Die nachstehenden Blätter bringen den wesent¬ lichen Inhalt des Vortrags, mit dem ich meine Vorlesungen über Logik und Erkenntniss-Theorie an der hiesigen Universität eröffnet habe. Wenn ich diesen Vortrag der Oeffentlichkeit übergebe, geschieht es in der Hoffnung, dass vielleicht auch Andere dadurch veranlasst werden, den hier an¬ geregten Fragen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden und sie durch wissenschaftliche Besprechung zu fördern. Wie wenig ich freilich in dem engen Rahmen einer einzigen Vorlesung etwas Er¬ schöpfendes zu geben vermochte, konnte ich selbst nicht übersehen; ebenso werden aber auch billige Beurtheiler von derselben nicht mehr, als was die Natur solcher einleitenden Erörterungen verstattet, erwarten.
Heidelberg, den 26. Oktbr. 1862.
D. V.
M. H.! Was ich Ihnen zur vorläufigen Orientirung über den Inhalt und die Richtung der Vorträge zu sagen habe, die ich heute beginne, das habe ich theilweise schon in ihrer Ankündigung angedeutet. Wenn ich als den Gegenstand derselben die Logik und die Erkennt¬ nisstheorie bezeichnete, so wollte ich damit nicht blos diess ausdrücken, dass sowohl die eine als die andere von diesen Wissenschaften darin besprochen werden solle; sondern ich wollte auf einen inneren Zusammenhang bei¬ der hinweisen, ich wollte die Ueberzeugung aussprechen, dass die Logik, um eine wissenschaftliche Haltung zu gewinnen, sich auf die Erkenntnisstheorie gründen, die Erkenntnisstheorie sich durch die Logik vollenden müsse. Lassen Sie uns zunächst diesen Punkt genauer in’s Auge fassen, und dann hieran einige weitere Bemerkungen über die Bedeutung und die Aufgabe der philosophischen Erkenntnisstheorie anknüpfen.
Mit dem Namen der Logik pflegt man seit zwei¬ tausend Jahren das Ganze der Untersuchungen zu be¬ zeichnen, welche sich auf die Denkthätigkeit rein als6 solche, und abgesehen von dem bestimmten Inhalt un¬ seres Denkens, beziehen; sie soll die Formen und Gesetze des Denkens darstellen, über die Gegenstände dagegen, welche mittelst derselben erkannt werden können, nichts aussagen. Dieser älteren Logik hat sich jedoch in der neueren Zeit, bei Hegel und seinen Nachfolgern, eine andere entgegengestellt. Diese will nicht blos eine Er¬ kenntniss der Denkformen, sondern zugleich auch eine Erkenntniss des Wirklichen, das Gegenstand unseres Denkens ist, gewähren; sie will nicht blos Logik, son¬ dern zugleich auch Metaphysik sein, und sie selbst nennt sich desshalb, im Gegensatz zu der gewöhnlichen, blos formalen Logik, die spekulative. Meiner Ansicht nach ist diese Gleichstellung der Logik mit der Meta¬ physik oder dem ontologischen Theile der Metaphysik nicht zulässig. Man sagt zwar, die Form lasse sich vom Inhalt nicht trennen; blosse Denkformen, die auf jeden beliebigen Inhalt gleich gut angewandt werden könnten, wären ohne Wahrheit; nur dann werden die Formen un¬ seres Denkens auf objektive Gültigkeit Anspruch machen können, wenn in ihnen zugleich die Grundbestimmungen des Seins erkannt werden, welche als die gegenständ¬ lichen Begriffe das Wesen der Dinge selbst bilden. Gegen diese Beweisführung lässt sich jedoch Manches einwenden. Für’s Erste nämlich ist es immer uneigentlich gesprochen, wenn man sagt, die Gedanken seien das Wesen der Dinge, denn dieses Wesen ist wohl Gegenstand unseres Denkens, aber nicht unmittelbar an sich selbst Gedanke;7 es wird durch unser Denken erkannt, aber es hat nicht an unserem Denken seinen Bestand, und wird nicht durch unser Denken erzeugt. Aber wollen wir auch davon absehen, so folgt doch durchaus nicht, dass die Denk¬ formen, weil sie in der Wirklichkeit immer mit einem bestimmten Inhalt erfüllt sind, nun auch nicht ohne diesen Inhalt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wer¬ den können. Gerade diess ist vielmehr die Aufgabe der wissenschaftlichen Analyse, dass sie die verschiedenen Bestandtheile unserer Vorstellungen unterscheide, das, was in der Erscheinung verknüpft und vermischt ist, sondere, und uns so in den Stand setze, das Gegebene aus seinen ursprünglichen Elementen zu erklären. Wenn diess die Logik in Beziehung auf unser denkendes Be¬ wusstsein überhaupt thut, wenn sie, die allgemeinen Formen unseres Denkens für sich, und abgesehen von jedem bestimmten Inhalt, betrachtet, so beschäftigt sie sich nicht mit etwas Unwirklichem und Unwahrem; man müsste denn das Gleiche auch der Mathematik vorwerfen, weil diese Wissenschaft die allgemeinen Eigenschaften der Zahl ohne Rücksicht auf die nähere Beschaffenheit des Gezählten, die allgemeinen Verhältnisse der räum¬ lichen Gestalt, abgesehen von der physikalischen Be¬ schaffenheit der Körper, untersucht. Sondern wie in dem letzteren Fall bestimmte Seiten und Eigenschaften des Wirklichen für sich herausgehoben und zum Gegen¬ stand der Betrachtung gemacht werden, so hat es auch die formale Logik mit einem Wirklichen, mit dem Denken,8 als dieser Thatsache des menschlichen Geisteslebens, zu thun; nur dass sie dasselbe blos nach der Seite seiner Form, nicht nach der seines Inhalts, in Betracht zieht. Diese gesonderte Behandlung der Denkformen ist aber nicht allein statthaft, sondern sie ist geradezu unent¬ behrlich. Denn da die Ergebnisse jeder Untersuchung wesentlich durch das Verfahren bedingt sind, dessen man sich bei derselben bedient, so ist es unmöglich, die Erforschung des Wirklichen mit wissenschaftlicher Sicherheit in Angriff zu nehmen, wenn nicht zuvor die Bedingungen und Formen des wissenschaftlichen Ver¬ fahrens festgestellt sind. Eben diess aber ist die Aufgabe der Logik. Die Logik muss daher als wissenschaftliche Methodologie jeder materiellen Untersuchung des Wirk¬ lichen vorangehen; und diess gilt nicht allein von den Fächern, welche sich mit den einzelnen Gebieten des Wirklichen, der Natur und dem menschlichen Geiste, beschäftigen, sondern auch von der Metaphysik und dem allgemeinsten Theile derselben, der Ontologie: auch diese wird sich nicht mit Erfolg behandeln lassen, wenn wir nicht vorher über die Art ihrer Behandlung im Reinen sind, wenn wir z. B. nicht vorher wissen, ob sie durch ein apriorisches oder ein aposteriorisches Verfahren, durch Reflexion auf das Gegebene oder durch dialektische Construction zu Stande kommt. Die Logik fällt daher mit der Metaphysik so wenig, als mit irgend einem an¬ dern unmittelbar auf die Erkenntniss des Objekts ge¬ richteten Theile des philosophischen Systems zusammen,9 sondern sie geht ihr voran: jene hat die allgemeinsten Bestimmungen alles Wirklichen, diese die Formen und Gesetze der menschlichen Erkenntnissthätigkeit zu unter¬ suchen. Wie verschieden aber diese zwei Aufgaben sind, diess zeigt sich auch an der Hegel’schen Logik. Weit die meisten von ihren Kategorieen drücken nur Bestim¬ mungen des gegenständlichen Seins, ohne jede nähere Beziehung zu den Denkformen aus; diejenigen umgekehrt, welche eine Beschreibung der Denkformen enthalten, lassen sich nur künstlich und in uneigentlichem Sinn auf das Gegenständliche übertragen. Die Denkoperationen, mittelst deren wir das Wesen der Dinge erkennen, sind eben etwas anderes, als das, was durch sie erkannt wird; nur dann könnten beide sich unmittelbar gleichgesetzt werden, wenn das Objekt blos in unserem Denken exi¬ stirte, oder wenn es sich andererseits ohne alle Vermitt¬ lung unserer Selbstthätigkeit völlig unverändert darin abdrückte.
Nichtsdestoweniger ist der Tadel der älteren Logik, dass es ihr an einer realen Grundlage fehle, nicht un¬ begründet. Nur wird sie diese nicht bei der Metaphysik, sondern bei der Erkenntnisstheorie zu suchen haben. Auf eine bestimmte Ansicht über das Objekt wird sich die Wissenschaft, welche jeder objektiven Erkenntniss vorangeht, nicht begründen lassen; wohl aber auf eine Ansicht von den allgemeinen Elementen und Bedingungen der Erkenntnissthätigkeit, deren besondere Formen sie beschreiben und ebendamit die Regeln für ihre Anwen¬10 dung aufstellen soll. Nur von hier aus wird sich auch die Logik gegen den Vorwurf des Formalismus, so weit dieser Vorwurf überhaupt begründet ist, mit Erfolg schützen lassen. Eine formale Wissenschaft ist die Logik allerdings so gut, wie die Grammatik oder die reine Mathematik, und sie muss es sein, weil sie es eben nur mit den allgemeinen Formen des Erkennens, nicht mit einem bestimmten Inhalt zu thun hat. Aber formalistisch wird sie erst dann, wenn sie diese Formen ohne Ver¬ ständniss ihrer realen Bedeutung, und desshalb auch ohne Unterscheidung des Wesentlichen und Unwesentlichen handhabt. Ihre Bedeutung liegt aber in dem Dienst, welchen sie uns für die Erkenntniss des Wirklichen lei¬ sten, und wie es hiemit bestellt ist, lässt sich nur nach ihrem Verhältniss zu der Geistesthätigkeit beurtheilen, durch welche wir ursprünglich zur Vorstellung des Wirk¬ lichen gelangen. Da nun diese den eigenthümlichen Ge¬ genstand der Erkenntnisstheorie bildet, so liegt am Tage, dass es die Erkenntnisstheorie ist, auf welche die Logik zurückgehen muss, wenn die Denkformen für sie zu et¬ was Lebendigem werden und den Schein willkührlicher Formeln verlieren sollen.
Es ist aber nicht blos ihr Zusammenhang mit der Logik, worin die Bedeutung der philosophischen Erkenntniss¬ theorie zu suchen ist. Diese Wissenschaft bildet vielmehr die formale Grundlage der ganzen Philosophie; sie ist es, von der die letzte Entscheidung über die richtige Methode in der Philosophie und in der Wissenschaft11 überhaupt ausgehen muss. Denn wie wir zu verfahren haben, um richtige Vorstellungen zu gewinnen, diess werden wir nur nach Maassgabe der Bedingungen be¬ urtheilen können, an welche die Bildung unserer Vor¬ stellungen durch die Natur unseres Geistes geknüpft ist; diese Bedingungen aber soll eben die Erkenntnisstheorie untersuchen, und hienach bestimmen, ob und unter wel¬ chen Voraussetzungen der menschliche Geist zur Er¬ kenntniss der Wahrheit befähigt ist. Das Bedürfniss solcher Untersuchungen hat sich daher der Philosophie aufgedrängt, seit ihr durch Sokrates die Idee eines methodischen, von einer bestimmten Ueberzeugung über die Natur des Wissens geleiteten Verfahrens zum Be¬ wusstsein gebracht worden ist. Aber erst in den letzten Jahrhunderten ist ihre volle Bedeutung hervorgetreten und ihre Aufgabe schärfer bestimmt worden. Schon in den ersten Begründern der neueren Philosophie, in Baco und Descartes, traten sich die zwei wissenschaftlichen Richtungen des Empirismus und des Rationalismus ge¬ genüber. Hatte Baco vorausgesetzt, dass alles Wissen aus der Erfahrung entspringe, so suchte Hobbes ge¬ nauer zu zeigen, in welcher Weise unsere Vorstellungen und Gedanken aus der sinnlichen Empfindung hervor¬ gehen; und Locke wies, unter ausdrücklicher Bestrei¬ tung der angeborenen Ideen, in der äusseren und inneren Erfahrung die zwei Quellen nach, aus denen der ganze Inhalt unseres Bewusstseins ausschliesslich herzuleiten sei. Gegen ihn verfocht Leibnitz die cartesianische An¬12 nahme angeborener Ideen, und er war folgerichtig genug, diese Annahme, den Forderungen seines ganzen Systems entsprechend, bis zu dem Punkt fortzuführen, zu dem sie schon in der cartesianischen Schule und bei Spinoza unverkennbar hingedrängt hatte, zu der Behauptung, dass alle unsere Vorstellungen ohne Ausnahme ange¬ borene Ideen seien, dass alle aus unserem eigenen Geiste hervorgehen und mit den äusseren Erscheinungen zwar zeitlich zusammentreffen, aber nicht unmittelbar durch ihre Einwirkung erzeugt werden. Zugleich fand aber Leibnitz in der Unterscheidung der unbewussten und der bewussten, der verworrenen und deutlichen Vor¬ stellungen, in der Lehre von den verschiedenen Ent¬ wicklungsstufen des geistigen Lebens das Mittel, die Erfahrung und Sinnesempfindung selbst in diese Ent¬ wicklung mit aufzunehmen, und sie von seinem Stand¬ punkt aus zu erklären. Der Locke’sche Empirismus wurde von den französischen Philosophen des 18. Jahr¬ hunderts zum Sensualismus, weiterhin zum Materialismus fortgebildet; in England gieng aus demselben zuerst Ber¬ keley’s Idealismus, dann David Hume’s Skepsis hervor, welcher die schottische Schule in der Hauptsache doch nur die Berufung auf die Voraussetzungen und Bedürfnisse des unphilosophischen Bewusstseins entge¬ genzustellen wusste. Auf dem gleichen Punkt war aber auch die deutsche Philosophie angelangt, nachdem der leibnitzische Spiritualismus bei Wolff in einen logischen Formalismus umgeschlagen war, der seine reale Ergän¬13 zung naturgemäss nur in der Erfahrung finden konnte; und ähnlich lag für die französischen Aufklärer, und vor Allem für Rousseau, der letzte Maasstab der Wahrheit in gewissen praktischen Ueberzeugungen, die ihnen vor jeder wissenschaftlichen Untersuchung als unerlässliches Ergebniss zum Voraus feststanden.
Kant’s unsterbliches Verdienst ist es, dass er die Philosophie aus diesem Dogmatismus herausgeführt, die Frage nach dem Ursprung und der Wahrheit unserer Vorstellungen nicht blos auf’s Neue in Fluss gebracht, sondern sie auch gründlicher und umfassender, als irgend einer von seinen Vorgängern, gelöst hat. Die letzteren hatten unsere Vorstellungen einseitig entweder aus der Erfahrung oder aus unserem eigenen Geist abge¬ leitet. Kant erkennt, dass sie sowohl aus der einen als aus der andern von diesen Quellen entspringen; und er behauptet diess nicht in dem eklektischen Sinn, als ob ein Theil derselben empirischen, ein anderer Theil apri¬ orischen Ursprungs wäre; sondern seine Meinung ist die, dass es keine einzige Vorstellung gebe, in der nicht beide Elemente vereinigt seien. Alle erhalten ihren Inhalt, wie Kant annimmt, aus der Empfindung; aber allen, ohne Ausnahme, auch denen, worin wir uns scheinbar nur aufnehmend verhalten, wird ihre Form durch uns selbst gegeben; unser eigener Geist ist es, der den Stoff, welchen die Empfindung ihm darbietet, nach den ihm inwohnenden Gesetzen zu Anschauungen und Begriffen verknüpft. Kant giebt also zugleich dem Empirismus14 Recht, welcher behauptet, alle Vorstellungen entspringen aus der Erfahrung, und dem Rationalismus, der sie alle aus unserem Innern entspringen lässt; er giebt aber kei¬ nem von beiden darin Recht, dass er seine Behauptung mit Ausschluss der entgegengesetzten festhält; er selbst weiss, indem er die Form und den Stoff unserer Vor¬ stellungen unterscheidet, beide Standpunkte zu verknüpfen und ebendamit zu überwinden, nicht blos einen Theil unserer Vorstellungen, sondern sie alle, zugleich als eine Wirkung der Objekte und als ein Erzeugniss unseres Selbstbewusstseins zu begreifen.
Aus diesen Voraussetzungen hat nun Kant allerdings Schlüsse gezogen, durch welche die deutsche Philosophie bei aller Grossartigkeit ihrer Entwicklung doch in eine einseitige und nicht ungefährliche Bahn gelenkt wurde. Wenn alle Vorstellungen aus der Erfahrung entspringen, so können wir uns von nichts eine Vorstellung bilden, was über das Gebiet der möglichen Erfahrung hinaus¬ geht; wenn bei ihnen allen unsere Selbstthätigkeit mit im Spiele ist, allen ein subjektives, apriorisches Element beigemischt ist, so bringen sie uns die Dinge nie so zur Anschauung, wie sie an sich sind, sondern immer nur so, wie sie uns nach der Eigenthümlichkeit unseres Vor¬ stellens erscheinen. Wir sehen Alles nur in der Färbung, die wir selbst ihm verleihen, und wie es sich abgesehen davon ausnehmen würde, können wir schlechterdings nicht wissen. Zunächst diese letztere Folgerung war es, an die Kant’s Nachfolger sich hielten. Wenn ich nicht15 wissen kann, was die Dinge an sich sind, sagt Fichte, so kann ich auch nicht wissen, ob Dinge an sich sind; die Dinge sind mir nur in meinem Bewusstsein gegeben, und wenn sich uns allerdings die Vorstellung derselben unwiderstehlich aufdrängt, so folgt daraus doch nicht im Geringsten, dass diese Vorstellung von Gegenständen ausser uns herrührt. Berechtigt ist vielmehr nur der Schluss, dass in der Natur unseres Geistes etwas liege, was uns nöthigt, die Vorstellung von Dingen ausser uns zu erzeugen, und die Aufgabe der Philosophie kann nur die sein, diese ganze vermeintliche Aussenwelt als Erscheinung des Bewusstseins, als ein Werk des unend¬ lichen Ich, ein Moment seiner Entwicklung zu begreifen.
Dass diess freilich nicht so einfach und leicht sei, musste sich bald herausstellen. Gesetzt auch, der Gegen¬ satz des Ich und des Nichtich sei erst ein abgeleiteter, aus dem unendlichen Ich selbst erzeugter, so ist er doch in unserem Bewusstsein nun einmal vorhanden, ja er ist eine Grundthatsache unseres Bewusstseins, wir finden uns selbst als bewusste nur in diesem Gegensatz, und können nicht von ihm abstrahiren, ohne ebendamit auch von der Persönlichkeit, als bewusster und bestimmter, zu abstrahiren. Subjekt bin ich nur, indem ich mich vom Objekt unterscheide; denke ich mir das, was diesem Unterschied vorangeht, so habe ich mir weder ein Sub¬ jekt noch ein Objekt gedacht, sondern nur die Einheit beider, nur das „ Subjekt-Objekt “. Diess konnte auch Fichte nicht läugnen, und er unterschied desshalb das16 empirische Ich, das Subjekt, welches im Gegensatz zum Objekt steht, von dem reinen oder absoluten Ich, welches diesem Gegensatz vorangeht und das Subjekt, wie das Objekt, als seine Erscheinungsform erst hervorbringt. Aber mit welchem Recht, fragt Schelling nicht ohne Grund, kann dieses unendliche Wesen noch „ Ich “genannt werden? Ich ist eben die selbstbewusste Persönlichkeit, das Subjekt; dasjenige, was sowohl Objekt als Subjekt ist, ist ebendamit weder Subjekt noch Objekt, es ist also auch nicht Ich, es ist nur das Absolute als solches. So bricht der Fichte'sche Begriff des absoluten Ich in der Mitte auseinander: auf die eine Seite stellt sich das Absolute, das weder Subjekt noch Objekt, weder Ich noch nicht-Ich, sondern nur ihre absolute Identität und Indifferenz ist; auf die andere das abgeleitete Sein in den zwei Hauptformen des Objekts und Subjekts, der Natur und des Geistes; die Sache der Philosophie ist es, diese beiden Seiten denkend zu vermitteln, das Abge¬ leitete aus dem Ursprünglichen, Geist und Natur aus dem Absoluten zu erklären.
Geistvoll, aber mit mangelhafter Methode, unter unruhigem Wechsel der wissenschaftlichen Form und des Ausdrucks, versuchte sich Schelling an dieser Er¬ klärung; Hegel unternahm es, die gleiche Aufgabe in geduldiger Arbeit des Gedankens mit systematischer Strenge und Vollständigkeit zu lösen. Wenn sich das absolute Wesen in Natur und Geist offenbart, so muss die Nothwendigkeit dieser Offenbarung in ihm selbst17 liegen, sie muss zur Vollständigkeit seines eigenen Wesens gehören; Natur und Geist müssen mithin wesentliche Erscheinungsformen des Absoluten, unentbehrliche Mo¬ mente seines unendlichen Lebens, und es selbst muss das durch die Gegensätze des Endlichen sich bewegende, durch die Natur zum Geist sich entwickelnde Wesen, der absolute Geist sein. Diese seine Offenbarung muss ferner durchaus gesetzmässig, durch innere Nothwendig¬ keit bestimmt sein; denn eine Zufälligkeit seines Wirkens und Daseins würde dem Begriff des Absoluten wider¬ streiten. Ist sie aber dieses, so muss es auch möglich sein, sie in ihrer Gesetzmässigkeit zu erkennen, die Welt in ihrem Hervorgang aus dem Absoluten zu begreifen, wenn nur erst die Formel gefunden ist, nach der dieser Process sich vollzieht. Diese Formel ihrerseits, worin anders könnte sie liegen, als in dem Gesetz der Ent¬ wicklung durch Gegensätze? Wie das absolute Wesen erst in die Form des natürlichen Daseins, der Endlich¬ keit und Aeusserlichkeit eingehen muss, um sich selbst als Geist zu erfassen, so folgt jede Entwicklung dem gleichen Gesetze: was sich entwickelt, das muss erst ein Anderes werden, um aus dem Anderssein zu sich selbst zurückzukehren, durch seine Selbstentäusserung sich mit sich zu vermitteln. In der denkenden Nachbildung dieses Processes besteht das dialektische Verfahren; und durch die fortgesetzte Anwendung des dialektischen Verfahrens muss es gelingen, die Entwicklung des Absoluten, die Stufenreihe der Wesen in ihrem Hervorgang aus der218Gottheit wissenschaftlich zu reproduciren. Diess sind die wesentlichsten von den Gedanken, welche Hegel bei seinem Versuch einer dialektischen Construction des Universums geleitet haben.
Mag man aber auch der Grossartigkeit dieses Ver¬ suchs die höchste Bewunderung zollen, mag man das Wahre und Berechtigte in demselben noch so bereitwillig einräumen, von seiner vielfach befruchtenden Wirkung noch so lebhaft überzeugt sein: das lässt sich bei vor¬ urtheilsfreier Prüfung nicht verkennen, dass er sein Ziel nicht erreicht hat, und dass er es nicht erreichen konnte, weil er die Bedingungen des menschlichen Erkennens übersieht, weil er mit Einem Griffe von oben herab das Ideal des Wissens erfassen will, dem wir uns in der Wirklichkeit nur allmählig, durch die verwickeltste Arbeit, von unten her nähern können. Ebenso klar ist jedoch andererseits auch, dass das Hegel’sche System in allen seinen wesentlichen Bestimmungen, und dass namentlich auch Hegel’s dialektisch-constructive Methode nur das natürliche Ergebniss der früheren philosophischen Ent¬ wicklung, nur die Vollendung jenes Idealismus ist, wel¬ cher aus Kant’s Kritik des Erkenntnissvermögens mit vollkommener Folgerichtigkeit hervorgieng. Wenn daher dieses System längere Zeit hindurch eine beherrschende Stellung in der deutschen Philosophie einnahm, so wird man diess vom geschichtlichen Standpunkt aus ganz in der Ordnung finden müssen; und wenn es trotzdem für die Dauer nicht genügen kann, so wird sich doch sein19 Zauberkreis nicht wirklich durchbrechen lassen, so lange nicht die Grundlagen, die ihm mit seinen Vorgängern gemeinsam sind, auf’s Neue, und gründlicher als bisher, untersucht werden.
Dass nämlich die bisherigen Versuche, das Hegel’¬ sche System zu verbessern, oder durch ein neues zu ersetzen, zwar manchen werthvollen Fingerzeig, manche neue und richtige Wahrnehmung an die Hand geben, aber von einer wirklichen Lösung der Aufgabe noch weit entfernt sind, diess kann ich hier allerdings nur als meine Ueberzeugung aussprechen, nicht durch eine ein¬ gehendere Prüfung derselben begründen; ich kann auch die entscheidenden Bedenken hier nicht darlegen, welche mich von Herbart’s Lehre zurückhalten, so gerne ich auch den Scharfsinn anerkenne, mit dem dieser Philosoph noch gleichzeitig mit Hegel nicht blos gegen ihn, son¬ dern gegen die ganze Richtung der neueren deutschen Philosophie Einsprache erhoben hat. Indessen bedarf es dieser, an sich selbst freilich unerlässlichen, Kritik kaum, um die vorläufige Ueberzeugung von dem Be¬ dürfniss einer neuen Untersuchung der Voraussetzungen zu begründen, von denen die deutsche Philosophie seit Kant ausgieng. Der gegenwärtige Zustand dieser Wissen¬ schaft in Deutschland beweist an und für sich, dass sie an einem von den Wendepunkten angekommen ist, welche im günstigen Fall zu einer Umbildung auf neuen Grund¬ lagen, im ungünstigen zu Verfall und Auflösung hinführen. Statt der grossartigen und einheitlichen Systeme, welche2*20ein halbes Jahrhundert lang in rascher Folge die deutsche Philosophie beherrschten, bietet sie uns im gegenwärtigen Augenblick das Schauspiel einer unverkennbaren Zer¬ fahrenheit und Stockung, durch welche auch die ver¬ dienstvollsten Bestrebungen gehemmt, die scharfsinnigsten Untersuchungen in ihrer Wirkung für’s Ganze gelähmt werden; und ebenso ist das Verhältniss der Philosophie zu den besonderen Wissenschaften, wenn wir von ein¬ zelnen Ausnahmen absehen, so aus dem natürlichen Geleise gekommen, dass die Philosophie zwar im All¬ gemeinen von jenen zu lernen mehr, als vor einigen Jahrzehenten, bereit ist, in ihnen dagegen sich mehr und mehr das Vorurtheil festsetzt, als ob sie der Philosophie für ihre Zwecke nicht bedürften, und wohl gar in ihrer Arbeit durch dieselbe gestört würden. Dass diess kein gesunder Zustand ist, bedarf keines Nachweises. Fragen wir aber, wie er zu heilen sei, so mögen wir uns an das Wort jenes geistvollen italienischen Staatsmannes erinnern, der verlangt, dass die Staaten von Zeit zu Zeit auf ihr Princip zurückgeführt werden. Was von den Staaten gilt, gilt von jedem geschichtlichen Ganzen. Ueberall, wo eine zusammenhängende Entwicklung ist, tritt zeitenweise das Bedürfniss ein, zu dem Punkte zu¬ rückzukehren, von dem sie ausgieng, sich der ursprüng¬ lichen Aufgaben wieder zu erinnern, und ihre Lösung in dem ursprünglichen Geiste, wenn auch vielleicht mit anderen Mitteln, auf’s Neue zu versuchen. Ein solcher Zeitpunkt scheint eben jetzt für die deutsche Philosophie21 gekommen zu sein. Der Anfang der Entwicklungsreihe aber, in der unsere heutige Philosophie liegt, ist Kant, und die wissenschaftliche Leistung, mit der Kant der Philosophie eine neue Bahn brach, ist seine Theorie des Erkennens. Auf diese Untersuchung wird Jeder, der die Grundlagen unserer Philosophie verbessern will, vor Allem zurückgehen, und die Fragen, welche sich Kant vorlegte, im Geist seiner Kritik neu untersuchen müssen, um durch die wissenschaftlichen Erfahrungen unseres Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte, zu vermeiden.
Es wird eine von den wichtigsten Aufgaben der gegenwärtigen Vorlesung sein, die Ergebnisse zu be¬ stimmen, welche sich auf diesem Wege gewinnen lassen; in dieser einleitenden Erörterung können sie nur mit leichten Strichen, und ohne eine genauere wissenschaft¬ liche Begründung, bezeichnet werden.
Die erste Frage ist die nach den Quellen, aus denen unsere Vorstellungen entspringen. Die Bestimmungen, welche Kant in dieser Beziehung aufgestellt hat, muss ich in der Hauptsache als richtig anerkennen. Ich kann nicht zugeben, dass in dem Inhalt unserer Vorstellungen über das Wirkliche irgend etwas vorkommt, das nicht mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung, der in¬ neren oder der äusseren, herstammte; denn wie sollte die Seele zu diesem Inhalt gelangen, und wie lässt sich mit jener Annahme die Thatsache vereinigen, dass allen unseren Vorstellungen ohne Ausnahme, wenn wir genauer22 zusehen, die Spuren der Erfahrungen, aus denen sie herstammen, eingedrückt sind, dass umgekehrt von den Dingen, worüber wir gar keine Erfahrung haben, uns auch jeder Begriff fehlt? Wie sollen wir uns endlich von der Wirklichkeit dessen überzeugen, dessen Vor¬ stellung, wie man annimmt, rein von uns selbst gebildet, nicht durch eine Einwirkung des Objekts auf uns her¬ vorgerufen ist? Andererseits aber ist Kant ganz in seinem Rechte, wenn er läugnet, dass irgend eine Vor¬ stellung anders, als durch Vermittlung unserer Selbst¬ thätigkeit und in den uns durch die Natur unseres Er¬ kennens vorgeschriebenen Formen, zu Stande komme. Was uns unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist, das sind immer nur die einzelnen Eindrücke, diese bestimmten Empfindungen, als Vorgänge in unserem Bewusstsein. Schon die Art, wie wir die Einwirkung der Dinge auf¬ nehmen, die Qualität und die Stärke der Empfindung, die sie in uns hervorbringt, ist durch die Beschaffenheit unserer Sinneswerkzeuge und die Gesetze unseres Em¬ pfindungsvermögens bedingt; noch viel augenscheinlicher ist unsere eigene Thätigkeit mit im Spiele, wenn wir die Einzelempfindungen zu Gesammtbildern verbinden, wenn wir das, was zunächst nur in unserem Bewusstsein gegeben ist, in der Anschauung des Objekts aus uns heraussetzen, wenn wir aus den Wahrnehmungen allge¬ meine Begriffe abstrahiren, wenn wir von den Thatsachen der Erfahrung auf die Ursachen schliessen, die ihnen zu Grunde liegen. Das allerdings ist nicht richtig, dass uns23 in der Empfindung, wie Kant sagt, nur ein ungeordneter Stoff gegeben sei, und alle Form ausschliesslich aus uns selbst stamme; denn die äusseren Eindrücke müssen uns als diese bestimmten nothwendig auch in einer bestimm¬ ten Form und Ordnung gegeben sein. Aber da die Auf¬ fassung und Verknüpfung dieses Gegebenen doch immer durch die Natur unseres Vorstellens bedingt ist, so wird die Wahrheit der kantischen Bestimmungen durch diesen Verstoss nicht erheblich beeinträchtigt. Das Wesentliche bleibt immer der Satz, dass alle unsere Vorstellungen ohne Ausnahme und auf allen Stufen ihrer Entwicklung das zusammengesetzte Erzeugniss aus zwei Quellen, dem objektiven Eindruck und der subjektiven Vorstellungs¬ thätigkeit, sind. In welcher Weise aber diese zwei Ele¬ mente zu ihrer Erzeugung zusammenwirken und welches die apriorischen Gesetze unseres Vorstellens sind, diess kann erst im weiteren Verlauf unserer Untersuchung erörtert werden.
Je unumwundener wir aber anerkennen müssen, dass in allen unseren Vorstellungen ein subjektives Element ist, dass sich uns die Dinge in denselben immer nur so darstellen, wie diess die uns angeborenen Anschauungs - und Denkformen mit sich bringen, um so unabweisbarer drängt sich uns auch die Frage nach der Wahrheit der Vorstellungen auf, welche wir auf diesem Wege gewinnen. Mag auch unseren Vorstellungen noch so sehr etwas Objektives zu Grunde liegen, wie ist es möglich, dieses Objektive in seiner reinen Gestalt, das Ansich der Dinge,24 zu erkennen, wenn uns die Dinge doch immer nur in den subjektiven Vorstellungsformen gegeben sind? Kant antwortet, es sei unmöglich, und diese Unmöglichkeit scheint ihm so einleuchtend, dass er gar keinen weiteren Beweis dafür nöthig findet. Eben hier liegt aber der Grundfehler des kantischen Kriticismus, der verhäng¬ nissvolle Schritt zu jenem Idealismus, der sich sofort bei Fichte in so schroffer Einseitigkeit entwickeln sollte. Wir fassen die Dinge nur unter den subjektiven Vor¬ stellungsformen auf, aber folgt daraus, dass wir sie nicht so auffassen, wie sie an sich sind? Ist nicht auch der andere Fall denkbar, dass unsere Vorstellungsformen von Natur darauf angelegt sind, uns eine richtige An¬ sicht der Dinge möglich zu machen? Ja, muss uns diess nicht zum Voraus ungleich wahrscheinlicher sein, wenn wir erwägen, dass es Ein Naturganzes ist, dem die Dinge und wir selbst angehören, Eine Naturordnung, aus der die objektiven Vorgänge und unsere Vorstellungen von diesen Vorgängen entspringen? Oder wenn wir der Sache selbst näher treten wollen: es sind uns in der Erfahrung zunächst allerdings immer nur Erscheinungen gegeben. Vorgänge in unserem Bewusstsein, in denen die Wir¬ kungen der äusseren Eindrücke und die Wirkungen un¬ serer eigenen Vorstellungsthätigkeit ungeschieden ver¬ schmolzen sind. Beide Elemente mit Sicherheit zu unter¬ scheiden, ist unmöglich, so lange wir irgend eine einzelne Erscheinung für sich nehmen, weil sie uns eben nur als diese Einheit beider gegeben ist, und an keinem Punkte25 derselben die Wirkung des Objekts anders, als in der subjektiven Vorstellungsform, die letztere anders, als an diesem bestimmten Inhalt, in’s Bewusstsein tritt. Aber was sich durch die Betrachtung der Einzelerscheinung als solcher nicht erreichen lässt, das kann durch die Vergleichung vieler Erscheinungen erreicht werden. Wenn wir sehen, wie die verschiedensten Objekte in die gleichen Vorstellungsformen gefasst werden, wie umge¬ kehrt dasselbe Objekt sich in verschiedener Weise und aus verschiedenen Gesichtspunkten vorstellen lässt; wenn wir finden, dass nicht blos die verschiedenen Sinne, sondern auch die Wahrnehmung und das Denken, über den gleichen Gegenstand in gewissen Beziehungen das Gleiche aussagen, dass andererseits demselben Sinn eine Menge der verschiedensten Wahrnehmungen sich auf¬ drängt, und wenn wir auf die Bedingungen achten, unter denen der eine oder der andere von diesen Fällen ein¬ tritt, so werden wir in den Stand gesetzt werden, zu bestimmen, was in unsern Erfahrungen von den Objek¬ ten, was von uns selbst herrührt, und wie sich dieses zu jenem verhält; die objektiven Vorgänge und Eigen¬ schaften der Dinge, und weiterhin auch die Ursachen, von denen sie abhängen, auszumitteln. Sofern aber die einfache Beobachtung hiefür nicht ausreicht oder nicht die nöthige Sicherheit gewährt, steht uns zur Prüfung und Ergänzung ihrer Ergebnisse noch ein zweiter Weg offen, derselbe, welchen die Naturwissenschaft schon längst und mit dem bedeutendsten Erfolge eingeschlagen26 hat. Wie wir von den Erscheinungen durch Schluss¬ folgerung zu den Ursachen aufsteigen, welche ihnen zu Grunde liegen, so prüfen wir umgekehrt die Richtigkeit unserer Vermuthungen über die Ursachen an den Er¬ scheinungen. Wir bestimmen durch Schlussfolgerung, und wo es sein kann, durch Rechnung, was für Er¬ scheinungen sich unter Voraussetzung einer gewissen Ansicht über das Wesen der Dinge und die wirkenden Ursachen ergeben müssen; zeigt es sich dann, dass diese Erscheinungen auch wirklich, nicht blos in vereinzelten Fällen, sondern regelmässig, eintreten, so ist ebendamit die Richtigkeit unserer Annahmen, zeigt sich das Gegen¬ theil, so ist die Notwendigkeit ihrer Berichtigung dar¬ gethan. Seine häufigste und fruchtbarste Anwendung findet dieses Verfahren da, wo wir die Erscheinungen unseren Voraussetzungen gemäss selbst hervorbringen, wo wir, mit anderen Worten, die Hypothesen durch Versuche controliren können; welche sicheren und durch¬ greifenden Ergebnisse sich aber auch da, wo diess nicht der Fall ist, auf diesem Wege erreichen lassen, zeigt das glänzende Beispiel der Astronomie, welche nur durch dieses Verfahren zu ihrer jetzigen Vollendung gelangt ist. Eröffnet sich daher auch von unserer Erkennitniss¬ theorie aus allerdings keine Aussicht auf jenes absolute Wissen, welches mehrere von den nachkantischen Sy¬ stemen für sich in Anspruch nahmen, so lässt sie uns doch hoffen, dass es einer ausdauernden und besonnenen Forschung gelingen könne, uns in allmähligem Fortschritt27 diesem Ideal näher zu bringen, unsere Kenntniss der Welt und ihrer Gesetze mit der Erweiterung ihres Um¬ fangs zugleich auch zu immer höherer Sicherheit zu er¬ heben.
Welche Folgerungen sich nun von hier aus zunächst für die Form und Methode der Philosophie ergeben, will ich zum Schlusse noch kurz andeuten. Wer annimmt, dass das Wissen unserem Geiste von Hause aus inwohne, und höchstens vermittelst der Erfahrung sich in ihm entwickle, nicht durch die Erfahrung sich erzeuge, der wird folgerichtig darauf ausgehen müssen, alle Wahrheit aus den uns inwohnenden Ideen abzuleiten, welche sich ihrerseits nur durch das reine Denken und die abgezogene Selbstbetrachtung finden lassen; für ihn wird daher die allein wahre philosophische Methode jene apriorische Construction sein, deren sich Fichte, und mit der vollendetsten Meisterschaft Hegel bedient hat. Wer umgekehrt alle unsere Vorstellungen lediglich für ein Erzeugniss der Wahrnehmung, der von den Dingen her¬ vorgebrachten Eindrücke hält, der dürfte sich nur auf die Beobachtung verlassen, den Schlüssen dagegen, welche wir aus den Beobachtungen ziehen, den Begriffen, die wir aus ihnen ableiten, müsste er um so mehr misstrauen, je weiter sie sich von dem unmittelbar Gegebenen ent¬ fernen. Haben wir uns dagegen überzeugt, dass alle unsere Vorstellungen das gemeinschaftliche Produkt aus den objektiven Eindrücken und der subjektiven Thätig¬ keit sind, mit der wir diese Eindrücke verarbeiten, so28 wird es sich für uns nicht darum handeln können, irgend ein Gegebenes, sei es nun innerlich oder äusserlich ge¬ geben, als ein Letztes und unbedingt Sicheres zu Grunde zu legen, und das Uebrige daraus abzuleiten; sondern alles Gegebene gilt uns zunächst nur für eine Erschei¬ nung unseres Bewusstseins, deren objektive Gründe erst zu untersuchen, aus der allgemeine Sätze und Begriffe nur durch ein zusammengesetztes Verfahren zu gewinnen sind. Unser Standpunkt ist mit Einem Wort nicht der des Dogmatismus, weder des empiristischen noch des spekulativen, sondern der des Kriticismus. Wir können nicht erwarten, eine Erkenntniss des Wirklichen anders, als von der Erfahrung aus, zu gewinnen; wir werden aber ebensowenig vergessen, dass in der Erfahrung selbst schon apriorische Bestandtheile enthalten sind, durch deren Ausscheidung wir erst das objektiv Gegebene rein erhalten, und dass die allgemeinen Gesetze und die ver¬ borgenen Gründe der Dinge überhaupt nicht durch die Erfahrung als solche, sondern durch’s Denken erkannt werden. Ist daher auch eine möglichst genaue und voll¬ ständige Beobachtung der erste Schritt zum Wissen, so müssen sich doch hieran zwei weitere anschliessen, wenn wir wirklich zu einem sicheren Wissen gelangen wollen. Der erste derselben besteht in der Unterscheidung der Elemente unserer Erfahrung, und umfasst alle die Operationen, welche den Zweck haben, den objektiven Thatbestand als solchen, von allen subjektiven Zuthaten befreit, zur Anschauung zu bringen. Sind hiemit die29 wirklichen Vorgänge festgestellt, so ist dann das Nächste, dass die Ursachen derselben aufgesucht werden, um sie aus ihren Gründen erklären zu können, und so auf ge¬ netischem Wege zum Begriff ihres Wesens zu gelangen. Die Methoden aber, deren wir uns hiebei zu bedienen haben, die Bedeutung, welche einerseits der Induktion, andererseits der Deduktion zukommt, die näheren Mo¬ difikationen, welche beide in der Anwendung erfahren, die Notwendigkeit und die Art ihrer Verbindung, hat die Logik in ihrem methodologischen Theile zu unter¬ suchen.
Gedruckt bei Julius Groos in Heidelberg.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Antiqua
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.