PRIMS Full-text transcription (HTML)
Deutscher Novellenschatz.
[Band 3]
BerlinGlobus Verlag G. m. b. H. [1910]

Inhalt:

Die katholische Mühle.

Adolf Widmann, geboren am 7. Mai 1818 zu Maichingen in Würtemberg, studirte 1837 39 in Tübingen National-Oekonomie und betheiligte sich später in mannigfacher Weise, nachdem er die Verbindung mit Friedr. Rohmer abgebrochen, an der politischen Bewegung der Zeit. Gegenwärtig lebt er in Berlin. Von seinen dichterischen arbeiten s. weiter unten.

Nicht ohne Absicht haben wir diesen Novellisten unmittelbar auf den letzten Romantiker folgen lassen; denn nicht nur Die katholische Mühle , sondern fast alle übrigen Erzählungen desselben Bändchens und des im Jahre darauf in demselben Verlag unter dem Titel Für stille Abende erschienenen, desgleichen Eine Universitätsgeschichte im ersten Bande von Hackländer's und Höfels Hausblättern (1855)*)Die im zweiten Bande der Hausblätter mitgetheilte interessante Novelle die Tochter der Schauspielerin hat einen anderen Charakter. zeigen in Stoff und Tonart eine entschiedene Verwandtschaft mit jener zwischen Schwermuth und Uebermuth in einer reizenden Mitte schwebenden Jugendstimmung, in der wir den Grundton der Eichendorffschen Dichtung erkannt haben, während sie zugleich aufs Deutlichste den Schritt bezeichnen, den die neuere Poesie in das wirkliche Leben hinaus gethan hat. Hier wie dort Waldeinsamkeit, verfallene Schlösser, um deren Roccoco-Fontänen spukhafte Sagen und unheimliche Geschichten schweben, Menschen, die aus der Prosa des Alltagslebens in die Natur flüchten und das philiströse Einerlei ihres socialen Berufs durch kecke Abenteuer aufzufrischen suchen; endlich hier wie dort freilich nur ein äußerlicher, aber immerhin bezeichnender Zug die Neigung, die Si - tuation lyrisch verklingen, das Ereigniß in ein Lied ausblühen zu lassen.

Und doch bedarf es nur eines Blickes in unsere Novelle, um nicht nur jeden Gedanken der Nachahmung zu verscheuchen, sondern auch inne zu werden, daß hier das Stoff - und Stimmungsgebiet der Romantik mit vollster Klarheit für den modernen Realismus erobert worden ist. Landschaften und Staffage, die dort in verschwimmenden Umrissen immer von dem gleichen Sonnenduft oder Mondnebel umflort erscheinen, sind hier in festen Zügen ausgeprägt und mit charakteristischen Localtönen gefärbt, deren Treue gerade unserer Novelle einen ihrer Hauptreize verleiht, wenn es auch nur zu billigen ist, daß der Dichter in dieser späteren Bearbeitung an den schwäbischen Dialekt, den er in der ersten Fassung*)Unter dem Titel die Wilddiebe in: Lebensbilder aus Süd und Nord, aus alt und neuer Zeit, herausgegeben von F Röse. Stuttgart 1844. Bd. I. seinen alten Rühs noch in voller Reinheit sprechen läßt, nur in einzelnen Wendungen erinnert. Auch die Geschichten aus kleinen mitteldeutschen Fürstenhöfen und Jagdschlössern, die Widmann mit Vorliebe erzählt, haben im Gegensatz zu Eichendorff's phantastischen Gräfinnen eine memoirenhafte Bestimmtheit, und nur die poetische Vorliebe für jene Welt ist Beiden gemein, in der man immer Zeit zu Herzensgeschichten, Geld zum Reisen und verfallene Jägerhäuschen zum Schauplatz romantischer Abenteuer hatte.

Leider hat A. Widmann nur in den Pausen zwischen strengerer politischer und wissenschaftlicher Arbeit sich der Dichtung zugewendet. Sein Roman, Der Tannhäuser (Berlin, Franz Duncker 1850), der allerdings empfindlich darunter zu leiden hatte, daß die ihm zu Grunde liegenden Erlebnisse dem Erzähler noch zu nahe standen, um eine volle künstlerische Freiheit zu gestatten, läßt gleichwohl das ungewöhnliche Talent des Verfassers erkennen: eine seltene Verbindung von sinnlicher Fülle und geistiger Schärfe, der wir ohne Zweifel noch bedeutende Schöpfungen gerade auf dem Gebiet der Novelle und des Romans verdankt hätten, wenn dem Dichter nicht der Politiker über den Kopf gewachsen wäre.

Ihr wißt doch, daß ich als Büchsenspanner beim Prinzen Adolph diente, ehe ich mit unserer Gnädigen nach Carlsstadt herüberkam. Der Prinz wohnte am liebsten auf seinen Gütern im Schwarzwald, weil die Jagd dort noch am besten ist, und da ich bei ihm einen großen Stand hatte, wurde ich immer mitgenommen und von allen Forstbediensteten in Ehren gehalten.

Besonders genau lernte ich die umwohnenden würtembergischen Förster kennen und darunter Einen mit Namen Rühs, zu dem ich das meiste Zutrauen faßte, wiewohl er mir anfänglich nicht zusagen wollte; denn er war ein steiler, steifer Mann, von einer langsamen Gemüthsart, und wenn er sich bewegte, war es immer ein militärisches Exercitium. Er war streng, und die Bauern haßten ihn wie's bittere Leiden; sie fürchteten den dürren Peter aber noch mehr; und dürr war er, nichts als Knochen, Rock und Erfahrung. Aber sonst war er respectirt im ganzen Land, und wenn sich die jungen vornehmen Herren den letzten Schliff zum voll - kommenen Jäger geben wollten, so rissen sie sich darum, ein paar Monate aus seiner Försterei zuzubringen. Diese lag auch so bequem, nicht bloß für die Jagd, sondern für alles Andere; man konnte da das Floßgeschäft verstehen lernen und den Holzhandel mit den Fremden; man sah die schönsten Anpflanzungen und die besten Versuche, kahle Platten wieder zu bestocken; kurz alles Mögliche; und hatte dazu noch die Wilderei zu bekämpfen, ordentlich in einem kleinen fortwährenden Krieg.

Die Gegend liegt zunächst am badischen Land und ist arm oder reich, je nachdem man die Sache betrachtet. Der Grund und Boden, soweit er nicht herrschaftlich ist, gehört einem reichen Bauernadel, welcher ein Leben für sich und unter sich führt; die Häusler und Kleinbauern aber haben fast Nichts und Zeit genug zu unnützen Dingen. Früher, ehe man etwas vom Zollverein wußte, waren sie alle Schmuggler, die nur gelegentlich wilderten, wenn den nächtigen, leise auftretenden Gesellen auf dem einsamen Waldpfad ein Hirsch oder eine Sau über den Weg wechselten.

Als aber der Schmuggel sein geweis'tes Ende fand, da wurde Jung und Alt ausschließlich zum Wilddieb. Das Volk dort herum ist gar unruhig und mochte lieber im kühlen grünen Wald ein beschwerlich Leben führen, als zu Hause sitzen; so ein armer Häusler fühlte sich dann auch wohler und freier und konnte dem reichen Bauern nicht länger neidisch sein um Aecker, Vieh und Weiden.

Manchmal mußte freilich Einer bluten, oder kam gar nicht mehr nach Hause; aber dann hatten seine Kameraden nur eine Wollust weiter in der Blutrache an Jäger und Zöllner. Abgelassen hat darum Keiner; wenn er auch Jahrelang im Zuchthaus schmachtete und dort ein Handwerk lernen mußte und endlich heimkehrte ins Dorf, um ehrlich zu leben: des Abends, wenn der Mond ausging und von der Waldwiese ein Rehruf klang, zog es ihn an die verrostete Büchse. Er nahm sie von der Wand. Das Schloß ging hart und schwer. Solltest es doch schmieren, denkt er, und zärtlich, wie sein Kind, putzt er die Waffe blank. Das glitzert so fein, das läßt sich so schön! Husch! schlüpft er durch die niedere Thür und schlupft in den Wald; was das ein lustig Leben ist! Da kommt das Reh er legt an; sein scharfes Auge sieht zugleich den Jäger, der ihn ins Zuchthaus gebracht; er ruckt der Grünrock wälzt sich im Blute, und der Bursch treibt's wilder als zuvor.

Nicht als ob die Gegend darum unsicher wäre; es ist nur ein Krieg zwischen Jäger und Wilddieb. Wer ohne Büchse wandert, mag ruhig durch den dicksten Wald ziehen. Wo man ein steinernes Kreuz findet, zum Zeichen, daß hier schändlicher Friedbruch geübt ward, da ist's halbumgestürzt, hohes Riedgras wächst über der Schuld, und Moos verhüllt den eingegrabenen Spruch.

Ja selbst zwischen Jäger und Wilddieb hat sich mitten in der Gesetzlosigkeit ein eigenes Recht gebildet, das Niemand kennt als die Betheiligten, weil es sonst gegen Niemand gewendet wird. Es besteht eine Art langhergebrachten Abkommens, wenn man schießt, wenn man mordet, wer sich rächen darf, und was gerächt werden muß. Der kleine Krieg mit all seinen Listen und auch Grausamkeiten lernt sich von Vater an Sohn; die feinsten Kunstgriffe vererben als Geheimlehre von Anführer an Anführer. Dawider läßt sich nur wenig thun, weil der Bauer kein böses Gewissen bei der Wilderei hat; denn sein Kopf begreift einmal nicht, daß Wald und Weide nicht Allen frei und gemeinsam sein sollen.

Namentlich sind es einige Thäler im badischen Hochwald, voran das Wolfsthal, wo die gefährlichsten Wilderer wohnen, die natürlich auch vor einem anders gefärbten Grenzpfahl keine Scheu haben und in anderen Herrschaften stehlen, was sie im Badischen nicht finden können.

In diesem Thale liegen die Wohnungen zerstreut, kleine Hütten, halb in den Berg gebaut zum Schutz gegen die Winterstürme, mitten im Wiesengrün, zwischen kleinen Hecken und unordentlichen Zäunen; kaum ein Kirschbaum oder ein verwehter Zwetschgenbaum deuten auf Anbau, und auch vom Handwerk verstehen die Bewohner nicht viel, obwohl sie von Natur gar anstellig zu künstlicher Arbeit sind.

Die Landesherrschaften haben schon ganze Militär-Commando's in Wolfsthal gelegt; in jede Hütte einen Soldaten, dem der Bauer das Woher und Wohin sagen mußte, der haftete daß alle Bewohner zur Nachtzeit in der Hütte waren. Es half nichts! Kaum waren die Soldaten weg, so ließ der Vater die Schnitzbank, der Bub 'die Schule, und der Vater zog in den Wald und lernte den Jungen locken und rufen, laden und schießen. Ohne Gewehr muß dann der fünfzehnjährige Knabe die Fährten von Menschen und Wild abspüren und schützt sich, indem er sich gerade so dumm stellt, als er schlau ist.

Das Uebel wird dadurch noch ärger, daß die Jäger selbst den Anordnungen der Herrschaft nicht grün sind; denn auch ihnen behagt die wilde Lust, Gefahr und Kampf. Auch sie freuen sich auf den Sommer, wenn die Banden, ihrer sechs oder sieben unter einem Hauptmann, ausziehen, um Wildpret in die Bäder zu liefern; dann sammeln sich die Jäger desgleichen, und es geht los, wie es will und kann.

Flucht gilt nicht für eine Schande, List und Betrug nicht für Unrecht; der Tapferste ist, wer jedes Handgemenge meidet, so wenig Zoll von seinem Leib als möglich der Büchse zum Ziel giebt, so viele Geisen und Böcke schießt, als er zu Gesicht bekommt, wer im Kampfe mit dem Einzelnen sich wehrt wie ein Tiger, und wenn er von Mehreren überrascht wird, ruhig die Waffe legt, trotzig vors Gericht und kaltblütig ins Zuchthaus wandert, immer den klingenden Frühling im Sinn, der ihn wieder einmal im Walde sieht.

Eigene Bräuche üben sie bei Bestattung der Todten. Ist einer der Gesellen kalt, so ziehen sich von beiden Seiten Jäger und Wilderer rasch zurück. Entweder schleppen die Bauern den Todten alsbald mit, denn sie halten redlich zusammen, schon aus Aberglauben und damit man an dem Todten nicht die Lebendigen erkenne; oder sie holen ihn später, wenn sie erst an einem sichern Ort die Gewehre versteckt haben und die Jäger lassen es gern geschehen.

Dann erfährt Niemand etwas weiter von dem Todten; sie graben ein Grab im tiefsten Wald und decken ihn mit Heidekraut, Erde und Felsen. Einer spricht ein Ave denn die im Bad'ner Land sind viel katholisch und Alles ist vergessen, bis sie nach Hause kommen und der armen Seele noch ein paar Messen lesen lassen.

Nicht Richter noch Schreiber sind zu diesen Ceremonien nöthig. Nur eins behalten sie ewig: die Blutrache gegen den Jäger, der ihren Kameraden gefällt hat. Darum forschen sie so lange, bis sie den Thäter kennen, und wenn dieser auch gefällt wird, halten sie es nicht für Mord. Sonst aber scheuen sie sich, Einen unter sich zu dulden, dem unschuldig Blut an den Fingern klebt, weil dieser dem ganzen Streifzug Unheil brächte.

Können die Wilderer aber ihren Bruder nicht finden und holen sie ihn nicht zur Nachtzeit, so scharren ihn die Jäger ein. Was sie bei dem Todten finden, wird dann sorgfältig gesammelt und aufbewahrt, und wenn ein im Wolfsthal Vermißter in der Zeitung gelesen wird, packen sie die sieben Sachen zusammen und geben sie auf die badische Post, daß sie an die Nachgelassenen gelangen.

Das ist freilich nicht ganz in der Ordnung, ich gestehe es, aber es vermeidet viel Ungelegenheit u. s. f. Ihr müßt nämlich wissen, daß die Leichen und Untersuchungskosten der Gemeinde zufallen, auf deren Markung der Todte gefunden wird. Schießt nun der Förster auf der Markung seines Wohnorts einen Wilddieb, und dieser bleibt liegen, so geht der Jäger rasch heim und holt ein Roß. Sobald es aber dunkle Nacht ist, packt er den Todten auf den Gaul und führt ihn zur Grenze. Ist es nun ein badisch Roß, so wird es seiner Last in Würtemberg ledig; ist's ein würtembergisch Pferd, erhält Baden den Leichnam zum Geschenk. Dies hat aber so oft zu Streit und Untersuchung geführt, bis die Jäger still übereinkamen, den Wilderer da einzuscharren, wo er liegt, die Herren aufm Gericht nicht weiter zu bemühen und um eines todten Wolfsthälers willen nicht dreißigmal vors Bezirksamt zu wandern.

Ich sage euch, man könnte Tagelang erzählen, was Alles in diesen Wäldern vorgeht; Ihr könnt es aber schon an dem Einen sehen, was jetzt kommt.

Der unwirthlichste Theil in dem Revier des Försters Rühs, wovon ich rede, ist eine enge Thalschlucht. Der Bach bricht wild zwischen den umhergewürfelten Felsblöcken durch, verschwindet oft unter dem Gestein, und man hört nur das Brausen. Kein Erlenbusch, nicht einmal die Weide mehr wächs't in der Oede, nur die Ranken des Brombeerstrauchs wuchern in den Spalten und breiten sich hungrig und suchend über das weiche bräunliche Moos.

Von beiden Seiten erhebt sich steiler immer steiler der Berg, voll Ginster und Haiden und Stein. Kein Laut, kein Ton! Nicht einmal der Specht klopft im Tannenwald, der auf den Kuppen steht, kein Rehruf hallt von dem kleinen, heimlichen Grasplatz her, der wie verloren zwischen den Felsen liegt. Hinten baut sich Kuppe über Kuppe: dunkler, schwarzer Wald; nur die Nebelwolken, die sich wie vom Rocken am Berge abspinnen, nur purpurne Lichtstreifen zeigen, wo die Frühsonne hindringt. Das Haupt der höchsten Berge ist wieder kahl, voll Trümmer und Schneeplätzen, unheimlich und schwer zu erklimmen. Auch wandelt nicht leicht ein Mensch darüber, denn es ist nicht geheuer, und der Bauer scheut sich vor des Teufels Mühle .

Nur gegen Norden fängt diese Schlucht an in das breitere Thal auszulaufen, daß man wohl schon die Glocken herüberklingen hört. Da tritt auch der Wald weiter, fast bis ans Wasser, herab; die Buchen mögen auch wieder im feuchteren Grund wachsen und umschatten einen Rasenplatz, welcher etliche hundert Schritte im Umfang haben mag. Das Bett des Baches ist abgegraben und treibt rechts hingeleitet die Räder einer Mühle, welche halb in den Berg hineingebaut ist, so daß man sich hinten leicht zum ersten Stock einschwingen könnte. Aber nur in dem kurzen Mühlgraben geht das Wasser still und tief; dann rauscht es wieder lustig im alten Bach unter dem Dickicht fort.

Links ziehen von allen Seiten glatte Fußpfade vom Berge herab und laufen bei einer Brücke von unbehauenen Tannenstämmen zusammen, die zur Mühle hin über den alten, fast trockenen Wasserlauf führt. Tiefe übergras'te Radspuren zeigen, daß man, wenn auch nur selten und mit Noth und Mühe, doch das Korn zur Mühle fährt, wenn sich schon schwer begreift, wie ein Wagen über Stein und Berg kommen soll, weil eine Krümmung der Schlucht den Blick ins weitere Thal verdeckt.

Auch hier war es aber noch lautlos still. Das Mühlwerk stand; der Tag konnte kaum angebrochen sein. Wenn auch die Sonne um die Gipfel spielte und der Tannenduft, der sich des Morgens ergießt, die Lüfte füllte, so blieb es unten noch düster und kalt.

Dennoch war schon ein junger Jägersmann auf den Beinen und suchte sich gegenüber der Mühle mit Hülfe der Sträucher auf einen Felsblock zu schwingen, von wo er Alles im Auge haben könnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Wer ihn so im Moose liegen sah, verdeckt durch Gestrüpp und Farrenkräuter, wie er spähend die verwegenen braunen Augen von Busch zu Busch rollen ließ und weiter über den gelben Ginster hinaus tief hinein in den Tannenwald hinter der Mühle, der hätte Wunder gemeint: die ganzen Franzosen wären über den Schwarzwald gekommen und stünden einem Vorposten gegenüber.

Am längsten aber verweilte sein Auge auf der Mühle, bis endlich der helle Schein sich von den Bergen auch auf Dach und Räder niedersenkte und es unten lebendig wurde.

Ein Mädchen trat heraus; der Morgenwind wehte ihr frisch entgegen, daß sie rasch mit der Hand nach der Haube fuhr, die geschmückt mit Flitter und Glasperlen wie ein Krönlein um die Stirn lag und die blonden Haare zusammenhielt. Der kurze gefältelte Rock, schwarz mit handbreitem, hochrothem Saum, die weiße Schürze und Fürtuch, die hohen blauen Strümpfe mit weißem Zwickel paßten nicht in die Gegend, die andere Sitte und Trachten hat.

Sie schaute zuerst lange nach der Brücke hin; sie wartete, wandte sich aber dann rasch zu dem klaren Brunn, welcher gerade vor der Mühle hervorströmt und, durch eine kurze Röhre gefaßt, den hölzernen Trog füllt und die saftigen Butterblumen ringsherum tränkt.

Schnell wusch sich Anna Marie, oder wie man dort sagt: die Ammrey , die Augen hell und die Stirne kühl, die weißer war als die Kirschblüthen, die über ihr hingen, und weißer als der Hollunderblust im Gärtchen. Ein verwittertes Muttergottesbild stand zunächst am Quell; zu dem betete sie unaufmerksam, immer nach dem Walde schauend, ein Ave und ging dann ruhig auf den Stall zu, wo die Kühe in der leeren Krippe schnoberten. Wie sie so ging, sang sie vor sich hin:

Der Graf aufm Schloß
Und der Jäger in der Höh '
Sind schön wie der Maien
Und falsch wie der Schnee!

Ei was du singst! rief ihr der Jäger herüber, der sich jetzt ganz sorglos ausrichtete und näher. kam. Er riß ein Paar Blumen ab und warf sie im Gehen über die Brücke; ei, wie singst du so schön, Ammrey!

Ha ja! entgegnete das Mädchen von ferne, ich dächte wohl schön genug für Specht und Guckuck.

Denn eben rief der Guckuck. Der Jäger horchte scharf hin und eilte fort. Guten Morgen! rief er schon leise am Bach hinauf; Gott behüt '! antwortete sie so leise, daß er es nicht mehr hören konnte. Aber sie blickte ihm nach, wie er über die Felsblöcke sprang und sich nicht umschaute. Er hätte sonst auch noch einen Mann in der Mühlluke sehen müssen, der rasch zurückfuhr, als er den Weg, den der Jäger einschlug, erkundet hatte. Sie bemerkte den Späher wohl, that aber nicht desgleichen, sondern trillerte weiter:

Und weiß ich, daß der Mai nicht bleibt,
Ich lieb 'ihn halt so sehr;
Und kommt der Schnee und geht der Schnee,
So sing' ich nimmer mehr.

Der Jäger eilte am Bache hin, der Gegend zu, von wo der Guckuck rief, und dachte nicht an den Lärm, den das nachstürzende Geröll machte; denn das Rauschen übertäubte denselben mitsammt den festen Schritten. Nur hielt er sich stets an der rechten Seite und ging so nahe als möglich unter dem überhängenden Bachufer hin, um vom Walde aus, der immer noch ziemlich weit herunterlief, nicht gesehen zu werden.

Zuletzt hörte jeder Weg auf; er sprang von Fels zu Fels, nahm aber doch einmal den Ablauf zu kurz und hing einige Fuß über dem Wasser nur noch in alten Wurzeln, die im Felsen steckten aus der Zeit, da ihn der Schneegang von der Höhe herabgerissen. Ei so soll dich doch! murmelte er vor sich hin, da sein Fuß in dem glatten Gestein keinen Halt finden konnte und die morschen Wurzeln unter seinen Händen wichen, daß ihm das kalte Bad gewiß war. Und Ihr lacht auch noch, rief er fast ärgerlich, als ein stilles, heiseres Gelächter an sein Ohr schlug. Aber schon griff ein ungewöhnlich langer Arm von oben herab, faßte ihn am Rockkragen und hob ihn, fast ohne sein Zuthun, mit Einem Ruck empor.

Jugend hat keine Tugend; es bleibt ewig wahr, sagte der Retter mit einer schönen tiefen Stimme, nur daß er jedes Wort herzählte wie ein einzelnes Geldstück. Der Herr Otto rennt über Stock und Stein, wie ein Füllen; von der Mühle an mußt 'ich es traben hören. Wenn's so laut hergeht, so läuft ja ein Fuchs noch weg, wenn er nur Einen Lauf hat. Wie oft soll ich's dem Herrn Otto noch sagen, daß er vorsichtig sein muß, wenn er an diesem verdammten Mühlbach aufwärts rennt; abwärts kann er traben wie ein Pferd; aber aufwärts! nein; wer oben im Thal steht, hört das Kommen so laut und deutlich, als wären die Steinblöcke lauter Saiten, an denen der Ton hinaufläuft.

Nein, nein, Herr von Eyach; wenn der Herr so viel Lärm macht im Wald, so muß er zum wenigsten den grünen Rock ausziehen, oder man singt ihm in acht Tagen: Nun ruhen seine Todtenbeine . Dabei sperrte er den weiten Mund auf, zog die ledernen Backen in tausend Fältchen zurück und ließ das Gesicht zwischen Dummheit und Schlauheit; doch salutirte er zugleich und griff an die Mütze, denn zu viel wollte er doch auch nicht gesagt haben.

Meint man doch, man sei unter den Türken und nicht mehr in einem Lande, wo das Gesetz gilt, wenn man Euch hört, Rühs; wo in aller Welt schießt man denn bei Tag auf einen Jäger in des Königs Rock? antwortete etwas erhitzt der junge Mann, indem er das Blut von der Hand wischte, die aufgeritzt war. Und Ihr könnt auch nicht fliegen und nicht, ohne daß man's hört, von dort hier herüberkommen damit deutete er auf die Stelle, wo er abgesprungen war, wohl acht Fuß von der Spalte, in der sie kauerten und da, wo die Blöcke im Winkel zusammenlaufen, ist doch wahrhaftig Alles so glatt und steil, daß man nicht hinüber und herüber kann.

Der alte Förster schaute verwundert dem Herrn Otto ins Gesicht, hob sich in die Höhe, sah ringsum, ob ihn kein fremdes Auge bemerke, murmelte dann: Die Hunde von Wilddieben sind doch fort seit dem Lärmen, warf die schwere Büchse auf die Schulter zurück und stand mit Einem Schwung da, wohin zu kommen der Andere für unmöglich erklärt hatte.

Ohne Geräusch, sicher und fest wie ein Steinbild schritt er nach dem Ort, wo der Jüngling seinen Anlauf genommen hatte; da setzte auch er ab und schnellte sich neben seinen Gefährten auf dieselbe Stelle, wo er kaum gestanden. Sein Gesicht, das ehern geworden war, lief wieder in seine tausend Falten auseinander, und ohne Athem zu suchen, als wäre er seither nur mit Einem Gedanken beschäftigt gewesen, fuhr er fort:

Ja, ärger als bei den Türken! Der Herr Otto kommt vom Unterland; dort freilich zeigt man das Geweih von einem Zwölfender fürs Geld, dort trägt man die Vogelflinte und fängt Hasen und Spatzen in Schlingen. Dort thut man auch dem Wilddieb nichts; höchstens ein Paar Schrote in die Waden; dort braucht der Jäger auch keine Angst zu haben, denn so umsonst schießt auch der Wilddieb nicht.

Gesetz! Schönes Gesetz, das! Ziehe der Herr Otto den grünen Rock aus, stelle er die Flinte in Kasten, so kann er ruhig durch den Schwarzwald ziehen, bei Tag und Nacht, wie in Abraham's Schooß.

Ein ander Gesetz aber ist's mit dem Jäger und mit dem Wilderer. Was Sau ist und was Hirsch ist, was fliegt und im grünen Rock stolziert, das gehört dem Wilderer; was Sau ist und was Hirsch ist, was fliegt und nicht des Königs Rock trägt, das gehört dem Jäger. Und wenn Einer kalt wird, dem singen die Kinder nicht am Grabe, dem hält kein Pfarrer die Rede: man scharrt ihn nur so ein; und wenn's ein Jäger ist, thut man drei Schuß; ist's ein Wilddieb, den graben die Kameraden ein, und der Pfaff unten im Badner Land leiert ihm eine Messe für einen Rehziemer und einen neuen Kerzenstock. Und für jeden Jäger fällt ein Wildrer und für jeden Wildrer ein Schütz!

Gerade dort er deutete auf einen überwachsenen Fleck am Ufer gerade dort unter dem Ginster liegt auch Einer, den Niemand findet, als unser Herrgott am jüngsten Gericht! Unwillkürlich griff der Jüngling nach seiner Vogelflinte. Er thut nichts Böses mehr und nichts Gutes, sagte der Förster, nichts Böses und nichts Gutes, wiederholte er ernst. Man rief ihn Maurerkarle , und war er von den Schlimmsten; und doch wollte ich, ich hätte ihn nicht geschossen. Er bittelte und bettelte so um der Gotts Willen und fiel ins Knie; ich wollte schon absetzen; Puff! da knallt's von der andern Seite nach mir und die Reh - posten prazzeln um mich her; da hat's mich angefaßt, so bitterbös, und der Kerl mußte mir kalt sein.

Es ist wohl zwanzig Jahre her, und doch: ich konnt 'oft und viel darüber nicht Schlaf finden. Er hat mich so gräßlich bedroht, daß er mir noch erscheinen wolle vor dem seligen End', wenn ich schösse. Und es ist nicht sauber. Ja, Herr Otto: in die Kirche komm 'ich gerade nicht viel; aber man lernt es im Wald: wen der Herrgott soll schützen, deß Hand muß rein sein von ungerechtem Blut. Denn der Otter frißt den Fisch und den Otter schießt der Schütz und den Schütz holt der Tod. Eins ums Andere. Wie oft denk' ich nicht in meinem Sinn: du willst keinen weiter kalt machen, Förster! Aber wenn sie so die Gais in der Milch und die Vögel in der Heckzeit wegschießen, so thut mir's im Herzen weh, und wenn so ein Kerl vor mir steht, so muß ich Blut sehen.

Doch er liegt wohl; ich habe in des Königs Namen geschossen! machte sich der Förster die Last leicht und sah seinen Begleiter um Zustimmung an; allein dieser antwortete nur kurz: Meine Hände sind rein.

Das war dem Alten nicht recht; er wurde still; er klopfte am Büchsenschloß, schnallte den Leibriemen fester und sah vor sich hin.

Schwatzen wir da wie die alten Weiber Langes und Breites, fing er endlich wieder an, und vergessen ganz, daß der Eber im Grenzthal abgespürt werden muß, und doch scheint die Sonne schon im Wasserspiegel. Wir müssen aber zuvor auf die Glashütte; da wird's schon vier, fünf Uhr, ehe wir nur ans Abspüren kommen. Doch, daß ich es nicht vergesse, was hat denn der Herr Otto bei der Mühle gesehen? fragte er endlich; ist der Herr hübsch vorsichtig gewesen und hübsch umsichtig, wie's der vollkommene Jäger lernen soll?

Ich ging durch den schwarzen Winkel und sah nach den Tauben, antwortete der junge Jägersmann; dann schlich ich durch den alten Schlag auf den großen Stein bei der Mühle, es war noch Alles leer und still; die Räder standen, und kein Mensch ließ sich blicken. Otto wandte sich um, als horchte er auf etwas, um den spähenden Blicken des Försters zu entgehen, auf die Frage aber: Und hinter der Mühle? antwortete er leicht hin, indem er sich zum Gehen anschickte: Ueberall ganzer Thau, den kein Vogel gestreift hat.

Ja! rief der Alte, man findet nie etwas, als könnte das katholische Pack nur auch durch die Luft fliegen. Er hielt inne und griff mit der Hand an den Kappenschild empor: Weiß wohl, der Herr Vater sind auch katholisch und der Herr Otto auch, aber nicht so katholisch; allen Respect! Aber, wie gesagt, das katholische die katholische Mühle ist mir ein Dorn im Auge, so lange ich lebe. Seit hundert Jahren hat dieselbe Sippschaft das Haus, und Jeder ist ein ärgerer Wilddieb gewesen, als sein Vater. Der Jetzige treibt's an die dreißig Jahr; und es ist, als hätte er mit dem Teufel einen Pact, denn nie wird er geschossen, und doch schwört er und flucht im Haus, daß es gewiß schon lange verbrannt wäre, thäte die Ammrey nicht ebenso viel bten, als er donnerwettert.

Und immer ist dort das Hauptquartier von den Wolfsthälern, von diesen katholischen von diesen Hauptwilddieben, und seit sie wissen, daß ich ihnen den Weg abspüre und nachzähle, wie viel in der Mühle sind, waten sie von hier oben herab lieber im Wasser, nur daß sich die Spur verwischt. Aber warte! der Förster ist doch auch noch da!

Er wanderte dem Jüngling nun rüstig voraus, vorsichtig wie ein Fuchs, lauschend und schauend, während er ihm alle Schliche der Wilddiebe erzählte und allerlei gute Lehren dagegen an die Hand gab, die sichtlich nicht auf schlechten Boden fielen, denn je eifriger er schwatzte, um so eifriger hörte dieser zu.

Mitten in einem Satze aber blieb der Alte stehen und betrachtete aufmerksam einen großen rothen Sandsteinblock, der einsam und vom Wasser abgeschliffen zwischen den Graniten lag.

Ob der Teufel nicht dumm ist, Herr Otto! wandte er sich endlich zu seinem Begleiter zurück, welcher nicht wußte, was den Alten aufhielt, sich schußfertig machte und hinter den Felsen duckte.

Nicht jetzt! grins'te der Alte; aber bleibe der Herr Otto nur, wie er ist; ich will's ihn schon lehren, daß er von den ersten Jägern werden soll.

Damit stellte er sich selbst so, daß er vom Berge aus nicht gesehen werden konnte, und begann mit großer Langsamkeit: Sieht der Herr Otto die Streifen im rothen Stein? Ist der Teufel nicht dumm? Das nenn 'ich mir eine Spur, eine Capitalspur; die dummen Teufel wissen noch nicht, daß man die Schuhnägel im Sandstein sieht, und treten so fest auf, als wär's Granit. Der Herr Otto wird bald so ein Paar Wilddiebe sehen, denn dieser da ist aufwärts gerannt, 's hat ihm pressirt, denn er ist ausgerutscht. Dort hinten, wo die Schlucht schließt, rückt der Tannenwald wieder ans Wasser; da kommen sie herunter und gehen im Bach zur Mühle und wieder zurück. Und die Spur ist noch frisch; wär' schon ein Thau darüber, so wären die Streifen nicht so weiß. Jetzt gilt's, Herr Otto; jetzt muß ich den Obermann machen.

Vorsichtig ging er vorwärts, und freudig folgte der Junge mitten im Bach, durch die steilen Ufer gedeckt.

Der Herr Otto muß beim Waten seinen Fuß aus dem Wasser ziehen, gerade bis an die Sohle, aber nicht höher, sonst tröpfelt's, raunte ihm der Förster zu, und fort ging's, bis der hohe Tannenwald wieder ganz nahe am Wasser begann.

Das steht wie ein Dom, so hundertjährige Tannen und wohl sechzig Fuß hoch, bis nur die Krone anfängt, und auf dem Boden ist's sauber und glatt, wie in der Kirche. Kein Strauch hindert den Fuß, weiches Moos und grüne Heidelbeeren decken den Boden, nur die Stech - palme gesellt sich zu den stolzen Bäumen. Purpurne Lichter funkeln um die Stämme; es wird gar geheim in der würzigen stillen Mittagswärme; auch die Wipfel rauschen nicht mehr.

Der Alte trat hier aus dem Wasser, schlüpfte hinter einen Felsen mitten in die Farrenkräuter, bedeutete Otto dasselbe zu thun, und als er ringsum gespäht hatte, setzte er sich, legte die Flinte über die Knie und langte ein großes Stück Speck und Kartoffelbrod aus der Tasche. Das Besttheil schnitt er für seinen Begleiter ab, der die rauhe Kost nicht verschmähte.

Der Herr Otto legt das Gewehr zu weit von sich weg, murmelte Rühs kauend und sich dehnend; der vollkommene Jäger thut das nie; und der Herr Vater hat es mir so auf die Seele gebunden, daß ich den jungen Herrn in aller Kunst soll unterrichten; aber auch der Herr Vater waren immer zu heißblütig; freilich, es sind jetzt an die vierzig Jahr, daß der jung war, und drunten auf dem Schloß am Neckar giebt's wohl nicht mehr viel, was ihm das Blut heiß macht.

Otto lachte hell auf, aber die breite knöcherne Hand des Jägers deckte ihm rasch den Mund: Scht! Scht! Und dieser hatte Recht; ein heller Rehruf klang von dem Berge her, welcher jenseits des Baches und ihres Lagers emporstieg.

Der Alte kaute ruhig zu Ende, warf sich auf den Bauch und kroch dann an die Ecke des Felsens vor, hinter welchem sie saßen. Die Erfahrung leitete sein Auge alsbald nach einem frischgrünen Wiesfleck. Die Glocken des rothen Fingerhuts glühten und schimmerten herüber aus dem Kraut, das mannshoch aufgesproßt war und ein treffliches Versteck für den Bauer abgab, welcher dazwischen stand, und von welchem Otto, der dem Alten nachrutschte, nur den linken Arm sehen konnte, in einer Entfernung, wie weit gerade noch eine gute Büchse trägt.

Hm, hm, sagte der Förster, indem er den Hahn leise aufzog; seit wann braucht man denn die linke Hand, um den Rehruf zu führen? Herr Otto, es ist nicht gut, wenn man nur so ein kleines Stück, wie einen Arm, mit der Büchse nimmt; man muß immer das Mittel nehmen, sonst ist's gefehlt; es ist nicht wie mit den Schroten; die Kugel macht nur Ein Loch oder kein Loch. Es ist gewiß wahr, Herr Otto. Da kam der Rücken des Wilderers zum Vorschein; der graue Kittel gab ein gutes Ziel, und ehe Otto es, wie er versuchte, hindern konnte, knallte die Büchse, ein langer Bursche that einen Schrei, machte einen hohen Sprung im Kraut und fiel.

Was ist's? wandte sich der Alte um, welcher glaubte, der Jüngling habe ihm wegen einer näheren Gefahr ans Gewehr gegriffen. Es hat ihn schon!

Oben aus dem Walde sprangen vier Gesellen, faßten den Gefallenen und schleppten ihn eilig fort.

Schuß und geflossenes Blut hatten Otto umgewandelt. Er, der soeben den Förster am Schießen hindern wollte, fuhr jetzt selbst glühend empor und knallte nach dem Haufen, der dem Walde zudrängte. Natürlich zerstäubten die Schrotkörner der leichten Flinte auf der halben Zielweite. Der Alte lachte: Es ist nichts mit so leichten Dingern! Von Morgen ab muß der Herr Otto immer die Büchse tragen, und dann immer nur mitten auf den Leib gehalten!

Aber was thun wir jetzt? fragte Otto, indem er das Beispiel des Alten befolgte und sein Gewehr frisch lud.

Nichts! Wir lassen sie ihn forttragen, antwortete Rühs, legte die Büchse wieder in den Schooß und fuhr still in seinem vorhin unterbrochenen Mahl fort, bis er damit zu Ende war und aufstand. Der Herr Otto hat ein zu unruhiges Blut, sagte er zu dem Jüngling, dessen Pulse hörbar klopften, zu heiß für diese Gegend. Ich will jetzt noch sehen, wohin ich den Kerl geschossen habe; es will mir nicht recht scheinen; aber der Herr Otto bleibt da; müßt 'ich mich doch zu Tod schämen, wenn ihm etwas geschähe. Nein, nein! fuhr er fort, als der Jüngling doch Miene machte, zu folgen: es geht nicht und darf nicht sein; ich könnte ja nicht mehr vor den Herrn Vater treten, wenn ich seinen Augapfel unnütz in Gefahr brächte. Der Herr Otto bleibt hier, wo er ist, und hält die Augen offen; 's wird nöthig sein.

Der Jüngling blieb stehen, an die Ecke des Felsens gelehnt, und sah erst dem Alten nach, der mit einigen Sätzen über dem Bach war und bald oben mitten unter den glühendrothen Blüthen emsig und lange suchte. Dann überließ er sich seinen Gedanken und kämpfte halb zwischen Schlaf und Träumen, als es plötzlich schleichend um die Ecke bog, an welcher er lehnte, und ein junger Bauer, Gewehr im Arm, vor im stand. Jedem von Beiden kam der Andere unerwartet; ihre Augen wurzelten in einander. Aber schon hatte Otto den Bauer um den Leib gefaßt, denn das Gewehr zu brauchen war keine Zeit; schon wälzten sie sich am Boden zwischen Tannen und Moos, Jeder bemüht, das Messer zu ziehen, kräftig und gelenk wie zwei kämpfende Schlangen. Der Wildrer war stärker und preßte Otto so fest an sich, daß ihm das Blut wild zum Gehirn strömte, als sollte es zerspringen; doch ersah sich der Jüngling eines Vortheils und stieß endlich dem Bauer den Kopf an eine hervorragende starke Wurzel, daß dieser betäubt nachließ und Otto das Messer lösen konnte.

Keiner von Beiden hatte ein Wort gesprochen! trotzig und mit giftigem, aber festem Blick wollte der Bursche den Stoß empfangen, als eine eiserne Hand Otto's Arm von hinten so fest umklammerte, daß er weder den Wilderer erstechen, noch dem Andern, wie er versuchte, das Messer in den Leib rennen konnte.

Um der Gotts Willen! Der Herr Otto kämpft mit dem Teufel selbst; es ist ja der Maurerkarle, der unter dem Ginster liegt! schrie der Förster, Otto immer krampfhafter haltend.

Der Augenblick war aber nicht, um den jungen Edelmann mit dem Teufel zu schrecken. Narr! er hat Fleisch und Blut! Laß fahren! schrie er ergrimmt auf, ohne seine Beute aus den Augen zu lassen. Doch schien er sich plötzlich eines Andern zu besinnen; denn er zog das Knie, welches er dem Bauer auf die Brust gesetzt, zurück und sprang rasch empor: Du kannst gehen! sagte er zu dem verblüfften Burschen.

Der Alte trat erst einige Schritte furchtsam zurück, und Otto sah eine grenzenlose Angst in seinen Zügen. Doch faßte der Förster endlich den Bauern am Kittel, wie wenn er sich vergewissern wollte, daß Fleisch und Blut darin stecke. Als er aber die festen derben Knochen spürte, lief das angespannte Gesicht wieder auseinander, und aufathmend, als wäre ihm ein Stein vom Herzen, sagte er zu seinem Begleiter, indem er dem Bauern das Messer abnahm: 's ist schon gut, Herr Otto, es ist mir auch recht, wenn er frei wird; aber unvorsichtig muß man darum doch nicht sein; den Stachel muß man der Hummel nehmen.

Der Bauer ließ willig Alles mit sich geschehen und putzte sich die Tannennadeln aus dem Haar, ohne eine Miene zu verziehen; dann wandte er sich endlich zu dem Alten und sagte hämisch: Ich danke, danke und will's behalten; des Maurerkarle's Aeltester vergißt Euch nichts.

Damit schickte er sich an zu gehen, indem er über die Achsel nach Otto zurücksah: Ihr und ich haben uns nichts zu danken und nichts zu vergeben, sagte er, und sein junges, aber zerrüttetes Angesicht war nur bitterer Haß, daß sich Otto verachtend und wortlos abwandte, um sein Gewehr aufzuheben, welches noch am Boden lag.

Aber so leichten Kaufs sollte der Bursche jetzt nicht mehr fortkommen, denn der Rühs hatte seine Sinne wieder bei einander. So! sagte er, so! Du bist nur der Sohn; ja, ja; du siehst dem Schlingel gleich; der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Ja wahrhaftig dabei faßte er ihn wieder beim Kittel du bist ein junges Blut. Du könntest dich noch bessern, du Auf will ich von Sünden stehen und zu meinem Vater gehen, so heißt's im alten Gesangbuch. Du solltest dich schämen, du!

Der Bauer sah recht demüthig aus, daß dem Alten sogar noch ein freigebiger Gedanke kam, was sonst eben seine Sache nicht war. Da, da! er zog einen halben Gulden heraus und drückte ihn dem Bauer in die Hand; nimm's nur, es ist kein Sündengeld; bessre dich, denn wenn du mir wieder ins Revier kommst, hernach

Mit einer Drohung ließ er den Burschen endlich los, der wehmüthig nach seiner guten Flinte sah, die von vorhin noch am Boden lag, und über welche sich der Förster gestellt hatte.

Langsam ging der Bauer unter den Tannen fort. Kaum aber war er hundert Schritte empor gestiegen, da gellt's im Berg; er schaute um, ob ihm die Bäume den Rücken deckten, trat noch einmal hervor, daß ihn die Beiden sehen mußten, warf ihnen das Geldstück zurück und lief wie ein Reh dem Dickicht zu.

Dacht 'ich es doch, die Hunde! fuhr der Alte auf; er hat keine Ruh als mit dem Blei im Leib. Damit zog er die Büchse empor, um nachzuschießen, aber Otto fuhr ihm dazwischen: Seid Ihr verrückt, Rühs? Erst seid Ihr weichherzig, wie ein altes Weib, und nun wollt Ihr unnütz Blut vergießen!

Verlegen griff der Alte an den Kappenschild. Verzeihen der Herr Otto; bin ich doch erschrocken, wie in meinem Leben nicht. Ich habe geglaubt, der Maurerkarle sei aus dem Grab gekommen so ähnlich sieht der Bub dem Vater. Man wird eben auch alt und sieht nicht immer gut, setzte er hinzu, wandte aber plötzlich das Gespräch: Aber was hat denn der Herr Otto mit dem Kerl; der hat ja einen gottlosen Haß; ich wollte, ich hätte zugeschossen, denn so ein Bauer ist rachsüchtig wie ein Schäferhund!

Oder hat der Herr Otto etwas mit der Ammrey in der Mühle?

In der Mühle, wie so? fragte Otto glühend über und über.

Nu, nu, ich meine gerade nichts Böses, antwortete der Förster; ich dachte nur, es wäre möglich; dann könnte ich mir den Haß erklären. Es ist wahr, die Ammrey ist eine stattliche Person, und die Maurer - karle sind mit der ganzen katholischen Sippschaft verwandt!

Und Ihr meint, der Kerl sei in das Mädchen verliebt? sagte der Jüngling so, als ob dies unmöglich wäre.

Und warum nicht? Sie ist eine schöne Dirn und er ein sauberer Bursch; wenn er gerade nicht am Wildern ist, kann es ein rechter Bauer sein; denn es kommt nicht bei Allen, daß sie aus Armuth wilddieben. Freilich, die Ammrey ist so stolz wie eine Gräfin! Er holte Athem und besann sich; endlich wagte er es aber doch und sagte: Ich möchte dem jungen Herrn keinen Spaß verderben; aber mit der Ammrey ist's gefährlich; der Herr Otto kann's im Thal unten bequemer haben; für so eine Kleinigkeit setzt man zu viel ein, wenn man's Leben einsetzt

Ich habe aber keinen Spaß mit der Ammrey! sagte der Jüngling ärgerlich.

So, so! ja dann ist es anders, entgegnete Rühs, und ließ Otto stehen, um zuerst das Geldstück wieder zu suchen. Doch murmelte er vor sich hin: Art läßt nicht von Art; sein Vater war ebenso auf die Mädchen; der Rühs muß aber doch zusehen, daß es keine Dummheiten giebt; da käme ich schön an.

Aber auch von seinem Geldsuchen wurde der Förster durch eine Fußspur abgezogen, welche sich in einem Busch von Riedgras abgedrückt hatte, der einzeln zwischen dem Moos stand.

Wolfsthäler! sagte Rühs und schaute den Jüngling an, der ihm langsam gefolgt war.

Wie so Wolfsthäler? antwortete dieser; Menschentritt ist Menschentritt, und ein großer Tritt ist es obenan.

Indessen war der Förster niedergekniet und rief: Menschentritt sei Menschentritt? Hör 'Einer! Sage der Herr Otto lieber, ich sehe gerade so aus, wie er. Sieht der Herr Otto nicht, wie das Gras auf dem Umkreis von der Spur fast durchgeschnitten ist? Trete der junge Herr auch einmal auf einen ähnlichen Busch, der dort links an der Seite steht.

Der Jüngling that so; das Gras war zwar zusammengetreten, aber nicht durchgeschnitten. Das kommt, lachte der Alte, weil die Wolfsthäler Nägel an den Schuhen tragen, die noch an der Sohle herauflaufen. Eisen schneidet den Halm, Leder nicht.

Immer aufmerksamer betrachtete er die Spur, immer wüthender wurde sein Gesicht. Und wüßte ich nicht, daß er im Zuchthaus säße, es könnte kein Andrer sein, als er, denn Keiner hat so große Füße, murmelte er vor sich hin und zog einen Lederriemen mit Linien und Zollzeichen aus der Tasche. Er begann nun sorgfältig zu messen und rief endlich leidenschaftlich: Der Basler!

Was ist Basler! fragte der Jüngling.

Werd 'es dem Herrn morgen sagen, morgen, sprach der Alte ausweichend und untersuchte noch eine zweite Spur in der weichen Holzerde unter einem Tan - nenbaum, in welcher die einzelnen Schuhnägel abgedruckt waren. Mitten im Ballen war ein Kreuz von Nägelspuren: Hat der Hund die nämlichen Schuhe nicht abgelaufen in zwei Jahr Zuchthaus! So, so also der Basler wieder da! Nun aber, Herr Otto, wollen wir den Weg unter die Füße nehmen, daß wir bald in die Glashütte kommen und dann noch bei Zeiten in das Grenzthal zu unserer Sau.

Auf dem Weg zur Glashütte und wieder zurück war der Förster wortkarg, und dem Jüngling ging Mehreres durch den Kopf; stillschweigend stiegen sie in das Grenzthal herunter und spürten die Fährte ab. Sie waren jetzt wieder in der Nähe der Mühle, denn nur ein schmaler, wenn auch hoher Bergrücken liegt zwischen dem Mühlthal und Grenzthal, wo der unregelmäßige Lauf eines kleinen Baches die beiden Länder scheidet. Man kann hier schon ins Hauptthal offen und weit hinabsehen, und vorn, da wo die schwarz und rothen und gelb und rothen Wappenpfähle wenige Schritte auseinanderstehen, erhebt sich zwischen inne der schönste Buchbaum weit und breit. Sieben Buchen schlank und goldengrün im Laub schwingen sich aus Einem Stamm, ein Ruheplatz für alle Wanderer, den Bauern in der Gegend wohl bekannt, weil alljährlich um Johanni im hellen Sonnenschein der badische und würtembergische Oberförster hier zusammentreten und Rugtag halten über alle kleinen Frevel der Bauern und Streitigkeiten der Jäger, welche sich nur gemeinschaftlich aburtheilen lassen.

Es war schon gegen Abend, als sie an die sieben Buchen vorkamen; die Thäler lagen bereits im Schatten, und der Mond stand wie eine weiße Flocke hoch am dunkelblauen Himmel.

Sie setzten sich nun endlich, einmal zu ruhen, und sprachen der Feldflasche zu, die sie sich in der Glashütte vorsorglich hatten neu füllen lassen. Mit dem Trunk kehrte dem Förster auch die Sprache wieder: Ich glaube doch nicht, daß ich bald sterben muß, begann er, wenn ich schon den Maurerkarle wieder gesehen habe; doch ist es nicht sauber. Hm, Hm! Wir sind freilich allzumal sterblich, aber doch ist es auch schön im Wald. Wie's Gott fügt; ich glaub 'aber wirklich nicht. Ja, wenn ich den Burschen hätte erstechen lassen, dann; aber so glaube ich es nicht. Freilich, die Jungen wollen auch leben, und jung bin ich gerade nicht; und doch ist es so eine Sache mit dem Sterben, gnädiger Herr; ich weiß nicht, ob es im Himmel Tannen giebt und Büchsen und Hirsch', und wenn das nicht ist, so weiß ich nicht, Gott helf 'mir, was ich darin thun soll; denn das Wohlleben und Faulenzen thäte mich auch im Himmel bald hin machen. Ist's nicht so, Herr Otto?

Dem Jüngling aber war es gar nicht darum, auszumachen, wie es im Himmel aussieht, er schaute einmal über das andere auf die Uhr, und da es schon auf Sieben ging, sagte er abweisend: Ja, ja. Aber, Rühs, wäre es nicht besser, wir schauten nach den Ar - beitern, da man dort noch Holz schlagen hört, sonst nehmen sie, wenn sie nachher Feierabend machen, wieder die Hälfte der Wellen mit.

Der Herr hat Recht; mit dem Denken kommt doch nichts heraus; man sollte nie denken, denn in der Zeit betrügt der Bauer den Herrn und König und hält's gar noch für ein gutes Werk. Aber wenn ich dahin gehe, so wäre es doch besser, der Herr Otto ginge nicht mit, sondern zunächst über den Berg heim; wenn er sich aber nicht links und nicht bei der Lichtung ordentlich hinter den Büschen hält, so kommt er nach der Mühle und tappt den Wilddieben erst recht in die Hände. Im Kloster treffen wir uns wieder!

Damit stand er auf und ging dem Axtschlag nach. Otto sann einige Augenblicke, sah nach Schuß und Schloß und schlug dann langsam, als wollte er das einbrechende Dunkel abwarten, der Warnung des Jägers zuwider den Weg nach der Mühle ein.

Bis er den Berg erstiegen hatte und in die Lichtung auf dem schmalen Bergrücken kam, war der Mond klar über den Höhen. Doch war ihm der Rath des Alten gegenwärtig, vorsichtig wandelte er zwischen den, weitauseinanderstehenden Bäumen und benützte jeden Busch, als er von Ferne reden hörte und Fußtritte eines Mannes vernahm, der ihm entgegen rasch den Berg heraufkommen mußte.

Leise spannte er den Hahn und glitt hinter einen starken Stamm. Er konnte den Burschen leicht wieder erkennen, mit welchem er diesen Morgen gerungen, und der jetzt, heftig vor sich hin sprechend, allein den Fußpfad herankam. Und sie will mich nicht, und sie will ihn, hörte er den Bauern sagen; Tod und Teufel, und er soll bluten und zucken, wenn ich ihn nur treffe, den grünen Zeisig vom Unterland!

Der Bursch war vorüber und stürzte den Berg hinab, sichtbar um Otto zu suchen, von dem er wissen konnte durch die Holzknechte oder sonst, daß er noch im Walde war und bald vom Grenzthal nach dem Kloster heimkehren mußte, wo der Förster seine Wohnung hatte.

Den jungen Edelmann ekelte ein solcher Haß an; dennoch vergaß er die Vorsicht nicht, blieb ruhig stehen, bis der Bauer auf der andern Seite fast schon an den sieben Buchen sein mußte, setzte den Hahn in Ruh und glitt dann im Schutze der Nacht, denn der Mond stand jetzt hinter dem Nachtgewölk, durch das Haidekraut schnell hinab ins Thal.

Lauernd legte er sich in die Büsche hinter der Mühle, so nah, daß er den Kienspahn hinter den Scheiben glimmen sah, der am Ofen im Ring brannte, statt des Lichts. Er löste das Messer am Hirschfänger und rüstete sich zum Schuß, denn um jeden Preis wollte er heute noch die Ammrey sehen und sprechen.

Endlich hörte er die Hausthüre gehen, und die Ammrey trat heraus. Er sah sie deutlich, denn sie trug einen brennenden Span, der in der Nachtluft flackernd scharfes, schnell wechselndes Licht über die Wiese warf. Sie schien emsig nach Kräutern zu suchen und kam der Stelle immer näher, wo Otto lag.

Ammrey! flüsterte er aus dem Gebüsch, ich bin da und muß dich sprechen. Zuerst wollte sie zurückfliehen, denn sie erschrak; sie faßte sich aber schnell, stürzte die Fackel in den kleinen Sumpf am Quell, daß sie zischend erlosch, und trat dann zu den Erlenbüschen. Um Gottes und aller Heiligen willen, was führt Euch zu dieser Stunde her, Herr Jäger? fragte sie mit zitternder Stimme; wenn mein Vater käme oder die letzten Worte verschluckte sie und drängte ihn in die dunkelsten Schatten hinein. Ich könnte dich fragen, was suchst du so spät noch nach Kräutern? entgegnete der Jüngling, indem er sie näher an sich zog, und will dir eine Ausflucht ersparen und für dich antworten: weil du einen Verwundeten in der Mühle hast, suchst du Kräuter. Der Förster weiß es, er weiß Alles, und darum bin ich gekommen, dich zu warnen. Es muß zuletzt ein Unglück geben; denn morgen giebt's Kampf mit allen Jägern der Umgegend; ich muß mit; aber halte zum wenigsten deinen Vater zurück, daß er diesmal nicht mitgeht, und mach, daß der Verwundete fort kommt, sonst fällt alle Schuld auf die Mühle. Sie hing wortlos an seiner Brust; nur spät und ganz leise flüsterte sie ihm zu: Ich muß viel leiden. O, ich weiß es wohl, rief Otto; Gott weiß, was das Schaf unter den Wölfen soll. Denn es sind nicht bloß Diebe, es sind Mörder. Sie zitterte und bebte, als er ihr sein Zusammentreffen am Morgen und vorhin mit dem Maurerkarle erzählte.

Sie hatte aber nicht Zeit zu antworten. Drüben in der Mühle wurden die Stimmen heftig und laut; sie sah, daß ein Arm den Kienspan aus dem Ring nahm; ängstlich drängte sie zu gehen, denn sie begriff nicht, was es war.

Morgen um neun Uhr bei den sieben Buchen! sagte Otto; er konnte fast nicht wegkommen. Ja, bei den Buchen, riß sich Ammrey endlich los, sah Otto in den Büschen verschwinden, raufte noch schnell einige Kräuter zusammen und ging der Mühle zu.

Otto eilte am Bache hinab und kam bald an einen jähen Abgrund, der ihn vom nächsten Wege trennte, den er zu gehen hatte. In den leichten Buchen, welche über dem Abgrund schwankten, wohl dreißig Fuß hoch und nicht so dick wie ein Arm, spielte der silberne Schein; unten in der Tiefe braus'te der Bach und war schwarze Nacht.

Rasch bog Otto eine dieser Buchen herab, faßte sie so hoch am Gipfel als möglich und schnellte sich über den Abgrund. Von der andern Seite des Bachufers konnte er noch einmal die hellerleuchteten Scheiben der Mühle sehen. Er riß die Flinte herab und schoß, um seiner Gefühle los zu werden, in die Luft.

Lächelnd sah er noch, wie es drüben hinter den Scheiben wimmelte, als hätte er in ein Wespennest ge - stoßen, und verschwand dann vor jeder Verfolgung sicher im dunklen Wald.

Kurz ehe die Beiden sich getroffen hatten, war es in der Mühle noch gar still hergegangen, wie in einem friedlichen, reinlichen Bauernhause. Die Junisonne hatte des Mittags ins Thal geschienen, und doch strömte der große Ofen von Backsteinen mit grünverglas'ten Ziegeln eine gelinde Wärme aus. Auf demselben und auf der Bank rings um ihn her lagen die müden Bursche und ruhten von Nachtwachen und Bergsteigen aus. An der Ecke im eisernen Ring hing der Kienspann; grelles Licht und schwarzer Schatten wechselten in der Stube, wenn einer von den Gesellen, die auf der Ofenbank lagen, sein stummes Spiel von Gerade und Ungerade aufgab, die Kupferkreuzer zur Seite schob und neue Späne aufsteckte.

Die vier ältesten saßen um den eichenen Tisch und tranken Wein, ohne aber allzuoft die zinnernen Kannen aufzuklappen; drei davon in bequemem Discuriren über das, was im Reich unten geschieht, über Steuer und Justiz; Einer in eine alte Bilderbibel vertieft, deren vergilbte Holzschnitte, wie Simson die Füchse ins Korn treibt oder der keusche Joseph flieht, ihn wohl unterhielten.

Der Aelteste der drei Redenden war der Schluchtmüller selbst. Er war breit und eines Kopfes länger als die Uebrigen, wenn er auch etwas vorwärts gebeugt ging, als drückte ihn die Schwere seines eigenen Nackens. So starke Männer wollen leicht in allen Stücken die Ersten sein, das war bei ihm nicht; er ließ sich befehlen oder befahl, wie es die Umstände schickten, was ihm die Tochter vorsetzte, schlief, wenn es nichts zu thun gab, und wachte eben so gut drei, vier Nächte, wenn es sein mußte. Nur das, was er für sein Recht hielt, mußte man ihm nicht anfassen, sonst wurde er wüthend, daß er sich nicht mehr kannte, und schlug und warf Alles zusammen im ganzen Haus und Hof herum, bis er endlich an einen Stein kam, der auch seinen Kräften zu schwer war, oder an ein Rad, das er nicht im Schwunge hemmen konnte, weil der Bach zu stark ging. Selbst die Ammrey, das einzige Kind, das darum schon ein Wörtlein wagen konnte, ging ihm dann aus dem Wege.

Heute mußte der Schluchtmüller etwas Besonderes damit vorhaben; denn immer und immer wieder, wenn auch die Anderen von Anderem anfingen, kam er auf die böse Zeit zu sprechen, und wie der Bezirks-Richter ihm aussätzig sei. Ich sag es euch, es ist ein Elend! Jüngst muß ich hinunter nach Neuburg vors Amt. Erst lassen sie mich warten im kalten Flur, daß es eine Schande ist, dann fährt mich der Amtmann an: er wolle mir das Mühlrecht absprechen, wenn ich weiterhin den Herbergsvater machen wolle für alle Wilddiebe und ich habe auch gute Lust, dies Handwerk aufzugeben. Es ist nicht wie bei euch Andern; ihr habt gut reden, ihr trefft jedesmal ein Abkommen mit den badischen Jägern, daß ihr auf großherzoglichem Grund nichts schießen wollt; dafür lassen sie euch freien Paß mit Gewehr und Last bis zum würtembergischen Grenzpfahl und wieder zurück. Mit mir heißt es anders. Ich muß mitten unter den verdammten Ketzern wohnen, wo es nicht einmal einen ordentlichen Kirchgang hat; ihr Recht ist auch mein Recht, und ich muß zuletzt, wenn ihr weg seid, die Suppe auslöffeln mit dem Leib, aber auch mit Hab und Gut, und das gehört der Ammrey ebenso, wie mir. Ich will darum 's Wildern lassen und 's Herbergen lassen; und ich will es thun und gleich thun; von morgen ab könnt ihr nicht mehr bei mir einkehren! sprach der Alte so bestimmt, daß die Bursche vom Ofen auffuhren und die laute Bewegung entstand, welche Ammrey und den jungen Jäger auseinandergejagt hatte.

Die Anderen versuchten mit allerlei schlauen Reden, denn man glaubt es nicht, was der Bauer für ein Politicus ist, den Müller von seinem Vorhaben abzubringen; er hatte aber lange genug gesprochen und schaute nur schweigend bald Den, bald Jenen an. Als daher das Mädchen wieder in die Stube trat, war die frühere Stille; nur hatte der Lesende sein Buch sachte auf die Feuerwand hinter den Ofen gestellt und das Gespräch hatte ganz aufgehört.

Keiner wendete auch nur den Kopf oder hob das Auge auf, als Ammrey auf die Kammerthüre, aus deren Spalten ein Lampenlicht schimmerte, zuging. In einem großen viereckigten Himmelbett mit zitzenen Vorhängen lag ein Verwundeter, wie es schien, in herben Schmerzen, denn er legte die Hand ängstlich auf die linke Schulter, als könnte er dadurch ein glühendes Brennen lindern. Ammrey zerrieb die Blätter, welche sie gesucht hatte, und legte das kühle Kraut mit sanfter Hand auf die Fleischwunde. Dem Bauer mußte es wohlthun, denn er sagte halblaut: Gottes Dank, Ammrey; bet auch für mich, wenn du's Ave sprichst.

Ihr brauchtet keinen Fürsprech, Basler, wenn Ihr nur selber ans Kreuz Jesu dächtet, entgegnete das Mädchen.

Ich brauche keinen Pfaff! war die Antwort. Der Bauer wandte sich ab und schloß die Augen; hielt aber doch still unter der gleich gutmüthigen Pflege des Mädchens.

Wie sie noch kaum damit fertig war, fiel der Schuß aus Otto's Gewehr. Sie erbleichte und trat in die vordere Stube heraus. Alle waren schon auf den Beinen, ohne Geräusch und Reden, wie Männer, die an Gefahr gewöhnt sind. Der Alte hatte die Köpfe bereits abgezählt, und da Niemand fehlte als der Maurerkarle, der heute eine Kundschaft im Grenzthal übernommen hatte, sandte er die Jünglinge fort, um den Gesellen zu suchen und zugleich auszuspähen, was Widriges um den Weg sei.

Sie saßen bald wieder stumm um den Tisch oder schlummerten am Ofen; man hörte nur den Schwung und das Sausen von Ammrey's Spinnrad.

Nach einer halben Stunde traten die Bursche mit dem Gesuchten ein, den sie schon auf dem Rückweg getroffen hatten; sonst regte sich nichts im Wald und Thal. Unbemerkt suchte der Maurerkarle sein Gewehr in eine dunkle Ecke zu stellen, denn es war verboten, zum Kundschaften bewaffnet auszugehen, und seine Begleiter hatten ihn gehindert, die Flinte vor der Thüre abzustellen, weil sie ihn nicht leiden konnten und ihm einen Verweis gönnten. Der Müller hatte es aber wohl gesehen, doch sagte er nichts, ließ den Ankömmling erst den dargebrachten Trunk thun und bedeutete ihn dann, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Er richtete sich eben empor, um den Burschen auszuforschen, als seine Tochter vor ihn hintrat, so daß sie zugleich den Maurer im Auge hatte.

Um Gott, ihr guten Mannen, ich will Recht suchen, sprach sie mit fester Stimme. So muß die Anklage unter den Wilderern nach Herkommen beginnen, und die Aeltesten sprechen das Urtheil.

Sogleich sprangen die vom Ofen herzu; die Jüngeren stellten sich hinter die Männer am Tisch. Der Alte sah die Tochter zornig an; sie hielt aber den Blick so ruhig aus, daß er sich anschickte und sein Messer tief in den Tisch trieb, worauf alle Uebrigen die Messer an ihn ablieferten, zum Zeichen, daß Friede sein müsse, was auch geschehe.

Langsam erhob sich der Müller: Die Mannen suchen das Recht, nicht die Weiber; nur eine reine Jungfrau kann reden ohne Fürsprech.

Bei der Mutter Gottes und den Dornen des Gekreuzigten, ich bin rein und ist alles Wahrheit, was ich rede, so mir Gott helfe bei der ewigen Urständ, antwortete das Mädchen.

So rede! gebot er; man hätte eine Nadel fallen hören, so still war es in der Stube.

Ich klage den Maurer an um unschuldig Blut, sprach sie feierlich. Er ist ausgegangen, den jungen Jäger, der ihm das Leben schenkte, hinterrücks zu ermorden. Denn er ist giftig, weil er heute Morgen aus der Mühlluke sah, da ich den Jäger grüßte, und eifersüchtig, weil ich nichts von ihm will und von seinem Schönthun.

Vom Blitze getroffen saß der Bursche da; es bebte und zuckte in seinem Gesicht, daß er nicht reden konnte; woher konnte sie wissen, was er im Herzen gewollt hatte? Endlich rang er die Worte heraus: Du hast es mit dem Teufel, Ammrey, und du lügst, ich habe Niemand gemordet!

Ihr Auge sprühte; doch sagte sie ruhig: Schweig, und wenn der Herrgott über dem Jäger war, so hast du doch einen bösen Sinn und eine böse Hand, die deinen Brüdern Unglück bringt.

Die Anderen rückten bei diesen Worten von ihm weg, daß er allein auf dem Sünderstuhl saß; da wollte er wild fluchend auffahren, aber das Still! des Alten legte sich ihm wie ein Band um die Zunge; er blieb bleich sitzen.

Du sagst, sie lüge, begann der Schluchtmüller; warum hast du wider Gesetz die Büchse zum Abspüren mitgenommen? Der finstere Geselle schwieg.

Der Alte fragte noch einmal: Warum hast du die Büchse mitgenommen? Er schwieg wieder.

Genug, wandte sich der Richter an die Männer um den Tisch; lasset uns ihr Recht finden.

Sie sprachen leise zusammen; die Bursche athmeten kaum; das Mädchen stand noch auf derselben Stelle und sah vor sich nieder.

Nach einer Weile erhob sich der Schluchtmüller mit seinen Schöppen: Der Morgen wird zeigen, ob du das Böse vollbracht. Dann sei los und ledig von den ehrlichen Männern und komm nie wieder an unsere Thüre, nicht einmal um Brod und Wasser. Hast du es aber nicht vollbracht, so hast du es doch gewollt. Darum ist deine Hand schlimm und verflucht und du sollst heimkehren. Morgen in der Nacht trägst du das Reh, welches unten liegt, nach Baden und lässest auf zwei Monate dein Gewehr rosten. Ist ihm Recht geschehen? fragte er Alle. Ja, antworteten Diese. Nun denn, gelobt sei Gott!

Er machte eine lange Pause und setzte sich und trank erst aus.

Dann nahm er seine Tochter an der Hand und schritt mit einem Gute Nacht! auf die Thür zu; doch wandte er sich noch einmal und sagte mit zornbebender Stimme zu dem Maurer: Und was mich allein an - geht, versteh, Karle, mich allein: meine Tochter ist zu gut für dich!

Er schlug die Thüre zu; während er den Gang hinabschritt aber, sagte er zu dem Mädchen: Und du, laß dir gesagt sein, laß das Scherwenzen mit dem Jäger!

Ich habe aber nichts Unrechtes mit ihm, und er meint es ehrlich, entgegnete Ammrey.

Was ehrlich? Seit wann meint es ein Baron ehrlich mit einer Bauerntochter? Sieh, Ammrey, sprach er so laut, daß man es in der Stube hörte und eine wilde Freude dem Maurer übers Gesicht zuckte: sieh Ammrey, laß es unterwegs, oder bei Gott, ich schieße ihn todt; man soll mir kein Kind zur Kirche tragen, was keinen Vater hat! Du bist mein Einziges, setzte er ruhiger hinzu, als Ammrey ohne Gegenrede schon die Klinke ihrer Kammerthür gefaßt hatte; wegen dir lass 'ich heute alle alten Kameraden laufen und will meine Tage vollends in Ruh' verleben. Jetzt weißt du es. Er bot ihr die Hand und schob sie freundlicher in die kleine, weißgetünchte Kammer, durch deren Scheiben das Mondlicht spielte.

Sie stellte sich ans Fenster und brach die verdorrten Blätter an ihren Levkoystöcken aus. Es war das erste Wort, welches sie von Otto's hohem Stand hörte. Langsam drängten sich die Thränen aus ihren Augen; ihr war bitter weh ums Herz Und doch ist er lieb und treu! hauchte sie in die Nachtluft hinaus, küßte ihre Blumen, betete und legte sich zur Ruhe zwischen den feinen, selbstgesponnenen Linnen.

Der Wind, der Wind
Hat's schöne Müllerskind
Auf's Königs Schloß getragen,
Sie sitzet jetzt
Am goldnen Rad.
In der Wiege liegt
Ein holder Knab ';
Sie singt ihm: Eyapopei,
Schlaf, süßes Kindle mein,
Und spinnt den seidenen Faden,
Und spinnt den seidenen Faden

sang sie vor sich hin, bis der sanfte Schlaf über sie kam.

Otto war indessen nach dem breiten Thal hinabgestiegen und trat den Hohlweg herunter aus dem Walde hervor bei einer hochgewölbten Steinbrücke, die über das Flüßchen führt, welches etwa zehn Stunden nördlicher in den Neckar mündet.

Unterhalb des Bogens ist das Wasser durch einen Damm geschwellt, daß es eine ansehnliche Breite und Tiefe hat. Rauhgeschnittene starke Tannenstämme und eine Menge Scheitholz schwammen darauf; die Flößer, bis am Gurt im Wasser, banden gerade die letzten Stämme des Gestörs mit Weiden zusammen, um morgen zu Thal zu fahren, während andere, die schon fertig waren, mit einer Magd scherzten, welche die Laterne hielt und auf dem Balken schaukelten, daß der Gischt emporspritzte. Weiter unten in den Erlenbüschen grillten und schrieen die badenden Buben, daß sich Otto über die Brustwehr bog und dem nächtlichen Treiben lange zuschaute.

Es schien ihm gar nicht darum, bald nach dem Herrenhaus jenseits der Brücke zu kommen, wo der schrille Geigenton und das Jauchzen der Jäger herüberschallte.

Das Herrenhaus war früher die Wohnung des Vogts an dem Kloster gewesen, das einen Büchsenschuß davon entfernt liegt und jetzt als Försterei und Amtshaus dient. Das Haus war von Weitem immer noch stattlich genug; rings um den gepflasterten Hof standen große Scheunen und vor dem Eingang ein rauschender Röhrenbrunnen mit einem steinernen Franciscus unter schlanken Pappeln. Freilich war der eine Flügel verlassen, als könnten nur Gespenster darin wohnen, die Laden klapperten und girrten im Wind; Nichts war mehr niet - und nagelfest, als die schwere Kellerthüre, und für Nichts wurde noch Sorge getragen, als für die kühlen Gewölbe. Aber der andere Flügel war bewohnt und jetzt ein Wirthshaus, welches eine Försterswittwe mit ihren beiden Töchtern unterhielt, die auch für Speis und Trank des jungen Edelmanns sorgte, so lange er bei dem Förster Rühs, auch einem unverheiratheten Manne, lernte.

Otto war hungrig und trat deßhalb endlich doch in den Saal ein. Er sah sich zuerst nach seinem gewohnten Plätzchen im Erker um; allein die Erkerthür war zu; das junge Volk hatte Hirschfänger und Gewehre hineingestellt, daß kein Stück mehr an den vielendigen Geweihen hing, welche die Stube zierten; dazu hatten sie noch Tisch und Bänke vor der schmalen Thüre zusammengerückt, um Platz zum Tanzen zu haben, und wohl auch Unglück zu verhüten, wenn die Köpfe heiß wurden.

Nur ein Tisch am Fenster war frei: daran setzte sich Otto zu zwei alten Jägern und einem Bauern. Freundlich unterhielt er sich mit den Graubärten, während er seine Forellen verspeis'te, die nirgends so rosenrothes Fleisch haben, wie hier. Sie redeten von Geistergeschichten, die hier zu Hause sind, und Otto verlachte sie über ihren Aberglauben. Ich habe selbst erfahren, wie man sich täuscht, sagt er. Ich war so fünfzehn, sechszehn Jahre alt und glaubte auch steif und fest, was mir unser Förster auf dem Gut von Freikugeln und so vorschwatzte. Mein Vater sah dies nicht gern und schickte mich oft des Nachts in Wald hinaus. Nun hatte ich besonders viel von einem alten Wilderer gehört, den man Korbmacher nannte, der kugelfest sein sollte und sich unsichtbar machen konnte. Eines Nachts gehe ich auch pfeifend durch einen alten Schlag, der ganz ausgereutet werden sollte, weßhalb bereits eine Menge Klafterholz hin und her aufgeschüttet lag, da steht mit einem Male der Korbmacher vor mir in seinem grauen Rock. Mir geht's kalt über den Rücken, doch rufe ich: Halt! Keine Antwort! Ich schieße, der Bursche rührt sich nicht und steht wie zuvor; ich sehe ihn ganz deutlich. Ich hinter das Holz springen und noch einmal laden und noch einmal schießen, war Eins; immer bewegt sich die Figur nicht. Da fass 'ich mir ein Herz, ziehe vom Leder und auf den Kerl los; ich sah aber nichts als einen moosigen Baumstrunk von Mannshöhe, auf dem ein Kittel hing, den die Arbeiter vergessen hatten. Seither lach' ich über euren Schnickschnack!

Und doch ist es so, entgegnete der Hobbächer Waldschütz; mit Verlaub, gnädiger Herr, es giebt einmal Dinge, an die man nicht rühren soll. Freilich, man kann irren; hab 'es auch erfahren, als ich aus dem Unterland vor bald fünfzig Jahren herkam, blutjung. Es war Herbstzeit, und auf den Bergen hatte es schon Schnee. Nun schickt mich der Förster am Abend spät hinauf ins Jlgenfeld. Weil's kalt ist, trinke ich unterwegs in Dürrau einen Schnaps und hörte da Allerlei erzählen, auch, daß ein Mann auf dem Jlgenfeld wohne, der nur alle hundert Jahr einmal ins Thal herabkomme, dann gäbe es eine Mordkälte. Er habe oben ein Haus von Karfunkel; es sei aber so eisig darin, daß selbst das Licht in der Ampel gefroren sei, und man könne ihn nicht anders erlösen, als wenn man den goldigen Eiszapfen am Licht wegbreche; dann aber werde man reich, viel tausend Ducaten. Und gar Viele hätten das Karfunkelhaus geschaut. Ich lache auch und wandere gutes Muths immer höher, bis wo das Jlgenfeld an die Teufelsmühle stößt. Wie ich aber aus dem Wald herauskomme ins Gestein, so glitzert's und glimmt es vor mir in einem großen goldenen Bogen; es sieht aus, wie eine Hütte von Karfunkel. Mir stockt der Athem; und da sich auch noch mitten im Licht ein dunkler Mann aufrichtet, meine ich, es sei mein Letztes. Langsam und immer langsamer gehe ich darauf zu; da schreit's: Wer kommt?! Gut Freund, sagte ich; denn jetzt sehe ich die Köhlerhütte, und was so funkelt, ist nur der Kohlenhaufen, und es war das erstemal, daß ich einen sah. Das freilich war eine rechte Irrung; aber es giebt auch ernsthafte Dinge; so gehe ich mein Lebtag nicht wieder über den Kreuzweg vor dem oberen Grenzthal. So oft und viel ich darüber weg bin, jedesmal ist mir am selben Tag ein Unglück passirt, und es geht allen Leuten so. Es sollen sich dort zwei Brüder um ein Mädchen ermordet haben.

Hoho! ich komme eben darüber mit meinem Schlingel da, unterbrach ihn der Dürrauer Schütz; mir ist nichts passirt, und jetzt in der Stube geht auch kein Rad mehr über mich und ihn. Er deutete auf den Bauern, der zwischen den beiden Jägern saß, mit dem Rücken gegen das Fenster. Otto hatte ihn seither nicht betrachtet, sah nun aber, daß es ein gefangener Wilderer sein mußte.

Verrede es nicht! antwortete der Greis seinem Genossen; noch liegst du nicht im Bett, und es ist Unglück genug, daß du nicht einmal das Gewehr von dem Bauern aufgetrieben hast!

Wie sollt 'ich das auch gemacht haben! Denken Sie, Herr Baron, entgegnete der Getadelte: seit drei Tagen bin ich dem Kerl auf der Spur; er hat sein Nachtlager in einer alten Kohlhütte; aber jedesmal kam ich zu früh oder zu spät und traf nur abgelohtes Feuer. Heute aber nehme ich noch einen Schützen dazu; wir fangen unten im Thal an; Jeder geht in einem halben Cirkel, er rechts, ich links; an einem bestimmten Ort müssen wir dann wieder zusammentreffen und haben so Alles abgesucht. Endlich komme ich zuerst an die Hütte; mein Kamerad fehlt noch; ich wart' und warte; er kommt nicht; und richtig brennt das Feuer, und der Bauer liegt drin auf seiner Streu. Rufe ich nun, und er merkt, daß ich allein bin, so schießt er von innen heraus, und ich bin umsonst des Todes. Der andere Jäger aber kommt immer noch nicht. Jetzt fange ich an laut zu reden, als ob noch Jemand bei mir wäre; dann lass 'ich wieder mit einer andern Stimme antworten und klopfe dann keck an die Erdhütte. Heraus! schrie ich, und der Tölpel kommt richtig zum Vorschein, aber ohne Flinte und ist gar noch grob. Er hat wohl gemeint, ich soll mich jetzt bücken nach der Flinte und lang im Laub suchen; ich aber denke, die Flinte liegt wohl bis morgen, und lasse ihn voraus - gehen. Unterwegs har er auch den Schrotbeutel noch weggeworfen an einem dunkeln Ort; ich hörte ihn aber fallen, machte mir ein Zeichen und hole ihn morgen. Narr! wandte er sich an den Bauern; ich bin so gescheidt wie du; im Thurm wirst du schon klüger werden und das Wildern abschwören.

Der Bauer machte nicht viel Wesens; er antwortete nicht, verzog die Miene nicht und sah vor sich hin. Nur zuweilen schlug er die Augen auf und schaute ans andere Ende der Stube, wo der Spielmann die Fiedel strich, daß das junge Volk fast nicht mehr konnte. Otto folgte diesem Blick und lachte laut auf über dem Aussehen des Geigers.

Bei Kirchweih, Tanz und Hochzeit ist auf dem ganzen Schwarzwald der Spielmann das Factotum. Es sind meist ihrer drei, die zusammen musiciren: ein Hornist mit rothen Wangen, immer redselig, und zwei Geiger, die gar nichts sprechen und immer trinken, daß am zweiten Tage des Festes nur noch zwei verblichene Gesichter unter den alten verschossenen Mützen hervorschauen.

Heute bei einem Gelegenheitstanze führte nur ein Spielmann das große Wort, aber einer vom besten Schlag. Ein gelbes, verblichenes Seidentuch um den Hals trennte den Mann in das Oben und Unten, welches ohnehin nicht zusammenpaßte, denn der Kopf war groß und der Körper arm und höckericht. Der Bursche fiedelte mit dem ganzen Leib und sprang dabei, wie besessen, bald auf die Bank, bald auf den Tisch, bald tanzte er mit herum und schrie wie ein Vogel, quakte wie ein Frosch, oder knurrte wie ein Hund; und doch war er nie müde und geigte euch keinen einzigen falschen Ton.

Nicht so unermüdlich waren Jäger und Mädchen; sie mußten endlich doch einmal ausschnaufen und jetzt hatte der Fiedler etwas Neues zu thun, er mußte Späße machen. Die waren derb genug, aber man lachte, und er ging von Einem zum Andern, bis er endlich auch an den Tisch kam, wo Otto saß. Er grüßte denselben, wie sich gebührt; dann aber drängte er, als ob es sich von selbst verstünde, den Hobbächer Waldschützen von seinem Platze neben dem Bauern weg.

Ich muß zu meinem Vetter sitzen, sprach er, indem er dem armen Bauern die Hand hinter die Schulter legte: Trink, Vetter, trink, wenn der gnädige Herr dir einschenken läßt; er hat mehr Schoppen in der Tasche, und im Neuburger Thurm wächs't kein Markgräfler!

Otto wollte eben dazwischenfahren, denn der Spott mit dem Gefangenen war ihm zuwider, als er bemerkte, daß Bauer und Spielmann sich verstanden, denn der Geiger flüsterte einige Worte und löste, als wenn er damit spielte, den Fensterriegel mit der Hand, welche er dem Bauer hinter den Rücken gelegt hatte.

Indessen standen die Lustigen schon wieder Paarweise und warteten auf einen neuen Tanz. Der Geiger aber fuhr jetzt die beiden Waldschützen an und rief: Wenn die Alten nicht auch tanzen, ist's kein Vergnügen, und ich spiele nicht mehr; ich möchte lachen, wenn es bei ihnen nicht mehr geht!

Die Graubärte nahmen dies auf Point d'honneur; flugs waren sie hinter den Wirthstöchtern her und stellten sich an die Spitze der Paare zum Vortanz, daß Otto, der dem Bauern absichtlich den Rücken kehrte, mit diesem allein am Tische saß.

Jetzt mach, daß du kommst;
Jetzt mach, daß du gehst;
Und koch mir den Sellerich
Sellerich

Sell-rich-rich, Sell-rich-rich, geigte der Spielmann; man tanzt auf dem Schwarzwald keinen Walzer so gern, als diesen, und Alles drehte sich kunterbunt durcheinander.

Als sie einander stießen und traten und in einem Knäuel tanzten, daß Keiner mehr wußte, wo die Thüre war, öffnete der Bauer das Fenster, sprang behend hinaus und war schon im Walde über der Brücke, als die Jäger noch an den Tischen rückten, um im Erker das Gewehr zu holen, oder sich unter der Thüre in ihrem Eifer selbst drängten und hinderten.

Der alte Rühs kam eben die Stufen vor der Hausthüre herauf. Was giebt's, wo brennt's? rief er in bester Laune; laßt den Hungerleider laufen; ihr kriegt ihn doch nicht, und ist der Mühe nicht werth. Mit diesen Worten führte er den ganzen Schwarm in den Saal zurück, wo der Spielmann mit den Armen über dem Tisch lag, als schliefe er tief, und der Hobbächer den Dürrauer Waldschützen verlachte: Nicht wahr, du gehst nie wieder über den Kreuzweg am Brudermord? Du hast jetzt deinen Schaden und müde Beine umsonst; seine Flinte wird nicht auf dich warten und auch den Schrotbeutel sucht er noch heute Nacht.

Aber was giebt es denn Neues? drängte sich Alles um Rühs her, der sich schon seit heute Morgen auf diese Frage freute und Otto nur deßhalb halbe Antworten gegeben hatte, um selbst die erste Nachricht zu bringen.

Nu! ich will es kurz sagen: der Basler ist da! sagte er und schaute sich ringsum. Manche Dirne faßte ihren Schatz ängstlich am Rockzipfel, denn der Basler war der schlimmste Wolfsthäler und der böseste Wilderer weit und breit, weil seine Kugel nie fehlte, wo er seinen Mann treffen wollte.

Ja, ja! der Basler ist da; und ich habe ihn auch geschossen, aber nicht zu Tod, nur auf die Achsel. Er zog ein kleines Stück Zwilch aus der Westentasche und zeigte es herum; die Kugel ist gerade an der Naht wieder herausgefahren, wo der Aermel am Rock sitzt; es muß ihn verdammt brennen, aber in zwei Tagen ist er wieder auf den Beinen, sagte er so sicher, als ob er den Verwundeten selbst verbunden hätte; aber, was die Hauptsache ist, wir müssen über die Andern her, ehe der Basler wieder mitschießen kann. Ich habe es heute wohl abgespürt: sie wollen morgen Nacht im Batzenwald pürschen; da muß Alles herbei, was auf drei Stunden im Umkreis einen grünen Rock trägt; das muß eine Hauptaffaire geben!

Die Jäger jubelten und freuten sich; Jeder war willig, heute noch in die Umgegend Boten zu laufen, damit ja morgen Abend um sieben Uhr alle Andern auf dem Platz sein konnten. Auch Otto war es zufrieden; denn der Batzenwald lag nach einer ganz andern Seite, als die Siebenbuchen; so konnte er nicht wohl aufgestört werden, wenn er mit der Ammrey zusammen war.

Des andern Tags am Abend stand der Förster schon längst fix und fertig vor dem Herrenhaus und die Waldschützen und Jägerburschen um ihn her. Sie waren alle da; nur Otto fehlte noch, welchen er Nachmittags einen kurzen Weg nach einer neuen Schonung geschickt hatte, wovon er aber längst zurück sein konnte. Der junge Herr ist doch sonst eine Kopflänge voraus, wo man den Hals brechen kann; es wird ihm doch Nichts passirt sein? sagte Rühs endlich fast ärgerlich, weil man kaum gut länger warten konnte, und es ist Schade, Schade, wenn der junge Herr heute nicht dabei wäre; es kommt doch nicht alle Tage.

Er schickte einen Burschen nach dem andern aus, um den Herrn Otto zu suchen; sie kamen alle ohne ihn wieder, und am Ende mußte man doch auch ohne ihn aufbrechen.

Otto hatte sich mit der Wirthin verständigt, um, wie er angab, einen Scherz zu machen, und lachte hinter den Vorhängen der obern Stube durch, als er sie endlich abziehen und im Gehölz nach den Batzenwald zu verschwinden sah.

Zuletzt machte er sich auch auf in einer andern Richtung; da er aber nicht zu eilen hatte, sondern nur ungeduldig war, nahm er den weitesten Weg über die Wiesen; denn er wollte vor Nacht gar nicht in den Wald und vor neun Uhr nicht zu der Grenzbuche kommen.

Langsam stieg er, als es endlich dunkelte, zur Höhe auf einem grasigen Weg, bis er an die älteren Schläge kam und die Weißtannen höher wurden und im Nachtwind rauschten. Das Wetter war unsicher; der Mond stritt sich mit den Wolken, und oft war's schwarze Nacht um ihn, wo das Dickicht stark wurde. Er wollte auf den Bergrücken kommen, welcher die Mühle vom Grenzthal trennt, und dort auf das Mädchen warten. Seine Gedanken waren schon bei ihr und darum seine Füße nachlässig; denn er stieß sich im Dunkel heftig an einen Stein, daß er fast gefallen wäre.

Da der Mond gerade vorkam, so besah er sich den Stein; sein Haar sträubte sich aber, und kalt ging es ihm den Rücken hinab, als ihm der Kreuzweg am Brudermord in die Augen fiel. Die Worte des Wald - schützen kamen ihm in den Sinn. Zurück, zurück! rief es ihm zu. Die Bäume schienen hereinzulangen und ihm den Weg zu versperren. Er fuhr sich mit der Hand über Stirn und Augen; er zauderte aber er ging weiter.

Er hörte im Kloster die Abendglocke läuten; es mußte also halb neun Uhr sein, als er an den Fußpfad kam, der von der Mühle nach den sieben Buchen führt. Es war ihm zuwider, daß er hier ein kaum abgebranntes Feuer fand und niedergetretenes Gebüsch und Kraut; er machte sich aber vergeblich Gedanken darüber; und da es ringsum still war, ließ er es auch sein, setzte sich ins Dickicht am Weg und wartete.

Das Mädchen dachte wohl auch an die Stunde, aber sie mußte warten, bis der Maurer erst mit dem Reh fort war, und ihr Vater aufhörte mit dem Basler zu reden, welcher matt und krank, aber doch wieder aufrecht, auf der Ofenbank saß und unwirrsch war, daß er heute gerade zu Hause bleiben mußte, wo er so doppelt nöthig war, weil sich der Schluchtmüller durch Nichts bereden ließ, nur noch ein Allerletztesmal die Bande anzuführen.

Endlich aber war der Bursche schon geraume Zeit weg, daß er über dem Berge sein mußte, und der Vater sagte Gute Nacht.

Sie wartete noch eine Weile; dann öffnete sie leise ihr Kammerfenster, horchte hinaus und schaute nach den Wolken. Ein leichter Sprung brachte sie auf den Berg, in welchen das Haus hineingebaut ist, und munter kletterte sie gerade empor, denn der schlängelnde Fußweg war ihr viel zu lang. Oft schaute sie sich um, das ungewisse Wechseln von Mondschein und Nacht mußte sie schon schützen, daß sie nicht gesehen wurde.

Und doch war ein böses Auge wach. Der Maurerkarle war mit seiner Last den Berg hinaufgestiegen; sie drückte ihn, und er warf sie ab. Er weinte fast vor Grimm und konnte sich doch von der Mühle nicht trennen; setzte sich und brütete in sich hinein. Da war es ihm, als sähe er ein weißes Tuch vor Ammrey's Fenster wehen; bald darauf flatterte das weiße Zeichen höher und höher am Berg.

Zuerst schritt er ein paar Schritte querein auf die Gestalt zu; er besann sich aber und sprang den Berg hinab in die Mühle. Mit der Faust schlug er dem Alten an die Kammerthüre: Die Ammrey ist eben hinaus in den Wald, zum Stelldichein mit dem Jäger, die reine Jungfrau, die für mich zu gut ist! rief er voll Spott und Hohn. So bös er war, erschrak er doch, wie der Müller aufbrüllte, aus dem Bette sprang, halb angekleidet Jagdtasche sammt Gewehr überwarf und den Berg gerade hinaufrannte, daß der Maurer nicht nachkam.

Otto war seines Harrens auch überdrüssig geworden und schritt gegen die Siebenbuchen hinab, als ein Hund ihn stellte und leise anschlug. Der Förster trat hinter demselben aus dem Dickicht vor: Halt's Maul, du ungebildetes Thier; es ist ja der Herr Baron, der unsere Spur gefunden hat. Hätt 'ich doch den Kopf verwettet, daß uns der Herr Otto bei Nacht nicht finden werde; und doch kommt er. Es war unten im Batzenwald Nichts; deshalb haben wir uns hierher verzogen. Wir schätzen: die Wilderer seien im Grenzthal, so einen Büchsenschuß über der Grenzbuche aufwärts. Es paßt gerade, daß der Herr Otto auf uns trifft; und nur immer das Mittel genommen, wenn man zielt, junger Herr, und vorsichtig!

Wohl oder übel mußte Otto dem Förster folgen, der, statt vollends in das Thal hinabzusteigen, sich an der Halde hinzog, bis sie auf die Andern trafen, welche nun in der That die Spur der Wilderer gefunden hatten. Sie beriethen sich so leise als möglich, denn die Bauern mußten ganz in der Nähe sein. Die Jäger standen an einer Wegscheide; drei Wege liefen nach verschiedenen Seiten durchs Grenzthal, zwei davon aber bald über den Bach, der eine große Krümmung machte, und also auf badischem Grund und Boden, wo die Jäger von Rechtswegen Nichts zu thun hatten.

Geh der Herr Otto nur auf dem Weg rechts vor mit dem Dürrauer Waldschütz, sagte Rühs; wenn es auch badischer Weg ist, hat es da doch am wenigsten Gefahr; ich nehme den mittleren Weg mit dem Hobbächer; die Andern halten zusammen und gehen links. Falls ein Schuß fällt, läuft Alles hier an die Wegscheide zurück, daß wir im Nothfall bei einander sind.

Otto gehorchte um so lieber, weil der Weg, welcher ihm angewiesen war, zunächst nach den sieben Buchen führte. Er war schon einige Schritte voraus, als die Sau, welche sie gestern abgespürt hatten, über den linken Weg wechselte; er sah und hörte noch, wie der alte Rühs den Mittelweg hinabstürzte und dem Waldschützen zuflüsterte: Die Sau muß würtembergisch werden. Schneller eilte Otto voran, denn das Thier konnte ihm ja auch noch auf seinem Weg zu Schuß kommen.

Er kam in eine kleine Lichtung und sah die Sau auch richtig anrennen; schon legte er an, da knackt es neben ihm, und wie er so hinsieht nach dem eigenen Geräusch, erblickt er einen starken Mann, der kaum aus zehn Schritte nach ihm zielt und eben dabei ist, wieder aufzuziehen, weil es ihm das erstemal versagt hat.

Es war nicht zu zaudern. Otto zog das Gewehr heraus, schoß, und lautlos fiel sein Mann. Otto glaubte von den Buchen her einen leisen Schrei zu vernehmen und die Gestalt Ammrey's zu erkennen, die dem Walde zueilte. Er stürzte zurück zu seinen Genossen, die so eilig zusammenliefen, daß Rühs seine Mütze dabei verlor. Er berichtete kurz, und man beschloß zurückzugehen, daß die Wilderer ihren Kameraden suchen könnten. Alle wanderten stumm und leise und sprachen das erste Wort, als man endlich die Uhr auf dem Kloster schlagen hörte. Doch war die Gefahr erst ganz vorüber, als endlich das Unwetter losbrach, was den ganzen Abend gedroht hatte; jetzt war es so Nacht, daß man vor jeder Kugel sicher blieb.

Unter Sturm und Regen erreichten sie die Försterei; sie waren jetzt geborgen, aber es wollte mit dem Behagen nicht recht werden; sie hatten etwas auf dem Herzen und durften doch vor Andern davon nicht reden. Otto nicht und trank nicht, die Stille wurde zuletzt unleidlich, und Alle legten sich nieder, um in der Frühe an den Unglücksplatz zurückzukehren.

So geschah es. Ehe die Sonne ganz heraufkam, war schon Alles in der Försterei wach, und die ganze Gesellschaft zog leichteren Herzens, denn sie konnten jetzt wenigstens unter sich davon reden, auf dem nächsten Wege ins Grenzthal.

Der Fall war schwierig. Auf badischem Grund und Boden war der Schuß gefallen, dort lag auch der Todte, und doch hatten die Jäger weder Recht noch Pflicht, so weit zu verfolgen. Kam die Sache aus, so gab es zum mindesten eine langwierige Untersuchung, und davor scheut sich in jener Gegend, wer eine Büchse trägt.

Freilich war zu hoffen, daß die Wilderer den Leichnam gefunden und begraben hatten; wenn aber nicht, so mußten ihn die Jäger einscharren, und dies war eine gefährliche Arbeit, denn kaum hundert Schritt davon ging ein Fahrweg, und wenn der badische Förster dazukam, gab es eine böse Geschichte.

Davon schwatzten die Andern; Otto aber ging still hinterher und schaute nach der Mühle hinab.

Endlich kamen sie an den Scheideweg. Ich gehe nicht weiter, sagte der Jüngling; ich will hier warten, bis ihr zu Ende seid.

Mir ist es auch recht, sprach der alte Rühs; ich will dem Herrn Otto schon sagen, wo er ihn hingeschossen hat; er mag nur ein Weniges Obacht geben, wenn ein badischer Jäger kommt, und uns zur Warnung einen Eulenruf thun. Und du, wandte er sich zum jüngsten Jägerburschen, indem er ihm die Schaufel abnahm, du suchst meine Kappe, sei aber vorsichtig! Seht ihr dort die frischen Spuren im Gras? rief er erfreut; sie haben nach ihm gesucht; auch gut; so ist uns die Arbeit erspart!

Sie gingen, und Otto blieb allein. Es wäre ihm jetzt gar viel werth gewesen, hätte er gestern am Kreuzweg umgedreht; denn es wurmte ihn unheimlich, daß er ordentlich eine Freude hatte, als nach einer Weile Rühs wieder ankam.

Sie haben ihn schon unter dem Boden; eben wälzen sie Steine darüber, und der Hobbächer will noch 's Vater-Unser sprechen. Und weiß der Herr Otto, wer es ist? Der Schluchtmüller ist's! Hat ihn doch endlich der Teufel noch holen müssen nach dreißig Jahren, fuhr Rühs fort, ohne zu bemerken, daß Otto bleich wurde und sich an einem Stamm hielt gerade durch die Brust; glaub 'ich es doch gern, daß Der nicht mehr geschnappt hat!

Jetzt schaute er Otto an. Aber um Alles in der Welt, was kommt denn meinem jungen Herrn an, rief er, der sieht ja aus weiß wie ein Leintuch! Der Herr muß es sich nicht so zu Herzen nehmen: es ist ja nur ein Wilderer und war Nothwehr, pure Nothwehr, und in des Königs Namen!

Als die Andern herzukamen, faßte sich Otto gewaltsam zusammen. Sie brachten die Habseligkeiten mit, welche sie bei dem Todten gefunden hatten: die Büchse und die Jagdtasche mit dem Schrotbeutel, Pulverhorn, einige Gulden Geld, blutige Stricke, an denen noch Rehhaare klebten, und ein altes, abgegriffenes katholisches Gebetbuch.

Diese Art ist noch fromm, wenn sie gerade vom Teufel geholt wird, sagte Rühs, indem er sich bemühte, den Schuß aus der Flinte zu ziehen; und eine Ladung hat er, es hätte ein Elephant fallen müssen. Sieh der Herr Otto nur her; und mach 'er sich jetzt keinen Kummer weiter; der Eine oder der Andre! und 's ist jetzt doch besser, wie es ist. Aber meine Kappe! schrie er dem Jägerburschen zu, der vom Suchen zurückkam.

Die Wilderer müssen sie gefunden haben, antwortete der Andere; es ist unten ein trockener Ring mitten im nassen Gras; aber: die Kappe ist weg, und wenn der Name drin steht, so könnt Ihr beten!

Und du bist ein naseweises unerfahrenes Bürschchen, lachte der Alte; wenn ich auf Wilderer ausgehe, setze ich immer eine badische Jägerkappe auf. Denen in Baden kann es nicht schaden, wenn einer von ihren Hungerleidern wegen mir erschossen wird; warum verrathen sie uns an die Wolfsthäler! Er rieb sich vergnügt die Hände.

Otto war indessen unbemerkt weggegangen und verbarg sich im Walde. Der junge Herr dauert mich, sagte der Alte; doch wird er sich schon daran gewöhnen; wir mussen aber jetzt eilig ans Geschäft; man verthut zu viel Zeit!

Die Jäger wanderten fort, der Eine dahin, der Andre dorthin, und Rühs schritt allein weit hinauf ins Grenzthal und pfiff sich dazu etwas Lustiges vor.

Er dachte noch darüber nach, wie dem Schluchtmüller doch eigentlich ganz Recht geschehen sei, als er mitten im Dickicht den Basler vor sich stehen sieht, wie er leibt und lebt.

Halt in des Königs Namen! donnerte er ihn an und zog die Büchse herauf. Der Wilderer lachte ihm ins Gesicht und deutete auf sechs Flintenläufe, die sich von allen Seiten aus den Büschen gegen den Förster richteten.

Sich zu widersetzen, wäre unnütz gewesen; Rühs ließ sich also die Büchse abnehmen und wartete ruhig ab, wie weit sie es mit ihm wagen würden.

Jetzt wird abgerechnet! sagte der Basler, indem er ihm mit einem wilden Lachen auf die Schulter klopfte; wir wollen probiren, ob du kugelfest bist, wie die Leute sagen.

Rühs antwortete nicht, denn es schickte sich nicht, mit Spitzbuben zu capituliren, und wanderte kerzengerade mit den Wilderern hinunter bis an den Fahrweg neben der Grenzbuche.

So, jetzt knie 'nieder, sagte grimmig der Basler, zog, wenn auch mit Schmerzen, den Arm aus der Schlinge und spannte. Du hast mich zweimal geschossen; das wollt' ich vergeben. Wer hat aber den Schluchtmüller kalt gemacht? Doch auch du; denn der Junge schießt nicht so sicher. Gebt die Kappe her! Meinst du denn, du seiest allein der Fuchs, und ich glaubte, die Kappe sei einem badischen Jäger? Du mußt sterben, schrie er, als Rühs beharrlich schwieg; kniee nieder und sag dein Gebet!

Rühs kniete und sagte mit fester Stimme sein Vater Unser, als ihm der Basler die Mündung an die Stirne legte.

Ruhig hätte er den Schuß empfangen, aber der Bauer zögerte und zögerte und machte den Schnepper erst los. Dies ertrug auch der zähe Förster nicht; er wurde bleich und sank zusammen.

Holt ihm Wasser! gebot der Hauptmann; sie spran - gen an den Bach und strichen Rühs an, bis er wieder zu sich kam. Einige Bauern murrten zwar, daß es jetzt genug sei; der Basler ließ sich aber nicht erbitten, bis der Maurer entstellt und verwirrt aus dem Walde gerannt kam und rief: Laßt ihn gehen; er ist unschuldig am Blut; der Junge hat's gethan, ich weiß es gewiß!

Darüber erhob sich ein Streit unter den Gesellen, weil der Hauptmann die Büchse wieder angelegt hatte und Rühs wieder umgesunken war.

Ein Holzwagen knarrte im Walde; der Basler lachte: Jetzt ist er gestraft! warf dem Jäger seine geladene Büchse wieder vor die Füße und winkte seinen Gesellen ab.

Rühs griff instinktmäßig und halb betäubt nach seinem Gewehr; er wollte auffahren und dem Bauern eine Kugel nachsenden; aber die Kraft verließ ihn. Es wäre auch Gott versucht! stammelte er; es wurde ihm schwarz vor den Augen.

Er mußte lange gelegen haben; denn als ihn Otto in diesem Zustande traf, spielte die Sonne lustig im Laub und der Thau war aufgesogen. Der Jüngling schleppte ihn an die Ruhbank unter den sieben Buchen, treu besorgt um den Alten, der endlich die Sprache fand und nun des Langen und Breiten erzählte.

So hat der Maurerkarle vor zwanzig Jahren doch Recht gehabt, sagte er stockte aber inmitten der Rede und schaute gegen den Berg.

Ein Mädchen trat aus dem Walde in einem schwärzen langen Rocke; in den offenen Haaren spielte der Wind, die Schuhe und den Strohhut trug sie unter dem Arm und ging, auf den Rosenkranz schauend, an den Männern langsam vorüber.

Der Jüngling sprang auf und wollte Ammrey aufhalten. Sie aber wendete sich um, sah ihn lange an aus den tiefen blauen Augen und winkte ihm, stille zu stehen.

Er gehorchte; lautlos stand er und sah sie im Holz verschwinden; aber sein Herz schrie in bitterer Noth.

Es war wieder ein Morgen um den andern Tag, der ging stundenweit vom Grenzthal auf, wo sich der Schwarzwald gegen den Rhein öffnet.

Es war sonntäglich still in dem grünen Thal; die Reben blühten, Kastanien und Nußbäume hingen schattig weit über den Weg, auf welchem ein Mädchen dem Dorfe zuwanderte. Es mußte die Nacht hindurch gegangen sein, denn die Locken waren thaufeucht, das Angesicht blaß und die verweinten Augen erloschen. Es sah nicht rechts, noch links; im Herzen hatte es eine todte Welt.

Darum hörte es auch nicht auf das Lied, das sich Mädchen und Buben vorsangen, die unterm Lindenbaum an der Sägmühle auf dem frisch zugeschnittenen Balken saßen und sich herzten und küßten.

Diese aber mußten das Mädchen kennen; sie stießen sich an, wie es vorüberging: Es ist des Schluchtmüllers Ammrey. Was hat sie nur auch? Sie muß in Trauer sein! flüsterten sie sich zu, die laute Luft verstummte, und die Augen suchten sich, die sich lieb hatten.

Es lebte noch eine Mutterschwester der Ammrey verheirathet in diesem Dorfe. Zu ihr wollte die Verlassene: zuvor aber ging sie bis ans Ende des Dorfs, wo die Kapelle mitten im Todtengarten gebaut ist.

Sie trat in das alte, offene Gebäude, kniete wortlos und weinend vor dem buntgeschmückten Gnadenbilde, das mit welken Blumen und Flittergold geziert war noch vom Allerseligentag her.

Leise sang sie empor zu der Mutter Gottes:

Wenn's Gott gefällt, so kann's nicht sein,
Es wird dich letzt erfreuen.
Was du jetzt nennest Kreuz und Pein,
Wird dir zum Trost gedeihen.
Die Aloe
Bringt bittres Weh,
Macht gleichwohl rothe Wangen;
So muß ein Herz
Durch Angst und Schmerz
Zu seinem Heil gelangen.

Um dieselbe Stunde ritt Otto vom Kloster weg, heimwärts an den Neckar. Der Förster wollte ihn keine Stunde länger der gewissen Gefahr von den Wilderern aussetzen und hatte ihn noch eine Strecke geleitet.

Jetzt war er allein und ließ sein Pferd ruhig gehen.

Oft schaute er zurück. Als er aber weiter hinabkam ins Thal und die Kuppe der Teufelsmühle, um welche unten dichter Nebel lag, zum letztenmale sah, da sang er laut in die Lüfte hinaus:

Glaub 'wohl, kein Wasser ist so tief,
Für das kein Schiff bereit,
Gäb' es ein so wildes Herze,
Das nimmermehr verzeiht?
Muß sein! muß sein! Nie kommt zurück
Der Tag, der heut vergeht;
Eine andere Lieb ', ein ander Laub
In jedem Frühling steht.
Meine Wange ist so frisch und roth,
Meine Augen sind so hell:
Mein Rößlein schreitet munter,
Ich komme nicht von der Stell '.
Schau 'mich um und schau' gar oft mich um,
Als sucht 'ich was so sehr;
Im Sinn ist mir, als wenn es wohl
Verlorene Liebe wär'.

About this transcription

TextDie katholische Mühle
Author Adolf Widmann
Extent75 images; 15631 tokens; 3847 types; 94985 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Thomas WeitinNote: Herausgeber Digital Humanities Cooperation Konstanz/DarmstadtNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-03-16T13:16:28Z Jan MerktThomas GilliJasmin BieberKatharina HergetAnni PeterChristian ThomasBenjamin FiechterNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-03-16T13:16:28Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Die katholische Mühle. Band 3. Adolf Widmann. 2. Globus VerlagBerlin1910. Deutscher Novellenschatz pp. 161-232.

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Bibliothek der Universität Konstanz deu 838.29/h29https://katalog.uni-konstanz.de/libero/WebopacOpenURL.cls?ACTION=DISPLAY&RSN=948187

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; ready; novellenschatz

Editorial statement

Editorial principles

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Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T11:25:53Z
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Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0)

Holding LibraryBibliothek der Universität Konstanz
Shelfmarkdeu 838.29/h29
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