PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Bibliothek der Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Professor Dr. Erich Brandenburg
Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer
[figure]
1909Verlag von Quelle & Meyerin Leipzig
[III]

Meiner Frau Lotte gewidmet.

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Vorwort

Dies Buch möchte nicht nur belehren, sondern auch anregen, nicht nur studiert, sondern auch gern gelesen sein. Ich versuchte, viel unnützen Ballast, der in den landläufigen Lehrbüchern mit - geschleppt wird, über Bord zu werfen, um dafür dem Wesentlichen und Lebensvollen, soweit das auf beschränktem Raume möglich ist, zu seinem Recht zu verhelfen. Sollte mir das einigermaßen ge - lungen sein, so würde ich mich über einzelne Irrtümer und Ver - sehen, die gewiß nicht fehlen, trösten und wäre für ihre Aufzeigung dankbar. Der gewählte Titel soll andeuten, daß hier, wie es im Plane dieser Sammlung liegt, nicht ein Gesamtbild der deutschen Geschichte in der salischen und staufischen Epoche erwartet werden darf, sondern daß im Mittelpunkt der Darstellung durchaus die staatliche Entwicklung steht, in der die führenden Persönlichkeiten ja ganz anders hervortreten, als etwa in der verfassungsrechtlichen und wirtschaftlichen, deren Schilderung anderen Bändchen vor - behalten ist. Daß ich diesen Zeitraum zuerst behandelt habe und nicht etwa das frühere deutsche Mittelalter, das, wie ich hoffe, folgen soll, beruht auf persönlichen Ursachen. Die Überweisung auch der Ottonenzeit, die rein sachlich die natürliche Grundlegung für die vorliegende Darstellung abgegeben hätte, an das erste Bändchen erklärt sich lediglich aus Rücksichten einer gleichmäßigeren Raumverteilung; Bedeutung und Fülle der Ereignisse während der Hochblüte des deutschen Mittelalters haben ohnehin den zu - gemessenen Umfang schon etwas auf Kosten der früheren Epoche überschreiten lassen. Bei den Literaturangaben habe ich mich grundsätzlich auf die wertvolleren Schriften beschränkt; für biblio - graphische Zwecke steht ja neben anderen Hilfsmitteln die Quellen - kunde von Dahlmann-Waitz zur Verfügung. Auch hier galt es eben das Wesentliche herauszuheben. Nur wo es sich um neuere Forschungsergebnisse handelt, sind gelegentlich auch minderwichtigere Aufsätze und Dissertationen zum Beleg angeführt. Die den beiden Hauptabschnitten vorangeschickten Bemerkungen über die Geschichts - quellen sollen nur die notdürftigsten Fingerzeige geben, nicht etwa das Wissenswerte erschöpfen, denn gerade hierfür fehlt es nicht an bequemen Handbüchern. Auf die Andeutung der wichtigerenVIVorwort.wissenschaftlichen Kontroversen, namentlich soweit sie noch unaus - getragen sind, glaubte ich besonderen Nachdruck legen zu sollen. Eine eigene Stellungnahme schien mir da in der Regel anregender, als ein farbloses Referat der Meinungen; daß der angehende Forscher da nicht allenthalben auf die verba magistri zu schwören hat, ver - steht sich von selbst. Einige ausführlichere Begründungen vor - getragener Ansichten gedenke ich nachzuholen.

Und nun verabschiede ich mich von dem Buche wie von einem guten Freunde nach gemeinsamer, vertrauter Wanderfahrt und wünsche ihm eine wohlwollende Aufnahme bei Lehrenden und Lernenden.

K. Hampe.

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Inhaltsverzeichnis
  • I. Die Zeit der Salier.
    • Seite
    • Geschichtschreibung1
    • § 1. Konrad II. (1024 1039) 5
    • § 2. Heinrich III. (1039 1056) 17
    • § 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056 1065) 30
    • § 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065 1075) 37
    • § 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075 1085) 48
    • § 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085 bis 1106) 60
    • § 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits (1106 1125) 72
  • II. Die Zeit der Staufer.
    • Geschichtschreibung84
    • § 8. Lothar von Supplinburg (1125 1137) 89
    • § 9. Konrad III. (1138 1152) 103
    • § 10. Die Anfänge Friedrichs I. (1152 1157) 115
    • § 11. Reaktionäre Politik unter dem Einflusse Reinalds von Dassel (1157 bis 1167) 125
    • § 12. Weitere Kämpfe bis zur Beendigung des Schismas (1168 1177) 147
    • § 13. Die Zeit der letzten großen Erfolge Friedrichs I. (1178 1190) 156
    • § 14. Heinrich VI. (1190 1197) 172
    • § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren (1198 1216) 183
    • § 16. Das Emporsteigen Friedrichs II. bis zum Frieden von Ceperano (1230) 201
    • § 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230 1239) 220
    • § 18. Der Entscheidungskampf zwischen Kaisertum und Papsttum (1239 bis 1250) 238
  • Sachregister258

Verzeichnis einiger umfassenderer Werke.

  • Quellen:
    • Monumenta Germaniae historica, Abteilung Scriptores (= M. G. SS.), mit wenigen Lücken sämtliche darstellenden deutschen Geschichtsquellen für den behandelten Zeitraum enthaltend, die daher hier aufzusuchen sind, wenn keine andere Ausgabe vermerkt ist.
    • Scriptores rerum Germanicarum (SS. r. G.), einzelne Schriftsteller aus M. G. SS. in zum Teil erheblich verbesserten Schulausgaben. Wo diese statt der Folioausgabe zu benutzen sind, sind sie unten vermerkt.
    • Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 2. Aufl. 1884 ff., einzelne Schriftsteller in deutscher Übersetzung.
    • VIII
    • Monumenta Germaniae historica, Abteilung Leges, hier vor allem wichtig: Constitutiones et acta publica imperatorum et regum I, II hrsg. v. Weiland 1893 / 96 (= M. G. Const.), die Gesetze und Staatsverträge der deutschen Herrscher für die Zeit von 911 1272 enthaltend.
    • Jaffé, Bibliotheca rerum Germanicarum I VI 1864 ff. Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte 7. Aufl. hrsg. v. Brandenburg 1906; Ergänzungsbd. 1907.
    • Potthast, Bibliotheca historica medii aevi 2 Bde. 2. Aufl. 1896, zum Auf - suchen der darstellenden Geschichtsquellen.
    • Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis z. Mitte d. 13. Jahrh. II 6. Aufl. 1894 und die größtenteils darauf beruhenden, aber fortgeführten Werkchen von Vildhaut, Handbuch der Quellenkunde z. deutsch. Gesch. I, 2. Aufl. 1906 (zur Einführung wohl zu empfehlen) und Jacob, Quellenk. d. d. Gesch. (Sammlung Göschen, ganz knapp) I 1906. Vgl. auch die betr. Abschnitte bei Giesebrecht u. bei Gundlach, Helden - lieder der deutschen Kaiserzeit II 1896, III 1899. Dagegen ist der betr. Abschnitt in Meisters Grundriß der Geschichtswiss. I 1906 von Jansen ziemlich unbrauchbar. Für Italien vgl. Balzani, Le cronache Italiane nel medio evo, 2. Aufl. 1900.
  • Bearbeitungen:
    • Ranke, Weltgeschichte VII, VIII 1886 / 87.
    • Lindner, Weltgeschichte seit der Völkerwanderung II, III 1902 / 03.
    • Jahrbücher der deutschen Geschichte (bis 1250) hrsg. durch die Hist. Kommission b. d. K. Akad. d. Wiss. zu München 1862 ff. Die Teile sind unten zu den einzelnen Abschnitten aufgeführt; noch nicht bearbeitet die Jahre 1116 25, 1158 90, 1233 50.
    • Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit II V (bis 1181); das Werk erschien seit 1855, später in neuen Auflagen; Bd. VI 1895 von Simson fortgesetzt (bis 1190).
    • Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes bis zum Augsburger Religions - frieden, hrsg. v. Matthäi II, III 2. Aufl. 1892.
    • Lamprecht, Deutsche Geschichte II, III 3. Aufl. 1904 / 06.
    • Gerdes, Geschichte des deutschen Volkes u. seiner Kultur i. Mittelalter II 1898, III demnächst erscheinend.
    • Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands III 3. u. 4. Aufl. 1906, IV 1903.
    • Richter-Kohl, Annalen der deutschen Geschichte im Mittelalter usw. III, 1, 2 1890 / 98 (bis 1137).
    • Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte I 3. Aufl. 1906.
    • Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, namentl. V u. VI 2. Aufl. 1893 / 96.
    • Ficker, Forschungen zur Reichs - u. Rechtsgeschichte Italiens I IV 1868 74.
    • Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom i. Mittelalter 5. Aufl. 1903 ff., hier Bd. IV, V.
    • Davidsohn, Geschichte v. Florenz I, II, 1, 2. 1896 1908.
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I. Die Zeit der Salier.

Die Geschichtschreibung, noch ausschließlich lateinisch und in den Händen der Mönche und Weltgeistlichen, wächst beständig an Umfang, an Weite des Gesichtskreises, an geistiger und sprachlicher Gewandtheit. Zu - nächst bleibt auch die Ruhe der vorigen Epoche bewahrt. Wipo's Leben Kaiser Konrads II. (SS. r. G. ed. II) ist für diesen Herrscher die wert - vollste Quelle, gut unterrichtet, wenn auch nicht ohne höfische Rücksichten, warm, lebendig, künstlerisch, nicht frei von Rhetorik. Daneben kommt für die ersten Salier die reich entwickelte Annalistik in Betracht, meist von unbekannten, wechselnden Verfassern, mit späteren Fortsetzungen, mehrfach in ihrer ursprünglichen Gestalt verloren und nur aus jüngeren Ableitungen zu erschließen; so die vielumstrittenen Schwäbischen Reichsannalen und die neuerdings in ihrer Existenz auch wieder bezweifelten größeren Hildes - heimer Annalen (bis 1043; Auszug daraus bis 1040 die Ann. Hild., SS. r. G.), vor allem aber die größeren Altaicher Annalen (Niederaltaich in Bayern) bis 1073, die, von Giesebrecht aus Ableitungen hergestellt, dann in Abschrift Aventins wieder aufgefunden, für die Jahrzehnte von 1041 ab reiche, verläßliche Nachrichten bieten (SS. r. G. ed. II). Die ähnlich von Scheffer - Boichorst hergestellten Paderborner Annalen (Ausg. 1870) reichen bis in die Stauferzeit, bis 1144 (1189).

Über diese, wesentlich der Stoffmitteilung dienende, annalistische Form erhebt sich die Chronik Hermanns des Lahmen von Reichenau bis 1054, neben der kurzen, mit ihr auf dieselbe Quelle zurückgehenden schwä - bischen Weltchronik die erste erhaltene bis auf Christi Geburt zurück - gehende Weltchronik dieser Epoche, durch Genauigkeit und Auswahl be - merkenswert und von 1040 ab auch eine zuverlässige zeitgenössische Quelle.

Die Ruhe dieser älteren salischen Reichsgeschichtschreibung wird unter - brochen durch die leidenschaftliche Bewegung des Investiturstreits, der auf lange jede gerechte Würdigung der Zeitereignisse ausschließt, die meisten Geschichtswerke zu Parteischriften macht und ihren Quellenwert mindert, aber auch die Geister aufpeitscht, den Blick weitet, das Urteil schärft, die Indivi - dualität der Verfasser stärker hervortreten und überdies die literarische Produktion mächtig anschwellen läßt. Die oft wiederholte Meinung von den verheerenden Wirkungen des Kampfes für die deutsche Geschichtschreibung dürfte daher mindestens einseitig sein. Wird der Wahrheitsinn zunächst von Leidenschaft getrübt, und die Feststellung des Tatbestandes der modernen Forschung er - schwert, so sieht man die Dinge dafür nun von ganz verschiedenen Seiten und wird in Denken und Fühlen der Zeit viel tiefer als früher eingeführt.

Schon der Schüler und Fortsetzer der Chronik Hermanns von Reichenau Berthold bis 1074 vermag in den letzten Jahren die ruhige, reichsfreundliche Stimmung nicht zu bewahren; von 1075 80 wird der Ton derart feindselig gegen Heinrich IV., daß man einen anderen Annalisten als Verfasser an - nimmt. Von demselben Ausgangspunkt (Hermann und Berthold) aus erzähltHampe, Deutsche Kaisergeschichte. 12I. Die Zeit der Salier.Bernold, Mönch in St. Blasien, der sich auch als Publizist betätigte, die Ereignisse von 1074 1100 weiter, ganz im päpstlichen Sinn, aber wenigstens ohne absichtliche Entstellungen, als ein höchst bedeutsamer Berichterstatter.

Neben die südwestdeutsch-kirchliche Opposition gegen Heinrich IV. tritt die sächsisch-partikularistische. Ihr Hauptwerk ist der Sachsenkrieg von dem Magdeburger Domgeistlichen Bruno, bis Weihn. 1081 (SS. r. G. ed. II), maßlos einseitig und gehässig, aber nicht nur für die Stimmung im sächsischen Lager, sondern durch die zahlreichen Aktenstücke auch objektiv sehr wertvoll.

Mitten zwischen diesen beiden Oppositionszentren steht der Gegend und Richtung nach der Mönch Lambert v. Hersfeld mit seinem Haupt - werk, den Annalen v. Hersfeld, bis 1077 (SS. r. G. Lamperti opera), der in mancher Hinsicht schriftstellerisch glänzendsten Leistung der Zeit, für die wichtigen Jahre 1073 77 in dem breiten Fluß der Erzählung unübertroffen. Da er sich weder mit den kirchlichen, noch den sächsischen Forderungen ganz identifiziert, ist seine einseitige Parteinahme lange verkannt, und sein Bericht neueren Darstellungen zugrunde gelegt worden. Ranke setzte zuerst mit schärferer Kritik ein (Abh. Berl. Ak. 1854), andere folgten bis zu den einigermaßen abschließenden Untersuchungen von Holder-Egger (Neues Arch. 19 u. Ausgabe). Gewiß ist nicht alles Lüge und boshafte Verunglimpfung, was dieser dafür hält, sondern vieles erklärt sich aus Voreingenommenheit und Parteiklatsch, verbohrter Phantasie und romanhafter Fabuliersucht; immerhin bleibt ein ungewöhnlich geringes Maß von historischem Wahrheitsinn und moralischer Zuverlässigkeit, so daß das glänzende Werk, das durch reichen Stoff und Darstellungskunst nach wie vor einen hervorragenden Platz einnimmt, als Quelle doch nur mit äußerster Vorsicht zu benutzen ist.

Die aus dem kaiserlichen Lager stammenden Geschichtsdarstellungen sind weniger zahlreich und umfassend; manches wird von kirchlicher Seite damals oder später vernichtet sein. Außer den willkommenen, aber nicht eben reichen Augsburger Annalen, bis 1104, führt uns in Heinrichs IV. An - fänge der Sang vom Sachsenkrieg, eine dichterische Schilderung der sächsischen Ereignisse von 1073 75 (SS. r. G.) von unbekanntem, trotz mancher Hypothesen nicht ermittelten Verfasser, anschaulich, lebendig und trotz der künstlerischen Form in den Kern der Dinge dringend. Heinrichs spätere Zeit tritt vorwiegend hervor in dem Leben Heinrichs IV. (SS. r. G. ed. III), als dessen anonymen Verfasser man wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit Bischof Erlung von Würzburg bezeichnen darf (vgl. Neues Arch. 26 u. 31). Es ist ein schönes biographisches Denkmal, errichtet von einem treuen und kenntnis - reichen Anhänger, voll wichtiger Aufschlüsse und treffenden Urteils, immerhin mehr ein leidenschaftlicher, rhetorisch gefärbter Nachruf, als eine ausführliche Erzählung oder ruhige Würdigung.

Das Werkchen steht an der Spitze der zeitgenössischen Lebens - beschreibungen. Heinrichs Hauptgegner Gregor VII. hat keine ganz be - friedigende Biographie erhalten. Erst 1128 beschrieb der Chorherr Paul v. Bernried (a. Starnberger See) sein Leben, mit guter Methode, aber ohne höheren historischen Gesichtspunkt. Auch die älteren geistlichen Biographien der Salierzeit verlieren sich meist zu sehr im Legendarischen, so das Leben des Erzbischofs Anno v. Köln ( 1075) von einem Siegburger Mönch Anf. d. 12. Jahrh. verfaßt, mehr als Vorlage des deutschen Annoliedes, denn als historische Quelle beachtenswert; so auch die Lebensbeschreibungen der Äbte Richard v. St. Vannes und Wilhelm v. Hirschau, etwas reicher die des Staatsmannes Abt Poppo v. Stablo ( 1048). Noch in die letzte Ottonen - zeit greifen zurück die tüchtigen Biographien des Bischofs Meinwerk v. 3Geschichtschreibung.Paderborn ( 1036), erst nach Mitte des 12. Jahrh. im Kloster Abdinghof mit Humor und Anmut aufgezeichnet, und des Bischofs Godehard v. Hildes - heim ( 1038) von dem Domherrn Wolfhere, während die ersten Kampf - zeiten den Hintergrund abgeben für die in ihrer schlichten, getreuen Er - zählungsweise ungemein reizvolle von dem Abte Nortbert v. Iburg ver - faßte Biographie des Bischofs Benno v. Osnabrück, der zwischen Kaiser - tum und Papsttum klug seine Stellung zu nehmen verstand. Bisher durch Interpolationen aus dem Ende des 17. Jahrh. verfälscht, wurde sie erst 1902 von Breßlau in ihrer Urgestalt wieder aufgefunden und herausgegeben (SS. r. G.).

Weitaus die bedeutendste Biographie eines geistlichen Herrn aber, die des Erzbischofs Adalbert v. Bremen ( 1072), der Natur liebevoll nachgemalt mit allem Licht und allem Schatten, findet sich, eingefügt in einen größeren Rahmen, in der Geschichte der Hamburger Kirche bis 1072 (SS. r. G. ed. II), die wir dem angestrengten Fleiße, dem umfassenden Wissen und der feinen Kunst des Bremer Domherrn Adam verdanken. Die Persönlich - keit und ihre Schicksale entwachsen hier der eingehend geschilderten Ent - wicklung der hamburgisch-bremischen Kirche, und indem schließlich das ganze weite nordische Betätigungsfeld Adalberts geographisch, ethnographisch und historisch umschrieben wird, ist Meister Adam zu einem Tacitus für die baltischen Lande geworden.

Mit seinem Werke ist schon die bedeutendste Bistumsgeschichte genannt; auch in andern spiegeln sich trotz der regionalen Beschränkung die großen Weltereignisse wieder, so in der von Cambrai bis 1044, Lüttich bis 1048 und Trier bis 1101 (alle drei mit wertvollen späteren Fortsetzungen), oder, geht man noch eine Stufe weiter hinab, auch in der lebensvollen Klostergeschichte von St. Trond (n. w. v. Lüttich) bis 1108 (mit Fort - setzungen bis Mitte des 14. Jahrh. ) oder einer guten Fortsetzung der alten Klosterchronik von St. Gallen 1072 1133.

Nach der andern Seite wird der Rahmen der Reichsgeschichte über - schritten in den großen Weltchroniken, deren steigende Vollendung in der letzten Salierzeit das beste Merkzeichen für die Weitung des Blickes darstellt. Die Chronik des Marianus Scotus bis 1082, eines irischen Mönches in Fulda und Mainz, übertrifft die ältere Hermanns v. Reichenau nur erst durch die Genauigkeit der chronologischen Feststellungen; die viel reichere Chronik des Franzosen Hugo v. Flavigny bis 1102 vermag doch den gewaltigen Stoff noch nicht eigentlich übersichtlich zu beherrschen. Eben in dieser Hinsicht bezeichnet die Chronik des tüchtigen, für die kaiserliche Sache auch in Streitschriften auftretenden Sigebert v. Gembloux (i. Belgien) bis 1111 (mit vielen Fortsetzungen) einen erheblichen Fortschritt, vor allem aber die meisterhaft durchgearbeitete und geordnete Chronik des Priors Frutolf v. Michelsberg bei Bamberg bis 1101, dessen Verfasserschaft erst durch die neueren Untersuchungen Bresslaus erkannt worden ist (Neues Arch. 21), während dem Abte Ekkehard v. Aura nur noch das Verdienst bleibt, Frutolfs Chronik viermal umgearbeitet und fortgeführt zu haben. Eben diese Fortsetzungen aber bilden für die Regierung Heinrichs V., von dessen Partei - nahme Ekkehard sich erst in der letzten Bearbeitung entfernt, die wichtigste Quelle; denn von der offiziellen Historiographie des Schotten David, den dieser Kaiser auf seinem Römerzuge mitnahm, haben wir leider nur aus einigen dürftigen Zitaten Kenntnis.

Von den Geschichtswerken der Nachbarvölker sei hier nur die grundlegende böhmische Chronik des Prager Dekans Cosmas genannt. Dagegen liefern natürlich die italienischen Quellen für die Geschichte der1*4I. Die Zeit der Salier.Salier reiche Ausbeute, wenn es auch an umfassenden reichsgeschichtlichen Werken fehlt. Die Parteileidenschaft ist hier fast noch wilder, als in Deutsch - land. Die für die kaiserliche Sache eintretenden Werke des Kardinals Beno und des Bischofs Benzo v. Alba sind lügenhafte Schmähschriften gegen die Gregorianer. Die wichtige Erzbistumsgeschichte von Mailand ist von Erzbischof Arnulf bis 1077 mit maßhaltender Wahrheitsliebe, von dem Priester Landulf bis 1085 dagegen mit blinder Parteilichkeit beschrieben. Auf der Gegenseite steht insbesondere Bischof Bonizo v. Sutri ( 1089) mit seinem der Gräfin Mathilde v. Tuszien überreichten Buch an den Freund, in dem er Gregors Recht durch einen zwar wegen der starken Voreingenommen - heit nur mit großer Vorsicht zu benutzenden, aber gerade für die Zeiten Heinrichs III. doch nicht zu entbehrenden kirchenpolitischen Rückblick zu erweisen sucht. Für die Gräfin Mathilde ( 1115) und ganz in ihrem Sinne schrieb auch der Priester Donizo, Mönch in Canossa, in einem bilder - geschmückten Codex ihre Lebensgeschichte in Versen, beachtenswert nament - lich für den Vorgang von Canossa. Noch viele unbedeutendere Schriften liefern Einzelstoff zur Geschichte des großen Streites. Nicht unberührt da - von, aber mehr in sich geschlossen und auf dem sicheren Grunde reicher Urkundenschätze aufgebaut sind die wissenschaftlich unendlich viel höher stehenden Geschichten der beiden großen Reichsabteien: Farfa bis 1125 von Gregor v. Catina und Montecassino bis 1075 von Leo v. Ostia; die Fortsetzung der letzteren bis 1139 durch den Diakon Petrus aus dem Hause der Grafen v. Tuskulum ist freilich durch Unzuverlässigkeit und Fäl - schungen arg entstellt. Über das auch für die Reichsgeschichte wichtige Emporkommen der süditalischen Normannen endlich unterrichtet neben andern insbesondere die nur in einer altfranzösischen Übersetzung überlieferte Chronik des Mönches Amatus v. Montecassino ( 1101).

Neben die darstellenden Geschichtswerke tritt in der Salierzeit eine neue Literaturgattung in den Streitschriften, die alle wichtigen Fragen des kirchenpolitischen Kampfes, Priesterehe, Simonie, Investitur, die päpstliche Machtvollkommenheit, das Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Ge - walt usw., aus beiden Lagern heraus behandeln, von Geistlichen aller be - teiligten Länder zunächst für Geistliche bestimmt, teilweise aber doch auch schon auf indirektes Hinüberwirken in die Laienkreise, auf Gewinnung der öffentlichen Meinung berechnet, zur Schärfung der Geister nicht wenig bei - tragend, aber auch die ausgleichende Lösung vorbereitend. Eine nahezu voll - ständige Sammlung liegt vor in den in die M. G. aufgenommenen Libelli de lite imperatorum et pontificum I III 1891 ff. ; vgl. Mirbt, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. 1894 und die betr. Abschnitte in den Jahrbüchern Meyers v. Knonau.

Was die Urkunden betrifft, so sind diejenigen der deutschen Kaiser, da die Diplomataausgabe der M. G. noch aussteht, leider noch völlig zer - streut und z. T. schlecht gedruckt, und auch die Regestenübersicht bei Stumpf, Die Reichskanzler vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahrh. 1865 ff. Bd. II, an die man sich, da die Neubearbeitung der Böhmerschen Regesta Imperii für diesen Abschnitt noch nicht vorliegt, zu halten hat, ist stark ver - altet. Für die Papsturkunden sind zunächst immer zu Rate zu ziehen die Regesta pontificum Romanorum von Jaffé-Wattenbach I. II bis 1198 2. Aufl. 1888, die seitdem freilich durch die Forschungen Kehrs um zahl - reiche Stücke vermehrt sind. Unschätzbar für die geschichtliche Erkenntnis des Investiturstreites ist die Erhaltung einer von Gregor VII. selbst veran - laßten, mehr als 350 Stücke enthaltenden Auswahl aus seinem Register, von Jaffé Bibl. II als Gregorii VII. Registrum herausgegeben; keine Quelle5§ 1. Konrad II. (1024 1039).eröffnet so tiefe Einblicke wie diese in das diplomatische Getriebe der Kampfzeit.

In viele der genannten Geschichtswerke sind zerstreute Briefe eingefügt. Sorgfältiger gepflegt wird die Briefkunst erst seit dem Ende des 11. Jahrh. Von da ab beginnen die wichtigen Sammlungen von unverändert aufgenommenen oder mehr oder weniger zu Formeln verarbeiteten Briefmustern, sogleich für den Ausgang der Salier die höchst wertvolle, in der kaiserlichen Kanzlei eine Zeitlang eifrig benutzte Sammlung des Bamberger Geistlichen Ulrich, der sog. Codex Udalrici bis 1125, mit Zusätzen bis 1134, gedruckt in Jaffés Bibl. V.

Von neueren Darstellungen der Salierzeit sei hier außer den vorn genannten umfassenden Werken noch das fleißige, aber in der politischen Auffassung nicht gerade tief dringende Werk von Manitius, Deutsche Ge - schichte unter den sächs. und sal. Kaisern 1889 genannt. Die wichtigeren Monographien sind an ihrem Ort verzeichnet.

§ 1. Konrad II. (1024 1039).

Als das karolingische Weltreich schon ein Menschenalter nach Karls Tode auseinanderfiel, war es sehr zweifelhaft, ob gegenüber dynastischen Erbteilungsansprüchen, volklichen Verschiedenheiten und provinziellen Sonderentwicklungen auch nur die Teilgebiete sich in ihrem Bestande würden behaupten können. Durch den Vorsprung nationaler Geschlossenheit brachten es zuerst die öst - lichen Reichslande zur endgültigen Ablösung aus der karolingischen Monarchie und zur Errichtung eines selbständigen und einheitlichen deutschen Königtums (911). Aber der Zusammenhalt der aus - einanderstrebenden Stämme ward dauernd doch erst gewährleistet, als Otto d. Gr. an dem festgefügten Bau der deutschen Kirche Gegengewicht und Stütze fand und deren Abhängigkeit von seinem Willen auch nach außen hin durch die Beherrschung des Papst - tums, zu der die Eroberung Italiens führte, sicherstellte. In den schweren Zeitläuften unter Otto III. bestand dieses Regierungs - system seine Belastungsprobe; nur dem staatlichen Sinne des deut - schen Episkopats war es zu danken, daß das Reich in allem Zer - fall sich wenigstens ein starkes Fundament bewahrte, auf dem dann Heinrich II. den Wiederaufbau ganz im Geiste Ottos d. Gr. durch - führen konnte.

Als jetzt mit seinem Tode (1024) das Haus der Ottonen ausstarb, ohne daß die Nachfolgeverhältnisse anderweit geregelt gewesen wären, lag trotzdem jeder Gedanke an ein Auseinander - fallen des Reiches völlig fern. Das nie ganz erloschene Wahlrecht trat wieder in volle Geltung, aber der Erbanspruch des letzt - regierenden Hauses hatte so tief Wurzel gefaßt, daß ernstlich nur zwei Anverwandte weiblicher Linie, die beiden fränkischen Konrade,6I. Die Zeit der Salier.Urenkel Herzog Konrads des Roten von Lothringen und einer Tochter Ottos d. Gr., als Kandidaten in Betracht kamen1)Das Verwandtschaftsverhältnis ergibt folgender Stammbaum: Konrad d. Rote Liutgard Otto Herz. v. Kärnthen ( 1004) Heinrich ( vor 1000) Konrad (II. ) d. Ä. Bruno (Papst Gregor V.) Konrad ( 1011) (Herz. v. Kärnthen) Konrad d. J. (Herz. v. Worms). Wilhelm (Bisch. v. Straßb.). Das Herzogtum Kärnthen war dieser Linie unter dem letzten Kaiser verloren gegangen; in dem Anteil an dem fränkischen Hausbesitz war der ältere Konrad2)Grundlegend und bisher kaum in irgend einem wesentlichen Punkte überholt sind die Jahrbücher des deutschen Reiches unter Konrad II. von H. Bresslau. 2 Bde. 1879, 1884. Alle seitherigen Darstellungen beruhen darauf. Von Bresslau ist auch schon bald die Ausgabe der Urkunden in den M. G. zu erwarten. durch den frühen Tod seines Vaters stark zu kurz gekommen, aber das Erstgeburtsrecht gab ihm den Vor - zug. Maßgebend für die Parteibildung war die Stellung zu den großen kirchenpolitischen Fragen. Eine starke rechtsrheinische Partei, namentlich die Bischöfe mit Aribo von Mainz an der Spitze, entschied sich für den älteren Konrad, weil sie von ihm keine Fortführung der kirchlichen Reform Heinrichs II. erwartete. Eine Minderheit: die lothringischen Herzoge mit dem Erzbischof Pilgrim von Köln setzten als Anhänger der Reform ihre Hoffnung auf den jüngeren Vetter.

Über die eigentliche Wahlhandlung auf einer Grenzebene zwischen den Gebieten von Mainz und Worms3)Das rechtsrheinische Kamba gegenüber Oppenheim ist nur als Lager - platz des schwäbischen Stammes zu erweisen. Die Wahlebene ist wohl auf dem linken Ufer zu suchen, vielleicht bei Lörzweiler, nach Vermutung von Schädel, Mainzer Schulprogr. 1896. hat man sich früher nach dem durch Uhlands dichterische Umschreibung volks - tümlich gewordenen Bericht des Augenzeugen4)Lindners Bezweiflung ist gegenstandslos. Wipo falsche Vor - stellungen gemacht; denn er zeigt mehr rhetorischen Aufputz, als bis zum Kern der Dinge dringendes Verständnis. Nicht um ein Aussieben nach dem Grade der Tüchtigkeit und eine Volksent - scheidung zwischen den beiden Auserwählten handelte es sich, nur noch darum, die nordwestdeutsche Minderheit für den älteren Konrad zu gewinnen. Wenigstens mit dem Gegenkandidaten selbst gelang das noch vor der Wahl, mit dem Haupte seiner Partei, dem Kölner Erzbischof, bald nach der Krönung; als auch die Sachsen dem Stammesfremden, an den nun das Königtum überging, gegen Bestätigung ihres alten Rechtes huldigten, war die Aner -7§ I. Konrad II. (1024 1039).kennung von nahezu ganz Deutschland mühelos genug erreicht etwas später gaben auch die Lothringer ihren Widerstand auf.

Konrad war damals ein hochgewachsener, stattlicher Mann von 34 Jahren. Familieneigenschaften, Jugendschicksale und per - sönliche Anlagen hatten so vollkommen einheitlich in dieselbe Richtung gewirkt, daß die geschlossenste und willenskräftigste Herrscher - natur des gesamten deutschen Mittelalters in ihm erstand. Weit mehr als die Ottonen und der Durchschnitt der Staufer neigte das salische1)Über den Namen, der im Anfang des 12. Jahrh. vereinzelt, häufiger erst im 14. Jahrh. vorkommt, vgl. Bresslau II, 519. Haus zu schroffer, rücksichtsloser Tat. Konrad selbst hatte als Waise früh und herb erfahren, wie das Recht des Minder - jährigen von Verwandtschaft und Kaiser hintangesetzt ward. Bischof Burchard von Worms, bekannt durch seine Kanonensammlung und die Aufzeichnung seines Hofrechtes, hatte sich seiner Erziehung angenommen; aber für seinen Beruf als kleinerer Herr, der nicht einmal im Besitz von Grafenrechten war, bedurfte er nicht der literarischen Bildung. Ganz als ein vollsaftiger Laie mit schwert - kundiger Faust, nüchternem Hellsinn und gesundem Kraftgefühl war er emporgewachsen und fand sich nun erstaunlich schnell in den weltumspannenden Aufgaben des deutschen Kaisertums zurecht.

Jene selbstsicheren, pflichterfüllten Worte, die er gleich auf seinem Krönungszuge zu den Fürsten seiner Umgebung sprach, als sie ihn abhalten wollten, in diesem Augenblicke auf die Klagen eines Bauern, einer Witwe und einer Waise zu hören, waren ein Regierungsprogramm: Gerechtigkeit für jeden, ohne Rücksicht und Verzug! So ward er zum Pfleger des Friedens, zum Schützer der Schwachen, zum unbeugsamen Wahrer des Rechts, der an dem Verkauf von Knechten des Bistums Verden, als wären sie vernunft - loses Vieh , Anstoß nahm und den räuberischen Grafen Thassel - gard anherrschte: Ist das der Löwe, der die Herde Italiens ver - schlungen hat? Beim heiligen Kreuz des Herrn, dieser Löwe soll nicht ferner von meinem Brode zehren und ihn wie einen ge - meinen Verbrecher hängen ließ. Scharfgeschliffene, bilderreiche Aussprüche und beziehungsvolle Symbole, oft nicht ohne einen grimmigen Humor, wie sie das altdeutsche Recht liebte, waren ganz dazu angetan, ihn volkstümlich zu machen. Welcher Ein - druck im Heere, wenn er etwa den Ravennaten befahl, einem namenlosen Krieger, dem sie bei ihrem Aufstande das Bein abge - hauen, die Lederstiefel, mit Münzen gefüllt, vor das Bett zu stellen! Es war wohl die höchste Auszeichnung für einen deutschen Herrscher, daß man ihn Karl dem Großen verglich und das Sprichwort prägte: An Konrads Sattel hangen Karls Bügel .

8I. Die Zeit der Salier.

Aber das Recht, das er andern schützte, nahm er mit gleicher Wucht auch für sich und sein Königtum in Anspruch, stets rück - sichtslos durchgreifend, jeden Widerstand erstickend und da, wo dem Ansehen des Herrscherwillens ernstliche Gefahr drohte, von überwältigender Leidenschaft. Wie jäh zerreißt jene Schilderung des Bamberger Reichstages von 1035, die uns zufällig in einem Briefe der Lorscher Sammlung1)Inhaltsangabe derselben: Neues Archiv 3, 321 ff. erhalten ist, den Schleier, den die geistliche Berichterstattung sonst über die Wirklichkeit der Dinge gebreitet hat! Als Konrad dort den alten Gegner seines Hauses, Herzog Adalbert von Kärnthen, den er des Hochverrats bezichtigte, vom Fürstengerichte entsetzt wissen wollte, und an dem unver - hofften Widerspruche seines eigenen Sohnes Heinrich das langvor - bereitete Vorgehen zu scheitern drohte, da schwoll dem Kaiser die Leidenschaft so allgewaltig in der Kehle, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Dann, nachdem er zu sich gekommen, scheute der Stolze selbst nicht den Fußfall vor dem eignen Sohne, wies, als er so dessen Herz bezwungen, dem Bischof von Freising, der jenen angestiftet, unter Schmähungen die Tür und wußte zu guter Letzt doch seinen Willen durchzusetzen.

So bewegte sich diese ungestüme Rechtswahrung vielfach noch in absolutistischeren Formen, als etwa später unter dem ähnlich gerichteten Barbarossa; aber hier wie dort wirkte sie in gleicher Weise zum Segen des Staates. Und wie für das wichtige Richter - amt, so befähigte Konrads umsichtige, zugreifende Art ihn auch in hervorragendem Maße zum Staatsmann und Feldherrn. Wenn er beim Aufstand in Ravenna unmittelbar aus dem Schlafgemach in das Waffengetümmel sprang, wenn er bei noch größerer Be - drängnis in Parma in rascher Eingebung die Stadt anzuzünden be - fahl, um seinen draußen lagernden Truppen ein Notsignal zu geben, so kennzeichnen solche Einzelzüge besser als alles andere seine schnelle und wirksame Entschlußkraft. In beständiger Be - wegung, ja, wo es darauf ankam, in rasender Eile, tauchte er an allen Enden seiner weitgedehnten Reiche auf, um allenthalben bei der Ordnung der Angelegenheiten das ausschlaggebende Gewicht seiner starken Persönlichkeit in die Wagschale zu werfen.

In der innerdeutschen Politik ist Konrad konservativer ge - wesen, als man wohl angenommen hat. Das Verhältnis des ottonischen Königtums zur deutschen Kirche wurde von ihm nicht wesentlich verschoben, nur daß er ihr kühler, ohne jeden Anflug von mystischer Religiosität, ähnlich wie der erste der sächsischen Herrscher gegenüberstand und sie noch selbstherrlicher nach dem9§ I. Konrad II. (1024 1039).Gesichtspunkte seiner politischen Machtinteressen behandelte. Die finanzielle Ausnutzung der straff festgehaltenen Ernennungen von Bischöfen und Reichsäbten begann bereits als Simonie bei den Cluniazensern Anstoß zu erregen. Die eigenmächtigen Eingriffe in das Kirchengut zur Lehensausstattung von weltlichen Großen be - gegneten massenhafter als bisher. Wichtige kirchliche Maßnahmen wurden durch die einfache Willenserklärung des Herrschers ent - schieden, ohne daß er für das innere Leben der Kirche bestimmte Ziele verfolgt oder auch nur tieferes Verständnis gezeigt hätte.

Der charakteristische Zug in seinem Verhalten gegenüber den weltlichen Machtfaktoren des Reiches war die Anerkennung der Lehenserblichkeit in männlicher Linie. Die Erblichkeitsidee hatte bei seiner eigenen Thronerhebung entscheidend mitgewirkt; so sicherte er nach dem Vorbilde der Ottonen seinem Sohne Heinrich schon früh die Nachfolge durch Königswahl und Krönung (1028)1)Daß er nicht, wie Giesebrecht meinte, über die Ottonen hinaus nach einer vollen Erbmonarchie gestrebt hat, betont Bresslau mit Recht..

Er selbst hatte es einstmals bitter empfunden, daß das Erb - recht seines Hauses auf das Herzogtum Kärnthen beiseite ge - schoben ward. So achtete er auch als König die Rechte der Herzoge. Es ist nicht richtig, daß er danach getrachtet habe, ihre Gewalt überhaupt zu beseitigen und eine unmittelbare kaiser - liche Herrschaft an die Stelle zu setzen2)Diese Annahme Giesebrechts ist von Waitz, Verfassungsgesch. und vor allem von Bresslau nachdrücklich widerlegt.. Sonst hätte er schwer - lich nach dem Sturze Adalberts Kärnthen seinem Vetter, dem jüngeren Konrad überlassen (1036) und Lothringen durch Ver - einigung seiner Hälften gestärkt (1033). Die Übertragung des durch den söhnelosen Tod des Lützelburger Herzogs erledigten Bayern an seinen Sohn Heinrich (1027), durch die er für sein Haus überhaupt erst ein Herzogtum gewann, war begreiflich genug, zudem ganz in der Bahn des Rechtes und der ottonischen Politik. Als dann unerwartet die schwäbische Linie des babenbergischen Hauses mit den beiden Stiefsöhnen des Kaisers aus der früheren Ehe seiner Gemahlin Gisela ausstarb (1038), war als deren Sohn Heinrich III. der nächstberechtigte Erbe, für dessen wohlbegründete Ansprüche dann bald nach dem Tode des Vaters auch Kärnthen frei ward (1039). Diese gewaltige Ausdehnung der Herrschaft des kaiserlichen Hauses über ganz Süddeutschland entsprang also un - mittelbar den Rechtsverhältnissen, nicht einer den Laienfürsten plan - voll feindseligen Politik, und diese wußten den strengen Rechts - standpunkt des Kaisers zu würdigen und ließen sich dafür denn auch die scharfe Betonung ihrer Beamteneigenschaft gefallen.

10I. Die Zeit der Salier.

Seiner eignen Vergangenheit nach aber fühlte sich Konrad am meisten hingezogen zu den kleineren Grafen und Herren, ehrte er doch einen ihm befreundeten Grafensohn, der in Rom getötet wurde, dadurch, daß er seine Leiche neben dem Sarkophage Kaiser Ottos II. beisetzen ließ. Und indem er nun für diese Vasallen den gleichen, aber hier noch keineswegs anerkannten Grundsatz der Lehenserblichkeit aussprach, gewann er an diesem Stande, auf dem ja die kriegerische Kraft des Reiches vor allem beruhte, eine über - aus wertvolle Stütze für das Königtum.

Das wurde alsbald von praktischer Bedeutung in den wieder - holten Empörungen (1025 1030) seines Stiefsohnes Ernst II. von Schwaben. Dieser Familienzwist war ohne alle grundsätzliche Be - deutung. Die Sage hat später Ernst mit Liudolf, dem Sohne Ottos d. Gr., verschmolzen, aber ihm fehlte der politische Zug, der jenem auch nach Abstrich kleindeutscher Übertreibungen verbleibt. In dem Unvermögen, seine Privatinteressen hinter die der Allge - meinheit zurückzustellen, erinnert er vielmehr an Johann Parricida, dem er auch in Eigensinn, Trotz und Erregbarkeit ähnelt, ohne sich freilich zu so verworfener Tat zu verirren. Das treibende Motiv des unreifen, auch durch die mehrfach bewiesene Großmut Konrads nicht bezwungenen Jünglings war wohl die Durchkreuzung seiner privatrechtlichen Ansprüche auf Burgund durch den höheren Staatsgedanken des Kaisers. Tragisch und anteilerregend ward sein Geschick erst, als er sich seiner herzoglichen Pflicht zur Voll - streckung der Reichsacht an seinen im Widerstande verharrenden Ge - nossen entschlug und lieber in unerschütterter Freundestreue den ge - meinsamen Untergang erwählte (1030). Der Kaiser aber sah nach dem wiederholten Treubruch in ihm nur noch den Empörer gegen die Staatsgewalt und sprach bei der Nachricht von seinem frühen, erben - losen Tode das bittere Wort: Bissige Hunde haben selten Junge. Wenn aber diese Empörungen trotz auswärtiger Verbindungen sich nie zu einer ernstlicheren deutschen Gefahr auswuchsen, so lag das nicht zum wenigsten an der Stellungnahme der schwäbischen Grafen und Herren, die ihrem herzoglichen Lehensherrn die Heeres - folge gegen den Kaiser als den höchsten Schützer ihres Rechtes weigerten.

Schuf Konrad hier durch seine kluge Haltung der Krone schon jetzt eine neue Stütze, so klangen leiser, aber immerhin vernehmlich in seiner Politik Motive der Zukunft an. Zu der für die späteren Salier so charakteristischen Begünstigung der neuen städtischen Ent - wicklung finden sich schon bei ihm bemerkenswerte Ansätze, und das Vorbild seines Erziehers, des Bischofs Burchard von Worms war es vielleicht, das ihn auf die Bedeutung des Ministerialen -11§ 1. Konrad II. (1024 1039).standes hinwies. Wissen wir auch nur von der trefflichen Besetzung seiner Hofämter, die er gleich nach seiner Krönung vornahm, so wird er weiterhin schwerlich an der sonstigen Reichsdienstmannschaft achtlos vorbeigegangen sein1)In dieser Einschränkung wird wohl die Auffassung von Nitzsch, die Bresslau in ihrer Bestimmtheit und allgemeinen Fassung ablehnt, festgehalten werden dürfen., um so weniger, als er ihrer zur Ver - waltung des wachsenden Reichsgutes dringend bedurfte. Denn die Zeit der Verluste war vorbei. Die kühle Haltung Konrads der Kirche gegenüber fand in einer auffälligen Abnahme der Schenkungen von Reichsgut an sie ihren bezeichnenden Ausdruck. Nur für zwei bedeutendere Stiftungen, die dem Ruhme seines Hauses dienen sollten, stellte er die Mittel bereit, für das noch als Ruine durch seine gewaltigen Verhältnisse eindrucksvolle salische Familienkloster Limburg a. Haardt und für die Grabeskirche der deutschen Könige, den nach großartigem Entwurfe von ihm begründeten Speyrer Dom. Im übrigen wußte er durch Rückgewinnungen und Neuerwerbungen in allen Herzogtümern das Reichsgut ansehnlich zu mehren und so auch nach dieser Seite hin die Machtgrundlage des deutschen Königstums auszudehnen.

Die im Innern gesammelte Kraft wirkte alsbald nach außen. Auf dem von seinem Vorgänger in vieljährigen Mühen neu ge - festigten Grunde hob Konrad das Kaiserreich wieder zu stolzem Ansehen ringsum bei den Völkern. Nach zwei Seiten hin glaubte er den Frieden durch kluges Entgegenkommen sichern zu sollen. An Ungarn wurde nach einem unglücklichen Feldzuge in einem von dem Thronfolger Heinrich abgeschlossenen Vertrage (1031) ein Grenzstreif zwischen Donau, Fischa und Leitha abgetreten. Mit dem gewaltigen Herrscher des Nordens Kanud dem Großen, der zu seinem dänischen und englischen Reiche Norwegen (1028) und Schottland (1031) gewann und seinen Einfluß auch auf die süd - liche Ostseeküste ausdehnte, schloß Konrad engste Freundschaft, indem er Kanuds Tochter seinem Sohne verband und die deutschen Gebietsansprüche auf die Eidergrenze beschränkte. 2)So wird man nach den Ausführungen von Steenstrup (Danmarks Sydgraense etc., Einlad. -schrift zu Königs Geburtstag, Kopenh. 1900) wohl richtiger sagen müssen, als von der Abtretung einer damals wirklich noch im deutschen Besitz befindlichen Mark zwischen Eider und Schlei zu sprechen.Hätte er vor - aussehen können, daß die dänische Großmachtstellung bald nach dem unverhofften Tode Kanuds (1035) zusammenbrechen würde, so hätte er sich vielleicht spröder gezeigt. Indes auch so war der auf Kosten schwer durchzuführender Ansprüche gesicherte Friede in der Folgezeit von hoher Bedeutung für das Vordringen deutschen Einflusses in Mission und Handelsverkehr.

12I. Die Zeit der Salier.

In Ost und West aber hatte Konrad um so glänzendere Er - folge zu verzeichnen. In Polen kam ihm dabei das Glück zu Hilfe. An dem Genie Boleslaws des Kühnen, der Polen zum mächtigen, selbständigen Königreich emporgehoben hatte, wäre wohl auch er wie sein Vorgänger gescheitert. Da führte der Tod des Gegners (1025) innere Wirren herauf, durch deren kluge Ausnutzung es dem Kaiser gelang, mit den beiden Lausitzen die alte Reichsgrenze zurückzugewinnen (1031) und sogar unter Beseitigung der neuen Königswürde die Lehensabhängigkeit herzustellen (1033). Auch Böhmen gegenüber ward trotz mancher Schwankungen die Ober - hoheit behauptet, und die Liutizen wurden aus Verbündeten wieder zu Unterworfenen (1036).

Wurden so im Osten die Verluste der letzten Zeiten wieder eingebracht, so gelang im Westen eine Gebietserwerbung, die ge - radezu den Charakter des Gesamtreiches abwandelte. Nach hundert - jähriger Dauer endete 1032 das von Basel bis Nizza ausgedehnte Königreich Burgund als selbständiger Staat mit dem kinderlosen Tode Rudolfs III. Lange vorher hatte die Frage seiner Zukunft die Welt beschäftigt. Konrad II. erntete hier nur, was sein Vor - gänger durch Verträge vorbereitet hatte. Aber wenn Heinrich II. als der nächste Verwandte Rudolfs unzweifelhaft die begründetsten Ansprüche hatte geltend machen können, so war es doch selbst nach erlangter Zustimmung Rudolfs (1027) sehr fraglich, ob Konrad, der privatrechtlich hinter andern Bewerbern zurückstand, seine neue staatsrechliche Auffassung, nach der er als Nachfolger in alle An - sprüche des Vorgängers eingetreten sei, zur Anerkennung bringen würde. Der eine jener Bewerber, Ernst von Schwaben, war indes zur Zeit der Entscheidung bereits verstorben, der andere, Graf Odo von Champagne, mußte seinen kriegerischen Widerstand vor der Übermacht des Kaisers bald genug aufgeben (1034).

Was bedeutete diese Angliederung eines dritten Reiches für das Imperium? Eine wirkliche Herrschaftserweiterung allerdings nur in den Landen, in welchen allein das schwache Königtum Rudolfs noch Geltung gehabt hatte, in den wenigstens teilweise germanischen Gebieten der heutigen französischen Schweiz, ein Zuwachs, der im wirtschaftlichen, wie nationalen Interesse unbedingt erfreulich war. Politisch aber war auch die lockere Angliederung der übrigen halb - selbständigen Teile an das Reich wertvoll genug. Denn sie be - deutete nach dieser Seite eine Eindämmung der Machtentwickelung Frankreichs, seine Absperrung von Italien, wohin vorher und wieder seit dem Verfall der burgundischen Reichsoberherrschaft im drei - zehnten Jahrhundert französische Eroberungsgelüste zielten, und also eine Befestigung des italischen Besitzes, für die auch die Gewinnung13§ 1. Konrad II. (1024 1039).der westlichen Alpenpässe belangreich war. Die mitteleuropäische Länderverbindung, die auf zwei weitere Jahrhunderte den Deutschen die Führerstellung in Europa sicherte, wurde erst jetzt vollendet. In kultureller Hinsicht endlich war es von hoher, aber freilich auch zweischneidiger Bedeutung, daß die politische Angliederung dieser Hauptwirkungstätten der kirchlichen Reformpartei deren Einfluß auf das Reich ungemein verstärken mußte.

Für die Gefahren, die da in einer allerdings noch fernen Zukunft der Staatsgewalt drohten, war Konrad blind, und diese Verkennung bildete den einzigen schwachen Punkt seiner Politik. Er kannte seine fast schrankenlose Macht über die Kirche und unterschätzte daher die Kraft ideeller Strömungen. Indem er auf der einen Seite den Dingen achtlos ihren Lauf ließ und dem weiteren Vordringen der Reformer im Reiche nicht entgegentrat, duldete er auf der andern Seite, insbesondere in Rom die schand - barsten Mißstände, weil sich von solchem Hintergrunde das kaiser - liche Ansehen nur um so glänzender abhob. So wuchs das Miß - verhältnis zwischen Forderungen und Wirklichkeit zu bedenklicher Spannung.

Das Papsttum aus dem Hause der Grafen von Tuskulum war nach einer zeitweiligen Hebung durch den Reformeinfluß Heinrichs II. und die staatsmännische Energie Benedikt VIII. mit beider Tode (1024) in Nichtigkeit und Verworfenheit zurückgesunken. Von der Begründung des mittelalterlich-deutschen Kaisertums durch Otto d. Gr. bis zu seinem Untergang hat die päpstliche Würde niemals so tief an Einfluß und Geltung gestanden, wie damals. Johann XIX., ebenso ungeistlich wie sein Bruder Benedikt, aber ohne dessen Bedeutung, übertrug Konrad auf dessen erstem Romzuge (1027) die Kaiserkrone, um hinfort neben ihm, der selbst die wichtigsten kirchlichen Entscheidungen des Papstes mit vollendeter Rücksichts - losigkeit umstieß, eine Rolle kläglichster Ohnmacht zu spielen. Nach ihm ( 1033) zog dann der noch unmündige, aber frühverdorbene Knabe Benedikt IX. das Papsttum völlig in den Lasterpfuhl wie zu den schlimmsten Zeiten unter Johann XII. hinab. Dem Kaiser war auch das willkommen. Wie er in die Rechtsverhältnisse der Stadt Rom selbstherrlich eingriff, so ließ er den päpstlichen Statisten, ganz wie einen seiner Beamten, an seinen Hof kommen, sobald er seines Namens etwa zur Ordnung der lombardischen Angelegen - heiten bedurfte. Denn die dortigen sozialen Streitigkeiten machten ihm in Italien weitaus am meisten zu schaffen.

Ganz wie in Deutschland knüpfte Konrad auch hier zunächst an die Überlieferungen der Politik Heinrichs II. an, wenn er auch nicht wie dieser an eine besondere italische Königswahl dachte, sondern14I. Die Zeit der Salier.weit schärfer das durch den Regierungswechsel keinen Augenblick erloschene Herrschaftsrecht des Reiches in jener Antwort an die Pavesen betonte: Wenn der König gestorben ist, so ist doch das Reich geblieben, wie das Schiff bleibt, dessen Steuermann zu Grunde geht. Die Bischofspartei mit dem getreuen Leo von Vercelli ( 1026) an der Spitze hatte unter Heinrich die sichere Basis der deutschen Herrschaft abgegeben; an ihrer Haltung scheiterte auch jetzt die von den weltlichen Großen aufgestellte italische Thronkandidatur eines Sohnes des Herzogs Wilhelm V. von Aquitanien, sie vor - nehmlich trug das erste Romfahrtunternehmen Konrads (1026 27).

Aber die Anwendung derselben Grundsätze wie in Deutsch - land führte den Kaiser hier nach kurzer Zeit zu einer viel hand - greiflicheren Abkehr von der Politik seines Vorgängers. Einmal wußte er, wie dort die Herzöge, so hier die Markgrafen bald mit seiner Herrschaft zu versöhnen und durch Familienverbindungen enger an Deutschland zu ketten. 1)Folgenreich waren namentlich die Verbindung des Hauses Este mit den süddeutschen Welfen und die Vermählung des Markgrafen Bonifaz von Canossa mit Beatrix, der Tochter des verstorbenen Herzogs Friedrich von Oberlothringen.Dann aber brachte ihn die in Übereinstimmung mit seinem deutschen Vorgehen auch hier ergriffene Parteinahme für die kleineren Lehensträger bei den scharf und eigenartig zugespitzten ständischen Verhältnissen der Lombardei, die durch die persönliche Machtpolitik des stolzen und herrischen Erzbischofs Aribert von Mailand noch ihre besondere Färbung er - hielten, zuletzt gar in einen offenen Konflikt mit den Bischöfen.

Die städtische Entwicklung Norditaliens war der deutschen weit vorausgeeilt. Autonomistische Erhebungen der Bürgerschaften gegen die mit den früheren Grafenrechten und der gesamten Regelung des Verkehrswesens betrauten bischöflichen Stadtherren, wie sie in Deutschland erst gegen Ende des Jahrhunderts einsetzten, kannte man hier schon seit Jahrzehnten. Eine Ausnahme machte indes die mächtigste Stadt Mailand. Solange hier noch ein welt - licher Vertreter des Kaisers die Grafenrechte wahrnahm, gingen im Gegensatze zu ihm Erzbischof und Bürgerschaft einträchtig zu - sammen. Dadurch gestärkt, konnte Aribert gegenüber den kleineren Lehensträgern, den Valvassoren, wie sie hier im Unterschied zu den mit Grafschaften und Grafenrechten belehnten Fürsten oder Kapitanen bezeichnet zu werden pflegten, um so eigenmächtiger ver - fahren; er nutzte jede Gelegenheit zur Einziehung ihrer Lehen, deren Erblichkeit hier so wenig wie in Deutschland bis dahin grundsätzlich anerkannt war. Darüber kam es zum Aufruhr der Valvassoren und zu ihrer Vertreibung aus Mailand (1035), und15§ 1. Konrad II. (1024 1039).da die gleiche Rechtsunsicherheit ihre Standesgenossen auch sonst bedrohte, so dehnte sich der Kampf alsbald über die gesamte Lombardei aus, während sich die Bischöfe mit einem Teil der Laienfürsten zusammenschlossen. 1)Es ist eine gewaltsame Betrachtungsweise, wenn Lamprecht in dieser Spaltung den Gegensatz zwischen Naturalwirtschaft und Geldwirtschaft sehen will.Als dann die kriegerische Kraft der Valvassoren noch in demselben Jahre ihre Überlegenheit im Felde bewies, wandten sich zuerst die geschlagenen Bischöfe, dann auch die Sieger um Vermittlung an den Kaiser, der ihnen mit dem stolzen Worte: Wenn Italien hungert nach dem Gesetze, so will ich es damit sättigen seinen Entschluß zur zweiten Romfahrt (1036 bis 38) ankündigte.

Mochte er seine Entscheidung zunächst offen lassen, so führte das persönliche Eingreifen den Kaiser seinen deutschen Grund - sätzen entsprechend bald genug mit Notwendigkeit auf die Seite der Valvassoren. Er forderte Abstellung ihrer Bedrückungen und lud Aribert vor seinen Richterstuhl nach Pavia (1037). Aber jener verweigerte trotzig den Gehorsam; da nahm der Kaiser den Hoch - verräter in Haft, und als er in Mönchtracht nach Mailand ent - wischte und sich dort im vollen Einklang mit der Bürgerschaft zur Wehr setzte, schritt Konrad zu seiner gewaltsamen Unterwerfung. Die Belagerung führte freilich zunächst nicht zum Ziel und ward in Rücksicht auf die beginnende Sommerhitze abgebrochen. Aber tags zuvor erließ der Kaiser jene bedeutsame Verfügung2) Constitutio de feudis v. 28. Mai 1037, M. G. Const. I 90., welche die Erblichkeit aller, auch der kleineren Lehen im Mannesstamme, wie er sie in Deutschland als Recht anerkannte, für Italien in der Form eines schriftlichen Gesetzes verkündete und gegen widerrecht - liche Lehensentziehungen weitere Sicherungen brachte. Die be - geisterte Anhängerschaft sämtlicher Valvassoren war ihm nach diesem Schritte gewiß, während auch die Mehrheit der weltlichen Fürsten auf seiner Seite stand.

Die weiteren Maßnahmen des Kaisers zeugten denn auch von dem Bewußtsein seiner unbedingten Überlegenheit. Es war ein schlechthin unerhörter Vorgang, der allen kirchlichen Rechtsvor - stellungen der Zeit ins Gesicht schlug, daß er es wagte, den wider - spänstigen Erzbischof einfach von sich aus ohne alle Mitwirkung von Papst und Synode abzusetzen und ihm einen Nachfolger zu ernennen. Als er dann einer weitverzweigten Verschwörung auf die Spur kam (1038), die, von Aribert ausgehend, ihre Mitwisser in den Kreisen des lombardischen Episkopats fand, aber auch Konrads Gegner, den Grafen Odo von Champagne, ins Einver - nehmen gezogen hatte und auf eine allgemeine Erhebung gegen16I. Die Zeit der Salier.die deutsche Herrschaft hinzielte, da griff der Kaiser mit furcht - barer Strenge durch, schickte drei der schuldigen Bischöfe über die Alpen in die Verbannung und ließ über Aribert durch den allzeit gehorsamen Papst die Exkommunikation verkünden (1038), während ein Einfall Odos in Lothringen von den dortigen Großen glücklich zurückgeschlagen wurde.

So ließ sich nicht daran zweifeln, daß Konrad genügende Machtmittel zu Gebote standen, um seiner italienischen Politik, die nachgerade zu einer vollen Umkehrung der Parteiverhältnisse ge - führt hatte, auf die Dauer den vollen Sieg zu verschaffen. Ab - gesehen von den starken Mauern Mailands, konnte Aribert seine Hoffnung nur noch auf den Thronfolger Heinrich richten, der aus seiner Unzufriedenheit über die unkanonische Behandlung eines hohen Kirchenfürsten kein Hehl machte. Einstweilen wurde indes ein weiteres Vorgehen gegen Mailand aufgeschoben, weil die süditali - schen Verhältnisse ein Eingreifen des Kaisers wünschenswert machten.

Konrad strebte hier nicht nach Gebietserweiterung. Vielmehr suchte und fand er freundliche Beziehungen zum griechischen Reiche, das eben damals einen frischen Trieb seiner gealterten Kraft spürte und Italien gefährlich geworden wäre, hätte es nicht durch den Kampf gegen die sizilischen Araber eine Ablenkung erfahren. Was dem deutschen Kaiser hier im Süden oblag, war im Wesentlichen die Sicherung des Grenzgürtels langobardischer Fürstentümer durch Beseitigung ihrer Reibungen und Behauptung der deutschen Oberhoheit. Wie das im einzelnen gelang, ist ohne erheblicheres Allgemeininteresse. Wichtig für die Zukunft dagegen wurde es, daß die normannischen Abenteurer, die seit zwei Jahr - zehnten in diesen süditalischen Kämpfen bald hier, bald dort ver - wendet wurden, es damals unter ebenso geschickter, wie skrupel - loser Ausnutzung der Rivalitäten von Capua, Neapel und Salerno in der Terra di Lavoro zu einem kleinen eigenen Territorium brachten, auf dem ihr Führer Rainulf die Burg Aversa erbaute (1030). Diese Grafschaft bestätigte ihm jetzt auch der Kaiser als ein Lehen des Fürsten von Salerno (1038). Er konnte nicht ahnen, daß aus diesem bescheidenen Keim in wenigen Jahrzehnten der starke Normannenstaat erwachsen sollte, der bereits gegen seinen Enkel dem feindseligen Papsttum mächtigen Rückhalt bot.

Von Süditalien aus wäre Konrad wohl zu neuem Angriff gegen Mailand geschritten, hätte nicht die sommerliche Hitze, der er diesmal nicht auszuweichen vermocht hatte, auf dem Rück - marsch in seinem Heere eine verlustreiche Seuche erzeugt, die für den Augenblick jede weitere Unternehmung ausschloß. Indem er daher die Achtsvollstreckung an dem Mailänder Erzbischof den17§ 2. Heinrich III. (1039 1056).italienischen Laienfürsten übertrug, wandte er selbst sich nach Deutschland zurück. Auch er trug den Todeskeim bereits in sich; an einem schweren Gichtleiden ist er schon im folgenden Frühling noch nicht fünfzigjährig gestorben, allzu früh für das Reich, das er in verhältnismäßig kurzer Regierung zu so gewaltiger Macht - fülle erhoben hatte, und das er nun vielleicht nicht ganz ohne Sorge seinem zwar hochbegabten, aber von Grund aus anders gerichteten Sohne hinterließ.

§ 2. Heinrich III. (1039 1056).

Unter dem erst zweiundzwanzigjährigen, aber in Politik und Kriegführung frühzeitig eingeweihten neuen Herrscher schien die Aufwärtsbewegung des deutschen Kaisertums zunächst einen stetigen Fortgang zu nehmen. Gleich die ersten Jahre brachten bedeut - same Erfolge im Osten. Es gelang, die slawischen Großmachtpläne des Böhmenherzogs Bretislaw zu zerstören, seine Abhängigkeit von Deutschland neu zu festigen und die Reichsgrenze in Mähren vor - zuschieben (1041). Ungarn gegenüber aber brachte Heinrich nicht nur den jüngsten Verlust an Grenzgebiet reichlich wieder ein (1043), sondern er griff auch bei erneuter Unzuverlässigkeit seines Königs kräftig durch, schlug dessen Heer und ersetzte ihn durch einen vom deutschen Kaiser abhängigen, tributzahlenden Vasallen (1044 / 45). Diese bedeutende Machtausdehnung gegen Osten und die schran - kenlose Verfügung über das Papsttum in den folgenden Jahren haben Heinrichs III. Regierung als den Gipfelpunkt deutscher Kaisermacht erscheinen lassen. Entsprach diesem Ausgreifen auch die höchste Spannung innerer Kraft? War Heinrich ein eben - bürtiger, wohl gar überlegener Nachfolger seines Vaters? Die zeitgenössischen Quellen lassen uns hier bedenklich im Stich, und die Urteile neuerer Forscher stehen in schroffem Widerspruch mit - einander. Den einen ist er der mächtigste deutsche Herrscher seit Karl d. Gr.1)Vgl. etwa Haucks in den Kern dringende, aber vom politischen Standpunkte aus doch viel zu günstige Beurteilung., den anderen der Verderber des deutschen Königtums. 2)So etwa W. Schultze in Gebhardts Handbuch. Eine mittlere Linie halten inne Giesebrecht, Ranke und Steindorff, dessen Jahrbücher der deutsch. Gesch. unter H. III., 2 Bde. 1874 / 81 für alle Einzelheiten die zuverlässigste Auskunft bieten, aber eine tiefere Auffassung vermissen lassen.

Äußerlich ein Ebenbild des Vaters, wich Heinrich in seiner geistigen Richtung von dessen gesund-kräftiger, lebensprühender Laiennatur auf das Bestimmteste ab. Von bischöflichen ErziehernHampe, Deutsche Kaisergeschichte. 218I. Die Zeit der Salier.feingebildet, mit Liebe zu den Büchern und Verständnis für Musik und Architektur erfüllt, war er früh und völlig in den Bannkreis der kirchlichen Kultur und christlichen Sittenlehre getreten. Seine ernste und schwere Natur handelte nicht aus glücklichem Gefühl, sondern stets aus streng gemessenem Pflichtbewußtsein. Die Er - habenheit seiner priestergleichen Würde hob ihn zugleich und lastete auf ihm. Er spannte all' seine Kräfte an und tat sich doch kaum je genug. Und wie er selbst nur den Antrieben seines Pflichtbewußtseins folgte, so setzte er nach der Weise der Idealisten das Gleiche bei allen Menschen voraus und vertraute weniger auf den Zwang der Macht und die Lockungen des Eigennutzes, als auf den sittlichen Aufschwung.

Wie kennzeichnend sind dafür die Friedensbestrebungen seiner ersten Jahre! In Westeuropa war es die Kirche, die dem über - handnehmenden Fehdewesen Einhalt zu gebieten suchte. Der von ihr verkündete Gottesfrieden, der sich von Aquitanien (1040) über Burgund und Frankreich ausbreitete, setzte außer den hohen Fest - zeiten für die Passionstage jeder Woche von Mittwoch Abend bis Montag früh kriegerische Gewalttätigkeiten unter kirchliche Strafen. 1)Vgl. Kluckhohn, Gesch. des Gottesfriedens 1857.Heinrich ergriff diese Aufgabe der Friedenswahrung ganz persön - lich und mit voller Inbrunst, aber die Halbheit genügte ihm nicht. Er wollte das Ideal auf die Erde herabzwingen. Gelang es, die Massen zu seiner eigenen hohen Auffassung fortzureißen, so gab es keine Friedenstörung mehr. Deshalb ging er selbst mit dem Beispiel voran. Wenn er während der Konstanzer Synode von 1043 von der Kanzel aus ergreifende Friedensmahnungen an die Menge richtete, so vergab er zuerst allen seinen Schuldnern. Bei der großen Dank - und Bußhandlung nach dem Ungarnsiege von 1044 warf er sich als erster barfuß und im härenen Büßerkleide vor dem mitgeführten Splitter des heiligen Kreuzes auf die Knie, und wieder folgte eine allgemeine Vergebung. Solche Handlungen blieben nicht vereinzelt; sie machten im Augenblick starken Ein - druck und regten nur Nacheiferung an. Doch wie wenig dauern - der Verlaß war auf solche flutenden und ebbenden Gefühlswallungen der Menge! In Heinrichs späteren Jahren tobten die Fehden wieder zahlreich in Deutschland.

Diese achtungswerten, jedoch ihr Ziel verfehlenden Friedens - bestrebungen sind nun aber charakteristisch für die Persönlichkeit und Politik des Königs überhaupt. Wie er noch kurz vor seinem Ende bei einem rein politischen Zwist mit dem Könige von Frank - reich im Zweikampf sein Leben für das Reich in die Schanze19§ 2. Heinrich III. (1039 1056).schlagen wollte, so hat er sich durch die Ehrenhaftigkeit seines gesamten Wandels, die hohe Richtung seines Geistes und die ge - wissenhafte Verfolgung seiner idealen Ziele den Anspruch auf un - bedingte Achtung erworben. Das Gefühl seines Rechtes gab ihm auch eine gewisse Zähigkeit und Selbständigkeit; er ist seiner Natur nie untreu geworden. Aber vertragen sich die Grundsätze christ - licher Sittenlehre in dem Maße, wie Heinrich sie übte, noch mit den Forderungen einer erfolgreichen Staatskunst? Durch edel - mütiges Verzeihen hoffte er so oft seine Gegner zu entwaffnen und gab doch nur nutzlos seine Machtmittel aus der Hand. Dazu traten der schwerflüssige Ernst, die einseitige Starrheit und freud - lose Verschlossenheit seines Wesens seiner Beliebtheit hindernd in den Weg. Seine zweite Gemahlin Agnes von Poitou, die Tochter Wilhelms V. von Aquitanien, bestärkte ihn nur in dieser Richtung. Wenn er bei der Vermählung mit ihr (1043) die fahrenden Spiel - leute, damals nicht unwesentliche Träger der öffentlichen Meinung, von Hofe wies, so steigerte das gewiß nicht seine Popularität. Je länger, desto mehr klagte man im Volke über die Unnahbarkeit des Königs und mangelnden Rechtschutz. Vielleicht haben auch die häufigen Krankheiten in seiner zweiten Regierungshälfte seine Kräfte geschwächt, wie sie ihm zum Verhängnis des Reiches ein vorzeitiges Ende bereitet haben.

Eine Natur wie die Heinrichs III. mußte den kirchlichen Reformbestrebungen gegenüber eine ganz andere Haltung einnehmen, als sein Vater. Jenes Mißverhältnis zwischen den kanonischen Forderungen und der Wirklichkeit, das Konrad II. geduldet, ja ausgebeutet hatte, war seiner kirchlichen Gesinnung, seiner Ge - wissenhaftigkeit unerträglich. Nur in Reinheit konnte die Kirche ihre hohen Aufgaben als treue Gehilfin des Staates erfüllen! Auch hier ging Heinrich persönlich voran. Mit dem ernstlichen Verzicht auf die Simonie gab er ansehnliche Reichseinnahmen preis. In völliger Umkehrung der väterlichen Politik stellte er sofort den Kampf gegen den unkanonisch abgesetzten Aribert von Mailand ein und erkannte ihn als Erzbischof wieder an. Damit wollte er keineswegs auf seine oberherrlichen Rechte den Bischöfen und Reichsäbten gegenüber verzichten. Im Gegenteil, gerade ihre, die geistliche Befähigung sorgsam berücksichtigende Einsetzung, bei der er zuerst neben dem Hirtenstabe auch den Ring, das Symbol der Vermählung mit der Kirche, anwandte, bot ihm die sicherste Hand - habe zur Durchführung der Reformen, wie er auch sonst seine oberherrlichen Befugnisse durch Berufung und Leitung von Syno - den, durch eine Fülle kirchlicher Entscheidungen zu dem gleichen Zwecke geltend machte.

2*20I. Die Zeit der Salier.

Noch kam es ihm selbst wohl kaum zum Bewußtsein, in welchem inneren Widerspruche diese seine ganze Rechtsstellung zu den letzten Forderungen kirchlicher Freiheit stand; und doch drangen aus den Reihen der Reformer gelegentlich schon vernehm - liche Äußerungen an sein Ohr, die eine Trennung von Geistlichem und Weltlichem begehrten. Dem Papste sind wir Gehorsam, Euch Treue schuldig; Euch haben wir über das Weltliche, jenem über das Geistliche Rechenschaft zu geben , mit diesen Worten bestritt Bischof Wazo von Lüttich dem Könige das Recht, einen italieni - schen Erzbischof nach dem Spruche einer deutschen Synode ab - zusetzen, und wahrte es ausdrücklich dem Papste (1046). Ein andres Mal trat in einer stolzen Antwort desselben Bischofs an den König die hierarchische Überhebung schon deutlich genug zu Tage: Zwischen der priesterlichen Weihe und derjenigen, die Ihr empfangen habt, besteht ein großer Unterschied; die unsrige ist lebenspendend, die eurige hat den Tod im Gefolge, und je größer der Vorzug ist, den das Leben vor dem Tode hat, umso höher ist unsere Weihe erhaben über der eurigen.

In demselben Jahre weigerte sich der neuerwählte Erzbischof Halinard von Lyon als Mönch, dem Könige den Treueid zu leisten. Lockerte dieser, als er nachgab, nicht schon das Band der Beamten - abhängigkeit? Es war der große Lebensirrtum Heinrichs III., daß er glaubte, die Kirche im Sinne der Reformpartei umgestalten und doch die alte Herrschaft über sie behaupten zu können. Noch verhängnis - voller trat dieser Irrtum in seinem Verhältnis zum Papsttum hervor.

In Rom herrschten seit 1044 die wirrsten Zustände. 1)Vgl. für das Folgende Hedwig Kromayer, Hist. Vierteljahrschr. 10 (1907).Der Streit der Adelsparteien hatte zu einem Schisma geführt. Der junge, sittenlose Tuskulaner Benedikt IX. war von den Creszen - tiern verjagt; aber rückkehrend, behauptete er sich gegen den Gegen - papst Silvester III., der sich in sein Bistum Sabina zurückzog. Die Vorgänge verdarben Benedikt trotzdem die Lust am Amte, er ver - kaufte es für tausend Pfund Silber an seinen Taufpaten, der sich nun Gregor VI. nannte. Es war das ein frommer und unbeschol - tener Mann, der indes die heimliche Simonie nicht scheute, um die Reformpartei, die ihn unterstützte, erst einmal an das Ruder zu bringen. Im allgemeinen wußte er sich durchzusetzen. Hatte auch der Gegenpapst Silvester kaum ausdrücklich verzichtet, so kann man zum mindesten von einem dreiköpfigen Papsttum doch nicht reden, und Gregor VI. hätte mit Unterstützung des deutschen Königs unzweifelhaft die allgemeine Anerkennung erlangt.

21§ 2. Heinrich III. (1039 1056).

Aber Heinrich, der 1046 seinen ersten Romzug antrat und in Pavia eine Reformsynode abhielt, wollte die Kaiserkrone nur aus reinen Händen nehmen und konnte die Kirchenreform nur mit einem vollkommen einwandfreien Papste durchführen. Sobald sich daher die simonistische Schuld Gregors, der mit dem Könige in Piacenza zusammentraf, herausstellte, war Heinrich entschlossen, ihn fallen zu lassen. Er lud ihn und seinen Gegner Silvester vor die Synode von Sutri (20. Dez. 1046). Dort wurden beide Päpste für abgesetzt erklärt. 1)Die Angabe späterer Quellen, daß bei Gregor VI. in Rücksicht auf die kanonischen Forderungen die Form der Selbstabsetzung angewandt sei, ist sehr zweifelhaft.Gregor wanderte nach Köln in die Verbannung, begleitet von seinem Kaplan Hildebrand, dessen bedeutsamer Name hier zum erstenmal in der Geschichte auftaucht. Drei Tage später ward dann auf einer Synode in Rom auch Be - nedikt, der durch den unzulässigen Verkauf allein noch nicht seines Amtes verlustig gehen konnte, abgesetzt, und durch Heinrich der deutsche Bischof Suidger von Bamberg als Klemens II. auf den päpstlichen Stuhl gehoben. Aus seinen Händen empfing Heinrich die Kaiserkrone. Wenn ihm damals außer der kaiser - lichen Würde auch die eines römischen Patriziers übertragen wurde, so war das zwar nur jener uralte Titel, den schon die Karolinger geführt hatten, nicht die Bezeichnung eines besonderen städtischen Amtes2)Das war die Annahme L. v. Heinemann's, Der Patriziat der deutschen Könige, 1888., aber die Erinnerung der jüngeren Zeiten wies doch vor - nehmlich auf jene römischen Adligen, einen Alberich und Creszen - tius, hin, die als Patrizier die Stadt beherrscht und die erste ent - scheidende Stimme bei der Papstwahl gehabt hatten; dasselbe Recht verband sich auch mit Heinrichs Patriziertitel. An die Stelle der blos tatsächlichen Beherrschung des Papsttums in den letzten Zeiten trat somit der volle Einfluß auf die Besetzung des heiligen Stuhles, wie ihn die Ottonen geübt hatten, nicht mehr und nicht weniger! Ganz wie in den Tagen Ottos d. Gr. konnte das Papsttum nur dadurch, daß es aus dem römischen Parteigewirr heraus unter die Fittiche des Kaisertums trat, zu sittlicher Höhe und universaler Bedeutung emporsteigen. Damit schien die kaiserliche Oberherr - schaft aufs neue dauernd befestigt.

Aber die Idee des Papsttums widerstrebte solcher Abhängig - keit, und je reiner sie gerade infolge der Kirchenreform in die Er - scheinung trat, desto stärker wuchs der Drang nach Befreiung. Es ist nicht richtig, daß erst Heinrichs Tod die Machtverschiebung zwischen Kaisertum und Papsttum bewirkt habe; schon zu seinen22I. Die Zeit der Salier.Lebzeiten hat sie sich langsam angebahnt, und er selbst hat sie gefördert durch unbedachte Zugeständnisse, in Verkennung schlum - mernder Gefahren. Solche Verkennung mochte begreiflich sein im Rückblick auf die Schwäche des tuskulanischen Papsttums und bei der Einmütigkeit des gegenwärtigen Zusammenwirkens; ein verhäng - nisvoller Irrtum blieb sie gleichwohl.

Die kurzen Pontifikate der beiden ersten deutschen Päpste, die Heinrich einsetzte, sind bemerkenswert durch den deutschen Einfluß, der sich nun allenthalben in Rom, insbesondere in der päpstlichen Kanzlei, bessernd geltend machte. Dann aber begann der kühne Aufstieg des Papsttums mit Leo IX. (1048 54). Man kann sagen, daß er wenn auch stets in freundschaftlichster Übereinstimmung mit seinem kaiserlichen Vetter doch recht eigentlich das Fundament für diesen Aufstieg bereitet hat.

Bischof Bruno von Toul war eine glänzende Erscheinung, liebenswürdig und gewinnend, von packender Redegabe, hinreißen - dem Schwung und unermüdlicher Spannkraft. Schon in seiner lothringischen Heimat hatte er an den kirchlichen Reformbestre - bungen eifrigen Anteil genommen; jetzt standen sie im Mittelpunkt seines päpstlichen Wirkens. Durch einen feinen Zug betonte er gleich im Beginn die Selbständigkeit seines Amtes. Nicht der kaiserlichen Ernennung, sondern der nachträglichen Wahl durch die Römer wollte er seine Würde verdanken. Was er für die Bischöfe erstrebte, das sollte auch für das Papsttum gelten, der Wahlhand - lung maß er statt der rein formalen Bedeutung wieder einen tat - sächlichen Inhalt bei. 1)Haucks Anzweiflung dieses Vorgangs scheint mir nicht überzeugend.Es war eine erste leise Andeutung der künftigen Loslösung, und es stand ganz damit im Einklang, daß aus den päpstlichen Urkunden hinfort die Datierung nach Kaiser - jahren schwand. Heinrich achtete des nicht weiter.

Zu der Selbständigkeit des Papsttums trat die Universalität. Für die erweiterten Aufgaben schuf Leo das Kardinalskolleg um. Zu den Geistlichen Roms und den Bischöfen des Patrimoniums traten jetzt zuerst hervorragende Ausländer, namentlich Lothringer und Franzosen, reformeifrig, frei von den Einflüssen des römischen Adels und kundig der transalpinischen Verhältnisse. So tauchten nun als Ratgeber des Papstes die großen Gestalten auf, die in den nachfolgenden Kämpfen eine bedeutende Rolle gespielt haben, die Lothringer Friedrich, Humbert und Hugo Candidus, sowie der aus Deutschland nach Italien zurückgekehrte Mönch Hildebrand, der als Subdiakon einen hervorragenden Anteil an der Leitung des päpst - lichen Finanzwesens gewann.

23§ 2. Heinrich III. (1039 1056).

Mit solchen Hilfskräften und der lebhaften Unterstützung des Kaisers begann nun eine eifrige, fast stürmische Reformtätigkeit, die, an die letzten Tage Heinrichs II. anknüpfend, eine Durchführung der Beschlüsse gegen Simonie und Priesterehe und eine allgemeine Säuberung der Geistlichkeit zum Ziele hatte. Der Papst beschränkte sich nicht auf Italien; sechsmal während der kurzen Jahre seines Pontifikats hat er die Alpen überstiegen; aller Orten sammelte er den Klerus um sich zu Synoden oder eindrucksvollen Kirchen - festen, er selbst in beständiger Bewegung und in alle kirchlichen Verhältnisse eingreifend, die Abhängigkeitsbande der Metropoliten straff anziehend, von dem an weitgehende Selbständigkeit gewöhnten deutschen und französischen Episkopat daher nicht ohne Mißtrauen betrachtet, aber vom Mönchtum und den Volksmassen umjubelt. So schuf er dem Papsttum allenthalben unwägbare Werte und legte den Grund zu einem wahrhaft allgemeinen und tätigen Kirchenregiment.

Aber neben den geistlich-universalen Bestrebungen eines Sil - vester II. nahm Leo IX. doch auch die weltlich-nationalen Ziele eines Benedikt VIII. in Süditalien wieder auf. Im Hintergrunde stand offenbar der Gedanke, daß nur eigne staatliche Macht dem Papsttum die Selbständigkeit gewährleiste. Die auftauchende Er - innerung an die konstantinische Schenkung war ein Merkzeichen solcher Bestrebungen. Sie führten Leo zum Kampfe mit den süd - italischen Normannen. Diese hatten unter der Oberlehnsherrschaft des Fürsten von Salerno von ihrer Grafschaft Aversa aus Apulien erobert. Die Tage des Griechentums in jenen Gegenden waren gezählt. Heinrich III. hatte auf seinem Romzuge in diese verwickelten Ver - hältnisse nur vorübergehend eingegriffen, und es fragte sich, ob die unmittelbare Unterordnung der normannischen Herrschaften unter das Reich, die er zu ungunsten von Salerno verfügte, ersprießlich war, denn aus der Ferne waren diese unruhigen und ehrgeizigen Aben - teurer doch nicht im Zaum zu halten. Schon begann Robert Guis - card die Eroberung von Kalabrien.

Dem Papste war die fortschreitende Vernichtung des Griechen - tums an sich willkommen genug, denn damit mußten der römischen Kirche hier neue Provinzen zuwachsen. Aber mit der kirchlichen versuchte er die politische Ausdehnung zu verbinden, und dieser setzten sich die Normannen bei aller Ergebenheit rücksichtslos ent - gegen. Der Streit entbrannte um Benevent. Diese Stadt huldigte, um sich vor den Bedrückungen der Normannen zu schützen, dem Papste (1051), der die Gelegenheit begierig ergriff. Die ganze Selbständigkeit seiner Politik neben der kaiserlichen trat darin her - vor, daß er den Versuch machte, diesen Reichsbesitz im Zusammen - wirken mit den Griechen für das Papsttum zu erobern. Als indes24I. Die Zeit der Salier.das päpstliche Heer vor dem Kampfe auseinanderlief (1052), war Leo doch gezwungen, sich an den Kaiser nach Deutschland zu wenden. Das Ergebnis ihrer persönlichen Abmachungen war merk - würdig genug. Anstatt dem Papste wegen der eigenmächtigen Ver - letzung von Reichsrechten zu zürnen, zeigte sich Heinrich zur För - derung seiner Pläne bereit. Gegen deutsch-kirchliche Zugeständnisse, insbesondere Verzicht auf die direkte päpstliche Hoheit über Bam - berg und Fulda, trat er ihm Benevent ab und rüstete zu dessen Sicherung ein Reichsheer. So völlig fern lag ihm der Gedanke, die Politik der Kurie könne sich auch einmal feindlich gegen das Kaisertum wenden. Erst die entschiedene Opposition der deutschen Bischöfe mit Gebhard von Eichstätt an der Spitze, die, an sich schon mißtrauisch gegen Leos hierarchisches Walten, einer Verwen - wendung von Reichsmitteln für fremde Zwecke widerstrebten, be - stimmte den Kaiser, den größten Teil seiner Truppen zurückzurufen.

Aber Leo hielt sich für stark genug, auch mit seinen eignen Mannschaften zum Angriff zu schreiten. Das Ergebnis war die völlige Niederlage bei Civitate (1053). Der Papst selbst geriet in normannische Haft und sah sich gezwungen, seine süditalischen Pläne fallen zu lassen. Als Schwerkranker in Freiheit gesetzt, starb er alsbald in Rom (1054). Der erste Versuch zur Aufrichtung einer päpstlichen Herrschaft über Süditalien war gescheitert, trotzdem blieb er richtunggebend. Vor der Schlacht hatten die Normannen dem Papste das Anerbieten gemacht, alle eroberten kirchlichen Be - sitzungen von ihm gegen Tribut zu Lehen zu nehmen. In allzu - großem Kraftgefühl hat Leo das damals abgelehnt. Aber diesem Vorschlage gehörte die Zukunft; so sollte das Papsttum doch, wenn auch in andrer Form, im Süden eine Stütze für seine Selbständig - keit gewinnen.

Noch war indes an Unabhängigkeit vom Kaisertum nicht zu denken. Der Begünstigung Heinrichs hatte Leo IX. doch in erster Linie seine Erfolge verdankt, und er hatte dafür mit kirchlichen Mitteln die kaiserliche Politik mannigfach unterstützt. Das vielleicht allzu rasche Selbständigkeitstreben des Papsttums erfuhr sogar zu - nächst einen gelinden Rückschlag, denn Heinrich erhob nach längerer Vakanz gerade den Führer der deutschen Bischofsopposition, Geb - hard von Eichstätt, als Viktor II. (1055 57) zum Papste, nicht zur Zufriedenheit der Hauptratgeber Leos. Indessen, mochte Geb - hard glauben, sich nur so eine Stellung in Rom schaffen zu können, oder hielt er eine Befestigung den Normannen gegenüber für nötig, er machte eine umfassende Herstellung aller entfremdeten Besitzungen des h. Petrus geradezu zur Bedingung der Übernahme des Papst - tums und hat in den nächsten Jahren eifrig dafür gewirkt. Wenn25§ 2. Heinrich III. (1039 1056).er überdies die Ämter eines Herzogs von Spoleto und Markgrafen von Fermo mit seiner kirchlichen Würde vereinigte und so in Mittelitalien eine bedeutende Machtstellung einnahm, so war das allerdings ein rein persönlicher Vertrauensposten im Dienste des Kaisers, jedoch für zukünftige Ansprüche vielleicht nicht ganz unbe - denklich.

Immerhin zeigten diese letzten Vorgänge, daß Heinrich die Zügel noch in der Hand hatte. Die Reichskirche hielt er nach wie vor in straffer Abhängigkeit, durch das Einsetzungsrecht vermochte er in kurzen Zwischenräumen stets seinen Einfluß auf das Papsttum zu erneuern. So lange er lebte, drohte von dieser Seite kaum eine unmittelbare Gefahr. Aber er hat das Papsttum doch zur Macht gehoben; noch wuchs es ihm nicht über den Kopf, aber doch bis zur Schulterhöhe, und einen kindlichen Nachfolger mußte es bereits überragen. Allzusehr durchdrungen von der Har - monie zwischen Kaisertum und Papsttum und allzu zukunftsicher, hat Heinrich III. in seiner Kirchenpolitik doch ein gefährliches Spiel gespielt. Durch seinen unzeitigen Tod ging es zum Verhängnis Deutschlands verloren!

Auch für seine sonstige innere Politik bildete das Verhältnis zur Kirche den Angelpunkt. Die Vergabungen an sie waren nach dem Stillstande unter Konrad II. aufs neue im Wachsen; die deutschen Bischöfe waren wieder die hauptsächlichen Vertrauensmänner und Verwaltungsbeamten der Regierung. Wie, wenn die Reformer ein - mal diese Doppelstellung als unkanonisch verwerfen würden? War alsdann für andre Stützen der Reichsverwaltung gesorgt? Man kann kaum sagen, daß Heinrich die väterliche Politik nach dieser Rich - tung hin sorgsam weiter gepflegt habe. Das Emporsteigen des Ministerialenstandes und das Aufblühen der westdeutschen Städte setzte sich zwar ohne viel Zutun von oben fort. Auf die Mehrung des unmittelbaren königlichen Besitzes aber verwendete Heinrich bei weitem nicht die stete Sorgfalt des Vaters. Durch den Ver - zicht auf die simonistischen Abgaben der Geistlichen sah er sich gezwungen, die weltlichen Reichsbeamten und Lehensträger bei ihrer Einsetzung zu ähnlichen Zahlungen heranzuziehen, die ihm dann wohl den Vorwurf der Habsucht eintrugen. Überhaupt war das ganze kirchenfreundliche Regiment wenig nach dem Sinne des Laien - adels, den sich Konrad II. diesseits und jenseits der Alpen eng zu verbinden gesucht hatte. Die Unzufriedenheit dieser Kreise wuchs in allen Teilen des Reiches. Im Anfang war nun freilich Hein - richs Machtstellung überwältigend. Aber die drei heimgefallenen Herzogtümer Bayern, Schwaben und Kärnthen gab er noch in den vierziger Jahren aus der Hand. Bei dem weitausgedehnten Pflichten -26I. Die Zeit der Salier.kreis des Kaisers mochte ja eine unmittelbare Beherrschung dieser Herzogtümer, namentlich der von den Ungarn bedrohten: Bayern und Kärnthen, in der Tat schwer durchführbar sein, aber die stamm - fremden Männer, die Heinrich auswählte, um durch sie den un - ruhigen einheimischen Adel im Zaum zu halten, erwiesen sich nicht durchgängig als zuverlässig. So ward Heinrichs Geschick dadurch fast zu einem tragischen, daß er bei allem Friedenstreben in immer neue innere Kämpfe verwickelt ward.

Ihre Hauptstätten fand die wachsende Unzufriedenheit in den beiden Herzogtümern, die dem Kaiser noch am selbständigsten gegenüberstanden, in Sachsen und Lothringen. Dort ward sie bedeutsam erst für die Zukunft, hier bereits gefährlich in der Gegenwart.

Zu Sachsen hatte Heinrich besonders nahe Beziehungen. Hat er auch nicht, wie Nitzsch meinte, den ernstlichen Plan verfolgt, Goslar zu seiner festen Residenz zu machen, so hat er doch den Bau der neuen Pfalz begonnen und mit Vorliebe dort geweilt. Schon dieses Streben, auf Grund der alten ottonischen Besitzungen die Stellung des salischen Hauses in jenen durch die beginnende Ausbeutung der Harzer Silberschätze an Wert steigenden mittel - deutschen Landschaften zu befestigen, mußte den sächsischen Adel mit Mißtrauen erfüllen. Ein weiteres Moment des Zwiespalts er - gaben die nahen Beziehungen des Kaisers zu Erzbischof Adalbert von Bremen.

Kaum eine andre Persönlichkeit jener Zeit steht so lebendig vor uns, wie der thüringische Grafensohn, der 1045 (1043?) von Heinrich auf den Bremer Erzstuhl gehoben ward, denn die feine Feder Meister Adams1)Vgl. S. 30. Von Neueren vgl. über Adalbert: Dehio, Gesch. des Erzb. Hamburg-Bremen I (1877), jetzt im einzelnen zu übertreffen; R. Müller, Stader Progr. 1885, Haucks Darstellung u. v. Schubert, Kirchengesch. Schles - wig-Holsteins I (1907), 81 ff. hat ihn uns am Leben erhalten, diesen schönen, reichbegabten, zum Fürsten geborenen Mann mit seinem kühnen, hochfliegenden Geist, voll Hingabe an die große Sache, die er erwählt, und doch von ungemessenem Ehrgeiz und reizbarem Stolze, phantastisch zugleich und weltfreudig, großzügig und eitel. Wie er der Bremer Kirche sein ganzes reiches Erbgut von zwei - tausend Bauernhöfen schenkte, wie er die päpstliche Würde, die ihm der Kaiser anbot (1046), ausschlug, weil er von seinem Erzbistum eine bessere Meinung hegte, so hat er sein Leben lang mit allen Kräften an der Erhöhung der hamburgisch-bremischen Kirche ge - arbeitet, an der Erweiterung ihres geistlichen Einflusses und an dem Ausbau ihrer weltlichen Macht, energisch und unermüdlich, aber27§ 2. Heinrich III. (1039 1056).auch sprunghaft und gewaltsam, mit Überspannung der Kräfte und darum auf die Dauer nicht ohne Rückschläge und Mißerfolge.

Die Geschichte der deutschen Beziehungen zum Norden ist mit der überragenden Figur Adalberts auf das engste verknüpft. Die alten Missionsbestrebungen in dieser Richtung nahm er in breitestem Umfange und mit dem lebhaftesten Schwunge auf. Der erste große Erfolg ward in dem nahen, weitausgedehnten Wenden - staate des Christ gewordenen Abotritenfürsten Gottschalk errungen; die dort neugegründeten Bistümer Mecklenburg und Ratzeburg wurden der bremischen Metropolitangewalt unterstellt. Von da strahlte die Wirkung weiter in die benachbarten Wendenlande.

Auch in den nordgermanischen Reichen, insbesondere in Däne - mark, schien sich der bremischen Kirche bei dem Zerfall der Groß - macht Kanuds eine bedeutende Aussicht zu bieten; aber die festere nationale Geschlossenheit der Staaten drängte hier nach kirchlicher Selbständigkeit. Aus dem Wunsche, dieses unaufhaltbare Streben mit den kirchlichen Hoheitsansprüchen Bremens zu vereinigen, er - wuchs in Adalbert der Plan, ein nordisches Patriarchat zu begründen, das sich als eine hierarchisch übergeordnete Gewalt über die nor - dischen Landeskirchen erheben und dem bremischen Inhaber die Möglichkeit gewähren sollte, selbst Erzbischöfen zu gebieten. Um die Notwendigkeit dieser Rangerhöhung nach den kanonischen Vor - schriften Pseudoisidors darzutun, vermehrte Adalbert die Zahl der bremischen Suffraganbistümer über die wirklichen Bedürfnisse hinaus auf zwölf. In Rom hatte er mit seinem Plane indes nur einen halben Erfolg. Man schätzte seine Missionsleitung und Organisations - kraft hoch, lieh ihm die nötige Rückendeckung und kargte nicht mit Ehrenvorrechten, wie dem Titel eines Legaten, ja eines päpst - lichen Vikars. Aber eine dauernde, nicht nur auf persönlicher Verleihung, sondern auf eigenem Rechte beruhende Mittelsgewalt zwischen Rom und den nordischen Kirchen hier neu zu schaffen, würde doch der ganzen absolutistischen Richtung der päpstlichen Politik allzusehr widersprochen haben. So blieb der Plan unausgeführt.

Indes die immer weiter ausgreifende Wirksamkeit Adalberts wurde dadurch kaum eingeengt. Weit über Skandinavien hinaus, bis nach Finnland, den Orkneyinseln, Island und Grönland zogen die bremischen Missionare und schufen kirchliche Organisationen unter bremischer Oberleitung.

Diese reiche Wirksamkeit im Auslande bedingte eine starke Machtgrundlage daheim. Adalbert beschränkte sich da nicht nur auf die Erweiterung und straffe Vereinigung des Kirchengutes der bremischen Diözesen in seiner Hand, sondern er suchte möglichst viele Grafschaften seines Sprenels an sich zu bringen, um so eine28I. Die Zeit der Salier.ähnliche, herzoggleiche Stellung einzunehmen, wie sie in kleinerem Umfange etwa der Bischof von Würzburg im Laufe der Zeit wirk - lich erlangt hat. Wie sehr aber lief ein solches Streben den Interessen des sächsischen Laienadels, insbesondere der billungischen Herzogs - familie entgegen! Und bei der einflußreichen Vertrauenstellung, die Adalbert beim Kaiser einnahm, richtete sich die Unzufriedenheit nun auch gegen Heinrich. Schon als dieser 1047 den Erzbischof auf seinem Gute Lesum bei Bremen besuchte, wäre er fast das Opfer eines Attentats geworden, und der Verbrecher war ein Bruder des sächsischen Herzogs! Das war ein Merkzeichen der Mißstimmung, die seitdem im Stillen weiterfraß, aber zu einem offnen Ausbruch hier vorerst noch nicht führte.

Dagegen hatte der Kaiser nahezu während seiner ganzen Regierung fast ununterbrochen mit dem Herzog Gottfried von Ober - lothringen zu kämpfen, dem er das vom Vater besessene Nieder - lothringen verweigert hatte (1044). Die Grenzlage des Herzogtums, für den Kaiser um so unbequemer, als ihn die seit 1046 wieder ausgebrochenen ungarischen Kämpfe in die entgegengesetzte Richtung wiesen, die offene Hülfe des nie bezwungenen Flandern, die heim - liche Gunst des französischen Königs, der nur vorübergehend um - gestimmt wurde, der Mangel einer Reichsflotte, den man einmal (1049) gar durch die Hülfe des Auslandes, dänische und englische Schiffe, zu ersetzen versuchte, alles das machte diese fortgesetzten Erhebungen für Heinrich höchst unangenehm. Statt den unver - söhnlichen Gegner zu vernichten, nahm er mehrfach seine Unter - werfung an, um ihn nach kurzer Zeit zu begnadigen und neue Enttäuschungen zu erleben.

Geradezu bedrohlich für das Reich ward dann die Vermählung Gottfrieds mit der Witwe des Markgrafen Bonifaz von Tuszien (1054), die durch die weitverbreiteten Eigengüter und Lehen ihres Hauses Canossa und das auf sie übergegangene tuszische Reichs - amt ihres ersten Gemahls eine bedeutende Machtstellung in Mittel - und Norditalien einnahm. Diese von der Kurie vielleicht insgeheim geförderte Verbindung zwang den Kaiser zu seinem zweiten Rom - zuge (1055). Sein entschlossenes Vorgehen blieb nicht ohne Erfolg. Durch Begünstigung der Städte gewann er kräftigen Rückhalt, Beatrix und ihre Tochter Mathilde gerieten in seine Haft. Aber Gottfried selbst hatte sich schon vorher nach Deutschland geworfen, und der dort aufs neue entfachte Aufstand erwuchs noch einmal zu einer ernsten Gefahr durch die Verbindung mit der süddeutschen Op - position.

Die von Heinrich selbst eingesetzten Herzöge Konrad von Bayern und Welf III. von Kärnthen hatten sich als durchaus un -29§ 2. Heinrich III. (1039 1056).zuverlässig erwiesen. Möglicherweise waren es die engen Beziehungen des Kaisers zum bayrischen Episkopat, die Herzog Konrad schon 1052 zur Empörung getrieben hatten. Er ward abgesetzt und flüchtete nach Ungarn, um von dort aus den Kampf fortzuführen.

Wie wenig hatte doch hier im Südosten die scheinbar so glänzende Machtausdehnung des Reiches um die Mitte der vierziger Jahre in Wirklichkeit bedeutet! Schon 1046 war König Peter, der Schützling und Vasall Heinrichs, durch eine deutschfeindliche Re - aktion gestürzt worden, und mit dem Nachfolger Andreas begann bald wieder der alte Grenzkrieg (1050). Als schon ein für das Reich günstiger Friede in Aussicht stand (1053), entfachte der flüchtige Bayernherzog die Kriegsgluten aufs neue, in denen nun die ganzen Errungenschaften aus den ersten Jahren von Heinrichs Regierung zu Asche verbrannten.

Der Herzog selbst aber zettelte während des Kaisers Romzug eine weitverzweigte Verschwörung an, die Heinrich Thron und Leben kosten und ihn selbst auf dessen Platz heben sollte (1055). Die Kunde davon zwang den Kaiser zu sofortiger Rückkehr, und nun lächelte ihm noch einmal das Glück. Der unvermutete Tod der beiden Hauptverschworenen Welf und Konrad vernichtete die Machenschaften seiner Feinde. Auch Gottfried von Lothringen unterwarf sich, und trotz allem, was geschehen, begnadigte ihn Heinrich und entließ auch seine Gemahlin aus der Haft. Gegen ein Treueversprechen, das nach den bisherigen Erfahrungen im Ernstfalle federleicht wog, erkannte er jetzt die bedenkliche lothrin - gisch-tuszische Verbindung an. War es eine Vorahnung des Todes, die ihm die Notwendigkeit eines Entgegenkommens nahelegte? 1)Die Beschaffenheit unsrer Quellen läßt hier, wie auch sonst in Heinrichs Regierung, so manches dunkel. Daß die Entscheidung zu den letztwilligen Verfügungen des Kaisers gehörte, möchte ich um deswillen nicht annehmen, weil die Begnadigung Gottfrieds noch am Rhein erfolgt zu sein scheint, und die Entlassung seiner Gemahlin doch wohl im Zusammenhang mit ihr stand.War es ein Gefühl der Schwäche, das von durchgreifender Strenge nur neue Unruhen befürchten ließ? Im Grunde war doch auch dieser Entschluß nur ein Ausfluß der ureigensten Natur Heinrichs und seiner christlichen Lebensanschauung. Feindlichen Trotz zu brechen, aber dann durch überreiche Gnade die Herzen zu ge - winnen, das war hier, wie so oft, sein menschlich großes, aber staatsmännisch überaus bedenkliches Bestreben.

So war er, obwohl er manchem sich zu seinen Ungunsten entwickelt zu haben schien, doch wohl derselbe geblieben, der er im Anfang gewesen war; aber das Reich war nicht mehr ganz das30I. Die Zeit der Salier.gleiche, wie er es von seinem Vater übernommen hatte. Wohl hatten gerade die letzten Jahre bewiesen, daß der Kaiser noch allen gegensätzlichen Gewalten gewachsen war, und von einer ernst - lichen Erschütterung seiner Machtstellung ließ sich noch nicht reden. Aber nicht zum wenigsten durch die Fehler seiner Politik waren alle jene Gewalten emporgekommen, deren furchtbarer Zusammen - schluß seinem Nachfolger Verderben bringen sollte: die Opposition des sächsischen und süddeutschen Laienadels, die lothringisch-tus - zische Verbindung, das zur Selbständigkeit schreitende Papsttum, die süditalischen Normannen.

Mißstimmung und Unfriede waren im Reiche weitverbreitet, als Heinrich, der noch nicht das vierzigste Jahr vollendet hatte, in seiner Pfalz Bodfeld im Harz auf den Tod erkrankte. Mit schwerer Sorge gedachte er da der Nachfolge seines erst sechsjährigen Söhn - chens. Schon hatten diesen die Fürsten zum König gewählt (1053), aber, wie uns berichtet wird, ihren künftigen Gehorsam von der Voraussetzung eines gerechten Regiments abhängig gemacht. Eben weil diese Klausel, die man einem Konrad II. gegenüber schwerlich gewagt haben würde, ein Moment der Unsicherheit enthielt, ver - pflichtete Heinrich auf seinem Sterbebett die gerade anwesenden Fürsten durch eine Wiederholung der Wahlhandlung aufs neue. Dem Papste Viktor II., der als Bischof von Eichstätt daran teilnahm, empfahl der Kaiser seinen Knaben zum besonderen Schutze. Noch einmal verzieh er allen seinen Feinden und erbat ihre Vergebung für seine Schuld. Dann trat der Tod ein (5. Okt. 1056). Deutsch - land stand an einem Wendepunkt seiner Geschicke.

§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056 1065).

Nach dem bald erfolgenden Tode des päpstlichen Beraters Viktor II. (1057) sah sich Agnes, die Witwe Heinrichs III., als Regentin vor eine ihre Kraft weit übersteigende Aufgabe gestellt. Ängstlich und unsicher, ohne politisches Urteil, persönlichen An - trieben folgend, voll kirchlicher Ergebenheit, ein schwaches Weib, hat sie durch ihr energieloses Walten künftiges Unheil vorbereiten helfen. Die Männer, die sie in Süddeutschland zu Herzogen erhob, der Burgunder Rudolf von Rheinfelden in Schwaben, der Sachse Otto von Nordheim in Bayern der Schwabe Berthold von Zähringen in Kärnthen, sollten sich bald genug als die gefährlichsten Gegner der Krone erweisen. Die Günstlingswirtschaft am Hofe, die Für - sorge für die Reichsklöster, die Mißerfolge der großen Politik steigerten31§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056 1065).die Unzufriedenheit der geistlichen und weltlichen Großen und führten zu dem Staatsstreich von Kaiserswerth (1062), der mit der Person des königlichen Knaben zugleich das Reichsregiment in die Hand der Fürsten gab und die Kaiserin veranlaßte, sich in das langersehnte Kloster zurückzuziehen.

Ein Jahr lang war nun Erzbischof Anno von Köln tatsächlich alleiniger Regent, der Hauptrivale Adalberts von Bremen, stolz und herrisch wie dieser, ebenso auf die Erhöhung seiner Kirche und seines persönlichen Einflusses bedacht, zwischen Reichsregierung und Kurie eine selbständige Mittelstellung erstrebend, die unhaltbar war, im ganzen doch enger, kurzsichtiger, phantasieloser, als Adalbert, der schon durch seine weltfrohere glanzvollere Lebenshaltung den jungen König mehr für sich einzunehmen wußte, und daher bald (1063) mit dem Kölner um die Macht rang. Als dann Anno durch den kirchenpolitischen Streit nach Italien geführt wurde (1064), und der mündig gewordene König (1065) sich noch enger an den Bremer Erzbischof anschloß, begann für Adalbert die kurze Glanzzeit seines ausschließlichen Einflusses auf die deutsche Regierung. Daß er sich nun, wie die sächsische Parteilegende will, Heinrichs Gunst gesichert habe, indem er dessen schlechten Neigungen frönte, ist ebenso unrichtig, wie die auf Nitzsch zurückgehende Meinung neuerer Forscher, Adalbert habe wieder einen großen nationalen Zug in die Reichspolitik gebracht und planvoll an einer wirtschaft - lichen Stärkung der Krone gearbeitet. 1)Vgl. Meyer v. Knonau Jahrb. I, 695 ff.Wohl trug er den Ruhm eines glücklichen Feldzuges gegen Ungarn davon, der den deutschen Einfluß auf das Nachbarreich vorübergehend herstellte (1063), wohl lief sein persönlicher Nutzen mit dem der Krone, die ihm in Sachsen umfangreiche Rechte und Besitzungen zugestand, eine weite Strecke zusammen, wohl förderten seine eben damals großartig betriebenen Patriarchatspläne die Beziehungen des Reiches zu den nordischen Ländern. Aber als das Interesse des Königtums einen Romzug zur Erwerbung der Kaiserkrone erheischte (1065), widerriet Adalbert, im wesentlichen doch wohl aus Eifersucht gegen Anno, den Erz - kanzler für Italien, und der Versuch einer Aufteilung der wohl - habenden Reichsabteien unter die Bischöfe, unter denen er sich selbst ganz besonders bedachte, hätte bei völliger Durchführung gerade - zu den Hauptlebensnerv der Reichsgewalt unterbunden. Ebendiesen Plan nutzte die über die Bevorzugung eines Einzelnen mißvergnügte Fürstenaristokratie zum Sturze Adalberts; auf dem Tage von Tribur (1066) ward Heinrich gezwungen, seinen Ratgeber schimpflich zu entlassen, und nun erhoben sich dessen Gegner in Sachsen und32I. Die Zeit der Salier.wußten das Gebiet der bremischen Kirche auf kaum ein Drittel seines Umfangs zu beschränken. Der heidnisch-slawische Rückschlag aber, der nun bei den Abotriten und andern rechtselbischen Slawen - stämmen erfolgte, brachte dem Reiche wie dem Christentum die schwersten Schädigungen.

Nach innen und außen erinnerten so die Zustände an die Zeiten der Kindheit Ottos III. Was aber den Vergleich sehr zu Ungunsten des jungen Heinrich IV. entschied, war die inzwischen vollzogene Machtbefreiung des Papsttums, die in dem Jahrzehnt seit dem Tode Heinrichs III. reißende Fortschritte gemacht hatte.

Nach dem Tode Viktors II. hatte sich die Reformpartei mit dem Lothringer Stefan IX. (1057 58) zuerst in den Sattel gesetzt; sein Bruder Herzog Gottfried von Lothringen sollte durch seine mittelitalische Machtstellung dem Papsttum die Selbständigkeit gewährleisten. Indes bei seiner kurzen Dauer kam diesem Pontifikat nur programmatische Bedeutung zu. Dann vermochten die Reformer gegen einen Vorstoß des römischen Adels ihre Herrschaft nur durch erneute Anlehnung an die Reichsregierung zu sichern, indem sie die Zustimmung der Kaiserin für ihren Kandidaten einholten. Der Name Nikolaus II., den er sich gab, war mit seiner Erinnerung an den großen Papst des neunten Jahrhunderts ein Programm, und die kurzen drei Jahre dieses Pontifikats sind nun allerdings durch Zielsetzung, Festigung und Rüstung für die Geschichte des Papst - tums hochbedeutsam geworden.

In seine Anfänge fällt die Schrift des Kardinals Humbert Gegen die Simonisten , in der die letzten Ziele der kirchlichen Reformpartei zuerst unverhüllt ausgesprochen wurden, wohl die hervorragendste publizistische Leistung der ganzen Zeit. 1)Vgl. M. G. Libelli de lite I, 15 ff.

Da ward nicht nur die Simonie als Ketzerei und jede Weihenspende durch Simonisten als ungültig erklärt, sondern vor allem der Begriff der Simonie ausgedehnt auf die Erteilung eines kirchlichen Amtes durch Laien oder an Laien. So sollte das gesamte Kirchengut herausgehoben werden aus der Verfügungsgewalt der weltlichen Grundherren, eine völlige Umkehrung des bisherigen Rechtszustandes, die am empfindlichsten die deutsche Reichs - gewalt treffen mußte. Offen wurde ausgesprochen, die Schändung der jung - fräulichen Reinheit der Kirche durch die Einmischung der Laien habe mit den Ottonen begonnen, die Investitur von Geistlichen durch Laienhand mit den kirchlichen Symbolen Ring und Stab sei verwerflich und nichtig, wie viel mehr jetzt gar durch die Hand einer Frau! Nur ein Konsensrecht bei den Bischofswahlen wurde der weltlichen Gewalt zugestanden, jeder weitere Anspruch zurückgewiesen; nicht mehr Reform, sondern Befreiung der Kirche ward die Losung, und zu ihrer Durchführung wurde bereits die Revolutio - nierung der Volksmassen gegen die Fürsten ins Auge gefaßt. Da aber eine völlige Trennung von Geistlichem und Weltlichem bei dem Ineinandergreifen33§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056 1065).beider Kreise aussichtslos erschien, so führte eine wahre Befreiung der Kirche zu ihrer Überordnung über die weltlichen Gewalten. Das Priestertum ward der leitenden Seele, das Königtum dem gehorchenden Körper verglichen. So gelangte man gleich im Anfange in der Verfolgung der kirchlichen Freiheit zur kirchlichen Herrschaft.

Noch mochten sich die maßvolleren Reformer, wie der zum Kardinal erhobene Petrus Damiani1)Seine Schriften und Briefe gehören zu den wichtigsten Quellen für die kirchliche Reformbewegung vor dem Investiturstreit, vgl. Opera ed. Caje - tanus 1743 u. Libelli de lite I., keineswegs zu so weitgehenden, den Frieden der Welt bedrohenden Schlußfolgerungen bekennen; aber die radikalere Gruppe, die sich nun ganz auf den Boden dieses mit eindringlicher Schärfe entwickelten Programms stellte, ge - wann die Führung, allen voran der vom Subdiakon zum Archidiakon der römischen Kirche emporsteigende Hildebrand. Das scharf - sichtige Auge des Papstes nannten ihn wohl die Freunde; er fütterte seinen Nikolaus im Lateran wie einen Esel im Stalle meinte ein Gegner. Von nun ab hielt er ununterbrochen das Regiment der Kurie in Händen bis zu seinem eignen Pontifikat.

Gleich die Lateransynode von 1059 zeigte in ihren Reform - beschlüssen den Einfluß von Humberts Schrift; vor allem aber suchte sie das Papsttum vor weiteren Störungen zu sichern und der Reformpartei dauernd zu erhalten durch eine Neuordnung der Papstwahl. 2)Die Verfälschungen des ursprünglichen Textes während des folgenden Kampfes in beiden Lagern haben der Forschung über das Papstwahldekret Nikolaus II. schwierige Aufgaben gestellt und eine reiche Kontroversliteratur hervorgerufen. Die älteren Abhandlungen finden sich aufgezählt und beurteilt in der Schrift von Scheffer-Boichorst, Die Neuordnung der Papstwahl durch Nikolaus II. (1879), die einen vorläufigen Abschluß brachte und noch jetzt die sicherste Grundlage für weitere Arbeit bleibt. Die sog. päpst - liche Fassung des Dekrets mit dem allgemeinen Vorbehalt des kaiserlichen Rechts wurde von ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit als die dem ursprüng - lichen Text im wesentlichen entsprechende nachgewiesen, während die sog. kaiserliche Fassung, die dem Kaiser einen Anteil an der Wahl selbst zu - gesteht, als eine spätere Fälschung aus dem Kreise der Anhänger des Gegen - papstes Wibert um 1080 erscheint, andererseits freilich auch eine Verfälschung aus dem Lager Gregors VII. nicht fehlt. Über einzelne Streitpunkte, wie die von Panzer, v. Heinemann, K. Müller u. a. angenommene Abänderung des Dekrets im Jahre 1060, setzen sich die Meinungsverschiedenheiten bis in die Gegenwart fort; vgl. darüber Meyer v. Knonau I, 678 ff., Hauck III 3. 4 S. 683. Neuerdings sucht v. Pflugk-Harttung (Mitt. des Inst. f. öst. Gesch. 27, 1906) auch die weitgehende Verunechtung der sog. päpstlichen Fassung nachzu - weisen und meint aus den zeitgenössischen Berichten schließen zu können, daß in dem ursprünglichen Texte das kaiserliche Recht als Gegengewicht gegen den Einfluß des römischen Adels stark betont gewesen sei; doch dürfte er mit seinen Ausführungen schwerlich allgemeinere Zustimmung finden.Denn indem der Kandidatenvorschlag künftig den Kardinalbischöfen, Annahme oder Verwerfung dem gesamten Kardinals -Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 334I. Die Zeit der Salier.kolleg zustehen sollte, während dem übrigen Klerus und Volk von Rom nur ein rein formelles Zustimmungsrecht blieb, sollte der Ein - fluß des römischen Adels auf die Wahl ein für allemal beseitigt werden. Das war neben der Legalisierung gewisser Unregelmäßig - keiten bei der Erhebung des gegenwärtigen Papstes offenbar der Hauptzweck der neuen Ordnung. Aber daneben war sie doch eine einseitige Abänderung des noch von Heinrich III. energisch betonten und geübten kaiserlichen Rechtes bei der Papstwahl, das in der vorliegenden Fassung des Dekrets nur in ganz unbestimmter Form als persönliches Vorrecht Heinrichs IV. vorbehalten wurde. Noch suchte man den offenen Bruch mit der Reichsregierung zu ver - meiden, wenn sie sich mit einer wenig greifbaren Phrase abspeisen ließ. Darüber freilich konnte man sich einer Täuschung nicht hingeben, daß die erstrebte Befreiung der Kirche sich ohne einen Kampf mit dieser Macht nicht verwirklichen ließ. So sah man sich frühzeitig nach Bundesgenossen um.

In Mittelitalien bot die Machtstellung des Herzogs Gottfried von Lothringen, dem Nikolaus II. nicht zum wenigsten seine Er - hebung verdankte, den natürlichen Rückhalt. Süditalien gegenüber aber vollzog sich nun auf Antrieb Hildebrands eine bedeutsame Schwenkung der päpstlichen Politik. Noch der letzte der deutschen Päpste Stefan IX. hatte wie Leo IX. an eine Machtstärkung der Kurie durch feindliche Niederwerfung der Normannen gedacht. Jetzt sah man die Unmöglichkeit ein und erreichte Ähnliches durch friedliches Übereinkommen. Beide Normannenführer wurden in ihren teilweise auf Kosten der Kirche erweiterten Gebieten aner - kannt, Richard von Aversa als Fürst von Capua, Robert Guiskard, der rücksichtslose Eroberer und listenreiche Unterhändler, als Herzog von Apulien, Kalabrien und dem noch erst zu gewinnenden Sizilien; aber zugleich wurde die durch keinen Rechtstitel zu stützende, vielmehr wohlbegründete Reichsansprüche verletzende Lehenshoheit des Papsttums über diesen ganzen Kreis von Land - schaften errichtet, Zinszahlung und Waffenhilfe ihm zugesichert (1059). Diente das normannische Schwert vorderhand gegen den römischen Adel, so konnte es dereinst auch Schutz gegen das Reich bieten. Und schon hatte die Kurie auch in Oberitalien wertvolle Bundesgenossenschaft gefunden. In Mailand hatten sich seit den Tagen Konrads II. die sozialen Parteien gewandelt; damals Spal - tungen zwischen den Adelsklassen und noch ein Zusammengehen zwischen Erzbischof und Bürgertum, jetzt die unteren Volksschichten emporstrebend und in feindlichem Gegensatz zu den durch Inter - essengleichheit, Verwandtschaft und Lebenshaltung eng verbundenen beiden Ständen des hohen Klerus und Gesamtadels. Mit dieser35§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056 1065).demokratischen Bewegung verbanden sich im Todesjahre Hein - richs III. kirchliche Reformbestrebungen, die, von leidenschaftlichen Agitatoren geleitet und die soziale Begehrlichkeit ausbeutend, sich gegen die in dem verweltlichten lombardischen Klerus ganz be - sonders verbreiteten Mißstände der Priesterehe und Simonie wandten. Diese Mailänder Pataria1)Der Name ist höchstwahrscheinlich abzuleiten von dem nach dem Trödelmarkt genannten Mailänder Stadtquartier, das der Partei die Hauptzahl der Anhänger stellte. verkörperte so zuerst jenen Gedanken einer Massenrevolutionierung, dem Kardinal Humbert wenig später in seiner Schrift Ausdruck gab. Aufreizende Reden, die das Meß - opfer beweibter Priester als Hundemist, ihre Kirchen als Viehställe bezeichneten, führten zu Störungen der Gottesdienste, Mißhandlungen der Priester, endlich zu offenem Aufruhr. Beide Parteien wandten sich nach Rom. Da war es wieder Hildebrand, der schon zur Zeit Stefans IX. die Bedeutung der Pataria für das Papsttum er - kannte und bald die engste Verbindung zwischen beiden herstellte. Sie machte sich für die Kurie sofort belohnt, denn unter dem Drucke dieses Bündnisses leistete der schwache Mailänder Erzbischof Wido jetzt dem Papste einen Gehorsamseid und nahm aus seiner Hand das Amt durch das Symbol des Ringes noch einmal in Empfang, da - durch deutlich bekundend, daß seine frühere simonistische Einsetzung durch den Kaiser für nichts gelten sollte. Auch hier stießen die Ansprüche der vordringenden Reformpartei mit denen des Reiches feindlich zusammen.

So verfügte das Papsttum über Bundesgenossen in allen Teilen Italiens, als der Kampf nun doch unerwartet schnell zum Ausbruch kam; denn die Verletzungen des kaiserlichen Rechtes betreffs der Papstwahl, in Süditalien und der Lombardei waren selbst für die damalige Schwäche der deutschen Regierung unerträglich. Schon in den letzten Zeiten Nikolaus II. kam es zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und dann auf einer deutschen Synode zu einer scharfen Verurteilung des Papstes und seiner Neuerungen. Sein Tod (1061) führte zum offenen Schisma. Aber Zielbewußt - heit und Tatkraft waren nur bei den Reformern. Sofort setzte Hildebrand mit normannischer Hilfe den entschlossensten Begünstiger der Pataria, Bischof Anselm von Lucca, als Papst Alexander II. (1061 73) auf den Stuhl Petri. Erst einen Monat später ließ sich die Regierung von den italienischen Reformfeinden, dem römischen Adel und den lombardischen Bischöfen, ins Schlepptau nehmen und stimmte auf dem Tage von Basel halb wider Willen der Erhebung des Bischofs Cadalus von Parma zum Gegenpapst Honorius II. zu, ohne indes für seine Durchsetzung die mindeste3*36I. Die Zeit der Salier.Kraftanstrengung zu wagen. Welches Wirrsal unheilvoller Wider - sprüche! Das Kaisertum, das die Papstkirche erneuert hatte, schwenkte nun plötzlich um. An der Seite der Reformfeinde sollte den Kampf eine Regentin führen, die zum Zeichen ihrer völligen Hingabe an die Ideale der Reformer ebendamals den Nonnen - schleier nahm. Die deutschen Bischöfe, die durch das Streben der Kurie, zunächst einmal die Metropoliten durch Gehorsamseid und persönliche Pallieneinholung zu päpstlichen Werkzeugen herabzu - drücken, wohl hätten stutzig werden können, standen lau abseits oder erkannten wohl gar den Reformpapst an. Je nach den augen - blicklichen Einflüssen wechselten Überstürzung und Zaghaftigkeit in den Maßnahmen der Regierung. So war der Kampf unmöglich zu führen.

Diese unhaltbaren Verhältnisse waren es, die mit anderen zu - sammen den Staatsstreich von Kaiserswerth veranlaßten. Der da - durch hervorgerufene Regierungswechsel brachte eine völlig ver - änderte Stellungnahme im kirchenpolitischen Streit. Die deutschen Fürsten, die nun mit Anno von Köln an der Spitze die Leitung der Geschäfte übernahmen,