohlthätige Fülle der Natur überall ausgebreitet ist, und fährt dann fort: Und dieses ist die Welt, worüber Weise klagen. Diese Jdeenassoziation ist ächt poetisch, weil sie so willkührlich erscheint. Eben so folgen Pope und Young mit vollkommner Freyheit ihrer Laune, indem sie die philosophischen Gedanken an einander reihen, wiewohl ersterer gleich Anfangs den Jnhalt seines Gedichts bestimmt angiebt. Was die Digressionen in dem höhern Lehrgedichte betrifft, so müssen sie freylich nicht als unnütze Zierrathen da seyn. Der Gegenstand ist zu ernst, zu erhaben, um dem Dichter Muße zu vielen Ausschweifungen zu erlauben. Sie müssen gerade dazu da seyn, das Hauptprinzip unvermerkt in ein helleres Licht zu setzen. 712Etwas anders ist bey dem Lehrgedichte der niedern Gattung, bey den szientifischen, artistischen Gedicht. Hier sind die Digressionen selbst als Schmuck des Ganzen wegen der mindern Wichtigkeit des Stoffs an ihrer Stelle, und Home geht zu weit, wenn er den Virgil deswegen tadelt.

§. 3.

Der ästhetische Hauptinhalt des höhern Lehrgedichts ist die Empfindung des Großen, welche nach der vom Dichter genommenen Ansicht entweder mehr ins Glänzende, oder ins Schaurige fallen oder ans Starke gränzen kann. Alle übrige Empfindungen des höhern und niedern Schönen müssen sich nach jener herrschenden Tonart modifiziren.

Anmerk. Die Abstractionen des Verstandes setzen eine gewisse Ruhe voraus, welche besonders mit der ästhetischen Empfindung des Großen und Starken verbunden ist. Bey Lukrez ist die Hauptempfindung eine gewisse lichte glänzende Größe. Jn Young herrscht eine melancholische schauerliche Dunkelheit. Pope hat viel Glanz, aber weniger Stärke und Hoheit der Empfindung als Lukrez. Sogar ein Grad des Lächerlichen und Scherzhaften, insofern es mit der großen Empfindung eines Weisen verträglich ist, wird von den höhern Lehrdichtern in das System ihrer Empfindungen aufgenommen. Pope sagt gleich anfangs zu seinem Freund, laß uns, wo sichs gebühret713, lachen. Er hat oft einen sarkastischen Ton. Lucret. L. IV. 1150. hat ebenfalls eine scherzhafte Stelle, und fällt bey seiner Schilderung der sinnlichen Liebe, etwas ins gemeine und ins ekelhafte. Seine materialistische Ansicht und der Römische Sinn wirken hier freylich zusammen.

§. 4.

Der Styl des höhern Lehrgedichts muß mit lyrischer Hoheit eine lichte deutliche Darstellung verbinden, darf weder zu abstrakt, noch wegen der großen herrschenden Hauptidee im Einzelnen zu figurirt und bilderreich seyn. Das Metrum muß der Sprache eine gewisse Ausdehnung gönnen, und Würde haben, weswegen die Lehrdichter das heroische, die Jamben und längere gereimte Verse zu wählen pflegen.

Anmerk. 1. Jn Ansehung des Styls ist vielleicht keiner von den höhern Lehrdichtern ideal zu nennen. Lucrez hat an vielen, besonders gefühlvollen und mahlerischen Stellen einen ächt poetischen hohen reinen Styl. Er ist allerdings unter allen Lehrdichtern hierinnen der Erste. Aber er hat auch ganz abstrakte Stellen, wo er völlig im Ton der gelehrten Schulen spricht. Gegen eine ächt poetische Stelle, wie L. I. vs. 250. ſqq. findet man vielleicht zehn, wie L. I. 420. ſq. Popes Styl ist, wie immer zu bunt, oft gemeiner und sarkastischer, als einem ruhigen714 Weisen geziemt. Young ermüdet durch die großen ausgeführten Figuren, so wie die Urania ein neues sehr ausgezeichnetes deutsches Lehrgedicht, durch die kleinern ausgeführten Miniaturgemälde. Göthe hat unter seinen kleinen lyrischen Gedichten einige kurze Lehrgedichte, die mehr zu den gnomischen Gedichten (s. weiter unten) gehören. Wie sein Styl überhaupt Muster des poetischen Styls ist, so könnte auch der Ausdruck in jenen Gedichten den höhern Lehrdichtern zum Muster dienen.

Anmerk. 2. Das höhere Lehrgedicht nimmt mehrere zufällige Formen an. Am meisten Würde hat es freylich, wenn es, wie im Lukrez, als ein großes Werk erscheint, das der Dichter vollenden will. Lucrez widmet das Werk seinem Freunde Memmius Gemellus, mit dem er ehemals in Athen gewesen war. Allein deswegen kann man hier noch keine Epistolarform annehmen. Der feyerliche Anruf an die Venus, der hier noch besser paßt, als beym Ennius, ist im epischen Ton und läßt ein Werk von langem Athem erwarten. Eben so geben die noctes serenae vs. 133. die der Dichter durchwachen will, dem ganzen einen höhern lyrischen Ton. Youngs schlaflose Nächte geben auch seinem Gedichte eine lyrische Form. Pope hat die Briefform und dies stimmt auch den Ton des Gedichts etwas herab. Haller hat auch eine lyrische, und zuweilen erzählende Form. Auch das poetische Gespräch könnte hier angewendet werden, nur müßte die Scene, wo die Sprechenden aufträten, gut, und des Gegenstandes würdig decorirt715 seyn. Das Buch Hiob ist ein Lehrgedicht, in Form einer Erzählung s. oben von der göttlichen Poesie.

III.

Von der niedern didaktischen Poesie.

§. 1.

A) Das didaktische Gedicht zweyter Ordnung, stellt ein System von Regeln oder Allgemeinbegriffen dar, welche eine besondere Kunst oder einzelne Wissenschaft betreffen, und zeigt die Wirkungen des menschlichen Verstandes unter der Form des niedern Schönen.

Anmerk. Man hat es zuweilen das scientifische oder artistische Lehrgedicht genannt, im Gegensatz des philosophischen, weil gewöhnlich die Regeln einer besondern Kunst oder Wissenschaft hier dargestellt werden. Allein auch dieser Ausdruck ist ein wenig eng, wie jener des philosophischen Gedichts. Wenigstens müßte man unter dem Ausdruck scientifisch selbst die Philosophie verstehn, insofern sie nicht als kosmischer Begriff, sondern mehr als Wissenschaft im Schulsinne genommen wird. So gehören alle Lehrgedichte, welche philosophische Wahrheiten scientifisch behandeln, welche dabey keine Richtung zur Erforschung der höhern716 menschlichen Bestimmung nehmen, sondern sich nur auf die Kunst zu leben beziehen, zum didaktischen Gedichte zweyter Ordnung, nicht zum höhern Lehrgedicht. Gleichwohl sind sie ihrem Jnhalte nach philosophisch. Man sieht also, daß man das höhere Lehrgedicht nicht philosophisch nennen kann, wie Eschenburg thut, und daß man das niedere didaktische Gedicht nur insofern scientifisch nennen kann, in wie fern man die Philosophie mit zu den Wissenschaften zählt. So ist z. B. Wielands Musarion eins der vorzüglichsten Lehrgedichte in erzählender und Gesprächsform. Der Gegenstand ist die Philosophie, und es wird der gefährliche Einfluß der philosophischen Schwärmerey auf das Leben in Kontrast mit der wahren Kunst das Leben zu genießen gestellt. Allein eben diesem Jnhalte zufolge, so wie auch dem durchaus scherzhaften Tone nach ist das Gedicht ein Lehrgedicht zweyter Ordnung. Es wird hier blos eine heitre Lebensphilosophie, eine Kunst zu leben vorgetragen, wie sie der Mensch als Jndividuum auf dem Standpunkte eines epikurischen Skepticismus zeigen kann. Von Erforschung der höhern Bestimmung des Menschen und der Welt ist hier nicht die Rede. Die Platonischen und Pythagorischen Systeme erscheinen hier nicht als wahre Jdeen dargestellt, die wärmen und die Seele füllen, sondern als Begriffe zum Spiel des Verstandes. Sie können also keine Empfindung des höhern Schönen erwecken, sie sollen es auch nicht dem Plane des Dichters nach. Lukrez hat vielleicht noch weniger gläubige Resultate aus seinem Materialismus gezogen, als die epikurische717 Philosophie des Lebens, wie sie Wieland dargestellt haben mag. Gleichwohl zeigt die Art, wie Lukrez vom Tode und von den wenigen Bedürfnissen und der Hoheit des Weisen spricht, daß er uns mit Jdeen füllen, unser Gefühl zu einer höhern Ansicht der Dinge erheben könne. Wieland hingegen giebt bey allem Glanz und bey aller Gewandheit im Ausdruck eben so wenig, wie Ovid, wenn er von erhabenen Dingen spricht, die Empfindung des Erhabenen. Da er mehr eine Lucianische Stimmung in uns zu erhalten sucht, mehr französische Leichtigkeit als brittischen Tiefsinn in seiner philosophischen Gedankenreihe zeigt, so gehört er zu den sogenannten scientifischen, nicht zu den eigentlich höhern Lehrdichtern, eben so, wie er als erzählender Dichter, kein Heldendichter, sondern ein romantischer Dichter ist. Der objektive Jnhalt des didaktischen Gedichts zweyter Ordnung ist also jede Kunst oder Wissenschaft. Hier kann man sagen, nil intentatum nostri liquere poetae; und es ist ein großer Triumph der Poesie, daß nichts in der weiten Welt für ihren Zauberschmuck unempfänglich, für sie zu unpoetisch ist. Athenäus führt den Archestratus an, den er den Hesiodus der Leckermäuler nennt. Er hat ein Gedicht de regulis bonae coenae geschrieben γαστρονομια. Es fing an; λεξω ὀπον καλλιϛον ἁπαν βρωτῶν τε ποτου τε. Der Sänger dieser didactischen Parodie (denn eigentlich ist dies eine Parodie auf das didactische Gedicht, wie Vidas Schachspiel) ist, wie man sagt, selbst sehr mager gewesen. Macer hat dem Ovid über die Vögel, Schlangen, Pflanzen ein Gedicht vorgelesen, welches verlohren gegangen718 ist. Bekannt ist auch unter den Neuern die Syphilis siue morbus gallicus des Fracastorius, ein sehr dichterisches Product, über eine äußerst delicate Materie. De Thou erzählt, als dieses erschienen, habe Sannazarius ausgerufen, er sey überwunden, ungeachtet er zwanzig Jahr an seinem Gedicht de partu virginis gearbeitet hatte. Scaliger setzt den Fracastor dem Virgil an die Seite und das will bey ihm viel sagen. Scevola Samarthanus über die Säugung der Kinder. Rapin hat ein Gedicht de hortis geschrieben. Es giebt ein praedium rusticum in 14 Büchern, doch ist dieß freylich viel zu weitschweifig. Die Troubadours brachten die Grundsätze der Rittergalanterie in Verse. Dufresnoy und Watelet haben die Kunst zu mahlen poetisch abgehandelt. Ovid gar die Kunst sich selbst zu mahlen, de medicamine faciei. Lafontaine hat ein Gedicht von der Chinarinde (Quinquina) in freyen Sylbenmaaßen. Kurz es ist fast kein Hauptgegenstand aus dem Felde der Kunst und Wissenschaft, der nicht von einem Lehrdichter irgend einer Nazion zum Stoff eines didactischen Gedichts gewählt worden wäre. Die Litteratur hat in keiner Gattung mehr Nahmen aufzuweisen. Jndessen gehn die meisten von dem falschen Grundsatze des Manilius aus: ornari res ipsa negat, contenta doceri. Sie machen die wissenschaftliche Darstellung zum Hauptzweck, wollen recht gründlich seyn, nehmen sich einen zu weitläuftigen Stoff und verliehren darüber das eigentliche Ziel zu gefallen aus den Augen. Virgil sagt mit vollkommnem Rechte, non ego cuncta meis amplecti versibus opto. Es ist weniger der Gegenstand719, der auseinandergesetzt werden soll, als die Operation des Verstandes selbst, der auf eine poetische, geistreiche Art, über denselben nachdenkt. Der Verstand soll beym didaktischen Gedicht nur insofern interessirt werden, daß er sich selbst unter der Form der Schönheit erscheine, daß seine Abstractionsfähigkeit in Zusammenhang mit der Phantasie und dem Empfindungsvermögen gezeigt werde. Bey der höhern didaktischen Poesie ist der Zusammenhang klar, das Streben des philosophirenden Verstandes wegen der Wichtigkeit der Untersuchungen und ihres Einflusses auf die ganze Seele, an sich schon ästhetisch. Bey der niedern didaktischen Poesie ist der Zusammenhang der abstrakten Wahrheiten mit der Phantasie nicht so unmittelbar. Es giebt viele Wissenschaften, die eigentlich mehr Grillenspiele sind, die den Verstand beschäftigen, ohne den Menschen zu begeistern. Die eigentlich scientifischen abstrakten Begriffe werden also bey der niedern didaktischen Poesie am wenigsten ihr Glück machen. Die besten größern Lehrgedichte der zweyten Ordnung bey den Alten sind gar nicht wissenschaftlich, sondern enthalten blos Erfahrungen über Gegenstände der Natur und Kunst, die ästhetisch sind. Hesiodus εργα και ἡμεραι, besonders die εργα enthalten so viel philosophische Mythen und moralische Lehren über die Bestimmung des Menschen, daß man sie füglich zu den höhern Lehrgedichten zählen kann. Zum Theil hat aber auch das Werk gnomische Poesie, Sentenzen ohne Zusammenhang. Zum Theil ist es beschreibende Jdylle. Virgils Landbau hat beynah zu wenig,720 was den Verstand interessirt, um didaktisches Gedicht im strengern Sinne zu seyn. Es schwankt sehr in die Gattung des beschreibenden Gedichts, der Jdylle hinüber. Eben dies läßt sich von den halienticis, cynegeticis, von den hortis (z. B. Columella L. X.) und Landgedichten (bey den Neuern Rapin, Vaniere, de Lisle) sagen. Erst beym Horaz de arte poetica zeigt sich ein idealisirter Verstand, der über die Grenzen und Regeln seiner Kunst wissenschaftlich nachdenkt. Jhm sind Boileau, Pope, Vida gefolgt. Auch die Araber haben Poetiken in Versen, und es ist allerdings eine wunderbare Erscheinung, daß der dichterische Geist in einer freyen poetischen Gedankenreihe, eben dieser Gedankenreihe Gesetze giebt. Vielleicht ist der Preis für ein Gedicht de arte poetica, wo sich die menschliche Seele zugleich als Phänomen und als Jntelligenz zeigen, wo das Genie in seiner eigentlichen nüchternen Kraft erscheinen, d. h. sich selbst die Schranken setzen soll, noch einem künftigen Dichter aufbehalten. Denn Horaz war nicht Selbstdenker genug, hielt sich ganz an Nebensachen des Styls, und blieb bey dem von den Griechen eingeführten Gewohnheitsrechten. Boileau ist wieder Nachahmer eines Nachahmers, und Vida hat den traurigen psychologischen Gedanken, einen Dichter erziehn, d. h. ein Wesen nach Grundsätzen der Freyheit unglücklich machen zu wollen. Schon daraus, daß die Gedichte über das Wesen der Poesie, die wir haben, sämmtlich Lehrgedichte der zweyten Ordnung sind, erhellt, daß der Hauptgedanke noch nicht getroffen ist. Ein Gedicht über die Poesie muß ein721 höheres Lehrgedicht werden, da die Poesie, und wenn man sie auch als eine Verirrung des Geistes ansähe, doch auf die Bestimmung des ganzen Daseyns eine unmittelbare Beziehung hat. Schillers Künstler geben in dieser Art das beste Muster. Uebrigens sind artistische Gegenstände, sogar die Kriegskunst (Friedrich des Zweyten l'art de la guerre) Gegenstände der schönen Kunst, oder psychologische Untersuchungen über die damit verwandten Seelenkräfte (Akenside's Pleasures of imagination) der beste Stoff zu einem didaktischen Gedicht zweyter Ordnung. Hierauf folgen Gegenstände der Natur, die an sich ästhetisch sind. Daher haben so viele Lehrdichter die Sternkunde, die Botanik (Savastani, Botanicorum, de la Croix connubia florum, welche letztere Jdee poetischer, und von mehrern Dichtern gebraucht ist, z. B. Darwin the loves of the plants, the oeconomy of Vegetation) die Chemie u. s. w. poetisch dargestellt. Allein hier ist auch vielleicht die Gränze. Denn die mechanischen Wissenschaften sind zu trocken. Man hat z. B. über den Schwerpunkt ein Gedicht Philocentria. Der Gegenstand kann mit poetischen Jdeen von Anziehung und Liebe in Zusammenhang gebracht werden. Aber ein langes didaktisches Gedicht wird er nicht füllen, ohne Langeweile zu machen. Am wenigsten scheint die eigentliche Medizin Stoff zum Lehrgedicht zu geben, weil die Jdee der Krankheit für die Einbildungskraft etwas niederdrückendes Widerliches hat. Gleichwohl hat man über die Anatomie, über Krankheit, Digestion, Chilisication u. s. w. Gedichte. Die Anatomie des Auges, des722 Ohres, der Todtenkopf, kann die Poesie zu manchen schönen und zugleich schauerlichen Gedanken veranlassen. Allein etwas anders ist die Veranlassung, etwas anders der Gegenstand als Lehre. Uebersicht aller Wissenschaften (z. B. Dusch die Wissenschaften in neun Büchern) und eigentliche formale Vernunftlehre sind für die Poesie zu abstract. Moralische Gegenstände können Stoff des höhern Lehrgedichts werden, aber für das scientifische niedere Lehrgedicht passen sie seltener, weil an sich schon Moral zur kalten Wissenschaft ausgedehnt, für den gefühlvollen Menschen etwas Widerliches hat. Die einzelnen moralischen Lehren werden öfter und glücklicher von der gnomischen Poesie als von der scientifischen dargestellt und von den gnomischen Dichtern sprechen wir weiter unten. Endlich giebt es auch scherzhafte Künste des Lebens, die Gegenstände für das scherzhafte Lehrgedicht sind. So kann man Ovid über die Kunst zu lieben, Vidas Gedicht über das Schachspiel didaktische Parodien nennen. Diese geben dem Genie am meisten Spielraum. Die Regeln, die hier dargestellt werden, sind meist epigrammatisch (davon weiter unten) und interessiren mehr den spielenden, witzigen, als den forschenden Verstand. So viel vom objektiven Jnhalt des niedern Lehrgedichts. Von dem Plane gilt dasselbe, was schon beym höhern Lehrgedicht erwähnt worden. Die Empfindungen müssen die Jdeenreihe verknüpfen, nicht die Schlüsse, und doch muß das Ganze System seyn. Digressionen723 sind hier mehr erlaubt, als beym höhern Lehrgedicht, weil der Verstand mehr Muße hat.

Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt des niedern Lehrgedichts, oder die herrschende Empfindung in demselben muß vorzüglich die Grazie seyn, und kann an den feinern Scherz gränzen. Der denkende Verstand muß sich mit Leichtigkeit bewegen. Horaz in seiner arte poetica, die noch dazu in Epistelform geschrieben ist, kommt zuweilen auf das vorige Thema zurück. Die künstliche Unordnung im Plan muß nicht als Schwäche des Verstandes, sondern als Leben der Einbildungskraft erscheinen.

Anmerk. 3. Der Styl ist beym niedern Lehrgedicht besonders zu berücksichtigen. Er muß das molle und facetum haben, was Horaz am Virgil bewundert. Denn freylich ist die poetische Einkleidung bey dem minder wichtigen Stoff eine Hauptsache. Einige Dunkelheiten abgerechnet können die Künstler von Schiller hier zum Muster dienen. Doch nähert sich dieses vortreffliche Gedicht dem höhern Lehrgedicht, wie wir dies von einem Gedicht de arte poetica verlangten. Das Metrum ist wie beym höhern Lehrgedicht. Der zufälligen Formen für das niedere didaktische Gedicht giebts unzählige. Die Epistel ist wegen ihres vertraulichen Welttons eine vorzüglich gute Form, weil sie den Dichter verhindert pedantisch zu werden, und sich den Lehrton zu geben. Jndeß paßt sie doch nicht für alles. Die Georgica als ein ländliches Gedicht haben eine mehr724 lyrische ideale Form. Es würde da die Epistel weniger gepaßt haben. Man denkt sich eher einen Sänger auf dem Lande, als einen Gelehrten mit Schreibmaterialien. Das Genie, das zwischen mehrern Formen zu wählen hat, fühlt das passende und unpassende von selbst. Erzählung, Gespräch, vielleicht auch Drama kann ebenfalls die Form des niedern Lehrgedichts werden. Daß Musarion eines der schönsten Lehrgedichte in erzählender Form sey, bemerkten wir schon oben. Allein Nathan den Weisen kann man doch eigentlich kein didactisches Gedicht nennen. Seine Tendenz mag didactisch seyn. Das Drama ist hier mehr, wie Form. Das Jnteresse ist die Handlung, der nach des Le Bossu Verlangen eine Maxime zu Grund liegt.

§. 2.

B) Das gnomische Gedicht ist eine Reihe kurzer philosophischer besonders praktischer Lehren ohne genauere Verbindung in Denkversen.

Anmerk. Bey vielen Nazionen haben die ältern Weltweisen, welche Schulen stifteten, ihre Meynungen in kurzen Sprüchen hinterlassen, und dieselben in Verse gebracht, theils weil die Verse dem Gedächtniß zu Hülfe kamen, theils, weil sie wirklich die Verbindung der Philosophie mit der Poesie in ihren höhern Regionen ahnten. Auch Consucius hat seine Moral auf kurze Maximen gebracht. Von Pythagoras oder einem seiner Schüler sind die aurea725 carmina bekannt. Hierauf folgten eine Menge Gnomici, Solon, Theognis, der sogenannte Phocylides und andre ηθικη ποιησις Bey den Lateinern hat man ebenfalls Sententias von Syrus und Dionys. Catonis disticha. Bey den Hebräern sind die Sprüchwörter Salomonis damit zu vergleichen. Verschiedene didaktische moralische Gedichte der neuern von Gellert, Hagedorn, auch viele geistliche Lieder, die man nicht als Hymnen ansehn kann, sind unter die Gattung des gnomischen Gedichts zu rechnen.

Anmerk. 2. Der objektive Jnhalt des gnomischen Gedichts besteht also aus Lehren der Weisheit, welche ohne nähere Verbindung, wie Orakelsprüche vorgetragen werden. Dergleichen besonders praktische Lehren sind durch das Hauptprincip alle mit einander verwandt. Unter sich aber haben sie gewöhnlich keine Verbindung. Dies benutzen die gnomischen Dichter. Jndem sie die Maximen so fragmentarisch vortragen, bekommt das Ganze einen heiligen, feyerlichen Anstrich, etwas räthselhaftes, mit einem Worte aus dem Lehrton wird ein Orakelton. Daher darf man auch weiter keinen logischen Plan im gnomischen Gedicht suchen. Theognis hat zu Anfang einen Anruf an den Apoll und die Diana, oft wendet er sich an den Cyrnus, welchen er belehren will. Uebrigens findet man unter den Lebensregeln selbst wenig Zusammenhang. Doch kann auch ein besonderes Kapitel der Moral abgehandelt werden, z. B. Gellert, die Freundschaft, der Ruhm, der Menschenfreund u. s. w. auf welches sich die Maximen726 beziehn. Jn eine ganz verkettete Gedankenreihe darf aber die gnomische Poesie nicht übergehn, wenn sie ihr Wesen behalten will. Denn sie steht zwischen dem eigentlichen Lehrgedicht und dem Epigramm in der Mitte. Als moralisches Epigramm muß jede Sentenz ein kleines gediegenes für sich bestehendes Ganzes bilden. Der ästhetische Jnhalt, oder die herrschende Empfindung ist bey längern Sammlungen dieser Sprüche das Edle. Es muß eine hohe, und zugleich schöne Stimmung durch diese Lehren in der Seele erweckt werden. Jn diesem Charakter sinden sich einige herrliche gnomische Gedichte bey Göthe. Die Sprüchwörter Salomonis erwecken im Ganzen genommen die Stimmung des Großen und Starken. Der Styl der gnomischen Poesie verlangt epigrammatische Präcision und Gediegenheit. Auch ist er keineswegs durch seinen Gegenstand von der Verbindlichkeit frey, die Phantasie zu unterhalten. Theognis ist allerdings zu trocken. Isocrates ad Nicoclem klagt darüber, daß die Griechische Jugend den Theognis nicht liebe. Doch kann man es der griechischen Jugend nicht verdenken. Theognis kann nicht mit der Natur der Gnomen entschuldigt werden, wie Harles in seiner historia linguae graecae will. Denn Simonides hat auch im Fache der gnomischen Poesie gearbeitet, und seine Sprache ist immer poetisch, bey aller Simplieität, lebhaft, anschaulich. Aber seine Gedanken haben auch eine gewisse Hoheit, welche dem Theognis abgeht. Zum Metrum haben die gnomischen Dichter gewöhnlich elegische Distichen, weil sie einen Perioden leicht einschließen und ein727 Ganzes ausmachen. Die Distichen des Dionys. Cato indeß sind blos Hexameter. Die neuern gnomischen Dichter haben auch die Liederform. Bey den Alten Deutschen waren schon die Sprüchwörter gereimt.

§. 3.

C. Das Sinngedicht, oder das Epigramm im Engern Sinne ist ein kurzes künstliches Begriffespiel, besonders witzigen, oft auch satyrischen Jnhalts, das wegen seiner unerwarteten glücklichen Wendung den Verstand vorzüglich interessirt, in poetischer Einkleidung.

Anmerk. Man hat seit Lessings Untersuchungen in diesem Fach das Wesen des Epigramms fast ganz aus seinem Ursprung herleiten und nach der Natur der Aufschriften beurtheilen wollen. Allein man bedachte nicht, daß es eine doppelte Art Epigrammen gebe, welche blos zufällig zu Einer Gattung zusammengeschmolzen worden sind, erstlich die blos beschreibenden, einfachen Aufschriften, welche die Phantasie interessiren, und zweytens, die sinnreichen Gedanken, die wegen ihrer Künstlichkeit als Gedankenspiele den Verstand unterhalten. Da die erste Art für die Phantasie, die zweyte für den Verstand ist, so beziehen sie sich auf verschiedene Seelenkräfte, müssen also von der Theorie ihrem Wesen nach getrennt werden. Freylich klingt es sonderbar, wenn das Epigramm als didaktisches728 Gedicht aufgeführt wird. Allein schon der deutsche Ausdruck Sinngedicht zeigt an, daß es einen besonders künstlichen Sinn enthalten müsse. Alles was den Verstand übt und interessirt, ist didaktisch. Jnsofern gehört das Epigramm zu den Verstandesübungen und Lehrgedichten. Der Witz ist das im Scherz, was der Verstand im Ernst ist, eine künstliche unerwartete Verbindung von Jdeen, ein Spiel mit Begriffen. Der objektive Jnhalt des eigentlichen Epigramms ist gewöhnlich witzig, die unerwartete Richtung eines Gedankens, und weil die Aufschriften in Kurzem sehr viel sagen müssen, so verlangen sie auch oft eine rasche künstliche Wendung. Daher kommt es, daß das ursprüngliche blos beschreibende Epigramm als Aufschrift nach und nach Gelegenheit gegeben hat, das eigentliche Sinngedicht, als eine Gattung von Verstandesspielen zu erfinden. Man sagt gewöhnlich, das Sinngedicht müsse aus zwey Theilen bestehn, einer erregten Erwartung und einem unerwarteten Aufschluß. Damit ist im Grunde nichts anders gesagt, als daß es einen sinnreichen gemeiniglich witzigen Einfall enthalten müsse. (Un bon mot de deux rimes ornées. Boileau) Denn der Witz hat allemal als Problem verborgene scherzhafte Aehnlichkeit zu entdecken, Jdeen von einer eignen neuen Seite zu verbinden. Dieses Problem erregt Erwartung, und der Aufschluß ist eben, weil er witzig und neu ist, auch unerwartet. Oft besteht das Wesen des Epigramms auch in einer getäuschten Erwartung, die denn den ganzen Gedanken mehr lächerlich,729 als witzig macht. Z. B. Es ist doch wunderbar bestellt, sprach Veit zu Junker Fritzen, daß stets die Reichen in der Welt, das meiste Geld besitzen. Oft ists eine Ungereimtheit ein Widerspruch, der doch einen Anschein von Richtigkeit hat. Z. B. Wenn dieser Rothkopf ehrlich ist, so ist er sicher ein Betrüger. Zuweilen auch ein Wortspiel, wiewohl Boileau das nicht haben will. Oft scheints nur ein Wortspiel. So läßt sich das Marzialische Epigramm II. 3. allerdings übersetzen: Du bist nichts schuldig, Marzian, Nur der ist schuldig, der bezahlen kann. Wenn auch das Epigramm zuweilen eine rührende Empfindung enthält, so muß doch der Gedanke künstlich gestellt seyn. Z. B. Gleims Turteltaube oder das Sinngedicht von Besser: Dies ist die Doris, die Geliebte, die ihren Canitz eher nicht, als nur durch ihren Tod betrübte. Einige Kunstrichter nennen Katulls Gedicht auf den Tod des Sperlings ein Epigramm. Allein so niedlich es ist, so ist es doch mehr ein naives Gemälde, als witzig. Wollte man auch die Länge nicht in Betracht ziehn. (Wernike hat wahre Epigramme mit immer steigender Erwartung und schneller Auflösung, die dennoch lang sind). Doch die Stellung des Gedankens ist keinesweges künstlich, und letzteres ist zu einem Epigramm unumgänglich nothwendig. Das Wort witzig ist freylich um den Jnhalt des Epigramms zu bezeichnen ein wenig eng, weil der Witz Scherz voraussetzt. Der Witz ist auch nur eine Modification des niedern Schönen, nahmentlich des scherzhaften. Das Epigramm soll aber einen objektiven Jnhalt haben,730 da es ein darstellendes Gedicht ist. Wir haben daher lieber gesagt, es enthalte ein künstliches Gedankenspiel. Dies muß bey allen auch ernsthaften Epigrammen seyn. Z. B. Leser, steh, erbarm dich dieses Falles, Außer Gott, war in der Welt, was hier liegt, mir Alles. Die Aufschrift auf dem Tempel der Jsis, die Grabschrift der Lacedämonier bey Thermopylä so einfach erhaben sie sind, so ist doch die Wendung künstlich, rasch und unvermuthet. Der Verstand findet seine Operationen mit Begriffen unter der Form der Schönheit dargestellt. Der Plan des Epigramms muß also künstlich seyn. Der Verstand soll interessirt werden durch ein Gedankenspiel. Hierzu gehört eine gespannte Erwartung, die immer steigt, wie sich gewisse Begriffe verbinden lassen, wie sich irgend ein Problem lösen werde, und dann eine schnelle plötzliche wenigstens scheinbar befriedigende Auflösung. Daher muß das Epigramm kurz seyn. Daher sagt ein Kunstrichter selbst in einem sehr glücklichen Epigramm: Es müsse das Sinngedicht, wie die Biene, einen Stachel, Honig haben und klein seyn. Jnsofern der Aufschluß schnell ist, und die ganze Gedankenreihe auf einen Punkt zusammendrängt, nennt man ihn auch acumen, pointe. Jst er insbesondere satyrisch, so heißt er aculeus, Stachel. Doch kann der Aufschluß auch mehr stark, als spitzig ausgedrückt seyn. Klopstock sagt in seiner Gelehrtenrepublik: Bald ist das Epigramm ein Pfeil, trifft mit der Spitze, Jst bald ein Schwerdt, trifft mit der Schärfe, Jst manchmal auch die Griechen liebten so ein klein Gemäld,731 ein Strahl gesandt zum Brennen nicht, nur zum Erleuchten. Das letztere charakterisirt das anthologische Epigramm, welches oft mehr beschreibend ist, als didaktisch. Jn so fern es schnell erleuchtet, hat es etwas von der Natur des eigentlichen Sinngedichts. Der ästhetische Jnhalt des Epigramms ist das niedliche. Dieses muß in der Regel herrschen, und das Ganze bestimmen. Denn es wird eine Totalität im kleinen vollendet dargestellt. Das naive, das sanfte, das witzige, das satyrische sind alles Empfindungen, welche abwechseln oder bey einander seyn können. Auch giebt es einige Epigramme, die sich dem höhern Schönen nähern. Der Styl des Epigramms ist mannichfaltig. Er bedarf indeß besonders der Figuren, welche das Verstandesspiel und den Scherz herausheben, z. B. die Antithese, der Climax, die Jronie u. s. w. Sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt mala plura, quae legis hic: aliter non fit, Avite, liber. Martial. Uebrigens erheischt schon der Charakter des Niedlichen eine vollkommene Tadellosigkeit im Ausdrucke. Simplicität ist in so fern gut, weil sie die Uebersicht des Ganzen erleichtert, und eine schnelle Uebersicht wird gerade verlangt. Das Metrum muß auch so beschaffen seyn, daß sich eine ganze Periode darin zusammendrängen läßt. Z. B. elegische Disticha, wie die Alten. Hende casyllaba, weil sie den Charakter der Naivität haben. Die neuern gebrauchen kurze Reime. Als zufällige Formen nimmt das Epigramm den Dialog, die Erzählung an, und andre mehr. Zuweilen732 bekommt es auch eigene Nahmen, von der Gelegenheit, und seiner Entstehung. Es giebt Jnpromptus, Bouquette, Symbole oder Wahlsprüche, z. B. auf Ritter = Schilden (war, wie man aus dem Aeschylus επτα επι Θηβαις sieht, schon bey den Alten in Gebrauch.) Devisen, Grabschriften, (letztere gehören auch oft zu den beschreibenden Epigrammen.

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Vierter Unterabschnitt.

Von der allegorischen Poesie. ──────

I.

Von der allegorischen Poesie überhaupt.

§. 1.

Die allegorische Poesie idealisirt Gegenstände, welche die Vernunft, oder das Vermögen aus allem objektiven auf eine subjektive Gesetzlichkeit zu schliessen, besonders beschäftigen. Sie betrachtet alles, was sie darstellt, als Hieroglyphe, als Symbol eines verborgenen höhern Sinnes.

Anmerk. Formal genommen pflegt man die Vernunft, das Vermögen zu schließen zu nennen. Es besteht also die Operation der Vernunft in einer mittelbaren Einsicht. Nach der Logik gebraucht die Vernunft einen Mittelbegriff. Die Poesie, wie wir gesehn haben, idealisirt alle vier Seelenkräfte. Die historische Poesie idealisirt die Operationen des Willens, die beschreibende die Phantasie, die didaktische734 den Verstand. Die Allegorische wird also im ästhetischen Gebiete der Vernunft entsprechen. Was in der Logik Mittelbegriff ist, wird in der allegorischen Poesie Sinnbild. Durch das Symbol äußerer Gegenstände ahnt und vernimmt die Vernunft mittelbar ihr inneres gesetzliches aber unbekanntes Wesen. Je mehr sich im Menschen die Vernunft entwickelt, desto mehr wird sein Geist auch im Aesthetischen die Richtung nehmen, alles äußere nur als Abbild eines innern reinern Urbilds anzusehn. Er wird sich gewöhnen, überall einen verborgnen höhern Sinn zu vermuthen, der nie ganz enthüllt werden kann. Er wird sich in doppelseitigen Beziehungen und einer räthselhaften Sprache üben, die ganze Natur wird ihm zu einer Allegorie des Geistes, welche der wissenschaftliche Naturkundige zu entziffern sucht.

§. 2.

Da die sinnbildlichen Gegenstände, welche die allegorische Poesie darstellt, in einem idealen Licht erscheinen sollen, so muß nach den oben festgestellten Grundsätzen, 1) die poetische Allegorie keinen Zwang des überlegenden Verstandes verrathen, sie muß begriffslos, wie eine freye Phantasie in der Seele des Dichters entstehn, 2) sie muß sinnlich, anschaulich, lebendig, individuell seyn, 3) sie muß die Sphäre der allegorisch individualisirten Begriffe vollkommen erschöpfend nach allen Beziehungen erklärbar als eine systematische735 befriedigende Totalität darstellen, 4) sie muß hierdurch ein Gefühl von Harmonie des Subjektiven und Objektiven, der gesetzlichen Form und Materie der Begriffe und Anschauungen in uns erwecken.

Anmerk. Die Allegorie, inwiefern sie ihre geistigen Gegenstände individualisirt, ihnen eine sinnliche Lebendigkeit mittheilt, und eine fabelhafte oder ideale Welt schafft, heißt vorzugsweise Mythus. Der Mythus, inwiefern seine individuellen Züge wieder vollkommene Beziehung auf ein System allgemeiner Geistesideen haben, heißt vorzugsweise Allegorie. Sokrates im Plato theilt dem Philosophen die λογους, dem Dichter die μυθους zu. Nach diesem Urtheil wäre alle Poesie in ihrer höchsten Region allegorisch. Denn Mythus im platonischen Sinne ist wohl so ziemlich mit Allegorie ein und dasselbe. Allerdings ist auch die allegorische und mythische Poesie die höchste Dichtkunst, so wie die Vernunft, auf welche sie sich bezieht, die höchste Seelenkraft ist. Uebrigens bleibt immer noch einiger Unterschied zwischen Mythus und Allegorie nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche. Mythus ist individualisirte Jdealität, welche die Form der Realität angenommen hat. Ueber die reellen Züge vergißt der Mensch oft die allgemeinen Beziehungen. Dies war bey den Alten der Fall. Daher war ihre Mythologie mehr fabelhafte Geschichte als Allegorie. Bey der Allegorie wird immer das Bewußtseyn vorausgesetzt, daß der individuelle Gegenstand als Erscheinung736 blos Abbild eines idealen allgemeinen Gegenstands, oder der innern gesetzlichen Geistesform sey. Dieses Bewußtseyn erwacht erst in dem Menschen, bey zunehmender philosophischer Cultur, wenn er im Besitz des λογος ist. Daher findet sich die Allegorie bey den Alten mehr in den Philosophieen, z. B. beym Plato. Daher haben die neuern an die Stelle der Mythologie den Begriff Allegorie treten lassen. Dieser Unterschied im Sprachgebrauche und in der Culturgeschichte zwischen Mythologie und Allegorie setzt den Künstler in große Verlegenheit. Nach den im §. angegebenen Regeln sollen die poetischen sinnbildlichen Gegenstände sowohl sinnlich lebendig seyn, als auch allgemeine Beziehungen auf die Geistesideen haben. Und dieses zusammen würde die Theorie Allegorie im guten Sinne nennen. Die Praxis der Dichter hat aber zwischen den beyden Erfordernissen der Jndividualität und Universalität einen Gegensatz gemacht, und anstatt zwischen diesen beyden Polen zu schweben, sich einem oder dem andern mehr genähert, wodurch sie fehlerhaft geworden ist. Die Mythologischen Dichter der Alten, (wenn sie nicht etwa als historische Dichter zugleich anzusehen sind, z. B. Aeschylus, sondern blos die Darstellung der Mythen auch ohne interessante Handlung beabsichtigen, wie z. B. Hesiodus, Ovid,) haben wenig Werth. Warum? Weil man sie als allegorische Dichter ansehn muß. Gleichwohl fehlt ihnen ein Haupterforderniß zur guten Allegorie, die ganz durchgeführten allgemeinen Beziehungen. Sie stellten die Mythologie dar, wie sie dieselbe737 vorfanden. Das war ein Aggregat von zufälligen halb wahren Begebenheiten, welche der Mensch nach und nach in ein immer idealeres Licht gesetzt, und durch willkührliche Erfindungen ausgeschmückt hatte. Eitelkeit der Großen und Schmeicheley der Dichter, Hang zum Wunderbaren, Mysterien und Philosophieen, wirkliche Geschichte, Enthusiasmus für berühmte Helden, romantische Gegenden, astronomische, wissenschaftliche Ansichten, alles trug dazu bey, eine Mythologie zu bilden, welche viel individuelles Leben, aber auch viel abgeschmacktes Mährchenhafte hatte, das die Vernunft nicht interessiren konnte. Unsere neuern allegorischen Dichter, etwa den Dante ausgenommen, haben in den entgegengesetzten Fehler verfallen müssen. Sie haben keine Nazionalmythologie mehr. Sie haben keine lebendigen individuellen Züge darzustellen. Jhre Allegorien halten sich großentheils an die Philosophie unmittelbar, und sind deswegen kalt. Die Alten waren für die Allegorie im Großen nicht philosophisch und für die kleinere Allegorie nicht witzig genug. Wenn gleich auf alle ihre Geräthschaften von den Künstlern allegorische Anspielungen angebracht waren, so erhoben sich doch ihre Dichter nie zur Jdee eines höhern allegorischen Gedichts, und was man von Allegorien der Alten in den übrigen Künsten noch aufgefunden hat, zeigt von wenig ästhetischer Kraft. Den Neuern wiederum fehlt das mythologische Leben. Es postulirt also die Theorie eine allegorische Poesie, als die höchste Richtung für die Dichtkunst überhaupt, welche noch nicht vorhanden738 zu seyn scheint. Jhre Bestimmung wäre die abstracten religiösen und philosophischen Jdeen der Neuern Zeit für die Einbildungskraft in Sinnbildern zu individualisiren, und lebendig zu machen. Vielleicht, weil man dies Bedürfniß fühlte, hat man neuerlich hier und da von einer christlichen Mythologie gesprochen. Der Ausdruck ist unbequem und unbedachtsam gewählt, wenn man unter Mythus sich fabelhafte Erfindung willkührlicher Bilder und Geschichten denkt. Denkt man sich aber unter Mythologie nur allegorische Jndividualisirung nothwendiger Wahrheiten, so kann dies Wort auch bey christlichen Jdeen von einem consequenten Christen geduldet werden. So ist allerdings Dante Erfinder einer christlichen Mythologie, d. h. die nothwendigen Wahrheiten von Himmel und Hölle belebt er durch einzelne allegorische Bilder, die so individuell sind, daß man das abstract wahre auch unterhaltend für die Einbildungskraft finden muß. Ein inniges Grausen ergreift gewiß einen jeden, wenn er liest, wie Dante im Schlangenthale die Lügner bestrafen läßt. Der Mensch, der von einem glühenden Wurme gebissen wird, der nicht schreyt, aber zu gähnen beginnt und in dumpfer Erstarrung den Wurm betrachtet ist ein so lebendiges Bild des Entsetzens, als die griechische Mythologie vielleicht keines aufzuweisen hat. Gleichwol wird niemand dieses Bild zu den christlichen Glaubensartikeln zählen, wenn es auch eine christliche Wahrheit allegorisch darstellt. Heutzutage zeigt sich eine große Disharmonie zwischen den poetischen Geistern vom ersten Range in Ansehung der allegorischen739 Poesie, nahmentlich der Mythologie. Auf der einen Seite ist durch die zunehmende Aufklärung und ein verfeinertes Kunstgefühl eine große Sehnsucht der Einbildungskraft nach den fabelhaften Wesen des griechischen Olymps entstanden, denen man gern ihr volles Bürgerrecht in der poetischen Welt wiedergeben möchte. Man findet in den Griechischen Göttern die Jdeale des höchsten, des ewig seligen Lebens, und glaubt sich durch die reinere Jdee von der Gottheit in eine schauderhafte Wüste versetzt. Auf der andern Seite finden einige, eben den Gedanken, im weiten Weltall mit Einem Schöpfer allein, und nur durch einen Mittler mit ihm vereint zu seyn, so grausend erhaben, so süß melancholisch, die christlichen Jdeen scheinen ihnen von solcher ästhetischer Kraft, daß sie sich vielmehr durch die muntern griechischen Phantasieen gestöhrt glauben würden. Man kann als Repräsentanten der ersten Meynung Boileau und Schiller (in seinen Göttern Griechenlands), als Vertheidiger der zweyten Chateaubriand, den Verfasser der Atala in seinem Genius des Christenthums aufführen. Jn jeder Parthey stehen Männer von Bedeutung an der Spitze. Allein große Dichter lieben, wenn sie philosophiren, die Hyperbel und werden leicht einseitig. Das Christenthum wäre nicht die höchste Wahrheit, wenn es der Phantasie nicht auch im Lichte der höchsten Schönheit erscheinen könnte. Und die griechische Mythologie hat wiederum eine naive lebendige Schönheit, welche das Christenthum nicht haben kann, aber auch nicht bedarf. Das Christenthum ist die Mysterie des Lebens, kann in seiner Reinheit nur von den740 edelsten Seelen gefaßt werden. Die griechische Mythologie idealisirt nur das äußere individuelle Daseyn. Das Christenthum eröffnet denen, welche reines Herzens sind, eine Einsicht in die Geheimnisse des Weltalls. Die griechische Mythologie verweilt auf der Oberfläche der schönen Natur. Daß beyde Ansichten von der menschlichen Phantasie gesucht werden, erhellt aus dem wunderbaren Phänomen von so vielen vortrefflichen Gedichten, wo christliche Jdeen, und griechische Mythologie zusammen zu finden sind. Doch läuft dies immer wider die kosmische Wahrscheinlichkeit, zumal in der historischen Poesie. Es wäre die höchste Aufgabe für einen Dichter, deren Auflösung durch unser Zeitalter nothwendig geworden ist, das griechische Schönheitsgefühl mit den christlichen Jdeen so zu vereinigen, daß der Geschmack dabey nicht beleidigt würde. Da die griechischen Mythen sich auf die sichtbare Natur beziehn, so könnten sie besonders aus dem Standpunkte der neuplatonischen Philosophie als Allegorie angesehn, und dabey die christlichen Jdeen in ein geheimnißvolles Dunkel als der letzte Sinn des Räthsels gestellt werden. Hätte derjenige französische Schriftsteller, welcher la guerre des Dieux anciens et modernes geschrieben hat, (Evariste Parny) statt ein komisches Heldengedicht zu schreiben, das nur halbwitzige Blasphemieen enthält, seinen Gegenstand von der ernsthaften Seite angesehn, so würde er vielleicht ein neues unbekanntes Land für den poetischen Genius entdeckt haben. Doch diese Ansicht mußte ihm bey seiner unheiligen Stimmung verborgen bleiben. Auch hier, wie z. B. bey der741 Jungfrau von Orleans, bildete sich die Jdee von der komischen Seite eher aus, wie von der ernsthaften. Die Theorie kann übrigens hier nur ahnen und weissagen. Der Geist des Dichters wird durch die Organisation der Gedankenwelt in seinem Zeitalter von selbst auf den Weg geführt, die Weissagungen der Theorie zu erfüllen.

§. 3.

Das Jdeal der Vernunft, als einer ursprünglichen Seelenkraft ist ein allgemeines gesetzliches Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte, die absolute Harmonie alles objektiven und subjektiven. Die allegorische Poesie wird also, um die Vernunft zu interessiren, in ihrer höchsten Tendenz, die endlichen Formen der Schöpfung, als Sinnbilder von der innern Natur des Schöpfers darzustellen suchen, deren Beziehung auf das Urbild sich nach Begriffen erklären läßt. Sie wird die Jdeen, welche sich der Mensch von dem Göttlichen macht, in Allegorien versinnlichen. Hieraus wird das Gefühl des höhern Schönen, und überhaupt die höhere allegorische Poesie entstehn. Nächstdem wird die allegorische Poesie auch die niedern Vernunftanlagen oder das formale Vermögen zu schließen, im allgemeinen, (ohne Rücksicht auf das materiale Vernunftideal) zu beschäftigen suchen. Sie wird von Begriffen und742 Wahrheiten jeder Art Sinnbilder darstellen, und den höhern räthselhaften Sinn mittelbar errathen lassen. Dies wird vorzüglich die Empfindung des niedern, des lebendig Schönen erwecken, und so wird es auch eine niedere allegorische Poesie geben.

Anmerk. Von der allegorischen Poesie, die sich vornimmt ein allegorisches Objekt darzustellen, und sich an diese Darstellung bindet, wird man die Allegorie als Figur des Styls leicht unterscheiden. Von letzterer haben wir schon oben gehandelt. Diese findet auch bey der lyrischen Poesie statt, und ist nur ein vorübergehender Schmuck der Rede. Freylich ist sie eine Hauptfigur des poetischen Styls. Denn das Bedürfniß des Menschen zu allegorisiren ist tief in seiner sinnlichen Natur, wie auch in seiner Vernunft gegründet, welche letztere allen Dingen der Welt zwey Bedeutungen giebt, eine niedere und eine höhere, eine individuelle und eine allgemeine. Jedes zufällige Objekt, möchte man sagen, ist ein Sinnbild seines urbildlichen Gattungsbegriffs. Menschenschicksale sind Allegorien auf das Glück im Allgemeinen. Einzelne gute Menschen geben Allegorien für tugendhafte Eigenschaften ab. Z. B. Herkules für die Stärke, Orestes und Pylades für die Freundschaft. Daher in allen Künsten die sogenannte historische Allegorie z. B. Marius auf den Trümmern von Karthago ein Sinnbild für die Nichtigkeit der menschlichen Größe. Diese Bemerkung giebt den Schlüssel zu einer pragmatischen Geschichte vom Ursprung aller Mythologie.

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II.

Von der höhern allegorischen Poesie.

§. 1.

Das höhere allegorische Gedicht stellt die Jdeen, welche sich der Mensch von göttlichen Dingen macht, unter Sinnbildern dar.

Anmerk. Diese Dichtungsart nimmt also die höchste Richtung, welche die menschliche Poesie nur immer nehmen kann. Die didactische Poesie kann zwar auch in die Geheimnisse der Schöpfung eindringen. Allein sie hat doch mehr mit Verstandesbegriffen zu thun. Sie drückt das aus, was sich über den Grund und Zusammenhang der Dinge denken läßt. Die allegorische Poesie geht weiter. Sie sucht, wiewohl in Sinnbildern, die höchsten Vernunftideen auszudrücken, welche sich nicht ausdenken, nur ahnen lassen. Die Mythologie der Heyden ist also wenigstens ihrer Hauptrichtung nach eine solche allegorische menschliche Poesie, zu welcher aber der Schlüssel noch nicht ganz gefunden ist. Mit der allegorischen Poesie ist der Kreisgang im Gebiete der Dichtkunst geendet. Wir gingen von der göttlichen Poesie aus, und enden mit der Gattung von menschli =744 cher Poesie, welche am nächsten an die göttliche gränzt. Hier zeigt sich aber auch der Unterschied, zwischen göttlicher und menschlicher Poesie, wahrer Religion und heidnischer Mythologie am deutlichsten. Die menschliche Poesie und Mythologie kann das göttliche nur ahnen, ausser sich in Sinnbildern darstellen. Die göttliche Poesie hingegen, deren Offenbarungen die Hebräer und Christen bekennen, lehrt den Menschen die Vernunftideen, um das göttliche Princip im Geist und in der Wahrheit zu ergreifen, mittelst der Andacht in sich selbst zu finden, sich von dem Göttlichen kein Bild zu machen, sondern es unmittelbar in sich wohnen zu lassen. Hierauf konnten die Menschen nur durch eine Begeisterung geleitet werden, die unmittelbar von Gott angezündet ward, hierzu gehörte die Menschwerdung der Gottheit.

Anmerk. 2. Da wir eigentlich noch kein vollkommenes allegorisches Gedicht höherer Gattung haben, so wird die Theorie in diesem Abschnitt noch fast ganz a priori verfahren müssen. Bey den Alten kann man hierher die Mythologischen Dichter ex professo rechnen, d. h. solche, welche die Mythologie nicht als Triebfeder ihrer historischen Gedichte gebrauchten, sondern dieselbe als einen Hauptgegenstand im Zusammenhange abhandelten. Allein die Griechischen und Römischen Dichter waren zu wenig in die Mysterien eingeweiht, um den höhern Sinn, der in ihrer Mythologie verborgen liegen mag, zu fassen. Daher fehlte ihnen die ordentliche planmäßige Darstellung,745 welche das allegorische Gedicht bedarf, damit man den höhern Sinn errathe. Die mythologischen Gedichte der Alten sind Aggregate von Fabeln ohne alle nähere Verbindung zu einem höhern Sinne. Hiermit verlangen wir nicht, daß ein Palaephatus de Incredibilibus uns vordemonstrire, wie bey Entstehung dieser Fabeln alles natürlich zugegangen sey. Eine solche Einsicht in die gesammte Mythologie mag die Aufgeklärten unserer Tage interessiren, denen ein munterer Genius der Aufklärungstrieb mit der Fackel unaufhörlich vorschwebt, die wohl selbst den göttlichen Helden der Bibel sehr zu ehren glauben, wenn sie ihn den Sokrates der Christen nennen. Wir fragen hier, was für nothwendige psychologische Gründe sogar die Heiden bestimmen mußten, die mythologischen Begebenheiten grade so und nicht anders zu idealisiren. Ließen sich die philosophischen Wahrheiten auffinden, welche bey Erfindung der Fabeln, ohne daß es die Erfinder selbst wußten, die Basis waren, so hätte man die Mythologie zur Allegorie erhoben. Allein die alten Dichter hingen zu sehr an dem Mährchenhaften, hatten keine Uebersicht des Ganzen, konnten also nur Data zu einem künftigen allegorischen Gedicht liefern. So muß man z. B. des Hesiodus Theogonie, die historischen Hymnendichter u. s. w. ansehn. Ovids Metamorphosen sind ein wunderbares Phänomen. Der Hauptgedanke an sich ist für den Ovid und überhaupt für die Römische Dichtkunst zu genialisch. Daß der römische Dichter bey einzelnen Stellen den Hesiodus, Theokrit, Callimachus vor den Augen gehabt hat, ist bekannt. 746Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel μεταμορφοσεων Bücher geschrieben haben, unter andern Callisthenes. Die Jdee eine allgemeine Geschichte der wunderbarsten Verwandlungen von Schöpfung der Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist allegorisch, und eine der glücklichsten muntersten, welche die menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich, einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur, eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden, bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen, Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt annehmen, aber immer lebendig, immer im großen Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das Große seines allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte man daran zweifeln. Jndeß die Geschichte selbst beginnt747 pathetisch genug mit der Weltschöpfung und den Weltaltern und im letzten Buch wird die Lehre des Pythagoras von der Seelenwanderung sehr ausführlich abgehandelt. Die Rede des Pythagoras, die sehr künstlich in den Plan des Ganzen verwebt ist, scheint gleichsam den höhern Sinn der Metamorphosen anzugeben, die Allegorie enträthseln zu wollen. Die Behandlung des Ganzen und der tändelnde weitschweifige Styl ist aber keineswegs der Jdee würdig, so interessant und leicht auch die Erzählungen, so glänzend die einzelnen Beschreibungen seyn mögen. Die Uebergänge von einer Geschichte zur andern sind wie aus tausend und einer Nacht, oder aus der Spinnstube genommen, völlig im Mährchenton, und es ist nicht zu begreifen, wie Wilhelm Canter hier eine große Kunst bewundern kann. Die Orakel der Sibyllen bey den Alten, und die Hieroglyphen (z. B. Horus) welches aber meist untergeschobene Schriften sind, Lycophrons Cassandra u. s. w. sind auch allegorisch zu nehmen. Doch fehlt uns größtentheils die Deutung, und hätten wir sie, das Jnteresse. Unter den neuern Dichtern macht Dante in der höhern allegorischen Poesie allein Epoche. Mit vollem Recht sagt er Nuove Muse mi dimostran l'orse. Neue Musen zeigten ihm den Pol zu seiner Schiffarth. Sein Werk haben einige unter die Epopöen gerechnet. Er scheint es selbst von dieser Seite angesehn zu haben, da er sich den Virgil zum Führer seiner Reise wählt. Allein das Werk hat gar kein historisches episches Jnteresse. Es enthält keine eigentliche Handlung, sondern eine allegorische Beschreibung. Gleich Anfangs beginnet748 es mit Schilderung von allegorischen Dingen, z. B. von dem Wald, in dem sich der Dichter befand, von den wilden Thieren, denen er begegnet, unter welchen die Commentatoren Wollust, Hochmuth und Geiz verstehn. Ehe er in den christlichen Lethe, den Strom Eunoe getaucht wird, um ins Paradies einzugehn, sieht er noch in einer mystischen Vision die Schicksale der christlichen Kirche. Während des ganzen Gedichts befindet sich Dante auf dem Schauplatz einer Welt, in der alles Jndividuelle Symbol von etwas allgemeinen ist. Die historischen Personen mit denen er spricht sind Repräsentanten irgend eines abstrakten Begriffs, einer Jdee. So ist seine verklärte Geliebte seine Beatrice, die himmlische Weisheit. Jn den wunderbaren Gestalten sterblicher Menschen, die er im Himmel antrifft, glänzt etwas göttliches, ihrem irdischen Bild ganz unähnlich. Dante ist also allegorischer Dichter, und weil er sein ganzes Wissen von den göttlichen Dingen, und den Geheimnissen des Weltalls mittelst seiner Symbole uns mittheilen will, so ist sein Gedicht ein höhetes allegorisches Gedicht, vielleicht das Einzige, das diesen Nahmen verdient, ob es gleich bey allen originellen glänzenden Zügen in tausend Rücksichten als sehr unvollkommen angesehn werden muß.

§. 2.

Zum objektiven Jnhalt hat das höhere allegorische Gedicht sinnbildliche Gegenstände von göttlichen Dingen. Es ist also dieser Jnhalt doppelseitig749, er muß erst sinnbildlich genommen, ein Ganzes ausmachen, zweytens muß der Sinn, auf den die Symbole deuten, abstract genommen ebenfalls ein vollkommenes leicht faßliches Ganzes seyn. Endlich muß zwischen dem Bilde, und dem was darunter verstanden wird, eine richtige und passende Beziehung statt finden, d. h. die Symbole müssen so gewählt seyn, daß die Einbildungskraft darunter die göttlichen Jdeen ahnen, und sich mit denselben unter einer faßlichern Gestalt vertrauter machen kann, da sie in einer wirklichen religiösen Ansicht denselben gewöhnlich unterliegt.

Anmerk. 1. Der Plan des allegorischen Gedichts ist wegen seiner Zweydeutigkeit das schwerste Problem, was ein Dichter auflösen kann. Erstlich muß man die Reihe der Sinnbilder selbst betrachten. Diese Sinnbilder können objektiv zu Erzählung von Handlungen, oder zu Beschreibung vereinigt seyn. Dantes Gedicht nimmt auch oft die Form des didaktischen Gedichts an. Wie die Vernunft aus der Harmonie der übrigen drey Seelenkräfte hervorgeht, so vereinigt die allegorische Poesie, welche die Vernunft repräsentirt, alle die vorhergehenden Gattungen der Poesie. Handlung, Beschreibung, alles kann dem allegorischen Dichter zum Symbol dienen. Er muß also für seinen Plan zuerst alle Gesetze beobachten, nach welchen die Handlung, die Beschreibung u. s. w. poetisch750 organisirt wird. Hierin ist Dante so ziemlich tadellos, wenn man ihn als beschreibenden Dichter ansieht. Zweytens muß aber auch der Plan so eingerichtet seyn, daß sich das System der Jdeen, der höhere Sinn der Hieroglyphe beym Genuß des Gedichts in uns immer mehr ausbilden kann. Dieses innere System, gleichsam die unsichtbare Seele der poetischen Welt, welche er erschafft, muß einfach und begreiflich seyn. Hierin fehlt es vorzüglich bey Dante. Einzeln sind seine Jdeen herrlich, höchst philosophisch, rein christlich. Z. B. was er von der Erlösung sagt. Mancher Theolog gestand, aus dem Dichter mehr Theologie gelernt zu haben, als von seinen akademischen Lehrern. Aber im Ganzen ist das Gebäude doch gothisch, zwar kühn, aber winklicht, voll sophistischer Spitzfindigkeiten. Es fehlt noch an einem lichten Hauptgedanken, der uns durch dies Labyrinth geleite. Wenn auch Dante über sein Zeitalter hervorragt, wie eine Pyramide, so mußte er doch die Dogmatik seiner Zeit zur Grundlage nehmen. Der höhere Sinn des allegorischen Gedichts liegt in den gefühlten Jdeen. Aber jede Kleinigkeit, jeden Nebenumstand der Erfindung deuten zu wollen, ist eben so fehlerhaft, als wenn man ein wirklich episches Gedicht, wie Tasso und Ariosts Werke allegorisch auslegen wollte, wie zuweilen von den Dichtern und Commentatoren geschehen ist.

Anmerk. 2. Das Symbol soll individuell anschaulich sinnlich genug seyn, um die Einbildungskraft zu interessiren, und mit den göttlichen Jdeen vertraulich zu751 machen. Das ist eben das Wesen der allegorischen Poesie, daß der Phantasie das Anschaun der Jdeen erleichtert werde. Hierdurch unterscheiden sich die religiösen Gedichte von den allegorischen. Vidas Christias, Klopstocks Messias besonders der letztere sind mehr religiöse Gefühle. Darum hat auch Klopstock mehr eine lyrische Richtung, als daß er darstellte. Sein Gedicht, insofern es den Himmel schildert, erweckt mehr Empfindung, als Anschauung. Warum? weil er die Jdeen selbst in uns erwecken will. Jdeen können aber eigentlich nicht dargestellt, sie können nur geahnt werden. Will man der Phantasie ein Bild geben, so ist dies Symbol. Daher ist Dante weit unterhaltender für die anschauende Einbildungskraft als Klopstock. Man vergleiche eine Hymne des letztern Dichters auf die Gottheit mit der Vision Dantes im Paradiese, als er sich in den Grundquell der Schöpfung versenkt. Ewiger, du bist allein, in deiner Größe vollkommen, Jeder Gedanke, mit dem du dein eigenes Wesen durchschauest, ist erhabner und größer, als die stille Betrachtung auf geschaffene Dinge von dir herniedergelassen. Klopstok. Hier ist heiliges Dunkel, negative Bestimmung, gleichsam das νουμενον. Das Urwesen an sich. Dante hingegen, da er einen Blick in die Tiefen der Gottheit thut, erleichtert es der Einbildungskraft. Er sieht die Substanz des großen Lichtes, drey farbige Kreise in demselben, er sieht eine leuchtende Heiligenwelt, in Gestalt einer Rose, von lebendigen Funken und den Engeln umschwebt. Eben so vergleiche man den Triumph Christi im Dante752 mit dem in Klopstok in der Messiade letzten Gesang. Klopstok schwankt zwischen der eigentlichen lyrisch, d. h. andächtig gefühlten Jdee und der symbolischen Darstellung, darum macht sein Gemälde nicht ganz den Eindruck, als das des Dante, welcher hier rein symbolisch, vollkommen mystisch gehalten ist. Milton steht zwischen beyden Dichtern in der Mitte, hat mehr Darstellung als Klopstok, und höhere erweiterte Begriffe als Dante. Allein Dante dürfte doch hier seinem Ziele am nächsten geblieben seyn, wenn gleich viele Fehler wider die kosmische Wahrscheinlichkeit und überhaupt den Geschmack, z. B. Einmischung von heidnischen Bildern überall mit unterlaufen. Da die höhere allegorische Poesie sich zur Anschauung erhebt, so ist es dem Dichter natürlich, sich in die wunderbare Gemüthsstimmung der Visionen, der Träume zu versetzen. Besonders dem Dante ist es geglückt, einen Schwung mit seinem Geiste zu nehmen, wie keiner von den andern menschlichen Dichtern. Seine Träume sind in Augenblicken geträumt, um mit seinen eignen Worten zu reden, wo die Seele von ihrem Körper getrennt, in ihren Gesichten am göttlichsten ist.

§. 3.

Der ästhetische Jnhalt des höhern allegorischen Gedichts ist das Erhabene. Das ist die herrschende Hauptempfindung. Denn diese entspricht dem Selbstbewußtseyn der Vernunft, die sich753 hier in Bildern der Einbildungskraft spiegelt, und die Harmonie des Schöpfergeistes mit der Schöpfung fühlt. Alle übrigen Gattungen des höhern Schönen, auch die edlern Unterarten des reizend Schönen können hier abwechseln. Styl und Metrum müssen lyrischer seyn, als in der Epopöe, doch auch eine gewisse Ausdehnung und ruhige Hoheit haben. Der Dichter sieht außerordentliche Dinge. Darum ist er in einer ungewöhnlichen Stimmung. Allein er stellt sie dar. Darum muß er sich beherrschen können.

Anmerk. 1. Dante geht aus Hölle und Fegfeuer in den Himmel. Darum geht er vom starken, schrecklichen grausenden, zum hohen und erhabenen über. Allein das Erhabene herrscht, weil es die höchste Stufe des Gedichts ist.

Anmerk. 2. Der Styl des Dante ist, nach seiner eignen Theorie zu sprechen, nicht tragisch, sondern ziemlich bunt und mit unter gemein, wodurch aber viel individuelles Leben bewirkt wird. Vielleicht stammt daher der Ausdruck Commedia, wobey er eine Art Tragikomödien im Sinn haben mochte. Oft fällt er ins Gezierte. So sagt er z. B. von zwey Gestirnen, die ihr Licht vertauschen, qual diverebbe Giove, s'egli è Marte fossero augelli, e cambiassersi penne. Antithesen und andere etwas gezwungene Figuren, passen aber für die außerordentliche Gemüthsstimmung. Z. B. I' non mori, e non rimasi754 vivo. Oft schimpft er in eben nicht hohen Ausdrücken. Z. B. di sua bestialitate il suo processo farà la pruova. Nicht selten wird er naiv, und es gränzt sein Styl ans Komische, wie er z. B. mitten im Himmel sich daran erinnert, daß er aus Florenz kommt. Diese Zusammenstellung gemeiner Ausdrücke mit den erhabensten Bildern wirft indeß die Seele hin und her, und thut oft einen ähnlichen Effekt, als die hebräische Poesie, besonders der Styl der Propheten durch ein gleiches Mittel bewirkt. Dante ist übrigens freylich zu rauh und dunkel. Allein ein Grad von heiligem Dunkel wird zu einer mystischen Stimmung verlangt. Der lichte edle Styl des Heldengedichts würde nicht passen. Das Metrum des Dante, die Terzine, hält sehr gut das Mittel zwischen dem Lyrischen und Epischen. Jndeß könnte ein höherer allegorischer Dichter, dessen Erzählung mehr Zusammenhang hätte, auch freyere Stanzen gebrauchen.

III.

Von der niedern allegorischen Poesie.

§. 1.

A) Das allegorische Gedicht niederer Gattung enthält die sinnbildliche Darstellung von abstracten Begriffen, Gegenständen oder Begebenheiten jeder Art, welche sich nicht auf die Enthüllung der letzten Weltursachen755 beziehn, sondern die Vernunft nur als formales Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen.

Anmerk. Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits = Gedicht kann man allenfalls das Carmen Claudiani de nuptiis Honorii et Mariae hierher rechnen voll üppiger Schilderungen. Metastasio hat ein ähnliches Epithalamium. Die neuere Poesie mußte wegen der zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig ausbilden. Der berühmte französische Roman von der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren nicht einig. Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes, sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen, Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge Tempel des Ruhms, des Geschmacks, Träume, Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher Allegorien, die ziemlich kalt sind. Man hat die Wahl des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine756 allegorische Gemälde, die an die Fabel gränzen. Παραμυθητικον war bey den Alten ein Trostgedicht. Der Plan sollte eben so wie beym höhern allegorischen Gedicht in doppeltem Sinne richtig vollkommen seyn. Es ist der Frage werth, ob der Dichter die Deutung selbst angeben dürfe? Ganz abstrakte Personen, unter allgemeinen Nahmen, Klugheit, christliche Liebe u. s. w. machen freylich das Gedicht kalt. Besser ists, wenn am Ende der Allegorie durch eine künstliche Wendung ohne viele Erklärung die Deutung des Ganzen in helles Licht gesetzt wird. Uebrigens hat man allegorische Dramen, Prologen und Vorspiele. Z. B. von Metastasio, Racine u. s. w.

§. 2.

B) Die Fabel im Engern Sinne ist die Darstellung irgend einer einzelnen praktischen Regel der Lebensweisheit unter einem aus der nicht moralischen Welt hergenommenen Sinnbild.

Anmerk. 1. Die Fabel im Engern Sinn, von der man die oben bey dem pragmatischen Gedicht erwähnte Fabeln (συϛκσις των πραγματων) unterscheiden muß, verhält sich zum größern allegorischen Gedicht, wie die Sentenz der gnomischen Poesie zum eigentlichen Lehrgedicht. Jn dem allegorischen Gedicht wird ein System von Wahrheiten bildlich vorgetragen, in der Fabel ein einzelner meist praktischer Erfahrungssatz. Der objektive Jnhalt der Fabel ist also doppelt. Erstlich das Sinnbild aus der nicht moralischen Welt. Zwey =757 tens die sogenannte Moral, oder daraus gezogene Lehre. Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu den Lehrgedichten zählen. Hier ist eine ganz andre Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den Verstand, als begreifendes Vermögen. Die Fabel interessirt die Vernunft, als das Vermögen vom Sinnbild auf die Wahrheit zu schließen. Die Fabel gehört zu den allegorischen Gedichten. Das Vergnügen, welches sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie in der nicht moralischen physischen Welt nach ähnlichen Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit, so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter, der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt, das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle. Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen? Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen nothwen =758 digen Zusammenhang nach Principien zu erwarten, als in der Menschenwelt? Hier ist also mehr, denn ein blosses Gleichniß. Die Fabel interessirt nicht blos den Witz, der entfernte Aehnlichkeiten findet. Jhr Jnteresse liegt tiefer. Es ist das der Vernunft, welche aus den natürlichen Gesetzen selbst der leblosen oder instinctmäßigen Natur auf ihr inneres Wesen schließt. Sie ist, wie überhaupt die Allegorie, weniger ein Gleichniß zur Erläuterung der Wahrheit, als die sinnliche Seite der Wahrheit, so wie die ganze Natur, eine sichtbare Evolution des Schöpfergeistes ist. Am nächsten ist, in Bestimmung des Wesens der Fabel, und der Allegorie im Allgemeinen der Sache Herder gekommen, so weit man ohne eine vollständige Theorie der Poetik und eine rationale Psychologie nur kommen kann. Aus diesem allen erhellt, daß die Fabel älter sey, als Aesop (wenn nicht Aesop selbst nur eine allegorische Person ist, wie nach seinen Biographieen vielleicht Homer). Wenigstens meynen dies Luther und andere. Lockmann, Bidpai, wiewohl auch entstellt, zeigen den morgenländischen Ursprung der Fabel. Sie hängt mit der alten Mythologie, mit der allegorischen Sprache, mit den Hieroglyphen, welche so oft die Thiere zur Darstellung der Wahrheit gebrauchten, nothwendig zusammen. Sie ist eine Belebung der todten Natur, eine Prosopopöe, sie giebt den Thieren als Jnstinctwesen eine freye, moralische Natur. Sie ist also rein poetisch. Es ist ein Mißgriff zu dem schon die Griechen Anlaß geben, wenn man die Fabel für ein ursprünglich rhetoretisches Product hält, das759 nachher von der Poesie durch den Styl poetische Einkleidung bekommen soll. Alsdann wäre freylich die poetische Fabel ein didaktisches Gedicht, wenn sie den Zweck hätte zu lehren. Die Fabel will aber nur gefallen als eine Ansicht von der Harmonie der Welt im Kleinen. Daß Menenius Agrippa die Römer durch eine Fabel überzeugt; beweist nicht die Macht der Beredsamkeit, sondern der Poesie, welcher die Beredsamkeit klüglich ihre Kunstgriffe ablernt. Aristoteles handelt von der Fabel in seiner Rhetorik unter dem Nahmen λογος. Die Fabeln des Stesichorus und Aesop, die er anführt, sind politisch und rhetorisch. Allerdings hört der Mensch leichter auf Wahrheiten, die ihm unangenehm sind; wenn man sie symbolisch vorträgt. Deshalb mögen die Redner, (welche ein Witzling nach des Aristoteles Erzählung mit Ammen vergleicht, die das Muß den Kindern voressen und mit ihrem Speichel versetzen,) die Fabel von den Dichtern entlehnt haben. Socrates, der zufolge eines göttlichen Traums, Aesops Fabeln in Verse brachte, mußte vielleicht für dieses von Rednern und Philosophen an der Poesie begangene Plagium büßen. Wenn wir übrigens es zum wesentlichen der Fabel rechnen, daß das Sinnbild aus der nichtmoralischen Welt genommen seyn muß, so schließen wir freylich die moralischen Erzählungen oder die Beyspiele, und die Parabeln, allegorische Geschichten aus der Menschenwelt aus. Grössere moralische Erzählungen, wie die des Marmontel, gehören zum Roman. Die kleinern Erzählungen, Beyspiele aus der Menschenwelt, kann man, wenn man minder streng760 seyn will, zur Fabel rechnen, weil alle Fabeldichter, Lafontaine, Gellert, Hagedorn sie mit den eigentlichen Fabeln verbunden haben. Will man aber streng theoretisch verfahren, so muß man die moralischen Parabeln und Erzählungen von der Fabel unterscheiden und zu den eigentlichen allegorischen Gedichten niederer Gattung rechnen. Denn jedes Beyspiel ist im Grunde Versinnlichung eines allgemeinen Erfahrungssatzes. Jedes individuelle ist Allegorie von etwas Abstrakten. Ueberdem enthalten die eigentlichen Parabeln mehr wie das Beyspiel. Das Beyspiel ist ein Fall in concreto. Die Parabel ist ein ähnlicher Fall als Allegorie von einem andern ähnlichen Falle, z. B. Lessings Parabel von dem Pallast und den Grundrissen. Daß indeß der Mensch in einer allegorischen Erzählung vorkommt, wo die nicht moralische Welt zur Grundlage des Ganzen dient, verwandelt die Fabel noch nicht in Parabel. Denn der Mensch wird alsdann auch in abstracto als Thier betrachtet. Z. B. in der Fabel, die Aristoteles anführt, vom Hirsch und Pferd. Eben dies gilt von Satyrn, Faunen u. s. w. So viel von dem objektiven Jnhalt der Fabel. Was insbesondere den Plan betrifft, so wird dieser durch die Natur der Erzählung bestimmt. Denn gewöhnlich läßt der Fabeldichter die nichtmoralischen Wesen handeln, weil eine praktische Wahrheit anschaulich gemacht werden soll. Jndeß gehn viele Theoretiker zu weit, wenn sie in der Fabel nothwendig eine wirkliche Handlung suchen. Oft ist sie Erzählung von einer Begebenheit, die nicht761 nach allen Regeln der poetischen Handlung zusammenhängt. Zuweilen nur eine Bemerkung irgend eines Phänomens der Naturwelt, ein Dialog zwischen zwey Thieren u. s. w. Die Lehre muß in der Fabel nicht vergessen werden, sonst bekommt sie die Natur des Räthsels. Sie kann voraus geschickt werden. Dieß vermehrt zuweilen das Jnteresse der Erzählung, weil der Zuhörer desto leichter die Anwendung macht, sie kann folgen, welches die Aufmerksamkeit mehr spannt. Sie kann den handelnden Wesen in den Mund gelegt werden. Es braucht nicht allemal eine wirkliche Moral, es kann eine Klugheitsregel, eine psychologische Beobachtung, nur muß sie merkwürdig seyn. Nicht immer wird sie, wie in der alten äsopischen Fabel, ohne alle Einkleidung, schlicht hingesagt. Zuweilen ist sie in einen neuen individuellen Fall eingehüllt, und die Fabel ist alsdann, wie manche Lessingische, zusammengesetzt, besteht aus Bild und Gegenbild. Das letztere muß aber deutlicher sich auf den Sinn beziehn, als das erste.

Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der Fabel, die herrschende Hauptempfindung ist das naive. Denn die instinctmäßige Natur erscheint hier im Selbstbewußtseyn ihrer Jdealität. Die nicht moralische Welt zeigt sich handelnd nach geistigen Gesetzen. Dies giebt ästhetisch betrachtet die Empfindung des Naiven. Nächstdem, weil in der Fabel das Wunderbare bis zur Bizarrerie getrieben wird, wird die Empfindung des Scherzhaften am häufigsten erweckt werden, nicht selten auch762 das satyrische Gefühl, wegen der menschlichen Schwächen, die unter der thierischen Gestalt gegeisselt werden. Zuweilen nähert sich auch die Fabel dem höhern Schönen. Einige Fabeln Lessings sind rührend, z. B. vom Lamm und der Juno, die des Babrias Αηδων και χελιδων ebenfalls. Lafontaine erhebt sich nicht selten mit Einbildungskraft und Gefühl, wiewol er im Ganzen genommen mehr Naivität und Grazie zeigt. Durch den ästhetischen Jnhalt wird auch der Styl der Fabel bestimmt. Von dem Styl der Fabel kann man drey Gattungen annehmen, den ganz einfachen der Griechen, den Lafontainischen geselligen Weltton, den epigrammatischen Styl Lessings. Das Centrum des durch diese drey Punkte bestimmten Zirkels ist von wenigen Fabeldichtern getroffen. Das beste Muster giebt uns Babrias in den paar griechischen Fabeln, die wir noch haben. Sein Styl ist einfach, edel, naiv. Einfach muß der Styl der Fabel seyn, weil der Gegenstand, wegen seiner praktischen Tendenz eine gewisse Würde hat, und das Ganze leicht durchschaut werden muß, wie jede nüchterne Lebensphilosophie. Lafontaine versteigt sich zuweilen, wiewol im Scherz, in die Regionen der Metaphysik, z. B. der Cartesischen. Hier geht er freylich über die Sphäre der eigentlichen Fabel hinaus; und sein Styl wird dann minder einfach: Wenn er die Parthey der Thiere nimmt, und eine gewisse geistige Natur derselben behauptet, so ist seine Philosophie allerdings der Theorie der Fabel gemäß. Doch ist das mehr Reflexion über die Fabel, als eigentliche Fabelpoesie. Die Lafontainische Fabel ist763 Poesie der Cultur, die der Griechen Natur. Auch hier zeigt sich die Wahrheit der Bemerkung, welche sich durch das ganze Feld der Dichtkunst machen läßt, daß die neuere Poesie sich mehr auf Reflexion, als auf Naturnachahmung gründet. Uebrigens wär es pedantisch, wenn man wegen der Einfachheit alle Munterkeit (Lepidezza nach Bertola), interessante selbst müssige Züge verbannen wollte. Edel muß der Styl der Fabel seyn, damit sich auch in kleinen Gegenständen die Würde der Kunst behaupte. Die Lafontainischen Scherze, die Titel, die er den Thieren giebt maitre, capitaine u. s. w. sind in seiner Sprache nicht unedel. Lafontaine hat den höhern Weltton getroffen. Die deutschen Fabeldichter Gellert, Hagedorn fehlen oft wider den edeln Styl. Jhre Natürlichkeit, ihr Scherz, gränzt zuweilen ans Platte. Dagegen ist der Styl des Phaedrus, den Desbillons und andere nachahmten, wieder zu geziert, zu sehr voll Ansprüche, um ganz edel zu seyn. Ueberhaupt zweifelt man an der Aechtheit des Werks wegen seiner Latinität. Naiv muß endlich der Styl der Fabel seyn, weil man sich ein Publikum von großen und kleinen Kindern denkt, welche man durch Mährchen unterhalten, unterrichten will. Eine gewisse Treuherzigkeit bey Erzählung dieser wunderbaren Dinge, thut die beste Wirkung. Bey den Alten ist sie natürlich, bey Lafontaine ist diese Treuherzigkeit, diese Naivität schon mehr schalkhaft. Jn den Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger ist viel Naivität. Auch trägt hierzu die alte Sprache sehr bey. Da der Styl der griechischen äsopischen Fabeln zu einfach764 war, um dichterisch zu seyn, da der Styl des Lafontaine zu galant und geschwätzig war, um immer edel zu seyn, so suchte Lessing einen Mittelweg. Er kehrte zur Kürze der Alten zurück, verschmähte die tändelnde, oft nur sogenannte poetische Einkleidung, die ambitiosa et otiosa ornamenta, allein er suchte der Fabel durch neue sinnreiche Wendung und durch einen edlern Styl ästhetische Würde zu geben. Oft ist der Styl der Lessingischen Fabel so musterhaft, wie der Styl des Babrias. Aber zuweilen wird er epigrammatischer, als es sich mit der Naivität verträgt. Das Metrum der Fabel darf sich nicht sehr über den rhytmischen Gang der Prosa erheben. Denn die Fabel nähert sich dem Ton der geselligen Unterhaltung. Hendecasyllaben, Choliamben (wie Babrias), Jamben mit und ohne Reim, kleine madrigalische Strophen (wie Jtalienische Fabeldichter sie gebraucht haben) passen am besten. Lessings Prosa hinwiederum ist poetisch und lebhaft genug, um sich von der Sprache des gemeinen Lebens zu unterscheiden. Uebrigens kömmt die Fabel unter mancherley Formen und Nahmen vor. Die Alten (nach Aristoteles) unterscheiden die Aesopische Fabel, wo Thiere, libische, wo Menschen auftreten, (λογοι αισωπειοι λιβυκοι). Es gab Sybaritische, Aegyptische u. s. w. vom Nahmen der Erfinder. Apologen hießen mehr die rednerischen allegorischen Beyspiele, welche die Menge belehren sollten. (λογος απο λογου). Μυθοι hießen die poetischen Erfindungen jeder Art. Hesiodus erzählt eine Fabel und nennt sie αἰνος grauis admonitio. Jm Plato,765 in der Sammlung der griechischen Aesopischen Fabeln steht abwechselnd λογος und μυθος. Die Neuern scheinen unter Apologen Fabeln und Erzählungen zusammen zu begreifen, z. B. Pfeffel in seiner ersten sehr schönen Fabel: Ein Sträußermädchen von Athen u. s. w. So, Leser, denk auch ich von meinen Apologen. Es giebt dialogisirte Fabeln, es giebt einen ganzen Fabelroman. Den bekannten Reinecke Fuchs, wahrscheinlich französischen Ursprungs aus den Zeiten der Fabliaux. Ja der Fuchs stand im Mittelalter bey dem französischem Volk so sehr in Ansehn, daß man sogar allegorische Geschichten von ihm auf die Bühne gebracht haben soll. Sonach hätte man auch Fabeln in Schauspielform aufzuweisen.

§. 3.

C) Das Räthsel ist die kurze allegorische Umschreibung eines Gegenstandes, die in der Absicht gegeben wird, daß man selbigen aus den angeführten symbolischen Eigenschaften errathe.

Anmerk. Das Räthsel verhält sich zu den übrigen Gattungen der allegorischen Poesie, wie das Epigramm zur didaktischen. Wie jenes muß es kurz nnd niedlich seyn, wie jenes ist es mehr ein Spiel des Witzes, als der höhern Geistesanlagen. Das Räthsel interessirt zwar auch die Vernunft, als Vermögen zu schließen. Aber nur durch scherzhafte Aehnlichkeiten. Die Umschreibung im Räthsel gehört zur allegorischen Poesie766, nicht zur beschreibenden. Denn es werden nicht die wirklichen Eigenschasten des verschwiegenen Gegenstandes angegeben, wie bey einer Beschreibung, sondern symbolische. Die Erde heißt ein Haus mit einem kristallnen Dache. Der Regenbogen eine Brücke u. s. w. Ein Räthsel, das ein Gedicht seyn soll, muß aber solche Bilder und Jdeen in uns erwecken, die wahrhaft ästhetisch sind, und das Gefühl des höhern oder niedern Schönen reizen. Auch muß ein vollkommner Plan, eine Totalität im Kleinen darinnen anzutreffen seyn. Die Gedanken müssen einen witzigen, wenigstens scherzhaften Zusammenhang haben. Es muß eine Einheit des Gedankens, wenigstens des Wortes darinnen herrschen, dessen einzelne Sylben und Buchstaben nach neuen Zusammensetzungen, oder dessen verschiedene Bedeutungen beschrieben werden. Der ästhetische Jnhalt des Räthsels ist das niedliche. Das Räthsel stellt im Kleinen eine Totalität dar. Doch giebt es auch Räthsel, die eine Empfindung des höhern Schönen erwecken, z. B. das Räthsel des Sfinx, das Oedipus errieth, das Räthsel vom Schlaf, vom Schatten im Athenäus, die meisten Räthsel von Schiller. Styl und Metrum muß epigrammatisch seyn. Es giebt mehrere Arten von Räthsel. Z. B. Charaden, wo die einzelnen Sylben eines Worts beschrieben oder anders zusammengesetzt werden, Logogryphen, Anagrammen, wo dies mit einzelnen Buchstaben geschieht, welche man umkehrt, hinwegdenkt oder vorsetzt. Auch hier muß der Stoff poetisch epigrammatisch seyn. Z. B. Amor, Roma. Dies verstehn die Franzosen767 am besten. Z. B. diene nur der Schluß eines Logogryphe von rosée si vous otez toutes les deux (r und e ersten und letzten Buchstaben) je suis un mot fort précieux, qu'à l'amant, que a sçu lui plaire, l'amante ne dicte, que des yeux. Gewissermaßen kann man hierher auch andre Spielereyen der Dichter rechnen, wenn Anfangsbuchstaben von Worten oder Versen einen besondern Sinn haben, wenn die Verse hingeschrieben eine Figur bilden, eine Künsteley, welche man bey den Alten findet. Z. B. Syrinx Theocriti, Ara, securis, Alae von Simmias Rhodius. Das πτερυγιον (das Räthsel auf den Amor) ist ein erhabenes Gedicht. Die Räthsel sind von jeher in Ansehn gewesen. Bey den alten Völkern waren die Orakelsprüche oft Räthsel. Homer, fabelt man, soll aus Gram über ein unauflösliches Räthsel gestorben seyn. Die Hirten in den Jdyllen der Alten geben sich Räthsel auf. Ein Räthsel war das Unglück Thebens und der Familie des Lajus. Bey den Griechen gab man sich Räthsel auf unter Androhung gesellschaftlicher Strafen, im Fall sie nicht aufgelöst werden konnten. Die Dichter gaben sich Räthsel in Versen, und lösten sie auf in demselben Sylbenmaße, z. B. Sappho beym Athenäus. Oft war die Auflösung gleich mit dem Räthsel in einem Gedichte verbunden. Clearch hat ein ganzes Buch über die Räthsel geschrieben. Er nimmt, wie Athenäus sagt, sieben Gattungen an. Daß die Alten auch Charaden und Logogryphen hatten, sieht man aus dem Athenäus X. 17. Gryphus hieß bey ihnen eine verfängliche und zweydeutige Aufgabe. αινιγμα eine dunkle allegorische768 Andeutung. Aus dem Plutarch sehn wir, daß diese Räthsel auch die Form des Scolions hatten. Jndeß hat beym Athenäus Räthsel eine zu weite Bedeutung. Jede scherzhafte Aufgabe in der Gesellschaft, jede Art Pfänderspiel hat bey ihm diesen Nahmen. Z. B. sagen, welche Stadt in Asien, welcher Vers im Homer mit einem gewissen Buchstaben anfängt. Man hatte ganze logogryphische Dramen, wo Buchstaben die Personen waren. Selbst Sophocles soll in einem Satyrischen Drama ein Buchstabenballet aufgeführt haben, vielleicht etwas ähnliches, wie das Ballet zu Ehren des Königs Stanislaus, welches Sulzer unter dem Wort Anagramma anführt, wo Jünglinge mit Schilden tanzten, auf denen gewisse Buchstaben von Gold geschrieben waren. Pindar hat eine Ode ohne sigma gedichtet, als Auflösung einer scherzhaften räthselhaften Aufgabe. Euripides beschreibt den Nahmen Theseus, indem er räthselhaft die Gestalt der Buchstaben von einem Landmann beschreiben läßt. Mehrere in der Geschichte berühmte politische Räthsel führt Athenäus an. Heutzutage glücken den Dichtern die Räthsel am besten, und sie werden auch am meisten geliebt, weil man sich gern mit der Poesie kurz abfindet. Dies zeigt einen überwiegenden Haug zum niedlichen, andern Theils aber auch zum allegorischen und mystischen an, wie in jedem philosophischen Zeitalter. Daß die Räthsel der Philosophie verwandt sind, bemerkt schon Clearch, beym Athenäus. Wer nicht bessere Nachrichten hat, möchte aus der jetzigen Räthselsucht beynah das Ende aller Poesie prophezeihn. Denn das System der Poetik769 schließt mit dem Räthsel. Sie hat den poetisirenden menschlichen Geist durch alle Kreisgänge seiner Organisation verfolgt, die Hauptpole für die beschriebenen Kreise gefunden, und trifft in der kleinsten letzten Windung jener großen Spirallinie, in dem Räthsel, wie sichs für eine Organisation gehört, das vollkommene Bild des Ganzen wieder an. Denn die Poesie im Ganzen, als die geistige Schöpfung, ist, gleich der materiellen Natur, ein Räthsel, dessen Schlüssel der Geist in sich selber trägt.

E770

Allgemeine Schlußanmerkung.

Kriterien der alten und neuen Poesie als Grundlinien zu einer kritischen Geschichte der Dichtkunst.

Wenn die Poetik sich zur vollkommenen Theorie ausbilden sollte, wozu dies Buch die ersten Grundsätze als Hypothesen a priori enthält, so müßte die Geschichte der Poesie nach ihren bestimmten Perioden eben so sicher daraus folgen, wie der letzte Satz im dreyzehnten Buch des Euklides aus allen vorhergehenden. Gegenwärtiger Versuch enthält nur die Grundidee des Ganzen, und bescheidet sich gern noch einer scharfbestimmten Terminologie und Politur im Einzelnen zu bedürfen, welche vielleicht Männern von beharrlicherem philosophischen Nachdenken und größerer Gelehrsamkeit, als der Verfasser besitzt, aufbehalten ist. Daher können auch hier nur einige Bemerkungen mitgetheilt werden, wie die Geschichte der Poesie bearbeitet werden müsse.

Jedes Volk hat seine Nazionalpoesie, die nach Willkühr zu sinken und zu steigen scheint. Jndeß muß eine Universalgeschichte der Poesie möglich seyn, weil sich der menschliche771 Geist psychologisch betrachtet, nach Grundsätzen entwickelt. Nun giebt es, wie wir gesehn haben, eine göttliche Poesie, durch welche gewisse Völker als Repräsentanten der ganzen Menschheit ausgezeichnet, und Perioden einer idealen Weltgeschichte dargestellt werden. Diese, welche die Menschheit durch alle Zeiträume ihrer Erziehung begleitet, wird auch die verschiedenen Epochen der menschlichen Poesie andeuten. Wenn wir die Religionsgeschichte zu Rathe ziehn, (s. oben) finden wir den Menschen in drey verschiedenen auf einander folgenden idealen Zuständen aufgeführt, welche bey einzelnen Völkern eben so, wie im Ganzen statt haben müssen. Zuerst macht der Mensch einen Theil der instinctmäßigen Natur aus, und erscheint ohne allen Gebrauch der Freyheit. Denken wir uns denselben als das edelste Thier, insofern er sich noch nicht von der Natur getrennt hat, so ist auch noch keine Kunst möglich. Er besitzt blos Kunsttriebe, wie die Biene und der Biber. Sein Leben ist Poesie, wie die ganze Natur um ihn her Poesie ist. Aber er selbst ist sich noch nicht der poetischen Kraft seines Geistes bewußt. Er selbst und alles, was er treibt, ist ein Kunstwerk der Natur. Seine Sprache kann sich zum Gesang erheben, aber mit eben so wenig Bewußtseyn, bestimmter Objektivität und Fortdauer, wie wir in dem Gesange einer Nachtigall voraussetzen. An Tradition, und schriftliche Aufbewahrung der Gedichte ist hier nicht zu denken. Augenblickliche Stimmung macht den Dichter, die Wälder der Einöde horchen ihm, die ganze Natur nimmt Theil an seinem Gesang. Dies772 ist das Zeitalter, welches die poetische Geschichte späterer Tage so reizend zu schildern weiß, wo Daphnis der Jdyllendichter, wo Silen, Orpheus und andre Helden der Fabel gesungen haben sollen. Buchstäbliche Aufbewahrung dieser Gesänge ist nicht denkbar. Giebt es in einer solchen Periode vor Erfindung der Buchstabenschrift Tradition, so ist diese nur als eine fortwährend sich ausbildende Poesie anzusehn, vermöge welcher der jüngere Dichter durch das Beyspiel des ältern angefeuert, den Jnhalt gewisser Volksgesänge auf eine neue Art darstellt. Wenn also erst mit Verbreitung der Buchstabenschrift, der Gedanke objektivisirt in einen Begriff verwandelt, fixirt wird, so ist in dem ersten poetischen Zeitalter einer Nazion weder ein Homer, noch ein Ossian, möglich. Der wahre Ossian mag allerdings anders gedichtet haben, als das ist, was Makpherson von ihm gedichtet hat, dem man bey aller originellen Simplicität, doch so manche nachgeahmte Stelle aus Homer, Aeschylus, Milton u. s. w. nachweisen kann. Dies erhellt ans dem Jrrischen Fragmente, und selbst das, was man in der Ursprache von Ossian aufzeigt, ist gewiß durch die Tradition nachfolgender Barden, entstellt. Die Gedichte, die wir unter dem Nahmen Homers haben, können in dieser Gestalt wohl schwerlich vor Erfindung und Gebrauch der Buchstabenschrift vorhanden gewesen seyn. Homers Metrum und Beschreibungen sind in jeder Rücksicht so genau, so objektiv bestimmt, daß man die Einwirkung der Schriftsprache auf seinen Geist nicht verkennen kann. Jede Vollendung und Ründung des Gedankens ist erst dann denkbar,773 wenn der Mensch anfängt, außer sich durch bleibende sichtbare Zeichen darzustellen. Eben so wenig würden wir die ächten feurigen Naturgesänge der alten Barden haben, wenn auch Carls des Großen Sammlung der Bardenlieder noch vorhanden wäre. Der zweyte Zustand, in welchem wir den Menschen finden, ist der, welcher mit einer gewaltsamen Trennung desselben von der übrigen Natur beginnt. An die Stelle des Naturtriebes tritt eine gewisse Ahnung von Freyheit, statt natürlichen Eigenschaften erschafft sich der Mensch Convenzionen und Sitten. Die Erkenntniß, welche vorher höchstens symbolisch in der Hieroglyphe vorhanden war, wird in abstrakten Begriffen dargestellt, und durch die Schriftsprache allgemein objektivisirt. Erst in diesem zweyten Zeitalter, in dem Zeitalter der Cultur beginnt die wahre Poesie, als eine Kunst. Der Mensch stellt sich nun der Natur gegenüber und sucht ihr ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Weil er aber dem Naturstande immer noch ziemlich nahe ist, weil er sich durch die Cultur in einem minder glücklichen Zustande befindet, als er in den Zeiten der Rohheit war, so träumt er sich in den Naturzustand zurück, schmückt denselben durch Fabeln aus, und stellt die sichtbaren äußern Naturgegenstände mit Auffassung aller Züge ihres individuellen Lebens, ja sich selbst und seine Götter nur als Naturwesen in einem idealen Lichte dar. Dies ist der Charakter der alten Poesie, wie sich dieselbe bey den Griechen im Original, bey den Römern in der Kopie fand. Es ist nun auch sehr erklärbar, warum der scharfsinnige Aristoteles das774 Prinzip der Poesie (nämlich der Alten, die er beobachtete) in die Nachahmung setzte. Ungeachtet der Mensch schon idealisirte, war er sich doch dessen nicht so sehr bewußt, weil seine Sehnsucht nach der Natur, ihm den verlornen Naturstand schöner vorstellte, als er gewesen seyn mochte. Zweytens weil die Wirklichkeit selbst noch nicht so schlecht war. Jn diesem Zeitpunkte sammelte ein Homer die Traditionen, welche jeden Helden der Vorzeit schon nach und nach idealisirt hatten, und stellte den Menschen als Naturwesen mit großen aber edeln Leidenschaften dar. Jhm folgte Aeschylus, Sophocles und andre. Die Verbreitung der Buchstabenschrift, die städtische Schaubühne welche die Poesie concentrirte, gaben dem poetischen Gedanken mehr Ründung und objektive Vollkommenheit. Ungeachtet durch die Staatsverhältnisse die Menschen zusammengedrängt und an einander gerieben wurden, so daß wohl zuweilen ein außerordentlicher Charakter, wie die Antigone des Sophocles, eine Erscheinung aus der Vernunftwelt, gesehn wurde, so behielt doch auch die dramatische Poesie der Griechen den Homerischen Sinn für die Schilderung der individuellen lebendigen Natur. Eben dieser Sinn zeigte sich in der lyrischen Poesie, und der Theokritischen Jdylle. Der dritte Zustand endlich, in welchem der Mensch aus einem idealen Standpunkte betrachtet, gefunden wird, beginnt mit einer höhern Offenbarung. Die Sitten sind auf dem höchsten Grad der Verderbtheit, die Wirklichkeit ist so tief gesunken, daß der Geist alles Jnteresse am Leben verliehrt, das Glück ist aus den Herzen gewichen,775 und die Sinnlichkeit hat Ekel am Genusse. Da erwacht ein inneres Licht im Menschen, und zeigt ihm eine höhere göttliche allgemeine Bestimmung. Der Mensch wird auf den Himmel verwiesen, der Sorge für das irdische Glück, das ohnedieß ein unvollendetes Gebäude bleibt, entladen. Von nun an muß die Poesie einen andern Charakter bekommen. Dies geschah mit Verbreitung des Christenthums. Mit dem Christenthum beginnt die neue Poesie. Durch das Christenthum verlernte es der Mensch, die Lebendigkeit des natürlichen individuellen Daseyns, als den höchsten Zweck anzusehn. Er ward zu hochgesinnt, alle Jdealität in der äußern objektiven sichtbaren Natur zu suchen. Er kehrte den Blick nach Jnnen, wo sich ihm ein neuer bisher unbekannter Quell geistigen unsichtbaren Lebens öffnete. Wenn der Schatten des Achills in der Odyssee lieber auf Erden der Knecht eines Bauers seyn wollte, als in der Unterwelt ein König, so dachte sich der Christ dagegen nichts herrlicheres als im Himmel ein Königthum. Er verlor also die bestimmten Conture der Dinge aus den Augen. Das Prinzip der Poesie war nicht mehr Nachahmung einer vergangenen Naturwirklichkeit, wie zu den Zeiten des Aristoteles, sondern Darstellung einer idealenkünstlichen unsichtbaren Welt. Daher will schon Vida einen Dichter erziehn, während Horaz ihn nur bilden wollte. Wie die alte Poesie, (die griechische oder mythologische) nicht die Gegenwart schilderte, sondern den Blick um eine ganze Epoche rückwärts in einen Naturstand äußerlich idealer Gestalten warf, eben so zeigt die neue,776 (christliche philosophische) Poesie, welche auf dem Standpunkt der Offenbarung steht, keineswegs den Menschen, wie er itzt seyn sollte, erleuchtet von der Religion sondern sie wirft den Blick um eine ganze Epoche rückwärts in den Zustand der Cultur, und schildert uns die Welt unter der Herrschaft der Sitten und Convenzionen. Die alte Poesie schilderte die sichtbare und individuelle Natur, weil sie dieselbe für das Jdeal des Daseyns hielt; sie blickte rückwärts, weil sie ihr Jdeal hinter sich in einer kräftigeren Vorwelt suchte. Die neue Poesie schildert den convenzionellen cultivirten Zustand, nicht weil dieser ihr Jdeal ist, nicht weil sie ihr Jdeal rückwärts sucht, sondern weil ihr der Naturzustand zu wenig, dagegen der Zustand der Cultur der einzige Weg ist, durch welchen der Mensch zum höhern Jdeal, welches vorwärts liegt, gelangen kann. Die alte Poesie nahm eine Richtung, welche den Menschen beruhigen mußte, sie zeigte die äussere Gestalt der Natur, welche immer harmonisch ist. Selbst wenn sie, wie in der Tragödie, den Menschen im Unglück darstellte, verwies sie ihn auf die grausend schöne Jdee des Fatums, und hingestützt auf Grazien und Musen empfing er, wie Schiller sagt, den Pfeil mit freundlich dargebotner Brust vom sanften Bogen der Nothwendigkeit. Er fand seine schönste Bestimmung darinnen der Natur als integrirender Theil anzugehören, er fühlte ihre Schönheit, und liebte sie, selbst wenn er vom geheimnißvollen Gang ihres Schicksals niedergetreten ward. Die neue Poesie nimmt eine Richtung, welche die Absicht hat, den777 Menschen eher zu empören als zu beruhigen. Sie will ihn von der sichtbaren Natur entfernt halten. Sie will alle Bande, die ihn an sie knüpfen zerreißen, damit er sich einer höhern idealen Natur, die in ihm selbst ist, in die Arme werfe. Die neuere Poesie bringt also nicht Harmonie, sondern Contraste hervor, um aus diesen Contrasten eine höhere Harmonie einst hervorgehn zu lassen. Darum stellt sie gern das gestaltlose Zeitalter der Cultur dar, weil sich der Mensch in demselben mit sich selbst, mit seiner Sinnlichkeit in Entzweyung befindet, weil er darinnen kämpft, um das religiöse Prinzip zu erringen. Darum zeigt sie den Menschen immer auf der einen Seite in der tiefsten Verderbniß und Erniedrigung, auf der andern als ein Wesen, das auf eine gottähnliche Jdealität Anspruch zu machen hat. Die alte Poesie beginnt mit dem naiven, weil sie nur allein die Jdealität der instinctmäßigen Natur fühlt. Alle übrigen Empfindungen des niedern und höhern Schönen modifiziren sich nach jener herrschenden Hauptempfindung. Jn den Helden der Alten findet man, wie wir oben aus Beyspielen ersehn haben, Naivität mit Hoheit verbunden, Naivität in der Heftigkeit u. s. w. Das höhere Schöne ist nie ganz getrennt von dem niedern Schönen. Die alten Dichter sind des Großen, Starken, Heftigen, Hohen fähig. Nur das himmlisch erhabene, wie schon von uns bemerkt worden ist, fehlt ihnen ganz und muß ihnen fehlen, weil die Alten die unsichtbare Welt des Geistes, und ihre Harmonie mit der Natur, nach geschehener Trennung von der Natur nicht778 kannten. So zeigt sich die alte Poesie zuerst im Homer, welcher als der erste Dichter, und die Quelle derselben angesehn werden kann. Die neue Poesie beginnt mit der Allegorie. Denn ihre Epoche hat den Dante an der Spitze. Den Charakter der Naivität, der individuellen Lebendigkeit hat sie nicht, weil die Zweydeutigkeit der Allegorie sich nicht mit Naivität verträgt. Dagegen zeigt sie alle Grade des rührenden Schönen. Geist und Natur sind in der größten Trennung. Das heftige, das starke, das große, das schauderhafte ist geschildert, ohne Beymischung des niedern Schönen. Darum entsteht auch, wenn die Trennung aufgehoben wird, das himmlisch Erhabene. Uebrigens hat die neue Poesie eine sehr alte Quelle, das größte Meisterwerk des Geistes, die Bibel. Homer hatte zwar auch Fabeln und Mythologie, die er nur zu sammeln brauchte. Allein die höchste Form der Schönheit mußte er selbst zu seinem Stoffe hinzuthun. Die neue Poesie hingegen hatte die göttliche Poesie zur Quelle, zum Muster, da die Bibel von der Genesis an bis zur Offenbarung Johannis ein großes poetisches Ganzes ist, das die ideale Weltgeschichte vom Anfang bis zum Ende der Zeit in sich begreift. Durch die Bibel steht die neue Poesie in Verbindung mit dem Kunstgeschmack der ältesten Völkerschaften des Orients. Die Tendenz der neuen Poesie ist also vielleicht eben so alt, als die Tendenz der alten. Denn dieser Contrast eines innern geistigen Jdeals und der äußerlich erniedrigten Menschheit, die Verbindung des kühnsten Gedankens mit den gemeinsten779 Ausdrücken des Lebens, eine erhabene Ansicht des Weltgebäudes, der tiefe philosophische Blick in die grausende Nacht eines gestaltlosen Geisterreichs, alles das, was in der neuen Poesie oft nur Nachahmung ist, findet sich bey den hebräischen Dichtern ursprünglich. Allein vor Ausbreitung des Christenthums war die göttliche Poesie ein Nationalgeheimniß der Juden. Sie konnte deshalb auf die menschliche Dichtkunst keinen Einfluß haben. Erst als die Wissenschaften wieder auflebten, und die christliche Religion mit ihren wohlthätigen Jdeen die barbarischen Völker kultivirt hatte, wurde die Stimmung, welche die Bibel aus dem Orient ins Abendland verpflanzte, Veranlassung, nach ihr eine neue Poesie zu bilden. Diese heißt also mit Recht die Neue. Dagegen die griechische Poesie mit Recht die Alte. Denn vor dem Christenthum war sie diejenige, welche in der damals gebildeten Welt den Ton angab. Auch ist der griechische Geschmack an dem naiv schönen nothwendig eher, älter, wird bey den Menschen, im Durchschnitt genommen, eher ausgebildet, als das Gefühl des geistig schönen, wie dieses aus den oben festgestellten Grundsätzen bewiesen ist. Daß übrigens die neue Poesie von der Religion ihre Bildung erhalten hat, läßt sich leicht darthun. Dante schuf eine christliche Mythologie, Milton, Ariost, Tasso folgten ihm auf neuen Wegen. Durch die Troubadours ward Petrark gebildet. Shakespear ergriff den innersten Geist des Lebens. Allein war nicht die romantische und zugleich philosophische Stimmung des Zeitalters, welches alle jene Originaldichter aufzog, ein780 Werk des Christenthums, dessen mystisches Licht sich mit der Nacht der gothischen Barbarey vereinigte, um wunderbare, für die alte griechische Welt unerhörte poetische Gestalten hervorzubringen? Das reine Christenthum an sich betrachtet, hat eine einfache Tendenz und ist den mährchenhaften Erfindungen der Poesie abhold. Durch die höhere Andacht, welche die Anbetung Christi erweckt, soll das Leben selbst in Poesie, und die Lebensart des Menschen in eine religiöse Jdylle verwandelt werden. Der Mensch, den sich die griechische Poesie in der rückwärts liegenden Fabelwelt, als ein vollkommnes Naturwesen dachte, soll durch das Christenthum einem zweyten höhern Naturstande entgegengeführt werden, welcher der Himmel heißt, wo die Reflexion, die Entzweyung aufhört, und an die Stelle des individuellen Naturinstincts, der allgemeine Vernunftinstinct der Liebe tritt. Wäre diese Poesie des Lebens völlig zu realisiren, so würde die objektive Poesie, die blos in der Gedankenwelt statt hat, aufhören müssen. Sie würde eben so wenig, wie zu den fabelhaften Zeiten des Orpheus denkbar seyn. Da nun aber die Wirklichkeit den Jdealen des Christenthums widerstrebt, da der Mensch seinen Himmel kaum in wenigen Augenblicken zu realisiren vermag, so hat der Genius des Christenthums die wohlthätigen Träume der Phantasie aus einer poetischen Gedankenwelt nicht von der Menschheit verscheucht. Er mußte aber natürlich die Gattung der Poesie am meisten begünstigen, die seinen Jdealen am nächsten war. Dies konnte die alte griechische Poesie nicht seyn, weil diese nur das irdische781 individuelle Daseyn idealisirte. So mußte also eine neue Poesie entstehn, welche in der idealen Weltgeschichte freylich um eine ganze Epoche hinter den Aussichten des Christenthums zurück ist, und der göttlichen Poesie der Hebräer am nächsten kommt. Hier erscheint der Mensch in dem Zustand der Kultur und der Reflexion, auf der einen Seite verachtend sein individuelles Daseyn, auf der andern aufblickend zu einer allgemeinen idealen göttlichen Natur, in welche er sich aber noch nicht aufgenommen fühlt. Wenn wir den Unterschied der alten und neuen Poesie durch die einzelnen Gattungen der Dichtkunst verfolgen, so ergeben sich folgende Charakterzüge. Jn der lyrischen Poesie der Alten herrscht idealisirte Sinnlichkeit, und individuelles Leben. Die Oden von Pindar, Anakreon, Horaz, sind eine Reihe wohlgeordneter Bilder, welche die Anschauung beschäftigen. Der Gegenstand bezieht sich gewöhnlich auf äußerliche Gestalt und Schönheit, Kampfspiele, Gasimahle, sinnliche Liebe u. s. w. Das Gedicht hängt objektiv als ein lebendiges Gemälde zusammen, es ist ein Jdyllion im eigentlichsten Sinne des Worts. Die Einbildungskraft bestimmt, wie Horaz das Muster giebt, den Plan. Die lyrische Poesie der Neuern hat durch die religiöse Umänderung der Jdeen einen ganz andern Schwung bekommen. Der Horazischen und Anacreontischen Poesie steht Petrark, der pindarischen, Klopstok entgegen. Der gebildete Mensch hat das Hauptinteresse für den äussern Glanz verlohren. Nur höhere Jdeale begeistern den neuern Odendichter. Seine Helden müssen mehr über782 sich selbst, als über andre siegen. Die Liebe für das Jndividuum findet der neue Lyriker nur dann gerechtfertigt, wenn dies Jndividuum ihm als Abglanz des Urbilds aller Schönheit überhaupt erscheint. Hoheit und Reinheit des Charakters werden von ihm gepriesen, und Vorzüge, die in einer unsichtbaren Welt gelten. Der Plan der neuern Ode wird weniger durch die objektive Gedankenreihe und die Einbildungskraft, als durch die Empfindung des Dichters bestimmt. Sie ist weniger Bild, als Herzenserguß. Was die darstellende Dichtkunst betrifft, so ist nicht zu läugnen, daß in der historischen Gattung die alte Poesie weit über die Poesie der Neuern steht. Auch dies ist aus der Umändrung der religiösen Jdeen und der geselligen Einrichtungen zu erklären. Zur Ausbildung der historischen Poesie gehört vorzüglich ein Zeitalter voll Thatkraft, deren Wirkungen in die Sinne fallen. Die religiöse oder wenigstens philosophische Jdee von Nichtigkeit der menschlichen Dinge ist dem Unternehmungsgeiste wenig günstig. Und hätten auch die Charaktere der neuen Welt eben so viel Energie, als die der Alten, wo Staatsverfassung und heroische Verhältnisse die Jugend zu Thaten spornten, so hat sich doch der Mensch überall mit so viel kleinlichen Mitteln in seinen kriegerischen und bürgerlichen Arbeiten umgeben, daß diese Massen weit schwerer in Bewegung gesetzt werden können. Jm Kabinett durch die Feder, durch mathematische Plane, höchstens durch lange Reihen von Feldstücken wird mehr bewirkt, als durch das Schwerdt. Die neuern Thaten geben also der Einbildungskraft783 um so weniger Nahrung, je weniger ihre Wirkungen in die Sinne fallen, je weniger der einzelne Mensch durch sich selbst handelt. Jm Homer tritt Ajax auf dem Kampfplatz und alle zittern. Der neuere Held ist fürchterlicher durch seine Geistesenergie als durch sein äußeres Selbst. Die historische Poesie der Alten zeichnet die Charaktere als wunderbare Naturwesen voll heftigen Leidenschaften, und so wird mehr individuelles Leben bewirkt, als bey den Neuern, welche die innern unsichtbaren Tiefen der Seele darzustellen suchen. Daher hat die Neue Poesie den Roman erfunden, weil ihr das Heldengedicht im eigentlichen Sinne fremd ist, weil im Roman sich vorzüglich die Seele entwickelt. Ueberdem ist das Jnteresse für Vaterland und Nazion bey den Neuern schwach. Denn Philosophie und Religion geben dem Menschen ein allgemeines Vaterland. Wenige Handlungen interessiren die ganze Menschheit selbst. Selbst die Entdeckung einer neuen Welt mag vielleicht mehr eine Epopöe für Seefahrer und Handelsleute geben. Daher sind unsre neuen Epopöen, die diesen Nahmen verdienen, sämmtlich religiösen Jnhalts, oder neigen sich zur allegorischen Poesie hin, wodurch der besondre individuelle Stoff einen Werth im allgemeinen als Jdee bekömmt. Da das historische Gedicht der Neuern an Werth der Handlung und Lebendigkeit der Charaktere verlohren hat, so hat man diesen Verlust anderwärts her ersetzen müssen. Hieraus muß man sich bey den Neuern die Verwicklung der Handlung, die Aufhäufung von Personen in den epischen Gedichten und Tragödien erklären. 784Je größere Dichter die Alten waren, desto einfacher waren sie hierinn. Schon Euripides erfand mehrere Situationen, weil er sich schwächer fühlte. Daher stammt auch bey den Neuern die Erfindung des abentheuerlichen romantischen Gedichts. Zu dieser Gattung gehört Ariost, großentheils Tasso und selbst die Shakespearische Tragödie. Weniger Scenen braucht allerdings Sophocles, einen Charakter, z. B. den Oedipus darzustellen, als Shakespear. Aber freylich, was den Charakteren der Neuern an Lebendigkeit abgeht, gewannen sie wieder an Liebenswürdigkeit, innerer Jdealität, feiner psychologischer Zeichnung. Die Gefühle und Leidenschaften der neuern Menschen haben eine Herzlichkeit, ein Jnteresse, eine Tiefe, von der sich die Alten keinen Begriff machen konnten. Schon Virgil, wenn gleich sein pius Aeneas ihm mißlang, weiß (besonders in den letzten Büchern) das Herz durch manchen sanften Zug zu interessiren, welcher dem Homer entgehn mußte. Virgil war der Umwandlung der religiösen Jdeen auf der Erde näher, und die edlern Geister jener Zeit hatten vielleicht schon eine Ahnung von dem neuen Schwung, welchen die Seelenwelt nehmen würde. Brutus der letzte Bürger war gefallen. Aber die Menschheit sollte ein Bürgerrecht im Himmel erhalten. Darum zeigen sich in der neuen Poesie die Menschen von bisher nie geahnten Seiten. Die Krieger im Tasso fechten nicht für eine Helena, sie fechten für das Grab ihres Gottes. Alle Leidenschaften nahmen durch diese und ähnliche Jdeen eine andere Wendung. Wenn Ulysses und Penelope sich ohne alle Ueberspannung aus häuslicher Gewohnheit,785 und individuellex Neigung lieben, wenn alle Bande der Verwandschaft bey den Alten mehr für zufällig, als für nothwendig gehalten wurden, so fühlt sich dagegen ein Olint für Sophronie, ein Semida für Cidli geschaffen, so dehnt der neugeborne Mensch alle Bande der Geschlechter in eine Ewigkeit aus. Dies giebt den poetischen Gefühlen eine schwärmerische Heftigkeit. Ein Charakter wie Hamlet, ein Monolog wie der des Richard im Kerker, öffnet allein schon die Aussicht in eine neue von den Griechen nicht gekannte Welt. Freylich sind ein Eteokles, ein Orestes bessere Helden für eine Handlung, aber Hamlet ist eine ungewöhnlichere Erscheinung. Ein Adam, der in der Schöpfung zuerst erwacht, ein Eloah, der zum erstenmal den Ewigen Gott vor sich sieht, sind Wesen, die eine neue Periode in der Geschichte der Menschheit, die Entwicklung der tiefsten philosophischen Einsicht in das All der Dinge verkünden. Die neue Tragödie, das Shakespearsche Drama bringt nicht, wie die griechische, den Menschen mit dem Geschick in Einigkeit, versöhnt ihn nicht durch das Band der Schönheit mit der Natur, sondern sie läßt ihn in beständigem Kampfe, damit er, durch die Freyheit, das Bewußtseyn des Himmels erringe. Auch hierdurch verliehrt die historische Poesie der Neuern an Schönheit, gewinnt aber vielleicht an philosophischem Jnteresse. Ein anderer Reiz, welchen die neue historische Poesie vor der alten voraus hat, besteht in dem Romantischen, als einer neuen Gattung des Wunderbaren. Homers Götterwelt hat zu viel Licht, erregt selten Grausen, man möchte etwa786 den Götterkampf der Jliade, das eilfte Buch der Odyssee u. s. w. ausnehmen. Aeschylus übertrifft hier den Homer durch den Schatten des Darius, durch sein Furienchor u. s. w. Allein wie weit bleibt Aeschylus hinter Shakespear zurück, wie weit die Maschienerie des Homer hinter der des Tasso, Dante und Milton. Die Religion hat den Menschen einen Sinn aufgeschlossen, welcher den Alten fremd war. Eine wohlthätige Nacht eröffnet das Auge der Seele, und sie sieht Dinge, die sie mit dem Tod und allen Schrecknissen des Jenseits vertraut machen. Freylich verliehrt durch diese oft unerklärbare Maschienerie das Werk der Neuern nicht selten an ästhetischer und logischer Vollkommenheit. Aber es gewinnt für die Einbildungskraft an Jnteresse. Die neuere Poesie gleicht hierinnen einer minder regelmäßigen Schönheit, welche durch einen tiefen Zug oft anziehender ist, als das vollkommenste Gesicht. Endlich gewinnt auch die neue historische Poesie zuweilen durch gewisse Contraste des komischen und tragischen, des gemeinen und edeln, die sich die alte nicht erlaubt haben würde, (ob sie gleich aus dem wirklichen Leben im Zustande der Cultur aufgegriffen sind), und durch lebhaftere Beschreibungen. Wenn man die Gleichnisse Ariosts, Dantes und Homers gegen einander hält, so findet man in den erstern Dichtern oft ein lebhaftes hervorstechendes Colorit, das dem alten Griechen mangelt. Letzterer hält sich nur an die Natur, selten daß er von einer besondern menschlichen Erfindung, oder aus dem häuslichen Leben seine Bilder hernimmt, auch sind dies dann nicht immer die glücklichsten787. Ariost hingegen und andre neuere Dichter setzen in ihren Gleichnissen alles, was Kunst, Wissenschaft und menschliche Erfindsamkeit ihnen darbietet, zusammen. Eine einzige Gattung der pragmatischen Poesie hat in dem neuen Zeitalter in Vergleichung mit ihrem Zustande bey den Alten gewonnen, und das ist das Lustspiel, besonders, das feincomische, weil die alten, wie Aristophanes zeigt, beym groteskkomischen stehen blieben, unsere gesellschaftlichen Verhältnisse dagegen und der Unterschied der Stände mehr Karrikaturen hervorbringen, als die Alten aufzuweisen hatten. Auch hat das Zeitalter der Cultur und künstlichen Freyheit, den Humor, die Laune erzeugt, welche den Alten ganz mangelt. Was übrigens die Einrichtung der Schauspiele betrifft, so zeigt sich auch hier der Unterschied der alten und neuen Poesie. Die Alten arbeiteten bey allen ihren Kunstwerken in großen colossalischen Massen, weil sie das Auge durch außerordentliche Gestalten zu füllen suchen. Daher, und wegen den bleibenden Charakterrollen im Lustspiel, gebrauchten sie Masken. Die Neuern suchen in allen Dingen mehr die Seele. Sie verlangen, daß weniger die äußere Gestalt, als die Mine des Schauspielers wirke. Auch ist man dem Schauspieler bey uns näher, als in den alten Theatern. So viel von der historischen Poesie. Was die beschreibende Poesie betrifft, so ist schon bemerkt worden, daß die Neuern hierinnen den Vorzug haben. Die Alten kannten die Natur weniger im Großen, weil ihre mythologischen Jdeen den Blick beschränkten. Daher findet788 man bey ihnen das höhere beschreibende Gedicht gar nicht. Jn der Jdylle muß man, aus oben angezeigten Gründen, den Alten den Vorzug lassen. Geßner giebt die Manier der neuern Jdylle an. Sie nähert sich aber bey ihm schon einer Gattung, welche für uns noch in der Zukunft liegt, der religiösen Jdylle. Satyre und Epigramm, findet in dem Zustande der Kultur so viel Nahrung, daß die Neue Poesie hierinnen der Alten leicht den Preis abgewinnen kann. Jm didactischen und allegorischen Felde hat die Neue Poesie ihr eigentlichstes und originellstes Gebiet. Denn hier giebt ein philosophisches Zeitalter den meisten Stoff. Wir haben schon zu anderer Zeit bemerkt, daß hier noch manches unentdecktes unbenutztes Land liege. Aus dieser kurzen pragmatischen Geschichte der Dichtkunst kann man das Resultat ziehn, daß der Unterschied der alten und neuen Poesie in nothwendigen psychologischen Ursachen gegründet sey. Jede von beyden hat ihre besondre originelle Richtung. Jn welchem Fache die eine Original ist, kann es die andre schlechterdings in dem Grade nicht seyn. Man sollte demnach die alte Poesie zwar immer als beschränkendes Muster zur Bildung des Geschmacks, nie aber als ein Muster, welches das schöpferische Genie zu Nachbildungen reizt, ansehn.

E789

Register. ──────

Die Seitenzahlen laufen durch beyde Theile fort.

A.

Aeschylus 74. Uebersetzung seines Furienchors 79. Antithesen 99. Beschreibung des Schlachtmorgens 124. Wortsynthesen 273. Jnterjectionen 284. Amphibolieen 322. Pleonasmen 324. tragische Metra 408. Anfang der Trauerspiele 633. sein Chor 638. Schwulst 644.

Aesop 758.

Alexandrinische Dichter 200.

Alfieri sein Brutus verglichen mit Voltaire 634.

Anacreon. Niedliche Stellen 156. Naive 198.

Appollonius Rhod. hat Naivität 201.

Apulejus 190. 191. Hermes Trismegistus 467.

Arabische Dichter lieben die Allegorie 310. ob sie den Reim erfunden 353. haben Poetiken in Versen 720.

Archestratus 717.

Ariost Roland, verglichen mit Othello 99. Alcina mit Tassos Armida 171. seine Laune 190. romantische Beschreibungen 191. Allegorieen 312. sein Plan 597. 616. Beschreibungen verglichen mit Homer 786.

Aristoteles sein Prinzip der Nachahmung 9. 774. κυριον. ξενικον 249. über Chiasmus 316. sein Päan 554. Theorie der Handlung 595. 6. über das tragische 621. über die Fabel 759. 64.

790

Aristophanes seine Satyre ist schmutzig 185. parodirt die Tragiker 662.

Athanasius 501.

Athenäus über Räthsel 766 68.

Ausonius s. Cento 314.

B.

Babrias 409. 762.

Barden 353. 773.

Baumarchais, Figaro 662.

Bentley ist zu scharfsinnig in Erklärung der Dichter 257. über Cäsur 396. über Sapphisches Metrum 423.

Blumauers travestirte Aeneis 187.

Blair über Horaz 309. über die Figuren 317.

Boileau über Poesie und Musik 15. über Wortspiele 266. 729. über Epitheta 277. über Sonnet 545. über die Elegie 565. über die Oper 673. Satyren 696. Dichtkunst 720. übers Epigramm 728. über Alexandriner 411.

Büffon 339.

Bürger Uebers. des Homers 330. Onomatopoien 373.

C.

Camoens 600.

Catull, niedliche Stellen 159. hat Grazie 169. ist humoristisch 190. Wechselgesänge 477.

Cervantes 653.

Chateaubriands Atala 203. über den Genius des Christenthums 739.

Cicero Paronomasie 265. von der Allegorie 309. genera dictionis 333. Uebers. der Apolog. Socr. 339.

Claudian falsche Jnversion 280. Epithalamien 577. 755.

Cleobulus Epigramm übersetzt 700.

Corneille (P.) 96. Clitandre 267. 97. Cid 268. 626. 29. 47. der Reim wird ihm schwer 376. seine Declamation791 436. über die dramatische Einheiten 623. 24. Nebenpersonen 625. Horace 627.

Cowley, unmusikalischer Schluß 391. ohne Strophen 545.

D.

Dante 74. verglichen mit Sophocles 85. Ugolinos Traum übers. 115. sanfte Stellen 165. πολυσυνδετον 281. seine Mythologie 738. ist allegorisch 747. über die Erlösung 750. verglichen mit Klopstock 751. sein Styl 753.

Delisle und Boileaus Uebers. der Sappho 424. Dithyramben 555.

Dryden, Ode auf d. Cecilientag 543. 86.

E.

Edda 354.

Engländer zu bilderreich fürs sanfte 166. sind humoristisch 189.

Ennius Onomatopoie 372.

Euripides Beyspiel des Sanften 161. ist zu sentenziös 301. schließt einfach 303. Jphigenie 633. sein Chor 637. 38. 39. Räthsel 768. hat am meisten Situationen 784.

Evremond über die Oper 669.

F.

Florian 179.

Fracastorius 718.

G.

Gellert 659. 725. 763.

Geßner 246. 343. idyllische Dramen 665. Jdyllen 689. 90. Tod Abels 693.

Gleim, Beyspiel des Glänzenden 123. Anakreontische Nachahmungen 158.

Göthe, der Charakter seiner Poesie ist hohe Grazie 179. ist Muster für den poetischen Styl 270. Götz von Berlichingen792 620. Clavigo 628. schildert den Bürgerstand idyllisch 691. Bestimmung des Romans 655. sein gnomischer Styl 714.

Grays Dorfkirchhof 167.

H.

Hagedorn 573. 655. 763.

Haller, Beyspiel des Großen 105. Elegien 566. An die Ewigkeit ist beschreibend 679. seine Alpen 692.

Hebräische Dichter, lieben den αθροισμος 87. haben poetischen Dialekt 277. Bilder aus dem gemeinen Leben 290. Prosopopoien 291. verwechseln die tempora 295. lieben Antithesen 298. der Parallelismus 300. ob sie den Reim gekannt 352. ihre Elegieen 528. ihr Charakter 779.

Hephästion Definition der kurzen Sylbe 385. über Epoden 546.

Herders Paramythien 755. über Fabel 758.

Hermann über Rhythmus 342. Metrik 392. über Pentameter 398.

Hermesianax 569.

Herodot über Homer und Hesiodus 11. 310.

Hesiodus Beyspiel des Ekelhaften 85. Scut. Herc. 680. εργ. και ἡμερ. 719.

Heyne über das didactische Gedicht 704.

Hiob heftige und grausende Stellen 87. 112. ein Lehrgedicht 529.

Hölty 424. 29.

Homer 75. Epanalepsis 76. Beyspiel vom Heftigen 77. Gräßlichen 78. Aengstlichen 84. grausenden 118. hohen 130. liebt die Contraste und erhabene Grazie 132. Priamus Anrede an Achill übers. 136. hohe Grazie 177. Thersites 181. Naivität dieses Dichters 195. Hymnus in Venerem 179. häuft die Nahmen 279. seine epitheta sind793 nomina propria 280. seine Beschreibungen sind nicht müßig 286. Vergleichungen und Gleichnisse 287 90. γοργοτης 294. schließt ohne Epiphonem 302. Climax 305. Schwur 307. Hyperbel 308. 288. Räthsel 310. 767. Allegorie 311. Amphibolieen 322. Nachricht vom Tod des Patroklus, analysirt 329 31. Uebersetzung in Jamben 330. musikalische Sprache 348. 50. Hiatus 401. rhythmischer Ausdruck 404. metrischer Ausdruck 405. 6. Wiederholungen 595. Plan der Jliade 600. 605. Odyssee 603. 9. Eatalogus 604. Schluß der Jliade 610. einzelner Bücher 612. sein lächerliches 612. Ton der Erzählung 613. kannte die Buchstaben 772. seine Charaktere verglichen mit den Neuern 775. 84.

Horaz 73. hat Grazie 168. Beyspiel der Catechrese 257. der Metonomie 259. pleonastische Epitheta 279. hat zu lange Parenthesen 282. schließt ohne Epiphonem 303. ist oft zu metaphorisch 309. Allegorie 311. schlechter Wortklang 351. Accent wider das Metrum 403. über Jamben 408 16. Jonisches Metrum 425. über die Ode 535. historische Oden 536. 37. Jdeengang seiner Oden 538. 40. 43. dramatisirte Oden 545. Epoden 546. Hymnen 548. verglichen mit Tibull 563. idyllische Oden 571. Episteln 580. über den Chor 637. 40. Satyren 697. de arte poetic. 720.

J.

Jesaias, grausende Pracht 113. Allegorie 310.

Johannes Evangel. Beyspiel des himmlisch erhabenen 143.

Jtaliener Ursprung ihres heroischen Sylbenmaaßes 389.

Justinian Chiasmus 316.

Juvenal 351. 697.

Jvain vom Ritter Hartmann hat Naivität 204.

794

K.

Kants Sittengesetz 39. Beyspiele des Großen 108.

Kleists amphibrachische Hexameter 416.

Klopstock 68. Beyspiel des Heftigen 89. ist weniger grausend als Milton 118. glänzende Stellen 123. Uebergang aus dem Großen ins Erhabene 127. erhabene Grazie 134. Naivität 200. über die Endigung deutscher Worte 276. Beyspiel von Sermocinatio 283. Prosopopoien 292. Epiphonem 303. Amphibolieen 320. 22. über Position 387. deutscher Daktylus 388. über Quantität der Sprachen 390. Spondeenmangel 391. über seine lyrischen Metra 396. 97. Hiatus 402. über rhythmische Perioden 345. über metrische Bewegung 405. seine Jamben 409. über den deutschen Hexameter 417. Ode Salem 421. Clarissa 424. die Sommernacht 425. Lehrling der Griechen 429. Hermanns Schlacht 480. dramatische Oden 537. 43. 45. über poetische Episteln 557. Elegieen 566. Plan seiner Oden 541. seine Charaktere 598. 608. sein Erzählungston 614. über Handlung und Leidenschaft 537. über das Epigramm 730. seine Bardieten 648. 480. über Declamation 436.

L.

Lamotte und Lafaye über den Reim 375.

Lafontaines Fabeln 762. 63.

Lessing, seine Jamben 409. Emilie Galotti 632. Minna von Barnhelm 658. 59. Nathan 724. über d. Epigramm 727. 28. Parabel 760. Fabeln 761. 62.

Longin Definition des Erhabenen 210. über Sylbenmaaß 381. Metrum 393.

Longus (Sophista) hat Naivität 201.

Lucan 307.

Lucilius liebt die Tmesis 276.

795

Lukrez. Große Stellen 110. erhabene 130. sanfte Größe 166. hat Laune 190. Tmesis 276. Plan des Gedichts 707. 709. 11. sein Styl 713. 17.

M.

Macpherson, sein einfacher Styl 270.

Manilius 676. 680. 718.

Marzial 729. 31.

Mathissons 161. Adelaide 304. beschreibende Lieder 701.

Mesomed Hymne an die Nemesis 131. 550.

Metastasio niedliche Stellen 160. Beyspiele der galanten Poesie 593.

Milton, grausende Stellen 118. Gebet von Adam und Eva übersetzt 120. Penseroso 166. Einmischung der Mythologie 296. 600. Erzählungston 614.

Minnesänger hatten noch poetischen Dialect 363. Fabeln 763.

Minucius Felix 500.

Moliere Precieus. 267. Misanthrop 659.

N.

Newton über Geometrie 24.

Nonnus Paraphras. des Johannes 278.

Notkerk 46.

O.

Odins Höllenfarth 119.

Opitz, von der Poeterey 10. hat Naivität 204. Wortsynthesen 274. sein Vesuv 680.

Ossian 68. Große Stellen 111. grausende 115. Wehmuth 137. seine Vergleichungen sind genauer wie die Homerischen 290. ob er gereimt 354. sind seine Gedichte Epopöen? 610. Schluß seiner Gesänge 612. sein Erzählungston 614. über seine Aechtheit 772.

796

Otfried Evangel. 355.

Otway 94.

Ovid niedliche Stellen 160. Grabschrift des Phaeton 182. Metamorphos. Anfang 261. Antimetabole 316. seine Pentameter 419. über die Elegie 560. dirae 564. seine Heroiden 557. sein Elegieenton 568. Epistolae ex Ponto 570. 79. de arte amandi 722. Plan seiner Metamorphosen 745.

P.

Pervigilium Veneris 158.

Petrark heftige Stellen 103. Antithesen 105. hat die Provenzaldichter benutzt 105. stellt das himmlisch erhabene dar 140. Beyspiele von Grazie 171. Reimsysteme 357. Sonnette 572. Allegorien 755.

Phädrus 763.

Pindar Beyspiele hoher Grazie 178. der Hypallage 259. 260. lyrischer Plan 541. Poesie des Styls 270. asigma 768.

Platos Republik 12. über Wortdefinitionen 37. tropischer Styl 268. Rhythmischer Schluß 339. über Rhapsoden und Declamation 433. 36.

Plutarch über Empedocles 703.

Pope, Eloise 139. allgemeines Gebet 552. über die Briefe 558. s. Messias 689. Essai on man 707. 13.

Properz 170. 563. 68.

Prudentius, Hymnen desselben 551.

Psalmen, Hypallage 262. Flügel der Morgenröthe 264. Vergleichungen 286. abwechselnde Chöre 478. lyrischer Plan derselben 527. Cramers Uebers. 552.

Q.

Quinctilian über κακαφατον 314. über die Figuren 318. über Amphibolie 320. über κακοζηλον. κοινισμος 325. über Rhythmus 337. über rhythmische Perioden 345. über Aratus 704.

797

R.

Rabner 184. über den Reim 374.

Racine frostiges Wortspiel 265. Jnversion 280. Parenthese 281. Hypotyposis 283. sein Chor 642.

Ramler 294. 412. 541. 583.

J. B. Rousseaus Oden, oft Lehrgedichte 542. Cantaten 584. 86. Allegorieen 755.

Rhythmus de Anone Episc. 355.

S.

Sakontala Beyspiele des niedlichen 155.

Salomons hohes Lied 155. 299. 530. Predigersprüche 310. 529.

Sappho niedliche Stellen 159.

Scaliger (Joseph) Skoliond. Harmodius 547. comische Wortsynthesen 273. (Jul. Cäs. ) über Figuren 317. perspicuitas 319.

Shakespears Makbeth 76. Othello 76. Fluch des Lear verglichen mit Sophocles 81. 82. Laune 189. Naivität 202. Anachronismen 295. Antithesen 297. tragische Metra 408. dramatische Biographieen 618. verletzt die Einheiten 623. Hamlet, Romeo, Makbeth 628. sein Chor 642. seine Metaphern 643. Monologen 644. das Wunderbare 649. Lustspiele 664. verglichen mit den Alten 786.

Schiller 120. 268. liebt die Distributio 299. Wallensteins Lager 480. Gedicht an die Freude, eine Hymne 549. über die Stanze 371. über Jdylle 686. Räthsel 766. seine Künstler, Muster eines Lehrgedichts 721.

Simonides Beyspiele des Edlen 179. gnomische Gedichte 726.

Simmias Rhodius πτερυγιον 767.

Sophocles, Beyspiele vom Ekelhaften 85. 101. Beyspiel des Großen 109. 110. d. hohen Naivität 198. der Hypalla -798 ge 259. Metapher 263. braucht zu viel Antithesen und ironische Antiphrasen 269. hat Hexameter 418. Chor in der Antigone 426. im Oedip. 431. beobachtet die Einheiten 623. 25. sein Haemo in der Antigone 626. Anfang seiner Trauerspiele 631. sein Chor 639. seine Sentenzen 643. lange Reden 45. Buchstabentanz 768.

Strabo sein Urtheil von der Poesie 10.

T.

Tasso Beyspiel vom himmlisch erhabenen 139. ist nicht schlüpfrig 174. Beyspiele von Grazie 175. Metapher im Amint 263. musikalische Sprache 350. hat Alexandriner 390. Allegorieen 312. sein Catalogus 604. sein Wunderbares 609. Schluß seiner Gesänge 612. sein Plan 616. seine Charaktere 784.

Theognis 725. 26.

Theokrits Naivität 199. Jdyllen 689. 91.

Thomsons Edward 109. Jahrszeiten 682. 83.

Tibull, sanfte Stellen 161. hat Grazie 170. Accent wider das Metrum 403. seine Pentameter 420. Jdeengang 562. 63. 66. 67.

Trobadors 31. 35. 577.

U.

Uz 541. Theodicee 543. hat amphibrachische Hexameter 417.

V.

Vida, sein Schachspiel 293. 717. Ars poet. 418. 720. 775. Christias 751.

Virgil, Beyspiele des Grausenden 119. des Sanften 163. der Synecdoche 256. der Hypallage 261. 62. Archaismen 276. ὑπερβατον 281. Pleonasm. Ellips. 282. Hypotypos. 283. Suspensio 293. Anticipatio 295. unpassende799 Nachahmung des Homer 307. Chiasmus 316. Amphibolie 322. Parenthesis 324. Onomatopoia 345. ὁμοιοτελευτον 351. Elision. Hiatus 400. metrischer Ausdruck 406. Allegorieen 312. sein Aeneas 608. allegorische Jdyllen 689. Georgica 720. hat viel rührendes 784.

Voltaire, Mahomet 73. 97. Pücelle 293. temple de goût 97. über die Scanfion der Alexandriner 412. sein episches Verdienst 595. über Allegorie 598. Nebenpersonen und Jntriguen im Trauerspiel 625. 27. Anfang seiner Trauerspiele 632. über Nazionalgeschmack 647. komische Nomane 653.

Voß 427. 555. 690. 91. seine Louise 693.

W.

Wernike 729.

Wieland, sein Scherz hat Grazie 180. Beyspiel d. Suspensio 293. deutsche Stanzen 371. Episode im Oberon 594. hat mehr Plan, als Ariost 617. Grazien 205. Musarion 716.

Winsbeck 356.

Y.

Youngs Antithesen 298. Metaphern 308. Nachtgedanken 708.

E800

Einige den Sinn entstellende Druckfehler verbessere man folgendermaßen: ──────

S. 22. Z. 13. statt Elementarlehre lies Elementenlehre.

74. 9. statt ευδομεν l. ειδομεν.

74. 19. statt ἡλιοςκαλω l. ἡλιου καλω.

129. 2. von unten statt Erdenland l. Erdentand.

142. 6. von unten statt prosaischer l. prophetischer

143. 7. statt dem Tode l. der Rede.

157. 17. statt verwirrt l. verirrt.

268. 2. statt er l. es

270. statt §. 10. l. §. 5.

276. 6. statt fregit l. comminuit.

520. 10. statt wandern l. wandeln.

616. 6. statt muro l. mare.

670. 12. statt morgenländischen: und Azur l. morgenländische Axur.

731. 4. von unten statt hende casyllaba l. hendecasyllabi.

E801E802E803E804

About this transcription

TextEntwurf einer systematischen Poetik
Author Christian August Heinrich Clodius
Extent328 images; 72601 tokens; 18550 types; 539604 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Technische Universität Darmstadt, Universität StuttgartNote: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-09-30T09:54:39Z TextGrid/DARIAH-DENote: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe Stefan AlscherNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs Hans-Werner BartzNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung Michael BenderNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung) Leonie BlumenscheinNote: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung David GlückNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript Constanze HahnNote: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung Philipp HegelNote: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung Andrea RappNote: ePoetics-Projekt-Koordination CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationEntwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung Christian August Heinrich Clodius. . Breitkopf und HärtelLeipzig1804.

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LanguageGerman
ClassificationWissenschaft; Literaturwissenschaft; ready; epoetics

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