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Ueber die Gesetze, welche man in der Verthei - lung der Pflanzenformen beobachtet. Auszug einer am 5. Febr. 1816. in der Sitzung des Par. Instituts vorgelesenen Abhandlung*) Man s. das Detail über diesen Gegenstand in den Prole - gomena de distributione geogr. plantarum welche Hum - boldt seinem neuerlich erschienenen Werke: Nova ge - nera et species plantarum vorangeschickt hat..

Von A. von HUMBOLDT.

Aus dem Franz. der Ann. de Chemie et de Physique, Mars 1816. übersetzt vom Dr. Martius.

Die Botanik, lange Zeit bloſs auf die Beschrei - bung der äuſseren Formen der Pflanzen und auf ihre künstliche Classification beschränkt, bietet ge - genwärtig mehrere Arten von Studien dar, welche sie in innigere Berührung mit den andern Zwei - gen der Naturwissenschaft bringen. Hieher gehört die Anordnung der Gewächse nach einer natürlichen Methode, welche auf die Gesammtheit des Baues ge - gründet ist, hieher die Pflanzenphysiologie, welche die innere Organisation zum Gegenstande ihrer Un - tersuchung macht, und die Pflanzengeographie, wel -Journ. f. Chem. u. Phys. 18. Bd. 2. Heft. 9130A. v. Humboldt über die Gesetze, welcheche jeder Gewächsgruppe ihre Höhe, ihre Grenzen und Klimate bestimmt. Die Worte: Alpenpflanzen, Pflanzen heiſser Länder, Meerpflanzen finden sich in allen Sprachen, selbst in denen der wildesten Völker am Orinocko. Sie beweisen, daſs die Aufmerk - samkeit der Menschen beständig auf die Verthei - lung der Pflanzen und auf deren letzteren Beziehun - gen zu der Temperatur der Luft, die Erhebung des Bodens und die Natur des von ihnen bewohn - ten Landstriches gerichtet war. Es bedurfte keines groſsen Scharfsinns, um zu bemerken, daſs an dem Abhang der hohen Gebürge von Armenien Pflan - zen verschiedener Breiten auf einander folgen, so wie dort verschiedene Klimate übereinander liegen. Diese Idee Tournefort's welche von Linné in zwei interessanten Dissertationen (Stationes et coloniae plantarum) entwickelt wurde, enthält den Keim der Lehre von der Geographie der Pflanzen. Men - zel, Verfasser einer ungedruckten Flora von Japan, empfahl den Reisenden dringend Untersuchungen in Beziehung auf die Verbreitung der Pflanzen über die verschiedenen Gegenden des Erdballs an. Er bezeichnete sogar das Resultat solcher Untersuchun - gen mit dem Namen der Pflanzengeographie. Auf's Neue und beinahe zu derselben Zeit, wurde dieser Name im Jahre 1783. von dem Abbé Giraud-Soulavie und dem berühmten Verfasser der Etudes de la natu - re*)St. Pierre. angewendet. Dieses Werk enthält unter einer groſsen Menge unstatthafter Ideen über die Natur der Erde, einige tiefe und scharfsinnige Ansichten von den Formen, den gegenseitigen Beziehungen und den Eigenthümlichkeiten der Pflanzen. Abbé Gi -131man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.raud-Soulavie beschäftigt sich vorzugsweise mit den cultivirten Pflanzen; er unterscheidet die Klimate des Oelbaums, des Weinstocks, der Kastanie. Er giebt einen Durchschnitt des Mont-Mezin, welchem er eine Anzeige der verschiedenen Stände des Quecksilbers im Barometer beifügt, weil er allen Resultaten barometrischer Messungen miſstrauet. Nach der Geographie des plantes de la France méridio - nale erschien Stromeyers Tentamen historiae geogra - phicae vegetabilium Goett. 1800. unter der Form einer Dissertation. Aber dieser Versuch giebt vielmehr den Plan eines künftigen Werkes, und zeichnet die zu berücksichtigenden Schriftsteller auf, als daſs er die Grenzen der Höhen nachwiese, welche die wildwachsenden Pflanzen in verschiedenen Klima - ten erreichen. Auch Treviranus in seiner Biologie spricht sehr philosophische Ansichten über diesen Gegenstand aus. Man findet dort allgemeine Be - trachtungen, jedoch keine Höhenmessungen, keine Anzeigen der Thermometerstände, welche die Stützen einer Lehre von der Geographie der Pflanzen sind. Erst seitdem man angefangen hat, die Höhenmessun - gen durch barometrische Nivellements und die Be - stimmungen der mittleren Temperatur zu vervoll - kommnen oder, was für die Entwicklung der Ve - getation von besonderer Wichtigkeit ist, die Un - terschiede zwischen der Temperatur des Sommers und des Winters, so wie der Tage und Nächte ge - nauer anzugeben, hat sich das Studium der Pflan - zengeographie zu dem Rang einer Wissenschaft er - hoben. Wenige Studien haben in neuester Zeit schnellere Fortschritte gemacht, indem man, nach jenen frühsten Versuchen, kürzlich durch die ver - einigten Arbeiten vieler Reisenden schon dahin ge -132A. v. Humboldt über die Gesetze, welchekommen, ist die Vegetationslinie in Lappland, den Pyrenäen, auf dem Rücken der Alpen, am Cau - casus und in den Cordillieren Amerika's zu be - stimmen.

Die Pflanzen, welche über die Oberfläche un - serer Erde verbreitet sind, bieten, wenn man sie nach Klassen oder natürlichen Familien betrachtet, auffallende Unterschiede dar, in Beziehung auf die Vertheilung der Formen. Die Gesetze dieser Ver - theilung sind es, welchen ich neuerlich meine Un - tersuchungen widmete. Wenn man sich hierin auf die Länder*)Frankreich, Lappland, England u. s. w. nach den Be - obachtungen der Hrn. Wahlenberg, Buch, Ramond, Decandolle und Smith. beschränkt, deren Pflanzenarten ge - nau gekannt sind, und die ganze Anzahl in die Gruppen der Spelzblüthigen**)Die Glumaceae enthalten 3 Familien: Gramineae, Cy - peraceae und Juncaceae., der Hülsentragen - den, der Zweilippigen, der Zusammengesetzten (Glumaceae, Leguminosae, Labiatae, Compositae) u. s. f. eintheilt, so findet man Zahlenverhältnisse, welche sehr regelmäsige Reihen bilden. Man sieht gewisse Formen gemeiner werden vom Aequator gegen den Pol hin, wie die Farrenkräuter, die Glu - maceae, die Ericineae, die Rhododendra. Andere Formen dagegen werden häufiger, je näher man von den Polen nach dem Aequator kömmt; sie können in unserer Hemisphäre wie mittägliche Formen an - gesehen werden: so die Rubiaceae, die Malvaceae, Euphorbiaceae, Leguminosae, Compositae***)Wir nennen hier für Physiker, welche mit der be - schreibenden Botanik weniger bekannt sind, einige.

133man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.

Andere dagegen erreichen ihr Maximum in der gemäsigten Zone selbst, und nehmen gleichmä - sig ab gegen den Aequator, so wie gegen die Pole: solche sind die Labiatae, Amentaceae, Cruciferae und Umbellatae. Solche Erscheinungen sind schon längst den Reisenden und denen, welche Herbarien durchgesehen haben, aufgefallen. Man weiſs, daſs die Cruciferae und die Umbelliferae fast gänzlich in den Ebenen der heiſsen Zone verschwinden, und daſs keine Malvacea sich jenseits des Polarcirkels befindet. Es geht in der Pflanzengeographie, wie in der Meteorologie; die Resultate dieser Wissen - schaften sind so einfach, daſs man immer nur all - gemeine Ueberblicke erhielt. Aber nur durch müh - same Untersuchungen und nach der Vereinigung und Zusammenstellung einer beträchtlichen Menge von Beobachtungen, gelangt man zu der Kenntniſs der hier herrschenden Zahlenverhältnisse und der partiellen Ausnahmen, welche das Gesetz der Ver - theilung der Pflanzenformen erleidet. Eine allge - meine Tabelle, die wir weiter unten geben wollen, weiset dieses Gesetz in sechzehn Pflanzenfamilien nach, welche in der heiſsen, der gemäsigten und***)Pflanzen, die den Typus der wichtigsten Familien an sich tragen: Glamaceae: Cyperngras, Lolch, Binse; Orchideae: Knabenkraut, Vanille; Labiatae: Salbey; Ericineae: Heidekraut; Compositae: Sternblume, Huf - lattich; Rubiaceae: Färberöthe, China; Umbellatae: Fen - chel: Craciferae: Rettig, Kohl; Malvaceae: Pappel, Baumwolle; Leguminosae: Färbegiester, Klee, Mimo - se: Euphorbiaceae: Wolfsmilch; Amentaceae: Weiden, Eiche, Ulme; Coniferae: Tanne, Eibenbaum, Wachol - der.134A. v. Humboldt über die Gesetze, welcheder kalten Zone verbreitet sind. Man sieht hier, wie in der organischen Natur die Formen constan - te Verhältnisse unter denselben Wärmeparallelen (paralleles isothermes); das heiſst unter Bögen, wel - che durch Puncte der Erde gezogen werden, die einer gleichen Wärme genieſsen offenbaren. Die grasartigen Pflanzen machen in England $$\frac{1}{12}$$ , in Frankreich $$\frac{1}{13}$$ , in Nordamerika $$\frac{1}{10}$$ der Gesammt - zahl aller dort einheimischen Phanerogamisten aus. Die Pflanzen mit Spelzblüthen (glumaceae) machen in Deutschland $$\frac{1}{7}$$ , in Frankreich $$\frac{1}{13}$$ , in Nordame - rika und, nach den schönen Beobachtungen Brown's, auch in Neuholland ebenfalls der daselbst be - kannten Phanerogamen aus. Auf der andern Seite bilden die Leguminosae in Deutschland $$\frac{1}{18}$$ , in Frankreich $$\frac{1}{10}$$ , in Nordamerika $$\frac{1}{19}$$ der gesamm - ten Bevölkerung von phanerogamischen Gewächsen. Die Pflanzen mit zusammengesetzten Blumen nehmen in der nördlichsten Hälfte des neuen Continentes et - was zu; denn nach der neuen Flora von Pursh machen sie zwischen den Parallelen von Georgien und von Boston , in Deutschland dagegen und in Frankreich $$\frac{1}{7}$$ der allgemeinen Zahl der offenblü - thigen aus. In der ganzen gemäsigten Zone bilden die Glumaceae und die Compositae zusammenge - nommen ohngefähr ¼, die Glumaceae, Composi - tae, Cruciferae und Leguminosae zusammengenom - men des Ganzen (die Cryptogamen ausgeschlos - sen). Es geht aus diesen Untersuchungen hervor, daſs die Formen der organisirten Wesen in einer gegenseitigen Abhängigkeit von einander stehen, und sich nach constanten und leicht aufzufindenden Gesetzen begrenzen. Wenn man auf irgend einem Punct der Erde die Zahl der Arten kennt, welche135man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.daselbst aus einer der groſsen Familie der Gluma - ceae, Compositae, Cruciferae, Leguminosae u. s. w. wild wachsen, so kann man mit groſser Wahr - scheinlichkeit die Gesammtzahl der Phanerogamen und die Zahl der Arten einzelner Hauptgruppen angeben. So kann man von der Kenntniſs der Zahl von Cyperaceis und Compositis unter der gemäsig - ten Zone auf die der Gräser und Hülsenpflanzen schlieſsen*)Die Zahl der beschriebenen oder doch in den europäi - schen Herbarien befindlichen Pflanzenarten beläuft sich auf 44,000, wovon 6,000 geschlechtslos sind. In die - ser Summe sind schon die 3,000 neuen Arten phanero - gamischer Pflanzen begriffen, welche durch Hrn. Bon - pland und mich aus Amerika herübergebracht worden sind. Frankreich zählt, nach Hrn. Decandolle, 3,645 Phanerogamen, wovon 460 Glumaceae, 490 Composi - tae, 230 Leguminosae u. s. w. In Lappland giebt es nur 497 Pflanzen mit deutlichem Geschlecht, unter welchen 124 Glumaceae, 38 Compositae, 14 Legumi - nosae, 23 Amentaceae sind u. s. f. Man vergl. darüber mein Essai sur la Geographie des plantes, auquel est joint le tableau physique des regions équinoxiales, der dem Institut 1804. vorgelegt und 1806. gedruckt wurde, und wovon jetzt eine neue Ausgabe gemacht wird. .

136-137A. v. Humboldt über die Gesetze, welche man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.
Pflanzengruppen nach der Analogie der Formen. Verhältniſs zu der Ge - sammtzahl der Pha - nerogamen in derBemerkungen.
heiſsen Zone (Mittlere Wärme 27°) [gemäſsigten] Zone (Mittlere Wärme 10 ̶ 14°) kalten Zone (Mittlere Wärme ̶ )
Geschlechtslose von bloſs zelli[ -] gem Bau (Agames cellulaires)1: 51: 21: 1Moose, Flechten, Pilze, Schwämme.
Farrenkräuter1: 601: 25In Deutschl. $$\frac{1}{48}$$ in Frankr. $$\frac{1}{73}$$
Monocotyledonen1: 61: 41: 3 u. $$\frac{1}{4}$$ Nordam. $$\frac{1}{4}$$ .
Binsengewächse1: 4001: 901: 25 $$\frac{1}{94}$$ $$\frac{1}{86}$$ .
Cypernartige1: 601: 301: 9 $$\frac{1}{18}$$ $$\frac{1}{27}$$ .
Gräser1: 151: 121: 10 $$\frac{1}{13}$$ $$\frac{1}{13}$$ .
Spelzblüthige1: 111: 81: 4Diese enthalten die 3 vorhergehenden.
Lippenblumen1: 401: 251: 70Deutschl. $$\frac{1}{26}$$ Frankr. $$\frac{1}{24}$$ Nordam. $$\frac{1}{40}$$ .
Heidenartige und Rhododendra1: 1301: 1001: 25 $$\frac{1}{90}$$ $$\frac{1}{125}$$ $$\frac{1}{36}$$ .
Zusammengesetztblüthige1: 61: 81: 15 $$\frac{1}{9}$$ $$\frac{1}{7}$$ $$\frac{1}{6}$$ .
Rubiaceae1: 291: 601: 80 $$\frac{1}{70}$$ $$\frac{1}{73}$$ .
Doldenpflanzen1: 20001: 301: 60Frankr. $$\frac{1}{34}$$ Nordamer. $$\frac{1}{57}$$ .
Kreuzblüthig1: 30001: 181: 24 $$\frac{1}{19}$$ Deutschl. $$\frac{1}{18}$$ Nordam. $$\frac{1}{62}$$ .
Malvenblüthige1: 501: 2000 $$\frac{1}{145}$$ $$\frac{1}{133}$$ $$\frac{1}{125}$$ .
Hülsentragende1: 121: 181: 35 $$\frac{1}{16}$$ $$\frac{1}{18}$$ $$\frac{1}{19}$$ .
Wolfsmilchartige1: 351: 801: 500 $$\frac{1}{70}$$ $$\frac{1}{100}$$ .
Kätzchentragende1: 8001: 451: 20 $$\frac{1}{50}$$ $$\frac{1}{40}$$ $$\frac{1}{25}$$ .
138A. v. Humboldt über die Gesetze, welche

Um die Verschiedenheiten zu erklären, welche in den Verhältnissen der Vegetation Deutschlands, Frankreichs und Nordamerika's Statt finden, muſs man auf die Klimate der Länder Rücksicht neh - men. Frankreich erstreckt sich von 42½° bis zum 51° N. B. In diesem Reich ist die mittlere jähr - liche Temperatur 16,7° bis 11°, und die mittlere Wärme der Sommermonate ist 24° 19°. Deutsch - land, zwischen dem 46° und 54° nördl. Br. hat an seinen Grenzen die mittlere Wärme von 12°,5 und 8°,5. Die mittlere Wärme der Sommermonate be - läuft sich auf 21° und 18°. Nordamerika bietet bei seiner ungeheueren Ausdehnung mehrere Klimate dar. Pursh lehrt uns 2,900 Phanerogamen kennen, welche zwischen den Breitenparallelen des 35sten und 44sten Grades, also in einer mittleren jährli - chen Temperatur von 16° und wachsen. Die Flora Nordamerika's ist aus mehreren verschiede - nen Floren zusammengesetzt. Die südlichen Ge - genden geben ihr einen Ueberfluſs an Malvenblu - men und zusammengesetzten Blumen, die nördli - chen, welche viel kälter sind als die europäischen Länder unter denselben Breiten, bereichern sie da - gegen mit Rhododendris, kätzchentragenden Pflan - zen und Zapfenbäumen. Die Nelkenfamilie, die Doldengewächse und die Kreutzblüthigen sind im Allgemeinen seltener in Nordamerika, als in der gemäsigten Zone des alten Continents.

Diese constanten Verhältnisse, welche wir in den Ebenen vom Aequator bis zum Pole finden, begegnen uns auch an der Grenze des ewigen Schnees auf den Gipfeln der Gebürge. Man kann im Allgemeinen annehmen, daſs auf den Cordil - leras der heiſsen Zone die nördlichen Formen ge -139man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.meiner werden. So sieht man in Quito, auf dem Rücken der Andes, die Heiden, die Rhododendra und die Gräser vorherrschen. Im Gegentheil wer - den die Lippenblumen, die Rubiaceae, Malveu und Wolfsmilcharten daselbst so selten, als sie in Lapp - land sind. In Rücksicht auf die Compositas aber und auf die Farren tritt kein ähnliches Verhältniſs ein. Die ersteren sind häufig auf dem Rücken der Andes, während die letztern sich allmählig verlieh - ren, wenn man über 1,800 Toisen in die Höhe steigt. Auch ist das Klima der Andes dem des nördlichen Europa's nur in Beziehung auf die mitt - lere Temperatur des Jahres ähnlich. Die Verthei - lung der Wärme in den verschiedenen Jahreszeiten ist ganz anders und von mächtigern Einfluſs auf die Phänomene der Vegetation. Im Allgemeinen sind, nach meinen Untersuchungen, diejenigen Formen, welche unter den Alpenpflanzen herrschen in der heiſsen Zone die Gräser (Aegopogon, Podo - saemum, Deyeuxia, Avena); die Compositae (Cal - citium, Espeletia, Aster, Baccharis), und die Nel - kenfamilie (Arenaria, Stellaria). In der gemäsigten Zone herrschen: die Compositae (Senecio, Leonto - don, Aster, Hieracium); die Nelkenblumen (Cera - stium, Cherleria, Silene), und die Kreuzblumen (Draba, Lepidium, Sisymbrium); in der kalten Zone dagegen die Nelken (Stellaria, Alsine); die Heidenartigen (Andromeda) und Ranunkelartigen.

Diese Untersuchungen über das Gesetz der Verbreitung der Formen führten natürlich auf die Frage: ob es Gewächse giebt, welche den beiden Continenten gemeinschaftlich zukommen? Diese Frage erregt um so mehr Interesse, als sie un - mittelbar eines der wichtigsten Probleme der Zoo -140A. v. Humboldt über die Gesetze, welchenomie berührt. Man weiſs seit langer Zeit, und dieſs ist eines der schönsten Resultate der Geogra - phie der Thiere, daſs kein Quadruped, kein Land - vogel, und wie es sich aus den Untersuchungen Latreille's zu ergeben scheint, kaum irgend ein In - sect, den Aequatorialgegenden der beiden Conti - nente gemein ist. Cuvier hat sich durch treffende Beobachtungen überzeugt, daſs diese Regel selbst in Bezug auf die Reptilien Statt findet. Er hat er - wiesen, daſs die wahre Boa constrictor nur Ame - rika eigenthümlich ist, und daſs die Boae der alten Welt Pythonen sind. Was die Gegenden ausser - halb der Wendekreise betrifft, hat Buffon die Zahl der Thiere, welche Amerika, Europa und dem nördlichen Asien gemeinschaftlich eigen sind, über das wahre Verhältniſs vermehrt angegeben. Es ist gewiſs, daſs der Auerochs, der Hirsch und das Reh von Amerika, sowie das Kaninchen, die Mo - schusratte, der Fischotter, der Maulwurf, die Spitz - maus, der Bär, die Fledermäuse, der Marder und die Wiesel dieses Welttheiles von den europäischen Arten verschieden sind, obgleich Buffon das Ge - gentheil behauptete. Es bleiben nur der Vielfraſs, der Wolf, der weiſse Bär, der rothe Fuchs und vielleicht auch das Rennthier und das Elenthier übrig, die sich durch keine hinreichenden Charak - tere von den europäischen Arten unterscheiden. Unter den Pflanzen muſs man einen Unterschied machen zwischen der Geschlechtslosen und denen mit Keimlappen und die letztern muſs man nach ihrer Hauptabtheilung als Monocotyledonen oder Dicotyledonen betrachten. Es ist kein Zweifel, daſs sich viele Moose und Flechten (Funaria hygro - metrica, Lichen hirtus, Sticta tomentosa, croca -141man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.ta u. s. w.) zugleich im tropischen Amerika und in Europa finden: unsere Herbarien beweisen dieſs. Jedoch verhält es sich anders bei den geschlechts - losen Pflanzen mit Spiralgefäſsen, als bei denen von bloſs zelligem Bau. Die Farren und die Ge - wächse aus der Familie des Lycopodium sind nicht denselben Gesetzen der Vertheilung unterworfen, welche wir bei den Moosen und Flechten wahrneh - men. Die ersteren vorzüglich zeigen nur sehr we - nige weit verbreitete Arten und die in dieser Hin - sicht citirten Beispiele sind oft zweifelhaft. Was die phanerogamischen Pflanzen betrifft (die Rhizo - phora, die Avicennia und einige andere Uferpflan - zen ausgenommen), so scheint das Gesetz Buffon's in Beziehung auf die Dicotyledonen zuzutreffen. Es ist durchaus falsch, was man so oft bejahte, daſs die Gebirgsplatten der Cordilleren von Peru, deren Klima einige Aehnlichkeit mit dem von Frankreich oder Schweden hat, denen der letztern Länder ähnliche Pflanzen hervorbringen. Die Ei - chen, die Tannen, die Eibenbaumarten, die Ra - nunkel, Rosen, Sinauarten (Alchemilla), die Vale - rianen, Meiricharten (Stellariae) und die Hunger - blumen (Drabae) der peruvianischen und mexikani - schen Anden haben ohngefähr dieselbe Physiogno - mie wie die Arten der nämlichen Gattungen, wel - che im nördlichen Amerika, in Sibirien und Euro - pa vorkommen. Aber alle diese Alpenpflanzen der Cordilleren, unterscheiden sich, ohne Ausnahme in einer Anzahl von 3000 4000, welche wir un - tersucht haben, wesentlich von den ähnlichen Ar - ten der gemäsigten Zone des alten Continentes. Im Allgemeinen sind von den Pflanzen, welche das tropische Amerika bewohnen, nur Monocotyledonen142A. v. Humboldt über die Gesetze, welcheund von diesen fast ausschlieſslich nur die Cypern - gräser und die wahren Gräser beiden Welttheilen gemein. Diese beiden Familien machen daher eine Ausnahme von dem so eben erörterten allgemeinen Gesetz: daſs die organisirten Wesen der Aequa - torialgegenden in beiden Continenten specifisch von einander verschieden sind, welches für die Ge - schichte der Katastrophen unseres Planeten von groſser Wichtigkeit ist. In den Prolegomenis habe ich eine genaue Anzeige derjenigen Monocotyledo - nen gegeben, welche den Ufern des Orinoko, Deutschland und Ostindien gemeinschaftlich zukom - men. Ihre Anzahl steigt kaum über 20 24. Ich führe hier deren nur einige als hinreichend an: Cyperus mucronatus, C. Hydra, Hypaelyptum argenteum, Poa Eragrostis, Andropogon Allionii u. s. w.

In demjenigen Theile von Nordamerika, wel - cher auſserhalb des Wendekreises liegt, ist bei - nahe ein Siebentheil der Gesammtzahl der Mono - und Dicotyledonen den beiden Continenten gemein. Unter 2,900 Arten, welche Pursh's Flora aufzählt, sind 390 europäische. Zwar darf man einigen Zweifel hegen, sowohl in Bezug auf die Anzahl der Pflanzen, welche den Anbauern der einen He - misphäre aus der andern folgten, als auf diejenigen Arten, welche, nach genauerer Untersuchung, als neu und vorher noch unbeschrieben erkannt wer - den möchten; doch ist es unmöglich, daſs sich diese Ungewiſsheit auf alle erstecke, und es ist vielmehr anzunehmen, daſs, selbst nach eindringenden For - schungen, die Zahl der Pflanzenarten, welche der gemäsigten Zone beider Continente gemeinschaftlich zugehören, noch sehr beträchtlich bleiben wird. R. 143man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.Brown hat neuerlich ähnliche Untersuchungen über die Pflanzen von Neuholland angestellt. Von allen Monocotyledonen, welche bisher in diesem Conti - nent entdeckt wurden, ist ein Achtundzwanzigtheil England, Frankreich und Deutschland gemein. Bei den Dicotyledonen ist das Verhältniſs wie 1 zu 200; ein neuer Beweiſs, daſs die Gräser und die Cype - raceae, wegen der groſsen Schmiegsamkeit ihrer Organisation am meisten in den beiden Hemisphä - ren verbreitet sind. Es wäre zu wünschen, daſs Zoologen auf ähnliche Weise versuchten, die Zah - lenverhältnisse, die in der Vertheilung der Thiere über die Erde herrschen, auszumitteln.

In der südlichen Hemisphäre erstrecken sich die Pflanzenformen der heiſsen Zone weiter gegen den Pol hinab, als in der nördlichen. Die baumartigen Farren gehen in Asien und Amerika kaum über den Wendekreis des Krebses hinaus, während in der südlichen Hälfte unseres Planeten die Dieksonia antarctica, deren Stamm sich zu einer Höhe von sechs Metre (19 F.) erstreckt, bis zum Van Diemens Land in der Breite von 42°, hinabwandert; ja sie ist sogar in Neuseeland, in der Dasky-Bay, unter der Parallele von Lyon, gefunden worden. Andere, nicht weniger prachtvolle Formen, welche man für ausschlieſsliches Eigenthum der Aequatorialflora halten möchte, die parasitischen Orchideen, Epi - dendra, Dendrobia u. s. w. finden sich, zwischen baumartigen Farren, weit über den Wendekreis des Steinbocks hinaus, mitten in der gemäsigten Zone der südlichen Erdhälfte. Diese Erscheinungen in der Geographie der Pflanzen beweisen, wie schwankend das ist, was man gewöhnlich über die beträchtliche Verminderung der Temperatur in der südlichen144A. v. Humboldt über die Gesetze, welcheHemisphäre gesagt hat, ohne zwischen den vom Pol mehr oder weniger entfernten Parallelen zu unterscheiden und auf die Vertheilung der Wärme während der verschiedenen Jahreszeiten Rücksicht zu nehmen. Diese Gegend, gegen welche sich die Aequatorial-Formen hinerstrecken, haben, wegen der ungeheueren Ausdehnung der sie umgebenden Meere, ein wahres Inselklima. Vom Wendekreis des Steinbocks bis zu den Parallelen von 34°, und vielleicht noch weiter, ist die mittlere jährliche Wärme, d. h. die Menge Wärme, welche ein Punct der Erdkugel erhält; nicht sehr beträchtlich ver - schieden in den beiden Hemisphären. Werfen wir einen Blick auf die drei Continente von Neuhol - land, Afrika und Amerika, so finden wir, daſs die mittlere jährliche Wärme zu Port-Jackson (in 33° 51′ s. B.) 19°,3 des hunderttheiligen Thermome - ters; auf dem Cap der g. H. (in 33° 35′ s. B.) 19°,4, und zu Buenos-Ayres (in 34° 36′ s. Br.) 19°,7 ist. Mit Recht kann man sich über diese groſse Gleich - heit in der Vertheilung der Wärme in diesen süd - lichen Breiten wundern. Noch genauere meteoro - logische Beobachtungen beweisen, daſs man in der nördlichen Hemisphäre unter derselben Breite von 34° eine mittlere jährliche Wärme von 19°,8 fin - det. Gegen den Südpol hin, vielleicht selbst bis zu der Parallele von 57° weichen die Temperaturen der beiden Hemisphären weniger im Winter als im Sommer von einander ab. Die Maluinen in der südl. Breite von 51½° haben weniger heftige Win - terfröste, als man in London empfindet. Die mittlere Temperatur von Van-Diemensland scheint 10 Grad zu seyn, es friert daselbst im Winter, jedoch nicht stark genug, um die Farrenbäume und die parasi -145man in d. Verth. d. Pflanzenformen beobachtet.tischen Orchideen zu zerstören. Capitän Cook hat in den benachbarten Meeren in einer Breite von 42° mitten im Winter, im July, das Thermome - ter nicht unter +6°,6 fallen sehen. Auf diese sehr gelinden Winter folgen Sommer von einer auſserordentlich kühlen Temperatur. An der Süd - spitze von Neuholland (Breite 42° 41′) erhebt sich die Temperatur der Luft selten, im Sommer und zur Mittagsstunde, über 12° bis 14°; und an der Küste von Patagonien, sowie im benachbarten Ocean (Br. 48° 58°) ist die mittlere Temperatur des wärmsten Monates nur +7 bis , während sie in der nördlichen Hemisphäre zu Petersburg und Umeo (Br. 59° 56′ und 63° 50′) 17° bis 19° und mehr ist. Das milde Insularklima, welches in den südlichen Ländern zwischen dem 30° und 40° der s. Breite herrscht, erlaubt den tropischen Pflanzenformen über den Wendekreis des Steinbocks hinauszuge - hen. Sie verschönern einen groſsen Theil der ge - mäsigten Zone, und aus den Gattungen, welche der Bewohner der nördlichen Hemisphäre als aus - schlieſsliches Eigenthum der tropischen Klimate be - trachtet, finden wir viele Arten in der südlichen Breite zwischen dem 35° und 38°.

Journ. f. Chem. u. Phys. 18. Bd. 2. Heft. 10

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TextUeber die Gesetze, welche man in der Verteilung der Pflanzenformen beobachtet
Author Alexander von Humboldt
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Ueber die Gesetze, welche man in der Verteilung der Pflanzenformen beobachtet. Alexander von Humboldt. . 17 S. 1816. Journal für Chemie und Physik (18) pp. 129-145.

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LanguageGerman
ClassificationPariser Akademiereden/-schriften; ready; avh

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-10T09:48:40Z
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