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Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie
Erläuterungen zum Erfurter Programm
Vierte durchgesehene Auflage
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Berlin1907Verlag: Buchhandlung Vorwärts, Berlin SW. 68, Lindenstr. 69Hans Weber, Berlin.
Preis 10 Pf.
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Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie
Erläuterungen zum Erfurter Programm
Vierte durchgesehene Auflage
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Berlin1907Verlag: Buchhandlung Vorwärts, Berlin SW. 68, Lindenstr. 69Hans Weber, Berlin.

Jnhalt.

I.
  • Seite
  • 1. Kleinbetrieb und Großbetrieb8
  • 2. Kapitalist und Proletarier9
  • 3. Privatmonopol und Staatsmonopol14
  • 4. Die Erhebung des Proletariats18
  • 5. Der Sozialismus23
II. Erster Abschnitt.
  • I. Wahl - und Stimmrecht29
    • Proportional-Wahlsystem30
    • Gesetzgebungsperioden31
    • Wahlen am Ruhetage32
    • Entschädigung der Vertreter33
    • Aufhebung der Beschränkung politischer Rechte34
  • II. Gesetzgebung durch das Volk34
    • Selbstverwaltung36
    • Wahl der Behörden, ihre Verantwortlichkeit36
    • Jährliche Steuerbewilligung37
  • III. Allgemeine Wehrhaftigkeit37
    • Volkswehr38
    • Entscheidung über Krieg und Frieden39
    • Schlichtung internationaler Streitigkeiten40
  • IV. Freie Meinungsäußerung, Recht der Versammlung und Vereinigung40
  • V. Die Rechte der Frau41
  • VI. Erklärung der Religion zur Privatsache42
    • Aufwendungen für kirchliche Zwecke43
    • Kirchliche und religiöse Gemeinschaften43
  • VII. Weltlichkeit der Schule44
    • Obligatorischer Besuch der Volksschulen44
    • Unentgeltlichkeit des Unterrichts ꝛc. 45
  • VIII. Unentgeltlichkeit der Rechtspflege45
    • Berufung in Strafsachen46
    • Entschädigung unschuldig Angeklagter ꝛc. 47
    • Abschaffung der Todesstrafe48
  • IX. Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hülfeleistung48
    • Unentgeltlichkeit der Totenbestattung49
  • X. Einkommen - und Vermögenssteuer49
    • Selbsteinschätzungspflicht51
    • Erbschaftssteuer51
    • Abschaffung der indirekten Steuern ꝛc. 52
Zweiter Abschnitt.
  • I. Arbeiterschutzgesetzgebung55
    • a) Normalarbeitstag57
    • b) Kinderarbeit59
    • c) Nachtarbeit60
    • d) Ruhepausen60
    • e) Trucksystem60
  • II. Ueberwachung der Betriebe; Reichsarbeitsamt61
    • Gewerbliche Hygiene61
  • III. Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter, Dienst - boten62
  • IV. Sicherstellung des Koalitionsrechts62
  • V. Uebernahme der Arbeiterversicherung durch das Reich63

I.

1. Kleinbetrieb und Großbetrieb.

Was wollen die Sozialdemokraten?

Es gibt kaum eine andere Frage, die heute von mehr Menschen gestellt, kaum eine andere, auf die heute wenigstens von Nichtsozialdemokraten so selten eine richtige Antwort gegeben würde. Und doch ist sie nicht erst in jüngster Zeit aufgetaucht. Schon vor mehr als fünfzig Jahren wurde allgemein gefragt, was die Kommunisten wollten, und schon damals haben diese eine klare und unzweideutige Antwort gegeben im kommunistischen Manifest .

Eine weitere unzweideutige Antwort bildet das Programm der deutschen Sozialdemokratie. Die jüngste Form desselben ist die auf dem Parteitag zu Erfurt 1891 beschlossene. Jn diesem Programm setzt die sozialdemokratische Partei ausführlich die Forderungen auseinander, die sie an den heutigen Staat stellt, und sie leitet es ein mit einer Darlegung ihrer Grundsätze.

Dieser einleitende, grundsätzliche Teil hat uns zunächst zu beschäftigen. Er enthält die Begründung und Bestimmung des letzten Zieles, das die Sozialdemo kratie sich setzt, und er legt die Triebkräfte dar, die alle Hindernisse überwinden werden und müssen, welche der Erreichung dieses hohen Zieles im Wege stehen. Aus der Erkenntnis des Zieles und der Triebkräfte ergeben sich dann leicht die einzelnen Forderungen an den heutigen Staat, als Mittel zum Zweck.

Der einleitende Teil die Prinzipienerklärung des Erfurter Pro - gramms lautet:

Die ökonomische Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, dessen Grundlage das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktionsmittel das Monopol einer ver - hältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrundbesitzern werden.

Hand in Hand mit dieser Monopolisierung der Produktionsmittel geht die Verdrängung der zersplitterten Kleinbetriebe durch kolossale Großbetriebe, geht die Entwickelung des Werkzeugs zur Maschine, geht ein riesenhaftes Wachstum der Produktivität der menschlichen Arbeit. Aber alle Vorteile dieser Umwandlung werden von den Kapitalisten und Großgrundbesitzern mono - polisiert. Für das Proletariat und die versinkenden Mittelschichten Klein bürger, Bauern bedeutet sie wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer Existenz, des Elends, des Druckes, der Knechtung, der Erniedrigung, der Aus - beutung.

Jmmer größer wird die Zahl der Proletarier, immer massenhafter die Armee der überschüssigen Arbeiter, immer schroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, immer erbitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, der die moderne Gesellschaft in zwei feindliche Heerlager trennt und das gemeinsame Merkmal aller Jndustrieländer ist.

Der Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird noch erweitert durch die im Wesen der kapitalistischen Produktionsweise begründeten Krisen, die immer umfangreicher und verheerender werden, die allgemeine Unsicherheit zum Normalzustand der Gesellschaft erheben und den Beweis liefern, daß die4 Produktionskräfte der heutigen Gesellschaft über den Kopf gewachsen sind, daß das Privateigentum an Produktionsmitteln unvereinbar geworden ist mit deren zweckentsprechender Anwendung und voller Entwickelung.

Das Privateigentum an Produktionsmitteln, welches ehedem das Mittel war, dem Produzenten das Eigentum an seinem Produkt zu sichern, ist heute zum Mittel geworden, Bauern, Handwerker und Kleinhändler zu expropriieren und die Richtarbeiter Kapitalisten, Großgrundbesitzer in den Besitz des Produkts der Arbeiter zu setzen. Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln Grund und Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel in gesellschaft - liches Eigentum, und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten Klassen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, har monischer Vervollkommnung werde.

Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß des Proletariats, sondern des gesamten Menschengeschlechts, das unter den heutigen Zuständen leidet. Aber sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein, weil alle anderen Klassen, trotz der Jnteressenstreitigkeiten unter sich, auf dem Boden des Privateigentums an Produktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben.

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendigerweise ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre öko - nomischen Kämpfe nicht führen und ihre ökonomische Organisation nicht ent - wickeln ohne politische Rechte. Sie kann den Uebergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den Besitz der politischen Macht gekommen zu sein.

Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei.

Die Jnteressen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern mit kapitalistischer Produktionsweise die gleichen. Mit der Ausdehnung des Weltverkehrs und der Produktion für den Weltmarkt wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger von der Lage der Arbeiter in den anderen Ländern. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist also ein Werk, an dem die Arbeiter aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt sind. Jn dieser Erkenntnis fühlt und erklärt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich eins mit den klassen bewußten Arbeitern aller übrigen Länder.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassen - herrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von diesen An - schauungen ausgehend, bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Aus - beutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse.

Was demjenigen, der die Anschauungen der Sozialdemokratie noch nicht kennt, in ihrem Programm zuerst auffallen dürfte, ist der Umstand, daß es nicht nur keine unbedingte Verwerfung, sondern sogar eine bedingte Anerkennung des Privateigentums enthält.

Es fällt keinem Sozialdemokraten ein, die unsinnige Forderung auf Ab - schaffung des Privateigentums an den Gegenständen des persönlichen Konsums5 (Verbrauches) zu stellen. Aber auch das Privateigentum an den Produktions - mitteln (Mitteln der Herstellung von Gebrauchsgegenständen, wie Werkzeuge, Rohstoffe, Werkstätten und dergl. ) wird von der Sozialdemokratie als unter gewissen Verhältnissen berechtigt und notwendig anerkannt. Sie sagt aus - drücklich, daß das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln die Grundlage des (bäuerlichen oder handwerksmäßigen) Kleinbetriebes bilde. Aber sie sagt auch gleichzeitig, daß die ökonomische (wirtschaftliche) Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Klein - betriebes führt, infolge der Bildung und Ausdehnung des Großbetriebes.

Jm Kleinbetriebe ist jeder Arbeiter für sich allein oder höchstens im Verein mit seiner Familie, mit den Mitgliedern seines Haushalts, tätig, etwas Ganzes zu erzeugen die Knechte und Mägde des Bauern und die Gesellen des Hand - werkers gehörten ursprünglich auch zur Familie des betreffenden Besitzers und Leiters des Kleinbetriebes. Was der Arbeiter da schafft, das ist ausschließlich das Werk seiner Persönlichkeit, seines Fleißes, seiner Kraft, seiner Geschicklich - keit usw. Er nimmt es als sein persönliches Eigentum in Anspruch. Aber es wird sein Eigentum nur, wenn auch die Produktionsmittel sein Eigentum sind, z. B. der Grund und Boden, der Pflug, das Arbeitsvieh, das Saatgetreide usw. des Bauern. Nur dann hat er das größte Jnteresse an dem möglichst voll - kommenen und möglichst ausreichenden Gelingen seiner Arbeit, und nur dann kann er seine persönlichen Eigenschaften frei entfalten. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln ist daher die notwendige Vorbedingung der best - möglichen Entfaltung des Kleinbetriebes, dieser kann seine klassische (voll - kommene) Form nur erlangen auf der Grundlage dieses Privateigentums.

Aber die Zeit, in der die kleinbäuerlichen und handwerksmäßigen Formen der Produktion deren höchste Formen waren, ist längst vorbei. Heute bilden sie vielmehr in den Kulturländern die rückständigsten Formen der Produktion. Es bildete sich im Fortgang der ökonomischen Entwickelung das planmäßige Zu - sammenarbeiten größerer Arbeitermengen an einer Arbeitsstätte zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles. Die verschiedenen Verrichtungen des Handwerkers oder Bauern wurden jetzt unter die verschiedenen Arbeiter geteilt, von denen jeder tagaus, tagein nur einen oder einige wenige einfachere Handgriffe zu ver - richten hatte, die sich immer und immer wiederholten. Die Gewandtheit des Arbeiters wurde dadurch ungemein gesteigert und die Zeitverluste beseitigt, die das Uebergehen von einer Arbeit zur anderen bedingt. Die Produktivität (Er - giebigkeit) der Arbeit erhielt dadurch eine bedeutende Vergrößerung. Aber die Entwickelung blieb dabei nicht stehen. Sobald die Arbeitsteilung in einem Jn dustriezweige einmal so weit sich entwickelt hatte, daß die Herstellung eines Gegenstandes in eine Reihe völlig einfacher Handgriffe aufgelöst war, bemächtigte sich die Wissenschaft dieses Gebiets der Produktion und übertrug die vereinfachten Handgriffe des Arbeiters einem leblosen Arbeiter, der Maschine. Damit wurde der Anfang einer wesentlichen Erweiterung der Produktivität der mensch - lichen Arbeit gemacht. Durch die Maschine leistet der Arbeiter, der sie beauf - sichtigt, jetzt die Arbeit mehrerer Arbeiter, deren Handgriffe die Maschine ver - richtet; die Zahl seiner arbeitenden Glieder und die Geschwindigkeit ihrer Tätig - keit ist vervielfacht. Und der Gang der Entwickelung geht dahin, die Maschinen immer gewaltiger zu machen, jeder einzelnen von ihnen immer mehr Handgriffe zuzuweisen, ihre Geschwindigkeit immer mehr zu steigern: so kommt es, daß die Maschine die Produktivität der Arbeit nicht bloß verdoppelt und verdreifacht, sondern verzehnfacht, ja nicht selten verhundertfacht.

Das heißt, daß mit dem gleichen Aufwand an Arbeit nun so und so viel mal mehr Produkte erzeugt oder dieselbe Menge von Produkten mit so und so viel weniger Arbeit gewonnen werden kann, als früher.

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Man sollte glauben, daß ein solches Ergebnis allenthalben mit Jubel be - grüßt werden, daß es glänzenden Wohlstand und ausgedehnte Muße für alle bringen würde. Aber ein Blick auf die heutigen Verhältnisse zeigt uns, wie weit ab wir von einem derartigen Zustande entfernt sind, ja ihre Entwickelung zeigt nicht die mindeste Neigung sich ihm zu nähern, sie geht vielmehr in entgegen gesetzter Richtung vor sich.

Woher rührt diese sonderbare Erscheinung.

Sie ist eine Folge davon, daß in unserer Gesellschaft die Warenpro - duktion herrscht.

Hier müssen wir eine Abschweifung machen, um das Wesen der Waren - produktion zu erklären. Wer diese nicht versteht, kann ebensowenig die heutige wie die sozialistische Gesellschaft der Zukunft begreifen. Der Sozialismus ist eben eine Wissenschaft, nicht eine wesenlose Träumerei.

Die verschiedenen bisher bekannten Arten der Gütererzeugung kann man in zwei große Gruppen teilen: Produktion für den Selbstverbrauch (im weitesten Sinne) und Produktion für den Tausch oder Verkauf. Letztere ist Waren - produktion.

Die Produktion für den Selbstverbrauch ist die älteste Form der Güter - erzeugung. Ursprünglich erzeugte (oder schaffte herbei) jeder Mensch diejenigen Gebrauchsgegenstände, welche entweder er persönlich für sich oder aber, welche die Gesellschaft brauchte, der er angehörte. Einen Zustand, in dem jeder allein für sich lebte und arbeitete, hat es wohl nie gegeben. So weit man die Ent - wickelung der Menschen zurückverfolgen kann, findet man sie in Gesellschaften vereinigt. Jede dieser Gesellschaften (Stamm, Horde) besaß ursprünglich die entscheidenden Produktionsmittel Grund und Boden, Boote, Haushaltungs - stätten usw. in Gemeineigentum; ihre Benutzung stand dem einzelnen nur mit Wissen und Willen und entsprechend dem Vermögen und den Bedürfnissen der Gesellschaft zur Verfügung. Jede Gesellschaft bildete für sich einen ge - schlossenen Wirtschaftsbetrieb, der alles selbst erzeugte, was er, beziehungsweise seine Mitglieder brauchten. Jn diesem Sinne ist die Produktion für den Selbst - verbrauch zu verstehen. Sie war stets nur zum Teil Produktion des ein - zelnen für sich selbst, zum anderen oft weitaus überwiegenden Teil Produktion für das Gemeinwesen.

Aus dieser Produktionsweise entwickelte sich die Warenproduktion. Unter deren Herrschaft bildet die Gesellschaft nicht mehr einen einzigen geschlossenen Wirtschaftsbetrieb; sie zerfällt vielmehr in zahlreiche Betriebe, von denen jeder für sich gesondert produziert, jeder die Produktionsmittel, deren er bedarf, in Sondereigen, als Privateigentum besitzt. Eine Voraussetzung der Waren - produktion bildet eine ziemlich weit gehende Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Diese zerfällt in verschiedene Berufe, die Produktion teilt sich in verschiedene Arbeitszweige, von denen jeder Arbeiter nur einen besonderen betreibt. Der einzelne Wirtschaftsbetrieb erzeugt nicht mehr alles selbst, was er braucht, er erzeugt aber von der besonderen Art von Gütern, die er ausschließlich produziert, mehr als er braucht. Den Ueberschuß tauscht er aus gegen Güter, die er braucht, aber nicht selbst erzeugt. Derartige Güter, die zum Tausch, beziehungsweise zum Verkaufen, nicht zum Selbstgebrauch erzeugt werden, sind Waren. Ver - kaufen heißt nichts anderes, als eine Ware gegen eine andere Ware austauschen, die jedermann brauchen kann, die jedermann gern nimmt, z. B. Gold oder Silber. Eine derartige Ware ist Geld.

Jn einer entwickelten Warenproduktion hört die Produktion für den Selbst - gebrauch so gut wie völlig auf. Jeder Produzent erzeugt fast nur noch Güter, die er, beziehungsweise der Betrieb, in dem er tätig ist, nicht gebraucht; er kann das, was er braucht, nur erlangen durch Kauf.

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Anscheinend arbeitet jeder Warenproduzent für sich, aber tatsächlich arbeitet er für andere. Wenn auch die Warenproduktion durch selbständige, von einander unabhängige Produzenten betrieben wird, so ist sie doch eine Art gesellschaftlicher Produktion. Aber wenn auch jeder Warenproduzent für andere arbeitet, so tut er das nur unter der Voraussetzung, daß sie auch für ihn arbeiten. Er will sich nicht ausbeuten lassen. Ebensoviel Arbeit, wie er für andere leistet, sollen diese für ihn leisten. Das heißt mit anderen Worten: Der Tauschwert jeder Ware, das Verhältnis, in dem sie mit anderen Waren sich austauscht, populär ge - sprochen ihre Kaufkraft, wird bestimmt durch die zu ihrer Herstellung notwendige Arbeitszeit das heißt durchschnittlich, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, denn es handelt sich hier um ein gesellschaftliches Verhältnis. Eine bestimmte Ware, etwa ein Stück Leinwand, hat den gleichen Wert, ob der Arbeiter, der sie erzeugte, ein fauler und langsamer gewesen oder ein fleißiger und flinker. Die allgemeinen Verhältnisse der Produktion, nicht die des einzelnen Produzenten, bestimmen den Wert.

Nun ist es leicht zu verstehen, warum die glänzenden Errungenschaften des Großbetriebes, namentlich des Maschinenbetriebes, anstatt Muße und Wohlstand für alle, vielmehr Elend, Ueberarbeit und Entartung für die weitesten Volks - schichten mit sich gebracht haben und in steigendem Maße bringen.

Jn einer für den Selbstverbrauch (im oben entwickelten Sinne) produ - zierenden Gesellschaft mit Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, also in einer kommunistischen oder wie man heute sagt, sozialistischen Gesellschaft, kommt jede Verbesserung der Produktionsmittel der Gesamtheit und zwar ohne weiteres zugute; ein jeder hat ein Jnteresse daran, eine derartige Verbesserung ver - allgemeinert zu sehen, da sie auch ihm zugute kommt, entweder durch Ver - mehrung der Lebens - und Genußmittel, die der Gesellschaft zu Gebote stehen, oder durch Verminderung der Arbeitslast, welche die Gesellschaft den einzelnen zur Deckung ihrer Bedürfnisse auflegen muß.

Anders in der Gesellschaft der Warenproduktion. Die Produktionsmittel sind Privateigentum: Wer bessere Produktionsmittel besitzt, erzeugt, bei gleichen Arbeitskräften und sonst gleichen Verhältnissen, in gleichen Zeiten einen größeren Wert als seine Konkurrenten, die schlechtere Produktionsmittel besitzen. So lange der Kleinbetrieb herrscht, macht das nicht viel aus. So wichtig auch die Güte der Werkzeuge und der Rohstoffe für den Bauer und Handwerker ist, viel wichtiger noch sind seine persönlichen Eigenschaften, sein Fleiß, seine Geschicklichkeit, seine Erfahrung und Umsicht. Und die Werkzeuge sind leicht zu beschaffen, die Menge der Rohstoffe, die verarbeitet wird, ist gering. Wenn ein Produzent in dieser Beziehung vor dem anderen einen Vorteil hat, so beruht dies auch in der Regel auf seinen persönlichen Eigenschaften, besonderer Findigkeit, besonderem Wissen, die ihn Dinge sehen lassen, die den anderen ver - borgen bleiben. Die Unterschiede in den Produktionsbedingungen zwischen den einzelnen Produzenten können da kaum viel größer sein, als die zwischen den Begabungen der einzelnen Persönlichkeiten; sie können ein gewisses Maß nicht überschreiten und vergehen meist mit den Personen, die sie hervorgerufen.

Das ändert sich mit dem Aufkommen des Großbetriebes in Jndustrie und Landwirtschaft, und zwar umsomehr, je höhere Formen dieser annimmt. Die persönlichen Eigenschaften des Arbeiters treten im Großbetrieb immer mehr zurück; dagegen gewinnt die Beschaffenheit der Produktionsmittel immer mehr entscheidende Bedeutung. Diese selbst werden immer umfangreicher, immer kostspieliger. Nur wer über ein bedeutendes Vermögen verfügt, vermag die Produktionsmittel eines Großbetriebes zu erwerben; nur ein solcher vermag der Vorteile teilhaftig zu werden, die sie gegenüber den geringen, rückständigen Produktionsmitteln der Kleinbetriebe bieten. Jn einer sozialistischen Gesellschaft8 würden die Vorteile des Großbetriebes jedermann zugute kommen. Unter der Herrschaft des Privateigentums an den Produktionsmitteln bleiben sie das Vorrecht einiger Weniger, die ausschließlich imstande sind, die Produktionsmittel der Großbetriebe zu erwerben und auszubeuten. Diese werden das Monopol einer kleinen Anzahl Personen der Kapitalisten und Großgrund - besitzer.*)Die Großgrundbesitzer werden von den Kapitalisten unterschieden, weil das Grund - eigentum in vielen Beziehungen anderen Gesetzen folgt als das Kapital. Von diesen Unterschieden kann jedoch im obigen Zusammenhange abgesehen werden, so daß, was von den Kapitalisten gesagt wird, hier (und auch später in der Regel) für die Großgrund - besitzer mit gilt.)

Je mehr der Großbetrieb sich entwickelt, je mehr die Wissenschaft sich seiner bemächtigt und die alten Erzeugungsweisen umwälzt, um so größer wird aber auch der Unterschied zwischen der Leistungsfähigkeit des Arbeiters im Groß - betriebe und des Arbeiters im Kleinbetriebe; und je mehr die Großproduktion die herrschende Form der Produktion wird, desto mehr werden ihre Verhältnisse maßgebend für die Bewertung der Produkte. Ohne daß die Produktivität der Arbeit im Kleinbetrieb erheblich wächst, findet ein stetes und bedeutendes Sinken der Wertgrößen der verschiedenen Produkte statt. Jmmer geringer wird der Wert, den der Arbeiter des Kleinbetriebes in einem bestimmten Zeitraum, etwa einer Arbeitsstunde, erzeugt. Es kann so weit kommen, daß er in einem ganzen Tage nur ebensoviel Wert produziert, wie ein Arbeiter im Großbetriebe (des gleichen Jndustriezweiges) in einer Stunde oder noch kürzerer Zeit.

Um mit dem Großbetriebe konkurrieren zu können, sieht er sich gezwungen, seinen Arbeitstag immer mehr und mehr zu verlängern. Er arbeitet 14, 16, 18 Stunden, mitunter noch mehr, bis zu völliger Erschöpfung. Er spannt alle seine Kräfte aufs äußerste an, arbeitet hastig, ohne Unterlaß, ohne Unter - brechungen, ohne Feiertage. Aber das genügt nicht, ihn ebenso leistungsfähig zu machen wie den Arbeiter an der Maschine. Er sucht sich zu verdoppeln und zu verdreifachen, indem er Arbeitskräfte ins Joch spannt, die ihm (als Arbeits - kraft) nichts kosten: Weib und Kind. Seiner Frau wird zur Last der Haus - haltung noch die der Erwerbsarbeit aufgebürdet, der Haushalt verkommt, die Frau wird erdrückt von der Menge ihrer Aufgaben, und sie wird unfähig, die wichtigste derselben, ihre Mutterpflichten, zu erfüllen. Den Kindern raubt er die Jugend; im zartesten Alter werden sie dem Spiel, oft auch der Schule entzogen, um zu aufreibenden, Geist und Körper ertötenden Handreichungen gepreßt zu werden.

So opfert der Handwerker und Bauer im Kampfe gegen den Großbetrieb um des Lebens willen alles, was das Leben wert macht, gelebt zu werden. Aber umsonst. Wie sehr er auch sich und die Seinen schinden mag, es gelingt ihm nicht, die Leistungsfähigkeit des Arbeiters im Großbetriebe zu erlangen, diese eilt der seinen immer weiter voraus, der Wert seiner Produkte sinkt immer mehr und mehr, ihre Kaufkraft wird immer geringer, der Hungerriemen muß immer enger und enger gezogen werden.

Das dankt er dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. Dieses ist heute nicht bloß zu einem Mittel geworden, den kleinen Mann auszuschließen von den ungeheueren Vorteilen, welche die Entwickelung der modernen Technik mit sich bringt, es ist ein Mittel, welches ihn immer tiefer herabdrückt von der Stufe, die er einst erklommen.

Seit einem halben Jahrhundert redet man von der Notwendigkeit, den Hand - werkern und Bauern zu helfen. Die verschiedensten Parteien, liberale und konservative, sind in den verschiedensten Ländern nacheinander am Ruder gewesen. Geholfen hat keine. Es ist eben unmöglich, das Handwerk und die kleine Bauernwirtschaft, diese namentlich nicht im Ackerbau, dem Großbetriebe9 technisch ebenbürtig zu machen. Die einzige Hülfe kann darin bestehen, daß man den Handwerkern und Bauern ermöglicht, zu einer höheren Betriebsform überzugehen. Diese Lösung kann aber keine der herrschenden Parteien herbei - führen. Sie ist nicht möglich auf dem Boden der Warenproduktion.

Jn einer Reihe von Jndustriezweigen ist bereits der Kleinbetrieb völlig konkurrenzunfähig geworden und verschwunden. Eine Reihe anderer ist erst durch die Entwickelung der Großindustrie möglich geworden; diese sind dem Kleinbetriebe von vornherein völlig verschlossen. Jn den meisten anderen be - haupten sich die Kleinbetriebe nur noch mühsam neben den Großbetrieben. Jeden Tag wird eine neue Gegend, ein neuer Arbeitszweig dem Großbetriebe erschlossen, die Zahl, der Gegenden (in den Kulturstaaten) und der Arbeits - zweige, in denen noch der Kleinbetrieb herrscht, werden von Tag zu Tag geringer. Gerade auf diese Gebiete drängen sich mit Vorliebe alle diejenigen selbständigen Arbeiter und Unternehmer der Kleinbetriebe, die anderswo den Konkurrenz - kampf gegen den Großbetrieb aufgeben mußten. Dadurch werden diese über - füllt, die Konkurrenz unter den viel zu zahlreichen Betrieben wird eine mörderische, der die meisten erliegen: auf diese Weise ruiniert das Vordringen des Großbetriebes die Kleinbetriebe auch auf den Gebieten, wo er selbst noch nicht Fuß gefaßt hat.

Das Ende dieser Entwickelung ist der Untergang des selbständigen vom Kapital unabhängigen Kleinbetriebes. Ein selbständiger, vom Kapital unab - hängiger Bauer oder Handwerker ist heute schon in den Kulturländern ein weißer Rabe geworden. Er ist verschuldet und Wechsel und Hypotheken machen ihn dem Kapitalisten zinspflichtig. Aus dem selbständigen Handwerker wird immer mehr ein Hausindustrieller, der nicht für den Kunden arbeitet, sondern für einen kapitalistischen Händler, der ihn ausbeutet. Zu arm, die Produktionsmittel, namentlich das Rohmaterial, selbst zu beschaffen, muß er sich diese vom Händler vorschießen lassen, dem er dafür das Produkt seiner Arbeit zu einem Spottpreis abzugeben verpflichtet ist. Auch der Bauer wird immer mehr gezwungen, den Fehlbetrag in den Erträgen seiner Landwirtschaft durch eine derartige Haus - industrie oder durch Wanderarbeit oder andere Arten von Nebenerwerb zu ergänzen und dadurch zum abhängigen, ausgebeuteten Lohnarbeiter eines Kapitalisten zu werden.

So wird durch die Verschuldung wie durch die Hausindustrie und andere Mittel des Nebenerwerbs das Privateigentum an den Produktionsmitteln für Kleinbauern, Handwerker und auch Kleinhändler aus einem Mittel, sie vor Aus - beutung zu schützen und ihre Freiheit zu wahren, zu einem Mittel, sie auszu - beuten und zu knechten, sie zum Frondienst für andere zu zwingen.

Die weitaus große Mehrzahl der Kleinbürger und Kleinbauern sind in dieser Weise heute schon Lohnarbeiter des Kapitals. Nur ein kleiner Schritt und die letzte Hülle fällt, die ihnen noch den Anschein von selbständigen und besitzenden Produzenten verlieh, und sie versinken ins Proletariat, in die große Schar der Besitzlosen.

So notwendig das Privateigentum an den Produktionsmitteln für die selbständigen Arbeiter des Kleinbetriebes gewesen, solange dieser die herrschende Betriebsform war, so verderblich wird es ihnen, seitdem der Großbetrieb seinen Siegeszug angetreten hat.

2. Kapitalist und Proletarier.

Die Entwickelung des Großbetriebes hat den Arbeitern des Kleinbetriebes Elend und Mühsal gebracht. Aber dasselbe Schicksal hat er auch über seine eigenen Arbeiter verhängt.

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Wir haben gesehen, daß die Produktionsmittel des Großbetriebes das Monopol einer besonderen Klasse reicher Leute geworden find, der Kapitalisten - klasse. Diese erwerben aber die Produktionsmittel nicht, um sie selbst zu be - nutzen, um selbst damit zu arbeiten. Jhr Reichtum soll sie ja der Notwendigkeit der Arbeit entheben, die ursprünglich für jeden Menschen bestand. Und die Produktionsmittel des Großbetriebes erfordern viel zu viel Arbeiter, als daß ihre Besitzer allein dazu ausreichen würden. Würden die Kapitalisten keine Arbeiter finden, die für sie arbeiten, dann würden sie es vorziehen, ihre Reich - tümer zu anderen Geschäften zu verwenden oder zu verzehren, statt sie in industriellen Unternehmungen anzulegen.

Daß jemand, der ein Vermögen besitzt, dasselbe einfach verzehrt, statt es zins - oder profitlagernd anzulegen, erscheint einem Mitgliede der heutigen Gesellschaft auf den ersten Blick als etwas ganz Sonderbares, höchst Unver - nünftiges. Und doch hat es eine Reihe von Gesellschaftszuständen gegeben, wo der einzelne den Reichtum, den er erwarb, nicht anders verwenden konnte, als daß er ihn selbst verzehrte und, soweit sein Ueberfluß reichte, auch Freunde und Diener davon zehren ließ.

Wie diese Reichtümer erworben wurden, geht uns hier nichts an, nur nebenbei sei bemerkt, daß es nichts als eine Philisterfabel ist, wenn man be - hauptet, die Reichtümer, durch welche sich einzelne über die große Masse erhoben und erheben, seien das Ergebnis des Sparens. Wer in der Geschichte nachliest, wird finden, daß die ersten großen Vermögen durch Raub, Plünderung, Dieb - stahl, Prellerei, Erpressung entstanden sind, nicht durch die Ersparnisse, die ihre Besitzer von den Erträgnissen ihrer eigenen Arbeit zurücklegten.

Erst im Laufe der Entwickelung der Warenproduktion erstand für die Reichen die Möglichkeit, ihren Ueberfluß dazu zu verwenden, neue Reichtümer zu erwerben, soweit dieser Ueberfluß aus Waren oder Geld bestand und Geld ist nur eine besondere Ware. Zunächst waren es Handel und Wucher, welche Gelegenheiten boten, Geld und Waren in einer Weise zu verwenden, daß sich daraus ein Gewinn oder Profit für den Geld - oder Warenbesitzer ergab. Geld - und Warensummen, die diesem Zwecke dienen, sind Kapital.

Der Kaufmann erzielt seinen Gewinn dadurch, daß er billig kauft (vom Produzenten) und teuer verkauft (an den Konsumenten). Der Produzent war der selbständige Arbeiter des Kleinbetriebes, der Handwerker und Bauer.

Je mehr der Handel sich entwickelte, desto mehr erweiterte sich der Markt, desto größer wurde das Bedürfnis nach einer Massenproduktion. Die kleinen Handwerker waren nicht imstande, demselben zu genügen. Nur die Kapitalisten besaßen die nötigen Mittel dazu. Der Großbetrieb, der sich infolge der Ausdehnung des Handels entwickelte, war von vornherein ein kapitalistischer Betrieb. Die Großproduktion ist daher gleichbedeutend geworden mit kapitalistischer Produktion.

Die Ausdehnung des Marktes ist aber nur die eine Vorbedingung der Ent - stehung der Großproduktion. Die andere ist das Vorhandensein von Arbeitern, die geneigt sind, ihre Arbeitskräfte dem Kapitalisten und zwar um ein Billiges zu verkaufen, die für ihn in seinem Betriebe arbeiten.

Der Kapitalist wird sein Geld nur dann in der Jndustrie anlegen, wenn ihm diese mindestens ebenso hohen Profit verheißt, wie Handel oder Wucher. Es stünde aber sehr schlecht um seinen Profit, wenn die Arbeiter, die in seinem Großbetrieb arbeiten, den vollen Wert des von ihnen geschaffenen Produktes bekämen, wie es bei den selbständigen Handwerkern der Fall. Sein Profit ent - springt daraus, daß er ihnen in ihrem Lohn nur einen Teil dieses Wertes bezahlt und den Rest selbst einsteckt.

Unter dieser Bedingung zu arbeiten, darauf läßt sich ein selbständiger Arbeiter, der im Besitz seiner Produktionsmittel ist, ein Handwerker oder Bauer,11 nicht ein. Die kapitalistische Produktion setzte daher das Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl besitzloser Arbeiter voraus, von Arbeitern, welche nichts besitzen, als ihre Arbeitskraft, die zu verkaufen sie gezwungen sind, welche sich dem Hungertode preisgegeben sehen, wenn es ihnen nicht gelingt, Arbeit zu finden. Nur solche Arbeiter lassen sich die kapitalistische Ausbeutung gefallen.

Die Besitzlosigkeit der Arbeiter, ihre Trennung von den Produktionsmitteln, ist also eine notwendige Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise. Die Armut des Volkes wird jetzt zur Grundlage des Nationalreichtums. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln bedeutet nun dasMono - pol der Nichtarbeiter, der Kapitalisten, an den Produktionsmitteln, es bedeutet die Ausschließung der Arbeiter von dem Eigentum an den Produktionsmitteln; je mehr die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelt und die Kleinbetriebe verdrängt, desto mehr bedeutet dies Eigentum die Eigen - tumslosigkeit der großen Masse des Volkes, über der einige Wenige stehen, die im Ueberfluß ersticken.

Woher stammt das Proletariat, dessen die industriellen Kapitalisten be - dürfen?

Arme , sagt der Philister, hat es immer gegeben und wird es immer geben . Nichts irriger als das. Solange das Gemeineigentum an den Pro - duktionsmitteln herrschte, konnte der Gegensatz von arm und reich sich nicht ent - wickeln. Erst durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln wird die Armut möglich. Aber solange der Kleinbetrieb herrscht, nimmt die Besitzlosigkeit einzelner selten eine große Ausdehnung an. Sie ist oft, wie bei den Handwerks - gesellen, nur ein vorübergehender Zustand, der in der Regel mit der Erwerbung eines selbständigen Besitzes endigt. Und die Besitzlosen gehören vielfach be - sitzenden Familien an.

Nur unter besonderen Verhältnissen wurde da die Besitzlosigkeit eine Massen - erscheinung. Dies war der Fall vor vier - und dreihundert Jahren, gerade zu einer Zeit, wo auch alle anderen Bedingungen kapitalistischer Produktion zu - sammentrafen. Dadurch wurde es ermöglicht, daß dieselbe ins Leben trat. Die großen Proletariermassen der damaligen Zeit rührten davon her, daß die Klein - bauern zu Grunde gerichtet wurden, nicht durch die Juden, sondern durch ihre Grundherren, die Ahnen der heutigen Großgrundbesitzer, die es für ihren ererbten Beruf erklären, den Bauer zu schützen. Bis in die neueste Zeit haben die Mißhandlungen der Bauern durch die Grundherren gedauert; daher der Zug der Bauern in die Städte, wo sie eine Zuflucht suchen. Heute dauert dieser Zug fort, ja er verstärkt sich immer mehr, allerdings nicht mehr bloß infolge von Mißhandlungen und Ausbeutungen, sondern auch infolge der niedrigen Lebens - haltung, zu der heute die rückständige bäuerliche Wirtschaft den Bauer zwingt, was namentlich die jungen Leute der bäuerlichen Bevölkerung hart empfinden.

Der Zuzug vom flachen Lande ist seit dem 16. Jahrhundert eine Hauptquelle des Proletariats gewesen. Eine andere bilden in den Städten die zu Grunde gehenden Handwerker und sonstigen Kleinbürger. Dazu kommt natürlich die Nachkommenschaft der Proletarier selbst.

So brauchen die industriellen Kapitalisten nicht zu fürchten, daß ihnen die Arbeitskräfte so bald ausgehen, und in der Tat, sie wirtschaften darauf los, als wäre das Menschenmaterial unerschöpflich, das ihnen zur Verfügung steht.

Wie auf anderen Gebieten treibt der Kapitalismus auch auf diesem bloßen Raubbau. Nur darum ist es ihm zu tun, aus den Arbeitskräften, die er kauft, in kürzester Zeit möglichst viel Profit herausschinden. Jmmer mehr treibt der Kapitalist die Arbeiter an, immer hastiger müssen sie arbeiten; immer mehr sucht er ihre Feiertage zu verkümmern, immer mehr den Arbeitstag zu ver - 12 längern. Der Trieb dazu wächst unter dem Einfluß bei Maschinenwesens; die Maschine ermüdet nicht und der Arbeiter wird nur noch ein Anhängsel der Maschine. Und je länger tagaus, tagein an der Maschine gearbeitet wird, desto profitabler wird sie. Eine stillstehende Maschine ist totes Kapital: ein Greuel für den Kapitalisten. Ununterbrochener Betrieb, Wechsel von Tag - und Nacht - schichten, bildet sein Jdeal.

Aber während er die Arbeitszeit und Arbeitslast zu vermehren trachtet, sucht er gleichzeitig den Lohn zu beschneiden. Und da kommt ihm die ökonomische Entwickelung zu Hülfe.

Er kann den Lohn freilich nicht willkürlich bestimmen. Dieser hängt von den verschiedensten Verhältnissen ab, namentlich aber von den gewohnheits - gemäßen Bedürfnissen, das heißt, den Erhaltungskosten, und von der Wider - standskraft der Arbeiter. Beides zeigt die Neigung zu Sinken. Die Arbeits - teilung, namentlich aber die Maschine verkürzt die lange Lehrzeit, die der Hand - werker durchzumachen hatte, zu einer kurzen Anlernzeit. Sie ermöglicht es, an Stelle gelernter ungelernte Arbeiter zu setzen. Sie setzt aber auch meist die An - sprüche an die Kraft der Arbeiter herab, so daß an Stelle erwachsener Männer Frauen, ja Kinder treten können. So werden die widerstandslosesten Mitglieder der Arbeiterklasse in das Getriebe der kapitalistischen Ausbeutung gezogen, die Arbeiterfamilie wird ausgelöst, die Erhaltungskosten des Arbeiters werden ver - ringert, seine Widerstandskraft wird geschwächt. Lohnherabsetzungen und Ver - längerungen der Arbeitszeit sind die Folge.

Das ist es, was der kapitalistische Großbetrieb seinen Arbeitern bringt. Er hat die Ertragsfähigkeit der menschlichen Arbeit unglaublich vermehrt, er hat Leistungen vollbracht und hat Reichtümer geschaffen, die den Menschen früherer Jahrhunderte märchenhaft erschienen wären, aber er hat das erreicht nicht nur auf Kosten der Arbeiter der Kleinbetriebe, sondern auch aus Kosten seiner eigenen Arbeiter. Hier wie dort hat er das gleiche Elend, den gleichen Druck, die gleiche Verkommenheit hervorgerufen.

Und nicht genug damit. Auch in früheren Jahrhunderten freilich be - scheideneren Jahrhunderten, die nicht ununterbrochen mit ihren großartigen Errungenschaften prahlten hat es Elend und Ausbeutung und Unterdrückung gegeben: aber eines boten die Ausbeuter und Unterdrücker doch wenigstens: eine gewisse Sicherheit und Stetigkeit der Lebensverhältnisse.

Heute dagegen schwebt über jedem Arbeiter das Gespenst der Arbeitslosigkeit, wie über jedem Bauern und Handwerker das des Bankrotts.

Ob und inwieweit der Arbeiter Arbeit findet, das hängt nur zum geringsten Teil von ihm selbst ab, von seiner Geschicklichkeit, seinem Fleiß: darüber ent - scheidet vor allem die Lage des Marktes, für den die Unternehmungen, in denen er Arbeit suchen muß, produzieren. Der Markt ist im ganzen und großen in steter Erweiterung begriffen, aber viel rascher als der Markt wächst die Zahl und die Arbeitskraft der Proletarier, die dem Kapital zu Gebote stehen, dank der Ausdehnung der Arbeitszeit, der größeren Anspannung der Arbeiter, der Entwickelung des Maschinenwesens, der Einverleibung von Frauen und Kinder in die Arbeiterarmee, dem Untergang der Kleinbetriebe usw. Daher kommt es, daß die kapitalistische Produktion nie, auch in den besten Zeiten nicht, alle Arbeitskräfte verwenden kann, die ihr zu Gebote stehen. Es gibt immer eine Zahl Arbeitsloser, welche die sogenannte industrielle Reservearmee bilden.

Sie werden weniger, wenn die Geschäfte gut gehen. Umsomehr aber nehmen sie zu, wenn die Geschäfte stocken, wenn eine wirtschaftliche Krisis herein - bricht. Und an denen fehlt es nicht. Das zeitweise Eintreten einer Ueber - produktion ist in der heutigen Gesellschaft eine naturnotwendige Erscheinung.

Sie ist im Wesen der Warenproduktion begründet. Dieselbe ist die Pro - duktion von einander unabhängiger Privatbetriebe. Jn einer entwickelteren 13 Warenproduktion produziert jeder derselben fast ausschließlich für den Markt. Aber die Verhältnisse des Marktes sind schwankende, unstäte, nur schwer abschätz - bare. Der einzelne Produzent weiß nicht, wie viel Waren seine Konkurrenten auf den, Markt bringen werden, er kennt nicht genau die Zahl, die Kaufkraft, die Bedürfnisse der Käufer. So kommt es, daß in der Regel entweder zu viel oder zu wenig für den Markt produziert wird. Nachfrage und Angebot decken sich fast nie.

Aber so verderblich das dem einzelnen Warenverkäufer werden konnte, für die Gesellschaft im ganzen brachte das meist nur geringe Unzukömmlichkeiten mit sich, solange die kapitalistische Großindustrie sich nicht entwickelt hatte.

Ganz anders seit dem Aufkommen der Großindustrie. Nicht nur ist jetzt fast die gesamte Produktion der Kulturländer Warenproduktion geworden, die Produktion für den Selbstgebrauch völlig in den Hintergrund getreten, es hat sich auch der Kaufmann zwischen Produzenten und Konsumenten geschoben und der Markt ist durch die Fortschritte des Verkehrs unendlich erweitert. Seine Verhältnisse sind dadurch viel unübersichtlicher geworden, die Nachfrage kann jetzt längere Zeit noch fortdauern eine rege zu sein, indes in Wirklichkeit der Bedarf schon gedeckt ist. Das wichtigste aber ist, daß durch die Entwickelung der Großindustrie die Produktion eine Fähigkeit raschesten Aufschwunges erhalten hat, die ihr früher gänzlich mangelte. Die durch die Maschine so sehr ver - größerte Leistungsfähigkeit der Arbeiter auf der einen Seite, die starke industrielle Reservearmee auf der anderen, ganz abgesehen von der raschen Ausdehnungs - fähigkeit des Kapitals, die hier nicht erörtert werden kann, ermöglichen es jetzt, auf den geringsten Anstoß hin die Produktion ungemein zu erweitern. Jede größere Zunahme der Nachfrage ist jetzt sofort von einer sie weit überbietenden Zunahme der Produktion gefolgt. Jst der Anstoß, der der Produktion erteilt worden, ein gewaltiger, der auf dem ganzen Weltmarkt fühlbar ist, dann führt auch die naturnotwendig darauf folgende Ueberproduktion zu einer Weltkrise, die das Getriebe der kapitalistischen Produktionsländer überall auf das Gewaltigste erschüttert.

Je mehr die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelt, je mehr der Weltmarkt sich ausdehnt, je mehr die Großproduktion den Kleinbetrieb ver - drängt, je verwickelter der Handel wird, desto gewaltiger müssen die zeitweise eintretenden Krisen werden, desto öfter müssen sie eintreten.

Die Kapitalisten stehen dieser Erscheinung ratlos gegenüber. Sie sind die Herren der Produktionsmittel und die Lenker der Produktion; sie erklären, sie seien notwendig, wenn das wirtschaftliche Getriebe in Gang bleiben und die Bedürfnisse in der Gesellschaft zweckentsprechend befriedigt werden sollen und nun müssen sie es alle paar Jahre erleben, daß gerade aus ihrem Privateigen - tum, über daß sie unbeschränkt verfügen, die verderblichsten Krisen entspringen, daß ihre Leitung zu Unordnung und heilloser Verwirrung führt, daß ihre Art, für die Befriedigung der Bedürfnisse zu sorgen, Hungersnot und Elend erzeugt.

Die Krisen treiben nicht bloß viele Kapitalisten zum Bankrott, sie bezeugen auch den Bankrott der ganzen Kapitalistenklasse und ihres Privateigentums an den Produktionsmitteln. Diese Klasse ist unfähig geworden, die Aufgaben zu erfüllen, die ihr aus ihrem Privateigentum erwachsen, es selbst ist zu einer gesellschaftlichen Gefahr geworden, zu einer Ursache der schwersten gesellschaft - lichen Störungen, die aus dem Wege geräumt werden muß, wenn die Gesell - schaft imstande sein soll, sich weiter zu entwickeln.

Unter den Krisen leiden alle Klassen, mit Ausnahme einiger der bestgestellten Kapitalisten, die den allgemeinen Zusammenbruch benutzen, Beute zu machen und mit dem Gut der auf dem wirtschaftlichen Schlachtfelde Gebliebenen ihre Taschen zu füllen.

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Am meisten aber leiden die unteren Klassen. Alle die Schrecken, die Miß - wachs und Pest in früheren unkultivierten Jahrhunderten über die Menschen verhängten, brechen über sie herein: nicht infolge der Unzulänglichkeit der Kraft der menschlichen Gesellschaft gegenüber den Kräften der Natur, sondern infolge der Unzulänglichkeit der heutigen Organisation der Gesellschaft, der Kräfte, die sie selbst gezeugt, Herr zu bleiben, sie zu ihrem eigenen Besten zu leiten und zu lenken.

Und diese unsäglichen Leiden der Ueberproduktion drohen zu dauernden zu werden.

Die kapitalistische Produktion bedarf angesichts der steten Ausdehnung ihres Gebietes und des steten Wachstums ihrer Ertragsfähigkeit infolge der stetigen technischen und ökonomischen Verbesserungen einer stets rascheren Ausdehnung des Marktes, und zwar des auswärtigen Marktes. Dieser aber macht Miene sich zu verengern statt sich zu erweitern. Denn alle Kulturnationen der Erde sind bereits zu kapitalistischen Nationen geworden oder im Begriff es zu werden; die besten bisherigen Kunden der europäischen Großindustrie verwandeln sich in Konkurrenten.

Das heißt nichts anderes, als die Ueberproduktion wird zusehends immer mehr eine stehende Einrichtung unserer Gesellschaft immer seltener werden die Zeitpunkte, wo noch eine erhebliche Erweiterung des Marktes statt - findet, wo die Geschäfte gut gehen. Jmmer rascher wird jede dieser Erweiterungen durch die Ausdehnung der Produktion überholt, immer rascher folgen die Krisen aufeinander, immer länger dauern sie.

Die Produktivkräfte der heutigen Gesellschaft sind unvereinbar geworden mit dem Privateigentum. Die Gesellschaft hat nur die Wahl, zu versumpfen und zu verfaulen, wie das Reich der römischen Kaiser, oder das Privateigentum an den Produktionsmitteln abzuschaffen. Die unteren, die ausgebeuteten Klassen haben nur die Wahl, dafür zu kämpfen oder ihrem völligen Verkommen in Ueberarbeit und Arbeitslosigkeit, in Prostitution und Verbrechen entgegenzusehen.

Die Wahl kann nicht schwer sein.

3. Privatmonopol und Staatsmonopol.

Die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln wird durch die ökonomische Entwickelung zu einer Naturnotwendigkeit gemacht. Aber die - selbe ökonomische Entwickelung führt mit gleicher Notwendigkeit die Produktions - weise herbei, die an Stelle der bestehenden treten wird und muß, und wer Augen hat, zu sehen, kann ihre Keime heute schon, und zwar ziemlich emporgewachsen, erblicken.

Wir haben gesehen, wie die Produktionsmittel des kapitalistischen Großbe - triebes das Monopol einer kleinen Zahl von Kapitalisten und Grundbesitzern werden; aber die ökonomische Entwickelung bleibt dabei nicht stehen; ihr Endziel ist die Vereinigung der gesamten Produktionsmittel eines Landes ja schließlich aller kapitalistischen Länder in der Hand einiger weniger Riesen-Kapitalisten. Das Monopol der Klasse der Kapitalisten und Großgrundbesitzer strebt danach, das Monopol einiger Firmen zu werden.

Man vergleiche die Zustände von heute mit denen vor dreißig, vor sechzig Jahren, und man wird zugeben müssen, daß wir schon ein gutes Stück Wegs in dieser Richtung zurückgelegt haben und rasch weiter schreiten.

Sobald ein Jndustriezweig einmal dem Großbetrieb unterworfen ist, ist er auch einer beständigen technischen und ökonomischen Umwälzung verfallen. Eine Erfindung, eine Verbesserung der Organisation oder Betriebsweise usw. jagt die andere, und fast jede läuft auf eine Erweiterung der bestehenden Betriebe hinaus. 15Während Handwerker und Bauer Jahrhunderte lang in gleicher Weise wirt - schafteten und produzierten, und während ihre Betriebe immer gleich groß blieben, herrscht im Großbetrieb ein beständiges Aendern und Revolutionieren; und die Ausdehnung der einzelnen Betriebe ist in stetem Wachstum begriffen. Um diesen Wettlauf mitmachen zu können, muß man Geld haben, viel Geld. Wer nicht Jahraus, Jahrein ein zuschüssiges Kapital in seinem Betrieb anlegen kann, dessen Unternehmen veraltet in der Regel rasch und wird konkurrenzunfähig. So werden nach und nach nicht bloß die Handwerker und Kleinbauern, sondern auch die kleinen Kapitalisten expropriiert, das heißt, wider Willen ihres Besitztums entledigt, oder doch in ökonomische Abhängigkeit von den großen Kapi talisten gebracht.

Jn jedem Zweig der Großindustrie kommt einmal der Zeitpunkt, von dem an jede weitere Entwickelung zu einer Verminderung der Zahl der ein - zelnen Betriebe, zu einer Verminderung der Zahl der einzelnen Unternehmungen führt, indes gleichzeitig die Produktion wächst und die Ausdehnung der überleben - den Betriebe zunimmt. Jn manchen und gerade den maßgebendsten Jndustrie - zweigen ist bei uns dieser Zeitpunkt schon überschritten.

Hand in Hand damit geht aber auch eine Vereinigung mehrerer Betriebe in einer Hand, entweder dadurch, daß ein Kapitalist oder eine Kapitalisten - gesellschaft mehrere derselben erwirbt oder aber dadurch, daß mehrere Betriebe, wenn sie auch verschiedenen Besitzern gehören, doch in manchen Beziehungen sich einer einheitlichen Leitung unterordnen (Kartelle, Ringe, Trusts usw.). Jn vielen Jndustriezweigen ist es schon so weit gekommen, daß alle Betriebe, die derselben in einem Lande zählte, sich in einem Kartell vereinigten: hier haben wir heute schon das tatsächliche Monopol einer einzigen Firma.

Aber nicht genug damit, daß die großen Unternehmungen das Bestreben nach Zusammenfassung unter einer einheitlichen Leitung zeigen; es werden auch andere Unternehmungen von ihnen abhängig und ihnen dienstbar, die äußerlich noch selbständig bleiben. Man denke nur an die Abhängigkeit der Gastwirte von den Brauern, der Fabrikanten von den Kohlengruben, den Eisenbahnen, den großen Banken! Welchen Einfluß haben nicht diese Unternehmungen heute schon auf das ganze wirtschaftliche Leben, auf die Gestaltung der ganzen Produktion! Die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Einzelnen wird selbst unter den Unter - nehmern immer mehr ein bloßer Wahn.

Aber in demselben Maße, in dem gerade die wichtigsten Wirtschaftszweige zu Monopolen werden und das ganze wirtschaftliche Getriebe immer mehr von der Leitung einiger weniger Unternehmungen abhängig wird, in demselben Maße werden die Kapitalisten überflüssiger; sie entledigen sich immer mehr ihrer Auf - gaben und übertragen dieselben an Beamte, anLohnarbeiter.

Wie der Kapitalist aus dem Kaufmann hervorgegangen ist, sind auch seine Aufgaben die des Kaufmanns geblieben: er hat die Aufgabe, den Bedarf des Marktes zu ermessen und dafür zu sorgen, daß die nötigen Waren herbeigeschafft werden.

Daß die Kapitalistenklasse immer unfähiger wird, diese Aufgabe zu erfüllen, daß ihr die heutigen Produktivkräfte über den Kopf wachsen, haben wir bei Be - trachtung der Krisen gesehen. Sie wälzt aber auch immer mehr von dieser Auf - gabe auf ihre Beamten ab.

Je größer ein Unternehmen wird, desto unmöglicher wird es für den Kapita - listen, ihm allein vorzustehen, desto mehr von seinen Geschäften muß er an Beamte abgeben. Und je mehr Profit ein Unternehmen abwirft, desto eher kann der Kapitalist sich den Luxus erlauben, alle seine Geschäfte von sich ab auf höhere Lohnarbeiter abzuwälzen. Der Kapitalist wird da schließlich ganz überflüssig. Er hat gar nichts mehr zu tun, als den Profit einzustreichen. Seine Person16 ist für das Wirtschaftsleben höchst gleichgültig geworden, von Wichtigkeit ist bloß sein Kapital.

Am offenkundigsten tritt das zutage in den Aktiengesellschaften, die sich so rasch vermehren.

Während die Personen der Monopolisten der Produktionsmittel auf diese Weise immer mehr aufhören, in der Produktion eine Rolle zu spielen, indes gleichzeitig die Rolle der Produktionsmittel, die sie monopolisieren, eine immer wichtigere wird, treten zwei Mächte in den Vordergrund, die ursprünglich auf die Regelung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nur geringen Einfluß gehabt haben: der Staat und das Proletariat.

Die Entwickelung der Warenproduktion hat nicht bloß die Gesellschaft, sondern auch den Staat auf neue Grundlagen gestellt. Zog vordem die Staats - gewalt ihre Kraft aus persönlichen Diensten und Naturalienabgaben der Staatsangehörigen, so wurden diese Machtquellen durch die Entwickelung der Warenproduktion immer mehr zurückgedrängt. Wie für jedes Unternehmen wurde auch für den Staat die größte Quelle der Macht in der Gesellschaft der Warenproduktion immer notwendiger: das Geld.

Dies war aber vornehmlich bei den Kapitalisten zu finden. Diese ver - standen die Kunst, Geld zu erwerben und es so anzuwenden, daß aus dem Geld mehr Geld wurde. Ueberall, wo die Warenproduktion eine gewisse Ausdehnung erreicht hatte, suchten daher die Jnhaber der Staatsgewalt das waren damals die Fürsten die Zahl der Kapitalisten im Lande zu vermehren. Und bis heute ist das Züchten von Millionären bekanntlich eine Haupt - aufgabe der Staatsmänner geblieben.

Der Handel und die kapitalistische Jndustrie sind daher in ihren Anfängen allenthalben durch Staatshülfe mächtig gefördert worden.

Seitdem aber zu Anfang des vorigen und zu Beginn des jetzigen Jahr - hunderts die Großindustrie erstand, fing der staatliche Schutz häufig an, aus verschiedenen Gründen den Kapitalisten lästig zu fallen. Gleichzeitig war die Kapitalistenklasse so stark geworden, daß sie glauben konnte, sie bedürfe des staatlichen Schutzes nicht mehr. So entstand die Lehre, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse am besten dann gedeihen, wenn der Staat sich gar nicht hineinmischt.

Diese Lehre, die ihren unverblümtesten Ausdruck im sogenannten Man - chestertum gefunden hat, ist einige Jahrzehnte lang von den Kapitalisten und ihren wissenschaftlichen und politischen Vertretern in allen Ländern so gut wie einstimmig anerkannt worden. Trotzdem ist sie nirgends zur völligen und folgerichtigen Durchführung gekommen und hat heute völlig abgewirtschaftet. Nicht nur die anderen Klassen, auch die Kapitalisten selbst sehen sich immer mehr genötigt den Staat um Hülfe anzurufen. Jhr Selbstbewußtsein hat sie verlassen, sie fühlen sich immer ohnmächtiger gegenüber den wirtschaftlichen Gewalten, die sie entfesselt. Der Staat soll sie bändigen. Er soll dafür sorgen, daß es keine Streiks gibt, keine Börsenpaniken, keine Ueberproduktion, keine Kartelle der großen Kapitalisten gegen die kleinen, keine auswärtige Konkurrenz usw.

Hatte der Staat früher fast nur militärische und richterliche Aufgaben, so fallen ihm jetzt imer mehr Aufgaben zu, die früher den Gemeinden, den reli - giösen oder privaten Bereinigungen oblagen; Aufgaben, die heute zu gewaltige geworden sind, als daß sie diese Vereinigungen lösen könnten; so die Armen - pflege, das Schulwesen, das Verkehrswesen, Waldschutz und Wasserregulie - rung usw. Neue wirtschaftliche Aufgaben fallen ihm zu, die ehedem unbekannt gewesen, z. B. der Arbeiterschutz. Seine alten Aufgaben erlangen eine unerhörte Ausdehnung: man vergleiche z. B. die Heere von heute mit denen vor hundert 17 und zweihundert Jahren! Dadurch wird der Staat auch der größte Konsument im Lande, was ebenfalls seine wirtschaftliche Bedeutung ungemein steigert.

Aber nicht bloß als Konsument, auch als Produzent tritt der Staat immer mehr in erste Reihe, sowohl als Produzent für den eigenen Gebrauch, wie auch zum Verkauf.

Den größten Teil seiner Macht zog der Jnhaber der Staatsgewalt früher aus seinem, beziehungsweise dem staatlichen Grundbesitz. Reste desselben haben sich noch erhalten in den staatlichen Domänen und Bergwerken. Die Entwickelung des Militarismus fügt dazu Arsenale und Schiffswerf - ten, die Entwickelung des Verkehrswesens Posten, Eisenbahnen, Telegraphen, endlich die Zunahme seiner Geldnot Monopole aller Art.

Aus dieser offenkundigen raschen Zunahme der Staatsbetriebe und Staats - unternehmungen einerseits, und der wachsenden Beeinflussung der wirtschaft - lichen Vorgänge durch den Staat andererseits, haben verschiedene Wirtschafts - politiker geschlossen, es werde dies nach und nach so weit führen, daß der Staat die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit auffange und sämtliche Produktionsmittel in seiner Hand vereinige: auf diese Weise werde die Ursache der heutigen wirt - schaftlichen Not das Privateigentum an den Produktionsmitteln von selbst überwunden. Man brauche, also nichts zu tun, als die Macht des Staates bei jeder Gelegenheit möglichst zu stärken, um die Lösung der sozialen Frage herbeizuführen.

Das ist die Ansicht der kühnsten und weitestgehenden unter den sogenannten Staatssozialisten.

Denselben ist folgendes zu erwidern: Der Staat schwebt nicht in der Luft über den Klassen und Parteien, er stützt sich auf eine oder mehrere dieser Klassen und Parteien und ist dafür der Vertreter ihrer Gesamtinteressen gegenüber Allen, die sie verletzen.

Solange die besitzenden Klassen die herrschenden sind, wird der Staat nie seine Monopole, und sonstigen Betriebe sowie seine Beeinflussung der wirtschaft - lichen Verhältnisse so weit ausdehnen, daß er dadurch das Privateigentum an den Produktionsmitteln die Grundlage der Macht der besitzenden Klassen ge - fährdete.

Die Entwickelung der Monopole ist aber auch bei den bestehenden Verhält - nissen keineswegs so vorteilhaft für die unteren Klassen, namentlich die Lohn - arbeiter, wie die Staatssozialisten meinen.

Je größer die Konkurrenz unter den einzelnen kapitalistischen Unterneh - mungen, desto größer unter sonst gleichen Umständen die Unabhängigkeit und Widerstandskraft der Lohnarbeiter, die sie beschäftigen, und desto günstiger die Lage des Publikums, der Konsumenten, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auf diese Unternehmungen angewiesen sind. Jndem die ökonomische Entwickelung die Konkurrenz unter den einzelnen Unternehmungen aufzuheben und an Stelle der Konkurrenz das Monopol zu setzen strebt, wirkt sie dahin, die Lohnarbeiter einerseits, die Konsumenten andererseits völlig der Willkür der Monopolisten preis zu geben und die unerträglichsten, empörendsten Zustände für sie zu schaffen. Welche Uebelstände immer die freie Konkurrenz im Gefolge haben mag, die Konkurrenz aufheben und die Warenproduktion fortbestehen lassen, heißt, die schlimmsten Uebelstände der heutigen Produktionsweise auf die Spitze treiben.

Der Druck, den die staatlichen Monopole ausüben können, ist aber noch größer als der der privaten, weil sie neben ihrer wirtschaftlichen Macht auch noch die übermächtige Staatsgewalt zu ihrer Verfügung haben.

Allerdings haben die Staatsbetriebe, weil der Konkurrenz entzogen, auch die Macht, ihren Arbeitern oder dem großen Publikum außergewöhnliche Be -18 günstigungen zu gewöhnen, aber so lange die Warenproduktion herrscht, wird diese Seite des Monopols um so weniger zur Geltung kommen, je mehr die be - sitzenden Klassen den Staat beherrschen.

So lange die Warenproduktion herrscht, braucht der Staat Geld; er muß danach trachten, daß seine Betriebe möglichst wenig kosten und möglichst viel ein - bringen. Und so lange die besitzenden Klassen, die Kapitalisten und Großgrund - besitzer die Staatsgewalt in der Hand haben, wird stets gespart werden auf Kosten der Arbeiter und profitiert werden auf Kosten der großen Masse der Kon - sumenten. Ein anderes Vorgehen würde nicht bloß die Staatsfinanzen, sondern auch die Geschäfte der Kapitalisten und Großgrundbesitzer schädigen, die es nicht vertragen können, daß die Arbeiter auf der einen Seite, das große Publikum auf der anderen, zu anspruchsvoll werden.

Soweit in Betrieben und Unternehmungen der kapitalistischen Staaten die Rücksichten auf die Staatsfinanzen außer Acht gelassen werden, geschieht es auf Gebieten, wo die Jnteressen der Besitzenden in Frage kommen: bei der Schaffung einträglicher, wenn auch vielleicht überflüssiger höherer Beamten - stellen für die Söhne der Besitzenden und dergleichen.

Die Arbeiterklasse und die Masse der unteren Volksschichten überhaupt hat von der Ausdehnung der Staatswirtschaft so lange nichts zu erwarten, als der Staat sich in den Händen der Kapitalisten und Großgrundbesitzer befindet, der sogenannte Staatssozialismus würde da nur Staatskapitalismus.

Aber zum Glück für den Fortgang der Entwickelung hat die kapitalistische Produktionsweise eine neue gesellschaftliche und politische Macht geboren, die be - stimmt ist, den Kapitalisten und Großgrundbesitzern die Staatsgewalt aus den Händen zu ringen: das Proletariat.

4. Die Erhebung des Proletariats.

Zwischen dem Käufer und dem Verkäufer einer Ware herrscht ein ent - schiedener Gegensatz der Jnteressen: der Eine will möglichst billig kaufen, der andere möglichst teuer verkaufen. Dieser Gegensatz besteht auch zwischen dem Käufer der Ware Arbeitskraft dem Kapitalisten und ihrem Verkäufer dem Arbeiter. Aber in diesem Falle ist der Jnteressengegensatz noch weit schroffer, als bei jedem anderen Kauf oder Verkauf einer Ware. Denn der Ar - beiter kann seine Arbeitskraft nicht verkaufen, ohne seine Person in den Kauf zu geben; und er ist von vornherein dazu verurteilt, bei diesem Geschäft der schwächere Teil zu sein: für den Kapitalisten handelt es sich dabei ja nur um ein Mehr oder Minder von Profit, für den Arbeiter handelt es sich um Leben oder Tod. Er muß zu Grunde gehen, wenn es ihm nicht gelingt, einen Käufer für seine Arbeitskraft zu finden. Und er muß ihn rasch finden. Er ist be - sitzlos, er hat keinen Rückhalt, er kann nicht längere Zeit arbeitslos leben. Der Kapitalist dagegen kann in der Regel längere Zeit ohne Arbeiter aushalten. Und der Kapitalisten sind wenige, der Arbeiter sind viele.

Die Gesellschaft der Warenproduktion beruht auf dem Gegensatz der Jn - teressen: dem Gegensatz zwischen Produzenten und Konsumenten, Verkäufern und Käufern, dem Gegensatz zwischen den Konkurrenten. Diese Jnteressengegen - sätze, welche den mannigfaltigsten Ausdruck finden, bekämpfen sich aufs Aeußerste, und zwar um so schärfer, je mehr die Warenproduktion sich entwickelt und die Produktion für den Selbstgebrauch verdrängt. Aber der schroffste Gegensatz innerhalb dieser Gesellschaft ist der zwischen den Kapitalisten und ihren Ar - beitern. Jmmer erbitterter und riesenhafter werden die Kämpfe, die aus diesem Gegensatz erwachsen, immer mehr wühlen sie die ganze Gesellschaft auf und be - stimmen immer mehr deren Entwickelung.

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Anfangs handelt es sich in diesen Kämpfen bloß um die zunächst liegenden Fragen des Lohnes, der Arbeitszeit, anständiger Behandlung und dergleichen. Und anfangs wird jeder dieser Kämpfe in einem kleinen Kreise ausgefochten. Bald aber erkennen die Arbeiter, daß sie vereinzelt dem Kapitalisten machtlos gegenüberstehen, daß ihre Macht in ihrer Vereinigung liegt. Und das Zu - sammenarbeiten in der Fabrik sowie die Gleichheit der Lebens - und Arbeitsbe - dingungen erweckt auch frühzeitig in den Proletariern das Gefühl ihrer Jnte - ressengemeinschaft, ihrer Solidarität.

Jn ihren Kämpfen unterliegen sie anfangs meist, trotzdem gehen dieselben nicht spurlos vorbei. Die Proletarier lernen in diesen Kämpfen sich organisieren und Disziplin halten, sie gewinnen Vertrauen zu ihren Genossen und damit auch Selbstvertrauen und entflammen ihren Opfermut. Jeder dieser Kämpfe bringt ihnen aber auch reichen Gewinn an Erfahrung und Einsicht in den eigenen Reifen, indes er gleichzeitig ihre Gegner lehrt, die Proletarier zu respektieren und weitere Konflikte mit ihnen zu fürchten.

So schöpft das Proletariat selbst aus seinen Niederlagen neue Kräfte; immer wieder geschlagen, marschiert es ununterbrochen vorwärts.

Die ersten Waffen, deren sich das Proletariat in diesen Kämpfen bedient, entlehnt es den Handwerksgesellen: die Arbeitseinstellung, heute Streik genannt, und die Berrufserklärung (Boykott). Auch ihre ersten Organisationen, die Gewerkschaften, lehnen sich an die alten Gesellschaften an. Aber auf die Dauer genügen diese Waffen für sich allein nicht; sie selbst er - fordern zu ihrer vollen Entwickelung Vorbedingungen, die sie anfangs im Staat nicht finden, die das Proletariat erkämpfen muß auf politischem Wege.

Wir haben gesagt, daß die ersten Kämpfe der Arbeiterschaft nur kleine Kreise in Bewegung setzten. Es bedurfte außergewöhnlicher Vorfälle, um das Personal einer Fabrik oder im besten Falle eines ganzen Jndustriezweiges in einer ein - zelnen Stadt zu einem Kampf gegen die Unternehmer zu veranlassen. Aber nach und nach wurden diese Kämpfe häufiger, sie wiederholten sich, sie führten zu ständigen Organisationen. Die Entwickelung der Verkehrsmittel ermöglicht es den Fabrikanten, wenn ihre bisherigen Arbeitskräfte widerhaarig werden, diese durch Arbeiter aus anderen Gegenden zu ersetzen; sie ermöglicht es aber auch und drängt dazu, daß die Arbeiter eines Ortes sich zur besseren Auskämpfung ihrer Konflikte mit den Arbeitern anderer Orte verbinden; die lokalen zeitweisen Ar - beiterbewegungen erweiterrn sich zu einer ständigen, großen Arbeiterbewegung, die den ganzen Staat umfaßt, ja die, von einem gewissen Punkt der Entwickelung an mit den Arbeiterbewegungen anderer Staaten Fühlung gewinnt und ein - mütig mit ihnen vorgeht. Sie wird naturnotwendig zu einer internatio - nalen Bewegung.

Aber nicht bloß die lokalen und nationalen Schranken, sondern auch die des Berufes reißt die heutige Arbeiterbewegung nieder. Unter dem System der Maschinenarbeit wird der Uebergang von einem Beruf zum anderen immer leich - ter möglich und den Arbeitern immer öfter aufgezwungen. Jn der Fabrik ar - beiten aber auch Arbeiter verschiedener Berufe miteinander. Unter diesen Um - ständen tritt leicht die Jnteressengemeinschaft der Proletarier der verschiedenen Arbeitszweige gegenüber dem gemeinsamen Gegner, dem Kapital, in den Vor - dergrund; die Unterschiede zwischen ihnen erscheinen immer weniger als etwas Trennendes.

So werden die Arbeiterbewegungen in den verschiedenen Jndustriezweigen immer mehr eine einheitliche Bewegung der gesamten Arbeiterklassen, ein Klassenkampf zwischen Kapital und Proletariat. Damit werden die Ziele weitere, höhere, die sich die Arbeiterbewegung steckt. Ohne daß die Kämpfe der einzelnen Arbeiterschichten um des Lebens tägliche Notdurft2*20gegen die einzelnen Ausbeuter vergessen und im Geringsten vernachlässigt werden, tritt der Kampf für die Gesamtinteressen der Arbeiterklasse gegen die gesamte Ausbeuterklasse immer mehr in den Vordergrund. Die Arbeiterbe - wegung verliert immer mehr ihre persönliche Spitze gegen den einzelnen Kapita - listen und wird immer mehr ein Kampf gegen das ganze System der kapita - listischen Ausbeutung.

Ein Klassenkampf ist aber notwendiger Weise ein politischer Kampf.

Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die ersten, rein ökonomischen Kampfesmittel des Proletariats verkümmert wurden durch gewisse Hindernisse. Diese waren politischer Natur. Die Staatsgewalt, wirtschaftlich und meist auch politisch abhängig von der Kapitalistenklasse, hat es seit jeher, so lange eine kapitalistische Produktion besteht, für eine ihrer Hauptaufgaben gehalten, die Vereinigungen des Proletariats unmöglich zu machen oder mindestens so viel als möglich zu hindern. Die Freiheit der Versammlung und Vereinigung wurde dem Proletariat vorenthalten; es mußte sie überall in schweren politischen Kämpfen erobern. Ebenso notwendig wie diese Freiheiten ist für die Arbeiterklasse die Freiheit der Presse. Sie ist unter den heutigen Verhältnissen unentbehrlich, wo es sich in der Arbeiterklasse um die Organisie - rung und Bewegung großer Massen auf großen Gebieten handelt. Auch sie ist dem arbeitenden Volk vorenthalten worden und wird ebenso wie die anderen Freiheiten ihm heute noch möglichst verkümmert. Eine jede Beschränkung der - selben heißt aber eine Beschränkung der Arbeiterklasse in ihren Kämpfen. Bei jeder Lohnbewegung bekommt es der Arbeiter zu fühlen, daß politische Freiheit und politische Macht sehr reale Dinge sind, die zum guten Teil mitbestimmen, wie viel er und seine Kinder zu essen haben, wie lange er zu schanzen hat.

Das Proletariat muß daher, um seine ökonomischen Kämpfe führen, seine ökonomischen Organisationen entwickeln zu können, politische Freiheiten erobern und behaupten. Auch andere Ursachen drängen es auf das Gebiet der Politik. Es gibt zahlreiche Proletarierschichten, und es sind gerade die gedrücktesten, die nicht die Kraft haben, durch ökonomischen Kampf ihre Jnteressen auch nur einigermaßen zu wahren; es gibt Forderungen, welche die Arbeiterklasse auf dem Wege des rein ökonomischen Kampfes nicht durchsetzen kann. Z. B. eine all - gemeine weitgehende Verkürzung der täglichen Arbeitszeit.

Endlich wird die Arbeiterklasse wie jede andere Klasse der Gesellschaft auch von solchen politischen Fragen berührt, die keine bloßen Arbeiterfragen sind.

Wie jede andere Klasse müssen also auch die Arbeiter danach trachten, poli - tischen Einfluß, politische Macht zu erlangen. Eines der wichtigsten Mittel, auf die Staatsverwaltung bestimmend einzuwirken, bilden aber in den modernen Großstaaten die Parlamente, und die Vertretung einer Klasse oder Partei darin hängt in erster Linie von der Gestaltung des Wahlrechts ab. Das all - gemeine Stimmrecht ist für die Arbeiterklasse ebenso unentbehrlich zur Wahrung ihrer Jnteressen, wie die Versammlungs -, Vereins - und Preßfreiheit.

Wenn die Arbeiter anfangen, sich mit Politik zu beschäftigen, ist es das nächstliegende für sie, sich einer der Parteien anzuschließen, die sie vorfinden und die für ein oder das andere Arbeiterinteresse einzutreten vorgeben, vielleicht auch wirklich beabsichtigen. Aber jede dieser Parteien vertritt eine oder mehrere Schichten der besitzenden Klassen.

Jm allgemeinen kann man alle alten Parteien auf zwei große Gruppen zu - rückführen: Die konservative und die liberale, von denen die erstere im wesentlichen bisher die Jnteressen des Großgrundbesitzes, die letztere die Jnteressen der Kapitalistenklasse zu wahren suchte. Jede dieser Parteien muß in einem parlamentarischen Staate suchen, in den unteren Volks - klassen, namentlich bei den Bauern und Kleinbürgern, aber auch den Lohn - 21 arbeitern Anhang zu finden. Durch die Art und Weise, wie sie diese zu gewinnen und festzuhalten suchen, unterscheiden sich die Parteien eben so sehr, wie durch die Jnteressen, die sie in letzter Linie vertreten.

Bei dem Wettrennen um die Gunst des kleinen Mannes und bei den Jnter - essenkämpfen zwischen den oberen Klassen kommt es natürlich hin und wieder vor, daß eine der alten Parteien den Lohnarbeitern das eine oder das andere Zugeständnis bietet.

Der Proletarier steht im Gegensatz zu allen Ausbeutern, welchen Klassen immer sie angehören; wird er von den einen ausgebeutet als Produzent, so von den anderen als Konsument. Eine jede der alten Parteien kann ihm daher ge - legentlich als Frucht ihres Sieges über die gegnerische Ausbeuterpartei einen Vorteil in Aussicht stellen: Billiges Brot wollen ihm z. B. die Kapitalisten in den Ländern verschaffen, wo sie den Freihandel brauchen; Verkürzung der Arbeitszeit (natürlich nur in den Fabriken) boten ihm mitunter die Großgrundbesitzer.

Aber weil der Proletarier im Gegensatz steht zu allen Ausbeutern, kann keine der alten Parteien dauernd seine Jnteressen vertreten. Jede derselben steht gerade in den für das Proletariat wichtigsten Fragen ihm feindlich gegen - über; jede derselben hat es gerade in den entscheidendsten Momenten stets ver - raten, so oft es sich ihr anvertraute.

Die Beschäftigung der Arbeiter mit der Politik muß daher überall früher oder später dahin führen, daß sie aufhören, den bürgerlichen Parteien Gefolg - schaft zu leisten und daß sie eine eigene selbständige Partei bilden, die Arbei - terpartei. Diese bildet den Schlußstein der Organisation des Proletariats. Seine ökonomischen Organisationen werden immer, so sehr sie auch von dem Be - wußtsein der Gemeinsamkeit der Jnteressen aller Proletarier durchdrungen sein mögen, zunächst den Sonderinteressen der einzelnen Zweige der Arbeiterklasse dienen müssen. Die Organisation des gesamten Proletariats als Klasse, seine Zusammenschweißung zu einem festen einheitlichen Körper ist nur möglich durch seine politische Organisation als selbständige Arbeiterpartei.

Ebenso unvermeidlich und durch die ökonomische Entwickelung mit Natur - notwendigkeit herbeigeführt, wie das Erstehen derArbeiterbewegung ist die Bildung einer Arbeiterpartei. Nicht minder unvermeidlich aber ist es, daß diese schließlich den Sieg über die anderen Parteien davontragen wird. Denn das Proletariat nimmt ununterbrochen stetig an Kraft zu, indes die besitzenden Klassen immer schwächer werden. Dieser Sieg ist nur eine Frage der Zeit.

Die Menge der Lohnarbeiter vermehrt sich beständig, indes die Zahl der Besitzenden immer geringer wird. Aber gleichzeitig beginnen die Arbeiter sich auch an sittlicher Kraft über die Besitzenden zu erheben. Während der Konkur - renzkampf immer wilder wütet und die Reihen der Besitzenden immer mehr zer - klüftet, jeden Einzelnen von ihnen immer mehr drängt, seine Genossen nieder - zutreten, damit er über ihren Leichen vorwärts stürme, während der Konkurrenz - kampf so die niedrigsten und gemeinsten Leidenschaften in den Besitzenden groß - zieht, erzeugt der Klassenkampf in den Proletariern die höchsten sittlichen Tugenden, Selbstverleugnung, Opfermut, ideale Begeisterung, innigen Zu - sammenhalt mit den Genossen Eigenschaften, die in den Kämpfen der Massen den Ausschlag geben.

Aber auch an Jntelligenz und Geschlossenheit wächst das Pro - letariat unaufhörlich. Der Klassenkampf zwingt es, sich in großen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen zusammenzuschließen. Die Tätigten für diese und in diesen Organisationen entwickelt in der Arbeiterklasse parlamentarische und Verwaltungstalente, die mit der Zeit den Politikern und Verwaltungsbe -22 amten der herrschenden Klassen nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen werden. Und in keiner Klasse ist der Drang nach Wissen um des Wissens willen so groß als in der Arbeiterklasse, deren Gehirne nicht erschöpft werden durch den Kon - kurrenzkampf.

Gleichzeitig werden aber auch die Proletarier ökonomisch immer unentbehr - licher, indes die Kapitalisten immer überflüssiger für die Produktion werden. Man beseitige heute die Klasse der Kapitalisten, und in den weitaus meisten und gerade in den wichtigsten Jndustriezweigen wird die Produktion ohne Störung fortgehen. Dagegen kann die Produktion in keiner der großen Jndustrien auch nur eine Minute ohne die Proletarier fortgesetzt werden. Gerade die für die Massenproduktion, gerade die für das ganze gesellschaftliche Leben unentbehr - lichsten Jndustriezweige werden aber heute kapitalistisch betrieben. Ohne die Ar - beit der Proletarier ist daher jede Existenz in der modernen Gesellschaft unmög - lich geworden.

So wächst das Proletariat unaufhörlich an Zahl, an sittlicher Kraft, an Jntelligenz, an Geschlossenheit, an Unentbehrlichkeit. Es wird eine Macht, die ihren Gegnern immer mehr Furcht einflößt. Auch sein Selbstvertrauen und seine Hoffnungsfreudigkeit wachsen, indes seine Feinde angstvoll an sich selbst zu verzweifeln beginnen.

Jst aber einmal das Proletariat eine Macht geworden, dann bleibt es nicht allein, dann ziehen seiner Fahne auch aus den anderen ausgebeuteten Klassen Rekruten zu, aus den Proletariern der geistigen Arbeit, den Kleinbürgern und Kleinbauern, die bisher den konservativen und liberalen Fahnen nachgelaufen waren

Jn den revolutionären Bewegungen der letzten Jahrhunderte haben Bauern, Kleinbürger und Proletarier die Entscheidungskämpfe stets zusammen - gekämpft. Der Schwerpunkt lag dabei immer bei der Klasse, welche die ökonomisch wichtigste war: in den sogenannten Bauernkriegen waren das die Bauern; in der großen französischen Revolution des 18. und ihren Ausläufern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es die Kleinbürger. Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die Führung im Kampfe gegen die Unter - drücker und Ausbeuter der niederen Volksklassen überall dort, wo sich eine selb - ständige Arbeiterpartei gebildet hat, an das Proletariat übergegangen.

Soweit Kleinbürger und Bauern sich noch zu den Ausbeutern zählen, soweit sie glauben, durch vermehrte Ausbeutung von Lohnarbeitern sich emporarbeiten zu können, stehen sie den Arbeitern und ihrer Partei feindselig gegenüber, bleiben sie die Gefolgen der alten Parteien, bleiben sie die Stützen einer Gesellschafts - ordnung. die sie ruiniert.

Aber immer größere Schichten der Kleinbürger und Bauern kommen zur Erkenntnis, daß sie zu den Ausgebeuteten gehören; ihre Lage wird immer ähn - licher der der Proletarier, und das Einzige, was sie vom Proletariat noch trennt, ihr bißchen Besitz, schwindet dahin wie der Schnee vor der Sonne. Und selbst wo es ihnen gelingt, ihren Besitz noch notdürftig zu erhalten, verliert er immer mehr die Fähigkeit, ihnen ein Dasein zu gewähren, das, nach dem Maßstabe unserer Kultur gemessen, ein menschenwürdiges genannt werden könnte. Ebenso sinken die Arbeiter der Jntelligenz immer mehr und mehr auf die Stufe eines proletarierhaften Daseins herab. Nur vereinzelten Glücksvögeln unter ihnen gelingt es noch, sich zu einer behaglichen Stellung emporzuschwingen. Den Meisten winkt nur Not und Elend, die gerade in diesen Kreisen am drückendsten empfunden werden, wo eine höhere, bürgerliche Lebenshaltung zu den Lebens - bedingungen gehört.

Gleich den Proletariern sehen Bauern, Kleinbürger und besitzlose Ge - bildete sich ausgeschlossen von all den glänzenden Errungenschaften der 23 modernen Produktion, die einzig und allein den Kapitalisten und Großgrundbe - sitzern, den Monopolisten der großen gesellschaftlichen Produktionsmittel zu Gute kommen und die nur durch die Verwandlung dieses Privateigentums in Gemeineigentum allen zugänglich gemacht werden können. Die Vorteile, die dem Bauern und Kleinbürger sein Privateigentum bietet, verschwinden immer mehr gegenüber den Vorteilen, die ihm die Aufhebung des Privateigentums zu den großen Monopolen in Aussicht stellt.

Nimmt man dazu, daß die verwandtschaftlichen Bande zwischen Bauern und Kleinbürger auf der einen Seite, den Proletariern aus der anderen Seite immer enger werden, je mehr bäuerliche Landwirtschaft und Handwerk ihren goldenen Boden verlieren, je mehr Sohne und Töchter von Bauern und Handwerkern als Lohnarbeiter sich verdingen müssen, dann darf man sich nicht wundem, daß die Denkart der Proletarier immer mehr auch in den anderen Schichten der unteren Volksklassen Eingang findet und daß sie immer geneigter werden, sich dem Kampf des Proletariats gegen die Ausbeutung anzuschließen.

Die Arbeiterklasse verficht in diesem Kampfe nicht bloß ihre eigene Sache, Als die unterste der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen, die in letzter Linie unter jeder Art von Ausbeutung und Druck zu leiden hat, auch wenn sie dadurch nicht unmittelbar berührt wird, sieht sie in jedem Ausbeuter und Unterdrücker ihren Feind und bekämpft sie die Ausbeutung und Unterdrückung der kleinen Be - amten und sonstigen Kopfarbeiter, sowie der Bauern und Kleinbürger ebenso entschieden wie die eigene.

Erwägt man alles das: das Wachstum des Proletariats und seiner Kraft sowie das Wachsen seines Einflusses auf die ihm nahestehenden Klassen, indes die besitzenden Klassen an Zahl, Kraft und Einfluß stetig abnehmen, dann kann das Endergebnis nicht mehr zweifelhaft sein. Jn der Tat machen sich bereits die klügsten Köpfe der herrschenden Klassen mit dem Gedanken vertraut, daß das Proletariat sie einmal in der Herrschaft über den Staat ablösen wird.

Selbstverständlich wünschen und hoffen sie, dieser Zeitpunkt liege noch in weiter Ferne. Aber er liegt vielleicht näher, als die meisten glauben.

Wie bei allen großen politischen Ereignissen wird auch bei diesem das Un - erwartete und Unberechenbare eine große Rolle spielen. Wir können daher darüber, wann das Proletariat zur Herrschaft gelangen wird, ebenso nur Vermutungen äußern, wie darüber, in welcher Weise das geschehen wird. Aber, daß dies Ereignis eintreten wird und muß, kann nur ein Blinder noch leugnen oder ein Verblendeter

5. Der Sozialismus.

Wenn auch wenigstens die unbefangeneren und einsichtigeren unter den Gegnern des Proletariats bereits anerkennen, daß es eines schönen Tages in den Besitz der Staatsgewalt gelangen werde, so ist doch damit nicht gesagt, daß sie vor ihm die Waffen strecken. Um sich zu beruhigen, haben sie sich einen recht sonderbaren Trost zurechtgelegt. Sie bilden sich nämlich ein, die Herrschaft des Proletariats werde nicht von langer Dauer sein, sie werde sich selbst verzehren, denn wenn das Proletariat die Staatsgewalt erobere, könne es diese nicht anders als in der unsinnigsten Weise anwenden. Alle die Schilderungen des Zukunftstaates , welche unsere Gegner in den letzten Jahrzehnten entworfen haben, laufen daraus hinaus, das siegreiche Proletariat als eine Rotte von Toll - häuslern und Banditen erscheinen zu lassen.

Alte Demokraten scheuen sich nicht, die kommende Herrschaft des arbeitenden Volkes in ebenso grausigen Farben zu malen, wie es vor einem halben Jahr - hundert die fanatischsten Verteidiger des Gottesgnadentums getan.

24

Jn Wahrheit ist das Proletariat heute schon reif, seine eigenen Angelegen - heiten zu ordnen und zu verwalten. Es hat in seinen Organisationen bereits vielfach den Beweis geliefert, daß es die Aufgaben der Sozialpolitik besser zu lösen imstande ist als das staatliche Beamtentum oder Unternehmerorganisa - tionen. Es hat sich allen Aufgaben gewachsen gezeigt, die an dasselbe heran - traten, trotz der ungeheuren Schwierigkeiten, die der Staat und die gegnerischen Klassen ihm in den Weg legten und legen, und trotzdem es heute sich allein angewiesen ist. Seine Fähigkeiten wachsen aber noch weiter, ununterbrochen und rasch, in demselben Verhältnis, wie seine Kräfte. Und wenn es einmal die Staatsgewalt in der Hand hat, stehen ihm auch alle die ungeheuren materiellen und geistigen Hülfsmittel zu Gebote, über die sie verfügt.

Wer angesichts dessen annehmen kann, das Proletariat werde, sobald es sich der Bevormundung durch die ausbeutenden Klassen entledigt, nichts anderes zu vollführen wissen, als die blödsinnigsten Kindereien, beweist nur ebensoviel beschränkten Hochmut wie politische Unwissenheit.

Wir vermögen nicht mit der Deutlichkeit, wie die Zukunftsmaler unter unseren Gegnern, zu sehen, was die Proletarier tun werden, wenn sie die po - litische Macht erlangen. Das wird in den verschiedenen Ländern sehr verschieden sein, je nach den Verhältnissen, die sie vorfinden. Aber welche Maßregeln im Einzelnen immer sie ergreifen mögen, das große Ziel, worauf jede derselben hinauslaufen muß, kann nichts anderes sein, als die Abschaffung jeg - licher Ausbeutung, unter der sie leiden.

Und da das Privateigentum an den Produktionsmitteln die Grundlage ihrer Ausbeutung bildet, da sie diese nicht abschaffen können, ohne jenes zu beseitigen, müssen sie notwendigerweise zur Aufhebung dieser Art von Eigentum gelangen.

Das gleiche Ziel verfolgt aber, wie wir gesehen haben, die ökonomische Ent - wickelung. Deren Bedürfnisse und die Jnteressen des Proletariats decken sich also, sie erzeugt die Mittel zur Lösung der Aufgabe, die ihm zufällt.

Wir haben gesehen, daß die ökonomische Entwickelung alle Produktionsmittel und das ganze wirtschaftliche Leben immer mehr unter die Notmäßigkeit einiger weniger Kapitalistenfirmen bringt. Wir haben ferner gesehen, daß sie die Person des Kapitalisten für den Betrieb seines oder seiner Unternehmungen immer überflüssiger macht, endlich haben wir gesehen, daß der Staat immer mehr dazu gedrängt wird, in das wirtschaftliche Leben regelnd einzugreifen, wichtige wirt - schaftliche Verrichtungen und den Betrieb von Jndustrien zu übernehmen.

Wir haben aber auch gesehen, daß die heutige Gesellschaft selbst Hindernisse erzeugt, die sich dem Fortgang dieser Entwickelung in den Weg stellen und die bewirken, daß sie nur unvollkommen vor sich geht. Diese Hindernisse werden be - seitigt durch den Sieg des Proletariats.

Die besitzenden Klassen werden, wie bereits erwähnt, so lange sie die Herrschenden sind, nie dulden, daß die Staatswirtschaft eine solche Ausdehnung erhält, daß dadurch das Privateigentum an den Produktionsmitteln bedroht würde. Aber auch die ausgebeuteten Klassen[müssen], so lange der Staat in den Händen der Besitzenden ist, jeder Ausdehnung der Staatswirtschaft mit Misstrauen, ja oft mit entschiedener Gegnerschaft gegenüberstehen.

Dagegen haben die arbeitenden Klassen alle Ursache, sobald die Staats - gewalt ihnen gehört, die Ausdehnung der Staatswirtschaft möglichst zu be - schleunigen; sie beseitigen dadurch die Trennung der Arbeiter von den Produk - tionsmitteln, welche die Ursache ihrer Ausbeutung ist. Sie machen dadurch die Arbeiter wieder zu den Besitzern der Produktionsmittel. Allerdings wird nicht der einzelne Arbeiter Besitzer seiner besonderen Produktionsmittel. Die gesamte Arbeiterklasse wird Besitzerin ihrer gesamten Produktionsmittel, die sie in der25 Form von staatlichem und daneben noch kommunalem und auch genossenschaft - lichem Betrieb ausbeutet.

Für die Kleinbetriebe wird wohl auch nach dem Siege des Proletariats das Privateigentum an den Produktionsmitteln fortdauern von einer Konfiska - tion der kleinen Bauerngüter und Handwerksstellen phantasieren bloß unsere Gegner. Aber die Kleinbetriebe werden von ihren Besitzern rasch und gerne ver - lassen werden, sobald der vergesellschaftlichte Großbetrieb ihnen angenehmere Arbeits - und Lebensbedingungen bietet. Und das wird und muß er, sobald die arbeitenden Klassen Herren des Staates geworden sind. Denn der gesamte ungeheuere Ueberschuß über ihren Lohn hinaus, den sie bisher erzeugt und den die Kapitalisten eingesteckt, fällt dann der Gesellschaft, also den Arbeitern selbst wieder zu und wird von ihnen ihren Jnteressen gemäß verwendet werden. Gleichzeitig wird aber auch der Betrag der Gesamtproduktion ungemein ver - mehrt werden, da die Vergeudung von Arbeitskräften in Wegfall geraten wird, die heute teils durch Arbeitslosigkeit, teils durch unnütze Arbeiten für die Launen der Reichen, endlich durch Anwendung schlechter, rückständiger Produktionsmittel in so mannigfacher Weise verursacht wird.

Weder von Ausbeutung noch von Unterdrückung kann in der gesellschaftlichen Wirtschaft des siegreichen Proletariats die Rede sein. Niemand kann sich selbst ausbeuten, niemand sich selbst unterdrücken. Die Arbeiterklasse wird dann aber keinen anderen Herrn über sich haben als sich selbst. Eine Unterordnung des Einzelnen unter das große Ganze wird natürlich in dieser Wirtschaft ebenso not - wendig sein, wie in jedem gesellschaftlichen Betrieb, in jedem Betrieb, in dem mehrere vereint arbeiten. Diese Unterordnung ist nicht eine Eigentümlichkeit der Sozialwirtschaft der Arbeiterklasse. Sie besteht heute schon in jedem Unter - nehmen, das Lohnarbeiter beschäftigt. Aber heute ist sie die Unterordnung des Schwachen unter den Starken; und zwischen Beiden herrscht der schroffste Jn - teressengegensatz. Jn dem in Rede stehenden Gemeinwesen der Zukunft wird es die Unterordnung des Einzelnen sein unter eine Genossenschaft Gleicher mit gleichen Jnteressen. Eine derartige Unterordnung finden wir heute lb / > in jeder Gewerkschaft. Nun wird allerdings genug über den Terrorismus los - gezogen, den die Gewerkschaften auf den Einzelnen ausüben, aber wer diese An - klagen erhebt, das sind nicht die Mitglieder der Gewerkschaften, sondern die Kapitalisten und ihre Anwälte.

Das Endziel der Entwickelung, sobald einmal das Proletariat ans Staats - ruder gekommen, ist die Vereinigung sämtlicher Großbetriebe zu einer einzigen ungeheuren gesellschaftlichen Wirtschaft, und damit die Verwandlung des Staates in eine Wirtschaftsgenossenschaft. Die kapitalistische Produktion hört auf und eine neue Produktionsweise entfaltet sich, begründet auf dem Gemeineigentum an den Produktionsmitteln. Oder, wenn man will, die alte kommunistische Produktion lebt wieder auf, in neuer, der Entfaltung der Produktionsmittel entsprechender Form. Die Warenproduktion und das Privat - eigentum an den Produktionsmitteln sind überwunden; die neue Wirtschafts - genossenschaft, die aus dem Staate herauswächst, besitzt selbst alle Produktions - mittel, deren sie bedarf und erzeugt alles für sich und ihre Mitglieder im wesent - lichen Notwendige selbst.

Eine derartige Wirtschaftsgenossenschaft ist ein sozialistisches Gemeinwesens Sie ist das Ziel der Sozialdemokratie.

Das also ist es, was die Sozialdemokraten wollen. Wir mußten etwas weit ausholen, um die Antwort auf die Frage geben zu können, die wir Eingangs dieser Broschüre aufgeworfen. Aber der Leser wird jetzt begreifen, warum wir nicht ohne weiteres mit der Antwort herausrücken konnten.

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Das Ziel der Sozialdemokratie ist nicht ein willkürlich gesetztes, nicht das Ergebnis frommer Wünsche und ausschweifender Träumereien, wie man gerne behauptet. Jhr Ziel ist das von ihren Denkern erkannte Endziel der vor unseren Augen vor sich, gehenden ökonomischen Entwickelung. Nur wer diese be - greift, begreift die Sozialdemokratie. Nicht in den Wolken wurzelt sie, sondern im festen Boden der Gegenwart. Wer die Sozialdemokratie widerlegen will, muß die heutige Wirklichkeit widerlegen. Da das unseren Gegnern unmöglich ist, ziehen sie es vor, in der Luft herumzufechten und uns zu widerlegen auf Grund dessen, was sich ereignen könnte, möchte, dürfte. 1)Auf die zahlreichen Entstellungen, welche die sozialistischen Lehren erfahren haben, kann hier nicht eingegangen werden. Die verbreitetsten Jrrtümer in dieser Richtung hat der Verfasser vorliegender Schrift besprochen in einer ausführlicheren Arbeit über denselben Gegenstand, den er hier behandelt, in seinem Büchlein über: Das Erfurter Pro - gramm, Stuttgart, Dietz Nachf., sowie in der Broschüre: Die Vernichtung der Sozialdemokratie durch den Gelehrten des Zentralverbandes deutscher Jn dustrieller. Berlin, Buchhandlung Vorwärts, worauf wir diejenigen verweisen, die sich eingehender mit den hier berührten Fragen beschäftigen wollen.

Wer unseren Standpunkt begriffen hat, für den ist es klar, daß es unmöglich ist, vorauszusagen, wie die sozialistische Wirtschaftsgenossenschaft aussehen wird. Sie wird nicht fix und fertig am Tage nach der Revolution dastehen, sondern das Produkt einer Entwickelung sein. Sie selbst wird in steter Entwickelung begriffen sein, wird neue Fragen, neue Probleme aus sich erzeugen. Darüber mögen sich unsere Kinder und Kindeskinder den Kopf zerbrechen und die sozialpolitischen Kinder von heute.

Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, der Entwickelung ihren Weg vorzuschreiben; sie hat nur die Hindernisse der Entwickelung zu beseitigen; sie hat die Bahn frei zu machen für die Entwickelung der sozialistischen Gesellschaft, sie hat nicht diese künstlich zu fabrizieren.

Das Proletariat aber wird der Hebel sein, der die alte Gesellschaft aus den Angeln hebt und das mächtigste Hindernis jeder weiteren gesellschaftlichen Ent - wickelung, die politische Macht der besitzenden Klassen, aus dem Wege räumt. Das Proletariat zu heben, es in seinen Klassenkämpfen zu unterstützen, seine Kraft und Einsicht zu vermehren, ebenso aber auch die ihm nahestehenden ar - beitenden Klassen, Handwerker und Bauern, über ihre wahren Jnteressen auf - zuklären, jeder Ausbeutung, jeder Unterdrückung, in welcher Form immer sie auftreten mögen, entschieden entgegenzutreten: Das, und nicht das Ausarbeiten von Plänen des Zukunftsstaates, ist die Aufgabe der Sozialdemokratie.

Die Sozialdemokratie ist die von dem Bewußtsein der geschichtlichen Aufgaben des Proletariats erfüllte Arbeiterpartei. Die Arbeiterpartei eines jeden Landes muß umsomehr sich mit sozialistischem Geist erfüllen, je weiter ihr Gesichtskreis wird, je mehr ihre Einsicht in den Gang der ökonomischen Entwickelung wächst. Die deutsche Arbeiterpartei ist von vornherein eine sozialdemokratische Partei gewesen, dank dem wissenschaftlichen Sinn der deutschen Arbeiterklasse und der wissenschaftlichen Bedeutung ihrer Lehrer.

Wo die Arbeiterpartei zur Sozialdemokratie geworden ist, da hört die Ar - beiterklasse auf, sich nur von Augenblickseindrücken lenken zu lassen: sie wird sich klar, ihres Zieles bewußt und formt auch ihm nächsten Aufgaben und Forde - rungen demselben entsprechend. Sie hört auf, in der Jrre herumzuwandern, auf Umwegen, mit Verschwendung von Zeit und Kraft unbewußt ihrem Ziele ent - gegenzutreiben, sie marschiert ihm entgegen, ohne Aufenthalt, ohne unnötigen Kraftverlust auf dem kürzesten gangbaren Wege. Mit dem Kopf durch die Wand zu rennen versucht sie freilich nicht, wenn das auch als der kürzeste Weg erscheinen mag.

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Die Sozialdemokratie hat seit ihrer wissenschaftlichen Begründung durch das kommunistisches Manifest (1847) stets klar die Aufgaben gesehen, die den Arbeiterparteien allüberall zufallen und zufallen werden, und die Entwickelung hat ihr bisher in jedem Punkt Recht gegeben. Sie hat auch unter anderem von vornherein erkannt, daß der Klassenkampf des Proletariats ein internationaler sein muß. Das kommunistische Manifest schloß mit den Worten: Proletarier aller Länder vereinigt Euch. Langsam aber unwiderstehlich hat sich diese Er - kenntnis den Lohnarbeitern aller Kulturländer mitgeteilt. Zu der Jnteressen - gemeinschaft, die aus den Kämpfen für ökonomische Augenblicksforderungen ent - sprang, gesellte sich in jüngster Zeit die Jnteressengemeinschaft, die aus der Ge - meinsamkeit der letzten Ziele der Arbeiterbewegung in allen Ländern der kapita - listischen Produktion hervorgeht. Je mehr die Arbeiterparteien der verschiedenen Länder sich auf den gleichen sozialdemokratischen Boden stellen, desto inniger wird ihr Aneinanderschluß, dessen sichtbares Zeichen die Maifeier ist.

Der Krieg ist unausrottbar in der Gesellschaft der Warenproduktion, welche nicht bloß Klassengegensätze, sondern auch nationale Gegen - sätze erzeugt. Der Krieg ist die einzige Form, in der die schärfsten Jnteressen - gegensätze, die sich nicht überbrücken lassen, zwischen selbständigen, souveränen Staaten zum Austrag gebracht werden können. Den Krieg zu beseitigen gibt es nur ein Mittel: die Gegensätze zu beseitigen, die ihn erzeugen. Das können nur die Arbeiter, welche die Jnteressengemeinschaft, die Solidarität untereinander an Stelle der Konkurrenz setzen; das kann nur die Sozialdemokratie, die an Stelle der Gesellschaft der Konkurrenz, der Warenproduktion die Produktion Aller für Alle, die Produktion für die Ge - sellschaft und durch die Gesellschaft setzen will. Den sozialen und natio - nalen Frieden, den die Völker herbeisehnen, kann nur die Sozialde - mokratie bringen.

[28]

II.

Wenn der erste Teil des Programms die im scharfen Umriß gezeichneten Endziele unserer Partei entwickelt und begründet, so behandelt der zweite Teil diejenigen Aufgaben, welche innerhalb der jetzigen Gesellschaft von uns zunächst zu lösen sind. Der stetige Verlauf der geschichtlichen Naturgesetze, welche den Gang der kapitalistischen Welt bestimmen, läßt keine Sprünge und keine Stegreif - abenteuer zu. Auf dem Grund und Boden einer bestimmten politischen und sozialen Ordnung muß die Arbeiterklasse für ihre Befreiung fechten. Ein un - vermittelter Schritt aus der alten in die neue Gesellschaft, der mit einem Male in das Land unserer Hoffnungen führt, ist unmöglich, weil er ein Widersinn ist. Wir haben mit den harten Tatsachen zu rechnen, die deshalb nicht verschwinden, weil die Schwarmgeisterei sie nicht sehen will. Die gegebenen Verhältnisse, die nüchterne Wirklichkeit haben allein in unserer Rechnung Platz, gerade weil wir diese gegebenen Verhältnisse von Grund aus umgestalten wollen.

So sind die heutigen Zustände die natürliche Grundlage der Arbeiter - bewegung, so vollzieht sich im Widerstreit gegen die Schlechtigkeit und Unhalt - barkeit dieser Zustände der Klassenkampf. Sie liefern die Punkte des Angriffs, sie liefern die Gegner, sie nötigen uns, die Reihen von Forderungen, welche den zweiten Teil des Programms bilden, aufzustellen und zu vertreten. Nicht mit Schattenwesen, sondern mit derb-handgreiflichen Erscheinungen, nicht mit Ge - schöpfen einer grübelnden Einbildungskraft, sondern mit den natürlichen Wir - kungen der herrschenden Wirtschaftsweise haben wir zu tun. Gegen uns die bürgerliche Klasse, der bürgerliche Staat, gegen uns die gewaltigen Machtmittel des Kapitalismus

Damit wir unser Endziel erreichen, muß die Arbeiterklasse in den Besitz der staatsbürgerlichen Rechte gelangen, welche, eine ungehemmte Wirksamkeit im öffentlichen Leben gewährleisten. Dank der Feigheit des deutschen Bürgertums, welches für das Linsengericht wirtschaftlicher Vorteile seine polititsche Erstgeburt schnöde verschachert hat, sind wir gezwungen, auch solche Forderungen aufzu - stellen, welche in anderen Ländern, wie Frankreich, England usw., längst be - stehende Einrichtungen sind. Die Arbeiterklasse muß ferner wirtschaftlich ge - kräftigt, sie muß durch eine gute soziale Gesetzgebung auf eine höhere Stufe gehoben, vor der Verelendung gerettet und dadurch geistig und leiblich wider - standsfähig gemacht werden. Auf der einen Seite also der Kampf um die politische Freiheit, auf der anderen Seite der Kampf um den Arbeiterschutz. Jeder Erfolg treibt uns naturnotwendig dazu, für die noch nicht erfüllten For - derungen zu wirken. Und da unsere Partei sich nicht behaglich im alten Hause einrichten will, sondern darin nur vorläufig Quartier nimmt, bis das neue Haus erbaut ist, da der Klassenkampf der Hebel unserer Tätigkeit, da die Umgestaltung der Gesellschaft unser Endziel ist, so bildet jedes fernere Zugeständnis, das uns zu Teil wird, nur ein Glied mehr in der Kette. Wir wären Toren, wollten wir die Hände in den Schoß legen und auf das tausendjährige Reich warten. Wir wären aber auch Toren, wenn wir uns damit begnügen würden, die nächsten Forderungen durchzusetzen und auf die letzten zu verzichten. Jndes die Macht der Tatsachen sorgt dafür, daß wir das eine tun und das andere nicht lassen. Das Proletariat erfüllt unter dem ehernen Zwange der Notwendigkeit seine weltgeschichtliche Aufgabe, und über Bußprediger, Sektierer und kleinbürgerliche Kompromißnaturen geht es kühl und unentwegt zur Tagesordnung über.

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Jn zwei Abschnitte zerfällt der zweite Teil des Programms, in einen staats - bürgerlichen und in einen sozialpolitischen. Wir wenden uns zuvörderst den Forderungen zu, die der erstere enthält, und werden eine nach der anderen erläutern.

Erster Abschnitt.

I.

Allgemeines gleiches direktes Wahl - und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen.

Während die öffentlichen Lasten und Pflichten jeden treffen, ja gerade die arbeitende Klasse überall da am schärfsten herangezogen wird, wo es sich um Beiträge und Dienste für die Gemeinschaft handelt, ist das Wahlrecht in Deutsch - land, abgesehen von dem Reichstagswahlrecht, durchgängig auf den Besitz ge - gründet. Jn Staat, Provinz, Kreis und Gemeinde ist es in der Regel an einen Steuerfuß geknüpft. Mannigfach sind die Wahleinrichtungen, aber stets ist dafür gesorgt, daß die Besitzlosen, die kleinen Leute entweder vollständig von der Wahl ausgeschlossen sind oder einen so verschwindend kleinen Anteil daran haben, daß sie stets in der Minderheit sind. Ohne Kontrolle, ohne Rücksicht übt in diesen Klassenvertretungen die Bourgeoisie die Herrschaft aus. Die große Masse verharrt im Zustande politischer Rechtlosigkeit und muß es sich gefallen lassen, daß über ihr Geschick, über ihr Dasein, über Steuern und Abgaben, über öffent - liche Einrichtungen von den Besitzenden nach deren Belieben verfügt und be - schlossen wird. Der Grundsatz, welcher im Reichstagswahlrecht zum Ausdruck kommt, daß die Angehörigen des Gemeinwesens, die mit Leib und Leben, mit Gut und Blut für dieses einstehen müssen, auch bei der Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten mitzuraten und mitzutaten haben, muß bei allen Wahlen und Abstimmungen zur Geltung kommen. Denn was für jenes gilt, gilt auch für die übrigen. Wenn in den Einzelstaaten, in den Gemeinden usw. die rückständige Einrichtung noch mit Eifer verteidigt und festgehalten wird, so tritt dabei die unverhüllte Klassenselbstsucht zutage. Die Heuchelei, welche vor der Einführung des Reichstagswahlrechts sich breit machte und unter den nichtigsten Vorwänden für die Bildung , d. h. den Geldsack das Wahlrecht forderte, versagt heute.

Die Altersgrenze für das Wahl - und Stimmrecht auf 25 Jahre, wie im jetzigen Reichstagswahlrecht, festzusetzen, liegt kein stichhaltiger Grund vor. Alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen sollen nach unserer Forderung in den Genuß dieses Rechtes treten. Wer mit dem zwanzigsten Lebensjahre der Militärpflicht, d. h. der Pflicht, sich zur Aushebung zu stellen, genügt, und dem Gemeinwesen in diesem Alter die Blutsteuer zu entrichten pflegt, wer mit dem einundzwanzigsten Lebensjahre die Großjährigkeit, die bürgerliche Verfügungs - freiheit erlangt, der ist auch zur politischen Mündigkeit, zum Wahl - und Stimm - recht herangereift. Dazu tritt aber ein anderer, ein ausschlaggebender Gesichts - punkt. Tatsächlich ist die wirtschaftliche Mündigkeit für die große Mehrzahl der Reichsangehörigen, welche auf ihre Arbeitskraft angewiesen ist, schon vor dem zwanzigsten, sicher aber bis zum zwanzigsten Lebensjahre eingetreten. Schon im Kindesalter wird der Proletarier nur zu oft in das Joch der Arbeit gespannt: im jugendlichen Alter gehört er ihr bestimmt, der Zwang zum Broterwerb ist unweigerlich vorhanden. Beginnt die Selbständigkeit der Arbeiter so frühe, werden sie als selbsttätig Erwerbende schon zu Steuern usw. herangezogen, wenn die Sprößlinge der Reichen noch auf der Schulbank sitzen, steht es fest, daß durch - gängig die berufliche Ausbildung vor dem zwanzigsten Jahre erlangt wird, so ist die Altersgrenze, wie wir sie festsetzen, in jedem Betracht gerechtfertigt.

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Die Minderheit der Besitzenden wird freilich später selbständig, als die Angehörigen des Proletariats. Dazu kommt, daß das durchschnittliche Sterbe - alter des Arbeiters ein weit niedrigeres ist, als dasjenige des Reichen. Jnfolge der Ungunst der auf die Arbeiter einwirkenden Einflüsse, der aufreibenden Tätig - keit, der Entbehrungen muß er , wie der alte ehrliche Statistiker Süßmilch sich ausdrückt, früher davon , als der unter einem glücklicheren Sterne geborene, unter den günstigsten Verhältnissen sich entwickelnde Bourgeois. Schon deshalb bedeutet eine zu hoch hinauf gerückte Altersgrenze eine Verkürzung und Be - schneidung politischer Rechte des Arbeiters.

Die Frau gleich dem Manne soll das Wahl - und Stimmrecht erhalten, die Unterdrückung des Weibes durch den Mann auch auf diesem Gebiete soll be - seitigt werden. Jn einer Zeit, da die Frauenfrage zu einem der wichtigsten Bestandteile der Arbeiterfrage geworden ist, erscheint es einleuchtend, daß die Frau die ihr vorenthaltenen politischen Rechte erhält. Das Nähere über diesen Punkt siehe unter V.

Proportional-Wahlsystem, und bis zu dessen Einführung gesetz - liche Neueinteilung der Wahlkreise nach jeder Volkszählung.

Das Wahlverfahren, wie es heute für den Reichstag besteht, ist verbesserungs - bedürftig. Ein Vertretungskörper soll die Ansichten, Wünsche, Richtungen der Wählerschaft mit größtmöglicher Treue abspiegeln, so daß auch die Minder - heiten bei der Beratung und Beschlußfassung in dieser Körperschaft ihr Wort in die Wagschale werfen können. Die verschiedenen Parteien sind ferner erst dann richtig vertreten, wenn sie im Verhältnis ihrer Gesamtstimmenzahl Abgeordnete besitzen. Wenn man bedenkt, daß z. B. die Sozialdemokratie bei den letzten Wahlen von 1903 von 9495506 abgegebenen gültigen Stimmen 3010472 (fast 82 Prozent) auf ihre Kandidaten vereinigt, trotzdem aber nicht 128 Abgeordnete, wie ihr nach diesem Verhältnis gebührten, sondern nur 81 auf 397 (20 Prozent) in den Reichstag geschickt hat, so zeigt sich die Unvollkommenheit der jetzigen Wählart auf das deutlichste. Wir fordern deshalb ein Verfahren, welches die verhältnismäßige Vertretung der verschiedenen Parteien in den gesetzgebenden Körperschaften sichert. Leitender Grundsatz hierbei ist, daß die Zahl der Ver - treter einer Partei sich nach der Gesamtzahl der bei den betreffenden Wahlen für diese Partei überhaupt abgegebenen Stimmen richtet. Die Minderheiten kommen so zu ihrem Rechte, die Stärke der parlamentarischen Fraktionen ent - spricht der Stärke der Parteien, Stichwahlen kommen in Wegfall, das ganze Verfahren wird erheblich vereinfacht. Wie gegebenenfalls diese Verhältniswahlen zu ordnen sind, entscheidet die Praxis mannigfache Vorschläge dafür sind vor - handen, die wir hier nicht zu erörtern haben.

Bis zur Einführung des neuen Wahlverfahrens ist das alte, so weit es angeht, zu verbessern. Dazu gibt es nur einen Weg. Nach dem Wahlgesetze für den deutschen Reichstag soll auf je 100000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt werden. Ein Ueberschuß von mindestens 50000 Köpfen der Gesamt - bevölkerung eines Bundesstaates berechtigt zu einem weiteren Mitglied. Be - kanntlich beträgt aber heute die Zahl der Reichstagsabgeordneten nur 397, sie entspricht also nicht dem tatsächlichen Stande der Reichsbevölkerung, sondern gründet sich auf eine vor einem Menschenalter festgestellte Bevölkerungszahl. Nun besagt zwar der Schlußsatz von § 5 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869: Eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten infolge der steigenden Bevölkerung wird durch das Gesetz bestimmt , jedoch ist bis auf diesen Tag die auch in der Reichsverfassung (Artikel 20) vorgesehene gesetzliche Neuregelung der Ab - geordnetenzahl nicht vorgenommen worden. Die Volkszahl des Deutschen Reiches ist von 40816244 auf 46855704 in 1885 gestiegen und betrug nach den Er - gebnissen der Volkszählung von 1900: 56367178 Personen. Ein einfaches 31 Rechenexempel man hat nur mit 100000 die jedesmalige Volkszahl zu dividieren überzeugt davon, daß eine weit größere Zahl von Abgeordneten als 397 für den Reichstag gewählt werden müßte. Aus welchen Beweggründen die Regierung und die herrschenden Parteien sich davor hüten, diese Angelegenheit auch nur zu erörtern, liegt auf der Hand. Sie befürchten, daß die Neueinteilung der Wahlkreise der Arbeiterpartei einen großen Zuwachs von Vertretungen ver - schaffen würde. Bei dem Gange der Entwickelung strömen immer mehr Arbeits - kräfte nach den Sammelbecken von Handel und Wandel, nach den Mittelpunkten der Großgewerbe, nach den Großstädten. Das platte Land, ein Hauptsitz der rückständigen Parteien, entvölkert sich, die Proletariermassen werden an einer Reihe von Brennpunkten zu immer dichteren Haufen zusammengeballt, die Auf - klärung, das Klassenbewußtsein dringen in immer weitere Schichten. Die Wahlerfolge der Sozialdemokratie würden durch eine Neueinteilung der Kreise sich erheblich mehren. Die Scheu vor dem Eintritt dieses unvermeidlichen Ge - schehnisses ist die Ursache dafür, daß man an der längst veralteten Ordnung der Wahlkreise mit Zähigkeit festhält. Wir haben also dringende Veranlassung, daß Wandel geschaffen wird. Heutzutage finden sich eine Reihe von Wahlkreisen, die noch dem Wortlaut des Gesetzes statt des einen, mehrere Vertreter zu wählen hätten; sie können nur einen in den Reichstag schicken, wie irgend ein ländlicher Wahlkreis, der nur den fünften oder sechsten Teil ihrer Bewohnerzahl aufweist, sie werden demnach in der Ausübung ihres Wahlrechts auf das ärgste beein - trächtigt. Nehmen wir z. B. Berlin! Nach der Zählung von 1900 betrug seine Bevölkerung 1889000 Einwohner; sie hat heute (1905) die zweite Million schon überschritten. Trotzdem zählt Berlin nur sechs Reichstagswahlkreise, obwohl es nach seiner jetzigen Volkszahl zwanzig Abgeordnete wählen müßte. Das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, das 1900 608000 Einwohner hatte, wählt gerade so viele Abgeordnete, wie die Millionenstadt Berlin. Welches Miß - verhältnis, wenn der sechste Berliner Wahlkreis mit rund 700000 Einwohnern ebenso wie Schaumburg-Lippe mit 43000 Einwohnern nur je einen Vertreter wählen darf! Aehnliche Ergebnisse finden sich bei einer Reihe anderer Groß - städte, so bei Hamburg (768000 Einwohner, 8 Abgeordnete), Breslau (426000 Einwohner, 2 Abgeordnete), im Kreise Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg mit 700000 Einwohnern und 1 Abgeordneten usw.

Um mit diesem Mißstand aufzuräumen, gilt es, nach jeder Volkszählung die Wahlkreise neu einzuteilen. Erst dadurch wird eine angemessene Vertretung ermöglicht. Dem Zuwachs der Volkszahl entsprechend sind neue Kreise zu bilden, die zu groß gewordenen Kreise sind zu zerlegen, neue Reichstagssitze auf diese Weise zu schaffen. Freilich, es kennzeichnet die Absicht und Gesinnung der Herrschenden, daß der Sitzungssaal des Reichstagsgebäudes nur für 400 Ab - geordnete berechnet ist. Glaubt man auf diese Weise ungern gesehene Volks - vertreter fernzuhalten?

Zweijährige Gesetzgebungsperioden.

Die Gesetzgebungsperiode (Legislaturperiode) ist der Zeitraum, für welchen eine gesetzgebende Körperschaft gewählt ist. Jnnerhalb dieses Zeitraumes sind die der gewählten Körperschaft obliegenden Geschäfte zu erledigen; mit seinem Ablauf erlöschen die Vollmachten der Vertreter und ihrer Gesamtheit. Für den Deutschen Reichstag bestand früher eine Gesetzgebungsperiode von dreijähriger Dauer; das Gesetz vom 19. März 1888 setzte an ihre Stelle eine fünfjährige. Die Beweggründe, welche den Fürsten Bismarck, den Urheber jenes Gesetzes, und die herrschenden Parteien dazu trieben, den bisherigen Zustand zu verändern, belehren uns darüber, weshalb die Sozialdemokratie für eine kürzere Frist zu kämpfen verpflichtet ist. Die Regierung und die Mehrheit der bürgerlichen32 Kreise erblicken in der Verlängerung der Gesetzgebungsperiode ein Hemmnis der Arbeiterbewegung, das von ihnen ins Leben gerufene Gesetz war ein neuer der wievielte! Versuch, den verhaßten Gegner durch eine Zwangsmaßregel zu bedrücken und in seiner Tätigkeit einzuengen. Jede Wahl gibt der Sozial - demokratie die günstige Gelegenheit, auf breitester Grundlage und am wenigsten gehindert durch polizeiliche Quengeleien, durch gesetzliche Ränke und Schwänke, durch all den Wust arbeiterfeindlicher Paragraphen und Verordnungen, für ihre Grundsätze zu wirken. Zu wirken in den weitesten Kreisen der Bevölkerung, auch unter denjenigen, welche bei anderen Gelegenheiten, zu anderen Zeitpunkten schwer zu erreichen, und kaum aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln sind. Hier kann mit einem Schlage die Erörterung wichtiger Zeitfragen zu einer allge - meinen gemacht, hier können bis auf das weltfernste Dörfchen, bis in den letzten Winkel der Großstadt die Lehren der Sozialdemokratie getragen werden. Durch den Volkskörper rollt in solchen Zeiten das Blut in rascherem Schlage, und der stumpfste Sinn schärft sich, wird nur das Wohl und Wehe der Besitzlosen, die Not der Armen und die Mißwirtschaft der Herrschenden knapp und klar, scharf und überzeugend dargestellt.

Welche Bedeutung es für die Wähler hat, daß der Abgeordnete nach Umfluß eines kürzeren Zeitabschnittes genötigt ist, sich von neuem einer Wahl zu unter - ziehen, liegt auf der Hand. So können die Auftraggeber eine scharfe und ein - dringliche Aufsicht über ihren Vertreter üben, sein Verantwortlichkeitsgefühl wird gesteigert, die Möglichkeit, einen unzuverlässigen Abgeordneten rascher zur Rechenschaft zu ziehen und an seiner Stelle einen vertrauenswürdigeren zu setzen, ist dadurch erhöht. Was für den einzelnen Abgeordneten, gilt erst recht für die gesetzgebende Körperschaft in ihrer Gesamtheit. Je länger die Frist, welche ihr gestellt ist, desto näher liegt die Gefahr eines Mißbrauchs der Voll - machten, eines Schlendrians, der statt eifriger Tätigkeit und frischen Lebens die Schablone und die geschäftsmäßige Geschicklichkeit zur Herrschaft bringt. Die Rücksicht auf die von der Wählerschaft durch den Stimmzettel geübte Beurteilung ist um so größer und wirkungsvoller, je kürzer die Gültigkeitsdauer der Auf - träge ist. Eine arbeiterfeindliche Mehrheit, die, sagen wir fünf Jahre, ungestört wirtschaften kann, ohne den Einspruch des Proletariats fürchten zu müssen, richtet natürlich mehr Unheil an, als wenn ihre Zeit schon nach zwei Jahren zu Ende ginge und so der Wählerschaft die Gelegenheit geboten wurde, mit ihr abzurechnen und sie zu beseitigen.

Vornahme der Wahlen und Abstimmungen an einem gesetzlichen Ruhetage.

Die Wahl und Abstimmung für jeden zu ermöglichen, der wahl - und stimm - berechtigt ist, das erscheint als ein Gebot des öffentlichen Nutzens. Die Wahl ist eine zum Vorteile des Gemeinwesens zu vollziehende Handlung, jeder Wähler ist deshalb berechtigt zu fordern, daß ihm die Möglichkeit gegeben wird, unge - hindert und ungeschädigt von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Jedes Hindernis, das ihm von Staatswegen und von seiten der herrschenden Klassen bereitet wird, stellt sich als ein Eingriff in das Wahlrecht, als der Versuch dar, jenes wertlos zu machen, auf die Gesinnung der Wähler einen widerrechtlichen Einfluß auszuüben, das Wahlergebnis zugunsten der Machthaber künstlich zu ändern. Wer zur Urne gehen will, muß in der Lage sein, dies zu tun, ohne daß er wirtschaftlich benachteiligt, in seiner Stellung, seinem Erwerbe bedroht wird. Dadurch, daß die Wahl an einem Werktage stattfindet, werden zahlreiche Wahl - berechtigte tatsächlich gehindert, sich an einer Handlung zu beteiligen, die für sie von ausschlaggebender Wichtigkeit ist. Wie viele Arbeiter, wie viele An - gestellte müssen aus dieser Ursache fernbleiben, wie Viele zwingt der Unter - 33 nehmer, sich der Abstimmung zu enthalten oder ihren Verdienst zu opfern, wollen sie ihrer Pflicht genügen! Jn den großgewerblichen Bezirken, in denen, wie in Oberschlesien, in Rheinland-Westfalen mit ihren Hüttenwerken, ihren Gruben die Aussicht und die Beeinflussung durch die Arbeitsherren und ihre Beamten eine geradezu abscheuliche ist, in den Stammsitzen der Junkerschaft, die ihre Hörigen vom Hof oder Acker zum Stimmkasten führt, wie das Lamm zur Schlachtbank, kommt dieser Mißstand haarscharf zum Ausdruck; die Wahl - einsprüche geben Zeugnis davon. Auf dem platten Lande fällt noch weiter ins Gewicht, daß nur zu oft sehr weite und schlechte Wege zum Wahlort zurückzu - legen sind, so daß der an die Scholle gefesselte Landmann statt zur Wahl zu gehen, daheim bleibt. Die Erfüllung der höchsten Bürgerpflicht, die Ausübung des höchsten staatsbürgerlichen Rechts muß gesetzlich gesichert sein. Nur wenn ein Ruhetag, durch ein Gesetz verbrieft und besiegelt, schneidig überwacht, rück - sichtslos durchgeführt, innegehalten und beobachtet, der breiten Masse in Stadt und Land die Bahn zur Urne geebnet hat, dann kann von einer wirklichen Wahl - freiheit die Rede sein. Freilich, handelt es sich um bürgerliche Streitfragen, so ist man eher bereit, Zugeständnisse zu machen. Die Berliner Kirchenwahlen, bei denen die heftigsten Kämpfe zwischen Liberalen und Konservativen sich abspielen, finden an einem Sonntage statt.

Entschädigung für die gewählten Vertreter

Das allgemeine Wahlrecht ist von den herrschenden Parteien Deutschlands sofort durchlöchert worden. Die Zahlung von Taggeldern (Diäten) an die Ab - geordneten ist durch den Artikel 82 der Reichsverfassung: Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen rund und nett ausgeschlossen worden.

Die verbündeten Regierungen, an ihrer Spitze der blutrote Reaktionär Bismarck und das Großbürgertum erblickten in der Diätenlosigkeit der Abgeord - neten, um mit dem höfischen Staatsrechtslehrer Bluntschli zu reden, ein aristo - kratisches Gegengewicht gegen das demokratische allgemeine Stimmrecht mit seinen Gefahren eines rohen Uebergewichts der ungebildeten Massen. Mit anderen Worten: das Erfordernis eines bestimmten Einkommens oder Ver - mögens, das durch das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht ausgeschieden war, wurde durch die Hintertür wieder eingelassen, die Reichen sollten ein Vorrecht auf die Abgeordnetenstellung erhalten, der Besitz und seine Vertreter sollten im Reichstage den Ausschlag geben. Ein bürgerlicher konservativer Geschichts - schreiber, Dahlmann, hat einst gesagt<