PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 15]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Reiz und Liebe.

Karl August Ludwig Philipp Varnhagen, aus der alten Familie von Ense, den 21. Februar 1785 zu Düsseldorf geboren, begleitete seinen Vater, einen angesehenen Arzt, erst nach Straßburg, wo jedoch eine dauernde Niederlassung durch die Revolutionsstürme vereitelt wurde, dann nach Hamburg, wo der Vater bald starb; studirte in Berlin Medicin, Philosophie, Geschichte und Literatur; trat frühzeitig in Verbindung mit den bedeutenderen Geistern der Zeit, vor Allen mit Rahel, welche später seine Gattin wurde; vervollständigte seine Studien in Halle und hierauf in Tübingen, wo er mit den jungen schwäbischen Dichtern, vornehmlich mit Uhland, Freundschaft schloß; nahm 1809, um gegen die französische Unterdrückung zu kämpfen, österreichische Dienste und zeichnete sich bei Aspern und Wagram aus, in welch letzterer Schlacht er schwer verwundet wurde; begleitete 1810 seinen Regimentschef, Reichsgrafen von Bentheim, nach Paris; 1813 trat er, der deutschen Erhebung zuvorkommend, in russische Dienste; 1814 folgte er dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg zum Congreß nach Wien, 1815 nach Paris; 1816 wurde er preußischer Ministerresident in Karlsruhe, sollte aber 1819, wegen liberaler Färbung anrüchig, den gleichen Posten in Nordamerika beziehen, worauf er seine Entlassung nahm, sich in Berlin niederließ und bis zu seinem am 10. October 1858 unerwartet rasch erfolgten Tode die lebhafteste literarische Thätigkeit entwickelte. Diese Thätigkeit gehört längst der Geschichte an, und sie auch nur nach den hauptsächlichsten Seiten hin zu besprechen, würde hier eben so überflüssig, als im engen Raume unmöglich sein. Varnhagen's Verdienst, die künstlerische Form von der Dichtung auf geschichtliche Aufgaben übertragen und für die Behandlung der Geschichtserzählung, der Biographie, des Memoirengenres ein in unserer Epigonenliteratur weithin nachwirkendes Beispiel gegeben zu haben, wird selbst von Widerwilligen anerkannt; und die Gesinnung, die warm unter den glatten Formen lebt, die vaterländische, freisinnige, humane Richtung, die ihm erst gegen sein Lebensende durch die kläglichen Zustände jener Zeit versäuert werden konnte, wird ihm trotz des über seinem Grabe ausgebrochenen Streites auf die Länge unbestritten bleiben. Bedeutsam auf die Summe seines Wirkens weisen die Worte Goethes hin: Ich zähle ihn zu Denjenigen, die zunächst unsere Nation literarisch in sich selbst zu einigen das Talent und den Willen haben. Obgleich seine novellistischen Arbeiten nicht im Vordergründe seiner Leistungen stehen, darf man doch wohl sagen, daß auch sie in ähnlicher Weise, wie seine geschichtlichen, dem jüngeren Geschlecht zu Gute gekommen sind: die Goethe'sche Sprache, die, nicht bloß Nachahmung, ihm häufig wie zur andern Natur geworden ist, hat als ein Vorbild dessen fortgewirkt, was der Formbildner bei entschiedenem Willen sich zumuthen darf, und hat Manchem, der ohne dieses Vorbild vor höheren Anforderungen zurückgewichen wäre, Muth und Kraft beflügelt. Besondern Erfolg hatten die Sterner und Psitticher , jene Erzählung, worin der Dichter die Ausgabe, ein Geschichtsbild aus dem Mittelalter zu zeichnen, mit nacheiferungswürdig frischem Entschlüsse in Angriff nahm. Die hier ausgewählte Erzählung (so, nicht Novelle, hat er selbst sie genannt) dürfte allerdings den Vorwurf auf sich laden, daß über den Charakter der Heldin anfangs nicht bloß der Held, sondern auch der Leser etwas zu sehr sich täuschen müsse: doch ist jedenfalls die Entwicklung, wie die Tünche einer scheinbaren Bildung allmählich abfällt, sehr gut zur Anschauung gebracht; und die Form, obwohl mitunter etwas gefährlich zugespitzt, zeigt im Ganzen eine Meisterschaft, welche nicht bloß vor sechzig Jahren (die Entstehungszeit ist 1812) für Wenige erreichbar war, sondern heute noch gegenüber der mehr und mehr einreißenden Verwilderung aller Anerkennung werth erscheint.

In den Denkwürdigkeiten eines österreichischen Offiziers, der eine geraume Zeit nach dem Wiener Frieden an seinen bei Aspern erhaltenen Wunden starb und seinen Freunden ein theures Andenken in dem Buche, wovon die folgenden Blätter ein Bruchstück sind, hinterließ, findet sich unter andern anziehenden Bildern aus seinem Leben auch folgende Erzählung, die den Leser nicht ohne Theilnahme lassen wird. Er redet mit seinen eigenen Worten und hebt das letzte Buch seiner Lebensgeschichte also an.

Die zärtliche Neigung des Herzens hat sich mir niemals liebenswürdiger offenbart, als in dem Anfang eines angenehmen Verhältnisses, das ich mit einer Schauspielerin hatte, und dessen kurzen Verlauf ich hier getreu schildern will.

Die heftige Leidenschaft, von der ich im Vorhergehenden gesprochen habe, und in deren verwickeltem Ausgang alle meine Kräfte und Wünsche wie in einem heißen Kampfe um Leben und Tod niedergeworfen waren, hatte mich einer seltsamen Ruhe überlassen, die jeden neuen Liebesreiz unmöglich zu machen schien, und so hatte ich bereits mehrere Jahre verlebt, ohne mich in der Gleichgültigkeit, mit der ich an das dachte, was ich nun noch erwarten könnte, unglücklich zu finden; mein Herz war auf seiner stolzen Fahrt gescheitert, die glücklichen Ufer mir auf ewig entrückt, meine Sorge war nur, den alten Hafen wieder zu gewinnen. Die kleine Garnison in Oberösterreich war meiner Sinnesart nun ganz gemäß, der halb städtische, halb ländliche Aufenthalt gab mir eine stille Zerstreuung, ich sah dann und wann einige benachbarte Edelleute, die mich äußerlich dann wohl etwas beschäftigten, aber in meinem Innern, so wenig wie ihre Frauen und Töchter, nicht den geringsten Eindruck hervorbrachten. Nähere Anhänglichkeit an meine Kameraden, ein vertraulicherer Umgang mit meinen Vorgesetzten und nebenher mancherlei Liebhabereien, denen ich mich ergab, füllten die Zeit genugsam aus, die mein Beruf mir übrig ließ, und ergänzten nach und nach mit einem alltäglichen Reize den Mangel, der durch die Entziehung eines so gewaltigen und gewohnten Reizes in meinem Innern entstehen mußte. Die Tage kamen unvermerkt und gingen unvermerkt, eine Stunde lös'te die andere harmlos ab, und ich gefiel mir eine Zeitlang ganz gut in der armseligen Folge von unwichtigen Ereignissen. Hätte man mir in früherer Zeit gesagt, ich würde ein solches Dasein führen können, ohne mich höchst un - glücklich zu fühlen, so würde ich es für unmöglich gehalten und die Gefahr eines solchen Absterbens verlacht haben; auf gleiche Weise ging es mir im Gegentheil auch jetzt, wenn scherzend meine Freunde behaupteten, die Liebe würde noch Ansprüche auf mich geltend machen, die ich gegenwärtig abläugnen wollte. Nichts schien mir lächerlicher, als daß ich mich wieder verlieben könnte. Dies geschah denn auch freilich nicht im eigentlichen Sinne des Wortes, denn jene Leidenschaft, deren ich fähig gewesen, war in mir bis auf die letzte Spur verschwunden; aber doch hätte ich nicht geglaubt, daß Gefühle, die ihr ähnlich sind, noch so großen Antheil in mir erwecken und mir noch so reichen Verdruß und Kummer bereiten könnten, als das Folgende darthun wird.

Die Zeit des Faschings war herangekommen, und Wien mit seinen bunten, raschen Bildern begann unsere unbefriedigte Einbildungskraft lebhafter anzuregen. Die hellen Kreise glänzender Gesellschaft, das fröhliche Gewühl und der laute Schall festlicher Tänze, die Bequemlichkeiten und Vergnügungen aller Art, die in dieser üppigen Hauptstadt mit ungeheurer Mannichfaltigkeit abwechseln, kamen jeden Abend mit Zauberstrahlen durch das traurige Schneegestöber und über die eisblinkenden Straßen in verführerischen Bildern bei unsern Versammlungen an, die wir im einsamen Wirthshause am Markte hielten und vergebens den stillen Abenden und frühen Nächten unserer langweiligen Tage entgegensetzten. Eines Abends wurde von Einigen beschlossen, nach Wien zu gehen, und einer meiner Freunde, der dort ernstlich verliebt und voller Heirathsgedanken war, beredete mich, ihn zu begleiten, welches ich endlich ihm zu Gefallen zusagte, während aus meiner Seele der flüchtige Reiz des Vergnügens, dem wir entgegengingen, mit dem ersten Aufwallen auch wieder entschwunden war. Die aufgehende Sonne fand uns schon zu Pferde, um gegen den schneidenden Ostwind auf dem harten Schnee gegen Wien zu traben, wo wir wohlbehalten anlangten.

Die Stimmung der Freude läßt sich nicht erzwingen; ich vermied die häufigen Einladungen meiner zahlreichen Bekannten und lebte sehr eingezogen. Wenn mein Freund, durch seine Angelegenheit immer beschäftigt und dem süßesten Glücke nachhängend, mich Abends allein ließ, fiel meine Wahl unter allen Unterhaltungen meist auf das Schauspiel, das zu der Zeit in Wien nicht eben schlecht war. Die Bühne, wenn man sie täglich besucht, erscheint bald in einem ganz andern Lichte, als wenn man ihr nur zufällige, von Mißmuth und Zerstreuung aufgelös'te Stunden schenkt; die mannichfachsten Bedingnisse wirksamer Aufführung werden nach und nach deutlich, man erkennt die oft sehr verhüllten Triebfedern, welche den angenehmen Eindruck hervorbringen, der Verstand lernt genau und schnell den Antheil absondern, welchen Ueberlegung, Bewußtsein, Laune, Uebung, Gewohnheit und Zufall an einer glücklichen Vorstellung haben, neben dem Ganzen treten zugleich die einzelnen Bestandtheile deutlicher vor Augen, und indem die Gegenstände der Vergleichung in dem kürzesten Zeitraum zusammengedrängt folgen, bildet sich unmerklich der größte Scharfsinn der Beurtheilung, die genaueste Uebersicht des Ganzen und die leiseste Würdigung des Einzelnen, mit einem Worte, es entstehen Vertraute und Liebhaber der Bühne, wie deren die französische in Paris zu ihrem größten Vortheil so viele zählt, und wie Goethe deren einige als Serlo's größten Beistand in Wilhelm Meister schildert. So ging es auch mir, ich lernte das Vergnügen begreifen, mit welchem die täglichen Schauspielfreunde auch den abgeschmacktesten und wiederholtesten Vorstellungen zusehen, und erstaunte über die zahllosen Bemerkungen und Aufschlüsse, die jeder neue Abend mir gab. Ich nahm unwillkürlich Theil an Allem, was das Schauspiel betraf, las eifrig die Berichte darüber in den öffentlichen Blättern, denen ich zuweilen Beiträge gab, und da mein Eifer in seiner Unruhe alle Gelegenheit suchte, die erlangte Kenntniß in Thätigkeit zu bringen, so war ich bald mit den vorzüglichsten Schauspielern und Schauspielerinnen in näherer Bekanntschaft, ich wurde von ihnen in ihre Heiligthümer gezogen und befand mich eben so oft wahrend der Vorstellung auf der Bühne und in ihren Ankleidezimmern, als unter den Zuschauern.

Zwei Frauen theilten damals die allgemeine Gunst des Publicums, beide waren schön von Gestalt, angenehm im Betragen und von ausgezeichneten Talenten für die Darstellung, doch in jedem dieser Stücke entschiedene Gegensätze von einander. Die eine, Therese, glänzte durch feinere Bildung, Klugheit und Verstand, durch freien Sinn und glückliche Belesenheit, dabei lebte sie ihre muntern Jugendtage mit vergnügtem Herzen offen und anspruchlos dahin. Die andere, Eugenia, suchte mehr die stille Verborgenheit; ihre Handlungen zeugten von einer eigenwilligen, hartnäckigen Gemüthsart, ihre Freundlichkeit verläugnete niemals einigen Ernst, welcher bewundernde Achtung dem erregtesten Wohlgefallen vorzog, Verstand hatte sie weniger, aber in jedem Tone, den sie aussprach, klang eine geheime Innigkeit des Gefühls, und diese goß über alle ihre andern Eigenschaften eine solch sittsame Anmuth, daß selbst die ungefälligen Seiten ihres Wesens den Herzen gefährlich wurden, eine Anmuth, die durch den außerordentlichsten Reiz körperlicher Vollkommenheiten unwiderstehlich wurde. Hörte man Jener zu große Freiheit vorwerfen, so durfte man an Dieser wohl eine zu große Befangenheit tadeln, die ihren Umgang wie ihr Spiel mitunter etwas peinlich machte. Als ich Beide persönlich kennen lernte, war mir dieser Unterschied schon großentheils von der Bühne herab klar geworden, denn man konnte, so schien es mir, mit Recht sagen, daß Jede genau sich selber spielte, so daß man eben so gut hatte glauben können, ihr Rollenfach habe ihre Gemüthsart bestimmt, als umgekehrt. Dies hatte ich oft in Ueberlegung gezogen, und mir schien, als sei die Aufgabe, einen Charakter darzustellen, den man in einigen Zügen der eigenen Seele nur angedeutet besitzt, einer schönern Lösung fähig, als diejenige, etwas zu spielen, das, weil man es ganz ist, man eher versucht ist, mit der Natur zu machen, als mit der Kunst; und weil alsdann nur das gemeine Bild des wirklichen Daseins statt des höheren eines veredelten Seins erscheint, so beklagte ich, daß diese beiden Frauen eigentlich ihren besten Vortheil nicht verstünden, und nahm mir vor, darüber, wie über manches Andere, was ihre Kunst betraf, mit ihnen gelegentlich zu reden.

Mit Theresen hatte ich eine lebhafte Unterhaltung, in welcher sie mir Recht und Unrecht gab und ihren Verstand nur anwandte, mich zu verwirren, worauf sie mit scherzender Gleichgültigkeit die Sache fallen ließ. Ich wollte nun sehen, wie es mit Eugenien gelingen würde, ob die mir auch entschlüpfen würde, und so freute ich mich des Zufalls, der noch spät an demselben Abend, als Therese fortgegangen war, Eugenien in die Theaterloge führte, wo ich sie zuvor nie gesehen hatte und wo sie sich auf denselben Platz, den Jene verlassen hatte, neben mich setzte. Eugenie antwortete gut und geläufig auf manches Schmeichelhafte, das ich über ihre bisherigen Vorstellungen sagte, und was man mit dem bloßen Gefühl wissen kann, das schien sie recht gut zu wissen, nur wo es auf etwas Erlerntes ankam, da wurde ihr Sprechen mangelhaft und gab selbst bei den nothwendigsten Dingen, von denen sie hätte unterrichtet sein sollen, die ärgsten Blößen. Ganz und gar nichts aber wollte sie von meinem Vorschlage hören, statt der Weichen, traurigen Heldinnen einmal die muntern und bösen zu spielen. Ich sah mich unerwartet darüber in Scherzreden mit ihr verflochten, und weil doch einmal statt vernünftiger Gründe nur Laune und Witz den Streit führten, so kehrte ich aus Bosheit meinen Satz um, wie er denn in der That ziemlich zweifelhaft und in beiden Fällen gewissermaßen wahr sein mag, und sagte: Deßwegen müssen Sie die bösen Rollen spielen, weil man doch am besten das spielt, was man selbst ist; warum ein Talent immer in fremdartige Form zwingen? Wie sehr dies Ihnen auch gelingt, und wie entzückend Sie uns auch die Johanna d'Arc geben würden, so möcht 'ich Sie doch vor allem Andern auch als Königin Jsabeau sehen.

Was sie zunächst antwortete, habe ich überhört; ein Wunder, daß ich nicht auch meine eigene Rede ungeendigt ließ! denn ich hatte eben angefangen, der lieblichen Frau ins Gesicht zu sehen, und empfand je mehr und mehr das Feuer ihrer Anmuth in meine Adern übergehen, jede ihrer Bewegungen, das Aufschlagen, Niedersenken und Wechseln des nahen Blicks, das Zittern ihrer Haare, die von beiden Seiten der Stirne in Locken wunderschön herabfielen und jedem Wurfe des allerliebsten Köpfchens nachschwankten, das zauberische Oeffnen der Lippen und die sanfte Erhebung und Senkung der belebteren Züge, alles Das zog meine Aufmerksamkeit in dem Grade hin, als ob ich den feinen Wunderbau des Körpers in diesen Werkzeugen zum erstenmal wahrnähme. Mein wie in Neugier verlorenes Zusehen muß jedoch zugleich ein freudigerstauntes Lächeln gewesen sein, denn ich sah ihr holdes Gesicht plötzlich eine Heiterkeit annehmen, wie sie von äußeren Gegenständen auf die Augen überzugehen pflegt, und noch kann ich nicht ohne Entzücken an den sanftglühenden, duftigen Schein des blühenden Antlitzes denken, das in Jugendfrische so warm und kräftig vor mir schwebte. Ich weiß nicht, wie lange dieser träumerische Zustand gedauert haben mag, genug, daß er meiner Sehnsucht zum Trotz, die gewünscht hätte, so ansehend und angesehen zum ewigen Bilde zu erstarren, in schnellem Wehen auseinander stob und ich mich mit scharfen Vorwürfen angeredet fand, die meine Anschuldigung für eine himmelschreiende ausgaben und mir alle Strafen drohten, die solcher boshaften Feindseligkeit gebührten. Woher kennen Sie mich denn schon? rief sie aus; wo haben Sie meine Seele belauscht, um ihr so voreilig auf der Bühne einen Platz anzuweisen, der zugleich den im Himmel bestimmte? Aber Sie sollen Recht haben, fügte sie hinzu, Sie sollen Ihre Behauptung, daß ich böse sei, dadurch bestätigt sehen, daß ich es gegen Sie recht sehr sein will! Ich erinnerte sie, daß sie die Böse aber doch nur spielen dürfe, und damit, wenn es auch ein böses Spiel für mich wäre, könnte ich noch wohl zufrieden sein. Aber mein Witzeln war ohne Erfolg, sie wollte sich nicht einreden lassen, daß Alles nur Scherz gewesen, und bezeigte mir, obwohl mit vielem lebhaften Muth, einige Empfindlichkeit über das vorgefallene Gespräch. Alle nur ersinnliche Feinheit und die eindringlichste Schmeichelei, die ich anwandte, um sie zu besänftigen, brachten nur die halbe Wirkung hervor, und ich blieb untröstlich über eine Stimmung, die ich nie hervorbringen gewollt, und die ich jetzt um so mehr verwünschte, da mir indessen selbst jeder Muthwille vergangen und die sonderbarste Hinneigung voll Sehnsucht und Wehmuth an dessen Stelle getreten war.

In halb rechthaberischem, halb galantem Gespräch übereilte uns das Ende des Stücks, der Vorhang fiel, und das austobende Geräusch der Menge, die sich zum Ausgang drängte, erweckte uns aus dem streitenden Eifer und erinnerte, daß es Zeit sei wegzugehen. Eugenie stand auf, schlug einen schwarzen Mantel um ihre Schultern und wünschte mir mit niedergeschlagenen Augen freundlich gute Nacht; ich aber, durch die unerwartete Freundlichkeit aufgemuntert, bot ihr höflich meinen Arm und wurde wider Verhoffen ihr glücklicher Begleiter. Ungeachtet unserer beiderseitigen genauen Bekanntschaft mit dem Schauspielhause kamen wir an einen Ausgang, der für unsern Weg nicht der rechte war, an Umkehren war nicht zu denken, und so geriethen wir mitten in das Gewirr der Wagen, die unter dem Geschrei der Kutscher und Schnauben der Pferde eilend durch einander fuhren. Wir befanden uns in augenscheinlicher Gefahr, die blendenden Lichter machten uns irre in Rücksicht des Weges, und nur mit äußerster Mühe hatte ich Eugenien eine Strecke weit geführt, sie wollte nicht einen Augenblick warten, sondern drängte unaufhaltsam ihrer nahen Wohnung zu; schon waren wir zu der gegenüberstehenden Reihe Häuser beinahe durchgedrungen, als ein Wagen schnell einlenkte und dicht an diesen vorüberrasselnd uns in das Gedränge zurückscheuchte. Sie lachte und wollte einen zweiten Versuch wagen, es war nicht möglich, die Räder flogen vor uns, neben uns vorbei, Pferde sahen plötzlich über unsere Schultern, und indem mir selbst bange wurde, ergriff ich, der Himmel weiß, von welchem Dämon geleitet, den ersten besten Kutschenschlag, öffnete ihn, hob Eugenien hinein, und der Kutscher führte uns sogleich vor ihr Haus, wo sie mir auf das Verbindlichste für meine Hülfe dankte und dann meinen Blicken verschwand. Der Kutscher weckte mich aus dem träumerischen Sinnen, mit dem ich vor ihrer Thür wie angewurzelt stehen blieb, indem er mich erinnerte, für welche Bereitwilligkeit er belohnt zu werden erwarte, ich reichte ihm mit Freuden ein ansehnliches Trinkgeld, das er dankend empfing, und eilig trieb er die Pferde an, um seine Herrschaft, die er indeß im Stich gelassen, wo möglich noch aufzunehmen. Ich weiß nicht, wie so es mich nicht befremdete, daß er von selbst ihr Haus gefunden, mir fiel dieser Umstand erst späterhin einen Augenblick auf, doch nur um gleich wieder vergessen zu sein.

Aeußerst gestört und mißmuthig kam ich in meiner Wohnung an; ich machte mir die härtesten Vorwürfe, daß meine unselige Gemüthsart mich wieder verleitet habe, die angenehmste Bekanntschaft mir durch unnöthiges, neckendes Versuchen gleich anfänglich zu verderben. Ich hatte freilich nicht geahndet, wie wichtig diese Bekanntschaft mir erscheinen würde, aber desto mehr ärgerte mich nun, daß ich, der ich Alles aufzubieten im Begriff sei, um Eugenien für mich einzunehmen, nun noch lange die zweifelhafte Bemühung fortsetzen müsse, den nachtheiligen Eindruck, den ihr mein Betragen gemacht hatte, auszulöschen. Ihr Bild schwebte unaufhörlich in unbeschreiblicher Anmuth vor meinen Augen, und indem ich für sie Partei nahm und mich selbst mit aller Bitterkeit gereizter Eigenliebe verfolgte, suchte ich mich über das Gefühl zu täuschen, das immer deutlicher in mir wurde; ich glaubte eine Ungerechtigkeit gut machen zu müssen, und überschritt in meinen Gedanken alle Grenzen der Gerechtigkeit so weit, daß ich auf die übertriebenste und abenteuer - lichste Schadloshaltung verfiel, die ich ihr zu leisten schuldig wäre.

Bei jedem Andern hätte ich keinen Augenblick angestanden, diese Stimmung, sobald sie mir sichtbar geworden wäre, für ein Verliebtsein zu halten, und doch kann ich mich noch jetzt nicht entschließen, meinem damaligen Gefühl den Namen der Liebe zu geben. Es war die sonderbarste Mischung; alle einzelnen Merkmale der Liebe schienen vorhanden zu sein, und nur ihr Wesen fehlte; der wärmste Reiz, die zarteste Innigkeit, die Gewißheit befriedigter Ruhe, die meiner Sehnsucht nach ihrer Gegenwart vorschwebte, alle erregenden Triebfedern eines getroffenen Herzens wirkten und kämpften in mir, und doch war das Herz nicht getroffen, das alte, verödete Herz war noch wie sonst, es war nur umwogt von dem glühenden Morgenrötheschein, den diese himmlische Anmuth umher verbreitet hatte. Daß ich damals nicht ganz aufrichtig mit mir umging und mich zu täuschen suchte, kam daher, daß ich mein Inneres nicht genau erkannte und insgeheim eine neue Liebe fürchtete; hätt 'ich die feineren Abschattungen der unendlichen Mannichfaltigkeit von Gefühlen, die unter diesem Namen begriffen sind, sogleich erfaßt, so würde ich mir viele Sorge haben ersparen können!

Die Mißhelligkeit, die sich zwischen uns festgesetzt hatte, wollte lange nicht verschwinden; ich fand mich eifriger, als je, im Schauspiel ein, und regelmäßig erschien auch Eugenie, doch alle Gespräche, alle Bemühungen blieben lange vergebens, selbst da ich einige Güte von ihr endlich errungen hatte, kehrte noch oft ein Zug bitterer Unzufriedenheit zurück, der mir und bisweilen auch Andern zu verstehen gab, wie sehr sie der erlittenen Kränkung, wie sie jene Neckerei nannte, eingedenk sei; allein sie litt auch wieder nicht, daß diese herbe Erinnerung in mir Wurzel faßte, unmittelbar darauf zog sie mich in ihr innerstes Vertrauen, redete leise mit mir, fragte mich um Rath, gab mir kleine Aufträge und behandelte mich in allen Stücken wie einen wohlgesinnten Freund, dessen man ganz versichert ist. Wie glücklich mir einige Abende auf diese Art vergingen, kann ich nicht aussprechen, mir schien Alles Nebensache, was diesen Stunden vorherging, ich bedurfte für den ganzen Tag keines andern Reizes, als nur der Aussicht auf den Abend. Daß sich dieses glückliche Gefühl nicht verbarg, sondern auch Andern sichtbar wurde, erfuhr ich nur allzu deutlich aus den scherzenden Fragen der klugen Therese, der meine Liebe ein Gegenstand der fröhlichsten Unterhaltung wurde, in die ich oft kühn genug einging, indem ich ihr zu beweisen suchte, daß ich nur sie und niemals Eugenien lieben könne.

Nach einiger Zeit, als ich mich gegen Eugenien beklagte, daß sie einen Abend weggeblieben sei und ich des Glückes, sie zu sehen, habe entbehren müssen, meinte sie, ich könne sie ja besuchen, und das würde wohl um so besser sein, als sie jetzt des rauhen Wetters wegen wohl öfters zu Hause bleiben müsse. Diese Einladung setzte mich in Entzücken, ich dankte ihr auf das Lebhafteste, indem ich wiederholt ihre Hand küßte; dennoch stand ich am folgenden Abend, als ich sie lange genug erwartet hatte, in unruhigem Zweifel, ob ich den geliebten Eindruck, den sie mir bisher gemacht, durch einen Besuch aufs Spiel setzen sollte. Denn, sagte ich mir, wenn die abendliche Erregung meines Bluts und die Leichtgläubigkeit meiner Einbildungskraft beim Lichterschein der Bühne mich täuschen halfen, warum soll ich das schöne Bild in der abgespannten Häuslichkeit zu verlieren wagen? Die dichterischen Marianen und Philinen haben dich schon oft zu den Töchtern Thaliens hingezogen, in der süßen Hoffnung, Das nun mit doppeltem Entzügen lebend vor dir zu sehen, was du mit unruhigem Vergnügen bisher nur gelesen hattest! Und was fand ich? Gott danken konnt 'ich noch, daß meine schwärmerischen Gedanken noch nicht über die Lippen gekommen waren und ich mich noch zur rechten Zeit ohne Scham und Auslachen zurückziehen konnte! Solche Dinge hielt ich mir vor, um mich in dem Gedanken zu stärken, daß es besser sei, nicht hinzugeh.

Ich wurde aber in meinen Selbstgesprächen gestört durch eine Thür, die sich vor mir aufmachte, daß ich ganz erschreckt in dem Hellen Lichte stand, das man mir entgegenhielt. Ich hatte, um jene Gedanken zu ver - folgen, das Schauspiel verlassen, war einige Straßen auf - und abgegangen und fand mich nun zu meinem Schrecken vor Eugeniens Wohnung, wo ich schon die Schelle gezogen hatte, ohne meine Gedanken in ihrer Richtung gehemmt zu haben. Ich verlachte im Stillen die stolze Anmaßung der Vernunft, war sehr zufrieden über die tolle Wendung, die nun doch gekommen war, und ging vergnügt die Treppe hinauf. Die Magd öffnete das Vorzimmer. Ich sah zwei holde Engelskinder vor mir spielen, das Mädchen lächelte mich mit muntern Augen an, während der Knabe schon seine Händchen an meinen Stock gelegt hatte. Mein Herz war gleich beruhigt durch die schönen Kinder. Die zweite Thür ging auf, ich hörte die günstige Antwort durch die Oeffnung, noch ehe mir sie die Anmelderin wiederholte, und trat nicht ohne geheime Beklommenheit zu Eugenien ins Zimmer.

Sie saß ruhig an einem kleinen Tisch und nähte, sie begrüßte mich anmuthig und hieß mich ihr gegenüber Platz nehmen. Ihre Umgebung war beruhigend. Alles athmete eine stille Ordnung, das Zimmer war einfach aber mit einfacher Fülle verziert. Nirgends zeigte sich herumfahrendes Flitterwerk, nirgends vernachlässigte Bühnengeräthschaft. Sie besaß was nur immer eine unmuthige Frau vergnügen kann; ein Kästchen mit ausgesuchten Kleinodien stand geöffnet auf dem Tische, die schönsten Ringe schmückten ihre Hände, die feinsten Spitzen lagen ausgebreitet auf dem Sopha, geschmackvolles Theegeräthe wurde hereingebracht, eine Fülle ausländischer Blumen prangte an den Fenstern, englische Kupferstiche hingen an der Wand, und der schönste, geschmackvollste Hausrath enthielt zugleich einen Schrank voll Bücher in den prächtigsten Bänden. In ihrem Anzug war etwas Eigenes von zierlicher Bescheidenheit, Alles saß ihr gut und genau wie es sollte, der schönste Körperbau war sichtbar und verhüllt, ein hinreißender Anblick! Nach wenigen Worten schien unser Zusammensein schon eine lange Gewohnheit, sie war überaus gütig, ja so zuvorkommend mit vertraulichen Aeußerungen, daß ich ganz wie ein alter, vieljähriger Bekannter war und mich nicht erinnere, jemals wieder ein so zufriedenes Behagen, eine so heimische Ruhe empfunden zu haben. Die Kinder kamen herein, und durch ihr vergnügtes, spielhaftes Anschmiegen erhielt unser Gespräch die munterste Bewegung, schwankend in willkommenen Störungen. Der tiefste Ernst wechselte mit kindischer Lust, und Eugenie und ich befanden uns dabei nicht schlimmer, als die Kinder, die außerordentlich zufrieden waren. Mir entfuhr dazwischen eine Redensart, die, sobald man sie mit Absicht gesprochen glaubte, einen dreisten Vorwitz auszudrücken schien; mich verdroß es ungemein, den Ausdruck gebraucht zu haben, der mir doch nie entschlüpft wäre, wenn meine Seele irgend ein Arg dabei gehabt hätte. Allein Eugenie befreite mich auf die liebenswürdigste Weise aus meiner Verlegenheit, indem sie meine Frage, die den Vater der schönen Kinder in Anregung brachte, mit der größten Gutmüthigkeit beantwortete und durch die natürlichste Offenherzigkeit in fernere Fragen erweiterte. Sie schien vor mir kein Geheimniß haben zu wollen, und ich erfuhr an diesem Abend einen großen Theil ihrer Lebensgeschichte, deren Mittheilung in ihrem Munde einen zauberischen Reiz hatte und eine Gewalt der Wahrheit offenbarte, die nur Natur sein kann, oder, wenn Kunst, die höchste und seltenste.

Ich erfuhr, daß sie von zarter Jugend an für die Bühne und auf derselben erzogen, und lange von den Launen des Zufalls herumgeworfen worden, schon ehe sich ihr Blütenalter entwickelt habe. Dann sei aber mit sichtlichem Zunehmen ihre Schönheit aufgeblüht und zu ihrem eignen Erstaunen ihre körperliche Erscheinung mit Glanz und Reiz je mehr und mehr überschüttet worden, so daß sie sich in die überraschende Anbetung und Bewerbung kaum habe finden können, wie denn auch der kümmerliche Zustand ihrer Eltern von dieser Zeit gänzlich aufgehört und sie plötzlich in ungewohnter Sorglosigkeit und Fülle sich nicht zu lassen gewußt. Ein Jahr sei ihr auf diese Weise als die glücklichste Lebenszeit vergangen, wo ihr jeder Wunsch erfüllt gewesen, wo alle Schmeichelei und aller Beifall sie nur innerlich zufrieden und nicht eitel gemacht, sondern die Erhaltung ihres Wesens liebreich befördert habe. Mit den unschuldigsten, hinreißendsten Worten schilderte sie die frohe Jugend, sie schien sie noch nicht verloren zu haben, indem sie mit solcher sanften Wehmuth den Verlust derselben beklagte. Eine schnell aufgeschossene Leidenschaft zu einem Schauspieler habe ihr das erste Leid gebracht; über die Trennung von ihm, als der besorgte Vater ihn wegzugehen gezwungen, habe sie sich schrecklich abgehärmt, doch trockne die Jugend Thränen bald, und sie sei nach einiger Zeit einem Grafen geneigt geworden, der leidenschaftlich verliebt nicht eher geruht habe, als bis er durch die Ehe zu ihrem Besitz gelangt sei. Zwei Jahre habe dieses Glück in stiller Verborgenheit gedauert, da hätte der Vater ihres Mannes das Geheimniß erfahren, sei in den fürchterlichsten Zorn ausgebrochen und habe die Ehe durch erschlichene Urtheile als ungültig getrennt; seinem Sohn sei nur unter der Bedingung die Freiheit wiedergegeben, daß er sich um seine ehemalige Frau und Kinder nie bekümmere, sondern die Sorge für dieselben seinem Vater überlasse. Sie habe, da ihr Gemahl sich so schwach gezeigt, diese Bedingung einzugehen, in Alles gewilligt, aber ihr Vater, der ein entschlossener Mann gewesen, habe mit äußerster Erbitterung gegen den Grafen einen Prozeß geführt, über dessen endlich doch schimpflichen Verlust er sich zu Tode gegrämt. Seitdem lebe sie wieder bei der Bühne, wo sie der angebotenen Unterstützung nicht bedürfe und ihr unglückliches Schicksal durch das Glück, das sie in ihren Kindern empfinde, täglich mehr vergesse. Sie küßte das Mädchen, das auf ihrem Schoße eingeschlafen war, dann sah sie mich mit einem Blicke der sanftmüthigsten Ergebung an und lächelte freundlich durch die Thränen, die ihr in die Augen gedrungen waren.

Nicht leicht hat eine Mittheilung mich so tief ergriffen, wie diese; meine Augen konnten meine Rührung nicht verbergen; die schöne Unschuld, die menschliche Wahrheit und die von solchen Stürmen doch nicht allzu erschütterte Ruhe, mit der sie so einfach als anmuthig diese Geschichte erzählt hatte, waren unwiderstehliche Zauberkräfte, denen jedes fühlende Herz hätte erliegen müssen. Ich war ihr unaussprechlich gut, niemals hatte ich solche Anmuth gesehen; ja in der höchsten Glut meiner vorigen Leidenschaft hätte ich Euge - niens Anmuth, wenn sie mir damals begegnet wäre, meiner Einsicht nach hoch über die des angebeteten Gegenstandes setzen müssen, obgleich für mein Herz ohne Wirkung!

Ich wiederholte meine Besuche nun öfters und fand mich mehr und mehr angezogen, so daß ich in Kurzem die ganze Einrichtung meiner Stunden, deren man sich in einer solchen Zeit der Lebenslust an einem solchen Orte so leicht durch Zerstreuung beraubt sieht, lediglich aus diese Abendbesuche bezog und auch abwesend alle meine Gedanken mit den Bildern von jenen erfüllte. Bald fand ich Eugenien allein, bald traf ich sie in Gesellschaft von andern Personen, die mir nicht immer gefielen, ja wohl gar oft beschwerlich wurden, allein sie schienen meist in einer Art von Untergeben - heit gegen Eugenien zu stehen, und manche, wie besonders einige ihrer Kunstgenossen, waren, wie ich gewiß wußte, hülfsbedürftig und fanden bei ihrer edlen Großmuth eine willkommene Zuflucht. Unter diesen Umständen konnte meine bessere Menschlichkeit nicht anders als den aufwallenden Unwillen und die böse Laune, die mir der Anblick solcher Umgebung unwillkürlich bereitete, geflissentlich unterdrücken wollen, und dies gelang um so mehr, als Eugeniens Heiterkeit mir inmitten dieser Leute ungleich freundlicher und ausdrücklicher entgegenkam, als wenn wir allein waren. Unsre persönliche Nähe und Vertraulichkeit wuchs seltsamerweise in eben dem Grade unter dem Zwange fremder Gegenwart, als in der Freiheit des Alleinseins die geistige Mittheilung an innerem Vertrauen und Gehalt zunahm. Dieses letztere öfter zu genießen, gab bald der günstige Umstand Gelegenheit, daß ich die Erlaubniß, ich weiß nicht, ob mehr erhielt oder nahm, länger zu verweilen als die Uebrigen, ein vielsagendes Vorrecht der Häuslichkeit, das meinem Sinn ungemein schmeichelte.

Mein glückliches Verhältniß vereinigte solchergestalt die bequeme, wohlzufriedene Behaglichkeit, zu der das Leben in spätern Jahren immer begehrender hinneigt, mit jenem feurigen Drange der Jugend, die mit rastloser Glut fortarbeitet, und deren schönes Bewegen ich mehr noch vor mir sah, als in mir fühlte. Die heitre junge Frau schien mir sehr wohlgesinnt zu sein und ohne irgend eine leidenschaftliche Regung an mir ein zärtliches Gefallen zu finden; ich meinerseits gab mich ohne Rückhalt der angenehmen Erwärmung hin, die in flammende Hitze gesteigert zu sehen mich nur erschreckt hätte. Wenn ich gegenwärtig über diesen Zustand nachdenke, so muß ich ihn ernstlich verdammen als eine arglistige Beschleichung, die von den edelsten und schönsten Gebilden der Menschheit den untergeschobenen Wechselbalg schwächlicher und matter Gefühle möchte hegen und pflegen lassen. Das langsame, müde Herz will mit seinen von der ersten tapfern That zerrüttet heimgekehrten Kräften, die dem heißen Kampfe feig entsagen, den Preis und das Glück des Siegs, ohne diesen, wenn auch nur in Scheinbildern dennoch zu gewinnen suchen, und die weichliche Empfindung bequemer Anhänglichkeit, gewohnheitsüßen Umganges, eingebildeter, dem Bedürfniß entsprechender Erfahrungsreife, stellt sich mit ihrem Alltäglichen an den Platz, wo das kräftige Herz mit unverzagter Entscheidung das Außerordentliche eines höhern Geschicks in Glück oder Unglück fordert, und seine jugendlichen Flammen mit naturfreudiger Wahrheit an diese Forderung setzt. Es ist nichts mit den zärtlichen Freundschaften, die sich alle Wärme der Gedanken und den Reiz des möglichen Gefühls erlauben, und daneben gewisse angenommene Uebereinkünfte als ursprüngliche Begrenzungen desselben setzen möchten; das Beste ist alsdann, wenn die Natur durch die Sinne ihre Freiheit zurückfordert und die Vorsätze zerstört; aber auch dann wird ein unangenehmes Zerfallen des ganzen Verhältnisses kaum zu vermeiden sein! Ich liebte Eugenien wahrhaftig nicht, aber sie gefiel mir, und mit dem, was ich übrigens war, mit meinem ganzen Geiste, mit allem Reichthum nachahmender Erinnerung schmückte ich dieses Gefallen aus; wir hätten ein Bild gemächlicher, ehelicher Liebe, die ihre Sicherheit mit jedem sittlichen Schein fester begründen will, ganz füglich darstellen können. Schon damals wurde ich in manchen Augenblicken aufmerksam, und mein Benehmen zog sich alsdann strenger zusammen, aber die unaussprechliche Anmuth, die unwiderstehliche Lieblichkeit und die einnehmende Güte der schönen Frau rissen mich immer aufs Neue in andere Kreise, wo mich bald genug ein Taumel faßte, den ich tief bereuen sollte. Mein Betragen wurde nach und nach erregter, persönlicher, in unscheinbaren, gleichgültigen Handlungen bildete sich oft ein wärmerer Antrieb ab, als gewöhnliche Empfindung solchen Dingen zu geben pflegt, und meine lebhafte Einbildungskraft veranlaßte mich bisweilen zu Aeußerungen, die nur aus höchst erregtem Herzen schienen hervorgehen zu können. Folgende Erinnerungen sind mir aus einem Gespräch geblieben, das in dieser Rücksicht bedeutend mitwirkte.

Es war spät am Abend, die Gesellschaft hatte sich entfernt, und auch die Kinder schliefen längst; Eugenie saß in stillem Nachdenken neben mir und sprach endlich von dem Schicksal einer Bekannten, die durch Liebe unglücklich geworden. Es drängte sich uns die Betrachtung auf, daß im Grunde nur so äußerst wenige Menschen von der Liebe, im höchsten Sinne, wüßten, und nach einigen näher führenden Wendungen fragte ich zutraulich, ob sie denn so lieben könne, wie eben bestimmt worden, daß Liebe sei? Ich habe mir es eingebildet, erwiderte sie lächelnd, doch seitdem ich Kinder habe, scheint es mir unmöglich, wenigstens steht eine Liebe als Leidenschaft außerhalb meines Kreises. Aber es giebt auch neben der Leidenschaft, entgegnete ich, schöne, reiche Liebesverhältnisse, und ich schilderte lebhaft die klare und verständige Vereinigung, die man mit heitrer Lebenseinsicht schließe und besonnen behaupte zu beiderseitigem Glück. Sie meinte, es bleibe nur schön und bringe nur Glück, so lange es klar sei, das daure aber selten lange. Sie fügte hinzu, ein Mann, der sie nicht liebe, könne auch nicht ihr Freund sein; denn das Wohlgefallen sei das Erste, die Achtung nur das Zweite, sie wolle sich lieber auf das Erstere verlassen, doch sei das Andre auch recht gut. So hätte ich ja eben einen recht glücklichen Ausdruck von Ihnen gehört, rief ich aus, Eugenie! wie sehr Sie mir gefallen, das haben Sie tausendmal gehört, aber jetzt lassen Sie mich noch fragen, ob ich auch Ihnen gefalle? Ich bog mich zu ihr hinüber, sie blickte auf, sah mich eine Weile gelassen an und blickte dann wieder ruhig vor sich nieder, indem sie sagte, ich miß - fiele ihr nicht. Nach einigem Weitersprechen von beiden Seiten fragte ich sie ferner, ob ich nicht auch ihre Achtung besäße? Sie erwiderte, aber diesmal ohne aufzublicken, sie glaube, ich sei derselben werth. Und so geht mir denn, fuhr ich begeistert fort, keine Eigenschaft ab, Ihr Freund zu sein? Vielleicht nicht, erwiderte sie; ich fragte rascher: warum nur vielleicht? warum nicht gewiß? Nun denn, also auch gewiß! gab sie mir zur Antwort und sah mich dabei so seltsam vergnügt und freundlich an, daß ich beinahe in Verwirrung gerieth. Ich bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen und sagte mit inniger Bewegung: Ich bin Ihr Freund, ich bin es auch ohne Ihr theilnehmendes Wollen, doch, wenn mich nicht Alles täuscht, auch bald mit diesem! Ich weiß es, welch ein Werth der Zeit gebührt, ich verkenne nicht, wie gefährlich es bleibt, sie zu übereilen: aber soll ich denn thun, als ob die Gewißheit, die ich habe, daß Sie jetzt mich anerkennen würden als Freund, wenn ich Sie schon vor einem Jahre kennen gelernt hätte, als ob das Bewußtsein, daß es so sein wird nach einem Jahre, nicht vorhanden wäre in mir? darf nicht durch diese Einsicht, die mir die schönste Entwickelung unserer schönen Bekanntschaft verspricht, die Gegenwart mit Recht der Zukunft vorgreifen? Während meiner Rede war Eugenie aufgestanden, und nachdem sie aufmerksam zugehört und in einem nachdenklichen Schweigen eine kleine Stille abgewartet hatte, sagte sie mit nachdrücklichem Ernst folgende Worte: Ich überlasse es gern Ihrem Gefühl, wie früh oder spät Sie sich meinen Freund nennen wollen, wenn Sie nur eben so freies Walten meinem Gefühl erlauben und nicht vermeinen, ich müsse eben so schnell mich für Ihre Freundin erklären; wie Ihnen das Zurückhalten, so wäre mir das Vorauseilen unangenehm und machte dadurch vielleicht unmöglich, was in der ruhigen Ordnung natürlicher Folgen wohl von selbst entstehen wird. Denn wie könnt 'ich es läugnen, daß Sie mir vor Vielen ausgezeichnet und werth erscheinen; daß ich so mit Ihnen rede, beweist es genug! Hiemit sagte sie mir freundlich gute Nacht, drückte mir die zarte Hand zum Kuß an die Lippen, und verschwand meinen sehnsüchtigen Augen, die ihr noch lange mit staunender Freude nachsahen. Niemals hatte ich einen solchen Eindruck von ihr empfangen, wie an diesem Abende, wo ihr schönes, in mildem Ernste schwebendes Gesicht von einem geistigen Hauche erhöht und erfrischt war und ihre letzten Worte die Grenze dessen, was ich ihr an lebendiger Einsicht möglich geglaubt, weit überschritten hatten.

Wenn mein Gefühl beim Nachhausegehen nicht unbedingte Bewunderung war, so lag dies bloß in dem heimlichen, tieferen und unwiderstehlichern Reize, den die flüchtige Berührung ihrer Fingerspitzen meinen Nerven mitgetheilt hatte. Die Stimme des Verlangens tönte leise in meinem Innern herauf, in hundert unwillkürlichen Bildern flogen die persönlichen Hoffnungen verstohlen durch meine Seele, die zu gleicher Zeit mit begeisterter Andacht sich die heiligen Vorsätze und edlen Entsagungen, welche eine höhere Einbildungskraft mit Stolz darbot, gern gefallen ließ. In dem Taumel erglühter Wellen, die wechselnd meine Brust erfüllten, ging ich noch lange durch die schneebedeckten, nächtlichen Straßen umher, bis mich die kältere Luft des nahenden Morgens, an den schon die Glockenschläge vom Stephansthurme herab mich vergebens gemahnt hatten, endlich nach Hause trieb, wo ich unter lieben Bildern einschlief.

Am andern Tage konnt 'ich gleichwohl nicht unterlassen, über die gespannte Stimmung zu lächeln, die mich an Jahren schon Gereiften in die Schritte früher Jugend zurückgeführt hatte, wo ich als ein glücklicher Jüngling unter träumerischen Bäumen manche Nacht hindurch schlaflos herumgewandert war. Ich gebot mir mit allem Ernste, vernünftig zu sein und Verstand und Klugheit dem unbesonnenen Uebertreiben entgegen zu stellen, dem ich so leicht unterworfen war. Allein indem ich mich dergestalt auf die strenge Vernunft beschränkt glaubte, vergönnte ich meinen verworrenen Gefühlen unter dieser beruhigenden Außenseite ein nur desto freieres und gefährlicheres Spiel, und gerade das, was ich damit hatte verbannen wollen, versteckte sich darin um so sicherer. Eugenie stand mir näher seit dieser Zeit, mein Betragen wurde inniger und meine Freundschaft beinahe zärtlich; ein warmer Hauch wehte meinem Sinn entgegen, die liebenswürdigste Anmuth bewegte sich vor ihm, kein Wunder, daß er davon ergriffen wurde. Aber gleichwohl war es nichts weniger als Liebe, was ich empfand, ich hatte so ungleich Höheres und Mächtigeres empfunden, als daß mir mein jetziges Gefühl dieses Namens würdig geschienen hätte, und doch war es eben so wenig ein bloßes Aufwallen erregter Sinne, denn es verhielt sich durchaus in den Kreisen der Seele, aber vielleicht in denen, die den Sinnen am meisten entsprechen mögen. Wie dem auch gewesen sein mag, genug, mein Betragen verrieth immer zu viel Wärme und Zudringen, als daß es nicht den Schein einer Leidenschaft hätte begründen sollen. Nur glaubte ich Eugenien vor diesem Schein hinlänglich bewahrt; meine rückhaltlosen Bekenntnisse, das zunehmende Vertrauen, mit welchem jede meiner geheimsten Regungen sich gegen sie äußerte, und die überlegte, abrechnende Besonnenheit, die sie bei den zartesten Erörterungen in meinem Geiste gewahr zu werden bekannte, hätten ihre Ansicht im Klaren erhalten und ihr Gemüth, das auch seinerseits mit großer Ruhe sich frei mittheilte, keinen Anstoß nehmen lassen sollen, wenn mein lebhafteres Ergreifen zufälliger Aeußerlichkeiten neben jener innern Besonnenheit, ohne sie zu stören, herging.

Die gute Meinung, die ich eben so überrascht als bereitwillig von Eugeniens Verstand gefaßt hatte, konnte freilich nicht in ein ruhiges Geleis kommen, sondern zeigte sich absatzweise, indem häufig neben den geistigen Aeußerungen, die meine Erwartung im Guten überstiegen, plötzlich querfeldein solche hervorsproßten, die weit unter dem waren, was man von gewöhnlichen Menschen fordern darf. Ich kann nicht sagen, welch peinliches Mißbehagen, welche aufgeregte Unruhe mich überfiel, so oft meine Bewunderung, die sich gern unaufhaltsam in dieser Richtung fortbewegt hätte, an solchen Hemmungen stockte und in irrem Zweifel nicht wußte, wohin sie sich wenden sollte. Fand sich ihr Kopf wieder etwas zurecht, so machte ihre Anmuth Alles wieder gut, und es war, als sei Nichts geschehn, aber bisweilen beharrte sie mit Eigensinn auf unwürdigen Irrthümern, die mir bei ihren übrigen Eigenschaften unbegreiflich waren. Denn sie hatte große Fähigkeit des Auffaffens und ein Gedächtniß, das desto geschickter das Gute bewahrte, je weniger ihm bisher geboten worden war; sie war aufmerksam auf jeden Unterricht und desselben eben so werth, als bedürftig.

Mir blieb nicht lange verborgen, daß Alles, was von ihr ausging, eigentlich Laune war, die auf und ab wogte und bald Dieses bald Jenes mit sich führte, das aber immer anmuthig erschien und durch seinen nichtigen Gehalt schon sehr auffallen mußte, um die Freude an der lieblichen Form zu zerstören. So war sie denn launenhaft geistreich und dabei von einer so stillen Ruhe, daß man es für einen immerwährenden Zustand halten konnte, und auf gleiche Weise erschien sie aus Laune dumm, ohne es in der That zu sein. Ich sah ein, daß dieses Schwanken und Schweben, Steigen und Fallen, Treffen und Verfehlen im Grunde ein sehr oft vorkommender Zustand sei, dessen sich die meisten Menschen jedoch vermittelst einigen empfangenen Unterrichts, der sondern und verstecken hilft, mit Glück erwehren, wobei denn aber oft mit dem Schlimmen durch leichte Verwechselung auch das Gute unterdrückt wird.

Durch diese Erklärung beruhigte ich mich zwar für mein eignes Bewußtsein hinlänglich, aber für die Andern, denen Eugenie in meiner Gegenwart bisweilen die unverzeihlichsten Blößen gab, überfiel mich jedesmal das peinlichste Schauern, die unseligste Ungeduld. Am meisten geschah dies bei Gelegenheit der Gespräche, welche die darstellende Kunst, Schauspiele und überhaupt die Bühne betrafen; das verbissene Lächeln, welches ich wohl zuweilen bemerkte, wenn sie bei Dingen, die man nur einfach gehört zu haben braucht, um nicht zu fehlen, die auffallendsten Mißgriffe that und Verwechselungen vornahm, brachte mich fast zur Verzweiflung, und es half kein Vorbeugen, kein Ablenken, womit ich ihr zu Hülfe zu kommen suchte. Zum Glück verlangten die andern Leute, meist gute Wiener, die sich in ihrer Behaglichkeit über geistige Begriffe wenig Rechenschaft zu geben pflegen, bei Weitem nicht so viel, als ich selbst, der ich lebhaftere Geistesregsamkeit, die mir als einem Reichsländer, oder, wie man in Wien sagt, als einem Reicher zu gute kam, durch mancherlei Arbeiten geschärft, und schon oft siegend dargethan hatte, daß ich Reinhold und Fichte gehört, obschon von ihren Sätzen mir nichts mehr erinnerlich war. Das gerade Gegentheil von Eugenien war in dieser Rücksicht Therese, die eine sorgfältige Erziehung genossen hatte und in dem Gebiete ihrer Kunst wie in den verwandten Kreisen der Dichtkunst und Musik schöne Einsichten besaß, denen überall ein geübter Verstand Anwendung und heiteres Leben gab. Sie wußte mit festen Gedanken die Rollen, welche sie zu spielen hatte, zu durchdringen und mit bewußter Ueberlegung die Mannichfaltigkeit als Einheit festzuhalten, wodurch denn ihr heitres, bewegliches Spiel, das im Einzelnen gern augenblicklichem Gefühl folgte, in seiner Natürlichkeit nur desto schöner wurde. Wahr ist es, Eugenie machte den größten Eindruck auf das Publicum, und wurde mit rauschendem Beifall aufgenommen, so oft sie auftrat; allein dies geschah auch dann, wenn sie die ganze Bedeutung ihrer Rolle offenbar verfehlt, Auftritte falsch genommen, Verse unrichtig hergesagt, ergreifende und wichtige Stellen untergeordnet, Zufälliges hervorgehoben und so nicht selten ein schönes Kunstwerk verzerrt, statt dessen aber freilich alle ihre Anmuth und persönliche Liebenswürdigkeit glücklich vorgetragen hatte, daß die entzückten Zuschauer Eines über dem Andern vergaßen; wie müßte erst ihre Erscheinung herrlich sein, dachte ich oft, wenn ihre Kunstgaben denen, mit welchen sie die Natur so reichlich schmückte, nicht mehr in den Weg träten, sondern sie vielmehr erhöhten!

Ich wagte es, mit ihr darüber zu sprechen, und war eben so verwundert als gerührt, sie von dem Erfolg ihrer Vorstellungen als von etwas reden zu hören, das sie verlegen mache und beschäme; ihre Bescheidenheit stand bereitwillig von dem Anspruch ab, zu welchem die Stimme des Publikums sie berechtigen konnte, und sie kam mit Aufzählung dessen, was ihr zur guten Schauspielerin fehle, so unumwunden meinen leisen Bemerkungen entgegen, daß ich ihr nicht anders als mit wahrer Verehrung zuhören konnte und die Freiheit bewunderte, die ihr sonst so befangenes Urtheil in einem Gegenstände behauptete, der gewöhnlich die meiste Befangenheit erzeugt. Dieses Benehmen war einzig sanft und liebenswürdig, ja in Rücksicht der Seltenheit solcher freien Geständnisse im Allgemeinen und in Betracht der besonderen Umstände, die diesen Fall noch mehr auszeichneten, wohl groß zu nennen; denn welche Kraft gehört nicht dazu, dasjenige, was man als ein Erstrebtes besitzt und strebend zu erhalten wünscht, was niemand anzutasten wagt, sich selber abzusprechen? Gleich mußt 'ich mir meine schwankende Meinung von ihr aufs Härteste verweisen, indem ich ihr in Gedanken Abbitte that für jedes allzu schnelle Urtheil, das ich über ihre Seeleneigenschaften früher gefällt; ich begriff nicht, wo meine Sinne gewesen sein mochten, als sie einen ungünstigen Eindruck von ihr in meine Seele gebracht, und wollte mir durchaus nicht verzeihen, solch ein Unrecht begangen zu haben. Ich war im innersten Herzen gerührt und fühlte mich gedrängt, ihr einen Ersatz, den ich als Schuld ansah, dafür zu geben und sie durch recht viel Liebes und Gutes für das, was sie unbewußt erlitten, schadlos zu halten.

In diesem Gefühl ergriff ich jede Erinnerung, die mir von ihrem angenehmen Spiel in der Seele lag, um ihr aus dem Lobe, das sich mit Wahrheit daran knüpfen ließ, einen Kranz zu winden, der sie für das Tadelhafte desto schöner trösten sollte, als ersteres von mir, dies aber nur von ihr ausgesprochen war. Die günstigen Augenblicke ihrer Darstellungen, die wirklich glücklichen Seiten ihrer Gaben wußt 'ich ihr angenehm zusammenzustellen, mein Gedächtniß versagte mir diesmal nichts, und meine Beredsamkeit lieferte ein kleines Meisterstück von Lobrede, die den erfreulichsten Eindruck hervorbrachte und doppelt wirkte durch den guten Willen, den sie, auch wenn es nur schmeichlerische Einbildung gewesen wäre, anzeigen mußte, und durch die Kraft der Wahrheit, die doch, wie nicht zu läugnen war, überall zum Grunde lag. Sie war auf eine liebreiche Art, die ihr sehr wohl anstand, dankbar für die gelungene Bemühung, ein von ihr selbst so herabgesetztes Talent wieder zu Ehren zu bringen, und sie fand leicht und schnell tausend Wege, ihr Wohlwollen empfinden zu lassen; ich wurde unaussprechlich entzückt von allem Freundlichen, das sie mir sagte, von allem Angenehmen, das sie mir erwies, und eine überströmende Fröhlichkeit bemächtigte sich meines ganzen Wesens.

Das Gespräch über die Bühne, über jeden fremden Gegenstand, konnte meiner Innigkeit nicht mehr genügen, und mein Herz drängte sich zärtlich heran, um mit seinen lebendigen Kräften jene todten Ueberlegungen zu ersetzen: ich mochte nur von dem reden, was zwischen uns obwaltete, von der Schönheit unseres Zusammenseins, von der nächsten uns betreffenden Gegenwart, von diesem Abend. Und doch war mein Gemüth so sanft und lenksam, daß es wieder leicht und gern in die verlassene Bahn zurückkehrte, als Eugenie die Gegenstände, denen sie größere Aufmerksamkeit schenkte, als unserer Neigung, nicht wollte fahren lassen. Wie rein und unbefangen ich mich der heitern Lenkung überließ, mag das bezeugen, daß ich arglos über Theresen meine wahre Gesinnung äußerte und auf Eugeniens listige, schon im voraus Schadenfreude verrathende Fragen in unverhohlenen Lobströmen antwortete, die um so unschuldiger waren, als sie nach Richtungen gingen, die mit dem Eugenien zugetheilten Lobe in keine Berührung kamen. Unglücklicherweise war ich zu sehr von meiner freudigen Empfindung hingerissen, als daß ich sogleich gewahr geworden wäre, wie meine Ergüsse aufgenommen wurden. Erst als ich ganz zu Ende gesprochen und mit so vielen Gründen Theresens Vortrefflichkeit dargethan hatte, daß ich selber nichts mehr davon umstürzen konnte, bemerkte ich die Ver - änderung, die mit Eugenien vorgegangen war. Sie war blaß geworden, ihre Augen drückten verdrießliche Langeweile aus, der Mund hatte sich in spöttischem Widerwillen verzogen, und die behende Geschäftigkeit ihrer Hände war in ein nachlässiges Spiel mit einem Hündchen verwandelt, das sie auf den Schooß genommen hatte; den Kopf ließ sie matt zurücksinken und gönnte mir kaum noch einen unfreundlichen Blick. Ums Himmelswillen, Eugenie! rief ich aus, indem ich vom Stuhl aufsprang, was ist Ihnen? noch nicht ahnend, daß ich durch mein unvorsichtiges Reden diese Veränderung angerichtet; sie war aber, als ich mich um sie bemühte und theilnehmend bewies, so kalt, so herb und kurz in ihren Antworten und so entschieden in ihrem Ablehnen meiner Theilnahme, daß sie jeden Gedanken, als sei ihr nicht wohl, entfernte und mich durch ein paar hingeworfene bittere Silben doch zu früh über den Grund ihrer heftigen Verstimmung zu meinem größten Erstaunen aufklärte. Mir schien unmöglich, daß diese Empfindlichkeit über ein gerechtes Lob mit solch harter Selbstverläugnung in Einem Gemüth vereinigt sein könnte.

Alle Vorstellungen verwirrten sich in mir, ich wußte nicht, wie mir geschehen war, und stand in staunender Verwunderung verlegen vor ihr, wie vor einem Räthsel, das mit abenteuerlichem Widerspruch den Geist betäubt. Sie sah mich stehen und kümmerte sich so wenig um mein Erstaunen, wie vorher um meine Bemühung, und streichelte gleichgültig ihren Hund, der mich wegen des plötzlichen Aufspringens noch knurrend im Auge hatte. Diese äußere und die innere Betrachtung des gewaltigen Absprunges, den mein Urtheil in so kurzer Zeit hatte machen müssen, führte mich leise durch die Lächerlichkeit meines erschrockenen Zustandes zur Besonnenheit zurück, und indem ich für den Augenblick die Sache leichter nahm und herzhafter behandelte, als mir später möglich war, suchte ich alle Quellen des Gesprächs zu eröffnen, um der tief Beleidigten versöhnende Eindrücke zuzuströmen, was mir auch endlich in so weit gelang, daß sie, nach einigen heftigen und eifersüchtigen Ausbrüchen gegen ihre Nebenbuhlerin, meinen Verstand und mein Urtheil bitter angriff und sich in höhnendem Scherz auf eine Art ausließ, die den Streit wirklich erschöpfte. Mich traf das Alles aber keineswegs tief, und ich begreife nicht, wie so mich ihr Zürnen nicht mehr ängstigte, da mir doch an ihrer Gunst so unendlich gelegen war; aber sei es nun, daß das Launenhafte zu sichtbar darin vorwaltete, oder daß die Wahrheit dessen, was ich gesagt hatte, noch zu lebendig in mir war, genug, die ganze verdrießliche Wendung ertrug ich mit ziemlich munterer Standhaftigkeit und ließ mir die Zeichen ihrer ungerechten Feindschaft viel weniger zu Herzen gehen, als nachher in der Erinnerung geschah. Sie hatte hierüber aufs Neue Verdruß, verhehlte nicht den Grund ihres Aergers, warf mir Mangel an Theilnahme und Gefühllosigkeit in eben dem Maße vor, als sie vorhin mir Befangenheit des Urtheils und schiefe Ansicht Schuld gegeben hatte, klagte über Kopfweh, sagte, sie fühle sich schläfrig, sie wisse nicht, ob sie mich morgen würde sehen können, trieb mich zum Weggehen und hielt mich gleichwohl noch eine geraume Zeit auf. Als ich sie verließ, schien sie auf dem besten Wege, sich zu beruhigen, und es kam mir vor, als sei sie weniger gegen mich aufgebracht, als überhaupt unzufrieden und verstimmt.

Ich hatte nun Zeit zu allen möglichen Betrachtungen, zu denen mich die wechselnden Erscheinungen eines so sonderbaren Gemüths aufforderten und mit denen ich einen großen Theil der Nacht beschäftigt blieb. Bald mußte ich die Kleinheit und Schwäche tadeln, welche in dieser unverständigen Eifersucht lag, bald wieder zog mich die freie Leidenschaftlichkeit an, die so gewaltsam hervorbrechen ließ, was man sonst sorgfältig zu verstecken pflegt; in dem Unverstande selbst, der sich anmaßte, mich gebieterisch zu lenken, wirkte ein geheimer Reiz, der mich tief durchdrang. Mit welchem Rechte, fragte ich, mag Eugenie sich einbilden, wie käme sie nur auf die Forderung, daß ich den Geisteszwang gehässiger Laune ertragen würde? Könnte ihr das je einfallen, wenn nicht ihr Herz den größten Antheil für mich, in seinen Tiefen so viel Gutes bewahrt fühlte, daß es ein vorausgenossener Ersatz, eine übergroße Vergeltung für jene Ungebühr dünken kann? In der That, was ist liebenswürdiger, als ein Unwille, der Ansprüche als bestimmt voraussetzt, die man früher eben sosehr wünschte als bezweifelte? War ich durch solche Gedanken bald in meinem Innern zufrieden gestellt über das, was mich bei der Sache persönlich betraf, so gewann ich nun auch leicht bei meinem Geiste, sein Mißfallen und seine Forderungen diesmal nicht so genau zu nehmen, sondern in Gottes Namen alle Thorheiten, die mir solche Gunst brächten, geschehen zu lassen! Die ganze Liebesanmuth Eugeniens trat in immer helleres Licht, und durch die seltsame Verwickelung der Bilder fand sich mein Herz durch einen Vorfall, der so manche Täuschung zu haben schien, nur mehr und mehr von ihr eingenommen.

Das Schwierigste jedoch blieb nun noch zu thun übrig: ich mußte sie versöhnen und auch in ihr die Stimmung zurückführen, deren ich mich aufs Neue erfreute; dieses schien aber desto schwerer, als die Leichtfertigkeit, mit der ich ihren Vorwürfen zugehört hatte, Alles verdorben haben konnte; um so eifriger mußt 'ich mich jetzt bezeigen, um so gerührter und reuiger, und so eilt' ich denn mit diesen Gefühlen, die mir ernst genug wurden, am folgenden Vormittage zu ihr. Sie sei ausgegangen, hieß es, und werde wohl bald wiederkommen. Daß sie also nicht unpäßlich sei und die gestrige Aufreizung keine nachtheiligen Folgen für sie gehabt, erfuhr ich dadurch wohl zu meiner Beruhigung, aber, so sehr ich mich auch deßhalb geängstigt hatte, jetzt hätte ich ihr lieber ein kleines Kopfweh gewünscht, als sie so zu verfehlen. Das Mädchen, schon gewöhnt mich als einen Hausgenossen zu betrachten, wollte mir das Zimmer öffnen, um die Rückkunft Eugeniens abzuwarten, allein meine Ungeduld ließ mich nicht ruhen, ich rannte fort und versprach in einer Stunde wiederzukommen. Ich beschloß einen Spaziergang auf der Bastei zu machen, wo die freie Aussicht nach den im Kreise herum aufgethürmten Vorstädten und die vom Lande frisch heranströmende Luft meine beklommene Brust erleichtern sollten. Die Sonne schien prächtig auf den hohen Schnee herab, der Himmel war rein, nur die Ferne schwebte in glänzenden Nebeln. Eine große Anzahl Spaziergänger eilte schon durcheinander hin und nahm mit jedem Augenblicke zu, so daß ich bei der kaiserlichen Burg, wo der Zusammenfluß am größten ist, aus dem Gedränge hinweg und einen einsamern Theil des Walles zu suchen ging.

Kaum war ich eine Strecke fortgeschritten, als ich zwei Frauenzimmer daherkommen sah und meinen Augen nicht trauen wollte, die Theresen und Eugenien in ihnen zu erkennen glaubten. Das fremdartigste Erstaunen hemmte meinen Schritt, ich blieb verwundert stehen, und indem ich noch ungewiß überlegte, ob sie es wären, wurden mir alle Zweifel benommen durch die lachende Anrede Eugeniens, der das überraschte und verlegene Wesen, womit ich sie, nachdem ich sie endlich erkannt, begrüßte, noch lange zur Belustigung diente. Therese, die von meiner innern Bewegung keinen Grund wußte, lachte mit und fragte, was denn Außerordentliches an unserm Begegnen sei? Eugenie, der in diesem Augenblick das gestrige Gespräch einfallen mochte, ward über und über roth, ein Feuer, das sich meinem Gesichte sogleich mittheilte, und Therese, die uns Beide so plötzlich erröthen sah, wurde gleichfalls roth, so daß wir seltsam genug alle Drei denselben Zustand äußerten und gewahr wurden. Ich mußte nun mit umkehren, und die vielen Menschen, die uns entgegenkamen und störten, ließen glücklicherweise kein Gespräch zu, in welchem meine Verlegenheit sich unfehlbar offenbart hätte, denn die Dinge, die ich vorgehen sah, hörten nicht auf mich zu verwirren. Ich wußte nicht, wie ich Eugeniens Munterkeit, die keinen Groll im Hintergründe zeigte, zu nehmen habe, denn ich konnte keinen Grund ersinnen, der sie heute so innig versöhnt mit Derjenigen spazieren gehen ließ, durch deren bloße Erwähnung sie noch gestern so feindselig angeregt wurde. Therese machte mir freundliche Vorwürfe, daß ich sie so lange nicht besucht und auch im Schauspiel fast gar nicht mehr zu sehn sei; sie habe geglaubt, ich sei krank oder vielleicht nicht mehr in Wien, bis ihr heute auf der Probe, von der sie eben herkämen, Eugenie gesagt, o ich sei noch gar sehr hier, denn ich habe sie gestern erst tüchtig geärgert. Das geht doch zu weit, dachte ich; also mit gutem Bewußtsein übt sie diese Freundlichkeit und hat wohl gar des Gegenstandes erwähnt, über den wir gesprochen? Ist das angelegte, weitaussehende Verstellung oder unbegreiflicher Leichtsinn? Therese fragte darauf näher, wie so mir es denn eingefallen wäre, eine so schöne Frau zu ärgern, und als meine Antworten schwankende Wendungen suchten und gerade im Gegentheil unwillkürlich die allertreffendsten fanden, wollte Eugenie gar nicht wieder aufhören zu lachen und trieb ihre ausgelassenen Tollheiten fort, bis wir vor ihrem Hause standen, wo wir uns trennen mußten. Ich verbeugte mich gegen Theresen und wollte Eugenien hinauf begleiten, sehr begierig, Aufschluß über ihr sonderbar wechselndes Betragen zu erhalten; allein sie drängte mich eiligst zurück und bestand darauf, daß ich vorher Theresen als ein artiger Herr nach Hause bringen müsse und dann wiederkommen könne, worauf sie unter vielem Lachen, indem sie auf allerlei Scherzreden zurückkam und immer noch etwas Launiges zu sagen hatte Abschied nahm.

Dieser Wankelmuth, der mit leidenschaftlichem Streben von einem Aeußersten zum andern sprang, fing an mich im Innersten zu empören, und es gehörte die verständige, anregende und sanfte Unterhaltung Theresens dazu, um mich nach und nach wieder in eine Stimmung zu versetzen, die mir möglich machen konnte, zu Eugenien zurückzukehren. Therese sprach von dieser mit großer Uebersicht, und obgleich ihr Urtheil nichts weniger als günstig war, sondern den Geist und das Herz der launenhaften Frau sehr gering anschlug, indem sie ihr die kälteste Eitelkeit und unerfreulichste Gefallsucht Schuld gab, so trug sie dieses doch mit solcher Milde und so unabsichtlich vor, daß es mein Gefühl weniger verletzte, als meinen Verstand zur Untersuchung zwang. Ich lächelte über eine Beschuldigung, die mir nur allzusehr zeigte, daß Therese meine anmuthige Freundin wohl niemals in solch glücklichen Augenblicken gesehn habe, als mir zu Theil geworden waren und für die tiefe Wahrhaftigkeit, das reine Erglühn und die stille Frömmigkeit ihrer Seele Bürgschaft leisteten, der bisher durch ihr unbegreifliches Betragen wohl widersprochen worden war, die aber doch nicht aufgehoben werden konnte. Dagegen schien Therese wieder über die Einfalt meines frommen Glaubens zu lächeln und sich über die Verblendung zu verwundern, in welcher mir Dinge als herrlich vorkommen konnten, die sie mit gesunden Augen anders ansah. Sie lachte, als ich ihr versicherte, man müsse Eugenien ganz kennen und Alles von ihr, wie ich, aus ihrem Munde wissen, um ihren Werth zu erkennen. Und was wissen Sie denn? fragte sie lebhaft; doch wohl nur, was Sie wissen sollen? Was gilt die Wette, ich erzähle Ihnen hundert Geschichten, von denen Ihnen neun und neunzig neu sind! Und nun fing sie an, mir Begebenheiten und Personen flüchtig zu bezeichnen, von denen ich eine nach der andern als mir unbekannt eingestehen mußte. Betreten stand ich vor ihr, wünschte aber nur um so eifriger etwas Näheres zu erfahren, allein Therese war meinen inständigen Bemühungen unerbittlich und versicherte, zum Versuche, meine Augen sehen zu lehren, sei es genug, sie wolle mir nicht eine Täuschung gänzlich verderben, in der ich mich wohl zu befinden schiene, denn was sie bis jetzt gesagt, würde sich gleich wieder verlieren, wenn ich der Ueberzeugung zu entfliehen Lust hätte.

Diese Aeußerungen hatten mir die Gedanken an Eugenien sehr verrückt. Ihr Bild war mir gefhärdet, jeder seiner Züge ungewiß, seine hellsten Farben verdunkelt, und in tiefstem Unmuth ging ich zu ihr zurück, um an dem Urbilde Wahrheit und Irrthum mit schärferer Aufmerksamkeit zu prüfen! Am nachdenklichsten machte mich die Behauptung, die ich aus den gegebenen Winken deutlich genug entnehmen konnte, daß Eugenie noch gegenwärtig in einem Verhältnisse stehe, das nichts weniger als schön genannt werden könne. Ich hatte in der ganzen Zeit, da ich fast täglich und zu verschiedenen Stunden ihr Haus besucht und die vertrautesten Gespräche mit ihr gehabt hatte, nicht das Geringste dieser Art bemerkt, und es schien mir unmöglich, daß sie, die mir so vieles gesagt, gerade dieses verschwiegen haben sollte, da ein solches Bekenntniß für mich, der ich stets von Freundschaft sprach und ausdrücklich Liebe ausschloß, nichts Kränkendes haben konnte.

Als ich zu ihr kam, bedurfte es all der zuvorkommenden Freundlichkeit, mit der sie mich empfing, um mein trübes und gestörtes Gemüth von dem Argwohn, den es wider Willen gefaßt hatte, abzulenken. Sie reizte meine Stimmung, die bereit war der geringsten Heftigkeit heftig zu begegnen und selbst ihre Munterkeit feindlich zu erwidern, gar nicht auf, sie war im Gegentheil sanft und gutmüthig, gelassen und nachgiebig. Es sollte an diesem Abend die Jungfrau von Orleans gegeben werden, Eugenie hatte die große, schwierige Aufgabe, zum erstenmal die Johanna zu spielen, zwar vor einem wohlwollenden, aber diesmal auch mehr als gewöhnlich gespannten Publicum. Wir sprachen mancherlei von dem Wesen dieses Gedichts, von den Eigenheiten der Hauptrolle, von dem Geiste einzelner Stellen. Ich fand Gelegenheit, Manches zu erinnern, auf Bedeutungen aufmerksam zu machen, vor Mißgriffen zu warnen, und konnte doch mit aller Bemühung nicht dahin gelangen, mich über den Erfolg dieses Abends zu beruhigen; ich wußte zu sehr wie und wo es fehlte, wo keine Aushülfe zu statten kömmt, als daß ich ohne sorgenvollen Unmuth die Zeit hätte abwarten können, wo ich die mir so liebe und werthe Frau etwas vorstellen sehen sollte, dem nach meiner Einsicht ihre Fähigkeiten nicht entsprachen. Inzwischen fand sie sich selber nicht in der geringsten Besorgniß, mit dem glücklichsten Selbstvertrauen freute sie sich der glänzenden Rolle und glaubte Alles gethan zu haben, als ihr verschiedener Anzug, sowohl für die Schäferin, als für die Heldin, endlich in Ordnung war; sie hatte nichts daran gespart und war in der That allerliebst gekleidet.

Seit langer Zeit ging ich heute wieder zum ersten - mal ins Schauspiel, wo die gedrängteste Menge schon erwartungsvoll versammelt war. Schon gleich im Vorspiel erntete Eugenie den rauschendsten Beifall, ihr Glück war für den Abend schon entschieden. Mir aber war keineswegs freudig zu Muthe, die unangenehmste Verstimmung setzte sich immer fester in mir, und ich schämte mich für Eugenien und das Publicum, die an manchen Stellen ordentlich wetteiferten, wer im Unrichtigen den Preis verdiene. Einzig diejenigen Auftritte, wo sie ein weicheres, in den untern Kreisen menschlicher Regungen erzeugtes Gefühl auszudrücken hatte, gelangen ihr vortrefflich, und so stellte sie die gewaltsame Liebesempfindung, welche der Anblick Lionel's ihr in das Herz schießt, mit unnachahmlichem Reize dar. Die Zuschauer waren außer sich vor Entzücken, und ihr Beifall stieg am Ende bis zur Wuth, die meinem Sinne höchst beschwerlich fiel. Ich fühlte ungeachtet meiner Verstimmung einen heftigen Drang, Eugenien noch zu sehn, und war vielleicht nur ungeduldig, mich an dem Anblick ihrer unmuthigen Persönlichkeit für den unbefriedigenden Kunstgenuß schadlos zu halten. Ich ging zu ihr und wurde gegen mein Erwarten noch angenommen.

Sie war schon wieder in ihren gewöhnlichen Kleidern; ermüdet und noch erregt ruhte sie auf dem Sopha und schien ungemein zufrieden und vergnügt. Diese Stimmung ging alsbald auf mich über; man konnte nicht in ihrer Nähe sein, ohne an ihr Theil zu nehmen, und fühlte sie irgend ein Behagen, so sollte man dieses mit - genießen, wie denn auch ihr Verdruß die ganze Umgebung zum Verdrusse zwang. Ich sollte fröhlich sein, es sollte mir außerordentlich gut gehen, das beabsichtigte und erreichte sie mit tausend Liebenswürdigkeiten, mit vertraulichen Scherzen, mit Schmeichelreden und Liebkosungen. Mir fielen wohl bisweilen Theresens nur allzu deutliche Winke ein, und alle meine Regungen starrten in plötzlicher Kälte; aber das anhaltende Feuer der freundlichen Augen thaute sie jedesmal bald wieder aus und erhitzte nur mehr und mehr durch den erneuerten Sieg die überwiegende Neigung, die mich unbedingt Eugeniens Macht überlieferte.

Wir hatten ein kleines Nachtessen verzehrt, der Tisch war hinausgetragen worden, und ich verließ meinen Platz, um mich neben Eugenien zu setzen, die sich bequemer und lässiger hingelegt hatte; die eine Hand stützte ihren Kopf, um welchen die schönen, langen Haare, aus ihren Schlingen gelös't, anmuthig umherflossen, die andere Hand lag ausgestreckt zu mir hin, ich durfte liebkosend damit spielen. Je weniger wir sprachen, desto bewegter wurden die innern Bilder, die das wallende Blut auf seinen beschleunigten Wogen trug, und wir sahen uns lange mit Ernst und Freundlichkeit an. Ein solcher Zustand nimmt unmerklich zu, wie Tropfen in einem Gefäß anschwellen, bis sie den Rand desselben überströmen. Durch welche Mittelstufen die Empfindung geht, welche Aeußerungen ihrem vollen Ausbruch vorangehen, bedarf keiner ausführlichen Schilderung. Genug, ich fand mich über die Grenzen meines gewöhnlichen Daseins hinausgerissen, von Urtheilen, Entschlüssen und Gewohnheiten, die den Augenblick dem Ganzen untergeordnet hatten, befreit und einer so reizenden als gefährlichen Bewußtlosigkeit hingegeben. Eugenie, welche sich den hinträumenden Bewegungen, die so mannichfaltige Thätigkeit des Geistes und des Körpers in dieses müßige Ausruhen hinausgedehnt hatte, anfangs gern überlassen wollte, wurde mehr, als sie dachte, von den strömenden Wogen bewältigt und entführt, als daß sie sogleich das zurückweichende Ufer hätte fassen können. Ein süßer Taumel ergriff uns, ich küßte ihre Lippen und drückte sie innig in meine Arme; sie schien weniger zu erwidern als nachzugeben, eine seltsame Zweifelhaftigkeit, schwebte über diesem Auftritt; doch nicht lange; nach einigen Augenblicken schon lös'te sich das zauberische Netz, worin ihre Seele gefangen zu liegen schien, und ein böser Ernst verfinsterte das eben noch so weiche, liebliche Gesicht. Sie bezeigte sich tief beleidigt durch meine Kühnheit, sie beklagte bitter, daß eine so schöne Freundschaft, als ich ihr angeboten solch häßliche Störung erleiden, so ihren besten Reiz, die sorglose Unbefangenheit verlieren solle; niemals, versicherte sie, könne sie wieder mit jenem ruhigen, heimischen Gefühl, das meinen Umgang ihr so werth gemacht, mich bei sich sehen.

Ihre Reden machten mich äußerst bestürzt, ich konnte diese Vorwürfe nicht ungerecht finden und sah ein, daß die zu große Freiheit auch in mir ein Gefühl, das ich als das höchste und reinste zu empfinden glaubte, herabstimme; jedoch selbst ihr abgewandter Ernst und ihr beleidigtes Zürnen übte noch solch unwiderstehlichen Reiz auf meine Augen, daß ich nicht aufhören konnte, sie mit Wohlgefallen zu betrachten, und nachdem ich mich vergebens bemüht, sie zu beruhigen und auszusöhnen, mit dem heitersten Eindruck sie endlich verließ; statt meines Unrechts schwebte mir ihre Anmuth, statt der bevorstehenden Kälte die warme Erinnerung vor und in dieser glücklichen Mischung von fürchtender Besorgniß und neigungsvollem Andenken an das Geschehene entstanden folgende Zeilen, die ich mit dem Frühesten abschickte:

Dir lieblichsten von allen Frauen,
Die mit der zarten Schönheit stiller Macht
Mein Herz in Flammen facht,
Mein Auge fesselt in glücksel'gem Schauen,
Dir hab 'ich mich zum treuen Freund geweihet,
Dir edler Neigung Fülle dargebracht;
In schönem Frieden, allen Harms befreiet,
Sollt' ich des holden Umgangs blühende Bahn
In süßer Pflicht und ernster Treue wandeln,
In trunkner Sinne Wahn
Die reine Glut des Herzens nie verwandeln:
Allein du selbst, der Himmelsgöttin eigen,
Heut im Triumphe deiner Zauberkunst,
Erkoren du zum höchsten Handeln
Bestimmt, zum Himmel glorreich aufzusteigen,
Unwiderstehlich kämpft der Liebe Gunst
Das stolze Herz darnieder?
Gewaltig mußt du selber zeigen,
Wie Menschliches das Göttliche bezwingt,
Dein Arm wirft Lionel zum Tode nieder,
Doch seines Blickes Pfeil dein Herz durchdringt.
Und Aller Augen sind in Thränen,
Und jede Brust von Wehmuth sanft erklingt!
Die Rückkehr nicht zu deinem hohen Sehnen
Ergreifet wie dies Eine!
Weißt du dem Bilde menschlichholder Schwächen,
Die knospend aus dem schönsten Innern brechen,
Solch übergroßen Reiz zu leihen,
Und wolltest, ungerührt nur du alleine,
Solch liebliches Vergessen nicht verzeihen?

Die Art der Frage gefiel, ich erhielt durch ein artiges Zettelchen Verzeihung und wurde eingeladen, sie bald selber abholen zu kommen. Mir schmeichelte der gute Erfolg meiner Reimkünste, und ich unterdrückte ein mißbehagliches Gefühl, welches doch mit dem Leichtsinn oder der Eitelkeit, die Eugenien von ihrer gestrigen, wie mir selbst schien, so gerechten Strenge zurückkommen ließ, nicht ganz zufrieden war. Ich ergab mich darum nicht minder lebhaft den Freuden, mit welchen ihre günstige Mähe mein Wesen erfüllte. Einige Zurückhaltung, die sie in den ersten Tagen zeigte, war nur ein Reiz mehr, die frühere Vertraulichkeit, deren Wirkungen sich lieblich genug offenbarten, und die ganze süße Gewohnheit unseres innigen Umgangs wiederherzustellen.

So vergingen einige Tage unter dem heitersten, glücklichsten Streben, und es wurde bald offenbar, daß der augenblickliche Einbruch losgelassener Leidenschaft, statt uns zu entfremden, nur näher und sicherer unsere Gemüther vereinigt hatte. Wir erklärten uns über Mancherlei, und nachdem wir uns über unser gegenseitiges Verhältniß bestimmt und schön ausgesprochen, hielten wir keine Gefahr mehr für möglich, und es erfolgten unter diesem Schutze Vergünstigungen, die friedlich nun gewährten, was jener Kühnheit, die uns in Streit gebracht, nicht eingefallen war! So kündigt wohl ein Manifest den Krieg um solcher Ursachen willen an, die durch den Friedensschluß erst recht befestigt werden!

In diesen Tagen war es, daß ein Freund, den ich sehr liebte, aber seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, durch seine unvermuthete Ankunft den Gang dieses Verhältnisses etwas unterbrach. Wir hatten in früher Jugend innigst zusammengestimmt, durch unsre Briefe war unser Einverständniß inmitten aller Trennungen erhalten und ausgebildet worden. Er war aus einer Reise nach Italien begriffen, seine Gefährten waren nach Triest vorausgeeilt, und er dachte ihnen binnen einem Monat nach Venedig zu folgen, so lange Zeit wollte er mir zum Abschied noch schenken. Anton, so hieß er, war mit den glücklichsten Anlagen und in der günstigsten Lage geboren, eine gute Erziehung hatte ihn schön entwickelt, und er war mit eben so ehrlichen als heitern Ansprüchen in das Getümmel des Lebens getreten. Er fand viele Freunde, die Gunst der Frauen zeichnete ihn vor Vielen aus, und er behauptete in jedem Umgänge eine seltene Strenge und Wahrheit. Leider gerieth er in lauter solche Liebesverhältnisse, die er vor sich selber nicht ganz rechtfertigen konnte. Sein theilnehmendes Gemüth widerstand nicht dem Unglück einer verheiratheten Frau, die ihn an sich zog als einen Retter und Helfer. Was er für sie empfand, wurde ihm bald, weil er es für unrechtlich hielt, zur Qual, und sein erstes Unrecht, das er nun behaupten mußte durch anderes, führte ihm das traurige Berhängniß zu, daß er den Gemahl seiner Geliebten im Zweikampf erschoß. Ein anderes Verhältniß mit einer italienischen Sängerin, der sein Herz fünf Jahre hindurch treu geblieben war, zerschlug sich auf eine häßliche Art; eine standesgemäße und, wie es schien, glückliche Heirath, welche seine Verwandten ihm vorbereitet hatten, verhinderte der Tod.

Durch diese Unfälle hatte sich ein trauriger Schleier über sein Leben hingezogen, er wußte nicht mehr, wie er es angreifen sollte, denn er war in seinen Forderungen irre geworden. Da sein Verstand allein Herr des Gebiets blieb, wo sein Gefühl nur Böses erfahren hatte, so war er gegen sich selbst ungemein streng, gegen die Welt nachsichtig, aber auch verschlossen geworden; es bedurfte der herzlichen Liebe, die er zu mir aus jüngern Jahren trug, um gegen mich niemals die kalte Rückhaltung auszuüben, die ihm schon zur Gewohnheit geworden war. Mein in dem Genusse der alten Freundschaft erfreutes Gemüth entbehrte jedoch ungern den Reiz des jungen Umgangs mit Eugenien, die ich in den ersten Tagen etwas zu vernachlässigen gezwungen war. Was ich meinem Freunde von ihr erzählte, nahm er zwar meiner Meinung nach viel zu kalt auf, er sollte neugieriger sein und größern Antheil nehmen, doch war er es wohl zufrieden, als ich ihm den Vorschlag machte, sie zu besuchen. Meine schriftliche Anfrage bei ihr erhielt die artigste Antwort.

Dieser erste Besuch mit Anton machte mich ganz glücklich; ich hatte Eugenien eine Zeitlang nicht gesehen, ihr Bild, glaubte ich, sei der glühendsten Einbildungskraft lebendig eingedrückt, allein wie sehr beschämte sie es! Sie dünkte mir schöner, edler, unmuthiger geworden, und ich machte seitdem oft die Erfahrung, daß die Abwesenheit mich sie jedesmal etwas vergessen machte, und das Wiedersehen immer aufzufrischen fand. Sie war äußerst gütig und zuvorkommend gegen Anton, sie schien ihm gern einzugestehen, daß sie um meinetwillen ihn gleich als einen von ihren Freunden aufnehme, und sie bezeigte mir so viele Aufmerksamkeit, Zuneigung und Vertrauen, daß ich mir zu dem mitge - brachten Zeugen Glück wünschte, der durch seine Gegenwart, weit entfernt jene Aeußerungen zu hemmen, sie im Gegentheil beförderte. Anton befand sich in dem allergrößten Wohlbehagen und entfaltete zu meiner angenehmen Ueberraschung die schönsten Gaben gesellschaftlicher Unterhaltung, ohne daß jedoch die verschlossene Kälte, deren ich früher erwähnt habe, von ihm gewichen wäre.

Es kamen nach und nach noch einige, andre Personen, unter andern auch Therese, und das Gespräch wurde lebhafter, besonders ließ sich Anton mit Theresen in mancherlei angenehme Erörterungen ein und schien durch ihren Verstand sehr angezogen. Kaum hatte Eugenie das bemerkt, als sie es sich zum angelegentlichsten Geschäft machte, ihre Gespräche zu stören, den Gegenstand zu verwechseln, andere Beziehungen unterzuschieben und durch hundert Einfälle und Anregungen aller Art, wobei sich die Kraft ihrer Anmuth glänzend offenbarte, die ganze Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich selbst zu versammeln. Mit einem entschiedenen Uebergewicht trug ihre reizende Geschäftigkeit den Sieg davon, der ihr jedoch von Theresen, die eigentlich keineswegs minder hübsch war, keinen Augenblick bestritten wurde; vielmehr gestattete Diese Jener den gewünschten Vorzug mit solch edler, freiwilliger Nachgiebigkeit, daß sie dadurch meinen Augen ein anderes Uebergewicht offenbarte, nämlich das eines erhabenen Geistes, der über das Kleine hinweg ist und seine würdige Herr - schaft nur in großartiger Ruhe sucht. Mein Freund wollte jedoch nicht sogleich der willkürlichen Laune Eugeniens gehorchen, sondern setzte zwischen Lachen und Störung aller Art noch eine Weile seine Unterhaltung mit Theresen fort, indem ich nicht ohne einige Verlegenheit seinen Trotz zu mäßigen suchte. Allein, da Therese selbst, indem sie sich zurückzog, ihn mehr und mehr Eugenien überlieferte, so blieb er endlich in deren Händen zurück und konnte bei dem Eifer, mit dem sie es sich angelegen sein ließ, ihn zu vergnügen, wohl nicht lange sein Schicksal beklagenswerth finden.

Ich, der ich jetzt eine Weile ziemlich unbeachtet blieb, näherte mich Theresen mit unbefangener Anerkennung, und ihre ernsthafte Freundlichkeit, ihre milde Einsicht berührten mich äußerst wohlthätig, allein im Grunde wollte ich doch etwas Anderes und war doch keineswegs durch mein Urtheil befriedigt, denn diese Hochachtung, die ich in mir fühlte, sollte mir eigentlich nur für die kleine Kränkung, die mir Eugenie durch ihr Unbeachten jetzt zufügte, Ersatz schaffen.

Wir gingen spät auseinander. Anton begann sogleich, als wir allein waren, eine schöne Lobrede auf Theresen. Nein, rief er aus, was diese Frau für große Eigenschaften hat, das glaubt man nicht! welche Fähigkeiten hat die in ihrem Geiste, welche Eigenthümlichkeit in ihrem Empfinden! und so fuhr er fort mir manches Einzelne anzuführen, was ihn aus ihrem Munde überrascht und in ihrem Betragen erfreut hatte. Mir war das Alles ganz recht, ich konnte nicht umhin einzustimmen. Doch bracht 'ich zuletzt ungeduldig die Rede auf Eugenien; er antwortete nach einigem Besinnen ziemlich kalt, sie sei einnehmend, ja sehr lieblich, doch müsse er beklagen, daß er mehr einsehe, wie sie dies für Andre sein müsse, als es selbst unmittelbar zu empfinden vermöge, um so mehr, setzte er hinzu, als die Unwahrheit ihres ganzen Wesens und ihr ärmliches Heucheln mir niemals die Täuschung erlauben, als dürste ich hier Liebe erwarten. Ich erschrak heftig über die unerwartete, harte Anklage. Ich muß gestehen, äußerte ich mit feindseliger Gleichgültigkeit, daß der Grad des Scharfsinns, den du dir zuzutrauen scheinst, mir etwas zu hoch dünkt, als daß ich ihn nicht gegenwärtig ein wenig bezweifeln sollte; du siehst Eugenien zum erstenmal, einige wenige Stunden, und schon ist Alles ausgemacht, das Verdammungsurtheil fertig, der Stab über sie gebrochen! Das Verdammungsurtheil? fuhr mein Freund verwundert auf, das hast du ja selber schon gegen mich ausgesprochen; oder was hast du mir denn von ihr gesagt, das nicht mein Urtheil vorbereitet hätte? Ich? schrie ich auf, indem ich ihn losließ. Freilich, erwiderte er; oder erinnerst du dich nicht mehr, wie du meine Nachsicht für sie im voraus in Anspruch nahmst, mir sagtest, sie sei unverständig, launenhaft, wetterwendisch, die Wahrheit breche sich an ihrem Eigensinn, sie wehre die Ueberzeugung von sich ab, und dergleichen mehr, dessen auch heute genug sichtbar war? Du hast vielleicht geglaubt, dies Alles nur als Zweige ihrer Liebenswürdigkeit vorzustellen; allerdings ist sie sehr artig und von reizender Anmuth, das habe ich ja auch bestätigt, aber mir scheint, du hast ihre Fehler, und wahrlich große Fehler, in ihre Vollkommenheit flüchten wollen, das geht denn freilich Wohl nicht! Ich konnte mich nicht zufrieden geben, daß ich selbst diese schreckliche Meinung in ihm erzeugt haben und, was noch ärger war, unbewußt in meinem eignen Herzen verrätherisch genährt haben sollte, und doch konnte mein bewegtes Gemüth sich der eindringenden Schauder einer verborgenen Wahrheit nicht ganz erwehren.

Meine Neigung zu Eugenien war jedoch schon zu gewaltig, als daß sie nicht am Ende doch alle Schuld auf den Freund gewälzt und wegen des unseligen Verdrusses und der peinlichen Verstimmung sich ganz an ihn gehalten, ihn angeklagt hätte. Je mehr ich an Eugenien dachte, je mehr ich ihr Betragen mir zurückrief, ihre Aeußerung überlegte, desto mehr verschwand mir die Möglichkeit, den Tadel, den Anton ausgesprochen hatte, an ihr wahrzunehmen. Ich suchte vergebens zu ergründen, was ihn oder mich zu solchem Irrthum verleiten könnte, der doch einen von uns nothwendig befangen mußte; doch eigentlich war ich mit großer Selbstzufriedenheit überzeugt, daß ich gewiß davon frei sei; darin mußte mich übrigens sein Nachgeben bald bestärken, das nach Maßgabe meiner Hart - näckigkeit zunahm und mir die Frucht der siegenden Berichtigung zu sein schien, da es doch nur aus Ueberdruß und Gleichgültigkeit geschah und weil er einsah, wie sehr es mir darum zu thun war. Wenn ich dir erzählte, dachte ich bei mir selbst, was Alles ich von ihr weiß! wenn ich dir es sagen dürfte, sagen könnte! Aber es wäre ja ein Verrath, wenn ich die schönsten Heimlichkeiten ihrer Seele dem Schlechtgesinnten mittheilte! Nein, selbst um den Preis, dich ganz für sie zu gewinnen, soll es nicht geschehen! Ich hielt Wort, und ungeachtet Anton, der jeden neuen Menschen als eine, zu lösende Aufgabe betrachtete, mich oft über Eugenien näher befragte, so erfuhr er doch Nichts mehr durch mich. Eine warme Theilnahme hätte mich zu jedem Vertrauen gebracht, seiner kalten Neugier blieb ich verschlossen!

Ungeachtet der zahlreichen Zerstreuungen, welche die große Stadt Anton darbot, und der freundschaftlichen Ansprüche, die man von allen Seiten an ihn machte, wußte er seine Zeit doch meistens so einzurichten, daß er einen Theil des Abends mit mir bei Eugenien zubrachte und, wenn er anderswo festgehalten war, noch spät mich wenigstens abzuholen kam. Sie fuhr fort, sehr gütig gegen ihn zu sein, und verhehlte mir nicht, was sie zuweilen sogar ihn selbst merken ließ, daß es vorzüglich meinetwegen geschah. Da er eben so heiter und vergnügt war, als geschickt die Andern zu vergnügen, wozu seine vielen Erfahrungen, Kenntnisse und Gesichts - punkte, deren Darstellung immer etwas Neues und Anziehendes hatte, ein unerschöpflicher Schatz waren, und er überdies in Gesellschaft stets guten Willen hatte, so war uns seine Gegenwart höchst willkommen und wir brachten die angenehmsten Stunden mit ihm zu. Er fand sich bald wie zu Hause, erzählte und scherzte, spielte mit den Kindern, überließ sich dem glücklichsten Wohlbehagen, und Alles wurde ihm bei Eugenien so bequem, Jedes dünkte ihm so hübsch und angenehm, daß er nirgends lieber war, hier das Ziel seiner unstäten Wanderungen nahm und die glückliche Verborgenheit dieses Schutzortes unaufhörlich pries. Dabei hörte er nicht auf, Theresen mir bei jeder Gelegenheit zu loben und dagegen Eugenien herabzusetzen, die er eine liebenswürdige Lügnerin nannte, ein kleines Ungethüm, vor dessen Tücken man sich in Acht nehmen müsse. Ich lächelte über die Reden, die mir um so geringern Eindruck machten, als seine Handlungen ja offenbar das Gegentheil davon zeigten.

Neue Veranlassung mich zu quälen gaben ihm jedoch die abwechselnden Launen, welche Eugenie, vorzüglich gegen mich, von Zeit zu Zeit annahm, und die so seltsam Anziehn und Abstoßen vereinigten, daß ich in den peinlichsten Zustand dadurch gerieth, ohne zu wissen, woran ich eigentlich sei. Sie schien oft Gunstbezeigungen von sehr ausdrücklicher Art nur in der Absicht an mich zu verschwenden, um die gleichgiltige Kälte, die darauf nachfolgte, desto merklicher zu machen. Meine heißesten Versicherungen einer unbegrenzten Verehrung, einer innigen Zuneigung dienten ihr bald zum Spott, bald zürnte sie beleidigt, daß ich dieselben nicht feierlichst wiederholte. Mein Freund wollte diese Mißhandlung nicht zugeben, ich aber ließ sie mir still gefallen und fand einen unwiderstehlichen Reiz, eine stets erneuerte Anmuth in diesen Ausbrüchen unverständiger Herrschsucht, die mir mit dem Wahn schmeichelten, sie liebe mich und ihre Ungeduld äußere sich zürnend auf diese Art, daß ich das Wort noch nicht auf ihre Lippen gerufen, sondern zu hören wie zu sagen vermieden habe. Es konnte nicht an leidenschaftlichen Auftritten fehlen, ich suchte nicht immer glücklich der Gelegenheit zu entgehn; ihre Vorwürfe über meinen Mißmuth, meine Gleichgültigkeit, meinen Unbestand, lauter Dinge, die in mir nur entstanden aus dem Schmerze, sie in ihrem Betragen gegen mich so wandelbar zu sehen, brachten mich oft zur Verzweiflung, welcher ihre Thränen gewöhnlich durch wehmühige Rührung und daraus erfolgende Aussöhnung ein Ende machten.

Die schönen Zwischenzeiten freudiger Theilnahme und verständigen Vertrauens gewannen ihr immer die Macht zehnfach wieder, von welcher mein Herz im Unwillen sich losgesagt hatte. Daß ich ihre Verkehrtheit, außerdem daß sie an sich mir in jeder einzelnen Regung noch liebenswürdig erschien, auch noch für ein günstiges Zeichen nahm, war um so eher zu entschuldigen, weil ich nur auf mich allein und niemals gegen Anton, noch sonst Jemanden dieses sonderbare Wesen gerichtet sah. Zur besondern Qual gereichte mir noch, daß mein Freund, den sie von unsern Zwistigkeiten mit großer Entstellung der Thatsachen unterrichtete, oft von ihr aufgefordert wurde, zwischen uns zu entscheiden, oder uns zu vermitteln, und er dann mit galanter Weisheit vor ihren Augen mir mein Unrecht vorhielt, zu Hause aber, oder schon auf dem Wege dahin, mich mit Vorwürfen überhäufte über meine Nachgiebigkeit und hell und klar zu überzeugen trachtete, wie nichtig und unwahr Alles in dieser Frau sei. Was sollte ich ihr nun erwidern, wenn sie gegen mich den Beifall Anton's triumphirend anführte und mich mit seinem Ansehn bestritt, das ich in seiner Wahrheit, wo es für mich gesprochen hätte, nie darstellen durfte, ohne sie aufs Aeußerste zu beleidigen? Und er lächelte scherzend über meine ängstlichen Verlegenheiten, ohne jemals weder gegen mich sein warnendes Abmahnen, noch gegen Eugenien sein gefälliges Nachgeben einzustellen; ihre muntre Lebhaftigkeit und die thätige Laune, mit der sie immer Neues anregte, gaben ihm ein beständiges Schauspiel, das ihn unterhielt, und das ganze Zusammensein, die Art der Gespräche, die Einrichtung, der Ort, Alles war ihm ganz zusagend und bequem.

Theresen, deren nähere Bekanntschaft er eifrig gesucht hatte, vernachlässigte er mehr und mehr, obgleich er, so oft nur ihr Name genannt wurde, ernsthaft und feierlich mit immer zartern Ausdrücken ihre Vortreff - lichkeit pries und versicherte, daß er nie aufhören könne, sie mit tiefster Hochachtung zu verehren, weil er selten ihres Gleichen gefunden. Hätte ich doch auf gleiche Weise mit besonnener Kraft die Wahrheit im Innern festgehalten und der Täuschung mich äußerlich hingeben können! Anton ließ sein Urtheil durch keine Annehmlichkeit irre machen, aber eben so wenig brauchte er einer reizenden Hinneigung zu entsagen, weil sie nur Das und nichts Tieferes war. Einzeln werden die Güter des Lebens dargeboten, sagte er oft, einzeln wollen sie genommen sein; wer sie verschmäht, um sie als ein Ganzes abzuwarten, der wird Alles versäumen; nimm doch jedes noch so geringe Gut dankbar an, kein Augenblick geht verloren, als den man verschmäht; sieh nur, ich richte mich nach der Zeit, mir ist eine außerordentliche Anmuth erschienen, eine überglückliche Behaglichkeit, und ich will mich ihr mit Freuden überlassen, ohne daß ich nöthig hätte, dies durch Täuschung und Wahn höher zu stellen, als es ist und sein soll!

Sonderbar jedoch, ich konnte ungeachtet dieser deutlichen Erklärung sein Betragen nicht einsehen; die Widersprüche seines Urtheils und Gefallens waren zu auffallend, als daß ich nicht andere Erklärungen derselben gesucht hätte, als die er selbst angab. Es konnte mir wohl manchmal vorkommen, als bewerbe er sich aus derselben Absicht um die Gunst der schönen Frau, aus welcher er mich von ihr zu entfernen trachtete. Ich wurde eifersüchtig und litt in den neuen Qualen, die ich mir bereitete, um so mehr, als es mir nicht immer gelang, die Störungen, die ich in meinem Innern fühlte, zu verbergen. Dadurch wurde mancher Verdruß, mancher Zwist, manche gespannte Entfremdung veranlaßt und durch die glücklichsten Augenblicke, selbst durch ausdrückliche Versöhnung, selten vollkommen ausgeglichen.

Eines Tages jedoch, da ich diesen ungewissen Zustand nicht länger ertragen mochte und Eugenien glücklicherweise allein fand, eröffnete ich ihr mein ganzes Herz, meine Wünsche, wie meine Zweifel, ja ich erklärte mich bereit, ihr meine Hand anzubieten, falls ich hoffen dürfe, sie dadurch glücklich zu sehen. Es erfolgte ein langer, heftiger Auftritt. Sie machte mir herbe Vorwürfe über meine Eifersucht, über den beleidigenden Verdacht einer Falschheit, die ihr die abscheulichste von der Welt dünke. Ich liebe Sie zu sehr, rief sie aus, um es Ihnen jetzt, wie ich vielleicht sollte, zu läugnen, daß ich Sie liebe! Was Ihre Frage betrifft, ob frühere Verhältnisse mich vielleicht noch binden, oder sonst ein lästiger Zwang meine Freiheit beschränke, so kann ich Ihnen nur sagen, daß die höchsten Betheurungen und Schwüre Sie nicht besser überzeugen sollten, als Ihre eigne Erfahrung, Ihre offenen Augen, denen ja nichts entgehn kann, was mich betrifft und in meine Nähe kommt. Ihr schönes Gesicht glühte von edler Nöthe, ihr Auge sprach zürnende Liebe, ihr ganzes Wesen war bewegt, es war ein himmlischer Anblick! Doch hielt ich noch mein ungeduldiges Gefühl, das mich zu ihren Füßen niederwerfen wollte, zurück und fragte nochmals: Eugenie, dieser Augenblick ist entscheidend, es muß auch das Letzte noch heraus, das in mir nagt und wühlt, noch diese Frage erlaube mir: bist du wirklich in keiner Verbindung, die du mir verhehlst? Besinne dich wohl, ehe du dich zur Lüge entschließest! Bedenke, ob du mir nicht Alles sagen kannst, ob ich nicht dein Freund bin mehr noch als dein Geliebter! Sei aufrichtig und meiner Theilnahme, meiner Hülfe in jedem Fall versichert; mir kannst du Alles sagen! Sie sah mich erstaunt an, dann ließ sie einiges Mißvergnügen blicken und betheuerte wiederholt die reine Unschuld ihres Herzens; die Stille und Eingezogenheit, sagte sie, in der ich lebe, das Offenbare aller meiner Stunden, meines Umgangs, Ihre eigne Anschauung selbst kann mich also auch nicht bei Ihnen gegen solche Verleumdungen schützen? O gewiß, wenn Sie noch zweifeln, so giebt es keine Sonnenklarheit für Sie, und alle Mittel, Sie zu überzeugen, sind vergebens! Es braucht deren auch nicht mehr, rief ich aus, ich glaube an dich mit unerschütterlicher Festigkeit. Eugenie! ich bin ja als der glücklichste Mensch hier zu deinen Füßen!

Wie könnte ich beschreiben, in welchem Taumel trunkener Gedanken ich endlich sie verließ, in welcher Fülle wonniger Empfindungen ich meinen Freund aufzusuchen eilte! Das Bild ihres Liebreizes schwebte unaufhörlich vor mir und erhellte jede trübe Gestalt meines frühern Lebens, ich glaubte eine schönere, tiefere Liebe zu empfinden, als jene entsetzliche Leidenschaft gewesen war, die mit Heftigkeit in mir gewüthet hatte, ohne mich zu beglücken. Anton war lange nicht zu finden, endlich hörte ich, er sei bei einem großen Mitagessen im Prater, und fuhr eilig dorthin.

Eine zahlreiche Gesellschaft von lauter Herren war fröhlich versammelt und feierte den Namenstag eines ihrer Mitglieder. Viele meiner Bekannten riefen mich sogleich an, ich wurde mit lautem Beifall bewillkommt und zum Niedersetzen gezwungen, ehe ich mich noch nach Anton umgesehn hatte; er saß am andern Ende des Tisches und winkte mir vergnügt zu. Der rauschende Lärm machte jeden Gedanken an vertrauliche Mittheilung unmöglich. Ich mußte wider Willen an dem Feste Theil nehmen, man zwang mir Gesundheiten auf, es wurde ein schallendes Lebehoch nach dem andern ausgebracht, es galt der Armee, dem tapfern Erzherzoge, und solch aus dem Herzen dringenden Ruf hätte ich nicht mögen vorbeigehn lassen, ohne Bescheid zu thun, selbst wenn es schicklich gewesen wäre. Der Wein, der ans diese Weise nicht gespart wurde, erregte uns immer mehr, und wie es zu geschehen pflegt, wenn junge Leute ohne irgend einen Zwang zu empfinden versammelt sind, man fing an auf ziemlich freie Weise von seinen Abenteuern und Liebschaften zu sprechen, wobei Jeder sein Glück und sein Unglück rücksichtslos offenbarte.

Ich hatte eine Weile ohne sonderliches Vergnügen diesen meist gemeinen Erzählungen zugehört, als ein junger Uhlanenoffizier, der durch sein hübsches Aussehn wie durch seine geistreichere Munterkeit meinen Antheil schon mehrmals erweckt hatte, in einer beißenden Spottrede neben den bekanntesten Namen leichtfertiger Mädchen auch den Namen Eugeniens nannte und die Zuhörer zu dem beifälligsten Lächeln erregte. Es war nicht anders, als wenn ein Todespfeil plötzlich meinen Sinn durchbohrte, als ich den theuren Namen in dieser entsetzlichen Verbindung erschallen hörte, ich glaubte noch, es sei unmöglich, als ich schon einer Ohnmacht nahe war, denn die Leichenblässe, mit der ich mich erhob, erschreckte meine Nachbarn dergestalt, daß sie mit aufsprangen, in der Meinung, ich würde sogleich hinstürzen. Ich aber nahm alle meine Kräfte zusammen, schoß tödtliche Blicke auf den Uhlanen, der sich auch ängstlich herbeigedrängt hatte, und sagte mit bebenden Lippen, für diese schändliche Verleumdung wolle ich ihn zur Rechenschaft ziehen und Jeden, der es wagen würde, die Ehre einer Frau anzutasten, für deren Freund ich mich bekennte und der man, ohne die niederträchtigste Lüge zu begehen, nichts Böses nachsagen könne. Als ich dies gesagt, entstand eine allgemeine Verwunderung, man suchte mich zu beruhigen, und der Uhlane blickte mich mehr mit besorgter Neugier als mit Zorn an, ich sah, wie er ruhig lächelnd auf die Fragen, mit denen man ihn bestürmte, leise antwortete. Dann bat er mich, ihm in ein Seitenzimmer zu folgen, und sprach folgendermaßen: Hätte ich gewußt, wie nahen Antheil Sie an Eugenien nehmen, so hätte ich den Namen wahrlich nicht genannt; allein ich muß Ihnen bekennen, daß mich Ihr Betragen befremdet: wenn Sie eine Liebschaft mit der Frau haben, so werden Sie ja am besten wissen, daß sie keine Heilige ist; und wer sich mit Solchen einläßt, muß sich auch ihren Ruf gefallen lassen. Und wenn der Ruf wirklich so wäre, fuhr ich auf, wie dürfen Sie solch unwahres Gerede fortsetzen und verbreiten? Was ich darf, versetzte er gelassen, das wollen wir besonders besprechen, hier aber trifft es sich zufällig, daß ich Ihnen außer jener noch eine andere Antwort geben kann, die Ihnen in der That unerwartet genug sein wird; wissen Sie denn, daß ich Eugenien genau kenne, so genau wie nur immer ein begünstigter Liebhaber seine Geliebte kennen kann, daß ich sie aber gering schätzen muß, weil sie mich eben so betrogen hat, wie sie durch mich den Baron Lauenstädt betrog, der sie unterhält und Hahnrei genug ist, in Ungarn, wo er jetzt eine Reise macht, so fest auf ihre Treue zu bauen, als er ihr ungetreu ist. So wäre es denn doch wahr! rief ich betäubt aus, so hätte sie mich dennoch schändlich hintergangen! Mein Ehrenwort, erwiderte er ernsthaft, bürgt Ihnen für die Wahrheit dessen, was ich gesagt! Ich war außer mir, die Hände zusammenschlagend ging ich im Zimmer auf und ab, indem ich von Zeit zu Zeit nur einzelne Laute auszustoßen vermochte.

Anton, der indessen mit dem Uhlanenoffizier gesprochen hatte, trat jetzt an meine Seite, und sagte, wir wollten nach Hause fahren. Ich war es gern zufrieden und folgte ihm nach einem flüchtigen Abschied, den ich von der Gesellschaft nahm, zu dem Wagen. Als wir auf den Platz traten, wo die Kutscher standen und warteten, grüßte mich einer derselben ganz vertraulich und ries mich um ein Trinkgeld an, ich aber sagte verdrießlich zu Anton: Was will der Kerl von mir, ich kenne ihn nicht! O, versetzte der Kutscher behaglich, ich kenne den Herrn sehr wohl, ich habe Sie ja einmal Abends mit Madam Braun nach Hause gefahren. Eugeniens Name fiel mir aufs Herz, ich stand still und fragte, wann und wo das geschehen wäre? Es ergab sich, daß dies derselbe Kutscher war, der an jenem ersten Abend, als ich Eugenien aus dem Schauspiel in das Gedränge gebracht halte, seinen Wagen mit auffallender Bereitwilligkeit meiner Verfügung überlassen hatte. Ich habe Madam oft genug so gut wie meinen Herrn gefahren, sagte er, und ihr Haus kenne ich wie meines, aber mein Herr, der hatte den Tag warten müssen, und machte einen schönen Lärm. Mir klärte sich Alles auf. Bei wem dienst du? fragte ich hastig. Beim Baron Lauenstädt, sagte der Kutscher, aber heute fahre ich seinen Bruder, denn er selbst ist die ganze Zeit verreis't gewesen und soll erst morgen wiederkommen. Ich drückte ihm eiligst einige Zettel in die Hand und warf mich mit Anton in den Wagen, der uns nach der Stadt zurückfuhr.

Ich hatte genug gehört, um keinem Zweifel mehr Raum geben zu können; die Wahrheit drang von allen Seiten einstimmig auf mein angegriffenes Gemüth ein, Anton, dem ich unterwegs Alles erzählte und aufklärte, die bezaubernden Blendwerke des Vormittags und die jetzigen Lichtstrahlen der Wahrheit, suchte mich zu trösten und schlug den besten Weg dazu ein, indem er mir Alles mittheilte, was auch er über Eugenien Mißfälliges gehört hatte. Mit der Einsicht in die Lüge, welche sie gespielt, war mir all ihr Reiz verschwunden; nun ihr Inneres mir keine Wahrheit mehr bot, erschien mir ihre äußere Anmuth, ihre schöne Gestalt, ihr liebliches Gesicht, Alles erlogen; wie man Blätter von einem Zweige rein abstreift, so war jedes Wohlgefallen von ihrem Andenken herabgerissen; die Lüge hatte allein sie liebenswerth machen können, von dieser befreit sah mein Auge nun fürder nichts, als ein beschränktes, gewöhnliches Weib, das noch obenein zu ungeschickt im Lügen war, um den so erworbenen Fang zu behaupten. Ich begriff nicht, wie ich ihre verrückten Launen, ihre lächerlichen Widersprüche so lange hatte ertragen, als etwas Bedeutendes zum Gegenstände eines sorgfältigen Nachdenkens hatte wählen können. Ich erneuerte unaufhörlich die Ueberlegung, wie es möglich gewesen war, mich selbst so lange, bis zu diesem Grade, zu täuschen. Mich schmerzte schon nicht mehr ihr Verlust, mich schmerzte nur noch die Beschämung, die ich erfahren hatte und die noch so ernste Folgen nach sich ziehen sollte. Ich wollte gar nichts mehr mit ihr zu thun haben und wies den Vorschlag weit von mir weg, den mir Anton machte, noch diesen Abend sie zu besuchen, sie alle ihre Versicherungen wiederholen zu lassen und dann auf frischer That zu entlarven. Ich wollte keine Rache, keine Beschämung, mir lag nichts daran, sie vor mir in Verwirrung zu sehen, es sollte rein aus mit uns sein und mir gleich sein, ob und wie sie meine veränderte Gesinnung erführe und auslegte. Da Anton mich so entschlossen sah, wünschte er mir freudig Glück, meinen Geist so klar, mein Herz so frei zu sehen; die Besinnung, meinte er, sei versäumte Besonnenheit und mache oft leicht wieder gut, was man aus Mangel an jener gefehlt. Freue dich denn dieses Guts, fuhr er fort, das den Leichtsinnigen aus manchem Ungemach, welches er zu meiden nicht vermochte, am Ende noch herauszieht! Ich aber bin gesonnen und habe nichts zu befürchten, wo ich klar sehe; sei daher nicht befremdet, daß ich den Umgang mit Eugenien fortsetzen und sie auch heute Abend besuchen will; mich hat sie nicht betrogen, denn gerade so, wie sie sich nachher zeigen kann, habe ich sie vorher schon gesehen, und ich kann ihr persönlich keinen Vorwurf machen; sie gefällt mir, und es gefällt einem so wenig auf der Welt, daß man dies Wenige nicht fahren lassen darf. Ich konnte den Gründen meines Freundes nichts entgegensetzen; wie er die Sache nahm, hatte er durchaus Recht, und wenn sein Betragen seltsam scheinen mußte, so lag dies in der Seltenheit einer solch unbefangenen, geraden und jeder unnöthigen Ziererei fremden Handlungsweise.

Wir trennten uns und sahen uns von nun an selten Abends, denn diese Zeit widmete er ganz Eugenien, mit welcher er sehr zufrieden war, obgleich sie auch ihn, wie ich späterhin erfuhr, auf alle Weise hinterging; er wußte es aber immer sogleich und sah seiner Meinung nach bloß einem Lustspiele zu, das man zu seinem Vergnügen aufführte. Er versöhnte mich noch zuletzt mit dem Uhlanenoffizier, indem er uns Beiden vorstellte, daß ein Wahn, nachdem er eingesehen worden und in aller Beziehung aufhöre, nicht in der einen Beziehung noch abgesondert wirksam bleiben dürfe, und wie schön auch ein Kampf über die Tugend einer Frau sein möge, so werde er doch höchst lächerlich, sobald beide Kämpfer von ihrer Untugend überzeugt wären.

Die Zeit des Faschings war ziemlich verstrichen; für mich hatten alle Lustbarkeiten desselben ohnehin wenig Reiz, und jetzt, da ich ihrer um einer unseligen Täuschung willen vergessen hatte, blieb für meinen Aufenthalt in Wien nichts übrig, was mich nur hätte anziehen, geschweige denn für die erlittene Trennung von einer Geliebten und zum Theil auch von einem Freunde hätte entschädigen können. Meine Gedanken richteten sich jetzt einzig auf die großen Weltbegebenheiten, deren Vorbereitung immer ernsthafter wurde und den letzten Tagen der Freude einen schauerlichen Reiz dadurch gab, daß Mancher, der jetzt fröhlich Theil nahm, einem Verhängniß entgegenging, das in der gewöhnlichen Ordnung der Natur ihn noch nicht ereilt haben würde. Der bevorstehende große Kampf, in welchem Oesterreichs Geschick ernster als je auf viele Jahre sollte entschieden werden, rief jedes treue Herz zu den Waffen, und eine hohe Begeisterung beseelte die tapfern Schaaren des geprüften Heeres wie den jungen Muth der neuen Landwehr; jeder Bewohner des glücklichen Landes wollte auch ein Vertheidiger desselben sein; schon strömten Deutsche aus allen Kreisen herzu, um unter den glorreichen Fahnen des Fürsten, der einst ihr Kaiser gewesen, die allgemeine Freiheit zu verfechten! Eine höhere Anstellung rief mich von meinem Regimente nach Prag, wohin ich eiligst abreisen mußte.

Alle meine Einrichtungen waren getroffen, den andern Morgen sollte ich nicht mehr in Wien sein, ich hatte schon früh herzlichen Abschied von Anton genommen, und da dieser bei Eugenien versagt und ich dadurch für den Abend allein war, so beschloß ich die Zeit im Schauspiel zuzubringen, wo ich noch Theresen zu finden hoffte, welche meine letzten wiederholten Besuche nicht angenommen hatte. Sie war in der Loge ganz allein; als ich ihr meine morgende Abreise ankündigte, konnte sie einige Bestürzung nicht ganz verbergen, und bestimmt von ihrer Theilnahme erzählte ich ihr den Ausgang des Verhältnisses mit Eugenien. Ihre Aufmerksamkeit war höchst gespannt, der wunderbare Zufall, daß ich gerade an jenem Abend den unglücklichen Kutscher wiederfinden mußte, durch den ich schon im ersten Augenblick hätte Alles erfahren können, machte sie nachdenklich, und endlich fragte sie, ob es mir denn lieb gewesen wäre, gleich anfangs Alles zu erfahren, oder ob ich nicht doch die glückliche Täuschung, die dann unmöglich geworden wäre, vorzöge? Ich aber versicherte, daß die Wahrheit mir um keinen Preis zu theuer sei und ich den Verlust meines Wahnes schon gar nicht mehr auf die wirkliche Eugenie, die mich nie glücklich gemacht, beziehen könne. Wir sprachen noch mancherlei über die plötzliche Auflösung der Geschichte, über das seltsame Betragen Anton's und den eben so lügenhaften als verführerischen Reiz Eugeniens. Ach, wie hätte Die glücklich sein können! rief Therese mit einmal vor sich hin, ohne gerade zu wollen, daß ich es hörte. Wie so? fragte ich, Sie haben doch nicht Ursache, dies zu finden? Sind Sie denn nicht ganz glücklich? Dafür hielt ich Sie ganz! Solche Worte können nur von Jemand herkommen, der sich zu beklagen hat; Sie sind ja liebenswürdig genug! Das sagen Sie? versetzte sie ernsthaft, ich sage Ihnen, ich bin nicht liebenswürdig genug, gerade nicht liebenswürdig genug. Ich sah sie fragend an, als sollte sie weiter reden, allein heftig rief sie aus: Nicht ein Wort mehr! nicht eine Frage mehr! und das mit einer Bewegung, die mich wirklich hinderte, weiter zu fragen. Wir sahen Beide vor uns hin, nach einer Weile nahm ich wieder das Wort: Aber Vorwürfe habe ich Ihnen zu machen: warum haben Sie mir nicht Alles gesagt, da Sie's doch wußten? Sie mußten doch unterrichtet sein, warum haben Sie mir es nicht gesagt, wie es mit ihr steht und in welchen Verbindungen sie lebt, die Ihnen kein Geheimniß sein konnten! Sie mußten es mir sagen! Was ich Ihnen sagte, erwiderte Therese mit Ruhe, war genug, um Sie aufmerksam zu machen, mehr konnte ich Ihnen nicht sagen, ich nicht! Und warum nicht? versetzte ich; solche Ursachen kann es nicht geben; reden Sie, ich bitte Sie, reden Sie!

Therese weigerte sich lange, ich sah sie nach ängstlichen Ausflüchten suchen und wurde nur desto dringender, ich bat inständigst, mich nicht abreisen zu lassen, ohne mich über ein Geheimniß, das hier zu walten schiene und das meine Gedanken unaufhörlich quälen würde, zu beruhigen. Nun so hören Sie! sagte sie endlich und sah mich lange an, indem mein Auge mit gespannter Erwartung an dem ihrigen hing; sie schien zu stocken, doch nicht zweifelnd, und nach einer großen Stille fuhr sie fort: Auch ich war schwach genug, mich dieser Zartheit schuldig zu machen, aber es war nicht Zartheit, es war Unmöglichkeit; Neigung, tiefe Neigung hielt mich zurück. Sie liebten Eugenien, sie gefiel Ihnen, sie quälte Sie; mehr liebt 'ich Sie, mehr quält' ich mich! Nun, da Ihr Glück unmöglich ist, da Ihr Auge mich morgen nicht mehr treffen kann, habe ich auch den unglücklichen Muth, Ihnen zu sagen, wie es mit mir ist und war. Scham, Unglück, das Glück, Sie zu sehen, Alles ist verloren. Ich schone mich nicht mehr; jetzt ist es zu spät: Sie kennen die Verwirrung der Welt noch nicht, sie ist größer, als Sie denken. Damit Sie mich jetzt nicht für besser halten, als ich bin, so wissen Sie denn, auch ich wurde inzwischen heftig geliebt, und bin jetzt gebunden nach meinem innersten Gewissen. So ist es mit mir, denken Sie davon, was Sie können und wie Sie wollen!

Erschüttert von einem solchen unerwarteten Bekenntniß, bedurfte ich einiger Zeit, um mich zu fassen und den ganzen Zusammenhang so trauriger Mißverhältnisse zu überschauen; alles Lob, das Anton jemals über Therese ausgesprochen, das ich selbst mit unbefangenem Herzen ihr gezollt, trat mir jetzt aufs Neue entgegen und hielt mir nur herrlicher die glückliche Möglichkeit vor, die ungenützt an meinem geblendeten Sinne vergebens vorbeigegangen war. Doch war es mehr eine Verwunderung, was ich fühlte, als ein Schmerz, denn was ich nie besessen, noch zu besitzen gesucht, konnte ich nicht für verloren halten; das Geständniß Theresens hatte auch sie über jedes Gefühl der Wehmuth erhoben, und nur der schwere Ernst einer demüthigenden Betrachtung schwebte über uns, daß der Mensch einer fremden Schickung gehorche, die höchstens einzusehen, aber nie zu lenken seinem Verstande gelingen mag. Das Schauspiel war zu Ende, ich faßte Theresens Hand, und wir verließen die Loge. Wir sollten unsre Rollen tauschen, sagte sie im Herausgehen, so verlangten Sie einst an dieser Stelle: es ist geschehn in einem andern Sinne, als Sie es damals meinten, doch sehen Sie nun selbst, wie nichts damit gebessert ist, daß Jede etwas Anderes spielte, als sie war! Ich brachte Theresen bis zur Thür ihrer Wohnung, wo sie meine Hand zugleich drückte und mich zurückstieß und mir ein ewiges Lebewohl sagte.

About this transcription

TextReiz und Liebe
Author Karl August Varnhagen von Ense
Extent81 images; 16877 tokens; 4501 types; 113042 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Thomas WeitinNote: Herausgeber Digital Humanities Cooperation Konstanz/DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-03-14T14:43:47Z Jan MerktThomas GilliJasmin BieberKatharina HergetAnni PeterChristian ThomasBenjamin FiechterNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-03-14T14:43:47Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic information Reiz und Liebe. Band 15. Karl August Varnhagen von Ense. 2. Globus VerlagBerlin1910. Deutscher Novellenschatz pp. 1-79.

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Bibliothek der Universität Konstanz deu 838.29/h29https://katalog.uni-konstanz.de/libero/WebopacOpenURL.cls?ACTION=DISPLAY&RSN=948187

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; ready; novellenschatz

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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