PRIMS Full-text transcription (HTML)
Jſis
oder Encyclopädiſche Zeitung von Oken.
Jahrgang 1818, erſter Band. Heft I VI.
Jena,in der Expedition der Jſis1818.
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De Humboldt, über einen Nachtvogel Guacharo genannt, von der Ordnung der Sperlingsartigen, der zu Tauſenden eine tiefe Höhle, die Caripe genannt, in den Miſſionen der indiſchen Chaymas zwiſchen dem Ore - noch und den Küſten von Cumana bewohnt.

Dieſer Vogel, der eine neue Sippe Steatornis Ca - xipenſis bildet, nähert ſich der Alpen-Dohle und dem europäiſchen Ziegenmelker (Engoulevent), lebt von Früchten. Er hat die Größe eines Hahns, Rachen wie Caprimulg. und Procnias, Tracht wie Geyer, Ha - kenſchnabel von ſteifen Borſtenbüſcheln umgeben. Ge - fieder braun-grau mit ſchwarzen Puncten geſtreift, und mit weißen herzförmigen Flecken, Geſchrey ſehr ſtark und ſcharf; er unterſcheidet ſich weſentlich durch ſeinen großen, nackten, mit auseinander ſtehenden Zähnen verſehenen Schnabel, und ſchwachen Füßen im Verhältniß mit dem ſtarken Schnabel. Die Felshöhle, welche er bewohnt, iſt 80 Fuß hoch. Nur erſt 40 Fuß vom Eingange hört die Vegetation darinn auf, und 430 Fuß fällt erſt das Tageslicht gänzlich weg. Dann hört man das Getöſe der in ihrer Lieblingswohnung aufgeſtörten Nachtvögel, deren kreiſchende, durchdringende, von den Wänden wie - derhallende Stimmen, betäubend ſind. Jhre Neſter ſind in einer Höhe von 50 bis 60 Fuß. Die Einwohner aus der Nachbarſchaft ziehen jährlich um Johanni in dieſe Höhle, und ſtoßen mit Stangen die Neſter aus; die Jungen fallen dann herunter, werden ausgenommen, und das Fett, wovon ſie eine Menge am Bauchfell ha - ben, ausgebraten, das ein eßbares Oel giebt, Menteca del guacharo heißt, und ein Jahr lang ſich gut hält. Es werden 150 bis 160 Flaſchen davon zum Gebrauch eines benachbarten Kloſters gefüllt. Diejenigen von die - ſen Vögeln, welche in den kleinen, der großen Höhle benachbarten, Grotten niſten, ſind dort unerreichbar und pflanzen die Art fort. Jhr Kropf enthält oft Saamen - körner, die die Jndianer als ſpecifiſches Mittel gegen das Wechſelfieber anwenden. Bis jetzt bekannte Nachtvögel ſind Raubvögel, oder leben wenigſt von Kerfen. Die - ſer iſt daher ſehr merkwürdig, [ſollte er nicht zu den Papageyen?]

Eine gemeine Volksſage legt dieſen Ziegenmelkern die Eigenſchaft bey, daß ſie, wenn ſie bey der Nacht fliegen, einen leuchtenden Streif nachlaſſen. Wenn die Sache wahr iſt, ſo läſſet es ſich durch die Electrizität erklären, welche durch die Reibung der Flügel des Vo - gels in der trocknen Luft erregt werden könnte.

10n. De Humboldt über die Höhlen und ihre Be - ziehung auf die Gebirgformationen, in denen man ſie findet. Er durchgeht die Formationen nach ihrem Alter, ſchildert die Höhlen in den Rücken der Anden in Peruund Mexico, in der Uebergangsformat., der ſecundaren und vulcaniſchen.

Jn den Granitböden trift man dieſe Aushöhlungen gewöhnlich da, wo mehrere Gänge ſich vereinigen; ſie bil - den dort das, was die Bergbewohner Oefen (Kammern) nennen, die gewöhnlich mit Kryſtallen ausgelegt ſind. Beſonders hält er ſich bey den ungeheuren Höhlen der Trapp-Porphyre (Trachytes) in den Cordilleren auf, welche Höhlen die Peruer Machays nennen. Nach ih - rer Form ſollte man ſie der Gewalt der Gaſe und ela - ſtiſcher Dämpfe zuſchreiben, aus der Zeit, wo die un - geheuren Kuppeln aufgehoben wurden, welche die An - denkette krönen. Kalkige Böden, ſowohl Ur - als Se - cundar-Böden enthalten viel öfter Grotten als die Kie - ſelböden, wahrſcheinlich wegen der Auflösbarkeit des kohlenſauren Kalks in übergeſäuertem Waſſer. Jura - kalk, Stinkkalk, Gyps, haben viele Höhlen.

Es laſſen ſich 3 Arten derſelben unterſcheiden: 1) die Spalten, oder leeren nicht mit Stein ausgefüllten Gänge. 2) Die, welche auf beyden Enden durchbrochen, gleich - ſam einen unterirdiſchen Gang bilden, wo bisweilen ein Fluß läuft. 3) Die, welche eine Reihe zuſammen - hängender Aushöhlungen von gleicher Horizontallinie und Richtung bilden. Dieſes iſt der gewöhnlichſte Fall.

Die Bildung derſelben hat man auf zweyerley Art erklärt; bald durch einen mehr oder weniger plötzlichen Einſturz, bald durch lang fortgeſetzte Wirkung wenig mächtiger Kräfte. Es gibt hier nur Hypotheſen

Oft iſt in den Höhlen Stickluft oder verdorbenes, ſtinkendes Gas enthalten. Jn einigen, ſogar in ver - ſchloſſenen, hat man Kryptogamen (Lichen) gefunden, in mehreren Knochen und Scelete von Thieren. Die Caripe-Grotte, deren vorher erwähnt worden, iſt die größte, die es in den Kalkfelſen gibt. Sie liegt 10° nördlicher Breite, und iſt 500 Klaftern über der Mee - resfläche. Jm Monat September fand ſich bey der äu - ßeren Temperatur von 16 Grad, die der Grotte auf 18,4 bis 18°,9, und die des darin fließenden Waſ - ſers 16°,8.

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TextÜber einen Nachtvogel Guacharo genannt
Author Alexander von Humboldt
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Über einen Nachtvogel Guacharo genannt. Alexander von Humboldt. . I+1 S. 1818. Isis (2) pp. 411-412.

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LanguageGerman
ClassificationPariser Akademiereden/-schriften; ready; avh

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