Die ersten Stuͤcke dieser Zeitschrift koͤnnen den Leser hinlaͤnglich uͤber ihren Zweck und Geist verstaͤndigen. Jn Ansehung der Gegenstaͤnde streben wir nach moͤglichster Allgemeinheit in dem, was unmittelbar auf Bildung abzielt; im Vortrage nach der freyesten Mittheilung. Um uns jener naͤher zu bringen, hielten wir eine Verbruͤderung der Kenntnisse und Fertigkeiten, um welche sich ein jeder von uns an seinem Theile bewirbt, nicht fuͤr unnuͤtz. Bey dieser leitet uns der gemeinschaftliche Grundsatz, was uns fuͤr Wahrheit gilt, niemals aus Ruͤcksichten nur halb zu sagen.
Jn der Einkleidung werden Abhandlungen mit Briefen, Gespraͤchen, rhapsodischen Betrachtungen und aphoristischen Bruchstuͤcken wechseln, wie in dem Jnhalte besondre Urtheile mit allgemeinen Untersuchungen, Theorie mit geschichtlicher Darstellung, Ansichten der vielseitigen Strebungen unsers Volks und Zeitalters mit Blicken auf das Ausland und die Vergangenheit, vorzuͤglich auf das klassische Alterthum. Was in keiner Beziehung auf Kunst und Philosophie, beyde in ihrem ganzen Umfange genommen, steht, bleibt ausgeschlossen, so wie auch Aufsaͤtze,IV die Theile von groͤßeren Werken sind. Der Pruͤfung der Kenner widmen wir unsre angestrengtesten Bemuͤhungen; fuͤr die Unterhaltung aller Leser wuͤnschen wir so viel anziehendes und belebendes in unsre Vortraͤge zu legen, als ernstere Zwecke erlauben.
Wir theilen viele Meynungen mit einander; aber wir gehn nicht darauf aus, jeder die Meynungen des andern zu den seinigen zu machen. Jeder steht daher fuͤr seine eignen Behauptungen. Noch weniger soll das geringste von der Unabhaͤngigkeit des Geistes, wodurch allein das Geschaͤft des denkenden Schriftstellers gedeihen kann, einer flachen Einstimmigkeit aufgeopfert werden; und es koͤnnen folglich sehr oft abweichende Urtheile in dem Fortgange dieser Zeitschrift vorkommen. Wir sind nicht bloß Herausgeber, sondern Verfasser derselben, und unternehmen sie ohne alle Mitarbeiter. Fremde Beytraͤge werden wir nur dann aufnehmen, wenn wir sie, wie unsre eignen, vertreten zu koͤnnen glauben, und Sorge tragen, sie besonders zu unterscheiden. Die Arbeiten eines jeden von uns sind mit dem Anfangsbuchstaben seines Vornamens, die gemeinschaftlichen mit beyden bezeichnet.
W. und F.
Ersten Bandes Erstes Stuͤck.
23Poesie. Soll ich meinen Augen trauen? Du lebst also wirklich?
Grammatik. Ja, es ist mir selbst wunderlich dabey zu Muthe. Vor Klopstocks grammatischen Gespraͤchen ist es mir niemals begegnet.
Poesie. Ganz recht! Klopstocks grammatische Gespraͤche. Derentwegen bin ich eben herbeschieden. Aber sage mir, was habe ich mit ihnen zu schaffen? Jch trete ja nicht darin auf.
4Grammatik. Wie konntest du? Weißt du nicht, daß Leben und Tod einander immer das Gleichgewicht halten, und daß, wo die Grammatik lebt, die Poesie todt seyn muß?
Poesie. Wir werden uns also auch jetzt freundschaftlich darum vertragen, und beyde mit einem halben Leben zufrieden seyn muͤßen.
Grammatik. Nach geendigtem Geschaͤft will ich dirs ganz abtreten: denn dir kommt das Leben zu, fuͤr mich ist es immer nur ein gezwungner Zustand.
Poesie. Zu dem du dich aber, Klopstock zu Gefallen, bequemt hast.
Grammatik. Er belohnt es mir durch die reichhaltigen Winke, die seinen Bemerkungen, die Aufforderungen zu tieferer Forschung, die in seinem Buch verborgen liegen.
Poesie. Verborgen allerdings! Habe ich doch auf meinen Wanderungen bis jetzt nie davon gehoͤrt. Warum wissen denn die Deutschen kaum, daß sie so etwas besitzen?
Grammatik. Viel thut wohl die Einkleidung; dann der Grad von Einsicht, der bey dem Leser vorausgesetzt wird; die Hauptsache ist aber, daß es von etwas Deutschem handelt.
Poesie. Und doch wird diese Sache aus der Fremde, und sogar aus dem Alterthum her in Anregung gebracht?
Grammatik. Die alten und neuen Sprachen sind hoͤchlich entruͤstet: sie behaupten, Klopstock habe5 die Vorzuͤge der seinigen weit uͤberschaͤtzt, und herabwuͤrdigend von ihnen gesprochen.
Poesie. Und da sollen wir den Streit schlichten. Wie schlau sie doch sind! Sie befuͤrchteten, wir moͤchten beyde, aus alter Freundschaft Klopstocks Sachwalterinnen werden; um uns zur Unparteylichkeit zu noͤthigen, haben sie uns das Richteramt anvertraut.
Grammatik. Wie ist mir? Du bist ja gar nicht, wie ich dich mir aus der Ferne vorgestellt habe. Du redest so schlicht.
Poesie. Jch muß wohl, um mich von der poetischen Prosa zu unterscheiden. Doch still! dieß sind vermuthlich die Parteyen.
Grammatik. Weswegen kommt ihr? wer seyd ihr?
Deutscher. Die andern um Klopstock anzuklagen, ich um ihn zu vertheidigen. Wir sind Repraͤsentanten unsrer Sprachen.
Grammatik. Warum kommen diese nicht selbst?
Deutscher. Sie glaubten, es wuͤrde euch so besser gefallen. Du, Grammatik, hast es lieber mit den Begriffen selbst als mit ihrer Scheinbelebung zu thun; und du, Poesie, haͤltst nicht viel auf lustige Begriffpersonen.
Poesie. Jch merke, ihr macht die Sitte der Zeit mit: denn das repraͤsentative System ist in den schoͤnen Kuͤnsten wie in der Politik herrschend geworden. Jst kein Repraͤsentant der Menschheit unter euch?
6Deutscher. Wir wollen dir nicht ins Amt fallen. Du sollst ja Repraͤsentanten der Menschheit, und nichts anders als solche aufstellen.
Poesie. Da wuͤrde ich am Ende selbst nur repraͤsentirt.
Grammatik. Kommt sogleich zur Sache, und bringt die einzelnen Punkte der Klage und Vertheidigung nach einer gewissen Ordnung vor.
Deutschheit. (draußen.) Wehrt mirs nicht. Jch wage mein Leben fuͤr den aͤchten Deutschen Barden. Meine Losung ist: Er und uͤber ihn!
Franzose. Wie grob! Jch hielt nur die Thuͤr zu, um erst zu fragen, wer sie waͤre, und sie schleudert mich eine Ecke weit in den Saal hinein.
Grieche. Wer ist diese blonde Gigantin?
Deutschheit. Jch achte mich hoͤher als euch alle. Nur du bist meines Grußes werth, Goͤttin des Gesangs! Bist groß und gut, ein biedres Deutsches Weib.
Poesie. O weh! sie zerdruͤckt mir die Hand.
Grammatik. Was willst du hier, Deutschheit? Jch kenne dich, du hast mir auch schon Unheil genug angerichtet.
Deutschheit. Er ist mein Vater. Wer mir von dem auslaͤndischen Volke etwas wider ihn und unsre alte Kernsprache sagt, dem soll diese starke Faust —
Grammatik. Hier wird nicht mit Gewalt gestritten, sondern mit Gruͤnden.
Deutscher. Jch erkenne sie nicht an, ich habe nichts mit ihr gemein, sie wuͤrde meinen guten Handel verderben.
7Poesie. Schafft sie hinaus! Die Ungeschlachte gehoͤrt nicht in diesen gebildeten Kreis.
Deutschheit. Bey Herrmanns Schatten! —
Franzose. O der erscheint laͤngst nicht mehr!
Grieche. Die Barbarin! fort mit ihr!
Poesie. So haͤtten wir dann wieder Ruhe. Aber sage mir, Deutscher, welche Bewandniß hat es mit der Abstammung, deren sie sich ruͤhmt?
Deutscher. Es ist wohl nur eine von ihren Prahlereyen, denn du weißt ja: Von selbst weiß niemand wer ihn gezeuget. Bedenke, daß eine Stunde der uͤberfluͤßigen Kraft noch ganz andern Geschoͤpfen das Daseyn gegeben hat. Auch waͤre es unbillig ihm die Schuld ihres Betragens beyzumessen. Sie hatte zwar schon als Kind etwas von gezierter Maͤnnlichkeit und prunkhaftem Biedersinn an sich, aber erst durch die Erziehung der Juͤnger ist sie so leer und hochtrabend, und endlich, wie es den meisten Menschen geht, wenn sie nun recht ins buͤrgerliche Leben eintreten, platt geworden.
Poesie. Von den Nachaͤffern laß uns nicht reden, aber selbst der Urheber hat einen schlimmen Mißgriff gethan. Die meisten Nazionen haben das Vorurtheil, sich hoͤher als alle andern zu halten: wenn nun einmal eine es nicht hat, warum soll man es ihr mit Gewalt anschwatzen? Übrigens, wie stolz auch dieß vorsaͤtzliche und unaufhoͤrliche Erinnern an den Werth alles Deutschen klingt, so ist es doch etwas sehr demuͤthiges: denn es setzt voraus, das, woran man erinnert, sey so beschaffen, daß es gar leicht koͤnnte vergessen werden.
8Deutscher. Wenn man nun aber seine Vorzuͤge wirklich vergißt?
Poesie. Es hat damit bey Nazionen eben so wenig auf sich, als bey einzelnen Menschen. Man soll ja nicht im Bewußtseyn ihres Besitzes unthaͤtig werden. Wenn man nur die Vorzuͤge nicht vergißt, nach welchen man zu streben hat.
Deutscher. So wird man uns doch freyen Ausdruck unsrer Eigenthuͤmlichkeit erlauben?
Poesie. Der wird verfehlt, so bald man ihn sich vornimmt. Überdieß muͤßt ihr uͤber euern Karakter erst mit euch selbst einig werden. Was ihr fuͤr Deutschheit ausgebt, ist meistens, bey Licht besehn, nur die Nordischheit. Jch kann am besten wissen, ob ihr nazionale Eigenthuͤmlichkeit habt.
Deutscher. Freylich keine einseitig beschraͤnkte.
Grammatik. Zur Sache. Die Sprache des Griechen hat den Vorrang der Wuͤrde und des Alterthums; und Klopstock macht sich, eben weil er sie am meisten ehrt, fast immer mit ihr zu thun, um die seinige mit ihr zu messen. Was er von ihr sagt, gilt zum Theil die roͤmische mit. Auf die neueren wirft er nur einige schnoͤde Seitenblicke. Der Grieche sey also Wortfuͤhrer der Klage, die andern moͤgen sie bey den Punkten, die auf sie Bezug haben, unterstuͤtzen; und wenn ihnen besondre Beleidigungen widerfahren sind, nachher reden.
Deutscher. Sollen unsre Sprachen sich einfinden, Grieche? Sie sind Schwestern.
9Grieche. Mir war nichts davon bewußt, ich habe es erst durch Klopstock erfahren.
Deutscher. „ Schon Plato hat ja πῦρ und andre solche zugleich Griechische und altdeutsche Worte aus dem Scythischen, dem ersten Quell des Deutschen, abgeleitet. “
Grieche. Leitet der Philosoph nicht etwa auch das Wort Jronie aus dem Scythischen her? Die Stelle ist im Kratylus, wo Sokrates die etymologische Weisheit eines gewissen Eutyphro durch die wunderlichsten und drolligsten Ableitungen, immer unter dem Schein des Ernstes, zum Besten giebt. Bey allen unerhoͤrten Gewaltthaͤtigkeiten, die er sich mit den Woͤrtern erlaubt, behaͤlt er sich immer noch das Recht vor, wo er sich gar nicht weiter zu helfen weiß, vorzugeben, ein Wort sey barbarischen Ursprungs und er koͤnne es also nicht erklaͤren. Dieß thut er bey πῦρ. Gesetzt aber er spraͤche im Ernste, so bewiese seine Aussage grade das Gegentheil von Verwandtschaft. Denn es waͤren ja nach ihm nur einige Scythische Woͤrter fremd in das Griechische gekommen, und zwar hauptsaͤchlich „ durch die unter den Barbaren wohnenden Hellenen. “
Deutscher. Jhr verdankt eure erste Bildung dem Orpheus, „ einem Getischen Druiden. “
Grieche. Weil er ein Thracier heißt? Wanderte nicht auch der Thracier Thamyris im Pelopoponnesus umher? Durch jene Benennung wird Orpheus zu einer historischen Person gemacht, da er doch bloß eine mythische ist. Die Sage von ihm verdient10 um so weniger Glauben, da sie nicht so alt zu seyn scheint, als Priester sie ausgeben. Homer kennt sie nicht.
Deutscher. „ Die Deutschen bildeten vor Alters viele ihrer Zeitwoͤrter durch Verdoppelung des anfangenden Mitlauts und hatten einen Dual wie ihr. Sprachen, die sogar solche Sonderbarkeiten gemein haben, wie der Dual ist, haben uͤberhaupt viel gleiches. “
Grammatik. Die Verdoppelung ist allerdings eine seltnere Eigenheit, die der Roͤmer aber auch mit dem Griechen gemein hat. Der Dual findet sich in den verschiedensten Sprachen; im Hebraͤischen und im Finnischen. Er ist dem Ursprunge der Gesellschaften und der Kindheit des menschlichen Geistes sehr natuͤrlich: je weniger zahlreich jene sind, desto haͤufiger tritt der Fall ein, daß nur zwey zusammen handeln; und der unmuͤndige Verstand erhebt sich durch den Begriff des Paares wie durch eine Stufe zu dem allgemeineren der Vielheit. Die Griechen gaben vielleicht das einzige Beyspiel einer Sprache, die den Dual auch in der hoͤchsten Ausbildung nicht abgelegt; und wer weiß was geschehn waͤre, haͤtten die Dichter nicht gethan.
Deutscher. Die Stammvaͤter der Deutschen und Griechen waren in ihren urspruͤnglichen Sitzen Nachbarn.
Grieche. Reicht eure Geschichte bis da hinauf? Homer und Herodot sagen nichts davon. Doch nimm an, die Pelasger waͤren von Norden her in mein Vaterland eingewandert: das Volk der Hellenen ist erst11 weit spaͤter durch Abtrennung von jenen entstanden, und hat zugleich mit dieser durch unbekannte Ursachen bewirkten Umwandlung eine andre Sprache bekommen. Herodot wagt es nicht, mit Sicherheit zu bestimmen, welche Sprache die Pelasger geredet; er vermuthet aber eine barbarische, das heißt, nicht eine durch die Mundart sondern wesentlich und durchaus von der Hellenischen verschiedne. War also auch die Pelasgische Sprache mit der Deutschen verwandt, was folgt daraus fuͤr die Hellenische?
Deutscher. Durch alles dieß wird die Thatsache nicht umgestoßen, daß viele Deutsche Benennungen mit den Griechischen auffallend uͤbereinstimmen.
Grieche. Wenn ihr die ausnehmt wo eine gewisse Beziehung des Zeichens auf den Gegenstand Statt findet, und die, welche ihr durch Vermittlung der Roͤmer, entweder bey der Niederlassung christlicher Priester oder schon fruͤher erhalten, so wird keine betraͤchtliche Zahl uͤbrig bleiben. Wie viele Namen erhieltet ihr zugleich mit den Dingen! Oder haben die Germanier in ihren uralten Waͤldern den Wein schon mit Rosen gekraͤnzt?
Deutscher. Nein, aber bis zehn gezaͤhlt haben sie doch wohl?
Grieche. Sie nahmen vielleicht mit der Erlernung der Ziffern auch die dazu gehoͤrigen Benennungen großentheils an, und ließen ihre alten dahinten. Jch sage nur, was ein entschiedner Zweifler einwenden koͤnnte.
Franzose. Es ist lustig anzuhoͤren, wenn einer12 dem andern seine Verwandtschaft im zwanzigsten Grade vorrechnet, die dieser nicht anerkennen will.
Englaͤnder. Man moͤchte ihm antworten: ich will glauben, daß ihr mein Vetter seyd; aber ich weiß gewiß, daß ich eurer nicht bin.
Grieche. Wir streiten zu lange uͤber die Herkunft. Welcher Verstaͤndige giebt bey Menschen und Sprachen etwas darauf, wenn sie sich nicht durch Verdienst bewaͤhrt? Hatte eure Sprache gleiche Abstammung mit der unsrigen, desto schlimmer fuͤr euch, daß ihr nichts gefaͤlligers aus ihr gemacht. Doch da sie in ihrer Kindheit einen mildern Himmel gewohnt war, so hat sie sich vermuthlich in den feuchten Wildnissen Germaniens erkaͤltet, und seitdem eine heisere Stimme behalten.
Roͤmer. Die Verwandtschaft der Lateinischen Sprache mit der Griechischen war, denke ich, von ganz andrer Art. Und dennoch waͤre sie bey den „ Versen, welche vordem die Faunen und Priester gesungen, “geblieben, haͤtte die Siegerin nicht die Erziehung ihrer Überwundnen empfangen.
Jtaliaͤner. Da das Lateinische aus den aͤltesten Mundarten des Griechischen, das Jtaliaͤnische aber aus der Vermischung von jenem mit dem Gothischen und Longobardischen entstanden ist, welches Deutsche Sprachen waren, so haben sich ja in uns die beyden Zweige der Familie wieder vereinigt.
Franzose. Auch in uns die Franken mit den Lateinisch gewordenen Galliern. Wir haͤtten also saͤmtlich13 das Vergnuͤgen unter lauter Vettern und Basen zu seyn, den Senor Castellano mit eingeschlossen, wiewohl er sich mit dem Heidenthum etwas gemein gemacht hat.
Deutscher. „ Unsre Sprachen, Grieche, haben auch im Klange viel aͤhnliches. “
Grieche. Hier erwartete ich dich: ich wollte vorhin schon vom Wohlklange anfangen.
Jtaliaͤner. Ja, das scheint mir auch die Hauptsache.
Deutscher. Klopstock giebt eine Menge Beyspiele von aͤhnlichen Woͤrtern, ja ganzen Halbversen.
Grieche. Selbst die Richtigkeit der Vergleichung zugestanden, behielten wir noch den Vorzug. Denn in den kurzen Sylben, wo wir toͤnende Vokale haben, steht bey euch meistens das unbedeutende E. Allein er legt die Deutsche Aussprache der Griechischen zum Grunde. So spottet er uͤber Bettinelli, dem man Griechische und Deutsche Verse vermischt vorsagte, da er beyde Sprachen nicht kannte, und der lauter Deutsche gehoͤrt zu haben glaubte. Der arme Bettinelli! Er hatte ja wirklich lauter Deutsche Verse gehoͤrt.
Deutscher. Wich denn eure Aussprache so sehr von unsrer heutigen ab?
Grieche. Mehr als eure Schriftzeichen ausdruͤcken, und eure Organe nachbilden koͤnnen. Jch rede nicht vom ungefaͤhren Nachsprechen, sondern von den Feinheiten, woran Theophrast nach Jahren des Studiums von einer Attischen Gemuͤsehaͤndlerinn als Fremdling erkannt ward.
14Deutscher. Du legst viel Gewicht auf unmerkliche Schattirungen.
Grieche. Dieser lebendige Hauch ist grade das Eigenthuͤmlichste im Vortrage der Sprachen, und wie in haͤßlichen das Abschreckendste, so in schoͤnen der Gipfel ihrer Anmuth.
Jtaliaͤner. Er hat Recht! Der Gipfel unsrer Anmuth!
Grieche. Aber wenn wir auch bey den groͤberen koͤrperlichen Bestandtheilen stehn bleiben: welche Aussprache ist die eurige! Jhr unterscheidet ϑ nicht von τ das saͤuselnde ζ, von dem es zweifelhaft seyn konnte, ob es fuͤr ςδ oder δς staͤnde, stoßt ihr auf eure heftige Art heraus; φ und das Roͤmische f gilt euch gleich, da doch jenes ein schmeichelnder Laut, dieses ein ungeheurer Buchstabe war; ihr verwechselt die Diphthongen αι und ει, und die nicht das geringste mit einander gemein haben, οι und ευ —
Deutscher .. Gut, daß du der Diphthongen erwaͤhnst. „ Jhre nicht selten unvermeidliche Haͤufung ist ein großer Übelstand eurer Sprache. Sie artet dadurch in Rauhigkeit aus. Das οι ist uͤbelklingend. “
Grieche. Das entscheidest du, da du uͤberhaupt im blinden bist, wie es geklungen hat?
Grammatik. Jch zweifle, daß ihr euch uͤber die Diphthongen je verstehen werdet. Über keinen Punkt der Aussprache weichen die Voͤlker, sowohl durch das Urtheil ihres Ohres als durch die Schreibung, so weit von einander ab.
Roͤmer. Jn Ansehung des letzten wir schon15 durchgaͤngig von den Griechen. Zur Bezeichnung jedes ihrer Diphthongen setzen wir andre Vokale zusammen als sie.
Grammatik. Sie sind nicht einmal daruͤber einig, was Diphthongen, und was einfache Vokale sind.
Englaͤnder. So gilt uns das ei des Deutschen in wine u. s. w. nur fuͤr ein langes i.
Roͤmer. Das habt ihr wohl von uns angenommen.
Grammatik. Einige haben Diphthongen, die sich andre, ohne sie gehoͤrt zu haben, gar nicht wuͤrden vorstellen koͤnnen.
Franzose. So wir oiseau, nuire ..
Grammatik. Auch haͤtte das Zutrauen zu der Schreibung der Alten nicht so weit gehn sollen, anzunehmen, was sie auf einerley Art geschrieben, sey in allen Verbindungen auf einerley Art ausgesprochen worden, denn die Armuth der Bezeichnung mußte hinter den mannichfaltigen Abstufungen der Toͤne zuruͤckbleiben.
Roͤmer. Freylich, wir hatten sogar fuͤr alle Vokale, die lang oder kurz seyn koͤnnen, in beyden Faͤllen nur dieselben Buchstaben. — Und glaubt man, es sey ohne Grund gewesen, daß wir fuͤr das Griechische ει bald i bald e setzen? sAlexandria, Medea.
Grieche. Du haͤttest billig zweifeln sollen, Deutscher, ob es etwas so breites und vollmundiges, wie eure DDoppellaute sind, uͤberhaupt in unsrer Sprache gegeben habe. Kannst du dir wohl vorstellen, wie man zwey Vokale, ohne daß sie in der Verschmelzung16 verlohren gehn, und ein ganz verschiedenes Gemischtes daraus wird, und doch in Einer Sylbe, hoͤren laͤßt?
Deutscher. Ganz und gar nicht.
Jtaliaͤner. Jch sehr gut: Euro, lauro, mai, voi .. Jn buono wird der letzte Vokal mehr gehoͤrt.
Grieche. Der Übergang des αι, ει, οι, in ᾳ, ῃ, ῳ, waͤre bey deiner Aussprache unerklaͤrlich. Wenn aber das, ι dem vorangehenden Vokal leiser nachhallte, so mußte es bey seiner Verlaͤngerung ganz verschwinden. Auch die Verwandlung von α υ und ε υ in η υ, und von α υ in η ω haͤtte dich auf den Argwohn bringen muͤssen, daß dir hier etwas verborgen waͤre.
Deutscher. Aber wenn die Vokale in den Diphthongen schon abgesondert gehoͤrt wurden, wozu die Trennungspunkte, wenn eure Dichter sie in zwey Sylben aufloͤsten?
Grieche. Du vergißst immer, daß unser Ohr auch feine Unterschiede wahrnahm. Selbst dieser Umstand konnte dir jene Vermuthung bestaͤtigen: denn wie haͤtten die Dichter trennen duͤrfen, was so, wie durch eure Aussprache, vereinigt war?
Grammatik. Über das Zusammentreffen der Vokale weichen die Urtheile ab. Einige Voͤlker lieben es, andre halten es fuͤr weichlich oder hart, und vermeiden es, wo moͤglich, durch Herauswerfung.
Roͤmer. Dieß thaten wir. Doch war uns die Weise der Griechen in ihrer Sprache nicht zuwider, und unsre Dichter ließen daher Griechische Namen ohne Elision auf einander folgen.
17Jtaliaͤner. Wir sind achtsamer auf den Wohlklang als ihr waret, und unser Ohr stimmt hierin mit dem Griechischen uͤberein.
Grieche. Die zusammentreffenden Vokale muͤssen aber nicht gleichsam gegen einander gaͤhnen, sondern mit Stetigkeit hinuͤberschmelzen und dazu gehoͤrt unsre Biegsamkeit der Stimme.
Jtaliaͤner. Oder unsre.
Grammatik. Aber — ehe die Parteyen weiter fortfahren — ist der Streit der Sprachen uͤber den Wohlklang nicht vergeblich und nie auszugleichen? Sage mir, Poesie, du bist ja Kennerin des Schoͤnen, giebt es dabey etwas allgemeines, und an sich guͤltiges, oder haͤngt alles von der verschiednen Organisazion, Gewoͤhnung und Übereinkunft ab, und gilt auch hier das Sprichwort: jedem ist seine Koͤnigin schoͤn?
Englaͤnder. Oder jedem Narren gefaͤllt seine Kappe.
Jtaliaͤner. Du siehst ja, Grammatik, daß sich alle Nazionen Europa's vereinigen, unsre Sprache wohlklingend zu finden.
Franzose. Fuͤr den Gesang.
Jtaliaͤner. Was sich gut singt, spricht sich auch gut.
Poesie. Hierin hast du nicht Unrecht, Jtaliaͤner. Aber dein selbstgefaͤlliges Berufen auf jene Anerkennung war wenigstens sehr voreilig. Was ist das heutige Europa gegen den Umfang des Menschengeschlechtes in den verschiedensten Himmelsstrichen und Zeitaltern? Europaͤischer Geschmack ist nur ein erweiterter18 Nazionalgeschmack. — So weit es sich ohne geistige und koͤrperliche Zergliederung thun laͤßt, Grammatik, will ich deinem Verlangen Genuͤge leisten. Jch habe ja die Welt umwandert und umflogen: habe an den schoͤnen Ufern des Ganges und des Ohio geweilt, die Wuͤsten Afrika's und die Steppen Sibiriens besucht, und mich unter den Nebeln des Schottischen Hochlandes, wie unter dem ewig unbewoͤlkten Himmel der Suͤdsee-Hesperiden gelagert.
Franzose. Au qu'elle devient poetique!
Poesie. Keinem Volke, wie roh und beschraͤnkt es seyn mochte, verschmaͤhte ich durch meine Toͤne die Muͤhen des Lebens zu lindern.
Franzose. Dieß wird zu arg. Sie schreibt nur nicht den Feuerlaͤndern bel esprit zu.
Poesie. Jch kenne daher auch die unzaͤhligen Sprachen, welche du niemals geordnet, noch ihnen zur Kenntniß ihrer selbst geholfen hast. Es giebt allerdings allgemeine Gesetze des Wohlklanges, auf die menschliche Natur und das Wesen der Toͤne gegruͤndet.
Deutscher. Es ist mir doch lieb, daß man auch daruͤber etwas a priori wissen kann.
Poesie. Alles was den Sprachorganen leicht wird hervorzubringen, ist dem Ohr angenehm zu vernehmen. Dieß ist die nothwendige Wirkung einer sinnlichen Sympathie. Jndessen koͤnnen die Organe durch Gewoͤhnung es auch in den gewaltsamsten und verworrensten Bewegungen zu einer gewissen Leichtigkeit bringen, und deswegen scheinen sogar die rauhesten Sprachen den Einheimischen, von ihnen selbst gesprochen,19 sehr leidlich. Erst wenn Fremde dieselben Laute mit Anstrengung herauszwingen, wird ihr Ohr beleidigt. Auf der andern Seite kann den Organen bey einer solchen Gewoͤhnung das leichteste schwer fallen: sie werden durch harte Arbeit zu den sanfteren Biegungen ungeschickt; die Faust des Tageloͤhners kann nicht auf Harmonikaglocken hingleiten. Doch das angegebne Gesetz betrift mehr die Vermeidung des Mißfaͤlligen als die Hervorbringung dessen, was ich in den Sprachen liebe und hervorhebe. Das Wohlklingende muß wie alles Schoͤne einen Gehalt haben, und diesen bekommt es nur durch einen mannichfaltigen, toͤnenden und ausdrucksvollen Gebrauch der Stimme. Der Sitz der Stimme ist, wo nach Homer die Seele wohnt, in der Brust. Was nicht aus ihr hervorgeht, ist nicht Stimme; die Verrichtungen der Zunge, des Gaumens, der Lippen und Zaͤhne beym Sprechen werden erst durch ihre Begleitung recht hoͤrbar, da sie sonst ein unvernehmliches Geraͤusch seyn wuͤrden. Die Alten haben daher die Selbstlaute die Stimmigen, (φωνηεντα) wenn es solch ein Wort gaͤbe, oder schlechthin die Stimmen (voces) genannt.
Deutscher. Jenes hat man ehedem durch „ die Stimmer “zu verdeutschen gesucht.
Poesie. Die Mitlauter hingegen hießen den Griechen die Stimmlosen (αφωνα). Wenn nun in einer Sprache die stimmlosen Buchstaben herrschen, und von den Stimmen hoͤchstens nothduͤrftig begleitet werden, so entsteht nicht nur jenes, daß das Ohr die gehaͤuften20 und oft mit einander streitenden Bewegungen der Organe ungern vernimmt, sondern die Wirkung der Stimme wird auch durch das Geraͤusch verdunkelt. Geraͤusch hat gar nichts musikalisches an sich, nur die Stimme kann sich zum Gesange erheben; und derjenige Gebrauch der redenden ist der schoͤnste, von welchem dieser Übergang am leichtesten ist. Also entschiedne, reine, volle, nicht dumpfe noch schleichende Toͤne. Die natuͤrliche Tonleiter der Vokale werde durch Akzente, durch einen belebten Wechsel der Hoͤhe und Tiefe unterstuͤtzt. Wo mehre unmittelbar folgen, wird es durch diese beyden Umstaͤnde entschieden, ob gefaͤllige Stetigkeit dabey moͤglich ist. Aber damit es gegliederte Rede bleibe, und nicht in ein singendes Auf - und Absteigen der Stimme ausarte, muͤßen der Regel nach die Vokale durch Bewegungen der Sprachorgane getrennt, und doch auch wieder verknuͤpft werden: denn waͤhrend derselben geht die zur Hervorbringung eines andern Vokals noͤthige Erweiterung oder Verengung des Mundes am unmerklichsten vor. Manche einfache Bewegungen vereinigen sich ohne Schwierigkeit in zusammengesetzte; andre Verbindungen sind widerspaͤnstig, noch mehre ganz unmoͤglich. Das Ausdrucksvolle und Musikalische der Stimme beruht auf der Freyheit, fluͤchtiger uͤber die Toͤne hinzueilen, oder dabey auszuhalten und zu schweben; dieß erlauben die offene (rosa) am meisten, weniger die gedehnten, (Lohn) am wenigsten die abgebrochnen, (halten) die daher auch fuͤr den Musiker am wenigsten taugen. Also ist die Anordnung, daß die stimmlosen21 Buchstaben, und oͤfter einfache als verbundne, vor den Stimmen hergehn, die schoͤnere; seltner sey der Vokal an beyden Seiten mit Konsonanten eingefaßt, oder bestehe die Sylbe bloß aus jenem. Die Mannichfaltigkeit erfordert jedoch Einmischung der weniger schoͤnen Folgen und Anordnungen, damit das Ohr nicht durch Wohlklang uͤbersaͤttigt werde. Jm Ganzen genommen sey das Verhaͤltniß der Vokale und Konsonanten ungefaͤhr gleich. Überwiegen jene zu merklich, so geht der Karakter der Rede verloren; diese, so hemmt das Geraͤusch nicht nur den Ausdruck der Stimme, sondern zerstoͤrt auch durch die entgegengesetzten und sich abstoßenden Bewegungen der Sprachorgane die fließende Stetigkeit der Toͤne.
Grammatik. Und warum haben nur so wenige Voͤlker ihre Sprachen nach diesen Gesetzen gebildet?
Poesie. Wie die Natur den Menschen beruͤhrt, so giebt er es ihr zuruͤck. Ein von selbst ergiebiger Boden, eine warme Sonne machen ihm das Leben leicht. Seine Brust hebt sich dem beseelenden Odem der reinen Luft entgegen. Sein ganzes Wesen wird elastisch und expansiv. Das schoͤne Gemaͤhlde der Natur steigt in heitern leichten Farben vor seinen Blicken auf, und die Bewegungen des Lebens um ihn gleiten in vollen Melodien, nicht verworren oder schreyend, vor seinem innern Sinn voruͤber. Sein Geist sondert und ordnet die Gegenstaͤnde schnell und mit Leichtigkeit; er darf nicht muͤhselig ihre Merkmahle haͤufen, um sie festzuhalten. Die Empfindung22 daher den freyesten Spielraum, und gaukelt unaufhoͤrlich auf der Oberflaͤche seines Daseyns.
Wende dich in Gedanken von diesen gluͤcklichen Gefilden weg, und durchschneide wie jene kuͤhnen Weltumsegler die Zonen bis gegen den Nordpol hin. So wie die Natur karger, der Himmel unfreundlicher wird, so weicht die froͤhliche Hingegebenheit dem Ernst und der Sorge. Die Brust verengt sich. Die Sinne, nicht mehr dem Genusse offen, sind nur zu Kampf und Arbeit geschaͤrft. Der langsamere Verstand greift alles schwer und gewaltsam an. Der schlanke Leib badet sich nicht mehr leicht bekleidet in der freyen Luft, die unfoͤrmlichere Gestalt wird in Thierfelle eingewickelt, und endlich verkriecht sich der innre Mensch wie der aͤußre in dumpfe Winterhoͤhlen.
Wenn nun die Sprache nie aufhoͤrt im Ganzen, obschon nicht in den einzelnen Bestandtheilen, das zu seyn, was sie in ihrem Ursprunge war: Darstellung der Gegenstaͤnde, und Verkuͤndigung des Eindrucks den sie machen; wenn die Stimme aus der Brust mehr ausdruͤckende Gebaͤhrde, die Verrichtung der Sprachorgane mehr nachahmende Handlung ist: so laͤßt sich leicht einsehn, welchen Einfluß die umgebende Welt, außer dem unmittelbaren auf die Organisazion des Ohres und der Werkzeuge der Rede, auf die Art haben muß, wie der Mensch seine Sprache bildet. Es kann eine so uͤppige und zerfloßne Sinnlichkeit geben, daß der Geist aller Spannung unfaͤhig wird, und dann verschwimmt auch die Sprache ohne Haltung in Vokalen, wie die der Otaheitier. Wo die23 Beweglichkeit der anschauenden Kraͤfte mit der Fuͤlle der Empfaͤnglichkeit in schoͤnem Gleichgewichte steht, da geht dieß auch in die Sprachen uͤber: sie fuͤgen sich, toͤnend und gefluͤgelt, den Gesetzen des Wohlklanges wie von selbst. So sind, ich nenne mit Fleiß keine der hier streitenden Sprachen, die Arabische und Persische, jene Zierden des Morgenlandes, gebildet, die mir so aromatische Bluͤthen zum Opfer bringen; so die zarte Sanskrita oder die Vollendete, zu welcher die Gottheit selbst die Schriftzuͤge ersann. Je verschloßner und ungestuͤmer die Natur wird, je mehr sich ihr Bild entfaͤrbt und umnebelt: desto rauher, verworrner und muͤhseliger wird auch die Bezeichnung der Gegenstaͤnde durch stimmloses Geraͤusch, wozwischen sich die Empfindung nur kleinlaut und mißfaͤllig vernehmen laͤßt. Sehr schoͤn hat daher ein Weiser die nordischen Sprachen Toͤchter der Noth, die suͤdlichen der Freude genannt.
Franzose. Es ist Rousseau.
Deutscher. Wenn es sich so verhielte wie sie sagt, so stuͤnde es schlimm um meine Sache. Doch sie wird nur ein Stuͤck Poesie vorgebracht haben. Jch muß mir ein Herz fassen.
Grammatik. Mich duͤnkt, Poesie, es faͤnden sich manche Ausnahmen von deiner allgemeinen Angabe.
Poesie. Allerdings. Aber vergiß nicht die vielen Wanderungen der Voͤlker. Eine schon fertige Sprache, die sie unter einen andern Himmelstrich mitbrachten, konnte zwar abgeaͤndert werden, aber sich24 nicht gaͤnzlich verwandeln. Auch haben die Grade der Bildung großen Einfluß.
Grammatik. Dieß weiß ich selbst aus der Geschichte der Sprachen. Die noch ungezaͤhmte Leidenschaftlichkeit des Barbaren aͤußert sich toͤnend und laut, aber auf eine ungeschlachte Art.
Deutscher. So war das Deutsche vor Alters.
Grammatik. Ein Übermaaß der Verfeinerung kann das entgegengesetzte Äußerste hervorbringen und mit der fluͤchtigen Oberflaͤchlichkeit der Empfindungen die Toͤne bis zum Unbedeutenden abschleifen.
Franzose. Jch hoffe nicht, daß sie auf uns zielt.
Grammatik. Vielleicht koͤnnte man dem Karakter der Nazionen auch in der Art nachspuͤren, wie sie allmaͤhlig zu hoͤherem Wohlklange zu gelangen gestrebt. Einige ließen Konsonanten weg.
Franzose. Dieß thaten wir und die Provenzalen.
Grammatik. Andre setzten Vokale hinzu.
Jtaliaͤner. Dieß wir und die Spanier meistens, doch auch jenes nicht selten.
Grieche. Jch kann von dem Verfahren meines Volkes hiebey keine Rechenschaft geben. Jn den aͤltesten Denkmaͤhlern finden wir das Hellenische schon wohllautend: es war wohl urspruͤnglich so.
Deutscher. Und die Pelasger?
Grammatik. Die groͤßte Gefuͤhllosigkeit des Ohres beweist es aber, wenn man zum Beyspiel bey Aufnahme fremder Woͤrter das schon vorhandne Verhaͤltniß25 zerstoͤrt, die Konsonanten behaͤlt, und kaum nothduͤrftig Vokale uͤbrig laͤßt.
Deutscher. O weh! das sind wir.
Grieche. Die Poesie, Deutscher, hat auch hier bewaͤhrt, daß ihr Wesen Wahrheit ist. Sie hat, ohne es zu wollen, meine Sache gefuͤhrt, und ich kann mich nun kurz fassen. Klopstock hat behauptet, der Klang des Griechischen arte nicht selten durch gehaͤufte Diphthongen und uͤbelvereinte Konsonanten in Rauhigkeit, auf der andern Seite durch allzuviele Vokale in Weichheit aus.
Deutscher. Richtig, und jenes habe unsre Sprache mit eurer gemein, von der letzten schlimmeren Ausartung sey sie frey.
Grieche. Von den Diphthongen habe ich schon genug gesagt. Die harten Zusammenstellungen der Konsonanten, die mir Klopstock vorwirft, stehn zu Anfange der Sylben, wo sie sehr leidlich sind, weil das Ohr bey dem darauf folgenden Vokale wieder ausruht.
Deutscher. Dieß mildert nur, aber es hebt nicht auf.
Grieche. Überdieß sind sie gar nicht haͤufig. Jene Milderung gilt auch von den in der Mitte zweyer Sylben zusammentreffenden Konsonanten: der vorangehende und der folgende theilen sich in sie. Und was sind sie gegen die bey euch vorkommenden? Finde doch im Griechischen Woͤrter wie Gesichtskreis.
Deutscher. Jhr endigt auch oft das Wort mit mehren Konsonanten.
26Grieche. Niemals als vor dem schließenden ς mit den wenigen, die sich leicht damit vereinigen lassen: ἅλς, ἄψ, φάλαγξ. Klopstock fuͤhrt verschiedne, unstatthafte Beyspiele von Woͤrtern an, die wir durch mehr als einen Mitlaut endigen sollen: πάντ᾽, βάςκ᾽, ἄμφ᾽; der Apostroph haͤngt sie so genau mit dem naͤchsten Worte zusammen, daß sie eigentlich gar nicht mehr schließen, und daß der letzte Konsonant mit dem anfangenden Vokal des naͤchsten Wortes ausgesprochen wird.
Deutscher. „ Wir schließen wie ihr am gewoͤhnlichsten mit dem sanften N. “
Grieche. Und werdet dadurch einfoͤrmig, weil ihr nicht so wie wir mancherley Vokale, sondern immer das unbedeutende E vorangehn laßt. Doch wir reden jetzt nicht vom Toͤnenden sondern vom Fließenden des Wohlklangs. Wir schließen außer dem ν, nur noch haͤufig mit dem ς, und selten mit κ und ρ. Jhr schließt mit diesen und mit welchen nicht? Aber nicht nur mit allen einzelnen sondern mit dreyen, vieren, fuͤnfen: Furcht, stuͤrzt, Herbst, stampfst; auch nach Gelegenheit mit zweyen, die fuͤr sechse gelten koͤnnen: Kopf.
Deutscher. „ Diese endenden Mitlaute werden von einem Deutschen sehr schnell ausgesprochen. “
Grieche. Das ist Sache der Noth: der vorhergehende Vokal wuͤrde sonst gaͤnzlich verhallen, ehe man damit fertig waͤre. Aber desto schlimmer, denn je mehr ihr eilen muͤßt, um so mehr draͤngen sich die streitenden Bewegungen der Organe.
27Deutscher. „ Die Aussprache mildert dergleichen. “
Grieche. Sie kann das Unmoͤgliche nicht. Und wie sollte sie es wollen, da sie gar nicht einmal das Beduͤrfniß fuͤhlt? Jhr glaubt zum Beyspiel, sanft sey ein sehr sanftes Wort, da es doch einem Griechen unertraͤglich hart geschienen haͤtte.
Grammatik. Jch kann es dir nicht verhehlen, Deutscher, daß sich die Sorgfalt der suͤdlichen Voͤlker fuͤr den Wohlklang am meisten auf Wegschaffung der schließenden Konsonanten gewandt hat.
Roͤmer. Wir waren hierin etwas weniger ekel als die Griechen; wir erlaubten: b, c, d, l, m, n, r, s, t, die beyden letzten noch mit andern vorhergehenden.
Jtaliaͤner. Wir haben nie zwey Konsonanten nacheinander am Ende und uͤberhaupt nur folgende vier: l, m, n, r. Wir waͤhlten also ungefaͤhr gleich mit den Griechen, oder noch feiner.
Grieche. Jch wuͤnschte zu wissen, Deutscher, was Deine Voreltern in diesem Stuͤck fuͤr die Verschoͤnerung ihrer Sprache gethan haben.
Jtaliaͤner. Sie haben die Schlußvokale, wo sie vorhanden waren, weggenommen.
Deutscher. Doch auch oft das mildernde E hinzugefuͤgt. „ Jhr vergeßt, daß der Wohlklang die Staͤrke liebt, welche aus gut vereinten Konsonanten entsteht. Woͤrter von starker Bedeutung fodern den starken Klang als Mitausdruck. “
Grieche. Die Darstellung der Sprache sollte, wie die des Dichters, wahr und doch verschoͤnernd28 seyn; sie bedarf also niemals das uͤbelklingende. Glaubst du, die Staͤrke beruhe mehr auf der Stimme oder auf dem Geraͤusch? Bey den gehaͤuften Schlußkonsonanten hoͤrt man nur das letzte.
Franzose. Die Staͤrke einer Sprache in die Haͤufung und Rauhigkeit der Konsonanten zu setzen, kommt mir so vor als glaubte man, die Tapferkeit der alten Ritter haͤtte in ihrer rasselnden Ruͤstung gesteckt.
Jtaliaͤner. Wenn der Klang Mitausdruck ist so hat sich eure Sprach, so heißt es ja noch jetzt in einigen Mundarten, durch diese Benennung drollig genug charakterisirt. Sp ist die Bezeichnung des Bestandes, der Festigkeit, der ruhenden Kraft; Str des angestrengten; Spr der ploͤtzlichlosbrechenden, wie in Springen, Spruͤtzen, Spreizen; alsdann kommt der gedehnte breite Vokal, und endlich ein rauher Hauch. Klopstock leitet es ja auch selbst von brechen durch das verstaͤrkende S ab.
Franzose. So daß es also ein wahres Losbrechen waͤre.
Deutscher. Eine so weichliche Sprache wie deine, Jtaliaͤner, darf gegen unsre maͤnnliche gar nicht den Mund oͤffnen.
Grieche. Gut, daß du des Weichlichen erwaͤhnst: dieser Punkt blieb mir noch uͤbrig. Die zusammentreffenden Diphthongen sollen bey mir Rauhigkeit, die Vokale in gleichem Falle Weichheit hervorbringen. Wie stimmt dieß zusammen; wenn es nicht vor allem auf die Beschaffenheit der sich folgenden Vokale ankommt,29 ob sie stark oder sanft klingen? Jch denke niemand von euch findet Woͤrter wie ἄωτος oder ὄυατα weich.
Jtaliaͤner. Wegen des Weichlichen laß mich nur die Klage gegen ihn fuͤhren. Klopstock ist hierin mit niemanden uͤbler umgegangen als mit meiner Sprache.
Deutscher. „ Sie zerfließt auch beynah, und ist obendrein einfoͤrmig. Jhre Schlußsylben wechseln meistens nur mit den vier Vokalen a, e, i, o. “
Jtaliaͤner. Wer fragt nach uͤbelklingender Mannichfaltigkeit? Und hast du ein Recht, mir diesen Wechsel als Einfoͤrmigkeit vorzuruͤcken, da du fast keinen schließenden Vokal als E kennst?
Deutscher. „ Dieser Fehler wird durch die einfoͤrmige Sylbenzeit noch auffallender; denn deine Endungen sind fast immer weiblich “
Jtaliaͤner. Durch die dreyerley Akzente (amd, amàndo, amàbile) werden die Schlußfaͤlle der Woͤrter mannichfaltig genug. Den weiblichen hoͤrt man freylich am oftesten, aber er faͤllt weniger auf, weil der Schlußvokal sich so oft in den anfangenden des naͤchsten Worts verschmelzt. Das Vorurtheil, als ob die Weichheit durchgaͤngig in unsrer Sprache herrschte, hat Rousseau schon wiederlegt, und man muß sich wundern, dergleichen Behauptungen immer wieder gebracht zu sehn. Wenn ich dir nun zeigte, daß meine Sprache das Starke der Gegenstaͤnde weit besser als deine bezeichnet?
Deutscher. Das waͤre!
30Jtaliaͤner. So haͤtte ich wohl mehr gethan, als du foderst oder wuͤnschest. Jch fuͤhre dir Woͤrter an, nenne mir welche von aͤhnlichen Bedeutungen. Rauco, forte, fracafso, rimbombo, orrore, squarciar, mugghiando, spaventoso.
Deutscher. Heiser, stark, Getoͤse, Wiederhall, Schauer, zerreißen, bruͤllend, furchtbar.
Jtaliaͤner. Guai, crollo, zampa, selvaggio, alpestro, orgoglioso, torbido, abbajar, s'accapriccia, arroncsigliò.
Deutscher. Wehklage, Erschuͤtterung, Tatze, wild, gebirgig, stolz, unruhig, bellen, straͤubt sich, einhakte.
Franzose. Jch kann ihm auch dergleichen aufgeben: ècraser, s'écrouler, gouffre, rage, flamboyant, sanglots, foudre, tonnerre.
Deutscher. Zerschmettern, einstuͤrzen, Abgrund, Wuth, flammend, Gestoͤhn, Blitz, Donner. — Koͤnntest du lange so fortfahren?
Franzose. Warum nicht? Torrent, effroyable, èpouvante, frapper, rocailleux, gonflè.
Jtaliaͤner. Die Zufriedenheit des Deutschen mit seinen meistens geraͤuschigen aber dumpfen Woͤrtern sollte einen auf den Gedanken bringen, die Einbildung und der Ton des Redenden muͤße bey der nachahmenden Bezeichnung das Beste thun. Jhr glaubt Wunder, wie stark es in eurem Donner donnert. Laßt das r weg, und derselbe Klang macht unser Herz von den suͤßesten Regungen huͤpfen. Le donne!
Franzose. Wie sagt ihr das?
31Deutscher. Ehedem die Frauenzimmer oder das Frauenzimmer, jetzt die Frauen, und wenn man auf Franzoͤsische Art uͤber sie philosophiren will, die Weiber.
Franzose. Da habt ihr einen großen Schritt zur Kultur gethan, daß ihr nunmehr die Wohnung von der Person unterscheiden koͤnnt.
Jtaliaͤner. Die Frauen? Und ihr fuͤrchtet euch nicht, wenn ihr das hoͤrt?
Franzose. Jch besorge, Deutscher, du hast Woͤrter im Hinterhalt, womit du uns zuletzt aufs Haupt schlagen willst.
Deutscher. Wie so?
Franzose. Die ausdruckvollsten sind doch die, welche die bezeichnete Sache selbst hervorbringen, und es giebt ihrer in eurer Sprache: Kopfschmerz macht Kopfschmerz, wenn man es ausspricht, und Pfropf propft einem den Mund zu.
Deutscher. Auch der Name Liebe erregt was er nennt.
Franzose. Dieses Wort mag ein weißer Rabe im Deutschen seyn, sonst wuͤrdet ihr nicht so viel Aufhebens davon machen.
Jtaliaͤner. Was streiten wir laͤnger mit einzelnen Woͤrtern? Kannst du Verse wie folgende aufweisen?
Deutscher. Sogleich.
Poesie. Jch rathe dir nicht, Deutscher, dich auf diesen Wettstreit einzulassen. Du kannst zwar leicht Stellen aus deinen Dichtern anfuͤhren, die einen weit staͤrkern rythmischen Ausdruck aͤhnlicher Gegenstaͤnde haben, wiewohl auch darin die angefuͤhrten Zeilen sehr schoͤn sind: allein hier gilt es bloß die Staͤrke des Klanges, worin deine Sprache wegen der Beschaffenheit ihrer Vokale besonders derer in den kurzen Sylben zu weit nachsteht.
Grieche. So ist es. Es fehlt ihr nicht nur an dem rechten Verhaͤltniß zwischen Vokalen und Konsonanten; sie gebraucht von den letzten uͤber anderthalb Mal mehr als das Griechische: sondern ihre wenigeren Vokale sind obendrein nicht die rechten. Man kann Verse, ja ganze Strophen durchwandern, ohne auf ein einziges A zu stoßen, aber fast nie einen, ohne zu oft von dem E heimgesucht zu werden.
Deutscher. Jch konnte es voraussehn, daß ihr mich von Seiten der Euphomie angreifen wuͤrdet: von der weit wichtigeren Eurhythmie schweigt ihr, weil ihr hier meine Uberlegenheit kennt. Jene ist, wo der Klang nicht ausdruͤckt, nur das sinnlich Angenehme; diese das eigentlich Schoͤne.
Grieche. Jch gebe dir dieß nicht ohne Einschraͤnkung zu: denn auch im Klange der Sylben und33 Woͤrter sind Verhaͤltnisse bemerkbar. Aber es sey: das Sinnliche muß doch immer dem Schoͤnen zur Unterlage dienen, und was hilft eine schoͤne Form an einem widrigen Stoffe?
Jtaliaͤner. Zum Beyspiel eine vortreffliche Musik auf einem verstimmten, halb besaiteten Klavier gespielt. Man hoͤrt da nur die Tasten klappern.
Deutscher. Wessen Sprache gar keine bestimmte Sylbenzeit hat, rede nicht mit. „ Die begriffmaͤßige Bestimmung der unsrigen, Grieche, hat große Vorzuͤge vor eurer bloß mechanischen “
Grieche. Den Ausdruck mechanisch muß ich verbitten. Mechanisch nennt man die todten Kraͤfte. Der lebendige Hauch des Vortrags, der jedem Laute seine natuͤrliche Dauer giebt, gehoͤrt doch wohl nicht zu diesen? Sinnlich bestimmt war bey uns die Sylbenzeit: und wird nicht etwas sinnliches durch einen sinnlichen Maßstab am besten gemessen?
Deutscher. Auch bey uns ist die Sylbenmessung sinnlich, aber sie steht unter einem hoͤhern Gesetze und erhaͤlt dadurch Bedeutung. So wie der Verstand uͤber die groͤßere und geringere Wichtigkeit der Begriffe entschieden hat, so vernimmt nun auch das Ohr die Laͤngen und Kuͤrzen.
Grieche. Meine Landsleute haͤtten bey euern Laͤngen Verstaͤrkung und Hoͤhe der Stimme, weil ja bey euch der Akzent immer auf die Laͤnge faͤllt, wahrgenommen; aber schwerlich das Verhaͤltniß der Dauer zwischen unsern Laͤngen und Kuͤrzen. Die Laͤnge war bey uns gleichzeitig mit zwey Kuͤrzen.
34Deutscher. „ Das war nun so ein Einfall eurer Theoristen. “
Grieche. Gleichwohl waren diesem Einfalle gemaͤß alle unsre Sylbenmaße erfunden worden, ehe es noch Theoristen gab. Wie sollen wir uns verstehn, wenn du solche Saͤtze nachsprichst? Fuͤhlst du nicht, was der wagt, der in einer Sache, wo alles auf die sinnliche Anschauung ankommt, die ihm fehlt, den Kunstverstaͤndigen, welche sie hatten, entscheidend widerspricht? Klopstock mußte bey noch so tiefem Studium die alte Metrik durchaus verkennen, weil er sich uͤber den unguͤltigen Gesichtspunkt seiner eignen Sprache nicht erheben konnte. Er scheint nicht selten zu vergessen, was er doch alles sehr gut weiß, daß unsre uͤberhaupt weit leichter und fluͤchtiger forteilte, daß sie weit staͤrkere musikalische Akzente hatte; daß ihr Vortrag weit gesungner und in Versen weit abgemessener war; daß Metrik und Musik urspruͤnglich eins waren, und immer einig blieben; daß in allen Dichtarten die Kunst schon verfiel, sobald an die Stelle des Gesanges Deklamazion trat; daß selbst diese Deklamazion —
Poesie. Du ereiferst dich; streitet ruhig. Fuͤhre du die Vorzuͤge der begriffmaͤßig bestimmten Sylbenzeit an.
Deutscher. Sie lassen sich unter wenige Hauptpunkte bringen, die aber von erstaunlichem Umfange sind. „ Unsre Sylbenzeit legt den Nachdruck der Laͤnge niemals an die unrechte Stelle, sondern immer dahin, wo er hin gehoͤrt. “
35Grieche. Und wo gehoͤrt er hin?
Deutscher. Bey einsylbigen Woͤrtern auf die bedeutenderen Redetheile: das Nennwort, Zeitwort, Beywort, Umstandswort, manchmal das Fuͤrwort; bey mehrsylbigen auf die Stammsylben. Die Ableitungs - und Biegungssylben sind meistens kurz.
Grieche. Sage mir, wirken die Woͤrter als Ganze oder Theilweise?
Deutscher. Wie verstehst du das?
Grieche. Jch meyne, wenn du etwa das Wort Begleitung hoͤrst, ob du dir erst bey der Sylbe Be die Anwendung auf einen Gegenstand, dann bey gleit den allgemeinen Begriff von geleiten, endlich bey ung eine Handlung denkst, und so aus diesen Stuͤcken die vollstaͤndige Vorstellung von Begleitung zusammen liesest; oder ob sie auf einmal, sobald du das Wort zu Ende gehoͤrt hast, in deine Seele tritt?
Deutscher. Doch wohl das letzte. Nur ein Sprachkundiger koͤnnte jenes. Die wenigsten Menschen sind mit der Übung ihres Absonderungsvermoͤgens und mit ihrem Nachdenken uͤber die Sprache weit genug dazu gekommen.
Grieche. Denkt sich denn etwa der Sprachkundige bey dem Worte leider erst den Begriff von leid und dann den Begriff von er?
Deutscher. Schwerlich, denn die Bedeutung der Ableitungssylbe ist hier, wenigstens ohne etymologische Untersuchungen, dunkel. Allein die zusammengesetzten Woͤrter loͤset man doch in die einfachen Begriffe auf.
36Grieche. Freylich muͤßen die, welche man sich nur zu bilden erlaubt, ohne Schwierigkeit aufgeloͤst werden koͤnnen, um verstaͤndlich zu seyn. Aber setze mir doch aus dem Umstande Bey und dem allgemeinen Begriff von Spiel das Beyspiel zusammen. — Die weitere Anwendung wirst du selbst machen. Wenn der Hoͤrer also die Woͤrter nicht zerstuͤckt, so ist es fuͤr ihn gleichviel, ob der prosodische Werth ihrer Bestandtheile mit dem grammatischen uͤbereinstimmt; denn um diese Übereinstimmung zu bemerken, muͤßte er jeden der Bestandtheile besonders denken.
Deutscher. Sie kann auf ihn wirken, ohne daß er sich ihrer bewußt wird. Seine Aufmerksamkeit faͤllt nun von selbst auf das wichtigere.
Grieche. Da das Wort nach seinem unmittelbaren Eindruck ein untheilbares Ganzes ist, so findet in dieser Ruͤcksicht auch in der Wichtigkeit seiner Theile gar keine Unterordnung statt.
Deutscher. „ Jst es nicht im hoͤchsten Grade verstimmte Sylbenzeit, wenn man zum Beispiel in φιληϑησοιμην nach der kurzen Stammsylbe vier lange Veraͤnderungssylben anhoͤren muß? “
Grieche. Man hoͤrt die Stammsylbe ja doch hinlaͤnglich mit der Kuͤrze. Seyd ihr so schwer zu verstaͤndigen, oder so unaufmerksam, daß ihr sie nicht unterscheiden koͤnnt, wenn ihr nicht insbesondre mit den Ohren darauf gestoßen werdet?
Deutscher. „ Wenn die Theile selbst des dem Jnhalte des Wortes angemessensten Fußes in Ansehung ihrer Laͤnge oder Kuͤrze den Begriffen widersprechen,37 so bekommt jener dadurch etwas welches nun nicht mehr so recht uͤbereinstimmt, kurz der Eindruck des einen wird durch den des andern geschwaͤcht. “
Grieche. Du setzest bey diesem Eindruck außer der schon widerlegten Zergliederung des Wortes in seine Theilbegriffe, auch das voraus, woruͤber gestritten wird, ob naͤmlich diese Eigenheit eurer Sprache ein allgemeinguͤltiges Gesetz zum Grunde hat? ob wichtigere oder unwichtigere Theilbegriffe eines Wortes in einem natuͤrlichen Verhaͤltnisse zu Laͤngen und Kuͤrzen stehn? Dieß scheint mir nun gar nicht so, ich finde da gar keinen Übergang. Wenn noch von kurzen und langen Begriffen die Rede waͤre! Aber da moͤchten die Nebenbestimmungen oft die weitlaͤufigste Eroͤrterung verlangen. Vielleicht leuchtet dir das willkuͤhrliche der Regel mehr ein, wenn ich dir ein Beyspiel aus deiner Sprache anfuͤhre, wo sie nicht beobachtet ist.
Deutscher. Es giebt deren nur wenige.
Grieche. Jhr sagt lebendig: wuͤrde das Wort nun deutlicher, nachdruͤcklicher, schoͤner werden, wenn ihr lebendig sagtet?
Deutscher. Es ist uͤberhaupt nicht gut abgeleitet; ein Deutscher muß bey naͤherer Betrachtung etwas unschickliches darin wahrnehmen.
Grieche. Weil es Ausnahme macht. Sonst, denke ich, koͤnnte eure Sprache aus lauter Woͤrtern bestehn, die auf diese Art die Laͤnge von den Stammsylben wegverlegten, und sich sehr wohl dabey befinden. Es versteht sich, daß sie darnach organisirt38 seyn, und die Woͤrter toͤnend und vielsylbig veraͤndern muͤßte.
Deutscher. Dadurch wuͤrde sie ganz aus ihrem Karakter herausgehn.
Grieche. Allerdings, dieser Umstand greift in den innersten Bau der Sprachen ein. Er hat einen unuͤbersehbaren Einfluß auf die Wortstellung, und worauf nicht alles?
Deutscher. Wir sind zu ruhig um einen unverhaͤltnißmaͤßigen Nachdruck auf das Unwichtigere zu legen, und lieben die Kuͤrze zu sehr, um es weitlaͤuftig zu bezeichnen.
Roͤmer. Wir waren lakonischer als ihr, und hatten doch Ableitungen und Biegungen von mehren und zum Theil langen Sylben.
Grieche. Was ist das wichtigere an einem Begriffe? Das nackte Allgemeine, oder die naͤheren Bestimmungen, die besondern Beziehungen, worin man ihn jetzt grade denkt?
Deutscher. Unstreitig jenes, weil alles andre sich daran knuͤpft.
Grieche. Fuͤr den kalten Verstand, ja; aber auch fuͤr die rege Fantasie, fuͤr das beschaͤftigte Gemuͤth des Redenden? Wenn Voͤlker von lebhaftem Geist vielsylbig und toͤnend ableiten, biegen, steigern und umwenden, so siehst du, was man aus eurer kurzen, karglauten und nur nicht stummen Art es zu thun, schließen muß. Sie haͤngt mit der begriffmaͤßigen Sylbenzeit so zusammen, daß man nicht weiß, was Ursache und Wirkung ist. Sollten die Stammsylben39 Ton und Laͤnge behalten, so durften sich die hinzugesetzten freylich nicht sehr laut machen; aber waͤren diese haͤufiger stark ins Ohr gefallen; so haͤtten jene vielleicht beydes verlohren. Jhr sagt undankbare, da es doch nach der Regel undankbare heißen sollte.
Deutscher. Es komme woher es will, so bleibt es ein großer Vorzug, daß bey uns die Bewegung der Worte mit ihrem Jnhalte immer uͤbereinstimmt.
Grieche. Mit ihrem Jnhalte! Du redest wirklich, als ob die prosodische Beschaffenheit des Wortes das Bild und die Empfindung ausdruͤckte, die es mittheilen soll. Hat nicht steigen und fallen denselben Fuß? Und pfeilschnell den schweren Sponbeen, Verzug den muntern Jamben? Fuͤhre dieß durch unzaͤhlige Faͤlle hindurch. Der Jnhalt, welcher die begriffmaͤßige Sylbenzeit bezeichnet, ist nicht einmal die logische, sondern nur ungefaͤhr die grammatische Form, das Verhaͤltniß des Urspruͤnglichen und Abgeleiteten. Was kann mit Bezeichnung derselben fuͤr die Darstellung des Dichters gewonnen seyn?
Deutscher. „ Jhr habt Hauptwoͤrter, die ganz unschicklich aus lauter kurzen Sylben bestehn. “
Grieche. Der Akzent hob sie hinlaͤnglich. Doch ihr koͤnnt euch die Musik einer Sprache gar nicht vorstellen, deren starke Akzente von der Quantitaͤt getrennt und unabhaͤngig sind.
Deutscher. „ Jhr laßt oft lange Reihen von Kuͤrzen und Laͤngen ununterbrochen auf einander folgen, was bey unsrer Bestimmung der Sylbenzeit niemals der Fall seyn kann. “
40Grieche. Jn der Poesie wird dieß schon durch die Regel des Sylbenmaßes beschraͤnkt; in der Prosa giebt die freyere Wortfolge und der Reichthum an Synonymen Mittel genug an die Hand, es zu vermeiden.
Deutscher. „ Jhr habt einen Überreichthum an Spondeen. “
Grieche. Unsre Laͤngen waren weniger lang als eure. Jhr Übergewicht konnte also nicht schaden, sondern diente vielmehr dazu die allzugroße Fluͤchtigkeit unsrer Sprache aufzuhalten. Jhr habt dagegen viel zu wenig Spondeen: Klopstock hat ja selbst diesen Mangel durch sein liebliches Klagelied an Sponda verewigt.
Deutscher. Er hat nachher seine Gesinnung veraͤndert, und fragt nicht mehr so viel nach den Spondeen.
Grieche. Sponda hat andre Liebhaber gefunden, die der etwas starkgegliederten Schoͤnen ihre Gunst abzwingen, wenn sie sie nicht freywillig erhalten. Es ist eine große Unbequemlichkeit bey eurer Bestimmung der Sylbenzeit, daß mit dem logischen Verhaͤltnisse der Haupt - und Nebenbegriffe auch das Verhaͤltniß der Laͤngen und Kuͤrzen so festgesetzt ist, daß es nur innerhalb sehr enger Graͤnzen wechseln kann.
Deutscher. Wir haben doch verschiedne lyrische Gedichte, wo ungewoͤhnlich viel Laͤngen oder Kuͤrzen zusammengestellt sind.
Grieche. Dafuͤr ist denn auch die am Sinn41 und an der Sprache veruͤbte Gewaltthaͤtigkeit sehr sichtbar.
Poesie. Jch will es dir nicht verschweigen, Deutscher, daß einige von euch, die sich zu meiner Religion bekennen, manchmal in die Abgoͤtterey des Rhythmusdienstes verfallen.
Grieche. Und die Opfer, die bey diesem Dienste gebracht werden, sind Holokauste: niemand kann sie genießen.
Deutscher. Wenn dergleichen Versuche auch mißlingen, so stellen sie doch die prosodische Beschaffenheit unsrer Sprache ins Licht, und bringen unsre Verskunst weiter. Warum haͤltst du dich bey diesen Nebensachen auf? „ Es ist doch, daͤucht mich, so etwas in der epischen Versart, der schoͤnsten unter allen, die Griechen zu uͤbertreffen. “
Grieche. Der schoͤnsten? Das kann ich dir nicht zugeben.
Deutscher. Deine eignen Landsleute sagen es ja.
Grieche. Spaͤtere Grammatiker. Koͤnntest du ein solches Urtheil aus der Zeit anfuͤhren, wo lyrische und dramatische Kunst bluͤhten? Der Hexameter war vollkommen fuͤr seine Bestimmung, der tragische Trimeter war es eben so sehr fuͤr seine noch wuͤrdigere. Und welch ein Reichthum von musikalischem Zauber liegt in den lyrischen Sylbenmaßen und Choͤren! Jch finde uͤberhaupt bey Klopstock die Ansicht den Hexameter fuͤr den Gipfel der Griechischen Metrik zu halten, da er doch nur ihre allereinfachste Grundlage war.
42Deutscher. „ Der Homerische Hexameter ist wenigstens der vorzuͤglichste unter allen. “
Grieche. Jnsofern der Hexameter damals die natuͤrliche Bluͤthe der Sprache war, konnte kein Spaͤterer diese leichte Fuͤlle wieder erreichen, auch bey dem groͤßten Aufwande von Feinheiten der Kunst, welche Homer noch nicht kannte.
Deutscher. „ Und dennoch ist an Homers Versbau noch viel zu tadeln. Er uͤbt oft Sylbenzwang aus. “
Grieche. Etwas ganz eignes, daß jemand, der einen Saͤnger nie gehoͤrt hat, ihn nach drey Jahrtausenden hoͤren lehren will. Klopstock hat den Homer fleißig gelesen; aber Homer, weißt du, bestimmte seine Rhapsodien eben nicht fuͤr den Druck. — Wissen wir, wie sehr sich die Aussprache des Griechischen in dem, zwischen der Entstehung der Homerischen Gesaͤnge und ihrer Aufzeichnung verflossenen, Zeitraume veraͤndert hat? Vermuthlich hatte zu jener ersten Zeit der Akzent noch einen Einfluß auf die Laͤnge, den er nachher verlohr. Endlich mußte in einem Zeitalter, wo die schriftliche Bezeichnung noch gar nicht, oder sehr wenig in Gebrauch war, das Ohr ohne alle Regeln uͤber die Sylbenmessung entscheiden: und man wundert sich, daß es auch bey der groͤßten Zartheit nicht immer mit grammatischer Genauigkeit entschied? Es fehlt so viel, daß „ die andern Dichter auch in der Beobachtung der Sylbenzeit unter Homeren “gewesen waͤren, daß man vielmehr viele Freyheiten ganz allein bey ihm findet.
43Deutscher. „ Homers Hexameter keucht manchmal unter der Spondeenlast, und kann kaum fort. “
Grieche. Du beurtheilst den Griechischen Spondeen nach dem Deutschen. Jch gab dir schon vorhin den Grund an, warum unsre Sprache mehr Laͤngen vertraͤgt als eure. Ein Vers von zwoͤlf Sylben, wovon meistens acht, haͤufig neun lang waͤren, wuͤrde im Deutschen unfehlbar schwerfaͤllig scheinen. Und doch ist der Trimeter des Aeschylus so beschaffen und verdankt seine Groͤße hauptsaͤchlich dem oͤfteren Gebrauch der Spondeen.
Deutscher. „ Homers Verse gehen nicht selten ihren Weg fuͤr sich, und lassen den Jnhalt den seinigen gehen, oder sie gehen gar gerade zu gegen den Jnhalt an. “
Grieche. Wenn nun Homer gar nirgends die Absicht gehabt haͤtte, den besondern Jnhalt durch den Gang des Verses auszudruͤcken? Wenn dieser Gedanke ganz außerhalb seines Kreises lag?
Deutscher. So haͤtte er ja Wesen und Zweck des Sylbenmaßes verkannt. „ Sylbenmaß ist Mitausdruck durch Bewegung. “
Grieche. Sage mir nur, wie der Deutsche Hexameter sich vom Griechischen unterscheidet, und was er dabey gewinnt. Das wird uns auf die Pruͤfung dieses Satzes fuͤhren.
Deutscher. „ Unser Hexameter hat den Trochaͤen zum dritten kuͤnstlichen Fuße angenommen, und verlangt sogar diesen merklich oͤfter als den Spondeen. Er wird dadurch mannichfaltiger, und bekommt fast44 den vierten Theil mehr metrischen Ausdruck. Der Griechische hat nur siebzehn verschiedne Wortfuͤße; der Deutsche, die fuͤnf - und mehrsylbigen nicht mitgerechnet, zwey und zwanzig. “
Grieche. Also Mannichfaltigkeit und Ausdruck. Haͤltst du Mannichfaltigkeit fuͤr etwas unbedingt Gutes?
Deutscher. Nun freylich, sie gefaͤllt an sich.
Grieche. Waͤre Mannichfaltigkeit ohne Einschraͤnkung gut, so waͤre jedes Sylbenmaß fehlerhaft: denn jedes schraͤnkt die Mannichfaltigkeit der rhythmischen Bewegungen ein. Ferner: soll der Ausdruck auf die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung, oder auf das Allgemeine gehen?
Deutscher. Unstreitig auf jene.
Grieche. Aber kehren die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung in dem Gedicht wieder?
Deutscher. Nein, sie ziehen vorbey und es kommen andre und andre.
Grieche. Allein das Sylbenmaß ist ein Gesetz der Wiederkehr: du siehst also der „ Mitausdruck durch Bewegung, “auf diese Art ausgelegt, wuͤrde niemals darauf fuͤhren.
Deutscher. Was verstehst du aber unter dem Allgemeinen, und wie soll es der Dichter metrisch ausdruͤcken?
Grieche. Weiß etwa einer unter euch Repraͤsentanten der Sprachen, was episch ist?
Franzose. Epique? Poeme épique? Das sollten wir nicht wissen?
45Deutscher. Unsre Theoretiker lehren es umstaͤndlich. Vor allem sind die Epopeen episch.
Grieche. Die nun grade am wenigsten. Dir, Deutscher, sollte durch Nachbildungen der Homerischen Erzaͤhlungsweise, die ihr seit kurzem erhalten habt, schon ein Licht uͤber das bisherige Nichtwissen angezuͤndet seyn. Was fuͤr Gegenstaͤnde weist Klopstock dem metrischen Ausdrucke an?
Deutscher. „ Erst die sinnlichen; hauptsaͤchlich aber gewisse Beschaffenheiten der Empfindung und Leidenschaft. “
Grieche. Der Empfindung und Leidenschaft wessen? Des Dichters, oder der von ihm dargestellten Personen?
Deutscher. Beydes faͤllt in eins: der Dichter nimmt an seinen Personen den innigsten Antheil.
Grieche. Wenn nun der epische Dichter Herrschaft genug uͤber sich selbst besaͤße, um von diesem Antheile nichts zu aͤußern?
Franzose. Das muͤßte ein entsetzlich harter Mensch seyn.
Grieche. Und wenn eben diese uͤber die Darstellung verbreitete Ruhe der Grundkarakter des epischen Gedichts waͤre?
Deutscher. Wie kann es dann gut seyn? „ Jn guten Gedichten herrscht die Leidenschaft. “
Grieche. Wer das sagte, dachte wohl nur an lyrische. — Das Sylbenmaß soll durch das Gesetz seiner Wiederkehr den Geist der Dichtart ausdruͤcken; die in diesen Graͤnzen freygelaßne Abwechselung gestattet46 dem Dichter sich auch dem Einzelnen durch metrischen Ausdruck zu naͤhern. Der Geist des Epos ist der unbestimmteste, umfassendste, ruhigste: das Gesetz der Wiederkehr durfte also sehr einfach, und der freygelassene Spielraum sehr groß seyn. Die ganz individuell bestimmte Richtung des lyrischen Gedichts hingegen, die das Einzelne unumschraͤnkt beherrscht, erfordert oft ein sehr komplizirtes Gesetz der Wiederkehr, Strophen, auch wohl Antistrophen und Epoden, und hebt die Freyheit der Abwechselung fast gaͤnzlich auf. Du wirst dieß weiter anwenden: die Sache ist zu weitlaͤuftig, um sie hier auszufuͤhren. Es koͤnnte doch wohl seyn, daß eben die Veraͤnderung, welche eurem Hexameter mehr Mannichfaltigkeit und also Faͤhigkeit, das Einzelne auszudruͤcken, gab, ihn zum Ausdruck der Hauptsache, naͤmlich des Epischen, weniger geschickt gemacht haͤtte.
Deutscher. „ Der Trochaͤe vertritt ja den Spondeen beynahe. Er beschuͤtzte euch vor den uͤbermaͤßigen Laͤngenreihen, wenn ihr ihn ebenfalls aufnahmt. “
Grieche. Mit der Gleichzeitigkeit der beyden Haͤlften jedes Fußes, waͤre der ruhige, ebenmaͤßige Rhythmus des Hexameters zerstoͤrt worden.
Deutscher. Das beruht wieder auf dem Einfall mit der doppelten Dauer der Laͤnge.
Grieche. Nennst du es auch einen Einfall wenn jemand Dreyachteltakte zwischen Zweyvierteltakte einmischen wollte, und ein Musiker sagte ihm, das ginge nicht?
47Deutscher. Verse und Musik sind auch sehr verschieden.
Grieche. Bey euch freylich, unsre Hexameter wurden gesungen. Dieß vergißt Klopstock auch, wenn er seinen, fuͤr den Vorleser ganz richtigen, Unterschied zwischen kuͤnstlichen und Wortfuͤßen auf uns anwendet, und daraus folgert. Wie die Poesie uͤberhaupt bey uns weit mehr Gewalt uͤber die Sprache hatte, so vermehrte sie auch ihre so schon große Stetigkeit, und was ein Abschnitt des Verses in sich schloß, wurde gleichsam zu einem einzigen poetischen Worte.
Deutscher. Du verwirfst also unsern Hexameter gaͤnzlich?
Grieche. Nicht doch, ich kann nur nicht zugeben, daß er unserm vorgezogen werde. Eben weil der Deutsche nur zum Vorlesen bestimmt ist, darf sein Gesetz weniger streng seyn. Überdieß hat ja Klopstock, wo er wollte, und mehre eurer Dichter haben gezeigt, daß man im Deutschen Hexameter machen kann, die in Ansehung des Rhythmischen, von der Euphonie ist hier nicht die Rede, unsern sehr nahe kommen.
Deutscher. Jch bin zufrieden: du raͤumst mir immer noch mehr ein, als alle meine neueren Gegner von ihren Sprachen ruͤhmen koͤnnen.
Jtaliaͤner. O wir haben auch Hexameter aufzuweisen.
Franzose. Wir auch.
Englaͤnder. Wir auch.
Deutscher. „ Jhr habt euch alle bemuͤht welche zu machen, aber es ist euch mißlungen. “
48Jtaliaͤner. Mißlungen? Jch denke, unsere Hexameter koͤnnten den alten wohl aͤhnlicher werden als eure. Man hat nur keinen Geschmack daran gefunden.
Poesie. Ein erster Versuch gelingt nie ganz. Wenn die Sachen gleich stehen sollten, so muͤßte in einer gleich guͤnstigen Epoche der Bildung jener Sprachen ein eben so hoher Dichtergeist seinen Ruhm an die Einfuͤhrung der alten Sylbenmaße gewagt haben. Mir scheint Klopstock allzubescheiden sein eignes Verdienst der Sprache zuzurechnen.
Deutscher. Die andern haben ja gar nicht einmal eine bestimmte Sylbenzeit.
Poesie. Kannte man die eurige als solche, so lange ihr bey den gereimten Sylbenmaßen verharrtet? Hat nicht Klopstock selbst ihre Gesetze nur allmaͤlig entdeckt? Hat nicht Hagedorn sich in einem Briefe an Ebert wegen einer ihm zweifelhaften Quantitaͤt erkundigt, uͤber die ihn jetzt jeder Schuͤler der Prosodie zurechtweisen kann?
Deutscher. Es bleibt doch ein Verdienst der Deutschen, daß sie die alten Sylbenmaße so willig aufgenommen.
Poesie. Du vergißt, welche saure Mienen ihr Geschmack gemacht, ehe er sich diese Medizin hat eingehn lassen. Die vom Zaune gebrochnen Einwendungen rechne ich mit zu den sauren Mienen. Es gehoͤrte wirklich Klopstocks feste Maͤnnlichkeit dazu, um die Sache durchzusetzen. Über ein halbes Jahrhundert ist es nun her, seit der Anfang gemacht wurde;49 Klopstock hat gleich damals, und besonders in den neuesten Zeiten von großen Dichtern fleißige Nachfolge gefunden: und wie weit ist es denn nun mit der Popularitaͤt der alten Sylbenmaße?
Deutscher. So weit, daß es nie wieder ruͤckwaͤrts gehen kann. Auch deswegen nicht, weil wir ein Beduͤrfniß haben, die Alten in ihrer aͤchten Gestalt zu lesen, und uns in eignen Werken an ihre große Formen anzuschließen.
Poesie. Über die anfaͤngliche Abneigung gegen die antiken Sylbenmaße darf man sich indessen nicht wundern: ihre Verschiedenheit von den modernen liegt nicht auf der Oberflaͤche, sondern ist in dem wesentlich verschiednen Karakter der Bildung gegruͤndet. Laß bey den andern Nazionen den Sinn fuͤr das Antike einmal erwachen, so werden sie in ihren Sprachen die Faͤhigkeit zu den alten Sylbenmaßen schon hervorzurufen wissen, und deine verliert ihr Monopol damit.
Deutscher. Es soll mir lieb seyn, wenn das geschieht: Klopstocks Name wird immer zuerst dabey genannt werden.
Roͤmer. Zur Vergeltung dafuͤr, daß er die Roͤmer ohne Umstaͤnde Meisterer genannt hat, weil sie die Freyheiten des Griechischen Versbaues aus Gruͤnden, die in der Natur ihrer Sprache lagen, enger einschraͤnkten, mache ich ihm den Ruhm der Erfindung streitig.
Deutscher. Es kann ihm nur in so fern daran liegen, als er es zuerst auf die rechte Art angefangen und die Erfindung behauptet hat.
50Roͤmer. Dem sey wie ihm wolle, es sind schon vor mehr als siebzehnhundert Jahren Deutsche Hexameter gemacht. Jhr wundert euch? Jch hoͤrte ja erst, die Geten waͤren ein Deutsches Volk gewesen.
Deutscher. Ganz richtig.
Roͤmer. Ovid lebte in der Verbannung unter den Geten und machte aus Langerweile, oder weil er es gar nicht lassen konnte, Getische Verse:
Also in Roͤmischen Sylbenmaßen. Daß es Hexameter waren, laͤßt der Jnhalt des Gedichtes, das Lob des Jmperators, nicht zweifeln. Er fand auch Beyfall damit:
Deutscher. Die Geten waren also schon kluͤger als die neueren Europaͤer, die nichts von den alten Sylbenmaßen wissen wollten.
51Grieche. Jch komme auf die Kuͤrze. Klopstock hat sich besonders bemuͤht zu zeigen, seine Sprache uͤbertreffe hierin die beyden alten.
Deutscher. Es ist ihm auch gelungen. Er hat eine Menge Stellen alter Dichter in der Übersetzung verkuͤrzt, ohne ihnen etwas zu nehmen.
Grieche. Sollen wir die Kuͤrze mit der Elle messen, oder nach der Uhr berechnen?
Deutscher. Wozu diese spoͤttische Frage?
Grieche. Die Kuͤrze ist ja etwas sinnliches: sie wird also im Raume oder in der Zeit wahrzunehmen seyn.
Deutscher. Allerdings in beyden. Du siehst ja, Klopstocks Verdeutschungen haben immer weniger Verse als das Original.
Grieche. Das waͤre denn doch eine Art von sinnlichem Maßstabe. Aber er ist mir nicht genau genug: welch ein Unterschied zwischen Vers und Vers! Daß ein Deutscher Hexameter auf dem Papiere laͤnger ist als ein Griechischer, faͤllt in die Augen, und wenn du noch zweifelst, so befrage den Setzer. Um jenen Maßstab nach der Zeit naͤher zu pruͤfen, muͤßte der Originaldichter und der Dollmetscher, jeder so geschwind er koͤnnte, die angeblich verkuͤrzte Stelle hersagen, und man saͤhe dann, wer am ersten fertig waͤre.
Englaͤnder. Schoͤn, da giebt es Verse-races. Jch will gleich eine Wette anstellen.
Franzose. Auf diese Art werde ich den Deutschen auch leicht in der Kuͤrze besiegen, denn drey52 von seinen Sylben dauern oft laͤnger als sechs von meinen. Jrritabilité, Reizbarkeit.
Deutscher. Wie kannst du so laͤcherliche Vorschlaͤge thun? Je kuͤrzer der Ausdruck, desto mehr Wuͤrde, Nachdruck und also auch Langsamkeit erfodert der Vortrag.
Grieche. So geht ja der ganze Vortheil der Kuͤrze, das bischen ersparte Zeit, wieder verlohren.
Deutscher. Du redest unmoͤglich im Ernst, denn du weißt so gut, wie ich, daß „ die Kuͤrze wenige Theile durch Worte von starker Bedeutung zusammenfasset und gleich einer großen Lichtmasse auf einem Gemaͤhlde leuchtet. “
Grieche. Vortrefflich! Das hat ein Meister gesagt. Jch wollte dich nur zu dem Gestaͤndniß bringen, daß man die Kuͤrze nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen einer gewissen hervorzubringenden Wirkung sucht, und daß sie nicht uͤberall in gleichem Grade hingehoͤrt.
Deutscher. „ Sie beguͤnstigt doch uͤberall das schnellere Denken; und der schnellere Gedanke ist lebendiger, hat mehr Kraft! “
Grieche. Schnell und langsam sind Verhaͤltnißbegriffe, wobey es auf Gewoͤhnung ankommt. Jhre großen Streiche thut die Kuͤrze nur durch das Ungewoͤhnliche. Der bestaͤndige Lakonismus mag eine große sittliche oder politische Eigenthuͤmlichkeit seyn, aber er ist weder etwas dichterisches noch rednerisches.
Deutscher. Jst es nicht erhaben, wenn die Spartanische Mutter den Schild uͤbergiebt: Den oder auf dem.
53Grieche. Weil es das schlichte und entschiedne einer erhabnen Gesinnung ausdruͤckt. Aber gewiß fiel dieß den Athenern, eben weil sie vom Morgen bis in den Abend zu plaudern pflegten, staͤrker auf, als den halb stummen Spartanern selbst. Der gesellige Mensch liebt zu reden, der Dichter ist der geselligste aller Menschen. Wenn er nun immer mit den Worten und Sylben geizte, so waͤre seine Freude ja gleich zu Ende.
Deutscher. Er ist so reich, daß er viel in wenigem geben kann, ohne sich zu erschoͤpfen.
Grieche. Seine Erhebung uͤber die Wirklichkeit fodert eben so oft Entfaltung als Zusammendraͤngung von ihm. Der angestellte Wettstreit bewiese nichts, wenn die uͤbersetzten Stellen auch noch viel betraͤchtlicher in einer Dollmetschungsmuͤhle zusammengestampft wuͤrden. Die alten Dichter wollten ja nicht kuͤrzer seyn, als sie waren. Man muͤßte sie nun erst wieder erwecken, und ihnen gestatten, aus ihren Versen Kunststuͤcke der Kuͤrze zu machen.
Deutscher. Es ist die Frage, ob sie dasselbe kuͤrzer ausdruͤcken konnten.
Grieche. Nach der Wahl der aus dem Griechischen uͤbersetzten Stellen kann es Klopstocken unmoͤglich rechter Ernst damit gewesen seyn. Aus dem Homer, und immer aus dem Homer! Homer kennt keine andre Kuͤrze als die der Einfalt, und ihm ist auch ihre ganze Weitlaͤuftigkeit eigen. Überdieß ist schoͤner Uberfluß der Hauptkarakter seines Styls. Galt es bey dem Wettstreite wirklich eine Entscheidung: warum wurden nicht Stellen des tragischen54 Dialogs gewaͤhlt, wo die Gedanken mit jeder Zeile wie Geschosse hin und wieder fliegen? Oder von jenen Versen des Aeschylus, wovon zwey in die Wage gelegt, den ganzen Euripides mit Weib, Kindern, Kephisophon und Buͤchern aufwiegen konnten? Oder von jenen gewaltigen Spruͤchen des Pindar, womit er seiner uͤber ihre Ufer brausenden Rede auf einmal einen Damm entgegensetzt? Oder wenigstens von den gediegnen Sittenspruͤchen des Menander?
Roͤmer. Auch die aus dem Roͤmischen gewaͤhlten Stellen sind meistens Virgilische, mit einer gewissen Fuͤlle geschmuͤckte. Und vollends aus dem geschwaͤtzigen Ovid!
Deutscher. Doch auch aus Horazens Oden.
Roͤmer. Das bedeutet schon mehr. Man muß, denke ich, froh seyn, ihn ohne Verkuͤrzung uͤberhaupt nur gut uͤbersetzen zu koͤnnen.
Deutscher. Kurz und gut.
Roͤmer. Es moͤchte kurz und schlecht daraus werden. Dieß waͤre der Fall, wenn an die Stelle der Anmuth und Leichtigkeit, die sich beym Horaz mit dem sinnreichen Nachdruck der Kuͤrze paart, Haͤrte und Dunkelheit traͤte.
Deutscher. Klopstock hat deine Sprache durch die Bedingung des Wettstreits genug geehrt, Roͤmer. Die Bereinung soll ja Siegerin seyn, wenn sie auch die uͤbersetzten Stellen ein wenig verlaͤngern muͤßte.
Roͤmer. Sie thut es nur einmal, und wo es nicht noͤthig war, bey diesen Zeilen Virgils:
Jlle caput quassans: Non me tua fervida terrent Verba, ferox, dJ me terrent, et Juppiter hoftis.
55Warum nicht.
Du siehst, die einzelnen Faͤlle beweisen weder fuͤr noch wider die groͤßere Kuͤrze einer Sprache; es mischt sich da zu viel Zufaͤlliges hinein. Man muß auf ihren Bau zuruͤckgehn.
Deutscher. „ Gut, die meinige hat kuͤrzere Worte. “
Englaͤnder. Wenn es darauf ankommt, so nehmt es einmal mit mir auf.
Roͤmer. Soll die Sprachkuͤrze dichterischen Werth haben, so muß sie der Schoͤnheit nicht Eintrag thun. Das thut aber die Einsylbigkeit. Zur Wuͤrde gehoͤrt ein gewisser Umfang der Worte. Die Schoͤnheit liebt toͤnende und durch den Wohlklang befluͤgelte Vielsylbigkeit. Alles beruht darauf, daß eine Sprache die Theile der Gedanken in große Massen zusammenfasse, und daß sie kuͤhn auslassen duͤrfe.
Deutscher. Dieß hat Klopstock selbst dadurch angedeutet, daß er die Vereinung mit Harmosis und dann mit Ellipsis den Wettstreit der Kuͤrze halten laͤßt.
56Roͤmer. Jn beyden Stuͤcken kann es die Deutsche Sprache den alten und besonders meiner nicht gleich thun. Diese ist noch kuͤrzer als die Griechische, weil sie keinen Artikel und keine Partikeln hat.
Grieche. Die Partikeln verlaͤngern die Sprache wenig, weil sie sich ganz an die groͤßern Wortmassen anfuͤgen. Der Artikel ist erst spaͤter in unsre Sprache gekommen: Homer hat ihn noch nicht, und unsre Dichter waren daher uͤberhaupt nicht so sehr an ihn gebunden.
Roͤmer. Und weil sie vieles durch Umendungen der Nennwoͤrter anzeigt, wozu die Griechische Beziehungswoͤrter braucht. Das Deutsche hat nun obendrein die unvollstaͤndige Biegung der Zeitwoͤrter, welche ihm oft doppelte Huͤlfswoͤrter, und die bestaͤndige Wiederholung der persoͤnlichen Fuͤrwoͤrter noͤthig macht. Redensarten wie: ostendite bellum, pacem habebitis, moͤgt ihr in der Sylbenzahl kuͤrzen; in wie viele Woͤrter und Woͤrtchen muͤßt ihr sie zerstuͤcken! Eben die vollstaͤndige Bestimmtheit, womit wir die Nebenbegriffe und Verhaͤltnisse an den Hauptwoͤrtern bezeichnen, macht auch, daß wir viel auslassen duͤrfen, ohne, wie ihr, Zweydeutigkeit und Verworrenheit zu befuͤrchten. Dazu kommen nun noch jene zusammendraͤngenden Wendungen: der bey euch so sehr beschraͤnkte Gebrauch des Partizips, der absolute Ablativ u. s. w.
Deutscher. Wir koͤnnen mehre Hauptbegriffe zu einem Worte vereinigen.
Roͤmer. Das ist etwas. Unsre Sprache hat57 sich hierin freylich sehr eingeschraͤnkt. Aber du siehst, daß es bey weitem nicht entscheidet: denn sonst koͤnnten wir nicht kuͤrzer als die Griechen seyn, die ebenfalls viel zusammensetzen.
Franzose. Hoͤrt endlich auf, so langweilig uͤber die Kuͤrze zu seyn. Jhr beweist, daß es damit weit mehr an dem Menschen als an den Sprachen liegt. Unsre zum Beyspiel ist kurz, weil es uns natuͤrlich ist, uns kurz zu fassen.
Deutscher. Oder wenigstens schnell uͤberhin zu gehn.
Franzose. Die eurige hingegen ist lang, weil ihr bedaͤchtig, langsam und schwerfaͤllig mit naͤheren Bestimmungen, Einschraͤnkungen, und Gegeneinschraͤnkungen, Erlaͤuterungen, Einschaltungen, Bevorwortungen etwaniger Mißverstaͤndnisse und halben Zuruͤcknehmungen gar nicht fertig werden koͤnnt. Über die Heiligeroͤmischereichdeutschernazionsperioden hat sich ja euer Fuͤrsprecher selbst lustig gemacht. Hier laßt ihr euch doch oͤffentlich als Nazion vernehmen. Vergleicht nur einen einzigen Reichstagsschluß mit einer ganzen Konstituzion von uns.
Deutscher. Deswegen habt ihr auch beynah so viel Konstituzionen noͤthig, als wir Reichstagsschluͤße.
Jtaliaͤner. Warum wird denn mir Weitschweifigkeit vorgeworfen? Giebt es einen Deutschen Dichter, der so sehr Meister in der Kuͤrze waͤre als Dante? Wir haben auch eine vollstaͤndigere Biegung der Zeitwoͤrter, und knuͤpfen oft mehre Fuͤrwoͤrter an sie an.
58Deutscher. O ja, ihr seyd besonders in der Prosa allerbewundernswuͤrdigst kurz! Maravigliofisfimamente!
Jtaliaͤner. Das ist nun wieder Sache des Geschmacks. Wir lieben den Superlativ.
Poesie. Da Klopstock einen so ungemeinen Werth auf die Kuͤrze legt, warum hat er nicht neben der Bildsamkeit, Bedeutsamkeit und so manchen aͤhnlichen auch die Schweigsamkeit aufgefuͤhrt?
Grammatik. Sie konnte ja nicht mitreden, ohne ihren Karakter zu verlaͤugnen.
Poesie. So haͤtte sie wenigstens, wie die Niobe des Aeschylus, mit verhuͤlltem Antlitz unter den Streitenden gesessen und Ehrfurcht geboten.
Grammatik. Klopstock spielt selbst die Rolle der Schweigsamkeit in dem ganzen Buche. Kaum giebt er Winke, wo man befriedigende Belehrung von ihm wuͤnscht.
Franzose. Jn den grammatischen Gespraͤchen wird ein Wettstreit zwischen den Sprachen angekuͤndigt, worin ihnen der Vorrang nach der Geschicklichkeit im Übersetzen zuerkannt werden soll. Jch protestire hiegegen im Namen der meinigen. Es ist ein bloß nazionaler Kanon, denn die Deutschen sind ja Allerweltsuͤbersetzer. Wir uͤbersetzen entweder gar nicht, oder nach unserm eignen Geschmack.
Deutscher. Das heißt, ihr paraphrasirt und travestirt.
Franzose. Wir betrachten einen auslaͤndischen Schriftsteller, wie einen Fremden in der Gesellschaft,59 der sich nach unsrer Sitte kleiden und betragen muß, wenn er gefallen soll.
Deutscher. Welche Beschraͤnktheit ist es, sich nur einheimisches gefallen zu lassen!
Franzose. Die Wirkung der Eigenthuͤmlichkeit und der Bildung. Hellenisirten die Griechen nicht auch alles?
Deutscher. Bey euch eine Wirkung einseitiger Eigenthuͤmlichkeit und konvenzioneller Bildung. Uns ist eben Bildsamkeit eigenthuͤmlich.
Poesie. Huͤte dich, Deutscher, diese schoͤne Eigenschaft zu uͤbertreiben. Graͤnzenlose Bildsamkeit waͤre Karakterlosigkeit.
Grieche. Was ihr im Übersetzen leisten koͤnnt, weiß ich. Jndessen wollte ich euch doch in wenigen Zeilen allerley zu rathen geben, und sehr lebhaft daran erinnern, daß unsre Sprache ihre ganz unnachahmlichen Reize hat. Es versteht sich, daß nur das mit gleicher oder beynah gleicher Wuͤrde, Kraft und Anmuth nachgebildete uͤbersetzt heißen kann.
Deutscher. Jch erwarte deine Auftraͤge.
Grieche. Hier ein paar Verse des Sophokles:
Und folgendes Distichan des Hermesianax:
Es ist nur eine kleine Probe.
Jtaliaͤner. Laß mich auch eine hinzufuͤgen, es sollen nur einzelne Verse seyn. Von Dante aus der Jugendgeschichte der Seele:60 L'anima semplicetta, che sa nulla; und vom Ariost auf den großen Buonarroti: Michel, più che mortal, Angel divino.
Deutscher. Nach diesem Spiel fuͤrchte ich, daß mir der Roͤmer Semibovemque virum semivirumque bovem aufgiebt.
Roͤmer. Sey unbesorgt, ich habe besseres zu waͤhlen. Hier ist eine Schilderung des Hylas an der Quelle:
Du hast die Bedingung, mit fast gleicher Anmuth, nicht vergessen.
Deutscher. Jch werde die Aufgaben aus den Alten Klopstocken und Bossen vorlegen. Wir koͤnnen freylich keine solchen Pentameter machen. Dann schließe ich auch aus eurer Wahl, daß ihr einen mir unmoͤglichen Fehler mit uͤbertragen wuͤnscht.
Grieche. Welchen Fehler?
Deutscher. Die Abtrennung der Beywoͤrter von ihren Hauptwoͤrtern, und uͤberhaupt „ eure verworfne Wortfolge. “
Grieche. Die Freyheit der Wortfolge, die schoͤnste Frucht von dem vollkommnen Bau unsrer Sprachen, soll ein Fehler seyn?
Deutscher. Gut, ich will mit beybehaltner Wortstellung aus euren Dichtern uͤbersetzen.
61Roͤmer. Jch weiß wohl, daß Klopstock, um die Unschicklichkeit unsrer Wortfolge zu beweisen, diese Probe an einer schoͤnen Stelle des Horaz gemacht hat. Aber was beweist sie? Zuerst wird in jeder Sprache vieles fuͤr natuͤrlich gehalten, was bloß auf der Gewoͤhnung beruht. Es ist eben so, als wenn jemand aus einer fremden Sprache mit beybehaltnem Geschlecht der Hauptwoͤrter uͤbersetzte, etwa argenteus Luna und aurea sol sagte, und sich dann uͤber die Wunderlichkeit jener wunderte. Ferner ist die Sache durch die Übertragung ins Deutsche durchaus veraͤndert. So wie ihr die Woͤrter aus den erlaubten Stellen wegruͤckt, entsteht Zweydeutigkeit und Verworrenheit, weil bey euren unvollstaͤndigen Biegungen die Stellung zu Huͤlfe kommen muß, um die Verhaͤltnisse der Woͤrter zu erkennen, die bey uns auf das deutlichste an ihnen selbst bezeichnet sind.
Deutscher. „ Die Wirkung wird geschwaͤcht, waͤhrend man die Worte, die hie und da getrennt herum taumeln, mit Zeitverluste zusammen suchen muß. “
Grieche. Und wer mußte das? Die Einheimischen, die es von Jugend auf so gewohnt waren? Überdieß fallen unsre toͤnenden und vielsylbigen Biegungen, du erinnerst dich dessen, was ich vorhin von ihrem vielfachem Einflusse sagte, stark ins Ohr; das durch die Bedeutung verknuͤpfte ordnet sich von selbst auch sinnlich zusammen. Eine so aͤngstliche Wortfolge zu beobachten, wie in eurer und andern neueren Sprachen, waͤre bey uns uͤbermaͤßige Deutlichkeit gewesen, und diese ist fuͤr eine schnelle Fassungskraft laͤstig und beleidigend.
62Deutscher. Gleichwohl scheint ihr selbst das Fehlerhafte gefuͤhlt zu haben. „ Jhr Griechen gingt in der Verwerfung der Worte nicht so weit als die Roͤmer, und Homer war unter euren Dichtern der enthaltsamste. “
Grieche. Das brachte die Einfalt seines Zeitalters und der Geist der Gattung mit sich. Auf diese Art wuͤrfest du aber der Sprache vor, was die Dichter versehen haͤtten. Eine Freyheit ist ja niemals ein Übel. Man kann sich ihrer bedienen, oder auch nicht.
Deutscher. „ Eure verworfne Wortfolge war eine Sache der Noth. Sie ist vermuthlich bloß daher entstanden, daß ihr aus lauter Laͤngen oder Kuͤrzen bestehende Woͤrter habt, daß also die natuͤrliche Ordnung zu viel lange oder kurze Sylben zusammenbrachte, die des Sylbenmaßes und in Prosa des Numerus wegen getrennt werden mußten. “
Grieche. Du siehst das als einen Nothbehelf an, was die durchgaͤngige Unabhaͤngigkeit unsrer Poesie vom Beduͤrfnisse auf das schoͤnste beurkundet. Du kennst doch die orientalische Weise, mit Blumen Briefe zu schreiben? Nimm nun an, die Bedeutung jeder Blume sey bestimmt, und ihre Verhaͤltnisse zu einander ebenfalls; moͤchtest du dann den Kranz daraus lieber so geflochten sehen, daß die gleichartigen Blumen beysammen blieben, oder daß sie sich mannichfaltig durchschlaͤngen? Unsre Strophen, unsre Distichen sind solche Kraͤnze; eben durch die Stellung werden sie zu Ganzen, wo nichts herausgerissen werden kann, ohne sie zu zerstoͤren. Das Bild, der Gedanke wirkt nun als eine untheilbare, innig vereinigte Masse.
63Franzose. Jn dem Verdienst einer natuͤrlichen, dem Verstande gemaͤßen, ordentlichen Wortfolge sind wir dir uͤberlegen, Deutscher.
Englaͤnder. Wir auch.
Deutscher. Jhr muͤßt wohl: man verstaͤnde euch sonst gar nicht, da ihr keine Umendungen der Haupt - und Beywoͤrter habt.
Franzose. Du fuͤhrst eben das gegen uns an, was der Grieche gegen dich. Überhebe dich also nicht deiner etwas weniger kargen Wortaͤndrung.
Englaͤnder. Deine Sprache ist auf halben Wege stehn geblieben. Meine hat nicht nur die Umendungen, sondern auch die unnuͤtzen Geschlechtsunterschiede der Haupt - und Beywoͤrter abgeschafft; ja sie konjugirt nur eben zwischen den Zaͤhnen. Sie ist eine Philosophin.
Deutscher. Auch eine Dichterin?
Englaͤnder. Sie ist sehr kuͤhn und frey, so oft sie will.
Franzose. Welches ist das Gesetz der Deutschen Wortfolge?
Deutscher. Sie laͤßt gewoͤhnlich das Unbestimmtere vorangehen.
Grieche. Damit leistet sie der Einbildungskraft einen schlechten Dienst.
Deutscher. „ Überhaupt liebt sie es, Erwartungen zu erregen: sie setzt daher das Beywort vor die Benennung, und die Modifikazion vor das Modifizirte. “
Franzose. Deswegen trennt sie auch das unmittelbar64 mittelbar zusammen gehoͤrige: das persoͤnliche Fuͤrwort und Huͤlfswort vom Zeitworte, dieses von der Konjunkzion wodurch es regiert wird; die trennbaren Praͤposizionen von den Zeitwoͤrtern, womit sie zusammengesetzt sind u.s.w. Das eine stellt sie zu Anfange, das andre zu Ende des Satzes. Kurz, eure Wortfuͤgung gleicht, besonders in den langen prosaischen Perioden, einer Krebsschere die sich langsam und bedaͤchtig oͤffnet, und dann auf einmal zuschnappt.
Deutscher. Du hast keine Ursache zu spotten. Wie gebunden ist deine poetische Wortfolge gegen meine!
Jtaliaͤner. Und wiederum die Deutsche gegen meine!
Franzose. Jhr koͤnnt nicht einmal wie wir das Beywort vor oder hinter das Hauptwort setzen.
Deutscher. Wir thun jetzt auch das letzte mit Huͤlfe des wiederhohlten Artikels.
Poesie. Man kann einer Sprache eigentlich das nicht anrechnen, wozu nur die Kuͤhnheit einiger Maͤnner von Ansehn sie allmaͤhlig nicht ohne Widersetzlichkeit gebracht hat. Erinnre dich, Deutscher, wie gar weniges von poetischer Wortstellung ihr hattet, ehe Klopstock dichtete.
Englaͤnder. Jetzt habe ich eine besondre Klage gegen ihn vorzubringen. Er beschuldigt mich der barbarischen Sprachmischerey: ich nehme Lateinische Woͤrter aus dem eisernen Zeitalter auf, und selbst aus dem bleyernen der Moͤnche.
Deutscher. Es liegt ja am Tage. Er hat auch durch Übersetzung einer Stelle Miltons, worin er die65 Franzoͤsischen und Lateinischen Ausdruͤcke im Deutschen beybehaͤlt, gezeigt, welchen Eindruck das machen muß.
Englaͤnder. Freylich ist unsre Sprache aus fremdartigen Bestandtheilen erwachsen, aber sie sind so amalgamirt, daß man den verschiednen Ursprung derselben gar nicht einmal bemerkt.
Deutscher. „ Das thut nichts, dadurch wird dem Unedlen der Mischung nicht abgeholfen. “
Englaͤnder. Haͤltst du entkoͤrpern fuͤr ein edles Wort?
Deutscher. Allerdings.
Englaͤnder. Wenn nun jemand, wo es in einem eurer Dichter vorkommt, entkorporiren setzte? Oder gar statt, „ der Lorbeer kroͤnt ihn, “der Laurusbeer koronirt ihn? Wuͤrde dadurch nicht die ganze Sache veraͤndert? Dennoch hat es mit jener Übersetzung aus Milton ungefaͤhr diese Bewandtniß.
Deutscher. Die spaͤteren verwerflichen Einmischungen der Gelehrten und Weltleute abgerechnet, enthaͤlt das Deutsche wenig fremde Woͤrter. Es ist eine urspruͤngliche und reine Sprache.
Grieche. Das Urspruͤngliche ist mehr, als ich von der Hellenischen zu ruͤhmen wage.
Roͤmer. Und was das Reine betrifft, so weiß ich bessern Bescheid zu geben.
Deutscher. Nun ja, die Ausdruͤcke, welche auf den Religionsdienst Bezug haben, brachten freylich die Lateinischen Priester mit.
Roͤmer. Nicht doch! Jhr koͤnnt ohne unsre66 Huͤlfe keine Verse machen; ihr habt nicht einmal eine einheimische Natur.
Grieche. Jch befuͤrchte, Deutscher, deine Landsleute werden die Ausdruͤcke aus den fremden, besonders aus den alten Sprachen nicht los, bis sie es einmal wie die Kaunier machen.
Deutscher. Was thaten die Kaunier?
Grieche. Man richtete Tempel fremder Goͤtter bey ihnen auf, gegen die sie eine Abneigung hatten. Sie bewaffneten sich also einst saͤmmtlich, schlugen mit ihren Speeren in die Luft, und zogen so bis an die Graͤnze, indem sie dabey sagten, sie trieben die fremden Goͤtter aus.
Franzose. Der unwiderstehliche Hang, der sich in einer Sprache aͤußert, aus einer andern zu entlehnen, deutet auf hoͤhere Bildung dieser. Die Minnesinger borgten schon von unsern Provenzalen, und noch jetzt —
Deutscher. Die wissenschaftlichen Ausdruͤcke nehmen wir meistens von den Roͤmern und Griechen; mit den Namen der gesellschaftlichen Thorheiten versehen uns unsre Nachbarn.
Franzose. Die feineren Thorheiten und ihre Beobachtung zeugen auch von Bildung: sie machen das Leben liebenswuͤrdig. Doch nun ist die Reihe an mir, uͤber die ausgezeichnete Feindseligkeit zu klagen, daß in den grammatischen Gespraͤchen aus einer einzelnen Grille meiner Sprache eine eigne Person, die Wasistdaswasdasistwashaftigkeit, gemacht wird —
Grammatik. Was erhebt sich draußen fuͤr ein Geraͤusch?
67Poesie. Da tritt eine seltsame Figur herein. Wer bist du?
Grille .. Eine maͤchtige Fee. Jch nenne mich, wie es mir einfaͤllt und es euch beliebt. Oft herrsche ich uͤber dich, Grammatik, und nicht selten auch uͤber dich, Poesie.
Grammatik. Daß wir nicht wuͤßten.
Grille. Jch komme jetzt nur um euch zu melden, welch ein Ungluͤck bevorsteht, wenn ihr nicht schleunigst diese Versammlung trennt. Die Deutschheit, entruͤstet uͤber die ihr widerfahrne uͤble Begegnung, hat Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, und das Geruͤcht von dem, was hier vorgeht, uͤberall verbreitet. Nun sind alle in den grammatischen Gespraͤchen vorkommende Personen und noch andre rege geworden; sie wollen anklagen, vertheidigen, oder wenigstens als Zeugen auftreten. Sie sind zum Theil heftig unter einander entzwyt, und wenn ihr nicht schnell aufbrecht, so werdet ihr diesen friedlichen Ort zum Schauplatze des allgemeinen Krieges werden sehn. Der Verstand und die Vernunft lagen einander in den Haaren: jener behauptete, er sey einerley mit der Vernunft, sie wuͤrden nur in der Kantischen Philosophie unterschieden. Die Kunstwoͤrterey, die sich fuͤr die Philosophie ausgab, trat hinzu und wollte sich den Ausspruch daruͤber anmaßen. Das Gemuͤth weinte, Klopstock habe es fuͤr ein schlechtes nichts sagendes Wort erklaͤrt. Diese Entscheidung sey ihm gewiß nicht aus dem Gemuͤthe gekommen. Die Einbildungskraft forderte das Urtheil auf, das Buch in68 Schutz zu nehmen, worin sie beyde eine so artige Rolle spielten. Das Urtheil war verdrießlich, weil es nur schlechthin so heißen solle, und nicht Urtheilskraft; da doch Klopstock selbst Einbildungskraft sage. Es kuͤmmere sich nicht darum, ob bey dem ganzen Handel Urtheil oder Einbildung mehr Kraft beweisen wuͤrde. Ein beruͤhmter Grammatiker hatte einen Sturm gegen die grammatischen Gespraͤche vor, und setzte sich dazu ritterlich auf den Ruͤcken des Sprachgebrauchs. Da der Grammatiker aber etwas stark beleibt war, so konnte der Sprachgebrauch nicht einmal aufrecht stehen, geschweige denn traben, sondern er kroch auf allen Vieren. Der Purismus wollte als Vertheidiger auftreten. Die Auslaͤnderey warf ihm vor, er sey ein Siebenschlaͤfer, der nur alle halbe Jahrhunderte wach werde: zur Zeit der fruchtbringenden Gesellschaft, unter Gottsched, und jetzt. Klopstock halte es gar nicht mit ihm: das beweise die Gelehrtenrepublik, die Fragmente uͤber Sprache und Dichtkunst, endlich die grammatischen Gespraͤche. Der Purismus erwiederte, man koͤnne es in dergleichen Dingen nicht so genau nehmen; sein Geschaͤft werde ihm sehr sauer gemacht, er habe selbst noch nicht zu einem Deutschen Namen gelangen koͤnnen. Hierauf fragte ihn die Auslaͤnderey, ob er Reinigkeitsengel oder Reinigkeitsteufel heißen wollte? Jhr koͤnnt denken, wie er ergrimmte, nicht sowohl wegen der Schimpflichkeit des einen Namens, als weil man geglaubt hatte, er wisse nicht, daß Engel und Teufel Griechisch waͤren. Der Reim war außer sich uͤber die Verunglimpfungen69 von Eintoͤnigkeit, von Klinglern, u.s.w. Er pflege sonst auf dergleichen nur zu antworten: ich gefalle, thu mir was! Allein jetzt wolle er in einer tiefsinnigen Schutzrede zeigen, wie innig sein Wesen in die ganze Natur verwebt sey; reimen sey vergleichen, und im Vergleichen bestehe ja alle Poesie. Der goͤttliche Prophet Mahomed habe seinen Offenbarungen durch ihn Eingang verschafft. Auch bey den Griechen sey die Rhetorik auf ihn gebaut gewesen; ja selbst in Gedichten habe ihn der Pentameter eher gesucht als verschmaͤht. Die Rivarolade, die Palissotie, die Wasistdaswasdasistwashaftigkeit, und wie soll ich sie alle nennen? sie kommen mit Macht angezogen. Eilt, sonst uͤberraschen sie euch!
Grammatik. Um die vielen vorgebrachten Klagen zu pruͤfen, beduͤrfen wir ruhigerer Muße. Aber wollen wir nicht sogleich noch erklaͤren, Poesie, daß sich Klopstock durch Anregung so vernachlaͤßigter Untersuchungen um uns beyde verdient gemacht hat?
Poesie. Von ganzem Herzen.
Grille. Jch sage euch nochmals, brecht auf!
Grieche. So endigt also dieses grammatische Gespraͤch wie eine Tragoͤdie des Euripides mit einer langen Erzaͤhlung.
Deutscher. Oder wie ein Ritterschauspiel mit Aufruhr und Waffengeklirr.
Grille. Sie haben sich wirklich schrecken lassen, und mein Zweck ist erreicht, diese Zusammenkunft zu trennen, wobey ich, ohne daß sie es wußten, den Vorsitz fuͤhrte.
Wir suchen uͤberall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.
Die Bezeichnung durch Toͤne und Striche ist eine bewundernswuͤrdige Abstrakzion. Vier Buchstaben bezeichnen mir Gott; einige Striche eine Million Dinge. Wie leicht wird hier die Handhabung des Universums, wie anschaulich die Konzentrizitaͤt der Geisterwelt! Die Sprachlehre ist die Dynamik des Geisterreichs. Ein Kommandowort bewegt Armeen; das Wort Freyheit Nazionen.
Der Weltstaat ist der Koͤrper, den die schoͤne Welt, die gesellige Welt, beseelt. Er ist ihr nothwendiges Organ.
71Lehrjahre sind fuͤr den poetischen, akademische Jahre fuͤr den philosophischen Juͤnger. Akademie sollte ein durchaus philosophisches Jnstitut seyn: nur Eine Facultaͤt; die ganze Einrichtung zur Erregung und zweckmaͤßigen Übung der Denkkraft organisirt.
Lehrjahre im vorzuͤglichen Sinn sind die Lehrjahre der Kunst zu leben. Durch planmaͤßig geordnete Versuche lernt man ihre Grundsaͤtze kennen und erhaͤlt die Fertigkeit nach ihnen beliebig zu verfahren.
Ganz begreifen werden wir uns nie, aber wir werden und koͤnnen uns weit mehr, als begreifen.
Gewisse Hemmungen gleichen den Griffen eines Floͤtenspielers, der um verschiedene Toͤne hervorzubringen, bald diese bald jene Öffnung zuhaͤlt, und willkuͤhrliche Verkertungen stummer und toͤnender Öffnungen zu machen scheint.
Der Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit liegt in der Differenz ihrer Lebensfunkzionen. Der Wahn lebt von der Wahrheit; die Wahrheit lebt ihr Leben in sich. Man vernichtet den Wahn, wie man Krankheiten vernichtet, und der Wahn ist also nichts, als logische Entzuͤndung oder Verloͤschung, Schwaͤrmerey oder Philisterey. Jene hinterlaͤßt gewoͤhnlich einen scheinbaren Mangel an Denkkraft, der durch nichts zu heben ist, als eine abnehmende Reihe von Jnzitamenten, Zwangsmitteln. Diese geht oft in eine72 truͤgliche Lebhaftigkeit uͤber, deren gefaͤhrliche Revoluzionssymptome nur durch eine zunehmende Reihe gewaltsamer Mittel vertrieben werden koͤnnen. Beyde Disposizionen koͤnnen nur durch chronische, streng befolgte Kuren veraͤndert werden.
Unser saͤmtliches Wahrnehmungsvermoͤgen gleicht dem Auge. Die Objekte muͤßen durch entgegengesetzte Media durch, um richtig auf der Pupille zu erscheinen.
Die Erfahrung ist die Probe des Razionalen, und so umgekehrt. Die Unzulaͤnglichkeit der bloßen Theorie in der Anwendung, uͤber die der Praktiker oft kommentirt, findet sich gegenseitig in der razionalen Anwendung der bloßen Erfahrung, und wird von den aͤchten Philosophen, jedoch mit Selbstbescheidung der Nothwendigkeit dieses Erfolgs, vernehmlich genug bemerkt. Der Praktiker verwirft deshalb die bloße Theorie ganz, ohne zu ahnden, wie problematisch die Beantwortung der Frage seyn duͤrfte: „ Ob die Theorie fuͤr die Anwendung, oder die Anwendung um der Theorie willen sey? “
Das Hoͤchste ist das Verstaͤndlichste, das Naͤchste, das Unentbehrlichste.
Wunder stehn mit naturgesetzlichen Wirkungen in Wechsel: sie beschraͤnken einander gegenseitig, und machen zusammen ein Ganzes aus. Sie sind vereinigt,73 indem sie sich gegenseitig aufheben. Kein Wunder ohne Naturbegebenheit und umgekehrt.
Die Natur ist Feindin ewiger Besitzungen. Sie zerstoͤrt nach festen Gesetzen alle Zeichen des Eigenthums, vertilgt alle Merkmale der Formazion. Allen Geschlechtern gehoͤrt die Erde; jeder hat Anspruch auf alles. Die Fruͤhern duͤrfen diesem Primogeniturzufalle keinen Vorzug verdanken. — Das Eigenthumsrecht erlischt zu bestimmten Zeiten. Die Ameliorazion und Deteriorazion steht unter unabaͤnderlichen Bedingungen. Wenn aber der Koͤrper ein Eigenthum ist, wodurch ich nur die Rechte eines aktiven Erdenbuͤrgers erwerbe, so kann ich durch den Verlust dieses Eigenthums nicht mich selbst einbuͤßen. Jch verliere nichts, als die Stelle in dieser Fuͤrstenschule, und trete in eine hoͤhere Korporazion, wohin mir meine geliebten Mitschuͤler nachfolgen.
Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, Scheidung und naͤhere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Redukzion vollendet.
Auch die Philosophie hat ihre Bluͤthen. Das sind die Gedanken, von denen man immer nicht weiß, ob man sie schoͤn oder witzig nennen soll.
74Die Fantasie setzt die kuͤnftige Welt entweder in die Hoͤhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. Wir traͤumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. — Nach Jnnen geht der geheimnißvolle Weg. Jn uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns duͤnken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkoͤrper hinweggeruͤckt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt.
Darwin macht die Bemerkung, daß wir weniger vom Lichte beym Erwachen geblendet werden, wenn wir von sichtbaren Gegenstaͤnden getraͤumt haben. Wohl also denen, die hier schon von Sehen traͤumten! Sie werden fruͤher die Glorie jener Welt ertragen koͤnnen.
Wie kann ein Mensch Sinn fuͤr etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich hat? Was ich verstehn soll, muß sich in mir organisch entwickeln; und was ich zu lernen scheine, ist nur Nahrung, Jnzitament des Organismus.
Der Sitz der Seele ist da, wo sich Jnnenwelt und Außenwelt beruͤhren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung.
75Wenn man in der Mittheilung der Gedanken zwischen absolutem Verstehen und absolutem Nichtverstehen abwechselt, so darf das schon eine philosophische Freundschaft genannt werden. Geht es uns doch mit uns selbst nicht besser. Und ist das Leben eines denkenden Menschen wohl etwas andres als eine stete innere Symphilosophie?
Genie ist das Vermoͤgen von eingebildeten Gegenstaͤnden, wie von wirklichen zu handeln, und sie auch wie diese zu behandeln. Das Talent darzustellen, genau zu beobachten, zweckmaͤßig die Beobachtung zu beschreiben, ist also vom Genie verschieden. Ohne dieses Talent sieht man nur halb, und ist nur ein halbes Genie; man kann genialische Anlage haben, die in Ermangelung jenes Talents nie zur Entwickelung kommt.
Das willkuͤhrlichste Vorurtheil ist, daß dem Menschen das Vermoͤgen außer sich zu seyn, mit Bewußtseyn jenseits der Sinne zu seyn, versagt sey. Der Mensch vermag in jedem Augenblicke ein uͤbersinnliches Wesen zu seyn. Ohne dies waͤre er nicht Weltbuͤrger, er waͤre ein Thier. Freylich ist die Besonnenheit, Sichselbstfindung, in diesem Zustande sehr schwer, da er so unaufhoͤrlich, so nothwendig mit dem Wechsel unsrer uͤbrigen Zustaͤnde verbunden ist. Je mehr wir uns aber dieses Zustandes bewußt zu seyn vermoͤgen, desto lebendiger, maͤchtiger, genuͤgender ist die Überzeugung, die daraus entsteht; der Glaube an76 aͤchte Offenbarungen des Geistes. Es ist kein Schauen, Hoͤren, Fuͤhlen; es ist aus allen dreyen zusammengesetzt, mehr als alles Dreyes: eine Empfindung unmittelbarer Gewißheit, eine Ansicht meines wahrhaftesten, eigensten Lebens. Die Gedanken verwandeln sich in Gesetze, die Wuͤnsche in Erfuͤllungen. Fuͤr den Schwachen ist das Faktum dieses Moments ein Glaubensartikel. Auffallend wird die Erscheinung besonders beym Anblick mancher menschlichen Gestalten und Gesichter, vorzuͤglich bey der Erblickung mancher Augen, mancher Minen, mancher Bewegungen, beym Hoͤren gewisser Worte, beym Lesen gewisser Stellen, bey gewissen Hinsichten auf Leben, Welt und Schicksal. Sehr viele Zufaͤlle, manche Naturereignisse, besonders Jahres - und Tageszeiten, liefern uns solche Erfahrungen. Gewisse Stimmungen sind vorzuͤglich solchen Offenbarungen guͤnstig. Die meisten sind augenblicklich, wenige verweilend, die wenigsten bleibend. Hier ist viel Unterschied zwischen den Menschen. Einer hat mehr Offenbarungsfaͤhigkeit, als der andere. Einer hat mehr Sinn, der andere mehr Verstand fuͤr dieselbe. Der letzte wird immer in ihrem sanften Lichte bleiben, wenn der erste nur abwechselnde Erleuchtungen, aber hellere und mannichfaltigere hat. Dieses Vermoͤgen ist ebenfalls Krankheitsfaͤhig, die entweder Überfluß an Sinn und Mangel an Verstand, oder Überfluß an Verstand und Mangel an Sinn bezeichnet.
77Scham ist wohl ein Gefuͤhl der Profanazion. Freundschaft, Liebe und Pietaͤt sollten geheimnißvoll behandelt werden. Man sollte nur in seltnen, vertrauten Momenten davon reden, sich stillschweigend daruͤber einverstehen. Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden.
Selbstentaͤußerung ist die Quelle aller Erniedrigung, so wie im Gegentheil der Grund aller aͤchten Erhebung. Der erste Schritt wird Blick nach Jnnen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, geraͤth nur halb. Der zweyte Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbstthaͤtige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn.
Derjenige wird nie als Darsteller etwas vorzuͤgliches leisten, der nichts weiter darstellen mag, als seine Erfahrungen, seine Lieblingsgegenstaͤnde, der es nicht uͤber sich gewinnen kann, auch einen ganz fremden, ihm ganz uninteressanten Gegenstand, mit Fleiß zu studiren und mit Muße darzustellen. Der Darsteller muß alles darstellen koͤnnen und wollen. Dadurch entsteht der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert.
Hat man nun einmal die Liebhaberey fuͤrs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen,78 und man hat nur die Wahl, ob man sich dabey leidend verhalten will, oder ob man die Nothwendigkeit durch Anerkennung zur freyen Handlung adeln will.
Eine merkwuͤrdige Eigenheit Goethe's bemerkt man in seinen Verknuͤpfungen kleiner, unbedeutender Vorfaͤlle mit wichtigern Begebenheiten. Er scheint keine andre Absicht dabey zu hegen, als die Einbildungskraft auf eine poetische Weise mit einem mysterioͤsen Spiel zu beschaͤftigen. Auch hier ist der sonderbare Genius der Natur auf die Spur gekommen, und hat ihr einen artigen Kunstgriff abgemerkt. Das gewoͤhnliche Leben ist voll aͤhnlicher Zufaͤlle. Sie machen ein Spiel aus, das wie alles Spiel auf Überraschung und Taͤuschung hinauslaͤuft.
Mehre Sagen des gemeinen Lebens beruhn auf einer Bemerkung dieses verkehrten Zusammenhangs. So z. B. bedeuten boͤse Traͤume Gluͤck; todtsagen langes Leben; ein Hase, der uͤber'n Weg laͤuft, Ungluͤck. Fast der ganze Aberglaube des gemeinen Volks beruht auf Deutungen dieses Spiels.
Die hoͤchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transcendentalen Selbst zu bemaͤchtigen, das Jch seines Jch's zugleich zu seyn. Um so weniger befremdlich ist der Mangel an vollstaͤndigem Sinn und Verstand fuͤr Andre. Ohne vollendetes Selbstverstaͤndniß wird man nie andere wahrhaft verstehn lernen.
79Humor ist eine willkuͤhrlich angenommene Manier. Das Willkuͤhrliche ist das Pikante daran: Humor ist Resultat einer freyen Vermischung des Bedingten und Unbedingten. Durch Humor wird das eigenthuͤmlich Bedingte allgemein interessant, und erhaͤlt objektiven Werth. Wo Fantasie und Urtheilskraft sich beruͤhren, entsteht Witz; wo sich Vernunft und Willkuͤhr paaren, Humor. Persifflage gehoͤrt zum Humor, ist aber um einen Grad geringer: es ist nicht mehr rein artistisch, und viel beschraͤnkter. Was Fr. Schlegel als Jronie karakterisirt, ist meinem Beduͤnken nach nichts anders als die Folge, der Karakter der Besonnenheit, der wahrhaften Gegenwart des Geistes. Schlegels Jronie scheint mir aͤchter Humor zu seyn. Mehre Rahmen sind einer Jdee vortheilhaft.
Das Unbedeutende, Gemeine, Rohe, Haͤßliche, Ungesittete, wird durch Witz allein Gesellschaftfaͤhig. Es ist gleichsam nur um des Witzes willen: seine Zweckbestimmung ist der Witz.
Um das Gemeine, wenn man nicht selbst gemein ist, mit der Kraft und mit der Leichtigkeit zu behandeln, aus der die Anmuth entspringt, muß man nichts sonderbarer finden als das Gemeine, und Sinn fuͤrs Sonderbare haben, viel darin suchen und ahnden. Auf die Art kann auch wohl ein Mensch, der in ganz andern Sphaͤren lebt, gewoͤhnliche Naturen so befriedigen, daß sie gar kein Arg aus ihm haben, und80 ihn fuͤr nichts weiter halten, als was sie unter sich liebenswuͤrdig nennen.
Wir sind auf einer Mißion: zur Bildung der Erde sind wir berufen.
Wenn uns ein Geist erschiene, so wuͤrden wir uns sogleich unsrer eignen Geistigkeit bemaͤchtigen: wir wuͤrden inspirirt seyn durch uns und den Geist zugleich. Ohne Jnspirazion keine Geistererscheinung. Jnspirazion ist Erscheinung und Gegenerscheinung, Zueignung und Mittheilung zugleich.
Der Mensch lebt, wirkt nur in der Jdee fort, durch die Erinnerung an sein Daseyn. Vor der Hand giebts kein anderes Mittel der Geisterwirkungen auf dieser Welt. Daher ist es Pflicht an die Verstorbenen zu denken. Es ist der einzige Weg in Gemeinschaft mit ihnen zu bleiben. Gott selbst ist auf keine andere Weise bey uns wirksam als durch den Glauben.
Jnteresse ist Theilnahme an dem Leiden und der Thaͤtigkeit eines Wesens. Mich interessirt etwas, wenn es mich zur Theilnahme zu erregen weiß. Kein Jnteresse ist interessanter, als was man an sich selbst nimmt; so wie der Grund einer merkwuͤrdigen Freundschaft und Liebe die Theilnahme ist, zu der mich ein Mensch reizt, der mit sich selbst beschaͤftigt ist, der mich durch seine Mittheilung gleichsam einladet, an seinem Geschaͤfte Theil zu nehmen.
81Wer den Witz erfunden haben mag? Jede zur Besinnung gebrachte Eigenschaft, Handlungsweise unsers Geistes ist im eigentlichsten Sinn eine neuentdeckte Welt.
Der Geist erscheint immer nur in fremder, luftiger Gestalt.
Jetzt regt sich nur hie und da Geist: wann wird der Geist sich im Ganzen regen? wann wird die Menschheit in Masse sich selbst zu besinnen anfangen?
Der Mensch besteht in der Wahrheit. Giebt er die Wahrheit preis, so giebt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verraͤth, verraͤth sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Luͤgen, sondern vom Handeln gegen Überzeugung.
Jn heitern Seelen giebts keinen Witz. Witz zeigt ein gestoͤrtes Gleichgewicht an: er ist die Folge der Stoͤrung und zugleich das Mittel der Herstellung. Den staͤrksten Witz hat die Leidenschaft. Der Zustand der Aufloͤsung aller Verhaͤltnisse, die Verzweiflung oder das geistige Sterben ist am fuͤrchterlichsten witzig.
Von einem liebenswerthen Gegenstande koͤnnen wir nicht genug hoͤren, nicht genug sprechen. Wir freuen uns uͤber jedes neue, treffende, verherrlichende Wort. Es liegt nicht an uns, daß er nicht Gegenstand aller Gegenstaͤnde wird.
82Wir halten einen leblosen Stoff wegen seiner Beziehungen, seiner Formen fest. Wir lieben den Stoff, in so fern er zu einem geliebten Wesen gehoͤrt, seine Spur traͤgt, oder Ähnlichkeit mit ihm hat.
Ein aͤchter Klub ist eine Mischung von Jnstitut und Gesellschaft. Er hat einen Zweck, wie das Jnstitut; aber keinen bestimmten, sondern einen unbestimmten, freyen: Humanitaͤt uͤberhaupt. Aller Zweck ist ernsthaft; die Gesellschaft ist durchaus froͤhlich.
Die Gegenstaͤnde der gesellschaftlichen Unterhaltung sind nichts, als Mittel der Belebung. Dieß bestimmt ihre Wahl, ihren Wechsel, ihre Behandlung. Die Gesellschaft ist nichts, als gemeinschaftliches Leben: eine untheilbare denkende und fuͤhlende Person. Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft.
Jn sich zuruͤckgehn, bedeutet bey uns, von der Außenwelt abstrahiren. Bey den Geistern heißt analogisch, das irdische Leben eine innere Betrachtung, ein in sich Hineingehn, ein immanentes Wirken. So entspringt das irdische Leben aus einer urspruͤnglichen Reflexion, einem primitiven Hineingehn, Sammeln in sich selbst, das so frey ist, als unsre Reflexion. Umgekehrt entspringt das geistige Leben in dieser Welt aus einem Durchbrechen jener primitiven Reflexion. Der Geist entfaltet sich wiederum, geht aus sich selbst wieder heraus,