PRIMS Full-text transcription (HTML)
Nro. 49.
Morgenblatt fuͤr gebildete Staͤnde.
Freitag, 26. Februar, 1808.
Muſe, du winkſt, dir ſaͤuſelt der Hain, dir rauſchet die Quelle, Aber Begeiſterte nur lauſchen dir willig und fromm, Wenige nur der Begluͤckten mit zartanklingenden Seelen, Denen ein reges Gefuͤhl ward und ein heiliger Sinn.
(C. G. v. Brinkmann. )

Anſichten der Natur mit wiſſenſchaft - lichen Erlaͤuterungen, von Alex. v. Hum - boldt. Erſter Band. 16. Tuͤbingen, in der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.

Der beruͤhmte Verfaſſer dieſer Anſichten druͤckt ſich in der Vorrede zu denſelben mit einer Beſcheidenheit aus, die um ſo groͤßer erſcheint, je gelungener dieſe aͤſthetiſche Be - handlung naturhiſtoriſcher Gegenſtaͤnde iſt. Jeder Leſer, der einen empfaͤnglichen Sinn fuͤr die Schoͤnheiten und Groͤße der Natur hat, wird dieſe Reihe von Arbeiten mit dem innigſten Vergnuͤgen leſen und wiederleſen.

Ueberall iſt auf den ewigen Einfluß hingewieſen, welchen die phyſiſche Natur auf die moraliſche Stimmung der Menſch - heit und auf ihre Schickſale ausuͤbt. Bedraͤngten Gemuͤ - thern ſind nach der Erklaͤrung des Verfaſſers, dieſe Blaͤtter vorzugsweiſe gewidmet. Wer ſich herausgerettet aus der ſtuͤrmiſchen Lebenswelle, folgt mir gern in das Dickicht der Waͤlder, durch die unabſehbaren Steppen und auf den hohen Ruͤcken der Andeskette. Zu ihm ſpricht der weltrichtende Chor:

Auf den Bergen iſt Freyheit! Der Hauch der Gruͤfte Steigt nicht hinauf in die reinen Luͤfte. Die Welt iſt vollkommen uͤberall, Wo der Menſch nicht hinkommt mit ſeiner Qual.

Wer wollte nicht gern zu ſeinen Leſern gehoͤren!

Als Probe theilen wir hier den Schluß des Aufſatzes mit:

Ueber die Waſſerfaͤlle des Orinoco bey Atures und Maypures.

Von dem hohen Gebirgsſtock Cunavami aus, zwiſchen den Quellen der Fluͤſſe Sipapo und Ventuari, ſchiebt ſichein Granitruͤcken weit gegen Weſten, nach dem Gebirge Uniama, vor. Von dieſem Ruͤcken flieſſen 4 Baͤche herab, welche die Katarakte von Mappures gleichſam begraͤnzen, an dem oͤſtlichen Ufer des Orinoco der Sipapo und Sanariapo, an dem weſtlichen Ufer der Camejt und der Toparo. Wo das Dorf Maypures liegt, bilden die Berge einen weiten, gegen Suͤdweſten geoͤffneten Buſen.

Der Strom fließt jetzt ſchaͤumend an dem oͤrtlichen Berg - Gehaͤnge hin. Aber fern in Weſten erkennt man das alte verlaſſene Ufer. Eine weite Grasflur dehnt ſich zwiſchen beyden Huͤgelketten aus. Jn dieſer haben die Jeſuiten eine kleine Kirſche von Palmenſtaͤmmen gabaut. Die Ebene iſt kaum 30 Fuß uͤber dem obern Waſſerſpiegel des Fluſſes erhaben.

Der geognoſtiſche Anblick dieſer Gegend, die Jnſelform der Felſen Keri und Oco, die Hoͤhlungen, welche die Fluth in dem erſten dieſer Huͤgel ausgewaſchen, und welche mit den Loͤchern in der gegenuͤberliegenden Jnſel Uivatari genau in gleicher Hoͤhe liegen alle dieſe Erſcheinungen beweiſen, daß der Orinoco einſt dieſe ganze, jetzt trockene Bucht aus - fuͤllte. Wahrſcheinlich bildeten die Waſſer einen weiten See, ſo lange der noͤrdliche Damm Widerſtand leiſtete. Als der Durchbruch erfolgte, trat zuerſt die Glasflur, welche die Guareken-Jndianer bewohnen, als Jnſel hervor. Vielleicht umgab der Fluß noch lange die Felſen Keri und Oco, die, wie Bergſchloͤſſer aus dem alten Strombette hervorragend, einen mahleriſchen Anblick gewaͤhren. Bey der allmaͤhligen Waſſerverminderung zogen die Waſſer ſich ganz an die oͤſtliche Bergkette zuruͤck.

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Dieſe Vermuthung wird durch mehrere Umſtaͤnde beſtaͤtigt. Der Orinoco hat naͤmlich, wie der Nil bey Philaͤ und Spene, die merkwuͤrdige Eigenſcahft, die roͤtlich-weiſſen Granit - Maſſen, die er Jahrtauſende lang benetzt, ſchwarz zu faͤrben. So weit die Waſſer reichen, bemerkt man am Felsufer einen bleyfarbenen, kohlenſtoffhaltigen Ueberzug, der kaum eine Zehntellinie tief in das Jnnere des Geſteins einbringt. Dieſe Schwaͤrzung und die Hoͤhlungen, deren wir oben er - waͤhnten, bezeichnen den alten Waſſerſtand des Orinoco.

Jm Felſen Keri, in den Jnſeln der Katerakten, in der Huͤgelkette Cumadaminari, die oberhalb der Jnſel Tomo fortlaͤuft. an der Muͤndung des Jao endlich, ſieht man jene ſchwarzen Hoͤhlungen 130 bis 180 Fuß uͤber dem heutigen Waſſerſpiegel erhaben. Jhre Exiſtenz lehrt (was uͤbrigens auch in Europa in allen Flußbetten zu bemerken iſt), daß die Stroͤme, deren Groͤße noch jetzt unſre Bewunderung erregt, nur ſchwache Ueberreſte von der ungeheuren Waſſer - Menge der Vorzeit ſind.

Selbſt den rohen Eingebornen der Guayana ſind dieſe einfachen Bemerkungen nicht entgangen. Ueberall machten uns die Jndianer auf die Spuren des alten Waſſerſtandes aufmerkſam. Ja in einer<Gra>sflur bey Uruana liegt ein iſolirter Granitfels, in welchen (laut der Erzaͤhlung glaub -[wuͤrdiger] Maͤnner) in 80 Fuß Hoͤhe Bilder der Sonne, des Mondes und mannichfaltiger Thiere, beſonders Bilder von Krokodilen und Boaſchlangen, faſt reihenweiſe eingegraben ſind. Ohne Geruͤſte kann gegenwaͤrtig niemand an jener ſenkrechten Wand hinaufſteigen, welche die aufmerkſamſte Unterſuchung kuͤnftiger Reifenden verdient. Jn eben dieſer wunderbaren Lage befinden ſich die hieroglyphiſchen Stein - zuͤge in den Gebirgen von Uruana und Encaramada.

Fragt man die Eingebohrnen, wie jene Zuͤge eingegra - ben werden konnten, ſo antworten ſie: es ſey zur Zeit der hohen Waſſer geſchehen, weil ihre Vaͤter damals in dieſer Hoͤhe ſchifften. Ein ſolcher Waſſerſtand war alſo neuer, als die rohen Denkmaͤhler menſchlichen Kunſtfleiſſes. Er deutet auf einen Zuſtand der Erde, welcher mit demjenigen nicht verwechſelt werden muß, in dem der erſte Pflanzenſchmuck unſeres Planeten, in dem die rieſenmaͤßigen Koͤrper ausge - ſtorbener Landthiere; und die pelagiſchen Geſchoͤpfe einer chaotiſchen Vorwelt, in der erhaͤrtenden Erdrinde ihr Grab fanden.

Der noͤrdlichſte Ausgang der Katarakten iſt durch die natuͤrlichen Bild<er>der Sonne und des Mondes bekannt. Der Felſen Keri, deſſen ich mehrmals erwaͤhnt, hat naͤmlich ſeine Benennung von einem fernleuchtenden weiſſen Flecken, in welchem die Jndianer eine auffallende Aehnlichkeit mit der vollen Mondsſcheibe zu erkennen glauben. Jch habe ſelbſt nicht dieſe ſteile Felswand erklimmen koͤnnen, aber wahrſcheinlich iſt der weiſſe Flecken ein maͤchtiger Quarzkno - ten, den zuſammenſcharrende Gaͤnge in dem graͤulichſchwar - zen Granit bilden.

Dem Keri gegenuͤber, auf dem baſaltaͤhnlichen Zwil - lingsberge der Jnſel Oulvitari, zeigen die Jndianer mit geheimnißvoller Bewunderung eine aͤhnliche Scheibe, die ſie als das Bild der Sonne, Camoſt, verehren. Vielleicht hat die geographiſche Lage bey der Felſen mit zu dieſer Be - nennung beygetragen, denn in der That ſtand ich Keri gegen Abend, und Camoſi gegen Morgen gerichtet. Sprachfor - ſcher werden in dem amerikaniſchen Worte Camoſi die Aehn - lichtkeit mit Camosh, dem Sonnennamen in einem der phoͤ - niziſchen Dialekte, erkennen.

Die Katarakten von Maypures beſtehen nicht, wie[der] 140 Fuß hohe Fall des Niagara, in dem einmaligen Herab - ſtuͤrzen einer großen Waſſermaſſe. Sie ſind auch nicht Fluß - Engen, Paͤſſe, durch welche ſich der Strom mit beſchleunig - ter Geſchwindigkeit durchdraͤngt, wie der Pongo von Man - ſeriche im Amazonenfluße. Sie erſcheinen als eine zahlloſe Menge kleiner Kaſkaden, die wie Staffeln auf einander folgen. Der Raudal, ſo nennen die Spanier dieſe Art von Katarakten, wird durch einen Archipelagus von Jnſeln und Klippen gebildet, welche das 8000 Fuß weite Flußbette dermaßen verengen, daß oft kaum ein 20 Fuß bereites freyes Fahrwaſſer uͤbrig bleibt. Die oͤſtliche Seite iſt gegenwaͤrtig weit unzugaͤnglicher und gefahrvoller, als die weſtliche.

An dem Ausfluß des Cameji ladet man die Guͤter aus, um das leere Kanoe, oder, wie man hier ſagt, die Pira - gua, durch die des Raudals kundigen Jndianer bis zur Muͤndung des Toparo zu fuͤhren, wo man die Gefahr fuͤr uͤberwunden haͤlt. Sind die einzelnen Klippen oder Staffeln (jede derſelben wird mit einem eigenen Namen bezeichnet) nicht uͤber 2 bis 3 Fuß hoch, ſo wagen esdie Eingebornen,<ſich>mit dem Kanoe herabzulaſſen. Geht aber die Fahrt ſtromabwaͤrts, ſo ſchwimmen ſie voran, ſchlingen nach vie - ler vergeblicher Anſtrengung ein Seil um die Felsſpitzen, welche aus dem Strudel hervorragen, und ziehen, mittelſt dieſes Seils das Fahrzeug aufwaͤrts. Bey dieſer muͤhevollen Arbeit wird das letztere oft gaͤnzlich mit Waſſer gefuͤllt oder umgeſtuͤrzt.

Bisweilen, und dieſen Fall allein beſorgen die Einge - bornen, zerſchellt das Kanoe auf der Klippe. Mit bluti - gem Koͤrper ſuchen ſich dann die Lootſen dem Strudel zu entwinden, und ſchwimmend das Ufer zu erreichen. Wo die Staffeln ſehr hoch ſind, wo der Felsdamm das ganze Bette durchſetzt, wird der leichte Kahn ans Land gebracht, und am nahen Ufer auf untergelegten Baumzweigen, wie auf Walzen, eine Strecke fortgezogen.

Die berufenſten und ſchwierigſten Staffeln ſind Purima - rimi und Manimi. Sie haben 9 Fuß Hoͤhe. Mit Erſtau - nen habe ich durch Barometermeſſungen gefunden (ein geo - detiſches Nivellement iſt wegen der Unzugaͤnglichkeit des Lo - kals, und der verpeſteten mit zahlloſen Moſquitos ge fuͤllten Luft, nicht auszufuͤhren), daß das ganze Gefaͤlle des Raudals, von der Muͤndung des Cameji bis zu der des195Toparo, kaum 28 bis 30 Fuß betraͤgt. Jch ſage: mit Er - ſtaunen; denn man erkennt daraus, daß das fuͤrchterliche Getoͤſe und das wilde Aufſchaͤumen des Flußes Folge der Verengung des Bettes durch zahlloſe Klippen und Jnſeln, Folge des Gegenſtromes iſt, den die Form und Lage der Felsmaſſen erregt. Von der Wahrheit dieſer Behauptung, von der geringen Hoͤhe des ganzen Gefaͤlles, uͤberzeugt man ſich am beſten, wenn man aus dem Dorfe Maypures uͤber den Felſen Manimi zum Flußbette herabſteigt.

Hier iſt der Punkt, wo man eines wundervollen Anblicks genießt. Eine meilenlange ſchaͤumende Flaͤche bietet ſich auf einmal dem Auge dar. Eiſenſchwarze Felſmaſſen ragen burgartig aus derſelben hervor. Jede Jnſel, jeder Stein iſt mit uͤppiganſtrebenden Waldbaͤumen geſchmuͤckt. Dichter Nebel ſchwebt ewig uͤber dem Waſſerſpiegel. Durch die dampfende Schaumwolke dringt der Gipfel der hohen Pal - men. Wenn ſich im feuchten Dufte der Strahl der gluͤhen - den Abendſonne bricht, ſo beginnt ein optiſcher Zauber. Farbige Boͤgen verſchwinden und kehren wieder. Ein Spiel der Luͤfte, ſchwankt das aͤtheriſche Bild.

Umher auf den nackten Felſen, haben die rieſelden Waſ - ſer in der langen Regenzeit Jnſeln von Dammerde zuſam - mengehaͤuft. Mit Droſeren, mit ſilberblaͤttrigen Mimoſen und mannichfaltigen Kraͤutern geſchmuͤckt, bilden ſie Blu - menbeete mitten auf dem oͤden Geſtein. Sie rufen bey dem Europaͤer das Andenken an jene Pflanzengruppen zuruͤck, welche die Alpenbewohner Courtils nennen; Granitbloͤcke mit Bluͤthen bedeckt, die einſam aus den Savoyiſchen Glet - ſchern hervorragen.

Jn blauer Ferne ruht das Auge auf der Gebirgskette Cunavami, einen langgedeckten Bergruͤcken, der prallig in einem abgeſtumpften Kegel ſich endigt. Den letztern (Ca - litamini iſt ſein indiſcher Name) ſahen wir bey untergehen - der Sonne wie in roͤthlichem Feuer gluͤhen. Dieſe Erſchei - nung kehrt taͤglich wieder. Niemand iſt je in der Naͤhe dieſer Berge geweſen. Vielleicht ruͤhrt der Glanz von einer ſpiegelnden Abloͤſung des Talk - oder Glimmerſchiefers her.

Note: (Der Beſchluß folgt.)
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TextAnsichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen
Author Alexander von Humboldt
Extent3 images; 1598 tokens; 863 types; 11809 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic information Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen. Alexander von Humboldt. . 3 S. 1808. Morgenblatt für gebildete Stände (49) pp. 193-195.

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LanguageGerman
ClassificationAbhandlungen in Zeitschriften, Sammelbänden etc.; ready; avh

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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