PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 20]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Das Gericht im Walde.

Julie Ludwig, eine Nichte Otto Ludwigs, am 23. Nov. 1832 in der kleinen thüringischen Wald - und Bergstadt Grafenthal geboren, verlebte ihre Kindheit theils hier, theils an andern Orten des Herzogthums Meiningen, bis ihr Vater im Jahre 1848 zu dauerndem Aufenthalt nach der Residenz versetzt wurde. Als die Aelteste von vier Geschwistern von den Sorgen des Haushalts früh in Anipruch genommen, konnte sie nur wenig Zeit ihren dichterischen Neigungen widmen. Erst als die Familie nach dem 1864 erfolgten Tode des Vaters nach Düsseldorf übersiedelte, wurde dort ein Band Erzählungen vollendet, der 1868 unter dem Titel Altes und Neues erschien. Seitdem ist Nichts mehr von Julie Ludwig's novellistischen Arbeiten in die Oefsentlichkeit getreten, so entschieden günstige Aufnahme das erste Bändchen gefunden hat. Was darin im Stil von Familienmemoiren enthalten ist, Möchte, f » fest die Charakterzeichnung und so gewandt und sicher die Entwicklung der Ereignisse sich darstellt, mancher weiblichen Feder gelingen, ohne über die Ansprüche hinauszugehen, die bei glücklichem Naturell und erfreulichem Stofs selbst von Dilettanten zu erfüllen sind. Die kleine von uns hier mitgetheilte Erzählung indessen zeigt, daß das Talent Julie Ludwig's auch künstlerischen Aufgaben von freier Erfindung und tieferer psychologischer Anlage gewachsen ist; die Feinheit der seelischen Züge, die Energie der landschaftlichen Schilderungen erregen das höchste Interesse und berechtigen zu dem Wunsche, daß die Verfasserin aus ihrer Zurückhaltung heraustreten möge, um uns an der vollen Entfaltung ihres Talents Theil nehmen zu lassen.

Wer sie so gesehen hätte, die hübsche Rose-Marie, die Bäuerin vom Weidenhofe drunten, wie sie dahinschritt, schmuck im Sonntagsstaate und mit festen Füßen, der würde nicht errathen haben, wenn er es sonst nicht wußte, welche Bewandtniß es mit ihrem heutigen Stadtgange hatte. Denn Jahrmarkt, wie man allenfalls vermuthen konnte, war so wenig, als es Sonntag war, und das Körbchen, welches sie am Arme trug, deutete so sicher nicht auf Einkäufe, wie das große, baumwollene Regentuch darin fest auf Regen zu rechnen schien. Ein Gewitter hatte schon vor der Sonne gestanden; die Rose-Marie hätte kein Landkind sein müssen, um nicht zu wissen, daß es im Laufe des Tages wiederkommen würde also drittens war die Reise auch nicht zum bloßen Vergnügen unternommen.

Sauber wie immer, hatte sie doch heute mit fast zu peinlicher Sorgfalt das krause Haar über der Stirn geglättet und die Schleife des buntseidnen Kopftuches in fast zu steifer Symmetrie darüber aufgebunden. Die bauschigen Hemdärmel blendeten durch ihre Weiße, und die reinen Zwickelstrümpfe schimmerten wie frisch erblühter Schlehdorn durch das saftige Grün der Wiesen; straff saß das Mieder mit den blanken Knöpfen, und der dunkle, dreimal mit grünem Taffetband umnähte Tuchrock fiel in tiefen Falten von der kräftigen Hüfte. Kein Unthätchen sollte an ihrem Anzuge, kein Makel an ihr selbst gefunden werden das stand auf ihrem von der Schläfe bis zum Kinn in festen, schönen Linien gezeichneten Gesichte geschrieben. In diesem Gesichte vermißte man weder die Rosen der Gesundheit, noch den schwellenden Flaum der Jugend, und nur Eins fehlte der ländlichen Erscheinung, um sie zu einer in ihrer Art vollendeten zu machen: lachende Heiterkeit.

Zwar, so lange sich die Rose-Marie noch im Bereiche der Häuser und der Blicke wußte, hielt sie den Nacken steif und warf den Kopf fast übermüthig auf, wie es so ihre Art war, wobei sie bald nach rechts und bald nach links sehr freundlich grüßte; ja, sie erzwang sogar ein Lächeln, welches ihre weißen Zähne prächtig zwischen den hochroth schwellenden Lippen hervorblitzen ließ, aber ihr Auge lachte nicht mit, wie es sonst gewöhnlich that, und auch die Stirn schien wenig genug von dem zu wissen, was weiter unten im Gesicht geschah. Kaum hatte sie denn auch die letzte Hütte des langgestreckten Dorfes hinter sich, als sie, plötzlich stehend bleibend, die ganze fremde Last mit einem tiefen Athemzuge gleichsam von sich abstieß.

Ei, was da! sagte sie und fuhr so gewaltsam mit dem rechten Arme aus, als gälte es, die Festigkeit der Aermelnaht zu prüfen, was da! gebt Raum, ihr Aller - weltsgesichter! Das soll ein Ende haben mit dem absonderlichen Gucken, als wär 'was an mir, was nicht dürfte sein mit dem wehleidigen Gethue und der Bedauerniß von wegen dem Sie lachte höhnisch auf. Satt hab' ich's, fuhr sie fort, das unnütze Reden hin und wider, wo jeder Narr meint, er muß mir seinen Dreibatzenrath aufschwatzen für 'ne Schal' Kaffee und: hab 'ich's nit gesagt? kommt alleweil dahinter vorgeguckt. Geht! geht! ich kann's allein machen laßt mich nur erst frei sein frei! sagte sie noch einmal und schritt trotzig weiter.

Es war ein schwüler Morgen, und der Wiesenpfad, den sie mit einem Blicke auf die spiegelblanken Sonntagsschuhe einschlug, zeigte sich zum Glücke für dieselben trocken. Es hatte nicht gethaut ein zweites Zeichen, daß die rings um den Horizont aufsteigenden Wolken das Versäumte früher oder später nachzuholen dächten. Eine tiefe Stille lag in der Luft, die Gräser standen und rührten sich nicht, und manche kräftige Feldblume hing das feine Köpfchen, wie ein schmachtendes Stadtkind. Die Rose-Marie sah mit einer Art hochmüthigen Mitleids darauf hernieder, bald jedoch hatte sie des Himmels über sich so wenig mehr Acht, wie der Erde unter ihren Füßen; sie sah und ging gerade vor sich hin. Was sie dachte, hätte selbst ein Physiognom und Psycholog von Profession nicht von ihrer Stirne abgelesen, aber was sie auch vorhatte und sie hatte etwas vor, das war deutlich sie war in ihrem Rechte; sie glaubte es wenigstens zu sein.

Eine gute Viertelstunde mochte sie auf diese Art mit der mechanischen Gleichmäßigkeit einer wohlaufgezogenen Uhr fortgegangen sein, als sich plötzlich etwas in dem innern Räderwerke zu verschieben schien. Ein Schritt, noch in der Ferne hinter ihr, hatte das Ohr der Bäuerin getroffen, vielleicht zugleich ihr Herz, denn sie zuckte unwillkürlich mit der Hand darnach, um gleich darauf mit dem Fuße aufzustoßen, voller Zorn, daß jenes, so mit eins und ohne sie zu fragen, den Geschwindschritt eingesetzt für diesen.

Das wäre! dachte sie, wenn er mich hier halten sähe! und mit dem Gedanken schoß das rebellische Blut vom Herzen um so höher wieder in die Backen, ja! bis unter das krause Schläfenhaar hinauf. Daß wir uns überhaupt begegnen müssen hier sie schüttelte den Kopf Und wenn er vor dich träte, zu dir spräche Rose-Marie! wie dann? Der Korb an ihrem Arme zitterte, und fast hätte sie noch einmal still gehalten vor der Frage. Keinen Blick, kein Wort! gelobte sie sich zornig. Ha! daß er meinen müßt ', ich hätt' auf ihn gepaßt! es thät 'mich reu'n! Sie biß die Zähne knirschend auf einander, und eine Flamme leidenschaftlichen Hasses schlug aus den blauen Augen, über denen sich die Brauen finster zusammenzogen. Und sie hob den Kopf nur um so höher und setzte ihre Füße um so fester auf, je näher sie die bekannten Schritte hinter sich vernahm.

Sie wandte sich nicht um, sie zögerte so wenig, als sie sich beeilte, und sie besann sich keinen Augenblick, statt der weiter hinauf liegenden bequemen Brücke den ersten besten aus Baumstämmen gebildeten Steg zu betreten, der über den tiefen Mühlbach hinüber auf den Fahrweg lenkte. Das Wasser schoß und rauschte unter ihr dahin; die schwanke Brücke bog sich unter ihrer und bald darauf auch unter einer zweiten Last. Ohne zu zittern, hörte sie einen schweren, nägelbeschlagenen Schuh hart hinter sich geräuschvoll auf das Holz aufsetzen, und selbst als sie, sich dem Ende des schmalen, schlüpfrigen Weges nähernd, die Nähe des ihr Folgenden fast körperlich empfinden mußte, glitt ihr Fuß um keines Haares Breite seitwärts, und keine Bewegung ihres Körpers, keine Muskel ihres Gesichtes verrieth auch nur die leiseste Spur einer Gemüthsbewegung.

Der junge Mann dagegen, der ihr folgte, zeigte sich um so erregter, je mehr sich die Entfernung zwischen ihm und ihr verringerte. Er hatte den dunklen Filzhut, den die Bauern jener Gegend auch im Sommer tragen, abgenommen und die schwere Jacke ausgezogen, aber während er jenen in der Hand und diese über einer Schulter trug, schien er noch gleich sehr unter dem Drucke der schwülen Luft zu leiden. Sein Athem war fast hörbar, der ungleiche Schritt setzte bald aus, bald um so hastiger voran, und mehrmals fuhr er sich wie rathlos über die gebräunte Stirn und durch das dichte Blondhaar, ehe er das Ende der Brücke und mit ihr die Bäuerin erreichte.

Aber war es erst gewesen, als wolle er die Lippen öffnen, um sie anzureden, so mußte er sich sehr rasch eines Anderen besonnen haben, denn schon im nächsten Augenblicke schritt er stumm und mit abgewandtem Kopfe an ihr vorüber. Da er seine Augen beim Vorübergehen so hartnäckig seitwärts in die Felder richtete, als gälte es, die Aehren an den Halmen und die Körner in den Aehren einer genauen Zahlung zu unterwarfen, so gewann die Rose-Marie Zeit, einen halb erstaunten, halb neugierigen Blick, entgegen ihrem Vorsatz von vorhin, auf ihn zu richten.

Das trotz der sommerlichen Bräunung bleiche Gesicht, die wirren Haare, die düstern Augen, Alles das konnte ihr nicht wohl entgehen, ebensowenig eine gewisse Haltungslosigkeit, die an dem jungen, wohlgebauten Manne, der sich auch in Herrenkleidern stattlich ausgenommen haben würde, etwas Neues, durchaus Fremdes war, aber alle Himmel! hätte sie fast laut gerufen, war da nicht ein Knopf abgerissen, gerade vorn an der seinen Manchesterjacke, welche über seiner Schulter hing? Wie will er vor den Herrn bestehn? dachte sie bestürzt, und unwillkürlich fuhr sie mit der Hand ans Mieder, wo sie immer Zwirn und Nadel für solche Fälle bei sich zu tragen pflegte, doch, als ob sie hier auf ein Nadelkissen voll glühender Spitzen gestoßen wäre, zog sie dieselbe wieder jäh zurück. Eine helle Röthe schlug ihr über das Gesicht und heftig warf sie den Kopf über die rechte Schulter herum, um nun eben so starr nach dieser, wie der junge Mann nach jener Seite auszusehen.

Was geht es mich an? sagte sie in sich hinein und schnippte mit dem Finger in die Aehren nichtsdestoweniger tanzte der abgerissene Knopf, mit allerlei wunderlichem Gedankenkram vermischt, noch eine gute Weile vor ihr her.

Die Begegnung, so kurz sie war, und an welch abgelegenem Orte sie auch stattfand, hatte doch Zuschauer gehabt, von denen freilich die Betreffenden, Dank ihrer beiderseitigen Erregung, nichts gemerkt. Aus dem mit hohem Graswuchs und Gebüsch besetzten Feldrande, der sich am Ufer des Baches hinzog, tauchten zwei Köpfe und denselben folgend zwei Gestalten auf, von denen sich die eine halb, die andere ganz in die Höhe richtete friedliche Wegelagerer, wenn auch bewaffnet und zwar mit schneidigen Sicheln.

Ach, Bärbele! sagte das eine der grasenden Mädchen, indem sie die Hand zum Auge hob, um den Beiden auf dem Fahrweg besser nachzusehen, sollt 'man's denn meinen, Bärbele! daß Die da drunten Mann und Frau

Gewesen sind ergänzte Bärbele, von heute an, da wird es richtig werden. Die Klage ist schon aufgesetzt drin im Gericht, und heute hat der Schulz gesagt ist der Termin zur Scheidung.

Was? rief die Erste wieder und schlug die Hände schallend in einander und hätte fast den Graskorb umgeworfen vor Verwunderniß , so weit ist's schon gekommen da mit Denen?

Ja, ja, versicherte das kluge Bärbele, indem sie ihre volle Hucke gleichmüthig auf die Schultern hob, mit der Herrlichkeit ist's just am Ende. Sie haben sich gehastet mit der Lieb ' nun sind sie fertig. Hübsch stetig alldieweil! hat meine Großmutter selig oft gesagt und: allzuheiß macht Blasen. Seit vierzehn Tagen schafft er schon beim Hövelgrundherrn wieder als Verwalter der Johannes; sie haust allein und plackt sich mit den Knechten. Zu Recht geschieht ihr schon was trug sie ihren Kopf so hoch und war ihr Keiner gut genug im Orte?

Ganz kleinlaut fragte Margareth, die sich weder einer so flinken Zunge, noch einer so klugen, seligen Großmutter rühmen konnte, wie ihre Gefährtin, wodurch es eigentlich so weit gekommen sei?

Da frag! Das Fragen hast umsonst. Wird dir's keiner auf die Nase binden, der das Sein 'gethan hat zu der Sach'; 's sind Viele, die's vorausgesagt, daß es so kommen müßt ' ob das Dieselbigen gewesen sind, die hinterher geholfen haben und geschürt? Weißt, wie die Leute sind: der Ein' hat sein Plaisir dabei, der Ander 'seinen Vortheil. Es hat vielleicht schon lang gekocht, bis daß es gar geworden ist und offenkundig. Immer die zweite Violin' zu spielen, das hat vermuthlich dem Johannes nicht mehr angestanden er hat vielleicht gern König wollen sein über seine Königin. Im Anfang war's ein Spaß, dann würd 'es Ernst, und so ist das so unvermerkt gekommen, wie Unkraut unterm Busche, und gewachsen. Zuletzt wenn's Maß schon voll ist, noch ein Tröpfle drauf, und es läuft über. Das Tröpfle ist für diesmal nun der Damm gewesen, den der Johannes höher richten wollt'. Der Mühlbach guck, das ist ein reißend Wasser; nach jedem Wetter schwillt er an und mächtig Schaden hat er schon gethan drunten im Weidenhofe an den besten Feldern. Recht hat er, der Johannes, das hat selbst der Schulz gesagt, freilich nur daheim bei seinen Leuten; der Bäurin gegenüber hat er mit dem Müller, der's nit leiden wollt 'von wegen seinem Mühlwerk, ins nämlich' Horn gestoßen und gestichelt auf die neumodische Weisheit von der Ackerbauschulen, bis daß sie ganz rabbiat geworden ist, die Rose-Marie, und hat es durchgesetzt nach ihrem Kopf. Wer hat den Weidenhof ererbt? ich oder du? Wer hat zu sagen, wie es werden soll? So hat's der Urahn schon gemacht so muß es bleiben. Nun gut, hat der Johannes drauf gesagt: dann magst mit deinem Urahn hausen ich will gehen.

Bist du dabei gewesen oder der Schulz? unterbrach die mit dem Aufbinden ihres Korbes beschäftigte Margareth das redselige Bärbele, indem sie halb neckisch, halb zweifelhaft an ihr hinaufsah.

Ja, der Schulz, sagte die Gefragte, indem sie geschickt ablenkte, der hat von Anfang an schon scheel ge - sehen zu der Heirath. Der fremde Bursch im Dorf, der ist ihm lang ein Dorn im Aug 'gewesen.

Ja, ja, von wegen seinem Fritz, dem hätt 'der Weidenhof auch angestanden

Und hat's ihm schwer genug gemacht, hereinzukommen.

Margareth seufzte. Sie wußte wohl auch um einen fremden Burschen, dem es schwer genug gemacht wurde, hereinzukommen . Sie hatte ja um dieses Leides willen so lange in der Stadt gedient, daß all die alten Geschichten pure Neuigkeiten für sie waren. Die Rose-Marie, meinte sie fast neidisch, konnte sich's freilich ein Stücklein Geldes kosten lassen, ihn zu kriegen.

Und jetzt, tröstete Bärbele, giebt sie vielleicht das Doppelt ', um ihn wieder los zu werden. Doch nun bist endlich fertig? Steck deine Sichel ein und mach, daß wir von dannen kommen, eh' das von dort sie zeigte nach dem Walde, hinter dem es schwarz heraufstieg uns auf die Hacken setzt. Das ist die Wetterecken, und was da gebraut wird gnad 'uns Gott! das ist nix Gutes!

Die Mädchen liefen dem Dorfe zu, in dem sämmtliche Hähne durch einander krähten, während die Schwalben, immer tiefere Ringe ziehend, ängstlich den Teich umkreis'ten und mancher besorgte Hausvater auf den Heuboden stieg, um durch die Luke nach dem Himmel auszusehen. Trotz der Hast jedoch, mit der die Beiden ihre Heimat zu erreichen suchten, ward noch Manches hin und her geredet zwischen ihnen, was jenes Paar betraf, das wir dem dunklen Walde, der dunklen Wetterwolke und seinem dunklen Schicksale entgegengehen sehen.

Weiter und weiter dehnte sich bei dem raschen Schritte des jungen Landmannes die Entfernung zwischen den Beiden, aus und bald das ließ sich leicht berechnen wußte der Wald, in den der Weg einbog, die stattliche Gestalt den Augen der Rose-Marie entziehen, die sich mit bald mehr, bald minder feindlichem Ausdruck, aber doch fort und fort auf dieselbe hefteten.

Es war keine neue Geschichte, die Geschichte dieser Beiden. Sie hatten dem Sturme getrotzt und sein Brüllen verachtet, und nun, da es stille geworden war um sie und sie sich wiegten in glückseliger Sicherheit nun lauschten sie dem Flüstern der Schlange, die heute noch, wie zu Adam's Zeiten, jedes junge Menschenparadies umschleicht. Und der Feind von außen hatte leichtes Spiel, da ihm die Feinde von innen, die da sind der Stolz, der Trotz, die falsche Scham und die Verblendung, so geschickt entgegenarbeiteten. Das kluge Bärbele konnte sich in Manchem täuschen, in der Hauptsache hatte sie Recht, sehr Recht: es war so weit gekommen mit den Beiden, und jener Weg, auf dem sie sich noch einmal, wie von Gott gefügt, begegnet waren, ohne diese Gottesfügung zu verstehen oder verstehen zu wollen, es war der Weg zum Gerichte, wo Menschenspruch das Band lösen sollte, das der Himmel geknüpft hatte.

Der Himmel voll Wolken,
Die Seele voll Leid!
Geschieden, geschieden,
Auf ewige Zeit!

So sang, näher und näher klingend, eine morgenfrische Stimme in den trüben Tag hinein. War die Rose-Marie schon bei den ersten Worten erschrocken aus ihren Gedanken aufgefahren, so steigerte sich ihre Unruhe mit jedem folgenden, und ein beinahe feindseliger Blick streifte den ihr entgegenkommenden Sänger, einen harmlosen, ihr gänzlich fremden Wanderer, der es gewiß nicht auf sie gemünzt , sondern nur gesungen hatte, was ihm eben, vielleicht beim Anblick des umwölbten Himmels, auf die Zunge gekommen war. Daß die Stimmung der Natur übrigens nicht die seines Innern, verrieth der muntre Schritt und das der dunklen Strophe folgende helle Pfeifen des Studenten, dessen Reiseziel gewiß noch irgendwo in den Sonnengegenden des Zufalls lag, oder das, wie man zu sagen pflegt, ins Blaue ging.

Ade, mein Feinsliebchen!
Muß wandern nun gehn
Du wirst mich nicht drunten,
Nicht droben mehr sehn.
So bleibe im Lande
Ich fahre zur See
Nach Abend! nach Morgen!
Feinsliebchen ade!
Und droben am Tage
Vom jüngsten Gericht

Hier hielt der Sänger plötzlich ein, um sein buntes Käppchen zu ziehen und mit einer lustigen Studentenneckerei die ländliche Erscheinung zu begrüßen, der er mittlerweile nahe genug gekommen war, um sie famos zu finden. Der Rose-Marie aber war der Hals wie zugeschnürt; nichts lag ihr jetzt ferner, als Lachen und Scherzen und schon wollte sie mit einem flüchtigen Neigen des Kopfes und einer jener Handbewegungen an ihm vorübergehen, mit denen sie so bezeichnend als gebieterisch Einen von sich fern zu halten wußte, als sie in demselben Augenblicke Johannes vor dem Walde halten und sich hastig nach ihr herumwenden sah. Wollte er sie dort erwarten oder nur ihre Begegnung mit dem Fremden beobachten? Das Erste weckte eine dunkle Angst, das Zweite ihren ganzen Trotz in ihr. Bist auch noch eifersüchtig, dachte sie, willst spioniren? Sie warf den Kopf fast heftig auf, und ihr Auge blitzte noch einmal finster unter den dunklen Brauen nach ihm hin.

Eben schoß auch die Sonne einen rothen Strahl aus schwarzer Wolke schräg herüber und gerade an die Stelle, wo er hielt, so daß er, von dem dunkeln Rahmen des Waldeinganges überwölbt, in Blut und Feuer zu stehen schien. Seine ganze Gestalt war wie durchleuchtet, und es war ein so wundersames Bild, daß sie einem schreckhaft-abergläubigen Gefühle bei seinem Anblick nicht zu wehren vermochte. Es zuckte ihr im Arme, ihm zu winken, daß er warten solle; es war, als müsse sie ihn warnen, jenen finstern Pfad nicht zu betreten. Aber nein! so hätte sie sich nicht vergessen können, die Rose-Marie sie hatte nicht daran gedacht zu winken, es hatte nicht in ihrem Arm gezuckt! und gleichsam zum Beweise dessen blieb sie vor dem Studenten stehen, indem sie, denselben Arm in die Seite stemmend, den lustigen Gesellen mit einer so treffenden Erwiderung bediente, daß dieser anfangs ganz verdutzt dreinschaute, dann aber, fröhlich einstimmend in ihr übermüthiges Gelächter, dem gesunden Mutterwitze und der flinken Zunge alle Anerkennung widerfahren ließ.

Doch konnte er kaum mehr erstaunt sein, als sie selbst es war; die Worte waren ihr auf die Zunge gekommen, sie wußte nicht, wie. Ihre eigene Stimme kam ihr fremd vor, und sie erschrak vor diesem Lachen, das eine Andere aus ihr herausgelacht. Dabei hatte sie eine sonderbare Angst nach dem Waldeingange hinzusehen, und als sie dennoch aufzublicken wagte, da war Alles fort verschwunden, als ob es niemals dort gewesen wäre! die Sonne und Johannes fuhr fort aus ihren Augen ihrem Herzen ihrem Leben

Und droben am Tage Vom jüngsten Gericht Zur Rechten! zur Linken! Wir treffen uns nicht!

verhallte hinter ihr das Lied, dessen wehmüthige Weise seltsam mit dem frischen Tone contrastirte, in dem es vorgetragen wurde. Der junge Wanderer befolgte trotz seines Wohlgefallens an der hübschen Spötterin ihre letzte sehr vernünftige Weisung, statt des erbetenen Asyles unter ihrem Regentuche das bequemere und sichrere eines festen Daches aufzusuchen, indem er im Sturmschritt die Richtung gegen das Dorf einschlug, während sie selbst weit langsamer als vorher und mit einem Drucke auf dem Herzen, welchen sie dem ansteigenden Wetter zuschrieb, sich dem Walde näherte.

Immer schwerer ward die unsichtbare Last, unter der sie keuchte, und kaum hatten sie die ersten Bäume unter ihr bergendes Dunkel genommen, als sie vor Erschöpfung fast zusammenbrechend, mit geschlossnen Augen gegen einen derselben lehnte. Ihre Hände suchten nach einem Halt und umschlangen ein daneben stehendes Birkenstämmchen, aber erschrocken riß sie die Hand zurück und die Augen wieder auf, als es unter der Berührung plötzlich nachgab und die zitternde Blätterkrone seufzend an die Erde gleiten ließ.

Rasch ernüchtert sprang sie einen Schritt zurück. Das fehlte noch, eiferte sie in sich hinein daß ich es machte, wie das dumme Ding da. Auf! sagte sie und schüttelte die fremde Schwäche von sich ab, indem sie kräftig wieder vorwärts schritt, wobei sie jedoch nicht umhin konnte, einen halb ängstlichen, halb erstaunten Blick auf den geknickten Baum zurückzuwerfen, dessen Stamm, wenn auch noch jung, doch stark genug erschien, der sehnigsten Männerfaust zu widerstehen. Bin ich behext oder ist's der Baum? murmelte sie gedankenvoll vor sich hin.

Das war wohl Beides nicht der Fall. Aber vor kaum fünf Minuten hatte hier ein Mann gestanden, an derselben Stelle, wo sie stand, und dieselbe junge Birke mit der Hand umschlingend, die die ihrige umschlungen hielt. Nun ist es aus ganz aus zwischen uns, hatte er gerufen und dazu die geballte Faust zum Himmel und zornige Thränen aus dem Auge geschüttelt. Daß sie lachen konnte, wo er, ein Mann, geweint! Mit Studenten scherzen, wo so eben doch dieselbe Mahnung an ihr Ohr geschlagen hatte, wie an das seine:

Und droben am Tage
Vom jüngsten Gericht

das nahm Alles, was noch für sie in seinem Herzen sprach, mit sich fort.

Hatte er sich erst vorgenommen, ihr noch einmal die Hand zur Verständigung zu bieten, ehe es zu spät und keine Rückkehr möglich war, so erröthete er jetzt in wilder Scham über den Gedanken. Er schlug sich vor die Stirne, daß es dröhnte. Narr, der er war, sich um ihretwillen auch noch aufzuhalten! Dennoch setzte er seinen Weg auch jetzt nicht sogleich fort, sondern blieb wie festgebannt in seiner Stellung, die düsterflammenden Augen hinaus auf die staubige Landstraße gerichtet, wo er die Rose-Marie von dem Studenten Abschied nehmen und, das Gesicht dem Walde zugekehrt, demselben nah und näher kommen sah.

Immer wilder rollten seine Augen dem langsam schreitenden Weibe entgegen, immer fester legte sich seine Hand um den Stamm der jungen Birke, seine Schläfe pochten, die Stirnader schwoll an, und auf dem Gesichte, das mitunter ein unheimliches Zucken überflog, wechselte fieberhafte Röthe mit einer wahren Leichenfarbe ab. Die Zähne schlugen auf einander, aber die Lippen blieben geschlossen, krampfhaft geschlossen; sie arbeiteten in gewaltiger Anstrengung, einen Fluch hervorzustoßen, doch nur ein heiseres Stöhnen drang herüber. Kalter Schweiß brach ihm aus der Stirn, und mit jedem Schritte, der sie näher brachte, sie, die ihm das Alles angethan, umnachtete sein Geist sich mehr und mehr. Es war ein Zustand halben Wahnsinns, dem Vernichten zur Wollust wird. Johannes fühlte Leben unter seiner Faust, junges, vollpulsirendes Leben ha! während ihm der Tod in allen Adern saß seine Finger zogen sich zum eisernen Griffe zusammen wüthend packte er den Stamm der Birke Weib! schrie er auf, unseliges Weib! mit einem Wuthschrei der Verzweiflung, der sich endlich Luft verschaffte. Da fühlte er es krachen unter seiner Faust und mit aufathmender Befriedigung vernahm er den schneidenden Wehlaut des geknickten Baumes. Ein Opfer war gefallen. Der Druck auf seinem Herzen löste sich, die fürchterliche Spannung wich, und wie die stockenden Ströme des Blutes wieder zurück in die gewohnten Wege wallten, entflog der zornige Rausch, um einem männlichen Schmerze, einer tiefen Beschämung Platz zu machen. Von den Geistern seiner eigenen Gedanken verfolgt, eilte der unglückliche Mann den Tiefen des Waldes zu.

Auch die Rose-Marie setzte ihren Weg fort; es galt jetzt auszuschreiten, wenn sie das Wetter, wie es allen Anschein hatte, nicht noch im Walde ereilen sollte. Der Himmel hatte sich mit erschreckender Schnelle umzogen; immer massiger und schwärzer schoben die Wolken mit bleifarbenen Rändern herauf, eine Schichte drängte die andere, und schwerer und schwerer drückte das Gewölbe droben auf die untere Luft herab, die bald regungslos unter ihrer Last erzitterte. Nicht der leiseste Flügelschlag wehrte dieser Schwüle, die alles Leben zu ersticken schien; der Schatten gewährte keine Kühle mehr, und der sonst so gewürzig-frische Nadelduft vermehrte durch sein betäubendes Arom nur noch die Unerträglichkeit des Luftdruckes, unter dem die Pflanzen so gut wie Menschen und Thiere litten. Büsche und Bäume standen, wie von einer mächtigen Hand niedergehalten, furchtsam in sich hineingeschmiegt, die Blumen legten sich an die Erde hin, wie sterbend. Dazu das Schweigen, das unheilbrütend in den Lüften lag, diesen Lüften, die keine mehr zu nennen waren dieses Schweigen, das fürchterliche Nichts, dem das lauschend gespannte Ohr zu erliegen meint, es ward von keinem Tone, nicht dem Zirpen eines Vögelchens, nicht dem Summen eines Insectes unterbrochen.

Wer einmal im Walde war, einsam, vor dem Ausbruch eines schweren Wetters, der weiß, was es zu bedeuten hat, dieses Schweigen, und wie das Herz des Muthigsten sich beengt fühlt unter seinem Drucke. Dann versucht man wohl, es zu unterbrechen, indem man leise vor sich hin zu singen oder zu pfeifen beginnt, man spricht am Ende mit sich selbst, um nur den Trost einer Menschenstimme zu vernehmen, aber das Singen bleibt uns in der Kehle stecken, das Pfeifen kommt nicht über die ersten Tacte hinaus, und unsere eignen Worte erschrecken uns durch ihren fremden Klang und die so nahe Körperlichkeit des Tones in der dunstig-nebelhaften Atmosphäre. Allmählich wird der helle Tag zur halben Nacht, der Donner beginnt in der Ferne dumpf und drohend aufzugrollen, und ein fahles Leuchten, wie der Widerschein von fernen Blitzen, durchzuckt von Zeit zu Zeit die dämmernde, schlaftrunkene Luft. Schwerer wird das Herz, beklemmter die Brust, schleppender der Schritt des einsamen Wanderers. Die Natur, sonst die liebliche Freundin des Menschen, steht mit einem Mal vor ihm da als starres, unheimliches Räthsel; es ist etwas Feindseliges getreten zwischen ihn und sie. Die Thiere des Waldes, deren Instinct sie die nahende Gefahr erkennen und ihr entfliehen lehrt, haben ihre Schlupfwinkel aufgesucht kein Lebendiges läßt sich blicken. Die Bäume, so freundlich sonst von Sonnenlichtern durchspielt, von singenden Vögeln belebt, nehmen in der Düsterheit gespenstisch-drohende Formen an geisterhaft im Hintergrunde stehen die bleichen Stämme Schatten scheinen an ihnen vorüber zu huschen, Gestalten sich dahinter zu verstecken wie mit weißen Armen greifen ihre Aeste aus der grünen Nacht heraus, um uns in sie hineinzuziehen. Wir meinen es athmen zu hören, bald vor, bald hinter uns, das unbekannte Etwas, den unsichtbaren Alp, den wir verzaubert schleppen müssen. Scheu blicken wir uns nach ihm um, und wenn wir dann durch Straucheln erinnert werden, des Weges zu achten, so scheinen selbst die Wurzeln am Wege lebendig zu werden; sie liegen zusammengerollt, sie verschlingen sich, wie giftiges Gewürm, in Knoten und umringeln den Fuß des halbverwirrten Wanderers, dem die bekannteste Gegend plötzlich ein fremdes Aussehen gewinnt.

Wenn die Rose-Marie sich auch nicht in dergleichen Phantasieen erging, wie sie empfänglicheren Gemüthern nahe liegen, so konnte sie sich vielleicht gerade darum um so weniger dem dunkeln, beängstigenden Einflusse entziehen, den das sich vorbereitende Naturereigniß auch auf sie ausübte. Wohl hatte sie feste Nerven und einen offenen, allezeit auf das Nächste gerichteten Sinn, doch selbst ihr sicherer Fuß strauchelte mitunter, der ortskundige Blick fand sich nicht immer gleich zurecht in den vielfach sich kreuzenden Windungen der Wege. Schon mischten sich einzelne schwere Regentropfen mit den Perlen kalten Schweißes, die auf ihrer Stirne standen, aber trotz der Angst, die sie im Herzen trug, verleugnete sie keinen Augenblick die Frau, der es näher liegt, das Kleid, als den Leib zu schützen. Das Regentuch über Kopf und Schultern schlagend und den Rock so hoch aufschürzend, als es sich für die Bäuerin vom Weidenhofe schickte , suchte sie ihre Schritte zu beschleunigen, um den Ausgang aus dem Walde zu gewinnen, in dem es ihr immer unheimlicher zu Muthe ward.

Aber je mehr sie sich hastete, um so weniger kam sie voran; ihre Füße waren wie mit Blei ausgegossen, sie hörte das schwerfällige Schleifen derselben in dem vor Trockenheit knisternden Heidelbeerkraut, das Pochen ihres Herzens, das Keuchen ihres Athems sonst keinen Laut. Eine große Schlaffheit überkam sie, die Elasticität der Glieder lös'te sich, das sonst so hoch getragene Haupt sank zur Brust herab, und die schweren Lider überdeckten halb das Auge. Es war ein Zustand zwischen Schlaf und Wachen, in dem sie vorwärts schritt; die Welt lag hinter ihr, die Einsamkeit umfing sie wie ein Traum. Mit einemmal schien es ihr, als ob sie schon gestorben wäre das war so recht ein Wandeln durch die Schatten des Todes. Plötzlich fuhr sie auf, holte Athem, tief aus der Brust herauf, und strich sich mit der Hand wie besinnend über ihre Stirne. Wohin, fragte sie sich selbst, führte sie denn dieser Weg? und mit dem Blitze, welcher eben über sie dahinfuhr, durchleuchtete sie jählings der Gedanke: zum Gericht!

Freilich nur zum Gerichte in der Stadt, wo Menschenkinder saßen von Fleisch und Bein in schwarzen Fracks und weißen Binden um runde oder lange Tische her; Menschen wie sie, die Acten vor sich liegen und Federn in den Händen oder hinter ihren Ohren hatten. Der Schreiber schrieb, der Actuar verlas das Protocoll, der Herr Amtmann sprach das Recht in dürren Worten und der Diener händigte den Zettel ein mit Sporteln und Gebühren. Aber nein! das war es nicht, wovor ihr bangte, ihr Sinnen verwirrte sich, und wie aus weiter, weiter Ferne hörte sie es singen, aber nicht mehr mit der Stimme des Studenten:

Und droben am Tage
Vom jüngsten Gericht
Zur Rechten! zur Linken!
Wir treffen uns nicht.

Da stand sie still; die Rose-Marie, beide Hände vor die Brust gedrückt, die ein stechender Schmerz durchzuckte, und die Stirne so tief gesenkt, als ob sie einer neuen, fremden Weise tief in ihrem Innern lausche. Ach! es war nicht mehr die Stimme der Zuversicht, die ihr sagte, daß sie in ihrem Recht und auf geradem Wege sei der Blitz hatte ihr auf einen Moment die Nacht ihres Herzens enthüllt, mit dem Donner traf der Ruf des Herrn: Adam, wo bist du? ; zum erstenmale fürchtete sie sich vor ihm und hatte nicht den Muth, zu rufen: hier! Wenn Er sie nun vor Seinen Richterstuhl berief mit diesem Wetter, Er, der in alle Falten der Menschenseele blickt? Hochauf schlug ihr das Herz in plötzlicher Ahnung, daß Er wohl anders richten könne, als der irdische Richter, und zum erstenmale konnte sie nicht sagen: geh! zu dem unliebsamen Gedankengange. Er drängte sich ihr auf, und sie versuchte es umsonst, ihn abzuschütteln, bis der langverhaltene Sturm ihr durch seinen endlichen Ausbruch zu Hülfe kam.

Was sie noch kaum als Unglück angesehen hätte, das begrüßte sie jetzt als Glück. Sie seufzte laut und freudig auf, wie ein Erstickender, der wieder freien, frischen Luftzug fühlt; er erschien ihr als ein Retter und Befreier aus der bangen Roth der Seele, der wilde Sturm, und ihr ganzes Herz flog ihm entgegen, wie er einhergezogen kam, mit brausender Gewalt die Bäume in die grünen Scheitellocken fassend und sie mit Riesenfäusten vor sich niederbiegend, daß die stolzen sich neigten und beugten vor seiner Macht, wie die Aehren eines Feldes, über das der Wind dahinstreicht. Das war doch noch ein Feind, mit dem sich kämpfen ließ, Kraft gegen Kraft, kein Gedankending wie jenes von vorhin, das aus den Tiefen des eignen Herzens steigt wir wissen nicht, woher es kommt, noch wohin es will es zeigt uns Abgründe in uns, vor denen wir erzittern, es ruft uns Worte zu, die wir von keinem Andern dulden würden, doch können wir es nicht zum Schweigen bringen, durch keinerlei Gründe oder Entschuldigung, mit denen man sich sonst so gerne selbst besticht, und es zu tödten fehlt uns jede Waffe. Wohl Jedem, der sie nicht zu tödten verlangt, sie nicht zu betäuben versucht, sondern sie sich zur Freundin macht, die allezeit gerechte Stimme des Gewissens!

So weit war die stolze Bäuerin vom Weidenhof noch lange nicht. Im Gegentheil, es that ihr wohl, nach außen, statt nach innen hinzuhorchen, und das wilde Tosen um sie her war ihr Musik gegen jenes Flüstern ihres Innern. Sie fühlte ihre Adern wieder kräftig schwellen, alle Muskeln sich zum Widerstande spannen, sie reckte die Arme aus und zog sie wieder ein, wie um sich ihrer ungeschwächten Kräfte zu versichern; sie hob den Kopf und streckte sich zu ihrer vollen Höhe aus, und siehe da! es war noch Alles gut und heil an ihr. Die leidigen unnützigen Gedanken hatten ihr noch keinen Schaden gethan so konnte sie dem Herrn Justizrath selbst vor das spitzfindige Gesicht und unter seine scharfen Brillenaugen treten mit ihrem guten Recht so mußte alle Welt vor ihr Respect bekommen, der patzigste Knecht pariren und die schneidigste Großmagd ihrer Zunge wahren und so ging sie getrosten Muthes einem Feinde entgegen, dessen Macht sie jedoch diesmal unterschätzt haben sollte.

Wohl hatte sie schon manchen Sturm erlebt und nicht gezittert. Sie kannte die fernen Jammerlaute wie das nahe Brüllen des entfesselten Naturgeistes, aber etwas Aehnliches, wie heute, hatte sie noch nicht vernommen. War das Ohr erst dem Schweigen erlegen, so erlag es jetzt dem heulenden Brausen, welches durch die Lüfte ging und immer mächtiger anschwellend, den Untergang alles Lebens zu bedeuten schien. Es war der Ausbruch einer lange unterdrückten Wuth, die sich plötzlich Bahn verschafft und die nun Alles zerstörend mit sich nimmt, was sie auf ihrem Wege findet. In ununterbrochenen, immer stärkeren Stößen raste die Windsbraut 'durch den Wald; sie warf vor sich nieder, was ihr widerstehen wollte, und mit ihr flog ein Gewirbel von kleinen Zweigen, Blättern, Moos und leichter Erde durch die Luft.

Ihr Tuch fest an Augen, Mund und Nase pressend, segelte die Rose-Marie blindlings durch den Sturm. Sehen und Hören vergingen, und vom Gehen, was man eben Gehen heißt, war bald keine Rede mehr bei ihr. Jetzt vorwärts geblasen, wie eine Feder, jetzt in die Höhe gehoben, daß ihr der Boden unter den Füßen wich was half ihr alles Stemmen und Ringen, alle Kraft des Körpers und des Willens gegen eine solche Macht? Plötzlich in die Seite gefaßt und herumgedrillt, daß ihr der Athem ausging, sah sie manchen Baum von gleich festem und gesundem Kern sein Leben lassen bei dem wilden Spiele. Vor und hinter ihr fielen die Riesen des Waldes, bald in der Krone gebrochen, bald mit den Wurzeln aus der Erde gehoben, und vermehrten durch das Krachen ihrer Stämme und die dumpfen Schlage ihres wuchtigen Falles das betäubende Getöse des Sturmes.

Nicht lange, und die Rose-Marie mußte ihren Kampf aufgeben gegen diesen übermächtigen Feind; um nicht in die Lüfte fortgeführt oder von einem fallenden Baume erschlagen zu werden, warf sie sich an einer freien Stelle platt auf die Erde hin und ließ es über sich dahin ziehen, wie das wilde Heer, von dem sie wohl gehört, das aber nicht der Aberglaube ihrer Gegend und also auch nicht der ihre war. So saß ihr wohl das Grauen in allen Gliedern, aber nicht im Herzen, und sie hatte Muth genug, von Zeit zu Zeit den Kopf zu erheben, um zu sehen, ob sich der Wütherich noch nicht müde getobt. Plötzlich sprang sie auf mit bleichem, entsetztem Gesicht und mit beiden Händen gleichsam ein neues Gedankenungethüm vor sich abwehrend. War ihr doch gewesen, als hätte der Wind ein blutbeflecktes Tuch an ihr vorbeigewirbelt hatte sie sich getäuscht? Doch nein! dort flog noch etwas Weißes jetzt hielt's ein Dornenstrauch gepackt sie eilt ihm nach, sie will, sie muß Gewißheit haben da warf ihr der Sturm ganze Hände voll Moos und Erdstaub ins Gesicht; sie stürzte über einen Baumast, der im Wege lag, und ehe sie sich wieder aufgerichtet und die Augen klar gerieben hatte, war's verschwunden ob Papier, ob Tuch, wer will's behaupten? Aber weiß mit rothen Flecken ist's gewesen das hat sie deutlich gesehen, die Rose-Marie, und sie glaubt es auch erkannt zu haben jenes Tuch.

Wie lag sie doch so weit, weit hinter ihr zurück jetzt, jene Zeit, in der sie saß und eine als Kind gelernte Kunst wieder emsig übte? Ja, sie selbst hatte es gehohlnädelt , jenes Tuch, und jeder Stich war ein Gedanke der Liebe für ihn gewesen für Johannes. Am Hochzeitsmorgen schenkte sie es ihm, er trug es auf dem Wege zum Altar er hatte es seitdem nicht mehr getragen zu seinem Todesgange wollt 'er's wieder tragen, hatte er einst im Scherze gesagt.

Wie kam das Alles jetzt hierher? Ganz erschöpft von der wilden Jagd warf sie sich an einem Baume hin; unbekümmert um den Sturm, der sich gerade hier an einer halboffenen Wegscheide mit verdoppelter Wuth brach, unbekümmert um die Gefahr, der sie sich aussetzte, umschlang sie den einzelnstehenden Baum mit beiden Armen; sie drückte ihr erregtes Gesicht, ihre keuchende, wogende Brust stürmisch an seinen Stamm; sie schloß die Augen und öffnete sie wieder vor dem Bilde, das jenes blutbefleckte Tuch in ihr heraufbeschworen hatte. Unter welchem Baume lag er wohl erschlagen? Wer hatte ihn in diesen schauerlichen Tod gejagt?

Er selbst! rief sie aus ihrer Angst heraus, so laut und heftig, als ob sie sich vertheidigen müsse, und es hatte sie doch Keiner angeklagt sein Eigensinn und seine Bosheit sind's gewesen er ist von mir gegangen, nicht ich von ihm

Aber wer hat ihn denn so weit gebracht? Und hat er dir nicht warten wollen dort am Walde hat nicht sein ganzes Wesen nach dir hingezittert sein Angesicht geleuchtet, wie Versöhnen?

Sie sah ihn wieder vor sich unter dem schwarzen Bogenthore, von der Sonne angeglüht, in Blut und Feuer stehen hatte sie ihn zum letzten, allerletzten Male dort gesehen?

Ade, mein Feinsliebchen!
Muß wandern nun gehn
Du wirst mich nicht drunten,
Nicht droben mehr sehn!

Nein! fuhr sie auf, er hat nicht warten wollen dort am Walde, er hat nur sehen wollen hören weiter nichts!

Und sie? Sie hatte nicht gelacht mit dem Studenten. Wie hätte sie gekonnt? Das Herz war ihr ja zugeschnürt im Halse drückte es Nicht? Rose-Marie! wer war es denn gewesen?

Die Schlange keuchte sie, die ist's gewesen.

Aber Johannes konnte sie nicht hören, er sah nicht ihre angsterfüllten Blicke, und wenn er nicht erschlagen lag unter einem jener Bäume, die so dicht im Grunde stehen, daß kein Entrinnen möglich ist, so war er ihr schon weit voraus auf dem Wege zum Gericht. Es ist aus, hatte er gesagt, ganz aus zwischen uns und Johannes war der Mann, sein Wort zu halten. Er bot ihr nicht die Hand mehr zur Versöhnung, würde sie es thun?

Heftig sprang sie auf, den Baum, den sie erst so heiß umarmt, wieder zornig von sich stoßend. Nichts da! sagte sie, das ist Alles dummes Zeug, und das Weiße ist nur ein Papier gewesen; die rothen Flecken sind vom Heidelbeerkuchen, und das alte Weihlein, das ihn hier verzehrt beim Zapfenlesen oder Beerensuchen, das würde gewaltig lachen, wenn es wüßte, was ich Alles drin gesehen hätte. Sie lachte selber, aber es war nur ein mattes Beginnen, dieses Lachen.

Nachdem der Sturm noch eine Weile fortgeras't, standen er und die Rose-Marie mit einander still er, und die Flügel einzuziehen vor dem Mächtigeren, der nach ihm kam, sie, um sich zu vergewissern, daß sie überhaupt noch lebe. Sie hatte jedoch kaum Zeit ge - funden, sich aus ihrer Betäubung zu erholen und die Brust voll Athem zu schöpfen, als die Natur den ruhenden Kampf schon wieder aufnahm, um ihn aus dem Bereiche der niederen Luftschicht in die höhere hinaufzuziehen. Der Sturm war nur Verkündigung gewesen; jetzt erst brach das eigentliche Wetter los.

Und es waren neue furchtbare Gewalten, die da oben auseinanderstießen und sich gegenseitig zu verdrängen suchten. Erde und Himmel zitterten, wo sie sich begegneten, und immer tiefer senkte sich unter den Erschütterungen der feindlichen Zusammenstöße, die von einem fast ununterbrochenen Krachen und Dröhnen und fortlaufendem elektrischen Aufleuchten begleitet waren, die schwere Wolkendecke zur Erde herab. Noch fielen nur einzelne schwere Tropfen, wie die Schweißperlen ringender Riesen herab; um so ängstlicher war dieses zögernde Verhalten, und die Bäuerin wagte kaum, zu den hängenden, schwebenden Wassermassen hinaufzusehen, die sich nicht lange mehr da oben halten konnten.

Finster und finsterer wurde es um das einsame Menschenkind im Walde, das sich geblendet und betäubt von Baum zu Baume tastete und nicht mehr wußte, wo es sich befand, als ein Blitz, fast fünf Secunden lang anhaltend, ihr nicht nur die Umgebung, den wildesten und schauerlichsten Theil des Waldes, sondern auch ganz in der Nähe das Dach einer Hütte zeigte, die freilich nur einem solchen Unwetter gegenüber eine gastliche zu nennen war.

Recht wie die Eule hockt im hohlen Stamme, so lag es da mit seinem von Moos und Schlingkraut überwachsenen Schindeldache, das verwitterte Häuschen, tief in einem von Felsentrümmern und vielhundertjährigen zerklüfteten Eichen gebildeten höhlenartigen Hintergrunde des Waldes und wie die Augen jenes tagscheuen Vogels dem Kommenden entgegenfunkeln aus dem Dunkel, hatten die beiden Fenster des Häuschens aufgeleuchtet im Scheine des Blitzes aus ihrer grausigen Umgebung, der verirrten Frau den Weg zu zeigen zu dem schützenden Obdache, das sie denn auch glücklich mit der letzten Anstrengung ihrer Kräfte noch erreichte.

Sie kannte es wohl, das einsame Haus, aber betreten hatte sie es nie, und nur die Schrecknisse eines Sturmes, wie der heutige, verbunden mit der inneren Aufregung, vermochten ihre abergläubische Furcht vor demselben zu besiegen, oder vielmehr in diesem Augenblicke ganz vergessen zu machen. Die Hütte war verrufen und gemieden, wie ihre einstige Bewohnerin, die Kräuter-Ev 'es war; Erwachsene machten gerne einen Umweg um dieselbe das schönste Leseholz, die besten Erd - und Heidelbeeren verdarben ungesucht und ungepflückt in seiner Nähe und schon die kleinsten Kinder zeigten mit scheuen Fingern nach der Gegend, während der Schreckensruf: Sie kommt! die ganze Heerde eiligst flüchten machte.

Die alte Eva, eine arme Ausgestoßene aus dem Dorfe, die vielleicht erst Grimm und Groll zu dem bösen Weibe machten, als welches sie verrufen war, war freilich nun schon lange todt, doch sollte sie als Geist noch umgehen und die Leute schrecken. Ihr Häuschen hatte keinen Erben; es verfiel, und die Wenigen, die es gewagt, in das Innere zu dringen, wußten Schauerliches zu berichten. Auch die Rose-Marie wäre gerne schon in der Thüre wieder umgewandt, einen so unheimlichen Eindruck machte der Anblick des verfallenen Raumes auf sie. Dazu kam, daß sie beim Eintreten ein seltsames Geräusch zu hören glaubte, ein Huschen, Rauschen und Dielenknacken, welches sie auf den Gedanken brachte, daß irgend ein Thier, durch sie verjagt, sein Lager in der verlassenen Wohnung aufgeschlagen haben könne. Aber ehe sie sich noch entschließen, konnte, welches Uebel dem andern vorzuziehen sei, brach die Schleuse, die den Regen so lange gefangen hielt, und er fiel, nicht wie sonst in Tropfen, sondern wie ein umgestürztes Meer herab. Unwillkürlich übersprang sie nun die Schwelle, und in demselben Augenblick warf ein Windstoß die Thüre so gewaltsam hinter ihr ins Schloß, daß sie deutlich hörte, wie es einschlug, und nun so wenig mehr zurück konnte, als sie sich vorwärts wagte. So fiel sie mehr, als daß sie sich niedersetzte, auf die kleine, morsche Fensterbank nahe dem Eingang hin, wobei sie die Augen schloß und die Hände krampfhaft im Schooße faltete.

Wie lange sie so gesessen hatte, regungslos, wie eine Todte, wußte sie wohl selber nicht. Ihr Gesicht war weiß, wie die Kalkwand, an der es lehnte, und so oft sie auch den Blick mit dem muthigen Entschlusse erhob, ihre Umgebung kennen zu lernen, so oft kehrte er auf dem halben Wege scheu zurück. So viel jedoch erkannte sie beim flüchtigen Scheine der Blitze, daß die Hütte zwei Abtheilungen umfaßte, deren zweite sich vermuthlich als natürliche Höhle in den Felsen hinein erstreckte. Die Verbindungsthüre zwischen den beiden Räumen war faulend aus den rostigen Angeln gefallen; sie lag quer über den Eingang hin am Boden, und darüber gähnte die schwarze Oeffnung dem armen Weibe drohend entgegen. Was sich sonst noch in der Stube befand an altem Lattenwerke, Reisigresten und Scherbenhaufen, Alles von dem Flockenwulste vieljährigen Staubes überdeckt, ließ sich in seiner Formlosigkeit und bei der Dunkelheit, die ringsum herrschte, kaum erkennen.

Der unheimliche Ort war wohl dazu angethan, eine abergläubische Phantasie in Thätigkeit zu versetzen; wohl kannte sie auch Geschichten, die Rose-Marie, eine schauerlicher als die andere, und in jeder anderen Gemüthsverfassung würden sie ihr gerade jetzt zu ihrer Verzweiflung eingefallen sein; heute aber hatte die Wirklichkeit noch ganz andere Schrecken, als die Märchen ihrer heimatlichen Spinnstuben. Noch niemals hatte sie einen so unerschöpflichen Feuerherd sich jagender Blitze gesehen; ihr sonst so starkes Herz erbebte vor der Nähe und der Gräßlichkeit dieser Donnerschläge, die die Wände der Hütte zittern machten und die losen Dielen des Fußbodens in einer wellenförmigen Bewegung erhielten, so daß sie sich mit zugedrückten Augen hätte einbilden können, sie treibe in der Arche Noah hoch auf den Wogen der Sindflut. Und wahrlich! es schien auch nichts Geringeres, als eine zweite Sindflut im Anzuge zu sein. Der Regen brach mit immer heftigerer Gewalt herab; die halb abgerissenen Fensterläden stöhnten unter seiner Wucht Fluten auf Fluten schütteten herunter schon hörte sie das ferne Brausen der von den Bergen stürzenden Wasser, und da sie wußte, wie furchtbar rasch schon bei gewöhnlichen Gewittern der kleine Strom anschwoll, über den der Weg zur Stadt ging, so sah sie im Geiste bereits die Brücke abgebrochen und sich damit die Möglichkeit genommen, heute noch in die Gerichte zu gelangen.

Doch das war es nicht, was sie erschreckte. Ihre Erklärung lag schon bei den Acten, und ihr Advocat hatte Vollmacht, für sie einzutreten. Die Sache konnte ihren Gang gehen ohne sie, wenn nur Johannes keinen Einspruch that. Und daß er das nach Allem, was vorausgegangen und heute noch dazu gekommen war, nicht thun würde, das wußte sie so gewiß, als daß das die Bänder ihrer Schürze waren, an denen ihre heißen Finger immer eifriger herunterzupften, je mehr sich ihr Geist in fieberhafter Erregung abarbeitete. Wenn es ihm pressirte , und gewiß, es mußte ihm pressiren, so bald als möglich von ihr loszukommen, so hielt ihn selbst die abgebrochene Brücke nicht zurück er war ein guter Schwimmer, der Johannes. Sie durfte also ruhig sein und bleiben, wo sie war.

Laßt mich nur erst frei sein! hatte sie vorhin gesagt und dazu aus tiefster Seele aufgeathmet jetzt saß sie still in sich hineingekehrt bei dem Gedanken. Nur wenn sich die Läden ächzend in den rostigen Angeln drehten und die vom Regen getrillte kleine Wetterfahne über ihrem Haupte kreischte, daß es klang wie ferner Hülfeschrei, zuckte sie von ihrem Sitze auf, als ob sie vorwärts und zur Thüre wolle, um hinauszustürzen in das wilde Wetter. Dann schüttelte sie wohl den Kopf und setzte sich auch wieder ruhig hin, ohne darum das Bild, das sie verfolgte, los zu werden.

Sie hatte es einmal als Kind mit angesehen, wie Einer jämmerlich ertrinken mußte; damals war ihr der Anblick lange nicht aus dem Sinn gekommen, und mehr als einmal hatte er sie seitdem im Traume erschreckt. So mochte es auch jetzt wohl eine Art von Träumen sein, das sie überkam. Denn wieder lief es vor ihr hin das gelbe, hochaufschäumende Gewoge des heimathlichen Mühlbachs der schwere Himmel hing darüber her, und aus seinem schwarzen Schooße fuhren die blendenden Blitze über das Wasser. Mitten in der bläulichen Beleuchtung aber tauchte bald ein Fuß, bald ein Arm, bald der ganze Körper eines Menschen auf, der verzweifelnd mit den Wellen rang, ohne daß man ihm zu Hülfe kommen konnte zuletzt war es nur der Kopf noch, der sich über Wasser hielt aber es war jetzt nicht der Kopf des fremden Knechtes mehr, der jenes Mal beim Wolkenbruche umgekommen war; sie kannte es, kannte es nur zu gut, das bleiche Gesicht, die wirren Haare, die traurigen Augen ach! sie wußte jetzt erst, wie tief sich ihr das Alles eingeprägt bei jenem einen, flüchtigen Blicke, von welchem sie sich eingeredet hatte, daß er nur der Manchesterjacke und ihrem abgerissenen Knopf gegolten habe. Was that ein Knopf jetzt mehr oder weniger an der Jacke, wenn sie den Strom hinunter schwamm, vielleicht an einem Weidenbusche hängen blieb, während der, dem sie gehörte

Sie sprang auf mit einem so entsetzten Schrei, als ob ihr selbst das Wasser an die Kehle trete, und wunderbar! mit diesem Schrei flog auch der Deckel von dem Sarge, darin die Liebe lag, die niemals todt gewesen war. Der fremde Haß war fort, wie fortgeflogen; sie hatte sich selbst, wieder, die Rose-Marie, und ihn dazu, Johannes, und wenn sie noch an allen Gliedern zitterte von der ausgestandenen Todesangst um ihn, so war ihr doch so unbeschreiblich wohl zu Muthe, als ob sie blind gewesen und durch einen großen Schmerz wieder sehend geworden sei. Der Donner rollte über ihr dahin, wie die Stimme des zürnenden, strafenden Gottes; ein Blitzstrahl schlug gerade vor dem Fenster in die Erde. Herr! gehe nicht mit uns ins Gericht! rief sie laut mit aufgehobenen Händen. Alles lag jetzt in seinem wahren Lichte vor ihr da, und an ihr vorüber flog die Reihe glücklicher und unglücklicher Tage, vom ersten leisen Händedrucke bis zum letzten, tödtlich-scharfen Worte sie sah, wie es so nach und nach sich trübte und verfinsterte um sie, bis aus dem Himmel eine Hölle wurde, und statt wie sonst Andere anzuklagen, stand sie vor sich selbst in der ganzen Nacktheit ihrer falschen Seele da. Dennoch, so groß die Schuld, athmete sie erleichtert auf, denn eine größere Last, die der Lüge, war von ihr abgefallen. Mit grausamer Luft nahm sie auch den letzten Vorwurf von Johannes, um ihn zu ihrer eigenen Sündenlast zu legen; es dünkte ihr so süß, für ihn zu tragen, und in allem Jammer war sie glücklich, ihn so rein, so hoch über sich zu sehen.

Seine Augen standen vor ihr da, diese tiefen, treuen, heute so traurigen Augen, und sie wußte nun mit einmal, daß sie mit ihr gegangen waren auf den Fahrweg, durch den Wald, bis hierher; daß nicht die schwüle Luft, nicht der schwere Himmel, nicht Sturm und Wetter es gewesen, die ihr das Herz zusammendrückten, bis es aufgeschrieen und sich entladen hatte von der fremden, lange getragenen Last; es waren seine Augen gewesen, die sie bei jenem einen, flüchtigen Blicke auf den Vorübergehenden in sich aufgesogen hatte mit der ganzen Leidenschaft ihres Wesens. Und nun wichen sie nicht mehr von ihr; sie lachten und sie zürnten, wie sie sonst gethan, und beides dünkte ihr gleich schön, ja wenn sie zürnten, war es fast noch schöner. Wie hatte sie in dieses Auge sehen und sich so lange verstocken können gegen ihn? Es hatte nie gelogen nie. Auch seine Stimme hörte sie, bald in Liebesworten, bald im Zorne, und sie hätte fort und fort nur lauschen mögen. Jedes Wort, mit dem sie ihn gereizt, fiel ihr glühend auf die Seele zurück, während Alles, was er ihr entgegnet hatte, sie mit einer stolzen Lust erfüllte. Die Art, wie er erst stumm den Kopf geschüttelt, der Blick, den er ihr zugeworfen hatte sein Stehen und sein Gehen, die leiseste Bewegung, sein Reden mit den Leuten und mit ihr und jedes kleinste Thun und Lassen das Alles zeigte ihr mit einem Male den Mann, den sie mit quellendem Jubel im Herzen der ganzen Welt als den Ihren hätte zeigen mögen.

Und seltsam! hatte sie nicht immer so gedacht? trotz Allem, was die Leute sagten, trotz Allem, was sie selbst geredet und gethan? Auch das Letzte wurde klar in ihr und mit dem furchtbaren Gedanken, daß Alles nun zu spät

Geschieden, geschieden
Auf ewige Zeit

ging es wie ein gewaltiger Riß durch ihr ganzes Wesen.

Aber ich hab 'ihn und ich halt' ihn fest, und keine Macht des Himmels und der Erden soll ihn mir entreißen, schrie die Geängstigte aus ihren Qualen auf; wir Zwei gehören zu einander für Zeit und Ewigkeit so hat der fromme Pfarrherr selbst gesagt. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden

Und wer ist's denn gewesen, der auf Scheidung hat geklagt? Leid's nicht, mein Herr und Gott! rief sie wieder und rang die Hände immer heißer ineinander ich kann nicht leben ohne ihn nicht sterben Johannes! schrie sie mit einem dumpfen Wehlaut, dann glitt sie lautlos von der Bank herab und faltete die Hände auf derselben zu heißem brünstigen Gebete.

Rose-Marie! klang es hinter ihr. Sie fuhr erschreckt herum; es war dunkel, leer sie hatte sich getäuscht. Plötzlich kam ihr die Erkenntnis; des schauer - lichen Ortes, wo sie sich befand. Grausen faßte sie, jedes Haar auf ihrem Scheitel hob sich langsam, langsam in die Höhe, ein kalter Schauer lief durch ihre Glieder. Es war seine Stimme gewesen, geisterähnlich, dumpf hatte er sie gerufen? war er todt?

Und droben am Tage
Vom jüngsten Gericht

Ein Stoß erfolgte und ein Krachen, so gewaltig, als ob Erd 'und Himmel auf einander stießen, und als zu gleicher Zeit ein Blitz die Stube unter Feuer setzte, da stierte das bebende Weib mit weit aufgerissenen Augen nach der Kammerthüre hin, auf deren Schwelle noch so eben eine Gestalt gestanden hatte undeutlich, geisterhaft in dem blauen Lichte, zerfließend und verschwimmend in der Dunkelheit des Nebenraumes. Sie hatte sie erkannt: es war sein Geist.

Das Entsetzen trieb sie an die Thüre. Sie wußte nicht mehr, was sie wollte hinaus! ihn suchen, mit ihm untergehen! Ihre Gedanken verwirrten sich, alle Kraft hatte sie verlassen, und ihre Hände zitterten so heftig, daß sie nicht im Stande waren, die Thüre einzustoßen, die der Wind ins Schloß geworfen hatte. Dann eilte sie zum Fenster; sie riß es auf mit ihrer letzten Kraftanstrengung, um im gleichen Augenblicke wieder jäh zurückzutaumeln, während Sturm und Regen in die Hütte peitschten. Sie hatte in ein weites, offenes Feuerthor, geblickt, die Rose-Marie; sie hatte den Blitzstrahl sich aus seiner Mitte lösen, in scharfen Zickzacklinien niederzüngeln und sich sein Opfer suchen sehen das war das Letzte, was sie sah. Ein Donnerschlag, der zerschmetternd in ihr Hirn fiel, erstickte ihren letzten Angstschrei. Tief in die Stube hineingeschleudert, stand das junge Weib noch secundenlang hochaufgerichtet, mit ausgestreckten Armen, todtenbleich in der gräßlichen Beleuchtung dann lag sie regungslos, lang ausgestreckt auf dem Boden.

Rose-Marie! schrie es aus der Kammerthüre; ein Mann stürzte über die Schwelle und warf sich verzweifelnd neben den starren Körper an die Erde hin. Todt? fragte er und: todt! grollte der noch immer fortrollende Donner über dem Dache der Hütte und den Häuptern der Beiden hin. Aber die Wuth des Wetters war gebrochen mit dem vernichtenden Schlage; es schien mit dem Opfer zufrieden, das gefallen war, es entfloh, wie der Mörder flieht von dem Schauplatze seiner Thaten, und weiter und weiter in rasender Eile gen Osten zogen die gelichteten, zerrissenen und zerflatternden Wolken über den Himmel dahin. Bald murrte und zuckte es nur aus der Ferne noch matt herüber, und der Regen weinte sich nur noch leise aus, wie zornige Liebe, die sich zum Vergeben neigt. Es wurde hell und heller in der Luft, um so dunkler aber war die Scene, die das wiederkehrende Tageslicht drinnen in der unheimlichen Hütte beleuchtete.

Rose-Marie! mein Weib! einzig geliebtes, theures Weib! du sollst, du darfst nicht sterben! rief Johannes mit dem Wahnsinn der Verzweiflung, indem er sich auf sie niederwarf und ihre kalten Lippen, ihre geschlossenen Augen mit seinen Küssen bedeckte. Nichts darf uns scheiden hörst du? nicht einmal der Tod. Es ist nicht wahr o sag's, daß es nicht wahr ist bat er mit erstickter Stimme und versuchte es, den schweren Oberkörper in seinen Armen aufzurichten. Mit zitternden Fingern strich er ihr das Haar aus der bleichen, kaltfeuchten Stirne; er rief sie mit hundert süßen Namen, aber keine Wimper zuckte in dem schönen, reglosen Gesicht, aus dem alle Härte, aller Stolz gewichen war, und das nun vor ihm lag mit den reinen Zügen des Kindes und der weichen Wehmuth eines liebenden, unglücklichen Weibes.

All die alte Liebe, verbunden mit einem neuen, heißen Schmerze zog aus diesem Angesichte in die Seele des Mannes hinüber, der sich als ihren Mörder anklagte. War er nicht zehnmal im Begriff gewesen, hervorzustürzen und sich in ihre Arme zu werfen, verzeihend und um Verzeihung bittend, seit er sie so hülflos, so gebrochen, so offenbar unglücklich fast stundenlang vor sich gesehen hatte? Aus ihren einzelnen, abgebrochenen, wie im Fieber hervorgestoßenen Worten war ihm ihr ganzer Zustand klar geworden; er sah, wie wenig er dies Weib erkannt, wie falsch er es behandelt hatte tiefe Reue erfaßte ihn, bitterste Beschämung, und dennoch dennoch wer ergründet das Menschenherz, dies trotzige und verzagte Ding? hatte er so lange gezögert, hervorzukommen, bis es nun zu spät war.

Auch Johannes war, von jenem fürchterlichen Blitzstrahl wie mitten in den Stern des Auges getroffen, jäh zurückgetaumelt, und schon am Klange des Donners hatte er erkannt, daß es dicht in seiner Nähe eingeschlagen es war kein kalter Schlag gewesen, aber, wie er auch mit zuckenden Händen nach der Stelle suchte, wo der Blitz sein Weib getroffen haben könne, er fand kein blaues Mal, nicht am Halse und nicht an den Armen, kein versengtes Fleckchen an ihren Kleidern konnte der Schreck allein ein so warmes, lebenskräftiges Wesen getödtet haben? Der Schrecken nicht, aber du, du bist's gewesen hallte es in ihm. Er wußte nicht mehr, was er that, nicht, was er dachte. Bald legte er das Ohr auf ihr Herz, ohne vor dem angstvollen Klopfen des seinigen hören zu können, ob es noch schlug, bald versuchte er es, indem er seinen Mund auf den ihren preßte, ihr seinen eigenen Athem, sein eigenes Leben einzuhauchen. Umsonst! nichts regte sich an dem erstarrten Körper Leichenfarbe lag auf Mund und Stirne, schlaff hingen die Arme und Hände vergebens waren alle seine sinnlosen Bemühungen, Liebkosungen, Schmeichelworte, Drohen Alles.

Johannes hatte seine ungeschickten Belebungsversuche eingestellt, um sich einer dumpfen Trostlosigkeit zu ergeben, als er plötzlich in die Höhe fuhr. Schon seit mehreren Minuten hätte er ein seltsames Knistern hören, einen stinkenden Schwefelgeruch verspüren können, wenn ihm die Außenwelt nicht so ganz verschwunden gewesen wäre jetzt benahm ihm eine sich näher und näher wälzende Rauchwolke schier den Athem. Ein Aufblick genügte, ihn die Gefahr erkennen zu lassen. Die Hütte brannte; heißhungrig fraß die Flamme das dürre Holzgebälke des Dachstuhls, und schon leckte sie züngelnd an den Wänden in den wüsten Raum herunter, wo sich fast nichts befand, als solche Stoffe, die ihr Nahrung boten. Eben fiel eine glimmende Schindel in das alte Stroh, welches aufgehäuft in einer Ecke lag, als sich Johannes, dem Ersticken nahe, rasch besann. Sein Weib vom Boden auf und in seine Arme reißen, die Thüre mit einem gewaltigen Stoße eintreten und in das Freie stürzen, war das Werk weniger Secunden.

Draußen hatte sich indeß die Scene wie mit Zauberschlag verwandelt. Es regnete nicht mehr, ein köstlich erfrischender Hauch wehte ihm entgegen, und inmitten des zerspaltenen und fliehenden Gewölkes sah der blaue Himmel wie das versöhnte Auge Gottes nieder auf die Stätte der Verwüstung. Die Wasser verliefen sich nach den tieferen Stellen des Waldes zu; die Sonne kam und strich mit liebkosender Mutterhand über die Wunden hin, die der Sturm ihrer lieben Erde geschlagen. Ich lebe noch und ihr sollt wieder leben sprach ihr tröstender Blick. Und die gebeugten Büsche richteten sich auf, die Bäume schüttelten die überstandene Angst in schweren Tropfen von sich ab, die Blumen hoben die gesenkten Köpfchen, und die Vögel, die, der Himmel wußte wo, indeß in Sicherheit gesessen hatten, flatterten hervor; sie putzten die gesträubten Federn glatt, sie öffneten die Schnäbel und probirten, ob es sich nach alledem noch singen und noch fliegen lasse in der Welt.

Johannes aber eilte, ohne sich umzusehen und wie gejagt von den Flammen, welche hinter ihm aus der Hütte schlugen, keuchend vorwärts. Er kannte einen erhöhten Weg durch das Gestein; diesen dachte er mit seiner Last einzuschlagen, als er nach kaum zwanzig Schritten plötzlich stehen blieb. Ein jäher Schmerz am Fuße verhinderte ihn weiter zu gehen. Rathlos blickte er umher, und schon wollte er den schweren Körper auf einen der großen, zerstreut umherliegenden Steine niedergleiten lassen, als er seinen Vorsatz rasch vergessend, den Athem anzuhalten begann und mit dem Ausdruck der äußersten Anspannung in seinen Zügen zitternd an sich niederlauschte. War es eine Täuschung? Aber nein! er fühlte es, fühlte deutlich, wie sich die Last an seiner Brust bewegte, wie es an seinem Halse leise athmete, und ehe er noch die Fülle seiner neuen Hoffnung zu fassen vermochte, legten sich zwei Arme fest, fest um seinen Nacken her, ein lebenswarmer Mund an seine Wange, und eine Stimme dicht an seinem Ohre flüsterte, so leis und doch so wunderbar vernehmlich: Mein Johannes!

Rose-Marie! jubelte Johannes, von dem mit einem Male jeder Körperschmerz und jegliche Erschöpfung gewichen war, und er hob sie empor, wie man ein kleines Kind emporhebt, als ob er sie dem Himmel zeigen wolle, triumphirend, ein ihm abgerungenes Besitzthum.

Kein Wörtlein vom Vergangenen! kein Bitten um Vergeben und Vergessen! O wie lag das Alles hinter ihnen, ein Abgrund, über den hinweg sie der Flügel des Sturmes getragen hatte! Sie hing an seinem Halse wie ein Kind; bisweilen hob sie wohl den Kopf, als ob sie reden wolle, aber ihre Lippen bebten nur, und wortlos drückte sie ihn an seine Brust zurück; sie schlug die Augen auf und schloß sie wieder mit einem Lächeln süßester Befriedigung. Sind wir denn im Himmel, mein Johannes?

Gewiß waren sie im Himmel, die zwei Seligen. Auch die alte, gute Erde hat noch zuweilen ihren Him - mel, und wo der Engel der Versöhnung neben einer echten Liebe steht, um wieder Hand in Hand, Herz an Herz zu legen wo Gott der Herr als Hoherpriester von seinem flammenden Altar den Segen über einen Bund spricht, der fortan kein Zerreißen mehr zu fürchten hat da, wenn nirgends sonst, ragt noch ein Stücklein Paradieses in das begnadete Menschenleben herein.

Von nun an bis in alle Ewigkeit! flüsterten die Gatten, die sich verloren hatten und wiedergefunden, die gestorben waren und auferstanden zu einem neuen Leben und ewig! ewig! hallte ein majestätisches Nachdonnern des vorübergezogenen Gewitters den östlichen Horizont entlang, wie die austönenden Klänge der Orgel.

Ein dumpfes Krachen, ganz in ihrer Nähe, rief die beiden von der Weihe des Augenblicks Ueberwältigten in die Wirklichkeit zurück. Sie hatten einen schaurig schönen Anblick, indem sie ihre Blicke dahin zurückwandten, wo vor Kurzem noch das unheimliche Häuschen gestanden hatte. Das Dachgebälke war eingestürzt, eine lodernde Flammengarbe stieg empor und hob die wunderlichen Felsgebilde sammt den alten, verwitterten Bäumen in rothglühender Beleuchtung phantastisch von dem dunklen Hintergrunde ab, während die Lichtung, auf der sie standen, mit ihren verrinnenden Wassern und den Millionen Tropfen an Zweigen und Gesträuch dem schönsten Sonnenscheine eben so viele Spiegel entgegenhielt. Noch standen die Wände der alten Bretterhütte wie durchglüht, da stürzte ein verkohlter Balken nach dem andern in die Glut, und bald bezeichnete nur noch ein still glimmender Aschenherd die Stätte des Gerichtes, das die himmlische Barmherzigkeit allda über zwei verirrte Seelen hatte ergehen lassen.

Johannes drückte sein Weib mit einem unsäglich dankbaren Blicke zum Himmel an seine Brust; er trug sie triumphirend noch einige Schritte fort und hätte sie am liebsten durch den ganzen Wald, durch das ganze Leben so getragen. Jetzt war sie ja erst richtig sein, die Rose-Marie und die Bäuerin vom Weidenhof dazu. So übermüthig und doch dabei so fromm war er selbst in seinen Bräutigamstagen nicht gewesen. Er lachte ihres ohnmächtigen Widerstandes, indem er sie nur um so fester hielt, und zu gleicher Zeit standen ihm bei ihren sanften Bemühungen, sich von ihm loszumachen, die Thränen in den Augen.

Laß mich bat sie ich kann es jetzt allein erwachen das mit dem Gehen meinte sie erröthend, und mehr von ihrem Tone, als von ihren Worten bezwungen, ließ er sie augenblicklich zur Erde niedergleiten. Ich dachte sagte er du wärest mein Kind nun bin ich deines sieh! so kannst du mit mir machen, was du willst.

Aber du blutest rief sie tödtlich erschrocken aus und wies mit der Hand nach seinem rechten Fuße, an dem der Stiefelschaft der Länge nach aufgeschnitten erschien, während durch den Schnitt einzelne rothe Tropfen quollen. Wieder mußte sich Johannes erst besinnen. Freilich sagte er das ist es ja gewesen, was mich in die Hütte trieb, kurz vor dir. Ich habe mir den Fuß untersuchen und verbinden wollen, ehe ich weiter ging, und war gerade bei dem Geschäfte, als du kamst. Kaum, daß ich mich noch in die Kammer retiriren könnt ' da aber setzte er mit einem tiefen Athemzuge hinzu hatte ich dann mehr zu thun, als an den dummen Fuß zu denken.

Auch die Rose-Marie seufzte tief aus Herzensgrund herauf. Es ist doch nicht gefährlich? fragte sie.

Bewahre! lachte er ein Eichenast hat mich im Falle nur gestreift. Ein schöner Sturm? er hat mir auch das Tuch noch aus der Hand gerissen, mit welchem ich das Blut zu stillen versuchte das Tuch doch das erzähl 'ich dir ein ander Mal, schloß er sehr ernst.

Also doch sagte sie leise vor sich hin, und ohne daß es Johannes sah, faltete sie die Hände über ihrem Herzen, indem sich ihre Lippen leise lispelnd bewegten. Also doch und durch Blut und Feuer war sein Weg gegangen, wie der ihre durch die Schatten des Todes, ehe sie die Taufe ihres neuen Menschen erhielten dort an der Stätte des himmlischen Gerichtes.

Und nun standen sie wieder an derselben Stelle, wo sie vor kaum drei Stunden in den Wald hineingetreten waren. Länger hatte der himmlische Richter nicht Zeit gebraucht, seinen Spruch zu fällen, der nicht auf Tod, sondern auf Leben lautete, nicht auf Trennung, sondern auf ewige, sel'ge Vereinigung. Wie lange wohl die Herren drin im Stadtamt die Vorgeladenen auf ihren bittern Entscheid hätten warten lassen? Diesmal sollten sie vergebens auf die Vorgeladenen warten.

Wie diese durch den verwüsteten Wald bis hierher gekommen, konnten sie sich kaum selber sagen. Das Glück hatte sie über die rinnenden Wasser, über gestürzte Stämme und hereingeschwemmtes Steingerölle wie mit Flügeln getragen; die Rose-Marie spürte keine Erschöpfung und Johannes seinen wunden Fuß nicht mehr. Sie hielten sich an den Händen gefaßt, wie die Kinder, und so traten sie unter die ersten Bäume hinaus, die sich zum Riesenthore wölbten, durch das ein Strom von Licht und Glanz herein auf den dunklen Waldweg flutete und die niederhängenden, tropfenden Gezweige mit Rubinen, Smaragden und Diamanten überfunkelte. Und draußen, schöner noch, weit schöner lag die weite Welt wie aufgethan vor den Blicken der Beiden, deren Lippen ein leises, gemeinsames Ah! entschlüpfte. Von der Sonne beglänzt und wie in neugeborner Schöne, jung und frisch hervorgegangen aus der Hand des Schöpfers, die hehre Gotteswelt! und als wäre jetzt erst das Zeichen des Bundes aufgerichtet zwischen ihm und seinen Menschen, so strahlend siebenfarbig schwang sich der Bogen des Friedens von den westlichen zu den östlichen Bergen hinüber mitten innen aber, recht wie im Schooße der Ruhe und des Glückes gebettet, lag ihr heimathliches Dörfchen.

Siehst du den Weidenhof? fragte die Rose-Marie mit glänzenden Augen. Johannes sah ihn wohl, aber er glaubte zu träumen. Stieg nicht der schlichte, weiße Bau wie ein richtiges, goldenes Zauberschloß aus rosenrothem Dufte auf? Ueberrascht, tief aufathmend stand er neben seinem Weibe. Was ist das? fragte er.

Sie lachte glücklich auf, obgleich ihr scharfes Auge längst gesehen und erkannt hatte, was ihr zu jeder andern Zeit als ein großes Unglück erschienen wäre. Aecker, Felder, Wiesen, das ganze Gut war eine einzige Wasserfläche, in welcher sich die rothe Sonne spiegelte, während die aufsteigenden Dünste in ihren Strahlen verdampften. Johannes! der Damm ist gebrochen! rief sie aus.

Ha! murmelte Johannes Hab 'ich's nicht gesagt?

Freilich du hast's gesagt und darum mußt 'es kommen daß du in Allem Recht hast o mein Gott, mein Gott! der Damm ist gebrochen

Johannes sah sie halb erstaunt und halb verweisend an.

Der Damm hier innen frohlockte sie noch einmal und führte seine Hand auf ihr hochklopfendes Herz, hier innen, wie dort draußen, mein Johannes!

Aber die Felder, Frau! die Wiesen, die verschlemmten Wiesen!

O! das wirst du schon zu machen wissen nun sind sie dein ich hab 'kein Theilchen mehr daran; 's ist Alles fortgewaschen von der Sindflut. Ich freue mich o ich freue mich, wie du es nun den Leuten zeigen wirst, was du gelernt hast in der Schul' und draußen in der Welt o mein Johannes! daß sie sehen müssen, was für ein Mann du bist!

Die Thränen schossen ihr aus den glänzenden Augen. Johannes zog sie an sich; erst jetzt verstand er sie. Sie weinte sich leise aus an seiner Brust, und schweigend schritten sie alsdann unter dem himmlischen Versöhnungsbogen hinweg ihrer Heimath zu, die ihnen unter dem äußeren Anblicke der Verwüstung den innerlich beseligenden eines Friedens bot, der über allen irdischen Stürmen steht.

About this transcription

TextDas Gericht im Walde
Author Julie Ludwig
Extent55 images; 11441 tokens; 3377 types; 73083 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Thomas WeitinNote: Herausgeber Digital Humanities Cooperation Konstanz/DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-03-15T14:36:23Z Jan MerktThomas GilliJasmin BieberKatharina HergetAnni PeterChristian ThomasNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-03-15T14:36:23Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Das Gericht im Walde. Band 20. Julie Ludwig. 2. Globus VerlagBerlin1910. Deutscher Novellenschatz pp. 237-288.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; ready; novellenschatz

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Editorial principles

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;

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