PRIMS Full-text transcription (HTML)
5Frauenwahlrecht
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Die Bedeutung des Frauenwahlrechts für die Arbeiterinnen.

Die gewerkschaftlichen Kämpfe zur Erringung besserer Lohn - und Arbeitsbedingungen haben sich unzweifelhaft verschärft. Die Aussperrungen der letzten Jahre legen Zeugnis ab, daß den in den Gewerkschaften organisierten Arbeitern und Arbeite - rinnen ein gut organisiertes Unternehmertum gegenübersteht, einig in dem Bestreben, den Forderungen der Arbeiterorgani - sationen energischen Widerstand entgegenzusetzen, ja wenn mög - lich diese selbst zu vernichten. Das organisierte Unternehmertum erfährt bei diesem Vorgehen tatkräftige Unterstützung durch die Staatsgewalt. Durch die Praxis der Polizeibehörden wird Streiken - den das ihnen gesetzlich zustehende Recht des Streikpostenstehens häufig genommen, und in Gerichtsurteilen über Streikende und Arbeitswillige zeigen sich oft zuungunsten der Streikenden wesent - liche Unterschiede, die das Merkmal der Klassenjustiz tragen. Dieser Stand der Dinge schädigt die wirtschaftlichen Kämpfe der Arbeiterklasse und damit auch die Jnteressen der Arbeiterinnen.

Die gewerkschaftlichen Organisationen schaffen der Arbeiter - schaft der einzelnen Berufsgebiete bessere Lebensbedingungen und ermöglichen insbesondere den Arbeiterinnen, zu einem menschenwürdigen Dasein emporzusteigen. Bei den niedrigen Löhnen, wie sie für Arbeiterinnen fast allgemein sind, bedeutet höherer Verdienst eine Befreiung von drückenden Sorgen und ein Mehr an Kultur und Lebensfreude: bei der doppelten Be - lastung der erwerbstätigen Frau durch Erwerbs - und Haus - arbeit, unter der Millionen leiden, gibt verkürzte Arbeitszeit den Arbeiterinnen erst die Möglichkeit, ihren vielseitigen Ver - pflichtungen nachzukommen.

Für die Arbeiterinnen sind deshalb die Erfolge der wirt - schaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse von besonderer Bedeutung. Sie sind aus diesem Grunde erheblich daran inter - essiert, daß den Gewerkschaften bei der Verfolgung ihrer gesetz - lich anerkannten Ziele keine Schwierigkeiten bereitet werden: daß allen Arbeitergruppen die Ausübung des Koalitionsrechts voll gesichert ist. Den Arbeitern und Arbeiterinnen der Staats - werkstätten, den männlichen und weiblichen Landarbeitern und den in den häuslichen Diensten beschäftigten Proletariern ist aber noch heute dieses Recht vorenthalten.

Die Bestimmungen der Gesetzgebung, die solche Knebelungen ermöglichen, und ihre Anwendung in der Praxis durch Gerichte und Behörden werden erst dann beseitigt und durch eine gerechte Regelung ersetzt werden, wenn die Zusammensetzung der gesetz -6Frauenwahlrechtgebenden Körperschaften im Reiche und den einzelnen Bundes - staaten eine andere geworden ist. Noch heute hat die Arbeiterklasse in den Parlamenten nicht den Einfluß, der ihr nach Maßgabe ihrer Stärke und ihrer Bedeutung für das gesamte Wirtschafts - leben der Gesellschaft zukommt. Noch heute kann insbesondere die weibliche Bevölkerung auf die Zusammensetzung der Parlamente keinen direkten Einfluß ausüben, und erst recht nicht steht den Frauen das Recht zu, in ihnen zu wirken. Und dies obgleich heute das weibliche Geschlecht in so großem Umfang zu der materiellen und kulturellen Produktion der Gesellschaft beiträgt, daß diese ohne die Frauenarbeit undenkbar wäre. Uneingeschränktes Bürger - recht für das weibliche Geschlecht ist jedoch nicht bloß vom Standpunkt der Frau als gleichberechtigten Gliedes der Gesell - schaft zu fordern. Dieses Rechtes ist auch eine unbedingte Not - wendigkeit im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Verhältnisse der gesamten Arbeiterklasse und speziell der Ar - beiterinnen.

Deshalb unterstützen die gewerkschaftlich organisierten Ar - beiterinnen tatkräftig die Forderung des allgemeinen Frauen - wahlrechts in der Überzeugung, daß nur durch die Mitwirkung der Frauen bei den Wahlen und in den Parlamenten die Gesetz - gebung den Arbeiterinnen Garantien gibt, den wirtschaftlichen Kampf im Verein mit der gesamten Arbeiterklasse erfolgreich führen zu können. Weil jeder Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital zu einem politischen Kampf wird, muß die Arbeiterin alle politischen Rechte besitzen, die sie für Kämpfe dieser Art rüsten. Das Wahlrecht mitsamt der Wählbarkeit ist die uner - läßliche Ergänzung des Koalitionsrechts.

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About this transcription

TextDie Bedeutung des Frauenwahlrechts für die Arbeiterinnen
Author Gertrud Hanna
Extent2 images; 534 tokens; 306 types; 4510 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU GießenNote: Bereitstellung der Texttranskription.Note: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2017-11-24T10:24:28Z Anna PfundtNote: Bearbeitung der digitalen Edition.2017-11-24T10:24:28Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Die Bedeutung des Frauenwahlrechts für die Arbeiterinnen.Gertrud Hanna. . Stuttgart1911. Frauenwahlrecht! pp. 5-6.

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