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9Frauenwahlrecht!

Darf die Frau als minderwertig vom politischen Recht ausgeschlossen bleiben?

Wahlrecht und Wählbarkeit zu allen gesetzgebenden und ver - waltenden Körperschaften müßten alle Frauen fordern und nicht bloß die, welche in der Gesellschaft produktiv tätig sind. Auch die Nur-Hausfrauen und Mütter leisten der Allgemeinheit die wichtigsten Dienste. Über die gesellschaftliche Bedeutung der produktiven Frauenarbeit zu reden, ist kaum noch nötig. Daß die Frau als Berufstätige ebenbürtig neben dem Manne steht, beweist besser als viele Worte die stetige und rasche Ausdehnung der Frauenarbeit.

Aber lenken wir einmal den Blick auf das Wirken der Frauen, die nicht erwerbstätig sind. Die Gesellschaft könnte gar nicht bestehen ohne das, was heute Millionen Frauen in den vier Pfählen leisten, und was unter geänderten sozialen Ver - hältnissen in anderen Formen von ihnen geleistet werden müßte. Die Männer würden heute nicht im - stande sein, die Anforderungen zu er - füllen, welche die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der Staat an sie stellen, wenn nicht der Frauen weises Schalten im häuslichen Kreise wäre. Hinter dem Verdienst und der Steuerkraft des Mannes steht die spa - rende Arbeit der Frau im Hause. Und wie viel Jntelligenz, Umsicht und Ener - gie müssen nicht gerade die Proletarie - rinnen aufwenden, um durch das Regen ohn 'Ende der fleiß'gen Hände den Mann als Arbeiter, Familien - vater und Staatsbürger gesund und leistungsfähig zu erhalten. Welche Finanzkunst müssen sie nicht zu diesem Zwecke betätigen! Mancher Staats - mann könnte es darin mit ihnen nicht aufnehmen.

Außerdem ist da eine andere hoch - wichtige Leistung: die Pflege und Er - ziehung der Kinder. Setzt sie nicht viele Fähigkeiten des Geistes und Charakters voraus, und liegt sie nicht ganz beson - ders im Jnteresse der Gesellschaft? Sie erhält und bildet ja die lebendigen menschlichen Kräfte, die morgen ihre Träger sein und ihren Reichtum an Gütern und Kultur schaffen werden. Viele Frauen der kleinen Leute sind im stillen wahre Heldinnen an Mut und Aufopferung, um ihren Kindern eine erträgliche Jugend zu bereiten; sie betätigen die größte Um - sicht und Klugheit, um lebenstüchtige Menschen aus ihnen zu machen. Sie selbst verkümmern und sterben, ehe daß die Kinder es ihnen vergelten könnten; der Allgemeinheit haben sie den wertvollen Reichtum geschenkt: einen gesunden und tüchtigen Nachwuchs. Die Gesellschaft will aber die sozialen Verdienste des Weibes als Mutter nicht anerkennen. Sie findet in ihnen keinen Grund zur politischen Gleichberechtigung. Von zwei Dingen eins: Sind die Leistungen der Mutter vom Standpunkt des Gesellschaftsinteresses so nebensächlich und minderwertig, daß man die Frau nicht als vollberechtigte Bürgerin anerkennen kann, so nehme man den schwachen und ungeeigneten Händen die wichtige Aufgabe der Kindererziehung ab. Sind diese Leistungen dagegen so schätzenswert, wie die Dichter gelegentlich singen, dann vorenthalte man der Mutter, der Erzieherin der künftigen Bürger, nicht länger ihre volle Gleichberechtigung. Ein wenig Logik, ein wenig Gerechtigkeit, ihr, die ihr die Mutter in der Familie mit einem Heiligenschein verklärt, die nämliche Mutter aber in Staat und Gemeinde nicht kennt!

Sicherlich hat das Weib seine Eigenart. Sie bewirkt, daß die Frauen die Dinge vielfach anders ansehen und erfassen wie die Männer. Jm Jnteresse der Gesellschaft ist es jedoch nur gut, daß dem so ist. Daß die Frau anders ist als der Mann, bedeutet ja keineswegs, daß sie weniger wert ist als er, und daßihre Leistungen geringer sind als die seinigen. Das Wohl der Gesamtheit erfordert, daß auch dem öffentlichen Leben alle der Frau eigentümlichen Kräfte nutzbar gemacht werden. Das volle Bürgerrecht der Frau ist der Nutzen der Gesamtheit. Haus - frauen, Mütter, reicht euren erwerbstätigen Schwestern die Hand um euer aller Recht zu erkämpfen!

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About this transcription

TextDarf die Frau als minderwertig vom politischen Recht ausgeschlossen bleiben?
Author Frida Wulff
Extent1 images; 567 tokens; 324 types; 4029 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-12-04T18:21:26Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2016-06-20T13:49:26Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Darf die Frau als minderwertig vom politischen Recht ausgeschlossen bleiben?. Frida Wulff. 1. DietzStuttgart1911. Frauenwahlrecht! p. 9.

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Freie Universität Berlin 62 99 50908(7)

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LanguageGerman
ClassificationGebrauchsliteratur; Gesellschaft; ready; tdef

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Shelfmark62 99 50908(7)
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