PRIMS Full-text transcription (HTML)
Geiſtige Arbeit als Beruf Vorträge vor dem Freiſtudentiſchen Bund
Wiſſenſchaft als Beruf
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München und LeipzigVerlag von Duncker & Humblot1919
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Jch ſoll nach Jhrem Wunſch über Wiſſenſchaft als Beruf ſprechen. Nun iſt es eine gewiſſe Pedanterie von uns Nationalökonomen, an der ich feſthalten möchte: daß wir ſtets von den äußeren Verhältniſſen ausgehen, hier alſo von der Frage: Wie geſtaltet ſich Wiſſenſchaft als Beruf im materiellen Sinne des Wortes? Das bedeutet aber praktiſch heute im weſentlichen: Wie geſtaltet ſich die Lage eines abſolvierten Studenten, der entſchloſſen iſt, der Wiſſenſchaft innerhalb des akademiſchen Lebens ſich berufsmäßig hinzugeben? Um zu verſtehen, worin da die Beſonderheit unſerer deutſchen Verhältniſſe beſteht, iſt es zweckmäßig, vergleichend zu ver - fahren und ſich zu vergegenwärtigen, wie es im Auslande dort ausſieht, wo in dieſer Hinſicht der ſchärfſte Gegenſatz gegen uns beſteht: in den Vereinigten Staaten.

Bei uns das weiß jeder beginnt normalerweiſe die Laufbahn eines jungen Mannes, der ſich der Wiſſenſchaft als Beruf hingibt, als Privatdozent . Er habilitiert ſich nach Rückſprache und mit Zuſtimmung des betreffenden Fachver - treters, auf Grund eines Buches und eines meiſt mehr formellen Examens vor der Fakultät, an einer Univerſität und hält nun, unbeſoldet, entgolten nur durch das Kolleggeld der Studenten, Vorleſungen, deren Gegenſtand er innerhalb ſeiner venia legendi ſelbſt beſtimmt. Jn Amerika beginnt die Laufbahn normaler - weiſe ganz anders, nämlich durch Anſtellung als assistant . Jn ähnlicher Art etwa, wie das bei uns an den großen Jn - ſtituten der naturwiſſenſchaftlichen und mediziniſchen Fakultäten vor ſich zu gehen pflegt, wo die förmliche Habilitation als Privatdozent nur von einem Bruchteil der Aſſiſtenten und oft erſt ſpät erſtrebt wird. Der Gegenſatz bedeutet praktiſch: daß bei uns die Laufbahn eines Mannes der Wiſſenſchaft im ganzen auf plutokratiſchen Vorausſetzungen aufgebaut iſt. Denn es iſt außerordentlich gewagt für einen jungen Gelehrten, der keinerlei Vermögen hat, überhaupt den Bedingungen der akademiſchen Laufbahn ſich auszuſetzen. Er muß es mindeſtens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne irgendwie zu1*4wiſſen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht. Jn den Vereinigten Staaten dagegen beſteht das bureaukratiſche Syſtem. Da wird der junge Mann von Anfang an beſoldet. Beſcheiden freilich. Der Gehalt entſpricht meiſt kaum der Höhe der Entlohnung eines nicht völlig ungelernten Arbeiters. Jmmerhin: er be - ginnt mit einer ſcheinbar ſicheren Stellung, denn er iſt feſt beſoldet. Allein die Regel iſt, daß ihm, wie unſeren Aſſiſtenten, gekündigt werden kann, und das hat er vielfach rückſichtslos zu gewärtigen, wenn er den Erwartungen nicht entſpricht. Dieſe Erwartungen aber gehen dahin, daß er volle Häuſer macht. Das kann einem deutſchen Privatdozenten nicht paſſieren. Hat man ihn einmal, ſo wird man ihn nicht mehr los. Zwar An - ſprüche hat er nicht. Aber er hat doch die begreifliche Vor - ſtellung: daß er, wenn er jahrelang tätig war, eine Art moraliſches Recht habe, daß man auf ihn Rückſicht nimmt. Auch das iſt oft wichtig bei der Frage der eventuellen Habilitierung anderer Privatdozenten. Die Frage: ob man grundſätzlich jeden, als tüchtig legitimierten, Gelehrten habili - tieren oder ob man auf den Lehrbedarf Rückſicht nehmen, alſo den einmal vorhandenen Dozenten ein Monopol des Lehrens geben ſolle, iſt ein peinliches Dilemma, welches mit dem bald zu erwähnenden Doppelgeſicht des akademiſchen Be - rufes zuſammenhängt. Meiſt entſcheidet man ſich für das zweite. Das bedeutet aber eine Steigerung der Gefahr, daß der betreffende Fachordinarius, bei ſubjektiv größter Gewiſſen - haftigkeit, doch ſeine eigenen Schüler bevorzugt. Perſönlich habe ich um das zu ſagen den Grundſatz befolgt: daß ein bei mir promovierter Gelehrter ſich bei einem andern als mir und anderswo legitimieren und habilitieren müſſe. Aber das Reſultat war: daß einer meiner tüchtigſten Schüler anderwärts abgewieſen wurde, weil niemand ihm glaubte, daß dies der Grund ſei.

Ein weiterer Unterſchied gegenüber Amerika iſt der: Bei uns hat im allgemeinen der Privatdozent weniger mit Vor - leſungen zu tun, als er wünſcht. Er kann zwar dem Rechte nach jede Vorleſung ſeines Faches leſen. Das gilt aber5 als ungehörige Rückſichtsloſigkeit gegenüber den älteren vor - handenen Dozenten, und in der Regel hält die großen Vor - leſungen der Fachvertreter, und der Dozent begnügt ſich mit Nebenvorleſungen. Der Vorteil iſt: er hat, wennſchon etwas unfreiwillig, ſeine jungen Jahre für die wiſſenſchaftliche Ar - beit frei.

Jn Amerika iſt das prinzipiell anders geordnet. Gerade in ſeinen jungen Jahren iſt der Dozent abſolut überlaſtet, weil er eben bezahlt iſt. Jn einer germaniſtiſchen Abteilung z. B. wird der ordentliche Profeſſor etwa ein dreiſtündiges Kolleg über Goethe leſen und damit: genug , während der jüngere assistant froh iſt, wenn er, bei zwölf Stunden die Woche, neben dem Einbläuen der deutſchen Sprache etwa bis zu Dichtern vom Range Uhlands hinauf etwas zugewieſen be - kommt. Denn den Lehrplan ſchreiben die amtlichen Fach - inſtanzen vor, und darin iſt der assistant ebenſo wie bei uns der Jnſtitutsaſſiſtent abhängig.

Nun können wir bei uns mit Deutlichkeit beobachten: daß die neueſte Entwicklung des Univerſitätsweſens auf breiten Gebieten der Wiſſenſchaft in der Richtung des amerikaniſchen verläuft. Die großen Jnſtitute mediziniſcher oder natur - wiſſenſchaftlicher Art ſind staatskapitaliſtiſche Unterneh - mungen. Sie können nicht verwaltet werden ohne Be - triebsmittel größten Umfangs. Und es tritt da der gleiche Umſtand ein wie überall, wo der kapitaliſtiſche Betrieb ein - ſetzt: die Trennung des Arbeiters von den Produktions - mitteln . Der Arbeiter, der Aſſiſtent alſo, iſt angewieſen auf die Arbeitsmittel, die vom Staat zur Verfügung geſtellt werden; er iſt infolgedeſſen vom Jnſtitutsdirektor ebenſo abhängig wie ein Angeſtellter in einer Fabrik: denn der Jnſtitutsdirektor ſtellt ſich ganz gutgläubig vor, daß dies Jn - ſtitut sein Jnſtitut ſei, und ſchaltet darin, und er ſteht häufig ähnlich prekär wie jede proletaroide Exiſtenz und wie der assistant der amerikaniſchen Univerſität.

Unſer deutſches Univerſitätsleben amerikaniſiert ſich, wie unſer Leben überhaupt, in ſehr wichtigen Punkten, und dieſe Entwicklung, das bin ich überzeugt, wird weiter übergreifen6 auch auf die Fächer, wo, wie es heute noch in meinem Fache in ſtarkem Maße der Fall iſt, der Handwerker das Arbeits - mittel (im weſentlichen: die Bibliothek) ſelbſt beſitzt, ganz entſprechend, wie es der alte Handwerker in der Vergangen - heit innerhalb des Gewerbes auch tat. Die Entwicklung iſt in vollem Gange.

Die techniſchen Vorzüge ſind ganz unzweifelhaft, wie bei allen kapitaliſtiſchen und zugleich bureaukratiſierten Betrieben. Aber der Geiſt , der in ihnen herrſcht, iſt ein anderer als die althiſtoriſche Atmoſphäre der deutſchen Univerſitäten. Es beſteht eine außerordentlich ſtarke Kluft, äußerlich und inner - lich, zwiſchen dem Chef eines ſolchen großen kapitaliſtiſchen Univerſitätsunternehmens und dem gewöhnlichen Ordinarius alten Stils. Auch in der inneren Haltung. Jch möchte das hier nicht weiter ausführen. Jnnerlich ebenſo wie äußerlich iſt die alte Univerſitätsverfaſſung fiktiv geworden. Geblieben aber und weſentlich geſteigert iſt ein der Univerſitätslaufbahn eigenes Moment: Ob es einem ſolchen Privatdozenten, vollends einem Aſſiſtenten, jemals gelingt, in die Stelle eines vollen Ordinarius und gar eines Jnſtitutsvorſtandes einzu - rücken, iſt eine Angelegenheit, die einfach Hazard iſt. Gewiß: nicht nur der Zufall herrſcht, aber er herrſcht doch in ungewöhnlich hohem Grade. Jch kenne kaum eine Laufbahn auf Erden, wo er eine ſolche Rolle ſpielt. Jch darf das um ſo mehr ſagen, als ich perſönlich es einigen abſoluten Zufällig - keiten zu verdanken habe, daß ich ſeinerzeit in ſehr jungen Jahren in eine ordentliche Profeſſur eines Faches berufen wurde, in welchem damals Altersgenoſſen unzweifelhaft mehr als ich geleiſtet hatten. Und ich bilde mir allerdings ein, auf Grund dieſer Erfahrung ein geſchärftes Auge für das unverdiente Schickſal der vielen zu haben, bei denen der Zufall gerade umgekehrt geſpielt hat und noch ſpielt, und die trotz aller Tüchtigkeit innerhalb dieſes Ausleſeapparates nicht an die Stelle gelangen, die ihnen gebühren würde.

Daß nun der Hazard und nicht die Tüchtigkeit als ſolche eine ſo große Rolle ſpielt, liegt nicht allein und nicht einmal vorzugsweiſe an den Menſchlichkeiten, die natürlich bei dieſer7 Ausleſe ganz ebenſo vorkommen wie bei jeder anderen. Es wäre unrecht, für den Umſtand, daß zweifellos ſo viele Mittel - mäßigkeiten an den Univerſitäten eine hervorragende Rolle ſpielen, perſönliche Minderwertigkeiten von Fakultäten oder Miniſterien verantwortlich zu machen. Sondern das liegt an den Geſetzen menſchlichen Zuſammenwirkens, zumal eines Zu - ſammenwirkens mehrerer Körperſchaften, hier: der vorſchlagen - den Fakultäten mit den Miniſterien, an ſich. Ein Gegenſtück: wir können durch viele Jahrhunderte die Vorgänge bei den Papſtwahlen verfolgen: das wichtigſte kontrollierbare Beiſpiel gleichartiger Perſonenausleſe. Nur ſelten hat der Kardinal, von dem man ſagt: er iſt Favorit , die Chance, durchzukom - men. Sondern in der Regel der Kandidat Nummer zwei oder drei. Das gleiche beim Präſidenten der Vereinigten Staaten: nur ausnahmsweiſe der allererſte, aber: prononcierteſte, Mann, ſondern meiſt Nummer zwei, oft Nummer drei, kommt in die Nomination der Parteikonventionen hinein und nachher in den Wahlgang: die Amerikaner haben für dieſe Kategorien ſchon techniſch ſoziologiſche Ausdrücke gebildet, und es wäre ganz intereſſant, an dieſen Beiſpielen die Geſetze einer Aus - leſe durch Kollektivwillenſbildung zu unterſuchen. Das tun wir heute hier nicht. Aber ſie gelten auch für Univerſitäts - kollegien, und zu wundern hat man ſich nicht darüber, daß da öfter Fehlgriffe erfolgen, ſondern daß eben doch, verhältnismäßig angeſehen, immerhin die Zahl der richtigen Beſetzungen eine trotz allem ſehr bedeutende iſt. Nur wo, wie in einzelnen Ländern, die Parlamente oder, wie bei uns bisher, die Monarchen (beides wirkt ganz gleichartig) oder jetzt revolutionäre Gewalthaber aus politiſchen Gründen ein - greifen, kann man ſicher ſein, daß bequeme Mittelmäßigkeiten oder Streber allein die Chancen für ſich haben.

Kein Univerſitätslehrer denkt gern an Beſetzungserörterungen zurück, denn ſie ſind ſelten angenehm. Und doch darf ich ſagen: der gute Wille, rein ſachliche Gründe entſcheiden zu laſſen, war in den mir bekannten zahlreichen Fällen ohne Ausnahme da.

Denn man muß ſich weiter verdeutlichen: es liegt nicht nur8 an der Unzulänglichkeit der Ausleſe durch kollektive Willens - bildung, daß die Entſcheidung der akademiſchen Schickſale ſo weitgehend Hazard iſt. Jeder junge Mann, der ſich zum Gelehrten berufen fühlt, muß ſich vielmehr klarmachen, daß die Aufgabe, die ihn erwartet, ein Doppelgeſicht hat. Er ſoll quali - fiziert ſein als Gelehrter nicht nur, ſondern auch: als Lehrer. Und beides fällt ganz und gar nicht zuſammen. Es kann je - mand ein ganz hervorragender Gelehrter und ein geradezu ent - ſetzlich ſchlechter Lehrer ſein. Jch erinnere an die Lehrtätigkeit von Männern wie Helmholtz oder wie Ranke. Und das ſind nicht etwa ſeltene Ausnahmen. Nun liegen aber die Dinge ſo, daß unſere Univerſitäten, zumal die kleinen Univerſitäten, untereinander in einer Frequenzkonkurrenz lächerlichſter Art ſich befinden. Die Hausagrarier der Univerſitätsſtädte feiern den tauſendſten Studenten durch eine Feſtlichkeit, den zwei - tauſendſten Studenten aber am liebſten durch einen Fackelzug. Die Kolleggeldintereſſen man ſoll das doch offen zugeben werden durch eine zugkräftige Beſetzung der nächſtbenach - barten Fächer mitberührt, und auch abgeſehen davon iſt nun einmal die Hörerzahl ein ziffernmäßig greifbares Bewährungs - merkmal, während die Gelehrtenqualität unwägbar und gerade bei kühnen Neuerern oft (und ganz natürlicherweiſe) umſtritten iſt. Unter dieſer Suggeſtion von dem unermeßlichen Segen und Wert der großen Hörerzahl ſteht daher meiſt alles. Wenn es von einem Dozenten heißt: er iſt ein ſchlechter Lehrer, ſo iſt das für ihn meiſt das akademiſche Todesurteil, mag er der allererſte Gelehrte der Welt ſein. Die Frage aber: ob einer ein guter oder ein ſchlechter Lehrer iſt, wird beantwortet durch die Frequenz, mit der ihn die Herren Studenten beehren. Nun iſt es aber eine Tatſache, daß der Umſtand, daß die Studenten einem Lehrer zuſtrömen, in weitgehendſtem Maße von reinen Äußerlichkeiten beſtimmt iſt: Temperament, ſogar Stimmfall, in einem Grade, wie man es nicht für möglich halten ſollte. Jch habe nach immerhin ziemlich ausgiebigen Erfahrungen und nüchterner Überlegung ein tiefes Mißtrauen gegen die Maſſenkollegien, ſo unvermeidbar gewiß auch ſie ſind. Die Demokratie da, wo ſie hingehört. Wiſſenſchaftliche9 Schulung aber, wie wir ſie nach der Tradition der deutſchen Univerſitäten an dieſen betreiben ſollen, iſt eine geiſtesariſto - kratiſche Angelegenheit, das ſollten wir uns nicht verhehlen. Nun iſt es freilich andererſeits wahr: die Darlegung wiſſen - ſchaftlicher Probleme ſo, daß ein ungeſchulter, aber aufnahme - fähiger Kopf ſie verſteht, und daß er was für uns das allein Entſcheidende iſt zum ſelbſtändigen Denken darüber gelangt, iſt vielleicht die pädagogiſch ſchwierigſte Aufgabe von allen. Gewiß: aber darüber, ob ſie gelöſt wird, entſcheiden nicht die Hörerzahlen. Und um wieder auf unſer Thema zu kom - men eben dieſe Kunſt iſt eine perſönliche Gabe und fällt mit den wiſſenſchaftlichen Qualitäten eines Gelehrten ganz und gar nicht zuſammen. Jm Gegenſatz zu Frankreich aber haben wir keine Körperſchaft der Unſterblichen der Wiſſenſchaft, ſondern es ſollen unſerer Tradition gemäß die Univerſitäten beiden Anforderungen: der Forſchung und der Lehre, gerecht werden. Ob die Fähigkeiten dazu ſich aber in einem Menſchen zuſammenfinden, iſt abſoluter Zufall.

Das akademiſche Leben iſt alſo ein wilder Hazard. Wenn junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation, ſo iſt die Verantwortung des Zuredens faſt nicht zu tragen. Jſt er ein Jude, ſo ſagt man ihm natürlich: lasciate ogni ſperanza. 1Aber auch jeden anderen muß man auf das Ge - wiſſen fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hin - ausſteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben? Dann bekommt man ſelbſtverſtändlich jedesmal die Antwort: Natürlich, ich lebe nur meinem Beruf ; aber ich wenigſtens habe es nur von ſehr wenigen erlebt, daß ſie das ohne inneren Schaden für ſich aushielten.

Soviel ſchien nötig über die äußeren Bedingungen des Ge - lehrtenberufs zu ſagen.

Jch glaube nun aber, Sie wollen in Wirklichkeit von etwas anderem: von dem inneren Berufe zur Wiſſenſchaft, hören. Jn der heutigen Zeit iſt die innere Lage gegenüber dem Be - trieb der Wiſſenſchaft als Beruf bedingt zunächſt dadurch, daß die Wiſſenſchaft in ein Stadium der Spezialiſierung einge -10 treten iſt, wie es früher unbekannt war, und daß dies in alle Zukunft ſo bleiben wird. Nicht nur äußerlich, nein, gerade innerlich liegt die Sache ſo: daß der einzelne das ſichere Be - wußtſein, etwas wirklich ganz Vollkommenes auf wiſſenſchaft - lichem Gebiet zu leiſten, nur im Falle ſtrengſter Spezialiſierung ſich verſchaffen kann. Alle Arbeiten, welche auf Nachbarge - biete übergreifen, wie wir ſie gelegentlich machen, wie gerade z. B. die Soziologen ſie notwendig immer wieder machen müſſen, ſind mit dem reſignierten Bewußtſein belaſtet: daß man allenfalls dem Fachmann nützliche Frageſtellungen liefert, auf die dieſer von ſeinen Fachgeſichtspunkten aus nicht ſo leicht verfällt, daß aber die eigene Arbeit unvermeidlich höchſt unvoll - kommen bleiben muß. Nur durch ſtrenge Spezialiſierung kann der wiſſenſchaftliche Arbeiter tatſächlich das Vollgefühl, ein - mal und vielleicht nie wieder im Leben, ſich zu eigen machen: hier habe ich etwas geleiſtet, was dauern wird. Eine wirklich endgültige und tüchtige Leiſtung iſt heute ſtets: eine ſpezialiſti - ſche Leiſtung. Und wer alſo nicht die Fähigkeit beſitzt, ſich einmal ſozuſagen Scheuklappen anzuziehen und ſich hineinzu - ſteigern in die Vorſtellung, daß das Schickſal ſeiner Seele davon abhängt: ob er dieſe, gerade dieſe Konjektur an dieſer Stelle dieſer Handſchrift richtig macht, der bleibe der Wiſſen - ſchaft nur ja fern. Niemals wird er in ſich das durchmachen, was man das Erlebnis der Wiſſenſchaft nennen kann. Ohne dieſen ſeltſamen, von jedem Draußenſtehenden belächelten Rauſch, dieſe Leidenſchaft, dieſes: Jahrtauſende mußten ver - gehen, ehe du ins Leben trateſt, und andere Jahrtauſende warten ſchweigend : darauf, ob dir dieſe Konjektur gelingt, hat einer den Beruf zur Wiſſenſchaft nicht und tue etwas anderes. Denn nichts iſt für den Menſchen als Menſchen etwas wert, was er nicht mit Leidenſchaft tun kann.

Nun iſt es aber Tatſache: daß mit noch ſo viel von ſolcher Leidenſchaft, ſo echt und tief ſie ſein mag, das Reſultat ſich noch lange nicht erzwingen läßt. Freilich iſt ſie eine Vorbe - dingung des Entſcheidenden: der Eingebung . Es iſt ja wohl heute in den Kreiſen der Jugend die Vorſtellung ſehr ver - breitet, die Wiſſenſchaft ſei ein Rechenexempel geworden, das11 in Laboratorien oder ſtatiſtiſchen Karthoteken mit dem kühlen Verſtand allein und nicht mit der ganzen Seele fabriziert werde, ſo wie in einer Fabrik . Wobei vor allem zu be - merken iſt: daß dabei meiſt weder über das, was in einer Fabrik noch was in einem Laboratorium vorgeht, irgendwelche Klarheit beſteht. Hier wie dort muß dem Menſchen etwas und zwar das richtige einfallen, damit er irgend etwas Wertvolles leiſtet. Dieſer Einfall aber läßt ſich nicht erzwingen. Mit irgendwelchem kalten Rechnen hat er nichts zu tun. Gewiß: auch das iſt unumgängliche Vorbedingung. Jeder Soziologe z. B. darf ſich nun einmal nicht zu ſchade dafür ſein, auch noch auf ſeine alten Tage vielleicht monate - lang viele zehntauſende ganz trivialer Rechenexempel im Kopfe zu machen. Man verſucht nicht ungeſtraft, das auf mechaniſche Hilfſkräfte ganz und gar abzuwälzen, wenn man etwas herausbekommen will, und was ſchließlich heraus - kommt, iſt oft blutwenig. Aber, wenn ihm nicht doch etwas Beſtimmtes über die Richtung ſeines Rechnens und, während des Rechnens, über die Tragweite der entſtehenden Einzel - reſultate einfällt , dann kommt ſelbſt dies Blutwenige nicht heraus. Nur auf dem Boden ganz harter Arbeit bereitet ſich normalerweiſe der Einfall vor. Gewiß: nicht immer. Der Einfall eines Dilettanten kann wiſſenſchaftlich genau die gleiche oder größere Tragweite haben wie der des Fachmanns. Viele unſerer allerbeſten Problemſtellungen und Erkenntniſſe ver - danken wir gerade Dilettanten. Der Dilettant unterſcheidet ſich vom Fachmann wie Helmholtz über Robert Mayer geſagt hat nur dadurch, daß ihm die feſte Sicherheit der Arbeitsmethode fehlt, und daß er daher den Einfall meiſt nicht in ſeiner Tragweite nachzukontrollieren und abzuſchätzen oder durchzuführen in der Lage iſt. Der Einfall erſetzt nicht die Arbeit. Und die Arbeit ihrerſeits kann den Einfall nicht er - ſetzen oder erzwingen, ſo wenig wie die Leidenſchaft es tut. Beide vor allem: beide zuſammen locken ihn. Aber er kommt, wenn es ihm, nicht, wenn es uns beliebt. Es iſt in der Tat richtig, daß die beſten Dinge einem ſo, wie Jhering es ſchildert: bei der Zigarre auf dem Kanapee, oder12 wie Helmholtz mit naturwiſſenſchaftlicher Genauigkeit für ſich angibt: beim Spaziergang auf langſam ſteigender Straße, oder ähnlich, jedenfalls aber dann, wenn man ſie nicht erwartet, einfallen, und nicht während des Grübelns und Suchens am Schreibtiſch. Sie wären einem nur freilich nicht eingefallen, wenn man jenes Grübeln am Schreibtiſch und wenn man das leidenſchaftliche Fragen nicht hinter ſich gehabt hätte. Wie dem aber ſei: dieſen Hazard, der bei jeder wiſſenſchaftlichen Arbeit mit unterläuft: kommt die Eingebung oder nicht? auch den muß der wiſſenſchaftliche Arbeiter in Kauf nehmen. Es kann einer ein vorzüglicher Arbeiter ſein und doch nie einen eigenen wertvollen Einfall gehabt haben. Nur iſt es ein ſchwerer Jrrtum, zu glauben, das ſei nur in der Wiſſenſchaft ſo und z. B. in einem Kontor gehe es etwa anders zu wie in einem Laboratorium. Ein Kaufmann oder Großinduſtrieller ohne kaufmänniſche Phantaſie , d. h. ohne Einfälle, geniale Einfälle, der iſt ſein Leben lang nur ein Mann, der am beſten Kommis oder techniſcher Beamter bliebe: nie wird er organi - ſatoriſche Neuſchöpfungen geſtalten. Die Eingebung ſpielt auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft ganz und gar nicht wie ſich der Gelehrtendünkel einbildet eine größere Rolle als auf dem Gebiete der Bewältigung von Problemen des prak - tiſchen Lebens durch einen modernen Unternehmer. Und ſie ſpielt andererſeits was auch oft verkannt wird keine ge - ringere Rolle als auf dem Gebiete der Kunſt. Es iſt eine kindliche Vorſtellung, daß ein Mathematiker an einem Schreibtiſch mit einem Lineal oder mit anderen mechaniſchen Mitteln oder Rechenmaſchinen zu irgendwelchem wiſſenſchaftlich wertvollen Reſultat käme: die mathematiſche Phantaſie eines Weierſtraß iſt natürlich dem Sinn und Reſultat nach ganz anders ausgerichtet als die eines Künſtlers und qualitativ von ihr grundverſchieden. Aber nicht dem pſychologiſchen Vorgang nach. Beide ſind: Rauſch (im Sinne von Platons Mania ) und Eingebung .

Nun: ob jemand wiſſenſchaftliche Eingebungen hat, das hängt ab von uns verborgenen Schickſalen, außerdem aber von Gabe . Nicht zuletzt auf Grund jener zweifelloſen Wahrheit hat nun eine ganz begreiflicherweiſe gerade bei der13 Jugend ſehr populäre Einſtellung ſich in den Dienſt einiger Götzen geſtellt, deren Kult wir heute an allen Straßenecken und in allen Zeitſchriften ſich breit machen finden. Jene Götzen ſind: die Perſönlichkeit und das Erleben . Beide ſind eng verbunden: die Vorſtellung herrſcht, das letztere mache die erſtere aus und gehöre zu ihr. Man quält ſich ab zu er - leben , denn das gehört ja zur ſtandesgemäßen Lebens - führung einer Perſönlichkeit, und gelingt es nicht, dann muß man wenigſtens ſo tun, als habe man dieſe Gnadengabe. Früher nannte man dies Erlebnis auf deutſch: Senſation . Und von dem, was Perſönlichkeit ſei und bedeute, hatte man eine ich glaube zutreffendere Vorſtellung.

Verehrte Anweſende! Perſönlichkeit auf wiſſenſchaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient. Und nicht nur auf wiſſenſchaftlichem Gebiet iſt es ſo. Wir kennen keinen großen Künſtler, der je etwas anderes getan hätte, als ſeiner Sache und nur ihr zu dienen. Es hat ſich, ſoweit ſeine Kunſt in Betracht kommt, ſelbſt bei einer Perſönlichkeit vom Range Goethes gerächt, daß er ſich die Freiheit nahm: ſein Leben zum Kunſtwerk machen zu wollen. Aber mag man das be - zweifeln, jedenfalls muß man eben ein Goethe ſein, um ſich das überhaupt erlauben zu dürfen, und wenigſtens das wird jeder zugeben: unbezahlt iſt es auch bei jemand wie ihm, der alle Jahrtauſende einmal erſcheint, nicht geblieben. Es ſteht in der Politik nicht anders. Davon heute nichts. 2Auf dem Gebiet der Wiſſenſchaft aber iſt derjenige ganz gewiß keine Perſönlichkeit , der als Jmpreſario der Sache, der er ſich hingeben ſollte, mit auf die Bühne tritt, ſich durch Erleben legitimieren möchte und fragt: Wie beweiſe ich, daß ich etwas anderes bin als nur ein Fachmann , wie mache ich es, daß ich, in der Form oder in der Sache, etwas ſage, das ſo noch keiner geſagt hat wie ich: eine heute maſſenhaft auftretende Erſcheinung, die überall kleinlich wirkt, und die denjenigen herabſetzt, der ſo fragt, ſtatt daß ihn die innere Hingabe an die Aufgabe und nur an ſie auf die Höhe und zu der Würde der Sache emporhöbe, der er zu dienen vorgibt. Auch das iſt beim Künſtler nicht anders.

14Dieſen mit der Kunſt gemeinſamen Vorbedingungen unſerer Arbeit ſteht nun gegenüber ein Schickſal, das ſie von der künſtleriſchen Arbeit tief unterſcheidet. Die wiſſenſchaftliche Arbeit iſt eingeſpannt in den Ablauf des Fortſchritts. Auf dem Gebiete der Kunſt dagegen gibt es in dieſem Sinne keinen Fortſchritt. Es iſt nicht wahr, daß ein Kunſt - werk einer Zeit, welche neue techniſche Mittel oder etwa die Geſetze der Perſpektive ſich erarbeitet hatte, um deswillen rein künſtleriſch höher ſtehe als ein aller Kenntnis jener Mittel und Geſetze entblößtes Kunſtwerk, wenn es nur material - und formgerecht war, das heißt: wenn es ſeinen Gegenſtand ſo wählte und formte, wie dies ohne Anwendung jener Be - dingungen und Mittel kunſtgerecht zu leiſten war. Ein Kunſt - werk, das wirklich Erfüllung iſt, wird nie überboten, es wird nie veralten; der einzelne kann ſeine Bedeutſamkeit für ſich perſönlich verſchieden einſchätzen; aber niemand wird von einem Werk, das wirklich im künſtleriſchen Sinne Erfüllung iſt, jemals ſagen können, daß es durch ein anderes, das ebenfalls Erfüllung iſt, überholt ſei. Jeder von uns dagegen in der Wiſſenſchaft weiß, daß das, was er gearbeitet hat, in 10, 20, 50 Jahren veraltet iſt. Das iſt das Schickſal, ja: das iſt der Sinn der Arbeit der Wiſſenſchaft, dem ſie, in ganz ſpezifiſchem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für die es ſonſt noch gilt, unterworfen und hingegeben iſt: jede wiſſenſchaftliche Erfüllung bedeutet neue Fragen und will überboten werden und veralten. Damit hat ſich jeder ab - zufinden, der der Wiſſenſchaft dienen will. Wiſſenſchaftliche Arbeiten können gewiß dauernd, als Genußmittel ihrer künſt - leriſchen Qualität wegen, oder als Mittel der Schulung zur Arbeit, wichtig bleiben. Wiſſenſchaftlich aber überholt zu werden, iſt es ſei wiederholt nicht nur unſer aller Schickſal, ſondern unſer aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prin - zipiell geht dieſer Fortſchritt in das Unendliche. Und damit kommen wir zu dem Sinnproblem der Wiſſenſchaft. Denn das verſteht ſich ja doch nicht ſo von ſelbſt, daß etwas, das einem ſolchen Geſetz unterſtellt iſt, Sinn und Verſtand15 in ſich ſelbſt hat. Warum betreibt man etwas, das in der Wirklichkeit nie zu Ende kommt und kommen kann? Nun zunächſt: zu rein praktiſchen, im weiteren Wortſinn: techniſchen Zwecken: um unſer praktiſches Handeln an den Erwartungen orientieren zu können, welche die wiſſenſchaftliche Erfahrung uns an die Hand gibt. Gut. Aber das bedeutet nur etwas für den Praktiker. Welches aber iſt die innere Stellung des Mannes der Wiſſenſchaft ſelbſt zu ſeinem Beruf? wenn er nämlich nach einer ſolchen überhaupt ſucht. Er behauptet: die Wiſſenſchaft um ihrer ſelbſt willen und nicht nur dazu zu betreiben, weil andere damit geſchäftliche oder techniſche Er - folge herbeiführen, ſich beſſer nähren, kleiden, beleuchten, regieren können. Was glaubt er denn aber Sinnvolles damit, mit dieſen ſtets zum Veralten beſtimmten Schöpfungen, zu leiſten, damit alſo, daß er ſich in dieſen fachgeteilten, ins Un - endliche laufenden Betrieb einſpannen läßt? Das erfordert einige allgemeine Erwägungen.

Der wiſſenſchaftliche Fortſchritt iſt ein Bruchteil, und zwar der wichtigſte Bruchteil, jenes Jntellektualiſierungsprozeſſes, dem wir ſeit Jahrtauſenden unterliegen, und zu dem heute üblicherweiſe in ſo außerordentlich negativer Art Stellung genommen wird.

Machen wir uns zunächſt klar, was denn eigentlich dieſe intellektualiſtiſche Rationaliſierung durch Wiſſenſchaft und wiſſenſchaftlich orientierte Technik praktiſch bedeutet. Etwa, daß wir heute, jeder z. B., der hier im Saale ſitzt, eine größere Kenntnis der Lebensbedingungen hat, unter denen er exiſtiert, als ein Jndianer oder ein Hottentotte? Schwerlich. Wer von uns auf der Straßenbahn fährt, hat wenn er nicht Fach - phyſiker iſt keine Ahnung, wie ſie das macht, ſich in Be - wegung zu ſetzen. Er braucht auch nichts davon zu wiſſen. Es genügt ihm, daß er auf das Verhalten des Straßenbahnwagens rechnen kann, er orientiert ſein Verhalten daran; aber wie man eine Trambahn ſo herſtellt, daß ſie ſich bewegt, davon weiß er nichts. Der Wilde weiß das von ſeinen Werkzeugen ungleich beſſer. Wenn wir heute Geld ausgeben, ſo wette ich, daß, ſogar wenn nationalökonomiſche Fachkollegen im Saale16 ſind, faſt jeder eine andere Antwort bereit halten wird auf die Frage: Wie macht das Geld es, daß man dafür etwas bald viel, bald wenig kaufen kann? Wie der Wilde es macht, um zu ſeiner täglichen Nahrung zu kommen, und welche Jnſtitutionen ihm dabei dienen, das weiß er. Die zunehmende Jntellektualiſierung und Rationaliſierung bedeutet alſo nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man ſteht. Sondern ſie bedeutet etwas anderes: das Wiſſen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es alſo prinzipiell keine geheimnisvollen[unberechenbaren] Mächte gebe, die da hineinſpielen, daß man vielmehr alle Dinge im Prinzip durch Berechnen beherrſchen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es ſolche Mächte gab, muß man zu magiſchen Mitteln greifen, um die Geiſter zu beherrſchen oder zu erbitten. Sondern techniſche Mittel und Berechnung leiſten das. Dies vor allem bedeutet die Jntellektualiſierung als ſolche.

Hat denn aber nun dieſer in der okzidentalen Kultur durch Jahrtauſende fortgeſetzte Entzauberungsprozeß und überhaupt: dieſer Fortſchritt , dem die Wiſſenſchaft als Glied und Trieb - kraft mit angehört, irgendeinen über dies rein Praktiſche und Techniſche hinausgehenden Sinn? Aufgeworfen finden Sie dieſe Frage am prinzipiellſten in den Werken Leo Tolſtojs. Auf einem eigentümlichen Wege kam er dazu. Das ganze Problem ſeines Grübelns drehte ſich zunehmend um die Frage: ob der Tod eine ſinnvolle Erſcheinung ſei oder nicht. Und die Antwort lautet bei ihm: für den Kulturmenſchen nein. Und zwar deshalb nicht, weil ja das ziviliſierte, in den Fort - ſchritt , in das Unendliche hineingeſtellte einzelne Leben ſeinem eigenen immanenten Sinn nach kein Ende haben dürfte. Denn es liegt ja immer noch ein weiterer Fortſchritt vor dem, der darin ſteht; niemand, der ſtirbt, ſteht auf der Höhe, welche in der Unendlichkeit liegt. Abraham oder irgendein Bauer der alten Zeit ſtarb alt und lebensgeſättigt , weil er im organiſchen Kreiſlauf des Lebens ſtand, weil ſein Leben auch17 ſeinem Sinn nach ihm am Abend ſeiner Tage gebracht hatte, was es bieten konnte, weil für ihn keine Rätſel, die er zu löſen wünſchte, übrig blieben und er deshalb genug daran haben konnte. Ein Kulturmenſch aber, hineingeſtellt in die fort - währende Anreicherung der Ziviliſation mit Gedanken, Wiſſen, Problemen, der kann lebensmüde werden, aber nicht: lebens - geſättigt. Denn er erhaſcht von dem, was das Leben des Geiſtes ſtets neu gebiert, ja nur den winzigſten Teil, und immer nur etwas Vorläufiges, nichts Endgültiges, und deshalb iſt der Tod für ihn eine ſinnloſe Begebenheit. Und weil der Tod ſinnlos iſt, iſt es auch das Kulturleben als ſolches, welches ja eben durch ſeine ſinnloſe Fortſchrittlichkeit den Tod zur Sinnloſigkeit ſtempelt. Überall in ſeinen ſpäten Romanen findet ſich dieſer Gedanke als Grundton der Tol - ſtojſchen Kunſt.

Wie ſtellt man ſich dazu? Hat der Fortſchritt als ſolcher einen erkennbaren, über das Techniſche hinausreichenden Sinn, ſo daß dadurch der Dienſt an ihm ein ſinnvoller Beruf würde? Die Frage muß aufgeworfen werden. Das iſt nun aber nicht mehr nur die Frage des Berufs für die Wiſſen - ſchaft, das Problem alſo: Was bedeutet die Wiſſenſchaft als Beruf für den, der ſich ihr hingibt, ſondern ſchon die andere: Welches iſt der Beruf der Wiſſenſchaft innerhalb des Geſamtlebens der Menſchheit? und welches ihr Wert?

Ungeheuer iſt da nun der Gegenſatz zwiſchen Vergangenheit und Gegenwart. Wenn Sie ſich erinnern an das wundervolle Bild zu Anfang des ſiebenten Buches von Platons Politeia: jene gefeſſelten Höhlenmenſchen, deren Geſicht gerichtet iſt auf die Felswand vor ihnen, hinter ihnen liegt die Lichtquelle, die ſie nicht ſehen können, ſie befaſſen ſich daher nur mit den Schattenbildern, die ſie auf die Wand wirft, und ſuchen ihren Zuſammenhang zu ergründen. Bis es einem von ihnen ge - lingt, die Feſſeln zu ſprengen, und er dreht ſich um und er - blickt: die Sonne. Geblendet tappt er umher und ſtammelt von dem, was er ſah. Die anderen ſagen, er ſei irre. Aber allmählich lernt er, in das Licht zu ſchauen, und dann iſt ſeine Aufgabe, hinabzuſteigen zu den Höhlenmenſchen und ſie empor -Weber, Geiſtige Arbeit als Beruf. I. 218zuführen an das Licht. Er iſt der Philoſoph, die Sonne aber iſt die Wahrheit der Wiſſenſchaft, die allein nicht nach Schein - gebilden und Schatten haſcht, ſondern nach dem wahren Sein.

Ja, wer ſteht heute ſo zur Wiſſenſchaft? Heute iſt die Empfindung gerade der Jugend wohl eher die umgekehrte: Die Gedankengebilde der Wiſſenſchaft ſind ein hinterweltliches Reich von künſtlichen Abſtraktionen, die mit ihren dürren Händen Blut und Saft des wirklichen Lebens einzufangen trachten, ohne es doch je zu erhaſchen. Hier im Leben aber, in dem, was für Platon das Schattenſpiel an den Wänden der Höhle war, pulſiert die wirkliche Realität: das andere ſind von ihr abgeleitete und lebloſe Geſpenſter und ſonſt nichts. Wie vollzog ſich dieſe Wandlung? Die leidenſchaftliche Be - geiſterung Platons in der Politeia erklärt ſich letztlich daraus, daß damals zuerſt der Sinn eines der großen Mittel[allen] wiſſenſchaftlichen Erkennens bewußt gefunden war: des Be - griffs. Von Sokrates iſt er in ſeiner Tragweite entdeckt. Nicht von ihm allein in der Welt. Sie können in Jndien ganz ähnliche Anſätze einer Logik finden, wie die des Ariſtoteles iſt. Aber nirgends mit dieſem Bewußtſein der Bedeutung. Hier zum erſtenmal ſchien ein Mittel zur Hand, womit man jemanden in den logiſchen Schraubſtock ſetzen konnte, ſo daß er nicht herauskam, ohne zuzugeben: entweder daß er nichts wiſſe: oder daß dies und nichts anderes die Wahrheit ſei, die ewige Wahrheit, die nie vergehen würde, wie das Tun und Treiben der blinden Menſchen. Das war das ungeheure Er - lebnis, das den Schülern des Sokrates aufging. Und daraus ſchien zu folgen, daß, wenn man nur den rechten Begriff des Schönen, des Guten, oder auch etwa der Tapferkeit, der Seele und was es ſei gefunden habe, daß man dann auch ihr wahres Sein erfaſſen könne, und das wieder ſchien den Weg an die Hand zu geben, zu wiſſen und zu lehren: wie man im Leben, vor allem: als Staatsbürger, richtig handle. Denn auf dieſe Frage kam den durch und durch politiſch denkenden Hellenen alles an. Deshalb betrieb man Wiſſenſchaft.

Neben dieſe Entdeckung des helleniſchen Geiſtes trat nun als Kind der Renaiſſancezeit das zweite große Werkzeug19 wiſſenſchaftlicher Arbeit: das rationale Experiment, als Mittel zuverläſſig kontrollierter Erfahrung, ohne welches die heutige empiriſche Wiſſenſchaft unmöglich wäre. Experimentiert hatte man auch früher: phyſiologiſch z. B. in Jndien im Dienſt der aſketiſchen Technik des Yogi, in der helleniſchen Antike mathe - matiſch zu kriegstechniſchen Zwecken, im Mittelalter z. B. zum Zwecke des Bergbaus. Aber das Experiment zum Prinzip der Forſchung als ſolcher erhoben zu haben, iſt die Leiſtung der Renaiſſance. Und zwar bildeten die Bahnbrecher die großen Neuerer auf dem Gebiete der Kunſt: Lionardo und ſeinesgleichen, vor allem charakteriſtiſch die Experimentatoren in der Muſik des 16. Jahrhunderts mit ihren Verſuchsklavieren. Von ihnen wanderte das Experiment in die Wiſſenſchaft vor allem durch Galilei, in die Theorie durch Bacon; und dann übernahmen es die exakten Einzeldiſziplinen an den Univerſi - täten des Kontinents, zunächſt vor allem in Jtalien und den Niederlanden.

Was bedeutete nun die Wiſſenſchaft dieſen Menſchen an der Schwelle der Neuzeit? Den künſtleriſchen Experimen - tatoren von der Art Lionardos und den muſikaliſchen Neuerern bedeutete ſie den Weg zur wahren Kunſt, und das hieß für ſie zu gleich: zur wahren Natur. Die Kunſt ſollte zum Rang einer Wiſſenſchaft, und das hieß zugleich und vor allem: der Künſtler zum Rang eines Doktors, ſozial und dem Sinne ſeines Lebens nach, erhoben werden. Das iſt der Ehrgeiz, der z. B. auch Lionardos Malerbuch zugrunde liegt. Und heute? Die Wiſſenſchaft als der Weg zur Natur das würde der Jugend klingen wie eine Blasphemie. Nein, um - gekehrt: Erlöſung vom Jntellektualismus der Wiſſenſchaft, um zur eigenen Natur und damit zur Natur überhaupt zurück - zukommen! Als Weg zur Kunſt vollends? Da bedarf es keiner Kritik. Aber man erwartete von der Wiſſenſchaft im Zeitalter der Entſtehung der exakten Naturwiſſenſchaften noch mehr. Wenn Sie ſich an den Ausſpruch Swammerdams er - innern: Jch bringe Jhnen hier den Nachweis der Vorſehung Gottes in der Anatomie einer Laus , ſo ſehen Sie, was die (indirekt) proteſtantiſch und puritaniſch beeinflußte wiſſenſchaft - liche Arbeit damals ſich als ihre eigene Aufgabe dachte: den2*20Weg zu Gott. Den fand man damals nicht mehr bei den Philo - ſophen und ihren Begriffen und Deduktionen: daß Gott auf dieſem Weg nicht zu finden ſei, auf dem ihn das Mittel - alter geſucht hatte, das wußte die ganze pietiſtiſche Theologie der damaligen Zeit, Spener vor allem. Gott iſt verborgen, ſeine Wege ſind nicht unſere Wege, ſeine Gedanken nicht unſere Gedanken. Jn den exakten Naturwiſſenſchaften aber, wo man ſeine Werke phyſiſch greifen konnte, da hoffte man, ſeinen Abſichten mit der Welt auf die Spur zu kommen. Und heute? Wer außer einigen großen Kindern, wie ſie ſich gerade in den Naturwiſſenſchaften finden glaubt heute noch, daß Erkenntniſſe der Aſtronomie oder der Biologie oder der Phyſik oder Chemie uns etwas über den Sinn der Welt, ja auch nur etwas darüber lehren könnten: auf welchem Weg man einem ſolchen Sinn wenn es ihn gibt auf die Spur kommen könnte? Wenn irgend etwas, ſo ſind ſie geeignet, den Glauben daran: daß es ſo etwas wie einen Sinn der Welt gebe, in der Wurzel abſterben zu laſſen! Und vollends: die Wiſſen - ſchaft als Weg zu Gott ? Sie, die ſpezifiſch gottfremde Macht? Daß ſie das iſt, darüber wird mag er es ſich zugeſtehen oder nicht in ſeinem letzten Jnnern heute nie - mand im Zweifel ſein. Erlöſung von dem Rationalismus und Jntellektualismus der Wiſſenſchaft iſt die Grundvorausſetzung des Lebens in der Gemeinſchaft mit dem Göttlichen: dies oder etwas dem Sinn nach Gleiches iſt eine der Grundparolen, die man aus allem Empfinden unſerer religiös geſtimmten oder nach religiöſem Erlebnis ſtrebenden Jugend heraushört. Und nicht nur für das religiöſe, nein für das Erlebnis überhaupt. Befremdlich iſt nur der Weg, der nun eingeſchlagen wird: daß nämlich das einzige, was bis dahin der Jntellektualismus noch nicht berührt hatte: eben jene Sphären des Jrrationalen, jetzt ins Bewußtſein erhoben und unter ſeine Lupe genommen werden. Denn darauf kommt die moderne intellektualiſtiſche Romantik des Jrrationalen praktiſch hinaus. Dieſer Weg zur Befreiung vom Jntellektualismus bringt wohl das gerade Gegenteil von dem, was diejenigen, die ihn be - ſchreiten, als Ziel darunter ſich vorſtellen. Daß man ſchließ -21 lich in naivem Optimismus die Wiſſenſchaft, das heißt: die auf ſie gegründete Technik der Beherrſchung des Lebens, als Weg zum Glück gefeiert hat, dies darf ich wohl, nach Nietzſches vernichtender Kritik an jenen letzten Menſchen , die das Glück erfunden haben , ganz beiſeite laſſen. Wer glaubt daran? außer einigen großen Kindern auf dem Katheder oder in Redaktionsſtuben?

Kehren wir zurück. Was iſt unter dieſen inneren Voraus - ſetzungen der Sinn der Wiſſenſchaft als Beruf, da alle dieſe früheren Jlluſionen: Weg zum wahren Sein , Weg zur wahren Kunſt , Weg zur wahren Natur , Weg zum wahren Gott , Weg zum wahren Glück , verſunken ſind? Die ein - fachſte Antwort hat Tolſtoj gegeben mit den Worten: Sie iſt ſinnlos, weil ſie auf die allein für uns wichtige Frage:, Was ſollen wir tun? Wie ſollen wir leben? 'keine Antwort gibt. Die Tatſache, daß ſie dieſe Antwort nicht gibt, iſt ſchlechthin unbeſtreitbar. Die Frage iſt nur, in welchem Sinne ſie keine Antwort gibt, und ob ſie ſtatt deſſen nicht doch vielleicht dem, der die Frage richtig ſtellt, etwas leiſten könnte. Man pflegt heute häufig von vorausſetzungsloſer Wiſſen - ſchaft zu ſprechen. Gibt es das? Es kommt darauf an, was man darunter verſteht. Vorausgeſetzt iſt bei jeder wiſſen - ſchaftlichen Arbeit immer die Geltung der Regeln der Logik und Methodik: dieſer allgemeinen Grundlagen unſerer Orien - tierung in der Welt. Nun, dieſe Vorausſetzungen ſind, we - nigſtens für unſere beſondere Frage, am wenigſten proble - matiſch. Vorausgeſetzt iſt aber ferner: daß das, was bei wiſſenſchaftlicher Arbeit herauskommt, wichtig im Sinn von wiſſenswert ſei. Und da ſtecken nun offenbar alle unſere Probleme darin. Denn dieſe Vorausſetzung iſt nicht wieder ihrerſeits mit den Mitteln der Wiſſenſchaft beweisbar. Sie läßt ſich nur auf ihren letzten Sinn deuten, den man dann ablehnen oder annehmen muß, je nach der eigenen letzten Stellungnahme zum Leben.

Sehr verſchieden iſt ferner die Art der Beziehung der wiſſenſchaftlichen Arbeit zu dieſen ihren Vorausſetzungen, je nach der Struktur dieſer. Naturwiſſenſchaften wie etwa die22 Phyſik, Chemie, Aſtronomie ſetzen als ſelbſtverſtändlich voraus, daß die ſoweit die Wiſſenſchaft reicht, konſtruierbaren letzten Geſetze des kosmiſchen Geſchehens wert ſind, gekannt zu werden. Nicht nur, weil man mit dieſen Kenntniſſen tech - niſche Erfolge erzielen kann, ſondern, wenn ſie Beruf ſein ſollen, um ihrer ſelbſt willen . Dieſe Vorausſetzung iſt ſelbſt ſchlecht - hin nicht beweisbar. Und ob dieſe Welt, die ſie beſchreiben, wert iſt, zu exiſtieren: ob ſie einen Sinn hat, und ob es einen Sinn hat: in ihr zu exiſtieren, erſt recht nicht. Danach fragen ſie nicht. Oder nehmen Sie eine wiſſenſchaftlich ſo hoch ent - wickelte praktiſche Kunſtlehre wie die moderne Medizin. Die allgemeine Vorausſetzung des mediziniſchen Betriebs iſt, tri - vial ausgedrückt: daß die Aufgabe der Erhaltung des Lebens rein als[solche] und die möglichſte Verminderung des Leidens rein als[solche] bejaht werde. Und das iſt problematiſch. Der Mediziner erhält mit ſeinen Mitteln den Todkranken, auch wenn er um Erlöſung vom Leben fleht, auch wenn die An - gehörigen, denen dies Leben wertlos iſt, die ihm die Erlöſung vom Leiden gönnen, denen die Koſten der Erhaltung des wertloſen Lebens unerträglich werden es handelt ſich vielleicht um einen armſeligen Jrren ſeinen Tod, eingeſtandener - oder uneingeſtan - denermaßen, wünſchen und wünſchen müſſen. Allein die Vor - ausſetzungen der Medizin und das Strafgeſetzbuch hindern den Arzt, davon abzugehen. Ob das Leben lebenswert iſt und wann? danach fragt ſie nicht. Alle Naturwiſſenſchaften geben uns Antwort auf die Frage: Was ſollen wir tun, wenn wir das Leben techniſch beherrſchen wollen? Ob wir es aber techniſch beherrſchen ſollen und wollen, und ob das letztlich eigentlich Sinn hat: das laſſen ſie ganz dahingeſtellt oder ſetzen es für ihre Zwecke voraus. Oder nehmen ſie eine Diſziplin wie die Kunſtwiſſenſchaft. Die Tatſache, daß es Kunſtwerke gibt, iſt der Äſthetik gegeben. Sie ſucht zu ergründen, unter welchen Bedingungen dieſer Sachverhalt vorliegt. Aber ſie wirft die Frage nicht auf, ob das Reich der Kunſt nicht vielleicht ein Reich diaboliſcher Herrlichkeit ſei, ein Reich von dieſer Welt, deshalb widergöttlich im tiefſten Jnnern und in ſeinem tiefinnerlichſt ariſtokratiſchen23 Geiſt widerbrüderlich. Danach alſo fragt ſie nicht: ob es Kunſtwerke geben solle. Oder die Jurisprudenz: ſie ſtellt feſt, was, nach den Regeln des teils zwingend logiſch, teils durch konventionell gegebene Schemata gebundenen juriſti - ſchen Denkens gilt, alſo: wenn beſtimmte Rechtsregeln und beſtimmte Methoden ihrer Deutung als verbindlich anerkannt ſind. Ob es Recht geben ſolle, und ob man gerade dieſe Regeln aufſtellen ſolle, darauf antwortet ſie nicht; ſondern ſie kann nur angeben: wenn man den Erfolg will, ſo iſt dieſe Rechts - regel nach den Normen unſeres Rechtsdenkens das geeignete Mittel, ihn zu erreichen. Oder nehmen Sie die hiſtoriſchen Kulturwiſſenſchaften. Sie lehren politiſche, künſtleriſche, lite - rariſche und ſoziale Kulturerſcheinungen in den Bedingungen ihres Entſtehens verſtehen. Weder aber geben ſie von ſich aus Antwort auf die Frage: ob dieſe Kulturerſcheinungen es wert waren und ſind, zu beſtehen. Noch antworten ſie auf die andere Frage: ob es der Mühe wert iſt, ſie zu kennen. Sie ſetzen voraus, daß es ein Jntereſſe habe, durch dies Verfahren teilzuhaben an der Gemeinſchaft der Kulturmenſchen . Aber daß dies der Fall ſei, vermögen ſie wiſſenſchaftlich niemandem zu beweiſen, und daß ſie es vorausſetzen, beweiſt durchaus nicht, daß es ſelbſtverſtändlich ſei. Das iſt es in der Tat ganz und gar nicht.

Bleiben wir nun einmal bei den mir nächſtliegenden Di - ſziplinen, alſo bei der Soziologie, Geſchichte, Nationalökonomie und Staatslehre und jenen Arten von Kulturphiloſophie, welche ſich ihre Deutung zur Aufgabe machen. Man ſagt und ich unterſchreibe das: Politik gehört nicht in den Hörſaal. Sie gehört nicht dahin von ſeiten der Studenten. Jch würde es z. B. ganz ebenſo beklagen, wenn etwa im Hörſaal meines früheren Kollegen Dietrich Schäfer in Berlin pazifiſtiſche Studenten ſich um das Katheder ſtellten und Lärm von der Art machten, wie es antipazifiſtiſche Studenten gegenüber dem Profeſſor Foerſter, dem ich in meinen Anſchauungen in vielem ſo fern wie möglich ſtehe, getan haben ſollen. Aber Politik gehört allerdings auch nicht dahin von ſeiten des Dozenten. Gerade dann nicht, wenn er ſich wiſſenſchaftlich mit Politik24 befaßt, und dann am allerwenigſten. Denn praktiſch-politiſche Stellungnahme und wiſſenſchaftliche Analyſe politiſcher Gebilde und Parteiſtellung iſt zweierlei. Wenn man in einer Volks - verſammlung über Demokratie ſpricht, ſo macht man aus ſeiner perſönlichen Stellungnahme kein Hehl: gerade das: deutlich er - kennbar Partei zu nehmen, iſt da die verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Die Worte, die man braucht, ſind dann nicht Mittel wiſſenſchaftlicher Analyſe, ſondern politiſchen Werbens um die Stellungnahme der anderen. Sie ſind nicht Pflug - ſcharen zur Lockerung des Erdreiches des kontemplativen Denkens, ſondern Schwerter gegen die Gegner: Kampfmittel. Jn einer Vorleſung oder im Hörſaal dagegen wäre es Frevel, das Wort in dieſer Art zu gebrauchen. Da wird man, wenn etwa von Demokratie die Rede iſt, deren verſchiedene Formen vornehmen, ſie analyſieren in der Art, wie ſie funk - tionieren, feſtſtellen, welche[einzelnen] Folgen für die Lebens - verhältniſſe die eine oder andere hat, dann die anderen nicht demokratiſchen Formen der politiſchen Ordnung ihnen gegen - überſtellen und verſuchen, ſo weit zu gelangen, daß der Hörer in der Lage iſt, den Punkt zu finden, von dem aus er von seinen letzten Jdealen aus Stellung dazu nehmen kann. Aber der echte Lehrer wird ſich ſehr hüten, vom Katheder herunter ihm irgendeine Stellungnahme, ſei es ausdrücklich, ſei es durch Suggeſtion denn das iſt natürlich die illoyalſte Art, wenn man die Tatſachen ſprechen läßt aufzudrängen.

Warum ſollen wir das nun eigentlich nicht tun? Jch ſchicke voraus, daß manche ſehr geſchätzte Kollegen der Meinung ſind, dieſe Selbſtbeſcheidung durchzuführen, ginge überhaupt nicht, und wenn es ginge, wäre es eine Marotte, das zu vermeiden. Nun kann man niemandem wiſſenſchaftlich vor - demonſtrieren, was ſeine Pflicht als akademiſcher Lehrer ſei. Verlangen kann man von ihm nur die intellektuelle Recht - ſchaffenheit: einzuſehen, daß Tatsachenfeſtſtellung, Feſtſtellung mathematiſcher oder logiſcher Sachverhalte oder der inneren Struktur von Kulturgütern einerſeits, und andererſeits die Be - antwortung der Frage nach dem Wert der Kultur und ihrer einzelnen Jnhalte und danach: wie man innerhalb der Kultur -25 gemeinſchaft und der politiſchen Verbände handeln ſolle, daß dies beides ganz und gar heterogene Probleme ſind. Fragt er dann weiter, warum er nicht beide im Hörſaale behan - deln ſolle, ſo iſt darauf zu antworten: weil der Prophet und der Demagoge nicht auf das Katheder eines Hörſaals gehören. Dem Propheten wie dem Demagogen iſt geſagt: Gehe hin - aus auf die Gaſſen und rede öffentlich. Da, heißt das, wo Kritik möglich iſt. Jm Hörſaal, wo man ſeinen Zuhörern gegenüberſitzt, haben ſie zu ſchweigen und der Lehrer zu reden, und ich halte es für unverantwortlich, dieſen Umſtand, daß die Studenten um ihres Fortkommens willen das Kolleg eines Lehrers beſuchen müſſen, und daß dort niemand zugegen iſt, der dieſem mit Kritik entgegentritt, auszunützen, um den Hörern nicht, wie es ſeine Aufgabe iſt, mit ſeinen Kenntniſſen und wiſſenſchaftlichen Erfahrungen nützlich zu ſein, ſondern ſie zu ſtempeln nach ſeiner perſönlichen politiſchen Anſchauung. Es iſt gewiß möglich, daß es dem einzelnen nur ungenügend gelingt, ſeine ſubjektive Sympathie auszuſchalten. Dann ſetzt er ſich der ſchärfſten Kritik vor dem Forum ſeines eigenen Gewiſſens aus. Und es beweiſt nichts, denn auch andere, rein tatſächliche Jrrtümer ſind möglich und beweiſen doch nichts gegen die Pflicht: die Wahrheit zu ſuchen. Auch und gerade im rein wiſſenſchaftlichen Jntereſſe lehne ich es ab. Jch erbiete mich, an den Werken unſerer Hiſtoriker den Nachweis zu führen, daß wo immer der Mann der Wiſſenſchaft mit ſeinem eige - nen Werturteil kommt, das volle Verſtehen der Tatſachen auf - hört. Doch geht das über das Thema des heutigen Abends hinaus und würde lange Auseinanderſetzungen erfordern.

Jch frage nur: Wie ſoll auf der einen Seite ein gläubiger Katholik, auf der anderen Seite ein Freimaurer in einem Kolleg über die Kirchen - und Staatsformen oder über Religions - geſchichte, wie ſollen ſie jemals über dieſe Dinge zur gleichen Wertung gebracht werden! Das iſt ausgeſchloſſen. Und doch muß der akademiſche Lehrer den Wunſch haben und die Forderung an ſich ſelbſt ſtellen, dem einen wie dem andern durch ſeine Kenntniſſe und Methoden nützlich zu ſein. Nun werden Sie mit Recht ſagen: der gläubige Katholik wird auch26 über die Tatſachen des Herganges bei der Entſtehung des Chriſtentums niemals die Anſicht annehmen, die ein von ſeinen dogmatiſchen Vorausſetzungen freier Lehrer ihm vorträgt. Ge - wiß! Der Unterſchied aber liegt in folgendem: Die im Sinne der Ablehnung religiöſer Gebundenheit vorausſetzungsloſe Wiſſenſchaft kennt in der Tat ihrerſeits das Wunder und die Offenbarung nicht. Sie würde ihren eigenen Voraus - ſetzungen damit untreu. Der Gläubige kennt beides. Und jene vorausſetzungsloſe Wiſſenſchaft mutet ihm nicht weniger aber: auch nicht mehr zu als das Anerkenntnis: daß, wenn der Hergang ohne jene übernatürlichen, für eine empiriſche Er - klärung als urſächliche Momente ausſcheidenden Eingriffe er - klärt werden ſolle, er ſo, wie ſie es verſucht, erklärt werden müſſe. Das aber kann er, ohne ſeinem Glauben untreu zu werden.

Aber hat denn nun die Leiſtung der Wiſſenſchaft gar keinen Sinn für jemanden, dem die Tatſache als ſolche gleichgültig und nur die praktiſche Stellungnahme wichtig iſt? Vielleicht doch. Zunächſt ſchon eins. Wenn jemand ein brauchbarer Lehrer iſt, dann iſt es ſeine erſte Aufgabe, ſeine Schüler un - bequeme Tatſachen anerkennen zu lehren, ſolche, meine ich, die für ſeine Parteimeinung unbequem ſind; und es gibt für jede Parteimeinung z. B. auch für die meinige ſolche äußerſt unbequeme Tatſachen. Jch glaube, wenn der akademiſche Lehrer ſeine Zuhörer nötigt, ſich daran zu gewöhnen, daß er dann mehr als eine nur intellektuelle Leiſtung vollbringt, ich würde ſo unbeſcheiden ſein, ſogar den Ausdruck sittliche Leiſtung darauf anzuwenden, wenn das auch vielleicht etwas zu pathetiſch für eine ſo ſchlichte Selbſtverſtändlichkeit klingen mag.

Bisher ſprach ich nur von praktiſchen Gründen der Ver - meidung eines Aufdrängens perſönlicher Stellungnahme. Aber dabei bleibt es nicht. Die Unmöglichkeit wiſſenſchaftlicher Vertretung von praktiſchen Stellungnahmen außer im Falle der Erörterung der Mittel für einen als feſt gegeben vor - ausgeſetzten Zweck folgt aus weit tiefer liegenden Gründen. Sie iſt prinzipiell deshalb ſinnlos, weil die verſchiedenen Wert - ordnungen der Welt in unlöſlichem Kampf untereinander ſtehen. 27Der alte Mill, deſſen Philoſophie ich ſonſt nicht loben will, aber in dieſem Punkt hat er recht, ſagt einmal: wenn man von der reinen Erfahrung ausgehe, komme man zum Poly - theismus. Das iſt flach formuliert und klingt paradox, und doch ſteckt Wahrheit darin. Wenn irgend etwas, ſo wiſſen wir es heute wieder: daß etwas heilig ſein kann nicht nur: obwohl es nicht ſchön iſt, ſondern: weil und inſofern es nicht ſchön iſt, in dem 53. Kapitel des Jeſaiasbuches und im 21. Pſalm können Sie die Belege dafür finden, und daß etwas ſchön ſein kann nicht nur: obwohl, ſondern: in dem, worin es nicht gut iſt, das wiſſen wir ſeit Nietzſche wieder, und vorher finden Sie es geſtaltet in den fleurs du mal , wie Baudelaire ſeinen Gedichtband nannte, und eine Alltagsweiſheit iſt es, daß etwas wahr ſein kann, obwohl und indem es nicht ſchön und nicht heilig und nicht gut iſt. Aber das ſind nur die elemen - tarſten Fälle dieſes Kampfes der Götter der einzelnen Ord - nungen und Werte. Wie man es machen will, wiſſenſchaft - lich zu entſcheiden zwiſchen dem Wert der franzöſiſchen und deutſchen Kultur, weiß ich nicht. Hier ſtreiten eben auch ver - ſchiedene Götter miteinander, und zwar für alle Zeit. Es iſt wie in der alten, noch nicht von ihren Göttern und Dämonen entzauberten Welt, nur in anderem Sinne: wie der Hellene einmal der Aphrodite opferte, und dann dem Apollon und vor allem jeder den Göttern ſeiner Stadt, ſo iſt es, entzaubert und entkleidet der mythiſchen, aber innerlich wahren Plaſtik jenes Verhaltens, noch heute. Und über dieſen Göttern und in ihrem Kampf waltet das Schickſal, aber ganz gewiß keine Wiſſen - ſchaft . Es läßt ſich nur verſtehen, was das Göttliche für die eine und für die andere oder: in der einen und der anderen Ordnung iſt. Damit iſt aber die Sache für jede Erörterung in einem Hörſaal und durch einen Profeſſor ſchlechterdings zu Ende, ſo wenig natürlich das darin ſteckende gewaltige Lebensproblem ſelbſt damit zu Ende iſt. Aber andere Mächte als die Katheder der Univerſitäten haben da das Wort. Welcher Menſch wird ſich vermeſſen, die Ethik der Bergpredigt, etwa den Satz: Widerſtehe nicht dem Übel oder das Bild von der einen oder der anderen Backe, wiſſenſchaft -28 lich widerlegen zu wollen? Und doch iſt klar: es iſt, inner - weltlich angeſehen, eine Ethik der Würdeloſigkeit, die hier ge - predigt wird: man hat zu wählen zwiſchen der religiöſen Würde, die dieſe Ethik bringt, und der Manneswürde, die etwas ganz anderes predigt: Widerſtehe dem Übel, ſonſt biſt du für ſeine Übergewalt mitverantwortlich. Je nach der letzten Stellung - nahme iſt für den einzelnen das eine der Teufel und das andere der Gott, und der einzelne hat ſich zu entſcheiden, welches für ihn der Gott und welches der Teufel iſt. Und ſo geht es durch alle Ordnungen des Lebens hindurch. Der großartige Rationalismus der ethiſch-methodiſchen Lebensführung, der aus jeder religiöſen Prophetie quillt, hatte dieſe Vielgötterei ent - thront zugunſten des Einen, das not tut und hatte dann, angeſichts der Realitäten des äußeren und inneren Lebens, ſich zu jenen Kompromiſſen und Relativierungen genötigt geſehen[,] die wir alle aus der Geſchichte des Chriſtentums kennen. Heute aber iſt es religiöſer Alltag . Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Geſtalt unperſönlicher Mächte, ent - ſteigen ihren Gräbern, ſtreben nach Gewalt über unſer Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf. Das aber, was gerade dem modernen Menſchen ſo ſchwer wird, und der jungen Generation am ſchwerſten, iſt: einem ſolchen All - tag gewachſen zu ſein. Alles Jagen nach dem Erlebnis ſtammt aus dieſer Schwäche. Denn Schwäche iſt es: dem Schickſal der Zeit nicht in ſein ernſtes Antlitz blicken zu können.

Schickſal unſerer Kultur aber iſt, daß wir uns deſſen wieder deutlicher bewußt werden, nachdem durch ein Jahrtauſend die angeblich oder vermeintlich ausſchließliche Orientierung an dem großartigen Pathos der chriſtlichen Ethik die Augen dafür geblendet hatte.

Doch genug von dieſen ſehr ins Weite führenden Fragen. Denn der Jrrtum, den ein Teil unſerer Jugend begeht, wenn er auf all das antworten würde: Ja, aber wir kommen nun einmal in die Vorleſung, um etwas anderes zu erleben als nur Analyſen und Tatsachenfeſtſtellungen , der Jrrtum iſt der, daß ſie in dem Profeſſor etwas anderes ſuchen, als ihnen29 dort gegenüberſteht, einen Führer und nicht: einen Lehrer. Aber nur als Lehrer ſind wir auf das Katheder geſtellt. Das iſt zweierlei, und daß es das iſt, davon kann man ſich leicht überzeugen. Erlauben Sie, daß ich Sie noch einmal nach Amerika führe, weil man dort ſolche Dinge oft in ihrer maſſivſten Urſprünglichkeit ſehen kann. Der amerikaniſche Knabe lernt unſagbar viel weniger als der unſrige. Er iſt trotz unglaublich vielen Examinierens doch dem Sinn ſeines Schullebens nach noch nicht jener abſolute Examensmenſch geworden, wie es der deutſche iſt. Denn die Bureaukratie, die das Examensdiplom als Eintrittsbillet ins Reich der Amtspfründen vorausſetzt, iſt dort erſt in den Anfängen. Der junge Amerikaner hat vor nichts und niemand, vor keiner Tradition und keinem Amt Reſpekt, es ſei denn vor der perſönlich eigenen Leiſtung des Betreffenden: das nennt der Amerikaner Demokratie . Wie verzerrt auch immer die Realität dieſem Sinngehalt gegenüber ſich verhalten möge, der Sinngehalt iſt dieſer, und darauf kommt es hier an. Der Lehrer, der ihm gegenüberſteht, von dem hat er die Vorſtellung: er verkauft mir ſeine Kenntniſſe und Methoden für meines Vaters Geld, ganz ebenſo wie die Gemüſefrau meiner Mutter den Kohl. Damit fertig. Allerdings: wenn der Lehrer etwa ein football-Meiſter iſt, dann iſt er auf dieſem Gebiet ſein Führer. Jſt er das (oder etwas Ähnliches auf anderem Sportgebiet) aber nicht, ſo iſt er eben nur Lehrer und weiter nichts, und keinem amerikaniſchen jungen Manne wird es einfallen, ſich von ihm Weltanſchauungen oder maßgebliche Regeln für ſeine Lebens - führung verkaufen zu laſſen. Nun, in dieſer Formulierung werden wir das ablehnen. Aber es fragt ſich, ob hier in dieſer von mir abſichtlich noch etwas ins Extreme geſteigerten Empfindungsweiſe nicht doch ein Korn Wahrheit ſteckt.

Kommilitonen und Kommilitoninnen! Sie kommen mit dieſen Anſprüchen an unſere Führerqualitäten in die Vor - leſungen zu uns und ſagen ſich vorher nicht: daß von hundert Profeſſoren mindeſtens neunundneunzig nicht nur keine football - Meiſter des Lebens, ſondern überhaupt nicht Führer in Angelegenheiten der Lebensführung zu ſein in Anſpruch nehmen30 und nehmen dürfen. Bedenken Sie: es hängt der Wert des Menſchen ja nicht davon ab, ob er Führerqualitäten beſitzt. Und jedenfalls ſind es nicht die Qualitäten, die jemanden zu einem ausgezeichneten Gelehrten und akademiſchen Lehrer machen, die ihn zum Führer auf dem Gebiet der praktiſchen Lebensorien - tierung oder, ſpezieller, der Politik machen. Es iſt der reine Zufall, wenn jemand auch dieſe Qualität beſitzt, und ſehr be - denklich iſt es, wenn jeder, der auf dem Katheder ſteht, ſich vor die Zumutung geſtellt fühlt, ſie in Anſpruch zu nehmen. Noch bedenklicher, wenn es jedem akademiſchen Lehrer über - laſſen bleibt, ſich im Hörſaal als Führer aufzuſpielen. Denn die, welche ſich am meiſten dafür halten, ſind es oft am wenigſten, und vor allem: ob ſie es ſind oder nicht, dafür bietet die Situation auf dem Katheder ſchlechterdings keine Möglich - keit der Bewährung. Der Profeſſor, der ſich zum Berater der Jugend berufen fühlt und ihr Vertrauen genießt, möge im perſönlichen Verkehr von Menſch zu Menſch mit ihr ſeinen Mann ſtehen. Und fühlt er ſich zum Eingreifen in die Kämpfe der Weltanſchauungen und Parteimeinungen berufen, ſo möge er das draußen auf dem Markt des Lebens tun: in der Preſſe, in Verſammlungen, in Vereinen, wo immer er will. Aber es iſt doch etwas allzu bequem, ſeinen Bekennermut da zu zeigen, wo die Anweſenden und vielleicht Andersdenkenden zum Schweigen verurteilt ſind.

Sie werden ſchließlich die Frage ſtellen: wenn dem ſo iſt, was leiſtet denn nun eigentlich die Wiſſenſchaft Poſitives für das praktiſche und perſönliche Leben ? Und damit ſind wir wieder bei dem Problem ihres Berufs . Zunächſt natürlich: Kenntniſſe über die Technik, wie man das Leben, die äußeren Dinge ſowohl wie das Handeln der Menſchen, durch Be - rechnung beherrſcht: nun, das iſt aber doch nur die Gemüſe - frau des amerikaniſchen Knaben, werden Sie ſagen. Ganz meine Meinung. Zweitens, was dieſe Gemüſefrau ſchon immerhin nicht tut: Methoden des Denkens, das Handwerks - zeug und die Schulung dazu. Sie werden vielleicht ſagen: nun, das iſt nicht Gemüſe, aber es iſt auch nicht mehr als das Mittel, ſich Gemüſe zu verſchaffen. Gut, laſſen wir das31 heute dahingeſtellt. Aber damit iſt die Leiſtung der Wiſſenſchaft glücklicherweiſe auch noch nicht zu Ende, ſondern wir ſind in der Lage, Jhnen zu einem Dritten zu verhelfen: zur Klarheit. Vor - ausgeſetzt natürlich, daß wir ſie ſelbſt beſitzen. Soweit dies der Fall iſt, können wir Jhnen deutlich machen: man kann zu dem Wert - problem, um das es ſich jeweils handelt ich bitte Sie, der Ein - fachheit halber an ſoziale Erſcheinungen als Beiſpiel zu denken praktiſch die und die verſchiedene Stellung einnehmen. Wenn man die und die Stellung einnimmt, ſo muß man nach den Er - fahrungen der Wiſſenſchaft die und die Mittel anwenden, um ſie praktiſch zur Durchführung zu bringen. Dieſe Mittel ſind nun vielleicht ſchon an ſich ſolche, die Sie ablehnen zu müſſen glauben. Dann muß man zwiſchen dem Zweck und den un - vermeidlichen Mitteln eben wählen. Heiligt der Zweck dieſe Mittel oder nicht? Der Lehrer kann die Notwendigkeit dieſer Wahl vor Sie hinſtellen, mehr kann er, ſolange er Lehrer bleiben und nicht Demagoge werden will, nicht. Er kann Jhnen ferner natürlich ſagen: wenn Sie den und den Zweck wollen, dann müſſen Sie die und die Nebenerfolge, die dann erfahrungsgemäß eintreten, mit in Kauf nehmen: wieder die gleiche Lage. Jndeſſen das ſind alles noch Probleme, wie ſie für jeden Techniker auch entſtehen können, der ja auch in zahl - reichen Fällen nach dem Prinzip des kleineren Übels oder des relativ Beſten ſich entſcheiden muß. Nur daß für ihn eins, die Hauptſache, gegeben zu ſein pflegt: der Zweck. Aber eben dies iſt nun für uns, ſobald es ſich um wirklich letzte Probleme handelt, nicht der Fall. Und damit erſt gelangen wir zu der letzten Leiſtung, welche die Wiſſenſchaft als ſolche im Dienſte der Klarheit vollbringen kann, und zugleich zu ihren Grenzen: wir können und ſollen Jhnen auch ſagen: die und die praktiſche Stellungnahme läßt ſich mit innerer Konſequenz und alſo: Ehrlichkeit ihrem Sinn nach ableiten aus der und der letzten weltanſchauungsmäßigen Grundpoſition es kann ſein, aus nur einer, oder es können vielleicht ver - ſchiedene ſein , aber aus den und den anderen nicht. Jhr dient, bildlich geredet, dieſem Gott und kränkt jenen anderen, wenn Jhr Euch für dieſe Stellungnahme entſchließt. 32Denn Jhr kommt notwendig zu dieſen und dieſen letzten inneren ſinnhaften Konſequenzen, wenn Jhr Euch treu bleibt. Das läßt ſich, im Prinzip wenigſtens, leiſten. Die Fachdiſziplin der Philoſophie und die dem Weſen nach philoſophiſchen prinzipiellen Erörterungen der Einzeldiſziplinen verſuchen das zu leiſten. Wir können ſo, wenn wir unſere Sache verſtehen (was hier einmal vorausgeſetzt werden muß), den einzelnen nötigen, oder wenigſtens ihm dabei helfen, ſich ſelbſt Rechen - ſchaft zu geben über den letzten Sinn ſeines eigenen Tuns. Es ſcheint mir das nicht ſo ſehr wenig zu ſein, auch für das rein perſönliche Leben. Jch bin auch hier verſucht, wenn einem Lehrer das gelingt, zu ſagen: er ſtehe im Dienſt sittlicher Mächte: der Pflicht, Klarheit und Ver - antwortungsgefühl zu ſchaffen, und ich glaube, er wird dieſer Leiſtung um ſo eher fähig ſein, je gewiſſenhafter er es ver - meidet, ſeinerſeits dem Zuhörer eine Stellungnahme auf - oktroyieren oder anſuggerieren zu wollen.

Überall freilich geht dieſe Annahme, die ich Jhnen hier vor - trage, aus von dem einen Grundſachverhalt: daß das Leben, ſo lange es in ſich ſelbſt beruht und aus ſich ſelbſt verſtanden wird, nur den ewigen Kampf jener Götter miteinander kennt, unbildlich geſprochen: die Unvereinbarkeit und alſo die Un - austragbarkeit des Kampfes der letzten überhaupt möglichen Standpunkte zum Leben, die Notwendigkeit alſo: zwiſchen ihnen ſich zu entſcheiden. Ob unter ſolchen Verhältniſſen die Wiſſenſchaft wert iſt, für jemand ein Beruf zu werden und ob ſie ſelbſt einen objektiv wertvollen Beruf hat das iſt wieder ein Werturteil, über welches im Hörſaal nichts aus - zuſagen iſt. Denn für die Lehre dort iſt die Bejahung Vor - ausſetzung. Jch perſönlich bejahe ſchon durch meine eigene Arbeit die Frage. Und zwar auch und gerade für den Stand - punkt, der den Jntellektualismus, wie es heute die Jugend tut oder und meiſt zu tun nur ſich einbildet, als den ſchlimm - ſten Teufel haßt. Denn dann gilt für ſie das Wort: Be - denkt, der Teufel, der iſt alt, ſo werdet alt ihn zu verſtehen. Das iſt nicht im Sinne der Geburtsurkunde gemeint, ſondern in dem Sinn: daß man auch vor dieſem Teufel, wenn man33 mit ihm fertig werden will, nicht die Flucht ergreifen darf, wie es heute ſo gern geſchieht, ſondern daß man ſeine Wege erſt einmal zu Ende überſchauen muß, um ſeine Macht und ſeine Schranken zu ſehen.

Daß Wiſſenſchaft heute ein fachlich betriebener Beruf iſt im Dienſt der Selbſtbeſinnung und der Erkenntnis tatſächlicher Zuſammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen ſpendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Be - ſtandteil des Nachdenkens von Weiſen und Philoſophen über den Sinn der Welt , das freilich iſt eine unentrinnbare Ge - gebenheit unſerer hiſtoriſchen Situation, aus der wir, wenn wir uns ſelbſt treu bleiben, nicht herauskommen können. Und wenn nun wieder Tolſtoj in Jhnen aufſteht und fragt: Wer beantwortet, da es die Wiſſenſchaft nicht tut, die Frage: was ſollen wir denn tun? und: wie ſollen wir unſer Leben ein - richten? oder in der heute abend hier gebrauchten Sprache: welchem der kämpfenden Götter ſollen wir dienen? oder vielleicht einem ganz anderen, und wer iſt das? dann iſt zu ſagen: nur ein Prophet oder ein Heiland. Wenn der nicht da iſt oder wenn ſeiner Verkündigung nicht mehr ge - glaubt wird, dann werden Sie ihn ganz gewiß nicht dadurch auf die Erde zwingen, daß Tauſende von Profeſſoren als ſtaatlich beſoldete oder privilegierte kleine Propheten in ihren Hörſälen ihm ſeine Rolle abzunehmen verſuchen. Sie werden damit nur das eine fertig bringen, daß das Wiſſen um den entſcheidenden Sachverhalt: der Prophet, nach dem ſich ſo viele unſerer jüngſten Generation ſehnen, iſt eben nicht da, ihnen niemals in der ganzen Wucht ſeiner Bedeutung lebendig wird. Es kann, glaube ich, gerade dem inneren Jntereſſe eines wirklich religiös muſikaliſchen Menſchen nun und nimmermehr gedient ſein, wenn ihm und anderen dieſe Grund - tatſache, daß er in einer gottfremden, prophetenloſen Zeit zu leben das Schickſal hat, durch ein Surrogat, wie es alle dieſe Kathederprophetien ſind, verhüllt wird. Die Ehrlichkeit ſeines religiöſen Organs müßte, ſcheint mir, dagegen ſich auflehnen. Nun werden Sie geneigt ſein, zu ſagen: Aber wie ſtellt man ſich denn zu der Tatſache der Exiſtenz der Theologie undWeber, Geiſtige Arbeit als Beruf. I. 334ihrer Anſprüche darauf: Wiſſenſchaft zu ſein? Drücken wir uns um die Antwort nicht herum. Theologie und Dogmen gibt es zwar nicht univerſell, aber doch nicht gerade nur im Chriſten - tum. Sondern (rückwärtsſchreitend in der Zeit) in ſtark entwickelter Form auch im Jſlam, im Manachäismus, in der Gnoſis, in der Orphik, im Parſismus, im Buddhismus, in den hinduiſtiſchen Sekten, im Taoismus und in den Upaniſchaden und natürlich auch im Judentum. Nur freilich in höchſt verſchiedenem Maße ſyſtematiſch entwickelt. Und es iſt kein Zufall, daß das okzi - dentale Chriſtentum nicht nur im Gegenſatz zu dem, was z. B. das Judentum an Theologie beſitzt ſie ſyſtematiſcher ausgebaut hat oder danach ſtrebt, ſondern daß hier ihre Ent - wicklung die weitaus ſtärkſte hiſtoriſche Bedeutung gehabt hat. Der helleniſche Geiſt hat das hervorgebracht, und alle Theo - logie des Weſtens geht auf ihn zurück, wie (offenbar) alle Theologie des Oſtens auf das indiſche Denken. Alle Theo - logie iſt intellektuelle Rationaliſierung religiöſen Heils - beſitzes. Keine Wiſſenſchaft iſt abſolut vorausſetzungslos, und keine kann für den, der dieſe Vorausſetzungen ablehnt, ihren eigenen Wert begründen. Aber allerdings: jede Theologie fügt für ihre Arbeit und damit für die Recht - fertigung ihrer eigenen Exiſtenz einige ſpezifiſche Voraus - ſetzungen hinzu. Jn verſchiedenem Sinn und Umfang. Für jede Theologie, z. B. auch für die hinduiſtiſche, gilt die Vor - ausſetzung: die Welt müſſe einen Sinn haben und ihre Frage iſt: wie muß man ihn deuten, damit dies denk - möglich ſei? Ganz ebenſo wie Kants Erkenntnistheorie von der Vorausſetzung ausging: Wiſſenſchaftliche Wahrheit gibt es, und ſie gilt und dann fragte: Unter welchen Denk - vorausſetzungen iſt das (sinnvoll) möglich? Oder wie die modernen Äſthetiker (ausdrücklich wie z. B. G. v. Lukacs oder tatſächlich) von der Vorausſetzung ausgehen: es gibt Kunſtwerke und nun fragen: Wie iſt das (sinnvoll) mög - lich? Allerdings begnügen ſich die Theologien mit jener (weſentlich religions-philoſophiſchen) Vorausſetzung in aller Regel nicht. Sondern ſie gehen regelmäßig von der ferne - ren Vorausſetzung aus: daß beſtimmte Offenbarungen als35 heilswichtige Tatſachen als ſolche alſo, welche eine ſinn - volle Lebensführung erſt ermöglichen ſchlechthin zu glauben ſind und daß beſtimmte Zuſtändlichkeiten und Handlungen die Qualität der Heiligkeit beſitzen das heißt: eine religiös-sinn - volle Lebensführung oder doch deren Beſtandteile bilden. Und ihre Frage iſt dann wiederum: Wie laſſen ſich dieſe ſchlechthin anzunehmenden Vorausſetzungen innerhalb eines Geſamtwelt - bildes ſinnvoll deuten? Jene Vorausſetzungen ſelbſt liegen dabei für die Theologie jenſeits deſſen, was Wiſſenſchaft iſt. Sie ſind kein Wiſſen im gewöhnlich verſtandenen Sinn, ſondern ein Haben . Wer ſie den Glauben oder die ſonſtigen heiligen Zuſtändlichkeiten nicht hat , dem kann ſie keine Theologie erſetzen. Erſt recht nicht eine andere Wiſſenſchaft. Jm Gegenteil: in jeder poſitiven Theologie gelangt der Gläubige an den Punkt, wo der Auguſtiniſche Satz gilt: credo non quod, sed quia absurdum est. Die Fähigkeit zu dieſer Virtuoſenleiſtung des Opfers des Jntellekts iſt das ent - ſcheidende Merkmal des poſitiv religiöſen Menſchen. Und daß dem ſo iſt: dieſer Sachverhalt zeigt, daß trotz (viel - mehr infolge) der Theologie (die ihn ja enthüllt) die Spannung zwiſchen der Wertſphäre der Wiſſenſchaft und der des reli - giöſen Heils unüberbrückbar iſt.

Das Opfer des Jntellekts bringt rechtmäßigerweiſe nur der Jünger dem Propheten, der Gläubige der Kirche. Noch nie iſt aber eine neue Prophetie dadurch entſtanden (ich wieder - hole dieſes Bild, das manchen anſtößig geweſen iſt, hier ab - ſichtlich:) daß manche moderne Jntellektuelle das Bedürfnis haben, ſich in ihrer Seele ſozuſagen mit garantiert echten, alten Sachen auszumöblieren und ſich dabei dann noch daran er - innern, daß dazu auch die Religion gehört hat, die ſie nun einmal nicht haben, für die ſie nun aber eine Art von ſpiele - riſch mit Heiligenbildchen aus aller Herren Länder möblierter Hauskapelle als Erſatz ſich aufputzen oder ein Surrogat ſchaffen in allerhand Arten des Erlebens, denen ſie die Würde myſtiſchen Heiligkeitsbeſitzes zuſchreiben und mit dem ſie auf dem Büchermarkt hausieren gehen. Das iſt einfach: Schwindel oder Selbſtbetrug. Durchaus kein Schwindel, ſon -3*36dern etwas ſehr Ernſtes und Wahrhaftes, aber vielleicht zu - weilen ſich ſelbſt in ſeinem Sinn Mißdeutendes iſt es dagegen, wenn manche jener Jugendgemeinſchaften, die in der Stille in den letzten Jahren gewachſen ſind, ihrer eigenen menſchlichen Gemeinſchaftsbeziehung die Deutung einer religiöſen, kosmi - ſchen oder myſtiſchen Beziehung geben. So wahr es iſt, daß jeder Akt echter Brüderlichkeit ſich mit dem Wiſſen darum zu verknüpfen vermag, daß dadurch einem überperſönlichen Reich etwas hinzugefügt wird, was unverlierbar bleibt, ſo zweifel - haft ſcheint mir, ob die Würde rein menſchlicher Gemeinſchafts - beziehungen durch jene religiöſen Deutungen geſteigert wird. Jndeſſen, das gehört nicht mehr hierher.

Es iſt das Schickſal unſerer Zeit, mit der ihr eigenen Rationaliſierung und Jntellektualiſierung, vor allem: Ent - zauberung der Welt, daß gerade die letzten und ſublimſten Werte zurückgetreten ſind aus der Öffentlichkeit, entweder in das hinterweltliche Reich myſtiſchen Lebens oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zu - einander. Es iſt weder zufällig, daß unſere höchſte Kunſt eine intime und keine monumentale iſt, noch daß heute nur innerhalb der kleinſten Gemeinſchaftskreiſe, von Menſch zu Menſch, im pianissimo, jenes Etwas pulſiert, das dem ent - ſpricht, was früher als prophetiſches Pneuma in ſtürmiſchem Feuer durch die großen Gemeinden ging und ſie zuſammen - ſchweißte. Verſuchen wir, monumentale Kunſtgeſinnung zu erzwingen und zu erfinden , dann entſteht ein ſo jämmerliches Mißgebilde wie in den vielen Denkmälern der letzten 20 Jahre. Verſucht man religiöſe Neubildungen zu ergrübeln ohne neue, echte Prophetie, ſo entſteht im innerlichen Sinn etwas Ähn - liches, was noch übler wirken muß. Und die Katheder - prophetie wird vollends nur fanatiſche Sekten, aber nie eine echte Gemeinſchaft ſchaffen. Wer dies Schickſal der Zeit nicht männlich ertragen kann, dem muß man ſagen: Er kehre lieber, ſchweigend, ohne die übliche öffentliche Renegatenreklame, ſondern ſchlicht und einfach, in die weit und erbarmend ge - öffneten Arme der alten Kirchen zurück. Sie machen es ihm ja nicht ſchwer. Jrgendwie hat er dabei das iſt unvermeid -37 lich das Opfer des Jntellektes zu bringen, ſo oder ſo. Wir werden ihn darum nicht ſchelten, wenn er es wirklich vermag. Denn ein ſolches Opfer des Jntellekts zugunſten einer bedingungsloſen religiöſen Hingabe iſt ſittlich immerhin doch etwas anderes als jene Umgehung der ſchlichten intellek - tuellen Rechtſchaffenheitspflicht, die eintritt, wenn man ſich ſelbſt nicht klar zu werden den Mut hat über die eigene letzte Stellungnahme, ſondern dieſe Pflicht durch ſchwächliche Rela - tivierung ſich erleichtert. Und mir ſteht ſie auch höher als jene Kathederprophetie, die ſich darüber nicht klar iſt, daß innerhalb der Räume des Hörſaals nun einmal keine andere Tugend gilt als eben: ſchlichte intellektuelle Rechtſchaffen - heit. Sie aber gebietet uns, feſtzuſtellen, daß heute für alle jene vielen, die auf neue Propheten und Heilande harren, die Lage die gleiche iſt, wie ſie aus jenem ſchönen, unter die Jeſaja-Orakel aufgenommenen edomitiſchen Wächterlied in der Exilszeit klingt: Es kommt ein Ruf aus Seir in Edom: Wächter, wie lang noch die Nacht? Der Wächter ſpricht: Es kommt der Morgen, aber noch iſt es Nacht. Wenn ihr fragen wollt, kommt ein ander Mal wieder. Das Volk, dem das geſagt wurde, hat gefragt und geharrt durch weit mehr als zwei Jahrtauſende, und wir kennen ſein erſchütterndes Schickſal. Daraus wollen wir die Lehre ziehen: daß es mit dem Sehnen und Harren allein nicht getan iſt, und es anders machen: an unſere Arbeit gehen und der Forderung des Tages gerecht werden menſchlich ſowohl wie beruflich. Die aber iſt ſchlicht und einfach, wenn jeder den Dämon findet und ihm gehorcht, der seines Lebens Fäden hält.

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Nachwort.

Lange, bevor die freiſtudentiſche Bewegung zur Klarheit in ihrer eigenen Zielſetzung durchſtieß, hat ſie Richtung und Sinn ihres Wollens und Tuns negativ am ſchlimmſten ihrer Feinde deutlich zu machen gewußt: am Berufs - ſtudenten.

Du ſollſt den Sinn des ſtudentiſchen Lebens nicht in den Jdealen ſehen, die auf den Wappenſchriften der Verbindungen verzeichnet ſind; denn als Student gehörſt du auf den Weg zur Wiſſenſchaft, ob du nun das Ziel erreichſt und ſchließlich ſelbſt eine Wahrheit eroberſt oder doch ein Stück von der Bahn von äußeren Hemmungen freimachen kannſt für die nach dir Kommenden oder nur lernſt, daß es gar nicht dein Weg iſt und aufhörſt, zu Unrecht Student ſein zu wollen. Hieß ſo der erſte Satz unſerer Predigt, ſo folgte ſpäteſtens doch als der zweite: Die Wiſſenſchaft ſoll dir nicht Milchkuh ſein; denn, wenn du im Studium nichts anderes ſuchſt als die Vorbereitung für deinen Beruf, der dich nähren ſoll, wird dir die Wiſſenſchaft fremd bleiben. Du wirſt verbürgern, nicht Diener des Geiſtes, ſon - dern Knecht des Geldes ſein, jetzt und immer. Wo dieſe Lehre in unſerer Bewegung zum Ausdruck kam was freilich ſelten war , war ſie für das Berufsleben ratlos. Sie ſah zunächſt davon ab, und[39] dann verurteilte ſie es. Schwabs ſchöner Aufſatz Beruf und Jugend (zuerſt im Maiheft der Weißen Blätter 1916) formulierte das Urteil ſcharf.

Die Reihe von Vorträgen vor Freiſtundenten, aus der dieſe Schriftenreihe hervorging, gehört für uns in den Berufungsprozeß gegen dieſes Urteil. Sie gibt die Sachverſtändigengutachten. Unſere Frage war jedesmal: Wer ſich ganz der ewigen Aufgabe hingibt, kann der in dieſer Welt beſtehen? Jſt dieſe Hingabe innerlich, iſt ſie auch äußerlich heute mög - lich? Geiſtige Arbeit als Beruf? Die Antworten mögen ſelbſt für ſich ſprechen.

About this transcription

TextWissenschaft als Beruf
Author Max Weber
Extent38 images; 11433 tokens; 2998 types; 82433 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

WikisourceNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2018-02-07T08:13:52Z Christian ThomasNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2018-02-07T08:13:52Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationWissenschaft als Beruf Max Weber. 1. Duncker & HumblotMünchen1919. Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund 1.

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Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationWissenschaft; Soziologie; ready; wikisource

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Editorial principles

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