PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz. Herausg. v. Paul Heyse u. H. Kurz. Band 7.
Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg
Der Notar in der Falle von J. Gotthelf. Johann Ohlerich von A. Wilbrandt.
Berlin W. 9. Globus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg.

Berthold Auerbach, geboren zu Nordstetten auf dem Schwarzwalde den 28. Februar 1812, jüdischer Abkunft und zum Rabbiner bestimmt, besuchte die Schule in Hechingen, dann die Gymnasien in Karlsruhe und Stuttgart, studirte 1832 1835 in Tübingen (wo er in die Untersuchung gegen die Burschenschaft verwickelt wurde), München und Heidelberg; nach Vollendung seiner akademischen Studien widmete er sich ganz der Literatur; nahm seinen Wohnsitz abwechselnd an verschiedenen Orten Deutschlands, neuerdings in Berlin.

Wir haben hier weder die reiche literarische Thätigkeit Auerbach's zu schildern, noch die Stellung zu bezeichnen, welche die Dorfgeschichte hauptsächlich durch sein Verdienst in unserer Dichtung eingenommen hat. Auch ist die ergreifende Erzählung, die wir ausgewählt haben, ohne jeden Commentar ihrer Wirkung gewiß. Daß wir aber gerade ihr vor so vielen den Vorzug gegeben haben, geschah aus dem Grunde, weil sie besonders glücklich zwei Gefahren, die im Charakter der Gattung liegen, theils schon durch ihr Thema, nicht minder aber durch die meisterhafte Behandlung entgangen ist.

Im fünften Buch seines Münchhausen sagt der Vater der Dorfgeschichten über den Charakter der Bauern: Der Bauer ist zwar viel im Freien, aber nichts weniger als ein Naturmensch. Er hängt so sehr von Convenienz, Herkommen, Standesbegriffen und Standesvorurtheilen ab, wie nur die höchste Classe der Gesellschaft. Im Mittelstande allein gilt die Freiheit des Individuums, in diesem Stande fließt einzig der Strom der Selbstbestimmung nach Charakter, Talent, Laune und Willkür. Der Bauer denkt, handelt, empfindet standesmäßig und hergebrachter Weise.

Dieses Ueberwiegen eines einförmigen, unverbrüchlichen Herkommens bringt es mit sich, daß der Dichter, wenn er den Kreis der Hauptereignisse eines so eingeschränkten Lebens durchlaufen und die typischen Grundzüge nach ihren localen Besonderheiten geschildert hat, seinen Stoff unerwartet schnell erschöpft sieht. Da er dem Boden, der so gleichgeartete Charaktere trägt, wie die Halme eines Kornfeldes, zwischen denen Blumen und Unkraut wuchern, nichts Neues mehr abzugewinnen weiß, wird er entweder sich wiederholen und ewig dieselben Heirathsgeschichten mit kleinen Veränderungen auftischen, oder er fühlt sich versucht, fremde Culturpflanzen einzuführen, unbildlich gesprochen Stimmungen, Gefühle, Conflicte und Anschauungen aus anderen Kreisen in die bäuerlichen einzuschwärzen. Er lockert, ohne es selbst zu merken, die traditionelle Gebundenheit seiner Charaktere, die ihm selbst unheimlich wird, und indem er die Culturbedingungen, die das bäuerliche Leben einengen, gleichsam nur als das äußere Gewand bestehen läßt, da es doch nirgens so wahr wie hier ist, daß Kleider Leute machen, stattet er seine Figuren mit all jener Freiheit aus, zu der die Menschen nur durch überlegene Bildung und Kenntniß der Welt gelangen können.

Diethelm von Buchenberg dagegen ist zugleich ein treues Culturbild im strengsten Sinne der Dorfgeschichte und ein Charakterbild von einer Schärfe und Feinheit, einem Reichthum individueller Züge, wie wir wenig Aehnliches aus höheren Kreisen der Gesellschaft besitzen. Wäre es dem Dichter möglich gewesen, neben die tiefen Schatten auch eine lichtere Gestalt zu stellen, ohne die Einheit seiner Composition zu gefährden, so würde man in diesem Werk gleichsam einen Kanon aller Dorfnovellistik haben, welcher für Höhen und Tiefen und die behagliche Mitte dieser ländlichen Welt den überall zutreffenden Maßstab gäbe. Denn auch die Fäden, die zu andern bürgerlichen Zuständen hinüberleiten, sind kunstreich eingewoben, und somit das Gefühl der Grenzen deutlich wach erhalten. In der Darstellung aber waltet ein so kräftiges Gleichmaß, eben so entfernt von tendenziöser Rhetorik wie von allzu niederländischer Breite, daß auch in dieser Hinsicht unsere Novelle als ein wahres Muster ihrer Gattung bezeichnet werden darf.

Erstes Kapitel.

In dem freundlichen Städtchen G. war lebhaftes Marktgewühl, und mitten durch das auf und abwogende Menschengedränge bewegte sich, von zwei fetten, tief eingekreuzten Rappen gezogen, ein Bernerwägelein, auf dessen niedergelassener Halbkutsche ein breitschulteriger Mann saß. Der breitkrempige schwarze Hut mit handhoher Silberschnalle im Sammtbande, der kragenlose, einreihige schwarze Sammtrock mit den nahe zusammengerückten flachen silbernen Knöpfen, die rothe Scharlachweste mit den kugelförmigen silbernen Knöpfen zeigten den reichen oberländischen Bauern. Er hielt mit beiden Händen die Pferde straff im Zügel, die Peitsche steckte neben ihm, und er rief nur manchmal den zögernd Ausweichenden ein Aufg'schaut! oder das einfache Hoho! zu. Die Pferde trugen die Köpfe mit dem messingbeschlagenen Riemenzeug so stolz, als wüßten sie, welch ein Aufsehen sie erregten. Neben dem Manne saß ein junges Mädchen, ebenfalls in oberländischer Tracht, die sich aber mehr im Schnitt als im Stoff zeigte, denn der braune Spenzer und die schwarze Schürze waren von Seide, nur die Haube war noch in der landesüblichen Weise, und aus den schwarzen, am Kinn geknüpften Bändern sah ein blasses längliches Gesicht mit dunkeln Augen.

Die Leute im Gedränge gafften alle nach dem Gefährte und den überaus stattlichen Insassen. Manche vergaßen darüber auszuweichen und mußten von Nachbarn angerufen werden, und bald da bald dort gab es ein heftigeres Gedränge, aber die Rappen standen jedesmal auf einen Pfiff ihres Herrn stille. Oftmals auch grüßte dieser einen Bekannten und rief ihm zu: Weißt schon, im Hirsch. In dem Marktgewühl stachen besonders die Schäfer hervor in ihren weißen, rothausgeschlagenen und mit rothen Einnähten versehenen Zwillichröcken, auf denen noch, über die rechte Schulter gelegt, schärpenartig der lederne Gurt mit glänzenden Messingringen prangte; ihre Hunde liefen hart neben ihnen, denn sie hatten sie an die vielgelenkige Kette angekoppelt. Ueber das bartlose runde Antlitz des Fahrenden zuckte oft ein Lächeln, denn er hörte die Staunenden am Wege fragen: Wer ist das? worauf die Antwortenden immer ihre Verwunderung ausdrückten, daß man den nicht kenne: Das ist ja der Diethelm von Buchenberg, hieß es dann, der hat mehr Kronenthaler, als die zwei Gäul 'ziehen können, und ein Anderer sagte wieder: Ich wollt', du und ich, wir hätten das mit einander im Vermögen, was der heut für Woll 'und Schafe einnimmt. Wenn der Diethelm da ist, geht der Markt erst an, sagte ein Dritter; die Engelländer warten Alle auf ihn, rief ein Vierter. Ein Mann, der mit mehreren anderen eine gute Strecke neben dem Wagen herging, berichtete: Ich bin von Letzweiler, und der Diethelm ist auch von da gebürtig. Er hat einen grausam mächtigen Familienanhang. Vor zwanzig Jahren sind das lauter Krattenmacher (Korbmacher) und Bettelleut' gewesen, und der Diethelm hat sie hingestellt, daß sie capitelfest sind. So ein Mann in der Freundschaft, und sie ist glücklich.

Der Fahrende stieß manchmal die neben ihm Sitzende an, daß sie auch hinhorche auf das, was man sage; die üble Nachrede im eigentlichsten Sinn des Wortes schien der Fahrende nicht zu vernehmen, denn es gab auch Manche, die über die Ungebühr schimpften, mit Roß und Wagen mitten durch das Menschengedränge zu fahren; Andere machten darob Witze, und einige gehobene Heldenseelen fluchten hinter dem Wagen drein und schalten auf die Polizei, die so etwas dulde. Ein Bretzelverkäufer, der seinen Kram auf einem langen Stock aufgereiht trug, sagte geradezu: es sei nichts schlimmer, als wenn der Bauer auf den Gaul käme, der mache es ärger als die Herren.

Der Vielberufene fuhr aber strahlenden Antlitzes wie ein Triumphirender dahin, und endlich war man beim Wirthshaus zum Hirsch, das eine ganze Wagenburg umstellte, angelangt. Eine mächtige Glocke erschallte im Hausflur, die Frau Hirschwirthin, oder wie sie lieber genannt war, die Frau Postmeisterin, erschien selber, reichte Diethelm die Hand, hieß die Jungfer Tochter , die als schlanke, biegsame Gestalt auf dem Wagen stand, willkommen, half ihr absteigen und nahm ihr eine bunt gestickte Reisetasche ab. Der Hausknecht, der heute seinen großen Tag hatte, war doch bei der Hand, und während er die Aufhaltketten der Pferde lös'te, half ihm ein Schäfer dieselben aussträngen.

Ist Alles in Ordnung, Medard? fragte Diethelm den Schäfer, indem er sich neben die Pferde stellte; der Schäfer bejahte und eilte dem Mädchen nach und raunte ihm schnell zu:

Mein Munde (Raimund) ist auf Urlaub auch hier.

Das Mädchen erröthete und antwortete nichts, es band sich die Haube fester, indem es in das Wirthshaus trat.

Der Schäfer Medard eilte zu seinem Herrn zurück und sagte, daß er schon beim Einfahren von einem Händler angehalten worden sei, wie theuer er verkaufe.

Wie ich dir gesagt habe, erwiderte Diethelm ruhig, siebzehn Gulden das Paar und keinen rothen Heller weniger. Sag nur, dein Herr sei der Diethelm, und der lass 'nicht mit sich handeln. Wir nehmen unser Vieh wieder heim, es ist mir so lieb wie baar Geld.

Der Schäfer nickte, in seinem gerötheten Antlitze, das von einem langen, zottigen Backenbarte eingefaßt war, zuckte es; er ging davon, wobei man ein Hinken am rechten Fuße bemerkte.

Diethelm streichelte die Rappen und lobte sie, daß ihnen trotz des scharfen Fahrens kein Haar krumm geworden sei, er ließ sie deßhalb nicht sogleich nach dem Stalle bringen, sondern hielt sie noch aus, bis sich immer mehr Bekannte sammelten, die sein Baronen-Fuhrwerk lobten und theils geradezu, theils auf Umwegen seinen Reichthum hervorhoben. Diethelm hielt die Hand auf den Sattelgaul gelegt, er war im Stehen kleiner als er auf dem Wagen erschienen war, er maß kaum etwas mehr als sechszehn Faust, wie die Rappen, und war auch so wohlgenährt und breit wie sie. Er vernahm nun, wie das immer geht, von schlechten Marktaussichten, das Ausgebot sei groß und die Nachfrage gering, da Händler und Fabrikanten den Preis sehr drückten und überhaupt baar Geld knapp sei, da Alles auf Zeit kaufen wolle.

Dann verkauf 'ich gar nicht und kauf' selber, erwiderte Diethelm und schlug sich dabei auf den Bauch, um den er eine umfangreiche leere Geldgurt geschnallt hatte. Mehrere boten ihm nun sogleich Wolle und Schafe an, aber er lehnte für jetzt noch ab, und als man ihn aufforderte, mit in die Stube zu gehen, schien er sich schwer von seinem Gefährte zu trennen und aus seinen Mienen sprach nur halb der ihn bewegende Gedanke: So wie man geht und steht herumlaufen, das hat kein Ansehen, da ist man wie jeder Hergelaufene; ich wollt 'ich könnt' mit meinen Rappen und meinem Kütschle in den Stuben herum fahren, da zeigt sich doch auch gleich, wer man ist. Es war ein seltsames Lächeln, mit dem endlich Diethelm die Rappen in den Stall schickte. Die stattliche Rotte, die ihn umgab, konnte er mit Fug als sein Geleite betrachten, und waren auch verkommene Leute darunter, ehemalige Schafhalter, die jetzt als Unterhändler dienten, Schmarotzer, deren ganzes Marktgeschäft im Erhaschen eines Freitrunkes bestand: bah! große Männer haben immer auch solche in ihrem Geleite, und Diethelm schritt an der Spitze seines Trosses breitspurig einher.

Der Reppenberger, ein hagerer Bauer im zertragenen blauen Kittel, mit einem schmutzigen Wochenbarte auf dem listigen Gesichte, war ehemals selbst wohlhabend gewesen, hatte sich im Schafhandel verspeculirt und war jetzig der gewandteste Unterhändler. Dieser wollte sich an die Seite Diethelm's drängen; er bot ihm eine Prise aus seiner großen birkenrindenen Dose und wollte ihm allerlei mittheilen, aber Diethelm vertröstete ihn mit herrischer Miene auf später und zog den Schultheiß von Rettinghausen, einen mehr ebenbürtigen Genossen, an sich, und so trat er in die Wirthsstube, wo jetzt im halben Morgen schon voller Mittag gehalten wurde; denn an langer Tafel und an Seitentischen saßen Männer und Frauen und erlabten sich an Sauerkraut und Speck und gedeihlichem Unterländer Wein, und was sie nicht aufspeis'ten, wickelten sie in ein daneben gelegtes Papier und steckten es zu sich. Da und dort war auch der Tisch zu einer Rechentafel geworden, und mit Kreide wurde der Erlös zusammengerechnet, denn es war schon Mehreres verkauft. Mancher vollgestopfte Mund nickte Diethelm zu, und manche Hand legte die Gabel weg und streckte sich ihm entgegen.

Je später der Markt, je schöner die Leut ', rief ein Weißkopf Diethelm zu.

Kommst spät.

Bist alleine oder hast die Frau bei dir?

Ist das zimpfere Mädle dein 'Fränz? (Franziska).

Solche und viele andere Anreden bestürmten Diethelm von allen Seiten, und manche Gabel deutete nach ihm, und mancher Kopf drehte sich um, denn die, die ihn kannten, zeigten ihn den Fremden und eine Weile war alle Aufmerksamkeit nach ihm gerichtet. Erregte der Duft der Speisen einen ungeahnten Hunger, so gab dieses allgemeine Ansehen eine andere Sättigung. Eine Kellnerin fragte Diethelm nach altem Brauche, was er befehle; aber die Wirthin, die eben durch die Stube ging, schnitt ihr das Wort ab und sagte:

Der Herr Diethelm sitzt in die Herrenstube, der Advocat Rothmann sind auch schon drüben und unterhalten sich mit der Fränz.

Die Fränz soll da herein kommen, entgegnete Diethelm und so laut, daß es Alle hören konnten, wenn der Advocat Rothmann was von mir will, kann er zu mir kommen, ich lauf 'ihm nicht nach, ich hab' Gottlob nichts mit ihm. Ich bleib 'da unter Meinesgleichen.

Man sprach davon, daß es einen harten Wahlkampf geben werde, wenn Diethelm gegen den Rothmann als Mitwerber um die Abgeordnetenstelle auftrete; Diethelm lehnte mit halber Miene jede Bewerbung ab und stimmte selber in das Lob Rothmann's ein, der als fadengrader Ehrenmann gepriesen und oft bei seinem Beinamen der Schweizertell genannt wurde, denn er hatte nicht nur zweimal auf dem eidgenössischen Freischießen den Preis gewonnen, sondern stand überhaupt in vielfachem Verkehr mit dem benachbarten Freistaate und war selber ein Charakter, als wäre er in der Republik ausgewachsen, schlicht, derb und unverbogen bei aller gelehrten Bildung.

Als er jetzt in die äußere Stube trat und seine hagere hohe Figur Alle überragte, ging ihm Diethelm zuerst entgegen und reichte ihm die Hand, worauf fast alle Anwesenden nach einander ihm zutranken.

Der Reppenberger kam hastig, klopfte Diethelm auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr: man rede schon überall davon, daß der Diethelm einkaufen wolle, und just heute ließe sich ein gutes Geschäft machen. Der Krebssteinbauer da hinten aus dem Lenninger Thal, der dort an der Ecke sitze, den müsse man zuerst einfangen; er mache die Andern kopfscheu und sprenge aus, der Diethelm thäte nur so als wenn er einkaufen wolle, der habe gewiß schon verkauft und stecke mit den Händlern unter Einer Decke, und man könne überhaupt nicht wissen, was der vorhabe; der Steinbauer werde aber schon einen geringeren Preis angeben, als wofür man ihm abgekauft habe, wenn er nur baar Geld kriege, dafür wolle er schon als Unterhändler sorgen.

Diethelm sah dem Reppenberger steif ins Gesicht, als müßte er herausgraben, was er von ihm denke; schnell sagte er aber ganz laut:

Es ist nur Spaß, daß ich einkaufen will, das Futter ist klemm, und ich brauch 'Geld, ich hab's nicht in Säcken stehen, wie Ihr meint.

Alles widersprach und schalt zutraulich auf ihn, daß so ein Mann sage, er brauche Geld; man wisse ja, daß er Capitale ausstehen habe, mehr als seinen Schuldnern lieb sei.

Zweites Kapitel.

Diethelm ging lächelnd die Stube auf und ab, sein Kleinthun hatte mehr genützt als alle Prahlerei; er blieb bei dem Steinbauer stehen, gab ihm einen derben Schlag auf den Buckel und sagte:

Wie, Steinbauer, kennst mich noch?

Freilich, grüß Gott. Ich hab 'nur warten wollen, bis ich gessen hab'.

Ruck ein bisle zusammen, ich will mich zu dir setzen. Fränz, da komm her.

Ist das die Tochter? fragte der Steinbauer, etwas verwirrt an die Seite rückend; er erinnerte sich nicht, daß er sich mit Diethelm dutzte.

Wenn du nicht so altbacken wärst, könntest sie heirathen, entgegnete Diethelm. Der Krebssteinbauer grins'te nur gar seltsam und schwieg, er war überhaupt kein Freund vom vielen Reden und vorab beim Essen. Nur einmal wendete er sich um, und auf das Haupt Diethelm's deutend, sagte er: Auch grau geworden seit dem letzten Jahr.

Ja, der Esel kommt heraus, sagte Diethelm lachend, aber der Steinbauer ließ sich nicht zu der doch rechtmäßig erwarteten höflichen Entgegnung herbei; er ruhig weiter, als hätte er nichts gesagt und nichts gehört.

Diethelm kannte die hinterhältige und selbst mit Worten karge Weise dieses Mannes wohl, und doch klammerte er sich an ihn und that gar zutraulich. Der Steinbauer ließ sich das gefallen, aber mit einer Miene, in der die Worte lagen: Mein Geldbeutel ist fest zu, mir schwätzt Keiner einen Kreuzer heraus, wenn ich nicht mag.

Als Diethelm sich einen Schoppen Batzenwein bestellte, schaute der Steinbauer nur flüchtig nach ihm um, aber er sprach kein Wort der Verwunderung und des Lobes über die Sparsamkeit Diethelm's, und diesem erschien solch ein Benehmen noch saurer als der ungewohnte Halskratzer. Diese in sich vermauerte Natur des Steinbauern, die über Thun und Lassen Anderer kein Wort verlor und selber that, was ihm gutdünkte, ohne umzuschauen, was man dazu denke oder sage, diese verschlossene Sicherheit, die ihr Benehmen nicht änderte und von hundert Augen bemerkt dieselbe blieb wie daheim auf dem einödigen Hofe, Alles das erkannte Diethelm als Gegensatz, und es reizte nothwendig sein herausforderndes Gebaren zum Kampfe. Er mochte aber den Steinbauern anzapfen, wie er wollte, höchstens ein Freilich, ein Jawohl oder ein kopfschüttelndes Verneinen war aus ihm heraus zu bringen. Als Diethelm fragte, ob er auf des Steinbauern Stimme zählen könne, wenn er sich um die Abgeordnetenstelle bewerbe, ließ sich der Steinbauer endlich zu den vielen Worten herbei: Ich wüßt 'nicht, warum nicht. Nun lachte Diethelm über das ausgesprengte Gerücht, daß er Landstand werden wolle; er denke nicht daran, bei diesen schlechten Zeiten könne man ein großes Anwesen nicht verlassen, da müsse man jede Stunde und jeden Kreuzer sparen, wenn man der rechte Mann bleiben wolle, es mögen andere Leute den Staat regieren, das gehe ihn nichts an.

Der Steinbauer wickelte gelassen das übrig gebliebene Fleisch in ein Papier und steckte es zu sich, er hob und senkte nun mehrmals seine geschlossenen Lippen, sei es zum Nachkosten des Genossenen oder dem Gehörten beistimmend.

Diethelm setzte nun noch weiter auseinander, daß er sich nichts um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern möge, und das gilt jetzt wieder unter vielen Menschen, besonders aber bei den Bauern, als großer Ruhm. Als er aber darauf hinwies, daß er in seinem Hauswesen vielerlei zu sorgen habe, sagte der Schultheiß von Rettinghausen: Die Kläger haben kein 'Noth und die Prahler kein Brod.

Der Steinbauer erhielt sich noch immer in seiner unerschütterlichen Theilnahmlosigkeit, methodisch und langsam stopfte er seine Pfeife, schlug Feuer, öffnete den Deckel und verschloß den Zündschwamm und wollte nun aufstehen. Diethelm aber hielt ihn noch fest und fragte zuerst, ob er nicht seinen Hof verkaufen wolle, sein Schwager, der Schäuflerdavid, suche einen so herrenmäßig gelegenen für einen Ausländer. Der Steinbauer sagte, daß er zwar nicht verkaufen wolle, aber wenn er ein rechtes Anbot bekäme, ließe sich davon reden. Nun hatte ihn Diethelm doch flüssiger, und indem er noch mehrmals von seinem Schwager, dem Schäuflerdavid, und ihren gemeinsamen Geschäften sprach, kam er endlich ans Ziel, zu erklären, daß er allerdings Willens sei, wenn die fremden Händler nicht höher hinaufgehen, selber einzukaufen. Der Steinbauer, dem es ersichtlich Mühe machte, sein saures Dreinsehen aufzugeben, ward plötzlich freundlicher, nahm ohne Widerrede das Glas an, das ihm Diethelm einschenkte, und erklärte nun mit erstaunlicher Redseligkeit, welch einen Ausbund von Wolle und Schafen er habe, wie die alle so wolltreu seien, ein Haar dem andern gleiche und der Stapel vom besten Fluß und gleich rund sei, wie viel Leib seine Schafe hätten, daß er aber doch um einen annehmbaren Preis Alles verkaufe, weil er kein Glück in der Schafhalterei habe. Er legte das Zeugniß seines Schultheißen vor, darin nach einem Formular beurkundet war, wo seine Schafe geweidet und daß keine Krankheit dort und auch keine kranken darunter waren, und schloß endlich:

Neun und neunzig Schäfer hundert Betrüger, sagt man im Sprüchwort, und es ist noch mehr als wahr. Drum will ich nichts mehr davon.

Die Umsitzenden stimmten auch in die Klagen über die Schäfer ein, und Jeder hatte zu erzählen, wie man seit des Erzvaters Jakob Zeiten, um ihrer sicher zu sein, ihnen einige Schafe als Eigenthum bei der Heerde halten muß, wie sie diese aber zu gewöhnen wissen, daß sie den anderen stets das beste Futter wegfressen, wie sie den Hund abrichten, daß er nie ein Schäferschaf beißt, wie sie immer die besten und schönsten Lämmer haben und den Mutterschafen ihre nichtsnutzigen unterschieben; kommt dann der Herr dazu, so heißt es, wie das auch bei der natürlichen Mutter sein kann: es will noch nicht recht annehmen. Allerlei Schelmenstreiche von Schäfern wurden erzählt, und das Gespräch schien sich fast ganz hierin zu verlieren, bis es Diethelm wieder auf den Handel brachte, aber er zuckte zusammen, als der Steinbauer, nachdem er das eingeschenkte Glas ausgetrunken hatte, ruhig sagte, er handle nur um baar Geld.

Bin ich dir nicht gut? fragte Diethelm trotzig.

Du bist mir gut, und daß du mir's bleibst, ist baar Geld das beste, sagte der Steinbauer und schob seine Tabakspfeife in den linken Mundwinkel, während er aus dem rechten den Rauch blies. Er sah dabei nochmal so listig aus.

Ist dir mein Schwager, der Schäuflerdavid, auch nicht gut? fragte Diethelm.

Der Schäuflerdavid? Freilich, der ist auch gut; wenn er sich verbürgt, kann ich bis Fastnacht mit dem Geld warten.

Diethelm hob hastig beide Achseln, wie wenn er etwas abschütteln müsse, dann lachte er laut und sagte:

Komm jetzt, wir wollen 'naus auf den Markt.

Der Steinbauer zog einen ledernen Geldbeutel, der dreifach verknüpft war, bezahlte, nahm seinen hohen Schwarzdornstock, der in der Ecke lehnte, und ging mit Diethelm.

Auf dem Schafmarkte stand in einer Doppelreihe Hurde an Hurde, darin die Schafe eng zusammengedrängt theils lagen, theils standen und wiederkauten. Alle aber waren lautlos, und das allezeit blöde Dreinsehen der Schafe hatte fast noch etwas Gesteigertes. Knaben mit flüssigem Zinnober in offenen Schüsseln liefen umher und gesellten sich zu Gruppen, wo mit lautem Geschrei und heftigen Geberden gehandelt wurde. Händler stiegen in die Hurden, zogen den Schafen die Augenlider auf und schauten nach den Zähnen, Andere bezeichneten mit einer in Zinnober eingetauchten Schablone die Eingekauften und zählten dabei; dort sprang eine Heerde lustig aus der geöffneten Hurde, sich in der wiedergewonnenen Freiheit überstürzend, überall war buntes lebendiges Treiben. Der Schäfer Medard kam Diethelm entgegen und sagte, daß er noch nicht verkauft, aber sichere Hoffnung habe. Nun einigte sich Diethelm schnell mit dem Steinbauer und kaufte ihm seine Zeithämmel (jährige) ab und nahm auch die Bracken dazu.

Er eilte mit dem Steinbauer in das Kaufhaus, ihnen vorauf lief das Gerücht, daß Diethelm bereits Schafe eingekauft habe und auch für die Wolle die besten Preise bezahle. Diethelm war aber noch nicht zum Wolleinkauf entschlossen, er hatte diesen Gedanken nur so in leichtfertiger Prahlerei hingeworfen, um zu verdecken, wie sehr es ihn zum Verkaufen auf den Nägeln brenne; jetzt wurde ihm das Vorhaben immer genehmer, und mit seltsamem Blicke betrachtete er seinen Genossen mit dem mehr als mannsgroßen Stocke, mit dem schlichten Anzuge und der selbstzufriedenen Miene; der wünschte wohl nicht, wie er, mit Wagen und Pferd in den Stuben umherzufahren; wie weit zurück lag ihm jetzt die Zeit, wo auch er so stolz sein konnte, statt daß er jetzt, um sich nicht zu verrathen, stolz thun mußte.

Hast kein Fuhrwerk bei dir? fragte Diethelm, worauf der Steinbauer erwiderte:

Nein, ich bin noch gut zuweg, mit dem Fahren hat's Zeit, bis ich alt bin.

Im Kaufhause sah Diethelm, daß die verpflichteten Wollsetzer seine Schepper (Vließe) gut aufgesetzt hatten, sie standen an guter Stelle, nicht zu hell und nicht zu dunkel; seine spanische und seine Bastardwolle durfte sich sehen lassen. Sein nächster Nachbar war der Steinbauer, der sich darüber beklagte, daß er einen schlechten Platz habe, gerade neben der Feuerspritze und dem großen Wasserfasse, die unter der Treppe standen. Diethelm stand mit übereinandergeschlagenen Armen ruhig neben seiner Lammwolle, als hastigen Schrittes der Reppenberger kam. Alles Blut schoß Diethelm zu Kopfe, indem er gedachte, daß er vielleicht einst auch als Unterhändler hier sich tummeln, sich abweisen und anfahren lassen müsse, während Alles jetzt seine Nähe suchte und um seine Freundschaft buhlte. Diethelm war entschlossen, mindestens vom Steinbauern noch die Wolle einzukaufen. Zwar hatte er die Bürgschaft des Schwagers zu leichtfertig versprochen, aber der Steinbauer muß ihm vor der Hand glauben, und dann will er noch heute all das Mitgebrachte und das Erkaufte in der Stille versilbern, es sind dann drei Monate Zeit gewonnen, es gilt Luck auf und Luck zu zu machen, bis man den rechten Schick trifft, und der kann doch nicht ewig ausbleiben. Diethelm wurde auch hier schnell handelseins mit dem Steinbauer, und als nun Andere sahen, daß dieser ihm das Seinige übergab, bestürmten sie ihn ebenfalls mit Anerbietungen. Er wehrte Anfangs ab, er wollte nicht weiter gehen. Aber vielleicht läßt sich gerade jetzt der rechte Schick machen, man darf ihn nicht aus der Hand lassen, mit so viel Waare läßt sich was Großes versuchen die Hand Diethelm's wurde brennend von dem öfteren Handschlag, er wußte fast gar nicht mehr, wie viel er eingekauft hatte, und der Reppenberger brachte neue und immer bessere Gelegenheiten mit Zahlungsterminen auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war's, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du mußt mich nehmen.

Das Lärmen und Rennen um ihn her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem, und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen, und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der großen Feuerspritze, die im Hofe stand, saß er mit entblößtem Haupte und gekreuzten Beinen, und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt, und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vließ gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen, und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, daß er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie, und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelm's nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als hörte er die Posaune des jüngsten Gerichtes vom Himmel herab; er fuhr sich mit der breiten Hand langsam über das ganze Gesicht, dann schaute er hell auf, der Reppenberger rief ihm. Der herbeigebrachte Wein richtete ihn bald wieder auf, und nun galt es die begonnene Rolle muthig fortzusetzen. Die Stadtzinkenisten bliesen eben nach einer anderen Himmelsgegend, und die Klänge schwebten wie verloren über dem lauten Marktgewühle. Einmal sprach er eifrig und ganz allein mit einem fremden Händler, und es verbreitete sich rasch die Sage, daß er im Auftrage dieses, der noch gar nichts eingekauft hatte, die Händel abschließe. Diethelm merkte bald, daß sein Auftreten dem Markt eine ganz andere Wendung gegeben hatte; es kamen schon Unterhändler, die sich im Auftrage Ungenannter nach dem Wiederverkaufe erkundigten. Eine Weile stockte er und gedachte mit mäßigem Gewinn darauf einzugehen, aber der Reppenberger hatte Recht: jetzt im hohen Verkehr, wo Alles im Trab geht, kann man nicht hufen und rückwärts fahren; wenn Alles vorbei ist, dann läßt sich ein guter Treffer machen, dann hat man die ganze Geschichte allein in der Hand, drum jetzt nur muthig vorwärts. Und immer neue Zahlen stellten sich in die Schreibtafel Diethelm's, er hatte schon dreimal die Schreibtafel in die Tasche gesteckt und die Hand darauf gelegt mit der Versicherung, daß er sie nicht mehr herausthue, und wenn er die Sachen halb geschenkt bekäme, er gehe nicht weiter ins Wasser, als er Boden habe; aber Alles schrie über seine Bescheidenheit, so ein Mann, wie er, könne dreimal den Markt auskaufen. Dieser Ruhm stachelte ihn immer wieder aufs Neue, denn er sah, wie seine prahlerische Bescheidenheit ihm immer mehr Vertrauen an den Hals warf. Der Gedanke, wie sehr er dieses Zutrauen täusche und vielleicht ganz betrüge, zuckte ihm wieder durch die Seele, aber jetzt fand er eine rasche Aushülfe: da ist der Steinbauer, der so heilig thut, wie ein frisch vom Himmel geflogener Engel, und ohne Widerrede giebt er einen geringeren Preis an, als er be - kommt, und betrügt damit alle Anderen. Aller Handel und Wandel ist auf Lug und Trug gestellt, ein bischen mehr, ein bischen weniger; und es kann ja wohl sein, es ist so viel als sicher, daß kein Mensch einen Heller verliert. Die Leute zeigten einander, wie zuversichtlich und froh der Diethelm dreinsah, und beneideten ihn um den Haupttreffer, den er heute mache.

Drittes Kapitel.

Wieder kehrte Diethelm mit großem Geleite in das Wirthshaus zurück. Es waren nun wirklich seine Vasallen, denn ihn umgaben alle die, denen er abgekauft hatte.

Unter dem Thore begegnete er seiner Tochter, die mit einigen Mädchen dort seiner harrte; sie fragte ihn, ob er nun mitgehe, ihr, wie versprochen, einen Marktkram zu kaufen. Diethelm sagte, er habe keine Zeit, und gab ihr zwei Kronenthaler, daß sie sich selber etwas kaufe.

Mit dem Steinbauer mußte nun vor Allem glatte Rechnung gemacht werden. Diethelm nahm ihn zuerst allein vor, aber er mochte reden, was er wollte, der Steinbauer blieb bei seiner Aussage, er verlangte ein Viertheil des Kaufpreises als Anzahlung und binnen acht Tagen die Unterschrift des Schäuflerdavid als Bürgen. Diethelm suchte das Ungerechte dieser Bedingungen, die gar nicht festgestellt waren, darzuthun; der Steinbauer verzog keine Miene und blieb dabei, selbst als Diethelm laut lachte und die Sache ins Scherzhafte ziehen wollte, blieb sein Widerpart ohne Theilnahme und war, was man so nennt, ein bestandener Bauer, der sich nicht so leicht aus seinem Schritt bringen ließ. Schnell in Zorn überspringend, schalt ihn Diethelm einen Betrüger, da er einen geringeren Kaufpreis angegeben habe, um die Anderen zu hintergehen. Der Steinbauer läugnete dies und behauptete, er habe zur Angabe Diethelm's nur geschwiegen, er könne aber jetzt auch reden und vielleicht mehr als lieb sei.

Was meinst? was? fragte Diethelm hastig.

Ich mein 'gar nichts, ich will mein Geld, und da bleibt ein Jeder wer er ist.

Hältst mich für ein Schuldenbäuerle? fragte Diethelm halbzornig.

Nein, b'hüt Gott, ich könnt 'mit dir tauschen, wenn's drauf ankäm', aber weißt: zahlen mit baar Geld, das zwingt die Welt. Du brauchst ja nur pfeifen, da hast's, und wenn ich mein Sach wieder an mich zieh ', und das thu' ich, wenn du mich nicht baar bezahlst, ich ließ 'es aber nicht dabei, ich müßt' vors Amt damit, so hart es mich ankommt.

Diethelm fühlte, was es heißt, sich in schwankender oder gar in verzweifelter Lage zu befinden, da muß man sich so zu sagen übers Ohr hauen lassen und thun als ob nichts geschehen wäre, nur um Aufsehen und genauere Nachforschung zu vermeiden.

In einer Stunde hast all dein Geld, rief Diethelm den ungerecht Bedrängenden überbietend.

So recht, sagte der Steinbauer, wie viel Uhr ist jetzt? Drei? Um viere bin ich wieder da. B'hüt dich Gott und zürn 'nicht.

Die Uebrigen, die den zähen Steinbauer so zufrieden davon gehen sahen, waren schnell befriedigt, und Diethelm drang selber drauf, daß sie wegen Leben und Sterben eine Handschrift von ihm nehmen mußten. Nun eilte er zu dem[Advocat] Rothmann und verlangte von ihm ein Darleihen für den Steinbauer; der[Advocat] beglückwünschte Diethelm zu seinen guten Einkäufen und schloß eine eiserne Geldkiste, indem er sagte: Das sind Pfleggelder, Ihr seid ja selber Waisenpfleger und wißt, daß ich solches Geld nicht ohne gerichtliche Bürgschaft verleihen darf. Diethelm ging um die Kiste herum wie die Katze um einen Wursthäckler und sah mit Schmerzen das alles verschließen, ohne Miau zu machen; er blieb noch eine Weile harmlos plaudernd bei dem Advocaten und that als ob er nie ein Anliegen gehabt hätte, mit dem er abgewiesen war. Er versicherte Rothmann, daß er weit davon entfernt sei, ihn aus der Abgeordnetenstelle verdrängen zu wollen; der Advocat entgegnete, daß er Diethelm Glück wünsche, wenn er als Candidat der sich so nennenden Conservativ-Liberalen durchdringe, die Herren möchten dann einmal ihre sogenannte Möglichkeitspolitik versuchen, um zu erfahren, daß das Schlechte leichter möglich sei als das einfach Rechte.

Diethelm zeigte sich eifrig in Darlegung seiner Gesinnungen, und doch dachte er jetzt an nichts weniger als an dies.

Offen und versteckt laufen überall und allzeit die verschiedensten Interessen durch einander.

Als Diethelm das Haus verließ, traf er glücklich den Reppenberger vor demselben; durch diesen ließ er nun ein gut Theil des Eingekauften unter der Hand zu baar Geld machen, mit der Bedingung, daß nicht hier unter den Augen der Marktaufseher, sondern morgen auf dem eine Stunde entlegenen Dorfe oder noch besser in seiner eigenen Heimath abgeliefert werde. Bis dieses Geschäft abgemacht war, wollte sich Diethelm verborgen halten, und dazu gab es kein besseres Versteck als den Tanzboden im Stern, wo eben die Musik aufspielte; dort würde ihn gewiß Niemand suchen, und dorthin sollte Reppenberger mit dem fremden Händler kommen.

Es war, als ob doch etwas von dem Wunsche Diethelm's, mit seinen zwei Rappen in den Stuben herum zu kutschiren, erfüllt wäre; denn kaum war er auf dem Tanzboden, wo sich eben in lärmender Pause die erhitzten Paare verliefen, als Alles ehrerbietig vor ihm auswich, und da und dort hörte er seinen Namen pispern. Einige ältere Leute, die ihm zutranken und stolz darauf schienen, daß er das Glas annahm, fragte er nach dem Reppenberger, den er zu suchen vorgab; sogleich erboten sich mehrere Trinkgelds-Bedürftige, den Reppenberger aufzusuchen. Diethelm hatte abzuwehren so gut er konnte, und glücklicherweise erlös'te ihn ein junger modisch gekleideter Mann, der mit vielen Bücklingen auf ihn zu kam, sich als ältesten Sohn des Sternwirths vorstellte und Diethelm bat, in die Herrenstube zu kommen.

Die Welt duldete es gar nicht mehr, auch wenn er es selbst gewollt hätte, daß er in niederem Bereiche verweilte. Diethelm betrachtete sich selbst, um zu erkunden, was denn an ihm sei, daß ihm Jeder ungefragt eine höhere Stufe anwies. Er folgte dem jungen Manne, der äußerst ehrerbietig war, die Treppe hinab, und als er eben die Klinke zur Herrenstube in der Hand hatte, hörte er einen Soldaten unter der Hausthüre sagen: komm nur. Diethelm drehte sich um, die Stimme war ihm bekannt, und der Soldat fuhr fort:

Tanz du nur einmal, während der Zeit wird dein Vater um ein paar tausend Gulden reicher und ich krieg 'dich immer weniger.

Ich weiß nicht, ob's recht ist, sagte eine Mädchenstimme, und halb gezogen erschien Fränz auf der Schwelle mit hochglühendem Antlitze.

Soll ich euch aufspielen? rief Diethelm, sich umwendend. Der Soldat und Fränz ließen vor Schreck die Hände los.

Der Soldat faßte sich schnell wieder und grüßte Diethelm, dieser aber sagte:

Du bist's? wie kommst du daher, Munde?

Ich hab 'Urlaub genommen, und es freut mich, daß ich auch meinen alten Herrn seh'.

So? Willst eine Halbe trinken?

Freilich.

Seh, da hast Geld, trink eine, und Diethelm reichte mit diesen Worten dem über und über erröthenden Soldaten einen Sechsbätzner. Der Soldat, der nicht anders erwartet zu haben schien, als Diethelm würde ihn mit zum Wein nehmen, wußte nicht, sollte er die Hand zum Faustschlag ballen oder zum Empfang der Gabe darreichen. Beides schien gleich mißlich, offene Feindseligkeit wie die beabsichtigte Demüthigung vor den Augen der Geliebten, es fand sich aber noch ein Ausweg, und lächelnd sagte der Soldat:

Dank 'gehorsamst, ich will warten, bis ich einmal ein' Halbe mit Euch trink ', vor der Hand hab' ich schon noch, um von meinem Geld ein Glas auf Euer Wohlsein zu trinken.

Mit einem Gemisch seltsamer Empfindungen reichte Diethelm dem Soldaten die Hand und stand von dem Vorhaben ab, dem Burschen auf strenge Weise zu zeigen, an welchen Platz er gehöre; diese geschickte, höfliche Wendung und der Stolz, der darin lag, gefiel ihm. Das gestand sich Diethelm, nicht aber, daß er sich in diesem Augenblicke selber zu sehr gedemüthigt fühlte, um die Unterwürfigkeit Anderer herauszufordern. Er sagte daher nichts weiter, winkte dem Soldaten einen Abschied zu und verschwand mit Fränz hinter der Thüre der Herrenstube. Der Soldat ging im Hausflur auf und ab, wie ein Wachposten, und seine Gedanken gingen mit ihm hin und her: sollte er auch hinein in die Herrenstube und sich auftischen lassen? Aber wer weiß, wozu das führt? Es sind viele Fälle möglich. Der Schluß blieb jenes letzte Mittel, das Gelehrten und Ungelehrten gleich genehm ist, nämlich: vor Allem und vor der Hand nichts thun da macht man nichts gut und nichts böse und kann getrosten Muthes und ruhigen Gewissens die kommenden Ereignisse abwarten.

Viertes Kapitel.

Der Soldat ging nach dem Schafmarkt. Viele Hurden waren bereits leer, die noch zurückgebliebenen Schäfer hatten ihre Mäntel bereits lose zusammengerollt auf der Schulter hängen. Das Marktgewühl braus'te und tos'te in der Ferne, hier aber war Alles so still wie auf einsamer Höhe, an deren Fuß ein wildrauschender Bach über Felsen braus't; nur bisweilen hörte man das klagende Blöken eines Schafes, dem ein Metzger durch einen Schnitt ins Ohr das Kennzeichen seines Eigenthums gab. Die also bezeichneten Schafe duckten die Köpfe und sahen traurig und dumpf nieder, als wüßten sie, daß die Tage ihres Weidganges gezählt sind. Von einer Heerde führte ein Metzger eben einen Hammel weg, und das sonst so geduldige Thier war störrig und mußte mehr gezogen und geschoben werden, als daß es ging; es kümmerte sich wenig um Bellen und Beißen des Hundes und blökte nur kläglich. Der Soldat schaute dem allem mit dumpfer Verwunderung zu; er war selber Schäfer gewesen, und doch war ihm alles das wieder neu und fast seltsam. Er sah die Hurde seines Bruders, des Schäfers Medard, den wir schon beim Ausspannen gesehen haben, und schon von Ferne zerrte der falbe Hund an der Kette, die am Gurte seines Herrn befestigt war, und weckte diesen aus stillem Niederschauen, so daß er aufblickend rief:

Hast sie gefunden?

Der Soldat nickte mit dem Kopfe, und erst als er bei seinem Bruder war und den Hund gestreichelt hatte, erzählte er, wie er die Fränz allein auf dem Markte getroffen, wie sie mit einander umhergeschlendert und eben zum Tanze gehen wollten, als Diethelm dazwischen kam und ihn so sonderbar davon schickte.

Der Schäfer dagegen berichtete, wie es ihm sei, als ob die ganze Welt aus dem Leim ginge: daheim habe der Meister so nöthlich gethan, wie wenn Alles bei ihm auf Spitz und Knopf stehe, und kaum auf den Markt gekommen, kaufe er wie besessen ein und thue, wie wenn er fragen möchte, was kostet das Schwabenländle da? Er habe die Hämmel verkauft und könne den Herrn nirgends finden, um ihm das Geld zu geben. Ueberhaupt, erzählte er, sei der Meister seit fast einem Jahre zweierlei Menschen, bald streichle er einen wie mit Sammtpfoten, bald sei er ein borstiger Igel, bald lobe er Alles, bald mache man ihm gar nichts recht. Die Brüder besprachen sich noch lange über das seltsame Wesen des Meisters, denn auch der Soldat hatte ehemals bei Diethelm als Schäfer gedient.

Als der Schäfer äußerte, daß Diethelm vielleicht um so größer thue, je kleiner er geworden sei, und vielleicht noch einen tüchtigen Raps mache, so lang man ihm traue, fuhr der Soldat dagegen los, als ob er selber beleidigt wäre, und es war noch mehr als das: denn da gilt ja gar nichts mehr, wenn man gegen solch einen Mann nur so was denken darf, worauf der Andere lächelnd erwiederte:

Büble, Büble, du wirst dein Lebtag nicht gescheidt, du glaubst den Leuten, was sie dir vormachen. Laß sehen, was du für Tubak hast, schloß er und nahm dem Soldaten die Pfeife aus dem Mund und rauchte sie weiter; der Soldat sagte kein Wort dazu.

Es war ein seltsames Brüderpaar, das da bei einander saß. Medard hätte dem Alter nach der Vater Munde's sein können, aber ähnlich sahen sich die Brüder nicht. Medard hatte ein langes dürres Gesicht, das durch den zottigen Backenbart und die aufgesträubten röthlichen Augenbrauen Aehnlichkeit mit dem Schäferhunde hatte, während Munde kugelrund aussah und Angesicht und Hals von dunkelbrauner Farbe war; er hatte kohlschwarzes Haar und kleine, in fetten Augenlidern versteckte braune Augen, aus denen ein stilles, sanftes Gemüth sprach. Medard sah aus, als könnte er nie lachen, und Munde sah noch jetzt in seiner Betrübniß aus, als könnte Schmerz und Zorn keine Heimath in seinem Gesichtsausdruck finden.

Medard war gerade um fünf und zwanzig Jahre älter als sein Bruder, und diese Beiden und noch eine Schwester, die dem alten Bruder in Buchenberg Haus hielt, waren von neun Kindern am Leben geblieben. Als der kleine Munde so verspätet und plötzlich geboren wurde, verließ Medard unter Verwünschungen das väterliche Haus und betrat sechs volle Jahre dessen Schwelle nicht mehr. Es war nicht Aerger wegen des Erbes da war ja nichts zu theilen aber Medard schämte und ärgerte sich über den nachgebornen Sohn, daß er von seinen Eltern gar nichts mehr wissen wollte; er verdingte sich weit weg und kam erst nach sechs Jahren wieder, als er aus dem Zuchthause entlassen wurde, wo er wegen einer Rauferei, in der er einen Nebenbuhler erschlagen hatte, fünf Jahre gebüßt hatte. Es war ihm nun doch nichts übrig geblieben, als in das elterliche Haus zurückzukehren. Als er zum ersten Male wieder in des Vaters Stube trat die Mutter war schon seit sechs Jahren gestorben und, wie der Vater sagte, an den Folgen der Verheimlichung ihrer Schwangerschaft, die sie vor dem erwachsenen Sohne verbergen wollte da war's, als ob der kleine Munde es dem Bruder wie mit Zauber angethan hätte, er umklammerte gleich beim Eintreten seine Füße und Medard ließ den schon ziemlich großen Bengel oft Stunden lang nicht vom Arm herunter und tollte mit ihm wie närrisch umher, die ganze verhaltene Bruderliebe schien auf Einmal sich zu entfalten und eine Sühne für seine früher verübte Härte zu Tage zu fördern.

Diethelm that gerade um diese Zeit eine großartige Schäferei auf, und auf die Bitten des alten Schäferle und die Zureden seiner Frau nahm er den Medard in Dienst, der nun von Georgi bis Michaeli im freien Felde war und stets den Munde bei sich hatte und ihn mit einer Sorgfalt ohne Grenzen wartete und pflegte. Der alte Schäferle überließ ihm gerne das Kind; er war mit Allem zufrieden, wenn er nur hinlänglich Tabak hatte, um seine Holzpfeife in beständigem Brand zu erhalten. Medard versorgte ihn jetzt mit Tabak, während er sonst oft hatte dürre Nußblätter rauchen müssen.

Wenn Medard manchmal dachte, daß ihm das Kind sterben könnte, fühlte er alle Haare zu Berg stehen. Stundenlang konnte er in das braune Antlitz und in die dunkeln Augen des Knaben schauen und sich nur ärgern, daß dieser ihn gewiß nicht so lieb habe, wie er ihn, es wenigstens nicht darthun konnte; dann konnte er aber auch stundenlang vor sich hin lächeln über eine einfältige oder kluge Bemerkung des Munde. Auf den falben Schäferhund, den Paßauf, war Medard oft eifersüchtig, denn der Knabe war mit dem Hunde so zutraulich und verschwendete an ihn so viel Liebe, die doch ihm gebührte. An Einer Sache hatte aber Medard stets seine ungetrübte Freude. Munde war nämlich äußerst gelehrig in der Musik. Vielleicht ist es noch ein Ueberbleibsel aus den verklungenen Schalmeienzeiten, daß die Schäfer in der Regel kunstfertige Pfeifer sind, und Medard war hierin noch ein besonderer Meister. Er verstand nicht nur den nothwendigen Signalpfiff, der dem Paßauf als Commando galt, er konnte auch alle Vögel des Waldes nachahmen und hatte noch dazu eine unerschöpfliche Quelle von Lieder - und Tanzweisen, in denen er trillern konnte wie ein Kanarienvogel. Er lehrte nun den Munde diese Fertigkeit, und wenn der Knabe dann vor ihm stand und den Mund spitzte und hellauf pfiff, umfaßte Medard mit beiden Händen seine Schäferschippe und bohrte sie tief in den Boden vor Freude. Im Herbste lockte Medard andere Knaben zu sich aufs Feld, damit sie mit dem Munde spielten, denn dieser kam ihm manchmal so traurig und nachsinnend vor, so verlassen wie ein Schäfchen, das von der Heerde genommen ist, und das einsam in sich hinein jammert. Da däuchte es dann Medard, als ob sein Munde über Alle herrsche, sie beugten sich ihm ungeheißen, und alte Sagen kamen ihm in den Sinn, wie ein Schäferknabe plötzlich zu einem König geworden und eine schöne Prinzessin im diamantenen Palaste zum Ehegemahl erhielt. Er lächelte wohl über diese Sagen, er wußte ja, daß daran kein wahres Wort sei, aber Munde war gewiß zu etwas Großem geboren, wenn auch just nicht zu einem König; und dann wollte sich Medard in seinen alten Tagen das Gnadenbrot bei ihm ausbitten und unter der Stallthür stehend glücklich sein, wenn sein Bruder in der Kutsche dahinfuhr oder auf einem schönen Apfelschimmel daherritt. Was läßt sich nicht alles ausdenken draußen bei den still weidenden Thieren! Medard erschien sich oft ganze Wochen wie verzaubert. Alles, was er that, kam ihm so vor, als wäre das nur für einstweilen, nur noch jetzt, in einer Stunde wird's anders; da kommt auf ein Mal ein groß Glück. Und manchmal konnte er es gar nicht fassen, daß der Munde noch so klein und jung sei und noch so lange zu wachsen habe, bis er ein großer Mann, mindestens ein reicher Graf sei. Natürlich fehlte es auch nicht an Zeiten, wo sich Medard vor die Stirne schlug und sich selber auslachte über all die Narretheien, die er im Kopfe herumtrage; er war dann froh, daß Niemand davon wußte, und schlug sich Alles aus dem Sinn; aber innerlich verborgen konnte er doch eine gewisse Hoffnung des Unerwarteten nicht ertödten, er wußte nicht was und wie, aber doch blieb's.

Als Diethelm seine Fränz geboren wurde, hatte Medard dieser schon einen Ehemann bestimmt, lange bevor sie ein Wort sprechen konnte.

Munde war acht Jahre alt geworden. Es war im hohen Sommer, im Thale war abgeweidet, und der Pferch begann noch nicht, Medard hatte seinen sämmtlichen Schafen Schellen umgehängt, und es ging nun auf den Trieb ins hohe Waldgebirge. Das Schellengeläute währte unaufhörlich vom Morgen bis zum Abend, denn die Schafe auf der Weide fressen beständig im Gehen und stehen meist kaum so lange still, um das Gras auszuraufen; Medard war immer in wundersamer Aufregung, und er dachte mit schweren Sinnen, daß dieses der letzte Sommer sei, wo er den Munde bei sich hatte; zu Ostern mußte dieser bei Strafe endlich in die Schule. Es ist vorher gegangen, es muß nachher auch gehen, tröstete sich Medard, wenn er überlegte, wie er diese Trennung ertragen werde. An einem Mittag, an dem die Nebel nicht von Berg und Thal wichen, saß Medard am Waldrande, an dem ein schmaler Holzweg sich hinzog, und vor ihm, den jähen Berghang hinab, weideten die Schafe; Munde stand weiter unten, just in der Biegung des Weges, in einer Brombeerhecke und erlabte sich an der saftigen Frucht. Vom Walde oben vernahm man Hacken und Knacken der Holzhauer, und das Schellengeläute war so summend, daß Medard fast in Schlaf versinken wollte. Da hörte er über sich etwas poltern, er schaute rückwärts hat sich ein Felsen aus seiner uralten Ruhe losgelös't? Da kommt es den Weg herab, ein in Schuß gerathener lediger zweirädriger Karren, Medard ist ganz erstarrt, er schaut auf und schaut hinab und ruft schnell: Munde, geh bei Seite, Munde, um Gottes Willen lug auf! Aber das Kind hörte nicht, und der Wagen ist schon so nahe; kommt er bei Munde an, stürzt er die Halde hinab und zerschmettert das Kind, es ist kein Stein am Wege, nichts, womit man einhalten kann. All dies Schauen, Denken, Rufen, war das Werk eines Augenblickes, schon ist das zermalmende Rad nahe, Medard kann sich retten, aber das Kind! Schnell streckt Medard halb träumend, halb wissend, was er thut, den rechten Fuß weit vor, es knackt, der Karren steht still ... Die Leute, denen der Karren entronnen war, kamen mit Geschrei hinterdrein, sie fanden Medard mit zerknicktem Fuße, leblos, sie warfen schnell das Holz ab und luden Medard auf den Karren und führten ihn nach dem Dorfe, wo er Monate lang eingeschindelt lag. Um so lustiger aber sprang Munde um ihn her, und das erquickte den Leidenden mehr, als all die guten Tränkchen, die der alte Schäfer bereitete, und als die sorgsame Abwartung der Meistersfrau. Medard war nicht so großmüthig, seinem Bruder nie zu sagen, was für ein Opfer er ihm gebracht. Das Kind verstand dessen Bedeutung noch nicht, und als er in spätern Jahren es erkannte, war die That eine längst gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem ältern Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets Büble hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuße, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelm's wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zunächst nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelm's zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmirt war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf, Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard seinen Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener Herr. Erst als Munde Soldat werden mußte und der Diethelm ihn nicht loskaufte, faßte Medard einen tiefen Haß gegen seinen Meister; es genügte ihm nicht mehr an den gewohnten kleinen Veruntreuungen, er wünschte sich eine gewaltige That, um Zorn und Rache loszulassen; nur die Meisterin that ihm leid dabei, und wenn sie nicht wäre, sagte er oft, hätte er den Meister schon im Stall erwürgt.

Als Medard jetzt den Bericht seines Bruders hörte, sagte er nichts, sondern stieß nur den Rauch der Pfeife immer rascher heraus.

Ich wollt ', schloß der Soldat, der Diethelm würde über Nacht ein armer Mann, nachher könnt' ich die Fränz heirathen ungefragt.

Büble, du bist ein Narr, rief Medard, du mußt sie haben mitsammt ihrem Geld, und mag sie noch so hoffärtig sein, und ein Nickel ist und bleibt sie; aber freilich, da drüber darf man mit dir nicht reden. Wenn ich nur wüßt ', wie's mit dem Meister steht; sauber ist's nicht, das glaub mir.

Und nun besprachen die Brüder das Leben des Meisters. Diethelm war ehedem ein wohlhäbiger, still arbeitsamer Bauer gewesen, er war als Knecht nach Buchenberg gekommen und hatte die reiche Wittwe, die Schwester des Schäuflerdavid's, gegen den Willen ihres Bruders und ihrer ganzen Familie geheirathet. Stolz war er von je, und selbst seine vorherrschende Tugend, die ihm einen großen Namen machte, schien davon nicht frei. Damals, als Diethelm die reiche Wittwe heirathete, lebten seine Eltern noch, aber sie, wie ihre anderen sechs Kinder, die theils dienten, theils selber Familien gegründet hatten, lebten in äußerster Dürftigkeit. Das nahm nun schnell ein Ende, denn mit reicher Hand setzte Diethelm alle seine Angehörigen in Wohlhabenheit, und Alles, was Diethelmisch hieß, stand plötzlich in Ehre und Ansehen. Hatte Diethelm im Allgemeinen eine freigebige Hand, so war dieses noch besonders für einen auffälligen Zweck. Er kleidete nämlich gern die Armen, und es war seine besondere Lust, daß Alles stattlich daher käme; und wurde er auch oft von Solchen mißbraucht, die fremder Gabe gar nicht bedurften, immer wieder fand ihn Jeder bereitwillig und hülfreich. Wenn unser Meister nach Letzweiler kam, stand Alles still, als erschiene ein höheres Wesen, und die Lippen bewegten sich wie zu Segenssprüchen, denn solch einen Wohlthäter hatte man noch nie gesehen, und Diethelm hatte nur abzuwehren, daß ihm nicht Kinder und Greise die Hände küßten. Seine hülfreiche Mildthätigkeit war aber auch ohne Grenzen, und man fabelte allerlei über seine unermeßlichen Reichthümer: er habe ein großes Loos in einer fremden Lotterie gewonnen, er habe einen Schatz gefunden und dergleichen mehr, und Diethelm gefiel sich in dem Ruhm seines Reichthums und seiner Wohlthätigkeit. In den besten, manneskräftigen Jahren, als er Schultheiß geworden war, fiel es ihm auf einmal ein, daß er genug gearbeitet habe. Er verpachtete daher seine Aecker und lief müßig und mit eingebildeten Krankheiten im Dorf umher; aber auch dies Leben verleidete ihm nach wenigen Jahren, zumal er mit den Pachtbeständern vielerlei Quengeleien hatte. Er wollte ändern, mochte aber nicht mehr zurück, verkaufte nun trotz heftigsten Widerspruchs seiner Frau alle seine Aecker, nur die Wiesen behielt er und lebte von Zinsen. Bald aber fing er einen kleinen Kornhandel an, der nicht ohne Gewinn war, und nun ging er Tag und Nacht auf sogenannte Speculationen aus, die ihm auch meist glückten.

Dieses Verwenden der ganzen Lebensarbeit seiner Dorfbewohner als bloßen Werthgegenstandes hatte schon in sich etwas Herausforderndes, Feindseliges. Der ewige Kampf zwischen den Hervorbringenden und denen, die solches mühsame Händewerk mit Reden und Schreiben zu eigenem Vortheil verwenden, ist auf dem Lande naturgemäß ein Widerstreit gegen die Kornhändler, der sich je nach den Zeitläufen zu ausgesprochenem Hasse entwickelt. Das Vorhalten des Gedankens von dem großen Weltverkehre, und daß die Thätigkeitsergebnisse der ganzen Menschheit einander angehören, will bei dem, dessen Auge auf der beschränkten Stätte seiner Arbeit haften muß, nicht Eingang finden; in dieser wie in mancher andern Beziehung arbeitet die Zeit noch überall an der Erhebung zum Gedanken der großen Weltgehörigkeit.

Auch Diethelm erfuhr in seinem Thun mancherlei Haß, und statt ihn zu versöhnen, reizte er ihn noch, indem er oft laut sagte: Ihr arbeitet euch krumm und lahm, und ich schau 'zum Fenster hinaus und hab' meine grünen Saffianpantöffele an, und verdien 'dabei in einer Stunde mehr, als ihr in drei Monaten. Das war aber nicht immer der Fall, und in demselben Jahre, als Diethelm in seinem Handel eine große Schlappe erlitt, wurde er auch nicht mehr zum Schultheiß gewählt, und er begann nun das Schafhalten und den Wollhandel. Die Umgegend von Buchenberg eignete sich allerdings dazu, die Schafe ihre sieben Monate auf dem Weidgange zu erhalten, aber auch Seuchen blieben nicht aus, die empfindliche Verluste mit sich führten.

Medard war gegen seinen Herrn voll Zorn und Haß, und wieder voll ergebener Abhängigkeit. Wenn er nun auch schon so viele Jahre bei ihm diente, ließ es ihn Diethelm gelegentlich doch noch immer fühlen, daß er ihn als Sträfling zu sich genommen, und behandelte ihn oft mit tyrannischer Willkür, gegen die auch nicht der leiseste Widerspruch sich erheben durfte. In der Seele des Schäfers setzte sich daher eine Bitterkeit fest, die ihn wünschen ließ, daß sein Herr einmal zu Falle kommen oder in seine Hand gerathen möge.

Munde dagegen war voll aufrichtiger Liebe gegen Diethelm, der ihm dafür auch mit besonderer Freundlichkeit zugethan blieb.

Fünftes Kapitel.

Während die beiden Brüder draußen vor dem Thor sich über das Leben ihres Meisters besprachen, saß dieser drinnen beim Sternenwirth im hintern Stübchen vor einer Flasche vom Besten, die der Sternenwirth zu Ehren seines Gastes auftischte und dabei seine Familienverhältnisse darlegte.

Halb klagend, halb ruhmredig erzählte er, wie sich die Zeiten ändern: er selber sei noch Metzger gewesen und habe dabei gewirthet, jetzt aber müsse ein Wirth alle Sprachen kennen, und ein Handwerk daneben zu treiben sei gar nicht denkbar; sein Wilhelm sei aber auch in Genf und auf der Universität von allen Kellnern, im Schwan in Frankfurt gewesen.

Diethelm zeigte sich diesen Mittheilungen besonders theilnehmend und aufmerksam, denn es ist dem bangenden Herzen oft nichts erwünschter, als durch Aufnahme fremden Schicksals sein selbst zu vergessen. Während der Sternenwirth erzählte, hatte sich eine von dessen Töchtern und der Sohn angelegentlich mit Fränz beschäftigt und waren oft in lauten Scherz ausgebrochen. Der Sternenwirth rückte nun, von der Theilnahme seines Zuhörers ermuthigt, weiter heraus: wie glücklich ein vermögliches Mädchen mit seinem Wilhelm werden könne, er wolle den Engel in der obern Stadt kaufen und ausbauen und sei ohne Rühmens der geschickteste Wirth. Diethelm nickte einverständlich und bemerkte nur, daß der Wilhelm noch jung sei und wohl noch ein paar Jährchen warten müsse, und der Wirth stieß eben mit ihm an, als der Reppenberger eintrat. Diethelm nahm ihn bei Seite und vernahm, daß nichts zu verkaufen sei und höchstens ums halbe Geld.

Sag nur, ich behalt 'den Posten auch noch, rief Diethelm plötzlich laut und sagte dann, daß es Alle hören konnten, leichthin zu dem Wirth:

Kannst mir nicht auf eine Stunde fünfhundert Gulden geben?

Auf eine Stunde kann's schon sein, erwiderte der Wirth, es hat mir ein Händler tausend Gulden aufzubewahren gegeben. Nicht wahr, du bringst mir's gleich wieder? Von wegen, wenn's mein wär ', könntest's behalten so lang du willst, wär' mir sicherer als im Kasten. Es ist halb Silber und halb Papier. Was willst?

Die Thaler; der Steinbauer hört das Geld gern klappern, er traut ihm eher.

Diethelm empfing ein graues Säckchen mit den Geldrollen, er übergab die kleine Last dem Reppenberger zum Tragen, befahl der Fränz, ihn hier zu erwarten, und ging mit seinem Geleite stolz durch das Marktgewühl. In der Post brach er alle Rollen auf und zählte und klimperte lange mit dem Gelde, das er dem Steinbauer einhändigte; das graue Säckchen betrachtete er dann eine Weile still und steckte es endlich zu sich, wobei er es an Spottreden auf den Steinbauer nicht fehlen ließ; dieser zählte aber - und abermals die Häufchen ab und hörte auf Nichts.

Vor dem Hause athmete Diethelm tief aus und sagte dem Reppenberger, daß er tausend Gulden haben müsse, und wenn er sie aus dem Heiligenkasten stehlen sollte.

In dem Nest muß Geld sein, hilf's holen, ermahnte er den Reppenberger. Dieser wußte auch Rath: der Kastenverwalter hatte einen großen Posten bereit, aber nur auf Hypothek oder Wechsel. Von ersterer konnte bei Diethelm keine Rede mehr sein, er hatte nichts Unbewegliches als sein Haus und die Wiesen, und das war die letzte Sicherheit der Frau; und hätte er auch diese, wie er wohl wußte, zu einer Unterschrift bewegen können, er durfte es für sich selbst nicht thun, denn mit Ausnahme einer Hypothek wäre all sein Ansehen vernichtet; vor dem Wechsel aber hatte Diethelm eine Höllenscheu, der Reppenberger mochte das einen albernen Bauernaberglauben schelten und darüber spötteln, wie er wollte. Vor der Thüre des Kastenverwalters stand Diethelm mit Reppenberger wie angewurzelt; er lachte zwar, wenn Reppen - berger das Haus Diethelm aufforderte, zu verfahren wie ihm zukam, aber innerlich bebte ihm das Herz; endlich mußte doch ein Entschluß gefaßt werden, und weil denn einmal das Unvermeidliche zu vollziehen war, entlehnte Diethelm gleich noch ein zweites Tausend. Dennoch erhielt er nur mit großer Mühe sechshundert Gulden baar, das Uebrige mußte er in fremden Staatspapieren zu hohen Tagespreisen übernehmen. Noch nie zitterte die Hand Diethelm's so sehr, als da er den Wechsel unterschrieb. Auf der Straße war's ihm, als sähe es ihm Jedermann an, daß er sich dazu verpflichtet hatte, nach drei Monaten in schmähliche Gefangenschaft zu gehen; aber die Leute waren so ehrerbietig wie je, im Stern fand man es nicht im Entferntesten verwunderlich, daß Diethelm auf die Minute sein Wort hielt, und als dieser dem Wirthe die Staatspapiere aufzubewahren gab, kam ein neuer Stolz über ihn: Tausende handeln ja nur mit Credit, warum soll ich es nicht auch? Ich kann auch mit einem Federstrich Summen hin - und herschieben.

Die Furcht vor einer Wechselschuld erschien ihm jetzt in der That nur als ein Aberglaube, und der Wein erfrischte ihm das Herz wie noch nie. Auf die Bitten der Wirthsleute und der Fränz versprach er, über Nacht zu bleiben und den Honoratioren-Ball zu besuchen. Das Haus Diethelm bleibt, sagte er halb selbstspöttisch; es wußte Niemand, was er damit meinte. Er ging nun hinaus vor das Thor, um seinen Schäfern Bescheid zu sagen und der Mutter Nachricht zu geben.

So traf Diethelm die beiden Brüder mitten im Gespräche über ihn; er war voll guter Laune, als ihm Medard das Geld für die verkauften siebzig Paar Hämmel übergab, händigte ihm ein namhaftes Trinkgeld ein und befahl ihm ein Fuhrwerk zu nehmen und rasch nach Buchenberg zu fahren, dort der Meisterin Bescheid zu geben und Alles herzurichten zur Aufnahme der neuen Waaren und Schafe. Bald fuhr Medard mit seinem Bruder in die linde Nacht hinein, Buchenberg zu.

Sechstes Kapitel.

Diethelm wollte nun sogleich von dem Kastenverwalter den Wechsel auslösen, aber er überlegte, daß er dann ohne baar Geld sei, und noch nie hatte er solche Freude an diesem gehabt, wie heute.

Das Marktgewühl verlief sich allmählich; die großen Leiterwagen, mit lustigen Bauern und Bäuerinnen vol besetzt, konnten schon in ungehemmtem Schritte durch die Straßen heimwärts fahren, in den Krämerbuden wurde bereits eingepackt und gehämmert, und die Pferde der Uebernachtenden wurden zur Abendtränke an den Marktbrunnen geführt. Es war Diethelm, der Allem in Gedanken verloren zuschaute, als bliebe er zum erstenmal in seinem Leben in einem fremden Orte über Nacht, und als sei er fern in der weiten Welt und diese Stadt ihm nicht wohlbekannt und heimisch. Er wartete noch, bis auch seine Rappen zur Tränke geführt wurden, dann ging er abermals nach dem Kaufhause, um die Beförderung der eingekauften Vorräthe nach seinem Heimathsort anzuordnen. Als begänne das eben am Himmel aufflammende Abendroth zu tönen, so war's, als jetzt die Stadtzinkenisten den feierlichen Abendchoral vom Thurme erschallen ließen. Diethelm achtete nicht lange darauf, und die Oedigkeit und Kühle, die jetzt in dem vor Stunden so menschenvollen Kaufhause herrschte, machte ihn eine Weile frösteln; aber er ließ es dennoch nicht an Umsicht fehlen, und der Reppenberger versah sein Aufseheramt meisterlich. Fünf große Wagen fuhren nach Buchenberg, als Diethelm wieder in den Stern zu seiner Fränz zurückkehrte und zu neuem Aufsehen eine weitere Summe zum Aufbewahren übergab. Das Innere des Hauses hatte in wenigen Stunden ein ganz anderes Ansehen gewonnen, und ein Mädchen lachte in der Stube Diethelm aus, weil er es lange anstarrte und nicht erkennen wollte; es war Fränz, die in dem weißen Kleide der Wirths - tochter mit veränderter Haartracht in der That ganz unkenntlich war. Diethelm schalt offen über diese Vermummung, denn theils regte sich der Bauernstolz in ihm, theils fühlte er auch wohl, wie ungemäß diese Erscheinungsart für die Fränz war. Der Wirth suchte ihn zu beschwichtigen, aber eine Stimme aus der Ecke rief:

Der Herr Diethelm hat ganz Recht: die gewohnte Tracht ziert den Bauersmann am besten und ist auch die nützlichste, weil sie nicht aus der Mode kommt.

Zu seinem Schrecken erkannte Diethelm den Kastenverwalter, und doch that er rasch freundlich zu ihm und rühmte sich beim Glase sehr viel, wie stolz er darauf halte, ein echter Bauersmann zu sein.

Dreieckiger Hut, dreifache Versicherung, hat ehemals bei uns gegolten, sagte ein hagerer Stammgast mit langer Pfeife, der neben dem Kastenverwalter saß und sich als den Kaufmann Gäbler aus der Stadt zu erkennen gab. Und wo Drei im Vaterlande heutigen Tages beisammen sitzen, sprechen sie über die fortschreitende Noth und Verarmung des mittleren Bürger - und Bauernstandes. So auch ging es hier.

Leicht aber nehmen solche Gespräche eine selbstische Wendung, die mehr oder minder ausdrücklich darauf hinausläuft, sich am eigenen Wohlgefühl zu erquicken. Diethelm verstand es dabei meisterlich, eine bescheidene Großthuerei an den Tag zu legen; und als der Kastenverwalter die sichern Hypotheken lobte, gab Diethelm zu verstehen, daß er deren auch manche habe, daß er sie aber für den Handel nicht angreife. Das wäre ja, sagte er, wie wenn man einen Balken aus dem Haus nähme, um damit Feuer auf dem Herd zu machen. Der Kastenverwalter fand das klug und lobte das Haus Diethelm, und dieser fand ein eigenes Wohlgefühl darin, mit Prahlereien um sich zu werfen, und sie dünkten ihn bald nichts als pure Wahrheit; denn es ist ja gleich, was man besitzen mag, wenn nur die Menschen daran glauben: der Glaube macht selig und der Glaube macht reich. Endlich rückte der Kaufmann Gäbler mit seinem eigentlichen Vorsatz heraus, er war Agent einer Brandversicherungs-Gesellschaft, und Diethelm sollte die eingekaufte Waare und all seinen Hausrath versichern. Mit überlautem Widerspruch verneinte Diethelm diese Anmuthung und hatte dafür allerlei unhaltbare Gründe vorzubringen, die der Kastenverwalter mit Siegesstolz widerlegte, wobei er mit besonderm Nachdrucke wiederholte, daß nicht der Bauer Diethelm, sondern das Handlungshaus Diethelm versichern müsse. Als endlich auch der Sternwirth beistimmte, gab Diethelm nach, aber unweigerlich beharrte er gegen den neuen Vorschlag, auch sein Leben zu versichern; ja er wäre vielleicht darob zu einem heftigen Streite mit dem Kastenverwalter gekommen, wenn nicht plötzlich ein Zwischenfall eingetreten wäre, der Diethelm im hellsten Glanze strahlen machte. Ein junger Mann trat ein und fragte nach Diethelm; dieser ging auf ihn zu und begrüßte ihn mit hoher Freude und zwang ihn, mit an den Herrentisch zu sitzen. Nach vielem Widerstreben willfahrte der junge Mann, der ein Zeugweber aus der Stadt war, und so viel auch Diethelm abwehrte, bald sprach Alles am Tisch nur Lob und Preis über ihn, denn der junge Handwerker, Kübler mit Namen, war Bräutigam mit der Bruderstochter Diethelm's aus Letzweiler, und Diethelm allein war es, der das Mädchen ausstattete, so daß zu Neujahr die Hochzeit sein sollte. Diethelm nickte bejahend, als der Kaufmann Gäbler sagte: Wenn der Vetter Diethelm für Euch gut sagt, Kübler, könnt Ihr bei mir holen, was Ihr wollt. Immer aufs Neue erhob sich das Lob Diethelm's, der mit fürstlicher Freigebigkeit seinen Verwandten aufhelfe, und der Sternwirth nannte ihn sogar einen Napoleon. Anfangs war Diethelm dieser Ruhm im Beisein seines Gläubigers peinlich gewesen; als aber auch der Kastenverwalter einstimmte, war es ihm, als wachse er immer, und als endlich der Beginn des Honoratioren-Balls in der Post angekündigt war, trat Diethelm so breit in den Saal, daß die beiden Flügelthüren nicht vergebens aufgemacht waren.

Diethelm fühlte sich bei all seinem Stolze doch bald nicht recht wohl bei dieser Lustbarkeit. So genehm es ihm auch war, mit Beamten an Einem Tisch zu sitzen, er machte sich doch bald zu dem alten Sternwirth, der daheim in der unteren Stube geblieben war, und hier ging ihm eine neue Hoffnung auf. Der Sternwirth sagte offen, daß er und Diethelm keine Unterhändler brauchten, und erklärte geradezu, daß sein Wilhelm und die Fränz wohl für einander paßten; er verbreitete sich sehr über die wirthliche Tüchtigkeit eines klugen Bauernmädchens, und wie wohl angelegt hier eine reiche Mitgift sei. Diethelm gab nur abgebrochene Antworten und hielt dabei immer der Art inne, daß der Sternwirth etwas einschieben mußte. Immer wohlgemuther und zutraulicher wurden die beiden Genossen, denn der Sternwirth bewährte heute an sich seine alte wirthliche Ermahnung: Der Wein hängt an einander. Mit diesem Worte brachte er immer wieder volle Flaschen auf den Tisch.

Spät in der Nacht, als die Gäste sich bereits entfernt hatten, saßen Diethelm und Fränz noch bei den Wirthsleuten, und es war ihnen allen so vertraut zu Muthe, daß man sich gar nicht trennen mochte; und doch sprach man nichts von der neuen Familieneinigung, aber diese schien Allen in der Seele zu leben.

Um dieselbe Zeit saß in Buchenberg noch die Frau Diethelm's harrend bei der einsamen Lampe. Es war eine Frau von großer hagerer Gestalt und feinem, fast vogelartigem Gesichte, sie war ersichtlich älter als Diethelm; und wie sie jetzt tief Athem holend vom Spinnen aufschaute und in die Lampe hinein starrte, sah man, daß ein schwerer Kummer sich in diesem Antlitze heimisch angesiedelt hatte. Sie hatte heute alle heimkehrenden Marktgänger nach ihrem Manne ausgefragt; die Einen gaben nur halben Bescheid, die Anderen verkündeten Dinge, die unglaublich waren. Freilich hielt Diethelm streng darauf, daß sie keine volle Einsicht in seine Handelschaft hatte, so viel aber wußte sie doch, daß er jetzt baar Geld brauchte, er konnte also unmöglich eingekauft haben. Mit den heimkehrenden Marktgängern, ihren mitgebrachten Lederspangen, Gewandstoffen, Kinderpfeifen und Kindertrompeten, mit der Musterung der eingekauften Pferde und Kühe, vor Allem aber mit der lärmenden Laune der Angetrunkenen war etwas von dem geräuschvollen Marktgewühl in das stille Dorf gedrungen, und die Heimgebliebenen sahen dem verwunderlich zu; vor Allen aber betrachtete die Grobbäuerin wie Martha Diethelm noch immer nach ihrem ersten Manne genannt wurde das Alles, als wäre es etwas Unerhörtes. Da zeigten die Einen die neuen Schuhe und Stiefel, die sie in der Hand trugen, und ließen um den Preis rathen, oder sie übergaben den Kindern die für sie eingekauften, die damit davon rannten; Andere ließen ihre neuen Hüte mustern, die sie auf dem Kopfe trugen, während sie die alten in der Hand hielten, und mancher Spaßvogel stülpte den neuen Hut über den alten auf den Kopf. Der Schmied hatte seinen Weißdornstock quer über den Rücken gelegt und die Arme als Haken darüber geschlungen, Martha wußte nicht, war es die Weinlaune oder Ernst, als er ihr berichtete, der Diethelm käme zehnmal so reich wieder heim. Als es wieder stille im Dorfe wurde, in den Häusern die Lichter erflammten und ein Jedes im Kreise der Seinen erzählte, was ihm am heutigen wichtigen Tage begegnet war, saß Martha noch immer im Dunkeln in ihrer Stube; ihr war so bang, sie war wie festgezaubert, daß sie nicht der Magd nach Licht rufen konnte; und als diese endlich von selbst damit kam, heiterte sie sich wieder auf; es war ja nichts geschehen, worüber sie zu bangen ein Recht hatte, und sie ließ sich gern von der Magd berichten, welche neue Kleider u. dgl. in das Dorf gekommen waren. Als endlich Schlafenszeit und noch immer kein Diethelm und keine ausdrückliche Nachricht von ihm kommen wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch hauslich war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelm's, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals, als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen, und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostet dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte.

Ach! An Alles knüpften sich traurige Erinnerungen.

Es war still ringsum, denn das Haus Diethelm's lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit, und ihr ganzes Leben zog an ihrem Sinnen vorüber. Jung verheirathet an einen grämlichem, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hieß, hatte sie ein schweres Loos; sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub, und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben, als auch ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm, heirathete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Martha's gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Koh - lenhof, zwei Stunden von Buchenberg, verheirathet war, feierte Martha ihre Hochzeit mit Diethelm. Dieser, obgleich zwölf Jahre jünger, schien überaus glücklich mit seiner rüstigen, wohlhäbigen Frau, er ehrte und erfreute sie, wo er es nur immer vermochte, und schien sich noch immer fast als Knecht zu betrachten, denn er verfügte über Nichts in Haus und Feld, ohne vorher die Frau darum zu befragen.

Buchenberg gehört noch zu jenen Dörfern, wo Alles mit einander verwandt ist, weil die großen Bauern nur unter sich heirathen. Um so glücklicher durfte sich Diethelm schätzen, vom fremden Knechte zum reich angesessenen Hofbauern erhoben zu sein. Er schien das auch zu erkennen. Bald aber erhielt Martha die Kunde, wie er hinter ihrem Rücken über Großes verfügte und namhafte Summen seinen Verwandten schenkte. In seltsamer und doch so häufig vorkommender Verkehrtheit ging sie Tage ja Wochen lang mit tiefem, immer sich steigerndem Zorn in der Seele umher, und unversehens, bei den geringsten Anlässen, brach sie in Verwünschungen, in Schelten und Weinen aus, daß Alles zu Grunde gerichtet werde. Die Erwartung, daß Diethelm endlich selber seine geheime Schuld bekennen würde, konnte immer schwerer in Erfüllung gehen, denn Diethelm sah nun auf Einmal in seiner Frau ein verändertes, zänkisches Wesen, sah sich für sein ganzes Leben ans Unglück geschmiedet und freute sich im Stillen doppelt, daß er in der Aushülfe seiner Familie doch noch eine Freude habe, während ihm sonst nur Leid bevorstand. Er wußte doch jetzt, wofür er das zu erdulden habe. Dem allzeit keifenden Wesen seiner Frau setzte er unverbrüchliches Stillschweigen gegenüber; und als er dies endlich brach, da die Frau ihn im Beisein des Metzgers über den eigenmächtigen Verkauf eines Kälbchens hart anließ, erfuhr er endlich die lange verhaltene Ursache vom Zorn seiner Frau. Jetzt aber war in ihm der gerechte Grund ihres Unwillens längst vernichtet und abgebüßt, und mit schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe.

So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau ein Verhältniß zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unarticulirten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube.

Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn - und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, daß er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthums darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hülflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelm's Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aushelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitzthum zu verfügen, und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr kennen.

Das Haus des Grobbauern, das ehedem von den Bettlern gemieden war, zeigte sich seit Diethelm's Zeiten als die reichste Quelle der Wohlthaten, und es wurde viel gerühmt, daß Martha nie einem Armen eine abgerahmte Milch gab.

Eine Eigenschaft zeigte sich bei Diethelm in Allem: es war eine unersättliche Ehrbegierde; er hätte lieber das tiefste häusliche Elend ertragen, ehe er davon etwas in der Welt verlauten und so seine Ehre bloßstellen ließ. Als nun nach fünf Jahren kinderloser Ehe die kleine Fränz geboren wurde, war er voll steten Jubels, und an dem Kinde schien immerwährend sein ganzes Leben zu hängen. Aus dem Gespräche der beiden Schäfer ist uns noch erinnerlich, welch eine seltsame Lebenswendung Diethelm einschlug, und wie bald keine Spur mehr davon übrig war, daß er einst das Besitzthum seiner Frau wie ein Dienstbote betrachtet hatte. Er schien fortan keine Ruhe mehr in seinem Hause und in seinem ganzen Leben zu haben; es kam hierüber zu heftigen Erörterungen, und Diethelm behauptete ein für allemal, er habe es versäumt, seine jungen Jahre zu genießen, und müsse das jetzt nachholen. Von jener Zeit an sah Martha, welch ein Leben ihr geworden war, sie ließ Alles ohne Widerrede geschehen, den Güterverkauf, den Fruchthandel, die Schafhalterei; sie hatte einen Mann, der sie des Reichthums wegen geheirathet, und der nun, dessen gewohnt, ihrer kaum mehr achtete und seine Freude außer dem Hause suchte. Das war aber nicht immer der Fall, denn Diethelm hatte Zeiten, da er voll Ehrerbietung gegen seine Frau war und sie scherzweise Meisterin nannte, und die Frau hatte bei all ihrem vergrämten Wesen doch oft Mitleiden mit dem Mann, der vielleicht mit einer jungen minder begüterten Frau glücklicher geworden wäre. So lebten diese Leute schon zwei und zwanzig Jahre in der Ehe und hatten noch ihre Einigung nicht gefunden, und doch strebte eigentlich im Innersten ein Jedes dem Andern zu Gefallen zu leben, und war auch viel Streit und Zank zwischen ihnen: war das eine vom andern entfernt, gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander, und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze, denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Großthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete.

Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht, dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: Willkommen, Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab, und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf.

Was habt Ihr, Meisterin? fragte der Schäfer, dem sein Bruder vorausgegangen war.

Was will der Landjäger? fragte die Frau.

Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde, antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war.

Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen, und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump. Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riß die Kissen vom Bette und schrie wie rasend: Das Alles wird versteigert, Alles. Aufs Stroh, aufs Stroh bringst du mich! Und sie warf sich auf das Stroh, weinte lange, bis sie endlich entschlummerte.

Siebentes Kapitel.

Von Trompeten - und Posaunenschall erweckt, schlug Diethelm am Morgen die Augen auf; es schien ihm fast, als ob es die Stadtzinkenisten gerade auf ihn abgesehen hätten, und ihm war jetzt so schwer, als ob die ganze Last des Erkauften leibhaftig auf ihm läge; er überschaute jetzt nochmals die Zahlen in seiner rothen Schreibtafel und erkannte, daß er mehr eingethan, als ins Mäß will. Jetzt galt es aber muthig einzustehen. Fränz war sehr mißlaunisch, sie hatte sich in den vornehmen Kleidern doch ausnehmend gefallen und kam sich wie erniedrigt vor in der gewohnten Tracht. Sie mußte nun den Vater zu dem Kaufmann Gäbler begleiten, wo man feines blaues Tuch zu einem Mantel für die Mutter einkaufte, und von den Zureden Gäbler's unterstützt ließ sie nicht ab, bis auch für sie mehrere städtische Kleider eingekauft wurden. Gäbler war überaus freundlich und sagte, daß Diethelm mit Recht den Ruhm habe, daß gut mit ihm handeln sei und er etwas an sich verdienen lasse. Als Diethelm die Waare bezahlen wollte, lehnte dieses Gäbler mit dem höflichen Beisatze ab, solche Kunden müsse man festhalten, denen stelle man Jahresrechnung, und Diethelm lächelte in sich hinein; so klein auch diese Summe war, es zeigte sich doch wieder, wie die ganze Welt ihm ihr Besitzthum aufdrang und Vertrauen in ihn hatte. Warum sollte er das selbst nicht haben? Gäbler rief Diethelm noch auf der Straße nach, daß er in den nächsten Tagen mit dem Brandschätzungs-Commissär nach Buchenberg käme, um Alles aufzunehmen und zu versichern, und er hoffe, daß das Beispiel Diethelm's ihm mehr Kunden im Oberlande verschaffen solle. Diethelm hatte das eingekaufte Manteltuch im Arm, jetzt ließ er es plötzlich fallen, und als er sich darnach bückte, fiel er nach der ganzen Körperlänge auf den Boden. Fränz und der herzugeeilte Gäbler hoben ihn rasch auf, und Diethelm behauptete mit schmerzverbissenem Antlitze, daß er über einen Pflasterstein gestrauchelt sei. Der Abschied von den Wirthsleuten im Stern hatte etwas erzwungen Heiteres, der Sternwirth sagte noch bei der letzten Handreichung: Es bleibt also, wie wir abgeredet. Diethelm nickte bejahend. Mit einem besonderen Behagen legte er dann das Manteltuch in die Kutschentruhe, er konnte seiner Frau damit doch beweisen, wie er ihrer gedacht; und erst als er schon fuhrfertig oben saß, kam Fränz mit hochglühenden Wangen und verweinten Augen. Die beiden Wegfahrenden sprachen kein Wort mit einander, und Diethelm schaute immer rechts und links nach den Häusern; sein Blick haftete besonders auf jenen Täfelchen, darauf im schwarzen Felde zwei rothe Hände in einander verschlungen waren.

Erst vor der Stadt nahm Diethelm die Peitsche auf und schlug fluchend und im heftigsten Zorn auf die beiden Rappen, daß sie im wilden Trab dahin rannten. Es war ein schöner heller Augustmorgen, die Leute am Wege arbeiteten, als wäre nicht gestern Markttag gewesen, und mancher schwere Garbenwagen, der langsam des Weges daherkam, hatte kaum Zeit dem pfeilschnellen Gefährte auszuweichen, und Mancher im Felde drohte mit dem Garbenknebel, mancher Bauer fluchte mit geballter Faust hinter Diethelm drein, denn er war beim raschen Ausweichen in einen aufgeschichteten Steinhaufen am Wege oder gar in den Weggraben gefahren und konnte nun lange nicht mehr vom Fleck, während Diethelm rasch aus den Augen verschwand. An der ersten Anhöhe begegnete Diethelm einem leeren Wagen, er hielt an, und erfuhr auf die Frage: woher? daß dies der Knecht des Steinbauern war, der ihm Wolle zugeführt hatte.

Hast ein Trinkgeld bekommen? fragte Diethelm[. ]

Wüßt 'nicht von wem. Die Frau hat sich gar nicht sehen lassen, ein Schäfer und ein Soldat haben die Ballen abgenommen.

In einem Gemisch von Demuth und Stolz sagte Diethelm, in die Tasche greifend: Ich bin der Diethelm, bin selber Knecht gewesen und weiß, was ein Trinkgeld ist. Mein 'Frau ist krank. Seh, und er warf buchstäblich das Geld auf die Straße und fuhr davon.

Diethelm schimpfte gegen Fränz über die Mutter, die ihn gewiß wieder mit ihrem Gruchzen in der ganzen Welt verbrüllt habe, und Fränz hatte darauf nichts zu erwidern, als daß das Verbleiben in der Stadt ja so schön gewesen sei. Trotz der Erwähnung dieses Säumnisses dachte Keines von Beiden daran, wie es Pflicht gewesen wäre, alsbald selbst heim zu eilen und die Uebernahme und Einräumung selbst anzuordnen, statt sie der Mutter über den Hals zu schicken. Fränz und Diethelm waren wie zwei Menschen, die, ohne es sich offen zu gestehen, daß sie ein Unrecht begangen, und doch dessen bewußt, gegen den losfahren, dessen Leiden ihnen den Spiegel ihres Thuns vorhält. Diethelm schwur, daß er nun der Mutter das Manteltuch gar nicht gebe, sie habe es nicht verdient, und nur hierin beschwichtigte Fränz und deutete auf die Kränklichkeit und daraus folgendes grämliches Wesen der Mutter hin. Nun waren sie wieder beide wohlgemuth, denn sie konnten jeden kommenden Vorwurf mit mitleidigem Achselzucken von sich weisen.

Am Waldrande in der Mitte des Weges erhob sich eine Staubwolke, und als die Fahrenden näher kamen, zeigte sich eine große Heerde Schafe. Der Schäfer kannte Diethelm und sagte, daß er am Abend in Buchenberg sein werde, und lobte überaus die eingekaufte Heerde. Diethelm empfahl ihm, ruhigen Trieb zu halten, und warf auch ihm ein Geldstück zu.

Das ist Alles unser, sagte Diethelm dann mit triumphirender Miene zu Fränz, und mit Stolz wies er weiter hinaus, wo wieder eine Heerde in einer Staubwolke sich zeigte, und es war ihm, als ob nirgends Raum genug wäre und auf allen Wegen sich sein Reichthum ausbreitete, mit dem er Hohes, Unübersehbares erobern wollte. Mit Behagen erzählte er zum hundertsten Male der Fränz, wie er vor dreißig Jahren mit dem Stab in der Hand und neun Kreuzer in der Tasche nach Buchenberg gekommen sei, und wie er jetzt auftrete und noch höher hinaus müsse. Und Alles nur für dich und für die Meinigen in Letzweiler, schloß er und redete nun Fränz ins Gewissen, daß sie den Schäfer Munde, der jetzt daheim gewiß auf sie warte, ein - für allemal aufgeben müsse. Fränz erklärte sich hiezu bereitwillig, sie spottete über die Liebschaft mit Munde als über ein Kinderspiel, nannte ihn ein an Pfennigwirthschaft gewöhntes Schäferle und sagte geradezu, daß sie nur noch in reichen Verhältnissen leben und sich nicht abplagen möge, wie eine Viehmagd.

An der sogenannten kalten Herberge auf der Anhöhe standen noch drei beladene Wollwagen. Diethelm stieg ab und hörte, daß diese Fuhren für ihn seien; er ließ nun den Fuhrleuten auftischen nach Herzenslust, beschenkte die Armen und Wanderburschen, die sich wie gerufen eingestellt hatten, und geberdete sich überhaupt, als ob er einen großen Schatz gefunden und Geld für ihn gar keinen Werth habe. Er freute sich des dankenden Lobes von den Fuhrleuten und horchte aus dem Verschlage hinaus nach der großen Stube, denn er wußte wohl, daß die Leute dort den Ruf im Lande machen. Es war aber nicht allein dieser Ruhm, der ihn erfreute, er hatte seine Lust an der Freigebigkeit selbst; dieses Aufleben der Beschenkten durch die Gabe, dieses Erleuchten des Antlitzes gleich dem glänzenden Aufsprossen einer Pflanze nach erfrischendem Regen, das that ihm im Innersten wohl.

Sinnliche Naturen, das heißt solche, die mit mächtigen Trieben ausgestattet sind, neigen auch leicht zu Freigebigkeit und Wohlthätigkeit; das Mitgefühl ist rasch erregbar, und jener dunkle Zusammenhang mit der Außenwelt offenbart sich in Leid und Lust. Was man die Gutherzigkeit nennt und mit Recht hoch hält, ist durch solchen Ursprung nicht aufgelös't, die Sonne freier Erkenntniß färbt die Frucht, der aus dunkelm Grunde der Saft zuströmt.

Diethelm empfand eine wahre Glückseligkeit in der Anschauung und in dem Gedanken, wie Viele er labte und erquickte.

Der Wein mundete vortrefflich, und da einmal aus Versehen ausgespannt war und die Frau zu Hause gewiß kein Essen bereitet hatte, ließ sich Diethelm solches, trotzdem es noch so früh am Tag war, trefflich schmecken; zankte nun die Frau daheim, so hatte er doch vorgesorgt, und der Wein gab Muth zu Allem. Der Wirth äußerte in redseliger Weise seine Freude über die Einkehr Diethelm's und erzählte, wie es ihn schon lang verdrossen habe, daß er immer ohne anzukehren vorübergefahren sei. Freilich, setzte er hinzu, früher hat das Haus kein Ansehen gehabt, aber jetzt, seit ich neu gebaut habe, besuchen mich die Herrschaften aus der Stadt.

Hast deßwegen neu gebaut?

Nein, ich hab 'müssen, ich bin ja abgebrannt.

So? sagte Diethelm und stürzte ein volles Glas hinab. Bist versichert gewesen?

Darüber könnt 'ich nicht klagen, der Kaufmann Gäbler auf dem Markt hat mir den Schemel unterm Tisch vergütet.

Diethelm schwieg während der weitläufigen Erzählung von dem Brand und dem Neubau. Er hörte mißtrauisch die ganze Darlegung von der Anklage auf Brandstiftung und der vollkommenen Freisprechung von derselben, und so heiter er in das Wirthshaus eingetreten war, eben so mißmuthig verließ er dasselbe: der Mann und alle seine Habe, alle die Tische, Stühle, Thüren erschienen ihm so verbrecherisch, das ganze Haus so unheimlich, als spräche aus jedem Stein und Balken das Verbrechen, das es gegründet haben sollte.

Als flöhe er vor einer verzauberten Behausung, die ihn festbannen wolle, machte sich Diethelm davon, und die Leute schauten ihm verwundert nach, als er in gestrecktem Galopp über die Hochebene davonjagte.

Als es wieder bergab ging, hemmte Diethelm kein Rad, und die Rappen stemmten sich rechts und links, und Diethelm fuhr immer hin und her, um dadurch eine Schlängelung des Wagens zu gewinnen; da krachte es plötzlich, der Sattelgaul stürzte und riß Diethelm mit sich vom Wagen herab, daß Fränz laut aufschrie. Herbeieilende Wegknechte halfen bald wieder auf, Diethelm hatte sich nicht beschädigt, nur hinkte er am linken Fuß. Die zerbrochene Deichsel wurde zusammengebunden, und die wild gewordenen Pferde an der Hand führend, ging Diethelm mit der Fränz neben ihnen her. Eine gute Strecke gingen sie lautlos dahin, jetzt hielt Diethelm an, nahm seufzend den Hut ab, seine Haare schienen in der That seit zwei Tagen sehr gebleicht zu haben, und an das staubbedeckte Pferd gelehnt sagte er mit zitternder Stimme: Fränz, ich thät 'sterben, ich thät' mir selber den Tod an, wenn ich auf meine alten Tage in Noth käm '; wenn ich laufen müßt' und nicht mehr fahren könnt '. Guck, ich mein', ich geh 'knietief im Boden, so schwer wird mir's. Wenn ich so weit' runterkäme nein, es darf nicht sein. Ich bin nicht allein, ein ganzes Dorf stürzt mit mir. Wenn ich Niemand mehr was schenken könnt ' lieber möcht' ich gestorben sein.

Fränz tröstete, so gut sie konnte, und nannte diese Schwermuth nur eine Folge des Schreckens. In Unterthailfingen, kaum noch eine Stunde von Buchenberg, war Diethelm eigentlich schon zu Hause, denn hier hatte er einen Weidgang für vierhundert Schafe gepachtet. An der Schmiede wurde nun die zerbrochene Deichsel wieder festgenietet, und der Wein im Wirthshause festigte fast eben so das geknickte Gemüth Diethelm's, ja er fühlte sich so frisch gestimmt, als ginge es zu einer besondern Festlichkeit, und in seltsamer Laune schickte er nach dem Bader und ließ sich von ihm mitten in der Woche die Bartstoppeln abnehmen.

Achtes Kapitel.

Mit Aufsehen erregendem Wagengerassel fuhr Diethelm in Buchenberg ein, aber es schaute Niemand nach ihm, denn eben läutete die große Glocke, die sogenannte alte Kathrin ', die nur bei Sterbefällen und in Feuersgefahr allein angezogen wurde. Diethelm fühlte, wie dieser Klang ihm den Athem stellte. Wär's möglich, daß seine Frau sich ein Leid angethan? Er mußte die Leute auf der Straße für die arme Seele beten lassen und konnte nicht fragen.

Wer ist gestorben? fragte er beim Wirthshause zum Waldhorn anhaltend, und erhielt zur Antwort, daß man dem alten Küfermichel zum Verscheiden läute. Diethelm knallte mit der Peitsche. Es war nicht der Mühe werth, um den alten Mann so viel Aufhebens zu machen.

Heitern Sinnes fuhr er das Dorf hinaus nach seinem Gehöfte. Im hellen Mittagsglanze lag Haus und Scheuer und Ställe stattlich da. Das Haus, mit der Giebelseite nach der Straße gekehrt, von den Grundmauem bis zum Dache um und um mit graugewordenen Schindeln vertäfelt, die als Wetterpanzer dienten, öffnete jetzt so zu sagen seinen Mund und erhielt große Brocken; denn in dem Vorbaue am Dache standen zwei Männer und zogen an der Radwinde die Wollballen herein, die von unten hinaufgeschrotet wurden. Aus dem Schornstein stieg kein mittäglicher Rauch auf, und es war nun doppelt gut, daß in der kalten Herberge vorgesorgt war. Während er den kleinen Hügel hinanfuhr, überlegte Diet - helm, wie er dem keifenden Wesen der Frau begegnen solle, und es blieb schließlich dabei, daß er zu Allem lächeln und geheimnißvoll thun müsse, als ob er einen großen Gewinn in der Tasche und noch einen größeren in Aussicht habe. Als er anhielt und abstieg, ließ sich Niemand sehen. Diethelm führte selbst die Pferde in den Stall und schickte durch Fränz das Manteltuch der Mutter; dann ging er an der Stubenthür vorbei, drinnen er laut weinen hörte, hinauf auf den Speicher, und als er hier mit Medard zankte, weil er die verschiedenen Sorten unter einander gelegt, erwiderte dieser trotzig, das ganze Geschäft sei eigentlich nicht seine Sache, er sei Schäfer und nicht Kaufmannsdiener. Zu jeder andern Zeit hätte Diethelm auf solche trotzige Art tapfer ausgeschirrt, heute aber brummte er nur vor sich hin wart nur, krummer Spitzbub , und sprach kein lautes Wort. Er wollte es vor Allem vermeiden, vor den vielen ein - und ausgehenden Fremden im Hause irgend Zank laut werden zu lassen; denn es konnte dabei Manches zu Tage kommen, was besser verborgen blieb, auch wußte er, wie große Stücke seine Frau auf den Schäfer und seine ganze Sippschaft hielt. Als er wieder die Stiege herab kam, stand die Frau am Herd und zündete ein Feuer an. Er reichte ihr die Hand und fragte:

Warum hast denn bis jetzt kein Feuer angemacht?

Ich hab 'warten wollen, bis du's selber anzündest, erwiderte die Frau in schmollendem Tone. Diethelm stand erstarrt und biß auf die Lippen. Was meinte die Frau mit diesen Worten? Wie konnte sie ahnen, daß heute schon zum Zweitenmale ein solcher Gedanke ihm wie ein brennender Funke in die Seele fiel? Die Frau aber schien diese Worte nur unbedacht als scharfe Widerrede gesprochen zu haben; denn ohne weiter darauf einzugehen, schalt sie die Fränz:

Was läufst so 'rum wie ein Schlittengaul? Zieh deine Sonntagskleider aus. Es ist ja Sünd' und Schad '. Wirst doch nicht so daheim' rumlaufen wollen? Bei rechtschaffenen Bauersleuten ist's immer so gewesen: wenn man heim kommt, zieht man seine Werktagskleider an und legt die guten ordentlich in den Schrank. Aus dem Weg! Darfst mir nichts anrühren. Fahr in der Welt herum oder zum Teufel, wohin du magst!

Der Zorn gegen den Vater ging, wie schon so oft, auch diesmal an dem Kind aus; denn einerseits hatte Martha nicht den vollen Muth gegen ihren Mann, andererseits wußte sie, daß eine Kränkung der Fränz ihm doppelt wehe thue. Fränz wollte laut aufweinen, aber Diethelm beschwichtigte sie und sagte:

Die Mutter hat Recht, ganz Recht hat sie, aber heut ist eine Ausnahme, heut kommen noch viele Leut ', und da darf man nicht so verhudelt' rumlaufen.

Und ich? ich kann das Aschenputtel sein? frug die Mutter.

Du mußt dich auch besser anthun. Wie gefällt dir das Manteltuch? Frau, du wirst dein 'Freud' haben an dem Marktgang, sagte Diethelm mit zutraulicher Stimme, während er klein Holz häckelte, eine Aufmerksamkeit, die er seit den ersten Jahren der Ehe nicht mehr gehabt hatte.

Der Hausfriede war nun nothdürftig hergestellt, und Diethelm mußte bei Tische thun, als ob er noch nirgends gespeis't habe; er würgte jeden Bissen mit Mühe hinab, und sein ganzes Heimwesen erschien ihm auf einmal so düster. Wie war's draußen in der Welt so hell und freundlich und Alles so zuvorkommend, und hier mußte er immer thun, als ob er das Gnadenbrod esse. Die freie Stimmung, die er aus der Ferne mitbrachte, war plötzlich gefängnißdumpf, und als er wieder hinabkam und seine Halbkutsche sah, meinte er, er müsse gleich wieder anspannen und fort, immer weiter; auf der kalten Herberge, im Stern, in der Post, überall war's viel besser, sonniger und luftiger.

Wagen an Wagen kamen angefahren, Heerden hielten unten am Wege und blökten so kläglich, und Diethelm war's wieder, als ob ihn all das neue Besitzthum erdrückte; er hatte außer Medard noch zwei Schäfer in Dienst genommen, und noch hatte jeder mehr als die gewohnte Zahl Vierhundert zu hüten. Aber er that freundlich und wohlgemuth, er half selber die Ballen oben in der Luke einziehen, und einmal schrie Alles laut auf, denn Diethelm hatte sich zu weit hinausgewagt, er hing frei in der Luft am Seil, es war ihm, als schwebte er über dem Abgrund; er wußte nicht, sollte er festhalten oder freiwillig hinabstürzen, daß er zerschmettere und Alles auf Einmal aus sei; aber unwillkürlich hielt er fest, und besonders der Geistesgegenwart und dem entschiedenen Commando des Schäfersoldaten Munde war es zu danken, daß vor lauter Staunen über den möglichen Unfall derselbe nicht in der That eintraf. Die Männer unten ließen leise die Last wieder herabgleiten, und Diethelm stand schwankend auf dem Boden und fühlte, wie er aus Noth und Tod plötzlich wieder ins Leben gestellt war. Die Gefahr, in der Diethelm geschwebt, hatte plötzlich wieder all die Liebe Martha's zu ihm geweckt, sie umhals'te ihn laut weinend und dankte Gott für seine Rettung. Vor einer Stunde noch voll Jähzorn und giftiger Verwünschungen, verfiel sie jetzt in die ganz entgegengesetzte Stimmung, daß sie ihren Diethelm verkindelte , so daß dieser einst von solcher altmütterlichen Behandlungsart gesagt hatte: es fehle weiter nichts, als daß ihm seine Frau noch Kindchensbrei koche. Martha duldete es nicht mehr, daß Diethelm irgend Hand anlege; sie besorgte selber die Empfangnahme alles Eingekauften, Diethelm mußte in der Stube sitzen, und wie er draußen lärmen und rufen hörte, kam er sich vor, als wäre er im Fieber gefangen, und Alles stürmte auf ihn ein, und er konnte sich nicht wehren und mußte still Alles mit sich geschehen lassen.

Endlich waren die leeren Wagen abgefahren, die Heerden in den weitläufigen, an das Haus angebauten Ställen untergebracht, es war Abend, und Diethelm fühlte sich so wohl daheim, daß ihm die vergangenen Tage und das Hinaussehnen wie ein Traum erschien. Hier allein war Friede und Glückseligkeit. Er ließ den Munde in die Stube rufen, dankte ihm für seine entschiedene Hülfe und schenkte ihm einen Kronenthaler. Munde nahm zaghaft das dargebotene Geld, aber er nahm es doch, und fast stolperte er über Fränz, die am Spinnrocken saß, und verließ ohne ein Wort die Stube. Diethelm war so hingegeben, daß er fast geneigt war, seiner Frau die ganze Lage seiner Verhältnisse zu offenbaren; aber er hielt noch zeitig genug an sich und erklärte ihr nur, daß er entschlossen sei, nur noch diesmal die Handelschaft zu treiben, dann wolle er wiederum hier oder anderswo sich Aecker kaufen und ruhig bauern, wie ehedem. Diese tröstliche Aussicht, die das Antlitz der Frau fast verjüngte, erfüllte Diethelm selbst mit einer heitern Gemüthsruhe, und in ihm sprach's: es muß Alles wieder gut werden, Gott darf eine so schöne Zukunft nicht zu Schanden werden lassen ... Eine andächtige Stille herrschte in der Stube, und Diethelm zog die Uhr auf, das war das Zeichen, daß es Zeit zum Schlafengehen sei.

Neuntes Kapitel.

Fränz allein war voll Unruhe und Widerstreit. Es war ein seltsam geartetes Kind, wie es in einer Ehe, die so oft von Zwietracht zerstört war, kaum anders erwachsen konnte. Als sie noch Kind war, scheuten sich die Eltern anfangs noch, irgend einen Zerfall vor ihr laut werden zu lassen; nach und nach aber verlor sich diese Zurückhaltung, ja die hässigen Reden des Einen und des Andern wurden immer an das Kind gerichtet, da hieß es oft: das Vermögen kommt alles von deinem Vater her, darum darf er's verlumpen, und andererseits: dein 'Mutter kann in ihren jungen Tagen nichts als gruchzen und flennen. Es fielen aber auch noch unumwundene und viel derbere Reden, und das Kind stand dazwischen, wie wenn wilde Vögel ihm ums Haupt schwirrten, und wußte nicht, wie ihm geschah. Wenn der Zwiespalt aufs Aeußerste gediehen war und doch wieder ein Jedes innerlich fühlte, wie sehr es an das Andere gebunden war, und nur den Weg zu dieser Aeußerung nicht finden konnte, dann haschte ein Jedes nach dem Kind und schwur auf sein Haupt: Wenn du nicht wärst, dann wäre ich schon lang ins Wasser gesprungen, oder ich hätte mich an einen Baum gehängt u. dgl. Bei diesen Reden stand das Kind wie ein Lamm da, und wie es die großen braunen Augen aufschlug, sprachen Worte und Gedanken daraus, die Niemand verstehen konnte und wollte. Bisweilen wurde auch Fränz zum Friedensboten gemacht und von der Mutter nach dem Wirthshaus zum Waldhorn oder in den Stall geschickt, dem Vater leise zu sagen, wenn er Alles wolle aus sein lassen, möge er zum Essen kommen; oder auch umgekehrt: der Vater schickte Fränz nach der Mutter, die sich in der Regel in das Haus des alten Schäferle, zum Vater von Medard und Munde flüchtete. Natürlich konnte hierbei von Kinderzucht gar keine Rede sein, und es war nur dem guten Naturell des Mädchens zu danken, daß es nicht widerspenstig und höhnisch gegen die Eltern wurde. Die Kameradschaft mit Munde, der ein aufgeweckter und äußerst zartsinniger Knabe war, trug viel dazu bei, eine gewisse Milde in das herrische und heftige Wesen des Mädchens zu bringen. Als Fränz zur Jungfrau zu reisen begann, war sie oft unbegreiflich schwermüthig und still. In jener Zeit begann aber der Fruchthandel und bald darauf die Schafhalterei Diethelm's; er nahm nun das Kind so oft als möglich mit auf seine Fahrten, und von da an lernte Fränz das Leben außer dem Hause als das allein schöne kennen und wurde Meisterin einer weltläufigen Verstellungskunst; denn wenn man den Diethelm erinnerte, zu welcher Stellung er, der frühere Knecht, gekommen war, verfehlte er nicht, sein häusliches Glück zu preisen. Schon mit ihrem fünfzehnten Jahre merkte Fränz die bald offenen, bald versteckteren Werbungen um sie, und sie verstand es, dieselben hinzuhalten, während sie daheim den getreuen Munde am Bändel führte und ihn in der That von Herzen lieb hatte. Denn Fränz war bei alle dem doch kein durchaus verdorbenes Wesen, sie war gutherzig und arbeitsam, nach Laune oft bis zum Uebermaß, sie hatte die Lust zu schenken, wie ihr Vater; nur erschien ihr das, was man als Liebe pries, oft wie ein Possenspiel, sie sah es ja vor sich bei ihren Eltern; sie glaubte nicht an einen Frieden, und Alles war nur der Welt wegen, damit Die draußen nichts merken. Wenn Zank und Hader zwischen den Eltern war, erging es ihr fast noch am besten, da wurde sie von Jedem gehätschelt und durfte thun, was sie wollte; und wenn dann eine Versöhnung stattgefunden hatte, in der sich Jedes bestrebte, dem Andern besonders liebreich zu sein, hätte sie gerne vor Verachtung die Zunge gegen Beide herausgestreckt; sie wußte ja wohl, daß keine Friedsamkeit von Dauer war. Fränz war in der That, wie sie schon Medard auf dem Markte genannt hatte, ein Nückel. Ein Oberdeutscher weiß gleich, was es heißen will, und es wird ihm doch schwer, dies zu erklären; denn damit, daß es ein Wesen voll Tücken und Nücken bezeichnet, ist noch nicht Alles erschöpft, ist ja damit noch nicht dargethan, daß man dem Nückel auch gut sein muß, man mag wollen oder nicht. Der Nückel kann bis zu einem gewissen Grade aufrichtig, treuherzig sein, er kann es manchen Menschen anthun, daß sie ihm zu Willen leben müssen, und wenn sie sich tausendmal darüber ärgern, und dann hat der Nückel seine besondere Freude, mit den Menschen zu spielen, sie gegen einander zu hetzen, und wenn die Händel ausgebrochen sind, daneben zu stehen, als ob er kein Wässerlein trüben könne. Das einzige Bestreben der Fränz war nur, recht bald aus dem Haus und in recht schöne reiche Verhältnisse hinein zu kommen. Von den ländlichen Bewerbern, die sie ehedem kaum angesehen hatte, zeigte sich auffallenderweise seit einem Jahre keiner mehr, und Fränz, die vielgewanderte, sagte sich auch, daß sie keine Lust habe, auf einem einsamen Bauernhof ihr Leben zu verbringen, wo man froh ist, wenn eine Samenhändlerin kommt und einem von der Welt berichtet. Engelwirthin! das ist das Rechte, aber nur bald, nur fort aus dem Hause, sagte sich Fränz, während sie still spann.

So verließ Fränz auch jetzt wieder die Stube, und ohne sich deutlich zu machen, was sie wollte, ging sie vor das Haus, um vielleicht noch Munde zu sehen, der fast über sie gestolpert war, als er den Kronenthaler empfing. Die Liebe des schönen jungen Burschen, der sie mit den Augen verschlingen wollte, that ihr wohl; sie zeigte doch, was sie noch vermöge, und wie sie, wenn sie nur wollte, an jedem Finger Einen nach sich ziehen könnte. Am Stall hörte sie drin sprechen, das war die Stimme Munde's, der in Verwünschungen seinem Bruder klagte, daß er nicht den Muth gehabt habe, dem Meister das Geldgeschenk vor die Füße zu werfen; er betrachte ihn noch immer als Meister und wolle es auch wegen der Fränz nicht mit ihm verderben. Medard tröstete so gut er konnte und schalt über die Meistersleute, die zu Grund gehen müßten, und eben zog er über Fränz los und sagte, daß in ihr keine getreue Ader sei; da trat Fränz unter die Stallthüre, und als hätte sie nichts gehört, rief sie dem Munde zu, sie wolle ihm noch bhüts Gott sagen, weil er wohl morgen früh abreise. Rasch trat Munde heraus und hielt zitternd die Hand der Fränz in seinen beiden Händen, er wollte eben sprechen, als man